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i

Medicinische Monatsschrift.

ORGAN FUER PRACTISCHE AERZTE IN NORD -AMERICA.

Herausgegeben von

Dr. A. Büchler, Dr. Geo. Degner, Dr. Max Einhorn, Dr. Jos. W. Gleitsmann, Dr. F. C. Heppenheimer, Dr. Geo. W. Jacoby, Dr. H. Klotz, Dr. F. Krug, Dr. S. J. Meitzer, Dr. Willy Meyer, Dr. C. A. von Ramdohr, Dr. A. Schapringer.

Redigirt von DR. A. SEIBERT.

BAND I.

J 3EK. -DECE IVT 13 I-J DE*. _

1889.

NEW YORK:

VERLAG DER MEDICAL MONTHLY PUBLISHING COMPANY.

Druck deb Cheeouny Peinting and Publishing Co., 17 to 27 Vandewater Street, N. Y.

r.

Medicinische Monatsschrift.

Kedigirt von Dr. A. Seibert.

Inhältsverzeichniss von Band I.

ORIGINALARBEITEN :

Seite.

Abortus, Ziir Behandlung des frischen. Von Dr. Vonder Goltz .... 305 Acne disseminata, Die Therapie der. Von Dr. Louis Heitzmann .... 441

Akromegalie, Ein Fall von. Von Dr. I. Adler 225

Amblyopien, Die toxischen. Von Dr. F. E. D'Oench 169

Aphorismen, Chirurgische. Von Dr. F. Lange 295, 399

Beckens, Behandlung des engen, im Hospital- und Privatpraxis. Von Dr.

C. A. von Kamdohr 640

Blasenmole, Ein Fall von. Von Dr. Bichard Stein 354

Blasennaht beim hohen Steinschnitt. Von Dr. F. Lange 1

Bronchialasthma, Lungenemphysem und, im Kindesalter. Von Dr.

Richard Stein 281

Bursitis luetica, Ueber. Von Dr. A. F. Büchler 393

Diphtherie, Das Kochsalz bei. Von Dr. Moritz Derleth 451

Diphtherie, Zur Behandlung der. Von Dr. A. Seibert . - . ... 29

Dysenteria diphtheritica gravis. Von Dr. Bichard Stein 123

Erysipels, Zur operativen Behandlung des. Von Dr. Willy Meyer . . . 551 Fiebers, Zur Kenntniss des gelben. Von Dr. Arnold Stub .... 456, 513 Flltrlren des Trinkwassers, Ueber. Von Dr. F. C. Heppenheim er . . . 197 Fremdkoerpern, Ueber die Entfernung von .... in der Nasenhoehle. Von

Dr. A. Schapringer 300

Gastrodiaphanie, Die. Von Dr. Max Einhorn 559

Gastrosuccorrhoea continua, Ueber. Von Dr. Julius Hoffmann .... 183 Gelenkrheumatismus, Ueber die Behandlung des acuten und subacuten.

Von Dr. L. Weber . 405

Gynaecologie, Die Massage in der. Von Dr. H. J. Boldt . . ... 344

Gynatresieen, Zur Behandlung der. Von Dr. F. Krug 605

Halsneurosen, Zwei seltene Fälle von. Von Dr. Jos. W. Gleitsmann . . 509 Hysterie, Bemerkungen zur traumatischen. Von Dr. Geo. W. Jacoby . 633 Intravesicale Behandlung mittelst eines neuen Instrumentes. Von Dr.

Carl Beck 303

Kindercholera, Zur mechanischen Behandlung der. Von Dr. A. Seibert . 357

Kopfschmerz, der nervoese. Von Dr. J. Schnetter 489

Laparotomien, Bericht über 200, mit Bemerkungen über die operative Be- handlung des retroflectirter Uterus fixatus. Von Dr. H. J. Boldt . 176 Laryngologie, Die Durchleuchtung in der. Von Dr. W. Freudenthal . 545 Larynxstenose der Kinder, Zur Werthschätzung der verschiedenen Opera- tionsmethoden bei acuter (Croup). Von Dr. A. Caille 128

Magenuntersuchungen, Die neueren Methoden der. Von Dr. Max

Einhorn 113

Muskelentzuendung, Ueber primäre subacute progressive. Von Dr. Geo.

W. Jacoby 10

J?3 %G

iv

Inhaltsverzeichnis.

Seite.

Osteomyelitis mit Epiphysenabtrennungen, Acute primäre. Von Dr. A.

Sturmdorf 23

Pleuroplegie und Facialislahmung, Ueber angeborene beiderseitige. Von

Dr. A. Schapringer 622

Pneumonie, Die Aetiologie der fibrinösen. Von Dr. A. Seibert .... 57

Pneumonie, Die Therapie der fibrinösen. Von Dr. L. Weber 70

Pneumonie, Die mechanischen Verhältnisse bei der Entstehung der. Von

Dr. S. J. Meitzer 77

Schulterdammbinde, eine Modification der T-Binde. Von Dr. Geo.

Degner " 240

Tamponade des Uterus, nebst Bemerkungen über die Behandlung der

Nachgeburtsperiode. Von Dr. C. A. von Ramdohr 234

Trachom, Die Behandlung des. Von Dr. Siegfried Fischer 554

Tubercelbacillen, Das Backen der. Von Dr. A. Jacobi 337

^Wanderleber, Ein Fall von. Von Dr. Max Einhorn 351

Zaehne, Zur Pflege der. Von William Caille, D.D.S 237

AUS DER PRAXIS :

Carbolsaeureverglftung bei einem Kinde. Von Dr. S. J. Meitzer . . . 196 Chlormethyl, Ueber die Anwendung des. Von Dr. Geo. W. Jacoby . . 194

Fremdkoerper im Uterus. Von Dr. Herrmann Weber 37

Fremdkoerperpneumonie, Zwei Fälle von. Von Dr. Wm. Baiser ... 36 Geburtshuelflichen Praxis, Aus der. Von Dr. Vonder Goltz .... 567 Haematom am Hals, Acutes. Erstickungsgefahr. Tracheotomie. Heilung.

Von Dr. Edward J. III 84

Manie nach Ovariotomie, Acute. Von Dr. H. Kreutzmann 87

Myelitis, Acute traumatische. Von Dr. C. F. Steiger 139

f Nabelschnurvorfall, Ungewöhnliche Todesursache bei. Von Dr. H.

Kreutzmann 565

Nachgeburtsperiode, Plötzlicher Tod in der. Von Dr. F. Steiger . . . 569 Paediatrischen Praxis, Mittheilungen aus der. Von Dr. A. Caille . . . 647 Peritonsillitis, Ein Fall von schwerer, mit secundärer Hämorrhagie. Von

Dr. Jos. W. Gleitsmann 652

Scharlachdiphtherie, Zur Aetiologie der. Von Dr. Paul H. Kretzschmar 85 Scheide, Eine budlmentaere zweite. Von Dr. F. C. Heppenheimer . . 89 Strangulation des 6 monatlichen Foetus durch die Nabelschnur. Re- tention der Frucht bis zum normalen Schwangerschaftsende. Von Dr. F. Krug 136

EDITORIELLES :

Antipyrese, Moderne 134

Arbeit, Billige ärztliche 189

Berechtigung, Unsere 31

Christliche Therapie der Epilepsie 244

Collegen, Amerikanische 32

Curpfuscherei der Apotheker, Die 460, 516

Diphtherie, Zur Aetiologie der 242

Einfuhr von Aerzten, Die 191

Inhaltbvekzeichniss.

V

Seite.

Gebubtshuelfe, Die Regelung der 302

Gesundheitsbehoerde New York's und die Infectionskrankheiten ... 81

Gesundheitsbehoerde, Die Aerzte und die 563

Heilstaette, Eine ideale 515

Ibrenpflege, Der Staat in der 309

Isoliren bei Infectionskrankheiten, Das 133

Kindercholera in New York, Die Sterblichkeit an 462

Kochsalz und Bacterien 413

Letter to the Editor of the International Journal of Surgery, Open . . 312

Lungentuberculose, Zur Behandlung der 415

Malaria und Erkältung 33

Medication durch das Rectum 193

Medicin, Populäre 462

Pneumonie, Zur Aetiologie der diphtherischen 310

Reclame, Aerztliche 360

Schulen als Infectionsquellen, Die , . . . 80

Sterilisation im Sommer 359

Tuberculose, Zur Ausbreitung der 561

Unterleibstyphus, Die mechanische Behandlung des 311

Ventilation bei Infectionskrankheiten 82

Wohlthaetigkeit, Medicinische 132

Wohnüngshygiene, Zur 246

REFERATE :

Arzneimittellehre. Referirt von Dr. F. C. Heppenheimer . . 315, 417, 467 Athmungsorgane. Referirt von Dr. Jos. W. Gleitsmann 40, 90, 199, 247, 526, 579 Augenheilkunde. Referirt von Dr. A. Schapringer .... 38, 142, 317, 577 Chirurgie. Referirt von Dr. Geo. Degner .... 44, 96, 147, 203, 469, 534 Chirurgie. Referirt von Dr. Willy Meyer .... 46, 97, 148, 254, 367, 471 Circulationsorgane. Referirt von Dr. Max Einhorn 249, 321, 366, 421, 525, 584 Dermatologie und Syphilis. Referirt von Dr. A. F. Büchler . . 210, 328, 427 Gebubtshuelfe. Referirt von Dr. C. A. von Ramdohr 49, 95, 208, 258, 424, 587 Gynaecologie. Referirt von Dr. F. Krug . . . .47, 151, 206, 257, 371, 585

Hygiene. Referirt von Dr. A. Seibert 103

Kinderheilkunde. Referirt von Dr. A. Seibert ... 51, 154, 260, 375, 477 Nervensystem. Referirt von Dr. Geo. W. Jacoby ... 45, 201, 325, 421, 528

Ohrenheilkunde. Referirt von Dr. A. Schapringer 475

Pathologie, und Allgemeine Terapie. Interne Medicin. Referirt von Dr.

F. C. Heppenheimer 153, 253, 322, 323, 418, 581

Physiologie. Referirt von Dr. S. J. Meitzer 99, 259, 373, 536

Syphilis. Referirt von Dr. H. Klotz 100

Verdauungsorgane. Referirt von Dr. Max Einhorn . 42, 145, 249, 319, 366, 420,

474, 525, 583.

SITZUNGSBERICHTE :

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York . 105, 215, 332, 379, 589 Wissenschaftliche Zusammenkunft deutscher Aerzte in New York . 156, 264, 386, 480.

Inhaltsverzeichnis.

Seite.

Ansprache bei der Grundsteinlegung des neuen Gebäudes der New York

Academy of Medicine, am 2. October, 1889. Vod Dr. A. Jacobi . 519

CORRESPONDENZEN 363, 574

NEKROLOG (Dr. August Otterbourg) 573

THERAPEUTISCHE MITTHEILUNGEN 429, 480

ALLERLEI 54, 109, 161, 219, 269, 333, 390, 433, 483, 538, 600

BRIEFKASTEN 55, 111, 165, 279, 335, 392, 488, 603

BUECHERTISCH ... 55, 111, 166, 221, 279, 335, 392, 440, 487, 539, 604

PERSONALIEN 56, 111, 167, 223, 279, 335, 391, 487, 603

AUTOKENBEGISTER.

Seite.

Seite.

. ... 225

Jacoby, Geo. W. . . .

10, 194

. . . . 36

Kretzschmar, Paul H

... 85

. ... 303

Krug, F

... 136

176, 344

Kreutzmann, H. . . .

. 87, 565

. . 393

Lange, F

. 1,295,399

. ... 128

. . 77, 196

. ... 237

Meyer, Willy . . . .

... 551

.... 240

SCHAPRINGER. A. .

... 300

Derleth, Moritz .

. ... 451

... 489

. ... 169

. 29, 57, 357

Einhorn, Max . . .

. 113,351,559

. 139, 569

Fischer, Sigfried . .

. ... 554

Stein, Richard . .

. 287, 354

.... 545

456, 513

.... 509

... 23

Heitzmann, Louis

.... 441

Vonder Goltz . . . .

305, 567

.... 89

... 234

.... 183

Weber, Herrmann

... 37

.... 84

. . 70, 405

337, 519

ORIGINALARBEITEN.

I.

Zur Blasennaht beim hohen Steinschnitt

und

Zur Wertschätzung der Trendelenbiirg'scheii „Beckeiiliochlagc" bei

Operationen im Becken.

Von

De. Friedrich Lange,

New York.

Mit Kücksicht auf die noch immer bestehende Meinungsverschie- denheit über Werth und Zulässigkeit der Blasennaht nach Sectio alta sei es mir gestattet, meine Erfahrungen in dieser Pachtung zu erwähnen. Ich thue dies um so lieber, als ich überzeugt bin, dass es nur auf die Befolgung kleiner technischer Details ankommt, um von den Vortheilen dieses Verfahrens durch die Kesultate überzeugt zu werden. Es handelt sich hierbei nicht darum, die Gefahren des hohen Blasenschnittes herabzusetzen. Die Kesultate von Trendelenburg, Apen- delf t und Anderen beweisen, dass dieselben bei der Nachbehandlung im Sinne des ersteren dieser Autoren auf ein Minimum herabgedrückt werden können, und ich bezweifle keinen Augenblick den hohen Werth des Trendelenburgschen Verfahrens.

Gerade für diejenigen Fälle, welche ich für die Blasennaht nicht für geeignet halte oder in denen dieselbe behufs fernerer Behandlung einer kranken Blase unterlassen wurde, habe ich diese Methode stets zur Anwendung gebracht. In Verbindung mit der lockeren antisep- tischen Tamponade des praevesicalen Raumes, halte ich sie für ein ganz sicheres Verfahren, einer Infection durch die Blasencontenta vorzu- beugen. Dabei ist sie sauber und bequem. Gleichwohl bedeutet hin- sichtlich jedes einzelnen dieser Vortheile eine gelungene Blasennaht eine Vervollkommnung unserer chirurgischen Leistung und wir sehen ja auch, wie man sich immer und immer wieder bemüht, auf experimen- tellem und klinischem Wege diesem Ziele näher zu rücken. Theoretisch ist nun an sich gar nicht einzusehen, weshalb nach der Sectio alta die genähte Blase nicht prima intentione heilen sollte, so lange wir es ermöglichen, reine Wundflächen aneinander zu heften und vor weiterer Infection zu wahren. Um practisch dies zu erreichen, werden wir freilich mit grosser Accuratesse vorgehen müssen, und da wir in der practischen Chirurgie nun einmal nicht die Beobachtung jener zahl- losen Kleinigkeiten ausser Acht lassen dürfen, welche alle einem

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grossen, zum guten Ende leitenden Princip dienen, so sei es mir schon gestattet, auf die kleinen Details hinzuweisen. Als Nähmaterial habe ich stets catgut gebraucht. Ich präparire dasselbe nach Kocher's Me- thode und bewahre es in Alcohol auf. Vor der Verwendung mache ich daraus trockenes Iodoformcatgut in sehr einfacher Weise durch Ein- tauchen in Iodoform-Aether. Der Faden wird auf einer sauberen Glasschale trocken gehalten und wird vor der Anlegung der Naht in keine antiseptische Flüssigkeit getaucht. Die Nadel soll stark gebogen und von einer dem feinen Faden entsprechenden Stärke sein. Ich halte die ganz runden Nadeln deshalb für vortheilhaft, weil sie sich zwischen den Gewebsfasern hindurchschieben ohne sie zu schneiden, und deshalb einen engen, weniger leicht blutenden Stichkanal machen. Die Wundflächen des Blasenschnitts wurden schon während der Ope- ration wiederholt mit Borsalicyl berieselt ; unmittelbar vor der Naht werden sie noch besonders gründlich gereinigt. Die Blutung muss vollständig stehen. Ich lege stets vor Eröffnung der Blase zwei Faden- schlingen parallel dem beabsichtigten Blasenschnitt in die Blasenwand. Dieselben dürfen nicht die Schleimhaut durchdringen. Mit ihrer Hülfe kann man einen Zug auf die Blasenwundränder ausüben ohne sie zu insultiren. Der Nadelhalter ist besonders lang und schlank gebaut nach Langenbeck'schem Princip, aber ohne Zinneinlage, um die Spitze möglichst dünn zu lassen, wie ich ihn auch für die Darmnaht verwende. Nun wird eine einfache unterbrochene Kuopfnaht angelegt, und zwar so, dass man sehr nahe am Wundrande einsticht, die kurzgebogene Nadel etwas im Bogen führt, so dass sie möglichst viel Gewebsmasse fasst und innerhalb des Wundrandes auf der Kückseite der Schleimhaut aus- sticht. Der Faden darf also nicht auf dem Schleimhautsschnitt erscheinen, soll aber doch eine mechanische Wirkung auf die Schleim - hautränder im Sinne einer gegenseitigen Annäherung derselben er- reichen. Die erste Naht lege ich entsprechend dem nach dem Blasenhalse gerichteten Wundwinkel und zwar genau diesem Punkt entsprechend. Dabei bemerke ich, dass ich darauf bedacht bin, den Schnitt in den äusseren Schichten der Blasenwand eher etwas grösser zu machen als den Schnitt durch die Schleimhaut. Der trockene Faden knotet sich bequem und füllt dann in gequollenem Zustande den Stichkanal voll- ständig aus. In analoger Weise wird die Naht im obersten Wundwinkel angelegt und zwar empfiehlt es sich, dies gleich im Anfange zu thun, den Faden aber lang und ungeknotet zu lassen und ihn zum Anziehen der Wundränder in sagittaler Eichtling während der Anlegung der andern Nähte zu benützen. Letzteres empfiehlt sich aus mehreren Gründen. Erstens zieht sich die Blasenwunde ohne diesen Zug auf einer kürzeren Linie zusammen und man käme leicht in die Lage, die Nähte zu weit von einander entfernt zu legen. Kommt es dann aus irgend einem Grunde in der ersten Zeit nach der Operation zu einer stärkeren Füllung der Blase und Verlängerung der Nahtlinie, so be- herrscht die Naht den Verschluss nicht genügend. Die von ihr gefasste Gewebsmasse zieht sich vielleicht auch zum Theil aus der Schlinge,

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und der Faden müsste, nach theoretischem Bedenken, lockerer werden. Zweitens legen sich unter dem Einfluss eines solchen leichten Zuges die Ränder sehr gut aneinander. Schliesslich ist es deshalb gut, den Faden im obersten Wundwinkel vor der Knotung wenigstens der letzten Nähte gelegt zu haben, weil sonst der kleine Rest von Wunde eine genaue Controlle von Ein- und Ausstich verhindert. Die Fäden müssen ferner nicht zu fest geknotet werden, da sich beim Nachlassen des Zuges an den Wundrändern in sagittaler Richtung ohnedies eine Raum- beschränkung in der Fadenschlinge einstellt. Auch ist daran zu denken, dass bei zu kurzem Abschneiden der Catgutfäden der Knoten beim Aufquellen des Fadens sich leicht lösen kann, wenn er nicht sorg-' fältig geschürzt ist. Ueber Resultate nach schräger Abtragung oder Inversion der Wundränder, um breitere Flächen miteinander in Be- rührung zu bringen, Schnürnaht etc. habe ich keine Erfahrung. Es ist gewiss vortheilhafter, den Theilen möglichst ihr physiologisches Lage- verhältniss wiederzugeben. Die Bauchdeckenwunde habe ich bis jetzt immer mehr oder weniger offen gelassen und trocken mit Iodoform oder Bismuth. subnitr. behandelt. Bei älteren Männern, welche noch dazu Nierenaffection haben, gebe ich dem Bismuth den Vorzug. Ich habe mehrere Male nach Anwendung selbst kleinerer Mengen von Iodo- form, namentlich auch in einigen Fällen von Nierenextirpation, psychische Störungen beobachtet, welche ich mir in keiner anderen Weise als durch die Wirkung des Iodoform zu erklären vermag. In einem dieser Fälle hatte ich nur schwache Iodoformgaze und gar kein Pulver angewendet. Es handelte sich jedes Mal um mehrwöchentliche Geistesstörung, einmal mit ausgesprochenem Verfolgungswahn. In keinem dieser Fälle ist eine dauernde Störung zurückgeblieben.

Es wird gewiss zulässig sein, am 4. bis 5. Tage, wenn bis dahin die Blasennaht gut gehalten hat, die Secundärnaht der Bauchdecken zu machen, für alle Fälle aber ist es rathsam, selbst dann noch einen Drain im untersten Wundwinkel zu belassen. Ich habe dies bisher noch nicht gethan, da ich noch erst mehr Erfahrung sammeln und Sicherheit erlan- gen wollte. In den späteren Stadien der Wundheilung habe ich aller- dings die granulirende Wunde mit Vortheil in einigen Fällen durch Nähte verkleinert. Behufs Ableitung des Urins wird natürlich ein Dauerkatheter eingelegt. Derselbe wird ja bekanntlich sehr verschieden gut vertragen. Im allgemeinen aber leiden die Patienten davon nur mässig, wenn man ihnen schon vor der Operation mehrere Dosen Opium gegeben hat und die Opiumwirkung durch oft wiederholte kleinen Gaben unterhält. Ich gebe die tinetura opii, im Anfange, so lange der Magen nicht gut funetionirt, per rectum, später per os. Ist die Opiumwirkung erst da, so genügen meist 2 Tropfen zweistündlich sie zu unterhalten. Bei Patienten, die an Opiate gewöhnt sind, modifleirt sich natürlich die Dosis. Zur Nacht gibt man in grösseren Pausen etwas mehr, um die Nachtruhe nicht zu stören. Es ist nicht ganz leicht, den Katheter in einer solchen Lage zu sichern, dass der Abfluss gleichmässig gut ist. Jeden- falls soll er nicht zu weit in die Blase geschoben werden, weil er sonst

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mechanisch irritirt und das Auge leicht verlegt wird, andererseits muss man daran denken, dass die wechselnde Länge des penis ein Hinaus- gleiten aus dem Blasenhalse zur Folge haben kann. Ich habe in der Regel nach leichter Füllung der Blase, bei leicht angezogenem penis den Katheter so weit hervorgezogen, dass der Abfluss gerade sistirt, dann etwa um 1 2 Zoll wieder zurückgeschoben und in dieser Lage, falls die Flüssigkeit gut abläuft, fixirt. Letzteres geschieht nach der in unserem deutschen Hospital üblichen Praxis mittelst Heftpflaster und ohne einen Faden. Zwei schmale Streifchen unseres guten „Mead's adhesive plaster" der Länge nach auf die Haut des penis und in einer Aus- dehnung von etwa 2 Zoll auf die Oberfläche des elast. Kathethers geklebt und mittelst circulären Streifen befestigt, halten das Instrument ausser- ordentlich sicher in seiner Lage. Zudem hat der Gebrauch eines durch den Katheter geführten Fadens den Nachtheil, dass man doch leicht in das lumen des Katheters durchsticht und, wenn die Nadel zu sehr ver- letzt, damit einen Theil der Heberwirkimg ausschliesst, welche bei Ab- leitung des Urins in ein tiefer gestelltes Gefäss zur Geltung kommt.

Wird der Verweilkatheter nicht vertragen, so ist es gewiss am besten, den Patienten wenn möglich überhaupt ohne Zuhilfenahme eines Kathe- ters uriniren zu lassen. Patienten mit so reizbarer Blase pressen bei Einführung des Katheters erst recht und das oft wiederholte katheteri- siren steigert die Reizbarkeit des Blasenhalses nur noch mehr.

Ist es aus irgend welchen Gründen rathsam, eine Injection durch den Katheter zu machen, so muss dies natürlich sehr behutsam geschehen. Ich injicire nur kleine Mengen einer nicht irritirenden Flüssigkeit von Körpertemperatur [ich nahm meist warmes Wasser oder ganz schwache Borlösung.] Dabei kann es vorkommen, dass [bei Verstopfung des Katheters oder Verlegung durch die Blasenwand] die eingespritzte Flüssigkeit nicht leicht wieder abfliesst. In solchem Falle ziehe ich den Katheter lieber ganz heraus, um einen anderen einzu- führen, der stets in desinfieirtem Zustande in Reserve ist.*) Der erste Stuhlgang erfolgt in Folge der Opiumbehandlung und flüssigen Nahrung meist spät und muss durch vorhergeschickte Injeetionen von warmem Oel und innerliche Darreichung leichter Laxantien erleichtert werden.

Ich habe bisher in acht Fällen von hohem Blasenschnitt die Naht in der angegebenen Weise ausgeführt. In 5 Fällen handelte es sich um eine Litnotomie, in zwei Fällen um tumor, in einem Falle um Litno- tomie mit Resection einer hypertrophischen Prostata. Nur in einem Falle von tumor hielt die Naht nicht. Die Gründe dafür finden sich in der weiter unten gegebenen kurzen Zusammenstellung. Alle genasen. Ueberhaupt habe ich das Glück gehabt, nach dem hohen Blasenschnitt

*) Die desinficirten Katheter lasse ich vor der Einführung jedes Mal erst mit lauem Wasser abspülen. Ueberhaupt vermeide ich es, stärkere Desinficientien, namentlich Sublimat, selbst in ganz schwacher Lösung, mit der Blase oder Urethra in Berührung zu bringen.

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auch in den Fällen, wo ich ans bestimmten Gründen die Blasenwunde offen liess und in der von Trendelenburg empfohlenen Weise nach- behandelt, keinen Patienten zu verlieren.*) Das ist der grosse Vorzug des hohen Blasenschnittes, man sieht, was man thut, und beherrscht das Wundterrain. Nicht zum kleinen Theil verdanken wir diese Vorzüge dem genialen Einfalle Trendelen burg's, in der „Beckenhochlage", die Därme gegen das Zwerchfell sinken zu lassen, und die Blasenwand zu entlasten. Es war mir wirklich eine freudige Ueberraschung, in einem Fall von Sarcom der Blase, welches an der hintern Wand inserirt war, bei gleichzeitigem Oberlicht alles so schön zu sehen und in einem Maasse zugänglich zu finden, wie ich es gar nicht für möglich gehalten. Da konnte man den tumor von der hinteren Blasenwand excidiren, die Blutung sicher stillen, die Wunde nähen. Jedem muss sofort die Vor- trefflichkeit dieser Idee einleuchten, der einmal versucht hat, sie auszu- führen.

Interessant war es mir, aus der neuerdings erschienenen Mittheilung aus der Trendelenburg'schen Klinik [Dr. K. Eigenbrodt : über den hohen Blasenschnitt, Deutsche Zeitschrift für Chirurgie, 28. Bd., I. und II. Heft, zu ersehen, dass Professor Trendelenburg es aufgegeben hat, von der Tamponade des rectum als Hilfsmittel für den hohen Blasen- schnitt Gebrauch zu machen. Ich habe es mehrmals erfahren, dass die erwartete Wirkung auf die untere Peritonealgrenze ausblieb. Zweimal lag dies gewiss an der grossen Schlaffheit und Dehnbarkeit der Blasenwand, welche trotz erheblicher Füllung dem Bectalballon keinen geeigneten Widerstand bot. In dem einen dieser Fälle lag ein tumor vor, in dem andern ein Stein. Beide Male blieb die Blase schlaff, trotzdem ich sie stärker als in anderen Fällen gefüllt hatte. In einem dieser Fälle veranlasste der etwas resistente Bectalballon eine Ruptur der Darmwand, auf welche ich durch eine nach der Entfernung des Ballons auftretende Blutung glücklicherweise gleich aufmerksam gemacht wurde. Dieselbe sass an der vorderen Wand des rectum, war mit der Fingerspitze gerade zu erreichen, betraf aber nicht die ganze Dicke der Darmwand. Der Riss wurde mit Iodoform angeblasen und gab zu keinen weiteren Störungen der Reconvalescenz Veranlassung. Wenn es darauf ankommt, einen Theil der hinteren Blasenwand der vordem Bauchwand durch Druck vom rectum her zu nähern, was bei der Extirpation von tumoren gelegentlich recht erwünscht sein müsste, sollte man eine ausgiebigere Wirkung erzielen durch einen partiellen, die Wand des rectum in entsprechend geringer Fläche belastenden Druck. In einem Falle schnitt ich mir schnell einen länglichen Holz-

*) Vor etwa 6 Wochen, nach der Abfassung dieser Zeilen, machte ich den hohen Blasenschnitt trotzdem ich von dem Vorhandensein einer Pyelonephritis überzeugt war. Der Patient Vatte 2 grosse Steine und litt furchtbar ; bot auch bereits uroseptische Symptome. Die Operation ging sehr glatt, doch erlag Patient 2 Tage darauf unter den Erscheinungen der Uraemie. Die Nieren wiesen unzählige Abcesse auf, welche schon vor der Operation existirt haben mussten.

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löffei zurecht, wie er gerade in meinem Gypskasten vorhanden wai\ befestigte darüber eine Lage von jenem dünnen, glatten Schwamm, wie wir ihn bei Laparatomien brauchen und führte diesen elementaren Hilfsapparat mit Vaselin wohl bestrichen, in das rectum hinein. Die erwünschte Wirkung bei Senkung des Stieles war evident. In einem anderen Falle, wo es sich um ein Carcinom im Blasengrund und bereits in der Prostata handelte, war kein irgendwie wesentlicher Effect zu notiren. Das Organ war zu fest fixirt. Indessen glaube ich, dass man weitere Versuche in dieser Kichtung anstellen sollte.

Von drei Fällen, in denen ich den Versuch gemacht habe, durch partielle Entfernung der Prostata den Gebrauch des Katheters über- flüssig zu machen, hatte nur einer den gewünschten Erfolg aufzuweisen. Hier handelte es sich um einen mehr zapfenförmig vorspringenden mittleren Lappen, der offenbar nach Art einer Klappe gewirkt haben muss. In den beiden andern ragte die Prostata eigentlich mehr in Form eines dicken, fast kreisförmigen Wulstes in das Blasen-Innere hinein. Da hatte die Herstellung einer tiefen Kinne an der hinteren Circumferenz des Blasenhalses gar keinen Effect auf die spontane Harnentleerung. Die Patienten mussten den Katheter weiter brauchen, doch konnten sie ihn mit weniger Mühe einführen. In allen drei Fällen lagen gleichzeitig Steine vor. Der erst erwähnte Patient ist jetzt so recht glücklich. Er hatte einen Stein in einem Divertikel und hatte seit Jahren entsetzlich gelitten. Viele Chirurgen, darunter ich, hatten ihn im Laufe der Jahre auf Stein untersucht, aber ohne positives Eesultat. Zu einem proba- torischen Blasenschnitt wollte er sich nicht hergeben. So fristete er ein entsetzliches gequältes Dasein und bot das jammervolle Bild eines bis zur Verzweiflung gefolterten Blasenkranken. Natürlich blieben mit der Zeit auch Symptome der Pyelonephritis nicht aus. Hier habe ich das Trendelenburg'sche Kohr lange liegen lassen, ich glaube reichlich vier Wochen und die Blase durch häufige Spülungen behandelt. Letztere wurden einfach so gemacht, dass aus einem sehr hoch gehängten Irrigator die Flüssigkeit in das orif. intern, urethrae injicirt wurde. Man kann auf diese Weise den Katheter sehr gut entbehren. Allerdings hat der Mann auch heute noch, etwa 1\ Jahr nach der Operation eine haar- feine Fistel über der Symphyse, doch entleeren sich daraus nur einige Tropfen bei stärkerem Gebrauch der Bauchpresse während des Urin- lassens. Der Urin ist fast normal geworden ; der alte Mann hat ein ganz anderes Gesicht bekommen und ist einer der dankerfülltesten Patienten. „Jedes Mal beim Pissen muss er an mich denken." Die beiden anderen Patienten leben, in ihrem Zustande wesentlich gebessert, da sie ihre Steine losgeworden sind, wie andere mit Prostata Hyper- trophie, welche auf den Gebrauch des Katheters angewiesen sind.

Die von Trendelenburg neuerdings empfohlene quere Schnitt- führung durch die Bauchdecken werde ich in Fällen von starker Fet- leibigkeit jedenfalls bei nächster Gelegenheit adoptiren. Ich habe wiederholt an der enorm entwickelten Fettschicht der Bauchdecken ein unangenehmes Hinderniss für die Arbeit in der Tiefe gefunden, trotzdem

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ich die Ansätze der recti partiell abgetrennt hatte. Ich möchte a priori glauben, dass ein kurzer Längsschnitt und ein Querschnitt in solchen Fällen die meisten Vortheile bieten müssten. In wie weit dadurch der Entwicklung einer Hernie Vorschub geleistet werden kann, bleibt abzu- warten. In einem meiner Fälle von Tumor-Extirpation ist eine Neigung zur Bruchbildung vorhanden. Hier waren die Ansätze der recti von dem allerdings recht langen Längsschnitt aus partiell gelöst worden. Ich sehe, dass Andere ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Heilung der Blasenwunde prima intentione.

Fall 1. Knabe etwa 14 Jahre alt. Harter Oxalstein. Glatte Heilung. Nachbehandlung durch Dr. Faber in Jersey City. Operirt im Jahre 1880-

Fall 2. Knabe Rehm, etwa 10 Jahre alt. Zwei grosse Steine, so weit mir erinnerlich, aus Uraten bestehend. Privatpatient. Operirt, den L December 1881.

Fall 3. W. Hensch, Jahre alt. Operirt, 1. September 1884. Patient des deutschen Hospitals.

Dieser Fall verlief nicht ganz glatt. Einige Tage bestand hohes Fieber mit peritonitischer Reizung, doch gingen diese Erscheinungen prompt zurück. (Geheilt entl. den 22. Sept.)

Einige Monate nach der Entlassung starb der Patient an Pneumonie. Herr Dr. A. Krebiel hatte die Freundlichkeit, mich zur Section einzu- laden. Die Stelle des Blasenschnittes fand sich mit der Symphyse ver- wachsen. Beim Herausreissen der Blase erfolgte hier ein Einriss, welcher einen ungetrübten Einblick in die Verhältnisse der geheilten Blasenwunde nicht gestattete.

Fall 4. Theo. A. Porthun 28 J. Patient des deutschen Hospitals. Grosser Phosphatstein. Mangelhafte Wirkung des Rectum-Tampons.

In Folge tief gehender Narben im unteren Theil der Bauchwand das Peritoneum zum Theil fixirt, Verletzung des Peritoneum's, welches sofort genäht und mit Iodoformgaze bedeckt wird. Stein muss wegen seiner Grössse in der Blase zerbrochen werden. Keine fieberhafte Reac- tion. Op. Sommer 86.

Fall 5. Herr Diamond, etwa 60 Jahre alt. Privatpatient. Nicht grosser Uratstein. Op. im Winter 86/87, wenn ich nicht irre. Glatte Heilung.

Fall 6. Herr Bäsch, zwischen 50 und 60 Jahre alt. Privatpatient. Op. im Herbst 86. Sarcom der hintern Blasenwand. Excision und Naht des Excisionswunde. Heilung ohne Fieber nennenswerthen Grades trotz nicht unerheblicher Nachblutung in der Blase. Pat. hat jetzt ein inoperables Recidiv. (Ist inzwischen verstorben.)

Fall 7. Herr Emmerich, über 60 Jahre alt. Privatpatient. Sehr heruntergekommen. Nephritis. Braucht seit Jahren wegen enormer Prostatahypertrophie den Katheter. Meist bohrt er sich denselben etwa alle 45 Minuten in die Blase. Vor etwa einem Jahre ein Stein durch Lithotripsie entfernt, ohne dass Beschwerden wesentlich gelin- dert wurden. Stein bei wiederholter Untersuchung nicht zu finden. Sectio alta. Etwa kleine Wallnuss grosser Stein liegt hinter der Pros-

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lata, welche wie eine mächtige durch einige Spalten gefurchte Walze um den Blasenhals herumliegt. Ausschneiden und Ausbrennen einer tiefen, breiten Furche im hintern Theil hat keinen Erfolg bezüglich der Insuffizienz der Blase nexcretion.

Patient wurde, trotzdem Iodoform nur in ganz minimaler Dosis für kurze Zeit in Anwendung gekommen war, von vorübergehender Geistes- störung befallen. Springt aus dem Bett, delirirt, bei sehr geringer Temperatursteigerung. Reisst sich wiederholt den Verweilkatheter aus der Blase. Einmal wurde der Verband und die Umgebung mit Urin getränkt gefunden, doch ergab eine stärkere Füllung der Blase deren vollständigen Schluss. Patient ist wesentlich gebessert, leidet fast gar nicht mehr, braucht den Katheter jetzt nur etwa alle 4 6 Stunden.

Fall 8. Die prima intentio der Blase blieb aus in Herr Siemis, etwa 60 Jahre alt. Op. im Herbst 1887. Leidet seit mehreren Jahren an mehr oder weniger profusen Blutungen. Verweigert trotz entsetzlichen Lei- dens lange die Operation. Ist schliesslich äusserst nervös. Urin stinkend, oft blutig. Häufig werden unter Qualen ausgelaugte Blut- coagula entleert.

Bei der Operation findet sich zunächst ein grosser, zum Theil incrustirter Blutklumpen. Ausserdem ein etwa Taubenei grosser papilli- ner Tumor oberhalb und seitlich von der linken Ureteren-Mündung.

Excision und ferrum candens.

Patient nach der Operation sehr aufgeregt. Gibt jedem Urindrang nach alter Gewohnheit unter starkem Pressen nach. Opiate haben wenig Einfluss, da Patient daran gewöhnt ist. Am 4. oder 5. Tage findet sich der Verband von Urin durchfeuchtet und fliesst von da ab zum Theil von oben, doch verträgt Patient den Verweilkatheter bald besser, so dass er wenig nass liegt. Vollständige Heilung. Sehr gutes Befin- den. Leider erlag Patient etwa ein halbes Jahr später einer croupösen Pneumonie. Die Blasenschleimhaut wies bei der Operation in grosser Zahl kleinste warzige Erhabenheiten auf, die diffus über die ganze Schleimhaut wie Mohnkörner verstreut waren.

In Bezug auf die Heilungsdauer bietet die Blasennaht natürlich keine erheblichen Vortheile, solange die äussere Wunde offen gelassen wird und durch Granulation heilt. Letzteres Verfahren ist hinsichtlich der Gefahr einer Urininfiltration auf alle Fälle das sicherere. In den nächsten Fällen beabsichtige ich einen Schritt weiter zu gehen, nämlich am fünften bis sechsten Tage, wenn die Wunde eine schützende Granu- lationsdecke bereits erhalten hat, die Secundärnaht anzulegen mit Drainage von der Nahtlinie her nach dem unteren Wundwinkel.

Einen Nachtheil glaube ich bei der mit Naht der Blase combinirten Epicystotomie hervorheben zu müssen : Man braucht bei starken Bauchdecken einen längeren Bauchschnitt, um in der Tiefe mit einiger Bequemlichkeit nähen zu können. Allerdings kann man den oberen Theil dieses Schnittes zunähen und das habe ich auch meist gethan, doch bleibt es abzuwarten, ob nicht in diesen Fällen eine Disposition für die Entstehung eines Bauchbruches gegeben ist.

Noch ein Wort über die Verwerthung der Trendelenburg'schen Beckenhochlage bei Operationen im Becken. Ich kann nur sagen, dass ich sie zu meiner grossen Befriedigung in letzter Zeit bei Operationen im Becken jedes Mal anwende, wenn ich irgend welche Schwierigkeiten erwarte oder die Operation einen bequemen Einblick in die Tiefe des Beckens erfordert. In der Regel hänge ich den Patienten mit den Knieen über die Kante der Kopflehne eines Operationsstuhles, welche durch ein übergebundenes Kissen stumpf und weich gemacht ist. Unter das Becken wird ein Häckselsack geschoben, der Kopf wird leicht unter- stüzt und gehoben. Bei guter Narkose sieht man dann schon vor dem Einschnitt die Bauchdecken über der Symphyse leicht einsinken, wenn nicht die Anwesenheit eines Tumors dies verhindert und man findet, dass auch ohne Rectal-Tampon das Peritoneum parietale sich nach dem Nabel zu verschiebt. Ich habe in mehreren Fällen Extirpationen des Uterus ausgeführt, welche sich per vaginam als unthunlich erwiesen. Man kann bequem die Uterin- Arterien isoliren und unterbinden und in einem Falle konnte ich ohne Mühe den Ureter von einer Tumormasse lospräpariren und schonen, als ich ihn bereits in einer Massenligatur ge- fasst, glücklicherweise aber noch nicht durchschnitten hatte. Es scheint mir, dass behufs Entfernung von Fremdkörpern aus dem untersten Theil der Ureteren die Trendelenburg'sche Lage mit grossem Vortheil angewendet werden dürfte. Wer jemals eine mühsame Ope- ration im kleinen Becken von oben her zu machen und mit den beständig sich herandrängenden Eingeweiden trotz guter Assistenz zu kämpfen hatte, wird sich dem Urheber der Methode zum Danke ver- pflichtet fühlen.

II

Ueber Primäre Subacute Progressive Muskeleutzündung.

Von

Dr. Geo. W. Jacoby,

Arzt am Deutschen Dispensary (Nervenkrankheiten) und Präsident der Neurological Society, New York.

Der Fortschritt, welcher sich in unseren Kenntnissen der verschie- denen Muskelaffectionen innerhalb des letzten Dezennium bemerkbar gemacht hat, ist einer der alle unsere Erwartungen übertroffen. Dass gewisse Muskelaffectionen, von Erkrankung der grauen Vordersäulen des Rückenmarks abhängen ; dass andere wiederum einer Erkrankung der peripheren Nerven zugeschrieben sind, und dass schliesslich noch andere weder von dieser noch jener Läsion abhängen, sondern die Mus- keln selbst primär ergreifen, sind Thatsachen, welche heutzutage blos der Erwähnung bedürfen. Um solche Resultate zu erzielen hat es natürlich keiner geringen Mühe und Aufmerksamkeit bedurft. Doch ist diese ganze Aufmerksamkeit der verschiedensten Forscher, den chronischen Formen der Muskelerkrankungen gewidmet worden, jenen Formen, welche unter dem Namen degenerative Atrophie bekannt sind. Dies geschah auf Kosten unserer Kenntnisse der acuten und subacuten Störungen, besonders der entzündlichen, welche die Symptome der Entzündung, wie wir sie auch in andern Organen anzutreffen gewohnt sind, darbieten.

Es ist daher meine Absicht, in möglichster Kürze Dasjenige vorzulegen, was bis jetzt nach dieser Richtung hin, geschehen ist. Ich werde durch Bericht eines merkwürdigen Falles, der intra vitam alle typischen Merkmale der Entzündung zeigte, successiv fast alle Muskeln des Körpers angriff, lethal ausging, und mikroskopisch nicht nur die Zeichen der acuten und subacuten Entzündung dar- bot, sondern auch viele der Veränderungen zeigte, welche wir in den chronischen Formen der primären Dystrophien zu finden gewohnt sind, ich werde, wie gesagt, durch diesen Bericht versuchen, eine Verwandtschaft, vielleicht einen Uebergang zwischen diesen acuten und jenen chronischen primären Muskelprocessen darzulegen.

Der Fall verhält sich wie folgt :

Patient F. H., 35 Jahre alt. Die Familiengeschichte ist unwichtig. Patient ist verheirathet, hatte drei Kinder, wovon zwei am Leben sind. Fehlgeburten hat seine Frau nie gehabt. Eine Geschichte vorher- gegangener Syphilis, noch gegenwärtige Zeichen einer solchen sind nicht vorhanden. Seine Gewohnheiten bezüglich Tabak und Alcohol sind gut. Der Patient war immer vollständig wohl bis vor etwa 4

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Jahren. Um diese Zeit hatte er einen Anfall von Intermittens ; während dieser und späterer Krankheiten wurde er von Dr. H. J. Boldt, dessen Güte ich die Gelegenheit den Fall zu beobachten verdanke, behandelt.

Vier oder fünf Monate nach dem Intermittensanfall stellte sich eine Pleuritis ein, nach deren Ablauf er durch einen schweren Typhus drei Monate lang arbeitsunfähig gemacht wurde.

Die Wiederherstellung vom Typhus war eine vollständige, und blieb er während eines Jahres vollständig gesund. Während dieser Zeit ging er seinem Berufe, dem eines Maschinisten nach, ohne einen einzigen Tag zu verfehlen, und versichert nie so wohl gefühlt zu haben als gerade zu dieser Zeit. Nach Ablauf dieses Jahres, also vor Jahren, folgte auf einen Tag vollständiger Gesundheit, ein Gefühl von Span- nung in der rechten Wade. Der Musculus Gastrocnemius schien stark entzündet zu sein. Die Haut war roth, glänzend, und er empfand Schmerzen auf leichten sowie auf festen Druck. Leichtes Oedem war auch zugegen. Die Diagnose einer Cellulitis wurde gestellt, und unter antiseptischen Cautelen ein tiefer Einschnitt gemacht, durch welchen aber kein Eiter entleert wurde. Die Wunde heilte per primam und eine Besserung des Zustandes schien eingetreten zu sein. Nach einigen Wochen jedoch trat eine ähnliche Schwellung in der linken Wade ein, und die rechte, wurde wieder in demselben Maasse ergriffen, wie vor dem Einschnitt. Die Spannung vermehrte sich in beiden Beinen, und war immer des Morgens besonders auffällig. Schliesslich verursachte diese Schwellung eine derartige Spannung, dass es unmöglich wTurde die Beine activ im Kniegelenk zu bewegen. Die Sachlage variirte von einem Tage zum andern; schien der Zustand in einem Bein etwas erträglicher, so war derjenige des andern ein verschlimmerter. Jetzt wurde der rechte Oberschenkel in ähnlicher Weise ergriffen, und hierauf trat der- selbe Zustand auch im linken Oberschenkel ein. Dann wurde die Flexor- seite der Vorderarme, und schliesslich der Biceps beiderseits befallen.

Ich sah den Patienten zum ersten Male am 11. Mai, zu welcher Zeit er folgenden Zustand darbot :

Patient ist ein grosser, dünner, cachectischer Mann. Die Gesichts- muskeln sind normal. Die musc. Deltoideus und Trapezius der linken Seite vergrössert und auf Druck schmerzhaft. Ebenso der Biceps des linken Arms und alle Muskeln auf der Streckseite des Vorderarms. Der rechte Arm ist ähnlich afficirt doch in geringerem Maasse. Der ganze linke Arm fühlt sich härter an als der rechte. Die Haut auf der Streck- seite beider Vorderarme zeigte eine leichte erythematöse Rothe, welche auch links mehr ausgeprägt ist als rechts. An den Händen scheinen die Daumenballen für Druck leicht empfindlich zu sein, sind aber nicht geschwollen. Beide untere Extremitäten sind gleichmässig angegriffen. Der Quadriceps Cruris und die Adductoren sind stark vergrössert und auf Druck schmerzhaft. Dieses ist auch am Gastrocnemius der Fall. Die Bewegungen des Patienten sind den befallenen Muskeln gemäss, beein- trächtigt. Er kann alle Bewegungen ausführen, aber diejenigen, welche unter Einfluss der betroffenen Muskeln ausgeübt werden, zeigen eine

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gewisse Unbeholfenheit, weiche sofort die Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Die angegriffenen Muskel fühlen sich eigentümlich an, und erinnern sehr, sowie auch die Bewegungen, an Fälle von Pseudo- hypertrophie der Muskel. Die Sehnen aller erkrankten Muskel können deutlich als feste Stränge herausgefühlt werden. Ein leichtes Oedem der Haut, welches aber den Eindruck des Fingers nicht annimmt ist über den afficirten Muskeln bemerkbar. Der Schmerz, welcher auf Druck hervorgebracht wird, ist ganz und gar auf den Muskel selbst beschränkt; Druck auf die Nervenstämme ist schmerzlos. Die electrische Untersuchung erwies starke Herabsetzung der Erregbarkeit beiden Stromesarten gegenüber.

Ein Strom von 15. M. a. war erforderlich um die erste Kathoden- schlusszuckung zu erzielen. Entartungsreaction war in keinem der Muskel nachzuweisen. Patellar Sehnenreflexe nur mit der aller- grössten Mühe auszulösen. Keine Sensibilitätsstörungen. Keine Blasenstörung. Die mechanische Erregbarkeit der erkrankten Muskel nicht erhöht, eher herabgesetzt. Fibrilläre Zuckungen fehlten. Nirgends war Atrophie zu bemerken.

Am 16. Mai hatte Dr. Kammerer die Güte, mir zwei Muskelstücke zu excidiren, das eine aus dem Gastrocnemius des rechten Beines und das andere aus dem Supinator longus des linken Vorderarmes. Beide Wunden heilten per primam. Die darauffolgenden vierzehn Tage verliefen ohne besondere Veränderungen dieses Zustandes. Dann schien ein acuter Nachschub des Processes einzutreten und sein Zustand ver- schlimmerte sich merklich. Die Muskel wurden auf Berührung hin überaus schmerzhaft, aber die Gelenke blieben frei von Anschwelluug oder Exsudat.

Am 31. Juli, schreibt Dr. Boldt, indem er mich auffordert den Patienten nochmals zu besuchen : „Er hat eine acute Leber Cirrhose. Das Stadium der Vergrösserung ist vorüber, und seit den letzten Tagen wird das Organ wieder kleiner. Das Bindegewebe scheint rapid zu schrumpfen. Untersuchung des Urins erweist nur Verminderung der Salze."

Am 4. Juli fand ich den Zustand wie folgt: Unterleib mit ascitischer Flüssigkeit stark gespannt. Das Gesicht und der Körper sehr abgemagert. Die afficirten Muskel scheinen, in Folge der all- gemeinen Abmagerung stärker geschwollen als sie es in Wirklichkeit sind. Es besteht grosser Schmerz auf Druck und Bewegung. Die Insertionsenden der Muskel sind einander genähert, und die Sehnen stehen als harte, widerstandsvolle Stränge hervor. Die Haut über den afficirten Bezirken zeigt eine tiefe erisypelatöse Köthe. Punktförmige capilläre Blutungen machen sich an den Grenzen aller verfärbten Haut- partien bemerkbar. Ausser den schon erwähnten Muskeln sind ferner die Glutei, die Bückenmuskeln, die Intercostalmuskel und die Obliqui externi Abdominis mehr oder weniger angegriffen. Die Erscheinung aber, welche die Aufmerksamkeit wegen des hervorgebrachten Contrastes

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am meisten fesselt, ist die Atrophie, welche gewisse Muskeln befallen hat, und welche entschieden nicht durch die allgemeine Abmagerung zu erklären ist. An beiden Oberschenkeln sieht man den untersten Theil, besonders die Vasti stark geschwunden. Dieser Schwund ist am linken, dem früher dickeren Bein, am stärksten ausgeprägt. Der gelieferte Con- trast zwischen atrophirten Vasti, und hypertrophirten Recti, Adductoren und glutei, ist sehr frappant. Ein ähnlicher Contrast zeigt sich auch in den Oberextremitäten, wo Biceps undTriceps stark vergrössert, während Deltoideus und vorderer Theil des Trapezius fast gänzlich atrophirt sind. Die Schultergelenke sind dabei vollständig frei beweglich. Die Interossei dorsales beider Hände und die Unterarmmuskel sind auch atrophisch ; desgleichen des Daumen der linken Hand ; wohingegen der der rechten geschwollen und schmerzhaft ist.

18. Juli. Zustand derselbe. Consolidation der linken Lungenspitze, keine weiteren Muskel von der Atrophie ergriffen.

25. Juli. Allgemeiner Zustand verschlimmert. Hat Schluckbe- schwerden. Zunge schmerzhaft und geschwollen. Kann sie nicht über den Zahnrand hervorstrecken.

2. August. Schluckschmerz so stark, dass es der grössten Mühe bedarf, um ihn zur Einnahme einer kleinen Quantität Milch zu bewegen. Sein Zustand ist ein wahrhaft bemitleidenswerther. Active Bewegungen irgend welcher Art sind unausführbar, der Kopf kann nicht einmal vom Kissen gehoben werden, und selbst eine leichte Rotation verursacht die heftigsten Schmerzen. Die Vorderarme sind beinahe rechtwinkelig zu den Oberarmen flectirt. Druckkraft der Hände gleich nil. Die Beine auf den Oberschenkeln gebeugt, und können nicht gestreckt werden. Passive Bewegungen sind auch des Widerstandes der gespannten Sehnen wegen höchst beschränkt. Gesicht und Augen, sowie Sensibili- tät normal. Sensorium vollständig frei.

12. August. Exitus letalis, Todesursache allgemeiner Marasmus und Respirations-Störungen. Wegen meiner Abwesenheit aus der Stadt wurde die Section leider verfehlt.

Mikroskopische Untersuchung. Die excidirten Muskelstücke wurden sogleich in einer £ Procent Chromsäurelösung gelegt. Nach genügen- der Härtung wurden sie in Celloidin eingebettet, und Längs- und Querschnitte gemacht. Diese Schnitte wurden dann mit einer Lösung von Carmin-Ammoniak gefärbt, und in Glycerin montirt.

Querschnitte des Muskelstückes vom Bein zeichnen sich vor Allem durch die Kleinheit der einzelnen Muskelfasern aus, ohne dass dabei eine merkbare Abnahme ihrer Zahl in einem einzelnen Bündel stattge- funden hat. Ich kann aber diese Kleinheit dem Krankheitsprocess nicht zuschreiben, da, abgesehen von einer leichten Vergrösserung des Perimysium internum, die Fasern ihre gegenseitige Abflachung conser- virt haben. Sogar die Sarcolemma-Scheide scheint erhalten zu sein, ausgenommen in einigen stark veränderten Fasern. Mit schwacher Vergrösserung bemerken wir noch eine deutliche Zunahme des Peri- mysium externum, sowie auch des Perimysium internum ; die des letz-

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teren ist aber weder so ausgeprägt, noch so gleichmässig vorhanden, als in ersterem. Das neu formirte Bindegewebe, aus welchem das ver- grösserte Perimysium externum besteht, besitzt entweder eine myxo- matöse oder fibröse Structur. Letzte wiederum ist entweder fein und breitmaschig, oder dicht und fibrös ; in diesem Falle aus verhältniss- mässig groben Bündeln bestehend. In beiden Arten des Perimysium exterDum treffen wir oft folgende Erscheinungen : Erstens, Fettkugeln in mehr oder minder regelmässiger Anordnung, und zweitens wachs- artige Degeneration der fibrösen Bindegewebsbündel, in einigen Stellen sogar sehr stark ausgeprägt. Das Perimysium internum, obgleich, wie schon erwähnt, vermehrt, ist ganz und gar von zartem Bindegewebe zusammengesetzt, eine Anzahl Blutgefässe tragend, aber nirgends fettig oder wachsartig degenerirt. Die Muskelfasern selbst zeigen, neben der schon erwähnten Kleinheit, eigenthümliche Veränderungen, welche nie- mals alle Fasern eines einzigen Bündels angreifen, sondern nur eine limitirte Anzahl, etwa eine bis acht. Diese afficirten Fasern sind ent- weder zu einer anscheinend homogenen Masse umgewandelt, welche noch Spuren der Kerne enthält und von einem unveränderten Sarco- lemmaschlauch umgeben ist, oder der Muskel ist zu einer stark licht- brechenden, wachsigen Masse, welche deutliche Kerne zeigt, homogen oder blos an der Peripherie homogen ist, umgestaltet. Häufig sieht man Muskelfasern, welche theilweise normal, theilweise wachsig oder homogen erscheinen. Viele Fasern enthalten Kerne in ihrer Mitte, welche hier und da herausfallen und Vacuolen hinterlassen. Die Zahl solcher Kerne beträgt von 1—6 in einer einzelnen Faser. Andere Fasern sind wiederum ganz oder theilweise in kleine Klumpen, mit oder ohne Kerne, zerfallen. Die Färbungsmethode hat auch eigenthümliche Ke- sultate ergeben, insofern als viele Fasern theilweise stark gefärbt, theil- weise ungefärbt oder gelb (der Chromsäure wegen) sind. Solche Far- benvariation kommt auch in deutlich wachsartigen Fasern vor.

Da der Muskel zur Zeit des Herausschneidens von Blutplasma durchtränkt wurde, ist meines Erachtens nach kein Werth auf diese Farbenversehiedenheiten zu legen. Aus den bis jetzt mit schwacher Vergrösserung beobachteten Veränderungen ergibt es sich, dass eine plastische oder formative Entzündung, durch Vermehrung des inter- stitiellen Bindegewebes, besonders des Perimysium externum, am meisten ausgeprägt, den Muskel ergriffen hat.

Dieser Process unter der Bezeichnung Myositis hyperplastiea be- kannt, war in einer, vor einem Jahre von mir beschriebenen mikrosko- pischen Untersuchung des Muskels eines an Pseudohypertrophie leidenden Patienten, sehr ausgeprägt. Glt ichzeitig sehen wir, dass auch ausgesprochene Veränderungen in den Muskelfasern selbst statt- gefunden haben, welche zu einer Disruption der contractilen Substanz, mit schliesslieher wachsartiger Degeneration geführt haben, ein Process der seit Virchow als parenchymatöse Myositis bekannt ist. Es entsteht nun die Frage, in welcher Beziehung steht, im vorliegenden Falle, die Myositis zur Perimyositis. Oder um mich anders auszu-

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drücken, wie viel des Processes ist interstitiel und wie viel parenchy- matös? Diese Frage lässt sich durch stärkere Vergrösserung (500) leicht beantworten.

Das Erste, welches dem Beobachter hier auffällt, ist die Kern- vermehrung. Im normalen Muskel sieht man blos an der Peripherie des Muskels, dicht unter dem Sarcolemma, Kerne, und zwar nur in geringer Anzahl. In unserem Falle hingegen beobachtet man scharf umgrenzte Kerne, von einem, vielleicht durch Schrumpfung hervor- gebrachten hellen Rand umgeben, unregelmässig im Muskel selbst zerstreut, während die, des Sarcouselements zuzuschreibenden Granu- lation, im übrigen Theil der Muskelfaser noch vorhanden ist. Da centrale Kerne im vollkommen entwickelten menschlichen Muskel, blos im Herzmuskel angetroffen werden, so müssen wir die Anwesenheit einer grösseren Anzahl Kerne innerhalb der Muskelfaser selbst, als eine pathologische Erscheinung auffassen. Wo die Kerne an Zahl stark vermehrt sind kann der Muskel das Aussehen einer sogenannten Riesenzelle annehmen, wodurch die regelmässige Anordnung der Sar- couselements verloren gegangen und die Granulation unregelmässig geworden ist. In diesem Stadium ist der Sarcolemmaschlauch noch vorhanden, und ermöglicht das deutliche Sehen der Umrisse jeder ein- zelnen Faser. Im nächsten Stadium zerfällt die Faser in eine Anzahl indifferenter oder Medullar-Körper, viele welche noch Kerne ent- halten. Der Umriss der Muskelfaser hat jetzt zum grossen Theil seine Schärfe verloren und da das Perimysium auch zum grossen Theil aus ähnlichen nicht gekernten Körpern besteht, kann keine deutliche Grenze zwischen Muskel uud Perimysium gezogen werden. Es drängt sich uns also die Ueberzeugung auf, dass das ursprüngliche Muskel- gewebe, nachdem es in Medullarkörper zersplittert worden ist, seine speeifische Structur verliert und in fibröses Bindegewebe umgewandelt wird, wodurch eine gewisse Masse dem hyperplastischen Perimysium selbst zugefügt wird. Dieser Eindruck macht sich besonders geltend wenn wir Felder des fibrösen Perimysiums, mit noch vorhandenen Spuren der früheren Muskelfasern, aus Medullarkörpern bestehend, an- treffen. Hierzu gesellen sich noch grosse Felder, umgeben von Fasern in wachsartiger Degeneration, und zwischen wenig veränderten Muskel- fasern liegend. Für unsere Zwecke noch lehrreicher sind Fasern, welche, theilweise unverändert, theilweise zu einer grob granulirten Masse, welche die regelmässige Anordnung des Sarcouselements ver- loren hat und eine wechselnde Zahl Körner enthält, umgewandelt sind. Die Gegenwart des Sarcolemma ist ein positiver Beweis, dass die krankhaften Veränderungen nur in einem Theil der contractilen Sub- stanz einer Faser stattgefunden haben. Eine solche partielle Transfor- mation ist durchaus nicht selten. Die Muskelfaser verändert sich auch noch auf anderem Wege als durch Kernvermehrung. Manchmal zerfällt eine Faser theilweise oder in toto in Klumpen, welches augen- scheinlich einer Vermehrung der contractilen Substanz und deren Gruppirung zu homogenen Massen zuzuschreiben ist. Diese Klumpen

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erreichen auch gelegentlich die Grösse gekernter Medullarkörper, und stellt dies vielleicht einen acuteren Process dar.

Dieser Process muss als eine Myositis deflnirt werden ; ein Process der zu allererst eine Auflösung der Muskelfaser in ihren embryonalen Bestandteilen, den sogenannten Muskel platten, oder Sarcoplasten, herbeiführt. Eines der Endstadien der Myositis, Umstaltung der contractilen Substanz zu fibrösem Bindegewebe, ist schon dargestellt worden. Dieser Termination gesellen sich in unserem Falle noch zwei andere zu, und zwar, fettige und wachsige Degeneration der Muskel- faser. Hier und da sehen wir Querschnitte der Muskelfasern, welche in ihrer Mitte eine Anzahl Yacuolen enthalten, welche von einer scharf definirten Umrandung umgeben sind. Solche Vacuolen sind im Aus- sehen von den, durch herausgefallene Kerne hervorgebrachten leeren Stellen, verschieden. Obgleich das Fett selbst durch den Gebrauch von Alcohol und Aether beim Einbetten der Präparate, fast vollständig auf- gelöst ist, so lässt sich doch durch Vergleich mit ähnlichen Bildungen im Perimysium, die Diagnose auf Fettbildung in der Mitte der Muskel- faser, stellen. Es ist auch dieser Behandlung mit Aether und Alcohol zuzuschreiben, dass wir nicht zu erkennen vermögen, ob Fasern, welche nicht carminisirt und stark lichtbrechend sind, und in unregelmässigm Klumpen zerfallen, sich in fettiger Degeneration befinden oder nicht. Nun wissen wir aber, dass die Sarcouselemente direct in Fettkörner umgewandelt werden können, durch deren Zusammenfliessen Erschei- nungen hervorgebracht werden, wie wir sie in unseren Präparaten sehen. Die zweite und allgemeinere Termination des myositischen Processes ist die wachsartige Degeneration. In fast jedem Bündel treffen wir ein oder mehrere Muskelfasern, umgewandelt in eine stark lichtbrechende Masse, welche unter dem Namen wachsig oder colloid bekannt ist. Die Art und Weise wie sich diese Metamorphose vollzieht, lässt sich leicht verfolgen.

Erst bemerken wir ein Zerfallen der Muskelfaser in eine Anzahl Medullarkörper, bei welchen das Sarcolemma unverändert bleibt. Solche Medullarkörper sind von einem eigenthümlich veränderten Blut- serum infiltrirt, wodurch sie lichtbrechend, glänzend und homogen werden. Oefters verschmelzen eine Anzahl Medullarkörper zu einer klumpigen homogenen Masse, worin schwache Andeutungen der Grenzen der früheren Medullarkörper noch zu erkennen sind. Im höchsten Grade der wachsartigen Degeneration, sehen wir eine fast continuirliche homogene Masse, welche in ihrem Innern sternförmige oder länglichrunde Protoplasma-Körper enthält, welche nicht wachsartig degenerirt sind. Hierdurch wird das Aussehen von Knorpelgewebe hervorgebracht. Längsschnitte der Muskeln zeigen alle schon be- schriebenen Veränderungen. Besonders auffallend ist hier die Kleinheit aller Fasei n, das Zerklüt'ten derselben in Längsfibrillen und die Kleinheit der Sarcouselements. Die Kernvermehrung ist hier nicht so auffallend wie im Querschnitte, aber vereinzelt sind doch Kernketten zu sehen. Dass die Proliferation des Perimysium externum nicht eine einfache

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Vermehrung des fibrösen Bindegewebes ist, sondern ein Resultat der activen Betheiligung der contractilen Substanz, ist hier deutlieh zu erkennen. Wir sehen auch Fasern, welche abrupt enden, deren fibrilläre Structur durch Medullar-Gewebe ersetzt worden ist. Auch kommen Fasern vor, welche nur stellenweise in Medullarkörper umgewandelt sind ; hier sieht man wie die contractile Substanz erst in Muskelplatten zerfällt und dann in Medullarkörper. Wachsartige Degeneration ist hier, im Perimysium und in den Muskelfasern ausgeprägt. Viele medullirte Nervenfasern sind im Längsschnitte sowohl wie im Quer- schnitte sichtbar. Viele derselben sind unverändert ; an anderen hin- gegen ist eine Vermehrung der Kerne der Schwanschen Scheide be- merkbar, und in noch anderen erscheint das Perineurium internum mehr oder weniger dicht mit Medullarkörper gedrängt, eine Erscheinung die wir bei der Neuritis und Perineuritis zu sehen gewohnt sind. Wie viele medullirte Nervenfasern durch Umwandlung in Bindegewebe zerstört worden sind, kann ich nicht angeben. Die grosse Zahl der unver- änderten Nervenfasern deutet aber stark darauf hin, dass die Neuritis und Perineuritis nicht primär, sondern der Myositis und Perimyositis gegenüber ganz und gar secundär sind. Um die Resultate dieser Unter- suchung zusammenzufassen, würde ich folgende Sätze aufstellen :

1) Diese Erkrankung besteht in einer acuten Myositis und Perimyo- sitis auf dem Boden eines chronischen plastischen Processes.

2) Der plastische Process hat zur Neubildung von Bindegewebe, im Perimysium Externum und Internum geführt. Dieser Process wurde durch wiederholten Nachschub der Myositis progressiv.

3) Das Resultat des chronischen Processes ist fettige und wachsige Degeneration.

4) Neuritis und Perineuritis sind der Myositis und Perimyositis secundär.

Wenn wir nun, ehe wir auf das Klinische des Falles selbst, ein- gehen, eine kurze Revision unserer Kenntnisse über acute Muskel- erkrankungen vornehmen, so finden wir, dass, trotzdem Entzündung des Muskels a priori eben so leicht vorkommen sollte, wie Entzündung in anderen Organen, so besteht doch die Thatsache, dass solche Ent- zündungen der Muskeln selbst, allgemein für unmöglich gehalten wurde, bis Virchow uns eines Besseren belehrte. Selbst heutzutage gibt es viele Beobachter, welche eine Myositis überhaupt für etwas Mythisches halten. Dieser Zustand unseres Wissens kann blos dem Umstände zugeschrieben werden, dass, wenn auch secundäre Entzündungen der Muskeln häufig vorkommen, die Myositis selbst, so von der verur- sachenden Erkrankung verdeckt wird, dass sich die Aufmerksamkeit selten dahin richtet. Dann auch sind die schweren Formen der Myositis in Wirklichkeit selten.

Die erste und wichtigste Frage, welche sich uns jetzt bei Betrachtung unseres Falles aufdrängt ist : Haben wir es mit einer primären oder secundären Affection zu thun? Von secundären Muskelaffectionen, welche nicht auf locale Ursachen beruhen, haben wir Schmerz und

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Schwellung nach Muskelrheumatismus. Aetiologisch und anatomisch wissen wir so viel wie nichts über diese Affection. Klinisch wissen wir aber, dass ausser Schmerz und Schwellung, keine Analogie zwischen beide Affectionen besteht. So finden wir auch gelegentlich nach Gelenk- rheumatismen, dass die Muskeln ähnlich befallen werden. In unserem Falle bestand aber zu keiner Zeit Gelenksaffection.

Die Muskelveränderungen, wie sie nach Variola, Scorbut, Kotz und Syphilis vorkommen, brauchen blos erwähnt zu werden, um sie für unsere Zwecke ausser Frage zu stellen. Nicht so leicht steht es aber mit den Veränderungen der Muskulatur nach Typhus. Wie sie wissen, hat Zenker zuerst hierauf aufmerksam gemacht, und Veränderungen beschrieben, die auch früher, von Virchow als Myositis dargestellt wurden, und fast ebenso in den Präparaten aus meinem Falle zu sehen sind. Es ist diese mikroskopische Analogie zwischen dem typhösen Muskel, und denjenigen meines Falles, welche den Verdacht auf- kommen lässt, dass der, von meinem Patienten überstandene Typhus, doch etwas mit der Production der Myositis zu thun hat. Wären die Ergebnisse der mikroskopischen Untersuchung aber vollkommen identisch, was sie nicht sind, so wären wir doch nicht berechtigt hieraus klinische Schlüsse zu ziehen.

Ich habe schon lange die Meinung gehegt, und sie auch öffentlich ausgesprochen, dass wir durch eine mikroskopische Untersuchung allein, die klinische Varietät einer Muskelstörung nicht erkennen können. Diese Idee wird auch durch die von Waldeyer experimentel erzeugte Myositis unterstützt, da die Veränderungen hier vollkommen mit denen der typhösen Myositis identisch waren.

Wir müssen also auch unser Augenmerk auf klinische Symptome richten. Nun sind die Symptome der typhösen Myositis vollständig von denen unseres Falles verschieden. Ich zögere durchaus nicht mit der Aussage, dass der, ein Jahr vor Beginn der beschriebenen Affection, von unserem Patienten überstandene Typhus, aetiologisch in gar keiner Beziehung zu genannter Erkrankung steht.

Eine andere Klasse von Fällen, welche mit dem unsrigen eine gewisse Analogie haben, ist jene von Scriba (Japan) beschriebene. Der durch diese Fälle hervorgehobene Punkt ist, dass wir eine acute Myositis haben können, welche von directer Infection abhängig ist.

In drei dieser Fälle ging die Infection von einem Furuncel, und in einem Falle von einem cariösen Zahn aus.

In diesen Fällen waren immer blos einzelne Muskel ergriffen ; die angrenzenden Muskel waren weich und schmerzlos. Die Fälle endeten alle mit oder ohne Eiterung, in vollständiger Heilung. Das Angeführte ist alles was wir über acute secundäre Muskelerkrankungen wissen.

Ueber acute primäre Affectionen wissen wir noch weniger. Unter der Bezeichnung acute und subacute Myositis Werden von ver- schiedenen Autoren Fälle beschrieben, in welchen die Myositis durch Erkältung, Trauma und Muskelanstrengung hervorgebracht sein soll. Nosologisch lässt sich diese Affection in dieselbe Categorie stellen wie

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acute Periostitis und Osteomyelitis, mit welchen sie grosse Aehnlichkeit besitzt. Jedenfalls handelt es sich hier um einen acuten Infections- process, in einzelnen Muskeln localisirt, und mit Ausgang in Eiterung. Auf nähere Beschreibung dieser Fälle will ich hier nicht eingehen, da sie doch ziemlich bekannt sein dürften.

Es bleibt mir nur noch eine Klasse von Fällen zu beschreiben übrig, und hierher gehört auch unser Fall. Nur drei Fälle, wenn ich von einigen, früher unter anderem Namen beschriebenen absehe, sind inner- halb der letzten zwei Jahre beschrieben worden.

Diese Fälle beweisen deutlich die Existenz einer acuten Entzündung, welche in rapidem Verlauf fast die gesammte willkürliche Musculatur implicirt ; sie sind durch Schmerz und Schwellung gekennzeichnet und führen nach mehr oder minder kurzer Zeit den Tod herbei. Sie beweisen ferner die Existenz einer acuten primären progressiven Mus- kelentzündung, von welcher uns bis jetzt blos eine chronische Form bekannt war.

Ich kann mich betreffs dieser Fälle sehr kurz fassen, da die Be- schreibung meines Falles als Paradygma dienen kann.

Der erste Fall ist von Wagner. (D. Arch. für klin. Med. 1887), Frau, alt 34. Tod erfolgte nach 6 Wochen, unter Erscheinungen von Bespira- tionsstörungen. Section erwies das gesammte Nervensystem als normal. Die mikroskopische Muskeluntersuchung ergab dieselben Kesultate als in meinem Falle.

Zweiter Fall. Unverricht. (Zeitschrift für klin. Med. 1887, p. 534). Mann, alt 24. Aetiologisch kein Anhaltspunkt. Tod erfolgte in 6 Wochen. Section erwies wiederum ein reines Muskelleiden. . Dritter Fall. Hepp. (B. K. W. 1887, p. 297). Frau, alt 36. Exitus letalis nach 8 Wochen. Section erwies wiederum ein reines Muskel- leiden. Es müssen noch zwei, wahrscheinlich hierhergehörige Fälle erwähnt werden. Der eine, schon 1863 unter dem Titel „Fall einer seltenen Muskelkrankheit" von Wagner (Archiv der Heilkunde) ver- öffentlicht, mit ausserordentlich kurzem Verlauf, da der Tod schon nach 8 Tagen eintrat ; und ein zweiter von Marchand (Breslauer ärztliche Zeitschrift 1888) als eigenthümliche Botzform beschrieben.

Es müssen jetzt, ehe wir irgend wie darauf eingehen können, ob unser Fall, in irgend welcher Beziehung zu den chronischen primären Dystro- phien steht, zwei andere Punkte erläutert werden, welche auch für die soeben angeführten Fälle gelten dürften.

Der erste Punkt ist die Möglichkeit einer vorhandenen Trichinose, und der zweite ist das Verhältniss, in welches möglicherweise die multiple Neuritis zu unserem Falle steht.

In alle der angeführten Fälle von Polymyositis, ist die Aehnlichkeit der Symptome mit denen der Trichinose auffallend, und alle Bericht- erstatter mit Ausnahme Wagner's in seinem ersten Falle (1861), hegten sogar mehr als den Verdacht, dass Trichinen als Ursache der schweren Muskelstörung fungirten.

Auch in zwei Fällen von Kussmaul und Maier, welche ich absichtlich

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nicht unter dieser Kubrik erwähnt habe, trotzdem sie von andern als Fälle von Polymyositis aufgefasst werden, wurde dieselbe Meinung ausgesprochen.

Hepp geht sogar so weit, dass er seinen Fall unter dem Namen Pseudotrichinose, ein Name der schon anderseitig und mit Recht, ange- griffen wurde, veröffentlicht.

Yon allen diesen Fällen wurden aber nur in dem zweiten Falle von Wagner, Trichinen gefunden, und zwar in diesen in etwa 300 Muskel- schnitten, 3 Trichinen. Diese waren auch eingekapselt und wurden auf etwa viermonatliches Alter geschätzt ; woraus hervorgeht, dass wir auch in diesem Falle irgend welchen Einfluss der Trichinose aus- schliessen müssen.

In meinem Falle wird die Frage leicht erledigt, nicht nur durch das Fehlen irgend welcher Trichinen bei der mikroskopischen Unter- suchung, sondern auch durch die lange Dauer der Erkrankung. Dass die multiple Neuritis, Symptome hervorbringen kann wie wir sie in unserem Falle gesehen haben, kann nicht bestritten werden. Wenn wir aber bedenken, dass unser Patient während der ganzen Krankheits- dauer von spontanen Schmerzen frei war, dass weder Schmerz auf Druck über die grossen Nervenstämme, noch Sensibilitätsstörungen irgend welcher Art nachzuweisen waren, dass keine wirkliche Lähmung und keine Entartungsreaction vorhanden waren ; schliesslich, wenn wir die enorme Muskelschwellung betrachten, so glaube ich, dass wir die multiple Neuritis als primäre Affection leicht ausschliessen können. Wie schon früher ausgesprochen, bin ich der Meinung, dass die mikrosko- pisch nachgewiesene Neuritis ganz und gar von der Myositis abhängig war.

Der viel citirte Fall von Eisenlohr, sowie der vor Kurzem veröffent- lichte Artikel von Senator über dasselbe Thema, beweisen klar, dass der entzündliche Process, sei er primär in den Muskeln oder den Nerven localizirt, in vielen Fällen nicht auf das ursprünglich befallene Terrain beschränkt bleibt, sondern secundär die Nerven angreift, wenn die Muskeln primär befallen waren, und umgekehrt, die Muskeln, wenn es die Nerven waren. In den Fällen von Eisenlohr und Senator zeugt das Vorhandensein von Sensibilitätstörung mit Lähmung der Muskeln für ein primäres Nervenleiden.

Eine andere Frage, und zwar eine, welche sich nicht so leicht ent- scheiden lässt, ist die mögliche Verwandtschaft zwischen unserem Falle und Fällen primärer Muskelatrophie.

Kurz, ist dieser Fall nicht vielleicht ein Fall progressiver Muskel- atrophie, in welchem das entzündliche Stadium mehr als gewöhnlich ausgesprochen ist, weil es sich hier um einen mehr parenchymatösen Process handelt? Würden wir nicht möglicher Weise, wenn wir alle unsere Fälle der chronisch verlaufenden Muskelaffectionen mit beson- derer Bücksicht auf das initiale Stadium untersuchten, öfters ähnliche Erscheinungen wie in unserem Falle entdecken, oder eine Geschichte des Muskelrheumatismus, so genannt, bekommen? In anderen Worten,

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sind nicht einzelne Fälle primärer progressiver Muskelatrophie das Ergebniss leichter Fälle von Polymyositis parenchymatosa ? Ich glaube, dass dieser Standpunkt sehr viel für sich hat, und stehe nicht vereinzelt mit dieser Meinung. Wagner besteht darauf und Unverricht gibt zu, dass ihre Fälle, Beispiele von primärer progressiver Muskel- atrophie, und zwar der acutesten Art sein können.

Es boten aber keine von den bisher veröffentlichten Fällen irgend welche Atrophie dar, obgleich es nicht in Abrede gestellt werden kann dass sich diese Atrophie hätte später zeigen können, wenn die Lebens- dauer eine längere gewesen wäre.

Es liesse sich überhaupt der Beweis des Zusammenhanges dieser sehr acuten Fälle und der chronischen nicht liefern, wenn nicht eine Mittelform bestände, welche als Verbindungsglied diente. Dieses Ver- bindungsglied glaube ich in meinem Falle zu besitzen. Ich gebe zu, dass, wenn wir diesen Fall mit einem typischen Fall progressiver Muskelatrophie vergleichen, die Verschiedenheit eine bemerkbare ist ; wir dürfen aber nicht vergessen, dass es sich hier um einen ausser- gewöhnlichen Fall handelt, bei dessen Einreihung in irgend welcher der bekannten Krankheitscategorien wir schon auf Schwierigkeiten stossen. Stellen wir aber jetzt zwischen beiden Affectionen einen Vergleich an, so finden wir folgende übereinstimmende oder auseinandergehende Punkte :

Der erste Einwand ist das späte Alter, 32 Jahre, in welchem unser Patient befallen wurde, und doch wissen wir, dass Ausnahmsfälle von Pseudohypertrophie erst im 18. oder 20. Jahre beginnen, und dass der Schultze'sche aussergewöhnliche Fall erst im 27. Jahre anfing ; wir wissen auch, dass die primäre atrophische Form so spät als das 60. Lebensjahr anfangen kann. Ich spreche hier von der pseudohyper- trophischen und der primär atrophischen Form zusammen, da wir alle wissen, dass eine scharfe Trennung dieser Formen sich der Uebergangs- fälle wegen nicht durchführen lässt.

Der zweite einwendbare Punkt ist die Entstehungsweise. Diese war in allen Fällen von Polymyositis, wie auch in dem unsrigen, eine acute, eine Entstehungsart, die derjenigen der progressiven Muskelatrophie ganz entgegengesetzt ist. Aber sogar hier finden wir, dass Ausnahmen durch die sogenannten rheumatischen Formen, wie sie von Friedreich zusammengestellt wurden, geliefert werden. Die Dauer der Erkran- kung war in den Fällen von Wagner, Unverricht und Hepp eine so kurze, dass der Hauptangriffspunkt hier zu liegen scheint.

In unserem Falle währte der Verlauf 2} Jahre, was zwar auch ein relativ kurzer ist, sich aber doch den kürzesten Fällen pro- gressiver Muskelatrophie nähert. Als der Betonung werth möchte ich hier noch darauf aufmerksam machen, dass in diesen kurz ver- laufenden Fällen progressiver Muskelatrophie der Tod gewöhnlich einer Implication der Kespirationsmuskeln zuzuschreiben war, wie dies auch bei meinem Patienten der Fall war. Und jetzt will ich noch die Punkte der vollkommenen Uebereinstimmung hervorheben :

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1) Unser Fall bot dieselbe symmetrische Vertheilung der ange- griffenen Muskeln dar, wie wir sie in der primären progressiven Muskulatrophie zu finden gewohnt sind.

2) Die Degeneration befiel immer einzelne Muskel und Theile der Muskeln, und nicht ganze Muskelmassen. Dieses war mikroskopisch sehr ausgeprägt ; es konnte hier diese individuelle Degeneration bis in die einzelnen Bündel verfolgt werden, wo immer blos einzelne Fasern und nicht das gesammte Bündel, ergriffen waren.

3) Sensibilitätsstörungen fehlten.

4) Entartungsreaction war nicht vorhanden.

Ein Versuch meinen Fall, auf Grund der Vertheilung der Atrophie hin, einer der sogenannten Typen anzureihen, würde fehlschlagen, da der Patient schon so früh nach Eintreten der Atrophie zu Grunde ging. Ferner glaube ich, dass die Grenzen zwischen den bekannten „Typen" viel zu scharf gezogen sind, was deutlieh aus Fällen wie Barsickow's und Zimmerlin's hervorgeht.

Mikroskopisch sehen wir, dass die Resultate des Processes in unserem Falle vollständig mit denen der progressiven Muskelatrophie überein- stimmen, und zwar : In der Zerstörung des Muskels durch Entzündung sowohl wie durch Degenerativ-Processe. Während ich in meiner Arbeit über Pseudo-Hypertropie Anlass nahm, mein Erstaunen über die vollständige Uebereinstimmung der mikroskopischen Ergebnisse jenes Falles und eines von Friedreich unter der Bezeichnung spinaler pro- gressiver Muskelatrophie beschriebenen auszudrücken, muss ich jetzt wieder die grosse Analogie hervorheben, welche jener Fall von Pseudo- Hypertrophie mikroskopisch mit dem jetzigen darbot. Ohne wieder auf Details eingehen zu wollen, bitte ich folgende zwei Citate aus meiner damaligen Arbeit zu notiren :

„Ich bin überzeugt, dass in meinem Patienten die Krankheit essentiel eine chronische Entzündung ist, welche das Perimysium sowohl wie die Muskelfaser angegriffen hat." „Ich darf hier sagen, dass ich mit Gowers und Buss darin nicht übereinstimmen kann, dass die Binde- gewebsproliferation das Primäre ist, und die Erkrankung der Muskel- substanz das Secundäre. Entweder ist das Gegentheil von diesem das Richtige, oder der Process fängt gleichzeitig in Muskel und Perimysium an." Diese Citate geben den genügenden Beweis, dass eine Aehnlichkeit zwischen beiden Fällen besteht. Durch die hier angeführten Argumente, kann ich zu keinem anderen Schlüsse kommen, als dass wir es in diesem Falle von Polymyositis progressiva mit einer Form primärer Myopathie zu thun haben, welche mit gewissen Formen der primären progressiven Muskelatrophie nahe verwandt, wenn nicht identisch ist.

in.

Acute primäre Osteomyelitis mit Epiphysenabtreimungeii.*)

Von

Dr. Arnold Sturmdorf,

Arzt am Deutschen Dispensary, New York.

Die Gelegenheit zur Beobachtung eines Falles von acuter primärer Osteomyelitis mitEpiphysenabtrennungen, den ich Ihnen hiermit geheilt vorstelle, verdanke ich der Güte des Herrn Dr. J. Scheider, der mir denselben zur Behandlung zuwies.

Da diese Krankheit nicht zu den Alltäglichkeiten der Praxis gehört so darf er wohl auf Ihr Interesse rechnen.

Aus einem von Dr. F. Lange in der Medicinisch-chirurgischen Ge- sellschaft deutscher Aerzte am 1. Februar 1886 gehaltenen Vortrag über acute Osteomyelitis, entnehme ich die Thatsache, dass die Krank- heit zuerst von P. Smith, Professor der Chirurgie am Yale College, Ende des achtzehnten Jahrhunderts, klinisch und pathalogisch genau be- obachtet und beschrieben wurde. Dieser nannte sie Knochenabscess und rieth zur sofortigen Oeffnung.

Chassaignac (1854) erkannte eine von Continuitätstrennung der Knochen unabhängige Osteomyelitis spontanea oder essentialis und beschrieb sie unter dem Namen „Knochen- oder Gelenktyphus" ; auch glaubte er, dass nur durch Amputation des befallenen Gliedes die Prog- nose nicht unbedingt tödtlich werde.

Klose im Jahre 1858 und H. Demme in 1862, schliessen sich den An- sichten Chassaignac's über die Krankheit an.

Sedillot und E. Boeckel beschrieben sie (1869) als „Phlegmonöse Perio- stitis, während sie Weinher zur selben Zeit „Osteo-chondritis" nennt.

Genauere Beschreibungen verdanken wir Lücke, Böser, Bosenbach und in neuerer Zeit Becker, Kocher, Ollier, Gamet und Anderer.

Böser, welcher eine von den oben angegebnen Autoren sehr ab- weichende Auffassung des ganzen Krankheitsbildes gibt, führte den Namen „Pseudorheumatische Knochen- und Gelenksentzündung des Jünglingsalters" ein.

Ueber die Natur der acuten primären Osteomyelitis stehen wir heute im Bereich der Vermuthungen. Lücke, Pasteur, BecklingJiausen, Bosen- bach und Becker beschreiben ' einen orangengelben, traubenförmigen Mikrococcus, den sie als ganz characteristisch für diese Krankheit gelten lassen wollen. Doch wie weit im Allgemeinen Mikroorganismen

*) Vorgetragen in der Wissenschaftlichen Zusammenkunft Deutscher Aerzte von New York, am 28. December 1888.

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bei diesen Vorgängen mitwirken, welcher Art sie sind und Wie ihre Einwirkung zu Stande kommt, ist noch nicht abschliessend festgestellt. Einerseits gelang es Becker durch Injectionen von Keinkulturen des erwähnten Coccus in vorher verletzten Kaninchenknochen ein der Osteo- myelitis acuta ähnliches Krankheitsbild zu erzeugen. Dagegen will Kocher bewiesen haben, dass dieser Micrococcus kein specifischer, sondern mit dem Staphylococcuspyogenes aureus Bosenbachs und dem der eiterigen Phlegmone Passet's identisch ist.

Auch Gause behauptet, denselben Coccus im Furunkel gefunden zu haben.

Die Krankheit ist dem jugendlichen Alter eigenthümlich. Sie kommt nur vor während der Zeit wo die Entwicklung des Skeletts noch nicht vollendet ist. Das Vorherrschen der organischen Bestandteile in den Knochen, die stärkere Vascularität, vermögen immerhin nur eine, wenn auch ungenügende Erklärung dafür abzugeben, dass Ent- zündungen in diesem Alter überhaupt leichter und mit schnellerem Ver- lauf auftreten.

Die Anamnese ergibt als aetiologisches Moment in einer Keine von Fällen Erkältung, in einer anderen Keine wird ein kurz vorherge- gangenes Trauma oder Ueberanstrengung angegeben.

Nach F. Lange erscheint in mehr als 60 Procent der Erkrankungen an Osteomyelitis das Erkältungsmoment als der wesentlichste aetio- logische Factor. In einer Keihe von durch Koser beobachteten Fällen, hatte Rheumatismus zu einer Zeit vor der acuten Osteomyelitis existirt.

Der Verlauf der acuten Osteomyelitis verhält sich folgendermassen ;

Zwischen der Einwirkung der Schädlichkeit, wenn eine solche zu eruiren ist, und dem Auftreten der ersten Symptome pflegt ein Incubationsstadium von 2 bis 3 Tagen zu liegen, dann tritt, meist von einem Schüttelfrost eingeleitet, schnell ein intensives Fieber auf.

Der Charakter des Fiebers ist ein typhöser. Das Sensorium kann schon frühzeitig befangen sein, es können auch Delirien auftreten. Die Zunge ist trocken, der Durst gross.

Während des Fiebers stellen sich in vielen Fällen Diarrhoen ein.

Die schleichenden Localerscheinungen, gegenüber dem heftigen, typhösen Symptomen^)mplex im Anfang der Krankheit, führen häufig zu einer irrthümlichen Diagnose.

Die Zustände mit denen die acute Osteomyelitis hauptsächlich ver- wechselt werden kann, sind : Meningitis, Typhoid, Pneumonie, Phleg- mone, Erysipelas, Pyämie und acuter Rheumatismus.

Es sind gerade die heftig verlaufenden Fälle, in denen die Kranken derart sensoriell befangen sind, dass sie von ihren localen Leiden nichts sagen und so das Urtheil des Arztes verführen.

Die örtliche Erkrankung kann primär sowohl im Periost als auch im Knochenmark ihren Sitz haben, und kann von dem einen auf das andere übergehen, oder sie bleibt auf den primären Heerd beschränkt.

So erklärt sich, dass Chassaignac, Klose und A. Bemme nur von

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primärer Osteomyelitis sprechen, während Sedillot und besonders E. Boeckel nur „phlegmonöse Periostitis" erwähnen und doch erkennt man aus der Besehreibung, dass alle dieselbe Krankheit meinen.

Ebenso gehört dazu die Wernher'sehe „Osteochondritis", die von der Klose'schen „Meningo-osteo-myelitis" in nichts verschieden ist.

Die „Periostitis maligna" von Volkman stimmt ganz mit der BoekeV sehen Beschreibung der „phlegmonösen Periostitis" überein.

In dieser Hinsicht hat Lücke bewiesen, dass dieselben Symptome, und derselbe Verlauf sich nachweisbar bei reinen Periostitisformen findet, welche heute als Corticalosteomyelitiden erkannt und beschrieben werden. Es ist als wichtig hervorzuheben, dass der locale Verlauf für ein paar Tage ein latenter sein kann, oder es sind Schmerzen vorhanden, welche bis zum Ausbruch des Fiebers stetig zunehmen. Sowohl die Diaphysen als Epiphysen können Sitz der Krankheit sein. Die Knochen der untern Extremitäten werden im häufigsten befallen und von ihnen wiederum mit Vorliebe das untere Femur- und das obere Tibiaende.

Nach Lücke soll in den schwersten Fällen der acuten Osteomyelitis schon in früher Zeit eine Lungenaffection auftreten, die diagnostisch leicht irrführen kann.

Am Ort der ersten Erkrankung kommt es gewöhnlich zu Eiterung und Nekrose und bei Epiphysenerkrankung zur Abtrennung derselben.

Eine Mitbetheiligung naheliegender Gelenke kommt gewöhnlich vor. Diese Thatsache nebst ausgesprochener Bewegungsempfindlichkeit und Schwellung täuscht Eheumatismus vor.

Die Betheiligung der Gelenke besteht häufig nur in Synovitis und Periarthritis, deren längere Dauer zu Kapselverdickung und Gelenk- steifigkeit führen kann.

Gelenkseiterung schliesst sich gewöhnlich der Epiphysen- nekrose an.

Weitere Symptome werden in Verbindung mit der nachfolgenden Krankengeschichte geschildert.

Was die Prognose anbetrifft hatten alle älteren Autoren bis auf Frank und Fischer den Tod als den gewöhnlichen Ausgang der acuten Osteomyelitis angegeben.

Klose behauptete, dass ohne Amputation der Tod in der Regel schon im zweiten Stadium, sicher aber im dritten eintrete, in welchem selbst Amputation nicht mehr helfen könne.

Heute dagegen ist man der Meinung, dass die pessimistische An- schauung von Klose, Chassaignctc und Anderen, durch die Therapie viel mehr als durch die Krankheit bedingt war.

Die genaue Beobachtung einer grösseren Anzahl von Fällen ergibt zur Evidenz, dass es immerhin der seltenere Fall ist, wenn eine acute Osteomyelitis, welche sich selbst überlassen und von neu zutretenden Schädlichkeiten bewahrt bleibt, einen tödtlichen Ausgang nimmt.

Die Todesursachen bei spontanem Ablauf der Krankheit sind Pyämie, Septicämie, Herzerschöpfung, Embolie, secundäre Ablagerun-

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gen in inneren Organen, Blutungen, erschöpfende Eiterungen und complicirende Entzündungen der serösen Häute. Unser Fall ist folgender :

Anna Jahelka, 13 Jahre alt, in New York geboren, hatte Scharlach vor acht Jahren, sonst war sie, so wie die Eltern und drei Geschwister immer gesund. Hereditäre Belastung nicht nachzuweisen, auch nie Bheumatismus.

Acht Wochen vor meinem ersten Besuch kam das Mädchen zur Mittagsstunde aus der Schule nach Hause und klagte über plötzlich entstandene Schmerzen im rechten Fusse, dem Metatarsophalangeal- gelenk der grossen Zehe entsprechend, welche Gegend auch Böthe und Anschwellung zeigte.

Es ist weder Trauma, Erkältung, noch sonstiger Umstand als Ur- sache zu ermitteln.

Ausser den erwähnten Localerscheinungen bestand zur Zeit noch Appetitmangel, Frösteln, Fieber und allgemeines Krankheitsgefühl. Ein Hausmittel wurde erfolglos angewendet. Schmerzen und Fieber stei- gerten sich denselben Nachmittag und den darauffolgenden Tag.

Am dritten Krankheitstage Schüttelfrost. Das Kind wurde einem Arzt gebracht, der die Krankheit „phlegmonöses Erysipel" nannte und eine Salbe verschrieb. Wegen Schmerzen und Schwächegefühl musste die Patientin von da nach Hause getragen werden.

Am vierten Tage wurden an Stelle der Salbe Leinsamencataplasmen empfohlen. Allgemein- und Localbeflnden wurde nach Angabe der Eltern immer schlimmer.

; Am achten Krankheitstage wurden von dem behandelnden Arzte eine Incision über dem Metatarsophalangealgelenk der grossen rechten Zehe ausgeführt und eine reichliche Masse Eiter entleert. Hierauf ver- schlimmerte sich das Allgemeinbefinden auf's Neue, und unter heftigem, fortdauernden Fieber bekam die Patientin am 16. Krankheitstage plötz- lich heftige Schmerzen im linken Hüft- und Kniegelenk, gefolgt von raschem Anschwellen des letzteren.

Ein zweiter, nun herbeigerufener Arzt erklärte das Leiden für Bheu- matismus, und legte nach dreiwöchentlicher antirheumatischer Behand- lung einen Wasserglassverband um das Knie an, der 3 Wochen lang erfolglos liegen blieb.

Das Allgemeinbefinden hatte sich in der Zwischenzeit nur verschlim- mert. Auch das linke Hüftgelenk fing jetzt zu schwellen an und das ganze linke Bein war infolge der Ausschwellung und des Schmerzes unbeweglich. Das arme Kind lag Tage und Nächte schlaflos, vor Schmerzen laut aufschreiend und delirirend hülflos im Bette.

Am Abend des 26. Mai 8 Wochen nach Beginn der Krankheit bekam ich die Patientin zum ersten Mal zu Gesicht.

Befund am 26. Mai :

Patientin im Bette, stark abgemagert, tiefes Leiden prägt sich im Gesicht aus, Wangen eingefallen und blass, Zunge trocken, borkig, dick belegt, Zähne fuliginös beschlagen, Lippen rissig, Sensorium leicht

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benommen. Kespiration beschleunigt. Puls 140, klein und weich, Tem- peratur 104|° F. In den Lungen leichtes Bronchialrasseln, am Herzen anämisches Schwirren. Milz vergrössert, Abdomen etwas tympanitisch ; Obstipation. Urin enthält eine geringe Quantität Eiweis.

Der rechte Fuss, der Stelle des Metatarsophalangealgelenkes der grossen Zehe entsprechend, zeigt eine frische, rothe, weiche Narbe, schmerzhaft auf Druck, nicht fluctuirend. Bewegung des erwähnten Gelenkes schmerzhaft.

Das linke Knie gleichmässig geschwollen, fluctuirend ; Haut ge- spannt, nicht geröthet, anch nicht schmerzhaft.

Von dieser Stelle aufwärts, nimmt der Umfang des Oberschenkels so rasch zu, dass er am obern Drittel das Vierfache des Umfanges der entsprechenden Stelle des gesunden Beines beträgt.

Die ileofemorale so wie die gluteofemorale Furche sind verstrichen. Die Vulva nach rechts verschoben, Inguinaldrüsen angeschwollen, hart und schmerzhaft.

Dem obern innern Abschnitt der verstrichenen Leistengrube ent- sprechend erreicht die Geschwulst ihre grössten Umfang und zeigt eine röthlichblaue Färbung. Die Haut ist in dieser ganzen Gegend schmutzig blass, oedematös ; die Venen deutlich gezeichnet, Localtemperatur auf- fallend erhöht. Teigige Resistenz, keine Fluctuation. Active Bewe- gungen unmöglich, passive Bewegung verursachte lebhafte Steigerung der Schmerzen.

Ordination : Eis, Immobilisation mittelst Streckverband. Innerlich Antipyrin, Campher und pulvis Doveri, möglichst viel Whiskey.

Den 27. Mai. Das Mädchen hatte gut geschlafen, Sensorium frei, Puls 110, Temp. 100° F., keine spontane Schmerzen vorhanden, sonstige Lokalerscheinungen unverändert.

Nach lltägiger Behandlung mit Antipyretica, Stimulantien und Roborantien hatte sich das Allgemeinbefinden so gebessert, dass an der Ausführung des schon längst als nöthig erkannten chirurgischen Ein- griffes gedacht werden konnte. Zu diesem Zweck zog ich am 6. Juni die Herren Doctoren A. Caille und L. Straus zur Consultation zu.

Das Kind wurde narcotisirt. Eine Incision 2$ Zoll lang, 3 Zoll unter dem Poupart'schen Bande, dem Höhepunkt der Geschwulst ent- sprechend wurde von Dr. Caille gemacht, mit der Kornzange bis auf den Knochen in die Tiefe gedrängt, und gegen alle Erwartung nicht mehr als höchstens 12 Tropfen bräunlichen Eiters entleert. Eine in die Wunde 5 Zoll tief eingeführte Sonde gerieth in einen Sinus, durch den sie in einer Richtung nach Aussen, Oben und Rückwärts verlaufend auf entblössten Knochen stiess. Die Wunde wurde ausgespült, mit Iodoformgaze verpackt, und verbunden.

Den 7. Juni. Befund unverändert. Temperatur 100° F.

Den 8. Juni. Verbandwechsel ; Wunde klafft, eitert spärlich, die Sonde stösst diesmal auf losen Knochen in der Gelenksgegend. Ver- muthung auf Epiphysenabtrennung.

Vom 8. bis zum 18. Juni blieb der Zustand unverändert, nur gingen

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jetzt reichliche Massen Eiter ab. Am 18. Juni war die abgetrennte Epiphyse als beweglicher Körper in der Tiefe deutlich zu fühlen.

Am 19. Juni nahm ich, unter gütiger Mitwirkung des Herrn Dr. J. Stein und Herrn Carl Dufft, Candidat der Mechern, die Sequestrotomie in folgender Weise vor :

Chloroform- Narkose. Erweiterung nach innen und rückwärts der von Dr. Caille ausgeführten früher erwähnten Incision ; Entblössung des Hüftgelenkes und Entfernung der vorgefundenen abgetrennten Epi- physe, die ich Ihnen hiermit vorlege.

Die erodirte Gelenkspfanne, sowie das mit üppigen Granulationen bedeckte obere Diaphysenende des Femur wurde mit dem scharfen Löffel ausgeschabt, darauf folgte Ausspülung der Wunde, Iodoform, Drainage, gefenstertes Gypsverband und Extension mittelst 10 Pfund Gewicht.

Bis zum 28. Juli, respective sechs Wochen ging alles gut, die Schwellung des Knie- und des Hüftgelenkes ging allmählich zurück, die Wunde füllte sich schön mit gesunden Granulationen und sezer- nirte ein spärliches Quantum gutartigen Eiters. Temperatur normal.

Am genannten Tage trat wieder Fieber auf, Temperatur stieg aber- mals auf 1042° F., Untersuchung ergab Zeichen eines beginnenden Decubitus.

Jetzt traten auch spontane Schmerzen im Metatarsophalangeal- gelenk der rechten, grossen Zehe, dem primären Ausgangspunkt der ganzen Krankheit, auf.

Das Gelenk zeigte sich intensiv geröthet, die erwähnte Narbe war aufgebrochen und eine seröseiterige Flüssigkeit quoll hervor.

Die eingeführte Sonde stösst abermals auf Knochenstücke, welche ich durch sofort ausgeführte Incision hervorholte und die sich als die abgetrennten Epiphysen des befallenen Zehgelenkes erwiesen.

Genesung ging nun rasch vor sich, und 4 Wochen später, am 26. August wurde an Stelle des Gypsverbandes, welches 10 Wochen ange- legen hatte, ein Immobilisationsapparat angelegt, mittelst welchem es dem Kind ermöglicht wurde, durch Krückenstütze und dicker Sole unter dem gesunden Fusse auf's Land zu gehen.

Der Immobilisationsapparat wurde nach 14 Wochen abgelegt, die Krücken 4 Wochen später, und heute sehen Sie die Patientin gesund, mit guter Vernarbung der Wunden, knöcherner Anchylose im linken Hüftgelenk, das Bein etwas nach Aussen rotirt, und f Zoll kürzer als das andere.

Das Metatarsophalangealgelenk des rechten Fusses ist auch fest anchylosirt.

Chassaignac. Gaz. Med. de Paris 1854. Traite de la Suppuration. Klose. Prager Vier- teljahresschrift 1858. H. Demme. Arch. f. Elia. Chirurg. Bd. III. 1P62. Boecke]: Gaz. Med. de Strassbourg, 1869. Wernher : Lehrbuch d. Chir. Lücke : Deutsche Zeltschr. f. Chirurgie, 1874. Bd. IV. Koser : Archiv f. Heilkunde, 1865. Rosenbach : Deutsche Zeitschr. f. Chirurg., 1878. Bd. X. Kocher : Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie. Bd. IL, 1879. Oliie, et Gamet: Aschhurst System of Surgery, Vol. III., 1888.

IV

Das Kochsalz bei Diphtherie.

Ein therapeutischer Vorschlag von

Dr. A. Seibert.

Lehrer der Kinderheilkunde an der New York Policlinic und Kinderarzt

am Deutschen Dispensary.

Im Juni 1888 starb ein vierjähriger Knabe unter meiner Behandlung an Diphtherie in einer Art und Weise, welche mir mal wieder so recht unser therapeutisches Unvermögen selbst in solchen Fällen demon- strirte, die in den ersten 48 Stunden der Erkrankung nur milde Erscheinungen darbieten. Am ersten Tag zeigte sich im Hals ein Bild das wir gewöhnlich „folliculäre Tonsillitis" nennen, da aber benachbarte Drüsen infiltrirt waren, so behandelte ich den Fall gleich als einen der Diphtherie verdächtigen. Trotz fleissiger kalter Umschläge und trotz % stündlicher Gaben von Jod und Carbolsäure und ausserdem grosser Dosen von Campher bedeckten sich die Tonsillen allmählig mehr und mehr mit einem dicken speckigen Belag, und schliesslich wanderte der- selbe über die ganze Bachenhöhle. Das Kind starb schon am vierten Tag an Herzschwäche und Blutvergiftung.

Die erwähnte Behandlung der Diphtherie hat mir seit 8 Jahren gute Dienste geleistet. Immer wieder aber kam mir der Gedanke, dass solch' kleine Dosen von Jod, Carbol oder Sublimat, die man heutzutage all- gemein anwendet und anwenden muss, in vielen Fällen absolut Nichts leisten. Es liegt das mehr daran, dass diese Mittel den diphtheritischen Belag von Oben bespülen und wenig oder gar nichts durch die um- gebenden Gewebe in die Tiefe, auf den Grund des diphtheritischen Geschwüres und dessen inflltrirter Umgebung dringen kann, d. h. dass diese Mittel nicht an den wirklichen Ort der Erkrankung gelangen.

Schon lange fühlte ich daher den Mangel eines Mittels dessen anti- septische Eigenschaften stark, dessen Unschädlichkeit sicher und dessen Application keine Aetzungen der noch gesunden Schleimhaut bewirken könne. Bei einer derartigen Betrachtung die sich unmittelbar an den oben erwähnten Fall zeitlich anschloss, fiel mir die fäulnisswidrige Wirkung des Salzes ein.

Kochsalzlösungen zur Nasen- und Rachenreinigung werden ja schon lange gebraucht, sind aber ebenfalls nicht stark genug, um selbst pro- phylactisch von wirklichem Werth zu sein. Es kam mir daher in den Sinn das Salz bei der Diphtherie ebenso zu benutzen, wie es beim Fleischpökeln und Sauerkrauteinmachen angewandt wird. Und so habe ich dann seit Anfangs Juli 1888 jeden Fall von Diphtherie folgender- massen behandelt :

Sofort bei der ersten Visite führe ich eine dicke Lage feines Koch- salz auf dem angefeuchteten Rücken eines abgerundeten (nicht scharf-

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kantigen) kleinen Esslöffelstieles über die Zunge bis zwischen die Tonsillen, dann drehe ich den Löffel nach rechts oder links, so dass die Kanten nun nach Oben und Unten stehen, und drücke so das Salz auf die diphtheritische Stelle und ihre Umgebung. Irgend welche Gewalt wird dabei nicht angewandt und kann man den Löffel und das Salz so leicht eine ganze Minute in situ halten. Beim Zurückziehen des Löffels bleibt das Salz an der Tonsille hängen. Nachdem der Löffelstiel mit einer neuen Lage Salz bedeckt ist wiederholt man dieselbe Procedur auf der anderen Seite.

Erst nachdem einzelne Salzpartikelchen in die Nähe des Kehldeckels gefallen sind entsteht Hustenreiz und in seltenen Fällen (bei empfind- lichen Patienten) auch Würgen, und gelegentlich Erbrechen. In den meisten Fällen vertragen Kinder diese Salzapplication sehr gut. Er- wachsene und grössere Kinder berichteten, dass erst nach der Ver- flüssigung des Salzes etwas Kratzen und Hustenreiz sich bemerkbar macht.

Bei dem nachfolgenden Käuspern und Husten habe ich häufig Mem- branen abfallen sehen, was mich sofort veranlasste, auf die nun rohe Geschwürsfläche eine neue Salzapplication zu machen.

Das Salz dringt nun sehr schnell in die diphteritische Membran, in den Geschwürsgrund und durch die intacte Schleimhaut in die Tiefe der infiltrirten und noch gesunden Umgebung ! Wo es nun auch hin- gelangt muss es seine antiseptische Wirkung entfalten. Dass auch die Diphteriekeime diese Wirkung spüren kann ich bestimmt angeben. Meist schon kurze Zeit nach der ersten Application verringert sich Fieber und Schmerz wesentlich, und dementsprecdend findet man bei der nächsten Visite (nach 6 Stunden) gewöhnlich die Schwellung der Theile geringer und namentlich blasser als vorher, während das subjec- tive Wohlbefinden sich wesentlich gebessert hat. Hat sich die Mem- bran auch noch nicht abgestossen, so ist dieselbe doch nicht grösser und bleibt so localisirt, denn die zweimal täglich vorgenommene Salzauf- tragung „pökelt" die Umgebung der erkrankten Partie so ein, dass die Pilse und Kokken nicht Fuss fassen können, und andrerseits werden die schon in den Gewebsmaschen, Lympf- und Blutbahnen sich einge- nisteten Krankheitskeime durch das Salz einfach unschädlich gemacht.

Selbstverständlich kann diese Behandlung bei weitvorgeschrittenen Fällen, in welchen der Rachenraum in toto mit Diphtheriebelag ausge- füllt ist, ebensowenig noch Wunder wirken, als irgend welche andere Therapie.

Statistik will ich nicht bringen. Ich will nur sagen, dass ich ausser- ordentlich mit dieser „Einpökelung der Diphtherie" zufrieden bin und möchte dieselbe den Collegen. empfehlen.

Bisher hatte ich nicht nöthig die Application häufiger als zweimal täglich vorzunehmen.

Das Verfahren ist einfach, absolut schadlos und gefahrlos, und rationell.

New York, Dec. 28. 1888.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT,

Organ für practische Aerztc in Nord-Amerika.

Bedigirt von De. A. SEIBERT.

Unsere Berechtigung.

Hat ein in deutscher Sprache veröffentlichtes medicinisches Blatt eine Berechtigung in diesem Lande ? Diese Frage ist oft mit „Nein" beantwortet worden. Erst kürzlich bestritt ein uns befreundeter Col- lege diese Berechtigung und betonte, dass die in Amerika lebenden Aerzte sich als Amerikaner zu betrachten hätten und als solche auch die amerikanischen Literaturerzeugnisse in englischer Spräche lesen und sich damit begnügen sollten, dass aber die in Deutschland publi- cirten Fachblätter hier ihres wissenschaftlichen Werthes halber gern- gesehene Gäste wären.

Wir stimmen mit diesen Ansichten nur theilweise überein, nämlich mit der letzteren. Auch wir betrachten es als einen Vorzug in diesem Land zu leben, glauben aber nicht an die Verpflichtung nur in eng- lischer Sprache medicinisch zu verkehren. W.ollte man konsequent sein, dürfte der hier von Deutschland eingewanderte College und der hier von deutschen Eltern geborene nur in englischer Sprache medicinisch denken, reden und handeln. Die Erfahrung zeigt aber, dass der deutsche Arzt in Amerika, sowie der deutschamerikanische College, wenn er der deutschen Sprache mächtig ist, vorzugsweise mit stammverwandten Collegen verkehrt, die deutschen medicinischen Vereine besucht und an den deutschen medicinischen Anstalten (wo solche vorhanden sind) arbeitet. Der lebende Beweis ist unser obiger Freund und College selbst. Er ist der englischen Sprache so mächtig wie jeder gebildete Amerikaner, er ist hier geboren und erzogen, aber er hat auf deutschen Universitäten deutsche Wissenschaft so kennen gelernt und liebgewonnen, dass er nicht allein die deutschen medici- nischen Versammlungen New York's sehr fleissig besucht, sondern auch wiederholt bezeugt hat, dass er doch dor^ mehr Anregung und geistige Nahrung finde als in denen unserer angloamerikanischen Collegen! Und um der Sache die Krone aufzusetzen, so soll noch erwähnt werden, dass der College seit Jahren ausschliesslich an deutschen medicinischen Anstalten dieser Stadt thätig ist, und gern thätig ist !

Ist es denn nöthig, „deutsche" Hospitäler in Amerika zu haben und gelegentlich mit Mühe, Noth und Verdruss zu kämpfen, um solche Anstalten nur zu erhalten ? Warum denn „deutsche" Dispen-

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saries und Polikliniken? Die der deutschen Sprache allein mäch- tigen Patienten finden in jeder Anstalt Collegen, die der deutschen Sprache mächtig sind. Das Bedürfnis liegt nicht bei den Patienten, sondern bei den Aerztenl Der deutsche und deutsch-amrikanische Arzt in diesem Land hat eben so viel von deutscher Wissenschaft, deutscher Gründlichkeit und deutscher Arbeitsehrlichkeit in sich aufgenommen, dass er sich im Kreis der Gesinnungsgenossen allein angeheimelt fühlt. Dazu kommt noch der Unterschied in der Denkungsart. Der amerikanische College ist vor Allem practisch, sehr practisch, und seine Schlussfolgerung ist meist : Post hoc, ergo propter hoc. Der Deutsche denkt mehr logisch, selbst wenn er hier geboren und erzogen ist. Logisches Denken ist ein Erbtheil der Deutschen. In der Medicin ist das besonders markirt. Eben in der modernen Heilkunde, mit ihren Experimenten und Gegenexperimenten, ihren Schlussfolge- rungen und ihrer bis in's kleinste Einzelne eindringenden Forschung ist die deutsche "Wissenschaft siegreich hervorgegangen, nicht allein ob ihres Fleisses, sondern ob eben dieser den Deutschen vorzugsweise eigenen Denkungsart.

Wir haben nicht allein das Recht in der Medicin deutsch zu denken deutsch zu reden und zu schreiben, sondern auch die Pflicht, denn die Medicin in Amerika kann nur dadurch Vortheil erlangen und somit auch das Land. Jeder gibt das Beste. Unser Bestes ist unser Wissen, unser deutsches Wissen. Je mehr wir davon hier abgeben, desto besser. Aber dazu bedarf es der Anregung und Weiterbildung, des Verkehrs auch, mit Gleichgesinnten und Gleichgebildeten. Diesem Bedürfnis entsprechen die deutschen Hospitäler, Dispensaries und medicinischen Vereine. Diesem Bedürfnis der Anregung, des Mittheilens, der Pflege deutscher Wissenschaft in Amerika unter uns selbst, sei dieses Blatt geweiht.

Amerikanische Collegen.

In der Ansprache, die Dr. St. John Roosa in der Jahresversammlung der New York Academy of Medicine am 15. November 1888 hielt, er- wähnte er einem Ausspruch Dr. W. H. Draper's der sich bei der Eröff- nung des neuen College of Physicians and Surgeons äusserte: ,,Es ist eine betrübende aber unzweifelhafte Thatsache, dass der Stand der me- dieinisohen Ausbildung in diesem Land weit niedriger ist, als der von England und der des europäischen Festlandes."

Dieser Ausspruch eines berühmten amerikanischen Arztes, bei solcher Gelegenheit gethan, dürfte wohl der Wahrheit nahe kommen, und der- selbe wird uns wohl berechtigen auch mit dieser „betrübenden aber un- zweifelhaften Thatsache" zu rechnen. Betrachteten wir nun vorhin die deutsche medicinische Bildung als einen Vorzug, als einen Vortheil für die deutschen Collegen in Amerika und für dieses Land selbst, so finden wir diese Annahme in diesem Zeugniss des urtheilsfähigen Angloame- rikaners bestätigt.

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Es soll damit nun durchaus nicht gesagt sein, dass alle hier erzogenen Aerzte schlechtere Heilkünstler seien als die deutschen. Im Gegentheil muss der Unbefangene zugestehen, dass trotz der mangelhaften Metho- den und Anstalten zum Studium die Zahl der tüchtigen Aerzte hier eine ungewöhnlich grosse ist, und dass eben der schon oben erwähnte prac- tische Sinn des Amerikaner's denselben besonders zum Heilkünstler, zum Therapeuten eignet. Wir erinnern nur daran, dass die Resultate bei Ovariotomien und anderen Operationen in den Vereinigten Staaten lange Jahre hindurch viel bessere waren, als z. B. in Deutschland vor der Ein- führung der antiseptischen Wundbehandlung, und dies kam daher, dass die amerikanischen Operateure nicht renommirten (wie man damals in Deutschland allgemein annahm), sondern weil sie aus rein practischer Erfahrung ihre Hospitäler, Krankenzimmer, Betten, Verbandstoffe und Instrumente viel reiner hielten als die deutschen Chirurgen! Was Lister's Lehre erst den Deutschen logisch-rationell erscheinend machte, hatte der practische Sinn des Amerikaner's ohne grosses Grübeln schon längst geübt. Daher begegnet man hier heut zu Tage noch Aerzten, die ohne Antiseptica, aber mit Reinlichkeit nach wie vor erfolgreich operiren.

Hieraus ergibt sich, dass die deutsch-amerikanischen Aerzte den Um- gang mit den amerikanischen Collegen suchen sollten, denn was der Ame- rikaner an practischem Sinn oft zu viel, hat der Deutsche oft zu wenig und kann hiermit die gegenseitige Ergänzung nur werthvoll für beide Theile sein.

Nochmals aber betonen wir, dass es unumgänglich nöthig ist, dass der deutsch-erzogene College hier stete geistige Fühlung mit Gleichgebilde- ten behält, sonst ist es nur eine Frage der Zeit bis auch ihm die prac- tische Seite der Wissenschaft die überwiegende Hauptsache ist. Daher noch einmal : Wir haben nicht allein das Recht hier als Mediciner unter uns deutsch zu bleiben, sondern auch die Pflicht !

Malaria und Erkältung.

Es gehört eine gewisse Kühnheit dazu, in diesem bacteriologischen Zeitalter mit Arbeiten und Forschungen vor die medicinische Kritik zu treten, welche beweisen sollen, dass eine Affection, die schon von Aerzten und Laien seit Decennien unbestritten zu den Infectionskrankheiten gerechnet wird, durch „kühle Nachtluft" hervorgebracht werde. Wenn Henry B. Baker (in Lansing, Mich.) in einem Bericht an die „American Medical Association" (Journal of the Amer. Med. Assoc, 10. Nov. 1888) den Beweis zu liefern sucht, dass das Wechselfieber durch Abkühlung des Körpers bei Nacht entsteht, und gestützt auf eine grosse Anzahl von Sammelberichten aus Michigan beim Vergleich derselben mit den monatlichen Durchschnittszahlen der Temperatur der Atmosphäre, zu dem Schluss kommt, dass diese Krankheit eine Störung des Nerven- systems sei, weil der auf geistige Erschütterung beruhende, sowie der chirurgische und der Schüttelfrost der Wöchnerin auch nervöse

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Affectionen seien, so stinmlirt solche Logic den Leser genügend, um sich diese Anschauungen einmal näher zu betrachten.

Die Erklärung des Wechsels von Kälte und Hitze, und der Periodi- cität der Intermittens ist bemerkenswerth. Baker gibt an : „Durch langes Exponiren in kalter Nachtluft ist der Wärmeverlust des Körpers gross, demnach das Verlangen nach Wärmebildung ebenfalls gross. Der Eindruck auf das Nervensystem ist stark. Die Gewebe der Körper- oberfläche ziehen sich zusammen, produciren dadurch im Inneren des Körpers Hitze, welche erst mitten am Tage, wenn die Aussentemparatur am höchsten ist, besonders bemerkbar wird ; dadurch entstehen wieder unregelmässige Muskelcontractionen und die anderen subjectiven und ob.jectiven Symptome des Schüttelfrostes." Yoila tout.

Der Verfall rother Blutkörperchen geschieht nach Baker bei der Malaria durch „innere Kongestionen" und durch „den häufig wech- selnden Gehalt des Blutserums an Salzen, wiederum bedingt durch den grossen Durst und das starke Schwitzen."

Ferner wird bemerkt, dass die Malaria in heissen Ländern desswegen so häufig sei, weil sich die Nächte dort besonders stark abkühlen sollen.

Die Erklärung des Entstehens eines Schüttelfrostes wäre nicht übel, wenn sie in ihren Einzelheiten wenigstens richtig genannt werden könnte. Dem ist aber nicht so. ^ Thierexperimente, sowie klinische Erfahrungen mit kalten Einpackungen und Bädern bei Fieberkranken haben längst gezeigt, dass eine Abkühlung der Körperoberfläche nicht eine Erhöhung der Innentemparatur des Körpers, sondern im Gegentheil eine Erniedrigung bewirkt ; dass diese Erniedrigung ferner ganz proportional der Intensität und Dauer der Kälteeinwirkung sich ver- hält. Wo bleibt da die so viel citirte „innere Kongestion und Hitze- bildung" ?

Auf die Deductionsmethode unseres Collegen in Michigan wollen wir uns nicht weiter einlassen, wir verweisen nur auf einen der vorstehenden Artikel und das „post hoc, ergo propter hoc". Bemerken müssen wir doch, dass sich mancher Candidat der Medicin in Europa freuen würde, wenn die Pathologie so vereinfacht werden könnte, wie Baker das wohl möchte.

Entsteht Malaria mit Vorliebe da wo sich im Sommer die Nächte besonders stark abkühlen, so stimmt die Erfahrung nicht damit. Wir können bestimmt angeben, dass z. B. in Mittel-Deutschland im Juli und August die Unterschiede in der Tag- und Nachttemperatur viel grösser sind als in New York. Es ist gerade in Mittel-Deutschland das Wechsel- fieber eine unbekannte Krankheit. Die nächtliche Abkühlung im Hoch- sommer ist der Factor der das deutsche Klima von dem nord-amerika- nischen vortheilhaft unterscheidet, indem eben die zu geringfügige Abkühlung hier viel mehr das Erschlaffende der Sommerhitze ausmacht, als der Unterschied weniger Grade Fahrenheit bei Tag. In New York kann man getrost deduciren : Je wärmer die Sommernächte, je geringer die Tagesschwankung der Temperatur, desto mehr Malaria, Typhus, Cholera infantum u. s. w.

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Dieses stimmt auch mit der bacteriologischen Forschung. Die meisten Krankheitserreger bedürfen zweier wichtiger Bedingungen zur Entwicklung : Wärme und Feuchtigkeit. Daher die Häufigkeit der Malaria in feuchten, warmen Gegenden, in der Nähe von Sümpfen, von langsam fliessenden Strömen (in der Nähe der Küsten) und stagnirenden Tümpeln.

Es ist characteristisch, dass in der obigem Vortrag Baker's folgenden Diskussion aus vier an derselben theilnehmenden Herren nur einer (Dr. Lee, von Pennsylvania) den Ansichten und Schlüssen des Vortragenden gestützt auf moderne Kenntnisse und gesunde Schlussfolgerung ent- gegentrat, während die anderen drei Collegen die Ideen des Vortragen- den als eine fast lebensrettende Tranfusion der langsam sterbenden Erkältungstheorie begrüssten.

Wir hätten kaum Veranlassung gefunden die Arbeit Baker's zu erwähnen, hielten wir es nicht für Pflicht da Kritik zu üben wo dieselbe Nutzen bringt. Sich vor kalter Nachtluft im Sommer schützen heisst einfach selbst dann keine Ventilation üben ! Das würde zur Folge haben, dass ausser Kindercholera, Typhus und Malaria, der Pneumonie und dem Gelenkrheumatismus die Wege auch im Sommer geebnet würden ! Die grosse Zukunft der medicinischen Wissenschaft aber liegt in der Verhütung der acuten Infektionskrankheiten.

AUS DEK PEAXIS.

Zwei Fälle von Fremdkörperpneumonie.

Von

De. Wm. Balsek,

Arzt am Deutschen Hospital und Dispensary, New York.

EKSTER FALL.

C. G., ein vorher immer gesund gewesener Arbeiter, 42 Jahre alt, kam eines Abends in meine Office und erzählte, dass er während seiner Arbeit als Decorateur einen Nagel (14 oz. Tack), den er wie üblich im Munde hielt, verschlackt hätte. Er klagte über Schmerzen und Stechen im Halse, resp. im Kehlkopf, und hatte alle paar Minuten wiederkehrende krampfhafte Hustenanfälle. Ich untersuchte seinen Rachen und Kehl- kopf, konnte aber nichts Abnormes finden und verordnete Morphium zur Linderung des Hustenreizes. Am nächsten Morgen kam er wieder und berichtete, dass die Hustenaiffälle die Nacht über angehalten hät- ten— dabei behauptete er immer wieder, dass der Tack noch in seinem Halse stecke. Ich schickte ihn daher zu einem anerkannt tüchtigen und erfahrenen Laryngologen mit der Bitte, ihn genau zu untersuchen allein derselbe konnte auch ausser einer Röthung der Kehlkopf- schleimhaut nichts Abnormes finden, und üess das von mir verordnete Morphium weiter gebrauchen, und im Laufe des Tages hörten die krampfhaften Hustenanfälle auf.

Er hatte, wie er mir später erzählte, wohl gelegentlich leichte Husten- anfälle, allein die hätte er nicht beachtet. Ungefähr zehn Tage nachdem er vermeintlich den Nagel verschluckt hatte, fing Patient an den Appetit zu verlieren und merkte, dass seine Kräfte nachliessen, arbeitete jedoch ruhig weiter; nach Verlauf von vier Tagen bat er um meinen Besuch. Ich fand ihn im Bett, mit einer Temp. von 103° (Axilla) über Schmerzen in der rechten Seite klagen, kurzen Husten mit blutig gefärbtem Aus- wurf. Die Untersuchung ergab eine umschriebene Dämpfung im mitt- leren Lappen hinten mit Knistern und grossblassigem Rasseln verbun- den. Nach Verlauf von zwei Wochen war er fast fieberfrei, 98| 99° (Axilla), die Dämpfung Hess nach, allein der Appetit besserte sich nicht. Er hatte fortwährend Husten mit schleimigeitrigem Auswurf, ab und zu mit Blut vermischt, magerte ab, hatte profuse Nachtschweisse, nach weiteren drei Wochen fing Sein Allgemeinzustand an sich etwas zu bessern, so dass er, da er in seinem Geschäft sehr nöthig war und er auch eine grosse Familie zu ernähren hatte wieder anfing zu arbeiten, doch konnte er nur sehr wenig leisten. Nach Verlauf weiterer zwei "Wochen stellte Patient sich wieder vor und präsentirte mir den, in einem Blutcoagel eingehüllten Nagel. Er erzählte, dass er bei der Arbeit eine Marmorplatte in gebückter Stellung aufgehoben habe, während dessen er einen Hustenanfall bekam, wobei der mir gezeigte Tack mit seiner Umhüllung herausgeflogen und auf die weisse Marmorplatte gefallen sei. Von diesem Tage an besserte sich Patient Zusehens, seine Kräfte und Appetit nahmen zu, der Husten und Auswurf Hessen nach, ebenfalls die Nachtschweisse und in ganz kurzer Zeit hatte er sein früheres

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gesundes Aussehen und seine Kräfte wiedererlangt. Er verlor im ganzen 27 Pfund an Körpergewicht, Der aspirirte Nagel war in toto 63 Tage in der Lunge gewesen.

Seit diesem Zufall der vor sechs Jahren passirte ist der Mann stets gesund gewesen.

ZWEITER FALL.

H. B., ein 69 Jahre alter Herr, Hess mich eines Morgens rufen und erzählte, dass er seit zwei Tagen nicht wohl sei. Ich fand ihn mit einer Temperatur von 102£° (Axilla) mit Husten und Schmerzen in der linken Seite, mit einer leichten Dämpfung und Rasselgeräuschen im linken oberen Lappen vorn. Am dritten Tag, also am fünften nach seiner Erkrankung, bei der Morgenvisite, zeigte er mir einen Klumpen zähen Schleim mit Blut vermischt, der eine beinahe schon grün gewordene Erbse beherbergte, zugleich sagte er mir, dass er sich nun ganz wohl fühle und keine Schmerzen mehr habe, ebenso habe der Husten fast ganz nachgelassen. Als ich ihn erstaunt fragte, was das bedeute, er- zählte er mir Folgendes : Zwei Tage vor seiner Erkrankung, also im ganzen vor sieben Tagen, habe er zu Mittag unter anderm auch Erbsen gegessen, eine derselben müsse in die Luftröhre gerathen sein, da er plötzlich einen heftigen Krampf husten bekommen, der hin ein paar Stunden lang geplagt habe. Verschlucken sei ihm schon öfters passirt, wenn auch nicht in so hohem Grade, wie diesmal, und so habe er gar nicht mehr an den Vorfall gedacht, bis er die Erbse im Sputum fand.

Wie oben bemerkt, erklärte Patient, dass er sich wohl fühle, die Untersuchung bestätigte diese Angabe, das Fieber war fort, ebenso die Dämpfung ; nach einigen Tagen hatte er sich wieder ganz erholt.

Dieser Mann starb 3 Jahre später an einem Kopferysipel und doppel- seitiger Pneumonie.

Fremdkörper im Uterus.

% Von

Dr. Herman Weber.

Arzt am Deutschen Dispensary und Assistent der Kinderabtheilung der New York Policlinic^

Eine 34 Jahre alte, verheirathete Näherin kommt in's Dispensary mit der Angabe, dass sie von einem Stuhl gefallen sei und sich dabei eine Haarnadel in die Scheide getrieben habe. Die Entfernung derselben ge- lang der Patientin nicht.

Die Untersuchung ergab: Der von aussen sichtbare Theil der Haar- nadel ragt aus der Scheide hervor und ist nach Eechts gebogen. Die Scheide ist unverletzt. Das obere Ende der Nadel kann in den Cervix und durch diesen in das cavum uteri verfolgt werden. Oberhalb des in- neren Muttermundes beschreibt die Nadel einen spitzen Winkel und sitzt fest im Uterusgewebe, derartig, dass der Uterus perforirt war. We- der peritoneale Keizerscheinung noch sonstige Entzündungsvorgänge hatten sich entwickelt.

Durch tieferes Hineinschieben der Nadel wurde das hakenförmige Ende derselben frei in die Mutterhöhle getrieben und von hier aus, al- lerdings nicht ohne Anwendung einiger Gewalt, entfernt.

Dass das ,. Fallen vom Stuhl" wohl in einem Versuch bestand die ausgebliebene Menstruation auf diesem nicht so sehr ungewöhnlichen Wege wieder in Gang zu bringen, und dass das Einführen der vorher ge- rade gebogenen Haarnadel bis durch den Cervix gelang, dann aber den seitlichen Weg durch die Uteruswand nahm, ist wohl kaum zweifelhaft.

EEFEKATE.

Augenheilkunde.

Keferirt von Dr. A. Schapringer.

1. Ueber Chorio-Retinitis Syphilitica und ihre Beziehung zur Hirn- arterienlues. Von Dr. F. Ostwald in Berlin. (Berliner Klin. Wochen- schrift. 5. November 1888.)

2. Ueber specifische Netzhautentzüendung. Von J. Hirschberg in Berlin. (Berliner Klin. Wochenschr., 12. November 1888.)

1. Auf Grund einer Reihe von klinischen Beobachtungen, die O. während seiner Assistenzzeit an der Klinik von Prof. Hirschberg und auch noch nach Aufgabe dieser Stellung zu machen Gelegenheit gehabt hat, spricht er sich dahin aus, dass bei Syphilis und zwar meist wenige Monate bis 1 Jahr nach der Primäraffection eine centrale Retinitis mit oder ohne gleichzeitige Iritis auftreten kann, die characterisirt ist durch kleine, grauweisse, träubchenartige Herdchen, die mit Vorliebe an den arteriellen Endästchen sitzen ; dabei sind mitunter auch ganz in der Peripherie ebenfalls mit Vorliebe an den arteriellen Endästchen ähnliche kleine Infiltrationen wahrzunehmen. Alle diese Herdchen sind so ausserordentlich zart und dabei von so mattgrauer Farbe, dass man sie nur bei sehr grosser Aufmerksamkeit und bei schwacher Beleuchtung im aufrechten Bilde erkennen kann. Meist bestehen in diesen Fällen gleichzeitig kleine, kaum stecknadelkopfgrosse choroiditische Herdchen an verschiedenen Stellen des Fundus, die jedoch auch fehlen können. Das Maculargebiet ist dabei oft gleichzeitig diffus getrübt. Fast immer lässt sich, entsprechend den centralen Veränderungen, ein kleines nega- tives, centrales Scotom nachweisen. (Ein positives Scotom nennt man bekanntlich ein solches, welches sich als dunkler Fleck im Gesichtsfelde der Aufmerksamkeit des Patienten selbst aufdrängt, während ein nega- tives sich erst bei der Primäruntersuchung kundgibt.)

Wie besonders durch die schöne Arbeit von Deyl in, Prag vom Jahre 1887 nachgewiesen ist, setzt die Syphilis ihre pathologischen Producte zuerst an den Enden der Arterien ab, afficirt sie daher das Auge, so können die Herde in allen möglichen Häuten desselben auftreten und zwar zunächst an den arteriellen Endästen. In der Aderhaut localisirt sich die Lues daher in der Choriocapillaris und in der Netzhaut ergreift sie zuerst und fast ausschliesslich die gefässtragende Schicht, d. h. die Nervenfaserschicht und hier wieder zunächst die arteriellen Endgebiete, nämlich das Centrum, d. i. die Macula, und eventuell auch die äusserste Peripherie. Dieser Umstand wurde klinisch ganz evident durch die von O. beobachteten Fälle erwiesen.

Die verschiedenen Localisationsherde in der Aderhaut und der Netz- haut sind absolut unabhängig von einander und, wie die pathologische Anatomie bisher stets gezeigt hat, sogar durch absolut unveränderte Schichten von einander getrennt. Die Verschiedenheit der Erkrankung der beiden Häute ist nur eine scheinbare, in der Verschiedenheit der Vertheilung der Gefässe, von welcher eben die Localisation abhängt, begründete. In der Aderhaut haben wir eine gleichmässige Capillar- schicht ausgebreitet über die ganze Fundusfläche. Daher treten hier die Herde an allen beliebigen Stellen auf und zwar als kleine circum-

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Scripte, gummiartige Zellinfiltrationen in den Choriocapillaren. An der Netzhaut haben wir eine ganz andere Gefässvertheilung ; hier haben wir zwei Hauptendgebiete der Arterien, nämlich den gelben Fleck und die äusserste Peripherie. Darum sehen wir denn auch hier zunächst sich die syphilitischen Veränderungen abspielen.

Aus dem Gesagten geht hervor, dass man bei dem gewöhnlichen opthalmoscopischen Bilde der Chorioretinitis syph. gewisse Folge- erscheinungen der Erkrankung von Arterien kleinsten Kalibers vor sich hat ; die erkrankten Gefässwände selbst zu erkennen, dazu reicht die Vergrösserung selbst im aufrechten Bilde bei Weitem nicht aus. Es sind aber schon vereinzelte Fälle, wie die von Hock, Hirschberg, Haab und Anderen, bekannt gemacht worden, bei welchen das Kaliber der erkrankten Arterien sich innerhalb des Bereiches ophthalmoscopischer Erkennbarkeit befand.

Die pathologisch-anatomische Analogie der Veränderungen der Arterien bei Chorioretinitis syph. mit denjenigen der Hirnaterien bei der Heubner'schen Hirnarterienlues hat O. auf den Gedanken gebracht, dass jenen syphilitischen Entzündungen der inneren Augenhäute möglicherweise eine wichtigere semiotische Bedeutung zukommt. Dass man bisher einen Zusammenhang dieser beiden Affectionen nicht bemerkt hat, beruht wohl vor Allem darauf, dass die Veränderungen in den Gehirngefässen, wie Heubner schon hervorgehoben hat, wegen der colossal ausgebildeten Anastomosen bedeutende Fortschritte gemacht haben müssen, ehe sich merkliche Störungen in den Gehirnfunktionen einstellen, während die inneren Augenhäute, besonders die Ketina mit ihrer anastomosenlosen Arterienverästung ein viel empfindlicheres und bedeutend frühere Manifestationen lieferndes Beagens darstellen.

Die Zahl der genauer beschriebenen Fälle von Hirnarterienlues ist noch immer eine beschränkte und leider hat der Zustand der Augen dabei meist keine eingehendere Berücksichtigung gefunden.

In dem über Syphilis des Nervensystems handelnden Hefte seiner Vorträge (IV, 3) hebt v. Ziemssen die Wichtigkeit einer genauen Unter- suchung der Netzhautgefässe für die Diagnose von Hirnarteriensyphilis hervor. Nach O. brauchen jedoch die Betinalarterienveränderungen noch nicht ophthalmoscopisch sichtbar zu sein ; der Nachweis der oben beschriebenen, feinen Betinitisherde im arteriellen Endgebiet, eventuell mit choroiditischen Herdchen ist schon ausreichend.

Als Beispiel führt O. den von v. Beuss in der Wiener medieinischen Presse 1885 publicirten Fall von centraler recidivirender Betinitis an. Der erste Anfall von Netzhautentzündung trat 6 Monate nach erfolgter Infection gleichzeitig mit Hautausschlag auf. 13 Jahre nach dem ersten Anfall erkrankte Patient an Hirnerscheinungen : Lähmung und Schlag- anfall. 2 Jahre später starb er. Der Fall zeigt recht deutlich die zeit- liche Differenz zwischen Augen- und Hirnsymptomen und ist in dieser Beziehung besonders lehrreich.

2. Hirschberg reclamirt Ostwald gegenüber die Priorität in Bezug auf die Auseinandersetzung der auf Grund pathologisch-anatomischer Analogie prodromalen Bedeutung der syphilitischen Netzhautent- zündung für die Hirnarterienlues. (S. den Artikel über Ophthalmos- copie in der zweiten Auflage der Eulenburg'schen Bealeneyclopädie.) Im Uebrigen bestätigt H. das von Ostwald Vorgebrachte. Er betont besonders, dass die retinitische Veränderung viel früher nach statt- gefundener Infection auftreten, als man gewöhnlich annimmt, oft genug schon nach 4 6 Monaten, und dass die betreffenden Veränderungen in der Netzhaut, besonders die zarten Veränderungen in der Netzhaut- mitte, die Verf. genauer beschreibt, nicht nur von Anfängern, sondern auch von Geübteren häufig übersehen werden. Dazu kommt noch, dass bei vielen Kranken im Anfang keine eigentliche, jedenfalls keine erheb-

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liehe Sehstörung besteht, ja es ist H. begegnet, dass er bei policlinischen Patienten, die volle Sehschärfe hatten, mit dem Augenspiegel die syphilitische Netzhautentzündung zufällig entdeckte. [Ref. erlaubt sich hieran die Bemerkung zu knüpfen, dass von den Aerzten im Allgemeinen der Umstand nicht genug in Betracht gezogen wird, dass sich im Augenhintergrunde bedeutende Veränderungen entwickeln können, ohne dass die Sehschärfe nachweislich beeinträchtigt erscheint. Ins- besondere ist dies häufig der Fall bei Papillitis in Folge von Gehirn- leiden. Wie häufig bekommt man bei Gelegenheit der Besprechung von zweifelhaften Fällen mit Hirnsymptomen zu hören, eine Augenspiegel- Untersuchung sei zwar nicht gemacht worden, aber das Vorhandensein einer Stauungspapille sei bestimmt auszuschliessen, weil der betr. Patient nicht über Sehstörung klage ! Ref.]

Ueber den Verlauf und die Ausgänge der syphilitischen Augengrund- erkrankung sagt H. auf Grund seiner bedeutenden Erfahrung (über 300 Fälle während 20 Jahren), dass die rechtzeitig eingeleitete und gründlich fortgesetzte Behandlung, welche im Wesentlichen nur eine mercurielle sein darf, meist sehr erfolgreich ist, wenngleich Rückfälle häufig genug vorkommen. In einzelnen Ausnahmefällen nimmt trotz der Behandlung das Sehvermögen dauernd und erheblich ab, da der Sehnerv atrophisch wird. Gelegentlich treten Gehirnerscheinungen auf, welche zum Tode führen können.

Die syphilitische Netzhautentzündung kann einseitig bleiben, die albuminurische ist immer doppelseitig. [Wenn H. damit sagen will, dass sich die Retinitis albuminurica immer von Anfang an beiderseitig kundgibt, so wird ihm von einer Reihe guter Beobachter lebhaft wider- sprochen werden ; will er aber nur behaupten, dass die Ret. album. in jedem Fall, früher oder später, beiderseitig wird, dann dürfte er schon bedeutend geringerem Widerspruch begegnen. Ref.]

Ueber den Zusammenhang von Augen- und Nervenkrankheiten. (Ocular Troubles as influenced by Nasal Disease.) Von Lewis H. Taylor in Wilkesbarre, Penn. (The Journal of the Amer. Med. Association, Nov. 17. 1888.)

Aus der hier mitgetheilten Casuistik geht hervor, dass Verf. die lobenswerthe Gewohnheit angenommen hat, bei Klagen über gewisse Augenbeschwerden, wie Bindehaut- und Lidrandentzündung, Asthenopie u. dgl., immer auch die Nase zu untersuchen, wo so häufig die diesen Beschwerden zu Grunde liegenden pathologischen Veränderungen zu finden sind. Seine therapeutischen Eingriffe sind die landes- üblichen.

Krankheiten der Athmungsorgane.

Referirt von Dr. Jos. W. Gleitsmaxx.

Ueber die Anwendung der Kamphersaeure bei Katarrhen verschiede- ner Schleimhaeute. Max Wiesel. (Zeitschrift für Therapie, 1. No- vember 1888.)

N. berichtet über seine Anwendungsweise und Resultate mit der jetzt vielfach erwähnten Kamphersäuie. Innerlich fand er sie in Gaben von 1.0 bei 2.0 (in Oblaten) Abends genommen von sehr guter Wirkung auf die Nachtschweisse der Phthisiker, und erzielte auch einmal in dreimal täglichen Gaben von 0.5 bei Cystitic combinirt mit Pyelitis ein fast völli- ges Verschwinden der Eitermengen im Urin. Aeusserlich wandte er sie zu Pinselungen, Zerstäubung, Gurgelwässern bei den obern Luftwegen, in zwei Fällen auch zu Blassenausspülungen an.

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Die Heilung der Lungenschwindsucht durch Einathmungen Feuchtw ar- mer Luft von bfstimmter gleichbleibender Temperatur. Eduard Krull. (Berl. Klin. Woch. No. 39 u. 40. 1888.)

Von der Ansicht ausgehend, dass vornehmlich eine mangelhafte Er- nährung der Lunge in derselben die Ansiedlung pathogener Pilse be- günstigt, und dass das Bestreben jeglicher Behandlung der Lungentu- berculose sein müsse, vor allem diese Störung zu heben, hat K. versucht dieses Problem auf directem Wege in der denkbar einfachsten Weise durch Einathmungen reiner, feuchtwarmer Luft zu lösen.

Zu diesem Zwecke combinirte er einen Apparat, dessen detaillirte Beschreibung im Original nachzulesen ist, und der so construirt ist, dass die von dem Patienten aus demselben eingeathmete Luft die wünsehens- werthe Temperatur und Feuchtigkeit besitzt.

Als Contraindicationen werden angeführt : 1) weit vorgeschrittenes Stadium der Phthise mit vorausgegangener oder gleichzeitig vorhande- ner Syphilis, 2) dasselbe mit Albuminurie und 3) dasselbe mit Darmer- scheinungen, die auf Geschwürsbildungen hinweisen, gepaart.

Die specielle Behandlung anlangend, athmet der Patient am Apparat, ebenso wie in der Ruhe, und ist meistens eine Sitzung täglich genügend, die nicht bei absteigendem Fieber stattfinden soll. Temperaturen der Einathmungsluft von 43° 44° C. bewährten sich für die meisten Pa- tienten als die geeignetsten, und 30 bis 40 Minuten ist die übliche Zeit einer Inhalation.

' K. spricht sich über die Resultate dieser Behandlung, die er jetzt Jahre übt, sehr hoffnungsvoll aus, und liefern die beigefügten Kran- kengeschichten Belege für seine guten Resultate.

Public Health Resorts vs. Institutions for bacillary Phthisis. Paul H. Kretzschmar. (Reprint from the Medical Register, Oct. 20th, 1888.)

Der Verfasser gibt uns seine Eindrücke, welche er bei einer euro- päischen Reise von den verschiedenen Curorten für Phthisiker erhalten hat, und erläutert an mehreren Beispielen die Vorzüge der Anstalts- behandlung gegenüber den sogenannten freien Curorten, bei denen der Patient mehr oder weniger der Controlle des Arztes entzogen ist. Er steht mit seinen Ansichten ganz auf dem Standpunkt des Referenten, der schon im Jahre 1877 (New Orleans Medical and Surgical Journal) die Vortheile solcher Anstalten dem ärztlichen Publikum nahe zu legen versuchte. Schon der alte Niemeyer wies auf die Nothwendigkeit einer absoluten ärztlichen Controlle über solche Kranke hin, und nur diese, im Verein mit den sonst bekannten Hilfsmitteln lässt die überraschenden Erfolge eines Brehmer und Dettweiler erklären.

Alpine Winter in its Medical Aspect, with Notes on Davos-Platz, Wiesen, St. Moritz and the Maloja. A. Tucker Wise. (Fourth Edition. London, J. & A. Curchill, 1880, pp. 160.)

Eine gut geschriebene Brochüre, die fast durchweg auf eigenen Anschauungen und Studien des Verfassers beruht, unti mit acht schönen landschaftlichen Bildern und drei Grundrissen des Curgebäudes der Maloja ausgestattet ist. Dieselbe zerfällt in sechs Capitel und einen meteorologischen Zusatz. Im ersten Capitel werden kurze Notizen über oben erwähnte, und eine Anzahl anderer Curplätze gegeben, im zweiten die climatischen Factoren analysirt, wie Bodenbeschaffenheit, Sonnen- licht, Luftdruck, Ozon etc. Das dritte Capitel handelt von den cha- racteristischen Eigenschaften des Alpenclimas, als da sind : 1) Trocken- heit der Luft und fast völlige Abwesenheit der Microorganismen, schäd- lichen Gase ; 2) Insolation ; 3) verminderter Luftdruck ; 4) Ozongehalt ; 5) niedrige Temperatur und deren Einfluss auf Lungenleiden werden besprochen. Die Nachtheile und Schattenseiten werden im vierten

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Capitel aufgeführt, unter andern ungenügende hygienische Verhältnisse, besonders an einzelnen Plätzen mangelhafte Ventilationseinrichtungen, der Föhn, das im Frühjahr eintretende Thauwetter, der Aufenthalts- wechsel bedingt, etc. Im fünften Abschnitt sind Eathschläge in Bezug auf Kleidung, Diät, Bewegung gegeben, das lezte Capitel gibt eine aus- führliche Beschreibung der Umgebung und des Curhauses der Maloja, das in seiner Einrichtung wohl als Muster für derartige Anstalten gelten kann.

Ueber Sozojodolpraeparate. Otto Seifert. (Münchener Medicinische Wochenschrift, No. 47, 1888.)

S. empfiehlt die Anwendung der Sozojodolsalze, besonders des Talcum und Zincum s. in Erkrankungen der Nase, des Bachens und Larynx auf Grund eigener Erfahrung. Als bestes Constituens erwies sich Talcum im Verhältniss von 1:1 bis 12, letztere Mischung des Zink- salzes hauptsächlich im Rhinitis chronica und atrophica. 1:1 Natrium s. gab gute Resultate in Larynxphthise, 1:10 Hydrargyrum s. dieselben in syphilitischen Ulcerationen des Septum narium.

GaNGRENOUS TONSILLITIS, FATAL HEMORRHAGE. E. B. CrAGUE. (New York

Medical Journal, Sept. 1. 1888.)

Ein Neger klagte nach Aufnahme in's Hospital über grosse Schwäche in den Knieen und leichte Halsschmerzen seit 10 Tagen ; Puls 88, Tem- peratur 96*8. Der Patient remonstrirte gegen Anwendung des Zungen- spatels und der Pharynx wurde nur ungenügend untersucht. Am 5. Tage waren die Halsschmerzen fast verschwunden, am 6. der Patient viel besser, starb aber ganz plötzlich an Haemorrhagie. Die Section ergab ein grosses gangränöses Geschwür an der rechten Tonsille, eich nach der hintern Pharynxwand ausdehnend, und mit stinkendem Belag bedeckt. An der Stelle der verjauchten Tonsille wurden die offenen Stellen zweier kleiner Gefässe gesehen, von denen offenbar die Blutung ausging.

Krankheiten der Verdauungsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn.

Ueber Faelle von Ruminatio, verbunden mit Fehlen der freien Salz- saeure im Magensaft. Chr. Juergensen. (Berlin. Klin. Wochenschr., No. 46, 1888.)

J. theilt 2 Fälle von Rumination mit, wo er einige Male den Magen- inhalt nach Probefrühstück sowohl wie nach Probemittagbrod geprüft hat und keine freie Salzsäure fand. Er wirft die Frage auf, ob nicht ein Connex zwischen dem Fehlen der Salzsäure und der Rumination bestehe ? Die Fälle von Alt und Boas von Rumination mit Hyperacidität und Subacidität zeigen jedoch, dass dem nicht so sei.

Die Therapie anlangend versuchte J. in seinen beiden Fällen 14 Tage hindurch die Gavage (Ernährung mit dem Magenschlauch). Das Wiederkauen blieb während dieser Behandlung weg, kehrte jedoch gleich wieder zurück, als die Patienten die natürliche Ernährungsweise wieder einschlugen.

Ueber das Labferment, nebst Bemerkungen ueber die Production freier Salzsaeure bei Phthisikern. Carl Rosenthal. (Berl. Klin. Wochenschr. No. 45, 1888.)

Rosenthal bestätigt im Grossen und Ganzen die Angaben von Boas über die Eigenschaften des Labfermentes, weicht jedoch in folgenden Punkten ab : die Gerinnung der Milch durch Lab unterscheidet sich von

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jener durch Säuren, dass in letzterem Falle dieselbe feinflockig wird, während bei der Labgerinnung die Coagulation in Form eines ganzen Caseinkuchens mit Auspressung von Molken hervortritt. R. hebt nun demgegenüber hervor, dass bei der spontanen sauren Milchgerinnung die Coagulation in ihrer Form ganz gleich ist der von Lab. Als ein fer- neres Unterscheidungsmerkmal gab Boas an, dass die durch Labfer- ment gebildete Molke gleichfalls im Stande sei Milch zur Gerinnung zu bringen, bei der durch Säure geronnenen Milch ist dies nicht der Fall, d. h. die Molke letzterer wirkt nicht gerinnend auf Milch ein. Nach R verhält sich nun die Molke spontan geronnener Milch analog der durch Labferment gewonnenen. Durch Kochen der Molke wird die Fä- higkeit Milch zur Gerinnung zu bringen aufgehoben. Das Labfer- ment soll nach Boas nicht als solches im Magen praeformirt sein, son- dern als Labzymogen ausgeschieden werden und durch freie Säure, sei es Salzsäure oder Milchsäure, in das wirksame Ferment umgewandelt werden, „ohne freie Säure gebe es kein Labferment", meint Boas. R. führt nun zwei eigene und einen von mir berichteten, Fall an, wo beim Fehlen von Salzsäure und Milchsäure der Mageninhalt doch wirksames Labferment enthielt.

Bei der grossen Menge Labferment welche zur Ausscheidung kommt, wirft R. die Frage auf, ob das Labferment ausser der Milchgerinnung nicht noch andere Wirkungen entfalte ? R. prüfte zunächst, ob das Fer- ment nicht auch peptische Kraft auf Eiweiss hätte ; allein er fand die Fibrinflocke ganz unverändert vor. [Dass das Labferment keine Ei- weiss verdauende Kraft enthalte, ist bereits früher bekannt gewesen. S. Friedburg, American Chemical Society, May 1888, Runnetferment. Referent.]

Im Anschluss an die Labfermentversuche prüfte R. den Mageninhalt von neun Phthisikern auf Salzsäure und fand, dass dieselbe in allen die- sen Fällen fehlte, obgleich manche dieser Patienten gar keine Magenbe- schwerden hatten und bei gutem Appetit waren.

Beitrag zur Kenntniss der Hyperaesthesie fuer Salzsaeure. J. Ph. Sugling. (Berl. Klin. Wochenschr. No. 43, 1888.)

S. beschreibt einen Fall, wo etwa eine halbe Stunde nach dem Essen sich immer Schmerzen in der Magengegend einstellten ; die Unter- suchung des Mageninhalts ergab normale Verhältnisse ; die Acidität war nicht vermehrt ; gleichwohl wurden die Schmerzen gelindert durch Darreichung von Magnes. usta.

S. folgert daraus, dass in diesem Falle der Magen gegen die, von ihm selber in normalen Grenzen gebildete, Salzsäure empfindlich war ; daher traten die Schmerzen nicht gleich nach dem Essen, sondern etwas später auf, wo der Salzsäuregehalt etwa 1 pro Mille betrug. S. bezeichnet diesen Zustand als einen Fall von Salzsäure-Hyperästhesie.

Ueber den Werth der Farbstoffreactionen auf *freie Salzsaeure im Mageninhalt. R. Schaeffer : (Zeitschr. f. Klin. Med. Bd. 15, S. 162.)

S. wirft die Frage auf, ob die Farbenreactionen auf Salzsäure einen wirklichen Werth haben, d. h. ob der Ausfall der Reaction zugleich mit der Fähigkeit des Mageninhalts Eiweissstückchen zu verdauen coinci- dirt ? Zu diesem Behufe hat S. in einer grossen Zahl von Fällen beide Proben, die Farbstoffreactionen und die Eiweissverdauungsprobe gleichzeitig angestellt und gefunden, dass wirklich nur verdauende Magensäfte oder Lösungen die Farbenreaction lieferten. Am empfind- lichsten war das Günzburg'sche Phloraglucin Vanillin Reagens, dasselbe fiel stets positiv aus, sobald nur noch eine Spur von Verdauung statt- fand, und fehlte congtant, sobald die Flüssigkeit die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht hatte.

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Was verhindert die Selbstverdauung des Lebenden Magens ? Ein Beitrag zur Aetiologie des runden Magengeschwürs. E. Sehrwald. (Münchener med. Wochenschr., 30. October und 6. November 1888.)

S. sucht experimentell zn entscheiden, ob die allgemein herrschende Ansicht, dass im Magen die Salzsäure nach den Gesetzen der Diffusion durch das in der Schleimhaut strömende Blut neutralisirt wird, und des- wegen der lebende Magen nicht verdaut wird, berechtigt ist. Zu diesem Behufe hat S. beim selben Thiere während des Lebens sowohl, wie nach dem Tode Phosphorsäurelösungen von 0,14% in den Magen gebracht und nach 3 Stunden wieder die Acidität bestimmt. Das im Leben strö- mende Blut ersetzte S. beim todten Thier durch in das Gefässsystem gebrachte und unter Druck fliessende Sodalösung von einem geringeren Alkaligehalt, wie das Blut.

Es zeigte sich stets, dass im lebenden Magen der Säureverlust ein geringerer war, als im todten. Wenn daher der lebende Magen wirklich nur als diffundirende Membran arbeiten würde, so müsste im lebenden wie im todten Zustande eine gleiche Menge neutralisirt werden, was jedoch nicht zutrifft.

S. schliesst daher, dass die lebenden Zellen als solche, die Kraft besitzen ihren Alkaligehalt für sich zu behalten und nicht an die Säure abzugeben.

S. stellt folgende Schlüsse als das Resümee seiner Arbeit auf :

1) Der Ausgleich zwischen dem Alkali des Blutes und der Säure des Magensaftes erfolgt im Leben nicht nach dem Gesetze der Diffusion, sondern in viel geringerem Umfange.

2) Die Selbstverdauung des Magens wird daher nur zum Theil durch die Alkalescenz des Blutes, zum anderen Theile durch active Zellthätig- keit verhütet.

3) Das zwischen Blut und Magensaft eingeschaltete lebende Epithel vermindert deren gegenseitige Neutralisation, und wirkt somit als ein Alkali-Schutz- und Sparmittel für den Magensaft.

4) Durch diesen Schutz wird zugleich eine bedeutende Secretions- und Kesorptionsarbeit für den Magen erspart.

5) Der Schutz, welchen das strömende Blut gewährt, ist nur zum Theil in seiner Alkalessenz gegeben, zum anderen Theil in seiner Eigen- schaft als Nährlösung.

6) Alle Momente, welche die Ernährung der Zellen der Magen- wandungen aufheben, können zur Selbstverdauung und Geschwürs- bildung führen, und es vermögen daher erstens Störungen der Circulation, zweitens directe Schädigungen des Epithels, und drittens Schädigungen etwaiger trophischer Nerven die Entstehung von Magen- geschwüren zu veranlassen.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Geo. Degner.

The forcible and immediate Reduction of old Subluxation of the Tibia. E. N. Bradford. (Journal of Am. Med. Ass'n. Vol. XI. No. 18.)

Bei ausgeheilter Knochentuberculose des Kniegelenks, wenn die Tibia, hauptsächlich durch Schrumpfung der hint. Kapselwand in Sub- luxationsstellung gehalten wird, wendet Verfasser directen Druck von hinten nach vorn auf den Kopf der Tibia an, vermittelst eines gabel- förmigen Instrumentes, bei dem in der Höhe des Tibiakopfes eine starke Schraube direct nach vorn einwirkt, während der Gegendruck von vorn nach hinten durch gepolsterte Riemen auf die Condyli femoris und das

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untere Tibiaertde ausgeübt wird : natürlich in Narcose. Voraus- geschickt wird gewaltsame Biegung und Streckung des Kniegelenks, um ev. intraarticuläre Adhäsionen zu lösen (und die hintere Kapselwand zu dehnen. Ref.) Wenn die Correction nicht beim ersten Mal vollständig gelingfl» wiederholt B. das Verfahren in derselben Sitzung. Nach ge- nügender Correction Gypsverbnnd für 2 Monate. 2 Fälle ergaben zufriedenstellendes Resultat— einer sogar mit beschränkter Beweglich- keit im Kniegelenk.

Femoral Osteotomy for the Correction of Deformity resulting from Hip-joint Disease. Morgan Vance, M. D. (The N. Y. Med. Journ. Vol. XL VIII. No. 22.)

Acht kurzgefasste Krankengeschichten von subcutan. Osteot. bei Hüftgelenksanchylose mit glattem Heilungsverlauf und guten func- tionellen Resultaten, die Verf. in den meisten Fällen noch nach mehreren Jahren constatiren konnte. Fall 8 ist erst am 15. April v. J. operirt. Chronic Joint Disease and constitutional Treatment. V. P. Gibney. (The Med. Record. Vol. XXXIV. No. 16.)

G. beschränkt seine Bemerkungen auf die allerdings überwiegende Mehrzahl von Fällen tuberculöser Natur. Von der üblichen als „con- * stitutionell" bezeichneten Behandlung mit Quecksilber, Leberthran, Jod und Eisen hat er keine Beeinflussung gesehen. Symptomatisch gibt er, wo indicirt, Tonica, bei Malaria Chinin, Syphilis Quecksilber und J od, Rheumatismus „ihm genügend erscheinende" Mittel ; dazu Regelung der Diät, mit besonderer Rücksicht auf climatische Verhältnisse, ev. Verschickung der tuberculösen Gelenkserkrankten in Höhenclima, wie tuberculöse Lungenkranke.

The Treatmfnt of rotary lateral Cürvature of the Spine. R. H. Sayre. (The N. Y. Med. Journ. Vol. XLVIII. No. 20.)

S. gibt zunächst recht beherzenswerthe Massregeln zur richtigen Diagnose der betreffenden Veränderungen, besonders bei geringeren Graden und im Beginn. Bei der Behandlung richtet er sein Augenmerk zunächst auf etwa vorhandene anatomische Grundbedingungen, wie Ungleichheit der Beine, Muskelbiegungen, Schief hals u. dgl., die er zu- nächst der geeigneten Behandlung unterzieht, ehe er sich an die zer- trümmerte Wirbelsäule selbst macht. Die leichtern Grade wurden nur mit zweckmässigen gymnastischen Bewegungen, höhere Grade in Ver- bindung mit abnehmbarem Gypscorsets diese nur als Adjuvans be- handelt. Diese Gymnastik wird im Einzelnen näher beschrieben und durch gute Abbildungen recht anschaulich gemacht ; ebenso die Resultate durch Photographien vor und nach der Behandlung.

Die üblichen käuflichen Schienencorsets u. dgl. verwirft er als nutz- los, vielfach schädlich. Noch energischer spricht sich gegen deren Gebrauch aus : B. Roth, F. R. C. S., aus London, in " A Note on Useless- ness and Harmfulness of Shoulderstraps, Shoulder-Braces and Hoc Genus Omne etc. (N. Y. Med. Journ. Vol. XLVIII. No. 18.)

An effective and inexpensive Method for the mechanical Treat- ment of Pott's Disease. C. F. Stillmann, M. D. (N. Y. Med. Journ. Vol. XLVIII. No. 17.)

St. gibt an, wie man sich mit geringen Unkosten und Umständen ein gut passendes Corsett mit Hülfe eines beliebigen Grobschmiedes her- stellen lassen kann. Das Punctum saliens seines Corsets sind 2 federnde Stangen, die von den oberen resp. unteren Endpunkten des Rahmens frei bis zu dem Gibbus reichen und mit in Gelenken beweglichen ge- polsterten Pelotten auf die betr. Gegend directen elastischen Druck ausüben. Zahlreiche Abbildungen machen den Apparat recht anschau- lich klar.

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The aseptic Use of Malgaigne's Hook in transverse Fracture of the Patella. J. W. White, M. D., Philadelphia. (The Med. Ree. Vol. XXXIV. No. 17.)

W. bespricht an der Hand eines Falles, in dem er bei einem frischen Kniescheibenbruch durch M.'s Haken ligamentoese Vereinigung mit leidlich gutem functionellen Resultat erzielt, die Frage, ob bei der Ge- fährlichkeit der Operation das freie Einschneiden der Patella und die Knochennath gerechtfertigt ist oder nicht, da bei den anderen Behand- lungsmethoden die ungünstigen functionellen Resultate schwer wiegen, ohne zu einem definitiven Entscheid darüber zu kommen. Schliesslich glaubt er doch mit einigen Wenn und Aber verclausulirt der Operation ihre Berechtigung nicht absprechen zu dürfen. (Bei der Angabe der Methode die Fragmente zu nähren, wird Bergmann's Abmeisselung der Tuberositas tibiae vermisst. Ref.)

Chirurgie.

Referirt von Dr. Willy Meyer.

A CöNTRIBUTION TO THE TREATMENT OF PYO-THORAX AND PYO-PNEUMOTHORAX BY THE TETON MeTHOD OF THROUGH DRAINAGE, WITH SOME CASES FROM PERSONAL EXPERIENCE BEARING ON THE MATTER. THOMAS E. SaTHER-

twaite, M. D. (N. Y. Med. Recoyd, Nov. 17. 1888.)

Wie die Ueberschrift besagt, empfiehlt S. für die chirurgische Be- handlung das Pyothorax und Pyopneumothorax das Durchziehen starker Ligaturen und fleissiges Ausspülen mit antiseptischen Lösungen. Wenn sich die Ein- und Ausstichöffnungen verengern, sollen sie mit Dilatatoren erweitert werden. Einführen einer Drainage verwirft er als das Lungengewebe zu sehr reizend. Rippenresektion soll nur in vernachlässigsten Fällen nothwendig sein. Mehrere Krankengeschichten erläutern den Operationsmodus. Der Standpunkt des Verf. in dieser Frage scheint Ref. etwas veraltet. Für die meisten deutschen Chirurgen ist ein- oder mehrfache Rippenresektion mit folgender einfacher Drainage wenn nöthig Gegendrainage bei Pyothorax heut zu Tage doch geradezu ein Postulat. Ausgenommen ist vielleicht das Empyem der Kinder, das in Anbetracht der grossen Elasticität des Brustskeletts bei denselben durch einfache und doppelte Thorakotomie zur Ausheilung gebracht werden kann. Aber auch hier wird, wie bekannt, meist typische Resektion und Drainage mit Gummirohr am schnellsten zum Ziele führen. Für die operative Behandlung des Pyo-Pneumothorax der Phthisiker möchte S.'s Verfahren vielleicht eher von einigem Werthe sein. Er empfiehlt es hierfür auch besonders. Iedenfalls ist in der- artigen Fällen ausgiebige Rippenresektion nicht zu empfehlen. Punk- tion und permanente antiseptische Irrigation durch die in toto belassene und durch besondere Vorrichtungen luftdicht an die Thoraxwand befestigte, doppelt durchbohrte und mit Hülfe verschiedener Ventile arbeitende Troikarkanäle liefern bessere Resultate quoad vitam (cf. G. Krieger, Juni Sitzung des Wissenschaftlichen Vereins deutscher Aerzte von New York, 1888.)

A successfül Case of Colo-Colostomy. Willy Meyer, M. D., New York. (N. Y. Med. Record, November 24th 1888.)

33jährige Frau mit stenosirendem nicht exuleerirtem Carcinom des Colon ascendens, dicht vor der flex. hepatica. Bei der Operation, 2. Juli 1888, Laparatomie im rechten Hypochondrium, parallel mit der Linea alba erscheint eine Radikaloperation, Resektion und Darmnaht, wegen vielfacher, über das ganze Colon ascendens verstreuter Metastasen unausführbar. Es bleibt demnach nur Wahl zwischen Anlegen eines

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Anus praeternaturalis im untersten Theile des Ileum oder einer künst- lichen Anastomose zwischen dem ober- und unterhalb der erkrankten Parthie gelegenen Darmabschnitte. M. entschliesst sich zur letzteren Operation, und zwar zur Enterostomie zwischen Colon ascendens und Colon transversum (Colo-Colostomie); da sich durch die Retraktion der scirrhösen Geschwulst, sowie Dilatation und Vortreib ung des Colon ascendens die beiden genannten Abschnitte des Dickdarms zwanglos aneinander lagern. Abschluss der zu vereinigenden Parthieen durch je 2 provisorische, starke Catgutligaturen, die durch das Mesocolon dicht am Darm durchgeführt sind. Längsschnitt jederseits und Vereinigen durch doppelte fortlaufende Catgutnaht. Reposition, Naht, Verband. Dauer der Operation 2) Stunden. Trefflcher, afebriler Verlauf, leicht komplicirt mit einem am 2. Tage nach der Operation auftretenden und 14 Tage anhaltenden haematogenen Ikterus. Erster Stuhl am 8. Tage p. oper. Am 24. August entlassen. Gewichtszunahme bis dahin 16 Pfund, bis Anfangs November (4 Monate p. oper.) 43 Pfund. Pat. ist jetzt (Mitte December) durchaus wohl, hat täglich Stuhl ohne Nachhülfe, isst, was der Haushalt mit sich bringt selbst deutsches Sauerkraut, allerdings gegen ärztliches Anrathen versieht seit Anfangs November ohne Beschwerde die Stelle als Haushälterin in einer kleinen Familie. N. Senn, Milwaukee, (an experimental contribution to intestinal surgery etc. Annais of Surgery, vol. VII, 1 6) hat die verschiedenen möglichen künstlichen Darm-Anastomosen (jejuno-ileostomie, ileo- colostomie und ileo-recto-stomie) an Thieren vielfach mit Erfolg geübt und allgemeine Regeln für ihre Ausführung aufgestellt. Eine Colo- colostomie findet sich unter seinen Versuchen zufällig nicht. M. macht darauf aufmerksam, dass die Operation durch Benutzung der von Senn erfundenen und für diese Operationen vorgeschlagenen durchlöcherten dekalcinirten Knochenscheiben (perforated discs) sicherlich sehr verein- facht und verkürzt werden wird.

Gynaekologie.

Referirt von De. F. Kjtrg.

Ueber Desixfection des weiblichen Genitalcanals. P. Steffeck. (Zeit- schr. f. Geburtsh. u. Gynaekol. B. XV. H. 2.)

Aus den Untersuchungen Döderlein's über das Vorkommen von Spaltpilsen in den Lochien und Winter's über Mikroorganismen im Ge- nitalcanal der gesunden Frau ergibt sich als practische Cönsequenz : rationelle Desinfection des Cervix und der Vagina für geburtshülfliche Zwecke, der Uterushöhle, des Cervix und der Vagina für gynaekologische Operationen.

Verf. hat mit Aufwand von grossem Fleiss und viel Gründlichkeit zahlreiche Versuchsreihen, auf deren Details wir nicht hier eingehen können, bei Schwangeren angestellt und kommt auf Grund derselben zu dem Schlüsse, das einfache Scheidenausspülungen in gewöhnlicher Weise mit Sublimat 1 : 3000 oder 3 procentiger Carbollösung gemacht de facto werthlos sind, dass dagegen nur eine gründliche Auswaschung des unte- ren Cervixabschnittes und der Vagina mit Hülfe von 2 Fingern und nachfolgenden 2 stündlich zu wiederholenden sorgfältigen Ausspülungen der Vagina mit je 1 Liter Sublimat (1 : 3000) oder 3 proc. Carbol geeignet sind, eine Sterilität der Geburtswege herbeizuführen.

Seine Desinfectionsversuche für gynaekologische Zwecke sind noch nicht zum Abschluss gelangt ; einstweilen erscheint es Verf. zweifelhaft, ob sich überhaupt in einer Sitzung mit den gebräuchlichen Desinficien- tien eine Sterilität des ganzen Genitalcanals erzielen lässt.

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Creolin, das Verf. auch geprüft, scheint ihm dem Sublimat und Car- bol nachzustehen.

Ueber manuelle Behandlung des Scheiden-Gebaermuttervorfalls. Dr. Z. Fraenkel, Breslau. (Therapeut. Monatshefte Nov. 1888 n. Autoreferat nach Bresl. ärztl. Zeitschrift. 10. 1888.)

Frankel hat bei einer 30 jährigen IV. Para die seit 8 Jahren an einem Scheidengebärmuttervorfall litt, der ihr 8 cm. lang heraushing, die Thure Brandt'sche Methode der Beckenmassage angewandt.

Nach nur sechs Sitzungen soll wesentliche Besserung und erneute Arbeitsfähigkeit eingetreten sein. F. redet an der Hand dieser Beobach- tung der manuellen Localbehandlung des Prolapses das Wort und glaubt, dass dieselbe sogar in manchen Fällen den Vorzug vor der operativen Behandlung verdiene. (?)

De l'Hysterectomie Totale. R Pichevin. (Gazette des Höpitant No. 139, 1888.)

Hie totale hie partielle Hysterectomie war die Parole einer sehr animirten Debatte in der Societe de Chirurgie, angeregt durch die Com- munication Verneuü's, der eine Ehrenrettung der verschmähten Ampu- tatio colli bei Krebs versuchte. Pichevin ergreift diese Gelegenheit um gleichfalls eine Lanze für diese ziemlich in Misscredit gerathene Methode zu brechen und kommt zu dem Schluss, dass die frühzeitige, partielle Amputation, die den Vorzug verdienende Operation bei Krebs der Portio sei. Er hält die totale Hysterectomie nur beim Corpuscarcinom für gerechtfertigt, und sieht eine stricte Contraindication für dieselbe beim geringsten Verdacht auf Infiltration der Lymphbahnen.

The Morton Lecture on Cancer and Cancerous Diseases. By Sir Spencer Wells. (Delivered at the Koyal College of Surgeons of Engl. Nov. 29th, 1888. By The British Med. Journal, 1457 and 1458.)

Spencer Wells gibt in seinem Vortrage eine sehr anregende Ueber- sicht über dies hochwichtige Thema. Was uns hier speciell interessirt, ist seine Stellung zu der neuerdings in Paris namentlich aufgeworfenen Streitfrage hinsichtlich des relativen Werthes der Totalexstirpation und der Amputation bei Portiokrebs. Sp. W. definirt seinen Standpunkt in folgender Weise :

Ist die Krankheit noch streng an die dem Os nahegelegenen Theile gebunden, so zieht er die infravaginale Amputation vor, die er vermittelst der galvano-caustischen Schneiderschlinge ausführt. Ist der Process höher hinaufgeschritten, so amputirt er mit Messer oder Scheere, und cauterisirt die Wundfläche mit dem Ferrum candens. Ist die Krankheit weit über den Muttermund hinauf verbreitet, so ist die totale Exstir- pation indicirt, vorausgesetzt, dass die freie Beweglichkeit des Uterus die Annahme erlaubt, dass die umgebenden Gewebe noch nicht invadirt sind. Er beschreibt sein Operationsverfahren, das von dem anderer Operateure nicht wesentlich differirt. Er empfiehlt den Gebrauch der in loco verbleibenden Klemmzangen, ohne jedoch die Ligatur ganz zu ver- werfen ; die Wahl zwischen beiden soll dem Gutdünken des Operateur im gegebenen Falle anheimgegeben sein.

Ovarien und Tuben entfernt er nur dann, wenn sie gleichfalls krebsig degenerirt sind.

Kepression of Menstruation as a curative Agent in Gynaecology. Eugene C. Gehrung. St. Louis. (Am J. of Obstr., Nov. 1888.)

Gehrung hat folgende Ansicht über den Mechanismus der Menstrua- tion. Eine noch unbekannte Ursache bringt gradatim Retention von

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Blut in den Venenplexus des Beckens, und somit Hyperaemie aller Beckenorgane und Gewebe hervor. Dadurch wird dem übrigen Körper eine gewisse Menge Blut entzogen, die allgemeine Malaise hervorbringt. Um das so gestörte Gleichgewicht wieder herzustellen ist nur ein ge- ringer menstrueller Blutverlust erforderlich.

Der periodische Blutverlust der Frauen unseres Zeitalters ist jedoch weit grösser als nöthig. Robuste Constitutionen vertragen einen exces- siven Blutverlust für eine geraume Zeit ohne Schaden ; aber auch sie leiden mit der Zeit darunter. Für nervöse, schwache und anaemische Individuen hat diese Vergeudung viel ernstlichere Folgen, Neuralgien, uterine Leiden u. s. w. Tonica, Haemostatica, Diaet etc. sind gewöhnlich ohne Erfolg.

Hier ist nun die Suppression der Menses durch die Tamponade das rettende Mittel. Gehrung gebraucht in 1 2procentige Alaunlösung getauchte Wattetampons, die mit Hülfe eines Sims'schen oder 2 blätte- rigen Speculums in genügender Anzahl in die Scheide eingeführt werden. Dieselben verbleiben 48 Stunden daselbst, während Pat. Ruhe beobach- tet. Zeitpunkt für Vornahme der Tamponade alsbald nach Beginn des Monatflusses.

G. hat sehr gute Resultate davon gehabt ; Nachtheile sind" nicht da- raus erwachsen. Folgende 2 Fragen dienen ihm als Richtschnur : Wieviel Blut verliert die Patientin? und wieviel Blutverlust kann sie vertragen? Ergibt ihm die Beantwortung der ersten Frage ein grösseres Quantum als die der zweiten, so ist die Indication zur Tamponade gegeben.

Die von Loewenthal in Lausanne empfohlene Suppression vermittelst heisser (49. C.) und eiskalter Irrigationen hält G. nicht für angebracht.

Stumpfe Dehnung des Collum bei Myomblutungen. Prof. Dr. Kal- tenbach, Halle a. S. (Centralb. f. Gynaek. No. 45 ; 1888.)

In drei einander sehr ähnlichen Fällen von intramuralem Myom mit eigenthümlich verlaufenden Blutungen drängte sich Kaltenbach der Ver- dacht auf einen intrauterinen Polypen auf. Er erweiterte den Kanal mit Hülfe Hegar'scher Hartgummistifte auf 6 mm. Durchmesser, fand seinen Verdacht nicht bestätigt, dagegen trat alsbald nachher eine unerwartete Verbesserung im Befinden der Patientinnen auf, besonders was die Blutungen anbelangte, die seither aller Therapie getrotzt hatten. K. erklärt die günstige Wirkung der Erweiterung des Cervicalcanals in diesen Fällen durch den Wegfall eines offenbar vorher bestehenden mechanischen Hindernisses für den Abfluss des Blutes ; es fiel damit die Bedingung zu Uterinkoliken, stärkerer Ausdehnung der Uterüshöhle und damit Vergrösserung der blutenden Fläche weg.

K. empfiehlt, auf seine Erfahrungen gestützt, dieses Verfahren be- sonders bei Complication von Cervicalstenose und Corpus myomen. Die stumpfe Dilation ist der Spaltung mit dem Messer, wie sie von Baker- Brown, MacClintock und Nelaton in früherer Zeit geübt worden ist, vor- zuziehen, da bei ihr Blutung, sowohl als auch die bei langem und engen Canal recht beträchtliche offene Wundfläche vermieden wird. Auch vor der Anwendung von Quellmitteln verdient die stumpfe Dilatation den Vorzug.

Geburtshülfe.

Zur Wuerdigung des Creolins in der Geburtshuelfe. Minopulos, München. (Münchener Med. Wochenschr. No. 45. 1888.)

In der Münchener Gebärklinik wurden Parallel versuche mit Subli- mat und Creolinlösung gemacht. Es zeigte sich, dass die [1% ] 2% Creolinlösung dem Sublimat als Antisepticum nichts nachgab, wohl aber wegen ihrer deodorisirenden ungiftigen, nicht corrodirenden Eigen- schaften demselben vorzuziehen sei.

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Eine Erstgebuet bei multiplen Myomen der Gebaermutter. Beckler. (Münchener Med. Wochenschr. No. 47.)

Drei kleine apfelgrosse Myome an der Vorderseite des Uterus waren die Ursache zu schlechten Wehen respective zu Wehenschwäche, so dass Verf. nach 121 stündiger Geburtsdauer die Zange anwenden musste. Lebendes Kind. Manuelle Lösung der adhaerenten Placenta wegen Blu- tung. Wochenbett normal.

Geburtsverlauf nach KRASKE'scher Operation. Lihotzky. (Protokoll der K. K. Ges. d. Aerzte in Wien. Wien. Klin. Wochenschr. No. 34. 1888.)

Ein und ein halbes Jahr nachdem an der Patientin ein Rectum Car- cinom nach der sacralen Methode Kraske's exstirpirt war, wurde die- selbe vom Verf. von einem 4200 gr. schweren Kinde bei normalen Mecha- nismus ohne Dammriss entbunden.

„Aus dieser Beobachtung ist zu entnehmen, dass die eigentlich be- stimmenden Momente für die Drehung des kindlichen Schädels in den höher gelegenen Abschnitten des Beckencanales vorhanden sein müssen, und dass man den Einfluss den der Beckenausgang und Beckenboden auf diese Drehung ausübt, wahrscheinlich bisher überschätzt hat."

THe Function of the Coccyx in the Mechanism of Labor. By Henry D. Washington. (Am. Journal of Obstetrics. Dec. 1888.)

Verf. glaubt, dass das Steissbein nicht eher bei einer Geburt zurück- tritt, bis es seine Function erfüllt hat, welche darin besteht, die Stirn (bei gewöhnlicher Schädellage) zurückzuhalten, und den Hinterkopf unter die Symphyse treiben zu lassen, in andern Worten „am Becken- aufgang grossmöglichste Beugung des Kopfes hervorzubringen", ehe der Kopf durch die Weichtheile in Extension geboren wird.

A Unique Monstrosity. H. Wells Brooks, New York. (Am. Journal of

Obstetrics, Dec. 1888.) [Vide Drs. Jones and Eye, "A Contribution to Teratology" und Dr.

Wh ale y in Atlanta Med. and Surgical Journal.]

Eine Frau jetzt im 21. Jahre gehört zur Classe der Monstren : Monocephalus, Ileadelphus und ist ein Unicum.

Oben ein normaler Körper, welcher unterhalb der Taille breiter wird, mit zwei Nabeln und doppeltem Becken, von welchem 4 Beine in der- selben horizontalen und verticalen Ebene ausgehen.

Das Rückgrat theilt sich bei dem 3. Lendenwirbel, die beiden Becken sind mit ihren Ilien verwachsen. Beckenausgänge messen 2 Zoll von vorne nach hinten, und lh Zoll quer. Doppelte Schambogen, doppelte Symphysen, 2 Montes Veneris, vollständig separate doppelte äussere und innere Genitalien, 2 Blasen, 2 Ani und doppelter Darm wie hoch hinauf, unbestimmt. Die Nates sehen von unten aus wie die von 2 Indi- viduen, gehörig getheilt.

Oberhalb der Taille sind die Organe normal. Die äusseren Beine, auf denen die Frau geht, sind gut entwickelt (rechter Fuss equino- varus). Die inneren Beine kleiner, vom Nichtgebrauch atroph! rt, und unterhalb der Knie rudimentär. Defaecation und Blasenentleerung gehen auf beiden Seiten verschieden und unabhängig von einander her. Menstruation normal und zu gleicher Zeit auf beiden Seiten. Ver- heirathete sich mit 18 Jahren, und wurde ein Jahr darauf im linken Uterus geschwängert, nach 3.} Monat durch künstlichen Abort entbunden und befindet sich seitdem wohl.

The Management of extrauterine Pregnancy. A. W. Johnstone, Dan- ville, Ky. (Journal of the Amer. Med. Assoc. No. 17, 1888.)

Da die Placenta durch den Tod des Foetus durch Electrolyse in ihrem Wachsthum nicht beeinträchtigt wird, sondern höchstens durch solche

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Dosen Electricität, welche der Mutter schaden würden, da ferner die ersten Symptome der Extrauterinschwangerschaft schon Symptome der leichten Ruptur sind [wir also zu spät für Electrolyse kämen], da die Diagnose oft sehr zweifelhaft, da die Tube schon bei T uberisch Wander- schaft an und für sich krank war, da wir der Absorption des todten Ovums ferner nicht absolut sicher sein können, und später noch Keaction eintreten kann, und da wir ferner solche bedeutende Fortschritte in der Laparatomie gemacht haben, empfiehlt Verf. diese Behandlung durch berufene Hände vor allen anderen.

Zur Stickoxydul-Satjerstoffanaesthesie in der Geburtshuelfe. Ton Swiecicki, Posen. (Centralblatt für Gynaekologie, No. 43, 1888.)

Trotz der Empfehlungen von Klikowitsch, Winkel, Zweifel und anderen, konnte die N2 O+O Anaesthesie doch privatim wegen zu grosser Umständlichkeit schlecht gebraucht werden.

Verf. hat sich nun seine Gasmischung schon in einer Flasche konden- sirt herstellen lassen (4/5 N2 0+V5 O) und so sollte der Anwendung dieser „vorzüglichen Methode" des ungefährlichen Schmerzstillens in der Geburtshülfe nichts mehr im Wege stehen.

Kinderheilkunde.

Referirt von Dr. A. Seibert.

Ueber die Organveraenderungen bei der Diphtherie. Von F. Sohra- kamp, Hamburg. (Archiv f. Kindern., 1888.)

Verf. berichtet über die Befunde bei 54 Sectionen während seiner Dienstzeit als Assistenzarzt im Kinderhospital „Olgaheilanstalt" in Stuttgart. Nur Fälle von reiner D. kamen in Betracht. Croup wird als Larynxdiphtherie erwähnt.

D. der Mundschleimhaut fand sich 2 mal. Mandeln und Pharynx waren 11 mal frei von Membranen und Geschwüren. D. in Pharynx in 43 Fällen. Nasendiphtherie fand sich 11 mal und zwar nie allein, stets complicirt mit D. Processen der Nachbarorgane. Im Oesophagus fand sich D. 3 mal. In einem Fall fand sich Membran von oben bis unten. Hiermit D. der Magenschleimhaut, in Flecken und Streifen. Exsudat im Darm fand sich nie, aber Schwellung der Solitärfollikel und Peyer'- schen Plagues.

Ganz frei von Membran und irgendwelcher Entzündung fand sich der Larynx nur 3 mal. Laryngitis bestand 51 mal, 12 mal ohne, 39 mal mit Membranbildung. Trachea entzündet ohne Membran 17 mal, mit Mem- bran 35 mal.

Bronchopneumonie 36 mal. Zeigt nichts Eigenthümliches. Bron- chitis schleimig-eitriger Natur fand sich 40 mal. Dabei 31 mal Ent- zündung der umgebenden Lungenläppchen. Gelegentlich Membran in den Bronchien. Nie aber in engeren Bronchien.

Pneumonie fand sich in 31 Fällen, stets neben Bronchitis und durch , Uebergang der Entzündung von Bronchien auf das Lungengewebe ent- standen. Bei 19 dieser Pneumoniefälle fand sich Emphysen.

Pleuritis wurde in 19 F. gefunden. Zweimal metastatische lobuläre Abscesse, in heftigen, toxischen Diphtherien. Kleine Lungenblutungen, meist in Form subpleuraler Petechien fanden sich meist bei Broncho- pneumonien.

Aechte, lobäre, croupöse Pneumonie fand sich niemals. Pericarditis wurde 14 mal gefunden. Am Endocard nur gelegentlich leichte Schwel- lung und Trübung, sonst nur in 2 sehr schweren Fällen ulceröse Endo- carditis. Der Herzmuskel fand sich 17 mal diffus getrübt, 9 mal fettige

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Degeneration bei chronisch verlaufenden Fällen. Zweimal fand sich Thrombose im Herzen (neben Endocarditis). Verf. stimmt mit Henoch darin überein, dass die Herzlähmung bei D. auf Paralyse, welche vom Nervensystem direct abhängt, zurückzuführen sei.

In 15 Fällen hatte das Blut eine schmutzigbraune Färbung. In 22 Fällen zeigten sich Nierenveränderungen, die Verf. mit Fürbringer „acute infectiöse desquamative Nephritis" nennen möchte. Lympha- denitis fand sich 46 mal. Davon 12, welche auch von TutTerculose abhingen. Hautdiphtherie, von Nasenöffnungen ausgehend, fand sich 1 mal, Oberlippe und Theil der Wangen einnehmend. Ein mal D. der weibl. Genitalien. Hauthämorrhagien 4 mal.

Diphterit. Conjunctivitis wurde nicht beobachtet, trotzdem ein Kind von eczematöser Conjunctivitis litt.

Die Veränderungen in den Athmungsorganen erklärten den Eintritt des Todes in den meisten Fällen.

Ein Fall von Laryngotyphus bei einem einjaehrigen Kinde. Von Benno Levy, Warmbrunn, Schlesien. (Arch. f. Kinderheilk. 10. Bd., 2. Heft, 1888.)

Kind erkrankt nach überstandenem Pertussis an Stimmritzenkrampf. Darauf Durchfälle mit leichtem Fieber. Am 5. Tage nach Beginn der Durchfälle, hochgradige Larynxstenose. Das Fieber und die Athem- noth steigen, es treten allgemeine Krämpfe hinzu, Tracheotomie, Tod am achten Tag. Section : Markige Infiltration der Peyer'schen Plagues und der Solitärf ollikel ohne Nekrose, fibrinöses Exsudat in der Lunge, fibrinöse Infiltration der Kehlkopfschleimhaut ohne Betheiligung des Knorpelgerüstes und ohne Nekrose, Hyperylasie der Milz mit Hä- morrhagien innerhalb des Milzgewebes. Das mikroskopische Bild der Laryngitis fibrinosa zeigt eine Einlagerung von Fibrin, im Gegensatz zu der bei Diphtherie gefundenen Auflagerung. [Trotz dieser Angaben muss man an Diphtherie denken, denn ehe eine Ausschwitzung statt- findet, besteht doch wohl Schwellung und Trübung der Schleimhaut. Diphtheritische Tracheitis ohne Membran ist nicht selten. Ref.]

Heilung der pernicioesen BiERMER'schen Anaemie durch Abtreibung eines Botriocephalüs latus. Von Dr. Schopiro, Weatsch, 1887. (Ref. im Arch. f. Kindern., 10. Bd., 1888.)

Ein 13- jähr. Knabe litt an Athemnoth, Ohnmachtsanfälien, Verminde- rung rother und weisser Blutkörperchen, Knöcheloedem, Petechien unter der Haut, später an Hydrops, Anasarca faciei, häufigen Nasen - und Zahnfleichsblutungen. Der letale Ausgang wurde befürchtet. Bandwurm war konstatirt. Abtreiben mittelst Extr. filic. mar. aeth., Pulv. kamalae, Mel desp. ana 6,0. Darauf Durchfall und Erbrechen mit Fieber, welches 3 Tage anhielt. Schnelle Besserung und Heilung.

Subcutane Kochsalzinjectionen bei acuter Anaemie und Cholera- Infantum. M. Weiss, Prag. (Wien. Med. Presse, Nov. 4. und 11. 1888.)

Verf. empfiehlt das Einspritzen von 30 50 ccm. einer Kochsalz- lösung von 1,5:250 beim Collaps der Kindercholera. Die Flüssigkeit muss erst erwärmt werden. Die seitliche Thoraxwand oder der Bauch dienen als Injectionsstellen. Nach dem Durchlesen der vom Verf. berichteten 5 Krankengeschichten, von welchen 2 Fälle letal endeten, kommt man zu dem Gedanken, dass der der Kochsaslzlöung beigefügte Rum einen hervorragenden Antheil an der belebenden Wirkung der Einspritzung hatte.

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Beobachtungen bei Anwendung von Sauerstoff Einathmungen. H. Kehn, Frankfurt a. M. (Vorgetragen in der paediat. Section der 61. Versamml. deutscher Naturforscher und Aerzte zu Cöln.)

Ein Mädchen von lf Jahren, das seit einem Jahre kränkelte, hoch- gradig anaemisch war und einen bedeutenden Milztumor zeigte, dabei mässige Leber vergrösser ung, absolute Appetitlosigkeit und Verlust des Gehvermögens, mässige Oedeme der unteren Extremitäten und Ver- mehrung der weissen Blutkörperchen, wurde auf Rath vom Verf. täglich mit 15 Liter Sauerstoff (Apparat von Simonsin) behandelt. Nach 6 Wochen wesentliche Besserung der leukaemischen Erscheinungen, namentlich durch vermehrten Appetit. Der weitere Verlauf ist abzu- warten.

In einem zweiten Fall liess R bei einem 8- jährigen Knaben, der am 9. Tag einer schweren Pneumonie angelangt war, und die oft üblichen schweren Symptome (Herzschwäche, Cyanose, oberflächliche Athmung und hohe Temperatur) sehr markirt zeigte, O-Einathmungen stündlich machen. Abfall der Temperatur auf die Norm nach 24 Stunden, Heilung. Obgleich Verf. angibt, dass Pat. die Symptome der Lösung nicht zeigte, möchte Ref. doch nach den hies gen mannigfaltigen Erfahrungen mit Sauerstoffeinathmungen bei Pneumonie glauben, dass dieselben sehr selten und dann nur sehr geringen Nutzen bringen. Es handelt sich eben weniger um schlechte Luft ausserhalb der Lunge als in derselben, und namentlich um das Unvermögen tief zu athmen. H. C. Wyman (Americ. Lancet, Detroit, March, 1887) blies einem solchen Kranken mittelst eines dicken Wasserschlauches und attachirtem Blasebalg die Lunge mit kalter Luft auf. Er war gezwungen, diese sinnreiche Me- thode 5 Tage lang häufig zu wiederholen, indem die drohenden Erschei- nungen (unter anderem eine Athemfrequenz von 70, im Alter von 16 Jahren) gleich nach dem Nachlassen dieses Verfahrens wiederkehrten, wTährend dieselben sofort durch Aufblasen wesentlich gemildert wurden* Der Patient genas. Vorkommenden Falles wäre dieses Lungenauf- blasen schon ob seiner rationellen Begründung eines Versuches wTohl werth. Ref.

Die Behandlung des Keuchhustens mit Chinin, speciell mit Chinin- injectionen. Von Fervers. (Jahrbuch f. Kinderheilkunde, 28. Bd., 2. Heft., 1888.)

„Der erste therapeutische Versuch, der aus der Anschauung von dem mikroparasitären Ursprung unserer Krankheit hervorging, wurde im Jahre 1868 von Binz (Jahrbuch f. Kindern. 1868) gemacht und zwTar auf Grund seiner Entdeckung von der antimycotischen Eigenschaft des Chi- nins." Nach einem sorgfältigen Durchgehen der Literatur und zahl- reichen Ci taten, welche alle mehr oder minder günstig über diese Be- handlung des Pertussis lauten und namentlich da, wo grössere Dosen gegeben wurden, berichtet Verf. über eine Reihe von Versuchen die auf der Bonner Kinderklinik von Professor Ungar mit subcutanen Injectio- nen von Chinin-Carbamid gemacht wurden, welche Methode durch die Empfehlung derselben von Prof. Dr. A. Jacobi in New York dort bekannt worden war. Diesem Bericht nach seheinen sich diese Einspritzungen namentlich für sehr junge Kinder, und bei solchen, welche das Chinin stets erbrechen, zu eignen. Einem Kind von 5 Wochen wurden 1 bis 2 mal täglich 0,06 des Mittels eingespritzt. Heilung in 10 Tagen. Einem 4 jähr. Kind 1 bis 2 mal täglich 0,312 subcutan. Heilung in 14 Tagen. Der therap. Erfolg fängt meist schon in 2 bis 3 Tagen an bemerkbar zu werden.

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Ueber die Verdauung im Saeuglingsalter bei krankhaften Zustaen- den. Von E. Pfeiffer, Wiesbaden. (Vortrag gehalten auf der Na- turforscherversamml. 1887. Jahrb. f. Kinderh. 1888.)

Die bekannten grünen Stuhlgänge entstehen nicht durch abnorme Säureproduction wie bisher angenommen wurde. Wäre dem so, so müsste es gelingen, durch irgend eine der im Darmcanale natürl. vor- kommenden Säuren (Salzsäure, Milchsäure, Ameisensäure, Buttersäure, Essigsäure) die gelben Stühle grün zu färben. Dies gelingt aber auf keine Weise. Diese Grünfärbung erfolgt aber leicht durch sämmtliche Alealien. Die normale Eeaction des Darminhaltes ist stets sauer, je grüner der Stuhlgang aber desto schwächer die saure Eeaction. Es wurde einem völlig gesunden 3 monatlichen Brustkinde abwechselnd je 2 Tage lang eine Mixtur aus 0,5 Salzsäure, 30 Wasser u. 30. Syrup und dann 2 Tage lang eine solche aus 2,0 Natr. Bicarb., 40 Wasser und 20 Syrup, und zwar von beiden je stündl. 1 Theelöffel voll gegeben. Nach der Salzsäure blieben die Stühle stets gelb, nach dem Natr. Bicarb. ver- färbten sie sich stets grün ! [Diese Thatsachen zeigen, da alle alca- lische Flüssigkeiten der beste Nährboden für Bacterien sind, dass die bisher so sehr geübte Verabreichung derselben bei Magen- und Darm- katarrhen mehr Schaden wie Nutzen geschaffen. Bef.]

Ueber das Benzanilid in der Kinderpraxis. Von Ernst Kahn. Frank- furt a. M. (Jahrb. f Kind. 28. Bd., 1888.)

Auf der Kinderklinik in Strassburg wurden Versuche mit diesem Mittel angestellt, welche folgende Resultate hatten : Das Beüzanilid ist ein kräftiges, fieberwidriges Mittel. Die Temperatur, der Puls und die Athmungsfrequenz werden herabgesetzt. Unangenehme Nebenwirkun- gen wurden bisher nicht beobachtet. Kinder von 1 3 Jahren bedürfen 0,1 0,2 gr., solche von 4 8 Jahren 0,2 0,4 gr., ältere bis zu 0,6 gr., Beüzanilid ist £ billiger als Thallin und fast um ^ billiger denn Antipyrin.

Allerlei.

Behandlung von Ischias mit grossen Dosen von Antifebrin. Austin Fleht. (Med. Becord, Dec, 1888.) Verf. gab einem 25 jährigen Mann, der seit einem Jahr an starker Ischias litt, an zwei aufeinander fol- genden Tagen 6,0 Antifebrin mit bestem Erfolg. Am ersten Tag erhielt Pat. 3,3 Gramm binnen 4 Stunden, und am nächsten Tag 2,66 Gramm binnen 2 Stunden.

Wechselfieber bei einem Hund wurde als solches von Dr. Darling- ton, Kingsbridge, New York, erkannt und mittelst Chinin erfolgreich behandelt. Den Bericht über diesen Fall finden wir im Med. Kecord, Dtc. 1, 1888. Demnach scheinen selbst die Hunde vor der Malaria- diagnose nicht sicher zu sein.

Anti-deutsche Politik schleicht sich seit der Mackenziecontroverse auch in die medicinischen Fachblätter England's und Amerika's. So berichtet der „Med. Kecord", dass „man sage", dass jährlich 3000 4000 Pfund Caffein in Deutschland aus Theeblättern bereitet würde, welcher von britischen Zollbeamten als verdorben zurückgewiesen wurden. Wir bewundern die Technik der deutschen Fabrikanten, die aus Ver- dorbenem noch Nützliches darstellt ! Zweifellos wird das so gewonnene Caffein in England wie auch hier im festen Glauben an die Güte des deutschen Präparates gebraucht werden.

Der Phonograph in physikalischer Diagnostik. Dr. J. Mount Bleyer (New York) hofft, dass Edison's Phonograph als registrirendes Stheto-

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skop in Zukunft angewandt wird. Der Bericht über seine Unter- suchungen (Med. Eecord, Nov. 17. 1888) klingt vielversprechend. Der Phonograph soll alle Athmungs- und Herzgeräusche genau in sich auf- nehmen und bei Gelegenheit selbst vor grösserem Auditorium deutlich wiedergeben können. Man kann so interessante Fälle in der Schublade Jahre lang auf Lager halten. Studenten können ohne Patienten und ohne den bisherigen Zeitverlust eingeübt werden, ein Vortheil, dessen sich manche medicinische Schulen zu Nutzen machen können. Hoffent- lich findet der Vorschlag besseren Anklang als der von Paul Niemeyer gemachte, die Stimmgabel bei der Perkussion zu verwerthen.

Schwangerschaftseebrechen beim Mann. Wie gelegentlich die See- schlange in der Tagespresse, so spukt das sympathische Schwanger- schaftserbrechen der Ehemänner in der medicin. Literatur Amerika's. Das „New York Med. Journal" (Dec. 8. 1888) ist entrüstet, weil ein französischer Autor in der „Union Medicale" es wagte, selbst die Be- richterstattung derartiger Vorkommnisse in der Obstetrical Society of Philadelphia für „unmöglich" zu halten. Auch wir glauben mit dem „Journal", dass Frau und Mann zugleich an morning-sickness leiden können ; die Aetiologie der Fälle dürfte aber verschieden sein : Was bei der Gattin Frau Venus, besorgte wohl Bacchus beim Manne !

Aeussere Kennzeichen der Aerzte. Es hat den Neid eines Collegen im Westen erregt, dass die Geistlichen hier zu Lande bisher das alleinige Recht, „in Uniform" einherzustolziren, beanspruchten. Er meint es sei viel nöthiger einen Arzt auf der Strasse sofort als solchen zu erkennen, als einen Prediger. Die so angeregte Frage fand nicht allein schon ernsthafte Besprechungen, sondern es erfolgten auch Vorschläge bezüg^ lieh der neuen Doctorenuniform. „The Medical World" (June, 1888) fordert in einem Leitartikel „Diejenigen, welche Courage genug haben" auf, „in dieser Sache von sich hören zu lassen." Wir folgen dieser Auf- forderung, möchten aber statt der von der „World" vorgeschlagenen olivengrünen Farbe der Doctorenröcke, die graue substituirt wissen. Statt der Buchstabenbezeichnung M. D. auf dem Rockkragen, halten wir grosse tutenförmige Ohrtrichter vom selben Tuch, als weitsichtbare Wahrzeichen der Träger, für practischer, indem dieselben als verbesserte Schallfänger die Rufe der leidenden Mitmenschen dem Trommelfell des Trägers leichter zugänglich machen.

Briefkasten.

Dr. W. D W., Indianapolis, Ind., „Specialist für Haut-, Brust- und Nervenkrankheiten", Inhaber des Berliner Laboratoriums, u. s. w. Wir bitten, unseren Papierkorb mit Ihrer „Practischen Zeitschrift für Gesundheits- und Krankenpflege", zu verschonen. Wir interessiren uns weder für die darin enthaltenen populär-quacksalbernden Artikel, noch für die Rathschläge gegen Verdauungschwäche der Kühe.

Dr. Arabella Nemo. Ihre eingesandten Bemerkungen über Dr. Flint's Idealstudent sind so complicirt ausgefallen, dass wir bisher nicht im Stande waren den Sinn derselben zu diagnosticiren, wohl aber den Unsinn.

Büchertisch.

A Text-Book of Human Physiology. By Austin Flint, M. D., L. L. D. With 316 flgures in the text, and 2 plates. Fourth edition, entirely re- written. New York. D. Appleton & Company. 1888.

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Ein sehr schön ausgestattetes Werk, das den modernen Anfor- derungen vollkommen entspricht.

Lehrbuch der Pharmacognosie. Von Dr. Jos. Moeller (Prof. der Pharmacologie a. d. Universität Innsbruck). Mit 237 Abbildungen. "Wien, 1889. Alfred Hoelder. Kurz, exact und doch genau im Text, vorzüglich in der Ausstattung und von geringem Umfang, empfiehlt sich das Buch besonders für den Practiker.

The Physicians' Leysure Library (published by Geo. L. Davis, Detroit) hat folgende Zusätze erhalten : 1) The modern treatment of pleurisy and pneumonia. By G. M. Garland, M. D. 2) The infectious diseases. Vol. L and II. By Karl Liebermeister. Translated by B. P. Hurd, M. D. 3) Diseases of the Kidneys. By Dujardin-Beaumetz, M. D.

Personalien.

Unser geshaetzter Mitarbeiter Dr. Geo. W. Jacoby. Arzt an der Abtheilung für Erkrankungen des Nervensystems am Deutschen Dis- pensary und zur Zeit Präsident der Neurologieal Society, hat einen Ruf als Professor der Neurologie an der University of Vermont abgelehnt.

Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York. In der am 3. Dec. 1888 abgehaltenen Sitzung wurde Herr Dr. Garrigues zum Prä- sidenten, und Herr Dr. A. Caille zum Vice-Präsidenten erwählt.

New York Academy of Medicine. Herr Dr. A. Jacobi hat nun sein Amt als Präsident dieser bedeutendsten medicinischen Gesellschaft die- ses Landes mit Beginn des Jahres an Dr. Loomis abgetreten, ent- sprechend dem Gebrauch nicht mehr als 2 Termine zu fungiren. Wir können nicht umhin darauf hinzuweisen, dass die „Academy" unter A. Jacobi's Leitung ihre höchste Blüthe erreicht hat.

Aulforderung.

Die Collegen sind dringend gebeten der Redaction Personalnach- richten (über Todesfälle deutschamerik. Aerzte, Anstellungen derselben, Niederlassungen u. s. w.) sowie kurze Berichte über die Thätigkeit etwaiger „deutscher" Hospitäler und Kliniken zukommen zu lassen.

Ebenso wird um Zusendung von Originalbeiträgen gebeten. Unge- eignete Zuschriften werden auf Wunsch zurückgesandt. Kurze interes- sante Fälle aus der Praxis sind namentlich erwünscht.

Die Kedaction wird bestrebt sein die Beiträge aus deutsch-amerika- nischen Kreisen ausschliesslich zu liefern.

Dr. A. Seibert.

122 East 17th Street, New York.

ORIGINALARBEITEN,

L

Die Aetiologie der fibrinösen Pneumonie. *)

0

Von

Dr. A. Seibert,

New York.]

In früheren Zeiten herrschte über die Entstehung der P. keine Meinungsverschiedenheit, indem dieselbe als hervorragendstes Beispiel einer Erkältungskranklieit betrachtet wurde. Erst seit in den letzten Jahrzehnten die Aufmerksamkeit der Aerzte durch einzelne Beobachter auf endemisches und epidemisches Auftreten dieser Krankheit gerichtet wurde, seit die Pathologie anderer Krankheitsprocesse auf Infections- stoffe und deren Vermehrung im menschlichen Körper zurückgeführt werden konnte, und ausserdem die antiseptische Wundbehandlung die alte Anschauung über Entzündung und Eiterung zum Schwanken brachte, traten namhafte Autoritäten mit der Ansicht hervor, dass auch die P. eine Infectionskrankheit sei, und eröffneten so den Beigen zu einer Discussion und Bearbeitung dieser Frage, welche allein an sich eine vollständige Literatur erzeugte. Auch hier ging es wie es so häufig geht, das Kind wurde von vornherein mit dem Bade ausgeschüttet. Jürgensen's Verdienste um diese Frage sind weniger gross ob seiner Bearbeitung derselben, als ob seiner frühzeitigen Gründlichkeit mit der er die Erkältungstheorie nicht allein als Krankheitserreger selbst, sondern auch als begünstigendes Moment verwarf, indem eben die Art seines Vorgehens die Aufmerksamkeit der Aerzte und Forscher erst erregte.

Der erste Anstoss zum Zweifeln an der Erkältungstheorie wurde wohl durch die Entdeckung der Wander Pneumonien gegeben. Diese Er- krankungsform wurde zuerst von Weigand und Waldenburg 1870, später auch von Fischl und Friedreich, beschrieben. Man trug z. B. mit Recht nach der Erkältungsgelegenheit für einen zweiten pneumonischen Heerd in der rechten Lunge, während der linksseitige noch nicht ab- geheilt war, während der Patient in warmer Stube dem warmen Bett und der noch wärmeren Fiebertemperatur sorgfältig vor Zug und selbst kaltem Anhauchen geschützt lag ! War der erste Entzündungsheerd das Resultat nasser Füsse, eines kalten Trunkes, oder einer plötzlichen Abkühlung im Schweiss, und bedurfte es einer solchen Einwirkung, wodurch entstand der zweite Heerd, wenn dieses Alles sicher aus-

*) Vortrag, gehalten in der ,, Deutschen Medic. Gesellschaft von New York", am 3. Dec. 1888.

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zuschliessen war? Dem älteren Theoretiker, der in seinen Anschau- ungen grau geworderj, fiel die Deutung nicht schwer. Ein zu rasches Thüröffnen, ein aus dem Regen oder der Kälte plötzlich in's Zimmer gebrachter Besuch, ein geöffnetes Fenster, ein Ritz in der Diele oder gar ein nicht verstopftes Schlüsselloch, fanden sich leicht um als Entzün- dungserreger zu dienen. Der ärztliche Skeptiker dachte an Lungen- erysipel und ähnliche Dinge und freute sich ob der neuentdeckten Abart der Pneumonie.

Die eintägigen Pneumonien, bei denen vom Initialschüttelfrost ange- rechnet, innerhalb 24 Stunden das Fieber mit kritischem Temperatur- abfall schliesst, während die Dämpfung, das Bronchialathmen und die rostfarbigen Sputa noch einige Tage lang weiter bestehen, zuerst von Leube 1877 und später noch von Weil und Anderen beschrieben, und die zweitägigen Fälle von Traube, Wunderlich, Thomas, Ziemssen, Fismer und Baruch, schufen neues Material zum Nachdenken und Stutzig- werden. Waren alle bekannten Anzeichen der Entzündung ausser der erhöhten Temperatur noch vorhanden und verschwand diese so rasch, so konnte man das mit der alten Idee der aktiven Entzündung nicht in Einklang bringen.

Allmälich kamen statistische Berichte aus militärärztlichen Kreisen, über Soldaten im Felde und in der Garnison, Berichte über Nordpol- fahrten und den Gesundheitszustand der Theilnehmer und dergleichen einerseits, und aus Gefängnissen, Klöstern, Schulen und Pensionaten andrerseits, die alle darin übereinstimmten, dass Menschen, die häufig den strengsten Witterungsunbilden am meisten ausgesetzt sind, bei weitem weniger Gefahr laufen an P. zu erkranken, als solche, welche den grösseren Theil ihrer Zeit in geschlossenen Räumlichkeiten zubringen. Dabei sei erwähnt, dass die Morbiditätsfrequenz an P. unter den bisher in kalter, frischer Luft exponirten Menschen sich steigert, sowie die- selben mehr in geschlossenen Räumlichkeiten leben, und ganz im Ver- hältniss zu dieser Lebensweise. Im "Statistical report on the health of the British Navy for 1875" wird hervorgehoben, dass Seeleute in kreu- zenden Geschwadern, den Witterungswechseln in nassen Kleidern viel- fach ausgesetzt, viel weniger häufig an P. erkranken, als die Jungen auf den Schulschiffen, die im Winter gegen Wind und Wetter geschützt, keine Wachen thun und besser als die Matrosen beköstigt werden, aber allerdings durch Raumüberfüllung und mangelhafte Ventilation zu leiden haben. Herr Apotheker Budderbeck, der die Greely-Expedition mitmachte, berichtete mir persönlich, dass trotz anderer furchtbarer Leiden der Theilnehmer durch Hunger und Kälte auch nicht ein Mensch an Husten geschweige denn an P. erkrankt sei.

Aus den Statist. Sanitätsberichten über die k. preuss. Armee und das 13. Armeekorps geht hervor, dass frische Mannschaften, scharfes Exer- ciren, grössere Anstrengungen, schwächlichere Leute, neue feuchte Kasernen und massiges Zusammenwohnen zur Erkrankung an P. prädisponiren.

Früher nahm man an, dass meist starke, kräftige im besten Alter

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befindliche Individuen an P. erkrankten. Die moderne Statistik hat bewiesen, dass diese Anschauung gerade das Gegentheil von der Wirk- lichkeit vertrat. Schon das bisher Erwähnte zeigt, dass der menschl. Körper dann am meisten zur Erkrankung an P. disponirt, wenn er in schlechtventilirten Eäumen sich befindet, dem Contact mit frischer Luft weniger ausgesetzt» Dahl berichtet aus dem Gefängniss Akershus in Christiania, dass von 360 Gefangenen in den 5 ersten Jahresmonaten G2 Gefangene und 6 Wärter an P. erkrankten, von denen die meisten vor- her die Zimmer nie verlassen hatten. Fuckel fand nun, dass aus 225(T Fällen, die er in 20 Jahren beobachtete, ein Drittel Kinder unter 2 Jahren betraf. Kiesell, Kühn, Thomas, Moelimann und Penkert haben gefun- den, dass einerseits Kinder und andrerseits Greise mit Vorliebe an Pneumonie erkranken. Holwede und Muennik in ihrem Bericht über eine P.-Endemie unter Kindern von 1 5 Jahren geben an, dass zwei Drittel der erkrankten Kinder längere Zeit vor der Erkrankung wegen kalten Windes die Stube nicht verlassen hatten. Diese Angaben genügen wohl als Beispiele um die früheren Anschauungen bezüglich des bevor- zugten Lebensalters sowie der bevorzugten Lebensweise richtig zu stellen.

Nunmehr kamen noch andere Beobachtungen hinzu um der Aetiologie der Pneumonie auf den Grund zu gehen, nämlich das endemiscJie und epidemische Auftreten dieser Erkrankung. Es sei mir gestattet einige Berichte hier kurz zu erwähnen : Kuehn beschrieb zuerst eine Epidemie 1875, die in der Strafanstalt zu Moringen ausbrach. Die Fälle waren meist pleuro-pneumonischer Natur, häufig complicirt durch Pericarditis und zeichnete sich der Verlauf theils durch grosse Apathie und theils durch heftige Delirien der Patienten aus. Mueller berichtete 1877 die Erkrankung an P. von 3 aus 4 Bewohnern eines Häuschens und von 2 sie besuchenden Verwandten. Ritter berichtete 1877 5 Erkrankungen an P. binnen 5 Tagen in demselben Haus, und zugleich von 2 Personen die sich in dem verdächtigen Zimmer aufgehalten hatten. Bielinski er- wähnt 9 Erkrankungen aus 10 Bewohnern eines Hauses von 2 Zimmern binnen 2 Wochen. Herr sah 2 Pneumoniekranke in 1 Haus binnen 14 Tagen. Nach 5 Wochen zog ein andere Familie in die Wohnung und nach 8 Tagen erkrankte die Frau an Pneumonie. Nach Germain -See erkrankten 3 aus 5 Kindern einer Familie binnen wenigen Tagen an dieser Affection. Daly berichtete 6 Fälle aus 8 Personen eines Hauses. Patchet erzählt den Tod einer ganzen Familie binnen 2 Wochen an P., be- stehend aus 3 Brüdern und 1 Schwester, alle erwachsen. Zu den von Dahl und Kuehn berichteten Epidemien in Zuchthäusern gesellt sich vor allem die von Kerschensteiner beschriebene, die in der Strafanstalt Amberg, im Jahr 1880 beobachtet wurde. Vom Januar bis Mitte Juni erkrankten von 1150 Gefangenen 161 an P, der 46 Patienten erlagen. Com- plicationen wurden hier nicht beobachtet. Die schon erwähnte Epidemie im Dorf Ober-Sikte wurde von Holwede und Muennik beschrieben. In dem 400 Seelen haltenden Dorf erkrankten binnen 13 Tagen 50 Kinder, zwischen dem 1. und 5. Lehensjahr alt, an Pneumonie. Sonst fand sich diese Erkrankung zur Zeit nicht in der Umgebung. Penkert berichtet

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über eine Epidemie die in einem Dorf von 700 Einwohnern vom 28. März bis zum 28. Mai 42 Fälle von P. zeigte. 13 Fälle betrafen Schüler der Dorfschule, von welchen 12 in den ersten 14 Tagen erkrankten. In diesen 2 Wochen erkrankten noch 4 jüngere Kinder, alle Geschwister schon erkrankter Kinder. Vom 13 19 Mai erkrankten weitere 5 Kinder auf einem Gutsvorwerk. Von Dusch erwähnt eine P. -Epidemie die von Dr. Stockert in dem Dorfe Handschuhsheim bei Heidelberg beobachtet wurde. Vom 16. Dec. 1883 bis zum 10. April 1884 erkrankten in dem 2600 Seelen reichen Orte 42 Personen, fast 2% der Bevölkerung, an Pneu- monie, von denen 34 Kinder unter 15 Jahren waren. Drei Mal erkrankten 2 Geschwister, 1 Mal Vater und Kind, und 1 Mal das Kind und die Magd derselben Familie. Im Ganzen finden sich sieben Mal mehrfache Er- krankungen in ein und demselben Hause und zwar mit 15 Fällen. In demselben Zeitraum war in dem nahen Heidelberg die Pneunomie sehr selten. H. Schmid beobachtete 13 Fäüe vom 10. Mai bis zum 19. Juni in Zang, einem Ort von 549 Einwohnern. Es kamen dabei in einem Hause 6 Erkrankungen vor. Kuehn berichtete erst kürzlich die Erkrankung und den Tod eines bejahrten Ehepaares und ihrer Tochter an P., binnen wenigen Tagen. Die Alten schliefen in einem Bett und die Tochter pflegte sie Nachts, war aber Tag's über in ihrer eigenen Familie in einem anderen Hause.

Die meisten dieser Beobachtungen datiren aus den letzten 10 Jahren. Es wird begreiflich erscheinen, dass gleich nachdem die ersten Zweifel über die Erkältungstheorie aufgetaucht waren, Untersuchungen ange- stellt wurden theils um experimentell P. mit kalter Luft zu erzeugen (wie Haidenhain), theils um statistisch die Abhängigkeit der Pneumonie- frequenz von der Witterung zu demonstriren. Ersteres gelang nicht, letzteres nur theilweise. Masson, Juergensen, Keller, Koehnhorn, Caspar und Andere fanden, dass wenig oder gar kein Witterungseinfluss bei der Entstehung der Pneumonie sich geltend mache. Port, Senfft, Seitz, Baker und Seibert fanden das Gegentheil, und stimmten ihre Re- sultate vollkommen überein, nur differirten ihre Erklärungen. Der Grund dieses Widerspruch 's wird sofort klar wenn ich berichte, dass die ersteren Forscher mit kleinen, oft sehr kleinen Zahlen, die noch auf 7—10 Jahrgänge vertheilt waren, arbeiteten, während die erfolgreichen Herren mit grossen Sammlungen von Fällen, in kurze Zeiträume ge- drängt, hervortraten. Es ist leicht verständlich, dass eine Statistik von durchschnittlich 50 Fällen im Jahr ein anderes Aussehen haben kann, als eine von 768 Fällen in demselben Zeitraum ! Es gelang mir wohl zuerst in einer kritischen Besprechung (Berl. klin. Wochenschr. 1884), der Ar- beiten von Koehnhorn, Keller, Port u. Senfft auf diesen Umstand erfolg- reich aufmerksam zu machen.

Juergensen hatte in seinen Arbeiten betont, dass die P. mit den übrigen sogenannten Erkältungskrankheiten in keinem Zusammenhang stehe, so dass namentlich die Vertheilung der Häufigkeit der Pneumonie auf die einzelnen Jahreszeiten und Monate im Jahr der Vertheilung des Abdominaltyphus analog und der des Bronchialcatarrh entgegengesetzt

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verlaufe. Dass der Typhus aber ein wesentlich anderes zeitliches Auf- treten als die P. zeigt ist seither genugsam, namentlich aber durch die Statistiken der k. preussischen Armee, bewiesen worden. In meiner ersten, im Mai 1881 vorgetragenen, und im Januar 1882 im Amer. Journ. of the Med. Sciences publicirten Arbeit über diesen Gegenstand, konnte ich demonstriren, dass die Catarrhe des Respirationstractes und die Pneumonien ein vollkommen gleichmässiges zeitliches Auftreten haben. Seitdem angestellte Vergleiche haben diese Thatsache wieder und * wieder klargelegt, und hat namentlich Keller, der damalige Assistent von Juergensen, in dem schon erwähnten Sammelwerk (1884) auch diesen Punkt hervorgehoben, allerdings ohne mir ob meines früheren Beweises Credit zu geben.

In einer Collectivuntersuchung über diesen Gegenstand, welche auf meine Bitte hin von dem Committee für Hygiene der hiesigen County Medical Society (unter Vorsitz Dr. A. Jacobi's) vom 1. März 1884 bis zum 1. März 1885 veranstaltet wurde, und an welcher sich 46 Collegen und 4 Hospitäler betheiligten, konnten nun die früheren Angaben ergänzt und bestätigt werden, Diese Resultate waren folgende : 1) Die Entstehung der fibrinösen P. wird durch gewisse meteorologische Zu- stände sehr begünstigt, so zwar, dass dadurch der Unterschied in der Frequenz dieser Krankheit während der einzelnen Monate erklärt wird. 2) Niedrige und absteigende Temperatur, hoher und steigender Feuch- tigkeitsgehalt und starker "Wind sind jedes allein im Stande, diesen Ein- fluss auszuüben. 3) Wenn zwei dieser Wetterfactoren zusammen gefunden werden, so finden wir mehr Fälle von P., als wenn dieselben einzeln auftreten. 4) Finden sich aber obige drei Witterungsfactoren zusammen, so ist die folgende Pneumoniefrequenz ausserordentlich gross. 5) Diese Frequenz hält so lange an, wie diese Witterungs- zustände. 6) Derselbe meteorol. Einfluss wird bei der Entstehung der Catarrhe gefunden. 7) Bestehender Catarrh praedisponirt zur fibrinösen Pneumonie.

Als weitere Beiträge zur Erforschung der Aetiologie der P. müssen die Berichte über die Complicationen dieser Erkrankung betrachtet werden. Eitrige Pleuritis als Complication ist seit lange bekannt und kommt wohl am häufigsten vor. Anders verhält es sich mit Meningitis und Endocarditis. Erst in dem letzten Jahrzehnt wurde auf diese Complicationen der P. aufmerksam gemacht. Osler, Bozzolo und Colomiati berichteten wohl zuerst im Jahre 1882 über Fälle von P., welche durch Meningitis und Endocarditis komplicirt waren, und nahmen an, dass all' diese pathologischen Processe, trotz der verschie- denen Localität, auf ein und demselben Infectionsstoff beruhten. Netter beschrieb 1886 9 Fälle von „Endocardite pneumonique". Ferner Lan- cereaux und Besancon im selben Jahr. H. Meyer und Senger folgten mit ähnlichen Beobachtungen in 1887 und Weichselbaum veröffentlichte 6, und Ignatjew 10 Fälle von P. in 1888, welche theils mit Meningitis, theils mit Endocarditis oder auch beiden complicirt waren. Hieran schliesst sich noch Gamble, der über Pericarditis bei P. 1888 geschrie- ben hat.

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Hieran anknüpfend sei erwähnt, dass Weichselbaum den Friedlaender sehen Diplococcus aus den endocardialen Auflagerungen in seinen Fällen stets isoliren und züchten konnte, allerdings neben anderen Coccenarten. Emil Senger, in seinen bacteriolog. Untersuchungen über P., fand den Friedlaender'schen Organismus in allen zur Section gelangenden Fällen, und ebenfalls in den pneumonischen Metastasen (Meningitis, Pleuritis, Endocarditis, Nephritis und Pericarditis).

A. Fraenkel hat ebenfalls einen Bacillus der P. beschrieben, und hat zuweilen durch Einspritzen einer Reincultur in die Lunge Pneumonie erzeugen können. Seine Einathmungsversuche blieben erfolglos.

Von allen bis jetzt erschienenen Berichten über experimentelle P. ist der von Rudolph Emmerich zweifellos der ausführlichste und wich- tigste. Emmerich hat in der Strafanstalt Amberg, in der vorher die von Kerschensteiner beschriebene Pneumonieepidemie wüthete, die Füllung der Zwischendecken in den Schlafräumen untersucht, Diese Füllung bestand aus altem, in Verwesung übergegangenen Bauschutt anderer Häuser, dessen Wassergehalt zwischen 21 und 70 Liter pro Cubicmeter schwankte, demnach einen sehr hohen Feuchtigkeitsgehalt aufwies. Emmerich fand nun in diesem sehr nassen Schutt den von Friedlaender beschriebenen Pneumococcus in grosser Menge, isolirte denselben durch Reinculturen, und injicirte ihn mittelst einer sterilisirten Pravaz'schen Spritze in die Lungen von Mäusen und Meerschweinchen. Zweiund- dreissig so inficirte Mäuse starben sämmtlich binnen 18 32 Stunden. Die Erkrankung trat stets rasch ein. Ausgeprägte Hepatisation der Lunge fand sich in allen Fällen, ebenso fibrinöses Exsudat in den Pleura- höhlen und in demselben grosse Mengen von Kapselcoccen und Diplo- coccen. Auch seine Inhalationsversuche gelangen an weissen Mäusen, indem bei einem Experiment aus 8 Mäusen 5, und zwar 3 nach 24 36 Stunden, eine nach 2 und eine am 5. Tag, starben. Bei allen Sectionen wurden pneumonische Heerde gefunden.

Nehmen wir nun die bis dahin citirten Beobachtungen durch, so könnte man sich bei der Wanderpneumonie eine Fortleitung der Ent- zündung von einem Ort zum andern in der Lunge, vermittelt durch den Gewebszusammenhang, denken. Die klinische Erfahrung aber wider- spricht dem, denn man sieht häufiger das Auftreten neuer pneumoni- scher Heerde an entfernten Stellen der Lunge, als in dem primären Krankheitsheerd benachbarten, und nicht selten sogar in der anderen Lunge. Mir selbst steht eben ein Fall bevor, in dem ein lljähriges Mädchen mittelst Schüttelfrost und Herpes labialis an einer Pneumonie des rechten Unterlappens erkrankte, und im Verlauf von 4 Wochen noch 3 weitere pneumonische Infiltrate (beider Spitzen und links hinten unten) durchmachte, an die sich dann noch ein starker eitriger Erguss in die linke Pleura anschloss, der mittelst Operation entfernt wurde. Solche Fälle auf eine ursprüngliche Erkältung ohne Infection zurück- führen zu wollen, ist desswegen nicht thunlich, weil hierbei die gewöhn- lichsten Erkältungstheorien im Stich lassen, während durch die An- nahme eines Infectionsstoffes die entfernteren neuen Heerde einen erklärlichen Ursprung haben.

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Die centralen Pneumonien sprechen für Infection. Man hat es dabei wohl mit mehreren kleinen Heerden zu thun. Ebenso entstehen viele Fälle central, die erst nach Tagen physicalisch wandständig nachweiss- bar werden. Zwei Erklärungen hatte man unter den Anhängern der Erkältungstheorie 1) locale Kälteeinwirkung, und 2) allgemeine Ab- kühlung des Körpers. Erst kürzlich plaidirte ein College in einer Sitzung der American Medical Association für die locale Erkältungs-* entstehung der P., indem er darauf hinwies, dass die Bippen viel bessere Wärmeleiter seien als die übrige Körperbedeckung und dass sich dess- halb die Lungen leichter abkühlen könnten ! Die allgemeine Abkühlung des Körpers solle reflectorisch Pneumonie erzengen können, durch plötzliches Drängen des Blutes nach den inneren Organen. Dem möchte ich die Erfahrungen der Chirurgen bei der blutleeren Oberschenkel- amputation entgegen setzen. Wäre diese Theorie von der Blutüber- füllung correct, so müsste man nach Anwendung des Esmarch'schen Schlauches sehr häufig Lungenentzündung beobachten. Dies ist aber keineswegs der Fall, denn die durch den Schlauch bewirkte, oft bedeu- tende Erhöhung des Blutgehaltes des übrigen Körpers, hat sich als absolut harmlos erwiesen. Mechanische Hyperaemie der Lungen kann keine Pneumonie erzeugen, denn sie kommt ja sonst sehr häufig vor durch anstrengendes Laufen, Steigen u. s. w. Ausserdem müssten doch wenigstens einige mit kalten Einpackungen so vielfach behandelte Typhuskranke in Folge der reflectorischen Hyperaemie der inneren Organe Lungenentzündung bekommen haben, aber die Literatur schweigt auch hier.

Die ein- und zweltäcjigen Pneumonien sprechen für Infection. Eine Entzündung, die- ohne Fieber einige Zeit bestehen kann, entbehrt einen Hauptfactor der alten Entzündungsanschauung. Es müssen somit andere Fact^oren thätig sein, die das Infiltrat noch unterhalten.

Das endemische und epidemische Auftreten der P. beweist erstens, dass diese Erkrankung durch Infectionsstoffe hervorgerufen wird, und zweitens, dass diese Stoffe an gewissen Oertlichkeiten mit Vorliebe gedeihen, wie die mehrfachen Erkrankungen in einem Hause, in einer Stube, und in denselben Schlaf räumen mancher Anstalten. Beim genauen Durchsehen der epidemiologischen Berichte über P. finden wir nicht selten, dass die Witterung zur Zeit eine nasskcdte war, so z. B. wäh- rend der Epidemie von 59 Fällen binnen 22 Tagen in einem Ort mit 1500 Einwohnern, welche Senfft beschrieben hat. Die ungewöhnlich nasskalte Witterung, welche zur Zeit herrschte, begünstigte ohne Zweifel die Entstehung und Ausbreitung dieser Epidemie, dass sie aber nicht die alleinige Ursache derselben war, kann man daraus schliessen, dass dieselbe Witterung doch auch die benachbarten Ortschaften betraf, ohne dass dort Pneumonie entstand ! Die Berichte von Senfft, Penkert, Dusch, Holwede, Muennik und Anderen betonen diesen Punkt beson- ders. Warum erkranken die Einwohner eines Dorfes in einem kurzen Zeitraum häufig an Pneumonie, während die naheliegenden Ortschaften vollständig verschont bleiben, obgleich ihre Bewohner bezüglich ihrer

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Lebensweise und der herrschenden Witterung genau denselben Schäd- lichkeiten in genau derselben Weise ausgesetzt sind ? Desswegen, weil zur Zeit in dem erkrankten Dorf ausser den letzterwähnten Schädlich- keiten eine andere hinzugetreten ist, nämlich günstige Bedingungen zur Brütung und Verbreitung des Pneumoniegiftes ! Nach dem heutigen Stand unseres Wissens über Endemien und Epidemien von P. sind wir einfach gezwungen diese Theorie anzunehmen, sonst könnte man uns auch das Kecht streitig machen den Typhus ob der Art seines Auf- tretens als Infectionskrankheit anzusehen.

Anders verhält es sich damit, ob wir berechtigt sind anzunehmen, dass das pneumonische Gift von Einem zum Andern direct übertragbar ist. Alle bis dahin namentlich von Kuehn und Caspar gebrachten angeb- lichen Beweise sind derartig, dass andere Infectionsquellen nicht aus- geschlossen sind, namentlich diejenigen, aus denen der erst Erkrankte seinen Infectionsstoff bezog. Was man bisher gelernt hat scheint im Gegentheil darauf hinzudeuten, dass das Pneumoniegift selten von Mensch zu Mensch übertragen wird (dafür sprechen namentlich die vielen sporadischen Fälle, welchen keine anderen folgen, wie z. B. bei der Diphtherie), und mit Vorliebe seine Verbreitungsbedingungen ausserhalb des Körpers, und zwar in den Wohnungen selbst, sucht und findet. Die Berichte über mehrfache Erkrankungen in einem Haus, in einem Zimmer sprechen dafür. Mehr noch die Untersuchungen von Emmerich. Wie schon erwähnt, fand er den Friedlaender'schen Pneu- mococcus in dem Schutt der Zwischendecken der Schlafräume einer Strafanstalt, in der eine Pneumonieepidemie gewüthet hatte. In den Kitzen der Dielen und unter den Dielen sass der Schmutz, der diese Pilze züchtete. Durch häufiges Scheuern dieser Zimmer wurde der Boden häufig angefeuchtet und lieferte so eine wesentliche Bedingung zum Gedeihen des Pneumoniegiftes. Auch Mendelsohn fand, dass eine Familie von 4 Menschen in einer frischbezogenen Wohnung (die aber sehr schmutzig war) nach tüchtigem Schruppen und Scheuern der Fussr böden an P. erkrankten.

Batmanow berichtet über P. im 84. russischen Infanterieregiment. 1200 Mann wraren in einer schlechten, feuchten Kaserne placirt. Von Januar bis Mai erkrankten 103 Mann an Pneumonie. Die Erkrankungen hörten sofort nach dem Verlassen der Kaserne auf. Auch die in der Amberger Anstalt evaeuirten 100 Sträflinge entgingen der Er- krankung während der Epidemie. Die Schule, welche in der von Penkert beschriebenen Epidemie von den meisten Erkrankten besucht wurde war ebenfalls als feuchtes Gebäude bekannt.

Diese Angaben bringen uns auf einen Punkt der nicht ohne Interesse ist. In meinen Untersuchungen kam ich immer wieder zu dem Kesultat, dass feuchte Witterung die Entstehung der Pneumonie mehr begünstige als trockene. Natürlich wandte ich die Angaben über den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft an, nicht den absoluten, da letzterer fast ausschliesslich von der Temperatur bedingt wird, während ersterer das genaue Maas der wirklich in der Luft enthaltenen Feuchtigkeit im Ver- hältniss zu dem Sättigungspunkt angibt. Alle europäischen Forscher

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haben den relativen Feuchtigkeitsgehalt der Luft zu Vergleichen benutzt. Henry B. Baker, der Secretär des State Board of Health of Michigan, allein behauptet, dass die absolute Feuchtigkeit bei Ver- gleichen allein angewandt werden sollte, und hat Baker mich und die deutschen Bearbeiter dieser Frage wiederholt in seinen Berichten ange- griffen. Baker hat guten Grund seine Behauptung aufrecht zu erhalten, denn er glaubt durch die Massen seiner collectirten Fälle beweisen zu« können, dass P. durch die Einathmung trocken-kalter Luft allein her- vorgerufen werde. Es entstehe dadurch Hyperaemie, starke Aus- schwitzung von Chloriden in die Alveolen und die P. sei fertig. Warum nur pneumonische Heerde auf treten und nicht die ganze Lunge erkrankt, die doch der Schädlichkeit der trocken-kalten Luft in toto ausgesetzt ist, sagt Baker nicht, auf solche Kleinigkeiten lässt er sich nicht ein. Seine Untersuchungen bestehen nun darin, dass er die Monatsdurch- schnitte der absoluten Feuchtigkeit mit seinen Sammlungen von Pneu- monien (bei denen katarrhalische, interstitielle, fibrinöse und gemischte Formen friedlich neben einander wohnen) vergleicht. So kommt er zu dem Schluss : Je trockener der Monat desto mehr, je feuchter desto weniger Pneumonie. Das heisst in anderen Worten : Je kälter der Monat desto mehr, je wärmer desto weniger Lungenentzündung, denn die absolute Feuchtigkeit verhält sich der Temperatur gegenüber umge- kehrt proportional. Baker muss nun das Gewicht auf die absolute Feuchtigkeit legen um seiner Theorie eine Stütze zu geben. Diese Stütze, basirt auf monatlichen Summen und Mittelwerthen, ist aber ob der Unsicherheit dieser Zahlen sehr schwach, und widerspricht direct allen obigen Erfahrungen bezüglich der P. und der experimentellen Physiologie und Pathologie der Bespirationsschleimhaut. Die alte Idee von der schädlichen Trockenheit der Luft ist längst widerlegt. Herr- mann Keinhard sagt in seiner Arbeit über „Die relative Feuchtigkeit der Atmosphäre und ihre Wirkung auf den Menschen" (Arch. f. Hygiene, Bd. III., 1885): „Lufttrockenheit sagt im Allgemeinen dem Körper zu, in heissen wie in kalten Klimaten. Hohe relative Feuchtigkeit ist weit weniger zuträglich." Hann, in seiner Klimatologie sagt Seite 622 : „Kälte sowohl wie Hitze werden in der trockenen Luft viel weniger empfindlich gefühlt, als in feuchter". Die berühmtesten klimatischen Kurorte für Lungenkranke, wie z. B. Davos in der Schweiz, rühmen sich eines besonders hohen Grades von Lufttrockenheit, im Winter wie im Sommer. Colorado und Süd-Californien verdanken ihren Kuf, ein für Phthisiker günstiges Klima zu besitzen, lediglich der Trockenheit der Atmosphäre. In Aegypten und auf dem Hochplateau von Thibet ist dasselbe der Fall. Dettweiler im Taunus lässt seine Lungenkranken im Winter bei strenger Kälte nicht stundenlang, sondern tagtäglich von Morgens bis Abends wohlverpackt im Freien liegen, damit sie so viel und so lange wie möglich von der früher so schädlich geglaubten trockenen Kälte einathmen, und seine Kesultate sind nicht allein vor- züglich, sondern von einer, durch solche Therapie hervorgebrachten, Pneumonie ist weder ihm noch anderen Kurärzten je etwas bekannt

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geworden. Fodor hat nachgewiesen, dass es nicht die Trockenheit der Luft in den Schulzimmern und Häusern ist, welche das Trockensein und Kratzen im Halse bedingt, sondern der der Atmosphäre, namentlich bei sog. Luftheizung, beigemengte Staub. Die unangenehmen „trockenen" Winde gewisser tropischer und subtropischer Gegenden belästigen weniger durch die starke Verdunstung der Körperoberfläche als durch den mitgeführten Staub und Sand.

Diese Thatsachen und Beobachtungen stimmen nun alle überein, und andrerseits damit, dass die Pneumococcen nur auf feuchten Nähr- böden gedeihen und gefunden werden. Feuchte Fussböden, feuchte Zwischendecken, feuchte Wohn- und Schulhäuser und feuchte Kasernen finden wir in den Berichten. So klingt es nur selbstverständlich und ergänzend, dass P. mit Vorliebe in feucht-kalter aber sonst auch feuchter Witterung überhaupt entsteht, wie ich schon vor 7 Jahren nachgewiesen habe. Im Frühjahr kommen z. B. trotz ähnlicher Temperatur viel mehr Fälle von P. vor wie im Herbst, zweifellos desshälb, weil theils die Häuser dann noch den im Winter aufgestapelten Schmutz der Teppiche, Möbel und Dielen beherbergen, theils weil die Menschen gegen Schädlichkeiten, ob ihrer langen Einathmung von unreiner Luft in schlechtventilirten Eäumen empfindlicher sind, und theils weil der Frühling bekanntlich viel mehr Feuchtigkeit mit sich bringt als der Herbst.

Wenn P. bei Kindern und alten Leuten häufiger vorkommt als bei jugendlichen und vollkräftigen Menschen des mittleren Lebensalters, so spricht das nicht für die Erkältungstheorie. Im Alter unter 2 Jahren erkranken Kinder häufiger als ältere ; je höher das Alter der Alten desto häufiger die Pneumonie. Säuglinge werden am sorglichsten vor Abkühlungen und Zug bewahrt, und alte Leute verlassen im Winter und bei schlechtem Wetter die geheizte Stube niemals. Dass kleine Kinder oft 4 (3 Monate lang von den sorglichen Müttern nicht in's Freie gebracht werden, ist eine Thatsache die jedem Arzt bekannt ist. Trotz- dem aber die Häufigkeit dieser Erkrankung in den ersten Lebensjahren.

Warum nun erkranken Kinder und alte Leute häufiger an P. als andere Menschen ? Der Hauptgrund liegt wohl darin, dass die ersteren zwei Altersclassen der Infectionsgefahr häufiger und länger ausgesetzt sind als die mittlem ! Wodurch nun ? Etwa dadurch, dass die Gewebe 1 1 1 s Körpers im Alter und in der frühen Jugend weniger widerstands- fähig sind ? Etwa wegen grösserer Disposition ? Die Ausdrücke „Besistenzfähigkeit gegen Infection" und „Disponiren zur Infection" sind Worte, die man erfunden hat um unsere Unkenntniss zu maskiren. „Denn da wo die Begriffe fehlen, stellt wohl ein Wort zur rechten Zeit sich ein" ! Wir aber haben diese Ausdrücke hier nicht mehr nöthig.

Kinder und alte Leute halten sich meist dort auf wo das Pneumoniegift ist, im Haus, in der Stube ! Somit ist die Gelegenheit zur Infection bei diesen Menschen viel grösser als bei solchen, welche ihr Dasein mehr im Freien verbringen, denn je näher dem Infectionsstoff desto grösser die Gefahr, und je länger diese bedenkliche Nähe desto länger die Dauer dieser Gefahr,

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Als weiteren Grund für die grössere Häufigkeit der P. bei Kindern und alten Leuten möchte ich die Thatsache betrachtet wissen, dass bei ihnen der Bronchialcatarrh ebenfalls viel häufiger ist ! Schon in meiner ersten Untersuchung fand ich, dass die Catarrhe der Respirations- schleimhäute mit der P. in den einzelnen Jahreszeiten und Monaten gleichmässig auftreten und somit der Satz : „Viel Catarrhe viel Pneu- monien" lauten kann. Nun könnte man das Yerhältniss auch so deuten» dass Catarrh und Pneumonie zwar zu gleichen Zeiten mit Vorliebe ent- stehen, sonst aber einander fremd seien und weiter keine Beziehungen zu einander haben. Die Ansichten der Beobachter und Forscher sind über diesen Punkt getheilt :

Moellmann,der 944 Pneumonien in 16 Jahren beobachtete, „möchte den acuten Bronchialcatarrh als diejenige Erkrankung namhaft machen, zu der sich am häufigsten Pneumonie gesellt." Nach ihm erkranken ältere 'Leute die an chronischem Bronchialcatarrh leiden mit Vorliebe an Lungenentzündung. Waibel betont, dass er mit mir übereinstimme, und dass Bronchialcatarrh zur Pneumonie praedisponire. H. Schmid er- wähnt in seinem Bericht über die Pneumonieepidemie in Zang, dass derselben eine Masernepidemie im Monat vorher vorausging. Senfft gibt an, dass sich der von ihm erwähnten Endemie eine ausgedehnte Influenza anschloss. Auch Keller, Juergensen's Assistent, fand dass Catarrhe und Pneumonien gleichmässige Vertheilung in den einzelnen Monaten haben. Die Militärärztliche Statistik der preuss. Armee be- stätigt dieses Verhältniss ebenfalls. Port fand dasselbe Verhältniss in München. Er berichtete über 870 Pneumonien die in 8 Jahren auftraten.

Diesen Angaben gegenüber stehen die Ansichten von Kuehn und Caspar. Ersterer gibt weiter keine Gründe für seine Ideen an. Er will eine, mit Schüttelfrost und hohem Fieber entstandene Erkrankung die am nächsten Tag schon auf ein Abführmittel verschwunden ist, und einen eclamptischen Anfall an den sich eine catarrhalische Lungen- entzündung bei einem Säugling anschliesst, als pneumonische Infection aus derselben Quelle aufgefasst wissen, und nennt die Möglichkeit eines Zweifels hieran absurd. Catarrh als Hülfsmoment erkennt Kuehn nicht an. Caspar, der über blos 205 Pneumonien innerhalb von 5 Jahren beobachtet berichtete, fand keinen Witterungseinfluss auf die Häufig- keit dieser Erkrankung und will den Bronchialcatarrh als begünstigen- des Moment nicht gelten lassen. Seine Zahlen sind zu klein um von Werth zu sein und seine Beweissführung beruht wesentlich auf Citaten anderer Arbeiten (z. B. Eichhorst, Koranyi u. s. w.), in welchen das Prodromalstadium der P. als aus Allgemeinerscheinungen bestehend und nicht als Localerkrankung angeführt wird. Der Schüttelfrost ist dem Collegen nur etwas Zufälliges, Nebensächliches. Ich kann gegen die beobachteten Allgemeinerscheinungen als Prodrome der P. nur sagen, dass diese sehr häufig in einem Schnupfenfieber bestehen, andrerseits kann nicht geleugnet werden, dass diese sogenannten Pneumonieprodrome sehr oft fehlen. Ein College, der Vielen von uns bekannt war, ass Abends um 11 Uhr noch mit grösstem Appetit ein

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Käsebrod und trank mit gewohntem Behagen sein Bier dazu und erkrankte 3 Stunden später an einer schweren pneumonischen Inf ection, die lethal endete. Auch hier bestand seit Jahren Bronchialcatarrh. Da wo Prodrome berichtet wurden bestanden sie immer in mehr oder minder ausgesprochenem Catarrh der Nase und der Bronchien, begleitet von dem bekannten sogenannten Erkältungsfleber, und mir ist es durch- aus nicht zweifelhaft, dass diese Erscheinungen nicht durch das Pneu- moniegift und den Beginn seiner Thätigkeit in der Lunge, resp. dem Körper hervorgerufen wurden. Wie Kuehn die Untersuchungen Anderer über Witterungseinfluss und dergleichen grossmüthig „nicht weiter be- kritteln will" (welche Schonung wir hiermit dankend anerkennen), so macht sich Caspar über meine Annahme lustig, dass Magen- und Darmcatarrh z. B. der Entwicklung des Typhus, und der Rachencatarrh der Diphtherie'als begünstigende Vorerkrankung dienen könne, und sagt wörtlich : „So sehen wir auch die Diphtheritis meist nicht als secundäre Krankheit auf einem catarrhalisch entzündeten Gaumen entstehen." Solchen Behauptungen gegenüber ist wohl ein discretes Schweigen die beste Antwort.

Als ferneres Argument für diese Erklärung des sog. Prodromal- stadium der P. soll hier erwähnt werden, dass Senger angibt, dass Colonien von Pneumococcen nur in schon afficirten Organen gedeihen, nicht in bis dahin gesunden. Am wichtigsten aber erscheinen mir hier die Angaben Emmerich's zu sein. Seine 32 mit Pneumococcen inflcirten Mäuse erkrankten stets sehr rasch nach der Infection und starben alle binnen 18 und 32 Stunden nach derselben. Bei seinen Inhalations- versuchen starben von 5 Mäusen 3 binnen 24 und 36 Stunden nach Beginn des Versuches, und in allen Fällen fand sich pneumonische Hepatisation. Da wir nun durch klinische Erfahrung und durch Sectionsergebnisse wissen, dass es 24 36 Stunden vom Schüttelfrost angerechnet bedarf um Hepatisation bei P. zu bewerkstelligen, so ist es nach unserer heutigen Kenntniss entschieden rationell und logisch wenn wir an- nehmen, dass die fibrinöse P. durch locale Infection stets entsteht, zuerst local um sich greift, so subjectiv durch Schmerz und Hitze zur Wahrnehmung kommt und dann erst Allgemeinerscheinungen ver- ursacht, durch Gelangen des schon in der erkrankten Lunge vermehrten Infectionstoffes in den Blutkreislauf. Ferner können wir deduciren, dass die subjectiven und objectiven Symptome dieser Infection binnen wenigen Stunden nach derselben als solche auftreten, und dass also das Prodromalstadium ein sehr kurzes sein muss, wie bei der Influenza und dem Erysipel.

Als Schlussargument für meine Erklärung der Art der Entstehung dieser Erkrankung in der Lunge mache ich darauf aufmerksam, dass die P. als Complication nicht allein mit Vorliebe den Bronchialcatarrh befällt sondern auch fast ausschliesslich die Infectionskrankheiten, bei welchen Bronchialcatarrh meist vorhanden ist : Typhus, Masern und Pertussis. Die Pneumotyphen hat namentlich Wagner beschrieben, und wir Alle haben derartige Fälle gesehen. Noch gewöhnlicher ist P. bei und nach Masern und Pertussis. Umgekehrt kommt P. im Verlauf von

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Scharlach und Diphtherie selbst bei wochenlanger Dauer ebenso selten vor als bei Meningitis ! Das abgedroschene Argument der geringeren Widerstandsfähigkeit des Körpers kann hier nicht gebraucht werden, denn die letzteren Erkrankungen bringen den Körper mindestens ebenso herunter wie die ersteren. Es fehlt eben die catarrhalische Affection der Bronchien in den nicht mit P. complicirten Erkrankungen, als vor- bereitende Eröffnung der Schleimhautoberfläche die zur Aufnahme des Pneumoniegiftes durch die Athmung nöthig ist, wie die Hautläsion zum Zustandekommen eines Erysipels.

Wie nun aber verträgt sich diese Anschauung mit meinen früheren Resultaten bezüglich der Witterung und der Lungenentzündung ? Ganz gut. Je kälter der Monat desto mehr Pneumonien und umgekehrt, denn desto fester werden Thüren und Fenster geschlossen gehalten, desto heisser die Wohn- und Schlafstube, desto emsiger die Entwick- lung der Pneumoniekeime einerseits, und desto mehr Bronchialcatarrh andererseits. Ebenso mit der Luftfeuchtigkeit und den starken Winden ! Sind alle drei dieser Factoren zusammen, ist es kalt, feucht windig zugleich so blüht der Catarrh und die Pneumonie (bei grosssen Zahlen allerdings nur nachweissbar), sind nur 2 oder gar nur einer dieser Zustände vorhanden, so ist das weniger der Fall. Wir müssen nicht vergessen, dass die Witterung nicht allein eine directe Wirkung auf den Körper hat, sondern auch eine noch weit grössere indirecte auf unsere ganze Lebensweise. Wir bauen unsere Häuser entsprechend der Witterung. Wir öffnen die Fenster im Sommer und schliessen sie im Winter. Maltraitiren wir unseren Magen und Darm in warmen Tagen mit zu viel Getränk von oft zweifelhafter Güte, labt sich das Prolätariat namentlich dann mit halbfaulem Obst und Gemüse und entstehen dann Cholera morbus, Dysenterie und Typhus mit Vorliebe, so athmen doch die Menschen in den Zeiten reinere Luft als im Winter, und entgehen so den Infectionskeimen, die die Athmungsorgane belästigen. Kommt aber die kältere Jahreszeit, dann kann man bei grossen Statistiken mit Leich- tigkeit die Wirkung einiger herbstlichen Regentage sofort an der grösseren Anzahl Catarrhen und Pneumonien erkennen, denn die Menschen haben ihre Fenster geschlossen und hocken in kleinen über- heitzten Räumen zusammen und athmen schlechte Luft ein. Die Pneu- moniecurve, die in allen gemässigten Climaten gleich ist, zeigt dass im April und selbst Mai stets mehr Pneumonie vorkommt als im October und November, trotz gleicher Witterung. Das kommt daher, dass man im Frühling vor der feuchten Luft Angst hat und die Fenster noch zu behält, so dass das Pneumoniegift sich noch immer mehr und mehr anhäufen kann und so auch merkwürdig viele Opfer fordert. Da kommt mit einem Mal der Juni mit seinen warmen Nächten und die Stuben bleiben permanent gelüftet, die Catarrhe schwinden und der Pneumo- coccus kommt nicht mehr zur Geltung !

Die fibrinöse P. ist eine infectiöse Localerkrankung mit mehr oder minder ausgeprägten Allgemeinerscheinungen, deren Entstehung durch Bronchialcatarrh im Körper, schlechte Ventilation der Räume, feuchte Wohnungen und feuchte kalte Witterung wesentlich begünstigt wird.

II.

Die Therapie der fibrinösen Pneumonie,*)

Von

Dr. Leonard Weber,

New York.

M. H. ! Wie Jürgensen auf dem Congress für innere Medicin vom v J ahre 1884 treffend bemerkte, liegt die Zeit noch nicht lange hinter uns, in welcher die Lehre von der genuinen Pneumonie als nahezu abgeschlossen, diese Krankheit als eine der am genauesten bekannten galt. Das Wesen des Leidens eine örtliche Entzündung ; der Bedeutung des ergriffenen Organs entsprechend eine mit schwerem Fieber verlaufende Eück- wirkung auf den Gesammtkörper ; die Entstehungsursache Erkäl- tung, die Behandlung Antiphlogose, an deren Spitze die Blutent- ziehung. Auf diese Anschauung hin habe ich in meinen Knabenjahren unsern Hausarzt Dutzende von Pneumoniefällen mit ziemlichem Glücke behandeln sehen. Im Laufe meiner Praxis habe ich in 2 Fällen von Pneumonia duplex bei Erwachsenen den Aderlass gemacht, beide Fälle kamen durch ; in einem dritten Falle derselben Sorte entspann sich eine längere Debatte bei der Consultation über das Für und Wider des Ader- lasses, der Patient erstickte ehe wir zum endgültigen Entschluss kamen. Wenn Sie nun glauben möchten, dass ich mit diesen Worten eine Lanze für den Gebrauch der Lanzette bei der Pneumoniebehandlung zu brechen gedenke, so wären Sie auf dem Irrwege. Nur das will ich durch Erfahrung gelernt haben, dass es auch heute noch Fälle von typischer Pneumonie gibt, bei welcher schon in den ersten Tagen der Krankheit die Stauungserscheinungen im kleinen Kreislauf so bedenklich werden können, dass es angezeigt ist, denselben durch die Venaesection zu entlasten.

Es wird nämlich sofort klar, dass wir eine Therapie der Pneumonie noch nicht haben, weil wir kein Mittel kennen, welches einen spezifischen Einfluss auf die Krankheit auszuüben vermöchte. Vielleicht wird der glückliche Fund eines Tages gemacht, aber lassen Sie uns bis dahin keine directe Behandlung der Pneumonie mehr üben. Die Pneumonie ist eine gefährliche Krankheit, sie fordert nach der Tuberculose und dem Typhus die zahlreichsten Opfer, und wir haben nach unseren heu- tigen Anschauungen kein Hecht mehr, mit Digitalis oder Veratrum viride, Tartarus stibiatus, Calomel, oder anderen energisch wirkenden Mitteln einen Angriffskrieg in Scene zu setzen, weil der Kranke gestern

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 3. December 1888.

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eine Pneumonie bekommen hat. Wir behandeln nicht die Pneu- monie, sondern den an Pneumonie erkrankten Menschen, und für ihn muss unsere Therapie eben eine expectativ-symptomatische sein. Dass dieselbe nicht damit erschöpft ist, dass wir bei unserer Morgenvisite den Puls zählen und die Körpertemperatur messen und uns am nächsten Tage erkundigen, ob Patient noch lebt, wissen wir practischen Aerzte ebenso gut, als wir uns bewusst sind, durch ein» kräftig und sicher geleitetes symptomatisches Verfahren manchem Pneumoniker schätzbare Hülfe geleistet zu haben. Für unser therapeu- tisches Handeln und ganz besonders auch für die Prognose von beson- derer Wichtigkeit ist die Unterscheidung der verschiedenen Formen der Pneumonie ; und muss ich hier einen kleinen Streifzug auf dieses Gebiet unternehmen, wenn ich meiner heutigen Aufgabe einigermassen gerecht werden soll. Dass unter dem Gesammtnamen der acuten fibrinösen Pneumonie mehrere aetiologisch untereinander verschiedene und von specifisch verschiedenen Mikroorganismen abhängige Krankheiten zu- sammengefasst werden, erscheint sehr wahrscheinlich. Eine weitere Untersuchung dieser Krankheitserreger und die Vergleichung der durch die einzelnen hervorgerufenen Störungen wird wohl allmählig dahin führen, dass man mehrere specifisch verschiedene Arten der Pneumonie unterscheiden und klinisch genauer präcisiren kann. Heute ist dies nicht möglich, und wir müssen uns desshalb damit begnügen, statt der Unterscheidung verschiedener Arten vorläufig nur verschiedene Formen der Krankheit festzustellen. Die Verschiedenheit der Formen der Pneumonie muss zum Theil auf der Verschiedenheit der Krankheits- erreger, zum Theil aber auch auf besonderen Eigenthümlichkeiten der Individuen beruhen, welche von der Krankheit befallen werden ; und die zwei Hauptformen, deren Therapie wir heute Abend ausschliesslich debattiren wollen, sind : Die typische oder einfache Pneumonie, auch als sthenische bezeichnet. Sie ist klinisch characterisirt durch schnelles Steigen der Temperatur im Beginn, mässige Febris continua und schnelles Sinken der Temperatur am 4. bis 7. Tage, ferner durch schnelle Entwicklung der Hepatisation, die gewöhnlich schon nach 12-36 Stunden deutlich nachweisbar ist, und endlich durch einen relativ günstigen Ver- lauf. Diese typische Form ist zu manchen Zeiten und an manchen Orten die vorherrschende gewesen ; in den ersten Jahren meiner Praxis hier den 60er Jahren habe ich eine ganze Keine solcher Fälle ge- sehen, ganz sicher viel mehr als in den letzten 15 Jahren, in welchen die atypische, asthenische Form der Pneumonie die Mehrzahl der Fälle bildet. Darin, in der ungünstigen Form dürfen wir denn auch den Grund der wachsenden Mortalitätsziffer der Pneumonie viel eher suchen, als in unserem ungenügenden therapeutischen Können.

Die atypische oder asthenische Pneumonie umfasst auch einen Theil der Zustände, welche als typhöse oder biliöse und maligne Pneumonie bezeichnet zu werden pflegen. Sie beginnt häufig langsam, mit einem mehrtägigen Prodromalstadium ; der Kranke ist, wenn er den Beginn der Krankheit angeben soll, nicht selten um einige Tage im Zweifel. Die

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Temperatur steigt im Verlaufe mehrerer Tage in Absätzen an, erreicht aber eine bedeutende Höhe 104,0 und darüber. Dem langsameren Steigen entsprechend kommt ausgebildeter Schüttelfrost selten vor, häufiger dagegen bei einem oder mehreren Ansätzen ein leichterer Frostanfall. Das Fieber hat gewöhnlich eine längere Dauer, es geht nicht leicht vor dem 7. Tage zu Ende ; der Abfall ist seltener ein einfach kritischer, gewöhnlich erfolgt er in mehreren Absätzen oder erstreckt sich in Form der Lysis über eine längere Reihe von Tagen. Das All- gemeinbefinden ist während der Dauer der Krankheit viel schwerer gestört, schwere Gehirnerscheinungen sind nicht selten ; in vielen Fällen entwickelt sich ein ausgesprochener Status typhosus. Die Puls- frequenz ist gewöhnlich vom Anfang an bedeutend gesteigert, Herz- schwäche und Herzparalyse kommen leicht zu Stande. Anatomisch ist die langsame Ausbildung der Infiltration des Lungengewebes charac- teristisch, es kommt häufig vor, dass man am 3. oder 4. Krankheitstage noch nicht im Stande ist, mit Sicherheit die Stelle und Ausdehnung der Lungenaffection anzugeben ; die Infiltration bleibt überhaupt im Anfang mehr diffus, besteht häufig aus mehrfachen Herden, ist dessbalb häufiger doppelseitig. In der Regel ist oft sehr bedeutende MHzver- grösserung deutlich vorhanden, pleuri tische Exsudate, bald in Eiterung übergehend, begleiten den Process nicht selten. Auch andere Complica- tionen kommen häufiger vor, wie Nierenaffectionen, Icterus, Magen- und Darmcatarrhe, zuweilen auch Pericarditis, Endocarditis und Meningitis. Die Prognose ist beträchtlich ungünstiger als bei der typischen Form.

Halten wir nun daran fest, dass seit der Mitte unseres Jahrhunderts die asthenische Pneumonie angefangen hat, an vielen Orten die vor- herrschende Form zu werden, so erscheint es sehr wahrscheinlich, dass der früher angewandte Aderlass nicht eben als eine therapeutische Modethorheit geübt und bei Seite gelegt wurde, sondern dass die Ab- nahme der Anwendung des Aderlassens zusammenfällt mit einer Aenderung des Krankheitstypus, welche etwa um die Mitte des Jahr- hunderts stattgefunden hat. Die Arbeiten Diehl's und anderer vorzüg- licher Männer der Wiener- Prager Schule haben wesentlich zur besseren Beobachtung und dem wichtigeren Verständniss der Sache unter den practischen Aerzten mitgewirkt.

Mit Rücksicht auf die Prophylaxe brauche ich nur auf die Aus- führungen des Herrn Vorredners hinzuweisen, um es klar zu machen, dass zur Verhütung der Pneumonie, die ja nicht selten als Hauskrankheit auftritt, eine umsichtige Wohnungshygiene von grösster Wichtigkeit ist Reine Luft, reines Trinkwasser und gesunden Boden verlangt Hippo- krates als die Basis gesuuder Existenz- und wir brauchen heute kaum mehr zu fordern. Dass Erkältung Katarrh der Luftwege her- vorruft und so einen günstigen Boden für die Invasion der Pneumonie schaffen kann, lässt sich nicht in Abrede stellen. Es wird desshalb gerathen sein, dass wir in den Monaten, in welchen es viele Pneumonien gibt, der Pflege und Behandlung der Bronchialkatarrhe mehr Aufmerk- samkeit als sonst schenken.

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In der exspectativ-symptomatischen Behandlung der Pneumonie sind es 3 Hauptmomente, auf welche wir unsere Aufmerksamkeit zu richten haben, um uns am Krankenbette rasch zurecht zu finden : die allgemeine Infection, die Beeinträchtigung des Herzens und die Insuffi- cienz der Lungen. Das Ueberwiegen des einen oder anderen Momentes gibt dem Einzelfall sein characteristisches Gepräge, und der grosse Wechsel der Erscheinungen, welchen die atypische, die adynamische* Pneumonie darbietet, ist in der Allgemeinerkrankung begründet, wie ich glaube.

Zur Beseitigung der allgemeinen Infection sowohl als der Infiltration des Lungengewebes können wir direct nichts thun ; bleiben also zur Abwendung der Gefahr noch zwei Indicationen zu erfüllen, nämlich erstens, das Fieber so in Schranken zu halten, dass dasselbe nicht läh- mend auf das Herz wirken kann, und zweitens, das Herz möglichst lange leistungsfähig zu erhalten. Der ersten Indication entspricht die anti- pyretische Behandlung, der zweiten die roborirende, stimulirende oder excitirende Behandlung.

Die klinische Erfahrung hat uns seit einer Keine von Jahren schon gelehrt, dass es mit einer Temperatur von 102,5 und etwas darüber in acuten fieberhaften Krankheiten, wenn dieselbe nur nicht zu lange an- dauert, um den Patienten nicht so schlimm bestellt ist, als wohl Manche meinten. Wir haben es desshalb mit den heroischen Dosen der Antipy- retiker vom Anfang der Krankheit an nicht mehr so eilig gehabt. Die Beobachtung am Krankenbette scheint denn auch die wissenschaftliche Bestätigung zu erhalten, insofern als in der jüngsten Zeit nachgewiesen wird, dass der Untergang der pathogenen Pilze durch die Fiebertempe- ratur herbeigeführt wird. In allerdings beschränktem Sinne kommt der Satz der Alten wieder zur Geltung : Das Fieber ist ein Heilmittel der Natur.

Um das Fieber in Schranken zu halten resp. um excessive Tempe- raturen herabzudrücken, haben wir in erster Linie die kühlen und kalten Bäder, welche von den bekannten deutschen Klinikern systematisch und mit zweifellos guten Erfolgen in Anwendung gezogen wurden. Leider kann ich Ihnen darüber keine persönlichen Erfahrungen mit- theilen, indem ich mit dem Versuch der Verwendung derselben in der Privatpraxis auf unbesiegbare Vorurtheile und Hindernisse gestossen bin, soweit die Pneumonie in Betracht kommt. Bei Typhoid und andern Krankheiten habe ich von kühlen Bädern und feuchten Einpackungen ganz gute Erfolge zu verzeichnen, nur möchte ich die Wirkung derselben nicht in der verhältnissmässig unbedeutenden Wärmeentziehung sondern in der Stimulation und Excitation des Nerven- und Gefässsystems setzen.

In der früheren Periode meiner Praxis habe ich Chinin nach Lieber- meister und Digitalis nach Traube häufig angewandt, und mit zu- friedenstellenden Kesultaten.

Chinin wird man in der Dosis von gr. xv xxx per os, oder als bisulfuri- cum in Lösung von gr. xv, per rectum geben, und zwar in den Nachmittagstunden, damit die Wirkung, die nach etwa 8 12 Stunden

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am stärksten zu sein pflegt, hauptsächlich auf die Zeit nach Mitter- nacht fallet

Die Digitalis, welche bis vor nicht langer Zeit als eine Art von Surrogat für den Aderlass galt, gibt man als Inf usum von gr. xv xxx auf 1 vii mit 3 i 1 ü Natr. oder Kai. nitricum 2 stündlich 1 Esslöffel voll. Dass ich manchem Pneumoniker, der mit hohem Fieber und raschem kleinen Pulse schwer darniederlag, mit dieser Verordnung über die Gefahr der Krankheit hinweggeholfen habe, weiss ich aus meiner und anderer Collegen Praxis ; habe auch das Mittel keineswegs aufgegeben, weil es mir scheint, dass die Digitalis ausser ihrer antipyretischen Wirkung von Traube nachgewiesen auch noch auf die Exsudation in den Lungen einen Einfluss ausüben könnte. Der Tactarus stibiatus, der von den französischen Aerzten noch vielfach angewendet wird, ist neuerdings von Mosler auf Grund seiner Erfahrungen anempholen worden. Derselbe verordnet gr. ii gr. iv auf § vii 1—2 stündlich 1 Esslöffel voll. Ich habe damit keine Versuche gemacht, und verweise die Collegen, welche sich dafür interessiren, auf Mosler's Mittheilungen in der Deutschen Med. Woch. 1888, No. 47.

Wo es mir in den letzten Jahren darauf ankam, die Temperatur rasch und sicher herunter zu bringen, verordnete ich Antipyrin in einer Ge- sammtdosis von circa gr. 45 nachdem ich mich überzeugt, dass der Herz- schlag noch gut und kräftig ; und zwar gr. xv stündlich bis eine genügende Eemission begonnen hat. In 2 Fällen von Pneumonie bei Erwachsenen mit ausserordentlich hoch ansteigendem Fieber schien es mir eine geradezu lebensrettende Wirkung gehabt zu haben. In ähn- licher Weise kann man das Antifebrin geben in einer Gesammtdosis von gr. xvi, welche in Einzeldosen von gr. iv auf mehrere Stunden ver- theilt wird.

Die stimulirende Behandlung wird zunächst darauf ausgehen, die Herzkraft zu erhalten. Man bringt den Kranken in möglichst günstige äussere Verhältnisse und ordnet eine sorgfältige Ernährung desselben an. Besonders wichtig für diesen Zweck sind die Alcoholica, die schon früher von Todd u. A. in grosser Ausdehnung angewandt worden waren, und denen hauptsächlich durch Jürgensen der ihnen zukommende Platz bei der Behandlung der Pneumonie wieder zugewiesen wurde. Der Alcohol, in passender Form und Dosis dargereicht, wird leicht auf- genommen, ohne dass dabei eine besondere Arbeit des Verdauungs- apparates in Anspruch genommen würde. Liebermeister und Jürgensen präcisiren die Sache so : „Der Alcohol hat zunächst eine Bedeutung als Sparmittel, indem unter seiner Einwirkung der Gesammtstoffumsatz beschränkt wird ; und dementsprechend wird auch durch Alcohol beim Fieberkranken die Körpertemperatur etwas herabgesetzt.

Er hat aber ausserdem, da er im Körper oxydirt wird, einen gewissen Nährwerth, der von grosser Bedeutung werden kann, wenn im Uebrigen die Nahrungsaufnahme erschwert ist. Sodann aber ist der Alcohol in passender Dosis und Concentration eines der wirksamsten Reizmittel für das Herz ; dasselbe kann dadurch für einige Zeit zu einer ungewöhn-

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lieh grossen Leistung angetrieben und befähigt werden. In der That gelingt es durch umsichtige Anwendung der Alcoholica das Herz in vielen Fällen so lange leistungsfähig zu erhalten, als es für das Ueber- stehen der Krankheit erforderlich ist. Bei der Anwendung muss in sorgfältiger Weise individualisirt und namentlich die bisherige Gewöh- nung des Kranken berücksichtigt werden. Bei Gewohnheitstrinkern sind von Anfang an grössere Mengen erforderlich. Im Allgemeinen gebe ich gewöhnlich kleine Portionen Wein mit der Nahrung von Beginn der Erkrankung an, da es den Appetit und die Verdauung zu fördern scheint, auch wenn keine Symptome der Asthenie vorhanden sind. So- bald sie sich zeigen, der Puls auf 120 und darüber geht, so müssen grössere Quantitäten gegeben werden, 6 8 Unzen Brandy oder Whiskey binnen 24 Stunden und noch viel mehr, wenn die asthenischen Symp- tome persistiren. Auch beim Gebrauch der Wärmeentziehungen und der Antipyretica ist es rathsam zuweilen zugleich Stimulantien zu geben, um zu verhüten, dass das bisher unter dem Reiz der hohen Temperatur arbeitende Herz nicht beim Sinken der Temperatur vor- übergehend in seiner Thätigkeit nachlasse.

Von Excitantien zur Anregung der ermattenden Herzthätigkeit kommen zumeist Camphor, Aether und Moschus in Betracht. Camphor gr. 15 30 pro die in Emulsion oder Pulver oder Oleum camphoratum gr. x xv subcutan 2 3 mal in 24 Stunden. Aether, eine Pravaz'sche Spritze voll 5 6 mal täglich. Am meisten Erfahrung habe ich nach der Richtung mit Moschus, gr. 2 5 alle 2 3 Stunden, bis die gefahrdrohen- den Symptome beseitigt sind. Daneben habe ich, vorzüglich bei alten Leuten, Sauerstoffinhalationen gelegentlich in Anwendung gebracht, und glaube mit dieser Combination von Moschus in grossen Dosen, O-Inhalationen und der nöthigen Menge Cognac in einigen sehr bedenk- lichen Fällen das Leben gerettet zu haben. In der Kinderpraxis habe ich von der Anwendung heisser Senfbäder ausgezeichnete Erfolge gesehen, und darüber meine Erfahrungen in einer Abhandlung im Amer. Journal of Obstetrics and Diseases of Women and Children, April 1878, publicirt. Wenn es nun nicht gelungen ist, durch eine stimu- lirende Behandlung das Auftreten von Lungenoedem zu verhüten, und wenn sie bei den ersten Anzeichen desselben die Anwendung stärkerer Excitantien nicht sofort Erfolg hat, so bleibt als einziges Mittel, welches den tödtlichen Ausgang noch hinausschieben kann, der Aderlass übrig, wie schon oben erwähnt. Eine Blutentziehung von circa 8 Unzen dürfte genügen, um die passive Ausdehnung des rechten Ventrikels zu beseitigen und dem Herzen die Fähigkeit besserer Con- traction zu verschaffen. Freilich wird dadurch nur ein Aufschub erreicht ; aber ein solcher Aufschub ist bei einer Krankheit, bei welcher von einem zum anderen Tage eine günstige Wendung erhofft werden kann möglicherweise lebensrettend.

Ausserdem hat man den Aderlass bei bedrohlichen Gehirnerschei- nungen für indicirt erklärt ; die werden jedoch am besten durch Anti- .pyretica bekämpft. Oertliche Blutentziehungen haben zwar auf den

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Verlauf des entzündlichen Processen keinen Einfluss, aber die von der Entzündung abhängigen Schmerzen werden dadurch ziemlich sicher gelindert. Ob man gegen heftiges, und ausgiebiges Athmen behindern- des Seitenstechen örtliche Blutentziehungen oder eine Morphium- einspritzung oder den Niemeyer'schen feuchten Umschlag anwenden will, hängt von den besonderen Umständen des Falles ab. Ist der Hustenreiz sehr heftig, hustet der Kranke mehr als zur Bewerkstelli- gung des Auswurfs nöthig erscheint, so ist es zweckmässig, kleine Dosen Morphium zu geben, oder Opium mit Sulphur acet. Ammonii. Ueber-t haupt empfiehlt es sich bei besonders unruhigen Patienten 1 2 mal täglich ein Opiat, etwa gr. v pulv. Dow. zu verabreichen.

Liebermeister spricht sich günstig über Brechmittel bei Tracheal- rasseln aus und räth, wo die Schleimansammlung Erstickungsgefahr herbeiführt, von der bekannten Schüttelmixtur von Tart. stib. Ipecac. und Oxymel. Scillae alle 10 Minuten 1 Esslöffel voll bis zur Wirkung zu reichen. Hier möchte ich erwähnen, dass man ein prompt und sicher wirkendes Brechmittel mit Hülfe des in jedem Haushalt vorhandenen Senfmehles augenblicklich herstellen kann. Etwa 1 Theelöffel des- selben wird in einem Glas warmen Wassers verrührt, und diese Mischung ganz oder zur Hälfte getrunken. Das Erbrechen erfolgt sofort, und Collapserscheinungen habe ich danach niemals beobachtet.

Fasse ich nun zum Schluss das ganze therapeutische Rüstzeug in den engsten Bahmen, so brauche ich zur Behandlung der Pneumonie, ausser guter Wartung, Ernährung und frischer Luft, zunächst nur den Alcohol in mässigen Dosen. Den will ich für meine Patienten haben, weil ich nicht weiss und Niemand kann es wissen ob der typische Fall nicht atypisch verlaufen wird. Zur Bekämpfung zuhohen Fiebers Antipyrin oder Chinin, bei drohender Herzschwäche am liebsten Moschus und zur Abwehr gegen das Lungenoedem den Aderlass.

III.

Ueber die mechanischen Verhältnisse bei der Entstehung

der Pneumonie.*)

Von

Dr. S. J. Meltzer,

New York.

Meine Herren ! Im Anschlüsse an die Discussion des Vortrages von Herrn Seibert, über die Aetiologie der Pneumonie, möchte ich auf ein mechanisches Moment hinweisen, das bei der Entstehung der Pneu- monie eine Rolle spielen dürfte, ein Moment, das, soweit ich sehen kann, noch nicht in Betracht gezogen worden ist. Man ist wohl jetzt einig, dass die Pneumonie durch Infection entsteht ; man ist wohl auch darüber einig, dass das inflcirende Agens (Friedlaender' sehe Bacillen, oder Frankel- Weichselbaum' 'sehe Coccen, oder noch sonst was) weitaus am meisten durch die Luftwege in die Lungenalveolen gelange. Aber wie ? Wird so ein Microorganismus direct aus der Luft in die Alveolen hineingeathmet ? Das ist mir sehr unwahrscheinlich. Der erste Ab- schnitt der Athmungswege ähnelt ja einer knieförmig gebogenen Röhre, wie die (nach Pasteur's Vorgang) zur Behinderung des Eintrittes von Luft- keimen benutzt wird. Dasselbe Verhältniss waltet ferner ob bei den unzähligen Bronchien, die bei der Theilung stets von ihrer vorherigen Richtung abweichen, wodurch der Weg zu den Alveolen ein mehrfach gekrümmter und geschlängelter sein muss ! Ich stelle mir vielmehr vor, dass die erste Landung der Microorganismen im Munde und im Pharynx stattfindet. Sind doch die FränkeVschen Coccen im Verlaufe von Pneumonie in der That im Munde vorgefunden worden ! Von da aus mögen sie oft durch fernere starke Inspirationen, oder auch durch gelegentliches „Verschlucken", noch weiter gebracht worden sein, etwa in die Trachea oder gar in die Bronchien. Die meisten mögen vielleicht zurückgeworfen worden sein durch Husten, oder auch durch die Flimmerepithelien, deren Wimperbewegung nach aussen hin gerichtet ist. Ist in den Bronchien Schleim vorhanden, dann bleiben die infi- cirenden Keime eher haften. In diesem Falle wird eine starke Inspiration sie gelegentlich weiter befördern auch bis in die Bronchioli hinein. Vielleicht wird schon manchmal ein blosses Hinunterfliessen des Secretes sie dahin bringen. Werden sie aber durch dieselben Mittel auch in die Alveolen gebracht ? Da ist eben der Punct, wo ich einsetzen will. Ich denke : Nein. Die Bronchioli haben einen äusserst geringen Durch- messer, ihre Lumina sind noch kleiner, auch theilen sich die Bronchioli noch weiter, bevor sie in die Alveolen übergehen. Wenn nun ein

*) Zur Discussion über die Aetiologie der Pneumonie.

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Microorganismus, von einer noch so winzigen Menge Secretes umgeben, in einen Bronchiolus hin eingelangt, so wird Letzterer ganz obturirt und der Microorganismus wird daselbst durch Capillarität zurückgehalten. Nicht nur wird er nicht von selbst hinunterfliessen, sondern auch eine Inspiration, und sogar eine starke, wird, meiner Meinung nach, sehr oft nicht im Stande sein, das Klümpchen in den Alveolus hinunterzutreiben. Die Kraft, die bei der Inspiration ausreicht, um die Lungen elasticität zu überwinden, kann eben nicht ausreichen, um Elasticität und Capillarität zu bewältigen ! Dazu ist eine besondere Kraft nöthig, die in der Eich- tung von den Bronchien nach den Alveolen treibt und vielleicht bei dem verstopften Bronchiolus sich gerade besonders wirksam zeigt. Und eine solche Kraft, meine Herren, ist, meiner Meinung nach, während des Hustens vorhanden ! Der Athmungsreflex, den wir „Husten" nennen, zerfällt in verschiedene Phasen. Zuerst kommt eine tiefe Inspiration, darauf folgt ein Verschluss der Glottis, dann eine energische active Exspiration, wodurch der Druck innerhalb der Bronchien bedeutend gesteigert, bis der Glottisverschluss überwunden und durchbrochen wird. Dieser bedeutend gesteigerte intrabronchielle Druck, der schliesslich den Glottisverschluss sprengt, ist es, der auch den Pfropf in dem Bronchiolus in die entsprechenden Alveolen treibt. Der erhöhte Druck pflanzt sich überall (mit Ausnahme der vorderen und unteren Fläche) nach der Peripherie fort, und somit auch nach allen Alveolen ; aber gerade bei dem verstopften Bronchiolus zeigt er sich besonders wirksam, weil die entsprechenden Alveolen bei der Inspiration keine Luft erhalten haben und somit jetzt den Ort des geringsten Druckes darstellen, wohin der gesteigerte intrabronchielle Druck am ehesten ausweicht und den Pfropf mit hineinreisst. Dies gilt um so mehr, wenn der Pfropf längere Zeit stecken blieb, weil die Kesidualluft dahinter resorbirt wird und die Alveolen fast atelectatisch geworden sind. Somit möchte ich dem Husten eine ansehnliche Bolle beim Zustande- kommen einer Pneumonie zuweisen, dem Husten, der ein hervor- ragendes constantes Symptom bei Bronchitis darstellt ! Sollte nicht der Husten, wenn nicht das Bindeglied, so doch vielleicht eines der Binde- glieder zwischen Bronchitis und Pneumonie sein ? Jeder Arzt, der eine grössere Anzahl Pneumonieen gesehen hat, weiss, dass die Mehrzahl der- selben im Verlaufe einer Bronchitis auftreten. Die vorherrschenden Erklärungen für diese Beziehung hat Ihnen Herr Dr. Seibert in seinem Vortrage ausführlich dargelegt. Ich will sie durchaus nicht ab- sprechend beurtheilen, ich will sie gar nicht discutiren, ich will nur auch auf den Husten als einen möglichen Factor hinweisen. Ich werde in dieser Ansicht bestärkt, wenn ich erwäge, dass man fast niemals eine fibrinöse Pneumonie im Laufe einer Bronchitis capillaris, einer Broncho- pneumonie entstehen sieht. Warum ? Meiner Ansicht nach, erstens, weil die Bronchioli durch Schwellung der Schleimhaut noch undurch- gängiger und die Capillarität noch grösser geworden ist ; dann, zweitens, weil bei Bronchitis der feinsten Bronchien gar kein Husten, jedenfalls kein ausgiebiger, vorherrscht. Ich möchte hier die Bemerkung an- schliessen, dass, meiner Erfahrung nach, die Pneumonie in jene Phase

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der Bronchitis einsetzt, wo das schleimige Secret dünnflüssig geworden, der Husten „gelöst" ist. Die Patienten erzählen, sie hätten zwar einen Husten gehabt, derselbe sei aber schon besser geworden, bis sie nun- mehr ganz plötzlich schwer erkrankten. Nach meiner Darlegung würde nur der dünnflüssige Schleim als Träger der Infection fungiren können, nicht aber das zähe, spärliche Secret, weil dieses weder hinunter/besser?, noch hinunter inspirirt werden kann. Vielleicht sieht man auth desshalb keine Pneumonie während einer Laryngitis oder eines Keuch- hustens entstehen.

Ich sprach bis jetzt vom Husten. Das in's Auge fallende Merkmal desselben ist das Explosive, das Durchbrechen des Glottisverschlusses. Aber gerade dieser Punct hat für unsern Zweck keinen Werth. Es kommt uns hauptsächlich auf die zunehmende Druckerhöhung innerhalb des bronchialen Röhrensystems bei verschlossener Glottis an. Dieses Verhältniss allein finden wir jedoch auch bei der Wirkung der „Bauch- presse", wie sie sich bei der Defäcation, beim Erbrechen, bei den „Presswehen" u. s. w. geltend macht. Wahrscheinlich wird in der That auch die „Bauchpresse" hie und da einen Infectionsstoff, der einen Bronchiolus obturirt, in die entsprechenden Alveolen hineintreiben.

M. H. ! Meine Darlegungen bezogen sich bisher auf die Pneumonie. Sie haben aber offenbar Geltung für alle Lungenerkrankungen, die durch Hineingelangen von microscopisch kleinen Fremdkörpern hervor- gerufen werden, seien diese infectiöser oder nicht infectiöser Natur, wie die Tuberculose, oder die Pneumoconiosis anthracotica, siderotica, chalicotica u. s. w. Für alle diese gesammten Krankheitsformen stelle ich die Ansicht auf, dass die kleinen Fremdkörper bei ihnen in die Alve- olen loeniger durch die blosse Inspiration, als vielmehr durch die bedeutende Druckerhöhung hineingelangen, welche während einer activen Expiration bei verschlossener Glottis innerhalb der Bronchien zu Stande kommt !

Fassen wir die hier in Betracht kommenden Krankheiten zusammen Pneumonie, Phthise, Pneumoconiose, so zeigen sie alle den gemein- samen Punct, dass sie meistens, wenigstens ursprünglich, in demjenigen Lungenabschnitte localisirt sind, der nach oben und hinten zu gewendet ist ; vorn unten kommen sie selten vor. Mir scheint, dass unsere Auf- fassung vom Mechanismus, der bei der Entstehung dieser Krankheiten obwaltet, diesen auffälligen Punct zu erklären vermag. Die Druck- erhöhung in den Bronchien kommt zu Stande durch die Contraction aller Exspirationsmuskeln ; die Richtung der Resultante aller dabei sich contrahirenden Muskel ist von unten und vorn nach oben und hinten. Der allererste Angriff des Druckes trifft die Alveolen, welche zunächst der Oberfläche vorn und unten liegen. Diese Alveolen gerathen somit unter erhöhten Druck, noch bevor der Druck in den Bronchien erhöht wird; es findet daher (umgekehrt wie in den entfernt liegenden Alveolen) eine Druckfortpflanzung von diesen Alveolen nach den Bron- chien statt; niemals aber umgekehrt, weil doch der Druck in diesen Alveolen niemals niedriger werden kann als in den Bronchien. Wir dürfen also viel eher erwarten, dass ein in dieser Region vorhandener Pfropf in die Bronchien zurückgeworfen wird, als umgekehrt !

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord- Amerika.

Redigirt von Dr. A. SEIBERT.

Die Schulen als Iiifectionsquellen.

Dass das tagtägliche Anhäufen einer grösseren Anzahl Kinder in geschlossenen Käumen auf Stunden hinaus grosse Gefahren für die Kleinen mit sich bringt, ist bekannt. Man hat Jahrzehnte von dem mangelnden Sauerstoff der Luft in den Schulzimmern gesprochen, ganze Bände über die Form der Kücklehnen der Schulbänke geschrieben und in den letzten Jahren hat man (in New York wenigstens) angefangen, schon Siebenjährige in die Geheimnisse der Physiologie und Hygiene einzuweihen, meist zum nicht gelinden Entsetzen der überraschten Eltern. Den Wald aber hat man dabei vor lauter Bäumen nicht ge- sehen und sieht ihn auch heute noch erst ganz aus der Ferne.

Wir wissen, dass z. B. von 1000 Kindern die tagtäglich dieselbe Schule besuchen ein gewisser Procentsatz, einerlei ob hoch oder niedrig, krank ist. Belohnung und Bestrafung der Schüler der öffentlichen Schulen hier finden nun nach dem geistlosen Markirsystem statt, durch welches das Kind zur Maschine wird, die ihr Aeusserstes zu leisten sucht um die höchsten Procente herauszubringen. Auch Abwesenheit wegen Krankheit wird bestraft, indem solche Schüler am Freitag Nachmittag nicht mit den anderen Fleissigen frühzeitig entlassen werden, selbst wenn das krankgewesene Kind auch sonst noch so fleissig war. Eine solche Nichtbelohnung als etwas Anderes als wie als Strafe wegen Ab- wesenheit aufzufassen ist doch wohl Sophisterei, und die Erfahrung lehrt tagtäglich, dass die Kinder diese Situation auch stets richtig auf- fassen. Das Resultat ist nun, dass die Kleinen den Eltern die Anfangs- symptome von Erkrankungen nicht vor der Schulzeit melden, aus Angst vor dem Zuhausebleibenmüssen und den Schulstrafen. So wandert denn manche Diphtherie auf einen und wohl auch zwei Tage nach ein- ander in die Schule, in die Classe, in die unmittelbare Nähe von vielen anderen Kindern auf lange Stunden hinaus ! Bei der Begrüssung morgens, während der Spielzeit und namentlich beim Abschied nach Schluss der Schule wird diese Infectionsgefahr noch durch Küssen (das natürlich nur bei Mädchen Sitte ist) in weit bedenklichere Nähe gerückt. So bedingt ein Fall ein Dutzend andere, mit 2 4 lethalen Ausgängen.

Das Gesundheitsamt in New York hat erst im letzten Jahr solche Arbeit zur Verhütung der Ausbreitung von Infectionsstoffen geleistet,

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die eine solche Behörde berechtigen kann sich Gesundheitsamt zu nennen. Nur fasst sie den Bullen statt an den Hörnern am Schwanz an. Ist ein Kind so erkrankt, dass es von der Schule bleiben muss, und hat der Hausarzt den Fall angezeigt, so verbietet das Gesundheitsamt den Besuch der anderen Kinder der betreffenden Familie oder gar aller Kinder desselben Hauses. Zwei oder auch drei Tage sind verflossen und in der Zeit hat der Infectionsstoff Zeit gehabt, spazieren zu gehen. Die Familie, Mitschüler des Kindes und andere Menschen sind mittler- weile infieirt. Mit Carboltöpfchen und Carbolbesprenkeln will man dem tückischen Gift zu Leibe, reisst womöglich alle Abzugsröhren im Hause auf um dem Gespenst Sewer-gas, das auch hier den Sündenbock machen muss, nachzuspüren und verpestet dadurch die Luft noch mehr. Aber die Kuh ist fort und die Art, wie die Stallthüre geschlossen wird ver- spricht für die Zukunft garnichts. Die jetzige Prophylaxe des Board of Health gegen Diphtherie, Scharlach etc. der Schulkinder ist absolut harmlos.

Man schaffe den Unterricht in der Physiologie ab, gebe den Kindern Mittags eine längere Erholungspause als bisher und last but not lernt stelle bei jeder öffentlichen Schule einen oder mehrere Aerzte an, welche an jedem Morgen allen Kindern wenigstens den Bachen unter- suchen. Die Ausgaben wären gering und der Erfolg (bei nicht-politischer Auswahl der Aerzte) müsste ein vorzüglicher sein.

Was das Händewaschen, das Abkochen der Instrumente, das anti- septische Verbandmaterial dem Chirurgen, dass ist das schnelle Er- kennen und Fernhalten inficirter Menschen aus der Gesellschaft anderer für den Hausarzt der Zukunft. Warum nicht auch der Gegenwart ?

Die Gesundheitsbehörde New York's und die Infections-

krankheiten.

„Zahlen beweisen", ist ein alter Satz, trotzdem wird wohl mit keiner Wissenschaft so viel Unfug getrieben, als mit der Statistik. Zum Bei- spiel : Es wurden beim Gesundheitsamt der Stadt New York an- gemeldet :

Im Jahre 1886 ; Erkrankungen an Diphtherie

3437 Fälle mit 1727 Todesfällen, und im Jahre 1888 : Erkrankungen an Diphtherie

6827 Fälle mit 1900 Todesfällen. Betrachtet man nun die Anmeldungsziffern der Erkrankungen, so findet sich im J ahre 1888 gerade noch einmal so viel Diphtherie ver- zeichnet wie im Jahre 1886. Das wäre betrübend und würde der Wirk- samkeit des seit über Jahresfrist neuorganisirten Gesundheitsamtes ein schlechtes Zeugniss ausstellen. Ein Vergleich der Anzahl der Todes- fälle in den 2 Jahren ändert aber die Sache wesentlich. Nach der Statistik von 1886 starben etwas mehr als die Hälfte der an D. Erkrank-

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ten, 50%, während im Jahre 1888 trotz der anscheinend grösseren Anzahl Erkrankungen blos circa 27% starben.

Woran liegt das nun ? Nur an der neuen Gesundheitsbehörde. Seit die Äerzte New York's wissen, dass ihrer Anmeldung auch der Besuch eines Gesundheitsbeamten auf dem Fusse folgt und die Nichtanmeldung eines Falles von Erkrankung prompt und schwer bestraft wird, werden viel mehr Fälle von infectiösen Erkrankungen angemeldet. Das ist ein Fortschritt und ein wesentlicher. Es kennzeichnet das grössere Ver- trauen in die Wirksamkeit einer Behörde, deren Beamte früher mehr auf den Aderlass der Geldbeutel der Einwohner als auf ihr leibliches Wohl bedacht war. Das jetzige Gesundheitsamt wird von Leuten geleitet, die redlich bestrebt sind, ehrlich ihre Pflicht zu erfüllen.

Eine andere Sache ist es, was das jetzige Gesundheitsamt unter Pflichterfüllung versteht. Wir möchten fragen warum z. B. bei Fällen in reichen Familien der Beamte nur eine handvoll Zettel mit gedruckten Instructionen an der Hausthüre abgibt, bei mittelmässig begüterten Leuten das Haus vom Dach bis zum Keller untersucht und in der Kegel alle Abzugsröhren condemnirt und neue anordnet, und schliesslich in den schmutzigsten Tenementhäusern alle sichtbaren und riechbaren Fäulnissheerde (namentlich alle Sinks in den Wohnräumen) ruhig ein Pilze brütendes Dasein weiter führen lässt ? Wir wissen, dass der Chef des Gesundheitsamtes ein Plumber ist (denn das Gesetz bestimmt, dass kein Arzt diesen Posten bekleiden darf), und es ist nur natürlich, dass ein Plumber die Abzugsröhren der Häuser für das Wichtigste im menschlichen Dasein hält (wie der Schuster die Stiefel und der Schneider das Flicken), aber warum diese Rigorosität bei dem Suchen nach Sewer-gas nicht überall gleichmässig betrieben wird, das ist uns und allen practischen Aerzten New York's ein Räthsel, das seiner glücklichen Lösung noch harrt. „Zahlen beweisen".

Ventilation bei Infectionskrankheiten.

Fast in allen therapeutischen Abhandlungen finden wir die Ventila- tion der Krankenzimmer als wichtiges Hülfsmoment bei der Behandlung des Allgemeinzustandes der Patienten angeführt. Suchen wir aber nun nach genaueren Angaben über die Quantität der zu reichenden frischen Luft, und nach der Anwendungsmethode dieses Heilmittels, so suchen wir nur in den Abhandlungen der Collegen nicht umsonst, welche sich mit der Behandlung chronischer Lungen affectionen in Anstalten und Curorten befassen. In der Praxis finden wir dasselbe Verhältniss. Man kann namentlich in medicinischen Gesellschaften in der Discussion über die Behandlung von an Portussis, Masern, Scharlach und Diph- therie Erkrankten eine derartige Meinungsverschiedenheit über Ventila- tion hören, dass der Unbefangene erstaunt über solchen Mangel an Einmüthigkeit den Kopf schütteln muss. Wir ziehen hierbei die alte Methode des „Warmbehandeln's" garnicht in Betracht, sondern, Venti- lation a priori als nothwenclig angenommen, was versteht man darunter?

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Sind sich die practischen Aerzte hierin nicht einig, wo finden wir denn die richtige Antwort ? Unseres Erachtens kann uns dieselbe nur von der Bacteriologie geliefert werden.

Im Allgemeinen trifft man gegenüber der modernen Bacteriologie bei den practischen Aerzten auch neuerdings noch vielfach eine gewisse Scheu, einen passiven Widerstand, der gelegentlich durch ein Achsel- zucken, nicht selten auch durch ein „Was kauf ich mir dafür ?" docu- mentirt wird. Verantwortlich könnte man theils den Zeitmangel des Practikers, theils die grosse Masse des Materials, und schliesslich auch den Mangel kurzer Lehrbücher über die abgeschlossenen Ergebnisse der bacteriologischen Forschung, machen. Trotzdem sind aber so manche Grundprincipien der Bacterienlehre schon Allgemeingut des ärztlichen Standes geworden, dass es unverzeihlich erscheint, dass man dieselben noch nicht nutzbar gemacht hat.

Hier möchten wir nur die Thatsache erwähnen, dass die Krankheits- erreger, ausser anderen Bedingungen, namentlich eine gewisse Wärme zu ihrem Gedeihen nöthig haben. Es ist festgestellt, dass wenige Grade unter oder über dieser Temperatur genügen, um die Microorganismen in ihrer Entwicklung derartig zu hemmen, dass ihre schädliche Wirkung aufgehoben- wird. Auch clinisch findet man diese bacteriologische Thatsache demonstrirt. Warum z. B. finden wir die primäre Entwick- lung der Diphtheriekeime so sehr selten in der Nasenschleimhaut, die doch bei den Patienten dem Gift mindestens ebenso ausgesetzt ist, als der Hachen ? Die durch die Nase beim Einathmen streichende Luft ist im Winter und selbst im Sommer von niedrigerer Temperatur, als den Krankheitskeimen zum Gedeihen angenehm ist, und stets niedriger, als die der hinteren Mundhöhle.

Die meisten Infectionskrankheiten blühen im Winter, zu der Zeit, in welcher die Fenster der Wohnungen dem so heilsamen Luftzug am wenigsten geöffnet werden. Die winterliche Kälte aber ist das Mittel, welches uns von der Natur geboten wird, um bei einer infectiösen Er- krankung sterilisirend und prophylactisch zu wirken. In der That hat sich die Behandlung des Keuchhusten's, der Masern, der Diphtherie, des Scharlachs und der Pneumonie bei geöffneten Fenstern, im kalten, fort- während ventilirten Krankenzimmern glänzend bewährt. Nicht allein werden die ausgeathmeten Krankheitskeime durch die Kälte steril erhalten und verhütet man so Keinfection (bei Diphtherie), sondern die kalte Luft wirkt auch direct antiseptisch im Hals, und durch ihre niedrige Temperatur und ihren grösseren Sauerstoffgehalt auch antisep- tisch, antifebril und stimulirendauf dieCirculationund das Nervensystem. Schaden ist durch derartige ausgiebige permanente Ventilation noch nie angerichtet worden. Die schädliche Wirkung des kalten Luftzuges bei Masern, Scharlach und Diphtherie ist ein Gespenst, das ebenso der nüchternen Forschung weichen wird, wie weiland die Scheu vor dem Bad fiebernder Kinder und das Märchen vom Kranksein durch „Zahnen". Die kalte Winterluft aber ist ein Heilmittel für Infectionskrankheiten, das bisher noch garnicht gewürdigt wurde, dessen ausgiebige Be- nutzung aber uns die Antwort auf die Frage gibt : „Was ist Ventilation".

AUS DEE PEAXIS.

Acutes Haematom am Hals. Erstickuugsgefahr. Tracheotomie.

Heilung.

Von

Dr. Edwaed J. Ill,

Newark, N. J.

Es gibt Augenblicke im Leben eines Arztes, in welchem Ueberlegung und Handeln im gleichen Momente geschieht, und derselbe, ohne sich ein klares Bild des Falles gemacht zu haben, rasch handeln muss.

Ein solcher Fall kam mir vor einiger Zeit vor, und glaube ich, dass derselbe von hinreichendem Interesse ist, um in einem grösseren Kreis bekannt zu werden.

Eines Abends während des Monats Februar v. J.'s, wurde von meinem Diener ein Knabe im Alter von ungefähr fünfzehn Jahren in mein Sprechzimmer geführt, welchen er auf der Strasse vor meinem Hause verunglücken sah. Die Spitze der Deichsel eines Einspänners war dem Jungen an den Hals gestossen worden. Derselbe bekam fast sofort Athemsnoth und wurde wie gesagt, zu mir geführt. Bei seinem Eintritt in's Zimmer hörte ich noch einen pfeifenden Athemzug, dann wurde der Patient bewustlos und stürzte zusammen. Bei der Betastung des Halses fand sich eine grosse pralle Geschwulst, welche den ganzen vorderen Theil desselben einnahm. Mein Bruder, derzeit Studiosus Medicinae, trat eben in's Zimmer. Wir setzten den Jungen in einen Armsessel und ohne ein Wort zu verlieren, griff ich nach dem auf dem Tische liegenden Scalpell, machte einen etwas über 7 cm. langen kräftigen Schnitt in der Medianlinie des Halses, worauf eine Masse Blut hervor- stürzte. Die Trachea war deutlich in der Tiefe des geöffneten Blut- sackes mit dem Finger zu fühlen. Nachdem das Blut mit dem Zipfel eines Handtuches herausgewischt war, schnitt ich auf die Trachea ein, während dieselbe durch zwei Finger flxirt wurde. Aus einer rasch herbeigeholten gynäkologischen Tasche wurde nun ein Etlinger'scher Dilatator in die Trachea eingeführt, und zwischen den Branchen hin- durch ein No. 10 Katheter. Dass dieses Alles rascher geschah als hier beschrieben ist, brauche ich wohl nicht erst zu sagen. Ein Radial- puls war nicht zu fühlen. Wie derselbe vor der Operation war, wusste ich natürlich nicht, Künstliche Athmung wurde nun sofort eingeleitet, welche auch den Erfolg hatte, dass nach einigen Minuten einzelne Atlimungsbewegungen des Patienten wahrgenommen wurden, und nach einer Viertelstunde regelmässiges Athmen. Zuerst kleiner unregel- mässiger, später aber regelmässiger und voller Puls. Weitere Blutungen aus der Wunde fanden nicht statt. Respiration durch Nase und Mund stellten sich wieder ein und der Katheter wurde entfernt. Da man nun mit Muse arbeiten konnte, wurde die Wunde mit Carbollösung gründ- lich ausgewaschen und ganz dicht mit Jodoformgaze überdeckt. Mittelst Ambulance geschah die Transferirung nach dem Deutschen Hospital dahier und zwar unter ärztlicher Beaufsichtigung. Nach unge- fähr sechs Stunden kam der Patient wieder zum vollen Bewusstsein und konnte schon nach zehn Tagen entlassen werden.

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Dass das Unglück durch die Zerreissung eines Blutgefässes unter der Fascie des Halses und folglich durch Compression der Trachea entstanden war, ist wohl aus Obigem ersichtlich, kam mir aber erst klar zum Bewusstsein im Augenblick des Einschnittes.

Möglicherweise war der Trachealschnitt gar nicht nöthig, nachdem das Blut herausgelassen war. Geschadet hat er jedenfalls nicht und wahrscheinlich hat doch die Einführung des Katheters in die Trachea dazu beigetragen Kespirationsbewegungen auszuheben. Ich hatte zum Ueberlegen jedoch keine Zeit. Ich wusste momentan nur, dass der Patient plötzlich durch den Unfall ersticken würde, und dass man die Trachea eröffnen solle ; was ich dann auch gethan habe.

Wie stark die Kohlensäurewirkung durch diese Erstickungsnoth war, geht daraus hervor, dass der Pat;ent erst nach sechs Stunden zum vollen Bewusstsein kam, und sieh auch nicht erinnerte, wie er in mein, zur ebenen Erde liegendes, Sprechzimmer kam.

Ich erinnere mich nicht je über einen ähnlichen Fall gelesen zu haben.

"Wie nun hätte es mir ergehen können, wenn der Verunglückte nach der Operation in meinem Zimmer gestorben wTäre ?

Dieses wurde mir von einigen meiner Collegen in ziemlich grellen Farben geschildert. Ein Mensch der im Stande ist in das Zimmer eines Arztes zu gehen ohne äusserliche Verblutung oder auch nur Verwun- dung, wird aus demselben mit einer klaffenden Wunde am Halse, und über und über mit Blut befleckten Kleidern, todt herausgetragen. Nie- mand als ein halbwüchsiger Negerknabe, der noch dazu der Diener des betreffenden Arztes ist, und ein Bruder desselben, wissen von dem Zufalle. Welch' guter Fall für Verwandte des Todten, in der Aufmunte- rung eines gewissenlosen Wlnkeladvocaten, den Arzt, behufs Gekl- erpressung, gerichtlich zu verfolgen, und welch' ausgezeichnetes „Item" für eine sensationslustige Presse ! Wie wTürde alles Dieses den Ruf eines Arztes auf lange Zeit untergraben !

Man sieht hieraus, welche Unannehmlichkeiten einem Arzt aus einem Unglücksfalle leicht erwachsen könnten.

ich wurde gefragt, welchen Dank ich wohl von dem Falle gehabt hätte. Keinen als den der inneren Befriedigung, denn weder die Eltern des Knaben, noch der Knabe selbst, haben sich je bei mir sehen lassen.

Zur Aetiologie der Scharlachdiphtherie.

Von

Dr. Paul H. Kretzschmak,

Brooklyn, N. T.

Obwohl das causale Verhältniss zwischen fehlerhafter Drainage und schlechten hygienischen Zuständen im Allgem einen einerseits, und Diph- therie und Scharlach andererseits allbekannt ist, so wird doch wohl kaum ein so eclatanter und lehrreicher Fall wie der folgende häufig beobachtet.

Eine mir seit zehn Jahren bekannte Familie M. zog vor ungefähr zwei Jahren in eine neue Wohnung an der Ecke von Fulton und Hop- kinson Ave., eine der höchstgelegenen Stellen Brooklyn's, in einem rasch aufblühenden Theile der Kirchenstadt. Der Contrast zwischen der früheren einstöckigen, niedrigen, von ähnlichen mehr oder weniger schmutzigen Gebäuden umgebenen Wohnung und dem fast allein- stehenden 3stöckigen neubezogenen Eckhause, mit einer Front von 3 Fenstern und 6 Fenstern an der Seite; versehen mit Badezimmer und Waterclosets, war sehr in die Augen springend. Am 21. December wurde ich seit mehreren Jahren zum ersten Male wieder zu der Familie M. gerufen. Das älteste Kind, ein Mädchen mit blondem Haar, war

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mir noch gut im Gedächtniss, und ich war erstaunt bei meiner Ankunft zu hören, dass dieselbe am Tage vorher an Scharlach gestorben sei, und dass ein zweites Kind, ein Mädchen von 4 Jahren und Mrs. M. von der- selben Krankheit ergriffen seien. Der behandelnde Arzt war Dr. V., ein amerikanischer College aus der Nachbarschaft. Die Untersuchung ergab, dass Mrs. M. an Scharlach, das vierjährige Kind an Scharlach und Diphtherie litt. Ausserordentliche Herzschwäche war in beiden Fällen das hervorragendste und zugleich der gefahrbringendste Symp- tom, und veranlasste mich eine höchst ungünstige Prognose für das Kind, und eine recht zweifelhafte für die Mutter zu machen, besonders da letztere erst 3 Wochen vorher geboren hatte. 2 Knaben und ein Säugling weiblichen Geschlechts, waren bis dahin von der Krankheit verschont geblieben. Alcoholica und speciell Champagner tvon dem die Mutter 4 Pints in 12 Stunden nahm Spray des Kachens mit Hyclr. bichlor 1=2000, Eisenchlorid mit Nux Vomica und Chinin für die Mutter und ohne Zusatz aber in Verbindung mit Oleate Quiniae für das Kind wurden verordnet, aber selbst besorgt wurde die Oeffnung von drei Fenstern, die bis dahin auf Anordnung des behandelnden Arztes aus Furcht vor Erkältung stets geschlossen geblieben waren und für eine erfahrene und zuverlässige Krankenwärterin. Der nächste Tag fand das Kind viel schlechter, mit einer Temperatur zwischen 103 und 104} F., und einem Puls zwischen 140 und 160 per Minute, und die Frau wie vorher, Temp. 102 102£, Puls 128 136, kleine Quantitäten von Eiweiss im Urin. Beim zweiten Besuch, am 22. Dec, fand ich einen der zwei Knaben, ungefähr 6 Jahre alt, an Diphtherie ohne Scharlach er- krankt. Während der Nacht starb das Mädchen von 4 Jahren. Der 23. und 24. December brachte nichts Besonderes, ausser dass der letzt- erkrankte Knabe, dieselbe gefahrdrohende Schwäche des Herzens ent- wickelte, wie die Verstorbene. Am Abend des 24. zeigte sich merkliche Besserang bei Mrs. M., aber der Junge war in einem Zustande voll- ständiger Apathie, mit einem kleinen fadenförmigen Puls von ca. 150 Schlägen, kurzem Athem, einer Gesichtsfarbe von bläulich graugelber Schattirung, und dabei fast vollständige Aphonie.

Zur frischen Luft wurde nun Sauerstoff hinzugefügt und in liberaler Dosis administrirt. Champagner wurde ebenfalls beinahe forcirt und 0,06 Dosen von Calomel wurden stündlich auf die Zunge gelegt und mit Wein hinuntergewaschen. Am nächsten Morgen hatten sich alle Symp- tome, mit Ausnahme der Heiserkeit gebessert, auch die Mutter machte Fortschritte in der Besserung, aber das fünfte Mitglied der Familie, der älteste Knabe ca. 7 Jahre alt, fing jetzt an zu erbrechen, klagte über den Hals, Temp. 102£, die Zunge wurde himbeerartig roth etc.

Am Abend des Weihnachtstages hatte sich Scharlach deutlich ent- wickelt und angemessene Behandlung wurde verordnet. Der weitere Verlauf war günstig, die Mutter verliess das Bett am 30. December zum ersten Mal ; der älteste Knabe war nur leicht erkrankt, aber die Andern besserten sich sehr langsam und die Heiserkeit des Kleinen war am 2. Januar d. J. noch nicht verschwunden. Der Säugling wurde nicht krank.

Das Interessante dieser Fälle liegt darin, dass Scharlach und Diph- therie nebeneinander fünf Mitglieder einer Familie befielen; dass der Säugling verschont blieb ; dass es selbst noch Aerzte gibt, die mehr Furcht vor Erkältung als vor Scharlach und Diphtherie haben ; dass Alcoholica und speciell Champagner in eclatanter Weise ihre Kraft und Wirksamkeit als „Herzstärker" demonstrirt haben, dass Sauerstoff in dem einen Falle, dem schwererkrankten Kind, gegen meine eigne Erwar- tung, über die Gefahr weghalf und viel zur Genesung beigetragen hat.

Beim ersten Besuch machte ich es mir zur Aufgabe den Heerd der Infection wenn möglich zu finden, und es war in der That ein erfolg- reiches Unternehmen.

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Das Haus war vor ca. 2 Jahren gebaut worden und Mr. M. beab- sichtigte damals die Abzugsröhre nach der ca. 250 Schritte entfernten Hull Street zu leiten und dort mit dem grossen Abzugscanal der Stadt zu verbinden. Im „Department der öffentlichen Arbeiten" wurde ihm mitgetheilt, dass solche Verbindung mit grossen Kosten verbunden und dabei unnöthig sei, da die Stadt innerhalb einiger Monate Abzugsröhren durch Hopkinson Ave. und direct am Hause vorbeilegen werde. Unserm fleissigen und sparsamen Grocer M. kam der Eath gelegen, er baute seine Waterclosets, Badezimmer u. s. w. und legte die Abgangs röhren, so dass es eben nur einer Verbindung mit der städtischen Köhre in der Strasse bedurfte wenn diese gebaut wurde und Alles wäre in bester Ordnung gewesen. Der erwartete Abzugscanal wurde aber nicht gebaut und so floss der Inhalt der Closetten und Abfallsbehälter Jahre lang durch die Röhren im Haus bis zur Strasse, staute sich dort und durch- tränkte schliesslich so den ganzen Untergrund des Hauses und seiner Umgebung, was namentlich an den Kellerwänden zu sehen und zu riechen war.

Wen trifft wohl die meiste Schuld am Tod der zwei Kinder ? „Das Department für öffentliche Arbeiten," welches dem Erbauer des Hauses, solche Vorschläge macht ; das „Department für öffentliche Gesundheit," welches erlaubt, dass Häuser so gebaut werden (denn kein Gebäude darf hier errichtet werden, ohne dass die Pläne für Drainage etc. dem Gesundheitsamt vorgelegt werden), den Vater der Kinder, der so lange mit seiner Familie ein Haus bewohnte, von dem er wissen sollte, dass es eine Züchtungsanstalt für Infectionskrankheiten ist, oder schliesslich den Arzt, der es versäumt, alle und jede Mittel anzuwenden die gefahr- bringende Atmosphäre des Hauses möglichst zu verbessern ?

Acute Manie nach Ovariotomie.

Von

Dr. H. Kreutzmann,

San Francisco, Cal.

Am 13. October 1888 operirten Dr. F. Hund und ich unter Assistenz der Doctoren Otto Hund, Westerberg und Dean eine Frau wegen Ova- rialcystom ; die Operirte starb am 12. Tage nachher in Folge acuter Manie, und erscheint mir dieser Fall der Mittheilung werth.

Es handelte sich um eine Frau von 46 Jahren ; nach Mittheilung von Dr. F. Hund, welcher die Frau längere Zeit behandelte, hat dieselbe einmal geboren, war früher stets gesund. Vor ca. 4 Jahren war sie für eine kurze Zeit in ihren geistigen Functionen gestört ; welcher Form der Geistesstörung der damalige Zustand einzureihen sei, war nicht mit Bestimmtheit zu ermitteln. Vor f Jahren bemerkte die Frau ein Wachsen ihres Leibes ; Dr. Hund fand vor £ Jahr Ascites und einen Tumor in abdomine, den er für Ovarialcystom erklärte, die damals vorgeschlagene Operation wurde nicht acceptirt. Nach einiger Zeit musste Dr. Hund wegen Indicatio Vitalis eine Entleerung des Abdomen durch die Punction vornehmen, da die Frau zu ersticken drohte. Diese Maasnahme musste noch einige Male aus demselben Grunde vorgenom- men werden, bis sich Pat. denn doch zur Operation entschloss, da sie einsah, dass es auf seitherige Weise nicht mehr lange fortgehen könne.

Bei der Eröffnung des Bauchfells strömte blutig-seröse Ascites- flüssigkeit im Strahle hervor, und es bestätigte sich, dass der Tumor ein multiloculares Cystom und zwar des rechten Eierstocks war ; die- jenige Cyste, welche zunächst der Bauchwand lag, zeigte eine kreisrunde Oeffnung, herrührend vom Trokar, aus welcher sich rahmartiger Cysten - inhalt in die Bauchhöhle ergoss.

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Es ist dies eine weitere klare Illustration der Thatsache, dass die Punctum eines cystisehen Bauchtumors Gefahren in sich birgt, sowohl quoad vitam durch eventuelle Peritonitis, wie quoad operationem durch sich bildende Adhaesionen, und dass die Punction zur Stellung der Diagnose besser unterbleibt. Prof. Zweifel, der früher stets der Diag- nose wegen punctirte, sah sich in einem Falle genöthigt, wegen rapid sich entwickelnder Peritonitis sofort die Ovariotomie anzusehliessen, und räth in Folge dessen, nur dann zu punctiren, wenn die Operation unmittelbar angeschlossen werden kann. Nach unseren heutigen An- schauungen und Erfahrungen dürfte es rationeller sein, selbst unter diesen Umständen der Diagnose wegen Abdominaltumoren nicht zu punctiren, sondern eher den Probeschnitt als die Probepunction aus- zuführen.

Es zeigte sich dann auch in unserem Falle, dass zahlreiche Adhaesio- nen sich gebildet hatten, besonders im Becken ; doch gelang es dieselben zumeist mit der flachen Hand zu trennen, nur einige Abbindungen waren nöthig. Dagegen etablirte sich in Folge der Lösung der Ad- haesionen im Becken eine sehr hartnäckige Flächenblutung, die trotz Umstechung einzelner Gefässe, trotz temporärer Tamponade und trotz Eingiessung von gekochtem heissem Wasser nicht völlig stand. Dess- halb entschlossen wir uns zur Drainage nach den Bauchdecken.

Die ersten 5 Tage verliefen ausgezeichnet ; keine Temperatur- erhöhung ; der Puls schwankte stets zwischen 120 130, eine Frequenz, welche er, wie Dr. Hund constatirte, stets vor der Operation zeigte, die Qualität des Pulses war gut. Pat. wurde catheterisirt, hatte Stuhl- entleerung und Abgang von Flatus, ass mit gutem Appetit und schlief. Die Entleerung aus dem Drain war reichlich, die ersten 2 Tage blutig- serös, dann eitrig-serös ; Verband wurde zweimal täglich vorgenommen. Am 6. Tage zeigte Patientin etwas Unruhe, sie hatte wenig geschlafen. Der Zustand war am nächsten Tage derselbe, und in der Nacht vom 7. auf den 8. Tag trat ein heftiger maniakalischer Anfall ein : Pat. tobte und schrie, erkannte Niemanden, warf sich im Bette umher, setzte sich auf und riss Verband mit Drainageröhre ab.

Der Zustand machte mir den Eindruck einer Jodoformintoxication ; es war nämlich auf die Bauchwunde gepulvertes Jodoform aufgestäubt worden. Es wurde nun sorgfältig jedes Jodoformstäubchen entfernt und gelang es mittelst Narcotica die Frau etwas zu beruhigen. Ein Drainrohr war nicht wieder eingeführt worden, da sich der untere Wundwinkel etwas geöffnet hatte und die serös-eitrige Flüssigkeit leicht durch aufgelegte Watte absorbirt wurde. Temperatur und Puls blieben dieselben, allein es stellte sich allmählig Collaps ein, die Frau nahm Nichts mehr zu sich, und am 12. Tage post operationem starb dieselbe.

Die Section durfte sich nur auf die Bauchhöhle erstrecken und ergab einen interessanten Befund. Die Bauchwunde war in den oberen zwei Dritteln (der Bauchschnitt hatte über den Nabel gereicht) fest vereinigt, das untere Drittel war nur im oberen Abschnitte verklebt und führte in eine circa faustgrosse Höhle, welche vollständig gegen die übrige Peri- tonealhöhle abgekapselt war ; in dieser Höhle befand sich etwas serös- eitrige Flüssigkeit, lag Uterus, linkes Ovarium und der rechtsseitige Ovarialstumpf. Das Peritoneum und alle Organe der eigentlichen Bauchhöhle boten ein frisches, völlig gesundes Ansehen dar ; die Leber leicht atrophirt, Milz verkleinert mit weicher Pulpa und beide Nieren, besonders aber die linke, befanden sich im Zutande acuter Schwellung mit Entzündung.

Es entsteht nun die Frage : Ist die hier nach Ovariotomie beobachtete acute Manie eine reine Manie oder ist sie entstanden durch Jodoform- intoxication? Icl> hatte mich zu der letzteren Ansicht geneigt, da Jodo- form, wenn auch in kleinster Menge angewendet worden war. Die den

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Fall mitbehandelnden Collegen pflichteten indess dieser Ansicht nicht bei, besonders da Dr. F. Hund den Urin wiederholt untersucht hatte und Jod nicht nachweisen konnte. Für mich bildete die vor mehreren Jahren beobachtete geistige Störung die Prädisposition und legte ich mir die Sache so zurecht, dass ich annahm, dass durch die Verwendung von Desinflcientien Sublimat und Carbol, sowie des Aethers bei der Operation ein Eeizungszustand der Nieren geschaffen wurde, in Folge dessen die Nieren nicht im Stande waren das resorbirte Jod zu eliminiren, und dass so eine Intoxication des Gehirns auch durch minimale Mengen von Jodoform zu Stande kommen konnte. Auf der anderen Seite ist in Erwägung zu ziehen, dass viele Operateure bei Laparotomien reich- lichen Gebrauch von Jodoform in der Bauchhöhle machen, und dass Intoxicationen hierbei nur sehr selten beobachtet wurden (Siehe Ver- handlungen des 1. deutschen Gynäcologen-Congresses.) In unserem Falle war Jodoform nicht in die Bauchhöhle gekommen, die auf die äussere durch sorgfältige Naht geschlossene Wunde aufgestäubte Menge Jodoform hat 5,0 sicherlich nicht überschritten, so dass es doch wohl richtiger ist, die Manie nicht auf das Jodoform zurückzuführen. Es würde dann unsere Beobachtung, als ein sehr seltenes Ereigniss zu betrachten sein.

Eine rudimentäre zweite Scheide.

Von

Dr. F. C. Heppenheimer,

New Yoek.

Vor etwa 4 Jahren kam eine 20jährige, bis dahin stets gesunde, anämisch aussehende, Näherin zu mir, mit der Klage über Dysmenorr- hoe und Fluor albus. Ich machte damals keine Untersuchung, ver- schrieb Eisenpräparate, lauwarme Waschungen, dann Injectionen. Wegen nicht eingetretener Besserung, verlangte sie etwa 2 Jahre später eine genaue Untersuchung und Diagnose. Ich fand nichts besonders Bemerkenswerth es in pathologischer Beziehung etwas Anteflexio, längliche, spitze Portio mit engem Os wohl aber eine Anomalie, die, wie ich glaube, bisher noch nicht beschrieben worden ist.

Unterhalb des kranzförmigen Hymens, das grade für den Zeigefinger durchgängig war, befand sich eine zweite Oeffnung, die in eine sich etwa lh cm. tief unter die Scheidenschleimhaut erstreckende genau in der Mitte befindlichen Höhle führte. Die Oeffnung dieser kleinen, etwa 1 cm. breiten Lacune, ist mit einer scharfrandigen, leicht dehnbaren Schleimhautduplicatur, die man als zweites Hymen auffassen kann, um- geben. Das blassrosarothe Epithel, das den Blindsack auskleidet, unterscheidet sich in Nichts von dem der äusseren Genitalien.

Ich fasse den Fall auf als eine Entwicklungsanomalie, eine ange- borene, rudimentäre zweite Scheide, die sich von den bisher beobachteten dadurch unterscheidet, dass sie direct in der Mittellinie unter der zur vollkommenen Ausbildung gelangten liegt ; auch muss sie als zweite Einstülpung der äusseren Haut aufgefasst werden, während jene alle mehr oder weniger unvollkommene Vereinigungen der Müller'schen Gänge darstellen, also seitlich nebeneinander liegen.

Patientin hat sich inzwischen verheirathet und stellte sich einer ver- mutheten Schwangerschaft wegen wieder bei mir ein. Das Haupthymen war nach oben gerissen, auch die oben beschriebene zweite war ent- schieden weiter, leicht concentrisch gefaltet und klaffte einen halben Centimeter mit kreisrunder Oeffnung.

EEFERATE.

Krankheiten der Athmungsorgane.

Keferirt von Dr. Jos. W. Gleitsmann.

Primaere infectioese Phlegmone im Larynx. E. Gerhionig, Triest. (Wiener Klinische Wochenschrift, Dec. 6. 1888.)

Eine gesunde, kräftige Frau von 37 Jahren wurde von Fieber und Schluckbeschwerden befallen. Bei Aufnahme in's Spital 3 Tage nachher zeigten sich alle inneren Organe gesund, nur die Epiglottis und aryepi- glottischen Falten enorm geschwollen. An den von ersterer gebildeten Wülsten zeigten sich zwei eitrige Pfropfen. Am folgenden Tage traten Erscheinungen einer rechtsseitigen, am dritten einer linksseitigen Pleu- ritis mit hohem Fieber auf und starb die Patientin am nächsten Morgen. Die Section bestätigte die clinische Diagnose einer primären phlegmo- nösen Laryngitis mit consecutiver Pyämie.

Das Bild dieses Falles entspricht ganz der Beschreibung, die wir in letzter Zeit mehrmals von Erysipelas laryngis zu lesen bekommen haben, und dürften manche der letztern Categorie besser als phlegmo- nöse Laryngitis aufgefasst werden.

A NEW METHOD OF TREATTXG CONSUMPTION BY INHALATIONS OF HOT DRY AlR.

Louis Weigert, Berlin. (Medical Record, Dec. 15. 1888.)

Der Krull'schen Publication („Med. Monatssch.", p. 41) folgt rasch eine ähnliche Methode zu demselben Zweck. Nur lässt W. die Luft trocken, und sehr warm 150 bis 160° C. einathmen, und die Inhalationen so schnell wie möglich von h bis 2 Stunden und darüber, zweimal des Tages vornehmen. Sein Apparat ist einfach und portabel, die beobachteten Resultate, mit 5 Krankengeschichten belegt, sind folgende : Aufhören der Dyspnoe, Abnahme der Hustenanfälle, Anfangs vermehrte, später verminderte Expectoration, Besserung des Appetites und der Körper- kräfte, Sistirung des acuten Processes in kurzer Zeit und Besserung der physicalischen Symptome.

Aseptic Climates without Altitude. W. H. Geddings, Aiken, S. C. (Medical Record, Dec. 22. 1888.)

G., der unermüdliche Vorkämpfer Aiken's für Lungenkranke, betont in diesem Artikel hauptsächlich die Reinheit und aseptischen Eigen- schaften der Luft dieses bekannten Curortes. Auf eine frühere Publi- cation vom Jahre 1885 sich beziehend, gibt er den weitern Verlauf von 35 berichteten Fällen die er erfolgreich behandelt hatte. Ein Fall war nicht in Aiken selbst behandelt worden, von 4 war keine Nachricht zu erhalten, 2 begingen Selbstmord, 1 starb an tuberculöser Meningitis, die 17 übrig bleibenden hatten mit 1 Ausnahme keinen Rückfall. Seine Information über diese Fälle datirt von 1 bis 18 Jahren nach Gebrauch der Cur in Aiken.

INTERESTING CaSE OF FIBROMA OF THE LARYNX. J. ElCHBERG. (Journal

American Med. Asso., Dec. 15. 1888.)

Ein durch vorausgegangene Diphtherie geschwächter Knabe, wurde allmählig heiser und bekam plötzlich schwere Athemnoth, welche die Tracheotomie erheischte. Das Laryngoscop zeigte eine grosse röthliche

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Masse, beinahe den ganzen Larynx ausfüllend, mit breiter Basis am linken Taschenband. Dieselbe wurde mit der galvanocaustischen Schlinge entfernt und unter dem Microscop als Fibrom erkannt. Ver- suchsweise Entfernung der Canüle war stets von heftiger Dyspnoe gefolgt, die E. durch mangelhafte Innervation, besonders des rechten Abductors erklärt, da auch eine Untersuchung von der Trachealwunde aus keine Geschwulst massen, ergab. Der Knabe trug die Canüle ein Jahr, und wurde durch Schreck geheilt, indem sein betrunkener Vater einmal die Canüle gewaltsam entfernte. Verfasser weist auf die Schwierigkeiten hin, die bei Entfernung lange getragener Canülen vor- kommen und citirt Fälle aus der Literatur.

1. Creosote in the Treatment of Phthisis Pulmonalis. Austin Flint. (N. Y. Med. Jour., Dec. 8. 1888.)

2. Creosote as a Kemedy in Phthisis Pulmonalis. Beverly Kobinson. (American Journal of Medical Science, Jan. 1889.)

1. F. behandelte 10 Fälle auf seiner Abtheilung im Bellevue Hospital mit Creosote gleichzeitig innerlich und mit Inhalationen mittelst der Robinson'schen Maske zehn bis fünfzehn Tropfen einer Mischung gleicher Theile von Creosot, Alcohol und Spt. Chloroform wurden Anfangs \ Stunde, später stundenlang, oft den ganzen Tag inhalirt. Die Resultate waren besonders gut in Bezug auf Zunahme des Körper- gewichtes und den Abfall des Fiebers, die NachtschwTeisse und der Husten besserten sich, hörten bei einzelnen Patienten ganz auf, Appetit und Kräfte nahmen zu. Die Durchschnittsdauer der Behandlung war 40 Tage, und bei Indurationsprocessen waren auch die physicalischen Symptome gebessert, wTährend Patienten mit Cavernen wenig Aenderung zeigten.

2. R., der schon seit längerer Zeit Creosot bei Phthise anwandte, berichtet seine Erfahrungen an 142 Hospital- und 19 Privatpatienten. Auch er gebraucht das Mittel innerlich sowohl wie mittelst Inhalationen und gibt für beide Methoden gute Formeln. Er zieht das englische, aus Buchenholztheer gewonnene Creosot vor und gibt als gewöhnliche Dosis einen halben Tropfen 2 bis 3 stündlich. Nach ihm vermindert es nicht bloss den Husten, sondern auch die Expectoration, manchmal sogar beide gänzlich sistirend, es erleichtert die Athemnoth, vermehrt den Appetit, befördert den Stoffwechsel, die Nachtschweisse hören auf. Nach seiner Ansicht übertrifft es in seiner günstigen Wirkung alle Arzneimittel, mit denen er bekannt ist.

Case of Primary Tuberculosis of the Tongue. Presentation of the Patient three years after total Extirpation by Kocher's Method. Wm. T. Bull. (Medical Record, Jan. 19. 1889.)*

Patient litt vor 3 Jahren 6 Monate lang an einem Geschwür mit hartem Rand und unreiner Basis an der Zungenwurzel, und die Zunge wurde wegen vermeintlichem Carcinom exstirpirt, welches sich aber nachher durch das Microscop als Tuberculose darstellte. Der Mann ist jetzt vollständig gesund, kann' sich verständlich ausdrücken, ohne dass sein Defect auffällt, und behauptet auch Geschmacksempfindung zu haben.

Case of Primary Tuberculosis of the Buccal Cavity. J. W. Gleits- mann. (N. Y. Med. Journal, Dec. 29. 1888.)

Vorstellung einer Patientin in der Laryngologischen Section der N. Y. Academy, bei welcher nach fünfmonatlicher Behandlung die Krank- heit zum Stillstand gebracht worden war. Links an der Basis der Zunge mit einem linsengrossen Geschwür beginnend, dehnte sich die Ulceration

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bald in die Fossa glossoepiglottica und im weitern Verlauf auf die ganze linguale Fläche der Epiglottis aus. Ebenso wurde der grössere Theil der linken Tonsille und schliesslich auch die linke aryepiglottische Falte und das Velum palatinum molle auf der linken Seite ergriffen und zer- stört. Die Diagnose wurde durch dreimalige Untersuchung auf Bacillen mittelst des Microscops gesichert, die höchst energische Behandlung beschränkte sich auf locale Anwendung des scharfen Löffels, der Galvanocaustik und Milchsäure. Innere Mittel wurden nicht gegeben. Bei der Demonstration waren die Narben an der Epiglottis, Tonsille und am weichem Gaumen deutlich zu sehen.

1. Tracheotomy in Pseudo-Membranous Laryngitis. Chas. G. Jennings. (Journal of the American Med. Asso. Dec. 1. 1888.)

2. COMPARATIVE MERITS OF TRACHEOTOMY AND INTUBATION IN THE TREAT-

ment of Croup. Geo. W. Gay. (Boston Med. and Surg. Journal, Bd. 1888, also reprint.)

Beide Artikel beschäftigen sich mit der Frage wann Intubation, wann Tracheotomie vorzuziehen sei, und geben die Resultate einer grössern Statistik beider Operationen (22,000 Tracheotomien mit 28 proc. Heilungen, 140 Intubationen von O'Dwyer mit 27 proc. Heilungen, 150 von Waxham mit 27 proc, 1007 collectirt von Waxham mit 26.07 proc. Heilungen.)

1. J. zieht Intubation vor : 1) bei Kindern unter 20 Monaten, 2) in allen Fällen, bei denen das Exsudat auf den Larynx und obern Theil der Trachea beschränkt zu sein angenommen werden kann, 3) wenn der Fall hoffnungslos ist zum Zwecke der Enthavasie. Er tracheotomirt 1) bei grosser Ausdehnung der Membranen, 2) wenn in Folge verspäteten Ein- griffes der Patient sehr erschöpft und cyanotisch ist, da in solchen Fällen die Bronchien mit viel Schleim gefüllt sind, der schwer durch die Intubationscanüle entfernt wird.

2. G.'s Indicationen für Intubation sind : 1) sehr junge Kinder, 2) als Vorläufer der Tracheotomie, 3) der Enthavasie halber. Tracheotomie ist angezeigt : 1) wenn Intubation nicht vorgenommen werden kann [? Bei] oder keine Erleichterung gibt, 2) in schweren Fällen entfernt vom Wohnort des Arztes, oder wenn keine geeignete Assistenz für die Nachbehandlung zu erhalten ist, 3) wenn die Ernährung bei Intubation schwierig oder unmöglich ist, 4) wenn die Intubationscanüle oft heraus- gehustet wird oder zu häufiges Reinigen erfordert.

Fall von Blutung in die Kehlkopfschleimhaut im Verlaufe eines chronischen Kehlkopfkrebses. M. Pleskoff. (Münchener Med. Wochenschrift, Dec. 4. 1888.)

Der im Titel gegebenen Beschreibung ist hinzuzufügen, dass die Blutung in die Submucosa des linken Stimmbandes stattfand, und bei Schonung des Organs Heilung eintrat.

Krankheiten des Nervensystem's.

Beferirt von Dr. Geo. W. Jacoby.

On the Management of progressing cerebral Hemmorrhage. A. H. Smith. M. D. (N. Y. Med. Kecord. p. 667, IL 1888.)

Smith bespricht solche Fälle von Gehirnblutung, bei welchen die Blutung langsam fortschreitet und der Patient immer mehr und mehr dem Einfluss des Gehirndrucks verfällt. Hier muss man nun versuchen den Bluterguss so viel wie möglich zu beschränken. Die bisher zu diesem Zwecke gebräuchlichen Mittel, wie erhöhte Kopflage, Kälte am

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Scheitel, Abführmittel und Ergot, verwirft Verfasser als nutzlos und empfiehlt Mittel, welche physiologisch gerade entgegengesetzte Wir- kungen haben : niedere Kopflage, und Amylnitrit. S. gibt zu, dass eine gewisse Kühnheit seitens des Arztes nöthig sei um diese Empfeh- lungen in der Praxis auszuführen.

Heilung einer schweren Trigeminus-Neuralgie durch hypnotische Suggestion. Dr. Ludwig Frey. (Wiener Medicinische Presse, No. 50 & 51, 1888.)

Von der Thatsache ausgehend, dass man im Stande ist bei Leuten die für die Hypnose empfänglich sind, auf suggestivem Wege Schmerzen zu beseitigen, hat Verfasser dieses Mittel bei einem Patienten ange- wandt. Bei dem 28jährigen Patienten, welcher ohne jegliche hereditäre Belastung ist und seit zwei Jahren an einer sehrschweren fast unerträg- lichen Trigeminus Neuralgie leidet, wurden alle bekannten internen, sub- cutanen und externen Mittel vergebens angewandt. Frey entschloss sich ehe er zur Neurectomie schritt, die hypnotische Suggestion zu ver- suchen. Durch Fixation wurde der Patient in 5 Minuten hypnotisirt, aber alle versuchten Suggestionen misslangen. Am folgenden Tage wieder hypnotisirt reagirte er schulgerecht auf die verschiedensten Suggestionen. Trotzdem der Patient bei späteren Versuchen für Sug- gestionen unzugänglich war, sistirten die Anfälle, und er wurde als geheilt entlassen. Verfasser hält ihn noch immer für anfallsfrei da er versprach „beim Eintritt der geringsten Schmerzen sich abermals vor- zustellen," und nicht wieder erschienen ist. [! Ref.]

Ueber eine Chorea-Epidemie. Dr. L. Laquer. (Deutsche Medicinische Wochenschrift, S. 1045, Dez. 20. 1888.)

Hier wird das epidemische Auftreten von Chorea ähnlichen Er- scheinungen in einem Mädchenpensionat beschrieben. Im Ganzen sind 16 Kinder erkrankt, wovon 7 Fälle kurz beschrieben werden. Die Kinder waren vorher weder nervös noch hysterisch. Hereditäre Belastung, Anaemie, Herzklappenfehler, fehlten. Sie gehörten alle derselben Schulclasse an. Die Erkrankung brach fast bei Allen während des Unterrichts aus, und zwar in Anschluss an Angst, Scham oder Gemüths- erregungen. Die zuerst Befallenen hatten schon vor zwei Jahren an Chorea gelitten. Die Epidemie erstreckte sich auf anderthalb Jahre, und Alle sind genesen. Es handelte sich nicht um das bekannte Bild der Chorea, sondern um mehr regelmässige halbseitige Zitter- bewegungen der Arme, und clonische Zuckungen des Gesichts, sowie Hemiparesen ohne Heminanaesthesie, und waren wahrscheinlich hyste- rischer Natur, d. h. „Emotions-Neurose".

Bericht ueber Anwendung des Hyoscin bei Geisteskranken. Dr. Otto Dornblueth. (Berliner Klinische Wochenschrift, S. 992, 1888.)

Von den drei krystallisirten Salzen des Hyoscin, H. hydrobromicum, und H. hydrochloricum, wandte D. das erstere und letztere an ohne Verschiedenheit der Wirkungen zu bemerken. Zu subcutanem Gebrauch benutzte er eine wässerige Lösung von 1:500 1000, und zur innerlichen Darreichung 1 2 Milligram auf einen Esslöffel Wasser. Unangenehme Nebenerscheinungen treten leichter bei subcutanem als bei innerlichem Gebrauche auf. Gewöhnung an das Mittel tritt nicht ein. Bei 76 Patienten (periodische Manie, acute Verrücktheit, chronische Verrückt- heit, Blödsinn, epileptisches Irresein, Paralyse, und Idiotie) wurden 646 subcutane und 501 innerliche Gaben angewandt. Völlige Kuhe für 12 Stunden trat nach 522 und für 8 Stunden nach 11 Einspritzungen ein. Beruhigung für 12 Stunden zeigte sich nach 77, und fehlende Wirkung nach 36 Einspritzungen. Nach interner Anwendung dieselben Resultate n. resp. 373,5,83 und 49 Gaben.

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Therapeutische Wirkungen des Hyoscin. Dr. Eugen Kny. (Berl. Klin. Wochenschrift No. 50, S. 1001, 1888.)

Das Hyoscinum muriaticum (Merck) wurde benutzt; 23 Geistes- kranke erhielten subcutan 500 Einzeldosen. In 80'7% trat innerhalb einer Stunde tiefer Schlaf ein, der 4 7 Stunden dauerte, und in 5-2%" war das Eesultat negativ. Es wurde mit 0,3 0,5 Milligram begonnen und decimilligramweise gestiegen, bis höchstens 1,3 mg. pro Dosi gegeben wurde. Unangenehme Nebenerscheinungen (Schwindel, Unwohlsein. Hinfälligkeit, Sinnestäuschungen) traten in 6 Fällen ein. Verfasser be- stätigt die palliative Wirkung des Hyoscins bei Krämpfen und Schütteln, Die Toleranz gegen das Hyoscin ist sehr verschieden und grosse Vor- sicht bei deren Anwendung nöthig. Daher soll das Mittel per Os, gegeben werden.

Patienten bekamen so 3000 Einzeldosen. Nur in 49/10% blieb jeg- liche beruhigende Wirkung aus. Bei Psychosen mit lebhafter moto- rischer Erregung waren die Erfolge am günstigsten. Eine Gewöhnung an das Mittel tritt ziemlich rasch ein. Man soll 3 mg. pro Die, nie überschreiten. Das Hyoscin ist leicht löslich und geschmacklos. Eine Lösung von 1 : 1000, wovon eine Spritze 1 mg. entspricht, ist zu empfehlen. Per Os, wird das Mittel am besten in die Nahrung gegeben. Pillenform ist nicht zu empfehlen. Verfasser stellt das Hyoscin bei aufgeregten Kranken allen anderen Schlafmitteln voran. Bei anderen Nervenkrank- heiten angewandt bestätigt Verf. den Erb'schen Ausspruch, „dass das H. bei motorischen Reizerscheinungen" nützlich sei. Bei Geistesgesunden findet Verf., dass das H. leichter zu unangenehmen Geisteserscheinungen führt, wie bei Geisteskranken.

Ueber einen Fall von syphilitischer Erkrankung des centralen Nervensystems, welche voruebergehend das clinische Bild der Tabes Dorsalis vortaeuschte. Dr. Herman Oppenheim. (Berl. Klin. Wochenschr., No. 53, 1888.)

O. bespricht zuerst kurz die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Tabes und Syphilis, und glaubt auch, dass die speci- fische Infection in der Aetiologie der Tabes eine bedeutende Bolle spielt. Er nimmt an, dass durch die syph. Infection, zwei Arten von Virus erzeugt werden, von denen der eine die gewöhnlichen specifischen Erkrankungen, der andere aber einfache Entartungs- vorgänge in bestimmten Fasergebieten des Rückenmarkes her- vorruft. Es ist auch nicht selten, dass es in gewissen Fällen schwierig wird, die clinische Diagnose zwischen diesen Processen zu stellen. Er führt einen Fall an, welcher unter Erscheinungen von Lues Cerebri an- fing, und bei welchem erst nach 4 Jahren die Diagnose Tabes dorsalis" zu machen möglich war. Verf. führt ebenfalls einen lehrreichen Fall ausführlich an, bei welchem der umgekehrte diagnostische Irrthum vorlag, dass nämlich eine echt syphilitische Erkrankung des centralen Nervensystems bestand und doch die Diagnose auf Tabes gestellt wurde. Höchst interessant und was auch Veranlassung gab die Diagnose als falsch zu betrachten ist die Thatsache, dass die Sehnenreflexe, welche Anfangs fehlten nach 2 Jahren eine lebhafte Steigerung zeigten. Beschreibung des pathologischen Befundes ist am Besten im Original nachzusehen.

Ueber Spaetsymptome traumatischer Neurosen. Dr. Moritz Benedict. (Berl. Klin. Woschenschrift, S. 1041, 1888.)

B., nachdem er der verschiedenen Formen der traumatischen Neu- rosen gedenkt, geht namentlich auf Spätsymptome ein. Der Anlass zu seiner Veröffentlichung ist ein Fall, bei welchem wir nach B. die Er-

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scheinungen „einer Periencephalitis diffusissima, einer Heraiplegia sinistra und eines halbseitigen Schüttelkrampfes, ferner einer Para- plegie und einer bilateralen und hemilateralen Ataxie, also jedenfalls die Erscheinungen einer über alle Abschnitte des Centrainervensystems ausgedehnten Neuritis haben." (Verfasser gibt Erklärungstheorien des zu Grunde liegenden pathologischen Processes an, welche wohl mit seinem vermeintlichen Vertrauen in die electrische Behandlung, nicht in Uebereinstimmung gebracht werden können.)

Geburtshülfe.

Ref erirt von De. C. von Ramdohr.

Normale Geburt nach Extrauterinschwangerschaft. Tuppert Wun- siedel. (Münchener Med. Wochenschrift No. 1, 1889.)

Graviditas abdominalis mit Querlage des Kindes bei einer 34jährigen III Para nach lOjährigem Zwischenraum. Tod des Kindes in der Mitte des siebenten Schwangerschaftsmonats begleitet von Zurückgehen der Schwangerschaftssymptome und von relativem Wohlbefinden der Frau. Nach \\ Jahren frische Befruchtung. Spätere Untersuchung : „Die Ueberreste des . . abgestorbenen Kindes hatten sich seit Jahren nicht verkleinert, sie lagen als mannsarm dicker harter Strang quer unmittelbar über der Symphyse". Dies Kind kam normal zur Welt und lebt. Seitdem hat sich die Kindsleiche theilweise gedreht und fühlen sich alle Theile derselben steinhart an.

The immediate Application of Forceps to the after-coming Head in Cases of Version with partial Dilatation of the Cervix. H. C. Coe, M. D. etc. (New York Medical Record No. 3, 1889.) In 4 Fällen, in welchen nach vorausgegangener Wendung [auf einen oder auf beide Füsse wird nicht erwähnt, Ref.] der Kopf von dem rigiden, theilweise erweiterten Muttermund so fest gehalten wurde, das Ziehen am Körper einfach den Uterus nach unten zerrte, ohne den Kopf zu befreien ausserdem war es unmöglich, einen Finger in den Kinds- mund zu bekommen wurde die Zange an den Kdpf gelegt, und die Entbindung bewerkstelligt. Verf. plädirt für frühere Anwendung der Zange in diesen Fällen, um bessere Resultate für das Kind zu erzielen. In der darauffolgenden Discussion in der New York Academy of Medicine erklärt sich (Gott sei Dank. Ref.) die grosse Majorität zufrie- den mit der richtigen Anwendnng des Smelly-Veitschen Handgriffes.

Antipyrine Düring the first Stage of Labor. J. O. Van Winkle, M. D., New York. (N. Y. Med. Journal No. 1, 1889.)

Im Maternity Hospital wurden bei einer Serie von Fällen, 3 Gaben von 1.00 Antipyrin mit 2.00 Spirit. Amm. arom. in 2 stündigen Zwischenräumen in der Erweiterungsperiode gegeben und dabei beob- achtet, dass die Frauen sich besser befanden resp. weniger Schmerzen hatten, die Geburtsdauer kaum beeinflusst wurde, und in keinem Falle der Mutter oder dem Kind geschadet wurde.

The Wrong of Craniotomy upon the living Fetus. Sam. C. Busey, M. D., etc. Washington, D. C. (Am. Journal of Obstetrics, Jan. 1889.) Verfasser glaubt und bricht eine Lanze dafür, dass Craniotomiebeim lebenden Kind überhaupt aufhören und der moderne Kaiserschnitt an deren Stelle treten sollte. Von den Argumenten ist eins bemerkens- wert]!, dass Verfasser, um die Statistik der selbst in Dresden noch grösseren Mortalität der Mutter nach Kaiserschnitt zu entkräften, einige Male kurzweg bei 100 Geburten von 200 lebenden Wesen spricht, ohne den relativen Werth von Mutter und Kind gehörig zu würdigen.

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Chirurgie.

Keferirt von Dr. G. Degner.

RESULTS IN 11 CASES OF A NEW METHOD FOR ARRESTING BLEEDING IN

Surg. Op., etc. C. S. Muscroft, M. D. (The Journ. of the Am. Med. Ass. Yol. XII. No. 3.)

Verf. hat die Acupressur für grössere Op. (hohe Oberschenkel- amputation, etc.) mehrfach mit gutem Erfolg angewendet, und empfiehlt die Methode als „neu" angelegentlichst. Besonders viel verspricht er sich von ihr bei der Behandlung von Aneurysmen. Eigene Erfahrungen darüber führt er nicht an.

A CONTRIBUTION TO THE TREATMENT OF FrACTURES AT THE LOW ER END OF THE HüMERUS, BASED ON THE ANALYSIS OF 50 CASES. C. A. POWERS, M. D.

(The Med. Kec. Vol. XXXIV. No. 25.)

Verf. behandelt nach sorgfältiger Erhebung der Diagnose die betr. Verletzungen mit Gypsverbänden. Passive Bewegungen lässt er erst nach längerer Zeit vornehmen. Seine Resultate sind nicht zufrieden- stellend.

Clinical Observations of Diseases of the Testicle. B. Bangs. M. D. (N. Y. Med. Journ. Vol. XLVIII. No. 16.)

Bericht über 3 interessante Hodenerkrankungen. Eitrige Orhitis bei Descens. testiculi (47jähriger Mann) mit Hydrocele und Hernie. Semi-Castration. Aus dem Vas. deferens entleert sich geringe Menge Eiter. Später eitrige Urethritis, die vorher nicht bestanden haben soll. Die beiden anderen Fälle sind in vielen Beziehungen ähnlich ; der erste bot das Bild der Tuberculose in mancher Beziehung, so dass schon von anderer Seite Semi-Castration geplant wurde, nach langem Abwarten entleert sich schliesslich p. urether. ein Stein ^"ij", worauf Heilung ein- tritt, der andere (noch in Beobachtung) ist wirklich Hodentuberculose, die trotz Semi-Castration sich verallgemeinert. B. betont hauptsächlich die Wichtigkeit der genauen Untersuchung der Harnröhre, Prostata, Samenbläschen und des Samenstranges in ihrem Zusammenhang, so weit es möglich, bei Hodenerkrankungen.

Desinfection und Haertung der Gummidrains. Dr. Javaro. (Cbl. f. Chir. 1888, No. 33.)

Die [orangerothen] Gummidrains werden 5 Minuten stärkere No. entsprechend länger in concentrirte Schwefelsäure gelegt, mit 75\ Alcohol gewaschen und in 5% Carbol oder l-2"/00 Sublimatlösung auf- bewahrt. Sie erhalten die Consistenz einer „Gänse-Luftröhre." Zu hart geworden, kann man sie durch JKneten mit den Fingern wieder elastischer machen.

Die Befestigung von Wundtampons durch Hautfaltennaehte. Prof. Madelung. (Cbl. f. Chir. 1888, No. 46.) Die Ueberschrift gibt den Inhalt eigentlich schon genügend an. M. wendet das Verfahren besonders bei Operationen in der Bauchhöhle an, bei denen die Fixation der nöthigen Tampons durch die üblichen Circulationsbinden umständlich, unsicher und für den Pat. unbequem ist. Bei einem Tampon in einer Wunde von 8 10 cm. Länge genügen 2 3 Hautfaltennähte.

Eine Methode der Osteotomie bei Genu Valgum. Dr. E. Hahn. (Cbl. f. Chir. 1888, No. 48.) H. modificirt die MacEwen'sche Operation so, dass er bei starken Oberschenkelknochen, sowohl von der inneren wie von der äusseren

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Seite entgegenmeisselt, und dann den Knochen in der Mitte fracturirt. Er rühmt die Leichtigkeit der Operation, die ihm sonst bei kräftigen Individuen viel Zeit und Arbeit gekostet hat.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Willy Meyer.

Die intraperitoneale Anheftung der Wanderniere. J. A. Rosen- berger, Würzburg. (Münch. Med. Wochenschr. No. 50, 1888.)

In Anbetracht eines nach der in der Ueberschrift angegebenen Methode mit Erfolg operirten Falles, empfiehlt Verf. das von ihm ge- wählte Operationsverfahren mit Hülfe einer Modifikation der von Koenig (Centralbl. f. Chir., 1886, No. 35.) vorgeschlagenen Schnittführung.

Gegen die, ursprünglich von E. Hahn im Jahre 1881 veröffentlichte retroperitoneale Blosslegung und Fixation der Wanderniere, legt er auf das schon in demselben Jahre von Landau ausgesprochene Bedenken Gewicht, dass bei dieser Anheftung nicht zwei seröse Flächen in Contact kommen, welche durch ihr Verwachsen das bewegliche Organ dauernd fixiren könnten. Er ging bei seiner Pat., einem 22jährigen Mädchen mit rechtsseitiger Wanderniere, in folgender Weise vor : Rückenlage mit leichter Neigung gegen die linke Seite. Schnitt vom äusseren Rande der Rückenstrecker in gerader Richtung nach dem Nabel verlaufend, in einer Länge, die zur Blosslegung einer Niere genügend erschien. Schichtweises Durchtrennen der Bauchwand und Eröffnen des retro- peritonealen Raumes und der Peritonealhöhle. Vordrängen der Niere gegen den äusseren Wundwinkel, wo diese mit 7 Seidennähten fixirt wird. Zwei der letzteren werden im äusseren Wundwinkel nach Hahn's Vorschlag retroperitoneal durch Capsul. adipos. und Niere geführt. Die 5 anderen bringen, nachdem die das Organ umgebenden dicken Fettmassen stumpf durchtrennt und ein grosser Theil der- selben mit der Hohlscheere entfernt ist, die seröse, nun frei liegende Nierenkapsel mit dem Peritoneum in Berührung. Und zwar vereinigen 2 den oberen und 2 den unteren Schnittrand des Perit. so mit der Niere, dass nach ihrer Schnürung sie liegen einander gegenüber ungefähr im Grunde der Wunde noch ein 10 Pfenning grosses Stück der Nieren- kapsel sichtbar, also extraperitoneal bleibt. Der 5. Faden, welcher durch den oberen Schnittrand des Periton. von aussen nach innen, dann tief durch die Nierensubstanz und durch den unteren Rand des Perit. wieder von innen nach aussen geführt wird, vereinigt die beiden Peri- tonealränder des Schnittes und drückt sie zugleich an die darunter liegende Niere. (Die Suturen sollen nach Kümmel's Vorschlag die Nierensubstanz tief fassen, aber "wegen der Zerreisslichkeit des Nieren- gewebes nicht fest geschnürt werden). Hierauf Naht der Bauchwand, keine Drainage, Verband.

Fieberfreier Verlauf. Urin in den ersten Tagen stark bluthaltig, vom 5. an klar. 1. Verbandwechsel am 9. Tage, Wunde p. pr. verheilt. Am äusseren Ende der Narbe eine deutliche Einziehung, woselbst das mit der Bauchwand fest verwachsene Organ deutlich zu fühlen ist. Pat. war alsbald frei von den früheren Beschwerden. Die vollständige Heilung konnte nach 6 Monaten später konstatirt werden.

Unangenehme Zufaelle bei parenchymatoesen Injectionen und Probe- punctionen. J. Decker, München. Aus der medicinischen Klinik zu Würzburg. (Münch, med. Wochenschr. No. 50, 1888.)

Bei der zum 7. Male wiederholten, zuvor immer gut ertragenen, parenchymatösen Injection von Hydrarg. carbol. oxyd., (0,02) in die

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Seite einer 20jährigen Syphilitica und bei einer im 8. Intercostal- raume in der vorderen Axillarlinie einer 22jährigen Pat. wegen Leber- echinococeus gemachten Punction stellen sich gemeinsame, beängsti- gende Symptome ein : hochgradige Dyspnoe, Cyanose, ödematöse Schwellung der Augenlieder, Kleinheit des Pulses, Benommenheit, Kopf- schmerz, Erbrechen und Fieber. Erst nach Verlauf von mehreren Stunden werden diese mit Hülfe starker Stimulantien rückgängig. Verf. bespricht die Möglichkeit der Injection des Hy.-Präparats in eine Vene (Intoxication mit Hy. oder Acid. Carbol. ist auszuschliessen.) In Anbetracht der identischen Folgen der Punction hält er aber dafür, dass es sich bei beiden Zufällen um Nerveneinflüsse handelt, die durch Eeflexwirkung in dem Bilde eines Shok zur Auslösung gelangt sind.

Notes on a successful Case of Laparotomy fok injury by a Circular Saw. John H. Packard, Philadelphia. (Maryland Med. Journ., Jan. 5. 1889.)

Eine sich sehr schnell drehende Kreissäge reisst einem 12jährigen Jungen eine mehr als 4 Zoll lange, verticale Wunde in der rechten Unterbauchgegend, ca. 2 Zoll von der Mittellinie entfernt. Colon asc. und ungefähr 2 Fuss Dünndarm hängen hervor, werden aber von der Wunde so eng umfasst, dass die Peritonealhöhle dadurch abgeschlossen ist ; Shok. In Narcose werden die prolabirten Theile zunächst desinfi- cirt, dann genau durchmustert. Es finden sich 3 Wunden in der Darm- wand (eine perforirt) mehrere blutende Stellen im Omentum und 2 Schnittwunden des Mesenteriums, das Ganze bedeckt von einer Anzahl kleiner Partikel des durch der Säge zerrissenen Wollhemds des Pat. Naht der Darmwanden mit Seide (Lembert), Ligatur der blutenden Puncte mit Catgut, Unterbindung und Abtragen mehrerer zerrissener Parthien des Omentum, schliesslich Entfernung der Wollfetzen, eine äusserst mühsame Arbeit. Nach Erweiterung der Bauchwunde [dies die Laparotomie, von der die Ueberschrift spricht, Ref.] gelingt die Reposition ohne Schwierigkeiten. Nach Irrigation der Bauchhöhle | womit ? Ref.J Silkwormplattennähte. Glasdrain, Verband, Heilung.

Rksults of Nephro-Lithotomy and Nephrectomy. Charles Baum, Phikf- delphia. (The Med. and Surg. Reporter, Philad., Vol. 59, 13.)

1) Nephro-Lithotomy. Die Zusammenstellung betrifft nur solche Fälle, in denen vor der Oper, keine Fistel bestand und der resp. die Steine gefunden und extrahirt wurden.

50, zum Theil in anderen Statistiken noch nicht erwähnte Fälle, 28 männliche und 22 weibliche Individuen betreffend. 42 Genesungen, 8 Todesfälle (16%), resp. nach Abzug von 4 an entfernteren Todesursachen Gestorbenen, 4 Todesfälle (8%).

Incisionen :

1) Lumbaischnitt, .... 41 Mal (5, resp. 2 f).

2) Lumbaischnitt, vergrössert (T), . 3

3) Abdominalschnitt, . . . 3 (2 f).

4) Abd. und Lumbal combinirt, . 2

5) Seitenschnitt, .... 1 (f).

Um sich über den Zustand beider Nieren zu informiren, machte Thornton (Fall 11 und 23 of Med. Times and Gazette, 1885, II. 10), bei derselben Pat. in einem Zeitraum von 2 Jahren zwei Mal mit günstigem Ausgange die Laparotomie nach Langenbuch und extrahirte dann die Steine vermittelst des jedes Mal sofort angeschlossenen Lumbaischnitts. Eine 22jährige Pat., der von zwei verschiedenen Chirurgen wegen hef- tigen Seitenschmerzen nacheinander die Ovaüen entfernt waren, ohne dass sie dadurch ihre Beschwerden verlor, wurde von Carter und Paul durch Extraction eines 105 Gran schweren Nierensteins definitiv ge- heilt (! !). (Med. Press and Circ, London, 1886.)

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2) Nephrectoraie.

Die Tabelle betrifft keinen Fall aus den früheren Statistiken von Harris (Am. Jour. Med. Sc., Juli, 1882), Gross (vid. Juli, 1885), Horaau's (Bost. Med. and Surg. Jour., CX.), Baum (Phil. Med. Times, Feb. 21, 1885).

63 Fälle mit 19 f (= 30,16%).

Von 57 Pat. waren 17 männlichen, 40 weiblichen Geschlechts. In 57 Fällen, bei denen die Incisions-Methode angegeben, wurde 34 Mal der Lumbaischnitt angewandt (29 f = 26.47%), 20 Mal laparotomirt (4 f = 20%).

Von den Letzteren wurde :

1) in 5 lin. alba incidirt .... 11 Mal (2 f).

2) der Medianschnitt in Form eines T vergrössert . 1 Mal.

3) der Seitenbauchschnitt ausgeführt . 8 Mal (2 f)- Verf. erwartet, dass die Mortalität nach der Nierenexstirpation

durch verbesserte Technic und frühzeitiges Operiren in Zukunft sehr herabgedrückt werden wird.

Physiologie.

Referirt von Dr. S. J. Meltzer.

Ueber die Regulation der Athmung. J. Geppert und N. Zuntz. (Pflü- ger's Arch. f. d. ges. Phys. XLII, S. 189.)

Die Verf. suchten auf experim. Wege die Frage zu beantworten, woher es komme, dass durch lebhafte Muskelaction die Respiration beschleunigt und dispnoisch wird. Bei künstlicher Tetanisirung der hintern Extremitäten nach Durchtrennung des Rückenmarkes blieb der Einfluss bestehen ; er fiel aber aus bei vorübergehender Aortencompres- sion. Daraus ist zu ersehen, dass der Einfluss nicht nervösen Ursprunges ist, sondern mit der Circulation zusammenhängt, und zwar durch directe Beizung des Äthemcentrums, nicht aber die der Lungennerven oder sonsti- ger peripherer sensibler Nerven, denn Durch trennungen der Vagi, Sympathici und ein gut Theil des Rückenmarkes alteriren den in Rede stehenden Einfluss nicht. Durch weitere Versuche erwiesen die Verf., dass der Einfluss nicht durch Veränderung im Gasgehalte oder in der Gasspannung im Blute zu Stande kommt ; die Spannung wird während der natürlichen oder künstlichen Muskelcontraction nicht verändert und der Gasgehalt wird vielmehr so verändert, dass der 0?-Gehalt zu- und der C02-Gehalt abnimmt. Letzteres ist zum Theil bedingt durch eine Abnahme der Alkalescenz des Blutes. Für die Verf. blieb nur die Annahme übrig, dass das Blut bei der Arbeit aus den sich contrahiren- den Muskeln unbekannte Stoffe aufnimmt, welche das Respirations- centrum reize^p.

Beitrag zur Kenntniss der bei der Muskelthaetigkeit gebildeten Athemreize. A. Loewy. (Ebendas., S. 281.)

L. hatte Harn von tetanisirten Kaninchen normalen Kaninchen in's Blut gespritzt, ferner unterband er bei Kaninchen die Nierengefässe und tetanisiite dann. Er sah in beiden Fällen keine merkliche Veränderung in der Respiration und schloss daraus, dass die athemreizende Stoffe, welche bei der Muskelthätigkeit gebildet werden, nicht durch den Harn ausgeschieden werden. Man wird demnach anzunehmen haben, dass man es mit leicht oxidirbaren, während der Dyspnoe im Körper des Versuchstieres selbst der Zerstörung anheimfallenden Stoffen zu thun hat.

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Ueber den Einfluss von Alkali und Saeure auf die Erregung des Athemcentrums. C. Lehmann. (Ebendas., S. 284.)

Im Anschluss von G. und Z. suchte L. zu ermitteln, ob nicht die bei der Muskelthätigkeit gebildete Säure etwa das Agens sei, welches die Exspiration beeinflusst. Er injicirte daher Kaninchen in das centrale Ende der Art. cruralis abwechselnd Normalweinsäure und Normalsoda- lösung und fand in der That, dass durch das Alkali die Ventilations- grösse herabgesetzt, durch die Säure dagegen die Athmung rapid und andauernd verstärkt wird. L. folgert daraus, dass bei Kaninchen wenigstens die durch die Muskelthätigkeit erfolgende Acidalirung des Blutes einen sehr erheblichen Antheil an der Erregung des Athem- centrums haben muss.

Ueber die Gasspannungen im lebenden arteriellen Blute. Chri- stian Bohr. (Centralblatt für Physiologie [Originalmittheilung], 1887, S. 293.)

Ueber den Gaswechsel durch die Lunge. Derselbe. (Ebendaselbst, [Originalmittheilung] 1888, S. 437.)

B. erörtert in beiden Artikeln seine experimentellen Untersuchungen über die Gasspannung in den Lungengefässen und den Lungenalveolen, und kommt zu dem Resultate, dass die bisherige Lehre, dass der Gas- austausch durch einfache Diffusion stattfinde, nicht haltbar ist, weil er in vielen Fällen fand, dass die C02-Spannung in den Gefässen niedriger war als in den Alveolen, und die 02-Spannung in den Alveolen niedriger war als in den Gefässen. B. stellt vielmehr die bemerkenswerthe Ansicht auf, dass das Lungengewebe beim Gasaustausch eine active Bolle spielt, die Koldensäureausscheidung und die Sauerstoff auf nähme sei eine sekre- torische Tltätigkeit des Lungengewebes, analog den Secretionsprocessen der Drüsen!

Syphilis.

Referirt von Dr. H. Klotz.

QUECKSILBERINJECTIONEN BEI SYPHILIS.

1. Ueber Calomelinjectionen. E. Finger. (Wiener Med. Presse No. 48, 49, 1888.)

2. Zwei Faelle von Glossitis Gummosa Syph. geheilt durch Calomel- injectionen. A. Scarenjio. (Ref. Monatshefte, pract. Dermatol., p. 1160, 1888.)

3. Die Behandlung der Syphilis mit subcutanen Injectionen von Hydrargyrum Oxyd at. Carbolic. H. Happel. (Diss. Würzburg, 1888.)

4. Succinimid Quecksilber. Vollert. (Therapeut. Monatshefte No. 9, p. 401, 1888.

5. Das Quecksilbers alicylat. A. Plumert. (Viertelj. f. Dermatol., p. 663, 1888.)

6. Einspritzungen von Salicyl- und Thymol-Quecksilber. J. Jadasohn & E. Zeising. (Daselbst p. 781.)

7. Hydrargygrum Salicylic. Neumann. (Wiener Med. Woch. No. 47 und 48, 1888.)

8. Quecksilberintoxication mit toedtlichem Ausgang nach subcutanen Calomelinjectionen. Runeberg. (Deutsche Med. Woch. No. 1, 1889.)

Neuere Arbeiten auf dem Gebiete der Syphilis beschäftigen sich hauptsächlich mit den Injectionen besonders der unlöslichen Queck- silbersalze und mit Versuchen, theils ältere, theils neuere Quecksilber-

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Verbindungen zu diesem Zweck dienstbar zu machen. Fast alle Bericht- erstatter stimmen darin überein, dass in der besonders von Neisser em- pfohlenen Form des Calomelöls, die Injectionen bedeutend an Schmerz- haftigkeit verlieren, dass ihre Wirkung eine sehr energische, der Ein- reibungscur mindestens gleichwerthige ist, dass aber eine sichere Tilgung der Krankheit auch durch sie nicht erreicht wird ; Rückfälle also ebenfalls vorkommen. Dies bestätigt in der Hauptsache Finger ; der an 39 Patienten 229 Injectionen theils einer 10% wässrigen, theils einer 10% Oelsuspension von Calomel ä vapeur machte, ohne Abscess, mit nur 3 bedeutenderen, schmerzhaften Anschwellungen an der Stelle der Injection. In 23 Fällen beseitigten 3 6 Einspritzungen in circa wöchentlichen Pausen gemacht, die Erscheinungen der Syphilis, in 8 Fällen waren mehr als 6 nöthig zur Erreichung dieses Zwecks und in 8 weiteren erforderte es längere Anwendung ; in einigen traten während der Beh. Recidive auf, so dass bei einem Patienten vom 20. Juni bis 14. Nov. 18 Injectionen gemacht wurden. Scarenjio berichtet, dass in 2 Fällen von Glossitis gummosa die Calomelinjectionen eine ausgezeichnete Wirkung äusserten.

Während auf der einen Seite also sich die günstigen Urtheile über die Vortheile der Injectionen unlöslicher Salze mehren, indem mit einer geringen Anzahl derselben eine energische Wirkung erzielt wird, ist auf der andern Seite die Methode noch keineswegs ganz frei von unange- nehmen Nebenerscheinungen. Dieser Umstand erklärt die zahlreichen Versuche mit neuen Quecksilberverbindungen, bei denen es sich wohl zumeist um Herabsetzung der localen Reize und die Vermeidung jeder Gefahr bei den Einspritzungen handelt.

Happel berichtet über die Anwendung der namentlich von Szadek empfohlenen Hydr. oxydat. carbol. Von einer Suspension 0.6 H. o. c. in Aquae 30 mit Mucilag. Gum. Arab. 1, wurden alle 2 3 Tage 1 Spritze = 0.02= J gran H. intra-musculär eingespritzt, im Ganzen 296 Inject, an 18 Pat. Schmerzen waren verschieden, Knoten nicht selten ; keine Ab- scesse. Zur Beseitigung der Symptome waren 15 25 Inject, innerhalb 29 61 Tagen nöthig. Besondere Vortheile scheinen mit dem Präparat nicht verbunden.

Das Succinimid- Quecksilber Vollert's, eine weisse, seidenartige in Wasser leicht lösliche Substanz von ziemlich genau 50% Gehalt an metallischem Quecksilber, wurde in Lösung 1.3.100 Wasser täglich eine Spritze voll, in eine emporgehobene Hautfalte (wie die meisten löslichen Salze) auf der hintern Rumpffläche injicirt ; Schmerzhaftigkeit gering, 20 30 Injectionen genügten zur Tilgung der Erscheinungen ; die Wirk- samkeit ist am ähnlichsten der der Hydr. bicyanat, vor dem das Succi- nimid den Vortheil voraus hat, dass sich die wässrige Lösung auch längere Zeit völlig klar und unzersetzt erhält.

Eine grössere Bedeutung kommt wahrscheinlich dem einen con- stanten Quecksilbergehalt von 59% zeigenden Hydrargyrum salicylatum zu, das von Neumann wie von Rinnert auch innerlich in Pillenform er- folgreich angewandt wurde, in Gaben von 0.02 0.025 (gran £ 5/12), auch local zu Inject, bei Tripper, zu Verbänden und in Salbenform wurde es von P. gebraucht. Zu Injectionen bedient er sich einer Lösung von H. s. und Kali carbonicanal: Aq. destill. .100., dieselben werden täglich in's Unterhautzellgewebe also nicht intramusculär gemacht, 20 30 Inj. waren für gewöhnlich zu einer Cur noth wendig, bei Spätaxan- themen bis 50.

Neumann bedient sich einer Suspension von 0.5 H. s. in A. amygdal 15, von der in 3tägigen Intervallen 1 Spritze voll intramusculär injicirt wird, er berichtet über 66 Inj. an 9 Patienten, die in 22 46 Tagen von den Symptomen der Syphilis befreit wurden, auf pustulöse Ausschläge war der Einfluss geringer. Gleich den andern Beobachtern bestätigt

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N. die geringe Schmerzhaftigkeit, das fast völlige Fehlen von Infil- tration, sowie die dem Calomel allerdings etwas nachstehende Wirk- samkeit. Die wichtigste Arbeit ist die aus Neisser's Klinik stammende von Faclasohn und Zeising. Sie machten von einer 10% Suspension in reinem Paraffin, liquidum im Ganzen :

An 122 Patienten 428 Injectionen a 0.1 Hy. sal. (1 Spritze). " 20 20 " ä 0.15

" 1 1 " o. 0.3

Sie beobachteten :

keine Infiltrate in 133 bei Männern, 267 bei Weibern=400 geringe " " 8 " 37 " = 45

stärkere w " 1 " 3 " = 4

Schmerzen traten ein :

keine bei Männern 96, bei Weibern 171=267 geringe " 28, " 113=141

stärkere " 18, " 23= 41

Zur Beseitigung der Erscheinungen waren 6 8 Inject, alle 3 5 Tage intrarnusculär noth wendig, in Zeiträumen von 22 34 Tage, die Menge des verwandten metall. Quecksilbers beträgt ungefähr die gleiche wie beim Calomel ; wie überhaupt bei den verschiedenen Präparaten es immer mehr weniger der gleichen Menge Quecksilber zur Erreichung derselben Wirkung zu bedürfen scheint. Die neben dem Salicylat zu Versuchen benutzten Verbindungen des Hydr. mit Thymol, nämlich das Thymolacetat, Th.-nitrat und Th.-sulfat. scheinen in ihrer Wirkung dem ersteren recht nahe zu kommen. Diese farblosen, crystallinischen, geruchlosen, in verdünnter Natronlauge löslichen Verbindungen wurden ebenfalls in Paraffin suspendirt angewandt, und zwar :

1. Das Th. -acetat

in 210 Inj. bei 60 Pat. mit keinem Infiltrat bei 183 Schmerz 193

geringem " 24 ohne " stärkerem " 3 mehr " 17

2. Das Th.-nitrat

in 185 Inj. bei 52 Pat. Infiltrat kein. 155 Schmerz kein.

ger ing. 30 " od. gering. 177 gering. 30 " stärk. 8

3. Das Th.-sulfat

in 42 Inj. bei 13 Pat. Infiltrat kein. 37 Schmerz, kein.

gering. 5 " od. gering. 40

stärk. 2

Bei beiden Eeihen von Versuchen ergibt sich als Besultat, dass Schmerzen und Infiltrate so selten wie bei keinem andern unlöslichen Quecksilberpräparat auftraten ; die Injectionen bringen schnell und energisch die Erscheinungen zum Schwinden, nicht so rapid, wie das Calomelöl, aber schneller als graues Oel.

Aus den von Jadasolin vorgenommenen Experimenten und micros- copischen Untersuchungen erscheint hervorzugehen, dass auch die unlöslichen organischen Verbindungen sich erst in metall. Quecksilber umsetzen, ehe sie in den Säftestrom des Organismus eintreten, mit einer crystallinischen Zwischenstufe von noch unbekanntem chemischen Character.

Gegenüber den im Allgemeinen so günstigen Berichten über die Anwendung solcher Inj. verdienen die von Runeberg zusammengestellten Beobachtungen von acuten Intoxicationen durch die Einspritzungen die grösste Beachtung. Allerdings betreffen die meisten der von R. er-

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wähnten Fälle schon .vorher geschwächte Individuen, aber einzelne doch vorher völlig gesunde Menschen. Die Erscheinungen waren die- selben wie bei den nach äusserer Anwendung als Sublimat, als Verband, oder bei Ausspülungen aufgetretenen Vergiftungen, hauptsächlich Diarrhöen und Darmverschwärung. Es liegt unleugbar eine grosse Gefahr in dem Umstand, dass durch die Inj. unlöslicher Salze, nachdem eine grössere Dose des Hydr. im Körper deponirt worden ist, wir die Controle über dasselbe verlieren und nicht wohl im Stande sind, dasselbe wieder zu entfernen oder die fortdauernde Wirkung zu sistiren, sobald sich Zeichen der Intoxication einstellen. Wie Ref. aus eigener Erfahrung bestätigen kann, geht unter Umständen die Resorption des Hyd. anfangs nur sehr langsam vor sich, die ersten Einspritzungen wurden daher an- scheinend ganz gut vertragen, bis plötzlich das bisher inert gebliebene Hydrargyr. in grösserer Menge resorbirt zu werden anfängt und eine cumulative Wirkung entfaltet, die nur zu leicht zur wirklichen Intoxi- cation führen kann. Es dürften sich daher vielleicht kleinere Dosen und längere Zwischenräume der Inj. empfehlen.

Hygiene.

Referirt von Dr. A. Seibert.

Die parasitaeren Bacterien der Cerealien. Hugo Bernheim: (Münch. Med. Wochenschrift, Nov. 6. 1888.)

Untersuchungen, welche Verf. in dem hygienischen Institut der Uni- versität Würzburg anstellte, führten zu dem Nachweis, dass aus dem umgebendem Medium in das unverletzte, zur Nahrung dienende Korn Bacterien eindringen können. In Mais-, Weizen-, Roggen- und Gersten- körnern und in Erbsen wurden, wenn dieselben in trockenem, unge- keimten Zustande geschnitten wurden, nur Coccen. Letztere liegen tief im Inneren der Stärkeschicht, verschafft man aber denselben die auch zum Keimen des Kornes unentbehrliche Feuchtigkeit und so einen Nähr- boden, so tritt eine rapide Vermehrung und Wanderung der Bacterien nach der Epidermis zu statt. Im Korn ist diese Vermehrung bei der Keimung eine ganz enorme. Ob die Keimung selbst oder doch wenig- stens Diastasebildung beim Keimen in causalem Zusammenhang stehen könnte nur dadurch entschieden werden, dass Körner ohne jede Bacte- rienentwicklung zum Keimen gebracht würden, ein Nachweis der a priori nicht möglich ist. B. fand ferner, dass Maisbacterien das Ver- mögen haben das Casein der Milch zu peptonisiren. Ferner wurden in grünen und gelben Erbsen, in Sau- und weissen Bohnen, und in Radieschen und Kartoffeln Bacterien gefunden, deren Culturcoccen, Kurz- und Langstäbchen zeigten. Reife und grüne Körner zeigen die- selben Arten der Coccen. Verfasser nimmt an, dass diese Parasiten der Körner aus den Boden kommen, durch die Wurzeln in die Pflanze ein- dringen und iin Stengel nach oben wandern. (Ob wohl der nach dem Genuss von Obst so häufig vorkommende Magen- und Darmcatarrh mit der Wirksamkeit solcher Bacterien zu thun hat, nachdem sich die- selben durch begünstigende Anfeuchtung und Läsion der Hülse stark vermehrt haben ? Ref.)

Saccharin. (Zeitschrift für Therapie, Nov. 1. 1888.)

Das „Comite consultatif d'hygiene publique de France" hat bezüglich der Verwendung des S. bei Nahrungsmitteln beschlossen, dem Minister für Handel und Gewerbe folgendes Gutachten vorzulegen : 1) Das Saccharin ist kein Nahrungsmittel und kann den Zucker nicht ersetzen. 2) Die Anwendung des S. ist noch zu neu, als dass jetzt schon alle Folgen der Verwendung desselben bei der Ernährung genau bestimmt

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werden könnten ; trotzdem ist jetzt schon festgestellt, dass seine Verwendung einen schädlichen Einfluss auf die Verdauung übe, so dass man mit Recht den Ausschluss desselben von der Alimentation ver- langen muss.

The Influence of Sewerage and Water Pollution on the Prevalence and Severity of Diphtheria. Charles W. Earle, Chicago. (Arch. of Paediatrics, Nov. 1888.)

Der Verfasser hat an die Aerzte der westlichen Staaten und Territorien Union Fragebogen geschickt, welche von 25 Collegen aus Dakota, Cali- fornia, Utah, Minnesota, Kansas, Idaho, Wyoming und Montana beant- wortet wurden. Die Schlüsse, welche Verf. aus den Angaben über obige Frage ziehen konnte sind folgende : 1) Diphtherie tritt in den Bergen und auf den Prairien des grossen Nordwesten's mit derselben Bösartig- keit auf, wie in den Städten. 2) Diese Krankheit zeigt dieselbe Virulenz in Localitäten, welche allen Abzugscanälen fern sind. 3) Ist eine Gegend inficirt so erhöhen feuchte Erdwohnungen, Keller, welche faulende Vegetabilien herbergen, die Nähe von Misthaufen oder auch mangelhafte Drainage, die Intensität der Affection. 4) Die Thatsache wurde demonstrirt, dass der Inf ectionsstoff Tausende von Meilen trans- portirt werden kann (aus Norwegen nach Montana). 5) Das Gift kann durch die Eisenbahn und durch Dampfer verschleppt werden. 6) Nach- lässigkeit in der Handhabung ansteckender Krankheiten sollte bei den Patienten selbst bestraft werden.

THE RECENT OüTBREAK OF SMALL-POX AT MOBERLY, Mo. JOS. GRINDON, St.

Louis. (St. Louis Courier of Medicine, Nov. 1888.)

Das Städtchen hat 10,000 Einwohner. Seit Jahren waren dort Blat- tern nicht vorgekommen. Im März brachte ein Einwanderer aus der Schweiz 5 Koffer voll alte Kleider mit sich. Nach 3 Wochen wurde ein Koffer geöffnet, der Kleider enthielt, welche angeblich mit einem Blat- ternfall in der Schweiz in Berührung gekommen waren. Zwei Wochen später erkrankte ein Töchterchen des Einwanderer's an Blattern. Der Fall wurde verheimlicht. Innerhalb 2h Monaten traten im Ganzen 48 Erkrankungen auf, welche alle auf diesen einen Fall zurückgeführt werden konnten. Nachweisbar war die Dauer der Incubation in 1 Fall 1 Tag, 4X12, 7x13, 5x14, 3x15 und 1x17 Tage. In einigen schweren Fällen wurde Antipyrin mit Erfolg angewandt.

Diphtheria and Sewer Gas. A. Jacobi, New York. (Arch. of Paedia- trics, Dec. 1888.)

Verf. corrigirt Earle's Ansicht, dass er der Vater der in Amerika sehr verbreiteten Idee sei, dass D. durch Sewer-gas allein hervor- gebracht werden könne. Die citirten früheren Aeusserungen des Verf. 's lassen allerdings keinen Zweifel darüber, dass Harle nicht genau mit Jacobi' s Ansichten über diesen Punct bekannt war. Verf. sagt zum Schluss : Ich habe nie geglaubt, und glaube auch heute noch nicht, dass Sewer-gas an sich weder eine Ursache noch die Ursache der Diphtherie sei. Eine Kloake (sewer) kann nur dann zu Entwicklung dieser Krankheit beitragen, wenn dieselbe vorher selbst mit dem Diphtheriegift inficirt worden war."

Deutsche Mediciuische Gesellschaft der Stadt New York.

Protocoll der Sitzung vom 7. Januar 1889. 12 West 31. Str.

Das Protocoll der letzten Sitzung vom 3. Dec. wird verlesen und angenommen.

Der Bericht über Kassenrevision seitens der Dr. Dr. Scharlau und Heitzmann kann erst in nächster Sitzung vorgelegt werden.

Die Uebergabe des Präsidiums seitens Dr. Weber's an Dr. Garrigues erfolgt mit folgenden Worten :

„Meine Herren ! Wenn Sie die zwei vergangenen Jahre hindurch mit meiner Amtsführung so gut zufrieden waren, wie ich mich Ihrer bereitwilligen Unterstützung in jeder Weise zu erfreuen hatte, so sind beide Theile zufrieden, und können wir uns zum Abschiede dankend die Hände reichen. Einen Weltruf hat unser Verein noch nicht erreicht, doch er ist gut ausgestattet und hat sich in den ersten Jahren seines kräftigen Bestehens eine gute Beputation erworben. Erwarten und hoffen wir, dass diese Beputation nicht nur ferner bestehe, sondern hoch und höher gehalten werde. Sie zu erhalten ist ja nicht so schwer ; Alles, was dazu nothwendig, ist, dass die von uns, welche es können, ganz und voll für den Verein einstehen, wenn es darauf ankommt, für denselben wissenschaftlich oder repräsentativ etwas Tüchtiges zu leisten. Ich danke Ihnen von ganzem Herzen für die Bereitwilligkeit, mit welcher Sie mir in den letzten zwei Jahren immer entgegengekommen sind, und ich habe das feste Vertrauen, dass Sie mit derselben Ausdauer und Bereitwilligkeit meinen Nachfolger unterstützen werden. Ich trete hiermit das Präsidium an den Herrn Dr. Garrigues ab." Nach einer Ansprache des neuen Präsidenten, Dr. Garrigues, folgt die Verlesung der Annahmeschreiben der zu Ehrenmitgliedern ernannten Herren : Prof. Virchow, Prof. Kussmaul, Prof. Gerhardt, Prof. von Esmarch, Prof. von Volkmann, Prof. Hyrtl, (das des letzteren in lateinischer Sprache abgefasst) und Dr. Detmold.

Es wird beschlossen, die Briefe den Archiven der Gesellschaft beizu- fügen.

Das Nächste auf der Tagesordnung ist: Diskussion über die in der letzten Sitzung gehaltenen Vorträge über Pneumonie. Zunächst erhält das Wort

Dr. C a i 1 1 e : M. H. Meine Bemerkungen heute Abend haben den Zweck, Ihnen die Mittheilungen aus der vorigen Sitzung über Aetiologie und Therapie der Pneumonie in's Gedächtniss zurückzurufen und ich werde mich darauf beschränken, die practisch wichtigen Punkte zu recapituliren.

Herr Seibert hat uns in einem interessanten historischen Besume die modernen Ansichten über die Aetiologie der Krankheit vorgetragen und wir sind wohl alle damit einverstanden, dass die P. als Infectionskrank- heit aufzufassen ist. Nun gehört zu dem Begriff der Infectionskrankheit nicht allein das inflcirende Agens, sondern auch der günstige Boden für dessen Entwickelung und Fortpflanzung und es wurde uns mitgetheilt, dass eine catarrhalisch afflcirte Bespirationsschleimhaut diese begün- stigende Kolle für die Entwickelung des Pneumoniegiftes übernehme. Es gibt sicherlich noch mehr begünstigende Momente, jedoch stimmt die klinische Erfahrung mit obiger Angabe überein. Fragen wir uns

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nun, welche prophylactische Bedeutung hat unser modernes Wissen in dieser Sache, so müssen wir uns sagen, vorläufig wenig. Eine directe practische Abwehr gegen das Pneumoniegift kennen wir nicht, und ferner wissen wir zu wenig über die Art und Weise der Hyperaemisirung und Inficirung der Schleimhäute und Gewebe des Körpers, um uns vor Catarrhen zu schützen.

Von Wichtigkeit ist die intelligente ärztliche Ueberwachung eines an P. erkrankten Menschen und Herr L. Weber hatte uns, gestützt auf seine reichhaltige Erfahrung hierüber Mittheilung gemacht, und ich werde öfters auf seine Angaben zurückkommen.

Ein Mensch der im Beginn einer Infectionskrankheit steht macht auf mich stets den Eindruck als habe er eine Zeit lang gegen den Strom zu schwimmen um sein Leben zu retten. In solcher Lage dürfte er wohl ohne Ballast am Besten vorwärts kommen, und da ein voller Darm für den Kranken Ballast ist, so halte ich es für ein gutes Verfahren im Be- ginn der Krankheit eine tüchtige Dosis Calomel und Jalape zu ver- ordnen.

In Ermangelung eines specifischen Mittels ist es alsdann unsere Aufgabe denjenigen Symptomen, welche subjectiv sehr lästig und ob- jectiv sehr gefährlich erscheinen, unsere Aufmerksamkeit zu schenken.

Die Cardinalsymptome der Pneumonie sind : Husten, Schmerz, Athemnoth, Fieber, Herzschwäche.

Die drei erstgenannten Symptome lassen sich als Gruppe besprechen, sie sind der Ausdruck des localen Entzündungsprocesses verbunden mit Anfüllung der Lungenalveolen.

Die im Beginn der Pneumonie häufig zur Anwendung kommenden Paliativmittel sind Priesnitz und kalte Umschläge und das Appliciren trockener Schröpf köpfe.

In einer der letzten Nummern der Berliner klinischen Wochenschrift, ist ex$>erimentel nachgewiesen, dass Priesnitz'sche Umschläge den Blut- druck reduciren. Wenn dies der Fall ist, so hätten wir in vielen Fällen eine präcise Indication für deren Anwendung, unter allen Umständen ist aber ein solcher Umschlag*eine Wohlthat für die meisten fiebernden Kranken.

Ist der Hustenreiz äusserst lästig und quälend und raubt er dem Kranken den Schlaf, so ist ein Opiat indicirt. Bei heftigem pleuritischem Schmerz ist eine subcutane Morphiumeinspritzung am Platz, falls kalte Umschläge oder trockenes Schröpfen keine Linderung bringen und man der Ueberzeugung ist, dass der Patient in der That heftigen Schmerz empfindet. Für Nahrung und Stimulation ist natürlich zu sorgen, eine besondere Medicin zur regelmässigen Anwendung ist ganz überflüssig, ausgenommen einige Gaben Salzsäure mit Pepsinwein zur Unterstützung der Verdauung, welche bei fiebernden Kranken danieder- liegt. Das Fieber ist ein wichtiger Factor im Verlauf der Pneumonie. Viele Aerzte geben antipyretische Mittel sobald die Körpertemperatur 103° F. erreicht. Ein solches Handeln schadet dem Kranken und wird mit Recht als „Behandlung des Thermometers" bezeichnet. Das rou- tine gemässe Eingeben von Chinin, Antipyrin, Antifebrin u. d. g. ist ohne Zweifel schädlich und es sollte nicht leichtsinniger Weise dem kranken Organismus ein Medicament aufgezwungen werden, dessen Wirkung uns zum grossen Theil unbekannt ist. Erreicht die Temperatur 105° F. und darüber so kann man versuchsweise eine oder zwei Gaben Antipyrin geben und dieses Manoever am folgenden Tag wiederholen falls die gewünschte Wirkung erzielt wurde.

Ueber Herzschwäche, das ominöse Symptom jeder Krankheit, lassen sich ein paar Worte reden. Warum beobachten wir bei Pneumonie schon am 3., 4. oder 5. Tag Herzschwäche, während oft bei nicht com- plicirtem Typhusabdominaiis der Patient 2 bis 3 Wochen hochfieberhaft

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krank ist und die gefahrbringende Herzschwäche ausbleibt? Dies erklärt sich wohl durch den Umstand, dass bei Pneumonie der Organis- mus nicht allein vergiftet ist, sondern durch Anschoppung der Lunge ein bedeutendes Circulationshinderniss zu Stande kommt, welches durch angestrengte Herzarbeit überwunden werden muss.

Als Peitsche für das erlahmende Herz wendet der Arzt, Digitalis, Caffein, Alcohol, Camphor, Moschus etc. an, und zwar früher oder später je nach Bedürfniss und Indication. Gelingt es nicht hiermit die Gefahr einer Herzparese zu beseitigen, so ist noch durch eine Entlastung des Herzens in manchen Fällen Hülfe zu schaffen. Ein schlauer Fuhrmann wird auch nur bis zu einem gewissen Punkt die Peitsche appliciren, dann aber dem lahmen Gaul einen Theil seiner Last wegnehmen.

Die Entlastung des Herzens kann aber durch den Aderlass geschehen. Bei Anaemischen ist derselbe nicht indicirt, wenn jedoch ein vollsaftiger Mensch nach Luft ringt, ein Lungenoedem droht, die Hautvenen strotzend gefüllt sind, so kann der Verlust von 200 bis 300 Gramm Venenblut gewiss nichts schaden. Ich habe mehrmals Erfolge davon gesehen, Blutdruck und Pulsfrequenz sanken und eine subjective und objective Besserung trat ein. Wie oft passirt es, dass ein Weib im Ver- lauf einer acut fieberhaften Krankheit profus menstruirt ohne dadurch entkräftet zu werden. Zum Schluss möchte ich hervorheben, dass die von Herrn Collegen Weber sehr empfohlenen Senfbäder bei hochfiebern- den Kindern auch meiner Erfahrung nach gute Dienste thun. Es ist ferner wichtig die an Pneumonie erkrankten Kinder täglich genau. zu untersuchen damit eine Pyothorax, welche gar nicht selten im Verlauf einer Lungenentzündung entsteht, rechtzeitig erkannt werde. Ist bei Erwachsenen oder Kindern Verdacht auf frischere oder congenitale Syphilis, so ist wohl Jodkalium indicirt.

Das Gesagte ist nur als schematischer Entwurf einer Therapie bei Pneumonie aufzufassen.

Die Details lassen sich nur in einem concreten Fall und nicht am grünen Tisch besprechen.

Dr. Meitzer möchte auf die Aetiologie der P. zurückkommen. (Siehe Originalartikel in dieser Nummer.)

Dr. Seibert kann nicht so ganz mit der Einfachheit überein- stimmen, mit welcher Dr. Caille Aetiologie und Therapie dieser Krank- heit auffasst. Bezüglich der Aetiologie möchte er auf ein Moment besonders aufmerksam machen. Es handelt sich hier nicht allein um den Pneumococcus und günstigen Boden, auf dem derselbe weiter zu wachsen hat, sondern vor allen Dingen um den günstigen Boden auf dem das Pneumoniegift zu wachsen hat, ehe es in den Körper eindringt. Darin ist die Hauptsache der Aetiologie einer infectiösen Erkrankung zu suchen, und darin allein. Die gena ue Analyse und das Erkennen der günstigen Bedingungen für das Wachsen und Sichvermehren eines Krankheitsgiftes ist nicht so leicht. Der Eine arbeitet in der Verfolgung desselben Zieles mit der Witterung, der Andere mit dem Mikroskop, der Dritte mit Keinculturen. Allein arbeitend kommt keiner zum Kesultat, zusammen aber wohl. Die Ansichten der Bacteriologie, Epidemiologie und Meteorologie stimmen heutzutage in dieser Frage überein. Wo nun wächst das Pneumoniegift? In dumpfen, schlecht ventilirten, feuchten, warmen, schmutzigen Räumlichkeiten. Hier also hat die Prophylaxe, diese allerbeste Therapie einer Krankheit, einzutreten, die Menschen dahin zu bringen, in ihren Räumen Reinlichkeit zu üben, dass sie feuchte Wärme, welche Fäulniss begünstigt, beseitigen und fleissig ventiliren. Wenige Tage, nachdem Redner seinen Vortrag hier gehalten, erschien im „Medical Record" (Dec. 8. 1888), ein Bericht von Dr. Thomas Darlington in K ngsbridge ; „Observation on the Etiology of Pneu- monia". Derselbe behandelt die Arbeiter, welche am New Yorker

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Aqueduct beschäftigt sind und berichtet über eine Pneumonieepidemie unter diesen Leuten. Er sagt hier von einer kleinen besonders heftigen Epidemie :

"This epidemic occured in one room of a large shanty, in which 80 men slept, 40 during the day and 40 in the night. There were but two Windows, and these were never open. The odor, was that of a menagerie. The sputa and vomited materials went on the floor ; these were covered with ashes or dirt, and swept up. In this room 25 cases occured in 10 days, among 80 men ! On the tenth day I had the room emptied, the sides and ceiling whitewashed, the bed- steads washed, the bedclothes and mattresses taken out into the sunlight, and as much as possible washed, the Windows opened, and floor sprinkled with chloride of lime. Then the epidemic as such ceased abruptly. After this, cases occasionaly occurred in this room, and in an annex building, where four or flve occurred at once ; but the same disinfecting and fresh air treatment accomplished the same result."

Dies ist die wichtigste und allerbeste Therapie der Pneumonie. Eine derartige Beobachtung ist nach des Redners Ansicht mehr werth, als ein dickes Buch von 500 und mehr Seiten.

Bezüglich der Therapie möchte er nur noch einige Bemerkungen über Herzschwäche machen. Die venöse Stase in den Lungen bei Pneumonie ist nicht die alleinige Ursache der Herzschwäche. Sie ist wenn die Infection eine schwere ist oder wenn, wie so häufig, die Wirkung mehrerer Pilze sich dabei combinirt schon in 24 Stunden so gross, dass sie nicht allein durch ein mechanisches Moment erklärt werden kann, vielmehr der deletäre Einfluss der Infection auf das Centrainervensystem mit heranzuziehen ist. So wie das Herz schwach wird, droht Lungenoedem.

Redner behandelt seine Pneumoniekranken nur mit Antipyrin per rectum des Nachmittags in vier Dosen ; gibt niemals Digitalis, niemals Chinin, etc. Antipyrin wirkt schmerzstillend und antifebril und erhöht das subjective Wohlbefinden. Dazu aber Reinlichkeit im Zimmer und Bett und viele frische, reine, kalte Luft. Es ist für den Redner keine Frage, dass die Zukunft der internen Medicin in der Ver- hütung der acuten Infectionskrankheiten liegt.

Dr. L. Weber hat seinem Vortrage wenig mehr hinzufügen. Er freut sich, dass Dr. Caille mit ihm übereinstimmt, worauf er Werth legte, dass auch heute noch, wo Fälle typischer Pneumonie seltener geworden sind, der Aderlass nicht nur gemacht werden darf, sondern soll. Bezüg- lich der Behandlung der Herzschwäche haben die beiden Vorredner den Alcohol vergessen. Zeitige und reichliche Darreichung von Brandy, Whiskey und schweren Weinen ist ja eines der wichtigsten Mittel. Alle anderen Mittel sind am Platze, wenn trotz frischer Luft und guter Pflege, wenn trotz Alcohol Herzschwäche droht oder eintritt.

Dr. Lilienthal möchte, so lange wir uns noch nicht zum Ader- lass bekennen können, bei der Behandlung der Pneumonie, Oamphor, Digitalis, Caffein etc. nicht entbehren. Wenn diese Mittel auch die Herzmuskel nicht wirklich stärken, so peitschen sie denselben doch für den Augenblick an, mehr zu leisten und helfen über die nächsten Gefahren hinweg. Was die Behandlung des Fiebers betrifft, so ist es ihm letzthin ziemlich gleichgültig, ob 102 oder 103° erreicht wird. Nur wenn die Pneumonie länger dauert, wendet er Antipyrin und kalte Um- schläge an. Letztere sind dem Antipyrin vorzuziehen.

Es folgt der Vortrag des D r. A. Stub: „Klinisches und Bacterio- logisches über das gelbe Fieber." (Wird später veröffentlicht werden).

Daran schliesst sich die „Demonstration eines mikroskopischen Präparates der Leber von einem Fall von gelbem Fieber" seitens des Dr. C. Heitzmann:

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Im Laufe der Jahre wurden dem Redner aus dem Staate North Carolina häufig Harn von Fällen geschickt, welche dort als " worin fever " oder " black vomit " bezeichnet werden, sporadisch auftreten und meist tödtlich verlaufen. Der Befund war immer eine Haemoglo- binurie und Erscheinungen einer haemorrhagischen, crupösen Nephritis. In einem Falle wurden Leber und Nieren beigefügt. Die Leber zeigte einen Befund, ähnlich demjenigen bei der Phosphorvergiftung ; inten- sive Verfettung von Leberepithelien. Denselben Process fand er letzt- hin in einer ihm vom Dr. Stüh aus Brooklyn zugegangenen Leber von einem Fall von gelbem Fieber. Hier war das ganze Läppchen aufge- quollen und geschwollen ; ein jedes Epithel enthielt Fetttröpfchen, welche an vielen Stellen zu grossen Fetttropfen zusammengeflossen waren. Es zerfällt jede Epithelzelle in Klümpchen, und diese sind der Sitz der Fettansammlung. Wir haben ein Bild vor uns, welches wir nach Virchow als parenchymatöse Hepatitis bezeichnen könnten. Es handelt sich hier aber gleichzeitig um eine interstitielle Hepatitis. Die damals untersuchte Leber zeigte verzweigte Bacillen, welche Redner sehr stutzig machten. Er ist aber kein genügend guter Bacteriologe, um darüber Genaueres sagen zu können. Wir haben es beim gelben Fieber augenscheinlich mit einem Process zu thun, welcher intensive Blutvergiftung hervorbringt, wie beim Tyhus haemorrhagicus und der Phosphorvergiftung. Es handelt sich um die Zerstörung der rothen Blutkörperchen intra vitam, gleichzeitig Blutbrechen und Leber- verfettung. Welche Bacillen oder Coccen die Infection erzeugen, wissen wir noch nicht ; ebensowenig kennen wir die Ptomaine.

Auf eine Anfrage des Dr. L. Weber erklärte der Präsident, dass er im Namen des Vereins die bewilligten Mk. 1000, als Beisteuer zur Er- bauung eines Langenbeck-Hauses, in Berlin, an Prof. Virchow in Berlin, vor einigen Tagen abgesandt habe.

Als neuer Candidat wurde vorgeschlagen : Dr. Sophia F. Unger.

Darauf Vertagung.

Schluss der Sitzung 10£ Uhr.

Dr. Willy Meyer, Protocoll.-Secretär.

Allerlei.

Der Teufel in der medicin. Literatur. Im Januarheft, 1889, des " Virginia Med. Monthly " finden wir eine Discussion über die Frage ob der Teufel überhaupt existire oder nicht, die so hitzig geführt wird, dass man unwillkührlich geneigt ist wenigstens an den bekannten Wohnort des Teufels zu glauben. Ein anonymer „Medicus" z. B. meint, dass Col- lege Rust in Richmond besser mit dem Teufel als wie mit Paulas be- kannt sei, trotzdem er die Existenz des ersteren leugne. Wir können uns nur über den Eifer des südlichen Collegen wundern. Nie hörten wir, dass der Teufel als Mediciner irgend welchen Ruf besass. Ausser mit dem Ferrum candens hat er doch unseres Wissens keine therapeu- tischen Erfolge aufzuweisen.

Auch ein Zweck medictnischer Congresse. Aus einem Leitartikel in „Daniels Texas Medical Journal", (Jan. 1889,) entnehmen wir, dass das „New Orleans Med. and Surg. Journal" sich kürzlich über die Mitglieder der Louisiana State Medical Associatien dahin ausgedrückt hat, dass dieselben „schläfrige, inconsequente und unvorbereitete Mediciner" seien, welche bei ihren Zusammenkünften „hauptsächlich danach streben einige Ruhetage mit Cigarrenrauchen und Geschichtenerzählen zuzubringen". Wir finden obige Eigenschaften durchaus passend für grössere medicin. Zusammenkünfte. Ist man „schläfrig" so geht

llö

mancher Kelch am Ohr ungeahnt vorüber. Nur durch „Inconsequenz" kommt man dazu theils mitzusitzen und theils zu bummeln, eine Mischung die wir sehr empfehlen können. ,. Unvorbereitete Mediciner" sind uns bei media Congressen die liebsten im Umgang, denn diese wollen doch keinen Vortrag halten, und man kann so ungestraft in ihrer Nähe weilen. „Einige Ruhetage mit Cigarrenrauchen und Geschichten- erzählen zuzubringen", ist allerdings nicht Jedermann's Sache. Wir würden z. B. entschieden vorziehen Cigarren zu rauchen und dem Geschichtenerzählen zuzuhören. Wesshalb nun der Zorn, College Daniel in Texas ?

Protection for the American Physician. The Medical Record, Dec. 29. 1888, brachte einen Leitartikel, in welchem angegeben wurde, dass fast mit jedem Dampfer deutsche Mediciner einwanderten, welche ob ihrer mangelhaften Ausbildung nach Amerika gingen, um hier den amerikan. Collegen Concurrenz zu machen. Der „Record" spricht nur von unfertigen deutschen Aerzten und mit Recht, aber eine grössere Anzahl der medicin. Journale Amerika's hat diesen Artikel so aufge- fasst, dass wir jetzt schlechtweg von einer wahren Hetze gegen alle deutschen Aerzte in Amerika reden können. Unter anderen bringt das „International Journal of Surgery", Jan. 1889, einen Artikel betitelt „The Invasion of Foreign Medical Men", in welchem den deutschen Aerzten nicht allein ihr Hiersein vorgehalten wird sondern auch, dass sie geringere Bezahlung als üblich annehmen und die Anstalten und Methoden der amerikan. Medicin verachten. Auf dem Titelblatt dieses Journales steht : „Devoted exchisively to the theory and practice of modern surgery", und in einem vorhergegangenen Artikel wird das von Dr. Senn in Milwaukee vergeschlagene Aufblasen des Darmes mit Wasserstoffgas als „der wahrscheinlich wichtigste Beitrag zu unserem chirurgischen Wissen im Verlauf des verflossenen Jahres" gefeiert. „Moderne Chirurgie" und Hetzartikel gegen deutsche Aerzte in Amerika passen schlecht zusammen ; noch weniger letztere und das Lob eines Mannes, dessen Wiege ebensowenig wie seine chirurgischen Kenntnisse diesem Land entstammen.

Die „Invasion" deutscher Mediciner ist eine bombastische Ueber- treibung. Im Jahre 1888 wanderten 90,000 Deutsche über Bremen allein nach den Vereinigten Staaten. In Amerika kommt auf 600 Menschen ein Arzt. Hätten sich nun unter den 90,000 Einwanderern 150 Aerzte befunden, so wäre das obigem Verhältniss entsprechend gewesen. Es wäre aber entschieden übertrieben wollte man nur von 50 in dieser Summe reden. Wir sind sogar davon überzeugt, dass sich unter diesen 90,000 keine 25 Aerzte befanden. Wenn dem aber doch so wäre, so ist es mehr als fraglich ob das Land durch diese „Invasion" Schaden ge- litten hätte. Sicher ist es, dass eingewanderte Deutsche mit Vorliebe Aerzte consultiren die ihre Muttersprache reden. Ebenso sicher ist es, dass die überwiegende Mehrzahl der Patienten deutscher Collegen in Amerika Deutsche und deren Kinder sind. WTarum nun der Zorn medi- cinischer Nativisten ? Verlangt man etwa, dass nur solche Leute hier einwandern, an welchen nach allen Richtungen hin verdient werden kann ? Wir befürchten, dass der Aerger viel mehr den gründlicheren Kennt- nissen eingewanderter Aerzte entstammt, als der vorgeschützten mangelhaften Ausbildung derselben. Deutsche Chirurgen haben die Antisepsis in Amerika eingeführt, und deutsche Medicamente und deutsche Therapie verdrängen hier Schritt für Schritt den alten Zopf ellenlanger Recepte, wollener Leibb nden und bread-and-milk poultices. Der medicinische „Glauben" muss dem „Denken" weichen, und das ist unbequem, und desshalb die lächerliche Wuth über "foreign ideas, foreign sentiments and foreign practitioners."

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Briet kästen.

Deo Collegen A. G., A. M., R O. B. in New York, J. F. in Jersey City, H. W. S. in Cincinnati und Anderen, herzlicher Dank für die günstige Aufnahme unserer ersten Nummer und die zugesandten freundlichen Worte der Ermuthigung.

Büchertisch.

Bright's Disease. By Alfred L. Loomis, 11 D. (Physicians' Leisure Library, Geo. L. Davis, Detroit, Publisher.)

Pathologie und Therapie der Nervenkrankheiten, fuer Aerzte und Studirende. Bearbeitet von Dr. Ludwig Hirt, Professor an der Universität Breslau. Erste Hälfte pp. 259. (Wien und Leipzig, Urban & Schwarzenberg, 1888.)

In vorliegender Hälfte dieses Buches werden die Krankheiten des Ge- hirns erörtert, und es werden die Affectionen der Häute von denen der Hirnnerven und Hirnsubstanz getrennt betrachtet. Eine Darstellung der Erkrankungen der Hirnnerven in toto wird hier zum ersten Male ver- sucht, und hat eine derartige Beschreibung vieles für sich, wenn auch Einwände dagegen nicht unberechtigt sind.

Das vollendete Buch soll etwa 500 Seiten enthalten, daher ist es be- greiflich, dass auf historische Einzelheiten, sowie auf brennende Streit- fragen fast gar nicht eingegangen wird. Da das Buch aber für den practischen Arzt und nicht für den Specialisten berechnet ist, so kann dieses nicht als Fehler betrachtet werden. Das grosse Verdienst des Buches ist, dass es ein Buch der Gegenwart ist, worin die neuesten Forschungen und Entdeckungen auf dem Gebiet der Neuropathologie kurz und bündig dargestellt werden. Die Therapie der verschiedenen Erkrankungen wird auch gründlich erörtert und die neuesten Mittel wähnt. Es lässt sich jetzt schon bei dieser Hälfte sagen, dass das Buch ein für den Studirenden und für den practischen Arzt sehr werth- volles sein wird.

Hysteria and Epilepsy. By J. Leonard Corning, M. D. (Physician's Leisure Library, Geo. S. Davis, Publisher, Detroit, Mich., 1888., p. 169.)

Ein in interessantem Stil geschriebenes Buch, worin die bekannten Ideen des Verfassers noch ein Mal hervorgehe ben werden.

Personalien.

Aus der Ansprache, die Herr Dr. Garrigues, als neugewählter Präsident der Deutschen Medicin. Gesellschaft von New York, am 7. Jan. 1889, hielt, entnehmen wir, dass das erste Ehrenmitglied derselben, Herr Dr. W. L. Detmold, am 27. December 1808 in Hannover geboren wurde, im Jahre 1837 nach New York kam und hier über 50 Jahre chirurgisch thätig ist. Von 1862 1866 war D. Professor der Chirurgie am College of Physicians and Surgeons. Die orthopädische Chirurgie soll D. zuerst in Amerika eingeführt haben.

Das Langenbeck-Haus in Berlin. Bericht über die bisherigen Bei- träge Seitens deutsch-amerikanischer Aerzte für das Langenbek-Haus in Berlin. Bei dem Unterzeichneten sind bis zum 2. Februar folgende Beiträge eingegangen, welche inzwischen im Gesammtbetrage von 1743 Dollars an die Direction der Deutschen Bank in Berlin abgeschickt wurden :

New Yvrk: Dr. Adler, $50 ; Dr. Aronson, M., $5 ; Dr. Asch, $10 ; Dr. Bachmann, $5 ; Dr. Boldt, $5 ; Dr. Breitenfeldt, $1 ; Dr. Büchler, A., $5 ;

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Dr. Caill6, $20 ; Dr. Cohn, Felix, $5 ; Dr. Conrad, L., $100 ; Dr. Degner, $5 ; Dr. Detmold, $20 ; Dr. Dühring, von, $10 ; Dr. Einhorn $5 ; Dr. Förster, $5 ; Dr. Frauenstein, $10 ; Dr. Freudenthal, $5 ; Dr. Frieden- berg, E., $5 ; Dr. Gleitsmann, $20 ; Dr. Glück, $10 ; Dr, Grüning, $25 ; Dr. Gulecke, $50 ; Dr. Heitzman, $10 ; Dr. Heppenheimer, $5 ; Dr. Hoff- man, Jul., $5 ; Dr. Kucher, $5 ; Dr. Jaeobi, Abraham, $100 ; Dr. Jacoby,

G. , $10 ; Dr. Kammerer, $15 ; Dr. Klotz, $10 ; Dr. Krehbiel, G., $20 ; Dr. Kremer, $25 ; Dr. Krieger, $5 ; Dr. Krollpfeifer, $5 ; Dr. Krug, $10 ; . Dr. Lange, C, $10 ; Dr. Lange, F., $250 ; Dr. Langmann, $25 ; Dr. Lell- mann, $25 ; Dr. Leviseur, $10 ; Dr. Lilienthal, $25 ; Dr. Matthews, $10 ; Dr. Mennen, $5 ; Dr. Metzger, $5 ; Dr. Meyer, Willy, $25 ; Dr. Mitten- dorf, $5 ; Dr. Richards, $5 ; Dr. Roediger, $10 ; Dr. Rose, $5 ; Dr. Rosen- berg, $5 ; Dr. Schapringer, $5 ; Dr. Scharlau, B., $50 ; Dr. Scheider, $10 ; Dr. Schlegel, $5 ; Dr. Schlereth, $5 ; Dr. Schmitt, $5 ; Dr. Schottky, $5 ; Dr. Seessel, $25 ; Dr. Seibert, $10 ; Dr. Serr, $5 ; Dr. Simrock, $15 ; Dr. Stiebeling, $5 ; Dr. Straus, $5 ; Dr. Sturmdorf, $5 ; Dr. Stutzer, $5 ; Dr. Waechter, $5 ; Dr. Waldstein, $20 ; Dr. Weber, J. G., $5 ; Dr. Weber,

H. , $5 ; Dr. Weber, L., $50 ; Dr. Wendt, C, $10 ; Dr. Wiener, $10 ; Dr. Wiener, Jos., $5.

Philadelphia : Dr. Diese, E., $10 ; Dr. Fischer, E., $25 ; Dr. Friebis, G., $10 ; German Society, $10 ; Dr. Vogler, G., $5 ; Dr. Weber, R. C, $10 ; Dr. Winther, M., $10.

St. Louis : Dr. Alt, $2 ; Dr. Bremer, $5 ; Dr. Baumgarten, $5 ; Dr. Curtman, $5 ; Dr. Evers, $5 ; Dr. Engelmann, $5 ; Dr. Fischel, $5 ; Dr. Green, $5 ; Dr. Geiling, $5 ; Dr. Hunicke, $5 ; Dr. Lingenfelder $5 ; Dr. Schwarz, $5 ; Dr. Spiegelhalter, $5.

Denver: Dr. Rohling, $10.

Brooklyn : Dr. Stub, $5.

San Antonio, Texas : Dr. von Herff, sen., $250 ; Dr. von Herff, jun., $25. Baltimore : Dr. Salzer, $25. Summa $1743.

Fernere Beiträge sind aus San Francisco, Milwaukee, Chicago und anderen Orten des Westens zu erwarten, in welchen deutsche Vertreter des ärztlichen Standes in erheblicherer Zahl vorhanden sind.

Es ergeht an alle Collegen, welche von der Agitation bisher nicht be- rührt wurden, die Bitte, ihr auch noch so kleines Scherflein freudig bei- zutragen.

Allen bisherigen Spendern wird Seitens des deutsch -amerikanischen Comite's zur Förderung des Langenbeck-Hauses hiermit der Dank für ihr freundliches Entgegenkommen ausgesprochen.

Der Unterzeichnete nimmt auch fernerhin Beiträge entgegen und erfolgt Quittung und weiterer Bericht in der „Med. Monatsschrift."

L A.,

691 Lexington Ave., N. Y. City. F. Lange, Secretär.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift1' ist $2.50 für den Jahrgang.

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Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist New York und Umgegend in den Monaten Februar und März, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York.

Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN.

I

Die neueren Methoden der Magenuntersuchung.*)

Von

Dr. Max Einhorn,

Arzt am Deutschen Dispensary, New York.

Im Jahre 1867 hat Kussmaul zuerst die Sonde in den Magen behufs Auspülung desselben eingeführt ; es sind kaum zehn Jahre her, dass man angefangen hat, zu diagnostischen Zwecken den Mageninhalt mit der Sonde zu entnehmen und genauer zu untersuchen, und doch sind die dadurch auf dem Gebiete der Magenerkrankungen gemachten Fort- schritte ungemein grosse.

Da nicht jeder Arzt die Gelegenheit und die Zeit hat, die neuste Literatur genau zu verfolgen, wiewohl ihm die neuen Errungenschaften willkommen sind, so ist es von Belang, dass in den medicinischen Vereinen von Zeit zu Zeit Vorträge gehalten werden, welche in ge- drängter Form die Hauptzüge der auf einem einzelnen Gebiete gewon- nenen Thatsachen wiedergeben.

Von diesem Standpunkte aus möchte ich mir erlauben, hier die neuen Methoden der Magenuntersuchungen zu besprechen.

Während früher nur Anamnese, Inspection der Zunge, Inspection und Palpation des Abdomens die Stützen der Diagnose der Magenerkran- kungen bildeten, haben wir jetzt neben jenen andere objective Puncte zu verwerthen.

Diese Anhaltspuncte sind :

1) Die Analyse des Mageninhalts.

2) Feststellung der Kesorptionsfähigkeit des Magens.

3) Die Digestionsdauer oder die notorische Kraft des Magens.

4) Feststellung der Magengrenzen durch Aufblähung und Percussion.

1) Die Analyse des Mageninhalts.

Zur Gewinnung des Mageninhalts bedient man sich eines weichen Gummischlauches und der Ewald'schen Expressionsmethode ; dieselbe besteht darin, dass Patient, nach Einführen des Schlauches in den

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Medic. Gesellschaft von New York, am 4. März 1889.

t

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Magen aufgefordert wird seine Baiichpresse in gleicher Weise wie bei der Defäcation anzuwenden. Der auf diese Weise erzeugte Druck treibt den Mageninhalt durch die Schlauchöffnung nach Aussen. Man hat dann den Speisebrei unverdünnt vor sich.

Die Entnahme des Mageninhalts hat stets nach einer Mahlzeit auf dem Höhepunkte der Verdauung zu geschehen. Zwei Methoden sind da- bei die bei Weitem gebräuchlichsten : 1) Das Probemittagbrod (Leube Eiegel) ; Pat. nimmt eine reichliche Mahlzeit bestehend aus Fleisch, Suppe und Weissbrod zu sich ; der Mageninhalt wird zwischen der 4 6 Stunde entnommen. 2) Das Probefrühstück (Ewald und Boas) bestehend aus einer Tasse (i Liter) Thee (ohne Milch und ohne Zucker) und einer Semmel ; der Mageninhalt wird nach 1 Stunden geprüft. Ich habe im vorigen Sommer eine vergleichende Untersuchung zwischen den Re- sultaten dieser beiden üblichsten Prüfungsarten (Probemittagbrod und Probefrühstück) angestellt. Es fand sich, dass bei einzelnen Individuen mit geringen Aciditäten die Salzsäure nach einem Probefrühstück nach- gewiesen werden konnte, während sie bei denselben nach dem Probe- mit'agbrod fehlte; ferner waren die Aciditätssch wankungen bei den- selben Personen nach dem Probefrühstück viel geringere, als nach dem Probemittagbrod. Ich kam damals zum Schlüsse, dass das Ewald'- sche Probefrühstück in jeder Beziehung den Vorzug vor dem Probe- mittagbrod verdient. Zur Prüfung des Mageninhalts wende ich daher ausschliesslich das Probefrühstück an.

Der, eine bis ander halb Stunden nach dem nüchtern eingenommenen Probefrühstück, durch den Schlauch exprimirte Mageninhalt wird filtrirt, sodann wird die Analyse des Filtrates vorgenommen und festge- stellt, ob die Verdauung im Magen normal ist oder nicht, und wenn nicht, so in welcher Hinsicht abnorm.

Das Filtrat wird untersucht auf :

1) Reaction, 2) Salzsäure, 3) Milchsäure, 4) Acidität, 5) Propepton, 6) Pepton, 7) Pepsin, 8) Labferment, 9) Zucker, 10) Achroodextrin, 11) Ery- throdextrin, 12) Dextrin.

Die verschiedenen Reactionen auf Salzsäure habe ich hier bereits in der Februarsitzung vom vorigen Jahre besprochen, ebenso die Aciditäts- bestimmung. Heute möchte ich nur noch einige Worte hinzufügen.

Ich sagte damals : „Der beste und sicherste Nachweis für Salzsäure wird durch die Phloroglucin-Vanillinreaction geführt." Auch heute noch möchte ich dasselbe behaupten. Roosevelt hat zwar unlängst da- rauf aufmerksam gemacht, dass freie Kohlensäure mit der Günzburg'- * sehen Phloroglucin-Vanillinlösung gleichfalls die Reaction gibt. Ver- mischt man nämlich eine freie Kohlensäure enthaltende Flüssigkeit mit dem Günzburg'schen Reagens, so bekommt n an gleich eine leichte Roth- färbung ; beim Verdampfen bleibt diese Rothfärbung bestehen. Es könnte also auf diese Weise scheinbar zuweilen Salzsäure vorgetäuscht werden, wo gar keine da ist. Allein dem ist nicht so ; denn erstens ent- hält wohl der Magen kaum nach einem Probefrühstück freie Kohlen- säure, zweitens aber und das ist vielleicht das Wichtigste : die Reaction

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durch Kohlensäure unterscheidet sich von der durch Salzsäure. Durch die Kohlensäure bekommt man nur eine schwache rosarothe Farbe, welche bereits beim Vermischen entsteht und beim Verdampfen nicht viel zunimmt, während die Salzsäure beim Verdampfen jene dunkel- rothe Farbe liefert, die man nicht leicht, wenn man sie einmal gesehen hat, mit jener Kohlensäurefärbung verwechseln kann.

Boas hat in neuester Zeit ein neues Keagens auf Salzsäure angege- ben, nämlich eine alcoholische Kesorcinzuckerlösung (Resorcin. 5,0, Sacch. alb. 3,0, Alcohol. ad. 100,0). Die Anstellung der Reaction ge- schieht in derselben Weise, wie mit der Phloroglucin-Vanillinlösung. Die Salzsäure wird erkannt an dem beim Verdampfen entstehenden rothen Fleck. Boas gibt an, dass die Empfindlichkeit seines Reagens dem von Günzburg gleichkomme.

Ich untersuchte das Verhalten des Boas'schen Reagens gegen freie Kohlensäure und konnte constatiren, dass dieselbe keine Reaction da- mit liefert. Das wäre also ein Vorzug vor dem Günzburg'schen Reagens. Allein die Empfindlichkeit des Boas'schen Reagens anlangend stellte sich durch meine Untersuchung heraus, dass dasselbe dem Günz- burg'schen Reagens bei Weitem unterlegen ist. Mageninhalte mit ge- ringer Acidität geben zuweilen keine Reaction mit dem Boas'schen Reagens, wohl aber mit der Phloroglucin-Vanillinlösung. Durch Ver- dünnen von Magenfiltraten suchte ich genau festzustellen, wie weit die Empfindlichkeit beider Reagentien geht. Die Versuche in der Hinsicht waren, wie folgt :

1) Magenfiltrat, Acid. = 70 (d. 20. I. '89, von Pat. M. G.)

Ausfall der Probe mit : Resorcin-Zuckerlösung Phloroglucin-Vanillinlösung

Original + +

7fach verdünnt + +

lOfach " + schwach +

15fach 0 [fährt man über den +

trocknen heissen Fleck mit einem am Glasstabe hängenden Tropfen des verdünnten Filtrates hinüber, so bekommt man eine leichte Saum- färbung, welche jedoch nach etwa 2 Secunden bereits wieder ver- schwindet.]

30fach verdünnt 0 + Randfärbung

45fach "0 0 [fährt man über

den Fleck mit einem am Glasstabe hängenden Tropfen hinüber, so be- kommt man eine schöne Randfär- bung, welche bleibt.]

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2) Magenf iltrat, Acid. = 30 (d. 21. I. '89, von Pat. R.) Resorcin-Zuckerlösung Phloroglucin- Vanillinlösung

Original 4- +

3fach verdünnt 4. Spur +

5fach "0 +

20fach "0 +

30fach "0 + Spur.

3) Magenf iltrat, Acid. = 90 (d. 22. L '89, von Pat. F. B.) Resorcin-Zuckerlösung Phloroglucin-Vanillinlösung

lOfach verdünnt + 4-

30fach " + Spur +

60fach "0 +

90fach "0 + Spur.

Aus der angeführten Tabelle geht hervor, dass während die Em- pfindlichkeit der Phlorogluzin- Vanillinlös img noch bei 1 Acidität oder V20 p. M. HCl vorhanden war, dieselbe beim Boas'schen Rangens bereits bei 5 3 Acidität erlosch. Es wäre somit die Günzburg'sche Eeaction dreimal so empfindlich, wie die Boas'sche. Ein anderer Nachtheil der Resorcinreaction ist der Umstand, dass dieselbe, falls sie schwach auf- tritt, nach wenigen Secunden wieder verschwindet ; man hat dann kaum Zeit die Farbe zu betrachten ; es tritt an Stelle des röthlichen Streifens schnell ein gelber Fleck. Bei der Phloroglucin- Vanillinreaction bleibt die Rothfärbung. Wir müssen daher in jeder Hinsicht der Phloroglucin-Vanillinreaction den Vorzug ertheilen.

Gestatten Sie mir nun, m. H., Ihnen die üblichsten Reactionen auf die oben angegebenen bei der Analyse des Mageninhalts in Betracht zu ziehender Substanzen der Reihe nach zu demonstriren :

Auf Milchsäure wird durch das Uftelmann'sche Reagens (schwache Carbollösung, der etwas Eisenchlorid zugefügt ist) geprüft. Bei An- wesenheit von Milchsäure liefert das Reagens eine strohgelbe Farbe ; Fettsäuren rufen eine aschgraue Farbe, und Mineralsäuren eine Entfärbung der Eisenchlorid-Carbollösung hervor.

Propepton : 2 3 CC. Magenfiltrats werden im Reagensglase mit eben derselben Menge gesättigter Kochsalzlösung versetzt und eventuell mit etwas (1 2 Tropfen) Essigsäure vermischt. Das Propepton fällt dann in Form eines weissen Niederschlages oder einer weisslichen Trübung aus. Beim Kochen löst sich der Niederschlag vollständig auf, um beim Erkalten der Flüssigkeit wieder auszufallen.

Pepton : 2 3 CC. Magenfiltrats werden mit etwa 1 CC. Liq. Kai. caust. versetzt und von einer 1% Kupfersulfatlösung einige Tropfen zugefügt, Bei Anwesenheit von Pepton entsteht eine violettrothe Farbe.

Pepsin : eine dünne Eiweisscheibe (von einem hartgekochten Ei) wird in 5 CC. Magenfiltrat hineingethan und im Digestionsofen bei 37 40° C.

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stehen gelassen ; beim Fehlen der Salzsäure setzt man noch 2 Tropfen Acid. mur. (P. G.) zu. Pepsin verräth sich durch die vollständige Ver- dauung (Verschwinden) der Eiweisscheibe nach etwa 6 7 Stunden.

Lab : [Die methodische Prüfung auf Lab in Magenkrankheiten verdanken wir hauptsächlich Boas.] 5 CC. Magenflltrat werden genau neutralisirt und mit 5 CC. ungekochter Milch versetzt ; bei Körper- temperatur tritt bereits nach 10 15 Minuten, zuweilen noch früher durch das Labferment Gerinnung der Milch in Form eines Kuchens ein. Ich pflege die Probe einfach so anzustellen, dass ich 5 CC. ungekochter Milcli 3 4 Tropfen nicht neutral isirten Magenfiltrates zusetze, durch- schüttele und in einem Gefäss mit warmem Wasser stehen lasse. Nach etwa 15 Minuten tritt Gerinnung ein.

Die noch übrigen Substanzen: Zucker, Achroodextrin, Erythro- dextrin und Dextrin lassen die Wirkung des aus den Speicheldrüsen stammenden Ptyalins im Magen beurtheilen.

Zucker : wird durch die Trommer'sche Probe nachgewiesen.

Achroodextrin : Bei Zusatz einiger Tropfen der Lugol'schen Lösung (Jod., 0,1, Kai. jod. 0,2 : Aq. dest. 200,0) zum Magenfiltrat, entsteht eine Entfärbung der Lösung.

Erythrodextrin : Bei Zusatz einiger Tropfen der Lugol'schen Lösung dunkle Rothfärbung- Ist Achroodextrin neben dem Erythrodextrin in der Lösung vorhanden, so wird beim Zusatz der ersten Tropfen der Lugol'schen Lösung eine Entfärbung entstehen infolge des Ac'iroo- dextrins, erst bei weiterem Zufügen der Lugol'schen Lösung wird durch das Erythrodextrin Rothfärbung eintreten.

Dextrin : Bei Zusatz einiger Tropfen der Lugol'schen Lösung entsteht Blaufärbung.

Im normalen Zustande verhält sich der Mageninhalt eine Stunde nach dem Probefrühstück, wie folgt . Reaction, sauer ; Salzsäure vor- handen ; Milchsäure nicht ; die Acidität schwankt zwischen 40 60 (=0,15 0,21% HCl.) ; Propepton findet sich nur in Spuren vor ; Pepton + viel ; Pepsin + ; Labferment -f ; Zucker + ; Achroodextrin + ; Erythro- dextrin nicht vorhanden, ebensowenig Dextrin.

Die pathologischen Zustände des Magens in Bezug auf den Chemis- mus kann man in folgende vier Gruppen zerlegen :

L Acidität verringert, Salzsäure vorhanden.

II. Salzsäure nicht nachweisbar :

a) vollständiges Fehlen derselben, d. h. sie wird nicht secernirt, dann kein Pepsin, kein Labferment.

b) Die Salzsäure wird zwar secernirt, aber gleich wieder verbraucht ; dann Pepsin +, Labferment verschieden.

III. Acidität erhöht durch Salzsäure (Hyperacidität).

IV. Chemismus normal.

An dieser Stelle sei es mir gestattet, die in diese Gruppen hinein - gehörenden Magenerkrankungen der Hauptsache nach durchzugehen.

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Gruppe I. Acidität verringert, Salzsäure vorhanden ;

Das Haupteontingent dieser Gruppe bildet der weit verbreitete chro- nische Magencatarrh, oder nach Ewald besser : die „Gastritis glandu- laris chronica" ; dann gehören noch hierher verschiedene Magen- neurosen depressiven Characters. In der Gastritis g. ehr. findet man oft Schleim ; hier wie in den genannten Magenneurosen findet man die Acidität bedeutend herabgesetzt ; Pepton findet man nur in Spuren, Propepton +, Pepsin +, Lab + ; die Saccharificationsprodukte normal oder beschleunigt, d. h. man findet Achroodextrin, oder nur Maltose.

Gruppe II. Salzsäure nicht nachweisbar;

a) Vollständiges Fehlen von HCl, Pepsin und Lab : Atrophie der Magenschleimhaut, eine Krankheit, die Ewald und Lewy zuerst be- schrieben haben ; es findet keine Eiweiss Verdauung im Magen statt ; daher Pehlen von Pepton und Propepton ; Acidität gewöhnlich bedeutend herabgesetzt, zuweilen fehlend, wenn sie da ist, dann bedingt durch organische Säuren oder saure Salze ; die Saccharificationsprodukte normal oder beschleunigt.

b) Die Salzsäure wird in geringer Menge secernirt, aber gleich wieder verbraucht und daher nicht nachweisbar :

«) Carcinoma ventriculi, Pepsin +, Lab gewöhnlich nicht vorhanden ; Salzsäure nicht nachweisbar ; Milchsäure 4- ; Acidität verschieden, zuweilen sehr hoch, bedingt durch organische Säuren.

ß) Cat. gastr. chron. schwerer Natur ; die Salzsäure zuweilen nicht nachweisbar.

y) Neurosen depressiven Characters gewöhnlich mit anderen ner- vösen Störungen verknüpft ; HCl zuweilen für Monate hindurch nicht nachweisbar ; Lab +.

III. Acidität erhöht durch Salzsäure (Hyperacidität). Man findet in dieser Gruppe die Eiweissverdauung eher beschleunigt, dagegen die Maltosenbildung bedeutend verlangsamt, wie dies Ewald und Boas gezeigt haben. Propepton fehlt oder findet sich nur in Spuren vor, Pepsin +, Lab +, Erythrodextrin +, zuweilen sogar Stärke.

Das grösste Contingent dieser Gruppe liefern Magenneurosen irri- tativen Characters, dann Ulcus ventriculi und schliesslich die Gastro- saecorrhoea continua (Reichmann).

IV. Chemismus normal ; dahin gehört Leube's nervöse Dyspepsie.

Nach dieser kurzen Abschweifung von unserem eigentlichen Thema kehren wir wieder zu den Untersuchungsmethoden zurück.

2) Feststellung der Resorptionsgeschwindigkeit

des Magens.

Penzoldt und Faber haben zuerst die Resorptionsgeschwindigkeit des Magens vermittelst Jodkalium geprüft. Man verfährt folgen dermassen : Pat. nimmt in einer Gelatinkapsel 0,2 Jodkalium ein und wird angewiesen alle 5 Minuten auf ein mit Stärkekleister getränktes Fliesspapier zu

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speien, bei Zusatz von etwas rauchender Salpetersäure tritt auf dem mit Speichel getränkten Papierchen, sobald etwas Jod zugegen ist, Blau- färbung ein ; so wird der Zeitpunkt. erkannt, wann das Jod vom Magen resorbirt und wieder zur Ausscheidung kam. Im normalen Zustande erscheint das Jod vom Magen aus im Speichel bereits nach 10 15 Minuten. Beim Magenkrebs findet man immer eine bedeutende Ver- langsamung vor. Bei Ulcus ventriculi ist keine Verlangsamung, zu- weilen sogar eine leichte Beschleunigung vorhanden.

3) Feststellung der Digestionsdauer oder der notorischen Kraft des Magens.

Leube hat zuerst auf die Wichtigkeit hingewiesen, darauf zu achten, wie lange die Speisen im Magen verweilen. Dieser Autor zeigte, dass normaliter 6 7 Stunden nach einer reichlichen Mahlzeit sich keine Speisen mehr im Magen vorfinden, während in vielen pathologischen Zuständen der Magen um diese Zeit noch nicht leer befunden wird.

Ewald hat später im Verein mit Sievers das Salol dazu benutzt, um den Austritt der Speisen aus dem Magen in den Darm zu bestimmen. Das Salol wird nämlich vom Magen aus nicht resorbiit ; im Darm jedoch findet eine Spaltung dieses Körpers in Phenol und Salicylsäure statt, welche letztere als Salieylursäure durch den Harn ausgeschieden wird. Es ist nun klar, dass je länger das Salol im Magen verweilt, desto später die Salieylursäure im Harn nachweisbar sein wird. Man hat also im Salol ein Mittel den Zeitpunkt zu bestimmen, wann der Mageninhalt durch den Pylorus weiter befördert wird. Die Probe wird so angestellt, dass man Pat. 1,0 Salol in einer Kapsel etwa h Stunde nach einer Mahl- zeit reicht und den Harn vonf Stunden an alle Viertelstunde auf Salieylur- säure untersucht. Im normalen Zustande bekommt man nach §— 1 Stunde die Salicylursäurereaction, während in atonischen Zuständen des Magens die Reaction bis auf 1| 2 Stunden und noch mehr verschoben wird. Die Salieylursäure lässt sich im Harn durch Zusatz von Liq. Ferri sesquichlorati nachweisen ; es entsteht eine dunkelroth-violette Farbe. Enthält der Harn jedoch nur Spuren von Salieylursäure, so verdeckt der Farbstoff des Harns die Reaction, und man pflegte dann bei Anstellung der Reaction so vorzugehen, dass man den Harn mit Aether ausschüttelte, den Aether abgoss und verdampfen Hess, den Aetherrückstand mit wenigen Tropfen destillirten Wassers aufnahm und darin mit Eisenchlorid die Probe machte. Diese Methode ist ziemlich umständlich. Ich habe letzten Sommer gezeigt, dass man auf einem viel einfacheren Wege die Probe anstellen kann. Man taucht ein Stück dickes Fliesspapier in den zu untersuchenden Harn und lässt einen Tropfen Liq. Ferr. sesquichlorat. darauf fliessen ; der gelbe vom Eisen- chlorid herrührende Fleck umgibt sich nach wenigen Secunden bei Anwesenheit von Spuren von Salieylursäure mit einem violetten Rand. Diese Reaction bleibt selbst im trockenen Zustande bestehen.

Ich nehme mir die Freiheit Ihnen, meine Herren, einige solcher Papierchen mit der Salicylursäurereaction darauf zu zeigen.

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Klemperer hat jüngst versucht durch Eitigiessen von Oel in den Magen und Herausbefördern desselben nach einer bestimmten Zeit aus dem Magen festzustellen, ein wie grosses Deficit da ist. Da das Oel vom Magen aus nicht resorbirt wird, so muss die fehlende Quantität durch den Pylorus bereits weiter befördert worden sein. Diese Methode lässt sich jedoch wie Klemperer selbst zugibt, practisch kaum verwerthen.

Das Wichtigste bleibt auch jetzt noch, die Feststellung der Diges- tionsdauer, dann kommt allerdings die Salolprobe, welche nach oben Gesagtem einfach ist und gute Fingerzeige gibt.

4) Feststellung der Magengrenzen durch Aufblähung

und Percussion.

Während bereits Plorry die Percussion zur Erkennung des Magen- bezirks eingeführt hat, ist diese Methode erst durch FrerlclfS zu ihrem Werthe gelangt. Da nämlich der Luftinhalt des Magens bedeutend variirt, so ist es selbstverständlich, dass man bei einer Untersuchung durch Percussion stets verschiedene Resultate bekommen wird. Fre- riehs führte daher die Methode ein, den Magen mit Gas aufzutreiben. Frerichs liess zu diesem Zwecke ein Brausepulver bestehend aus : Acicl. tartar. und Natr. bicarb., nehmen und setzte nun, sobald der Magen durch die frei gewordene Kohlensäure aufgebläht wurde, den tym- panitischen Bezirk durch die Percussion fest. Ton Ziemsseii führte diese Methode der Auftreibung vermittelst Brausepulver auch zur Erkennung der Dickdarmgrenzen und etwa bestehender Stenosen ein. Da man nach Einverleibung eines Brausepulvers es nicht in der Hand hat, die schnell entstellende Spannung zu reguliren, so fing Sclmetter an, in den Dickdarm Kohlensäure direct einzuleiten, indem er einen mit Selters gefüllten Siphon mit einem in die Analöffnung führenden Schlauch versah, den Siphon umkehrte, d. h. mit dem Quetschhahn nach unten hielt und durch Druck auf den Hahn die Kohlensäure in den Dickdarm trieb. Runeberg führte, von demselben Gedanken aus- gehend, gleich darauf die Aufblähung mit Luft für den Magen und auch Dickdarm ein. Ein Davidson' scher Saugballon mit Schlauch genügt vollkommen zu diesem Zwecke. Man hat dabei den Vortheil, dass man die Anfüllung des Organs nach Belieben vornehmen kann. Bläst man die Luft nicht allzusc.mell ein, so sieht man, nach welchen Richtungen hin die Ausdehnung des Magens stattfindet ; durch die Percussion lassen sich die Magengrenzen bestimmen und kann man so eine etwa bestehende Dilatation leicht erkennen. Ist ein Tumor vorhanden, so ist es von eminenter Wichtigkeit darauf zu achten, wie der Tumor nach der Aufblähung des Magens (resp. Dickdarms) gelegen ist, oder vielmehr welche Verschiebung und Lageveränderung der benachbarten Organe in Bezug auf den Tumor stattgefunden hat. Sehr oft sind wir auf diesem Wege im Stande herauszufinden, welchem Organ der Tumor angehört.

Ausser den eben besprochenen üblichen vier Arten von Stützpunkten in der Diagnostik der Magenaffectionen gibt es noch zwei andere Hilfs-

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mittel, welche jedoch vorläufig nur wenig Anwendung finden : nämlich das Gastroscop und die Schluckgeräusche.

3) Das Gastroscop wurde ursprünglich von Mikulicz angegeben und angewandt, später von Leiter verbessert. Allein so sehr werthvoll und wichtig es wäre, das Innere des Magens mit dem Auge zu besehen, so umständlich und schwer ist vorläufig die Handhabung des Gastros- cops ; dasselbe hat bis jetzt noch keinen Eingang in die übliche Magen- praxis gefunden.

2) Die Schluckgeräusche sind von S. J. Meitzer angegeben und genauer studirt worden. Sobald nämlich etwas Flüssiges geschluckt wird, hört man normaliter bei der Auscultation in der Gegend des Processus xyphoides 6 7 Secunden nach eingeleitetem Schluckact ein schlürfendes Geräusch, welches nach Meitzer das „Durchpressgeräusch" genannt wird. Dieses Geräusch entsteht an der Cardia. Nur bei Leuten mit alter Shyphilis und Phthisis fand Meitzer, dass das Geräusch sofort nach dem Schlucken vorhanden war ; nach Meitzer kommt dies dadurch zustande, dass in diesen Fällen eine Insuffizienz der Cardia vorhanden ist, und die Schluckmasse daher nicht wie normal für einige Secunden vor der Cardia liegen bleibt, sondern gleich durch die Cardia be- fördert wird. Meitzer nannte daher letzteres Geräusch das „Durch- spritzgeräusch."

Das Schluckgeräusch bezeichnet das Moment des Durchtritts von Inhalt durch die Cardia nach dem Magen ; es wird daher nur da vor- handen sein, wo die Cardia durchgängig ist. In der Diagnostik der Magenkrankheiten lässt sich vorläufig nur das nicht Vorhandensein des Schluckgeräusches in der Gegend des Processus xyphoides verwerthen. Wir können aus diesem Umstände einen Verschluss in der Gegend der Cardia, oder oberhalb derselben annehmen. Dieser Verschluss braucht jedoch nicht immer durch eine anatomische Structurve ränderung be- dingt zu sein, sondern findet sich auch da, wo die Cardia für die Sonde vollständig durchgängig ist, wo aber ein Verschluss durch Störung des Innervations- und Reflexmechanismus der Cardia zustande kommt. Solche Fälle sind von Meitzer und mir in der letzten Zeit beschrieben worden. Die constante Abwesenheit des Schluckgeräusches ist ein wichtiges Merkmal bei der Erkennung dieser Zustände.

Meine Herren ! Nachdem ich Ihnen die hauptsächlichsten neuen Methoden der Magenuntersuchungen vorgetragen und theilweise de- monstrirt habe, drängt sich die Frage auf, welchen practischen Werth diese neuen Errungenschaften in Bezug auf die Diagnostik und die Therapie der Magenerkrankungen haben ?

Die Hauptwichtigkeit scheint mir nun in folgenden Momenten zu liegen .

1) Wir sind jetzt im Stande, zwei grosse Classen von Magen- erkrankungen von einander genau zu trennen, nämlich diejenigen mit verminderter Salzsäurebildung und die mit vermehrter Salzsäure- secretion.

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2) Den Gipfelpunct dieser beiden Classen findet man einerseits in derGastrosuccorrhoea continua (Eeichrnann), andererseits in der Atrophie der Magenschleimhaut (Ewald, Lewy), zwei Krankheiten, die man erst seit Kurzem kennt, und die ich im Februar und September vorigen Jahres hier genau besprochen habe.

3) Die Differentialdiagnose zwischen Magenkrebs, chronischen Magencatarrh, Atrophie der Schleimhaut einerseits und Ulcus ven- triculi andererseits lässt sich kaum in der ersten Zeit der Krankheit ohne genaue chemische Untersuchung des Mageninhaltes machen. Die Analyse des Mageninhalts ergibt folgende Unterscheidungsmerk- male : Krebs = keine Salzsäure, Pepsin , Labferment gewöhnlich = 0 ; die Zerkleinerung der Speisen nicht fein ; chronischer Magencatarrli : HCl + wenig, Acidität verringert, viel Schleim, Pepsin , Labferment + [nur in sehr schweren Fällen zeitweise Abwesenheit von HCl und Lab.] ; Atrophie der Magenschleimhaut : HCl = 0, Pepsin = 0, Lab. = 0; Ulcus ventriculi : HCl +, Acidität gewöhnlich erhöht, Pepsin Lab. -f.

4) Durch die chemische Analyse des Mageninhalts ergeben sich fast immer sichere Anhaltspunkte für die Behandlung. Die Anwendung der Salzsäure auf der einen und der Alkalien auf der anderen Seite geschieht dann nicht mehr auf's Geradewohl, sondern basirt auf den gefundenen Daten. Auch die vorzuschreibende Diät wird von dem Verhalten des Chemismus abhängig gemacht : bei erhöhter Acidität wird eine vor- wiegend ei weissreiche Kost, bei verringerter Acidität eine mehr amy- laceenhaltige gereicht.

Einhorn, Probemittagbrod oder Probefrühstück, Berl. Klin. Wochenschr. 1888, No. 32. Roo- sevelt, New York. Medical Record, Dec. 1888.— Centralbl. für Klin. Med. 1888, No. 45. - Yirchow. Aren. Bd. 104, und Berl. Klin. Wochenschr. 1886, No. 48. Penzoldt, Berl. Klin. Wochenschr, 1882. Deutsch. Ärch. f. Klin. Med. Bd. 30, p. 3. Therapeut. Monatshefte, August 1887. Berl. Klin. Wochenschr. 1888, S. 4J3. Klemperer, Berl. Klin. Wochenschr. 1888, No. S56. SchneUer, Deutsch. Arch. f. Klin. Med. Bd. 34, S. 63 *. Runeberg, Deutsch. Arch. f. Klin. Med. Bd. 34, S. 460. Ewald, Klinik der Verdau ungs rankheiten II, S. 50. Meitzer, Centralbl. f. d. Med. Wissensch. 1883, No. 1.— Mdtzer, Berlin. Klin. Wochenschr. 1888, No. 8. Einhorn, New York. Medical Record 1888, December 29. Einhorn, New York. Med. Presse, September 1888. Anmerkung: Die amyloide Degeneration der Magenschleimhaut (Edinger) verhält sich ganz wie die Atrophie ; sie wird jedoch nur vergesellschaftet mit amyloider Er- krankung anderer Organe angetroffen.

II.

üysenteria diphtheritica gravis.

Von

Dr. Richard Stein,

Arzt am Deutschen Dispensary, New York.

Krankengeschichte : Frau Z., 50 Jahre alt, in guten Lebens- verhältnissen, erfreute sich stets guter Gesundheit, nur gelegentlich litt sie an Verdauungsbeschwerden und Verstopfung. Etwa zwei Monate vor ihrem Tode bekam sie einen ziemlich grossen Furunkel an der inneren Seite des linken Oberschenkels, der ohne weitere Schwierigkeiten verheilte. Inzwischen war sie wieder vollkommen gesund. Ende Juli v. Jahres ging die Frau zum Landaufenthalt nach Sheepshead Bay, L. I. Daselbst befand sie sich die ersten zwei Tage recht wohl, war munter und ass mit gutem Appetit. Am vierten Tage nach ihrer Ankunft da- selbst stellte sich profuse Diarrhoe ein, begleitet von massigem Tenes- mus. In den ersten Tagen der Erkrankung hatte ich die Patientin leider nicht unter directer Beobachtung. Angeblich fing die Krankheit ohne Frost oder Frösteln an ; auch soll zu Anfang kein Fieber vor- handen gewesen sein. Bald nahmen aber die Zahl der Entleerungen zu, es trat deutliche Fiederbewegung auf. Als ich die Patientin etwa am fünften oder sechsten Tage der Erkrankung zum ersten Mal sah, fand ich sie in gutem Allgemeinzustand, mit kräftigem nicht zu frequenten Puls und einer Rectaltemperatur von 103°. Die Zunge war trocken und dick belegt, der Unterleib etwas aufgetrieben, auf Druck aber nirgends schmerzhaft. Wiederholte darauf gerichtete Untersuchung ergab das- selbe Resultat im ganzen Verlaufe der Krankheit. Milz und Leber zeigten die normalen Percussionsgrenzen. Auch die Untersuchung der anderen Organe ergab weiter nichts Abnormes. Auffallend war aber eine gewisse Theilnahmlosigkeit oder Prostration, die dem relativ guten objectiven Zustand nicht zu entsprechen schien. Es erinnerte dieses nicht so sehr an den Status typhosus, als an die, manche Formen der Septicaemie begleitende, Zustände. Die Kranke nahm reichlich Nahrung, erbrach nicht, klagte aber über ein Oppressionsgefühl das sie hauptsächlich in's Epigastrium localisirte. Dieses Schweregefühl ver- anlasste sie in kurzen Intervallen tiefe Seufzer auszustossen. Daneben bestand auch häufiger Singultus.

Patientin hatte an diesem Tage etwa acht bis zehn Stuhlentleerungen gehabt. Ich konnte mich durch die Inspection des Stuhlgangs über- zeugen, dass derselbe seinen faecalen Character verloren hatte, der Hauptsache nach aus einer halbflüssigen, schmutzig-weissen Masse be-

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stand, in welche graue und schwärzliche Fetzen eingestreut waren. Der- selbe hatte einen nicht faeculenten, sondern faden, aashaften Geruch. Diesen Character behielten die Stühle während des ganzen Verlauf s der Krankheit wesentlich bei ; dieselben enthielten so gut wie gar kein Blut ; nur gelegentlich sah man einige blutige Streifen. Microscopisch konnte man allerdings rothe Blutkörperchen nachweisen. Im späteren Verlauf waren die berüchtigten Sagokörner den Stühlen beigemengt, und zwar in recht beträchtlicher Anzahl, so dass sie der Umgebung auf- fielen, kleine weisse rundliche Klümpchen, die ja bekanntlich den ent- leerten Inhalt der vereiternden Follikel des Dickdarms darstellen. Die- selben bestehen wie ich mich durch die wiederholte microscopische Untersuchung überzeugen konnte vornehmlich aus Schleim, Schleim- körperchen, Eiterzellen, degenerirten Epithelien und schliesslich Bacterien.

Das Krankheitsbild wechselte im weiteren Verlauf nicht wesentlich. Die Fieberbewegung war eine sehr uuregelmässige ; sie erreichte ad Maximum 103° und einige Bruchtheile in der Exacerbation. Der Tenes- mus, der nie auffallend in den Vordergrund trat, nahm allmählig ab und verschwand schliesslich ganz. Lähmung des Sphincter ani war nicht vorhanden. Es trat hie und da Erbrechen auf, aber stets nur nach der Nahrungsaufnahme. Seufzen und Singultus nahmen zu.

Die Harnmenge war verringert ; der Harn enthielt weder Eiweiss noch sonstige abnorme Bestandteile.

Die Behandlung bestand im Wesentlichen in der Darreichung grösserer Dosen Calomel, und in regelmässigen Gaben von Bismuthum subnitricum, resp. salieylicum mit Opium. Letzteres ermöglichte es den Darm unter Controlle zu stellen, verminderte wohl auch dadurch den Tenesmus, brachte aber nach kurzer Zeit eine Obstipation zu Stande, so dass ich es später ganz aussetzte. Naphthalin in Pillen und Oblaten gereicht, wurde nicht vertragen. Ferner liess ich in's Rectum, häufige Eingiessungen einer \% Höllensteinlösung machen, die den Entleerungen schliesslich ein ganz schwarzes Aussehen gaben. Ferner wurden Eis- beutel auf den Unterleib und später hydropathische Umschläge ver- ordnet. Es wurden auch die verschiedentlichsten antifebrilen Mittel gereicht, per Os, per Rectum und subcutan, darunter auch grosse Gaben Chinin. All diese Mittel hatten absolut keinen Effect auf den Fieber- verlauf. Am zehnten Krankheitstage zeigte sich eine Parotitis metas- tatica der linken Seite, die sich schliesslich zertheilte.

Dieses Symptom übrigens nach Griesinger ein sehr seltenes, sowie die exquisit trockene Zunge dieselbe war trocken wie Bein, ferner der Umstand, dass die Temperaturerhöhung keinem antifebrilen Mittel wich, und schliesslich die eigenthümliche oben erwähnte Protration, stempelte diese Krankeit zu einer exquisit sejrtischen.

Die Tympanie, namentlich entsprechend der Gegend des Grimm dar- in es, nahm allmählig zu. Calomel förderte nur die oben beschriebenen putriden Entleerungen zu Tage ; Faeces enthielt der Stuhlgang im späteren Verlauf nie. Die Darmlähmung war eine nahezu complete.

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Unter Benommensein des Sensoriums und Delirien verschied die Pa- tientin am vierzehnten Krankheitstage. Die Temperatur, eine Stunde post mortem im rectum gemessen betrug 105°.

Die Section von Herrn Dr. J. Metzger ausgeführt ergab : Einen stark dilatirten Dickdarm, der mit einer grauschwarzen, flüssigen Masse er- füllt war. Der Dickdarm ist in seiner ganzen Ausdehnung erkrankt. Die Geschwüre setzen dicht an der Ileocoecalklappe ab, doch ist die Klappe selbst noch mit afficirt. Die Geschwüre sind ungemein zahlreich; an einigen Darmstrecken sind eigentlich nur Schleimhautreste übrig geblieben. Letztere erstrecken sich in Form von Streifen und Leisten zwischen den Substanzverlusten. Die Ulceration geht namentlich den Yalvulae und Taenien entlang. Spannt man den Darm aus, so sieht man, dass die Ulceration noch viel mehr ausgebreitet ist, als es auf den ersten Blick den Anschein hat : die Substanzverluste gehen in den Ein- kerbungen, in die Längs- und Querfalten des Darms hinein. Auf diese Weise entsteht die für diese Krankheit characteris tische Landkarten- zeichnung.

Der Process ist augenscheinlich von unten nach oben vorgeschritten. Im oberen Theil des Dickdarms sieht man noch einige über das Niveau hervorragende umschriebene Stellen mit einem schieferfarbigen, leicht abstreif baren Belag versehen. Streckenweise ist die Schleimhaut schwarz verfärbt. (Einwirkung des Argentum nitricum.)

Die Geschwüre sind flach, meist oval oder rund, oder mit unregel- mässigen Contouren versehen ; die Bänder sind glatt, nicht infiltrirt, der Grund der Geschwüre überall gereinigt. Hie und da sieht man geschwungene Linien, entstanden durch das Ineinanderfliessen ver- schiedener kleinerer Substanzverluste. Nirgends sieht man Ringge- schwüre. Nur ausnahmsweise sieht man die streifige Muscularis im Grund eines Geschwürs. Localperitonitis oder Perforation nicht vorhanden.

Folliculargeschwüre sind sehr zahlreich zwischen den anderen dy- senterischen Geschwüren eingestreut. Ränder und Grund derselben verhalten sich wie die soeben beschriebenen.

Die von Virchow betonte Localisation findet sich auch in diesem Fall scharf ausgeprägt. Es sind hauptsächlich die Flexuren (sigmoidea, lie- nalis, hepatica) betroffen. In der Nähe der Ileocoecalklappe finden sich noch ganz frische Geschwüre, resp. diphtheritische Einlagerung. Der Dünndarm ist catarrhalisch afficirt. Nirgends Geschwüre. Die Gekrös- drüsen sind vergrössert. Sonstige Organe ergeben nichts bemerkens- werthes. Intumescenz der Milz und Leber ; trübe Schwellung. Kein Leberabscess oder Infarct.

Ich habe mir die Mühe gegeben diesen Fall etwas ausführlicher zu erörtern weil er eine Dysenterie, resp. Dickdarmdiphtherie in der Form einer acuten Infectionskrankheit darstellt, welche cyclisch und uncom- plicirt verlaufen ist, und somit ein ungetrübtes, clinisches Bild einer ganzen Krankheitsgruppe darstellt, die gewöhnlich in verworrener Weise unter den Namen Dysenterie zusammengefasst wird. Im eng- lischen, speciell amerikanischen Sprachgebrauch werden auffälliger-

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weise alle möglichen diarrhoischen Zustände mit Dysenterie benannt. Tenesmus und Blut genügen als clinisehe Merkmale ; sind diese zwei Cardinalsymptome nicht vorhanden, so wird das Bestehen einer Dysen- terie in Zweifel gezogen. Unser Fall bestätigt, gegen Ketsch die Auf- fassung der Dysenterie als reine Dickdarmdiphtherie. Auch muss ich mit Wernich übereinstimmen, wenn er die gewöhnlich a)s „Dysenterien" beschriebenen Fälle, welche nach Flint eine abgegrenzte, stets in Heilung übergehende Krankheit darstellen soll, nicht als solche aner- kennen will. Auch in demselben Sinne möchte ich die Beobachtungen von Uffelmann betrachten. Es geht aus seinen Erörterungen nicht klar hervor ob er es mit der gewöhnlichen Brechruhr oder der epidemischen (infectiösen) Dysenterie zu thun hat.

Was den Character der Entleerungen anbetrifft, so kann ich nicht umhin hier die classischen Beobachtungen Gi^iesinger's über Dysenterie folgen zu lassen : „Wenn die idiopathische Ruhr wie in den gewöhn- lichen Fällen mit mässiger Diarrhoe begann, so nahmen die dünnen gallig gefärbten Stühle eine blutige Beimischung an, welche in dieser Zeit gewöhnlich um so stärker war, je lebhafter der Tenesmus. In den milderen, mehr subacuten Fällen bleiben zuweilen die Stühle auch von jetzt an im Wesentlichen dunkel gallig, oder stellten eine hellgelbgraue seröse Flüssigkeit, mit vielen hellgelben Flocken dar, oder führten eine Menge Sehleimkörperchen, deren reichliche Anwesenheit den Stuhl in einzigen Fällen ein froschlaichartiges Aussehen gab (Producte der Folli- cularaffection.) .... Bei den sphacelösen Processen im Darm waren die Ausleerungen zuweilen sehr dünn, serös, fleischwasserähnlich, zuweilen schwärzlich, immer von heftigsten Gestank .... Der Tenesmus fehlt sehr oft und gerade in sehr malignen, den oberen Dickdarm befallenden Dysenterien. Ebenso inconstant ist der Bauchschmerz, der in sehr seltenen Fällen vehement, bei den schwersten Erkrankungen hier und da fast ganz fehlend." ....

Mit einem grossen Theil dieser Beobachtungen steht die Symptoma- tologie meines Falles in auffallender Uebereinstimmung. Kein Bauch- schmerz, weder subjectiv noch auf Druck, keine Borborygmi, wenig Tenesmus, kein Blut (nur inicroscopiseh) und dennoch eine äusserst maligne Form der Ruhr. Diese clinischen Thatsachen, mögen sich auf folgende Weise erklären lassen : Der Darm zeigte von vornherein eine Tendenz zur Lähmung ; kurz vor dem Exitus war er ja völlig gelähmt, grösstentheils wohl durch die ungemein ausgebreitete Ulceration, zum Theil wohl auch durch centrale Einwirkung. Aehnliche Zustände finden wir in manchen schweren Fällen von Typhus abdominalis. Ob es über- haupt eine „catarrhalische Ruhr", in dem Sinne eines infectiösen Pro- cesses auf der Dickdarmschleimhaut, gibt, mag dahingestellt bleiben ; das was man so schlechtweg als Dysenterie bezeichnet ist gewöhnlich nichts anderes, als eine catarrhalischeErkrankung desRectum und Colon, vergesellschaftet mit einer mehr oder weniger ausgebreiteten Follicular- verschwärung dieser Abschnitte des Darms. Hierbei sind die Entlee- rungen häufig mit Blut untermischt, daher von manchen Autoren und

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vom Volke „rothe Ruhr" benannt. Hier spielt die Hauptrolle der Dickdarmcatarrh. Dieser gibt Anlass zum Tenesmus ; andererseits aber führt der Tenesmus die Blutung herbei, theilweise per diapedesin, grösstenteils aber durch Zerreissung der Gefässe einer ohnedies hyper- aemischen Schleimhaut. In unserem Fall herrschte wesentlich ein necrotischer Process, eine beinahe die ganze Schleimhaut involvirende Gangrän. Die relativ intacte Darmfläche war klein, daher wenig oder gar kein Blut im Stuhlgang. Die diphtheritischen Ulcerationen an sich, das sehen wir auch in analogen Processen der Uterusschleimhaut, liefern keine blutige Exsudation.

Der Tenesmus war ja im Anfang vorhanden. Jm späteren Verlauf, nahm die Parese des Mastdarms an der allgemeinen Darmatonie theil.

Bemerkenswerth war auch hier wie in vielen Fällen der D. das Ver- halten des Fiebers. Dasselbe setzte ganz schleichend ein und stieg im ganzen Verlauf kaum bis zu 103°. Es gibt Fälle die zu Anfang ganz fieberlos verlaufen. Dieses Verhalten des Fiebers, seine grosse Un- regelmässigkeit u. s. w. kann leicht zu Fehlern in der Diagnose Anlass geben. Es versteckt sich eine schwere Infectionskrankheit hinter dem Bilde einer fieberlosen Diarrhoe. Weiterhin bot die Persistenz des Fiebers gegen alle antifebrilen Mittel, eines der wichtigsten Merkmale der malignen Natur der Erkrankung.

Was die Aetiologie anbetrifft, so muss man wohl annehmen, dass das Gift in dem Landaufenthaltsort aufgenommen wurde. Die Küste Long Island's liefert ein grosses Contingent unserer Fälle von bösartigem Typhus, Malaria und Dysenterie.

Soviel ich weiss handelt es sich hier um einen sporadischen Fall.

Therapeutisch ist noch erwähnenswerth, dass es wichtig ist, neben den dysenterischen Entleerungen, stuhltreibende Mittel anzuwenden.

Uffelmann hat an einem Dysenteriekranken mit Gallenfistel die äusserst interessante Beobachtung gemacht, dass die Gallenabsonderung ganz still steht. Das erklärt zum Theil wenigstens das Fehlen der eigentlichen Faeces, und die Stase des Dünndarminhalts, trotz reich- licher dysenterischer Entleerung aus dem Dickdarm. Das Calomel in grossen Dosen hat sich zu diesem Zweck noch am besten bewährt. Napthalin wurde in meinem Fall nicht vertragen.

Eine grosse Rolle in der Behandlung der D. bei den englischen resp. indischen Aerzten spielt das Ipecacuanha in grossen Dosen. Auch Griesinger hat gute Erfolge davon gesehen. Amerikanische Beobachter sprechen sich im entgegengesetzten Sinne darüber aus. Das Opium soll, meiner Erfahrung nach, mit Vorsicht angewendet werden. Gegen den Tenesmus bewährten sich Stärkeklystiere.

Virc\ow, Historisches u. s. w. zur Lehre der Unterleibsaffectionen. Virch. Archiv. Bd. V, p. 281, 1853. Griesinger, Clinische und anatomische Beobachtungen über die Krankheiten von Aegypten. Archiv f. physiol. Heilkunde, 1854, Bd. XIII, p. 528. Bamberger, in Virchow's Handbuch d. Pathologie u. Therapie, 1864, Bd. VI, 1. Abtheil.— v. Bäsch, Virchow's Archiv, Bd. XIV, p. 204. Uffdmann, Deutsches Archiv f. fclin. Medicin, Leipzig, 1874, Bd. XIV, p. 228, Werrrich, Deutsches Archiv f. klin. Medicin, Leipzig, 1879, Bd. XXIII, p. 428. Flint, American Journal of theMedical Sciences, 1875, p. 26— 39.— Delafield, Medical Gazette, N. Y., 1880, Bd. VII, p. 257. Ketsch, Dysenterie. Archiv de Physiologie et pathologie, 1873.

III.

Zur Werthschätzung der verschiedenen Operations in ethoden bei acuter Larynxstenose der Kinder. (Croup).

Von

Dr. August Caille,

New York.

Unter Croup im Sinne dieser Mittheilung verstehen wir einen acut entzündlichen Process der oberen Luftwege, wobei durch Membran- bildung oder durch oedematöse Schwellung eine gefahrdrohende Ste- nose zu Stande kommt.

Bedienen wir uns nun des clinischen Ausdruckes „diphtherischer Croup", so bezeichnen wir damit, falls wir nicht die primäre Larynx- diphtherie im Auge haben, einen Croup im Anschluss an eine diphtheri- tische Pharyngitis, Amygdalitis oder Rhinitis, ob aber dabei die Stenose der Luftwege durch Membranbildung oder entzündliche Schwellung zu Stande kommt, lässt sich in der Mehrzahl der Fälle nicht bestimmen, da bei kleinen nach Luft ringenden Kindern eine ausgiebige Unter- suchung des Kehlkopfes illusorisch ist.

Diese Frage tritt überhaupt vollkommen in den Hintergrund, sobald die Indication für einen manuellen Eingriff vorliegt. Ferner ist die Frage von der Unität oder Dualität der diph. Laryngitis und des mem- branösen Croup hierbei ebenfalls irrelevant.

Zur Illustration des Gesagten mögen nun durch folgende Zusammen- stellung gewisse clinische Vorkommnisse in Erinnerung gebracht werden :

1) Einfache catarrhalische Laryngitis mit Stenose.

2) Ulcerative Stomatitis, mit circumscripter, speckiger Auflagerung im Pharynx und Larynxstenose.

3) Exanthem (Scarlatina, Morbilli mit und ohne Diphtherie) mit Laryn- gitis und Stenose.

4) Pertussis, Eachendiphtherie und Larynxstenose.

5) Mandel- und Eachendiphtherie und Larynxstenose.

6) Septische Diphtherie des Pharynx oder Nasopharynx mit Larynx- stenose.

7) Membranöse Laryngitis, Tracheitis und Bronchitis ohne sichtbare diphtheritische Auflagerung.

Aus dieser Zusammenstellung lässt sich nun entnehmen, dass in dem Beispiel 1) und 3) die Larynxstenose höchstwahrscheinlich einfach

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catarrhalischer Natur ist. Bei 2), 4), 5) und 6) kann die Stenose catar- rhalisher oder membranöser (diphtheritisoher) Natur sein und falls das Letztere, so kann die diphtherische Auflagerung im oberen Kehlkopf circumscript oder auch in bedeutender Ausdehnung vorhanden sein, und bei 7), dem sogenannten primären Croup, kann die obstruirende Membran ebenfalls die verschiedenste Ausdehnung erreicht haben.

Der Erfolg eines manuellen Eingriffe behufs Hebung der Stenose hängt nun einfach davon ab, welche Art der Erkrankung wir vor uns haben. Die besten Resultate erzielen wir bei der rein catarrhalischen Stenose und es dürfte durchaus nicht überflüssig sein darauf hinzu- deuten, dass in den Tenement House Districten der Stadt New York bei elenden und schlecht genährten Kindern, lebensgefährliche catarrha- lische Stenosen oft genug zur Beobachtung kommen. Solche Patienten gehen ohne manuelle Hülfe asphyctisch zu Grunde und bei der Obduc- tion findet sich dann keine Spur einer membranösen Auflagerung. Die Prognose bei 2), 4) und 5) ist stets zweifelhaft, bei 6) und 7) un- günstig.

Es ist ferner festzuhalten, dass der operative Eingriff bei Croup nur die Stenose überwindet, aber keinen wesentlichen Einfluss auf einen etwa vorhandenen diphtherischen Process ausübt, und folglich wird derjenige Eingriff den Vorzug erhalten müssen, welcher bei Aufhebung der Stenose so wenig wie möglich den Abheilungsprocess des Grund- leidens beeinträchtigt.

Zur temporären oder permanenten Beseitigung der Erstickungsge- fahr bei Croup werden nun folgende Eingriffe geübt oder empfohlen :

1) Tracheotomie.

2) Intubation. (O'Dwyer).

3) Rasche Eröffnung der Luftröhre mittelst des Tracheotoms.

Der Einstich in die Trachea eines asphyctischen Kindes mittelst eines gebogenen spitzen und scharfen Instrumentes (Langenbeck's Tracheo- tom), wird wohl mit Recht wenig geübt. Er ist in geübter Hand ein un- sicheres, in ungeübter Hand ein gefährliches und verwerfliches Ver- fahren, überhaupt ist in der vorderen Halsgegend ein schneidiges Vor- gehen nur unter Controlle des Auges gestattet. Neuerdings empfiehlt Dr. E. Holden in Newark, N. J., als Ersatz für die Tracheotomie folgen- des Verfahren *) :

Mittelst einer, mit einem spitzen Stilet versehenen, aus 2 Hälften beste- henden kurzen, gekrümmten Canüle wird die Membrana crico-thyreoidea perforirt. Nach Entfernung des Stiletes werden die Canülenhälften durch Druck und Zug nach oben zwischen die Stimmbänder gerichtet und klaf- fend fixirt. Die Perforationsöffnung bleibt durch die Handhabe der Canüle verschlossen. Die Athmung geschieht per vias naturales. Der Erfinder gibt zu, diese Methode bei Kindern unter 4 Jahren nicht angewendet zu haben.

*) A possible Substitute for Tracheotomy and Intubation in certain Cases, N. Y. Med. Journal, Dec. 15, 1888.

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Das Verfahren ist gut ersonnen und dürfte wohl auch bei Erwach- senen probat sein, nach unseren Versuchen an der Leiche würde es sich kaum für die Kinderpraxis bewähren, und zwar aus folgenden Gründen :

1) Eine Stenose unterhalb des Bingknorpels wird nicht gehoben.

2) Die Kaumverhältnisse des kindlichen Larynx sind derart, dass eine Verletzung der hinteren Larynxparthie kaum zu umgehen wäre.

3) Der enge Eaum zwischen Eing- und Schildknorpel bietet selbst bei guter Fixation ein Hinderniss für das Eindringen des Instrumentes.

Die Vortheile und Xachtheile der Tracheotomie sollen hier nicht en detail erörtert werden. Der correct ausgeführte Luftröhrenschnitt ist so weit die Hebung der Larynstenose in Betracht kommt ein classisches Verfahren, dessen Ausführung in geübter Hand, bei guter Beleuchtung Assistenz und geschulter Nachbehandlung von gutem Erfolg be- gleitet ist.

So berichtet W. Böser in Marburg 59% Genesung nach einer grösse- ren Anzahl Tracheotomien in seinem Spitale und befürwortet dabei die Anwendung einer Canüle, welche durch Umwickelung mit Jodoformgaze auch als Tamponcanüle wirksam ist.

So günstige Besultate sind ausserhalb der Hospitäler bei Tracheoto- mie ebensowenig zu erwarten, wie vergleichsweise bei Ovariotomie.

Wenige Aerzte haben jemals Gelegenheit den Luftröhrenschnitt vor dem Eintritt in die Praxis auszuführen, und es will mir scheinen, dass man in Operationscursen weniger Aufmerksamkeit auf diesen Eingriff lenkt, als auf andere, deren rasche Ausführung niemals in Frage kommt.

Es darf ausserdem nicht vergessen werden, dass bei Pharynxdiph- therie mit einfach entzündlicher Stenose der Larynx durch die Tracheo- tomie einer diphtheritischen Infection der unteren Luftwege Vorschub geleistet wird, da ein die Wunde schützendes Occlusiv- Verfahren nicht gut möglich ist. Es muss daher bei guter Erwägung aller Umstände der Larynxintubation nach O'Dwyer eine grosse practische Bedeutung beigelegt werden, und dies um so mehr da zugegeben werden muss, dass in der Praxis in einem Croupfall recht lange temporisirt wird, falls die Tracheotomie in Vorschlag gekommen ist, und erst operirt wird nachdem Lungenatelectase und -Entzündung eingetreten ist.

Die Intubation lässt sich von jedem Practiker der genügend lange Finger hat leicht erlernen, da die Gelegenheit sich an der Leiche zu üben durch Specialcurse und auf privatem Wege in hiesiger Stadt hinreichend vorhanden ist.

Was leistet nun die Larynxintubation?

1) Sie schafft Luft ohne zu verletzen.

2) Die Einwilligung wird frühzeitig gegeben.

3) Die Narcose mit ihren Gefahren wird vermieden.

4) Die Nachbehandlung ist einfach.

5) Die Methode eignet sich ebenfalls für jüngere Kinder.

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Wirkliche Nachtheile der Intubation sind:

1) Die Möglichkeit der Verstopfung einer Canüle durch Yorstossung einer Membran.

2) Häufiges Verschlucken flüssiger Nahrung und Medicamente. Das Vorstossen einer Membran beim Einführen einer Canüle kommt

vor. Bei Kindern, welche nicht schon moribund sind, wird unter solchen Umständen nach prompter Entfernung der Canüle mittelst des Fadens diese Membran einfach ausgehustet. Membranen kommen überhaupt leicht zum Auswurf, wenn die zur Zeit in New York häufiger geübte Quecksilberbehandlung eingeleitet war.

Das Verschlucken von Flüssigkeiten findet in der Mehrzahl der Fälle statt, doch lässt es sich öfters vermeiden, wenn man die kleinen Patienten in der Nachbehandlung so lagert, dass der Kopf ein wenig tiefer liegt als der Körper, oder auch die zu verabreichende Flüssigkeit in kleinen Quantitäten einträufelt. Uebrigens beobachtet man nicht selten, dass ein intubirtes Kind aus vollen Gläsern herzhaft und gut schluckt; auch dürfte es wohl allgemein bekannt sein, dass breiförmige Nahrung ohne Verschlucken genommen wird. Diverse Medicamente können der Nah- rung incorporirt und auf diese Weise den Patienten beigebracht werden. Nebenbei ist subcutane und percutane Medication und Stimulation mög- lich, die Ernährung kann mittelst Schlund- und Darmrohr unterstützt werden, und die zeitweise Entfernung der Canüle *) zum Zweck der Er- nährung wird ebenfalls mit Erfolg geübt. Die locale Behandlung einer Nasen- und Rachendiphtherie ist mitteist Spray und Einträufelung in die Nase gut möglieh, überhaupt ist die prophylactische Reinhaltung der Nas.? bei Diphtherie des Pharynx mittelst Einträufelung von Salz- wasser oder Borsäurelösung niemals zu unterlassen.-}-)

Nach unseren bisherigen Erfahrungen dürften wir berechtigt sein, für die Larynxintubation folgende Indication aufzustellen:

1) Bei muthmasslich einfach catarrhalischer Stenose.

2) Bei „primärem Croup" und sichtbarer Diphtherie mit Larynx- stenose überall wo die Möglichkeit einer exacten Nachbehandlung nach Tracheotomie ausgeschlossen ist.

*) Intermittirende Tubage. Berliner Klin. Wochenschr. No. 32, 1887.

t) Vide "A Method of Prophylaxis in Diphtheria." The Medical Becord, February 18, 1888.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

De. A. SEIBERT.

Medicinische Wohlthätigkeit.

Es versteht sich ganz von selbst, dass die Aerzte unter den civilisirten Völkern aller Länder einen Theil ihrer Zeit, Arbeitskraft und Kennt- nisse dem Publicum umsonst widmen. Der Arzt ist in erster Linie Heilkünstler, Hülfebringer, Schmerzenstiller. Im Publicum besteht sogar die fixe Idee, dass jeder Arzt, wenn nicht gesetzlich, so doch moralisch verpflichtet ist, überall da sofort auf der Bildfläche zu erscheinen, wo er gewünscht wird, einerlei ob ihm seine Mühe gelohnt wird oder nicht. Und diese ideale Auffassung unseres Berufes ist der beste Beweis dafür, dass die Aerzte die grössten Wohlthäter der Menschheit sind, und ausserdem, dass unser Beruf mit Fug und Recht der anständigste aller Berufe genannt werden kann. Der Kaufmann, der Advocat, und selbst der Geistliche betrachten ihre gratis gelieferten Arbeiten, Tröstungen und Geldunterstützungen nur als Ausnahmen von der Regel, der Arzt übt das Wohlthun bewusst oder unbewusst tagtäglich als Regel.

In New York aber ist die medicinische Wohlthätigkeit zu einer Blüthe gelangt, wie wohl in keiner Grossstadt der Welt, und hat denn auch ein Bettlerthum unter den Patienten grossgezogen, welches seines Gleichen sucht. Man kann getrost sagen, dass hier einige Hunderttausende leben, welche Jahr aus Jahr ein sich in Hospitälern, Dispensaries und von Wohlthätigkeitsärzten behandeln lassen, welche wohl im Stande wären, für ärztliche Hülfeleistungen zu bezahlen. Namentlich ist die enorme Anzahl der Dispensaries hieran schuld. Diese Anzahl ist nun noch in stetem Wachsen begriffen. Eine Controlle bezüglich der Zah- lungsfähigkeit der Patienten findet in keiner Anstalt statt, denn die Frage nach dem Einkommen der Familie ist, wenn sie überhaupt je gestellt wird, kaum als Controlle aufzufassen. Wird ein Patient aber in einer Clinic abgewiesen, so spaziert er getrost um die Ecke in eine andere.

Das Alles ist nicht neu, und diese Frage ist schon oft besprochen worden. Eine Controlle von Wirksamkeit wird sich hier auch wohl schwerlich einführen lassen, aus Gründen, die allbekannt sind. Desto strenger sollten alle in Anstalten fungirende Collegen selbst darauf sehen, dass sie nicht von Zahlungsfähigen um ihre Arbeit und oft kurz- gemessene Zeit beschwindelt werden.

Im deutschen Dispensary hat die Inspection zweifelhafter Patienten

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durch die Agenten der Charity Organization Society entschieden Nutzen geschaffen. Die deutsche Policlinic bedient sich dieser Massregel eben- falls. Aber das ist ungenügend.

Wir möchten hier anregen, dass diese zwei Anstalten durch häufige Vergleiche der Namen, durch gegenseitig zugesandte Berichte uad durch andere noch zu erörternde Massregeln gemeinsam vorgingen, um wenigstens dem Missbrauch unter den deutschen Patienten zu steuern.

Borgt der Leser einen Roman in einer unserer öffentlichen Biblio- theken, so muss er vorher die schriftliche Erklärung eines verantwort- lichen Mannes bringen, der für seine Ehrlichkeit gutsagt. Ist die Unter- suchung eines Arztes oder eine Operation, mit Gratiszugabe von Ver- bandstoff und Medicin, nicht so viel werth wie das Leihen eines Buches ?

Das Isolireu bei Intectionskrankheiten.

Nächst mangelhafter Durchführung der Ventilation nimmt die durch- weg ungenügende Art des Abschliessens Diphtherie- und Scharlach- kranker die zweite Stelle unter den schwachen Seiten des Durchs chnitts- practikers ein. Kürzlich brachte der 16jährige Sohn einer zahlreichen Familie eine schwere Scharlachinfection aus der Schule (in der benach- barten Grossstadt) mit nach Hause. In dem 2000 Seelen zählenden Villenstädtchen herrschte kein Scharlach zur Zeit. Der hinzugerufene College constatirte die Krankheit und schrieb seine Becepte, liess aber den Patienten in seinem Schlafzimmer liegen, ohne sich nach bes- serer Gelegenheit zur Isolati >n umzuthun. Der dritte Stock des ge- räumigen Hauses enthielt ein sehr grosses und drei kleinere Zimmer, die unbenutzt waren. Das grosse Zimmer hatte acht Fenster nach drei Seiten, ein ideales Krankenzimmer. Der 16jährige Patient genas. Eine Woche nach dem Beginn seiner Erkrankung ward ein 24jähriger, sehr kräftiger Bruder von Scharlachdiphtherie ergriffen und ging binnen 36 Stunden an Herzlähmung zu Grunde. Eine 15jährige, bisher kern- gesunde Schwester erkrankte 24 Stunden nach dem Verstorbenen, und liegt zur Zeit mit schweren septischen Symptomen in gefährlichem Zu- stand. — Zur selben Zeit behandelte ein älterer College drei Kinder aus vieren an derselben Erkrankung in einem " Fiat " in New York. Im Esszimmer neben dem Ofen standen die Bettchen, die Fenster waren zu und verhangen, „wegen den Augen." Die luftigsten schönsten zwei Zimmer, nach vorne gelegen, blieben unbeachtet. Vater, Mutter, die drei Kranken und das Baby hockten Tag und Nacht in der Kranken- stube zusammen. Zwei Kinder starben binnen drei Tagen, und in kurzer Zeit wird das andere wohl auch folgen, trotzdem es jetzt in der guten Stube in reiner Luft athmen kann.

Eine der häufigsten Ausreden vieler Collegen ist das Citat von der grauen Theorie und der Unmöglichkeit der Ausführung in der Praxis ! Man steift sich ordentlich darauf und nennt das „Practiker" sein. Solche Practiker mögen alles Andere sein, aber sicher nicht practisch. Wir haben noch immer gefunden, dass die Eltern erkrankter Kinder dem

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Arzt ob der genauen Anordnungen über Ventilation und Isolirung dankbar waren. Möglich, dass der energische College durch strenges Durchführen seiner Ideen gelegentlich eine Familie als Patienten ver- liert, wenn der Fall tödtlich endete, aber das darf doch einen Mann der Wissenschaft nicht abhalten, ganz und voll seine Pflicht zu thun.

Die kürzlich angeregte Idee, bei leichten Infectionen die übrigen Familienmitglieder der Ansteckung direct auszusetzen (bei Scharlach und Masern), ist desshalb verwerflich, weil die clinische Erfahrung uns tagtäglich lehrt, dass ein leichter Fall einen schweren, selbst tödtlichen, jederzeit bedingen kann. Wahrscheinlich handelt es sich doch nur dabei stets um die Menge des Infectionsstoffes, welche den Körper invadirt. Je ausgiebiger daher die Ventilation des Krankenzimmers, je energi- scher das Isoliren der Patienten, desto besser für alle Betheiligten.

Moderne Antipyrese.

Es is nur rationell, wenn sich in letzter Zeit massgebende Autoritäten gegen den Missbrauch der modernen Antipyretica aussprechen. Man soll allerdings nicht die Temperatur des Patienten behandeln, sondern den Patient selbst. Das klingt gut, und wäre auch vollkommen correct, wenn die neueren antifebrilen Mittel keine andere Wirkung hätten. Dem ist aber nicht so. Der grosse Unterschied z. B. zwischen grossen antifebrilen Dosen von Chinin und Antipyrin besteht darin, dass erste- res das Nervensystem schwer deprimirt, die Herzthätigkeit verschlech- tert, und bei Herzschwachen geradezu gefährlich ist, während die Herabsetzung der Temperatur nur kurz andauert, dagegen die unan- genehmen Symptome länger anhalten. Ganz anders zeigt sich die Wirkung des Antipyrin. Temperatur und Pulsfrequenz sinken prompt und nachhaltig, und die Contractionen der Herzmuskulatur werden statt schwächer, wesentlich kräftiger. Ausserdem aber wird das subjecüve Woldbefinden der Kranken durch richtige Anwendung des Antipyrin und Antifebrin auf lange Stunden hinaus bei Pneumonie, Scharlach, Diph- therie, Masern, Tuberculose, Typhus u. s. w. meist wesentlich erhöht, ein Umstand, der unseres Wissens nach durchaus unerwähnt gelassen wurde ! Wieder und wieder ist uns bei Kindern, wie bei Erwachsenen diese Thatsache aufgefallen, und desshalb kann das Antipyrin, nament- lich auch in protrahirten Fällen, selbst bei Temperaturen von 102° Fah- renheit nur Nutzen bringen. Zweifellos werden die Schmerzen der Kranken derartig gelindert, dass ihre gute Laune und Lebenslust wiederkehrt. So kann man denn mit Recht erwidern, dass die modernen Antipyretica nicht allein die Temperatur, sondern in den meisten Fällen den Patienten behandeln, wenn sie auch auf das Krankheitsgift selbst keinen nachhaltigen Einfluss ausüben. Demnach ist die moderne The- rapie auch in der internen Mediein der alten Heilkunde voraus.

Nachdem wir obige Bemerkung geschrieben hatten, kam uns ein Vortrag von Prof. Thomas (Freiburg), im Jahrbuch für Kinderheilkunde (8. Feb. 1889), betitelt „Ueber den Nutzen der Atttipyrese", zu Gesicht. In seinen Bemerkungen stimmt der Verfasser mit uns überein, nur

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erwähnt auch er das durch Antipyrese erzielte Wohlbefinden der Patienten als lediglich auf Herabsetzung der Temperatur beruhend. Thomas plaidirt foigendermassen : „Wenn durch öftere Herab- drückung der Temperatur vorübergehend ein besseres Befinden der Kranken gegenüber der Zeit der Fieberhitze hervorgebracht wird, was ja für eine Unzahl von Einzelfällen garnicht bezweifelt werden kann, so muss doch noth wendiger weise hiermit auch der gesammte Krankheits- verlauf günstiger gestaltet werden. Wird aber diese Wirkung erreicht, so wird dies wohl auch einen günstigen Einfluss auf die Reconvalescenz ausüben müssen. Ich glaube in der That sagen zu dürfen, dass die- selbe abgekürzt und der Kranke frühzeitiger dem Zustande völliger Gesundheit zurückgegeben wird, wenn seine Fieberhitze häufiger er- niedrigt, als wenn das Fieber nach der früheren expectativen Methode behandelt wird. Subjectiv bin ich also vom Nutzen der internen Anti- pyrese, beziehentlich der Antipyrese überhaupt, für die Behandlung fieberhafter Krankheiten vollständig überzeugt ; der objective Beweis im Einzelfall ist, wie gesagt, der Natur der Dinge nach nicht zu liefern."

Thomas wendet nur Antipyrin und Antifebrin bei Kindern an, „seltener" Chinin und Salicylnatron, und zwar letztere nur bei Erwach- senen. Thaliin, Cairin und Eesorcin möchte T. nicht empfehlen, wegen zu kurzdauernder Wirkung und öfteren unangenehmen Erscheinungen (heftiger Schweiss, Cyanose, Schüttelfrost).

Was unerwähnt bleibt von Thomas ist 1) die schmerzstillende Wir- kung des Antipyrin und Antifebrin und 2) die Verlangsamung der Herz- thätigkeit. Die erstere Eigenschaft kommt namentlich bei Pneumonie und Pleuritis zu statten, und können wir hier günstige Wirkung auch bei entzündlichen Processen im Unterleib constatiren. Bei Leib- schmerzen und Coliken der Säuglinge bringt Antipyrin in wässriger Lösung in's Kectum gespritzt in kurzer Zeit Euphorie und Schlaf, ohne dass, wie bei dem Opium, unangenehme Betäubungssymptome folgen. Eines der quälendsten Symptome der Rachendiphtherie ist (wie wir aus persönlicher Erfahrung und den Berichten vieler Erwachsenen wissen) ein fast unerträglicher Kreuzschmerz. Wenige Gaben Antipyrin besei- tigen denselben mit der erhöhten Temperatur auf 18 24 Stunden. Die Wohlthat, die wir unseren Patienten mit der Anwendung eines Mittels erweisen, welches antifebril und schmerzstillend zugleich wirkt, ist garnicht hoch genug zu schätzen. Die Verlangsamung der Herzthätig- keit ist von hoher Bedeutung in acuten Infectionskrankheiten. Auf Antipyrin tritt dieselbe stets schnell und nachhaltig ein. Hierin wird die Digitalis weit übertroffen. Ferner fehlt bei der Antipyrinwirkung die so oft nach Digitalis vorkommende cumulative Wirkung.

Mit Becht wendet sich Thomas gegen zu grosse Dosen als nutzlos, gefährlich und geeignet die Antipyrese in Misscredit zu bringen. Wir selbst haben nie Veranlassung gehabt, mehr als stündlich 1 Gramm Antipyrin pro dosi, 4 Mal nach einander, zu geben. In den meisten Fällen genügt das auf 24 Stunden. Bei Kindern genügt die Hälfte, bei Säuglingen ein Viertel dieser Dosis. Antifebrin gibt man in der Begel in vier Mal kleineren Gaben.

AUS DEE PEAXIS.

Strangulation des 6 monatlichen Foetus durch die Nabel- schnur. — Retention der abgestorbenen Frucht bis zum normalen Schwangerschaftsende.

Von

Dr. Flokian Krug,

New York.

Wenn Schroeder in seinem Lehrbuch der Geburtshülfe sagt, dass der Tod des Foetus durch Umschlingungen der Nabelschnur während der Schwangerschaft „nur sehr ausnahmsweise" herbeigeführt werde (pag. 440), und ferner, dass eine mehrmonatliche Retention der abgestorbe- nen Frucht zu den grossen Seltenheiten gehört " (pag. 452), so glaube ich daraus die Berechtigung ableiten zu können, den folgenden Fall zu veröffentlichen, der eine Combination dieser beiden Ereignisse darstellt :

Frau N. N., 26 Jahre alt, stammt von gesunden Eltern. Keinerlei Vorkrankheiten von Bedeutung. Menstruation im 15. Jahre, mit ge- ringen Beschwerden im Leib und Kreuz, die nach der im 22. Jahre erfolgten Heirath verschwanden. Erste Schwangerschaft verlief nor- mal, Geburt (im Nov. 1885) nach 3tägiger Wehendauer durch Forceps beendigt. Starker Blutverlust im Wochenbett.

Seit dieser Zeit bestand hochgradige Anaemie mit gastrischen und nervösen Beschwerden, die jeder Behandlung trotzte. Vom September 1886 an sistirten die Menses vollständig, in irregulären Intervallen wurde nur etwas blutiger Schleim secernirt ; bimanuelle Untersuchung schloss Schwangerschaft jedoch sicher ;ius.

Anfangs Januar 1889 klagte Patientin über Brechneigung und hatte Ohnmachtsanfälle. Uterus eben wahrnehmbar vergrössert, Gewebe aufgelockert. Mein Verdacht auf Schwangerschaft wurde durch den Glauben der Pat. vor circa 14 Tagen ooncipirt zu haben, bestärkt. Am 15. Mai wurden die ersten Kindesbewegungen wahrgenommen und aus der Grösse und dem Stand des Uterus die Diagnose einer Schwanger- schaft im 5. Monat gemacht; ganz im Einklang mit dem früheren Befund und der von der Pat. angegebenen Conceptionszeit. Das Befinden der Pat. war ein leidliches und Kindesbewegungen wurden von da an in normaler Weise verspürt.

In der Nacht des 24. Juni wurde ich zur Pat. gerufen. Ich fand die- selbe sehr aufgeregt und über eigentümliche, fast unerträgliche Schmerzen im Unterleib klagend. Auf Befragen erfuhr ich, dass Pat. im Laufe des Tages an einer ziemlich heftigen Sommerdiarrhoe mit colikartigen Schmerzen gelitten hatte, die aber nachdem der Darm reich- lich entleert war, von selbst nachgelassen hatten ; erst seit einigen Stunden jedoch waren die nunmehrigen von den früheren Coliken durchaus verschiedene Schmerzen eingetreten. Bei näherer Unter- suchung zeigte sich, dass dieselben nichts weiter als das Resultat ganz excessiver f oetaler Bewegungen waren ; die aufgelegte Hand fühlte deut- lich den 6monatlichen Foetus die tollsten Sprünge ausführen ; der Uterus contrahirte sich dabei in kurzen Intervallen. Ordination : Sup- positorien von je £ gran Extr. Op. aq., wovon jedoch nur eines gebraucht wurde.

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Als ich Pat. am folgenden Morgen wieder sah, erfuhr ich, dass die Schmerzen bald nachdem ich Pat. verlassen, aufgehört hätten, und dass der Leib nun völlig ruhig sei.

Pat. verliess kurze Zeit darauf New York und ich sah sie erst wieder nach ihrer am 4. September erfolgten Rückkehr von ihrem Landaufent- halt. Sofort fiel mir der geringe Leibesumfang auf, der keineswegs dem nahen Ende der Schwangerschaft entsprach. Die genauere Unter- suchung ergab, dass der Uterus in Grösse und Stand noch genau dem Befund im Juni entsprach, also seit der oben beschriebenen Attacke nicht mehr zugenommen hatte. Consistenz schlaff. Foetale Herztöne nirgends zu hören.

Bei der vaginalen Exploration zeigte sich der Muttermund geschlos- sen, Scheide und Cervix weich und aufgelockert ; im vorderen Scheiden- gewölbe ballotirte der kleine Kopf des Foetus, Kopfknochen deutlich schlotternd. Damit war genügend constatirt, dass die Frucht seit geraumer Zeit abgestorben war und die Angabe der Pat., dass sie in letzter Zeit ab und zu leichte Kindsbew gungen verspürt habe, musste auf eine Verwechselung mit Uteruscontractionen zurückgeführt werden. Ein plausibler Grund für den Tod des Kindes war nicht zu finden ; Lues konnte mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden. Der wahr- scheinlichste Grund schien mir noch die hochgradige Anaemie der Pat. zu sein, obgleich diese sich unter dem Einfluss der Schwangerschaft eher gebessert, als verschlimmert hatte.

In der Nacht des 18. September 1888 bekam Pat heftige Wehen, die den Cervicalcanal rasch erweiterten. Ich sprengte alsdann die Blase, worauf der Fpetus in erster Schädellage leicht entwickelt wurde. Quan- tität des Fruchtwassers circa 1 Pint. Die faustgrosse Placenta mit voll- ständigen Eihäuten folgte alsbald auf leichten Durck. So gut wie keine Blutung.

Nunmehr war sofort ersichtlich, was die Ursache des Absterbens der Frucht gewesen war. Die im Ganzen fast 3 Fuss lange, röthlich braune, wenig Sülze enthaltende Nabelschnur war 31 Mal um den Hals des Foetus geschlungen, und hatte denselben so bis auf die Wirbelsäule einge- schnürt, dass der Durchmesser an der Einschnürungsstellc nur etwa \ Zoll betrug. Die im Uebrigen wohlgebildete, weibliche Frucht war mässig macerirt ; Gewebe schlaff, Epidermis t heil weise losgestossen, Schädelknochen schlotternd. Gewicht zwei Pfund. Leider waren die Angehörigen nicht zu bewegen, mir den Foetus behufs eingehenderer Untersuchung zu überlassen.*)

Das Wochenbett verlief durchaus glatt, Pat. erholte sich sehr rasch, nahm bedeutend an Körpergewicht zu, die frühere Leichenblässe ver- schwand, Periode trat 6 Wochen p. p. wieder ein, ohne Beschwerden, und Pat. ist heute gesunder als je zuvor. Von der hochgradigen Anaemie, die seit dem ersten Wochenbett in hartnäckigster Weise be- stand ist keine Spur mehr vorhanden, obgleich weder ein Eisenpräparat noch sonstiges Tonicum neuerdings gereicht wurde.

Umschlingungen des Foetus durch die Nabelschnur werden bei einer grossen Anzahl von Geburten beobachtet und geben für gewöhnlich zu keinerlei Störungen Veranlassung. Zur Bedeutung kommen sie erst, wenn die durch die Umschlingung verkürzte Schnur, Lage und Stellung

*) Neuerdings hat Litthauer in seinem ,, Beitrag zu der Lehre von derlieten- tion abgestorbener Früchte im Uterus*' (Inaug. Diss., Berlin 18S7), fünf Fälle von frühzeitigem intra-uterinen Absterben mit Retention berichtet. Die micros- copische Untersuchung zeigte die Structur der Knorpel völlig verwischt, wäh- rend die der Muskeln gut erhalten war. In seinen Fällen war die Grösse der Placenta bemerken swerth, die eine Weiterentwicklung derselben nach einge- tretenem Fruchttod bedingt.

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der Frucht fehlerhaft beeinflusst, oder wenn durch Compression wäh- rend der Austreibungsperiode Circulationsbehinderung und Aphyxsie hervorgebracht wird.

In der Schwangerschaft jedoch können feste Umschaürungen der im Wachsen begriffenen Frucht nicht ohne nachtheiligen Einfluss bleiben. Es kommt dabei nicht nur die Circulatioushemmung in der umschlingen- den Schnur, sondern auch die Compression des umschlungenen Theiles in Betracht. Ist die Umschnürung eine feste, so muss die Schlinge bald für den wachsenden Körpertheil zu eng werden ; derselbe wird eingeschnürt und in extremen Fällen kann es zur Selbstamputation kommen. Ist der foetale Hals der umschlungene Theil, so muss bei unlösbarer Um- schlingung der Tod der Frucht früher oder spät jr herbeigeführt werden. Derartige Fälle sind jedoch ausserordentlich selten und sind deren nur wenige in der Literatur bekannt geworden. Am bekanntesten ist der Fall von Hillairet (Mon. f. G-eb. X. S. 60), in dem bei einer 3monatlichen Frucht der Hals 3 Mal umschnürt und zum Durchmesser von 1 Mm. reducirt war. Andere hierhergehörige Fälle sind die von Crede (M. f. G. I. S. 33), Bartscher (1. c. XVII. S. 364) und Blume (Zur Casuistic der Toi sion und Umschlingung der Nabelschnur, Marburg 1869). In keinem dieser Fälle konnte jedoch der Zeitpunkt des erfolgten Absterbens so genau bestimmt werden, wie in dem vorliegenden. Denn es existirt für mich kein Zweifel, dass der Tod der Frucht in der Nacht des 24. Juni erfolgt ist, und dass die ungemein heftigen Kindesbewegungen dem- selben unmittelbar vorangingen. Ich lasse es dahingestellt ob dieselben (vielleicht im Anschluss an die vorangegangene starke Darmperistaltic) auch die directe Veranlassung dazu durch Hervorbringung der Circum- rolution waren, möchte jedoch mit Kücksicht auf die starke Verdün- nung des Halses annehmen, dass letztere bereits früher bestanden und den wachsenden Hals allmählig comprimirt hatte. Erst als es zur Circulationshemmung in dem umschnürenden Theil der Schnur kam, erfolgte das rasche Absterben der Frucht unter den geschilderten Er- scheinungen.

Die abgestorbene Frucht wurde nun in meinem Falle fast 3 Monate lang in utero retinirt und machte der Mutter durchaus keine Be- schwerden. Das Fruchtwasser floss nicht ab und wurde jedenfalls nur zu einem geringen Theil resorbirt, der Foetus selbst unterlag nur in mässigem Grade der Maceration. Was der Grund zu dieser ungewöhn- lich langen Betention des Foetus war, dürfte schwer zu entscheiden sein, solange wir nichts Sicheres darüber wissen, was eigentlich die Ent- stehung der Wehen am normalen Schwangerschaftsende auslöst und deren Steigerung bis zur Austreibung des reifen Kindes verursacht.

Liebmann, der in seinem „Beitrag zur Frage von der Betention ab- gestorbener Früchte in der Gebärmutter" (Beitr. z. Geb. und Gyn. B. III) alle bekannt gewordenen Fälle zusammengestellt, theilt dieselben in zwei Gruppen ein. In der ersten ist die Placenta adhaerent d. h. die zurückgehaltene Frucht bleibt in organischer Verbindung mit der Gebärmutter ; in der zweiten Gruppe ist sie ganz von derselben getrennt d. h. sie bleibt als fremder Körper in der Uterushöhle liegen. Von der ersten Gruppe unterscheidet Liebmann zwei Unterabtheilungen, je nachdem der Foetus in indirecter oder directer Verbindung mit der Gebärmutter bleibt. Zu der ersten Unterabtheilung gehören nament- lich Fälle von Foetus coinpressus, papyraceus bei Zwillingsschwanger- scbafteu, zu der zweiten gehört der vorliegende Fall. Die Umschnürung des Halses und die subsequente Compression der Nabelschnurgelasse veranlasste zwar den Tod des Foetus, zog jedoch die Placenta nicht in directe Mitleidenschaft. Dieselbe trennte sich nicht alsbald von der Uteruswand und erst allmählig traten Veränderungen in derselben auf,

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die schliesslich ihre Loslösung und vermuthlich dadurch die Austrei- bung des Eies bewirkten.

Interessant dürfte auch die endgültige spontane Heilung einer lang- wierigen Anaemie sein im Anschluss an die in obigem geschilderte Gra- vidität und deren pathologischen Ausgang.

Acute traumatische Myelitis.

Von

Dr. C. F. Steiger,

New York.

Die Casuistik über die verschiedenen Formen von Myelitiden hat im Laufe der Jahre allmählig ein solch' reichhaltiges Material zu Tage ge- fördert und damit die Krankheit selbst nach'all' ihren ätiologischen, cli- nischen und pathologisch-anatomischen Gesichtspuncten so vielseitig illustrirt, dass es fast überflüssig erscheint, der Phalange bereits ver- öffentlichter Beobachtungen über Myelitis noch ein weiteres Glied hin- zuzufügen. Doch bietet mein hier beobachteter Fall von acuter trau- matischer Myelitis nach zwei Richtungen hin zunächst in ätiologischer Hinsicht, dann auch in Bezug auf die ersten Krankheitserscheinungen hinlänglich genug Interessantes und Beobachtungswerthes, dass dessen Veröffentlichung an dieser Steile vollkommen gerechtfertigt erscheint. Am 21. Januar d. J. fand ich in einem Tenementhause der 80. Str. E., wohin ich als benachbarter Arzt gerufen wurde, einen 50jährigen, gut aussehenden und völlig angekleideten Mann auf seinem Buhebett liegend, die Beine ausgestreckt und die Arme leicht über den etwas auf- getriebenen Bauch flectirt. Die Antwort auf meine Frag!', was ge- schehen sei und wo es fehle, war : „Ich bin vor einer halben Stunde gefallen und kann mich seither nicht mehr rühren." In der That waren alle 4 Extremitäten, die beiden linken total, die rechten dagegen durch Parese gelähmt, denn während an den beiden ersteren jeder active Be- wegungsversuch erfolglos blieb, konnten mit dem rechten Bein noch leichte Rotationsbewegungen und mit der entsprechenden obern Extre- mität sogar ziemlich kräftige Flexions- und Extensionsbewegungen gemacht werden ; auch die Sensibilität ist auf dieser Seite in toto erhalten, während dieselbe auf den paralysirten Extremitäten der linken Seite, wenn auch nicht ganz erloschen, so doch der Art reducirt ist, dass z. B. Nadelstiche in die Planta pedis kaum sichtbare Reflexe auszulösen im Stande sind und vom Kranken selbst eben gerade nur empfunden werden, aber keineswegs schmerzhaft sind. Das Abdomen, wie bereits angedeutet, ist iiiässig aufgetrieben und ein wenig druckempfindlich, die Blase wenig gefüllt und der Stuhlgang seit zwei Tagen angehalten. Respiration und Circulation gehen gut von Statten, das Sensorium ist vollkommen frei und auch das Aussehen und die Sinnesorgane zeigen nichts Abnormes. Auf dem Sacrum befindet sich eine thalergrosse geröthete und etwas empfindliche Hautstelle, sonst der ganzen Wirbel- säule entlang nichts Abnormes, namentlich keine erhöhte Druckempfind- lichkeit, keine Fractur noch Verschiebung der Wirbelkörper. Dies war ungefähr der Zustand des Patienten etwa § Stunden nach dem erlittenen Unfälle. Patient kräftig gebaut und gut genährt, ist Cigarrenmacher und behauptet noch niemals krank gewesen zu sein ; auch hatte er sich die Tage die dem Unfall unmittelbar vorausgingen stets wohl befunden, und speciell keinerlei Motilitäts- oder Sensibilitätsstörungen in Form Paraesthesien, Zittern, Zuckungen und dgl. an sich beobachtet. Wohl war es am Sonntag, den 20. Januar, also ein Tag vor der damaligen Er-

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krankung, dass er wegen der draussen herrschenden kalten Witterung und trotz Aufenthaltes im gut geheizten Zimmer, wo er sich den ganzen Tag hindurch eigentlich nie behaglich warm fühlte, und sich desshalb etwas früher als er gewohnt war zu Bette legte, bald darauf einschlief und am darauf folgenden Morgen mit gewohntem Wohlbehagen auf- stand. An diesem Morgen hatte er einen Geschäftsgang zu machen, glitt aber unterwegs auf dem schmelzenden Schnee aas, fiel rücklings der ganzen Körperlänge nach zu Boden ohne sich dadurch erheblich wehe zu thun, allein alle Versuche wieder aufzustehen oder auch nur die Beine oder Arme zu rühren blieben erfolglos, so dass er unter Commando eines Polizisten nach seiner nahegelegenen Wohnung ge- tragen werden musste.

Ein ganz analoger Fall, den ich s. Z. im Münchener ärztl. Intelligenz- blatte veröffentlichte, kam während des Feldzuges 1870 zu meiner Beobachtung, wo während unseres Marsches ein Mann meines Regi- mentes unter die Pferde des eben vorbeirasenden Generalstabes gerieth und merkwürdigerweise keine andern äussern Verletzungen als einige leichte Hautabschürfungen davontrug, dafür aber nicht mehr im Stande war, sich vom Boden zu erheben. 9 Tage nach dem Unfälle starb er im Feldlazarethe an Myelitis acuta.

Die lebhafte Erinnerung an diesen Fall hatte denn auch in dem heutigen Falle, wo beim Mangel aller und jeder Prodrome, bei dem stürmischen, geradezu apoplectiformen Beginn und bei der Mangel- haftigkeit des allgemeinen Symptomenbildes einer acuten Myelitis, die sofortige Beurtheilung meines heutigen Falles wesentlich erleichtert. Sofort wurde denn auch dementsprechend die Behandlung eingeleitet und zwar da auch eine traumatische Hämorrhagie innerhalb des Wirbelcanales bczw. der Medulla mit aller Wahrscheinlichkeit ange- nommen werden konnte, mit der Application von zahlreichen blutigen Schröpfköpfen längst der Wirbelsäule und des Eisbeutels auf den cervi- calen Abschnitt derselben ; ein eröffnendes Klistir förderte einige kleinere Scybala mit nachfolgendem, dünnflüssigem Stuhlgang prompt zu Tage ; innerlich Extr. sec. cornut. Die Nacht verlief zwar ohne Schlaf jedoch ruhig und ebenso zeigte der folgende Tag keine erheb- lichen Veränderungen im Allgem inbefinden des Kranken, auch die Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen verhielten sich stationär.

21. Jan. Der Kranke stöhnt bei jeder Exspiration ohne jedoch den Sitz irgendwelchen Schmerzes angeben zu können ; Motilität und Sensi- bilität lassen deutliche Besserung erkennen, dagegen ist das Abdomen stark aufgetrieben, die Blase prall gefüllt und mittelst Catheter werden etwa l j Liter dunklen, stark alcalischen Urins entleert, worauf unmittel- bar der Kranke einen Frostanfall bekommt. Die am Sacrum befind- lich^ Rothe nimmt ein verdächtiges dunkleres Colorit an, auch auf dem linken Trochanter sieht man auf frischer Hautröthe einige zerstreute Pusteln ; Puls normal kein Fieber nur etwas Temperaturerhöhung und zwar 37*5 in der rechten und 37*8 in der linken Achselhöhle.

26. Jan. Die Besserung an den Extremitäten persistirt, dementgegen hat sich die Situation nach andern Richtungen hin wesentlich ver- schlimmert ; Urin und Stuhl gehen unbewusst ab, am Sacrum und , linken Trochanter zwei ungleich grosse Decubitusstellen, leichte Dispnoe, kein Apetit, wenig Durst, Puls 96, Temperatur in der linken Achsel- höhle 38'5. Der Kranke liegt apathisch da und gibt auf Fragen nur langsam aber correcte Antworten.

28. Jan. Motilität verschlimmert, Sensibilität besser auf der linken und nahezu normal auf der rechten Seite, Dyspnoe bedeutender, Puls rasch und unregelmässig. Abendtemperatur 39*5 ; der Urin ist blut- haltig. Der Kranke fühlt sich sehr schwach bei vollkommen freiem Sensorium.

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28. Jan. Die Kespirationsbeschwerden beherrschen das ganze Krankheitsbild, die in dem Maase als die Lähmung der Respirations- muskeln fortschreitet für den Kranken immer bedrohlicher werden.

29. Jan. früh 3 Uhr tritt unter den Erscheinungen der Asphyxie das lethale Ende ein.

So unanfechtbar nun auch einerseits im vorliegenden Falle die Diagnose einer „acuten Myelitis", oharacterisirt durch Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen, Fieber, Decubitus u. s. w. immer ist, so genau der Sitz der initialen Erkrankung auf ein bestimmtes Gebiet im obern Theile des Rückenmarkes, und zwar in seinem ganzen Querdurchmesser localisirt worden und das Weiterschreiten des ursprünglichen Krankheits- heerdes in aufsteigender Richtung bis zur und einschliesslich der Medulla oblongata verfolgt werden kann, so lässt sich die Frage in Bezug auf die Ursache und Natur dieser Erkrankung beim Mangel eines Obductions- befundes nicht so ohne Weiteres beantworten. Was zunächst das apoplectiforme Debüt der Krankheit betrifft, so sind hinsichtlich des erlittenen Trauma's zwei Möglichkeiten in's Auge zu fassen : Entweder war der Sturz auf den Boden die Folge einer durch bereits bestehende Myelitis etwa bedingten spontanen intraarachnoidealen Blutung. Gegen diese Annahme spricht jedoch der Umstand, dass Patient sich vor der Attaque des besten Wohlseins erfreute, oder sollte etwa das am Tage vor dem erlittenen Sturze stattgehabte Frösteln bereits schon der Aus- druck eines entzündlichen Vorganges im Rückenmark gewesen sein? Allein dabei müssten doch nothwendig irgendwelche Prodrome, wie Paraesthesieen, Krämpfe und dergl. vorausgegangen sein oder gleich- zeitig bestanden haben oder auch unmittelbar nachgefolgt sein, was aber keineswegs zutrifft ; oder was viel wahrscheinlicher klingt der durch den unvorsichtigen Sturz verursachte äussere Insult selbst, wodurch eine mehr oder wenigerstarke Commotion der intramedullaren Theile verursacht wurde, war die Causa proxima der nachfolgenden Hämatomyelitis ; ich wähle den Ausdruck Hämatomyelitis, weil eine traumatische Verletzung des Rückenmarkes, namentlich der so sehr gefässreichen grauen Substanz ohne Hämorrhagie nicht leicht denkbar und auch die Annahme einer stattgehabten Zerreissung im concreten Falle nicht von der Hand zu weisen ist. Allerdings sind die Bedingungen für das Zustandekommen einer durch Schlag, Stoss oder Fall verur- sachten intramedullaren Hämorrhagie bei intacter Marksubstanz un- gleich ungünstiger wie bei einer intracerebralen Blutung, wo eine ver- hältnissmässig geringfügige Aussengewalt oft hinreicht, capilläre Blutungen von grösserer oder geringerer Ausdehnung zu veranlassen und gehören desshalb auch Blutungen ersterer Provenienz zu den keines- wegs häufig beobachteten pathologisch-anatomischen Befunden. Nichts- destoweniger glaube ich in Ermangelung einer anderweitig plausiblen Erklärungsweise, an dem Vorhandensein einer primären Hämorrhagie mit nachfolgender Myelitis ascendens festhalten zu müssen.

EEFEEATE.

Augenheilkunde.

Eeferirt von Dr. A. Shapringer.

1) Ueber die v. Hippel'sche Keratoplastic. (Corneal Transplantation.) Von L. Webster Fox in Philadelphia. (The Medical and Surgical Eeporter, 21. Juli 1888.)

2) The süccessfül Transplantation of a Piece of Rabbit's Cornea into the human eye, for the pürpose of restoring slght to a blind man. Von Julian J. Chisolm in Baltimore. (Maryland Med. Journal, 30. Juni 1888.)

3) Hornhauttransplantationen. Von Dr. B. Wicherkiewicz. (Aus dem Zehnten Jahresbericht 1887 der Augenheilanstalt in Posen.)

1. F. führte die v. Hippel'sche Keratoplastic an dem rechten Auge eines 10 jährigen Mädchens aus. Die ganze Hornhaut dieses Auges war in Folge einer überstandenen Entzündung mit Ausnahme einer 1 mm. breiten Bandzone in ein Leucom umgewandelt, so dass Pat. mit diesem Auge nicht einmal Bewegungen der Hand wahrnehmen konnte. Qualita- tive Lichtempfindung und Protection waren erhalten. [Ueber das Ver- halten der Regenbogenhaut ist nichts erwähnt. Ref.] Auf dem linken Auge war ebenfalls ein Leucom vorhanden, doch weniger dicht und nicht ganz so ausgedehnt, wie auf dem rechten. Ueber das Seh- vermögen des linken Auges gibt Verf. nur an, dass es so gut wie auf- gehoben (practically useless) war.

Die Operation wurde am 29. April 1888 auf dem rechten Auge mittelst des von v. Hippel construirten Trepans ausgeführt, bei welchem be- kanntlich die Umdrehungen der Trepankrone nicht mittelst der Hand, sondern durch das Abrollen der in einem Gehäuse am oberen Ende des Trepans untergebrachten Uhrfeder bewerkstelligt werden. Die Uhr- feder wird vor dem Gebrauch aufgezogen und man lässt sie nach Anle- gen der Trepankrone an die Hornhaut durch Druck auf einen an hand- licher Stelle angebrachten Knopf spielen. Die zu entfernende Leucom- scheibe soll nicht der ganzen Dicke der Hornhaut entsprechen, sondern man lässt die Membrana Descemeti intact. Es ist an der Trepankrone eine stellbare Vorrichtung angebracht, welche das zu weite Vordringen derselben verhütet. Der schwierigste Theil der Operation ist das Ab- präpariren der auf der Membrana Descemeti aufsitzenden Leucom- scheibe von seiner Grundlage. Ist dies geschehen, so entnimmt man der Hornhaut eines bereitgehaltenen, etwa sechs Monate alten Kanin- chens (v. Hippel zieht Weibchen vor) mittelst desselben Instrumentes eine ebenso grosse Scheibe, wie der in dem operirten Auge gesetzte Defect beträgt, wobei man aber bei dem Kaninchen die Descemetis mit- nimmt, und überpflanzt das Kaninchenhornhautstück auf die Hornhaut des Patienten. Das Hineindrücken in die gemachte Nische geschieht schonend mittelst eines im Trepan verborgenen Stilets. Das über- pflanzte Stück wird zunächst trübe, hellt sich jedoch später mehr oder minder wieder auf. In dem von F. mitgetheilten Falle konnte Pat. nach Verlauf von zwei Monaten Finger bis auf vier Fuss Entfernung zählen. Vor der Operation konnte sie, wie erwähnt, nicht einmal Be- wegungen der Hand erkennen.

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Der Artikel ist von deutlich ausgeführten Abbildungen begleitet.

[Wie aus Mittheilungen der Tagesblätter zu ersehen, hat F. seitdem dieselbe Operation auch bei einer andern Patientin ausgeführt, aber diesmal mit ungünstigem Erfolge, so dass die betr. Patientin den geringen Grad von Sehvermögen, den sie vor der Operation noch besessen, eingebüsst haben soll. Sie strengte gegen den Arzt eine Schadenersatzklage an, welche zur Zeit noch schwebt, und stützte die- selbe auf den Umstand, dass F. nach ihrer Angabe vor der Operation die Möglichkeit eines ungünstigen Ausganges ihr gegenüber gar nicht erwähnt, sondern im Gegentheil ihr einen absolut sichern Erfolg in Aus- sicht gestellt habe. Anknüpfend an diese Angelegenheit rindet sich in den Tagesblättern auch die Mittheilung, dass die bedeutende Verbesse- rung des Sehvermögens im ersteh Falle eine dauernde geblieben sei. Ref.]

2) Nachdem L. Webster Fox die v. Hippel'sche Operation hierzulande zuerst ausgeführt hatte, folgte seinem Beispiele zunächst Chisolm in Baltimore. Der Patient, an welchem dieser operirte, war ein 29 jähriger Mann, der vor drei Jahren in Folge von Verbrennung mit Aetzkalk das Augenlicht beiderseits vollkommen eingebüsst hatte. In Folge der ausgedehnten Zerstörung der Bindehaut war Symblepharon und Anky- loblepharon (Verwachsung der Lider mit dem Bulbus und miteinander) eingetreten, welche Zustände Ch. zunächst operativ beseitigte. Es trat dann an ihn die Aufgabe heran, die vollkommen opaken, stark vaskula- risirten Hornhäute für Licht durchgängig zu machen. Es war anzu- nehmen, dass alle hinter der Cornea gelegenen Theile des Bulbus normal geblieben waren. Ch. führte an beiden Augen die Transplantation von Kaninchenhornhaut mittelst des v. Hippel'schen Apparates aus. Die überimpt'ten Hornhautstücke heilten beiderseits an, wurden Anfangs trübe, aber schon nach drei Wochen konnte Pat. die Bewegung grösserer Gegenstände auf mehrere Fuss Entfernung unterscheiden.

3) Wicherkiewicz in Posen hat bisher vier Augen genau nach v. Hippel's Vorschriften operirt. Es heilten die vom Kaninchenauge auf das menschliche übertragenen Hornhautstückchen jedesmal an, und blieben auch einige Zeit durchsichtig, trübten sich jedoch später. In allen vier Fällen war aber schon von vornherein kein sehr günstiger Erfolg zu erwarten, weil entweder die ganze Hornhaut in ein vollständi- ges Leucom verwandelt war, oder ein partielles mit der Iris breit ver- wachsenes Leucom darstellte. W. schliesst mit der Bemerkung, dass er mit gutem Gewissen andere geeignetere Augen, denen aber durcli eine andere Operation sicher ein Theil der Sehkraft wiedergegeben werden konnte, nicht einem weniger sichern Verfahren unterwerfen konnte.

Ueber Staarextraction ohne Iridectomie. (Some Observation^ con-

CERNING THE EXTRACTION OF CaTARACT WITHOUT AN IRIDECTOMY, AND THE

Use of the Bandage in the After- Treatment.) Von George E. Frothingham in Ann Arbor, Mich. (The Journal of the American Medical Association, 13. October 1888.)

F. verurtheilt das immer allgemeiner werdende Zurückgreifen auf die alte, vor v. Graefe'sche Extractionsweise des Alterstaars mit Bildung eines breiten Hornhautlappens und ohne Iridectomie als einen Eück- schritt, der' seinen Culminationspunkt in dem von Scltweigger gemach- ten Vorschlag erreicht habe, das von Graefe'sche Schmalmesser zu Gunsten des alten, breiten Beer'schen Staarmessers zu verlassen. F. 's Worte haben umsomehr Gewicht, als er vor 14. Jahren selbst schon den Vorschlag gemacht hatte, die Iridectomie bei der Staarextraction zu unterlassen, eine Reihe Fälle damals auch auf diese Weise operirte, aber schliesslich wegen der sich dabei immer vermehrenden Anzahl von Misserfolgen zur v. Graefe'schen Methode zurückkehrte. Die Entbin-

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düng der Linse ist ohne vorausgeschickte Iridectomie viel schwieriger, und desshalb eher Glaskörpervorfall zu erwarten. Abgesehen davon, dass die Iridectomie wegen irreponiblen Vorfalls oder anderer Um- stände halber häufig genug schon während der Operation doch nicht zu umgehen ist, tritt der Irisprolaps trotz Esesingebrauchs nicht selten unter dem Verbände, oft erst Tage lang nach der Operation auf. Um diese Zufälle mit allen ihren Widerwärtigkeiten und schädlichen Folgen zu vermeiden, besteht F. auf der Iridectomie, und zwar macht er sie, wie auch Landolt, so breit wie möglich. Zur Bekräftigung seiner Einwände gegen die Unterlassung der Iridectomie beruft sich F. auf die von Derby in Boston zusammengestellte Statistik von 48, in letzterer Stadt ohne Iridectomie ausgeführter, Staarextractionen mit einem Iris- prolaps auf je vier Operationen. Man soll sich also durch die bestechen- den Resultate der guten Fälle nicht dazu verleiten lassen, die grössere Sicherheit bietende Methode nach v. Graefe einer minder sichern zu opfern.

Nach vollzogener Operation besteht F. auf dem Binoculusverband und verwirft energisch den Vorschlag, die Lider des operirten Auges blos mit Heftpflasterstreifchen zu verkleben. Diese abweisende Hal- tung theilen mit F. wohl Viele, die in Bezug auf die Frage der Iridec- tomie, bei der Staarextraction anderer Meinung sind, als er.

Drei Faelle von voruebergehende m beiderseitigen horizontalen Nystagmus bei Otitis media pürulenta. Von Charles J. Kipp in Newark, N. J. (Sep. Abdruck aus den Transactions of the American Otological Society, 1888.)

In dem ersten, der von Kipp beobachteten drei Fälle trat der Nystag- mus während einer acuten Exacerbation einer chronischen eitrigen Mittelohrentzündung spontan auf und hielt vier Tage an. Aehnliche Fälle sind bisher blos zwei Mal beschrieben worden, und zwar rührt der erste Fall von Bürckner, der andere von Urban tschitsch her. Anderer- seits haben J. Hughlings Jackson, Jacobson, Gruber und Moos Fälle von spotanem Nystagmus berichtet, welcher auf Labyrinthreizung zu beziehen war, wobei jedoch kein eitriger Process im Spiele war.

•Im zweiten Falle K.'s trat der Nystagmus nicht spontan, sondern blos beim Ausspritzen eines Abscesses auf, welcher sich im Verlaufe einer acuten eitrigen Mittelohrentzündung in der Gegend des Warzen- i'ortsatzes gebildet hatte.

Im dritten Fall, bei welchem es sich um ein Empyem des Processus mastoideus handelte, trat der Nystagmus auf, sobald der Tragus in den äussern Gehörgang hineingepresst wurde, später auch bei Druck auf den Warzenfortsatz. Analoge Beobachtungen sind bisher von Schwa- bach, J. Hughlings Jackson, Bürckner und E. Pflüger veröffentlicht worden.

Bei keinem der drei Fälle K.'s, zeigte der Augenspiegel irgend welche pathologische Veränderungen im Augenhintergrunde und alle endeten mit Genesung.

Zur Erklärung dieser Erscheinungen werden von K. die Thierver- suche von Flourens und besonders die von Cyon und Högyes herange- zogen, bei welchen durch Heizung der Nerven des Vorhofs und der halb- zirkelförmigen Canäle von Kaninchen eigenthümliche Zwangsbewegnn- gen der Augen erzeugt wurden. (Die sorgfältigen Literaturhinweise K.'s ergänzend, möchte Ref. sich erlauben, hier noch auf Bechterew's Experimente hinzudeuten. [S. Pflüger's Arch., Bd. 35. Refer. in d. Monatschr. f. Ohrenheilk., Nov. 1884]).

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Krankheiten der Verdauungs- und Circnlationsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn.

1) Ein neues Reagens fuer den Nachweis freier Salzsaeure im Magen- inhalt. J. Boas. (Centralbl. f. klin. Medicin, No. 45, 1888.)

B. gibt an, dass eine Lösung von : Resorcin. resublim. 5,0, Sacch. 3,0 und Spir. dil. ad 100,0 sich als brauchbares Reagens für den Nachweis von Salzsäure erwiesen hat. Die Probe wird so angestellt, dass man einige Tropfen der Lösung mit wenigen Tropfen Mageninhalt versetzt und auf einem weissen Schälchen über der Spiritusflamme verdampfen lässt. Man erhält bei Anwesenheit von freier Salzsäure eine schöne rosa bis zinnoberrothe Färbung, die der Phloroglucinvanillinreaction sehr ähnlich ist. Die Reaction kann auch in der Weise gemacht werden, dass man ein Stückchen Fliesspapier in den Mageninhalt taucht und 2 Tropfen der Resorcinzuckerlösung dazu tropft ; bei langsamem Erhitzen des Papiers entsteht ein violetter, dann ein ziegelrother Fleck, der bei Aetherzusatz nicht verschwindet. Die Empfindlichkeit dieser Reaction gleicht der von Phloroglucinvanillin und auch sie tritt nicht auf durch die Gegenwart von organischen Säuren; ferner wird die Empfindlichkeit nicht durch Peptone gestört.

2) Ueber atrophische Processe an der Magenschleimhaut in ihrer Be- ziehung zum Carcinom und als selbststaendige Erkrankung. Th. Ro- senheim. (Berl. klin. Wochenschr., No. 51 und 52, 1888.)

R. hat in 16 Carcinomfällen, die später zur Section gelangten, den Mageninhalt einer Prüfung unterworfen ; in 14 Fällen war constant Fehlen der freien Salzsäure nachzuweisen ; in einem Falle konnte man ab und zu HCl. finden, in noch einem war stets HCl. vorhanden und Hyperacidität. In diesem letzteren Falle handelte es sich, wie die Autopsie zeigte, um ein Cancer atrophicans, wo eine Art Spontanheilung unter narbiger Schrumpfung stattgefunden hat. In den 14 Fällen mit Fehlen der Salzsäure konnte R. bei der Section neben der malignen Neubildung anatomische Veränderungen (entzündlich atrophischer Natur) der Magenmucosa nachweisen, die R. im Einklang mit Ewald für die Hemmung der Secretion verantwortlich macht. Jener atrophi- sche Zustand der Magenschleimhaut kann aber auch ohne Carcinom selbstständig auftreten. Als in diese Rubrik hineingehörende Fälle führt R. zwei selbst beobachtete an. Differentialdiagnostisch ist neben anderen Merkmalen (Chronicität des Verlaufes für Atrophie, Cachexie, Tumor für Carcinom etc.) das Verhalten der Pepsinmenge von Belang ; bei Atrophie ist das Pepsin stark herabgesetzt, oder nicht vorhanden, während bei Krebs sich immer erhebliche Mengen Pepsin vorfinden.

3) Ueber die Function des normalen und kranken Magens und die

THERAPEUTISCHEN ERFOLGE DER MAGENAUSSPUELUNG IM SaEUGLINGSALTER.

Hans Leo. (Berlin, klin. Wochenschr., No. 49, 1888.)

L. hat die Functionen des Magens im Säuglingsalter einer Prüfung unterworfen, und fand, dass normaliter bei wenigen Wochen alten Kin- dern eine Stunde nach der Milchnahrung der Magen bereits leer ist ; bei älteren Kindern verweilt die Milch etwas länger im Magen, als Maximum kann man Stunden für Brustkinder und 2 Stunden für mit Kuhmilch genährte Kinder annehmen. 15 Minuten nach der Milch- nahrung war der Mageninhalt stets deutlich aber schwach sauer, freie Salzsäure liess sich dabei nicht nachweisen ; dieselbe liess sich nur, wenn überhaupt, erst längere Zeit nach der Nahrungsaufnahme nach- weisen. Die Acidität war stets eine geringe u. z. weil die Milch die Eigenschaft hat, Säure zu binden. Pepsin liess sich fast immer im

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gefüllten und nüchternen Magen nachweisen ; das Labferment dagegen war stets da. Die Verdauung der Milch anlangend, so fand Leo in der ersten halben Stunde Propepton in grösserer Menge und Pepton nur in Spuren ; gegen Ende der Verdauung (im Magen) stieg der Gehalt an Propepton und auch Pepton war jetzt in grösserer Menge vorhanden. Die pathologischen Verhältnisse studirte Leo an 104 Kindern ; hiervon litten 60 an acuter Dyspepsie, 22 an Cholera infantum, 16 an chronischem oder subacutem Magencatarrh und 6 an Diarrhoe ohne Störung des Ap- petits. Als häufig vorkommender Befund stellte sich das Vorhanden- sein von beträchtlichen Mengen zähen Schleims heraus. Als wichtigste Erscheinung zeigte sich in den meisten Magenaffectionen ein abnorm langes Verweilen der Milch im Magen. Die Acidität war fast in den meisten Fällen erhöht, grösstenteils bedingt durch Fettsäuren, doch zuweilen auch durch einen erhöhten Salzsäuregehalt. Die Therapie anlangend warnt Leo vor der so häufig angewandten Salzsäure und empfiehlt die Magenausspülungen auf's Wärmste. Das Verfahren besteht in dem Einführen einer mit Schlauch und Trichter versehenen weichen Sonde (von 5 mm. innerem und 8 mm. äusserem Durchmesser) und dem Ausspülen mit Wasser. Der Erfolg, den Leo bei Behandlung obiger Fälle mit der Magenausspülung erzielt hat, war ein recht günsti- ger. Besonders auffallend war die gute Beeinflussung dieser Behand- lungsmethode bei allen Affectionen, die mit Erbrechen einhergingen ; fast ausnahmslos konnte dieses Symptom zum Schweigen gebracht werden.

Dyspeptic Dyspnoea. By W. H. Katzenbach. (New York Med. Journal December 29. 1888.)

Unter dem Namen „Dyspeptic Dyspnoea" versteht Katzenbach eine Dyspnoe, die lediglich durch einen anwesenden dyspeptischen Zustand hervorgerufen wird. Das Characteristische dieser Dyspnoe ist, dass der damit Behaftete ein Beklemmungsgefühl um die Brust verspürt, ferner stets den Wunsch hat, lange Athemzüge zu machen und die Empfindung wahrnimmt, als ob die Luft nicht tief genug in die Lunge gelange. Die dyspeptischen Anfälle von Dyspnoe treten nach den Mahlzeiten, während der Magen Verdauung auf, und zuweilen auch wäh- rend der Nacht. Die Dauer dieser Anfälle ist eine verschieden lange und erstreckt sich gewöhnlich über den grössten Tneil des Tages. Durch Zerstreuung, intensive Beschäftigung und körperliche An- strengung (schnelles Gehen u. s. w.) werden die Anfälle oft gelindert. Von dieser milden Form der dyspeptischen Dyspnoe trennt K. jene schwere Form des dyspeptischen Dyspnoe, welche nur Nachts auftritt und unter dem Bilde urämischer Anfälle von Athemnoth verläuft mit dem Unterschiede, dass hier die Pat. bei vollem Bewusstsein sind.

Die Diagnose beider Arten der dyspeptischen Dyspnoe wird nach K. gestellt aus dem Fehlen anderer Momente für das Auftreten der Athem- noth und aus dem Vorhandensein von Störungen auf dem Gebiete des Verdauungssystems.

Zum Belag für seine Annahme führt K. einen Fall der leichten Form der dyspeptischen Dyspnoe vor. Es handelte sich um einen 52 Jahre alten Pat., der seit fünf Jahren Schwierigkeiten beim Athmen ver- spürte ; er hatte einen Schmerz zwischen den Schulterblättern und war kurzathmig ; ausserdem klagte Pat. über aufgetriebenen Leib und Auf- stossen nach dem Essen. 2—3 Stunden nach dem Essen hatte Pat. eine Empfindung von Brennen in seinen Händen und Füssen. Pat. hatte immer den Wunsch, einen langen Athemzug zu machen, allein er könne die Luft nicht hineinbekommen. Die Dyspnoe ist bei Pat. mehrere Tage hinter einander vorhanden, dann fühlt er sich für einen oder zwei Tage ganz frei von Beschwerden. Auf Kegelung der Diät und Dar- reichung von Alkalien hat sich der Zustand bedeutend gebessert.

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Vermeintliches Alcohol-Delirium, Diabetes insipidus, Salicylsaeüre- vergiftung. Von Jul. W agner. (Wiener klin. Wochenschrift, 1888, No. 38.)

W. beschreibt einen Falljvon acut entstandener Psychose mit Hallu- cinationen, die unter dem typischen Bilde eines Delirium alcoholicum verlief ; zuerst glaubte W., die Erscheinungen auf einen Abusus Alcoholi zurückführen zu müssen, was jedoch nicht der Fall war ; später wollte W. den abnormen Zustand des Patienten von einem bestehenden Diabe- tes insipidus herleiten. Allein es stellte sich bald heraus, das Pat. drei Pulver zu je vier Gramm Natr. salicylicum im Verlauf von 24 Stunden genommen hatte, und dass gleich darauf die Psychose entstanden war. Wagner fasst daher den Krankheitszustand des Patienten als ein Deli- rium auf, hervorgerufen durch Vergiftung mit Natron salicylum, und warnt vor der Darreichung zu grosser Dosen der Salicylsäure ; es sei zweckmässiger, die Einzeldosen kleiner zu machen, und dafür häufiger nehmen zu lassen.

Ueber Acetonasthma (Asthma acetonicum). P. Pawinski. (Berl. klin. Wochenschr., 1888, No. 50.)

P. beschreibt einen Fall von Nephritis interstitialis, wo zeitweise, ohne Verringerung der Harnausscheidung, sich schwere Attaquen von hoch- gradiger Athemnoth mit stark beschleunigter Pvespiration und grosser Unruhe einstellten. Kurz vor Eintritt dieser Asthmaanfälle fing der Urin an, viel Aceton aufzuweisen ; etwas nach dem Verschwinden der Athemnoth verringerte sich die Acetonmenge im Urin, um bald voll- ständig zu fehlen. P. zieht daher den Schluss, dass jene Anfälle von Athemnoth bedingt waren durch eine Autointoxication des Organismus mit dem von ihm producirten Aceton.

Ueber eine eigenthuemliche Farbstoffbildung bei schweren Darm- leiden. O. Rosenbach. (Berlin klin. Wochenschr., No. 1.)

R. beschreibt ein bei Störungen der Resorptionsverhältnisse im Darm im Urin constant auftretendes Cbromogen, welches auf folgende Weise nachgewiesen wird : Dem Urin wird unter beständigem Kochen solange Salpetersäure zugesetzt, bis er eine tief burgunderrothe, im durch- fallenden Lichte manchmal blauroth erscheinende Färbung annimmt, und durch Ausfallen braunrothen Farbstoffes getrübt wird. In charac- teristischen Fällen tritt bei weiterem Zusatz von 10 15 Tropfen plötz- lich unter leichtem Aufbrausen eine Umänderung des Roths in Roth- gelb, und dann in Gelb ein. Durch Zusatz von Kalilauge lässt sich eine bleibende Rothfärbung hervorrufen.

Diese Reaction kommt hauptsächlich bei schweren Darmkrank- heiten, die mit einer Occlusion des Lumens einhergehen, vor. Ist das Hinderniss gehoben, so schwindet auch bald die Reaction ; desswegen ist ein Fortbestehen der Reaction prognostisch von Bedeutung.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Geo. Degner.

Ueber Operationstische. Dr. F. Dumont. (Hl. Monatsschrift f. ärztl. Polytech., No. 12, 1888.)

Verf. beschreibt zum Theil mit Illustrationen, eine beschränkte An- zahl von Operationstischen nach verschiedenen Principien construirt (Laudar, Collin, Nicolas, Reverdin, Julliard mit der Modification von Kocher und Dumont). Da er auch bei dem letzten als gewiss nicht

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zu unterschätzenden Fehler angibt, dassPat. nur in liegender Position operirt werden kann, ist es wohl das beste Zeichen, dass das Ideal eines Operationstisches noch immer nicht erfunden ist.

MüSKELH ALTER. Dr. MlES. (Ibid.)

Zur Vereinfachung der Assistenz und Vermeidimg von gelegent- lichen Verletzungen durch scharfe Muskelhaken, gibt Verf. „Muskel- halter" an, die breit und dünn in schwachem Kreissegment gebogen bei kleineren Instrumenten (für Tracheotomie u. dgl.) durch eine federnde Spirale, bei grösseren durch eine Triebstange und bewegliche Balken auseinandergehalten werden, und sich gewiss in manchen Fällen mit Vortheil verwenden lassen.

Das Zurueckbleiben im Wachsthum der kranken Extremitaet bei tuber- cul. Kniegelenkentzüendung. Dr. J. Dollinger. (Cbl. f. Chir., No. 49, 1888.)

Ein Beitrag zur Berechtigungsfrage der Kniegelenkresection im Kindesalter.

Auf Grund von 41 genau angestellten Messungen kommt Verf. zu dem Schluss, „dass die Thatsache ausser Zweifel besteht, dass mit Ausnahme der ganz leichten ostealen Formen und jener leichteren syno- vialen Kniegelenkstuberculose, wegen welcher man überhaupt nicht resecirt, in den übrigen d. h., in den schweren Fällen, die Extremität bis zur Beendig nng des Knochen wachsthums um mehrere in einzelnen Fällen 8 10 cm., in einem seiner Fälle sogar um 19h cm. im Längen- wachs thum zurückblieb."

Zur Behandlung des Milzbrandes. Dr. Haberkorn. (Cbl. f. Chir., No. 52, 1888.)

Nach sorgfältiger antiseptischer (l%o Sublimat) Desinfection des Geschwürs auf dem Handrücken, zahlreiche und ausgedehnte leichte Scarificationen des entzündeten Vorderarms, Localbäder in ganz schwacher warme Ka. hyp. Lösung und feuchte Sublimateinwickiungen (l°/oo)- Verf. ist mit dem Erfolg, besonders mit der prompt eintretenden Besserung sehr zufrieden und empfiehlt dies Verfahren auch für Zell- gewebsentzündungen und dgl., dem sich Kef. mit bestem Gewissen an- schliessen kann, da diese Methode ihm, wie gewiss auch noch vielen anderen Collegen, schon längere Zeit sehr gute Dienste geleistet hat.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Willy Meyer.

Die Wiederherstellung der Harnblase. Experimentelle Unter- suchungen. Tizzoni & Foggi, Bologna. (Centralbl. f. Chirurgie, No. 51, 1888.)

Wie eine neue, wirklich functionirende Harnblase auf plastischem Wege geschaffen werden kann, beweisen die neuesten, an einer Hündin erprobten Experimente der beiden italienischen Forscher. T. & F. operirten in zwei Sitzungen. In der ersten eröffneten sie die Bauchhöhle, spalteten durch Resection ein 7 Cm. langes Stück einer sehr beweg- lichen Dünndarmschlinge mit dem zugehörigen Mesenterium aus, ver- schlossen dasselbe nach gründlicher Desinfection an beiden Enden mit einer Schlinge, von welchen die eine vorn am Blasenhalse befestigt wurde, und vernähten nach sorgfältiger Enterorrhaphie der getrennten Ab- schnitte die Bauchwunde. Reactionslose Heilung. Nachdem sich das Thier von dem Eingriffe erholt, wurde 4J Wochen später an derselben

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Stelle von Neuem incidirt und das früher isolirte Darrastück aufgesucht. Man fand es gut ernährt, nur etwas verkürzt und verengt. Es folgt: Ab- präpariren der Ureteren; Exstirpation des Blasenkörpers; Querschnitt am unteren Pole des ausgeschalteten Darmstücks und Befestigen des- selben am Blasenhalse durch die Naht; seitliche Implantation der Ure- teren; Naht der Bauchwunde; Dauerkatheter. Letzteren entfernt das Thier in der folgenden Nacht durch Unruhe. Nach 2 Monaten func- tionirt die Blase in nahezu regelmässigen, ca. lstündigen Zwischenräumen und hält im Mittel 10 14 Cm. Das Thier ist gesund, lebhaft, wohl- genährt und urinirt in der gewöhnlichen Stellung. Die Verf. beab- sichtgen, bei einem künftigen Versuche behufs Erzielung einer grösseren Blasencapacität ein grösseres Darmstück abzutrennen, und wollen ein- zeitig operiren.

Obwohl aus diesen Versuchen für die Blasenchirurgie beim Menschen bei der bestehenden Tendenz, das hier hauptsächlich in Betracht kom- mende Leiden, die Ectopia vesicse, auf mehr conservativem Wege zum Verschluss zu bringen (Thiersch, Trendelenburg u. A.) in absehbarer Zeit schwerlich ein positiver Nutzen erwachsen wird, haben wir dieselben des grossen Interesses und trefflichen Erfolges wegen an dieser Stelle einer kurzen Besprechung werth erachtet.

Beitrag zur Behandlung der gangraenoesen Hernien und des wider- natuerlichen Afters. Carl Koch, Nürnberg. (Münchener Medici- nische Wochenschr., No. 52, 1888.)

Verf. liefert an der Hand von 4 einschlägigen, selbst operirten Fällen einen zweiten Beitrag zur Entscheidung der noch offenen Frage, welches Verfahren bei der Operation brandiger Brüche nach Einklemmung das beste sei, ob primäre Kesection des gangränösen Abschnittes mit sofor- tiger Darmnaht, oder Anlegen eines widernatürlichen, später zu schlies- senden Afters. K.'s 4 Fälle wurden sämmtlich im Sinne der letzteren Methode operirt. 3 Krankengeschichten finden sich in einem früheren Aufsatze (D. Zeitschr. f. Chir., Bd. 23, 3 und 4) ausführlich mitgetheilt. Von denselben starb eine sehr «lecrepide 60jährige Frau, mit linksseitiger brandiger Schenkelhernie, 10 Tage p. op. an Marasmus, ohne dass irgend welche Wundcomplicationen aufgetreten wären. Eine 45 Jahre alte Patientin, mit rechtsseitiger Leistenhernie, wurde später, nach Zer- störung des Spornes vermittelst der Dupuytren'schen Darmscheere, durch Eröffnung der Bauchhöhle, Anfrischung und Naht der Darm- Öffnung in der Längsrichtung geheilt. Im 3. Falle (Frau von 60 J., mit Hern. fem. sin. incarc. gangr.) heilte die Wunde, nach Ausfall einer ziemlich grossen Dünndarmschlinge, mit Wiederherstellung der Darm- passage, bis auf eine kleine Fistelöffnung. Diese liess nur hin und wieder etwas flüssigen Darminhalt passiren und belästigte Patientin so wenig, dass sie einen zweiten Eingriff verweigerte. Fall IV wird aus- führlich mitgetheilt: 23jähriger, kräftiger Mann, mit rechtsseitiger, seit 4 T. eingeklemmter Leistenhernie. Herniotomie ergibt Enteroepi- plocele; grössere Mengen Netzes, die nach doppelter Unterbindung ab- getragen werden, umhüllen eine kleine, dunkelblauroth verfärbte Dünn- darmschlinge. Discision des einschnürenden Kinges, Vorziehen der Schlinge, Zeichen von vollständiger Gangrän an der Schnürstelle. Eine an derselben Seite noch bestehende Hyclrocele acuta wird nicht eröffnet. Nach gründlicher Desinfection Tamponade der Wundbuchten mit Sub- limatgaze und Occlusivverband. (Die Darmschlinge bleibt uneröffnet und in die Verbandgaze gehüllt, aussen liegen. Dieses Vorgehen er- scheint a!s das beste. Nach 2 3 Tagen erfolgt Spontanperforation. Bis dahin befindet sich die Wundfläche in beginnender Granulation und ist im Bereiche der Bauchöffnung Verklebung der peritonealen Flächen eingetreten.) Günstiger, fieberfreier Verlauf. 5 Monate später wird die

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Beseitigung des widernatürlichen Afters durch Continuitätsresection (Excision eines 5 Cm. langen Darmstücks und 2rcihige Naht, nach Czerny und Wöffler) vorgenommen. Dieses Vorgehen war indicirt wegen starker Verengerung des zu- und abführenden Darmlumens, so dass Anlegen des Enterotoms unmöglich war. Verlauf tadellos. Pat. N. nach wenigen Wochen völlig hergestellt. K. ist Gegner der primären Re- section brandiger Brüche wegen des complicirbaren Operationsverfahrens in einem an sich meist schon kritischen Zustande des Pat. und der Un- sicherheit einer gründlichen Desinfection der zu reponirenden Darm- und Xetztheile. Es scheint ihm, dass die eben mitgetheilte Methode die normale in solchen Fällen in Zukunft sein und bleiben wird. Es gilt nur, die Technik beider Operationsacte auszubilden und zu erforschen, wie frühzeitig und auf welche Weise der temporäre After am Besten beseitigt wird.

Intraperitoneal rupture of the Bladder. Recovery. W. Q. Shilling, Lonaconing, Md. (Maryland Medical Journal, Febr. 16. 1889.) Ein 45 Jahre alter Mann, der viel Bier getrunken, wird im Ring- kampfe mit Gewalt zu Boden geschleudert, und durch das auf seinen Bauch sich anstemmende Knie seines Gegners niedergehalten. Augen- blicklich heftigste Schmerzen in der Regio hypogastr., kein Shok. 12 Stunden später haben sich die Schmerzen trotz Morphin nicht ver- mindert. Erbrechen. Urin tröpfelt ab, Catheter entleert nur eine geringe Menge blutigen Harns. Nach Verlauf von weiteren 12 Stunden sind Symptome schwerer Peritonitis vorhanden ; wieder werden etwa 2 Unzen blutigen Harns durch den Catheter abgelassen. Diagnose: Blasen- ruptur. Die vorgeschlagene sofortige Laparatomie wird vom Pat. und seinen Angehörigen verweigert. 48 Stunden nach dem Unfall scheint der Fall hoffnungslos ; Abdomen enorm ausgedehnt. Durch einen glücklichen Zufall dringt jetzt ein eingeführter weicher Catheter durch den Blasenriss in die Bauchhöhle und entleert sofort £ Gallone blutigen Harns. Während der nächsten 6 Tage regelmässiges Catheterisiren, Bindencompression des Bauches, Opium. Genesung.

Gastroenterostomie A clinical Lectüre. Joseph Ransohoff, Cincin- nati. Reported by E. S. McKee. (The Policlinic, Philadelphia, Febr., 1889.)

37 jähriger Mann mit allen cliaracteristischen Symptomen eines stenosirenden Pyloruscarcinoms ; Icterus. Beschwerden seit 1 Jahre, keine Cachexie. Tumor eigross, beweglich, meist im linken Epigastrium palpapel, auf Druck schmerzhaft, Lageveränderungen sowie den Excur- sionen des Zwerchfells folgend. Magenausspülungen werden vom Pat. verweigert. Explorativlaparatomie in den Lin. alb. Tumor halb faust- gross, nur in seinem oberen Abschnitte beweglich, unten an das Duode- num und die Gallenblase fixirt. Ein Stecknadelknopf grosser metastati- scher Knoten auf der Oberfläche des linken Leberlappens. Nothnagel'- scher Versuch aufsteigende peristaltische Welle nach Berührung der Darm wand mit einem Kochsalzcrystall negativ. Anlegen der künst- lichen Anastomose mit Hülfe der Senn'schen decalcinirten Knochenplat- ten. Treffliche Coaptation. Dauer der Operation 35 Minuten. Asepti- scher Verlauf. Höchste Temperatur 100,5 am Tage nach dem Eingriffe. 15 Tage später ist Pat. wohl. R. hat einen früheren Fall von Gastro- enterostomie (Carcinoma ventricul. bei einem sehr heruntergekomme- nen Pat.) verloren.

Gynaecologie.

Referirt von Dr. G. Krug.

Laparotoimy for Ascites. F. A. Ashby. (Am. Journ. of Obstr., Jan'y, 1889.)

Die erfolgreiche Bekämpfung eines so schweren Krankheitssympto- mes wie der Acites, hängt ganz und gar ab von unserer Fähigkeit, die Ursache desselben aufzufinden und zu entfernen. Der Arzt wird zuerst medicamentöse Behandlung versuchen, wahrscheinlich mit negativem Erfolg ; Paracentese mag vorübergehende Erleichterung geben, trotz- dem wird der Process seinen Weg weitergehen, solange der Arzt nichts über das ursächliche Moment weiss.

Sind wir nun in Fällen, wo wir die häufigsten Ursachen des Ascites als Lebercirrhose, Herz- und Nierenerkrankungen mit Sicherheit aus- schliessen können, wo uns die -sorgfältigste manuelle und physicalische Untersuchung keinen Anhaltspunkt für eine abdominale Neubildung oder Structurveränderung gibt, die für den Ascites verantwortlich gemacht werden könnte, sind wir in diesen Fällen zur Laparotomie berechtigt ?

Ashby beantwortet diese Frage entschieden mit ja, und lässt sich von dem Gesichtspunkt leiten, dass die Gefahren einer Explorativin- cision gegen die voraussichtlichen Vortheile, die durch die daraus resul- tirende Information gewonnen werden, entschieden zurückstehen müssen.

Er illustrirt seine Anschauung durch einen Fall von Acites bei einem 19jährigen Mädchen, bei dem er, nachdem alle vorausgegangenen Be- handlungsmethoden fehlgeschlagen, zur Laparotomie schritt. 10 Tage vor der Operation waren 2| Gallonen Flüssigkeit durch Paracentese entleert worden ; in der kurzen Zeit hatten sich schon wieder 3 Gal- lonen angesammelt. Nachdem diese durch die IncisionsöfCnung ent- leert waren, fand sich bald der Grund des Ascites in einem hühnerei- grossen fibrösen Tumor des linken breiten Mutterbandes, der offenbar durch Druck auf Gefässe die Transsudaten veranlasst hatte. Derselbe wurde enucleirt und ebenso das leicht vergrösserte rechte Ovarium extirpirt. Glatter Verlauf, völlige Heilung, keine Rückkehr des Acites.

Ashby unterscheidet zwischen einer Laparotomie, unternommen zur Entfernung einer Neubildung, wobei der Ascites ein hervorragendes Symptom ist, und einer explorativen, unternommen um die Ursache des Ascites festzustellen, allerdings mit der Absicht, dieselbe womöglich zu entfernen. Im erster en Falle ist die Indication allgemein acceptirt ; ihr im letzteren Falle mehr Anerkennung zu verschaffen, war die Absicht des Verfassers.

Repeated Abortions in Cases of acute Uterine Flexion. Graily Hewitt. (The Lancet, Jan. 5. 1889.)

Hewitt berichtet einen instructiven Fall, in dem die betr. Pat. ver- schiedene Male im 3. und 8. Schwangerschaftsmonat abortirt hatte. Der Grund dafür schien in der Anteflexion des Uterus zu liegen ; in der Gegend des Os internum erschien die vordere Uteruswand atrophirt und die umgebenden Gewebe indurirt, so dass auf diese Weise ein Hinderniss für die Ausdehnung des graviden Uterus bestand.

Systematische Dilatation des Canals, Aufrichtung des Uterus und Fixation desselben durch ein Wiegenpessar verbunden mit andauernder Rückenlagerung der Pat. Hessen die L Schwangerschaft zum gewünsch- ten Ende kommen.

H. glaubt, dass derartige Fälle häufig übersehen werden, da die Anteflexion des graviden Uterus als normal betrachtet und auf die vor-

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handene Induration und Rigidität an der Knickungsstelle kein Werth gelegt werde. Letzteres Verhalten gibt die Indication zum Eingreifen.

The Action of certain Drugs on the Uteroovarian System. By Lombe Atthill. (Dublin Journal of Medical Science, Dec., 1888.)

Atthill hat sich mit der Frage beschäftigt, inwiefern Medicamente, denen gewöhnlich eine directe Wirkung auf die Uterusmusculatur zuge- schrieben wird, den Monatsfluss zu beeinflussen im Stande sind.

Von Seealepräparaten, Strychnin, Chinin hat er nur negative Resul- tate gesehen. Ebensowenig können Drastica (Aloe) oder übermangan- saures Kali darauf Anspruch maclien, Emmenagoga zu sein.

Bromsalze in Dosen von 30 Gran 3 Mal täglich, 5 6 Tage lang vor Eintritt der Periode gegeben, sind das einzige Mittel, von dem Verf. Erleichterung bei ovarieller Congestion und Menorrhagia ohne beglei- tende Erkrankung der Eierstöcke gesehen hat. Seeale hall' ihm nur bei Blutungen in Folge intramuraler Fibrome.

1) The Technique of vaginal Hysterectomy. By James B. Hünter. (Read at the meeting of the Med. Soc. of the State of New York, Feb'y. 5th, 1889.)

2) The early Recognition of Cancer of the Cervix Uteri. Henry C. Coe. (Medical Record, Feb'y. 9th, 1889.)

1) Die vaginale Hysterectomie in geeigneten Fällen von malignen Erkrankungen des Uterus hat ihren Platz unter den berechtigten Ope- rationen eingenommen und wird denselben behaupten. Die Technik und somit selbstverständlich auch die Statistik ist jedoch immer noch der Verbesserung fähig. Die Schnelligkeit, mit der eine gynaecologische Operation beendigt werden kann, ist zweifelsohne ein wichtiger Factor für das Resultat. Die meisten an Shock verlorenen Fälle waren solche, bei denen die Operationsdauer eine lange war. Nichts aber ist mehr im Stande die Operation zu vereinfachen und somit zu verkürzen, als die Substitution der hämostatischen Klemmzangen für die meist schwierige und zeitraubende Ligatur der Uterusanhänge. Für den Gebrauch der- selben spricht Hunter die Priorität Pean und nicht Richelot zu. Hunter ist von der Ligatur völlig abgekommen und hat sehr gute Resultate von den Klemmzangen, deren er gewöhnlich 6 Ins 10 Paar (in einem Falle 14 Paar) anwendet. Ihre Vorzüge sind in Kürze folgende : Sie sparen Zeit, sind leichter anzulegen, comprimiren sicherer, stören die Heilung weniger, sind leichter zu entfernen und verletzen weniger leicht die Ureteren.

2) Anschliessend hieran appellirt Coe ernstlich an den practischen Arzt, in dessen Händen es meist liegt, die Krankheit frühzeitig d. h. noch im operablen Zustande zu erkennen und die Pat. zur Operation zu bringen ehe es zu spät ist. Er macht dann auf verschiedene allgemein ver- breitetelrrthümer aufmerksam,namentlich auchdass das vorgeschrittene Alter, Cachexie, Schmerz, Blutung, fauliger Ausfluss durchaus nicht pathognomonisch sind, sondern dass die meisten oder selbst alle diese Symptome bei Krebs der Portio fehlen können.

Ueber das Verhalten der Menstruation bei Anwendung von Mor- phium und Opium. Dr. Roller. (Berl. klin. Wochenschr. No. 48, 1888.)

Roller ist es bei Behandlung von Geisteskranken mit Opium oder sub- cutanen Morphiuminjectionen wiederholt passirt, dass die Menses ces- sirten, dagegen wiedereintraten, wenn der Gebrauch der Narcotia ver- mindert oder ausgesetzt wurde. Er führt mehrere Beispiele an und glaubt, dass die methodische Darreichung von Opium und Morphium bei habituell profuser Menstruation in Frage kommen kann, zumal bei

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Geisteskranken, wo Indicationen für gynaecologisches Eingreifen sehr dringende sein müssen.

The Value of Alexandee's Operation for Shortening the round Ligaments. Paul F. Munde. (Am. J. of Obst. Nov. 1888.)

Munde berichtet 23 von ihm operirte Fälle und wirft im Anschluss daran drei Punkte auf : ,

1) Können die Ligamenta rotnnda jedesmal leicht gefunden, heraus- gezogen und somit der Uterus emporgehoben und antevertirt werden?

2) Für welche Formen von Lagt -Veränderung des Uterus ist die Operation indicirt und voraussichtlich im Stande völlige und dauernde Hülfe zu verschaffen ?

3) Ist die Aufrichtung und Aufhängung des Uterus und der Lig. rot. allein genügend, um das Resultat dauernd zu machen, oder ist eine Operation an der Vagina oder Beckenboden zu diesem Zwecke noth- wendig ?

Frage 1) beantwortet M. mit ja, vorausgesetzt, dass gewisse tech- nische Vorschriften, die M. detaillirt gibt, beobachtet werden.

Als Antwort auf Frage 2) nennt M. lang bestehende Retroversionen oder Retroflexionen, besonders wenn verbunden mit Descensus oder Prolaps. Pessarien geben da selten Satisfaction ; solche, die ertragen werden, werden nicht zurückgehalten, und solche, die zurückgehalten werden, verursachen Schmerz und Erosion. Hohes Alter kann eventuell Contraindication abgeben. Direct eontraindieirt ist die Operation bei Adhaesionen des Uterus.

Ad. 3. Ist der Beckenboden intact und nur ein geringer Grad von Descensus vorhanden, so genügt Alexander's. Bei zerrissenem Peri- neum und mangelhaftem Stützapparat ist jedoch eine plastische Operation anzuschliessen. M. gibt neuerdings Hegar's Methode der Kolpo-perineorrhaphie zu diesem Zwecke den Vorzug.

Ueber Blutungen in der Geburtshuelfe und Gynaekologie. Deren Quellen und Behandlungsmethoden. Richard Lomer. (Voikmann's klin. Vortr. No. 321. Nach einem in Hamburg gehalt. Vortrag.)

Mit Recht weist L. darauf hin, dass bei keinem andern Zustande der Laie so prompte und unbedingte Hülfe vom Arzte verlangt, wie bei Blu- tungen. In erster Linie ist es nöthig die Quellen der Blutungen im Geni- taltract aufzusuchen ; die therapeutischen Maassnahmen ergeben sich dann meist ganz von selbst. In recht übersichtlicher Weise, der anato- mischen Eintheilung folgend, bespricht L. die verschiedenen Quellen der Blutungen und illustrirt seine Zusammenstellung mit Beispielen aus sei- ner Erfahrung.

Die Leetüre des Lomer'schen Vortrags, wenn auch nur vielleicht eine Recapitulation von Bekanntem, wird jedenfalls keinem practischen Arzte zum Schaden gereichen.

Allgemeine Pathologie.

Referirt von Dr. C. F. Heppenheimer.

Der Typhus im Muenchener Garnisonlazareth unter dem Einfluss der methodischen Baederbehandlung (Brand) von Oberstabsarzt Dr. A. Vogl. (Deutsches Archiv f. Kl. M. 13. Bd.)

Vogl hat sein grosses Material (8325 Fälle) für die Frage der besten Typhusbehandlung verwerthet und ist, wie alle Müncheuer, ein grosser Freund einer rationellen Hydrotherapie, was ein Bück auf seine Statis- tik begreifen lässt. Interessant ist auch, dass er sich gegen die combi- nirte Methode ausspricht (Bäder und Antipyretica, letztere besonders des Nachts der Bequemlichkeit halber gegeben). Bei combinirter Be-

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Handlung (767 F.) war die Mortalität 7-6% bei der streng-methodischen genau nach Brand (221 F.) war sie 2-7%", bei gleichem Material, zu der- selben Zeit und unter denselben hygienischen Verhältnissen. Vor Ein- führung der Bäder wechselte die M. zwischen 9*9% und 321%' (im Durchschnitt 20*7%). Wir freuen uns auch erwähnen zu können, dass der Typhus in München seit 1880 aufgehört hat endemisch zu sein. Auf Grund seiner Erfahrungen verwirft er Chinin, salicyls. Natron und be- sonders das Antipjrrin. Auch gegen die Calomelbehandlung, die früher gang und gebe war, spricht er sich aus, da er erstens von dessen coupi- render Wirkung Nichts gesehen haben will, und zweitens überhaupt jedes Abführmittel beim Typhus für sehr gefährlich hält. Nur bei ganz hartnäckiger Obstipation wagt er ein Clysma von nicht zu reichlichem, lauem Wasser um die Peristaltic nicht zu vermehren.

Nebenwirkungen des Sulfonals. Dr. Schotten, Cassel. (Ther. Monatsh. Dec. 1888.)

Einer zarten, an Myeütis chron. leidenden Dame, die seit einem Jahr an Chloral gewöhnt war, gab S. 2-0 + 2'0 4- 3*0 an drei aufeinander folgenden Abenden. Erst nach der dritten Gabe trat genügender Schlaf ein. Am Tage darauf constatirte S. eine hochgradige Ermüdung mit Schlafsucht, Kopfweh, bitteren Geschmack mit Anorexie. Dieser Zu- stand blieb 4 Tage bestehen, worauf ein masernartiger Ausschlag aus- brach, der sich noch zwei Tage lang verbreitete, dann aber bis auf Spuren abblasste, die selbst noch nach 2 Wochen sichtbar waren. Interessant ist, dass die Schwester ein ähnliches Exanthem nach Anti- pyrin bekam.

[Obige unregelmässige Wirkung wird wohl nicht der, durch die SchwTerlösslichkeit^bedingten, protahirten Wirkung des Mittels, sondern wohl einer Idiosyncrasie zuzuschreiben sein. Hoffentlich ist es das Schlimmste, was gegen das eine fühlbare Lücke ausfüllende Hypnoti- cura gesagt werden kann. Ref.]

Enthaelt die Expirationsluft gesunder Menschen ein fluechtiges Gift? Hofmann— Wellenhof. (Wiener kl. W., 13. Dec, 1888.) Bekanntlich hatten Brown Sequard und d'Arsouval obige Frage auf Grund ihrer Experimente bejaht. H. W. hat nun den Gegenstand nochmals mit anderer Versuchsanordnung untersucht und entschieden verneint. H. W. gibt auch an, warum die Franzosen sich geirrt haben mögen, denn dieselben Intoxicationsymptome wie jene bekam er auch, wenn er abgekühltes destillirtes Wasser in die Jugularis spritzte. Den elf negativen Resultaten von Dastre und Loye (C. R. Soc. de Biol. 1, 1888) stehen deren drei positive entgegen, welche letztere H. W. ebenfalls, wie oben, erklärt.

Kinderheilkunde.

Referirt von Dr. A. Seibert.

Regent Observation relating to Intubation. By Francis Huber, M.D., New York. (Arch. of Paediat,, Jan. 1889.)

Verfasser hat in den letzten 2 Jahren in 91 Fällen von diphtheriti- schem Croup intubirt, von welchen 37 (40%) geheilt wurden ; ein sehr schönes Resultat. Verfasser empfiehlt die „indermittirende Intubation" an der Hand seiner grossen Erfahrung. H. benutzt ein verhältniss- mässig kleines Röhrchen, damit dasselbe bei etwaiger Verstopfung durch Membran sofort ausgehustet werde. Dann wird nicht eher wieder intu- birt, bis neue Athemnoth auftritt. In der Zwischenzeit kann Patient Nahrung zu sich nehmen. In manchen Fällen wurde das Röhrchen Mal mit Mcmbrrnfetzen ausgehustet. Huber's Bericht ist trostreich

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für die Zukunft, und um so werthvoller, da der V. als kühler, nüchter- ner Beobachter und exaeter Berichterstatter bekannt ist.

Einblasung bei Keuchhusten. Nach Moizart. (Zeitschrift f. Therapie, Dec. 1888.)

Up. Benzoes pulv., Bismuth, salicyl. pulv. ana 5,0, Chinin Sulf. 1,0, INI. D. L. 3 4 Einblasungen täglich in jedes Nasenloch.

On a Form of Purpura associated with articular, gastro-intestinal, and renal Symptoms. By William Osler, Philadelphia. (N. Y. Med. Journ., Dec. 22. 1888.)

Verf. bespricht die Krankheitsform der Purpura, welche 1) durch wiederholte Anfälle verbunden mit Urticaria oder localen Oedemen sich auszeichnet; 2) Oelenksschwellung mit Schmerz aut'weisst ; 3) durch gastro-intestinale Störungen (Colik, Erbrechen, Durchfall und gelegent- lich Blutung) complicirt ist, und gelegentlich 4) Haematurie, Albuminu- rie und lethalendende Nephritis mit sich bringt. Die Krankengeschichte eines 6jähr. Knaben illustrirt das Gesagte.

Ueber die lobaere Pneumonie der Kinder. Von Dr. Thure Nell- stroem, Stockholm. (Jahrb. f. Kindern., 31. Dec. 1888.)

Wir entnehmen der auf 30 gutbeobachteten Fällen basirten Arbeit nur folgende Angaben : Nur bei 5 Fällen wurde Eiweiss im Urin gefun- den. Complicationen fanden sich nur 4 Mal und zwar Pleuritis. Kein Fall endete tödlich. Die Behandlung bestand hauptsächlich in sorg- fältiger und energischer Lüftung der Zimmer, geeigneter Diät und gelegentlich Antipyrin.

Ueber Nephritis und Albuminurie im Abdominaltyphus der Kinder. Von Arthur Geier. (Jahrb. f. Kindern., 31. Dec. 1888.)

Verf. referirt über 25 Fälle von Abdominaltyphus bei Kindern. Vier dieser Kinder hatten kurz vorher Scharlach gehabt und zeigten diesel- ben eine Zunahme von schon bestehendem Eiweiss im Harn. In einem Fall (lOjähr. Knabe) entstand ausgeprägte Nephritis mit Aeites und Oedem. Dieses Kind hatte drei Jahre früher einen Scharlachanfall ge- habt. Von den übrigen 20 typhös-erkrankten Kindern zeigten 14 Eiweiss im Harn. Die Albuminurie dauerte 1 Mal nur 1 Tag, 12 Mal 8—15 Tage, und 1 Mal 27 Tage. In der Mehrzahl der Fälle trat dieselbe in der ersten Erkrankungswoche auf. Hohe Körpertemperatur scheint die Eiweissmenge zu erhöhen. Die Nephritis beruht auf toxischer Wirkung der Typhusbacillen. Das Fieber an sich bedingt keine Albu- minurie resp. Nephritis. Eine besondere renale Form des Typhus existirt auch im Kindesalter nicht. Die Prognose ist meist günstig. Von den 25 Fällen endete nur einer lethal.

Delirium tremens im Kindesalter. Von Dr. Eugen Cohn. (Berl. klin. Woch., 24. Dec. 1888.)

Verf. berichtet über einen 5jähr. Knaben, der in Folge eines durch Ueberfahren entstandenen Oberschenkelbruches im städtischen Kran- kenhause im Friedrichshain zu Berlin aufgenommen war. Der Kleine bekam 24 Stunden nach der Aufnahme einen schweren Anfall von Säuferwahnsinn. Es ergab sich, dass der Kleine seit 2 Jahren in der Wirthschaft seines Vaters täglich Getreidekümmel und später zur Stärkung Tokayer getrunken hatte. Organ Veränderungen hatten noch nicht stattgefunden. Mit Recht betont Verf., dass die Warnungen der Kinderärzte, Kindern ohne specielle Indlcation nur „zur Kräftigung" uncontrolirte Mengen von Alkohol nicht zu geben, viel zu wenig beach- tet werden.

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A Case of Insolation in a four Year old Child. Recovery. A. L. Hod- gon, Baltimore. (Maryland Med. Journ., Dec. 15. 1888.)

Das Kind hatte sich bei einem Picnic überhitzt, zeigte convulsive Erscheinungen und 104° Temperatur. H. liess die Kleine sofort in kaltes Wasser legen und mit kalten Uebergiessungen behandeln. Kurz darauf Collaps, der durch Schnaps beseitigt wurde. Rasche Heilung.

CREOLIN IN THE LOCAL PREVENTIVE AND CTTRATTVE TrEATMENT OF INNECTIOUS

Throat Diseases. F. W. Koehler. (Med. Record, Jan. 19. 1889.)

Verf. empfiehlt das Creolin, namentlich prophylactisch bei noch ge- sunden Mitgliedern diphtheritisch inficirter Familien anzuwenden. Ein Modus operandi wird leider nicht angegeben.

Wissenschaftliche Versammlung deutscher Aerzte in New York.

Sitzung vom 25. Januar 1889.

Präsidium: G. W. Jacoby. Schriftführer: E. Fridenberg.

Dr. B. Sachs stellte zwei Fälle vor, die eine seltene jiostltemiplegische Bewegsstörung, die sogenannten Mitbewegungen, illustriren sollen. Der eine Patient war ein junger Mensch von 23 Jahren, der in seinem ersten Lebensjahre an einer cerebralen Hemiplegie rechterseits er- krankte ; der zweite Fall betraf ein 12jähriges Mädchen, dessen frühe Geschichte nicht zu eruiren war, die aber alle Spuren einer infantilen Hemiplegie zeigte. Diese beide Patienten haben nun diese Eigenthüm- lichkeit, dass Bewegungen der gesunden Extremitäten gleichzeitig von den paretischen Extremitäten nachgeahmt wurden. Hebt der ältere Patient seinen Arm in der Höhe, so geht der gelähmte Arm mit, hebt er seinen Hut oder einen Teller vom Tische, so macht die paretische Hand ähnliche Greifbewegungen. Mitbewegung der allerfeinsten Muskeln konnte man aber noch besser an dem Mädchen beobachten, dass jede Bewegung die zum Knöpfen nöthig war, mit der paretischen Hand ganz genau nachmachte ; beim Schreiben macheu die paretischen Finger ganz ähnliche Schreibbewegangcn. Auch an den Unterextremitäten sind ähnliche Mitbewegungen zu constatiren. Der Vortragende geht dann auf die Erklärung dieser Erscheinung ein, bezweifelt ob man dieselben durch Läsion der Rinde, oder durch ungekreuzte Fasern erklären könne und glaubt, dass eine Irritation im Rückenmark noch am wahrschein- lichsten wäre.

Dr. Koller stellt einen in mancher Beziehung ungewöhnlichen Fall von chron. Miüelohrcatarrh als Endausgang einer Mittelohreiterung vor. Der 28jährige kräftige Patient erkrankte Juli 1886 im Verlaufe eines Bronchialcatarrhs an beiderseitigem eitrigem Ohrenfluss. Wäh- rend dieser links nach etwa 1 jährigem Bestände aufhörte, bestand der Ausfluss aus dem rechten Ohre fort, war in den letzten Monaten schleimig eitriger Art. Häufig (oft 2—3 Mal die Woche) bekam Patient drückenden, hauptsächlich den Hinterkopf einnehmenden Kopfschmerz, Schwindel und Erbrechen, so dass er unfähig war zu gehen ; manchmal Temperatursteigerung. Die Dauer eines solchen Anfalles war von einigen Stunden bis zu mehreren Tagen. Das Gehör war zu diesen Zeiten besonders schlecht. Als der Vortragende den Patienten im Juni 1888 in Behandlung bekam, fand sich granulöser Nasenrachen- catarrh ; linkerseits am Trommelfell eine Narbe als Zeichen einer geheilten Perforatrom, am rechten Trommelfell im vorderen unteren Quadranten eine stecknadelkopfgrosse Perforation. Während einiger von den Anfällen, welche beobachtet wurden, erwies sich die Perfora-

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tion nicht wie vielleicht zu erwarten war verwachsen, sondern offen oder höchstens durch eine kleine Borke leicht verlöthet, so dass an Secretretention und Drucksteigerung als veranlassende Ursache der Anfälle nicht zu denken war. Massendurchspülung der Paukenhöhle von der Tuba aus, vermittelst des Ohrcatheters (wozu \% Cl. Na. Lösung benutzt wurde) verschaffte immer Erleichterung ; und da die Durch- spülung immer nur ein kleines, kaum stecknadelkopfgrosses Schleim- flöckchen zu Tage förderte, so musste angenommen werden, dass dieses durch seine Lage an einer besonders empfindlichen Stelle der Pauken- höhle, reflectorisch die geschilderten Erscheinungen erzeugte. Patient wurde im Gebrauche des Ohrcatheters unterwiesen und blässt sich täglich mittelst desselben die Paukenhöhle durch ; der Luftdouche geht eine Einträufelung von lauwarmer 2% Salmiaklösung voraus, so dass etwa vorhandener Schleim gelockert und dann mittelst der Luftdouche leicht durch die Perforationsöffhung hinausgetrieben wird. Seit Patient diese Behandlung befolgt, hat er (jetzt 12 Wochen) keinen An- fall mehr gehabt ; sein Gehör hat sich bedeutend gebessert. Der Vortragende demonstrirt an dem Patienten die Massendurchspülung der Paukenhöhle und bemerkt, dass diese Methode, welche seit mehr als 20 Jahren von Schwarze, Politzer und anderen geübt werde, nicht so all- gemein bekannt sei, als sie es verdiene. Besonders bei chronischen Mittelohreiterungen leistet sie vortreffliche Dienste und ist oft das einzige Mittel, die Eiterung zu sistiren. Nachtheile oder üble Zufälle im Gefolge der Durchspülung sind nicht zu befürchten, wenn dieselbe von kundiger Hand ausgeführt wird und man sich vorher davon über- zeugt hat, dass die Luft bei der Luftdouche ohne Hinderniss durch die Perforation streicht.

G e o. W. J a c o b y stellt einen an Lepra leidenden Patienten vor. Vor Demonstration des Patienten bemerkt J., dass er den Patienten wegen der rein neuropathologischen Symptome vorzeigen will, und sich durchaus nicht auf die Hautkrankheit Lepra einlassen will. Er gibt kurz die Eintheilung der Lepra und die allgemeine Symptomatologie der Nervenlepra.

Es handelt sich um einen 18jährigen Patienten, in Cuba gebürtig, von wo er im 8. Lebensmonat nach Cartagena, Ver. Staaten von Co- lumbia, Süd Amerika, übersiedelte. Die Familiengeschichte ist negativ und Heredität ist auszuschliessen. Patient war immer schwächlich und wurde nicht wie seine Geschwister von der Mutter genährt, sondern bekam eine Amme. Diese Frau gebar nach einigen Jahren ein uneh- liches Kind, welches im 6. Lebensjahre von derselben Krankheit wie die, an der der vorgestellte Patient leidet, befallen wurde. Bedner will sich nicht darüber ausdrücken, ob dieses als zufälliges Vorkommniss anzu- sehen sei, oder ob die Möglichkeit vorliege, dass die Lepra-Bacillen durch die Ammenmilch übertragen wurden. Vom 3. bis zum 7. Jahre war Patient gesund. Um diese Zeit zeigte sich ein Ausschlag auf dem Gesäss. Es war eine einfache Böthung der Haut, welche die Mutter bemerkte, die den Jungen frag ob er sich gestossen habe. Schmerzen sollen nicht vorausgegangen sein. Aehnliehe Flecken erschienen dann an der Haut der Oberschenkel, Arme und Hände. Kurz nach Erscheinen der Flecke, entdeckte er eine Stelle an einem Unterschenkel, er weiss nicht mehr an welchem, wo er ohne Schmerz zu empfinden, Nadeln hinein- stecken konnte. Jetzt stellten sich die Flecke, welche verschwunden waren wieder ein, und befielen auch die Augenbrauen. Im 10. Jahre schwollen die Flecke an, wurden erhöht und glänzend. Gleichzeitig schwollen auch die Ohrenlappen an, wurden dunkelbraunroth und ent- stellt. Im 11. Jahre litt er an nächtlicher Unruhe. Wadenkrämpfe kamen häufig vor. Im 12. Jahre bildete sich eine Schwiele auf der Sohle des rechten Fusses, ulcerirte und hinterliess ein tiefes Geschwür. Im

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15. Jahre schwollen die Hände an, die Nasenschleimhaut wurde auch verdickt, was ihn nöthigte gänzlich durch den Mund zu athmen, und die Haut über Brust, Kinn und Ohrenlappen wurde ebenfalls verdickt und braunroth. Es bildete sich ein Geschwür auf dem kleinen Finger der rechten Hand, und frische Geschwüre stellten sich auf den Sohlen beider Füsse ein. Bald bemerkte Patient, dass er kleine Objecte mit den Fin- gern nicht fassen und seine Kleider nicht zuknöpfen konnte. Gleich- zeitig atrophirten auch die kleinen Handmuskeln. Diese Atrophie ging langsam vor sich und allmälich stellte sich Flexionscontractur der Finger ein. Die Ulcerationen an den Füssen wurden immer tiefer, eiterten stark und Knochenstücke gingen ab.

Stat. pr. Aug. 1888. Die Klagen des Patienten beziehen sich haupt- sächlich auf seine Hände und Füsse. Patient ist von Mittelgrösse, wiegt 125 Pfund. Kopf und Gesicht normal. Augenbrauen spärlich. Rechts oben an der Brust, befindet sich eine runde, weiss glänzende Stelle, mit centraler Delle, und peripherwärts radiirende Striae. Ver- schiedene solche narbenähnliche Flecke sind am Körper bemerkbar. An beiden Armen sind grosse, durch Haarseile hervorgebrachte Narben. Die Vorderarme scheinen etwas atrophisch zu sein. Die Hände zeigen ausgesprochene Atrophia mm. interossei, und der Daumenballen. Es besteht Flexoren-Contractur, besonders ausgeprägt auf der innern Seite. Gelenke frei beweglich. Die Haut der Handflächen glänzend und trocken. Die Haare am ganzen Körper äusserst spärlich. Hier und da sind einzelne sehr lange Haare vorhanden. Die Füsse sind plump und zeigen etwas Beeinträchtigung der Bewegung. An den Sohlen beiderseits sind tiefe secernifende Geschwüre vorhanden. Der Nervus Ulnaris lässt sich an beiden Armen an verschiedenen Stellen, verdickt durchfühlen. Druck auf diesen Nerven verursacht Schmerz. Andere Nerven sind auf Druck nicht schmerzhaft. Die Patellar-Sehnen- reflexe sind gesteigert. Sonstige Reflexe vorhanden, aber normal. Die mechanische Reizbarkeit der Muskeln normal. Electrische Unter- suchung der Muskulatur zeigt nirgends ausgesprochene Entartungs- reaction. Keine fibrillären Zuckungen. Die Untersuchung der Sensi- bilität wurde sehr eingehend vorgenommen. Es fanden sich am Rücken einige kleine anästhetische Stellen, sowie an den Extremitäten verein- zelte Flecke, in welchen die Tastempfindung herabgesetzt aber nicht aufgehoben ist. Dagegen finden sich grosse Territorien in denen Schmerz und Temperaturempfindung verloren gegangen sind. Redner zeigt eine Zeichnung vor, worin die befallenen Territorien markirt sind. Es zeigt sich hierbei, dass sich das analgesische, sowohl wie das des Temperatursinnes beraubte Terrain, nicht auf die Ausbrei- tungsbezirke bestimmter Nerven beschränken, und dass allerdings die- selben Stellen, welche Verlust der Schmerzempfindung aufweisen auch Verlust des Temperatursinnes zeigen, dass aber der Ve7*lust des Tempera- tursinnes auch Territorien einnimmt, welche in sonstiger Beziehung normal sind. Eine gewisse Symmetrie der Vertheilung lässt sich erkennen. Einige hypernaesthetische Stellen sind auch vorhanden. Spontane Schmerzen will der Patient nicht haben. Der Patient gibt an, dass er niemals schwitze. Dass Secret der Fussgeschwüre wurde auf Lepra- bacillen untersucht, ohne welche nachweisen zu können. Redner stellt nun die Hauptsymptome des Falles zusammen, und versucht darauf nun die Frage zu beantworten, ob es sich um einen peripheren oder centralen Process handelt. Er gibt zu, dass es hier, wie auch bei anderen Fällen dieser Art, um eine lepröse Neuritis zu thun sei, ist aber nicht damit einverstanden, dass die erhöhten Sehnenreflexe, die ausge- breitete Analgesie und der Verlust des Temperatursinnes, besonders an nicht analgesischen oder an anästhetischen Stellen, sich hierdurch erklären lassen. Er glaubt es müsse sich noch um eine Rückenmarks-

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affection handeln, eine Affection, welche gewisse Aehnlichkeit mit den Syringornyelie (Höhlenbildung im Rückenmark) haben muss. In zwei Fällen von Lepra nervorum, welche zur Section kamen, lag ein ähnlicher Befund vor, wie derjenige der Syringornyelie. Redner betont noch zuletzt, dass obgleich er nicht einsehen kann, warum ein centrales Er- griffensein des Nervensystems bei Lepra nicht primär vorkommen sollte, so glaubt er doch, dass es sich im vorliegenden Fall primär um eine multiple Neuritis, und secundär um eine centrale Erkrankung handle.

Discussion: L. Weber hat vor 2 Jahren in Wildbad zwei Präparate von Syringornyelie bei Sarcom gesehen. In diesen Fällen erwies die Autopsie, dass im Rückenmark bedeutende Höhlen ohne motorische oder sensible Lähmungen bestehen können. In dem vorgezeigten Falle von Lepra können die Symptome ohne Annahme von Syringornyelie erklärt werden.

B. Sachs: In diesem Falle fehlt das Hauptsymptom der Syringo- rnyelie, nämlich die Sensibilitätsstörung an der Schulter. Das classische Bild Syringornyelie entspricht Störungen im Cervicaltheile. Periphere Störungen genügen hier um die Symptome zu erklären.

T y n b e r g : Die Autopsie eines im Charity Hospital an Lungenent- zündung gestorbenen Falles von Lepra ergab keine Veränderung im Rückenmark.

Pathologische Präparate. Krug demonstrirt ein grosses subseröses Myom und eine Ovarialcyste, die er im Deutschen Hospital operativ entfernt hatte. Die Anamnese lautet :

Frau Koch ist 48 Jahre alt. Sie ist früher immer gesund gewesen. War verheirathet und hatte 1 Kind. AVar bis jetzt immer regelmässig menstruirt ohne Beschwerden. Seit circa 15 Jahren bemerkt sie eine Anschwellung des Leibes, die ihr früher keine Beschwerden bereitete, in letzter Zeit jedoch stark an Ausdehnung zunahm. Anfangs December bekam sie ohne nachweisbare Ursache heftige Schmerzanfälle in der Gegend des Tumors, die sie benöthigten, ärztliche Hülfe nachzusuchen.

Dr. Baiser, der die Patientin sah, war genöthigt, beträchtliche Mor- phindosen zu verabfolgen. Sie hatte damals alle Anzeichen einer circum- scripten Peritonitis. Am 15. Dec. begab sich Patientin auf Dr. Balser's Rath in's Deutsche Hospital. Patientin war bei der Aufnahme ziemlich heruntergekommen, und wurde Anfangs nur symptomatisch behandelt (schmerzstillende Mittel, roborirende Diät). Am 4. Januar hatte sie sich soweit erholt, dass eine genaue Untersuchung in Narcose vorgenommen werden konnte; ich constatirte folgenden Befund : Eine mässig beweg- liche, ziemlich runde Geschwulst von unbestimmter Consistenz, nicht fluctuirend, füllt den unteren Bauchraum aus und erstreckt sich bis in die Gegend des Process ensiformis.

Entfernung: Symph. Nabel 9"; Entfernung: Symph. ob. Grenze 13"; Ringumfang 34"; Vordere Breite d. Gesch. w. 13^"; Percussionston über der Geschwulst matt; in beiden Lumbaigegenden tympanitisch. Die combinirte Untersuchung ergab, dass die Geschwulst mit einem kurzen, dicken Stiele von der linken oberen Kante des Uterus entsprang. Der mässig vergrösserte Uterus liess sich deutlich von der Geschwulst ab- grenzen; namentlich nachdem er mit einer in die Portio eingehakten Kugelzange herabgezogen war. Sonde drang ungefähr 2| Zoll in die Uterushöhle ein. Ein linkes Ovarium war trotz sorgfältiger Suche nicht zu entdecken. Rechts dagegen fühlte man eine leicht bewegliche, circa gänseeigrosse, deutlich fluctuirend e Geschwulst, die als das cystisch degenerirte r. Ov. angesprochen wurde. An diesem Befund selbst war mir nun nichts zweifelhaft, wohl aber an der Diagnose, die ich mir dazu machen sollte. Von vornherein war eine maligne Neubildung auszu- schliessen. 1) Aussehen nicht kachectisch ; 2) Bis neuerdings nur ge-

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ringe Schmerzen; 3) Kein freier Ascites; 4) Langsames Wachsthum. Dagegen schien es schwer, zu sagen, ob der von der linken Seite des Uterus entspringende grosse Tumor dem linken Ovar, oder dem Uterus angehöre.

Nach reiflicher Abwägung aller Momente entschied ich mich für die erstere Ansicht, und zwar aus guten Gründen. Einmal war links absolut kein Ovarium deutlich zu fühlen; 2) War das rechte cystisch entartet und berechtigte uns zu der Annahme, dass das linke gleichfalls afficirt sei. Der einzige Haken war die Consistenz der Geschwulst. Hätte sehr wohl eine mit dicker gelatinöser Masse prall gefüllte Cyste sein können. Punction entschieden contraindicirt. Da der Tumor in letzter Zeit rasch gewachsen war, bereits Druckbeschwerden und partielle Peritonitis her- vorgebracht hatte, sah ich die Indication zu Exstirpation gegeben, und Patientin ging bereitwilligst darauf ein.

Operation am 7. Januar 1889. Ba'ichschnitt in Linea alba. Nach Er- öffnung des Peritoneums zeigt sich, dass die vordere Wand des Tumors mit Parietalserosa verwachsen. Tumor ist solid, und desshalb muss der Schnitt bis auf Symphyse bis und 2" über Nabel verlängert werden. Bauchf elladhaesionen (offenbar frische) werden stumpf gelöst, zahlreiche Adhaesionen mit Darm und Netz, doppelt unterbunden und durchtrennt. Tumor alsdann vorgewälzt, -provisorische elast. Ligatur um den Stiel gelegt. Tumor abgetrennt. Schnürstück wird alsdann mit Messer und Scheere zurechtgeschnitten. Ein Bündel grosser Gefässe separat unter- bunden. 8 10 tiefe und eine fortlaufende oberflächliche Seidennaht angelegt. Darunter eine Doppelligatur von starker Seide. Elast. Li- gatur durchtrennt, keine Blutung, Stumpf versenkt. R. Ovar, mit Cyste und verdickter Tube in Seidendoppelligatur gefasst und mit Paqulin abgetrennt. Ebenso das kleine linke Ovar., das bei der Untersuchung nicht hatte gefühlt werden können. Stumpf versenkt, geringe Bauch- toilette. Peritoneum separat mit fortlaufender Catgutnaht geschlossen. Bauchwunde mit Seidennähten. Verlauf ein ungemein günstiger. Nur in den ersten Tagen leichte Temperaturerhöhung, Puls nie über 86, voll. Nach 8 Tagen Verbandwechsel, ganze Wunde per primam geheilt; kein Tropfen Eiter, Nähte entfernt. Patientin wartet auf Fertigstellung einer Binde, um das Hospital zu verlassen.

R, Stein demoustrirt eine Traubenmole.

A. Jacobi demoustrirt ein Herz mit cl ironischer Endocarditis, starken Auflagerungen und Veränderungen speciell der Mitralklappe. Der Pat. starb, 23 Jahre alt, an Anaemie und Hydropsie. Der Fall ist nur darum interressant, weil keine Geschichte von Bheuma zueruiren war- Wahr- scheinlich datirt der Anfang der Krankheit in die Kinderjahre zurück. Jacobi erinnert an die Neigung von leichtem infantilem Rheumatismus Endocarditis hervorzurufen.

A. Jacobi demoustrirt eine rechte Niere mit 2 in einem gemeinsamen Becken entspringenden Ureteren.

A. Jacobi demoustrirt verschiedene Präparate eines mit Hydrops ver- storbenen Potators. Es fand sich ein enorm erweitertes Colon, enorme Perisplenitis, Perihepatitis, Peritonitis besonders parietal. Am parie- talen Peritoneum haftend eine handgrosse, tingerdicke, vielfach durch- löcherte, fleischige Masse. Dieselbe besteht wahrscheinlich aus Fibrin und sind die Löcher bei der Schrumpfung entstanden. Auf dem Peri- tonaeum eine grosse Anzahl kleiner Knötchen, auch Erosionen und De- pressionen. An der Aorta thoracica eine localisirte Erweichung, der Aortenbogen normal. Vielleicht Tubercel oder Carcinom?

Discussi« >n: L. Webe r hat auch bei Erwachsenen das Auftreten einer Endocarditis bei geringgradiger Polyarthritis rheumatica beobachtet. Bei einer Dame, die im Jahre 1883, etwa 10 Tage lang eine leichte Schwellung 3 oder •! Gelenke gehabt, trat allmälich eine Stenose des

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Ostium aorticum ein. Als Anno 1885, ein anderer College das Vitium Cordis vorfand, konnte sich die Patientin nicht eines vorausgegangenen Rheuinatismusanf alles entsinnen. Schluss und Vertagung.

Allerlei.

Grosse Dosen. Dem Amer. Med. Journ. (St. Louis) Febr. 1888 ent- nehmen wir folgendes : „Nach dem Amer. Journ. of the Med. Sciences, 1833, wurden damals einzelnen Cholerakranken in St. Lotiis und Cin- cinnati bis zu 840 Gran (56 Gramm) Calomel binnen 3 Tagen gegeben, und in einem Fall wurden 1500 Gran (100 Gramm) dieses Mittels in einer Woche verbraucht, als der Allmächtige einschritt und als Beispiel seiner Barmherzigkeit die Augen des Patienten für immer sehloss." Solche Thatsachen erklären wohl zum Theil den Erfolg der Hahnemann'schen Lehren in diesem Land.

Der Pneumococcus im Mund. Dass Friedländer's Pilz auch in der Mundhöhle gefunden wurde, wird von den Gegnern der Infections- theorie der Pneumonie merkwürdiger Weise vielfach als Haupt- argument gegen die infectiöse Natur dieser Erkrankung angerufen. Dr. Rufus Griswold (Gaillard's Medical Journal, Febr., 1889) schreibt triumphirend, dass „dieser Befund die Stellung der deutschen Forscher, (welche durch ihren Jagdeifer auf Bacillen von dem eben herrschenden Pilzfieber ergriffen seien) derartig erschüttert hätte, dass ihre Theorie jetzt schon am Einsturz sei." Warum der Lärm? Ge- langen die Coccen in die Lunge, so müssen sie doch erst durch den Mund, und bleiben viele derselben im Speichel hängen so ist das ein Glück für die Menschen, aber durchaus kein Argument gegen, sondern ein sehr starkes für die Infectionslehre der Pneumonie.

Erfolglose medicinische Pruefungscandidaten in Deutschland. Einer Correspondenz des Medical and Surg. Beporter, Febr. 16, 1889, aus Berlin, entnehmen wir folgendes : „Das Procent der Durch- gefallenen in 1888 im ganzen Reiche war 28% der Geprüften ; in Berlin und Breslau 4:2%, und in Halle 34%. Diese Zahlen beweisen die nahezu tödtliche Strenge deutscher Medicinalprüfungen. Es wäre wirklich eine höchst wünschenswerthe Verbesserung, wenn die Anforderungen des Examens der amerikanischen Medicinalschulen erhöht würden. Es ist unnütz die bedauerliche Thatsache bestreiten zu wollen, dass Amerika (mit wenigen Ausnahmen) hierin weit hinter Europa zurück ist. Un- glücklicherweise kann eine gleichmässige Beaufsichtigung und Regu- lation der medicinischen Erziehung durch die Regierung, wie in Europa allgemein vorhanden, nicht gut in Amerika eingeführt werden." Schwierigkeit wird solche Neuerung allerdings machen, da es aber schliesslich doch ein Mal geschehen muss, warum nicht bald damit anfangen ?

Report on Medical Education, Medical Colleges and the Regula- tion OF THE PRACTICE OF MEDICTNE IN THE UNITED STATES AND CaNADA,

1765—1889. Illinois State Board of Health. By John H. Rauch, M.D., Secretary.

I. Anstalten.

Anzahl der bestehenden medic. Schulen in den Ver. Staaten . . . 118 Canada 13

131

/

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Anzahl der eingegangenen media Schulen in der Union .... . 130 Canada 3

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ET. Studenten.

Anzahl der Studenten der Medicin in der Union 1887 1888 . . 12,579

Canada 1887— 1888 . . . 1,437

14,016

Anzahl der Promovirten in der Union 1887—1888 3,813

Canada 1887— 1888 : 327

4,140

III. Vor lesungscurs e.*)

Durchschnittsdauer der Curse 251 Wochen.

Die Schule, welche blos einen 17 Wochen langen Curs hat, ist das Medical College of Georgia ; und das welches einen 19 Wochen langen Curs hat, ist das Woman's Med. College of Cincinnati.

Schullehrerinnen als Agenten fuer Patentarznei. College Caille berichtet uns, dass er sich vor Kurzem bei dem Gesundheitsamt darüber beschweren musste, dass bei vielen der von ihm und anderen Collegen angezeigten Erkrankungen an Diphtherie kurz nach der Anzeige Cir- culare über ein unfehlbares Patentmittel in den betreffenden Häusern abgegeben wurden. Nähere Untersuchungen ergaben, dass nicht die Gesundheitsbeamten selbst sondern Lehrerinnen der öffentlichen Schulen die Adressen der erkrankten Schulkinder den Herren Quacksalbern zu- kommen Hessen.

Medic Examen. Professor der Gynaecologie : „Wie würden Sie eine chronische Endometritis behandeln?" Candidat Beyrich (aus Kalau): „Ich würde die Gebärmutter aus jodeln !"

In Berlin soll folgende Chininloestjng subcutan in letzter Zeit viel- fach angewandt werden : Kp. Chinin, muriat. bas. 20,0, gelöst in Acid. muriat. pur. 5,0, Aq. dest. 15.0 bei gelindem Erwärmen und dann filtrirt. Eine Prawaz'sche Spritze voll dieser Lösung enthält 0,75 des Chinin's. Locale Reizerscheinungen sowie Schwindel und Ohren- sausen sollen bei dieser Art der Verabreichung nicht vorkommen.

Euer die Identitaet des Scharlach's und der Diphtherie plaidirt Dr. J. H. Trent in Columbus, Ohio, im Med. and Surg. Reporter, Jan. 1889. Seine Gründe sind folgende : „Pathologisch finden wir, dass beide Er- krankungen infectiös sind. Beide sind nur mässig contagiös. Beide sind Erkrankungen der Drüsenstructur. Beide zeigen eine croupöse Entzündung der Rachenschleimhaut, welche sich oft in den Magen und Darm ausdehnt. Wir können nicht beweisen, dass die Ursachen von Scharlach und Diphtherie identisch sind, aber noch weniger kann be- wiesen werden, dass sie verschieden sind." Noch vielfach trifft man die Anschauung, dass die Scharlachdiphtherie keine Diphtherie sei und eine nur im Aussehen ähnliche Rachenaffection, die auf Wirkung des Schar-

*) 1 Curs jährlich. 2 Curse zur Promotion nothig. [Die Ked.]

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lach virus allein zurückzuführen sei. Die Anhänger dieser Idee inspici- ren die Rachen ihrer Scharlachpatienten vielfach nur ein Mal und be- haupten dann später in der Consultation steif und fest, dass diese Diph- therie,— keine Diphtherie sei. Das ist bekannt, dass aber der Scharlach „nur massig contagiös" und „häufig im Magen und Darm croupöse Ent- zündungen bewerkstellige", ist uns neu. Möglich, dass sich der Schar- lach in Columbus anders verhält als sonstwo, denn in Ohio wachsen ja auch andere Reben als am Rhein.

Antiseptische Chirurgie in der Landpraxis. Das „Virg. Med. Monthly," vom Jan. 1889, enthält einen Sitzungsbericht der „Southern Surgical and Gynecolog. Association," in Birmingham, Alabama. In demselben findet sich ein Auszug der Ansprache, die Dr. J. M. Taylor, (Corinth, Miss.), Expresident der Mississippi State Med. Assoc, und z. Z. Mitglied der Gesundheitsbehörde dieses Staates, über obigen Ge- genstand hielt. Taylor nennt die antiseptische Lehre „eine wunder- schöne Theorie, in der die Microben, wie weiland die imaginären Riesen Don Quixote's, als Ursache alles menschlichen Elendes figuri- ren!" Die Carbolsäure hat „am Ende mehr Menschen getödtet als die Bacillen, deren Vernichtung bei ihrer Anwendung bezweckt wurde."

An die deutschen Aerzte der Vereinigten Staaten.*)

Collegen!

Das unterzeichnete Comite fordert Euch hiermit auf, durch eine freigebige Beisteuer für die Gründung des „Langenbeck-Hauses" in Berlin dem Gefühle unserer medicinischen Zusammengehörigkeit mit dem alten Heimathlande und unserer Dankbarkeit für die in demselben genossene Berufserziehung Ausdruck zu geben.

Vertreter der medicinischen Gesellschaft in Berlin und der deutschen Gesellschaft für Chirurgie unter der Führung von Virchow und von Bergmann, haben sich zu einem Comite vereinigt, um der deutschen medicinischen Welt die Förderung der in Angriff genommenen Stiftung an's Herz zu legen.

Soweit zu ersehen, beabsichtigt man, mit der Errichtung eines monumentalen Gebäudes aus freiwilligen Beiträgen, dem ärztlichen Stande einen grossartigen Centraipunkt für medicinische Sammel- forschung, eine Stätte für gemeinsame, die Wissenschaft und die Inter- essen des Standes fördernde Bestrebungen zu bieten. Dem Andenken des vortrefflichen chirurgischen Meisters Bernhard von Langenbeck, des Hauptschöpfers einer deutschnationalen Chirurgie soll das Institut gewidmet sein.

Der Umstand, dass die Kaiserin Augusta und Kaiser Wilhelm II. diesen Bestrebungen ihre holte Protection verliehen haben, Ulustrirt in schönerWeise die Achtung, welche-jman in unserer alten Heimath unserem Stande, seinem selbstlosen, hingebenden Wirken und der Förderung seiner wissenschaftlichen Ziele angedeihen lässt.

Collegen ! Es bietet sich für uns eine schöne Gelegenheit, zu beweisen, dass wir dessen eingedenk sin*!, was unserer Existenz im fremden Lande eine feste Grundlage gab. uns eine unschätzbare Mitgift für's Leben wurde.

*) Die Red. bringt obigen Aufruf auf Wunsch Dr. Lange's zum Abdruck. (Med. Presse, Oct. 1888.)

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Wir haben fast alle dem deutschen Lande für die uns zu Theil ge- wordene Schulerziehung, Universitätsbildung, für die lehrreiche Schulung an clinischen Instituten keinerlei Aequivalent geboten ; sondern mit den eingesammelten Schätzen, mit dem Eüstzeug für den Kampf um's Dasein versehen, einem fremden Lande unsere Kraft geweiht, hier für uns gekämpft, die Familie gegründet, alle diejenigen Vorth eile genossen, deren wir vermöge unserer Vorbereitung in der Heimath theilhaftig werden durften.

Vergessen wir das nicht, auch Diejenigen nicht, welche vielleicht gekränkt, enttäuscht oder verfolgt den vaterländischen Gestaden den Kücken kehrten. Für seine deutschen Universitäten mit dem beleben- den, jugendfrischen Hauch, ihren hochstrebenden Zielen, ihrer kräftig das Volk durchströmenden Moral, behält jeder von uns ein warmes Herz. Und mag auch dieser oder jener, durch die Verhältnisse dazu gebracht, in anderem Sinne dem Vaterlande entfremdet sein, als aca- demische Bürger, als Mediciner, fühlen wir uns eins mit unserm Heimathlande. Die hohe Stellung der heutigen deutschen Medicin und ihre wohlthätige Beeinflussung ihrer Schwester in unserem Adoptiv- Vaterlande erfüllt uns mit gerechtem Stolze.

Ergreifen wir mit Freuden diese Gelegenheit, um geschlossen auf- zutreten. Es gilt eine gute, eine edle Sache! Beweisen wir durch die That, dass wir dankbar sein können und gerne, soweit es in unseren Kräften steht, zur Förderung der deutschen Wissenschaft mit- helfen wollen, wenn schon den Meisten von uns die strengen Anforde- rungen des Daseinkampfes hierzulande, ein Streben in rein wissenschaft- lichem Sinne versagen.

Es ist zu erwähnen, dass in Folge pecuniärer Insufncienz die Kealisirung der beabsichtigten La ngenbeck- Stiftung eine bedauerns- werthe Verzögerung zu erfahren droht. Helfen wir einmal mit und zeigen wir, dass wir in solchen Dingen von den Amerikanern etwas gelernt haben.

Beiträge wird jeder der Unterzeichneten gerne entgegennehmen» Dieselben können auch direct an den Secretär des Comites eingesandt werden, welcher darüber quittiren wird.

Die „Medicinische Monatsschrift" wird über den Fortgang der Dinge regelmässig berichten.

Das amerikanische Comite für die Förderung des

„Langenbeck-Hause s."

Dr. von Herff, San Antonio, Texas ; Präsident ; Dr. Baumgarten, St. Louis ; Dr. Ferrer, 320 Gearey Str., San Francisco, Cal. ; Dr. Emil Fischer, Philadelphia, Penn. ; Dr. A. Jacobi, 110 West 34 Str., New York City ; Dr. Loeber, New Orleans, La. ; Dr. Mendel, Milwaukee, Wis. ; Dr. Salzer, Baltimore, Md. ; Dr. F. Lange, 691 Lexington Ave., New York City ; Secretär.

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Deutsche dermatologische Gesellschaft.

Mit der ehrenvollen Aufgabe betraut, alle Vorbereitungen für den in der Pflngstwoche 1889 in Prag abzuhaltenden ersten Congress der Deutschen dermatologischen Gesellschaft zu treffen, beehren wir uns, die Mitglieder der Gesellschaft zu zahlreicher Betheiligung an den Arbeiten des Congresses einzuladen und sie zu bitten, uns möglichst bald die Themata ihrer beabsichtigten Vorträge, sowie ihre Wünsche bezüglich der Beistellung von Behelfen für ihre Demonstrationen bekannt zu geben.

Von der gewiss allgemein getheilten Ansicht ausgehend, dass die Arbeiten des Congresses umso erfolgreicher sein werden, je mehr der Schwerpunkt der wissenschaftlichen Verhandlungen in die Demon- strationen gelegt sein wird, erklärt sich der Vorstand der dermato- logischen Klinik in Prag bereit, den Herren Collegen nicht allein, so weit die Mittel der Klinik es gestatten, alle zu Zwecken der Demonstration gewünschten Apparate und Instrumente beizustellen, er erklärt sich auch bereit, für die kostenfreie Unterbringung und Verpflegung von Kranken Sorge zu tragen, welche die Herren Collegen zum Zwecke der Demon- stration mitbringen wollen.

Es wird ferner beabsichtigt, mit dem Congresse eine Ausstellung solcher Gegenstände zu verbinden, welche für die dermatologische und syphilidologische Forschung in theoretischer oder practischer Be- ziehung von Interesse sind. Den Herren Ausstellern wird die kostenfreie Aufstellung der Ausstellungsgegenstände gewährleistet. Die Entscheidung über die Zulassung der Gegenstände bleibt dem Aus- schusse vorbehalten.

Wir ersuchen alle Anmeldungen an das Bureau der Gesellschaft (Prag, Jungmannstrasse 41) zu richten.

Prag, Anfangs Februar 1889.

Im Namen des Ausschusses :

Prof. F. J. Pick.

Briefkasten.

Herrn Privatdocent Dr. Escherich, München. Herzlicher Dank für die Zusendung der Dissertation. Dr. Wuest ist Assistent an der Kinder- abtheilung der New York Policlinic.

Herrn P. B^r, M. D., Hamburg, Iiis. Sie haben uns in 6 Wochen 3 Beiträge zugesandt, und wünschen, dass man Ihnen die Nummern der „M. M." zuschicke, welche ihr Geschriebenes gedruckt bringen ; Sie schicken uns Mittheilungen aus der Praxis, aus welchen wir sehen, dass Sie im Stande sind „ausgebrochene Lungenfieber zurückzuwenden", und einer Patientin, die an Wechselfieber leidet, nach Verabreichung von 8 verschiedenen nutzlosen Medicamenten ein „sonst immer erfolg- reiches Liniment auf einem mehrfach zusammengelegten Lappen ge- gossen auf den Magen zu legen, darüber mehrere Blätter Zeitimg und darüber Flanell ! Dann Hessen Sie möglichst warmes Fett einreiben, dann ein warmgemachtes Senfpflaster mit Opium bestreut, darüber

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ein Säckchen Kleie und Hopfen, und da das noch nicht half, verordneten Sie darüber noch ein heisses Bügeleisen und zugleich ein Fussbad" ; Sie wollen desshalb nicht abonniren, weil Sie bald in Ihren früheren Stand, den der Seelsorge, zurücktreten wollen, und zum Schluss schicken Sie uns 6 engbeschriebene Seiten voll Kathsehläge darüber, wie wir unser Blatt redigiren und ausstatten sollen ! Bezüglich Ihrer Mittheiluüg aus der Praxis können wir nur bedauern, dass Sie obige Patientin nicht während der Behandlung photographiren Hessen. Das heisse Bügeleisen auf dem Hopfensäckchen, dem Senfpflaster, dem Flanell, den mehreren Blättern Zeitung und darunter der mit dem erfolg- reichen Liniment getränkte Lappen, und schliesslich darunter die arme Patientin mit den Füssen im Senfbad hätte ein interessantes Bild abgeben müssen. Ohne solches Bild würde hier im Osten wenig- stens — kein Leser unseres Blattes Ihre Mittheilung für authentisch halten. Im Uebrigen freuen wir uns über die gute Widerstandskraft Ihrer Patienten und auch darüber, dass Sie bald wieder Ihre Aufmerk- samkeit nur den Seelen der Menschen zuwenden werden. Wir gratu- liren allen Betheiligten !

Büchertisch.

Unter welchen Umstaenden sollen Brillen getragen werden? (On the Determination of the Necessity for Wearing Glasses.) Von D. B. St. John Roosa in New York. (The Physician's Leisure Library, herausgegeben von George S. Davis in Detroit.)

Der Nicht-Specialist wird wohl kaum in irgend einem andern Werke eine ihn so befriedigende, klare Auseinandersetzung des Wesens der verschiedenen Refractions und Accommodationsfehler des mensch- lichen Auges finden, wie in dem vorliegenden, in höchst anziehendem Style verfassten Büchelchen Roosa' s. In Anbetracht des Zweckes, für welchen es geschrieben wurde, ist die Anwendung algebraischer Formen darin gänzlich vermieden, und man kann nicht behaupten, dass die Darstellung desshalb auch nur im Mindesten weniger lichtvoll aus- gefallen ist.

In der Medicin tritt unvermeidlicher Weise von Zeit zu Zeit, und zwar jedes Mal in irgend einem andern Bezirke ihres Gebietes, die Tendenz auf, Krankheitszustände der verschiedensten Art von einem uud dem- selben Punkte aus zu curiren. In letzterer Zeit hat man nun alle er- denklichen nervösen Symptome durch raffinirt ausgetüftelte Prismen- künste und Schnitzeleien an den Augenmuskelsehnen heilen wollen, welche Uebertreibungen Roosa, der übrigens alle controversen Punkte vermeidet, in anzuerkennender Weise mit Ernst und Nachdruck zurück- weist.

The Pathology, clinical History and Diagnosis of the Affections of the Mediastinum. By Hobart A. Hare, B. Sc, M. D. P. Blakiston, Sons & Co., Philadelphia, 1889.

Exploration of the Chest in Health and Diseasc By Stephen S. Burt, M. D. Appleton & Co., New York 1888.

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Personalien.

Herr Dr. Friedrich Lange hat seine Stelle als Chirurg am Deutschen Hospital (in New York) niedergelegt.

Der Ertrag des kürzlich abgehaltenen Bazar's zum Besten des Deutschen Hospital's ergab einen Reingewinn von 115,000 Dollars.

Fuer das Langenbeck-Haus sind folgende fernere Beträge einge- gangen :

New York: Dr. Bleyer, J., $5; Dr. Bracker, H., $5; Dr. Fränckel, R., $5; Dr. Gerster, A., $50; Dr. Guttmann, Ed., §25; Dr. Hübner, O., $5; Dr. Kessler, A., $10; Dr. Meyer, A., $10; Dr. Mangold, H., $5; Dr. LaDge, C, $5. (Nachtrag.)

Philadelphia: Dr. Gruel, Theo., $10.

San Francisco: Dr. Bayer, Jos., $5; Dr. Borkan, $5; Dr. Kleineb erg, $5; Dr. Kreutzmann, $5; Dr. Wagner, H. L., $5; Dr. Hoffmann, O., $5; Dr. Cohn, D., $5; Dr. Rediter, C. H., $5; Dr. Heerdink, J., $5; Dr. Abrains, A., $5; Dr. Morse, J. L., $5; Dr. Otto, W., 85; Dr. Laue, L. C, $5; Dr. Buclaine, F. v., $5; Dr. Rosenthal, C. H., $5; Dr. Miller, J. A., $5; Dr. Ferrer, H., $5.

Mdwaukee : Dr. Mendel, J., $5; Dr. Senn, N., $5; Dr. Lang, J., $5; Dr. Nolte, §5; Dr. Schneider, J., $5; Dr. Kissling, $5; Dr. Zimmermann, C, $5; Dr. Frank, L., $5; Dr. Kovats, E., $5; Dr. Kramer, E., $5; Dr. Kasten, J., $5; Dr. Reinhard, C, $5; Dr. Grättinger, A., $5; Dr. Reinhard, L., $5; Dr. Wahl, E., $5; Dr. Schuckmann, $5; Dr. Puls, $5.

Zur Begleichung eines Rechenfehlers in der vorigen Abrechnung, $5.

Summa, $310.

Gesammtsumme der bis zum 1. März eingelaufenen und abgeführten Beträge, $2053.

Gegenüber der von verschiedenen Seiten geäusserten Auffassung, dass die Sammlungslisten geschlossen seien, ergeht hiermit an alle deutschen Collegen dieses Landes, welche sich bisher noch nicht mit einem Beitrage betheiligt haben, die dringende Aufforderung, das Ver- säumte nachzuholen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass bei gleich- mässiger Betheiligung mindestens weitere $1000 für den schönen Zweck aufgebracht werden dürften. Eine Anzahl grösserer Städte des Westens, z. B. Chicago, St. Paul, Minneapolis, Cincinnati, Kansas City, Davenport, New Orleans, stehen noch ganz aus. Von der grossen Zahl über die kleineren Orte verstreut lebender Collegen ist noch nicht ein einziger, wie es scheint, durch die Agitation zu werkthätiger Aeusserung angeregt worden.

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Wir verweisen auf unseren seinerzeit erlassenen Aufruf und ersuchen nochmals dringend um lebhafte und baldige Betheiligung.

Das deutsch-amerikanische Comite zur Förderung des Langenbeck- Hauses.

I. A.,

691 Lexington Ave., N. Y. City. De. F. Lange, Secretär.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17 27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist New York und Umgegend in den Monaten März und April, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN.

I.

Die toxischen Amblyopien.*)

Von

Dr. F. E. D'Oench,

New Yoek.

Unter dem Namen der toxischen Amblyopien versteht man im Allge- meinen diejenigen Erkrankungen des Sehorgans, in welchen eine Her- absetzung der Sehschärfe durch die Einwirkung einer schädlichen Sub- stanz stattgefunden hat. Das Wort „toxisch." wird hier im weiteren Sinne angewandt, indem wir mit demselben Substanzen bezeichnen, welche meistens erst nach längerer Zeit und in grösseren Dosen von schädlichen Folgen begleitet sind. Die giftigen Stoffe im engeren Sinne kommen hier nicht in Betracht, da ihr schädlicher Einüuss auf den Ge- sammtorganismus ein so rascher und tief eingreifender ist, dass etwaige Veränderungen am Auge dagegen ganz in den Hintergrund treten.

Was nun die Substanzen betrifft, durch welche eine Herabsetzung der Sehschärfe bedingt wird, so ist die Beine derselben eine ziemlieh lange ; unter diesen befinden sich jedoch nur vier, welche grössere Bedeutung, besonders von Seiten des practischen Arztes, beanspruchen können ; es sind dies der Tabak, der Alcohol, das Blei und das Chinin. Die übrigen Substanzen beeinflussen das Auge so selten in schädlicher Weise, dass eine kurze Erwähnung derselben genügend ist. Unter all diesen toxisch wirkenden Stoffen gebührt die erste Stelle dem Alcohol und dem Tabak. Der Grund, wesshalb beide zugleich besprochen werden sollen liegt erstens darin, dass die Wirkung des einen meistens durch den gleichzeitigen Genuss des andern modiflcirt wird, und zwei- tens darin, dass die klinischen Symptome einander so ähnlich sind, dass es so gut wie unmöglich ist, die beiden Krankheitsbilder auseinander zu halten. Auch ist man über die relative Schädlichkeit der beiden Stoffe noch nicht einig, denn während die englischen Augenärzte geneigt sind, dem Tabak weitaus grösseren Einfluss zuzuschreiben, wie aus den Ver- handlungen des Specialcongresses, der zur Besprechung dieser Frage vor zwei Jahren in England einberufen worden war, hervorgeht, halten die deutschen Augenärzte die beiden Substanzen für etwa in gleichem Maasse schädlich. Dass sowohl der Tabak wie der Alcohol für sich

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen niedic. Gesellschaft von New York, am 4. Feb. 1880.

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allein die Sehkraft beeinträchtigen können, unterliegt kaum einem Zweifel, und gilt dies mehr vom Tabak als vom Alcohol, da der Genuss- des letzteren doch allgemeiner ist als der des ersteren.

Der schädliche Einfluss des Alcohols and des Tabaks ist seit langer Zeit bekannt, doch sind erst in verhältnissmässig neuerer Zeit nähere Untersuchungen darüber angestellt worden, besonders seit die Erfin- dung des Augenspiegels der Augenheilkunde einen neuen, gewaltigen Anstoss gab. Doch gab auch dieses Instrument nur ungenügende Auskunft über die Natur des Leidens, da in sehr vielen Fällen der ophthalmoscopische Befund ein negativer ist, und hat erst die micros- copische Untersuchung einer Reihe von Fällen uns in den letzten Jahren gelehrt, wohin wir den Sitz der Erkrankung zu verlegen haben.

Was nun die Art des Auftretens der Tabaks- und Alcoholamblyopie anbelangt, so haben wir es fast ohne Ausnahme mit einem chronischen Leiden zu thun ; einzelne Fälle acuter Erblindung finden sich zwar in der Literatur verzeichnet, sind jedoch ausserordentliche Seltenheiten und können desshalb wenig practisches Interesse beanspruchen. Anders ist es dagegen mit der chronischen Form. Sie ist eine ziemlich häufige Erkrankung, wenn sie auch durchschnittlich weniger als 1% aller Augenkrankheiten ausmacht. "Wie zu erwarten, werden fast nur Männer von derselben betroffen, doch findet man sie auch manchmal in ausgesprochenem Maasse bei Frauen. Fast immer ist der schädliche Einfluss des Tabaks durch das Rauchen desselben bedingt, selten durch das Kauen ; ja selbst das Einathmen von mit Tabakrauch gefüllter Luft kann deletär wirken, wie zwei Fälle von Ferret beweisen, in welchen die Amblyopie zurückging sobald die Patienten aus der schädlichen At- mosphäre entfernt wurden. Fast ohne Ausnahme sind beide Augen ergriffen und meistens in demselben Maasse ; doch sind auch gut beobachtete Fälle bekannt, in welchen nur das eine Auge geschwächt wurde, wie z. B. Doyne einen solchen berichtet hat. In diesem war die Sehschärfe des einen Auges normal, während sie im andern auf V6 herab- abgesetzt und ein deutliches Scotom für Roth und Grün nachzuweisen war. Die Sehschärfe stieg später auf 2%n , erreichte jedoch nicht die Norm,

Was nun die subjectiven Symptome betrifft, so bestehen dieselben hauptsächlich in einer Herabsetzung der centralen Sehschärfe, die einen so hohen Grad erreichen kann, dass die Patienten an der Ausübung ihres Berufes verhindert werden. Die Sehschärfe sinkt manchmal bis auf yi0 der normalen, selten weniger, da diese kaum für gröbere Be- schäftigungen ausreicht, der Patient daher den Rath des Arztes einholt oder den Genuss des Tabak's oder AlcohoPs von selbst beschränkt. Totale Erblindung ist höchst selten, doch werden auch derartige Fälle mitgetheilt. Eine cumulative Wirkung ist nicht wahrscheinlich, obwohl eine Selbstbeobachtung von Filehne dafür zu sprechen scheint, da er fand, dass seine Sehkraft noch eine Zeitlang abnahm, nachdem er den Genuss des Tabaks eingestellt hatte. Gewöhnlich nimmt dieselbe zu, nachdem dem Genüsse entsagt wurde, oder hält sich wenigstens auf derselben Höhe.

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Bezüglich der objectiven Symptome findet man bei leichteren Graden und frischeren Fällen mit dem Augenspiegel keine Veränderungen ; hat jedoch die* Sehstörung schon längere Zeit bestanden, so ist eine weiss- liehe Verfärbung der (temporalen Hälfte) der Papille « ine ziemlich häufige Erscheinung. Uhthoff, der eine grosse Zahl derartiger Patien- ten untersucht hat, fand diese Veränderung in 63% aller Fälle. Hieraus allein jedoch einen Schluss auf die Art der Erkrankung zu machen ist nicht statthaft, denn erstens ist schon unter normalen Umständen die temporale Hälfte der Papille blasser als die nasale, und zweitens beobachtet man auch manchmal eine derartige Verfärbung in Fällen, in welchen von Missbrauch von Tabak und Alcohol keine Rede sein kann,, wie ich sie beispielsweise kürzlich bei einem kleinen Mädchen von etwa 8 Jahren sah, in welchem diese Verfä rbung in prägnanter Weise zu beobachten war. Hier und da findet man auch eine deutliche Neuritis., wenn sie auch selten über eine Verschwommenheit der Grenzen und geringe Schwellung der Papille hinausgeht. Späterhin kann es zu voll- kommener und bleibender Verfärbung der Sehnervenscheibe kommen, es ist dies jedoch ein seltenes Ereigniss.

Untersucht man nun den Patienten weiter, so findet man, dass das Gesichtsfeld nicht beschränkt ist, woraus zu entnehmen ist, class die Leitung in den Nervenfasern nicht unterbrochen und die Ernährung der Peripherie der Netzhaut nicht beeinträchtigt ist, wie denn auch an den Blutgefässen keine Veränderung nachweisbar ist. Von grosser Wichtig- keit ist jedoch das centrale Scotom, welches fast stets nachweisbar ist. Dasselbe ist stets ein negatives, d. h. ein solches, in welchem der Ausfall der Gesichtsempfindungen sich nicht direct bemerklich macht, während das positive Scotom dem Patienten als dunkler Fleck im Gesichtsfelde erscheint. Dies Scotom nun zeichnet sich durch seine constante Lage aus, indem es entweder den Fixirpunkt concentrisch umgibt, oder sich seitlich von demselben temporalwärts gegen den blinden Fleck in Form eines liegenden Ovals erstreckt. Selten erreicht es eine Ausdehnung von mehr als 20°, kann sich jedoch manchmal über einen grossen Theil des Gesichtsfeldes ausbreiten, ist dann jedoch von unregelmässiger Form und verkleinert sich bald bei geeigneter Behandlung. Wie ge- sagt ist die Form eines liegenden Ovals die gewöhnliche, und kehrt dasselbe die Spitze dem blinden Fleck zu, das stumpfe Ende dem Fixir- punkt. Dem rechten Auge erscheinen daher die nach rechts liegenden Gegenstände, die nach links liegen den dem linken Auge undeutlich.

Von grosser Wichtigkeit ist ferner das centrale Farbenscotom,. welches mit dem eben erwähnten in Form und Ausdehnung überein- stimmt. Innerhalb desselben werden die Farben entweder gar nicht oder nur manche derselben erkannt. Das Erkennungsvermögen für dieselben ist ein verschiedenes, und verschwinden sie gewöhnlich in bestimmter Reihenfolge. Das Grün fällt zuerst aus und wird gewöhnlich als Grau bezeichnet, dann folgt Roth, dann Gelb und zuletzt Blau. Hilbert bestreitet ein derartiges Verhalten, indem er glaubt, dass das Erkennungsvermögen für alle Farben in gleichem Maasse abnimmt, doch.

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steht er mit dieser Ansicht ziemlich vereinzelt da. Die Ausdehnung des Scotoms lässt sich am besten mittelst kleiner farbiger Quadrate von 1 cm. Flächeninhalt oder weniger bestimmen, die von def Peripherie dem Fixationspunkt allmählig genähert werden. Sobald sie in das Bereich des Scotoms kommen, ändert sich die Farbe, sie wird entweder garnicht erkannt, oder wird doch bedeutend abgeschwächt. Dies Farbenscotom kann ebenfalls eine bedeutende Ausdehnung erlangen, sich jedoch auch rasch wieder verkleinern und selbst gänzlich ver- schwinden; ein permanentes Scotom für eine oder die andere Farbe kann jedoch zurückbleiben.

Was die Prognose betrifft, so ist dieselbe im Allgemeinen günstig zu stellen, wenn ich auch nicht der Meinung bin, dass in jedem Fall die frühere Sehschärfe wiederherzustellen sei, wie Kampoldi behauptet. Es kommt hier auch in Betracht, wie tief die Sehschärfe gesunken und wie lange die Amblyopie schon bestanden hat und ferner, ob die Sehkraft seit längerer Zeit stationär oder noch in stetigem Abnehmen begriffen ist. In letzterem Fall halte ich die Prognose für günstiger als in ersterem. Berry hat im Allgemeinen Recht wenn er behauptet, dass eine voll- kommene Wiederherstellung des Sehvermögens nicht zu erwarten sei wenn die Sehschärfe auf 2%oo gesunken ist und das Scotom die innere Grenze des Fixationspunktes berührt.

Was die Behandlung betrifft, so kann man im Allgemeinen sagen, dass das gänzliche Enthalten vom Alcohol- und Tabaksgenuss bei einer tonisirenden Behandlung genügend ist eine Wiederherstellung oder doch bedeutende Besserung der Sehschärfe zu bewirken. Minor be- hauptet zwar, dass in den 10 Fällen, über welche er berichtet, der Tabaksgenuss nicht eingeschränkt wurde während er die Patienten mit Jodkali und Strychnininjectionen behandelte, doch stehen diese Resul- tate denjenigen anderer Forscher zu diametral gegenüber, um als all- gemein gültig angenommen werden zu können. Die englischen Augen- ärzte dagegen, wie schon bemerkt, sind geneigt dem Alcohol wenig Bedeutung als schädlichem Factor zuzuschreiben, und wollen Nettleship und Gunn Fälle beobachtet haben, in welchen Heilung erzielt wurde ohne den Alcoholgenuss zu beschränken. Doch stehen auch diese Beobachtungen im Widerspruch mit der allgemeinen Erfahrung, und ist es besser den Genuss beider Gifte gänzlich zu untersagen. Yon arznei- lichen Mitteln, mit welchen man die Erkrankung zu bekämpfen suchte, hat sich das Strychnin seit längerer Zeit grosser Beliebtheit erfreut, doch ist die Berechtigung desselben eine sehr fragwürdige. Filehne behauptet sogar, dass es nur zu Anfang günstig wirke, während es nachher das Sehen verschlechtere. Die Beobachtung dieses Forschers ist überhaupt von Interesse, da sie einen Fall reiner Tabaksamblyopie darstellt, von ihm an sich selbst beobachtet. Er fand, dass sich seine Sehkraft noch während vier Wochen verschlechterte, nachdem er das Rauchen aufgegeben hatte, um sich dann zu bessern. Während dieser Periode der Besserung nahm er das Rauchen wieder auf, ohne zuerst Schaden davon zu haben, dann aber wurde seine Sehschärfe rasch

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schlechter. Was nun ferner das Strychnin betrifft, so ist aus der That- sache, dass eine Besserung während des Gebrauchs desselben eintritt, noch nicht zu schliessen, dass diese dem Strychnin zuzuschreiben sei, da man nicht vergessen darf, dass auch ohne die Anwendung des Mittels die Sehschärfe sich hebt. Die Beobachtungen von Hartridge sind in dieser Beziehung von Interesse, indem er die eine Hälfte seiner 20 Patienten mit Chinin, die andere symptomatisch behandelte, mit fast gleichem Kesultat, indem 13 ihre frühere Sehkraft wiedererlangten, während die andern 7 gebessert wurden.

Von andern Mitteln wäre das Jodkali zu erwähnen, doch ist auch dessen Einfluss ein zweifelhafter. In letzter Zeit ist auch das Pilocarpin empfohlen worden. Seine Fähigkeit, eine Hyperamie und damit eine Anregung der Gewebe hervorzurufen, ist bekannt, der Versuch der An- wendung desselben bei beginnender Atrophie wohl gerechtfertigt. Coursserant will damit gute Erfolge erzielt haben und hält er es zu- gleich für ein wichtiges diagnostisches Hülfsmittel, da es bei der Tabaks- und Alcoholamblyopie günstig wirken soll, während es bei der wahren Atrophie des Sehnerven im Stiche lasse. Weitere Erfahrungen über den Werth des Mittels stehen einstweilen nicht zu Gebote.

Was nun die anatomische Grundlage des Leidens betrifft, so ist man darüber lange Zeit in Zweifel gewesen, und erging sich in Vermuthungen und Theorien über den Sitz desselben. Ob man es mit einer Cerebral-, einer Netzhaut- oder einer SehnervenafTection zu thun habe, blieb unbestimmt, so lange keine anatomischen und speciell keine microsco- pischen Untersuchungen vorlagen. Das ist in neuerer Zeit anders ge- worden, und hat es sich gezeigt, dass wir es hier mit einem, atrophischen Process im Sehnerven zu thun haben, der sich jedoch auf die Fasern beschränkt, welche die Gegend zwischen der Macula lutea und dem Sehnerven versorgen. Microscopische Untersuchungen, von Samel- sohn, Vossius, Nettleship, Sachs und besonders von Uhthoff ausgeführt, haben dies zur Genüge bewiesen. Es handelt sich dabei wesentlich um Verkleinerung sowie theilweise um gänzlichen Schwund der Nerven- faserbündel, während das interstitielle Bindegewebe gewuchert ist. Ob dabei eine wahre Neuritis, eine Entzündung des Sehnerven stattgefun- den hat, wird von Sachs bezweifelt, die von ihm gefundene Hyperämie der Blutgefässe weist jedoch darauf hin. Jedenfalls wären weitere Untersuchungen in dieser Hinsicht wünschenswerth, das Material dazu Hesse sich aus den Anstalten für Säufer wohl sammeln.

Was die nächste Form der toxischen Amblyopien betrifft, die Ambly- opia saturnina, so ist dieselbe zwar schon seit langer Zeit bekannt, doch ist die nähere Kenntniss derselben eine noch ungenügende, und ist man in Folge dessen noch nicht über dieselbe vollkommen einig. Man sollte meinen, dass, da die auf Blei Wirkung beruhenden Allgemein erkrankun- gen doch häufig genug sind, etwaige Einwirkungen auf das Auge eben- falls nicht selten beobachtet werden müssten. Das ist jedoch nicht der Fall. Leber und Jeaffreson, welche eine grosse Zahl von Bleiarbeitern untersucht haben, fanden unter denselben nur wenige, in welchen eine

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Einwirkung des Bleies auf das Auge nachgewiesen werden konnte, und auch von anderer Seite sind bisher verhältnissniässig wenig Fälle ver- öffentlicht worden. Im Allgemeinen scheint die Eintheilung von Stood den Thatsachen zu entsprechen, nach welcher wir es einerseits mit einer primären, durch das Blei bedingten Neuritis zu thun haben, anderer- seits mit einer secundären Betinitis albuminurica ; die Fälle jedoch, in welchen ein Erguss in die Sehnervenscheiden stattgefunden hat, bilden eine Gruppe für sich.

Was nun die verschiedenen Formen betrifft, unter welchen die Am- blyopia saturnina auftritt, so kommen manchmal acute Fälle zur Beobachtung, in welchen vollkommene Erblindung ohne ophthalmos- copische Symptome eintritt. Die Prognose ist hier günstig, und er- langen die Patienten in kurzer Zeit ihre Sehkraft wieder. In anderen acuten Fällen dagegen beobachtet man eine ausgesprochene Stauungs- papille zugleich mit Cerebralerscheinungen, und endigeu solche Fälle in Atrophie und Erblindung. Erstere beruhen wahrscheinlich, wie Leber annimmt, auf der Anhäufung von Blei im Organismus, in Folge mangel- hafter Ausscheidung durch die Nieren, für letztere mag die Erklärung von Jaeffreson gelten, der einen Erguss in die Gehirn Ventrikel und den Subarachnoidealraum annimmt, da er mehrfach Fälle acuter Blei- vergiftung beobachtet hat, in welchen am Morgen keine opthalmos- copischen Symptome zu bemerken waren, während am Abend aus- geprägte Neuritis mit Cerebralerscheinungen bestand. Gewöhnlich hat man es jedoch mit chronischen Fällen zu thun, in welchen die Sehkraft allmählig abnimmt, manchmal mit, manchmal ohne Gesichtsfeld- beschränkuug und mit mehr weniger ausgesprochenen centralem Sco- tom und Farbeuscotom. Der Augenspiegel zeigt eine weissliche Papille mit verwaschenen Grenzen, etwas verengten Gefässen, manchmal auch Blutungen und weissliche Punkte. Die Netzhautveränderungen sind jedoch, wie schon gesagt, secundärer Natur und von der durch das Blei bedingten Schrumpfniere abhängig. In ein paar Fällen sind auch Lähmungen der äusseren Augenmuskel beobachtet worden.

Die Prognose bei Amblyopia saturnina ist im Allgemeinen eine un- günstige. Am besten ist sie in denjenigen Fällen, in welchen plötzliche Erblindung ohne ophthalmoscopischen Zeichen eintritt, was merk- würdigerweise gerade bei solchen Arbeitern beobachtet wird, die seit vielen Jahren mit Blei beschäftigt gewesen sind. Sie ist ungünstig in Fällen rascher Erblindung, in welchen hochgradige Stauungspapille besteht, und endigen solche Fälle, wie schon bemerkt, fast stets in Er- blindung. Bei chronischem Verlauf ist die Prognose zweifelhaft, es kann sowohl gänzliche Wiederherstellung wie Erblindung die Folge sein ; t s hängt eben viel davon ab, ob die Erkrankung nicht schon zu weit vorgeschritten ist und die Behandlung frühzeitig genug eingeleitet wird. Letztere hat zunächst die Entfernung des Patienten aus der schädlichen Umgebung vorzunehmen, er erhält Jodkalium oder macht eine Schmierkur durch kurz gesagt also eine gegen das Blei gerich- tete Behandlung. In solchen Fällen, in weichen eine durch das Blei

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bedingte Schruinpfniere dem Augenleiden zu Grunde liegt, ist die Prognose ebenfalls ungünstig.

Was die CJiininamaurose betrifft, so ist dieselbe schon seit A. v. Graefe's Zeiten bekannt. Derselbe beschreibt zwei Fälle von Erblindung t nach Chiningebrauch, bei welchen jedoch der Augenspiegel keine Verän- derungen nachwies und vollkommene Wiederherstellung des Sehver- mögens eintrat. Es ist daher zweifelhaft, ob man diese Fälle zu den- jenigen rechnen kann, welche man heutzutage mit der Bezeichnung der Chininamaurose belegt. Eine ganze Reihe derartiger, gut beobach- teter Fälle ist in den letzten Jahren berichtet worden, und stimmen dieselben im Allgemeinen so genau überein, dass sich daraus ein ein- heitliches, klares Krankheitsbild ergibt. Die Erblindung tritt sehr rasch ein, nach grösseren Gaben von Chinin, von wenigen Gramm auf- wärts bis zu 30 Gramm, die im Laufe einiger Tage genommen wurden ; doch führt Nettleship auch einen Fall an, in welchem die Erblindung durch nur kleine Dosen hervorgerufen wurde, also wahrscheinlich eine Idiosyncrasie für Chinin bestand. Die Sehkraft ist dabei vollkommen erloschen, selbst das stärkste Licht wird nicht empfunden, die Pupillen sind weit ; die Sehnerven sind weiss oder grau mit scharfen Grenzen, die Blutgefässe sehr eng, manchmal auf eine nur ganz kurze Strecke zu verfolgen ; anderweitige Veränderungen finden sich nicht. Die Seh- kraft beginnt im Laufe einiger Tage zurückzukehren, kann sich nach und nach bis zur normalen wieder erheben, bleibt jedoch auch nicht selten ziemlich herabgesetzt.

Das Gesichtsfeld bleibt sehr eingeschränkt, und erweitert sich manchmal auf nicht mehr als 20° vom Fixirpunkt ; doch sind auch Fälle bekannt, in welchen vollkommene Wiederherstellung des Sehvermögens eintrat, es waren dann aber geringere Dosen genommen worden. Die Patienten gehen in Folge der Beschränkung ihres Gesichtsfeldes sehr unsicher, da ihr Sehen nun dem eines durch eine lange Bohre Blickenden gleicht, ein Zustand der durch die be- schränkte Ernährung der Peripherie der Netzhaut bedingt ist. Ob man es hier mit Atrophie der die Peripherie versorgenden Fasern zu thun habe, oder ob die mangelhafte Ernährung der Netzhaut allein die Schuld trägt, wissen wir nicht ; anatomische Untersuchungen hegen nicht vor.

Die Therapie leistet wenig. Strychnin, Amylnitrit, Jodkalium etc. sind versucht worden, jedoch mit geringem Erfolg ; die Sehkraft kehrt allmäh lig zurück, und alle angewandten Mittel scheinen die Bückkehr derselben nicht beschleunigen zu können.

An diese vier Hauptformen schliesst sich noch eine Beihe von andern toxischen Stoffen an, deren Genuss die Sehkraft beeinträchtigt. Der- artige Beobachtungen sind jedoch nur selten gemacht worden, unsere Kenntniss dieser Amblyopien ist daher eine nur ungenaue, und führe ich sie hier nur der Vollständigkeit halber an ; eigene Erfahrungen stehen mir nicht zu Gebote. Es gehören hierher der Schwefelkohlen- stoff, der Chlorschwefel, die Osmiumsäure, das Carbol, Salicyl,

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Santonin, Opium, Morphium, Haschisch, ja selbst Schlangenbiss wird an- geführt. Von manchen dieser Substanzen wird eine toxische "Wirkung- in nur einem einzigen Falle berichtet, ihr Einfluss in dieser Be- ziehung unterliegt daher manchem Zweifel, und müssen weitere Beobachtungen abgewartet werden ehe diesen Substanzen ein defi- nitiver Platz unter den toxisch wirkenden Mitteln eingeräumt werden kann.

IL

Bericht über 200 Laparotomien, mit Bemerkungen über die operative Behandlung des retroflectirten Uterus fixatus.*)

Ton

Dr. H. J. Boldt,

New Yoek.

Indem ich den Bericht über eine Anzahl von mir gemachten Laparo tomien vorlege, muss ich im Voraus bemerken, dass es mir unmöglich ist auf die verschiedenen Erkrankungen, welche die Indication zu einem derartigen Eingriff abgaben, sowie auf die Operationsmethoden genau einzugehen, weil die mir zugemessene Zeit hierfür zu kurz ist.

Unter den von mir gemachten ersten 200 Laparotomien befinden sich 41, welche nicht behufs Entfernung von Ovarialgeschwülsten oder degenerirten Tuben gemacht wurden. Diese will ich zuerst vornehmen :

Eine Darmresection wegen Carcinom verlief tödlich. Shok.

Zwei Totdlexürpaüonen des carcinomatösen Uterus (nach Freund) endigten beide lethal.

Fünf swpra-vaginale Amputationen des Uterus lieferten 3 Heilungen und 2 Todesfälle.

Tier Laparotomien wegen septischer Puerperalperitonitis verliefen ungünstig.

Entfernung von zwei intraUgamentösen Cysten. Heilung.

Acht L. wegen Fixation des retroflectirten adhaerenten Uterus brachten Heilung, ebenso eine wegen Prolapsus uteri. Bei letzterer wurde gleichzeitig die Colporrhaphie gemacht.

Vier L. nach Berstung von Pyo-salpinx. Zwei dieser Patientinnen hatten vollständig entwickelte septische Peritonitis zur Zeit der Opera- tion ; beide starben. Die zwei anderen wurden bald nach dem Durch- bruch der Tubenabscesse operirt, ehe noch diffuse Peritonitis sich entwickelt hatte und beide genasen. Diese Fälle zähle ich zu den Salpingotomien.

Drei Mal wurde wegen eingeklemmten Nabelbrüchen laparotomirt, mit 1 Todesfall.

Eine Radicaloperation wegen Hernie endete in Folge von septischer Pneumonie tödlich.

Zwei Abdominalschwangerschaften mit einem Todesfall.

*) Vorgetragen in der deutsch-medic. Gesellschaft, April 1. 1889.

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Drei Eesectionen des erkrankten Ovarialtheils (nach Schroeder) endeten günstig.

Eine eingekapselte tuberculöse Peritonitis. Genesung.

Zehn explorative Laparotomien wurden ohne Todesfall gemacht. In der nächsten Abtheilung sind 60 Ovariotomien. Von den ersten 30 Patientinnen starben 6, also 20%, und von der zweiten Hälfte nur 3, oder 10%, zusammen 15% im Durchschnitt. In dieser Zahl befanden sich 4 unvollendete Operationen, d. h. Fälle, in welchen der Cystensack in Folge der festen und ausgedehnten Adhaesionen so stark flxirt war, dass derselbe nicht entfernt werden konnte, sondern in die Bauchwunde eingenäht und drainirt werden musste. Von letzteren Fällen endete 1 lethal, in welchem es sich um ein eiterndes Cystom bei einem 4jährigen Kinde handelte (Transactions of the New York Pathological Society, Med. Record, July 21, 1888).

Sechs der Ovariotomirten litten gleichzeitig an Pyo-salpinx, woraus zu ersehen ist, dass diese Complication nicht so selten vorkommt. Ob dieselbe aber in irgend einer Weise die Gefahr der Operation vergrössert, ist zu bezweifeln.

Die Todesursache nach Ovariotomie war 3 Mal Septicaemie, 2 Mal Peritonitis, 1 Mal acute Nephritis in Folge von Aether, 1 Mal Shok, 1 Mal Darmocclusion und 1 Mal Meningitis, welch letztere zur Zeit der Operation schon existirte.

Nicht merkbar erkrankte Uterusadnexa wurden in 9 Fällen entfernt, mit 100% Genesungen. In 5 dieser Fälle handelte es sich um Fibro- myome, deren Entfernung das Aufhören vorhandener Blutungen und die allmählige Besserung sonstiger Beschwerden bedingte.

Ein Mal wurde wegen Metrorrhagie, die allen erdenkbaren Behand- lungsmethoden trotzte, castrirt. Vollständige Heilung.

Wegen Hystero-Epilepsie wurde 5 Mal castrirt, aber nur in einem Fall erfolgte vollkommene Heilung.

Wegen Hydro-salpinx wurde 8 Mal und wegen Haemato-salpinx 1 Mal operirt. Die Operation wurde in allen Fällen gut vertragen. Die Beseitigung der Beschwerden wurde aber nur in 6 Fällen erzielt, die 2 übrigen Patientinnen zeigten keine Besserung.

Vier und zwanzig Mal wurde wegen catarrhalischer Salpingitis operirt, einschliesslich dreier Fälle von Ovarialabscess und eines Ovarialhaematoms. Hieran schliessen sich 2 Sarcome des Ovariums und eine tuberculöse Erkrankung des Ovariums und der Tuben. Ein- seitig wurde die Operation 18 Mal ausgeführt, mit 14maliger Beseitigung der Beschwerden.

Bei den 6 doppelseitigen Salpingotomien dieser Art wurden 2 voll- kommene Heilungen der Beschwerden erzielt und 2 Mal Besserung, 1 Mal kein Resultat und 1 Mal Tod an Peritonitis. In diese Rubrik kommen auch die vorher erwähnten 2 Fälle von Hystero-Epilepsie, von welchen einer geheilt entlassen wurde.

Wegen Pyo-salpinx wurde 47 Mal operirt. In 16 Fällen Hess sich die Ursache der Erkrankung auf Gonorrhoe zurückführen ; 3 Mal auf

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Syphilis ; 21 Mal auf Abort und Entbindung und 1 Mal auf Trauma (Curettement). In 6 Fällen war die Ursache nicht zu eruiren.

Vollständige Heilung erfolgte in 29 Fällen ; Besserung in 10. Resul- tatlos verlief 1 Fall und ein letzter konnte im Verlauf nicht verfolgt ■werden.

Die Ursache des tödlichen Ausganges waren : Septicaemie 6 Mal, Peritonitis 1 Mal, Shok 1 Mal und Nephritis in Folge von Aether 1 Mal.

Einseitig wurde 15 Mal operirt, rechts 7 Mal, links 8 Mal, darunter 6 vollkommene Heilungen.

Das Alter der Operirten war meist zwischen dem 25. und 30. Lebens- jahr. Nur zwei derselben waren über 35 Jahre alt.

Hysterorrhaphie, wie Dr. Howard A. Kelly in Philadelphia die Be- festigung der retroflectirten Gebärmutter an die vordere Bauchwand nennt, ist in allen denjenigen Fällen indicirt, in welchen mit der manu- ellen oder sonstigen Behandlungsmethoden in Folge zu fester Adhae- sionen kein Erfolg zu erzielen ist, und wenn manuelle Behandlung wegen Tubenerkrankung contraindicirt ist. Es gelingt nicht immer die Tubenerkrankung bei Betrorsioflexio vorher zu diagnosticiren. Daher ist bei der manuellen Behandlung die grösste Vorsicht nöthig. Wird aber wegen einer Salpingitis die Laparotomie gemacht und besteht gleichzeitig eine Betrodeviation des Uterus, so würde ich die Operation als unvollendet betrachten, wenn die ventrale Fixation nicht ebenfalls geschehen würde. Ich halte es für Unrecht, die Adnexa bei irgend einem Falle von fixirter Betroflexio zu entfernen, wenn kein suppurativer Process, Hydro- oder Haemato-salpinx vorhanden ist, indem ich glaube, dass die von den Tuben und von anderen entzündlichen Ursachen kom- menden Ovarialbeschwerden in kürzerer oder längerer Zeit verschwin- den, sobald der Uterus in anteflectirter Stellung gehalten wird. Selbst- verständlich darf man nicht versäumen, die Adnexa aus den Adhae- renzen zu lösen, wenn solche vorhanden sind.

Eine Operationsmethode, mit welcher gute Resultate erzielt wurden, ist folgende :

Der Bauchschnitt wird kurz, etwa zwei Zoll lang gemacht, und hier- auf folgt Lösung der Adhaesionen. Hierbei ist mir schon vorgekommen, dass diese so dick waren, dass deren Unterbindung und Durchtren- nung mit der Scheere nöthig war. Nachdem der Uterus und die Adnexa freigemacht sind, wird ein eigens dazu construirtes Tenaculum (s. Fig. S. 180), mit dem Zeigefinger der linken Hand an die Rückseite des Uterus geleitet. Wenn das Instrument an der geeigneten Stelle ange- legt ist, wird der Schieber, welcher die Spitze des Instrumentes zur Sicherheit des Darmes verdeckt, mit einem Finger der rechten Hand abgeschoben, und gleichzeitig die Spitze in die Uterusmusculatur gedrückt. Indem der Assistent jetzt das Tenaculum übernimmt, wird Silkwormgut in eine zu diesem Zwecke passende Nadel eingefädelt, die ganze Bauchmusculatur oberhalb des unteren Wundwinkels durch- stochen, am Ende des Fadens dann ein Schieber befestigt, um das Hindurchgleiten bei dem ferneren Durchstechen zu verhindern. Nun

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wird die grobe Nadel mit einer feinen gekrümmten, welche keine scharfe Kanten hat, vertauscht, mit dieser wird der Uterus an der vorderen Fläche direct unterhalb des Fundus durchstochen, indem die Nadel unter der Serosa geführt, etwa einen Zoll in der Breite fasst. Die Uterusmusculatur wird dabei so viel als möglich vermieden.

Nachdem dies geschehen, wird zur anderen Seite der Bauchdecken wieder die grobe Nadel gebraucht, und an diesem Ende des Fadens ebenfalls ein Schieber gelegt.

Die Bauchhöhle wird jetzt von dem, aus den zerrissenen Adhaesionen gesikerten Blut gereinigt, die anderen erforderlichen Nähte zur Schliessung der Bauchwunde eingelegt, nochmals ein Stielschwamm eingeführt um den Batrag der vorhandenen Blutung zu constatiren.

Man muss sich überzeugen, dass keine Darmschlingen vor dem Uterus eingeklemmt sind, und ist Alles in Ordnung, dann wird der den Uterus suspendirende Faden geknotet, darauf die anderen Fäden der Bauchwunde. Nur einmal war die Blutung aus den Stichkanälen des Uterus etwas stark. In diesem Falle war das Organ gross, und von schlaffer Consistenz, welcher Zustand der Musculatur wohl nicht bestehen

wird bei vorhergegangener Behandlung mit Massage nach Thure Brandt, wie es jetzt stets geschieht, um womöglich die Fixation ohne operativen Eingriff zu beseitigen. Um eine geringe Blutung in der Bauchhöhle braucht man sich nicht zu kümmern, sondern kann die Wunde unbesorgt schliessen. Nur in einem Falle war es nöthig, wegen allzu starker Blutung aus den Adhaesionsflächen einen Jodoformgaze- tampon einzulegen, und zu gleicher Zeit die Vagina fest zu tamponiren, um von hier aus Gegendruck zu erhalten. Nach 21 Stunden wurde der Tampon aus der Bauchhöhle entfernt.

Der Silkwormfaden wird nach einer Woche durchschnitten, um das völlige Durchschneiden der Bauchdecken zu verhindern, ein Vorgang, welcher schon am 4. oder 5. Tage anfängt. Ganz entfernt wird die Uterussutur aber erst nach zwei Wochen. Ich habe in meinen derartig operirten Fällen gefunden, dass die antevertirte Lage bestehen bleibt, ohne das Fixation an der Bauchwand zu Stande gekommen war. Sollte die Heilung mit dieser Technik sich als eine permanente bewähren, so hat ja dieses Verfahren seine Vortheile.

Die erste Operation dieser Art, welche wohl als temporäre Suspen- sion des Uterus zu bezeichnen ist, wurde bei einer 34jährigen Person, welche zwei Jahre lang an heftigen Beschwerden litt, am 17. März 1887 gemacht. Zu jener Zeit hatte ich noch nicht das dizu bestimmte

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Tenaculum erdacht, niusste daher die Bauchwunde länger machen, auch wurde Silberdraht statt Silkwormgut zur. Uterussuspension gebraucht. Die Tuben und Ovarien, welche ebenfalls vergrössert und adhaerent waren, wurden aus den Adhaesionen gelöst, aber nicht entfernt. Die Patientin stellte sich bei mir im Decbr. '88 auf ein an sie gerichtetes Schreiben wieder vor. Der Befund war in jeder Hinsicht zufrieden- stellend und der Uterus frei beweglich und in normaler Lage. Das Pessar, welches gleich nach der Operation eingelegt war, wurde nur drei Monate liegen gelassen. In den anderen Fällen ist wohl kaum genü- gende Zeit verstrichen, um etwas Definitives zu berichten. Ich hörte jedoch vor Kurzem von einem mir befreundeten Collegen, dass eine der später operirten Patientiunen eine leichte Betroversio in Folge von Perimetritis hätte. Bei nicht fixirtem Uterus ist die Ventralfixation contraindicirt, dagegen soll die Adam Alexander'sche Operation voll- zogen werden, wenn man nicht durch andere Mittel zum Ziele kommen kann. Der Zweck des Tenaculums ist, wie ja schon aus dem Gesagten hervorgeht, dass man mit einem bedeutend kürzeren Leibschnitt fertig wird, ein Umstand, welcher Tendenz zum Ventralbruch vermindert. Ausserdem hat die angegebene Operationsmethode den Vortheil, dass keine oder doch nur eine minimale Fixation an der Bauchdecke statt- findet, was ja bei vorkommender späterer Gravidität von Bedeutung sein muss. Nach einem derartigen Verfahren wäre aber stets zu em- pfehlen die Patientin ein Pessar, so klein wie möglich und auf längere Zelt tragen zu lassen.

Eine genaue Erwägung der Krankengeschichten der mit Tuben- affectionen Belasteten zeigte, dass in der Mehrzahl der Fälle die Er- krankung auf das Puerperium zurückzuführen ist, womit ich alle Fälle, die scheinbar in Folge von Entbindung und Abortus entstehen, be- zeichne.

Ich nehme die Gonorrhoe als Ursache an, wenn der Mann zu irgend einer Zeit an Tripper gelitten oder die Frau einen verdächtigen, nicht legitimen Coitus geübt hat. Gonococcen sind im Tubeneiter in den daraufhin untersuchten Präparaten nicht gefunden worden. Ist die Kranke jedoch nach einer Geburt oder nach Abortus, oder auch nach Indiscretionen während der Menstruation erkrankt, wenn sie sich vor- her immer einer guten Gesundheit erfreut hatte und eine Tripper- ursache nicht zu eruiren ist, dann bin ich geneigt, besagte Umstände als Ursache der Erkrankung anzunehmen. Wir wollen mit wenigen Worten die gonorrhoische Salpingitis besprechen, ein Capitel, in welchem wohl jeder von uns die Leistungen Noeggerath's anerkennt. Diese Salpin- gitis wäre in zwei Gruppen einzutheilen, die acute und die chronische Form. Erstere entsteht in Folge der Infection von einem acuten Tripper. Wiederholt haben wir constatiren können, dass die Tuben noch zwei bis drei Monate nach der Ansteckung aflicirt waren. Das Krankheitsbild war in diesen Fällen characteristisch. Die betreffenden Patientinnen waren zwei Mal gewöhnliche Prostituirte, welche während eines Bausches inficirt wurden ; mehrere Male fanden wir die Krankheit.

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bei Fabrikarbeiterinnen und Wittwen. Nach Verlauf einer verhältniss- mässig kurzen Zeit stellten sich zunächst Schmerzen nebst Gefühl von Schmerz im Hypogastrium und im Rücken ein, welche Symptome bei der vorhandenen Leucorrhoe auf eine Ausbreitung auf das Endo- metrium schliessen liessen. In kurzer Zeit gesellten sich auch Schmerzen in den Inguinalgegenden hinzu, die beim Gehen oder sonsti- ger körperlicher Anstrengung vermehrt wurden. Die Untersuchung zeigte eine Entzündung der Bartholini'schen Drüsen, Röthung und Oedem der ganzen Vaginalschleimhaut. Eitriges Secret aus dem Uterus und von der Schleimhaut der Vagina war in wechselnder Menge vorhanden. Der Uterus erschien gewöhnlich leicht fixirt, in Folge des auf die Adnexa und des Perimetriu n übergetretenen Processes. Erstere waren als wulstige Geschwülste an den Seiten der Gebärmutter oder im Douglass'- schen Raum zu palpiren. Die Schmerzen bei der Untersuchung sind stets sehr heftig.

Ganz anders sind jedoch die Erscheinungen bei der chronischen oder besser gesagt, schleichenden Form, welche wir meistens bei ver- heiratheten Frauen finden. Der Gatte acquirirte einen Tripper oft Jahre vor seiner Verheirathung und wurde als geheilt entlassen, oder betrachtete sich selbst als geheilt. Ein derartiger folgenschwerer Tripper war meistens von langer Dauer mit häufigen Recidiven in Folge von Momenten, die bei einem wirklich geheilten Tripper gar nicht in Betracht kommen. Wir wollen annehmen, wie dies uns ja allen mehr- fach bekannt ist, der Betreffende habe 4 6 Monate oder länger mehr oder minder heftigen Ausfluss gehabt, bessert sich dann, so dass nur noch eine Verklebung des Meatus urinarius vorhanden ist. Er trinkt bei Gelegenheit gehörig alcoholische Stimulantien und ein oder zwei Tage darauf erscheint der Ausfluss abermals, um nach 1 2-wöchent- licher Behandlung wieder zu verschwinden. Ein derartiger Zustand kann mitunter ein bis zwei Jahre dauern. Nicht selten wird sogar einem solchen Patienten der irrationelle Rath ertheilt, einen Coitus auszuüben, zur Stärkung der Genitalien. Wie sich heutigen Tages Aerzte ein der- artiges Vergehen zu Schulden kommen lassen können, ist mir unbe- greiflich.

Ein Patient, welcher nur noch Morgens eine leichte Verklebung der Harnröhrenöffnung hat, verheirathet sich, und einige Monate später fängt die Frau an, über Unterleibsbeschwerden zu klagen. Man findet dann bei der Untersuchung die uns zur Genüge bekannten Erscheinun- gen. Die vorhandene Perimetritis ist nach meiner Meinung immer secundär, in Folge vom Austritt des Tubeninhalts. Die Ovarien sind selten separat zu fühlen, indem sie meistens mit den Tuben, in Folge des entzündlichen Processes verschmolzen sind.

Die Symptome der Salpingitis, welche in Folge eines latenten Trip- pers acquirirt ist, sind sehr verschieden in ihrer Heftigkeit und treten ebenfalls zu verschiedenen Zeiträumen nach der Verheirathung ein, je nach dem vorausgegangenen Zeitraum des acuten Trippers. Mitunter

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finden wir dilatirte Tuben, welche nur zeitweise Besehwerden machen und selbst dann nicht immer heftige.

Die Entzündung ist keineswegs immer suppurativ, auch nicht in jedem Falle bilateral. Den Grund für letzteren Umstand kann man dadurch erklären, dass die gonorrhoische Endometritis, welche ja immer vorausgeht ehe die Adnexa überhaupt afficirt werden, die betref- fende Tubenöffnung verschont. Obgleich dies sehr räthselhaft erscheint erklärt es uns das spätere Erkranken der zur Zeit einer unilateralen Salpingotomie nicht ergriffenen Tube. In derselben Weise lässt sich die einseitige puerperale Salpingitis erklären, indem die Endometritis zu einer späteren Zeit weiter um sich greift und auf die bis dahin ver- schonte Tube übertritt.

Es ist wohl genügend bewiesen, dass Frauen mit einer doppelseitigen gonorrhoischen Salpingitis steril sind, besonders bei suppurativem Charakt t derselben. Catharrhalische Salpingitiden, welche öftere Pelve o-Peritonitiden verursachen, sind häufig, wenn nicht immer, speci- fischen Ursprungs. Dasselbe gilt von Hydro-Salpinx, und ist anzu- nehmen, dass der catarrhalische Process eventuell in Eiterung übergeht. Ich war in der Lage, ein Beispiel dieser Art durch operative Eingriffe zur Evidenz nachzuweisen. Bei der ersten Laparotomie, welche explo- rativ war, fanden wir die Aduexa catarrhalisch erkrankt, bei einem späteren, zur Entfernung der Tuben wegen immer heftiger auftretenden B 'Schwerden, wurde die eine Tube in Hydrosalpinx verwandelt gefun- den, in der andern waren Spuren von Eiter. Allerdings ist hierbei die Möglichkeit einer eitrigen Infection auf cat irrhalischer Basis nicht aus- geschlossen. Sollte nur eine Tube verschlossen sein, dann ist es selbst- verständlich möglich, dass die Patientin schwanger wird. Aber die Wahrscheinlichkeit ist dann gross, dass während des Puerperiums, selbst wenn das Ende der Gravidität erreicht wird, die schon erkrankte Tube eine acute Entzündung zu bestehen hat, und dann die gewöhn- lichen Erscheinungen eintreten. Meistens wird dann auch die bisher gesunde Tube ergriffen.

Je länger ein Pyosalpinx besteht, desto schwieriger und gefährlicher wird der operative Eingriff, auch sind die Resultate der Operation bezüglich baldiger und vollständiger Herstellung unsicherer.

Oft tritt in solchen Fällen eine Besserung der Symptome ein. Die Schwierigkeit der Operation besteht unter obigen Umständen in den festeren und weit umsichgreifenden perimetritischen Adhaesionen, so dass es garnicht selten vorkommt, dass die Tube während der Lösung berstet, und der Eiter sich in die Bauchhöhle ergiesst.

Auch pflegen solche Patientinnen in Folge des langen Leidens in ihrer Widerstandsfähigkeit heruntergekommen zu sein, obgleich sie mitunter robust aussehen. Die mit Pyosalpynx behafteten Frauen sind auch der Gefahr ausgesetzt, dass die Tube oder Tuben spontan bersten und so eine schnell tödlich verlaufende Peritonitis ersteht, wenn nicht baldigst operativ eingegriffen wird.

In den 6 von mir derartig beobachteten Fällen wurde der Durch-

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bruch durch ulcerative Processe bedingt, welche von der Schleimhaut- fläche auf die Tubenwand übergegriffen hatten. Bei vier von diesen sechs Fällen hatte ich Gelegenheit operativ einzugreifen, konnte aber nur bei zwei Heilung erzielen. Die Diagnose eines Pyosalpinx ist nie- mals mit Bestimmtheit zu stellen, obgleich auch hier namentlich die operative Erfahrung dem Diagnostiker wesentlich zu Statten kommt.

III.

Ueber Gastrosuccorrhoea continna.*)

Von

Dr. Julius Hoffmann,

^Jew York.

M. H. Angesichts der nicht zu grossen Seltenheit von continuir- lichem Magensaftfluss und der Wichtigkeit dieser Erkrankung muss man sich wundern, dass sowohl die Casuistik, als die Vorstellung von Fallen nichts weniger als häufige Ereignisse sind. Bis vor verhältnis- mässig kurzer Zeit kannte man nur ganz wenige Arten von Magen- ei krankungen, darunter den grossen Topf „Magencatarrh", in den man das, was man sonst nicht unterbringen konnte, hineinwarf. Dies Alles hat sich in den letzten 10 Jahren gründlich geändert, und sowohl die normale und pathologische Physiologie, als auch die mechanisch-tech- nischen Explorationsmethoden sind mächtig gefördert worden. Man hat früher Magenleiden behandelt, deren Natur man nicht kannte, man hat Diagnosen gestellt, die keine waren, man hat auch Erfolge errungen,, die jedoch Scheinerfolge waren, oder über die man sich keine Bechen- schaft geben konnte. Wie in Bezug auf den Magen verhielt es sich ehedem mit anderen Organen, speciell mit den Augen vor der Einfüh- rung des Augenspiegels. Heutzutage kommt « s darauf an, auf Grund physiologischer, resp. pathol.-physiologischer Erkenntniss die Therapie einzurichten. Selbstverständlich werden die übrigen Untersuchungs- methoden nicht als überflüssig bei Seite gesetzt werden dürfen.

Die Kranke, die ich Ihnen nachher vorstellen werde, ist 24 J. alt, ledig und befindet sich in guten Vermögensverhältnissen. Sie stammt aus einer Familie, in der allgemeine nervöse Reizbarkeit zuhause ist, bei einigen Mitgliedern derselben in einer, an originäre Verrücktheit grenzenden Form und sogar noch schlimmer. Ausserdem sind Magen- leiden den meisten Familienmitgliedern zur zweiten Natur geworden.. Unsere Patientin selbst ist nie besonders krank gewesen, ausser vor

*) Unter Zngrundlegung eines in der Deutsch, med. Ges. v. N. Y. gehaltenere Vortrags.

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ungefähr 8 Jahren, zu welcher Zeit sie Symptome darbot, die wir als characteristisch für Ulcus ventriculi oder doch mindestens äusserst ver- dächtig dafür halten. Es ist heutzutage ein guter Grundsatz, alle chro- nisch erkrankten Mägen auszuhebern und auf Grund einer chemisch- physiologischen Untersuchung die Diagnose zu stellen. Die Idee des Ausheberns ist keine ganz neue. Im verflossenen Jahrhundert hat man sich in England der Magenbürsten bedient, um Biermägen zu „reinigen", in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts, der Magenschläuche zum Zweck medicamentöser Einspritzungen in den Magen. Mitte der 60er Jahre hat der jetzige Kreisarzt Ph. Biedert, in Hagenau, damals Stud. in Giessen, gelegentlich der Anwendung der complicirten Magenpumpe den Gedanken geäussert, dass man den Magen auf dieselbe einfache Weise müsse entleeren können, wie man „zu Hause" (am Rhein) die Fässer aushebere, nämlich vermittelst eines Gummischlauchs. Kuss- maul hat bekanntlich dem Magenschlauch die Bedeutung zu geben verstanden, die derselbe zur Zeit hat. Ich zeige Ihnen hier drei etwas verschiedene Magenschläuche vor, sog. Nelaton'sche, aus weichem vu?- canisirtem Gummi bereitet, deren ich mich ohne alle Nebenapparate bei einigen hundert „Ausschlauchungen" bedient. Solchen mit einer Oeffnung an der wohlabgerundeten Spitze, einer zweiten Oefmung einen Centimeter höher oben und einen oder mehreren dritten kleineren dieser ungefähr gegenüber, gebe ich den Vorzug. Sie mögen Ihre Patienten nach Art der Schwertschlucker den Kopf nach hinten werfen lassen unbedingt nöthig ist dies nicht und dann den mit Wasser angefeuchteten Schlauch, ohne denselben mit den Fingern in die Mund- höhle zu begleiten nach dem Pharynx dirigiren, so wird derselbe leicht geschluckt werden, auch von nervösen Patienten, wie die vor Ihnen befindliche z. B. eine ist. Manche Kranken ziehen es vor, den Kopf nach der Brust zu senken.

Sie sehen, der Schlauch gleitet ohne meine Hülfe hinab. Patientin hat vor etwas über 7 Stunden eine Probemahizeit, bestehend aus einer Tasse Suppe, einem Brödchen und einem Stück Beefsteak eingenommen, und es müsste jetzt bei physiologischem Verhalten des Magens dieser leer gefunden werden. Ich senke nun die durch ein kurzes Glasrohr mit dem Magenschlauch verbundene Gummiröhre und lasse den Magen- inhalt, wenn nöthig, unter Anwendung der Bauchpresse bei Exspira- tion — , ausfliessen. Gelingt dies nicht, so ragt entweder das Ende des Schlauches mit seinen Einströmungsöffnungen nicht tief genug hinab, oder es ragt, nachdem es den flüssigen Mageninhalt passirt, durch die aus der Form des Magens nothwendig resultirende Krümmung über das Niveau der Flüssigkeit empor. Endlich aber, die OerTnungen sind durch davorgelagerte Contenta versperrt. Durch leichtes Manöveriren im ersten Falle und durch Quetschen oder Lufteinblasen im letzten wird man leicht zum Ziele gelangen. Man kann auch mit dem Munde ansaugon, und hat Zeit denselben zurückzuziehen, sobald der Inhalt in ■die verbindende Glasröhre einschiesst. Ich habe hier in diesem Glase den ausgeheberten Inhalt und will nur noch vor Untersuchung desselben

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den Magen douchen, wozu ich je nach Bedürfniss 300—500 Cctg. warmen Wassers nehme, das ich durch den erhobenen Glastrichter ein- giesse, um es auf die leichteste Weise durch Senken desselben wieder abfliessen zu lassen. Je nach der Zeit, zu der man aushebert, wird man mehr oder weniger Magensaft erhalten ich spreche nur von diesem Falle kurz nach der Verdauung am wenigsten, nach jeder weiteren Stunde mehr. Patientin wurde ungefähr 30 Mal ausgehebert und zwar alle 3 Tage wenigstens ein Mal. Denn um gewiss zu sein, dass man es mit einem continuirlichen und nicht einem periodischen Magen- saftfluss zu thun ha*l, ist es nothwendig zwischen zwei Mahlzeiten 2 Mal auszuhebern, also nach der ersten und vor der zweiten. So habe ich einige Mal verfahren und mich überzeugt, dass auch der nüchterne Magen zu irgend einer Zeit Saft absondert. Ausserdem habe ich auf der Höhe der Verdauung, also zwischen der 5. und 6. Stunde ausge- hebert und zu allen Zeiten nach der Verdauung bis zu 19 Stunden, nach welcher Zeit es der Patientin schwach vor Hunger wurde.

Wir kommen nun zur Untersuchung der ausgeheberten Flüssigkeit. Dieselbe ist in unserem Falle fast farblos, wenig trüblich von beige- mischtem Schleime und feinen Flocken unverdauten Crackers oder Semmel. Von Fleischfasern ist nichts zu sehen. Schon dieser einfache Befund muss uns in einem Erstlingsfalle auf die richtige Spur leiten. Eiweiss wird durch den Magensaft verdaut, resp. peptonisirt ; Amylacea hingegen werden durch den Mundspeichel verdaut, resp. wird die Wirkung des Mundspeichels durch Gegenwart von Salzsäure aufge- hoben, mindestens beeinträchtigt. Wir können also schon vermuthen, dass wir es mit Absonderung von Verdauungssaft, resp. Salzsäure zu anomaler Zeit zu thun haben. Untersuchen wir also weiter. Hat man Zeit zum Filtriren, so thut man es. In unserem Falle und auch zur vorläufigen Orientirung in der Praxis macht man's kürzer. Sie sehem hier Streifen eines krapp- oder türkischrothen Papiers, sog. Congo- papiers. Tauchen wir dies 2 See. in die Flüssigkeit, so wird es sich lila bis blauschwarz färben. Wir haben nicht erst nöthig mit Lacmuspapier zu prüfen, welches ja nur Säure im Allgemeinen anzeigt. Bei Gegen- wart von nur sauren Salzen bleibt das Congopapier unverändert. Sie sehen, das Papier ist intensiv blau gefärbt vielleicht mit einem Stich in's Lila'ne. Die Probe wird nur gelingen, wTenn Sie sich geeigneten Papiers bedienen. Ich habe darauf bezügliche vergleichende Unter- suchungen angestellt und gefunden, dass härteres Papier sogar bei intensiverer Färbung viel weniger empfindlich ist, als weicheres Filtrir- papier bei weniger intensiver Färbung. Solches mit grossen weissen Platschen, das an offner Luft aufbewahrt wird, lässt man am besten dem Verkäufer. Speciell würde der Salzgehalt der hiesigen Luft sowie der aller Seestädte in Bezug auf seine Keaction sehr in Frage kommen, und man thut gut, sein Papier unter Verschluss zu halten. 0,01% Salz- säure gibt bei gutem Papier noch eine gute Keaction. Statt des Papiers kann man sich auch eine Congolösung bereiten. Ein zweites Keagens, dessen man sich zur Erkennung der Salzsäure bedient, ist das Tro-

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paeolin 00, ein Anilinfarbstoff:, in seiner wässerigen concentrirten Lösung von feurig orangerother Färbung. Setzt man etwas von der zu untersuchenden Flüssigkeit dieser Lösung zu, so entsteht bei Anwesen- heit von Salzsäure eine mehr oder weniger braun bis braunschwarze Färbung, während saure Salze eine strohgelbe Färbung hervorrufen. Ein drittes Keagens ist das sog. Smaragdgrün, das sich prachtvoll moosgrün färbt. Eine schwache Lösung von Methylviolet färbt sich deutlich blau. Sollten Sie über den Farbenunterschied im Zweifel sein, so empfiehlt es sich, die Proben 2er Reagensgläser zu vergleichen, deren eines das blosse Reagens, das andere ausserdem den Zusatz der zu prüfenden Flüssigkeit enthält. Trotz des Gaslichtes können Sie die Reaction noch erkennen. Tageslicht ist dazu ungleich günstiger. Sie sehen, wir brauchen um Reagentien zu Controlproben nicht in Verlegen- heit zu sein. Auch Eisenchloridcarbol, das man sich leicht herstellen kann durch Zusatz von Lig. ferr. sesquichlor. zu einer 3 f>% Carbol- säurelösung ist ein äusserst werthvolles Reagens. Sein amethystfarbnes Blau wird durch Salzsäure einfach entfärbt, während es durch Milch- säure gelb, und durch Buttersäure gelbroth wird. Alle diese Proben, so gut und so practisch sie auch sind, werden jedoch, was Empfindlichkeit anbelangt, von dem Phloroglucin- Vanillin weit übertroffen. Man be- reitet sich eine Lösung von 2,0 Phloroglucin, 1,0 Vanillin und 30,0 Alcohol. absolut., die eine hellgelbe Farbe zeigt und dieselbe bewahrt, wenn man sie im Dunkeln hält. Diese Lösung reagirt auf reine Salz- säure in schönem Hochroth. Zum Zwecke des Nachweises freier Salz- säure im Mageninhalt bringt man 1 Tropfen der Lösung auf ein Porcellanschälchen, setzt einen Tropfen des zu prüfenden Mageninhalts zu, erwärmt vorsichtig, uud die Reaction tritt unter Bildung von rothen Kringeln ein, welche Erscheinung man noch durch rasches Abkühlen, durch Blasen z. B. erhöhen kann. Während Congo noch einen Procent- gehalt von 0,01 nachweist, ist diese Lösung noch bei 0,005 empfindlich. Statt der Lösung kann man sich auch ein Reagenspapier bereiten. Zum Schluss führe ich noch ein chemisch-physiologisches Prüfungsmittel an, das in mehr als einer Hinsicht geeignet ist, uns Klarheit in einem gegebenen Falle zu verschaffen. Es ist die künstliche Verdauung. Sie sehen hier einen Blechkessel, der in seinem Inneren einen zweiten birgt ; der zwischen diesen eingeschlossene Raum kann durch das oben zur Seite angebrachte Eingussrohr mit Wasser gefüllt werden. Die Ein- richtung im Innern ist zur Aufnahme von 6 Reagensgläsern bestimmt ; es können deren jedoch leicht 18 angebracht werden. Der Deckel hat zwecks Aufnahme eines Thermometers eine centrale Oeffnung. Ein Kupferdraht mit einer 7 Ctm. langen Holzrolle dient als bequemer Henkel. Dieser einfache Apparat erfüllt seinen Zweck vorzüglich, ist ausserdem billig und braucht nicht patentirt zu werden, da er nach all- bekannten physicalischen Gesetzen construirt ist. Wollen wir nun erfahren, ob der während der Hungerperiode ausgeheberte Saft wirk- lich verdauende Eigenschaften besitzt, so geben wir in 3 Reagensgläsern je 10,0 15,0 desselben unter Hinzufügung einer 8 Millim. im Durch-

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messer und 1 Millim. Dicke betragenden Eiweissscheibe, die man durch einen blechernen Korkbohrer aussticht nnd mit dem Doppelmesser schneidet, so dass man stets unter denselben Bedingungen experimen- tirt. Findet man, nachdem das Thermometer auf Blutwärme gestiegen und auf derselben Temperatur ca. 45 Minuten erhalten wurde, die Scheibchen verdaut, so ipt man sicher, dass der Saft ein wirksamer war. Findet man hingegen trotz Salzsäurereaction vermittelst Congopapier oder eines der anderen Reagentien, die Scheibchen nicht ganz verdaut, so wird ein Zusatz von wenig Pepsin genügen, um die Verdauung zu vervollständigen. Erhält man im 3. Falle nur eine „Andauung", so ist die Salzsäure, selten das Pepsin, in ungenügender Menge vorhanden.

Von der quantitativen Analyse interessirt uns in diesem Falle fast nur die Säurebestimmung, die man mittelst Vio Normalnatronlösung nach der bekannten Filtrirmethode ausführt. Alle -unter 0,15 und über 0,2 gefundenen Werthe in Proz. ausgedrückt sind als pathologisch zu betrachten. Bei einer Hypersecretion, d. h. einer Salzsäureabscheidung zu nüchterner Zeit findet man auch stets eine Hyperacidität, d. h. einen zu hohen Salzsäuregehalt. Eine genaue Bestimmung des Pepsins ist unwesentlich.

Wir kommen nun zur Behandlung. Nach dem Vorausgeschickten scheint sie leicht ; in der Wirklichkeit ist sie es wegen der Complicirt- heit der bei der Verdauung in Betracht kommenden chemischen Vor- gänge nicht. Wer da glaubt, dass man einfach die Hyperacidität zu alcalisiren brauche, etwa durch Natron bicarbonicum, befindet sich in einem grossen Irrthum. Im Munde wird die Verdauung eingeleitet durch die Einspeichelung, bei welcher das Ptyalin die Rolle eines Fer- mentes spielt, das die Stärke in Dextrose und den Rohrzucker in Invertzucker verwandelt, aber nicht schon im Munde, wie man vielfach noch annimmt, sondern im Magen, und zwar im ganz wenig alcalischen oder im neutralen Magen am besten. Die Zwischenstufen dieser Körper sind die verschiedenen Dextrine und die Maltose, welche im Darm in Dextrose übergeht. Wenn nach Verlauf einer Stunde von Beginn der Verdauung sich noch durch die Lugol'sche Lösung die Zwischenstufen der Verdauungsproducte nachweisen lassen, so kann man annehmen, dass diese Störung durch von vornherein anwesende Salzsäure bedingt war. Wollte man demnach den Magen alcalisiren, so würde man die fermentirende Eigenschaft des Ptyalins herabsetzen. Demnach halte ich es für richtiger, den Magen durch die Douche zu neutralisiren, was bei Hyperacidität und continuirlicher Secretion rascher durch, der eigent- lichen Douche vorausgehende, Natr.-bicarbon. Douche erreicht wird. Das einfache Prüfungsmittel, ob der Magen, d. h. seine innere Ober- fläche, neutral geworden, ist Lacmuspapier. Die Magenwand selbst, zumal die Labdrüsenschichte, ist stets sauer. Dies also ist der Zeit- punkt, in welchem man dem Magen Brod, Semmel, Cracker, Zwieback, Kartoffel und ähnliche Amylacea anbieten kann. Wenn Riegel nun meint, dass „dergleichen Nahrungsmittel möglichst vermieden werden" sollen, so wird er schwerlich den Patienten finden, der dies aushält, da

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wir es ja mit einem chronischen Leiden zu thun haben. Man thut ferner gut, die Patienten darauf aufmerksam zu machen, dass es bei der Be- handlung ihres Leidens auf ein vollkommenes Durchkauen wesentlich ankomme. Eine halbe bis f Stunden später kann der Patient eiweiss- haltige Stoffe in Form von Beefsteak, Ei, Austern u. dgl. geniesen. Karlsbader Salz hat im vorliegenden Falle gute Wirkungen geäussert, wenn wir auch kein Yerständniss der Art seiner Wirkung haben ; ebenso die hierhergehörigen alcal. Mineralwässer, Kieler Wasser etc. Nicht zu unterschätzen ist der gute Einfluss von nur zwei oder höchstens drei Mahlzeiten in 24 Stunden. Dies ist die specielle Behandlung. Die Allgemeinbehandlung, die sich auf das Leiden bezieht, soweit es als eine Neurose aufgefasst werden muss besteht in der Ausführung regel- mässiger Spaziergänge, womöglich dauerndem Aufenthalt in milder Gebirgsluft und der Vermeidung aller nervösen Aufregungen, wie Bälle, schlechtgewählte Leetüre u. dgl. Ueber electrische Behand- lung und deren Erfolge stehen mir keine eigenen Erfahrungen zur Ver- fügung. Nach obigen Grundsätzen habe ich die in Rede stehende Kranke behandelt, und wenn ich Ihnen noch sage, dass das Er- brechen und die Magenschmerzen sich bedeutend verringert haben, auch in viel längeren Pausen als früher auftreten, dass der Zungen- belag fast geschwunden, und dass der Säuregehalt von 0,4 auf 0,3% sich verringert hat, und dass zu derselben Stunde, zu der ich früher 70 g. und darüber ausheben konnte, ich nur noch 20 g. erhalte, und dass der Magensaft nicht mehr durch Dünndarmcontenta gelb, sondern, wie Sie gesehen, farblos ist, so darf ich mit meinem Resultate wohl zufrieden sein. Bei colikartigen Schmerzen, die Patientin von Zeit zu Zeit Nachts empfanden, die ich von einem Abfliessen des Succus gastric. nach dem ulcerös afficirten Colon ableitete, liess ich mit gutem Erfolg Natr. bicarb. nehmen.

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MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

De. A. SEIBEKT.

Billige ärztliche Arbeit.

In diesem Zeitalter der Berufsüberfüllung und des Anhäufens von Arbeitermaterial ist es leicht verständlich, wenn sich die natürliche Folge dieses Zustandes, billige und schlechte Arbeit zu liefern, auch auf die Arbeitsleistung der Aerzte erstreckt. Wir haben hierbei haupt- sächlich die Thätigkeit der Krankencassenärzte im Auge.

Die Kranken vereine entsprangen ursprünglich wohl dem Bedürfniss, ärmeren, Handwerkern und Gewerbtrelbenden die Möglichkeit zu ver- schaffen, ärztliche Hülfe gegen eine Bezahlung zu bekommen, welche einigermassen den Verhältnissen resp. dem Einkommen der Leute ent- sprach. Der arme Arbeiter wollte nicht auf die gleiche Stufe mit dem Bettler gestellt sein, der die Hülfe als Almosen empfing. Das war einerseits practisch, und andererseits höchst ehrbar und anerkennens- werth. S o war es wohl im Anfang, und so war es recht.

Was aber wurde aus diesem Bestreben des armen Arbeiters seinen Arzt auch zu besolden ? Ein Prolätariat von Patienten und Aerzten, das seines Gleichen sucht.

Die meisten Menschen betrachten den Arzt nicht allein als not- wendiges Uebel und seine Hülfeleistung als etwas Unnützes und eigent- lich Ueberflüssiges, sondern viele dem besitzenden Stand Angehörige übertragen eine gute Portion ihrer Abneigung gegen das Kranksein auf den Arzt selbst, weil eben dieser es ist, der einen grossen Theil der Kosten einer Krankheit bedingt. Der kleine Krämer, der hungerig- sparsame kleine Geschäftsmann scheut den zu honorirenden Arzt als einen Luxus, welchen er sich nur im Nothfall, oft erst nach tage- langem quacksalberndem Abwarten zu erlauben glaubt, dann aber mit Ingrimm über den Verlust der Honorardollar, weil die Aussicht auf das erste Tenementhaus wieder ferner rückt.

Lediglich nun um diese unnütze und widerwärtige Ausgabe so herunterzuschrauben, dass sie einem Nichtvorhandensein gleich kommt, entst in den die Krankenvereine unter den Besitzenden der Grosstädte dieses Landes in einer Anzahl, dass man in New York z. B. wohl kaum einen Kleinkrämer finden würde, der keinem Krankenvereine angehört. Wir können noch hinzufügen, dass diese Krankenvereinsseuche haupt- sächlich unter den Deutsch- Amerikanern grassirt.

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Das Schlimmste an der Sache ist nun die jämmerliche Bezahlung des angestellten Arztes. Derselbe erhält in der Regel meist einen Dollar im Jahr von jedem Mitglied des Vereines, und muss er auf Verlangen dafür solches Mitglied in jeder Krankheit ohne weitere Vergütung behandeln ! In einzelnen Fällen soll die Bezahlung noch schlechter sein ; wir glauben es aber nicht.

Was sind nun die Folgen eines solchen Verhältnisses ? Um die ge- ringe Bezahlung einigermassen zu ergänzen, muss der College viele Vereine haben und demnach viele Patienten. Der Besuch wird so im Durchschnitt mit 10 und wenn es hoch kommt mit 15 20 Cents bezahlt. Um alle Besuche zu machen, muss die Visite kurz sein. Diagnose und Therapie und namentlich der Patient müssen darunter leiden und letzterer weiss das auch ganz genau. Ueberhaupt betrachtet er seinen Vereinsarzt durchaus nicht mit Hochachtung. Es ist nur natürlich, dass der Geldmensch die Leistung eines für ihn Arbeitenden nicht viel höher anschlägt als der Arzt selbst ; Profit glaubt er dabei aus dem Vereinsdoctor doch herauszuschlagen, denn für gewöhnliche Fälle ist derselbe doch gut genug, und auch bei solchen Gelegenheiten rechnet der Privatarzt ja ebenso viel für die Visite wie sonst. Kommt aber eine schwere Erkrankung zum Vorschein, so muss der Vereinsarzt nicht selten dem Privatarzt Platz machen, und wird dieses Manöver gewöhn- lich von der Familie des Patienten in durchaus nicht zartfühlender Weise ausgeführt.

Bei Lichte betrachtet ist das Kranken vereinswesen unter Zahlungs- fähigen weiter nichts als eine geschäftliche Vereinigung, eine Verab- redung, eine Verschwörung, ein Trust, den Preis für ärztliche Hülfe- leistung so niedrig wie möglich zu stellen, resp. ein, durch existirende Gesetze nicht zu verhindernder Diebstahl an dem Arzte, denn letzterer ist durch die grosse Concurrenz oft gezwungen jede Bezahlung willkom- men zu heissen.

Wohin wird das noch führen? Die deutsch-amerikanischen Aerzte (welche fast ausschliesslich hierbei in Betracht kommen) werden schliesslich gezwungen werden zu striken und höheren Lohn fordern müssen. Wenn sie das aber thun, rathen wir jetzt schon bei Geschäfts- inhabern den Preis der Visite so zu stellen, dass es den Patienten nicht theurer zu stehen kommt den Arzt zu Bathe zu ziehen, der ihm nicht ob seiner Billigkeit imponirt, sondern ob seiner Fähigkeiten am geeignet- sten erscheint.

Wir hoffen, dass dem, durch das jetzige Krankenvereinswesen ge- schaffenen medicinischen Handlangerthum bald durch ein planmässiges Zusammengehen der Vereinsärzte ein Ende bereitet wird, und wir haben die Ueberzeugung, dass der ganze ärztliche Stand solchem Unternehmen seine moralische und thatkräftige Unterstützung ange- deihen lassen wird.

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Die Einfuhr von Aerzten.

Wie schon in No. 2 der „Med. Monatsschrift" auf Seite 110 berichtet wurde, ist durch einen Artikel des „Med. Record", Dec. 29. 1888, eine Agitation gegen in Deutschland promovirte hier eingewanderte Aerzte in's Leben gerufen worden, welche in einigen Fachblättern theils gro- teske und theils hässliche Blüthen treibt. Wir hielten die Sache für abgethan und würden nicht wieder darauf zurückgekommen sein, wenn nicht „The Medical Record" (die grösste und einflussreichste medicini- sche Wochenschrift der Union) in der Nummer vom 30. März d. J.'s, sich dahin verstiegen hätte, dem Deutschen Hcspital in New York darüber Vorwürfe zu machen, dass es einen ersten Hausarzt von Deutschland zu importiren gedenkt. Das „International Journal of Surgery" hat die Annonce des Deutschen Hospitals aus der „Med. Centrai-Zeitung" als Corpus delicti dieses Verbrechens abgedruckt, und „Medical Record" unterschreibt die Bemerkungen dieses „inter- nationalen" Journal's mit folgenden Worten : „Das „Journal" protes- tirt mit Recht gegen das Importiren von Hausärzten für unsere Hospi- täler. Das Deutsche Hospital wird von amerikanischen Bürgern und amerikanischem Geld erhalten. Seine Aerzte (wohl doch nur der 1. Haus- arzt ! Red.) beziehen Gehalt, was bei den meisten Hospitälern nicht geschieht. Es gibt genug competente amerikanische Graduirte, welche Deutsch sprechen und die froh wären, als Hausärzte in einem Hospital dieser Stadt f ungiren zu können" .

Mit dem letzten Argument des „Record" beginnend muss zugestanden werden, dass wohl mancher medicinische Jüngling im „Deutschen Hospital" als Hausarzt fungiren möchte, denn dieses Hospital ist der Patientenzahl nach nicht allein das drittgrösste der Stadt, sondern seine medicinischen und chirurgischen Leistungen werden von keinem anderen Hospital dieser Stadt (bescheiden ausgedrückt) übertroffen ! Was aber bedingt die hohe Stellung dieser Anstalt ? Etwa die That- sache, dass amerikanische Bürger und amerikanisches Geld11 dies Hos- pital erhalten? Nein, gewiss nicht, denn dieses „amerikanische Geld' 6 musste seit Jahrzehnten nicht allein mit Aufwand aller möglichen Kniffe und Kunststückchen aus den Taschen der („deutsch-) amerikani- schen Bürger" gepresst, gelockt und gebettelt werden, sondern diese mühselige Arbeit wäre zweifelsohne selbst von den aufopferndsten finanziellen Trägern der Anstalt längst aufgesteckt worden, wäre die Thätigkeit der deutschen Aerzte nicht eine derartige gewesen, dass ein „Deutsches" Hospital zu erhalten denselben wünschenswerth und nothwendig erschienen wäre !

Ueber die Competenz vieler amerikanisch Promovirter den Pflich- ten eines „ersten Hausarztes" am Deutschen Hospital nachzukommen, erlauben wir uns (übereinstimmend mit den Hospitalbehörden) anderer Meinung zu sein als „Medical Record". Wenn „Record" über die Aus- dehnung dieser Pflichten informirt wäre, würde er uns selbst beistim- men. Die unteren Hausarztstellen sind ja auch wohl mehrfach mit

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jungen amerikanischen Aerzten besetzt. Aber „Record" und „Inter- national Journal" haben von ihrem Standpunkt aus Eecht, denn sie denken nur an den Vortheil und das Unterbringen der vielen „compe- tenten" Graduirten (3,813 im Jahr 1888) in Amerika, und die Behörden des Deutschen Hospital's denken an das Wohl und Wehe der diesem ersten Hausarzt anzuvertrauenden Kranken, und ziehen es daher vor einen Collegen zu importiren, der nicht allein eine längere Studienzeit hinter sich und ein theoretisches und practisches Staatsexamen be- standen hat, sondern womöglich auch als assistirender Hospitalarzt schon die so nöthigen Erfahrungen gesammelt hat. Das Beste ist dem Deutschen Hospital gerade gut genug für seine Kranken, und welche Sorte junger Promovirter als die bessere bekannt ist, darüber haben die urtheilsfähigsten amerikanischen Aerzte schon längst mit ehrlicher Offenheit geurtheilt.

Warum nun der Zorn? Würde der Editor des „Kecord" seinen Patienten im Nothfall statt feinen Schaumwein der Champagne, aus Patriotismus und Rücksicht für die amerikanischen Fabrikanten, Cham- pagne-Cider geben lassen? Oder glaubt das „Internat. Journal of Surgery", dass seine Leser nur amerikanische Medicam ente verschrei- ben sollten, trotz dem hohen Werth der neueren deutschen Arznei- mittel? Und all' dieses aus Patriotismus ?

Je nun, es gibt verschiedene Ansichten. Wir ehren die anderer Leute. Aber wir bitten um Consequenz ! Wir müssen bitten dann auch die Arbeiten fremder Aerzte nicht zu importiren, und mit den Referaten und Besprechungen derselben drei Viertel der Spalten der besseren medic. Journale dieses Landes zu füllen ; die neueren deut- schen Medicamente sollten in Acht und Bann gethan werden, und die Eorschungsresultate, Heilmethoden und Heilmittel des Auslandes sollten zwangsweise von dem Import ausgeschlossen sein ! Man denke sich nur, dass Amerika seit 30 Jahren von unserer Wissenschaft und ihren Jüngern nicht importirt hätte ! Das wäre allerdings ein Zustand der mit Vorliebe den Geldbeutel junger und alter Aerzte hier begün- stigt haben würde, und auf den Geldbeutel kommt es dem „Journal" und dem „Record" doch an, denn das „amerikanische Geld" wird von ihnen hauptsächlich bedauert das nicht in die Taschen „com petenter American graduates" fliesst.

Wir erwarten demnächst, dass das Deutsche Hospital ob seines Na- men's angegriffen wird, und versprechen auch hierbei den unberufenen Kritikern volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Dem „Interna- tional Journal of Surgery" aber rathen wir seinen Namen schleunigst in „Chau vinistic Journal of Surgery" umzuändern, denn obgleich die Chirurgie ivie jede Wissenschaft und ihre Jünger wirklich international d. h. Eigentimm der ganzen, grossen Menschheit stets waren, noch sind und immer sein und bleiben werden, so kann man das ohne alles Be- dauern von diesem „Journal" entschieden nicht behaupten.

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Medication durch das Rectum.

Bei der Behandlung von an acuten Affectionen Leidenden, wird durchweg noch zu wenig auf die Schonung der Verdauungsthätigkeit des Magens geachtet. Bei der Wahl eines Mittels kommt die Möglich- keit einer verdau ungsstörenden Nebenwirkung desselben kaum in Betracht, nöchstens wird mit Befriedigung gemeldet, dass kein Er- brechen erfolgte und folglich das Medicament auch ,,gut vertragen" wird.

Zwischen geringen Störungen der Magenthätigkeit und dem jedes- maligen Erbrechen eines Arzneimittels gibt es aber eine ganze Stufen- leiter von Verdauungshemmungen. Im Ganzen gibt es wohl wenig Medi- camente, welche keine derartige Wirkung im Magen entfalten und da in vielen Fällen der Ausgang der Erkrankung von der Widerstandskraft des Körpers, d. h. also seiner Ernährung, abhängt, so sollte sich eigent- lich von selbst verstehen, dass der Therapeut diese Schattenseite seiner Medication bei der Wahl und der Art der Verabreichung der Mittel in Betracht ziehe. Beim acuten Gelenkrheumatismus spielt der wider- liche Geschmack und die verdauungsstörende Nebenwirkung des Salicylnatron's eine grosse Holle. Wir möchten hier darauf aufmerksam machen, dass dieses Mittel in geeigneter Dose und in wässriger Lösung in's Rectum gespritzt, genau dieselbe Wirkung entfaltet, wie bei der gewöhnlichen Yerabreichungsweise durch den Mund. Die Dose braucht nicht verstärkt zu werden und hat man nur dafür zu sorgen, dass der Mastdarm ein bis zwei Mal täglich durch Clystiere entleert wird. Seit mehreren Jahren sind wir von dieser Methode der Verabreichung nicht abgewichen und haben alle Ursache dieselbe zu empfehlen.

Bei Pneumonie, Erysipel, septischen Processen u. s. w., bei welchen die medicamentöse Behandlung sich hauptsächlich auf die Antipyrese beschränken kann, wirkt das Antipyrin in wässriger Lösung per Rectum genau wie per Os. Wir möchten fast glauben, dass dasselbe so öfters schneller resorbirt wurde, als das durch die Magenschleimhaut ge- schehen wäre. Die Dose ist auch hier dieselbe.

Der ungewöhnlich gute Appetit der Kranken bei der rectalen Medi- cation ist der beste Beweis für die Vorzüge dieser Methode. Wir können constatiren, dass eine grössere Anzahl von Fällen schweren und leichten Grades dieser Affectionen höchst befriedigend verlaufen sind, ohne dass die Patienten auch nur einen Löffel voll Arznei durch den Magen zu sich nahmen.

Eine kleine Hartgummispritze, mit einer lh Zoll langen kolbig- abgerundeten Spitze, welche genau 15 Gramm Unze) Flüssigkeit hält, eignet sich am besten. Das Einführen der Spitze kann mit Leichtigkeit nach genügendem Einölen mittelst Drehbewegung, in Seiten- oder Bückenlage der Patienten, auch von ungeschultem Wartpersonal aus- geführt werden.

AUS DEK PEAXIS.

Ueber die Anwendung des Chlormethyls.

Von

De. Geo. W. Jacoby,

New Yoek.

Als ich im Sommer 1887 meinen Vortrag über die Behandlung der Neuralgien mittelst intensiver Kälte, vor der American Neurological Society hielt, hob ich vorzugsweise zwei Substanzen hervor, welche sich dieser Behandlungsweise dienstbar erwiesen, nämlich die condensirte Kohlensäure und das Chlormethyl. Obgleich ich mich damals durchaus nüchtern ausdrückte und Misserfolge sowohl wie Erfolge betonte, so war ich doch fest davon überzeugt, ohne jedoch der Ueberzeugung Aus- druck zu geben, dass sich das Chlormethyl bei uns einbürgern würde, und zwar in nicht langer Zeit ; und ferner, dass hier in Amerika ebenso erfolgreiche Berichte über seine Anwendung erscheinen würden, wie seit dem Jahre 1882 in Frankreich. Von der Kohlensäure hielt ich schon damals nicht so viel, wegen ihrer unbequemen Handhabung, ihrer geringeren Fähigkeit die Temperatur zu reduciren u. A. m. Was das Chlormethyl aber anbelangt, ist meine Ueberzeugung nicht bestätigt worden, denn nur ein einziger Bericht darüber ist seit Veröffentlichung meiner Arbeit erschienen, und zwar von Dr. Thalion in Brooklyn, welcher im Wesentlichen dasselbe sagte wie ich. Aus Frankreich, England und Deutschland kommen jetzt frische Berichte, welche alle die Behandlungsweise loben, und ist es bemerkenswerth, dass bis jetzt noch kein verwerfliches Urtheil von irgend welcher Seite erschienen ist. Der Grund, weshalb der hiesige practische Arzt sich des Chlormethyls nicht bedient, wird wohl in dem hohen Preis und der beschwerlichen Erreich- barkeit des Medicamentes liegen. Wenn man aber folgende kurzge- fasste Krankengeschichte liest, dürfte keine Mühe zu gross, noch Ausgabe zu hoch sein, um solche Resultate zu erzielen.

Eine ältere Frau litt seit 20 Jahren an den heftigsten Gesichts- schmerzen rechterseits, die in 2 ^wöchentlichen Anfällen, anfangs all- jährlich, später, nach 7jähriger Ruhepause, alle 7 8 Monate, neuerdings noch häufiger erschienen, und sich aus einzelnen 20 Minuten dauernden „Krisen" zusammensetzten. Der vorletzte Anfall dauerte vom Novem- ber 1887 bis März 1888, der letzte vom Mai 1888 mit kurzer Unter- brechung bis zum October. Bei ihrer damaligen Aufnahme fanden sich nicht die gewöhnlichen Schmerzpunkte an der äusseren Haut vor, viel- mehr lagen dieselben an der Oberlippe und am Zahnfleisch, wo der geringste Druck den stärksten Anfall hervorrief. Ehe man eine Opera- tion unternahm machte man einen Versuch mit dem Chlormethyl, zunächst mit geringem Effect, auf die äussere Haut, dann in Form der

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Stypage auf die entdeckten Schmerzpunkte selbst. Nach einmaliger Anwendung, wobei die Schleimhaut eine pergamentartige Beschaffen- heit annahm, hörten die Schmerzen sofort vollkommen auf, und Patientin verliess das Hospital geheilt („B. klin. W'schrift," „Praktische Notizen",, p. 196, 189). Ich selbst wäre im Stande eine ganze Keine ähnlicher Krankengeschichten mit befriedigendem Ausgang zu erzählen, aber das ist nicht der Zweck dieser Mittheilung. Dieser ist vielmehr, die neueren Methoden der Handhabung des Chlormethyls zu beschreiben, besonders weil sie geeignet sind die Quantität des Verbrauchs dieses Medica- mentes bei jeder Application zu verringern, und dadurch die Anwend- barkeit zu vergrössern.

Diese neueren Methoden sind 1) die von Bailly ersonnene Stypage und 2) die Glycerinmethode von Bardel.

Die Stypage beruht auf folgendem Princip : Nimmt man einen kleinen Wattebausch und setzt diesen, indem er mittelst einer Korn- zange gehalten wird, dem Methylspray aus, so füllt sich die Watte sofort mit kleinsten Partikeln Eises, und eine intensive Kälte wird nun während einer mehr oder weniger langen Zeit abgegeben. Die Bailly- 'schen Tampons sind derartig eingerichtet, dass sie die Kälte möglichst lange Zeit einhalten. Sie bestehen zu 2/3 aus trockener entfetteter Watte, umgeben von »/3 feinster Flockseide. Das Ganze ist mit einem Ueberzug von dünnster Seidengaze umgeben. Diese Tampons werden dann mit eigenartig construirten, hölzernen Zangen festgehalten. Den Tampon mit zugehöriger Zange nennt Bailly „Stype".

Die zweite Methode, die Bardet'sche besteht darin, dass man den zu behandelnden Theil erst mit einer Schicht Glycerin bedeckt, und dann dem Methylspray aussetzt. Das Glycerin wird hier sofort in Eis um- gewandelt, und die Conterirritation hierdurch während viel längerer Zeit fortgesetzt als mittels des directen Hautsprays.

Sobald es wünschenswerth erscheint die Wirkung des Methyl- glycerin einzuschränken, kann die gefrorene Glycerinlage mit einem Tuche abgewischt werden. Meine Meinung über den relativen Werth der verschiedenen Methoden kann ich in Kürze wiedergeben. Ich bevor- zuge den direct auf die Haut applicirten Spray, wo es sich um ein grösseres Terrain handelt, wie z. B. in Fällen von Ischias ; und kann ich mit Dujardin Beaumetz nicht übereinstimmen, dass seit Einführung der Stypage, der directe Spray ganz entbehrlich geworden ist.

Handelt es sich hingegen um Neuralgien kleinerer Nerven, oder wenn es wünschenswerth ist, die Methylwirkung auf einen einzelnen Punkt zu beschränken, so ist die Bailly'sche oder die Bardet'sche Me- thode vorzuziehen, und bieten beide grosse Yortheile. Mittelst der Stypage kann man die Methylwirkung ganz genau localisiren, und ver- mag die Wirkung mehr oder weniger intensiv zu machen, je nach der Zeit des Contacts, und der Stärke des Druckes, den man anwendet. Der Nachtheil, den die Stypage bietet, besteht darin, dass die Wirkung der Watte Tampons ein sehr oberflächlicher, und in Folge dessen die Conterirritation nicht intensiv ist. An Stellen jedoch wo die Haut dünn

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ist, leistet die Methode vorzügliches. Gegen die Bardet'sche Methode gilt der ernstere Einwand, dass das gefrorene Glyceiin, ein deutliches Beobachten der unterliegenden Haut verhütet, wodurch es 1) dem Operateur unmöglich gemacht wird die Veränderungen der Hautfarbe zu notiren, welcher Thatbestand ja als Maasstab der ausgeübten Wirkung von grosser Bedeutung ist, und 2) man dadurch nicht vermag, die Quantität des zu verbrauchenden Methyls zu reguliren. Aus diesem Grunde ist es mir verschiedene Male vorgekommen, dass verhältniss- mässig tiefe Brandschorfe hervorgebracht wurden, ein Yorkommniss, welches mit dem directen Spray und einiger Vorsicht nicht passiren kann, obgleich Blasen, bei irgend einer Methode und selbst bei grösster Inachtnahme nicht immer zu vermeiden sind. Wegen derartigen un- angenehmen Erfahrungen mit der Glycerinschicht, hatte ich sie eine Zeit lang ganz aufgegeben, bin aber wieder darauf zurückgekommen, indem ich nur die Vorsicht benutze, diese Methode niemals als erste An- wendung bei einem Patienten zu gebrauchen, sondern mich immer zuerst mittelst des directen Spray über Empfindlichkeit, Beaction etc. der Haut bei dem betreffenden Patienten zu orientiren. Hierüber einmal in Kenntniss gesetzt, kann ich leicht die Glycerinlage verwerthen, indem ich sie kürzere oder längere Zeit auf der Haut verweilen lasse, je nach dem beim directen Spray hervorgebrachten Reiz. Hierbei muss man aber niemals vergessen, dass die Glycerinlage viel intensiver in der- selben Zeiteinheit wirkt, als der Spray allein. Mit Anwendung solche*' Vorsicht ist es mir immer gelungen das Hervorbringen von Eschars zu vermeiden.

Die Vortheile, welche beide letztgenannten Methoden über den direc- ten Spray besitzen, bestehen 1) in stricter Localisation auf der ge- wünschten Stelle, und 2) im Verbrauch einer kleineren Quantität des Methyls, bei gleichzeitiger Erlangung derselben, und sogar intensiverer Effecte als mit dem Spray.

Carbol säure vergif! uns bei einem Kinde.

Von

Dr. S. J. Meltzer,

New Yobk.

Der folgende Fall, der kürzlich in meiner Praxis vorkam, verdient der weitern Verbreitung. Bei einem 9 Tage alten Kinde wurde die rituelle Circumcision von einem „Specialisten" ausgeführt. Die Hei- lung verlief nicht ganz regelrecht, so dass 4 Tage nach der Operation der „Mohel", wie der Künstler in eingeweihten Kreisen genannt wird, sich veranlasst sah, Umschläge mit Carbolsäure (2 Theelöffel zum Glass Wasser !) machen zu lassen. Dieselben sind jedoch von Herrn Dr. Zederbaum, der bald darauf das Kind gesehen hatte, sogleich abgesetzt und durch Bleiwasserumschläge ersetzt worden. Drei Tage später wurden wir ersucht nach dem Kinde zu sehen, weil es krank zu sein

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scheine, worauf Dr. Zederbaum, der zuerst hinging, eine Carbolsäure- vergiftung constatirte ! Der „Mohel" war nämlich am Tage zuvor da- gewesen und bestand darauf, dass die Carbolumschläge wieder aufgenommen werden sollten, was auch geschah. Ich sah das Kind einige Stunden später. Es stöhnte leise, hatte eine dunkele, fahle Blässe. Alle sichtbaren Schleimhäute, wie Conjunctiva, Lippen, Mund und Zunge, Pharynx, waren schwarzblau ; von eben solcher Farbe waren auch die Glans penis und die angrenzende Wund fläche war noch etwas dnnkler aber durchaus nicht corrodirt. Beim Druck auf die Blase entleerte sich ein tuitenscJavarzer Urin. Das Kind hatte mehrmals erbrochen aber nur hellen Schleim. Keine Diarrhoe. Temperatur normal, Extremitäten nicht kühl, Puls sehr klein und frequent. Mund- höhle kühl, das Kind saugt nicht am eingeführten Finger und schluckt die eingegossene Flüssigkeit nur mit Mühe. Das Kind wurde allmäh- lig immer schwächer und starb, 3 Stunden nachdem ich es gesehen hatte, wie die Familie sagte: eingeschlafen ohne Convulsionen. Dass es sich hier um eine Carbolsäurevergiftung handelte, ist wohl ausser Frage. Die Farbe des Urins, die der Schleimhäute, das Er- brechen u. s. w., und dann der Mangel irgend einer andern plausiblen Erklärung sprechen zur Genüge für unsere Diagnose. Die Carbolsäure wurde in 4-procentiger Concentration ungefähr 20 Stunden lang etwa jede 2 Stunden aufgelegt. Die Wundfläche, obschon günstig für die Besorption, war dennoch eine sehr kleine : so dass eigentlich nur eine ganz geringe Menge resorbirt werden konnte ! Dies zeigt eben, wie äusserst empfindlich das zarte Alter gegen Carbolsäure ist. Sollte es nicht rathsam sein, die Carbolsäure aus der Kinderpraxis mindestens für's erste Lebensjahr ganz zu verbannen, gesetzlich zu verbannen? Wir haben ja genug andere desinflcirende Mittel. Da ist z. B. Sublimat, das von zahnfreien Kindern, wie Manche meinen, noch relativ besser vertragen werden sollte, als wie von Erwachsenen !

Ueber Filtriren des Trinkwassers.

Vcn

Dr. F. C. Heppenheimer.

Die Ergebnisse der jüngsten Forschungen über die Aetiologie der Infectionskrankheiten fangen bereits an sich auch im alltäglichen Leben fühlbar zu machen. Koch hat erst vor Kurzem in seiner bekannten Bede an die zukünftigen Militärärzte die Wichtigkeit dieses Zweiges der Hygiene recht eindringlich vor Augen geführt. Wir heben ein Moment aus dieser heraus, das uns im Hinblick auf unseren im Bau befindlichen Aquäduct von grosser Wichtigkeit zu sein scheint nämlich die Filtra- tion des Trinkwassers. Bekanntlich kann man durch ein gutes Kohlen- oder Sandfilter das Trinkwasser sterilisiren und sind Apparate der Art bereits sehr verbreitet, in der deutschen Armee sowohl wie bei deut-

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sehen Privaten, Hotels etc. Verfasser dieses hat ein sehr gutes Bültring'sches Filter im Gebrauch und kam auf den Gedanken ein grösseres an die Hauptwasserleitungsröhre bei ihrem Eintritt in das Haus anbringen zu lassen. Das ging nun wegen den Druckverhältnissen nicht, denn je besser ein Filter ist, desto mehr Widerstand leistet es ja und jeder New Yorker weiss, dass die oberen Etagen der Häuser in Eolge des niedrigen Druckes kein Wasser haben. Warum können Filter nicht schon am Reservoir angebracht werden? Technisch würden gewiss keine Schwierigkeiten vorliegen und an Geld fehlt es uns auch nicht. Wenn der Arzt seinen Wagen an einem schönen Tage zu seiner Erholung in den Park dirigirt, so muss sein antiseptisches Gemüth von den Wolken von Staub, die er in den Keservoir wehen sieht auf das Tiefste gekränkt werden. Appetitlich ist das doch nicht und wundert es uns, dass die Laien nicht schon längst in den Zeitungen diesen Mis- stand zur Sprache gebracht haben. Bacterienfrei wird das Wasser im Keservoir wohl nicht zu machen sein, wohl aber kann es durch Filtriren von denselben frei gemacht werden und unsere enorme hohe Sterblich- keitsrate an Infectionskrankheiten würde gewiss auch durch Zahlen die Richtigkeit der modernsten Forschungen auf diesem Gebiete beweisen.

REFERATE.

Krankheiten der Athmungsorgane.

Referirt von Dr. Jos. W. Gleitsmann.

AßSCESS OF THE LüNG FOLLOWING THE RETENTION OF A NAIL IN THE BRON- CHUS for a Year. H. Cheesman. (Medical Record, March lOth, 1889.)

Ein Knabe von 3 Jahren verschluckte beim Spielen einen Nagel und gerieth derselbe in den rechten Bronchus. Dem Husten, der ihn seit- dem nie verliess, folgten nach 6 Monaten Fieber, Schweisse, Abmage- rung, foetider Auswurf und Krampfhusten. In einem solchen Anfalle nahm ihn der Vater bei den Füssen, schlug heftig auf seinen Rücken, und entfernte dann mit seinem Finger aus dem Halse des Knaben den Na^el, der Ii Zoll lang, cylindrisch und spitz war, und dessen Kopf 5 Linien Durchmesser hatte. C. sah den Knaben erst nach der Expulsion des Nagels, und waren die Erscheinungen von Septicämie bereits derart ausgesprochen, dass der Knabe 3 Wochen nachher starb.

HYPERPLASIA OF THE LYMPHATIC TlSSUE OF THE PHARYNX AND NASOPHARYNX.

J. W. Gleitsmann. (Medical News, Jan. 19th, 1889.)

Der Artikel beschränkt sich auf Besprechung derjenigen Localitäten, in denen grössere Anhäufung von Lymphgewebe vorkommt, und gibt zunächst eine gedrängte Schilderung der klinischen Erscheinungen der adenoiden Vegetationen bei Kindern und deren Behandlung. Eine bis jetzt nicht beobachtete heftige Blutung nach Extirpation der Rachen- tonsille bei einer jungen Dame (mittelst der Hohlmeisselzange) und ebenso 3 Beobachtungen von Haemorrhagien nach Tonsillotomien wer- den mitgetheilt, und bimanueller Druck als wirksam dagegen empfoh- len. Den bisher bekannten Erscheinungen bei Hypertrophie der Zun- gentonsille werden zwei neue hinzugefügt : Auftreten kleinster Blut- extra vate auf der Spitze solitärer Lymphfollikel und Bildung eines Abscesses in einer grösseren Masse lymphatischen, mit der Epiglottis verwachsenen Gewebes. Zwölf Exemplare von mit einer aus Iridium und Platinum gefertigten Schlinge entfernten Tonsillenparthien der Basis der Zunge werden demonstrirt.

EXAMINATION OF THE THROAT AND NOSE OF 2000 CHILDREN TO DETERMINE THE FREQUENCY OF CERTAIN ABNORMAL CONDITIONS. W. F. CH APPEL.

(Am. Jour. of Med. Sc, February 1889.)

Unter der ganzen Anzahl wurden nachstehende Erkrankungen gefunden :

Adenoide Vegetationen 60 Mal.

Vergrösserte Tonsillen 270 "

Deviation des Septum 330 "

Auswüchse des Septum 150 "

Hypertrophy der untern Nasenmuscheln . . 260 " " mittleren " . . 161 "

Adenoide Vegetationen wurden zwischen dem 4. und 16. Jahre beobachtet, nur wenige Fälle unter 6 und über 14 Jahren, die grösste Anzahl zwischen 8 und 10 Jahren.

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Beide Tonsillen waren 183, eine 87 Mal vergrössert, in 7 war die Hypertrophie so beträchtlich, dass die hintere Rachenwand nicht gesehen werden k* nnte.

Bloss 10 Deviationen des knorpeligen Septum wurden in Kindern unter 7 Jahren beobachtet, und war hier Trauma nachzuweisen. Alle knöchernen Deviationen fanden sich bei Kindern, die über 8 Jahre alt waren. Als ätiologische Momente betrachtet C. 1) Trauma, 2) Hyper- trophie der mittleren Nasenmuschel oder anderweitige Ursache einseiti- gen Druckes, 3) Hyperplasie in Folge längeren Reizes, 4) Unterschied in der Periode der Entwicklung der Knochen des Gesichtes und Septums.

Die Hypertrophy der vordem Parthie der untern Nasenmuschel war beiderseitig 102 Mal, einseitig 140 Mal, 18 Mal so beträchtlich, dass complete Stenose dadurch erzeugt wurde.

Die mittlere Nasenmuschel war beiderseitig hypertrophirt 51 Mal, einseitig 110 Mal. Die letztern Fälle zeigten meistens knöcherne Hypertrophie, und war bei diesen das Septum 75 Mal nach der andern Seite gebogen.

Kann eine Uebertragung der Tüberculose durch die Wohnraeüme erfolgen? F. Engelmann. (Berl. klin. Wochenschr., No. 1, 1889.)

E. hat in seiner Eigenschaf t als Arzt der Arbeiter einer Glashütte Be- obachtungen über diese bis jetzt wenig berücksichtigte Infectionsquelle gemacht. Der Disposition der Glasarbeiter, leicht an Phthise zu er- kranken, und auch den hereditären Verhältnissen vollständig Rechnung tragend, fand er doch, nachdem in der einen betreffenden Wohnung einmal ein Schwindsüchtiger gestorben war, im Laufe von 12 Jahren 12 Todesfälle an Phthise in derselben sich ereignen, während in dem- selben Zeiträume in sämmtlichen Wohnungen des Gebäudes bloss 7 Per- sonen an Phthise, und im Ganzen 32 Personen .starben. Die Wohnung selbst war nie gereinigt oder renovirt worden, da sobald eine Familie ausgezogen war, dieselbe sogleich wieder von einer andern bezogen wurde.

Beitraege zur klimatischen Phthisio-Therapie. C. F. Steiger, Würz- burg. (Fleischman, 1888, pp. 32.)

Aufzählung der bekannten Argumente zu Gunsten des Höhenclimas, dessen hauptsächliche Wirkungen nach S. eine in der Kräftigung der Constitution begründete allgemeine und eine locale sind, welche sich in einer Zunahme, bis zum Maximum der vitalen Lungencapacität äussert.

Unter den Krankengeschichten ist auch die eines früher gesunden Engadiners, der als Begleiter eines Phthisikers innerhalb sieben Monate Phthise acquirirte, und durch Rückkehr in seine Heimath wieder- hergestellt wurde.

Tar and Apomorphine in the Treatment of Wintercough. Wm. Mickrell, London. (Medical Register, Feb. 23, 1889.)

Unter dem Namen „Winterhusten" sind nach M. einbegriffen : Bron- chialcatarrh, chronische Bronchitis mit oder ohne Emphysem, Bron- chiectasie und ein kleiner Procentsatz latenter Phthisen. Nach mehr- fachen Versuchen, die beste Form für die Anwendung des Theeres zu finden, fand M. für diese Erkrankungen den Syrupus picis liquidae am geeignetsten. Derselbe ist eine circa 21-procentige Solution und wird thee- bis esslöffelweise mehrmals gegeben. Wenn die Expectoration befördert werden soll, wird noch y10 gran Apomorphin hinzugesetzt. Die Resultate sind nach M. sehr zufriedenstellend, wie auch aus den 4 beigefügten Krankengeschichten zu ersehen ist.

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Eeport of a Case of Thyriadectomy for malignant Disease with a synoptical consideration of the present status of this operation. R. Matus. (New Orleans Med. and Surg. Journal, March 1889.)

Die Details des interessanten Falles sind kurz folgende : Ein (33- jähriger Neger bemerkte vor 6 Monaten eine Anschwellung in der Schilddrüsengegend, wrelche in den letzten 3 Wochen Athmung und Schlucken erschwerte. Die Diagnose wurde auf einen bösartigen Tumor gestellt und anfänglich die Ligatur der 4 Schilddrüsenarterien in Aus- sicht genommen. Während der Operation wurde die Athemnoth so heftig, dass tracheotomirt wurde, und da sich unterdessen heraus- gestellt hatte, dass die Nachbargebilde von der Geschwulst noch nicht angegriffen waren, dieselbe in toto entfernt. Der Patient überstand die Operation sehr gut, 1 Monat später musste aber Laryngofissur gemacht werden, da granulöse Massen den Luftweg wieder verlegten und die Athmung beengten. Der Patient war 6 Monate nach dem Eingriff noch am Leben. M. beschreibt ein bei dem Kranken angewandten, sehr ein- fachen Apparat, den er nach der ersten Operation anwendete, und mit- telst dessen ständig erwärmte Luft in die Trachealcanüle einströmte.

Nervensystem.

Referirt von Dr. Geo. W. Jacoby.

Zur Symptomatologie und Therapie der Basedow'schen Krankheit. Prof. Eulenburg. (Berl. klin. Wochenschr. p. 1., 29., 54., 1889.)

Die Symptome der Basedow'schen Krankheit sind nicht so bekannt als wie man zu glauben gewohnt ist. Zur Tachykardie, Struma und Exopthalmus gesellen sich noch andere Symptome. Einzelne der car- dinalen Symptome mögen auch fehlen. Am häufigsten fehlt der Exopthalmus. In solchen Fällen mag die Diagnose zwischen wirklicher Basedow'scher Krankheit und primären Strumen, welche durch Druck und Reizung der benachbarten Halsnervenstämme und Ganglien ein ähnliches Bild vortäuschen, schwierig sein. Daher ist es nöthig, auf die Nebenerscheinungen zu acuten. Diese sind hauptsächlich das Graefe'- sche und Stellwag'sche Symptom. Verfasser hat das Graefe'sche Symptom in 14 Fällen nur 6 Mal gefunden, und vermisst das Stellwag'- sche Symptom noch häufiger. Es ist diesen Symptomen also nur geringer diagnostischer Werth beizulegen.

Auf das Zittern, welches von Charcot zu den Hauptsymptomen ge- rechnet wird, geht Verfasser näher ein. Die bei Basedow vorkommenden Halssymptome (Röthung, Erythem. Urticaria, Sclerem, Neigung zu profuser Schweissbildung, Pigment Anomalien etc.) werden auch erwähnt. Ueber einen Fall der seltenen Combination, Basedow'scher Krankheit mit Morbus Addisonii, referirt Verf. kurz. Die von Vigou- roux entdeckte Verminderung des galvanischen Leitungswiderstandes der Haut betrachtet E. als von differential-diagnostischer Bedeutung. Bezüglich dieser Herabsetzung des Leitungswiderstandes äussert sicli E. sehr ausführlich, und beantwortet die von Vigouroux vor einiger Zeit gegen seine Experimente gemachten Einwürfe, mit stichhaltigen Argu- menten.

Im Ganzen hat Eulenburg 13 Fälle Basedow'scher Krankheit, auf galvanischen Leitungswiderstand hin, untersucht. Es geht aus den angegebenen Fällen hervor, dass für die benutzte electromotorische Kraft (10 Siemens-Elemente) bei Basedow'scher Krankheit das relative Widerstandsminimum zwischen 1000 und 2000 Ohm liegt, sonst in der Regel zwischen 3450 und 5000 Ohm. Weitere Details über diese Ver-

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suche etc. sind im Original nachzulesen. Auf die „Theorie" der Base- dow'schen Krankheit geht Verf. nicht näher ein, erwähnt nur kurz die verschiedenen Ansichten. Therapeutisch werden auch alle bis jetzt empfohlenen Mittel erwähnt. Auf climatische Behandlung (Luftcur, Gebirgshöhe etc.) wird ausführlich eingegangen ; ebenso auf die ver- schiedenartige electrische Behandlung. Ueber die neuerdings von Vigouroux empfohlene faradische Behandlung äussert sich Verfasser günstig.

(Der Aufsatz ist ein sehr ausführlicher, und stellt den jetzigen Stand unseres Wissens dar.)

Cerebrale Herzsymptome im Verlaufe der Uraemie. Dr. Theodor Dunin. (Berl. klin. Wochenschr. p. 134, 1889.)

Erst seit Paetsch, 1881, zwei Fälle einer vollständigen rechtseitigen Hemiplegie im Verlaufe einer Uraemie beschrieb, welche bei der Section gar keine anatomischen Veränderungen im Gehirne zeigten, ist es be- kannt, dass die Uraemie in Form eines cerebralen Herdleidens verlaufen kann. Noch merkwürdiger sind die Beschreibungen jener Fälle, bei denen die Uraemie als Jackson'sche Epilepsie verlief. Diese letzte Art Fälle sind nochdesshalb besonders bemerkenswert!!, weil bis zur letzten Zeit behauptet worden ist, dass die Jackson'sche Epilepsie als sicheres Zeichen einer cerebralen Herderkrankung zu betrachten sei. Aus der Literatur liess es sich schliessen, dass die im Verlaufe der Uraemie vor- kommenden cerebralen Herzsymptome zu den Seltenheiten gehören, und doch war D. im Stande, in den letzten Jahren sechs solcher Fälle zu beobachten. Der eine Fall wurde von D. nur ein einziges Mal gesehen. Es handelte sich um ein fünfjähriges Kind, welches nach Scharlach an einer acuten Nephritis und später an Uraemie zu leiden hatte. Die Krämpfe traten nur in der linken Gesichtshälfte und an der linken Oberextremität ein. Die übrigen 5 Fälle werden ausführlicher be- schrieben. Die ersten 4 Fälle zeigen, dass die Jackson'sche Epilepsie bei Uraemie kein so seltenes Ereigniss ist, wie bisher angenommen. Sie kam hier zweimal nach Scharlach, einmal bei Schwangerschafts- nephritis und einmal bei Granular-Atrophie der Nieren vor. Im fünften Falle verlief die Krankheit in ganz anderer Form ; hier handelte es sich um eine Symptomencombination, welche ein Leiden umschriebener Gehirntheile (der Corpora quadrigemina der hinteren Hirnwindungen) vermuthen liess, und doch erwies die Leichenschau, dass einzig func- tionelle Störungen dieser Centren, urämischer Herkunft vorgelegen haben.

On PARALYSIS OF THE THIRD AND SIXTH CRANIAL NERVES FOLLOWING

moderate Doses of Quinine. H. C. Coe. (N. Y. Med. Journ., Feb. 16, 1889.)

Eine Frau im Alter von 45 Jahren wurde wegen Scirrhus der linken Mama im „Cancer Hospital" aufgenommen. Operation am 22. October. Wegen irrthümlicher Zubereitungsweise der Schwämme entstand Eiterung ; Wiedereröffnung der Wunde und Heilung durch Granula- tionen. Während der ersten paar Tage stieg die Temperatur Abends bis zu 102, aber später nicht über 100. Die Wunde granulirte bald und Convalescenz trat ein, bloss dass gegen Ende der 3. Woche noch immer eine tägliche Erhöhung der Temperatur eintrat. Malarialvergiftung wurde vermuthet und Chinin in ögranigen Dosen 4 Mal täglich verab- reicht. Diese Behandlung wurde am 12. November angefangen ; am 16. bemerkte man, dass die Patientin Strabismus internus des linken Auges, verbunden mit geringer Ptosis, zeigte. Auf Anfragen stellte es sich heraus, dass die Patientin schon früher einmal an denselben Erscheinungen, nacli einer dauernden Administration von täglich 15

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Gran Chinin, gelitten hatte. Das Medicament wurde sofort eingestellt, nachdem 100 Gran im Ganzen genommen worden waren. Die Lähmung prägte sich während der nächsten zwei Tage mehr aus, dann aber bes- serte sich der Strabismus rasch, die Ptose aber langsam, so dass zur Zeit des Berichtes nur noch ein sehr geringer Grad Lähmung bestand. Die Behandlung war eine rein expectative.

On chronic Headache. C. L. Dana. (N. Y. Medical Becord, Feb. 9, 1889.)

Die Beobachtungen wurden auf Grund einer Studie von zweihundert Fällen chronischen Kopfschmerzes functionellen Characters, mit Aus- schluss der Migräne gemacht. Seine Schlüsse waren : 1) Chronische Kopfschmerzen functionellen Characters sollten allgemein mehr erkannt und differencirt werden. 2) Schmerzen im Kopfe sind entweder Neural- gien, Migränen oder sogenannte „Kopfschmerzen". 3) Der Sitz des Schmerzes liegt immer im Trigeminus, Vagus oder 4 oberen Cervical- nerven. 4) Kopfschmerzen sitzen in der Peripherie der genannten Nerven ; Neuralgie betrifft die Nervenstämme oder ist central ; Migräne ist eine periodisch entladene Neurose, welche die motorischen, vaso- motorischen, secretorischen, sowie auch ein oder mehrere der sensiblen Hirnnerven betrifft. 5) Die Dura Mater ist der häufigste Sitz von Kopf- schmerz. 6) Kopfschmerzen kommen am häufigsten zwischen dem 8. und 25. und wiederum zwischen dem 35. und 45. Jahre vor ; Kinder und Greise sind ausgeschlossen. 7) Chronische, f unctionelle nicht migranöse Kopfschmerzen können eingetheilt werden in anaemische, toxische, dys- peptische, neurotische und reflectorische Formen. Neurotischer Kopf- sc .merz wird am besten symptomatisch mittels Antipyrin, Menthol, Antifebrin, CaffVdri und Brompräparaten behandelt. Beflectorische Kopfschmerzen werden häufig besser Constitutionen behandelt als mit- tels localer Einwirkungen. Kheumatische Kopfschmerzen werden am besten mittels Ammonia, Chloral und Wärme behandelt.

Chirurgie.

Beferirt von De. G. Degner.

Bericht ueber weitere 250 Kropfextirpationen. Th. Kocher. (Cor- resp. Bl. f. Schweiz. Aerzte, B. XIX., No. 1.)

K. gibt uns die Ergebnisse der 250 Op. die er in Klinik und Privat- praxis in den letzten Jahren ausgeführt hat. Die Erfolge sprechen für sich selbst. Die Mortalität war 2A% (6 Fälle) gegen 14.8% (1882) und 6.9% (resp. 5.1% nach Abzug der malignen Strumen (1884) ; doch geht nach Abzug der malignen Str. (20 Fälle mit 3 f ) und der Str. bei Morb. Basedow (5 Fälle mit 1 f) der Procentsatz auf 0.8% (225 Fälle mit 2 f) herab, und starb von diesen der eine an Ethylenvergif tung (zu selber Zeit mehrere dgl. Vergiftungen in der Klinik ; schlechtes Präparat), der andere kam fast moribund zur Op. Bei den geheilten Fällen war z. Th. unter den schwierigsten Verhältnissen zu operiren. Die Technik der Op. hat er beibehalten, wie er sie 1883 in Langenbeck's Archiv dargelegt hat. Den Winkelschnitt bei besonders schwierigen Fällen rundet er etwas ab, so dass er als scharfer Bogen geführt wird. Für leichtere Fälle benutzt er den schrägen Längsschnitt, oder in letzter Zeit den Querschnitt, der zwar die Theile nicht so gut zugänglich macht, aber das beste kosmetische Besultat ergibt. Bei dem Vergleich mit den anderen Operationsmethoden, der Enucleation nach Sacin, und der

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Unterbindung aller zuführenden Arterien, deren Wiederinslebenrufen auch er Wölfler zu grossem Verdienst anrechnet die Totalextirpa- tion lässt er ganz ausser Betracht, da sich „wohl kaum noch ein Chirurg dazu verstehen wird" wegen der Gefahr der Cachexia strumipriva, für die er übrigens mit Hecht den Ausdruck C. thyreopriva vorschlägt schränkt er die Indicationen für ihre Ausführung gegenüber ihren Befürwortern stark ein, so für die Enucleation auf Cystenkröpfe und isolirte Kropl'knoten, die nicht zu fest mit der Drüse verwachsen sind und wo man sicher ist alles Krankhafte zu entfernen. Die Unterbin- dung aller Gefässe die er selber noch nicht ausgeführt hat, würde er ev. bei Morb. Basedow anwenden. Kurz erwähnt er auch noch das Evidement der Kropfknoten mit Finger und scharfem Löffel, das jedoch zu sehr unangenehmen Blutungen Veranlassung geben kann, und leicht Reste zurücklässt. Schliesslich gibt er noch die Besection von Mikulicz, und die Verfahren von Nussbaum und Hahn an. Für die verschiedenen Operationsverfahren wenn interne Mittel, Jod u. dgl. nicht bald helfen stellt er folgende Indicationen auf. Für die Extirpation : Maligne Strumen, entzündete Str. und die diffusen sog. Hypertrophien der Schilddrüse. Das Fehlen gesunder Schilddrüsensubstanz auf der anderen Seite contraindicirt die Extirpation.

Für die Enucleation: Cystenkröpfe ; isolirte, festere, grössere Kropf- knoten, die nicht zu fest verwachsen sind, und ev. grosse Knoten in unbeweglichen Kröpfen, wenn die Isolirung der einen Schilddrüsenhälfte nicht angeht ,f und die Knoten locker eingelagert sind.

Für das Evidement : Die beiden letzten geführten Indicationen für die Enucleation, wenn die Knoten von weicher Consistenz oder fest mit der Drüsensubstanz verwachsen sind.

Für die Ligatur der Scltilddrüsenarterien : Struma vasculosa, bes. bei Morb. Basedow. Für alle anderen Kropfarten empfiehlt K. die Besec- tion, die ihm die Vortheile der Extirpation und der Enucleation ver- bindet. Als Contraindication, aber nicht einmal absolut, lässt er höchstens : Maligne, unbewegliche und inflectiös erkrankte Strumen gelten.

Die kuenstliche Blutleere bei Aüsschaelung von Kropfknoten. Prof. Bose. (Cbl. f. Chir. 1889, No. 1.)

Nach Anlegung des Weichtheilschnittes bis auf die Drüsenkapsel löst B. stumpf den Kropf so weit los, bis er ihn mit seinem grössten Durchmesser über das Niveau des Hautschnittes herausheben kann, hält die Drüse einige Zeit in dieser Stellung, wodurch ihr Blutgehalt bedeutend vermindert wird. Unterhalb des grössten Durchmessers schlingt er an dem Hautrand ein kleinfingerdickes Gummirohr stark gespannt 2 3 Mal um die Geschwulst und klemmt es in eine Schieber- pincette. Die Blutung ist minimal und lässt sich bei diesem Verfahren leichter die Grenze zwischen normalem Drüsengewebe und Kropf unter- scheiden. Nach Ablegung des Schlauches ist die secundäre Blutung gering nur einmal musste Verf. eine Arterie unterbinden. B. wandte das Verfahren sowohl bei Enucleation von Cysten wie von festen Knoten an.

Vorderer und hinterer Laengsschnitt zur Ausfuehrt no der Arthrec- tomia synovialis am Talocruralgelenk. Dr. M. Schmidt. (Ibid. 1889, No. 2.)

Am Aussen rand der Achillessehne Längsschnitt bis auf die Gelenk- kapsel ; Auseinanderziehen der Weichtheile ; Extirpation der Kapsel hinten und Entfernung des krankhaften Gelenkinhaltes unter Zuhülfe- nahme von Dorsal und Plantarflexion des Fusses. Vorderer Längs- schnitt (nach Vogt) zwischen Tibia und Fibula, Verfahren wie beim hin-

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teren Schnitt. 2 Drains, 1 nach vorne, 1 nach hinten. Selbstverständlich Narcose und Blutleere. Prima intentio in seinem Fall. (12jähr. Mädchen mit fungöser Arthritis im Talo-Cruralgelenk, ohne Knochen- herde.)

Zur Antiseptik. Dr. E. Rotter. (Cbl. f. Chir., No. 3, 1889.)

Nachdem R. seine im Cbl. f. Chir., 1888, No. 40, veröffentlichte anti- septische Lösung noch ferner mit Dr. Port und Dr. Buchner ohne Subli- mat und Carbol geprüft hat, empfiehlt er dieselbe, und besonders die Pastillen zur Herstellung der Lösung (100 Stück Mk. 4.50 pp. = $1.00) Schillinger, Adler Apotheke, München, als starkes, absolut unschäd- liches Desinficiens.

(Sublimat 0.05), Natr. chlor. 0.25, (Acid. carbol, 2,0), Zinc, chlorat, Zinc. sulphocarbol. an 5.0, Acid. borat. 3.0, Acid. salicyl. 0.6, Thymol. 0.1, Acid. citr. 0.1 auf 1 Liter Wasser.

YOLLSTAENDIGE AüSSCHAELUNG DER RECHTEN 10. RlPPE, ZUGLEICH MIT Re- SEUTION DES QUER- UND GELENKFORTSATZES DES 10. BRUSTWIRBELS. ACUTE

Osteomyelitis granulosa. Dr. A. Gruenbaum. (Ibid. 1889, No. 7.)

23jähriger, kräftiger Mann. Beginn Anfang Juni 1886, Incision Mitte Juni, Rippe rauh, von Periost entblösst. 12. Juli 1886 Resection der Rippe. Hals und Kopf der R. liegen mit dem Querfortsatz in einer ■stinkenden Eiterhöhle, untereinander und mit der Pleura vereinigt. Abpräparation. Im Wirbelkörper ein Herd mit tuberculösen Massen und blutenden Granulationen gefüllt. Auskratzen derselben mit schar- fem Löffel ohne Eröffnung der Rückenmarkshöhle. Drainage, Jodo- for.n -Tampon. Naht. Unregelmässiger Wundverlauf, Fieber bis 103.5 bei gutem Aussehen der Wunde, äussere Wunde heilt per primam. Wundhöhle erst am 15. Sept. verheilt.

Zur Technik der Rhinoplastik. Dr. von Czerwinski. (Cbl. f. Chir., 1889, No. 8.)

Statt der von König empfohlenen Abmeisselung einer Knochen- lamelle empfiehlt Verf. die Bildung eines langen Stirnlappens mit Peri- ost und Verdoppelung, so dass die obere Spitze mit dem Stiel vereinigt wird. Nachdem der Lappen mit sich verwachsen ist, wird in eine 2. Sitzung die Rhinoplastik vollendet. Ausgeführt ist die Operation bis jetzt noch nicht.

Ist bei der Luxatio obtüratoria das Bein verlaengert ? Dr. C. Lauen- stein. (Ib. 1889, No. 19.)

Auf Grund eines Falles, der im Oct. v. J. in L.'s Behandlung kam, und bei dem er eine Verkürzung des betr. Beines von 5 Cm. (von Sp. ant. sup. Mall. ext. unt. Rand) nachwies, schliesst er sich Malgaigne's Meinung an, und fordert alle Collegen auf, vorkommenden Falls genaue Messungen vorzunehmen, um über die Frage, ob Verlängerung oder Verkürzung Klarheit zu gewinnen.

Wiring the Olecranon Process. Th. N. Manley, M.D. (N. Y. Med. J. 1889, No. 1.)

Complicirte Fractur des Ellbogen, typische Radiusfractur und Fractur des Stirnbeins bei einem 33jährigen Syphilitiker, durch Fall von der Elevated Railroad. Naht des Olecr. und antisyphil. Behandlung. Heilung in pp. 2 Monaten.

The immediate Correction of Deformities resulting from Diseases of the Hip. V. G. Gipney, M.D. (Ibid., 1889, No. 5.)

Gegenüber der langsamen und unsicheren Wirkung von Streck- verbänden und Apparaten allein befürwortet G. gewaltsame Grade-

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richtung, u. z. nicht allein durch manuelle Gewalt, die er nur bis zu massigem Grade einwirken lässt, sondern wesentlich durch operative Maassnahmen Tenotomie, Myotomie, Osteotomie unterstützt. Selbstredend spaltet er Fisteln, schabt Sinus aus, drainirt etc. Anti- sepsis. Feststellung durch Gypsverband. Oefters ist er zu wiederholten Operationen genöthigt. Den Erfolg seines Verfahrens illustrirt er durch Fälle aus seiner Praxis (Hosp. Ruptured und Crippled), und scheut sich nicht, auch ungünstig verlaufene Fälle bekannt zu geben.

A Report of a Case of supraacromial Dislocation of the Clavicle. Ch. Powers, M.D. (Ibd., 1889, No. 2.)

Verletzung durch Fall. Nach Reduction eine Pelotte auf die Luxa- tionsstelle, unter dem rechtwinklich gebeugten Ellbogen ein 3" breiter Heftpflasterstreifen, der an Vorder- und Hinterseite des Oberarms heraufgehend sich über der Pelotte kreuzt. Fixation des Arms am Thorax. Nach 10 Tagen Revision. Wiederanlegung des Vbds. Nach 27 Tagen Heilung constatirt.

Triple Amputation. Recovery. A. J. Banker, M.D. (The Amer. Prac- titioner. March 1889.)

Kräftiger Mann, vom Eisenbahnwagen überfahren, beide Unter- schenkel und rechte Hand im Carpalgelenk zerschmettert, wird noch pr. Bahn 6 Meilen zu B. befördert. Die verletzten Glieder amputirt, und Pat. erholte sich, trotzdem der Fall zuerst aussichtslos erschien. Einzel- heiten fehlen.

Secondary suture of posterior tibial Nerve with rapid Restoration of Sensation and Motion. Laitghlin McFarlane, M.D. (The Med. Record 1889, No. 2.)

Der Fall ist dadurch interessant, dass die Verletzung Axthieb in hint. Fersengegend, Trennung der Achillessehne, art. und nerv. tib. port. 3h Jahre vor der Oper, stattfand. Keine Arterienunterbindung, keine Nervennath, Fuss nicht plantarflectirt. Bei Oper, beide Nerven- enden kolbig aufgetrieben, £ Zoll entfernt. Anfrischung und directe Vereinigung. Starke Plantarflexion. 2 Tage p. Oper, beginn des Ge- fühls, später der Beweglichkeit, 3 Monate p. Oper. Fuss ganz normal.

Gynaecologie.

Referirt von Dr. F. Krug. Ueber Annaehung der retoflectirten aufgerichteten Gebaer-

MUTTER AN DER VORDEREN BaUCHWAND. Ch. G. LEOPOLD. (VolkmaiinrS

klin. Vortrag No. 333.)

Seit Olshausen auf der Naturforscherversammlung in Berlin 1886 die operative Behandlung der Retroflexio uteri durch die Laparotomie von Neuem angeregt hat und über zwei eigene Fälle berichtete, sind Mit- theilungen über dies Verfahren in rascher Folge erschienen ; so be- richtet Sänger über 7, Klotz über 17, Czerny über 4 Fälle. Leopold's Erfahrung erstreckt sich über neun eigene Fälle, von denen die drei ersten schon früher veröffentlicht sind (Centralbl. f. Gyn. 1888). In fünf von seinen Fällen waren gleichzeitig Ovarien und Tuben, ein- oder beiderseitig, chronisch entzündet und fest mit dem Uterus verwachsen ; in einem Fall war die Retroflexion durch ein am Fundus aufsitzendes subseröses Myom hervorgebracht ; in drei Fällen bestand eine reine Rückwärtsknickung der Gebärmutter, die sich leicht verständlicher "Weise im Zustand chronischer Schwellung und Empfindlichkeit befand.

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In den ersten 6 Fällen wurde also die Operation nur gelegentlich im Ansehluss an die Entfernung der Geschwulst, resp. der erkrankten Uterusanhänge gemacht, in den 3 Fällen von reiner Retroflexion jedoch wurde die Ventrofixation als direct indicirt ausgeführt. Die Resultate waren durchweg gut, in einzelnen Fällen ausgezeichnet.

In Berücksichtigung des vorläufig bekannt gewordenen Materials glaubt Leopold die Indication zur Ventrofixatio uteri wie folgend stellen zu sollen :

1) Bei Vornahme der Castration bez. Salpingotomie wegen chro- nischer Oophoritis und Salpingitis einerlei ob der retroflextirte Uterus verlötet ist oder nicht.

2) Bei Fortnahme von Geschwülsten, welche den Uterus dauernd in Retroflexionsstellung gehalten haben.

3) Bei reiner Rückwärtslagerung des ganz beweglichen nicht ver- löteten Uterus, wenn die Beschwerden der Kranken einzig und allein auf diese abnorme Lage zurückzuführen und alle andern bekannten schonenderen Behandlungsarten vergeblich angewandt worden sind.

Leopold beschreibt zum Schluss seine Operationsmethode, die an der Hand von zwei Abbildungen sehr leicht verständlich ist. Zuerst wird der Uterus aus seinen Adhaesionen losgelöst, was manchmal sehr leicht durch Streichen mit dem Zeigefinger erreicht werden kann, bisweilen aber auch ungemeine Schwierigkeiten bietet, so dass Messerstiel, Scheere oder selbst das Messe zu Hülfe genommen werden müssen.

Darauf wird er nach Vorne gebracht, und dort durch ein bis drei tiefumgreifende Bauchdeckennähte die den Grund der Gebärmutter selbst mitfassen, an den inneren Bauchdeckenwundrand angenäht. Die Nähte laufen quer unter der Serosa des Uterus die oberen Muskellagen 2 3 Millimeter tief mitfassend durch ; die eine wird zwischen den Tubeninsertionsstellen, die beiden andern \ 1 Centimeter ober- und unterhalb derselben angelegt. Die Narcose muss dabei eine tiefe sein, damit sich kein Netz oder Darmschlingen dazwischendrängen. Der obere Wundwinkel wird wie gewöhnlich geschlossen ; die 3 Befestigungs- nähte bleiben bis zum 14. 18. Tage liegen ; die Verlötung mit der Bauchwand ist alsdann eine feste.

The surgical Treatment of Retroversion of the Uterus with Ad- hesions, with a new method of shortening the round ligaments. W. Gill Wylie. (Vortrag gehalten in der gynaekologischen Section der New York Academy of Medicine. Feb. 28., 1889.)

Retroversion mit Verwachsungen ist nach Wylie in den meisten Fällen durch Salpingitis verursacht. Diese Fälle kommen hier nicht in Betracht, denn sie verlangen die Entfernung der erkrankten Tuben und Ovarien. Für eine gewisse Anzahl von Fällen jedoch, in denen der Uterus durch peritoneale Adhaesionen in retrovertirter Lage fixirt ist, die Tuben und Ovarien aber normal oder nur ganz uubedeutend afficirt gefunden werden, empfiehlt Wylie sein neues Verfahren. Dasselbe wird folgendermassen geübt : Der Uterus wird losgeschält und aufgerichtet ; die runden Ligamente, die nun zu lang erscheinen, werden dann beider- seits aufeinander gefaltet, bez. verdoppelt und Nähte so durchgeführt, dass die zusammengefalteten Oberflächen dicht zusammen zu liegen kommen. Die auf diese Weise verkürzten runden Ligamente halten den Uterus in normaler Position.

Wylie hat diese Methode in den letzten drei Jahren mehrfach ange- wandt, in etwas modificirter Weise in einem Falle schon vor sechs Jahren. Er glaubt, dass sein Verfahren vor der Alexander'schen Operation, bei der die runden Ligamente nicht immer gefunden und vorgezogen werden können, den Vorzug grösserer Sicherheit biete ; der von Olshausen, Leopold, Sänger u. A. empfohlenen Ventrofixation, zieht

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er sie vor, da durch die beschriebene Verkürzung der runden Ligamente annähernd normale Verhältnisse geschaffen werden, und der Uterus seine physiologische Beweglichkeit behält, während bei der Ventro- fixation für eine starre Fixation nach hinten eine ebensolche nach vorn eingetauscht wird.

Selbstverständlich hält er dieses operative Eingreifen erst dann für gerechtfertigt, wenn alle anderen weniger eingreifenden Behandlungs- methoden der Bückwärtslagerung, als Pessarien, Tamponade, Massage etc. ohne Erfolg versucht worden sind, und die Beschwerden so hoch- gradig sind, dass sie eine Abhülfe unbedingt verlangen.

Geburtshülfe.

Beferirt von De. C. A. von Ramdohr.

Die Bedeutung des Porro'schen Kaiserschnittes und wuenschenswerthe Verbesserungen desselben. Dr. Wassily Sutugin, Moskau. (Cen- tralblatt für Gynaekologie, No. 6, 1889.)

Der Porro ist indicirt 1) bei Beckenenge und septischer Inf ection der Gebärmutter (Endometritis in partu), 2) bei Neubildungen des Uterus, deren Entfernung wüuschenswerth erscheint, 3) bei „schwachen durch wiederholte Geburten erschöpften Frauen, wenn wir darauf hoffen können, dass durch Hintanhaltung der Gefahren des Wochenbettes die Ernährung des Organismus gehoben werden wird"(!), 4) bei Ruptur des Uterus mit Austritt der Frucht in die Bauchhöhle. Nach extraperito- nealer Versorgung des Stiels wird auf Abstossung des Stumpfs gewartet, darauf die eiternden Wundtheile theils durch Abschaben mit dem Messer theils sogar durch Abschneiden des Wundrandes ange- frischt und die Ränder durch tiefe bis auf den Grund gehende Nähte vereinigt. Zur Drainage in den untern Wundwinkel eine kleinfinger- dicke Turunde aus Jodoformgaze. In dem dabei beschriebenen Falle seinem zweiten wurden die Nähte 2 Wochen postop. eingelegt, 6 Tage später entfernt, darauf ein Drainrohr in den untern Winkel, welches 11 Tage später fortgelassen werden konnte, und die Fistel war 5 Tage später verheilt.

Die Therapie des engen Beckens. Dr. Alfred Duehrssen, Berlin. (Berliner Klinik, Heft 8, 1889.)

Das platte und das allgemein verengte Becken sind die zwei Formen worüber sich allein gewisse therapeutische Regeln aufstellen lassen.

1) Bei allgemein verengten Becken : Expectatives Verhalten mit Ausnahme der Hinterscheitelbeinanstellung, des Nabelschnurvorfalls nach misslungener Reposition und bei Querlage, in welchen Fällen möglichst früh gewendet und extrahirt wird, möglicherweise mit Perfo- ration des nachfolgenden Kopfes. Tritt Indication zur Beendigung der Geburt e'm : bei lebendem Kinde ; Zange, und zwar gelang bei hohem Kopfstande hier wiederholt eine vergeblich versuchte Zangenextraction erst, und zwar überraschend leicht nach seitlichen Incisionen in den Introitus und in diesem Falle auch in den Muttermundssaum, weil Rigi- dität der Weichtheile in diesen Fällen viel mit der Schwierigkeit zu thun haben. Bei nicht erweitertem Muttermunde sind seitliche Incisionen in den Cervix zu machen und zu entbinden, „dadurch wird sich die Per- foration des lebenden Kindes sehr einschränken lassen". Sollte Patien- tin mehrere todte Kinder geboren haben, tritt dann Indication zur Früh- geburt ein, respective ist an Kaiserschnitt zu denken.

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2) Bei platten Becken : 4. Gr'ades unter 5,5' absolute Indieation für Kaiserschnitt, 3. Grades von 7, 5,5 relative, oder Perforation, welche vorläufig noch den Vorrang verdient 2. und 1. Grades von 9,5 7, künstliche Frühgeburt, wenn vorher schlechte Erfahrungen gemacht sind, sonst : Prophylactische Wendung bei beweglichem Kopf und erweitertem Muttermund [gegebenen Falls Incisionen in den Saum und am Introitus] möglichst früh mit sofortiger Extraction. Smellie Veif- scher Handgriff mit Zuhülfenahme kräftiger Expression. Sobald wie nur noch der Kopf über dem Beckeneiugang steht, sollen die Hände nicht mehr am Fundus drücken, sondern direct auf den kindlichen Schädel. Gelingt es nicht in wenigen Minuten den Kopf zu entwickeln : Perforation.

Zange wird bei plattem Becken nur angewendet wenn bei nicht mehr möglicher Wendung der Kopf die enge Stelle bereits überwunden hat.

A CäSE OF EXTRA-UTERINE PrEGNANCY, THE FOETUS BEING DELIVERED AT

four Months per Rectum. Jas. P. Tcttle, New York. (Annais of Gynaecology. Febr. 1889.)

35jährige, I. Para menstruirte, nicht am 13. März wie sie erwartete, wurde von einem eclectischen Electriker vor dem 23. April mit Electri- cität behandelt (!) wegen Beschwerden, so dass sich Metrorrhagie ein- stellte. Status praesens sub dato : Uterus 5" tief in ziemlich guter Lage dahinter ein Tumor, welcher sich wie ein Fibrom oder möglicher- weise ein Haematom anfühlt. Heisse Douchen. Glycerin-Tampons. Allgemeinbefinden besser.

Um die Metrorrhagie zu heben wurden Curette, Ergot, Acid. Gallic. und Adstringentia gebraucht, sogar einmal § (15.0) Ferr. persulph. wahrscheinlich Liq. '? Ref.] in den Uterus gespritzt.

Die Blutung stand dann, während der retrouterine Tumor wuchs, tiefer in das Becken sank und Beschwerden verursachte. Am 25. Juni entschloss sich Autor zu aspiriren, um eine Diagnose des sich jetzt er- weichenden Tumors zu ermöglichen. Patientin sparte ihm die Mühe, denn am nächsten Tage wurde ein 4 monatlicher Foetus per Rectum entwickelt durch einen etwa 2£" langen perpendiculären Riss in dessen Wand. Placenta wurde wegen Blutung in diesem Riss stecken gelassen, und das Rectum tamponirt, bis die Patientin am 1. Juli an Anaemie starb. Keine Autopsie. [Gewiss ein seltener Fall sowohl was die Geburt des intacten nicht desintegrirten Foetus per Rectum als auch Diagnose und Therapie betrifft. Ref.]

A rare Complication of Labor smulating Rupture of the Uterus. John W. Williams, Baltimore. (Maryland Med. Journal, March 23d. 1889.)

XI. Para wurde nach 48stündigen Wehen collabirt gefunden. Nabel- gegend gelb pigmentirt.

Leib voll Flüssigkeit. Todter Foetus in Schädellage. Diagnose Uterusruptur oder Ruptur eines der breiten Mutterbandgefässe. Kind wurde perforirt und extrahirt und dann die zweite Diagnose gestellt. Exitus nach 14 Stunden. Die Section zeigt das Becken mit Galle gefüllt und einen Riss an der Verbindungsstelle des Ductus hepaticus mit dem Ductus communis, ausserdem allgemeine Peritonitis. Ursache nicht zu eruiren.

Zwei Faelle von Drillingsgeburt. H. Eisenhart, München. (Central- blatt für Gyn., No. 10, 1889.)

1) II. Para, (2 Zwillingsgeschwisterpaare) Kinder geboren an den Grenzen der Reife. 2 Schädellagen, das dritte in Fusslage geboren, alle

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lebendig, das erste überlebend. Eine einfache Schwangerschaft nebst zweieiiger Zwillingsschwangerschaft. Der erste Fall in der Münchener Anstalt nach 5218 Geburten.

2) L Para, Schwangerschaft sp ntan am Ende des 5. Monats unter- brochen. Eine einfache Sjhwangerschaft und eineiige Zwillinge.

Dermatologie.

Referirt von Dr. A. F. Buechler.

Ueber Alopecia areata.

1) Pathologie und Therapie der Alopecia areata. A. R Robin- s (Monatshefte f. pract. Dermatolog. 9, 10, 11, 15 und 16., 1888.)

2) Sur la Pelade. Ernest Besnier. (Paris, 1888.)

3) De la Pelade et des Peladoides. Uebersetzung von Eichhoff. (Monatshefte f. pract. Denn. Nö. 20, 1888.J

4) Zur Frage der Contagiositaet der Alopecia areata. I. J. Eich- hoff. (Monatshefte für pract. Dermatol. No. 20. 1888.)

5) Ueber Haarcuren. Oscar Lassar. (Therapeutische Monatshefte. Dec. 1888, p. 543.)

6) A Clinical Study on Alopecia areata and its Treatment. (Med. Record, No. 9, p. 231, 1889.)

Bekanntlich gehen die Ansichten bezüglich der Aetiologie der Alo- pecia areata weit auseinander. Während Beobachter wie Behivnd, Miehelson und Joseph die neuropatHche Entstellungsweise allein zu- lassen, vertheidigen Dhin, von Sehlen, Buchner. Eichhorst und Lassar den parasitischen Ursprung derselben, während Besnier, Unna, Leloir, Eichhoff und Tomasolli den goldenen Mittelweg einschlagen und bei Entstehungsweisen gelten lassen.

Von kürzlich erschienenen Arbeiten, die die Probleme der streitigen Fragen zu lösen trachten, sind besonders die von Robinson, Besnier und Leloir erwähnenswerth. Da Robinson in den bisherigen Arbeiten und Experimenten eine ungenügende Erklärung für die neuropathische Theorie, sowie für die parasitäre Aetiologie der Erkrankung findet, berichtet er über die von ihm unternommenen histologischen und bac- teriologischen Untersuchungen der Haut kahler Stellen, die er bei sieben lebenden Individuen excidirte.

In allen Fällen wurden, microscopisch, Entzündungserscheinungen constatirt ; es fand sich Rundzelleninfiltration des Coriums, die sich grösstenteils auf die perivasculäre Region beschränkte. In recenten Fällen wurde in den Lymphgefässen O>agulation und Stockung der Circulation beobachtet. Grössere und kleine Arterien enthielten Coa- gula. In älteren Fällen fand man Verdickung ihrer Wandungen, mit Verengerung des Gefässlumens.

Bezüglich der Anhangsgebilde der Haut waren in recenten Fällen die Haarfollikel afficirt. Letztere waren entweder leer, oder mit Lanugohaaren, oder normalen Haaren gefüllt. In einzelnen Fällen konnte man keine Haarpapillen finden ; im unteren Ti eil des Follikels fand man pigmentlose Epith elzeilen und kleine Haarschäfte, mit Zer- splitterung und Zerfaserung der letzteren. In einigen Präparaten fanden sich atrophische Veränderungen der Haarwurzel und Lostiennung der äusseren Wurzelscheide von der des Haarfollikels. Da, wo sich Lanugohaare befanden, fehlte die Haarpapille gänzlich, oder waren nur

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Spuren derselben vorhanden. Die Bildung des dünnen Haarschaftes fand erst weit oben im Follikel statt. Nach diesen Untersuchungen können Wollhaare erzeugt werden, so lange noch die äussere Wuizel- scheide besteht. Ist diese Ansicht richtig, so würde gänzlicher Haar- verlust von ziemlich langer Dauer entschieden auf Atrophie und Zer- störung des Haarfollikels hindeuten.

Sucht man sich diese Befunde zu erklären, so muss man annehmen, dass das pathogene Agens seine Wirkung nicht speciell auf das Haar- follikelgewebe ausübt, sondern im Allgemeinen auf das Corium.

Die Coagulation in den Lymph- und Blutgefässen zeigt, dass das Agens kein centrales sondern ein in der Haut liegendes ist. Die Ver- änderungen in den Drüsengebilden hängen augenscheinlich von einer Atrophie ab, dem Besultate einer Entzündung und Verdickung der Blutgefässwände, mit nachträglicher Verengerung des Lumens.

Findet Verschluss eines Gefässes statt, oder trifft man be ieutende Coagulation in den Lymphgefässen an, so kann das Haar einer ziemlich grossen von diesen Gefässen versorgten Area ausfallen.

Die Blässe der Haut, das Fehlen äusserer Entzündungserscheinun- gen derselben, sind, nach Kobinson, der ungenügenden Blutzufuhr und dem Factum, dass der Entzündungsprocess hauptsächlich in der sub- papillären Schicht vor sich geht, zuzuschreiben. Der Process ist daher ein entzündlicher und kein neuropathischer.

Was ist nun das entzündungserregende Agens?

Die Untersuchung der Schnitte ergab eine in Zooglöamassen grup- pirte, kleinrunde, dunkelgefärbte Körner von gleichmässiger Grösse in den Lymphräumen und Wandungen der Blutgefässe, hauptsächlich der des mittleren Theils der Coriums, die sich durch Färben sowie ihres Verhaltens Säuren und Alkalien gegenüber, als Coccen documentirten. Häufig konnte man eine lange Keine dieser Organismen den Lymph- gefässen entlang verfolgen. Diese Verbreitung der Organismen, wie beim Kothlauf, wird eine befriedigende Aufklärung der mysteriösen Ausbreitung der Alopecia areata liefern. Die in den meisten Fällen nicht nachweisbare Contagiosität, und häufig die Erfolglosigkeit der Behandlung, lässt sich durch den tiefen Sitz der Organismen erklären.

2) In der Sitzung der Pariser Academie am 27. Oct. 1887 wurde eine Commission, bestehend aus Hardy, Bergeron, Fournier, Ollivier u. A. ernannt, um die streitigen Fragen der Alopecia areata einer eingehen- den Kritik zu unterwerfen. Der Bericht dieser Commission wurde von Besnier als Keferent erstattet.

Früher absoluter Anticontagionist, nimmt jetzt Besnier die parasi- täre, sowie die neuropatische Pathogenese der Alopecia areta an. Die von Gruby, Malassez, von Sehlen, Thin, Robinson u. A. beschriebenen Organismen bezeichnet Besnier als accidentell und ohne pathologische Bedeutung. Untersucht man die Haare selbst, so findet man keine der Veränderungen, wie z. B. bei Favus oder Herpes tonsurans, sondern nur Nutritionsstörungen ; sie sind trocken (cadavereux) atrophisch, und zeigen nicht die combinirten Destructions- und Reizungserschei- nungen der parasitären Erkrankungen. Fallen daher die microphyti- schen Studien negativ aus, so muss man durch klinische Beobachtung und die histologische Untersuchung das Räthselhafte der Affection zu lichten trachten.

Gewöhnlich wird die Erkrankung zufällig beim Frisiren entdeckt ; selten gehen Prodromata wie leichter Pruritus, gelinde neuralgische Symptome voraus ; wenn diese vorhanden, findet man Trockenheit der Haare, leichtes Schuppen und Pseudo-Oedem der zu befallenden Haut. Stellt sich eine Area ein, so kann man zwei verschiedene Formen unter- scheiden. Die erste, die vulgäre Form mit glatter, weisser, häufig auch etwas eingesunkener, oder mit hellen Lanugohaaren bedeckter Haut; und

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eine zweite, die „Pelade a cheveux fragiles", bei der die Haut der Area, anstatt vollständig glatt oder mit hellen abortiven Haaren besetzt zu sein, mit dunkeln Haaren, die an der Oberfläche der Haut oder kurz über derselben abgebrochen sind, versehen ist. Durch ihre Aehnlich- keit mit der durch den Trichophyton verursachte Veränderung, wurde sie von Laillier „Pelade pseudotondante" bezeichnet.

Untersucht man die Nerven der veränderten Haut, so findet man nichts von erheblicher Bedeutung ; in zwei Fällen, bei denen Leloir die cutanen Nerven untersuchte, fand er bei einem eine parenchymatöse Neuritis, während bei dem anderen die Untersuchung negativ ausfiel. Der eine Befund hebt also den anderen auf.

Hat man bei der Alopecia areata keinen pathogenen Parasiten ge- funden, so können wir nach unseren jetzigen Kenntnissen zugeben, dass die histologischen Veränderungen einfach auf eine Dystrophie der Haare hindeuten, und dass die Haarbildung für kürzere oder längere Zeit eher als latent als vollständig aufgehoben zu betrachten ist.

Will man die häufigen und unzweifelhaften Fälle von Uebertragung von Kranken auf den Gesunden nicht anerkennen, so bleibt noch immer die trophoneurotische Theorie der Entstehung der Alopecia areata ; diese könnte um so leichter angenommen werden, da sie durch die physiologischen Experimente von Joseph und Mibelli an kleinen Thieren eine anscheinliche Stütze findet.

Die von diesem Forscher durch Extirpation des Spinalganglions des zweiten Halsnerven erzeugte Haarausfall, muss mit einer gewissen Re- serve aufgenommen werden, da bei k. einen Thieren der Haarausfall leicht eintritt, und bei der Operation eine grössere Verstümmelung kaum vermeidbar ist. [Hat doch Michelson schon durch Einreibungen verdorbener Fette bei Kaninchen Haarausfall erzeugt. Ref.]

Uebrigens lehren diese Versuche nichts was nicht schon längst be- kannt, dass nämlich gewisse Alopecien nach traumatischem Choc oder Veränderungen in den Nerven erzeugt werden können ; sie beweisen aber nicht, dass notwendigerweise eine Alopecie erfolgen müsse, noch dass sie die alleinigen und constanten pathogenen Ursachen der Alope- cia areata sind. Wie alle Dystrophien, bieten die atrophischen Ver- änderungen, die den Haarausfall bedingen, eine äusserst complexe Aetiologie dar. So kann eine Gemüthserschütterung, eine Verletzung, Ernährungsstörungen bei schweren Erkrankungen, Tabes (bei der Besnier, Alopecia areata gleichzeitig mit Veränderungen der Nägel antraf), Syphilis, Morbus Basedowii etc., und directe oder indirecte Reizung der Haarpapillen durch noch unbekannte Parasiten eine Alopecie hervorbringen.

Ohne Intervention des Nervensystems kann man sich kaum die Alopecia areata erklären. Sollte auch das specifische Agens entdeckt werden, so würde das an der Sache nichts ändern, da es ja auch auf die N^rvenpapille seine Wirkung ausüben könnte.

B^i den unzweifelhaftesten contagiösen Formen der Alopecia areata, schreitet der necrobiotische Process so rasch weiter, dass in wenigen Tagen complete Kahlheit eintreten kann ; diese, verbunden mit der in definitiven Aufhebung der Haarbildung findet sich bei keiner Er- krankung, bei der der Mikroorganismus die Haare direct angreift. Die- jenigen Forscher, die bei der Alopecia in und um den Haaren den Parasiten vermuthen, befinden sich auf falscher Fährte ; nicht in den H laren selbst, sondern in einiger Entfernung davon muss man den Parasiten suchen. [Sehr genau scheint Besnier die Arbeit Robinson's nicht studirt zu haben. Ref.J

Kann in einzelnen Fällen die Alopecia auf neuropathischer Basis beruhen, so ist das nicht die Regel, noch muss desswegen die Existenz eines äusserliclien Agens, dessen Wesen uns bis jetzt noch unerklärt

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bleibt, ausgeschlossen werden. Der Meinungs unterschied zwischen den Anhängern des Parasitismus und der Neuropathogenese, anscheinlich so gross, ist indessen mehr augenscheinlich als reell ; man kann bei der Erkrankung eine gewisse Rolle des Nervensystems annehmen, ohne das contagiöse Agens auszuschliessen. So erwähnt Lereboullet einen in- teressanten durch Contagion entstandenen Fall, bei dem sich nach einer Gemüthserschütterung eine Recidiv einstellte.

Die Häufigkeit der Erkrankung, ihr epidemisches Auftreten in Herden, ihre manifeste Uebei tragbarkeit, ihre Unterdrückung durch, geeignete Prophylaxsis stempeln sie zu einer parasitären.

Folgende Beispiele der directen Uebertragung werden von Besnier erwähnt. Ein Knabe mit Alopecia areata wird in eiu Pensionat aufge- nommen. Nach kurzer Zeit zeigt sich bei seinem Nachbar, mit dem er öfters dieselbe Kopfbedeckung benützte, eine Area.

Ein Schüler mit Alopecia areata der linken Seite des Kopfes, besucht während der Ferien seine Familie, wo er, aus Mangel an Betten, genöthigt ist mit seinem Bruder zusammen zu schlafen ; obschon sie nur zwei Nächte beisammen zubringen, zeigte sich drei Wochen danach beim Bruder, genau an der Berührungsstelle des Kopfes eine Area.

Wie häufig die Ansteckung erfolgt, sieht man aus dem Berichte Leloir's, der in 92 Fällen, die Contagion 21 Mal coustatiren kannte.

Viel häufiger als die directe Ansteckung scheint die intermediäre zu sein. Dr. Coustan berichtet folgendes eclatante Beispiel. Am 9. Juni, wird ein mit Alopecia areata des Kopfes behafteter Soldat entlassen ; er wirft seine Mütz'e in das Kleidermagazin; zwei Tage darauf tritt ein Rekrut in das Regiment ein, dem durch Versehen dieselbe Mütze gegeben wird ; 15 Tage nachher zeigt der Rekrut an der nämlichen Stelle wie der Ent- lassene eine Area.

In dieser Beziehung, ist besonders die Epidemie mit 20 Fällen im Sapeur-Pompier Regimente in Paris erwähnenswerth. Hier Hess sich jede nervöse Belastung ausschliessen. In diesem Regimente werden die Mannschaften jeden Abend auf ihre Posten vertheilt und benutzen con- stant nach einander dieselben Kissen. Beweisend für diesen Modus der Ansteckung ist, dass bei der Mehrzahl der Befallenen der Haarausfall am Hinterkopf oder am Nacken stattfand.

Die intermediäre Contagion kann durch Toilettengegenstände, durch Bürsten und Kämme, durch ausgetauschte Hüte, durch Kissen und Bettzeug erfolgen.

Die Uebertragung von Thieren auf Menschen ist sehr wahrschein- lich. So berichtet Hilairet eine kleine Epidemie bei sechs Angestellten einer Eisenbahn, die gemeinschaftlich in einem Bureau arbeiteten, in dem sich eine kranke Katze befand, die fortwährend ihre Kappen als Lagerstätte benutzte. Obschon es nicht sichergestellt ist, dass die Katze mit Alopecia areata belastet war, so schien es doch sehr wahr- scheinlich, und fand die Uebertragung durch die Kappen statt. Besnier glaubt dasselbe in vier Fällen bestätigen zu können. Nach Goubaux ist die Alopecia areata unter den Schülern der Yeterinär-Schule in Alf ort durchaus nicht selten.

Die Ansteckungsfähigkeit kann viel länger dauern, als gewöhnlich angenommen wird ; so sah Besnier eine Reihe von Fällen, bei denen Uebertragung stattfand, obschon klinisch die Krankheit vollständig geheilt zu sein schien.

3) Während der letzten Jahre kamen Leloir 142 Fälle von Alopecia areata unter Beobachtung, von denen er 92 genügend lange beobachtete um eine Eintheilung in drei Categorien zu gestatten. 1) Alopecia areata tropho-neurotica. 2) Alopecia areata contagiosa. 3) Eine Reihe von Fällen bei denen sich weder Contagiosität noch Trophoneurose con- statiren liessen. Zur ersten Classe gehören 36 Fälle. Diesen gingen Kopfschmerzen, Neuralgien, Hyperästhesien und Ameisenkriechen,

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meistens derselben Seite, auf welcher sich die Alopecie entwickelte, voraus, oder waren gleichzeitig mit derselben vorhanden.

In manchen Fällen war die Nervosität, die der Alopecia vorausging, Schulüberbürdung oder moralischem Choc zuzuschreiben. In drei Fällen folgte sie auf ein Trauma des Kopfes.' Einmal beobachtete sie Leloir, wie auch Besnier, im Verlaule der Tabes. Eine ganze Anzahl der Kran- ken dieser Classe waren syphilitisch, möglicher Weise handelt es sich hier um eine accidentelle Coincidence, vielleicht um Störungen peri- pherer Nerven, wie sie so häufig bei Syphilis vorkommen. Einmal be- obachtete Leloir die Alopecia areata mit nachfolgender Cerebrallues. Ein ähnlicher Fall wird von Fournier beschrieben; bei beiden scheint die Alopecie das erste Symptom von Seiten desNervensystemsgewesenzusein.

Leloir erwähnt nun eine Keine eclatanter Fälle, bei denen der Causal- nexus zwischen Gemüthsersehütterung und der Area kaum zweifelhaft ist.

Von der contagiösen Form kamen 20 Fälle unter Beobachtung. Unter diesen ist folgende Kette von Fällen, die die Ansteckungsfähigkeit der Erkrankung darthun, besonders erwähnenswerth.

M. X., Studiosus pharmacolog. mit Alopecia areata des Bartes, und später des Kopfhaares, übertrug die Krankheit auf seinen Freund und Stubengenossen ; nach einigen Monaten stellt letzterer sich mit seiner Maitresse, die ebenfalls mit Alopecia areata behaftet war, bei Leloir ein. Unterdessen unternimmt X. während den Osterferien eine Heise nach Hause, und hier überträgt er das Leiden auf seine Mutter, Schwester und Bruder, mit denen er dieselben Bürsten und Kämme gemeinschaft- lich gebraucht. Bei keinem einzigen Falle konnte Leloir pathogene Bacterien entdecken.

4) Auch Eldüioff bestätigt das epidemische Auftreten der Alopecia areata. AYährend er, zwischen den Jahren 1876 bis 1884, durchschnitt- lich 4 bis 6 Fälle beobachtete, kamen plötzlich in den darauf folgenden Jahren 36 Fälle zur Behandlung.

Die aetiologische Nachforschung ergab, dass von diesen 36 Patienten 11 Kunden derselben Frisirstube waren, und dass das Leiden eine kurze Zeit nachdem sie Kunden der letzteren wurden, sich einstellte. Nach- dem der Friseur auf die Möglichkeit der Uebertragung aufmerksam gemacht, und die nöthige Desinfection seiner Utensilien angeordnet wurde, ging die Krankheit auf die Durchschnittsziffer zurück. Fast 30% seiner Fälle konnte Eichhoff auf Contagion, und 9% auf Gemüths- erregung zurückführen.

5) In mehreren Hunderten von Fällen, die Lassar unter Beobachtung hatte, waren auffallend viele deren Geschwister, Schulgenossen oder Mitbesucher mit Alopecia areata behaftet, oder waren Besitzer von Katzen und Hunden, die ein ähnliches Haarleiden hatten.

6) Die Arbeit Bulkley's sucht durch statistische Daten, die Neuro- pathogenese der Alopecia areata zu stützen. Unter 12,725 Fällen von Hautkrankheiten befanden sich 119 (0,91) mit Alopecia areata. Von diesen wurden nur 32 Fälle (0.45°^) unter 7086 der öffentlichen Praxis beobachtet, während 87 (1,54%) unter 5639 der Privatpraxis vorkamen. Die Erkrankung war also dreimal so häufig in der Privatpraxis, wie in •der öffentlichen, was eher für den neurotischen als für den parasitischen Ursprung des Leidens spräche. Die Affeetion findet sich zweimal so häufig beim mlichen als beim weibliehen Geschlechte. Während der ersten zwei Decaden des Lebens findet man andere Verhältnisse ; hier überwiegt das weibliche Geschlecht, was Bulkley dem zarter consti- tuirten Nervensystem zuschreibt. In den dritten und vierten Decaden sind die Mehrzahl der Befallenen, Männer. Kann man überhaupt letz- tere Zahl verwerthen, so müssen sie zu Gunsten der neurotischen Theorie sprechen, da gerade in diesen Jahren bei den Männern durch Berufssorgen das Nervensystem heruntergesetzt ist. Niemals fand Bulkley, bei der Alopecia areata, Parasiten.

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Deutsche medicinische Gesellschaft von New York.

Sitzung vom 4. Februar 1889. (12 West 31. Str.)

Präsident : D r. H. J. Garrigue s.

Dr. Friedrich Lange hält einen Vortrag :

Ueber unseren chirurgischen Standpunkt gegenüber der acuten inneren Darm- verschliessung.

Die Hauptpunkte, über welche sich der Vortrag ausführlicher ver- breitet, sind folgende :

Die Indication zur Laparotomie zur Behebung einer a. i. D. kann mit der zur Herniotomie beim eingeklemmten Bruch nicht in Parallele gebracht werden. Jedermann weiss heutzutage, dass eine in Narcose nicht reponirbare Hernie, wenn nicht bald operirt, Darmgangrän mit sich anschliessender septischer Peritonitis oder im günstigsten Fall Bildung eines widernatürlichen Afters zur Folge hat.

Anders bei der inneren Darmverschliessung. Hier kommt in Betracht :

1) Die Möglichkeit einer Spontanheilung in einem grossen Procent- satz der Fälle. (Von dieser Möglichkeit ausgenommen ist die wirkliche innere Strangulation.)

2) Die Unsicherheit der Diagnose, welchen Zustand der inneren Darm- verschliessung man vor sich hat, ob wirkliche Incarceration, Volvulus, Intussusception, Verstopfung durch Gallensteine oder Coprostase.

3) Die grössere Gefahr des Collapses durch reflectorische Herz- paralyse, zumal in Anbetracht des reducirten Ernährungszustandes Mangel an Nahrungsaufnahme, Säfteverlust durch Erbrechen etc, und die deletäre Wirkung der vom Darm her resorbirten Stoffe auf die Gesammtconstitution.

4) Die grosse Schwierigkeit nach Eröffnung der Bauchhöhle über die Natur des Hindernisses sichern Aufschluss zu bekommen.

5) Kann die Gefahr häufig beseitigt werden durch Entlastung des Darms oberhalb des Hindernisses durch die Enterostomie.

Eine grosse Anzahl erfahrener und vorsichtiger Chirurgen sieht für die Mehrzahl aller Fälle von Ileus den Versuch, eine radicale Beseiti- gung des Hindernisses eintreten zu lassen, für verhängnissvoll an ; Sie kümmern sich desshalb nicht um die Ursache, sondern legen sofort die Enterostomie vor dem Hinderniss an in der Hoffnung, dass sich die Ursache der Verschliessung danach zurückbilde. Bedner kann sich nicht zu diesem rein palliativen Vorgehen bekennen, denn die Fälle, bei denen eine solche Bückbildung nicht möglich ist, sind dadurch eo ipso von der Heilung ausgeschlossen. In einem Fall, wo Bedner bei einer sechs Monate zuvor durch Laparotomie von einem breit aufsitzenden Ovarialtumor glücklich befreiten phthisischen Patientin am dritten Tage nach plötzlich aufgetretenem Ileus zum zweiten Mal die Bauchhöhle öffnete, fand sich ein von einem Mesenterium zum andern ziehendes Band, welches den Darm abknickte. Dasselbe wurde durchtrennt und die Patientin gerettet. (Eine zugleich vorhandene tuberculöse Perito- nitis wurde durch den Eingriff wesentlich gebessert.) Was im speciellen Falle zu thun ist, muss dem Takt und der Erfahrung des betreffenden Chirurgen anheimgestellt werden. Sieht man während der Operation, dass der Kranke den grösseren Eingriff nicht aushalten würde, so muss man abwägen, ob die Enterostomie noch ausführbar ist.

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In Anbetracht der grossen Gefahr, welche in der langen Dauer des chirurgischen Eingriffs liegt, speciell der Eesection bei Gangrän, hat Dr. Nicolaus Senn, (Milwaukee,) durch Thierexperimente dargethanr dass nach ausgeführter Ausschaltung der necrotischen Darmpathie durch Verschluss beider Enden durch die Naht und künstliche Anasto- mosenbildung zwischen beiden mit Hülfe seiner decalcinirten Knochen- platten (perforated discs) die Operation ausserordentlich abgekürzt werden kann. An Stelle dieser nur mit einigem Zeitauf wände herzu- stellenden Knochenplatten, hat Dr. Abbe von hier Catgutringe verfertigt, welche ebenso in die beiden Darmabschnitte eingefügt und durch Nähte fixirt werden. Der Erfolg bisher nur an Hunden erprobt war ein gleichguter. Man wird nun ausflnden müssen, ob in diesen nunmehr blindsackförmigen Enden des Darms durch Stauung von Kothmassen Störungen eintreten können.

Ein weiteres Verfahren, um die Darmpassage herzustellen, besteht in der künstliehen Verschliessung des peripheren Darmstücks und Implantation des centralen in dasjenige unterhalb des Hindernisses.

Ein Drittes wird representirt durch künstliche Invagination des centralen Darmstücks in das periphere mit Hülfe eines eingeführten, das Darmlumen spannenden Gummiringes. (Das anatomische Präparat einer, selbst nach Laparotomie, infolge von Circulationsstörungen unre- parirbaren Darminvagination eines sechs Monate alten Kindes, bei dem die im beginnenden Collapse ausgeführte Ileocolostomie einen tödt- lichen Ausgang nicht aufhalten konnte, wird vorgezeigt. Ferner wird ein Gallenstein von aussergewölmlicher Grösse demonstrirt, wrelcher, im Dünndarme einer älteren Dame festgekeilt, Ileus hervorgerufen hatte. Der Stein wurde ohne Mühe gefunden und entfernt. Die Patientin hatte bereits Peritonitis und starb acht Stunden nach Been- digung der Operation im Collapse.)

Dreimal musste Redner bei Ileus wegen chronischen Hindernisses,, zu dem acute Obstructionserscheinungen hinzugetreten waren, operirem Bei zwei Patienten war schon vor der Operation Peritonitis vorhanden,, der dritte wTurde durch die Entorostomie am Leben erhalten. Hier war die Ursache ein kleiner occludirender Krebs der linken Flexura coli. Nach dem Gesagten möchte Redner das Postulat aufstellen, dass es heutzutage nothwrendig ist, in einem Falle von Ileus bei Zeiten die chirurgische Seite des Falles in Erwägung zu ziehen. Es ist nothwendigy dass die practischen Aerzte von dem Standpunkte der Chirurgie in diesem Punkte Kenntniss nehmen und sich mit vollem Ernst die Ver- antwortung vergegenwärtigen, welche sie haben, wenn sie ohne be- stimmte Indication einen Fall von Ileus temporisirend behandeln. Wenn bei bedrohlichen Erscheinungen von Ileus nicht in relativ kurzer Zeit durch Aufblasen des Darms oder Eingiessungen in denselben oder mechanische äussere Behandlung, Electricität etc., das Hinderniss beseitigt wird, so tritt die chirurgische Behandlung in ihr Recht. Ein jeder Arzt, welcher sich dies nicht vorhält, begeht eine Unterlassungs- sünde. Selbst diejenigen Chirurgen heutzutage, welche eine weiter- gehende Laparotomie verwerfen und sich fast für alle Fälle auf die Enterostomie beschränken wollen, legen darauf Gewicht, dass man nicht zu lange warten muss. Bei einem Kranken mit Ileus, im frühen Stadium bei dem man nicht vollkommen zu eventriren brauch, ist eine Laparo- tomie ein relativ geringfügiger Eingriff.

Discussion:

Dr. C. B e ck hat vor Jahren bei Experimenten, die er bezüglich der Frage über Necrose des Darmes durch Unterbindung desselben an Katzen machte, gefunden, dass die Darmresection besser vertragen wird, als die Bildung des künstlichen Afters. Ferner möchte er die

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Schwierigkeit hervorheben, zu entscheiden, ob man laparototniren soll oder nicht. Es ist selten möglich, eine genaue Diagnose zu stellen ; ist man darin klar, so ist es meistens zu spät, überhaupt noch etwas zu versuchen. Er bedauert, dass Magenausspülungen bei Ileus Erfolg gehabt haben. Nach seiner Ansicht ist dieselbe eine gefährliche Be- reicherung der Chirurgie.

Dr. Willy Meyer möchte auf die verbesserte Technick der künst- lichen Anastomosenbildung zwischen zwei Darmsehlingen mit Hülle der Senn'schen Knochenplatten zurückkommen. Er hatte im verflossenen Sommer Gelegenheit, wegen einem stenosirenden, intermittirende Oc- clussionserscheinungen, hervorrufenden Carcinoms des Colon ascen- dens, dicht vor der Flexura hepatica, eine Colo-Colostomie auszuführen. Die Senn'schen Discs waren nicht zur Stelle, drum musste die Naht nach bekannter Methode ausgeführt werden. Dies war ziemlieh zeit- raubend ; die Operation dauerte im Ganzen 2i Stunden, sodass die Kranke eine 33jährige, allerdings sehr heruntergekommene Frau trotz des minimalsten Blutverl usts gegen Ende der Operation leicht collabirte. Patientin erholte sich jedoch schnell und wurde geheilt entlassen. [Sie war bis jetzt Köchin bei einer kleinen Familie und ist vor ca. 14 Tagen, im trefflichsten Befinden, in ihrer alten Stelle als Stewardess auf dem Steamer „Elbe" nach Deutschland gereist.] Bald darauf sah Redner Dr. Abbe die gleiche Operation aus derselben patho- logisch-anatomischen Ursache mit den Senn'schen Platten ausführen. Dieselbe nahm eine ganze Stunde weniger Zeit in Anspruch. Senn selbst gebraucht dazu bei seiner ausgebildeten Technik und grossen Uebuug kaum mehr als 10 Minuten ; sicherlich ein gewaltiger Vorzug der Methode bei derartigen Eingriffen. Die von Dr. Lange erwähnten Catgutringe Abbe's, sind wie es scheint ebenso zuverlässlich und können zu jeder Zeit schnell hergestellt werden.

Noch einen weiteren Punkt .möchte Dr. Meyer berühren. Dr. Lange sprach von der Möglichkeit der Kothansammlung in den blindsack- förmigen Enden hinter dem künstlichen Lumen nach ausgeführter Senn'scher Darmresection. Senn selbst hat bei den von ihm operirten und später getödteten resp. gestorbenen Thieren das ausgeschaltete Darmstück atrophisch, contrahirt und leer gefunden. Dieselbe Erfah- rung machte man bei der Section von Patienten, die längere Zeit nach ausgeführter Gastroenterostomie gestorben waren. In Anbetracht der Möglichkeit einer solchen Kothstauung schlug Wölfler vor, dem Darm- inhalt dadurch einen Eintritt in diesen Abschnitt z-u verwehren, dass man durch eine Längsnaht die Darmwand nach innen vorstülpe und so das Lumen dieses Theiles künstlich verengere.

Dr. S e i b e r t : Der Practiker soll, so lange er die innere Darm- verschliessung behandelt, das Richtige thun. Gewöhnlich wird ein Abführungsmittel gegeben ; das ist aber verkehrt. Was Dr. Beck von der Magenausspülung sagt, ist nicht gerechtfertigt. Ihre Anwendung ist kein Verlust für den Chirurg, sondern ein Gewinn für den Practiker. Die Magenausspülung ist entschieden werthvoll. Bei Ileus ist nach seiner Ansicht stets in den ersten 24 Stunden eine vernünftige mecha- nische Behandlung einzuleiten ; erst wenn dieselbe Nichts nützt, soll der Chirurg hinzugezogen werden. Er hat eine Invagination durch Auftreiben des Darms mittels Kohlensäure in wenigen Minuten geho- ben. Bei Kindern gelingt dies um so eher, wenn man sie während der Manipulation an den Füssen suspendirt.

Dr. Cook hat bei einer Invagination des Rectum, die er in Länge von 9" umgehen konnte, einen trefflichen Erfolg durch Eingiessen von Sodawasser zu verzeichnen. Er half sich so, dass er eine mit Watte umwickelte Röhre durch ein Mastdarmspeculum einführte.

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Dr. Lange stimmt mit Dr. Seibert überein, dass man sich bei der inneren Darmverschliessung so lange mit Versuchen mechanischer Natur behelfen kann, als keine besonderen Störungen seitens der Darm- wand eintreten. Dr. Beck gegenüber möchte er bemerken, dass in Bezug auf die Schwere des Eingriffs bei der circulären Darmresection heute die Frage für den Menschen entschieden ist, dass eine so aus- geführte Darmnaht ein sehr viel Zeit raubender Eingriff und gefähr- licher ist, als die Anlage des Anus praeternaturalis durch die laterale Enterostomie. Er versteht Dr. Beck's Bemerkung nicht bezüglich der Ungewissheit der Diagnose, dass, wenn wir erst in der Lage seien, eine Diagnose zu machen, es gewöhnlich zur Operation zu spät wäre. Die Diagnose wird ja doch um so dunkler, je länger der Zustand andauert. Kurz nach Beginn der inneren Darmverschliessung lässt sich die Invagination fühlen, ein Fremdkörper abtasten, sind aber die Därme erst aufgebläht, ist Peritonitis eingetreten, so sind wir völlig im Dunk- len. Die Schwierigkeit der Diagnose macht uns unsicher. Dieselbe ist Schuld daran, dass wir unwillkürlich geneigt sind, zu temporisiren. Aber man muss diesen Standpunkt Angesichts der in der Chirurgie gemachten Fortschritte aufgeben. Der Chirurg muss früh geholt werden, nicht erst wenn hochgradige Tympanie vorhanden ist. Es folgt der Vortrag Dr. F. E. D'Oench's:

„Ueber toxische Amblyopie". (Siehe Originalarbeit.)

Discussion:

Dr. Carl Koller meint, dass bei der Tabaksamblyopie sowohl die Sorte als die Art des Tabaksgenusses eine bedeutende Holle spiele. In der Türkei und in Egypten, wo sehr viel geraucht wird, werden keine oder wenige Amblyopien beobachtet. In Wien sah er die meisten Er- krankungsfälle bei Leuten, welche die sogenannten Virginiacigarren rauchen. Dieses sind sehr schwere lange Cigarren, welche öfters wieder- angezündet und eigentlich mehr gekaut als geraucht werden. In Hol- land habe er verhältnissmässig viele Amblyopien gesehen, gewöhnlich mit ausgesprochener Neuritis, speciell bei Individuen, welche Tabak kauten oder aus kurzen Pfeifen rauchten. Populär war als erstes Symptom der Krankheit das blasse, grünliche Erscheinen anderer Menschen bekannt.

D r. E. F r i d e n b e r g. Ob eine reine Alkoholamblyopie eine reine Tabaksamblyopie existire, ist noch immer fraglich, weil man äusserst selten Individuen trifft, welche dem Missbrauche nur eines dieser Mittel fröhnen. Gewöhnlich werden Beide genossen. Die Engländer legen mehr Gewicht auf den Tabak, die Deutschen mehr auf den Alkohol, als aetio- logischen Factor bei der Amblyopie. Der Chininamblyopie gehört unter den toxischen Amblyopien eine besondere Bubrik 1) weil sie nur nach acuter, die anderen nur nach chronischer Intoxication auftreten, 2) weil sie stets einen pathognomonischen nicht entzündlichen Spiegelbefund, nämlich Ischaemie der retinalen Blutgefässe aufweist, während bei den übrigen Amblyopien die ophthalmoscopische Untersuchung öfters ein negatives Besultat ergibt und 3) weil das Gesichtsfeld bei der Chinin- amblyopie stets bedeutend eingeengt ist, bei den anderen periphere und centrale Gesichtsschärfe in gleicher Weise leiden.

Das Wesen der Chininamblyopie sei erst in neuerer Zeit festgestellt worden und zwar durch ein Mitglied dieses Vereins, Dr. Emil Gruening, welcher als Erster das klinische Bild der Erkrankung beschrieb, die Symptome präcisirte und für die Erkrankung eine gesonderte Stellung postulirte.

De. Willy Meyer, protocoll. Secretär.

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Allerlei.

Die Haeufigkeit fibrinoeser Lungenentzuendung bei Kindern. The Med. Record, vom 16. März 1889 bedauert, dass Dr. Guaita (Arch. f. Kind. Bd. X, No. 1), die von ihm betonte Häufigkeit der Pneumonie im Kindesalter nur durch clinische Beobachtungen und nicht auch durch Sektionen bestätigen konnte, und weist darauf hin, dass Prudden und Northrup in der Octobersitzung der New York Pathological Society be- richteten, dass sie blos 3 ächte Fälle unter einer grossen Anzahl von Sectionen an Kinderleichen getroffen hätten. Statt Bedauern über die Seltenheit der Todesfälle an Pneumonie der Kinder zu äussern, wäre es wohl am Platz obige Beobachtungen als Beweis der Thatsache heran- zuziehen, dass diese Erkrankung bei Kindern sehr häufig vorkommt und meist günstig verläuft (entgegengesetzt der hier zu Lande üblichen Anschauung), trotzdem sie häufig nicht diagnosticirt wird.

Zur Behandlung des Erysipels empfiehlt Dr. C. Lauenstein in Hamburg (Deutsch, med. Woch., 14. März 1889) die Kraske-Riedel'sche Methode dahin zu modificiren, dass man die zu machenden oberfläch- lichen Längs- und Querschnitte nur in die, das erkrankte Gebiet um- gebende, Hautzone macht, nicht auch in die kranke Haut. Er nimmt an, dass dadurch Infection noch gesunden Gewebes verhütet wird. Auf die so geschaffenen Hautwunden wird eine Sublimatlösung (1 : 1000) 3 Mal täglich mittelst Umschlag applicirt, und so der Rothlauf zum Still- stand gebracht.

Die Homoeop athen im Staat New York haben am 12. Feb. ihre Jahresversammlung in Albany abgehalten. Nach dem Sitzungsbericht im North Amer. Journal of Homoeopathy, March 1889, folgte dem Bericht des ,,Committees für starke Verdünnungen'' eine sehr animirte Discussion über Dosirung, in welcher ein Mitglied der Gesellschaft (Geo. Gorham) übereinstimmend mit dem Präsident (dem bekannten New Yorker Chirurgen Wm. T. Helmuth) bemerkte, dass man die jeweilige Dose eines Arzneimittels dem individuellen Ermessen des Therapeuten a nl i< 'inistellen solle und sagt wörtlich : „Wir sollten die Versuche ein- stellen uns gegenseitig unsere Ansichten glaubwürdig zu machen" und ein Dr. Terry schämt sich, dass frühere gedruckte Verhandlungen der < > •sellschaft überCuren mit stark verdünnten Medicamenten berichten", und schliesslich beschliesst die Gesellschaft, dass in Zukunft jede Dis- cussion über die D<>sirungsstärke der Mittel zu unterbleiben habe! Ferner beschliesst die Gesellschaft, „dass alle Gesetzesvorlagen, welche die Creirung einer einzelnen, für alle Secten in der Medicin gültigen, staatlichen Examensbehörde bezwecken, als schlaue Uebergriffe in die Rechte der Minorität (der Homoeopathenjzu betrachten seien", und ,,dass solche Vorlagen nur den Zweck haben, die Individualität der ver- schiedenen Schulen in der Medicin (Allopathie, Homoeopathie und Eclecticismus) zu zerstören."

Wenn die Similia-similibus-Gläubigen ihre starken Verdünnungen aufgeben und sich selbst über solche Glaubensartikel früherer Zeiten lustig machen, dann können wir nicht einsehen, was die Herren abhalten sollte ihren homoeopathischen Namen abzulegen, denn ohne starke Ver- dünnungen gibt es doch keine Homoeopathie. Es war uns wenigstens bisher nicht bekannt, dass Pathologie und Diagnostic (auf die es doch beim Examen hauptsächlich ankommen sollte) in der Homoeopathie anders seien als in der übrigen Medicin. Wer weiss ob die Herren Professoren der Homoeopathie trotz obiger Scepsis nicht doch bei ihren Schülern eine zu grosse Anhänglichkeit an stark verdünnte Wissens- dosen für das erfolgreiche Bestehen eines allgemeinen medic. Staats- examens befürchten.

220

Zum Nutzen aller an Vielkoepfigkeit leidenden Hospitaeler, bringen wir Folgendes aus der Deutsch. Medizinal-Zeitung, No. 20, 1889, zum Abdruck :

Der Vorlage des Berliner Magistrats an die Stadtverordneten- Versammlung betreffend die Organisation der Verwaltung des Krankenhauses auf dem Urban entnehmen wir folgende allgemeine Gesichtspunkte :

An die Spitze der Verwaltung sei ein einziger Director, und zwar ein Arzt, zu stellen. Es könne kaum bestritten werden, dass für jedes öffentliche Institut, in welchem für eine grosse Anzahl von Personen zu einem bestimmten besonderen Zweck Sorge getragen werden soll, eine einheitliche Leitung nicht bloss einer mehrköpfigen vorzuziehen, sondern geradezu nothwendig ist, wenn der betreffende Zweck erreicht werden soll. So finde man denn auch an der Spitze von Gefängnissen, Arbeits- häusern, Militärlazaretten, Irrenanstalten, Waisenhäusern, Erziehungs- instituten, Casernen u. dgl. in der Regel nur einen verantwortlichen Leiter, und der Umstand, dass in solchen Instituten mannigfache Bedürfnisse bezüglich Ernährung, Bekleidung, Lagerung, Erwärmung etc. für die Insassen beschafft werden müssen, sowie dass eine ord- nungsmässige Buch- und Cassenführung erforderlich ist, habe gewöhn- lich keine Veranlassung gegeben, Beamte, welche mit Functionen dieser Art betraut sind, dem fachmännisch gebildeten Leiter der Anstalt (Schulmann, Arzt, Officier etc.) zu coordiniren. Die hiervon ab- weichende, in den Krankenhäusern in Moabit und Friedrichshain eingerichtete Organisation, durch welche der betreffende Oekonomie- und Rechnungsbeamte als „Verwaltungsdirector" in Gleichstellung und in Gemeinschaft mit 1 oder 2 ärztlichen Directoren an die Spitze gestellt ist, habe abgesehen von zufälligen Umständen ihren Grund in der früher weit verbreiteten Anschauung gehabt, dass die ärztliche Behandlung der Kranken und die Verwaltung eines Krankenhauses sich scharf voneinander trennen Hessen. Im besonderen herrschte die Meinung, dass die Aufgaben der Krankenhausärzte mit Untersuchung der einzelnen Kranken und deren arzneilich-diätetischer oder chirur- gischer Behandlung erschöpft seien. Dieser Standpunkt sei aber in neuerer Zeit von der medicinischen Wissenschaft und Erfahrung allgemein verlassen worden. Man wisse jetzt, von welcher Bedeutung die Art der Unterbringung der Kranken, ihre räumliche Vertheilung, die Beschaffenheit der Luft, welche sie athmen und deren Erneuerung, das Trinkwasser, die Art der Entfernung der Excremente, der Abfallstoffe, der schmutzigen Wäsche und Verbandstücke, die Desinfection der Räume, der Personen und ihrer Effekten, die Verhütung der Ueber- tragung ansteckender Krankheiten von einem Kranken auf einen anderen oder auf das Wartepersonal und dergl. für die Heilung der Kranken in der Anstalt ist. Eine zweckmässige Fürsorge in diesen mannigfachen Beziehungen dürfe man einem bloss bureaumässig geschulten Beamten nicht überlassen ; dazu bedürfe es vielmehr spe- cieller Fachkenntniss, welche nur durch medicinisch-wissenschaftliche Studien, sowie durch ärztliche Erfahrungen im Spitaldienste erworben werden kann. Diese Erkenntniss habe denn auch die Militärverwaltung schon lange dahin geführt, die mehrköpfigen, aus einem Verwaltungs- beamten (Lazarett-Inspector), einem Arzt und einem Officier bestehen- den Lazarett-Commissionen aufzuheben und an die Spitze jedes Garnisonlazaretts einen Chefarzt zu stellen, welchem der Oekonomie- und der Cassenverwalter, wie die übrigen Aerzte des Lazaretts unter- geordnet sind. Dasselbe Princip ist in den deutschen Irrenanstalten zur Durchführung gelangt.

221

Büchertisch.

The psychic Life of Micro-Organisms. A study in experimental psychology, by Alfred Binet. Translated from the Frenoh by Thomas McCoemak, Chicago, 1889. The Open Court Publishing Co. Cloth, 75 Cents. Paper, 50 Cents.

Der Verfasser sagt in seiner Vorrede : „Ich habe mich bemüht in dieser Schrift über Microorganismen zu zeigen, dass psychologische Erscheinungen unter den niedrigsten Daseinsclassen anfangen ; man trifft dieselben in jeder Lebensform, von der einfachsten Zelle an bis zu dem complicirtesten Organismus. Sie sind es, welche die essentiellen Lebensanzeichen constituiren, und welche in allem Protoplasma vor- handen sind."

Merck's Index of fine chemicals and drugs for the materia medica and the arts. By E. Merck, 73 William Str., New York. First American Edition. Price $1.

1) Anleitung zum Gebrauch des Augenspiegels. (The Theory and Practice of the Ophthalmoscope.) Von John Herbert Claiborne in New York. (The Physician's Leisure Library, herausg. von George S. Davis in Detroit.)

2) Leitfaden zum Gebrauch des Augenspiegels fuer Studirende und Aerzte von Prof. Adolf Vossius in Königsberg. Zweite vermehrte und verbesserte Auflage. Berlin, 1889. (Verlag von August Hirsch wald.)

1) Die kurze Anleitung zur Ophthalmoscopie von Claiborne erfüllt den Zweck, diejenigen, welche zum ersten Mal einen Cursus über den Ge- brauch des Augenspiegels nehmen, über die Art und den Umfang des Materiales zu orientiren, welches sie bewältigen müssten, wenn sie diese Disciplin mit Verständniss und Nutzen ausüben wollen. Wenn bei dem Studium dieses Werkchens so Manchem die Erkenntniss kommen wird, dass er nicht die Zeit oder die Anlage hat, um das Augenspiegeln gründlich zu betreiben, so wird er dem rührigen Verleger George S. Davis in Detroit gewiss dankbar sein, dass ihm das Erwirken dieser Erkenntniss nur die unscheinbare Auslage von 25 Cents kostete. Andererseits wird derjenige, welcher sich zum ernstlichen Betreiben des Augenspiegeln s ent seh Ii esst und sich desshalb ein ausführlicheres Werk anschafft, nichts verloren haben, wenn er sich vorher an der Hand Ckäborne'B eine gedrängte, wenn auch nur oberflächliche Uebersicht des Gebietes der Augenspiegeltheorie erworben hat.

Da zu erwarten ist, dass die vorliegende Anleitung bald zu einer zweiten Auflage gelangen wird, so ist es wohl hier am Platze, auf' einige Unrichtigkeiten, die sich in dieselbe eingeschlichen haben, aufmerksam zu machen und auf deren Ausmerzung zu dringen. Wenn auf S. 23 gesagt wird : „Verticale Linien werden durch den horizontalen Meridian des Auges gesehen .... Horizontale Linien werden durch den verticalen Meridian gesehen," so kann man diese Ausdrucksweise als Symbolisi- rung der in Betracht kommenden Verhältnisse zu mnemotechnischen Zwecken wohl hingehen lassen ; ein wirkliches Verständniss wird aber dadurch nicht blos nicht vermittelt, sondern es laufen die in den Köpfen der Anfänger gewöhnlich nicht allzuklaren Grundbegriffe der Optik Gefahr, durch solche Deductionen nur noch verschwommener zu werden. Auf Seite 20 wird der Knotenpunkt falsch definirt als „der Kreuzungspunkt der Augenachse und der Gesichtslinie." Der Knoten-

222

punkt hat bekanntlich mit der Augenachse gar nichts zu schaffen. Bei Besprechung der Localisirung von Trübungen der brechenden Medien wird auf S. 33 ausgesagt, dass bei Drehungen des Bulbus die Richtung der Excursioüen der vordem Linsenkapsel dem vordem Ab- schnitt des Augapfels entsprechen, während die hintere Kapsel sich so bewegt, wie die hintere Wand des Bulbus. Wenn dies der Fall wäre, so müsste sich das Drehungscentrum des Auges innerhalb der Krystall- linse befinden, während es in Wirklichkeit hinter derselben, im Glas- körper zu suchen ist. Die entgegengesetzte Bewegung, welche zwei Punkte ausführen, von welchen der eine auf der vordem und der andere auf der hintern Linsenkapsel aufsitzt, ist nur eine scheinbare und da- durch vorgetäuscht, dass ihre Excursionen, wenn auch gleichsinnig, entsprechend dem Unterschied ihrer Entfernungen vom Drehungs- centrum ungleich gross ausfallen.

Das kleine Lehrbuch ist mit einer genügenden Anzahl Illustrationen ausgestattet und entspricht in Plan und Umfang zweifelsohne einem practischen Bedürfniss, welchem bisher in dieser Weise noch nicht Rechnung getragen worden ist. Es ist desshalb auch zu erwarten, dass es im ärztlichen Publicum grosse Verbreitung finden wird.

2) Die eben erschienene zweite Auflage des Leitfadens zum Gebrauch des Augenspiegels von A. Vossius zeugt von der grossen Beliebtheit, welcher er sich mit Recht erfreut. Bei sehr kurzem Umfang (wenig über 100 Seiten) enthält er Alles, was dem. Anfänger nöthig ist, um dem ersten Curse über Ophthalmoscopie mit Nutzen folgen zu können, bleibt ihm aber auch nach seinem Eintritt in's practische Leben, sofern er nicht Specialist wird, ein vollkommen ausreichender Führer auf diesem Gebiete.

Die zweite Ausgabe enthält ein neues Capitel über die Reflexion des Lichtes bei den verschiedenen Arten von Spiegeln, eine vom Stand- punkte des Anfängers höchst willkommene Zugabe. Nur sei hier bemerkt, dass der auf S. 9 zu lesende Satz : „Das auf einer dunklen Wand von einem Planspiegel entworfene Bild einer Flamme stellt sich als ein verschwommener, matter heller Fleck dar" manchen strebsamen Jünger der Augenspiegelkunst zu fruchtlosen und entmuthigenden Constructionsversuchen veranlassen wird, und desshalb lieber hätte unterdrückt werden sollen. Ein Bild der Flamme ist der besagte matt- helle Fleck so wenig, wie eine mondbeleuchtete Landschaft ein Spiegel- bild der Sonne ist.

Eine weitere willkommene Zugabe sind einige Hintergrundsbilder von pathologischen Zuständen, welche, obwohl nicht in Farben ausge- führt, eine vollkommen ausreichende Vorstellung von den in Frage kommenden Verhältnissen vermitteln und vollends zur Auffrischung des Gedächtnisses mehr als genügen. Für die nächste Auflage wäre die Einschaltung von Bildern des normalen Augenhintergrundes, von dop- pelcontourirten Sehnervenfasern, Stauungspapille und Arnotio retinae zu empfehlen.

Im Gegensatz zu der oben besprochenen, in englischer Sprache ver- fassteil Anleitung von Claiborne, in welcher der Bestimmung der Refraction mittelst der Skiascopie (oder Retinoscopie) ein verhältniss- mässig grosser Raum gewidmet ist, findet die „Schattenprobe" bei Vossius gar keine Erwähnung ein für die in Deutschland herrschende Ansicht über den Nutzen dieses Verfahrens characteristischer Umstand.

Das Buch ist vom Verleger in vortrefflicher Weise ausgestattet.

Seh.

223

Personalien.

Herr Dr. H. Klotz wird an dem eisten Congress der Deutschen dermatologischen Gesellschaft in Prag theilnehmen.

Im Deutschen Hospital in New York wurden im Jahre 1888 1723 Patienten mit 47,872 Verpflegungstagen behandelt, und zwar 1266 Frei- patienten, 235 theilweise zahlende und nur 222 vollzahlende Patienten. Folgende Herren waren im verflossenen Jahre als ordinirende Aerzte in der Anstalt thätig : Drs. Adler, Baiser, Caille, Conrad, E. Friedenberg, Garrigues, Gerster, Grüning, A. Jacobi, Klotz, Krug, Kremer, F. Lange, Langmann, Lehmann, Willy Meyer, Schnetter, Schwedler, Simrock, L. Strauss. Als Hausärzte fungirten : Drs. Krieger, Kronecker, Koenig, Toreck, Zeh, Drucklieb, J. Huber, Zitz.

Aus dem Jahresbericht des Vereins-Hospitals in New York, 1888. Es wurden im Laufe des Jahres 370 Patienten behandelt, wovon sich 25 am 1. Jan. '88 im Hospital befanden, und 345 aufgenommen wurden. Geheilt entlassen wurden 252 Patienten, nicht geheilt 38, nach anderen Anstalten transferirt 2. Gestorben sind 50 Patienten ; 6 wurden in sterbendem Zustande aufgenommen.

Die 370 Patienten belegten die Betten mit 10,082 Verpflegungstagen, wovon 4494 Tage auf 141 nichtzahlende Patienten und 5588 Tage auf 229 zahlende Patienten entfallen.

Der Medical Board besteht aus folgenden Herren : Drs. Carl Beck, H. J. Boldt, J. W. Busche, C. E. Deuhard, W. Freudenthal, J. Glaser, W. Guden, H. Hackeling, S. Kohn, F. Mathews, J. Morvay Bottenberg, E. Neumer, Geo. W. Rachel, C. A. von Ramdohr, E. C. Spitzka, L. Weiss.

Aus dem 29. Jahresbericht des Deutschen Hospitals der Stadt Philadelphia, 1888. Das medicinische Collegium besteht aus folgenden Herren : Dr. Adam Treu, Dr. Edward T. Bruen und Dr. L. Wolff in der Abtheilung für innere Mechern ; Abtheilung der Chirurgie : Dr. Ferd. H. Gross, Dr. J. B Deaver und Dr. J. W. White ; Augen- und Ohren- Abtheilung : Dr. C. S. Turnbull. Oberhausarzt : Dr. Geo. A. Bodamer. In der allgemeinen Abtheilung des Hospitals wurden 1124 Patienten be- handelt, von welchen 766 geheilt, 153 als gebessert und 10 als unheilbar entlassen wurden, 110 starben und 85 blieben am 31. December in Be- handlung. Mortalitätsziffer 1%. In der Marineabtheilung wurden 496 Kranke behandelt und wurden von diesen 325 als geheilt, 125 als ge- bessert und 4 als unheilbar entlassen. Es starben 22 Patienten und 33 blieben am 31. December in Behandlung.

Im Dispensary wurden 3580 Kranke behandelt. Dieselben machten 14,365 Besuche.

Die Herren Doctoren Bissey, Rath, Rehfuss, Steinbach, Weed und Bliss besorgen den Dispensarydienst.

Im Deutschen Dispensary in New York wurden 1888 27,145 Kranke unentgeltlich behandelt. Die höchste Zahl an einem Tag war 343, die niedrigste 75. Die Patienten machten 67,597 Besuche und es wurden denselben 40,704 Recepte verschrieben und angefertigt. 40 Aerzte be- sorgten die Arbeit der Anstalt. 1700 Ordinationen kamen im Durch- schnitt auf jeden Arzt.

Von den Aerzten waren als Mitglieder folgende Herren thätig : Drs, W. Baiser, Caille, Degner, D'Oench, A. Fridenberg, E. Fridenberg, Garrigues, Gleitsmann, Heppenheimer, G. W. Jacoby, Kammerer, Klotz, Kremer, Krug, Kucher, Kudlich, Willy Meyer, Morje, Oberndorfer,

Öchapringer, Scheider, Schmitt, Schottky, Seesei, Seibert, Serr, StraUs. Als Mitarbeiter waren thätig : Drs. Bachman, A. Büchler, F. Cohn, Dinkelspiel, Einhorn, Heitzmann, Hoefling, Kichard, Stein, Sturradorf, Tynberg, H. Weber. Zahnarzt : Wm, Caille, jr. D.D.S. Apotheker : Die Herren Eutenick, Richter und Pagenstecher.

In der Deutschen Policlixic in New York wurden 1888 11,769 Pa- tienten unentgeltlich behandelt, 32,369 Ordinationen ertheilt und 21,878 Recepte geschrieben. Diese Arbeit wurde von 27 activen Aerzten gethan , denen 7 inactive Collegen mit Rath und That beistanden. Die höchste Patientenzahl betrug an einem Tage 207, die niedrigste 5.

Von den Aerzten waren als active Mitglieder thätig : Drs. Beck, Boldt, Busche, Breitenfeld, Freudenthal, De Kraft, Glaser, S. Kohn, Mathews, Morvay-Rottenberg, Neumer, Rachel, von Ramdohr, Schmitt, Schwerd, A. Stiebeling, Schapringer, L. Weiss. Nichtactive Aerzte: Drs. Aronson, Denhard, Guden, Hackeling, Lilienthal, Spitzka und Geo. Stiebeling. Mitarbeiter : Drs. Bohmfalk, S. Fischer, L. Fischer, A. Hilke, von der Goltz, L. Kohn, Leszynsky, Lücke, Mühlfeld, Pisko. Zahn- arzt : S. Fischer, D.D.S. Apotheker : M. B. Krappe.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist die New-England Staaten in den Monaten April und Mai, im Interesse unseres Blattes.

122 Fast 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

OKIGIN ALARBEITEN

t

Ein Fall von Akromegal i e.

Von

Dr. I. Adler,

New York.

Frau Anna Hansen, 34 Jahre alt, wurde im Januar 1888 in's deutsche Hospital aufgenommen. Wie in den meisten ähnlichen Fällen ist auch hier die Anamnese äusserst dürftig. Hereditäre Belastung irgend welcher Art ist nicht zu konstatiren. Der Vater der Patientin ist noch am Leben, ein starker kräftiger Mann von 54 Jahren, gross und breit, doch in keiner Weise abnorm. Sämmtliche Geschwister, nämlich drei Brüder, sind alle gesund und kräftig. Die Mutter ist todt. Die Krankheit, an welcher sie starb, kann nicht genau ermittelt werden, doch soll dieselbe nur von ganz kurzer Dauer gewesen sein. Von sich selbst gibt Pa- tientin an, dass sie nie irgend eine bedeutende Krankheit durchgemacht habe. Menses traten im 15. Jahre auf, nie sehr profuse und stets sehr unregelmässig, manchmal drei Monate aussetzend. Seit ihrem 18. Jahr hat die Menstruation vollkommen aufgehört. Yor 14 Jahren verhei- rathete sich die Kranke. Hat nie concipirt. In ihrem 20. Jahr sollen die Füsse öfters angeschwollen sein, doch konnte ein etwas engerer Schuh jedes Mal die Schwellung zum schwinden bringen. Etwa um dieselbe Zeit fielen geschwollene Drüsen in der Nachbarschaft der Ohren beiderseits auf. Etwas später sollen, namentlich des Morgens, die Augenlieder öfters anschwellen. Alle diese Symptome sind angeblich nach geraumer Zeit wieder vollständig verschwunden. Ueber den Anfang des abnormen Knochenwachsthums weiss Patientin nichts Be- stimmtes anzugeben. Das Leiden habe so allmählich angefangen, dass die ersten Anzeichen übersehen wurden. Patientin sowohl, wie deren Angehörige versichern, dass dieselbe etwa bis zu ihrem achtzehnten oder neunzehnten Jahr ein munteres, kräftiges Mädchen ohne jegliche wahrnehmbare Anomalie gewesen sei. Zwischen ihrem achtzehnten und zwanzigsten Jahre, zu einer nicht näher bestimmbaren Zeit soll ein King, den sie bis dahin immer und ohne jegliche Beschwerde an dem Finger einer Hand getragen hatte, dermassen fest in die Fingerhaut eingesunken sein, dass er entzweigeschnitten, und auf diese Weise ent- fernt werden musste. Dadurch wurde sie zuerst auf die Vergrösserung der Finger aufmerksam. Etwa um dieselbe Zeit glaubte sie auch zu

226

bemerken, dass verschiedene Gelenke, wie Knie- und Fussgelenk, an- schwollen. Das Hervorstehen der unteren Zahnreihe vor die obere soll erst vor wenigen Jahren bemerkt worden sein. Vor etwa fünf Jahren unternahm Patientin eine längere Heise per Wagen. Die Erschütterung der Wagenfahrt soll ihr die entsetzlichsten Schmerzen im Kücken ver- ursacht haben, dermassen, dass sie die Eückfahrt nicht unternehmen konnte. Von diesem Ereigniss leitet die Patientin die Schmerzen im Rücken und in den Gliedern ab, welche ihr das Stehen und Gehen fast unmöglich machen, und welche sie auch bei ruhiger Bettlage nicht ganz verlassen. Besonders schmerzhaft wird jede, auch noch so geringe Erschütterung empfunden.

Status praesens. Schon bei flüchtiger Betrachtung aus der Ferne fallen die abnorme Kopfbildung und die riesigen tatzenartigen Hände auf. Der Hals ist kurz und mässig dick. Das Kopfhaar ist schwarz, straff und reichlich entwickelt, die Stirne nieder und nach hinten ausweichend. Die gesammte Schädeldecke ist massig und anscheinend verdickt. Am auffälligsten ist diese Verdickung in der Gegend des Hinterhauptbeines, und namentlich die Protuberantia occipitalis ist in wahrhaft colossaler Weise entwickelt. Es erhält dadurch der Gehirn- schädel den Charakter eines seitlich abgeplatteten, mit seiner Längs- achse von vorn nach hinten gerichteten Ovals. Die Galea ist überall leicht verschieblich, doch entschieden dicker, als normal. Im Bereiche des Gesichtsschädels ist am auffälligsten die geradezu enorme Ent- wicklung des Unterkiefers. Derselbe ist nach allen Riehtungen hin stark hypertrophisch. Die untere Zahnreihe steht um etwa Centi- meter vor der oberen vor, wodurch das Kauen bedeutend erschwert wird. Besonders stark und massig ist die Protuberantia mentalis entwickelt. Hypertrophisch, doch wohl in geringerem Grade als der Unterkiefer ist der obere Orbitalrand beiderseits und der Oberkiefer. Sehr stark und massig sind die Jochbogen. Die Nase ist lang und dick. Die Zähne stehen weit auseinander und sind vielfach cariös. Das Emaille, namentlich der Schneidezähne, ist rissig. Die Zunge ist stark verbreitert und verdickt. Ihre Papillen allenthalben hypertrophisch, so dass die Zungenoberfläche ein gefurchtes und rissiges Aussehen bietet. Die Schleimhaut der Lippen und des Mundes ist blass. Die Haut des Gesichtes ist auffallend weiss und weich, doch zeigt sich dieselbe bei näherer Untersuchung allenthalben verdickt, besonders in der Gegend der oberen Augenlieder und der Jochbogen. Das Gesicht erhält dadurch ein eigenthümlich oedoematöses Aussehen, doch ist nirgends eine Spur von Oedoem nachzuweisen. Die Parotiden scheinen verdickt und ver- breitert. Die submaxillaren und cervicalen Lymphdrüsen sind in grosser Anzahl geschwollen und hart, doch nicht schmerzhaft.

In der Halsregion ist auffallend neben vielen geschwellten Lymph- drüsen die geringe Entwickelung der Schilddrüse. Dieselbe ist zwar in allen ihren Theilen deutlich zu fühlen, jedoch ganz unverkennbar in viel geringerem Maasse entwickelt, als es bei normalen Frauen der Fall ist. Während Patientin angibt früher sich ganz gerade und stramm gehal-

227

228

ten zu haben, befindet sich jetzt die Wirbelsäule in ausgeprägt Kypho- Scoliotischer Stellung. Es kommt dadurch eine eigenthümliche Tonnenform des Thorax zu Stande, welche jedoch nicht ausschliesslich der Verkrümmung der Wirbelsäule ihre Entstehung verdankt. Es lässt sich nämlich leicht nachweisen, dass die Kippen sämmtlich ver- dickt und verbreitert sind ; und es ist wenigstens sehr wahrscheinlich, dass dieselben auch in ihrem Längsdurchmesser verlängert sind. Die Claviculae sind verdickt, namentlich an ihrem sternalen Ende. Die Brustdrüsen sind atrophisch, doch ist die Haut derselben verdickt. Ueber den ganzen Stamm ist die Haut auffallend weiss und deutlieh verdickt, das Fettpolster dagegen nur mässig entwickelt. Die Becken- knochen sind augenscheinlich verdickt, mindestens fühlen sich die Cristae Hei ausserordentlich massig an. Das gesammte Becken zeigt aus- gesprochen scoliotischen Typus. An den unteren Extremitäten fallen zunächst die ganz riesigen Füsse auf. Es zeigen sich an ihnen sämmt- liche Knochen bedeutend verbreitert und verdickt. Die Haut darüber ist gleichfalls verdickt. Die Füsse sind somit ganz ausserordentlich lang und breit und dabei auffallend stark gewölbt. Die Nägel der Zehen sind sehr breit und glatt. Die Beine erscheinen im Gegensatz zum Oberkörper und den Füssen eher dünn. Die Musculatur derselben ist stark atrophisch und schlaff. Die Knochen sind namentlich an den Epiphysenenden beträchtlich verdickt. Die Patellae sind verdickt und verbreitert ; die Haut über den Kniegelenken ganz auffallend hyper- trophisch. Ganz ähnliche Verhältnisse bestehen an den oberen Extre- mitäten. Auch hier zeigen die collossalen tatzenartigen Hände Ver- grösserung der Knochen nach allen Dimensionen und Hypertrophie der sie bedeckenden Haut, die Fingernägel sind stark verbreitert und ganz glatt. An den Knochen der Arme lässt sich nur geringe Vergrösserung nachweisen, und auch hier hauptsächlich an den Epiphysen am deut- lichsten. Die Musculatur ist hochgradig atrophisch ; die Verdickung der Haut weniger deutlich wie an den Beinen. Ueberall am ganzen Körper verursacht ein nur leichter Druck auf die Knochen lebhafte Schmerzen. Am ausgesprochensten ist dieser Druckschmerz an Händen und Füssen, den Gelenkenden und am Sternum. Ich lasse nun

hier die genauen Maasse folgen :

Cm.

Umfang des Thorax 110,

Schädels (horizontal über der Glabella) 61,

M (von einem Ohransatz zum andern) 33,

Durchmesser des Schädels (Glabella bis Occiput) 21,5

(Kinn bis Occiput) 26,

Breite des Schädels (durch die Jochbeine) 14,

(durch die Unterkieferäste) 12,5

Höhe des Oberkiefers (vom unteren Oribitalrand bis zum unte- ren Rand des Alveolarfortsatzes) 7,

Höhe des Unterkiefers (bis zum oberen Zahnrand) 5,75

229

Cm.

Cm.

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rechts 96, links 26,

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Länge des Fusses

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28,

55

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Geringste Breite des Fusses

9,

55

9,

Grösste

12,75

55

12,75

Umfang an der Basis der Zehen

J5

31,

31,

230

Cm.

Cm.

Durchmesser zwischen den Malleolen

rechts 8,

links 8,25

Länge der grossen Zehe

55

8,

55

8,

Breite

>5

5J

3,5

55

3,5

2. Zehe

99 yy ZJUXlV

2,

55

2,125

3. 5 Zehe

55

2,

55

2,

Umfaner der srrossen Zehe (G-rnndnhalanx^

55

10,5

55

10,25

(Endnhalanx^

99 yy yy yy \ -U11U. 1^/ J.XCA)ACV-L-I.-A. 1

55

11,

55

11,

99 99 luv, iiivn . ,

5)

7,

55

7,

Nagelbreite der grossen Zehe

55

3,

55

3,

„2. Zehe

55

1,75

55

1,75

» 55 5.

55

1,5

55

1,5

Nagellänge der grossen Zehe

55

2,

55

2,

2. Zehe

55

1,25

55

1,25

55 55 5.

55

,75

55

,75

Die Untersuchung der inneren Organe ergibt im Ganzen wenig abnormes. Die Lungen sind gesund. Die Herztöne rein, aber schwach. Puls regelmässig, circa 76 bis 80 in der Minute und klein. Die sicht- baren Schleimhäute sind alle blass. Patientin macht einen durchaus anaemischen Eindruck ; nichtsdestoweniger haben wiederholte Blut- körperchenzählungen keine erheblichen Abweichungen von der Norm ergeben. Die Temperatur stets normal. Eine Dämpfung, wie sie einer etwa persistenten Thymusdrüse entsprechen soll, und wie sie z. B. von Erb in seinen Fällen constatirt werden konnte, ist in unserem Falle durchaus nicht nachzuweisen. Die grossen Unterleibsdrüsen, Leber, Milz und Nieren sind anscheinend normal. Der Harn (spec. Gew. 1018 1022) enthält kein Eiweiss. Längere Zeit fortgesetzte chemische und microscopische Untersuchungen des Harns haben keine wesentliche abnormalen Veränderungen erkennen lassen. Mit Ausnahme hart- näckiger, habitueller Obstipation bieten Magen und Darmtractus nichts Besonderes. Es finden sich am Stamm und den Extremitäten zahlreiche geschwellte und harte aber nicht schmerzhafte Lymphdrüsen. Die ophthalmoscopische Untersuchung ergibt normale Verhältnisse. Haut und Sehnenreflexe sind normal. Keine Muscelspannungen. Es folgt die electrische Untersuchung, wobei zunächst zu bemerken ist, dass der Leistungswiderstand der Haut ein ungewöhnlich hoher und gleich- mässiger ist, so dass 10 Zellen einer Barrett'schen Chlorsilberbatterie, die in diesen Versuchen angewandt wurde, eine bedeutend geringere Anzahl von Mille-Amperes ergab als bei Controlversuchen an normalen Menschen.

Faradische Untersuchung:

Hechts Nervus frontalis.

K = 2£M. A.

Links

t Inductionsrolle voll- R = M. A. -j ständig eingeschoben.

( Eisenkern entfernt.

231

Rechts

N. Accessorins.

Inductionsrolle vorgeschoben.

47 Mm. K = M. A.

N. Ulnaris.

Inductionsrolle ganz eingeschoben.

58 Mm. E = M. A.

N. Peroneus. Inductionsrolle ganz eingeschoben.

102 Mm.

K = 2 M. A.

Links

Eisenkern ganz entfernt.

43 Mm. K = 2| M. A.

Eisenkern eingeschoben.

52 Mm. E = 2i M. A.

Eisenkern eingeschoben. 97 Mm. E = 11 M. A.

Zu bemerken ist, dass der Strom desto stärker wird je vollständiger die Inductionsrolle die Primärrolle bedeckt und je weiter der Eisen- kern eingeschoben ist. Es ist aus dieser Tabelle klar ersichtlich, dass die faradische Erregbarkeit der NN. Peronei enorm herabgesetzt ist. Aeusserst starke Ströme lösten nur eine minimale Zuckung aus.

Galvanische Untersuchung:

Barrett's Chlorsilberbatterie. Absoluter Galvanometer. Normal Electrode. 10 Qcm.

Erb's

Rechts N. Äccessorius.

K. S. Z. 2,5 M. A. A. S. Z. 4 M. A. A. Ö'. Z. 7 M. A.

Links

K. S. Z. 7 M. A. A. S. Z. 9 M. A. A. Ö. Z. mit 13 M. A. nicht auszulösen.

N. Ulnaris.

K. S. Z. A. S. Z. A. Ö. Z.

N. Peroneus.

K. S. Z. A. S. Z. A. Ö. Z.

N. Frontalis.

K. S. Z. A. S. Z.

6,5 M. A. 6,5 M. A.

8 M. A. 12 M. A.

6 M. A. 7^ M. A.

K. S. Z. A. S. Z. A. Ö. Z.

7,5 M. A. 7,5 M. A. 11 M. A.

K. S. Z. 11 A. S. Z. 12 A. Ö. Z.

M.

M.

A.

A.

K. S. Z. A. S. Z.

M. A. M. A.

Aus diesen Zahlen ist ersichtlich 1) eine bedeutend erhöhte gal- vanische Erregbarkeit der NN. Accessorii, besonders der rechten Seite ; 2) an den NN. Ulnaris ist K. S. Z. = A. S. Z. beiderseits ; 3) vermin-

232

derte galvanische Erregbarkeit des linken N. Peroneus ; 4) am linken N. frontalis ist K. S. Z. = A. S. Z. Somit weist denn doch die elec- trische Untersuchung einige erhebliche Abweichungen von der Norm auf. Ich will an dieser Stelle nicht verfehlen Herrn Dr. B. Sachs von hier meinen Dank abzustatten für seine freundliche Controllirung der electrischen Untersuchungen.

Was die intellectuelle Sphäre betrifft, so zeigt Patientin entschieden Anzeichen geistiger Schwäche. Während sie früher aufgeweckt und munter, von lebhaftem Naturell und leicht erregbar geweseD sein soll, ist sie jetzt ziemlich apathisch und stumpf. Sie nimmt wenig oder gar kein Interesse an dem was um sie herum vorgeht, spricht sehr selten und macht einen durchaus stupiden Eindruck, dabei ist sie zufrieden, dankbar für jede kleine Aufmerksamkeit und klagt nie über ihren Zu- stand. Ihr ganzer seelischer Zustand erinnert an die Zustände bei Myxoedoem und Cachexia Strumipriva.

Ihre subjectiven Beschwerden sind hauptsächlich die allgemeine Schwäche und die Schmerzen bei Belastung oder Anstrengung des Körpers. Sie ist nicht im Stande ohne Unterstützung zu stehen oder zu gehen ; selbst das aufrechte Sitzen verursacht ihr Schmerzen. Sie bringt daher ihr Leben in halbliegender Stellung im Bett zu. Stricken oder Häkeln ist nur auf ganz kurze Zeit möglich. Die weitaus grösste Zeit des Tages verbringt sie in gedankenleerem Vorsichhinstarren. 1 2 Mal wöchentlich bekommt die Kranke heftige Anfälle von Kopfschmerz, die sich hauptsächlich im Hinterkopf localisiren und gegen die Anti- pyrin mit Erfolg gegeben wird. Ausserdem leidet sie noch an hart- näckiger habituelle Verstopfung, welche fortwährend mit allerlei Laxantien bekämpft werden muss. Schliesslich sei noch bemerkt, dass während der ersten 6 Monate ihres Hospitalaufenthaltes ein geringes Weiterwachsen der hypertrophischen Theile nachgewiesen werden konnte. Seit einiger Zeit scheint ein Stillstand in der Weiterentwicke- lung eingetreten zu sein. Ob bloss temporär oder dauernd muss weitere Beobachtung lehren. Die beigegebene Abbildunge veranschaulicht einigermassen, wenn gleich nicht in der wünschenswerthen Schärfe, den allgemeinen Habitus der Kranken.

Seit P. Marie im Jahre 1886 (Eevue d. Medecine, pag. 297, ff.) die Krankheit zuerst unter ihrem jetzigen Namen beschrieben, sind schon eine ganz stattliche Anzahl älterer und neuerer Fälle mitgetheilt worden. Dennoch ist man bis jetzt noch zu keinem klaren und gesichertem Krankheitsbilde gelangt. Es dürften in der älteren Literatur wohl noch manche hierher gehörige Fälle verborgen sein. Andererseits wird vielleicht noch der eine oder der andere jetzt als Akromegalie ange- sprochene Fall wieder auszuscheiden sein.

Viele der als charackteristisch angesehenen Erscheinungen sind durchaus nicht constant. Bekanntlich hat Klebs (Ein Beitrag zu Patho- logie des Kiesenwuchses von Fritsche und Klebs, Leipzig 1884) in seinem Fall, den Virchow übrigens der Osteitis deformans zuzählen möchte, eine persistirende Thyumsdrüse gefunden und dieselbe für

233

die Erscheinungen der allgemeinen Hypertrophie verantwortlich gemacht. Erb (Deutsches Archiv für klin. Med., Band 42, Heft 4) findet bei seinen 3 Fällen eine für persistente Thyumsdrüse charac- teristische Dämpfung. In dem Falle von Virchow (Berlin, klin. Wochenschrift, No. 5, 1889) sowie in unserem Falle ist von einer solchen Dämpfung nichts zu finden. Fräntzel (Deutsche med. Wochenschrift, No. 32, 1888) fand bei der Section seines Falles keine Spur einer Thyumsdrüse. In den Fällen von Henrot, Brigidi (bei Fritsche und Klebs 1. cit.) und Klebs fand sich eine bedeutende Vergrösserung der Hypophysis Cerebri. Ebenso in einem der Fälle von Marie, mitgetheilt von A. Broca (Un squelette d'acromegalie. Aren. gen. de med., Dec. 1888). Saundby (British med. Journal, Jan. 5th, 1889) fand keine Spur einer solchen.

Fräntzel (loc. cit.) findet die Hypophysis cerebri nur sehr unbedeutend, wenn überhaupt vergrössert.

Auch viele andere Symptome sind äusserst schwankend.

In unserem Falle bestellt entschiedene geistige Schwäche, in vielen anderen Fällen soll das intellectuelle Gebiet in keiner Weise gestört sein. Bei unserer Patientin zeigt sich hochgradige Muskelschwäche, andere nähern sich in dieser Hinsicht mehr dem Normalen und der Fall von Virchow zeichnet sich durch aussergewöhnliche Muscelentwickelung und wahrhaft herculische Kraft aus. Bei unserem Falle noch ganz besonders zu erwähnen ist die weitverbreitete Hyperplasie der Lymph- drüsen. Ich finde dieselbe in keinen der mir zugänglichen Fälle ver- zeichnet. Syphilis ist mit Sicherheit auszuschliessen und auch sonst keine Ursache dafür anzugeben.

Constant bei allen Fällen von Akromegalie ist demnach nur die Hypertrophie der Knochen und Weich theile an den Extremitäten, namentlich Händen und Füssen und am Kopfe und hier wieder vor- wiegend am Gesichtsschädel, speciell am Unterkiefer. Auf die Be- ziehungen der Akromegalie zu Osteitis deformans, Arthritis deformans, Leontiasis ossea brauche ich hier nicht weiter einzugehen, dieselben sind erst kürzlich von Virchow (loc. cit.) des Näheren beleuchtet worden.

Auch von angeborenen oder erworbenen partiellen Kiesenwuchs (Conf. H. Fischer über Riesenwuchs. Deutsche Zeitschrift für Chir., Bd. 12 und W. Busch Langenbeck's Archiv, Bd. 7) unterscheidet sich die Akromegalie hinreichend scharf durch die Art des Auftretens der Krankheit sowohl, als durch ihren allgemeinen Character, sowie durch die typische Hypertrophie der Hände und Füsse und der Kopf- knochen. (Der Fall von Schötz, [Bemerkungen über einen Fall von Riesenwuchs von Alfred Goldscheider, Arch. f. Anat. und Physiol. Physiol. Abth., Heft 1 und 2, 1889] hat sicherlich mit Akromegalie keine Verwandtschaft, sondern gehört in's Gebiet des partiellen Riesen- wuchses.) Können wir somit noch kein bis in alle Details gültiges Krankheitsbild construiren, so ist doch an gröbsten Umrissen schon so viel gesichert, dass wir die Akromegalie als eine Krankheit

234

sui Generis auffassen dürfen, und genug Material vorhanden um dieselbe einigermassen diagnostisch abzugrenzen.

Die Aetiologie ist noch völlig dunkel. Freund (Volkmann's klin. Vorträge, 329 30) hat versucht die Erscheinungen der Akromegalie auf allgemeine physiologische Gesetze der sexuellen Entwickelung und des Wachsthums zurückzuführen. Weitere Erfahrungen und Unter- suchungen müssen den Werth dieser Deductionen erst noch fest- stellen.

II.

Ueber die Tamponade des Uterus, nebst Bemerkungen über die Behandlung der Nachgeburtsperiode.

Von

Dr. C. A. von Kamdohr,

Prof. der Geburtshülfe, New York Post-Graduate Med. School.

„Abgesehen von den Todesfällen bei Eclampsie, bei Lungen- und Herzaffectionen, bei schon eingetretener septischer Infection, oder Uterusruptur, wird der in der Schule der Antisepsis erzogene Arzt keine Kreisende mehr verlieren, falls es ihm auch gelingt der Blutungen in allen Fällen Herr zu werden." So drückt sich Dr. A. Dührssen euphemistisch in einer kürzlich erschienenen Monographie aus.

Theoretisch ist gegen diesen Satz, soweit er sich auf streng über- wachte Entbindungsanstalten bezieht, nichts einzuwenden ; practisch ist in der Privatpraxis, wo wir mit der Unwissenheit, Armuth, Gleichgültig- keit und Skepsis der Patientinnen und Wärterinnen zu kämpfen haben, seine Kichtigkeit nur theilweise zulässig.

Dagegen gibt mir das Gewicht, welches auf die Nachgeburtsperiode gelegt wird, und noch mehr die ausgezeichneten Erfolge der Dührssen'- schen Jodoformgäzetamponade, welche leider noch zu wenig geübt wird, den Muth einen dahin schlagenden Fall zu veröffentlichen und einige Bemerkungen über die Behandlung der Nachgeburtsperiode in der Praxis beizufügen.

Zuerst ist die Behandlung des Nachgeburtsstadiums noch absolut nicht einmüthig geregelt ; während noch heute ein Theil der Geburts- helfer an der Nabelschnur zerren, respective einen leichten Zug(ü) ausüben, und während andere Geburtshelfer die sogenannte Dubliner Methode mit Zug und Druck auf den Fundus gebrauchen, und während die dritte Partei Crede'schen „Handgriff einfach oder modificirt" benutzen, wird von der vierten der Entbundenen die selbstständige Ausstossung der Nachgeburt allein überlassen.

235

Die von verschiedenen Schulen heut' zu Tage geübte Abwartungs- methode ist theoretisch wohl die physiologisch richtigste, aber für den Practiker wegen des Aufwandes an Zeit gar nicht zu benutzen. Also activ muss eingeschritten werden. Der Nabelstrangzug bringt sicher hie und da Inversion zu Stande, ist nicht verlässlich und verführt den Arzt gar zu leicht zur manuellen Extraction mit allen ihren Gefahren.

In der Crede'schen Methode besitzen wir für die Privatpraxis die Methode. Ob wir jetzt auf Lösung der Placenta einige Minuten oder } Stunde warten und dann dieselbe aus dem untern Segment und der Vagina exprimiren, oder ob wir diese Lösung durch Massiren zu be- schleunigen suchen oder dieselbe aus dem Corpus hinausquetschen, ist ziemlich gleichgültig : Jeder Geburtshelfer wird seinen Handgriff mit der Zeit leicht modificiren. Als einzigen Nachtheil der zu beschleunig- ten Therapie habe ich das häufigere Abreissen der Eihäute bemerkt.

Ich mache bei normalen Fällen nach etwa 15 Minuten langem War- ten, ohne spontan eingetretenes Geborenwerden der Nachgeburt, bei Contractionen auf leichtes Eeiben den Crede'schen festen Griff und exprimire bei dieser oder der nächsten Contraction die Nachgeburt aus der Vulva. Sollte bei sorgfältigem Abdrehen der Eihäute, und bei nicht eintretender Blutung, ein Abreissen derselben stattfinden, so glaube ich, dass eine grössere Gefahr, bei noch so strenger A- und Antisepsis dem sofortigen Herausnehmen droht, als wie dem Ab- warten, bei welchem gewöhnlich am 2. Tage die Eihäute lose aus der Vulva schauen und leicht zu extrahiren sind. Dazu gehört dann ein Occlusivverband.

Bei diesem Verfahren ist mir innerhalb der letzten Jahre bis ganz kürzlich keine grössere Nachblutung in Folge von Atonie des Uterus vorgekommen.

An diesem Fall, welcher mir vor ungefähr einem Monat zu Gesicht kam, möchte ich illustriren, wie eine trotzdem stattfindende Atonie ver- hältnissmässig leicht und speciell für den allgemeinen Practiker leicht, und beinahe mit absoluter Sicherheit, behandelt werden kann.

Mrs. S., III. para, alt 30, wurde von mir in Consultation vor unge- fähr vier Wochen gesehen, nachdem sie 10 bis 12 eclamptische Anfälle innerhalb von 5 bis 6 Stunden gehabt hatte. Die Patientin, deren Muttermund erweitert war, wnrde bei meiner Ankunft narcotisirt, Blase und Eectum entleert und hierauf bei Schädellage zur Wendung und Extraction geschritten.

Bei der sich nun zeigenden Blutung in Folge der Atonie wurde die Placenta mit den Eihäuten sofort vollständig exprimirt. Solange wie die Hand auf dem Fundus ruhte stand die Blutung, sodass zur Wieder- belebung des asphyetischen Kindes geschritten wurde, und während einige Minuten der Uterus nicht richtig überwacht.

Bei neuer Untersuchung fand sich das Corpus schlaff und mit Blut Coagula gefüllt und wiederum stand die Blutung auf kräftiges Mas- siren, um sofort beim Alleinlassen wieder aufzutreten. Verschiedene Ergoteinspritzungen (Extr. Secal. Cornut. [Sq.] 2.00), kalte Auf-

236

giessungen auf das Abdomen, Einführung von Eis in den Uterus, heisse intrauterine Douchen machten gar keinen Effect. Einführungen der Faust in das Corpus, mit Gegendruck von oben, hielten die Blutung nur momentan zurück, obgleich Cervix, Vagina und Vulva nicht verletzt waren.

Inzwischen war Patientin pulslos geworden und beinahe moribund. Ich schritt nun zur Uterus-Tamponade, welche ich auf dem Qnerbett unter Führung der Finger ausführte, da mir Instrumentarium fehlte und bei welcher ich 1 Meter 33%er Jodoformgaze mehr für das Uterus Cavum und 1 Meter 20%lge darunter in der Vagina verbrauchte. Hierauf stand die Blutung. Niedriglagern des Kopfes, Autotrans- fusion, Excitantien (Camphoraether und Whiskyinjectionen) und grosse Eingiessungen von warmem Wasser in den Darm *) brachten die Pa- tientin bald wieder zu sich.

Die Entfernung der Jodoformgaze geschah nach 4S Stunden und wurde der Tampon absolut geruchlos vorgefunden.

Die schuldige Nephritis dagegen schritt vor und Patientin erlag der- selben am 14. Tage.

An der Hand dieser einen persönlichen Erfahrung der Uterus-Tam- ponade kann ich dieselbe bestens empfehlen und würde gegebenen Falls mich viel rascher dazu entschliessen, als ich in diesem Falle that, ausserdem, wie von Dührssen empfohlen unter Fixirung des Uterus durch Kugelzangen hoch in der vorderen Lippe. Jodoformgaze sollte in keinem geburtshilflichen Besteck mehr fehlen, zumal auf dem Lande, wo Mangel an Assistenz oder Abwesenheit von Instrumenten z. B. bei Cervical- oder Scheidenrissen den Arzt oft in arge Verlegenheit bringen können.

*) Es ist mir neulich passirt, dass ich nach einer Nachblutung einen Collegen eine Schnapswasserinjection machen sah, bei welcher derselbe das Verhältniss ungefähr 1—4 stellte, worauf prompte Entleerung des Rectums natürlich sofort eintrat.

III.

Zur Pflege der Zähne.

Von

William Caille, D.D.S., New York.

Die Zahnheilkunde ist derjenige Zweig der allgemeinen Chirurgie, in welchem speciell in den Vereinigten Staaten sowohl in practischer als auch theoretischer Hinsicht schon seit einer Reihe von Jahren recht Tüchtiges geleistet worden ist, und man darf wohl mit Fug und Recht die Behauptung aufstellen, dass alle gebildeten Amerikaner über die Bedeutung der Zahncultur für die Erhaltung der Gesundheit im Allge- meinen gut unterrichtet sind. Das Gleiche gilt aber nicht für solche Eingewanderte, in deren Heimathland die Zahnheilkunde eine weniger hohe Stufe erreicht hat, und bei denen in Folge dessen der Pflege und Erhaltung der Kauwerkzeuge weniger Aufmerksamkeit geschenkt wird, als die Wichtigkeit des Gegenstandes erheischt. Es mögen daher einige Bemerkungen hier Platz finden, welche auf die Thatsache hinweisen, wie oft Gesundheitsstörungen durch den fehlerhaften Zustand der Zähne zu Stande kommen und unterhalten werden.

Wir wissen, dass das Zermalmen der Speisen (ein wesentlicher Factor bei der Ernährung des Körpers) beeinträchtigt wird, sobald der Kauapparat sich in schlechtem Zustande befindet. Es ist fer- ner bekannt, welche Bedeutung die Zähne für das Sprechen be- treffs der Deutlichkeit der Aussprache haben, und schliesslich sind in kosmetischer Beziehung gut erhaltene Zähne ein schätzbares Besitzthum, und dürfte es daher selbstverständlich sein, dass dem Vorbeugen der Zahncaries specielle Aufmerksamkeit zu widmen wäre, und dass für das Studium dieses Gegenstandes dieselbe Gründ- lichkeit nöthig wäre, wie für andere Specialfächer der Medicin.

Die Entwicklung der Zähne ist einer der interessantesten Vorgänge beim Wachsthum des Körpers. Die Milchzähne brechen beim Menschen in folgender Ordnung durch :

2 mittlere Schneidezähne zwischen dem 5. u. 8. Monat. 2 seitliche 7. u. 10.

2 Eck- oder Augenzähne ,, 12. u. 16. 2 vordere Mahlzähne 14. u. 20.

2 hintere 20. u. 36.

Die unteren Zähne kommen gewöhnlich einige Wochen vor den oberen zum Vorschein und werden gleich denselben benannt. Später brechen jedoch noch 4 weitere Mahlzähne durch, nämlich an jeder Seite

2B8

des oberen und unteren Kiefers je ein Zahn. Diese Zähne kommen zwischen dem 5. und 6. Jahre zum Vorschein, gehören aber nicht zu den Milchzähnen, werden jedoch meistens dafür angesehen und dement- sprechend vernachlässigt.

Wird bei einem Kinde einer dieser Zähne cariös, so geschieht von unwissenden Eltern Nichts für dessen Erhaltung, in der irrthümlichen Annahme der späteren Ersetzung durch den permanenten Nachwuchs. Es ist also besonders wichtig diese 4 Zähne, welche bei der Zerkleinerung der Speisen eine Hauptrolle spielen, genau zu beobachten und bei beginnender Eäulniss sofort plombiren zu lassen.

Die Milchzähne sind kleiner, weniger dicht und weniger haltbar als die permanenten Zähne. Bei den ersteren schreitet die etwa einge- tretene Fäulniss rascher vor als bei den letzteren, und da gut erhaltene Milchzähne bis zu einem gewissen Grade eine Bedingung abgeben für die normal zeitliche Eruption guter bleibender Zähne, so ist die Pflege der temporären Zähne von Bedeutung. Auch für das Verhüten sep- tischer Entzündungen der Mund- und Bachenhöhle (ulceröser und diphtherischer Natur) ist die Zahnpflege im Kindesalter von der aller- grössten Wichtigkeit, und ist in den letzten Jahren gerade von ärztlicher Seite mehrfach darauf hingewiesen worden, dass die in cariösen Zähnen befindlichen Fäulnissproducte höchst wahrscheinlich eine Autoinfection des Körpers herbeiführen sobald sich die benachbarte Schleimhaut in einem Zustand befindet, in welchem sie für die Aufnahme septischer Stoffe empfänglich ist (catarrhalische Hyperaemie).

Kinder müssen also zu regelmässiger Beinigung der Zähne ange- halten werden, um der Fäulniss derselben vorzubeugen und um die- selben in einem Zustand zu erhalten, in welchem das Kauen ohne Schmerz vor sich gehen kann, da die Kinder sonst die Speisen ungekaut verschlingen und in Folge dessen an Verdauungsbeschwerden zu leiden haben.

Sobald ein Kind sich daran gewöhnt hat, die Zähne nach jeder Mahl- zeit zu bürsten, wird es nach Tisch nicht behaglich fühlen ehe dies geschehen ist, und wenn trotz aller Pflege die Milchzähne faulen, oder die permanenten Zähne zum Vorschein kommen ehe die Wurzeln der temporären Zähne resorbirt sind, ist der Bath des Dentisten einzuholen. Das rasche Plombiren der Milchzähne mittelst einer leicht einführbaren Masse ist vollkommen rationell, und bei Kindern ohne grosse Schwierig- keit auszuführen, und bei Kindern welche über 2h Jahre alt sind, sollte der Mund regelmässig von Zeit zu Zeit untersucht werden.

Die Zahl der permanenten Zähne beträgt 32. In jeder Kinnlade entwickeln sich 12 Zähne, die nicht unter die Milchzähne gezählt werden können, nämlich : 8 kleine Backenzähne, und 4 sogenannte Weisheits- zähne.

Die früher erwähnten 4 Mahlzähne gehören zu dieser permanenten Beine. Jeder Zahn ist vor dem Durchbruch vollständig gebildet, doch hat das Email die Dichte und Festigkeit nicht, welche es später mit- unter erst nach Jahren erhält. In Folge dieser Thatsache wird eine

239

Zahncaries bald nach der Eruption des Zahnes schnellere Fortschritte machen, als in späterer Periode und desshalb muss in diesem Zeitpunkt den Zähnen die grösste Aufmerksamkeit und Pflege gewidmet werden. Die Wichtigkeit des Reinigens der Zähne, kann kaum überschätzt werden, doch gibt es wenige Menschen, welche die nöthige Zeit und Arbeit daran wenden. Das sorgfältige Reinigen verhindert die Bildung von Weinstein, dessen Ansatz directe Entzündung des Zahnfleisches hervorruft, und verhindert ferner das Festsetzen von Speiseresten, welche einer putriden Zersetzung anheim fallen, den Athem übel- riechend machen, und die Verdauung schädigen, vielleicht sogar ent- zündliche Vorgänge in der Magenschleimhaut hervorrufen.

Die Neigung zur Zahncaries ist bei verschiedenen Personen sehr ungleich, bei manchen werden die Zähne cariös sobald sie aus dem Zahnfleisch hervortreten, bei anderen tritt dies nicht ein, obgleich sie denselben Einflüssen ausgesetzt sind. Der Grund hierfür ist noch nicht klar, dennoch steht es fest, dass die Hauptursache der Zahnfäulniss in der Gährung und Zersetzung von Speiseresten zu suchen ist.

Andererseits ist es Thatsache, dass eine ganze Reihe gesunder Zähne dadurch zerstört werden kann, dass deren Stützer, die Alveolen und das Zahnfleisch, durch den Druck massenhaft angesetzten Wein- stein's zum Schwund gebracht werden.

Für die nöthige Reinhaltung der Zähne genügt zweimaliges Bürsten, früh am Morgen und Abends vor dem Schlafengehen. Die Reinigung des Mundes spät Abends ist wohl das Wichtigere, da während der Nacht die Zunge und die Kaumuskeln nicht in Thätigkeit sind, und somit gute Gelegenheit gegeben ist, in Folge des längeren Aufenthaltes von Speiseresten für die Zersetzung und Gährung solcher organischen Substanzen, welche in der Mundhöhle vorhanden sind.

Zum Bürsten der Zähne eignen sich Zahnseife, oder irgend ein fein gemahlenes käufliches Zahnpulver.

Die Zahnbürste darf nicht zu steif sein, da sonst das Zahnfleisch aufgerieben wird.

Da das Bürsten den Zweck hat, Speisereste zwischen den Schneide- zähnen und von der Mahlfläche der Backenzähne zu entfernen, so genügt das gewöhnliche horizontale Bürsten nicht, vielmehr sollte die Bürste in der Richtung von oben nach unten, und vice versa geführt werden. Zur Reinigung des Mundes nach Tisch genügt das Bürsten mit lauwarmen Wasser, ohne Zusatz von Zahnpulver.

Die Erhaltung der natürlichen Zähne liegt demnach fast für Jeden im Bereich der Möglichkeit, und bei der Wichtigkeit des Gegenstandes wäre es wünschenswerth die rationelle Zahnpflege durch Massen - belehrung in den Schulen populär zu machen, da eine diesbezügliche Anleitung im Hause bei unwissenden und nachlässigen Eltern nicht zu erwarten ist. Andererseits soll es nicht unerwähnt bleiben, dass die Aussicht auf einen künstlichen Kauapparat heutzutage nichts Ab- schreckendes darbietet, und vielfach die Nichtbeachtung der Zahnpflege wenn nicht entschuldigt, so doch erklärt. 43 Seventh Street.

IV.

Die Schulterdamm-Binde, eine Modifikation der

T-Binde.

Von

Dr. Geo. Degner,

New York.

Die Unbequemlichkeit der sogenannten T-Binde bei Verletzungen und Operationen in der Dammgegend, zumal wenn die Patienten ihren täglichen Geschäften nachgehen sollen, durch Kutschen und Nachgeben des Verbandes bei zu losem Anlegen oder durch zu festes xlnschnüren um die Taille hat mich zur Anwendung der hier beschriebenen kleinen Modifikation geltihrt, die ich seit ungefähr zwei Jahren in dergl. Fällen mit befriedigendem Erfolg, besonders nach Angabe der Pat. gebraucht habe. Um den alten Verband vom Herabgleiten zu bewahren, wurde der Taillentheil der T-Binde schon seit längerer Zeit durch Bindenzügel über die Schulter nach Art der Hosenträger gehalten : weit angenehmer und sicherer vertheilt sich der Druck für den Pat., wenn man ihn von der Dammgegend aus direct auf die Schultern überträgt. Ich lasse daher einen Streifen von ungebleichtem Muslin von ungefähr 2 Yards Länge und 8 10 Zoll Breite (die Maasse richten sich selbstverständlich nach Länge und Dicke der Pat., doch soll die Binde nicht zu schmal sein) von einem Ende der Länge nach in der Mitte bis zur Hälfte ein- reissen. Die beiden so entstandenen Streifen werden über die Schultern geschlagen, so dass die Enden an beiden Seiten bis etwas unter dem Nabel herunterhängen, während der Anfang des umgespaltenen Theiles der Binde in der Gegend der letzten Lendenwirbel zu liegen kommt. An dieser Stelle wird ein gewöhnlicher 2" bis 3" breiter und Yards langer Bindenstreifen von ungebleichtem Muslin mit ein Paar Sicherheitsnadeln in der Mitte so befestigt, dass die Hauptbinde beim Anziehen zu ihrer ganzen Breite ausgespreizt wird. Das ungespaltene Ende wird nun zwischen den Beinen durchgezogen, vorne zu seiner vollen Breite auseinander gefaltet, und unter genügendem Zug sowohl mit den von der Schulter herabhängenden Streifen, wie mit den Enden der Querbinde durch Sicherheitsnadeln befestigt. Bei schmalen und abfallenden Schultern kann man auch, um ein Abgleiten zu verhindern, die Schulterstreifen über der Brust kreuzen und mit dem Querstreifen an der entgegengesetzten Ecke des unteren Bindentheiles befestigen. Diese Binde kann sowohl auf blossem Leibe, wie auch über dem Unter-

241

hemd angelegt werden. Selbstredend kann man, vielleicht um ein genaueres Anpassen zu erzielen, durch Ausschneiden z. B. eines ellip- tischen centralen Stückes in der Dammgegend oder durch Verschmäle- rung der Schulterstreifen den Verband etwas ändern ich habe es bis jetzt noch nicht für nöthig befunden : wesentlich ist es, d-iss die Hauptbinde nicht zu schmal ist, und vorne wie hinten zu ihrer ganzen Breite ausgespannt wird, da sie dann dem Patienten am bequemsten sitzt und sich den Körperveränderungen bei Bewegungen am besten anpasst. Da die Spannung des Quergürtels nur das Auseinander- breiten der Kumpfbinde bezweckt, hat er für den Träger absolut nichts Behemmendes oder Einschnürendes, während ein etwa eingelegter Ver- band von den Schultern direct weit fester und sicherer gehalten wird, als von der Taille aus. Die Lösung des Verbandes, und ebenso seine Wiederanlegung behufs Defaecation etc., geschieht sehr leicht durch Abnahme resp. Wiederbefestigen der vorderen Nadeln. Die Herstel- lung ist einfach und billig, und ich hoffe, dass bei weiterer Anwendung auch in anderen Händen diese Modiflcation der T-Binde sich als eine Verbesserung derselben herausstellen möge.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Kedigirt von

Dr. A. SEIBERT.

Zur Aeliologie der Diphtherie.

Unter diesem Titel veröffentlicht T. Mitchell Prudden, der bekannte Pathologe New York's, eine experimentelle Studie (Amer. Journ. of the Med. Sciences, April and May 1889), welche schon desshalb beachtens- werth ist, weil derartige Abhandlungen hierzulande noch zu den Selten- heiten zu rechnen sind. Der Verfasser gibt erst in einem historischen Rückblick folgende Thatsaehen an : Die erste exacte Studie der Aetio- logie der Diphtherie verdanken wir Loeffler (1883), veröffentlicht im 2. Band der Mittheil, aus dem kaiserl. Gesundheitsamt, 1884. Die Mög- lichkeit exacter Studien verdanken wir wiederum den neueren bacterio- logischen Methoden Robert Koch's. Loeffler fand zweierlei Bacterien bei Diphtherie : 1) einen Ketten- oder Streptococcus, und 2) einen schlanken Bacillus. Der Streptococcus wurde von Loeffler weniger beachtet als der Bacillus, obgleich letzterer durchaus nicht in allen Fällen von D. gefunden wurde, und in den durch Impfung künstlich bei Thieren hervorgebrachten Pseudomembranen fehlte er stets. Die Impfung konnte nur auf verletzter Schleimhaut bewerkstelligt werden. Loeffler nimmt wie Klebs ganz verschiedene Formen der Diphtherie an. Auch Emmerich, Babes, Penzoldt, Frankel, D'Espine, v. Hoffmann und zuletzt Roux und Yersin haben durch bacteriologische Forschungen der Entstehung der D. näher zu treten gesucht. Emmerich hat den Streptococcus und Roux und Yersin haben den Bacillus von Loeffler häufig gefunden.

Prudden's eigene Untersuchung bestand nun darin, dass er den diphtherischen Belag und die erkrankte Schleimhaut von 24 an Diph- therie gestorbenen Kindern untersuchte, und die gefundenen Micro- organismen isolirte und durch Züchtung demonstrirte. In 22 Fällen fand nun P. den schon von Loeffler erwähnten Streptococcus, nicht allein als häufigste Bacterienart in der Pseudomembran, sondern auch als die einzige, welche in der dem Diphtheriebelag unterliegenden Gewebs- schicht gefunden wurde. Der Bacillus von Loeffler wurde in keinem Fall gefunden. Prudden nennt nun den Kettencoccus : Streptococcus Diphtheriae.

Versuche, mit dieser Coccenkultur bei Thieren Diphtherie künstlieh zu erzeugen, ergaben : Bei 8 Hühnern absolut negativ. Intravenöse

243

Einspritzungen bei 9 Kaninehen : negativ. Subcutane und intra- muskuläre Injectionen bei 10 Kaninchen ergaben : 7 Mal locale Ab- scesse und 3 negative Befunde. 12 aus 20 subcutanen Injectionen am Ohr ergaben erysipelatöse Entzündungen. Einreibungen der Schleimhaut der Trachea bei 6 Thieren hatten garkeinen Erfolg. Bei Einimpfungen der Schleimhäute des Mundes, des Larynx und der oberen Trachea von 17 Tauben zeigten sich 7 Mal pseusomembran-ähnliche Auflagerungen der Impfstellen, aber ohne jede Tendenz zum Weiterschreiten. Nahezu die Hälfte der Tauben starben, ohne Athemnoth an Schwäche.

Ferner fand Prudden den Streptococcus im Mund von 8 aus 25 unter- suchten Kindern, welche 8 Kinder alle inContact mit D. gewesen waren. Auch wurde der Coccus im Staub eines Zimmers gefunden.

Schwefeldämpfe tödten den Streptococcus nicht. Carbol und Subli- mat lieferten die bekannten Kesultate, wie sie vom Berliner Gesund- heitsamt schon vor Jahren angegeben wurden. Ein 17stündiger Aufenthalt der Coccen in einer Temperatur von 10° C. (14° F.) war nicht im Stande dieselben lebensunfähig zu machen.

Zum Schluss sagt Prudden : „Es ist ein Jammer, dass wir hierzu- lande heute noch beim Desinficiren der Zimmer den Mummenschanz des Schwefelbrennens durchmachen in der Meinung, dass es das Gift zerstöre. Dieses, ausser für Behänge und Möbel meist harmlose Ver- fahren, erinnert allerdings mehr an die früher, übelwollenden Gottheiten gebrachten, Bauchopfer als an die Intelligenz der Jetztzeit". Zum Schluss citirt P. zum Zweck des Desinflcirens der Wäsche und Bäume die im Jahre 1887 vom Reichsgesundheitsamt in Berlin veröffentlichten Vorschriften, welche er für maassgebend ansieht.

Ob nun der Streptococcus derjenige Pilz ist, welcher als die oder auch nur als häufigste Ursache der Diphtherie sich erweisen wird oder nicht, die Arbeit Prudden's hat eine hohe Bedeutung. Für Amerika selbst ist sie wohl die erste experimentell-bacteriologische Studie von Werth, und als solche haben wir alle Ursache auf dieselbe aufmerksam zu machen. Nun ist es Thatsache, dass der Streptococcus Prudden's der einzige Microorganismus ist, der in dem Gewebe gefunden wurde, welches unterhalb des Diphtheriebelages angrenzt. Sollte sich diese Angabe bestätigen, so müsste man diese Coccen als Hauptfactoren bei der Entstehung dieser Krankheit ansehen.

Ferner ist beachtenswerth, dass nach Prudden die Ansteckung nicht direct von Mund zu Mund so leicht, sondern viel häufiger durch einge- trockneten Auswurf im Staub der Zimmers, geschieht.

Dass selbst sehr niedrige Temperatur nicht im Stande ist die Coccen der Diphtherie zu tödten, thut uns herzlich leid, denn wir hatten von der Behandlung mit Kälte noch viel gehofft. Trotzdem aber muss die Wirksamkeit und das Wachsthum der Pilze behindert werden, denn Prudden sagt selbst : „Ihr Wachsthum ist meist langsam, wird aber bei 37° C. (98.6° F.) beschleunigt." Beschleunigt aber eine höhere Tempe- ratur das Wachsthum, so muss eine niedere dasselbe behindern, und desshalb halten wir auch unseren, im Februarheft der „Med. Monats-

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schrift" gemachten Vorschlag aufrecht, alle Diphtheriekranke in kalten Zimmern bei beständig offenen Fenstern zu behandeln.

Die Arbeit Prudden's empfiehlt sich selbst. Die Art seiner Dar- stellung ist kurz, genau und streng wissenschaftlich, seine Bericht- erstattung so streng fachlich, dass der Werth derselben sofort in die Augen springt. Wir sind überzeugt, dass diese Untersuchung Prudden's der amerikanischen Medicin im In- und Auslande Nutzen und Ehre einbringen wird.

Eine christliche Therapie der Epilepsie.

Man ist in ärztlichen Kreisen seit Jahrzehnten so sehr daran gewöhnt von Deutschland nur von Fortschritten in unserer Wissen- schaft zu hören, dass es fast befremdend wirkt zu erfahren, dass auch im Lande der Denker sich Nichtärzte als Heilkünstler mit einem Raf- finement breitmachen, welches z. B. den in diesem Welttheil (der Heimath des Humbug's) hie und da sporadisch auftretenden Faith-cure- Schwindel, weit in den Schatten stellt. Wenn sich in einer Stadt Iowa's die vor 30 Jahren noch gar nicht existirte, in einem Staate, dessen Cultur vor 40 Jahren in Blockhütten anfing, gelegentlich verzweifelnde Krebskranke und Schwindsüchtige durch Handauflegen und Beten behandeln lassen, nachdem weder die Zuckerpillchen der Homoeopathen, die Mixturen des Allopathen noch die theuren Tränke der Patentarznei- fabrikanten Nutzen brachten, so zuckt mancher wissenschaftliche Deutschländer bei solcher Kunde mitleidig herablassend die Achseln, und ist er gar mit dem, erst seit 1870 bekannten, Privatdocentendünkel behaftet, so heisst es wohl verächtlich : „Was kann aus Amerika Gutes kommen ?" Dem mit deutschländischen Verhältnissen der Praxis nicht Vertrauten muss nun derartiges Benehmen sehr imponiren, namentlich aber wenn derselbe von Kalamazoo oder Oshkosh auf deutsche Hoch- schule kam, um dort die ihm wohlbekannten Lücken seines Wissen's zu flicken ; wer aber die Thätigkeit der Schäfer im deutschen Reich kennt der weiss, dass sich dieselben nicht allein mit dem Hüten der Schafe befassen, sondern auch mit der Dummheit ihrer Mitmenschen, die sie ebenfalls (wohl in Folge ihres Berufes) sammt und sonders als Schafsköpfe betrachten und demgemäss auch behandeln. Es ist so ; in manchem Landdistrict des wissenschaftlichen Deutschlands hat der Schäfer grössere Praxis als der Kreisphysikus, und „die Frau die das Wasser besieht" wird nicht allein vom „dummen Bauernvolk", sondern selbst von wissenschaftlich angebildeten und selbst von wirklich Gebil- deten weit und breit consulirt. So ist es in Deutschland und so ist es hier. Der einzige Unterschied ist nur der, dass die Curpf uscherei dem Patienten in Amerika etwas theurer ist als drüben. Doch das nur nebenbei.

In dem „Media Correspondenz-Blatt des Württemberg, ärztlichen Landesverein's," April 2, 1889, finden wir einen Artikel mit obigem Titel.

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Es wird da berichtet, dass ein Pastor von Bodelschwingh eine gross- artige Colönie für Epileptische, Namens Bethel bei Bielefeld leitet, welche 900 Kranke enthält. „In hohem Grade aufopfernd, hochbegabt, erfüllt von Menschenliebe, von ausgesprochenem organisatorischen Talent, hat er (der Pastor von B.) sich nicht nur um die Fürsorge für Epileptische zweifellose Verdienste erworben" berichtet obiges Blatt. Dieser Herr Pastor hat nun einen „Christlichen Rathgeber für Epilep- tische" herausgegeben und wir bringen hier einige Citate aus dieser Schrift, die wir in obigem Artikel fanden. Pastor von B. unterscheidet 3 Formen von Epilepsie : 1) .Die auf dämonischen Einflüssen, sozusagen dämonischer Infection beruhende Epilepsie. 2) Die als Nervenkrankheit anzuseilende Epilepsie, und 3) verschiedene der Epilepsie ähnliche Anfälle, welche mit den Magennerven zusammenhängen /"

„Die vorwiegende und beständige Arbeit (der Behandlungen) liegt in der Seelenpflege, und darum ist die Kirche die berufene Pflegerin (soll wohl heissen „Heilkünstlerin" ! Red.) der Epileptischen."

Nach dem Verf. soll Elsternasche als Mittel gegen Epilepsie haupt- sächlich dann noch gewirkt haben, wenn dieselbe noch von dem alten Pastor Roller direct bezogen wurde. Auch das „Eselsblut", von der Familie Riedesel stammend, habe offenbar Vielen geholfen. Das ,.( orrespondenz-Blatt" sagt erklärend: „Wenn wir bedenken, dass Ii'1 orthodoxe Partei der protestantischen wie der katholischen Kirche schon jetzt die Anstalten für Epileptische und Idioten in Deutschland nahezu beherrscht, unter systematischer und erfolgreicher Zurück- drängung der wissenschaftlichen Medicin, so klingt es nicht so ganz ab- surd, wenn in den engeren Kreisen jener Partei als nächstes Ziel erscheint die Irrenpflege in klerikale Hände zu bringen." Das Bild, das unser Ge- währsmann von dem Pfuschen der Geistlichkeit in die Behandlung Nervenkranker in Deutschland entwirft, ist ein trübes. Das Schlimmste dabei ist aber, dass diese Richtung von den Machthabern begünstigt wird und somit können die Männer der Wissenschaft noch manchen Kampf mit diesen geistlichen Curpf uschern zu bestehen haben.

Dass Epileptische eine wissenschaftliche Behandlung nöthiger haben alseine geistliche, ist ebenso klar als der Blödsinn über die „dämonische Infection der Epilepsie" des Herrn Pastor von Bodelschwingh. Die Epilepsie ist eine Erkrankung des Körpers, ebenso wie Krämpfe der Kinder bei Verstopfung. Die Seele des Epileptischen ist dann am Besten ab, wenn dieselbe durch religiöse Uebungen und Betrachtungen so wenig wie möglich gestört wird. Also nicht wie der Herr Pastor will : Viel Seelenbehandlung und wenig Wissenschaft, sondern viel wissenschaftliche Behandlung und wenig religiöse Uebung.

Wie kommen so manche Geistliche dazu "priviligirte Curpfuscherei zu treiben? Warum andere wieder nicht? Wir denken so : Der wahre Seelsorger findet in seiner Thätigkeit mehr zu thun als er bewältigen kann und bedauert, dass er sich nicht verdoppeln kann. Wir kennen eine schöne Anzahl solcher Seelenärzte, die still und friedlich Jahr aus Jahr ein Gutes thun. Solche nun, welche diese entsagungsvollste aller

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Berufsarten ergriffen ohne in stillem Wirken Genüge zu finden, verlegen sich in ihren vielen Musestunden auf verschiedene Dinge : Politik, Gelderwerb und Curpfuscherei. Eitelkeit und Dünkel sind die mäch- tigsten Triebfedern zur Curpfusherei dieser Herren. Als Ansialtsvor- steher und Dämonenbändiger steht man doch ganz anders da, als wie als stiller Tröster der Betrübten, als unerschrockener Besucher Blattern- und Scharlachkranker, als stiller Assistent des behandelnden Arztes ! Wasserbeschauerinnen sind schlimm, rathgebende erfahrene Frauen, im Stillen practicirende Apotheker und Barbiere sind uns höchst unbe- haglich, aber curpfuschende Pastöre sind uns ausserordentlich zuwider, denn diese Herren haben ihren Beruf ganz und voll verfehlt und hätten von vorn herein Schäfer werden sollen. Darum : „Schuster bleib' bei deinem Leisten !"

Zur Wohnungsliygieiie.

Zwei Umstände wirken in den Wohnungen der Einwohner unserer Städte mit, um theils langsam aber sicher, theils durch plötzliche Infec- tion ihre Gesundheit zu schädigen : Mangelhafte Ventilation und die Teppiche der Fussböden.

An den Schuhen bringt der Ankömmling den Schmutz in die Stuben und in den dicken Teppichen häuft sich derselbe tagtäglich an. Beim Kehren wird der Schmutz dann der Atmosphäre gewaltsam beigemengt und dringt nun auf die Möbel, in die Vorhänge, auf die Fenster- und Thürenrahmen. Eine gute Portion des Schmutzes mit seinen Millio- nen von Pilsen und Coccen dringt in die untere Lage der Teppiche und lebt hier in brüderlicher Gemeinschaft mit dem eingetrockneten Aus- wurf Lungen- und Halskranker, kleinen Speiseresten u.s.w. Nun kommt das Frühjahr, die Hausfrau dekretirt das Aufnehmen der Teppiche und die Bewohner der Tenementhäuser reinigen dieselben nun selbst auf den Dächern. Die Wohlhabenderen schicken die schmutzigen Matten allerdings fort, aber trotzdem wird beim Reichen wie beim Armen eben durch das Hausreinigen alter Schmutz aufgestöbert, Diphtheriekeime, Tuberkelbacillen und Pneumococcen finden neue Nährboden und die Morbilitäts- und Mortalitätsstatistik weisen dann nach, dass der Wonnemonat Mai doch auch eine gefährliche „Witterung" habe.

Der Teppich sollte namentlich aus den Tenementhäusern verbannt worden. Lenoleum, eine vorzügliche Art Wachstuch, würde sich so- wohl ob seiner Dauerhaftigkeit, Undurchdringlichkeit und Billigkeit schon desswegen empfehlen, weil man durch Abwaschen mit Seifen- wasser allen Schmutz von seiner Oberfläche entfernen kann, ohne dass die verunreinigte Feuchtigkeit (wie bei den Holzböden) eindringen kann.

REFERATE.

Krankheiten der Athniungsorgane.

Referirt von Dr. Jos. W. Gleitsmanx.

Removal of a tuberculous Tumor of the Laryxx by Laryngo-pharyngo- tomy, with Demonstration of Cases. A. G. Gerster. (Medical Record, April 6, 1889.)

Gerster weist zunächst auf die Fortschritte in der Chirurgie hin, denen zufolge gegenwärtig im Gegensatz zu früheren Zeiten tuberculöse Tumoren, Gelenksaffectionen operirt werden und demonstrirt zuerst einen Patienten, den eine Castration und Kniegelenksresection von seinem kachektischen Zustande befreite, so dass er seine Arbeit wieder aufnehmen konnte. Von dem zweiten Patienten entfernte er durch aus- gedehnte Laryngopharyngotomie einen der seltenen tuberculösen Larynxtumoren und schloss später eine restiren de persistente Fistel durch eine glücklich verlaufende Operation mittelst Transplantation. Einem dritten Patienten wurde ein Fragment eines Fleischhackens durch Laryngotomie herausgenommen, und heilte die Wunde nach 6 Monaten nach Abstossung von kleinen Sequestern.

DYSPEPSIA AS REFLECTED IN THE MUCOUS MEMBRANE OF THE UPPER AlR-

Passages. Beverley Robinson. (N. Y. Medical Journal, Apr. 20, 1889.)

Ein sehr zeitgemässer Artikel, welcher die Aufmerksamkeit des Practikers sowohl wie des Specialisten, der leicht in den Fehler einer einseitigen Localtherapie verfällt, auf das gegenseitige Abhängigkeits- verhältniss solcher Affectionen lenkt. Schon bei Kindern spiegeln sich acute wie chronische Magencatarrhe im Halse, den Tonsillen und der Xase ab, und oft genügt eine einfache Restriction der Diät, um die Erscheinungen zum Schwinden zu bringen. Erwachsene, die sich wenig Bewegung machen können oder solche, die zu reichlich leben, wer- den ihre Halsbeschwerden nicht los, ehe sie ihre Lebensweise, ihre schlechten Gewohnheiten geändert haben. Dabei übersieht R. auch nicht, dass auch ein umgekehrtes Verhältniss stattfinden kann, und muss denn natürlich der Hals oder die Nase behandelt werden, ehe wir Besserung der Gesammtconstitution erwarten können.

Ueber ansteckende Formen von Lungenentzuendung. Fr. Mosler. (Deutsche medicinische Wochenschrift, 28. März 1889.)

Vier Erkrankungsfälle an Pneumonie, davon 3 mit lethalem Aus- gange. Zuerst starb der 60jährige Yater der Familie, an seinem Todes- tage erkrankte seine bisher kräftige 57jährige Frau und starb am 5. Tage der Krankheit. Vom Begräbniss des Vaters zurückkehrend klagte der nicht im elterlichen Hause wohnende Sohn von 30 Jahren über Frost und Stiche, und starb 12 Tage nachher, und schliesslich wurde die aus- wärts wohnende, am Todestage des Vaters im Elternhause ankommende 23jährige Tochter 3 Tage nach dem Begräbniss des Vaters von der Krankheit befallen. Der Sohn hielt sich stundenlang am Krankenbett der Eltern auf und die Tochter soll ihren im Sterben begriffenen Vater zu wiederholten Malen geküsst haben. Das Contagium scheint dadurch

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besonders begünstigt worden zu sein, dass sämmtliche Kranke ihre Sputa in Taschentücher entleert haben. Auch ist bei der Unbefangen- heit der Leute ein Gebrauch dieser letzteren von den Gesunden nicht ausgeschlossen. Die Section wurde bloss bei dem Sohne gestattet, und ergab mehrfache Haufen von Coccen, und ausserdem eine Bacterien- art, welche in die Gruppe der Kaninchensepticaemie- (Hühnercholera-, Taubendiphtherie- etc.) Bacterien hineingehört. In dem bei der Tochter mittelst Pravaz'scher Spritze gewonnenem Lungensaft war der Befund in Bezug auf Pneumoniecoccen sowohl wie Impf versuche damit nega- tiv. M. schliesst hieraus, sowie aus dem Unterschied zwischen dem Symptomencomplexes dieses Falles und desjenigen der typischen Pneumonie, dass hier eine Lungenentzündung sui generis, eine ganz eigenartige Form der Pneumonie, bestand.

Asthma und Geschlechtskrankheiten. A. Peyer, Berlin. (Berliner Klinik No. 9, p. 39, 1889.)

P. adoptirt Bruzelmann's Eintheilung des Asthma in 5 Gruppen, a) das nasale, b) das phargego-laryngeale, c) das bronchiale, d) das Intoxicationsasthma und e) das neurasthenische Asthma. Unter letzte- res reiht er auch das Asthma sexuale ein, mit welchem sich seine Schrift ausschliesslich beschäftigt. Er behauptet, dass wir in einer nicht geringen Anzahl von Asthmafällen sowohl beim männlichen wie weib- lichen Geschlechte sexuelle Erkrankungen finden, welche auf den Bah- nen des sympathischen Nervensystems diese Attaquen erzeugen. Er führt 16 Krankengeschichten als Belege seiner Ansichten an, von denen 11 Männer und 5 Frauen betreffen. Bei den ersteren fand er 9 Mal Spormatorrhoea, 2 Mal wurde der Urin nicht microscopisch untersucht, von den Frauen litt je 1 an Uterusfibroid, an Cervixcatarrh, an Leu- corrhde, an Induvation und an chronischer Endometritis. In den mei- sten Fällen war Abusus sexualis vorhergegangen und die Ursache des Asthma ; durch Behandlung des sexuellen Leidens wurde die grösste Mehrzahl der Patienten geheilt.

Home Health Resorts. J. M. Winfield. (N. Y. Medical Journal, Feb. 2, 1889.)

Nach einigen allgemeinen Bemerkungen über die Schwierigkeit Schwindsüchtige an die für sie best passenden Curorte zu senden und nach Aufzählung einiger wohl bekannten Orte, wird für diesen Zweck Brentwood in Long Island [41 Meilen von Long Island City, eine Station an der Hauptlinie nach Greenport. Ref.] empfohlen. Das dort errich- tete Hotel hat gute Drainage und Trinkwasser und liegt mitten in Fichtenwaldungen.

Alveolar Sarcoma of Tonsil. Wm. M. Gray. (Am. Journ. of Med. Sc. February, 1889.)

Tödtlich verlaufener Fall bei einem sechsjährigen Knaben, bei dem zum Zwecke der microscopischen Untersuchung ein Stück der Tonsille entfernt und dadurch die Diagnose bestätigt wurde. G. zählt 18 Fälle auf, die er in der Literatur gefunden.

Notes on a Case of nasal Caries, complicated with Meningitis, success-

FULLY TREATED BY MEANS OF THE SURGICaL DRILL. Wm, C. JARVIS.

(Medical Register, Feb. 2, 1889.)

Fall von tertiärer Syphilis der Nasenhöhle, der im Verlauf die seltene Complication mit meningealen Erscheinungen darbot und von einer Per- foration des harten Gaumens begleitet war. Die Behandlung war die landesübliche, und die nekrotischen Knochentheile wurden mit der electrischen Bohrmaschine entfernt.

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Intubation of the Larynx in Diphtheritic Croup. Dillon Brown. (Med. Eecord, March 9, 1889.)

Eine sorgfältige Analyse von 200 von dem Author operirten Fällen mit 27 Procent Genesung. Durchschnittsalter : 3 Jahre 5 Monate, der Gestorbenen : 3 Jahre 2 Monate ; der Genesenen : 4 Jahre 5 Monate ; durchschnittliche Lebensdauer nach Intubation in den tödtlich verlau- fenen Fällen : 2 Tage 33 Stunden ; bei den Genesenen lag die Canüle durchschnittlich 5 Tage und 10 Stunden im Larynx. Fünf Tabellen geben das Verhältniss der Genesungen zum Alter, zu den verschiedenen Monaten, zur Länge der Zeit des Bestehens von laryngealen sowohl wie pharyngealen Symptomen vor der Intubation, und die verschiedenen Todesursachen an. Den Schluss der fleissigen Arbeit bildet eine Tabelle von 2368 von Beobachtern der verschiedensten Länder operirten Fällen mit 27,3 Procent Genesungen.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Beferirt von Dr. Max Einhorn.

1. DlSTURBANCES OF THE ÜEART BhYTHM WITH BEFERENCE TO THEIrCaüSA-

tion and their Value in Diagnosis, by G. Baumgarten. (Transactions of the Association of American Physicians, September, 1888.)

B. theilt- die Anomalien im Rhythmus des Arterienpulses in fol- gende drei Gruppen ein :

1. Schwankungen in der Frequenz des Herzschlages, welche sich von Stunde zu Stunde, von Minute zu Minute oder selbst schon in halben Minuten vollziehen ; der Puls ist uneben, in der Regel verlangsamt, aber selbst durch geringe Ursachen zu grösserer Frequenz gebracht, der sogenannte „cephalisehe" Puls, wie er in der Meningitis und in anderen Hirnstörungen vorkommt. Die gewöhnlichste Ursache dieses Pulses ist eine Compression des Gehirns, dann localer Druck in der Gegend der Med ulla oblongata und Gehirnerschütterung.

2. Variationen in der Frequenz und Weite des Pulses entsprechend den Respirationsbewegungen u. z. der Art, dass die Pulsschläge während der Inspiration häufiger und kleiner sind, als während der Exspiration. Diese Störung kann so weit gehen, dass die Pulswelle während der Inspiration so klein ist, dass sie für den Finger unfühlbar wird. Die Ursachen dieser Pulsanomalie sind : mechanische Com- pression der Aorta während der Inspiration, so dass das Blut in die Arterien nur in geringer Menge gelangen kann ; dann der verstärkte Einfluss der Respiration auf die Herzcontraction, wie derselbe sich bei der Stenose der Luftwege und in der kapillären Bronchitis geltend machte (während der Inspiration ist die Herzcontraction eine schwache und es kommt daher wieder wenig Blut in die Arterien. E.) Dieser „Pulsus paradoxus" gilt als Zeichen der fibrösen Mediastinopericarditis, sobald er mit Anschwellung der Jugularvenen während jeder Inspira- tion einhergeht. B. traf öfter den Pulsus paradoxus bei schlafenden Kindern an, ohne dass irgend eine Störung vorlag.

3. Die dritte Gruppe umfasst alle anderen zahlreichen Verände- rungen im Rhythmus, so den intermittirenden und alternirenden Puls, den Rhythmus bigeminus und die vollständige Unregelmässigkeit. Alle diese Eigentümlichkeiten sind mit einander verwandt und sind durch zwei Factoren bedingt : 1. Schwäche oder Unterdrückung einer Herzsystole tritt in längeren oder kürzeren Zwischenräumen mit grösserer oder geringerer Regelmässigkeit ein ; 2. Verschiedenheiten in

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der Weite der einzelnen Pulsschläge, welche gleichfalls regelmässig oder ganz unregelmässig auftreten können. Die hierdurch bedingten Pulse sind :

a) Der intermittirende Puls : in unbestimmten Zwischenräumen erfolgt ein Herzstoss schwach oder fehlt ganz.

b) Pulsus alternans : Kräftige und schwache Systolen wechseln regelmässig mit einander ab.

c) Pulsus bigeminus : nach einer vollen Systole folgt eine kurze Diastole, dann eine kurze unvollständige Systole, dann wieder lange Diastole.

d) Der vollständig irreguläre Puls Arythmia oder Delirium cordis hervorgerufen durch Ungleichheit der Herzcontractionen, sowohl was Stärke als Zeit anlangt.

2. STRETCHIXG THE SPHINCTER ANI AS A METHOD OF CüRE IN OBSTINATE

Constipation, by C. Cleveland. (N. Y. Med. Kec, March 9th, 1889.)

Die bei Fissura ani übliche Dehnung des Sphincter, empfiehlt C. auch zur Heilung von lang bestehender Obstipatio alvi. C. hatte näm- lich bemerkt, dass bei einer Frau, bei der die Dehnung des Sphincter ani wegen einer Fissur vorgenommen wurde, nach der Operation eine zuvor bestehende hartnäckige Verstopfung vollkommen beseitigt wurde. C. führte später diese Operation bei zehn Frauen die keine Fissur hatten, aus und konnte constatiren, dass die Verstopfung durch die Operation beseitigt wurde.

3. Ein Fall geheilter Magendilatation. G. Klemperer. (Deutsch, med. Wochenschr., No. 9, 1889.)

Bei einer infolge Vergiftung mit concentrirter Salzsäure entstan- denen narbigen Pylorusstenose mit darauf folgender Ectasie des Magens wurde von Bardeleben die Heinecke-Mikulicy'sche Pyloro- plastic, welche in Längspaltung der Narbe mit darauf folgender Quer- vereinigung der Wundränder besteht, vorgenommen. Der Heilungs- verlauf war ein ausgezeichneter : Pat. nahm zu und lebte ohne Magen- beschwerden. Einige Monate später starb Pat. an Phthisis, welche Krankheit er schon vor der Operation hatte.

Die Section ergab nun, dass der früher dilatirt gewesene Magen nach der Operation zu seiner normalen Grösse zurückgekehrt war, dass also die Dilatation geheilt war.

4. Casuistische Beitraege zur retrograden Dilatation von Oesopha- gusstricturen, C. Hagenbach. (Correspondenz-Blatt für Schweizer Aerzte, No. 5, 1889.)

Bei zwei Patienten, bei denen infolge hochgradiger Stricturen des unteren Drittels des Oesophagus (in dem einen Falle handelte es sich um Krebs, in dem anderen um eine nach Schwefelsäurevergiftung ent- standene Narbe) von Socin die Gastrostomie vollzogen wurde, ver- suchte Hagenbach die Strictur vom Magen aus zu dilatireu. Der Modus procedendi bestand darin, dass Pat. zunächst eine Schrotkugel, welche an einem Seidenfaden hing, verschluckte ; der im Magen befind- liche Faden wird mit einer hakenförmig gekrümmten Sonde heraus- geholt und ein starker Seidenfaden daran befestigt ; hierauf werden die beiden aus Magenfistel und Mund heraushängenden Enden des Fadens zusammengebunden. An den Seidenfaden wird nun ausserhalb der Magenfistel eine dünne Sonde festgebunden und durch Fistel, Cardia und Oesophagus vermittelst des aus dem Munde heraushängenden Fadentheils nach oben hindurchgezogen. Auf diesem Wege gelang es H. viel leichter die Dilatation der Strictur zu bewerkstelligen, als durch

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die Sondirung vom Munde aus. Nachdem die Stricturen erweitert waren, wurden die Magenfisteln geschlossen, und beide Patienten konnten selbst Fleisch ohne Schwierigkeit hinunterschlucken.

5. Ueber Darmsaftgewinnung beim Menschen, J. Boas. (Centralbl. für klin. Medicin, No. 6, 1889.)

B. gibt eine Methode an Darmsaft beim Menschen zu gewinnen ; diese besteht darin, dass bei leerem (oder leer gemachtem und mit 1% Sodalösung ausgewaschenem) Magen den Schlauch einführt und expri- miren lässt ; der im Duodenum anwesende Saft (derselbe ist aus den Producten der Galle, des Pancreas und des Darmes zusammengesetzt) tritt leicht durch den angewandten Druck durch den Pylorus nach dem Magen über und wird so durch den Schlauch nach Aussen befördert. Falls bei der Expression kein Saft sich entleert, empfiehlt B. einige Minuten hindurch die Lebergegend zu massiren ; in den meisten Fällen gelang es auf diese Weise Darmsaft zu gewinnen. Dieses Secret reagirte alkalisch, verdaute Fibrin, verwandelte Stärke in Maltose und spaltete Fette.

6. Ueber die Anwendung der Pancreaspraeparate beim atrophischen Magencatarrh. N. Reichmann. (Deutsch, med. Wochenschr. No. 7, 1889.)

Bekanntlich ist die hauptsächlichste Störung dieser Krankheit eine bedeutende Verminderung oder selbst eine vollständige Vernich- tung der Magensaftsecretion. Die Peptonisation der Eiweisskörper findet so im Magen nicht statt. Da Salzsäure zu schnell vom Magen verschwindet, so sieht R. von der Darreichung von Pepsin plus Salz- säure ab, und empfiehlt statt dessen den Gebrauch der Pancreaspräpa- rate, weil letztere im atrophischen Magen günstige Bedingungen für die Entfaltung ihrer Wirksamkeit vorfinden. R. gibt 0,5 2,0 Pancreatin gleich nach dem Essen oder ein kleines Weingläschen von einem alko- holischen Pancreasextract. [Ich habe vor etwa 3 Monaten von dem- selben Gedanken ausgehend im Verein mit J. Rudisch einem Patienten mit Atrophie der Magenschleimhaut das Fairchild'sche Pancreatin ge- reicht und scheinbar mit gutem Erfolge. Ref.]

7. Ueber Bildung, Ansatz und Schwund des Koerperfettes. I. Münk. (Berl. klin. Wochenschr. No. 9, 1889.)

Gleich allen anderen Bestandteilen des Körpers wird auch das Fett stetig verbraucht und wieder ersetzt. Der Ersatz des zerstörten Körperfettes kann nicht nur durch das Fett, sondern auch durch das Eiweiss und die Kohlehydrate in der Nahrung vollwerthig beschafft werden. Diese drei Nährsubstanzen sind jedoch in Bezug auf die Ver- hütung des Fettverlustes einander nicht gleichwerthig ; d. h. ein Theil Eiweiss kann nicht einen Theil Fett ersetzen ; v. Liebig und Rubner haben gezeigt, dass erst solche Mengen einander gleichwerthig oder ,.isodynam" sind, welche bei der Verbrennung gleiche Mengen Wärme liefern ; 21 Theile Eiweiss sind 24 Theilen Kohlehydrate und 10 Theilen Fett äquivalent.

Nach Voit tritt eine Fettbildung beim ruhenden Menschen ein, sobald neben der genügenden Menge Eiweiss von 110 grm. pro Tag mehr als 260 grm. Fett (= 624 grm Kohlehydrate) oder mehr als 100 grm. Fett und 385 grm. Kohlehydrate eingeführt werden. Durch Arbeitsleistung wird der Fettverbrauch gesteigert, durch Schlaf herabgesetzt. Oertel hat gezeigt, dass auch die Wassereinfuhr in den Körper von Einfluss auf die Fettablagerung sei ; bei gesteigerter Wasserabgabe des Körpers tritt schneller Schwund des abgelagerten Fettes ein. Zur Behandlung

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der Fettsucht diente seit 25 Jahren die Banting-Harvey'sche Ent- fettungsmethode ; dieselbe besteht darin, dass Pat. ausschliesslich auf eine Eiweisskost gesetzt wird. Während wir nun den Fettschwund im Körper beschleunigen wollen, so müssen wir den Eiweissverlust des- selben sorglich verhüten, das geschieht nun durch das eingeführte Eiweiss und andererseits auf Kosten des Körperfettes ; allein in dem Maasse als der Mensch fettärmer wird, wird nunmehr die zur Deckung des Eiweissverlustes im Körper nöthige Eiweissmenge grösser werden. Jene grosse Eiweiss mengen, wie sie nöthig wären, werden jedoch in der Regel nicht gut vertragen. Aus diesem Grunde haben Ebstein und Oertel neue Entfettungsmethoden angegeben, welche etwas toleranter sind gegen Fett und Kohlehydrate. Ebstein gibt pro Tag: 105 grm. Eiweiss, 60 100 grm. Fett und 45 50 grm. Kohlehydrate. Oertel da- gegen : 156—170 grm. Eiweiss, 20—30 grm. Fett und 80 110 grm. Kohlehydrate. Münk tritt für die Oertel'sche Methode ein, weil Eb- stein erstens zu wTenig Eiweiss gibt, und weil zweitens die Zulassung von Kohlehydraten eher statthaft ist, als die des Fettes.

8. Ueber die Dyspepsie der Phthisiker. G. Klemperer. (Berl. klin. Wochenschr. No. 11, 1889.)

K. unterscheidet nach dem Vorgänge von Marfan eine initiale und eine terminale Dyspepsie bei der Phthisis. Bei der initialen Dyspepsie, welche zuweilen selbst der Phthisis vorausgeht, ist der Appetit launisch, bei der terminalen dagegen ist fast immer Appetitlosigkeit vorhanden. K. hat nun den Mageninhalt von 14 Phthisiker geprüft und fand, dass im initialen Stadium die Secretionsprodukte normal waren oder aber Hyperacidität, im terminalen Stadium dagegen war die Secretion bedeu- tend herabgesetzt. In der initialen Dyspepsie war ferner die motori- sche Thätigkeit des Magens (mit Olivenöl untersucht) herabgesetzt.

9. Untersuchung ueber die Magenfunction bei Phthisis Pulmonum tu- berculosa. F. Schetty. (Deutsch. Aren, f. klin. Med., Bd. 44, Heft 2, S. 219.)

Schetty hat 25 Fälle von Phthisis Pulmonum auf ihre Magenfunction hin untersucht, und kam zu folgenden Schlüssen :

1. Die Salzsäureproduction ist bei sämmtlichen untersuchten Fällen Morgens nicht vermindert, bei einzelnen sogar entschieden vermehrt (Hyperacidität). Es findet sich also zum Mindesten normaler Salzsäure- gehalt, sogar bei den vorgeschrittenen Fällen und denen mit morgend- lichem Fieber vor.

2. Die verdauende Fähigkeit des Mageninhalts auf Eiweiss ist in keinem Falle vernichtet.

3. Der Zeitablauf der Magenverdauung ist in den Nachmittags- und Abendstunden nicht verlangsamt, namentlich liess sich in diesen Fällen eine sogenannte motorische Insutticienz nicht nachweisen.

Schetty folgert aus seiner Untersuchung, dass die sogenannten gastrischen Störungen vieler Phthisiker, insbesondere die belegte Zunge, der perverse Geschmack im Munde, der Widerwille gegen Nahrungs- aufnahme, namentlich gegen Eiweisstoffe, das Gefühl von Vollsein im Epigastrium, durchaus nicht immer der Ausdruck einer eigentlichen durch Magencatarrh und verminderten Secretion bedingten Dyspepsie zu sein brauchen, sondern häufig in anderen hier nicht näher zu er- örternden Ursachen ihren Grund haben.

10. The Occurence and Mechanism of Physiological Heart Murmurs (Endocardial) in hkalthy Individuals. By Morton Prince. (Medical Record, April 20th 1889.)

Prince macht darauf aufmerksam, dass bei gesunden, kräftigen Leuten ohne irgend einen Herzfehler, nach einer gewissen Aufregung

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oder Anstrengung Geräusche am Herzen vorkommen können. Diese Geräusche sind systolischer Natur und an der Herzspitze zu hören ; sie haben mit der Respiration nichts zu thun und sind sonach von jenen bei tiefer Inspiration physiologisch vorkommenden Geräuschen zu unterscheiden. Die Geräusche verschwinden jedoch nach kurzer Zeit, sobald die Herzthätigkeit eine ruhigere geworden ist. Unter 76 Mann, welche sich vor Eintritt in die Feuerwehr untersuchen liessen, fand l'iince dieses physiologische systolische Mitralgeräusch bei 25 Perso- nen anwesend. Morton hält dieses Geräusch für ein regurgitirendes und erklärt den Umstand dadurch, dass er annimmt, dass die beim Schluss der Mitralkappe sich betheiligenden circulären Fasern des Herzens, welche eine Art Sphincter Mitralis bilden, bei einer durch nervösen Einfluss verstärkten saugenden Action des Herzens über- wunden werden, und so eine momentane Insuffizienz entsteht.

Allgemeine Pathologie und Therapie.

Referirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Ein Fall der sog. Weil'scher Infectionskrankheit. Brodowski und Dunin. (Deutsches Archiv f. kl. Med., 43. Bd., 5. H.)

Seitdem Weil 1886 die Aufmerksamkeit der Kliniker auf die neue Infectionskrankheit gerichtet hat sind bereits 31 Fälle publicirt worden. Sie scheint eine sehr gutartige Erkrankung zu sein, die durch einen eigenthümlichen Symptomencomplex : Milztumor, Icterus, Nephritis characterisirt ist.

B. und D. haben nun Gelegenheit gehabt, einen Sectionsbefund auf- zunehmen. Sie haben auch microscopisch und bacteriologisch das Wesen der Krankheit zu erforschen gesucht. Von den ihrem Aufsatze beigefügten Zeichnungen gibt die Leber das Bild einer kleinzelligen inter- (in geringerem Grade intra-) acinösen Infiltration. Nieren und Lungen zeigen ähnliche Verhältnisse. Ihre mit Milzpartikeln geimpfte Gelatine und Agar bleiben steril, aus den Lymphdrüsen konnten sie nur Staphylococcus albus züchten, was den Verdacht aufkommen lässt, dass die Herren die Technik derartiger Versuche wohl nicht ganz be- herrschen. Den von Aufrecht vorgeschlagenen Namen für die Krank- heit, Acute Parenchymatöse, verwerfen sie als zu allgemein.

Zur subcutanen Blutinjection nach der Ziemssen'schen Methode. Hermann Westphalen. (St. Petersburger Med. Wochenschrift.)

Verf. tritt für die Wirksamkeit der gen. Methode ein auf Grund einer vorzüglichen Krankengeschichte eines Falles von essentieller Anämie aus der Dorpater Policlinic von Dehio. Bei einem Manne, der so anämisch war, dass er im Cubikmillimeter nur 840.000 rothe Blutkörperchen hatte (bei zahlreichen Micro-, Macro- und Poikilocyten und Körner) fand man als einzige Ursache zahllose Bothriocephaluseier in denFaeces. Trotz- dem der Parasit auf die gewöhnliche Weise vollständig abgetrieben wurde, wurde die Anämie so bedrohlich, dass man eine subcutane Blut- transfusion machte von 150 Ccm. Blut aus der Mediana eines Studenten, und zwar auf die von Ziemssen vorgeschlagene Weise Quirler mit Glasstab, Filtriren der gröberen Fibrinflocken und in Portionen von 5 Ccm. in die beiden Oberschenkel subcutan eingespritzt ; darauf Ver- reiben in der Richtung des Lymphstroms bis zum vollständigen Ver- schwinden der Blutbeulen. Die Wirkung war eine vorzügliche. Die Anzahl der Blutkörperchen wuchs, ein Beweis, dass der Körper solche wieder producirte, auf 3,636,000 im Cmm. Eisen und andere Roborantien hatten nicht den geringsten Erfolg.

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Ueber circümscripte gitterfoermige Endarteritis. Von M. Litten. (Deutsche Med. Wochenschrift, No. 8, 1889.)

Nach einer einleitenden Uebersicht der allgemein angenommenen Lehren über Thrombose und Embolie stellt Litten eine neue Form der Arterienerkrankung auf Grund mehrerer Leichenbefunde auf. Der erste Fall, den er beobachtete, datirt aus dem Jahre 1875. Es war eine Embolie der Meseraica superior auf Grund der bekannten Erscheinung diagnosticirt worden. Merkwürdigerweise fand man bei der Section Herz, Lungen, Aorta vollständig normal und L. konnte sich die Ent- stehung einer Embolie nicht erklären. Zehn Cm. weit von ihrem Ursprung aus der Aorta fand er einen weissen, total obturirenden Pfropf, der fest an der Wandung haftete. Als er ihn vorsichtig ablöste, sah er eine gitterförmige Zeichnung auf der Arterie. In der Folge sah er noch zwei weitere Fälle, einen beinahe an derselben Stelle in der Mes. sup., den anderen in der linken A. fossae Sylvii. L. glaubt, dass es sich im Gegensatz zur Arteriosclerose primär um eine locale Alte- ration handelt, obwohl er keine Ursache angeben kann. An der ver- änderten Arterien stelle entsteht der Thrombus durch wandständige Agglutination der Leucocyten des kreisenden Blutes, die weiters ihren Kern verlieren und zu einer homogenen oder feinkörnigen Masse ver- schmelzen.

Chirurgie.

Keferirt von Dr. Willy Meyer.

COMPLETE OßSTRUCTION OF THE COLON, SUCCESSFULLY RELIEVED BY ÜSING

Senn's Plates. A proposed Substitute of Catgut Rings. Robert Abbe, New York. (N. Y. Med. Journ., March 23, 1889.)

60jähriger Mann mit intermittirenden Erscheinungen leichterer und schwerer Darmobstruction seit Mitte 1887, niemals Ileus. Anfang September 1888 neue Attaque. Aufnahme auf die innere Abtheilung des St. Luke's Hospitals ; Stuhl mit keinem Purgans zu erreichen. Nach 3 Wochen Verlegung auf die Chirurg. Station im Zustande grösster Er- schöpfung. Hier macht A. die Enterostomie am Caput coli unter Cocain. Entleerung gewaltiger Massen fester und flüssiger Faeces. Günstiger Verlauf. Nach 14 Tagen hat sich der künstliche After gut etablirt, täglich 2 Stühle bei trefflichem Appetit. Pat. erholt sich zu- sehends. Durch Injection grösserer Mengen warmer Milch p. anum natural, et praeternat. sucht man jetzt das Hinderniss zu localisiren. Es zeigt sich, dass 3 Quart durch den After eingespritzt werden können, ohne dass ein Tropfen an der Wunde ausläuft. Von letzterer Stelle aus fasst das Darmrohr nicht mehr als 14 Quart. Das Hinderniss sitzt dem- nach wahrscheinlich in der Nähe der flex. coli hepatic. Zur mög- lichsten Wiederherstellung freier Darmpassage wird nach gründlicher Vorbereitung am 14. November handbreit von der Mittellinie im rechten Hypochondrium der Bauchhöhle durch einen langen, senkrecht verlaufenden Schnitt eröffnet (der künstliche After war durch Jodof.- Gazebausch, Gummipapier und breiten Heftpflasterstreifen gedeckt.) Klein-Eigrosser Tumor, Carcinom, an der vermutheten Stelle, den ganzen Umfang des Dickdarms einnehmend, nach hinten fest fixirt. Da Radicaloperation ausser Frage : Colo-colostomie zwischen auf- steigendem Abschnitt des Dickdarms und Querdarms mit Hülfe der Senn'schen decalcinirten Knochenplatten. Incision im Darm beider- seits quer verlaufend, 1\" lang, ca. 4" von der Strictur entfernt. Coap- tation lässt Nichts zu wünschen übrig. 4 Lembert'sche Hülfsnähte

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sichern nach Senn's Vorschlag die aneinander gelagerten Theile. Keinigung, Reposition, Verschluss der Bauchwunde. Keine Reaction. Am 3. Tage p. oper. Abgang von Winden auf natürlichem Wege, am 8. Tage erster sehr geringer, am 10. voluminöserer Stuhl, allerdings noch kleinen Calibers. Auch dies besserte sich schnell. Am 14. Tage wird der künstliche After im Cap. coli mit Gaze etc., dauernd verstopft. Defäcation von nun an regelmässig p. rectum. Von den Platten wird trotz eifrigen Suchens in den Excrernenten Nichts gefunden, allerdings konnte ein sehr eitriger Stuhlgang nicht untersucht werden. Patient erholt sich stetig. [Es ist dies die zweite mit günstigem Ausgange ausgeführte Colo-colostomie, welche die Literatur aufweist. Siehe pag. 46, Heft 1, dieses Blattes. Ref.] 3 Monate später plötz- liches Auftreten unstillbarer, schmerzloser Diarrhoen, die den Pat. innerhalb 3 Wochen marastisch hinwegraffen. Bei der Section findet sich das Darmlumen mit der vom Carc. eingenommenen Parthie des Dickdarms verwachsen und 4" unterhalb des Pylorus perforirt. Alle Nahrung gelangte somit vom Magen direct in's Colon unter vollkom- menem Ausschluss des Dünndarms. An der künstlichen Anastamose waren die Fäden, welche die Knochenplatten gehalten, noch fixirt, von Letzeren aber Nichts mehr zu sehen. Da die Knochenplatten Senn's mühsam und zeitraubend herzustellen, auch die neutrale Oeffnung der grössten nicht über 1|" hinausgeht in 3 Thierexperimenten Senn's fand sich die Oeffnung durch Speisemassen, Haare, Knochenstücke fest verstopft suchte A. nach einem passenden, überall leicht und schnell zu beschaffenden Ersätze. Er glaubt denselben in ova- lären Ringen gefunden zu haben, die aus dickstem, in heissem Wasser geweichten Catgut gefertigt sind (4 parallel verlau- fende Längsfäden, von eng gelegten und fest angezogenen Kreis- touren quer umwickelt.) Diese Ringe können in wenigen Minuten in beliebiger Grösse hergestellt werden, sind resistent, flach, elastisch und natürlich leicht resorbirbar. Die grösten erfordern allerdings 6 Fäden zur Coaptation (bei Senn's nur 4) ; dies kann jedoch keinen Unterschied machen. Das Befestigen der Fäden an den Ring ist viel einfacher als bei den Senn'schen Platten. Sie werden sämmtlich senk- recht durch die Darmwand geführt und mit dem entsprechenden ebenso behandelten Faden des anderen Ringes geknüpft. Einige Lem- bert'sche Nähte sollten auch hier das feste Anliegen der Darmab- schnitte sichern. A. experimentirt a mit diesen Ringen 2 Mal an einem grossen Hunde mit bestem Erfolge. 9 Tage nach angelegter Anasto- mose waren die Ringe aufgelöst und verschwunden und 4 gute Zeich- nungen veranschaulichen die Hauptpunkte der interessanten Arbeit.

2. Nochmals die einzeitige Cholecystenterostomie. O. Kappeler, Münsterlingen. (Correspond. -Blatt für Schweizer Aerzte No. 4, 1889.) K. gibt in der Octobersitzung des ärztlichen Vereins in Münsterlin- gen unter Vorzeigen der Präparate, den Schluss der Krankengeschichte und den Obductionsbef und seines Anfangs Juli 1887 wegen ' vollständi- gen Choledochusverschlusses mit einzeitiger Cholecystenterostomie operirten und dadurch temporär völlig wiederhergestellten Pat. Aus jener ist hervorzuheben, dass der Kranke sich bis Ende Januar 1888 vollkommen wohl befand und als Fabrikheizer seiner früheren schwe- ren Arbeit wieder nachging. Von da ab fing er an zu kränkeln, magerte bald rapider ab und starb unter den Erscheinungen starker Magenectasie und Behinderung der Passage im Anfangstheile des Darms marastisch am 23. Sept. 1888, 14£ Monate nach ausgeführter Operation. Icterus war nie wieder eingetreten, und bei der Section fand sich als ursächliches Leiden ein Gänseei grosses Fibrocarcinom (Scirr- hus) des Pancreaskopfes, welches die Wandungen des Duct. choledoch.

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und das Duodenum an der Grenze seines mittleren und unteren Stückes bis zu deren Berührung comprimirte. Magen und Pars horizont. duo- den. superior, sowie der Duct. choledoch. und hepatie. hochgradig erwei- tert, Duct. cystices verlängert und gewunden. Gallenblase, mitsammt der Nahtstelle der Dünndarmschlinge durch mehrere Bindegewebs- stränge an die Bauch wand angelöthet und schlauchartig in die Länge gezogen, überragt den Leberrand um etwa 7 Cm. ; sie reitet auf dem Colon, ohne dasselbe zu comprimiren. Leber etwas verkleinert, normal. Die Gallenblasendarmfistel liegt etwa an der Grenze von mittlerem und unterem Drittel des Dünndarms. Eine von der eröffneten Gallenblase aus in den Darm eingeführte Sonde dringt ohne Widerstand ausnahms- los in den abführenden Schenkel ; umgekehrtes Vorschieben unmöglich. Ferner hatte sich, wie Versuche mit Eingiessen von Wasser bewiesen, „zwischen Gallenblase und Darm ein Ventilverschluss gebildet, der zwar den Austritt der Galle aus der Blase in den Darm jeder Zeit ge- stattete, oder den Austritt von Fäkelmassen aus dem Darm in die Blase verunmöglichte". Nur einige der in der Umgebung des Pan- creastumors gelegenen, retroperitonealen Lymphdrüsen sind bis zu Haselnussgrösse Carcinoma tös inflltrirt, sonst nirgendwo Metastasen !

Dieser Befund zeigt, dass die Neubildung nur durch Drucksymptome auf benachbarte Organe das Leben des Kranken direct bedrohte. Die erste Gefahr, die absolute Behinderung des Gallenabflusses war durch die künstliche Anastomosenbildung zwischen. Gallenblase und Dünn- darm glücklich beseitigt. Auch der zweiten, den lethalen Ausgang be- dingenden Folgeerscheinung, der absoluten Compressionsstenose der Pars vertical. duodeni hätte man erfolgreich entgegentreten können, wäre der Kranke auf die vorgeschlagene Gastroenterostomie eingegan- gen. — Verf. prophezeit dieser von ihm zum ersten Male einzeitig aus- geführten Operation eine fest gegründete Stelle in der operativen Chirurgie der Bauchorgane. Als sichere Indieation für dieselbe gilt ihm schon heute : Compression des D. choled. durch Geschwülste, nar- bige Strictur oder Knickung und Compression desselben durch Pseudo- membranen. Er glaubt, dass sie mit der Zeit auch der Cholecystomie und Gallensteinzertrümmerung bei Unwegsamkeit des D. choled. durch eingekeilte Steine erfolgreiche Concurrenz machen wird. Zum Schluss bespricht K. noch die Fistelanlegung zwischen Gallenblase und Anfangstheil des Duoden., welche bei einer Narbenstrictur des Choled. in Frage kommen könnte. Dieselbe ist, wie Leichenversuche ihn ge- lehrt, sehr wohl ausführbar, doch wesentlich schwieriger.

3. CONTRIBUTION TO THE SüRGERY OF CEREBRAL TüMORS. L. S. PlLCHER,

Brooklyn. (Annais of Surgery, Bd. IX, No. 3.)

Nach genauster Untersuchung und Beobachtung eines kräftigen, 33jährigen Mannes, der seit 5 Jahren an schweren, mit Bewusstseins- störungen einhergehenden Convulsionen und seit \ Jahr an heftigstem Stirnkopfschmerz leidet, macht P. im Nov. 1888 die Trepanation über dem Os. parietal, sin., genau entsprechend einer alten, von einer vor Jahren erlittenen Verletzung (fiel aus dem Wagen) herrührenden Narbe in der Kopfhaut. Die Hoffnung, den von zwei namhaften Neuro- logen sicher diagnosticirten, aber nicht localisirten Tumor hier zu finden und so die schon mehrfach bei derartigen Operationen gemachte Erfahrung bestätigt zu sehen, dass sich eine Geschwulst im Gehirn an der Stelle einer früheren Schädelverletzung entwickelt, wird nicht er- füllt. Vielmehr ist P., nach ausgiebiger Erweiterung der Lücke im Schädeldache schliesslich ovalärer Defect 3"=2£" und mehrfachen, oberflächlichen und tiefen, erfolglosen Punctionen mit seiner Nadel nach verschiedenen Bichtungen hin, gezwungen, die aus der Wunde stark vordrängende und auf keine Weise zu reponirende, normale und nicht

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pulsirende Gehirnmasse flach abzutragen und die Wunde zu sehliessen. 38 Stunden nach beendeter Operation stirbt Pat. unter den Erscheinun- gen der Atheminsufficienz. Bei der Section findet sich eine diffuse Geschwulst an der vorderen Hälfte der linken Grosshirnhemisphäre. Microscopische Diagnose: Gliom. Im subarachnoideal Räume der Basis links ein frisches Blutcoaguluni, dass sich in der Fossa Sytrii sin. hineinerstreckt, Pia mater sind diffus ecchymosirt. Wunde reactions- los. P. gedenkt der häufigen Entstehung von Gehirntumoren an der Stelle einer früher erlittenen Schädelverletzung, aber auch entfernt da- von dort, wo die Gehirnsubstanz durch die Erschütterung zerrissen war. Er erwähnt die Unmöglichkeit, in diesem Falle die Geschwulst, selbst wenn sie richtig blos gelegt wäre, radical zu exstirpiren und schliesst hieran eine kurze Uebersicht der von englischen und amerikanischen Autoren bisher operirten Hirngliomen. Ferner erinnert er an das Dunkel, welches bislang nach die Möglichkeit der Localisation einer Neubildung im Stirn- und Hinterhauptsl ippen des Grosshirns umgibt, auch an das Trügerische der für die Ortsbestimmung von Läsionen in den motorischen Centren (in der Nähe der Rolanda'schen Furche) als beweisend anerkannten Symptome. Mehrere einschlägige Fälle wer- den angeführt. Schliesslich bespricht Verf. wichtigere Erfahrungen Anderer und die von ihm selbst in diesem Falle gesammelten in Bezug auf die Technik bei der Operation, sowohl vor Eröffnung der harten Hirnhaut als auch nach Spaltung derselben beim Suchen nach dem Tumor, falls er sich nicht sofort in der Wunde präsentirt (Einzelheiten müssen im Original nachgelesen werden). Dringend warnt er. wie vor ihm schon Andere, vor tiefen Functionen mit feiner Nadel. Er führt den lethalen Ausgang in diesem Falle zum Theil zurück auf die durch dieselben entstandene und bis in die Foss. Sylv. reichende Blutung an der Gehirnbasis, wie die Section dies nachgewiesen. Man soll lieber mit feiner oder Hohlsonde exploriren. Erwähnenswerth ist noch der mit den 4 ausgesägten Knochenstücken gemachte und mit einem derselben geglückte Versuch des Wiederanheilens auf der Dura. Dieselben waren während der Operation in sterilisirtem Wasser von Körpertemperatur aufbewahrt. P. erhofft von der nahen Zukunft, den Versuch des Wiederanheilens der ganzen entfernten Kuochenstücke als fest stehen- den Satz in der Chirurgie des Gehirns aufgestellt zu sehen.

Gyiiaecologie.

Referirt von Dr. F. Krug.

Ueber die Lappen-D a:mmoperation. A. Martin. (Nach einem vor der Gesellschaft für Geburtsh. u. Gynaec. zu Berlin geh. Vortrag. Ber- liner klin. Wochenschrift, No. 6, 1889.)

Ueber die Technik der plastischen Operationen am Damm ist in der letzten Zeit sehr viel geschrieben und geredet worden. Es gibt fast ebenso viele neue Operationsmethoden, auf die der alte Ben Akiba'sche Spruch passt, als es Operateure gibt. Und doch lassen sich von allen Neuerungen, die seit Hegar bahnbrechend auf dem Gebiet der Damm- plastic vorangegangen ist, zu verzeichnen sind, hauptsächlich zwei Vor- schläge herausgreifen, die einen positiven Fortschritt markiren. Dies ist einmal die Einführung der fortlaufenden Catgutnaht durch Schroe- der und zweitens der Ersatz der Anfrischung, d. h. des Wegschneidens eines abpräparirten Hauttheil, durch die Lappenbildung, d. h. einfache Spaltung der vorhandenen Gewebsbrücken. Für die letztere Operation scheint Voss in Stockho/m die Priorität zuzukommen ; Tait, nachdem

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sie meistens benannt worden ist, schreibt sie neuerdings einem eng- lischen Collegen Collis zu. In Deutschland haben sich namentlich Zweifel und Sänger Verdienste um die Einführung derselben erworben.

Martin hat die Operation seit Ende 1888 29 Mal ausgeführt, anfangs genau nach der ursprünglichen Vorschrift, dann aber ersetzte er den Metalldraht und Silkwormgut durch das Juniperuscatgut in fortlau- fender Naht und hat durch diese Combination, wie Ref. glaubt, eine wesentliche Verbesserung eingeführt. Denn durch die fortlaufende Etagennaht kommen die Wundflächen in hinreichender Breite zu- sammen, so dass eine sehr dicke Basis des Septum rectovaginale gewonnen wird ; auch wird jede Spannung der Umgebung vermieden.

Martin operirt nur bei Fällen von Dammruptur, Descensus vaginae und hochgradiger Erschlaffung des Beckenbodens nach der Lappen- methode und gibt bei ausgebildetem Prolaps und Mastdarmscheiden- rissen der Hegar'schen Operation nach wie vor den Vorzug.

Jahresbericht ueber die Fortschritte auf dem Gebiete der Geburts- hilfe und Gynaecologie. Unter Mitwirkung von Ahlfeld, Bumm, Frommel, Hofmeier, Lochlein, Saenger, Schwarz, Stumpf, Veit, Wyder. (Herausgegeben von Richard Frommel. Wiesbaden 1888.)

Wir haben es hier mit einem Unternehmen zu thun, das einem in Fachkreisen längst gefühlten Bedürfniss abzuhelfen bestimmt ist. Der Zweck des Berichtes ist am besten mit des Herausgebers eigenen Worten ausgedrückt, nämlich „in stofflich geordneter Form die literari- schen Erzeugnisse eines einzelnen Jahres in möglichster Vollständigkeit aufzuführen und über den Inhalt der wichtigeren derselben zu ref eriren."

Seinem Ziel ist das Werk, das mit höchst anerkennungswerthem Fleiss und Ausdauer bearbeitet ist, schon gleich mit dem ersten Jahr- gang sehr nahe gekommen, und verspricht daher für die Zukunft allen Anforderungen völlig gerecht zu werden. Es ist zwar hauptsächlich für den Gynaecologen vom Fach bestimmt, doch wird es auch dem practischen Arzt, der über das eine oder das andere Capitel sich genauer informiren will, sehr bequem zum Nachschlagen sein.

Geburtshülfe.

Referirt von Dr. C. A. von Ramdohr.

A Contribution to the Physiology and Management of the third Stage of Labor, by F. Blume, Alleghany. (Pittsburgh Medical Review, März 1889.)

Verfasser plädirt an der Hand der neueren Untersuchungen über die Art und Weise der Lösung der Placenta für ein abwartend-actives Ver- fahren. Nach 15 30 Minuten sollte die Placenta gelöst unterhalb des Contractionsringes sein und nun vermittelst leichten Drucks auf den Fundus wird dieselbe zu Tage befördert.

Zur Desinfection des Genitalcanals. Dr. Steffeck, Giessen. (Central - blatt für Gyn. No. 14, 1889.)

Eine Polemic gegen Doederlein und Günther, deren Mollin-Creoliu Desinfection scharf angegriffen wird. Steffeck machte Culturproben und hatte unter 9 Versuchen vermittelst Mollineinreibung und 2% Creolineingiessung bei aufgetriebener Vagina den Genitalcanal keim- frei zu machen 7 Mal Misserfolg. Er bleibt desshalb bei Sublimat oder Z% Carbollösung, zumal auch Creolinpräparate nicht immer zuverlässig sein sollen.

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Geburtsverlaüe bei einer vor 4 Jahren nach traumatischer Uterus- rüptur Laparotomierten. Dr. Deutsch, Elbing. (Ibid.)

23jährige I. para, zeigt hochschwanger eine Anzahl Narben von denen die oberste 5 cm. unterhalb des Nabels lag. Starker Hänge- bauch. Jedenfalls hatten Adhaesionen zwischen Bauchwand und Uterus stattgefunden. Placenta sass an der vorderen sehr dünnen Wand. Wegen Blutung und erfolgloser Wehenthätigkeit wurde gewen- det und extrahirt: Wegen Atonie Uterustamponade. Genesung. 4 Tage später schienen die Adhaesionen theil weise gelöst.

WHAT IS THE NORMAL POSTURE FOR A PARTURIENT WOMAN ? Dr. A. F. A.

King, Washington. (Am. Journ. of Obstetrics, April 1889.)

1. Es gibt keine einzige für jeden Fall passende normale Lagerung der Kreissenden.

2. Dieselbe eingehaltene Positur vergeudet und erschlafft die Wehen schadet dem normalen Mechanismus und verlängert und verschlimmert die Leiden der Frau.

3. Gerade das Entgegengesetzte findet statt, wenn die Lagerung rich- tig verändert wird.

4. Anzeichen dafür sind : Instinctiver Wunsch der Frau, Nicht- vorsichgehen des Mechanismus, Nervosität.

5. Da der normale Geburtsmechanismus noch unvollständig ver- standen wird, und da der Einfluss, welche verschiedene Posituren auf jeden einzelnen Schritt ausüben, unbekannt ist, so ist ohne weiteres Studium die Auswahl gewisser Posituren unter gegebenen Umständen nicht feststellbar.

Physiologie.

Keferirt von Dr. S. J. Meltzer.

Beitraege zur Histologie und Physiologie der Buenndarmschleimhaut. R Hkidenhain. (Pflüger's Aren. f. Physiologie, Supplementheft, Bd. XLIII.)

Aus dem anatomischen Theile wollen wir folgende bemerkenswerthe, Angaben entnehmen. Während bei Pflanzenfressern das Epithel der Darmzotten an Mächtigkeit bedeutend stärker ist als das Stroma, ist letzteres bei Fleischfressern der Epithelschicht gleich oder gar stärker. Becherzellen finden sich auffällig häufig in der Umgebung der Peyer'- schen Follikel. Die resorbirenden Epithelzellen haben keine praeexisti- rende Membran, man findet sogar Brücken zwischen zwei benachbarten Zellen. Nur die in schleimiger Metamorphose begriffenen Becherzellen haben eine Membran. „Die Epithelzellen des Darmes sind befähigt, activ ihre Form zu ändern, aus ihrem Protoplasma an der freien Basal- seite Fortsätze von veränderlicher Länge und Dicke auszusenden und den diese Fortsätze tragenden Theil durch Abschnür ung frei werden zu lassen." H. lässt seine ältere Annahme, dass die Epithelien mit den Bindegewebszellen der Zotten in Verbindung stehen, fallen. Im Zotten- körper gelang die deutliche Darstellung des Endothelialbelages des Chylusraumes. Die im Stroma eingelagerten Wanderzellen und „Pliagocyten" dringen bis in die epitheliale Schicht vor und manchmal auch durch, dieselbe oft zerstörend.

Aus den Untersuchungen über den Resorptionsvorgang entnehmen wir, dass Wasser sowohl durch die Zellen als auch durch die Kitt- substanz dringt, die Aufnahme des Wassers geschieht unter gewöhn-

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liehen Verhältnissen nur von den Blutgefässen, nur bei starkem Füllungsdruck im Darme geht auch ein wenig in die Chylusgefässe über ; die Chylusflüssigkeit stammt gewöhnlich aus der in den Zotten gebildeten Lymphe. Aus verschiedenen Gründen kommt H. zu der bemerkenswerthen Ansicht, dass die Resorption kein Diffusionsvorgang ist, sie ist vielmehr an den Lebenszustand der Epithelzellen gebunden. Die im Wasser gelösten Körper (Zucker und viele Salze) verhalten sich gerade so wie Wasser. Von Peptonen glaubt H., dass sie in den Epi- thelien zu Ei weiss verwandelt und nachher gerade wie Wasser resorbirt werden. Fett wird nur durch die Epithelien aufgenommen und dann in den Chylusstrom übergeführt, ein Uebergang in den Blutstrom ist unwahrscheinlich. H. legt der oben erwähnten Bewegung der Zell- vorsätze für die Fettaufnahme (Thauhofer u. A.) nur wenig Bedeutung bei, ebenso schlägt H. die Bolle, welche Leucocyten bei der Kesorption spielen mögen, nur gering an.

BoLE DE LA HILE DANS LA DIGESTION DES QUAISSES. A. DASTRE. (Compt.

rend. CVI, 3.)

Während bei Versuchen ausserhalb des Körpers die Peptone durch Galle gefüllt werden, fand D., dass bei Einbringung von Galle in den Magen (vermittelst Schlundsonde oder Fistel) die Verdauung daselbst nicht behindert wird. Aus den Versuchen mit Darm- und Gallenfisteln gewann D. die Ansicht, dass sowohl der Pancreassaft als die Galle zur Verdauung von Fett nöthig sind, nur dient die Galle vorwiegend der Besorption, während der Pancreassaft die Spaltung der Fette bewirkt.

Ueber die histologische Structür der Duenndarmzotten und ueber Fettresorption. Uhlahik und Toth. (Nach einem Beferate von Thanhoffer im Centralbl. f. PhysioL, S. 253, 1888.) Die Fettresorption geschieht durch active Bewegung der Proto- plasiiiafortsätze der Epithelzellen der Zotten. Den streifigen Saum der Zellen bilden die aus dem Protoplasma der Zelle herausragenden Fort- sätze. Die Fortsätze befördern die zwischen sie gelangenden Fett- körnchen in das Protoplasma der Zelle. Die Fortsätze der Epithel- zellen sind, nachdem sfe durch die Basalmembran durchgetreten sind, mit sternförmigen, bindegewebskörperähnlichen Zellen und durch diese mit den centralen Chylusgefässen verbunden. Diese haben wahrschein- lieh durch Endothelzellen gebildete Wandungen. Die Becherzellen und farblosen Blutkörperchen haben keine besondere Bolle bei der Fett- resorption.

Ueber die Begeneration der Elemente der schlauchfoermigen Drue- sen und des Epithels des Magendarmcanals. G. Bizzozero. (Anat. Anz. III., 781.)

Die Mitosen, welche sich in den Magendrüsen und Lieberkülm'schen Krypten auch bei erwachsenen Thieren zahlreich finden, liefern den Ersatz für die auf den Zotten zugrunde gehenden Zellen, indem sie allmählig aus den Krypten in die Höhe rücken. Eine Beziehung zwischen ihnen und dem secretonischen Vorgang in den Krypten besteht nicht.

Kinderheilkunde.

Beferirt von Dr. A. Seibert.

Ueber einige seltenere Complicationen des Scharlachs. Von Dr. M. Loeb in Frankfurt a. M. (Aren. f. Kinderheilkunde, 10. Band, 3. u. 4. Heft, 1889.)

Verf. gibt die Krankengeschichte eines 6jährigen, zuvor gesunden aber neuropathisch etwas belasteten Mädchens, welches von einem durch

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hohes und lang andauerndes Fieber ausgezeichneten, von raseh vorüber- gehender Propeptonurie und von Diphtherie complicirten Scharlach befallen wurde. Am 15. Krankheitstage stellten sich bei vollständig aufgehobenem Bevvusstsein tetanieartige Krämpfe und Contracturen ein. Als dieselben allmählig nachliessen und verschwanden, trat (atac- tische) Aphasie auf, die einige Zeit anhielt. Fast gleichzeitig mit der Aphasie zeigten sich choreiforme Bewegungen an der linken oberen Ex- tremität und kurz darauf vollständige Ataxie derselben. Vollkommene Heilung.

Zur Therapie der Variola. Von Dr. Alex. Hartge in Dorpat. (St. Petersburg med. Woch. No. 2, 1889.)

In den Jahren 1887 1888 herrschte in Dorpat eine recht heftige Pockenepidemie und Verf. wurde die Leitung eines Isolirlazarethes übertragen. Verf. empfiehlt 2 Mal täglich warme Vollbäder (25—26° R.) und frühzeitige Einreibung der Haut mit Weidenbaum'scher Salbe (Ungt. einer. 20,0, Sapon 10,0 und Glycerin 4,0) nach jedem Bad. Inner- lich spricht sich H. energisch gegen alle antiseptischen Specifiea aus (Carbol, Salicyl, Thymol, Sublimat, Creosot Salol, etc.), aber reichlich Alcoholica, sonst symptomatisch.

Zum Wesen des Croups und der Diphtherie. Von den Docenten Drs. A. Kalisko und A. Paltauf in Wien. (Wien. klin. Woch., 21. Febr., 1889.)

Die Verfasser haben bis jetzt den Diphtheriebacillus Loefner's in circa 50 Fällen der verschiedenen Formen der Diphtherie im Rachen und der Nase, in begleitendem oder selbstständigem Croup des Larynx und der Trachea, bei D. und Croup, die als Complication zu Scarlatina, Morbillen und Typhus aufgetreten, bei Kindern und Erwachsenen und auch in einem Falle von D. der Conjunctiva constatirt ; bei der gewöhn- lichen, mit dem Scharlach einhergehenden, diphteritischen Angina, auch bei Morbillen wurden die Loeffler'schen Bacillen constant ver- misst. Ausserdem fanden sie aber auch stets andere pathogene Orga- nismen, besonders Ketten- und Traubencoccen. Die Bacillen finden sich nur auf der Oberfläche der Pseudomembran und der Schleimhaut, die Kettencoccen aber dringen in die Gewebe ein. Die Franzosen Roux und Tersin stellten den Loeffler'schen Bacillus ebenfalls in Reinkultu- ren aus 15 Fällen von D. dar. Experimentell konnten Loeffler und die französischen Forscher nur dann mit dem Bacillus an Thieren Diph- therie erzeugen, wenn eine Verletzung der Schleimhaut vorhergegangen war, und betrachten eine derartige Läsion beim Menschen ebenfalls als nothwendig. Kalisko und Paltauf sind anderer Meinung, und nehmen an, dass die Bacillen ein Toxin produciren, ,, unter dessen Einwirkung" dieselben in die Epithelien eindringen. Die Diphtherie und der Kehlkopfcroup, „Synanche contagiosa" ist eine locale Infectionskrank- heit, die zu einer Intoxication führt. Die vorkommende allgemeine Infection wird durch die Ketten- und Traubencoccen verursacht.

Ueber Nephritis bei acuten Infectionskrankheiten. Prof. Hagenbach, Basel. (Jahrb. f. Kinderheilkunde, 8. Febr. 1889.)

H. unterscheidet aetiologisch 3 Formen der parenehymat. Nephritis bei Kindern. 1. diejenige ohne bekannte Ursache, die sog. rheumatische, 2. die toxische Nephritis, durch chemische Stoffe oder Medicamente hervorgerufen und 3. die acute N. bei Infectionskrankheiten.

Im Verlauf von Scharlach ist Nephritis am häufigsten. In vielen Fällen findet sich Eiweiss im Harn im Blüthestadium, namentlich bei hohem Fieber. Aber nicht jeder Scharlachfall mit hohem Fieber be-

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dingt Eiweiss. Yon 12 Scharlachtodesfällen in der ersten Erkrankungs- woche fand Verf. bei der Autopsie 5 Mal Nephritis parenchymatosa, 1 Mal N. haemorrhagica und 4 Mal Nierenschwellung. Aus 81 Todes- fällen von Scharlach im Kinderhospital zu Basel fand sich 40 Mal N. parenchymatosa, 11 Mal N. haemorrhagica und 4 Mal bloss Nieren- schwellung. — Das meist erst in der 3. 5. Woche auftretende Erkran- ken der Nieren kann nicht durch Erkältung bedingt sein, eine genügende Erklärung existirt noch nicht.

Bei Diphtherie kommt N. häufig vor, hat aber nicht die Bedeutung wie bei Scharlach. H. fand bei 150 Sectionen von Diphtherie 52 Mal Nephritis. Albuminurie tritt meist im Anfang der Krankheit, am 4. 6. Tag, auf. Ist prognostisch ungünstig. Finden sich Epithel- und Hyalincylinder dabei, so muss parenchym. Nephritis diagnosticirt werden. In Basel zeigte 12,5% der D. Fälle Albuminurie.

Bei Masern spielt die N. eine unbedeutende Rolle, doch hat Thomas eine hinlängliche Anzahl von Fällen beschrieben. Hydrops, Anasarca und selbst Nierenblutung und tödtliche Uraemie kommen vor.

N. nach Varicellen ist von Henoch beschrieben ; 1 Fall aus 4 endete iethal. Verf. beschreibt ebenfalls 1 lethalen Fall, bei dem der Inhalt einiger Bläschen hämorrhagisch war.

N. kommt ausser bei acutem Rheumatismus, Pneumonie, Variola, Cholera asiatica, acutem und chron. Darmcatarrh der Kinder noch bei Typhus, Stomatitis ulcerosa, Rubeola, Parotitis epidemica und selbst bei Angina catarrhalis vor.

Die diaphoretische Behandlung wird am besten durch heisse Luft- bäder im Bett bewerkstelligt. Pilocarpin hat zu oft ungünstige Neben- wirkungen. Calomel als Drasticum ist sehr zu empfehlen. Die Diure- tica können oft mehr schaden als nützen. Von autiseptischen Mitteln wird Borsäure empfohlen.

Ueber die therapeutische Wirkung des Phenacetin und Thallin. Von F. Tripold. (Wien. klin. Wochen. No, 8. und 9, 1889.)

Nach mannigfaltigen Versuchen, die mit obigen Mitteln auf der pädiatr. Klinik des Prof. von Jaksch (in Gratz) an Kindern angestellt wurden (bei Tuberculose, Pneumonie. Pleuritis und Abdominaltyphus) kommt Verf. zu folgenden Schlüssen : Das Phenacetin entfaltet in Dosen von 0,1 0,4 bei Kindern eine kräftige antipyretische Wirkung. Der Temperaturabfall beträgt 1,2 Celsius, 2 Stunden nach Verabreichung des Mittels. Die erzielte Antipyrese steigert sich nach Ablauf von 2 Stunden noch weiter, hält an und ergibt einen Durehschnittswerth von 1,4 3,4° C. Als Antineuralgicum hat sich das P. bei hartnäckigem Husten, bei Kopfdruck und bei pleuritischen Schmerzen bewährt. Auf grosse lärmende Unruhe der Kinder scheint es keine Wirkung aus- zuüben. Als unangenehme Nebenwirkungen kamen gelegentlich Cya- nose, hochgradige Schweisssecretion und leichte Collapserscheinungen vor.

Die Einzeldosen des Thallin schwankten zwischen 0,035 u. 0,3. Die Temperatur wurde um 1,1 3,5° C. herabgesetzt. Die Dauer der Wir- kung ist kürzer als bei Phenacetin, die Nebenwirkungen sind dieselben.

Stomach-Washing in Infants. By A. Seibert, M.D. Archives of Pe- diatrics, April 1889. (Vorgetragen in der paediatrischen Section der New York Academy of Medicine, Nov. 1888.)

Verfasser referirt zuerst über die Erfolge 'von Epstein, Escherich und anderen Kinderärzten bei dieser Behandlung. Die Erfolge des Verf. selbst sind sehr günstige. In 12 Fällen von Dyspepsie wurde mittelst der Magenausspülung die Heilung sehr leicht herbeigeführt. Von 29

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Kindern, welche an schwerer Kindercholera litten, starben 4, aus deren Symptomen man bei Beginn der Behandlung schon auf Gehirnoedem schliessen konnte. Die Heilung der 25 erfolgte sehr prompt. Bei chro- nischem Catarrh des Verdauungscanais hat S. in 52 Fällen jedes Mal Heilung erzielt. Verf. benutzt nur abgekochtes Wasser und hält alle beigemengten Medicamente namentlich bei Cholera infantum für schädlich. Bei dieser Erkrankung füllt S. den Magen der collabirten Kinder ganz voU Wasser, so, dass die Entleerung restirender Schädlich- keiten durch Erbrechen so schnell wie möglich erfolgt. Die Erfahrun- gen des Verf. lassen diese mechanische Behandlung des erkrankten kindlichen Digestionsapparates als sehr leicht, einfach und erfolgreich erscheinen.

Correspondenz.

(Für die „Medictnische Monatsschrift".)

ÜSUM AB ANTIQUITATE REPETITUM MUT ARE DURUM EST. KEI GRAVITAS ME C0GIT TALIA MOLIRI.

Das Werden und Wachsen des Deutschen Hospitals ist von der ge- sammten deutschen Bevölkerung New York's mit Freuden begrüsst und jeder Zeit nach besten Kräften unterstützt worden. Es ist so recht eine Herzensangelegenheit der Deutschen geworden, nicht allein der Lai m, sondern auch der deutschen Aerzte der Stadt , dass die Anstalt blühe und gedeihe.

Bedürfe dies noch des Beweises, so wäre derselbe durch die wahrhaft glänzenden Kesultate der letzten „Fair" zu Gunsten des Deutschen Hospitals geliefert, denn dieselben sind doch wohl nur durch die rege Betheiligung Aller möglich geworden.

Die ärztliche Behandlung der Kranken im Hospital ist bis jetzt aus- schliesslich von solchen Collegen besorgt worden, welche im Deutschen Dispensary mehr minder lange gearbeitet hatten, und, nachdem sie Mitglieder des Vereins der Aerzte des Deutschen Dispensary geworden, von dem Collegium der Aerzte des Deutschen Hospitals zu Spitalärzten vorgeschlagen und erwählt wurden.

Dem Kreise von deutschen Aerzten, welche vor ca. 30 Jahren das Deutsche Dispensary gegründet und sich später um die Entstehung des Deutschen Hospitals sehr verdient gemacht haben, musste natürlich die Besetzung der ärztlichen Stellen am Spitale anheimfallen. Dass es den Herren bei der Erfüllung dieser Aufgabe niemals in den Sinn gekommen ist, auf die grosse Zahl der deutschen Aerzte, welche ausserhalb ihres Verbandes stehend in New York practiciren, Kücksicht zu nehmen, ist sicherlich wahr. Der oben angeführte Wahlmodus war ebenso ange- nehm als bequem, und dass das Hospital dabei zu kurz gekommen wäre, müsste erst nachgewiesen werden. Nun ist aber das Deutsche Hospital aus dem kleinen Bahmen seines Entstehens herausgewachsen, es gehört der Allgemeinheit an, und eine Aenderung in der bis jetzt geübten Art der Stellenbesetzung scheint mir ganz entschieden ange- zeigt.

Ich halte dafür, dass unter der grossen Zahl von deutschen Aerzten, welche nicht das Glück gehabt haben, am Deutschen Dispen- sary zu arbeiten, gar manche tüchtige Collegen sich befinden, welche bei gelegentlichen Vacanzen am Deutschen Hospital in Vorschlag gebracht werden könnten und sollten. Die Zeit ist reif, denke ich, für eine diesbezügliche Aenderung in den Statuten des Collegiums der deutschen Spitalärzte, und gebe ich mich der Hoffnung hin, dass eine Aenderung in diesem Sinne recht bald gemacht werde, ohne dass

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weitere Agitationen nothwendig würden. Mögen diese Worte Früchte tragen, welche dem Ganzen zu gute kommen uad Ueberzeugungen gerecht werden, die nicht nur von mir sondern von manchen anderen hiesigen Collegen seit Jahren gehegt werden.

25 West 46. St.

De. Leonard Weber.

Wissenschaftliche Zusammenkunft deutscher Aerzte in

New York.

(110 West 34. Strasse.) Sitzung vom 23. Februar.

Präsidium : Scharlau.

Vorstellung von Patienten.

S e e s s e 1 demonstrirt einen Fall von totaler und completer Lähmung sämmtlicher vom Plexus brachialis ver- sorgten Muskel, welche eine Woche nach Ablauf eines Typhus- recidivs auftrat. Der Temperatursinn ist herabgesetzt, die Keflexe sind aufgehoben. Es besteht tactile Anästhesie. Untersuchung mit dem Strome ergibt exquisite degenerative Keaction. Microscopischer Be- fand: Muskel normal bis auf kleinere Fetttropfen. Gröbere Nerven- stämme auch normal. An den kleineren Nervenstämmen ist das Mark oft fein granulirt, in Segmenten zerfallen, die Bindegewebscheiden stark vermehrt und verdickt. An der Nervenendplatte ist der End- hügel vollständig verschwunden. Bacillen waren nicht nachzuweisen. Es liegt also eine multiple Neuritis der feineren Stämmchen und End- platten vor.

Pathologische Präparate.

Krug legt einen „Pyosalpinx" vor. Derselbe wurde im Deutschen Hospitale einer 22jährigen Frau entnommen, welche seit 3 Jahren verheirathet und gonorrhoisch inflcirt ist. Seit der Geburt ihres jetzt 2 Jahre alten Kindes litt Patientin an lief tigen Schmerzen, kurz vor oder nach den Menses, später constant, auf der linken Seite. Coccen wurden in dem Eiter nicht gefunden.

Willy Meyer legt einen gangränösen Processus vermiformis vor, welcher aus einem perityphlitischen Abscesse gezogen wurde.

Adler legt ein SarcomderPia Mater vor. Dasselbe stammt von einem 29 J. alten, im Deutschen Hospitale verstorbenen Manne, welcher 1| Jahr nach syphilitischer Infection an starken occipitalen Kopf- schmerzen zu leiden anfing. Dieselben traten erst Nachts, dann auch Tags auf. Der linke Facialis und Trigeminus wurden betroffen. Pai'ästhesien, klonische Zuckungen, schleppender Gang. Verfall der Seh- kraft bis zur absoluten Blindheit bei ausgesprochner Entzündung des Sehnervenkopfes. Apathie. Exitus.

Die Autopsie ergibt einen etwa wallnussgrosser Tumor an der Basis Cerebri, dicht unter der Pons.

Adler legt 3 Microphotographien von einem Schnitte dieses Tumors vor, schwächere, mittlere und stärkere Vergrösser ungen, welche er mittelst eines äusserst einfachen senkrecht gestellten Appa- rates und einer gewöhnlichen Petroleumlampe, auf Clymer's Dry-Plates No. 35 50 gewonnen. Heliostaten und grössere Dunkelzimmer seien entbehrlich. Die Schnitte müssen aber sehr dünn sein ; zum Färben

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brauche man Hämatoxylin, auch Eosin. Exponirt wird bei den schwäch- sten Systemen 2 3 Secunden, bei den stärksten 3 4 Minuten.

Scharlau legt das Präparat von einer Tubenschwanger- schaft vor und zwar einen rechtseitigen rupturirten, einen Foetus enthaltenden, Tubensack. Die zum 2. Male verheirathete Patientin men- struirte zum letzten Male im December. Am 20. Januar traten Unter- leibsschmerzen, später Ausfluss aus den Genitalien auf. Erst am 27. wurde Redner zugezogen ; fand aber die Pat. in extremis und sah von Operation ab.

A. J a c o b i legt einen Exomphalos vor. Derselbe ist das Pro- duet einer zweiten Schwangerschaft. Die erste Schwangerschaft brachte eine Mole hervor.

Exomphalos habe mit Hemmungsbildungen an den anderen Theilen des Körpers Nichts zu thun. Die Brüche können sehr gross sein, von Bauchhaut nicht bedeckt. Vielleicht bedingt durch Mangel an Bildungs- material in der Haut. In einem Falle sah Jacobi die Eingeweide in fast normaler Lage, nur von Peritonaeum bedeckt. Der Foetus lebte 3 Tage. Die Eingeweide werden in der Nabelschnur festgehalten, dadurch, dass der Ductus omphalo-mesentericus nicht zur rechten Zeit reisst. Derselbe bleibt am Darme hängen und hält denselben in der Nabelschnur zurück. Reisst er bald darauf, so bildet sich zwar der Nabel, doch findet man in demselben brandige Eingeweidetheile. Die Verkrümmungen der Wirbelsäule können bei Exomphalos so bedeutend sein, dass die unteren Extremitäten von den Schultern auszugehen scheinen.

Discussion.

Adler entfernte operativ ein 10 cm. langes Stück des Ductus, in einem Falle, in welchem ausser einer grossen Narbe keine Abnormität sich vorfand.

Scharlau beobachtete 3 Fälle v> n Exomphalos. In einem Falle existirte keine Nabelschnur, das Amnion ging direet in die Plaeenta über. Bei allen Dreien hochgradige Verkrümmung, Querlage und Stillgeburt.

Krug legt ein kleines menschliches Ei vor. Dasselbe, etwa 10 Tage alt, entstammte einem Abortus.

Mittheilungen aus der Praxis.

A. Jacobi. Bei einem 14jährigen, seit 3 Jahren menstruirten, Mädchen, welches als nervös galt, aber stets gesund gewesen sein wollte, bei welcher in specie nie Rheumatismus beobachtet worden war, trat temporäre rechtseitige Hemiparese und amnestische Aphasie, sowie Agiaphie auf. Nach 18 Tagen klagte Pat. über Beschwerden in der Herzgegend. Es wurde ein diastolisches Mitralgeräusch mit bedeu- tender Hypertrophie constatirt. Anamnestisch wurde dann festgestellt, dass Pat. häufig an Nasenbluten gelitten, nie im Stande gewesen schnell zu laufen, oder schnell Treppen zu steigen. Vor 3 Wochen war eine rechte Zehe, 10 Tage lang leicht gesehwollen. Das linke Fussgelenk ist jetzt noch geschwollen. Es handelt sich wieder um ein Endocarditis nach leichtestem Gelenksrheümatismus.

Schluss und Vertagung.

Edward Fridenberg,

Schriftführer.

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Sitzung vom 29. März.

Präsidium : Krug.

Vorstellung von Patienten.

Koller stellt einen Patienten mit Gumma des Thränen- beines vor.

Discussion.

Fridenberg hält den Fall für eine Thränensackaffection, wahr- scheinlich Ketentionsgesch wulst, da der Tumor gerade in der Höhe eines nach oben ausgedehnten Saccus lachrymalis liegt, und bei der Palpation man das Gefühl von mehreren verschiebbaren Körpern in einer strammgefüllten Cyste erhält. Eine absolute Diagnose lasse sich erst aus den Eesultaten der Therapie folgern.

A. Jacobi. Gumma an dieser Stelle ist äusserst selten. Eine einfache auflagernde Periostitis macht keinen so deutlich palpablen Tumor. Die Geschwulst ist wohl eine Entzündungsgeschwulst nach Haematom oder eine Thränensackaffection.

Schap ringe r. Wenn Thränenträ ufern vorhanden ist, spricht es für, wenn nicht gegen ein Thränensackleiden.

Pathologische Präparate.

Goldenberg demonstrirt eine Milz mit embolischen Inf arcten. Krankengeschichte: Pat. 64 J. alt, wurde mir am 8. Januar d. J. von einem befreundeten Collegen wegen einer Hautaffection zugewiesen. Er war etwa 5 Wochen vorher an Husten und Heiserkeit erkrankt, zu denen sich nach 12 WTochen eine Schwellung über den Knöcheln gesellte. Dabei litt Pat. an Constipation. Die Anschwellung der Füsse und Schmerzhaftigkeit in verschiedenen Gelenken war als eine rheumatische Affection aufgefasst, und dementsprechend wurde dem Pat. Natr. salicyl verordnet. Nach Genuss von etwa 3 iv der Mixtur fühlte der Pat. Morgens beim Aufwachen zu seinem grossen Er- staunen ein hochgradiges Brennen im Gesicht, und bemerkte unter beiden Augen 2 Knötchen, die sich bald vergrösserten, zu denen sich im Laufe der folgenden Stunden eine grosse Reihe neuer Knötchen hinzu- gesellten, die sich alle in kurzer Zeit in Blasen umwandelten. Als ich den Pat. am 8. Januar sah, bot er ein geradezu erschreckendes Aus- sehen dar. Da ich über die Hauterkrankung nach der Beendigung der microscopischen Untersuchung an anderer Stelle berichten werde, will ich hier nur erwähnen, dass die Affection im Gesichte auf beiden Seiten genau symmetrisch war, wie Ihnen die beifolgende Photographie zeigen wird.

Die ursprünglichen Knötchen waren theilweise derbe grosse Infil- trate geworden, über denen sich die Epidermis zu grösseren Eiterblasen erhoben hat. Die Pusteln erreichen an 2 symmetrischen Stellen des Gesichtes die Grösse eines Borsdorfer Apfels und ragen über das Haut- niveau in gleicher Grösse empor. Nach Entleerung der einzelnen Pusteln gleichen die Infiltrate einem Honigwabenneste. Auch am Handrücken, ebenfalls an beiden Seiten symmetrisch, findet sich die gleiche Eruption. Das Allgemeinbefinden des Pat. war dabei ein recht gutes, er meint er fühle sich bedeutend besser, seitdem der Ausschlag herausgekommen sei. Temperatur normal. Harnmenge vermindert, enthält Albumen. Eiweissgehalt nach Eschbach bestimmt, 2%. Speci- fisches Gewicht 1,011.

Die Affection erinnerte mich sehr an eine ähnliche Eruption, die ich nach längerem Gebrauche von Bromkali gesehen hatte, als auch an eine nach dem Genüsse von Jodkali beobachtete.

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Ich fasste also die schwere Hauterkrankung als ein Arzneiexanthem auf und dachte, da nach Natr. salicyl keine ähnliche Eruption beobachtet war, die Arznei könne möglicherweise doch vielleicht Jodkali oder Bromkali enthalten. Eine genaue chemische Untersuchung zeigte, dass diese Vermuthung falsch war, und so zog ich, wie wohl die Mehrzahl gethan haben würde, dem „post hoc ergo propter hoc" gemäss den Schluss, dass es sich um ein Salicylsäureexanthem handle. Als solches wurde der Fall von einer Anzahl Dermatologen gesehen und unter Aus- schluss der etwa noch in Betracht kommenden anderen Hauterkran- kungen als ein Natr. Salicylexanthem aufgefasst. Die Eruption bildete sich im Laufe der darauffolgenden Woche ohne jegliche Behandlung zurück und heilte mit Hinterlassung beträchtlicher pigmentreicher Narbenbildung. Dabei blieb der Albumengehalt des Urines bis zum Tode des Pat. unverändert.

Um sicher zu sein, dass wirklich das Natr. Salicyl die Eruption her- vorgerufen, gab ich dem Pat. in den nächsten 5 Wochen, Natr. Salicyl in Dosen von 3 gr. pro die, ohne irgendwie eine Hauteruption hervor- rufen zu können. Wiewohl Jodkali in der Medicin, die ich untersucht, auszuschliessen war, gab ich dem Pat. doch Jodkali ebenfalls ohne Re- sultat. Um diese Zeit las ich in einer med. Zeitschrift, dass von Prof. Litten in Berlin ein Pat. mit Rhabarberexanthem vorgestellt wurde, der schwere Pemphigusartige Hauterscheinungen zeigte. Das Exanthem, wie es beschrieben wurde und die Krankengeschichte glichen sehr denen meines Pat. und auf meine Frage ob er nicht etwa Rhabarber kurz vor Ausbruch des Exanthemes eingenommen hatte, wurde mir die Antwort gegeben, dass er der schweren Constipation wegen, der ich schon vorher Erwähnung that, nicht nur Rhabarber sondern auch Hamburger Thee genommen habe. Dies in der niederen Volksclassen beliebte Ab- führmittel enthält ebenfalls Rheum. Auf die Möglichkeit hin, dass es sich um ein Rheumexanthem handeln könne, gab ich dem Patienten am 8. März Rheum und am 12. März Morgens bemerkte der Pat. beim Auf- wachen eine der ersten Eruption in Form und Locolisation vollständig analogen Hautausschlag. Kein Rheum im Urin. (Photographie noch nicht beendigt.) Der Verlauf der Hauterkrankung war ein schwerer, indem die Blasen und Knoten die Tendenz zur Vereiterung und Ge- schwürsbildung hatten. Dabei war Pat. nicht bettlägerig. Ich unter- suchte ihn am 17. d. M. und constatirte eine Vergrösserung der Milz, während die Auscultation normales Verhalten ergeben. (Percussion nicht vorgenommen). Am 20. Vormittags starb er unter dem Er- scheinen einer Peritonitis.

Die Section wurde von Dr. M. und mir gestern vorgenommen und dabei constatirt, dass sich in der Bauchhöhle etwa lh Liter einer übel- riechenden seropurulenten Flüssigkeit befinde, die eine Anzahl grösserer Flocken enthalten. Das parietale und viscerale Blatt des Peritoneums sind glatt und glänzend, nur an einzelnen Stellen sind Flocken von Eiter und Fibrin adhärent.

Lunge emphysematös und oedematös. Bronchitis.

Herz. Linker Ventrikel stark dilatirt, Wandung verdünnt, schlaff, brüchig. An der linken Aortenklappe am Corpus aurantis anhaftend eine erbsengrosse, feste Fibrinmasse. Im Uebrigen, Aortenklappen, sowie andere Klappen normal.

Milz sehr stark vergrössert, etwa 9 Zoll im Längen-, 7 im Breiten- und im Dickendurchmesser. An der oberen, äusseren Fläche eine seichte Einziehung, die sich hart anfühlt. Auf Schnitt findet man an dieser Stelle einige Infarcte, die theil weise weiss, theilweise roth gefärbt sind und sich in verschiedenen Stadien der Heilung durch Narben- bildung befinden. Am Hilus findet sich ein dickwandiger fibrinöser Sack, leicht zerreisslich von etwa Haselnussgrösse.

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Der Sack besteht aus Fibrin, in concentrischen Schichten gelagert und öffnet sich frei durch eine grössere und kleinere Oeffnung, durch die Kapsel in die Bauchhöhle. Beim Einschneiden der Milz fällt der erwähnte Fibrinsack spontan heraus. Die innere Wand des Sackes ist mit Eiter belegt. Milzpulpa weich und brüchig, trabeculäre Zeichnung undeutlich, Structur nicht leicht erkennbar.

Nieren. Parenchymat. und interstit. chron. Nephritis.

Darm und Magen nicht verändert.

Leber : Muskatnussleber.

Das Interessante und Seltene an dem Falle ist neben dem Exanthem, dreimal durch Kheum hervorgebracht, die Vereiterung und Perforation des Infarctes. Steht nun die Vereiterung des Embolus in irgend einem Znsammenhang mit der Hautaffection ?

Discussion.

A. J a c o b i. In diesem Falle stammen die Embolien von der Herz- erkrankung. Pyämische Processe beobachten wir oft von entfernten circumscripten Eiterungen ausgehend, so von varicösen Geschwüren und anderen. Hier bestand Hauteiterung, welche als aetiologisches Moment genügt.

Caille demonstrirt einen Blasenstein, welcher hochgradigen Mastdarmvorfall durch Keiz bei einem 3jährigen Mädchen hervor- gerufen. Entfernung des Steines durch den hohen Blasenschnitt und Heilung. (Der Fall wird anderweitig publicirt werden.)

Dis cussion.

Willy Meyer macht auf die Vorzüge des Querschnittes nach Trendelenburg bei der hohen Steinoperation aufmerksam.

Mittheilungen aus der Praxis.

G. W. Jacoby berichtet über ausgedehnte günstige Erfolge bei Anwendung des Chlormethyls zur Bekämpfung hartnäckiger Neural- gien, und beleuchtet die Indicationen für die neueren Gebrauchs- methoden. (Medicinische Monatsschrift, B. 1, H. 4, p. 195.)

Caille berichtet 2 Fälle von Nystagmus nebst choreaticher Kopf- bewegung bei einjährigen rhachitischen Kindern. Therapeutischer Vorschlag : Augenbinde. Erfolg günstig. (Wird anderweitig publicirt.)

Discussion.

Schapringer. In den meisten Fällen von Nystagmus fehlen chronische Bewegungen. Treten dieselben auf, so müssen sie auf die- selbe Ursache bezogen werden, die den Nystagmus hervorruft und können nicht als compensatorische Bewegung gölten.

Koller. Der Nystagmus ist eine Beflexbewegung, welche man nur bei sehuntüchtigen Augen beobachtet und die dem Zwecke des deutlicheren Sehens dient. Denselben sieht man z. B. bei Albinos mit bedeutender Herabsetzung der Sehschärfe, besonders oft bei Sehhinder- nissen in der horizontalen Axe, bei angeboren« -n Schien tstaar, bei Horn- hauttrübungen u. s. w. Der Nystagmus ist selbst eine Art compensa- torische Bewegung und die Kopfbewegungen in diesen Fällen dürfen nicht als compensatorische gedacht werden. In einem Falle von Astigmatismus mit Nystagmus liessen die Augenbewegungen nach Gebrauch corrigirender Brillen bedeutend nach.

E. Fridenberg. Nystagmus kann an und für sich nicht als com- pensatorische, das deutlichere Sehen bezweckende Beflexbewegung auf- gefasst werden. Bei sehuntüchtigen Augen, ob sie auf Trübungen in den brechenden Medien oder Laesionen in den percipirenden Geweben

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bestehen, nimmt das Auge gewöhnlich diejenige constante Schulstellung ein, die dem Sehact am dienlichsten ist. In den meisten Fällen beruht der Nystagmus auf centralen Veränderungen organischer oder func- tioneller Natur ; letzteres Moment liegt z. B. bei dem Nystagmus der Bergwerksarbeiter vor, die durch lange fortgesetzte Convergenz nach oben und beim Arbeiten in der Rückenlage eine Uebermündung der die Convergenz beherrschenden Gehirncentren hervorbringen. Dass die Kopfbewegungen in den eben berichteten Fällen unbestreitbar compensatorische waren, geht aus dem sofortigen Aufhören derselben beim Ausschluss des Sehaetes zur Genüge hervor.

G. W. Jacoby fragt wie Dr. Koller 1) temporären Nystagmus, 2) Nystagmus von Eisenbahnpassagieren bei schneller Bewegung des Zuges, 3) hysterischen Nystagmus erklärt.

A. J a c o b i. In den beiden gut beobachteten Fällen bestanden also Nystagmus und unregelmässige, aber nicht kram pf hafte, sondern will- kürliche Kopfbewegungen. Sowie die Augen verbunden wurden, hörten die Kopfbewegungen auf und erholten sich bei fortgesetztem Augen- verband die früher rasch verfallenden Kinder auffällig schnell. Die Bewegungen können nur als compensatorische aufgefasst werden. Der Nystagmus kann wie clonischer Krampf der Muskel überhaupt beruhen auf, lj peripheren Störungen, 2) incompetenter Musculatur, 3) central i. e. cerebrale Veränderungen. In diesen Fällen wird wohl incompetente Musculatur die Ursache abgeben. Sonst finden wir meistens Gehirn- läsionen, persistirende oder abgelaufene Meningitis u. s. w. Ein Ana- logen für obige Fälle bietet die Fallsucht bei acuter unruhiger Oculo- motoriuslähmung, welche durch Ausschluss des einen Auges vom Seh- acte gehoben wird.

S e i b e r t hat bei Malariakranken constant auf der hinteren Zungen- oberfläche einen grasgrünen Belag beobachtet, der quantitativ in direeter Proportion zur Intensität der Erkrankung steht, schon vor nachweisbarer Miizsehwellung deutlich zu sehen ist, und mit der fort- schreitenden Heilung langsam nach dem Schlund zu abblasst und ver- schwindet.

A. J a c o b i erinnert an das häufige Auftreten von Blasens ympto- ni en beiAffectionen des Mastdarmes, ein Zusammenhang der nicht selten übersehen wird. Das umgekehrte Verhältniss, Mastdarm- symptome von Blasenleiden abhängig, sei allgemein bekannt. Sehr häufig beobachtete er schwere Blasenbeschwerden, Drang, Schmerz, häufiges Uriniren, in welchem die Untersuchung unter Chloroform eine normale Blase ergab, aber Fissuren des Rectums resp. des Anus vorgefunden wurden. Heilung der Fissuren Hess sämmtliche Beschwerden ver- schwinden.

Discussion.

Kaemmerer. Bei allen Mastdarmoperationen treten häufig reflectorische Blasenbeschwerden auf, und müssen die Operirten mehr- fach catheterisirt werden. Das nahe Aneinanderliegen der Centren für Blase und Rectum im unteren Lendenmarke erklärt dieses Verhalten.

Schluss und Vertagung.

Dr. E. Fridenberg,

Schriftführer.

Allerlei.

Der Legislatur vox Kentucky liegt eben eine Bill vor, welche allen „Idioten, Verrückten, Bettlern, Bummlern, Spielern und Spitzbuben sowie allen geistig oder körperlich Hülflosen und allen Jähzornigen" das Heirathen verbietet. Hoffentlich fällt die Vorlage durch, sonst wird die jetzige Bevölkerung dieses Staates bald aussterben.

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„Texas Medical Journal" ladet seine Leser folgendermaassen zu einer Versammlung ein : „Lege deine Arbeit für einige Tage nieder, Doctor, und komme in die Versammlung nach San Antonio ; komm in der Absicht Etwas zum allgemeinen Interesse beitragen zu wollen und bringe ein Herz mit, welches der Harmonie und der brüderlichen Liebe zugänglich gestimmt ist, und helfe so dem Bahnwagen des Fortschrittes weiter .... Es wird auch ein grosses Banket veranstaltet und so kön- nen wir auch unsere Sorgen unterdrücken".

Die Zahl der Arzneimittel in der deutschen Pharmacopoe beläuft sieh auf 606 ; die österreichische enthält 560, die norwegische 530, die eng- lische 815, die belgische und spanische jede circa 1500, die amerikanische 1010 und die französische 2000. [Unsere Privat- Pharmacopoe enthält nicht ganz 50 Medicamente. Red.]

An der Colorado State University bestand in diesem Jahr nur ein Mediciner das Examen. Wie viele Candidaten durchfielen wird nicht berichtet. Am Ende war nur der eine Candidat vorhanden.

Breiümschlaege (Poültices) als Heilmittel. In der „Cleveland Med. Gazette", April 1889, bespricht Dr. G. W. Coile den Werth der Brei- umschläge bei der Behandlung der Pflegmonen. Er kommt zu dem Schluss, dass die Breibehandlung den Patienten betrüge und den Arzt in gefährlicher Unthätigkeit lasse, ausserdem aber, dass diese Umschläge unrein und den Sinnen des Patienten widerlich wären. Solche Urtheile haben grösseren Werth als man denken mag, denn der kindliche Glaube an die Wunderwirkimg des Brei's ist noch sehr verbreitet in ärztlichen Kreisen. Die moderne Chirurgie hat mit ihren antiseptischen Lösungen allerdings ausser anderem Schmutz schon vielfach derartige Altweiber- mittel in den grossen Abfallseimer unserer Wissenschaft geschwemmt, aber in der internen Medicin sind wir noch nicht soweit. Leinsaamen- brei und Bread-and-Milk-Poultices spielen bei der Behandlung der Pneumonie noch eine grosse Polle, und beweisen wie unklar noch viel- fach die Begriffe über das Wesen dieser Krankheit sind, ausserdem aber werden die wichtigsten therapeutischen Hülfsmittel der Kranken- zimmerhygiene meist ob dieser Breibehandlung vernachlässigt und un- möglich gemacht. Es wäre sehr zu wünschen, wenn die practischen Aerzte alle sammt und sonders den Breilöffel und seinen Inhalt dahin verbannten, wo dieselben hingehören, in das Reich der Kleinen und der zahnlosen Alten, und durch ausgiebige Waschungen und Ventilation der internen Antisepsis Gelegenheit zum Wirken geben würden.

Medicinischer Unterricht im Mittelalter.*)

Als der lange Zersetzungsprocess, dem der römische Staatsorganis- mus anheimfiel, beendet war, hatte die Welt eine andere Gestalt erhal- ten. Im Abendlande herrschten germanische Stämme, welche die Völkern" uth aus ihrer nordischen Heimath in die gesegneten Gefilde des Südens geführt hntte, während inByzanz das mit slawischen Elementen reichlich vermischte Griechenthum seine politische Selbständigkeit wieder erlangte und weiter im Osten sich die Bildung neuer politischer Gemeinwesen vollzog.

Die frischen Naturvölker, welche damals die Weltbühne betraten, begannen die Errungenschaften der vorgegangenen griechisch-römi- schen Cultur in sich aufzunehmen und mit den eigenen heimischen Ueberlieferungen zu verschmelzen : eine Aufgabe, welche Jahrhunderte

*) Aus der Beilage zur Allgemeinen Zeitung, München, 2. April, 1889.

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in Anspruch nahm und fast das ganze Mittelalter erfüllte. Es ist be- greiflich, dass sie während dieser Zeit nicht daran denken konnten, durch eigene Forschungen die Summe des Wissens zu vermehren, dass sie sich begnügen mussten, sicli das, was von Anderen erworben worden war, anzueignen und in sich zu verarbeiten. Das Mittelalter ist daher arm an originellen Ideen. Neue Entdeckungen, bedeutende Fortschritte wurden nicht gemacht ; aber gleichwohl war es nicht eine Periode geistiger Stagnation. Denn das Wissen breitete sich über weite Flächen aus und ergoss sein Licht über Länder, welche bis dahin in Dunkel gehüllt waren.

Die Heilkunde theilte darin das Schicksal der übrigen Wissenschaf- ten und Künste. Sie erzielte im Alterthum bewundernswerthe Erfolge und erreichte eine Stufe der Entwicklung, die vom Mittelalter nicht überschritten wurde, ja kaum behauptet werden konnte. Die For- schungen Galens in der Anatomie und Physiologie haben im Mittelalter weder eine Bereicherung, noch eine Verbesserung oder Berichtigung er- fahren und vom 2. Jahrhundert bis zum 16. Jahrhundert galten seine Ansichten als unwiderlegbar und unübertrefflich.

Auch in der Pathologie herrschte die Autorität der Alten und jeder Versuch zu einer selbständigen Erforschung des Wesens der Krankheit erschien aussichtslos. Wenn man in der Therapie dem gleichen Grund- satz huldigte, so war dies ganz natürlich ; denn die Anfänger durften es nicht wagen, in der Behandlung der Krankheiten von den durch eine Jahrhunderte lange Erfahrung gestützten Lehren abzuweichen. Uebri- gens wurde der Arzneischatz in jener Periode um eine Anzahl wichtiger Heilmittel vermehrt, welche man den Arabern verdankt. Auch um die Chirurgie haben sich die letzteren Verdienste erworben, indem sie eine ausgedehntere Verwendung der Pyrotechnik auf diesem Gebiete vor- bereiteten und ermöglichten. Dagegen machte die chirurgische Opera- 1 tionskunst beklagenswerthe Bückschritte.

Die Chirurgen der römischen Kaiserzeit führten Amputationen und Kesectionen, Trepanationen und andere schwierige Operationen mit glücklichem Erfolg aus, beseitigen den Blasenstein und heilten den Staar des Auges auf operativem Wege : die Wundärzte des Mittelalters entschlossen sich nur selten zu blutigen Eingriffen in den menschlichen Organismus, weil ihnen die Geschicklichkeit und Uebung im Operiren abging und daher auch das Vertrauen auf den Erfolg ihrer Operation fehlte. So kam es, dass einzelne Operationsmethoden zum Schaden der heilbedürftigen Menschheit gänzlich vergessen wurden und später auf's neue erfunden werden mussten.

Aehnlich stand es mit der Geburtshülfe, welche schon zu den Zeiten des Hippokrates eine hohe Vollendung erlangt hatte, im Mittelalter aber nahezu gänzlich vernachlässigt wurde und zwar sowohl in den Ländern der Christenheit als in denen des Islams. Dort schreckte die Geistlich- keit, welche ärztliche Praxis trieb, vor ihr zurück ; hier fand sie in der strengen Absonderung der Frauen vor den Männern ein sociales Hin- derniss.

Die medicinische Literatur des Mittelalters zeigt den Charakter der Unselbständigkeit ; nur einzelne Werke der Byzantiner und Araber machen davon eine rühmliche Ausnahme. Im Allgemeinen beschränkte man sich wenigstens im Abendlande darauf, Beceptsammlungen anzulegen, Auszüge aus den Schriften der Alten anzufertigen und kurze gedrängte Anleitungen zur Krankenbehandlung zu verfassen. Die practischen Gesichtspunkte waren dabei maassgebend ; das Interesse für die theoretisch-wissenschaftliche Forschung fehlte oder trat wenig- stens in den Hintergrund.

Nach denselben Grundsätzen geschah auch die Ausbildung der Aerzte. Das Ziel, welches dabei angestrebt wurde, war vorzugsweise

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die Erwerbung der Kenntnisse, welche zur Heilung des kranken Körpers befähigen. Die Betrachtung der Medicin als einer angewandten Natur- wissenschaft lag den Aerzten jener Zeit natürlich fern.

Die Lehrmethode, welche beim Unterricht in der Heilkunde ange- wendet wurde, war freilich wenig geeignet, die Schüler mit der für den ärztlichen Beruf erforderlichen practischen Geschicklichkeit auszustat- ten ; denn es fehlten jene zahlreichen Lehrmittel und Institute, welche heute das Verständniss erleichtern, und der Unterlicht bestand im wesentlichen darin, dass der Lehrer die medicinischen Schriften der Alten oder Auszüge daraus erklärte und durch seine eigenen ärztlichen Erfahrungen erläuterte.

Bei den Römern scheint der medicinische Unterricht hauptsächlich in den Händen der arcJiiatri, der auf öffentliche Kosten besoldeten Aerzte, gelegen zu haben. Diese Einrichtungen erhielten sich unter der Herrschaft der Longobarden und Ostgothen und wurden wahrschein- lich auch von anderen germanischen Völkerstämmen angenommen. Die Westgothen hatten ein geordnetes Medicinalwesen und ihre Aerzte besassen überraschende Kenntnisse in der Heilkunde ; vermochten sie ja sogar schon die Staaroperation mit Erfolg auszuführen.

Als im Mittelalter die christliche Kirche die Leitung des Unterrichts an sich riss und der Clerus der hauptsächlichste Vertreter der gelehr- ten Beschäftigungen wurde, begann derselbe auch die Heilkunde zu studiren und auszuüben. Zunächst waren es die Klöster, in denen die Wissenschaften unter ihnen auch die Medicin gepflegt wurden. Cassiodor, der, nachdem er als Minister des von der Sage gefeierten Ostgothen-Königs Theodorich jahrelang die politischen Geschicke Italiens gelenkt hatte, in den Benedictin erorden eingetreten war und sich in ein Kloster zurückgezogen hatte, empfahl den Mönchen die Lee- türe der Schriften der Hypokratiker, sowie des Galens, Caelius, Aure- lianus und anderer medicinischen Autoren. Ebenso wurde in der bischöfllichen Schule zu Reims, in Chartres, in der Abtei Fleury, in den Klöstern zu Dijon, Bec in der Normandie, St. Denis, Köln a. R. und anderen Orten Medicin gelehrt. Wahrscheinlich gehörte sie auch zu den Unterrichtsgegeiiständen, welche in der von Alcuin geleiteten Schule am Hofe Karl's den Grossen vorgetragen wurden.

In diesen Schulen wurden nicht bloss medicinische Werke gelesen, sondern auch Kräuterkunde getrieben, Arzneien bereitet und Kranke, welche dort Hülfe suchten, behandelt. Im 9. Jahrhundert gab es bereits viele Geistliche, welche die ärztliche Praxis ausübten, und noch mehr wuchs ihre Zahl nach der Errichtung von Universitäten, auf deren Leitung und Organisation sie einen grossen Einfluss gewannen. Frei- lich wurde dem Clerus die ärztliche Thätigkeit auf mehreren Concilien untersagt ; aber dieses Verbot scheint nicht ernst gemeint gewesen zu sein, da die Geistlichkeit andrerseits durch Stipendien und Pfründen zum Studium der Medicin aufgemuntert wurde. Immerhin wurde erreicht, dass sich die Geistlichen wenigstens von der Ausübung der Chirurgie und der Behandlung der Frauenkrankheiten fernhielten, weil sie hier am ehesten Gefahr liefen, die Würde ihres Standes durch unglückliche Operationen oder unpassende Vertraulichkeiten herab- zusetzen.

Die ältesten medicinischen Schulen entstanden in Salerno und Mont- pellier ; an ihrer Gründung betheiligten sich arabische und jüdische Elemente. Die Araber beherrschten damals den Süden Europa's, und ihre Cultur übte einen mächtigen Einfluss aus auf die benachbarten Länder. Besonderes Interesse widmeten sie der Heilkunde, und ihre Leistungen auf diesem Gebiet überragten diejenigen des christlichen Abendlandes bei weitem. Sie hatten medicinische Lehranstalten, die mit Spitälern verbunden waren, und eingeordnetes ärztliches Prüfungs- system.

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Die Anfänge der Schule von Salerno hüllen sich in sagenhaftes Dunkel. Schon im 10. Jahrhundert war ihr Ruf so gross, dass Kranke aus allen Ländern daliin kamen, um bei den dortigen Aerzten Hülle und Rettung zu suchen. Bekannt ist das schöne Gedicht Hartmann's von der Aue : „Der arme Heinrich." Salerno ist der Boden, auf dem sich diese rührende Geschichte abspielt.

Im 11. Jahrhundert war die Schule bereits organisirt, aber erst im 13. Jahrhundert bekam sie die Rechte einer Universität. Die Pro- fessoren erhielten staatliche Besoldungen und genossen Steuerfreiheit ; die Zahl der Schüler war sehr gross. Bemerkenswerth ist, dass in Salerno auch die Frauen zum medicinischen Studium und zur ärztlichen Praxis zugelassen wurden. Mehrere derselben machten sich einen bedeutenden Namen als Aerztinnen, als Verfasserinnen medicinischer Schriften, ja sogar als akademische Lehrerinnen. Die Schule von Salerno erlebte nur eine kurze Glanzperiode. Schon im 14. Jahrhundert klagte Petrarca, dass sie dem welkenden Alter zur Beute gefallen sei. Sie fristete dann ein kümmerliches Dasein, bis im Jahre 1811 ein Feder- strich Napoleons ihrer tausendjährigen Existenz ein Ende machte.

Auch über die Entstehung der Schule von Montpellier weiss man nichts Sicheres. Wahrscheinlich haben sich hier, wie in Salerno, mehrere Aerzte freiwillig vereinigt, um Unterricht in der Heilkunde zu ertheilen, und sich zu diesem Zweck Gesetze gegeben.

Bei der Geistlichkeit waren die Aerzte von Montpellier nicht sehr beliebt. Der heil. Bernhard erzählte, dass sie dem Erzbischof von Lyon, als er sich im Jahre 1153 ihrer Behandlung anvertraute, Alles abnahmen, was er besass, und noch mehr als dies, sogar das, was er nicht besass, und der Mönch Cäsarius von Helsterbach war ganz ent- setzt darüber, dass sie nicht an die durch Wunder bewirkten Heilungen glaubten und sich sogar darüber lustig machten.

In Montpellier herrschte ein freier Geist. An der dortigen medici- nischen Schule durfte Jeder lehren, welcher Religion und welchem Lande er auch angehören mochte. Später wurde dies freilich anders, als die Geistlichkeit die Herrschaft an sich nahm. Im Jahre 1220 ver- ordnete der Cardinal Conrad ein Deutscher aus dem Geschlecht der Grafen von Urach dass fortan Niemand als Lehrer der Medicin auf- treten dürfe, der nicht vom Bischof die Erlaubniss dazu erlangt habe. Dadurch wurden natürlich die Andersgläubigen vom Lehramt ausge- schlossen.

Auch der Ursprung der Universitäten Bologna, Padua und Oxford verliert sich in sehr frühe Zeiten. Die Pariser Hochschule entstand im 13. Jahrhundert durch die Vereinigung der einzelnen Schulen, die bis dahin eine selbständige Existenz geführt hatten. Nach dem Muster dieser Universitäten wurden im Mittelalter eine Menge von Hochschulen errichtet ; in Italien zu Pavia, Neapel, Treviso, Vicenza, Rom, Siena, Modena, Arezzo, Perugia, Pisa und Ferrara, in Spanien zu Valencia, Salamanca, Valladolid, Sevilla u. a. O., in Portugal zu Coimbra, in Frankreich zu Orleans, Toulouse, Angers u. a. O., in England neben Oxford zu Cambridge, in Schottland zu St. Andrews, Glasgow und Aberdeen, in den Niederlanden zu Mecheln, Deventer, Groningen, Löwen und Leyden.

In Deutschland wurde die erste Universität zu Prag errichtet ; ihr folgten bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts die Hochschulen zu Wien, Heidelberg, Köln a. Rh., Erfurt, Würzburg, Leipzig, Rostock, Greifs- wald, Freiburg i. Br., Trier, Ingolstadt, Tübingen, Basel und Mainz.

Manche dieser Universitäten war unvollständig, insofern ihr ein oder mehrere Facultäten fehlten. Auch entbehrten sie jene Ausstattung mit Lehrmitteln, welche heute die Universitäten besitzen ; aber immer- hin ist ihre grosse Zahl ein erfreulicher Beweis, dass das Bedürfniss

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nach höherer Bildung sehr verbreitet war und dass das Mittelalter nicht eine solche geistige Finsterniss verbreitete, wie es von unkundigen oder ungerechten Schriftstellern zuweilen dargestellt wird.

Viele dieser mittelalterlichen Universitäten hatten nur einen einzigen Lehrer der Medicin ; selten gab es mehr als zwei Professoren dieses Faches. In Wien bestand das Lehrercollegium der medicinischen Facultät noch im vorigen Jahrhundert aus drei Mitgliedern.

Als Lehrer der Heilkunde durfte anfangs jeder am Orte ansässige und dem katholischen Glauben angehörende Arzt auftreten, der zum Doctor promovirt worden war ; erst 1626 wurde bestimmt, dass zwischen der Beendigung der Studien und dem Beginn der akademischen Lehr- thätigkeit drei Jahre verfliessen sollten.

Die Professoren waren nicht überall besoldet, sondern an vielen Universitäten auf die Unterrichtsgelder angewiesen, die sie von ihren Schülern empfingen. Manchmal erhielten sie einen Theil ihres Ein- kommens in Naturalien. So verlangte 1558 ein Professor, der mit 60 fl. jährlich Gehalt bei freier Wohnung und Kost nach Heidelberg berufen worden war, statt dessen 100 fl. und ein Fuder Wein. Die Verhand- lungen zerschlugen sich in Folge dieser Förderungen. Später wurde jedem Heidelberger Professor ein Fuder Wein jährlich bewilligt. Wer ihn nicht selbst austrinken konnte, der Hess ihn öffentlich ausschenken ; er durfte sicherlich darauf rechnen, dass die Studenten bei ihm dort mindestens ebenso regelmässig und eifrig erscheinen würden, als im Colleg.

Die Amtstracht der Professoren war nach den Faeul täten ver- schieden ; die Mediciner trugen z. B. bei feierlichen Gelegenheiten scharlachrothe Kleider, wie dies noch jetzt an einigen deutschen Uni- versitäten der Fall ist.

Die Studenten unterschieden sich weniger nach den Facultäten, als nach ihrer politischen Zusammengehörigkeit. Sie wohnten meistens in Bursen und Convicten, wie sie jetzt noch in England und den skandi- navischen Ländern bestehen.

An einigen Hochschulen genossen die Studenten grosse Hechte und Freiheiten. In Bologna und Padua wurden die Professoren von den Studenten gewählt, und bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts konnte dort nur ein Student, niemals ein Professor, zur Würde des Rectors der Universität gelangen. Er musste wenigstens 22 Jahre alt und unbescholtenen Charakters sein und ein Jahr in Padua von seinem eigenen Vermögen gelebt haben. Der junge Mann übte dann die Gerichtsbarkeit nicht bloss über die Studirenden, sondern auch über die Professoren und deren Familien aus.

Zu den Studien wurde Jeder zugelassen ohne Unterschied des Glaubens oder der Nation. Dem Beginn der eigentlichen Fachstudien ging die Erwerbung einer wissenschaftlichen Allgemeinbildung voraus. Für die Mediciner war dabei massgebend die Bestimmung des Kaisers Friedrich IL, dass sie zuerst drei Jahre der Logik, also der Allgemein- bildung, widmen sollten, bevor sie die für ihren künftigen Beruf erfor- derlichen Kenntnisse erwarben. Das Studium der Medicin wurde auf fünf Jahre festgesetzt. Daran schlössen sich die Prüfungen, und darauf folgte ein Jahr, in welchem der junge Arzt nur unter der Aufsicht eines älteren, erfahrenen Collegen practiciren durfte.

Der medicinische Unterricht bestand auch an den Universitäten hauptsächlich in der Leetüre und Erklärung der bekannteren ärztlichen Autoren. Als sehr gelehrt galt, wer jede Behauptung durch eine Menge Belegstellen und Citate stützen konnte. Es war das Zeitalter der Scholastik, in welchem der Autoritätsglaube in der Religion wie in der Wissenschaft die höchste und manchmal eineige Beweiskraft besass.

Die für den medicinischen Unterricht erforderlichen practischen Hülfsmittel fehlten nahezu gänzlich. Die Anatomie wurde hauptsächlich

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an Thieren gelehrt, da die Section menschlicher Leichname aus reli- giösen und socialen Gründen nicht möglich war. In Salome- wurden Schweine zergliedert, um den Studenten den Bau des Körpers und die Lage der Eingeweide zu zeigen ; in jener Zeit entstand dort das be- rühmte Lehrbuch der Anatomie des Schweines von Copho.

Erst im 14. Jahrhundert wurde es gestattet, menschliche Leichname zu seciren, und zwar verwendete man zu diesem Zwecke die Körper hingerichteter Verbrecher. Im Jahre 1308 befahl der Senat von Venedig dem dortigen ärztlichen Collegium, alljährlich wenigstens eine Leiche zu zergliedern, um sicli über die Lage der einzelnen Körpertheile zu unterrichten, und 1366 ertheilte der Papst der medicinischen Facultät zu Montpellier das Privilegium, jährlich eine menschliche Leiche zu seciren. An anderen Universitäten folgte man diesem Beispiel; doch entwickelte sich kein geordneter anatomischer Unterricht in unserem Sinne. Die anatomischen Demonstrationen beschränkten sich meistens auf die Eröffnung der Körperhöhlen und wurden in wenigen Stunden erledigt. Für die Zuschauer handelte es sich dabei weniger um die Befriedigung der Wissbegier, als der Neugierde.

Geringere Schwierigkeiten machte der Unterricht in der Arznei- mittellehre. Die Arzneipflanzen lernten die Studenten durch Abbil- dungen sowohl, als im Naturzustande kennen, und in den Apotheken hatten sie Gelegenheit, die übrigen Heilmittel und die Zubereitung der Arzneien zu sehen.

Die Apotheken sind eine Einrichtung der Araber ; bei den Griechen und Römern pflegten die Aerzte selbst die Medicam ente zu bereiten. Von den Arabern gelangte die Kenntniss der Apotheken über Salerno nach Italien und von dort nach Frankreich, England und Deutschland, wo schon im 13. Jahrhundert Apotheken errichtet wurden.

Bei weitem später finden sich die ersten Anfänge des klinischen Unterrichts. Der erste Versuch dazu wurde im 16. Jahrhundert in Padua gemacht ; doch scheiterte derselbe an manchen Hindernissen, und erst ein Jahrhundert später wurden in den Niederlanden klinische Anstalten geschaffen, welche einen dauernden Erfolg hatten und als Vorbild für derartige Einrichtungen an anderen Orten dienten.

Im Alterthum und während des Mittelalters liessen sich die Lehrer <h'Y Heilkunde von ihren Schülern zu ihren Patienten begleiten, um ihnen dort die Krankenbehandlung zu zeigen. Bekannt ist das beissende Epigramm Martials an seinen Arzt Symmachus, in welchem er sich beklagt, dass dieser mit 50 Schülern an seinem Krankenbett erschienen sei. „Ich hatte kein Fieber," sagt er, „da kamst Du und Ii undert eiskalte Hände legten sich auf meinen Leib ; da begann ich zu frieren und Fieberfrost erfüllte meinen Körper." In Paris waren die Mediciner zum Besuch der Spitäler verpflichtet ; ebenso mussten sie an der poliklinischen Behandlung, welche dort unter der Leitung der medi- cinischen Facultät seit Ende des 16. Jahrhunderts bestand, theilnehmen.

Die Ausübung der ärztlichen Praxis wurde an vielen Orten nur denen gestattet, welche durch Prüfungen ihre Befähigung dazu nachgewiesen hatten. In den Gesetzen des Kaisers Friedrich II. (1240) heisst es : ..Wir befehlen, dass in Zukunft Niemand, der den Titel eines Arztes in Anspruch nimmt, zu practiciren oder heilen wage, wenn er nicht, nach- dem er zuerst in Salerno in öffentlicher Versammlung durch das Urtheil der Lehrer für fähig befunden worden, mit amtlichen Zeugnissen von seinen Lehrern sowohl, als auch von unsern Beamten über seine Ergebenheit und genügende wissenschaftliche Befähigung vor uns oder unsern Stellvertretern erscheint und" um die Erlaubniss, zu practiciren, bittet, bei Strafe der Einziehung der Güter und Gefängniss von einem Jahre, wenn er diesem Gesetz zuwiderhandelt," In Salerno gab es also Facultätsprüfungen ; aber die Erlaubniss zur Ausübung der Praxis ertheilte der Staat, Auch in Paris wurde 1220 ein Decret erlassen, dass

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nur diejenigen zur Praxis zugelassen würden, welche dort geprüft worden seien. Die Uebertretung des Gesetzes wurde dort sogar mit der Excommunication bestraft.

Die Prüfungen waren nur theoretisch und bestanden in der Beant- wortung der gestellten Fragen. Die akademischen Grade entstanden nicht vor dem 12. Jahrhundert. Für die Mediciner gab es folgende : der niedrigste war das Baccalaureat ; er entsprach etwa der Würde eines Candidaten der Medicin und wurde während der Studienzeit erworben. Nach Beendigung derselben erfolgte die Verleihung der Licenz durch den Kanzler der Universität, der gewöhnlich ein höherer Geistlicher war. Den Schluss bildeten das Magisterium oder Doctorat.

Im 13. und 14. Jahrhundert war der Doctortitel noch nicht gebräuch- lich ; die Würde des Magisters bildete bis dahin die höchste akademische Auszeichnung. Aber auch nach der Einführung des Doctorats zogen es Viele vor, Licentiaten oder Magister zu bleiben, theils ans Sparsamkeit, da die mit der Doctor-Promotion verbundenen Feierlichkeiten einen grossen Kostenaufwand verursachten, theils weil sie als Andersgläubige nicht zum Doctorat zugelassen wurden ; denn das letztere galt als ein religiöser Act und wurde in der Kirche unter Glockengeläute in Gegen- wart der Geistlichkeit verliehen. Uebrigens hatte der Doctor nur das eine Vorrecht vor dem Licentiaten und Magister, dass er Sitz und Stimme in der Facultät erhielt und zum Decan oder Kector gewählt werden konnte.

Wer sich um das Doctorat der Medicin bewarb, musste von legitimer Herkunft und körperlich gesund sein und das erforderliche Alter erreicht haben. Candidaten, welche körperlich verunstaltet oder ab- schreckend hässlich waren, wurden nicht zur Promotion zugelassen, und zwar aus einem sonderbaren Grunde. Man fürchtete nämlich, dass sich Schwangere an ihnen versehen könnten. In Heidelberg herrschte die gesetzliche Bestimmung, dass das Doctorat erst im 28. Lebensjahre und nur ausnahmsweise, wenn der Candidat nicht zu weibisch aussah, schon im 26. Lebensjahre erlangt werden konnte.

Bei der Doctor-Promotion wurde dem Doctoranden der Doctorhut aufgesetzt, ein goldener King an den Finger gesteckt, ein goldener Gürtel um den Leib befestigt und ein Buch des Hippokrates vorgelegt. Dann durfte er sich neben den Professor, welcher die Feierlichkeit leitete, setzen und wurde von dieseui umarmt. Am Schluss erhielt er den bischöflichen Segen.

Die Chirurgen bildeten einen besonderen Stand, der sich neben dem ärztlichen Stande selbstständig entwickelte. Ihre Ausbildung war eine mehr handwerksmässige, indem sich der Schüler zu einem Meister in die Lehre begab und bei ihm die verschiedenen Handgriffe seiner Kunst erlernte. Nur in Italien und Frankreich stand die Chirurgie damals auf einem mehr wissenschaftlichen Standpunkt, da die Wundärzte dort die Vorlesungen an der Universität besuchen mussten.

In Salerno waren sie ebenfalls verpflichtet, die Vorträge an der medicinischen Schule zu hören und ein volles Jahr dem Studium der Anatomie, Chirurgie und Operationslehre zu widmen. In Paris hatten die chirurgischen Studien seit 1260 einen Vereinigungspunkt im College de St. Come, welches nach dem Muster der medicinischen Facultät organisirt war und im Jahre 1416 als besondere Facultät der Pariser Hochschule einverleibt wurde. Philipp der Schöne ordnete im Jahre 1311 an, dass Niemand in Paris und Umgegend die Chirurgie ausüben dürfe, der nicht vom Leibchirurgen des Königs, der zugleich den geschmackvollen Titel eines königlichen Leibkammerdieners führte, die Erlaubniss dazu erhalten habe. Doch ging dieses Recht bald wieder auf die Chirurgenschule über, zu deren Prüfungen einige Mitglieder der medicinischen Facultät zugezogen wurden.

Zwischen diesen beiden ärztlichen Corporationen herrschten beständig

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Streitigkeiten, die sich oft um recht kleinliche Dinge handelten. Die Aerzte betrachteten sich als höher stehend und sahen auf die Chirurgen herab. So wurde z. B. in den Pariser Statuten bestimmt, dass, wenn ein Chirurg das medicinische Doctorat erwerbe, er sich verpflichten müsse, keine Chirurgie mehr zu treiben, damit die Würde des ärztlichen Standes rein und unbefleckt erhalten werde.

Die Chirurgen waren beim Volk im allgemeinen beliebter als die gelehrten Aerzte, weil sie ihm in socialer Hinsicht näher standen, be- scheidenere Forderungen für ihre Leistungen stellten, und vor allem, weil sie in der Mehrzahl eine grössere practische Erfahrung und Geschicklichkeit besassen als jene. Viele Chirurgen gingen aus dem Stande der Bader und Barbiere hervor, wie z. B. Ambroise Pare, dessen Name in der Geschichte der Chirurgie jederzeit mit Bewunderung genannt wird.

Die Bader und Barbiere verrichteten die niederen chirurgischen Dienste; sie durften zur Ader lassen, schröpfen, Pflaster streichen und auflegen, Wunden verbinden u. dgl.; doch waren eigentlich nur die Bader dazu berechtigt, die Barbiere massten sich diess mit Unrecht an. Es kam in Folge dessen zu erbitterten Competenzconflicten zwischen den Badern und Barbieren, welche zur Abgrenzung der Befugnisse und äusseren Rangstellung dieser beiden Categorien führten.

Welche Kenntnisse im 17. Jahrhundert von einem Bader in Deutsch- land, der die Chirurgie ausübte, verlangt wurden, darüber gibt des getreuen Eckhardts verwegener Chirurgus ein Büchlein, das 1698 erschien Aufschluss. Darin werden die Chirurgen ermahnt, Anatomie zu lernen, und zwar, wenn keine menschlichen Leichname vorhanden seien, an thierischen Cadavern ; denn „da sich die gelehrten Doctoren nicht scheuten, daran zu studiren, so würde es einem naseweisen Bar- bierer- oder Badergesellen an seiner Ehre auch nichts schaden." Dann ermahnt der Verfasser den Chirurgen, „nicht blindlings darauf los zu schneiden ; denn, mein guter Freund !" schreibt er, „es ist Menschen- fleisch und kein abgeschlachtetes Rindfleisch oder Schweinenfleisch ; die Haut wird gar theuer angeschrieben."

Einzelne Theile der Chirurgie, wie die Bruchoperation, der Steinschnitt, die plastischen Operationen, blieben fast überall Empirikern überlassen, wie dies auch im Alterthum der Fall war. Die Kenntnisse und Fertig- keiten in diesen Dingen erhielten sich in einzelnen Familien, wo sie sieh von Generation zu Generation forterbten. Besonderen Ruf in dieser Hinsicht genossen die Einwohner von Norcia und Preci in Unteritalien. Mitglieder der Familien Vianeo und Branca durchzogen als Operateure ganz Europa. Noch heute gibt es in Griechenland Ortschaften, deren Bewohner der Ausführung dieser ehiruigischen Operationen geschäfts- mässig betreiben und zu diesem Zwecke wie Hausirer die verschiedenen Länder des Orients durchziehen.

Auch andere Empiriker, denen nicht die Tradition als vermeintliches Recht zur Seite stand, unternahmen diese Operationen ; desgleichen wagten sie sich an die Staar-Operation. Als einer dieser Beute, welcher nicht die geringste Kenntniss des anatomischen Baues des Auges besass, gefragt wurde, woher er den Muth zu solchen schwierigen und gefährlichen Eingriffen nehme, antwortete er : „Der Kranke hat dabei nichts zu verlieren ; denn wenn die Operation gelingt, so wird er wieder sehend, wenn sie dagegen misslingt, so bleibt er doch nur blind, wie er es vorher war."

Zu den mehr oder weniger berechtigten Personen, welche die Heil- kunde ausübten, gehörte auch der Henker, und zwar nicht etwa in dem Sinne, dass derselbe durch seine Thätigkeit in sehr summarischer Weise allen Schmerzen ein Ende machte, sondern der Scharfrichter musste wirklich in gewissen Fällen ärztliche Dienste leisten. Wenn die

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Anwendung der Folter, die in jenen Zeiten wegen aller möglicher wirk- lichen und eingebildeten Verbrechen geschah, Verletzungen herbei- führte, so war es der Scharfrichter, der sich der unglücklichen gemar- terten Menschen annahm. Wer sieh aber einmal in den Händen des Henkers befunden hatte, galt fortan für beschimpft und ehrlos und war genöthigt, sich in Krankheitsfällen wieder an ihn um Eath und Hülfe zu wenden.

Durch die Erfahrung gewann der Henker eine gewisse Sicherheit in der Behandlung der Knochenbrüehe, in dem Einrichten ausgerenkter Glieder, in der Heilung der Wunden und Geschwüre u. a. m.; dazu kam, dass seinem Gebahren eine mystische Kraft zugeschrieben wurde, welehe das Vertrauen auf die Heilung erweckte und festigte. Manche Scharfrichter versprachen sogar die Heilung solcher Leiden, gegen welche die Wissenschaft der Aerzte ohnmächtig erschien. So empfahlen sie z. B. gegen die Epilepsie den Genuss des noch schäumenden Blutes kurz vorher enthaupteter Personen. Sie verkauften zu diesem Zweckej das Blut, dessen Preis sich übrigens nach dem Menschen richtete, von dem es stammte. Am theuersten war das Blut einer Jungfrau oder eines Jünglings, am billigsten das eines Juden, mochte man nun glauben, dass dasselbe einen geringeren Gehalt besitze, oder mochte das Judenblut dem Scharfrichter in grösserem Ueberfluss zur Ver- fügung stehen.

Auf dem Beruf des Scharfrichters ruhte ein Makel, der auch auf die Familie desselben übertragen wurde. Noch im Jahre 1766 war dieses Vorurtheil so stark, dass die Aerzte der Stadt Frankfurt a. M. gegen die Niederlassung eines promovirten Collegen Einsprache erhoben aus dem einzigen Grunde, weil derselbe der Sohn eines Scharfrichters war.

Nicht Jeder war so vorurtheilslos und ungenirt, wie König Fried- rich I. von Preussen, der den Scharfrichter von Berlin zu seinem Hof- und Leib-Medicus ernannte. Die vielseitige Thätigkeit eines derartigen Collegen würde wohl auch jetzt noch in den ärztlichen Kreisen keinen Beifall erregen.

Ungetheilte allgemeine Anerkennung fand dagegen von jeher die segensreiche Wirksamkeit jener schöneren, weiblichen Hälfte des ärzt- lichen Standes, welche ihre Dienste anbietet, wenn es gilt, einen Menschen in dieses Leben einzuführen, anstatt ihm von hier fortzu- helfen. Schon im Alterthum gab es Frauen, welche sich diesen menschenfreundlichen Beruf zur Lebensaufgabe machten. In der Bibel wird die Thätigkeit einer Hebamme mit naturalistischer Ausführ- lichkeit beschrieben. Auch die Mutter des weisen Sokrates wirkte auf diesem Gebiete und hat sich dadurch um die Erhaltung des Menschen- geschlechts vielleicht manche Verdienste erworben. Bei den Arabern und in Salerno entwickelten sich die Hebammen sogar zu Aerztinnen, welche weit über das ihnen zugewiesene Feld der Thätigkeit hinaus ihre medicinischen Kenntnisse und Erfahrungen verwertheten. Auch im christlichen Abendlande waren sie natürlich unentbehrlich. Ob und in welcher Weise sie aber für ihren Beruf vorbereitet wurden, ob sie einen geregelten systematischen Unterricht durch ältere Zunftgenos- sinnen erhielten, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass sie eine Prüfung ablegen mussten, bevor sie ihre Kunst selbständig ausüben durften. Als Examinatoren fungirten aber nicht Aerzte oder andere Medicinal- personen, sondern erfahrene achtbare Frauen. In Leipzig führte z. B. die Frau des Bürgermeisters noch im siebzehnten Jahrhundert den Vorsitz bei den Prüfungen der Hebammen.

Dies waren die Einrichtungen, welche zur Heranbildung des heilenden Standes im Mittelalter bestanden. Sie lassen einen Schluss zu auf das medicinische Wissen jener Zeit und werfen zugleich ein Licht auf die Culturzustände einer Periode, die noch in vieler Beziehung dunkel und unerforscht ist. T h. Puschmann.

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Personalien.

Dr. H. J. Garrigues hat seine Stelle als Arzt am Deutschen Hospital niedergelegt.

Dr. A. S e i b e r t wurde von der Fakultät der New York Policlinic zum Professor der Kinderheilkunde erwählt.

Bericht über die ferneren Beiträge für das

Langenbeck-Haus.

Bei dem Unterzeichneten sind seit dem Bericht in der vorletzten Nummer der „Medizinischen Monatsschrift" (Heft 3) folgende Beiträge für das Langenbeck-Haus eingegangen :

Neio York: Dr. Kachel, $10; Dr. Schwedler, 825; Dr. Spannhake, s5.

Brooklyn: Dr. F. Wunderlich, 8100.

Wheeling, W. Va. : Dr. Stifel, $10.

Philadelphia, Pa. : Dr. J. Koerper, $5. Summa #155.

Bisher an die Direction der Deutschen Bank in Berlin abgeführter Gesammtbetrag : $2185.

Alle säumigen Collegen, in Sonderheit diejenigen einiger grösserer Städte des Westens, werden hiermit freundlichst aufgefordert, ihre Beiträge möglichst bald einzusenden.

(j'.)l Lexington Ave., New York City. Dr. F. Lange, Seeretair.

Briefkasten.

Herrn Dr. S., Kiew, Bussland. Leider nicht verwendbar. Die „Med. Monatsschrift" ist bestrebt nur Originalbeiträge von deutsch - amerikanischen Aerzten zu bringen, und bezahlt überhaupt kein Honorar.

Hon. F . K. W., Philadelphia, Pa. Es ist uns erfreulich zu erfahren, dass unser Leitartikel über die Schulen als Infectionsquellen sogar das Interesse eines Congressmitgliedes erregt hat, müssen aber entschieden ablehnen bei der Abfassung und Durchpeitschung von Gesetzesvorlagen mitzuthun. Ihrem Besuch sehen wir übrigens trotzdem mit Ver- gnügen entgegen.

Frau Emilie S., Buffalo, N. Y. Ihre Arbeit zur „Verhütung des gelben Fieber's und zur Hebung desGesundh itszustandes der südlichen Unionsstaaten" haben wir Ihnen soeben zurückgeschickt. Ihre Gedan- ken sind nicht neu und Ihre Schreibweise nicht ganz richtig. Wir wissen nicht was mehr zu bedauern ist das Papier, die Tinte, die Brief- marken oder eine Frau, welche keinen anderen Weg kennt ihre finan- cielle Lage zu verbessern, als monströse Hirngespinnste als medicinische Neuigkeiten auf ahnungs- und arglose Editoren loszulassen. Lassen Si<" das Schreiben und nehmen Sie die Stopfnadel und die Kaffeekanne zur Hand, denn hoffentlich können Sie mit diesen nützlichen Gegen- ständen besser umgehen als mit der Feder und den Eucalyptusbäumen.

Büchertisch.

Ueber den Unterricht in der medicinischen Klinik zu Greifswald. Von Prof. Dr. Friedrich Mosler. Sonder-Abdruck aus „Klinisches Jahrbuch I."

Ueber die Wachsthumsverhaeltnisse des Koerpers und der Organe. Inaugural-Dissertation von Karl Oppenheimer, approb. Arzt in Bruch- sal, 1888.

Therapeutische Notizen der Deutschen Medicinal-Zeitung. Herausgeber Dr. Julius Grosser, 1880—1889. Heft 1. Eugen Grosser, Berlin.

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Leitfaden der Krankenwartung. Zum Gebrauch für die Kranken- wartschule des Königlichen Charite-Krankenhauses. Bearbeitet von Dr. Riedel. Verlag von August Hirschwald, Berlin. 1889.

The Etiology, Diagnosis and Therapy of Tuberculosis. By Prof. Dr. H. von Ziemssen. Translated by David J. Doherty, A.M., M.D. The physicians leisure library. Geo. S. Davis, publisher, Detroit, Mich.

Ueber kuenstliche Ernaehrung und eine neue Methode der Nah- rungsmengen-Berechnung. Von Dr. Th. Escherich, Privatdocent an der Universität zu München. Separatabdruck aus No. 13 u. 14 der Münch. Med. Wochenschrift, 1889.

Ueber die Behandlung des Genu valgum und Genu varum mit beson- derer Beruecksichtigung der Osteotomie. Von Eugen Hahn. Berliner Klinik, Heft 10.

Ninth Annual Report of the State Board of Health of Illinois. Embracing : Report on the State Sanitary Survey. Vital Statistics of Illinois and Coroners' Inquests. Meteorological Tables. Report on State Medicine in 1886.

American Resorts with Notes upon their Climate. B. W. James. Philadelphia und London, F. A. Davis, 1899, pp. 285.

Das Buch enthält ausser ganz geeigneten Bemerkungen über Klima im Allgemeinen und Vor- und Nachtheile von Curorten, eine ziemlich vollständige Aufzählung und kurze, bündige, dabei objective Beschrei- bung der verschiedenen Plätze in den ganzen Vereinigten Staaten, Mexico und Südamerika. Es zerfällt in 12 Capitel, von denen 8 sich mit den einzelnen Localitäten befassen. Die Eintheilung des Authors ist eine etwas willkürliche, und nicht nach den geographischen Bezirken geordnet, so dass Wiederholungen nicht ganz vermieden werden können, und heterogene Climate in demselben Capitel zusammengeworfen wer- den. So finden wir z. B. in Capitel 3 unter den Seebädern Fernandina und St. Augustina, Fla., mit Alaska abgehandelt, während Jacksonville und die Bahamas in dem Capitel 9 mit Minnesota unter den Winter- curorten besprochen werden. Doch thut diese Eintheilung dem Werthe des Buches keinen Abbruch, und ist dasselbe Jedem zu empfehlen, der über die mannigfaltigen Curorte und Mineralquellen der Union sich zu informiren wünscht.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17— 27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist den Westen in den näch- sten 3 4 Monaten, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York.

Dr. A. Seibert.

ORIGINAL ARBEITEN.

L

Lungenemphysem und Bronchialasthma im Kindesalter.

Von

Dr. Richard Stein,

Arzt am Deutschen Dispensary und am Hebrew Sheltering Orphan Asylum

in New York.

Obwohl unsere Kenntnisse über die Entstehungsweise des Lungen- emphysems der Erwachsenen noch sehr dürftig sind, so gehört das klinische Bild desselben zu den uns am besten bekannten Abschnitten der Pathologie. Der fassförmige Thorax, die starre inspiratorische Stellung desselben, der Tiefstand des Zwerchfells, die Ueberlagerung des Herzens durch die Lungenränder, das verlängerte Exspirium, das hypertrophische rechte Herz ; die chronische Bronchitis des Emphyse- matikers, seine Kurzathmigkeit, die intercurrenten asthmatischen Anfälle das sind alles Dinge die Jeder kennt. Und doch ist das Emphysem der Erwachsenen nicht so häufig als man gewöhnlich annimmt. Virchow fand in den Charitelisten in Berlin für die Jahre 1876 1885 im Ganzen nur 0,3% aller aufgenommenen Fälle bei denen die klinische Diagnose Emphysem angegeben war. Aus den Sectionslisten desselben Institutes ergaben sich 0,6 0,7% aller zur Section gelangten Fälle als solche, bei denen das Emphysem die Hauptkrankheit war. Es braucht nur beiläufig erwähnt zu werden, dass hier unter Emphysem, Ueberausdehnung und Elasticitätsverlust des Gewebes zu verstehen sind, welche mit Lungenschwund einher- gehen. Meist vergehen viele Jahre zwischen der ersten Entstehung des Processes und dem Tode.

Virchow ist geneigt eine Erkrankung im Lungengewebe selbst anzu- nehmen, die schon frühzeitig angelegt wird und sich dann im Laufe eines langen Zeitraumes, unter der Begünstigung mechanischer Momente allmälig entwickelt.

Das Lungenemphysem im Kindesalter und dessen verwandte Zustände haben, im Vergleich zu denen der Erwachsenen nur wenig Aufmerksamkeit von Seiten der Aerzte erfahren, trotzdem die Krank- heiten die zum Emphysem führen sehr häufig sind, und trotzdem der ganze Process sich gewissermaassen unter den Augen des Arztes entwickelt. Das sonst unschätzbare Werk von Henoch (Vorlesungen über Kinderkrankheiten) das allerdings nur eigene Beobachtungen enthält schweigt ganz über diesen Gegenstand; andere Lehrbücher

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erwähnen ihn nur mit einigen Worten. Auch begegnet man in der Literatur den grellsten Widersprüchen über das Lungenemphysem der Kinder ; zum Theil liegt das an der Verwirrung in der Terminologie. Der Terminus „Emphysema pulmonum" ist ohne weiteres in die Pediatrik übertragen worden zur Bezeichnung gewisser acuter und subacuter Auf blähungszustände der Lunge, welche mit dem eigentlichen substantiellen Emphysem nur das gemein haben, dass sie zu einer Erweiterung der Lungengrenzen führen, mit dem Kückgang der ursprünglichen Krankheit (Pertussis, Pneumonie etc.) meist wieder ganz verschwinden.

Einige Autoren, namentlich englische und amerikanische, verstehen unter Emphysem im Kindesalter die schlechtweg als „Zellgewebs- emphysem" bekannte, meist aus traumatischer Ursache entstandene Infiltration von Luft in's Unterhautfettgewebe.1) Klinische Angaben über Emphysem der Kinder bei den älteren Autoren fehlen vollends. Die Arbeiten von Heiuitt, Hecker und Hervieux geben wohl genaue anatomische Beschreibungen der an Kindesleichen des frühesten und frühen Alters vorgefundenen emphysematösen Veränderungen, doch fehlen dabei die klinischen Befunde. Heiuitt sagt : In der That ist in der ersten Lebenszeit keine krankhafte Veränderung der Lunge häufiger als das Emphysem. Nach ihm sind besonders die oberen Lappen beider Lungen zu Emphysem geneigt, und namentlich deren vordere Abschnitte. Auch hat er niemals Apneumatose (Atelectase) gesehen, ohne gleichzeitiges Emphysem. Im Uebrigen erstrecken sich seine Erfahrungen nur auf Kinder bis zu drei Jahren.

Hecker beschreibt einen Fall von Lungenemphysem eines neuge- borenen Kindes, welches in utero entstanden ist. Der Fall ist höchst bemerkenswerth und kann einer scharfen Kritik Stand halten ; er ist von gerichtsärztlichem Standpunkte aus von grossem Interesse.

Von den siebenundzwanzig hierhergehörigen Fällen die Hervieux gesammelt hat, stammen neunzehn aus dem Alter vor dem zwanzigsten Lebenstage. Das allgemein verbreitete Emphysem hat er niemals beobachtet.

Eilliet und Barthez sprechen sich schon positiv über das Vorkommen von verbreitetem vesiculären Emphysem bei Kindern aus und geben die klinischen Zeichen desselben mit gewohnter Schärfe der Beobach- tung wieder. Sie weisen namentlich auf den Zusammenhang von rhachitischen Deformationen des Brustkorbs mit Emphysem hin, sowie auf dessen Vorkommen bei acuten Krankheiten der Respirationswege, wobei sie hauptsächlich den Larynxcroup und die verschiedenen Arten der Pneumonie im Sinne haben. Sie geben ferner an, dass sie bei Kindern von fünf bis sechs Jahren Fälle von stationärem substantivem Emphysem beobachtet haben, mit all den characteristischen Begleit- symptomen wie sie bei Erwachsenen vorkommen, vom pfeifenden ver-

*) Siehe The Index of the Library of the Surgeon-General of the United States Army.

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längerten Exspirium bis zur starren inspiratorischen Stellung des Brustkorbes. Auch litten diese Kinder es waren deren fünf an asthmatischen Anfällen.

Steffen, dem ein grosses klinisches und anatomisches Material zu Gebote steht, gibt die erste ausführliche Beschreibung des Emphysems der Kinder. Er richtete seine Aufmerksamkeit ganz speciell auf diese Krankheit. Nach ihm kommt das Emphysem ausserordentlich häufig im kindlichen Alter vor ; bei etwa drei Vierteln der von ihm gemachten Sectionen kindlicher Leichen fand er Emphysem in grösserer oder ge- ringerer Ausdehnung. Auch kommt nach ihm das Emphysem in den ersten Lebensjahren überwiegend häufiger vor als später. Diese An- gaben sind höchst bemerkenswerth und fordern zu weiterer Beobach- tung auf. Entgegen der Angabe von Rilliet und Barthez findet er Emphysem als constante Begleiterscheinung beim Keuchhusten ; dafür hat er klinische sowie auch anatomische Belege. Ferner betont Steffen das mechanische Moment in der Entstehung des Emphysems ; es wird hauptsächlich verursacht durch stossweise ausgeführte, aussetzende, krampfhafte Athemzüge (Husten u. dergl. m.). Dieser Factor ist es auch, welcher dem agonalen Emphysem zu Grunde liegt.

Schliesslich ist noch die Arbeit von Fürst im Gerhardt 'sehen Sammel- werk zu erwähnen, welche den jetzigen Standpunkt unserer Kenntnisse dieser Zustände darlegt.

Es wird wohl Keiner einen Augenblick im Zweifel darüber sein, dass die obengenannten Autoren, wenn sie das Wort Emphysem gebrauchen, einerseits das vicariirende Emphysem darunter verstehen ; das sind Aufblähungszustände der relativ intacten Lungenparthien, welche sich bei acuten oder subacuten Entzündungsprocessen der Lungen ent- wickeln und parallel mit denselben verlaufen ; und andererseits meinen sie damit das zuerst von Traube und später von Cohnheim sobenannte Volumen pulmonum auetum ; das ist eine, gewöhnlich weit verbreitete Aufblähung der Lungenalveolen, deren Entstehung nur auf rein mecha- nische Momente zurückzuführen ist ; dieselbe mag vielleicht Circula- tionsstörungen hervorbringen ; diese sind aber nur vorübergehend, wie das Volumen pulmonum auetum selbst, und schliesslich und das ist die Hauptsache geht dasselbe, soweit uns bekannt, nicht wie das Substantive Emphysem mit Lungenschwund einher. Es fällt dieser Begriff des Volumen pulmonum auetum so ziemlich mit dem der Lun- genblähung von Biermer zusammen.

Leider ist über den Zusammenhang zwischen dem rein mechanischen Emphysem, das sich ja so häufig im Kindesalter findet, und dem Sub- stantiven (vesiculären) Emphysem des späteren Kindesalter und der Erwachsenen so gut wie nichts bekannt. Und doch muss ein Zusam- menhang bestehen. Virchoiv betonte erst vor Kurzem, dass die Ent- stehungsgeschichte des Emphysems sehr häufig in das frühe Kindes- alter zurückzuführen ist ; er kennt gewisse albinistische Zustände der Lunge die sich mit Emphysem zusammenfinden, ein Wahrscheinlich- keitsbeweis dafür, dass das Emphysem noch vor dem fünften Lebens-

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jähr zurückdatirt, wo bekanntlich die Lunge frei von Kohlenstaub ist.

Wie das Emphysem klinisch durch die Verbreiterung der Lungen- grenzen erkannt wird (Skoda), ebenso das Volumen pulmonum auctum. Als Paradigma des letzteren möchten wir die Ausdehnung der Lungen beim Keuchhusten hinstellen.

Die Lungengrenzen der Kinder verhalten sich nach den eingehenden Studien WeiVs und C. Schmidt' s so, dass dieselben überall einen halben und selbst einen ganzen Intercostalraum höher stehen als die der Erwachsenen ; das ist der kindliche Typus der unteren Lungengrenzen. Je jünger das Kind desto ausgeprägter ist derselbe. Ferner ist die relative Herzdämpfung bei Kindern eine verhältnissmässig grössere und mehr markirte, als im höheren Alter. Sie entspricht beinahe der Grösse des kindlichen Herzens, indem sie sich nach links häufig über die linke Mammillarlinie erstreckt, und nach rechts im concaven Bogen über das Steinum verläuft ( Weil ). Dazu kommt noch, was schon lange bekannt ist, dass beim Keuchhusten das Volumen pulmonum auctum wesentlich ein Randemphysem darstellt, und schliesslich dass sich meist zuerst die Lingula der linken Lunge überhaupt ein Locus minoris resistentiae in den Erkrankungen dieses Organs im Zustande der Aufblähung befindet. Somit schlagen sich die Lungenränder über das Herz, und häufig bedecken sie dasselbe vollständig. Entgegen der Annahme von Rilliet und Barthez und übereinstimmend mit den An- gaben aller Anderen, können wir das Vorkommen der Lungenblähung bei der grossen Mehrzahl der Fälle von Tussis convulsiva, allerdings nur von klinischer Seite bestätigen. Nahezu regelmässig ist dasselbe im Stadium convulsivum und darüber hinaus zu constatiren. Häufig besteht diese Lungenblähung wochenlang nach der Dauer der Pertussis selbst ; der Percussionsschall am Thorax ist lauter und voller als sonst, die Lungengrenzen sind nach unten verschoben, und die Herzleere ist schwer oder gar nicht zu bestimmen. Allmälig verschwindet, wenig- stens den klinischen Zeichen nach, das Volumen pulmonum auctum, und es ist anzunehmen, dass die Lunge in den allermeisten Fällen, was ihren Umfang und ihre Elasticität anbetrifft, auf den Status quo ante zurückkehrt. Die Kinder sind dabei gewöhnlich kurzathmig, und ab- gesehen von der während der Acme der Tussis häufig complicirenden Pneumonien, gesellen sich leicht Bronchitis und Bronchopneumonie nach Ablauf des eigentlichen Keuchhustens hinzu. Nichts liegt daher näher als die Annahme, dass sich die Respirationsschleimhaut als auch das Lungengewebe selbst in einem Desintegrationszustand befindet. i) Meist kehrt Alles wieder zur Norm zurück. Inwieweit dieser Zustand geneigt ist permanent zu werden und die Grundlage zum späteren Emphysem zu liefern, darüber wissen wir nichts Positives.

Die grössere Elasticität des Lungengewebes im Kindesalter bringt es mit sich, dass auch noch andere mehr acut verlaufende Processe als es der Keuchhusten ist die Lungenblähung zu Stande kommen lässt.

J) Das Auftreten von Lungenphthise nach Pertussis ist nichts Ungewöhn- liches.

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Hierher gehört das Asthma bronchiale, welches für das Kindesalter zuerst von Politzer statuirt worden ist, dem aber seitdem (1870) so gut wie keine Aufmerksamkeit von Seiten der Kinderärzte geschenkt wurde.

Ueber die Natur des Asthma bronchiale überhaupt, sind die Acten noch nicht geschlossen. Seitdem Bomberg zuerst das Bild des Asthma nervosum zeichnete, indem er dasselbe als einen reinen Reflexvorgang auffasste, schwankte dessen Stellung in der Pathologie fortwährend. Leider muss zugestanden werden, dass die Bestrebungen der neueren Zeit ') dem Asthma bronchiale eine genaue anatomische resp. phy- siologische Basis unterzulegen, als unzureichend anzusehen sind. Die histologischen Untersuchungen der Sputa beim Bronchialasthma haben manchen interessanten Befund aufgedeckt, wie z. B. die Charcot- Ley den' sehen Crystalle und die Cur Schwann1 'sehen Fibrinpfröpfe (die übrigens schon früher bekannt waren), das Wesen des Asthma bron- chiale aber lässt sich wie vorher nur vermuthen. Der (hypothetische) Zwerchfellkrampf (Wintrich- Bamberger) ist längst verlassen worden. Nur Bieget tritt neuerdings wieder für denselben ein, nachdem er ihn lange bekämpft hatte. Das Hinzuziehen der Ley den' 'sehen Asthma- crystalle zur Erklärung des Zustandekommens der asthmatischen Anfälle ist von Leyden selbst und allen Anderen als nichtig anerkannt worden ; die Crystalle finden sich auch sonst noch bei manchen Bron- chitiden, bei Pneumonien, beim Lungenbrand. Ferner treten dieselben auffälligerweise in grösster Anzahl erst nach dem Anfall im Sputum auf. Nimmt man wie Ungar es thut eine " capilläre fibrinöse Bronchitis " oder wie Ourschmann eine "Bronchiolitis exsudativa" als Grundlage des Bronchialasthma an, so zeigt das eben nur, dass man dasselbe nicht als Krankheit sui generis betrachten kann, sondern nur als ein intercurrirendes Symptom gewisser pathologischer Zustände der Bronchialschleimhaut. Denn die Bronchiolitis an sich genügt doch nicht um den asthmatischen Anfall und darauf kommt es doch an zu erklären. Ueber diesen Punkt wurde man sich auch so ziemlich einig. Von diesem Gesichtspunkte aus hat aber die alte Theorie des Catarrhus acutissimus ( Fraentzel- Waldenburg ) ebensoviel Berechtigung, als irgend eine andere. Für das Kindesalter erscheint dieselbe uns am meisten zutreffend.2) Zur Erklärung des Anfalls selbst müssen wir wieder auf den Brochialkrampf Biermer's zurückgreifen. Eine wesent- liche Stütze erhält letztere Ansicht noch durch die Experimente von MacGillavry 3) und von Bieget- Edinger. 4)

*) Siehe namentlich die Verhandlungen des Congresses für Innere Medicin, Wiesbaden, 1882 und 1884.

2) Trousseau hat schon längst auf die Bedeutung des Catarrhs als aetiolo- gisches Moment beim Asthma aufmerksam gemacht.

3) MacGillavry, Nederl. Tjidschrift voor Geneeskunde 1876 und Donders, Discussion über Bronchialasthma-Verhandlungen d. Congresses f. Innere Medic., Wiesbaden 1885.

4) Riegel-Edinger, Zeitschrift f. klinische Medic, Bd. 5, p. 113.

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Das Bronchialasthma stellt also ein Symptom dar das plötzlich auftritt um meist ebensoschnell wieder zu verschwinden. Die zugrunde- liegenden Krankheiten können dabei die verschiedensten sein : Em- physem, Bronchitis, Bronchiolitis, gewisse fluxionäre Zustände der Nasen- und Kachenschleimhaut, und schliesslich gewisse grobanatomi- sche Veränderungen und Neubildungen der ersten Respirationswege, als da sind, Hypertrophien der Nasenmuscheln, Anomalien des Septum narium, Hypertrophie der Tonsillen, Polypen u. dgl. m. Ueber die primäre Fluxion (Weber- Stoerck) kann weiter kein Zweifel sein, nachdem Stoerck direct mit dem Kehlkopfspiegel zum Beginne des Anfalls eine stark auffallende Hyperämie des Kehlkopfs und der Trachea beobachtete. Die catarrhalischen Zustände beim Heufieber mit den consecutiven asthmatischen Anfällen sind bekannt. Vor einiger Zeit behandelten wir eine Dame, die periodisch (nicht nur im Spätsommer) an typischen Asthmaanfällen litt, die jedesmal mit einem Schnupfen anfingen, des Nachts exacerbirten, und mit abundanter Schleimabson- derung aus beiden Nasenhöhlen einhergingen. Nach Aussage der Patientin möchte sie das Asthma gern ertragen, wenn ihr nur nicht die heftige Schleimabsonderung aus der Nase grosse Umstände bereiten würde. Die Untersuchung der Nase ergab stark hypertrophische untere Nasenmuscheln, welche in mehreren Sitzungen mit dem Galvano- cauter zerstört wurden. Es wurden die Anfälle leichter, dieselben verschwanden aber nie ganz.

Es spielt somit das fluxionäre Element, resp. der Catarrhus acutis- simus die Hauptrolle in der Genese des Anfalls. Das eigentliche Wesen desselben soll in einem Reflexvorgang bestehen, hervorgerufen durch die Erregung der peripheren Endigungen des Trigeminus, resp. Vagus. In den Bahnen des letzteren kommt sodann der Bronchial- krampf zu Stande. Inwieweit abnorme Erregung des Zwerchfells mitwirkt bleibt unentschieden.

Das eigentliche Analogon des Asthma bronchiale der Erwachsenen scheint im Kindesalter weniger das Asthma selbst zu sein, als vielmehr eine Erkrankung die ungemein häufig bei Kindern auftritt und uns häufig unsere Nachtruhe stört ; das ist der Pseudocroup. Derselbe beruht auch primär auf einem acuten Catarrh des Larynx und wird schlechtweg als solcher aufgefasst. Catarrhalische Symptome gehen zumeist voraus, der Croupanfall schliesst sich denselben aber erst an. Das plötzliche oft unerwartete Auftreten desselben, meist inmitten tiefen Schlafs, das Wiederkehren des Anfalls, die heftigen dyspnoeischen Erscheinungen bei geringer Fieberbeweguog oder gar Fieberlosigkeit ; das ebenso schnelle Verschwinden des Anfalls ; der Ausgang in einen Bronchialcatarrh mit hohem pfeifenden Exspirium, sind alles Erschei- nungen die ceteris paribus mit dem Bronchialasthma grosse Aehnlich- keit haben. Der Catarrh allein genügt aber nicht zur Erklärung aller dieser Symptome. Es ist mehr als wahrscheinlich, dass ebenso wie beim Bronchialasthma gewisse spastische Momente hinzutreten um den Croupanfall auszulösen.

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Nur vorübergehend wollen wir hier bemerken, dass noch ein weiterer Factor hinzukommt der in der Discussion über Asthma völlig übersehen wurde, der aber, so vage auch dessen Begriff ist, und so wenig positive Unterlage derselbe zur Zeit besitzt, ein wichtiges Agens in der Aetiologie der Lungenkrankheiten darstellt : die Disposition. Dieselbe ist entweder hereditär : es gibt ganze asthmatische und emphysematöse Familien,1) oder sie ist erworben. In letzterer Beziehung sind gewisse Krankheiten zu erwähnen, wie Masern, Keuchhusten und die Rhachitis.

Kinder sind überhaupt sehr zu Catarrhen disponirt und wir sehen asthmatische Zustände sich nicht so selten zu acuten Catarrhen der Luftwege hinzugesellen. Hierher gehören die von Eilliei und Barthez beschriebenen Affectionen der Kinder, welche „durch ihre kurze Dauer, ihre häufige Widerkehr, die Intensität der Dyspnoe, zugleich aber auch durch den geringen Fiebergrad sich den asthmatischen Anfällen Erwach- senen nähern." Henoch hat eine grössere Anzahl solcher Fälle schon bei kleinen Kindern gesehen, häufiger aber in der zweiten Periode der Kindheit ; die Kinder litten schon seit Jahren an diesen Anfällen. Henoch will diese Krankheit als „recidive Bronchitis" benannt wissen. Das Krankheitsbild ist folgendes : Ein Kind das an einem Schnupfen leidet bekommt plötzlich, mit oder ohne Erscheinungen eines Pseudo- croup, hochgradige in- und exspiratorische Dyspnoe, mit beschleunigtem Athmen und äusserst frequentem Puls, bis zu den hochgradigsten Stickanfällen. Die Ergebnisse der Auscultation des Thorax sind verschieden bei verschiedenen Kindern, bald ist Schleimrasseln zu hören, bald nicht. Diese Anfälle können sich wiederholen. Von einer Bronchitis capillaris kann hier nicht die Bede sein ; der Anfall ist gewöhnlich schon innerhalb einiger Stunden vorbei. Es ist nicht erwähnt ob sich Lungenblähung dabei ausbildet.

Wir können zwischen diesem Krankheitsbilde und dem von Politzer unter den Namen Bronchialasthma, Bronclüenkrampf im Kindesalter, beschriebenen Beobachtungen keinen principiellen, sondern nur einen graduellen Unterschied finden. Bei Letzterem war auch zuerst Bron- chitis vorhanden, mit auffallend asthmatischem Character ; später traten dann die entzündlichen Erscheinungen mehr zurück, und es schlössen sich dann asthmatische Anfälle in mehr typischer Weise an. Zwischen den Anfällen bestand meistens noch Bronchialcatarrh. Politzer legt Nachdruck auf das hohe feine Pfeifen, welches allenthalben am Thorax im Anfall zu hören ist. Dasselbe soll sich namentlich auf die Exspiration beschränken und für Asthma bronchiale characteristisch sein. Wenn wir nicht irren, ist das dasselbe Exspirationsgeräusch, welches wir im Englischen unter "wheezing" verstehen. Vor einiger Zeit behandelten wir ein zwölf Monate altes Kind, welches im dritten Monate schon Anfälle von Asthma bekam, welche sich viermal nach- einander alle drei Wochen wiederholten. Zur Zeit als es in unsere Beobachtung kam, hatte es eben wieder einen Anfall hinter sich. Die

!) Siehe Ehebald, D. med. Wochenschr., 1881, VII, p. 137.

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Auscultation des Thorax ergab hohes feines Pfeifen nebst gross- und kleinblasigen Basselgeräuschen ; die Percussion eine deutliche Lungen- blähung ; die Lungengrenzen waren nach allen Kichtungen hin ver- breitert; der Herzstoss fehlte, und absolute sowie relative Herzdämpfung konnten nicht bestimmt werden. Die Inspiration vollzog sich mit einer deutlichen Einziehung, entsprechend der Insertion des Zwerchfells. Diese als „peripneumonische Furche" bekannte Einziehung des unteren Theils des Brustkorbs kommt auch normaliter zur Beobachtung, doch fehlt sie nie bei der Dyspnoe im Kindesalter. Wir kommen auf dieses verschiedentlich als Flankenschlagen, peripneumonische Furche, Harrison'sche Fursche benannte Phänomen, sowie auf dessen Folge- zustände noch weiter unten zurück. Das Kind, um welches es sich hier handelt, war rhachitisch und machte noch keine Gehversuche. Der Thorax zeigte starke Difformität : es war die so häufig vorkom- mende Verbiegung im unteren Drittel desselben vorhanden. Nebenbei bestand aber eine starke Einziehung. Verschiedentliche Messungen ergaben : Der Brustumfang in der Höhe der Brustwarzen betrug 47 cm.; unterhalb derselben nur 45£ cm. Misst man in derselben Höhe über den Thorax von hinterer Axillarlinie der einen Seite zur hinteren Avillarlinie der anderen Seite so beträgt das Maass 28 cm. Weiter unten am Thorax in der grössten Tiefe der Einziehung beträgt das Maass zwischen denselben Punkten nur 25 cm. Die Differenz bezieht sich also im Wesentlichen auf den vorderen Abschnitt des Thoraxunifangs. Im Uebrigen ist der Ueb ergang von der hinteren zur vorderen Hälfte des Brustkastens ein ziemlich schroffer ; die Kippen sind an dieser Stelle winklig nach vorne abgeknickt.

Die Configuration des Thorax im kindlichen Alter ist eine mannich- faltige. Sehr häufig, namentlich bei rhachitischen Kindern findet man Verbiegungen des Manubrium und Corpus sterni, Schrägstellung und Abknickung des Processus ensiformis, ferner Eindrücke der Kippen vorzugsweise in der Gegend der unteren Thoraxapertur, abgesehen von den ganz groben Veränderungen, die als kielförmiger Thorax, Pectus carinatum, Hühnerbrust bekannt sind ; ferner Heteromorphien verur- sacht durch Scoliosen, Kyphosen u. dgl. m. Auch hängt die Form des Thorax vor allen Dingen von der stärkeren oder schwächeren Ent- wicklung der Muskel und des Fettpolsters ab. Die Kleidung, der Füllungszustand der Brust- und Baucheingeweide haben ferner einen directen Einfluss auf die Form des Thoraxskelettes.

Die Einbiegungen an den unteren wahren Rippen sind ein häufiges Vorkommniss ; dieselben erstrecken sich manchmal bis zur Axillarlinie. Von dieser Einbiegung steht dann der Rippenbogen ziemlich steil nach vorn, um sich compensatorisch den, im Kindesalter relativ stark an- gefüllten, Baucheingeweiden anzupassen. Die Entstehung dieser Ein- drücke ist noch nicht genügend aufgeklärt.

Beim Emphysem, vorzüglich aber während des asthmatischen Anfalls, sind Expiration und Inspiration insufficient. Die Lunge ist ad extremum aufgebläht ; auch kann sich theilweise Atelectase aus-

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bilden. Das Zwerchfell wird tief herabgedrängt, und reagirt hierauf mit unregelmässigen krampfhaften Contractionen. Bei der Inspiration werden alle accessorischen Athmungsmuskel am Halse und am Thorax in heftigste Action versetzt. Die Kippenansätze des Zwerchfells folgen letzterem bei jeder Contraction und es bildet sich daher bei der Inspiration die peripneumonische Furche aus. Im Volksmund wird das als Flankenschlagen bezeichnet.

Leidet ein Kind an heftigen Asthmaanfällen mit sich daran an- schliessender Lungenblähung, so wird die Furche immer mehr markirt. Hat man es mit weichen rhachitischen Knorpeln und Knochen zu thun (und das ist ja meist der Fall) so folgen dieselben dem Zug des Zwerch- fells und die peripneumonische Furche wird permanent.

Dieselbe ist nicht wie Steffen behauptet geradezu pathognomonisch für Emphysem. Dieselbe kommt auch vor bei Kindern die von Geburt an chronischen Bronchitiden leiden ; ferner wurde sie auch von Gerhardt für die erworbene Lungenatelectase beansprucht. Im letzteren Fall ist dieselbe anzusehen, als das Bestreben des Thorax sich den nicht- ausdehnungsfähigen (atelectatischen) Partien der Lungen anzupassen.

Den geringsten Widerstand bieten natürlich die weichen Knorpel. Daher ist die Einziehung entsprechend der Mitte der unteren Thorax - apertur am meisten ausgeprägt. Der Processus ensiformis kann zu gleicher Zeit stumpfwinklig abgeknickt sein. Die von uns beobachteten Kinder, welche diese Verhältnisse darboten waren rhachitisch. Ob die permanente peripneumonische Furche constant bei rhachitischen Kin- dern vorkommt, ferner wie sich die Verhältnisse bei nicht rhachitischen emphysematoesen Kindern gestalten, müssen weitere Beobachtungen lehren. Fälle von fassförmigem Thorax bei älteren Kindern sind von Billiet und Barthez, Waldenburg, Ehebald beschrieben. Ueber fass- förmigen Thorax bei ganz jungen Kindern existiren keine Beobach- tungen. Einen solchen Fall hat Herr Dr. Seibert beobachtet und ihn in der wissenschaftlichen Zusammenkunft deutscher Aerzte in New York vorgestellt. Wir lassen die Krankengeschichte des Falles, welche uns Herr Dr. Seibert in freundlicher Weise zur Verfügung stellte, hier folgen : „Es handelt sich um einen Fall von allgemeinem stationären Vesiculäremphysem bei einem Kinde von 14 Monaten. Laut Angabe der Mutter bekam das Kind im Alter von 14 Tagen Rasseln auf der Brust und darauf schweres Athmen. Diese Erscheinungen hielten sich von März 1883 bis zum Sommer desselben Jahres, als entschiedene Besserung eintrat. Im Herbst folgte wieder Verschlimmerung, welche bei feuchter Witterung und nach jedem Gang in die freie Luft besonders stark wurde. Anfangs December soll das Kind eine Lungenentzündung durchgemacht haben, die mehrere Wochen anhielt. Nach Ablauf dieser Complication bestand das Bassein und mehr oder minder grosse Athem- noth weiter fort. Sonst hatte das Kind eine gute Verdauung, und wurde kräftig und stark. Auffallend war nur der ,dicke Leib' des Kindes. Am 20. Februar 1884 brachte die Mutter das Kind in die Kinderabtheilung des Deutschen Dispensary. Der Status war folgender :

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Ein kräftig genährter., gut entwickelter, zwölf Monate alter Knabe ; blühende Gesichtsfarbe. Temperatur normal. Puls und Respiration beschleunigt. Dabei erscheint das Kind nicht schwerkrank, sondern benimmt sich fidel und munter. Beim Auskleiden fällt sofort der grosse Umfang des Thorax und des Leibes in's Auge. Die Form des Thorax ist die als Fassforrn bekannte. Die Zwischenrippenräume sind gross. An der beschleunigten Athmung betheiligten sich alle accessorischen Athmungsmuskel. Die Percussion ergibt hellen Lungenschall bis zur zehnten Rippe herab, auf beiden Seiten des Thorax, bei vollständigem Fehlen der Herzdämpfung. Die Leber und alle übrigen Baucheinge- weide sind durch das ausserordentlich tiefstehende Zwerchfell derartig nach unten gedrückt, dass der grosse Bauch des Kindes dadurch sofort seine Erklärung findet. Die Auscultation ergibt überall Vesiculär- athmen mit theils trockenen, theils feuchten gross- und kleinblasigen Rasselgeräuschen, und ausserdem hohes feines Pfeifen bei der Exspira- tion. Die Herztöne sind kaum hörbar wegen den Geräuschen in der das Herz bedeckenden Luagenpartie.

In diesem Fall also setzte zwei Wochen nach der Geburt des Kindes ein Catarrh der feinen Bronchien der ganzen Lunge ein, und blieb ein volles Jahr bestehen. Jetzt ist das Kind 14 Monate alt. Sie sehen einen immerhin noch sehr weiten Thorax, bedeutendes Tiefstehen der Lunge, aber absolut keinen Catarrh irgend welcher Art. Auch in diesem Fall hat die Wegnahme der Ursache des Emphysems verbunden mit dem Wachsthum des Kindes bei guter Ernährung und Pflege eine theil- weise Rückbildung geschaffen.

Letzthin kam uns folgender Fall zur Beobachtung : Ein fünfjähriger Knabe, der sonst immer gesund war und aus gesunder Familie stammt, bekam im Sommer vorigen Jahres zusammen mit seinen anderen Geschwistern den Keuchhusten ; derselbe war recht heftig. Im letzten Winter acquirirte er hämorrhagische Masern, die mit hoher Temperatur und bedeutendem Bronchialcatarrh verliefen. Hierauf relatives Wohl- befinden. Einige Wochen darauf, wieder heftige Bronchitis mit asthma- artigen Anfällen, die namentlich des Nachts auftraten. Dabei ent- wickelte sich Lungenblähung. Bei der Auscultation hörte man rauhes Athmen, und alle Zeichen eines Bronchialcatarrhs. Ausgeprägtes typisches Bronchialasthma war nie dabei vorhanden, sondern nur Anfälle von Kurzathmigkeit. Die Zeichen des Catarrhs und der Lungenblähung verschwanden allmählig ganz.

Die Entwicklung der Lungenblähung nach den heftigen hämorrha- gischen Masern ist sehr interessant.

Folgender Fall von Lungenemphysem, der jetzt noch, nach drei Jahren besteht, und den wir unter unseren Augen entstehen sahen, ist von speciellem Interesse, da er sich zweifellos aus wiederholten heftigen Attacken von Bronchialasthma entwickelte. Der Fall ist seit drei Jahren in unserer Beobachtung. Es mag desswegen eine etwas ausführ- lichere Beschreibung erlaubt sein :

A. S. ein siebeneinhalb Jahre altes Mädchen, das dritte Kind

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gesunder Eltern ; die zwei älteren Geschwister als auch das jüngste Schwesterchen sind ganz gesund. In der Familie lässt sich keine Tendenz zu Emphysem oder Asthma nachweisen. Das Kind wurde von der Mutter selbst genährt. Kein Sommercomplaint. Mit vierzehn Monaten fing sie zu gehen an. Mit fünfzehn Monaten überstand sie eine leichte Lungenentzündung. Vom Säuglingsalter an war sie zu Bronchialcatarrhen geneigt, namentlich bei windigem Wetter. Sonst war aber ihr Gesundheitszustand ein recht guter. In ihrem fünften Jahr (Mai 1886) hatte sie wiederum eine leichte Erkältung, Schnupfen und Bronchialcatarrh mit leichten Fieberbewegungen. Am zweiten Tag dieser Erkrankung nahm das Hasseln auf der Brust zu, das Kind schlief in der darauffolgenden Nacht sehr unruhig. Gegen Morgen stellte sich stark beschleunigtes Athmen ein, mit weit hörbaren Rassel- geräuschen ; binnen einigen Stunden entwickelte sich dann die hoch- gradigste Dyspnoe. Die kleine Patientin lag da, nach Athem ringend, mit äusserst frequentem kleinen Puls, kalten Extremitäten, die Haut mit klebrigem Schweiss bedeckt, ausgesprochene Theilnahmslosigkeit. Man hörte schon beim Eintritt in's Zimmer, sehr laute, feuchte Rassel- geräusche, die bei der unmittelbaren Auscultation gleichmässig über den Thorax verbreitet zu sein schienen. In diesem Anfall, sowie auch in den späteren war kein Fieber vorhanden. Dieser erste Anfall war so heftig, dass man sogar auf den Exitus lethalis gefasst war. Allmählig hob sich die Dyspnoe ; das Kind hustete in kurzen Intervallen, und unter den Erscheinungen eines Bronchialcatarrhs endete diese Erkran- kung mit Genesung innerhalb einiger Tage. Der Anfall wiederholte sich unter etwas minder stürmischen Erscheinungen einen Monat später (19. Juni.) Das Kind erholte sich dann rasch. Im Spätjahr 1886 trat wieder ein Anfall auf, der sich dann alle zwei bis drei Monate wiederholte. Nach Aussage der Mutter stellen sich die Anfälle nach heftigeren Bewegungen ein, Springen u. s. w. Im Frühjahr 1887, wieder ein heftiger Anfall, ebenso im Juni. Hierauf ging das Kind nach Europa, und hielt sich zuerst im Schwarzwald auf, wo es an Bronchial- catarrhen litt. Während seines Aufenthalts in Europa wurden ihm die Rachentonsille entfernt. Seit ihrer Rückkehr, hatte sie nur zwei leichte Anfälle. Seit letztem Sommer erfreut sie sich guter Gesundheit ; seit einem Jahr etwa sind die Asthmaanfälle ganz ausgeblieben.

Status praesens : Ein seinem Alter entsprechend grosses Mädchen, mit gering entwickeltem Fettpolster. Leichte Kopf- und Kieferrhachitis. Zähne unregelmässig, zackig. Die Knochen der Ober- und Unterextremi- täten im Schaft leicht gebogen. Epiphysenauf treib ung leichten Grades.

Der Thorax selbst ist keineswegs fassförmig. Er ist eher länger als gewöhnlich. Die Fossae supra- und infraclaviculares deutlich markirt. Auffallend ist eine Einziehung die sich der ganzen Länge des Brustbeins entsprechend von der Fossa jugularis bis zum Schwertfortsatz herun- terzieht und in der Gegend des Schwertfortsatzes selbst eine tiefe Grube bildet (permanente peripneumonische Furche). Der Schwertfortsatz im stumpfen Winkel abgeknickt. Der Brustumfang in dieser Gegend

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ist etwa zweieinhalb Centimeter geringer als der Brustumfang in der Höhe der Brustwarzen. Die Lungengrenzen überschreiten die der Norm beträchtlich : In der Mammillarlinie an der 8ten Rippe ; in der Axillarlinie an der oberen Grenze der 9ten Eippe ; in der Scapularlinie im lOten Intercostalraum. Die unteren Lungengrenzen sind frei, nicht adhärent. Die Auscultation ergibt zur Zeit überall vesiculäres Athmen. Der Herzstoss ist weder sichtbar, noch durch die Palpation vernehmbar. Die Herzleere selbst ist nur angedeutet ; die absolute Herzdämpfung ergibt einen Dämpfungsstreifen entsprechend der Stelle des sechsten und siebenten Rippenknorpels. Herztöne sind rein. Sonstige Organe normal.

Wir hatten Gelegenheit verschiedene asthmatischen Anfälle mit zu beobachten, und konnten uns davon überzeugen, dass wir es mit einem Fall von typischem Bronchialasthma zu thun hatten. Die Dyspnoä war in- und exspiratorisch, vornehmlich das letztere. Die Athemzüge waren höchst frequent, bis vierzig und darüber in der Minute. Beiläufig bemerkt wird allgemein die Respirationsanzahl im asthmatischen Anfall der Erwachsenen als verringert oder wenigstens doch nicht vermehrt angegeben ; diese Verminderung wird auf die verlängerte Exspiration bezogen. Das mag regelmässig so sein. Doch behandelten wir vor zwei Jahren einen alten Herrn mit sehr ausgedehntem Emphysem, der an häufig wiederkehrenden heftigen Asthmaanfällen litt. Zu Beginne der Anfälle war stets die Respirationsanzahl vermehrt ; nachdem die Dyspnoe geringer wurde, das Herz sich einigermassen erholte, kehrte die Zahl der Athemzüge wieder zur Norm zurück. Dieser Fall mag eine Ausnahme sein ; wie dem aber auch sei, im Kindesalter scheint die Respirationsanzahl im asthmatischen Anfall vermehrt zu sein. Damit stimmen auch die Beobachtungen von Politzer.

Die physikalischen Zeichen im Anfall sind kurz folgende : Ungemein beschleunigtes Athmen ; hochgradige Actio q aller accessorischen Inspirationsmuskel, Cyanose der Lippen, der Finger, der Fusszehen. Distension der Schlüsselbeingruben und Interc stalräume, scharf markirte Einziehung an der unteren Parthie des Thorax bei der Inspi- ration ; brettharte Contraction der Bauch musculatur bei der Exspi- ration (accessorische Action der Recti abdominis). Verfallene Gesichts- züge, Benommensein des Sensorium ; rastloses Umherwerfen. Erhöhte Lage gibt wenig Erleichterung. Der Puls jagend und unregelmässig. Von Weitem schon hörbar, ein sägendes, rauhes, feuchtes Rasselgeräusch, das am Ende des Exspirium mit hohem, feinen Pfeifen vergesell- schaftet ist. Sonstige Athemgeräusche sowie Herztöne etc. werden durch dieses Geräusch verdeckt. Die Percussion ergibt hellen, lauten Schall; keinen Schachteltou. Entsprechend den hinteren, unteren Lungen- lappen, leeren Schall an circumscripten Stellen (Atelektase ?). Der Husten zuerst spärlich und trocken, fördert später, wenn er häufiger und in Paroxysmen auftritt, zähes Sputum zu Tage.

Innerhalb zwölf bis vierundzwanzig Stunden mildert sich der Anfall,

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doch ist das Rasseln noch viele Tage nach dem Anfall zu hören. Zwischen den Anfällen besteht Kurzathmigkeit.

Aetiologisch ist in diesem Fall von Interesse, dass die Anfälle stets mit einem Schnupfen angefangen haben. Gewöhnlich brachte eines der Kinder den Schnupfen mit nach Hause und die anderen Kinder wurden auch davon ergriffen, wie man das ja so häufig in Familien sieht. Sobald die Reihe an unsere kleine Patientin kam, bekam sie auch bei- nahe regelmässig das ominöse Rasseln, aus welchem heraus sich dann der typische asthmatische Anfall entwickelte. Die Mutter, welche jede Einzelheit der Krankheit mit grosser Genauigkeit beobachtet, glaubt, dass es von grosser Wichtigkeit ist, prophylactisch unsere Patientin, von den anderen Kindern zu entfernen, sowie sich dieselben eine Er- kältung zugezogen haben.

Wir haben es also hier mit einem rhachitischen Kinde zu thun, welches durch heftige Anfälle von Bronchospasmus, ein ausgebreitetes vesiculäres Emphysem acquirirte. Woher die Disposition, bleibt un- aufgeklärt, Masern und Keuchhusten sind nicht vorausgegangen.

Das Emphysem hat sich, seitdem die Anfälle nicht mehr aufgetreten sind, wesentlich gebessert. Es ist nicht anzunehmen, dass sich organi- sche Veränderungen am Herzen ausgebildet haben, und es ist für den Fall eine recht günstige Prognose zu stellen.

Es liegt nicht in unserer Absicht auf eine detaillirte Besprechung differential-diagnostischer Punkte hier einzugehen. Prognostisch wichtig ist es, genau zwischen Asthma bronchiale und Bronchitis capillaris zu unterscheiden. Letztere ist eine der gefährlichsten Krankheiten des Kindesalters. Quoad vitam ist das Asthma aber prognostisch günstig. Stets soll man auch an Lungenoedem denken.

Therapeutisch nur einige kurze Bemerkungen. Gegen die Asthma- anfälle hat uns das Morphium, in dem zuletzt angeführten Fall gute Dienste geleistet. Ein Tropfen der officinellen Solutio Magendie schien den Anfall, wenn nicht geradezu zu couspiren, doch wesentlich zu er- leichtern. Brom, Jod, Ammonium und schliesslich Digitalis thaten gute Dienste. Salpeterpapier, Räucherkerzchen und dergl. m. schienen auch günstig einzuwirken. Einmal probirten wir das von Frankreich aus empfohlene Pyridin ( Germain See ), doch ohne eclatanten Erfolg.

Feuchte Witterung schien in unseren Fällen Erleichterung zu bringen. Im Sommer wirkt am günstigsten Seeluft ein. Seebäder wurden nicht erlaubt. Die pneumatische Kammer erzielte auch vorübergehenden Erfolg. Ein halbprocentiger Kochsalzspray hatte eine vorzügliche Wir- kung im letzten Fall.

Fussend auf die, erst in der neuen Zeit erworbenen Kenntnisse über Nasen- und Rachenasthma, wird man diesen Organen besondere Auf- merksamkeit schenken müssen. Soltmann hat einen Fall von Asthma durch Entfernung von stark vergrösserten Tonsillen geheilt. Ob die Entfernung der Rachentonsille in unserem Fall günstig eingewirkt hat lässt sich ohne Weiteres nicht bestimmen. Dass auch die zugrunde-

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liegenden Krankheiten (Bhachitis etc.) behandelt werden müssen braucht nur angedeutet zu werden.

Zum Schluss noch eine Bemerkung : Es gibt eine Form von Bron- chitis bei Kindern, welche mit Giemen und Pfeifen namentlich während der Exspiration einhergeht. Die Eltern geben an, dass die Kinder von Zeit zu Zeit schwer athmen, ganz abgesehen von den Erscheinungen zu welchen der gewöhnliche Bronchialcatarrh an sich Anlass gibt. Es scheint als spielten bei dieser Form der Bronchitis spastische Momente geringeren Grades mit, als wie sie dem Bronchialasthma zukommen. Dieselben stellen gewissermassen die Uebergangsformen zwischen Bronchitis und Asthma dar. Diese Formen von Bronchitis hat Politzer im Sinn, wenn er von Bronchialasthma spricht, welches mit gleichzeitiger Bronchitis und Fieber einhergeht. Das Bronchialasthma wird in dieser Combination von der begleitenden Bronchitis leicht gänzlich verdeckt.

Sollte es mir gelungen sein, die Aufmerksamkeit der Collegen auf die asthmatischen und emphysematösen Zustände im Kindesalter zu lenken, so wäre der Zweck dieser Zeilen erfüllt.

Meinem Freunde, Herrn Dr. I. Adler, bin ich zu Dank verpflichtet für die freundliche Ueberlassung der zwei zuletzt angeführten Fälle, welche ich zu gleicher Zeit mit ihm beobachtete.

LITERATUR :

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1873, and British Medical Journal, 1874, No. 702.— Williams, C. J. B. : Medic. Times and Gazette. 1872, Bd. I, p. 649.— Soltmann : Asthma bronchiale. Gerhardt's Handb. der Kinderkrankheiten Bd. I, p. 202.

II.

Chirurgische Aphorismen.

Von

Dr. F. Lange,

New York.

a) Allgemeine Bemerkungen zur antiseptischen

Praxis.

Die chirurgische Praxis ist heute zu Tage in Folge der durch die Antisepsis gegebenen Fortschritte so sehr viel dankbarer als früher, und ihre Kesultate sind so in die Augen springend, dass die Vorliebe für diese Disciplin, namentlich unter den jüngeren Collegen, erklärlich ist. Gar Mancher merkt indessen bald, dass die practische Ausübung der antiseptischen Chirurgie ein ganz besonderes Ding ist, welches mit aller Aufmerksamkeit und Consequenz erlernt werden muss, und Die- jenigen, welche nicht ein gewisses Maass von Schulung in die Praxis mitbringen, und nicht das Zeug dazu haben, die Kräfte, welche sie zu leiten haben, und welche ihr eigenes Wirken beeinflussen, zu organisiren und in einem gewissen methodischen Drill zu erhalten, erleben Ent- täuschungen, sehen sich durch manchen Fehlschlag schmerzlich berührt und wenden sich nicht selten wieder von dem Arbeitsgebiete weg, welches sie mit sanguinischen Erwartungen betraten.

Das nimmer nachlassende Einhalten kleinster Details, welches bei dem lebendigen Bewusstsein der zu Grunde liegenden Idee das Kesultat beherrscht, ist auch nicht vielen Menschen gegeben. Es gibt Charactere, welche in ihrem ganzen Leben keine guten Antiseptiker werden dürften,

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und je mehr man verschiedene Chirurgen arbeiten sieht, desto mehr gewinnt man den Eindruck, dass gewisse prädisponirende Character- eigenschaften für das erfolgreiche "Wirken in antiseptischem Sinne immer und immer wieder zur Geltung kommen. Das technische opera- tive Geschick ist in der That nicht mehr von so grosser Bedeutung, wie ehedem. Die scheusslichsten Zerrungen, Quetschungen, Matschereien erträgt der menschliche Organismus, wenn ihm nur der Gefallen gethan wird, dass man ihn nicht inflcirt, und die erfolgreichsten Chirurgen sind jetzt nicht selten solche, deren Operationen man mit dem Gefühl mangelnder aesthetischer Befriedigung ansieht.

Der practische Arzt, selbst wenn er kein sehr geübter Operateur ist, sollte in den täglich vorkommenden Dingen, welche nicht über das Maass seiner technischen Leistungsfähigkeit hinausgehen, in Bezug auf die Wundbehandlung nichts verderben, und eine gewisse gleichmässige Ausstattung des ärztlichen Standes mit der Kenntniss antiseptischer und aseptischer Technik, welche dies garantirt, sollte durch die Lehr- mittel jedes medicinischen Erziehungsinstitutes erreicht werden. Obwohl ich nun der Ueberzeugung bin, dass stets nur eine Minderzahl auf Grund günstiger äusserer Verhältnisse und besonderer Anlage zu einem Wirken in grösserem Maassstabe, ich möchte sagen, geboren ist, wird sich bei gutem Willen fast Jeder bis zu einem gewissen Grade ver- vollkommnen können. Das gute Gelingen in kleineren Dingen gibt dann auch bald das Vertrauen, sich an etwas Grösseres heranzuwagen, vor Allem dann, wenn dies die Indication des Augenblicks gebieterisch erfordert, und es wird hoffentlich so weit kommen, dass durch Messer- scheu und verhängnissvollen Aufschub bedingte Gefährdungen mensch- licher Glieder und Leben zu den grössten Seltenheiten gehören. Zur Zeit ist das leider nicht so, und ist auch hier zu Lande nach dieser Eich- tling noch viel zu leisten. Vielleicht kommt es manchem Kranken zu Gute, wenn ich mir erlaube, den Herren Collegen einige Winke zu geben, welche ich in meiner practischen Thätigkeit stets mit Vortheil beobach- tet zu haben glaube.

Man muss sich bemühen, methodisch und systematisch zu arbeiten und an zwei allgemeine Kegeln sollte man sich bei der Handhabung der Antiseptik halten, deren Vernachlässigung sich in jedem Falle zum Schaden der Kranken fühlbar machen wird.

\ 1 heisst : Alles muss gut vorbereitet sein.

\ 2 heisst : Es muss Arbeitsteilung durchgeführt werden.

Die Vorbereitungen für chirurgische Operationen sind zeitraubend, dauern manchmal länger als die Operation selber, sind aber ausser- ordentlich wichtig. Wenn man in ein Hospital kommt und sieht Wärter, Wärterinnen und Assistenten eilig unterwegs, um dies oder jenes zu holen, was nicht zu rechter Zeit da war, so kann man schon ziemlich sicher sein, dass da keine Ordnung herrscht und wahrscheinlich auch die antiseptische Methode nicht rein geübt wird. Ich selber bin gegen- über Nachlässigkeiten meines Personals in dieser Richtung unnach- sichtig. „Laufereien" während der Visite oder einer Operation sind

297

verpönt und wer sie veranlasst hat, dem wird stets in so intensiver Weise zugeredet, dass er das Bewusstsein eines Denkzettels zurück- behält. Wer die Vorbereitungen zu machen hat, muss sich also darüber klar sein, was er für jeden Schritt seines chirurgischen Handelns braucht und erst wenn Alles bis auf's Kleinste zur Stelle ist, leicht zugänglich steht und so arrangirt ist, dass es durch möglichst wenige Hände zu gehen braucht, und nicht früher, wird mit der Operation oder dem Verbände angefangen.

Paragraph 2 ist nicht weniger wichtig. Seine Beobachtung setzt oft ein reichliches Hülfspersonal voraus und ausserhalb von Hospitälern ist er oft schwer durchzuführen. Die Arbeitstheilung bezweckt, be- stimmten Betheiligten die „septischen" Hülfsleistungen zuzuweisen und ihre thätige Mithülfe an der Wunde womöglich ganz auszuschliessen. Wer den Patienten bei der Operation in einer bestimmten Lage zu halten hat oder die Brechschaale bei Seite stellt oder besudelte Gegen- stände hantirt etc., soll ausserdem nichts thun, was ihn direct oder indirect mit der Wunde in Berührung bringt. Die Dienstbeflissenheit gefälliger Zuschauer muss selbstverständlich ausgeschlossen werden.

Man findet Aerzte, welche sich in der Beobachtung aller Einzelheiten Mühe geben, wenn es gilt einen Unterleibstumor zu operiren oder einen Oberschenkel zu amputiren, dieselben aber für übrig halten, wenn es sich darum handelt, einen eingewachsenen Nagel zu operiren oder eine Phalanx zu entfernen. Das erlaubt die antiseptische Methode nicht und die Collegen, welche sich über diesen Grundsatz hinwegsetzen, treten in Conflict mit Naturgesetzen und erleben Nackenschläge. Die beklagenswerthesten Ereignisse kann man grade im Gefolge solcher kleinen oberflächlich ausgeführten Operationen sehen und es wird die Zeit kommen, wo nachgewiesene Ungenauigkeit in solchen Dingen den berechtigten Grund zu gerichtlicher Anklage geben wird. Grade hier zu Lande, wo der Arzt den Vexationen eines niederträchtigen erpres- sungssüchtigen Gesindels ohnedies mehr ausgesetzt ist, sollten sich die Aerzte dies vorhalten und (auch zur eigenen Sicherstellung) die Kegeln einer gewissenhaften antiseptischen Technik sich anzueignen und zu befolgen suchen. Mit der Phrase : „Ich habe doch streng antiseptisch oder aseptisch gehandelt und ich begreife nicht" etc., suchen sich Viele über Gewissensscrupel hinwegzusetzen. Ich glaube keinem einzigen Manschen, dass er fehlerfrei antiseptisch oder aseptisch gehandelt hat, wenn im Gefolge seiner Handlungen die Zeichen der Infection eintreten, auch mir selber nicht, wenn ich mich zu solchem Einwand bewogen fühlen sollte. Es muss heissen: „Ich habe zwar wissentlich nichts vernachlässigt, aber doch muss ein Fehler begangen sein, denn sonst hätte Dies oder Jenes nicht passiren dürfen. Wo steckt wohl der Fehler ?"

Als Assistent meines geehrten Lehrers Prof. v. Esmarch hatte ich mit meinen Collegen das Uebereinkommen, dass Jeder die Fehler des Anderen controllirte und sich merkte. Bei Tische wurde dann das gegenseitige Sündenregister hervorgeholt. Dabei haben wir, glaube

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ich, Alle sehr viel gelernt. Man bekommt so eine Idee von der Unzahl möglicher Fehlerquellen, lernt es, seine Hülfskräfte zu beobachten und zu schulen und kräftigt das Bewusstsein der Yerantwortlichkeit bei sich selbst und seiner Umgebung.

Mit Aerzten, welche geschulte Hülfe entbehren, muss man nach- sichtig sein. "Wer einmal mit seinen zehn Fingern allein dagestanden hat, auf dem Schlachtfelde oder auf irgend einem abgelegenen Dorf, narcotisiren und operiren musste und in den rohen Hülfsleistungen der Umgebung den ewigen Born erneuter Infectionsmöglichkeit kennen gelernt hat, dem fallen herbe Kritiken von Leuten, welche unter solchen Verhältnissen zu arbeiten haben, schwer. Gäbe es doch hier zu Lande Vereine, welche es sich analog etwa denen des rothen Kreuzes in Europäischen Staaten zur Aufgabe machten, geschulte und zuverlässige Pfleger und Pflegerinnen auf dem platten Lande, in kleinen Städten, in den Armen-Eevieren grosser Städte zu Stationiren, welche dem Arzte vorkommenden Falls eine höchst willkommene Unterstützung zum Heile der Kranken bieten können. Aber leider liegt hier in dieser Beziehung noch Alles im Argen.

So sehr ich nun von der Macht und Wirksamkeit einer streng gehandhabten antiseptischen Methode überzeugt bin, glaube ich doch, dass man sich hüten muss, in der Beurtheilung des Operationsobjectes in Schematismus zu verfallen. Die antiseptische Kraft des Organismus ist ein Factor, mit welchem fast gar nicht gerechnet wird, und welcher gewiss sehr grossen individuellen Schwankungen unterliegt. Unzwei- felhaft müssten wir doch bei lebendigem Leibe verfaulen, wenn nicht beständig ein fäulnisswidriges Agens in uns circulirte. Davon wird der Eine mehr der Andere weniger haben und was Jeder davon hat, das wird auf Grund von Gewebsveränderungen wieder in sehr verschiedenem Maasse zur Geltung kommen. Inwieweit bei einem Tuberculosen, Syphilitischen, einem Diabitiker, Bheumatiker, einem Patienten mit Morbus Brightii etc. unser chirurgisches Handeln überhaupt modificirt werden muss und der Erfolg unserer antiseptischen Maassnahmen beeinträchtigt werden kann, darüber kann nur die Erfahrung ent- scheiden. Individualisirung ist hier die grosse Kunst und für jeden Chirurgen sind seine eigenen Eindrücke die maassgebenden. Unter allen Umständen soll man bemüht sein, Circulationsstörungen zu vermeiden und vorhandene zu beseitigen. Comprimirende Verbände sind bei der Wundbehandlung mit grösster Vorsicht anzuwenden und wo sie Stauung veranlassen, sind sie sehr gefährlich. Wenn man betont, wie wohlthätig die grossen comprimirenden Verbände wirken, welche in der Neuzeit als Occlusivverbände benutzt werden und deren Vortrefflichkeit nicht bezweifelt werden kann, so beruht dies darauf, dass die comprimirende Wirkung dieser Verbände in der That sehr bald nachlässt, gleichwohl aber für die erste Zeit nach der Operation capillären Blutungen entgegen arbeitet, eine reichliche Secretion ver- hindert und durch die gleichmässige Berührung der Wundflächen dem Zustandekommen der prima Intentio Vorschub leistet. Sie sorgen

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ausserdem für Immobilisation in sehr vortrefflicher Weise und unter- scheiden sich, wenn von trockenem Blutschorf incrustirt, in dieser Richtung kaum von festen Kapsel- oder Schaalenverbänden.

Bei der Behandlung von Wunden in septisch infiltrirten Theilen muss von Occlusivverbänden natürlich abgesehen werden, denn es kommt darauf an, durch fortgesetzte Wirkung eines antiseptischen Mittels die fortbestehende Neigung zur Zersetzung in der Wunde zu bekämpfen. In diesem Punkte werden oft noch Fehler gemacht. Viele Collegen sind daran gewöhnt, die Wunde selber mit Protective zu bedecken und thun dies auch z. B. bei Wunden in phlegmonösen Theilen. Damit wird so eine Wunde der Wirkung eines Antisepticums entrückt und unter der inperspirabeln Decke sind bei dem Vorhandensein zahlreicher Fäul- nisserreger die günstigsten Bedingungen für die Zersetzung gegeben, sofern nicht die vorausgeschickte antiseptische Spülung nachwirkt. In diesen Fällen sind permanente antiseptische Berieselungen über leichte Gazeverbände und wiederholte Ausspülungen wirksamer und den Patienten angenehmer. Die Verbände braucht man desshalb nicht oft zu wechseln. Die Drainröhren münden frei durch die Gazehülle nach aussen und werden nur mit feuchten antiseptischen Compressen gedeckt. Solche leichten Gazeverbände kann man in der That fast ganz rein ausschwemmen und längere Zeit liegen lassen, ohne dass die Anwesenheit der beständig durch das Antisepticum unschädlich gemachten Secretreste den Wunden irgend welchen Nachtheil bereitet. Im Gegensatz zu dem heissen Gefühl unter dem typischen Listerver- bande empfindet der Kranke hier meist eine angenehme Kühlung.

Die Aengstlichkeit, mit welcher man früher bei dem Erscheinen des Wundsecretes an der Oberfläche die Indication zum Verbandwechsel gegeben glaubte, hatte ich auf Grund langjähriger Erfahrung für ganz unbegründet, und es ist mir höchst unwahrscheinlich, dass nachträglich durch einen antiseptischen Verband hindurch eine Infection der Wunde jemals stattfindet. Handelt es sich z. B. um eine typische Amputatio mammae mit Ausräumung der Achselhöhle und schlägt, wie gewöhnlich, am Tage nach der Operation das Secret durch den Verband hindurch, so wird die betreffende Stelle einfach mit Bismuth oder Jodoform bestreut und ein aussaugender antiseptischer Verbandstoff darüber gelegt, welchen man nach Bedürfniss wechselt. Schliesslich versiegt die Secretion, der Verband trocknet aus und wird entfernt, wenn man die Heilung im Wesentlichen vollzogen glaubt. In unserem heissen Sommerclima sind diese colossalen Polsterverbände eine Plage für die Patienten. Ich ersetze sie in der Regel am 5 6ten Tage nach Ent- fernung des Drains durch leichtere Gazeverbände.

Von allen minutiösen Details sehe ich in den vorliegenden Bemer- kungen absichtlich ab. Jedes chirurgische Lehrbuch bringt sie wohl in gleich guter Weise. Uebrigens sind das Dinge, die Niemand aus dem Lehrbuch sich aneignet, sondern in der practischen Thätigkeit, und da sollte sie Jeder ernstlich üben, vor Allem diejenigen, welche, ohne sie jemals ernstlich geübt zu haben, sich in absprechenden Kritiken

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ergehen. Leute, welche nichts mehr lernen wollen oder können, soll man lieber bei ihrer alten Routine belassen. Die Kranken fahren in der Regel dabei besser, als wenn sie einer Art carbolisirter Sudelei mit Occlusivbehandlung unterworfen werden.

(Fortsetzung in der nächsten Nummer.)

in.

Ueber die Entfernung von Fremdkörpern aus der Nasenhöhle

bei Kindern.*)

Von

Dr. A. Schapringer,

New Yoek.

M. H.! Die weitaus grösste Anzahl von Fällen, bei welchen die Hülfe des Arztes zur Entfernung von Fremdkörpern aus der Nase in Ansprach genommen wird, betrifft zwei- bis vierjährige, hie und da auch etwas ältere Kinder, welche beim Spielen mit kleinen Gegenständen diese in die Nase hineinschieben. Ich habe Ihnen eine Mustersammlung solcher Gegenstände mitgebracht, enthaltend : einen Schuhknopf, eine Erbse, ein Papierröllchen, ein Korkstückchen, eine Rosine und ein Stückchen von einem Apfel (der letztere Gegenstand ist natürlich bedeutend ein- getrocknet), welche ich selbst aus der Nasenhöhle verschiedener kleiner Patienten zu extrahiren Gelegenheit gehabt habe.

Es kommt gelegentlich vor, dass solche in der Kindheit eingeführte Gegenstände unbeachtet in der Nase verweilen und erst nach vielen Jahren Beschwerden zu verursachen anfangen, und dann erst entdeckt und entfernt werden. Man findet sie dann mit einer dicken Lage von kohlensaurem Kalk überzogen und nennt sie Rhinolithen. Einen solchen Rhinolithen, der als Kern einen Knopf enthielt und den ich aus der rech- ten Nasenhöhle eines 13jährigen Mädchens entfernte, habe ich vor einigen Jahren in einer der „Wissenschaftlichen Zusammenkünfte Deutscher Aerzte" demonstrirt. Er befindet sich gegenwärtig im Museum des College of Physicians in Philadelphia. Es gibt auch Rhinolithen ohne Kerne. Ich habe Ihnen ein Exemplar eines solchen mitgebracht, der aus der rechten Nasenhöhle eines 11jährigen Knaben stammt. Er war sehr bröckelig und ich konnte ihn desshalb nur stückweise entfernen. Man nimmt an, dass eingedickte Schleimpartikel die Veranlassung zur Bildung solcher scheinbar kernlosen Rhinolithen geben.

Bei der Entfernung frisch eingeführter Fremdkörper kommt alles darauf an, dass das Manöver der Extraction rasch vollendet werde und dass dasselbe auf den ersten Wurf, wenn ich mich so ausdrücken darf :

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Med. Gesellschaft der Stadt New York, am 6. Mai 1889.

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„per priman intentionem" gelinge, widrigenfalls die Sache wegen der Ungeberdigkeit der kleinen Patienten viel Zeitverlust und andere Wider- wärtigkeiten mit sich bringt. Ich habe mir im Laufe meiner Erfahrung zu diesem Zwecke eine Methode des Vorgehens ausgebildet, deren Be- sprechung für manchen Practiker nützliche Winke enthalten dürfte. Ich will sie im folgenden in Kürze darlegen.

Es sind bei der Aufgabe, welche uns beschäftigt, zwei Punkte haupt- sächlich im Auge zu behalten : Erstens darf das Kind durch Vorberei- tungen irgend welcher Art nicht erschreckt werden, und zweitens muss der Act der Extraction so rasch ausgeführt werden, dass er schon vol- lendet ist, wenn das Kind anfängt sich zur Wehre zu setzen.

Um diesen zwei Anforderungen zu entsprechen, lasse ich zunächst die Mutter, die ja gewöhnlich das Kind zum Arzte bringt, auf einem Sessel dem Fenster gegenüber Platz nehmen und das Kind in sitzender Stellung auf dem Schoosse halten. Die betreffenden Fremdkörper be- finden sich, sofern nicht schon Extractionsversuche ärztlicherseits an- gestellt worden sind, so nahe hinter der äusseren Nasenöffnung, dass man sie ohne Zuhülfenahme eines Reflectors bequem sehen kann, wenn man den Kopf des Kindes ein wenig nach hinten biegt. Es bringt die Einrichtung, ohne Reflector vorzugehen, den doppelten Vortheil, dass sie für den Arzt das Hantiren erleichtert, und andererseits vermeidet sie den für die meisten Kinder furchterregenden Anblick des Spiegels. Die Stellung des Operateurs ist hinter dem Sessel. Zur Extraction selbst pflegte ich ursprünglich eine sehr schlank gebaute Cürette, die soge- nannte Weber'sche Dra^hschlinge, ein von den Ophthalmologen gele- gentlich zur Herausbeförderung der cataractösen Linse aus dem Aug- apfel verwendetes Instrument zu gebrauchen. Ich habe dieses Instru- ment später zu Gunsten eines kleinen stumpfen Häkchens, des soge- nannten Arlt'schen Schielhakens, verlassen, welch letzteres Instrument vor allen anderen Instrumenten, welche bei diesem Eingriff in Frage kommen könnten, den bedeutenden Vortheil hat, dass es am wenigsten Raum beansprucht, ein Umstand, der bei dem ersten Act des Eingriffs, der Einführung, von Wichtigkeit ist. Der Arlt'sche Schielhaken hat ein kurzes Querstück (im Gegensatz zu dem v. Graefe'schen, dessen Quer- stück etwas länger ist) und ist ziemlich stark gekrümmt. Eine zweck- mässig gekrümmte Sonde würde auch den Vortheil der leichten Einf ühr- barkeit haben, doch ist eine solche wegen mangelnden Griffs nicht so sicher zu handhaben. Mit Hülfe dieses Schielhakens kann man, mit nur wenigen Ausnahmen, alle von kleinen Kindern in die Nase einge- führten Gegenstände bequem und rasch herausbefördern. Die Aus- nahmen will ich später erwähnen.

Der Act der Extraction ist in drei Tempi einzutheilen. Das erste Tempo besteht in der Einführung des Hakens, wobei man beabsichtigt, das Quer- stück des Hakens hinter den Fremdkörper zu bringen. Man haltedabeiden Haken so, dass sein Knie nach oben sieht und dass die Ebene des Hakens parallel ist mit der Meridianebene des Kopfes, d. h. also mit der Nasen- scheidewand ; ausserdem halte man sich mit dem Instrument dicht an

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die Nasenscheidewand. Durch diese Haltung bei der Einführung benutzt man den freien Baum, der sich zwischen der Nasenscheidewand einer- seits, und der untern, beziehungsweise der mittleren Nasenmuschel andererseits befindet, man kann somit auf diese Art rasch und doch schonend vorgehen, ausserdem vermeidet man auf diese Art am sicher- sten, den Fremdkörper nach hinten zu stossen. Ich mag hier erwähnen, dass da alle kleinen Kinder eine sogenannte Stülpnase haben, d. h. dass die Ebene ihrer äusseren Nasenöffnungen ein wenig nach vorn und oben geneigt ist, diese Art der EinführuDg des Hakens dadurch erleich- tert ist.

Im zweiten Tempo wird das Heft des Schielhakens um etwa 45° nach aussen gewendet, so dass sein Knie etwa der Mitte des Nasen- flügels entspricht. Hierdurch wird verhindert, dass der Fremdkörper nach der vom Nasenflügel gebildeten Bucht ausweicht und andererseits wird er gegen den Winkel gedrückt, den die Nasenscheidewand mit dem Boden der Nasenhöhle bildet, der also eine feste Unterlage bildet.

Es folgt nun das dritte Tempo, das Herausbefördern des Fremd- körpers durch Vorziehen des Häkchens. Man hat hier darauf zu achten, dass wenn der Fremdkörper durch die äussere Nasenöffnung tritt, welche eine Verengerung der Passage darstellt, er leicht unter dem Instrument ausgleitet und zurückschlüpft. Dies geschieht besonders leicht, wenn es sich um Gegenstände mit glatter Oberfläche, z. B. einer Erbse oder einem Schuhknopf handelt. Um diesen unerwünschten Zufall zu verhindern, drückt man mit einem Finger der andern Hand von aussen auf den Nasenflügel und folgt mit dem Druck hinter dem Häkchen her.

Die ganze Procedur dauert nicht länger als zwei bis drei Secunden und ist also schon vollendet, wenn das Kind anfängt, sich zur Wehre zu setzen.

Es ist aus dem Vorgehenden ersichtlich, dass der Hauptvortheil des stumpfen Häkchens gegenüber den gebräuchlichen löffeiförmigen und cürettenartigen Instrumenten in der raschen Einführbarkeit besteht. Letztere Iüstrumente kommen mit einer grossem Anzahl von Punkten der Nasenhöhlenwände in Berührung, verletzen desshalb mehr und erfordern mehr Behutsamkeit bei der Einführung, was immerhin einen gewissen Zeitverlust involvirt. Dieser Zeitverlust ist freilich an und für sich ein sehr geringer, er zählt aber bei unserer Aufgabe, bei welcher man mit Bruchtheilen einer Secunde geizen muss, wenn man sicher zum Ziele gelangen will.

Will man lieber ein löffeiförmiges oder irgend ein sonstiges Instru- ment gebrauchen, so wird man auch am besten thun, wenn man in der oben angeführten Weise vorgeht, nämlich beim Einführen den zwischen Septum und unterer Nasenmuschel befindlichen freien Kaum benützt und bei der Extraction den Fremdkörper gegen den Winkel drückt, welchen die Nasenscheidewand mit dem Boden der Nasenhöhle bildet.

Nur diejenigen Körper, bei welchen eine Dimension die anderen bedeutend überwiegt, also längliche Gegenstände, wie z. B. ein abge-

303

brochenes Stück eines Zündhölzchens, eignen sich nicht zur Extraction mittelst des Häkchens, aber auch nicht für löffelförrnige Instrumente oder Cüretten, sondern sie müssen mittelst zangenförmiger Instrumente gefasst werden.

IV.

Ueber intravesicale Behandlung mittelst eines neuen

Instrumentes.*)

Von

De. Carl Beck,

New Yobk.

M. H.! Von dem Bestreben erfüllt, eine Dauerwirkung medicamen- töser Stoffe in der Harnblase zu ermöglichen, habe ich analog den Ein- führungsmethoden in andere Körperhöhlorgane dieses vorliegende, von mir „Blasenpistole" genannte, Instrument construiren lassen. Als Vorbild schwebte mir das Dittel'sche Porte-remede vor, welches sich zur Einführung von Suppositorien in die Pars prostatica vorzüglich eignet.

Sie sehen hier einen vorn offenen Katheter von bedeutender Länge, in dessen Lichtung ein an einem starken Mandrin befestigter Messing-

knopf steckt. Das entgegengesetzte Mandrinende wird von einem kleinen, theilweise den entsprechenden Katheter in seinem Lumen aus- füllenden Handgriffe gebildet.

Wenn die Pistole geschlossen in die Blase eingeführt war, so zieht man an dem Handgriff den Mandrin heraus, steckt einen Stift aus Cacaobutter in die Lichtung und stösst ihn mit dem Knopf in die Blase hinein.

Dem Cacaoballen kann man nach Belieben Borsäure, Creolin, Iodol, Resorcin, schwefelsaures Zink oder Cocain zusetzen. Die Ein- führung ist schmerzlos, auch empfinden die Patienten nachträglich nichts von der Anwesenheit des Stiftes in der Blase. Dieser löst sich unter dem Einfluss der Körperwärme auf und wird, namentlich wenn man das resp. Heilmittel mit Cocain combinirt hat, Stunden lang in der Blase zurückgehalten ; ja, die Patienten geben theilweise an, dass sie noch 14 Stunden nach der Einführung Fetttropfen im Urin wahrge- nommen haben.

*) Demonstrirt in der Deutschen Med. Gesellschaft, am 3. März 1889.

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Meine Experimente erstreckten sich vorläufig auf Fälle von acutem und chronischem Blasencatarrh, Enuresis und Blasenneuralgie Hyste- rischer. Bei ersteren verwandte ich mit Vorliebe 1 2%ige Creolin- und Iodolstifte, bei letzteren Iodol mit Cocain.

Für ein 9jähriges Mädchen, welches seit Jahren vergeblich an Enuresis nocturna behandelt wurde, habe ich dieses kleine Instrument anfertigen lassen, welches die Mutter (die Familie wohnt entfernt von hier auf dem Lande) allabendlich selbst einführt. Seit 4 Wochen ist noch kein Kückfall eingetreten. Günstig hat in diesem Fall vielleicht auch die urethrale Dilatation gewirkt.

Ich glaube auch Nelaton'sche Katheter mit vorn offener Lichtung in dieser Weise construiren lassen zu können, so dass auch ein männ- licher Patient sich selbst Stifte einführen kann.

Bei einem Fall von Blasenconcrementen machte ich die Beobachtung, dass sich dieselben sehr leicht mit der Cacaobutter vermischen* gewissermaassen in diese sich einhüllen, was von diagnostischem Werthe sein kann.

Instrument und Stifte sind jedenfalls noch sehr verbesserungsfähig ; jedenfalls glaube ich aber, dass ersteres von practischer Bedeutung ist, nicht bloss wegen der essentiellen Dauerwirkung, für welche es ursprünglich ausgedacht ist, sondern weil es auch noch zu allen mög- lichen anderen Zwecke verwendet werden kann, so z. B. zur Blasen- ausspülung, welche sich vor der Einführung der Stifte bei Vorhanden- sein von grossen Eiterfetzen empfehlen würde, ferner zur Behandlung der Harnröhre, von Fistelgängen, sogar mancher Uterinerkrankungen, so dass es für einen besonders ökonomisch denkenden Arzt als eine Art Universalschieb emaschine für viele Körpercanäle dienen könnte.

Eine fernere Annehmlichkeit ist, dass die Anwendung nur wenige Secunden Zeit und keine nennenswerthen Vorbereitungen erfordert, was man der Blasenauswaschung nicht nachrühmen kann.

Wenn Sie, meine Herren, die Vorzüge dieser Behandlungsmethode so laut preisen hören, so werden Sie sich mit Kecht fragen, warum nicht schon längst Jemand auf die so nahe liegende Idee des von mir proponirten Heilverfahrens gekommen ist. Da müssten eben doch sehr gewichtige Gründe dagegen sprechen. Die Blase, so heisst es und so haben wir es von unseren Vätern gelernt, verträgt es eben nicht ; sie ist ein „Noli me tangere". Probirt hat es aber, wie es scheint, noch Niemand, und Probiren geht eben immer auch über Studiren.

Man schiebt seit Langem Stifte in die Harnröhre, natürlich zu adstringirenden oder cauterisirenden Zwecken, (namentlich Argentum nitricum !) und gelangt dann bei kurzer Harnröhre ein Aetzstift in die Blase, so machte er dort sehr üble Erscheinungen.

Ein College, dem dieser Error loci passirt ist, spricht meistens mit heiliger Scheu von einem solchen Vorkommniss und bekreuzigt sich vor dem, welcher eine methodische Stifteeinführung in die Blase befürwortet.

Der Stift ist als solcher aber nicht an der stürmischen Blasenreaction schuld, sondern das darin enthaltene Argentum nitricum. Es handelt

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sich also rationeller Weise darum, solche Droguen zu suchen, welche sich mit der Blase wohl vertragen.

Bemerken will ich noch, dass der Knopf des Instrumentes sehr exact gearbeitet sein muss, um die Harnröhre glatt passiren zu können, ferner, dass das Instrument in allen Grössen angefertigt werden kann. Der Preis desselben beträgt 81.50 ; die Stifte kosten einen kaum nennenswerthen Betrag. Ersteres ist bei Instrumentenmacher Eissner, letztere sind bei Apotheker Kau zu haben.

Gestatten Sie mir zum Schluss an diesem 40jährigen Patienten, welchen Ich über Jahr auf der chirurgischen Abtheilung der Deutschen Policlinic wegen eines hochgradigen eitrigen Blasencatarrhs, verur- sacht durch Gonorrhoe mit Stricturenbildung, behandelt habe, die Einführung zu demonstriren.

Dieser Fall brachte mich wegen seiner traurigen Fortschritte so recht auf die Ihnen vorgelegten Gedanken. Da Patient ziemlich viel Residualharn hatte, so lag es ja nahe, gerade diesen recht lange mit starken1 Desinflcientien in Contact zu lassen. Nachdem der Patient 3 Monate lang mit Creolin- und nachher Iodolstiften behandelt worden war, hatte er 12 Pfund an Gewicht zugenommen. Wie Sie sehen, geschieht die Einführung rasch und schmerzlos, auch soll Ihnen der Patient selbst sagen, dass er nachher nichts Unangenehmes empfindet.

V.

Zur Behandlung des frischen Abortus.

Von

De. Von deb Goltz,

New Yokk.

Bei den frischen Fällen ist, wofern nicht eine Inclicatio Vitalis wegen Blutung eintrittt, die expectative Behandlung die beste. Bei den Fällen, in denen eine starke zum sofortigen Handeln zwingende Blutung besteht, ist der innere und äussere Muttermund meistentheils weit eröffnet, so dass das active Vorgehen des Arztes völlig motivirt ist.

Es handelt sich hier in vorliegender Arbeit nur um die Fälle, bei denen eine langsame, den Frauen auffallende Blutung besteht, wo endlich der Hausarzt hinzugezogen wird. Bei der Exploration findet sich nun in der Scheide in Folge des sehr langsamen Sickerns, ziemlich viel geronnenes Blut. Der Muttermund (äussere) zeigt eine Eröffnung, die kaum gestatten würde, die Kuppe des kleinen Fingers hineinzulegen. In diesen Fällen nun rigoros vorzugehen, den Cervixcanal gewaltsam, womöglich mit dem Finger zu dilatiren, halte ich für unrichtig; Ergotin zu geben, meist in Verbindung mit Tc. f erri pomat. sogar für absurd leider geschieht es noch sehr häufig ; mit einer stumpfen Cürette, wie es auch geschieht, sich durch den noch normal engen Cervixcanal und

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über das Hinderniss des inneren Muttermundes hinwegzuarbeiten für höchst gefährlich und unlogisch sogar, denn es 'ist doch absolut unmög- lich, die Contentes des Uterus mit der Cürette durch den undilatirten Cervixcanal hinauszubefördern. In all den Fällen, bei denen ich die folgende Methode angewandt habe, bin ich stets mit dem Resultate sehr zufrieden gewesen.

Ist die Scheide gereinigt (was ich jetzt stets mit einer 2,5% Creolin- lösung vornehme) so führe ich einen Hegar'schen Dilatator ein , dessen Druckkraft ich der Rigidität des Falles anpasse und tamponire darauf mit 4% Salicylwatte. Die Kranke bleibt ruhig liegen; sollten reflectorische Schmerzen vom federnden Dilatator sich einstellen, so werden kleine Gaben von Opium (am besten Tc. Opii) gegeben.

Diese reflectorischen Schmerzen stellen sich nach meiner Beobach- tung höchst selten ein. Den Dilatator lasse ich in ähnlicher Weise wie andere laDgsam wirkende Dilatationsmittel wie Tampon und Laminaria einige Stunden liegen. Findet sich nun der Cervicalcanal in genügen- der Weite und in Proportion zum erwähnten Federdilatator eröffnet, so kann ungesäumt nach einer nochmals vorgenommenen Irrigation der Scheide das Ei als ein Ganzes mit der Polypenzange von Schultz oder der Scheerencürette von Emmet (Curette forceps) entfernt werden. Ist nun das Ei intact herausgebracht, so wird das Cavum uteri mit Jodtinctur ausgewischt, die Scheide mit Wattebäuschchen gereinigt, welche in 2,5% Creolinlösung eingetaucht sind und endlich wird dieselbe mit 4% Salicylwatte tamponirt. Dieser Wattetampon wird am Tag zweimal gewechselt, bis nach einigen Tagen die Patientin das Bett verlassen darf.

Sollte einmal in der Nachbehandlungsperiode der Uterus sich nicht in gewünschter Weise contrahiren, sondern eine Neigung zu Blutungen zeigen, so würde eine Injection mit Ergotin subcutan vollkommen ge- nügen. Diese letztere Möglichkeit ist noch nie zu meiner Beobachtung gekommen, da vermuthlich das Auswischen mit reiner Jodtinctur ge- nügend alterirend auf die Schleimhaut des Cavum uteri einwirkt. Die necrotischen Gewebefetzen, welche in der ersten Zeit ausgestossen werden, werden beim jedesmaligen Tamponwechsel mittels Scheiden- irrigation (2,5% Creolin) fortgeschafft.

Sollte nun die Blutung schon längere Zeit angedauert haben, oder sollte das Blut und die Scheidensecretion einen leichten putriden Geruch gleich bei der ersten Visite zeigen, ist dabei der allgemeine Zustand der Patientin ein nicht sehr günstiger, so ist in der Nachbe- handlung jedesmal das Cavum uteri zu irrigiren. Hierzu habe ich mir einen besonderen Bozemau-Fritsche-Katheter bauen lassen, der ausser- dem, dass sein intrauterines Stück ein besonderes von mir angegebenes Dicken- und Längenverhältniss zeigt, eine innere leicht zu entfernende und frisch zu ersetzende Leitungsröhre aus Gummi hat, um so möglich sicher zu gehen, Iufectionen nicht von einem Patienten zum anderen zu schleppen.

Ich glaube, hier noch besonders auf einige Punkte hinweisen zu

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müssen, welche eine Erklärung für dieses mein hier jetzt schon geübtes Verfahren geben.

Die Behandlung des frischen Abortus mit der Cürette halte ich, wenn nicht dringender Verdacht auf einsetzende Sepsis vorliegt, für unstatthaft, weil es sich in erster Hand um gesundes Gewebe han- delt, in dem durch äussere Verhältnisse meistens bedingt der Abortus als Kesultat sich ergibt. So zum Beispiel findet man das Abortiren Schwangerer bei schwer arbeitenden sich gar nicht schonenden Haus- frauen. Sollte nun in solchen Fällen die Cürette angewendet werden, die doch tief in das Gewebe eindringt und hier so unnöthig gesundes Gewebe zerstört ?

Ueber das Wesen und Sein der intrauterinen Drüsen ist noch herz- lich wenig bekannt, zumal die meisten Zeichnungen und Angaben sogar vager Natur sind ; es ist noch keine übereinstimmende Meinung erzielt worden punkte physiologische Wirkung ; sollte nun es nicht höchst überflüssig sein, mit der Cürette zu arbeiten, zumal wenn gar nicht die Notwendigkeit vorliegt? Es soll hier ganz von der Gefahr einer Penetration des Uteruskörpers abgesehen werden, was in dem vorliegen- den Falle eines Abortus in Folge des senkrechten Druckes seitens der Cürette selbst schon dem Geübtesten passirt ist. Besonders ist, glaube ich, diese hier besprochene Methode eine möglichst schonende, abwar- tende ; es wird weder subjectiv Kraft und schnelles Vorgehen, welches letzteres gewiss in den meisten Fällen seitens der Patienten zum Min- desten mit Angst ertragen wird, noch objectiv viel Schmerzen erzeugen um nämlich hier aus der Erfahrung mitzutheilen, habe ich nur einmal Opium während des Dilatationsstadiums geben müssen, und zwar glaube ich dass in diesem Falle ich ein zu energisch wirkendes Dilata- torium in den Cervixcanal eingeführt hatte.

Weiter glaube ich, dass diese Behandlung im Gegensatze zur Behand- lung mit der Cürette meist von vorn herein ein gutes Kesultat geben muss, wenn, wie es leider so häufig vorkommt, die Operation in den unsaubersten Zimmern und an den unsaubersten Patienten ausgeführt werden muss. Wenn Möglichkeiten folgender Art vorliegen, dass, als ich neulich in das Zimmer einer Frau eintrat, die schon 5 Kinder ge- boren hatte, dieselbe mit ihrer unsauberen Hand in ihre Scheide hinein- langte und mir geronnene Stücke Blut vorbrachte ! ! Weiter glaube ich besonders hinweisen zu müssen auf die Einfachheit der Methode. Die Schmerzlosigkeit des Manipulirens in der ersten Visite macht die Patientin ruhig und vertrauend ; sie sträubt sich nicht mehr und er- leichtert um vieles das weitere Verfahren.

Das Instrumentarium ist einfach. Ausser den Angehörigen braucht man absolut keine weitere Hülfe. Die Operation wird am bequemsten sowohl für den Operateur als auch für die übrigen Betheiligten, Patien- tin und Angehörigen in der Kückenlage (Querlage im Bette) ausgeführt. Ein breites Simon'sches Speculum wird eingeführt, welches leicht von einem Angehörigen abwärtsgezogen wird, dieselbe Person kann nun leicht auch den oberen Scheidenwandretractor halten, ein anderer Angehöriger

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hält die Beine. Nachdem nun die Scheide gereinigt ist und der Ope- rateur sich ein Kriterium über die Blutung geschaffen hat, wird mit einem Tenaculum der Uterus ein wenig vorgezogen, um so leicht das Dilatatorium einzuführen. Nun beobachtet man genau die sofortige Wirkung. Ist alles in zufriedenstellender Weise ausgeführt, so wird nach nochmaliger Eeinigung die Scheide in oben erwähnter Weise mit Salicylwatte (trocken) tamponirt. Die Frau wird nun in ihre frühere Lage gebracht. Nach Ablauf mehrerer Stunden (in denen aber stets Controlle ausgeübt worden ist) entfernt man den Tampon, um das Ke- sultat zu sehen; ist der Cervicalcanal genügend erweitert, so wird unge- säumt mit der ebenso oben erwähnten Polypenzange das Ei geholt, welches meist nun ganz lose im Cavum uteri liegt.

Das weitere Verfahren ist oben in genügender Weise mitgetheilt worden. Der von mir gebrauchte Dilatator ist ganz aus Metall gear- beitet, weit, aber aseptisch und ferner absolut sicher wirkend ich führe augenblicklich 3 starke Nummern, welche ganz genügend sind. Mein Katheter hat 2 verschiedene intrauterine Stücke, welche je nach dem Er- öffnungsstadium zum Gebrauche kommen. Ebenso habe ich die beiden Polypenzangen von Schultze, eine gerade und eine gekrümmte im Ge- brauch. Die Operation ist absolut schmerzlos, wo dann eine Narcose selbst bei den ängstlichsten Patienten niemals nöthig sein wird.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBERT.

Der Staat in der Irrenpflege.

In der Jahresversammlung der „New York Neurological Society" hielt der Präsident derselben, unser geschätzter Mitarbeiter Herr Dr. Geo. W. Jacoby, einen Vortrag über „State Gare versus County Gare of the Insane", der uns einen so guten Einblick in die Irrenpflege im Staate New York verschafft, dass es am Platze erscheint hier näher darauf ein- zugehen. Wir entnehmen dem Vortrag folgende Angaben : Fast alle Staaten der Union erkennen die Staatsirrenpflege als nothwendig an. In New York wurde dieselbe schon im Jahre 1831 vorgeschlagen, 25 Jahre später erklärten sich die Armenaufseher in einer Convention in Utica emphatisch für dieselbe. Im Laufe der Zeit entstanden : In 1843 das New York State Lunatic Asylum für acute Irre, 1869 das Willard Asylum für chronische Irre, 1871 das Hudson River State Hospital und das State Asylum in Middletown, 1880 das Buffalo Asylum und 1881 das Binghampton Asylum für chronische Irre.

Trotz dieser stattlichen Anzahl von Anstalten zum Unterbringen der Geisteskranken, befindet sich noch die doppelte Anzahl solcher Unglück- lichen in den Armenhäusern der einzelnen Kreise (Counties). Durch ein späteres Ausnahmegesetz wurden viele dieser Kreise dazu berech- tigt, ihre armen Irren in den Armenhäusern unterzubringen, und da bei dieser Art der Verpflegung manche kleine Localpolitiker angestellt werden können, so versteht es sich ganz von selbst, dass der Localpatriotismus der Landdistricte sich dagegen sträubt der gegenwärtigen Agitation nachzugeben und ihre Irren dem Staate zur Pflege zu überlassen.

Untersuchungen der „State Charities Aid Association" und der Be- richt des Commissioners in Lunacy haben nicht allein bewiesen, dass die County-Poor-Houses absolut ungenügend und ungeeignet zum Unter- bringen dieser Kranken sind, sondern die bei diesen Gelegenheiten auf- gedeckten Zustände waren theils so mittelalterlich, dass es genügt nur einige derselben hier kurz anzuführen : Im Erie County fand man einen 15jährigen Jungen auf einer Commode festgeschnallt, wo er tagtäglich bleiben musste. Ein 11 jähriges Kind ebenso an einen Stuhl geschnallt. Im Zimmer 15 Kranke und Verrückte, der Wärter ein Idiot. Im Wayne County fand man 2 verrückte Frauen in einem gräulichen Zustand in einer Dachkammer, welche kein Fenster besass und in welcher das Licht durch die Gitterthüre fiel. Eine Irre war blind. Die State Cha- rities Aid Association machte in ihrem Jahresbericht von 1887 folgende Angaben : „Ein irrsinniges Mädchen wird bald in einem Asyl einem

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Kinde das Leben geben, dessen Vater ein irrsinniger Insasse der Anstalt ist." Dieses fand sich im Wayne County.

Im offlciellen Bericht der Armenpfleger von 1889 wurden desshalb be- schworene Aussagen veröffentlicht, welche angaben, dass während ihrer Amtstätigkeit „keine Irrsinnige schwanger geworden sei." Mr. Oscar Craig von Rochester gibt nun an, dass die eidlichen Aussagen wörtlich aufzufassen seien, indem die Schwangere allerdings nicht „irrsinnig" (insane), sondern Idiotin sei.

Jacoby sagt ferner : „Locale politische Interessen beeinflussen und bedingen die Handhabung der armen Irren. Neue Superintendenten bedingen neue Aufseher und Armenpfleger ; die Wahl der ersteren findet häufig statt. Selbst die Aerzte werden ob ihrer Parteifärbung ange- stellt. — Die staatlichen Anstalten werden von einem Board of Trustees geleitet, dessen Mitglieder vom Governeur ernannt werden, und welche kein Gehalt beziehen. Diese wieder ernennen einen Superintendenten auf Lebenszeit, im Fall derselbe sich als competent erweisst." Soweit unser Gewährsmann.

Irrsinnige, ob früher geistig gesund oder nicht, sind stets gehirn- krank, somit ist ärztliche Behandlung derselben unumgänglich. Der heutige Stand der Wissenschaft lehrt, dass Verrückte nur in Anstalten erfolgreiche Behandlung erlangen können, sei auch der Grad des Irrsinns ein angeblich noch so gelinder. Jede Therapie solcher Kranken zu Hause ist ein Unrecht gegen die Patienten selbst und eine drohende Fahrlässigkeitsgefahr für ihre Umgebung. Das sind Tliatsachen die nicht genug betont werden können, und namentlich dem Practiker, der gar zu leicht geneigt ist, sentimentale und materielle Rücksichten obwalten zu lassen, nicht dringend genug zu Gemüthe und zu Verstände geführt werden können. Aber arme, zahlungsunfähige Geisteskranke in Armenhäusern bei schlechter Kost und sonstigen er- bärmlichen, gesundheitswidrigen Verhältnissen unterzubringen, bloss damit eine Anzahl ländlicher Politiker mit fetten Stellen und Salären bedacht werden können, das ist ein Barbarismus der einem civilisirten Volke die Schamröthe in's Gesicht treiben sollte.

Doch die Stunden dieser Misswirthschaft sind gezählt. Unseren wackeren Kämpen für das Wohl der Aermsten aller Armen in diesem reichen Staate rufen wir zur Ermuthigung ein frisches „Glück auf" zu !

Zur Aetiologie der diphtherischen Pneumonie.

In einer weiteren Arbeit (Am. Journ. of the Med. Sciences, June 1889) hat F. Mtcliell Prudden zusammen mit William P. Northrup eine Reihe von Untersuchungen und Experimenten veröffentlicht, welche als Fort- setzung und Schluss der in unserer vorigen Nummer besprochenen an- gesehen werden müssen, und daher der Vollständigkeit halber auch hier besprochen werden sollen.

Broncho -Pneumonie wurde in 61 von 181 an Diphtherie gestorbenen Kindern von Darier gefunden. Salamon fand diese Pneumonie in 69

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aus 121 Necropsien. ScJir-akamp 31 Mal in 54 Leichen. Bei 195 an Diphtherie gestorbenen Kindern im New York Foundling Asylum fan- den die Autoren diese Complication in 133 Fällen.

In 17 von Prudden untersuchten Kinderleichen fand er 16 Mal den Streptococcus diphtheriae in den pneumonisch-inflltrirten Lungenpartien, in grössern Mengen. Dieser Coccus war die einzige Bacterienart, welche in nennenswerther Anzahl angetroffen wurde. Durch Controllunter- suchungen anderer nicht diphtherischer broncho-pneumonischer Lungen- infiltrate von 10 anderen Kinderleichen wurde festgestellt, dass der Streptococcus nur in einem Fall anwesend war, und zw^r in einem Fall von Erysipel (bei welcher Erkrankung dieser Coccus nach Prudden stets gefunden wird), aber nur in den Blutgefässen, niemals auf der Schleimhaut der Bronchien oder in den Alveolen. Drei Lungen von an fibrinöser Pneumonie gestorbenen Kindern ergaben bei der Unter- suchung enorme Mengen von Pneumococcen (nach Fraenkel und Weichselbaum), ausserdem in 2 Fällen den Staphylococcus pyogenes aureus. Streptococcen wurden nicht gefunden. Auch in fünf Fällen von an Darmcatarrh und Marasmus zu Grunde gegangenen Kindern wurden keine Streptococcen in den Lungen gefunden.

Die Bacterien in der diphtherischen Pneumonie finden sich frei in den feinsten Bronchien und in den Alveolen, zusammen mit Exsudat, Eiter- und Epithelzellen. Im Lungengewebe selbst wurden die Coccen niemals gefunden. Bemerkenswerth ist noch, dass sich die Lymph- knötchen in der Lunge und um dieselbe herum wesentlich vergrössert darboten. Ob in denselben Streptococcen gefunden wurden oder nicht, wird nicht angegeben.

Um sich nun zu versichern, dass die bei Pharynxdiphtherie vor- kommende Pneumonie durch directe Aspiration diphtherischer Par- tikel hervorgerufen würde, spritzte Prudden 15 Kaninchen mittelst feiner Spritze Culturen der so gewonnenen Streptococcen durch die Wand der Trachea in die Lunge. In den meisten Thieren lies sich in Folge dieses Eingriffes gutmarkirte broncho- und lobuläre Pneumonien mit Hyperplasie der Lymphknötchen nachweisen. Die Coccen waren frühzeitig aus der Lunge verschwunden. In den meisten Fällen war die hervorgerufene Pneumonie nur oberflächlich und vorübergehend, in den anderen aber war sie von längerer Dauer und involvirte die Wandungen der Lufträume. Wurden die Lungen der Versuchsthiere durch Injection von verdünnter Ammoniaklösung durch die Trachea in Reizzustand versetzt ehe die Streptococcen eingespritzt wurden, so fand sich die nachfolgende Entzündung mehr ausgedehnt und markirt. Die Verfasser kommen zu dem Schluss, dass es sich in den von ihnen unter- suchten und experimentell erzeugten diphtherischen Lungenent- zündungen um Aspirationspneumonien handelt.

Drei Punkte erscheinen uns bemerkenswerth :

1) Das frühzeitige Verschwinden der Streptococcen nach Bewerk- stelligung der Entzündung bei Thieren ;

2) Das Fehlen dieser Bacterien im Blut und in anderen Eingeweiden (Milz, Nieren, Leber) ;

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3) Die Anschwellung aller Lymphknötchen der Lunge und ihrer Nachbarschaft.

Aus diesen Angaben könnte man schliessen, dass auch diese Bacterien unter für sie ungünstigen Bedingungen theils bald im Körper zu Grunde gehen, theils durch die Lymphbahnen resorbirt werden. Ihre Wirkung ist demnach hauptsächlich zuerst als locale aufzufassen, und dürfte uns diese Thatsache die ersten Fingerzeige zur Handhabung einer erfolgreichen Prophylaxe und Therapie der Diphtherie geben können.

Wir könneif sicher deduciren : Die Diphtheriekeime gelangen durch die Athmung in den Bachen, vom Bachen in die Trachea und in die Lunge. Eine erfolgreiche Therapie kann demnach nur eine locale sein.

Upen Letter to the Editor of the International Journal

of Surgery.

Sir : In the last number of your Journal we find " An Answer to Our German Critics," which contains a number of Statements supposed to be cited from the April number of the Medicinische Monatsschrift Your paper had criticised the attempt of the German Hospital, in this city, to import a house physician under contract. If you had taken the ground that any such action would have been against the law, and imprudent on account of the certain deficiency of such a newcomer in the knowl- edge of English and the represeutative duties necessary for such a Position, your criticism would have been just and correct. We answered your criticism, and we now will demonstrate that your quotations and Statements from our article are not what they pretend to be.

1. Quotation: " Starting with the assumption that a German Hos- pital is necessary, as an exponent of medicine, the Monatsschrift, etc."

Answer : We assumed nothing in our article, therefore we could not start with an assumption.

2. Quotation : " Its (the German Hospital's) high position is due to German physicians alone."

Answer : We entirely fail to find this sentence in our article ! We did demonstrate that the fact that the money spent in supporting this hospital was " American " money (so ably pointed out by the Interna- tional Journal) had nothing to do with the good Standing of this Institution.

3. Quotation : " Hence they (the authorities of the hospital) prefer to ' import a colleague,' for the character of even what is known as the better class of American graduates is well known to them."

Answer : We never mentioned the " character," and we never spoke of " the better class " of American graduates. These terms do not appear in the whole article.

What we did say we do not care to repeat here, but we can prove the correctness of our Statements. This cannot be said of the International Journal. Its quotations are not alone complete failures, but as they now stand are simply false.

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It is not our habit to argueat length with people and papers making Statements in the rnanner demonstrated here, but we are inclined to be charitable, and we will now " assume " that the willingness of the young man who translated our former article was greater than his ability, and we will give you the beneflt of the doubt.

We now cite from your reply : " But this is an American Community and its tongue is English. Men of all races and of all tongues are wel- come here ; but they are welcome upon one condition : That condition is that they adopt the language and the social conditio ns that prevail here. Any body of men who have become Citizens, and who seek to maintain and spread by artificial means a foreign tongue and foreign social conditions, are violating the implied contract under which they came here. Speedy assimilation is the only argument for free emigra- tion. The German physicians and the German Hospital is opposecl to such assimilation." {Nota bene: This manner of quoting is the only one customary in scientific journalism.)

"But this is an American Community and its tongue is English." Now that is really too bad ! Why, English is " English, you know, "and i$ therefore also an imported tongue ! Why not start a Crusade against the use of the English tongue, and why not create a " typical American " language ? This would give some of our " typical " sages something to do, and would keep them from attacking people whose only crime it is that they do not " assimilate " exactly and as speedily as the International Journal would have it.

Your statement about our seeking " to maintain and spread by arti- ficial means a foreign tongue" is not correct. This tongue, so foreign to you, is not foreign to us. Our first utterances were in that tongue, and we absolutehj see no cause for being ashamed of this fact ! Did we sign a pledge to throw away all we knew when we came here ? And is it a wrong to use that tongue our mothers spoke to us in ? Why, Sir, it takes the high-handed, tyrannical instincts of a slaveholder, or of.a Kussian autocrat, to put such a statement into print ! We do seek to maintain our mother's tongue, for it has never interfered with our learning English in the least, as we will presently show. The contract we made with this, our adopted country, was to obey its laws, and, if necessary, to fight for them and their safety. We know of no law pre- venting us from using our mother's tongue whenever we feel so disposed to do.*

* For the special benefit of the New England Medical MontUy, which has followed your example in making sweeping Statements in this controversy, and which termed the Germans "the most chauvinistic nation on earth," we will state here that the French colony in Berlin, existing for 200 years, still maintains a French church and a French College (gymnasium). The present Minister of War is a member of this colony, and so was the late Admiral of the German Navy, Count Monts, and many another brilliant soldier and sage. These people were never molested on account of their ancestry and their use of the French tongue. The New England Medical MontUy had better change its name to " Know Nothing Medical Monthly."

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" The German physicians and the German Hospital is opposed to such assimilation" This staternent is as incorrect as the grammar used in expressing it. We were taught in our young days never to speak of things we knew nothing about, and that before we learned English. We have adopted this rule, and have since " adopted the English tongue " also. Both adoptions work very well with us, and we therefore recom- niend their study to you.

" The social conditions that prevail here " are still somewhat at vari- ance between each other in this broad land, and, to teil the truth about it, we have never found any difference between gentlefolks here and abroad.

But to be an American is a distinction and an honor, because above all others he is a free man. Liberated from political bondage he may choose his own custom, his own religion, his own ideas, provided they do not come in collision with the laws of the land. He may read, write and speak English, French, German or American, it is nobody's business but his own ! He may think French cooking, Kussian caviar and German medical education better than those same articles and conditions here, it is his business alone. He may strive to maintain and spread his high notions regardiag the necessity of 4 and 5 years of medical study and of a preliminary education, and may prefer men who have thus been educated ; he may consider the present System of medical education here absolutely insufQcient ; he may not be conceited enough to believe and write that an American Student can learn in 2 winter terms what it takes an Englishman, a Frenchman or a German to master in 4|-5 years, with 2 terms in each year ; and it is his business only, and yet he may be, with all that, no, on account of it, a true patriotic American ; for as such he must be a man of progress, and wide awake in seeing the points needing improvement.

You may set your mind at ease about those horrid expressions : " German " Hospital and " German " graduates. This term is an honor- able one in science, and has no political meaning whatsoever. As we have an " American Academy of Medicine," whose members have en- joyed a füll collegiate preliminary education before studying medicine, so will German graduates club together in a land where it is so awfully easy for any one to become a graduate in medicine. The only crime the German Hospital and the German physicians ever committed, to our füll knowledge, was to teach the German- American Citizens of New York to become tJwroughly American in Charity I

We hope to see the day when the regulation of medical education in all civilized countries will be as evenly perfected as the international postal Service.

Till then let us all be thoroughly American in showing " Charity to all and malice to none," and " Let us have peace."

Editor of the " Medicinische Monatsschrift."

REFERATE.

Arzneimittellehre.

Referirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

1. Bericht ueber das Acetylphentlhydrazin. (Pyrodin).

Endlich scheint es in dem bisher am wenigsten fortgeschrittenen Gebiete unserer Wissenschaft, der Arzneimittellehre, zu dämmern ! Die Chemie als hülfreiche Dienerin hat dieses Alteweiberfach etwas aufge- rüttelt und eine Bahn gewiesen, die zweifellos die schönsten Früchte in der Zukunft zeitigen wird.

Antifebrin und Phenacetin enthalten die Gruppe N H C2 H3 O. Es lag nahe ähnlich constituirte Verbindungen auf analoge Wirkungen zu prüfen. Die ß Acetylamidosalicylsäure, welche obige Gruppe in Ver- bindung mit Salicylsäure zeigt (Eppstein, Dissertation, 1888) wurde fast unwirksam in Bezug auf Temperaturerniedrigung gefunden.

Weit grösseren Erfolg hatte J. Dreschfeld (Clinical observations on Pyrodine, a new antipyretic, Medical Chronicle, 1888; Manchester Med. Society ; British Med. Journal 1888) mit dem Acetylphenyldrazin. Nach- dem festgestellt war, dass Dosen von 0,5 1,0 keine schädliche Einwir- kung auf Gesunde hatte, wurde es bei Kranken probirt und soll es bei 25 Fällen von Scharlach besonders günstig gewirkt haben. Dreschfeld kommt zu den Schlüssen :

1) Pyrodin ist ein mächtiges Antipyreticum.

2) Es setzt die Temperatur schnell herunter. Die Temperaturer- niedrigung bleibt mehrere Stunden stehen.

3) Es wird leicht eingenommen und bewirkt Anregung der Hautthä- tigkeit, aber keine Nausea, Erbrechen oder Collaps.

4) Es wirkt besonders günstig in Fällen von Pneumonie, Scharlach und Flecktyphus.

5) Weniger günstig wirkt es beim Abdominaltyphus.

6) Es wirkt günstig bei Migräne und Neuralgie ; jedoch liegt hier noch keine ausreichende Zahl von Beobachtungen vor.

7) Es soll nur einmal in 18 24 Stunden gegeben werden, und nur einige Tage hindurch.

8) Es hat in Fällen gewirkt in denen andere Antipyretica im Stiche Hessen.

9) Die Dosis für Kinder ist 0,12 0,24 ; für Erwachsene 0,5 1,0.

10) Es ist mächtiger wirkend als Phenacetin und Antifebrin, es ist aber auch toxischer als diese Substanzen. Der letztere Nachtheil wird jedoch aufgehoben, da es nicht nothwendig ist, mehr als eine Dosis in 18 24 Stunden, weil die Wirkung länger andauerte, als bei irgend einem anderen Antipyreticum.

11) Es setzt die Pulsfrequenz ebenso wie die Temperatur herunter und bewirkt häufig Diurese.

Liebreich fügt einem Referat in den Therapeutischen Monatsheften hinzu, dass er in letzter Stunde von Dreschfeld benachrichtigt worden sei, dass die toxische Wirkung sehr zu beachten sei und die Anwendung des Pyrodins einschränken dürfte, was Lepin und E. Gillang vollauf bestä- tigten. Nach den (übrigens sehr empfehlenswerthen) Merk'schen Bulle- tin handelte es sich hierbei um Verunreinigungen des Mittels und

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fordert dieses Welthaus zu neuen Versuchen mit seinem eigenen che- misch reinen Präparat auf.

Dem uns soeben zugegangenen Bulletin Medical zu Folge, hat Georges Lemoine in der Maisitzung der Societe de Biologie höchst gün- stig über das Pyrodin gesprochen. Er gab es meist in Dosen von 0,05, die vollständig genügen, grössere können nach ihm bedrohliche Erschei- nungen machen und räth er nicht mehr als 0,15 p. die zu verabrei- chen. 0,05 setzt die Temperatur bei Phthisikern prompt in einer Stunde um 1 2^° herunter und bleibt dieselbe auch mehrere Tage so, ja manch- mal 6 Tage und mehr auf eine einzige Dosis hin ! Ausserdem ist es in hervorragender Weise schmerzlindernd und " eile procure au malade des journees de bien-etre, pendant l'esquelles tout malaise disparait." Neuralgien, Schulterschmerzen, Gastralgien der Phthisiker verschwinden rasch. Auch die Nachtschweisse beeinflusst das Mittel günstig, der Schlaf wird länger und ruhiger. Die Migräne coupirt es noch besser wie Antipyrin. Mit 0,25 kann man schlimme Zufälle bekommen die an das Antifebrin erinnern: Cyanose des Gesichts und der Extremi- täten, Erkalten der Glieder, herabfallen der Temperatur bis auf 35° C, profuse Schweisse, Beschleunigung, dann fast gänzliches Verschwinden des Pulses und der Kespiration, endlich (!) Collaps, aus dem man Mühe hat den Kranken wieder heraus zu bringen. Gewisse Kranke scheinen gegen das Pyrodin sehr empfindlich zu sein und soll man desswegen beim Gebrauch sehr vorsichtig sein. Der Uebersicht wegen geben wir die Formeln der ähnlichen Verbindungen :

C6H5OH2 C6H5NH2 C6H5N=NOH C6A5NH = NH2 Phenol=Carbolsäure. Anilin. Diazobenzol. Phenylhydrazin.

C6 H5NH=NHC2H30 C6 H4 OC2 H5 NHC2H30

Acetylphenylhydrazin. Phenacetin.

C6 HB OH=C O O H C6 H5 N H C2 H3 O

Paraoxybenzoesäure=Salicylsäure. Acetanilid (Antifebrin).

2. Ueber den Perubalsam. O. Binz. (Centraiblatt f. klin. Medicin No. 15, 1889.)

Da Binz wahrscheinlich dem Perubalsam in Folge der Arbeit von Landerer (Münchener Med. W. 1888 und 1889 auch von Anderen bestätigt z. B. von St. von Vamossy Wiener Med. Presse 1889), eine grosse Zu- kunft voraussagt, gibt er ein phamacologisches Resume des beinahe obsolet gewordenen Mittels. Um Täuschungen der Nachuntersucher vorzubeugen weisst er darauf hin, dass es meist verfälscht in den Han- del kommt. Sollte wirklich ein Specificum gegen die Tuberculose ge- funden worden sein, so räth Binz zur Beindarstellung und Anwendung der Bestandtheile, die höchst wahrscheinlich therapeutisch wirksam sind. 60% der Droge besteht aus Cinnawein oder Zimmtsäuren, Benzyl- äther mit Benzoesäure-Benzyläther. Ferner enthält sie 10% freie Zimmtsäure und ein wenig freie Benzoesäure. Der Rest besteht aus Harz und geringen Antheilen nicht näher bestimmter aromatischer Verbindungen. Aetherische Oele sind nicht darin. Von einer Schädi- gung dieses am wenigsten mit unbequemen Nebenwirkungen behafteten Balsams dürfte bei vorsichtigen Versuchen nicht die Rede sein. Die Nieren sind bei der Anwendung zu controlliren, und sobald Eiweiss auf- tritt, ist mit dem Mittel zu sistiren.

3. Ueber die interne Darreichung des Creolin.

Creolin, das ungiftige Ersatzmittel der Carbolsäure, das, wie es den Anschein hat, letzterer in Zukunft bedeutende Concurrenz machen wird,

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wird aus dem nach Abscheidung der Carbolsäure übrig gebliebenen Theeröl durch Behandlung mit kochender Natronlauge und Colopho- nium dargestellt ist also eine flüssige Harzseife. Neudörfer (Zeit- schrift für Therapie 1889) hat sich mit einem in der Theerdestillation sehr erfahrenen Chemiker (Zmerzlikar) in Beziehung gesetzt, der nun ein constantes Präparat darstellt, dass mit schöner weisser Farbe emul- sionirt, kein unverseiftes Theeröl auf die Oberfläche und kein Harz auf den Boden ausscheidet und ausgezeichnete antiseptische, desinficirende und desodorisirende Eigenschaften besitzt, ohne toxisch oder reizend zu wirken. Es kommt in den Handel unter dem Namen CreolinumVien- neuse.

Ein zuverlässiges Antisepticum für den Darmcanal ist ein längst ge- fühltes Bedürfniss und die in vielen Zeitschriften auftretenden Pillen- recepte, verbunden mit der Aussicht, dass wir bald ein wirklich constantes Präparat in Händen haben werden, (nach der Erfahrung des Keferenten zeigt fast jede Flasche andere Eigenschaften) gibt die Veranlassung auf die innere Darreichung aufmerksam zu machen. Man verschreibt es in Pillen und Capseln (letzteres z. B. Creolin gtt. III, Fabar. alb. puls. 0,3 M. D. ad caps. amyl. Späth.) Verschiedene Aerzte machten Selbst- versuche (0,1-3,7 p. doz. und 8,0 p. die) ohne Störung des Appetits oder anderer Nebenwirkungen zu verspüren. Durch den Gebrauch von kleinen Gaben (0,9) trat eine affällige Verminderung der Darmgase ein, die sich bei grösseren (1,5-6,0) bis zum vollständigen Sistiren steigerte. Die Faeces hatten ihren typischen Geruch verloren, rochen fade und nach grösseren Dosen deutlich nach Creolin. Am Besten wirkt es, wenn es mit den Mahlzeiten genommen wird. In den Creolinharnen fehlt das Indican. Zum Schluss möchte ich erwähnen, dass die antiseptischen Eigenschaften des Creolins von Herrn Erwin von Esmarch, der uns letzten Herbst besuchte, erforscht und bewiesen worden sind.

4. Ueber innerliche Anwendung des Chloroforms. Dr. Stepp. (Mün- chener Med. Wochenschrift, 8, 1889.)

In den vorzüglich redigirten M. M. W. lobt Stepp das concentrirte Chloroformwasser als Darmantisepticum bei Typhus, dann besonders bei Ulcus rotundum (als Zusatz zu Bism. subn. in Schüttelmixtur) und Pneu- nomie. Vorzüglich wirkt es als Gurgelwasser und ist nach ihm besser wie irgend ein anderes Mittel, während es den Vorzug gänzlicher Unschäd- lichkeit hat.

Salkowski war es bekanntlich der auf die antiseptische Eigenschaft des Chloroformwassers hinwies, und bekanntlich schützt jetzt jeder Mi- croscopiker seine Lösungen mit einem Tropfen Chloroform vor dem Faulen.

Augenheilkunde.

Keferirt von Dr. A. Schapringer.

Zur operativen Behandlung und Heilung der Netzhautabloesung. Von Prof. Dr. Schoeler, Berlin. (Berlin, 1889. Verlag von Her- mann Peters. Vergl. Sitzungsbericht der Berliner medicin. Gesell- schaft vom 6. Februar 1889, Berliner klin. Wochenschr., No. 8, 1889.)

S. theilt fünf Fälle von Netzhautablösung mit, welche er mit Hülfe einer neuen Operationsmethode der Heilung zugeführt hat. Diese Me- thode besteht in der Injection von 2 bis 6 Tropfen Jodtinctur in den Präretinalraum mittelst einer Pravaz'schen Spritze, welche mit einem gchielhakenförinig gekrümmten vergoldeten Ansatzrohr aus Piatina

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versehen ist. An der Mündung des Ansatzrohrs ist ein Messerchen so angebracht, dass es das Lumen desselben halbirt und die so ent- stehenden zwei Ausgangsöffnungen setzen sich an den Klingeflächen des Messerchens in feinen Blutrinnen eine kurze Strecke fort. Der Einstich wird derjenigen Stelle entsprechend gemacht, von welcher die Netzhaut- ablösung ausgegangen ist. Man macht dort erst einen Einschnitt in die Bindehaut und lockert sich den Weg mit einem Schielhaken, bevor man das Instrument durch die Sclera stösst.

Sämmtliche operirte Augen waren mit Ausnahme eines einzigen hochgradig myopisch. S. betont, dass sein neues Operationsverfahren nur bei derartigen Netzhautablösungen in Anwendung zu ziehen sei, deren Typus die bei hochgradiger Kurzsichtigkeit auftretende spontane Ablatio retinae darstellt. Was die Pathogenese dieser Form der Netz- hautablösung betrifft, schliesst sich S. ganz der Darstellung von Leber Nordenson an. Nach der Anschauung dieser Autoren beginnt der Process mit einer Schrumpfung des Glaskörpers, welche zunächst eine Ablösung des Glaskörpers von dem centralen Theil der Netzhaut bewirkt. Erst bei weiterem Fortschreiten des Processes entsteht in der Aequatorialgegend, wo der normale Zusammenhang zwischen dem Glaskörper und der Netzhaut ein innigerer ist, in Folge der fortge- setzten Betraction der Glaskörperfasern ein Biss in der Netzhaut und erst von dieser Buptur aus wird die Betina durch das Eindringen der präretinalen Flüssigkeit unterminirt und abgehoben. Bei dieser Form geht also der Netzhautablösung jedesmal eine Glaskörperablösuug vor- aus. Unter dem Einfluss dieser Ansicht über die Aetiologie des Leidens wählt S. nicht den von der abgelösten Netzhaut gebildeten (postreti- nalen) Sack zum Zielpunkt der Injection, sondern den präretinalen Hohlraum zwischen abgelöstem Glaskörper und abgelöster Netzhaut. Er erklärt die günstige Wirkung seines Verfahrens damit, dass da- durch ohne Gefahr weiterer Ablösung zerrende Glaskörperstränge zer- rissen werden und in frisch entstandenen Fällen die Jodtinctur durch die Perforationsöffnung hindurch seine wasserentziehende Wirksamkeit direct auf das hinter der Netzhaut befindliche Fluidum ausübt.

Die Beaction auf diesen operativen Eingriff ist bei Weitem nicht so heftig, wie man erwarten sollte. Der Schmerz unmittelbar nach der Operation ist gering, die Beizerscheinungen an der Bindehaut steigern sich gelegentlich bis zur Chemose, es treten aber niemals Symptome ein, welche subjectiv oder objectiv beunruhigend wirken. In einem einzigen Fall, dem eines 22jährigen jungen Mannes, trat drei Tage nach der Einspritzung von fünf Tropfen Jodtinctur eine Trübung des hintern Pols der Crystalllinse auf. Der Patient war auf einem Stuhle sitzend operirt worden und S. sah in den folgenden Fällen darauf, dass die Patienten während der Ausführung der Injection auf dem Bücken lagen. In zwei von den mitgetheilten Fällen wurde die Jodin jection wiederholt.

Verf. räth, die Jodinjection möglichst frühzeitig zu machen, im Gegensatz zu der früher für die Functionen aufgestellten Begel, nach welcher man acht bis zehn Wochen vom Tage der Ablösung an ge- rechnet warten sollte. Für das Verfahren nicht passend sind natürlich jene Formen der Amotio retinae, welche an und für sich eine günstige Prognose bieten, wie die primäre traumatische Netzhautablösung, die Fälle, welche in Folge von Betinits nephritica oder diabetica beobachtet werden, ferner die Fälle von centraler Netzhautablösung, entstanden in Folge von embolischen Processen in den Netzhautgefässen oder in Folge von Sehnervenscheidenblutung. Diese Formen liefern 10 bis 20 pCt. aller vorkommenden Fälle und auf sie bezieht sich auch nicht die Leber- Norden'sche Theorie von der Entstehung des Leidens durch Glas- körperschrumpfung und in Folge hiervon bewirkter Netzhautruptur.

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Hervorzuheben ist, dass S. sich in keinem einzigen Fall auf die alleinige Wirkung der Jodeinspritzung in den Augapfelbinnenraurn verliess, sondern überall 8 14tägige Bettruhe, Atropin-, bez. Hyoscin- mydriase, Druckverband, Milchdiät und hauptsächlich regelmässig wiederholte Quecksiloerbijodideinspritzungen in die Kückenmusculatur (0,01 jedesmal) zur Unterstützung des localen Eingriffs in Anwen- dung zog.

Spontaneous Cure of Retinal Detachment. F. C. Hotz, Chicago. (The American Journal of Ophthalmology, Dec., 1888.)

H. theilt einen merkwürdigen Fall von spontaner Heilung einer Netzhautablösung mit. Ein 74j ähriger Farmer, der, so weit er sich erinnern konnte, auf dem linken Auge niemals hatte gut sehen können, stellte sich wregen bedeutender Abnahme des Sehvermögens auf dem von jeher stark kurzsichtigen rechten Auges vor. Diese Abnahme war vor zwei Monaten eingetreten und Pat. wünschte dieses Auges wegen behandelt zu werden. H. constatirte Netzhautablösung nach unten ; die Medien waren klar. Auf dem linken Auge bestand reifer Alters- staar mit guter Lichtempfindlichkeit und richtiger Projection in allen Theilen des Gesichtsfeldes. H. schlug nun vor, dieses Auge der Staar- operation zu unterwerfen, während er gegen die Netzhautablösung im rechten Auge nichts unternehmen wollte. Pat. nahm den Vorschlag an, die Operation gelang nach Wunsch und als Pat. am zehnten Tage nach derselben entlassen werden sollte, fand sich bei der Untersuchung der Augen, dass sich der abgelöste Theil der rechten Netzhaut spontan wieder angelegt hatte. H. hatte Gelegenheit, den Fall nach Ablauf eines Jahres wiederzusehen und zu constatiren, dass die Heilung der Netz- hautablösung eine dauernde geblieben war.

Aehnliche Fälle von Spontanheilung der abgelösten Netzhaut werden von Zeit zu Zeit auch von anderen Seiten berichtet und fordern zur Vorsicht in der Beurtheilung der Wirksamkeit von neuempfohlenen Behandlungsmethoden, insbesondere von operativen Eingriffen auf.

Detachment of the Retina in three successive Generations of one Family. By Adolf Alt in St. Louis. (The American Journal of Ophthalmology, December, 1888.)

Ein 49jähriger Mann consultirte A. wegen frisch entstandener Netz- hautablösung im rechten Auge, auf welchem er übrigens schon von jeher schlechter gesehen hatte, als auf dem linken. Letzteres bot emmetro- pischen Bau, das andere war wahrscheinlich myopisch gewesen. Die eingeschlagene Behandlung (Pilocarpininjectionen und innerlich Subli- mat) erzielten keine Besserung. Ein Jahr später stellte sich die 18jährige verheirathete Tochter dieses Patienten ebenfalls mit frisch entstandener rechtseitiger Netzhautablösung vor, welche erfolgreich behandelt wurde. Diese Patientin war auf beiden Augen kurzsichtig. Die Mutter des ersten Patienten war, wie angestellte Erkundigungen ergaben, s. Z. bei Albrecht v. Graefe wegen Netzhautablösung in Be- handlung gestanden. Es war sonach bei Grossmutter, Vater und Tochter nacheinander Netzhautablösung aufgetreten.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn.

1. UEBER DEN EINFLUSS DES GALVANISCHEN STROMES AUF DIE MAGENSAFT -

abscheidung. A. Hoffmann. (Berlin klin. Wochenschr., No. 12 und 13, 1889.)

H. hat an 7 Personen mit normaler Magenfunction im nüchternen Zustande den galvanischen Strom percutan 20 Minuten hindurch auf

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den Magen einwirken lassen und konnte dann stets mit der Sonde eine erhebliche Menge (50-70 cc.) wirksamen Magensaftes gewinnen, Controll- proben ohne Galvanisation wurden gleichfalls angestellt ; da konnte man mit der Sonde nur wenige CC. Flüssigkeit gewinnen, die nach H. (auch ich stimme ihm bei) von dem Sondenreiz herrührten.

Somit hat der galvanische Strom auch percutan angewandt einen Einfluss auf die secretorische Thäthigkeit des Magens und ist daher eine weitere Prüfung für die therapeutische Verwerthung desselben auch auf dem Gebiete der Magenaffectionen von Belang.

2. Der Einfluss der Ernaehrung auf die Entstehung des Magen- geschwuers. von Sohlern. (Berlin, klin. Wochenschr, No, 13 und 14, 1889.)

Auf einer Eeise durch Russland hatte von Sohlern Gelegenheit von den dortigen Aerzten zu erfahren, dass in Grossrussland das Ulcus ven- triculi rotundum zu den seltensten Krankheiten gehöre, von Sohlern führt die Aeusserungen vieler bekannten russischen Hospitalärzte an, aus denen hervorgeht, dass die Krankheit dort sehr selten ist. Da das Material der Hospitäler zum grössten Theil aus dem Landvolk sich zusammensetzt, und dieses in Russland sich beinahe ausschliesslich aus Pflanzenkost ernährt, so stellte von Sohlern auch Erkundigungen darüber an, wie sich die Rhöner und die Alpländer (Volksstämme, die sich gleichfalls hauptsächlich von Vegetabilien ernähren) in Bezug auf die Ulcuserkrankung verhalten. Die Berichte der Aerzte stimmten auch hier darin überein, dass das Ulcus in diesen Gebieten selten sei. In Deutschland, England, Amerika gehört das Ulcus zu den häufigsten Erkrankungen ; wodurch tritt dasselbe bei jenen oben angeführten Völkerschaften in den Hintergrund ? Der Reichthum der Nahrung an Eiweiss kann hierbei keine Rolle spielen, denn die Kost des Russen ent- hält in den Vegetabilien wenigstens ebensoviel Eiweiss, wie die des Deutschen im Fleisch. Da nun die vegetabilische Nahrung viel reicher an Kali ist, als die animalische, so nimmt von Sohlern an, dass die Kalisalze, welche in grösserer Quantität bei der vegetabilischen Nahrung in den Körper eingeführt werden, einen vermehrten Gehalt des Blutes an Kali bedingen und dadurch jene Immunität gegen Ulcus hervorbringen.

[Um diese Theorie auf eine etwas sicherere Basis zu stellen, hätte von Sohlern den Beweiss erbringen sollen, dass die Grosstädter in Russ- land, die, wie ich weiss, ziemlich viel Fleisch verzehren, ebenso häufig an Ulcus erkranken, wie die Deutschen etc. Damit wäre sicher gestellt, dass wirklich die Ernährung und nicht die climatischen Verhältnisse die ursächlichen Momente für jene Eigenthümlichkeit abgeben. Allein nach den Aeusserungen der russischen Aerzte scheint es hervor- zugehen, dass Ulcus in Grossrussland selten vorkomme, gleichviel, ob in der Land- oder Stadtbevölkerung. Bei der Wichtigkeit dieses Gegenstandes erscheint es von hohem Werth, dass von Sohlern weitere Aufklärung über diesen Punkt gebe. Ref.]

3. The Behavior of Hydrochloric Acid in the Stomach of phthisical Patients. With a few Remarks on the Presence of Hydrochloric Acid in Sea-sickness. Max Einhorn. (Medical Record, May 4, 1889.)

Im ersten Theil der Arbeit wurde der Nachweis geliefert, dass in den meisten Fällen von Lungenschwindsucht die Salzsäure im Magen sich vorfindet, ferner, dass die Acidität häufig erhöht ist, und dass schliess- lich die Beschaffenheit des Appetits nicht von dem Vorhandensein oder Fehlen der Salzsäure abhängt. Im zweiten Theil werden einige Unter- suchungen, die über das Erbrechen in der Seekrankheit angestellt worden sind, mitgetheilt. Die Salzsäure war stets, sobald das Er- brechen erst 3—5 Stunden nach der Mahlzeit eintrat, anwesend.

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4. Ueber Coma diabeticum. Alfr. Kirstein. (Deutsch, med. Wochen- schr., No. 15, 1889.)

K. gibt eine übersichtliche Darstellung der bisher gefundenen Kennt- nisse über Coma diabeticum. von Dusch hat zuerst im Jahre 1854 diesen pathologischen Zustand entdeckt. Kussmaul hat später eine genaue Schilderung von drei Fällen von Coma diabeticum gegeben. Das auffälligste Symptom ist die Dispnoe ; bei Beginn derselben ge- rathen die Kranken in grosse Aufregung mit Stöhnen und Jactation ; allmählig tritt Benommenheit des Sensoriums ein und schliesslich tiefes Coma. Unter anhaltender Dyspnoe wird der Puls stets schwächer, bis der Tod die Scene beendet. Petters glaubte im Aceton, das er im Urin eines Diabetikers fand, die Ursache für das Coma gefunden zu haben. Allein Frerichs vermochte später Aceton sowohl wie Acetessig- säure in Tagesdosen von 10 12 gr. Menschen zu verabreichen, ohne dass dieselben irgendwelche Nachtheile davontrugen. So war die Lehre von dem Coma diaceticum gestürzt. Erst in der neuesten Zeit hat man genauere Kenntnisse von dem Wesen des Coma diabeticum er- langt. Schon Boussignault fand bei einem Diabetiker eine bedeutende Vermehrung der Ammoniakausscheidung durch den Harn. Haller- vorden fand später unter Naunyn in manchen Fällen von Diabetes gleichfalls eine excessive Vermehrung des Ammoniaks im Urin ; der Gehalt an Ammoniak betrug pro die 4—6 gr., während normaliter sich nur 0,7 0,9 gr. vorfinden. Nun gibt aber die Ammoniakausscheidung im Harn einen Maassstab für die Säuremenge, welche sich im Körper gebildet hat, wie dies Hallervorden gezeigt hat. H. konnte nämlich nachweisen, dass das im Körper vorräthige Ammoniak erstens in der Leber zur Harnstoff bildung verwandt wird, zweitens aber dazu dient, sämmtliche in die Blutbahn gelangende Säuren zu binden (sie werden Ammoniumsalze), damit so das Blut das für sein Leben nöthige alca- lische Beschaffenheit behalten kann. Säuren, die in den Körper ge- bracht werden oder sich daselbst bilden, werden als Ammoniumsalze im Harn ausgeschieden. Da nun bei den Diabetikern diese vermehrte Ammoniakausscheidung nachgewiesen war, so mussten die Säuren ver- mehrt sein. Stadelmann und Minkowski gelang es die Säure, welche sich im Blute bildet und im Harn zur Ausscheidung kommt, zu ent- decken und rein darzustellen ; es ist die #-oxy-Buttersäure. Nach diesen gefundenen Thatsachen wurden folgende Theorien über das Wesen des Coma diabeticum aufgestellt : Tritt "bei einem Diabetiker eine vermehrte Bildung der /?-oxy-Buttersäure ein, derart, dass das im Blute kreisende Ammoniak nicht ausreicht dieselbe zu sättigen, so werden dem Blute Alkalien zur Bindung der Säure entzogen, und es entstehen durch diese Autointoxication jene Erscheinungen, die wir als Coma diabeticum bezeichnen. Eine Folge dieser Theorie ist, dass man bei Coma diabeticum grosse Mengen Alkalien in die Blutbahn bringen muss ; und Minkowski gelang es wirklich einmal einen Pat. mit Coma diabeticum durch intravenöse Injectionen von Soda (3%) in phy- siologischer Kochsalzlösung am Leben zu erhalten.

5. Die symptomatische Bedeutung und Therapie des Kesidualharns. Von Leopold Casper. (Berliner Klinik, Januar, 1889.)

Unter Residualharn versteht man bekanntlich diejenige Menge des Harns, die nach dem Uriniren in der Blase zurückbleibt. Eine gut functionirende Blase ist nach dem Uriniren vollständig leer. Eine Ver- minderung der Functionstüchtigkeit der Blase, so dass Eesidualharn sich vorfindet, kann, nach Verfasser, aus folgenden pathologischen Störungen resultiren :

1. Defect der Blaseninnervation (bei Tabes dorsualis und Myelitis). 2. Der Harnausfluss ist verlegt oder verschlossen (enge Stricturen,

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Prostatahypertrophie, Prostata- und Blasentumoren). 3. Atonie der Blase (d. h. die Blasenniusculatur ist geschwächt, und die Contractions- fähigkeit des Detrusor vesicae verringert.)

Kirstein hebt hervor, dass man den Verdacht auf Residualharn hegen müsse, sobald lange Zeit hindurch häufiges Uriniren fortbesteht, ferner überall da, wo sich ein unfreiwilliges Abfliessen von Harn vor- findet, welches nach K. viel häufiger die Folge einer Ketentio urinae, als einer Incontinentia urinae ist ; ist nämlich die Blase zu sehr mit Urin angefüllt, so tritt ein Ueberfliessen desselben ein. Kesidualharn wird dadurch nachgewiesen, dass man Pat. erst uriniren lässt und dann katheterisirt, fliesst jetzt noch Harn ab, so ist es eben Residualharn.

Die Therapie anlangend, so wird man zunächst, wo möglich, die Ursachen des Residualharns zu beseitigen suchen. Bei Atonie der Blase und centralen Lähmungen derselben wird man sich auf ein regel- mässiges Catheterisiren beschränken müssen. Die Häufigkeit des Katheterisirens hängt von der Menge des Residualharns ab. Beträgt die Menge 100 150 CC, so catheterisirt K. einmal in 24 Stunden, be- trägt dieselbe 150 200 CC, zweimal. K. empfiehlt schliesslich weiche Nelaton'sche Catheter zum entleeren der Blase und peinlichste Des- infection.

Interne Medicin.

Referirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Ueber Zuckerausscheidung durch den Harn bei Pancreaserkrankungen. Dr. Friedrich van Ackeren. (Berl. Kl. W. No. 14, 1889.)

Bei einem an Carcinom des Pancreas leidenden Arbeiter unterzog Verf. auf Veranlassung Gerhard's den Harn einer genauen Prüfung, uud constatirte das Vorhandensein von Maltose neben einer anderen als Polysaccharat angesprochenen Zuckerart. Man fand, dass lange Zeit verfloss ehe die Reductionsproben eintraten, während die Rubner'sche negativ ausfiel, und kam desshalb auf den Gedanken, mit Phenylhydrazin das Osazon des neuen Zuckers zur näheren Cha- racteristik darzustellen. Ausser der Maltose und einem Polysaccharat, dessen Phenylhydrazinverbindung sie darstellten, fanden sie auch reichlich Indican, dagegen keinen Gallenfarbstoff. Der Stuhl bot niemals die Zeichen des Fettstuhls dar, dagegen fanden sich um denselben reich- lich quergestreifte Musculatur. Le Nobel hatte 1875 bei einem Falle von wahrscheinlicher Erkrankung des Pancreas (Section nicht gemacht) durch Eindampfen des Harns, Extrahiren mit Alkohol und Fällen mit Aether ein Kohlehydrat dargestellt, das in wässriger Lösung Barford's Reagens nicht reducirte, wohl aber Fehling und alkalische Wismuth- lösung. Nach Kochen mit Salzsäure gab auch Barford's Reagens positives Resultat was Alles für Maltose spricht.

Verf. glaubt, dass das Auftreten von quergestreifter Musculatur in den Faeces, sowie das Auffinden von unzeiiegten Kohlehydraten besonders von Maltose eine diagnostische Bedeutung besitzt.

Schwere Antipyrinvergiftung bei einem Kinde (Antipyrinepilepsie). Von Docent Dr. Franz Tuczek in Marburg. (Berlin. Klin. W. No. 17, 1889.)

Verf. bringt in Erinnerung, dass das A. für Warmblüter ein Nerven- gift ist, welches erst Reizung, dann Lähmung der musculo- und varo- motorischen Centren bewirkt. Als zuweilen vorkommende unange- nehme Nebenerscheinungen beim Menschen erwähnt T. die Uebelkeit, die conträren Temperatursteigerungen und Collaps, von welchem seil st

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schon nach kleinen Dosen Intoxication, selbst Tod in mehr als drei Dutzend Fällen in der Literatur beschrieben sind.

T. gab einem Kinde mit Keuchhusten Antipyrin nach der Vorschrift von Sonnenberger (3 Mal täglich soviel Decigramm als das Kind Jahre zählte). Der kräftige, bisher stets gesunde 4-jähr. Knabe, der nie an Krämpfen, Rachitis oder an Würmern gelitten hatte, bei dem mit Bestimmtheit jede andere Intoxication sowie Indigestion ausgeschlossen werden konnte, verfiel aus völliger Gesundheit (abgesehen von Keuch- husten), nachdem er drei Wochen lang täglich 1,2 Antipyrin genommen hatte, nach vorausgegangenem Erbrechen in einen Zustand von Som- nolenz, der in tiefen Sopor überging ; in diesem Zustande stellten sich motorische Reizerscheinungen stürmischer Art ein, gehäufte epilep- tische Anfälle, serienweise, theils complete mit allgemeinen Convul- sionen, die in bestimmter Reihenfolge eintraten, theils incomplete mit partiellen einseitigen Zuckungen ; Muskelspannuugen, Zähneknirschen, Iactationen ; eigenthümlieher Athemtypus (schnüffelnde Inspirationen mit Athempausen), Arythmie der Herzthätigkeit, Pupillenerweiterungen. Gleichzeitig trat ein maculöses Exanthem auf bei subnormaler Tem- peratur und verlangsamtem gespannten Puls. Am dritten Tage begann das Bewusstsein sich wieder aufzuhellen, die Krämpfe nahmen ab und kehrten vom vierten Tage nicht mehr wieder. Darauf einige Tage dauernde Ermüdungserscheinungen, dann vollständige Genesung. Ausser der toxischen Rinden epilepsie ist die während des ganzen Krankheitsverlaufes beobachtete Acetonurie bemerkenswert]!, die Verf. nicht nach Jahsch, sondern durch gesteigerten Zerfall nachhaltigen Materials in Folge der Krämpfe erklärt.

Propeptonurie, ein haeüfiger Befund bei Masern. M. Loeb. (Central- blatt f. klin. Medicin, No. 15.)

Verf. fand bei 12 Fällen von Masern 9 Mal Propeptonurie, die sich in der Regel bei beginnender oder schon eingetretener Deflorescenz bei noch bestehendem Exanthem auftrat und fast immer zwei Tage hin- durch nachzuweisen war. Ausser bei Masern fand er dieselbe nur bei drei Fällen von Scharlach und einmal bei einem Phthisiker in ultimo stadio. Nie fand er Propeptonurie ohne Diazoreaction, dagegen zu- weilen die letztere ohne die erstere. Nach Fischer soll die Diazoreaction Regel sein bei Masern. Eine Erklärung für das Auftreten der Pro- peptonurie gibt es nicht. Wahrscheinlich steht sie in Zusammenhang mit der Affection der Haut, da sie schon öfter bei Dermatonosen gefun- den wurde. (Urticaria und diffuser Dermatitis.)

[Propeptonurie, richtiger Albumosurie ist schon bei sehr verschiede- nen Processen im Harn gefunden worden, ohne dass man sich bisher über die klinische Bedeutung klar ist. Kahler und Huppert glauben, dass sie ein häufiger Befund bei Geschwulstbildungen im Knochenmark ist. v. Jahsch hat die Albumosurie nie bei Masern getroffen. Ref.]

Allgemeine Pathologie.

Referirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Uerer das Harngift. Dr. M. Stadthagen. (Zeitschrift f. klin. Med. Heft 5 und 6, 1889.)

_ Verf. stimmt Lepine in seinem höchst klar geschriebenen Aufsatz bei, dass weitaus der grösste Theil der tödtlichen Giftwirkung des nor- malen Harns, etwa 80 85% der Aschenbestandtheile zugeschrieben ist. Um das „Motoxin" das von Schiffer für identisch mit Briegers

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Peptotoxin angesehen wurde behandelte er Harn mit Amylalcohol, in welchem das Peptotoxin löslich ist, allein die geringe Menge harzartiger Substanzen, welche der Amylalcohol aus dem Harn aufnahm, erwies sich als vollkommen ungiftig. Durch alcoholische Quecksilberchlorid- lösungen (nach Brieger) bekam Verf. keine Ptomaine, sondern nur die entsprechende Verbindung des Kreatinins. Im Blute ist bisher nur das ungiftige Kreatin nie Kreatinin nachgewiesen. Auch die Suche nach Guanidin, sowie nach Methylguanidin und nach Xanthokreatinin (das bisher im Harn dargestellt sein sollende), hält S. für verunreinigtes Kreatininchlorzink. Ebenso fand er, dass die ausgeschiedene Menge des Ammoniaks sowie des Trimethylamins viel zu gering ist um irgend eine Wirkung zu haben. Neurin, das sehr giftig ist, kommt wahr- scheinlich gar nicht, und Cholin höchstens in geringer Menge im Harn vor, selbst als man einen Hund (bekanntlich mit Lecithinreichem) Gehirn verfütterte. Nach Besprechung der Giftigkeit des Hanistoffs, der Harnsäure (eiuem Leucämiker dem Verf. 6,0 harnsaures Natron intern verabreichte, brachte Verf. eine schwere Intoxication bei) und der Xanthinkörper stimmt Stadthagen-Voit, wenn er die Wirkung der Harnretention aus der Verunreinigung der die Zellen umspülenden Er- nährungsflüssigkeit mit den Schlacken zuschreibt. In Folge derselben können die Wechselbeziehungen zwischen den kleinsten Orgautheilchen und der Ernährungsflüssigkeit nicht mehr in richtiger Weise von Statten gehen und die Gewebe werden von den Zersetzungsproducten erstickt wie das Feuer von der Asche.

Untersuchungen ueber den Buerstenbesatz und dessen Bedeutung an

NORMALEN UND PATHOLOGISCHEN NlEREN. HEINRICH LORENZ. (Zeitschrift

f. klin. Med., Bd. XV, Heft 5 und 6, 1889.)

Eine neue Entdeckung in der menschlichen Anatomie ist jederzeit geeignet unsere Aufmerksamkeit zu erregen. L. hat den schon bei den verschiedensten Thieren und auch beim Menschen gefundenen Bürsten- besatz in der Niere auf seine Bedeutung untersucht und festgestellt, dass er im normalen Zustande stets vorhanden ist. Zur Darstellung benutzt er Doppelfärbung mit Indulin und Orth 's Lithioncarmin mit Vorliebe. Der Bürstenbesatz ist nicht mit den Heidenhamschen Stäb- chen zu verwechseln, mit denen er zusammen und auch in derselben Ausbreitung als constanter Bestandtheil der Epithelien durch eine homogene Zone von denselben getrennt in den gewundenen Harn- canälchen vorkommt. Dass er beim Menschen bisher so selten gefunden wurde, kommt daher, dass man es sehr selten mit normalen menschlichen Nieren zu thun bekommt und das zarte Organ gegen allerlei Noxen sehr labil erscheint. Lorenz hält ihn (mit Frenzel) für ein Schutzgebilde für die Zelle analog den Apparaten an der Mittel- darmdrüse der Insecten, an den Lieberkühn'schen Drüsen des Dünn- darms und an den Magendrüsen. Mit der eigentlichen Secretion hat er Nichts zu thun, dagegen bringt ihn L. in Beziehung zur Albuminurie und vindicirt ihm die Aufgabe, das Eiweiss in den Zellen während der Secretion zurückzuhalten. Verlust des Bürstenbesatzes hat also Albu- minurie zur Folge. Wir müssen uns versagen auf alle Einzelheiten der Arbeit einzugehen, möchten jedoch des Interesses wegen den Gedanken- gang des Verf. wie er sich die Albuminurie bei Stauungsniere vorstellt, wiedergeben. In Folge des verstärkten Blutzuflusses tritt eine oede- matöse Schwellung des Epithels auf mit Bildung von Vacuolen (bereits früher von Anderen beschrieben). Hydropische Degeneration Ziegler, Alteration vesiculeuse, Cornil und Brandt).' Der Bürstenbesatz geht verloren, die vergrösserten Zellen ragen in das Lumen, ihre Kuppen reissen ein, die hyalinen Kugeln werden frei, ihr Serum und das der Zelle mischen sich mit dem Harne. Bei der transitorischen Albuminurie folgt Regeneration des Bürstenbesatzes zur Restitutio ad integrum ein.

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On Phagocytes. By William Osler. (N. Y. Med. Eecord, No. 15, 1889.)

Osler gibt eine gute Uebersicht über die Literatur des mehr als in Frage stehenden Gegenstandes. Der im Januarheft der Gerhard- Leyden-Nothnagel'schen Zeitschrift veröffentlichen sehr absprechenden Kritik der Metschnikoff'schen Lehre gibt er unserer Meinung nicht den gebührenden Werth. Die eigene Forschung über den Untergang des Malariagiftes ergab keinerlei Stützen für die Phagocytose.

Ueber eine im Laboratorium acquirirte Milzbrandinfection nebst Bemerkungen ueber die Therapie des Milzbrandes. Dr. Kurloff. (Deutsches Archiv f. klin. Med., Heft 3, 1889.)

K. fand weder in Phagocyten noch in anderen Zellen irgend welche Milzbrandstäbchen. Der arme College hatte das Unglück sich im bacteriologischen Laboratorium zu München bei der Section eines an Milzbrand verstorbenen Kaninchens zu inficiren. Die gänzliche Ent- fernung des primären Herdes an der Hand hatte eine Lymphadenitis der Achseldrüsen und Umgebung mit schweren Allge.i,einsymptomen zur Folge, die nur durch eine schleunigst gemachte zweite Operation (Entfernung aller verdächtigen Drüsen, Desinfection der Wunde mit b% Carbolsäure, Einspritzen von mehreren Spritzen 1% Carbolsäure in die infiltrirte Umgebung) coupirt werden konnte. Verf. glaubt, dass sein Leben besonders durch die Carboleinspritzungen, die in Bussland mit grossem Erfolge in die Umgebung der Milzbrandpustel gemacht werden, gerettet worden ist. Mit den aus den extirpirten Drüsen gemachten Reinculturen (Bouillon) wurden Meerschweinchen geimpft und ergab sich, dass das Virus bedeutend abgeschwächt war, was Verf. der Carbolsäure zuschreibt, mit der die Drüsen während der Operation oft und reichlich in Berührung gekommen waren.

Nervensystem.

Referirt von Dr. Geo. W. Jacob y.

Beziehung des Trigeminus zu der Gesichtsatrophie. Dr. J. Ruhe- mann. (Centralblatt für klinische Medicin, p. 1, 1889.)

Seit einigen Jahren cursirt die Ansicht, dass unsere früheren An- schauungen, nach welchen die halbseitige progressive Gesichtsatrophie auf eine Sympathicusstörung zu beziehen wäre, nicht richtig ist. Schon desshalb nicht, weil abnorme Contractions- oder Krampfzustände der Gefässe sich nicht zeigten, und hautröthende Reize innerhalb des atro- phischen Gebietes prompte neuroparalytische Wirkungen entfalteten ; wegen Abwesenheit von Paralysen der betroffenen Gesichtsmuskeln kann der Facialis auch nicht als Veranlasser der Gesichtsatrophie in Frage kommen. Umstände und Symptome weisen mehr und mehr auf den Trigeminus als Hervorbringer hin.

Mendel hat auch vor Kurzem das pathologische Substrat zu dieser Theorie geliefert, indem er bei einem Fall eine Neuritis prolifera der drei Trigeminusaeste constatirte. Zugleich wies er an Schnittserien partiellen Schwund der absteigenden Wurzel des Quintus und Volums- abnahme der Substantia ferruginea, auf der, der Gesichtsatrophie ent- sprechenden Seite nach.

Aus diesem Befund ist nun zu schliessen, dass, wenn auch der Sitz der Störung in der Läsion der peripherischen Nerven zu suchen wäre, die Annahme doch gelte, dass Läsion der Trigeminusfasern im cen- tralen Verlaufe hervorzubringen vermochte. Als klinischer Beweis für die Beziehung des Trigeminus zur Gesichtsatrophie führt R. folgenden Fall an :

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Patient 64 Jahre alt ; gibt an, seit 44 J ahren auf dem rechten Auge schlecht zu sehen. Vor 20 Jahren gelegentlich Kopfschmerz im Hinter- haupt. Im Jahre 1874 Kieferentzündung. Seitdem Herabsetzung des Gefühls an der rechten Gesichtshälfte. In letzterer Zeit Entwicklung eines Hornhautgeschwüres, welches schnell heilte. Untersuchung erweist, neben Cataract der Linse des rechten Auges und Ptosis, eine fast complete Anaesthesie im Bereich der drei Trigeminusaeste. Ge- schmack auf dem vorderen Zweidrittel der Zunge herabgesetzt. Tem- peraturgefühl an den anaesthetischen Hauttheilen völlig aufgehoben. Mobilität der Muskeln normal. Trophische Störungen bestehen als Atrophie der Knochen ; Zunge nicht atrophisch.

Es handelt sich also um Hemianaesthesie und Hemiatrophie des Gesichtes.

Verf. sagt zum Schluss : Wäre es sicher erwiesen, dass der Trige- minus die Gesichtsatrophie verursacht, so folgt daraus, dass man an einen solchen Verlauf der trophischen Fasern glauben muss, da es sonst nicht zu verstehen wäre, dass in manchen Fällen nur trophische Störungen, in manchen nur sensible Läsionen gefunden werden.

Vier Faelle von Continuitaetsunterbindung der Arteriae verte- brales bei Epilepsie. Roman v. Baracz. (Wiener Med. W'schrift, No. 7, 8 und 9.)

Auf die von Jackson zuerst vorgeschlagene und von Alexander aus- geführte Unterbindung der Arteriae vertebrales bei Epilepsie, geht B. näher ein und fügt 4 neue zu den bereits vorhandenen Fällen hinzu.

Diese vier Fälle werden ausführlich beschrieben. Bestimmte Schlüsse sind aus diesen Fällen nicht zu ziehen, da die Beobachtungs- zeit eine zu kurze ist. Im ersten Fall hat der Patient nach Verlauf von 6 Monaten noch keinen Anfall bekommen.

Die Fälle 2 und 3 sind jetzt als gebessert anzusehen. Vom Verlauf des vierten Falles wird nichts berichtet.

Auf welche Weise die Unterbindung der Arteriae vertebrales die epileptischen Anfälle unterdrückt oder vermindert will Verf. nicht ent- scheiden.

Auf Operationstechnik und anatomische Verhältnisse, wie sie in jedem Handbuch der Chirurgie angegeben sind, geht Verf. dann ein. Die Operation ist bis heute 45 Mal ausgeführt worden, mit definitivem (! Ref.) gutem Resultate in 8 Fällen, mit Besserung in 11 Fällen, mit unbekanntem Resultate in 7 Fällen ; in 19 Fällen blieb der Eingriff ohne Erfolg. Die Prozentzahl der mit Erfolg operirten Fälle nimmt Verf. als beinahe 50 % (\ Ref.) an, und meint: „Man darf die Unterbindung als eine gerechtfertigte Operation in jedem Falle von wahrer Epilepsie an- sehen, in welchem man keine periphere, die Krankheit hervorrufende Ursache entdecken kann, und in welchem die Behandlung mit allen möglichen inneren Mitteln im Stiche lässt.

[ Wenn man bedenkt, dass von 35 von Alexander operirten Fällen, 3 in Folge der Operation (Blutung, Embolie und Pleuritis) starben, dass ferner die scheinbar günstigen Resultate woht auf psychische Einflüsse (Freiheit des Gemüthes, Hoffnung auf Genesung etc.) zurückzuführen sind, so wird die Schlussfolgerung des Verfassers doch wohl der all- gemeinen Anerkennung entbehren müssen. Ref.]

Ueber traumatisches Irresein. Dr. Gustav Landerer. (Medicinisches Correspondenzblatt, p. 49, 1889.)

Indem Verfasser von der Literatur absieht, gibt er ein Referat über die von ihm im letzten Quinquennium beobachteten Fälle von Kopf- trauma als ursächliches Moment bei Irresein, an. Erst werden 5 Fälle angeführt, bei denen das Trauma weit zurück lag, und nur als entfernt liegende Ursache angesehen werden konnte.

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10 andere Fälle stehen diesen gegenüber, in denen das Trauma als directe und unmittelbare Ursache für die folgende Psychose zu be- trachten ist. Diese Fälle haben in's Gemein, dass das Trauma als aus- schliessliches verursachendes Moment in Wirkung trat, und dass ein und dasselbe Bild sich in allen Fällen entwickelte.

Die Kesultate einer eingehendem Untersuchung der Fälle sind : 1. Dass klinisch irrelevante Kopfverletzungen in der Jugend bei nicht hereditären oft eine Gehirnindividualität hervorbringt, welcher der hereditären ähnlich ist. 2. Dass das Trauma acute Keizzustände des Gehirns hervorbringt, an die sich acute Manie anschliesst. 3. Auf das Trauma folgen subacute oder chronische Elementarstörungen, welche früher oder später in die traumatische Manie überführen. 4. Der trau- matische Wahnsinn ist gut characterisirt durch ängstliche Sinnes- täuschungen, besonders Geschmack und Geruchstäuschungen, Selbst- verletzungen und Wuthparoxismen. 5. Der Verlauf der traumatischen Psychose ist ungünstig, die Prognose schlecht.

Die Hypochondrie beim weiblichen Geschlecht. Prof. Dr. E. Mendel (Deutsche Med. Wochenschrift, p. 205, 1889.)

M. schickt einige allgemeine Bemerkungen voraus, ehe er auf die speciellen Eigentümlichkeiten, welche die Hypochondrie beim weiblichen Geschlechte bietet, eingeht. Er deflnirt die Hypochondrie als eine f unctionelle Hirnerkrankung, deren wesentliche Symptome Furcht und Angst in Bezug auf den eigenen Körper sind. Die Krankheit ist eine depressive Psychose, und lassen sich drei Formen derselben unter- scheiden. 1. Einfache Hypochondrie oder Nosophobie. 2. Hypochon- drie mit Hallucinationen der Organgefühle. 3. Die schwerste Form, welche neben den Symptomen der 1. und 2. Form krankhafte Erschei- nungen im Gebiete der höheren Sinnesorgane aufweisen. Jede dieser Formen kann für sich allein bestehen, oder sie können in einander laufen.

Im Gegensatz zu den allgemeinen Aussagen in Lehrbüchern sagt Mendel . „Die Hypochondrie ist eine beim weiblichen Geschlecht häufig vorkommende Krankheit, und zwar wird sie in allen Lebensaltern, vom Kindes- bis zum Greisenalter, beobachtet." Die früheren Anschauungen über das seltene Vorkommen der Hypochondrie beim weiblichen Ge- schlecht beruht wohl darauf, dass, was beim Manne Hypochondrie genannt wird, bei der Frau als Hysterie angenommen wird. M.'s Er- fahrungen sind : 1. Die einfachste Form der Hypochondrie ist beim weiblichen Geschlecht weitaus seltener als beim männlichen, ist aber doch in allen Lebensaltern zu beobachten. 2. Die zweite Form ist eine bei der Frau ungemein häufig vorkommende. Hier beziehen sich die Klagen häufig auf den Sexualapparat. Am häufigsten beobachtet man die cerebrale Form. (Kopfdruck, „knallen" und „knacken" oder Leere im Kopf.) Die spinale Form ist seltener, wird aber auch beobachtet. 3. Die dritte Form hat M. häufiger bei Frauen als bei Männern gesehen. Die Kranken sehen, hören, riechen oder schmecken die Dinge anders als im normalen Zustande, und handelt es sich hier nicht um falsche Schlussfolgerungen seitens der Patienten, sondern um einen patholo- gischen Vorgang, welcher die Sinnesorgane betrifft.

Der Selbstmord ist bei der Hypochondrie der Frauen viel seltener, als bei der der Männer.

Von den bei den Hypochondern entwickelnden Trieben ist bei hypo- chondrischen Frauen, die Onanie zu erwähnen. Von den Complicationen der hypochondrischen Frauen kommt die mit der Hysterie am häufig- sten vor, und nennt M. diese Form die hysterische Hypochondrie.

Aetiologie. Die weibliche Hypochondrie kommt am häufigsten im dritten und vierten Lebensdecennium vor. In 76% der Fälle lässt sich

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hereditäre Anlage zu Nervenkrankheiten nachweisen. Von directen Ursachen sind psychische Eindrücke häufig einwirkend. Der Ausbruch der Krankheit ist zuweilen plötzlich. Der Verlauf geht mit Eemission und Exacerbationen einher. Kecidive sind sehr häufig. Die Ausgänge sind : 1. Heilung, zuweilen selbst nach mehrjähriger Dauer ; 2. Ueber- gang in die chronische Form ; 3. Uebergang in eine andere Geistes- krankheit ; 4. der Tod.

M. äussert sich klar und interessant über Diagnose und Behandlung, ohne jedoch etwas Neues zu bringen. Er spricht sich entschieden gegen die Anstaltsbehandlung dieser Kranken aus.

The Treatment of locomotor Ataxie and other Diseases of the xervous System by Süspexsiox. Wm. A. Hammond, M.D. (N. Y. Med. Journal, p. 510, 1889.)

H. gibt erst einen kurzen historischen Bericht über die Anwendung der Suspensionsbehandlung bei Tabes etc. Sodann folgen seine eigenen Erfahrungen. Bei der Suspension lässt er im Allgemeinen ^ des Körpergewichtes vom Kopfe, und f von den Armen tragen. Dieses Verhältniss ändert er je nach Umständen. In schweren Fällen soll man dem Kopf mehr Gewicht zukommen lassen. Hierbei muss aber Vorsicht benutzt werden, da leicht Vertigo eintritt. H. hat die Methode in 5 Fällen von Tabes angewandt, und in allen vorläufige Besserung der Symptome bemerkt. Einen Fall von Vorderseitenstrangs- sclerose stellt er unter dieselbe Behandlung, und tritt in demselben Besserung ein. 2 Fälle von functioneller Impotenz haben sich nach 3maliger Suspension gebessert.

H. glaubt, dass die Wirkungsweise der Suspension auf Streckung des Rückenmarks zurückzuführen ist. H. schliesst mit der Bemerkung: „Ich bin davon überzeugt, dass wir eines Tages hören werden, dass ein Hals dislocirt und der Tod durch ungeschickte Anwendung der Methode herbeigeführt worden ist." [Diese Prophezeiung ist leider vor einigen Tagen eingetreten. Nach Berichten in den Tagesblättern soll ein Arzt in Clifton Springs, während einer solchen Selbstbehandlung, durch Wirbeldislocation umgekommen sein. Die Warnung vor Selbst- behandlung seitens der Patienten ist hier durchaus am Platze, da meines Wissens nach der Apparat von einigen Aerzten einfach ver- schrieben wird. Ref.]

A Case of arsexical Neuritis. H. C. Wood. (Med. News, Philadelphia, p. 716, 1888.)

W. beschreibt einen Fall von Neuritis, welche sich nach der un- beabsichtigten Einnahme von Arsenik entwickelte. Acute Vergiftung. Nach 8 Wochen Anfang der neuritischen Erscheinungen. Alle Extremi- täten wurden später gelähmt. Langdauernde Behandlung mit grossen Strychnindosen führten schliesslich Besserung herbei.

Dermatologie und Syphilis.

Referirt von Dr. A. F. Buechler.

Ox the Value of frequextly repeated Doses of Arsexic in the Treat- ment of bullous Diseases of the Sein, especially in Children. L. Duncan Bulkley. (N. Y. Med. Journal, April 13, 1889, p. 400.)

Nachdem der Verfasser die günstige Wirkung des Arseniks beim chronischen Pemphigus, sowie auf die bullöse Ausschläge die hie und da das chronische Eczem Erwachsener compliciren, oder nach der Darreichung von Jod und Bromsalzen sich einstellen, betont, empfiehlt

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er speciell das Mittel bei bullösen Ausschlägen der Kinder, in grossen, häufig repetirten Dosen. So werden u. A. Fälle von Blasenbildung bei Herpes Iris, recidivirenden pemphigusartigen Ausschlägen erwähnt, bei denen die Wirkung eine äussert günstige gewesen sein soll. Kinder vertragen Arsenik sehr gut. Ehe die physiologische Wirkung sich ein- stellt, purgirt das Arsen. Man kann getrost bei bullösen Ausschlägen mit steigenden Dosen fortfahren, bis die Kinder purgiren, wenn die Efnorescenzen sich nicht schon vorher bessern.

Bei einem 10jährigen Mädchen verabreichte B. zuerst Tropfen Sol. Fowler, und stieg allmählig bis auf Tropfen. Bei einem 4j ähri- gen Knaben verordnete er 3 Tropfen dreistündlich.

Tkichophytiasis Dermica. Prof. Kobert Campana. (Archiv f. Dermatol. und Syph., p. 51, 1889.)

Die Keimung des Trichophyton tonsurans in der Bindegewebsschicht wurde schon früh von Campana, Pellizzari und Majocchi dargethan. Eine Thatsache, die jedoch noch nicht vorher beobachtet wurde, näm- lich, dass das Trichophyton den Haupttheil des Gewebes eines Binde- gewebstumors bildete, wird von Campana mitgetheüt.

Es handelte sich um eine schlecht genährte Frau, die an einem all- gemein verbreiteten papulo-maculösen Ausschlage mit Onchogryphosis der Zehen, und mit einer Geschwulst von der Grösse eines Hühnereies behaftet war, die sich etwas härter als ihre Umgebung anfühlte [Sitz der Geschwulst wird nicht angegeben, Ref.]. Die microscopische Unter- suchung der Lederhaut, der Nägel, und der Geschwulst selbst ergab Mycelien und Gonidien des Trichophyton tonsurans, nur dass in der Geschwulst die Mycelien viel gedrängter, pigmentirt und granulös waren. Die Gonidien in derselben waren ebenfalls granulös aber zerstreut.

A Case of Sclerema neonatorum successfully treated by mercurial Inunction. Angel Mooney. (Lancet, March 16, 1889.)

Ueber die günstige Wirkung des Ung. hydrarg. bei einem Falle von Sclerema neonatorum, das die ganze hintere Fläche des Körpers ein- nahm, wird hier berichtet. Die verhärteten Hautstellen wurden täglich mit Olivenöl beschmiert, und ausserdem das Ung. cinereum in die Haut der Bauchwand eingerieben. Schon nach 12 Tagen liess sich Besserung constatiren, und etwa nach sieben Wochen fast vollständige Heilung. Verfasser glaubt nicht, dass die günstige Wirkung der Salbe auf eine syphilitische Belastung hindeutet.

The Syphiloma of the Vulva. James Nevins Hyde. (Journ. Cutan. and Genito-Urinary Dis., April and May 1889.)

Das Syphilom der Vulva, stellt gewöhnlich ohne vorhergehende Beschwerden, eine tiefsitzende, harte nicht scharf umschriebene Infil- tration des submucösen oder subcutanen Gewebes eines Labiums dar. Die nächst häufigst befallenen Stellen sind, nach ihrer Reihenfolge die kleinen Labien, das Vestibulum, der Meatus urinarius, das Perinäum, die Fourchette, und die Haut des Möns Veneris. Beachtungswerth ist Folgendes : 1. Die fehlende Vergrösserung der Inguinaldrüsen. 2. Dass die Infiltration immer einer etwaigen Geschwürsbildung voraus- geht. 3. Das syphilitische Neoplasma entwickelt sich gewöhnlich zu- erst in einem gegebenen Punkte der äusseren Genitalien, und erstreckt sich nicht per continuitatem von den inneren Genitalien, vom Ober- schenkel und Bauchdecken auf letztere.

In seinem frühesten Stadium ist es einfach ein Gummaknoten eines Labium majus mit intacter Haut, der sich nach geraumer Zeit involvirt. Ist der Process von längerer Dauer so kann sich das Labium in eine glatte, harte, projicirende Geschwulst mit bläulicher, vascularisirter

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Haut umwandeln. Ferner, kann sich auch das Yestibulum allein, oder gleichzeitig mit den anliegenden Theilen verdicken, starr und mamelo- nirt werden ; oder es wird durch dendritische Geschwüre erodirt, mit dazwischen liegenden miliaren und grösseren Knötchen die das Gumma darstellen.

Im höchsten Stadium seiner Entwicklung, das nur selten beobach- tet wird, erstreckt sich das Syphilom auf beide Labien, eine Geschwulst bildend, die einem Pferdehalfter ähnelt ; ihr breiter Theil ist nach oben gerichtet, während sie sich allmählig nach unten verschmälert und in einer infiltrirten Perinäalkante endet. Die darüber liegende Haut ist normal oder infiltrirt, und von röthlicher, rosarother oder livid-blauer Färbung. Die Clitoris ist vergrössert, und in ein bis zwei, selten drei Projectionen ausgezogen von der Grösse einer kleinen Bohne bis zu der der letzten Daumenphalanx.

Die oben beschriebenen Veränderungen des Vestibulums stellen sich ein, und können die Geschwüre, die manchmal einen phagedänischen Schanker simuliren, die Lippen der Urethralmündung erodiren, und sich einige Distanz die Urethra hinauf erstrecken. Die kleinen Labien sind verdickt und projiciren ; ihre freien Känder und Innenflächen weisen craterförmige Geschwüre mit unregelmässigen Känder auf. Durch Zu- sammenfliessen dieser Geschwüre mit denen des Vestibulums kann nachträglich eine bedeutende Veringerung des Ostium vaginae eintreten.

In einzelnen Fällen, nimmt der Process einen phagedänischen Cha- rakter an, mit Freilegung der Urethra, oder Convertirung der Vagina und des Eectums in eine einzige Cloake.

Das Leiden tritt zwischen dem 20. und 50. Jahre auf, vorzugsweise zwischen den 20. und 30. Die Patientinnen sind meistens gut genährt ; meistens fehlen alle anderen Anzeichen der syphilitischen Infection ; hier und da deutet eine characteristische Farbe oder eine Gruppe ulceriren- der Tuberkel auf das Wesen der Erkrankung. Häufig erhält und ver- schlimmert der Abusus sexualis das Leiden. Vielmals sah Hyde die Erkrankung bei einer Virgo, die extra-genital inficirt wurde. Von Fournier wurden sie in vereinzelten Fällen als Spätmanifestation der hereditären Syphilis beobachtet.

Gewöhnlich wird der syphilitische Character nicht erkannt, haupt- sächlich weil der Practiker in der Mehrzahl der Fälle coexistirende Symptome der Lues erwartet, obschon gerade das Isolirtbleiben cha- racteristisch ist.

Der Lupus mit seinen verschiedenen Bezeichnungen, wie Esthio- menus vulvo-analis, Lupus exedens, Herpes esthiomenus, noli nie tan- gere etc., ist diejenige Erkrankung für die das Syphiloma vulvae am häufigsten verkannt wird.

Nach einer sorgfältigen Analyse der unter obigen Bezeichnungen von Gynaecologen beschriebenen Fälle, kommt Hyde zu dem Schlüsse, dass die meisten syphilitische Affectionen waren.

Schon Hebra betonte, dass der Lupus niemals hier primär seinen Herd bilde, und wenn vorhanden, sich immer secundär von dem Ober- schenkel auf diese Theile erstreckte. Auch ergibt die Statistik der American Dermatological Society, die über 3000 Fälle von Lupus vul- garis verfügt, keinen einzigen Fall von primärem Lupus der Vulva. Diagnostisch ist ausserdem noch zu bemerken, dass der primäre Herd des Lupus immer als ein Knötchen von höchstens der Grösse einer ge- spaltenen Erbse auftritt, und zwar in der Mehrzahl der Fälle vor dem 10. Lebensjahre, während das Syphilom einen grösseren Knoten bildet, der erst nach der Pubertät sich entwickelt.

Die Prognose, besonders wenn das Perinaeum erhalten und keine Cachexie vorhanden ist, ist eine günstige. Durch Jod und Quecksilber wird Heilung erzielt, häufig jedoch muss zur Excision der Geschwulst, und Aetzung der Geschwüre geschritten werden.

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Urethritis membranacea desquamativa. Dr. Alexander Pajor. (Archiv, f. Derm. u. Syph., 1889, p. 4.)

Ueber diese seltene Erkrankung der Harnröhre berichtet P. zwei Fälle. In beiden handelte es sich um eine mehrere Jahre bestehende äusserst chronische Urethritis mit nur spärlichem Ausfluss, bei der eine Membranbildung stattfand, mit allmähliger Lösung derselben. Ausge- sprochener Neurasthenia sexualis und diverse Harnbeschwerden waren in beiden Fällen vorhanden. Bei der Endoscopie, stellte sich die Urethra des ersten Falles, als eine starre rigide, dem Eindringen des Endoscops widerstandleistende Röhre dar. Die Schleimhaut von der Pars prosta- tica an bis zur Fossa navicularis zeigte eine weissgrauliche Färbung. Nach etwa zweiwöchentlicher Behandlung mit Einpinselungen von 1% Jodtinctur löste sich eine 9,5 Ctm. lange und 0,5 breite häutige Röhre, die einen getreuen Abdruck der inneren Fläche der Harnröhre darstellte.

Nach Ablösung der Membran erschien die Schleimhaut geröthet und leicht blutend. Der zweite Patient, der fast neun Jahre lang mit Tripper behaftet war, klagte bei seiner Aufnahme im Hospital über häu- figen Harndrang, Schmerzen in der Urethra und in der Leistengegend. Hier ergab die endoscopische Untersuchung eine sichelförmige, weisse Verfärbung der oberen rechten Partie der Pars membranacea. Später breitete sich die Membran auf den ganzen Umfang der Harnröhre, von der Pars membranacea abwärts, aus. Auch hier stellte sich, nach Los- trennung der Membran, Besserung ein.

Clinical Observations on Gonorrhoea with special Reference TO Aetiology and Treatment. John P. Bryson and Edwin C. Burnett. (Journ. of Cutan and Genito-Urinary Dis.)

Die Arbeit der Verfasser zeichnet sich durch eine rühmenswerthe Offenheit in einer Zeit aus, in der alltäglich neue Behandlungs- methoden der Gonnorrhoe hoch in den Himmel gehoben werden, um bald in verdiente Vergessenheit zu verfallen.

U. A. bemerken die Verfasser mit Recht, dass nur in Ausnahmsfällen die Gonorrhoe in 6 bis 8 Wochen heilt; gewöhnlich zeigt die Erkrankung eine Tendenz zur Chronicität. Selbst in denjenigen Fällen, bei denen der Morgentropfen sich nicht mehr einstellt, kann durch Einführung einer Sonde in die tieferen Theile der Harnröhre ein Tropfen Eiter, der die specifischen Organismen und Tripperfäden enthält, zum Vorschein gebracht werden.

Bezüglich der Abortivbehandlung, erwies sich die copiöse Irrigation der Harnröhre mittels Sublimatlösung (1 : 5000 bis 1 : 300) und Argent. nitric. (1 : 1900 bis 1 : 50) als vollständig nutzlos. Zwanzig Fälle wurden nach der Welander'schen Methode behandelt, und nur einer mit Erfolg. Die innerliche Darreichung von Bals. copaiv. und Ol. santal, verbunden mit den nöthigen hygienischen und dietätischen Maassregeln, erwies sich als die wirkungsvollste. Adtringirende Einspritzungen schienen im 3ten Stadium von einigem Nutzen zu sein.

The Qüestion of the radical Cure of deep urethral Stricture. Edward L. Keyes. (Med. Record, May 25th, 1889.)

Nach einer interessanten Abhandlung, resumirt K. in folgender W eise: 1) Es gibt drei verschiedene Arten tiefer Stricturen der Harnröhre. Erstens, die oberflächliche, lineare, fibröse Strictur mit entzündlichen und spastichen Complicationen, welche er die weiche Strictur nennt. Zweitens, die narbige, fibröse Strictur. Drittens, die inoduläre, bei der eine Entwickelung von inodulärem Gewebe stattfindet. 2) Die weichen Stricturen können manchmal, durch Dilatation, radical geheilt werden. 3) Rein lineäre fibröse Stricturen, wenn traumatisch, bei Patienten, die niemals mit Gonorrhoe behaftet waren, können radical, durch ausgiebige Incision der Strictur, an der oberen sowie unteren

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Wand geheilt werden. Die Heilung kann durch gelegentliche Ein- führung von sehr grossen Sonden erhalten bleiben. 4) Die inoduläre Strictur ist, scheinbar, nicht durch dieses "Verfahren heilbar. 5) Durch Excision des inodulären Gewebes und Vereinigung der Urethralenden durch die Naht, oder durch Transplantation gesunder Schleimhaut (nach Wölfler) wenn der Substanzverlust nach der Excision zu gross ist, scheint eine radicale Heilung der inodulären Strictur möglich zu sein.

Deutsche Mediciniscke Oesellschaft von New York.

Sitzung vom 4. März 1889. (12 West 31. Str.)

Vorsitzender : Dr. Garrigues.

Dr. J. Hoffmann demonstrirt einen Fall von Gastro-s u c - corrhoea continua. Der Fall ist in No. 4, der Medicinischen Monatsschrift veröffentlicht worden. Discussion soll mit den über Dr. Einhorn's zuhaltenden Vortrag zusammenfallen.

Dr. Beck zeigt ein neues, von ihm angegebenes Instrument vor, das er Blasenpistole genannt hat. (Siehe Originalarbeit in dieser Nummer !)

Dr. H. Goldenberg glaubt, dass das Instrument sich nicht von dem längst bekannten und zur Behandlung der hinteren Harnröhre benutzten Arzneimittelträgern von Dithel und Gochirhakl unterscheide und jedenfalls keinen Vorzug vor diesen Instrumenten habe. Mit den letzteren könne man ohne Schwierigkeit von der hinteren Harnröhre aus ein Suppositorium in die Blase bringen, da die hintere Harnröhre sehr kurz und der Widerstand des Schliessmuskels der Blase gering sei. Das Einführen von Suppositorien in die Blase sei neu und wenn er auch kein eigenes Vortheil über diese Behandlungsweise habe, so müsse er doch darauf aufmerksam machen, dass von chirurgischer Seite das Einführen von in der Blase verweilenden fremden Körpern wegen der drohenden Steinbildung als gefährlich angesehen werde. Ein Supposit sei doch nichts Anderes als ein Fremdkörper und sei noch gefährlicher, wenn wie es häufig geschieht, aus Bequemlichkeit vom Apotheker als Constituens an Stelle der Caccaobutter das unlösliche Waxs verwandt würde.

Es folgt der angekündigte Vortrag Dr. M. Einhorn's: „Die neueren Methoden der Magenuntersuchung." (Abge- druckt in No. 3, Bd. I, der Medicinischen Monatsschrift.)

Discussion:

Dr. Einhorn hat schon im vorigen Jahre einen Fall von con- tinuirlicher Succorrhoe vorgeführt und die Krankheit genau bezeichnet. Er glaubt, dass die von Dr. Hoffmann demonstrirte Patientin an einer solchen Krankheit leide ; doch ist Dr. H. den Beweis schuldig geblieben, dass man im leeren Magen Salzsäure findet, ist häufig vorgekommen. Es ist natürlich, dass ein Magen, der gereizt wird, Saft seecernirt und dass in diesem Saft Salzsäure sieh befindet. Das Beweisende der G. S. C. ist, dass man zu irgend einer Zeit Flüssigkeit findet, welche nichts weiter ist, als Magensaft.

Dr. S e i b e r t hat sich in letzter Zeit ziemlieh viel mit Magenaus- spülungen befasst, namentlich auch bei kleinen Kindern. Er hat in der November Sitzung der Aeademy of Medicine über 96 Kinder an deren er Mageuauswasehungen vergenommen, referirt. Seine heutigen Bemerkungen sollen nur das Instrument betreffen. Der weiche Katheter wurde von Epstein vor acht Jahren bei kleinen Kindern zu Magenausspülungen benutzt. Dasselbe that Escherieh in München. Bedner selbst wendet gewöhnlieh einen Apparat an, der etwas anders ist, als der Trichter, bei gleicher Wirkung aber einen Vortheil besitzt.

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Wenn wir bei Magencatarrh den Magen ausspülen, so finden wir nach Abfluss des Wassers zuletzt Speisereste und Sehleim in der Röhre. Bei Gebrauch des Trichters wird dies Alles wieder in den Magen hinein- fliessen, wenn man neues Wasser zugiesst ; damit ist also das Spül- wasser verunreinigt. Wird nun aber am Schlauch ein Zwischenstück eingeschaltet und der vordere Abschnitt des Schlauches entfernt, so fliessen die Massen leicht aus. Man kann den Magen auf diese Weise schneller reinigen, was bei Säuglingen häufig sehr wichtig ist. Es muss immer so lange ausgespült werden, bis gar keine Speisereste mehr vorhanden sind.

Dr. Ho ff mann sieht den positivsten Beweiss für die von ihm bezeichnete Krankheit darin, dass man 10 20 Stunden nach der Aus- waschung im nüchternen Magen eine grosse Menge Magensaft findet. Er will noch erwähnen, dass nach seiner Erfahrung während der Menses die Säureabscheidung eine geringere ist.

Dr. B o 1 d t ' s angekündigter Vortrag : „200 Laparotomien" wird wegen vorgerückter Zeit auf nächste Sitzung verschoben.

Der Präsident berichtet, dass er von der Präsidentin der „Ladies Health Pro tective Association" ersucht worden sei, den Verein zu veran- lassen, ihr Gesuch beim Board of Health behufs Unschädlichmachen des Düngers vor den Transport durch die Stadt, zu indossiren.

Es wird beschlossen, dass die Gesellschaft als solche die Angele- gen Ii eit indossirt.

Hierauf Vertagung. Schluss 10h Uhr.

Allerlei.

Kurpfuscher in Sachsen. Das Landes-Medicinal-Collegium in Sachsen hat sich der Mühe unterzogen, diese Existenzen zu zählen, und wir erfahren darüber einiges in dem neuesten (19.) Jahresbericht desselben. Es gibt demnach 503 Kurpfuscher in Sachsen, die nach amtlicher Erhebung gewerbsmässig die Medicin ausüben und die leidende Menschheit mit Wurmkuren, Baunscheidtismus, thierischem Magnetismus, Naturheilmethode, Hydrotherapie u. dgl. m. beglücken. 503 gewerbsmässige Kurpfuscher sind immerhin eine erkleckliche Zahl, wenn man bedenkt, das in Sachsen die Zahl der geprüften Aerzte 1110 und die der Wund- und Zahnärzte 52 beträgt.

Dreissig Aerzte aus Philadelphia gelangten unter Führung von Dr. Forbes am 5. Juni in dem unglücklichen Johnstown, Pa., an. Dort fanden die Collegen aber keine Patienten und man konnte ihnen nur anbieten mit Spaten und Hacke beim Ausgraben der im Schlamm steckenden Leichen behülflich zu sein. Ob die Herren als Todtengräber fungirt haben ist uns zur Zeit noch nicht bekannt.

Erfolgreiche experimentelle Uebertragung von Carcinom hat Dr. Arthur Hanau, Privatdocent in Zürich bei Thieren bewerkstelligt. Krebsigentartete Drüsenstückchen einer an Carcinom der Geschlechts- theile gestorbenen weissen Eatte wurden in das Scrotum einer männ- lichen Hatte transplantirt. Fortschritte der Medicin. Bd. 7, 1889.

Herr College Geo. J. Engelmann, in St. Louis, war so gütig uns die zwei ersten Nummern der New Yorker Medicinisclie Monatsschrift, vom Februar und März 1852, zuzusenden, zur Erinnerung an den Anfang der deutschen medicinischen Literatur in Amerika. Diese Monatsschrift wurde herausgegeben von Dr. J. Herzka, Dr. E. Krackowizer und Dr. W. Roth, und war gewidmet dem „Verein der deutsehen Aerzte der Stadt New York." Das erste Heft bringt : 1) Programm, in welchem der Zweck betont wird, durch gute Referate die europäischen Collegen mit der medicinischen Literatur Amerika's vertrauter zu machen (Siehe Prospect der Medicinischen Monatsschrift in der letzten Nummer der „New Yorker Med. Presse", Dec. 1888. Red.) 2) An die deutschen Aerzte

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in Europa. Von Dr. Herzka. (Dieses Schreiben gedenken wir zum Abdruck zu bringen). 3) Geschichte eines Tumor erectilis. Von Dr. Krackowizer. 4) Vermischtes. (Journalauszüge, Operationsgeschich- ten, Medicinische Gesellschaften.) Von Dr. Roth. Wie lange diese Monatsschrift existirt hat ist uns noch nicht bekannt.

Europaeische Professoren können von hier aus nicht berufen werden, um hier Lehrthätigkeit auszuüben. Es verstösst das gegen das Con- tract- Arbeiter-Gesetz. Von den Verfügungen dieses Gesetzes sind nur Schauspieler, Künstler, Vorleser, Sänger und Dienstboten ausge- schlossen. So entschied kürzlich der General-Solicitor in Washington. Diese Auslegung des betreffenden Gesetzes ist, wie weiland die Delphi- schen Orakelsprüche, etwas unklar. Mittelalterlich fast erscheint es, dass Schauspieler, Künstler, Vorleser und Sänger, also was man in alter Zeit unter dem Wort „fahrendes Volk" verstand, freien Zutritt hier hat ! Am Ende gelten diese Leutchen in den Augen der „typischen" Ameri- kaner noch für „ehrlos", und dürfen sich dann die Professoren in diesem Sinne auf diese Eintheilung etwas einbilden. Der Schutz gegen impor- tirte W'eisheitsquellen ist hier sehr nöthig, denn die Anzahl der „Pro- fessoren" ist sehr gross, vom " Professor of Whitewashing " an bis zu den Lehrern unserer Colleges, und im Ganzen sind sie auch schutzbe- dürftig. Wozu die Männer importiren die in den Bergwerken der Wissenschaft im Schweisse ihres Angesichtes arbeiten? Es ist doch viel bequemer, die Resultate ihrer Arbeit in's Amerikanische zu über- setzen und das ohne Quellenangabe vorzutragen. Solche „Arbeiter" einmal importirt, könnten auf unsere „typischen" wissenschaftlichen Verhältnisse unangenehme Streiflichter werfen. Es ist klar, wir haben den Schutz gegen den Professorenimport sehr nöthig.

Auf Wunsch des Superintendent of Census bringen wir Folgendes zum Abdruck :

Department of the Interior,

Census Office,

Washington, D. C, May 1, 1889.

To the Medical Profession:

The various medical associations and the medical profession will be glad to learn that Dr. John S. Billings, Surgeon U. S. Army, has con- sented to take Charge of the Keport on the Mortality and Vital Statistics of the United States as returned by the Eleventh Census.

As the United States has no System of registration of vital statistics, such as is relied upon by other civilized nations f or the purpose of ascer- taining the actual movement of population, our census affords the only opportunity of obtaining near an approximate estiniate of the birth and death rates of much the larger part of the country, which is entirely unprovided with any satisfactory System of State and municipal registration.

In view of this, the Census Office, during the month of May this year, will issue to the medical profession throughout the country " Physicians Registers " f or the purpose of obtaining more accurate returns of deaths than it is possible for the enumerators to make. It is earnestly hoped that physicians in every part of the country will co-operate with the Census Office in this important work. The record should be kept from June 1, 1889, to May 31, 1890. Nearly 20,000 of these registration books were filled up'and returned to the ofnce in 1880, and nearly all of them used for Statistical purposes. It is hoped that double this number will be obtained for the Eleventh Census.

Physicians not receiving Registers can obtain them by sending their names and addresses to the Census Office, and, with the Register, an

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official envelope which requires no stamp will be provided for their return to Washington.

If all medical and surgical practitioners throughout the country will lend their aid, the mortality and vital statistics of the Eleventh Census will be more comprehensive and complete than they have ever been. Every physician should take a personal pride in having this report as füll and accurate as it is possible to make it.

It is hereby promised that all inf ormation obtained through this source sliall be held strictly confldential. Robert F. Foster, Super, of Cen.

Personalien.

Zur Erinnerung an die Amtsthäthigkeit von Dr. A. Jacobi als Präsi- dent der New York Academy of Medicine, wurde dieser Gesellschaft kürzlich ein Oelportrait desselben von einer Anzahl seiner collegialen Freunde und Verehrer überreicht. Die Ansprache wurde von Dr. A. Caille gehalten.

Die deutsch- amerikanischen Aerzte sind in diesem Sommer in Eu- ropa stark vertreten. Die Herren Drs. Klotz, Edel, Faerber, Simrock und Degner sind schon fort. Herr Dr. Jos. W. Gleitsmann fährt am 3. Juli mit der „Gallia". Die voraussichtliche Betheiligung am inter- nationalen medic. Congress im nächsten Jahre in Berlin, wird von hier aus eine sehr grosse sein.

Briefkasten.

Herrn Dr. M. Th , Cincinnati. 1. Wie Sie im Allerlei sehen

können, gab es früher schon eine „New Yorker Med. Monatsschrift." Ihre Bedenken ob des jetzigen Namens entspringen wohl mehr Ihrem regen Interesse als der Wirklichkeit. Unter uns halten wir jede Localbezeich- nung eines wissenschaftlichen Blattes für unschön, und erscheint nur da berechtigt, wo eine grössere Anzahl ähnlicher Publicationen in Frage kommt. Die „Med. Monatsschrift" ist das einzige Journal dieses Namens überhaupt, und das einzige wissenschaftlich-medicinische Journal dieses Landes welches in deutscher Sprache erscheint. 2. Hätten Sie eine Ahnung von den Schwierigkeiten, die eine prompte und mög- lichst fehlerfreie Herstellung jeder Nummer bisher machte, Sie würden die allerdings oft ungewöhnliche Anzahl Druckfehler begreiflich finden. Manche Berichtigung des Editor's wird vom Setzer (wegen Mangel an Zeit) unbeachtet gelassen. 3. Wir sind nicht verantwortlich für die Unterlassungssünden der früheren „N. Y. Med. Presse." Natürlich können wir ein Inhal tsverzeichniss erst im Anfang nächsten Jahres bringen. Die Wichtigkeit, mit der wir das Inhaltsverzeichniss der ein- zelnen Nummern behandeln, hätte Ihnen andeuten können, dass wir die Absicht hegen, den Jahrgang ebenso auszustatten. Eigenlob ist uns ein Gräuel, aber constatiren dürfen wir trotzdem, dass die „M. M." das ein- zige medic. Blatt dieses Landes ist, das keine Anzeigen auf dem Umschlag hat, und dessen Inhaltsverzeichniss dem Leser so leicht zugänglich ge- bracht wird. Zweiffellos fehlte Ihnen die Zeit uns in Ihrem Brief ob dieser (sehr kostspieligen) Neuerung, auch einige anerkennende Worte zu sagen.

Büchertisch.

Lectures on Nervous Diseases, from the Standpoint of cerebral and spinal localization and the later methods employed in the dlagnosis and treatment of these affections. by ambrose l. Rauney, A.M., M.D., etc. (Profusely illustrated, cloth, 8mo., pp. 778. Philadelphia. F. A. Davis, 1888. Price $5.00.)

Um heutzutage ein zweckerfüllendes Text- oder Handbuch der Nervenheilkunde zu schreiben, erwartet man wenigstens von dem Schriftsteller, dass er auf dem Höhepunkt seiner Wissenschaft steht, dass er sein Fach vollständig beherrscht und daher im Stande ist, die

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verschiedenen bestimmten und anerkannten Thatsachen von solchen zu sondern, welche noch in Dunkel und Verworrenheit schweben.

Gleich beim ersten Kapitel des Buches sehen wir, dass der Verfasser in dieser Hinsicht nicht competent ist. Dieses Kapitel handelt über „Anatomische, physiologische und pathologische Schlüsse bezüglich der Nervencentren des Menschen." Dem Studenten oder Arzte, welcher wenig von dem feineren Bau der Nervencentren kennt, wird es wohl schwer werden, seine Kenntnisse durch ein Studium dieses Kapitels zu be- reichern. Kapitelll. Ueber „PractischeWinke bezüglich der klinischen Un- tersuchung von Patienten, welche mit Nervenkrankheiten behaftet sind" etc., enthält in Wirklichkeit Manches was von practisehem Nutzen sein könnte, dagegen aber auch sehr viel Ueberflüssiges. und Vieles welches unter die Beschreibung specieller Krankheiten gehört. Der practische Gedanke, der dieses Kapitel beseelt, wird in folgenden Citaten bekun- det : Der Leser soll sich der Unternehmungsmethoden bemächtigen, weil „durch die, bei der ersten Untersuchung kundgegebene Bemühung und merkliche Geschicklichkeit des Arztes die Intelligenz des Laien stark beeinflusst wird. Die Eindrücke, welche diese erste Untersuchung in dem Gehirn des Patienten zurücklassen, sind für beide Parteien von grösster Wichtigkeit. Während der Arzt den Patienten studirt, studirt auch der Patient den Arzt mit noch grösserem Interesse." Kapitel III. und IV. handeln über Krankheiten des Gehirns und des Kückenmarks. Kapitel V. Ueber functionelle Nervenkrankheiten. Kapitel VI. Ueber toxische und nicht classiflcirte Nervenkrankheiten. Kapitel VII. Be- stehend aus 140 Seiten wird der Electricität gewidmet.

Es ist unmöglich, hier auf die Einzelheiten und Eigenthümlichkeiten der Classification einzugehen, auffallend ist jedoch, dass die Erkran- kungen der peripheren Nerven wenig oder gar nicht beachtet werden. Ueber Kapitel V. ist noch Einiges zu sagen nöthig. Der Verfasser, welcher unter functionellen Nervenkrankheiten Epilepsie, Chorea, Hystero-Epilepsie, Neurasthenie, Migraine und gewisse Neuralgien etc. versteht, weicht in seinen Ideen über die Entstehungs- und Behand- lungsweisen dieser Krankheiten sehr von den allgemein angenommenen Ansichten ab. Kauney folgt nämlich den Fusstapfen von G. T. Stevens und glaubt, dass gewisse Beziehungen zwischen diesen Krank- heiten und den Anomalien des Sehapparates bestehen. Neben Insuffi- zienzen der Augenmuskel können diese Krankheiten oft " latent " sein und sollen einen wichtigen Factor bei der Production functioneller Nervenkrankheiten darstellen. Sind diese Insuffizienzen festgestellt, welches nicht leicht zu sein scheint, so werden partielle Tenotomien der angegriffenen Augenmuskel ausgeführt, um als Heilmittel der beste- henden Nervenkrankheiten zu dienen. Solche Lehren, welche nur noch von Wenigen angenommen werden, sind, gelinde gesagt, verwirrend und vielleicht für den Studenten nicht ohne Gefahr. Der practische Arzt wird ja ruhig die Bestätigung oder Nichtbestätigung dieser Theorie abwarten können.

Die Ausstattung des Buches ist eine vorzügliche ; Papier, Druck, colorirte und nicht colorirte Illustrationen und Einband sind vom Besten, und verdient der Verleger nur Lob für seine Mühe. G. W. J.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist den Westen in den näch- sten 3 4 Monaten, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN.

L

Das Backen der Tuberkelbacillen.

Bemerkungen vor der New Yorker Akademie der Medicin, am 20. Juni 1889.*)

Von

Dk. A. Jacobi, New Yoek.

Herr Präsident: Sie haben mir gütigst gestattet, heute Abend einige Bemerkungen über die Behandlung der Lungenphthise mittelst Einathmung trocken-heisser Luft zu machen, trotzdem der Abend schon für einen anderen Zweck vergeben war.

Kobert Koch's Entdeckung des Tubercelbacillus hat nicht allein eine Umwälzung unseres pathologischen Denkens bewerkstelligt, sondern ist auch die Quelle, aus welcher vielfältige Versuche zur Verbesserung der Phthisiotherapie seither entsprangen. Da ich mich kurz fassen muss, sollen diese Versuche nicht weiter erwähnt werden. Sie den- ken wohl noch an das durch Bergen's Methode hervorgerufene Inter- esse ; Beelzebub sollte da unfehlbar durch Beelzebub ausgetrieben werden, durch Ersticken des arglosen, wohlverwahrten Bacillus. Nur Diejenigen, welche nicht an die Wirksamkeit der Injectionen von Schwefelwasserstoff glauben konnten, wurden vor späterer Ent- täuschung bewahrt.

Der neueste Zuwachs unserer Therapie besteht in dem Backen der Microorganismen. Es wird behauptet, dass heisse Luft die Bacillen in der Lunge nicht allein unschädlich machen kann, sondern, dass das auch bestimmt geschähe. Besteht aber nur die leiseste Möglichkeit eines Erfolges durch solche Therapie, so kann die Akademie ihre Zeit kaum besser verwenden, als indem sie sich durch Untersuchung und klinische Beobachtung einen klaren Einblick in derartige Methoden zu ver- schaffen sucht. Theils in diesem Sinne bat ich für heute Abend um Ihr geneigtes Gehör ; theils aber bat ich aus persönlichen Gründen um Ihre Aufmerksamkeit, benöthigt durch die Nothwendigkeit individuellen Schutzes, welche in jeder parlamentarischen Körperschaft demjenigen

*) Autorisirte Uebersetzung der Redaction.

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das Wort ertheilt, der in seiner persönlichen Ehre und in seiner Würde verletzt wurde. Es handelt sich darum, dass seit ein gewisser paten- tirter Apparat zum Inhaliren heisser Luft bei Schwindsüchtigen in den Handel gebracht wurde, die Anzeigen und der Agent dieses Artikels vielfach hier und in anderen Staaten angegeben haben, dass ich den Apparat gekauft und rückhaltlos empfohlen habe. Viele an mich ge- richtete Briefe beweisen diese Angabe. Desshalb möchte ich hier er- klären, dass ich keinerlei patentirte medicinische und chirurgische Artikel und Apparate je empfohlen habe, noch je empfehlen werde. Wenn der in Rede stehende Apparat der einzige seiner Art wäre, der gewissen Indicationen entsprechen könnte und brauchbar zur Linde- rung oder Heilung von Krankheit, ich würde mir denselben zweifellos im Interesse meiner Kranken anschaffen, aber selbst dann würde ich den- selben nicht „öffentlich empfehlen" oder für denselben Reclame machen, namentlich aber dann nicht, wenn der Fabrikant und Patentinhaber desselben dem ärztlichen Stande angehört.

Kein Arzt, der von seinen Verpflichtungen gegen die Menschheit durchdrungen ist und die Würde seines Berufes als über Handel und Handwerk stehend hochhält, selbst wenn er aufgehört hat diesem Stande anzugehören, annoncirt noch verkäuft irgend welchen paten- tirten Gegenstand, der armen oder reichen Kranken scheinbaren oder wirklichen Nutzen bringen könnte. Ausserhalb der Union scheint ein Arzt, der sich als Practiker, als Specialist oder gar als Patentinhaber annoncirt wenig von seiner Reputation einzubüssen. Die ganze Ge- schichte aber des ärztlichen Standes in Amerika im Allgemeinen, sowie die dieser Akademie insbesondere, unterstützt mich in meinem Protest dagegen, dass mein oder der Name irgend eines Collegen mit einem Stück „Waare" in Verbindung gebracht werde. Ein Handelsartikel soll für sich selbst Propaganda machen und sich selbst überlassen bleiben. Gestatten Sie mir diesen Theil meiner Bemerkungen hier gleich zu beendigen. Dr. Louis Weigert's Apparat ist sehr einfach, ziemlich unvollkommen und sehr theuer. Heisse Luft ist nicht patentirt, die Lunge ist auch nicht patentirt und das mechanische Genie irgend eines Yankee ist genügend einen Apparat, wenn nöthig und nützlich, herzustellen, um der Lunge heisse Luft zuzuführen, und zwar um ein Viertel oder ein Fünftel billiger als der in Rede stehende Mechanis- mus.

Zum besseren Verständniss dieser einleitenden Bemerkungen ge- statten Sie mir folgende Angaben zu machen : In den Nummern 36 38 des Berlin. Klin. Wochenschrift, 1888 (Sept. 3.— 17.) veröffentlichte Dr. L. Halter eine Reihe von Beobachtungen über „die Immunität der Kalk- ofenarbeiter nebst therapeutischen Vorschlägen." Die von diesem Autor gemachten Angaben sind sehr beachtenswerth und sein Apparat ist in obigem Blatt vom 17. September bildlich dargestellt. In der Pro- vinz des Verfassers, Westphalen, ist die Tuberculose sehr häufig an- zutreffen. In den Kalköfen seiner Nachbarschaft waren 50 Personen angestellt, von welchen trotz der schweren Arbeit keine Einzige an

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Phthise erkrankte. Die Beobachtungsdauer erstreckte sich auf einen Zeitraum von 15 Jahren.

Thatsächlich haben die Gegenden, welche als „immun" gelten, und wo Tuberculose verhältnissmässig selten zur Beobachtung gelangt, nach August Hirsch (der grössten Autorität in der geographischen Patho- logie) eine merklich trockene Atmosphäre. Die Luft vor den Kalköfen ist sehr trocken. Die Arbeiter verbringen dort einen grossen Theil ihrer Lebenszeit. Zugleich ist nun diese Luft sehr heiss, zwischen 50° und 70° Celsius (122°— 158° Fahrenheit). Die Hitze bewerkstelligt 1), dass diese Luft frei von Tuberkelbacillen ist, denn diese gehen nach Sormani durch einen einstündlichen Aufenthalt in einer Temperatur von 60° 65° Celsius (140°— 149° F.), zu Grunde ; 2), dass die Luft sehr verdünnt wird und so die Lunge, analog der Hochgebirgsluft, gründlich ventilirt wird.

Die Körpertemperatur der neuen Arbeiter an den Kalköfen ist stets 1,5° C. über der Norm. Die acclimatisirten Arbeiter behalten die normale Eigenwärme, es sei denn, dass die Ofentemperatur 65° 70° C. erreicht, in Folge dessen auch bei ihnen eine gelinde Steigerung beob- achtet wird. Demnach sind die Tuberkelbacillen, welche am besten in normaler Körpertemperatur gedeihen, solchen Einwirkungen ausgesetzt, welche ihre Existenz leicht gefährden. Der Puls steigt auf 120 160, die Athmungsfrequenz auf 24 30 ; neue Arbeiter beschweren sich sehr über die grosse Hitze und schwitzen dabei nur massig, während die Einge- wöhnten viel schwitzen und sich dabei wohl fühlen. Die Leute arbeiten angestrengt, essen reichlich und nahrhafte Speisen, trinken 10 15 Quart Wasser täglich und werden dünn, bleiben aber dabei gesund.

In den Nummern 39 und 40 der Berl. Klin. Wochenschrift, 1888, ver- öffentlicht Dr. Edward Kröll zwei Artikel über „die Behandlung der Lungenschwindsucht mittelst Einathmung feuchter Luft von gleich- mässig-warmer Temperatur." Er benutzt feuchte Luft von 42° 46° C. (108° 115° F.), welche stundenlang inhalirt wird. Dergestalt führt er der Lunge eine grössere Blutmenge zu, zum Zweck regerer physiologi- scher Metamorphose, und um die Bacillen zu zerstören, welche sich noch in der Nähe der Schleimhautoberfläche befinden. Monate lang hat dieser Autor seine Methode bei Gesunden angewandt, ohne weitere Kesultate als die vermehrter Metamorphose. Die bei Phthisikern erlangten Kesultate sind noch fragwürdig. Die Abbildung seines Apparates findet sich in der Berl. Klin. Woch. vom 24. September 1888.

Feuchtigkeit als Zugabe mag sich als vortheilhaft erweisen. Wer sein mechanisches Talent bei der Erfindung neuer und billiger Apparate verwenden will, kann die Angabe Halter's beachtenswerth finden, welche er in einem Schreiben an obiges Journal vom 24. September machte, in der er bezweifelt, dass es ihm je gelungen sei die Expirationsluft auf 43° C. (110° F.) zu erwärmen und bezweifelt er darin seine eigene dies- bezügliche einzige Beobachtung. Er nimmt jedoch an, dass es leichter sei die Exspirationsluft durch feucht-warme Inhalationen auf einen Wärmepunkt zu erhitzen, welcher den Bacillen schädlich werden könnte.

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Er benützte feucht-warme Inhalationen von 50°— 100° C. (122°— 212° F.), mit folgenden Kesultaten :

TEMPERATUR :

i * \

Dauer der Inhalation, der Exspirationsluft, des Zimmers, des Mundes.

15 Minuten 50°— 95° C. 42,0° C. 38,0° C. 37,4° C. 10 50°— 90° 41,6° 37,5° 37,5°

16 40°— 93° 41,8° 38,0° 37,5° 15 50°— 100°,, 42,0°,, 38,5° 37,5°,, 15 50°— 100°,, 42,1°,, 38,5°,, 37,5°,,

Die erste Mittheilung Dr. Louis Weigert's über seinen Apparat zur Einathmung heisser Luft erschien im „Medical Kecord," Dec. 15, 1888, drei Monate nach den Publicationen Halter's und Krüll's. Letztere Autoren werden von Weigert überhaupt nicht erwähnt, trotzdem er mit jenen zusammen in einer Stadt wohnt. Es ist mir nicht bekannt, dass Weigert sich die Mühe gab die ärztliche Welt von seiner angeblichen Entdeckung vor oder nachher in Kenntniss zu setzen, thatsächlich aber annoncirte die Tagespresse Berlin's und anderer Orte dieselbe schon im September 1888. Halter gibt diese Thatsache selbst zu, betont aber auch, dass Weigert erst dann mit Untersuchungen anfing, nachdem ver- schiedene prominente Collegen (wie Schüller und Landois) schon mit seinen eigenen (Halter's) Arbeiten bekannt waren. Es steht zweifellos fest, dass die ärztliche Welt Herrn Dr. Halter das zu verdanken haben wird, was in dieser neuen Methode von Werth ist.

Dagegen wendet sich Dr. Louis Weigert (der ein in Amerika pro- movirter Arzt sein soll) in einer Broschüre, betitelt „Das neue Schwind- suchtsheilverfahren" (1889), an das grosse Publicum, worin er hervor- hebt, dass nur Diejenigen seine Methode verwerfen, welche sich mit einer oberflächlichen Kritik derselben begnügten, und dass „welt- erschütternde Entdeckungen und epochemachende wissenschaftliche Errungenschaften stets gegen Vorurtheil und Gleichgültigkeit zu kämpfen hatten."

Sodann vergleicht sich Dr. Weigert mit Kobert Koch, dessen Theorie (nach Weigert) aller Welt durch die Tagespresse bekannt gemacht wurde, welch' letztere nicht erst die Sanction von „Katheterhelden" benöthigt, um der Menschheit das zu liefern, was sich als gross und gut erwiesen hat. Seine Theorie hat ihn in Stand gesetzt, „denjenigen Unglücklichen Gesundheit zu bringen, welche sich bisher als in den Krallen des Todes befindlich betrachteten." Ferner sagt Weigert : „Durch meine Erfolge habe ich bewiesen, dass der Glaube an die Unheilbarkeit der Phthise unhaltbar ist. Jeder muss das zugeben, der nicht wissentlich bacteriologische Thatsachen und die meiner Methode negirt."

Der hervorragendste Förderer der Verdienste und des Apparates von Dr. Weigert und in Wirklichkeit der einzige mir bekannte, ist Pro- fessor Kohlschütter in Halle. Am 20. Februar d. J. hielt derselbe in der dortigen medicinischen Gesellschaft einen Vortrag, in welchem er

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bedauert, dass Weigert's Methode zuerst in der Tagespresse ange- kündigt und bisher auch ausschliesslich besprochen wurde und betont den deletären Eindruck, welcher hierdurch auf die ärztliche Welt gemacht wurde, trotzdem der Name des Herrn Professors selbst häufig in den Anzeigen von Chocolade und anderen guten Dingen in den poli- tischen Zeitungen zu finden ist.

Nach diesen Bemerkungen, welche ich im Interesse der Gerechtig- keit gegen alle Betheiligten machen musste, erübrigt mir noch über eine Reihe von experimentellen Versuchen zu berichten, welche ich mit einem, mir zu dem Zweck nach meiner Abtheilung im Bellevue Hospital überwiesenen Apparat von Weigert angestellt habe. Die Kranken- geschichten der damit behandelten Patienten liegen hier vor mir. Es soll hier nicht unerwähnt bleiben, dass ich vor einiger Zeit geneigt war günstig über die angeblichen Resultate dieser Methode zu denken. Doch war es mir von vorn herein klar, dass spätere Apparate erfunden werden müssten, welche zuverlässiger wären als den in meinem Ge- brauch, und dass es ferner gelingen müsste die Temperatur der Lunge auf mindestens 41° C. zu erhöhen, ehe man überhaupt auf therapeu- tische Erfolge hoffen könnte, denn dieses ist der niedrigste Hitzegrad, in welchem das Wachsthum der Bacillen allmählig behindert wird.

Die horizontale Röhre an diesem Apparat, welche die heisse Luft dem Munde zuführt, ist 7 Zoll lang. Die Röhre selbst ist von Metall ; das einige Zoll lange Mundstück ist aus Hartgummi. An dem der Flamme nahen Ende, sowie in der Mitte der Röhre sind Thermometer angebracht, sodass dieselben 3| Zoll von einander entfernt sind.

Die Temperatur der Einathmungsluft betrug :

Nahe der Flamme : 3% Zoll näher dem Munde :

220° Fahr. und blos 87° Fahr.

250° " nach einigen Inhalationen, " " 110° "

250° " bei gerollter Zunge und

nasaler Athmung, " " 117° "

304° " nach forcirter Inspiration, " " 171° "

Demnach kühlen sich Luft und Röhre zwischen den 2 Thermometern sehr schnell ab, und demnach auch zwischen 2tem Thermometer und dem Mund, und so fort. Es gelang mir heute Nachmittag nicht die Temperatur meines Mundes zu messen, da mein Thermometer in dem- selben zerbrach.

In dem Mund, dem Larynx und der Trachea ist die eingeathmete Luft schon wesentlich abgekühlt, namentlich auch durch die dort stattfin- dende Ausdünstung von Wasser. Etwas von der inspirirten Luft gelangt wohl in die Alveolen, aber verhältnissmässig wenig, indem ein grösseres Quantum in der Trachea und den grösseren Bronchien stagnirt. Das verhältnissmässig kleine Volumen heisser Luft trifft in der Lunge einen grossen See von Blut, welch' letzteres stets erneuert wird, und dessen Temperatur nicht merklich über 38,0 C. beträgt. Die abkühlende Ober- fläche der Lunge würde, wenn ausgebreitet, einen Raum von 2000

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Quadratfuss bedecken, und sind somit dort alle Bedingungen zum raschen Abkühlen eingeführter heisser Luft vorhanden. Der Einfluss der lezteren ist aber so minimal, dass selbst die Körpertemperatur der neuen Arbeiter vor den Kalköfen nicht über 1,0° 1,5° C. erhöht wird. Weigert nimmt an, dass die Ausathmungsluft eine Temperatur von 45,0° C. habe, gibt aber dabei selbst an, dass es ihm bisher nie gelungen sei die exacte Zahl zu constatiren. Ferner nimmt er an, dass die Luft sowohl beim Ausathmen wie beim Einathmen Wärme abgebe, und sei man bisher voll berechtigt zu glauben, dass die ausgeathmete Luft vor dem Verlassen der Alveolen eine Temperater über 45,0° C. habe. Das ist eine ganz falsche Annahme, denn der bei weitem grösste Theil der Aus- athmungsluft stammt nicht aus den Alveolen (wo sie gründlich abgekühlt worden wäre), sondern besteht aus der stationären Luft der oberen Athmungswege. Diese ausgeathmete Luft ist sicherlich wesentlich wärmer als die, welche bis in die Nachbarschaft des Bacillenauf enthaltes gelangt ist.

Wo befindet sich nun mittlerweile der Bacillus ? Vor einiger Zeit muss er durch die Blut- oder Lymphgefässe oder direct durch die arro- dirte Eespirationsschleimhaut der feinsten Bronchien in's Lungengewebe eingedrungen sein. Auf der wunden Schleimhaut konnte ihn die heisse Luft erreichen, wenn er noch da wäre. Die Eintrittsstelle hat sich jedoch geschlossen, der Bacillus hat sich im Gewebe vermehrt und lebt dort ruhig weiter, in ihm behagender Wärme, unbekümmert um irgend welche heisse Luft ausserhalb seines Bezirkes.

Ist es wahrscheinlich, dass sich das weiche Lungengewebe über 38,5° 39,0° C. erhitze, während weder Puls noch übrige Körper- temperatur, oder der Einathmende selbst nennenswerth afficirt er- scheinen ? Denn dem ist wirklich so. Oft habe ich vor dem Apparat gesessen, den Puls unter dem Finger ; letzterer wurde nur mässig be- schleunigt, wenn nicht viele heftige und schnell wiederholte In- und Exspirationen gemacht wurden.

Es erscheint demnach, dass mehr nöthig ist als die ruhige Einath- mung heisser Luft in gewöhnlicher Zimmertemperatur. Um eine Wir- kung zu erzielen sollte die Haut überhitzt sein ; ein heisses Bad wird aber von den Kranken schlecht vertragen. Ein überheitztes Zimmer, trocken oder feucht, würde zur Erhitzung des Blutes und der Gewebe beitragen, den Puls, die Exspiration und Metamorphose beschleunigen und würde in Wirklichkeit ein künstliches Fieber verursachen. Die Temperatur eines solchen Baumes müsste wenigstens 41° C. (105£° F.), betragen, was dadurch zu erlangen wäre, dass man der Sommerhitze noch Ofenhitze zufügte. Halter's Arbeiter waren täglich ein oder zwei Mal, während der Dauer von 10 oder 30 Minuten, einer trockenen Luft von 41°— 70° C. (106°— 158° F.) ausgesetzt.

In einer umgebenden Temperatur von 21° C. (70° F.) und bei einer Inhalationstemperatur von 65°— 150° C. (149°— 300° F.), erreichte die Aus- athmungsluft nicht mehr als 40° C. (Halter).

Sowohl die heissen Einathmungen als auch die heisse Umgebung im

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überhitzten Zimmer finden indessen ihre Contraindicationen in grosser Schwäche, hervorgerufen durch irgend welche Ursache, speciell durch Phthise, sowie in Neigungen zu Lungenblutung und im Fieber.

So erscheint es mir nun bis jetzt (bis ich eines Besseren belehrt bin), dass wir berechtigt sind die Inhalation von trocken-heisser Luft nur im Anfang der Phthise zu versuchen, und dann nur in umgebender heisser Atmosphäre. In der Erkrankung vorgeschrittene Patienten dürften nur selten in einem Zustand sein der diese Behandlung ertragen könnte. Feucht-heisse Luftinhalation bedarf niederer Temperatur, wird jedoch gerade wegen der Feuchtigkeit schlechter ertragen werden.

Wenn sich einige meiner Patienten unter dieser Behandlung wohler fühlten, so sollte nicht vergessen werden, dass ausser der Einathmung noch die gute Luft der Abtheilung, die temporäre Abwesenheit von der Prolätarierwohnung und der Familiensorge, die günstige Jahreszeit und die gymnastische Uebung des Thorax wesentlich zu dieser Besserung beitrugen. Thatsächlich findet nach der Aufnahme im Bellevue-Hospital fast bei allen Phthisikern eine Besserung in allen Jahreszeiten statt, vorausgesetzt, dass sich dieselben nicht im letzten Stadium befinden.

Ein Kranker besserte sich sofort vom ersten Tage an nach Anwendung des Apparates. Dieser „Erfolg" wurde nach acht Tagen von meinen Assistenten mit Frohlocken angekündigt. Fieber und Husten hatten abgenommen, die Kräfte waren sichtlich gewachsen ein grosser Triumph für den Apparat. Als ich der Sache indessen auf den Grund sah, fand ich, dass der Patient allerdings mit grosser Gewissenhaftigkeit verschiedene Halbstunden vor dem Apparat zugebracht hatte, dass er aber mit derselben Gewissenhaftigkeit die Zunge aufrollte und dabei hübsch regelmässig durch die Nase ein- und ausathmete. Später wurde dann in allen Fällen die Nase comprimirt.

In einigen Fällen wurde der Husten stärker und war weniger leicht zu besänftigen, nachdem die Kranken den Apparat gebraucht hatten. Zwei Männer litten bedeutend an Erschöpfung und Erbrechen, und erholten sich nachdem wir mit den Inhalationen ausgesetzt hatten.

II.

Die Massage in der Gynaecologie.

Von

Dr. H. J. Boldt, New York.

Da ich im Laufe des vergangenen Sommers das Vergnügen hatte den Meister dieser Methode selbst arbeiten zu sehen und unter seiner Leitung mir dieselbe zu eigen zu machen, erlaube ich mir die Ergebnisse meiner Erfahrungen mitzutheilen. Einige Worte über die Persönlichkeit Brandt's selbst werden hier vielleicht am Platze sein. Die allgemeine Massage und Heilgymnastik erlernte er am kgl. Central Institut zu Stockholm unter der Leitung von Branting. Auf den Gedanken, die Gymnastik und Massage auch in der Gynaecologie zu verwerthen, wurde er durch einen Soldaten gebracht (Brandt selbst war Officier in der schwedischen Armee), welcher plötzlich einen Prolapsus recti erlitt, und bei dem er die von ihm zur Zeit erfundene Hebung der Flexura sigmoi- dea mit Erfolg anwendete. Darauf aufmerksam gemacht, dass der Prolapsus uteri in einer gewissen Gegend Schwedens ungewöhnlich häufig vorkommt, fasste er den Gedanken, dass eine Methode, welche auf demselben Princip beruht, wie die bei den Soldaten angewandte, am Ende hier ebenfalls von Nutzen sein könnte. Er studirte zunächst die Anatomie der weiblichen Beckenorgane und bald fand er auch Gelegen- heit seine Idee in der Praxis auszuführen. Die betreffende Patientin, welche schon 27 Jahre von diesem Leiden geplagt war, wurde von ihm permanent geheilt.

Ein Erfolg nach dem andern krönte die Arbeit Brandt's, und nicht nur bei Prolaps, sondern auch bei anderen Unterleibskrankheiten, auf welche sich seine Methode erstreckte, und trotz seines hohen Alters von 70 Jahren unterzieht er sich noch täglich dieser in der That höchst er- müdenden Arbeit.

Auf Ersuchen eines Wiener Herrn, dessen Frau und Tochter von Brandt geheilt wurden, machte sich Dr. Paul Profanter im Jahre 1886 mit der Ausübung der Methode bekannt, und den Werth der Behandlung erkennend bewog er den Major, seine Kenntnisse in Deutsch- land zu verwerthen. Durch die Freundlichkeit Prof. B. S. Schultze's wurden Brandt in Jena 15 ausgesuchte Fälle zur Behandlung übergeben. Brandt und sein Begleiter, Dr. Oscar Nissen aus Christiania, wurden ersucht sämmtliche Patientinnen zu untersuchen, und stimmten ihre Aussagen mit der Diagnose Prof. Schultze's vollkommen überein. Die diagnostische Untersuchung sowohl wie die gymnastische Behandlung

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wurden gewöhnlich im Beisein mehrerer Aerzte vorgenommen. Diese Fälle hat Profanter zum Gegenstand seiner Broschüre, „Die Massage in der Gynaecologie", gemacht. Dieselbe ist von einer Vorrede von Prof. Schultze begleitet, in welcher er seine Anerkennung der Methode unum- wunden ausspricht. Dass die Anwendung dieser Behandlungsweise nicht nur Erfahrung, sondern auch einen besonders scharfen Blick in der Erkenutniss des krankhaften Zustandes erfordert, geht schon aus den Worten Schultze's und Profanter's hervor.

Wer sich mit der Beckenmassage etc. befasst, ohne zuvor practische Kenntnisse in der Gynaecologie zu besitzen und dabei roh zu Werke geht, treibt ein unverzeihliches Spiel mit der Gesundheit, wenn nicht mit dem Leben seiner Patientin. Grosse Ausdauer und Geduld sind beiderseits erforderlich.

Zur Verbreitung der Methode haben folgende Artikel in der Litera- tur beigetragen :

Literatur :

Profanter. Die Massage in der Gynaecologie. Mai 1887. Resch. Centralblatt für Gyn. 1887, No. 32.— Schanta. Prager Med. Monatsschrift, No. til.—Seiffart. Die Massage in der Gynaecolo- gie. Mai 1888. Von Preusehen. Centralbl. f. Gyn. 1888. No. 13 und 30. - Theühaber. Münchener Med. Wochenschrift. 1888. No. 27 und 28.— Winawer. Centralbl. f. Gyn. 1888. No. 52.— F. Lind- blom. Münchener Med. Wochenschrift. 1888. No. 43 etc.— Resch's Uebersetzung (und Umarbei- tung) von Brandt's Gymnastiken etc.

Die Behandlung ist indicirt :

1) Bei chronischen und subacuten para- und perimetritischen Exsu- daten und Exsudatresten.

2) Bei chronischer Metritis.

3) Bei chronischer Oophoritis.

4) Bei catarrhalischer Salpingitis.

5) Bei allen Lageveränderungen mit oder ohne Adhaesionen.

6) Bei Incontinentia urinae, welche auf Erschlaffung der Blasenhals - schliessmuskel beruht.

7) Bei Kecto- und Cystocele.

8) Bei Haematom und Haematocele.

Contraindicationen sind : 1) Alle acut-entzündlichen Processe, mit später zu beschreibenden Ausnahmen. 2) Alle entzündlichen Zustände, bei denen Eiterung vorhanden ist. 3) Dilatirte Tuben mit der von Brandt angegebenen Ausnahme, wenn das Ende der Tuben offen ist, so dass man den Tubeninhalt in den Uterus zu entleeren vermag.

Die Brandt'sche Methode besteht in einer speciellen und einer allge- meinen Behandlung, und bezüglich der letzteren sind die Mehrzahl der Bewegungen den von Gabriel Branting geübten ähnlich.

Zur Ausübung der Specialbehandlung bedient man sich am zweck - mässigsten eines kurzen niedrigen Sophas mit hochstehender, wenig schräger Hinterlehne. Folgende sind die Maasse von meinem Sopha ; Länge 36 Zoll, Höhe 16 Zoll, Breite 26 Zoll, Höhe der Lehne 16 Zoll. Der Arzt sitzt auf einem Stuhl zur linken Seite der Patienten, welche ihren Platz auf dem Sopha bei stark erhöhtem Kopf und Schultern

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und angezogenen Unterextremitäten einnimmt. Der linke Zeigefinger wird unter dem Oberschenkel in die Vagina als Stütze des zu massiren- den Theiles eingeführt. Zuweilen gibt man die Stütze auch vom Rec- tum aus, wenn dies der Fall speciell so erfordert. Die letzten drei Finger liegen gestreckt längs der Steissbeingegend, der Daumen gegen das Schambein. Auf diese Weise kann man etwas tiefer mit dem Zeigefinger eindringen, ohne der Patientin Unbehagen durch Druck der Knöchel zu verursachen. Wichtig ist, dass die Kranke während der Localbehandlung vollständig ruhig liegt und sich vollständig passiv verhält, indem sonst die Bauchmuskel mehr oder weniger gespannt werden. Den linken Ellenbogen stützt der Arzt gegen seinen linken Oberschenkel, damit derselbe nicht so leicht ermüde, indem der linke Finger den zu behandelnden Theil der rechten massirenden Hand ent- gegenführt.

Es versteht sich von selbst, dass die Patientin während der Behand- lung kein Corset tragen darf und die Kleider um die Hüften gelockert sein müssen. In irgend einer Weise entblösst wird sie niemals. Bei Exsudaten beabsichtigt man die Resorption durch Anregung der Lymphgefässe zu befördern, und bei Exsudatresten resp. Adhaesionen, hat man deren Dehnung mit nachfolgender Resorption im Auge. Bei Lageveränderungen der Gebärmutter ohne Adhaesionen beabsich- tigen wir die Schlaffheit der nachgiebigen Haltetheile zu beheben, und bei Flexionen auch die Knickungsstelle in den normalen Zustand zurück zu versetzen, durch Kräftigung der Musculatur der Knickungs- winkel.

Eins dürfen wir bei der Behandlung von infectiösen Perimetritiden nicht aus dem Auge lassen, nämlich, dass dieselben nicht selten mit Salpingitiden complicirt sind. Sind nun die Tuben erweitert, dann müssen wir an die Möglichkeit der Berstung in Folge von zu kräftiger Massage denken ; daher die Wichtigkeit und Notwendigkeit einer genauen Diagnose. Die Localbehandlung bei Exsudaten besteht in Massage, ebenso bei Exsudatresteu, resp. Adhaesionen mit Hinzufügung von Dehnungen, welche je nach der Beschaffenheit des Zustandes aus- zuführen sind. Haben wir es mit einem chronischen nicht schmerz- haften Exsudat zu thun, dann muss die Massage kräftig ausgeführt werden, um zum Ziel zu führen. Die Kranke und der Arzt befinden sich in der beschriebenen Stellung. Der linke Finger wird dort einge- führt, wo er die geeignetste Stütze bieten kann, und mit der Volarfläche der ersten zwei Fingerglieder der äusseren Hand werden nun leichte Zirkelreibungen an der vorderen Kreuzbeinfläche gemacht, welche je nach Umständen 1 3 Minuten in Anspruch nehmen. Diese Procedur soll die Entleerung der hier befindlichen Lymphdrüsen bezwecken und sie zur Aufnahme frischer Lymphe tauglicher machen. Hierauf schreitet man zur Massage des Exsudates selbst, wobei man stets an der Peripherie an der Seite der Lymphgefässe anfangen muss und gegen das Centrum nur langsam näher rückt. Im Anfang werden die schnell ausgeführten Zirkelreibungen nur mit leichtem Druck gemacht ; bald

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jedoch wird der Druck durch die Bauchdecken hindurch verstärkt, und man benutzt feste Streichungen und Zitterdrückungen. Auch Knetun- gen mit der Handwurzel werden ausgeführt. Man hat darauf zu achten, dass keine der Bewegungen der Patientin unerträgliche Schmerzen verursachen, was man durch den Gesichtsausdruck control- lirt, welcher vom Operateur fortwährend beobachtet werden soll. Ausserdem werden bogenförmige Streichungen mit dem Zeigefinger durch das Rectum in der Richtung der Venen und Lymphgefässe ge- macht. Die starke Massage nimmt gewöhnlich 15—20 Minuten in An- spruch und schliesst man sie wieder in derselben Weise ab, wie man den Anfang gemacht hat. Hierzu kommen dann auch die sogenannten ableitenden Bewegungen, welche die Blutzufuhr zum Becken nicht nur vermindern, sondern die Activität der in Anspruch genommenen Muskel ableiten sollen. Auf die Beschreibung der einzelnen gymnasti- schen Bewegungen, welche bei der Brandt'schen Methode in Anwendung kommen, will ich vorläufig verzichten und verweise auf die Neumann'- sche Heilgymnastik oder Brandt's Gymnastiken. Man muss bei der Auswahl dieser Bewegungen vorsichtig sein. Es kann geschehen, dass in Folge zu kräftig ausgeführte Massage acute Recidive eintreten. Wenn dieser Fall stets durch Schuld des Operateurs eintritt, ist es nicht nöthig die Behandlung zu unterbrechen und so lange zu warten, bis der Process abgelaufen ist (was ja immer geraume Zeit in Anspruch nimmt), sondern man setzt die Behandlung ruhig fort, nur nicht am- bulatorisch. Die Patientin hütet das Bett und bekommt täglich 2—3 Mal eine leichte Massage von kurzer Dauer, und in der Zwischenzeit werden kalte Umschläge oder Eisbeutel applicirt. Bei dieser Behand- lung wird man die acute Entzündung oder etwa gebildete Haematome in verhältnissmässig kurzer Zeit verschwinden sehen. Bei nicht allzu chronischen und mehr empfindlichen Exsudaten wird die Massage na- türlich mit leichterem Druck nebst dem Falle entsprechenden Ab- änderungen gebraucht. Bei der manuellen Behandlung soll der Grund- satz gelten, lieber zu wenig als zu viel auf einmal zu thun.

Nach jeder Dehnung von Adhaesionen folgt angemessene Massage« Wie man die Dehnungen am vortheilhaftesten macht, kommt auf den betreffenden Fall an. Haben wir es z. B. mit einen retroflectirten Uterus zu thun, wo der Knickung ^winkel sehr scharf ist, und der Fundus tief im Douglas liegt, dann geht man mit dem Zeigefinger am besten in das Rectum ein, und schiebt den Fundus langsam aufwärts, während man mit der freien Hand von den Bauchdecken aus massirt. Sobald man genügend erreicht hat, um mit den Fingerspitzen der äusseren Hand hinter den Fundus zu kommen, kann der Daumen an der Vorderseite des Cervix auf oder oberhalb des Knickungswinkels angesetzt werden und, indem der Daumen nach hinten und aufwärts drückt, zieht die äussere Hand mit oder ohne leichte Zitterbewegung den Fundus in der Richtung der normalen Lage. Erst nachdem sämmtliche Adhaesionen gelöst sind, was mitunter nicht nur Tage sondern Wochen in Anspruch nimmt, dürfen die Hebebewegungen behufs Erreichung einer perma-

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nenten Normalstellung des Uterus angewandt werden. Allzufeste Adhaesionen sind mittelst Laparotomie mit nachfolgender ventraler Fixation zu lösen. Die Hebebewegungen werden nun mit Hülfe eines Assistenten folgendermaassen ausgeführt :

Patientin und Arzt befinden sich in der angegebenen Stellung. Letzterer setzt den Zeigefinger der Hand mit welcher er den Assistenten controlliren will, an die Vorderseite des Cervix. Geschieht dies mit der rechten Hand, dann muss er auch auf der rechten Seite der Patientin sitzen. Der Cervix wird mit dem Zeigefinger nach hinten und oben geschoben, und mit der freien Hand dem Assistenten angedeutet, wo der Uterus liegt. Diese Hand schiebt die Bauchdecken von oben nach unten, um die Spannung der Haut bei den Hebungen herabzusetzen. Nun legt der Assistent, welcher der Patientin gegenüber steht (mit einem Bein zwischen den Füssen der Patientin knieend, das andere auf den Boden), seine beiden Hände flach auf das Hypogastrium ; nachdem dies geschehen, wird die Hand des Arztes entfernt, und der Assistent schiebt seine Hände nach unten hinter die Symphyse in das kleine Becken, so dass er den Uterus sammt den Lig. lata erfasst. Während dieses Vor- gehens biegt sich der Körper mit den steifgehaltenen Armen nach vorne. Ist der Assistent genügend tief eingedrungen, so werden die Hände längs der Kreuzbeinkrümmung unter sanftem Zittern nach oben geführt, wobei der controllirende Finger den Cervix aufwärts gleiten fühlt. Sobald eine Spannung am Isthmus bemerkbar ist, wird dem Assistenten Halt geboten. Nach ein paar Secunden lässt letzterer seinen Halt mit einer leichten Vorwärtsbewegung der Finger los, welche den Uterus in Anteflexionsstellung bringt. Der controllirende Finger hat die Aufgabe, den Cervix wieder so zu empfangen und zu halten, wie er es beim Beginne der Procedur gethan. Dies wird 3 4 Mal wieder- holt. Nach den Hebungen folgt abermals eine allgemeine Massage der Beckenorgane. Zum Schluss ein Zitterdruck auf den Plexus hypo- gastricus. Bei Prolaps muss die Gebärmutter bedeutend höher geführt werden, je nach dem Grade der Schlaffheit der haltenden Theile. Ist der Vorfall des Uterus mit dem der Vagina complicirt, wie es ja in der Mehrzahl der Fälle vorkommt, so wird noch ein Zitterdrücken am unteren Zweig des Nervus pudendus gebraucht, indem man beim Peri- naeum anfängt und an der äusseren Seite der grossen Schamlippen vorwärts schreitet. Nach der Zitterdrückung wird mit der gekrümmten Spitze des Zeigefingers eine Schieb drückung an der vorderen vorge- fallenen Vaginalwand gemacht, und zwar von aussen nach innen, mit Vermeidung der Harnröhre. Nachdem dieses geschehen kommt die Knietheilung zur Stärkung des Beckenbodens in Anwendung. Die Patientin bleibt in derselbe Lage, die Füsse gegen einander gehalten und erhebt das Becken, indem sie als Stützpunkte die Schultern nebst Kopf und Nacken und die Füsse gebraucht, welches ja an und für sich schon eine Anstrengung ist, und die Blutzufuhr zum Becken vermindern soll. Der Operateur legt jetzt seine Hände zwischen die Kniee der Patientin und indem sie Wiederstand leistet, werden die Kniee so weit

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als möglich von einander langsam und gleichmässig entfernt. Dann schliesst die Patientin die Kniee wieder, wobei sie den Widerstand des Arztes zu überwinden hat. Bei dem nun folgenden Aufstehen darf sie sich nicht sehr anstrengen, sondern der Arzt ist mit seiner zwischen die Schultern gelegten Hand behülflich. Nach dem Aufstehen soll der Daumen an die vordere Seite des Cervix gesetzt, der Uterus noch einen Augenblick nach oben und vorne gehalten und durch Druck an besagter Stelle nach hinten und aufwärts geschoben werden. Dieses soll zur Erschlaffung der nach vorne flxirenden Theile des Cervix und der Con- traction der hinteren dienen. Zum Schlüsse wird eine leichte Kreuzbein- klopfung gegeben. Die Patientin steht gegen eine Thür oder Wand nach vorne gebeugt, die Fingerspitzen nach innen gehalten und der Arzt macht eine Reihe sanfter Schläge mit der geballten Faust, bei lose gehal- tenem Handgelenk von den Lenden nach unten über das Kreuzbein auf jeder Seite 3 4 Mal. Auch dieses soll zur Vermehrung der Leistungs- fähigkeit der Beckennerven beitragen. Nun soll die Kranke mindestens eine viertel Stunde ruhig auf ihren Unterleib liegen, ehe sie den Rest der ihr zugedachten gymnastischen Bewegungen erhält.

Gegen die Bemerkung Dr. P. Sielski's im Centralblatt für Gyn., No. IV, d. J., dass die Brandt'sche Behandlung roh und primitiv sei und keine Rücksicht auf das Schamgefühl der Frauen nehme, muss ich Ein- wand erheben, indem keiner dieser Punkte in irgend einer Weise Zutrift. Erstens wird darauf gesehen, dass die Hebungen so sanft als möglich gemacht werden, dass sie etwas schmerzhaft sind leugnet Niemand ; aber wenn der Uterus mit dem Elevator von Sielski so hoch gehoben wird als es nöthig ist um zum Ziel zu gelangen, verursacht dieses Ver- fahren ebenfalls Schmerzen. Zweitens werden durch die Brandt'schen Hebungen sämmtliche Haltetheile in eine Spannung versetzt, welche nur durch die einfache Hochschiebung der prolabirten Gebärmutter nicht zu erzielen möglich scheint.

Dies gilt auch für das Pawlik'sche Verfahren (Centralblatt No. 13), nur ist meiner Ansicht nach letzteres ungefährlich, was ich von ersterem nicht gelten lassen möchte. Das Schamgefühl wird in keiner Weise verletzt. Die Patientin wird nie entblösst, sondern sämmtliche Manipu- lationen werden über dem den Leib bedeckenden Hemde gemacht, und bleiben die anderen Kleidungsstücke um die Hüften liegen. Zwei Männer zu den Hebebewegungen sind ebenfalls nicht erforderlich, vielmehr sollte der Assistent stets eine weibliche Gymnastin sein. Ueberdies ist es auch möglich, wie ich es nicht nur bei Nissen gesehen, sondern auch selbst gethan habe, die Hebungen ohne jegliche Assistenz mit vollstän- digem Erfolg zu machen, obgleich dieses Verfahren gerade nicht empfehlenswerth ist. Die betreffende Patientin hatte noch die nicht unerhebliche Complication eines Dammrisses bis zum Sphincter mit Cystocele und Retrodeviation des vollständig prolabirten Uterus. Der Erfolg war nach Ablauf von 4 Wochen in jeder Hinsicht zufriedenstellend. Ob dies bei dem vorhandenen Dammriss auch ein permanenter sein wird, muss natürlich die Zeit lehren. Das Unangenehme bei der Brandt'schen

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Methode ist ja, dass sie sehr zeitraubend ist, und sich die Patientinnen täglich zur Behandlung stellen müssen. Nicht günstige Kesultate haben unter meinen Händen die Scheidenvorfälle, Ketrodeviationen ohne Ad- haesionen und Salpingitiden geliefert, und würde ich bei ersteren vor- ziehen, falls innerhalb einiger Wochen kein bemerkbarer Erfolg zu sehen ist und auch anderweitige Behandlung mit Pessar etc. nichts fruchtet, operativ einzugreifen. Ich habe bei Incontinentia urinae in Folge von Schlaffheit des Blasenschliessmuskel nach kurzer Behandlungsdauer in einigen Fällen ausgezeichnete Erfolge gesehen. Ausser verschiedenen Bewegungen, wie Knietheilung, Kreuzbeinklopf ung, wechselnde Blasen- erschütterung etc. wird bei Behandlung dieser Leiden ein Zitterdruck gegen den Sphincter gemacht, indem der Zeigefinger schräg und leicht gekrümmt in die Vagina eingeführt gegen den Blasenhals gesetzt wird. Die übrigen drei Finger werden mit dem Daumen umschlossen gehalten, und die freie Hand um das Handgelenk geschlossen um den Druck zu controlliren, nun wird ein mässig fester Zitterdruck gegen das Scham- bein gemacht; gefolgt von Streichung des betreffenden Theiles. Dies wird 3 4 Mal wiederholt und dann geschieht das Gleiche mit dem anderen Finger auf der entgegengesetzten Seite.

Im Ganzen ist die Brandt'sche Methode wohl des Beachtens werth, selbst wenn damit auch nicht soviel erreicht werden kann, als wün- schenswerth wäre.

Ein Fall von Wanderleber.1)

Von

Dr. Max Einhorn,

Arzt am Deutschen Dispensary, New York.

M. H. ! Unter Wanderleber [Ectopia hepatis oder Hepar migrans] versteht man eine beträchtliche Dislocation der Leber nach unten, [für welche sich als Ursache eine von oben her auf das Organ wirkender Druck nicht nachweisen lässt] und die Möglichkeit, dieselbe mehr oder weniger leicht nach oben zu bewegen. Das Vorkommen dieser Anomalie ist zuerst von Cantani2) im Jahre 1866 ausführlich beschrieben worden, doch findet sich der Name „Wanderleber" bereits in der älteren Lite- ratur, so bei Portal. 3) Nach Cantani's Veröffentlichung haben sich die Berichte über Wanderleber schnell gemehrt. Im Ziemssen'schen Hand- buch (Bd. VIII, 1), vom Jahre 1876, werden bereits 10 Fälle von Wan- derleber aus der Literatur zusammengestellt. Fast alle diese Fälle betrafen Frauen, welche bereits geboren hatten. Man suchte daher in der Schwangerschaft und in dem mit jener häufig verbundenen Hänge- bauch der aetiologische Moment für die Ectopia hepatis (Cantani und Winkler 4).

Meissner 5) und Leopold 6) hielten die Schwangerschaft allein nicht für ausreichend, um das Zustandekommen der Leberdislocation zu erklären ; denn bei manchen der Frauen war erst 10 Jahre nach der letzten Schwangerschaft jene Anomalie eingetreten. Leopold und Meissner nehmen daher an, dass zuweilen das präformirte Leberbau d in Gestalt einer Mesohepar verlängert sei, dies gebe das prädisponi- rende Moment, und bei Hinzutritt einer neuen Ursache, wie Hänge- bauch, dann Heben schwerer Last, Fall etc. kann eine Ectopia hepatis zu Stande kommen.

Im Landau'schen 7) Buche „Wanderleber und Hängebauch" werden 31 als Wanderleber beschriebene Fälle aus der Literatur zusammenge-

*) Nach einem in der Versammlung Deutscher Aerzte New York's am 23. Mai 1889 gehaltenen Vortrage.

2) Cantani, Ann. univers. d. Medicina, Nov. 1886.

3) Portal, Cours. d'anatomie medicale on elements de l'anatomie de l'homme. Paris. An. XH, 1804, T. V. p. 323 (citirt nach Landau).

«) Winkler, Arch. für Gynaecolog. Bd. IV. 1872.

5) Meissner, Schmidt's Jahrb. Bd. 191, 1869.

6) Leopold, Arch. f. Gynaecolog. Bd. 7, 1875.

') Landau, Die Wanderleber und der Hängebauch bei Frauen, Berlin, 1885.

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stellt. Landau l) selber hat 14 Fälle von ausgesprochener beweglicher Leber und etwa 50 Fälle von einfacher Senkung der Leber bei Frauen beobachtet ; L. schliesst daher mit Recht, dass die Wanderleber bei Frauen viel häufiger vorkommt, als man bisher anzunehmen schien.

Langenbruch 2) hat ganz kürzlich eine Pat. mit Wanderleber vorge- führt bei einem 19jährigen Fräulein, welches also niemals schwanger war, und bei der die Leber nach einem Fall dislocirt wurde.

Wassiljen 3) hat zuerst zwei Fälle von Wanderleber bei Männern be- schrieben.

Da nun die Wanderleber eine ziemlich seltene Anomalie ist, und mein Fall ausserdem zu den wenigen gehört, die Männer betreffen, so erlaube ich mir, Ihnen, meine Herren, denselben heute Abend vorzuführen.

Die Krankengeschichte lautet, wie folgt :

Pat,, Louis Bauer, 57 Jahre alt, Schreiner, war früher stets gesund. Im August 1857 hat Pat. das gelbe Fieber glücklich überstanden. Im Februar 1889 wurde Pat. mitten in seiner Arbeit von heftigem Schüttel- frost und Schwindel befallen ; er konnte nicht stehen und musste zu Bett gebracht werden. Pat. fing gleich darauf an zu brechen und ver- spürte Schmerzen in der vorderen Bauchgegend, sowie im Kücken. Pat. wurde damals noch am selben Tage nach dem New York Hospital ge- bracht ; dort war er nur vier Tage bettlägerig ; Fieber glaubt Pat. nicht gehabt zu haben. Nach lOtägigem Aufenthalt im Hospital wurde Pat. als geheilt entlassen. Pat. gibt nun an, dass er während dieser Krank- heit an Athembeschwerden zu leiden angefangen habe ; diese Beschwer- den haben ihn seitdem nicht verlassen ; er konnte nicht mehr viel arbeiten, und das Treppensteigen wurde ihm sauer. Ausserdem hat Pat, seit letztem Februar öfter bei der Arbeit einen Druck in der Regio epigastrica gespürt, der sich beim Athmen und bei schnellen Bewegungen steigerte und sich oft mit Beklemmung verband. Pat. pflegte öfter seine Hände auf den Leib hinzuhalten und verspürte so Linderung. Seit jener Zeit fiel Pat. eine Anschwellung der oberen Bauchgegend auf.

Pat. gibt an, Whiskey niemals und Bier nur in geringeu Mengen ge- trunken zu haben.

Der Status praesens ergibt : Die Inspection des Abdomens zeigt eine flach ovale Yortreibung der ganzen Regio epigastrica, welche mit ihrem unteren Band bis etwa zwei Finger breit oberhalb des Nabels reicht. Lässt man Pat. tief ein- und ausathmen, so bemerkt man, wie die Haut sich bei der Exspiration über den ovalen Tumor hinweg tief hinter der rechten Rippenwand einzieht, so dass eine gewisse Lücke entsteht zwischen der rechten Rippenwand und dem Tumor, welcher beim Respirationsact unbeweglich bleibt. Die Per- cussion ergibt im Stossen gedämpften Ton im ganzen Bezirk der sicht- baren Vorwölbung ; der gedämpfte Ton erstreckt sich nach oben bis

') Landau, 1. c. p. 11.

2) Langenbruch, Deutsch, med. Wochenschrift, 18&9, No.

3) Wassiljen, St. Petersburg, med. Wochenschr. 1876, No. 30.

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knapp einen Finger breit oberhalb des unteren Rippenrandes auf der rechten Seite, dehnt sich nach links bis zur Meso-sternal-mammillarlinie aus und reicht nach unten bis 1 2 Finger breit oberhalb des Nabels. In der rechten Thoraxhälfte bekommt man überall hellen Lungenschall bis beinahe zum unteren Rippenrand herab.

Untersucht manPat. im Liegen, so fallen die obigen Ergebnisse nicht anders aus. Die Palpation ergibt einen Tumor von ziemlich fester Sub- stanz, etwas kugeliger oder vielmehr ovaler glatter Oberfläche, der nach oben und rechts sich verschieben lässt. Drängt man den Tumor nach oben und lässt ihn Pat.. mit seinen Händen festhalten, so verschwindet die Vorwölbung ; man bekommt bei der Percussion hellen tympani tischen Schall bis eine Handbreit oberhalb des Nabels, während in der hin- teren unteren Partie des Thorax eine Dämpfung nachweisbar wird.

Am Herzen lässt sich nichts Abnormes nachweisen ; und auch an den Lungen vermag man mit Ausnahme von einzelnen wenigen Rhonchi nichts Auffallendes zu entdecken. Seitens des Yerdauungsapparates hat Pat. keine Klagen. Der Urin enthält keinen Zucker und kein Eiweis.

Aus obigen Angaben erhellt, dass der Tumor die Leber sein müsse ; dafür spricht die Configuration desselben, ferner der Umstand, dass die Dämpfung in der Lebergegend fehlt und endlich die Möglichkeit, den Tumor nach der Region, wo sonst die Leber liegt, zu schieben. Es steht sonach fest, dass wir es hier mit einer Wanderleber zu thun haben.

Es fragt sich nun, ob erstens diese abnorme Lage der Leber ange- boren ist oder vielmehr erst später entstanden ist, und zweitens ob die Beschwerden des Patienten auf die abnorme Tieflage der Leber zurück- geführt werden können.

Zieht man die Angaben aus der Krankengeschichte des Patienten in Erwägung, so muss man es für wahrscheinlich halten, dass die Dislo- cation der Leber erst später entstanden ist, und dass die Beschwerden des Patienten von dieser abnormen Lage herrühren. Man kann un- gezwungen annehmen, dass bei unserem Patienten im letzten Februar, wo er beim Hobeln beschäftigt war, plötzlich sich die ligamentösen Bänder der Leber theilweise gelockert oder zerrissen haben, und so ein Herunterfallen der Leber bedingt haben ; dieses Ereigniss dürfte da- mals den Schüttelfrost und die sonstigen Krankheitserscheinungen, die Pat. im Februar gehabt hat, hervorgerufen haben. Die herab- gesunkene Leber zerrt ihrerseits am Zwerchfell, zieht dasselbe gleich- falls theilweise nach unten und bedingt so eine Dehnung der Lunge. Durch diese abnormen Zustände erklären sich die Athembeschwerden des Patienten.

Die Therapie anlangend, so habe ich den Patienten eine Handbreite Binde um die obere Bauchregion tragen lassen. Pat. gibt an, sich seitdem leichter zu fühlen, und insbesondere viel besser und ohne Athembe- schwerden gehen und arbeiten zu können.

IV.

Ein Fall von Blasenmole.

Von

Dr. Richard Stein,

Arzt am Deutschen Dispensary und am Hebrew Sheltering Orphan Asylum,

New York.

Frau I. G., Multipara, 30 Jahre alt. Die vorhergehenden Geburten waren normal, die Kinder gut entwickelt. In der Schwangerschaft, um die es sich hier handelt, traten frühzeitige Beschwerden auf. Die Frau empfand grosse Schmerzen im Unterleib, Ziehen in den Beinen, später entwickelten sich Uteruscoliken ; auch stellte sich profuser Ausfluss aus den Genitalien ein, welcher zuerst schleimig war, dann blutig ver- mischt, und schliesslich ganz haemorrhagisch. Die Patientin wurde sehr schwach ; sie begab sich in ärztliche Behandlung. Die sie behan- delnden Aerzte bezweifelten ihre Angaben über Zeit der Schwanger- schaft u. s. w. Die Einen hielten sie überhaupt nicht für schwanger, sondern nahmen einen rapid entwickelnden Uterustumor an ; Andere dachten an Zwillingsschwangerschaft, wieder Andere an zurückgeblie- bene Placenta. Die Schmerzen wurden immer grösser, die Blutungen immer stärker, und schliesslich stellten sich Geburtswehen ein. Als ich die Patientin zum ersten Mal sah, spät in der Nacht, sagte sie aus, dass sie schon seit drei Tagen Wehen hatte, und seit dieser Zeit ausser- ordentlich stark blutete ; heute hätte sie nach ihrem Arzt geschickt, der ihr die Scheide mit Watte austamponirte, der Tampon wurde aber nach einigen Stunden, durch kräftige Wehen ausgestossen, und die Blutung nahm nachher stark zu. Es wurde sodann ein zweiter Schei- dentampon eingelegt, der auch kurz darauf ausgestossen wurde. Als ich hinzukam, fand ich die Frau das Bild der acuten Anaemie dar- bietend : verfallene Gesichtszüge, die Haut mit kaltem, klebrigem Schweiss bedeckt, Extremitäten kühl, Puls jagend und flatternd. Die äussere Untersuchung ergab einen Uterus, der sich bis zwei Quer- fingerbreit über dem Nabel erstreckte. Derselbe war mehr als ge- wöhnlich der Breite nach ausgedehnt, überall weich und eindrückbar ; grosse oder kleine Kindestheile konnte man nicht hindurchfühlen ; die Resistenz war überall eine ganz gleichmässige. Ich zog die bestimmte Angabe der Frau, dass sie sich im vierten Schwangerschaftsmonat be- fand, in Zweifel. Weiterhin auffallend, neben diesem scheinbaren Widerspruch war, dass man keine Kindestheile in dem der Grösse eines im siebenten Monate schwangeren Uterus durchfühlen konnte. Hy- dramnion konnte man, dem Gefühle nach sicher ausschliessen. Die

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innere Untersuchung ergab die Scheide mit Blutcoagulis ausgefüllt. Nach Entfernung derselben kam man auf den für einen Finger durch- gängigen äusseren Muttermund. Der Cervicalcanal war durchgängig. Im inneren Muttermund traf man auf eine Masse, die sich anfühlte wie etwa eine Placenta im matschen Zustand. Die Entfernung eines Stückes derselben aber ergab sofort, um was es sich hier handelte : eine Blasenmole. Die Indicatio Vitalis drängte zum operativen Eingriff. Die Frau wurde leicht narcotisirt, in Steissrückenlage gebracht, und ich entfernte die Geschwulst, indem ich die Hand in die Scheide ein- führte und mit ein bis zwei Fingern, die Mole allmählig herausschälte ; ein grosser Theil der Geschwulst folgte schon äusserem Druck der anderen Hand auf dem Uterus. Die stückweise Entfernung der Ge- schwulst, die sich hauptsächlich im rechten Horn und an der hinteren Wand des Uterus localisirte, ging sehr leicht ; auffallend war nur, nachher die grosse Anzahl von Balken und Leisten, welche scheinbar aus der Uteruswand heraustraten ; da es mir auf eine gründliche Aus- kratzung ankam, so war die Entfernung dieser Theile etwas mühsam. Der Uterus zog sich gut zusammen, die Blutung sistirte vollständig, und nach einigen heissen antiseptischen Ausspülungen (Sublimat 1: 5000) wurde die Frau in die gewöhnliche Rückenlage zurückgebracht.

Nach den verschiedenen eingreifenden, zum grossen Theil von an- derer Seite ohne antiseptischen Cautelen gemachten Eingriffen war vorauszusehen, dass der Verlauf des Puerperiums kein fieberloser sein würde. Am zweiten Tag schon setzte hohes Fieber mit Schüttelfrost ein. Das Fieber remittirte am nächsten Morgen und stieg Abends unter heftigen stundenlang andauernden Frösten wieder in die Höhe. Schmerzhaftigkeit bei Druck auf den Uterus. Parametrien frei. Copiöser übelriechender Ausfluss. Ausspülungen alle drei Stunden (intrauterin) mit 5% Carbolsäure. Ein Vorschlag, den Uterus aus- zukratzen, wurde abgeschlagen. Das Fieber sistirte anscheinend mit- telst Krise am neunten Tag der Erkrankung. Die Frau, die zu dieser Zeit sehr heruntergekommen war, u. A. auch marantisches Oedem der unteren Extremitäten bekam, erholte sich hierauf sehr rasch. Bald stellten sich aber wieder Ausfluss und Blutungen aus dem Uterus ein, die auf die gewöhnliche Behandlung völlig schwanden.

Die Pathogenie der Blasenmole (Traubenmole, Mola hydatidosa) ist noch nicht genügend bekannt. Virchow (Geschwulstlehre, Bd. I) be- schreibt dieselbe als ein multiples Myxom des Chorion ; dasselbe ent- steht durch Proliferation des schleimgewebigen Grundstocks, der Placentarzotten, zum Theil wohl auch durch Umwandlung des inter- stitiellen Bindegewebes der Zotten im Schleimgewebe. Der formative Reiz, welcher diesen Degenerationsprocess herbeiführt, geht wahr- scheinlich von der verdickten Decidua aus. Letzteren Befund konnte ich auch in meinem Fall constatiren.

Die schleimgewebige Degeneration geht nicht nur an der Placentar- stelle von statten, sondern erstreckt sich über das ganze Ei. Der Foe- tus geht gewöhnlich frühzeitig zu Grunde. Die Wucherung findet aber

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nicht nur auf Kosten des Eis, sondern auf Kosten der Mutter statt ; es verbreiten sich die mächtig gewucherten Zotten hauptsächlich in den mütterlichen Sinus aus. (Siehe weiter unten.)

Vom practischen Gesichtspunkt aus gewinnt die Blasenmole an Interesse in zweierlei Richtungen :

Erstens durch die Hinfälligkeit des schleimig degenerirten Gewebes und das Hineinwuchern desselben in den stark erweiterten mütterlichen Sinus, entstehen abundante Blutungen, die zum Tod der Mutter führen können. Die Geschwulstmassen sind bei der Herausnahme ganz mit Blutcoagulis verfilzt.

Ein zweiter Punkt, der die Blasenmole zu einem äusserst bösartigen Process stempelt, ist folgender : Richard Volkmann (Virch. Archiv, Bd. 41), und Wäldeyer (Virch. Archiv, Bd. 44) haben Fälle beschrieben, in welchen die Geschwulst sich wie ein Myom interstitiell weiter- entwickelte, die Uteruswand atrophirte, so dass sie an einigen Stellen papierdünn wurde, und man bei der Section (beide Fälle endeten tödt- lich durch die starken Blutungen) beim Aufschneiden der Bauchdecken, die Mole durch das Peritonaeum hindurchschimmern sah. In diesem Sinne sind auch die obenerwähnten Balken und Leisten zu deuten.

Daraus geht hervor, dass bei der Blasenmole stets nur eine zweifel- hafte Prognose zu stellen ist. Die Diagnose wird ohne Befund von Geschwulstheilen wohl kaum zu stellen sein. Sonstige Symptome geben gar keinen sicheren Anhalt. Ist die Diagnose gestellt, so geht man am besten, mit aller Schonung der Mutter, activ vor. Sobald der Cervical- canal für einen Finger durchgängig ist, schreitet man zur digitalen Ausräumung des Uterus, unterstützt durch Druck auf den Uterus von aussen. Nach dem Eindruck zu urtheilen, den dieser eine Fall auf mich gemacht hat, möchte ich bezweifeln ob es je zu einer spontanen Aus- stossung der ganzen Geschwulst kommen kann, bevor nicht durch die Blutungen die Frau bis zum Tode geschwächt ist, oder gar der Exitus lethalis eintritt. Man kann, meine ich, ebensowenig auf eine spontane Ausstossung der Blasenmole hoffen, wie etwa auf eine spontane Lösung einer angewachsenen Placenta. Der tödtliche Ausgang der in der Lite- ratur verzeichneten Fälle, bei welchen exspectativ verfahren wurde, scheint eine mehr active Therapie zu rechtfertigen. Will man stumpfe oder gar scharfe Curetten zur Auskratzung anwenden, so muss das mit aller Vorsicht geschehen. Auch Seeale thut gute Dienste.

Zur mechanischen Behandlung der Kindercholera.

Von

Dr A. Seibert, New York.

Alle Fälle von acutem Catarrh des Digestionsapparates der Kinder fasse ich als Kindercholera auf. Die Ursache ist in allen Fällen die Zersetzung der Nahrung, und die Symptome sind alle durch die Wir- kung der organischen und chemischen Zersetzungsproducte hervorge- rufen. Ich sehe keinen Grund warum man nur bei heftigem Brechdurch- fall mit Collaps von Cholera infantum reden soll, obgleich der acute Dünn- oder Dickdarmkatarrh auf genau derselben Ursache beruht, und wo die Wirkung der Bacterien nur etwas tiefer und später im Ver- dauungscanal zur Geltung kommt. Wir haben ganz leichte Fälle von Unterleibstyphus, mit häufigem Fehlen dieser oder jener Symptomen- gruppe, aber es ist und bleibt Typhus. Ebenso ist ein leichter Durch- fall von 3 Entleerungen binnen 24 Stunden ebenso eine Kindercholera wie eine Attacke, welche binnen wenigen Stunden Collaps herbeiführt. Die Ursache ist dieselbe und die Wirkung ist dieselbe. Der Unter- schied liegt nur darin, dass wenn eine grössere Menge der Fäulniss- bacterien zur Wirkung im kindlichen Darmcanal gelangen, die Eeaction desselben, sowie die des ganzen Körpers, eine entsprechend grössere ist, und umgekehrt. Mit dem Milchfäulnissgift ist es wie mit anderen Giften : Je mehr davon in den Körper gelangt, desto stärker und deut- licher— und je weniger, desto schwächer und undeutlicher die Wirkung, resp. der Durchfall.

Es ist entschieden an der Zeit, dass wir endlich die wundervollen Eintheilungen der Lehrbücher bei Seite schieben, denn dieselben haben garkeinen Werth und garkeine Berechtigung, und können höchstens dazu dienen, Studirende irre zu machen und so das therapeutische Denkvermögen zu erschweren, und das haben sie bisher redlich gethan.

Entfernung der im Magen und Darm zurückgebliebenen Speisereste und der dieselben bewohnenden Bacterien und Ptomaine ist die erste und wichtigste Indikation der modernen Behandlung. Selbst da wo kein Brechreiz besteht, ist die Magenauswaschung stets am Platz. Nicht alle Kinder erbrechen leicht, ebensowenig wie alle Erwachsene. Wir wissen aber, dass auch ohne Brechreiz Zersetzungsvorgänge stundenlang im Magen stattfinden können. Ich habe auch in solchen Fällen nur Gutes von dem Ausspülen gesehen.

Collaps ist nicht eine Contraindication gegen das Ausspülen, sondern ich formulire den Satz so : Je tiefer der Collaps, desto schneller und energischer muss die Magen- und Darmausspülung vorgenommen werden.

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Und hier möchte ich auf eine Methode der Magenausspülung aufmerk- sam machen, die mir schon da gute Dienste geleistet hat, wo die Gefahr gross und der Apparat fern war. Man lässt das Kind ein grosses Glas voll kühles Wasser schnell austrinken, nachdem man vorher einen Theelöffel voll Schnaps dazugethan, führt nun den Zeigefinger in den Rachen und erregt so Erbrechen und vollständige Entleerung des Magens. Drückt man beim Würgen mit der flachen Hand den kind- lichen Magen dabei nach Oben, so unterstützt man die Antiperistaltik und die Entleerung wesentlich. Nützlich ist es auch, das Kind vor dem Erbrechen einige Secunden mit dem Kopf nach Unten hängen zu lassen, indem dadurch die im Fundus adhaerirenden Speisereste sich schneller mit dem Spülwasser mischen. Diese Ausspülung kann man 3 Mal wiederholen.

Da wo die Kinder nicht schlucken muss man natürlich den Katheter anwenden, und kann ich nur dringend anrathen wenigstens diesen, nebst einem 12 Zoll langen Glasröhrchen, stets mitzuführen, da eine gewöhnliche Fountain-Syringe den übrigen Theil des Spülapparates ganz gut zur Noth ersetzt. *)

Die Darmausspülung sollte in allen Fällen angewandt werden. Zwei bis drei Mal täglich sollte der Dickdarm mittelst Irrigator und abge- kochtem warmen Wasser gereinigt werden. Die Hauptpunkte sind : Hohe Steisslage des Kindes und genügend Wasser. Ich lasse stets so viel Wasser in den Darm laufen bis dasselbe wieder durch das Pressen herausgeschleudert wird, und wiederhole diese Procedur so lange bis das Wasser klar abfliesst und mindestens 2 3 Quart verbraucht sind. Eine vorsichtige aber ausgiebige Bauchmassage drängt das Wasser weit nach Oben, und unterstützt die Reinigung des Darmes ebenso wie das Schütteln bei einer zu reinigenden Flasche.

Niemals verwende ich etwas Anderes zur Magen- und Darmaus- spülung als wie warmes, wenn möglich, durch |-stündiges Kochen sterilisirtes Wasser. Bei drohendem Collaps nehme ich rasch Wasser aus der Leitung. Bei hohem Fieber halte ich kaltes Wasser für indicirt. Bei heftiger Enteritis mit blutigen Stühlen kann eine nach der Aus- waschung in den Darm eingespritzte Lösung von Höllenstein (1:100 500) mit Nutzen und ohne Gefahr angewandt werden.

Die übrigen Antiseptica halte ich für unsicher in ihrer Wirkung und für entschieden gefährlich. Es erscheint mir aber rationell nur solche Mittel zu gebrauchen, von welchen wir sicher wissen, dass sie wenigstens nicht schaden.

Die Anzahl der von mir gemachten Magenausspülungen ist seit letz- ten November weit über 500 gestiegen. Mein Assistent an der Kinder- abtheilung der New York Policlinic, Dr. Herrmann Weber, behandelte am letzten Montag in einer Stunde allein 9 Kinder mittelst Magenaus- spülung. Einen Nachtheil habe ich noch nie bemerkt.

*) Der von Eissner & Co. in den Markt gebrachte Apparat ist einfach, billig und zweckmässig.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBERT.

Sterilisation im Sommer.

Wie die bacteriologische Forschung die Aetiologie der früher so genannten Erkältungskrankheiten (Pneumonie, Pleuritis, Rheuma- tismus etc.) der Winter- und Frühjahrsmonate dahin klargelegt hat, dass diese Uebel eher als Resultate von zu wenig als wie von zu viel Ventila- tion aufzufassen sind, so ist in den letzten Jahren ein Umschwung in den Anschauungen über die Entstehung der Sommerkrankheiten (Cholera asiatica, Typhus abdominalis, Cholera morbus, Cholera infantum u. s. w.) eingetreten, der namentlich für die prophylactische Therapie von grossem Werth ist, und noch stets mehr und mehr zu werden verspricht. Wir wissen jetzt, dass die Krankheitserreger bei den Winterkrankheiten meist durch die Athmungsorgane in den Körper gelangen, und die grössere Frequenz dieser pathologischen Processe direct auf Anhäufung und Verstäubung von Schmutz, resp. der darin enthaltenen pathogenen Microorganismen, einerseits, und mangelhafte Ventilalion andererseits, zurückzuführen sind. Im Sommer sind die Verhältnisse anders. Das ausgiebige und fast constante, selbst bei Nacht fortgesetzte Erneuern der Luft der Wohn- und Schlaf räume, verringert die Gelegenheiten zum Fussfa^sen der Pilze und Coccen in den Respirationsschleimhäuten der Menschen in so eclatanter Weise, dass es geradezu einer guten Portion von Eigensinn bedarf, um diese Thatsache nicht aus den Statistiken der letzten Jahre lesen zu können, oder besser zu wollen.

Nun aber droht im Kampf um's Dasein dem Menschen in der Som- merwärme eine andere Gefahr, nämlich die durch die erhöhte Tempe- ratur wesentlich begünstigte Zersetzung der Nahrungsmittel. Die Sommerkrankheiten entstehen alle sammt und sonders durch die Wirk- samkeit von Fäulnissbacterien, welche mittelst der Nahrung in den Verdauungsapparat gelangten. Wohl mag es noch Lehrbücher geben, welche bei Kindercholera von directer Wirkung der Sommerhitze reden (und welche Musterkarte von am Schreibtische ausgetiftelter Theo- rieen und Theoriechen haben wir da noch auf Lager), und bei Catarrh des Dickdarms mit blutigen Stühlen von der Einwirkung kühler Augustnächte auf den von Flanellbinden nur ungenügend geschützten Leib, aber im Ganzen kann man wohl constatiren, dass kein Kinderarzt

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von Kuf heute mehr die Kühnheit hat, die acuten Erkrankungen des Yerdauungscanals im Sommer anders als wie als Infectionsprocesse aufzufassen.

Haften nun die Krankheitserreger an der Nahrung, so ist uns in der Sterilisation ein Mittel gegeben, dessen Werth geradezu unschätzbar ist. Wie es aber so häufig mit den wichtigsten und werthvollsten Ent- deckungen geht, so finden wir bezüglich dieser Prophylaxe noch eine geradezu elementare Unkenntniss, sowohl unter den Aerzten als unter den Laien. In den medicinischen Journalen erscheinen alljährlich die obligaten Leitartikel über Summer-Complaint und die Hitze, aber von Milchfäulniss und Sterilisiren wird kein Wort geschrieben.

Es ist das unsterbliche Verdienst Soxhlefs die Sterilisation der Milch bei der künstlichen Ernährung der Säuglinge eingeführt zu haben. Sein Apparat (hier zu haben bei Herrn Apotheker Van der Emde, cor. Second Street und Bowery, New York) ist noch immer, trotz mancher Nach- ahmungen, der einfachste, billigste und zweckmässigste. Warum aber werden Soxhlet's Ideen hier nicht durch das sogenannte Sommercorps der Aerzte des Gesundheitsamtes dem Arbeiterpublikum klar gemacht ? Warum überhaupt hat New York nicht schon längst eine Anstalt zum Steriüsiren der Milch, von der aus die so präparirte Säuglingsnahrung tagtäglich in's Haus geliefert wird ? Capital gibt es hier genug, und wohlwollendes, humanes Capital, und mehr wie sonstwo. Eine grosse Zeitung hat sich zur Keclame und den Patienten zum Schaden neben dem Gesundheitsamtscorps noch eine Privatcompagnie von Aerzten (als eine Art medical militia) angestellt. Wir meinen, die armen Kinder der Tenementhäuser haben jetzt schon Aerzte genug, aber keine reine Nahrung, und die Kindersterblichkeit wird im Sommer noch alljährlich die grauenhafte Höhe erreichen, bis Aerzte und Eltern lernen, dass die schmutzige Waare des italienischen Aepfelverkäufers und die in der Hitze transportirte Kuhmilch derartig mit Krankheitserregern gemischt sind, dass es unumgänglich nöthig ist, dieselben durch Sterilisation erst unschädlich zu machen.

Aerzt liehe Reclame.

Eine höchst interessante und ausführliche Sammlung von ärztlichen Ankündigungen veröffentlicht das „Correspondenzblatt der ärztlichen Kreis- und Bezirksvereine Sachsens," Mai, 1889. Diese Anzeigen stam- men alle aus den medicinischen Zeitschriften und der Tagespresse in Deutschland. Eine ganze Anzahl der Anzeiger sind frühere Assistenten, welche so aus den guten Namen ihrer früheren Chefs Vortheil zu er- ringen suchen. Ein Dr. H. in Kassel annoncirt, dass er „die ärztliche Pflege an Diphtheritis erkrankter Kinder in distinguirten Familien" übernimmt und „sichert eine Genesung der Kranken in 6 8 Tagen zu, wenn die Hülfe nicht zu spät verlangt sein wird." Ein Arzt in Dresden annoncirt : „Ich bin von meinem schweren und langwierigen Magen-

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leiden genesen, und habe meine Praxis wieder übernommen. Magen- leidende finden nötigenfalls Aufnahme in meiner Wohnung" u. s. w.

Im Anschluss hieran bringt das „Correspondenzblatt" einen Bericht aus den „Nordamerikanischen Reiseerinnerungen" von Professor F. Winkel, vom Februar 1888. Wir finden darin eine systematische Ein- theilung der medicinischen Annoncen dieses Landes, welche nicht min- der interessant als obige Sammlung aus Deutschland sein könnte, wüssten wir nicht, dass diese Anzeigen von Leuten stammen, welche der grossen Mehrzahl nach dem ärztlichen Stand nicht angehören. Ein in Milwaukee erscheinendes Blättchen figurirt als die Hauptquelle aus der Prof. Winkel seine Information bezog.

Die erste Abtheilung der Anzeigen bezieht sich nach Winkel hier auf „solche, die auf ihren Studiengang und frühere Assistentenzeit, nament- lich in ausseramerikanischen Ländern, aufmerksam machen." Derar- tige Annoncen sind hier allerdings zu finden, jedoch ist es sehr zweifel- haft, ob diese Herren je Assistenten waren oder überhaupt Aerzte sind. So annoncirte sich ein früherer Student der Medicin von Leipzig jahrelang in der „New Yorker Staatszeitung" als „früherer Arzt am städtischen Krankenhaus zu Leipzig und am Carolahospital in Dresden," trotzdem (oder besser eben weil) er kein Examen bestanden hatte.

Bisher ist uns noch kein Fall z. B. in New York bekannt geworden, wo ein gewesener Assistenzarzt sich zum annoncirenden Charlatan er- niedrigte. — Kubrik No. 7 in der Eintheilung Winkel's betrifft „solche, welche ihr eigenes Conterfei in den Zeitungen erscheinen lassen, mit allen möglichen Anpreisungen, darunter beispielsweise einer mit der Unterschrift : der grösste Heilkünstler der Welt ! In dieser Reihen- folge (sagt W. weiter) steigert sich die Schamlosigkeit von Schritt zu Schritt ; übrigens sind die letzten Arten der Reclame meines Wissens auf deutschem Boden noch nicht importirt, die übrigen floriren dagegen auch bei uns nicht wenig." Zum Schluss citirt Winkel aus dem Code of Ethics der amerikanischen Aerzte und betont, dass die medicinischen Vereine Amerika's „sehr energisch, gegen diese Auswüchse in's Feld ziehen." Er sagt wörtlich : „Es ist ein glänzendes Zeugniss für die Vorzüglichkeit der Bestrebungen der nordamerikanischen Aerzte zur Hebung ihres Standes, dass man ihre Satzungen auch in Europa ganz unverändert angenommen hat und in der That dürfte es eine kürzere, klarere und noblere Darstellung der ärztlichen Pflichten und Rechte kaum geben."

Die citirte Eintheilung der ärztlichen Annoncen in Amerika beweisst, dass Prof. Winkel hiesige Verhältnisse nur sehr wenig kennt. Hier kann Jeder annonciren wo und was er will, darf sich Doctor, Professor oder Assistenzarzt tituliren, denn auf falsche Aneignung eines Titels steht hier keine Strafe, aber er kann nicht als Arzt annonciren, denn sollte es ihm doch einfallen, so wird er sofort von dem ganzen ärztlichen Stand in Acht und Bann gethan und aus demselben ausgestossen. Und das ist der Punkt, den wir hier betonen wollen. Die im „Correspondenz- blatt" citirten deutschen Annoncen stammen von deutschen Aerzten,

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die amerikanischen stammen meist von Nichtärzten, verbummelten Studenten, Quacksalbern und wenn es hoch kommt von gewesenen Mitgliedern unseres Standes. Ferner ist es Thatsache, dass der ame- rikanische Arzt auf seinem Schild und seiner Karte nur Namen, Wohnung und Sprechstunden angibt. Anpreisungen, wie Kinderarzt, Geburtshelfer, Augenarzt u. s. w. sind verpönt und werden nicht ge- duldet. Der amerikanische Arzt annoncirt sich nur durch seine Leistungen und er nimmt in diesem Punkt eine Stellung ein, von der man in Deutschland noch Manches lernen könnte. Das Anpreisen der Leistungen irgend eines fingirten Doctors, von dem hier Jedermann (ausser reisenden Ausländern) weiss, dass er kein „regulärer" Arzt ist, wird dem Ansehen und der Würde des ärztlichen Standes wohl kaum so viel schaden, als Annoncen von früheren wirklichen Assistenzärzten, welche ihre Marktschreierei unbeschadet ihrem Ansehen unter den Col- legen neben ihrer Praxis in Deutschland ruhig weiter treiben können. Es kann auch gelegentlich etwas Gutes von Amerika kommen.

Die Regelung der Geburtshülfe.

Seitdem wir wissen, dass die fieberhaften Erkrankungen des Wochen- bettes nicht auf Erkältung, auf das In-den-Kopf-Steigen der Milch und andere mehr oder minder misteriöse Ursachen sondern auf die schmutzigen Finger und Instrumente der Geburtshelfer zurückzuführen sind, ist es wohl schon manchem gewissenhaften Collegen schwer ge- worden, an demselben Tage, oder gar in derselben Stunde, diphthe- ritische Kachen zu inspiciren und kreisende Frauen zu touchiren. Und wenn man die Möglichkeit der Uebertragung durch die Finger des Arztes näher in's Auge fasst, und denkt dann an die unheimliche Zahl der am Kindbettfieber vor antiseptischer Zeit allein in Anstalten ge- storbenen WTöchnerinnen, so kann man sich einer Gänsehaut nicht ganz erwehren.

Es drängt sich uns da unwillkürlich die Frage auf : Wie soll das in Zukunft werden ? Sicher ist, dass die Wissenschaft und durch sie die behördliche Regelung der Geburtshülfe nicht auf dem heutigen Stand- punkt stehen bleibt, stehen bleiben kann, denn wenn erst einmal aner- kannt wird, dass jede Infection einer bisher gesunden Kreisenden auf ungenügende A- und Antisepsis des Geburtshelfers zurückzuführen ist, so dürfte es sich schon aus praktischen Gründen (drohenden Schaden- ersatzklagen z. B.) ergeben, dass die Möglichkeit der Infection auf ein Minimum reducirt werden muss.

Hieraus würde als erste Frage entstehen : Kann ein Arzt allgemeine Praxis treiben und dabei als regelmässiger, tagtäglicher Geburtshelfer stets aseptisch handeln ? Wir möchten das im Allgemeinen entschieden bezweifeln. Da, wo der Arzt nur in schwereren Fällen gerufen wird, wo er meist genügend Zeit hat sich und sein Instrumentarium zu desinficiren, da kann natürlich Reinlichkeit obwalten. Wo aber der Practiker von Scharlach-, Diphtherie- und Erysipelkranken directin's Wochenzimmer

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stürzt, um schnell noch nach oberflächlichem Händewaschen einen jungen Weltbürger in Empfang zu nehmen, oder einer Verblutenden den Uterus zu tamponiren, da kann mit dem besten Willen die gelegentliche Infection nicht verhütet werden. Solche Fälle sind nur die Gewöhnlichsten. Zu einer richtigen Prophylaxe in der Geburtshülfe gehört aber noch weit mehr.

Unzweifelhaft wird dem wichtigsten Ereigniss des Lebens, dem Ge- burtsact, selbst in civilisirten' Gemeinwesen noch zu wenig genügende Beachtung geschenkt. Namentlich aber wird die Gefahr für die Mutter noch acht laienhaft in die Periode der Wehenthätigkeit verlegt. Unter diesem Deckmantel der Laienunwissenheit kann sich nun noch mancher medicinische Schmutzfinger als geschickter Accoucheur breitmachen, von den sogenannten hiesigen Hebammen ganz abgesehen, deren Thätig- keit am besten mit „Nacht und Grauen" bedeckt bleibe.

Es erscheint aus diesem Dilemma fast kein anderer Ausweg möglich, als den, männliche Hebammen heranzubilden, deren Thätigkeit sich stricte auf Geburtshülfe selbst beschränken müsste. Namentlich sollte es an derartigen Collegen in den grösseren Städten nicht fehlen. Solche Collegen würden keine Schwierigkeiten haben von Seiten der allgemeinen Practiker unterstützt zu werden, denn ihre ausschliessliche Thätigkeit als Geburtshelfer würde die Möglichkeit einer Infection fast absolut aus- schliessen, und ebenso die Wahrscheinlichkeit einer etwa später daraus erwachsenden Concurrenz.

Solche Geburtshelfer würden mit der Hebammenwirthschaft bald aufräumen, die wie immer betrachtet stets und immer eine unsaubere zu sein und bleiben wird.

Unsere Kreisenden aber genössen grosse Sicherheit und der Haus- arzt brauchte nicht vor den ersten 3 zweifelhaften Tagen zu zittern, wie er das heute noch thut und als gewissenhafter Mensch auch thun muss. Das Zittern des Geburtshelfers aber stört die Coccen und Pilze nicht in ihrer Thätigkeit, gelangten sie einmal in die Geburtswege, was in moderner Geburtshülfe überhaupt nicht vorkommen dürfte.

Correspondenz.

110 W. 34. Str., N. Y., 8. Juli 1889. An den Kedacteuk dee „Medicinischen Monatsschrift. " Werther Herr!

In Verbindung mit den vorstehenden Seiten halte ich es für gerecht die Mittheilung zu machen, dass Herr Dr. Med. Louis Weigert kürzlich unter dem Titel: „Die Heissluft-Behandlung der Lungentuberculose, Berlin 1889," eine Abhandlung veröffentlichte, welche den eingestan- denen Zweck hat, für seine Behandlungsweise die „theorethische Grund- lage" zu schaffen und dem Misstrauen, welches die Folge seines unmittel- baren „Appel's an das Publikum" gewesen ist und bleiben wird, zu begegnen. Daneben theilt er „practische Kesultate" mit, für den Fall,

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dass es jenen „theoretischen Deductionen hier und da an überzeu- gender Kraft noch fehlen sollte." Es ist billig anzuerkennen, dass Dr. W. „Lückenhaftigkeit und Mangelhaftigkeit" in seinen früheren Veröffentlichungen zugibt, indessen zu bedauern, dass die markt- schreierischen Behauptungen seiner für das Zeitungspublikum be- stimmten Auslassungen nur den ärztlichen Kreisen gegenüber gemildert werden sollen. In der That, die Anzeigen des Apparates, welcher nach seiner Aussage und derjenigen seiner Agenten von „hun- derten von Aerzten und in einer Keine von Hospitälern" darunter auch Bellevue „gebraucht" werden, dauern natürlich fort, und das Patent wird weiter verwerthet. Es ist eine betrübende Thatsache, un l spricht Bände für den niedrigen Stand ärztlichen Bewusstseins im alten deutschen Vaterlande, dass es dort möglich ist, ohne Verlust der unge- schriebenen Ehrenrechte in politischen Zeitungen zu annonciren, zu marktschreiern und Prioritätsstreitigkeiten auszufechten. Der einzige Trost, welchen ich kürzlich in Betreff dieser Angelegenheit gefunden habe, liegt freilich in einer Stelle des Weigert'schen Bändchens selber, in welcher er sagt, dass „je intensiver der directe Appell für eine Heil- methode an das Publikum zu gehen scheint, desto reservirter sich die Aerzte ihr gegenüber verhalten." So soll es sein, und so soll es bleiben ; obendrein kann ich aus meiner sehr ausgiebigen, und sich über sechs- unddreissig Jahre erstreckenden amerikanischen Erfahrung den deut- schen Collegen mit Bestimmtheit sagen, dass noch kein Mediciner, der die Zeitungen unsicher machte, jemals der Wissenschaft, der ärztlichen Moral, oder dem Gemeinwohle genützt hat. Erschwatztes Geld erkauft weder Würde noch Wohlanständigkeit, und wir hier sind gewohnt, solche Lobredner ihrer selber, Eigenthümer von Patenten, agents provocateurs von Interviews gründlich „allein zu lassen." Das hat Herr Dr. W., trotzdem er ein amerikanischer Arzt sein soll, nicht ge- wusst, oder vergessen.

Der flüchtige Ton seiner Arbeit wird durch die Versuche, seine Zeitungsreclamen zu erklären oder zu verdecken, nicht gehoben ; und das Bestreben den Latinisten neben dem Pathologen zu zeigen, berührt unbehaglich. Denn auf zwei Seiten exitus, funditus, Enchei- rese, Anwendung ad hominem aegrotum, und quoad therapiam sich in einem deutschen Buche gefallen lassen zu müssen, ist eine starke Zumuthung.

So viel über das Buch und seine Bichtung. Da indessen nur Wenige geneigt sein werden, eine Arbeit zu lesen, welche nur im Anschluss an Zeitungsreclamen geschrieben und zum Theil nur durch die Kenntniss- nahme derselben verständlich ist, so will ich nicht verfehlen, einige der Hauptsätze desselben, vom Verfasser selber als solche bezeichnet, in Kürze hier zu citiren : S. 22. „Ich will anerkennen, dass es ein vergeb- liches Bemühen ist, auf tuberculös infiltrirte Herde, seien sie klein oder gross, mittelst des Inspirationsstromes einzuwirken. Ich urgire hier auch ganz besonders, dass es niemals vorwiegend in meiner Absicht lag,

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derartige tuberculöse Infiltrationen und käsige Degenerationen durch meine Methode zur Ausheilung zu bringen."

„Ich glaube auch, dass Kranke mit ausgedehnten zerfallenen oder zerfallenden Infiltrationen, Kranke bei denen kaum noch ein Lobulus frei von der Tuberkelinvasion ist, nicht mehr die Domäne für unsere Heilbestrebungen bilden können."

S. 25. „Die Bekämpfung des Tuberkelbacillus hat vorzugsweise nicht an den Stellen des Lungengewebes zu geschehen, an denen es bereits zur Infiltration oder gar zum Vorfall gekommen ist, sondern an den Partien, in die er frisch verschleppt wird ; mit anderen Worten : Die Sterilisation des Koch'schen Bacillus hat in den bis dahin intacten Theilen zu erfolgen."

S. 26 spricht von dem Constanten Ergebnisse dass die Tuberkelbacillen durch discontinuirliche Sterilisation vollständig abgetödtet werden. Die eingehende Darlegung der betreffenden Versuche, deren minutiöse Schilderung mich an dieser Stelle zu weit führen würde, werde ich binnen Kurzem an geeignetem Orte veröffentlichen.

Und warum nicht hier, Herr Eedacteur ? Hier bei dieser ersten und besten Gelegenheit? Zum ersten Mal wendet sich der Verfasser, nachdem er früher sich als unfehlbarer Schwindsuchtsdoctor von den Zeitungen hat puffen lassen, und als gesetzlich geschützter Apparat- besitzer, Geschäftsmann und Agentenoberst sein „Business" in Gang gebracht hat, an die ärztliche Welt, um „theoretische Grundlagen" zu schaffen, und vertröstet dieselbe wieder auf unbestimmte spätere Gele- genheit mit dem Beweise den er postulirt und gewissenhaft schuldig bleibt. Wer da will, kann in nächster Zeit die täglichen Zeitungen von mächtigen Citaten aus der grossen wissenschaftlichen Arbeit des berühmten Herrn Verfassers, welche ich Ihnen hier habe charakterisiren wollen, überfliessen sehen. Wird das Ding nie aufhören geduldet zu werden ?

Achtungsvoll der Ihrige,

A. Jacobi.

REFERATE

Krankheiten der Verdanungs- und Circulationsorgane.

Keferirt von Dr. Max Einhorn.

Ueber die Functionen des Magens bei Phthisis Pulmonum. O. Brieger. (Deutsch, med. Wochenschr. No. 14, 1889.)

In der letzten Zeit sind viele Arbeiten über das Verhalten des Ma- gens bei Phthisis Pulmonum erschienen. Brieger hat nun gleichfalls an 64 Patienten mit Tuberkulosis den Mageninhalt gewöhnlich nach dem Probefrühstück, zuweilen auch nach dem Probemittagbrod geprüft und kam zu folgenden Resultaten :

1) Bei schwerer Phthisis Pulmonum fand sich nur in 16 % der Fälle ein normaler Chemismus, während in den übrigen eine mehr oder weniger hochgradige Insufficienz, in 9,6 % der Fälle sogar ein vollstän- diges Verschwinden der normalen Secretionsproducte nachweisbar war.

2) In mittelschweren Fällen bestand nur in 33 % normales Verhal- ten des Verdauungssaftes, in allen übrigen in der Intensität schwan- kende, meist eingreifende Störungen, welche in 6,6 % zu völligem Ver- schwinden der normalen Secretionsproducte führten.

3) In Anfangsstadien standen ebenso viele Fälle mit normaler Secretion den Fällen mit Störungen derselben gegenüber.

4) Resorption und motorische Kraft schienen entsprechend den Störungen des Chemismus geschädigt.

[Brieger fand also überall bei der Phthisis, wo der Magen nicht normal war, eine Verringerung der Acidität (Insufficienz der Secretions- producte) während er niemals Hyperacidität antraf. Damit stehen nicht im Einklänge die Arbeiten von Klemperer, ') Schetty2) und mir:i) selbst ; wir alle fanden in einer grossen Anzahl der Fälle von Phthisis eine Hyperacidität des Mageninhaltes also eine gesteigerte Secretion. Anmerkung des Referenten.]

Ueber circumscripte gitterfoermige Endarteriitis. M. Litten. (Deutsche Medic. Wochenschr. No. 8, 1889.)

Litten hat in drei Fällen von plötzlich eintretenden profusen Darmblu- tungen bei der Section einen Verschluss der Arteria meseraica vorge- funden. Die Arterie wurde der Länge nach gespalten und man sah nun folgendes : Verschluss befand sich 10 Ctm. vom Abgange der Arteria meseraica und bestand in einer weisslichen Masse, welche das Gefäss- lumen vollständig ausfüllte ; wurde der Versuch gemacht, die Masse mit der Pincette abzuheben, so gelang dies nicht es handelte sich also nicht um einen Embolus, s mdern um einen autochthonen Thrombus ; löste man den Thrombus aus seinem Sitze los, so bemerkte man an der Stelle, wo derselbe gesessen hatte, ein gitterförmiges Netzwerk, welches sich als leicht erhaben anfühlte und genau die Grenzen des Thrombus, welcher sich über 1 Ctm. erstreckte, ergab. Die Arterienwand in der Nachbarschaft des Thrombus war vollkommen gesund, und auch an

») G Klemperer : Berlin. Klin. Wochensch. No. 11, 1889.

2) F. Schetty : Deutsch. Aren. f. Klin. Med. Bd. 44, H. 2, S. 219.

3) M. Einhorn : The Medical ßecord, May 4, 1889.

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den übrigen Arterien des Körpers Hess sich nichts Abnormes entdecken. In allen diesen drei Fällen handelte es sich ferner um jüngere Leute (von dem 30. Lebensjahr). Auf Grund der Verschiedenheit dieser vor- gefundenen Erkrankung von der Arteriosclerose, welche bekanntlich niemals an einer einzelnen Stelle auftritt, sondern zugleich mehrere Orte des Gefässsystems angreift und ausserdem immer im vorgerück- ten Alter angetroffen wird sieht sich Litten veranlasst, die in den drei beschriebenen Fällen aufgetretene Affection als eine neue Gefäss- erkrankung aufzustellen, welche er als „circumscripte gitterförmige Endarteritis" bezeichnet. Es handelt sich bei diesem Krankheitsprocess um einen, die ganze Circumferenz des Gefässrohrs an der erkrankten Stelle umfassenden Verlust des Endothels der Intima mit Neubildung faseriger Bindegewebszüge und einem zarten Lager neugebildeter Zellen ; diese neugebildeten Bindegewebszüge, zusammen mit fibrösen Verdickungen, welche sich in der Media finden, bedingen die eigen- thümliche gitterförmige Zeichnung, welche nach Herauslösung des Thrombus sich überall vorgefunden hat.

Chirurgie.

Referirt von De. Willy Meyer.

A Case of Perforation of the vermiform Appendix, general Peri- tonitis, Laparotomy, Aocident and Recovery; with Remarks. A. M. Jacobus, New York. (N. Y. Med. Record, Feb. 2, 1889.)

Ursprüngliche Localperitonitis nach Perforation des Wurmfort- satzes, die am 3. Tage der Erkrankung durch unvorsichtiges Benehmen des 50jährigen Patienten zu einer allgemeinen wird. Am folgenden Tage Laparotomie (D. W. Gill Wylie), doppelte Incision : an gewöhnlicher Stelle mit 2 Schrägschnitte und in der Linea alba zwischen Nabel und Symphyse. An letzterer Stelle wird das Peritoneum zuerst eröffnet. Es entleert sich neben einer geringen Menge Luft etwa 1 Pint eitrigen Se- rums, das faekal riecht, aber keinen Koth enthält. Die eingeführte Hand lösst unter grosser Vorsicht die gebildeten Adhaesionen und er- öffnet damit verschiedene zwischen den Schlingen befindliche kleine Abscesse. Proc. vermiform. ist am Coecum nach aufwärts geschlagen und in einem (perforirten) etwa fingerdicken und -langen Räume der Peri- tonealhöhle fest fixirt. In Letzterem findet sich ein etwa \" langer und \" breiter Fremdkörper, augenscheinlich eine Bohne. Nachdem auch in dem seitlichen Einschnitte das anfänglich durch zusammengeballte Darmschlingen stark vorgewölbte Bauchfell durchtrennt ist, wird die ganze Peritonealhöhle mit ca. 10 Quart gewöhnlichen gekochten Wassers von 110° F. so lange ausgewaschen, bis die Spülflüssigkeit klar wieder abläuft. Während dieser Procedur werden die Darmschlingen von der eingeführten Hand des Operateurs sorgfältig isolirt und schliesslich in einer grösseren Menge Wassers, welches in der Bauch- höhle zurückgelassen wird, schwimmend erhalten, um so möglichst die Bildung neuer Adhaesionen zu vermeiden. Der verwachsene Wurmfort- satz wird unberührt und unbesichtigt in situ belassen. Naht beider Wunden mit Seide ; Glasdrains, Verband. Befriedigende Reconvales- cenz. Am 31. Tage p. oper. wird das mittlere Drain entfernt. Eine jetzt aufgetretene Tympanie mit begleitender Temparatursteigerung und erhöhter Pulsfrequenz wird durch salinische Abführmittel glänzend controllirt. Am 6. Tage Herausnahme der Suturen aus der mittleren Wunde. Fester Verband und dringende Empfehlung, flach auf dem Rücken zu liegen. Wenige Stunden später platzt beim Aufrichten des Kranken die Wunde. Eine grosse Menge dünner Därme fallen vor und

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können nur mit grosser Mühe (keine Narcose) nach sorgfältiger Reini- gung wieder reparirt werden. Silberdrahtnath. Keine nennenswerthe Folgen. Heilung.

Im Anschluss an diese ausführliche Krankengeschichte bespricht Verf. unter Literaturangabe die noch immer streitigen Punkte in der Pathologie und Therapie der Entzündungen des Blinddarms und Wurm- fortsatzes und sucht dieselben möglichst positiv zu beantworten. Hier können nur folgende Schlusssätze des interessanten Raisonnements an- geführt werden :

1) Die syphilitischen Erkrankungen sind intraperltoneal gelegen. In fast allen Fällen ist Perforation des Wurmfortsatzes oder Blinddarms, bedingt durch Faekal Cumulationen oder Fremdkörper die Ursache derselben.

Sich selbst überlassen sind Rückfälle häufig und kann Septicaemie, Shock, oder eitrige Peritonitis nach Perforation des sehr häufig gebil- deten Abscesses, den Tod herbeiführen.

2) In Anbetracht davon sollten alle derartigen Fälle, wenn progredirt und durch medicinische Behandlung nicht schnell zu bessern, so bald wie möglich der Laparotomie unterworfen werden.

3) Adhaesionen müssen mit der Hand gelöst, abgekapselte A bscesse auf gleiche Weise eröffnet und die Bauchhöhle dann sorgfältig mit ge- wöhnlichem sterilisirtem Wasser von 105° F. (41° C.) irrigirt werden. Wundnaht mit Drainage sollte folgen.

4) Die Incision darf nur bei abgekapseltem Abscess ohne begleitende Peritonitis die gewöhnliche, schräg verlaufende sein. In allen anderen ist die verticale zu wählen, entweder über dem Caput coli (nach Sands) oder in der Mittellinie unterhalb des Nabels, letztere um so eher, wenn ausgedehnte Bauchfellentzündung oder Adhaesionen zu erwarten sind.

5) Ist bei der Nachbehandlung die Einverleibung von Opiaten auf's Thunlichste einzuschränken und salinischen, resp. pflanzlichen Abführ- mitteln mit folgendem Einlauf stets der Vorzug zu geben. Diese Thera- pie soll in kurzen Intervallen, wenn nothwendig, wiederholt werden.

Aus der diesem Vortrage folgenden Discussion sei Folgendes hervor- gehoben :

Wyl'ie betont die Wichtigkeit der manuellen Lösung sämmtlicher mitt- lerweile gebildeten Darmverklebungen und der ebenso ausgeführten Eröffnung der zwischen den Schlingen abgekapselten, multiplen Ab- scesse, sowie der in dem Vortrage besprochenen sorgfältigen Irrigation und folgender Drainage der Bauchhöhle bei allgemeiner Peritonitis. Die beiden grimmigen Feinde so Erkrankter und Operirter : „innere Darm- verschliessung und Sepsis" können am Erfolgreichsten auf diese Weise bekämpft werden. Ist die Peritonitis noch localisirt, so genügt Incision der Bauchhöhle, Auswaschen und Drainage des vorhandenen Herdes.

B. Abbe möchte Abführmittel im Beginne der Krankheit vermeiden und die Anwendung von Klystieren befürworten. Kothaustritt bei schon vorhandener Perforation oder drohender Durchbruch bei Entzündung werden durch verstärkte Peristaltik begünstigt. Nach der Operation, bei steigender Temperatur, ist die vorzügliche Wirkung der Mittelsalze allgemein anerkannt. Auswaschen der ganzen Bauchhöhle hält er im Durchschnitt für unnöthig und gefährlich. Der Procentsatz der Todes- fälle ist nach derselben nach seiner Ansicht höher als bei einfacher Drainage.

W. J. Bull glaubt, dass in dem mitgetheilten Falle durch früheres Operiren ein Weitergreifen der anfänglich umschriebenen Bauchfell- entzündung hätte vermieden werden können. Frühdiagnose und promptes Handeln sei in diesen Fällen absolut von Nöthen. Bestehen über die Anwesenheit von Eiter Zweifel, soll aspirirt werden. Wird keiner gefunden, so ist immerhin eine Explorativincision mit Spaltung

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des Bauchfells in der Regio iliaca eine Modifikation [der ursprüng- lichen Parker'schen Operation am Platze, ein Eingriff, den er für gefahrlos hält. Es ist besser eine allgemeine Peritonitis zu vermeiden, als sie nach ihrer Entwicklung zu heilen.

Resection of gangrenous Intestine occürring in strangulated Hernia with the Report of a successfül Case. A. J. McCosh. (N. Y. Med. Journal, March 16.)

Im Anschluss an einen innerhalb von drei Wochen geheilten Fall von sofort ausgeführter Darmresection (4") und -Naht bei der Opera- tion einer incarcerirten gangraenoesen Inguinalhernie einer 66jährigen Frau erörtert McC. die brennende Frage nach der besten Methode der Behandlung des brandigen Darms bei der Bruchoperation. Aus 115 sogleich an den Bruchschnitt angeschlossenen Enterorrhaphieen, die McC. am Ende seines Aufsatzes zusammenstellt, ergibt sich eine Morta- lität von 50%, was mit den früheren kleineren Statistiken von Wakin, Reichel, Wadeburg = 52% übereinstimmt. Beim Verschluss des künst- lichen Afters durch die Darmnaht starben dagegen nach Wakin und Reichel im Durchschnitt nur 38%. Doch muss zu dieser Zahl, um genau zu sein, die Anzahl von Todesfällen, welche sich im directen Anschluss an die Kolotomie und Belassung der brandigen Darmschlinge in loco ereignet, sowie derer, welche während des Bestehens der widernatür- lichen Afteröffnung an Inanition zu Grunde gehen, hierzu gerechnet werden. Das Resultat wäre dann etwa 63%. (Aus 120 vom Verfasser selbst gesammelten einschlägigen Fällen ergaben sich 52% Todesfälle.) Doch ist zu bedenken, dass mancher so entstandene Anus praeternat. im Verlaufe der Wundheilung sich von selbst schliesst oder durch die allmälich wieder mehr in Aufnahme kommende Anwendung der Dupuy- tren'schen Darmscheere in die zur Heilung am besten geeigneten Wundverhältnisse gesetzt werden kann. Ferner fällt sehr in die Wag- schale, dass ein grosser Theil der nach sofortiger Darmresection und -Naht unglücklich verlaufenen Fälle nicht veröffentlicht wurde. Man darf sich in seinen Schlussfolgerungen eben auch hier nicht zu sehr auf die Statistik stützen. Die Fälle sind zu ungleichartig. Verf. kommt nach alle dem zu dem Resultate, dass es bislang unmöglich ist, eines der beiden Verfahren als das beste zu empfehlen. Man muss individualisiren.

Nach Koerte's neuester Statistik (Deutsche Med. Wochensch., 1888, 41.), ergibt sich der interessante Schluss, dass [soweit eben die Fälle veröffentlicht sind ! Ref.], bei der primären Darmresection und Naht 52 54%, und bei der Anlegung des An. praeternat. ca. 57% zu Grunde gegangen sind, und dass bei dem Versuche, den Letzteren zu schliessen, der Klammerbehandlung vor der secundären Darmresection und Naht entschieden der Vorzug zu geben ist [9,9 = 27% Mortalität. Ref.] .

In der (McC. 's) Vortrag folgenden Discussion im Schoose der New York Surgical Society (N. Y. Med. Journ., Feb. 23), entscheiden sich die meisten der Anwesenden für ausgiebige Behebung der Strangulation und Abwarten bei der Operation des brandigen Bruches. Sollten Zeichen von beginnendem Marasmus während des Bestehens der wider- natürlichen Darmöffnung sich einstellen, so müsste natürlich der Ver- schluss derselben sobald wie möglich ausgeführt werden. Es wäre zu wünschen, dass die späteren Krankengeschichten von sogenannter Spontanheilung (Schliessung von resultirenden Darmfisteln durch all- mählige Retraction des Darmes und Vernarbung) veröffentlicht wurden.

A Case of Nephrolithiasis : Nephrotomy, Nephrectomy, Death. Opera- tion by A. C. Bernays. Reported by W. V. Kingsburg, St. Louis. (St. Louis Med. and Surg. Journal, March, 1889.)

Exstirpation der Kindskopf grossen rechten Steinniere einer 36jährigen Frau vermittelst querer Incision nach Eröffnung des Nieren-

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beckens, aus dem zunächst 2 Steine extrahirt wurden. Unterbindung der Gefässe und Ureter en masse. Lockere Wundtamponade mit Sublimat- gaze, Naht. Ein urämischer Anfall am 3. Tage p. op. wird durch sub- cutane Einverleibung von 3 Milligr. Pilocarpin mit Glück bekämpft ; in einem zweiten, 48 Stunden später auftretenden, eben solchen, stirbt Pat.

Section : Degeneration auch der anderen Niere (starke Erweiterung des Nierenbeckens) ; in ihr ein grosser baumförmiger Stein, der J" weit in den Ureter hinabreicht. Blase und übrige Organe gesund. Kef . erwähnt, dass die Diagnose der gleichen Erkrankung der linken Niere zu Lebzeiten unmöglich gewesen. Hätte man vom wirklichen Sachverhalt Kenntniss gehabt, so wäre natürlich nur doppelseitige Nephrolithotomie in Frage gekommen.

SUCCESSFUL ÖASE OF NePHRORRAPHY FOR FLOATING KlDNEY. W. W. KEEN,

Philadelphia. (The Weekly Medical Review, St. Louis, April 20th, 1889.)

35jährige, unverheirathete, schwächliche Patientin, die im Alter von 18 Jahren aus einem Wagen geschleudert wurde und mit Brust und Bauch auffiel. Gleich danach heftige Schmerzen in der rechten Seite. Langjähriges Kränkeln. 7 Jahre später wird zuerst ein beweglicher Tumor im Abdomen gefühlt. Derselbe hat Grösse und Gestalt einer Niere und kann jetzt spielend 2 3" weit nach links von der Mittellinie und in die Foss. iliaca senkrecht geschoben werden. Schwere Störungen des Allgemeinbefindens.

Bei der Operation (4" lange Schrägincision in der Aussenseite des Quadr. lumborum) wird das perinephritische Fett an Ort und Stelle, die Niere, absolut ohne jede Fettumhüllung, aber weit davon entfernt gefunden. Es gelingt, nur mit Hülfe starken Druckes auf der Geschwulst von vorne her, sie in der weit auseinander gezogenen Wunde sichtbar zu machen. Fassen, möglichst Reposition der Niere und Durchführen von 7 carbolisirten Seidenfäden, (4 hinten und 3 vorne), die tief durch das Parenchym und dann durch Muskel und Aponeurose geführt werden. Offenlassen der Wunde ; grosser Gazeverband. Reconvalescenz ungestört, keine Haematurie. Suturen heilen ein. 4 Wochen lang Rückenlage ; zuletzt Rückenschmerzen, die durch Salol gebessert werden. Nierendämpfung an normaler Stelle, nur etwas nach unten verschoben. Nach £ Jahr Erfolg derselben. Befinden sehr gebessert. Verf. verwirft Nephrectomie bei Wanderniere im Allge- meinen und würde zu ihr nur bei Fehlschlagen des Fixirungsversuch.es und sehr grossen Beschwerden seine Zuflucht nehmen. Er betont die Wichtigkeit des Einheilenlassens der Suturen (Seide), die durch das Nierenparenchyem geführt werden müssen und möglichst die Aponeurose der Rückenmuskeln einschliessen sollen, sowie dauernder Rückenlage für mindestens 1 Monat nach der Operation. Wird eine Bandage mit vorderer Pelotte vertragen, so sollte man mit ihrer Hülfe später noch für längere Zeit den directen operativen Erfolg zu unterstützen und zu erhalten suchen.

On the Drilling of capillary Holes through the Skull for the Pur- pose of Exploring with the Hypodermic Needle. E. Souchon. (New Orleans Medical and Surgical Journal, May, 1889.)

Explorativtrepanation, nach bekannten Regeln ausgeführt, wird wegen der verhältnissmässigen Grösse des Eingriffs bislang selten ge- macht und häufig erst angewandt, wenn es zu spät ist. Zur Stellung einer sicheren Frühdiagnose empfiehlt S. nun, nach genau ausgeführter Localisation des vermutheten Krankheitsherdes unter streng antisep- tischem Kautelen an der entsprechenden Stelle die Weichtheile mit spitzem Messer einzuschneiden und dann die Schädelkapsel mit feinem

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Uhrmacherdrill zu perforiren und so eine Oeffnung zu schaffen, gerade gross genug, um der Nadel der Aspirationsspritze das Passiren zu ermöglichen. Die Nadel sollte doppelt so stark sein als die der gewöhn- lichen subcut. Spritze, um auch dicken Eiter und Cysteninhalt ansaugen zu können. Diese Procedur dürfte ohne Schaden an mehreren Stellen wiederholt werden. An der Spitze des Bohrers ist ein beweglicher Visir- stab mit Schraube angebracht, welcher so gestellt wird, dass nur der Knochen selbst durchdrungen wird. S. hat sein Verfahren bisher nur an Hunden unter Chlorof ormnarcose erprobt. Der Schädel wurde (2 Mal innerhalb 14 Tagen) an vier Stellen in einer Sitzung durchbohrt und das Gehirn dann bis zu einer Tiefe von Zoll mit einer Nadel, wie ange- geben, explorirt. Der Eingriff verlief ohne irgendwelche unangenehme Folgen. Ein Hund wurde noch vor Beendigung der Narcose getödtet, um zu constatiren, welcher Schaden angerichtet war. Man fand massigen Bluterguss unter den Weichtheilen und einen eben solchen von Erbsengrösse unter der Pia.

Verf. rühmt als Vortheile seiner Methode vor Allem deren grosse Einfachheit und darauf fussend die Möglichkeit, in derselben Sitzung den Eingriff an verschiedenen Stellen auszuführen, während der Trepan nur eine bestimmte Zone des Gehirns erschliesst. Nutzlos wird der Eingriff nur in solchen Fällen von Tumoren sein, welche dieselbe Con- sistenz wie das Gehirn selbst haben. Bei dem gewaltigen Fortschritte der Gehirnchirurgie in der letzten Zeit hält Verf. es für durchaus nicht unmöglich, dass seine Methode auch in Fällen von cerebraler Hämor- rhagie zur Aspiration des ergossenen Blutes mit Vortheil angewendet werden möchte.

Gynaecologie.

Referirt von Dr. F. Krug.

Der Pobetampon und sein Werth fuer Erkennung der chronischen Endometritis. B. S. Schultze. (Centralblatt f. Gynaecologie, No. 19, 1889.)

Schon im Jahre 1880 veröffentlichte Schultze an gleicher Stelle sein diagnostisches Verfahren, das er den Probetampon benannt hat. Das Verfahren besteht einfach darin, dass ein Tampon aus entfetteter Watte, reichlich getränkt in einer a. 25%tigen Tannin-Glycerinlösung in das zuvor gereinigte Scheidengewölbe fest angedrückt wird, so dass er den Muttermund und Vaginalportion völlig überdeckt. Während das aus den umhegenden Geweben angezogene Wasser nebst den wässrigen Be- standtheil des Uterussekretes leicht durch den Tampon durchsickert, bleiben die geformten Bestandtheile des letzteren auf der Oberfläche des Tampons wie auf einem Filter liegen. So zwar, dass nach 24 bis 48 Stunden, wenn der Tampon entfernt wird, bei gesunder Gebärmutter nur etwas glasheller Schleim, dem Cervix entstammend, auf der Berüh- rungsstelle zu finden ist, wärend bei eitriger Entzündung irgend eines oberhalb gelegenen Abschnittes des Geintalschlauches die ganze Quan- tität des in genannter Zeit producirten Eiters auf dem Tampon zu finden ist.

Schultze beklagte sich, dass in der Literatur keine Notiz von seinem Verfahren genommen ist, ausgenommen in Schröder's Handbuch ; und die dort befindliche Erwähnung ist durchaus ablehnend.

Es ist nun hier nicht der Platz auf die Polemik gegen die betr. Para- graphen in Schröder's Handbuch weiter einzugehen ; jedenfalls sind sie zu wegwerfend gegen Schultze's Verfahren gehalten. Denn wenn man auch nicht ganz die sanguinischen Erwartungen Schultze's theilen kann, so lässt es sich doch nicht läugnen, dass durch dasselbe einzelne Fälle

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von eitriger Endometritis frühzeitig zur Diagnose und damit zur Behand- lung kommen können, die auf andere Weise nicht so leicht zur Erken- nung gekommen wären. Ein jedenfalls nicht zu unterschätzender Vor- theil der Methode ist, dass sie selbst in den Händen der Ungeschicktesten keinen Schaden anrichten kann.

Ueber die Unterbindung der Uterusgefaesse. A. v. Gubaroff, Moskau. (Centralblatt f. Chirurgie, 1. Juni 1889.)

G. Hat ein Operationsverfahren an der Leiche probirt, das von Sneguireff mit gutem Erfolg [worin bestehend wird nicht angegeben. Ref.] an der Lebenden ausgeführt wurde. Es besteht in der extraperi- tonealen Unterbindung der den Uterus ernährenden Gefässe (Art. uterina, utero-ovarica, und lig. rotundi) mit Erhaltung der Anastomosen mit den Vaginalästen, die zur Verhinderung der Nekrose ausreichend sind.

Er macht den Pirogoff sehen Hautschnitt für die Unterbindung der Hiaca communis und interna. Nach der Durchtrennung der Muskel- schichten und Fascia transversa wird das Peritoneum von der Fossa iliaca abgelöst, die Iliaca communis aufgesucht, von ihr aus die Iliaca interna in's kleine Becken verfolgt, bis man die Uterina abgehen sieht. Ebenso wird die Utero-ovarica isolirt und unterbunden. Die Isolirung der Art. lig. rotundi ist schwierig, und die Unterbindung der Epigastrica inf. unmittelbar vor ihrer Kreuzung mit dem Ligament ist desshalb vorzuziehen.

Als Indicationen zur Operation stellt Gubaroff vorläufig die folgenden auf :

1) Unoperirbare Uteruscarcinome, von grossen Blutungen begleitet.

2) Intraligamentöse Geschwulste und subseröse Myome ; die Unter- bindung geht der intraperitonealen Operation voran.

3) Blutungen aus der Gebärmutter, welche kein anatomisches Substrat nachweisen lassen, bei denen aber alle bekannten Mittel ver- gebens angewendet worden sind. [Sollte im letzten Falle die vaginale Exstirpation nicht eher angezeigt sein ? Ref.]

Combined Operations in Gynaecology. Read before the Academy of Medicine. Paul F. Munde. (New York Medical Journal, May 18th, 1889.)

Viele anomalen Zustände der weiblichen Sexualorgane, die chirur- gische Hülfe beanspruchen, verdanken ihren Ursprung denselben schädlichen Ursachen. Es ist desshalb ganz natürlich, dass wir häufig mehrere solcher Laesionen an einer und derselben Kranken finden. Combinationen wie Damm- und Cervixriss mit vorderem und hinterem Prolaps, oder verbunden mit Blasenscheiden- oder Scheidenmastdarm- fistel, oder Descensus und Rückwärtslagerung der Gebärmutter etc. sind alltägliche Vorkommnisse.

Die Frage ist nun, soll man womöglich all dies in einer Sitzung durch combinirte Operationen repariren und dadurch der Patientin die wiederholte Narcose und Bettruhe und sich selbst Zeit und Mühe sparen ? Oder ist es sicherer und mehr zu empfehlen gradatim vorzu- gehen und mehrzeitig zu operiren. Während Munde noch im Jahre 1885 in seiner „Minor surgical Gynaecology" die Frage in letzterem Sinne beantwortete, hat er seitdem durch vermehrte Erfahrung belehrt seine Ansicht geändert, und räth dazu, soviel als möglich in einer Sitzung zu thun. Das Haupthinderniss dabei ist die verlängerte Narcose, die nicht von Allen gleichmässig gut vertragen wird, und desshalb häufig der Vornahme einer weiteren Operation in derselben Sitzung Einhalt gebietet. Raschheit im Operiren ist dabei doppelt wünschenswertn.

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Physiologie.

Referirt von Dr. S. J. Meltzer.

Versuche ueber die Functionen der Thyreoidea des Hundes. J. R. Ewald. (Berl. Kl. Wochenschrift, No. 11, 1887.)

Untersuchungen ueber die Schilddruese. H. Münk. (Sitzungsberichte der Berliner Academie d. Wiss., S. 823, 1887.)

Weitere Untersuchungen ueber die Schilddruese. Derselbe. (Da- selbst, S. 1059, 1888.)

Ueber den Einfluss der Exstirpation der Schiddruese bei Thieren auf das Centralnervensystem. P. M. Autokratow. (Nach der Peters- burger Med. Wochenschrift, No. 12, 1888.)

Sur les effecs de l'ablation du corps thyroide. Mez les animaux. N. Rogowitch. (Arch. de physiol. norm, et pathol. 4. Serie, Bd. II, p. 419.)

Die Veraenderung der Hypophyse nach Entfernung der Schiddruese. Derselbe. (Ziegler's Beiträge zur pathologischen Anatomie und all- gemeinen Pathologie, Bd. IV.)

Consequenze della estirpazione della ghiandola tiroide nell'agnelloe nella Volpe. G. Sanquirico e G. Orecchia. (Nach Mosso im Cen- tralbl. f. Physiol., S. 587, 1888.)

Experimentelle Untersuchungen ueber die Folgen der Exstirpation der Schilddruese. Th. Drobnik. (Arch. f. experimentelle Pathologie, XXV, S. 136.)

E. fand, wie Schiff, nach doppelseitiger Exstirpation der Schilddrüse beim Hunde constant schwere Störungen, und zwar Muskelzuckungen, wurmförmige Bewegungen der Zungenmusculatur, Apathie, höchst widrigen Geruch aus dem Maule, schliesslich marastischen Tod. E. injicirte ferner in einer Reihe von Versuchen den ausgepressten Saft frisch exstirpirter Schilddrüsen andern Hunden subcutan und erhielt bei einem Theile der Fälle etwa 2 Stunden dauernde, einer Hypnose ähn- lichen Apathie. Er schliesst hiernach mit Schiff, dass in der Schild- drüse eine besonders für die Ernährung des Centrainervensystems wichtige Substanz sich findet.

M. stellte sich in seiner ersten Arbeit die Aufgabe die Folgen der Ausschaltung der Schilddrüse von den anderweitigen Folgen der Exstir- pation zu sondern. Er schälte daher die Schilddrüsenlappen frei aus der Kapsel heraus, bis sie nur noch durch die Gefässe und Nerven des Hilus mit dem Thierkörper zusammenhingen, unterband dann diese Gefässe und Nerven und brachte endlich die Lappen in ihre ursprüng- liche Lage zurück. Die Hunde, bei welchen die Wunde gut per primam heilte, blieben ganz gesund, lebten durch Monate beim besten Befinden, nahmen an Körpergewicht zu. Die Schilddrüse war aber ganz oder fast ganz untergegangen. Kam es aber zu einer Schwellung der Ope- rationswunde oder gar zur Eiterung, so stellten sich bald die charakte- ristischen Krankheitserscheinungen der Schilddrüsenexstirpation ein, denen das Thier in den meisten Fällen erlag. In solchen Fällen fanden sich die Drüsenlappen in ansehnlicher, wenn auch in verminderter Grösse wieder, bindegewebig der Umgebung, insbesondere der Trachea angeheftet. Wenn in per primam heilenden Fällen in der 2. Woche, zu einer Zeit, wenn keine Drüse mehr zu finden ist, ein neuer Haut- schnitt bis Trachea gemacht wurde, so entwickelten sich auch da die

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Krankheitserscheinungen, wenn die neue Verletzung nicht per primam heilte.

In der 2. Arbeit schildert M. die Folgen der Exstirpation der Schild- drüse beim Hunde. Die Krankheitserscheinungen zerfallen in circula- torische, respiratorische und nervöse Phenomene. Zuerst treten Pal- pitationen, Pulsbeschleunigungen, Unregelmässigkeit des Pulses, verminderte Arterienspannung u. s. w. in die Erscheinung ; anfallsweise treten enorme Athmungsfrequenzen auf mit Dispnoe, Erbrechen, Schlucken u. s. w., dann ein Tremor, klonische und tonische, epilepti- f orme Anfälle, die in den untern Extremitäten auch dann auftreten, wenn das Rückenmark durchtrennt war. Die Krankheitserscheinung tritt erst einige Tage nach der Operation auf und fällt zusammen mit der entzünd- lichen Beaction in der Wunde und zwar waren die Erscheinungen um so ge- ringer, je geringer die Beaction in der Wunde war. Das "Verschlucken eines Stück Fleisches löste die Erscheinungen aus. M. gelang es ferner durch Einspritzen von verdünntem Crotonöl zu beiden Seiten der Trachea in einem gesunden Thiere ähnliche Erscheinungen hervorzurufen wie nach Exstirpationen der Schilddrüse. M. ist daher der Ansicht, dass die Krank- heitserscheinungen nach Exstirpation der Schilddrüse nicht eine Folge des Ausfalls der Function der Schilddrüse ist, sondern durch die (mechanische oder chemische) Beizung der in der Operationswunde gelegenen Nerven sich entwickeln. Auch bei Affen hatte M. Exstirpationen der Schilddrüse vorgenommen und ergaben sich ihm ähnliche Symptome wie beim Hunde, nur sind die Erscheinungen leichter. Myxoödem und Kretinis- mus hat M. im Gegensatze zu Ho7*sley beim Affen nie folgen sehen.

A. hat auch bei guter Vernarbung der Operationswunde nach Schild- drüsenexstirpationen bei Hunden unter periodisch wiederkehrenden Muskelkrämpfen und zunehmender Entkräftung dieselben stets zu Grunde gehen sehen. Verf. ist daher geneigt der Schilddrüse eine eigenartige Function zuzusprechen, deren Unterdrückung eine ganze Reihe nervöser Störungen verursache. Das periodische Eintreten der Krämpfe ist ihm ein Hinweis darauf, dass nach aufgehobener Schild- drüsenfunction irgend ein Gift im Organismus erzeugt werde, welches sogenannte cumulative Wirkung besitze.

R. hat die Exstirpation der Schilddrüse bei Hunden, Katzen und Kaninchen ausgeführt. Bezüglich der Erscheinungen, die bei Hunden auftreten, stimmt Verf. mit der von Schiff gegebenen Schilderung über- ein. Vom 3. oder 4. Tag ab, selten früher oder später, machen sich Symptome der Erregung und Depression der nervösen Centraiorgane bemerklich, schwankender Gang, Bewegungsschwäche, Apathie ; da- neben Spannung der Muskeln, Zittern derselben. Der apathische Zu- stand wird durch Krampfanfälle unterbrochen, die in verschiedenen Muskelgruppen auftreten. Bleiben dieselben local, so ergreifen sie nur die Muskeln der Zunge, des Auges (Strabismus divergens, Pupillener- weiterung), die Kau- und Athemmuskeln. Die Krämpfe können aber auch zum allgemeinen Tetanus werden (Opistotonus). Die Krampfan- fälle dauern 5 bis 20 Minuten und folgen einander mit kurzen Intervallen. Während derselben ist der Puls bis auf 54 verlangsamt, die Athmung erschwert, die Körpertemperatur auf 42 erhöht, die Speichelabsonderung vermehrt ; im Anfang tritt oft unwillkürlicher Urinabgang ein. R. hat die gleichzeitige Exstirpation beider Schilddrüsen an 26 Hunden ausge- führt ; 3 davon blieben am Leben, die übrigen starben in 3 bis 28 Tagen. An 9 andern hat er die beiden Drüsen successive entfernt. Der Krank- heitsverlauf wurde dadurch höchstens verzögert ; der Tod trat 3 bis 60 Tage nach der zweiten Operation ein. Der ausführlich mitgetheilte anatomische Befund bietet nichts Neues. Nur in der Hijpophysis will der Verf. deutliche Veränderungen gefunden haben und zwar soll sich in diesem Organe eine Mehrbildung von Colloidsubstanz zeigen.

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Um die Veränderungen in der Hypophysis besser studiren zu können, hat R. die Exstirpation der Thyreoidea und Parathyreoidea an 26 Kaninchen ausgeführt. Diese Thiere überlebten die Operation. Sie wurden später getödtet und die Veränderung in der Hypophyse studirt. Die Veränderungen beruhen hauptsächlich auf der Zunahme der Grund- substanz, in der Kerne eingebettet liegen, in einem bestimmten Theil der Drüse und auf zunehmende Vacularisirung der Grundsubstanz. Verf. hatte früher die Ansicht ausgesprochen, dass die Function der Schild- drüse im Neutralisir^en eines vermutlüicli aus dem Stoffwechsel stammenden Giftes besteht Er deutet nun die Veränderung in der Hypophyse als ein Zeichen der gesteigerten Function derselben, indem sie die Aufgabe der Schilddrüse, das Gift zu eliminiren übernommen habe. Auf der Mög- lichkeit dieses Vicariirens beruhe das Ueberleben der Kaninchen, wobei Verf. noch darauf aufmerksam macht, dass das Gewicht der Hypophy- sis zu dem der Thyreoidea sich bei Kaninchen wie 1 : 3,3, bei Hunden und Katzen wie 1 : 15 20 verhält.

S. u. O. haben die Exstirpation bei Füchsen ausgeführt ; diese über- lebten die Operation nicht, während Lämmer die Exstirpation ganz gut vertrugen. Indem nun Hunde, Katzen und Füchse (Carnivaren) die Ex- stirpation der Schilddrüse nicht überleben, während Kaninchen, Pferd, Ziege, Kalb, Kuh und Lamm (Herbivaren) sie gut vertragen, fragen sich die Autoren, ob nicht die Verschiedenheit der Wirkung von der Verschie- denheit der Nahrung herrühre, und somit von der Bildung bei der einen von besondern Producten des Zellmetabolismus, die bei den andern nicht vorhanden, Producte, welche die Schilddrüse zu neutralisiren und zu zerstören vermöchte.

Bei acht Hunden, denen D. die Schilddrüse exstirpirte, blieben drei längere Zeit am Leben. Durch Unterbindung aller Drüsengefässe her- vorgerufene Atrophie der Drüse war nicht tödtlich. Aus seiner Schil- derung der Krankheitserscheinungen bei den tödtlich verlaufenden Fällen ist das Zurücksinken des Bulbus besonders zu erwähnen. Der alleinige pathologisch-anatomische Befund, war eine spindelförmige Auf- treibung des N. recurens, eine Verwachsung zw. Lor. sup. u. inf. mit. der Narbenmasse sowie eine gewisse Injection des Vagosympathycus. Keinerlei Veränderungen fanden sich an den Centraiorganen und deren nervösen Häuten. D. ist desshalb der Meinung, dass die Erscheinungen nach der Schild drüsenexstirpation ihren Grund lediglich in der Heizung haben, der die zahlreichen, der Drüse benachbarten Nerven durch die Verwun- dung und den Wundheilungsprocess unterworfen icerden und zwar theils durch directe Reizung der Nerven, theils auf reflectorischem Wege.

Kinderheilkunde.

Referirt von Dr. A. Seibert.

Rickets Its Prevalence in Buffalo, and its probable Influence upon the Death-rate among young Children. By Irving M. Snow, M.D., Buffalo. (Med. Record, June 15, 1889.)

Dem Verfasser fiel die Häufigkeit der Rhachitis in den grösseren Städten Europa's im Vergleich zu Amerika früher auf. Amerikanische Aerzte haben der Rhachitis bisher kaum irgend welche Beachtung ge- schenkt, mit Ausnahme von A. Jacobi und Parry, welche sie als häufig vorkommend bezeichnen. In früheren Zeiten mag R. hier selten gewesen sein, jetzt aber ist die Ernährungsweise der Städtebewohner wesentlich dieselbe, wie in Europa und diese Erkrankung häufiger. In Buffalo fand V. in der Dispensarybehandlung aus 25 Kindern unter drei Jahren 10 mit ausgeprägter Rhachitis. Von 23 rhachitischen Kindern

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waren nur 3 deren Eltern in Amerika geboren waren, was dadurch zu erklären ist, dass das Proletariat der grossen Städte der Union fast ausschliesslich durch Eingewanderte repräsentirt wird. Die sonstigen Angaben des V.'s bringen nur Bekanntes.

Floating Liver in an Infant. ByE. H. Parker, M.D., Poughkeepsie, N. Y. (New York Med. Journ., June 25, 1889.)

Ein im März 1886 geborener Knabe wurde im darauffolgenden Juni vom Verf. geimpft. Eine im September unternommene Untersuchung des Kindes wegen fortdauerndem Fieber und Erbrechen (ohne Durch- fall) ergab eine Geschwulst im Unterleib, die vom Verf. folgender- massen beschrieben wird : „Die untere Kante dieser Masse stand nur wenig über dem Schambein, während die obere, welche mehr unregel- mässig erschien als die untere, nahezu sich auf der Nabelhöhe befand. Nach rechts erstreckte sich der Tumor bis zum Ileum und zur Axillar- linie ; nach links etwas über die Linea alba. Die Fläche war vollkommen glatt; die Eesistenz nicht hart und nicht weich. Die Masse konnte ohne Mühe nach oben geschoben werden bis die untere Kante die Nabelhöhe erreichte ; nach links geschoben erreichte sie das Schaufel- bein der Seite. Die Percussion ergab ein vollständiges Fehlen der Leberdämpfung, obgleich keine Darmüberlagerung der Stelle vor- handen war. Vorsichtige Auscultation ergab pueriles Athmen bis tief unten zum Rand der Rippenknorpel und normaler Lungenbefund der ganzen Seite. Eine Malformation der Theile fand sich nicht. Beim Linkslagern des Kindes fiel der Tumor fast ganz auf das linke Ileum. Suspendirte man das Kind bei den Füssen, so fiel die Masse in den Rippenbogen hinein. Schmerz schienen diese Manipulationen nicht zu verursachen. Im Lauf der Zeit wuchs die Geschwulst nur wenig. Die Diagnose Nierensarcom wurde von einem bekannten New Yorker Kinderarzt (ungenannt) gemacht und nach Jahresfrist wieder verlassen. Das Kind gedeiht und scheint sich wohl zu befinden. V. legt das Hauptgewicht auf das Fehlen der Leberdämpfung bei der Diagnose.

Therapeutics of Infancy and Childhood. A. Jacobi, M.D. (Aren, of Pediat., June, 1889.)

Seit Monaten erscheinen fortlaufende Capitel, in welchen die An- sichten des Verfassers in knapper und doch gründlicher Weise wieder- gegeben werden. Im Juniheft der „Archives" finden wir die Behand- lung von „Rheumatism", als zu den Infectionskrankheiten gehörig, besprochen. Diese Unterbringung rheumatischer Erkrankungen von einer so hervorragenden Autorität markirt einen wesentlichen Fort- schritt in der internen Medicin. Namentlich aber wird diese unschein- bare Kleinigkeit auf die, der Bacteriologie meist noch verständnisslos feindlich gegenüberstehende Mehrzahl der amerikanischen Collegen einen schwerwiegenden Einfluss ausüben.

The Treatment of Naevus by the Intrainjection of Alcohol. Thos. H. Holgate, M.D., New York. (Arch. of Pediat., June, 1889.)

Die ergriffene Hauptstelle wird mittelst eines gestielten Metallringes durch Druck isolirt und dann werden mit der Pravaz'schen Spritze 4 8 Tropfen 95%tigen Alcohols so eingespritzt, dass die Nadel durch den grössten Durchmesser während des Einspritzens langsam zurückge- zogen wird. Der durch den umgebenden Ring bewirkte Druck verhin- dert, dass der Alcohol sich in die Umgebung verliert und dessen örtliche Wirkung wird erhöht. Verfasser hat gute Resultate, nur musste öfters injicirt werden. Es könnte fraglich sein, ob nicht die Aetzung mit rauchender Salpetersäure namentlich bei Säuglingen allen an leren

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Verfahren vorzuziehen ist. Die gefürchtete Narbe verschwindet meist fast vollständig, das Verfahren ist aseptisch und die Stelle bedarf keines Verbandes, Vortheile, welche man der Methode Holgate's kaum nach- rühmen kann. .

Druesenfieber. Von Dr. Emil Pfeiffer, Wiesbaden. (Jahrb. f. Kin- derheilk., Mai, 1889.)

Verfasser macht auf die Fälle von Pharyngitis bei Kindern aufmerk- sam, welche sich durch raässige Eöthung und Schwellung der Eachen- schLeimhaut, durch ziemlich heftigen Anfang mit hohem Fieber und ausgesprochenem Krankheitsgefühl, namentlich aber durch acutes Anschwellen der Hals- und Nackendrüsen characterisiren. Diese Er- krankungen sind infectiösen Ursprungs [wie wohl alle Halsentzündungen, lief.], Milzschwellung wird häufig nachgewiesen, und Heubner hat in einem „Zusatz zu der obigen Abhandlung" über zwei Fälle von Nephritis nach Drüsenfieber berichtet.

Ueber infantile Hysterie. Beobachtungen aus der Kinderklinik, von Prof. Hagenbach-Burckhardt in Basel und Dr. M. Davoisin, früherem Assistenzarzt daselbst. (Jahrb. für Kindern., Mai, 1889.)

Bericht über 74 Fälle. Der älteste Patient war 13| und der jüngste 7f Jahre alt, 3 Knaben und 21 Mädchen. Aetiologisch spielt die heredi- täre Belastung eine grosse Bolle. 50% der Patienten stammten von tuberculösen Eltern ; neuropatisch waren 58% belastet. Nur 3 sehr leichterkrankte Kinder stammten von gesunden Eltern. Alle Patienten ausser 2 sind als anaemisch bezeichnet. Masturbation (Jacobi, 1876) wird wohl grosse Kolle spielen. Pertussis scheint Einfluss gehabt zu haben. Die Prognose ist meist ungünstig. Kecidive sind häufig. In der Behandlung wird nichts Neues erwähnt.

Ueber Pericarditis im Kindesalter. Von Dr. Cnopf. (Münch. Med. Wochenschrift, 21. Mai, 1889.)

Die Pericarditis ist im Kindesalter nicht häufig. Im Kinderhospital zu Nürnberg fand sich diese Krankheit unter 459 Kranken 10 Mal und bei 130 Sectionen 7 Mal vor. Das jüngste an Pericarditis erkrankte Kind war 6 Monate und das älteste 10J Jahre alt. Im Säuglingsalter kommt P. meist im Verlauf von septisch-pyämischen Processen zur Be- obachtung. Sonst tritt sie mit Vorliebe bei acuten Exanthemen (Scharlach, Blattern), bei Nephritis parenchymatosa und namentlich bei Tuberculose auf. Bezüglich der Polyarthritis rheumatica meint Ver- fasser, dass, da diese „nach Rauclifuss und Widerhofer eine höchst seltene Erkrankungsform sei, so kommen dieselbe in aetiologischer Beziehung weniger in Betracht. (Bekanntlich ist der Gelenkrheuma- tismus durchaus nicht selten im Kindesalter, und hat namentlich A. Jacobi wesentlich dazu beigetragen, diese falsche Anschauung im Interesse der Wissenschaft und der erkrankten Kinder zu berichtigen. Referent kann aus 12jähriger Thätigkeit in der Kinderabtheilung des deutschen Dispensary sowohl als aus anderer Praxis vollauf bestätigen, dass rheumatisch-erkrankte Kinder unter 2 Jahren durchaus nicht selten anzutreffen sind.) Sonst kommt P. nach dem Verf. noch bei Pneu- monia crouposa und catarrhalis, sowie bei Pleuritis vor. Die Diagnose hat bei kleinen Kindern ihre grossen Schwierigkeiten, weil sich die Cardinalsymptome nicht wahrnehmen lassen, da die Exsudatmenge meist eine geringe und keine Fibrinbeimengungen, welche zu Reibe- geräuschen hätten Veranlassung geben können, enthielt. Besonders bedeutungsvoll für das Kindesalter ist die Verwachsung der Pericar- dialblätter, indem durch sie lähmend auf die Herzmusculatur gewirkt

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wird und unter Umständen weitverbreitete Hydropsien durch Stauung hervorgerufen werden.

Zur Kenntniss der Vulvovaginitis im Kindesalter. Von Dr. F. Spaeth in Hamburg. (Münch. Med. Wochensch., 28. Mai, 1889.) Bericht über 21 Fälle, bei Mädchen im Alter von 3 11 Jahren. In 14 Fällen (darunter ein Schwesternpaar) wurden die Neisser'schen Gono- coccen im Secrete der Vulva sowohl wie in demjenigen der Urethra mit voller Sicherheit nachgewiesen, in den übrigen 7 Fällen fanden sie sich nicht, wohl aber zahlreiche andere Formen von Microorganismen und Bacillen, Strepto- und Staphylococcen. Drei Mal fand sich bei den gonococcenfreien Kindern Oxyuris vermicularis als Ursache ; zwei Mal lag Masturbation vor ; bei den anderen beiden Mädchen (von 7 und 9 Jahren) lenkte sich der Verdacht auf stattgehabtes Stuprum. Bei keiner dieser 7 Patientinnen war die Urethra in den entzündlichen Process mithineingezogen. Letzteres ist diagnostisch wichtig, indem die Harnröhre beim weiblichen Geschlecht nach den Untersuchungen Steinschneider's auf Neisser's Klinik der Lieblingssitz des Trippergiftes ist. Das Gift dringt bei Mädchen nicht so leicht durch den Mutter- mund, denn der von Loven citirte Fall, wo ein 5 jähriges Mädchen an Tripper mit nachweisbaren Gonococcen erkrankte, doppelseitigen Pyosalpinx und Pyovarium bekam und an Peritonitis zu Grunde ging, steht vereinzelt da. In der Behandlung kamen zur Anwendung : Carbol-, Sublimat-, Borwasser- und Borsalicylausspülungen, Thaliin und Jodoformstifte. Die Sublimatirrigationen wurden 2 3 Mal wöchentlich (1 : 2000) gemacht. Der ächte Tripper heilt viel langsamer als die nicht gonorrhoische Vaginitis.

Beitraege zur Therapie der Tussis convulsiva. Aus der Poliklinik füer Kinderkrankheiten des Herrn Privatdocenten Dr. A. Baginsky in Berlin. Von Dr. Otto Mugdan, Berlin. (Arch. f. Kinderheilkunde. Bd. X, Heft VI, 1889.)

Es ist tief zu beklagen, dass wir den Keuchhusten noch nicht mit Sicherheit heilen können, da diese K. zu den verderblichsten gehört, die das kindliche Alter trifft. Nach Uffelmann sterben jährlich 12,000 Personen in Deutschland durch Keuchhusten, und in Berlin allein kamen in den Jahren 1880/85 auf 1000 Kinder unter 5 Jahren 2,7 Sterbe- fälle an Pertussis vor. Verfasser hat nun therapeutische Versuche mit Resorcin, Cocain und mittelst Insufflationen von Benzoepulver und Chinin und Argent. nitr. 1,0 mit Magnes. ust. 10,0 angestellt.

1) Resorcin wurde von Moncoroo bei Keuchhusten eingeführt. Er benutzte anfangs Pinselungen des Kehlkopfes mit 1 und 2% und später mit S% Resorcinlösung. Er erzielte angeblich sehr gute Resultate. Mugdan gab nun eine 1 1| proc. Lösung, 2 stündlich 1 Kinderlöffel voll. Von 8 Kindern wurde nur 1 günstig beeinflusst. M. spricht sich gegen Pinselungen überhaupt aus, da Afaimsiejf nachgewiesen, dass es sich bei Pertussis um einen allgemeinen infectiösen Schleimhautcatarrh der ausser dem Kehlkopf noch andere Oertlichkeiten beträfe, handelt.

2) Pinselungen des Rachens mit 7- und 5-procentiger Cocainlösung, 2 3 Mal täglich vorgenommen, wirken günstig, sind aber nicht unge- fährlich und sollten desshalb nur dann angewandt werden, wenn alle anderen Erfolg versprechenden Mittel im Stich lassen, oder die Er- scheinungen so heftig sind, dass selbst die Gefährlichkeit der Therapie entschuldigt werden kann.

3) Insufflationen. 44 Kinder wurden in der Baginsky'schen Policlinic mit Insufflationen von Benzoepulver behandelt. Wirksam war diese Behandlung bei 17 Kindern, unwirksam bei 8. Verfasser empfiehlt vor allen anderen Methoden zuerst die Einblasungen anzuwenden.

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4) Antipyrin. Sonnenberger gibt 3 Mal täglich, am besten nach dem Essen, eventuell eine vierte Dose des Nachts, so viel Centigramm, als das Kind Monate, so viel Decigramm, als es Jahre hat. In 7 von Mugdan erwähnten Fällen leistete das Antipyrin garnichts. Vor einer wochenlang fortgesetzten Antipyrincur ist zu warnen.

Zur Behandlung des Keuchhustens. Aus der Abtheilung fuer Kinder- krankheiten des Prof. Monti an der Allgemeinen Policlinic in Wien. Von Dr. M. T. Schnirer. (Ibidem.)

Nach einigen anscheinend sehr berechtigten kritischen Bemerkungen über mehrere Berichte von erfolgreicher Aniipyrinbehandlung des Per- tussis, berichtet Verfasser über eigene Versuche. Seine Dosen schwank- ten zwischen 0,5 und 2,0 pro die. Er kommt zu dem Schluss, „dass das Antipyrin nicht im Stande ist, den Verlauf des Keuchhustens wesentlich zu beeinflussen, dass wir am allerwenigsten das verheissene Specificum darin sehen können, und dass das Antipyrin den Satz Vogel' s leider nicht umzustossen vermag, dass der Keuchhusten so lange dauert, bis er aufhört."

Das von Netter empfohlene Oximel Scillae wurde als zweites Mittel versucht. Netter's Vorschrift ist folgende : Zwischen 3 und 4 Uhr Nachmittags nimmt das Kind etwas zu sich, von 4 5 Uhr bekommt es alle 10 Minuten einen Kaffeelöffel voll Oximel (ohne Zusatz), so dass Kinder unter 3 J ahren 4 5, Kinder über 3 Jahren 6 7 und Erwachsene 7 8 Löffel im Laufe der Stunde nehmen. Seine Resultate waren gute.

Deutsche Medicinische Gesellschaft der Stadt New York.

Sitzung vom 1. April 1889. (12 West 31. Str.)

Vorsitzender : Dr. Garrigues.

Dr. B o 1 d t hält den angekündigten Vortrag : „200 Laparo- tomien". (Abgedruckt in No. 5, Bd. I, der Medicinischen Monats- schrift.)

Discussion :

Dr. Munde berichtet kurz über 105 von ihm ausgeführte Lapa- rotomien und die von ihm dabei gesammelten Erfahrungen. Von jenen waren 52 Ovariotomien, 24 wegen erkrankter Tuben und Ovarien (Salpingo-Oophoritis), 8 Oophorectomien wegen verschiedener Symptome (Hysteroepilepsie, blutende Fibroide ; in allen Fällen mit Erfolg.) 6 Hysterektomien wegen Fibrom. 4 Ex- plorativ-Laparotomien. 1 Nephrektomie (in diesem Falle war die Diagnose falsch gemacht. Die Niere lag hinter dem Uterus und täuschte einem Tumor vor.) 2 Explorativ-Laparo- t o m i e n wegen tuberculöser Peritonitis. Beide starben. 3 wegen purulenter Peritonitis in zweiten Stadium. Alle drei starben. 1 wegen Darmocclusion nach geglückter Laparotomie während der Schwangerschaft. Die Adhäsionen wurden gelöst, doch starb Patientin am nächsten Tage. 3 zur ventralen Fixation des Uterus. Davon war einmal der Uterus nicht zu lösen und musste desshalb die Operation abgebrochen werden. Die zweite gelang. In diesem Fall musste Redner die Bauchwunde bedeutend erweitern ; die Operation war sehr schwer. Im dritten Fall nähte er erst den Cervix und versuchte dann die Alexander'sche Operation, doch die Ligamente rissen ; er schloss desshalb die Wunde. Er machte nun die Laparotomie,

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Hess den Uterus in die Höhe schieben, fasste ihn und führte einen dicken Silberdraht von Seite zu Seite zwischen Abgang der Tube und des runden Mutterbandes durch. Beim Zuziehen riss der Silberdraht. Es wurde nun eine seidene Ligatur angelegt, welche hielt. Gute Gene- sung. Erst drei Wochen später wurde die Ligatur durchschnitten. Letzteren Punkt hält M. für wichtig. Während einiger Monate sollte dann der Uterus durch intrautrine Mittel, Pessarien oder Gazeaus- stopfung gestützt werden. Ein Mal führte er dann noch die Laparo- tomie aus, um den invertirten Uterus zu reponiren. Auf dem gewöhn- lichen Wege war dies bei mehrfachen Versuchen wegen der grossen Beweglichkeit des Uterus nicht möglich ; man konnte keinen genü- genden Druck ausüben. Endlich ermüdet, machte er die Laparotomie, schob den Uterus durch die Vagina mit der einen Hand hinauf und dilatirte dann den Bing durch einen Handschuherweiterer aus Elfenbein mit Gewalt. Trotzdem gelang das Durchführen des Uteruskörpers nicht. Nun durchstach er von der Bauchhöhle aus den Uterus mit einer Peaslee'schen Nadel und befestigte an den durchgeführten Faden in der Vagina ein dickes, zusammengefaltetes Drainirrohr. Beim An- ziehen riss dies durch und erschien in der Abdominalöffnung. Sofort legte er nun eine elastische Ligatur um den Uterus in der Vagina, ent- fernte die Ovarien und schloss die Bauchwunde. Beactionslose Heilung.

Was die Indication zur Laparotomie anbelangt, so ist nach seiner Ansicht die zur Entfernung von Ovariencysten klar. Wenn eine Cyste diagnosticirt ist, sollte sie entfernt werden. Torsion, Entzündung, Berstung u. s. w. möchten später hinzukommen. Was die Entfernung der erkrankten Tuben und Ovarien anbelangt, so ist er noch nicht so ganz sicher, wie früh man operiren soll. Er pflegte abzuwarten ; manchmal hat er vielleicht zu lange gewartet. Nach seiner Meinung haben wir betreffs der Diagnosenstellung mit Hülfe der bimanuellen Untersuchung noch zu lernen. Ist das Ovarium oder die Tube der einen Seite erkrankt, so ist es besser, auch die der andern zu entfernen. Besserung niuss man nicht so schnell erwarten ; dieselbe kommt manchmal erst nach \ bis 1 Jahr. Die Frauen menstruiren noch mehr- mals und haben Schmerzen ; erst allmählich schiebt sich Alles in's Geleise. M. hat sich gefreut zu hören, dass B. in mehreren Fällen die Schroeder'sche Kesection der Ovarien gemacht hat, wenn sie nur gering entartet waren. Kleine Cysten sollte man anstechen, die Wunde ab- trennen und mit feinem Catgut vernähen. Was die Entfernung der normalen Ovarien bei Hysteroepilepsie anbelangt, so waren seine Erfah- rungen günstig. In einem Fall trat völlige Heilung ein ; im zweiten Besserung, doch starb Patientin später an Leuchtgasvergiftung. Auch bei blutenden, nichtentfernbaren Fibroiden ist er sehr für Oophorec- tomie eingenommen.

Dr. C. Heitzmann fragt M., wie er sich die Entstehung der von ihm erwähnten Haematome der Ovarien vorstelle.

M.: hat keine besonderen Studien darüber gemacht. Er denkt sie sich entstanden aus einem vergrösserten Corpus cruentum, oder durch Zusammenbrechen des Ovarienstromas.

Dr. C. Heitzmann berichtet, dass Frau Dr. Dixon- Jones seit mehreren Jahren in seinem Laboratorium über diesen Gegenstand arbeitet, In den ersten paar Fällen traf man Bildungen, die er als Alveolarsarcom diagnosticirte. Mittlerweile hat sich die Anzahl solcher Fälle bis auf 14 vermehrt. Merkwürdig dabei ist, dass alle die Patien- tinnen ein ganz characteristisch klinisches Aussehen bieten. Bei ge- nauer Untersuchung hat sich herausgestellt, dass es sich um eine bisher unbekannte Krankheit, endotheliale Wucherungen handelte, welche mit rankenförmigen Bildungen einhergehen. Dieselben bilden keine Geschwulst im eigentlichen Sinne des Wortes, sie formiren circum-

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Scripte Knollen mit massiger Vergrösserung des Ovar., welche schliess- lich zu einem Haematom führen, welches autochthon im Ovarium entsteht. Nach dieser Ansicht ist für solche Fälle die Entfernung des Ovariums das einzige Rettungsmittel. .

Dr. Lilienthal stellt die Anfrage, ob es nicht besser wäre, bei ein- seitig erkrankter Tube und eventuell Ovarium, die andere Seite noch zurückzulassen, um so der Frau die Möglichkeit einer Conception zu geben.

Dr. F. Lange bemerkt, dass Dr. B. nichts Detaillirtes in Bezug auf die Wundbehandlung nach Laparotomie erwähnte, auch Nichts über breitaufsitzende Beckengeschwülste. Dieselben sind klinisch und technisch sehr verschieden aufzufassen. Auch möchte er Etwas über die Art des Verschlusses der Bauchwimde hören.

Dr. B o 1 dt bemerkt zunächst in Bezug auf Dr. LilienthaPs Anfrage, dass er sich bis jetzt immer bei einer Laparotomie gescheut habe, eine nicht erkrankte Tube oder Ovarium herauszunehmen. Die Fälle bekamen aber fast alle mit der Zeit Beschwerden auf der andern Seite, und desshalb ist es wohl besser, sie nicht zurückzulassen. Bei Gonor- rhoe entfernt er stets beide. Bezüglich der Entfernung der normalen Ovarien bei blutenden Fibroiden, ist die Methode, die Ligatur tief durch das Ligamentum durchzuführen, um die Circulation vom Uterus so weit eben angänglich, abzuschneiden. Breitaufsitzende Geschwülste hat er bislang wenig operirt. Waren breite Adhäsionsflächen vorhan- den, so tamponirte er, und zwar so fest wie möglich mit Jodoformgaze zu gleicher Zeit auch die Scheide, um so doppelten Druck zu erhalten. Beim Verschluss der Bauchwunde nähte er das Bauchfell separat mit fortlaufender Catgutnaht; dann die Bauchdecken auch mit Catgut. Vor dem 7.-8. Tage sieht er niemals nach, wenigstens nicht bei afebrilem Verlauf.

Dr. F. Lange hält es vom Standpunkt der Wundbehandlung aus für einen sehr grossen Fortschritt, dass man in neuerer Zeit ein Ver- fahren empfohlen hat, welches geeignet ist, die Secretion in den ersten Tagen nach der Operation schnell nach aussen zu befördern er meint die Jodoformgazetamponade der flächenhaften Wunden im Becken. Er glaubt, dass dieses Verfahren geeignet ist, die Mortalität nach der Ent- fernung dieser Art von Tumoren wesentlich herabzusetzen. Im Allge- meinen ist es vom Standpunkt der Wundbehandlung aus mit Bücksicht der Wundinfection durchaus rationell, dieselben Gesichtspunkte zu ver- folgen, denen wir bei der Behandlung von Wunden in andern Theilen nachgehen. Die Verhältnisse, welche wir erhalten nach Exstirpation breitaufsitzender Tumoren, oder auch kleiner mit vielen Adhäsionen, oder solcher, welche im gewissen Grade zersetzt sind, (Cysten, die durch Stieldrehung necrobiatisch geworden sind), sind weit verschiedene von denen nach gewöhnlicher Ovariotomie. Es ist hier die Bildung hohler Räume sehr begünstigt. Ein Verfahren nun, welches Zeit gewinnen lässt, dass die Umgebung des Wundterrains durch Adhäsionen für die Resorption von Zersetzungsproducten weniger geeignet gemacht wird, ist entschieden rationell. Er weiss nicht, wie man heutzutage als Lapa- rotomist ohne diese Methode anzuwenden auskommen kann. In Bezug auf das mechanische Vorgehen in solchen Fällen gibt es eine ganze Reihe von Einzelheiten, die zu befolgen sind, deren erschöpfende Schil- derung hier aber zu weit führen würde. Angesichts dessen nun kann man sagen, dass heute die Ausführung der Laparotomie ein wenig com- plicirtes und gefährliches chirurgisches Eingreifen bedeutet, während auf der andern Seite die Entfernung eines Uterustumors oder intralige- mentöser Cyste zu den grossartigsten chirurgischen Aufgaben gehört. In Bezug auf die Behandlung der Bauchwunde mit Rücksicht auf das Verhindern von Ventralhernien hat er sich alle mögliche Mühe gege-

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ben, in verschiedener Weise gründlich zu nähen, trotzdem hat sich in einem kleinen Procentsatz der Fälle Ventralhernie gebildet. Er hat zuerst die ganzen Bauchdecken genäht, dann die Gewebe isolirt ; dann versuchte er das flache Aufsäumen der Bauchwände nach Thiersch, und doch kamen nach Jahr und Tag die Patientinnen mit beginnender oder ausgebildeter VentralherDie zurück. Er kennt heute noch keine Methode, welche absolut dagegen zu sichern scheint. Bei gewöhnlichen kleinen Bauchschnitten ist natürlich die Tendenz dazu viel geringer ; aber nach Entfernung grosser Tumoren, die eine 15 18 Zoll lange Incision erfordern, wird, trotzdem Heilung p. pr. vor sieh geht, stets die Gefahr der Entwicklung einer Ventralhernie vorhanden sein. Seit ca. einem Jahr näht er nun auch die Fascie möglichst genau nach gemachter Peritonialnaht. Er kann Doch keine definitiven Resultate darüber geben, hofft aber, dass sie sich wirksamer erweisen werde, als die andern Methoden. In Bezug auf die Tamponade des Beckens mit Jodoformgaze hält er das Einführen einzelner Tampons für das beste Verfahren. Die Gaze verklebt schnell, und erfordert der Zug an einem solchen Stück um es zu lösen eine verhältnissmässig grosse Kraft. Bei einer Anzahl langer isolirter Gazestreifen kann man den Zug auf eine beschränkte Stelle wirken lassen und die Entfernung meist ohne Blutung vorDehmen. Die Entfernung der Gaze bei der nach Micalicz ausgeführten Tamponade ist bei weitem schwieriger. Es ist erstaun- lich, wie solch enorme Wunden im Becken gelegentlich ohne jede Reac- tion zur Heilung gelangen und einen völlig aseptischen Verlauf nehmen, gleichgültig, ob man die Gaze nach 1- bis 2-Mal 24 Stunden oder nach 5 bis 6 Tagen entfernt. Er möchte diese Art der Nachbehandlung, die er auch bei Fällen angewandt hat, wo man sich am liebsten entschlossen hätte, die Bauchhöhle ganz zu schliessen, sehr empfehlen. Anderseits möchte er warnen, die starke Jodoformgaze dazu zu wählen. Seine Erfahrungen mit Jodoform in der Bauchhöhle sind im Ganzen günstig ; er hat aber doch einen Fall gesehen, wo der Tod durch Jodoform- intoxication eintrat.

Dr. Kämmerer haben die Bemerkungen Dr. B.'s über Pyosalpinx sehr interessirt. Die Trennung in acute und chronische Fälle ist ihm nicht so geläufig. Auch interessirte ihn zu hören, dass in keinem Fall von Pyosalpinx Microorganismen gefunden wurden. Dasselbe war der Fall in Schroeder's Klinik, wo jeder Fall von Pyosalpinx daraufhin untersucht wurde. Auch dort wurde niemals etwas Bacterielles gefun- den. Dies würde auch wohl die Ungefährlichkeit des Platzens dieser Geschwülste bei Operationen erklären, einen Zufall, den er häufig gesehen. In Schroeder's Klinik wurde niemels drainirt, sondern nur die Bauchhöhle mit reinem Schwamm ausgetupft und dann geschlossen. Es ist eigenthümlich, dass man so häufig hört, dass bei acutem Ein- treten der Perforation eine Pyoperitonitis erfolgt. Ob hier die Ptomaine, (welche sich in dem Eiter befinden), das wirkende Agens sind, oder ob es sich um eine Mischinfection handelt, möchte er dahin gestellt sein lassen. Was Dr. Munde über die gynaecologische Untersuchungs- methode erwähnte, kann er ganz und gar nicht unterschreiben. Gerade die bimanuelle Untersuchung ist augenblicklich in ihrer höchsten Aus- bildung, und auf diesem Gebiete ist wenig mehr zu leisten ; die letzten 10 Jahre haben uns darin weit vorwärts gebracht. In Bezug auf Dr. Lange's Erfahrungen betreffs Tamponade mit Jodoformgaze möchte er sagen, dass er sehr häufig in Schroeder's Klinik gesehen, dass grosse flächenhafte Adhäsionen gelöst und die resultirenden Wund- flächen dann durch versenkte Nähte geschlossen wurden. Man kann darin ziemlich viel leisten. Wird die Laparotomirte knapp mit Getränken gehalten, so kann man für die ersten 24 Stunden auf schnelle Resorption des Exsudats rechnen. Er will nicht sagen, dass die Jodo-

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formgazetamponade entbehrt werden kann ; er hat aber den Eindruck bekommen, als würde hier mehr tamponirt, als nothwendig.

Dr. B o 1 d t : Die J. G. T. wird nicht angewandt, um als Drainage zu wirken, sondern um die Blutung zu stillen. Die Drainage an und für sich hat er seit mehreren Jahren ganz verworfen. Nach Platzung von Eiersäcken wäscht er die ganze Bauchhöhle aus, manchmal mit 15 20 Quart. Ist dann keine Blutung vorhanden, so schliesst er die Wunde. Bezüglich der spontanen Berstung der Pyosalpinx ist wohl in keinem Fall sicher zu stellen, dass eine Patientin genesen ist. Bei der Oeffnung wäscht man aus ; geschieht dies nicht, so würde die Patientin auch sterben. Der Absorbtionsfähigkeit der Bauchhöhle kann man jedenfalls sehr viel zutrauen.

Dr. Lange möchte Dr. Boldt fragen, wie er sich bei der Nach- behandlung in Bezug auf die allgemeine Behandlung der Kranken ver- hält, speciell mit Rücksicht auf Anwendung von Opiaten, Application der Antiphlogose, Ernährung per Rectum oder von oben her?

Dr. Boldt hat dies absichtlich nicht berührt. Opiate werden sehr selten gebraucht, nur bei sehr heftigen Schmerzen wird in der ersten Zeit subcutan eingespritzt. Sind die Schmerzen in der Bauchwunde sehr heftig, so wird der Verband gelöst und ein dünnerer mit Eisblase applicirt. Am zweiten Tage nach der Operation bekommt die Patientin ohne Ausnahme ein Abführmittel, bestehend aus Natr. sulf. oder Pulv. liqu. comp., oder von Natr. sulf., Lawson Tait's Lieblingsmittel. 8 10 Tage lang bekommen die Operirten nur Flüssigkeiten. Zur Stillung des Durstes bekommen sie heisses Wasser, kein Eis. Sollten sie sehr nach kaltem Wasser verlangen, bekommen sie hin und wieder einen Theelöffel voll Eiswasser. Flüssigkeit wird sehr wenig eingeführt, als eigentliche Nahrung wird die peptonisirte Milch erst am 3. oder 4. Tage gereicht.

(Schluss der Discussion.)

Sitzung vom 6. Mai 1889. (12 West 31. Str.)

Präsident: Dr. Caille, später Dr. Garrigues.

Der erste Vortrag ist der von Dr. A. Schapringer : „Entfernung von Fremdkörpern aus der Nasenhöhle bei Kinder n," (agedruckt in der „Med. Monatsschrift", No. 6, Bd. I.)

Discussion:

Dr. Freudenthal: Fremdkörper liegen in der Nasenhöhle oft längere Zeit ohne Schaden anzurichten. Das Verfahren in einfacheren Fällen ist vom Vorredner genügend bezeichnet, doch kann man mit Haken nicht immer zum Ziel kommen, ohne Narcose nicht fertig werden. In einem Fall gelang es Redner nur mit Hülfe letzterer aus dem hinteren Abschnitt der Nasenhöhle nach einem erweiternden Ein- schnitte eine Glasperle hervorzuholen.

Dr. Willy Meyer hat im Laufe seiner Praxis eine ganze Anzahl von Fremdkörpern wie Erbsen, Bohnen, zusammengerollten Blumen- blättern, Perlen, Schuhknöpfen, auch eine abgebrochene Porzellan- puppenhand aus der Nasenhöhle von Kindern hervorgeholt. Dr. Schapringer's Verfahren ist ohne Zweifel vortrefflich, erfordert jedoch, wie es scheint, besondere Uebung ; führt auch, wie der Vortragende selbst angegeben, bei runden, harten Gegenständen eventuell nicht zum Ziel, da der Haken abrutscht. Redner ist stets auf einfache Weise mit Hülfe eines löffeiförmigen Instruments (eines oval und schlank ge-

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arbeiteten „stumpfen scharfen Löffels") ausgekommen. Das Kind wird von einem der Angehörigen fest fixirt, und zwar so, dass die Beine von den Beinen und die an den Körper gelegten Arme von den Armen der assistirenden Person umschlossen werden. Ist eine zweite Person zur Hand, so hält dieselbe den Kopf, wenn nicht, drückt der Arzt den Kopf des Kindes mit der inneren Seite seines linken Ellenbogens gegen seine Brust und führt, indem zwei Finger der linken Hand die Nasenspitze nach oben drängen, zur Rechten und hinter dem Patienten stehend, das löffeiförmige Instrument mit der rechten Hand in die betreffende Nasen- höhle möglichst weit nach hinten und dann senkrecht nach unten, bis er auf die untere Wand der Nasenhöhle kommt. Eine einfache, nach vorn hebelnde Bewegung mit dem Löffel bringt jetzt den Fremdkörper unfehlbar an's Tageslicht. Das Ganze ist das Werk weniger Secunden.

Dr. C. Heitzmann erkundigt sich nach dem häufigsten Sitz und und der genaueren microscopischen Beschaffenheit der vom Vortra- genden erwähnten Rhinolithen.

Dr. Seibert will nicht aus seiner Erfahrung sprechen, möchte sich aber theoretisch gegen die Vornahme der Narcose aussprechen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ein solcher Fremdkörper während der Narcose in den Kehlkopf gelangen könnte. Er würde niemals ein solches Kind chloroformiren. Gut fixiren ist entschieden Sache der Uebung. Eine gute Manier den Kopf des Kindes zu fixiren ist, wenn man ein Handtuch um den Unterkiefer und Kopf führt, oben umschlägt und an der Seite wieder herunterbringt.

Dr. L. Weber beobachtete im Jahre 1879, wenige Tage nach der Feier des 4. Juli einen interessanten Fall von Fremdkörper in der Nase. Ein Mädchen kam mit Fieber und geschwollener, stinkenden Eiter secernirender Nase zu ihm. Auf der Nase, hart an der Grenze von Knochen und Knorpel befand sich eine 1 Mm. grosse Oeffnung, von deren Entstehen Patientin angeblich nichts wusste. Zu seinem Erstaunen gelang es ihm, mit einer Pinzette 4 Stückchen Holz aus der betr. Nasen- höhle zu ziehen. Jetzt erinnerte sich die Kranke, dass ihr vor wenigen Tagen (4. Juli), als sie Abends auf der Haustreppe sass, etwas von oben auf die Nase gefallen sei. (Es war das Endstück einer Rakete.)

Dr. Freudenthal bemerkt Dr. Seibert gegenüber, dass er wäh- rend des Narcotisirens derartiger Patienten natürlich die Vorsicht anwendet und sie sitzen, nicht liegen lässt. Er selbst sitzt vor dem nach vorn und abwärts gehaltenen Kopfe des Patienten. Er hält in seinem Fall die Narcose für absolut indicirt.

Dr. E. Friedenberg: Die Ausführungen des Vortragenden be- ziehen sich auf Fremdkörper, welche ziemlich weit vorn sitzen. Hier braucht man sicherlich nicht den Spiegel. Sind dieselben tiefer eingedrungen, so muss man doch nicht immer reflectirtes Licht gebrauchen. Für solche Fälle möchte er nicht unterlassen, auf das Cocain hier besonders aufmerksam zu machen. Dasselbe setzt nicht nur die Sensibilität ganz herab, sondern bewirkt auch eine merk- würdig starke Schrumpfung der Gewebe, welches jede operative Mani- pulation in der Nase erleichtert.

Dr. Schapringer sagt in seinem Schluss wort, dass die von ihm und Anderen gefundenen Rhinolithen gewöhnlich im hinteren Abschnitt des unteren Nasenganges sich befanden und Fremdkörper als Kern enthielten. Auch er ist der Ansicht, dass die Narcose manchmal un- umgänglich nothwendig ist, vor Allem wegen Ungebärdigkeit der kleinen Patienten, dann auch wegen unzureichender Assistenz. Er hält die von ihm empfohlene Methode für besser, als die von Dr. Meyer angegebene.

Es folgt Dr. L. Weber's Vortrag über die „Behandlung der Rose" (abgedruckt im N. Y. Medical Record, Mai).

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Discussion.

Dr.Euppe will in der Behandlung des Erysipels gute Erfolge von gestossener Holzkohle und Watte gesehen haben.

Dr. L. Heitzmann hat in den letzten Jahren etwa ein Dutzend Fälle von Gesichtsrose behandelt. 10% Tannin-Collodium brachten gute Erfolge, auch \% Sublimat-collodium kann er empfehlen. Alle Fälle waren leichter Natur.

Dr. Cook kann der Tr. ferr. mur. und Glycerin, alle paar Stunden aufzutragen, Gutes nachsagen. Bald hören alle Allgemeinerschei- nungen auf.

Dr. J. Schmitt: Der Fehleisen'sche Coccus bedarf zum Leben des Sauerstoffs der atmosphärischen Luft ; er haust nur in den oberfläch- lichen Schichten der Haut. Alle tief greifenden Entzündungen sind Mischinf ectionen. Gelingt es, die athmosphärische Luft abzuschliessen, so wird man nach seiner Ansicht die Kose coupiren können. Alle Me- thoden, welche dies fertig bringen, haben aus diesem Grunde, wie er sich vorstellt, Erfolg. Misserfolge werden beobachtet, wenn das Col- lodium, der Firnis u. s. w. nicht genügend aufgetragen werden.

Dr. Tynberg hat im Charity Hospital ca. 150 Fälle von Rose mit Hülfe von 10% Jodoform-Collodiumlösung oder mit Tr. benz. comp, mit bestem Erfolge behandelt ; nur eine Patientin mit Carcinoma uteri starb.

Dr. B e ck glaubt, dass, wenn das Er. erst aufgetreten, das Unglück geschehen ist. Die Antiseptica können dann das Gift nicht mehr er- reichen. Er hat Wölfler's Einwicklung vor einiger Zeit im Vereins- hospital anwenden sehen. Der betreffende Patient starb. Er selbst hat Höllenstein Pinselungen, Tinc. benz., Carb Ölumschläge u. s. w. ange- wandt. Die leichten Fälle verliefen im Allgemeinen günstig. In neuerer Zeit ist er zur ganz exspectativen Behandlung zurückgekehrt ; er lässt Bleiwasser appliciren und trägt Sorge für Stärkung und Erhaltung des Allgemeinbefindens .

Nach Dr. Willy Meyer's Ansicht kann sich die bisherige Dis- cussion nur um Behandlung der Gesichts- und eventuell auch Kopf rose gedreht haben, denn für das Er. der Extremitäten und des Rumpfes kennen wir ja eine fast absolut sichere Behandlung : die vom Vortragenden näher erwähnte operative Kraske-Riedel'sche Methode. Redner sah in einem Fall von traumatischen Er. des Oberschenkels (aufgetreten nach einer unter antiseptischen Cantelen gemachten Aus- kratzung einer von einer Resectio genu zurückgebliebenen Fistel) von dieser Methode den allerbesten Erfolg. Die Temperatur, Morgens noch 104°, fiel nach dem einfachen, in der Narcose ausgeführten Eingriff am Abend desselben Tages auf 99°, um nicht wieder zu steigen. Er bediente sich der Riedel'schen gitterförmigen Incisionen, indem die Hälfte des oberflächlichen Einschnitts in den Bereich der erkrankten Hautpartie, die andere in den der gesunden fiel. Schede's Modification, die linien- förmigen Scarificationen nur an den Rand der Rose in die gesunde Hautpartie zu legen, um etwaige Infection mit dem Messer auszu- schliessen, ist entschieden rationell. Nach des Redner's Dafürhalten ist es heute Pflicht des Arztes, in jedem Fall von Rose, ausgenommen etwa Gesichts- und Kopfrose, die operative Behandlung einzuleiten. Aber auch in kritischen Fällen von Kopfrose sollte man, nach Abrasiren der Haare, diese Methode nicht unversucht lassen.

Dr. Seibert beobachtete in der Behandlung der Gesichtsrose treffliche Erfolge vom Bepinseln der angrenzenden gesunden Haut- partie mit 10 % Carbolsäure-Alkohol und Application des Eisbeutels auf die erkrankte Stelle. Binnen wenigen Stunden geht die Temperatur herunter, man bekommt aber leicht Carbolharn. Er möchte auch die

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neue chirurgische Behandlung empfehlen, das umsomehr als man im Verlauf des Er. nie wissen kann, wann schwerere Complicationen ein- treten. Vor Kurzem sah er einen jungen Mann an eitriger Pericarditis nach Er. sterben.

Dr. F. T o r e k sah in einer ganzen Anzahl von Fällen von Er. von dergleichen sehr sorgfältig ausgeführter Therapie nur Negatives.

Dr. Kammerer steht in Bezug auf die äussere antiseptische Be- handlung auf dem Standpunkt Dr. Beck's. Er kann nicht einsehen, wie sich Dr. Schmitt das Beziehen von Sauerstoff durch die intacte Cutis seitens des Er.-Coccus vorstellt.

Dr. Koller: Das Wirksame der neuerdings empfohlenen Scarifica- tions- und mechanischen Methode (Heftpflaster und Trauma) muss darin liegen, dass eine Continuitätstrennung der Capillaren stattfindet, in dem einen Fall auf blutigem Wege, in dem andern durch Druck. Das Fortschreiten des Er. entspricht ja doch den Capillaren derCutisschichten.

Dr. E. Friedenberg hat vor 8 Jahren zuerst die 10 % Lösung von Carbolsäure und Alkohol bei der Gesichtsrose, die von der Nase ausging, angewandt. In 9/10 aller Fälle bewirkte das häufige Aufpinseln ein sofortiges Aufhören des Processes. Ob die Kraske-Kiedel'sche Methode durch die Incision oder durch das Eindringen der antisepti- schen Lösung wirkt, ist nach seinem Dafürhalten noch zweifelhaft.

D r. W e b e r : Aus dem Laufe der eingehenden Discussion und aus den in seinem Vortrage gemachten Bemerkungen gewinnen wir das Re- sultat, dass die locale Antiseptis eine das Er. sistirende Wirkung nicht hat. Bei Gesichts- und Kopfrose kommt es offenbar auf das ange- wandte Mittel gar nicht an, und werden Patienten eben häufig von selbst wieder gesund. Wenn es sich aber um ein fortschreitendes Er. der Ex- tremitäten handelt, ist Gefahr im Verzuge. Hier hat sich das operative Vorgehen bewährt, und sind wir desshalb heutzutage geradezu gezwun- gen, das K.-R. Verfahren anzuwenden. Er hält es für sehr wichtig, dass eine Scarification mit feuchten Umschlägen (5% Carbol oder l%o Sublimatlösung) nachbehandelt wird. Ueber Wölfler's Methode müssen wir erst noch Erfahrungen sammeln. Des letzteren Praxis wäre die richtige, wenn es wahr ist, was Dr. Schmitt sagt. Der Er- Coccus kann ja aber seinen Sauerstoff auch aus den Gefässen beziehen. Auch er sagt Dr. Beck hat Recht ; man kann mit Recht an der coupiren- den Behandlung mit antiseptischer Lösung zweifeln, aber an der opera- tiven Behandlung des Er. kann man jetzt nicht mehr zweifeln. Wir können hier coupiren und heilen.

Es folgt die Demonstration einer Blasenmole durch Dr. R. Stein. (Siehe diese Nummer.)

Dr. Carl Koller wird zum Mitglied vorgeschlagen. Hierauf Ver- tagung. — (Schluss.)

Dr. Willy Meyer,

Secretär.

Wissenschaftliche Zusammeukuuft deutscher Aerzte

in New York.

(No. 110 West 34. Strasse.) Sitzung vom 26. April. Präsidium : G. W. J a c o b y.

Vorstellung von Patienten.

Kammerer stellt einen 54jährigen Mann vor, welcher seit 8 Jahren zu Zeiten an lancinirenden Schmerzen in den unteren Extremitäten, an

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heftigen Schmerzen in der Magengegend und an Schwindel leidet. Seit 12 Jahren treten in unregelmässigen Intervallen Blasenbeschwerden auf, welche 2 3 Wochen lang den Blasenkatheter erforderlich machen. Vor 12 Wochen, auf ebenem Boden schreitend, hatte Patient plötzlich das Ge- fühl, als ob er ausglitt, und konnte das linke Bein fortan nicht mehr gebrauchen. Er verspürte keinen Schmerz, merkt aber, dass an der Hüfte ein Knochen herausstand. Status : Linke untere Extremität beim Liegen leicht invertirt, um 1\ Zoll verkürzt ; oberes Ende des Fe- mur bedeutend verdickt. Vollständiges Fehlen des Patellarreflexes, spinale Pupille, ungemein wenig auf Licht reagirend. Keine Sensi- bilitätsstörung.

Es handelt sich wahrscheinlich um einen Bruch des Schenkelhalses bei einem Tabetiker, mit oder ohne vorausgehende Athropathie.

Discussion:

B. Sachs. Tabes liegt entschieden vor. Bei den Arthropathien ist der Knochen morsch und brüchig. Tabetiker zerfallen in zwei Gruppen, 1) eine, in denen Ataxie lange Zeit ohne Augenbeschwerden besteht, eine zweite, in der Pupillarsymptome und Optikusatrophie den anderen Symptomen, speciell der Ataxie, jahrelang vorausgehen.

G. W. J a c o b y. Tabes ist in diesem Falle wahrscheinlich vor- handen, aber nicht positiv nachzuweisen. Es besteht Myosis, aber die Pupille reagirt, wenn auch träge. Die Schmerzen sind im vorliegenden Falle nicht characteristisch. Anaesthesie fehlt. Man kann desshalb keine Anaesthesie des Gelenkes annehmen, worauf gewöhnlich Arthro- pathien basiren.

Präparate.

Foerster demonstrirt ein grosses Ovarial - Cysto m. Pa- tienten, 56 Jahre alt, Nullipara, gesund bis vor 6 Monaten. Dann ent- wickelte sich in der rechten Bauchhälfte schnell zunehmend eine Schwellung. Nach 3 Monaten Athemnoth, Oedem der unteren Extremi- täten, Harndrang, Kräfteverfall. Der Uterus war nach rechts gedrängt, antevertirt. Grösse Anschwellung des Abdomens. Percussionsdämp- fung reicht über den Umbilicus hinauf. Da die Operation verweigert wurde, machte F. die Punction, welche Colloidmassen als Inhalt des Tumors ergab. Vier Tage später Laparotomie in der Mittellinie. Man fand die Punctionsöffnung persistent, die Bruchhöhle zum Theil mit Colloidmassen erfüllt, das Peritonaeum stark verdickt, das Cystom an mehreren Darmschlingen adhaerent und im Beckenboden breit auf- sitzend. Die Entfernung der Geschwulst war nicht leicht und hinter- liess einen ziemlich breiten Peritonaealdefect. Heilungsverlauf normal.

Discussion:

Krug. Die diagnostische Punction ist oft gefährlich und desshalb zu verwerfen. Experimente in prall oder wenig gefüllten Schweins- blasen, die er anstellte, bewiesen, dass die Punctionsöffnung gewöhnlich persistirt und die Flüssigkeit heraussickert. Die diagnostische Punc- tion ist daher nie zu machen, selbst wenn die Gefahr eines diagnosti- schen Fehlers vorliegt, zum Mindesten müsse man bereit sein derselben die Laparotomie sofort anzuschliessen, wenn die entleerte Flüssigkeit sich als nicht vollständig indifferent erweise.

A. J a c o b i. Für Punctionen gelten keine allgemeine Regel. Die vitale Elasticität der Gewebe lässt den Schluss der Punctionsöffnungen zu. Sind die Gewebe todt, oder durch Ueberspannung unelastisch geworden, so schliessen sich die Oeffnungen nicht und Flüssigkeit sickert aus. So bei stark überspannten Gedärmen, wo Luft entweicht, aber auch hin und wieder Faeces, bei Wasserköpfen, in denen in Folge

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der schlechten Ernährung und mangelnder Elasticität tagelanges Nachsickern die Regel ist.

Foerster verwirft auch die Probepunction, die hier aber nicht vorliegt. Die Punction war wegen absoluter Verweigerung der Opera- tion nöthig, um Erleichterung zu schaffen.

Foerster demonstrirt ein Cervixcarcinom. Dasselbe nahm die vordere Lippe ein, und wurde durch Totalexstirpation gewonnen. F. vergleicht die Totalexstirpation mit der partiellen Operation und zieht auf Grund der seltenen Recidive und der in neuerer Zeit durch Vollen- dung der Technik abnehmenden Mortalität die Totalexstirpation vor.

Krug. Trotz der von Frankreich neuerdings ausgehender Reaction gegen die Totalexstirpation, ist dieselbe meist eine ebenso leichte Opera- tion wie die partielle Exstirpation und bietet grössere Sicherheit vor Recidiven.

Krug demonstrirte einen carcinomatös degenerirten Uterus. Der Uterus war beweglich ; vaginale Exstirpation gelang nicht, weil die Scheide eng und der Uterus keinen Halt bot. Man schritt zur Freund'schen Abdomiualexstirpation, beiTrendelenburg'scher Lage. Diese wurde nach grossen Schwierigkeiten vollendet, die bohnen- grossen Eierstöcke wurden zurückgelassen, die Vagina tamponirt, Bauchwunde geschlossen. Narcose dauerte mehrere Stunden, während derselben Collaps. 3 Tage darauf Tod in Folge von acuter Nephritis. Krug hält die abdominale Exstirpation im Nothfalle für indicirt.

Krug demonstrirt einen Uterus mit Cervixcarcinom der hinteren Lippe. 40jährige Frau, mit 31 Jahren verheirathet, 3 Kinder, das letzte vor 3 Jahren, Seit Januar Metrorrhagie mit jauchigem Aus- fluss. Erst wurde die Geschwulst mit der Curette entfernt und mit dem Paquelin gebrannt. Hierauf der Uterus entfernt, die Eierstöcke, zurückgelassen. Die Heilung folgte glatt. Bei jüngeren Frauen soll man die Eierstöcke entfernen, da sonst Molemina und ähnliche Be- schwerden auftreten. Bei Frauen die der Menopause nahe sind oder dieselbe überstanden, brauchen sie nicht exstirpirt zu werden.

Krug demonstrirt ein Corpuscarcinom. Dasselbe stammte von einer 55jährigen Nullipara, bei der die Menopause im 50 Jahre eintrat. Seit 2 Jahren Metrorrhagie mit jauchigem Ausfluss. Mehr- faches Curettiren mit temporärer Besserung. Bei der Operation wurden mit der Curette grössere Massen entfernt und das Volumen des Uterus dadurch bedeutend verringert. Die Entfernung gelang leicht. Die Ovarien wurden zurückgelassen. Heilung glatt.

Discussion :

B o 1 d t. Bei Corpuscarcinom findet man oft Carcinom der Ovarien. Dieselben sollten in solchen Fällen stets herausgenommen werden. Bei Cervixcarcinom dagegen werden die Eierstöcke selten in Mitleiden- schaft gezogen.

Willy Meyer demonstrirt Nierensteine.

Kammerer demonstrirt eine mannskopfgrosse, intra- ligamentöse Ovariencyste. Der Tumor konnte nur zum kleinsten Theile an der Basis des Ligamentum latum enucleirt werden. Derselbe enthielt wasserhelle Flüssigkeit und zeigte beginnende Papillar- wucherungen, von welchen einige schon die Grösse einer Haselnuss erreicht hatten. Das andere Ovarium war ebenfalls cystisch, doch nicht papillomatös entartet und musste in gleicher Weise zwischen den beiden Blättern des Ligamentum latum entwickelt werden. Die zurückblei- benden Wundhöhlen schlössen sich beiderseits bequem durch einfaches Aneinanderlegen der Peritonealblätter. Isolirte fortlaufende Catgutnaht des Peritonaeum. Seidennähte der Bauchdecken. Der Verlauf des Falles war leider ein ungünstiger. In den ersten Tagen trat mehrfaches

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Erbrechen ein, das der Narcose zur Last gelegt wurde. Keine Tem- peratursteigerung oder sonstige beunruhigende Erscheinungen. Als am 4. Tage der Verband entfernt wurde, zeigte sich, dass eine Darmschlinge im oberen Wundwinkel sich hervorgedrängt hatte. Dieselbe wurde so- gleich reponirt und die Bauchwand wieder fest verschlossen. Trotzdem persistirten die Ileuserscheinungen. Alle Versuche eine Oeffnung des Darmes zu erzwingen waren vergeblich. (Clysmata mit Glycerin, Seifen- wasser geringen fast unverändert ab, innerliche Mittel wurden sofort erbrochen.) Am folgenden Tage nochmalige Eröffnung der Bauchhöhle ohne dass ein Hinderniss entdeckt wurde. Nach zwei Tagen am Ende des 7. Tages Tod unter allen Erscheinungen der Strangulation. Section ergab weder Peritonitis noch irgend ein Hinderniss für die Weiterbeför- derung des Darminhaltes. K. wurde durch diesen Fall an eine vor einem Jahre erschienene Arbeit Verchere's in der " Revue Chirurgieale " erinnert, in welcher dieser unter dem Bilde der acuten Peritonitis nach Unterleibsverletzungen und Operationen etc. ein den Chirurgen und Gynaecologen wohlbekanntes klinisches Bild gegenüberstellt, das er als Septicemie-intestino-peritoneale bezeichnet. Dasselbe zeichnet sich im Gegensatz zur Peritonitis durch verfallene Gesichtszüge, normale oder subnormale Temperatur, geringe Tympanitis und absolute Schmerz- losigkeit des Abdomens und langsamen Verlauf aus. Vorherrschend sind die Erscheinungen der Obstipation. Verchere glaubt, dass es sich hierbei um einen Uebertritt von Microorganismen und Darmgasen auch durch die normale Darmwand handle, bedingt durch die Kothstauung mit darauffolgender septischer Intoxication durch Resorption von der Peritonealhöhle aus. Gegen diese Auffassung liessen sich wohl einige Einwände erheben, vor allen der, dass die gesunde Darmwand nach den Untersuchungen von Garre keine Microorganismen durchlässt. Red. glaubt, dass wir es in diesen Fällen, speciell in seinem Fall, mit reflec- torischen Erscheinungen zu thun haben. Es ist ja bekannt, dass nach glücklich reponirten Hernien, bei Littre'schen Brüchen, wo der Darm noch wegsam ist, zuweilen der Tod unter Fortbestehen der Incarcera- tionsymptome eintritt. Auch bei Schlag auf dem Unterleib bei entzün- deten Leistenhoden und Bauchdeckenabscess sind reflectorisch schwere Ileuserscheinungen beobachtet worden. Die Anschauung, dass nach allerlei Insulten der Gedärme Zustände der Darm Wandungen eintreten können, die, wenn auch microscopisch nicht nachweisbar, doch Reflexe auszulösen im Stande sind, muss für diese immerhin dunklen Todesfälle vorläufig die willkommenste Erklärung sein.

Discussion :

A. J a c o b i : Todesfälle von der Unterleibshöhle ausgehend ohne nachweisbare Sepsis, sind sehr häufig. Vor einigen Jahren wurden diese alle als neuropathisch bezeichnet, d.mn galt jahrelang die Sepsis als einzige Todesursache, in letzterer Zeit wird wieder dem unbezwei- felten Einflüsse, den der Splanchnicus ausübt, Rechnung getragen.

Mittheilungen aus der Praxis.

Koller theilt mit, dass auf Jodkali bei dem als Gumma des Thränenbeines in der letzten Sitzung vorgestellten Falle der Tumor verschwunden sei.

A. J a c o b i beobachtete bei einem Kind von 14 Monaten, welches hereditär schwer syphilitisch und nie gut entwickelt war, ein allmähliges Sinken der Körpertemperatur bis auf 91° bei einem Puls von 60. Das Kind wird bald sterben. Seit einigen Tagen steigt die Temperatur nicht über 91°, was durch das allmählige Erlöschen des Lebensprocesses, speciell der Nerveneinflüsse, bedingt ist.

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Discussion :

Klotz beobachtete mit Langmann einen ähnlichen Fall bei einem Kinde mit Hydrocephalus von etwa demselben Alter. Bei ge- ringer Pulszahl blieb die Temperatur tagelang vor dem Tode zwischen 27° und 28° C.

S e i b e r t sah bei 2 Kindern mit chronischer Meningitis subnormale Temperaturen. Bei dem einen constatirte er 2 Wochen lang (vor dem Exitus) Temp. 94°, Puls 40. Er nimmt eine Affection des Wärme- centrums an.

Goldenberg gebrauchte seit 14 Tagen 7 8 Mal ein Harnröhren- bougie bei einem Patienten. War dasselbe mit Glycerin bestrichen, so trat jedesmal nach 5 Minuten starker Stuhldrang auf ; gebrauchte er Vaselin, so fehlte Stuhldrang.

Discussion :

Foerster sah eine Beschleunigung der Geburt wiederholt ein- treten, wenn er bei Kreissenden Glycerinsuppositorien in das Kectum einführte.

Gleitsmann beobachtete bei einem 45jährigen kräftigen Manne, der seit einiger Zeit leicht heiser war und etwas hustete, Anfälle von Bewustlosigkeit, ausgelöst nicht durch wiederholten heftigen Husten, sondern durch leichtes Hüsteln. Seit 3 Wochen unter localer Behand- lung bedeutende Besserung. *

(Schluss und Vertagung.)

Edward Fridenberg,

Secretär.

Allerlei.

„Schwindsucht in der deutschen Armee wird jetzt von derEegierung sehr befürchtet seit der Pariser Medicin. Congress entschieden hat, dass diese Krankheit ansteckend sei." So schreibt das „Journal of the American Med. Association", June 8, 1889. Warum es nicht schreibt, dass diese Befürchtung der deutschen Kegierung in Folge des hier kürz- lich gefassten Beschlusses des New Yorker Gesundheitsamtes aufge- treten sei, ist uns unbegreiflich.

Die Grundsteinlegung zu dem neuen Gebäude der „New York Academy of Medicine" findet am 23. Juli statt. Die vom Architekten vorgelegten Pläne lassen die Einrichtung des zukünftigen Gebäudes als sehr zweckentsprechend erscheinen, während man über die äussere Ansicht anderer Meinung sein könnte. Der Bau soll 250,000 Dollars kosten

In einer Correspondenz des „New Orleans Med. and Surg. Journal", Juni 1889, aus Berlin über den deutschen Chirurgencongress finden wir folgende Bemerkungen : „Mr. Horsley war der einzige Delegat aus Eng- land ; aus Amerika war Niemand anwesend. Mr. H. benutzte die deutsche Sprache und, trotzdem er sich durchaus nicht fliessend aus- drücken konnte, gelang es ihm doch sich der aufmerksamen und ausser- ordentlich nachsichtigen Versammlung verständlich zu machen. Deutsche ehren wirkliches Verdienst stets und wird ein arbeitsamer,

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ehrlicher Forscher von ihnen stets rückhaltlos anerkannt, ob derselbe nun ein Ausländer oder von Geburt und Erziehung selbst ein Deutscher sei. Irgend ein Ausländer der wirklich Etwas zu berichten hat, kann stets aufmerksame und ermuthigende Zuhörer in Deutschland finden."

In der Gegend von Virginia trat, laut einem Keferenten (Eug. Fraenkel, Hamburg) der „Deutsch. Medic. Wochenschrift", 6. Juni 1889, eine Fieberepidemie auf, welche von Darbney im „Amer. Journ. of the Med. ßciences" beschrieben wurde. Es erinnert das an die Frau, welche einem New Yorker in Deutschland ein Packet an ihren Sohn zur persön- lichen Uebergabe mitgeben wollte, denn die Gute meinte : „Ei mei' Soh' is doch bei Ihnen rum der heeme ! He wohnt in Kalf onium."

Eine Eidemie von Pneumonie herrschte auf Prince Edward Island, welche im Februar und März allein 546 Fälle in der Praxis von 26 Col- legen bedingte. Da sich über 50 Aerzte auf der Insel befinden, so nimmt man an, dass über 1000 Fälle beobachtet wurden. Die Bevölkerung der Insel beträgt nicht über 150,000 Seelen. In der Mehrzahl der Fälle fand sich auch Bronchialcatarrh, namentlich bei Kindern und alten Leuten. Von den 546 Erkrankten starben bloss 40. Der verflossene Winter war durch ungewöhnlich hohe Temperatur und starken Regenguss bemer- kenswerth. (Maritime Med. News, May, 1889.)

In der Junisitzung der Section für Kinderheilkunde der New York Academy of Medicine demonstrirte Dr. Cheeseman einen Apparat zum Sterilisiren der Milch, welcher schon für andere Kochzwecke als "Arnold cooker " bekannt war. Da nur wenig Wasser nöthig ist, so entwickelt sich Dampf sehr bald, in welchem die Milchflaschen eine Stunde lang zubringen müssen. Die Erhitzung kann über einer Gas- flamme geschehen. Die Nachtheile des Apparates im Vergleich zu dem von Soxhlet sind folgende : Es ist kein Gestell vorhanden in dem die Flaschen in richtigem Abstand von einander placirt werden können. Der Verschluss der Flaschen geschieht mittelst entölter Watte, welche natürlich von der Feuchtigkeit des Dampfes sofort von oben und beim Umschütteln der Flaschen durch die Milch von unten durchtränkt wird, wodurch natürlich eine Verhütung der Einwanderung von Bacterien in den Flascheninhalt illusorisch gemacht wird. Der ganze Apparat ist grösser und fehlen ihm die Flaschen, Stöpsel und anderes Zubehör und ist im Vergleich nicht billiger als der Soxhlet. Die Reparatur des Kessels würde wohl wesentlich grössere Schwierigkeiten machen als bei dem von S. angewandten. In der Discussion in der erwähnten Sitzung konnten die Herren Caille und Seibert denn auch obige Punkte zur Geltung bringen und namentlich auch, dass, da eigentlich durchaus keine neue Idee vorliege, der Herr Vortragende es nicht hätte versäumen sollen, dem Professor Soxhlet wegen seiner segensreichen Erfindung den Credit zu geben, der ihm gebühret. Die Section schien schliesslich der Ansicht zu sein, dass der vorgeführte Apparat einige Vortheile des Soxhlet'schen darbiete, aber auch einige Neuerungen, welche sich als Verschlechterungen erwiesen. Practische Erfolge konnte Dr. Cheese- man noch nicht vorführen.

Personalien.

Herr Dr. F. Kammerer wurde vom Collegium der Aerzte zum Chirurg am Deutschen Hospital in New York erwählt.

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Herr Dr. Willy Meyer, unser geschätzter Mitarbeiter, der schon längere Zeit als Chirurg am Deutschen Hospital thätig ist, wurde kürz- lich auch zum Chirurgen am New York Skin and Cancer Hospital er- nannt.

Büchertisch.

Die Mikroorganismen der Mundhoehle. Die örtlichen und allge- meinen Erkrankungen, welche durch dieselben hervorgerufen werden. Von W. D. Miller, Dr. med. et phil, Prof. am zahnärztlichen Institute der Universität Berlin. Mit 112 Abbildungen im Texte und einer chromolithographischen Tafel. Leipzig. Verlag von Geo. Thieme, 1889.

Mittheilungen aus Dr. Brehmer's Heilanstalt fuer Lungen- kranke in Goerbersdorf. Von Dr. H. Brehmer, Wiesbaden. 1889.

The Treatment of the Morphia Disease. By Dr. A. Erlenmeyer. Translated by E. P. Hard, M.D. Physicians' Leisure Library. Geo. S. Davis, Publisher, Detroit, 1889.

An die Leser.

Der Preis der „M. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist den Westen in den nächsten 3 1 Monaten, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York.

Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN. I.

Ueber Bursitis luetica.

Von

Dr. A. F. Buechler,

New Yobk.

Von den syphilitischen Erkrankungen des Bewegungsapparates haben diejenigen der Schleimbeutel nur wenig Beachtung gefunden. Durchblättert man die Lehrbücher über Syphilis und Chirurgie, so findet man sie entweder gar nicht berücksichtigt, oder nur mit wenigen Zeilen bedacht. Trotzdem glaube ich, dass, wenn die Aufmerksamkeit auf ihr Vorkommen in höherem Maasse gerichtet würde, man ihnen nicht gar so selten begegnen würde, wie die karge Darstellung der Autoren uns vermuthen lässt.

Das Verdienst die Aufmerksamkeit auf das Vorkommen dieser Affectionen bei der Syphilis, und ihre Beziehungen zu letzterer gelenkt zu haben, gebührt jedenfalls Keyes. *)

Zwar findet man vor dem Erscheinen seiner Arbeit vereinzelte Beobachtungen in der französischen Literatur verzeichnet, doch war es der amerikanische Syphilidologe, der durch die Zusammenstellung vor- her publicirter, aber in den Journalen zerstreuter Fälle, die er durch seine eigene Erfahrungen ergänzte, bahnbrechend für unsere Kentnisse in dieser Beziehung wirkte.

Bezüglich ihrer Classification, kann man, zweckmässigkeitshalber, die syphilitischen Schleimbeutelaffectionen, entsprechend der üblichen Eintheilung der Lues im Allgemeinen, in zwei Categorien einreihen, erstens die Secundärformen, und zweitens die Tertiärformen, jedoch mit dem Vorbehalte, dass diese Erkrankungen nicht immer streng diese Typen einhalten, sondern dass es Fälle gibt die Uebergangsformen von dem einen Stadium in das andere bilden, und in ihrer Kubricirung einige Schwierigkeit bereiten.

Wie bei der Verallgemeinerung des syphilitischen Contagiums, synchronisch mit dem Erscheinen der Frühsymptome über Schmerzen in den Muskeln, Sehnen, Knochen und Gelenken geklagt wird, so stellen sich in den Schleimbeuteln gleichartige Schmerzempfind ungen ein.

Abgesehen von diesen rein subjectiven Erscheinungen, treten im Verlaufe des secundären Stadiums der Syphilis, klinisch wahrnehmbare anatomische Veränderungen in den Bursae auf.

*) American Journ. of Med. Sciences, 1876, p. 349.

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Schon in der Monographie von Voisin, werden letztere im Zusam- menhange mit gleichartigen Affectionen der Gelenke angedeutet, wenn auch etwas vage. Auch Keyes bezieht sich auf zwei Fälle frühzeitiger Bursitis luetica. In dem ersten von Fournier veröffentlichten Falle handelte es sich um ein Hygrom der Bursa praepatellaris, in dem zwei- ten, der von Verneuil mitgetheilt wird, um eine Affection der Bursa olecrani. Bei letzterem fand sich eine indolente, schmerzlose, gleich- massige, fluctuirende Anschwellung bei einem Patienten, der mit Koseola und syphilitischer Angina behaftet war, und noch die Beste eines Initialaffectes darbot. Die Geschwulst entwickelte sich ohne eine nachweisbare locale Ursache, und bildete sich nach zweimonatlicher antisyphilitischer Behandlung vollständig zurück.

Auch Lang *) beobachtete das frühzeitige Erscheinen einer Bursal- erkrankung im Verlaufe der Syphilis. Sie betraf einen 56jährigen mit Koseola behafteten Patienten, bei dem sich eine daumendicke, fluctu- irende, nur wenig empfindliche Geschwulst der Bursa mucosa semi- membranosa d extra ausbildete, bei der nach vierwöchentlicher speci- fischer Behandlung eine vollständige Heilung erzielt wurde.

In der kürzlich erschienenen casuistischen Mittheilung aus der Klinik des letztgenannten Verfassers, die von Trost f) herrührt, finden wir diese Beobachtungen durch drei weitere Fälle ergänzt, die wir in Kürze hier wiedergeben.

Der erste Fall betraf einen 47jährigen Kutscher mit maculösem Sy- philid und Exulcerationen der Tonsillen, der in der Klinik Aufnahme fand. Etwa Monate darauf stellte sich eine deutlich fluctuirende Geschwulst der rechten Bursa olecrani ein. Heilung in vier Wochen nach Einspritzungen von Oleum cinereum und Auflegen von Ung. hy- drargyri. Vier Wochen darnach wurde die Bursa der anderen Seite be- troffen. Nach zweimonatlicher Behandlung schwand auch diese An- schwellung.

Im zweiten Falle, dem eines 21jährigen Commis, der ausser einer Scle- rose ein maculöses Syphilid und Exulcerationen der Tonsillen darbot, zeigte sich acht Tage nach seiner Aufnahme eine wallnussgrosse fluc- tuirende Geschwulst der Regio poplitia, entsprechend der Bursa semi- tendinosa sinistra. Heilung in acht Tagen mit Oleum cinereum.

Die letzte dieser Beobachtungen war die eines 28jährigen Commis, bei dem, etwa einen Monat nach dem Eintreten allgemeiner Erschei- nungen, eine scharf begrenzte, schmerzlose, luftkissenartige Geschwulst der inneren Seite der linken Kniekehle, entsprechend der Bursa semi- tendinosa sinistra, auftrat. Nach zwölftägiger Behandlung mit Oleum cinereum konnte man keine Spur der Geschwulst mehr wahrnehmen.

Etwas abweichend von dem Verlaufe der oben citirten Fälle ist der- jenige Fingers J), der eine acut auftretende Entzündung der von Gruber

*) Lang. Vorlesungen über Pathologie und Therapie der Syphilis, p. 389. t) Trost. Beitrag zu den Erkrankungen der Gelenke und Schleimbeutel im Verlaufe der Syphilis. Wiener Med. Wochenschrift, 1889, p. 642. X) Wiener Med. Wochenschrift, 1884.

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beschriebenen, zwischen dem Kectus femoris und subcruralis liegenden Sehleimbeutel veröffentlicht, die sich bei einem jungen Mediciner, etwa sechs Wochen nach der Infection einstellte und von heftigen rheuma- tischen Sc. merzen begleitet war. Mittelst Jodkali erfolgte eine com- plete Heilung in etwa einer Woche.

Auch ich hatte Gelegenheit einen einschlägigen Fall zu beobachten. Es betraf das 20jährige, sehr anaemische Dienstmädchen S. K., das aus einer polnisch- jüdischen Familie, die von einer wahren Epidemie von Syphilis heimgesucht war, stammte. Ausser der Patientin waren nicht weniger als sechs andere Mitglieder mit acquirirter Syphilis behaftet, ein nicht gerade seltenes Vorkommniss in der poliklinischen Praxis. Sie kam zuerst am 7. Juni 1887 im Deutschen Dispensary in Behandlung.

Die Untersuchung ergab eine oberflächliche lineare Schrunde, die die Schleimhaut der Oberlippe, etwas rechts von der Medianlinie, einnahm, mit pergamentartiger Verdickung der Umgebung. Während die Sub- maxillardrüsen rechts etwas intumescirt waren, boten die der linken Seite normale Verhältnisse dar.

Die Schrunde, obschon sie nicht mehr das Charakteristische eines Initialaffectes darbot, konnte doch als eine im Involutionsstadium sich befindende Eingangspforte der Infection angesehen werden, eine An- nahme die durch da^ Fehlen anderer Symptome an der Mundschleim- haut Unterstützung fand. Ausserdem befand sich an beiden Oberex- tremitäten, aber ganz besonders auf der Beugefläche des Unterarmes, ein zerstreutes lenticuläres papulöses Syphilid. Nach Darreichung von Hydrarg. deuterojod. 0,06, Kali jodat 8,0, Aquae 180,0, dreimal täglich einen Esslöffel voll, gingen die Erscheinungen in drei Wochen vollstän- dig zurück.

Am 12. December stellte sich die Patientin wieder ein mit einer An- schwellung des rechten Knies, die nach ihren Angaben vor vier Tagen ohne veranlassende traumatische Momente sich vollständig schmerzlos entwickelte.

Die Untersuchung ergab eine weiche, pseudo-fluctuirende, der Pa- tella aufsitzende Geschwulst von der Grösse eines Hühnereies. Die darüber liegende Haut war leicht verschiebbar, doch etwas verdickt, aber von normaler Farbe. Es handelte sich somit um eine Affection der Bursa praepatellaris. Ausser dieser fanden sich an den Lippen und Tonsillen Plagues muqueses, und ein gross-papulöses Syphilid des rech- ten Beines, etwa 15 bis 20 Efflorescenzen, welche das Knie umgaben.

Allmälich stellte sich mit obiger Behandlung eine Abnahme der Schwellung ein, so dass am 3. Jan. 1888 die Begio praepatellaris normale Verhältnisse darbot.

Sichtet man das oben angegebene etwas spärliche Material, so be- stätigt es die Ansicht Keyes, der über die secundäre Form keine eigene Erfahrung besitzt, dass ein genaueres Studium noch manchen Fall dieser Erkrankungsform zu Tage bringen würde. Ja, wir glauben, dass viel- leicht noch mancher leicht erscheinende Fall von Schleimbeutelerkran- kung, dessen Entstehungswesen etwas räthselhaft ist, bei dem kein

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Trauma als nachweisliche Ursache eruirbar ist, sich auf eine syphilitische Belastung zurückführen lässt.

So weit unsere Kenntnisse bis jetzt reichen, ist als specielles Merkmal anzusehen der fast schmerzlose afebrile indolente Verlauf der Erkran- kung, so dass die Aufmerksamkeit der Patienten auf das Vorhandensein des Leidens gewöhnlich erst durch das Spann ungsgefühl und durch das durch die Geschwulst erzeugte Bewegungshemmniss erregt wird. Die so häufig bei syphilitischen Affectionen der Gelenke und Knochen ange- gebenen Schmerzen mit nächtlichen Exacerbationen, fehlen fast gänz- lich. Doch gibt es hier Ausnahmen, wie aus dem oben citirten Falle Finger's ersichtlich, wo beträchtliche rheumatoide Schmerzen sich ein- stellten.

Eine Praedilectionsstelle scheint es nicht zu geben. Von den acht Fällen, war die Häufigkeit des Befallenseins der Bursae folgende : Zweimal war der Sitz der Erkrankung die Bursa semitendinosa, einmal die semimembranosa, zweimal die praepatellaris, einmal die Bursa sub- cruralis, und zweimal die olecrani. Nur einmal war die Affection doppel- seitig, und zwar in der Bursa olecrani. Bezüglich des Geschlechts der Patienten, kam die Erkrankung, wo dieses erwähnt wird, sechsmal bei Männern und nur einmal beim weiblichen Geschlechte vor. Die Prog- nose ist eine äusserst günstige. Durch die verschiedensten antisyphi- litischen Behandlungsmethoden bildeten sich in nur wenigen Wochen die Erscheinungen zurück.

Wendet man sich zu den Tertiärerkrankungen der Schleimbeutel, so gestalten sich die Verhältnisse entschieden anders.

Ungleich der secundären, zeichnet sich diese Form durch einen äusserst chronischen Verlauf aus, der sich auf Monate lang erstrecken kann.

Nach der Zusammenstellung Keyes', die neben seinen Fällen, die von Petit, Velpeau und Moreau enthält, sind die Schleimbeutel der Knie- gegend die Praedilectionsstellen für diese Affectionen, und gilt dieses besonders für die mit diesen Leiden befallenen weiblichen Individuen.

Diese Zahlen weisen jedenfalls darauf hin, dass der durch häusliche Beschäftigungen auf diese Gegend ausgeübte Druck ein zu berücksich- tigendes Moment in der Hervorrufung des Uebels ist, eine Annahme, die sich durch das bekannte Axiom Tarnowsky's, dass bei Syphilitikern in den dem Keize exponirten Stellen specifisch syphilitische Producte sich entwickeln, Beobachtungen, die sich in den verschiedensten Phasen der Syphilis vervielfältigen lassen.

Zurückgehend auf die Berücksichtigung der uns beschäftigenden Tertiärform, so tritt sie nach der Keyes'schen Statistik zwischen I2 Jahre und 81 Jahre nach der Infection auf, also durchschnittlich innerhalb fünf Jahren. Sie befällt das männliche sowie das weibliche Geschlecht gleich häufig.

Klinisch stellt sich die Erkrankung als eine brettharte, scharf um- schriebene, schmerzlose, leicht bewegliche Geschwulst dar, die die betreffenden Schleimbeutel einnimmt, mit stellenweiser Fluctuation in

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derselben. Im Anfangsstadium bleibt die Haut erhalten. Wird eine antisyphilitische Behandlung eingeschlagen, so kann vollständige Rück- bildung eintreten. Sich selbst überlassen, folgt allmälich Erweichung der Geschwulst, die darüberliegende Haut nimmt eine bläulichrothe Verfärbung an, es bilden sich Fistelgänge aus, oder durch complete Necrose des Neoplasmas, Geschwüre mit charakteristischem Typus eines zerfallenen Gummas. Solches ist, in groben Zügen, das Bild wie es Keyes entwirft. Als typisches Beispiel dieser Affection darf wohl der folgende Fall, der kürzlich in meine Beobachtung kam, angesehen werden.

Anfangs Juli stellte sich die 28jährige Wittwe L. W. im Deutschen Dispensary mit einem acuten vesiculösen Eczem der Nackengegend ein. Zur selben Zeit klagte sie über einen Ausschlag an den Beinen, der seit drei Monaten bestand, sie aber sonst wenig belästigte. Die Untersuchung ergab ausser dem Eczem, eine runde ecthymatöse Efflorescenz mit infil- tirten, scharf umschriebenen, dunkeln, bläulich-rothen Rändern, an der oberen und inneren Fläche des rechten Beines direct unterhalb des Knies, und einen gleichartigen Ausschlag der Wade des linken Beines. Ausserdem liessen sich in der Kniegegend beiderseits vier derbe Ge- schwülste wahrnehmen.

Auf der rechten Seite sitzt, die Bursa praepatellaris einnehmend, eine halbkugeliche Geschwulst von der Grösse einer kleinen Orange, von äusserst derber, brettartiger Härte im oberen Theil derselben, während sie sich im unteren äusseren Quadranten mehr elastisch anfühlt. Unter- halb dieser, die Bursa infrapatellaris einnehmend, findet sich eine zweite Anschwellung von ähnlicher Beschaffenheit, aber bedeutend kleiner, an- nähernd der Grösse einer kleinen Wallnuss. Am linken Knie fanden sich fast gleiche Zustände, nur war die Geschwulst der Bursa praepatel- laris elastischer und kleiner wie die der anderen Seite, und die der in- frapatellaris erreichte nur die Grösse einer Haselnuss.

Die Nachforschung ergab, dass die Infection mit Syphilis sich etwa drei Jahre zurück datiren lässt, dass die Patientin während dieser Zeit mit diversen Symptomen der Syphilis behaftet war, unter Anderem eine Iritis syphilitica durchmachte, wegen welcher sie im Deutschen Hospital mit Quecksilbereinspritzung behandelt wurde. So weit sie sich besinnen kann, nahm die Schleimbeutelerkrankung vor etwa einem Jahre ihren Anfang, und zwar in der rechten Bursa praepatellaris. Die der linken Seite stellte sich etwa ein halbes Jahr später ein. Bezüglich des Be- ginns der kleineren Geschwülste kann die Patientin nicht Auskunft geben. Obschon sie ihre eigene Hausarbeit besorgte, war sie weder vor noch seit dem Entstehen der Erkrankung übermässig mit Schruppen be- schäftigt. Es wurden der Patienten dreimal täglich 15 Tropfen einer saturirten Lösung von Jodkali verordnet, mit der Anweisung, jeden zweiten Tag die Dosis um zwei Tropfen zu erhöhen. Ueber das Resul- tat der Behandlung zu berichten wäre noch verfrüht.

Vor fünf Jahren hatte ich Gelegenheit, einen hierher gehörigen Fall bei einer 35jährigen Frau zu beobachten. Hier war die rechte Bursa

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praepatellaris auch in eine brettartige fibröse Masse umgewandelt. Yon anderen Symptomen der Syphilis fanden sich exquisite oberfläch- liche Hautgummata des Beines und des rechten Ohrlappens. Mit grossen Dosen Jodkali, bis auf 3 Gramm dreimal täglich, liess sich nach zweimonatlicher Behandlung eine Abnahme der Härte und Schrumpfung der Geschwulst bis auf die Hälfte ihrer früheren Grösse nachweisen. Leider trat sie ausser Beobachtung ; ich hörte aber später, dass Zerfall der Geschwulst mit Geschwürsbildung eintrat.

Nicht immer halten die spät auftauchenden syphilitischen Schleim- beutelaffectionen den oben beschriebenen Typus der tertiären Form ein. Aehnlich wie bei manchen syphilitischen Gelenksaffectionen können einfach Ergüsse in die Schleimbeutel stattfinden, die sich rasch zurück- bilden, während die begleitenden luetischen Erscheinungen noch lange persistiren, oder Nachschübe der Syphilis continuirlich sich einstellen. Gewissermaassen ein Uebergangsstadium von der secundären zur teriären Form, illustrirt, möglicherweise, der folgende Fall.

Es betrifft den 34jährigen Maschinisten J. J., der zuerst am 14. April 1888 mit einem serpiginösen ulcerirenden tuberculösen Syphilid mit kranzförmiger Anordnung um beide Ellenbogengelenke, das schon seit 4 Monaten bestand, unter Beobachtung kam. Nach den Aussagen des Patienten fand die Infection Anfangs September 1885 statt, um welche Zeit er einen Schanker in Sulco retroglandularis acquirirte, und seitdem mit verschiedenen syphilitischen Manifestationen belastet war. Unter Darreichung von Jodkalium und der äusserlichen Anwendung von Emplast. hydrarg., involvirten sich einzelne Efflorescenzen und Hessen charakteristische Narben zurück, während andere längere Zeit Wider- stand leisteten. Am 7. Juli 1888, nachdem der Patient sich Wochen lang der Behandlung entzogen hatte, kam er zurück mit der Klage über Steifigkeit des rechten Knies, und Unvermögen das Knie voll- ständig beugen zu können. Bei der Untersuchung ergab sich : Knie- gelenk vollständig frei, kein Erguss im Gelenke, und keine Auftreibung der Knochen. Unterhalb der rechten Kniescheibe konnte man eine nicht scharf umschriebene, elastische pseudo-fluctuirende Geschwulst nach oben und innen der Tuberositas tibiae wahrnehmen. Durch die Flexion des Knies, welche bedeutend beeinträchtigt war, verminderte sich ihr Umfang, und schien eine Verschiebung nach beiden Seiten des Ligamentum patellae stattzufinden. Nach Ausschluss aller anderen Möglichkeiten schien es mir, dass ich es hiermit einer Affection der von verschiedenen Anatomen unter den Bezeichnungen Bursa subpatellaris, Bursa infragenualis tief unter dem Ligamentum patellae inferior sitzenden Schleimbeutel zu thun hatte. Bezüglich der Bursal- erkrankung, so war der Verlauf ein äusserst günstiger. Innerhalb vier Wochen waren durch die Darreichung von dreimal täglich 1 Gramm Jodkalium, und ohne irgend welche äusserliche Behandlung, normale Verhältnisse erreicht.

In anderer Beziehung gestaltete sich der Verlauf der Syphilis als ein höchst schwerer. Es fanden unter Anderem Knochenauftreibungen des

I

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Os frontis, der Ulna, und am 6. Juni dieses Jahres eine Synovitis des rechten Kniegelenkes, also derselben Seite, an der sich die Schleim- beutelerkrankung früher befand.

Eine eigenthümliche Erscheinung, die vielleicht nur auf einem aeci- dentellen Zusammentreffen beruht, ist, dass, in drei der vier Fälle, in der Nachbarschaft der befallenen Bursae, syphilitische Efflorescenzen sich befanden.

Zum Schlüsse möchte ich nochmals betonen, dass bei den Schleim- beutelerkrankungen, die nicht auf einer endzündlichen Basis ruhen, die Syphilis jedenfalls als pathogener Factor Berücksichtigung verdient, einen Anspruch, die sie möglicherweise mit einer anderen chronischen Infectionskrankheit, der Tuberculose, theilt. Eigenthümlich ist, dass zwei Beobachtungen von Habermaas, die in den Beiträgen zur klinischen Chirurgie unter der Kedaction von Bruns erschienen, und die unter dem Bilde des gewöhnlichen Hygroms der Bursa praepatellaris verliefen, und nach der Exstirpation sich von tuberculöser Natur erwiesen, wenig Beachtung fanden.

n.

Chirurgische Aphorismen.

Von

Db. F. Lange,

New Yobk. (Fortsetzung.)

Aus der Sprechstunde. Kleine operative Eingriffe.

Die operative Chirurgie in der Sprechstunde beschränkt sich aus be- greiflichen Gründen auf ein kleines Gebiet. Was eine länger dauernde Narcose oder die Buhe des Patienten unmittelbar nach der Operation erfordert, wird demselben nicht angehören dürfen, und im Allgemeinen wird es sich auch empfehlen, alle diejenigen Fälle auszuschliessen, in welchen eine Schädigung der Wundverhältnisse irgend welcher Art durch den Transport zu befürchten ist.

Jeder Arzt sollte darauf vorbereitet sein, solche kleine Operationen mit der nöthigen Sicherheit auszuführen, wenigstens insoweit, als dies die Vermeidung schädlicher Folgezustände betrifft. Leider vermisst man den kleinen Apparat der für eine halbwegs sichere Wundbehand- lung unerlässlichen Utensilien, Verbandgegenstände etc., noch fast in allen ärztlichen Sprechzimmern. Da fehlt es an einer Instrumenten- schaale ; der Gummischlauch, der als Drainrohr dienen soll, liegt irgendwo verstaubt in nächster Nachbarschaft des Eiterbeckens, wenn solches überhaupt vorhanden ; von aseptisch gehaltenen Schwämmen ist gar keine Kede ; selbst reine Handtücher sind nicht in genügender Zahl vorhanden und das Gläschen Catgut, aus dem schon wiederholt mit schmierigen Händen der Faden herausgezerrt und wieder hineinge-

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stopft wurde, und das Päckchen Borwatte oder Jodoformgaze, welches sich zwischen halb gereinigten Mutterspiegeln herumtreibt, sind die einzigen zweifelhaften Zeugen dafür, dass hier „antiseptisch" gearbeitet wird. Hunderte und Tausende solcher „Heilstätten" sind gewiss ergiebige In- fectionsheerde. Sie könnten von dem "Board of Health" mit dem- selben Recht geschlossen oder zwangsweise desinficirt werden, wie un- saubere Tenementhäuser.

Das würde freilich wenig fruchten. In den medicinischen Erziehungs- instituten muss den Jüngern des Aesculap eine überzeugungstreue An- hänglichkeit an die consequente Durchführung der Methode in ihrem kleinsten practischen Detail mit auf den Weg gegeben werden.

Unzweifelhaft hat sich in dieser Beziehung hier zu Lande in den letzten Jahren eine erfreuliche Wandelung zum Besseren vollzogen. Es sind namentlich jüngere Kräfte, welche, durch Eindrücke im Auslande beeinflusst, überall Verbesserung und modernen Fortschritt anstreben und verfechten. Man fängt an, in der Begründung und Handhabung medicinischer Lehrmittel einem höheren Ziele, der selbstlosen Förderung der Wissenschaft nachzustreben und es kann nicht ausbleiben, dass bei dem energischen Charakter des Amerikaners und seiner ausgezeichneten natürlichen Anlage für das ärztliche Fach, der amerikanischen Chirurgie eine beneidenswerthe Zukunft bevorsteht. In allen den zahllosen kleinen Canälen chirurgischer Thätigkeit wird mit der Zeit die Ueberzeugung zur Geltung kommen, dass auch hier die Sicherheit des Kranken unserm Handeln gebieterisch gewisse Formen auferlegt und damit wird das Maass dessen, was auch heute noch, gerade in kleinen Dingen, von den practischen Aerzten verdorben wird, auf ein minimales Maass herabge- drückt werden.

Indem ich mir die Freiheit nehme, einige der kleineren operativen Eingriffe zu besprechen, welche in der Regel von den Aerzten in ihrer "Office" vollzogen werden, hoffe ich durch einige practische Winke und Vorschläge die Anerkennung derer zu ernten, welche davon Ge- brauch zu machen der Mühe für werth halten sollten.

Zunächst einige Worte über die Excision von Fremdkörpern, inson- derheit abgebrochener Nadeln.

Der allgemeine Gebrauch der Teppiche, selbst in den Behausungen der Aermeren, verhilft hier zu Lande dem Arzte häufig dazu, seine Ge- schicklichkeit in der Extraction abgebrochener, in Fusssohlen oder Hände mehr weniger tief eingerannter Fremdkörper, besonders Nadeln, zu erproben. In den Wollhaaren der Teppiche liegt die Nadel oft schräg mit einem Ende nach oben gerichtet. Der einherschreitende Baarfüss- ler, oder die Person, welche die Säuberung besorgt, rennen mit Fuss oder Hand dagegen an. Die Nadel bohrt sich oft tief hinein und bricht meistens mehr oder weniger tief unter der Hautoberfläche ab. Das her- vorstehende Ende wird von den Patienten oder Angehörigen in der Regel hervorgezogen und fortgeworfen, so dass man gelegentlich im Zweifel darüber sein kann, ob noch ein Stück Nadel im Körper steckt. Durch Feststellung einer frischen Bruchfläche an dem extrahirten

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Stück würde letztere Annahme natürlich an Wahrscheinlichkeit ge- winnen.

Es ist bekannt, dass solche Fremdkörper reactionslos einheilen können und in einzelnen Fällen auch später keine Beschwerden veran- lassen. Ich kenne zwei sehr thätige Hausfrauen, von denen die eine ein ziemlich langes Stück einer Nähnadel in ihrem Daumenballen herum- trägt, die andere ein kürzeres Stück in einem Finger. Im Allgemeinen aber empfiehlt es sich, die Extraction prompt folgen zu lassen, so fern man allen Gefahren aus dem Wege gehen will, welche durch Infection oder Nervenirritation früher oder später gesetzt werden können.

Das ist oft recht einfach, gelegentlich aber auch nicht. Zudem täuscht man sich leicht hinsichtlich der Tiefe, in welcher man den Fremdkörper zu fühlen glaubt und wird in s inem Tastgefühl innerhalb der ange- legten Wunde leicht irre geleitet. Ich habe es schon gesehen, dass ge- übtere Chirurgen diese kleine Operation resultatlos versucht haben, auch waren eine Anzahl meiner diesbezüglichen Fatienten solche, bei denen andere Collegen ihre Kunst erfolglos erprobt hatt n, und bei einigen von ihnen hatten diese Versuche, ohne die nöthige Vorsicht aus- geführt, zu recht bedauerlichen Folgen Veranlassung gegeben. Ich selber werde nie vergessen, mit welchem Gefühl von Beschämung und Aerger ich den Bückzug antrat, als ich, bald nach abgelegtem Staats- examen, vergeblich ein abgebrochenes Nadelstück aus der Hand einer alten Dame zu excidiren bemüht gewesen war, welche aus Interesse für mich mit diesem Probestückchen für mein ärztliches Können auf die Beendigung meines Examens gewartet hatte.

Man nimmt diese kleine Operation unter künstlicher Blutleere und subcutaner Anwendung von Cocain vor, muss die Incision gross genug machen, um bequem sehen und tasten zu können, bei tiefer sitzenden Fremdkörpern also auch grössere Incisionen nicht scheuen. Man muss ferner einen Assistenten haben, welcher mit mehrzinkigen Wundhäck- chen die Weichtheile auseinander hält oder wenn nöthig, mittelst eines kleineren Schielhäkchens Sehnen, Gefässe oder Nerven bei Seite zieht. Selbstverständlich muss Alles in antiseptischem Sinne gut vorbereitet sein.

\ 1. Die Cocainlösung braucht bei künstlicher Blutleere, wo ihre Wirkung bekanntlich viel prompter und nachhaltiger ist, nicht stärker als 2procentig zu sein. Eine bis anderthalb Pravaz'sche Spritzen über die Ausdehnung der beabsichtigten Incision von mehreren Einstech- punkten aus vertheilt, genügen meist vollkommen. Es ist daran zu denken, dass der Fremdkörper manchmal in einiger Entfernung von der ursprünglichen Stelle der Verletzung sitzt. Meist verräth er sich durch eine beschränkte Härte, welche auf Druck empfindlich ist. Gelegentlich fühlt man eine Art weichen „Crepitus," welcher bei der Betastung durch Reibung des Fremdkörpers gegen resistentere Gewebe entsteht. Jedes „Herumwurzeln" im Dunkeln, in blu/enden Geweben, jedes bohrende oder gewaltsame Tasten namentlich von zu kleinen Einschnitten aus, ist ganz fehlerhaft, und beeinträchtigt den subtilen,

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sauberen und sicheren Gang, welcher für solche Operationen wünschens- werth und durchführbar ist. Die unliebsam sich vordrängenden Fett- trauben des Unterhautzellgewebes kappt man am besten ab. Manchmal hat man eine gute Führung an dem durch seine blutige Färbung sich markirenden Stichcanal des extrahirten Theiles der Nadel. Will man einmal zufühlen, so ist es rathsam, die Wundhäkchen zu entfernen, damit man in seinem Tastgefühl nicht beeinträchtigt wird. Manchmal gibt ein Gegendruck von der entgegengesetzten Seite der Extremität eine Andeutung durch Verschiebung des Fremdkörpers nach der Wunde zu, dann nämlich, wenn durch einen Interossealraum dieser Druck über- haupt zur Geltung kommen kann. Unter allen Umständen empfiehlt es sich, den Fremdkörper zu sehen, bevor man ihn zu extrahiren ver- sucht, was mittelst einer anatomischen Pincette oder Kornzange geschieht. So feine Körper unter der Leitung des tastenden Fingers sicher zu fassen, ist ganz und gar nicht leicht, auch empfiehlt es sich bei zerbrechlichen Körpern, z. B. Glassplittern oder Holzsplittern, das Instrument sorgfältig im richtigen Durchmesser anzulegen, um Ab- gleiten und Abbröckeln zu verhüten. Manchmal stecken Nadeln so fest im Periost oder den tiefen Fascien, dass einige Kraft zu ihrer Extraction erforderlich ist. Ich habe es einmal gesehen, dass durch die Sohle eines Schlafschuhes hindurch die Nadel sich fest in den Ballen der grossen Zehe hineingerannt hatte. Bei Holzsplittern erlebt man manchmal förmliche Ueberraschungen in Bezug auf die Länge und Mächtigkeit des Fremdkörpers.

Desinfection und Verband beschliessen die Operation. Die Blutung muss natürlich sorgfältig gestillt sein. Naht brauche ich nicht in diesen Fällen. Jodoformgazecompressen und Pflasterstreifen genügen stets für lineare Vereinigung. Die ersten Secrete sollen aus Wunden, bei denen man an die Möglichkeit einer Infection durch die ursprüngliche Verletzung denken muss, womöglich ganz ungehindert an die Ober- fläche kommen können. Sind Sehnen oder Gelenke verletzt, so immi- bolisire man für die ersten Tage, bis man sicher ist, dass keine Störung im Wundverlauf eintritt. Bei bereits vorhandener Eiterung tritt die offene antiseptische Wundbehandlung in ihre Rechte.

Bei Befolgung dieser Kegeln wird man meistens glatt und sicher zum Ziele kommen. Ihre Vernachlässigung rächt sich fast immer, ent- weder durch unmittelbare Erfolglosigkeit des Bemühens oder, bei un- genügender Befolgung der Antisepsis, durch die dabei erfolgende Infection. In der Regel ist dasjenige Gift harmloser, welches dem Fremdkörper anhaftet, als dasjenige, welches an unsaubern Fingern, Instrumenten und Schwämmen der Wunde eingeimpft wird ; und wenn man es gesehen hat, wie im Gefolge solcher Versuche schwere chirur- gische Eingriffe nöthig wurden, ja Glied und Leben verloren ging, so wird man sich berechtigt fühlen zu betonen, dass der Arzt durch sein chirurgisches Vorgehen in solchen kleinen Dingen wenigstens nichts verderben soll, und dazu gibt ihm unsere heutige Chirurgie Mittel und Anleitung.

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Die Operation des eingewachsenen Nagels wird auch von jedem practischen Arzte erwartet und ausgeführt, nicht selten aber irrationell und schlecht. Sie wird hier zu Lande, besonders bei Frauen, oft noth- wendig, denn die Zierde der amerikanischen Frau in Gestalt kleiner Fuss.' beruht meiner Erfahrung nach nicht so sehr auf einer natür- lichen Mitgift, als auf dem Gebrauch von Schuhzeug, welches unter liberaler Begünstigung des Entstehens von "bunions," "corns" und " ingrown nails " den Fuss in zierliche Formen zwängt. Ein ganzes Heer von „Chiropodisten" dankt dieser Culturkrankheit seine Existenz. In der Regel ist die Behandlung des einwachsenden oder eingewachsenen Nagels die, dass die gegen die heraufgepressten Weichtheile an- gedrängte Nagelkante mehr weniger tief abgetragen wird. Das muss natürlich in regelmässigen Zwischenräumen wiederholt werden, und viele Leute der „fashionablen Welt" erhalten von dem Chiropodisten ebenso regelmässige Besuche wie von dem Barbier oder der Friseuse. Die Dienstmädchen, welche den Regungen der Eitelkeit übrigens kaum weniger zugänglich sind, liefern auch ein reichliches Contingent, über- nehmen aber die Functionen des Chiropodisten meistens selbst, da ihre Mittel es ihnen nicht anders gestatten, erreichen indessen im Wesent- lichen das Gleiche, nämlich, dass bei dem Fortbestande des Druckes, der verkürzten Nagelkante in immer engeren Grenzen ein Fleisch wall entgegengetrieben wird, in welchen der wachsende Nagel hineindringt, wenn er nicht bei Zeiten wieder abgeknipst wird.

Einer ganzen Reihe von Patienten, welche nach vergeblichen ander- weitigen Bemühungen Heilung zu finden, behufs Operation zu mir kamen, habe ich dieselbe ersparen können, sofern das Leiden nicht zu weit vorgeschritten war. Ist es noch einigermaassen möglich, um die tief versteckt liegende Nagelkante herumzukommen, so wird die trockene antiseptische Behandlung des ulcerirten Schlitzes, am besten mit Wismuth und mit Einführung einiger Fäden antiseptischer Gaze unter den Nagelrand mit der Zeit zum Ziele führen. Ich benutze für diese oft recht empfindliche Procedur ein schmales, an der Spitze leicht auf die Fläche gekrümmtes Spatelchen. Der Zwischenraum zwischen Nagel und Weichtheilwulst wird dann leicht mit antis. Watte aus- gestopft, und eine kleine Wattecompresse mit Pflaster so über dem Wulst befestigt, dass derselbe leicht herabgedrückt wird. Die Pflaster- streifen verlaufen schräge und umfassen nicht die ganze Peripherie der Zehe. So ein Verband kann bald 8, ja 14 Tage liegen bleiben. Mit zunehmender Vernarbung und abnehmender Schwellung der Weich- theile wächst der Nagel allmälich vor. Man kann ihn leichter hand- haben, die Hebung mittelst Unterstopfens wirksamer besorgen und schliesslich dem Patienten das Weitere selbst überlassen. Die Vor- schrift, dass der Nagel stets quer abgetragen werden soll, versteht sich von selbst.

Ist eine blutige Operation nothwendig, so verfahre ich, ohne irgend- wie Priorität zu beanspruchen, mit bestem Erfolge so : Der Patient wird angewiesen, nach wiederholten Fussbädern und desinficirenden

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Umschlägen, mit bequemen Pantoffeln versehen sich in der Office einzu- finden. An der Basis der Zehe wird behufs künstlicher Blutleere ein dünnes Drainrohr umgelegt. Die 2% Cocainlösung wird zunächst dicht an der Wurzel des Nagels in den Fleischwulst injicirt. Die folgenden Einspritzungen sind schmerzlos, so lange man sich in der Peripherie der Wirkungszone dieser ersten Injection hält. Der Patient braucht in der That nur den ersten Einstich mit der Nadel zu empfinden. Nun wird in sehr ausgiebiger Weise die ganze seitliche Fleischmasse im Bereich des Nagelrandes und darüber hinaus entfernt, so dass derselbe von vorne bis hinten in einer Wunde frei liegt, deren unterer Band mit dem entsprechenden volaren Kande der grossen Zehe zusammenfällt. Man soll nicht glauben, dass damit zu viel gethan ist. Die Weichtheile ergänzen sich bis zu einem gewissen Grade in überraschender Weise. Von dem Nagel selber wird nichts weggeschnitten, dagegen wird der noch vorhandene ulcerirte Best des Nagelbettes gründlich mit einem kleinen scharfen Löffel abgekratzt, mit Sublimat 1 : 1000 abgetupft und mit Jodoformäther beträufelt. Gleich jetzt werden einige Fäden Jodo- formgaze unter den Nagelrand herunter gelegt.

Es blutet nach dieser Operation manchmal ganz gehörig, so dass man gelegentlich einige der, in Folgv3 des langen Bestandes der Ent- zündung dilatirten Arterien unterbinden muss. Ein Jodoformvertyand mit einem Stückchen oiled Silk oder Bubber-tissue als Deckmittel un- mittelbar über der Wunde beschliesst die Operation. Für den Trans- port legt man eine schmale Musselinbinde etwas fest um, mit der Wei- sung dieselbe unmittelbar nach der Ankunft zu Hause abzunehmen. In der Begel ist den Patienten das Feuchthalten eines solchen Verban- des, welcher 4 6 Tage liegen bleiben mag, angenehm. Er wird bald vom Blnt durchtränkt, braucht aber desshalb nicht entfernt zu werden. Das Jodoform oder Bismuth auf der Wunde selbst hält dieselbe voll- kommen aseptisch. Bei dem Erscheinen der Granulation kann man zu einem Salbenverband übergehen, der mechanischen Behandlung des Nagelrandes stets Bechnung tragend. Es ist auffallend, wie sich trotz des grossen Wegfalls von Weichtheilen mit der Vernarbung die nor- malen Formen herstellen. Der Kranke schwört den Meineid, dass er nie wieder unzweckmässiges Schuhzeug tragen wird und wird aus der Behandlung entlassen.

Ich unterlasse es, die zahlreichen anderweitigen für die Operation des eingewachsenen Nagels empfohlenen Methoden zu besprechen. Ich halte die erwähnte für stets anwendbar, gleichmässig wirksam und für die schonendste. Der Nagel behält oder erhält seine normale Form und findet fernerhin für sein berechtigtes Wachsthum kein Hinderniss. Einige Wochen vergehen gleichwohl bis zur völligen Heilung, aber im Laufe der zweiten Woche kann der Patient in der Begel seine Beschäf- tigung ohne wesentliche Belästigung aufnehmen. Dann empfiehlt es sich, die Wunde unter einem nicht irritirenden Pflasterstreif verband (ich brauche meist Emplastr. cerussae) zu halten. Das hier beliebte Salicylpflaster eignet sich wahrscheinlich gleich gut.

ni.

Ueber die Behandlung des acuten und subacuten Gelenksrheumatisinus.*)

Von

Dr. L. Weber,

New Yokk.

Meine Herren ! Sie werden mir erlauben, zur Vervollständigung unseres Themas auch die Aetiologie des Rheumatismus mit in die Dis- cussion hereinzuziehen.

Der acute Gelenksrheumatismus ist eine durch Fieber, Gelenks- affection, Herzerkrankung und verschiedene Complieationen wohl- charakterisirte Krankheit und hat eine bestimmte Aetiologie und Pathogenese. In Bezug auf die Modifikation der älteren Ansichten über die Entstehung des Rheumatismus sind es zunächst die Arbeiten von Immermann, Edlefsen, Friedländer und ihrer Schüler gewesen, welche nach der Richtung einen bedeutenden Einfluss ausgeübt haben. Wir können heute sagen :

1. Polyarthritis rheumatica ist keine Erkältungskrankheit.

2. Sie gehört zur Classe der miasmatisch-infectiösen Erkrankungen, ist gelegentlich epidemieartig, und steht die Zahl der jeweiligen Er- krankungsfälle in umgekehrtem Verhältniss zur Masse der Nieder- schläge.

3. Sie ist nicht selten auch eine Hauskrankheit.

Es kann bei Rheumatismuserkrankung eines der drei Hauptsymp- tome fehlen und dennoch handelt es sich um Rheumatismus. So z. B. beim acuten Muskelrheumatismus, bei acuter Endocarditis oder Peri- carditis sero-fibrinosa, welche gelegentlich ohne Gelenkserkran- kungen auftritt, ferner auch bei manchen Fällen von Chorea, wenn sie auch nicht im Anschluss an Rheumatismus sich entwickelt hat. Weiter noch haben wir durch Immermann eine larvirte Form des Rheuma- tismus kennen gelernt, nämlich die Neuralgia rheumatica im Gebiete des Trigeminus, Ischiadicus, Accessorius Willisii u. s. w. So hatte ich erst vor drei Monaten Gelegenheit, einen Herrn in der Mitte der 50er Jahre und von kräftiger Constitution zu behandeln, der schon häufig an Rheumatismus und gelegentlichen Anfällen von Gicht gelitten hatte. Er wurde von heftigen Schmerzen in der linken Seite des Nackens im

*) Einleitung einer Discussion in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 3. Juni 1889.

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Gebiete des Accessorius Willisii, sowie von ähnlichen Schmerzen im linken Trigeminusgebiete Wochen lang geplagt. Verschiedene andere Mittel wurden ohne Erfolg angewandt und erst auf eine energische Cur mit salicylsaurem Natron wurde rasch eine Besserung und eventuell eine Heilung herbeigeführt.

In Bezug auf die Aetiologie der Neuralgien gehtEdlefsen noch einen Schritt weiter und sagt, dass seine Erfahrungen ihn veranlassen anzu- nehmen, dass alle Neuralgien, mit Ausnahme der durch Erkrankung des Centrainervensystems, Meningitis, Syphilis oder Intermittens her- vorgerufenen, rheumatischen Ursprungs seien. Auch Urticaria wird von Friedländer und einigen anderen als eine rheumatische Erkrankung betrachtet ; jedoch sind meine Erfahrungen in Bezug auf die Beobach- tung und Behandlung dieses Leidens nicht mit einer solchen Ansicht übereinstimmend, indem ich mich keines einzigen Falles von Urticaria aus meiner Praxis entsinne, in dem ich durch Anwendung von Salicyl- säure oder anderer antirheumatischer Präparate nennenswerthe Erfolge erzielt hätte.

In Bezug auf Scharlachrheumatismus sind die Ansichten noch getheilt. Immermann und seine Anhänger sind gewissermaassen Uni- cisten, insofern als sie annehmen, dass das Scharlachvirus eben auch die rheumatischen Erscheinungen hervorbringe, während Edlefsen und andere die Sache dualistisch auffassen, also den Scharlachrheumatismus mit der Polyarthritis rheumatica identificiren unter der Vorstellung einer Mischinfection. Unter den vielen Fällen von Scharlach, welche ich im Laufe der Jahre gesehen und behandelt habe sind so wenig rheumatische Complicationen von mir beobachtet worden, dass diese negative Erfahrung mich veranlasst, mich auf die Seite Edlefsen's zu stellen, weiterhin aber auch die therapeutischen Resultate insofern, als die rheumatischen Erkrankungen im Verlaufe des Scharlachs immer auf salicylsaures Natron etc., sich besserten, geradeso wie die gewöhn- lichen Formen von Polyarthritis rheumatica.

Auf den ersten Blick hätten wir somit, meine Herren, eine scheinbare Erweiterung des Gebietes des Rheumatismus. Jedoch ist dem nicht so, wenn wir von Rheumatismus abtrennen, was eben nicht dazu gehört, und es gehört nicht zu Rheumatismus :

1. Die vielen schmerzhaften Affectionen des Bewegungsapparates, welche auf Erkältung beruhen.

2. Manche Neuralgien und Paralysen motorischer Nerven. So hat denn auch Erb und Immermann, um die Sache kurz und bündig zu be- zeichnen, das Wort „refrigeratorisch" für solche Erkrankungen vorge- schlagen, so dass wir von einer Myositis, Myalgia, Paralysis facialis refrigeratoria sprechen können.

3. Robin's Pseudorheumatismus, d. h. die oft Tage und Wochen dauernden schmerzhaften Empfindungen in den Muskeln mit Beein- trächtigung der Gebrauchsfähigkeit derselben nach vorausgegangener Ueberanstrengung.

Endlich die rheumatoiden Complicationen der Gonorrhoe, der chro-

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nischen Bronchitis, Bronchiectasie, Haemophilie und die Purpura oder Peliosis rheumatica, welche schon von Senator (v. Ziemssen's Encyelo- paedie, Bd. XIII, 1) vom Rheumatismus getrennt wurde.

Aus einer Reihe von Fällen von Purpura, die in meiner Behandlung waren, will ich nur den Fall eines Mannes von circa 50 Jahren erwähnen, der mit ausgebreiteter Purpura und Empfindlichkeit in der Lebergegend, mässigem Fieber, mit Gallenfarbstoff im Urin, Ver- dauungsstörungen und rasch fortschreitender Abmagerung ziemlich schwer darniederlag. Es handelte sich hier um eine entzündliche Hypertrophie der Leber, welche nach 4 5 Monaten der Schrumpfung anheimfiel und nach anderthalb Jahren nach dem ersten Auftreten der Purpura an gerechnet den Exitus letalis veranlasste. Ferner den Fall eines Mädchens von 22 Jahren, welches sonst gesund und beinahe blühend aussehend an Purpura mit rheumatoiden Schmerzen in den Gelenken der unteren Extremitäten erkrankte und mehrere Monate ab und zu davon zu leiden hatte. Weiter den Fall eines Constitutionen syphilitischen Mannes von ungefähr 36 Jahren, bei welchem die Purpura nach einer etwas energisch geleiteten Inunctionscur auftrat. Endlich noch eine Anzahl von Fällen von Purpura ganz massigen Grades, welche ich bei neurasthenisch-anaemischen Menschen beobachtete. In * allen diesen Fällen nützte antirheumatische Behandlung absolut nichts, während eine constitutionelle roborirende Behandlung mit Luftver- änderung und dgl. in vielen Fällen zum Ziele führte.

Betreffend die Aetiologie der Erkrankung (an Rheumatismus) haben die bacteriologischen Untersuchungen bis heute nur negative Resultate ergeben. Besser sieht es dagegen mit den Erfahrungen, welche nach der Richtung durch die klinischen Beobachtungen Edlefsen's angebahnt wurden. In seinem Vortrag über den Gegenstand auf dem Vierten Congress für innere Medicin> 1885, liess er allerdings die Erkältungs- theorie für Laryngitis, Bronchitis u. s. w. volle Gerechtigkeit wider- fahren und stellte den Einfluss der mittlem Monatstemperatur auf die Häufigkeit solcher Fälle fest, während er den Temperaturschwrankungen durchaus keinen Einfluss auf die Entstehung des Rheumatismus zu- messen konnte. Hier handelte es sich seiner Ansicht nach darum, dass das jedenfalls organische Gift der Krankheit, das im Untergrund der Häuser und vorzüglich grosser Häuser sich befindet, bei Abnahme der Niederschläge und Feuchtigkeit des Bodens frei wird und durch die Luftströmungen in die Wohnräume der Häuser getragen wird, so dass man von einem Rheumatismushaus in der That sprechen kann, wo mehrere Individuen, in verschiedenen Etagen des Hauses wohnend, von der Krankheit leiden. Nicht selten beobachtete er auch, dass in sol- chen, für die Entwickelung des Rheumatismus günstig gelegenen Orten auch in Nachbarhäusern rheumatische Erkrankungen vorkamen. Die Erkältung, d. h. die plötzliche Abkühlung eines bestimmten Körper- theils, kann wohl eine Myalgie, eine Myositis oder eine Facialisparalyse machen, wie Erb und Immermann nachgewiesen und wofür sie eben die Bezeichnung „refrigeratorische Erkrankung" vorgeschlagen haben,

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aber niemals eine Erkrankung wie die Polyarthritis rheumatica, welche in allen wesentlichen Punkten einer Infectionskrankheit entspricht. Edlefsen wurde damals schon von Jürgensen und Friedländer in der Debatte, die sich über seinen Vortrag entspann, kräftig unterstützt, wie auch später Gerhardt, Hirsch, Mantel, Feltkamp und andere mit seinen Ansichten übereinstimmten.

Was meine Fälle von Polyarthritis rheumatica betrifft, so ist die Mehrzahl derselben im Februar und März, und wieder im Juli, August und September zur Behandlung gekommen. Die meisten derselben und die schwersten betrafen Metzger, Spezerei- und Gemüsehändler, Marktleute und Wirthe. Bei Sichtung meines Materials möchte es auf den ersten Blick erscheinen, als ob das häufige Vorkommen des Rheu- matismus unter dieser Art Leute, die ja in der That häufigen Erkäl- tungen ausgesetzt sind, die alle Erkältungstheorie in Bezug auf die Entstehung der Krankheit stützen. Sehen wir jedoch genauer zu, so finden wir, dass die genannten Geschäftsleute zumeist in Gegenden und Häusern wohnen, welche für die Entwicklung des rheumatischen Virus günstige Bedingungen in sich beherbergen. Es ist nicht zu leugnen, dass häufige Erkältungen eine Prädisposition zu Rheumatismus in dem betreffenden Individuum schaffen mag, wie es ja auch gut beobachtete Fälle gibt, die zeigen, dass der Gelenksrheumatismus auf ein Trauma hin, u. z. zunächst in dem von dem Trauma betroffenen Gelenke aus- bricht.

Acceptiren wir diese modernen Anschauungen und geben dem Rheu- matismus seinen Platz in der Gruppe der miasmatischinfectiösen Krank- heiten, so wird die Pathogenese desselben sofort verständlich. Es findet hier ein Gift seinen Weg in den Körper, welches einmal, u. z. häufig die Gelenke, und andere Male das Endo- oder Pericardium, wieder ein anderes Mal die Muskeln, Nerven etc. vorzugsweise afficirt.

In Bezug auf die Therapie, m. H., hätten wir auf Grund der mit- getheilten Erfahrungen zunächst eine gewisse Prophylaxis zu üben. Assanirung des Bodens, gute Ventilation und Trockenlegung der Kellerräurne etc. sind gewiss Maassregeln, die in vielen Fällen Berück- sichtigung verdienen, wie es denn auch bekannt ist, dass manche Fälle von Rheumatismus nicht zur Heilung gelangen, so lange sie in dem Hause, in welchem sie entstanden sind, verbleiben. In Bezug auf die Therapie der Krankheit habe ich Ihnen nichts Neues mitzutheilen, und folge ich in dem, was ich zu sagen habe, meinen eigenen Beobachtungen. Da ist es mir zunächst aufgefallen, dass die meisten von meinen rück- fällig werdenden Rheumatisrnuspatienten diejenigen sind, welche Herz- affectionen von Rheumatismus davongetragen haben, und habe ich eine ganze Reihe von solchen Fällen gesehen, welche in Abständen von 3 und 4 Jahren wiederholte Anfälle von Polyarthritis rheumatica durch- machten.

Stellen wir uns zunächst die Frage, ob es vernünftig sei, einen frischen und mässig intensiven Fall von acutem Gelenksrheumatismus expectativ zu behandeln, so glaube ich müssen wir dieselbe mit Nein

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beantworten, nicht nur desswegen, weil wir gezwungen sind, dem sehr schmerzhaft afficirten Kranken möglichst Erleichterung zu verschaffen, sondern auch, und vorzüglich desswegen, weil die Erfahrung lehrt, dass die Krankheit, sich selbst überlassen, gewöhnlich sich in die Länge dehnt und nur zu häufig das Herz in Mitleidenschaft zieht. In älterer Zeit gab ich im acuten Stadium die Alkalien mit und ohne Chinin, je nach der Höhe des Fiebers. Stark geschwollene und schmerzhafte Ge- lenke belegte ich mit Blasenpflastern. Hatte das Fieber den Kranken verlassen und wurden die Exsudate nicht rückgängig, so verordnete ich eine Mixtur, welche Jodkalium, Liquor Kali carbonici und Tinctura seminum colchici in entsprechenden Quantitäten enthielt und längere Zeit, und zwar meistens mit gutem Erfolge vom Patienten genommen wurde. Die Introduction der Salicylpräparate habe ich, wie Alle, mit Freuden begrüsst, und man darf wohl sagen, dass wir heute im salicyl- sauren Natron eine Art Specificum für die meisten Fälle von Polyar- thritis rheumatica haben. Ich verschreibe das Natron salicylicum gewöhnlich mit Natron bicarbonicum zusammengemischt in £ bis 1 Grammdosen, je nach dem Alter des Falles, 2- bis 3stündlich Tag und Nacht, bis die acuten Erscheinungen verschwunden sind und sich die Patienten in beinahe normalem Zustande befinden. Dies wird zumeist in 4 bis 5 Tagen erreicht. Lässt mich das salicylsaure Natron im Stiche, so versuche ich es mit Antipyrin oder mit Salol, ebenfalls in \ bis 1 Grammdosen, aber nicht öfter als alle 3 bis 4 Stunden gegeben. Mit Antifebrin habe ich in der Richtung hin keine Erfahrung. Von Phenacetin in £ Grammdosen habe ich wohl bei Neuralgien, von denen wohl manche rheumatischen Ursprungs gewesen sein mögen, Erfolge gesehen, in Fällen von Polyarthritis rheumatica jedoch nicht. Interes- sant in der Richtung ist ein Fall, den ich im März d. J. zu behandeln Gelegenheit hatte. Er betraf eine Frau in den mittleren Jahren, welche seit Jahren in dem Marktgeschäft ihres Mannes als Buchhalterin fun- girte. Sie erkrankte Anfangs März mit Pneumonie, welche abgesehen von ziemlich hohem Fieber, nichts Auffallendes darbot und binnen 10 Tagen in Reconvalescenz überging, unmittelbar darauf, und ohne dass Patientin ihr Zimmer, ja sogar ihr Bett verlassen hatte, trat bei ihr eine regelrechte und heftige Polyarthritis rheumatica auf, bei wel- cher die Knie- und Fussgelenke der unteren Extremitäten, später die Handgelenke und ein Ellenbogengelenk ergriffen wurden. Patientin hatte nebenbei bemerkt schon früher einen Anfall von Polyarthritis rheumatica ohne Endocarditis, und auch diesmal ist das Herz glück- licherweise verschont geblieben. Weder salicylsaures Natron, noch Antipyrin, noch Phenacetin waren hier von Erfolg, dagegen besserte sich Patientin auf Salol, anfangs in den ersten zwei Tagen alle drei Stunden Tags über, in den darauffolgenden drei Tagen alle vier Stunden Tags über, und war damit die Reconvalescenz eingeleitet, die bald in vollständige Genesung überging. Ich darf nicht vergessen zu er- wähnen, dass ich gleichzeitig mit der Salolverordnung die afficirten Gelenke mit mässig grossen Blasenpflastern eines nach dem andern

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bedecken Hess. Es schien niirj wie in so manchen anderen Fällen, dass die Resorption der Exsudate und die Wiederherstellung der Beweg- lichkeit der Gelenke rascher von Statten ging, als es wohl ohne die- selben der Fall gewesen wäre.

In den Fällen von subacutem und chronischem Gelenksrheuma- tismus, die in meine Behandlung kamen, habe ich, wenn nicht schon Natron salicylicum gegeben worden war, die Kur mit demselben zunächst eingeleitet und es eine Woche lang in dreistündlichen Tages- gaben von 1 Gr. bis 1| Gr. nehmen lassen. Unmittelbar darauf bin ich mit der oben angegebenen Mixtur von Jodkalium, Liq. Kali carbon. und Colchicum in kräftigen Dosen vorgegangen, und habe ausserdem Massage, nasse Einpackungen und immobilisirende Verbände ver- wendet, wo es sich um die Entfernung von alten Exsudaten und Ge- lenkssteifigkeiten handelte. Meine Resultate in der Behandlung solcher Fälle waren häufig zufriedenstellende und waren selten Fälle unter den subacuten und chronischen Formen, in welchen eingreifendere chirurgische Behandlung nothwendig wurde.

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MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord- Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBEKT.

Die mechanische Behandlung des Unterleibstyphus.

Vor mehreren Jahren machte der Schreiber dieses in einer Sitzung der Deutsch. Med. Gesellschaft der Stadt New York den Vorschlag, die Magen- und Darmausspülung bei Abdominaltyphus zu benutzen, da es doch hauptsächlich darauf ankomme so viel Typhuskeime wie möglich so rasch wie thunlich aus dem Verdauungscanal herauszubefördern. Das mitleidig-überlegene Lächeln der älteren und das verlegen-discrete Schweigen der jüngeren anwesenden Mitglieder, bewiesen, dass diese Idee der gelehrten Versammlung „als die unreife Frucht eines unwissen- schaftlichen und unreifen Denkens" erschien, und somit war die Sache abgethan. Der Mangel eines geeigneten Materials von Typhuskranken in den letzten zwei Jahren verhinderten, dass einschlägige Versuche an- gestellt wurden.

Mit besonderer Freude und Genugthuung können wir nun hier auf den Bericht von Backhaut, „Ueber die Behandlung des Typhus abdomi- nalis mit Darminfusion von Tanninlösung" (Deutsch. Med. Woch., 18. Juli 1889) aufmerksam machen, welche Behandlungsmethode auf der Mosler'schen Klinik in Greifswald einer eingehenden Prüfung unter- zogen wurde.

Die directe Veranlassung für die Versuche mit diesem Mittel boten die günstigen Erfolge, welche Professor Cantani (Verhandl. des 7. Con- gresses f. inn. Med., Wiesbaden, J. F. Bergmann, p. 166) mit der Infusion von Tanninlösung bei der Cholera asiatica erzielt hat. Von 162 Cholera- kranken wurden 83 auf die angegebene Weise behandelt, welche alle genasen, während von den übrigen 79 nur 45 genasen und 34 starben.

Die Zwecke dieser Behandlung sind, den Darmcanal von Infections- stoffen zu reinigen und durch das Tannin desinficirend zu wirken. Da nun von Mosler und Dammann angestellte Versuche es höchst wahr- scheinlich machen, dass die in den Darm eingespritzte Flüssigkeit die Bauhin'sche Klappe passirt, und Cantani „experimentell die Ueber- zeugung gewonnen hat, dass die Flüssigkeit in nicht seltenen Fällen bis in den Magen dringt11, so wird uns die günstige Wirkung dieser Behandlung sofort klar, da ja meist der Hauptsitz der Typhusgeschwüre und dem- nach auch der Lieblingsaufenthalt der Typhuskeime in den Wandungen

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und an der Schleimhautoberfläche des Ileum adhaerirend, sich vor- findet.

Bei erwachsenen Typhuskranken wurden nun auf der Mosler'schen Klinik zuerst zwei Tage lang dreimal täglich 0,3 Calomel gegeben, bis reichliche Darmentleerungen von typhöser Beschaffenheit stattgefunden hatten. Dann wurde innerlich Salzsäure verabreicht und zweimal täglich eine Darminfusion von Acid. Tannic. 10,0 = Aq. comm. 2000,0 bei Rückenlage der Patienten langsam gemacht.

Die Resultate dieser Therapie nun waren, dass der Verlauf der so behandelten Fälle meist ein milder war, dass zwar die Höhe der Tem- peraturen anscheinend nicht beeinflusst wurde, dagegen das Wohlbe- finden der Patienten gehoben und die meist profusen Diarrhoen in wenigen Tagen so verschwanden, dass nur zweimal täglich nach jeder Eingiessung der Stuhlgang erfolgte.

Es bedarf natürlich einer grösseren Anzahl von so behandelten Fällen, um dieser Methode einen besonderen Werth zuzuschreiben. Niemand aber könnte die so gemachten Darmirrigationen bei unserer heutigen Kenntniss des Typhus anders als vernünftig und zeitgemäss bezeichnen.

Die, bei dieser Therapie zu überwindende vorwiegende Schwierigkeit, scheint uns die Bauhin'sche Klappe zu sein. Dringt nur sehr wenig oder garnichts von der eingespritzten Flüssigkeit in den Dünndarm, so kann folglich der Nutzen der Darmeingiessungen nur ein sehr unter- geordneter sein. Selbst geringe Mengen von medicamentösen Flüssig- keiten würden wenig nützen, da unserer Ansicht nach die regelmässig wieder und wieder vorgenommene Reinigung der erkrankten Darmpartie den Hauptwerth dieser Behandlung in sich birgt.

Dass in den Dickdarm gespritzte Flüssigkeit in manchen Fällen sehr rasch durch das ganze Darmrohr in den Magen gelangt ist sicher. Erst kürzlich berichtete Dr. G. Lang mann über ein derartiges Vorkommniss bei einer Hysterischen auf der inneren Station des Deutschen Hospitals in New York. In das Rectum eingespritzte gefärbte Flüssigkeit konnte binnen 10 Minuten im Magen nachgewiesen werden. Man war derartig von dem Vorhandensein einer perforirten Magen- und Dickdarmverlöthung überzeugt, dass die Laparotomie gemacht wurde, welche dann ergab, dass Magen und Därme peritonaeal durchaus nichts Abnormes zeigten. Was nun konnte die schnelle Ueberf ührung der Flüssigkeit vom Rectum in den Magen bewerkstelligen? Doch nur eine abnorm-gesteigerte Antiperistaltik des ganzen Darmrohres. Und das gibt uns den Finger- zeig auf welche Art und Weise wir Flüssigkeiten in grösseren Mengen in das Ileum bringen können. Eine vorzügliche und zugleich unschäd- liche Methode antiperistaltische Bewegungen hervorzurufen haben wir nun in der Magenausspülung.

Wir möchten daher wiederum vorschlagen die Darmeinspritzung mit der Magenausspülung beim Abdominaltyphus zusammen zu machen, der- artig, dass, nachdem das in den Darm eingespritzte Wasser die Nähe der Bauhin'schen Klappe erreicht hat, mit der Magenausspülung ange- fangen wird, um so die nun entstehende Antiperistaltik im richtigen

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Moment zu benutzen. Die zweimal täglich vorgenommene Reinigung des Magens Typhöser kann auch in anderer Hinsicht nur Nutzen schaffen.

Sollte dieser Vorschlag auch hier unbeachtet bleiben, so hoffen wir doch, dass derselbe später von mehr authoritativer Seite anderweitig als neue Methode das Licht der Welt erblicken möge.

Kochsalz und Bacterien.

In der „Münchener Med. Wochenschrift", vom 16. Juli, 1889, finden wir einen vorläufigen Bericht „lieber die Einwirkung gesättigter Koch- salzlösungen auf pathogene Bacterien", von Prof. Dr. J. Förster, in Amsterdam. Der Verfasser hat mit Dr. de Freytag eine Reihe von Ver- suchen im obigen Sinne gemacht und gibt, trotzdem dieselben noch nicht beendigt sind, aus practischen Gründen schon jetzt seine Resultate an.

Zunächst hielt er es für richtig das im gewöhnlichen Leben als „Ein- pökeln" bekannte Verfahren, auch bei seinen Experimenten nachzu- ahmen. Es wurden Culturen bestimmter Bacterien, die auf festem Nährboden, Koch'scher Nährgelatine oder Nähragar, zu üppiger Ent- wicklung gekommen waren, mit sterilisirtem Kochsalz in solcher Menge bestreut, dass das in dem Nährmedium vorhandene Wasser alsbald mit Kochsalz übersättigt wurde und ausserdem noch ein Ueberschuss des- selben Culturen und Nährboden bedeckte.

Die Bacterien verhielten sich auf Salzeinwirkung sehr verschieden. Die Koch'schen Cholerabacillen gingen schon nach wenigen Stunden zu Grunde. Typhusbacillen, pyogene Staphylococcen, die Streptococcen des Erysipels und die Bacterien des Schweinerothlaufs blieben Wochen und Monate lang unter dem Kochsalz am Leben. Genaue Unter- suchungen mit Tubercelbacillen zeigten, dass letztere in keiner Weise durch das Salz in ihrer Lebensfähigkeit behindert wurden.

Beim Milzbrand ist die desinficirende Eigenschaft dieses Mittels verschieden, da die Bacillen binnen 18 bis 24 Stunden zu Grunde gehen, und zwar selbst dann, wenn Leber oder Milz von an Milzbrand gestor- benen Thieren nur auf gewöhnliche Weise „eingepökelt" werden. Findet aber in Kartoffelculturen reichliche Sporenentwickelung statt, so wird diese in keiner Weise gestört und kann man mit den so eingesalzenen Sporen jeder Zeit durch Impfung Milzbrand hervorrufen.

Auch beim Typhus scheinen die Bacillen vom Kochsalz zu leiden während die Sporen nicht afficirt werden.

Die Einwirkung einer lh proc. Kochsalzlösung genügt um Cholera- und Milzbrandbacillen zum Absterben zu bringen.

Bezugnehmend auf unseren therapeutischen Vorschlag (Seibert, Das Kochsalz bei Diphtherie, Med. Monatsschrift, Jan. 1889) sagt der Ver- fasser : „Das Einsalzen allein entfaltet durchaus nicht eine allgemeine antiseptische oder desinficirende Wirkung wie man anzunehmen ge- wohnt ist, sondern diese muss für jeden einzelnen Fall (Bacterienart ist wohl gemeint. Red.) erst experimentell geprüft werden."

Es bedarf wohl kaum der Bemerkung, dass eine Untersuchung wie diese von mehr als gewöhnlichem Interesse sein muss. Vor allen

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Dingen ist da sicher nachgewiesen, dass tuberculöses Fleisch auch nach langem, energischem Einpökeln tuberculös bleibt, und so inficirend auf den menschlichen Organismus wirken kann. Da nun tuberculöses Vieh nicht als ungeeignet zur Nahrung bisher betrachtet wurde und dessen Fleisch namentlich als Pökelfleisch in den Handel kommt, so haben wir in dem einen Ergebniss der Forster'schen Untersuchungsreihe den besten Beweiss und das kräftigste Argument zur Hand, um 1. auf be- hördliche Fleischschau und 2. Verstossung allen tuberculösen Vieh's als ungeeignet zur Nahrung, hinzuwirken. Wohl könnte man das längere Abkochen als genügendes Schutzmittel hervorheben, aber der Metzger weiss doch nicht ob der Käufer und Geniessende solchen Fleisches auch dasselbe überhaupt und wenn, dann ob auch lang genug kochen wird.

Wie sehr wir hier zu Lande der Inflcirung durch Kindfleisch aus- gesetzt sind, zeigen einige Bemerkungen des Prof. Wm. H. Welch, von Johns Hopkins University, in einem vorzüglichen Eeferat über In- fectionsquellen und deren Zerstörung (Med. Eecord, Juli 27, 1889). Welch gibt an, dass die Anzahl der in Baltimore geschlachteten tuber- culösen Rinder nicht weniger denn 3 4% betrage. Er sagt wörtlich : „In den meisten Orten dieses Landes besteht ein trauriger Mangel guter, sanitärer Inspection der Nahrungsmittel. Es ist unmöglich nach dem Besuchen der Schlachthäuser von Berlin und München und dem Beobachten der intelligenten und geschickten Inspection der geschlach- teten Thiere die dort gehandhabt wird, unsern Mangel in dieser Hin- sicht nicht tief zu empfinden. In grossen Städten sollten nur sehr wenige Schlachtstätten, und wenn möglich nur ein Schlachthaus ge- duldet werden. Geschickte Thierärzte sollten die Inspection besorgen."

Nach Forster zeigen die 4 Wochen lang in Salz aufgehobenen Sputa Tuberculöser noch grosse Mengen lebender Bacillen.

Soweit nun Forster's Untersuchungen gehen kann man aus den- selben schliessen, dass Cholera , Milzbrand und theilweise auch Ty- phusbacillen vom Kochsalz theils getödtet, theils in ihrer Entwickelung gehemmt werden, dass dagegen pyogene Staphylococcen, die Bacterien des Schweinerothlaufs und die Streptococcen des Erysipels durch dieses Mittel nicht gestört werden.

Forster gibt leider nicht an, ob er Versuche mit Diphtheriepilzen gemacht hat oder nicht, und wird er wohl noch später darüber berichten. T. Mitchell Prudden (Amer. Journ. of the Med. Sciences, April und May, 1889) hält den Streptococcus des Erysipels für identisch mit dem von ihm sogenannten Streptococcus diphtheriae. Wäre das rich- tig, so hätten wir schon die Antwort auf die Frage ob Kochsalz bei Diphtherie desinficirend wirke oder nicht. Aus rein klinischen Gründen möchten wir das aber stark bezweifeln. Der uns als Erysipel bekannte pathologische Process ist so typisch in seinem Beginn, seinem Verlauf und der Art der dadurch bewerkstelligten Gewebsveränderungen, dass es einfach unbegreiflich erscheint warum derselbe Krankheitserreger, wenn er sich in der Rachenschleimhaut festhistet Diphtherie, und

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wenn er in eine Hautwunde gelangt Kothlauf erzeugen soll. Anderer- seits ist Wunddiphtherie häufig genug und hat dieselbe mit dem Erysipel gar keine Aehnliohkeit.

Somit müssen wir die uns hier besonders interessirende Frage ob der Wirksamkeit des Kochsalzes bei Diphtherie als von bacteriologi- scher Seite noch unbeantwortet betrachten. Dagegen zwingt uns die tagtägliche Erfahrung und so manche Einrichtung in der Natur (z. B. der Salzgehalt des Meeres und des Blutes) trotz Forster's Ausspruch anzunehmen, dass das Kochsalz eine entschiedene antiseptische und desinficirende Wirkung besitze, wenn auch Tubercelbacillen in keiner Weise von denselben angegriffen werden.

Zur Behandlung der Lungentuberculose.

Ist die Behandlung der Rachendiptherie eine offene Frage, so hat sie doch den Vorzug, dass ein grosser Theil der Ergriffenen wieder gesund wird ; ob in Folge , ob unbeachtet oder ob trotz der einge- schlagenen Behandlung, kommt hier nicht in Betracht. Anders aber verhält es sich mit der Tuberculose. Aehnlich wie bei der Diphtherie kommen alljährlich neue Mittel, neue Apparate und Methoden, und neue Curorte in den Markt, und werden dort mit mehr oder minder grosser Virtuosität zum Versuch und zum Verkauf ausgeschrieben und ausgeschrieen.

Merkwürdig ist dabei wie viele Collegen sich fast bei jedem neuen Mittel wieder und wieder anführen lassen, ohne vorher der neuen Therapie auch nur eine halbe Stunde ernsten Nachdenkens zu widmen. Das lebhafte Verlangen so und so vielen Schwindsüchtigen, wenn nicht Heilung so doch Besserung zu verschaffen, oder auch um denselben unter dem therapeutischen Spielzeug mal wieder etwas Neues zu ver- •schaffen, bringt viele Practiker dazu sofort, wie der Fisch nach dem Köder, nach dem neusten Heilverfahren zu greifen. Ist aber nun gar ein Apparat dabei der nicht zu theuer ist (wie das pneumatische Cabinet), so sind Patient und Arzt so lange von der neuen Therapie entzückt bis der Patient stirbt.

Bedenkt man ferner, dass es gewöhnlich erst der Untersuchungen und Erklärungen hervorragender und nüchterner Kritiker (Jacobi, Das Backen der Tubercelbacillen, Med. Monatschrift, Juli, 1889, und Mosso und Rondelli, Deutsch. Med. Wochenschrift, 4. Juli, 1889) bedarf, um der ärztlichen Welt über den neuesten therapeutischen Schwindel den Staar zu stechen, so erhöht sich dieses Erstaunen noch wenn man weiss, dass sich die Wirkungslosigkeit solcher Behandlung eigentlich von vorn herein an den Fingern hätte abzählen lassen müssen. Ebenso wenig wie das berühmte Heisswasserschlucken bei Magenleiden nicht durch die abnorm-hohe Temperatur des Wassers wohlthätig wirkt (da dasselbe schon beim Schlucken wesentlich abgekühlt wird und im Magen selbst kaum noch eine höhere Temperatur als seine Umgebung behalten kann), ebenso sollte es doch a priori klar sein, dass einge- athmete heisse Luft nicht heiss in die Lunge gelangen kann. Die

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Leichtgläubigkeit und Denkungsträgheit in solchen Sachen ist heutzu- tage bei den Laien durchaus nicht grösser als bei dem ärztlichen Publikum.

Aber nicht allein die Einathmungstherapie der Lungentuberculose, sondern die ganze klimatische Behandlung dieser Erkrankten ruht auf falschen Voraussetzungen. Schon die dickbändigen Schriften der Cur- ärzte beweisen die Notwendigkeit den Collegen immer wieder diese Behandlung, und speciell die des betreffenden Autors, als die allein richtige hinstellen zu müssen, um ihren immer wieder rege werdenden Unglauben zu unterdrücken. Auch bei der Climatotherapie geht man von der Voraussetzung aus, dass, da frische reine Luft athmende Menschen viel weniger leicht in Gefahr kommen an Lungenschwind- sucht zu erkranken, frische reine Luft auch im Stande sei die Tubercel- bacillen auf diese oder jene Art unschädlich, steril zu machen. Wie sich aber diese im Lungengewebe eingenisteten Pilze nicht darum kümmern, ob der sie beherbergende Patient vor einem ausposaunten Dampfkessel, im pneumatischen Cabinet oder vor einem kleinen Inha- lationsapparat sitzt, ebenso ist es ihnen einerlei ob der Patient in Davos, Falkenstein, Goerbersdorf, in Aegypten oder in Norwegen, sich aufhält, denn was dem Patienten durch Erhöhen seiner Widerstandskraft nützt, braucht desshalb dem Bacillus noch lange nicht zu schaden, und so lange wie der Patient lebt, lebt der Bacillus in ihm.

Wir wollen damit nun durchaus nicht gesagt haben, dass die Climato- therapie der Phthise lauter Humbug sei. Es ist und bleibt stets ver- nünftig den Patienten bei jeder Erkrankung in die möglichst beste hy- gienische Umgebung zu versetzen, und das geschieht in den besseren Curorten besser wie sonstwo; aber um Andere zu überzeugen suchen, dass diese oder jene climatische, offene oder Anstaltsbehandlung schon jemals einen einzigen Tubercelbacillus in der Lunge getödtet hätte, ge- hört der ganze Enthusiasmus und die ganze dogmatische Ueberzeu- gungstreue eines Curanstaltsbesitzers. Es ist zweifellos correct, unsere reichen Tuberculosen klimatisch zu behandeln oder behandeln zu lassen, denn ihr Leben wird dadurch zweifellos erträglicher gemacht und ver- längert, aber geheilt werden sie dadurch nicht.

Die Zukunftstherapie der Tuberculose wird die Verhütung sein. Der Staat, die Regierung, die Gesundheitsbehörden werden Machtvollkom- menheit erlangen, Phthisiker zu isoliren, wie man jetzt Lepra- oder Blatternkranke isolirt. Die Wahl des Berufes der Knaben wird sich mehr nach Anlage und Körperbeschaffenheit richten als früher, und Schwächliche werden nicht aus Angst vor der Witterung zum Leben in geschlossenen Räumen und so zu einem frühen Tode verdammt, son- dern zur Arbeit in freier Luft bestimmt werden. Im Zukunftsstaat wird der Phthisiker am Heirathen resp. Kinderzeugen verhindert werden, ebenso wie er heutzutage verhindert wird als Soldat in die Armee ein- zutreten. Möglicherweise aber wird noch ein Medicament gefunden, dessen Wirkung den Tubercelbacillus ebenso im Körper tödtet wie das Chinin die Malariapilze.

REFERATE.

Arzneimittellehre.

Keferirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Experimentelle Untersuchungen ueber Syzygium Jambolatum gegen kuenstlichen Diabetes. C. Graeser. (Centralblatt f. kl. M. 1889.)

In der eben erhaltenen Nummer des Centralblatts finden wir eine Arbeit die nicht verfehlen wird das grösste Aufsehen zu machen. Syzygium Jambolatum, ein Baum von beträchtlicher Höhe, gehört zur Gruppe der Eugenoideae, der Unterfamilie der Myrteae an, und werden seine säuerlich schmeckenden Früchte im tropischen Amerika, West- indien und Ostasien gegessen. In Java nennt man sie Djamelang und Früchte und Bast gelten dort als Arznei gegen Diarrhoe und Diabetes.

G. machte im Bonner Laboratorium Hunde durch Phoridzin)l,0 .jede 2. bis 3. Stunde) diabetisch und brachte ihnen vor, mit, oder nach der Phlo- ridzingabe dasExtract von Syzygium Jambolatum, das er selbst bereitete, bei. Die Zuckerausscheidung sank jedesmal und zwar mindestens um die Hälfte, in einzelnen Fällen um9/io der unter alleiniger Phloridzinbehand- lung ausgeschiedener Zuckermenge, also während unter Phloridzin allein eine Zuckerausscheidung von 5,89 bis 12,45 Zucker pro Versuch nach- gewiesen werden konnte, ergab die Untersuchung unter Jambolbehand- lung eine Höchstausscheidung von 2,906 und eine Mindestausscheidung von 1,5 Gramm pro Versuch. Die Extracte waren verschieden, theils aus der ganzen Frucht, theils je aus der Schale oder dem Kern der Frucht gesondert dargestellt und zwar in solcher Concentration, dass 100 Gr. Frucht ungefähr durch 16 i Gr. Kern- und llf Schalenextract repräsentirt wurden. Pro dosi waren 6,0 pro die 28,0 die höchste ver- abreichte Menge. Die wirksame Substanz, nach der Verf. zu suchen verspricht, sitzt zum grösseren Theil wohl in der Schale.

So weit Her Grasser. Allein es liegen schon höchst wichtige Unter- suchungen vor, die zwar noch nicht allgemein bekannt, doch dem Ver- fasser und Prof. Binz nicht hätten entgehen sollen. Christy's New Commercial Plauts and Drugs, 1887, entnehmen wir, dass Herr Las- celles-Scott im " Brittish and Colonial Druggist " die Pflanze und ihre Eigenschaften genau beschrieben hat. Auch machte er folgenden höchst interessanten Versuch: Er bestimmte die Quantität Keismehl, die in 50 Mi- nuten unterl25°F. durch ein und dasselbe Quantum Malzextract in Zucker verwandelt wurde und bekam als Kesultat, dass 44,8% convertirt wurden. Fügte er zu derselben Quantität (100 Gran) unter denselben Umständen 15 Gran Jambulpulver, so wurden nur 19,6% und beim Zusetzen von 25 Gran der Samen nur 12,6% des Beismehls zu Zucker umgewandelt.

Auch Versuche an Diabetikern liegen schon vor. Dr. C. E. Clacius (" The Chicago Medical Journal and Examiner,") August 1885 beschreibt wie er zuerst mit der Pflanze bekannt wurde. Ein Diabetiker, dessen Zuckerausscheidung, mehrere Jahre durch genaue Analysen controllirt, zwischen 8 12% war, kam zu ihm und erzählte, dass er auf Anrathen eine neue indische Pflanze eine Woche lang mit solch' ausgezeichnetem Erfolge versucht habe, dass er neugierig wäre, wie viel Procent Zucker jetzt vorhanden wäre. Clacius fand ein specifisches Gewicht von 1036 und keinen Zucker. Er führt noch drei Fälle an (einer war ein Arzt) in denen das Jambul in 5 Gran Dosen von ausgezeichneter Wirkung war. Er glaubt, dass es auf die Nervencentren wirkt und empfiehlt es in Capseln zu nehmen, da möglicherweise das ätherische Oel darin von Werth sei. Im " Medical Age " No. 10, 1886 wird angeführt, dass Dr. Cauldwell vor der New York State Association über vier Fälle berichtete, in denen der zweite ohne, die übrigen jedoch mit Erfolg behandelt

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worden waren. Ausserdem erwähnt er zwei Fälle von Keyes und Alexander, von denen einer sehr, der andere nicht gebessert wurde.

Auch im "British Medical Journal", March 19, 1877, sagt Kingsbury, dass in einem schweren Diabetesfalle auf 5 Gran Dosen sechsmal täg- lich genommen, der Urin von einem spec. Gewicht von 1040 1042 und 7h Quart auf 1020 und 4 5 Quart gefallen war. Jedenfalls muss das Mittel weiter versacht werden und wäre es für uns hier in Amerika be- sonders wichtig, wenn wir ein Heilmittel gegen diese hier in solch' erschreckend häufiger Weise vorkommende Krankheit hätten. Referent hat durch Güte der Herren Lehr und Fink eine Probe bekommen und wird nicht verfehlen darüber Bericht zu erstatten.

Untersuchungen ueber die Ausscheidung des subcutan injicirten Mor- phiums durch den Magen. Dr. Konrad Alt. (Berl. Klin. Wochenschr., No. 25.)

Alt hat eine für die Behandlung der Morphiumvergiftung höchst wichtige Arbeit geliefert.

Ohne Kenntniss der Publicationen von Marme und Leineweber konnte er deren Resultate bestätigen, nämlich, dass ein grosser Theil des dem Körper einverleibten Morphiums durch den Magen wieder ausgeschieden wird, und zwar nach der Schätzung Alt's etwa die Hälfte. Die Ausscheidung beginnt nachweisbar schon nach Minuten, dauert deutlich \ Stunde, ist dann nur mehr schwach, und hört nach einer Stunde ganz auf. Der Brechreiz nach subcutaner Injection tritt erst zu einer Zeit ein in der das Morphium bereits in den Magen übergetreten ist und wird durch Ausspülung des Magens ganz unterdrückt. Durch längere Zeit fortgesetzte Ausspülungen werden die Vergiftungserschei- nuugen wesentlich herabgesetzt, sonst sicher tödtliche Dosen werden ungefährdet vertragen. Hunden, denen eine lethale Dosis subcutan beigebracht wurde (zwei Hunde sogar nach 0,24 pro Kilo !) konnten durch Ausspülung am Leben erhalten werden. Bei drei kräftigen, jungen Männern, die noch niemals im Leben Morphium bekommen hatten hat er 0,03 Morph, mur. subcutan injicirt und unmittelbar darauf den (vorher gründlich gereinigten) Magen ausgespült. In allen drei Fällen konnte Morphium deutlich im Spülwasser nachgewiesen werden, und nie trat eine bemerkenswerthe Morphiumwirkung ein.

Verfasser macht auch darauf aufmerksam, dass man in Zukunft bei gerichtlich-chemischer Untersuchung nicht, wie bisher, im Blute (wo ja nach Dragendorff einige Zeit nach der Injection ein Nachweis nicht mehr gelingt) sondern in dem Magendarminhalt nach dem Gifte zu suchen habe.

Allgemeine und specielle Pathologie.

Beferirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Ueber die chemische Beschaffenheit des Zellkerns. A. Rossel. (Berl. Klin. Wochenschr., No. 19, 1889.)

Das Nuclein im Zellkern ist (wie Casein und Vitellin) ein phosphor- saures Albuminat, jedoch in so loser Verbindung, dass es schon durch längere Einwirkung siedenden Wassers, ja schon durch Aufbewahren in feuchtem Zustande zersetzt wird. Kossel machte eine Keine von Ana- lysen, die ergaben, dass je nach der Menge der Zellkerne in den Organen auch die Menge der an Nuclein gebundenen Phosphorsäure relativ zu derjenigen Phosphorsäure variirt, die in anderer Form, insbesondere als Salz, aufgefunden wird. Wir besitzen also ein chemisches Maass für die Anzahl der Kerne. Im normalen Blut ist die Menge der Nucleinphos- phorsäure so gering, dass sie quantitativ nicht bestimmbar ist, im leukämischen dagegen fand er über 51 Procent der gesammten Phos- phorsäure im Eiweiss gebunden. Bei künstlicher Zersetzung liefert

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das Nuclein ausser der Phosphorsäure noch mehrere durch ihren grossen Reichthum an N ausgezeichnete Stoffe, nämlich das Adenin und Guanin, das Hypoxanthin und Xanthin.

Das Adenin ist eine Cyanverbindung und eine der wenigen im Körper vorkommenden Verbindungen, die keinen Sauerstoff enthalten. In seinen Eigenschaften ist es dem Guanin ähnlich. Beide Körper ver- lieren sehr leicht einen Theil ihres Stickstoffs unter verschiedenen Bedingungen und gehen dann unter gleichzeitiger Aufnahme v< n Sauer- stoff in Hypoxanthin (Sarkin) und Xanthin über. Dass Scheerer eine grosse Menge von Hypoxanthin und Xanthin im leukämischen Blute fand, während sie im normalen fehlen, erklärt sich hierdurch leicht. Nuclein ist in Basen löslich und durch Säuren fällbar, ist also eine Säure. Sie kommt jedoch im thierischen Körper nicht frei vor, sondern in salzartiger Verbindung mit Basen, sehr häufig mit einem pepton- artigen Körper, den Kossei Histon nennt. Diese Substanz fand er in den Kernen der rothen Blutkörperchen der Vögel und ist ähnlich dem von Miescher beschriebenen in den Spermatozozoen der Fische. Wenn man also einen Kern durch Zusatz von Essigsäure zur Schrumpfung bringt, so bewirkt man nicht allein eine Ausfällung des Nuclein s, son- dern entzieht zugleich dem Zellkern einen Stoff von basischen Eigen- schaften. Eine Abnahme des Histons im Hungerzustande konnte nicht constatirt werden. Aus der Thatsache, dass embryonale Gewebe be- sonders reich an den obengenannten Stoffen sind, und dass Cyanver- bindungen sich von selbst so verändern, dass aus ihnen ganz complicirte Verbindungen hervorgehen, glaubt Verfasser auf die physiologische Function des Adenins und des Zellkerns schliessen zu können. [Hier ist die Aussicht für eine ganze Theorie des Lebens gegeben. ! Ref.] Kossei konnte mit Dosen von 1,0 per os Hunde tödten. Das Nuclein ist im Wesentlichen identisch mit dem von Flemming von morphologischem Standpunkt Chromatin genannten Stoffe.

Ueber Knochenerkrankungen bei Typhus. A. Ebermaier, Kiel. (Deut- sches Archiv f. Klin. Med., Bd. 44, Heft 2 und 3.)

Bei verschiedenen, Typhöse befallenden, Complicationen, wie Lun- generkrankungen (Chantemesse und Vital), bei einem eitrigen Peritoneal- exsudat (A. Fränkel) und bei einer Orchitis typhosa (Tarel) wurden Typhusbacillen in den betreffenden afncirten Organen gefunden. E. gelang es in zwei auf der Kieler Klinik beobachteten Fällen von Perios- titis typhosa Typhusbacillen in Reincultur zu erhalten, und ist damit der Beweis erbracht, dass der Microorganismus selbst die Eiterung ver- anlasst. Da die Milz stets voll von Bacillen ist, denkt Verf., dass sie aus dem Knochenmark, das ja nach Bau und Function derselben analog ist durch die Haver'schen Canäle in das Periost gelangen und fand sich Gelegenheit bei einem an Darmblutung am 24. Tage verstorbenen Studenten das Rippen- und Femurmark daraufhin zu untersuchen. Es ergaben die Culturen des Rippenmarks ein positives, die des Femur- marks ein negatives Resultat. Bei dem Interesse, welches in neuerer Zeit der Pneumoniecoccus als Ursache der Mittelohrentzündung erregt hat, ist eine Krankengeschichte des Verfassers erwähnenswerth. Eine 22jährige kräftige Kellnerin machte einen schweren Typhus durch, welcher noch durch Delirium alcoholicum, Pneumonie und Otitis media complicirt war. Wie uns Verf. in einer Anmerkung kurz mittheilt, konnte er in dem Eiter des Ohres nur Streptococcen nachweisen. Eine beginnende Eiterung beider Tibien konnte nach langer Zeit durch hohe Lage und Eis unterdrückt werden.

Die acute gutartige Milzschwellung. Von Dr. Fichtner. (Deutsches Archiv f. Klin. Med., Bd. 44, Heft 4.)

Fichtner beobachtete auf der Leipziger Klinik eine Reihe von leich- ten Fieberfällen, die einen ziemlich raschen Beginn und zwar unter

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massigen Allgemeinerscheinungen wie Kopfschmerz, Schwindel, Appetit- losigkeit, zeigten. Gleich bei der ersten Untersuchung, am zweiten bis vierten Krankheitstage, fiel ein ziemlich harter, deutlich fühlbarer Milztumor, daneben in zwei Fällen ein empfindlicher Leib, in einem dritten eine massige Bronchitis auf. Die Erkrankung endete in wenigen Tagen in Heilung, nachdem die Milz wieder rasch abgeschwollen war. Verfasser wäre vielleicht geneigt diese Fälle als Typhus levissimus auf- zufassen (Hofmann in Leipzig, unter dem obige Arbeit geschrieben wrurde, macht schon eine „Fichtner'sche Krankheit" daraus !) aber dann bekämen gerade die leichten Fälle von Typhus am schnellsten die Milz- schwellung und stempelt man vielleicht Etwas zum Typhus, was es nicht ist. F. glaubt auch, dass mancher bisher als Dyspepsie, acuter Magenkatarrh, gastrisches Fieber, Kolik, Ephemera, Synocha, Febricula u. a. bezeichnete Fälle hierhergehört.

Hoffmann beobachtete eine kleine Familienepidemie und hat den Eindruck einer eigenartigen Affection bekommen.

Ein Fall von Noma. C. Schimmelbusch. (Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 26, 1889.)

Anknüpfend an einen tödtlich verlaufenen Fall von Noma (ein typi- scher Fall ohne weiteres klinisches Interesse) versuchte C. Schimmel- busch der Frage der Aetiologie dieser merkwürdigen und seltenen Erkrankung näher zu treten. In dem gangränösen Herd fand er vor- wiegend Bacillen, doch hat er auch Staphylococcen gesehen, sowie ein- zelne Diplo- und Streptococcen. Die Bacillen, die an der Grenze des Gesunden in ausserordentlich grosser Menge vorkommen, sind grössten- theils kurze Stäbchen mit abgerundeten Ecken, öfters zu zweien der Länge nach aneinandergelagert und nur selten zu längeren Fäden aus- gewachsen. Sie dringen in dichten Haufen in die Lymphspalten des Gewebes vor, während ihnen die Nekrose auf dem Fusse folgt. Der Bacillus gedeiht gut auf allen üblichen Nährböden, und zeigt sein \Yachsthum viel Eigenartiges. Er färbt sich nicht leicht, ja in Gram'- scher Färbung werden fast alle entfärbt und nur ab und zu behält einer Etwas davon. Am Besten ist einprocentiges wässeriges Gentiana violett mit sorgfältigem Auswaschen. Seine Impfungen fielen so gut wie negativ aus, was einer parasitären Auffassung nicht widerspricht, denn wir kennen ja mehrere Mykosen des Menschen, welche auf Thiere trotz vieler Impfungen nicht übertragen werden konnten. Ebensowenig ist das sporadische Auftreten der Noma und der gemeinhin beobachtete Mangel einer Contagiösität im Argument, welches gegen die bacilläre Natur der Krankheit spräche man denke an das maligne Oedem oder den Tetanus, die ja beide unzweifelhaft mykotischer Natur sind.

Krankheiten der Verdaunngs- und Circulationsorgane.

Beferirt von Dr. Max Einhorn.

1. Duodenal and gastric Ulcers. By W. Pepper. (Journal of the Ame- rican Med. Association, May 25th, 1889.)

P. macht zunächst darauf aufmerksam, dass das Magen- und auch Duodenalgeschwür viel häufiger vorkommt, als raaD anzunehmen scheint ; sehr oft sind die Symptome so geringfügig, dass der Arzt die Diagnose auf Ulcus desswegen nicht stellt. Differentialdiagnostisch ist die Trennung vom Duodenalgeschwür und Magengeschwür besonders schwer. Erbrechen, sowie Schmerzen gleich nach dem Essen, ferner Blutbrechen sprechen für Magengeschwür ; Schmerzen, die sich erst einige Stunden nach dem Essen einstellen, Abgang von viel Blut durch den Stuhl weisen auf ein Duodenalgeschwür hin. Diese Zeichen sind jedoch sehr unsicher. P. führt nun drei Fälle von Ulcus duodenale an, bei zweien derselben wTurde die Diagnose durch die Section bestätigt.

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In einem dieser durch die Autopsie bestätigten Fälle war während des Lebens ein kleiner länglicher Tumor, der auf Druck schmerzhaft war und der Lage nach dem Duodenum entsprach, vorhanden. In dem dritten Falle von Ulcus duodenale, wo Heilung erfolgte, war gleichfalls während der Krankheit ein länglicher, auf Druck schmerzhafter Tumor in der Regio duodenalis durchzufühlen. Dieser Tumor war später nach eingetretener Heilung verschwunden. P. nimmt an, dass ein derar- tiger Tumor in Folge von peritonealer Exsudation und Adhäsion und Verdickung der Gewebswand beim Magengeschwür sowohl, wie haupt- sächlich und häufiger beim Duodenalgeschwür, vorkommt. Dieser Tu- mor gibt nun, je nach seiner Lage, ziemlich sichere Anhaltspunkte für die Differentialdiagnose. Die Behandlung anlangend, so macht P. vom Arg. nitr. abwechselnd mit Cereuin oxalicum Gebrauch; in schweren Fällen spielt die Ernährung per Rectum eine Hauptrolle.

2. Ueber Entfettungskuren bei Gelenkkrankheiten, nebst einigen Bemerkungen ueber Gonitis crepitans. R. Volkmann. (Deutsche Med. Wochenschr., No. 25, 1889.)

V. macht auf die Bedeutung von Entfettungskuren bei Gelenkkrank- heiten aufmerksam. In der von Volkmann'schen Klinik zu Halle wer- den bereits seit 14 Jahren Entfettungskuren bei Gelenkaffectionen der unteren Extremitäten mit Erfolg angewandt. Der Zweck der Kur ist der, den Patienten, welcher in Folge einer früher durchgemachten oder angeborenen Erkrankung an Schwäche einer der beiden Unterextremi- täten leidet, durch eine vorsichtige Entfettungskur leichter zu machen, damit die wenig leistungsfähigen Extremitäten ein geringeres Körper- gewicht zu tragen haben. Die Entfettungskur wurde ferner auf der- selben Klinik auch gegen eine Gelenkkrankheit angewandt, welche von Volkmann bei schnell fett gewordenen Frauen beobachtet und mit dem Namen Gonitis crepitans belegt hat. Diese Crepitationen an der P. rühren wahrscheinlich von Rauhigkeiten und Exsudationen an der Kapsel her.

3. Ueber Herzarythmie der Fettleibigen. E. H. Kisch. (Münchener Med. Wochenschr., No. 16, 1889.)

Unter 700 lipomatösen Individuen fand K. bei 55, also in etwa 8 Pro- cent der Fälle, die Erscheinungen der Herzarythmie vor. Die Arythmie des Herzens (Unregelmässigkeit der Herzaction) sei zu unterscheiden von der Herzintermittenz, welcher Umstand sich darin äussert, dass bei regelmässigem Pulse in gleichen Intervallen Pausen in der Herzaction eintreten. Während Fothergill und Lasegue der Pulsintermittenz ein weit grösseres Gewicht beilegen, als der Irregularität, hält K. die Herz- arythmie für eine weit grössere Störung als die Intermittenz. Die Inter- mittenz des Herzens sei wahrscheinlich bedingt durch lipomatöse Um- wachsung der Herzganglien und dadurch hervorgerufenen Druck auf dieselben, wobei die Musculatur des Herzens noch keine Veränderung erlitten hat. Die Irregularität oder Arythmie des Herzens dagegen hat ihren Grund in fettiger Entartung des Myocards selber. Ausgeprägte Irregularität des Pulses sei daher als ein ernstes Zeichen von Herz- schwäche, und vollständige Arythmie als Symptom vorgeschrittener Myodegeneration höchst ungünstig zu beurtheilen. In letzteren müsse man sogar auf plötzlichen Exitus gefasst sein.

Krankheiten des Nervensystems.

Keferirt von Dr. Geo. W. Jacoby.

Zur Pathologie des Melkerkrampfes. Dr. E. Kemak. (Sonderabdruck aus der Deutschen Med. Wochenschrift, No. 19, 1889.)

Nachdem K. kurz die Geschichte des Melkerkrampfes wiedergibt, beschreibt er einen frischen Fall. Wichtig an dieser Beschreibung ist

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das Feststellen von Lähmungserscheinungen an beiden Händen, be- sonders aber im Medianusgebiete der rechten Hand. Eine leichte Atrophie der Daumenmusculatur ist rechts nachzuweisen. Beiderseits im Medianusgebiete der Hand besteht eine erhebliche Sensibilitäts- störung. Entartungsreaction lässt sich hier deutlich nachweisen. Es handelt sich also um eine degenerative Neuritis, welche rechts schwerer wie links, ausgeprägt ist. Kemak nennt sie eine „professionelle Neuritis". Er betrachtet den Fall als wichtig für die Auffassung ge- wisser Formen von Beschäftigungsneurosen. Dass sie unter Um- ständen peripherer Natur sein können, und dass sie daher der electri- schen Behandlung besonders zugängig seien.

Ueber Hirnoedem. Dr. Huguenin. (Correspondenzblatt für Schweizer Aerzte, 1. Juni, 1889.)

Ueber das Hirnoedem, namentlich über seine Bolle als Todesursache, herrscht ein bedauerliches Auseinandergehen der Ansichten.

Hiraoedem und Oedem des Subpialraumes und der Ventrikel, existiren bloss zusammen. Microscopisch soll man Verengerung der Gefässe und Erweiterung der perivasculären Bäume nachweisen. Das Hirnoedem wird als entzündliches und nicht entzündliches eingetheiit. Entzünd- liche Oedeme, welche immer als diffuse Encephalitiden aufgefasst werden sollten, beobachtet man bei perforirendem Schädeltrauma, beim Hirntumor, beim Abscess, bei Haemorrhagien und bei Infections- krankheiten. Ueber diese entzündlichen Oedeme, mit Ausnahme des letztgenannten, herrscht ziemliche Klarheit. Mit den nicht entzünd- lichen steht die Sache anders. Als eine häufige Todesursache wurde lange die Apoplexia serosa angesehen. H. geht diesbezüglich von dem Satze aus „Die Kreislaufstörungen in Krankheiten rufen im Schädel kein tödtliches Oedem hervor, so lange Gefässe und die Verhältnisse in der Schädelhöhle selbst normal sind," aber „Kreislaufstörungen, welche auszugleichen unter normalen Verhältnissen völlig genügende Einrich- tungen vorhanden sind, können tödtliches Oedem hervorrufen, sobald alte Veränderungen an Schädel und Hirn da sind." Diese alten Ver- änderungen sind : Obliteration der Abflusswege für die Lymphe, mässiger, chronischer Hirndruck durch Stehenbleiben des Wachsthums und vorhandene Hirnkrankheiten, welche einen grösseren oder gerin- geren Grad von Hirndruck hervorbringen. H. erörtert dann die Ver- hältnisse wie sie vorhanden sein müssen beim congestiven Hirnoedem [im Original nachzusehen. Ref.]. Diese Ueberlegungen machen das Hirnoedem aus reiner Congestion bei Kindern und Erwachsenen in hohem Grade zweifelhaft. Untersuchungen der Einzelfälle, vor- genommen um diesen theoretischen Schluss zu bestätigen oder zu ver- neinen, ergaben, dass bei Kindern, welche an Hirnhyperaemie, Oedem, leichtem Hydrocephalus starben, sich immer eine unfertige Meningitis infectiosa nachweisen liess. Aber tödtliches Hirnoedem congestiver Natur kommt bei Kindern vor, jedoch nur unter besonderen Um- ständen. Dass die chronische Meningitis bei Erwachsenen eine ähn- liche Rolle spielt wurde an je einem Fall von Dementia paralytica und Tumoren-Meningitis nachgewiesen. Sodann werden von H. Fälle von tödtlichem Hirnoedem bei mangelnder Ausdehnung des wachsenden Schädels durch frühzeitige Nahtverknöcherung, und dann Todesfälle durch Hirnoedem nachdem der Schädelraum durch eine acquirirte Hirnaffection verengt worden, besprochen.

Zwei Faelle neuritischer Platthand. Ein Beitrag zur Lehre von den

TROPHISCHEN HaüTSTOERUNGEN BEI NEURITIS. L. LOEWENFELD. (MÜn-

chener Med. Wochenschrift, 11. Juni, 1889.)

Zwei Fälle von progressiver Ernährungsstörung in Gefolge neuriti- scher Processe, welche sich als trophische Anomalien darstellen, werden

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hier beschrieben. Bei der ersten 66jährigen Patientin stellten sich ohne nachweisbare Ursache, neuritische Symptome im Ulnargebiete der rechten Hand, ein. Eine nach vier Wochen vorgenommene Unter- suchung zeigt, dass die Innenfläche der Hand eine beträchtliche Ver- dickung aufweist, der Art, dass die Höhlung der Hand vollständig fehlt. Der schliessliche Ausgang war in Formation einer Klauenhand. Der zweite Fall, betraf einen 48jährigen Mann, welcher sich eine Schnitt- wunde am kleinen Finger, auf der Volarseite, zuführte. Die Wunde heilte nach 14 Tagen. Untersuchung drei Wochen nach stattgefundener Verletzung, zeigte, neben neuritischen Erscheinungen, eine Verdickung der Vola, so dass die Höhlung derselben fast ausgeglichen erscheint. Ausgang in fast vollständige Heilung. [Verf. sagt, dass man es in diesen Fällen mit einer Platthand zu thun habe, welche durch eine Ver- dickung der Weichtheile der Vola zu Stande gekommen ist. Diese Bildung von Platthand soll eine sehr seltene Erscheinung sein, und konnte Verf. nur bei drei Autoren hierhergehörige Fälle finden. Her- vorzuheben ist, dass die äussere Haut an der Verdickung, nicht Theil nahm.]

Ueber einen Fall von Laehmung der Schultermusculatur und des Serratüs anticus major, durch acuten Gelenkrheumatismus. Dr. Adolf Hagen. (Münchener Med. Wochenschrift, 18. Juni 1889.)

Zur Erleuchtung der Frage über die EntstehuDgsweise von Muskel- atrophien nach Gelenksleiden, führt Verfasser, welcher an ein unmittel- bares Uebergreifen des krankhaften Processes von dem Gelenke aus auf die benachbarten Muskeln glaubt, einen diesbezüglichen Fall an. Es handelt sich um einen schweren, zweimal recidivirenden acuten Gelenkrheumatismus. Fast alle Gelenke sind befallen, aber in be- sonders hohem Grade das rechte Schultergelenk. Nach Ablauf des Processes wird constatirt, dass alle Schultermuskel, sowie in hohem Grade der Serratus anticus major, gelähmt sind. Hervorgehoben werden die bekannten Thatsachen, dass Lähmung und Atrophie in diesen Fällen nicht Hand in Hand gehen, und dass, electrische Erreg- barkeit der gelähmten Muskeln, Sensibilität und Sehnenreflexe normal waren. Verfasser hält den Process für eine Muskel- und nicht für eine Nervenerkrankung.

Fürther Investigations as to the Existence of a cortical motor Center for the human Larynx. Dr. D. Bryson Delavan. (N. Y. Med. Journal, June 22, 1889.)

Im Anschluss an seinen in Copenhagen in 1884 gehaltenen Vortrag über ein Kindencentrum für den Larynx, theilt Verfasser jetzt die Sec- tionsergebnisse des betreffenden Falles mit. Ein 60jähr. Mann, mit rheu- matischer Vorgeschichte, bekam in 1876 einen hemiparetischen Anfall. Ein J ahr später plötzliche linksseitige Hemiplegie, ohne vollkommene Bewusstlosigkeit. Fast totales Unvermögen zu schmecken. Die Stimme, welche immer voll, tief und sonor war, wurde jetzt hoch, kreischend und unsicher. Articulation auch gestört. Keine Aphasie. Ptosis und Lähmung des Gesichts und der Zunge auf der linken Seite. Allmäliche Besserung der Symptome, bis auf die Stimme, welche sich wenig veränderte. 1882 zeigte eine laryngoscopische Untersuchung das Vorhandensein einer completen linksseitigen Abductorenlähmung des Stimmbandes. 12. April 1888 Exitus lethalis. Autopsie : Verkalkung fast aller Gehirnarterien. In der linken Gehirnhälfte, am obersten Theil der Capsula interna, in seiner vorderen Hälfte, sowie auch im entsprechenden Theil des Nucleus caudatus, war eine Höhle, welche die Reste eines alten Erweichungherdes enthielt. In der rechten Hemisphere fand man im oberen Theil der Capsula interna, gegenüber der vorderen Extremität des Thalamus opticus einen kleinen Er- weichungsherd. Macroscopisch sonst nichts. Microscopisch : Rechts,

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partielle Degeneration der motorischen Bahn. In der linken Seite der Medulla einen Erweichungsherd, welcher in der Bahn der Wurzelfasern des Magens liegt. Degeneration vieler dieser Fasern. Diese letzte Läsion niuss' als die Ursache der laryngealen Symptome angesehen werden, und diese werden somit nicht von irgend welcher corticalen Störung abhängig. Verfasser neigte sich aber 'trotz seines Falles zur Ansicht, dass ein corticales laryngeales Centrum doch noch festgestellt werden wird.

De la Nature de la Maladie de Parkinson. (Journal de Medecine et Chirurgie pratiques. Jan., 1889, p. 28.)

Dr. Gauthier versucht hier den Beweis zu führen, dass die Paralysis agitans auf keine Weise die Merkmale jener Classe Krankheiten zeigt, zu welcher sie bis jetzt gerechnet wurde. G. gibt zu, dass die Symptome ausschliesslich dem Muskelsystem angehören und von der Rapidität der Muskeln abhängen, auch dass diese Eapidität in den Muskeln selbst entspringt ohne Betheiligung des Nervensystems. Auf der andern Seite führt die Thatsache, dass eine Analyse des Harns, in einer grossen Anzahl Fälle Paralysis agitans, einen Ueberschuss von Phosphorsäure nachwies, den Verfasser zu folgenden Schlüssen : 1. Dass diese Phos- phaturie von wirklicher Bedeutung für die Pathogenese der Krankheit ist, und 2. Da alle Symptome muskulärer Xatur sind, handelt es sich um eine „muskuläre Phosphaturie," verbunden mit einer Dystrophie des Muskelsystems.

Epilepsie partielle, determines par une Tumeur cerebrale, siegeant au niveau de la zone motrice. trepanation. ablation de da tü- meur, Dispartion des Symptomes. Pean. (Gazette des Höpitaux, p. 199, Feb. 29, 1889.)

Männlicher Patient, 28 Jahre alt. Im Alter von 22 Jahren stellten sich epileptiforme Anfälle, welche sich etwa alle 10 Tage wiederholten, ein. Diese Anfälle kamen immer häufiger vor, bis sie im Jahre 1886 eine Art Status epilepticus darstellten. Mittels Brompräparaten wurden die Attacken etwas controllirt. Im December 1888 stellten die Convulsionen ein dem Leben bedrohlichen Zustand dar. Auf Grund einer Parese des rechten Beines, und wegen des Alters und der Vergangenheit des Patienten wurde die Diagnose auf einen im oberen Theil der Centrai- windungen liegenden Tumor gestellt. Mittels craniometrischer Mes- sungen wurde die Lage des unteren Theils der Rolando'schen Fissur am Schädel festgestellt und von hier aus die Lage des oberen Theiles constatirt. Hier wurde ein Knochenstück vom Schädel entfernt und das Periost dabei erhalten. Im hinteren Theil des Operationsfeldes zeigte sich ein weicher Tumor, welcher stückweise vollständig mit sehr wenig Beschädigung der Hirnsubstanz entfernt wurde. Die Wunde wurde sodann geschlossen und am zehnten Tage bestand vollständige Vereinigung. Nach der Operation wurden die Anfälle weniger häufig und zur Zeit der Veröffentlichung, Monate nach der Operation, fehl- ten sie vollständig.

Geburtshülfe.

Referirt von Dr. C. von Ramdohr.

Die kuenstliche Früehgeburt. Dr. Waechter, Stuttgart-Wildbad. (Med. Corr. Blatt des Württembergischen ärztlichen Landesvereins, 8. Juni 1889.)

W. empfiehlt häufigere Einleitung der künstlichen Frühgeburt durch den practischen Arzt und zwar, wenn möglich, zwischen 34. und 36. Woche der Schwangerschaft, nach vorhergehender manueller Becken- untersuchung, welche für den Practiker allein von Werth ist. Gewöhn-

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lieh Krause'sche Bougiemethode, dabei Einführung im Speculum mit allen antiseptischen Cautelen. Dagegen ist der hohe Blasenstich ange- zeigt, wenn der Kopf primär oder nach äusserer Wendung vorliegt und liegen bleibt. Gelingt es den Wehen nicht bei erweitertem Muttermund den Kopf im Beckeneingang zu flxiren, oder heisst es Wenden oder Abwarten, so wird gewendet und nach Smellie-Veit extrahirt.

200 Geburten ohne prophylactische Scheideninjection. Dr. Mermann, Mannheimer Wöchnerinnenasyl. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 16, 1889.)

Bei Desinfection der Hände und der äusseren Genitalien ohne Irriga- tion und mit modifleirtem Crede kamen nur 13 % Morbidität [Ahlfeld : über 38 %] und 2 Todesfälle bei 200 Geburten vor, von denen einer der letzteren sicher nicht, der andere wahrscheinlich nicht dem Mangel der Cautelen zuzuschreiben war: ,,Weg mit den Vaginalinjectionen und jeder Art innerer Antisepsis für die Hebammenpraxis" [und für die allgemeine Praxis. Ref.].

Zur Vereinfachung des Kaiserschnittes. Dr. Fritsch. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 23, 1889.)

2 Fälle in denen sero-seröse Naht der alte Kaiserschnitt (also auch Durchführung durch dieDecidua) einmal mit Sublimatcatgut, das zweite Mal mit Hinzunahme von Seide genäht wurde, mit gutem Erfolg. Ein- stich 1 Cm. vom Wundrand, etwas schräg gegen den inneren Wundrand. Nähte einen Centimeter von einander, unterbrochen (für Ungeübte ist Seide zu empfehlen). Vortheil wegen der grösseren Einfachheit und Schnelligkeit. „Dies (Verfahren) schmälert aber keinesfalls das grosse Verdienst Sänger's."

Experimentelle Untersuchungen ueber Naehmaterialien bei intra- peritonealen Operationen, speciell bei Uterusnaht beim Kaiser- schnitt. Dr. Thomson, Dorpat. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 24, 1889.)

1. Seide wird (bei Hunden, Katzen, Kaninchen), wenn vollständig steril, mit der Zeit resorbirt.

2. Chromsäurecatgut, Fil de Florence Silberdraht, weil unresorbir- bar, nicht zu verwenden.

3. Carbolcatgut zu verwerfen, wie jeder Catgut, wegen der Infections- gefahr ; speciell Carbolcatgut wegen der zu schnellen Resorbirbarkeit. [Mit Sublimat und Junipercatgut wurde nicht experimentirt. Ref.].

Ueber die Frage der Selbstinfection. Kaltenbach, Halle und Fehling, Basel.

Ueber das Wochenbett bei innerlich nicht untersuchten und nicht ausgespuelten gebaerenden und die selbstinfection. leopold, Dresden.

Ueber Entbehrlichkeit und Gefahren innerer Desinfection bei normalen Gebürten. Mermann, Mannheim. Aus den Verhandlungen

DES 3. CONGRESSES DER DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FUER GYNAECOLOGIE IN

Freiburg i./B. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 27, 1889.)

Kaltenbach : Selbstinfection ist ein Vorgang, bei welchem die schon vor der Geburt in den Genitalsecreten vorhandenen Spaltpilze zur Einwirkung kommen. K. lässt seit Sommer 1883 jede Kreissende vor der ersten Untersuchung mit Sublimat (1 : 1000 3000) ausspülen, um zu verhindern, dass schon im Beginn der Geburt durch wiederholte und oft ungeschickte Untersuchungen vaginale Spaltpilze im Uterus- und Eihöhle eingebracht werden. Hält vollkommene Vernichtung aller Keime nicht für nöthig, sondern will nur die an der Oberfläche haftenden nach Möglichkeit entfernen, die zurückbleibenden durch das Desinficiens

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zeitweise unschädlich machen. Bei längerer Geburtsdauer werden die Ausspülungen, z. Th. mit schwächer desinficirenden Mitteln, öfters wiederholt.

Fei ding : Anstatt Selbstinfection sage man directe und indirecte, oder exogene und endogene Infection. Es gibt Coccen im Vaginalsecret, welche mit Staphylococcen und Streptococcen ziemlich identisch sind, aber keine Infection zu Wege bringen. Es gibt aber solche Selbstinfec- tionen, aber sie verlaufen leicht. Hauptsache ist strenge Desinfection der äusseren Genitalien. Auch nach der Geburt expectatives Verfahren, ausser auf Indication.

Auf Grund seiner Erfahrungen kommt Leopold zu folgenden Schluss- folgerungen :

1. Man soll von Selbstinfection nur in denjenigen Fällen sprechen, in denen jede andere Ursache für die Temperatursteigerung ganz sicher ausgeschlossen ist.

2. In Anstalten, welche Unterrichtszwecken dienen, sind Infections- quellen oft ganz verborgen, aber doch vorhanden und ausrottbar.

3. In Fällen scheinbarer Selbstinfection Hessen sich nach den vom Vortr. mitgetheilten Fällen andere Quellen der Infection nachweisen.

4. Das Wort „Selbstinfection" ist ein gefährliches im Hinblick auf die Thätigkeit der Anstalten.

5. Die besten Wochenbetten machen die innerlich nicht untersuchten Frauen durch.

6. In klinischen Unterrichtsanstalten ist der Schwerpunkt auf die äussere Untersuchung zu legen, welche fast immer genügenden Auf- schluss gewährt.

7. Ist eine innere Untersuchung nöthig, so ist auf peinliche Antisepsis und Keinhaltung der äusseren Geschlechtstheile zu halten.

8. Nur bei pathologischen Geburten (langer Geburtsdauer, Zersetzung der Frucht etc.) ist antiseptische Keinigung der inneren Theile noth- wendig.

Mermann : Innere Desinfection ist für Hebammen [und nicht gründ- lich in der Desinfection geschulte Aerzte. Kef.] wegen der Möglichkeit der Ausseninfection und wegen der Begriffsverwirrung, die solche bei ihnen hervorruft, sehr gefährlich. Nach der nun folgenden Discussion scheint die Frage der prophylactischen Scheidenirrigation, respective Ausreibung in Deutschland, noch subjudice zu sein, doch sollte der Practiker sich nicht der Polypragmasie befleissigen.

Vier Faelle von erfolgreicher Uterustampon ade bei Atonie. Dr. Eckerlein, Königsberg. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 26, 1889.)

3 Jodoformgazetamponaden und eine mit b% Carbolwindel. Sobald uns eins der üblichen Mittel im Stich lässt, greife man zeitig zu dem Dührssen'schen Verfahren, welches auch ohne Speculum, Kugel oder Kornzange angewendet werden kann.

Corrosive Sublimate and Creolin in obstetric Practice. Dr. H. J. Garrigues, New York. (The American Journal of the Medical Sciences, Aug. 1889.)

1. Sublimat Einspritzungen in Scheide und Uterus sollten nicht stärker als 1 : 5000 sein, nicht mehr als 2 3 Pints betragen und die Flüssigkeit sollte wieder abfliessen. Keine Einspritzungen nach nor- malen Geburten ; sonst intrauterine, höchstens zweimal in 24 Stunden, vaginale, alle 3 Stunden. Man sei auf der Hut vor Kesorption, in solchem Falle sistire man sofort. Nicht zu gebrauchen bei Anaemie, Abortion, Nierenleiden oder Diarrhoe überhaupt vorläufig nicht, ausser es wäre erwiesen, dass es bessere Kesultate als irgend ein anderes Desinficiens lieferte ausser für äusserlichen Gebrauch der Patientin, des Arztes, der Wärterin oder von Substanzen, welche mit der Patientin in Contact

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kommen. Carbolsäure ist vielleicht bei Einspritzungen gerade so ge- fährlich. Andere nicht so kräftige Mittel (Thymol, Bor.) sind manchmal nicht zu verachten.

Creolin ist ein ausgezeichnetes Antisepticum, wenig gefährlich, von kräftiger hämostatischer Wirkung und macht die Oberflächen schlüpfrig, Eigenschaften, welche es hauptsächlich dem Geburtshelfer empfehlen. [Diese Arbeit muss im Original gelasen werden. Ref.].

The early Diagxosis of extrauterine Pregnancy. Dr. J. C. Reeve, Dayton, Ohio. (Ibid, July, 1889.)

I. Darauf hinweisende Symptome : 1. Allgemeine Symptome der Schwangerschaft. Zumal nach längerer Unfruchtbarkeit. 2. Störungen in der Menstruation hauptsächlich Metrorrhagie während dieser Zeit ; plötzliche Blutungen mit starken Beckenschmerzen. 3. Starker Becken- schmerz ; Anfälle von Schmerzen mit nachfolgendem continuirlichen Schmerz in einer Darmbeingegend und andern Symptomen der Becken- entzündung.

II. Präsumptive Symptome : 1. Die Anwesenheit einer Geschwulst, welche sich wie eine pralle Cyste anfühlt, schmerzhaft ist und pulsirt. Regelmässiges Wachsthum desselben. 2. Muttermund mit gelockerter Schleimhaut, Uterus in veränderter Lage und leer.

III. Sichere Symptome : 1. Paroxysmen von heftigen und über- wältigendem Schmerz mit allgemeinen Collapssymptomen. 2. Abgang der Decidua.

Ox the Natüre of croupous Ixflammatioxs with special Referexce TO the Puerperium. Dr. Ohas. G. Stocktox, Buffalo, N. Y.

S. erinnert an vorkommende pseudomembranöse oder wirklich diph- therische Entzündung des Genitaltractus während des Puerperiums, einer Infectionskrankheit, welche durch Ausspülungen nicht gehoben wird.

Dermatologie und Syphilis.

Referirt von Dr. A. F. Buechler.

Zur Behaxdluxg der Psoriasis, ixsresoxdere mit Hydroxylamixum müriaticum. Von Dr. Johx Fabry. (Archiv für Denn. u. Syph., p. 203, 1889.)

Das von Binz in den Arzneischatz eingeführte Mittel, das höchst toxische Eigenschaften besitzt und lähmend auf die Nervencentren wirkt und in grösseren Dosen Krämpfe mit lethalem Ausgange herbei- führt, wurde, nachdem es schon früher von Eichh« ff wegen seiner redu- cirenden Eigenschaften, indem es Oxyhaemoglobin in Methaemoglobin überführt, in die derinatologische Praxis eingeführt, und seinerseits bei Lupus und verschiedenen mykotischen Processe Anwendung fand, von Fabry bei der Psoriasis äusserlich applicirt.

Nach gründlicher Beseitigung der Schuppen wurden entweder eine alcoholische Lösung von 0,2—0,5 Hydroxyl. muriat. auf 100 Spirit. vini und Calcar. carbon q. s. ad. neutral, eingepinselt, oder Umschläge einer wässerigen Lösung (1 : 1000) applicirt.

Nach F. steht es dem Chrysarobin und der Pyrogallussäure nicht nach, und besitzt den Vortheil die Wäsche und den Körper nicht zu ver- färben. Man muss aber wegen seinen toxischen Eigenschaften sehr vorsichtig in seinem Gebrauche sein. Bei manchen Patienten ist die Anwendung so schmerzhaft, dass mit dem Mittel ausgesetzt werden muss.

Eix Beitrag zur Salbexsoxdexbehaxdluxg der chroxischex Urethritis. Dr. Karl Sradek. (Arch. f. Demi, und Syphilis, p. 171, 1889.)

Nach S. ist die Salbensondenbehandlung bei denjenigen Fällen der chronischen Urethritis angezeigt : 1. Bei denen sich eine Verdickung

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der Harnröhrenwand, mit. consecutiver Verengerung des Lumens ein- stellt. 2. Bei den atonischen Formen der Harnröhrenerkrankung mit passiver Hyperaemie und nervösen Symptomen, bedingt durch eine lang anstehende Gonorrhoe. 3. Bei anderen Formen der Gonorrhoe, die durch irgend einer Ursache andere Behandlungsmethoden resi- stiren. 4. Bei Neurasthenia sexualis. Contraindicationen bilden chro- nischer Tripper mit eitriger Absonderung und Schmerzen in der tiefen Harnröhre, besonders wenn Complicationen von Seiten der Prostata und Blase vorhanden sind.

Bezüglich der Methode, so benutzt S. aus Zinn verfertigte Benique'- sche Sonden, die mit der von Sperling empfohlenen Salbenmasse, bestehend aus Argent. nitric 0,01 0,03. Cera alba 4,0, Lanolin 20,0 be- strichen werden. Die Einführung geschieht höchstens jeden zweiten Tag.

Ueber die Behandlung der chronischen Gonorrhoea. Dr. Max Bender. (Arch. f. Derm. u. Syph., p. 367, 1889.)

Bender bestätigt die Erfahrungen Caspar's in der Behandlung der chronischen Gonorrhoe mittelst cannelirter Salbensonden. Schon nach wenigen Tagen stellte sich Be.-serung ein, welche sich durch die Ab- nahme der Eiterkörperchen und die subjectiven Beschwerden des Patienten documentirt. Als besonders geeignet sind Fälle von diffuser Gonorrhoe mit peii urethraler Infiltration, oder bei denen bereits An- fänge oder ganz entwickelte Stricturen vorhanden sind.

Ueber Hydrargyrum salicylicüm. Dr. Hahn. (Arch. f. Derm. u. Syph., p. 317, 1889.)

Aus der Doutrelpont'schen Klinik werden hier die Resultate von Einspritzungen mit Hydrargyrum salicylicüm mitgetheilt. Im Ganzen finden die Beobachtungen von Weisser, Plumert und Szadek Bestäti- gung. Als Vehikel wird Parafinum liquidum benutzt. Mit Rücksicht auf die von Runeberg beschriebene lethal endende Quecksilber- intoxication nach Calomelinjectionen, ist die Dosirung etwas kleiner als gebräuchlich. Es werden in viertägigen Intervallen Einspritzungen von 0,06 Hydrargyrum salicyl. gemacht. Ueber Schmerzen wird kaum geklagt. In einzelnen Fällen bildeten sich kleine Infiltrate um die Injectionsstelle aus, die in wenigen Tagen verschwanden.

Ein bedeutender Vorzug des Mittels besteht darin, dass es nur selten Stomatitis erzeugt. Erscheinungen von Seiten des Darmes wurden nicht beobachtet.

Syphilitic Epididymitis. G. W. Davis, M.D. (The Weekly Medical Revue, June 22, 1889.)

Bekanntlich ist die syphilitische Epididymitis eine seltene Erschei- nung. Davis berichtet über einen Fall, bei dem sich vier Wochen nach dem Erscheinen eines Schankers eine kleine Anschwellung der Epidi- dymis ausbildete. Im vierten Monat der Erkrankung kam der Patient in Behandlung mit einer 3£" langen und 1" breiten indurirten fast knorpelartigen Geschwulst, die die ganze linke Epididymis einnahm, und sich den Samenstrang entlang bis zum Os pubis erstreckte. Es waren ausserdem exquisite Erscheinungen der secundären Syphilis vorhanden. Mittelst Pillen von Hydrarg. protojod. 0,06 und der oert- chen Anwendung von Ung. cinereum, stellte sich rasch Besserung ein.

Ueber Nervenaffectionen bei Lepra und deren Beziehungen zu den pathologischen Stoerungen der Haut. Beaven Rake, M.D. (Monats- hefte f. prac. Derm., Band VIII, p. 554.)

R. liefert eine interessante Abhandlung, der wir Folgendes ent- nehmen :

Die Nierenerkrankungen sind schon längst als eine nicht ungewöhn- liche Ursache des lethalen Ausganges der Lepra bekannt. Bei fünfzehn

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Autopsien fand Carter die vergrösserte Niere sechsmal, sechsmal Schrumpfniere, und dreimal waren die Nieren normal.

Bezüglich der Lepra tuberosa, sagen Damelsen und Boeck, dass wenn die Leprösen lange genug am Leben erhalten bleiben,, die Nieren fast immer mehr oder weniger ergriffen werden. Die Kapseln der Nieren sind oft mit kleinen Tuberkeln besetzt. Bei der anästhetischen Lepra finden sich dieselben Veränderungen und ausserdem Cysten der Nierensubstanz.

Während Kake in einigen spärlichen Fällen die Cysten antraf, konnte er niemals die Tuberkeln constatiren.

Nach Hillis, ist die Nephritis die Todesursache von 22,5% der im Knötchenstadium verstorbenen Patienten. Bei der anästhetischen Form gingen 11% der Verstorbenen an Ascites zu Grunde, die jedoch nicht der Ascitis zuzuschreiben ist.

Corml und Babes erkennen die gewöhnlichen Formen der Nephritis nicht an, schildern jedoch die „albuminöse Nephritis" als Complication von Amyloidentartung anderer Organe, in Folge von Ulcerationen der Haut und Schleimhäute.

Wie bei den anderen Organen, haben diese Verfasser auch in den Nieren Leprabacillen angetroffen, ohne dass man sichtbare Ver- änderungen des Gewebes auf sie zurückführen könnte.

Verfassers eigene Erfahrung bezieht sich auf 74 Sectionen, die er am Leprahospital auf der Insel Trinidad vornahm. Bei diesen fanden sich Nierenentzündung in einer oder der anderen Form in 23 Fällen (29,4%).

Unter 12 der tuberösen Form, fand sich einmal acute Nephritis, sieben- mal grosse weisse Niere, zweimal Schrumpfniere, zweimal Mischformen.

Bei der gemischten Form der Lepra, einmal grosse weisse Niere, und einmal Mischform.

Von 9 Fällen der Lepra anaesthetica constatirte er dreimal grosse weisse Niere, fünfmal Mischformen, und einmal Schrumpf niere. Be- züglich der Lebensdauer der mit Nierenaffectionen behafteten Leprösen, so war dieselbe im Durchschnitte fast 13 Jahre.

Nur in zwei Fällen unter 49, bei denen die Nieren microscopisch untersucht wurden, fand sich der Bacillus leprae. Hier zeigten aber die Nieren keine entzündlichen Erscheinungen. B. schreibt dem Bacillus als directem aethologischen Factor der Nierenentzündung der Leprösen nur wenig Bedeutung zu. Ein interessantes Moment, das der Verfasser betont, ist der chronische Krankheitsverlauf bei den mit Nierenaffecti- onen behafteten Leprösen. Währenddem die Durchschnittsdauer aller Formen der Lepra, die im Hospital unter Beobachtung standen, sich auf Jahre beläuft, erreichen die mit Nierenaffectionen 12| Jahre.

Tritt Anasarca auf, so enden die Fälle rasch lethal.

Eine andere interessante Beobachtung, nämlich, dass das Leben bei Nierenaffectionen, welche die anaesthetische Form begleiten, viel länger erhalten bleibt, als bei denjenigen, die die Lepra tuberosa compliciren, wird vom Verfasser betont. Dieses fände seine Erklärung dadurch, dass bei der tuberösen Form die Knoten sich um die Schweissdrüsen ausbilden, letztere ausser Thätigkeit setzen, und den Nieren dadurch eine plötzliche Arbeitsvermehrung aufbürden, während bei der Lepra anaesthetica die Schweissdrüsen erst secundär durch Veränderungen in den Nervenbahnen allmälig functionsunfähich werden, so dass die vermehrte secretorische Thätigkeit der Nieren langsamer in Anspruch genommen wird.

Therapeutische Mitteilungen.

Oeleingiessungen in den Darm bei Ileus. Köhl (Chur) befürwortet grosse Eingiessungen von Olivenöl in den Darm. Er nimmt 1— 2 Liter. Knieellenbogenlage der Patienten. Methode wurde zuerst von Haffter

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angegeben. Ein lethal verlaufener Fall bestärkt den Verfasser in der Annahme, dass das Oel, trotz Curschmann's Keferat auf dem 8. Congress für innere Medicin in Wiesbaden, bei richtiger Application (von ärztlicher IJand stets ausgeführt) die Bauhin'sche Klappe passiren kann, trotzdem von ihm in der betreffenden Leiche keine Oeltropfen im Ileum gefunden wurden. Vor dem Tode erfolgten reichliche Kothentieerungen, welche das Oel fortgeschwemmt haben sollen. Hohe Steisslagq, künstliche Gasauftreibung des Darms und Verbot aller Abführmittel werden nicht erwähnt. Corr. Blatt für Schweizer Aerzte, 15. Juli 1889.

Ein Handgriff zur Unterdrückung des Stickkrampfes beim Keuch- husten, wird (in derselben Nummer) von O. Naegeli (in Ermatingen) angegeben, der darin besteht, dass der Unterkiefer des Kindes während des Hustenanfalls nach vorn und unten gezogen wird, wie beim Narcoti- siren. Dabei wird das Kind zum Tiefathmen aufgefordert. Die ganze Krankheit soll durch dieses forcirte Aufheben des Muskelkrampfes abgekürzt werden. Letzteres ist wohl Illusion, aber der Handgriff dürfte doch seinen Nutzen haben.

Die beim Fussschweiss angeordnete Application von 5%tiger Chrom- saeure hat sich in der deutschen Armee glänzend bewährt. Von 18,000 Patienten wurden 42 Proc. geheilt, 52 Proc. gebessert und bloss 8 Proc blieben unbeeinflusst. Die Application wird alle 6 Wochen wiederholt.

Die Chloroformwasserinhalationen bei Keuchhusten empfiehlt Schilling in der Münch. Med. Wochenschrift, 16. Juli 1889. In 62 Fällen hatte er hiermit befriedigende Erfolge. In den Dampfkessel des Inha- lationsapparates kommen 1 Esslöffel voll Wasser und je nach dem Alter des Kindes doppelt so viele Tropfen als das Kind Jahre zählt. Das lässt man bis zum Verdampfen viermal täglich einathmen.

Chloroforminhalation bei schwerer Pneumonie und drohendem Collaps wandte Philippi (Felsberg, Ibidem) bei einem 60jährigen Potator im bestem Erfolg an, indem sich die oberflächliche Athmung, der Puls und das ganze Befinden des Patienten sofort besserten und derselbe schliesslich genas. Ob in diesem Fall der Collaps am Ende nicht doch durch ein mitlaufendes Delirium tremens bedingt war, und so die Wirk- samkeit des Chloroforms durch Beruhigung des abnorm gereizten und geschwächten Nervensystems zu erklären ist, könnte man dahingestellt sein lassen. Clemens (Frankfurt) soll übrigens schon früher über die günstige Wirkung von Chloroforminhalation bei 42 Fällen von Pneu- monie berichtet haben.

Behandlung der Diphtherie mit Salicylsaeure. Prof. d'Espine gründet diese seine Behandlung auf bacteriologische Untersuchungen, die er in Gemeinschaft mit Dr. de Marignac unternommen hat. Sie fanden, dass der Löffler'sche Bacillus bei 5 Minuten dauerndem Contact mit Salicylsäure in wässriger Lösung von 1 : 2000 getödtet wird. Mit einer bis 2%igen Lösung wurden die Pseudomembranen des Nasen- rachenraums stündlich oder zweistündlich irrigirt. Vom Mund aus wurde die Irrigation mittels eines Irrigators oder einer Birnspritze besorgt, in der Weisse, dass ein scharfer Flüssigkeitsstrom die Pseudo- membranen badet ; für die Nase beschränkte man sich darauf, die Lösung esslöffelweise in die Nasenlöcher zu giessen. So sollen in den ersten 24 Stunden der Behandlung 1 2 Liter der Lösung verbraucht werden. Verletzungen werden bei der Irrigation nicht gesetzt. Mehrere Stunden dieser Behandlung sollen oft genügen, um das Fieber zum Fallen zu bringen, nach 2—3 Tagen soll sich der Bachen von Pseudo- membranen reinigen. Frühzeitiger Beginn dieser Behandlung ist nöthig, sie kann bei Epidemieen, auch bei anscheinenden Anginen prophy- lactisch angewandt werden. Neu bei dieser Application ist nicht das Mittel, sondern die Anwendung grosser Flüssigkeitsmengen mit dem Irrigator. (Corr. Blatt f. Schw. Aerzte, 15. März 1889.)

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Natron Salicylicum bei Pleuritis sicca wird von Leopold Herz (Wien. Med. Wochenschrift, No. 28, 1889) an der Hand von 3 einschlä- gigen Fällen empfohlen. Da sich die Temperatur in den 2 ausführlich berichteten Krankengeschichten aber trotz starker Dosen dieses Mittels mehrere Tage lang hoch hielt, so wäre es doch wohl rationeller statt des Salicyls das Antipyrin anzuwenden, dessen schmerzstillende Wir- kung in den meisten Fällen auch das Morphium überflüssig macht, was nach dem Bericht von Herz bei der Anwendung des Salicylnatrons nicht der Fall ist.

Parenchymatoese Kreosotinjectionen bei Tuberculose der Lungen. A. Andreesen (Jalta) berichtet hierüber Folgendes in der St. Petersburger Medizinischen Wochenschrift, No. 25, 1889 : „Wenn auch in einigen ärztlichen Kreisen das Vorurtheil besteht, dass das Kreosot bei langdauernder medicamentöser Anwendung Nie- renreizung und Nephritis mache, so kann ich das nicht bestätigen. Bei 6 Patienten, die im Laufe von 5 6 Monaten 100 Gramm Kreosot ver- brauchten, habe ich nie Eiweiss im Harn nachweisen können. Nur scheinen mir über 0,3 gehende Gaben bei Pat. mit erregbaren Gefäss- system das Herz zu schwächen. Ich glaube überhaupt, dass, wenn man nur mit der Wirkung des Kreosots auf den Magen rechnet, man garnicht bis 0,75 und mehr zu geben braucht, sondern 0,3 0,5 p. die ganz ausreichend sind. Ist es nun nicht möglich, die antibacilläre Wirkung des Kreosots benutzend, die Bacillen direct anzugreifen, d. h. die Lungentuberculose mit Kreosot local zu behandeln ? Die Erfolge der Inhalationstherapie sind keineswegs ermuthigend. Da erschien mir die Arbeit von Dr. Kosenbusch*) in Lemberg (Juni 1888) sehr be- merkenswerth. Rosenberg injicirte einer grösseren Reihe von Kranken direct in die erkrankte Lunge eine 3% Lösung von Kreosot in Mandelöl. Die Wahl des Ortes der Injection ist von den vorhandenen Verände- rungen abhängig ; am geeignetsten sind die Fossa supraspinata, der 2. Intercostalraum und Cavernen. Am besten eignen sich Fälle mit be- ginnender Destruction. Sehr bald nach der Injection schwindet der Husten, 5 8 Stunden später erfolgt ein Abfall der Temperatur, der bis zu 24 Stunden andauert. Nach mehreren in 2 3-tägigen Intervallen vorgenommenen Injectionen hört der Husten auf, die Sputa nehmen ab, das Allgemeinbefinden bessert sich ; die Kranken werden fieberfrei. Dabei bessert sich auch oft der physiealische Befund, Dämpfungen hellen sich auf, Rasselgeräusche schwinden. Auch in den verzweifelten Fällen kann man den Kranken Erleichterung schaffen. Rosenbach in- jicirt entweder eine volle Spritze einseitig, oder 2 halbe Spritzen doppel- seitig, so dass die Dosis gewöhnlich 0,03 Kreosot beträgt. Injicirt wird mit gewöhnlicher Pravaz'scher Spritze mit einer Nadel von 6 8 Ctm. Länge. Der Schmerz ist gering, Hämoptoe wurde nur einmal beob- achtet, die schnell vorüberging. 10 Krankengeschichten mit wahrhaft glänzendem Erfolg illustriren das Gesagte. Ueber das Ergebniss der Bacillenuntersuchung verspricht Verf. in einer späteren Arbeit zu be- richten. Spätere Arbeiten des Verf. sind mir nicht bekannt geworden, auch nicht Mittheilungen von anderer Seite.

Da mir diese Behandlungsweise rationell erschien, so habe ich die- selbe in einigen Fällen versucht und zwar bei 6 Tuberculosen, von denen sich 5 im letzten Stadium befanden mit absolut schlechter Prognose. Gemacht habe ich im Ganzen 60 Injectionen, bei 2 Kranken je einmal unmittelbar nach der Injection leichte Hämoptoe beobachtet, die nach einigen Minuten von selbst stand ; sonst habe ich keine bedrohlichen Zufälle beobachtet. Einen überzeugenden Einfluss auf das Fieber habe ich nicht beobachten können ; wohl aber wurde in einem Falle aus einer Febris hectica eine Febris continua. Der Husten wurde in 1 Falle stets

*) Wiener Medicinische Presse 1888, No. 3, 24—26.

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nach der Injection mehrere Stunden stärker ; bei einem Pat., der un- aufhörlich hustete, hörte der Husten nach den beiden ersten Injectionen für 3 4 Stunden ganz auf, es trat dafür leichte Dyspnoe* auf, worauf sich der Husten noch stärker fortsetzte. Bei einer Patientin mit con- tinuirlichem Fieber und starken Nachtschweissen sistirte eine halbe Spritze (0,015 Kreosot) für 2 Tage den Nachtschweiss, welchen Effect ich dreimal beobachtete ; Patientin bat selbst um die Injection. Einem Kranken mit doppelseitigen Cavernen, starkem Husten, hohem Fieber, Appetitlosigkeit schafften die ersten 4 Injectionen zweifellos Erleichte- rung, da Patient mich sehnlichst erwartete ; er behauptete sich besser zu fühlen, Appetit zu haben und vor allen Dingen besser schlafen zu können. Spätere 6 Injectionen waren ohne Effect, ein sicherer Einfluss auf die Temperatur war nicht nachzuweisen. Nur in einem Falle ist vielleicht auch der physicalische Befund günstig beeinflusst worden. Es handelt sich um eine Patientin, 31 a. n., 2 Jahre krank ; Infiltrat in beiden oberen Lappen, zerstreute Herde links im Oberlappen, links oben Destruction, Laryngitis, Abends subfebrile Temperaturen, Allge- meinbefinden mässig gut. Nachdem Pat. vom Nov. vorigen Jahres bis Januar dieses Jahres Kreosot in grossen Gaben erhalten und der Zu- stand im Allgemeinen unverändert derselbe geblieben, auf den Lungen ein stetiges Fortschreiten des Processes zu constatiren gewesen war, wurde das Kreosot ausgesetzt. Pat. erhielt bis Ende März 9 meist doppel- seitige Injectionen, worauf die Temperatur normal wurde, die Basselge- räusche bedeutend abnahmen und das Allgemeinbefinden sich bedeutend hob. Die Bacillen liessen sich wie früher nachweisen. Was die Reaction bei und nach den Einspritzungen betrifft, so trat bei Injectionen in Ca- vernen fast immer unmittelbar nach der Injection ein Krampf husten von kurzer Dauer auf, häufig mit Brennen im Halse und starkem Geruch nach Kreosot, der einigen Patienten sehr lästig war. Diese Erscheinungen traten bei der letztgenannten Patientin, die physikalisch keine grössere Ca verne aufwies, nur einmal auf. Ich hatte, als ich vom Rücken her die Nadel einführte, in der Tiefe ein Gefühl des Widerstandes; wahrscheinlich hatte ich einen Bronchus angestochen ; gleich darauf trat Husten und Kreosutgeruch auf ; sonst keine Folgen. Die Injectionen sind fast schmerzlos, besonders wenn sie vom Rücken gemacht werden. Im 2. Intercostalraum vorn gemachte Injectionen riefen leichte Schmerzen oft hervor, die nach einigen Stunden vorübergingen. Die Injection vorn im 2. Intercostalraum ist sehr leicht zu machen ; am Rücken lassen sich die Intercostalräume schwerer durchführen. Wenn man den Patienten die Hand der betreffenden Seite auf die andere Schulter legen, die be- treffende Schulter senken lässt, so gelingt es immer zwischen Wirbel- säule und Scapula, näher zur Scapula hin, nach oben von der Spina scapulae, einen der oberen Intercostalräume durchzufühlen und hier die Injection zu machen. Wenn ich auch mit meinen Versuchen zu keinem abschliessenden Urtheil über den Werth dieser Behandlungs- methode gekommen bin, so hat sie doch viel Bestechendes für mich. So viel glaube ich sagen zu können, dass sie im Allgemeinen ungefähr- lich ist. WTenn auch 3 meiner Kranken gestorben sind, so habe ich doch nicht den Eindruck gewonnen, als ob die Kreosotinjectionen den Exitus beschleunigt haben. Bei Kranken mit beginnender Destruction ohne Complication von Seiten des Kehlkopfes, habe ich keine Injec- tionen gemacht. Patienten der Privatpraxis geben sich zu solchen Versuchen nicht her, so lange ihre Lage noch nicht verzweifelt ist, be- sonders wenn der Arzt einen Erfolg nicht sicher versprechen kann. Ein Material von geeigneten Hospitalkranken steht mir in Jalta nicht zur Verfügung.

Ausser Rosenbusch's Versuchen, den meinigen, verschiedenen anderen bereits früher in dieser Richtung angestellten, sprechen dieje-

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nigen Riva's*) für die Ungefährlich keit dieser Rehandlungsweise. Riva lässt durch eine Stichcanüle mit Gummischlauch 40 50 Ccm. einer 3°/ oo Sublimatlösimg unter schwachem Druck in die erkrankte Lunge ein- fliessen. Schädliche Wirkungen hat er nicht beobachtet, das Fieber sank bald oder nach vorübergehender Steigerung. Zu einem definitiven Urtheil über den Werth der Injectionen ist er nicht gekommen.

Wenn diese Behandlungsmethode gründlich geprüft sich als nützlich erweisen sollte, dürfte die innerliche Anwendung des Kreosots wohl immer ihr Recht behalten, mit Rücksicht auf seine zweifellos günstige Wirkung auf den Magen. Denjenigen, die den Standpunkt Sommer- brodt's theilen, man müsse möglichst viel Kreosot zuführen, dürften hypodermatische Injectionen von Kreosot am rationellsten erscheinen. Rosenthal konnte einem Kaninchen längere Zeit hindurch täglicli 0,1 Kreosot subcutan injiciren, ohne dass das Allgemeinbefinden dadurch litt. Ob dem Menschen eine dem entsprechende Menge Kreosot injicirt werden kann, weiss ich nicht. Da Ummethun eine erhöhte Gerinnungs- fähigkeit des Blutes beim Kreosotgebrauch experimentell nachgewiesen hat, so dürfte die Möglichkeit einer Thrombose und Embolie besonders bei schwachem Herzen dabei mit berücksichtigt werden müssen.

Nachdem ich vorliegende Arbeit zum Druck gesandt, erhielt ich auf meine Anfrage von Herrn Dr. Rosenbusch in Lemberg folgende Mit- theilung über die weiteren Resultate seiner Injectionsmethode :

Ich muss gleich zugeben, dass die Injectionen nicht in dem Grade helfen wie die ersten Versuche es mich hoffen Hessen. Eine längere Beobachtung der von mir auf diese Weise behandelten Kranken lehrte nämlich, dass bei Vielen das anfangs erreichte Resultat bald vor- überging, und dass die nachfolgenden Versuche vollkommen nutzlos waren. Alles das bezieht sich auf Kranke, die leider das grösste Con- tingent für diese Behandlung liefern, d. h. Phthisiker mit ausge- sprochenem Zerfall (Cavernen). Bei diesem Zustand sind die Injec- tionen absolut nutzlos. Anders verhalten sich die Kranken mit Infil- traten und beginnenden Zerfall. In diesen Fällen folgte auf einige Injectionen meistens eine bedeutende Besserung und ich beobachtete bis jetzt deren Viele, bei welchen keine Recidive eingetreten sind."

Allerlei.

An Beiträgen für das Langenbeck-Haus in Berlin sind seit dem letzten Bericht eingegangen :

Von Dr. Peyser, New York, $5.00, Von Dr. Schlitz, Brooklyn, $10.00.

Gesammtsumme der bisher eingezahlten und abgeführten Beträge, $2200.

Dr. F. Lange,

Secretär des Deutsch-Amerikanischen Comite's zur Förderung des Langenbeck-Hauses, 691 Lexington Ave., N. Y. City.

Die Wissenschaftl. Deputation für das Medicinalwesen in Preussen hat dem Minister v. Gossler eine Reihe von Vorschlägen, betreffend die Errichtung einer ärztlichen Schulaufsicht unterbreitet. Dieselbe soll sich erstrecken : erstens auf die Untersuchung der Schulbauten, sowie der Schuleinrichtungen. Die Deputation hat einen Fragebogen entwor- fen, welcher bei diesen ärztlichen Untersuchungen benutzt, und welcher dann, vorschriftsmässig ausgefüllt, an die vorgesetzte Behörde einge- reicht werden soll. In drei oder fünf Jahren muss jedes Schulgebäude mindestens einmal untersucht werden. Ferner soll der Schularzt behufs Feststellung des Gesundheitszustandes der Schüler unmittelbar nach Beginn des Schuljahres jede Schule einmal untersuchen. Ebenso ist jeder neu eintretende Schüler einzeln zu besichtigen, etwaige Mängel oder Schäden sollen im Wege der Rücksprache mit den Lehrern nach Kräften

*) Centralblatt für klin. Medicin, No. 16, 1888.

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beseitigt werden. Die staatlichen "Verwaltungsbehörden bestimmen, welche Aerzte, und unter welchen Bedingungen dieselben die Schulauf- sicht ausüben sollen, und auf welche Schulen dieselbe sich zu erstrecken habe. Für grössere Städte, ebenso für grössere mit Alumnaten ver- bundene Anstalten empfiehlt die Deputation die Anstellung besonderer Schulärzte.

Der dueke " Doctor. Ein hübsches Stückchen rheinischen Humors förderte ein seit Kurzem in einem Nachbardorfe von Bonn wirkender blutjunger Arzt zu Tage. „Herr Doctor," sagte beim Empfang der Rechnung ein biederer Bürgersmann zu dem Jünger Aesculaps, „Ir sit auver jett dür" (etwas theuer). „Ja, ming Frönd," war die Antwort, dat hett minge Vatter all gesaach, als ich noch in Bonn bi de Studente waor, J ung, hett he gesaach, Du büs ne düre Jung ! "

„Wuerde das Abkochen von giftigen Insekten, wie Spinnen u. s. w., in einem Topf mit Kraut den menschlichen Organismus angreifen oder Schweine tödten" ? So erkundigt sich ein (Korrespondent von " The Medical Brief" in der Augustnummer bei den Lesern des Journals. Wir sollten meinen es würde die" giftigen Insekten am meisten an- greifen.

Ein anderer Correspondent fragt an, warum ein Kind mit drei- facher Nabelschnurumschlingung todt geboren wurde, worauf der Editor gemüthlich antwortet : „Ei, lieber College, wenn Sie einige Stunden lang drei hänferne Schlingen um den Hals dulden müssten, wären Sie auch todt ! " Ein Dritter verlangt Rath bei der Behandlung eines 17monatlichen Kindes, das ,,an partieller Lähmung der rechten Körper- hälfte leidet, welche auch kleiner ist als die andere. Wir haben dem Kind einige präparirte Nährmittel und Bier gegeben, und es ausser- dem mit Brandy eingerieben." Wie wär's, wenn der College der kleinen Patientin einen anderen Arzt verschreiben würde.

Was man in Kansas unter Sterilisiren der Milch versteht, zeigt ein Leitartikel in der Julinummer des " Kansas Med. Journal." Der Editor gibt folgende Anleitung : „In jedem Hause finden sich gläserne Töpfe zum Obsteinmachen, welche luftdichten (?) Verschluss haben. Wird die Milch nun Morgens gebracht, so giesst man dieselbe in solchen Glastopf und stellt diesen in einen Topf mit Wasser, welcher zum Sieden gebracht wird, bin auch die Milch den Siedepunkt erreicht hat und int letztere dann sterilisirt, nachdem LußabscJduss bewerkstelligt ist." Solche Sterilisation könnte man mit Fug und Becht entsprechend der von Lange erwähnten „carbolisirten Sudelei" (Med. Monatsschrift, Juni, 1889, p. 300), auf- gewärmte Sudelei nennen.

„Unsere Pflichten als Journalisten und die Reformmaassregeln, die wir befüerworten sollten," lautet das Thema, über welches der Vor- sitzende der American Medical Editors' Association (Wm. C. Wile, A.M. M.D.) bei der Jahresversammlung dieser Gesellschaft im Juni sich aus- liess. Der Herr ist auch Editor des " New England Med. Monthly." Wir bringen folgende Bruchstücke in wortgetreuer Uebersetzung wieder : „Es ist eine weitverbreitete Thatsache, dass von Jahr zu Jahr Hunderte von jungen Leuten unsere Colleges verlassen, welche be- kanntlich vollständig unfähig gegenüber dem ihrer wartenden Berufe sind. In vielen Fällen sind dieselben nicht einmal mit den einfachsten Regeln der englischen Satzbildung vertraut, von anderen elementaren Zweigen des Wissens ganz abgesehen. Als Graduirte fand man, dass dieselben nicht mit der Hälfte der in der Praxis vorkommenden Krank- heiten vertraut waren, viel weniger noch mit den verschiedenen Spe- cialitäten in der Medicin. Nicht allein ist es erlaubt, dass solche Leute unsere Colleges [medicin. Lehranstalten sind gemeint. Red.] besuchen, sondern man fordert sie noch durch allerlei Versprechungen dazu auf, so dass heutzutage Niemand mehr erfolgreiche Gründe vorbringen

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kann, welche ihn dazu berechtigen sollten nicht Medicin zu studiren und nach zwei Cursen als Doctor zu promoviren. Ob dieser Gründe ist unser System medicinischer Ausbildung in allen fremden Ländern anrüchig geworden, und ein solcher Ruf bringt uns unwiederbringlichen Schaden." Nun kommt das alte Lied von der „grossen incompetenten und nicht promovirten medicinisclren Einwanderung," und „ausserdem haben auch viele der medicinischen Einwanderer eine nur ungenügende oder auch gar keine Kenntniss unserer Institutionen und Sprache. Dieselben sind fremdländisch geschult und wissen nichts von amerika- nischen Heilmethoden. Diese letzten Gründe allein sollten denselben hier das Practiciren verbieten." Und schliesslich kommt die „ameri- kanische Heilmethode" zur Behebung dieser Uebelstände : „Schutzzoll- politik ist ebenso werthvoll im Fall medicinischer Practiker als in der Einfuhr von fremder Arbeitskraft und von fremden Produkten."

Nach dem was der College selbst über die „Institution" der medici- nischen Erziehung in Amerika sagt, kann ein Nichtbekanntsein mit der- selben doch kaum als Erziehungsmangel aufzufassen sein. Die grosse medicinische Einwanderung suchen wir immer noch, gefunden ist sie noch nicht. Die wenigen medicinischen Eingewanderten in diesem Lande aber, angesichts obiger Auslassungen, mit orthodox-nativisti- scher Consequenz stets als unfertige und incompetente Mediciner hin- zustellen, dazu gehört dieselbe Naivität die von „amerikanischen" Heilmethoden faselt. Sind die Heilmethoden des Collegen nicht besser als die von ihm selbst oben beschriebene „Institution", so können die ein- gewanderten Mediciner allerdings nur profitiren, wenn sie dieselben nicht näher kennen lernen.

The International Journal of Surgery hat unseren offenen Brief (Med. Monatsschrift, Juni, 1889) erhalten und quittirt nun dankend in seiner Julinummer. Die Form der Quittung zeigt, dass die Sendung ihren Zweck erreicht hat, denn sie ist klein ausgefallen.

Typhüsbacillen im Trinkwasser. (Aerztliche Mittheilungen aus und für Baden.) Nachdem in einem bestimmten Theil eines badischen Dorfes bereits 1888 mehrere Typhusfälle vorgekommen waren, stellte es sich heraus, dass drei im December an Typhus erkrankte Personen ihr Trinkwasser aus einem und demselben Brunnen holten. Zum Zweck der bacteriologischen Untersuchung dieses Wassers wurde eine ungefähr 200 Ccm. haltende, mit eingeschliffenem Stöpsel versehene Flasche mit l\iger Sublimatlösung ausgespült und durch luftdicht schliessende Gummikappe vor Infection geschützt. An Ort und Stelle wurde die Kappe abgenommen, das Wasser fünf Minuten abgepumpt, Flasche und Stöpsel durch Ausspülen von jeder Spur Sublimat befreit. Erst dann wurden die Flaschen gefüllt und mit Stöpsel und Gummi- kappe versehen. Die angelegten Plattenculturen zeigten schon nach drei Tagen im Durchschnitt 140,000 Colonieen pro Cubikcentimeter. Auf den 10 Platten entstand eine einzige Typhusbacillencolonie. Sie wuchs auf Kartoffeln und zeigte sogenannte Polkörner. Bisher sind Typhüsbacillen im Trinkwasser nur sehr selten sicher nachgewiesen worden. Deutsch. Med. Woch., 4. Juli, 1889.

Die Mensur in der medicinischen Literatur. Die Sauregurkenzeit hat bei einigen unserer westlichen medicinischen Journale schon früh angefangen, so dass sich z. B. The Cleveland Medical Gazette vom Juni, 1889, bewogen fühlt einen ersten Leitartikel über „Das Duelliren der deutschen Studenten" zu bringen. Unser College wundert sich über diese Sitte, bespöttelt dieselbe als Ausdruck deutscher Hypercultur, und erwähnt dann auch des Faustkampfes als einer rein englischen Mode.— Cleveland muss ein medicinisch sehr stiller Ort sein, sonst hätte wohl unser College ein passenderes Thema für seinen Leitartikel finden können, zumal da er das „Duelliren deutscher Studenten" nur vom Hörensagen kennt. Nothwendig ist die Mensur nicht, doch schärft, sie die Sinne, was solche Leitartikel sicher nicht thun.

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Medictnische Scepsis. Pirogoff soll bei einer öffentlichen Ansprache das Leben des Arztes in drei Abschnitte getheilt haben : Im ersten glaubt derselbe an die auf der Hochschule gelehrten Heilmethoden, in der zweiten nur an seine eigene Erfahrung und in der dritten an Nichts.

Hammelhoden und Schafskoepfe. Nach Brown-Sequard spritzen jetzt eine Beine von Collegen in den westlichen Städten allen alten Pa- tienten den Extract von Hammelhoden unter die Haut, und die Tages- presse berichtet schon über wunderbare Verjüngungskuren. Sollten sich diese Berichte bestätigen, so könnte man auch am Ende mit Nutzen noch andere Theile des Schafes verwenden, namentlich das Gehirn, um damit die abgenutzte Denkfähigkeit mancher Collegen z. B. durch Schaf sextract wieder aufzufrischen.

Eröffnungsrede beim VIII. Congress für innere Medicin.

Gehalten von Prof. Dr. C. Liebermeister in Tübingen.*) Meine hochverehrten Herren Collegen !

Seitdem zum ersten Mal in diesen Bäumen der Congress für innere Medicin sich versammelt hat, sind sieben Jahre vergangen, sieben Jahre fleissiger Arbeit und erfolgreichen Strebens im Gebiete der Wissenschaft und der Praxis. Und an dem, was erreicht wurde, hat unser Congress einen hervorragenden Antheil gehabt, indem er unser Wissen und Kön- nen gefördert und namentlich auch dazu beigetragen hat, eine Klärung der Anschauungen über zahlreiche wichtige Fragen herbeizuführen.

Schon bei der Eröffnung des ersten Congresses hat der damalige Vor- sitzende Frerichs, dem Alle, welchen es Ernst ist um unsere Wissen- schaft, ein dankbares Andenken bewahren werden, darauf hingewiesen, wie in den letzten Jahrzehnten, seitdem die Heilkunde in eine grosse Zahl einzelner Zweige auseinanderging, gerade der inneren Medicin die Aufgabe zugefallen ist, den Stamm zu bilden, welcher alle Zweige zu- sammenhält und die Einheit der medicinischen Wissenschaft repräsen- tirt. Er hat aber auch darauf hingedeutet, wie schwierig in mancher Beziehung die Stellung der inneren Medicin ist im Vergleich zu den Einzelfächern.

In der That, der Chirurg, der Ophthalmologe, der Gynaecologe, der Laryngologe, sie alle haben mit einfacheren Aufgaben zu thun, sie können in der Begel ihr Heilungsgebiet mit dem Auge, mit der Hand untersuchen, die Erfolge ihrer Behandlung liegen gewöhnlich nicht nur ihnen selbst klar zu Tage, sondern sie sind auch dem Kranken augen- fällig und handgreiflich und ebenso dem nicht-ärztlichen Publicum ; dem wirklich tüchtigen Specialisten kann es niemals an der ihm gebüh- renden Anerkennung fehlen.

Um wie viel schwieriger ist die Stellung des Arztes, der sich der inneren Medicin gewidmet hat ! Wir stehen einem Organismus gegen- über, dessen Bau und Functionen wunderbar verwickelt sind,

wo ein Tritt tausend Fäden regt,

die Schifllein herüber hinüber schiessen,

die Fäden ungesehen fliessen,

ein Schlag tausend Verbindungen schlägt. Zur Erkenntniss der krankhaften Zustände in den inneren Organen gelangen wir meist nur auf mannigfachen Umwegen, durch Percussion und Auscultation, durch microscopische und chemische Untersuchung von Excreten und Krankheitsproducten, durch genaue Prüfung der Function der einzelnen Organe, überhaupt durch eine sorgfältige Ana- lyse zahlreicher, aber im Einzelnen oft vieldeutiger Krankheitserschei- nungen. Wie sollte der Kranke oder das Publicum im Stande sein, dem Arzt auf diesem vielfach verschlungenen Wege zu folgen ! Und

*) Aus : Verh. d. VIII. Congr. f. innere Medicin zu Wiesbaden vom 15. bis 18. April 1889. Wiesbaden. Bergmann.

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wenn endlich ein Seilerfolg erreicht ist, wie sollte das nicht-ärztliche Publicum beurtheilen können, wie weit dabei die Thätigkeit des Arztes betheiligt gewesen ist !

Nach einem alten Satze soll Einfachheit die Bürgschaft für die Wahrheit sein : „Simplex sigillum veri". Wie oft ist dieser Satz von Aerzten und Nicht-Aerzten angeführt und als unfehlbares Criterium angesehen worden ! Und doch ist er in Wirklichkeit grundfalsch. Die Wahrheit ist niemals einfach. Wo sie auf eine einfache Kegel zurückgeführt erscheint, da zeigen uns die zahlreichen Ausnahmen, dass wir noch lange nicht die vollständige Formel besitzen. Und in der Me- dicin kann es nichts Einfaches geben, da ja der menschliche Organismus nicht einfach ist. Wer etwa im Ernst meinen sollte, der Geist der Me- dicin sei leicht zu fassen, der würde eben damit zeigen, dass er davon noch nichts erfasst hat. Nur der andauernden und ernsthaften Arbeit kann es gelingen, einen Einblick zu gewinnen in das verwickelte Ge- triebe des Organismus. Vielleicht sind auch unter den Aerzten nicht wenige, welche es bequemer finden würden, wenn die Wege der Wissen- schaft einfacher wären, denen es schwer wird, die ausgedehnten Kennt- nisse sich zu erwerben, die mühevollen Untersuchungen zu machen und die sorgfältigen Erwägungen anzustellen, welche allein zu einer wirk- lichen Erkenntniss und zu einer zweckmässigen Behandlung der Krank- heiten führen können. Wenn nun Jemand auftritt, der vielleicht eine gewisse verdiente oder, unverdiente Autorität besitzt, und es als neuestes Ergebniss der Forschung verkündet, alle diese umständlichen Unter- suchungen und Erwägungen seien überflüssig : das sei Alles nur graue Theorie, für die Praxis habe nur das Einfache wahren Werth, und am einfachsten sei es, Alles nach einer Schablone zu behandeln und es am Ende gehen zu lassen, wie's Gott gefällt, wie sollte es für ein solch bequemes Programm nicht auch unter den Aerzten Anhang finden ! Freilich die tüchtigen Aerzte werden nicht darunter sein, und glück- licherweise nimmt die Zahl der Aerzte, welche strebsam sind und das Bedürfniss haben, durch eigene Forschung und Erfahrung sich ein Ur- theil zu bilden, immer mehr zu. Diese werden nicht durch Einfachheit sich bestechen lassen ; sie wissen, wie verwickelt in Wirklichkeit die Verhältnisse sind, und dass gerade in der inneren Medicin das allzu Einfache schon desshalb verdächtig ist.

Und nun erst das nicht-ärztliche Publicum ! Wie sollte es ihm möglich sein, das Verhalten des Menschen und seiner Organe in Gesund- heit und Krankheit und die Bedingungen, von denen es abhängig ist, zu beurtheilen, Aufgaben spielend zu lösen, welche selbst für den gebil- deten Arzt sehr schwer sind. Wenn wir sehen, wie der Aberglaube in ärztlichen Dingen weit hinaufreicht bis in die höchsten Kreise der Ge- sellschaft, wie so viele sonst gebildete Leute blindlings schwören auf ein Dogma, welches von irgend einem falschen Propheten ausgegeben wurde, wie können wir uns darüber wundern ! Sie sagen eben auch : Simplex sigillum veri. Und die Dogmen der Afterärzte sind ja gewöhn- lich von einer bewunderungswürdigen Simplicität.

Die Erkenntniss, dass dem Publicum gegenüber die innere Medicin einen schwierigeren Stand hat als die Chirurgie und die Specialfächer, wird uns natürlich in keiner Weise entmuthigen. Aber wir werden daraus die Aufforderung entnehmen, unsererseits Alles zu thun, was nöthig ist, um auch die äusserlichen Interessen unseres Faches mit Erfolg zu vertreten. Und ich glaube nicht zu irren, wenn ich annehme, bei der Einrichtung dieses Congresses für innere Medicin sei neben der Absicht, die Wissenschaft zu pflegen und die Anschauungen zu klären, auch der Gesichtspunkt wesentlich in Frage gekommen, dass ein solcher Congress für innere Medicin vorzugsweise geeignet sein werde, die all- gemeinen Interessen des ärztlichen Standes zu vertreten.

Die innere Medicin ist nicht nur das Gebiet, welches die Gemeinsam-

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keit unter allen Zweigen des ärztlichen Wissens und Könnens herstellt, sie ist auch das Gebiet, dem die weit überwiegende Mehrzahl der Kranken zufällt. Selbst im Kriege sind viel mehr Menschen durch innere Krankheiten gefährdet als durch Verwundungen. Die Mehrzahl der Aerzte wird immer vorzugsweise mit inneren Krankheiten zu thun haben. Und dieses numerische Uebergewicht würde allein schon aus- reichen, um für alle Zeiten der inneren Medicin ihre hervorragende Stellung unter der Keine der Einzelfächer zu sichern. Daraus ergibt sich aber auch die Verpflichtung, dass wir überall, wo es sich um all- gemeine ärztliche Interessen handelt, in der ersten Eeihe stehen.

Die ärztlichen Standesinteressen haben ja schon seit langer Zeit in verschiedenen anderen Versammlungen bis hinauf zu den Häusern der Abgeordneten mannigfache und vortreffliche Vertretung gefunden. Aber es will mir scheinen, als ob die Voraussetzungen, von denen man dabei auszugehen pflegt, nicht immer ganz die richtigen seien oder wenigstens nicht immer den zweckmässigsten Ausdruck erhalten hätten.

Wenn wir einfach theoretisch nach der Bedeutung des ärztlichen Standes fragen, so ist uns ja allen klar, dass wir nur Diener der leiden- den Menschheit sind. Wenn es keine Krankheiten und keine Kranken gäbe, so wäre kein Arzt nöthig. Wenn man nun daraus schliessen wollte, der ärztliche Stand sei gewissermaassen nur als ein notwen- diges Uebel zu betrachten, so würden wir uns vielleicht damit trösten können, dass solches in diesem Sinne auch von anderen höchst ehren- werthen und für die menschliche Gesellschaft unentbehrlichen Ständen gelte ; wenn es keine Eechtsstreitigkeiten und keine Verbrechen gebe, so wären auch die Eechtsgelehrten überflüssig ; und bei aller Achtung vor dem Stande der Aerzte und der Juristen wird es gewiss Niemanden übel zu nehmen sein, wenn er wünscht, möglichst wenig krank und möglichst wenig in Civil- oder Criminalprocesse verwickelt zu werden. Aber wie bei den Juristen, so bezieht sich auch bei den Aerzten dieser Gesichtspunkt nur auf die eine Seite ihrer Thätigkeit. Höher als die Aufgabe, Krankheiten zu heilen, steht uns die Aufgabe, Krankheiten zu verhüten : wir ziehen die Prophylaxis, wo sie möglich ist, jeder anderen Therapie vor. Und darum ist jeder Vertreter der inneren Medicin von, selbst auch Hygieiniker. Wie die öffentliche Gesundheitspflege über das ganze Volk, so wacht in seinem kleinen Kreise der Arzt über die ein- zelnen, indem er sucht, ihr Wohlergehen zu befördern und sie vor Krankheiten zu schützen.

Wenn wir in dieser Weise die Bedeutung des ärztlichen Standes und seine Stellung zur menschlichen Gesellschaft erkannt haben, so werden wir, wo es sich um Standesinteressen handelt, immer zuerst fragen nach den Interessen des Publicums und der Kranken. Nur was diesen ent- spricht, das liegt im wahren Interesse des ärztlichen Standes. Es ist mit dem ganzen Stand, wie mit dem einzelnen Arzt. Wenn Jemand für angehende Aerzte einen Leitfaden der ärztlichen Politik schreiben wollte, so dürfte er ihn betiteln : „über die Pflichten des Arztes." Denn der Arzt, welcher am besten gegenüber den Kranken seine Pflicht thut, befolgt damit zugleich die beste Politik. Ich glaube in Ihrer aller Sinne zu reden, wenn ich sage : jede Maassregel, welche im Interesse des ärztlichen Standes vorgeschlagen wird, sollte nicht begründet werden durch den Hinweiss auf den ärztlichen Stand, sondern auf die Interessen der Gesammtbevölkerung ; denn diese allein sind maassgebend.

Dass aber dabei auch die Interessen des ärztlichen Standes am besten gewahrt werden, wird sofort deutlich, wenn wir nur einige Forde- rungen, welche die Aerzte zu stellen pflegen, von diesem Gesichtspunkte aus betrachten.

Das Publicum bedarf vor allem eines ärztlichen Standes, der so ge- stellt ist, dass er unbeirrt durch niedrige Kücksichten seinem hohen und schwierigen Berufe sich widmen kann. Diese Forderung zu erfüllen,

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ist nur zum Theil Sache des Staates ; zum grossen Theil ist es unsere eigene Aufgabe. Je höher wir uns stellen, desto höher werden wir stehen.

Es ist ferner Aufgabe der Gesetzgebung, im Interesse des Publicums dafür zu sorgen, dass nur solche Aerzte durch eine staatliche Approba- tion demselben empfohlen werden, welche eine vollständige Durchbil- dung erlangt haben. Ob gerade in Bezug auf die innere Medicin die Vorschriften für die Staatsprüfung, wie sie gegenwärtig in Deutschland gelten, der Bedeutung dieses Faches entsprechen, dürfte wohl zweifel- haft sein ; doch will ich hier nicht näher auf diese Frage eingehen.

Wir müssen ferner fordern, nicht für die Aerzte, sondern für das Publicum, dass dieses von Staats wegen geschützt werde gegen Aus- beutung und Schädigung durch Quacksalberei und Reclame. Wenn die Gesetzgebung es für nöthig hält, die Staatsangehörigen zu schützen vor Verfälschung der Nahrungsmittel, hat sie dann nicht die gleiche Ver- pflichtung in Bezug auf schädliche Geheimmittel ? Und wenn man sich verpflichtet fühlt, die Ausbeutung des Publicums durch Spielbanken und Lotterien gesetzlich zu verhindern, besteht dann nicht die gleiche Pflicht gegenüber der Ausbeutung und Schädigung durch Anpreisungen von Medicastern, welche alles versprechen und nichts halten können ? Diesen letzteren gegenüber ist das Publicum doch noch weniger urtheilsfähig und zur Selbsthülfe geschickt.

Wir Aerzte als seine natürlichen Berather haben für alle diese Interessen des Publicums unsere Stimme zu erheben Wenn dann die Volksvertreter und die übrigen maassgebenden Factoren der Gesetz- gebung finden sollten, dass es nicht nöthig oder nicht thunlich sei, in dieser Richtung einzuschreiten, so haben wir wenigstens unsere Pflicht gethan, und wir können uns darauf verlassen, dass die Zeit nicht fern ist, wo die Schädigung des Volkswohls deutlich genug sein wird, um auch an maassgebender Stelle als der Abhülfe bedürftig erkannt zu werden. Wir werden auch ferner in dieser wie in jeder anderen Be- ziehung unsere Pflicht thun.

Meine Herrn ! Unser Congress, dessen Verhandlungen auch von dem nicht-ärztlichen Publicum mit Interesse verfolgt werden, hat durch die bisherigen sieben Tagungen wesentlich dazu beigetragen, dieses Publi- cum aufzuklären über die Bedeutung und Bestrebungen der inneren Medicin. Er hat gezeigt, dass wir weit davon entfernt sind, die Ver- hütung und die Heilung krankhafter Zustände für eine einfache Sache zu halten oder nach einer einfachen Formel zu betreiben, dass wir viel- mehr alles benutzen, was uns die Natur an heilkräftigen Einwirkung bietet, von den diätetischen und psychischen bis zu den physicalischen und chemischen Heilmitteln, und dass es eine lächerliche Anmassung ist, wenn einzelne Aerzte oder andere Heilkünstler glauben machen wollen, sie allein seien im Besitz der wahren Naturheilmethode. Wir haben genugsam gezeigt, dass wir frei sind von jeder Einseitigkeit. Wir begrüssen mit Freuden alle Fortschritte der Specialfächer ; wir wissen, dass jede Errungenschaft in einem einzelnen Gebiete der allge- meinen Wissenschaft zu Gute kommt.

Unser Congress ist auch vor schwierigen und verwickelten Aufgaben nicht zurückgeschreckt, wenn die Erörterung derselben einen Nutzen versprach für die Behandlung der Kranken. Auch in diesem Jahre stehen wichtige und schwierige Fragen auf der Tagesordnung. Wir gehen mit Freudigkeit an die Besprechung derselben heran, nicht in dem Glauben, als könnten wir sie endgültig lösen, aber mit der Ueber- zeugung, dass, wenn jeder sein Bestes beiträgt, daraus eine Förderung unserer Erkenntniss hervorgehen werde, welche für unsere Kranken von Nutzen sein wird.

Meine Herrn ! Ich eröffne hiermit den achten Congress für innere Medicin. Ich heisse Sie alle herzlich willkommen, die Sie, zum Theil aus weiter Ferne, hier zusammengekommen sind zu gemeinsamer

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Arbeit. Ich begrüsse besonders auch die Vertreter der Chirurgie und der Specialfächer, deren Anwesenheit bei unserem Congress uns wieder den erfreulichen Beweis liefert für die Einheit der Wissenschaft ; ich bitte dieselben, uns mit ihrer Erfahrung und ihrem bewährten Rath zu unterstützen und uns fördern zu helfen, was uns allen gemeinsam am Herzen liegt, die Wissenschaft und die Sorge für die Kranken.

Büchertisch.

Klinik der Verdauungskrankheiten, II. Die Krankheiten des Magens, von C. A. Ewald. Berlin, 1889. Zweite, neubearbeitete Auflage.

Nach kaum Jahresfrist hat das eben genannte Buch bereits seine 2. Auflage erlebt ; dies beweist am besten die Anerkennung, die der Klinik der Verdauungskrankheiten von den Aerzten gezollt wurde. Das Buch ist in Form von Vorlesungen geschrieben ; die Disposition desselben folgende :

1 2. Vorlesung : Methodik der Magenuntersuchungen. 3 4. Ueber Stenosen und Stricturen der Cardia und des Pylorus. 5. Der Krebs des Magens. 6. Das Magengeschwür. 7. Die Entzündung der Magenhäute. Gastritis glandularis acuta, idiopathica et sympatica. Gastritis phleg- monosa purulenta. Gastritis toxica. 8. Die Gastritis glandularis chro- nica. Der chronische Magencatarrh. 9 11. Die Neurosen des Magens. 12. Wechselbeziehung zwischen Magen- und anderen Organerkran- kungen. Schlussbetrachtung.

Das Werk gibt so in leicht übersichtlicher Form und in schöner classischer Sprache eine vollständige Schilderung der Erkrankungen des Magens und deren Behandlung. Meistervoll und geradezu unüber- trefflich ist das Capitel „über den chronischen Magencatarrh". Das Buch führt ausserdem die Besultate fast aller Arbeiten, welche auf dem Gebiete der Magenkrankheiten erschienen und von Bedeutung sind, an, und gewinnt dadurch noch mehr an Werth. (Einhorn.)

The American Armamentarium Chirurgicum. Geo. Tiemann & Co., 107 Park Kow, New York. (Edition of 1889.)

Die New Yorker Firma, George Tiemann & Co., hat eine neue Auf- lage ihres bereits in erster Auflage so glanzvoll ausgestatteten Preis- cataloges veranstaltet und uns ein Exemplar desselben freundlichst übermittelt. Diese neue Auflage kann als ein wahres non plus ultra eines technischen Figurencataloges namentlich auch insofern bezeichnet werden, als sie ein vollständiges Lehrbuch der Benützung der Instru- mente darstellt. Die in bekannter Vollkommenheit ausgeführten Abbildungen sind nämlich durchwegs von erläuterndem Texte begleitet, in welchem auch die Technik des Operationsverfahrens, soweit dasselbe durch die Verschiedenartigkeit der bei den einzelnen Operationen benutzten Instrumente beeinflusst wird, Bücksicht genommen ist.

Das ganze Werk stellt einen mächtigen Band von 846 Kleinfolio- seiten dar, in welchem das gleichzeitig als Preisverzeichniss dienende Register für sich allein 74 enggedruckte, zweispaltige Seiten einnimmt.

An die Leser.

Der Preis der „Med. Monatsschrift" ist 82.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscr'vpte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist den Westen in den nächsten 3 i Monaten, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN. L

Die Therapie der Acne disseminata.*)

Von

Dr. Louis Heitzmann,

Arzt am Deutschen Dispensary, New Yobk.

Krankheiten, für deren Heilung fortwährend neue Mittel angepriesen werden, sind stets schwer zu heilen, oder auch unheilbar. Unheilbar im Sinne einer medicamentösen Behandlung, denn Niemand wird sich darüber täuschen, dass selbst die schwersten Krankheitsformen durch Naturheilung gut werden können, und bringt der Zufall eine gewisse Anzahl solcher Fälle zur Beobachtung eines Arztes der überdies für dieses oder jenes Heilmittel eine gewisse Vorliebe hat, so ist es nur menschlich, dass er die Heilung seinen Mitteln zuschreibt. Am schlagendsten wird dies durch die bei Lungentuberculose oder Rachendiphtherie anempfohlenen Mittel demonstrirt, wo die wissen- schaftliche Grundlage schon so weit verwerthet worden ist, dass man bei ersterer die Bacillen durch heisse Luft backt oder röstet, bei letzterer mittelst Kochsalz einpökelt.

Nicht ganz so schlimm steht die Sache bei der Acne, trotzdem wir zugeben müssen, dass die Zahl der angepriesenen Mittel schon jetzt Legion ist, und oft sehen wir in Fachblättern Empfehlungen neuer Heilmittel, die ohne specielle Indicationen zur Behandlung der Acne empfohlen werden. Begegnet man nun einem Fall, der keiner be- kannten Methode weichen will, so versucht man selbstverständlich eine nach der anderen dieser neu angepriesenen Methoden, was jedesmal auf einem gelinden Verzweiflungszustand im Gemüthe des Arztes hin- weist, der in der Regel ungebessert bleibt, wenn auch die neuen Mittel keine Besserung des Leidens zu Stande bringen. Den Höhepunkt der Verzweiflung hat jedenfalls einer unserer amerikanischen Specialisten erreicht, der kürzlich erklärte, dass alle Recepte zur localen Behandlung der Acne nicht einmal das Papier werth seien, auf dem sie geschrieben werden. Dieser Herr will die ganze locale Behandlung auf Massage beschränken, wozu er selbstverständlich neue Instrumente ersonnen hat.

Nicht selten wird einem Specialisten von einem allgemeinen Practiker die Frage vorgelegt : Was ist das Beste bei Acne ? Dass

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 9. September 1889.

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diese Frage nicht so leicht zu beantworten ist, wird Jedem klar, der sich die Pathologie der Krankheit in das Gedächtniss ruft. Je nach dem vorwiegenden Symptomencomplex erfordert die Acne sehr verschiedene Behandlungsweisen. Selbst in den Händen des erfahrensten Haut- arztes kann aber jede Behandlung im Stiche lassen, und zwar lässt sich die Anzahl solcher unheilbarer Fälle auf ungefähr 5 Procent stellen, wo zwar zeitweilige Besserung erzielt wird, die Krankheit aber nach einigen Monaten stets wiederkehrt. Der Specialist tröstet sich dann mit dem Gedanken, dass der Patient seine Anweisungen nicht genau befolgt hat, oder auch mit dem unserer therapeutischen Ohnmacht. Auch bei Eczem steht die Sache nicht besser ; hier gibt es etwa 4 Procent rebellischer oder unheilbarer Fälle, die von dem einen Specialisten zu dem andern wandern und nicht geheilt werden, bis einmal ein allge- meiner Practiker ein neues Mittel verschreibt, selbstverständlich ge- wöhnlich ein innerliches, worauf die Krankheit verschwindet. Dass auch hartnäckige Krankheiten manchmal heilen, wenn man nichts thut, kümmert dann weder den Patienten noch den Arzt, welch' letzterer eine grosse Genugthuung darin hat, mehr zu verstehen als alle Specialisten.

Die Acne disseminata, von welcher ich spreche, ist unbestreitbar eine Krankheit der Talgdrüsen und der Pubertät. Man trifft zwar frühreife Kinder bis herunter zu 10 oder sogar 8 Jahren, bei welchen dieselbe auf- tritt, aber diese sind verhältnissmässig sehr selten und sind eben frühreif. Wir haben keine directe Vorstellung über den Einfluss der Pubertät auf dieses Leiden. Wie sollen wir uns vorstellen, dass die Entwickelung des Genitalapparates, Acne im Gesichte, auf der Brust und am Bücken hervorruft? Wir helfen uns da mit der Bezeichnung Beflexneurose. Könnte der Beweis geliefert werden, dass das Leiden im Wesentlichen auf einer Atonie der Musculi arrectores pilorum beruht, dann wären wir dem Verständnisse der Krankheit beträchtlich näher gerückt. Die fächerförmig ausgebreiteten Arrectores pilorum haben augenscheinlich die Hauptfunction, den Inhalt der Talgdrüsen, dadurch dass letztere gegen die betreffende Haarwurzel gedrückt werden, in die Haartaschen zu entleeren. Sind nun diese Muskel unthätig, so sammelt sich der Schmeer in den Drüsen an und erzeugt zunächst Pröpfe, Comedonen, die wieder mit Pigmentköpfchen geziert sind, und zum Ueberfluss Milben enthalten. Die Frage, ob die schwarzbraune Farbe des Comedo- kopfes, wirklich, wie Unna vor mehreren Jahren behauptete, durch Pigment, Ultramarin, erzeugt wird, oder nicht hauptsächlich auf Schmutz zurückzuführen ist, ist noch nicht entschieden. Dringt um diese Pröpfe Staphylococcus pyogenes ein, so wird dieses bei einer ohnedies bestehenden mechanischen Reizung Eiterung hervorrufen. Die einfache Papel kommt dann auf Rechnung der mechanischen, die Pustel auf Rechnung der mikrobischen Reizung. All das ist leider nur Hypothese, und die therapeutischen Versuche mittelst Electricität die Arrectores zur Contraction zu reizen und die Acne somit auf elec- trischem Wege zu heilen, haben sich bisher als fruchtlos erwiesen.

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Mit den zwei Standpunkten einer mechanischen Reizung einerseits, und einer mikrobischen andererseits sind auch die wesentlichen Momente zur Heilung des Leidens gegeben. Gelingt es uns die Schmeer- pröpfe zu entfernen, dann ist die Quelle der mechanischen Reizung ver- stopft, damit ist auch die einer Infection durch Mikroben verschlossen, und wenn schon Pusteln vorhanden sind, und wir im Stande sind durch antiparasitäre Mittel die Eiterung zu beheben, so haben wir wenigstens vom theoretischen Standpunkte aus eine rationelle Heilmethode ge- wonnen, die, wie es die klinische Erfahrung lehrt, in der Mehrheit der Fälle zum Ziele führen wird.

So einfach steht die Sache aber leider nicht, denn abgesehen von der geschlechtlichen Aufregung gibt es noch eine Anzahl causaler Schäd- lichkeiten zur Begünstigung des Ausbruches von Acneknötchen und Pusteln. In Bezug auf ersteren Punkte gilt die Regel, dass bald nach erfolgter Verehelichung, also bei legitimer Befriedigung des Geschlechts- triebes, Patienten beiderlei Geschlechtes von der Acne befreit werden. Ich sage ausdrücklich legitime Befriedigung, denn weder Masturbation noch der Cultus der Venus vulgivaga ist heilsam für die Acne ; im Gegentheil werden solche Reizungen das Leiden gewöhnlich nur ver- schlimmern. Manche Aerzte betrachten die geschlechtliche Sphäre als die ausschliessliche Quelle der Acne und empfehlen folgerichtig Sonden- einführung in die Urethra beim Manne und heisse Vaginaldo uchen bei Mädchen. Ich selbst kann über diese Methode keine Aussagen machen und würde mich hüten dieselbe in Anwendung zu bringen. Ein anderer Vorschlag ist, auf die Vermuthung eines Uterinleidens hin, allen mit Acne behafteten Mädchen Ergot als Fluidextract innerlich in grossen Dosen zu verabreichen. Dasselbe Mittel wurde auch bei Männern anempfohlen. Zahlreiche Versuche haben gelehrt, dass Seeale, allein angewendet, keinen Nutzen bringt, aber allerdings in manchen Fällen die locale Behandlung wesentlich unterstützt. Welche Fälle sich für diese Behandlung eignen, lässt sich von vornherein nicht bestimmen, und da die Erfolge doch sehr gering waren, wurde auch dieses Mittel wieder aufgegeben. Bisweilen trifft man auch verheirathete Frauen die mit Acne behaftet sind und dann ist meist ein Gebärmutterleiden in Verbindung mit dem Hautleiden. Solche Frauen sind gewöhnlich steril, oder, falls sie gravid werden, verliert sich die Acne um nach erfolgter Entbindung wieder aufzutreten.

Es ist behauptet worden, dass alle, oder doch mindestens ein grosser Theil der an Acne leidenden Patienten, Dyspeptiker sind, doch ist diese Behauptung schon lange wieder als unrichtig bewiesen. Dagegen kann nicht bezweifelt werden, dass gewisse Nahrungs- und Genussmittel das Auftreten der Krankheit begünstigen oder schon vorhandene Acne ver- schlechtern. In erster Reihe zählen hier alle Sorten Käse, ferner Gewürze aller Art, nicht aber Salz. Wie sollen wir uns vorstellen, dass ein Stückchen in den Magen gebrachter Käse sich nach 24 Stunden zu einem prachtvollen Acneknoten kristallisirt ? Es werden wohl nicht die Acnebacillen sein die das thun, sondern wahrscheinlich scharfe Stoffe

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der Fettsäuregruppe, die, im Wege der Blutcirculation eine schon vorhandene Reizung vermehren. Salz ist unschädlich ; trotzdem gibt es Menschen die keine Salzgurke ungestraft essen können, wenn sie überhaupt zu Acne disponirt sind. Dass Butter, Kaffee oder Thee eine ungünstige Wirkung haben sollen, davon konnte ich mich nie über- zeugen, auch herrscht im amerikanischen Publikum ein eigenthümliches Vorurtheil gegen den Genuss von Buchweizenkuchen sowohl bei Acne als auch bei Eczem, aber ganz ohne Grund. Von den Genussmitteln sind Alcoholica, zumal der schwereren Sorte, entschiedene Entzündungs- erreger. Bier kann in mässigen Quantitäten ohne Schaden genossen werden, ebenso leichte Weine, dagegen sind stark alcoholhaltige Weine und andere Getränke wie Branntwein entschiedene Acneerzeuger. Als therapeutische Maassregel ergibt sich aus dem Gesagten, dass man jedem mit Acne behafteten Patienten, Käse, Gurken und schwere Alco- holica selbst in den kleinsten Quantitäten von vornherein verbieten soll. Weiss der Patient von anderen ihm schädlichen Nahrungsmitteln, so wird er klug genug sein, dieselben zu lassen.

Stuhl Verstopfung ist bei einer Disposition zu Acne entschieden von Uebel und ist es sehr wichtig für eine regelmässige Darmentleerung zu sorgen. Dies erklärt auch, warum Schwefel, innerlich genommen, sich unter den Laien eines grossen Rufes für Verschönerung der Haut erfreut. Bekanntlich hat Calx sulphurata, innerlich verabreicht, noch bis vor Kurzem warme Vertheidiger in der Behandlung der Acne sowie der Furunkel gefunden, und wird auch jetzt noch von vielen Aerzten in jedem Falle verordnet.

Von der grössten Wichtigkeit ist die locale Behandlung der Acne. Um erfolgreich zu arbeiten, wird es gut sein sich drei Grade oder Formen der Krankheit in das Gedächtniss zu prägen, über welche schon der erste Blick Aufschluss ertheilt.

Erstens : Die Acne ist mit Seborrhoe complicirt.

Zweitens: Die Comedonen sind klein und nicht zahlreich und die Acne vorwiegend von papulösen Charakter mit nur wenigen und kleinen Pusteln.

Drittens : Die Acne ist vorwiegend pustulös, jede Pustel mit hartem Infiltrate umgeben und die Comedonen zahlreich und tief sitzend.

Bei der ersten Form ist die Seborrhoe durch den fettigen Glanz des Gesichtes, zumal der Nase, sofort diagnosticirbar. Die Nase ist dann in der Regel plump, und die Falten der Nasenflügel gegen den Nasenkörper sind undeutlich ausgeprägt oder fehlen ganz. Wenn hierzu noch eine sanfte Röthung kommt, wie das so häufig der Fall ist, besonders nach dem Genüsse von heissen Kaffee oder dem Einflüsse kalter Witterung, so ist das genügend um jedes Gesicht zu verunstalten. In diesen Fällen sind gewöhnlich die Schmeerpröpfe klein, weich und leicht ausdrückbar, jedoch zahlreich, insbesondere an der Nasenspitze und den Nasenflügeln. Ein gelinder Druck mit den Fingernägeln genügt um die Anwesenheit der weichen Schmeerpröpfe zu constatiren. Ausserdem belehrt uns das alte Experiment von Hebra über dessen Anwesenheit, indem man ein

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reines, weisses Taschentuch kräftig über die Haut zieht und sofort den Fettfleck daran erkennt. Diese Form ist fast ausnahmslos mit Sebor- rhoea capitis complicirt, wie sich durch starke Schuppenbildung, durch Fehlen des Glanzes der Kopfhaare und durch frühes Ausfallen derselben äussert.

Diese als Acne seborrhoica bezeichnete Form weicht fast immer einer localen Behandlung mit Schwefel, in Form der Kalkschwefelleber, Solutio Vlemingkx genannt. Das Mittel wurde von einem belgischen Arzte, Vlemingkx, zuerst gegen Scabies empfohlen, und lange Zeit dafür mit grossem Erfolge angewendet, bis es der von Kaposi eingeführten Behandlung mit ß. Naphthol weichen musste. Obwohl schon seit Langem als eines der Mittel gegen Acne des Bückens und der Brust, nicht aber gegen solche des Gesichtes, angewendet, wurde es erst vor ungefähr zehn Jahren gegen Acne im Allgemeinen, speciell aber gegen Gesichtsacne von C. Heitzmann eingeführt. Die Lösung wird bereitet indem man 10 Gramm Calx viva, 20 Gramm Sulphur praecipitatum mit 200 Gramm Wasser in einem Glasgefäss kocht, bis die Masse zu 120 Gramm verdampft ist; hierauf wird filtrirt. Sie ist dunkelgelbbraun und riecht sehr unangenehm, doch ist es mir noch nie vorgekommen, dass Patienten die Lösung aus diesem Grunde ablehnen, besonders da dieselbe, wenn einmal auf die Haut gebracht, nicht mehr riecht. Die Anwendungsweise ist folgende : Man nimmt eine leere Flasche von derselben Grösse, in welcher die Lösung enthalten ist (120 Grm.), und giesst in dieselbe einen Esslöffel (Theil) voll von der Originalflüssigkeit. Dazu darf man keinen Silberlöffel nehmen der durch den Schwefel ver- dorben würde, sondern Holz, Horn, Glas oder irgend ein ähnliches Maass. Darauf giesst man 10 gleiche Theile Wasser. Diese Mischung sollte, wegen des unangenehmen Geruches, bei offenem Fenster statt- finden. Mit dieser verdünnten Lösung tränkt Patient Abends vor dem Schlafengehen einen groben, weissen Flannellappen, und wäscht sich das Gesicht ohne Kraftanwendung eine oder mehrere Minuten lang bis leichtes Brennen eintritt. Das Mittel bleibt über Nacht auf der Haut, und wird am nächsten Morgen mit irgend einer guten Natronseife abge- waschen. Wer besondere Vorliebe für Salicyl, Theer oder andere medi- camentöse Seifen hat, mag diese immerhin anwenden, grossen Nutzen darf er jedoch nicht davon erwarten. Je nachdem die Haut mehr oder weniger empfindlich ist, kann man mit einer etwas schwächeren oder stärkeren Lösung anfangen. Jeden Abend bevor das Mittel eingerieben wird, müssen die Schmeerpröpfe mit beiden Daumennägeln, welche man mit dem Taschentuch umwickelt, schonend ausgedrückt werden. Alle Wochen, oder auch, besonders bei Männern, alle Halbwochen, wird die Mischung verstärkt, indem man einen halben Theil, respective Esslöffel voll weniger Wasser nimmt. Hat man mit 1 zu 10 angefangen, so folgt 1 zu 9£, 1 zu 9, 1 zu u. s. w. In der Regel ist Heilung erzielt, wenn man zu einer Mischung von 1 zu 5 Wasser angelangt ist, und nur in schwereren Fällen wird es nöthig die Lösung noch stärker anzuwenden, und kann man, nach mehrmonatlichem Gebrauch, eine Resistenz der

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Haut selbst für die reine Solutio Vlemingkx erzielen, welche, wollte man damit beginnen, eine starke Verbrennung erzeugen würde, wie man bis- weilen erlebt, wenn ungebildete Patienten die Angaben des Arztes übersehen. Dauernder Schaden wird aber selbst dadurch nicht gethan. Dieses Mittel hat sich in einer sehr grossen Zahl von Fällen bewährt, in dem sowohl die Acne, wie auch die Seborrhoe dauernd geheilt wurden. Wenn bei empfindlicher Haut oder bei zu kräftigem Eeiben am nächsten Morgen Röthung und Spannung der Haut eintritt, muss man mit der Lösung mehrere Tage aussetzen und an dessen Stelle einfach Cold Cream, das officinelle Unguentum Aquae Rosae, einstreichen lassen, bis die Abschuppung vorüber ist. Sind des Morgens die Schuppen zu zahlreich, ohne dass Röthung vorhanden wäre, dann wird sofort nach dem Waschen und Abtrocknen des Gesichtes irgend ein Fett, am Besten wegen seines Wachsgehaltes, Cold Cream, in dünner Lage eingestrichen, indem man das überflüssige Fett mit dem Handtuche entfernt. Soll Abends das Mittel wieder gebraucht werden, so muss das Gesicht selbst- verständlich vorher mit Wasser und Seife gewaschen werden, um die Fettlage zu entfernen, und die Lösung unmittelbar mit der Haut in Berührung zu bringen.

Viele amerikanische Specialisten benutzen ausschliesslich eine Lösung von Kalium Sulphuratum und Zincum Sulphuricum, R Kali.

Sulphurat., Zinc. Sulphurici -~ Grm. 4,0, Aquae Rosae 120,0. Dieses

aa.

Mittel ist allerdings angenehmer als die Solutio Vlemingkx und genügt in leichten Fällen vollkommen. In schwereren Formen indessen hat es sich keineswegs bewährt. Schwefelseife allein ist selbst in -leichteren Fällen von keinen sehr grossen Nutzen, auch eignen sich die Schwefel- verbindungen des Kali, wenn allein angewendet, nicht zur Behand- lung. Zu erwähnen wäre noch eine 6 bis JO-procentige Schwefelsalbe, welche über Nacht auf der Haut gelassen, bisweilen sehr gute Dienste leistet.

Als zweite Form der Acne habe ich jene bezeichnet, bei welcher die Comedonen klein, hart, oder stark verlängert beim Ausdrücken sich schlangenartig winden, und die Acne hauptsächlich einen papulösen Charakter aufweist, die sogenannte Acne papulosa. Pusteln sind in diesem Falle nur wenig und gewöhnlich nicht von starkem Infiltrate umgeben ; selbst harte, stark vorspringende Knoten vereitern in der Regel nicht. Diese Form ist von der ersteren augenscheinlich nur dadurch verschieden, dass das Secret der Talgdrüsen ein derberes, vorwiegend Stearin- und margarinhaltiges ist, während im ersteren Falle dasselbe vorwiegend oleinhaltig scheint. Solche derbe Pröpfe dürften der Entwickelung des Staphylococcus pyogenes keinen günsti- gen Boden liefern, daher die verhältnissmässig seltene Vereiterung. Kommt es einmal zur Vereiterung, dann bleiben in der Regel seichte Narben zurück, während in Folge der chronischen Entzündung der Haut, dieselbe hyperplastisch, derb wird, und in schweren und Jahre lang dauernden Fällen beträchtliche Verunstaltung des Gesichtes ver- ursacht.

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Diese Form, besonders wenn sie schon Jahre lang angedauert hat, ist bei Weitem schwieriger zu heilen als die rein seborrhoische ; indessen darf man bei genauer Durchführung der therapeutischen Massregeln nach Monate langer Behandlung wohl in jedem Falle dauernde Heilung versprechen. Die Aufgabe ist eine zweifache : Erstens muss man durch leichte Reizung die derben Schmeerpröpfe erweichen, und zweitens durch künstlich hervorgerufene Entzündung das entzündliche Infiltrat der Haut zum Schwinden bringen. In leichteren Fällen genügt hierzu gewöhnliche Castil Seife, deren Schaum mittelst eines groben Handtuches Abends kräftig eingerieben wird, im eingetrockneten Zu- stande die Nacht über liegen bleibt, und am nächsten Morgen wieder mit Seife und Wasser weggewaschen wird. Man kann den Seifen- schaum mit feingesiebtem Seesand mischen, um auch mechanische Reizung zu erzielen, oder man benutzt Marmor- oder Sandseifen, welche schon in der Fabrik mit Marmor oder Sand gemengt sind. Die Ichthyolseife kann ebenfalls in manchen Fällen gute Dienste leisten, obwohl dieses so stark angepriesene Mittel noch öfter gänzlich im Stiche lässt. Leichte Fälle, wo die Comedonen nicht tief im Derma sitzen, bedürfen nicht einmal des Ausquetschens derselben, da durch die mechanische Entfernung des harten Comedokopfes der freie Aus- tritt der Talgmassen ermöglicht wird. Schwerere Fälle, in welchen die Comedonen zu einer beträchtlichen Verlängerung der Drüsenaus- führungsgänge geführt haben, erfordern stets ein täglich wiederholtes Ausquetschen vor Anwendung der medicamentösen Mittel. Das Aus- quetschen geschieht entweder mit beiden Daumennägeln, die vorher selbstverständlich sorgfältig gereinigt werden müssen, oder noch besser mit dem Ohrlöffel oder der Cürette, welche hart am Comedo eingedrückt wird und diesen hebelartig emporhebt. Diese Manipulation wird von jedem Patienten leicht erlernt. Die Cürette ist dem Uhrschlüssel oder anderen sogenannten Comedoquetschern weitaus vorzuziehen, indem letztere fast niemals den Comedo in seiner ganzen Länge aus dem Canale heben, während die Cürette dies bei geringer Uebung mit der- selben leicht ermöglicht. Das Instrument, mit welchem das Aus- quetschen am leichtesten und besten geschieht, und welches die Haut von allen mir bekannten Instrumenten, bei nur einiger Uebung, am wenigsten reizt, ist ein kleiner, stumpfer, an den Enden abgerundeter Löffel, etwas grösser als ein gewöhnlicher Ohrlöffel. Die grösseren Cüretten, welche manche Specialisten gebrauchen, reizen die Haut zu stark und können von den Patienten nicht selbst gebraucht werden. Nicht selten quillt bei der Entfernung eines Comedos ein kleiner Bluttropfen hervor, was indessen bei der unmittelbar darauf folgenden antiseptischen Behandlung ohne Bedeutung bleibt. Selbst völlig ent- leerte Talgdrüsentaschen füllen sich wiederholt mit Schmeerpröpfen, doch wird man fast jedesmal die Beobachtung machen können, dass jeder folgende Propf kürzer und weicher ist, bis nach wiederholter Entleerung der Canal der Talgdrüsen obliterxrt oder zu normalem Umfange reducirt wird.

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Nach dem Ausquetschen müssen jeden Abend Einreibungen mit Kaliseife, der sogenannten grünen oder Schmierseife oder deren Lösungen mittelst eines groben weissen Flannellappens vorgenommen werden. Eine sehr gute Lösung ist die folgende: R Sapon. Virid. Germ. Grm. 30,0, Alcohol. fort. 60,0, Aquae Com. 90,0, Spirit. Lavandul. 15,0, welche über Nacht liegen bleibt und am nächsten Morgen mit Wasser und Natronseife abgewaschen wird. Diese Behandlung wird so lauge fortgesetzt, bis deutliche Röthung und Spannung der Haut eintritt, was bisweilen schon nach wenigen Tagen, bisweilen aber erst nach mehreren Wochen der Fall ist. Ein solcher Reizungszustand der Haut ist erwünscht, weil er zur Erweichung der Comedonen führt und deren Entfernung namhaft erleichtert, und weil andererseits eine Lösung der Infiltrate im Derma nur durch künstlich hervorgerufene Entzündung möglich wird. Sobald dieses Stadium erreicht ist, benutzt man einfache Salben, am besten Cold Cream, um den Abschuppungs- process möglichst wenig sichtbar zu machen. Nach eingetretener Ruhe wird je nach Bedarf die Einreibung der Seifenlösung wiederholt, oder ist es gelungen die Mehrzahl der Comedonen zu entfernen, dann schreitet man zur Behandlung mit Solutio Vlemingkx, genau in der oben angegebenen Weise.

Die schwersten Fälle der papulösen Acne erfordern auch die kräftigsten localen Heilmittel. Zu diesen gehört unbestreitbar Lassar's Naphthol- oder Schälpaste : R ß. Naphthol. Grm. 10,0, Sulphur. praec.

50,0, Vaselin. (Lanolin), Sapon. Virid. ~ 25,0. Mit dieser Paste kann in

wenigen Tagen eine beträchtliche Entzündung mit darauf folgender Ab- schuppung erzielt werden, ohne dass man unangenehme Neben- wirkungen zu besorgen hätte, wenn man mit der Anwendung des Mittels im richtigen Momente inne hält. Die Paste wird des Abends einge- strichen, und je nach der Empfindlichkeit der Haut, 15 bis 30 Minuten liegen gelassen, hierauf sofort mit einem in Olivenöl getauchten Baumwollbauschen entfernt, und das Gesicht mit Seife und Wasser gewaschen. Sobald am nächsten Morgen sich intensive Röthung und Spannung der Gesichtshaut bemerkbar machen, welches oft schon nach der zweiten Application der Fall ist, obwohl manchmal erst nach der vierten oder fünften, muss das Mittel ausgesetzt werden bis die Ab- schuppung vollendet ist. Zum Verbergen der Schuppen dient Cold Cream, und eventuell noch irgend ein unschuldiges Gesichtspulver. Ein zweiter selbst dritter Cyklus der Pastenbehandlung kann in schweren Fällen nöthig sein. Als kräftiges Schälmittel wurde in neuester Zeit auch eine 10% Resorcinpaste empfohlen und leistet ganz gute Dienste. Auch eine Paste bestehend aus 3% Resorcin und 6% Schwefel, kann in nicht sehr schweren Formen mit Erfolg angewendet werden.

Die Pastenbehandlungen haben den Vortheil, dass sie die Talgpröpfe rasch erweichen und deren Entfernung namhaft erleichtern. Sind sämmtliche Pröpfe, oder doch die Mehrzahl derselben ausgequetscht, wozu jeder Patient selbst hilfreiche Hand leisten muss, dann greift man

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zur Behandlung mit Solutio Vlemingkx um die Pigmentflecke der Haut zu entfernen und flache Narben zu ebnen.

Bei der dritten Form der Acne, wo wir derbe, im Centrum vereiternde Infiltrate in grösserer Anzahl vorfinden, der sogenannten Acne indurata, pustulosa, ist die erste Aufgabe zunächst sämmtliche Abscesse zu ent- leeren. Dies geschieht bei kleineren Abscessen am einfachsten mit den beiden Daumennägeln, nach vorausgegangener sorgfältiger Reinigung der Hände. Derbe Knoten, zumal tief sitzende müssen jedoch entweder mittelst eines Spitzbistouris oder der von Hebra angegebenen Stichel- nadel, deren Querleiste ein tieferes Eindringen der Spitze verhütet, der Reihe nach eröffnet werden, worauf der Inhalt, welcher gewöhnlich aus flüssiger, mit Eiter gemengter Schmeermasse besteht, ausgedrückt wird. Dieselbe Behandlung erfordern kleine Talgcysten, deren Inhalt noch nicht erweitert ist. Die Blutung wird augenblicklich mit in Liquor ferri sesquichlorati getauchter, entfetteter Baumwolle gestillt, und hat man eine Cyste eröffnet, so soll man die Innenwand derselben mit in Liquor ferri getauchten, zugespitzten Zündhölzchen oder Holzsonden kauteri- siren. Diese Aetzung ist unbedingt nöthig, um einerseits die Mikroben, andererseits die Epithel Auskleidung an der Innenfläche der Cyste zu zerstören. Niemals habe ich nach dieser Anwendung Erysipel oder selbst nur reactive Entzündung am Operationsherde beobachtet. Man muss sich indessen hüten, die Eisenlösung anzuwenden wenn gleichzeitig Solutio Vlemingkx gebraucht wird, indem dann durch Bildung von S ihw^feleisen hässliche, schwarze Flecke entstehen, die freilich keine weitere Bedeutung haben.

Unmittelbar nach Eröffnung der kleinen Abscesse oder selbst nach Ausquetschung von Comedonen, wird es gut sein in die Haut eine5%1ge Carbollösung mittelst entfetteter Baumwolle einzureiben, und zwar bei irgend einer Form der Acne. Dadurch werden nicht nur Infectionen verhütet, sondern auch eine intensive vorübergehende Röthung der Haut erzeugt, welche die durch das Ausquetschen der Comedonen her- vorgebrachte Röthung verbirgt und deren Verschwinden beschleunigt. Letztere Indication wird allerdings auch durch sofortige Waschungen mit heissem Wasser erfüllt, jedoch gebe ich der Carbollösung wegen ihrer keimtödtenden Eigenschaft den Vorzug.

Zur Behandlung dieser Form der Acne eignet sich insbesondere die Salicylsäure in 3% alcoholischer Lösung, R Acid. salicyl. Grm. 3,6, Alcohol. fort. 120,0. Zuerst lässt man zu einem Theil dieser Lösung drei T heile Wasser hinzufügen, mit welcher Mischung sich Patient täglich vor dem Schlafengehen das Gesicht mit einem Flannellappen einreibt. Nach einigen Tagen wird die Lösung verstärkt, indem man einen Theil des Medicamentes mit 1\ Wasser mengt, hierauf 1 zu 2 bis sie endlich rein angewendet wird. Diese Lösung wirkt sowohl durch ihre antiparasitäre wie auch schuppenbildende oder epidermislösende Eigenschaft, indem sie gleichzeitig das Erweichen der Talgpröpfe be- schleunigt. Das Mittel lässt sich zur Abwechselung mit anderen bei irgend einer Form der Acne verwerthen. Die 3% Lösung eignet sich

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ebenfalls vorzüglich um neue auftauchende Papeln rasch zum Ver- schwinden zu bringen und deren Vereiterung zu verhüten, indem ein zu einer Spitze zusammengerollter Flannellappen in dieselbe eingetaucht und kräftig auf die Papel eingerieben wird. Man erreicht das auch durch locale Anwendung der Solutio Vlemingkx 1 zu 2 oder 1 zu 1 Wasser, oder Lassar's Schälpaste direct auf die Papel eingerieben.

Niemals habe ich nöthig gehabt den scharfen Löffel zur Entleerung der Acneknoten zu benützen, und würde mich scheuen zu diesem In- strumente zu greifen, da dessen Anwendung eine Narbe folgen muss, was wir doch streng verhüten sollten. Die feine Stichelnadel hinterlässt keine Narbe, und Narben die durch den Vereiterungsprocess selbst erzeugt werden, lassen sich eben nicht verhüten. Diese Narben sind bisweilen selbst nach kleinen Pusteln besonders bei Mädchen mit soge- nannter scrof ulöser Diathese unvermeidlich, aber auch bei den kräftigsten Männern nach tief in das Derma greifender Abscessbildung. Sol. Vlemingkx, Spiritus saponatus kalinus und Lassar's Schälpaste eignen sich sämmtlich zur Behandlung der Acne indurata.

Nach Heilung der schwereren Formen der Acne bleiben, wie schon oben erwähnt, häufig zwei störende Folgen zurück, nämlich Pigment- flecke und Narben der Gesichtshaut. Erstere pflegen ganz allmählich von selbst zu verschwinden, doch kann man deren Entfernung wesent- lich beschleunigen, wenn man auf dieselben täglich eine minimale Quantität der folgenden Salbe mit dem kleinen Finger einstreichen lässt : R Mercur. ammon. muriat. Grm. 3,75, Magist. bismuth. 3,5, Ungt. glycerin. 30,0. Narben bessern sich wohl auch mit zunehmendem Alter, doch lassen sich dieselben durch auf Monate ausgedehnte An- wendung mit Vlemingkx (1 zu 5, 1 zu 4, 1 zu 3 u. s. w.) abflachen. Eine andere Methode besteht darin, dem Patienten Monate lang das feinste Oleum ricini in 0,3 Grm. Dosen bis auf 2 Gramm täglich nehmen zu lassen, ein Mittel, welches von L. D. Bulkley in die dermatologische Praxis eingeführt wurde. Wenn der Patient das Oel verdaut, was allerdings nicht jedesmal der Fall ist, so pflegt sich nach einiger Zeit eine Fettschicht im subcutanen Gewebe der Haut abzulagern, und die dadurch bedingte Prallheit der Haut führt zum Verschwinden der Narben.

Obwohl in keiner directen Beziehung mit den beschriebenen Formen der Acne, will ich noch ganz flüchtig die Acne varioliformis anführen, bei welcher sich in der Gesichts- oder Kopfhaut mehr oder weniger gruppenförmig geordnete Knötchen oder Pusteln ohne nahmhafte Infiltrate und ohne Comedonenbildung, zeigen. Diese Form, obgleich selten, ist desshalb von Interesse, weil sie in ihrem klinischen Bilde und selbst in ihrem Ausgange mit narbiger Einziehung, Syphilis vor- täuschen kann. Merkwürdig ist, dass diese Form durch eine 6% weisse Praecipitätsalbe in der Regel rasch zur Heilung gebracht werden kann, während dieselbe bei allen anderen Acneformen im Stiche lässt. Diese letzte Form kommt vorwiegend bei Personen beiderlei Ge- schlechtes im mittleren Alter zur Beobachtung, ohne dass wir ihren Zusammenhang mit Syphilis nachzuweisen im Stande wären.

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Bei Patienten mit schlaffer, dünner Gesichtshaut wird die Behand- lung irgend einer Form der Acne disseminata durch Massage der Haut begünstigt. Die Massage besorgt der Patient selbst, indem er vor Anwendung der medicamentösen Stoffe jeden Quadratzoll seiner Ge- sichtshaut zwickt und knetet, bis Köthung der Haut eingetreten ist. Hierzu sind eigens construirte Instrumente völlig überflüssig. In solchen Fällen folgt der Massage eine ausgiebige Waschung mit 3 bis h% Carbollösung.

Ist der Patient von der Acne befreit, so muss man ihm dringend anrathen, sein Gesicht jede Woche einmal sorgfältig zu inspiciren und jeden Comedo, sobald sich derselbe nur sehen lässt, sofort zu ent- fernen. Da der Comedo das Grundübel der Acne ist, so ist es begreif- lich, dass dessen Bildung mit der grössten Sorgfalt verhindert werden muss. Wenn trotzdem jedem Dermatologen eine geringe Anzahl von Fällen vorkommt, welche jeder Behandlung trotzen, so geht es ihm eben nicht besser, wie dem allgemeinen Practiker oder irgend einem anderen Specialisten.

II.

Zur Behandlung der Diphtheritis.

Von

Dr. Moritz Derleth,

New Yokk.

Solange noch keine der empfohlenen Behandlungsweisen bei der Diphtheritis uns eine Garantie für deren Heilung bietet, solange müssen die practischen Aerzte fortfahren, unter Beibehaltung der bisherigen theilweise bewährten Mittel auf neue zu sinnen und neu empfohlene zu versuchen. Seit wir wissen, dass die Diphtheritis eine contagiöse Krankheit ist und ihr, wie allen contagiösen Krankheiten, Keime zu Grunde liegen, welche als Mikroorganismen in millionenfacher Anzahl das gesunde Gewebe der Schleimhaut des Kachens und der Nachbar- schaft zerstören, ist die Behandlung der Diphtheritis eine rein anti- septische geworden.

Alle mir bekannten, gegen die Diphtheritis empfohlenen Mittel sind nur n ch solche, die antiseptische, keimtödtende Eigenschaften haben. Der Arzt ist eben von der wohlmeinenden Absicht geleitet, die Keime an Ort und Stelle zu zerstören und den Krankheitsprocess zu locali- siren, d. h. auf den Infectionsherd zu beschränken. Er weiss dabei sehr wohl, dass es mit seiner Kunst zu Ende ist, wenn das diphtheritische Gift eine Allgemeininfection gemacht hat. Mit Pinselungen und Gurgeln, mit häufig zu schluckenden Medicinen und Inhalationen zieht er gegen den Feind zu Felde. Leider sind gerade die Mittel mit

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besonders antiseptischen Eigenschaften bei örtlichem und innerem Gebrauche gefährlich.

Dr. A. Seibert empfiehlt daher mit Eecht das Kochsalz, welches auch bei der intensivsten örtlichen Anwendung keinen Schaden bringen kann, und als Antisepticum besonders wegen seiner endosmotischen Eigen- schaften hohen Werth hat. Aber es besitzt nicht die antiseptischen und keimtödtenden Eigenschaften in dem Grade, wie sie dem Practiker erwünscht wären. Enthusiastisch begrüsste ich daher das neuerdings empfohlene Wasserstoffsuperoxyd. H2 02. In hoc signo vinces.

In der That hat dasselbe alle wünschenswerthen antiseptischen, somit antidiphtheritischen Eigenschaften. Da es unter dem Namen Peroxide of Hydrogen im Markt ist, so werden wir diese Bezeichnung beibehalten. Peroxide of Hydrogen ist bei örtlicher Anwendung nicht gefährlich ; ich beobachtete allerdings bisweilen, dass nach der Ausspülung mit dem- selben ein flüchtiges Erythem in Gesicht und Nacken auftrat. Dasselbe verschwand aber stets von selbst nach Verlauf von einer halben Stunde. Einem jungen Manne, welcher in einem Geschäfte arbeitete, in welchem Peroxyde of Hydrogen dargestellt wird, verdanke ich die Mittheilung, dass dort die Arbeiter von diesem brennenden Erythem viel zu leiden haben, und sich desshalb bei der Arbeit lederner Handschuhe bedienen.

Um nun die Collegen mit dem Wesen unseres Präparats näher bekannt zu machen, mögen folgende Bemerkungen dienen. Die Formel H2 02 sagt uns, dass Peroxide of Hydrogen ein Wasser ist, welches ein Atom Sauerstoff mehr enthält als gewöhnliches Wasser H2 O.

Obwohl schon 1818 von dem französischen Chemiker Thenard dar- gestellt, spielt es doch erst seit kurzer Zeit eine Rolle als Heilmittel. Ich kenne hier mehrere Geschäfte, welche dasselbe fabriciren und als Entfärbungsmittel, resp. Bleichmittel des menschlichen Haares an die einschlägigen Geschäfte liefern. Nur der kleinste Theil des producirten Artikels diente bisher medicinischen Zwecken. Ich bezog das Präparat von der Firma Charles Marchand, No. 10 West 4. Str., New York City, in blauen Flaschen mit gutem Verschluss. Das zweite Atom Sauerstoff ist so locker gebunden, dass es bei Einwirkung von Licht und Wärme entweicht, dagegen hält es sich bei oder unter 15° C. gleich 59° F., während es bei 20° C. oder 68° F. den activen Sauerstoff abgibt und so zu einfachem Wasser reducirt wird. Die Flasche ist also in kaltem Wasser, im kühlen Keller oder in der Icebox zu verwahren. Für seine Haltbarkeit sind dem Präparate kleinste Mengen Salzsäure oder Schwefelsäure beigesetzt, aber in so geringem Verhältniss, dass diese Säuren bei der Behandlung gar nicht in Betracht kommen. Wir haben es also mit einem sehr einfachen Mittel zu thun, nämlich mit Wasser H2 O, welches ein Atom Sauerstoff mehr enthält H2 02.

Während nun Wasser, oder besser gesagt, gekochtes und destil- lirtes Wasser bloss aseptische Eigenschaften hat, besitzt Peroxide of Hydrogen antiseptische, fäulnisswidrige und gährungsverhindernde Eigenschaften im höchsten Grade, beruhend auf dem nascirenden Sauerstoff.

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M. Miguel am Observatoire de Mont souris entnehme ich folgende Tabelle, welche die Quantität jedes Mittels anzeigt, die nöthig ist, um die Fermentation in 1 Liter Bouillon zu verhindern :

Jodquecksilber

0,025 Gramm.

Jodsilber ....

0,03

" Peroxide of Hydrogen "

0,05

>>

Chlorquecksilber

0,07

Salpetersaures Silber

0,87

»

Arsensäure

0,15

Chromsäure ....

0,20

»>

Jod ....

0,25

>>

Chlor .

0,25

Blausäure

0,40

Ii

Brom .....

0,60

Chloroform

0,80

>>

Schwefelsaures Kupfer

0,90

>>

Salicylsäure

1,00

»J

Benzoesäure ....

1,10

>>

Doppelchromsaures Kali

1,30

>>

Pickrinsäure ....

1,30

J>

Chlorkalk

2,10

>>

Mineralsäure

3,00

»

Bittermandel Oel

3,20

Carbolsäure ....

3,20

Uebermangansaures Kali

3,50

J>

Anilin .....

4,00

>>

Alaun ....

4,50

>>

Gerbsäure ....

4,80

»»

Arsenige Säure .

6,00

Borsäure ....

7,50

Chlorsaures Kali

9,50

>>

Schwefelsaures Eisen

. 11,00

t>

Amylsäure

14,00

>>

Schwefel Ether

. 22,00

>>

Borax ....

70,00

>>

Alkohol . . . .

. 95,00

>>

Rhodankali

120,00

Jodkali . . . .

. 140,00

»>

Cyankali ....

185.00

>>

Unterschwefligsaures Natron

. 275,00

Diese Tabelle bedarf keines Commentars. Sie zeigt uns Peroxide of Hydrogen als den mächtigsten Feind und Zerstörer bacteriellen Lebens. Bei der Anwendung des Mittels, es handelt sich hier bloss um örtliche Application, mögen folgende Winke gelten :

Man verschaffe sich das Präparat, wenn es in der nächsten Apotheke nicht zu haben ist, aus erster Quelle. Die Leute sind anzuweisen, dass sie die erhaltene Flasche nicht schütteln, nicht etwa in der warmen

454

Hand, sondern besser in einem Korbe, oder an einem, um den Flaschen- hals geschlungenen Strick transportiren und sofort an einem kühlen Ort verwahren. Das im Handel befindliche Peroxide of Hydrogen ist eine 15 Volumlösung, aber auch diese wird nicht rein angewandt, sondern es genügt, sich eine 2. oder 3. Volumlösung herzustellen, indem man zwei oder drei Unzen auf je 1 Pint Wasser auflöst. Die Dosis richtet sich eben theils nach dem Alter, theils nach dem betreffenden Er- krankungsherd.

Da ich hauptsächlich bei der Diphtheritis mit unserem Präparate arbeitete, löste ich gewöhnlich 2 Unzen der 15 Volumlösung, wie man sie aus der Apotheke erhält, in einem Pint Wasser auf, mischte dieselbe gut und bediente mich dabei bloss gläserner und irdener Geschirre. Metallene Geschirre würden rasch oxydiren. Diese Lösung wird dann durch eine Fountainsyringe aus Eubber injicirt. Diese kurzen Andeutungen lassen die ganze Manipulation als etwas umständlich erscheinen, und wenn man dabei in Betracht zieht, wie wenig unser Mittel bekannt ist, und wie ungeschickt es von den Händen der Angehörigen unserer kleinen Pa- tienten gehandhabt werden mag, so erklärt es sich zur Genüge, dass Peroxide of Hydrogen in der Behandlung der Diphtheritis noch nicht die Rolle spielt, die ihm gebührt. Von den New Yorker Specialisten ist es hauptsächlich Dr. J. Mount Bleyer, welcher seine Anwendung in Wort und Schrift empfiehlt und preisst. Bloss bei widerspenstigen kleinen Patienten macht die Application einige Schwierigkeiten, während grössere und vernünftigere Kinder das nahezu geschmacklose Mittel sich gerne injiciren lassen und sich damit gurgeln. Bei grösserem Widerstreben thun wir gut, die Augen des kleinen Patienten mit einer Binde zu verschliessen und seinen Kopf zwischen unseren Beinen zu fixiren.

Nachdem so die Einspritzung gemacht ist, ergibt sich für den Arzt folgendes befriedigende Resultat :

Die reichlichen Secrete der Nase und Rachenhöhle werden als coagulirte Massen ausgespült. Dieselben haben ganz das Aussehen sauer gewordener, geronnener Milch. Ich erinnerte mich dabei der Thatsache, dass süsse Milch nach schweren Gewittern ebenfalls gerinnt, und dass man diesen Process dem frei gewordenen, activen Sauerstoff zuschreibt.

Die Athmung wird sofort eine bessere wenn die Injection gut gemacht war und der kleine Patient und mit ihm die geängstigte Um- gebung athmen frei auf. Die Häufigkeit der Injectionen soll sich nach der Athemnoth und der Ausbreitung des diphtheritischen Processes richten. Während milde Fälle bloss dreimal täglich einer Irrigition bedürfen, mag bei schwereren Fällen stündlich ausgespült werden. Ich habe mich überzeugt, dass einigermassen intelligente Angehörige die beschriebene Manipulation recht gut machen.

Der Arzt sollte bloss in den ersten Tagen mehr als einmal nach dem Patienten sehen, dann kann er die Ausspülung fremden Händen umso ruhiger überlassen als Peroxide of Hydrogen in seinen Nebenwirkungen

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ein harmloses Mittel ist. Auffallend bei dieser Behandlung ist, das rasch erfolgende Äbstossen der Membranen, eine Thatsache, welche hier besonders betont werden soll, und das neue Mittel so empfehlenswerth macht. Auf die Frage, warum ein Mittel mit so grossen therapeu- tischen Vorzügen so verhältnissmässig wenig im Gebrauche sei, möchte ich andeuten, dass es noch wenig bekannt, und dass die bei seiner Anwendung nöthigen Manipulationen etwas umständlich erscheinen mögen.

Auch hat es wohl mit dem Misstrauen zu kämpfen, welches man Neulingen entgegenbringt. Endlich hält es nicht jeder Apotheker wegen der geringen Nachfrage, und vielleicht auch weil es sich selbst nicht gut hält. Aber über alle diese Schwierigkeiten lässt sich bei gutem Willen leicht hinauskommen. Eine Fouutainsyringe von Kubber bringe ich selbst mit, und überlasse den Leuten nur die Beschaffung einer Flasche der 15 Volumlösung. Diese reicht in den meisten Fällen für die ganze Behandlung aus und so sind die Kosten auch bei ärmeren Patienten ohne Belang.

Bei jeder Visite muss der Arzt die Ausspülung selbst vornehmen, und sich überzeugen, dass die ausgespülten Secrete das obenbeschriebene Aussehen haben.

Sollten sie nicht coagulirt erscheinen, so ist anzunehmen, dass das. Präparat nicht nach Vorschrift gehalten und zu Wasser reducirt ist. Sollten bei der Ausspülung Theile der Flüssigkeit in den Magen oder den Larynx gerathen, so nützen sie eher als sie schaden. Bei richtiger Anwendung wird Peroxide of Hydrogen sich stets brilliant bewähren so lange der Krankheitsprocess noch localisirt ist. Handelt es sich um eine allgemeine Infection und deuten hohes Fieber und frequenter kleiner Puls darauf hin oder hat sich die Diphtheritis auf den Larynx verbreitet, so ist auch von unserm mächtigen Antisepticum wenig zu erwarten.

III.

Zur Kenntniss des gelben Fiebers.*)

Von

Dr. Arnold Stub,

Bbooklyn.

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Capitain John Fallard, in Commando des Schiffes Cearensi, verliess Pernambuco in Brasilien am 27. September 1888. Er legte in Para und in St. Thomas an um Wasser einzunehmen. Vier Tage nachdem das Schiff St. Thomas verlassen hatte, wurde der Capitain krank (Oct. 11.) und verschlimmerte sich sein Zustand am 18. derartig, dass er ge- zwungen war sein Bett aufzusuchen. Montag, den 22. erreichte das Schiff den Hafen von New York. Der Capitain war wieder besser, zog sich an, ging auf Deck und passirte so anstandslos die Quarantaine und legte mit seinem Schiff bei Martin's Frachthallen in Brooklyn an. Jedoch wurde Patient am 24. October wieder schlimmer und fuhr er nun in einer Kutsche nach dem St. John's Hospital in Brooklyn. Er kam dort etwa um 11 Uhr Vormittags an. Kurze Zeit darauf begann er mit Erbrechen von kaffeesatzartigen Massen, klagte über grosse Schmerzen im Bücken, im Kopf und in allen Gliedern. Der Puls war langsam, die Temperatur niedrig. Letztere stieg nur einmal auf 102° F. und sank später unter die Norm. Vorher Hessen die Schmerzen nach, und starb Patient noch an demselben Tag Abends um 8 Uhr. Die Obduction wurde am nächsten Morgen von Dr. Thomas in Gegenwart der Herren Doctoren F. Cotton, W. Bliss, F. Jewett und Conway mit folgendem Resultat gemacht :

Der Mund der Leiche ist mit einem blutigen Schleim bedeckt, und auf dem Gesicht, dem Hals und der Brust finden sich noch Reste des Vomitus niger. Die Haut ist gelb, besonders im Gesicht. Die Leber ist von normaler Grösse, erscheint verfettet und hellgelb, und präsentirt zahlreiche Extravasate. Letztere fanden sich ebenfalls in der Substanz der Gallenblase. Der Magen enthielt etwa 2 Pint einer schwarzen Flüssigkeit und Gas. Die Schleimhaut desselben ist hyperämisch, mit zahllosen Extravasaten durchsetzt, eine derselben 4 Zoll lang und 2 Zoll breit. Aehnliche Verhältnisse fanden sich im Darm. Die normal grosse Milz zeigte ebenfalls Extravasate auf der Oberfläche. Bei den Nieren fanden sich die Kapseln verwachsen und die Rindenschicht verdickt, im Gewebe Blutungen. Die Nierenkelche enthielten reines Blut. Die Herzmusculatur massig verfettet. Die Lungen congestirt. In der Blase 3 Unzen Urin. Hirn und Rückenmark wurden nicht untersucht.

*) Nach einem am 7. Jan. 1889 in der Deutsch. Med. Gesellschaft von New York gehaltenen Vortrag.

457

Diese Angaben verdanke ich den Collegen Bliss und Thomas ; ebenso überliessen mir dieselben ein Stückchen der Leber, sowie etwas Urin undVomitus niger. Herr Dr. C. Heitzmann wird Ihnen über die Unter- suchung dieser Substanzen nähere Mittheilungen machen.

Da der Verstorbene bei seiner Ankunft im Hospital so krank war, dass er keine Angaben über den Krankheitsverlauf machen konnte und da aus der, bei Ankunft des Schiffes sofort entlaufenen Mannschaft des Schiffes nach ihrem Einfangen durch die Polizei keinerlei Aussagen über das Kranksein des Capitain's erlangt wurden, so erlaube ich mir die so unvollständige Krankengeschichte durch einen Bericht über meine per- sönlichen Erfahrungen, die ich im Jahre 1862 in Key West, Florida, als Militärarzt machte, zu ergänzen.

Im Jahre 1862 wurde weder die Carbolsäure noch Jaborandi medi- cinisch verwandt und Wunderlich hatte sein Werk über die Eigenwärme noch nicht veröffentlicht, und somit kannten wir den Werth des Ther- mometers noch nicht.

Die geographische Lage von Key West ist genügend bekannt, erinnern will ich nur daran, dass das Centrum der Insel nur etwa den Meeresspiegel um 10 Fuss überragt, und sich unter dem 24. Breiten- und dem 80. Längengrade befindet. Die Durchschnittstemperatur betrug in den Julimonaten der Jahre 1861 und 1862 etwa 85° Fahrenheit.

Im Frühjahr 1861 bestand die Garnison von Key West aus circa 5000 Mann, doch wurden von diesen 4500 Mann Anfangs 1862 ander- weitig stationirt. Die Soldaten hatten vielfach Gebüsch und Pflanzen ausgerodet, durch Umgrab ungen das Erdreich gelockert und so, begünstigt durch einen sehr milden Winter, die Bedingungen zur Fäulniss wesentlich bestärkt. Ausserdem waren anno 1860 eine Menge Negerleichen von einem gestrandeten Sclavenschiff auf der Südseite der Insel eingescharrt worden, und da diese Gegend durch Erd werke besetzt wurde, so mussten diese verwesenden Körper auf eine andere Stelle transferirt werden, wodurch auf längere Zeit die ganze Umgegend durch Gestank verpestet wurde. Unter den zu dieser Arbeit benutzten Leuten (meist kürzlich eingewanderte Irländer) wüthete nachträglich die Seuche besonders heftig. Erwähnt sei ausserdem noch, dass wir im Frühjahr 1862 erst eine Typhusepidemie durchmachten, welche viele der später am gelben Fieber Erkrankten diesem geschwächt über- lieferte.

Am 21. Juli 1862, 6 Tage ehe der erste Fall von gelbem Fieber sich unter den Truppen zeigte, wurden 2 Patienten von der Bark " Adven- ture," direct von Havanna kommend, im Militärhospital aufge- nommen. Die Diagnose bei diesen Fällen war Febris remittens. Einer dieser Patienten starb schon am nächsten Tag mit Vomitus niger.

Zur Zeit hatte ich das allgemeine Hospital (General Hospital) unter meiner Leitung. Am 27. Juli fing die Epidemie an, und erreichte Anfangs September ihre Höhe. Nach dieser Zeit waren die Fälle milder. Bis zum 30. September behandelte ich 278 Fälle, von welchen

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57 starben. Am 30. bekam ich selbst das Fieber und habe ich dann keine Notizen mehr gemacht.

Der erste Patient, Gemeiner Wm. Crandal, fiel mir sofort als unge- wöhnlicher Fall auf ; namentlich die thränenden Augen, die hochrothe Zunge und der kleine Puls schienen verdächtig. Am nächsten Morgen fand ich ihn pulslos, schwarze Massen erbrechend, und zwar mit solcher Gewalt, dass die Zimmerdecke bespritzt wurde. Exitus am Mittag. Nun kam ein Fall nach dem anderen und vom 15. August bis zum 8. September hatten wir einen täglichen Zuwachs von 5 10 neuen, theils milden, theils schweren Fällen. Da das Hospital zu klein wurde, wurden die Baracken der Soldaten evacuirt, und aus einer benachbarten Kirche wurde eine genügende Anzahl Neger zum Krankenwärterdienst gepresst, aber erst nach beendetem Gottesdienst. Von 25 Negern erkrankten fast alle, 10 mit Vomitus niger, doch genasen diese Schwarzen alle, und hatte Argentum intricum bei ihnen guten Erfolg, während Capsicum keinerlei Einwirkung zu haben schien ; diese Patienten sind in der obigen Zahl der Patienten nicht einbegriffen.

Von Prodromen wurden nur selten Kopfschmerz und Verstopfung beobachtet. In vielen Fällen folgte das schwarze Erbrechen ohne Fieber einer einfachen Diarrhoe. Ein Patient bekam Suppressio urinae, allerdings nachdem er in einer Nacht 10 Gran Calomel, dann 30 Gran Chinin und später 15 Gran alle 3 Stunden, zusammen 90 Gran Chinin bekommen hatte. Dieser litt 6 Tage lang an schwarzem Erbrechen und starb dann im Coma.

Die Anfangssymptome waren sehr verschieden. Kopfschmerz, Ver- stopfung, Diarrhoe, Lichtscheu ; gelegentlich ausgeprägte Hirnsymp- tome, dann wieder Erbrechen bei vollem Bewusstsein. Hirn- erscheinungen waren prognostisch sehr ungünstig. Der Zungenbelag weiss, rothe Spitze und rothe Ränder. Haut trocken, heiss. Nur zweimal beobachtete ich trockene Zunge. Meist Verstopfung. Urin anfangs normal, später sehr spärlich. Im febrilen Stadium bestand heftiges Kopfweh, Kreuz- und Gliederschmerzen und Schmerzen in den Augen. Dabei unstillbarer Durst. Nach einem heissen Bad trat dann meist profuser Schweiss auf, der dann oft längere Zeit anhielt. Manche Patienten jedoch schwitzten nie. Im 2. Stadium, nach 12 72 Stunden hörten die Schmerzen auf und trat Brechneigung ein. Manche fühlten sich jedoch ganz wohl. Leichter Druck aber auf die Magen- gegend rief stets heftigen Schmerz hervor, und dieses Zeichen bewies die zu erwartende Magenblutung. Das erste Erbrochene war meist klar, später kamen dann dunkle Entleerungen. Grosse Massen werden so oft mit grosser Heftigkeit erbrochen. Uraemie trat dann auch meist ein und enthielt das Erbrochene Ammoniak. Albuminurie bestand in allen Fällen, Haematurie oft sehr ausgeprägt. Die Zeit vom Beginn des Vomitus niger bis zum Tode oder zur Genesung war sehr ver- schieden. Hin und wieder erfolgte der Tod nach wenigen Stunden, öfters erst später, und in einem Fall der günstig verlief hielt der Vomitus niger 4 Tage lang an. Von meinen Kranken genasen 12, welche Blut-

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erbrechen hatten. Stets aber ist es ein sehr bedenkliches Zeichen. Von 278 Kranken litten 69 am schwarzen Erbrechen und von diesen genasen 12. Im letzten Stadium ist der Puls meist verlangsamt, 50 65 Schläge, klein und schwach.

Die Hautfarbe der Erkrankten war sehr verschieden. Die gelbe Färbung stellte sich meist, wenn überhaupt, dann erst kurz vor dem Tode ein. Dieses Symptom soll bei verschiedenen Epidemien sich sehr verschieden halten. Es werden orangefarbene Patienten und leicht icterische erwähnt. Die gelbe Verfärbung ist aber durchaus kein constantes Symptom, und desshalb diagnostisch kaum verwendbar. Erwähnt sei hier, dass meine Soldaten meist Eingeborene des Staates New York waren, im Essen und Trinken sehr massig. Die im Marine Hospital liegenden kranken irischen Arbeiter zeigten meist starken Icterus. Ob deren Lebensweise mit diesem Symptom zusammenhing, wage ich nicht zu entscheiden.

(Fortsetzung folgt.)

MEDICINISCHB MONATSSCHRIFT.

Organ für practische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBERT.

Die Curpfuscherei der Apotheker.

Kürzlich zeigte ein New Yorker College dem Leichenbeschauer (Coroner) einen Fall an, in welchem zwei Apotheker nach einander einen an Kindercholera leidenden Säugling mittelst selbstständiger Ordinationen von Kreide- und anderen Mixturen mit dem Resultat behandelt hatten, dass, als das Kind vom Arzt gesehen wurde, alle Hülfe zu spät war. Die Untersuchung des Beamten förderte die absolute Unschuld der Apotheker zu Tage. Das war kürzlich. Vor längerer Zeit wurde ein älterer, namentlich als Kinderarzt bewanderter College zu einem Kind gerufen, das in Folge der selbstständigen Ordination eines anderen Pharmaceuten an ausgeprägter Opium - Vergiftung litt und auch trotz den, eine ganze Nacht durch fortge- setzten, persönlichen, Bemühungen zweier sehr fähiger und erfahrener Collegen binnen 12 Stunden an Herzschwäche und Lungenoedem zu Grunde ging. Der Fall wurde dem Beamten (Coroner) angezeigt, der Rest der Mixtur wurde ihm als Corpus delicti übergeben und dieser Herr machte (da er selbst Doctor war) die Section. Das Resultat derselben war ein sehr überraschendes, denn dieser Wächter der Gerechtigkeit fand, dass das Kind nicht an Lungenoedem, sondern an Lungenent- zündung gestorben sei, und durchaus nicht an Opiumvergiftung gelitten habe. Der Apotheker wurde aller Schuld enthoben. Als dritter Fall mag Folgendes gelten : Ein in einem Hotel dienendes irisches Mädchen leidet an einem Mundschanker und frischer papulöser Syphilis. Der behandelnde Arzt findet das Hymen vollständig intact, und keinerlei Anzeichen, die dafür sprechen, dass die Infection durch den Coitus bewerkstelligt wurde. Die Arznei liess die Patientin bei einem französischen Apotheker der Westseite New York's anfertigen. Dieser überredete die nicht sehr intelligente Patientin eines Abends bei der Zubereitung einer neuen Ordination sich von ihm in seinem „Sprechzimmer", welches sich hinter der Apotheke befinde, untersuchen zu lassen, da er ein „französischer Specialist für solche Blutkrank- heiten" sei. Bei dieser Untersuchung nun machte der Mensch den Versuch, sich eines Instrumentes zu bedienen, das man sonst für andere Zwecke verwendet, zum nicht gelinden Entsetzen der Patientin,

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auf deren Geschrei die Polizei herbeistürzte, und beide Betheiligte sofort verhaftete. Der Apotheker machte am nächsten Tag durch einen Mittels- mann den Versuch, den Arzt zu bestechen, damit er die Patientin als Prostituirte bezeichne. Der Mittelsmann flog mit einem Fusstritt zum Sprechzimmer des Collegen hinaus, und letzterer wurde vor den Richter citirt. Dieser hatte erst vor der Verhandlung eine Privatunterredung mit dem Arzt, und als diese für den Apotheker ungünstig ausfiel, wurde das Zeugniss des Collegen als überflüssig bezeichnet, und derselbe durfte nach Hause gehen. Das Resultat war, dass der Apotheker heute noch ruhig weiter recipirt und ordinirt.

Wir, als Amerikaner, sehen mitleidig auf Russland, betrachten dasselbe als das extreme Gegenstück zu unserem freien Land und lesen mit behaglichem Gruseln und gelegentlichem Zähneknirschen spalten- lange Beschreibungen der russischen Gefängnisse und der sibirischen Verbannungsmethoden (vide " The Century Magazine," 1888 1889) und schlagen an unsere Brust und „danken Gott, däss wir nicht sind wie andere Leute, Räuber, Mörder u. s. w." Wir kennen die Stellung der Apotheker in Russland nicht, die hiesigen Zustände bezüglich des Ordinirens derselben sind uns aber gerade russisch genug. Wir möchten annehmen, dass in New York von Apothekern selbst, ihren Gehülfen und Lehrjungen ebenso viel ordinirt wird als von Aerzten. Es dürfte schwer halten zu beweisen, dass wir übertreiben.

Wir wissen wohl, dass viele Pharmaceuten nicht gern ärztliche Rath - schlage ertheilen, aber auch diese sind angeblich dazu gezwungen, denn wenn sie den verlangten Rath nicht geben, so gibt ihn der Apotheker an der nächsten Strassenecke. Diese Herren würden den Schwindel herzlich gern nicht mehr mitmachen, aber mit den Wölfen muss man heulen. Und dieses „Heulen" hat auch seine angenehmen Seiten. Nach westlichem Muster redet der Patient den Apotheker mit „Doctor" an, und das thut wohl und schmeckt süss, wie Syrup. Dann schmeichelt natürlich des schnorrenden Kranken blindes Vertrauen, in die, aus vielen Recepten prominenter und obscurer Aerzte, herausgelesene Weissheit dem ohnehin nicht eben geringen Selbstgefühl des klugen Medicinmannes, und last but not least kommt ihm die klingende Münze doch ebenso zu statten als dem nächsten Nachbar, und Husten, Durchfall, Verstopfung und Tripper kann doch schliesslich Jeder be- handeln. Die Gewissenhaften lassen es natürlich dabei bewenden, aber eine grosse Anzahl der Herren verschreibt und behandelt ohne die geringsten Scrupel auf Tod und Leben weiter. Jedes Kind, das mit Cholera infantum m's Dispensary gebracht wird, ist schon vom Apotheker behandelt worden. In manchen Stadttheilen könnte man beim besten Willen keine einzige Apotheke finden, die nicht ordinirt. Stirbt dann ein Kind (und es sterben viele) an der Apothekerbehandlung, so gibt es befreundete Doctoren genug, die Todenscheine auf Lager haben, und erwischt der Coroner mal einen Fall, so ist das auch kein Unmensch, und kennt er auch keinen Unterschied zwischen Lungenoedem und Lungenentzündung, so kann er desto besser eine „Eins" von einer „Zehn"

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unterscheiden, namentlich wenn diese Zahlen auf Banknoten gedruckt sind.

Dieser „russische" Zustand kann nur von den Apothekern selbst gehoben werden. Sie selbst müssen es sich zur Pflicht, zum Gesetz machen, niemals zu ordiniren. Wie den amerikanischen Aerzten der Code of Ethics das Anzeigen verbietet, so sollte eine Vereinigung der Apo- theker alles Pfuschen mit Ausstossen aus der Gemeinschaft anständiger Berufsgenossen bestrafen. Die Herren müssen erst selbst zu der Er- kenntniss gelangen, dass jede Ordination ihrerseits ein Betrug ist, dann würden sie sich bald von dem Ruf lösen, bei vielen ihrer Kunden das scheinen zu wollen, was sie in Wirklichkeit nicht sind. Ein Thee- kessel ist desshalb noch kein Koch, weil man sich seiner bedient, um den Trank zu bereiten, und wer die Pille dreht, ist desshalb noch nicbt der Arzt der sie verschrieb. Wie wär's, wenn unsere Nachbarin, die „Deutsch-Amerikanische Apotheker-Zeitung", die Agitation dieser Sache betrieb? Wir denken sie könnte ihren Lesern wohl mehr damit - nützen, als z. B. mit Leitartikeln über die „Irrwege der Heilkunde", welch' letztere doch nur von Solchen verstanden und beurtheilt werden können, welche sich mit der Heilkunde befassen ! Oder glaubt man in pharmaceutischen Kreisen auch fachmännische Urtheile über Hypno- tismus, Pasteur's Untersuchungen bezüglich der Tollwuth, und über die neueste Idee von Brown-Sequard zu besitzen ? Wenn so, dann ist es allerdings nicht zu verwundern, wenn die Heilkunde bei uns auf Irr- und Abwege gerathen ist.

Populäre Medicin.

Der Endzweck unserer Wissenschaft ist Krankheit zu verhüten und Kranken zur Genesung zu verhelfen, und somit ist sie nicht Eigen- thum der Aerzte allein, sondern auch eines der kostbarsten Güter der ganzen Menschheit. Das ist auch längst von allen Völkern, Staaten und Gemeinwesen anerkannt. Ja man könnte wohl sagen, dass sich der Bildungsgrad eines Volkes nach dem Interesse abmessen lässt, welches es der Heilkunde durch Gesetze und fördernde Institutionen entgegen bringt. Der Staat, der zur Hebung und Vervollkommnung unserer Wissenschaft am meisten beiträgt, sorgt am besten für das leibliche Wohl des Einzelnen.

Selbst da nun, wo noch die staatliche Regelung der Medicin erhebliche Mängel aufweisst, und wo von staatlichen medicinischen An- stalten nur als wünschenswerthen Zukunftsträumen die Rede ist, findet sich unbewusst im Gemeinwesen der Gedanke, dass die Errungen- schaften unserer Wissenschaft sofort als Allgemeingut des Volkes aufzufassen sind. Diesem Bewusstsein entspringt zu nicht geringem Theil das, was man unter dem Namen „populäre Medicin" zusammen- fasst.

Zweifellos ist es nicht allein nützlich, sondern auch nothwendig, dass die Laien durch populäre Schriften, Vorträge u. s. w. von berufener Seite über anerkannte Grundsätze der Hygiene von Zeit zu Zeit belehrt werden müssen, und namentlich dann, wenn es gilt die Keime chro- nischer und acuter Infectionsprocesse prophylactisch zu bekämpfen (Tuberculose, Diphtherie und Cholera infantum). Die Tagespresse ist da der Ort, namentlich hier zu Lande, wo krankheitsverhütende Be- sprechungen und Eathschläge nur Nutzen bringen können. Das wissen die Leiter der Tages-, Wochen- und Monatsschriften auch recht wohl und kann man ihr Bestreben an sich auch nur anerkennend be- merken.

Fragen wir aber nun nach der Art und Weise, die angewandt wird, um dem Volk die Goldkörner der wissenschaftlichen Medicin vorzusetzen, so begegnen wir da leider einer so beklagenswerthen Verwirrung und lüderlichem Durcheinander von Werthlosem, Schädlichem und Nütz- lichem, dass man sich erstaunt fragen muss, ob denn diese schreibende Grossmacht der Welt keine fähigeren Kathgeber zur Verfügung hat, als die, welche ihnen den Schund aufhalsen, den sie meistens ihren Lesern als medicinisch-wissenschaftliche Abhandlungen vorsetzen. In Deutschland ist man in diesem Punkt schon weiter. So erinnern wir uns z. B. in den letzten Jahren an sehr gut geschriebene Artikel über Milchsterilisation und andere Fortschritte in der Kinderdiät in besseren deutschen Zeitungen gelesen zu haben, während hier bisher noch kein Journal sich um diese so wichtige Frage bekümmert hat. Die Presse hat es allerdings dort leichter bezüglich ihrer medicinischen Mitarbeiter eine passende Auswahl zu treffen, indem dazu meist jüngere Docenten an den Universitäten gewonnen werden. Hier fehlt dem gebildeten Laien jeder ofQcielle Anhalt zur Beurtheilung eines Arztes und seiner Leistungen, und ausserdem dürfte es schwer sein, gerade von erfahrener und competenter Seite populäre Abhandlungen zu erlangen. Somit kann man diesen Mangel entschuldbar finden.

Anders aber verhält es sich mit den Berichten, welche die amerika- nische Tagespresse gelegentlich über Fortschritte in der Therapie nach ihrer Manier meist phantastisch-sensationell ausgeschmückt ihren Lesern als populäre Medicin vorsetzt. Wir erinnern nur an die Sus- pensionsbehandlung der Tabetiker, die Gasklystiere bei Tuberculose und den Hammelhodenextract. Mit geradezu sträflichem und theils unanständigem Behagen werden da die Einzelheiten der Proceduren breitgetreten, und je anrüchiger und saftiger das Verfahren, desto aus- führlicher wird es besprochen.

Welches Unheil mit solcher populären Medicin angerichtet wird, lässt sich nur muthmaassen. Abgesehen von den zweifellos mit schmutzigen Hautspritzen in allen Theilen des Landes beelixirten Patienten, welche nachträglich ihren Köhlerglauben an die Heilkraft der Schafbocksmilch und die Intelligenz und Gewissenhaftigkeit ihrer Doctoren mit Abscedi- rungen bezahlen mussten, muss jede durch die Tagespresse mitgetheilte Kunde von noch nicht erprobten neuen Heilmethoden Unheil an-

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richten. Es wäre viel besser die Presse verfasste sich garnicht mit populärer Medicin, als in der Art, wie es jetzt geschieht. Wissen- schaft ist wie Feuer, man kann sie zum Nutzen und zum Schaden verwenden.

Die Sterblichkeit an Kindercholera in New York.

Auch in diesem Sommer ist von der Tagespresse den Ein- wohnern New York's verkündet worden, dass die Thätigkeit der städtischen Gesundheitsbehörde bezüglich der Brechdurchfälle der kleinen Kinder eine so erspriessliche gewesen sei, dass eine bedeutende Abnahme der Mortalitätsziffer im August, gegenüber von Juli zu con- statiren sei. Namentlich aber habe man es der Thätigkeit der be- suchenden Aerzte des Sommercorps vom Gesundheitsamt zu danken, dass so viele Säuglinge dem frühen Grab entrissen wurden. Die Anzahl der „behandelten" Kinder wird wöchentlich veröffentlicht und beträgt dieselbe schon über 100,000. Die Anzahl der verschriebenen Kecepte ist womöglich noch grösser, und die Menge der besuchten Tenementhäuser übersteigt alles bisher Dagewesene. The largest figures on record anywhere. Das ist die Hauptsache, und damit ist man zufrieden.

In einem von uns im Jahre 1885 veröffentlichten Schriftchen, ,,Aus der Armenpraxis in New York", machten wir folgende Angaben : „Die Besuche der Tenementhausdoctoren im Sommer haben gar keinen Werth. Ihre Berichte sind bombastisch übertrieben, denn wenn eine Frau dem Besucher die Erlaubniss gibt, ihrem Baby ein Recept für Diarrhoe zu verschreiben, so wird im Bericht angegeben, dass dieses Haus mit 20 Familien und so und so viel Kindern inspicirt worden und die kranken Kinder behandelt worden seien. Das ist hiesige Gesund- heitsstatistik. Man denkt sich da weiter gar nichts bei."

Was wir damals schrieben, unterschreiben wir heute noch. Die sogenannte Behandlung dieser Sommerdoctoren beschränkt sich nieist auf die beschriebene Thätigkeit. Und wie wird diese Thätigkeit durch Wort und Bild in den grössten und kleinsten Zeitungen der Stadt und des Landes verherrlicht, und damit eine der „grossartigsten sanitären Einrichtungen der Welt !" Es characterisirt doch mal wieder die ganze Oberflächlichkeit der amerikanischen Journalistik, dass auch nicht eine Zeitung es für der Mühe werth hielt, nähere Erkundigungen über eine derartige, für das Volkswohl' so ausserordentlich wichtige Frage ein- zuziehen. Dass z. B. in unzähligen Dispensaries dieser Stadt jüngere und ältere, unerfahrene und erfahrene Aerzte in den Kinderabtheilungen namentlich im Sommer im wörtlichen Sinne des Wortes im Schweisse ihres Angesichtes, auf Kosten ihrer Zeit und Gesundheit, Jahr aus Jahr ein, ja sogar Jahrzehnte lang, sich den Undank und die Nichtbeachtung des Pubükums und der Presse ohne weitere Bezahlung verdienen, davon wird im Allgemeinen wenig bekannt, während die Sommer-

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doctoren ihr Salair beziehen und dann noch vor dem Publikum als kleine Helden paradiren können.

Wie nun verhält sich die Mortalität acuter Verdauungsstörungen bei Kindern unter 5 Jahren in Wirklichkeit? Folgende uns von Herrn Dr. John T. Nagle, dem Registrator des Gesundheitsamtes brieflich mitgetheilten Zahlen zeigen es : Es starben

in 1884 im Juni 398, im Juli 1109 u. im Aug. 633 Kind, unter 5 Jahren. 1885 284, 1341 540 1886 261, 1268 579 1887 462, 1418 655 1888 362, 1118 773 1889 414, 1245 701

J5

Summa 2118, Summa 7499 Summa 3881

Auf die einzelnen Sommer vertheilt :

1884 = 2140 1887 = 2535

1885 = 2165 1888 = 2253

1886 = 2108 1889 = 2360

Summa 6413 Summa 7148

Diese Zahlen zeigen, dass alljährlich die grösste Mortalität im Juli herrscht, und dass in dem folgenden August dieselbe stets auf ungefähr die Hälfte der Fälle sinkt, so dass im Juli noch ein Mal so viele Kinder alljährlich in New York an Sommerdiarrhoe sterben, als im August.

Ferner sehen wir, dass hier die Sterblichkeit in den letzten 3 Jahren nicht geringer war, als in den 3 vorhergegangenen. Zieht man den Zuwachs der Bevölkerung in Betracht, so bleibt die Ziffer ungefähr auf gleicher Höhe. Immerhin geben diese Zahlen keinerlei Anhaltspunkte aus welchen man schliessen könnte, dass innerhalb der letzten 6 Jahre von Seiten der Gesundheitsbehörde hier, irgend welche eingreifende hygienische Neuerung oder auch verbesserte therapeutische Maass- nahme bezüglich des Sommerdurchfalls der Kleinen getroffen worden wäre. Möglich, dass dem doch so ist, aber wenn auch so war die Thä- tigkeit der Herren nach dieser Richtung hin wirkungslos. Zahlen be- weisen.*)

Wohl aber wird regelmässig dem Publikum von der Presse der Bären aufgebunden, dass es das segensreiche Eingreifen des sanitären Sommercorps sei, welches den alljährlichen Abfall der Mortalität der Augustmonate von der meist doppelten Anzahl Todesfälle im Juli be-

*) Vergessen darf man aber dabei nicht, dass die Wünsche und der gute Wille einzelner Collegen im Gesundheitsamt, deren Tüchtigkeit uns wohl bekannt, nicht maassgebend ist. Die Gesundheitsbehörde ist eine politische Krippe, wie alle anderen städtischen Einrichtungen. Der Präsident darf (laut Gesetz) niemals Arzt sein.

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werkstellige. Der am Seestrand oder auf seinem Landgut sich behag- lich abkühlende reiche New Yorker liest das gesperrt gedruckt in der Zeitung und freut sich über „unsere" Gesundheitsbehörde, und sein alter Hausarzt, dem er das erzählt, wirft sich in die Brust, fasst den Bericht als ein Compliment für den ganzen Stand der Aerzte auf, wundert sich im Stillen über das Können und Leisten der jungen Som- merdoctoren und glaubt die Mähr schliesslich auch. Wir aber wissen, dass wenn im Juli 1200 Kinder sterben, im nächsten Monat (August) 1200 Kinder weniger vorhanden sind, und desshalb 1200 weniger erkranken können, eben weil sie schon tod sind. So ist es in New York, so ist es in Philadelphia und in Baltimore, Sommerdoctoren oder nicht, es bleibt auch so.*) Was aber nicht bleiben sollte, ist die hohe Mortalität überhaupt. Das aber kann niemals durch das Aussenden von Gratis- doctoren in der Mitte des Juli jeden Jahres geschehen, sondern nur durch energische Belehrung des Publikums 4—6 Wochen vor dem Ein- tritt der warmen Nächte (Mitte Juni), über Alles was wir bisher selbst über Kinderernährung wissen. Man mache die Thür zu, ehe die Kuh fort ist.

*) Cholera infantum and the weather. By A. Seibert, M.D., "TheMedical Kecord," March 24th, 1888.

REFERATE. Arzneimittellehre.

Referirt von Dr. F. C. Heppen h kimer.

1. Ueber die schlafmachende Wirkung des Chloralamids. Hägen und Hüefler. Aus der medicinischen Klinik des Prof. Struempell in Erlangen. (Münchener Med. Wochenschrift, No. 30, 1889.)

2. Ueber Chloralamid, ein nettes Schlafmittel. E. Reichmann. Aus Riegel's Klinik in Giesen. (Deutsche Med. Wochenschrift, No. 31, 1889.)

3. Chloralamid, ein neues Schlafmittel. E. Peiper. Aus Mosler's Klinik in Greifswald. (Deutsche Med. Wochenschrift, No. 32.)

4. Ueber Chloralamid als Hypnoticum. U. Lettow. (Inaug. Dissert., Greifswald, 1889.)

Chloralamid ist ein Additionsproduct aus Chloralanhydrid und Formamid (CCl.,CHO = Chloralanhydrid + CHO. NH2 Formamid. CC13 OH

CH^jj^jjq = Chloralamid). Seine farblosen Krystalle sind in neun

Theilen Wasser und in Theilen Alcohol löslich. Der Geschmack ist milde, schwach bitter, keineswegs ätzend. Die wässerige Lösung welche bei einer 60° C. nicht übersteigenden Temperatur hergestellt werden muss ist haltbar. Durch Arg. nitr. tritt weder in alcoholischer noch in alkalischer Lösung eine Fällung ein, ebensowenig wirken schwache Säuren darauf, während Aetzalkalien das Präparat schnell, kohlensaure Alkalien langsam zersetzen. Nach übereinstimmenden Berichten aus obigen Kliniken haben wir es mit einer höchst beachtens- werthen Bereicherung des Arzneischatzes zu thun, und hat das neue Mittel das vor dem Sulfonal voraus, dass die Wirkung etwas sicherer und schneller eintritt, und dass es ausserdem bedeutend billiger ist.

Reichmann fand, dass es im Gegensatz zu Chloral keine Verände- rungen in der Pulscurve erzeugt.

Dr. Wirich Peiper verabreichte es in Pulverform (1,0—3,0 mit Elaeosacch. Foeniculi oder in Oblate mit Nachtrinken von Milch, Wasser oder Kaffee ; das Nachtrinken ist wichtig, da es weniger Durst zur Folge hat) ; mehrfach wurde es auch als Mixtur gegeben. (Rp. Chloralamid 3,0 Ac. mur. dii gtts. V. Aq. dest. 60,0 Syr. Rub. Id. 10,0 MDS, auf einmal zu nehmen). Bei einer Reihe von Pa- tienten wurde es auch als Klysma verordnet (Rf. Chloralamid 3,0 Ac. mur. dil. gtts. II. Spir. vin. 1,0 Äq. dest. 100,0. zum Klysma). Im Wesent- lichen stimmen die drei Untersuchungen überein :

1. Das Chloralamid erwies sich als ein brauchbares, wenn auch nicht in allen Fällen wirksames Hypnoticum. Bei Erwachsenen tritt die Wirkung ca. % 1$ Stunde nach Verabreichung von 2 3 Gramm ein.

2. Die beste Wirkung entfaltete es bei nervöser Agrypnie, bei Schlaflosigkeit hervorgerufen durch Rückenmarksaffectionen, Asthma bronchiale, subacuten Gelenkrheumatismus, Magenaffectionen, die mit keinen intensiven Schmerzen einhergingen.

3. Nebenwirkungen, Kopfschmerz, Schwindel, Müdigkeit am näch- sten Tage, traten bei mehreren Personen auf. Die Beschwerden waren allerdings nur einmal, in einem Falle von fortgeschrittener Larynxphthise, erhebliche.

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4. In den Fällen, in welchen die Wirkung des Chloralamids mit denen des Chloralhydrats verglichen werden konnten, fiel der Vergleich zu Gunsten des Chloralamids aus.

Antipyrin bei Diabetes insipidus. M. Opitz. (Deutsche Med. Wochen- schrift, No. 32, 3. Aug., 1889.)

Gönner hat in einem Falle von Diabetes mellitus den Zucker nach hohen Antipyrindosen schwinden sehen, eine Angabe, die Eichhorst bei Nachprüfung nicht bestätigen konnte, dagegen fand Letzterer, dass in einem Fall von Diabetes insipidus (38jähr. Mann) die Harnmenge durch 5,0 pro die von 13 Liter auf die Norm herabsank.

Opitz konnte auf Grund seiner drei Fälle letztere Angaben bestätigen. Seine Tabellen sind in der That beweisend für die Wirksamkeit des Mittels. Interessant ist besonders sein dritter Fall, bei dem er auch Antifebrin und Phenacetin zur Abwechslung gab. Es zeigte sich, dass allerdings Antifebrin (0,5 dreimal tägl.) und Phenacetin (0,5 dreimal tägl.) einen Einfluss auf die bis 16 Liter betragende Ausscheidung hatte, aber nicht so ausgesprochen wie das Antipyrin. Im ersten seiner Fälle war die Besserung nach Aussetzen des Mittels dauernd, im zweiten hielt sie sehr lange an, im dritten Falle stieg die Harnmenge nach Weg- lassen des Antipyrins wiederholt zur alten Höhe, um nach erneutem Gebrauche stets wieder abzufallen. Da in einem der Fälle eine Anti- pyrin Vergiftung erfolgte, rathet Verf., zuerst mit 2,0 Gr. als Tagesdosis und 0,5 1,0 als Einzeldosis anzufangen, um zunächst die Empfind- lichkeit des Patienten gegen das Mittel zu prüfen. Man steige jeden Tag um 1,0 Gr. eventuell bis 6,0 Gr., bis die Herabsetzung der Harn- menge eintritt. Nach etwa 8 Tagen lasse man das Mittel weg, um die Dauerhaftigkeit der Wirkung zu prüfen und wiederhole nöthigenfalls die gefundene wirksame Dosis.

Ein Fall von Creolinvergiftung beim Menschen. Friedrich von Ackeren. (Berl. Klin. Wochenschrift, No. 32, 12. Aug., 1889.)

Ein dreissigj ähriger kräftiger Arbeiter trank etwa 250 Gr. unver- dünntes Creolin, um Selbstmord zu begehen. Kurze Zeit danach wurde er in bewusstlosem Zustande in die Charite gebracht. Beim Versuche, die Schlundsonde einzuführen, erbrach Patient eine reichliche Menge einer grünlich gefärbten Flüssigkeit von characteristischem Geruch. Ausspülung, Eispillen. Tags darauf war Pat. bei Bewusstsein. Er erbrach noch häufig und erst am Abend hatte das Erbrochene den Geruch verloren, während die Expirationsluft denselben noch bis zum nächsten Tage beibehielt. An der Zunge, am Hachen und dem Kehl- kopfeingang waren keinerlei Aetzerscheinungen nachzuweisen. Der in der Nacht gelassene Harn war grünschwarz - wie ein Carbolurin und enthielt eine Spur Eiweiss. Das Destillat des mit HCl angesäuerten Urins war jedoch nicht klar, sondern milchig getrübt und setzten sich beim Stehen ölige Tropfen am Boden ab. Mit HCl in der Retorte erhitzt, bildete sich ein theerartiger Niederschlag kurz, der Harn zeigte das- selbe Verhalten, wie es Weyl für den Harn seiner mit Creolin vergifteten Thiere angibt. Bei Zusatz von Eisenchlorid zu dem Destillat trat Blauviolettfärbung ein, Millon's Reagens färbte dasselbe beim Kochen intensiv roth, durch Bromwasser wurde ein gelblichweisser Nieder- schlag hervorgebracht. Beim Schütteln mit Aether ging die die Trübung bedingende Substanz in letzterem über und blieb nach der Verdunstung als öliger Tropfen zurück, die in Wasser unlöslich waren, dagegen in verdünntem Alkali sich leicht lösten und dann die gleichen Reactionen gaben wie die wässerige Suspension. Es handelte sich also um Cresole und verwandte Körper, die ja die Hauptmasse des Creolins

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ausmachen. Nach zwei Tagen hörte das Brechen auf, der Harn enthielt reichliche Mengen von Ei weiss, Blut und Nierenepithelien. Dann traten kurze klonische Krämpfe in den oberen Extremitäten ein. Die Blutuntersuchung ergab normalen Befund. Milz und Leber waren mässig vergrössert. Alle Symptome gingen jedoch nach und nach zurück, bis auf einmal (beinahe drei Wochen nach der Vergiftung) der Patient über ein Gefühl von Taubsein auf der Rückenfläche beider Vorderarme klagte, und die Untersuchung eine handtellergrosse, anästhetische Stelle im Bereich der vom Radialis versorgten Haut auf- wies, an welcher Berührungen nur unsicher empfunden, Schmerz- empfindung dagegen vollständig aufgehoben war. Auch dies verlor sich nach und nach. Die Temperatur war nur einmal 37,9, sonst während der ganzen Beobachtungszeit unter 37°, ja in den acht Tagen der stärksten Erscheinungen stets unter 36,5. Wir können den Bemer- kungen von Ackeren's zu obiger Beobachtung nicht ganz beistimmen, der darauf dringt, das Creolin von nun an stets als giftige Substanz zu betrachten. Es wird wohl Niemand einfallen, 250 Gr. unverdünnten Creolins dem Körper einzuverleiben. Jede Substanz kann giftig wirken und es sind schon Menschen durch zu vieles Wassertrinken gestorben. Der Haupteinwand gegen das Creolin scheint von Ref. noch nicht gemacht worden zu sein, und das ist die Undurchsichtigkeit, die heraus- geschwemmten Partikel Eiter u. s. w. der Beobachtung entzieht.

Chirurgie.

Referirt von Dr. G. Degner.

On the Healing of aseptic Bone Cavities by Implantation of antisep- tic decalcified Bone. N. Senn. (The Am. Journ. of the Med. Sciences, Sept., 1889.)

Senn schlägt in diesem Artikel ein Verfahren vor, dass die Schede'- sche „Heilung unter dem feuchten Blutschorf" ersetzen und verbessern soll. Eigentlich ist es auch nur eine Modifikation desselben, da, wie er selbst angibt, die in die betr. Knochenhöhlen gezackten Knochenstück- clien (bone chips) durch das nach Lösung des Schlauches aussickernde Blut mit einander „cementirt" werden, und die Höhlung also durch die Knochenstückchen und Blut ausgefüllt wird. Sorgfältige Thierexperi- mente, die in extenso mitgetheilt werden, haben ihm die Ausführbarkeit gezeigt, und an 10 Krankengeschichten beweist er auch ihren Werth für die chir. Praxis. Strengste Antisepsis ist erste Hauptbedingung. Auch für Trepanationen schlägt Senn vor in den Knochendefect passende decalcinirte antiseptische Knochenplatten einzupassen, die zu gleicher Zeit die Blutungen aus den Knochenrändern am sichersten stillen. Ueber Zubereitung der antisept. decalcinirten Knochen und fernere Einzelheiten verweisen wir auf den Artikel selbst.

Sarcom des Armbeins. Abtragung der ganzen oberen Extremitaet sammt Schulterblatt und einen Theil des Schluesselbeines. R. Sondermann, Krakau. (Wien. Med. Wochenschrift, No. 29, 1889.)

44jähr. chachectische Frau. Im Januar 1888, Fall auf den Arm der bis dahin angeblich stets gesund war. Schmerz, Schwellung und Func- tionsstörung. Im März Aufnahme in Rydygier's Klinik. 23. März Ope- ration. Von Langenbeck's Resectionsschnitt aus Fractur des Humerus im Collum, chirurgische Bruchstelle erweicht, Neubildung (Spindelzellen), Sarcom des Humerus, das bis auf die Subscapularmusculatur über- greift. Auslösung der Scapula mit Langenbeck's Schnitt (längs des oberen und inneren Scapularrandes), Lappen nur aus Haut gebildet. Oberer Schnitt mit erstem Resectionsschnitt verbunden, und von dort

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aus Exarticulation der Extremität. Digitalcompression der Gei'ässe, kein Blutverlust. Keine Drainage. Leichter in der Subscapular- gegend stärkerer Druckverband. Guter Heilungsverlauf. Am 13. April erster Verbandwechsel, Wunde pr. I. geheilt, bis auf den das Clavi- cularende deckende Lappenstück (Drucknecrose), Abtragung des ne- crobischen Theiles, aus dem das Clavicularende hervorsieht. Am 20. Eesection des äusseren Drittels der Clavicula, Anfrischung und Naht. Heilung pr. I., bis Ende December kein Kecidiv.

Acute infectious Osteomyelitis und Periostitis. H. Myntar. (Annais of Surg., August, 1889.)

Verf. gibt kurze, aber klare Krankengeschichten über 6 Fälle, von denen er 4 selber beobachtet hat, und von denen nur einer durch recht- zeitige und gründliche Operation gerettet wurde. Er hebt besonders die Schwierigkeit der Diagnose hervor, die in vielen Fällen uoch durch das Gesammtbild der Krankheit, die den Pat. sowohl wie die Angehö- rigen oft die im Anfang vorhandenen Klagen über Schmerzen an den betr. Knochen übersehen oder vergessen lassen, erschwert wird. Hohes septisches Fieber und scharfer, begrenzter Knochenschmerz lassen ihn daher jetzt immer operativ Einschneiden bis auf den Knochen, wenn das Periost abgehoben und entzündet, sowie subperiost. Eiterung da ist. Ist das Periost anscheinend gesund oder nur wenig verändert : Anbohren resp. Aufmeissein des Knochens, und Ausräumung des ganzen Markes. Subperiostale Resection des ganzen Knochens (nach Ollier) hält er hingegen nicht für nöthig.

On Drainage in the Treatment of certain Injuries and Diseases In- volving the Floor of the Cranium. O. H. Allis, M.D., Philadelphia. (Annais of Surgery, July, 1889.)

A. berichtet über einen sehr interessanten Fall von Schädelfractur. Sturz aus pp. 30' Höhe. Splitterfractur mit Depression, ungefähr 1" über dem rechten Auge. Entfernung der Splitter, von denen die der inneren Lamelle grösser waren als der äusseren, bei Fingeruntersuchung findet sich Fissur bis herunter zum Augenhöhlendach, die harte Hirnhaut vom Knochen abgehoben. Anlegung einer Knochenfistel durch die Lamina cribrosa vom rechten Nasenloch aus. Durchführen eines Drains von oben durch die Nase, und eines zweiten von unten her bis an die Lamina cribrosa. Durchspülen mit lauwarmem, sterilisirten Wasser ; Jodoform auf die Wunde und Protectiv- und Sublimatgaze. Innerlich Calomel, später Bromkali und Morph. ; Druckerscheinungen verschwinden, Pat. nach 4 Wochen geheilt entlassen. Auf Grund dieses Falles empfiehlt Verf. die Anwendung der Trepanation mit Gegenöffnung und durch- gehender Drainage bei Verletzungen besonders der Orbita und der Nasenhöhle, wie auch bei eitrigen Mittelohrcatarrhen, und führt als Beispiel eine Verletzung durch Eindringen eines Schieferstiftes durch die Orbita in das Gehirn an, die seiner Meinung nach durch Austrepa- niren und Fingeruntersuchung hätte gerettet werden können, während das Kind so 24 Stunden an den Folgen eines in den rechten Hirnlappens durchgebrochenen Hirnabscesses starb. In dem Abscess wurden noch Stücke des abgebrochenen Griffels gefunden.

Ueber Arthrectomie des Fussgelenkes mit temporaerer Extirpation des Talus. Kr. Paulsen. (Cbl. f. Chir., No. 31, 1889.) Um den bei Synovialerkrankung des Fussgelenks häufig ganz in- tacten Talus zu erhalten, hat Verf. in einem Fall den Versuch gemacht, denselben nach Extirpation der erkrankten Kapsel wieder einzupflanzen. Nach Durchschneidung der Extensoren Hess er ihn mit der Sehne des Flexor hall. long, verbunden, und nach Abschälung der Granulationen in 6n/oo warmer Kochsalzlösung bis zur Beendigung der Operation

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liegen. Später sowohl seröse Kniegelenksentzündung, die Arthrotomie erforderte, wie auch Recidiv der Kapselerkrankung im Sprunggelenk, die Nachoperation mit Entfernung des Talus erforderte. Jedenfalls zeigte der Talus Lebensfähigkeit und normale Verhältnisse in Caput und Collum, während der Knorpel nach oben und unten wie nach den Malleol. ext. hin abgestossen war. Dem Verf. ist jedoch hierdurch erwiesen, dass der Talus durch längere Zeit aus seinen Verbindungen herausgelöst und in warmer 6°/00 Kochsalzlösung aufbewahrt, seine Lebensfähigkeit nicht verliert, und hofft in anderen günstigeren Fällen auch auf ein besseres Resultat dieser Operation.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Willy Meyer.

Ueber Darmanastomose. Ed. v. Wahl, Dorpat. (St. Petersburger Med. Wochenschr., No. 24, 1889.)

Eine 38 jährige Frau leidet seit 4 Jahren an Stuhl Verstopfung und quälenden Koliken, die sich im letzten Jahre bedeutend gesteigert haben. Bei der Aufnahme in die chirurgische Klinik zeigt sich bei der abgemagerten, etwas kachektisch aussehenden Frau eine ziemlich hoch- gradige, asymmetrische Auftreibung des Leibes und lebhafte Peristaltik der geblähten Darmschlingen. Unterhalb des Nabels lässt sich eine quer verlaufende resistentere Darmschlinge herauspalpiren. Im Rectum harte Kothballen ; Uterus normal, frei beweglich. Die Kranke klagt über äusserst quälende Koliken und seltene unbefriedigende Entlee- rungen. Abführmittel erzeugen Verschlimmerung der Kolikanfälle und nicht-fäkulantes Erbrechen. Am 12. Febr. d. J. Laparotomie in der Lin. alb., ohne dass zuvor die Diagnose mit Sicherheit gestellt werden konnte. Es findet sich ein strikturirendes Carcinoma coli der an die hintere Bauchwand fest angehefteten Pleura lienalis und Matastasen- bildung im Mesocolon. Wegen Unmöglichkeit einer Radikaloperation Anlegen einer Anastomose zwischen Colon transversum und S. roman ; nachdem aus ersterem durch den 4 Cm. langen Längsschnitt etwa 2 Liter dünn-breiigen Kothes entleert worden. Naht in gewöhnlicher Weise ; dieselbe wird durch einen herumgeschlungenen Netzzipfel ge- sichert. Verlauf quoad operationem günstig. Am 11. Tage erste spon- tane, sehr breiige Kothentleerung ; die früher so quälenden Koliken haben ganz nachgelassen. 7 Wochen später ist der Stuhlgang der Pat. regelmässig und reichlich und bedarf keiner Nachhülfe. Doch haben sich leichte Oedeme der unteren Extremitäten und des Gesichts bei massigen Temperatursteigerungen eingestellt. Pat. bleibt unter Beob- achtung. — Der Krankengeschichte folgen ein kurzer historischer Ueber - blick der künstlichen Anastomosenbildung bei unüberwindlichen Hin- dernissen im Darme und einige Bemerkungen über die verbesserte Technik dieser interessanten, letzthin mit so besonderer Vorliebe gepflegten und besprochenen Operation. Einzelheiten müssen im Ori- ginal nachgelesen werden.

Intestinal Anastomosis. Robert Abbe, New York. (Transactions of the Philadelphia County Med. Soc, May 8, 1889.)

Ein bündiger Vortrag, dazu bestimmt, die leichte Anwendbarkeit der von A. vorgeschlagenen und bisher nur an Hunden erprobten Catgut- ringe bei der Anlegung einer künstlichen Darmanastomose nach Senn- schem Princip auch beim Menschen durch einen einschlägigen Fall eigener Praxis zu beweisen, (cf. pg. 254 u. 255 d. „M. M.").

Bei einer 30jährigen Kranken war bei manueller Lösung eines stark verwachsenen und vereiterten Ovariums der Darm eingerissen und da- durch im unteren Winkel der im übrigen glatt verheilten Laparotomie-

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wunde ein trichterförmiger Anus praeternaturalis entstanden. In An- betracht der bei der Operation vorgefundenen anatomischen Verhält- nisse — ausgebreitete Verwachsung zwischen Omentum, Darmschlingen und einem Theil der Sexualorgane war nur von der Etablirung einer Enteroanastomose Wiederherstellung der normalen Darmpassage zu erwarten. Am 22. März d. J. operirte A. in dieser Absicht : Eröffnen der früheren Laparotomiewunde nach vorheriger Exstirpation des Narben- gewebes im unteren Wundwinkel, behutsames Herauspräpariren des zu- und abführenden Schenkels der widernatürlichen Oeffnung, Quer- amputation, Einstülpen der Enden in Ausdehnung von und Verschluss beider mit einer kontinuirlichen Lembert'schen Seidennaht. Dann seit- liche Longitudinalincision beider Enden, lf " lang, einfache Aneinander- lagerung eine solche in umgekehrter Richtung, wie A. dies in Anbe- tracht seiner Thier-Experimente behufs gleich gerichteter Peristaltik früher vorgeschlagen, war wegen der Verwachsungen unmöglich und Vereinigung durch Catgutappositionsringe. 6 Verstärkungsseiden- nähte nach Lembert, aussen. Nachdem dann noch ein Theil des zwischen beiden Querschnitten zurückgelassenen und in der Tiefe fest verwach- senen Darmstücks entfernt worden, Naht der Bauchwunde, Jodoform - gazetampon im unteren Winkel. Heilung. Stuhl nach 4 Wochen natür- lich, regelmässig, geformt. A. glaubt, dass jede Darmfistel (ausge- nommen etwa eine solche tief unten im Rectum) auf diesem verhältniss- mässig einfachen und sicheren Wege geheilt werden kann, vorausgesetzt, dass der untere Darmabschnitt gesund ist. Bei gangränösen Hernien, Schuss- und anderen Wunden des Darmes, welche Resection eines Stückes desselben erfordern, kann die Methode sofort angewendet wer- den oder später zur Zeit der Reconvalescenz, nach primärer Etablirung eines künstlichen Afters. Zum Schluss werden von A. genaue Vor- schriften über Präparation der Catgutringe gegeben.

Aus der folgenden Discussion ist erwähnenswerth, dass Penrose (Philadelphia) zu gleichem Endzwecke mit Gummiringen, die er mit Catgut zusammennähte und auch mit demselben Material im Darm be- festigte, an Hunden experimentirte. Die Vereinigungslinie des Darmes sicherte er (nach Senn) durch einen umgeschlungenen Omentallappen, anstatt mit Lembert'schen Seidennähten. In allen Fällen war der Erfolg ein guter und erschienen die Ringe innerhalb der ersten 10 Tage nach der Operation im Stuhl. Diese werden in der nothwendigen Grösse und Form aus gewöhnlichem Plattengummi zurech tgeschnitten. Erfahrungen mit denselben am Menschen stehen noch aus. Nach Ansicht Ash- hurst's, die Abbe unterstützt, dürfte es sich in den meisten der einschlä- gigen Fälle empfehlen, zunächst einen künstlichen After anzulegen und dann in einer zweiten Operation, unter günstigen Chancen, die Anasto- mose zu machen. Catgutringe haben nach A. drei zweifellose Vor- theile vor den Knochenplatten : 1. Sie haben eine grosse Oeffnung, 2" lang, welche sich nicht verstopfen kann. Senn fand bei seinen Experi- menten das Lumen der Knochen-Platten manchmal durch Haare, Stroh u. s. w. vollkommen unpassirbar. 2. In der schmalen Form schlüpfen die Ringe leicht in die gemachte Darmöffnung, welche sich über ihnen schliesst. Die Knochenplatten bewirken ein Aufrollen des Randes der straff gestreckten Darmwunde. 3. Bei Applikation der Ringe kommt nicht mehr als \ \" Darmserosa in Contakt. Die Knochenplatten be- anspruchen mehr und beeinträchtigen damit das neu angelegte Lumen. Bei der Gastroenterostomie möchte A. den Senn'schen Platten den Vorzug vor seinen Ringen geben, da jene nicht so leicht verdaut werden. A Case of ctcatrictal Stenosis of the Pylorus, relieved by Loreta's

Operation. F. P. Kinnicutt and W. T. Bull, New York. (N. Y. Med.

Record, June 8, 1889.)

Nach Mittheilung der Anamnese und des Stat. praesens des 38jährigen Mannes, sowie Begründung der Diagnose, welche K. in Anbetracht der

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Ectasie (grosse Curvatur 4£" unterhalb des Nabels in der Medianlinie) und der dauernden Gegenwart freier Salzsäure (deren Quantität aber um ^ hinter der normalen zurückblieb) auf ?iicM-carcinomatöse, also narbige, Pylorusstriktur mit wahrscheinlich bereits geheilter Ulceration stellte, berichtet B. über die am 11. Juni v. J. von ihm ausgeführte Ope- ration. Nach gründlicher, präparatorischer Entleerung des Darmes und wiederholter Magenauswaschung 5" lange Incision parallel dem rechten Eippenbogen, 1^" unterhalb des Schwertfortsatzes beginnend und bis zur Höhe des 10. Kippenknorpels reichend ; diese wird später noch um 1" nach unten und aussen verlängert. Pylorus frei und nicht verdickt ; an der Insertion des Oment. minus eine Bleistiftkopf grosse Stelle, wo das Peritoneum verdickt und in sternförmige Falten gezogen ist. Nach- dem der Pylorus mit einer Anzahl von Schwämmen umgeben, wird die vordere Magenwand, 2" von ihm entfernt, in gleicher Länge einge- schnitten, einige spritzende Gefässe ligirt und durch Auseinanderziehen der Wundränder der Pförtner zur Ansicht gebracht. An seiner oberen Wand, gegenüber der erwähnten äusseren kernförmigen Narbe, findet sich nach innen eine kleine Stelle grauen Narbengewebes, die contrahirte Oeffnung zur Hälfte umgebend. Das Lumen, anfangs für ein Urethral- bougie, No. 20 franz. durchgängig, wird dann vorsichtig und allmählig im Laufe von 15 20 Minuten mit Speiseröhren und Kectalbougies mit kleinem, Zeige- und Mittelringer und endlich durch Einsetzen und Aus- einanderdrängen der beiden Zeigefinger bis auf 2" Durchmesser gestreckt (ohne dass die Schleimhaut eingerissen wäre), der Magen genäht und versenkt und die Bauchwunde geschlossen. Dauer der Operation 2 Stunden und 10 Minuten. Kein Collaps. Während der ersten 48 Stunden Nährklystire, 6-stündig, vom dritten Tage an Eis, Bouillon und Milch, häufig in kleinen Dosen p. os. 7 Wochen später wird der Kranke entlassen. Gewichtszunahme seit der Operation 15 Pfund. 11 Monate später ist Pat. in trefflichem Ernährungszu- stande, grosse Curvatur nur noch 2" unterhalb des Nabels.

Aus einer folgenden tabellarischen Zusammenstellung von 20 ein- schlägigen Fällen, von denen jedoch nur 18 für Schlussfolgerungen brauchbar sind, ergibt sich für diese Operation eine Mortalität von 33&%. Die Hauptgefahr liegt bei aseptischem Vorgehen in zu schneller Streckung des verengten Ringes, wodurch Einreissen der Schleimhaut, mit nachfolgender tödtlicher Blutung, oder des Peritonealüberzugs, mit späterer Peritonitis, entstehen kann.

Welche Stellung Loreta's Operation anzuweisen ist gegenüber der durch Senn so verbesserten Gastroenterostomie und der von Heineke zuerst mit Erfolg ausgeführten und von Miculicz, wenn auch mit tödt- lichem Ausgang, wiederholten Pyloroplastik Längsincision des nar- bigen Pylorus und Vereinigung dieser Wunde in transversaler Richtung bleibt vorläufig noch dahingestellt. Der Pylorectomie ist sie jeden- falls vorzuziehen.

Zur Behandlung des queren Kniescheibenbruches. E. Masing. (St. Petersburger Med. Wochenschrift, No. 23, 1889.)

Trotz 25 (nach Lossen) bereits vorhandener, verschiedener und brauchbarer Methoden und Apparate zur Behandlung der Querfrac- turen der Patella, empfiehlt M. einen neuen von ihm erfundenen Apparat für die unblutige Therapie der in Rede stehenden Bruchform. Derselbe ist einfach, leicht und billig herzustellen und scheint den drei an einen solchen Verband zu stellenden Cardinalanforderungen zu genügen : 1. Die Bruchenden dauernd aneinander zu fixiren ; 2. Dem Kranken weder lästig noch schädlich zu sein ; 3. Die tägliche Controlle der Stellung der Fragmente zu gestatten. Ein recht eckiges Stück starken, 3 Mm. dicken Gummizeuges (20 Cm. lang und 7 breit), an dessen

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unterer langen Seite sich in der Mitte ein flacher, halbmondförmiger Ausschnitt für den oberen Rand der Patella befindet, wird mit Hülfe eines angenähten, 45 Cm. langen Gummibandes um den Oberschenkel geschnallt, nachdem das obere Fragment dem unteren möglichst weit manuell genähert worden. Durch je einen zur Seite des erwähnten Ausschnittes mit Hülfe eines dicken, 9 Cm. langen und 4 Cm. dicken Gummischlauches befestigten Metallring (Beide sind 9 Cm. von ein- ander entfernt), werden dann die Enden eines Bindenstreifens gezogen, welcher steigbügelförmig um das Fussstück der das verletzte Bein tragenden Volkmann'schen Blechschiene geschlungen ist. Man hat jetzt das obere Fragment in seiner Gewalt. Zieht man beide Enden der Binde gleichmässig an, so wird das obere Fragment mit Sicherheit an das untere gedrückt, einseitiger Zug corrigirt seitliche Verschie- bungen. Die freien Enden des Bindensteigbügels kreuzt man am Besten in der Höhe der Wade an der hinteren Fläche der Schiene und knotet sie dann am Fussbrett, so die Bruchfläche des oberen Frag- mentes leicht aufwärts kantend. Eine Eisblase auf das Knie beendet den Verband.

Das Blutextravasat, welches nie durch Punktion verringert wurde, resorbirte sich in den 4 von M. so behandelten Fällen unter dem elastischen Drucke meist schon in 24 Stunden, so dass am zweiten Tage die Bruchflächen in Contakt waren. Die erste feste Schnürung des oberen Gurtes bleibt nur für die ersten 6 Stunden. Dann kann der Kranke selbst durch Lösung der Schnalle den Druck so reguliren, dass er ihm nicht unangenehm ist. Das Fragment bleibt jetzt auch bei loserem Liegen des Gurtes an seiner Stelle. Heilung in 4 5 Wochen. Seitliche Verschiebung nicht nachweisbar. Callus fest und leistungs- fähig ; ob knöchern, bleibt dahingestellt. Verf. fordert zur weiteren Prüfung seines Verbandes auf.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn. 1. Beitraege zur Pathologie des Darmcanals : I. Untersuchungen

UEBER DAS VERHALTEN DES DARMCANALS BEI INJECTION VON FLUESSIGER

Kohlensaeure. Rosenbach. (Berliner Klin. Wochenschrift, No. 28, 29 u. 30, 1889.)

R macht statt der in der letzten Zeit zu diagnostischen Zwecken viel- fach angewandten Luftinsufflation des Magens, resp. des Dickdarms, von flüssiger Kohlensäure Gebrauch. Die Kohlensäure leistet selbst- verständlich nicht mehr Dienste, als die Luft, allein R zieht dieselbe vor, weil die Luft doch manche Infectionskeime enthalten möge. Die Hauptergebnisse derRosenberg'schen Untersuchungen, die an Lebenden, wie an Leichen vorgenommen sind, gipfeln nun in folgendem : Man ist durch die Insufflation im Stande, die Magenconturen ziemlich genau festzustellen, ferner den ganzen Dickdarm bis zur Bauhin 'sehen Klappe aufzublähen. Es ist nicht möglich, Gas durch den Magen, selbst unter Anwendung erheblichen Druckes, durch den Pylorus hindurch nach dem Dünndarm hinüberzuschaffen. Dasselbe gilt auch vom Dickdarm : d. h. das Gas geht nidit über die Bauhin'sche Klappe hinweg nach dem Dünndarme. Die Methode der Insufflation ist diagnostisch zu ver- werthen meistens bei Stenosen im Dickdarm, sowie Ektasien des Magens, dann aber bei Tumoren, die sowohl in diesen Organen selbst, als auch in ihrer Nachbarschaft gelegen sind. Bei der Aufblähung des Magens, resp. des Dickdarms sieht man, welche Verschiebung oder Lageveränderung ein etwa vorhandener Tumor erleidet, nnd kann man daher seinen Zusammenhang mit den anderen Organen leichter er- kennen.

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2. Ueber „Papayafleischpepton". Von C. Rueger. (Berliner Klin. Wochenschrift, No. 29, 1889.)

R. empfiehlt das Cibils'sche Papaya Fleischpepton, welches durch Verdaunng des Fleisches mittelst des Saftes der Papayapflanze darge- stellt wird, als ein Präparat von hohem Peptongehalt und nicht schlech- tem Geschmack.

Ohrenheilkunde.

Referirt von Dr. A. Schapringer.

Ueber 13 Faelle von chronischer, eitriger Otitis media, behandelt durch excision der gehoerknoechelchen ; nebst bemerkungen. Von 0. J. Colles, New York. (Deutsche Med. Wochenschrift, 11. Juli 1889.)

Die dreizehn Fälle, über welche hier berichtet wird, stammen sämmtlich aus der Praxis von Samuel Sexton in New York, welcher im Verein mit Schwartze, Kessel, Lucae, Kretschmann und Stacke bemüht ist, bei lange andauernder und jeder friedlichen Behandlungsmethode trotzender Mittelohreiterung durch das Radicalverfahren mittelst der Excision des Trommelfellrestes und der Gehörknöchelchen [Hammer und Ambos allein sind gemeint, auf den Steigbügel ist es aus nahe liegenden Gründen nicht abgesehen Ref.] Sistirung des eitrigen Processes zu erzielen. „In der grösseren Zahl der angegebenen Fälle war die Membrana flaccida der einzig übriggebliebene Theil des Trom- melfells. Mehrmals war die Excision vom Hammer und Ambos durch die, die Trommelhöhle nach allen Richtungen durchkreuzenden nar- bigen Gewebsstränge sehr erschwert. Granulationsmassen füllten öfters die mit sehr verdickter Schleimhaut ausgekleidete Trommelhöhle mehr oder weniger aus. Unter solchen Umständen war die Secretion eine besonders reichliche. Was die Resultate anlangt, so wurden 8 geheilt und 5 gebessert. Von den 5 gebesserten Fällen ist hervorzu- heben, dass die Besserung auch hier nicht nur eine örtliche, sondern auch eine allgemeine war."

Sexton hat schon vorher in seinem 1888 erschienenen Buche : " The Ear and its Diseases, being practical Contributions to the Study of Otology" über 37 auf ähnliche Weise operirte Fälle berichtet, bei welchen es sich meist um chronische Otitis media purulenta handelte, welch letztere dadurch immer entweder geheilt oder mindestens gebessert wurde. Zur Ausführung der Operation ist tiefe Narcose erforderlich.

Ein kuenstliches Trommelfell aus Celloidin. Von L. Katz, Berlin. (Deutsche Med. Wochenschrift, 11. Juli 1889.)

Alle bisher in Anwendung gezogenen Trommelfellsurrogate, unter welchen das Yearsley'sche Wattekügelchen und das Toynbee'sche Kautschukplättchen die gebräuchlichsten sind und zu welchen sich in neuester Zeit das Berthold'sche Trommelfell aus Hühnereihaut hinzu- gesellt hat, zeigen neben gewissen Vortheilen auch unbestreitbare Nachtheile, welch letztere K. zu vermeiden trachtet, indem er Celloidin als Material zur Herstellung künstlicher Trommelfelle verwendet. Ueber die Herstellungs- und Anwendungsweise solcher Trommelfelle sagt er : „Giesst man in ein flaches Glasschälchen von einer Celloidin- lösung (Celloidin 10,0, Spir. absol. und Aether ana 50,0) so viel hinein, dass das Celloidin ungefähr Millim. über dem Boden steht, und lässt den Aether resp. den Alcohol verdampfen, so bleibt nach einigen Stunden eine vollständig durchsichtige, helle, papierdünne, elastische Scheibe übrig, aus welcher sich mit der Scheere resp. mit dem Loch-

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eisen runde kleine Plättchen herausschneiden lassen. In der Mitte dieser Scheibe lässt sich mit Leichtigkeit in ein Paar Minuten ein aus Watte gedrehtes Stäbchen, das man an dem einen Ende in dünne Celloidinlösung getaucht hat, fest ankleben. Das Wattestäbchen dient nur als Handhabe bei der Einführung mit der Pincette. Das Plättchen wird zweckmässig vor der Einführung mit Oel resp. Carbolöl ange- feuchtet. Da sich Celloidin nur in Aether resp. absolutem Alcohol löst, so ist an eine Auflösung resp. an ein Zusammenrollen innerhalb des Ohres nicht zu denken. Die Reizerscheinungen, die von dem Celloidin- trommelfell ausgehen, sind sehr gering ; länger als zwei Tage lang habe ich es des Versuches wegen niemals liegen lassen, doch zweifle ich nicht daran, dass es, sobald es bei vollständig secretfreiem Ohre eingelegt wird, länger ohne Schaden liegen bleiben kann. Für gewöhnlich erneuerte ich es nach 24 Stunden." Diese Celloidintrommelfelle werden zweckmässig in 4:0% Spiritus aufbewahrt und können von nicht un- geschickten Patienten bequem selbst eingeführt werden.

A Case of chronic Catarrh of the middle Ear, simulating Deaf- Mutism. Recovery. Von Wm. E. Conroy, East Saginaw, Mich. (The Medical Age, Detroit, Juni 10, 1889.)

Ein 7jähr. Knabe, der im zweiten Lebensjahre sein Gehör verloren und desshalb auch nicht deutlich sprechen gelernt hatte, wurde zu einem Arzte gebracht, welcher die beiden äusseren Gehörgänge von sie erfüllenden Ohrenschmalzpröpfen befreite. Hierauf bekam Verf. den kleinen Patienten in Behandlung, constatirte chronischen Naso- pharyngealcatarrh, welchen er auch alsbald mittelst Luftdouche zu bekämpfen anfing. Die vorher unverständliche Sprache wurde in kürzester Zeit vollkommen deutlich. [Der gute Erfolg ist offenbar zu nicht geringem Theil der Entfernung der Ceruminalpröpfe zuzu- schreiben, welchem Umstand der Verf. im Titel des Aufsatzes Rechnung hätte tragen sollen. Ref.] .

Scarlatinous Otitis. Von Charles H. May, New York. (The American Journal of Obstetrics, April, 1889.)

Verf. dringt darauf, dass der Arzt beim Auftreten von Otitis media bei Scharlach nicht unthätig zusehe, sondern prompt entsprechende Localmassregeln ergreife. Durch Behandlung könne man der nicht selten erfolgenden, mehr oder minder beträchtlichen Gehöreinbusse sicher vorbeugen. Er gibt genaue Anweisungen über die Anwendungs- weise der hier in Betracht kommenden therapeutischen Maassnahmen : der Eis- und der Warmwasserumschläge, Jodeinpinselungen, der Para- centese des Trommelfells und der entsprechenden Nachbehandlung, der Luftdouche, der wässerigen Eingiessungen in den äussern Gehörgang, für welche es Kochsalzlösung vorzieht, der Opiate und des Wilde'schen Schnitts. Er warnt, wie Schwartze, vor ausgiebiger Anwendung des Borsäurepulvers in Substanz wegen Gefahr der Eiterverhaltung und ihrer Folgen.

Zur Pathogenese der nach Entzuendungen des Gehoerorgans auftre- tenden Erkrankungen des Schaedelinnern. Von Eg. Hoffmann, Greif swald. (Deutsche Med. Wochenschrift, No. 10, 1889.)

Verf. gibt eine übersichtliche Darstellung der topographisch- und pathologisch-anatomischen Verhältnisse, deren Kenntniss zur Beur- theilung des Zustandekommens von intracraniellen Complicationen bei Mittelohrerkrankungen nothwendig ist.

Zur Diagnose der Trommelfellperforation. Von E. Pins, Wien. (Wiener Med. Presse, No. 53, 1888.)

Verf. hat zwei Behelfe zur Constatirung von Trommelfellperfora- tionen erdacht, einen acustischen und einen optischen. Der erstere

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besteht aus einem kleinen Pfeifchen, ähnlich denjenigen, welche in den Puppen und anderen Kinderspielwaaren aus Gummi den quiekenden Ton hervorbringen, welches mit Hülfe eines passenden Ansatzstückes mit dem äussern Gehörgange des Patienten in Verbindung gebracht wird. Ist ein Trommelf elldefect vorhanden, so wird bei der Luftdouche ein schriller Ton in dem Pfeifchen hervorgebracht. Es eignet sich dieser Behelf zunächst für Lehrcurse, indem man dadurch eine grössere Anzahl von Zuhörern auf einmal von dem Vorhandensein der Perfora- tion überzeugen kann, während die anderen üblichen Nachweismethoden unter solchen Umständen einen beträchtlichen Zeitaufwand bean- spruchen.

Der zweite Behelf besteht im Einbringen einer leichten pulverför- migen Substanz, wie Magnesia usta, Borsäurepulver oder Semen lyco- podii in den äussern Gehörgang. Bei Lufteintreibung in das Mittelohr wird das Pulver, wenn das Trommelfell perforirt ist, als Staubwolke aus dem Ohre herausgetrieben werden.

Kinderheilkunde.

Referirt von Dr. A. Seibert.

Ueber Intubation des Kehlkopfes. Von Professor Dr. H. Ranke. (Münch. Med. Wochenschrift, No. 28, 29 und 30, 1889.)

Verfasser hat mit der Intubation im October 1888 begonnen. Dieselbe wurde in 44 Fällen ausgeführt und zwar 1. in 15 Fällen von secundärer Diphtherie, d. h. bei diphtherischer Larynxstenose, welche im Gefolge von Masern und Scharlach auftrat, und starben hiervon 14 und wurde nur 1 Kind gerettet. Bei diesen secundären Fällen handelte es sich fast ausnahmslos um sehr junge, elende, bereits durch vorausgegangene Krankheiten erschöpfte Kinder, bei denen die genannten acuten Exan- theme meist erst im Hospitale (Hausinfection) ausbrachen. Die Intu- bation solle man mit diesen Fällen nicht belasten, dieselben würden auch mit Tracheotomie das gleichschlechte Resultat ergeben haben. 2. Von 29 Fällen primärer diphtheritischer Larynxstenose wurden 9 geheilt = 31 Procent. Unter den Geheilten finden sich 2 Kinder mit 1\ und lf Jahren und unter den Gestorbenen 8 Kinder unter 3 Jahren. 3. In 2 Fällen von chronischer Kehlkopfstenose wurde ebenfalls intubirt. Im ersten Fall handelte es sich um Granulationswucherungen des Ring- knorpels nach Cricotracheotomie, in dem 2. um primäre diffuse Papillom- bildung des ganzen Kehlkopfinnern. Im ersten Fall wurde durch Intu- bation vollkommene Heilung erzielt, in dem zweiten wenigstens einige Besserung erreicht. Verf. bespricht nun die einzelnen wichtigen Punkte der Intubation und stützt sich hierbei wesentlich auf die Ar- beiten von O'Dwyer, Gay, Huber, Dillon Brown und Waxham. Als häufigste Todesursache der Intubirten fanden sich absteigender Croup und Pneumonie, doch konnte in keinem einzigen Falle Schluckpneu- »nie nachgewiesen werden, und stimmt diese Angabe mit dem Bericht von Northrup der über 87 Sectionen intubirter Kinder berichtete. Nach Ranke's Erfahrung scheint kein wesentlicher Unterschied zwischen der Häufigkeit der Pneumonie nach Tracheotomie und nach Intubation zu bestehen. Ranke sagt zum Schluss : „Meine Versuche und Beobach- tungen sind wegen ihrer geringen Zahl noch nicht ausschlaggebend. Sie haben aber doch schon gezeigt, dass in der Intubation ein neues wichtiges Mittel zur Bekämpfung der diphtheritischen Larynxstenose gefunden wurde, das neben der Tracheotomie in Zukunft stets in Betracht kommen muss. Jedenfalls ist die Wissenschaft dem ameri- kanischen Collegen Hrn. Dr. O'Dwyer Dank schuldig für seine mit wissenschaftlicher Treue, Genialität und unermüdlicher Ausdauer

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durchgeführten Bemühungen, eine der schwersten Krankheiten des kindlichen Alters auf einem neuen Wege zu bekämpfen".

Die Intubation des Larynx nach O'Dwyer. Von Dr. O. Gayer, Assistenz- arzt am Kinderspital, Zürich. (Corresp. Blatt für Schweiz. Aerzte, 1. Juli 1889.)

Trotzdem das Instrumentarium zur Intubation Anfangs 1888 in Prof. Wyss' Klinik zur Verfügung stand, betrachtete man diesen Eingriff doch mit grossem Misstrauen, wie denn überhaupt diese „amerikanische" (d. h. für die meisten Europäer „abenteuerliche" ! Ref.) Erfindung in der alten Welt einer um so zurückhaltenderen Kritik begegnete, je mehr man sich für dieselbe in Amerika begeisterte. Ein einziger Fall von acuter diphtherischer Larynxstenose der nach der Intubation glatt abheilte genügte, um das Misstrauen zu beseitigen, und als noch 2 weitere Fälle mittelst dieses Eingriffes erfolgreich behandelt wurden, „hatte sich die Intubation das volle Bürgerrecht erworben". Im Ganzen wurde in 27 Fällen von acuter Larynxstenose intubirt, von welchen 13 genasen = 48%. Die jüngsten Kinder zählten 8 und 13 Monate, 2 waren 2 Jahre alt. Bei allen Fällen war der diphtherische Charakter der vorhergegangenen Kachenaffection erwiesen und immer war die Stenose so hochgradig, dass nur die Wahl zwischen Tracheotomie und Intuba- tion lag. Bei den 14 Gestorbenen war die Todesursache in 11 Fällen ausgedehnte Bronchialdiphtherie, zweimal Pneumonie und einmal Nephritis. Diese Kesultate übertreffen die der Tracheotomie im Zü- richer Kinderhospital. Ausserhalb der Spitalpraxis hat die Intubation einen grossen Vortheil vor der Tracheotomie, aus hier bekannten Gründen. In einem Zusatz von Dr. Willi, v. Muralt bekennt sich derselbe dazu im Februar 1888 im „Corr. Blatt" sich zurückhaltend gegen die Intu- bation ausgesprochen zu haben, und bestätigt obige Angaben. Probiren geht über Studiren.

The Method of Feeding in Cases of Intubation of the Larynx by Posi- tion, Head downward, on an inclined Plane. By W. E. Cassel- berry, M.D (The Journ. of the Amer. Med. Assoc, August 24th, 1889.)

Im Juni 1888 wurde dieses Verfahren zuerst vom Verfasser geübt und ist seither allgemein adoptirt worden. Das Kind liegt auf dem Rücken über den Knieen der Wärterin, der Kopf hängt nach Unten, und saugt das Kind mittelst Gummirohr und Ansatz die in einem Gefäss auf dem Fussboden befindliche Flüssigkeit. Fletcher Ingalls hat so 5 Fälle gut ernährt und F. E. Waxham 28 von 30 Intubirten, von welchen auch 50% geheilt wurden.

Behandlung der Mandelentzuendung einschliesslich der diphtheri- schen. Von Stabsarzt Dr. Haberkorn, Glogau. (Centralblatt f. Chirurgie, 10. August 1889.)

Verf. empfiehlt das Eindrücken der feinen Salicylsäurekrystalle mit dem trockenen oder schwach angefeuchteten Rachenpinsel. Muss vom Arzt selbst zweimal täglich vorgenommen werden. Daneben flüssige Antiseptica.

Zu Soxhlet's Milchkochapparat. Von Dr. Oscar Israel, Berlin. (Berl. Klin. Wochenschrift, 15. Juli 1889.)

Verfasser empfiehlt statt Glasstöpsel in den Gummiverschluss U för- mige Glasröhrchen, mit der Oeffnung nach Unten zu benutzen, damit der Dampf leicht ausströmen kann. Die Neuerung hat sich schon prac- tisch bewährt.

Intestinal Diseases of Children during hot Weather. By Peter Hooper, A.M., M.D., Philadelphia. (Aren, of Pediatrics, August, 1889.)

In kleinen Druckseiten wird dieses wichtige Thema abgefertigt und bringen dieselben ausser einem „Fall" durchaus nichts Neues als

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die Angabe, dass Verfasser den Nutzen der Darmausspülungen für beschränkt hält, und trotz ungenügender Erfahrung mit der Magenaus- spülung diese selbst bei Collaps für unerlaubt erklärt. Die Prophylaxe des Verfassers besteht in frischer Luft, da Thiere und Pflanzen solche ja auch bedürfen, in der richtigen Kleidung die im fortwährenden Tragen von wollener Kleidung, namentlich aber der wollenen Leibbinde, häu- figem Baden und Wassertrinken besteht. Sterilisirung der Milch wird so nebenbei anderweitig erwähnt. Diese Arbeit wurde in der paediatri- schen Section der Amer. Med. Association, 25. Juni 1889, als Vortrag präsentirt.

The Problem of Infant Feeding. Intestinal Diseases of Children and Cholera infantum. By J. U. Love,M.D. (Aren, of Ped., Aug., 1889.)

Ebenfalls ein Vortrag vor der Amer. Med. Association. Drei und eine halbe Seite genügen die Ideen des Autors wiederzugeben. Neues ist nichts darunter, wohl aber dass auch westliche Autoritäten die Sterilisation noch ebenso falsch verstehen, als die Antisepsis in der Chirurgie, denn ausser verschiedenen Patentnahrmitteln empfiehlt Ver- fasser auch einen Patent Topf zum Obsteinmachen als zweckmässig zum Aufbewahren der 20 Minuten lang abgedampften Milch, in der nicht allein die Bacterien sondern auch die chemischen Gifte (?) durch Kochen getödtet sind. Aetiologisch spielt auch bei diesem Verfasser die Er- kältung im heissen Wetter eine wichtige Rolle, und desshalb hält auch er das Tragen einer wollenen Leibbinde in den ersten 5 Lebensjahren für unbedingt nothwendig, und nützlich für's ganze Leben.

Notes on Entero-Colitis in Infants : its Causes and Treatment. By John Lord Babcock, M.D., St. Louis, Mo. (Med. Record, July 13, 1889.)

Wie die zwei besprochenen Artikel bietet auch dieser absolut nichts Neues, jedoch kann derselbe als typisch gelten. Die modernen Er- rungenschaften der Wissenschaft sind fast spurlos an den Autoren dieser obligaten Sommerdurchfallartikel vorübergegangen. Verfasser bespricht statt der Entero-Colitis allein, alle Formen des acuten Magen- darmeatarrhs der Kinder und betont, dass alle zu einander gehören und die eine leicht in die andere übergehen kann, trotzdem aber wehrt er sich gegen die allgemeine Bezeichnung Cholera infantum, und nennt solches Bezeichnen „grobe Nachlässigkeit, wenn nicht etwas Schlim- meres". Je nun, man könnte denken, dass es weit grössere Nachlässig- keit sei, heutzutage einen Artikel über obiges Thema im grössten Journal des Landes zu veröffentlichen, ohne auch nur die Magenaus- spülung mit einer Silbe zu erwähnen, dagegen die obügate Kalkmixtur und den Rhabarber als Schutzheilige der erkrankten Kinder anzu- preisen.

Shaken Milk. By John C. Morgan, M.D., Philadelphia. (Med. Record, Aug. 17, 1889.)

Verfasser sieht das Schädliche der Stadtmilch darin, dass dieselbe durch die Abkühlung auf dem Transport alle animalische Hitze verloren hat, und findet die Lösung des Milchproblems im tüchtigen Schütteln dieses Getränkes. Sagen wir einfach „Prosit".

Zwei Faelle von Uraemie nach Diphtherie. Von Dr. J. Cassel. (Arch. f. Kinderheilk., 11. Bd., 1. Heft, 1889.)

Ein 4f Jahre altes Mädchen erkrankt im ersten Falle an Diphtherie. Am 4. Tag Blut und starker Eiweissgehalt im Harn. Nach 10 Tagen heilt D. ab, Albuminurie besteht weiter. Am 13. Tage Convulsionen, welche sich anfallsweise bis zum 2 Tage später eintretenden Tode, wieder- holen. Vorher noch geringe Urinmenge. Anasarca und Ascites. Am letzten Lebenstag rechtsseitige Hemiplagie. Im 2. Fall, 3jähr. Mädchen,

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bestand D. des Bachens und der Seheide. Am 18. Krankheitstag ist D. abgeheilt. Appetit ist gut, grosse Anaemie, pastöses Aussehen. Am nächsten Tag Convulsionen. Grosse Menge von Eiweiss, viele Nieren- epithelien und Cylinder. Fortdauerndes Erbrechen (schon früher). Zwei Tage später Exitus. Die Section ergab in beiden Fällen parenchy- matöse Nephritis. Zum Schluss sagt Verfasser : „Welche schwer- wiegende Bedeutung die Uraemie für die Prognose des einzelnen Falles hat, ersieht man daraus, dass in allen den beschriebenen Fällen der Exitus letalis erfolgt ist. Es muss doch wohl das Virus der Diphtherie ein viel schlimmeres, die vitale Energie der Zellen viel mehr schädigendes Agens sein, als das der Scarlatina; vor Allem scheint bei der D. die Herz- kraft durch pathologische Veränderung der Musculatur zu sehr in Mit- leidenschaft gezogen zu sein, als dass noch bei einmal eingetretener Uraemie ein Ausgleich im Organismus zu Stande kommen könnte" .

Therapeutische Mittheilung.

New York, 3. August 1889. Sehr geehrter Herr Kedacteur ! Meinem Versprechen nachkommend, das Eesultat meiner Versuche mit Jambul bald mitzutheilen, gestatte ich mir anzuzeigen, dass ich das Mittel ohne jeden Einfluss auf die Zuckerausscheidung fand. Ich probfrte es bei zwei Diabetikern, einem mit 5 1% und einem leichteren von 1 2%. Der Urin wurde zwei Wochen lang controllirt. Die Tagesdosis variirte von 0,9 bis 1,8. Auch das gerühmte Exalgin fand ich vollständig ohne Wirkung.

Mit vorzüglicher Hochachtung, Ihr

Dr. F. C. Heppenheimer.

Wissenschaftliche Zusammenkunft deutscher Aerzte

in New York.

(110 West 34. Street.) Sitzung am Freitag, den 28. Juni 1889. Vorsitzer : Stein.

Vorstellung von Patienten.

S e i b e r t demonstrirt einen Fall von chronischem Gelenk - r heumatismus bei einem zweijährigen Kind. Dasselbe erkrankte zuerst im 13. Lebensmonat, mit schiefem Hals. Vorher war es ganz gesund, konnte schon laufen, hatte gute Verdauung und keine Rhaehitis. In einem Dispensary wurde das Kind nicht weiter unter- sucht und die Mutter mit einer Salbe getröstet. Die Salbe half nicht, das Kind wurde schlimmer, bekam unruhigen Schlaf, hörte auf zu laufen und zeigten sich denn nun Schwellungen beider Fussrücken, des linken Knies und des rechten Zeigefingers. Wenige Monate nach dem Krank- heitsbeginn des Kindes bekam die sonst kräftige und gesunde Mutter Anschwellungen der Handgelenke, der Kniegelenke und mehrerer Fuss- gelenke. Dabei gelegentliches Frösteln, sonst aber trotz Schmerzen stets im Stande aufzusein. Vier Monate nachdem die Frau ergriffen war, bekam der Mann eine heftige Attacke von frischem, acutem Rheu- matismus des linken Schulter-, Ellbogen- und Handgelenkes. Seibert wurde zu diesem Fall gerufen und fand so die ganze Familie ergriffen. Vater und Mutter erholten sich rasch, das Kind ist noch nicht gesund, aber der Kopf ist viel beweglicher, die Schwellung am Zeigefinger iässt nach und die Gelenkaffectionen der Unterextremitäten sind vollständig geschwunden, so dass der Kleine wieder herumlaufen kann und Nachts gut schläft. Die Behandlung bestand im Verabreichen von Natr. sali- cylicum, bei den Erwachsenen per os, bei dem Kind per rectum, was auch hier gut wirkte und die Verdauung des Kindes schonte.

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Seibert betrachtet den Gelenkrheumatismus schon seit 8 Jahren als Infectionskrankheit. Dieser Fall zeigt, dass das was wir geneigt sind als hereditäre Disposition aufzufassen gelegentlich nichts weiter ist, als das Erkranken mehrerer Familienmitglieder durch dieselbe Noxe, aus demselben Infectionsheerd (Stube, Haus) stammend, zu verschiedenen Zeiten. Schon öfters beobachtete Redner die erste Erkrankung von Rheumatismus bei den Kindern und erst später bei den Eltern. Auch hier hatten die Eltern nie zuvor an Rheumatismus gelitten.

D isc ussio n :

Einhorn fragt warum, wenn diese drei Fälle durch dieselbe Noxe bedingt wären, nicht alle Personen zu gleicher Zeit erkrankt seien. Dieses scheine gegen Infection zu sprechen.

Langmann bezweifelt die Diagnose Gelenkrheumatismus und glaubt gleichfalls nicht, dass man hier Infection annehmen müsse.

A. Jacob i nimmt an, dass das Auseinanderliegen der Fälle keine Infection ausschliesse. Die Geschichte, sowie der jetzige Befund spricht für Gelenkrheumatismus. Da man es meist in chronischen Fällen mit verringerter Alkalescenz zu thun habe, so sind Alkalien bei der Behand- lung indicirt, und zwar lieber Kalium wie Natrium.

L. Kohn fragt ob die Krankheit nicht als Gicht zu bezeichnen sei.

S e i b e r t : Warum nicht Kind und Eltern am selben Tag statt in demselben Halbjahr befallen wurden, weiss S. nicht, ebensowenig aber warum die Frau seines Kutschers vor 14 Tagen an schwerer fibrinöser Pneumonie erkrankte und ihr 3jähriges Söhnchen 4 Tage nachher, wäh- rend die übrigen Kinder der Frau bis jetzt noch gesund seien. Im letzten Sommer behandelte er ein löjähriges Mädchen am Abdominaltyphus. Drei Wochen nach ihrer Genesung erkrankte die Mutter und starb an einem Recidiv unter schweren Gehirnerscheinungen. Warum Mutter und Tochter nicht zugleich krank wurden weiss S. nicht, nimmt aber an, dass dieselben zu verschiedenen Zeiten den Infectionsstoff in sich auf- nahmen. So ist es bei Typhus, bei Diphtherie, Scharlach und Pneu- monie. Gelegentlich sind die Fälle beisammen und gelegentlich weiter auseinander. Warum soll es beim Gelenkrheumatismus anders sein V Keinem denkenden Mediciner fällt es heutzutage mehr ein die Infec- tion bei obigen Affectionen abzustreiten. Was aber für diese Processe gilt, spricht auch für den Rheumatismus. Bezüglich Langmanu's Einwurf gegen die Diagnose in diesem Fall möchte S. gern eine plau- siblere Erklärung dieser Gelenkschwellungen hören. Allein Tuber- culose könnte allenfalls in Betracht kommen, jedoch spräche dagegen wieder das multiple acute Auftreten, die Variation in der Intensität der Gelenkschwellungen und die prompte Reaction auf Salicylbehandlung. Diese 3 Merkmale erscheinen Redner genügend um die Diagnose Ge- lenkrheumatismus zu stellen. Die Jugend des Patienten spricht nicht gegen die Diagnose. Seibert's jüngster Rheumatismuspatient war 6 Wochen alt. Kinder unter 1 Jahr mit acutem R. sind keine Selten- heiten. Von vielen Collegen werden solche Fälle übersehen, weil nur wenige die Kinder bei der Untersuchung entkleiden lassen. Das aber liegt an den Aerzten, nicht am Rheumatismus. Rezüglich K o h n ' s Frage erwähnt S., dass er gegen den Namen Gicht nichts einzuwenden habe, so lange man unter dieser Bezeichnung eine infectiöse rheuma- tische Gelenksentzündung verstehe.

Willy Meyer stellt eine Pat. mit von selbst geheiltem Mamma- c a r c i n o m vor. Pat. Fr., 37 J. alt. Carcin. Encuirasse ; bemerkte vor fünf Jahren einen auf der linken Brustseite, welcher langsam durch Zer- fall verschwand und vernarbte. Auf der linken Seite typisches Oedem vorhanden ganz so wie nach einer Operation und Räumung der Axel- drüsen. Auf der rechten Seite entstehen nun Knoten in der Brust.

Koller stellt einen Fall von plötzlich aufgetretenem Verlust des Sehvermögens nach einem Trauma vor. Mann, Ende 40, wurde

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mit Regenschirm in die Orbita geschlagen ; er fiel um, war aber nicht bewusstlos. Ecchymose am Augenrande, sonst am Auge nichts zu be- merken ; Augenspiegelbefund normal. Doch hat Pat. absolut keine Lichtempfindung. Man kann nur annehmen, dass etwas den Opticus betroffen hat. Ein Bluterguss sei nicht gut denkbar, denn sonst wären noch andere Affectionen mit vorhanden. Man findet nur Blutaustritt bei Bruch des Knochens am Foramen opticum. Hier muss also eine Fissur sein. Pat. hatte heute keine Fovea centralis ; dies ist der An- fang der Sehner-venatrophie. Pupillen reagiren beide gleich gut.

Discuss ion :

D'Oench fragt, ob man überall eine beginnende Atrophie annehmen müsse, wo die Fovea centralis nicht zu sehen ist. Man sieht nämlich bei Gesunden öfter keine Fovea centralis.

J a c o b i fragt, ob es sich hier nicht um eine neurotische Amaurose handeln könnte? J. hat einen Knaben gesehen, der nach einem Fall gleichfalls ganz blind war ; aber am folgenden Tage war er gesund.

Koller fragt, wie das möglich ist, dass nur ein Auge neurotisch krank ist?

Jacobi meint, dass dies ja das Eigenthümliche der Neurose ist, dass man für sie oft keine Erklärung geben könne.

Vorzeigung von anatomischen Präparaten. Rottenberg demonstrirt die Präparate eines Kindes mit Hydro- cephalus congenitus, wo gleichzeitig zwei Encephalocelen sich vorfanden. Mutter phthisisch. Beim Kind, Kopf immer lang, an der grossen Fontanelle kopfgrosse Blase mit Fluctuation, daneben wallnuss- grosse Blase. Das Kind wurde in Schädellage geboren, lebte nur 12 Tage, hatte Convulsionen und starb. Vor dem Tode war ein Durchbruch der Encephalocele erfolgt.

Discussion:

Stein bemerkt, es sei ungewöhnlich, dass ein Kind mit Hydro- cephalus mit dem Kopf zuerst herauskommt.

Jacobi hebt hervor, dass es merkwürdig sei, dass zwei Encephalo- celen an einem Kopfe vorkommen. Diese tritt aus dem Scheitelbein hervor ; das ist ungewöhnlich. Ferner sei es merkwürdig, dass die Encephalocelen mit behaarter Haut versehen sind ; sie müssen sich sehr früh gebildet haben. Ossificationsdefecte sind nicht vorhanden.

Schmidt fragt, ob in die Geschwulst eingestochen worden ist?

Meyer fragt, wodurch der Durchbruch erfolgte ?

Rottenberg: Durch Gangrän der Haut.

Jacobi demonstrirt die Nieren eines unter den Erscheinungen der Cholera an Nephritis acuta verstorbenen Patienten. Mann von 25 J. fing an zu erbrechen, nach 2 Tagen cyanotisch, Schmerzen in den Armen und Waden ; kalte Extremitäten ; pulslos ; Urin nur wenige Tropfen ; Durchfall ; Stühle gelblich weiss. Diagnose: Cholera.

Allein im J. 54 sah Jacobi einen (angebl.) Cholerafall, bei der Sec- tion jedoch fand Jacobi acute Nephritis ; später sah Jacobi noch zwei ähnliche Fälle. In diesem Falle wurde gleichfalls die Section gemacht. Magen und Darm nur catarrhalisch afficirt. Dagegen die Nieren bedeutend vergrössert, die eine ist parenchymatös entzündet. An der anderen Niere : Hydronephrose mit bedeutendem Schwund des Nieren- gewebes. Stein nicht vorhanden. Am Eingang des Ureters Narben- stränge. Dies Nebenbefund. Der Fall sah also aus wie Cholera nostras und war lediglich : acute Nephritis.

Discussion :

S e i b e r t fragt, ob nicht bei Cholera Nephritis vorkommen könne und zweitens, ob nicht Cholerafälle mit wenigen Veränderungen vor- kommen?

Jacobi erwiedert, man findet immer Reiswasser im Darm und Epithelienabschilferung.

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A. J a c o b i demonstrirt die Präparate eines anLues verstorbenen Kindes. Kind 14 Monate alt, mit speckig aussehender Perforation am Gaumen, Resultat einer syphilitischen Knochenerkrankung des Antrums, die Lunge links weisslich, Eiter an einer Stelle, Caverne ; rechte Lunge normal. Leber weiss, Fettleber, allein am Messer bleibt nicht soviel Fett. Niere gleichfalls weisslich ; vielleicht ist das nur eine syphilitische Hyperplasie (Bindegewebswucherung).

Oberndorfer wundert sich, dass die tertiären Erscheinungen mit den primären vorkämen.

J a c o b i : Hautausschläge können vielleicht früher dagewesen sein.

Lang mann fragt, ob die Lunge nicht interstitiell entartet ist ?

Jacobi erwiedert, die Bronchialdrüsen waren geschwollen, kein Eiter darin.

R. Stein bemerkt, dass es sich hier um weisse luetische Hepatisa- tion handle.

L e vi s e u r wird aufgefordert, die Präparate von seinem Pat. "vorzu- zeigen. P t. hat sich geweigert, ein Stück Haut ausschneiden zu lassen. Leviseur hofft dies bei einem andern Patienten zu thun.

(Schluss und Vertagung.)

Max Einhorn.

Allerlei.

Escherich (München) bespricht die schon früher von uns erwähnte Arbeit Pruddens "On the Etiology of Diphtheria" in der Münch. Med. Wochenschrift, Aug. 27, 1889, derartig, dass wir sein Referat schon dess- halb hier in toto folgen lassen, weil dasselbe einige Aufklärung über schon angedeutete Widersprüche in Prudden's Angaben aufklären :

„Verfasser hat die Leichen von 24 an Diphtherie verstorbenen Kindern bald nach dem Tode bacteriologisch mittels des Plattenverfahrens un- tersucht und in allen mit Ausnahme von zwei Fällen die Anwesenheit von Streptococcen constatirt. Dieselben fanden sich in grossen Massen in den Membranen und den diphtheritisch erkrankten Schleimhäuten und das Gewebe der letzteren war in der Umgebung der Bacterienherde nekrotisirt. In den inneren Organen, Milz, Leber, Niere wurden sie nur in 3 Fällen und in geringer Zahl gefunden. Verfasser spricht desshalb die Vermuthung aus, dass die bei Diphtherie auftretenden Allgemeiner- scheinungen nicht der Invasion der Streptococcen in die Blutbahn, son- dern der Resorption eines löslichen, an der diphtheritisch erkrankten Schleimhaut durch die dort reichlich vorhandenen Bacterien producir- ten Giftstoffes zuzuschreiben seien.

Controllversuche an 31 gesunden und kranken Kindern aus der Privatpraxis ergaben, dass nur in 2 Fällen Streptococcen vorhanden waren und zwar handelte es sich um 2 Scharlachkranke, die einige Tage an Scharlachdiphtherie erkrankten. Dagegen wurden bei der Unter- suchung der Rachenschleimhaut von 40 nicht an Diphtherie erkrankten Kinder aus dem Kinderspitale, in welchem eben eine Diphtheritisepidemie herrschte, dieselben nicht weniger als 12mal gefunden und zwar schienen die Krypten der Tonsillen der Lieblingsaufenthalt der Bacterien zu sein. Zwei dieser Kinder erkrankten dann später an ächter Diphtherie.

Der isolirte Streptococcus stimmt morphologisch wTie in der Cultur durchaus mit dem Streptococcus pyogenes oder erysipelatis überein, was nach Ansicht des Verfassers auch mit dem klinischen Verlaufe der Diphtherie sich deckt, die der phlegmonösen Entzündung, der Eiterung und dem Erysipel nahe steht. Im Thierversuch zeigte er sich nur wenig pathogen. Unter 80 Thierversuchen, die an Hühnern, Kaninchen und Tauben angestellt wurden, erlag nur ein Hase unter den Erschei- nungen der Septicämie, bei den andern wurde nur locale Entzündung, Schwellung, Eiterung, Nekrose oder erysipelartig fortschreitende Röthung erziehlt, niemals eine der menschlichen Diphtherie vergleichbare Membranbildung.

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Dennoch gelangt Verfasser zum Schlüsse, dass der Streptococcus als die Ursache der Diphtherie zu betrachten sei. Thiere seien eben für Diphtherie nicht empfänglich (? Kef.). Den wesentlichen Grund für seine Annahme bildet das Ergebniss der Züchtungsversuche, wobei jedoch zu beachten ist, dass gerade die zwei Fälle XVI und XXIII, in welchen die Streptococcen fehlten, das typischste Bild der uncomplicirten, mem- branösen acut verlaufenden Diphtherie vorstellten. Neben den Strepto- coccen hat er in einer ziemlich erheblichen Zahl von Fällen noch den Staphylococcus pyogenes aureus und albus in den Membranen, aber auch im Mund- und Bronchialsecret in grosser Menge gefunden, so dass ein causaler Zusammenhang desselben mit der diphteritischen Er- krankung nicht wahrscheinlich ist. Löffler's Bacillen wurden in keinem Falle gefunden.

Dieses den Beobachtungen zahlreicher anderer Forscher, sowie meinen eigenen widersprechende Resultat erklärt sich zur Genüge aus der Un- tersuchungsmethode des Verfassers. Derselbe bediente sich aus- schliesslich des Plattenverfahrens mittels Agar und Gelatine und ich kann aus eigener Erfahrung versichern, dass es auf diesem Wege, wenn überhaupt, so jedenfalls nur sehr* schwer gelingt, den LößierJ- schen Bacillus zu erhalten, während er mittels Blutserumstrichcultur mit Leichtigkeit nachgewiesen werden kann. Wir können also der gründlichen und gewissenhaften Arbeit eine Beweiskraft, dass der Lößter'sche Bacillus in den untersuchten Fällen wirklich gefehlt hat, aus diesen und anderen Gründen nicht zuerkennen, haben vielmehr allen Grund, den vom Verfasser isolirten Streptococcus in Ueberein- stimmung mit anderen Autoren und unseren eigenen Erfahrungen als Secundärinvasion ähnlich wie bei der Schaiiacherkrankung aufzu- fassen. (Ref.)

Einige Versuche über die Widerstandsfähigkeit der Culturen gegen Kälte und Austrocknung, sowie gegen die Einwirkung von Desinficien- tien, worunter sich das Sublimat wiederum als das wirksamste erwies, und der Vorschlag einer energischen Localtherapie bilden den Schluss der Abhandlung."

Eine Schadenersatzklage wegen aerztlichen Kunstfehlers aus alter Zeit. Im Jahre 1575 berief der damals regierende Pfalzgraf am Rhein eine ärztliche Commission, um in einer höchst merkwürdigen Schaden- ersatzklage ein Gutachten abzugeben. Ein Bauernbursche, der sein rechtes Auge schon in frühester Kindheit verloren hatte, fiel eines Tages beim Kirschenpflücken so vom Baume, dass er mit der linken Gesichts- hälfte auf einen spitz zulaufenden Zaunpfahl aufschlug. Es entstand eine tiefe Risswunde, welche durch die Augenbraue, die beiden Augen- lider, die Wange und die linke Nasenhälfte ging. Die knöcherne Wand der linken Nasenhöhle war zersplittert. Die linke Augenhöhle war leer und der gleich zu Rathe gezogene Arzt behauptete, dass der abhanden gekommene Augapfel an dem Zaunpfahle hängen geblieben sei. Der junge Mensch war nun natürlich gänzlich erblindet. Die Wunde heilte nach einiger Zeit an. Nach Jahresfrist bemerkte Patient, als er sich einmal auf dem Feld sonnte, dass er hell und dunkel unterscheiden, ja sogar die Blumen im Grase erkennen konnte. Im Laufe der Zeit brachte er es so weit, dass er selbst verschiedene Münzsorten zu unter- scheiden im Stande war. Er sah die Gegenstände, wenn er seine Nase auf sie richtete. Es fand sich, dass der verloren geglaubte linke Aug- apfel zur Zeit des Unfalls durch die in den Gesichtsknochen entstandene Lücke in die unförmlich verbreiterte linke Nasenhöhle dislocirt und dort vom Arzte unentdeckt eingeheilt war.

Diese historische Notiz ist dem Juniheft d. J. des „Centralbl. f. pract. Augenheilkunde" entnommen, wo die betreffende Stelle aus einem lateinischen Werke von Heinrich Smetius, Professor der Medicin in Heidelberg, der ein Mitglied der obenerwähnten Commission war, im

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Original abgedruckt ist. Ueber das von der Commission abgegebene Gutachten und den Ausgang des von dem Patienten gegen seinen Arzt angestrengten Processes findet sich in dem Citat nichts angegeben. Das Originalwerk ist uns nicht zugänglich.

Auch eine Verwechslung. Nach der St. Petersburger Med. Wochen- schrift vom 22. Juli soll in Folge des anhaltenden feuchten Wetters in Johnstown, Penn., die Cholera mit grosser Heftigkeit ausgebrochen sein. Von einem Ausbruch der Cholera weiss man dort nichts, wohl aber von dem Durchbruch eines Dammes, in Folge anhaltend feuchten Wetters.

Die Odessaer bakteriologische Station hat neulich den ersten Ver- such der Vernichtung der Zieselmäuse mittelst Uebertragung der Hühnercholera gemacht. Der Versuch wurde an zwei Orten im Dorfe Marjanowka (Besitzer D. D. Küsnezow) angestellt. In circa 500 Löcher von Zieselmäusen wurden mit Culturen von Hühnercholera benetzte Getreidekörner gestreut. Nach annähernder Schätzung gab es an beiden Orten mehr als 3000 Zieselmäuse. Am folgenden Tage fand man an den Versuchsplätzen viele derselben todt, während sich wenig lebende sehen Hessen. Bei der Section einiger Cadaver auf der Station erwies sich als Todesursache Hühnercholera. Die Gesammtkosten des ersten Versuches beliefen sich auf 4 Rbl. In nächster Zeit soll ein zweiter Ver- such in grösserem Maassstabe angestellt werden. (St. Pet. Med. Woch.)

Im Mai naechsten Jahres findet die Zusammenkunft der, von der Regierung und von den verschiedenen medicinischen und pharma- ceutischen Körperschaften ernannten, Vertreter zur Revision der United States Pharmacopoea in Washington statt. Hoffentlich wird das Werk von Jahr zu Jahr kleiner und werthvoller.

Ein Hausmittel gegen Singultus. Jos. M. Loebl (Wien) gab einem 54 Jähre alten Manne, der seit fünf Tagen an Singultus und Bronchial- catarrh litt und der Bromkalium, Antipyrin u. s. w. ohne Erfolg be- kommen hatte, einen Kaffeelöffel voll pulverisirten Zucker mit einem Kaffeelöffel voll Weinessig durchfeuchtet, und hörte der Singultus sofort auf.

Einer trage die Lasten des Anderen. Unter diesem Motto finden wir den Brief einen Arztes in der Septembernummer von " The Medical Brief ," den wir hier in's Deutsche übertragen wiedergeben: „Collegender „Brief" Familie : Dieser Beitrag mag Sie amüsiren, aber da eine ehrliche Beichte der Seele wohl thut, lassen Sie mich hoffen, dass dieser Ihnen gemachten Beichte die Hülfe folgen möge.

Ich bin ein junger, verheiratheter Mann, graduirte im März, 1888, aber da meine Eltern arm waren gerieth ich in Schulden um meine Aus- bildung zu erlangen. Meine Wechsel sind jetzt fällig und da ist mir eingefallen Sie zu bitten mir in der Bezahlung derselben beizustehen. Diese Schuldenlast und die Armuth meiner Gegend, haben mich seit dem Anfang meiner Praxis sehr im Hintergrund gehalten. Aber wenn Sie alle meine Bitte erhören, so kann ich aus dem Sumpf gehoben werden und kann mich mit Büchern und Instrumenten so ausstatten, wie es zur Ausübung meiner Praxis nöthig ist. Die Summe um die ich bitte ist so klein, dass Niemand aus ihrer Mitte deren Verlust empfinden würde, wenn aber alle Leser des „Brief" antworteten, wäre mir schön geholfen. Sie haben schon viele hundert Dollar durch intelligente Sammlungen in die Taschen mancher Aerzte practicirt, so helfen Sie mir mit zehn Cents. Eben noch da diese Sache in Ihrem Gedächtniss ist, stecken Sie gleich zehn Cents in einen Brief mit Ihrem Namen auf einem Stückchen Papier und schicken Sie mir denselben zu. Ich ver- spreche nicht allein, dass ich dankbar sein werde, sondern werde auch über den Erfolg oder Nichterfolg meines Planes berichten."

Cripple Creek, Virginia. John H. Moore, M.D.

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Die Leetüre dieses Briefes dürfte namentlich allen Denjenigen von Interesse und Nutzen sein, welche im Sinn haben, die Zahl der Doc- toren in diesem Lande (nach Rauch, State Board of Health of Illinois, circa 115,000, oder 1 Arzt1' auf alle 533 Einwohner) zu vermehren. Im Jahre 1880 noch kam 1 Arzt auf 601 Einwohner und somit haben wir in 8 Jahren einen Zuwachs von V9. Geht das so weiter fort, so gibt es in 64 Jahren nur noch Doctoren in den Vereinigten Staaten. Das Ver- hältniss in den übrigen Ländern zu der Union ist folgendes :

In Bussland kommen 16 Aerzte auf 100,000 Einwohner.

In Frankreich " 29 " " 100,000

In Deutschland " 32 " " 100,000

In Oesterreich " 34 " " 100,000

Im britischen Beich " 61 " " 100,000 In der Union " 187 " " 100,000

Der obige Brief ist nur das natürliche Besultat eines derartigen Verhältnisses.

In der Berliner Med. Gesellschaft vom 27. März 1889, beant- wortete Prof. WolfT die Frage : Darf man Kinder in den ersten Tagen nach der Geburt impfen ? folgendermaassen : 1. Neugeborene können mit animaler wie mit humanisirter Lymphe erfolgreich geimpft werden und ertragen den Eingriff vorzüglich. 2. Es treten niemals allgemeine Störungen, ja sogar keine Fiebererscheinungen auf. 3. Der Impfschutz ist ein völliger und ebenso lange dauernder wie bei Impfungen in späterer Lebenszeit.

In Putnok (Oesterreich) erkrankten 3 4 Wochen nach ritueller Cir- cumeision mit üblicher Aussaugung der Wunde eine Beihe von Kindern. In 5 Fällen, welche Dr. Joseph Gescheit zu Gesicht bekam, konnte er Tuberculose verschiedener Organe und stets Localaffection am Penis nachweisen. Die Untersuchung des Beschneiders, welcher sämmtliche Operationen ausgeführt hatte, ergab hochgradige Tuberculose der Lungen und (wahrscheinlich auch) des Kehlkopfs.

(Internat, klin. Bundsch., No. 23).

Die Gesellschaft amerikanischer Kinderaerzte (American Pae- diatric Society) wird ihre erste Jahresversammlung am 20. und 21. Sep- tember in Washington abhalten. Herr Dr. A. Jacobi, unter dessen Leitung sich die Gesellschaft in vorigem Herbst organisirte, und der dieselbe auch in's Leben rief, ist der erste Präsident derselben. Von deutsch-amerikanischen Mitgliedern der Gesellschaft sind folgende Vorträge angemeldet : A. Caille, „Blasenstein und Prolapsus recti", „Nystagmus und Chorea bei Rhachitis", und „Prophylaxe gegen Diph- therie" ; F. Huber, „Meningocele und Empyema duplex" ; H. Koplik, „Tuberculose des Hodens im Kindesalter" ; A. Jacobi, „Aneurysma im Kindesalter" ; und A. Seibert, „Bericht über 2jährige Erfahrung in der mechanischen Behandlung von Gastrointestinalerkrankungen im Kindesalter".

Die kuerzlich in der Tagespresse und in offenen Briefen statt- gefundene Holzerei zwischen zwei der prominentesten Vertreter des ärztlichen Standes in Amerika, wurde mit solchen Mitteln und Aus- drücken ausgefochten, dass wir uns schämen, auf die Controverse selbst einzugehen. Es ist nicht befremdend, dass die hervorragendsten medicinischen Journale den Vorfall mit keinem Worte berühren, wohl aber, dass eines derselben den Bericht eines dieser Herren über das be- strittene Thema (den Hammelhodenextract natürlich,) noch publicirte. Wir hätten befürchtet, dass die bei den Experimenten des Autors benutzten Finger und Instrumente ebenso unsauber gewesen wären, als die in seinem offenen Brief benutzten Kedensarten.

Als die deutschen Aerzte Kaiser Friedrich's ihre Anschauungen und Erfahrungen über seine Krankheit veröffentlichten, wurde das von

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einigen deutschfeindlichen medicinischen Journalen hier als plump, rüde und ungentlemanlike bezeichnet, und dabei angedeutet, dass so Etwas bei Anglosachsen doch nicht vorkommen könne. Eben diesen Journalen empfehlen wir die Leetüre obiger Controverse, denn die Combattanten sind unverfälschte Angelsachsen. So lange aber solche Geschichten in den besten ärztlichen Kreisen des Landes vor- kommen können, ohne dass die Betheiligten sofort aus der Gemein- schaft anständiger Aerzte ausgestossen werden, soll man sich lieber nicht als Muster hinstellen.

Mit der grossen Mehrzahl der medicinischen Gentlemen dieses Landes beklagen wir derartige Vorkommnisse, und trösten uns damit, dass die betreffenden Herren einer Generation entstammen, in deren Jugendzeit es wohl hierzulande noch für den Arzt ebenso nothwendig war im Tabakkauen, Schnapstrinken und Fluchen seinen Mann zu stellen, als im Verschreiben von Chinin und Calomel.

X. Internationaler Medicinischer Congress zu Berlin 1890.

Beklin, den 8. Juli 1889.

Die ergebenst Unterzeichneten beehren sich hierdurch anzuzeigen, dass nach Beschluss des letzten Congresses zu Washington, Sitzung vom 9. September 1887, der

X. internationale medicinische Congress

in B e r 1 i n sattfinden wird.

Der Congress wird am 4. August 1890 eröffnet und am 9. August geschlossen werden. Nähere Mittheilungen über das Programm werden alsbald ergehen, nachdem die, auf den 17. September d. J. nach Heidelbe rg berufene Versammlung der Deligirten der deutschen medicinischen Facultäten und -medicinischen Vereine definitive Ent- scheidung darüber gefasst hat. Wir ersuchen Sie ganz ergebenst, inzwischen diese Mittheilungen in Ihren Kreisen bekannt geben und damit zugleich unsere freundliche Einladung verbinden zu wollen.

von Bergmann. Virchow. Waldeyer.

Bureau: Berlin NW., Karlsstrasse 19.

Personalien.

Unsere geschaetzten Mitarbeiter, die Collegen Degner, Klotz und Gleitsmann sind von ihren transatlantischen Reisen nach New York zurückgekehrt.

Herr Dr. Lustgarten, aus Wien, hat sich in New York niedergelassen.

Büchertisch.

Annual of the Universal Medical Sciences. A yearly Report of the Progress of the general sanitary Sciences throughout the World. Edited by Chas. E. Sajous, M.D. Illustrated with Chromo-Lithographs, En- gra vings and Maps. Chas. A. Davis, Publisher, 1889.

In 5 prächtig ausgestatteten, handlichen Bänden bringt das Werk kurze Referate der ganzen medicinischen Literatur vom Jahre 1888. Hier auf Einzelnes einzugehen ist unmöglich, jedoch kann man getrost sagen, dass das elegante Werk nicht, allein für den medicinischen Schriftsteller grossen Werth als Nachschlagebuch in sich birgt, sondern gerade auch für den beschäftigten Practiker, „der nicht Alles lesen kann", von grosser Bedeutung sein wird, indem es in kurzer und doch ausführlicher Weise das Neueste über jeden bekannten patholog. Pro- cess in meist sehr lesbarer Art vorbringt. Natürlich variirt der Werth der Capitel dadurch wesentlich, dass nicht alle Autoren mit der nicht- englischen Literatur genügend vertraut sind, um ausländische Arbeiten

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im Original lesen zu können. Andere wieder citiren zu viel Aussprüche (echt amerikanisch) und vergessen, dass sie nicht über Ansichten, sondern über Originalarbeiten referiren sollen. Die Ausstattung ist vorzüglich und die Einrichtung höchst practisch. Wir können das Werk warm empfehlen.

Klinische Terminologie. Zusammenstellung der hauptsächlichsten zur Zeit in der klinischen Medicin gebräuchlichen, technischen Aus- drücke, mit Erklärung ihrer Bedeutung und Ableitung von weil. Dr. med. Otto Roth. Dritte vermehrte und verbesserte Auflage. Mit einer sprachlichen Einführung. Erlangen. Verlag von Edward Besold. 1889. Preis 8 Mark. In Leinwandverband 9 Mark.

Inebriety, its etiology, pathology, treatment and jurisprudence. By Norman Kerr, M.D., F.L.S.q. Second Edition. London, H. K. Lewis, 136 Grover St., W. C. 1889.

Die Heiserkeit, ihre Ursachen, Bedeutung und Heilung. Nebst einem Anhang über die Bedeutung behinderter Nasenathmung. Von Dr. Max. Bresgen, Frankfurt am Main. Heuser's Verlag. Berlin O, Spittelmarkt 2. 1889.

Briefkasten.

Herrn Dr. Geo. L., Belleville, Illinois. Auch uns sind Fälle bekannt, in welchen der Soxhlet anscheinend ungenügend sterilisirte. Entweder nun wurden die unerlässlich-nothwendigen Bedingungen der Reinlich- keit nicht ganz erfüllt, oder die Milch enthielt vor dem Sterilisiren schon chemische Zersetzungsproducte, welche durch das Kochen natürlich nicht unschädlich gemacht werden können. In 99%" von missglückter Sterilisation wird wohl ungenügende Reinigung der Flaschen und der Stöpsel, und ungenügende Hitze (zu kurzes Kochen, oder zu schwaches Kochen) die Schuld tragen. Die Milch erst zu sterilisiren und dann mittelst Zusatz von Wasser oder Schleim zu verdünnen, ist sicher nicht zulässig, da die keimfreie Milch sogleich wieder keiinhaltig wird. Escherich hat allerdings gezeigt, dass gut sterilisirte Kuhmilch auch von ganz jungen Säuglingen ohne Verdünnung verdaut werden kann. Besser wäre es aber doch, es erst mit verdünnter Milch zu versuchen. Auch hier wird vielfach berichtet, dass Eltern häufig der Magenaus- spülung ihrer kranken Kinder opponiren. Es liegt das mehr am Arzt, als an den Eltern, weil derselbe diese Maassregel noch selbst als etwas Neues und Eingreifendes, oder gar Barbarisches ansieht. Eltern fühlen das sehr leicht heraus. Je mehr man ausgewaschen hat, desto seltener trifft man Opposition. Roh ist der Eingriff nur in plumpen Häuden. Ein College in Hoboken will jedes Mal Collaps darnach gesehen haben und hat davor gewarnt. Wir haben noch nie Collaps folgen sehen und nehmen an, dass Ungeschickte selbst mit einer subcutanen Injection Unheil anrichten können.

An die Leser.

Der Preis der „Medicin. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : „Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser Vertreter, bereist den Westen in den nächsten 3 4 Monaten, im Interesse unseres Blattes.

122 East 17th Street, New York.

Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBELTEN. I.

Der nervöse Kopfschmerz.

Von

Dr. J. Schnetter,

New York.

Kopfschmerz ist das prominenteste Symptom einer Neurose, deren Gesammtbild sich aus einer grösseren Anzahl von Erscheinungen im Nervensystem zusammensetzt. Dieser Prominenz verdankt die Neurose den Namen „Nervöser Kopfschmerz". Es wird sich jedoch im weiteren Verlaufe dieser Abhandlung zeigen, dass der Kopfschmerz kein wesent- licher Bestandtheil der Neurose ist, da dieselbe mit allen anderweitigen Symptomen allein auftreten kann, ja dass wir Mittel haben, in vielen Fällen den Kopfschmerz auszuschalten, ohne zu gleicher Zeit die ande- ren Erscheinungen zu beseitigen. Man schrieb ferner den Kopfschmerz dem Trigeminus zu, besonders dessen erstem Aste. Es wird sich fernerhin zeigen, dass diese Annahme irrthümlich ist, und dass in einer nicht geringen Anzahl von Kopfschmerzen der Trigeminus gänzlich unbetheiligt bleibt.

Es wird die Aufgabe sein, um der Erkenntniss der Wesenheit dieser Neurose näher zu kommen, den Symptomen, dem Verlaufe, den Ur- sachen der Krankheit eine gewissenhafte Aufmerksamkeit zuzuwenden, um das Entstehen und den Zusammenhang der vielfältigen Erschei- nungen als auf einen einzigen Ausgangspunkt beruhend zu begreifen.

Die Erkrankung ist eine fast allen Altersstufen angehörige. Ob ganz kleine Kinder derselben schon unterworfen sind, lässt sich aus natürlichen Gründen nicht constatiren ; doch werden häufig genug periodisch wiederkehrende Kopfschmerzen von Kindern geklagt, die ihrem Leiden Ausdruck geben können. Es ist zweifelhaft, welches von den beiden Geschlechtern in Bezug auf die Krankheit bevorzugt ist. Alle Classen der Gesellschaft haben darunter zu leiden, und wenn die arbeitende Classe weniger darüber klagt, so mag man es aus dem Um- stände erklären, dass man den Schmerz als anerkannt ungefährlich stillschweigend erträgt. Hat sich aber einmal die Krankheit festgesetzt, so ist es Thatsache, dass die höheren Stände, sei es als Folge ihrer Beschäftigung, sei es in Folge ihrer Lebensweise, häufigeren und viel- leicht auch heftigeren Anfällen preisgegeben sind. Verhältnissmässig frei von der Erkrankung sind Menschen, deren Lebensberuf ihnen gestattet den grössten Theil ihrer Zeit in freier Luft zuzubringen, Landleute, Seeleute, Forstleute etc. Man führt die Erblichkeit an, und mancher Familienarzt hat Gelegenheit die Erkrankung in mehreren Generationen zu beobachten ; die Richtigkeit dieser Beobachtung wird gerne zuge-

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standen, und eine befriedigende Erklärung wird die Folge ergeben. Man hat als Ursachen auch die gichtische und rheumatische Diathese angegeben. Der Zusammenhang ist unverständlich. Von grösster Wichtigkeit für das Zustandekommen der Neurose sind gewisse Er- krankungen des Nasen- und Nasenrachenraums, deren Entstehen oft auf die erste Krankheit zurückdatirt, die gewöhnlich übersehen und desshalb therapeutisch vernachlässigt wurden, da sie oft ohne grosse Beschwerden ertragen werden. Auch gehören traumatische Einwir- kungen hierher, die sich im Kindesalter häufig genug ereignen, und nicht selten eine äussere und noch viel häufiger eine innere Miss- gestaltung der Nase nach sich ziehen. So wie sich die Malaria- affection zu einer grossen Anzahl neuralgischer Erscheinungen gesellt, oder deren Entstehung bedingt, so ist auch sie nicht selten mit unserer Neurose vereint beobachtet worden, doch immer nur bei gleichzeitig bestehender anomaler Beschaffenheit der Nasen- und Bachen- schleimhaut.

Die Entdeckung des Zusammenhangs von pathologischen Zuständen der Nasenschleimhaut gebührt dem verstorbenen Dr. Hack in Ereiburg i. B. Den beschränkten Standpunkt, den er anfangs einnahm, hatte er nach seinen eigenen späteren und anderer Beobachter gemachten Erfahrungen aufgegeben, und jetzt werden mehrere Erkrankungen der Nasenhöhle, des Nasenrachenraumes und des Kachens als Ausgangs- punkte der Neurose angenommen.

Man hatte früher, und manche Autoren der gegenwärtigen Zeit nehmen noch diesen Standpunkt ein, Verdauungsstörungen, Erkran- kungen in der weiblichen Genitalsphäre, Erkrankungen der Nieren als Erreger der Neurose beschuldigt. Es mag hier sofort erwähnt werden, dass dieselbe zuweilen in der Verdauungszeit auftritt, dass während der Menstruationszeit Frauen sehr häufig an den heftigsten Anfällen zu leiden haben, und dass es eine bekannte Thatsache ist, dass viele Nierenkranke häufige, meist am Hinterkopf auftretende Schmerzen zu erdulden haben. Wer sich die Mühe geben will in den genannten Zuständen die Nasenhöhlen und den Nasenrachenraum zu besichtigen, findet nach den Erfahrungen des Verfassers in allen derartigen Fällen Veränderungen in den genannten Localitäten. Unter einer auf mehrere Hunderte von Fällen sich beziffernden Zahl fanden sich nur zwei Fälle von nervösem Kopfschmerz in denen diese Veränderungen vermisst wurden. Bei dieser verschwindend kleinen Anzahl muss man an- nehmen, dass die Veränderungen durch ihre versteckte Lage sich der Beobachtung entzogen.

Wenn desshalb in der Menstruationsperiode Frauen über Kopf- schmerz klagen, was besonders bei pathologischen Zuständen des weiblichen Geschlechtsapparats der Fall ist, und wenn sich die Ver- änderungen in der Nase etc. vorfinden, so muss die Menstruation als erregende Veranlassung betrachtet werden. Da es bekannt ist, dass bei Frauen während der Menstruation eine erhöhte nervöse Reizbarkeit vorhanden ist, so wird das Auftreten der Neurose keine auffallende

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Erscheinung sein. Was erhöhter Nervenreiz vermag, hat der Verfasser in einem Falle von sehr heftigem, mehrere Tage andauerndem Kopf- schmerz bei einer verheiratheten Dame beobachtet, die in den ersten Jahren ihrer Ehe den geschlechtlichen Umgang ohne Beschwerden ver- trug, nach zweijähriger Ehe aber nach jeder geschlechtlichen Begeg- nung unmittelbar von genanntem Leiden befallen wurde. Es sei zu bemerken, dass sich bei der Untersuchung der Genitalien keinerlei Abnormität vorfand, wohl aber, dass eine beträchtliche Vergrösserung der unteren Schwellkörper der Nase, nebst einer allgemeinen Köthung der ganzen Schleimhaut vorlag, und dass nach Beseitigung dieses Be- fundes keine Neurose sich mehr einstellte. Es ist noch ausserdem anzuführen, dass die Angaben der Frauen, dass sie nur zur Menstrua- tionsperiode an Kopfschmerz leiden, in der Kegel auf unabsichtlicher Täuschung beruhten. In der Mehrzahl der Fälle tritt die Neurose zu irgend einer Zeit bei ihnen ein, und nur das regelmässige Zusammen- treffen mit, vor oder nach der Periode gibt die Veranlassung zur falschen Angabe.

Dass Abnormitäten in der Verdauung öfters Veranlassung seien, galt früher sowohl wie auch jetzt als feststehend. Hier ist wohl zu bedenken, dass Kopfschmerzen nach Excessen bei der Tafel, hauptsächlich durch übermässigen Genuss von alcoholischen Getränken Intoxicationserschei- nungen sind, und nicht hier in Betrachtung kommen. Nach mässigen gewohnten Mahlzeiten kommt die Neurose äusserst selten zur Beob- achtung. Einen einzigen derartigen Fall hat Dr. Hack dem Verfasser brieflich mitgetheilt. Es fanden sich die gewöhnlichen Veränderungen in der Nase, und die Heilung erfolgte nach der Behandlung der Nasen- affection. Häufiger kommt die Neurose nach Mahlzeiten vor, da wo zu gleicher Zeit Magencatarrh besteht. Es ist bekannt, dass unter solchen Verhältnissen eine Art Verdauungsfieber mit Congestion nach dem Kopfe eintritt. Auch der experimentelle Beiz des Magens erhöht den Blutdruck im Gefässsysteme des Gehirns (Mayer und Pribram). Es ergibt sich also, dass unter diesen Verhältnissen ein erhöhter Blutdruck als die causa excitans zu betrachten wäre, wenn man nicht die Erfah- rung hätte, dass bei derartigen Patienten zu gleicher Zeit eine erhöhte nervöse Keizbarkeit besteht ; die meisten sind im hohen Grade Hypo- chonder. Die Verdauungsbeschwerden werden häufiger als Begleit- erscheinungen oder Folgen der Neurose betrachtet werden müssen denn als die Ursache, da gewöhnlich die Magenfunctionen bis zum Ausbruche der Krankheit vollkommen normal vor sich gehen.

"Wir haben das Verhältniss der Kopfschmerzen zu betrachten in Verbindung mit der Bright'schen Nierendegeneration. In allen Fällen dieser Combination fand sich die Degeneration der Nasenschleimhaut in den vom Verfasser beobachteten Fällen. Bei dem insidiösen Be- ginne beider Erkrankungen möchte es schwer halten zu bestimmen, in welchem Verhältnisse sie zu einander stehen. Bei einigen Patienten konnte eruirt werden, dass sie schon lange vor dem vermuthlichen Anfange der Nierenentartung mit den Kopfschmerzen behaftet waren,

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so dass ein ursächliches Moment in der Nierenerkrankung nicht anzu- nehmen war. Auch entfernt die Nasenbehandlung die Kopfschmerzen bei an Nierenerkrankung leidenden, ebenso wie bei sonst gesunden Menschen. Dass sich durch den Zustand der Nieren gewisse Modifika- tionen im Auftreten des Kopfschmerzes ergeben, darüber werden später einige Andeutungen gegeben werden.

Es geht aus dem bereits Gesagten hervor, dass die krankhaften Zu- stände der Schleimhaut der Nase und des Nasenrachenraums, obwohl die conditio sine qua non, für sich allein den Ausbruch der Neurose nicht hervorzubringen im Stande sind, sondern dass es noch einer causa excitans bedarf, zu der man sich noch eine nervöse Beanlagung denken muss.

Nachdem die Wichtigkeit der in den Nasenhöhlen etc. sich vor- findenden pathologischen Zustände erörtert worden ist, versteht sich wohl auch die Erblichkeit der Neurone, da bekanntlich kein Theil des Körpers so sehr die Erblichkeit verräth als die Nase. Sie ist das Erb- stück, in dem die Kassenangehörigkeit und blutsverwandtlichen Be- ziehungen repräsentirt werden. Wir ererben aber nicht allein die Grösse und Form, sondern auch die äusseren und inneren Fehler. Wie behauptet wird, gibt es keine geraden Nasen, also auch keine voll- kommene mediane Stellung des Septum. Dadurch allein kann eine Anlage zur Entstehung des Kopfschmerzes übertragen werden.

In der freien Zeit mag man zuweilen, jedoch selten, wie bereits erwähnt wurde, keine krankhaften Veränderungen vorfinden, aber so- bald der Anfall beginnt, finden sich immer abnorme Zustände. Unter die ersten den Anfall einleitenden gehört eine ungewöhnliche Blässe und Schrumpfung, so dass die Nasenhöhle weiter erscheint. Im ferneren Verlaufe dagegen wird die Schleimhaut röthlich, tiefroth, livid, und ver- dickt sich bis zur Beengung der Nasenhöhle. Die früher kaum sicht- baren Schwellkörper treten hervor oder werden durch die Betastung mit der Sonde erkennbar, dabei ist die Schleimhaut trocken ; erst beim Verschwinden des Anfalls tritt Secretion ein, die Färbung und Schwellung verschwindet langsam.

Bei der Untersuchung auf die prädisponirenden Ursachen in der Nase sollte man nicht aus dem Resultate einer einzigen Untersuchung deren Abwesenheit behaupten wollen, oder sich über deren Ausdehnung eine Ansicht bilden, da sie oftmals zeitweise fast gänzlich verschwinden. Die häufigsten Veränderungen sind hypertrophische Zustände der auf den Muscheln liegenden Schwellorgane, vorzüglich die der unteren und mittleren. Diese können von sehr verschiedener Grösse sein, oft bis an's Septum reichen, und dasselbe verdrängen oder eine Impression in dasselbe machen, oder auch aus den vorderen NasenöfTnungen heraus- hängen. Einige sehr erfahrene und verlässige Beobachter glauben, dass der Kopfschmerz erst dann eintrete, wenn die Schwellung bis an das Septum reiche. Die Erfahrung des Verfassers kann diese Ansicht nicht bestätigen. Im Gegentheil findet man die Neurose sehr oft bei Vergrösserungen, die bei günstiger Formation der Nase nicht die

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geringste functionelle Störung veranlassen. Da die Schwellungen in ihren Dimensionen oftmals sehr wandelbar sind, so wird man auf ihre Gegenwart erst manchmal aufmerksam durch die Impression oder Ver- schiebung des Septum. Die Erkrankung zeigt sich im Anfange meistens einseitig, bald aber wird auch die andere Seite ergriffen, doch bleibt immer eine Seite die vorwaltend afficirte. Auch in der Grösse der An- schwellung der unteren und mittleren Muscheln existiren Unterschiede, ebenso darin, dass die vorderen Theile der Schwellkörper am öftesten die Veränderung zeigen, während die rückwärts liegenden normal bleiben können. Die Färbung und Consistenz der hypertrophirten Schwellkörper ist ebenfalls verschieden. Zuweilen ist die Farbe nicht viel abweichend von der übrigen Sehleimhaut, zu anderen Zeiten ist sie röthlich, livid. Die Befühlung mit der Sonde zeigt immer einige Con- sistenz, aber auch manchmal nur die eines mässig gefüllten Luftkissens.

Ausser diesen Schwellkörpern finden sich mitunter pathologische Zustände in der Nasenhöhle, deren gemeinsame Eigenschaft darin besteht, dass sie eine mehr oder weniger bedeutende Obstruction der Nasengänge zu Stande bringen, z, B. Neoplasmen, Hypertrophieen der Knochen oder Knorpel, Verwachsungen gegenüberliegender Flächen, traumatische Verunstaltungen etc. Es sind dem Verfasser keine Fälle von Neurose vorgekommen bei Polypen, wenn keine Complication von Hypertrophie der Schwellkörper sich vorfand. Der Schmerz bei Polypen ist verschieden und lässt sich nicht mit dem nervösen verwechseln ; er ist dumpf, den ganzen Kopf einnehmend, keinen Nervenbahnen folgend, verbunden mit geistiger Stumpfheit, Indifferenz etc. Auch tritt er nicht in Anfällen auf.

Die Neurose kam öfters in Behandlung des Verfassers bei hyper- trophischen Zuständen der Nasen knorpel, bei Verschiebung des Sep- tum, bei partiellen Verwachsungen, wodurch die Luftcirculation beein- trächtigt und die freie Entleerung des Secrets behindert wurde. Die Abhaltung oder Beeinträchtigung des Luftstromes, die Ketention des Secrets bedingt eine Maceration des Epithels und Zersetzung der Flüs- sigkeit und wirkt als beständiger Nervenreiz. Die geringsten atmos- phärischen Veränderungen und andere schädlichen Einflüsse führen zu frischen Catarrhen, die sich von da auf alle Theile der Nasenschleimhaut verbreiten. Ist die Passage durch erfolgreiche chirurgische Behandlung frei, und hat die Luft freien Zutritt, dann verschwinden die krankhaften Symptome, der beständige Eeiz hört auf und die Neurose verliert sich nach und nach oder wird bedeutend seltener und milder. Es zeigt sich jedoch nicht selten, dass nach Beseitigung der Obstruction im Hinter- grund ein Schwellkörper versteckt ist, dem wahrscheinlich die Neurose ihre Entstehung verdankt.

Die im Nasenrachenräume sich vorfindenden Erkrankungen bedingen oftmals einen sehr hartnäckigen Hinterhauptkopfsschmerz, der sich aber nicht unter den später zu beschreibenden Symptomen der Neurose darstellt, wie wir sie bei Nasenaffectionen später kennen lernen werden. Acute, subacute und chronische Entzündungen besonders der hinteren

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Rachenwand, wenn dieselben mit Infiltration des submucösen Zell- gewebes verbunden sind, veranlassen intensive, langwierige Schmerzen im Nacken und Hinterhaupte.

Zur pathologischen Anatomie gehören, wie die Folge lehren wirdr auch die Lymphdrüsen des Halses, und zwar wird gezeigt werden, dass sie einen Beitrag liefern zur Entstehung gewisser schmerzhafter Stellen. Die krankhaften Vorgänge im Nasen- und Nasenrachenraum sind im ersten Entstehen oftmals specifischen, diphtherischen, scrophulösen, catarrhalischen, ulcerativen oder traumatischen Ursprungs, bestehen meistens Jahre lang oder sind sogar permanent. Es braucht nur an diese Zustände erinnert zu werden, um die Einwirkung dieser Er- krankungen auf die Lymphdrüsen des Halses zu verstehen. Bei dop- pelter Affection ist natürlich der Nachweis einer geringen Induration oder Hypertrophie schwierig ; bei der einseitigen Affection wird der Unterschied leicht zu constatiren sein, und selten vermisst werden.

Symptomatologie. Es ist absolut nothwendig, um der Erkenntniss des Wesens der Krankheit näher zu kommen, und auch eine erfolg- reichere Behandlung leisten zu können, die ersten Anzeigen des Anfalls zu kennen. Die Vorläufer des Kopfschmerzes sind dem Patienten nicht auffallend und lästig genug, um ärztliche Behandlung in diesem Stadium zu beanspruchen, und sind desshalb weder dem Patienten selbst noch öfters auch dem Arzte bekannt. Der Erstere sowohl wie der Letztere datiren gewöhnlich die Krankheit vom Beginne des Kopfschmerzes. Genauere Beobachtung ergibt, dass allerlei Symptome oft Tage lange dem Kopfschmerz vorangehen. Schon einige Tage vor der Erkrankung zeigen sich vorübergehende Congestionen nach dem Kopfe, besonders nach den gewöhnlichen Mahlzeiten, nach dem Genüsse geringer Quanti- täten alcoholischer Getränke, nach oder beim Bauchen, einer Cigarre ; es tritt eine Röthung und Turgescenz des Gesichtes ein. Eine Miss- stimmung des Gemüths stellt sich ein und eine oder mehrere Nächte andauernde Schlaflosigkeit ; in selteneren Fällen eine grosse Neigung zum Schlafe. Wir wissen, dass ein und derselbe Beiz je nach der In- tensität seiner Einwirkung auf das Nervensystem die entgegengesetzte Wirkung hervorbringen kann. Der Appetit ist in derselben entgegen- gesetzten Weise verändert, doch geht die Verdauung gewöhnlich regel- mässig vor sich. In vielen Fällen ist der Kranke genöthigt, seinen Urin öfters zu entleeren, ohne dass der Urin eine Abnormität nachweist. Auch muss der Kranke öfters niessen. Dr. Day in seiner Monographie "On Headaches" macht auf ein Symptom aufmerksam, welches der Verfasser bestätigen kann, und das darin besteht, dass die Patienten einen leichten Druck oder Schwere oder leichte Steifigkeit im Nacken fühlen. Die wenigsten Patienten klagen über dasselbe, wenn sie nicht aufmerksam gemacht worden waren. Es existirt aber in derselben Localität ein anderes wichtigeres Zeichen, welches, wie der Verfasser glaubt, noch niemals beschrieben wuirde, und welches auf einen Zustand deutet, der zur Erklärung des Schmerzes im Hinterkopfe von Wichtig- keit ist. Im oberen Theile des Nackens zunächst dem Hinterhaupte

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fühlt der Patient ein Knistern und hört es deutlich bei der seitlichen Bewegung des Kopfes und, wenn er den Kopf stark nach rückwärts zieht, und dieselben Bewegungen vollzieht, erscheint es ihm lauter und lebhafter und steigert sich sogar bisweilen bis zum deutlichen Knarren. Das Geräusch kann deutlich mit dem Stethoscop wahrgenommen werden. Dieses Phänomen tritt schon viele Stunden vor dem Anfalle auf, und besteht durch die ganze Dauer desselben. Auch bei Indivi- duen, die nicht an der Neurose leiden, ist dieses Knistern zu beobachten, doch ist es niemals so intensiv und verbreitet wie bei dem Beginn des Anfalls.

Hat man den Patienten in seiner Umgebung und kann ihn immer beobachten, so vermisst man niemals die Zeichen eines sich langsam bildenden Collapses des Gesichts ; das Gesicht wird blass, die Haut schrumpft ; die Nasencanäle werden weit ; der Patient wundert sich über die Leichtigkeit, mit der die Inspiration und Expiration durch die zuvor beengte Nasenhöhle vor sich geht ; die Schleimhaut ist, wie bereits angegeben, geschrumpft und blass. Ist die Affection eine ein- seitige, so zeigt sich ein auffälliger Unterschied in den beiden Gesichts- hälften ; das Auge der leidenden Seite ist kleiner und eingesunken, so wie die ganze Seite kleiner erscheint. Der Puls wird klein und ist beschleunigt bis auf 80^-90 ; dabei in selteneren Fällen strangförmig hart an den Carotiden und den fühlbaren Arterien des Kopfes (spasti- scher Zustand). Die Pupille auf der erkrankten Seite ist in einzelnen Fällen verengt, seltener erweitert, und in den meisten Fällen verengt, seltener erweitert, und in den meisten Fällen normal. Zivweilen ist eine verlangsamte Herzbewegung zu beobachten, wobei die Bewegung gewöhnlich unregelmässig wird. Es werden auch Fälle beschrieben, in denen der Zustand der Gefässe dem vorherbeschriebenen entgegen- gesetzt ist, wo die Gefässe eine Erschlaffung zeigen bis in die Central - gefässe des Auges und das Aussehen des Gesichtsturgor, Hitze, Böthe und Schweiss zeigt (paralytischer Zustand).

Mit dem Eintritte des Kopfschmerzes erreicht die Neurose ihren t Culminationspunkt. Gewöhnlich ist in den ersten Anfällen der Schmerz auf den ersten Ast des Trigeminus beschränkt und stellt sich auf der- jenigen Seite, welche der pathologisch veränderten Nasenhöhle ent- spricht, allein ein ; oder, wenn beide Seiten afficirt sind, zuerst auf derjenigen Seite, welche die vorgeschrittensten Veränderungen zeigt, und geht nach einiger Zeit auf die andere Seite über. Zu gleicher Zeit besteht in einem oder beiden Nasengängen, je nach dem Bestände des Nasenleidens ein mehr oder wTeniger heftiges Gefühl von Wundsein, Brennen und innerer Spannung. Lässt man den Kranken wohl- riechende Stoffe riechen, so zeigt sich das Geruchsvermögen entweder einseitig oder doppelseitig vermindert und es erhöht sich der Kopf- schmerz. Stoffe, welche die Schleimhaut zur Absonderung reizen, z. B. Essigsäure oder Ammonium, welche eine Secretion hervorrufen, erhöhen den Wundschmerz der Nasenschleimhaut, vermindern jedoch momentan den Kopfschmerz.

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Der Schmerz folgt genau der Verbreitung des ersten Astes des Tri- geminus in die Augenhöhle, Nasenhöhle, Stirne und auf den Scheitel. Es ist nicht ohne Absicht, wenn ich hervorhebe, dass in manchen seltenen Fällen auch der zweite Ast schmerzhaft afficirt ist.

Das Auge wird thränend, die Schleimhaut etwas injicirt, und es tritt Lichtscheue ein und Empfindlichkeit gegen Geräusche, sowie ein Ver- langen nach horizontaler Lagerung. Der Schmerz tritt zuweilen blitzähnlich mit vollster Intensität ein, zuweilen schwach, immer stärker werdend, und synchronisch mit dem Eadialpulse klopfend, wenn durch irgend eine Anstrengung, z. B. beim Uriniren oder bei De- fäcation ein Blutandrang zum Kopfe veranlasst wird.

Die Dauer des heftigen Schmerzes ist eine unbestimmte. Manchmal tritt tiefer Schlaf ein und endet den Anfall ; manchmal dauert der Schmerz auch während der Zeit des Schlafes fort und quält den Kranken mit schweren Träumen, und nach dem Erwachen fühlt der Kranke noch seinen Schmerz und eine grosse Ermüdung. Mit einem Tage ist gewöhnlich das Leiden beendet, in selteneren Fällen setzt es sich auf mehrere Tage fort. Eine Unvorsichtigkeit des Patienten, z. B. eine neue Verkältung, Genuss von geistigen Getränken, Hauchen von Tabak etc. etc. bringt den Schmerz sofort wieder zurück.

So lange der Kopfschmerz anhält, empfindet der Kranke ein Kälte- gefühl, das sich öfters zu einem allgemeinen Schauergefühl steigert, hauptsächlich in den Füssen, die erblassen und sich auch eiskalt anfühlen.

Der Aufenthalt in freier, frischer Luft hält nicht nur den Ausbruch des Kopfschmerzes auf längere Zeit zurück, sondern mildert auch den- selben, wenn er bereits ausgebrochen ist.

Es bleibt selten lange bei der Neuralgie der einen Seite ; die andere Seite wird über kurz oder lang folgen, und, um das Leiden zu ver- vollständigen, gesellt sich zuletzt der Schmerz im Hinterkopfe, erst einseitig, dann doppelseitig dazu.

Lässt der Schmerz nach, so kommt es zur Absonderung eines wässerig schleimigen Secrets im hinteren Theile der Nase, welches in grösseren oder geringeren Quantitäten durch die Choanen in den Kachenraurn abfliesst.

Bevor jedoch dieser Abfluss eintritt, kommt es bei manchen Kranken zu einem Ekelgefühl mit Brechreiz, ja wirklichem Erbrechen von ent- weder genossenen Speisen oder galligen, wässerigen, schleimigen Massen, zuweilen auch Diarrhöe. Nicht selten stellt sich ein vorüber- gehendes Schwindelgefühl ein. Auch das Gegentheil von Ekel wird zuweilen beobachtet, nämlich grosse Leere im Magen und Hunger- gefühl. Der Kranke hat das Bedürfniss zum häufigen Uriniren und entleert nicht etwa eine reichliche Quantität wässerigen Urins, wie bei anderen Neuralgien, sondern einen mit Uraten überladenen dunklen Urin in kleineren Quantitäten.

Dieses ist der gewöhnliche Verlauf der Neurose. In gar nicht sel- tenen Fällen beobachten wir als einziges Symptom nur den in den

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bezeichneten Nerven sich fixirenden Schmerz, seltener den im ersten Trigiminusaste, häufiger den Hinterkopfschmerz. Dann ist aber eine grosse Hartnäckigkeit in der Dauer vorhanden. Der Verfasser beob- achtete einen Fall, der 2 oder 3 Mal das Jahr auftrat und trotz aller medicamentösen Behandlung 6 8 Wochen Tag und Nacht anhielt. Ein anderer Fall kam ihm zur Behandlung, der beinahe 3 Jahre mit grösserer oder geringerer Intensität ununterbrochen nach der Ver- sicherung des Patienten angedauert hatte. Wenn der Hinterkopf- schmerz längere Zeit andauert, so wird die Kopfhaut über der betrof- fenen Gegend empfindlich selbst gegen geringen Druck, z. B. gegen Kopfbedeckung ; das Liegen auf dem weichsten Kissen gibt dem Kranken die Impression, als habe sein Kopf auf einem Steine gelegen ; die Verschiebung der Kopfhaut ist empfindlich, so auch die Bewegung des Kopfes. Gewöhnlich betrachtet man diese Zustände als rheuma- tisch. Durch die Empfindlichkeit beim Drucke gleichen sie einem leichten Entzündungsgrad. Die Untersuchung der Nasenhöhlen und •des Bachenraums, sowie die Resultate der Behandlung verrathen den wahren Charakter des Schmerzes.

In Folge oft wiederkehrender heftiger Anfälle ändert sich nach und nach der Gesichtsausdruck. Die durch die Schmerzen veranlasste Action der Stirn- und Kopfmusculatur gräbt permanente Linien und Falten in das Antlitz des Kranken. Als trophische Störung stellt sich zuweilen frühzeitiges Ausfallen oder Ergrauen der Haare ein.

Die Anfälle stellen sich in den verschiedensten Intervallen ein ; manche Patienten haben dieselben ein- und zweimal wöchentlich, und manche seltener. Eine, Regelmässigkeit in Bezug auf den Eintritt ist nicht zu beobachten. Die erregenden Ursachen kommen hierbei sehr in Betracht. Jahreszeiten, Witterung und Localitäten haben grossen Einfluss. Die Anfälle sind nicht so häufig bei trockener Witterung, ob kalt oder warm, ebenso beim Aufenthalt in freier Luft, und Gebirgen, auf der hohen See. Das Gegentheil tritt ein durch den Besuch von Räumen, die mit verdorbener oder überhitzter Luft angefüllt sind, also von Tanzsälen, Theatern, Schulen, Kirchen und durch Staubinhalationen etc. etc. Diese angeführten Causalitäten stimmen genau mit denjeni- gen überein, die catarrhalische Affectionen der Respirationsschleim- häute entweder verhüten oder befördern. Während der Zeit des Bürgerkrieges in Amerika wurden einigemal die Mannschaften im Winter, wenn militärische Operationen unmöglich waren, auf Wochen beurlaubt und besuchten ihre Familien. Diese Männer, welche in der schlimmsten Jahreszeit im Freien campirten, ohne catarrhalischen oder entzündlichen Affectionen zu unterliegen, bekamen fast alle in der ersten Nacht, die sie in einem erwärmten Zimmer verbrachten, Catarrhe der verschiedensten Art in den Respirationsorganen. Individuen, die an den oben beschriebenen chronischen Zuständen der Nasengänge leiden, sind für sehr unbedeutende atmosphärische Veränderungen sehr empfindlich ; auch eine geringe allgemeine Abkühlung der Hautober- fläche reflectirt sich sofort auf den locus minoris resistentiae. Diese

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catarrhalischen Affectionen der Nasenschleimhaut verhalten sich wie folgt zur Neurose : Entweder tritt eine baldige Secretion der Schleim- haut ein, datm erscheint die Neurose erst nach Ablauf der Secretions- periode, oder die Neurose tritt sofort auf, und die Secretion erfolgt nach dem Verschwinden derselben; ein gleichzeitiges Bestehen von reichlicher Secretion und Neurose kam dem Verfasser nicht zur Beobachtung.

Die Ursachen, welche den Catarrh hervorbringen und dadurch zu gleicher Zeit Veranlassung der Neurose werden, sind zwar die häufig- sten Erreger, aber nicht die einzigen. Anhaltende, strenge Gehirn- thätigkeit, besonders mit Nachtwachen verbunden, Ueberreizung der Sinnesorgane, besonders des Gesichts-, Gehörs- und Geruchssinnes, geschlechtliche Heizung müssen in vielen Fällen als den Ausbruch ver- anlassend beschuldigt werden. Auch Momente, die Blutandrang zum Kopfe herbeiführen, z. B. Excesse im Essen und im Genüsse alco- holischer Getränke, werden die Neurose einzuleiten im Stande sein.

Prognose. Obwohl schmerzhaft und durch häufige Wiederkehr den Genuss des Lebens in hohem Grade störend, kann man nicht nach- weisen, dass die Lebensdauer durch diese Krankheit abgekürzt wird.

Die Neurose verschwindet manchmal ohne alle Therapie, ohne dass man eine befriedigende Erklärung dafür anzugeben im Stande ist. Bei Kindern ist es fast die Begel, dass mit zunehmendem Alter, resp. mit der Ausbildung ihrer Nasen, die Krankheit verschwindet. Die Nase verändert sich am meisten im Alter von 16 bis 20 Jahren, und in dieser Periode beobachtete der Verfasser das Verschwinden der Neurose am öftesten. Das hohe Alter soll ebenfalls darin bevorzugt sein, dass die Neurose verschwindet oder seltener und milder auftritt. In zwei Fällen ging die Neurose in eine chronische Meningitis über, die fast bestän- diges Kopfleiden mit partieller geistiger Alienation bedingte. Hysterie und Neurasthenie sind nicht seltene Folgen oder Complicationen. In ferneren zwei Fällen wurde beim Eintritt der Neurose Epilepsie beobachtet, welche beide durch die Beseitigung des Nasenleidens geheilt wurden.

Patliologie. Es ist bekannt, dass, durch sein eigenes Leiden auf- merksam gemacht, Dubois-Keymond die Krankheit in einer Affection des Halssympaticus suchte, deren Wirkung sich in den arteriellen Blut- gefässen des Halses und Kopfes als Spasmus der Gefässmusculatur zu erkennen gab, und aus welchem er den Kopfschmerz ableitete. Später hatte Dr. Möllendorf an sich selbst die Erkrankung zu studiren Gele- genheit und kam, wie die an ihm auftretenden Symptome rechtfertigten, zu der Annahme eines diametral entgegengesetzten Zustandes, nämlich des paralytischen. Seit dieser Zeit unterschied man die spastische und die p iralytische Form des nervösen Kopfschmerzes.

Es ist zweifelhaft, ob diese Unterscheidung aufrecht erhalten werden kann, da, wie es scheint, die Beobachtung an den Vorgängen der Blut- gefässe zur Zeit des Ausbruchs und der Dauer des Kopfschmerzes angestellt wurde, also zur Zeit des Culminationspunkts der Neurose,

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während, wie aus der Beschreibung der Symptome hervorgeht, ein Stadium dem Kopfschmerz vorausgeht, das sich allerdings nicht durch stürmische Erscheinungen, wohl aber deutlich genug durch krankhafte Zustände kund gibt. Man erwarte überhaupt nicht, den von beiden Autoren beschriebenen extremen Erscheinungen in vielen Fällen zu begegnen. An mir selbst, sowie an einigen meiner Patienten, die ich genauer zu beobachten Gelegenheit hatte, vermisste ich niemals das spastische Stadium, resp. diejenigen Erscheinungen, welche einen mehr oder weniger ausgebildeten Collaps andeuten. Der Spasmus mag in einzelnen Fällen deutlicher ausgeprägt sein und länger anhalten, bis das Stadium der Gefässparalyse sich einstellt, und umge- kehrt mögen Fälle vorkommen, in denen nach einem kurzen Stadium eines leichteren Collapses die Symptome des Turgor, Röthung, Hitze etc. etc. in auffallender Weise sich hervordrängen. In Bezug auf den Kopfschmerz ist es gleichgiltig, welcher Zustand besteht oder vorwaltet, da er während der Dauer des einen wie des andern in gleicher Intensität auftritt.

Wenn nun dasselbe Symptom bei beiden entgegengesetzten Zu- ständen der arteriellen Gefässe eintritt, so könnte man versucht sein, es als verlorene Mühe zu betrachten, aus dieser Ursache das Entstehen des Schmerzes erklären zu wollen.

Beide Zustände haben jedoch dieselbe gemeinsame Folge, dass sie eine Abschwächung, Verlangsamung, Stagnation in den abhängigen venösen Gefässen erzeugen. Vielleicht wäre es nicht unmöglich, diesem letzteren Zustande die Verantwortung der Entstehung des Kopf- schmerzes aufzubürden.

Die klinischen Erscheinungen beweisen mit grosser Wahrscheinlich- keit eine übermässige venöse Ansammlung im Kopfe ; der Betäubungs- zustand, der leichte Schwindel, die Schwere im Kopfe, die zur horizon- talen Lage zwingt, die Färbung in der Schleimhaut der Nase, die pralle Spannung der Schwellkörper, besonders aber der ophthalmosscopische Befund im Falle des Dr. Möllendorf sollten genügen, die theoretische Annahme einer venösen Ueberfüllung zu bestättigen.

Es ist im ersten Augenblicke jedoch sehr zweifelhaft, dass der Kopf- schmerz aus dieser Ueberfüllung abgeleitet werden könne. Die Ein- seitigkeit des Schmerzes, die allmähliche Verbreitung des Schmerzes von einer Verzweigung des afficirten Astes auf den andern scheinen den Zweifel zu begründen. Wenn aber der directe Zusammenhang der arteriellen Störung und der daraus entstehenden venösen Stauung mit dem Entstehen des Kopfschmerzes nicht einfach verständlich ist, so lässt sich doch durch Auffindung von Zwischengliedern eine haltbare Theorie formuliren. Es sind zwei Bezirke, entsprechend der Verbreitung bestimmter Nerven, in denen der Schmerz auftritt, und zwar sind diese im Vorderkopfe der erste Ast des Trigeminus, und im Hinterkopfe der occipitalis major, manchmal mit dem o. minor. In den beiden bezeich- neten Localitäten findet man selten den Schmerz zu gleicher Zeit vor, wenn die ersten Anfälle auftreten ; gewöhnlich ist es der Ast des Trige-

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minus, welcher die Neurose einleitet, und erst nach mehreren Aus- brüchen tritt der Schmerz im Hinterhaupt dazu, wenn überhaupt. Dann ist es bei ferneren Anfällen der Hinterhau [ tschmerz, mit dem der schmerzhafte Theil der Neurose beginnt.

Wir wollen zuerst der Entstehung der Neuralgie des ersten Astes des Trigeminus unsere Aufmerksamkeit zuwenden.

Es ist bei Besprechung der anatomischen Verhältnisse nothwendig, einige Punkte hervorzuheben, die bei der Entstehung des Schmerzes von Wichtigkeit sind. Das Uebrige mag als bekannt vorausgesetzt werden.

Der erste Ast des Trigeminus ist bekanntlich der schwächste und zarteste. In seinem Zuge zur Orbita geht er durch den Sinus caver- nosus. Dieser Sinus verlangt eine mehr eingehende Besprechung. In denselben eingebettet liegen folgende uns interessirende anatomische Gebilde : Die von sympathischen Nervenfasern umsponnene Garotis interna, der erste Ast des Trigeminus, und ein nur sehr kurzes Stück des zweiten Astes desselben Nerven. Von den zum Ganglion ciliare gehenden Wurzeln liegt nur die mittlere, aus dem plexus caroticus des Sympathicus entspringende im Sinus selbst, während die vom nervus nasociliaris sich absondernde lange Wurzel zum Ganglion ciliare sich vor dem Eintritt des Nerven in die Augenhöhle absondert und also direct nicht mit dem Sinus cavernosus in Beziehung steht. Die übrigen durch den Sinus tretenden Nerven haben für unsere Untersuchung keine Bedeutung.

Ueber die Beschaffenheit des Sinus cavernosus selbst sind folgende Verhältnisse zu erörtern. Derselbe entsteht durch eine Zerklüftung der dura mater, die sich zu einem Labyrinth von Gängen, zelligen Hohl- räumen von der verschiedensten Form gestaltet, die miteinander com- municiren und deren innere Auskleidung in einem platten Endothel besteht. Es finden sich, soweit bekannt, keine contractilen Elemente wie bei den Venen vor. Dieser Sinus ist nach allen Eichtungen hin durchzogen mit einem Netze von Bindegewebsfasern und Scheidewänden.

In diesen Sinus münden die Venen des Augapfels, die Chorioideal- venen, die Vena centralis retinae, die Venae ciliares breves, ferner die Venen der Orbita, auch die vom Thränensack, die ethmoidales, die supraorbitalis, die lacrymalis und musculares. Auch mündet zuweilen die Vena ophthalmica inferior in den Sinus cavernosus.

Wenn wir uns nun vorstellen, dass unter den abnormen Verhältnissen der venösen Blutcirculation das Blut von einer so grossen Anzahl venöser Gefässe dem Sinus cavernosus zugeführt wird, wenn wir den eigenthümlichen Bau dieses Organs in Betracht ziehen, seine nicht elas- tischen, nicht contractilen Wandungen, sein durch die sich durch- kreuzenden Bindegewebsfasern und Scheidewände erfülltes Cavum, so müssen wir zu dem Schlüsse gelangen, dass hier eine grössere Span- nung, ein grösserer Druck auf die eingeschlossenen Theile stattfindet. Wir erklären aus diesem Zustande, die neuralgischen Erscheinungen in der Verbreitung des ersten Astes des Trigeminus, die mitunter auf-

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tretenden Erscheinungen der Pupille. Sollten zuweilen die krankhaften Erscheinungen einzelner Fasern ausfallen, so wissen wir aus der Erfahrung anderweitiger ähnlicher Zustände, z. B. der Compression von Nervenstämmen durch Geschwülste etc., dass manchmal einzelne Ab- zweigungen des comprimirten Nerven, vom Drucke verschont, fort- fahren zu functioniren.

Die Nachbarschaft der Carotis interna erklärt das mit der Pulsation der Arterie zusammentreffende klopfende Gefühl.

Von grosser Wichtigkeit ist die Beobachtung, dass zuweilen, aber nur bei grosser Intensität des Anfalls, auch neuralgische Erscheinungen im zweiten Aste des Trigeminus auftreten. Dieser Ast kommt, wie bereits bemerkt, nur im beschränkten Umfange mit dem Sinus c. in Contact und erleidet desshalb nur eine Fraction des Druckes, der auf den ersten mit vollster Macht einwirkt.

Wenn wir diese angeführten Tiiatsachen gelten lassen, so wird uns wenig Zweifel über die Art und Weise der Entstehung im ersten Aste des Trigeminus gestattet sein, und es bleibt nur noch übrig, die Frage zu erörtern, welche Nerven beim Hinterkopfschmerze betheiligt sind, und in welcher Weise die Entstehung desselben zu deuten ist. Man könnte sich versucht fühlen, den Sitz des Hinterhauptschmerzes in dem ersten, kleinen Nervenzweig zu suchen, den der ramus primus an das tentorium cerebelli abgibt. Dieser Zweig scheint sehr wenig beim Kopf- schmerze betheiligt zu sein, und sehr einfache, selbstverständige Gründe weisen eine derartige Annahme zurück, wie die Folge ergeben wird. Bei der Symptomatologie wurde angegeben, dass schon einige Zeit vor dem Ausbruche des Kopfschmerzes pathologische Erscheinungen im Nacken nahe dem Hinterkopfe auftreten. Die Schmerzen daselbst haben in dieser Zeit nicht den Charakter einer Neuralgie, sondern mehr den eines Muskel- oder rheumatischen Schmerzes. Erst später kommt an und überhalb der Ansätze der Nackenmuskel an den Schädel der wirkliche, intensiv drückende, neuralgische Schmerz zum Ausbruche und verbreitet sich entweder nur auf eine oder auf beide Seiten des Hinterhauptes. Der Schmerz wird zuweilen klopfend. In manchen Fällen verbreitet er sich bis an's Ohr. Der Sitz und die Verbreitung des Schmerzes deutet also auf den nervus occipitalis major und manchmal zu gleicher Zeit auf den n. o. minor ; ersterer tritt durch eine Oeffnung aus der aponeurotischen Verbreitung der Sehne des musculus cucullaris und endet im Hinterkopfe unter der Haut. Sucht man die Austritts- öffnung auf und comprimirt sie, so verschwindet der Schmerz auf dem ganzen peripherisch vom Drucke gelegenen Gebiete des Nerven während der Dauer der Compression.

Da die Occipitales als Kückenmarksnerven auch sensible Fasern enthalten, so unterliegt es keinem Zweifel, dass die beschriebene Neu- ralgie nach diesen Nerven zu verlegen ist.

Es wurde bereits als eine Eigenthümlichkeit dieses Hinterhaupt- schmerzes erwähnt, dass, wenn er in grosser Intensität auftritt, oder bei öfterer Wiederholung, oder bei längerer Andauer die von den Occipitales

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versorgten Parthieen, sowie auch die oberen Parthieen der Nackenmus- keln druckempfindlich werden, und der Zustand einem entzündlichen sich nähert, besonders wenn, wie es manchmal der Fall ist, eine leicht fieberhafte Erhöhung der Temperatur sich einstellt.*)

Ebenso muss nochmals an das bereits beschriebene Symptom des Knisterns und Knarrens im oberen Theile des Nackens schon vor und während der Dauer des Anfalls erinnert werden, da es sich darum han- delt, diesen Zustand sowohl wie den vorhergehenden auf eine ana- tomische Basis zurückzuführen. Um dieses zu erreichen, müssen wir diejenigen Fälle untersuchen, die durch die Intensität ihrer Er- scheinungen keinen Zweifel gestatten über den pathologisch ana- tomischen Zustand in den bezeichneten Localitäten.

Die schlimmsten Schmerzen, welche vom oberen Theile des Nackens an aufwärts das ganze Hinterhaupt einnehmen mit Nackenstarre und Druckempfindlichkeit, stellen sich ein bei denjenigen Anginaformen, welche vorzugsweise die hintere Wand des Kachens und Nasenrachen- raums afficiren. In diesen Fällen kann man, wenn man das Maass um den Hals nimmt, während der Höhe der Krankheit und nach Ablauf der- selben eine Zunahme des Halsumfanges constatiren von 1 bis 1? Zoll. Diese Volumszunahme kann nur auf Rechnung einer Infiltration und grösserer Vascularisation der die Entzündungsstelle umgebenden Theile gebracht werden. Zuweilen geht diese Infiltration in Abscessbildung über, die wir als retropharyngeale Abscesse bezeichnen ; doch ist dieses nur ein seltenes Ereigniss ; in der überwiegenden Mehrzahl tritt voll- kommene Zertheilung ein. Dieser selbe Zustand in weniger acuter Form, also als subacute Erkrankung, hat manchmal einen Verlauf von <3 8 Wochen, während welcher Zeit die Patienten unfähig sind, ihren Hinterkopf selbst an weiche Kissen anzulegen und seitliche Bewegungen des Kopfes vorzunehmen. Die meisten derartigen Fälle haben einen fieberhaften Verlauf. Die Zertheilung folgte in allen vom Verfasser beobachteten Fällen. Ein chronischer Fall kam zur Beobachtung bei einem inveterirten Cigarettenraucher. In diesem Falle war der Rachen- und Rachennasenraum geröthet wie beim Scharlach ; die hintere Rachenwand verdickt und fühlte sich beim Betasten mit der Sonde wie ein Kissen an. Die Nasengänge zeigten dieselbe Rothe und die Schwell- körper der Muscheln hypertrophisch. Die Bewegung des Kopfes war behindert, Nacken und Hinterhaupt druckempfindlich. Der Zustand dauerte über ein Jahr, da der Patient sich keiner dauernden Behandlung unterziehen wollte, verschwand aber mit der entzündlichen Affection des Halses. Der Verlauf war fieberlos.

Ein Fall von Hinterhauptkopfschmerz setzt das Vorhandensein von einer Flüssigkeit in den Interstitien der Gewebe ausser Zweifel :

*) Diese Ansicht gewinnt an Wahrscheinlichkeit, wenn wir uns an die von Dr. Hack mitgetheilten Fälle erinnern, bei denen nach Application des gal- vanischen Brenners an den Gelenken rheumatische Entzündungen eintraten. Verf. hat dieselbe Beobachtung einigemal gemacht und auch die Bildung leicht vorübergehender Erysipele im Gesichte.

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Frau S., eine Dame von 63 Jahren, hatte seit mehr als 5 Jahren an Kopfschmerzen zu leiden, die sich auf den oberen Theil des Nackens und das Hinterhaupt beschränkten. Sie kehrten zwei- manchmal drei- mal im Jahre zurück und hatten zuweilen eine Dauer von 5, manchmal auch 8 Wochen. Sie war von ihrem Hausarzt ein Philadelphia mit grossen Dosen von Brompräparaten behandelt worden. Sie consultirte den Verfasser im Jahre 1885 zum erstenmal. Die Symptome waren die be- schriebenen, Steifigkeit im Nacken, Knistern, ja fühl- und hörbares Knarren etc. Die Untersuchung des Halses ergab keine wesentliche Veränderung, wohl aber die der Nase, wo sich eine allgemeine Eöthung massigen Grades der Schleimhaut und eine bedeutende Vergrösserung der Schwellkörper vorfand. Fieber nicht vorhanden. Ueber die er- regende Ursache konnte nichts eruirt werden. Es wurde nicht räthlich erachtet nach so kurzer Bekanntschaft mit dem Zustande eine locale Behandlung einzuleiten. Die Behandlung bestand in der Anwendung von salicylsaurem Natron. Die Krankheit zog sich mehrere Wochen in die Länge, und als einmal eine Untersuchung des Nackens vorge- nommen wurde, entdeckte man einen ödematösen Zustand der Haut in der Gegend des Ansatzes des Cucullaris. Es wurde die Bildung eines Abscesses in Aussicht gestellt ; nach einigen Tagen des Bestehens dieser Infiltration und ohne dass sich Fieber und erhöhte Schmerzhaf- tigkeit einstellte, verschwand Oedem und Kopfschmerz. Bei einem späteren derartigen Zufall wiederholte sich ganz derselbe Verlauf. Da die nun vorgeschlagene locale Behandlung der Schwellkörper der Nase nicht von der Patientin angenommen wurde, bestand die Behandlung des nächstfolgenden Anfalls in der frühzeitigen Anwendung des Anti- pyrin mit dem Erfolg, dass die Anfälle auf die Dauer weniger Tage reducirt werden konnten.

Dieser Fall ist ein Unicum in der Erfahrung des Verfassers, und es bleibt wohl nur die Erklärung, dass das flüssige Infiltrat durch eine zufällige Spalte der Aponeurose seinen Weg unter die Haut fand.

In den mit Halsaffectionen angeführten Fällen war eine collaterale Infiltration von seröser Flüssigkeit mit mehr oder weniger Beimischung zelliger Elemente anzunehmen. In dem letzt angeführten Falle war der Rachenraum frei von Entzündung, und der Ursprung des Oedems musste anderswo gesucht werden. In allen Fällen waren vielleicht mit einigem Unterschiede der Intensität die Erscheinungen im Nacken und Hinterkopf dieselben.

Es ist früher angeführt worden, dass die häufigsten Erregungs- ursachen diejenigen sind, welche catarrhalische Erkrankungen veran- lassen, und da diejenigen Individuen, welche durch die chronisch be- stehenden Affectionen der Nasengänge und des Nasenrachenraums selbst, für unbedeutende atmosphärische und andere Reize empfänglich sind, so ist die Annahme nicht ungerechtfertigt, dass dergleichen Anfälle durch das Eindringen von Entzündungserregern veranlasst werden. Wir wissen aber, dass dieses nicht immer der Fall ist, dass, wie ein früher erwähnter Fall zeigt, durch eine heftige nervöse Erregung, z. B.

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beim Coitus, der Ausbruch der Neurose wie durch ein Experiment bedingt werden kann. In solchen Fällen müssen wir, um uns die Sache einigermaassen zu erklären, uns erinnern, dass die Neurose mit einer Veränderung in der Circulation der arteriellen Blutgefässe des Kopfes beginnt, welche zur Verlangsamung der Circulation der entsprechenden Venen führt. Was wird die fernere Folge dieser Störung sein ? Nach den Untersuchungen von Eanvier soll nach paralytischen Affectionen der Vasomotoren mechanisches Oedem entstehen. Wir finden ausser- dem noch anatomische Verhältnisse am Halse, die eine übergrosse An- sammlung lymphatischer oder transsudirter Flüssigkeit leichter erklär- lich machen. Wenn Venenstauung vermehrte Lymphansammlung, wie angenommen wird, veranlasst, so muss dieser vermehrte Lymphstrom, welcher im Kopfe entsteht, am oberen Theile des Halses auf Hindernisse stossen, nämlich auf die etappenweise und in verschiedenen Schichten vorhandenen sehr zahlreichen Lymphdrüsen, welche noch dazu in den meisten Fällen mehr oder weniger degenerirt sind. Es scheint, dass schon im normalen Zustande daselbst eine beträchtliche Ansammlung lymphatischer Flüssigkeit vorhanden ist. Wenn man den Kopf nach einigem ruhigen Verhalten kräftig nach rückwärts zieht und dann seitliche Bewegung mit demselben macht, so hört man bei den ersten Bewegungen ein lebhaftes Knistern, das man auscultatorisch bei vielen Menschen vernehmen kann, und das nach mehreren Bewegungen ver- schwindet. Im Vorstadium des Kopfschmerzes ist jedoch dieses Knistern und Knarren viel stärker und tritt bei leichten Drehungen des Kopfes hervor, wie bereits erwähnt worden ist.

Bei sehr chronischen Fällen des Hinterhauptkopfschmerzes finden sich zuweilen in den Nackenmuskeln besonders nahe an der Stelle ihrer Ansätze an das Occiput kleine Verdickungen, knötchenförmige Ein- lagerungen vor. Diese Indurationen, die im Ganzen selten sind, und die von O. Rosenbach als Ursachen der Hemicranie angesehen wurden, mögen wohl besser als Folgen der beschriebenen Vorgänge in den Muskeln und des interstitiellen Zellgewebes oder auch als indurirte drüsige Organe in Betracht kommen.

Nach den angeführten Erörterungen ist also ein Infiltrat in die mus- kulären Zellgewebsinterstitien besonders in den oberen Parthieen des Halses nahe den Ansätzen der Nackenmuskeln an das Occiput anzu- nehmen. Eine nur geringe Schwellung dieser Theile innerhalb dieser massigen Muskeln und unter der strammen Aponeurose muss durch Druck auf die genannten Nerven hinreichenden Reiz hervorbringen. Die mit der Arteria vertebralis in innigen Contact kommenden Wurzeln des occipitalis zeigen in Folge dieser Nachbarschaft häufig bei erhöhtem ßeitendruck der Arterie eine mit der Pulsation zusammenfallende erhöhte Schmerzhaftigkeit.

Es wurde früher auf das Verhältniss des nervösen Kopfschmerzes zur Bright'schen Nierenerkrankung hingedeutet. Es ist eine Thatsache, dass, wenn derartige Patienten an der Neurose leiden, der Schmerz besonders häufig und intensiv den Hinterkopf einnimmt. Es ist wahr-

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scheinlich, dass die bei dieser Nierenerkrankung so häufigen, wech- selnden Oedeme im Zellgewebe des oberen Theils des Nackens einen locus minoris resistentiae finden.

Es wurde im Eingange dieser Abhandlung angeführt, dass der Kopf- schmerz alsTheil der Neurose ausfallen oder durch Medicamente unter- drückt werden könne. Wenn wir durch die der Krankheit zu Grunde liegenden Erkrankungen des Nasen- und Nasenrachenraums beseitigen, so wird der aufmerksame Patient nicht selten beobachten, dass für eine lange Zeit nach dieser Behandlung die Kopfschmerzen zwar ausbleiben, aber etwa zur Zeit, da seine Schmerzen eingetreten wären, alle andern beschriebenen Symptome der Neurose sich einstellen. Auch beobachten manche Patienten, wenn sie darauf aufmerksam gemacht werden, zwischen zwei vollständigen Anfällen, einen oder mehrere ohne den Kopfschmerz. Es ist dem Verfasser öfter gesagt worden von Patienten, die mit Natron Salicylium behandelt wurden, dass dieses Mittel den Kopfschmerz abschwäche oder gänzlich unterdrücke, aber die übrigen Symptome um so mehr hervortreten lasse.

Nachdem durch diese Schrift die zur Zeit herrschende, auf Reflex von pathologischen Zuständen des Nasen- und Nasenrachenraums auf den Halssympathicus beruhende Theorie bestätigt worden ist, möchten einige Bemerkungen, wie dieser Reflex möglicherweise zu Stande kommt, nicht ausser Platz sein. Die erwähnten pathologischen Zu- stände an und für sich bringen, wie schon angegeben, keinen Ausbruch der Neurose zu Stande. In der gewohnten normalen Statik des Nerven- systems eines damit behafteten Individuums erscheinen sie, wenn nicht locale functionelle Störungen zugegen sind, vollkommen harmlos. Wenn aber durch Hinzutreten eines anderen Reizes, z. B. catarrh alischer Natur, sie selbst gereizt werden, dann erst erregen sie den Anfall. Con- gestive Zustände zum Kopfe scheinen in ähnlicher Weise zu wirken. Bei Erklärung des Ausbruches des Anfalls durch Nervenüberreizung müssen wir jedoch annehmen, dass sie allein durch ihre Existenz als erregende Ursachen dienen.

Es wurde Eingangs dieser Abhandlung der Complication der Neurose mit Malaria Erwähnung gethan. In Gegenden, wo die Malaria ein- heimisch ist, fehlt es niemals an Fällen, welche diese Complication auf- weisen, und man ist gewohnt, die Kopfschmerzen auf Rechnung der Malariainfection zu bringen, obgleich der Schmerz öfters auch in den Intervallen der Fieberanfälle fortdauert, allerdings mit dem Eintritte derselben sich verstärkt. Obwohl eine grössere Anzahl dem Verfasser zur Behandlung kamen, war er doch nur in einem einzigen Falle im Stande, eine eingehende und andauernde Beobachtung zu machen.

Herr X. X., Kaufmann, 34 Jahre alt, consultirte im Januar 1889 in Bermuda den Verfasser wegen einer lh Jahr anhaltenden Malaria. Die Krankheit hatte in der Stadt New York ihren Anfang genommen, und zeigte von vornherein einen unregelmässigen Typus. Auf längere Zeit konnte er trotz der Behandlung mit Chinin nicht von seinen Anfällen befreit werden. Er wurde im December 1888 nach Bermuda geschickt

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in der Hoffnung, durch den Wechsel des Klimas Heilung zu erhalten. Besserung in den Anfällen wurde nicht constatirt. Als Verfasser ihn zuerst sah, fanden sich die Zeichen einer bedeutenden Anämie vor, Missstimmung des Gemüths, keine Störung des Appetits und der Ver- dauung, keinerlei Störungen in den Organen der Respirations- und Circulationsorgane. Dagegen eine Vergrösserung der Leber und der Milz ; letztere mindestens ums Dreifache. Urin normal. Fieberhitze im rectum am Abende des 3., manchmal des 4. Tages ansteigend bis zu 104° (Fahr.) manchmal sogar bis 105°. Dabei heftige Schmerzen im Hinterkopfe, so dass die Lagerung auf diesen Theil eine Unmöglichkeit war. Anhalt der Fieberhitze bis 2 Uhr Morgens. Der Kopfschmerz besteht auch in den Intervallen fort, ist jedoch Morgens weniger heftig, doch immer stark genug, um dem Patienten eine leichte Kopfbedeckung lästig zu machen. Am Abende war regelmässig eine Verschlimmerung des Kopfschmerzes und in den Tagen zwischen den hohen Tempera- turen eine leichte Erhöhung bis zu 101 101%° (Fahr.). Der Vorschlag zur Anwendung des Chinin wurde vom Patienten misstrauisch aufge- nommen, auch zeigte es sich nicht nur in Bezug auf die Temperatur- erhöhung machtlos, sondern erhöhte den Kopfschmerz bis zum Unerträglichen. Es wurde dem Patienten empfohlen, eine kräftige Dosis Antipyrin Abends zu nehmen, und es zeigte sich, dass der Kopf- schmerz ausblieb, dass Schlaf möglich wurde, und dass die Temperatur auf 102° anstieg und von keiner langen Dauer war. Die Vergrösserung der Leber und Milz blieb sich gleich. Es wurde desshalb die Anwendung der Präparate des Eucalyptus empfohlen und es gelang nach 3 Wochen, diese Organe auf's normale Maass zu reduciren, ebenso wie die hohen Temperaturen zu verhindern. Der Kopfschmerz besserte sich aber nicht; abendliche Exacerbationen blieben fortbestehen, und desshalb eine Untersuchung der Nasenhöhle vorgenommen, wobei eine bedeu- tende Vergrösserung der unteren Schwellkörper auf beiden Seiten und eine Hyperämie der ganzen Nasenschleimhaut nachzuweisen war. Nachdem Verfasser sowohl wie Patient nach New York zurückgekehrt waren, und der Patient noch immer Abends eine Temperaturerhöhung bis 101|° zeigte, und die Kopfschmerzen in alter Weise fortbestanden, wurde zur Beseitigung der Schwellkörper geschritten, Kopfschmerz und Fiebertemperatur verschwanden zu gleicher Zeit, und der frühere Patient befindet sich in bester Gesundheit in Europa.

Es ist hier zu bemerken, dass die Kopfschmerzen vor Eintritt der Malaria zuweilen in geringerem Grade und in grossen Zwischenräumen aufgetreten waren, und gewöhnlich nur einige Stunden anhielten. Mit dem Eintritte der Malaria wurden sie nach und nach intensiver und beinahe anhaltend.

Wir haben Grund, in diesem Falle in Bezug auf das Fieber anzu- nehmen, dass mit der Reduction der Leber und der Milz auf ihr nor- males Volum, dessen Macht zu Ende war, und dass der krankhafte Zustand der Nasenschleimhaut die Ursache der erhöhten Fiebertempe- ratur hätte sein können. Man muss aber hierbei bekennen, dass

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dieselben Zustände unter anderen sonst normalen Verhältnissen keine Erhöhung zeigen. Es bleibt desshalb nur die Annahme, dass der Zustand im Hinterkopfe auf eine durch Keflex von der Nasenschleim- haut erzeugte Infiltration in die Interstitien der Nackenmusculatur beruhte, und dass die Infiltration der entzündlichen ähnlich war. Zeit- weilige Unbeholfenheit im Drehen des Kopfes, Knistern und Knarren bei der Bewegung, Druckempfindlichkeit waren niemals anwesend. , Behandlung. Noch vor wenigen Jahren die trostloseste Aufgabe des Arztes und der beschämendste Vorwurf der Therapie ist die Be- handlung seit einigen Jahren von einem anerkannten Erfolge. Die Beseitigung der in der Nase und dem Nasenrachenraum sich vor- findenden Erkrankungen, eine Entdeckung, welche ein grosses Ver- dienst des verstorbenen Dr. Hack in Freiburg bleiben wird, wenn von erfahrener Hand und gründlich geübt, ist allein im Stande, den An- fällen ein Ziel zu setzen. Rückfälle nach Zerstörung dieser Erkrankun- gen sind nicht selten, und verlangen eine abermalige locale Behandlung. In nur sehr seltenen Fällen wird nach dieser Behandlung kein Erfolg erzielt, aber doch so viel erreicht, dass die zuvor vorgenommene interne Behandlung die Anfälle zu unterdrücken oder abzukürzen im Stande ist.

Die locale Behandlung selbst zu beschreiben, liegt nicht in der Ab- sicht des Verfassers, da sie in den zahlreichen Specialwerken nachge- lesen werden kann.

Die medicinische Behandlung tritt ein, wenn die locale erfolglos sein sollte, oder aus irgend einer Ursache unmöglich ist.

Da von den erregenden Ursachen ausführlich die Bede war, so ist es selbstverständlich, dass dieselben, wo nur möglich, ausser Thätigkeit zu setzen sind. Tritt der Anfall ein, und zwar in seinem ersten Anfange, dessen Symptome ebenfalls umständlich beschrieben wurden, und auf die der Kranke aufmerksam zu machen ist, dann ist es nöthig, im Ge- nüsse erregender Getränke, im Rauchen von Tabak, in der Vermeidung von Nässe und Kälte etc. besondere Vorsicht zu üben. Der Aufenthalt in freier Luft ist gewöhnlich wohlthuend, heisse Zimmerluft nachtheilig. Ehe noch der Kopfschmerz ausbricht, ist eine kräftige Infusion von Kaffee oder Thee oftmals im Stande, den Ausbruch zu verhüten. In diesem Stadium, resp. dem Zustande des beginnenden Gefässspasmus, sind die fast unfehlbaren Mittel das Antipyrin und Antifebrin, besonders ersteres. Ich rathe meinen Patienten, immer eine oder zwei Gaben in Pulverform mit sich zu tragen. Das Mittel beseitigt den Gefäss- spasmus, und in kurzer Zeit tritt auf der trockenen Schleimhaut besonders im hinteren Theile der Nase Secretion ein, und der Anfall kommt nicht zum Ausbruche. Der Patient vermeide für mehrere Stunden geistige Getränke, üppige Mahlzeiten, Tabak etc.

Ist aber der Anfall auf seiner Höhe, was manchmal nicht vermieden werden kann, wenn z. B. der Anfall im Schlafe beginnt, und der Patient mit heftigem Schmerze aufwacht, dann ist das Antipyrin nicht mehr so wirksam ; jedenfalls müssen in Zwischenräumen von einer Stunde oft

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2 3 Dosen gegeben werden. Ich habe dann das Phenaeetin von grösserer, sicherer Wirkung gefunden.

Ausserdem erleichtern heisse Fussbäder, reizende Applicationen in den Nacken, wozu sich am besten die Tinctura Capsici eignet, gute Dienste. Mit kalten Aufschlägen auf den Kopf wird sich nur sehr selten ein Arzt den Dank seines Patienten verdienen, da sie meistens den Schmerz hochgradig steigern. Beizende Stoffe, z. B. Ammoniak und Essigsäure als Biechmittel erleichtern den Schmerz, ebenso festes Binden des Kopfes. Ausserdem Buhe und, wenn möglich, Schlaf.

Im Besitze dieser Mittel ist es wohl erlaubt, alle übrigen früher an- gewendeten Arzeneien als obsolet zu betrachten, obwohl manche darunter ebenfalls die Anfälle zu unterdrücken im Stande, aber entweder unsicher waren, oder bei öfterem Gebrauch wirkungslos wurden.

Besume.

Aus der vorstehenden Abhandlung ist ersichtlich, dass der soge- nannte nervöse Kopfschmerz eine Neurose ist, deren Wesen in einem Beize besteht, welcher, pathologischen Zuständen der Nasenhöhle und des Nasenrachenraumes entspringend, sich auf den Halssympathicus reflectirt, und seine Wirkung von diesem Nerven aus verbreitet durch Vermittelung einer gestörten Circulation in den Gefässen des Kopfes auf den ersten, in seltenen Fällen auf den zweiten Ast des Trigeminus, ferner auf die nervi occipitales und, wie ferner aus den Erscheinungen hervorgeht, auf den Vagus.

So wie der Neurose im Allgemeinen eine gewisse nervöse Disposition und die beschriebenen Veränderungen im Nasen- und Nasenrachen- räume zu Grunde liegend angenommen werden müssen, so kann man für die Erregung der einzelnen Anfälle gewisse entweder entzündungs- erregende oder catarrhalische Ursachen, oder congestive Veranlassungen und auch eine Ueberreizung, vielleicht auch Abschwächung des Nerven- systems constatiren.

Die Neurose tritt auf mit einem Vorstadium, in welchem die schmerz- haften Symptome keine oder nur eine sehr untergeordnete Bolle spielen, aber in welchem die Zustände des Gefässspasmus bei genauerer Be- obachtung niemals fehlen, wenn sie auch nur weniger sichtlich und von kurzer Dauer sein mögen. Früher oder später im Verlaufe des Anfalls treten die Erscheinungen der Angioparalyse zum Vorschein.

Es ist nicht in allen Fällen zu beobachten, dass die sämmtlichen oben genannten Nerven und Nervenzweige sich zu dem in der Symptomato- logie beschriebenen Bilde vereinigen ; die Neuralgie mag zuweilen ganz und gar abwesend sein, oder nur in einem oder dem andern der genannten sensiblen Nerven zur Geltung kommen.

Die anatomischen Verhältnisse des ersten und zweiten Astes des Trigeminus zum Sinus cavernosus und die durch den spastischen oder paralytischen Zustand der arteriellen Blutgefässe des Kopfes und das durch diese Zustände resultirende Verhalten der venösen Circulation erklären das Zustandekommen der Neuralgie des betreffenden Theiles des Trigeminus.

V

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Die neuralgischen Schmerzen des Hinterkopfes haben ihren Sitz im nervas occipitalis major, manchmal auch im n. o. minor. Zur Ent- stehung dieser Neuralgie gibt ein dem entzündlichen ähnliches Infiltrat in die zellgewebigen Interstitien der Nackenmusculatur Veranlassung, dessen Entstehen bei entzündlichen Affectionen im Nasenrachenraum auf collaterales Oedem und vermehrte Vascularisation zurückzuführen ist, oder in Abwesenheit dieser Entzündung sich aus der Beobachtung erklären lässt, dass Keizzustände der Nase entzündliche oder ähnliche Zustände reflectorisch an verschiedenen Körperstellen hervorzurufen im Stande sind ; ferner aus dem Umstände, dass neuroparaly tische Zu- stände Oedeme erzeugen, und dass auch die durch die verminderte Energie der venösen Circulation erhöhte Lymphansammlung und der erschwerte Abfluss derselben durch die meistens mehr oder weniger erkrankten Lymphdrüsen des Halses einen Beitrag liefert.

IL

Zwei seltene Fälle von Halsnenrosen.

Von

De. J. W. Gleitsmann,

New York.

I. Pseudobulbärparalyse.

Mit Pseudobulbärparalyse wird in der Regel ein Symptomencomplex bezeichnet, der die Erscheinungen der Bulbärparalyse darbietet, bei welchem aber keine Erkrankung der Medulla oblongata stattfindet, sondern der meist durch cerebrale Processe bedingt wird. Manche Autoren halten sogar die Diagnose der Pseudobulbärparalyse bloss dann für gerechtfertigt, wenn die Section keine Affection der Medulla, sondern eine cerebrale Läsion nachweist, und geben demnach bei Leb- zeiten bloss eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose zu. Da aber auch schon die Etymologie des Wortes auf eine Erkrankung hindeutet, die das klinische Bild der Bulbärparalyse darbietet, ohne ihre anatomische Grundlage zu haben, so ist eine solche Diagnose wohl gestattet, wenn die betreffenden Erscheinungen vorhanden sind, obwohl der Fall günstig verlaufen, und desshalb der Beweis durch die Section nicht geliefert werden kann.

Patient, ein Mann von 45 Jahren, von Mittelgrösse, hager aber kräftig gebaut, stammt von gesunder, nervös nicht belasteter Familie, und hat selbst keine nennenswerthen Krankheiten durchgemacht, ist besonders nie syphilitisch afficirt jgewesen. Er ist seit vielen Jahren verheirathet, hat zwei gesunde Kinder, das älteste 16 Jahre, das jüngste 9 Jahre alt. Er ist Besitzer eines kleinen Ladens und kömmt demzu- folge weniger häufig in die freie Luft und macht sich weniger Bewegung als es wünschenswerth ist. Verdauung, Schlaf, überhaupt alle Func- tionen sind normal.

Als der Patient am 27. Januar in meine Sprechstunde kam, erzählte er Folgendes : Schon vor Weihnachten verspürte er Schmerzen im

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Halse und Schwierigkeit beim Schlucken von Nahrung, ebenso einen näselnden Beiklang der Sprache, Erscheinungen, welche aber nach acht Tagen ohne Medication wieder verschwanden. Seit einigen Tagen sind jetzt diese Beschwerden in erhöhtem Grade wieder aufgetreten, die Sprache ist stark nasal, beim Essen gerathen die Speisen manchmal in die Nase, Pfeifen ist ihm fast ganz unmöglich, und nur bei fortgesetzten energischen Versuchen kann er einen kurzen Ton hervorbringen. Eine anderweitige Lähmung der Gesichtsmuskeln ist nicht nachzuweisen, und ergab auch die Untersuchung der Lymphdrüsen des Halses und Nackens ein negatives Kesultat.

Die Inspection des Bachens zeigt eine fast vollkommene Erschlaffung des weichen Gaumens, die uvula erscheint verlängert, hängt tief nach unten, der linke arcus palatoglossus und palatopharyngeus ist weniger geschweift, anscheinend kürzer wie rechts, bei Intonation deutliche Lähmung rechts. Im Larynx ist nichts Abnormes zu sehen und fungiren die Stimmbänder normal. Sensibilitätsstörungen der Schleim- häute des Pharynx und Larynx waren nicht vorhanden. Zu diesen Er- scheinungen gesellten sich nach zwei Tagen Ohrenschmerzen, und zeigte sich das Trommelfell beiderseitig relaxirt. Die Anwendung des Eustachi'schen Catheters und des Politzer'schen Verfahrens gaben Er- leichterung. In der nächsten Nacht wurde ich nach dem Hause des Patienten gerufen, der über heftigen Stirnkopfschmerz klagte. Am 3. Februar waren die Schmerzen vergangen, und schien auch die Sprache besser zu werden. Am 16. Februar notirte ich deutlichere Sprache, noch mangelhafte Bewegung des Palatum molle, seit vier Tagen Empfindlichkeit der Zungenspitze, in der, wie der Kranke sich aus- drückte, er das Gefühl habe, als ob sie verbrannt wäre. Am 22. Februar waren alle Erscheinungen besser, doch war jetzt Taubheit in den Fingern aufgetreten. Am 15. März war noch immer grosse Schwäche in der rechten Hand vorhanden, doch Ende des Monats hatte sich der Zustand des Patienten so sehr gebessert, dass er aus der Behandlung entlassen werden konnte, und ist derselbe auch bis jetzt über Jahre gesund geblieben. Die Behandlung bestand Anfangs in kleinen Gaben Jodkali, gefolgt von Pillen aus Arsenik, Eisen und Chinin, und dem constanten Strom, abwechselnd durch beide Schläfen und Hinterkopf und Stirnbein geleitet.

Wenn wir nun nach dem Sitze der bei dem Kranken vorhandenen Affection fragen, so dürfte wohl die Annahme auf keinen Widerspruch stossen, dass die Laesion die Merkmale einer Facialislähmung bietet, und da diese doppelseitig ist, so kann man bloss an eine Kernlähmung denken. Auf welcher Ursache dieselbe in diesem Falle beruht, ob auf Rheumatismus, Infection etc., ist kaum zu entscheiden, obgleich letztere wohl ausgeschlossen werden kann.

II. Vertigo laryngis bei Hypertrophie der Zungen-

tonsille.

Patient, ein kräftiger, wohlgebauter, etwas corpulenter Mann, 43 Jahre alt, von einem befreundeten Collegen an mich gewiesen, be-

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suchte mich am 1. April dieses Jahres und machte folgende Angaben : Während er sich in jeder Beziehung vollkommen wohl fühlte, bekam er vor zehn Tagen plötzlich einen heftigen Hustenanfall mit unmittelbar darauf folgender vollkommener Bewusstlosigkeit, die jedoch seiner An- sicht nach bloss von kurzer Dauer war. Seit dieser Zeit wiederholten sich diese Anfälle mehr oder weniger heftig in ihrer Art, und so viel ihm erinnerlich, hat er bis jetzt sechs solche Attaquen gehabt. Er fiel dabei mehrere Male auf den Boden und verletzte sich auch ein Mal an der Stirne. Husten ging immer dem Anfall voraus, wenn er auch die letzten paar Male mehr aus einem Räuspern bestand, das Bewusstsein schwand jedoch stets, obwohl nur für ganz kurze Zeit. Es sei gleich hier be- merkt, dass nach dem Anfall das Sensorium des Patienten vollständig ungetrübt war, und er gleich die unterbrochene Beschäftigung oder Conversation wieder aufnehmen konnte.

Der Kranke, obwohl zur Zeit sehr aufgeregt und wegen seines Zu- standes besorgt, war nicht nervös veranlagt und besonders nicht zur Epilepsie geneigt. Seine Lebensweise war eine geregelte, doch rauchte er stark und pflegte seine Abende bei Bier oder "Wein oft länger mit seinen Freunden zuzubringen, als ihm zuträglich war. Obwohl viel im Freien thätig, war diess wohl die Ursache seiner Corpulenz, und zeigte sich auch bei der Untersuchung der Brust die Herzthätigkeit zwar regel- mässig, aber schwach. Die Lungen waren gesund, der Urin enthielt viel Phosphate. Die Inspection des Nasenrachenraumes und der Nasenhöhlen ergab nichts Abnormes, im Larynx waren die beiden Stimmbänder etwas hyperämisch, machten aber alle Excursionen der Adduction und Abduction vollkommen anstandslos und zeigten absolut keine Beeinträchtigung ihrer Functionen. Die Rachenschleim- haut war im Zustande des bei solchen Patienten zu erwartenden chronischen Catarrhs, und ausserdem fand sich an der Basis der Zunge eine beträchtliche Hypertrophie der dort befindlichen Lymphdrüsen Hypertrophia tonsillae lingualis , welche den freien Rand der Epigiottis überragten und besonders an der linken Seite dieselbe einzuklemmen schienen.

Die Diagnose wurde alsbald auf Vertigo laryngis gestellt und ausser Regelung der Lebensweise und diätetischen Verhaltungsmaassregeln in Bezug auf Nahrung, Getränke und Rauchen als einziger tangibler An- haltspunkt für die Behandlung die Zungentonsille in Angriff genommen. Nicht als ob angenommen wurde, dass ihre Hypertrophie auf einem obscuren, reflectorischen Wege direct die Anfälle von Bewusstlosigkeit hervorgerufen hätte, sondern dass dieselbe, wie die Erfahrung von andern Fällen lehrt, welche Schreiber dieses früher veröffentlichte,*) sehr oft Veranlassung zu Hustenanfällen gibt, die ebenso heftig und

*) Hypertrophy of the Tonsil of tlie Tongue. Medical Record, December 17th, 1887.

Ibidem, July 7th, 1888, p. 21.

Hyperplasia of the Lymphatic Tissue of the Pharynx and Nasopharynx. Medical News, January 19th, 1889.

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andauernd als schwer zu heilen sind, wenn die richtige Ursache nicht erkannt wird. Ausserdem erhielt der Patient als einzige innerliche Medication Asa foetida und Zincum valerianicum. Die Localbehandlung war einigermaassen ersehwert durch die enorme Keizbarkeit der Rachen- parthieen des Patienten sowohl als durch seine Angst, dass das durch die Manipulationen ausgelöste Würgen einen Husten und damit Schwindelanfall hervorrufen könne. Jedoch trat nur mehr ein Anfall am 3. April auf, und nach dreimaliger Application der Galvanocaustik und wiederholten Pinselungen mit LugoPscher Lösung wurde der Patient am 17. Mai als genesen entlassen. Ich sah ihn seit dieser Zeit bloss ein Mal wieder am 2. Juli nachdem er viel geraucht hatte, und klagte er über häufiges Räuspern, was ihm Eingenommenheit des Kopfes und ein rasch vorübergehendes Gefühl von Unsicherheit verursachte und ihn eine Wiederkehr der Anfälle befürchten machte. Die letzte Nachricht von dem Patienten war ein Brief im September geschrieben, in dem er sagt, er befinde sich anscheinend ganz wohl, aber jeder Excess, den er begehe, wäre eine Warnung für ihn, die ihn zur Vorsicht und Enthaltsamkeit auffordere.

Nach meiner Anschauung ist diejenige Erklärung des Symptomen- complexes der Krankheit die befriedigendste, welche zuerst von McBride gegeben und auch von L. Browne und F. I. Knight getheilt wird. Im Gegensatz zu Andern, welche diese Affection in eine Parallele mit dem Menier'schen Schwindel setzen oder als eine vom Kehlkopf ausgehende Epilepsie auffassen, glauben diese Autoren, dass in den der Krankheit eigenthümlichenHustenparoxysmen ein krampfhafter Schluss derGlottis nach einer vollen Inspiration stattfindet, und dass ferner durch diesen Krampf ein vermehrter intrathoracischer Druck ausgeübt wird, der durch verminderten Blutabfluss zum Herzen und durch Compression der grossen Gefässe eine gestörte Circulation in den cerebralen Gefässen und dadurch Syncope hervorruft. Eine Analyse der übrigen bei dem Leiden in Frage kommenden Punkte ist schon von andern Autoren, besonders Knight, so vollständig gegeben worden, dass ich nur bereits Bekanntes wiederholen müsste. Ich will hier nur erwähnen, dass mit einer Ausnahme alle Patienten Männer zwischen 35 und 70 Jahren waren, und dass die objectiven Localsyraptome im Ganzen sehr spärlich sind : Larynxhyperämie wurde gefunden in 6 Fällen, granulöse Pha- ryngitis in 1 und Yaricen an der Zunge in den 3 Patienten von Browne. Unser Patient ist sonach der vierte Fall, in dem eine Affection der Zungenbasis und der erste, bei dem eine Hypertrophie der Zungenton- sille Hustenanfälle mit solchen Consequenzen auszulösen im Stande war.

In der dem Schreiber zugänglichen Literatur fand er 25 Fälle von Vertigo Laryngis verzeichnet. Der Fall von Sommerbrodt (Berliner Klinische Wochenschrift, 25. September 1876), in welchem ein Larynx- polyp Anfälle von Bewusstlosigkeit und Convulsionen hervorrief, die nach seiner Entfernung cessirten, ist hier nicht mit inbegriffen.

Bibliographie.

Charcot, M.: Couiptes rendues des sceances et memoires de la societe de biologie, Paris 1876, p. 336 (2 Fälle .—Gasqw.t, J. R.: Note on a case of laryngeal vertigo. The Practitioner, August,

513

1878. - Charcot, M.: Du vertige larynge. Le Progres medical, No. 17, April 26, 1879 (2 Fälle).— Krishaber, M.: La glotte au point du vue des troubles respiratoires nerveux chez l'adulte. Annales des maladies de l'oreille et du larynx, 1882, p. 182.— Gray, L. C: Laryngeal vertigo. American Journal of Neurologie and Psychiatry, Vol. 1, 1882, p. 588.— Lefferts, G. M.: New facts in Laryngology. Transactions American Laryngological Association, 1883, p. 5 (2 Fälle)« —McBride, P.: A rare form of laryngeal neurosis. Edinburgh Medical Journal, March 1884, p. 790.— Russell, J. : A rare form of laryngeal neurosis. Birmingham Medical Review, Voi. XVI., p. 71, 1884.— Massei, F.: Tre casi di vertigine laringea. Giornale internazionale delle science mediche, 1884, p. 192.— Knight, F. I.: Laryngeal vertigo. Transactions American Laryngolog- ical Association, 1886. p. 34 (2 Falle).— Browne, Lennox : The Throat and its Diseases. London : Bailiiere, Tindali & Cox, 1887, p. 484 (3 Fälle).— Tkermes, G.: Deux observations de vertige larynge dans la coqueluche chez les viellards. Journal de Medecine de Paris, June 19, 1887, p. 936. (Da der dem Vortrag folgenden Discussion wurden noch zwei ähnliche Fälle von Laburthe und einer von C. de Gassicourt erwähnt.)— Weill, E.: De l'ictus larynge. La Province medicale, Octobre 3, 1887.

117 Second Avenue.

III.

Zur Kenntniss des gelben Fiebers.

Von

Dr. Arnold Stub,

Brooklyn. (Schluss.)

Zwei meiner wiedergenesenen Patienten boten Erscheinungen im Verlauf ihrer Erkrankung dar, die man als ein viertes Stadium be- zeichnen könnte : Das Erbrochene verlor seine schwarze Farbe und sah man statt dessen rothe Streifen, und ausserdem stellten sich Blutungen aus der Lunge, der Nase, dem Darm und den Nieren ein. Dabei nahm die Haut eine tief-orange Färbung an. Die Haematurie verschwand in einem Fall nach stündlichen Gaben von 30 Tropfen der Tinctura ferri muriat., und in dem anderen auf Squibb's Lig. ferri persulf. Die übrigen 10 Fälle mit schwarzem Erbrechen, welche genasen, gesundeten schneller als die Patienten, welche niemals erbrachen.

Die tödtlich verlaufenden Fälle endeten meist am 4. oder 5. Krankheitstage. Mehrere Patienten jedoch starben erst nach 3 oder 4 Wochen im typhoiden Stadium an Herzschwäche. Der folgende Fall mag hier ob seines eigenen Verlaufs wegen erwähnt werden : Corporal Charles Johnston erkrankte am 27. August mit den gewöhnlichen Symp- tomen. Behandlung : Heisse Bäder, Chinin, Calomel, Ol. Bicini und kohlensaures Wasser ad libitum. Am 3. Tag hörte das Erbrechen auf, der Puls wurde weicher und langsamer, und die Hauttemperatur erschien normal. Nun trat jedoch in den folgenden Tagen grosse Schwäche ein, dabei bestand aber kein Fieber, Stuhlgang war normal, und da Patient sonst keine Schmerzen oder Beschwerden hatte, ver- langte er fortwährend entlassen zu werden. Patient fing nun auch an, trotz reichlicher Diät und Stimulantien, stark abzumagern, seine frühere Lebhaftigkeit machte einer tiefen Melancholie Platz und am 4. Sep- tember zeigten sich kleine Furunkel auf der Körperoberfläche und am 8. war Patient mit eiternden Geschwüren fast bedeckt. Trotz ener-

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gischer Stimulation und roborirender Diät starb der Kranke am 12. Sep- tember an Entkräftung und Herzschwäche.

In 5 Fällen trat Endocarditis als Nachkrankheit des gelben Fiebers auf. Drei Patienten bekamen Eecidive binnen fünf Wochen und waren die zweiten Anfälle stets heftiger als die ersten. Ein Patient bekam Phthise und starb fünf Monate später daran. Ein anderer wurde durch im Fieber acquirirte Nyktalopia dienstuntauglich und wieder ein anderer bekam nachher Hepatitis. Da ich der einzige Arzt im Hospital damals war, so blieb mir leider keine Zeit übrig Sectionen vorzunehmen.

Die Behandlung der an gelbem Fieber Erkrankten war damals ungefähr folgende : Gleich nach der Aufnahme in's Hospital wurde Patient in ein heisses Senfbad gelegt und bekam dann Ol. ricini §i (30,0) mit 10 Gran (0,66) Calomel. Diese Mittel zusammen gegeben hielt ich für zweckmässiger als wie nacheinander, da so weniger kostbare Zeit verloren ging, und wurde (uach damaliger Anschauung) so das System für die prompte Assimilation des später zu gebenden Chinin vorbereitet.

Im Anfange der Epidemie gab ich kleine Gaben von Chinin, etwa 5 Gran (0,33) alle zwei Stunden, da mir aber in kurzer Keihenfolge unter dieser Behandlung 10 Patienten hinter einander starben, so griff ich zu grösseren Dosen. Von nun an bekam ein Patient 20 30 Gran (1,66 2,0) Chinin alle 2, 3 oder 4 Stunden bis 60 oder auch 80 Gran verbraucht waren. Trat nach 80 Gran Chinin (5,66) keine günstige Wirkung ein, so wurde das Mittel nicht weiter gebraucht, indem es als überflüssig oder gar als schädlich betrachtet wurde.

Bei hartnäckigem Brechreiz wurden statt Bicinus und Calomel gelegentlich Crotonöl und Klystier benutzt. Heisse Getränke, nament- lich grössere Quantitäten Thee, wurden nach dem Bade zur energischen Schweissproduction verabreicht. Gelegentlich wurden auch Einrei- bungen des Körpers mit Chinin und Alcohol angewandt. Zwölf Patienten habe ich mit Priesnitz'schen Einpackungen behandelt, da die Haut derselben nach dem Bade heiss und trocken blieb. Von diesen starben nur zwei.

Bei drohendem Collaps gab ich Klystiere mit Cognac und liess den ganzen Körper in grosse Sinapismen wickeln. Aqua calcis in Milch und in einzelnen Fällen Creosot milderten den Brechreiz häufig. Die besten Erfolge jedoch in dieser Eichtling habe ich von Capsicutn gesehen.

MEDICINISCHB MONATSSCHRIFT.

Organ für pi actische Aerzte in Nord- Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBERT. i i

Eine ideale Heilstätte,

Am 7. Mai dieses Jahres wurde in Baltimore ein Hospital eröffnet, dessen Entstehung so interessant, dessen Einrichtung so durchweg den neuesten Anforderungen der Gesundheitslehre und Heilkunde ent- sprechend, und dessen Existenz so epochemachend für die medicinische Zukunft dieses Landes sein wird, dass es wohl hier am Platze ist dem- selben eine nähere Besprechung zu widmen.

Johns Hopkins, ein in Maryland geborener Quäker, Junggeselle und Millionär, war sich wohl bewusst, dass die Universität die er nach euro- päischem Muster plante, ohne eine der Heilkunde würdige Abtheilung sehr unvollkommen sein musste. . Und so übermachte er seinen Testa- mentsvollstreckern eine Summe, deren Zinsen nicht allein genügten, siebenzehn Hospitalgebäude auf 14| Acker Land herzustellen und ein- zurichten, sondern auch um durch vernünftige Anlage des Capitals noch 113,000 Dollar dieser Zinsen übrig zu behalten. Der Präsident des Verwaltungsrathes, Francis T. Kmg, berichtet in seiner Ansprache bei der Eröffnungsfeier, dass Hopkins „seinen Reichthum als ein Ge- schenk betrachtete, für dessen Verwendung er verantwortlich sei ; *'ass derselbe sich aus Wenigem ihm selbst fast unbewusst entwickelt habe, dass er aber sicher sei, dass derselbe ihm zu einem bestimmten Zweck gegeben wurde, und ihm wohl vergönnt sei die Nutzanwendung des- selben zu erleben." Und als seine Vertrauensmänner ihn um seine Begleitung bei einer Inspicirung der Hospitäler von Philadelphia, New York und Boston ersuchten, antwortete er : „Sie dürfen mich sicher nicht so im Land herumparadiren. Es würde mir auch nicht einen Augenblick lang einfallen mitzugehen ; es würde das zum wenigsten von mir sehr schlechten Geschmack zeigen. Ich habe meine Bevoll- mächtigten sorgfältig ausgesucht und ihnen Alles überlassen. Ich gebe die Mittel und sie müssen das Hospital bauen."

Bezüglich des Planes gab Hopkins nur folgende Anordnung : ,, Es ist mein Wunsch, dass der Plan einem Hospital gelte, welches sich in seiner Structur und seiner Einrichtung jeder anderen Anstalt ähnlichen Characters in diesem Land und in Europa würdig vergleichen kann." Und das darf das „Johns Hopkins Hospital" zum wenigsten, denn der Verwaltungsrath hat es sich zur Aufgabe gemacht das beste Hospital der Welt zu bauen, und wir zweifeln nicht daran, dass er seinen Zweck erreicht hat.

Die Gebäude stehen auf einer Anhöhe von welcher man den grössten Theil Bai timore's übersehen kann. Der Platz wurde noch von Hopkins

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selbst ausgesucht. Die Pläne zum Bau und zur Einrichtung wurden erst nach sorgfältiger Inspicirung der besten Hospitäler Amerika's und Europa's fertiggestellt. Wenn wir nicht irren war es der Pathologe William H. Welch, der die europäischen Anstalten besuchte.

Die Vorderansicht wird durch das Hauptgebäude, in dem die Ver- waltung, die Wohnungen der Aerzte, Versammlungszimmer, Biblio- thek und die Wohnungen des Wartpersonals untergebracht sind, und an beiden Seiten von Krankenhäusern für Privatpatienten eingenommen. Nach Hinten erheben sich dann auf beiden Seiten je 4 grosse Pavillons für arme Kranke. Alle Gebäude sind durch geheizte Gänge verbunden, welche dasselbe Baumaterial (Stein und Eisen) enthalten, wie die Vorder- gebäude. An der Nordseite erhebt sich das pathologische Institut mit completer Einrichtung für bacteriologische Arbeit. Ein anderes Ge- bäude enthält Operationszimmer und Hörsaal und wieder ein anderes Warte- und Sprechzimmer für ambulante Kranke, Dispensary, eine An- stalt allein für sich. Da eine Wärterinnenschule mit dem Hospital ver- knüpft ist, so ist in geradezu verschwenderischer Weise ein eignes Gebäude für die Zöglinge errichtet, dessen Einrichtung mit Esszimmer und Parlors fast verwöhnend wirken könnte. Das Maschinenhaus ent- hält 6 Kessel mit 6 Feuern, welche die Erhitzung des Wassers besorgen und dasselbe in alle Gebäude zum Zweck der Heizung treiben. Die zur Heizung, sowie überhaupt alle zur Wasserleitung und Abfallsleitung dienenden Köhren sind derartig angebracht, dass jede an allen Punkten übersehen werden kann.

Die Einrichtung der Krankensäle ist bezüglich der Ventilation, der Betten und des Materials die denkbar beste. Ecken gibt es überhaupt nirgends, indem alle Nischen des Fussbodens u. s. w. abgerundet sind. Jeder Gegenstand kann in ausgiebigster Weise gewaschen werden.

Auf weitere Einzelheiten hier einzugehen verbietet theils der Kaum, theils auch die Unkenntniss derselben, da ein nach wenigen Stunden abgemessener Besuch nur einen Ueberblick gestatten konnte.

Dieses Hospital ist zweifellos dazu berufen bahnbrechend den Beweis hier zu Lande zu liefern, dass eine Lehranstalt der alle Mittel zu Gebote stehen dem Lehrenden und Lernenden allein das bieten kann, was die moderne Wissenschaft erheischt, und allmähg zu bewirken, dass die Unmenge der medicinisclien Schulen dieses Landes, mit ihren jämmer- lichen Zuständen bald zu den Dingen gehören die da waren und nie wiederkehren.

Zur Curpfuscherei der Apotheker.

Unsere Bemerkungen über diesen Gegenstand in der letzten Nummer der ,,Med. Monatsschrift", haben in den pharmaceutischen Fachblättern New York's („Deutsch-Amerikanische Apothekerzeitimg" und „Phar- maceutische Rundschau") so ausführliche Besprechungen hervor- gerufen, dass es geradezu unmöglich ist, hier auf alle Einzelheiten einzu- gehen. Es genügt, wenn wir, um die Berechtigung unserer Bemerkungen zu beweisen, folgende Citate hervorheben :

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„Deutsch- Amerikanische Apothekerzeitung" : „Wir unserseits haben wiederholt unser Bedauern darüber ausgesprochen, dass der amerika- nische Apotheker, mehr als der anderer Länder, dadurch vielfach mit dem Arzt in Collision geräth, dass er durch geschäftliche Verhältnisse und hauptsächlich durch den Willen seiner Kundschaft bewogen wird, einfache und harmlose Mittel auf eigene Hand abzugeben." „Alle diese Verrichtungen gehören streng genommen nicht in die Wirkungssphäre des Pharmaceuten, der jedoch weiss, dass wenn er sie von sich weist, er dies zu seinem grössten Schaden thut." „Nur durch gemeinsames und

einmüthiges Streben der durch den Uebelstand betroffenen Stände,"

„kann diese Frage einer allseitig befriedigenden Lösung näher gebracht werden."

„Pharmaceutische Rundschau" : „Bei hinreichenden Kenntnissen, Beobachtungsgabe und natürlicher und practischer Anlage gewinnt der Apotheker ein Maass von Kenntnissen und Erfahrung, die nicht ver- fehlen können, ihn zu der Vertrauungsstellung, welche ihm das Pub- likum mit richtigem Urtheil meistens darbringt, und zu der ver- langten Dienstleistung als sachverständiger Kathgeber bei der Wahl und Anwendung von sogenannten Hausmitteln und dem Gebrauche von Heil- und diätetischen Mitteln, wie sie das Publikum meistens selbst wählt, zu qualificiren und zu berechtigen." „Dass das Publikum im Verlangen nach Berathung und Beistand oft mehr verlangt, als die therapeutischen Kenntnisse und die Erfahrung der Mehrzahl der Apotheker zu leisten vermögen, steht auf demselben Niveau, wie das Vertrauen auf die Hülfe des bekannten oder unbekannten Arztes, sowie auf die Heilkunde selber." „Die Heilkunst ist kein ausschliess- liches Privileg einer Beruf sclasse"*)

Aus diesen Angaben geht hervor : 1. dass Kranke von Apothekern behandelt werden, und nur hiervon war die Rede, nicht vom Hand- verkauf und der Selbstbehandlung der Patienten ; 2. dass die „Deutsch- Amerikanische Apothekerzeitung" mit uns diese Thatsache bedauert und als „Uebelstand" betrachtet und „gemeinsames und einmüthiges Streben der betroffenen Stände" als Heilmittel anerkennt, genau wie wir gerathen ; 3. dass die „Pharmaceutische Bundschau" in ihrem (übrigens 9 Druckspalten langen) Artikel, in dem Sätze von 86, 93 und 96 Worten paradiren dem Apotheker therapeutische Kenntnisse und Erfahrung nicht allein, sondern auch die Berechtigung zur Kranken- behandlung zuschriftstellern will, und somit gerade das zu vertheidigen sucht, was ihre Collegin mit „Bedauern" als „Uebelstand" bezeichnet.

Schon die Langathmichkeit dieser Vertheidigung spricht deutlich für die Unhaltbarkeit der Stellung des pharmaceutischen Piimd- schauers. Seine Annahme, dass ein Pharmaceut in der Apotheke Heilkunde erlernen könne, ohne auch nur eine blasse Ahnung von

*) Diese Citate sind wortgetreu. Verdrehungen und falsche Schlussfolge, rungen haben wir ebenso wenig nöthig in einer Besprechung als wie das Unter- schieben von Worten, wie z. B. „Theekesselweissheit", die niemals gebraucht wurden.

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Pathologie zu haben, ist sehr bescheiden, und übertrifft ja noch bei Weitem die von ihm so sehr betonte Methode der ärztlichen Ausbildung in diesem Lande.

Die vermeintliche Berechtigung zur Ausübung der Heilkunde der Apotheker, deducirt die „Pharmaceutische Rundschau" aus der man- gelhaften Ausbildungsmethode der hiesigen medicinischen Lehran- stalten und der entsprechenden Mangelhaftigkeit ihrer Producte. Wie aber eine Unkenntniss der Aerzte in Pathologie, Diagnostik und The- rapie, die Befähigung und Berechtigung zur Heilkunde einer anderen Berufsclasse (ob Advocat, Musiker, Schauspieler oder Apotheker ist einerlei) bedingen soll, ist eins von den vielen räthselhaften Denkungs- erzeugnissen der „Pharmaceutische Rundschau", welche wohl ewig ihrer Lösung harren müssen. Der Apothekerstand ist so achtbar wie der des Arztes, aber seine Stellung verliert an Ansehen und Werth genau entsprechend den Uebergriffen seiner Vertreter in die Berufsthätigkeit der Aerzte. Wird dieses Uebergreifen aber an leitender Stelle nicht allein gebilligt, sondern sogar ob der angeblich höheren Intelligenz der Apotheker als vollberechtigt erklärt, so kommt das Ansehen des ganzen Standes dadurch in Gefahr den Ruf lächerlicher Anmaassung auf sich zu laden. Das „Russische" derartiger Zustände hier, von dem wir früher sprachen, wird dadurch wiederum bewiesen, ebenso wie durch die Thatsachen, dass die " Medical Coroner's- Juries " noch aus Aerzten und Apothekern bestehen, und dass das Gesetz hier jedem Arzt ver- bietet je Präsident der Gesundheitsbehörde zu werden.

Ganz entgegengesetzt der Anschauung der „Pharmaceutischen Rund- schau", welche den Apotheker zum rathgebenden Vertrauensmann des kranken Publikums macht, sind wir der bescheidenen Meinung, dass diese Stelle dem Arzt allein gebüjirt und auch in allen civilisirten Ge- meinwesen und Gesellschaftsclassen längst gehört. Zur Erweiterung des Gesichtskreises der „Rundschau" empfehlen wir ihr das Lesen der Ansprache von Dr. A. Jacobi, die er am 2. d. M. bei der Grundstein- legung des neuen Gebäudes der "New York Academy of Medicine" hielt und deren autorisirte wortgetreue Uebersetzung sich auf Seite 519 dieser Nummer befindet. Nach dieser Autorität ruht das leibliche Wohl des Einzelnen, sowie das des ganzen Gemeinwesens, unter allen Umständen und in allen Verhältnissen, in den Händen des Arztes und des ärztlichen Standes (von Apothekern wird nicht gesprochen). Unser Stand kehrt demnach nicht allein nur vor seiner eigenen Thür, sondern er erfüllt auch nur einen kleinen Theil von solchen seiner Berufs- pflichten, die so viel höher stehen als Mixturen zu verschreiben, wenn er darüber wacht, dass die Heilkunst nur von Denjenigen ausgeübt werde, welche dazu gesetzlich berechtigt sind. Mag dem Stand oder dem Einzelnen das hämisch und gehässig gedeutet werden, es wird dem Arzt der seinen Beruf kennt und schätzt ebenso wenig hindern auch hier voll und ganz seine Pflicht zu thun, als offene und verdeckte An- spielungen auf die „Unklugheit-' solchen Vorgehens. Wir sind der festen Ueberzeugung, dass er der moralischen Unterstützung der

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Besten sowohl aus dem Stande der Apotheker als wie dem der Aerzte sicher sein kann.

Auf die persönlichen Unliebenswürdigkeiten unserer Kritiker einzu- gehen, verbietet uns der gute Ton der diesem Blatt Gesetz ist. Im Be- wusstsein unsere Pflicht zu erfüllen und, trotz aller gegenteiligen Be- hauptungen, in der besten Absicht rein sachlich ohne verletzen zu wollen gehandelt zu haben und noch zu handeln, bleiben wir bei dem Motto : „Schuster bleib' bei deinem Leisten."

Die Heilkunst ist das ausschliessliche Privilegium einer Beruf sclasse in civilisirten Gemeinwesen.

Ansprache bei der Grundsteinlegung des neuen Gebäudes der New York Academy of Medicine, am 2. October 1889.*)

Von

Dr. A. Jacobi,

Ex-Präsident der Academy of Medicine.

Die New York Academy of Medicine hat zugleich das Publikum und die Vertreter des ärztlichen Standes eingeladen, um dieser Grundstein- legung beizuwohnen. Wir nehmen an, dass da, wo wir jetzt stehen, auf Generationen hinaus die Heimath der Academy sein wird. Irren wir uns in dieser Annahme, so wird es die angenehme Pflicht unserer Nachfolger sein, für ihre Bedürfnisse selbst zu sorgen. Dass solches eintreten kann, ist leicht möglich, denn das Wachsthum der Academy ist ein sehr schnelles gewesen. Vor 43 Jahren wurde dieselbe gegründet, eiüige Dutzend Jahre hielt sie ihre Versammlungen in gemietheten Bäumen ab, vor zehn Jahren bezog sie ihre eigene Wohnung in No. 12 West' 31. Strasse, heute bereiten wir Käumlichkeiten vor, wie sie die Aerzte New York's oder irgend einer andern Stadt dieses Landes bisher noch nicht besassen. Unterdessen sind die Ziele und der Geist der Academy dieselben geblieben. Unter diesen Bestrebungen befinden sich die Pflege der wissenschaftlichen Medicin und die Förderung der öffentlichen Gesundheit.

Nach dem Wortlaut eines Circulars, welches vor zwei Jahren bezüg- lich unseres Baufond gedruckt wurde, wird dieser Zweck „durch Vor- träge und Discussionen in den Hauptversammlungen der ganzen Gesellschaft und in den einzelnen Sectionen erreicht, sowie auch durch den Unterhalt von Lesezimmern, welche fast alle medicinischen Journale der Welt enthalten, und durch das Sammeln einer Bibliothek, welche bis jetzt 60,000 Bücher und Pamphlete enthält und deren Einsicht und Benutzung allen Aerzten und dem Publikum frei zur Verfügung stehen." Die Anzahl unserer Mitglieder beträgt nahezu 600. Letztere wurden aus der Mitte der Aerzte ausgewählt, welche seit drei oder mehr Jahren in New York practiciren.

In ihrer Zusammensetzung nimmt die Academy an vielen der eigenthümlichen Einrichtungen unserer politischen Organisation theil und bezweckt durch dieses Zusammenwirken das Wohl aller Bürger, und wenn nicht aller, so doch das der besten. Unter einer Aca- demie der Medicin versteht man in Europa eine kleine Körperschaft, welche nur wenige Auserwählte enthält, ernannt durch diese Körper- schaft selbst oder durch die politischen Machthaber. So bilden diese Academien eine Aristokratie des Geistes entsprechend der Aristokratie der Geburt, mit all' ihrer Exclusivität und wirklichen oder scheinbaren Erhabenheit. Sie sind daher nur repräsentative Körperschaften inso-

*) Autorisirte Uebersetzung der Eedaction.

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fern, als erwartet wird, dass die besten Denker und wissenschaftlichen Arbeiter ihre Sitze einnehmen.

Die New York Acaderay of Medicine aber ist eine demokratische Institution. Ihre Mitgliederzahl ist nicht beschränkt, im Gegentheil, es ist wünschenswerth, dass sich alle anständigen Aerzte unter ihrem Banner versammeln. Wie unser politisches Gemeinwesen, sucht sie ihre Weiterentwicklung und ihre Erfolge in dem Zusammenwirken fähiger und gebildeter Massen. Wie die Nation selbst, ist auch sie eine Verbindung Gleichgestellter, welche ihre eigenen Gesetze machen und denselben gehorchen, eben weil sie dieselben selbst geschaffen.

Die Mitglieder haben gleiche wissenschaftliche und standliche Inter- essen. Nicht trotz, sondern eben ob ihrer unabhängigen und demo- kratischen Verfassung, möchte ich sagen, ist der Fortschritt der Academy, trotz solcher Schwankungen zum Guten und Bösen die allem Organischen eigen sind, ein erfreulich stetiger gewesen. Nach dem Wortlaut des schon oben erwähnten Circular's, „steht die Academie mit keiner medicinischen Lehranstalt oder Sekte in Verbindung. Sie unterhält sich selbst und wird im Interesse des ganzen medicinischen Standes geleitet. Sie bezahlt kein Gehalt und bringt keinerlei indivi- duelle oder private Vortheile. Sie wird weder von Stadt noch Staat weder unterhalten noch unterstützt. Was sie auch geleistet hat, ob ihre wissenschaftlichen Arbeiten, welche meist in ihren veröffentlichten Verhandlungen und in den medicinischen Journalen des Landes ver- zeichnet sind ; ihre jetzige Halle in der West 31. Strasse ; ihre Bibliothek und Journalsammlung in den oberen Stockwerken ; ihren Keichthum an Büchern und Zeitschriften, welche allen Lernbegierigen zur Ver- fügung stehen und die so zahlreich sind, dass sie uns allein schon zwingen, geeignetere Käumlichkeiten auszusuchen alles das ist, mit geringen Ausnahmen, durch die Energie und durch die pecuniären Opfer der Äerzte selbst in's Leben gerufen worden.

Alle Classen unseres Standes sind in der Academy vertreten. Sie zeigt Ihnen eine Auswahl solcher, welche sich thatkräftig der Förderung der medicinischen Kunst und Wissenschaft widmen ; Andere, welche sich internationalen Ruf erworben ; Andere, welche dem Gemeinwesen durch ein Leben voll dem Gemeinwohl geleisteter Dienste nützten, und auch Solche, deren Zukunftsträume sich erst durch jahrelange ehrliche Arbeit, in Theorie und Praxis erfüllen können.

Ein anderes Merkmal der Zusammengehörigkeit, welche unseren Stand mit dem Gemeinwesen unauflöslich verknüpft, ist der für den Einzelnen wie für Alle geleistete Dienst. Es sind gerade diese Arbeiten und deren Erfolge, für welche das Volk im Allgemeinen ein tiefes Interesse haben sollte. Die moderne Medicin ist vermuthlich die gross te Wohlthäterin der Menschheit. Je mehr die Medicin sich auf das Stadium der exacten Wissenschaften (Chemie, Physik und Physio- logie mit Mathematik) stützt, desto mehr vergrössert sich das Feld ihrer Nützlichkeit. Je anscheinend entwickelter ihre Theorie, desto grösser wurde ihr Werth und ihr Ansehen. Und thatsächlich steigt ja das An- sehen einer Wissenschaft und ihres Studiums mit ihrer Fähigkeit sich im Dienst der Menscheeit nutzbar zu machen. Das Fördern der medi- cinischen Wissenschaft und Kunst bedeutet jedoch nicht allein ver- besserte Diagnostik und Behandlung mittelst Arzeneien und anderen Mitteln, sondern namentlich auch die Entdeckung der besten Mittel und Wege, um den menschlichen Körper in den bestmöglichsten Zu- stand zu versetzen. Die Leistung des Arztes ist nicht damit beendigt, Sie durch eine schwere Erkrankung zu geleiten, er leistet Ihnen den viel grösseren Dienst, obzwar weniger vortheilhaft für ihn selbst, indem

Ihr Krankwerden verhütet.

Die eigentümlichen Beziehungen zwischen dem einzelnen Arzt und

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seinem Patient oder der ihm anvertrauten Familie erweitern sich zu den Beziehungen zwischen dem ärztlichen Stand und dem Publikum. Grosse Epidemien treten an Stelle des Einzelfalles, die Behütung des . Gemeinwesens an Stelle der Beschützung des Einzelnen, die Hygiene der Schule statt der des Hauses, das Sanitätswesen der Grossstadt an Stelle der Besichtigung einer verdächtigen Hauskloake. Je mehr das ärztliche dem militärischen und politischen Element in Ihrem Gesund- heitsamt überlegen ist, von desto grösserem Nutzen wird es dem Volke sein. Die Hygiene der ganzen Bevölkerung, die Aufsicht über öffent- liche Gebäude in welchen viele Menschen, junge und alte, sich versam- - mein, öffentliche Hospitäler, Quarantainestationen, die Fragen physischer und geistiger Erziehung, der gesetzlichen Verantwortlichkeit, der staat- lichen Irrenpflege, sie alle gehören unter die Controlle des ärztlichen Standes. Dies ist nicht lediglich Theorie. Keine ernste derartige Frage ist je hier aufgetaucht, ohne die freiwillige und freigiebige Hülfe der Aerzte. Das Gesundheitsamt der Stadt hat dieses längst gewürdigt, Alien demselben unterstellten Hospitälern gab die Academy einen aus ihrer Mitte ernannten mehrstimmigen Beirath. Ein Committee der Academy wurde mit der Untersuchung und Berichterstattung über die Hafenquarantaine betraut. Seinem Bericht verdanken wir die Bewil- ligung zum Umbau der Station und ebenso die Verbesserungen, welche eben angebracht werden. Derartig verhütet der ärztliche Stand das Einschleppen von Epidemien und beschützt so die physische Gesundheit und die ökonomischen Interessen der Stadt. Man bedenke nur den pecuniären Verlust den die Stadt vor einem und vor zwei Jahren durch die Furcht vor der Einschleppung der Cholera und des gelben Fiebers erlitten hätte, wenn nicht die Aerzte rechtzeitig die Gefahr abwendeten. Die Panik einer Woche hätte einen Geldverlust von vielen Millionen zur Folge gehabt.

Dieses sind bloss wenige der Beispiele von dem Werth der ärztlichen Dienste, welche, bezahlt und unbezahlt, dem Gemeinwesen geleistet wurden. Die Gesundheit der Stadt ist die Grundlage ihrer Wohlfahrt. Man lasse Epidemien auftreten, und dann werden nicht allein Ihre Kinder sterben, Ihre Familien verkleinert und Ihre Friedhöfe mit Stätten angefüllt werden in welchen sich Blumen mit Thränen tränken, sondern Ihr Verkehr wird sich auch anderen Häfen zuwenden. Man muss es dem besseren Wissen und der erhöhten Thätigkeit des ärzt- lichen Standes, amtlich wie privat, zuschreiben, dass trotz der unverän- derten Heftigkeit der epidemischen Krankheiten und dem sehr raschen Waciisthum der Bevölkerung dieser Stadt die Anzahl der Erkrankungen an Diphtherie eine wirkliche Abnahme erfahren hat.

Solcher Art unter vielem, sind die Dienste des ärztlichen Standes hier, von der freiwilligen Arbeit die von Hunderten von Medicinern tagtäglich in Hospitälern und Dispensaries umsonst geliefert wird, gar nicht zu reden. Niemand könnte berechnen, aber Jedermann sollte es zu würdigen wissen, wie viele Menschenleben so erhalten werden, wie viele Millionen derartig den Armen wie den Reichen erspart bleiben. Ent- sprechend dieser Anschauung schenkte eine grossherzige, mildthätige Frau *) der Academy fünfundzwanzig Tausend Dollars, in Anerkennung der vom ärztlichen Stande geleisteten gemeinnützigen Dienste, und entsprechend der Achtung die ihr verstorbener Gemahl dem ärztlichen Stande zu Lebzeiten zollte. Derartiger Erwägung verdanken wir das Vermächtniss von siebzig Tausend Dollars aus dem Nachlasse der Frau

*) Frau "Woerishoefer, die Tochter der Frau Anna Ottendorfer, welche dem Deutschen, Dispensary seinen Prachtbau und dem Deutschen Hospital einen grossen Pavillon für kranke Frauen schenkte, und deren Vater, Herr Oswald Ottendorfer, eben eine grossartige Anstalt für alte Leute und chronische Kranke errichtet. (Anmerk. d. Ked. )

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Alexander Hosack, welche einen wesentlichen Theil ihres Lebens mit leuchtenden Beispielen wissenschaftliehen Werthes schmückte. Der- selbe Gedanke beherrschte die Männer und Frauen, deren Yermögen, Wissen und Gemeinsinn sie dazu leiteten, der Acaclemy Summen von fünf, zwei und Tausend Dollars zu schenken. Alles was zur Fertig- stellung dieses Gebäudes noch nöthig ist, sind fünfzig Tausend Dollars. Es müssen Viele existiren, welche diese Summe oder einen Theil der- selben ihrem Interesse am ärztlichen Stande erübrigen können ; ob nun um das Andenken eines lieben Todten zu ehren, oder um seinen oder ihren Namen ein sicher erlaubter Ehrgeiz einer der Hallen des neuen Gebäudes zu geben, oder gar um den Namen einer Person zu verewigen, welche vor einem frühen Grab durch einen von Denjenigen bewahrt wurde, welche sich jetzt bemühen der practisch-wohlthätigsten aller Wissenschaften und Künste eine Heimath zu errichten.

Wir wünschen nicht allein ein Haus, sondern eine Heimstätte zu be- sitzen, wozu vor allen Dingen eine Bibliothek gehört. Letztere ist unserem Stand was das Werkzeug dem Handwerker, die Maschine dem Maschinist, das Fernrohr dem Astronomen. Eine vollständige Biblio- thek vertritt die Gedanken, die Erfahrung, das Genie und die Ent- deckungen sowohl aller verflossenen Jahrhunderte als auch der Gegen- wart. Alle diese Schätze müssen sich im Bereich des Standes befinden dessen Können und Wissen die Beschützer der theuersten Interessen des Volkes sein sollen. Um das zu erreichen muss die medicinische Literatur aller Länder beitragen. New York war bisher noch nie mit Mittelmässigem zufrieden ; sich einem Stand anzuvertrauen dem die besten Quellen des Wissens und der Belehrung fehlen könnte ihm theuer zu stehen kommen.

Warum besteht man auf der Gelehrsamkeit der Aerzte ? Frage ich etwa warum Sie sich an einen bestimmten Uhrmacher, Maschinisten, Architekten oder Damenschneider wenden ? Sie suchen ihn auf weil Sie seiner Fähigkeit vertrauen. Und der Arzt? Seine Thätigkeit be- steht in der Anwendung des Wissens, das er durch angestrengte geistige Arbeit, die er auf die angesammelte Weisheit und Erfahrung von dreissig Jahrhunderten verwandte, erwarb. Ein gelehrter Arzt mag aus verschiedenen Gründen ein erfolgloser Heilkünstler sein, aber sein Wissen war in keinem Fall schuld daran. Ein Unwissender ist niemals ein guter Arzt ; unter gleichen Bedingungen ist der gelehrtere stets der bessere Heilkünstler. Praxis und Gelehrsamkeit schliessen sich nicht gegenseitig aus ; im Gegentheil, erstere hängt von letzterer ab. Es sollte Ihnen bei der Wahl Ihres Arztes nicht genügen, dass Sie ihn im Wirthshaus, bei Ball oder Concert, bei einer kirchlichen Versamm- lung, beim Kartenspiel oder auf einer Hotelverandah kennen lernten, oder weil er sich gut kleidet, stets freundlich ist und sich Ihren Freund nennt ; es sind dieses alle gute Gelegenheiten und angenehme sociale und persönliche Eigenschaften, welche alle mit in Betracht gezogen werden können, vorausgesetzt, dass Sie aus glaubwürdiger Quelle erfah- ren, dass ihm der Schein der mitternächtlichen Lampe beim Studium der medicinischen Literatur lieb und vertraut ist, und dass seine Collegen über seine Fähigkeiten und Kenntnisse günstig urth eilen. Und was die Freundschaft des Arztes betrifft, so ist der Ihr bester Freund, welcher es am besten versteht, Sie selbst und Ihre Angehörigen vor Krankheit zu schützen, und wenn erkrankt, zu heilen.

Die Gelehrsamkeit die wir für den ärztlichen Stand beanspruchen, benöthigt eine stets wachsende Bibliothek. Ein Fond von ein hundert Tausend Dollar setzt uns in den Stand auf der gleichen Stufe mit ähn- lichen Anstalten zu bleiben. Die Bibliothek der Surgeon Genends Office in Washington, welche jetzt siebenzig Tausend Bände und ein hundert und dreissig Tausend Monographien enthält, ist das Besultat emsiger und

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systematischer Sammlung. Sie ist noch nicht zwanzig Jahre alt, aber trotzdem die reichhaltigste und vollständigste medicinische Bibliothek der Welt. Trotzdem übertrafen die zum Bücherankauf nöthigen jähr- lichen Bewilligungen selten fünf Tausend Dollar. So setzt uns ein Fond von ein hundert Tausend Dollar in den Stand, Alles zu erlangen, was in der medicinischen Literatur überhaupt erscheint. Von dieser Summe haben wir bis jetzt erst zehn Tausend Dollar. Die Hälfte hiervon wurde von der „Academy" bei Seite gelegt, die andere ist ein persönliches Ge- schenk zum bleibenden Andenken eines Verstorbenen. Solche Bestim- mungsgelder oder Zugaben für unseren allgemeinen Bibliothekfond sind ernstlichst erbeten. Durch die Bürger der Stadt New York hat sich eine Metropole von mächtiger Grösse und Handelskraft entwickelt; sie sind wohl im Stande sich im Interesse der medicinischen Wissen- schaft zu besteuern, neben welcher es keine cosmopolitischer und hu- maner gibt.

Aber es ist nicht der ärztliche Stand allein, der durch das Instand- setzen einer grossen und vollständigen Bibliothek directen Nutzen ziehen würde. Die intimen Beziehungen der Medicin zur Kechtspflege sind derartig, dass Vieles von dem was wir benöthigen in juristischen Werken enthalten ist, und dass der Jurist seine Belehrung zum Theil aus der medicinischen Literatur erlangen muss. Die forensische Medicin hat, trotz ihres juristischen Ursprungs, ihre Hauptvertreter in der Heilkunde. Die Namen von Plenck, Plouguet, Farr, Duncan, Beck und vielen anderen aus neuerer Zeit sind allbekannt. Ausserdem ist unsere Bibliothek eine öffentliche, zur Verfügung der Aerzte und des grossen Publikums überhaupt. Nun existirt noch eine Art der Literatur, welche in einer freien und öffentlichen Bibliothek wie die unsere gut vertreten sein sollte. Laien, welche dieselbe benützen wünschen, er- warten Lesestoff zu rinden der ihrem Verständniss und Geschmack entspricht. Derartige Literatur ist durchaus nicht selten zu haben. Zum grösseren Theil ist dieselbe gut, zum Theil sogar vorzüglich. Bücher über anatomische und. physiologische Gegenstände, Natur- geschichte, Hygiene und Statistik, wird man stets interessant und lehrreich finden. Sie sollten in unserer Bibliothek wohl vertreten sein, weil sie in grösserer Anzahl in den öffentlichen Bibliotheken nicht anzu- treffen sind. Thatsächlich unterscheiden sich auch die Besucher der letzteren wesentlich von der Leserclasse die unsere Bibliothek aufsucht.

Die derartig erhöhte Kenntniss wird nicht allein die Fälligkeit des Einzelnen vergrössern sich selbst und seine Familie zu schützen, sondern wird auch die Arbeit des Arztes erleichtern. Eine Person, deren Denken mit verständigen Ideen und gesunden Thatsachen erfüllt ist, wird kaum mehr die Anzeigen der Charlatane durchlesen. Wer etwas über die Thätigkeit des menschlichen Körpers gelernt hat und über den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung belehrt wurde, kann verstehen, dass eine Erkrankung entweder durch eine zu verhütende oder durch eine unabänderliche Ursache entstand, und kann auch begreifen, dass eine Krankheit weder durch Glauben ent- stand noch durch Glauben geheilt werden kann, selbst nicht "durch Glauben an Universalmittel. Das Geschäft des Charlatan kann so auf- hören, der Geheirnmittelfabrikant kann zu Schaden kommen, aber die individuelle sowie die öffentliche Gesundheit gewinnen dadurch. Der Mensch, welcher einige Kenntnisse über seinen Körper und Bedürfnisse besitzt erkrankt seltener oder wenn, dann erwartet er Linderung und Hülfe nur aus natürlichen und intelligenten Quellen. Solcher Mensch ist als besserer Patient Vernunftsgründen zugänglicher und den Anordnungen folgsamer, die im Interesse der Genesung getroffen wurden. Versteht er genug um die höheren oder geringeren Kenntnisse seines Arztes zu erkennen, desto besser ist es. Heutzutage haben die

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Menschen zu ungenügendes Wissen um sie in ihrer Auswahl zu leiten ; viele gibt es die so unwissend hierin sind, dass es sie gar nicht einmal kümmert. Wird ein Arzt vor Gericht als Zeuge citirt, so betrifft die erste an ihn gestellte Frage seine Stellung zu irgend einer medicinischen Gesellschaft. Das unwissende Publikum aber trifft seine Auswahl unter den Aerzten meist aus Gründen, welche meist Niemand weiss, häufig es selbst nicht. All' dieses müsste sich ändern, wenn ein kleiner Theil dessen jedem Mann und jeder Frau verständlich und erreichbar gemacht würde, das die Grundlage ärztlichen Denkens und Wissens ausmacht. Die von uns geplante Bibliothek soll nicht allein dem Arzt geistige Nahrung liefern, sondern auch allen Solchen, welche nach besserem Wissen dürsten. Diejenigen, welche Mittel zum Fördern der Erziehung, Hygiene und Gesundheit übrig haben, können sie kaum besser anwenden als indem sie einen Bibliothekfond schaffen der ge- nügend gross ist um unter sachverständiger Aufsicht allmälig Alles anzuschaffen, was von guten populären Werken über Anatomie, Physio- logie, Hygiene, Dietetik und Statistik erscheint.

Möge dieses Alles in Erfüllung gehen. Wir errichten dieses Gebäude damit es der Hauptmittelpunkt medicinischen Studiums dieser Stadt werde, dem ärztlichen Stand des ganzen Landes als Vorbild, und ein Zufluchts rt für alle Collegen, welche uns von Nah und Fern aufsuchen. Nach der Fertigstellung wird dieses Gebäude der Metropole zur Zierde gereichen. Noch mehr aber bezwecken wir, was viel werthvoller ist, dass es ein weiteres Element geistiger und ethischer Macht und seine Errungenschaften ein Segen für das Gemeinwesen werden mögen, und wir leben der Ueberzeugung, dass es dazu kommen wird.

REFERATE.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn.

Magenerweiterung durch Pancreaskrebs. Ein Beitrag zur Diagnose des Pylorusverschlusses durch Compression. G. Klemperer. (Deutsche Medic. Wochenschrift, No. 36, 1889.)

Bei bestehender Magendilatation bedingt durch einen palpirbaren Tumor in der Pylorusgegend ist man geneigt den Tumor als vom Pylorus selber ausgehend anzunehmen ; und doch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass die etwaige Geschwulst von einem Nachbar- organ (etwa Pancreas) ausgeht und den Pylorus rings umwachsen hat. Dies zu entscheiden ist ausserordentlich schwierig. Klemperer war nun im Stande in einem ähnlichen Fall die Diagnose auf Compression des Pylorus zu stellen und die palpirbare Geschwulst auf ein Carcinom des Pancreas zu verlegen. Die Gründe, welche K. veranlassten, die Geschwulst als eine nicht dem Magen angehörende zu betrachten, waren folgende : 1. der Tumor stieg bei der Respiration auf und nieder ; dies thun Magentumoren in der Regel nicht. 2. Es war ein hoher Gehalt an freier Salzsäure im Mageninhalt vorhanden. 3. Es fand ein Zurück- treten von Galle in den Magen bei forcirter Aspiration statt. Gerade diesen, letzten Punkt hält K. für sehr maassgebend, weil bei carcinoma- tösem Verschluss der Pylorus ein Zurücktreten von Dünndarminhalt in den Magen niemals beobachtet wird. 'Die später ausgeführte Autopsie bestätigte die während des Lebens gestellte Diagnose.

Ueber die Functionen des Magens bei Herzfehlern. E. Huefler. (Münchener Medic. Wochenschrift, No. 33, 1889.)

H. hat bei zehn Patienten mit Herzfehlern eine Prüfung des Magen- inhaltes zwei Stunden nach dem Leube'schen Mittagbrod vorgenommen; es zeigte sich, dass nur in einem Fall Salzsäure vorhanden war, während alle übrigen neun Patienten keine Salzsäure in ihrem Mageninhalt auf- wiesen. H. nimmt nun an, dass unter dem Einfluss des Herzfehlers eine beständige Stauung in der Circulation zu Stande kommt, die die Störungen in der Secretion des Magens hervorruft. Die motorische Thätigkeit des Magens fand H. bei diesen Pat. ungestört.

Chronic Endarteritis and its clinical and pathological Effects. [Chronic Bright's Disease.] By Arthur V. Meigs. (The Medical Record, August 24th, 1889.)

Geht eine chronische Endarteritis mit Eiweiss und Cylindern im Harn einher, so pflegt man die Krankheit als eine chronische Nephritis (Morbus Brightii chronicus) zu bezeichnen und betrachtet die Verän- derungen der Arterien als Folgeerscheinungen derselben. Meigs pro- testirt gegen diese Auftassungs weise : die Veränderungen an den Nieren, die post mortem vorgefunden werden, sind oft zu gering, um während des Lebens schwere Erscheinungen hervorgerufen haben zu können ; ferner ist das Publikum sowohl wie der Arzt daran gewöhnt mit dem Worte Morbus Brightii eine Krankheit zu bezeichnen, die unheilbar ist und in nicht zu langer Zeit letal endet. Die chronische Endarteritis mit Eiweiss und Cylindern im Harn ist zuweilen ganz heilbar, und sehr

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oft von sehr langer Dauer. Daher möchte Meigs zur Bezeichnung dieser Krankheit diejenige Veränderung herausgreifen, die immer vor- handen ist und oft in grossem Maassstabe vorgefunden wird, nämlich die Veränderung der Gefässe, welche in einer Endarteritis besteht. Die Gefässe fühlen sich während des Lebens hart an. Die Krankheits- erscheinungen werden verschieden sein, je nach dem Ort, wo die Gefäss- veränderung am meisten sich vollzogen hat. Meigs räth daher zur genaueren Bezeichnung der Krankheit, den Ort hinzuzufügen, wo die Endarteritis hauptsächlich liegt ; so wird man eine Endarteritis chronica cerebralis, pneumonalis, cardialis und renalis haben. Für alle diese verschiedenen Formen führt nun M. Beispiele aus der Praxis an.

Ein Fall von Perforation eines perityphlitischen Abscesses in die Pleurahöhle mit eitrigem, kothvermischtem, pleuritischem Ex- sudat. E. Grawitz. (Berliner klinische Wochenschrift, No. 32, 1889.)

G. beschreibt einen hochinteressanten Fall von Perforationsperi- typhlitis in Folge von Kothsteinen, wo sich bei der Section ein Eiter- heerd mit fäculem Geruch im rechten Pleuraraum vorfand. Es ergab sich bei näherer Untersuchung, dass die Kuppe des Zwerchfells durch- löchert war, und dass von dort aus ein Weg retroperitoneal unterhalb der rechten Niere nach der Fossa iliaca dextra führte ; hier sowohl, wie weiter oben am Duodenum, waren Löcher vorhanden, so dass eine directe Communication zwischen dem Eiter und dem Darmlumen be- stand.— G. macht nun darauf aufmerksam, dass man in ähnlichen Fällen durch Probepunction des pleuritischen Exsudates im Leben im Stande wäre aus seiner kothigen Beimischung die richtige Diagnose zu machen.

The Time required in the Stomach Digestion of different Foods in Infancy. Max Einhorn. (The New York Medical Journal, July 20th, 1889.)

Von dem Gedanken ausgehend, dass, je leichter verdaulich eine Sub- stanz ist, dieselbe um so kürzer im Magen verweile, stellte E. eine längere Versuchsreihe an über das Verweilen der Milch und mehrerer künstlicher Kindermehle im gesunden Säuglingsmagen. Es zeigte sich, dass die Milch (Muttermilch sowohl, wie Kuhmilch) am schnellsten aus dem Magen verschwand. Nebenbei hat E. Prüfungen auf freie Salz- säure und den Säuregehalt des Mageninhalts vorgenommen. E. con- statirte, dass die Salzsäure normaliter sich im Mageninhalt der Säug- linge gewöhnlich nicht nachweisen lässt. Auch die Aciditäten waren gering. E. folgert aus seiner Arbeit, 1. dass bei der Ernährung der Säuglinge die Milch den Vorzug verdient vor allen künstlichen Nähr- materialien, 2. dass ein etwaiges Fehlen der Salzsäure im Mageninhalt kranker Kinder an sich keine Indication abgibt für die Darreichung derselben.

Krankheiten der Athmungsorganp.

Beferirt von Dr. Jos. W. Gleitsmann.

Ein Fall von Phthisis pulmonum ohne Tuberculose. F. C. Leonharti und F. Neelsen. (Centraiblatt für klinische Medicin, No. 36, 1889.)

Ein Fall der alten Phthisis pulmonum pituitosa bei einer 53jährigen Frau, die seit mehreren Jahren bei Husten mit reichlichem Auswurf, äusserster Abmagerung der Musculatur und des Fettes das äussere Bild einer chronisch verlaufenden Lungenschwindsucht geboten hatte. Die Untersuchung der Sputa ergab nie elastische Fasern oder Tuber-

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celbacillen, die physikalische Untersuchung nie ausgesprochene Dämpfung, nie konsonirende Rasselgeräusche und Vorhandensein von Vomicae. Die Section ergab lufthaltige Lungen, säinmtliehe Ver- zweigungen der Luftröhre um mehr als das Doppelte erweitert, die Schleimhaut stark geröthet, von ihrer Oberhaut entblösst, aber ohne tiefere tuberculöse Geschwüre ; die mikroscopische Untersuchung ergab völliges Fehlen von Tubercelchen und Tubercelbaeillen.

Some ünüsual Manifestation of Tuberculosis of the Larynx. C. C. Eice. (New York Medical Journal, August 31st, 1889.)

Die Schlüsse, die Verfasser aus seiner Arbeit, welche durch ein- schlägige Krankengeschichten illustrirt wird, zieht, sind folgende :

1. Bei Complication von Phthise und Syphilis verdecken oft die Er- scheinungen der einen Krankheit solche der andern. Letztere wird häufig durch geeignete Behandlung geheilt, während die Phthise allen Eingriffen widersteht.

2. Die gewöhnlichen Erscheinungen der Larynxphthise werden manchmal durch zweierlei Gewebswucherungen maskirt, die eine das gewöhnliche Granulationsgewebe, die andere eine dem gewöhnlichen Larynxpapilloma ähnliche Formation darstellend.

3. Bei unbeweglichen Stimmbändern bildet sich manchmal an ihrem vordem Theil eine entzündliche Adhäsion.

4. Es kann ein Arytenoidalknorpel tuberculös infiltrirt sein, ohne dass der Larynx ausserdem erkrankt erscheint. .

Haemorrhage from the Larynx. Wm. Porter. (New York Medical Journal, Sept. 21st, 1889.)

Beschreibung dreier Fälle von Larynxblutungen aus der Praxis des Autors. Der Sitz der Blutung war einmal das rechte Taschenband, einmal der hintere Theil des rechten Stimmbandes und bei der dritten Patientin der hintere Ansatzpunkt des linken Stimmbandes. P. stimmt mit der Ansicht des Referenten, dessen Arbeiten über diesen Gegenstand er citirt, überein, dass Larynxblutungen nur ausnahmsweise von Lun- genphthise gefolgt und jedenfalls kein Anzeichen der letzten seien. Wenn, wie in seinem letzten Fall Phthise nach der Blutung sich einstellt, so neigt P. sich zu der Erklärung von Hodgkinson hin, dass Blut vom Larynx in die Trachea hinabflösse, und so eine prädisponirende Ursache zur Phthise abgäbe. Ein derartiger Fall in der British Medical Associa- tion, 1888 besprochen, unterstützt diese Auffassung.

Report of two Cases of Buccal Tuberculosis. C. E. Beau. (New York Medical Journal, Sept. Uth, 1889.)

Beide Fälle sind Secundäraffectionen mit vorausgegangenen Lungen- blutungen und letalem Ausgang. Bei dem ersten, einem Manne von 32 Jahren, war die Zunge um das Doppelte vergrössert und an der rechten Seite von der Spitze bis über die Mitte hinaus ulcerirt. Geschwüre fanden sich auch an der Epiglottis und den Stimmbändern, Bronchialathmen und Dämpfung an beiden Lungen. Bei der zweiten Patientin, einer verheiratheten Frau, begann die Allgemeinerkrankung drei Jahre vor der Localafiection. Diese trat zuerst als Ulceration an der Spitze der Zunge auf, und erstreckte sich in kurzer Zeit längs deren rechter Hälfte bis zum untern Theil der Tonsille und der hintern Rachenwand.

Die drei Hauptmittel zur Bekämpfung der Krankheit sind nach B. Curettement mit nachfolgender Anwendung der Galvanocaustik, Ampu- tation der Zunge und Milchsäure. Während er der letzteren nicht allen Werth abspricht, glaubt er doch, dass man in vielen Fällen vermittelst derselben selbst nur vorübergehende Erleichterung zu verschaffen nicht im Stande sei. Referent kann in diesem Punkte Beau nicht beistimmen,

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indem bei ihm bei richtiger und consequenter Anwendung der Milch- säure Erleichterung und wenigstens temporäre Besserung die Regel, Misserfolge in dieser Richtung die Ausnahme waren. Allerdings muss, wie dies die Hauptvertreter dieser Behandlungsmethode, Krause und Heryng schon angegeben haben, die Säure nicht bloss aufgepinselt, sondern energisch in das Gewebe hineingerieben werden. Dass damit schöne Erfolge erzielt werden können, zeigt des Ref. Fall von primärer Zungentuberculose (siehe Monatsschrift, Februar, p. 91). Die Patientin ist jetzt nahezu ein volles Jahr geheilt und ist am 24. September von einem kräftigen Knaben entbunden worden.

Ueber die Erfolge der neuesten Behandlungsmethoden der Kehl- kopftuberculose. H. Krause. (Separatabruck aus den Verhand- lungen des Congresses für innere Metiicin in Wiesbaden, 15. bis 18. April 1889.)

Krause wendet sich gegen den Ausspruch des Phthisiotherapeuten Dettweiler : „Alle Versuche zu einer speciflschen radicalen Therapie (der Phthise) zu gelangen, sind bis jetzt gescheitert", wenigstens so weit es die Larynxphthise betrifft. Er macht zunächst einige historische Bemerkungen über die Milchsäurebehandlung und betont besonders die hierbei zu beobachtende Methode und Cautelen. Von Menthol und auch Tracheotomie hat er wenig günstige Resultate gesehen. Das Curettement des Larynx bei Geschwüren und auch Infiltration findet bei ihm warme Empfehlung und bedient er sich seit längerer Zeit einer von ihm construirten Doppelcurette. Von 289, in seiner Poliklinik in vier Jahren behandelten schweren Fällen wurden 58 Kranke curettirt, mit Hinzuzählung von 13 Privatpatienten, im Ganzen 71 Fälle. Von diesen wurden 43 geheilt, resp. wesentlich gebessert und frei von Be- schwerden entlassen. Alle 71 Kranke waren unter Beobachtung nicht weniger als vier Monate, 25 zwischen ein und drei Jahren.

Zum Schlüsse drückt er in Uebereinstimmung mit Beschovner den Wunsch aus, dass es gelingen möge, nahe den Städten in baumreicher Gegend Specialhospitäler für Lungen- und Larynxphthisiker zu erlan- gen— ein Wunsch, dessen Erfüllung auch hier zu Lande nur segens- reiche Früchte tragen würde.

Nervenheilkunde.

Referirt von Dr. Geo. W. Jacoby.

Peripheral Paralyses due to Carbonic-Oxide Poisoning. George W. Jacoby. (New York Medical Journal, p. 172, IL, 1889.)

Jacoby geht erst kurz auf die Bestandtheile der Verbrennungspro- ducte von Steinkohle, Holzkohle, Torf etc. ein ; erinnert daran, dass die Vergiftungserscheinungen nach Einathmung dieser Verbrennungs- producte auf Kohlenoxidgas zurückzuführen sind ; sowie auch, dass die Vergiftungserscheinungen nach Einathmen von Leuchtgas, dem darin enthaltenen Kohlenoxid zuzuschreiben sind. Nach Sichtung der Vergiftungserscheinungen, und Literatur, kommt J. zum Schluss, dass alle bis jetzt beschriebenen Fälle von Lähmung nach Kohlenoxidver- giftung, mit Ausnahme von zwei, centraler Natur seien. Diese Aus- nahmen sind die Fälle von Renom und Scliaclimami. Verfasser führt dann zwei diesbezügliche eigene Fälle an :

Im ersten Falle trat eine typische degenerative Peroneuslähmung unmittelbar nach Vergiftung durch Kohlendunst auf. Im zweiten Falle wurde eine degenerative partielle Radialislähmung durch Einathmen von Leuchtgas herbeigeführt.

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Hervorzuheben ist, dass in beiden Fällen ein Druck auf den betrof- fenen Nerven positiv auszuschliessen ist ; dass Entartungsreaction deutlich vorhanden war, und dass im zweiten Fall vollständiger Verlust des Bewusstseins nicht bestand.

J. schliesst wie folgt :

„Die Lehre, welche direct aus diesen Fällen hervorgeht, ist die, dass periphere Lähmungen, welche den Radialis oder Peroneus befallen von der Wirkung des Kohlenoxidgases abhängen können; dass wir wiederum darauf aufmerksam gemacht werden, dass man nicht immer positive Grenzlinien zwischen centralen und peripheren Wirkungen gewisser toxischen Agentien ziehen darf. Es schien mir ferner (aber dies ist bloss ein Eindruck, für welchen ich keine Belege habe), dass die Radialis- sowohl wie die Peroneuslähmung am häufigsten im Winter, unter armen Leuten, welche kleine, schlecht ventilirte Zimmer bewohnen, vorkommen. Diese Zimmer werden von einem darin befindlichen Ofen geheizt ; dass ferner wie aus meinem zweiten Fall hervorgeht, Lähmung nach Kohlenoxidvergiftung auch ohne vollständige Bewusstlosigkeit auftreten kann ; es ist daher möglich, dass diese Lähmungen häufiger dieser Ursache zuzuschreiben sind, als wir jetzt anzuerkennen vermögen."

Ueber progressive Muskelatrophie. Dr. Herrmann Gessler. (Medi- cinisches Correspondenzblatt, p. 193, 1889.) Die progressive Muskelatrophie wird von verschiedenen Forschern bald als eine primäre Muskelaffection, bald als eine Erkrankung der grauen Vordersäulen, angesehen. Einige sogar betrachten den Process als eine periphere Nervenerkrankung, und andere als eine Affection des Sympathicus , und alle diese Theorien sind durch einschlägige Fälle unterstützt worden. G. führt nun einen weiteren Fall an. Der Process fing typisch, in der Musculatur der Hände an, übersprang dann den Vorder- und Oberarm und involvirte den Schultergürtel. Gleichzeitig hiermit hat sich eine Neuritis ascendens im rechten Nervus ulnaris etab- lirt, und auf diese sind Erscheinungen von Bulbärparalyse gefolgt. Ausführliche Tabellen der electrischen Erregbarkeit der Nerven und Muskeln erläutern den Fall. Durch sehr eingehende Betrachtungen, welche im Original nachzulesen sind, kommt Verfasser, bezüglich der Localisation des Krankheitsprocesses, zu folgendem Sehluss : Um eine definitive Entscheidung treffen zu können, müssen in den frühesten Stadien der Krankheit Muskelstücke excidirt und die intermusculären Nerven und Nervenendigungen sorgfältigst untersucht werden. „Finden wir in solchen Fällen die markhaltigen Endfasern degenerirt, die Mus- kelfasern dagegen noch ganz oder fast intact, dann ist die neurotische Theorie sicher erwiesen, während eine gleichzeitige und gleich starke Affection beider Elemente sich sowohl im myopathischen als neu- rotischen Sinne deuten lässt."

CONTRIBUTION TO THE STUDY OF ANAESTHETIC LEPROSY, WITH SPECIAL REFERENCE TO PARTIAL SENSORY DlSORDERS. Dr. GeO. W. JaCOBY.

(Journal of Nervous and Mental Diseases, p. 336, 1889.)

J. hebt hervor, dass mnn bei jedem Fall von Lepra anaesthetica bei der Untersuchung speciell auf gewisse Punkte achten soll, welchen bis- her geringe Aufmerksamkeit gezeigt worden ist. Diese Punkte sind : Die electrische Erregbarkeit der erkrankten Muskeln ; der Zustand der Reflexe ; das Vorhandensein, oder nicht, von fibrillären Zuckungen, und vor Allem ist eine gründliehe Untersuchung der Sensibilität vorzu- nehmen. Bestimmte Auskunft hierüber ist nöthig, um den leprösen Process als central oder peripher localisiren zu können, und bei Vor- handensein von partiellen sensorischen Störungen, um überhaupt die

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differentiale Diagnose zwischen Lepra und Syringomyelie stellen zu können. Diesbezüglich wird ein vom Verfasser beobachteter Fall beschrieben. Der Fall gab die gewöhnliche Vorgeschichte der Lepra anaesthetica und zeigte neben Muskelatrophieen, Ulcerationen etc., ein Herabsetzen der faradischen Erregbarkeit der angegriffenen Muskeln, aber keine ausgesprochene Entartungsreaction ; die Patellarsehnen- reflexe waren beiderseits erhöht. Die Untersuchung der Sensibilität wurde sehr eingehend vorgenommen, und es zeigten sich Stellen mit herabgesetzter Tastempfindlichkeit ; grosse Territorien mit ausge- sprochener Analgesie, und was besonders zu erwähnen ist, ausgedehnte Territorien mit Verlust des Temperatursinnes. Beigefügte Zeich- nungen zeigen, dass weder dir analgesischen Stellen, noch jene mit Ver- lust des Temperatursinnes betroffen, im Verbreitungsbezirk bestimmter Hautnerven liegen, und dass, obgleicii alle analgesischen Territorien auch Verlust des Temperatursinnes zeigen, doch sonst völlig normale Hautstellen auch durch Mangel des Temperatursinnes allein gekenn- zeichnet sind. Ferner zeigte sich, dass der Temperatursinn für sehr niedere Temperaturen im Medianus- und Ulnarisgebiet beider Seiten vorhanden war. J. geht nun mit Beihülfe der einschlägigen Literatur erst auf diese Einzelsymptome und sodann auf die Localisation des leprösen Processes ein. Diesbezüglich ist sein Schluss der, dass eine bestimmte Localisation nicht in allen Fällen möglich ist, sondern dass entweder periphere Nerven, Centrainervensystem, oder beide zugleich, von dem leprösen Process befallen sein können. Was die partiellen Empfind ungslähmungen bei Lepra und Syringomyelie anbelangen, kommt J. durch Betrachtungen und Anführung eines Falles von Neuritis mit partieller Empfindungslähmung zu folgenden Schlüssen: 1. Die Differentialdiagnose zwischen Lepra anaesthetica und Syringomyelie kann nicht immer gestellt werden. 2. Partielle Empfindungslähmungen sind nicht als Charakteristicum der Syringomyelie anzusenen, sondern kommen auch bei Lepra, sowohl wie bei völlig peripheren Störungen, vor. 3. Ein differentiell-diagnostisch wichtiger Punkt zwischen cen- tralem und peripherem Verlust des Temperatursinnes liegt möglicher- weise in dem vollständigen Verlust einerseits und in dem t heil weisen Verlust andererseits.

Die moderne Behandlung der Nervenschwaeche (Neurasthenie) der Hysterie und verwandter Leiden. Dr. Löwenfeld. Zweite Auf- lage. (Wiesbaden : Verlag von J. F. Bergmann, p. 131, 1889.) Diese zweite Auflage der verdienstvollen und bekannten Schrift be- kundet wiederum die Urtheilskraft und Unpartheilichkeit des Verfassers. Ueberschwängliche Ansichten, übermässiges Vertrauen in irgend ein einzelnes Verfahren sowohl wie ausgeprägte Geringschätzung, werden strengstens vermieden. Ueberhaupt schlägt Verfasser durchweg den sicheren Mittelweg ein, und lässt sich weniger durch Aeusserungen Anderer, als durch eigene Erfahrungen beeinflussen. Die 14 neu hinzu- gekommenen Seiten haudeln über Erweiterungen der eigenen Erfahrung, Zusätze aus der Literatur, und widmen grössere Aufmerksamkeit der hypnotischen Behandlung. Dieser letzteren wird ein eigenes Capitel gewidmet.

Syphilis.

Beferirt von Dr. A. Buechler.

A CONTRIBUTION TO THE STUDY OF TüMORS OF THE URETHRA, WITH A Be-

port of two Cases. Bichard H. Harte, M.D. (The Polyclinic, p. 360, 1889.)

Währenddem die Geschwulstbildungen der weiblichen Harnröhre sich eines genauen Studiums erfreuen, sind diejenigen der männlichen

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Urethra verhältnissmässig vernachlässigt worden, hauptsächlich weil letztere im Vergleiche zur ersteren relativ seltener sind. Verfasser bezieht sich nun auf die Arbeiten von Pascal. Hunter, Amand, Holmes und Anderen. Aus diesen ist es ersichtlich, dass die Urethralgewächse sich auf keine Altersstufe beschränken, und sich in zwei Varietäten, erstens die fibrösen Polypen, und zweitens die Papillome, eintheilen lassen.

Die fibrösen Polypen findet man bei alten Leuten, und zwar haupt- sächlich in den hinteren Partieen der Harnröhre. Sie entspringen dem submucösen Gewebe, kommen gewöhnlich vereinzelt vor und sind geschält. Meistens sind sie nicht empfindlich, und zeigen nur wenig Neigung zu bluten, wenn sie zuiällig excoriiren.

Die Papillome sind ungleich häufiger. Sie können alle Partieen der Harnröhre einnehmen, aber mit Vorliebe die der Fossa navicnlaris. Sie variiren sehr in ihrem Aussehen. Manchmal ähneln sie den fibrösen Polypen, andermals den kirschfarbigen Angiomen. Sie können die Ge- stalt eines Polypen mit schmalem Stiel annehmen, oder die eines nodulären Gewächses, das sich nur wenig über das Niveau der Harn- röhre erhebt. Schliesslich können sie von weicher Beschaffenheit sein und dem cavernösen Gewebe ähneln. Gewöhnlich sind diese Neubil- dungen äusserst empfindlich und bluten sehr leicht bei der leisesten Berührung.

Verfasser berichtet nun über zwei eigene Beobachtungen. Bei dem ersten Falle, dem eines 40jährigen Patienten, wurde seit einiger Zeit über einen höchst empfindlichen Schmerz in der Nähe desOrificium urethrae geklagt, der sich beim Uriniren steigerte. Der Harnstrahl war ver- mindert. Ein Chirurg, der consultirt wurde, stellte die Diagnose, Strictura urethrae, und nahm die interne Urethrotomie vor. Nach der Operation stellte sich eine heftige Blutung ein, die nur durch Einlegen eines Catheters und Druck mittelst Heftpflasterstreifen temporär stand. Nach jedem Versuche, den Catheter zu entfernen, trat wieder ein pro- fuser Blutverlust ein. Zehn Tage nach der Operation kam der Patient in das Pennsylvania Hospital mit einem No. 12 Verw< ilcatheter in der Harnröhre. Nach der Herausnahme des letzteren, abermals profuser Blutverlust. Es wurde nun ein grosser Metallcatheter eingelegt. Bei der Einführung des Instrumentes ergab sich eine empfindliche Stelle am Boden der Fossa navicularis. Durch Druck auf diese Stelle stand auch die Blutung.

H. schritt nun zur Operation. Nach Anlegung eines improvisirten Tourniquets wurde die Urethra durch einen Schnitt, der durch das Dorsum glandis penis bis zur Corona ging, blossgelegt, welcher eine kirschrothe Geschwulst von der Grösse einer gespaltenen Erbse expo- nirte, und an der sich nach Lösung des Tourniquets ein spritzendes Gefäss zeigte. Durch das Cauterium actuale wurde die Geschwulst zerstört. Die Wundränder wurden durch Hasenschartennadeln einander genähert, und ein Verweilcatheter der 48 Stunden liegen blieb, einge- führt. Heilung per primam nach 3 Tagen. Im zweiten Falle handelte es sich ebenfalls um ein höchst sensitives Gewächs der Fossa navicu- laris, das von grossen Schmerzen beim Uriniren und Verkleinerung d<-s Harnstrahles begleitet war. In diesem Falle wurde derselbe Schnitt, wie im ersten, angebracht, ein Verfahren, das d»-r Verfasser bei ähn- lichen Zuständen empfiehlt.

Hereditary syphilitic Transmission through two Generation*. Edmund E. King, M.D. (Canadian Practitioner, p. 351, Sept. 16th, 1889.)

Die Beobachtung, die King hier mittheilt, wie schon aus dem Titel ersichtlich, soll die Möglichkeit der Transmission der hereditären Lues durch zwei Generationen darthun. Die Krankengeschichte ist in Kürze

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folgende : Die Patientin, eine 24jährige verheirathete Frau, die seit einigen Jahren an Kopfweh leidet, kommt im April 1887 mit Zwillingen, einem Knaben und Mädchen, nieder. Mit Ausnahme einer etwas vor- stehenden Stirne bietet der Knabe nichts Abnormes. Das Mädchen dagegen ist klein, hat ein greisenhaftes Aussehen; die Haut ist runzelich und mit einem rothen Ausschlage bedeckt. Die Fontanellen sind gross und klaffend. Wenige Tage darnach zeigt sich beim Knaben derselbe Ausschlag. Beide Kinder bekommen den charakteristischen Schnupfen der hereditären Syphilis. Luetische Erscheinungen von Seiten des Mundes, Condylome der Haut und Diarrhoe stellen sich ein. Trotz antisyphilitischer Behandlung, wird das Mädchen von einem bullösen Ausschlage befallen, und erliegt ihrem Leiden. Der Knabe dagegen erholt sich rasch. Der Vater der Kinder soll vollständig gesund sein und leugnet jede syphilitische Belastung. Bei der Mutter aber zeigt sich vier Wochen nach der Entbindung ein Wundsein und Verhärtung beider Brustwarzen, nebst Anschwellung der Axillar- und Cervicaldrüsen. Nach wiederum vier Wochen, entwickeln sich charakteristische Secun- därerscheinungen des Mundes und der Haut. Der Verfasser glaubt durch diese casuistische Mittheilung den Beweis liefern zu können, dass die Mutter hereditär belastet war, dass sie die Lues auf ihre Kinder übertrug, dass letztere eine Quelle der Beinfection für die Mutter waren, und dass es sich hier um eine wohl präcisirte Ausnahme des Colles'schen Gesetzes handelt.

[Analysirt man diese Mittheilung, so kommt man doch wohl zu dem Schlüsse, dass die Beweissführung des Verfassers doch ganz gewaltig hinkt. Wir würden auch der Arbeit nicht eine besondere Aufmerksam- keit schenken, wenn sie nicht in der American Association of Genito- Urinary Surgeons verlesen worden, und desshalb sicher eine allgemeine Verbreitung finden wird.

Es drängt sich uns ganz unwillkürlich die Frage auf : Handelt es sich bei der Mutter denn überhaupt um eine hereditäre Lues ? Nirgends finden wir in der Krankengeschichte die Erwähnung der Hutchinson' - schen Trias die Zahnveränderung, die Taubheit, die interstitielle Keratitis Handelt es sich um eine hereditäre Lues bei einem 24jährigen Individuum, so muss man doch gummöse Veränderungen, Knochen- auftreibungen oder sonstige Veranlassungen des Spätstadiums erwar- ten. Diese fehlen aber gänzlich. Während die hereditäre Lues der Kinder uns als erwiesen scheint, fehlt der Beweis derselben bei der Mutter. Fehlt dieser Beweis, sowie der eines früheren Bestehens einer abgelaufenen acquirirten Lues, so kann überhaupt von einer Beinfection nicht die Bede sein, sondern nur von einer Infection, wahrscheinlich von recentem Datum, eine Ansicht, die durch das Vorhandensein prägnanter Secundärsymptome unterstützt wurde. Bei der Mutter handelt es sich somit, nach unserer Ansicht, nur um eine acquirirte Syphilis ; ob nun die Ansteckung durch ihren Mann erfolgte, oder aus einer anderen Quelle stammte, bleibt dahin gestellt. Bekanntlich verläuft bei Weibern die Frühsyphilis häufig äusserst milde. Es ist durchaus nicht ausgeschlossen, dass die Frau zur Zeit oder vor der Conception nicht mit einer leicht verlaufenden acquirirten Syphilis behaftet war und diese ihren Kindern übertrug. Die Veränderungen der Warzen, die der Verfasser jedenfalls als Initialaffecte ansieht, kann man eben so gut als Becidive einer secundären Syphilis gelten lassen, die sich an diesen Stellen entwickelten. Die Vergi össerung der Axillar- und Cervicaldrüsen sind nicht notwendigerweise die einer den Primär- affect begleitenden Adenitis. Solche kommen häufig bei den in der Nachbarschaft sich abspielenden Secundärprocesscn vor. Ist man dennoch geneigt, die Warzenveränderungen als Primäraffecte anzusehen, so kann man höchstens eine Ausnahme des Collis'schen Gesetzes an-

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nehmen. Der Beweis der Transmission der hereditären Syphilis auf eine oder zwei Generationen, ist ebensowenig durch diesen Fall, wenn nicht noch weniger, als die von Hutchinson, Collin und Atkinson mitge- theilten Beobachtungen geliefert. Kef.]

Prodromal localized Syphilis. Hermann G. Klotz, M.D. (Journal of Cutan. and Genito-Urinary Dis., p. 322, Sept. 1889.) Bekanntlich treten die ersten Ausschläge, die auf die zweite Incuba- tionsperiode folgen, als allgemein verbreitete symmetrische Eruptionen auf. Verfasser beschreibt aber eine Ausnahme dieser Regel, die er als localisirte prodromale Syphilide bezeichnet. Es kamen ihm zwei Fälle unter Beobachtung. Beim ersten bildete sich der Prodromalaussehlag als eine einzige Effiorescenz des Capillitiums gerade oberhalb des Ohres aus, die in sich den Charakter eines spät auftretenden papulo-pustu- lösen Syphilides darbot. Zwischen drei und vier Wochen darauf erschien ein allgemein verbreiteter maculo-papulöser Ausschlag. Im zweiten Falle bildete der Prodromalaussehlag acht leicht schuppende Papeln der rechten Seite d s Abdomens, der äusseren Hüft- und Glutäalgegend aus. Mittelst Hydrarg. protojod involvirten sich die Papeln vollständig bis auf die kupferfarbigen Pigmentationen. Etwa 18 Tage nach dem Erscheinen des Exanthems folgte eine allgemein verbreitete Roseola. Verfasser bezieht sich nun auf ähnliche Verhältnisse, die Bumstead und Taylor in ihrem Werke beschreiben, und auf persönliche Mittheilungen Taylors, die K. hier veröffentlicht.

A Case of Syphilis in which several Fingers of both Hands became

COLD AND LIVID. SüSPECTED ARTERIITIS. HERMANN G. KLOTZ, M.D.

(American Journal of Medical Science, August, 1889.)

Einen sehr interessanten Beitrag zur syphilitischen Arteriitis wird hier von Klotz geliefert. Bei einem 25jährigen Patienten, dessen In- fection mit Syphilis auf 3 Jahre datirt, und die sich durch einen höchst malignen Verlauf auszeichnet, zeigt sich an den Fingern folgende Veränderung : Etwa vor einem Monat zurück, nimmt die Spitze des fünften Fingers eine weisse Verfärbung an, mit Schrumpfung der Haut. Nach drei Tagen wird der Finger bläulich und höchst schmerzhaft an der Spitze. Der Schmerz nimmt nach wenigen Tagen ab, die Finger aber bleiben bläulich verfärbt. Es stellt sich eine Verdickung der Haut an dem freien Rande des Nagels ein. Bald darnach stellten sich die- selben Veränderungen am vierten Finger des rechten, und am dritten und fünften Finger der linken Hand ein. Die Untersuchung ergab, dass der dritte und fünfte Finger der rechten Hand sich bedeutend kälter anfühlen als die anderen. Während der freie Rand des Nagels sich auffallend weiss erwies, waren die Nägel sowie die Endphalangen der affiehten Finger dunkelblau verfärbt. An den Spitzen der Finger lässt sich eine wohlumschriebene Epidermisverdickung, mit brüchiger und leicht schuppender Fläche wahrnehmen. Der Radial- sowie Ulnarpuls normal. Nirgends findet man Gefässverdickung. Bei antisyphili- tischer Behandlung fand allmäliger Zurückgang auf normale Verhält- nisse statt. Einen ähnlichen Fall von Hutchinson citirend, glaubt der Verfasser mit Recht, dass das livide Aussehen, die Kälte und der Schmerz, sich durch eine ascendirende periphere syphilitische Arteriitis der Digitalarterien, bei der nicht absoluter Verschluss der Gefässe, aber doch Verengerung des Lumens derselben stattfand, erklären lassen.

Die Behandlung der Syphilis mittels Injectionen von Oleum cinereum. Dr. G. Mandry. (Deutsche Medicinische Wochenschrift, p. 713 29. Aug., 1889.)

Aus dem Kölner Bürgerspital liegen die Erfahrungen Leichtensterns vor. Es wurden 107 Kranken mit 517 Injectionen behandelt, und zwar

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154 bei 26 männlichen, und 393 bei 81 weibliehen Patienten. Abscesse kamen 5 vor bei 3 weiblichen Patienten, die jedoch bald heilten. Stomatitis trat in Vd% der Fälle auf. Bezüglich des Einflusses auf das Allgemeinbefinden, so liess sich eine Zunahme des Körpergewichtes constatiren, die sich jedoch auch nach allen anderen Behandlungs- methoden einstellte. 11% der Fälle wurden geheilt. Während in Sicherheit der Wirkung das Oleum cinereum keiner anderen Behand- lungsmethoden nachsteht, so ist sie nicht so schnell wie die der Calo- melinjectionen oder die der Einreibungen. Die Einspritzungen wurden alle 8 Tage gemacht. Die Einzeldosis soll nicht 0,3 Oleum cinereum übersteigen. Sobald Kückbildung der Symptome sich bemerkbar machen, soll mit den Einspritzungen sistirt werden. Es sollen im Ganzen nicht mehr als 5 Injectionen vorgenommen werden. Dann pausirt man. Wenn nöthig kann man nach einer Pause von 6—8 Wochen wieder damit beginnen. Die Methode eignet sich durch ihre Schmerzlosigkeit für die Privatpraxis.

Chirurgie.

Referirt von Dr. Geo. Degner.

The Treatment of Fracthre of the Neck of the Femür by immediate Reduction and permanent Fixation. N. Senn. (The Journal of *the American Medical Association, Vol. XIII., No. 5.)

Bei Schenkelhalsbrüchen wendet S. einen Verband an, dessen Anlegung zwar zeitraubend und schwierig ist, der aber auch nur einmal angelegt zur Heilung genügt. Es ist ein ausgedehnter Gypsverband, der die ganze kranke Extremität und das Becken und den Unterleib sowie die gesunde Extremität bis zum Knie einschliesst. An der kranken Ex- tremität ist eine Schnüre eingelegt, die über der trochanteren Gegend bügeiförmig verläuft, und von der aus durch eine feste, stark gepols- terte Pelotte vermittelst einer durchgehenden Schraube ein directer Druck auf den betr. Trochanter ausgeübt wird. Als beste Unterlage für den Verband gibt er gestrickte Strümpfe und Unterhosen an. Der Verband wird, nachdem die Gypsbinden an dem gebrochenen Beine bis zur Mitte des Oberschenkels angelegt sind, in stehender Stellung des Patienten auf einem Stuhl oder drgl., während das Querbein frei herab- hängt, und von einem Assistenten gestützt oder angezogen und in der richtigen Stellung gehalten wird, vollendet. Ueber der trochanteren Gegend wird entsprechend dem Bügel ein Fenster freigelassen, so dass die oben eingesetzte Pelotte direct auf den Trochanter einwirken kann. Eine Erneuerung des allerdings sehr umständlichen Verbandes, der je- nachdem 80 100 Tage liegen bleibt, hat S. niemals nöthig gehabt. Als Hauptvorzug des Verfahrens, besonders dem Extensionsverbinden gegenüber, betont er den directen Druck auf die Bruchstelle, die bei eingeheilten Brüchen die Lösung der Einheilung verhindert, und bei nicht eingeheilten der Wirkung einer solchen nahe kommt, während durch Lösung der Schraube jederzeit die Stelle des Schraubendrücker revidirt, und bei Druckentzündung und Aehnlichem ohne Umstände local behandelt werden kann, und die Möglichkeit für den Pat. nach Fertigstellung des Verbandes das Bett zu verlassen, und so die beson- ders bei alten Personen drohenden Gefahren des Decubitus, hypostat. Pneumonie u. dergl. zu vermeiden, ja ihm den Aufenthalt in freier Luft zu gestatten. Vor Verlauf des 4. bis 6. Monats erlaubt S. seinem Pat. nicht, auf den Querfuss zu treten. 8 Krankengeschichten von zum Theil recht ungünstigen Fällen geben durchwegs ein gutes Resultat.

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PARTIAL REACTION OF THE HEAD OF THE FIRST METATARSAL BONE FOR

Hallüs valgus. Geo. R. Fowler, Brooklyn. (The Med. Ree., Vol. XXXVI., No. 10.)

F. empfiehlt den von Petersen in Kiel für Oper, der Tuberculose des 1. Metatarso-phalangealgelenkes angegebenen Schnitt*) zwischen 1. und 2. Zehe in der Längsrichtung des Fusses von Sohle and Rücken durch die ganzen Weich th eile und nach Durchtrennung der Gelenk- kapsel- und Bänder völliges Herumklappen der grossen Zehe, darauf Abtragung der Exostose an der Innenseite des Metatarsalknochens und Reposition der Zehe in physiologische Stellung. Zur Nachbehandlung lässt er sowohl im Strumpf wie im Stiefel für die betr. Zehe eine geson- derte Abtheilung herstellen (wie der Däumling in den Fausthand- schuhen). In einem Fall hatte er mit diesem gewiss sehr rationellen Verfahren sehr guten Heilungserfolg. Bei Tuberculose oder ander- weitiger Erkrankung des Gelenkes wendet er jedoch auch Hüter's Resection an. In geeigneten Fällen würde er auch von dem Petersen '- sehen Schnitt aus Osteotomie, ev. Keilexcision und Graderichtung des 1. Metatarsalknochens vornehmen.

CARBOLIC ACID InJECTIONS FOR RADICAL CüRE OF HYDROCELE. W. M. P.

Nicolson, Atlanta. (Vol. XVI., No. 6.)

Verf. empfiehlt auf Grund eigener Erfahrung dringend die Injection flüssiger reiner Carbolsäure zur Radicalheilung des Wasserbruchs, der er, gegenüber der Jodtineturinjection, grössere Veriässlichkeit, voll- ständige Schmerzlosigkeit und geringere Reaction nachrühmt. Grosses Gewicht legt er darauf, eine genügende Menge (wenigstens 1 Drachme) einzuspritzen den einzigen Misserfolg hat er nach Anwendung von nur h Draehme gesehen und sich in Acht zu nehmen, mit der Carbol- säure weder die Stichwunde noch die Haut des Scrotum zu berühren. Bei grossen Hydrocelen empfiehlt er das Verfahren von Keyes : zuerst Einführen der subcutanen Nade], Entleerung der Hydrocele durch Troicar und Canüle, und Einspritzen der Carbolsäure durch die hypod. Spritze.

A new Etherinhaler, etc. <T. H. Hobart Bürge, Brooklyn. (The Brooklyn Med. Journ., Vol. III., No. 9.)

In einem vor der Med. Soc. of the County of Kings gehaltenen Vor- trag empfiehlt Verf. seine Erfindung, die im Wesentlichen darin be- steht, dass der zu verbrauchende Aetiier getrennt von der Mundmaske durch einen pp. 3' langen Gummischlauch in einen Glaskolben ge- schüttet wird, in den zur Vergrösserung der Verdunstungsflasehe Streifen von Schreib; apier gethan werden. Die Verbindung zwischen der Mundmaske und dem Schlauch wird durch ein Kugelventil ge- schlossen, und dadurch die Zufuhr der Aetherdämpfe bei Ein- und Aus- athmen geregelt. Die Mundmaske ist der bekannten Form, wie sie z.B. auch die Ormsby'sche Maske zeigt nachgebildet, nur hat sie statt des aufzublasenden schliessenden Gummirandes einen soliden, der halt- barer und ebenso sicher schliessend sein soll. Als Vorzug seines Appa- rates gibt B. an, das Verhüten des Entweiehens von Aetherdämpfen in den Operationsraum, Haltbarkeit des ganzen Apparates, und Anzeichen von Störung in der Respiration oder ungenauen Sehliessens der Maske durch Aufhören des durch das (metallene) Kugelventil verursachten Geräusches. In der Discussion gibt er an, dass er zur Erzielung der Narcose an Zeit zwischen 2 und 30 Min. und an Aether zwischen „weniger als 1" x „mehr als 6 Unzen gebraucht hat."

) Langenbeck's Archiv f. klm. Chir., 1888.

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Physiologie.

Eeferirt von Dr. S. J. Meltzer.

1. Heat Centres in Man's Brain. J. Ott. (P. 433, 1889.)

Ott nimmt sechs Centren im Gehirn an, deren Verletzung zu Tenipe- rat ursteigerung führt. Das erste liegt an der Fiss. centralis, das zweite am Vereinigungspunkt der F. supra- und postsylvia, das dritte im Schwanzkern, das vierte in dessen Umgebung, das fünfte nahe der Mittellinie zwischen Corpus striatum und Thalamus opticus, das sechste im vordem innern Ende des Thalamus selbst. O. stellt aus der Lite- ratur eine Reihe von Fällen zusammen, welche die Existenz solcher Centren auch beim Menschen darthun sollen. Ausser diesen thermo- t aktischen Centren unterbreitet O. spinalthermogene Centren, welche unter dem hemmenden Einflüsse der erstere*n stehen. Die Temperatur- steigerimg bei Tetanus erklärt O. aus Reizung der spinalen thermogenen Centren, nicht aus der gesteigerten Muskelaction.

2. Die Hirncentrex füer die Bewegung der Harnblase. W. Bech-

teren und N. Mislawski. (Neurolog. Centralbl., VIT, S. 505.)

Bekanntlich haben Rochfontaine und Fransk bei Reizung des Tyrus sigmoideus Blasenbewegungen gesehen. Die Verfasser bestätigen dies. Sie experimentirten an curarisirten Hunden und Katzen ; an beiden Ureteren wurden Fisteln angelegt, die Urethra unterbunden, die Blase am Scheitel eingeschnitten und durch eine Silbercanüle mit einem Manometer und durch dieses mit einer Marcy'schen Registrirtrommel in Verbindung gesetzt. Blase, Canüle und Manometer waren mit Koch- salzlösung gefüllt. Während des Experimentes wurde die Blase aus der Bauchhöhle herausgenommen und mit feuchter Watte umhüllt. Contractionen der Blase erfolgten nur bei faradisrher Reizung einer streng localisirten Region, nämlich des innern Theiles des vordem und hintern Abschnittes des Gyr. sigmoideus. Es waren Ströme von 8 bis 9 Centimeter Rollenabstand erforderlich. Nach Entfernung des Reizes hört die Blasencontraction sofort auf. Reizung der subsorticalen Ganglien ist nur im Gebiete des vordem Sehhügelabschnittes wirksam. Reizung des letztern ruft schon bei 10 bis 12 Centimeter Ra. constant Blasen- contraction hervor, welche jedoch nach Unterbrechung des Reizes anfangs zwar rasch abnehmen, dann aber immer langsamer in den Zu- stand normaler Erschlaffung übergehen ; Reizung des Kleinhirns und der Vierhügel bleibt wirkungslos, hingegen soll Reizung eines bestimm- ten Faserbündels des vordem Schenkels der innern Kapsel, sowie Reizung der Haube unter den Vierhügeln ebenfalls Contractionen des Detrusor bewirken. Die Latenzzeit ist bei der Rindenreizung grösser als bei Thalamusreizung. Das Blasencentrum in der Tiefe des Seh- hügelabschnittes nimmt nur einen Raum von wenigen Millimetern ein. Dass das Blasencentrum im Sehhügel nicht einfach eingeschaltet ist in die Bahn vom corticalen Blasencentrum zu dem spinalen, sondern auch noch die Bedeutung eines Reflexcentrums hat, geht daraus hervor, dass faradische Reizung des N. ischiadicus bei intactem Thalamuscentrum schon bei einem Rollenabstand von 10 bis 12 Cm. reflectorisch Blasen- contractionen hervorruft, nach Zerstörung des Thalamuscentrums jedoch erst bei 7 Cm. Ra. Darnach erzeugen schwache Hautreize nur durch Vermittelung des Sehhügelcentrums reflectorische Blasencon- tractionen, während starke Reize bereits durch spinale Centren reflec- torische Blasencontractionen auslösen.

3. Versuche ueber die Folgen der Durchschneidung von Associations-

fasern am Hundehirn. S. Exner und J. Paneth. (Pflüger's Archiv, Bd. 44, p. 544.)

Schon vor mehreren Jahren hat P. Reizungen der motorischen Region des Hundegehirn ausgeführt, nachdem sie durch „Umschneidung"von

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der übrigen Rinde entfernt worden war. Die Verfasser untersuchten nun, im Anschluss an diese Versuche, wie sich die centralen Leitungen eines Thieres verhalten und wie der anatomische Befund sich gestalten würde, wenn Thiere Dach derartiger Umschneidung des Rindenfeldes der Extremitäten am Leben erhalten werden. E. und P. haben nach der mit möglichster Schonung der Pia mater ausgeführten Operation die electrische Erregbarkeit ohne constante Veränderung gefunden. Die Störungen waren unmittelbar nach der Operation am meisten aus- gesprochen und verringerten sich nur langsam. In manchen Fällen erreichten sie völlig den Grad wie nach Exstirpation des Gyr. sig- moideus, meistens waren sie geringer, nie fehlte die Unempfindlichkeit der gekreuzten Extremitäten, der verminderte Widerstand gegen passive Bewegungen, abnorme Stellung der betreffenden Beine etc. Noch nach 4 Monaten waren geringe Störungen nachweisbar. Bei der Section und der daran sich anschliessenden microscopischen Untersuchungen zeigte sich die umschnittene Partie der Rinde, die darunter gelegene weisse Substanz und die Nachbarschaft atropJdsch. Die Untersuchung des Rückenmarkes ergab das Vorhandensein einer tief hinabreichenden Degeneration. Controllversuche, in denen bei Schonung der Rinden- substanz die Pia allein umschnitten oder gänzlich abgezogen wurde, zeigten, dass hierbei ein hämorrhagischer Infarct entsteht und dass schwere Störungen auftreten. Wurden dagegen der Pia nur ähnliche Verletzungen zugefügt wie bei den Umschneidungsversuchen, so waren wenigstens die unmittelbaren Folgen oft sehr gering, sogar unmerklich ; iu einem Theile dieser Versuche ergab diese Operation aber ähnliche Symptome und einen ähnlichen anatomischen Befund, wie die Um- schneidung der Rinde. Die electrische Erregbarkeit wurde in diesen Versuchen erst nach 14 Tagen unsicher, während sie nach dem Abziehen der Pia schon nach 3 Tagen verschwunden ist. Jedenfalls wird es durch diese Versuche zweifelhaft, ob nicht ein Theil der nach der letzt- genannten Operation eintretenden Erscheinungen auf die Ernährungs- störung zurückzuführen ist. Andererseits darf man für wahrscheinlich annehmen, dass mindestens ein Theil der Erscheinungen auf der Durch - trennung der Associationsbahnen beruhen.

4. EXPERIMENTS ON THE ELECTRICAL ExCITATION OF THE VISICAL AREA OF

THE CEREBRAL CORTEX IN THE MONKEY BRAIN. SCHAEFER. 1888.

5. SCHAEFER ON THE TEMPORAL AND OCCIPITAL LOBES. FERRIER. Da-

selbst.

S. erweitert seiDe früheren Angaben über das Sehcentrum beim Affen. Das ganze Sehfeld die gesamnite Rinde des Occipitallappens, den hintern Rand des G. angularis und das obere Ende der mittleren Schläfenwindung gibt bei electrischer Reizung Deviation der Bulbi nach der entgegengesetzten Seite, mit der seitlichen ist eine Bewegung nach abwärts verbunden, wenn die Reizstelle innerhalb eines Bezirkes liegt, welcher den hintern Rand des G. angularis und den anstossenden Theil der zweiten Schläfenwindung, den unmittelbar hinter der Fiss. parieto-occip. ext. gelegenen Theil der Convexität des Hinterhaupt- lappens, sowie den vordem und obern Abschnitt der medialen Fläche derselben vor und unmittelbar hinter der Fiss. parieto-occip. int. um- fasst („obere Zone"). Mit der seitlichen ist eine Aufwärtsbewegung verbunden, wenn die Reizstelle innerhalb eines Bezirkes liegt, wTelcher das hintere Ende, die basale Fläche und die hintere untere Partie der medialen Fläche des Hinterhauptlappens umgreift („untere Zone"). Die Bewegung ist eine rein seitliche bei Reizung der übrigen convexen Oberfläche des Occipitallappens („intermediäre Zone"). Diese Augen- bewegungen sind aufzufassen als Begleiter oder Resultant von Gesichts- empfindungen in Folge von Reizungen der Sehsphäre, und „die Be-

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Wegüngen nehmen die Kichtung an, in welche diese Empfindungen verlegt werden." Es ist daher die ganze Sehsphäre einer Hemisphäre verbunden mit den gleichseitigen Hälften beider Retinae, die „obere Zone" mit dem obern, die „untere Zone" mit dem untern Quadranten, die „intermediäre Zone" mit dem mittleren Antheil der entsprechenden Hälfte beider Eetinae. Das Rindenfeld für das centrale Sehen befindet sich auf der medialen Fläche des Hinterhauptlappens. F. polemisirt gegen S. und wirft ihm ungenaue Beobachtung seiner Versuchsthiere und unrichtige Wiedergabe der durch die Operation gesetzten Defecte vor. Electrische Reizung der obern zwei Drittel der obern Schläfen- windung sei stets von der für das Höreu charakteristischen Retraction des contralateralen Ohres begleitet. Auch daran hält F. fest, dass Zer- störung des corticalen Sehfeldes einer Seite nicht Hemianopsie, sondern contralaterale totale Blindheit zur Folge habe.

Allerlei.

Auch ein Verbrechen. Ein junger Arzt aus Holland, welcher An- fang August d. J. auf einer Vergnügungsreise durch die sächsisch- böhmische Schweiz begriffen war, besuchte u. A. auch den hohen Schneeberg bei Bodenbach in Böhmen. Durch andere Reisende hatte ein Kellner des Schneeberg-Restaurants ganz zufällig von der ärztlichen Eigenschaft des Holländers Kenntniss erlangt und richtete daher an denselben die Bitte, ihm wegen einer gefährlichen Schnittwunde bei- räthig zu sein. Der holländische Arzt war menschenfreundlich genug, seine Hülfe nicht zu versagen und verband die vernachlässigte Wunde kunstgerecht unter Anwendung antiseptischer Mittel. Auch die Wirthin des Restaurants nahm die Hülfe des Holländers in Anspruch für eine Dienstperson, die sich beim Tragen eines schweren Korbes auf den hohen Berg übernommen hatte. Der Jünger Aeskulaps wäre für seine Menschenfreundlichkeit beinahe übel belohnt worden ; denn als der- selbe beim Abstieg vom Berge das böhmische Dorf Schneeberg berührte, wurde er von einem österreichischen Grenzjäger, welcher von dem Vorgefallenen unterrichtet worden war, angehalten und weqen unbefugter- Ausübung der ärztlichen Praxis zur Verantwortung gezogen. Nur dem zufälligen Hinzukommen eines hochgestellten österreichischen Beamten, welcher Zeuge der uneigennützigen Hülfsbereitschaft des jungen Arztes auf dem hohen Schneeberge gewesen, war es zu ver- danken, dass der Holländer seine Tour nach Schweizermühle und Königstein unbehelligt fortsetzen konnte. Der holländische Arzt hat sich fest vorgenommen, auf seinen weiteren Reisen im Auslande niemals wieder ärztlichen Beistand zu leisten. (Corr. Blatt d. ärztl. Vereine Sachsens. 1. Sept. 1889.)

Verurtheilte Moerder als Versuchsobjecte. Dr. Frank L. James schlägt im Alienist and Neurologist vor, verurtheilte Mörder ante mortem in der experimentellen Pathologie zu verwenden. Statt, dass der Urtheilsspruch des Richter's laute : „Hängen sollst du am Hals bis du todt bist, und möge Gott deiner Seele gnädig sein", soll der Spruch lauten : „Und nun bist du dazu verurtheilt, nach den Gesetzen die du übertreten hast, die gerechte Strafe für dein Verbrechen zu erleiden. Desshalb wirst du noch heute die Methode zu wählen haben, die dich tödten soll, zum Besten der Wissenschaft und der Gesellschaft, so dass du sterbend der Menschheit mehr nützen mögest als lebend, und so wenig- stens theilweise Gott und der Menschheit eine Sühne darbietest, und möge Gott deiner Seele gnädig sein." Der Verurtheilte soll dann die Wahl zwischen Vergiftung, Inoculation von Krankheitsstoff, Vivisection und Electricität haben. Die Wahl dürfte ihm wohl kaum schwer fallen.

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Der Gesundheitsrath des Seine-Departements hat auf den Antrag des Dr. Ollivier beschlossen, Asyle einzurichten zur Aufnahme gesunder Kinder armer Familien, bei welchen die Diphtherie zum Ausbruch ge- kommen ist.

Gkoessere Loeslichkeit der Chininsalze bei Gegenwart von Anti- pyrin. Triulzi weist im Bollet. farmac. auf diese Eigenschaft der Chininsalze hin. So löst sich 1 gr. Chinin, hydrochl. mit 0,4—0,5 Anti- pyrin schon in 2 gr. Wasser bei 20—25° R., 1 gr. Chinin, hydrochl. und 0,2 0,25 Antipyrin in 2 gr. Wasser bei 35 40° R., während dieselbe Chininmenge ohne Antipyrin zusatz sich in 2 gr. Wasser erst bei 42 45° R. auflöst, um sich bei Erkalten zum grössten Theil krystallinisch auszu- scheiden. Aehnlich verhält sich das Chinin, valerianicum. Da die mit Antipyrin bereiteten Lösungen angeblich auch haltbar sind, so können sie zu subcutanen Injectionen mit Nutzen verwandt werden.

(Wiener Media Presse, No. 25).

Der staedtische Gesundheitsattsschuss zu Leipzig beabsichtigt, an- gesichts der günstigen Resultate, welche mit nach Soxhlet sterilisirter Milch bei der Ernährung kranker Säuglinge gemacht wurden, sowie der hohen Kindersterblichkeit, welche der warme Sommer hervorgerufen hat, den Segen der Säuglingsernährung mittels Soxhlet'scher Milch auch dem weniger bemittelten Theile der Leipziger Bevölkerung in grösserem Maasstabe zugänglich zu machen. Da man nacli vielfachen Erwägungen zu der Ueberzeugung gelangte, dass die einzigen zur Er- reichung dieses Zweckes geeigneten Geschäfte die Apotheken seien, in welchen man ja an gewissenhafte Arbeit, peinliches Reinigen der Geräthe etc. berufsmässig gewöhnt sei, so richtete der Gesundheits- ausschuss an die Apotheker der Stadt die Anfrage, ob sie geneigt seien, die Herstellung der Soxhlet'schen Milch zu übernehmen und dieselbe zu einem Preise abzugeben, der dem weniger bemittelten Publikum die Anschaffung ermöglichen würde. Der Antwort der Apotheker darf mit Interesse entgegen gesehen werden.

(Münchener Medic. Wochenschrift.)

Werth der Impfung der Kinder. Der Canton Zürich beginnt be- reits unter der Aufhebung des Impfzwangs zu leiden. Nachdem letz- terer bis 1883 bestanden hatte, wurde er in dem genannten Jahre abgeschafft, weil 1882 nicht ein einziger Fall von Pocken vorgekommen war. Aber 1883 waren unter 1000 Todesfällen bereits 2 durch Blattern veranlasst, 1884 3, 1885 17 und im ersten Viertel von 1886 sogar 85. Während so in Europa gegen die Impfung noch immer Opposition ge- macht wird, führt Japan dieselbe sehr energisch ein. Nangasaki besitzt einen Gouverneur Namens Kusaka, welcher beschloss, die Stadt von den Epidemien, welche sie förmlich verheerten, zu befreien. Zu dem Ende decretirte er den Impfzwang, und die Blattern, die bis dahin eine Geissei der Stadt gewesen waren, haben seitdem fast ganz aufgehört.

(Monatsschrift f. öffentl. Gesundheitspflege.)

Büchertisch.

Lehrbuch der Kystoscopie. Ihre Technic und klinische Bedeutung. Max Nitze. Berlin. 329 Seiten. Wiesbaden. J. F. Bergmann, 1889.

Nach kaum mehr als zweijährigem Bestehen dieses neuen Zweiges chirurgischer Diagnostik in seiner modernen Gestalt liegt heute schon ein Lehrbuch der Kystoscopie vor uns und zwar aus der Feder des Berufensten, Erfahrensten und Verdientesten in diesem Fache. Mit Lust und Liebe geschrieben, wird es dem Anfänger in dieser interes-

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santen und wichtigen Untersuchungsmethode ein anregender, will- kommener Wegweiser sein, dem Geübteren manchen beherzigens- werthen Wink ertheilen, ihm das Verständniss vieles, bereits selbst Gesehenen erleichtern und vor Allem eine grosse Zahl praktischer Regeln geben, auf welche Weise er am Besten der Ausführung der Un- tersuchung sich entgegenstellende Schwierigkeiten in scheinbar ver- zweifelten Fällen überwinden kann, wie er mit Ausdauer und kleinen Kunstgriffen auf eine für den Kranken möglichst schonende Weise doch zum Ziele kommen wird : Das Blaseninnere genau zu besichtigen. Ungemein anheimelnd wirkt aber vor Allem die wahrheitsgetreue Wiedergabe des Gesehenen in Wort und Bild, ohne Ausschmückung, ohne jede Uebertreibung. Jeder, der die Kystoscopie schon getrieben, wird dies zugestehen. Selbstredend ist auch N. heute noch nicht im Stande, für jedes gesehene Bild die richtige pathologisch-anatomische Erklärung zu liefern. Doch gibt er die ihm wahrscheinlichste Deutung an. Die vorliegende Schrift macht aber auch keinen Anspruch auf Vollkommen- heit. Sie will nur ,,ein Gerüst darstellen, dessen vollständiger Ausbau erst im Laufe der Jahre durch die vereinte Arbeit zahlreicher Forscher ermöglicht werden wird." Die Hauptsache ist und bleibt, dass die heutige Kystoscopie uns bei einiger Uebung— und die, betont N., ist ab- solut erforderlich ermöglicht, die kranke Blase, und manchmal selbst sehr widerspänstige, bei tageshellem Lichte zu betrachten. Es ist das eine Thatsache, welche nachdrücklich betont zu werden verdient. Viele Aerzte, ja selbst erfahrene Chirurgen, wie Ref. aus eigener Erfahrung weiss, wollen dies auch heute noch nicht zugestehen, resp. glauben.

N. theilt sein Lehrbuch in 3 Abschnitte. Der erste erklärt auf 124 Seiten : „Die Theorie und Technik der kystoscopischen Unter- suchungsmethode." Nach einer kurzen historischen Einleitung über die Entwicklung der Endoscopie und einer Anzahl wichtiger anatomi- scher Bemerkungen über die Veränderung der Grössen-, Längen- und Lageverhältnisse von Blase und Harnröhre bei den hier nothwendigen Manipulationen, bespricht Verf. ausführlich die Bedeutung der beiden neuen von ihm eingeführten Principien der jetzigen Untersuchungs- methode : die Einführung der Lichtquelle in das zu untersuchende Hohl- organ und den das Gesichtsfeld erweiternden optischen Apparat. Beide zusammen bedingen den gemachten gewaltigen Fortschritt. Ohne Frage gab auch das ursprüngliche, von X. im Jahre 1879 der Gesellschaft der Wiener Aerzte demonstrirte Instrument treffliche Bilder, wie eine, wenn auch spärliche, Casuistik verschiedener Forscher beweist. Der als Lichtquelle verwendete weis8glühende Platindraht erforderte aber zu vielerlei kostspielige und umständliche Nebenapparate. Das Kystoscop fand desswegen nur hier und da Eingang. Die nach Edison'schem Princip construirte Mignonlampe brachte die gewünschte Aenderung. Das heutige Kystoscop ist einfach, handlich und wohlfeil, nicht grösser als ein gewöhnlicher Silberkatheter, No. 22 23 französischer Scala. Der das Gesichtsfeld erweiternde optische Apparat ist eine ganz neue, eigenartige Linsencombination. Es ist falsch, denselben kurzweg mit Fernrohr zu betiteln. Eigenschaften und Leistungsfähigkeit des Ap- parates werden ausführlicher erörtert. [Auf die eigenthüniliche An- ordnung der einzelnen Theile des Apparats gründet sich auch die Mög- lichkeit der Fixirung des entstehenden Bildchens durch Photographie. Auf einen Weg, in nicht zu umständlicher Weise zu exacten Aufnahmen zu kommen, wird am Schlüsse des Werkes hingewiesen.] Nach genauer Beschreibung der einzelnen kystoscopischen Instrumente (Kystoscop No. I, das am Meisten gebrauchte und wichtigste ; No. II für den Blasengrund, besonders angebracht in Fällen von Prostata- hypertrophie; und No. III für dasOriflc. urethrae int. und seine nächste Umgebung, noch verbesserungsfähig) sowie der Nebenapparate (Batterie

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und stromleitende Schnur) und nach Angabe mancher beherzigens- werther Winke für Behandlung und Conservirung der Instrumente, führt uns das 8. (Scnlusscapitel) des ersten Abschnitts in die „Technik der kystoscopischen Untersuchung" ein. Es würde den Rahmen dieser Besprechung weit übersteigen, wollten wir versuchen, die Fülle des Wissenswerthen hier im Auszuge wiederzugeben. Wir verweisen den, welcher sich dafür interessirt, auf das Original. Es soll hier nur betont werden, dass die Erfüllung der 3 Grundbedingungen einer erfolgreichen Kystoscopie : 1. Reinbleiben von Prisma und Lampe beim Einführen in die Blase ; 2. genügende Capacität der Blase (150 Ccm.); 3. Durchsich- tigkeit des das Prisma umgebenden Mediums, in fast allen Fällen zu erreichen ist und dass es für den Erfahrenen Mittel und Wege gibt (s. Original) die derselben im speciellen Falle sich entgegenstellenden Schwierigkeiten mehr oder weniger zu überwinden ; dass es ferner gelingt, mit Hülle von 5 schulgemässen, durch Zeichnungen veran- schaulichte, Bewegungen des eingeführten Instrumentes sich die ganze Blasenhöhle mit mathematischer Sicherheit in kürzester Zeit zu Gesicht zu bringen ; dass wir mit Hülfe einer richtig ausgeführten Cocainisirung von Blase und hinterem Harnröhrenabschnitte in den allermeisten Fällen im Stande sind, auch bei reizbaren Blasen resp. Individuen eine absolut schmerzlose Untersuchung auszuführen. Nur selten ist eine prälimi- narische subcutane Morphineinspritzung nöthig, noch seltener die Narcose.

Der II. Abschnitt des Buches (100 S.) beschäftigt sich mit dem endoscopisclien Befunde der gebunden und kranken Harnblase. Wer sich schon einmal selbst das Vergnügen gemacht hat, gesunde Blasen zu durchmustern, wird hier selbst Gesehenes und wieder und wieder mit grösstem Interesse Beobachtetes in fesselnder Schilderung wiederfinden. Der Neuling aber, welcher noch nicht das eigenthümliche Gefühl der Befriedigung verspürte, welches das Betrachten von bisher nie Ge- sehenem gewährt, wird hier manches Neue lernen über Farbe (gelbroth oder rosa) und Oberfläche der Schleimhaut, über die in derselben ver- laufenden zierlichen Gefässe und das eigenartige Bild der das Orific. urethr. int. umgebenden Schleimhautfalte, und der absichtlich für die Untersuchung mit injicirten Luftblase, jener zwei wichtigen Faktoren bei der Orientirung in dem sonst, im Vergleich zum Kehlkopfinnern wenigstens, ausserordentlich wenig abwechselungsreichen Blaseninnern. Am meisten wird ihn aber wohl der endoscopische Befund des Blasen- bodens, der Ureterenmündungen und Wülste interessiren, welche N. ausserordentlich anschaulich beschreibt. Sicherlich wird Manchen beim Lesen dieses Capitels die Lust ankommen, selbst einmal zu beobachten, wie der Urin sich in kürzeren oder längeren Intervallen (manchmal bis zu 5 Minuten langen) stossweise, Wirbel erregend von den Nieren in die Blase ergiesst, wie sich dabei die Ureterenmündung, anfänglich langsam verkleinert und immer mehr zusammenzieht, bis endlich nur noch ein flaches Grübchen zu sehen ist, und nach kurzer Zeit wieder langsam bis zur ursprünglichen Grösse erweitert, um dann einem plötzlichen Flüssigkeitsstrome Austritt zu gewähren und in ihrer ursprünglichen Ruhestellung so lange zu verharren, bis nach kurzer Zeit derselbe Vorgang die gleichen Erscheinungen wieder hervorruft *), wie sich die bei der Respiration entstehende Verschiebung der Abdominal-

*) Ref. glaubt, die Erscheinung regelmässig in umgekehrter Weise beob- achtet zu haben. Beim Beginne des jedesmaligen Harneinströmens in die Blase bleiben Harnleiterwulst und Mündung zunächst in ihrer Mittelstellung, werden höchstens etwas vorgetrieben. Erst gegsn das Ende des Actes zieht sich das Grübchen trichterförmig ein, um, nachdem auch der letzte Tropfen Urin in die Blase getrieben, langsam an seinen normalen Platz zurückzukehren. (Cf., auch über wahrscheinliche Erklärung, N. Y. Medic. Journal, p. 430, 1888.)

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organe auch dem Vertex der Blase deutlich mittheilt (leichtes Hin- und Herrollen der injicirten Luftblase) und wie derselbe Punkt der Blasen- wand, besonders an den Seiten, durch den fortgepflanzten Puls der Art. iiiac. ext. rythmisch erschüttert wird. Yon pathologischen Processeu wird zuerst das kystoscopische Bild bei Catarrhus vesicae besprochen. Wie bei anderen Organen zeigt sich der Blasencatarrh in Röthung der Schleimhaut, in Schwellung und Auflockerung derselben und endlich in der Bildung catarrhalischen Secretes. Dass die hier gefundenen Bilder ausserordentlich vielgestaltig sind, ist bei den verschiedenen, so häufig in einander übergehenden Graden des Catarrhs nicht zu verwundern. In einzelnen seltenen Fällen bot eine umschriebene Parthie der Blasen- innenfläche die schwersten catarrhalischen Veränderungen dar, während sich die pranze übrige Blasenwand als völlig normal erwies. Auch was N. bei Tuberkulose der Blase und in daraufhin verdächtigen Fällen gefunden, wird ausführlich mitgetheilt. Präcise Bilder lassen sieh bis- lang für die Tuberkulose nicht aufstellen. Dass sich Steine und Fremd- körper in der Blase in geeigneten Fällen auf's Schönste zur Anschauung bringen lassen, ihre 'Lage, Gestalt und Beweglichkeit bestimmt, ihre Grösse nach einiger Uebung abgeschätzt, der von ihnen auf die Wand geworfene Schatten auf's Deutlichste gesehen werden kann, liegt auf der Hand. Doch bereiten bedeutende Grösse oder versteckte Lage, z. B. im Recessus hinter der hypertrophischen Prostata, auch die durch ihre Anwesenheit bedingten secundären Veränderungen der Blase nicht selten Schwierigkeiten. Genaue Befolgung einiger practischer Regeln ermöglicht uns meist, sie zu überwinden. Eingestreute Casuistik illustrirt das Gesagte. Ihre grössten Triumphe aber feiert die Kysto- scopie in der Diagnose der Blasentumoren, die wir meist mit unüber- trefflicher Klarheit erblicken. Ist der Urin klar, so kann man die gewöhnliche Vorbereitung (Entleeren und Ausspülen) ganz unterlassen und zu einer Zeit, wo die Blase voraussichtlich eine genügende Menge Urin enthält, sofort das Kystoscop einführen. Eine etwa in Folge der Vorbereitung eintretende Blutung wird so am Ehesten vermieden. Be- steht zur Zeit der Consultation grade Hämaturie, so muss man sich nicht durch das Drängen des Patienten verleiten lassen, der Blutung durch Ausspülen etc. Herr zu werden, sondern ruhig das sicherlich bald eintretende Aufhören derselben abwarten. Sofortiger Erfolg beim ersten Versuche der Spiegelung wird Arzt und Patienten dann voraus- sichtlich dafür belohnen. Hat sich aber schon, wie es leider in den ineisten derartigen Fällen gefunden wird, ein infectiöser Blasencatarrh eingenistet, so treten der Untersuchung oft erhebliche Schwierigkeiten entgegen. Meist gelingt es, mit Geduld und Vorsicht dieselben zu überwinden, manchmal wird aber die Untersuchung absolut dadurch vereitelt. Da in allen Fällen der begleitende, die Kranken meist auf's Aeusserste quälende und schwächende Blasencatarrh durch die Sonde oder den Katheter des Arztes in die Blase hineingetragen wird, so stellt X. das Postulat auf : „Bei Kranken, bei denen der geringste Verdacht auf das Vorhandensein einer Blasengeschwulst besteht, vor Ausführung der Kystoscopie jedes Einführen eines Instrumentes zu diagnostischen Zwecken unbedingt zu vermeiden. Das Kystoscop soll künftig das erste Instrument sein, welches in eine auf Vorhandensein von Tumor ver- dächtige Blase eingeführt wird. Dass wir selbst uns bei der Vorbe- reitung und Ausführung der kysfoscopischen Untersuchung in diesen wie in allen anderen Fällen der strengsten Antisepsis zu befleissigen haben, versteht sich von selbst. Eine Tabelle von 20 von N. durch Kystoscopie selbst diagnosticirten, im Auszuge mitgetheilten Fällen von Blasentumor, deren aufgestellte Eigenschaften durch den hohen Schnitt oder Section meist in allen Einzelheiten bestätigt wurden, beschliesst dieses interessante Capitel. Im nächsten: ,, Prostatahypertrophie",

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wird auf die Wichtigkeit der mit Hülfe des I. Kystoscops auf's Schönste zur Anschauung gebrachten Structurverhältnisse der das Orific. urethr. int. umgebenden Falte hingewiesen. N. glaubt, speciell durch die Ver- änderung dieser Falte die Prostatahypertrophie in ihrer Art im Bilde diagnosticiren zu können. Eine Ergänzung der Untersuchung durch Nachprüfung mit dem III. Kystoscop wird häufig wünschenswerth sein.

Der III. Abschnitt behandelt auf 76 Seiten in enger Anlehnung an N.'s früheren Aufsatz (Langenbeck's Archiv, Bd. 36, Heft 3) „Die Be- deutung der Kystoscopie für die Diagnostik und Therapie der Harn- und Blasenleiden." Eine objective allgemeine Vergleichung der bisher be- kannten Untersuchungsmethoden der männlichen Harnblase (Harn- und Sondenuntersuchung, combinirte Rectalpalpation nach v. Volkmann, Digitalexploration, Sectio alta etc.) mit der Kystoscopie ergibt, dass letz- tere die vollkommenste ist, dass sie allen anderen Untersuchungs- methoden durch Klarheit, Ergiebigkeit und Zuverlässigkeit des Be- fundes und die Schonung, welche sie dem Kranken gewährt, überlegen ist. Man kann getrost behaupten, dass die Kystoscopie für die Diag- nose der Harnleiden dieselbe Bedeutung besitzt, wie die Laryngoscopie für.die Diagnose der Kehlkopfleiden. „Sie sollte darum nicht, wie man jetzt so oft hört, die letzte Instanz sein, an die man sich wendet, sie sollte vielmehr die erste Instanz sein und zwar zeitlich die erste schon desshalb, weil ihre Anwendung für den Kranken mit den geringsten Beschwerden verbunden ist und weil sich später, wenn durch andere, häufig nutzlose und unnöthige intravesiculäre Manipulationen die In- f ection in's Blaseninnere hineingetragen ist, der Ausführung dieser so sehr wünschens werthen Ocularinspection unüberwindliche Schwierigkeiten entgegenstellen können. Noch ein Mal werden die Collegen darum ein- dringlich ermahnt und ersucht, in Fällen von dunkeln Harnkrankheiten das Einführen von Sonden oder Kathetern in die Blase in Zukunft zu unterlassen und die Kranken primär, vor Anwendung jeder anderen localen Untersuchung der kystoscopischen Untersuchung zu überweisen. Nur bei begründetem Verdachte auf Stein sollte die Sonde noch Anwen- dung finden. Die Fortschritte nun, welche die Kystoscopie bisher für die Diagnose der einzelnen Harn- und Blasenleiden gebracht, sind ausserordentliche. Zunächst ist mit Nachdruck die wichtige Thatsache hervorzuheben, dass wir in dunkeln Fällen den Sitz der Erkrankung mit Sicherheit bestimmen können. Findet man die Blase gesund, so ist damit der Beweis geliefert, dass die Quelle der Blut- oder Eiterbei- mischung in den oberen Harnwegen, speciell in den Nieren zu suchen ist. Ferner werden wir bei Nierenerkrankung im Stande sein, durch genaue Beobachtung der Ureterenmündungen und des aus ihnen aus- strömenden Harns festzustellen, ob letzterer mit Eiter oder Blut ge- mischt, ob er aus beiden Ureteren oder nur aus einem so verändert ausströmt, ob in Fällen von Erkrankung einer Niere eine functionirende zweite vorhanden ist. Eine genauere Kenntniss und Erkenntniss der verschiedenen Formen des Blasenkatarrhs muss zu einer mehr indivi- dualisirenden Behandlung führen, die Diagnose von Blasengeschwüren, speciell der tuberculösen, den Chirurgen zwingen, die Blase über der Symphyse zu eröffnen und unter Leitung seiner Augen den Grund ab- zukratzen und auszubrennen, resp. die ganze ergriffene Blasenparthie zu exstirpiren (Schatz). Fremdkörper wird das Kystoscop mit unver- gleichlicher Sicherheit auffinden, über ihren Sitz und ihre Stellung genausten Aufschluss geben und somit den Weg zu einem planmässigen Vorgehen behufs ihrer Extraction anweisen. Ebenso wird es nach der Litholapaxie etwa noch zurückgebliebene Fragmente auffinden und nach vorausgeschickter Localisation dem Operateur die definitive Ent- fernung aller Steintrümmer ermöglichen. Der einzige, aber auch der wichtigste der Litholapaxie noch anhaftende Vorwurf wird somit hin-

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fällig und dieser schonendsten unter den Steinoperationen der ihr gebührende Bang für alle Zeiten definitiv gesichert. Dass der Sonden- nachweis mancher Steine auch der geübtesten Hand ab und zu nicht gelingt, ist bekannt. Bei Anwendung des Kystoscops werden solche Fälle nicht mehr vorkommen. Das Vorhandensein von Divertikeln, früher nur geahnt, wird durch die kystoscopische Untersuchung klar gelegt. Ein entsprechend der Lage der gefundenen Tasche gebogener und in sie eingeführter Katheter kann ihr Auswaschen gestatten und einen durch sie dauernd unterhaltenen Catarrh bessern. Die Gegen- wart eines Divertikels wird ferner bei der Füllung der Blase vor Aus- führung des hohen Schnittes Vorsicht gebieten, um eine durch dieselbe dann gar nicht selten entstehende Blasenruptur zu vermeiden. Vor allen Dingen aber wird die Frühdiagnose der Blasentumoren, dieser meist so weichen, sich dem Gefühle bei bimanueller Eectalpalpation und Sondenuntersuchung fast in allen Fällen entziehenden Gebilde, durch die kystoscopische Untersuchung mit absoluter Sicherheit ermöglicht und damit der Weg zu einer weniger eingreifenden Entfernung, als die Sectio alta sie darstellt, gezeigt. Durch Construction mehrerer in ver- schiedenen Bichtungen gekrümmter und speciell für den Zweck in bestimmter Weise gearbeiteter Fasszangen wird es gelingen, den Tumor in einer oder mehreren Sitzungen an seiner Basis zu fassen und abzu- quetschen (vorausgesetzt natürlich, dass seine Natur als gutartig erkannt wurde), und damit also per vias naturales zu entfernen. Eine nach einiger Zeit neuerdings ausgeführte endoscopische Untersuchung wird zeigen, ob der Erfolg von Dauer ist. (Sollte die Sectio alta noch gefahrloser werden, als sie es bis heute schon geworden, so wäre ihr als der in allen Stücken überlegenen Operation stets der Vorzug zu geben.) Bereits hat v. Antal einen Fall von Blasenpolypen auf diese Weise diagnosticirt und operirt und in seinem Lehrbuche (Pathologie und Therapie der Harnröhre und Harnblase, Stuttgart, 1888, p. 401) ver- öffentlicht, allerdings, ohne die Quelle, aus der er reine Weisheit geschöpft, anzugeben. [Einen zweiten ebenso gefundenen und darauf- hin per vias naturales entfernten Fall von Blasentumor hat E. H. Fen- wick, London, im British Medical Journal, 22. September 1888, mitge- theilt. Kef.]. Solche Fälle werden sich aber mehren, „wenn erst der Practiker mehr und mehr von der eminenten pathognostischen Be- deutung einer spontan eintretenden Haematurie durchdrungen ist."

Dr. Willy Meyer.

Aii die Leser.

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122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN

I.

Die Durchleuchtung iu der Laryugologie. *)

Von

Dr. W. Freudenthal,,

New Yobk.

Meine Herren!

Vor einigen Wochen starb in Breslau ein Mann, der, so lange man von der Laryngologie sprechen wird, zu den Begründern der- selben im Allgemeinen, wie der deutschen Laryngologie im Besonde- ren in erster Keine genannt werden wird. Es ist hier nicht der Platz, von den Verdiensten Voltolini's, denn ihn meine ich, wie Sie wissen von seinen Verdienst um die Wissenschaft zu sprechen, dies ist bereits von vielen Seiten geschehen. Es ist jedoch seinem Forschergeiste zu danken, wenn wir heute Abend von einer Errungenschaft sprechen können, deren Bedeutung für die Rhinolaryngologie Ihnen hoffentlich sehr bald klar werden wird, und diese Errungenschaft allein will ich mir gestatten, heute näher in's Auge zu fassen.

Die Durchleuchtung des Kehlkopfes ist zwar nicht von ihm erfunden worden, denn schon Czermak f ), der Vater der Laryngologie, erwähnt ihrer des Oefteren, aber sie befand sich bis auf Voltolini in einem Stadium, dass sie mit Recht nur .,eine elegante Spielerei" genannt werden konnte. Es ist das jetzt anders geworden, und wiewohl noch sehr vielen Verbesserungen zugänglich, so befindet sie sich doch auf einem Wege, der zur weiteren Entwicklung und zur Vollkommenheit führen kann und wird.

Schon im Jahre 1858 beschrieb Czermak (loc. cit.) eine neue von dem Principe der Liston-Garciaschen wesentlich abweichende Explorations- methode, die er die Durchleuchtung des Larynx nannte. Er fand, dass „bei zarteren Individuen schon, wenn die Sonne von Aussen, auf den Kehlkopf scheint, die Glottis in röthlichem Schimmer erglüht". Er wandte später Hohlspiegel und Linsen an, vermittels deren er das Sonnenlicht auf dem entblössten Larynx concentrirte. Er glaubte in dieser Methode ein Mittel entdeckt zu haben, auch die verticalen (Dicken-) Durchmesser der Stimmbänder zu messen. Doch davon später. Auch von anderer Seite (Gerhardt, Störck und Andere) wurde die Durch- leuchtung versucht, ohne aber eine allgemeine Anerkennung und Ver-

*) Nach einem am 7. October 1889 in der Deutschen Medic. Gesellschaft gehaltenen Vortrag.

f) Czermak : Der Kehlkopfspiegel und seine Verwerthung für Physiologie und Medicin. Leipzig 1863.

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breitung zu gewinnen. Bemerkenswerth ist es, dass in der englischen Uebersetzung von Czermak's Buch : „Der Kehlkopfspiegel etc." der kurze Passus über die Durchleuchtung ganz ausgelassen wurde, so dass man in der That in der neuesten Zeit dieselbe sehr selten erwähnt fand, bis vor etwa Jahresfrist Voitolini mit seiner verbesserten Methode her- vortrat. Seine Neuerung bestand darin, dass er anstatt des unzuver- lässlichen Sonnenlichtes elektrisches Licht verwandte.

In diesem Gehäuse (Demonstration) befindet sich eine Edison'sche Glühlampe und davor eine mit Wasser gefüllte Kugel, die ganz ähnlich einer gewöhnlichen Schusterkugel ist, und den doppelten Zweck hat, einmal das Licht zu concentriren, indem sie als biconvexe Linse fungirt und zweitens den äusseren Hals vor zu starker Erwärmung zu schützen.

M. H. ! Ich habe mir erlaubt, an diesem Apparate einige kleine Ver- änderungen anzubringen. Zunächst habe ich die Lichtquelle ver- grössert, indem ich mir eine stärkere Lampe machen liess. Sodann

schien es mir, als ob bei manchen mit starkem Pomum Adami ver- sehenen Laryngen zu viel Strahlen verloren gingen. Ich liess desshalb das vordere Ende des Apparates it. aushöhlen, und mit Gummi über- ziehen, damit es sich besser der äusseren Form des Halses anschmiege. Ein Handgriff, J., den man an der hinteren oder einer seitlichen Fläche B. anschrauben kann, schien mir ganz zweckmässig zu sein. Endlich liess ich die Kugeln fester stellen, D. und E., um sie vor dem Zerbrechen zu schützen.

Mit dieser neuen Form konnte ich öfters noch deutliche Bilder er- langen, wo mir der ursprüngliche Apparat versagte. *)

Nun, meine Herren, welche Anforderungen stellte Voitolini an seinen Apparat? Er wollte zunächst nicht noch einmal das demonstriren, was man sehr gut mit dem Kehlkopfspiegel sehen kann, sondern mehr. Es soll der ganze Kehlkopf auf einmal übersehen werden können, und zwar auch besonders die Wände des Larynx. Man soll, wie er sagt, den Larynx gleichsam mikroscopisch, schichtweise sehen können.

*) Anm. bei der Correctur bezüglich des Artikels von Gottstein : „Die Durchleuchtung des Kehlkopfes", der erst jetzt in der Deutschen Medic. Wochenschr., 10. Oct. 1889 erschien, möchte ich nochmals betonen, dass mir der Voltolini'sche Apparat nicht immer eine genügende Lichtstärke gab. Ein Uebermaass von Licht ist aber durch meine Modification auch nicht gegeben.

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Ich habe das oft erprobt. Es erfordert eine nur geringe Uebung, um auf diese Weise das Larynxinnere zu überschauen und ich muss be- kennen, dass es mir das erste Mal fast mährchenhaft vorkam, als beim weiten Oeffnen der Stimmbänder plötzlich eine hellrothe Flamme mir entgegenschlug, und nur um dieses malerische Bild zu sehen, verlohnt es sich der Mühe, die Methode einmal erprobt zu haben. Ich war zwar nicht im Stande, leichte Structurveränderungen an den Stimmbändern, wie z. B. leichte ulcerative Processe derselben mit Hülfe der Durchleuch- tung zu erkennen. Vielleicht wird man bei grösserer Erfahrung auch das ermöglichen können. Was ich aber immer deutlich und zwar meist besser als mit dem Laryngoscop sehen konnte, war die Regio subglottica bis zur Theilungsstelle der Trachea. Die Lichtstrahlen, die von der gewöhnlichen Gas- oder ähnlichen Lampe in den Larynx geworfen werden, haben auf dem Wege bis zur subglottischen Region schon eine , solche Schwächung erfahren, dass wir diese Theile immer nur mit Mühe sehen können. Bei der Durchleuchtung hingegen kommen die Strahlen direct von Aussen nach Innen, und erhellen den ganzen Raum, d. h. wenn überhaupt eine Durchleuchtung gelingt. Denn, meine Herren, auch diese Methode hat ihre Grenzen, wie z. B. bei sehr fetten Indi- viduen u. s. w.

Aber trotzdem sie uns manchmal im Stiche gelassen hat, können wir doch nicht der Ansicht Roth's *) beipflichten, der zwar die hohe Be- deutung derselben anerkennt, aber mit den Voltolini'schen Instrumenten keinen rechten Erfolg erzielen konnte. Es wundert mich das nicht, da es mir Anfangs ganz ähnlich ergangen ist. Auch ich experimentirte mit den verschiedensten Instrumenten herum, und wollte schon die ganze Methode als unbrauchbar aufgeben, als es mir einfiel, dass die Instru- mente doch nicht die richtigen sein möchten.

Professor Voltolini war daher vor seinem Tode noch so freundlich gewesen, mir den ganzen Apparat herzuschicken, und damit änderte sich sofort die ganze Sachlage, denn ich konnte sehr bald ein gründ- liches Bild des Larynxinnern bekommen. Da es Roth wahrscheinlich in Folge der Unvollständigkeit seiner Apparate nicht gelungen war, deutlich zu sehen, denn aus der Beschreibung Yoltolini's konnte man nicht genau die Construction' der Instrumente erkennen so leitete er nach dem Vorschlage Gärtner's, ähnlich wie bei der von Kochs und Wolz construirten Mikroscopirlampe, das Licht einer kleinen Edison- lampe durch einen cylindrischen, rechtwinkelig abgeschnittenen Glas- stab hindurch, und er rühmt diesem Apparate viele Vorzüge für den Larynx und die Nase nach. Für die letztere muss ich sie auch zum Theil anerkennen, da sie mir für die Durchleuchtung des Septums zweckmässiger erschienen ist, als die Voltolini'sche Methode und zwar desshalb, weil man den Stab sehr lange in der Nase halten kann, ohne dass eine Erwärmung der benachbarten Theile eintritt, was bei dem Glühlämpchen sehr schnell der Fall ist. Aber für den Larynx eignet

*) Wilh. Roth : Die Anwendung des elektrischen Lichtes in der Laryngos- copie etc. Wiener Medicinische Presse, No. 10 und 11, 1889.

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sich der Glassstab nicht. Um den Larynx zu erleuchten, ist er zu schwach und seine Wirkung ist eine zu locale. Man müsste 2 3 solcher Stäbe neben einander halten, wollte man dasselbe Bild des Kehlkopf - innern erhalten, wie mit dem Voltolini'schen Apparat. Daher möchte ich Ihnen den letzteren empfehlen, wenn es sich um eine genaue Diagnosenstellung handelt, den Gärtner'schen Apparat aber da, wo äussere Umstände den Transport des umfangreichen Voltolini'schen Apparates verbieten.

M. H. ! Gestatten Sie mir noch einige Worte über die Stimmbänder selbst. Schon Czermak glaubte mit Hülfe der Durchleuchtung die ver- ticalen Durchmesser, d. h. die Dicken der Stimmbänder erkennen zu können. Ich glaube kaum, dass wir selbst jetzt schon so weit sind. Wir können nicht ohne Weiteres von der stärkeren oder schwächeren Durchleuchtung der Stimmbänder in ihrem ganzen Umfange einen Schluss auf die Dicke derselben ziehen. Denn zunächst hat das durch- fallende Licht das Gerüst des Larynx zu passiren und von der Durch- gängigkeit dieses Gerüstes hängt es ab, wie viel Licht überhaupt die Stimmbänder erreichen kann. Bei sehr starkem Gerüst wird nur wenig- Licht hindurchdringen können, und die Stimmbänder werden, wie das ganze Innere des Larynx, in diesem Falle dunkler erscheinen, als ge- wöhnlich. Es wäre daher falsch, hier von einer Verdickung der Stimm- bänder zu sprechen. Erlauben Sie mir zur Erläuterung dessen ein Bei- spiel anzuführen. Ich hatte Gelegenheit einige berufsmässige Sänger auf diesen Punkt hin zu untersuchen. Es waren ihrer im Ganzen 6. Von diesen hatten 2 starke Hyperplasieen der sog. Zungentonsille, so dass also schon desswegen das ganze Bild ein undeutliches wurde, da die herabgedrückte Epiglottis überhaupt nur einen schwachen Einblick in den Larynx gewährte. Bei den übrigen vieren aber konnte ich auch kein deutliches Bild bekommen, ohne einen plausiblen Grund dafür zu finden. Es war weder viel Fett, noch ein Struma noch sonst etwas dergleichen vorhanden. Sie sehen z. B. hier 2 ziemlich gleichalterige und ziemlich gleich gebaute Herren. Bei Herrn Dr. Schweitzer, der kein Sänger ist, sieht man das Bild sehr gut. Der andere Herr F., der berufsmässiger Sänger ist, zeigt ein sehr schlechtes Bild. Ich erkläre mir das so, dass durch die beständige Anstrengung die Kehlkopfknorpel an Masse zugenommen haben und für die Lichtstrahlen undurch- gängiger geworden sind. Ebenso wie bei Herrn F. verhielt es sich bei den 3 übrigen professionellen Sängern, die ich untersucht habe. Ich wage jedoch nicht, auf Grund dieser wenigen Untersuchungen, die obige Anschauung als eine feste Theorie aufzustellen, ich möchte nur die reine Thatsache, die ich in diesen Fällen beobachten konnte, con- statirt haben.

Ein anderer weiterer Vorzug, den Voltolini der Durchleuchtung als wahrscheinlich prophezeit hat, ist die Differenzialdiagnose zwischen malignen und benignen Tumoren der Stimmbänder, besonders an der unteren Fläche derselben. Nach ihm heben sich gutartige Tumoren von dem Stimmbande ab, während bösartige ihre Wurzeln in dasselbe

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hineinsenken. Ich hatte bisher nur einmal Gelegenheit, einen Fall von scheinbar bösartigem Tumor zu untersuchen. Es ist derselbe Patient, den Dr. Gleitsmann neulich bei Dr. Jacobi vorstellte und Dr. Gleitsmann war so freundlich, mir die Untersuchung desselben zu gestatten. Patient war inzwischen cauterisirt worden und was ich sehen konnte, war eine Verdickung der Stimmbänder an den sich berührenden Flächen, während sie nach aussen und zum Theil auch nach vorne hell durchschienen, also nicht verdickt waren. Hieraus jetzt eine Diagnose zu stellen, wäre wohl nicht möglich. Es tragt sich nur, ob wir in diesem Zustande überhaupt eine Diagnose stellen können. Die Zukunft muss lehren, in wie weit diese Methode hierfür zu verwerthen sein wird.

Wir kommen jetzt zur Durchleuchtung der Nase und ihrer Neben- höhlen. Ich erwähnte schon vorhin, dass ich für die Untersuchung des Septums den Glasstab vorziehe. Anders aber verhält es sich mit dem Antrum Highmori. Voltolini selbst hatte Gelegenheit einen sehr ecla- tanten Fall zu demonstriren, bei dem es sich um eine Cyste des Antrums handelte. Bei seiner Beschreibung muss es aber Jedem auffallen, dass er, wie Heryng *) richtig sagt, das wichtigste Symptom des Empyems, nämlich das Dunkelbleiben der erkrankten Seite bei der Durchleuchtung nicht genügend betont, und die Symptome des Empyems mit denen der Cyste, die gerade verschieden sind, zu verwechseln scheint. Einer der hauptsächlichsten Gründe zur Anschaffung des Durchleuchtungsappa- rates war für mich, dass ich sehr grosse Hoffnung auf denselben in Bezug auf die Diagnose der Antrumerkrankungen setzte. Es ist mir die Hoffnung aber nicht ganz realisirt worden. Es ist mir bisher nicht oft gelungen, das Antrum zu durchleuchten, selbst bei Leuten nicht, die ganz sicher keine Erkrankung desselben hatten. In einem Falle hin- gegen, und ich möchte das besonders hervorheben, wo ich sehr zweifel- haft war, ob Eiter im Antrum vorhanden war oder nicht, konnte ich mit Bestimmtheit feststellen, dass keiner da war, da ich beide Höhlen vollständig durchleuchtet sehen konnte. M. H., die Bedeutung dieser Thatsache ist nicht hoch genug anzuschlagen.

Es handelte sich in dem Falle um ein 15j ähriges, sehr ängstliches Mädchen, bei der sich, so zu sagen, unter meinen Augen eine Ozäna entwickelte. Als sie mir am 27. Januar 1889 durch die Freundlichkeit des Herrn Dr. Schaie zugeschickt wurde, zeigte es sich, dass sie schon früher an Nasenbluten und zeitweiligem üblem Geruch aus der Nase gelitten hatte. Ich konnte jetzt eine Rhinitis purulenta, besonders stark auf der rechten Seite constatiren und ausserdem Pharyngitis granulosa und Laryngitis subacuta. Von einer Ozäna war damals absolut nicht die Rede. Unter alkalischen und adstringirenden Solu- tionen besserte sich der Zustand etwas und Patientin verschwand bald aus der Behandlung. Als sie Ende August wieder zu mir kam, war das erste, was man bemerken konnte, ein ganz penetranter Gestank aus der Nase. Die Untersuchung bot das classische Bild einer Ozäna dar.

*) Heryng : Die elektr. Durchleuchtung der Highmorshöhle bei Empyem. Berl. Klin. Wochenschrift, No. 35 und 3fi, 1889.

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Daneben bestanden sehr heftige Kopfschmerzen, so dass in mir die Vermuthung auftrat, dass Eiter im Antrum zurückgehalten werde und durch seine Zersetzung den Geruch verursache. Das Mädchen hatte schlechte Zähne, und ich war nahe daran, einen Zahn probeweise zu extrahiren, beschloss jedoch, als mir dies verweigert wurde, noch einmal einen Versuch mit der Durchleuchtung zu machen. Der Versuch be- lehrte mich sofort, dass kein Empyem vorhanden war, da ich gerade in diesem Falle beide Höhlen sehr gut durchleuchtet sah. Natürlich stand ich von jedem weiteren Versuch, das Antrum zu eröffnen, ab.

Von welch grosser Bedeutung diese Explorationsmethode aber für die Fälle ist, wo wirklich Empyem des Antrums besteht, hat Heryng (loc. cit.), einer der sehr Wenigen, die über diesen Gegenstand ge- schrieben haben, in einem sehr schönen Artikel erst kürzlich nachge- wiesen. Er hat in 10 Fällen, wovon 7 operirt wurden, vermittels der Durchleuchtung bestimmt nachweisen können, dass Eiter im Antrum vorhanden war. Man darf wohl erwarten, dass auf seine Autorität hin bald mehr Versuche damit angestellt werden.

Ich konnte nicht dieselben guten Eesultate erzielen, wie Heryng. Ich werde mich aber dadurch nicht abschrecken lassen und schreibe vor- läufig meine mancherlei Misserfolge theilweise den noch nicht practisch genug construirten Voltolini'schen Instrumenten zu. Um diese zu ver- bessern, hat Heryng eine kleine Glühlampe an dem Türck'schen Zungen- spatel angebracht und damit seine guten Resultate erzielt. Ich habe das nachzumachen versucht, kann aber darüber noch kein Urtheil fällen, da ich den Apparat erst vor Kurzem und noch dazu unvoll- kommen erhalten habe.

Wie dem aber auch immer sein möge, ob man in allen oder nur in einigen Fällen Aufschluss über den pathologischen Inhalt der Ober- kieferhöhle erlangt, man wird bei der noch immer vorhandenen grossen Unsicherheit in der Diagnose der Antrumerkraukungen diese absolut schmerz- und gefahrlose Methode allen Probepunktionen und Extrac- tionen entschieden vorziehen müssen, und hier wird vielleicht noch viel mehr, als im Larynx durch diese Methode geleistet werden können.

Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass auch die Durch- leuchtung des weichen Gaumens leicht gelingt entweder vom Munde aus oder indem man nach Heryng ein Glühlämpchen durch den unteren Nasengang führt.

M. H.! Ich gebe mich der angenehmen Hoffnung hin, dass Sie mit mir den grossen Werth dieser Explorationsmethode, die allerdings erst im Anfange ihrer Entwickelung steht, anerkennen werde n. Rudolf Voltolini hat dieselbe noch in seinem 70. Lebensjahre erdacht und hat sich selbst damit das beste Denkmal gesetzt, ein Monumentum, wenn auch nicht gerade aere perennius, so doch in Verbindung mit seinen übrigen Leistungen von lang nachwirkender Dauer, und wir werden den Manen des dahingeschiedenen Gelehrten das beste Opfer bringen, wenn wir mithelfen an dem Aufbau dieser seiner letzten Idee mitzuarbeiten und sie zu vervollkommnen. 1042 Lexington Ave,

II.

Zur operativen Behandlung des Erysipels.*)

Von

Dr. Willy Meyer,

New Yobk.

Herr Präsident und meine Herren!

Gestatten Sie mir, Ihnen ein paar Worte über die operative Behand- lung des Erysipels an der Hand eines zweiten von mir wieder mit Glück auf diese Weise behandelten Falles zu sagen. Schon zur Zeit der Dis- cussion über Dr. L. Weber's dieses Thema behandelnden Vortrags f ) vor einigen Monaten nahm ich an dieser Stelle Gelegenheit, mit dem Herrn Vortragenden darauf hinzuweisen, dass es heutzutage Pflicht jedes Arztes sei, sowohl beim Extremitäten- und Bumpferysipel, als in schweren Fällen von Kopfrose nicht die Hände in den Schooss zu legen und durch innere Mittel, Stimulantien etc. die allgemeinen Begleiter- scheinungen und Folgen des Erysipels zu bekämpfen, sondern operativ vorzugehen |), denn die Thatsache steht fest: Das Erysipel an diesen Stellen steht mit fast absoluter Sicherheit unter der Botmässigkeit des Messers ! Ich führte damals einen auf diese Weise mit eclatantem Erfolge behandelten Fall an. Heute kann ich über einen zweiten be- richten, der desshalb so interessant ist, als er zeigt, was man erreichen kann, wenn das Erysipel überhaupt noch zu umgrenzen ist, vorausge- setzt, dass man nicht aufhört, ihm scharf zu Leibe zu gehen. Am 16. September d. «J. wurde ich von einem befreundeten Collegen gebeten, ein 20 Monate altes Baby zu sehen, das seit dem Morgen im Anschluss an ein paar kleine perforirte Eiterpustelchen des linken Unterschenkels mit deutlichem Erysipel erkrankt war. Temp. über 104°, Unruhe. Da die Diagnose fest stand, trafen wir uns, gleich zu dem kleinen Eingriffe vorbereitet, noch am selben Abende. Die Rothe reichte in unregel- mässigen Conturen nach oben bis fast zum Ligam. patell., nach unten bis in die Nähe der Malleolen. Unter Chloroformnarcose umgaben wir nun die Extremität nach oben, wo ja die Gefahr des Fortschreitens am grössten war, in schrägem Bogen, etwa in der Höhe der Mitte des Knie- gelenks, mit dem bekannten Gitter §) und zwar nach Lauenstein's Modi-

*) Vorgetragen in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 7. October 1889.

f) New York Medical Record, May 25, 1889, p. 568.

X) Medicinische Monatsschrift, Bd. I., Heft 7, p. 385.

.§) Centralblatt für Chirurgie, 1887, No. 19.

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fication der Kraske- BiedeV 'sehen Methode*) ganz im Gesunden, gut 1 1£" von der Erysipelgrenze entfernt. Unten machte ich in etwa gleich grossem Abstände ein einfaches Zickzack. Am nächsten Tage war unter etwas geringerem, aber doch noch ziemlich lebhaftem Fieber das Erysipel bis zu der Barriere vorgeschritten. Die Kegion, in der es wüthete, war sehr gespannt und roth, mit Bläschen bedeckt und wie es schien, auf Druck schmerzhaft. Aber über den Gittergraben war das Erysipel nicht gesprungen, weder nach oben, noch nach unten. Nach unten reichte es bis in die Nähe der Skarif. -Linie ; oben, wo es offenbar am Meisten progredient war, ging es bis in die nach unten offenen Zacken hinein. Sie waren dunkelroth. Die angrenzenden umzeichneten Vier- ecke aber waren schneeweiss, wie die Farbe der übrigen normalen Haut. Das Bild war ausserordentlich lehrreich und beweisend.

Oberschenkel.

Unterschenkel.

Die kleinen Skarificationsschnitte selbst waren zum Theil deutlich entzündet und leicht secernirend. Der Grund dafür mag wohl haupt- sächlich in der nahegelegenen Infection zu suchen sein, sicherlich war aber auch die Tiefe der Einschnitte Schuld daran. Ich hatte nämlich beim Anlegen der letzteren die elastische Kinderhaut stark angespannt, die Weichtheile zwischen Daumen und Zeigefinger vorbauchend. Jeder Schnitt, bis in den Papillarkörper eindringend, hatte geblutet, wie die Vorschrift verlangt. Beim Nachlassen der Spannung schnellte der Schnitt aber zu einer solch feinen roth gefärbten Linie zusammen, dass ich fürchtete, der Eingriff möchte vielleicht doch zu oberflächlich gemacht sein. Ich zog darum vorn und zu beiden Seiten die meisten Schnitte noch einmal nach. Sie wurden dadurch tiefer als nothwendig und musste die Reaction demgemäss eine intensivere sein. Ohne Frage genügt es, dass die Schnitte gerade bluten. Ein „Mehr" ist vom Uebel. 36 Stunden nach der Skarification war die Temperatur normal. Doch schon nach 2 Stunden zeigte das Thermometer wieder 104°. Als Ursache fanden wir bei sofortiger Untersuchung ein Erysipel am anderen Unterschenkel mit allen seinen charakteristischen Eigenschaften. Auch hier waren ein paar Pusteln die Eingangspforte, trotzdem sie sorgfältig die ganze Zeit über geschützt gewesen. Nach Verlauf von 5 Stunden es war nicht anders zu arrangiren Skarification am rechten Unterschenkel, eben-

*) Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 11, 1889.

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falls unter Chloroform in derselben Weise wie vorher links, nur machte ich das Gitter etwa \" näher an der Erysipelgrenze als vordem. Ich that das, um dem schwächenden Feinde ein um so kleineres Terrain Preis zu geben. Wieder wurden die kleinen Wunden tüchtig mit l%o Subl. abgerieben und mit ebenso befeuchteter Gaze verbunden. Erfolg: Fieberabfall bis zum Abend um bis auf 103°, sonst St. idem. Der Grund des nicht erreichten totalen Temperaturabfalls stellte sich am nächsten Morgen heraus. Das Erysipel hatte an der Vorderseite des Oberschenkels den Wall zungenförmig übersprungen und auch den Fuss invadirt. Ich möchte den Grund dafür hier in der Thatsache finden, dass der Kothlauf in diesem Falle überhaupt die Tendenz hatte, sprungweise vorzuschreiten und vielleicht vor dem Eingriffe einen schmalen Ausläufer in die noch nicht geröthete Haut jenseits des ge- setzten Gitters geschickt hatte. Wir beobachteten das Kind noch bis zum folgenden Tage, da die Allgemeinerscheinungen sehr gering waren. Die Kraft des Erysipels war ohne Frage gebrochen. Da die Rothe sich aber langsam vorwärts schob und ein Ueberschreiten des Lig. Poupart. eine räumlich sehr viel grössere spätere Skariflcation benöthigt hätte, so chloroformirten wir am 20. September zum dritten Male und machten nun die Skariflcation an der Grenze des Erysipels genau dem Contour der erwähnten Zunge folgend, nur an der Vorderfläche des Ober- schenkels also nicht circulär.

Am Abend war die Temperatur um 1^° niedriger, am folgenden Morgen normal, um nicht wieder zu steigen. Dass hier der Eingriff wieder das allerdings geschwächte, aber doch deutlich langsam fort- schreitende Erysipel eindämmte, liegt auf der Hand. Vom Augenblicke der gesetzten Skariflcation an trat Nachlass des Fiebers ein.

Bemerken möchte ich zum Schluss :

1. Das Rationellste und Beste bei der operativen Behandlung des Erysipels scheint zu sein : Die Skariflcation nach Lauenstein ganz im Gesunden anzulegen.

2. Das Gitter macht man am besten so, dass der Schrägschnitt gleich dem längs gerichteten folgt.

3. Die Schnitte sollen nicht zu tief gemacht werden, sie sollen eben bluten. Man bedarf dazu der Narcose.

4. Ueberspringt das Erysipel hier und da den Grenzwall, so soll man den oder die betreffenden Abschnitte so lange attaquiren, bis Tempera- turabfall vorhanden ist, auch wenn die Intensität der Infection deutlich geschwächt erscheint.

5. Nachbehandlung muss die feucht-antiseptische sein, am Besten mit in Sublimat 1 : 1000 angefeuchteten, 2 3 Mal pro die zu wechselnden Gazecompressen.

III.

Die Behandlung des Trachoms.

Von

Dr. Siegfried Fischer,

New York.

Seit vielen Jahren war es mein Bestreben, eine bessere Behandlung des Trachoms zu finden. Jeder Ophthalmologe weiss, dass Cupr. sulf. in Substanz, kurz „Blaustift" genannt, nicht das leistet, was man in An- betracht seines Weltrufes von ihm zu erwarten geneigt wäre.

In einer grossen Zahl von Trachomfällen ist seine Anwendung voll- ständig überflüssig, in einer, wohl noch grösseren Zahl, selbst gefähr- lich : Statt die Heilung herbeizuführen, verschlimmert er die Krankheit.

Unglücklicherweise ist es ihm gelungen, überall Boden zu gewinnen und hat er so nun einen Schlendrian grossgezogen, den wir heute etwas illustriren wollen.

Das bei Trachombehandlung bis jetzt richtige Gesetz lautet : Die Hyperämie resp. Entzündung der Conjunctiva zurückhalten, wo sie zu stark ist und sie hervorrufen, wo sie zu schwach ist, in der Meinung, dass ein gewisser, nicht zu starker Grad der Hyperämie resp. Ent- zündung der Besorption der Trachomfollikel am zuträglichsten ist.

Die mit dem „Blaustift" zu behandelnden Fälle nun beschränken sich auf eine verhältnissmässig viel geringere Zahl, als man erwarten könnte.

Gewöhnlich kommen die Kranken erst dann in Behandlung, wenn die Krankheit schon längst in das Stadium der Chronicität getreten ist.

Das Uebergangsstadium zwischen dem acuten und chronischen Zustande ist aber diejenige Periode, in welcher der „Blaustift" angezeigt ist: Ein Stadium, in der die Trachomfollikel in eine Art ich möchte sagen des „NicJttsthuens" getreten sind. Da ist es am Platze, sie aus ihrer Unthätigkeit aufzuwecken und das kann mit Cupr. sulf. ohne Zweifel auch sehr schön gethan werden ; nur soll man diese Handlung nun nicht schablonenmässig ausüben und immer drauf los touchiren, wie wenn das selbstverständlich wäre.

So ein armer Teufel mit Trachom kommt in eine Anstalt, er ist mit der Diagnose „Trachom" in's Buch eingetragen. Da der „Chef" der Abtheilung noch nicht zur Stelle ist, besorgt der Assistent die weniger wichtigen Patienten, um dem „Chef" die lästigen Fälle wegzunehmen (darunter gehört natürlich auch der Trachomfall).

Im Nu sitzt der „Blaustift" auf und unter dem umgeschlagenen obern Lide, fährt auch, wenn beispielsweise auch kein einziger Trachom- follikel am untern Lid sitzt, zur „Fürsorge" auch dort darüber und

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ganze Wendung der arme Teufel winselt vor Schmerzen und verläset die Anstalt.

Gerade in Trachomfällen ist es, meiner Ueberzeugung nach, eine strafbare Gleichgiltigkeit, schablonenmässig vorzugehen, ich sage, dass es unrichtig ist, sie als „gewöhnliche" Fälle zugleich auch als leichte, gleichgiltige zu bezeichnen und ist es meiner Ansicht nach sehr angezeigt, eben den „Chef" abzuwarten und der soll nun entscheiden, ob heute die zur Kesorption nöthige Schwellung resp. Entzündung der Conjunctiva vorhanden ist oder ob sie durch Cupr. sulf. hervorgerufen werden soll.

Ich will damit nicht sagen, dass der assistirende Arzt das nicht auch 11 um kann, richtet sich doch häufig die Fähigkeit des Menschen nicht nach seinem Titel, sondern ich will damit hervorheben, dass dabei wissenschaftlich gedacht und gehandelt werden sollte.

Die ganze Sache mit dem „Blaustift", den, nebenbei bemerkt, ich schon in einen Halter gebracht, richtig, wie eine Schreibfeder, hinter ein Ohr gesteckt sah, erinnert mich sehr an den oft citirten Scherz meines lieben Lehrers, Prof. F. Horner in Zürich, dass zur Zeit des Abusus des Calomels sich in der "Weise documentirte, dass in jeder Klinik der Wärter mit Calomelschachtel und Pinsel hinter die Thür auf die Lauer gestellt wurde und jeden Eintretenden meuchlings überfiel und ihm so und so viel Calomel in die Augen warf, sich dann befriedigt zurückzog, um andere Opfer abzuwarten.

So ging und geht es noch häufig mit Atropin, während es sich heraus- gestellt hat, dass Atropin in sehr vielen Fällen eine nachtheilige, oft geradezu höchst gefährliche Wendung für das Auge hervorzurufen im Stande ist.

Bei Verwechslungen mit dem sog. rein papillären Trachom, was im Grunde genommen kein Trachom, sondern ein späteres Stadium der Blennorrhoe ist, schadet der „Blaustift", da hier das Wachsthum der Papillen durch die gesetzte Hyperämie nur begünstigt und die ad- stringirende Wirkung desselben für solche Gebilde nicht in Be- tracht kommen kann. Hier ist Argent. nitr. in Substanz (mitigat.) oder in starker wässriger Lösung, mit sofortiger Neutralisation, am Platze.

Gerade durch den unsinnigen und häufigen Gebrauch des Cupr. sulf. in Fällen, wo die Conjunctiva so wie so entzündet ist, sieht man nicht selten Pannus sich entwickeln. Noch mehr ! Man führt durch diese verfehlte therapeutische Handlung die bis jetzt, noch aus lymphoiden Zellen, mit kleinzelliger Umhüllung bestehenden Trachomfollikel in ein für die Heilung viel schwierigeres Stadium : In das der fibrösen Umhüllung, selbst in das der fibrösen Degeneration des ganzen Fol- likels. Man glaube nun ja nicht, dass gerade die fibröse Entartung die Anwendung des „Blaustiftes" erheische, um durch die dadurch hervorgerufene Hyperämie der Conjunctiva die Kesorption zu begün- stigen. Die Zeit der Resorption ist dann, wenigstens für diese Art Therapie, vorüber. Diese entarteten Trachomfollikel enthalten übrigens so wie so eine Unmasse kleiner Blutgefässe und begünstigt man durch

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erzwungene Hyperämie nur das Wachsthum der jetzt oft warzen- förmigen Gebilde.

Beim Suchen nach einer zuverlässigem Behandlungsweise des Tra- choms kam ich zu folgenden Resultaten :

Im acuten Stadium behandle man vorsichtig antiphlogistisch.

Sobald die Papillarwucherung zunimmt, gebrauche man leichte Ad- stringentien, besonders schwache, warme Lösungen von Arg. nitr., die je nach Bedürfniss, d. h. je nach dem Schwellungszustande, verstärkt oder geschwächt werden.

Der „Blaustift" ist auf die Fälle zu beschränken, in denen im Ueber- gangsstadium des acuten in das chronische oft ein indolentes Verhalten der Follikel, mit Ablassung der Schleimhaut, eintritt und wo es ange- zeigt ist, durch Cupr. sulf. in Substanz oder einer Glycerinlösung einen gewissen Grad von Schwellung und Hyperämie hervorzurufen und zu unterhalten.

Die Sublimatbehandlung ist, trotzdem man ihre Wirkung von dem Vorhandensein von Bakterien ableitete, nicht in dem Grade nützlich, wie man glauben möchte. Italienische Augenärzte preisen Sublimat als Specificum gegen Trachom und in der That ist es dem ,, Blaustift" vor- zuziehen ; die Eigenschaften eines Specificums hat es aber nicht. Eines aber ist dabei von Nachtheil : Um eine ordentliche, ersichtlich gute Wirkung mit Sublimat hervorzubringen, muss man sehr starke Lösun- gen gebrauchen, Lösungen, die nicht etwa der Schmerzen wegen gefährlich sind die Schmerzen sind bei Sublimatbehandlung, auch ohne Cocain, gering sondern weil die geringste Spur solch' starker Lösungen, zufällig auf die Cornea überfliessend, dort das Epithel in Form von kleinen Blasen abhebt, welche platzen und einen Substanz- verlust an der Cornea setzen, der leicht zu unerwünschten Compli- cationen Anlass gibt.

Die Zinnoberbehandlung, wie die gelbe Präcipitatsalbe, haben mir oft ausgezeichnete Dienste geleistet, und sind beide, besonders die erstere, in frühen Stadien sehr zu empfehlen.

Ich versuchte auch Phosphor in öliger Lösung. Ich fand das Mittel sehr verwendbar, wie ich es auch für alte Trübungen der Cornea, oft mit ausgezeichnetem Erfolge, schon lange gebrauche.

Bei fibröser Entartung der Trachomfollikel brauchte ich Milchsäure in verschiedener Stärke. Mit Ausdauer lässt sich etwas erzielen. Die Schmerzhaftigkeit ist gering, selbst bei sehr starker Lösung. Es ent- steht aber daraus leicht Narbenbildung, was aus der Obliteration der Gefässe und dem fibrösen Rückstand bei dieser Behandlung resultirt.

Ich führe diese Behandlungsweise aber doch an, weil Fälle vor- kommen, in denen umschriebene Stellen einen sehr grossen Blutreich- thum zeigen, die zeitweilig mit Milchsäure zweckentsprechend behandelt werden können.

Argent. nitr. wird jetzt noch häufig als bei Trachom ausgezeichnetes Mittel gepriesen.

Betrachtet man das Gesagte, so wird man leicht einsehen, für welche

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Fälle Argent. nitr. zu wählen ist. Es sind die einfachen granulären, papillären und gemischten Formen, während bei reinen Trachomfällen die Wirkung keine extra gute sein kann, da in schwacher Lösung der Effekt irgend einem andern, üblichen Adstringens gleichkommt, in sehr starker Lösung aber oder in Stiftform die Narbenbildung begünstigt wird.

Im chronischen Stadium des Trachoms in dem wir meistens die Pa- tienten in die Behandlung bekommen, ist die Elektrolyse nicht zu über- treffen. Da diese Behandlungsweise bei Trachom wohl neu ist, will ich den Modus operandi in Kürze auseinandersetzen : Man spiesst die Follikel horizontal zur Unterlage an und nimmt dabei, wenn nöthig, ver- schiedene Follikel auf eine Nadel. Ich führe die Nadel gewöhnlich so durch, dass ich die Nadelspitze iu der gewünschten Richtung aufsetze, den Strom schliesse, dann die Nadel leicht andrücke, so dass sie, die Gewebe an ihrer Spitze und den Seiten lösend, wie durch Butter durchschlupft.

Die Nadel löst die ihr anliegenden Gewebe, bildet so einen Tunnel mit zwei Ausführungsgängen, aus denen die gelösten Massen und die übrigen lymphoiden Gebilde, mehr oder weniger leicht, heraussickern können. An der Ein- und Ausstichstelle der Nadel bildet sich, wenn z. B. ein schwacher Strom geschlossen ist, eine schwache Hyperämie, die sich rasch über die ganze angestochene Stelle hinzieht und ihr ein dunkel- rothes, durchscheinendes Aussehen verleiht. In der allernächsten Nähe der Nadel werden durch die Elektrolsyse die Gefässe zerstört.

Ist der gebrauchte Strom stark, die Nadel breit, so wird der über der Nadel liegende Theil des kranken Stratums bald anämisch ; färbt sich aber rasch blauroth, sobald die Nadel entfernt ist. Die Nadel kann man zurückziehen, sobald sich an der Ein- und Ausstichstelle ein kleines Depot weissen Schaumes gebildet hat und man findet, dass die Nadel nur noch ganz lose im Canal sitzt. Nachher wird Sublimat- oder Jod- lösung applicirt. Diese letztere Procedur ist nicht' unbedingt nöthig, da die Resorption doch vor sich geht ; in einigen Fällen schien es aber die Heilung zu begünstigen, wesswegen ich es doch erwähnen wollte.

Die Patienten vertragen die Elektrolysis am Lide sehr gut, fühlen kaum Schmerz dabei und sind sie wirklich ganz glücklich, besonders, wenn sie vorher mit dem „Blaustift" monate- ja jahrelang behandelt oder besser ausgedrückt misshandelt wurden.

Will man die Ein- und Austrittsstelle der Nadel vor Zerstörung durch die Elektrolysis schützen, so benützt man Nadeln, die an den ent- sprechenden Theilen mit Firniss überzogen sind.

Die Elektrolysis ist sowohl bei fibrös entarteten Follikeln, wie in frühern Stadien anwendbar. Im acuten Stadium ist sie nicht nöthig, da dann der Resorption bei zweckentsprechender Behandlung nichts im Wege steht ; ich sage zweckentsprechender Behandlung, weil gerade in diesem Stadium durch zu eifriges, multiples Behandeln oft mehr ge- schadet, wie genützt wird.

Der Erfolg lässt bei Anwendung der Elektrolysis nicht lange auf sich warten. Die Schwellung und allfällige Entzündung nehmen ab, die

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vielen kleinen Höcker werden kleiner und verschwinden bald ganz. Narben bildung habe bei frühzeitiger Anwendung nicht beobachtet. Ist schon starke Narbenbildung zwischen den Follikeln vorhanden, so kann natürlich das durch die Elektrolysis nicht geändert werden ; aber das Gute hat sie selbst dann noch, dass, wenn diese bestehenden Follikel noch mit den Verhältnissen gemäss gesunder Conjunctiva bedeckt sind, letztere z. B. nicht vorher schon mit Argent. nitr. zerstört wurde, oasen- weise die Bindehaut schliesslich noch übrig bleibt und einen vortheil- haften Einfluss auf das Auge ausübt.

Bei gleichzeitig bestehendem Pannus ist die Elektrolysis von aus- gezeichneter Wirkung, indem durch die Abflachung der granulirten innern Lidfläche das Hauptmoment, das den Pannus bilden half und unterhält, wegfällt und nicht wie die meisten andern Mittel gleichzeitig eine überstarke Hyperämie der ganzen Conjunctiva hervorruft, die den Pannus meistens noch vergrössert und so die Cornea in einen immer zweifelhaftem Zustand versetzt.

Ist es nöthig, die bei Pannus in Frage kommende Gefässbildung zu reduciren, z. B. durch den Galvanokauter, durch eine Peritomie oder sonstwie, so kann man, wie ich gefunden habe, viel einfacher und be- quemer die Elektrolysennadel unter das betreffende Conjunctivalstück bringen. Man hebe die Nadel sodann mit den Gefässen von der Sclera ab, lasse den Strom durch und die gewünschte Durchtrennung ist in schönster Weise besorgt ; bei Anwendung von breiten Nadeln kann man die Distanz der Gefässenden nach Belieben erzielen.

Das Ausquetschen der Follikel zwischen den Fingernägeln, oder noch besser und etwas ästhetischer, mit einer dazu hergestellten Pin- cette, wirkt bei reinem Trachom oft sehr gut und hat diese Methode mit der Elektrolysis in so weit Aehnlichkeit, dass bei beiden der Inhalt der Follikel entleert wird und so zur Resorption gelangen kann, was bei den Follikeln mit fibröser Hülle, also allen im späten Stadium, anders schlechterdings beinahe unmöglich ist. Bei vollständig fibrös entarteten Follikeln ist auch dieQuetschpincette ohne Erfolg ; da tritt die Elektro- lysis wieder in ihre Rechte.

Das Ausquetschen ist, trotz Cocain, mit heftigen Schmerzen ver- bunden, die jeden Patienten ein zweites Mal davor zurückschrecken, es wäre denn mit Narcose.

Das Abtragen grösserer Conjunctivallappen zum Zwecke der Heilung sollte bei Trachom nicht mehr geübt werden ; denn die Narbenbildung ist unvermeidlich und die Transplantation von anderswo hergenom- mener Conjunctiva führt, nach vielfachen Versuchen, die ich gemacht, zu nicht gerade günstigem Resultate, da die Conjunctiva oft nicht anwächst und selbst, wenn sie es thut, beinahe ausnahmsweise später so zusammenschrumpft, dass es einer Narbe vollständig gleich kommt. Ich bin jetzt der Ueberzeugung, dass die Elektrolysis die Excision von Conjunctiva wegen Trachom unnöthig macht. Die Excision kleiner Conjunctivallappen mit nachheriger Verschiebung der zurückgebliebenen gesunden Partieen und gegenseitige Vernähung, bringt gute Resultate ;

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nur darf das zu entfernende Stück nicht zu gross und besonders die Uebergangsfalte der Coojunctiva nicht zu knapp zugemessen sein, da man bei solchen Verschiebungen besonders auf jeneConjunctivalgegend angewiesen ist.

Diese Behandlung hat den Vortheil der schnellen Heilung. Passende Fälle dazu sind aber selten. 314 East 15th Street.

IV.

Die Gastrodiapkanie. *)

(Vorläufige Mittheilung.) Von

De. Max Einhorn,

Arzt am Deutschen Dispensary zu New York.

Der Wunsch, das Sehen, jenen Sinn, der uns am schnellsten und sichersten die Abfassung eines Urtheils gestattet, auch bei der Diag- nosenstellung einer Magenerkrankung zu Rathe zu ziehen, ist längst fühlbar gewesen und hat zur Erfindung des Mikulicz'schen Gastroscops geführt. Soll jedoch eine Untersuchungsmethode angewandt werden, so darf sie weder für Arzt noch Patienten beschwerlich sein. Das Gastroscop ist nun vorläufig nicht in die Praxis übergegangen, weil dasselbe aus einem metallenen Rohr besteht, dessen Einführung sehr schwer und schmerzhaft ist. Zum Hineinsehen ist jedoch eine unbieg- same Röhre, damit der Canal sich nicht ändert, nothwendig.

Vor etwa zwei Jahren hatte ich den Gedanken, da man eben nicht leicht in den Magen hineinsehen kann, die Innenseite desselben zu photographiren. Dies sollte in der Weise geschehen, dass eine Edison'- sche Lampe sowohl wie eine sehr kleine Camera obscura an einem weichen Schlauch in den Magen gebracht werden. Durch plötzliche Schliessung des Stromes sollte eine Momentphotographie entstehen. Durch technische Schwierigkeiten wurde ich vorläufig von der Aus- führung dieses Planes abgehalten. Da kam vor etwa einem Jahre Voltolini's f) Arbeit über die Durchleuchtung des Kehlkopfs. Voltolini setzte die Lichtquelle an die Aussenseite des Halses und konnte bei dieser Durchleuchtung, mit dem Kehlkopfspiegel das Innere des Larynx deutlich sehen. Dieses brachte mich gleich auf den Gedanken, dass es möglich sein müsse, den Magen, falls in demselben sich eine Lichtquelle befände, durch die Bauchwand hindurch zu sehen, oder vielmehr den- selben durchscheinen zu lassen. Der Magen mit einem Licht darin bildet eine Art Laterne, die durch das transparente Gewebe kenntlich

*) Nach einem in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York am 4. November 1889 gehaltenen Vortrage mit Demonstration.

•f) Voltolini : Monatsschrift für Ohrenheilkunde, Kehlkopf, N., R. -Krank- heiten, No. 11, 1888.

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sein sollte. Da kleine Lichtquellen im dunkeln Kaum sich besser kund- geben, so folgerte ich, dass man den Magen am besten im dunkeln Zimmer würde durchscheinen lassen müssen.

Dieser Gedanke wurde von mir, Herr Präsident und meine Herren, wirklich ausgeführt, und er stellte sich als ziemlich folgerichtig heraus.

Zur Untersuchung bediene ich mich eines sehr einfachen Apparates, den ich hier bei der Firma J. Keynders & Co. habe construiren lassen ; derselbe besteht aus einem Nelaton'schen Schlauch, an dessen Ende eine aus Hartglass gebaute mit einem Kohlenfaden versehene Edison'- sche Glühlampe in Metall eingefasst sich befindet, von der aus Leitungs- drähte durch den Schlauch zur Batterie laufen ; in einiger Entfernung vom Schlauche befindet sich ein Stromunterbrecher. Die Einführung dieses Apparates in den Magen ist nicht schwerer, als die einer gewöhn- lichen Sonde. Ich lasse gewöhnlich Patienten bei leerem Magen 1 2 Glas Wasser trinken und führe dann den, mit etwas Glycerin be- strichenen, Apparat ein.

Diese Methode, den Magen zu untersuchen, möchte ich als „Gastro- diaphanie" — , weil man den Magen durchscheinend macht, und den dazu dienenden Apparat als „Gastrodiaphan" bezeichnen.

Der Zweck, den wir dabei verfolgen, ist vor allem die Grösse und Lage des Magens dem Auge zu veranschaulichen, zweitens aber wo- möglich Geschwülste oder sonstige grobanatomische Veränderungen der vorderen Magenwand zu erkennen.

Nachdem ich nun die Gastrodiaphanie öfter bei Menschen angewandt habe, fand ich beim Durchlesen der Literatur, dass das eben angegebene Princip, den Magen zu durchleuchten, bereits von Milliot *) im Jahre 1867 ausgesprochen und an Thieren versucht worden ist. M. bediente sich zu diesem Behufe einer engen Glasröhre, in welcher zwei dünne, mit den Elektroden eines Middeldorpf'schen Apparates verbundene Platindrähte sich befanden, so dass ein helles Licht erzeugt werden konnte.

Beim Menschen ist jedoch die Gastrodiaphanie noch nicht versucht worden, und bin ich wohl der erste, der davon Gebrauch machte.

Der zur Durchleuchtung des Magens dienende Apparat könnte auch für die Untersuchung des Colon angewandt werden. Auch hier wird man eine Füllung des Organs mit Luft oder Wasser zuvor vernehmen.

Herr Präsident und meine Herren, meine Untersuchungen über die Gastrodiaphanie sind erst im Entstehen begriffen, und ich würde Sie daher bitten von einer Discussion vorläufig absehen zu wollen, bis ich meine nächste Mittheilung über diesen Gegenstand gemacht habe. Für heute begnüge ich mich damit, Ihnen zu zeigen, dass man beim Menschen leicht den Magen durchleuchten und dem Auge anschaulich machen kann.

(Hierauf demonstrirte Redner der Versammlung die Gastrodia- phanie an einem 35 Jahre alten Patienten, der an Magendilatation litt ; man sah die untere Grenze des Magens in der Nabelgegend.)

*) Millich: Schmid's Jahrbuch, No. 136, p. 143.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT.

Organ für practisehe Aerzte in Nord- Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBEET.

Zur Ausbreitung der Tuberculose.

Die Art der Ausbreitung und des Verhaltens des Tubercelbacillus im Sputum ausserhalb des Körpers, ist in letzter Zeit namentlich von Cornet (Zeitschrift f. Hygiene, Bd. V.) klargelegt worden. Seine Unter- suchungen haben die von Koch schon vor Jahren in seiner „Aetiologie der Tuberculose" (Mittheil, aus dem kaiserl. Reichsgesundheitsamt, Bd. II.) ausgesprochenen Annahmen fast durchweg bestätigt, dahin gehend, dass der Pilz nach Zerstäubung des eingetrockneten tubercu- lösen Sputums seinen Weg durch Einathmung in die Lungen anderer Menschen findet. Man könnte es ja dahingestellt sein lassen, ob nicht in den meisten Fällen der Bacillus an den Händen, den Kleidern, der Bettwäsche und den Lippen der Tuberculosen haftend, durch Manipu- lation dieser Gegenstände resp. durch Küssen zuerst in die Mundhöhle der Zuinficir enden gelangt, anstatt direct von der Zimmerluft in die Lunge eingeathmet zu werden ; es würde das an der nunmehr wissen- schaftlich festgestellten Thatsache nichts mehr ändern, dass alle mit Tuberculosen in Berührung gelangende Personen der Gefahr der In- fection ausgesetzt sind, und zwar genau entsprechend der Nähe und Dauer dieser Berührung.

Dass dem Tubercelbacillus aber noch andere Wege als die der Ein- athmung offen sind, um in den menschlichen Körper zu gelangen, beweisen ausser anderen schon bekannten Forschungen, die Unter- suchungen von Fritz Steinthal („Ueber die Infectiosität des Fleisches der Tuberculosen", Münchener Medic. Wochenschrift, 8. Oct. 1889) und von Harold C. Ernst in Boston (How far may a cow be tuberculous before her milk becomes dangerous as an article of f ood ? Amer. Journ. of the Med. Sciences, Nov. 1889).

Die Arbeit Steinthal'a bestand darin, dass er im pathologischen Institut in München Theile der Psoasmuskel gestorbener Tuberculöser in einer Schraubenpresse ausdrückte und den so gewonnenen Fleisch- saft in die Bauchhöhlen von Meerschweinchen spritzte. Aus 18 derartig behandelten Thieren erkrankten 15 prompt an Tuberculose, 2 starben an infectiöser Peritonitis und 1 Thier erkrankte nicht. Kastner (Mün- chener Medic. Wochenschrift, No. 34 und 35, 1889) hatte allerdings ähnliche Versuche mit dem ausgepressten Fleischsaft von tuberculösen Rindern angestellt und hatte nur negative Resultate, jedoch erklärt sich der Widerspruch beider Forschungen wohl dadurch, dass Kastner das Fleisch von Thieren benutzt hatte, welche sich beim Schlachten als

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tuberculös erwiesen hatten, demnach sich noch in einem verhältniss- mässig frühen, mehr iocalen Stadium der Erkrankung befanden, während Steinthal das Fleisch von an Tuberculose Gestorbenen benutzte, bei welchen also der ganze Körper viel mehr von den Bacillen invadirt sein musste, als wie beim Schlachtvieh.

Ernst berichtet zuerst über die wahrscheinliche Inflcirung von drei Kindern einer bis dahin nicht tuberculösen Familie durch die Milch einer Kuh, welche schon im Jahr 1878 von einem Thierarzt als schwind- süchtig und deren Milch als gefährlich bezeichnet worden war. Die Kuh starb im Mai 1879 und die Section ergab allgemeine Tuberculose. Im folgenden August starb das Baby der Familie nach einer Erkrankung von 7 Wochen an, durch Section nachgewiesener, tuberculöser Menin- gitis. Im Jahr 1881 starb ein anderes dreijähriges Kind an Lungen- tuberculose und in 1886 starb dessen 9jähriger Bruder, der seit Jahren schwächlich gewesen war, an galoppirender Schwindsucht. Die Eltern und Grosseltern dieser Kinder litten nicht an Tuberculose. Diese Fälle beweisen nicht Nichts, wie Ernst meint, denn sie zeigen, dass die Tuber- culose von ausserhalb der Familie stammen kann, und hier höchst wahr- scheinlich von der tuberculösen Kuh, resp. ihrer Milch. Schon Hirsch- berger (Deutsches Arch. f. klin. Medic, Bd. XLIV., S. 500) fand, dass die Milch von 11 aus 20 tuberculösen Kühen infectiös sei. Ermst stellte Untersuchungen im Auftrag der " Massachusetts Society for the Pro- motion of Agriculture " an, welche ihm 36 tuberculose Kühe und eine, eigens für diese Versuche hergerichtete, Farmwirthschaft zur Verfügung stellte. Die bacteriologischen Arbeiten wurden in dem Laboratorium der Harvard Medical School ausgeführt. Während nun Hirschberger den Tubercelbacillus nur einmal in der Milch fand, gelang es Ernst, denselben in 36 aus 114 Milchproben zu demonstriren, und stammten diese Proben von 10 der 36 Kühe. Die Bacillen fanden sich ziemlich constant in der Milch derselben Kuh wieder. Diese Kühe litten mit einer möglichen Ausnahme nicht an Tuberculose des Euters. Seine Resultate sind folgende : 1. Die Milch von Kühen, welche an irgend welcher Form der Tuberculose leiden, kann Tubercelbacillen enthalten ; 2. Die Erkrankung des Euters ist nicht nothwendig zum Vorkommen der Bacillen in der Milch.

Diese Arbeiten zeigen, dass die Schwindsuchtskeime sowohl durch Fleisch als auch durch Milch in so erheblicher Anzahl in den Körper gelangen können, dass der Organismus dadurch der Gefahr der Infl- cirung in hohem Maasse ausgesetzt wird. Wohl tödtet der Magensaft den Bacillus und wohl gehört primäre Darmtuberculose zu den sehr seltenen Erkrankungen, aber wer kann sagen wie viele der beim Kauen des tuberculösen Fleisches und beim Trinken der tuberculösen Milch eingeführten Bacillen im Mund und Rachen hängen bleiben, um später auf eine etwa gerade catarrhalisch afficirte Larynx- oder Bronchial- schleimhaut zu gelangen um dort im Laufe der Zeit den Anfang des Endes in's Werk zu setzen ? Zweifellos aber zeigen diese Forschungen, dass die Stadtbewohner sehr vernünftig handeln, wenn sie ihr Fleisch

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gut durchgekocht oder durchgebraten gemessen und ihren Kindern nur solche Milch vorsetzen, welche durch mindestens einhalbstündiges Kochen bezüglich tuberculöser Keime unschädlich gemacht wurde. Die Sterilisation erweisst sich auch bei der Tuberculose als das einzig-zuver- lässige verhütende Mittel.

Die Aerzte und die Gesund heitsbehörde.

Vor einiger Zeit behandelte ein College das Kind eines Theehändlers in der First Avenue. Der kleine Patient litt an einer leichten diphtheri- schen Halsentzündung, wurde sofort isolirt und der Fall, trotz der Bitten des Vaters der für sein Geschäft fürchtete, der Gesundheits- behörde angezeigt. Dem inspicirenden Beamten war der irritirte Vater wohl nicht höflich und freigebig genug, und so wurde denn die ganze Abfallleitung des Hauses condemnirt und musste der Mann wohl oder übel eine neue Leitung anschaffen. Der College erhielt nun in Folge dessen einen Brief von dem Krämer, in welchem er mit beleidigendem Hohn und Spott als Hausarzt abgesetzt wurde, trotzdem er diese Stelle seit Jahren mit Erfolg versehen hatte.

Es gibt trotz aller Scepsis Collegen, welche alle Fälle von Infectionskrankheiten der Gesundheitsbehörde anzeigen, wie es das Gesetz verlangt. Leider könnte man kaum behaupten, dass es die Mehrzahl der Heilkünstler ist. Im Gegentheil, viele Aerzte zeigen nur solche Fälle an, welche mit tödtlichem Aus- gang zu endigen drohen ; andere berichten je nach Laune ohne Auswahl und ohne Nebenabsicht ; wieder andere zeigen alle Fälle unter der ärmeren Classe an und zwar recht streng und gewissenhaft, während bei den Reichen sich je nachdem nach der Decke resp. dem Gefühl der Familie gestreckt und gedehnt wird. Man tröstet sich mit dem Ge- danken, dass man in guten Familien selbst Alles thun könne und noch besser als wie die Gesundheitsbehörde.

Möglich dass nicht eine geringe Anzahl sondern eine geringe Güte der Gesetze die Moral erschlafft. Möglich aber auch, dass da wo Ge- setzvollstrecker schamlos offen ihre Aemter nur des lieben Geldes halber erstreben, dieselben mittelst desselben Mammons erwerben und nachher zum einzigen Zweck der möglichst gewinnreichen Ausbeutung ver- walten, — dass da auch jede Spur von Achtung vor dem Gesetz selbst schliesslich schwinden muss. Und leider machte in früheren Zeiten die sogenannte Gesundheitsbehörde keine Ausnahme in New York, denn manche Inspectoren machten nur dort Besuche, wo sie erwarten konnten, bestochen zu werden. Da ist es nun kaum zu wundern, wenn der Arzt bis vor zwei Jahren Gesundheitsamt sein liess was und wo es war, und nur dann einen Fall anzeigte, wenn derselbe mit schleunigem Exitus lethalis drohte.

Nun hat sich das aber seit zwei Jahren wesentlich geändert. Zwar ist der jetzige Präsident der Gesundheitsbehörde in der heutigen Hygiene ebenso unwissend wie irgend ein Nichtarzt sein muss, aber es

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herrscht doch dort ein ehrliches Bestreben sich endlich den Namen Ge- sundheitsbehörde auch zu verdienen, und eben in der den Infections- krankheiten geschenkten Beachtung zeigt sich dieses Bestreben am deutlichsten. Bedenken wir nun noch, dass selbst den Tüchtigsten und Ehrlichsten in dieser Behörde durch politische Einrichtung die Hände gebunden sind ; dass sie nicht Die anstellen die sie wollen, sondern die, welche sie anstellen müssen ; dass sie die alten Schwefelräucherungen und andere veraltete und werthlose Maassnahmen aus Sparsamkeits- rücksichten beibehalten müssen, und dass erst kürzlich im Verthei- lungsrath der Bürgermeister (Mayor) der Stadt die jährliche Bewilligung für die Gesundheitsbehörde von 430,000 Dollar mit einem Federstrich auf 395,000 Dollar verkleinerte (während die öffentlichen Parks 1,300,000 Dollar benöthigten), wenn man das Alles in Betracht zieht, so kann man den Herren die Anerkennung für das was sie jetzt leisten ent- schieden nicht versagen.

Für den Arzt aber ist es nicht allein ebenso, sondern ein noch viel grösseres Unrecht den sanitären Anordnungen ein Schnippchen zu schlagen, als dem Bierwirth es ist den verbotenen Sonntagstrank zu verkaufen. Ist das Gesetz da, so soll und, muss es befolgt werden. Die Kritik ist ja hier im Lande frei und nicht strafbar, aber der Einzelne hat sich der Majorität zu fügen. Es will uns oft scheinen als wären das die grössten und schärfsten Kritiker hiesiger Sanitätsgesetze unter den Collegen, welche im alten Vaterlande auch Mancherlei auszusetzen hatten. Wohl ist hier viel zu wünschen übrig, aber mit polizeilichen Verordnungen sind die Aerzte hier durchaus nicht übermässig geplagt und daher ist es nur recht und billig die Gesetze des Gemeinwesens thatkräftig zu unterstützen und zu befolgen, welches ihnen bürgerlichen Schutz und die Möglichkeit zur Existenz in denkbar liberalster Weise gewährt.

Alle derartigen Ausreden und Entschuldigungen aber lassen im Stich, wenn der Arzt, der Würde seiner Stellung und seines Standes eingedenk, sich die schwere Verantwortung in's Gedächtniss ruft, welche ihm nicht allein die Behandlung des Einzelnen, sondern fast mehr noch das Wohl der Umgebung auferlegt. Alle und jede Kücksicht freundschaftlicher und materieller Natur sollte doch da ein für alle Mal bei Seite gesetzt werden. Wohl mag es schwer sein rücksichtslos gerade in solchen Fällen stets seine Pflicht zu thun, und wohl mag der ge- schmeidige, practische und das Wohl seiner Patienten allein im Auge behaltende Heilkünstler früher die Leiter der Prominenz und Wohl- habenheit erklimmen, aber er wird trotzdem niemals das werden, was er v r Allem sein sollte, ein Arzt, weit erhaben über dem geschäftlichen Treiben und Bingen der Menge nach Geld und im besten Sinne des Wortes ein Wohlthäter der Menschheit, dem es selbst unter den schwierigsten Verhältnissen stets zuerst darum zu thun ist " to teil the truth, the whole truth and nothing but the truth."

„Einem ist sie (die Wissenschaft) die hohe himmliche Göttin, dem Andern Eine tüchtige Kuh, die ihn mit Butter versorgt. "

AUS DEK PRAXIS. I.

Ungewöhnliche Todesursache des Foetus bei Nabel -

schnurvortull.

Von

Dr. Kreutzmann,

San Francisco.

Nach meinen persönlichen EffahrungeD gehört Vorfall der Nabel- schnur zu den für das Leben des Kindes bedrohlichsten Complicationen der Geburt. Einerseits haben wir es häufig genug dabei mit verengten, besonders platten, Becken zu thun ; andererseits gelingt das manuelle oder instrumenteile Hinaufschieben der prolabirten Schlinge selten, Zange ist nur unter besonders günstigen Verhältnissen von Nutzen resp. möglich und auch durch die Wendung ist man recht häufig nicht in der Lage, das bedrohte kindliche Leben zu retten.

Der nachfolgende Fall zeigt manches Besondere, so dass er mir der Mittheilung werth erscheint.

Eine Frau von 28 Jahren hatte vor 10 und 8 Jahren rechtzeitig ge- boren ; bei der 1. Geburt angeblich Querlage, bei der zweiten angeblich vorzeitiger künstlicher Blasensprang, in beiden Fällen todte Kinder mit Schwierigkeiten (wodurch begründet ?) zur Welt befördert. Dann facul- tative Sterilität, bis auf Verlangen des Gatten nach Leibeserben vor ca. einem Jahre wieder Schwangerschaft eintrat.

Die Frau hatte sich die Jahre her der besten Gesundheit erfreut trotz ihres mittelgrossen Cervicalrisses. Gelegentlich von vorüber- gehenden Blasenbeschwerden war sie von einem Arzte untersucht und war ihr nach beliebter Manier angerathen worden, den Kiss vernähen zu lassen ; ich führe dies an, um die Absurdität der Trachelorrha- phiker per excellence durch einen weiteren exquisiten Fall zu belegen ; nichts wäre indess leichter, als eine Unznhl derartiger Fälle zu sammeln. Selbstredend spreche ich nur gegen das indicationslose Vorgehen : Wo Kiss, da Naht !

Die eingetretene Schwangerschaft erfuhr eine leichte Störung im 3. Monate : Wehen traten ein, Blut auch in kleinen Klumpen ging ab, doch beruhigte sich die Gebärmutter wieder und Alles nahm einen nor- malen Verlauf. In der 30. Woche (nach der letzten Periode berechnet) sprang nach einer forcirten Körperbewegung die Fruchtblase, nach 2 Tagen traten starke Wehen auf und die Austreibung der Frucht be- gann. Als ich herzukam fand ich das Abdomen der Zeit entsprechend ausgedehnt, Herztöne sehr deutlich zu hören. Kopf noch beweglich über dem Becken, Muttermund nur wenig eröffnet, der Saum desselben

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ausserordentlich rigide, fast wie Knorpel sich anfühlend, Blase ge- sprungen und eine Nabelschnurschlinge prolabirt. Es gelang über- raschend leicht, dieselbe manuell zurückzuschieben.

Die Geburt nahm einen relativ verzögerten Lauf verzögert durch den Mangel der Fruchtblase und die Kigidität des Muttermundes ; relativ in Anbetracht der kräftigen Wehen und der Kleinheit der kindlichen Theile. Doch trat der Kopf bald tiefer, der Muttermundssaum legte sich an ihn an und wurde der Cervicalcanal langsam eröffnet. Ich auscultirte sehr häufig und constatirte stets laute, normal frequente Herztöne. Bei der letzten Untersuchung fand ich noch rings um den Kopf ziemlich breiten Muttermundssaum ; kurz darauf ward mit einigen Wehen das Kind geboren, Nabelschnur um den Hals geschlungen, todt, keine Herz- pulsationen ; Wiederbelebungsversuche, auch Schwingungen, blieben er- folglos. Das Kind war lang, aber sehr dünn, Kopf sehr klein, ent- sprechend der 30. Woche.

Ohne Zweifel starb das Kind im letzten Abschnitte der Geburt sehr rasch ab, durch Compression der Nabelschnur. Der gewöhnliche Mecha- nismus der Compression ist der, dass die prolabirte Schlinge zwischen Kopf und Beckenwand geräht ; dieser Mechanismus ist hier aus- geschlossen, da, während der Kopf tief getreten war, die Herztöne dabei andauernd normal befunden wurden. Der Umschlingung der Nabelschnur um den Hals des Kindes ist eine Bedeutung sicherlich nicht beizulegen. Meiner Ansicht nach bestehen zwei Möglichkeiten, wie die Compression der Nabelschnur hier zu Stande kam : die prola- birte Schlinge, von mir zurückgebracht, befand sich hinter resp. über dem Kopfe und wurde entweder zwischen rigidem Muttermund und Schulter, oder zwischen Becken und Schulter gefasst und comprimirt. Bei einem reifen Kinde würde bei der Schnelligkeit der Geburt diese Compression ertragen worden sein ohne das kindliche Leben ganz zu verlöschen. Man denke nur, was ein reifes kräftiges Kind bei Becken - endlage bezüglich Unterbrechung der Athmung ohne Schaden ertragen kann !

Jedoch bei dem unreifen, äusserst zarten Foetus der 30. Woche ge- nügte diese kurze Unterbrechung des Gasaustausches, um die Centren der Athmung und Herzthätigkeit zu lähmen.

Die Geburt hätte durch die Zange nicht schneller beendigt werden können, als sie spontan verlief vom Durchtritt des Kopfes durch den Muttermund an gerechnet, der das einzige Hinderniss der Geburt ab- gab. Andererseits bestand auch gar keine Veranlassung, die Zange an- zulegen, da bei der kurz zuvor vorgenommenen Auscultation die Herz- töne deutlich gehört wurden.

Die Nachgeburt zeigte eine Placenta succenturiata ; ich erwähne dies desswegen, da Blutung während der Schwangerschaft stattgefunden, Abortus gedroht hatte und man vielfach bei Laien dem Glauben be- gegnet, dass in solchen Fällen Anomalien der Nachgeburtsperiode „Angewachsensein" der Placenta leicht vorkommen.

IT.

Aus der geburtshülflichmi Praxis.

Von

Db. Vonder Goltz,

New Yobk.

Fall 1. Montag den 8. Sept. wurde ich zu einer Entbindung geholt ; ich fand eine Primipara mit allgemein verengtem Becken ; bei der vaginalen Exploration fand ich den äusseren Muttermund kaum für 4 Finger passirbar. Der Kopf war in der dritten Position (Hinterhaupt rechts hinten und Stirn links vorn) zu fühlen. Das Wasser war schon seit nahe 5 Stunden (den Angaben der Wärterin gemäss) abgeflossen.

Die Wehen nahmen immer mehr an Heftigkeit zu, ohne dass der Muttermund in der Eröffnung überhaupt irgend welchen Fortschritt machte, und bei wiederholtem genauen Touchiren und Suchen nach irgend einer möglichen Ursache des Mchteröffnens fand ich die hintere Muttermundslippe schlaff herabhängen, am linken Winkel zipfelartig ausgezogen, sich dünn wie eine schlaffe Hautfalte anfühlend.

Bei diesem Befunde, dass erstens unter meiner Beobachtung die Er- öffnung fast keine Fortschritte machte, die Wehen einen immer mehr krampfartigen Charakter annahmen und endlich die Herztöne des Kindes anfingen matter zu werden, entschloss ich mich zur Wendung und sofort nachfolgender Extraction in Chloroformnarcose.

Bei dem sehr mühsamen Eingehen fand ich unmittelbar über dem eben zipfelartig herabhängenden Theile der hinteren Muttermundslippe ungefähr in Höhe einer Daumensdicke die Placenta inserirt. Der Sitz der Placenta war absolut der einer Placenta praevia, wie es von J. Veit im Handbuche der Geburtshülfe, herausgegeben von C. Müller, Bd. IL, p. 62, mit einer Abbildung eines Falles der Universitäts-Frauenklinik zu Berlin beschrieben ist.

Ich musste mich so vorsichtig zwischen Hinterhaupt und Placenta durcharbeiten. Dieser Befund nun trieb mich um so mehr an, die ganze Manipulation rasch zu beenden.

Das Kind war sehr asphyctisch zur Welt gebracht. Die Nachgeburt folgte unmittelbar. Der Dammriss, welcher wahrscheinlich mehr der dringenden Eile zuzuschreiben ist, wurde sofort genäht am fünften Tage die Suturen (Seide) entfernt, Heilung p. p. war eingetreten.

Mutter und Kind befinden sich wohl.

Ich glaube hier darauf aufmerksam machen zu müssen, dass nach dem Befunde des Sitzes der Placenta wir es mit einem Falle von Pla- centa praevia zu thun hatten, wo aber durch die Lage des Kindsschädels eine genügende Tamponade und Fixation der Placenta zu Stande ge- kommen war, die sonst durch die Wendung auf einen Fuss hätte aus- geführt werden müssen.

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Ferner glaube ich, dass in Folge eines vielleicht abnormen Druckes der Kindsschädel auf die Placenta und von dieser wieder auf das untere Uterussegment gegen den knöchernen Beckenring eine partielle Läh- mung erfolgt ist, die eine congruente Dilatation des Muttermundes und Verstreichen desselben verhinderte.

Fall 2. In der Praxis meines Collegen, Herrn Dr. L. Haupt, hatte ich Gelegenheit, am 17. August wegen drohender Uterusruptur eine Perforation des vorliegenden Schädels zu machen an einer schon ab- gestorbenen Frucht.

Es handelte sich um eine Erstgebärende, welche von ihrer abwar- tenden Hebamme innerhalb 12 Stunden beinahe 70,0 Gran Fluid Extr. of Ergot als zum Gebären nothwendig einbekommen hatte.

Herr Dr. L. Haupt war ohne Instrumente nur auf den Ruf herbei- gekommen und hatte die Güte, weil es in der Nähe war, zu mir zu schicken.

Der Contractionszustand des Uterus machte von vorn herein jeden Wendungsversuch unmöglich. Die ganze Operation ging nach den be- kannten Regeln vor sich.

Das Puerperium nahm einen guten Verlauf, obwohl eine Gangrän des Uterus wohl zu erwarten war. Insofern konnte man von Nachfolgen dieses Kreissens sprechen, als Herr Dr. L. Haupt 9 Tage lang genöthigt war, die Blase zu leeren, es hatte sich eine Blasenlähmung eingestellt.

Die Patientin befindet sich jetzt wohl.

Fall 3. Vor einiger Zeit wurde ich von einer Hebamme an das Bett einer Frühentbundenen gerufen (4. Tag). Sie lag da, das Gesicht ge- röthet, mit fliegendem Athem und glänzenden Augen. Ein dauerndes Aufstossen quälte die Frau, welche sehr starkes Kopfweh und Schwin- delgefühl auf mein Fragen angab.

Bei meiner Untersuchung fand ich Temp. im Munde gemessen 103,0°, den Puls sehr beschleunigt. Die Scheide fühlte sich heiss und trocken an, es war fast kein Ausfluss vorhanden. Der Uterus fest contrahirt war sehr schmerzempfindlich, der Muttermund war fast ganz ge- schlossen.

Da diese Symptome am 3. Tage plötzlich nach relativem Wohl- befinden bei einer L Para eingetreten waren, so schloss ich auf eine einsetzende Sepsis.

Ich verordnete Brandy, Eis und Antipyrin ä 0,75 stündlich 1 Pulver. Die Patientin klagte, dass die Leibbinde ihr Unbehagen machte, ob sie dieselbe nicht fortlassen könnte ? Ich gestand ihr das zu.

Am anderen Tage fand ich die Frau fieberlos, ohne all die oben er- wähnten Symptome. Es hatte sich seit mehreren Stunden ein aus- giebiger Ausfluss aus der Scheide eingestellt. Die Frau fühlte sich wohl, Temp. 98,2°.

Das Wochenbett verlief von nun ab ohne jede Störung. Ich glaube hier die Fiebersymptome auf die Leibbinde zurückführen zu müssen, dass nämlich durch den Druck der Binde eine Retention des

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Lochialflusses stattgefunden hat und so (bei nicht noch plötzlich ein- getretenem Abfluss) eine putride Selbstinfection veranlasst wurde. Einen ähnlichen Fall fand ich von A. C. Bandeloque beschrieben.

III.

Plötzlicher Tod in der Nachgeburtsperiode.

Von

Dr. Steiger,

New York.

M. D ,28 Jahre alt, gut genährt, kräftig gebaut und von

mittlerer Körpergrösse, war als Mädchen stets regelmässig menstruirt und hatte auch seit ihrer Verheirathung, während welcher sie sechsmal geboren hatte, niemals ernstere Gesundheitsstörungen, es sei denn, dass sie, von Haus aus leicht zu Husten disponirt, jährlich 1 2 Mal ihren ,, Saisonhusten" durchmachte, von welchem sie jedoch in den letzten Monaten so ziemlich verschont blieb. Die zwei ersten Kinder waren Frühgeburten, ebenso auch das letzthin geborene.

Am Tage vor der Geburt des letzten Kindes hatte sich die Frau bei der Bestellung ihrer grossen Hauswirthschaft viel zu schaffen gemacht und ungeachtet ihrer vorgerückten Schwangerschaft sich ausserge- wöhnlich angestrengt, so dass sie gegen Abend sehr müde war und ziemlich heftige Kreuzschmerzen verspürte. Vorübergehende Kreuz- schmerzen hatte sie auch während der vorausgegangenen Schwanger- schaften hin und wieder einmal empfunden und so wurde denselben auch diesmal keine grosse Bedeutung beigemessen. Doch als dieselben nach Ablauf einiger Stunden allmälig einen mehr intermittirenden, wehenartigen Charakter annahmen und analog den frühern Geburten, Erbrechen sich einstellte, wurde nun allen Ernstes an den nahe bevor- stehenden Eintritt der Geburt gedacht und dementsprechend zunächst ärztlicher Beistand requirirt.

Bei meiner Ankunft des anderen Morgens früh 4 Uhr traf ich die Kreissende ausser Bette und stöhnend auf einem Stuhle sitzend an. Nach Feststellung der vorerwähnten anamnestischen Daten wurde jetzt folgender objektiver Befund constatirt : Puls mittelkräftig und 90 in der Minute, Herzthätigkeit und Temperatur normal ; Hautdecken fe*ucht anzufühlen. Die Auskultation der rechten Lunge ergibt durchweg normale Verhältnisse, während im Bereiche der linken Lunge etwas ab- geschwächtes Athmen und- namentlich auf dem entsprechenden Apex trockenes sakkadirtes Rasseln zu hören ist. Der Fundus uteri wird handbreit über dem Nabel durchgefühlt; der Cervix für den unter- suchenden Zeigefinger leicht passirbar ; Kopfstand direct über dem Beckeneingang in erster Scheitelstellung ; von fötalen Herztönen ist nichts zu hören, auch hat die Frau seit etwa 20 Stunden keine Kinds- bewegungen mehr wahrgenommen.

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Die Wehen und ebenso die Wehenpausen sind sehr kurz, beide un- gefähr von gleicher Dauer, von 4 resp. 2 Minuten, angeblich sehr schmerzhaft und scheinbar nur wenig wirksam.

Nachdem dieser Befund festgestellt, spontaner Stuhl erfolgt und auch die Blase mittelst Katheder entleert worden war, wurde die Kreissende einstweilen sich selbst überlassen und meine eigene Thätig- keit auf die Ueberwachung des weiteren Geburtsvorganges beschränkt.

Unter gleichmässiger Fortdauer der eben charakterisirten Wehen - thätigkeit, hatte sich doch der Muttermund ganz naturgemäss erweitert, so dass er gegen 7 Uhr über Thalergrösse offen klaffte. Ungefähr um diese Zeit ging das Fruchtwasser ab, in Form einer serös-blutigen Flüssigkeit. Nun wurde die Kreissende durch die inzwischen ange- kommene Wärterin zu Bette gebracht. Als aber auch jetzt die Wehen immer nicht kräftiger einsetzen wollten, ganz besonders aber weil eine inzwischen eingetretene, offenbar aus dem Uterus stammende Blutung auf eine stattgehabte partielle oder totale Ablösung der Placenta schliessen liess, galt es durch Anregung kräftigerer Wehen oder durch künstlichen Eingriff die Geburt baldmöglichst zu beendigen. Bevor ich jedoch von der bereit liegenden Zange Gebrauch machen wollte, ver- suchte ich erst noch zuerst durch Einspritzung einer 0,3% heissen Salicyllösung, sodann durch Darreichung von 0,06 Pulv. Op. die mangel- haften Contractionen wirksamer zu machen, was denn auch nach Wunsch gelang, denn einige nunmehr kräftige Wehen genügten jetzt, den Uterusinhalt in toto nach Aussen zu befördern. Ein noch nicht völlig entwickeltes asphyktisch es Kind, die ganze Placenta und ein etwa faustgrosses Blutcoagulum bildeten die Bescheerung. Vorgenommene Wiederbelebungsversuche am Kinde blieben erfolglos. Die Mutter selbst fühlte sich nun. nachdem ein leichter Frostschauer, der in Folge der bei der Reinigung stattgehabten Durchnässung auftrat, einem be- haglichen Wärmegefühl Platz gemacht hatte, erleichtert und den Um- ständen entsprechend wohl. Etwa lh Stunden nach dem Geburtsact stellte sich eine verhältnissmässig geringe Nachblutung ein, die jedoch auf Anwendung von Seeale und durch Reiben über dem schlaffen Uterus prompt gehoben wurde ohne sich zu wiederholen. Der Gesammtblut- verlust mochte in Zahlen ausgedrückt etwa 1000 Gramm betragen haben.

Die Retraction des Uterus vollzog sich nun unter kaum schmerz- haften Nachwehen in vollständig normaler Weise und der übrige Be- fund sowie das Befinden der Wöchnerin waren derart, dass sie in Bezug auf den fortan normalen Verlauf des Wochenbettes zu keinerlei begrün- deten Befürchtungen Veranlassung gaben. Leider sollte ich nicht allzu lange in diesem Vertrauen verharren. Denn kaum hatte ich meine Vorbereitungen zum Weggehen getroffen, als die Wöchnerin anfing zu frieren und nach wärmerer Bedeckung verlangte. Diesem Wunsche wurde sofort willfahren und überdies ein kräftiger Schluck Cognac ver- abreicht, worauf dann bald nachher das Frösteln nachliess. Eine Pal- pation des Unterleibes liess auch diesmal nur normale Verhältnisse

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erkennen. Allein jetzt statt nach Verschwinden des Frostgefühles sich wieder behaglich zu fühlen, verschlimmerte sich der Zustand in bedenk- lichster Weise und in solch' rascher Aufeinanderfolge bezw. Aggravirung der einzelnen Symptome, dass vom relativen Wohlsein bis zur völligen Hoffnungslosigkeit kaum I5 Stunden dahingingen. In den Vorder- grund der Erscheinungen traten zunächst Athmungsbeschwerden, die sich vom Gefühle von Druck auf der Brust gradatim bis zur förmlichen Orthopnoe steigerten ; sodann waren es schwache, kaum wahrnehmbare Herztöne und rascher fadenförmiger Puls, kalte Extremitäten, kalter klebriger Schweiss, Verfallen der Gesichtszüge mit leichter cyanotiseher Verfärbung der Lippen, Trachealrasseln und Coma, die ungefähr das Bild in all' seiner traurigen Lebhaftigkeit wiedergaben, das wir unter der Bezeichnung „Lungenembolie" kennen. Nachdem energische Haut- reize, Champagner und subcutane Aetherinjectionen erfolglos ange- wandt waren, trat nicht ganz 4 Stunden nach erfolgter Geburt der Exitus ein.

Bei der am dritten Todestage in Gegenwart dreier Collegen vorge- nommenen Obduction hat sich nachstehender Befund ergeben : Rechte Lunge aufgedunsen, hyperämisch und ödematös, der Pleuraüberzug ohne verändertes Aussehen ; auf der Schnittfläche quillt reichlich dunkelrothes schaumiges Blut hervor, ebenso lässt sich auch aus den feinen Bronchien eine blutig-schmutzige Flüssigkeit auspressen ; im Parenchym sehr blutreich ; soweit sich die Verzweigungen der Pulmo- nalis mit der Scheere verfolgen lassen, ist die Passage frei von verdäch- tigen Gerinseln. Die linke Lunge zeigt ein wesentlich differentes Verhalten. Sie erscheint collabirt, wenig lufthaltig und weniger hyper- ämisch im unteren Lappen, die Spitze mit tuberculösen Granulationen dicht durchsetzt, der ganze Abschnitt mit der Pleura costalis und theil- weise auch mit der diaphragmatica fest verwachsen. Das Herz klein, von straffer gesunder Musculatur. Die Herzhöhlen enthalten eine geringe Menge flüssigen Blutes ; der Klappenapparat ist intact ; an den Chordae tend. der Mitralis zwei erbsengrosse kolbige Verdickungen. Betreffs der Nieren ist nichts Bemerkenswertlies zu erwähnen. Die Gebärmutter über Kindskopf gross, ihre Wandungen straff, anämisch, im Cavum kein Blut, nur ist der Sitz der Placenta durch kleine Coagula markirt. Der Cervix thalergross klaffend, ohne Einrisse. Hämato- salpinx der linken Tube, aus den Blutsäcken lässt sich geronnenes Blut durch das Ostium abdominale leicht ausdrücken, nicht ganz so durch das Ostium utericum. Im Cavum abdominale befindet sich eine geringe Menge blutig-seröser Flüssigkeit.

Stellen wir nun behufs Feststellung der entfernteren Todesursache diesen allerdings weniger vollständigen Sectionsbefund den anderer- seits um so sorgfältiger beobachteten klinischen Erscheinungen gegen- über, so können wir gleich Anfangs einen directen Causalnexus zwischen der erkrankten linken Lungenhälfte und der ebenfalls er- krankten linken Tube sowie der Sehnenfäden des Herzens einerseits, und den so plötzlich aufgetretenen krankhaften Veränderungen wäli-

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rend des Lebens andererseits absolut nicht etabliren und ebenso wenig passt die Annahme der bei Geburtsvorgängen nicht seltenen Fällen von acuter Anämie, von Erschöpfung der Kräfte, von Shoc oder gar von acutester Septicämie in den Rahmen der gemachten Beobachtungen und mit weit grösserer Berechtigung können wir dagegen die venöse Stase in der rechten Lunge in Gemeinschaft mit der krankhaft ver- minderten vitalen Capacität der linken Lunge für die hochgradige Athemnoth, die, wie früher erwähnt, das ganze Krankheitsbild be- herrschte und schliesslich für den lethalen Ausgang ohne Weiteres ver- antwortlich machen. Was diese Stase selbst betrifft, so liegt für deren Entstehung die Annahme eines plötzlich eingetretenen mechanischen Circulationshindernisses und zwar in erster Linie das eines „Embolus" am allernächsten. Dabei verschlägt es wenig, dass das fragliche Corpus delicti selbst in dem resp. Lungenabschnitte unentdeckt blieb ; kennen wir ja doch die äusserst labile Beschaffenheit solch' zarter pathologi- scher Produkte ebenso gut als die Schwierigkeit, dieselben längere Zeit nach dem Tode (hier am dritten Tage) unversehrt zu Gesicht zu be- kommen, namentlich da dieselben sich als sehr kleine Pröpfe wie gewöhnlich in den feinern Gefässverzweigungen der Lunge festsetzen. Einmal aber Lungenembolie als primäre Todesursache angenommen, lehrt die Erfahrung, dass nebst einiger anderer Organe und Erkran- kungen der Gefässe gerade der puerperale mit vorwiegender Häufigkeit aber der gravide Uterus bei vorzeitiger Ablösung der Placenta die Be- dingungen für Lungenembolie ganz ausserordentlich begünstigt, ganz ebenso sehr wie durch solche Verhältnisse das Eindringen von Luft- blasen in den venösen Kreislauf ermöglicht wird, eine Eventualität die ich im concreten Falle mit grösster Wahrscheinlichkeit ausschliessen darf.

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Nekrolog.

Dr. August Otterbourg.!)

Am 14. October starb nach langem, schweren Krankenlager Dr. A. Otterbourg. Wenn auch vielleicht in weiteren Kreisen weniger bekannt, wird doch sein Andenken denen, die das Glück hatten ihm näher zu treten und seiner Bekanntschaft sich zu erfreuen, nicht entschwinden. Heraustreten in die Oeffentlichkeit und Hervorheben seiner eigenen, liebenswürdigen Persönlichkeit lag seinem stillen, bescheidenen Cha- rakter so fern, dass er beinahe ängstlich Alles vermied und Allem aus dem Weg ging, was ihm irgendwie im öffentlichen Leben eine bemerk- barere Stellung hätte geben können.

Geboren in Landau (Rheinpfalz), am 6. Juli 1831, bezog er nach Ab- solvirung der Schulen seiner Vaterstadt und der Lateinschule in Speier und nach mehrjährigem Aufenthalt in Paris im Jahre 1855 die Univer- sität Heidelberg, wo er im Jahre 1859 promovirte, und dann noch lange Jahre unter seinem hochverehrten Lehrer Prof. von Dusch daselbst die Poliklinik besorgte, und bewahrte er seiner alten Musenstadt die liebe- vollste und treueste Erinnerung. Im Jahre 1868 ging er auf Anrathen seiner Brüder Sam. O. in Paris und Marcus O., damals amerikanischer Gesandter in Mexico, nach New York, wo er seitdem die ärztliche Praxis ausübte. Leider verhinderte ihn in den letzten Jahren seines Lebens sein Gesundheitszustand, seine früher blühende Praxis auf gleicher Höhe zu halten, denn schon lange Jahre litt er an Bright'scher Nierenkrank- heit, die besonders nach dem vor ungefähr 4 Jahren erfolgten Tode seines. einzigen, damals etwa 2 Jahre alten Sohnes, dessen Verlust ihn zuerst vollständig darniederbeugte, und den er nie ganz verwinden konnte, ihn zu angestrengter Thätigkeit unfähig machte. Die letzten 3 Wochen war er, wie schon öfters in den letzten Jahren vollständig an's Haus gefesselt, und am 14. October starb er nach dreitägiger Anurie urämisch. Bis zum letzten Augenblicke hatte er sich ganz entschieden geweigert, irgend welche collegiale Hülfe in Anspruch zu nehmen, „um Niemand Umstände zu machen."

Den Tod unseres lieben Collegen betrauern seine tiefgebeugte Wittwe, eine Tochter seines vielgeliebten Alt-Heidelberg mit der er seit dem Jahre 1869 in glücklichster Ehe lebte und seine einzige hinterbliebene Tochter. Ausser in ihrer, wird sein Andenken in der Erinnerung Aller, die ihn zu ihren Freunden zählten, und seiner Patienten, denen er fast ebenso als Freund wie als Arzt nahe stand, fortleben.

Friede seiner Asche !

G. Degner.

New York, den 2. November 1889.

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Correspondeuzeii.

I.

(Für die „Media Monatsschrift.")

Stiftungsfest des Vereins deutscher Aerzte von San Fraucisco.

Der Verein deutscher Aerzte zu San Francisco feierte sein 20jähriges Stiftungsfest durch ein solennes Dinner. Die Gründung des Vereins resp. die erste officielle Sitzung desselben fand zwar am 19. Oct. 1869 statt, äussere Gründe hatten indessen die Verlegung der Feier auf den 21. September er. geboten. Die Betheiligung war eine sehr lebhafte d. h. alle in der Stadt anwesenden Mitglieder waren zugegen mit Aus- nahme derer, die durch eignes Erkranken oder Krankheitsfall in der Familie am Erscheinen verhindert waren. Von lebenden Gründern des Vereins waren anwesend die Herren : Aronstein, Bloch, Cohn, Regens- burger sen. und Wilhelm. Der verstorbenen Mitglieder Dr. v. Loehr und Precht wurde pietätsvoll gedacht. Heitere und ernste Toaste wech- selten ab, manches Hoch ertönte, manches fröhliche Studentenlied wurde gesungen. Ja der derzeitige Präsident des Vereins, Herr Kreutzmann hatte sogar den Pegasus erklommen. Zu später Stunde erst wurde die Tafel aufgehoben, wobei Jeder die Erkenntniss mit sich nach Hause nahm, dass Nichts besser geeignet sei, die Gemüther ein- ander näher zu bringen, als eine frisch-fröhliche (Festessen-) Feier.

I. A.

Dk. Krotoszyner,

z. Z. Secretär.

II.

New York, 17. Oct. 1889.

Geehrter Herr Redacteur!

Ihre Mittheilung über die „New Yorker Medicinische Monatsschrift" im Allerlei des Juniheftes kann ich durch eine Notiz ergänzen, welche sich auf dem Umschlag der unter dem Datum des Januar 1853 erschie- nenen Nummer 12 findet. Dieselbe lautet :

An die Leser: „Das bedeutend verspätete Erscheinen dieser Nummer bitten wir entschuldigen zu wollen, da dasselbe mit der Frage um die Fortsetzung der Zeitschrift für's nächste Jahr innig zusammen- hing. Indem wir nun unsern Lesern dieses Heft übergeben, zeigen wir an, dass das Erscheinen der New Yorker Medicinischen Monatsschrift hiermit endet. Rückstände bitten wir in der Office des Dr. Roth, 31 Howard Street, berichtigen zu wollen.

Die Redaction.

Mit Ausnahme des 6. Heftes ist die „New Yorker Medicinische Monats- schrift" im Besitz der Bibliothek der Aerzte des Deutschen Hospitals und

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Dispensary und würde der Bibliothekar sehr dankbar sein, wenn er dieses Heft für die Bibliothek erlangen könnte.

Den Anfang der deutschen medicinischeu Literatur in Amerika hat diese Zeitschrift übrigens nicht gebildet. In der obengenannten Biblio- thck befinden sich eine Anzahl Hefte mit dem Titel : „Nordamerika- nischer Monatsbericht für Natur- und Heilkunde, redigirt von Dr. W. Keller und Dr. H. Tiedemann." Der erste Heft erschien am.l. Juli 1850 im Verlag von John Weik in Philadelphia. Vom 3. Hefte des 2. Bandes an ging die Zeitschrift in den Verlag des Herrn T. W. Christern über, das letzte Heft im Besitz der Bibliothek, Vol. IV, No. 5, ist vom Mai 1852. Originalarbeiten bringt diese Zeitschrift nicht, sondern nur Referate. Die Bibliothek besitzt nur Vol. I, No. 1, Vol. II, No. 3—6, Vol. III, No. 1, 3—0 und Vol. IV, No. 3 und 5, und wurde die Ergänzung ebenfalls sehr erwünscht sein.

Dr. Herrmann G. Klotz,

Bibliothekar.

III. Berichtigung.

Geehrter Herr Redacteur!

In der Discussion über Hijdrocephalus congenitus (Wissenschaftliche Zu- sammenkunft deutscher Aerzte in New York, Medicinische Monatsschrift, p. 482) werden meine Bemerkungen falsch wiedergegeben. Ich sagte nicht, „dass es ungewöhnlich sei, dass ein Kind mit Hydrocephalus mit dem Kopf zuerst herauskommt", sondern kurz folgend : „Der Hydroce- phalus stellt sich auch nicht selten in Fusslage zur Geburt, was die Diagnose unter Umständen sehr erschweren kann. Das Ungewöhnliche an dem Fall des H. Rottenberg war, dass der hydrocephalische Schädel ohne weitere Schwierigkeit den Beckencanal passirte. In der grossen Mehrzahl der Fälle erfordert der Hydrocephalus die Punction mit darauffolgender Extraction, eventuell auch die Craniotomie.

Dr. Richard Stein.

REFERATE.

Krankheiten der Athmungsorgane.

Keferirt von Dr. J. W. Gleitsmann. Apparent cancerous Transformation of Syphiloma of the Tongue.

EXCISION OF THE TONGUE BY THE GaLVANOCAÜTERY. G. F. LYDSTON.

(Medical Record, Oct. 26, 1889.)

Gute und ausführliche Beschreibung eines sehr interessanten Falles von höchst hartnäckiger Syphilis bei einem 29jährigen Manne. Die Zunge war das am meisten ergriffene Organ und war zuletzt durch ulcerative Processe vollständig unbrauchbar geworden und bot einen solchen Jaucheheerd dar, dass sie mit der galvanocaustischen Schlinge entfernt wurde. Der Patient starb 4 Monate später an secundärer Blutung.

Das Mikroscop wies eine sarcomatöse Entartung auf, und wenn auch L. nicht annimmt, dass der syphilitische Process direct in Sarcom über- gegangen ist, so glaubt er doch, dass durch die beständigen Reizungs- erscheinungen und Zerstörungsprocesse der Syphilis der Boden für die maligne Neubildung geschaffen worden war.

The Value of Creasote in fifty cases of Disease of the Air Passages. Wm. P. Watson. (Virginia Medical Monthly, October, 1889.)

Der Author wandte auf seiner Abtheilung im St. Francis Hospital Creosot nach den von B. Robinson angegebenen Formeln sowohl inner- lich wie vermittelst Inhalationen an. Seine Resultate waren : In 8 Fällen im letzten Sta lium der Phthise war bloss vorübergehende Besserung zu bemerken, in 16 Fällen mit einfacher Consolidation ohne Erweichungs- heerde war mit zwei Ausnahmen die Besserung so bedeutend, dass die Patienten aus dem Spital entlassen werden konnten. 6 Patienten mit chronischer Bronchitis wurden bedeutend gebessert, 5 mit acuter Bronchitis rasch geheilt. Je 1 Fall von acuter Pleuritis mit Effusion, von acuter Laryngitis und von Nasencatarrh wurden geheilt, die Patienten mit Larynxphthise wurden sämmtlich gebessert.

Zum Athemmechanismus bei offenem Pneumothorax. E. Sehrwald. (Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 34, 1889.)

S. weist auf den Unterschied der Athembewegungen hin, wenn bei Thierexperimenten die den Pneumothorax setzende Wunde am Schluss der Exspiration und der Inspiration geschlossen wird. Im ersteren Falle wird der im Thorax herrschende Druck bei der Inspiration negativ und ermöglicht eine in den meisten Fällen normal ausgiebige Lungen- ventilation, im letztern wird bei der darauffolgenden Exspiration der Druck positiv und macht jeden Lufteintritt in die Lungen unmöglich. Der Athemmechanismus hängt ferner von dem Verhältniss der Grösse der Oeffnung im Thorax und der Weite der zuführenden Luftwege ab, sowie von der Beschaffenheit des Mediastinums. Je derber und straffer dieses von Natur ist, je unnachgiebiger es durch Schwartenbildung geworden ist, desto weniger wird es gegen die gesunde Seite hin aspirirt, einen desto besseren Stützpunkt bietet es für die Erweiterung der gesunden Lunge. Ferner wird durch das Abwärtssteigen des Zwerch- felles das Mediastinum bedeutend angespannt und die Athmung der in- tacten Thoraxhälfte wesentlich erleichtert.

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Um die völlig collabirte Lunge der offenen Thoraxseite wieder zur Theilnahme an der Kespiration zu veranlassen, empfiehlt er das Anlegen eines luftdichten Verbandes am Ende einer forcirten Exspiration.

The Treatment of diseased Tonsils when unattended with Hyper- trophy. John O. Roe. (New York Medical Journal, Oct. 26, 1889.)

Da die gewöhnlichen Erkrankungen der Tonsillen entweder Entzün- dungen oder Hypertrophien derselben sind, ist anderen Krankheits- formen bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Roe bespricht die chronische Erkrankung der Lacunen und die fibroide Entartung des Tonsillengewebes und führt als ursächliches Moment für beide Zustände die chronische folliculäre Entzündung an. Besonders wird die erste Form leicht übersehen, da des Krauken Beschwerden nicht auf die Ton- sillen hinweisen, und die erkrankte Tonsille selbst oft durch den vordem Gaumenbogen verdeckt ist und der abnorme Zustand erst entdeckt wird, wenn der Bogen mittelst eines stumpfen Hackens bei Seite geschoben wird. Alsdann werden weisse Stellen sichtbar, welche die Oefmungen der Lacunen darstellen und das aus denselben ausgeschiedene Material repräsentiren. In allen Fällen von occulten Halsbeschweiden empfiehlt Roe eine genaue Inspection der Tonsillen, und sieht bloss von einer mit- telst des Messers vorgenommenen Excision Heilung dieser Affectionen.

[Diesen beiden Erkrankungen kann Ref. noch einen vor 3 Jahren be- handelten Fall von hartnäckigen Halsbeschwerden hinzufügen, bei welchem die wiederholte und sorgfältigste Untersuchung der betref- fenden Regionen kein pathologisches Substrat auffinden liess. Schliess- lich liess sich Referent durch das Aussehen der fast unmerklich ver- grösserten einen Tonsille verleiten, in dieselbe hineinzuschneiden, und wurde dadurch ein Theelöffel alten Eiters entleert und der Patient dadurch dauernd von seinen Beschwerden befreit.]

Augenheilkunde.

Referirt von Dr. A. Schapringer.

Color Perception. Von H. W. Wuerdemann in Washington, D. C. (The American Journal of Ophthalmology, Juni 1889.)

Von den beiden gegenwärtig um die Herrschaft ringenden Farben- perceptionshypothesen, der Young-Helmholtz'schen und der Hering'- schen, befriedigt den Verf. weder die eine, noch die andere, ja er erklärt sie beide für „absurd". Besonders unzulänglich erweisen sie sich bei dem Versuche einer somatischen Begründung der Erscheinungen der Farbenblindheit, aber auch zur Erklärung der normalen Farben- empfindung findet er sie übertrieben complicirt. Er zieht die von Swan M. Burnett in Washington um das Jahr 1880 zuerst veröffentlichte Hypothese vor, welche später in Charles Oliver, L. Webster Fox und George Gould, letzere sämmtlich in Philadelphia, Anhänger und Be- arbeiter gefunden hat. Das Wesentliche dieser neuen Theorie gibt Verf. in folgenden Sätzen wieder :

I. Die Netzhaut stellt bloss ein empfangendes und weiterleitendes Organ dar, welches die voq den Lichtätherwellen gemachten Eindrücke getreu auf die Sehnerven überträgt.

II. Die Elementarbestandtheile, aus welchen die Netzhaut zusammen- gesetzt ist, sind im Stande, auf Aetherschwingungen der verschiedensten Länge, soweit sie im Spectrum enthalten sind, zu gleicher Zeit zu ant- worten.

III. Solche verschiedenartigen Schwingungen werden dann in ein und derselben Nervenfaser gleichzeitig fortgeleitet.

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IV. Sind die Schwingungen längs der Faser bis an das centrale Ende derselben gelangt, so finden sie hier ihre endgültige Entwicklung, wo- bei sie in gewissen, noch nicht näher gekannten, benachbarten percipi- renden Elementen, welchen das Sensorium vorsteht, eine Veränderung hervorrufen. Je nach der eigentümlichen Natur der so hervorge- rufenen Veränderung werden sie als verschiedenartige Empfindungen differenzirt.

V. Sowohl die Theorie von Young als auch die von Hering entbehren jeder anatomischen, chemischen oder physikalischen Begründung.

[Kritik der Bumet'schen Theorie. Vom Ref.

Diese neue Theorie unterscheidet sich also von der Young-Helm- holtz'schen und der Hering'schen zunächst dadurch, dass sie leugnet, dass die Netzhaut irgend etwas mit der Sonderung der Farben zu thun habe. Weil es bisher den Anatomen noch nicht hat glücken wollen, das von Young-Helmholtz postulirte Dreifasersystem, aber auch anderer- seits nicht den Chemikern, die Hering'schen drei Sehsubstanzen objectiv nachzuweisen, verliert die neue Theorie die Geduld, wirft die Flinte in's Korn, lässt die Ketina im Stich und flüchtet sich in das Dickicht des Gehirns. Burnett und seine Nachfolger gehen von der Voraussetzung aus, dass die Localisirung der Farbensonderungsfunction in die Netz- haut hinein das Wesentlichste in den in Rede stehenden zwei älteren Farbentheorien ist. Als ob diese Theorien aufgestellt worden wären, um auf die Frage zu antworten : Worin besteht die Thätigkeit der Netzhaut? Die Fragen, welche sie zu lösen trachten, beziehen sich aber auf ganz andere Dinge. Sie trachten die Erscheinungen der Comple- mentärfarben, die auf dem Farbenkreisel herstellbaren Gleichungen, die Contrasterscheinungen und vieles Andere, vor Allem aber das Farben- mischungsgesetz zu erklären. Vor diesen Schwierigkeiten verkriecht sich die neue Theorie in's Gehirn. Kaum hat sie jedoch es sich in ihrem Versteck bequem gemacht, so tritt der grübelnde menschliche Verstand auch an sie heran wie ein gewappneter Mann und frägt sie, wie jene Erscheinungen wohl zu Stande kämen. „Ja, das machen die Gehirn- zellen unter sich ab", antwortet die Theorie kleinlaut, ,,ich weiss nichts darüber". Und dies soll eine Erklärung sein ? Eine Erklärung ist es freilich, aber in dem Sinne, in welchem man von einer „Unabhängigkeits- erklärung" spricht, in diesem Falle also eine Unwissenheitserklärung.

Es ist dadurch, dass man den Gehirnelementen neben den Functionen der Empfindung und Wahrnehmung auch noch die der Farbensonde- rung aufbürdet, für das Verständnis» der in Frage kommenden Er- scheinungen offenbar nichts gewonnen. Uebrigens schwebt die An- schauung, dass es in der Netzhaut verschiedenartige Substanzen gibt, auf welche die einzelnen Farbengattungen verschiedenartig einwirken, nicht so ganz ohne anatomischen Halt in der Luft, wie W. annimmt, denn man hat bei Vögeln, Reptilien und Amphibien im hintern Ende der Innenglieder der Stäbchen rothe und gelbgrüne Oeltröpfchen gefunden. Dieser Umstand berechtigt zur Hoffnung, dass es bei ausdauerndem Nachforschen gelingen wird auch in der menschlichen Retina ent- sprechende Einrichtungen nachzuweisen. Es mag hier auch eine klinische Beobachtung erwähnt sein, welche für diesen Gegenstand von grosser, vielleicht von entscheidender Bedeutung ist. Sie wurde von Arthur König der Berliner Medicinischen Gesellschaft erst vor ganz kurzer Zeit mitgetheilt, so dass also W. vor Veröffentlichung seines Aufsatzes noch keine Kenntniss davon haben konnte. Es handelte sich um einen wissenschaftlich gebildeten Mann, der von einer Netzhautablösung des einen Auges heimgesucht wurde und bei dem sich die Netzhaut nach einiger Zeit wieder anlegte. Durch das Wiederanlegen wurde das Seh- vermögen restituirt, jedoch mit Ausnahme des Farbenunterscheidungs- vermögens ; das Auge vermittelt richtige Anschauungen über die Form

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und Grösse der Gegenstände, doch machen die verschiedenen Farben auf dasselbe nur den Eindruck von mehr oder minder hellem oder dunklem Grau. Diese Beobachtung, welche, nebenbei gesagt, sehr zu Gunsten der Hering'schen Theorie gegenüber der Young-Helmholtz'- schen spricht, nöthigt unabweisbar zu der Annahme, dass eine Differen- zirung der Farben in der Netzhaut bewerkstelligt wird.

Die neue Theorie leugnet dies und schreibt der Retina bloss die Function zu, Lichtätherschwingungen der verschiedensten Länge auf- zufangen und die von ihnen gemachten „Eindrücke", ohne sie in irgend welcher Weise zu sortiren, dem Sehnerven zu überliefern. Wenn nun noch hinzugefügt wird, dass jeder Elementarbestandtheil der Netzhaut auf Aetherschwingungen der verschiedensten Länge zu gleicher Zeit zu antworten im Stande ist, und dass in ein und derselben Nervenfaser die verschiedensten Arten von Schwingungen sich gleichzeitig fortpflanzen können, so ist nicht einzusehen, was hier anders gemeint sein kann, als dass objectives Licht, nachdem es Hornhaut, Linse und Glaskörper durchsetzt hat, sich auch längs der Sehnerven noch weiter als solches bis zu den Gehirncentren hin fortpflanzt. Das erscheint nun ebenso kühn wie einfach. Man braucht da nur noch einen kleinen Schritt weiter zu gehen und anzunehmen, dass die Aetherschwingungen in die Gehirn- zellen eindringen und dass demnach Gesichtsempflndungen nichts anderes sind als in Gehirnzellen ausschwingende Lichtstrahlen, und man hätte eine Theorie aufgestellt, welche dem Philosophen Hegel eine königliche Freude bereitet hätte, wenn er sie hätte erleben können.

Die so grundverschiedenen und eigentlich ganz leicht auseinander- zuhaltenden zwei Begriffe, der der Fortpflanzung des Lichts einerseits und der der Nervenerregung andererseits, finden sich bei den Inter- preten der neuen Theorie in bedenklicher Weise mit einander verquickt. Charakteristisch hierfür ist folgendes Citat aus einem Artikel von Burnett, welches W. anführt :

„Es muss daher als Thatsache angenommen werden, dass alle Aetherschwingungen ihren Ursprung von den Moleculen der leuchten- den Körper nehmen. Wird ein Körper z. B. in Weissglühhitze versetzt, so müssen die Molecule, aus welchen er zusammengesetzt ist, alle Schwingungsphasen ausführen, welche den verschiedenen Farben ent- spricht, in welche das weisse Licht verlegt werden kann, und zwar alle zu gleicher Zeit. Man kann die verschiedenen Aetherschwingungen und die Art und Weise, wie sie hervorgerufen werden, auf keine andere Art zufriedenstellend und folgerichtig erklären."

„Da Young dies doch gewusst hat, so hat er wohl auch nicht gut an- nehmen können, dass alle weissleuchtenden Körper aus drei Faserarten zusammengesetzt seien, besonders diejenigen Körper, welche, soweit man dies bestimmen kann, durchaus homogen und einfach sind. Wenn dies nun von den lichterregenden Körpern gilt, warum sollte es nicht auch von dem Körper gelten, welcher die Schwingungen bloss zu em- pfangen und zu übertragen hat ? Wozu ist es denn nothwendig, das Vorhandensein von drei besondern Faserarten in der Netzhaut anzu- nehmen, welches Organ die Aufgabe hat, die Schwingungen aufzunehmen, da doch derjenige Körper, welcher die Schwingungen erzeugt, selbst nur einfach ist, aber derartig angeordnete Molecule hat, dass sie zu ein und derselben Zeit in den verschiedenen Phasen schwingen können, welche den verschiedenen Wellenlängen oder Farben entsprechen."

Dass die Sache nicht so einfach ist, wie sie Burnett hier darzustellen bemüht ist, dass vielmehr zwischen einem chemisch einfachen Körper, den man in Weissglühhitze versetzen kann und dem Sehnerven, der Empfindungen vermittelt, ein grosser Unterschied obwaltet, erhellt am besten aus einer Betrachtung wie etwa der folgenden : Gesetzt den Fall, dass eine abgeschossene Pistolenkugel in die Augenhöhle eindringe

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und zwar so, dass sie den Augapfel unversehrt lässt, aber den Nervus opticus durchtrennt. Das Geschoss bleibe nun in der Augenhöhle zwischen den Stümpfen des von ihm durchtrennten Sehnerven stecken, so zwar, dass sowohl das periphere, wie auch das centrale Stück des Nerven mit dem Projectil in Berührung bleiben. Der Patient kommt zwar mit dem Leben davon, bleibt aber auf dem betreffenden Auge un- heilbar blind. Es nützt ihm nichts, dass die Molecule des Geschosses, welches nun gleichsam ein Verbindungsglied zwischen den beiden Nervenfragmenten darstellt, „zu ein und derselben Zeit in den ver- schiedenen Phasen schwingen können, welche den verschiedenen Wellen- längen oder Farben entsprechen." Eine Farbenempfindung wird das Metall nie und nimmer fortleiten. Umgekehrt könnte zwar die Netzhaut und der Sehnerv in Bezug auf die Fähigkeit, in Weissglühhitze versetzt zu werden, es ganz gut mit dem Bleiklumpen aufnehmen, aber es müsste das Nervengewebe vorher in seine chemischen Urcomponenten, den Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff u. s. w. aufgelöst werden ; die Nervenfaser als solche kann nicht weissglühn. Es lehrt also diese ein- fache Betrachtung, dass die Netzhaut und der Sehnerv, ganz abgesehen von ihrer Bedeutung als lebende Gewebe, auch schon vom rein physi- kalisch-optischen Standpunkte aus mit einem Stück Metall durchaus nicht in Parallele gestellt werden können.

Die Behauptung übrigens, dass das von einem weissglühenden Me- tall, z. B. Eisen, ausgehende Licht sämmtliche Farben des Spectrums enthält, wird derjenige, welcher sie leichtsinnigerweise aufgestellt hat, schleunigst wieder fallen lassen, sobald er sich nur die Mühe nehmen wollte, das Spectrum von weissglühendem Eisen in Wirklichkeit anzu- sehen, anstatt es am Schreibtische zu construiren. Bef.]

Ein Fall von operativ behandelter Amotio retinae nach Schoeler mit toedtlichem Ausgang. Von Dr. Gelpke, Karlsruhe. (Cen- tralblatt für practische Augenheilkunde, September 1889.)

Ueber die von Schöler vorgeschlagene und von ihm auch in einer Beihe von Fällen ausgeführte neue operative Methode der Behandlung der Netzhautablösung, welche wesentlich in der Injection von 2 bis 6 Tropfen Jodtinctur in den Präretinn lraum mittelst einer zweckent- sprechend geformten Pravaz'schen Spritze besteht, ist im Juniheft 1. J. dieser Monatsschrift referirt worden. G. hat seinen ersten, auf diese Weise operirten Fall durch den Tod verloren und beeilt sich, mit rüh- menswerther Hintansetzung jeder persönlichen Bücksicht, denselben zur Warnung der Fachgenossen zu veröffentlichen. Es handelte sich um einen 66jährigen rüstigen Landmann, der in Folge einer unbe- kannten Ursache eine Amotio retinae sinistrae acquirirt hatte. G. schritt unter den peinlichsten antiseptlschen Cautelen, welche detaillirt angegeben werden, zur Jodinjection nach Schöler. Das messerförmige Ende der Nadel, welches anscheinend zu plump gearbeitet und nicht hinreichend geschärft war, vermochte die Sclera nicht zu perforiren und G. war desshalb genöthigt, mit einem spitzen, zuvor gut sterilisirtem Scalpell eine Punction zu machen, um der Hohlnadel einen Weg zu bahnen. Die Menge der eingespritzten Jodtinctur betrug 3 Tropfen. Es entwickelten sich überaus heftige locale Keactionserscheinungen, starke Schmerzen, oedematöse Schwellung der Conjunctiva bulbi, des untern Lides und der linken Wange ; letztere beiden Körpertheile nahmen bald eine schwärzliche, auf Gangrän deutende Färbung an. Hierauf entwickelten sich Zeichen der Meningitis, an welcher Patient am sechsten Tage nach der Operation erlag. Den bei der Autopsie ge- wonnenen Bulbus will G. einer mikroscopischen Untersuchung unter- werfen, um nach Beendigung derselben in einer spätem Publication die Frage beantworten zu können, wie die Veränderungen des Auges in

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Folge des operativen Eingriffs entstanden waren, und auf welchem Wege der infectiöse Process von dem Auge zum Gehirn fort- geleitet wurde.

Beitraege zur Kenntniss der Sehnervenkreuzung. Von J. Singer und E. Muenzer. (Denkschriften der mathemat.-naturwissenschaftl. Classe der Wiener Academie der Wissenschaften, IV. Bd.)

Verff. haben das Chiasma der Taube, der Eule, der Maus, des Meer- schweinchens, des Kaninchens, des Hundes und der Katze mittelst der von V. Marchi angegebenen Färbemethode (Müller'sche Flüssigkeit und l%lge Osmiumsäurelösung im Verhältnisse von 2 : 1) untersucht, bei welcher die Markscheiden degenerirender Nervenfasern sich schwarz färben, während die normalen Markscheiden blassbräunlich bleiben. Es wurde ein Auge des Thieres enucleirt und drei Wochen später das Chiasma der Untersuchung unterworfen. Es stellte sich heraus, dass bei der Taube, der Eule, der Maus und dem Meerschweinchen die Waller'sche Degeneration der Nervenfasern nur im gekreuzten Tractus nachgewiesen werden konnte, dagegen wurde beim Kaninchen, dem Hunde und der Katze die Partialkreuzung unwiderleglich nachgewiesen und J. Michel somit widerlegt.

Mit v. Gudden's und G-anser's Befunden, welche als Autoren für die Partialkreuzung bei den letztgenannten Thiergattungen eingetreten sind, stehen die mittelst der Marchi'schen Methode gewonnenen Ke- sultate insofern in Widerspruch, als bei der letztern die ungekreuzten Fasern nicht zu einem geschlossenen Bündel vereint gefunden wurden. Dieser Widerspruch klärte sich jedoch auf, als S. und M. bei der Fort- setzung ihrer Untersuchungen die v. Gudden'sche Atrophiemethode mit der des Marchi'schen Keagens auf Nervendegeneration combinirten. Es wurde einem neugeborenen Thiere ein Auge enucleirt, was zur Folge hatte, dass der zugehörige Opticus und Tractusantheil in ein zartes, durchsichtiges Bindegewebsblatt verwandelt wurden. Als das Thier dann erwachsen war, wurde das andere Auge enucleirt und das Thier drei Wochen später getödtet. S. und M. setzten voraus, dass die im normalen Zustande zerstreut vorkommenden ungekreuzten Fasern bei dieser Versuchsanordnung sich zusammenlegen und ein geschlossenes Bündel bilden würden, da doch wegen der erzielten v. Gudden'schen Atrophie in dem betreffenden Tractus keine gekreuzten Fasern mehr vorhanden waren, zwischen welchen die ungekreuzten Fasern zerstreut hätten erscheinen können. Die Marchi'sche Färbung bestätigte diese Voraussetzung und stempelte demnach die v. Gudden-Ganser'sche Be- funde geschlossener Bündel gleichsam zu Naturartefacten [für diesen Ausdruck ist Ref. verantwortlich, der auch desswegen um Verzeihung bittet.]

Michel's Schlussfolgerungen, welche bekanntlich auf Totalkreuzung hinauslaufen, werden von den VerfT. als irrthümlich erklärt. Sie machen die zwischen den bei der Waller'schen Degeneration entstehenden Mark- schollen und den normalen Markscheiden nicht differenzirende Weigert' - sche Färbung für den Irrthum Michel's verantwortlich.

Allgemeine und specielle Pathologie.

Beferirt von Dr. F. C. Heppenheimer.

Untersuchungen ueber den Fermentgehalt der Sputa. E. Stadelmann. (Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. 16, Heft 1 und 2.)

Wenn auch Ausnahmen vorkommen, so gilt die Beobachtung Traube's noch immer als zu Kechte bestehend, dass im Lungengangrän- sputum zwar Lungenparenchymfetzen, aber keine elastischen Fasern zu

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finden sind. Unter den Autoren war bisher Streit, ob es sich hier um eine Ferment- oder eine Bacterienwirkung handle, einig waren sie nur darin, dass das fragliche Ferment in alkalischer Lösung, d. h. trypsin- artig, wirksam sei, während auf Fibrin, coagulirtes Hühnereiweiss, elastische Fasern eine Einwirkung in saurer Lösung ganz ausbleibt. S. suchte ein bacterienfreies Präparat zu bekommen. Glycerinextraete waren von vornherein zu verwerfen, da Mikroorganismen in denselben am Leben bleiben. Er suchte desshalb das Ferment durch neutrales schwefelsaures Ammoniak, dann auch durch concentrirten Alcohol im Ueberschuss zu fällen und auf dem Filter zu sammeln und weiter zu verarbeiten. Sein Resultat ist in Kürze angegeben : dass es ein nicht- organisirtes Ferment im Sputum nicht gibt und alle derartige Wirkung nur den Fäulnissbacterien zuzuschreiben sei. Im Gegensatz zu Müller fand er nie Pepton in seinen Sputen und glaubt er dessen positives Resultat auf eine fehlerhafte Methode zurückführen zu können. Wie Alles was von S. herstammt ist auch vorliegender Aufsatz mit über- zeugender Klarheit geschrieben. S. ist auch einer der Forscher, die die Lehre vom hämatogenen Icterus aus der Welt geschafft haben. Trotz- dem dieselbe jedoch immer und immer wieder todtgeschlagen worden ist, so spukt sie doch noch zuweilen in der Literatur, allerdings meist nur in der chirurgischen.

Ueber die Entstehung der tüberculoesen Kehlkopfgeschwuere und die Rolle der Tuberkelbacillen bei diesem Processe. Korkunoff. (Deutsches Archiv für klinische Medicin, Bd. 45, Heft 1 und 2.)

K. suchte der Aetiologie der Kehlkopfgesehwüre auf histologischem Wege nahezutreten. Sein Material bestand aus 14 erkrankten Kehl- köpfen, deren Eigenthümer an Phthise zu Grunde gegangen waren. Er fand bei der Untersuchung nicht ulcerirter, dem Anscheine nach ganz gesunder Stellen, dass auch in diesen häutig Tuberkel mit Bacillen lagen vom gesunden Epithel durch einen mehr oder weniger breiten Streifen unveränderten Gewebes getrennt. Im Epithel selbst und im Bezirk bis zum Tuberkel fand er nie Bacillen. In Folge weiteren Wachsthums und Vergrösserung der Tuberkel wird der Zwischenraum immer kleiner, bis dass er endlich das Epithel berührt. In letzterem entstehen Inter- stitien, die Leucocyten und Tuberkelbacillen enthalten und welche Verf. analog den von Unna im Rete Malpighi gefundenen, für pathologisch erweiterte Lymphspalten ansieht, die dem von Innen in's Epithel ein- dringenden Bacillus den Weg abgeben. Seinen Präparaten nach spricht er sich energisch gegen die Möglichkeit einer Infection von Seiten des Sputums, besonders bei gesundem Epithel aus. Nach ihm entsteht ein Kehlkopfgeschwür nur durch Zuschleppen der Bacillen auf dem Wege der Blut- und Lymphgefässe, und wenn er auch zugibt, dass bei gleich- zeitigem Bestehen von Tuberculose und Kehlkopfläsionen eine Impfung durch das Sputum möglich sein könnte, so hält er solche Fälle für höchst seltene Ausnahmen. Seine mikroscopischen Bilder sind gut gezeichnet.

Experimentelle Beitraege zur Infectiositaet der Milch tuberculoeser Kuehe. Hirschberger. (Deutsches Archiv für klinische Medicin, Bd. 44, Heft 5 und 6.)

Die Möglichkeit der Uebertragung der Tuberculose auf den Menschen durch die Milch perlsüchtiger Kühe ist eine nun nicht mehr zu bezwei- felnde Thatsache. Die Scrophulose, besonders die primäre Erkrankung der Halslymphdrüsen, die Tabes meseraica der Kinder, dieses Alles wird auf diese Ursache zurückgeführt. H., der unter der Aufsicht von Bol- linger arbeitete, legte sich die Frage vor : Sind die Fälle, in denen perl- süchtige Kühe eine infectiöse Milch liefern, häufig oder nur selten ? Bei

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welchen Formen von Perlsucht ist die Milch infectiös, ob nur dann wenn die Tuberculose generalisirt ist oder auch bei localisirter Tuberculose ? Er benutzte das Material des Münchener Schlachthauses indem er ent- weder die frischgemolkene Milch unzweifelhaft tuberculöser Kühe oder die aus dem Euter des frischgetödteten Thieres ohne Blutbeimengung gewonnene mittelst Pravaz in den Peritonealraum von Meerschweinchen brachte. Er fand, dass die Gefahr der Infeetion durch die Milch perl- süchtiger Kühe nicht nur vorhanden, sondern offenbar eine sehr grosse ist ; denn in 55 Procent aller Fälle erwies sich die Milch als sicher in- fectiös — und dabei sind mindestens fünf Procent aller in München geschlachteten Kühe perlsüchtig!

Von fünf hochgradig erkrankten Kühen ergaben die Impfungen : viermal positives, einmal negatives Kesultat = 80 Procent.

Von sechs Fällen mittleren Grades waren die Eesultate : viermal positiv, zweimal negativ = 66 Procent.

Von neun geringgradigen Fällen (Tuberculose auf die Lungen be- schränkt) waren sie : dreimal positiv, sechsmal negativ = 33 Procent p< -sitive Eesultate.

Da bewiesen ist, dass gekochte Milch unschädlich ist, so kann man nicht eindringlich genug empfehlen nur solche zu gemessen, besonders da nach dem Obigen hervorgeht, dass auch die Milch von Kühen mit localisirter Tuberculose infectiös wirken kann.

So sicher es auch feststellt, dass auch durch Inhalation (z. B. zer- stäubter tuberculöser Sputen) dieser grösste Feind des Menschen- geschlechtes seine vernichtende Wirkung auszuüben Gelegenheit be- kommen kann, so scheinen doch dem Bef. die meisten Fälle von Tuber- culose auf den Genuss infectiöser Milch zurückzuführen zu sein. Auch die Prädilection der Krankheit für die Anglo- Amerikaner versteht sich leicht, da gerade in diesen Kreisen bekanntlich die rohe Milch, respec- tive Sahne, einen so hervorragenden Bestandtheil der täglichen Nahrung ausmacht.

Zur Aetiologie des Diabetes mellitus. Michael. (Ziemssen und Zenker's Archiv für klinische Medicin, Bd. 44, Heft 5 und 6.)

Auf die Giessener Klinik wurde ein Diabetiker mit zwei bis zwei-ein- halb Procent Zucker aufgenommen. Durch entsprechende Begelung der Diät wurde der Zustand so gebessert, dass er nach einigen Monaten wieder entlassen werden konnte. Schon nach wenigen Tagen jedoch wurde er bereits im Collaps in's Spital zurückgebracht, wo er zwei Tage nach der Aufnahme im tiefsten Coma verschied.

Bei der Section fanden sich ein freier Cysticercus racemosus im vierten Ventrikel und ausgedehnte Granulationen nebst polypösen Wucherungen des Ependyms daselbst.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Referirt von Dr. Max Einhorn.

1. The Relation of Diet to uric-acid Formation. William A. Draper. (The Medical Record, October 12th, 1889.)

D. tritt gegen die allgemein herrschende Ansicht, dass man bei Gicht und lithämischen Zuständen eine möglichst viele Vegetabilien und wenig Fleisch enthaltende Kost verabreiche, auf. D. meint, dass gerade die Stärke und Zuckersubstanzen zur Säurebildung im Körper Anlass geben und so die Alkalescenz des Blutes herabsetzen ; die geringere Alkales- cenz des Blutes bedingt aber eine geringere Löslichkeit und grössere Ausscheidung der Harnsäure. D. empfiehlt daher in gichtischen Zu- ständen dasselbe Regim einzuschlagen, wie bei Diabetes. Nach seiner Erfahrung ist die Fleischkost das wichtigste in der Behandlung der Gicht.

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2. Ueber die Groesse der Harnsaeureausscheidung UND DEN EINFLUSS

der Alkalien auf dieselbe. E. Salkowski. (Virch. Arch., Bd. 117, Heft 3, S. 570.)

S. kommt durch Versuche, die er durch Dr. Spilker anstellen Hess? zum Schluss, dass Alkalien beim Menschen (es wurden 10 15 Gramm Natron täglich verabfolgt, so dass der Harn alkalisch reagirte) einen verringernden Einfluss massigen Grades auf die Harnsäureexcretion im Harn haben. Beim Huude dagegen konnte man im Gegentheil eine Zu- nahme der Harnsäureausscheidung unter den Einfluss von Alkalien constatiren.

Die Grösse der Eiweisszufuhr in der Nahrung hat keinen Einfluss auf die Harnsäureausscheidung, wie dies die Ernährungsversuche von Hirschfeld beweisen. H. nahm soviel stickstoffhaltige Substanzen zu sich, dass der Harnstoff von 11,35 pro die auf 44,59 stieg, und doch blieb die Harnsäuremenge im Urin ziemlich gleich ; sie betrug 0,417 0,492 pro die. Die Menge der Harnsäureausscheidung scheint sehr ver- schieden zu sein und individuellen Eigenthümlichkeiten unterworfen. Auch das Verhältniss zwischen Harnsäure und Harnstoff unterliegt physiologisch grossen Schwankungen, so dass vorläufig aus dem Ver- halten der Harnsäure zum Harnstoff in pathologischen Zuständen keine sicheren Schlüsse gezogen werden können.

3. Zur Kenntniss der sogenannten „Magenatrophie". George Meyer.

(Zeitschrift für klinische Medicin, Bd. XVI, Heft 3 und 4.)

M. unterscheidet, gleich Ewald, zwei Arten des zur Atrophie der Magenschleimhaut führenden Processes. In der einen Classe fängt der Process auf der Oberfläche der Schleimhaut an und schreitet nach unten vorwärts. Der Process besteht in einer Entzündung der Drüsen selbst. Man findet hier gleich im Beginn der Erkrankung durch kleinzellige In- filtration und Bindegewebsbildung Veränderungen an den Mündungen der Drüsencanäle ; ein Theil von ihnen ist verschlossen. Diese Form wird als die „parenchymatöse" bezeichnet. In der zweiten Classe beginnt der Process im interglandulären Gewebe, und kann man leicht beobachten, wie derselbe langsam von unten nach oben schreitet. Die Oberfläche der Schleimhaut leidet daher zu allerletzt. Diese Form wird die „interstitielle" genannt.

M. schlägt vor, anstatt „Magenatrophie" „Phthisis ventriculi" zu sagen, um dadurch zu zeigen, dass die Krankheit noch im Gange ist, während für Fälle, wo bereits alle Drüsen verschwunden sind, der von Ewald vorgeschlagene Name „Anadenie des Magens" sehr passend ist.

Die Aetiologie anlangend, so ist die Phthisis ventriculi nicht eine Er- krankung für sich, sondern immer die Folge der Gastritis glandularis chronica. M. gibt in übersichtlicher Weise eine Zusammenstellung der Literatur dieses Gegenstandes und beschreibt das klinische Bild, sowie die genaue mikroscopisch anatomischen Befunde der Phthisis ventriculi.

4. Ueber die Einwirkung des Zinks auf die Nieren. A. Helpup.

(Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 38, 1889.)

Honsell hat zum ersten Mal über einen Vergiftungsfall mit Zink be- richtet, wo Nephritis aufgetreten war ; Helpup unternahm es nun durch wiederholte subcutane Injectionen von Zincum aceticum (bis Vergiftungs- tod eintrat) bei Katzen und Kaninchen den Einfluss dieses Metalls auf die Nieren zu studiren. Das Ergebniss ging dahin, dass sich bei der Section in 79% der Fälle eine parenchymatöse Nephritis vorfand.

5. Ueber das Verhalten des arteriellen Blutdruckes im Fieber. Ed.

Keichmann. (Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 38, 1889.) R. suchte von neuem über die von Zadek, von Bäsch, Landois, Riegel u. A. vielfach ventilirte Frage, ob der Blutdruck im Fieber erhöht oder

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erniedrigt sei, Aufschluss zu bekommen. K. hat zu diesem Zwecke vermittelst des von Basch'schen Sphygmomanometers den Blutdruck während des Fiebers und einige Tage nachher bei vielen Patienten der Riegel'schen Klinik untersucht und fand in allen Fällen eine mehr oder weniger ausgesprochene Herabsetzung des Blutdrucks im Fieber.

Gynaecologie.

Referirt von Dr. F. Krug.

Zur Frage der Aetiologie der acuten Peritonitis. Von Dr. Atha- nasius Solowjeff. (Centraiblatt für Gynaecologie, No. 37.)

Die meisten seitherigen bacteriologischen Forschungen nach der Aetiologie dieser Krankheit wurden bei eiterigen Formen puerperaler Peritonitis angestellt. Pawlowsky hat durch Thierexperimente be- wiesen, dass es Formen von acuter Bauchfellentzündung gibt, welche bei der Obduction keine pathologisch anatomischen Veränderungen er- kennen lassen. Diese Formen fand er nach Injection grosser Mengen Staph. pyog. aur. und Bacill. pyocyan. in die Bauchhöhle von Kaninchen, wobei die Thiere starben, ehe irgend welche erkennbaren Veränderungen im Bauchfell eintreten konnten. Aehnliche Formen kommen unzweifel- haft beim Menschen vor. Solowjeff veröffentlicht einen Fall, den er in der Harjansky'schen Klinik beobachtet hat. Myomotomie bei einer 38jährigen Kranken, extraperitoneale Stielbehandlung nach Hegar und Kaltenbach ; anscheinend normaler Verlauf in den ersten 4 Tagen, dann leichte Temperaturerhöhung, am 7. und 8. Tage Temperatur 37,5° C. Puls 120 140, Hallucinationen, am 9. Tage Coma, Exitus. Section : Kein Tympanites, Abdominalwunde per primam geschlossen, Stumpf aseptisch, Peritoneum anscheinend normal.

Unter allen Cautelen wurden bei Beginn der Section Abschabungen vom Bauchfell in Probirgläser mit Fleischpeptongallerte und Fleisch- peptonbouillon eingeimpft. Alle producirten Culmren, von denen Plattenculturen von Streptococci und lange dünne nicht pathogene Ba- cilli erhalten wurden. S. nimmt desshalb eine „Peritonitis mycotica" als lethale Ursache in vorliegendem Fall an. Auffallend ist, dass die Dauer der Peritonitis mindestens 4 bis 5 Tage betrug, ohne irgend- welche pathologischen Veränderungen im Bauchfell hervorzubringen.

S. glaubt die Erklärung dafür in dem Umstand zu finden, dass der Streptococcus nicht nothwendig eine Eiterung zur Folge haben muss, sondern auch zu einer erysipelatösen Entzündung führen kann. In dem Ergebniss der von ihm mit den Beinculturen angestellten Thierver- suchen glaubt er eine Bestätigung daran zu sehen und stellt die Ver- muthung auf, dass es sich im vorliegenden Fall nicht um den Strepto- coccus pyogenes, sondern einen Str. erysipelatosus gehandelt habe.

Darf die subcutane Kochsalzinfusion bei schwerer Anaemie in Folge innerer Blutung angewendet werden? Von S. Chazan. (Central- blatt für Gynaecol., No. 33.)

Dass die subcutane Kochsalzinfusion ein ausgezeichnetes Mittel bei nicht mehr blutenden aber in Folge des Blutverlustes collabirenden Per- sonen ist, steht unzweifelhaft fest (vergl. Münchmeyer's Arbeit aus der Dresdener Frauenklinik). Ob sie aber bei innerer Blutung ebenso sehr empfohlen werden darf, ist noch zu erhärten. Die Kochsalzinfusion ist eines der stärksten Excitantien, und solche können leicht mit Hebung der Herzaction auch die innere Blutung wieder anregen.

Diese Frage kann daher nicht auf theoretischem Wege sondern nur auf Grund vielseitiger klinischer Erfahrungen beantwortet werden.

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Ch. theilt einen Fall von rupturirter Tubenschwangerschaft mit starker innerer Blutung mit, bei der von der Laparotomie abgesehen, dagegen zweimal eine lprocentige Kochsalzlösung (je 200 und 300 gr.) subcutan injicirt wurde. Der Erfolg war günstig.

The Non-Retention of Urine in Young Girls and Women. By H. Marion Sims. (Am. Journal of Obstetr., Sept. 1889.)

Sims bespricht hier nur solche Fälle von hartnäckiger Incontinenz, die nicht durch Cystitis oder Neubildung in der Blase veranlasst sind. Fremdkörper waren ebenfalls nicht vorhanden. Dagegen hielt in seinem ersten Fall (17jähriges Mädchen) die Blase nur lf Unzen Flüssigkeit und maass vom Meatus externus bis zur hinteren Wand nur 2| Zoll. Seine Therapie besteht in gewaltsamer Dilatation der Blase durch Einpumpen warmen Wassers in dieselbe vermittelst einer „Da- vidson's Syringe" ; die Quantität des Wassers wird täglich um eine halbe bis eine Ünze gesteigert ; Heilung wurde nach beiläufig 3 Monaten erzielt. In zwei Fällen aus acht Hess die Behandlung im Stich.

Sims glaubt, dass die meisten derartigen Fälle auf vernachlässigte Erziehung in der Jugend zurückzuführen sind ; schlechte Angewohn- heit wird zur zweiten Natur. Allmälige Contraction der Blasen wände in Folge von Muskelatrophie und somit verringertes Volumen sind die Folgen. Auf die Pathologie der Fälle geht Sims nicht ein.

Zur operativen Behandlung der Extrauterinschwangerschaft. Von F. Spaeth. (Zeitschrift für Geburtsh. und Gynaecol., Band XVI, Heft 2.)

Spaeth theilt vier Fälle von ectopischer Schwangerschaft mit, die in der Prochownick'schen Klinik zur Operation per laparotomiam kamen. Drei davon gehörten den ersten Schwangerschaftsmonaten an und wurden geheilt ; der vierte Fall befand sich im Ausgang der Schwanger- schaft und starb an Sepsis 3 Tage post op.

In seinen anschliessenden Bemerkungen stellt sich Spaeth was die Therapie anbelangt entschieden auf den heutzutage von den meisten Gynäkologen anerkannten Standpunkt, dass eine als solche erkannte Extrauterinschwangerschaft „unter dem Gesichtspunkte einer bös- artigen Neubildung" zu betrachten und zu behandeln sei. Der elek- trische Strom, die Electropunctur, die Punction des Fruchtsackes und die Morphiunrinjection in denselben, müssen gegen die Exstirpation des Fruchtsackes zurückstehen. Denn einmal führen diese Methoden nicht immer zur Mortification der Frucht ; und zweitens falls diese auch gelingt, so ist die Heilung nur eine relative und stellt hohe Anforde- rungen an die Kesorptionsfähigkeit des Organismus ; endlich sind die- selben durchaus nicht so ungefährlich.

Bei eingetretener Euptur des Sackes ist die Indication zum opera- tiven Einschreiten nicht immer so strict gegeben ; immerhin wird durch eine sofort vorgenommene Laparotomie allen Eventualitäten am sicher- sten begegnet.

Extra-Uterine Pregnancy. By T. Ford Thompson. (American Journal of Obstetrics, August 1889.)

Thompson berichtet einen Fall einer 22jährigen Frau, bei der die ectopische Schwangerschaft zur Selbstheilung kam, indem sich die Con- tenta des Fruchtsackes durch die Blase entleerten. Die Diagnose war vorher nicht gemacht worden. Trotz dieses günstigen Re- sultats bekennt sich Thompson als eifriger Anhänger der operativen Behandlung der Extrauterinschwangerschaft sobald der Zustand er- kannt worden ist ; ebenso soll in allen Fällen von Euptur sofort operirt werden. Nur zwischen dem fünften Monat und der Zeit der Pseudo- wehen soll zugewartet werden.

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EXSTIRPATION DES ÜTERUS MIT RESECTION DER SCHEIDE WEGEN VORFALLES.

Von Dr. Rob. Asch. (Archiv für Gynaecologie, Bd. XXXV, Heft 2.)

Trotz der günstigen Erfolge, die die mechanische Behandlung der Prolapse neuerdings aufzuweisen vermag, und der grossen Vervoll- kommnung, die die meistens gebräuchlichen operativen Behandlungs- methoden derselben (Colporrhaphieen, Perineoplastiken und Portio- amputationen) erfahren haben, kommen uns doch immer einzelne ver- altete Fälle von completem Prolaps vor, bei denen mildere, weniger eingreifende Methoden völlig im Stiche lassen. Und doch ist es eine dringende Aufgabe solche Frauen namentlich wenn sie auf ihrer Hände Arbeit angewiesen sind wieder erwerbsfähig zu machen. Und unter Be- rücksichtigung der äusseren Verhältnisse der Kranken einerseits und der Schwere des Leidens und der Gefahren, die dessen Fortbestehen in sich schliesst, andererseits, wird es im gegebenen Falle nicht schwer fallen, die Indication zu einer Radicaloperation, der Totalexstirpation des Uterus mit Resection der Scheide zu finden. Zudem hat die Opera- tion mit den Fortschritten in der Technik und in Verbindung mit strenger Antisepsis mehr und mehr von ihrer Gefährlichkeit verloren.

Asch gibt einen kurzen Rückblick der Geschichte der Operation und findet in der Literatur im Ganzen 10 Fälle, in denen die Operation wegen unheilbaren Prolapses ausgeführt worden ist ; nicht mit eingeschlossen sind hierbei die Fälle die mit Carcinom oder Gangrän complicirt waren.

Verf. lässt dann die Operationsgeschichten von 8 Fällen aus der Frauenklinik zu Breslau folgen, von denen 7 von Prof. Fritsch und einer von ihm selbst operirt ist.

Gebnrtshülfe.

Referirt von Dr. C. von Ramdohr.

A Case of Rüptüre of the Uterus and a Case of Cesarean Section. Wm. T. Lüsk. (New York Medical Journal, Sept. 14, 1889.)

I. Nach einigen 30stündigen Wehen, während welcher sich bei einer II. Para das Os intern um wegen Narbensträngen nicht erweitern konnte, erfolgte spontane Ruptur und 2 Stunden später Exitus. Section ergibt den Riss schief über den Uterus gehend vom obern Cervicaltheil zur rechten Seite des Fundus : Frühe Laparotomie hätte die Frau vielleicht gerettet. Nach einer Ruptur sollte bei Undurchgänglichkeit des Cervix, bei extremer Beckenenge, oder nachdem Kopf und Arme oder das ganze Kind ausgetreten sind, zur Oeftnung der Bauchhöhle geschritten werden ; wenn das Kind per vias naturales geboren werden kann ohne den Riss zu vergrössern, so verdient dies den Vorzug mit nachfolgender Aus- waschung, Drainage und eventuell Auspackung speciell bei incompleter Ruptur mit bester Prognose, wenn der Riss hinten sitzt.

II. Bei einer 26jährigen mit einer so starken Kyphose behafteten I. Para, dass die drei untern Rippen sich über die Cristae geschoben hatten, wird nicht wegen absoluter Beckenenge, sondern wegen dem nicht aus Mangel an Raum reponirbaren Hängebauch zum modernen Kaiserschnitt geschritten. Lebendiges Kind ; Operation glatt mit Aus- nahme eines kleinen Querrisses bei der Extraction dauert eine Stunde. Exitus am 5. Tage. Bei der Section ergibt sich das Gewicht beider Lungen als 11 Unzen, der fettigen Leber 3 Pfund 12 Unzen und grosse Abscesse in den Psoasscheiden, ausgehend von cariösen Wirbeln. Operateur glaubt, dass Porro's Methode durch Schaffung von mehr Raum in diesem extremen Fall mehr am Platze gewesen wäre.

Beitrag zur Frage der Anwendung von Kochsalzinfusion bei schwerer

ACUTER ANAEMIE IN FOLGE INNERER BLUTUNG. Dr. U. WlERCINSKY,

Petersburg. (Centralblatt für Gynaecologie, No. 41, 1889.) Bei einem Fall von schwerer Anämie in Folge rupturirter Tuben- schwangerschaft führte Dr. Chazan eine subcutane Kochsalzlösungs-

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infusion mit gutem Erfolg aus. Bei einem ähnlichen Fall wurde vom Verf. eine dergleichen intravenöse gemacht, doch starb Patientin 2 Stunden später. Auf Grund dieser Beobachtung möchte er sich in dem Sinne äussern, dass intravenöse Kochsalzinfusionen bei inneren Blutungen ganz verlassen werden müssen, weil durch dieselben Hydrämie und Steigerung des Blutdruckes ganz plötzlich hervorgerufen werden, was hier eben am wenigsten erwünscht ist. Die subcutane Kochsalz- infusion führt nicht zu solcher hochgradigen Hydrämie, wie die intra- venöse, auch nicht zu einer so plötzlichen Steigerung des Blutdruckes, und wäre desshalb in solchen Fällen anwendbarer. Es sollten alle 10 15 Minuten 100 200 Gr. gebraucht werden.

A Case of Abdominal Gestation. Removal of the Foetus by Laparotomy seven Weeks after its Death at Teryt. Dr. H. Kreutzmann, San Francisco. (Pacific Medical Journal, September, 1889.)

Am 10. October bekam eine III. Para (welche während der Schwanger- schaft blutigen Ausfiuss gehabt und viel gelitten hatte) Wehen am Ende des 9. Monats. Dieselben hörten zusammen mit den Kindsbewegungen bald darnach auf. Es wurde versucht per vias naturales zu entbinden, aber es ging nicht. Am 26. November sah sie Autor in Consultation septisch inficirt und am 4. December wurde sie endlich von Dr. Hund operirt. Laparotomie leicht, Sack überall adhärent. Exitus am 17. December !

Zur Aetiologie der septischen Peritonitis. Dr. E. Bumm, Würzburg. (Münchener Medicinische Wochenschrift, 15. October 1889.)

Es gibt I. Aseptische (nicht infectiöse, einfache, gutartige) Peritonitis. Ob die aseptische Peritonitis auch eiterig werden kann, ist noch die Frage.

II. Septische Peritonitis.

a) Streptococcen-Peritonitis. Dieselbe ist meist durch puerperale Infection bedingt, kann aber auch durch Durchbruch septischer Eiter- herde in's Peritoneum, durch Infection bei Operationen und Verwun- dungen entstehen.

Wahrscheinlich können auch die pyogenen Staphylococcen ähnliche Formen der eiterigen Peritonitis hervorrufen, wie der Streptococcus.

b) Putride [nicht ein Mikroorganismus, sondern ein Gemisch von Pilzen. Ref.] Peritonitis. Dieselbe entsteht nach Laparotomien und Perforationen der Hohlorgane des Abdomens, in letzterem Falle aber nur, wenn die Communication zwischen Intestinum und Bauchhöhle und damit die Zufuhr von bacterienhaltigem Material, z. B. Darminhalt, dauernd anhält. Gelangt, wie z. B. oft aus dem Wurmfortsatz, nur wenig Koth in die Bauchhöhle, dann erfolgt dessen Abkapselung durch fibrinöse Schwarten.

III. Specifische Entzündung des Peritoneum. Hierher gehört vor Allem die tuberculöse Peritonitis.

Ob es eine gonorrhoische Entzündung des Peritoneum gibt, ist mir immer sehr zweifelhaft gewesen. Die Microben der Gonorrhoe ver- mögen nur auf Schleimhäuten pathogene Wirkungen zu entfalten, gehen aber in serösen Höhlen zu Grunde. Beiner gonorrhoischer Eiter, der sich aus geplatzten Tubensäcken in's Peritoneum ergiesst, wirkt in der Regel nur als aseptischer Fremdkörper. Er wird abgekapselt. Etwas anderes ist es, wenn der ursprünglich gonorrhoische Tubeneiter durch Mischinfection auch pyogene Keime enthält. In diesem Falle kann der Durchbruch des Eiters von einer septischen Peritonitis (Il.a) gefolgt sein.

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Deutsche Medicinische Gesellschaft von New York.

Sitzung vom 7. October 1889. (12 West 31. Strasse.)

Präsident : Dr. H. J. G a r r i g u e s.

Dr. Adolf Lutz aus Brasilien als Gast.

Dr. MaxEinliorn demonstrirt dieGaertner'scheTaschen- lampe für Aerzte :

Meine Herren! Das Sehen ist einer der wichtigsten Factoren, die uns bei der Beurtheilung eines Gegenstandes zu Gebote stehen.

Die Fortschritte, die in diesem Jahrhundert auf den verschiedenen Specialgebieten der Medicin gemacht worden sind, waren erst möglich, nachdem man zuerst gelernt hat, die verschiedenen Körperregionen gut zu beleuchten und dem Gesichtssinn zugänglich zu machen. Die Augen- heilkunde als selbstständiges Fach hat sich erst nach der Erfindung des Augenspiegels, die Laryngologie nach Erfindung des Kehlkopfspiegels, die Oto- und Rhinologie nach Einführung der Ohren- resp. Nasenspecula und die Gynaecologie nach Zuhülfenahme der Yaginalspecula aus- bilden und die Höhe erreichen können, in der wir sie heute antreffen.

Der practische Arzt hat sich zwar theilweise alle jene Errungen- schaften zu Nutze gemacht ; er hat alle jene Beleuchtungsmethoden gelernt und wendet sie auch zuweilen an ; allein sehr oft wird er eine diesbezügliche Untersuchung unterlassen, weil ihm die Apparate, welche zum guten Besehen nothwendig sind, entweder ganz und gar fehlen oder aber zu umständlich sind.

Insofern muss man jede Neuerung, welche dah inzielt eine Unter- suchung zu vereinfachen und zu erleichtern, als einen Fortschritt begrüssen.

Der Gaertner'sche Beleuchtungsapparat, den ich Ihnen, Herr Präsi- dent und meine Herren, heute Abend demonstriren möchte, dient nun dazu, dem Arzte das Beleuchten und Besehen der verschiedenen Kör- perregionen (Rachen, Nase, Ohr, Vagina etc.) in hohem Maasse zu erleichtern.

Die bei den gewöhnlichen Beleuchtungsmethoden üblichen Reflectoren sind etwas umständlich und fallen bei der Gaertner'schen Lampe weg.

Der Apparat ist ausserordentlich einfach ; er besteht aus einer Metallbüchse, in der eine gewöhnliche Stearinkerze brennt und einem cylindrischen Glasstab, der gerade dem Centrum der Flamme gegen- überliegt. Alle Lichtstrahlen werden durch den Glasstab ungeschwächt fortgeleitet, und man hat es in der Hand, gerade jene Gegend zu be- leuchten, die man einer genauen Untersuchung unterwerfen will.

Das Princip, meine Herren, vermittelst eines Glasstabes die Licht- strahlen nach einer Richtung zu dirigiren und einen bestimmten Punkt zu beleuchten, ist zuerst bei Mikroscopirlampen von Kochs und Wolz *) angewandt worden, und sind solche Lampen im Jahre 1887 auf der Naturforscherversammlung zu Wiesbaden zum ersten Male ausgestellt gewesen.

Gaertner hat das Verdienst, dieses Princip für die Krankenunter- suchung nutzbar gemacht zu haben.

Ausserdem, dass der Glasstab das Licht nur nach einer Richtung fortleitet, hat er noch die gute Eigenschaft, ein schlechter Wärmeleiter zu sein. Der Glasstab bleibt während der Beleuchtung kalt, und kann man ihn daher in die nächste Nähe des Untersuchungsortes bringen. Dies ist sehr wichtig und bei der Beleuchtung des sehr empfindlichen Auges besonders vortheilhaft.

*) Kochs und Wolz, citirt nach Hering, Berliner Klinische Wochenschrift, No. 35, 1889.

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Gestatten Sie mir nun, meine Herren, Ihnen den Gaertner'schen Beleuchtungsapparat zu demonstriren.

Der Beleuchtungsapparat setzt sich zusammen aus dem Lampen- gehäuse, den Glasstäben und der Kerze. Die Glasstäbe sind in die Nickelhülsen mittelst Betonmasse (eine Art Cement) eingelassen, da man Kork, Gummi und ähnliches Material wegen der im Apparat entwickelten Hitze nicht anwenden konnte.

Die Glasstäbe sind je nach der Gegend, die untersucht werden soll, verschieden und zweckentsprechend geformt ; beim Gebrauche werden sie an das Lampengehäuse angebracht und mittelst eines Bajonettver- schlusses befestigt.

Die Kerze sitzt in einem Bohr auf einer Spiralfeder und wird so bei jeder Abnutzung nach oben geschoben. Die Flamme bleibt daher immer in derselben Höhe.

Ausser der Beleuchtung ist man mit diesem Apparat im Stande auch die Durchleuchtung mancher Theile vorzunehmen ; besonders schön lässt sich die Nase durchleuchten ; man führt zu diesem Behufe den dünnen Glasstab in das eine Nasenloch ; das andere Nasenloch wird dann in dem Maasse durchleuchtet, dass man Alles klar zu sehen im Stande ist.

Meine Herren ! Der Gaertner'sche Beleuchtungsapparat hat sich mir in der kurzen Zeit, in der ich ihn habe, besonders practisch und nützlich erwiesen, und ich zweifle nicht, dass derselbe bald eine weite Verbreitung unter Ihnen finden wird.

Dr. Schapringer demonstrirt einen aus der linken Nasenhöhle eines 5jährigen Kindes entfernten Fremdkörper, an welchem das An- fangsstadium der Bhinolithenbildung zu erkennen ist. Die Mutter brachte das Kind zu Dr. S., weil es seit mehreren Monaten angeblich an „Katarrh" der Nase litt. Bei der Untersuchung fand sich, das aus dem linken Nasenloch bräunlich missfärbiges und stark übelriechendes Se- cret hervorquoll. Die Einseitigkeit der Krankheitserscheinungen legte es sofort nahe, dass es sich wohl um einen durch einen eingeführten Fremdkörper verursachten Keiz handelte. Nach Abspülung des Secrets konnte man auch sofort die Oese eines Schuhknopfes erkennen. Bei der Extraction zeigte sich, dass der Fremdkörper von Granulationen um- wachsen war, welche ihn zum Theile fixirten. An einer Stelle ist an dem vorgezeigten Präparate ein eingetrockneter Granulationsrest zu er- kennen. Sonst sieht man an demselben einen dünnen, unregelmässigen, hellbraunen, erdigen Beschlag, wahrscheinlich aus phosphorsaurem und - kohlensaurem Kalk und Magnesia bestehend, welche Körper bei den bis jetzt gemachten chemischen Analysen von Khinolithen jedesmal als Bestandteile derselben erkannt wurden.

Dr. L. Weiss: Der Patient, den ich vorzustellen die Ehre habe, ist der Träger zweier Dermatosen, deren eine sich am Kopfe, die andere am Stamme und den Extremitäten lokalisirt und die ungleich wichtigere und interessante ist. Ich will mit letzterer beginnen. Sie sehen einen ziemlich gut genährten 10jährigen Jungen der über dem Sternum und zu dessen beiden Seiten, unter der linken Subclaviculargegend, am Hypogastrium, am Bücken und zwar von den Brustwirbeln bis zum Kreuz hinab und symmetrisch jederseits davon schmetterlingsfiügel- artig, an der Patellar- und Elbogengegend eine von weissen Schuppen bedeckte Eruption zeigt. Bei näherem Zusehen finden wir, dass die Schuppen theils solitären kleinen zu Gruppen vereinigten Knötchen auf- sitzen, theils zusammenhängende Schuppenlamellen von asbestartigem Ansehen vorstellen, wie dies besonders in der Sacralgegend der Fall ist wo die Eruption diffus verbreitet ist. Versuchen wir die ziemlich fest adhärirenden Schuppenhügelchen zu entfernen, so vermögen wir das ohne dass es zur Blutung kömmt. Nach Abhebung der Schuppen finden wir

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die offene Follikularmündung. Nur über der Eegio pubica finden wir eine Knötchengruppe die der eben gegebenen Beschreibung nicht ent- spricht. Die hirsekorn- bis Stecknadelkopf- grossen Knötchen sind braun oder blassroth, von wachsartigem Glanz, rundlich oder polygonal. Die Knötchen bergen kein Fluidum, jucken nicht, stehen gruppenweise oder in Form von Kreissegmenten oder Kreisen. Trotz des 3jährigen Bestehens der Erkrankung, während welcher oft der ganze Stamm be- deckt war, gingen die Knötchen keiner andern Metamorphose entgegen als die der von Zeit zu Zeit stattfindenden Exfoliation und Involution.

Somit hätten wir in grossen Zügen das Krankheitsbild des Liehen scrophulosorum.

Derselbe ist eine ziemlich seltene Erkrankung. In Amerika kommt etwa ein solcher Fall auf 5000 von anderweitigen Dermatosen. Auf dem Continente ist die Erkrankung etwas häufiger, besonders scheint sie nach den Statistiken des älteren Hebra in Wien und Oesterreich-Ungarn häufiger vorzukommen.

Die Erkrankung befällt fast ausnahmslos nur jugendliche Indivi- duen jedoch selten über das 20. Jahr hinaus und zeigt in 90 Procent der Fälle bei solchen, bei denen indolente oder vereiternde Lymphdrüsen- anschwellungen insbesondere der Subm axillar- und Cervicaldrüsen vorkommen'; ferner bei solchen mit Caries und Nekrose behafteten, schlecht genährten cachectischen Individuen, kurz bei den als scro- phulös charakterisirten Individuen.

Die Entwickelung ist ausserordentlich langsam, der Verlauf träge. Der Process des Liehen scrophulosorum besteht in einer Zelleninfiltra- tion und Exsudation in und um die Haarfollikel und ihre Talgdrüsen, sowie um die, die Follicularmündung zunächst begrenzenden Papillen. Die Exsudation beginnt an der Basis des Haarbalges und der Talgdrüse.

Zum letzten Falle erwähnt Dr. C. Heitzmann, dass er gerade diese Hautkrankheit studirt und gemalt habe. Er stimmt der Diag- nose bei.

Es folgt Dr. Willy Meyer mit einem kurzen Beitrag zur chirur- gischen Behandlung des Erysipels. (Siehe Original in dieser Nummer.)

Dis cussi on :

Dr. A. S e i b e r t hat drei an schwerem Erysipel leidende Kinder so behandelt, jedoch incidirte er die Haut nicht, sondern kratzte sie ab, wie beim Impfen, und machte eine Zone nicht breiter als ein Finger, verband mit Watte, angefeuchtet mit Sublimatlösung von 1 : 2000. Die Kinder standen im Alter von drei und fünf Jahren respective dreizehn Monaten. Alle drei wurden schnell geheilt. Diese Modifikation kann sehr rasch und ohne Narcose geübt werden. (Vergl. New York Medical Journal, 19. October 1889, Seite 430.)

Dr. F. Lange erwähnt, dass man leicht falsche Schlussfolge- rungen beim Erysipel machen kann, da seine Dignität ausserordentlich verschieden ist. Alle Stufen der Infection kommen vor. Er glaubt, dass gerade diejenigen Erysipele, welche mit ausgesprochener Be- theiligung des Lymphapparats einhergehen, wie auch sehr schwere Erysipele, von dieser Behandlung nicht beeinflusst werden möchten. Uebrigens ist die Stichelung nicht neu, im hiesigen Bellevue Hospital hat man schon vor vielen Jahren die Wundrose so behandelt und war sehr damit zufrieden.

Dr. Willy Meyer führt einen Fall aus dem Deutschen Hospital an, der deutlich beweist, wie auch eine ausserordentlich schwere ery- sipelatöse Infection von der Scarification heilsam beeinflusst wird. Im letzten Sommer kam ein Patient in den vierziger Jahren mit der Diag- nose Typhus in das Hospital. Bei genauer Untersuchung fand sich ein schweres Kopferysipel. Temperatur über 105°, schwacher, sehr fre-

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quenter Puls, allgemeine Dejection. Wegen der schweren Symptome entschloss sich der erste Hausarzt, Dr. F. Torek, zum sofortigen opera- tiven Eingriff. Der ganze Kopf wurde rasirt und nun an der Grenze der Rose das bekannte Gitter gezogen ; nur an der Augenbraue, bis wohin die Rothe gewandert und wo man nicht rasirt hatte, war die Stichelung weniger gründlich vorgenommen. Feuchter Sublimatverband wie ge- wöhnlich. Am nächsten Tage war die Temperatur bis auf 100 und wenige Zehntel gefallen und alle schweren Symptome verschwunden, die Rothe aber war an der Augenbraue vorbei auf die Wange vorgeschritten, doch ohne mehr Folgeerscheinungen als die leichten noch vorhandenen Tem- peratursteigerungen zu machen.

Die Kraft des Erysipels war durch den ersten Eingriff ohne Zweifel gebrochen. Nach wenigen Tagen war auch das geringe Fieber ver- schwunden und Patient wurde geheilt.

Hierauf zeigt Dr. G a r r i g u e s (Präsident Dr. Caille) eine scleroüsche Placenta vor. Sie stammt von einer 30jährigen I. Para von guter Consti- tution, die während der ganzen Schwangerschaft gesund war. Sie war zu Ende des 10. Mondmonats. 5 Tage vorher hörten Fötalbewegimgen auf, keine Herzlaute waren vernehmbar, zuletzt konnte der früher grosse Kopf zusammengefallen durch das untere Uterinsegment gefühlt werden. Die Frau fühlte übel und hatte einen Schüttelfrost 6 Stunden vor der Geburt. Das Kind hatte die Länge und Gestalt eines normalen Kindes, bestand aber so zu sagen nur aus Haut und Knochen, und der Kopf bildete einen zusammengefallenen Sack wie nach Entleerung des Gehirns. Statt Fruchtwassers floss eine fast schwarze, dicke Flüssig- keit ab, in der Massen von Vernix caseosa herumschwammen. Die Nabelschnur war 35 Zoll lang und sehr dünn. Nahe an der Placenta ist alle Wharton's Sultze verschwunden. Sie enthält nur eine Arterie und eine Yene.

Die Placenta misst 7 bei 3^ Zoll und ist bis zu Ii Zoll dick. Sie war fest mit dem Uterus verwachsen und konnte nur durch eine mühsame und sorgfältige Operation mit den Nägeln in einem Stück von ihm ge- trennt werden. Die Cotyledonen sind mit einander verklebt, können aber durch leichten Zug von einander getrennt wrerden. Die ganze Placenta ist hart und besteht aus dicht zusammengefügten Sehnenfasern.

Die Länge des Körpers und das fortbestehende Leben des Kindes zeugen davon, dass die Ernährung bis spät in die Schwangerschaft vor- schritt. Dann wurde sie immer geringer und die weichen Theile, be- sonders alles Fett wTurde resorbirt, bis endlich das Kind 5 Tage vor der rechtzeitigen Geburt starb.

In dem vorliegenden Fall liegt sicher keine Syphilis vor.

Discus s i o n :

Dr. C. Heitzmann glaubt, dass es sich hier um eine diffuse Pla- centitis handelt ; er fügt hinzu, dass diese Erkrankung in der Placenta nicht ganz selten ist. Dr. Wm. Fränkel hat das Thema in seinem Labo- ratorium bearbeitet. Es hat sich dabei als typisch herausgestellt, dass das myxomatöse Gewebe in einen embryonalen Zustand übergeht und zu fibrösem Bindegewebe wird. Es war im vorgezeigten Falle auch nur eine Vene vorhanden. Wahrscheinlich ist die Ursache für den Vor- gang und das Absterben des Kindes eine Entzündung der Nabelschnur gewesen.

Dr. L. Weber berichtet über einen einschlägigen Fall aus seiner Praxis. Die erste Schwangerschaft einer gesunden Frau verlief normal und endete mit der Geburt eines gesunden Kindes. Während der zweiten Gravidität starb das Kind ab. Als Ursache davon erwies sich bindegewebige Degeneration der Placenta, so dass der Entzündungs- process, welcher zur Aufhebung des Kreislaufs zwischen Mutter und

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Kind geführt hatte, die ganze Placenta betraf : Syphilis war sicherlich nicht vorhanden gewesen.

Es folgt die Verlesung und Annahme des Protocolls der letzten Sitzung.

Dr. H. Knapp bemerkt zu seinem im Protocoll erwähnten Fall von Lupus conjunctivae, dass in der angeschnittenen Ulceration Tuber- celbacillen gefunden wurden. Mit dem gewonnenem Material sind vier Augen geimpft worden; er will über das Resultat später berichten.

Bei der jetzt vorgenommenen Wahl werden die beiden vorgeschla- genen Candidaten aufgenommen.

Der correspondirende Secretär verliest die Einladung der New York Academy of Medicine zur Feier der Grundsteinlegung zum neuen Gebäude.

Hieraufhielt Dr. B. Sachs den angekündigten Vortrag :

,,Zur Frage der Verantwortlichkeit der Irren".

Durch die Aussage eines der hervorragendsten Bichter der Stadt bezüglich der Verantwortlichkeit der Irren ist der Vortragende auf dieses Thema zurückgekommen, welches er schon früher bearbeitete, ohne aber die Arbeit zu publiciren :

„Sehen wir also zu, wie die Juristen diese Frage beurtheilen. War der Verbrecher seiner That bewusst, wusste er, dass er mit der ver- brecherischen That ein Unrecht gegen das Gesetz begehe ? Kann er zwischen Recht und Unrecht entscheiden ? Hat er mit Vorbedacht ge- handelt ?

Das sind die Fragen, die stets in vielfach veränderter Form wieder- kehren. Es ist diese Anschauung nur um ein Weniges besser als die alte, so lang übliche Meinung, dass es keinen Wahnsinn ohne Wahn- ideen gebe, dass man eine deutliche Wahnvorstellung nachweisen müsse, um überhaupt ein Irrsein zu begründen. Wenn man auch aus dem Jahre 1868 schon in dem Falle " Commonwealth vs. Haskell" die Frage so gestellt findet, dass es nicht nur nöthig sei, zu beweisen, dass der Angeklagte zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte, sondern auch, dass er die Kraft besitzen müsse, um was Recht ist zu thun, was Unrecht ist, zu scheuen ; und w7enn man vor 19 Jahren von Chief Justice Perley hören konnte, dass ein Angeklagter freigesprochen werden sollte, sobald es nachgewiesen war, dass die verbrecherische That das Resul- tat einer psychischen Erkrankung sei, so muss man sich wundern, dass dieser liberale Standpunkt sobald wieder verlassen wurde ; dass im Jahre 1881 der sonst so bedeutende Richter Davis (People vs. Coleman) wiederum auf die alte Fragestellung zurückkam und behauptete, dass wenn der Angeklagte zwischen Recht und Unrecht entscheiden konnte, es ganz nebensächlich sei, ob er unter dem Einfluss eines unwidersteh- lichen Impulses oder einer vermeintlichen Inspiration Gottes die That vollzog. Ganz ähnlich äusserte sieh auch der Richter in dem berühm- testen aller neueren Fälle und citirte mit Beifall die Antwort, die von den gesammten Richtern Englands in dem House of Lords abgegeben wurde, dass ein Verbrecher, der in Folge von Wahnideen sich ange- griffen glaubt und aus Selbstvertheidigung seineu Angreifer ermordet, der That nicht schuldig sei ; hat er aber aus Rache die That vollbracht, so ist er schuldig. Das übersteigt doch alle modernen psychiatrischen Be- griffe ; man gibt zu, dass der Angeklagte unter dem Einflüsse von Wahnvorstellungen steht, soll aber trotzdem wie ein gesunder Mensch denken und handeln. Scheint ihm Gefahr zu drohen, so darf er tödten, aber seinem Racbegefühl darf er nicht nachgeben. In anderen Worten : Es hat die Wahnvorstellung so wenig Einfluss auf seine Geistes- und Gefühlssphäre, dass er wie ein Gesunder sich gebärden muss. Einem ganz ähnlichen Widerspruch begegnen wir häufig in dem Richterspruch

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dass es nicht genügend sei das Irrsein nachzuweisen, sondern man musss den directen Zusammenhang zwischen dem Irrsein, dem Wahn- system einerseits und der verbrecherischen That andererseits nach- weisen können. Wir, mit gesundem Verstände, sollen also die Gedanken des Verrückten so genau durchschauen, dass wir beurtheilen können, ob eine bestimmte That auch wirklich als Schluss und Folgerung der Wahnideen gelten darf.

Nun besteht ja allerdings die Kunst des Psychiaters zum grossen Theile darin, dass er mit Geschick in das Labyrinth des erkrankten Geistes eindringen kann. Immerhin weiss jeder Psychiater aus eigener Erfahrung, dass es viele Fälle gibt, in denen man nicht errathen kann, auf welchen Wegen der Kranke von den Prämissen aus zu bestimmten Folgerungen gelangt, dass wir nicht errathen können, wie der Kranke seine Handlung motivirt, unsere Verbindungen sind eben gebundener, die des Kranken stellen eine losere Kette dar. Ich erinnere Sie nur an folgenden berühmten und oft citirten Fall : Ein junger schwachsinniger Mensch hatte eine merkwürdige Passion für Windmühlen. Um diese Passion zu heilen, wurde er aus seiner Heimath entfernt und auf's Land geschickt, wo es keine Windmühlen gab. Eines Tages verführte er ein junges Mädchen, ging mit ihr in einen Wald und ermordete sie. Be- fragt, warum er dies gethan, behauptete er, er wisse, dass man ihn daraufhin arretiren würde und dann käme er auch wieder an einen Ort, wo es Windmühlen gäbe.

Sie sehen also, dass die juristische und medicinische Auffassung Schritt für Schritt weiter auseinandergehen. Wir müssen ja den Ver- such der Juristen, die Gesellschaft vor Verbrechern zu sichern, gut heissen ; es ist aber doch auch unsere Pflicht, Kranke vor den Folgen ihrer Erkrankung zu schützen, und wollte man Statistik sammeln, so glaube ich wohl, dass man beweisen könnte, dass viel mehr Irrsinnige ungerechter Weise bestraft worden sind, als wirkliche Verbrecher auf Grund eines vermeintlichen Irrseins freigesprochen worden sind.

Gehen wir jetzt zur Betrachtung einzelner Formen von Geistes- störung über, die beweisen sollen, dass der juristische Standpunkt un- haltbar ist.

Zu den merkwürdigeren und selteneren Formen der Geistesstörung gehören unzweifelhaft die Zwangsvorstellungen und Zwangsimpulse. Es gehen dieselben so deutlich aus dem physiologischen Geistesleben her- vor, dass ein jeder von uns früher oder später und namentlich in der Jugend solche Erfahrungen gemacht, indem ganz unverhofft Vorstellun- gen in's Bewusstsein gekommen, die vollkommen unmotivirt erschienen. Der Eine oder der Andere von Ihnen ist sicherlich Dutzendemale an den Leuchter gegangen, um f-ich zu versichern, dass er das Gas ordentlich abgedreht oder einen geschlossenen Brief unnöthiger Weise geöffnet, um nochmals nachzusehen, ob er auch den richtigen Brief einge- schlossen. Ein anderer geht mehreremals an seine Thüre zurück, damit er sie ja fest zugeschlossen. Derartige Zweifel gehören zu den physio- logischen geistigen Processen ; aber wir bemerken jetzt schon, dass diese physiologische Eigenthümlichkeit durch eine ungewöhnliche und unmotivirte Unterbrechung der Ideenverbindung charakterisirt ist. Vom physiologischen zum pathologischen Seelenleben ist der Ueber- gang ein kurzer, und diese Zwangsvorstellungen können so häufig werden, dass sie das logische Denken fast unmöglich machen.

An einigen Beispielen, die ich Ihnen zur Erläuterung anführe, werden Sie die Uebergänge und die Varietät dieser Geistesstörungen erkennen.

Aus meiner eigenen frühen Jugend erinnere ich mich, dass ich die Zwangsvorstellung hatte, dass ich mit dem rechten Fusse den Boden berühren müsse, ehe ich in's Bett ging ; ich that dies, kaum war ich

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aber im Bette, so kam mir die Idee, ich hätte doch den linken Fuss zu- letzt aufgesetzt, und so stieg ich fünf bis sechs Mal ein und aus, bis ich mich darüber zufrieden geben konnte. Ich hatte ferner vor der Num- mer 2 grossen Abscheu und musste irgend eine Bewegung lieber drei- mal und nur nicht zweimal machen. Ich wäre keine zwei Treppen auf einmal hinabgegangen, hätte keine zwei Nadeln auf einmal angefasst oder aufgehoben u. s. w. Diese Art Zwangsvorstellungen sind bei jungen Menschen durchaus nicht selten und verschwinden gewöhnlich spurlos. Ich hatte vor nicht langer Zeit einen kleinen Knaben in Behandlung, der nie die Eigennamen seiner Geschwister ausspricht und zu Hause nicht dazu zu bringen ist, Deutsch zu sprechen, obwohl er in der Schule gut Deutsch spricht und Deutsch die Sprache der Eltern und Geschwister ist. Es sind dies evident Zwangsvorstellungen, die aber doch mit irgend einer Wahnidee verknüpft sind.

Ein anderer Patient aus einem kleinen' Städtchen im Inneren des Staates New York, wo er zu den frömmsten Kirchenbesuchern gehörte, consultirte mich, weil er durch eine Störung, die er in der Kirche verur- sacht hatte, von oben herab verdonnert wurde ; er glaubt aber, dass in ihm was Krankhaftes stecke. Schon seit längerer Zeit hätte er, so oft er eine Kirchenpredigt anhöre, das Gefühl als müsse er „Du lügst" aus- rufen ; dabei ist er von der Richtigkeit der Ansichten des Predigers vollständig überzeugt. Diesem Drange hatte er nun häufig wider- standen, doch wurde es ihm zu stark, und so hat er schliesslich durch seinen Zwischenruf die Störung verursacht. Durch das Ausstossen aus der Kirche und die Verachtung seiner Nachbarn entwickelten sich die ersten Spuren eines religiösen Verfolgungswahnes. Er habe schwer ge- sündigt, die Nachbarn hätten Recht ihn zu verabscheuen u. s. w. Trotzdem sich der Patient von diesem Wahne erholte, so sehen Sie doch, zu welch schweren Folgen diese Zwangsvorstellungen führen können.

Dieser ganze Symptomencomplex lässt sich aber am allerbesten illustriren, wenn ich Ihnen in kurzen Worten die Krankengeschichte eines begabten jungen Collegen mittheile, der schon vor drei Jahren mir sein qualvolles Leiden mittheiite und seit der Zeit mich regelmässig consultirte. (Soll aus begreiflichen Gründen nicht wiedergegeben werden.)

Ein Neurastheniker, der gegenwärtig in meiner Beobachtung steht und sich von seiner übermässigen angestrengten Thätigkeit ausruht, darf sich nicht an 's Fenster setzen, sonst meint er, er müsse hinabspringen. Er hat sich neulich eine Stunde lang in einem hinteren Zimmer einge- schlossen um sich vor der Ausführung dieser Zwangsidee zu sichern. Hie und da bekommt derselbe Patient beim Anblicke eines Messers die Idee, als könnte er sich damit schaden, und legt aus Verzweiflung das Messer nieder und steht vom Tische auf. Die Zwangsvorstellung ist also schon durchaus pathologisch, der Kranke hat sich aber vollkommen in Gewalt.

In enger Beziehung hiermit steht die Zwangsvorstellung, wenn man zu Zweien auf einer Anhöhe steht, dass man den Freund in den Abgrund stürzen könne, oder anstatt sich selbst mit dem Messer zu schaden, dass man Andern ein Leid zufügen könne.

Vor etwa 2 Jahren kam eine sehr anständige deutsche Frau in meine Abtheilung in die Poliklinik.

Auf der Klage sie bekäme beim Anblicke eines Messers die Idee sie müsse ihr Kind umbringen ; ich rieth ihr das Kind von sich wegzu- geben. Nach einigen Wochen kam dieselbe unglückliche Frau zurück : Es hätte sich die Idee jetzt auf ihren Manu erstreckt und sie befürchte sie würde ihn ums Leben bringen. Sie musste sich auch vom Manne trennen. Die Frau hatte einen schweren Seelenkampf zu bestehen, doch

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welcher Eichter hätte ihr Leiden erkannt, man hätte Sie sicherlich der That schuldig gefunden wenn sie ihren Zwangsideen und Zwangs- impulsen gefolgt wäre. Das Gesetz erkennt eben nicht an, dass es unter Irren Impulse gibt, denen gegenüber der Wille machtlos istv

Wir wollen aber der Wichtigkeit der Sache wegen andere Beispiele- anführen.

Bei Esquiro] finden wir einen Fall angeführt, den eines älteren Herren der seit 20 Jahren ein glückliches Familienleben geführt, plötzlich kam ihm der Gedanke, er müsste seine Frau tödten. Der Gedanke kehrte häufig wieder und um sich vor der Ausführung dieser That zu schützen, flüchtete er sich.

Berühmter noch ist die Erzählung von Mare, dass ein Kindermädchen im Hause Alexander's von Humboldt, das Bekenntniss ablegte, dass so oft sie das junge Kind entkleidete, ihr bei der Ausicht der weissen Haut die Idee kam. sie müsse ein Stück der Haut herausschneiden.

Ich erwähne schliesslich noch den Fall Burton, den ich dem ausge- zeichneten Buche Mandsleys entnehme. Es handelte sich um einen schwachsinnigen jungen Menschen der plötzlich von der Vorstellung ge- fasst wurde, er müsse Jemanden tödten, denn er müsse und wünsche gehängt zu werden. Er kaufte sich mit Vorbedacht ein Messer, ging einem Kameraden nach und ermordete denselben auf die grau- samste Weise ; wusch sich die Hände ab und ging wieder zur Arbeit zurück. Er war ganz unbesorgt denn er wollte gehängt werden. Er wurde zum Tode verurtheilt. Der Richter der die Todesstrafe austheilte behauptete, er wäre nicht irrsinnig, denn er hätte keine Wahnvor- stellungen gehabt (als ob jeder Irre solche haben müsste) und dadurch dass er wisse, dass er bestraft würde, so hat er auck bewiesen, dass er zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte. Als er verurtheilt wurde, bedankte er sich für die Todesstrafe, sein Zweck war erreicht.

Ich habe mich am eingehendsten gerade mit dieser Form beschäftigt damit Sie dieselbe in ihren strafrechtlichen Beziehungen würdigen können. Nun überlegen Sie, dass gerade bei Verbrechen in Folge von Zwangsvorstellungen und Zwangsimpulsen die juristische Auffassung eine grausame ist. Der Kranke kann wohl zwischen Recht und Unrecht unterscheiden, mag auch mit den Folgen der verbrecherischen That be- kannt gewesen sein und doch hat er seines krankhaften Triebes wegen nicht anders handeln können. Solche krankhafte Triebe werden nicht anerkannt.

Ferner verlangt man, dass der Kranke seinem Impulse nicht nach- gebe, er habe denselben Impuls schon öfters bekämpft und hätte es auch noch zuletzt thun sollen. Man erkennt eben wieder nicht, wie enorm gesteigert diese pathologischen Impulse oft sind und mancher Kranke hat einem solchen Impulse ebenso wenig wiederstehen können, als ein Leberkranker es immer vermeiden kann gelbsüchtig zu werden, oder ein Apoplektiker eine herannahende Bewusstlosigkeit bekämpfen kann. Von Impulsen, die nur auf eine verbrecherische Leidenschaft ohne Irr- sein beruhen, lassen sich die besprochenen Impulse dadurch unter- scheiden, dass sie meistens mit irgend einem anderen Symptom des Irr- sinns vorkommen.

In den Zuständen, die wir bis jetzt berücksichtigt haben, hat das früher als wichtigst angesehene Symptom des Irrseins, die Wahnideen, eine ganz untergordnete Stellung eingenommen. Wo diese vorhanden sind, da ist wohl die juristische Auffassung geltend; ich brauche mich daher nur wenig mit solchen Zuständen zu befassen.

Der Irre, der mit den Wahnideen von dem Charakter eines Grössen- oder Verfolgungswahnes, oder religiösen Wahnsinnes behaftet ist, und in Folge dieser eine verbrecherische That begangen, wird sich meist in überzeugender Weise vor Richter und Geschworenen entpuppen lassen.

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Doch ist es manchmal schwer, die Wahnidee zu entdecken, weil der Patient oder Angeklagte seine Wahnidee verheimlichen will. Unsere mangelhafte Gesetzgebung, die verlangt, dass Laien (die Geschworenen) den Geisteszustand eines Angeklagten beurtheilen sollen, begeht in solchen Fällen ihre schlimmsten Fehler. Da der Angeklagte ganz plau- sibel, sogar durchtrieben redet und die Wahnidee nicht auf der Hand liegt (wie im Falle Guiteau), so findet der Geschworene, dass der Mensch seine normalen Sinne besitzt.

Belehrend in dieser Hinsicht ist der Fall des Anstaltdieners, der einen Arzt durch die Säle eines Irrenhauses führte und ihm die beson- dere Eigenthümlichkeit eines jeden Kranken erklärte. Der Arzt ver- muthete einen recht gut gebildeten und nüchternen Wäiter vor sich zu haben. „Nun", sagte der Diener, „kommen wir zu dem traurigsten Falle. Dieser arme Kerl dünkt sich der Menschen Erlöser zu sein. Der Narr ; er sollte doch wissen, dass ich der einzige wahre Er- löser bin."

In einem ganz typischen Fall : State of Minnesota vs. Gut, instruirte der Eichter folgendermaasen : "If tue defendant has an insane delusion upon any one subject, but commits crime upon some other matter not connected with that particular delusion, he is equally guilty as if he had no delusion and was perfectly sane." Dass dieser Spruch für einige Fälle getroffen wäre, will ich gerne zugeben, nur müssen wir als Psy- chiater bestreiten, dass man das Recht hat, von einem sonst gesunden Gehirne zu sprechen wenn auch nur eine einzige Wahnvorstellung per- manent vorhanden ist. Wahnvorstellungen kommen ja auch hie und da im physiologischen Zustande vor, werden aber durch das logische Denken bald unterdrückt. Das Hervordlängen einer einzigen Wahn- vorstellung beweist, dass der ganze Denkact affizirt ist ; während bei den Juristen und älteren Aerzten von einzelnen Wahnideen und Mono- manien die Rede ist, so sind wir Aerzte heutzutage fest überzeugt, dass in solchen Fällen allerlei psychische Störungen mit diesen Monomanien verbunden ist. Ich behaupte also, dass man ein Unrecht in der Mehr- zahl der Fälle begeht, wenn man von den Kranken erwartet, dass sie sich in jeder Hinsicht ausserhalb des Kreises der Wahnideen wie nor- mal denkende Menschen verhalten sollen."

Zum Schlüsse sagte Redner : „Es würden sich an diese Betrachtungen Bemerkungen über das moralische Irrsein, über allgemeine Paralyse, über Perversion der sexuellen Instinkte, die so häufig Veranlassung zu Verbrechen geben, aussen Hessen. Doch stehe ich hiervon ab, um Wiederholungen meiner Argumente zu vermeiden. Ich glaube genü- gende Thatsachen angeführt zu haben, um Ihnen an einigen eclatanten Beispielen die Schwierigkeiten der psychiatrischen Diagnose vorzuführen. Ferner hahe ich wohl zur Genüge betont, dass die Zurechnungsfähigkeit der Irren resp. der Angeklagten nach den heutigen juristischen Be- dingungen häufig ungerechter Weise bestimmt wei den. Mancher Irre kann zur Zeit der criminellen That zwischen Recht und Unrecht ent- scheiden, mancher mag mit Vorbedacht gehandelt haben, ein anderer, mit einer Wahnidee behaftet, eine That begangen, die in keiner Ver- bindung mit dieser Wahnidee zu stehen scheint, und doch sind die criminellen Thaten solcher Individuen als Ausbruch der psychischen Erkrankung aufzufassen.

Die Aerzte, so sagen Casper und andere deutsche Autoritäten, haben mit der Frage der Verantwortlichkeit nichts zu schaffen. Sie müssen das Irrsein nachweisen. Wenn dem hier zu Lande so wäre, so könnten wir uns zufrieden geben. Es haben aber die Geschworenen diesen Thatbestand zu beweisen, und wenn man von Judge Davis hört, dass das nüchterne Urtheil der Nachbarn eines Angeklagten, ihm viel werthvoller erscheint, als das Urtheil aller Experten, so müssen wir

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uns eben mit dem Gedanken vertrauen, dass noch mancher unschuldige Geisteskranke mit dem Tode für die Folgen seiner psychischen Er- krankung büssen wird. Dass solche Geisteskranke der Gesellschaft im allgemeinen gefahrbringend sind, dürfen wir offen zugestehen, es ge- bietet aber die Humanität, dass solche Kranke in Strafirrenanstalten und nicht an den Galgen wandern.

Di sc us si o n :

Dr. L. C. Gray (Englisch) hat dem Vortrage mit Interesse zuge- hört und freut sich, dass Dr. Sachs seine Bemerkungen niederge- schrieben. Das besprochene Thema ist ausserordentlich wichtig. Vor etwa einem Jahre las er selbst einen Aufsatz über dasselbe als Präsident der Society of Medical Jurisprudence. Er deutete darin auf ein Gesetz des Staates New York hin, wonach es nicht möglich ist, ärztlicherseits einen Mann vor seiner Verurtheilung im speciellen Fall zu retten, wenn er nicht absoluter Idiot ist oder so wild, dass er nicht schlimmer sein kann. Die Rechtswissenschaft ist tausend Jahre hinter der Medicin zurück. Wir können bislang das Publikum nicht dazu bringen, zu ver- stehen, dass es Geisteskrankheiten gibt, welche den Kranken nicht ver- antwortlich machen. Selbst Aerzte wollen oder können dies noch nicht glauben. Es ist absolut dasselbe in Bezug auf Testamentsstreit. Im Staate New York und in den Vereinigten Staaten überhaupt kann das Testament eines Verrückten nicht angetastet werden, ebensowenig in England. In Anbetracht dieses Umstandes ist Dr. Sachs' Vortrag ein treffliches Werk und angethan, geläutertere Ansichten zu verbreiten.

Wir Alle sollten darauffhin arbeiten, dass unsere Gesetze sich in den angeführten Punkten bessern.

Dr. G. W. J a c o b y möchte die Sache nicht so ruhen lassen, wie Dr. Gray sie hingestellt hat. Die Irren finden auch hier in Amerika einen guten Rechtsschutz. Allerdings kommen manche solcher Fälle, wie sie angeführt wurden, vor, im grossen Ganzen ist das aber nicht der Fall. Dr. Sachs hat das schwierigste Capitel der ganzen Psychiatrie hervorgeholt und Fälle besprochen, deren Deutung man noch nicht kennt. Die ganze Frage über Zwangsvorstellungen wird sich schliesslich darum handeln : was verstehen wir darunter ? wie wollen wir sie charak- terisiren? Ist es ein plötzlicher Impuls, welcher bei sonst gesunden Menschen vom klaren Himmel kommt, ein Impuls, dem er nicht ent- gehen kann, oder ist es der Beginn einer schweren Erkrankung ? Ferner müssen wir nicht vergessen, dass Zwangsvorstellungen noch lange keine Zwangshandlungen sind. Leute können ihr ganzes Leben lang mit Zwangsvorstellungen herumgehen ; erst wenn eine Zwangshandlung erfolgt, wird eine Untersuchung eingeleitet. Eben die Verschiedenheit der Meinungen, wie man die Zwangsvorstellungen deuten soll, zeigt die Schwierigkeit der ganzen Sache. Kedner hat persönlich niemals klare Zwangsvorstellungen sehen können, wo er nicht auch noch andere phy- sische Störungen und Symptome physischen Belastetseins fand. Dass sie besonders bei Neurasthenikern vorkommen, ist wieder ein Beweis für das Krankhafte des Processes. Die Fälle von Epilepsie, wenn sie als solche bewiesen werden können, werden hier meistens von den Richtern anerkannt. Dr. Sachs' Aufsatz ist sicherlich sehr werthvoll, die aufgeworfene Frage aber nach seiner Ansicht in der nächsten Zukunft nicht vor dem Gesetz zu lösen.

Dr. Sachs sagt in seinem Schlusswort, nur Zwangsimpulse, nicht Zwangsvorstellungen, haben mit den Gesetzen etwas zu thun, aber zwischen beiden sind allmälige Uebergänge ; letztere können zu ersteren führen und dann von einer criminellen That gefolgt sein. Die Zwangs- vorstellungen existiren manchmal, ohne dass eine andere Geistesstörung vorhanden ist ; ferner werden sie beim neurasthenischen Zustande ge-

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fanden, oder sie bilden die ersten Symptome einer primären Ver- rücktheit, endlich sind sie die ersten Stadien der allgemeinen Paralyse. Sie sind eben nur ein Symptom und doch eine Form des Irreseins. Die hiesigen Gesetze aber erkennen sie als solche gar nicht an und ist desshalb ein solcher Geistesgestörter nur dann vor dem Gesetz ge- schützt, wenn er einen sehr liberalen Richter vor sich hat. Das Schänd- lichste des ganzen Systems ist, dass die ärztlichen Sachverständigen das Glück der Kranken gar nicht beeinflussen, sondern dass die Geschworenen darüber abzuurtheilen haben. In Deutschland besteht, so viel Redner bekannt ist, eine ärztliche Commission und diese beur- theilt, ob der betreffende Patient verrückt ist oder nicht, und ob die von ihm ausgeführte That mit seinem Verrücktsein etwas zu thun hat. Der zweite Redner des Abends ist Dr. W. Freudenthal:

„Ueber die Durchleuchtung des Kehlkopfes, mit Demonstrationen,"

(Originalarbeit in dieser Nummer).

Der zum Schluss demonstrirte Voltolini'sche Apparat erregt allge- meines Interesse.

Discussion:

Dr. Willy Meyer bemerkt, dass nicht Czermak, sondern ein Bres- lauer Zahnarzt Namens Benck die Diaphanoscopie im Jahre 1857 zuerst practisch angewandt habe. Er führte einen weissglühenden, ringsge- schützten Platindraht in den Mastdarm und ein gerades Rohr durch die Harnröhre in die Blase ein und besichtigte das so durchleuchtete Organ.

Dr. Felix Cohn bemerkt etwa Folgendes: Wir müssen in den vorgezeigten Apparaten zwei Dinge berücksichtigen, erstens, den Ap- parat selbst ; zweitens, den Werth der Methode. Schon seit mehreren Jahren wird in den Universitäten Deutschlands diese Methode geübt und als Spielerei gezeigt. Voltolini selbst, noch bevor er auf den Werth der Untersuchung bei Empyemen der Highmorshöhle hinwies, wandte sie bei Aetzung des Kehlkopfs in der Regio subglottica an, da eine solche ihm auf andere Weise nicht gelingen wollte. Roth hat in dem von Dr. Einhorn heute Abend vorgezeigten Gärtner'schen Apparat an die Stelle der Kerze ein Glühlämpchen gesetzt und benutzt das In- strument zur Beleuchtung und Durchleuchtung. Was die damit erreichte Beleuchtung anbelangt, so ist das Bild für den Beobachter sehr schön, der Reflector thut aber dasselbe. Vielleicht ist der Apparat bei sehr schweren Kranken, die man nicht aus dem Bett heben will, angezeigt. Einen anderen Fall kann Redner sich nicht denken. Für den Kehlkopf ist seine Anwendung jedenfalls sehr umständlich, weil man nicht zu gleicher Zeit operiren kann, ein Gehülfe den Apparat bei solcher Gelegenheit also halten müsste. Die zweite Frage wäre, was haben wir bei der Durchleuchtungsmethode gewonnen ? Wir sehen an einer Stelle eine durchleuchtete Transparenz, alles Andere im Schatten, wirkliche Dimensionen können wir absolut nicht erkennen. Redner ist sicher, dass wir keine klare Vorstellung über Geschwüre bei der Durch- leuchtungsmethode bekommen. Er hat einen Knopf in die eine Seite der Nase eingeführt und dann durchleuchtet ; der Knopf sah aus wie eine Höhle. Bei Ulcerationen würde die Untersuchung absolut im Stich lassen ; Schleim, z. B., ist nicht zu erkennen. Nur ein Punkt ist da, wo die erzielte Diagnose von Werth sein könnte, das ist das Empyem der Highmorshöhle. Aber hier gerade ist die Methode schwierig. In manchen Fällen wird man Durchleuchtung bekommen bei krankhaften Zuständen, in anderen dunkle Bilder bei ganz normalen Oberkiefer- höhlen ; Cysten werden z. B. sehr stark durchleuchtet ; das Empyem

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vielleicht, wenn die Höhle sehr ausgebuchtet, oder wenn nur wenig Eiter da ist. Dazu kommt noch die Differentialdiagnose zwischen Tumor und Empyem. Dr. C. glaubt, dass die angeführte Methode von Werth sein möchte, erstens für das Empyem der Oberkieferhöhle, zweitens, für die Besichtigung der Kegio subglottica. [Gottstein's Artikel (Deutsch. Med. Woch., 10. Oct. 1889), der eben nach dem Setzen dieses Protokolles ankommt, stimmt sehr mit C.'s Ansichten überein. Eed.]

Dr. C. Heitzmann bemerkt, dass nicht Czermak der Vater der Laryngoscopie ist, sondern Ludwig Türck.

Dr. Einhorn führt an, dass der Apparat nur für solche practische Aerzte sein soll, die nicht spiegeln können oder keinen Rerflector be- sitzen. Er bestätigt, dass man mit dieser Methode keinen Unterschied zwischen normaler und geätzter Schleimhaut erkennen kann.

Dr. Freudenthal stimmt in seinem Schlusswort Dr. Meyer und Heitzmann zu, Dr. Cohn habe zunächst der Methode jeden Werth abge- sprochen und dann erwähnt, dass Voltolini Granulationen damit entfernt habe, die er sonst nicht abquetschen konnte. Was das Empyem anbe- langt, so hat Dr. Hornig doch schon zehn solcher Fälle mit dem Apparat diagnosticirt. Der Untersuchende bedarf eben der Erfahrung. Aller- dings können wir auf die angegebene Weise noch nicht die Differential- diagnose zwischen solidem Tumor und Empyem stellen, aber wir können finden, ob etwas im Antrum ist oder nicht. Die Methode bleibt sicherlich empfehlenswerth.

Schluss der Discussion. (Hierauf Vertagung, Schluss 10 Uhr, 30 Min.).

Allerlei.

Ueber Behandlung des Bandwurms veröffentlicht Berenger-Ferand (der Verfasser eines Werkes über Bandwürmer des Menschen) einen Artikel im Bulletin general de Therapeutique, Februar 1889, worin er über die Resultate der Behandlung von 191 Bandwurmfällen im Marine- hospital von Toulon während des Jahres 1888 berichtet. Von diesen 191 Fällen wurden 112 vollständig geheilt, insofern der ganze Wurm mit dem Kopf entleert wurde, und gehörten die Würmer alle zur Gattung Taenia inermis. In 81 Fällen fand sich nur 1 Bandwurm vor, in 11 Fällen je 2, in 4 Fällen je 3, in einem Falle je 5, in je 2 Fällen 6 und in einem Falle waren bei der Zählung 7 Köpfe vorhanden. Unter diesen Kranken hatten vier 3 Jahre, zwei 8 Jahre und einer 11 Jahre am Band- wurm gelitten. Unter allen Bandwurmmitteln gab Berenger-Ferand dem Pelletierin, dem wirksamen Prmcip der Granatwurzelrinde, den Vorzug, da es als das zuverlässigste und wirksamste sich herausstellte. Während des Jahres 1888 hat er dasselbe 152mal angewendet und unter diesen Fällen bewährte sich dasselbe llOmal und blieben 42 Fälle erfolg- los, so dass 72% Heilungen sich ergaben. Die von ihm befolgte einfache Methode bestand darin, dass er am Abend nur Milch und Brod als Abendbrod reichte, am anderen Moi gen 0,3 schwefelsaures Pelletierin und Isopelletierin in einer Tanninlösung 0,5 auf 100 Wasser in 2 Theilen, jede Stunde eine Hälfte, 2 Stunden darauf 1 Theelöffel Tinct. Jalappae oder 1 2 Esslöffel Ricinusöl nehmen Hess. Einige Stunden darauf bekamen die Kranken nach stattgehabtem geringem Schwindel Stuhl- gang, wobei die Würmer entleert wurden. Um Erbrechen zu verhüten, liess er die Kranken auf einem Nachtgeschirr mit heissem Wasser sitzen. Wo ein völliger Erfolg ausgeblieben war, liess er bei Nichtvor- handensein des Kopfes noch ein Klystier von einer Abkochung der Granatwurzelrinde geben.

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Eine empfehlenswerthe Verordnungsform ist folgende :

R. Pelletierini tannic. 1,0 ; solve in Infus. Sennae (e 10) 100,0. D. S. In kleinen Portionen innerhalb einer halben Stunde zu nehmen.

Wie der Doctor ohne Hemd aussieht. Zu Anfang dieses Jahr- hunderts lebte in Oldenburg ein Doctor Lüttmann, ein hagerer Mann von abschreckender Hässlichkeit, der aber bei Arm und Reich als tüchtiger Arzt grosses Vertrauen genoss. Eines Tages so erzählt man uns trat ein Bauer aus dem Ammerlande, der ihn um Rath fragen wollte, früh Morgens in das Zimmer des Arztes, ehe dieser auf- gestanden war. Der biedere Landmann erblickte dort nur ein neben dem Schranke aufgestelltes Scelett, bei dessen Anblick er sich eiligst davonmachte, so dass der Arzt, dem die Ankunft des Bauern gemeldet war, ihn nicht mehr vorfand. Als nun Lüttmann einige Stunden später vor der Thüre stand, machte ihn sein Diener darauf aufmerksam, dass ein Bauer, der sich an der entgegengesetzten Strassenreihe hart an den Häusern vorbeidrückte, der Patient sei, welcher den Doctor heute Morgen habe befragen wollen. „He, gode Fründ," rief Lüttmann dem Bauer zu, „ji hebbt mi hüt morgen spreken wullt !" ,,Bliew he mi tein Schritt vum Liewe,'* schrie der Bauer ängstlich forteilend, „ick heww em hüt morgen wull sehen, wu he utseg, as he noch kienHemd anharr !"

(Correspondenzblatt in Sachsen, 1. Nov. 1889.)

Als Beitrag fuer das Langenbeck-Haus in Berlin sind seit dem letzten Bericht eingegangen : Von Dr. Nicolai, New York, $5.

Gesammtsumme der bis jetzt eingezahlten und abgeführten Beträge $2205.

Indem die Sammlungen seitens des unterzeichneten Comite's hier- mit geschlossen sind, e?'sucht dasselbe diejenigen Herren Collegen, welche ihrer Theilnahme für den obigen Zweck durch Beiträge noch Ausdruck zu geben wünschen, dieselben direct an die Direction der deutschen Bank, Berlin, Mauerstrasse 29, einzusenden.

Das Deutsch-Amerikanische Comite zur Förderung des

Langenbeck-Hauses.

I. A.: Dr. F. Lange, See.

Sterilisirte Alpenmilch wird demnächst von einer Stuttgarter Ge- sellschaft im bayrischen Allgäu hergestellt werden. Die Milch wird ohne Zucker auf etwa £ ihres Volumens eingedickt, sodann nach den von Professor Soxhlet in München aufgestellten Principien sterilisirt, und dadurch von Organismen vollkommen befreit, so dass sie jahrelang haltbar bleibt. Die wissenschaftliche Controlle über die Fabrikation wird von Herrn Prof. Soxhlet selbst ausgeübt und dies durch Aufdruck seines Namens auf die Etiketten bestätigt. Für den Arzt ist dadurch die Garantie gegeben, dass er zum Gebrauch für Kinder und Kranke eine vollkommen keimfreie, durch Verdünnung mit 2 Theilen gekochten Wassers leicht in ihrer natürlichen Stärke wiederherstellbare, vorzüg- liche Alpenmilch zur Verfügung hat. (Münch. Med. Woch., 15. Oct. 1889.)

Die Intubation wird (laut einem an uns gerichteten Schreiben von Dr. Potter) von Dr. Guido Bell, einem der bekanntesten deutschen Aerzte von Indianapolis, ohne die Mundsperre (Gag) mit Erfolg geübt. Auch benutzt er nur noch selten den Extractor zur Entfernung der Röhre aus dem Larynx, s »ndern drückt letztere mittelst einer sanften und schnellen Fingerbewegung nach oben und so in die Mundhöhle. Das ganze Verfahren soll dadurch einen wesentlich angenehmeren An- blick gewähren. Nähere Mittheilungen wären hierüber sehr erwünscht. In Indianapolis wüthet zur Zeit eine bösartige Diphtherieepidemie.

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An Anglo- American Medical Association in Germany, betitelt " The Journ. of the Amer. Med. Assoc." eine Notiz über die Entstehung eines solchen Verein's in Wien. Im letzten Halbjahr sollen 103 amerikanische Aerzte dort gebucht worden sein. Diese Frequenz ist sehr erfreulich, nicht aber die geographischen Kenntnisse des „Journal". Dasselbe konnte früher nicht recht einsehen warum die „Monatsschrift" nicht, statt inNew York, in Berlin erscheine. Das „Journal" hat doch am Ende nicht damals angenommen, dass Berlin eine Stadt in Amerika sei ?

Bei Bereitung einer Krankensuppe, die Bis sehr warm besonders für Kranken empfiehlt, in deren Magen und Darm nichts Festes ge- langen darf, und die doch kräftig werden müssen, geht der Verfasser von der Thatsache aus, dass Hülsenfrüchte viel Legumin enthalten, d. h. das Pflanzenei weiss, welches sich vorzüglh-h schon in kaltem, schwach alkalischem Wasser auflöst und in der Siedehitze nicht gerinnt ; im Gegensatz zum Fleischeiweiss, welches bei geringeren Hitzegraden gerinnt und dann nur in ganz kleinen Quantitäten in der Fleischbrühe gelöst bleibt. Ausserdem ist jenes Pflanzeneiweiss leichter res >rbirbar und dem Eiereiweiss an Nährkraft fast gleichwertig. Wenn man Erbsen oder Bohnen in Wasser mit der nothwendigen Beigabe von Suppenkraut, Salz und einfach kohlensaurem Natron zur Suppe kocht, bis die Hülsenfrüchte ganz zerfallen, sich diese gut setzen lässt und die Brühe von dem Satze abgiesst, so erhält man von dieser ziemlich klaren, dünnen, mager aussehenden Brühe eine sehr kräftige Suppe, welche wie Fleischbrühe schmeckt, ebenso leicht verdaulich ist, doch nach obigen Ausführungen viel mehr Nährwerth enthält, als die kräftigste Fleich- brühe. Dies letztere ist auch ein Vorzug, welchen die Suppe vor allen Fleischsolutionen etc. hat. Diese Brühe kann ferner, wie jede Bouillon, mit Gerste, Keis, Kartoffeln, Mehl, Eigelb etc. je nach Wunsch versetzt werden, ohne im Geschmack vor letzterer zurückzustehen.

Die obligatorische Anzeige der Infectionskrankheiten ist in Eng- land und Wales durch ein Gesetz vom 30. August d. J. eingeführt worden. Nach demselben muss jeder Fall von Blattern, Cholera, Croup und Diphtherie, Erysipel, Scharlach, Flecktyphus, Abdominaltyphus, Recurrens, Malaria- und Puerperalfieber dem Gesundheitsbeamten des betreffenden Districtes angezeigt werden. Den einzelnen Gemeinden ist ausserdem freigestellt, die Anzeigepflicht auch noch auf andere Infec- tionskrankheiten, dauernd oder vorübergehend, auszudehnen. Die An- zeige ist eine doppelte : sowohl der behandelnde Aizt, als auch die An- gehörigen des Kranken sind zu derselben verpflichtet. Für jede Anzeige erhält der testirende Arzt eine Gebühr von Mk., wenn der betreffende Fall aus seiner Privatpraxis stammt, und eine Gebühr von 1 Mk. füi Fälle in öffentlichen Anstalten. Die Unterlassung der Anzeige wird mit einer Geldbusse von 40 Mk. bestraft, Das Gesetz tritt für London mit dem 30. October d. J. in Wirksamkeit, während für die übrigen Ge- meinden ein solcher Termin nicht festgesetzt ist.

(Allgem. Wiener Medic. Zeitung, 1. Oct. 1889.)

Ein Specialist fuer Diagnosen. Der „Dresdner Anzeiger" No. 251, dritte Beilage, vom 8. September 1889 enthält folgende Anzeige :

„Für eine demnächst in Dresden zu errichtende Naturheilanstalt wird behufs Diagnosenbestimmung ein practischer Arzt gesucht. Offerten unter „Anstaltsarzt" an d. E. v. Haasenstein & Vogler, A.-G., Dresden."

Also ein Arzt gesucht zum Dienste der Kurpfuscherei.

(Sächsisches Correspondenzblatt.)

Wettendorfer empfiehlt bei Dyspepsie, Magendruck, Magenkatarrh, träger Verdauung etc. die Behandlung mittels Compression durch eine ca. 25 Cm. breite elastische Gummibinde, die in der Kegel für eine Stunde

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nach der Mahlzeit anzulegen ist. Wettendorfer kam durch Zufall auf diese Behandlungsart, indem er bei Anlegung der Martin'schen Binde wegen Ekzema trunci chronicum die Symptome des gleichzeitig beste- henden Magenkatarrhs schwinden sah. Den Erfolg der Behandlung erklärt er sich durch mechanische und thermische Wirkung der elasti- schen Leibbinde. Für welche Fälle von Magendarinleiden sie am besten geeignet sei, müsse noch die Erfahrung lehren.

(Int. Klinische Kundsch., No. 20.)

Perret und E. Devic theilen in No. 23 und 26 der „Province med." vier Fälle mit, in welchen sie mit Erfolg Antipyrin gegen Enuresis noc- turna angewendet haben. Besonders interessant sind die letzten zwei Fälle : Ein 4ljähriges Kind Hess jede Nacht mehrmals den Urin in's Bett. Belladonna und Brompräparate hatten gar keine Wirkung. Vom 20. bis 27. Mai gab man ihm 1: 50 Antipyrin in zwei Dosen, die eine um 6 Uhr, die andere um 8 Uhr Abends. Während dieser ganzen Zeit erfolgte das nächtliche Bettpissen kein einziges Mal, doch trat es nach Aussetzen des Mittels wieder auf, wenn auch nicht in demselben Maasse wie früher. Die fortgesetzte Verabreichung des Antipyrin beseitigte schliesslich das Uebel gänzlich und dauernd. Ganz dasselbe Resultat wurde im zweiten Falle bei einem 8jährigen Knaben erzielt, der 2 Gr. Antipyrin täglich in zwei Dosen um 6 und um 9 Uhr Abends nahm.

Gegen naechtliche Schweisse der Phthisiker hat Dr. B. Alexander, Zwickau, subcutane Injectionen von Oleum campkoratum officinale mit Erfolg angewandt.

Personalien.

Dr. Herrmann Weber ist Hausarzt der „Isabella-Heimath" und dem damit verbundenen Hospital für chronische Kranke geworden.

Die Herren Doctoren A. Jacobi, A. Gerster, H. Klotz und A. Caille sind zu dirigirenden Aerzten dieser Anstalt ernannt worden.

Die seit 5 Jahren von Dr. A. Seibert bekleidete Stelle als Aufnahme- arzt der alten „Isabella-Heimath" wurde mit der Transferirung des Institutes nach New York abgeschafft.

Dr. Otterbourg starb in New York.

Dr. H. Garrigües ist Mitglied der Deutschen Poliklinik geworden.

Dr. Felix Cohn ist nach No. 123 East 59. Street, New York City um- gezogen.

Dr. W. Otto, der bis vor Kurzem in San Francisco, California, als practischer Arzt erfolgreich thätig war, hat sich aus Gesundheitsrück- sichten in Santa Barbara, im Süden desselben Staates niedergelassen.

Briefkasten.

Dr. Th. Potter, Indianapolis, Ind. Sie schreiben : " The „Monats- schrift" is, you know, one of our exchanges in the " Indiana Medical Journal." It is handed over to me, and I always read it with interest and preserve it. Success to the „Monatsschrift" and to the spirit which animates it." Wir antworten : Besten Dank für Ihre freundlichen Worte. Dieselben haben um so mehr Werth, da sie von einem Anglo- Amerikaner stammen und somit den Beweis liefern, dass das Bestreben unseres Blattes überall da erkannt wird, wo man die Befähigung besitzt, kleinliches Denken zu überwinden. Dem anderen Theil Ihres Briefes geben wir im „Allerlei" die gebührende Beachtung.

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De. Kreutzmann, San Francisco. Ihre Bemerkung, dass man sich bei Ihnen „lebhaft für die „Monatsschrift" interessirt, und dieselbe in ihrer jetzigen Form und im Inhalt in der That ein jedesmal freudig be- grüsster Gast ist" kann uns nur ermuthigen auf der betretenen Bahn rüstig weiter zu schreiten. Es wird der „Monatsschrift" zur Freude und Nutzen gereichen, wenn die Collegen am stillen Ocean derselben ihre thatkräftige Unterstützung recht energisch angedeihen lassen.

Dr. M. Krotoszyner, San Francisco. Besten Dank für die Nachricht über den Collegen Otto. Die „Verhandlungen des Vereins deutscher Aerzte von San Francisco" werden sehr willkommen sein. Das Gedicht fand leider keinen Platz mehr. Es würde auch wohl kaum die Wirkung auf die Leser haben, welche es zweif llos auf die Theilnehmer Ihres Stiftungsfestes gehabt hat. Die poetischen Ergüsse der Aerzte bedürfen zur richtigen Würdigung vor Allem ein genossenes Festessen, dazu die aus Reben oder Hopfen stammenden Stimulantien und die durch Havannarauch bewirkten Nebelbilder um die kritische Anlage der Col- legen zu bedecken. Hat man dazu noch einen Tisch auf dem ein berühmter Chirurg die Verse mit satirischen Randglossen und vielem Behagen sitzend vorträgt (wie weiland hier in New York bei der Esmarch-Feier), so geht das an, liest man aber die Sachen nachträglich noch gedruckt, so bekommt man höchstens ein Katzenjammerrecidiv davon. Wir reden aus Erfahrung.

Bücher tisch.

Hypnotism, Its History and Present Developement. By Frederick Bjornstroem, M.D. Translated from the Swedish by Baron Nils Posse, M.G., New York. (The Humboldt Publishing Co., pp. 126.)

Eine gute populäre Zusammenstellung unseres Wissens über den Hypnotismus. Besondere Erwähnung dürfte man den zwei letzten Capiteln zukommen lassen. Diese handeln über „Hypnotismus und das Gesetz" und „Die Missbräuche und Gefahren des Hypnotismus." Sie bieten ein interessantes Lesen, sind aber so populär gehalten, dass eine streng wissenschaftliche Kritik nicht möglich ist.

An die Leser.

Der Preis der „Medicin. Monatsschrift" ist $2.50 für den Jahrgang.

Geschäftliche Zuschriften, Geldsendungen, Bestellungen u. s. w. sind zu richten an : " Medical Monthly Publishing Co.", 17—27 Vandewater Street, New York.

Manuscripte, Wechselblätter und Anfragen bezüglich des Inhaltes sind an den Editor zu richten.

Herr Carl Kahler, unser einziger Vertreter, ist eben im Interesse unseres Blattes im Osten thätig.

122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

ORIGINALARBEITEN. I.

Zur Behandlung der Gynatresieen.

Von

Dr. F. Krug,

Gynäkolog am Deutschen Hospital, New York.

Sicherlich bilden die Bildungsanomalien der weiblichen Sexualorgane eines der interessantesten Capitel der Gynäkologie. Während sie früher meist als zufällige Launen und Spielereien der Natur angesehen wurden, war es hauptsächlich das Verdienst A. Kussmaul's, die verschiedenen bis dahin bekannt gewordenen Formen der besagten Entwicklungsfehler in verständlicher Weise zu classifleiren und eine wissenschaftliche Er- klärung ihres Zustandekommens anzubahnen. Sein im Jahre 1859 in Würzburg erschienenes Buch : „Von dem Mangel, der Verkümmerung und Verdoppelung der Gebärmutter" erregte seiner Zeit gerechtes Auf- sehen und ist bis heutigen Tages das Fundament gewesen auf dem die Lehre von den Entwicklungsfehlern der weiblichen Geschlechtswerk- zeuge weiter gebaut worden ist.

Er ist der Erste, der die Missbildungen des Uterus auf Hemmungs- vorgänge während verschiedener Stufen des Embryonallebens zurück- führte und darauf seine Eintheilung basirte. Ausser ihm hat nament- lich auch Kokitansky viel zur Kenntniss der pathologischen Anatomie dieser Bildungsanomalien beigetragen. Und nachdem einmal der Weg zur richtigen Auffassung und Verständniss derselben geebnet war, fehlte es nicht an vortrefflichen, einschlägigen Arbeiten von hervorra- genden Fachleuten, von denen unter vielen Anderen die von Foerster, Klob, Puech, L. Fürst, Breisky und Holst erwähnt wTerden müssen.

In neuerer Zeit ist die Literatur über diesen Gegenstand eine sehr umfangreiche geworden ; aus der Masse der hierhergehörigen Mit- theilungen möchte ich nur die von Las Casas dos Santos (Zeitschrift für Geburten, und Gynäk , Bd. XIV, Heft 1), der eine vorzügliche kritische Uebersicht über eine grosse Anzahl von aus der Literatur zusammenge- stellten und eigenen Fällen gibt, und die von F. Kiderlen, (Ibid., Bd. XV, Heft 1), erwähnen, der die in A. Martin's Privatanstalt beobachteten Fälle mittheilt. Kiderlen berechnet die Häufigkeit der Missbildungen der weib- lichen Genitalien, aus den in der Zeit von 1877 bis October 1885 in der Poli- klinik von A. Martin behandelten Fällen, deren Zahl 10,500 betrug. Darunter befanden sich : 3 Fälle von rudimentärer Bildung des Uterus

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und der Vagina = 0,028% ; Verdoppelungen der Gebärmutter im Ganzen 5 = 0,048% ; davon je ein Fall von Hämatometra und Hämato- kolpos lateralis congenit., von uncomplicirtem Uterus duplex bicornis cum vagina duplice und von uncomplicirtem Uterus didelphys cum Va- gina duplice und zwei Fälle von Uterus bicornis, woraus sich für jeden einzelnen dieser Fälle ein Procentsatz von 0,009 und für Uterus bicornis von 0,019 ergibt. Angeborene Atresia vaginalis bei einfachem Genital- canal 3 Fälle = 0,028%. Es ist aus diesen Zahlen leicht ersichtlich, dass das Vorkommen dieser Anomalien kein sehr häufiges ist.

Es ist nun nicht meine Absicht hier auf das Zustandekommen und die ätiologische Erklärung der Gynatresieen näher einzugehen, sondern ich möchte nur ein paar Fälle mittheilen, die mir in letzter Zeit vor- gekommen sind, und diejenigen operativen Maassnahmen empfehlen, die sich mir dabei als rationell und erfolgreich erwiesen haben.

Wenn wir also hier alle auf anatomischer oder entwicklungsge- schichtlicher Basis beruhenden Eintheilungen bei Seite lassen und die Gynatresieen von einem rein practischen Standpunkt aus betrachten wollen, so können wir, glaube ich, fuglich dieselben in zwei grosse Gruppen theilen. Unter die erste fallen alle diejenigen Verschliessungen des einfachen oder doppelten Genitalrohres, die nicht einhergehen mit Retention und Anstauung von Secret, weder menstrueller Art noch, wie in einzelnen seltenen Fällen beobachtet, rein schleimiger Natur. Dazu gehören also alle Fälle, wo der oberhalb der Atresie befindliche Ab- schnitt der Sexualorgane absolut verkümmert, oder wenigstens func- tionsunfähig ist ; und zweitens solche Fälle, wo der verschlossene Theil zwar hinreichend ausgebildet ist, aber noch nicht begonnen hat zu secerniren.

Die zweite Gruppe umfasst alle diejenigen Fälle, wo es hinter der atretischen Stelle zur Ausscheidung aus functionirendem Gewebe und somit zur Retention gekommen ist, ganz einerlei an welcher Stelle des Genitalrohres der Verschluss sitzt, ob er das Hymen, die Scheide, oder einen tieferen oder höheren Abschnitt des Uterus betrifft. Als Unter- abtheilungen wären alsdann Atresieen bei einfachem, und solche bei Ver- doppelung des Genitaltractus anzusehen.

Der Zweck dieser Eintheilung wird sofort ersichtlich, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass die unter der ersten Hauptgruppe zusammenge- fassten Fälle nur mit seltenen Ausnahmen ein chirurgisches Eingreifen verlangen, bei den meisten derselben dagegen ein solches direct contra - indicirt ist. Auf der anderen Seite erheischen die der zweiten Gruppe angehörigen Fälle allemal ein operatives Vorgehen, und die aus den benannten Anomalien resultirenden Symptome bringen die Patienten über kurz oder lang in die Hände des Arztes, während viele der der ersten Gruppe angehörigen Fälle mehr oder weniger symptomlos ver- laufen, und oft nur zufällig entdeckt werden.

Es wird heutzutage so ziemlich allgemein zugestanden, dass der Versuch, eine künstliche Scheide nur zu Cohabitationszwecken bei mangelndem oder rudimentärem Uterus herzustellen, nicht zu billigen

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ist. Erstens sind die technischen Schwierigkeiten bei der Eröffnung einer breiten oder totalen Scheidenatresie, wo keine dahinter liegende Ketentionsgeschwulst den Weg zeigt, durchaus nicht zu verkennen ; zweitens sind die Gefahren der Operation, nämlich das Rectum, die Blase, die Ureteren, oder sogar das Peritoneum zu verletzen, wohl zu erwägen, und drittens ist das Endresultat ein sehr fragliches, da in fast allen bekanDt gewordenen Fällen es zum Wiederverschluss des neuher- gestellten Canals kam, trotz aller Versuche, die narbige Schrumpfung durch Quellmittel, Glasröhren, Bougies, etc., hintanzuhalten.

Ich hatte im Laufe dieses Jahres Gelegenheit, einen hierher gehörigen Fall zu untersuchen.

Ein 19jähriges, sonst gesundes Mädchen, hatte den Rath eines Col- legen betreffs ihrer Amenorrhoe nachgesucht. Derselbe fand einen völligen Verschluss der Scheide und versuchte unter Cocainanästhesie denselben in seiner Sprechstunde zu spalten, stand aber, nachdem er circa \ Zoll tief in's Gewebe eingedrungen war, von weiterem Vorgehen ab. Ungefähr eine Woche später untersuchte ich auf sein Ersuchen den Fall mit ihm unter Chloroformnarkose. Die gemachte Incision war bereits völlig vernarbt. Eine sorgfältige bimanuelle Austastung des kleinen Beckens per rectum, lies mich einen gänsefederkieldicken harten Strang, der quer durch's Becken zog, und in dessen Mitte mehr nach unten zu eine mandelgrosse Anschwellung sich befand, als die einzigen Rudimente ihrer Sexualorgane erkennen. Der betr. College schloss sich meiner Ansicht an, dass unter diesen Umständen ein weiterer Versuch, eine künstliche Scheide herzustellen, nicht zu machen sei. Molimina waren, wenn ich mich recht entsinne, keine vorhanden ; der Habitus war ein durchaus weiblicher.

Ein ähnlicher derartiger Fall, der zugleich auch zu einer höchst seltenen Verletzung Anlass gab, kam vor beiläufig vier Jahren für kurze Zeit unter meine Beobachtung.

Miss N. N., 23 Jahre alt, Erzieherin, stellte sich mir in der Sprech- stunde vor und gab an, dass sie noch nie menstruirt habe ; vor mehreren Jahren habe sie in Deutschland einen Frauenarzt consultirt und es sei ihr von ihm mitgetheilt worden, dass sie nicht im Stande sei zu heirathen. Sie sei nun verlobt, habe Gelegenheit sich vortheilhaft zu verehelichen, und wünsche daher zu wissen, ob dies wirklich unzulässig sei. Ihr Aus- sehen war ein gesundes, Brüste gut entwickelt, der Habitus durchaus weiblich, nur die Hüften waren auffällig schmal.

Die äusseren Schamtheile sind wenig behaart ; kleine und grosse Schamlippen unentwickelt, nur flache Falten darstellend ; Harnröhren- mündung an normaler Stelle. Unterhalb derselben befindet sich eine flache von Schleimhaut ausgekleidete Delle nicht grösser als ein silber- nes Vierteldollarstück in Circumferenz. Drückt man mit dem Finger fest gegen dieselbe an, so vertieft sich die Delle etwas, so zwar, dass ein Blindsack von nicht mehr als $ Zoll Tiefe gebildet wird. Die sorg- fältigste bimanuelle Untersuchung per rectum, lässt keinerlei Gebilde im Becken erkennen, die als innere Geschlechtsorgane oder deren Rudi-

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mente hätte angesprochen werden können. Möglich, dass unter Narkose, wie im vorigen Falle, trotzdem rudimentäre Bildungen gefunden worden wären ; jedenfalls aber konnte auch ohne Narkose das Vorhandensein einer Retentionsgeschwulst, oder auch nur eines functionsfähigen Uterus mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Ich theilte dem Mädchen mit, dass sie unter keinen Umständen conceptionsfähig sei, und dass es im höchsten Grade unwahrscheinlich sei, dass auch nur einigermaassen eine Cohabitationsfähigkeit hergestellt werden könne.

Da die Conceptionsunfähigkeit die Legalität der Heirath im Staat New York in Frage stellt, rieth ich ihr unter allen Umständen ihren Verlobten von ihrem Zustande in Kenntniss zu setzen, versprach ihr jedoch auf ihr dringendes Bitten hin, den Versuch machen zu wollen, eine künstliche Scheide herzustellen, falls ihr Verlobter sich durch ihre Mittheilung nicht abschrecken lassen werde.

Ich hatte dabei hauptsächlich die Eiodrückbarkeit des Grübchens im Auge ; und glaubte, dass es mir vielleicht gelingen würde, nach cir- culärer Umschneidung und theilweisem Lospräpariren an der Grenze der Schleimhaut, diese Delle noch tiefer nach innen einzustülpen, und gleichzeitig die narbige Schrumpfung an der dadurch nach aussen hin entstandenen wunden Fläche durch dauernde Tamponade so lange zu verhindern, bis das fernere Bougiren dem zukünftigen Ehegatten über- lassen werden könne.

Eine Woche später stellte sich Patientin mir wieder vor mit der Mit- theilung, ihr Bräutigam nehme an ihrer Unfähigkeit Kinder zu haben, keinen Anstoss ; den Coitus hätten sie mittlerweile ausgeübt, und es sei Alles in bester Ordnung. Nicht wenig erstaunt war ich, als mein touchi- render Finger nunmehr ohne Widerstand in eine geräumige Höhle ein- drang, noch grösser aber war mein Erstaunen als ich erkannte, dass diese Höhle das Rectum war, in das ein von dem flachen Scheidenblind- sack schräg nach hinten und oben verlaufender Perforationsgang führte.

Auf mein Befragen versicherte mich die Patientin, dass die Cohabi- tation nur einmal stattgefunden habe, dass dieselbe nicht gewaltsam ausgeführt worden sei, dass dieselbe ihr keinerlei besondere Schmerzen verursacht habe, dass dieselbe mit keinem Blutverlust von irgend welcher Bedeutung verbunden gewesen sei, endlich, dass seitdem keine Incontinenz bestanden habe. Da die Patientin mir in allem übrigen rückhaltslos antwortete, so habe ich keinen Grund die Wahrheit ihrer Angaben in diesen Punkten zu bezweifeln.

Ich machte sie nun auf die Bedeutung ihrer erlittenen Verletzung und auf die Folgen aufmerksam, deren sie sich aussetze, falls die Ruptur nicht operativ verschlossen würde; allein alle Vorstellungen halfen nichts, sie sei vollständig zufrieden, dass es so gekommen sei, etc.

Sie reiste, soviel ich hörte, wenige Tage darauf mit ihrem neu- vermählten Gatten nach dem Westen ab, und war es mir unmöglich fernere Nachrichten über ihren Zustand zu erhalten.

Ich lasse es dahin gestellt, ob im vorliegenden Falle unter beson- derer Berücksichtigung der Umstände der von mir beabsichtigte Ver-

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such eine künstliche Scheide herzustellen, berechtigt gewesen wäre. Ich glaube jedenfalls, dass, falls es mir, wie ich es vorhatte, gelungen wäre, den vorhandenen flachen Schleimhautblindsack nach theilweiser Los- lösung höher hinauf zu verpflanzen und somit die Kuppe der neuge- bildeten Scheide mit unverletzter Schleimhaut auszukleiden, die Chancen des definitiven Offenbleibens derselben bessere als in der Mehrzahl der Fälle gewesen wäre. Ich möchte dagegen doch auch auf die ethische Seite dieser Frage aufmerksam machen. Kann es eine berechtigte Auf- gabe des Chirurgen sein, bei totaler Conceptions Unfähigkeit, einfach in der Gegend der Scheide einen künstlichen Blindsack herzustellen, der eigentlich nicht den Namen Scheide verdient, sondern nur ein Kecepta- culum für den Penis des Mannes wäre ? Ich glaube den Desiderien eines derartig gesinnten Ehegatten, wäre durch einen zwischen den Oberschenkeln der Frau ad hoc befestigten Gummiapparat in einfacherer Weise abgeholfen.

Die zweite Unterabtheilung umfasst solche Fälle von Verschluss des Genitalrohres, wo sich zwar oberhalb der Atresie ein f unctionsfähiger Uterus befindet, derselbe aber noch nicht zu menstruiren begonnen hat. Diese Fälle haben practisch sehr wenig Bedeutung, da ja meistens erst die durch die Eetention bedingten Beschwerden zur ärztlichen Unter- suchung und somit zur Erkennung des Bildungsfehlers Veranlassung geben. Sollte einmal ausnahmsweise eine Gynatresie bei einem Mädchen vor der Pubertät zur Wahrnehmung kommen, so wäre es bei einfacher hymenaler und dünner membranöser Vaginalatresie wohl rationell die Eröffnung alsbald vorzunehmen. Excision mit darauf- folgender ringförmiger Vernähung der beiden Schleimhautränder ver- dient alsdann den Vorzug vor der einfachen Spaltung oder dem früher beliebten Kreuzschnitt, Bei allen breiten und hochsitzenden Atresieen möchte ich jedoch wegen der Gefahr der Nebenverletzung Wichtiger Organe von allen Operationsversuchen entschieden abrathen, ehe es zur Bildung einer Retentionsgeschwulst gekommen ist, die alsdann die Richtung für die Incision abgibt. Selbstverständlich wird man in diesen Fällen nicht länger als absolut noth wendig warten, jedenfalls nicht bis es zur Blutansammlung in Tubarsäcken gekommen ist.

Streng genommen gehören in diese Unterabtheilung auch die Fälle von einfacher epithelialer Verklebung der Schamlippen oder Atresia vulvae, wie sie gelegentlich bei kleinen Kindern beobachtet werden. Einfacher seitlicher Zug genügte in zwei mir vorgekommenen Fällen, um die verklebten Flächen zu trennen. Bei festerer Verwachsung kann man, wie Hofmeier (Grundriss d. Gynäk. Op.) angibt, eine Sonde von vorn oder hinten, wo noch eine Oeffnung vorhanden ist, unterschieben und durch Druck nach aussen die Verwachsung sprengen.

Ich wende mich nunmehr zu der zweiten Hauptgruppe von Gynatre- sieen, d. h. denjenigen Fällen, wo es zur Anstauung der katamenialen Ausscheidungen und somit zur Bildung einer Betentionsgeschwulst oberhalb des Verschlusses gekommen ist. Ehe ich auf die Be- handlungsweisen derselben weiter eingehe, möchte ich die Kranken-

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geschichten zweier von mir im Laufe der letzten 12 Monate operirten Fälle geben.

Fall I. A. v. St., 16 Jahre alt, Ehefrau, wurde von mir am Abend des 22. November 1888 auf Ersuchen eines Coliegen gesehen und da ihre äusseren Verhältnisse eine geeignete Behandlung in ihrer Wohnung nicht gestatteten, in's Deutsche Hospital hiesiger Stadt transferirt.

Anamnese : Patientin stammt von gesunden Eltern, ihre fünf Ge- schwister sind gesund ; sie selbst ist früher nie krank gewesen. Mit 13 Jahren begann sie zu menstruiren ; Periode ziemlich regelmässig alle vier Wochen, 3 4 Tage dauernd, schwach, ohne jegliche Beschwerden. Vor circa 6 Monaten Heirath ; bald darauf begann sie während und kurz vor und nach ihrer Periode an ungemein heftigen Schmerzen im Kücken und Unterleib zu leiden, die sich namentlich während der letzten beiden Menstruationsepochen fast zum Unerträglichen steigerten. Dabei be- stand starker Harn- und Stuhldrang. Ausserdem bemerkte sie seit einiger Zeit eine zunehmende Geschwulst im Unterleib.

Status praesens. (November 23. 1888.) Patientin ist kräftig gebaut und gut genährt. Brüste gut entwickelt. Möns veneris gut ausgebildet, blond behaart. Labia minora kümmerlich entwickelt ; dieselben gehen bereits im oberen Drittel in die grossen Schamlippen über. Harn- röhrenmündung an normaler Stelle. Ebenso Introitus normal ; Hymen erhalten, zeigt Einriss links unten. Im Introitus ist eine sich vordrän- gende Geschwulst sichtbar, bläulich roth gefärbt, prall gespannt, Flüssigkeit enthaltend. Diese Geschwulst scheint von rechts zu ent- springen und setzt sich in der ganzen Länge der Scheide fort, das Lumen derselben beinahe völlig ausfüllend, sodass der Finger auf der linken Seite derselben nur mit Mühe vorbeigeführt werden kann. In der Gegend der linken Symphysis sacro-iliaca legt sich diese prallelastische Geschwulst dicht an einen Körper von fester Consistenz an, der sich bei näherer Untersuchung als eine nach links verschobene Vaginalportion herausstellt. Dieselbe ist von annähernd normaler Grösse, der Mutter- mund sieht nach hinten und unten und etwas nach links. In denselben dringt die Sonde ohne Widerstand circa 2h Zoll tief ein ; die Uterushöhle erscheint geräumig.

Die oben beschriebene Geschwulst erstreckt sich nach oben bis ungefähr handbreit über die Symphysis pubis, hat annähernd cylindrische Gestalt, ist um ihre Axe torquirt, d. h. sie umgibt den Uteruskörper in einer halben Drehung, so zwar, dass sie ihm oben mehr rechts, unten und nach der Scheide zu mehr nach vorne und median anliegt. Sie ist fest mit dem Uterus vereinigt und lässt sich nicht von ihm trennen. An ihrem rechten oberen Ende scheint ein strangartiger. Appendix zu sein. Consistenz überall dieselbe.

Per Kectum fühlt man zunächst gleichfalls die das Lumen der Scheide ausfüllende Geschwulst, weiter hinten und links den harten Uterus. Links geht das Ligamentum sacro-uterinum und latum an

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normaler Stelle ab ; das normalgrosse bewegliche linke Ovarium und die linke Tube sind deutlich darüber zu fühlen.

Eechts scheint der ganze Baum im kleinen Becken durch die Ge- schwulst ausgefüllt zu sein ; ein rechtes Ovarium durch Palpation nicht nachzuweisen. Die beigefügte schematische Abbildung, die dem Martin'- schen Lehrbuch (Pathologie und Therapie der Frauenkrankheiten) entlehnt ist, gibt ein anschauliches Bild der anatomischen Anordnung in meinem Falle, der dem von Martin beobachteten auf ein Haar gleicht.

Unter Berücksichtigung der Anamnese musste bei genauer Erwägung des vorliegenden Befundes die Diagnose auf Uterus duplex bicornis mit Hämatokolpos und Hämatometra unilateralis congenita, veranlasst durch Atresia vaginalis superior, gestellt werden ; denn es gibt schlech- terdings keinen Zustand, der mit dem vorliegenden berechtigterweise hätte verwechselt werden können. Trotzdem wurde, um absolut sicher zu gehen, eine Probepunction vorgenommen und durch die Entleerung von ganz charakteristischer theerartiger Hämatometraflüssigkeit die Richtig- keit der Diagnose gesichert. Offenbar hatte im vorliegenden Falle anfangs nur das offene linke Horn menstruirt, ein Umstand, der das Freisein der Patientin von Beschwerden in den ersten Jahren der Puber- tätszeit erklärt. Erst als nach der Heirath wohl in Folge der durch den Geschlechtsverkehr bedingten Congestion auch die rechte, ver- schlossene Seite des Genitalrohres zu functioniren begann, und es somit zur Anstauung der katamenialen Secrete oberhalb der Atresie kam, stellten sich die durch die Ausdehnung der verschlossenen Hälfte be- dingten Symptome ein, die die Pat. zwangen, ärztliche Hülfe nach- zusuchen.

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Operation am 24. November 1888. (Chloroformnarkose.) Patientin, die am Abend vorher ein Bad bekommen und deren Darm reichlich entleert worden war, wird in Steissrückenlage gebracht. Schamhaare abrasirt, Urin durch Katheter entleert. Ausgiebige Desinfection durch Abseifen und Bürsten mit lOprocentigem Creolin- Mollin und Berieselung mit Sublimatlösung 1 : 3000. Darauf wird ein Sims' Speculum nach hinten eingeführt und während ein Assistent die Schamlippen durch Seitenhebel auseinanderhält wird der tiefst gelegene Theil der Ge- schwulst mit zwei Kugelzangen fixirt und in denselben ein spitzes Bis- touri eingestochen. Aus der kleinen Oeffnung wird die dunkelchokoladen- farbige, an der Luft alsbald gerinnende Flüssigkeit möglichst langsam unter permanenter Irrigation mit Thiersch'scher Borsalicylsäurelösung abgelassen. Die Oeffnung wird dann nach oben und unten erweitert und zuletzt als der Inhalt so ziemlich entleert war ein Gewebsstück von der Grösse eines silbernen Halbdollars ausgeschnitten.

Die Oeffnung führt in eine mit Schleimhaut ausgekleidete Höhle, die sich seit der Entleerung bedeutend durch Zusammenziehung verkleinert hat. Der Finger wird vorsichtig in dieselbe eingeführt ; die Wandung ist überall glatt und gleichmässig ; nach rechts und oben scheint sie in einen engen Canal (Tube ?) auszulaufen.

Die nunmehr links in die Uterushöhle eingeführte Sonde wird von dem in der rechten Höhle befindlichen Finger nur durch eine dünne (vielleicht \ Zoll dicke) Zwischenwand getrennt gefühlt ; nach unten zu, dem Cervix der linken Seite entsprechend ist das Septum bedeutend dicker.

Darauf wird an der Excisionsstelle die Schleimhaut der Höhle mit der äusseren Scheidenschleimhaut durch eine fortlaufende Catgutnaht circulär vereinigt ; die Höhle selbst mit Thiersch'scher Lösung sorg- fältigst ausgespült und darauf mit Jodoformgaze leicht austamponirt.

Um das Abdomen wird ein comprimirender Watteverband angelegt ; vor die Scheide ein Sublimatgazebausch gelegt und die Pat. zu Bett gebracht.

Der weitere Verlauf war, abgesehen von einer hartnäckigen Stuhl- verstopfung, die verschiedenartige Medication erheischte, ein völlig normaler. Die Temperatur erhob sich niemals über die "Norm. Die tamponirende Gaze wurde am dritten und sechsten Tage post op. ge- wechselt und dann weggelassen, da die Secretion völlig aufgehört und die Höhle sich gut contrahirt hatte. Von da an wurden nur noch desin- ficirende Scheidenausspülungen gemacht.

Pat. wurde am 19. December entlassen. Die rechte Uterushälfte hatte sich mittlerweile völlig contrahirt, die Eröffnungsstelle des rechten Scheidencanals hatte sich nach oben bis fast in die Höhe der Vaginal- portion verzogen, war jedoch weit offen ; die ringförmige Schleimhaut- naht war gut vernarbt.

Ich sah Pat. wiederum 3 4 Monate später ; sie gab an, dass sie seit der Operation regelmässig und ohne jede Beschwerden menstruirt habe, einer genaueren Untersuchung wollte sie sich jedoch nicht unterwerfen.

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Fall IL A. R., 16 Jahre alt, Putzmacherin, präsentirte sich mir am 81. October 1889 in der gynäkologischen Abtheilung des Deutschen Dispensary mit der Klage, dass sie seit einiger Zeit an heftigen Rücken- schmerzen und ziehenden Schmerzen im Unterleib leide, die auch nach den Oberschenkeln ausstrahlten. Diese Schmerzen seien früher nur ab und zu aufgetreten ; seit einigen Monaten seien dieselben beinahe con- stant, würden jedoch in drei- bis vierwöchentlichen Zwischenräumen bedeutend heftiger ; auch leide sie während dieser Attacken öfters an Nasenbluten. Auf Befragen gibt sie an, dass sie nie Blutabfluss aus den Genitalien gehabt habe. Sie stammt von gesunden Eltern, ihre drei Schwestern sind gesund und regelmässig menstruirt. Pat. ist bis zum Auftreten ihrer jetzigen Beschwerden niemals krank gewesen.

Status praesens. Pat. ist ein gut genährtes Mädchen von mittlerer Grösse und blühendem Aussehen. Herz und Lungen gesund. Brüste gut entwickelt. Möns veneria zeigt reichliches Fettpolster, äussere Ge- schlechtstheile anscheinend normal entwickelt und reichlich behaart. Ueber der Symphysis fühlt die aufgelegte Hand einen länglich runden Tumor, der aus dem kleinen Becken emporzukommen scheint, und sich nach oben bis 2 Querfingerbreit über den Nabel nach beiden Seiten je circa 4 Querfingerbreit über die Medianlinie hinaus erstreckt. Die Ober- fläche des Tumors ist gleichmässig und glatt, die Consistenz prall- elastisch. Die Bauchdecken lassen sich von dem Tumor abheben, doch ist die Beweglichkeit desselben in toto eine sehr beschränkte. Per- cussion über dem Tumor gibt dumpfen Schall ; Darmton auf beiden Seiten.

Beim Auseinanderziehen der Schamlippen zeigt sich das Hymen un- verletzt. Der explorirende Finger dringt ungefähr 1\ Zoll tief in die enge Vagina ein, die in dieser Höhe blind endigt. Die Spitze des Fingers stösst dabei gegen eine straffe Gewebsmasse an, oberhalb deren das untere Ende der obenerwähnten Geschwulst wahrgenommen wird. Ein eingeführtes kleines zweiblätteriges Speculum zeigt, dass der ganze Blindsack mit normaler Scheidenschleimhaut ausgekleidet ist.

Darauf wird der Zeigefinger in's Rectum, der Daumen derselben Hand in den Scheidenblindsack eingeführt, während die äussere Hand die Geschwulst vorsichtig entgegendrängt. Dieselbe hat durchweg dieselbe pralle Consistenz, verbunden mit deutlicher Fluctuation, und füllt den grössten Theil des kleinen Beckens aus. Das den Blindsack von der Geschwulst trennende Septum hat eine Dicke von circa | Zoll.

Aus diesem Befund in Verbindung mit der Anamnese ergab sich die Diagnose von selbst : Atresia vaginalis congenita, Hämatokolpos, Hämatornetra.

Das gleichzeitige Vorhandensein von Hämatosalpinx konnte nicht mit Bestimmtheit ausgeschlossen werden, da die bimanuelle Unter- suchung begreiflicher Weise mit Vorsicht vorgenommen wurde, um nicht eventuell zur Ruptur Veranlassung zu geben.

Am 1. November wurde Pat. in's Deutsche Hospital aufgenommen.

Operation am 2. November in Aethernarkose.

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Steissrückenlage, dieselben antiseptischen Cautelen wie im vorigen Falle.

Nachdem ein kleines Sims' Speculum in den Scheidenblindsack einge- führt worden, wird durch das Septum ein senkrechter Schnitt mit dem Bistouri gelegt und unter permanenter Berieselung mit Thiersch'scher Borsalicylsäurelösung eine dicke, dunkelbraunrothe, geruchlose Flüssig- keit langsam entleert. Nachdem der grössere Theil des Inhalts abge- laufen, wird die Schnittöffnung mit einer breiten Kornzange stumpf erweitert. Von dem Versuch, ein Stück des circa \ Zoll breiten Septums zu excidiren, wird Abstand genommen, da sich dabei eine stärkere Blutung einstellt, die durch zwei Umstechungsnähte gestillt werden musste, deren Anlegung in der engen Vagina nur mühsam gelingt.

Auch die circuläre Vernähung der beiden Schleimhautränder war in diesem Falle unmöglich, da dieselben theils in Folge des grösseren Ab- standes von einander, theils wegen der Enge der Scheide nicht anein- ander gebracht werden konnten.

Ein Finger wird alsdann zur Exploration in die seit der Entleerung beträchtlich zusammengeschrumpfte Höhle eingeführt. Etwa 2 Zoll oberhalb des früheren Septums fühlt derselbe einen ringförmigen Wulst, oberhalb dessen die Höhle sich allmälig verjüngt. Dieser Wulst markirt offenbar die Uebergangsstelle von Vagina zum Uterus. Eine vorsichtige bimanuelle Untersuchung lässt keine Anschwellungen in den Tuben erkennen.

Nunmehr wird die ganze Höhle tüchtig mit warmer Borsalicylsäure- lösung ausgewaschen und schliesslich mit Jodoformgaze ausgestopft. Nachdem die Pat. zu Bett gebracht, wird ein breiter, ziemlich schwerer Sandsack auf's Abdomen gelegt, das vorher mit einer dicken Lage von Watte bedeckt worden war. Die Scheide wird mit einem vorgelegten Sublimatgazebausch occludirt.

Am 3. Nov. Die Temperatur stieg während der Nacht auf 101° im Eectum, fällt aber gegen Morgen auf 99°, und bleibt von da an nor- mal. Die vorgelegte Gaze ist reichlich von leicht blutig tingirter ge- ruchloser Flüssigkeit durchtränkt,' um die Drainage zu erleichtern, wird die Patientin in eine halbsitzende Lage gebracht, 4. und 5. Nov., völliges Wohlbefinden.

Am 6. Nov. Die Jodoformgaze zum ersten Mal entfernt, völlig geruchlos. Da, wo während der Operation der ringförmige Wulst ge- fühlt worden war, hat sich mittlerweile eine deutliche Vaginalportion ge- bildet, der dadurch entstehende CeLvicalcanal ist noch bequem für den Zeigefinger durchgängig ; darüber der Uterus in normaler Configu- ration. Auswaschung mit Borsalicylsäurelösung. Erneute Jodoform- gazetamponade. Sandsack entfernt. Der weitere Verlauf war völlig fieberfrei. Die Gazetamponade wurde alle 3 4 Tage gewechselt, und die immer mehr sich verkleinernde Höhle mit Borsalicyl ausgewaschen.

Am. 22. Nov. zeigte die Untersuchung, dass der Uterus und der früher verschlossene Theil der Scheide so ziemlich normale Gestalt und Grösse angenommen hatten. Der Abschnitt, wo das frühere Septum

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durchtrennt worden, fast völlig verheilt und für zwei Finger durch- gängig. Am 27. Nov. verliess Patientin geheilt das Hospital.

Dass in allen Fällen von Retention des menstruellen Secretes in Folge einer irgendwo im weiblichen Genitalcanal bestehenden Occlusion ein operatives Eingreifen direct indicirt ist, darüber herrscht kein Zweifel. Denn sich selbst überlassen führen diese pathologischen Zu- stände fast ohne Ausnahme zum lethalen Ende, meistens durch Ruptur nach innen und consecutiver tödtlicher Peritonitis ; aber auch in den anscheinend günstigeren Fällen von Ruptur nach aussen trat beinahe unabänderlich infectiöse Entzündung mit tödtlichem Ausgang ein.

Die Aufgabe des Chirurgen besteht daher in allen diesen Fällen darin, den verschlossenen Abschnitt zu eröffnen, das verhaltene Secret zu entleeren, und durch dauerndes Offenhalten soviel als möglich der Norm entsprechende Verhältnisse herzustellen ; mit anderen Worten, einmal die bestehenden heftigen Beschwerden zu beseitigen und zweitens die Functionen der Geschlechtswerkzeuge des Weibes, Men- struation, Conception und Parturition zu ermöglichen.

Trotz dieser strikten Indication wagte man sich bis in die neuere Zeit immer nur mit einer gewissen Zaghaftigkeit an die Eröffnung dieser Retentionsgeschwülste ; Dupuytren, Boyer, Sabatier, Cazeaux u. A. riethen mit Rücksicht auf die hohe Mortalität davon ab, und nicht nur schwierigere Operationen breiter Atresieen, sondern auch einfache Fälle von Eröffnung tiefsitzender, membranöser Verschlüsse, die unter den Händen von Männern wie Langenbeck, Schuh, Nelaton, Billroth u. A. lethal endigten, dienten dazu, diesen Eingriff als einen höchst gefähr- lichen erscheinen zu lassen.

Worin bestanden nun die Gefahren dieser anscheinend so einfachen Operation ?

Nach Breisky sind dieselben dreifacher Natur. Erstens Nebenver- letzungen wichtiger Organe. Dieselben kommen jedoch nur bei breiten Atresieen in Betracht, lassen sich bei vorsichtiger Ausführung der Ope- ration vermeiden und sind an und für sich nicht tödtlich. Zweitens, falls die Anstauung und Ausdehnung sich nicht auf die Scheide und Gebärmutter beschränkt, sondern auch die Tuben mit ergriffen hat, in der Ruptur der zu Blutsäcken umgewandelten Eileiter. Und drittens in der septischen Infection.

Nach meiner Ansicht ist, mit sehr wenigen Ausnahmen, die Infection die einzige Gefahr, die wir dabei zu fürchten haben, die wir dafür aber auch um so leichter vermeiden können, wenn wir uns entschliessen können, alle antiquirten Ideen und Maassnahmen, die in Verbindung mit dieser Operation mehr als mit irgend einer anderen noch aus der vor- antiseptischen Zeit herübergenommen zu sein scheinen, über Bord zu werfen und auf Grund rationeller moderner chirurgischer Grundsätze vorzugehen. Ich für meinen Theil kann nicht einsehen, wieso die Ge- fahr der Berstung der mit Blut angefüllten Tubensäcke eine so bedeu- tungsvolle sein kann. Entweder communiciren die Tubenblutsäcke frei mit der Uterinhöhle oder sind gegen dieselben abgeschlossen. Im Falle

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der freien Communication werden sie sich, falls die Atresie eröffnet wird, nach der Stelle des geringsten Widerstandes, also nach der Uterinhöhle und somit nach Aussen entleeren und damit unschädlich werden. Ist das uterine Ende der Hämotosalpinx obliterirt, so kann ich mir nicht vorstellen, warum dieselbe grössere Tendenz zur Kuptur haben sollte, als eine auf gonorrhoischer Basis zu Stande gekommene Pyosalpinx. Ich will zugeben, dass ein rohes Manipuliren oder die plötzliche, ruckweise Entleerung die Kuptur zu Stande bringen kann ; es ist mir aber unverständlich, inwiefern eine vorsichtige Abtastung des Abdomen oder die langsame Entleerung des Retentionssackes in einer Sitzung durch einfache Druckschwankung die Berstung des Sackes hervorbringen soll, auch wenn durch vorhergegangene entzündliche Attacken peritonitische Adhäsionen bestehen sollten. Wir bersten ja auch, wenn wir z. B. behufs Feststellung des genauen Befundes vor einer zu machenden Laparotomie eine bimanuelle Untersuchung in Narkose vornehmen, für gewöhnlich keine verwachsene Ovarialcyste oder Pyosalpinx ; ebenso selten tritt die Ruptur dieser Gebilde in Folge des Erbrechens nach der Narkose ein. Der Einwand aber, dass bei der Ruptur der mit Blut gefüllten Tubensäcke, Contractionen des Uterus mit Fortleitung auf die Säcke in Frage kommen, ist sehr einfach da- durch zurückgewiesen, dass diese Contractionen jedenfalls viel heftiger vor als nach der Entleerung auftreten.

Die Erklärung für das fatale Bersten der Tubenblutsäcke liegt meiner Ansicht nach darin, dass in allen Fällen von Ruptur eine Infec- tion während oder nach der Operation stattgefunden hatte, die zur Zersetzung des in der erschlossenen Höhle befindlichen Secretes und gleichzeitig auch zur infectiösen Entzündung der Höhlenwandungen und des Peritonealüberzugs derselben führte. Dass es aber in derartig in- f ectiös erkrankten und somit abnorm brüchigen Säcken mit Leichtigkeit zur Ruptur oder Perforation kommen wird, ist einleuchtend. Einen be- weisenden Beleg für diese Anschauung erblicke ich darin, dass fast alle bekannt gewordenen Tubarrupturen nicht auf dem Operationstisch, sondern erst geraume Zeit später eintraten. Also : NicJit Peritonitis, weil Ruptur, sondern Ruptur, weil infectiöse Peritonitis.

Ist dieses zugestanden, so wird unser Hauptbestreben bei der Opera- tion der Blutgeschwülste darauf gerichtet sein müssen, die strengste auf modernen Anschauungen gestützte Antisepsis sowohl hinsichtlich der Operation, als auch der Nachbehandlung walten zu lassen und werden wir der Gefahr der Ruptur durch directe Gewalt nur eine unter- geordnete Bedeutung beimessen, der wir durch langsames Ablassen des Inhaltes und Vermeidung alles gewaltsamen Druckes effectiv vor- beugen können.

Ich kann desshalb den Standpunkt Hofmeier's, den derselbe in seinem „Grundriss der Gynäkologischen Operationen, Leipzig und Wien, 1888", mit Rücksicht auf diese Operation einnimmt, keineswegs theilen. Hofmeier räth zunächst „einen nicht zu grossen Schnitt zu machen, und dann das Blut ohne jedes weitere Eingreifen abfliessen zu

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lassen." Etwa 8 Tage später soll die endgültige Operation durch Ex- cision und Schleimhautvernähung gemacht werden.

Der Hauptgrund den ich gegen Hofmeier's Methode der Operation in zwei Zeiten anzuführen habe, ist, dass beim Anlegen einer kleinen Oeffnung und dem sich selbst überlassenen über Tage sich erstrecken- dem Abfluss des Blutes ungemein günstige Bedingungen zur Zersetzung des zurückgebliebenen Inhalts mit all ihren verderblichen Folgen ge- geben sind. Und ob die Zersetzung des stagnirenden Hämatometra- blutes das bekanntlich in hohem Grade zersetzungsfähig ist, durch ein- fache Ausspülungen, wie Hofmeier empfiehlt, in allen Fällen vermieden werden kann, scheint mir doch fraglich.

Wie soll nun die Operation vorgenommen werden ? Was die Be- dingungen sind die ein rationelles Verfahren erfüllen muss, ist früher schon angeführt worden ; sie sind, durch die Eröffnung und Offenhaltung des occludirten Genitalabschnitts die durch die Betention veranlassten Beschwerden, zu beseitigen, und die Conceptions und Gebärfähigkeit so gut wie möglich herzustellen. Von den verschiedenen Methoden, die zu diesem Ziele führen, ist jedenfalls diejenige vorzuziehen, die zur Er- langung des Endzweckes die wenigsten Gefahren für die Kranke in sich schliesst. Und da wir gesehen haben, dass die Gefahren fast aus- schliesslich durch septische Infection bedingt sind, so ist die Aufgabe, die Operation zu einer ungefährlichen zu machen, mit der Aufgabe, die- selbe zu einer strikt antiseptischen zu gestalten, identisch. Diese Ideen schwebten mehr oder weniger unbewusst auch den Operateuren vor der streng antiseptischen Zeit vor, nur führten sie in Folge falscher Vor- aussetzungen zu heutzutage wunderlich klingenden Irrthümern. Da man die Hauptgefahr dem Luftzutritt zuschrieb, riethen Scanzoni und Baker-Brown, die Punction durch das Rectum vorzunehmen, und hielten somit den Zutritt der Darmgase für wünschenswerther, als den der at- mosphärischen Luft ; Simon und Krause schlugen vor, die Eröffnung der Blutcysten durch die Harnblase vorzunehmen. Ich glaube ich kann füglich alle derartigen Vorschläge, die nur einen historischen Werth haben, bei Seite lassen, und beschränke mich daher darauf, das Ver- fahren zu besprechen, das sich in meinen beiden Fällen als in jeder Hinsicht befriedigend erwiesen hat.

Ich brauche wohl kaum hervorzuheben, dass bei der Operation die Finger des Operateurs und der Assistenten, die zu gebrauchenden In- strumente, Schwämme etc., der Operationstisch und die Unterlagen und endlich das Operationsfeld mit derselben peinlichen Sorgfalt aseptisch zu machen sind, als dies bei Vornahme einer Laparotomie geschehen würde. Ich möchte nur einen Punkt betonen, der mir nicht immer die nöthige Aufmerksamkeit zu finden scheint und dies ist die Desinfection des Operationsfeldes selbst. Die Untersuchungen von Winter, Döder- lein und Steffeck haben gezeigt, wie sehr schwierig es ist, den weiblichen Genitalcanal bakterienfrei zu machen.

Es wird daher nicht genügen, nachdem die Schamhaare abrasirt sind, eine einfache Ab- resp. Ausspülung mit desinficirender Lösung

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vorzunehmen, die ja nicht in die Schleimhautfalten eindringt und falls vorher eine Untersuchung mit befettetem Finger stattgefunden hat, ganz und gar wirkungslos abläuft. Sondern ich verlange eine gründ- liche mechanische Eeinigung des Operationsfeldes, die am vortheil - haftesten durch Abbürsten mit Creolin-Mollm bewerkstelligt wird, der alsdann die nunmehr effective Bespülung mit Carbol- oder Sublimat- lösung folgen soll.

Nachdem diese Vorbereitungen vollendet, und die Atresie durch Scheidenhebel freigelegt war, habe ich die Eröffnung, vermittelst des Bistouri vorgenommen. Ich halte die Eröffnung durch den Troicar für nicht räthlich, denn es ist in den meisten Fällen schwierig, nachdem ein grösseres Quantum der Flüssigkeit abgelassen worden, den Stichcanal, der sich dann gewöhnlich verschoben hat, behufs dauernder Er- weiterung wieder zu treffen.

Um diesen Nachtheilen abzuhelfen, hat Breisky sein Troicarmesser und die Zangencanüle erfunden*).

Diese Instrumente sind ganz zweckdienlich, doch kann man mit einem einfachen Bistouri und einer Kornzange denselben Zweck er- reichen, und verdienen diese letzteren Instrumente dajier. da sie ein- facher, stets vorräthig und leichter zu reinigen sind, den Vorzug. Und wenn man nur die Incision anfänglich nicht zu gross macht, so kann man den langsamen Abfluss des Blutes leicht reguliren, und jede zu plötzliche Druckschwankung, die zur Kuptur etwaig vorhandener Tubensäcke auf dem Operationstisch Veranlassung geben könnte, mit Leichtigkeit vermeiden.

Der von den Meisten so sehr gefürchtete Lufteintritt kann durch constante Berieselung mit einer leicht antiseptischen Flüssigkeit ver- mieden werden ; ich habe hauptsächlich aus dem Grunde irrigirt, um das in meinen Fällen alsbald nach dem Austritt gerinnende Blut, das die Oeffnung verlegen wollte, wegzuschwemmen.

Der nächste Act ist die Erweiterung der Incisionsöffnung. Dabei thut man gut daran, sich zu vergegenwärtigen, dass diese Oeffnung exquisit die Neigung hat, sich in späterer Zeit durch narbige Schrumpfung zu verkleinern, eventuell wieder ganz zu schliessen, und dadurch Nachoperationen zu benöthigen.

Ich kann daher nur anrathen, wo immer es thunlich ist, nach dem Vorgehen von Sims und Emmet, ein möglichst grosses Stück des Sep- tums zu excidiren und das spätere Zusammenwachsen durch Vernähung der Höhlen- mit der Scheidenschleimhaut unmöglich zu machen. Martin musste in seinem Falle f) zu wiederholten Malen incidiren, bis er das ganze Septum abtrug. Seine Patientin concipirte und gebar darauf.

Ist die Excision und Vernähung, wie in meinem zweiten Falle, wegen Enge des Operationsfeldes oder Breite der Atresie nicht ausführbar, so

*) Siehe: Die Krankheiten der Vagina. (Pitha & Billroth's Handbuch, Bd. IV, Abthl. I, 7).

f ) Siehe : Pathologie und Therapie der Frauenkrankheiten, 2. Auflage, pag. 53.

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mache man immerhin die Spaltung so ausgedehnt als möglich, und erweitere stumpf.

Viele Autoren warnen vor Einführung des Fingers oder der Sonde in die entleerte Höhle zu diagnostischen Zwecken und Breisky setzt den günstigen Ausgang zweier Fälle von Atresia hymenalis zum grossen Theil auf Rechnung „der durch 6 Tage post. operat. absolut vermiedenen inneren Exploration." In derselben Weise spricht Elischer sich aus. Ich habe nun nicht mehr Anstand daran genommen, meinen desinflcirten Finger in die eröffnete Höhle zu diagnostischen Zwecken einzuführen, als ich mich scheue, eine Kreissende zu untersuchen ; und der afebrile Verlauf meiner beiden Fälle gibt mir keinen Anlass, dieses Vorgenen zu bereuen.

Ehe ich nun die Operation für abgeschlossen ansehe, halte ich es für ein wichtiges Moment, die ganze Höhle mit einer schwachen antisep- tischen Lösung (Thiersch'sche Borsalicylsäurelösung) oder mit sterili- sirtem Wasser gründlich auszuwaschen und auf diese Weise alle Blut- reste zu entfernen, die der Sackwand meistens ziemlich zäh anhaften, und falls sie dort belassen werden, leicht zur Zersetzung Veranlassung geben. Nimmt man die Lösung warm, und vermeidet allzu hohen Druck, so kann daraus kein Nachtheil entstehen.

Damit wäre die Operation, die in einfachen Fällen nur kurze Zeit in Anspruch nehmen wird, vollendet und ich komme nunmehr zur Nach- behandlung.

Die Aufgabe derselben besteht, einerseits Infection zu verhüten, und zweitens den Wiederverschluss der Oeffnung zu verhindern.

Um dieser Forderung gerecht zu werden, sind sehr verschiedene Methoden empfohlen worden. Ich will der Kürze halber nur einige nennen : Scheidenausspülungen, Liegenlassen von Drainageröhren, Troicarcanülen, Glasröhren mit oder ohne Seitenöffnung, Einführung von Pressschwämmen u. s. w. Ich glaube mir die Mühe ersparen zu können, auf die Nachtheile jeder einzelnen dieser Methoden einzugehen, und kann mich darauf beschränken auf die Vortheile des von mir ein- geschlagenen Weges hinzuweisen, die sofort einleuchtend sind. Die von mir ausgeübte Jodoformgazetamponade garantirt in erster Linie voll- ständige Ableitung aller zersetzmigsfähigen Secrete nach aussen und ver- hindert auf der anderen Seite das Eindringen von Entzündungserregern 'nach innen.

Sie erfüllt somit in vollkommenem Maasse die Anforderungen der modernen Chirurgie an eine rationelle Wundbehandlung. Sie kommt aber auch in vorzüglicher Weise der oben erwähnten zweiten Indication nach, nämlich den Wiederschluss der gemachten Oeffnung zu verhin- dern, und wird, falls lange genug, d. h. bis zur völligen Verheilung der In- resp. Excisionsstelle, fortgesetzt, das spätere Bougiren und eventuelle Nachoperationen unnöthig machen.

Sie thut aber noch mehr. Sie verhindert das zu rasche Zusammen- fallen der entleerten Höhle durch uterine Contractionen, was ja, wie wir oben besprochen, nach der Ansicht mancher Autoren die Gefahr der

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Berstung eventuell vorhandener Tubarblutsäcke in sich schliessen soll. Damit fallen die daraus gezogenen Folgerungen der betreffenden Opera- teure und die daraus gestellte Indication, die Operation in zwei Zeiten vorzunehmen.

Es kann daher kein Zweifel darüber herrschen, dass die Tamponade der Höhle mit antiseptischer Gaze nach der Eröffnung von Gynatresieen, den Vorzug vor allen übrigen Behandlungs weisen verdient, und mit Recht als die Methode angesehen werden muss.

Ausser einer kurzen auf die Jodoformgaze bezüglichen Notiz von Hofmeier (1. c. pag. 112), der übrigens wie oben erwähnt, die Operation in zwei Zeiten und nachfolgende Ausspülungen empfiehlt (Ib., pag. 86), finde ich in der mir zur Verfügung stehenden Literatur keine Angabe, dass das beschriebene Verfahren der Jodoformgazetamponade bei Gynatre- sieen vor mir von Andern angewandt worden ist, und glaube ich daher die Priorität dafür in Anspruch nehmen zu sollen.

Der übrige Theil der Nachbehandlung ist ein höchst einfacher. Die Kranke muss die erste Zeit ruhig im Bett zubringen ; das Abdomen wird durch einen comprimirenden Verband, oder besser, wie ich es im zweiten Falle gethan habe, durch einen aufgelegten Sandsack immobili- sirt ; sobald sie sich aus der Narkose erholt hat, lässt man sie eine mehr sitzende Lage im Bett einnehmen, um die Ableitung der Secrete zu er- leichtern. Gegen Unruhe und Schmerzen werden subcutane Morphin- in jectionen gegeben. Falls keine Temperatursteigerung vorhanden, so genügt es die tamponirende Gaze alle 3 4 Tage zu wechseln, wobei jedesmal eine Ausspülung mit schwacher antiseptischer Lösung ge- macht wird.

Der Meinung Hegar und Kaltenbachs, dass die Patientin durch eine 8tägige Opiumkur verstopft zu halten sei (s. Operative Gynäkologie, 2. Aufl., pag. 576) kann ich nicht beipflichten. Ich habe meinen Patientinnen am zweiten resp. dritten Tage Stuhlgang verschafft, wie ich dies neuer- dings auch bei einfachen Laparotomien thue, und habe keinen Nachtheil daraus resultiren sehen.

Ehe die Kranke die Erlaubniss erhält aufzustehen, wird eine mög- lichst genaue bimanuelle Untersuchung des Beckeninhaltes, wenn noth- wendig in Narkose vorgenommen. Sollte es sich dabei zeigen, dass die Tuben durch retinirtes Blut ausgedehnt sind und die Gefahr der Ruptur suggestiren, so ist dieser nach denselben Principien vorzubeugen, die uns bei einer auf anderer Grundlage zu Stande gekommenen Hämato-, Hydro- oder Pyosalpinx leiten, nämlich durch die Entfernung derselben per laparotomiam.

Zum Schluss ein paar Worte über den Zeitpunkt, wenn die Eröffnung der Gynatresieen mit Retention vorgenommen werden soll. Im Allge- meinen kann man wohl sagen, sobald als möglich, oder besser, sobald als der Zustand erkannt ist. Denn die Chancen für die völlige Wieder- herstellung der Patientin werden selbstverständlich durch unnöthiges Zuwarten nicht gebessert.

Leider werden diese pathologischen Zustände nicht immer früh

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genug erkannt. Junge Mädchen halten manchmal die unglaublichsten Schmerzen aus, ehe sie sich Jemanden anvertrauen ; und wenn die An- verwandten alsdann die Kranke dem Arzte, meistens zunächst dem Familienarzte zuführen, so wird häufig aus missverstandener Deli- catesse, wenn nicht aus sträflicher Indolenz, von einer physikalischen Untersuchung Abstand genommen, und werth volle Zeit mit dem Auf- schreiben von Eisenpräparaten oder gar Emmenagogis versäumt.

Die meisten Autoren rathen die Eröffnung in der Mitte zwischen zwei Menstruationsepochen vorzunehmen und wiclerrathen die Vor- nahme der Operation während derselben. Ich halte dies für nicht völlig begründet ; ausserdem lässt sich bei der gewöhnlich diese Zustände begleitenden Irregularität der Menstruationstermine dieser Zeitpunkt nicht immer bestimmen. Ich glaube daher, dass wir gegebenen Falles durchaus nicht anstehen sollen, die Eröffnung auch während der Men- struationszeit vorzunehmen und dadurch die Patientin mit einem Male von ihren erheblichen Beschwerden zu befreien.

Literatur.

Ausführliche Literaturangaben finden sich

a) Aelteren Datums :

1. Pitha und Billroth's Handbuch der allgemeinen und speciellen Chirurgie. Band VI, Abtheilung I, Abschnitt IX, No. 7. ,,Die Krankheiten der Vagina," von Prof. Dr. Breisky. Pag. 13.

2. Hegar und Kaltenbach, „Operative Gynäkologie," 2. Auflage, pag. 558.

b) Neueren Datums :

Las Casas dos Santos, „Missbildungen des Uterus." Zeitschrift f. Geburtshülfe und Gynäkologie. Band XIV, Heft I, pag. 140.

Ferner siehe :

R. Frommel's Jahresbericht über die Fortschritte auf dem Gebiete der Geburtshülfe und Gynäkologie. I. und II. Jahrgang (1887 und 1888.)

II.

Üeber angeborene beiderseitige Pleuroplegie (Abducens-)

und Facialislähmung. *)

Von

Dr. A. Schapringer,

New Yobe.

Beckie F. . . ., ein 83 ähriges Mädchen, wurde am 11. October 1889 von ihrer 14jährigen Schwester wegen Hustens, der besonders des Nachts quälend war, und ausgiebigen schleimig-eitrigen Auswurfs nach dem JEastern Dispensary in hiesiger Stadt gebracht. Sie wurde da in die Kinderabtheilung gewiesen, verirrte sich jedoch zufällig in den Warte- raum meiner eigenen, der Augenabtheilung. So kam es, dass sie mir zuerst unter die Hände gerieth, wobei mir der eigenthümliche Ausdruck ihres Gesichtes sofort auffiel und mich zu einer genauem Unter- suchung aufforderte, deren Ergebnisse hier mitgetheilt werden sollen. Herr Dr. H. Koplik, der Vorstand der Kinderabtheilung im genannten Dispen- sary, hat mir den Fall auf meinen Wunsch mit collegialer Liebenswürdig- keit überlassen, wofür ich ihm hier nochmals meinen besten Dank aus- spreche.

Die Erkrankung des Eespirations- tractes, wegen welcher die kleine Patientin eigentlich ärztliche Hülfe in Anspruch nahm, stand mit dem hier zu schildernden, höchst merkwürdigen Be- funde in so geringem Zusammenhange, dass ich von ihr hier ganz absehen und sie mit keinem Worte ferner erwähnen werde.

Das Mädchen ist von seinem Alter entsprechender Grösse, das Fett- polster nur wenig entwickelt. Es spricht englisch und deutsch, und der Grad seiner Intelligenz lässt nichts zu wünschen übrig. Das Kind ist jedoch widriger Familienverhältnisse halber noch nicht zum Schul- besuche gekommen und hat demgemäss auch noch nicht lesen gelernt. Auf der Strasse strauchelt und fällt Patientin verhältnissmässig häufig hin, doch erklärt sie ausdrücklich, dass dies in Folge einer Schwäche ihrer Beine geschehe und nicht etwa desshalb, weil sie entgegenstehende

*) Krankenvorstellung in der ,, Wissenschaftlichen Zusammenkunft Deut- scher Aerzte von New York" vom 25. October 1889, und in der Sitzung der "New York Neurological Society " vom 3. December 1889.

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Hindernisse nicht rechtzeitig bemerkte. Die Glabella ist vorgewölbt, sonst sind am knöchernen Schädel keine Abweichungen auffällig. Genaue Messungen sind nicht ausgeführt worden. Der Kopf wird ge- wöhnlich steif gerade gehalten.

Der Ausdruck des blassen Gesichtes ist ein starrer, maskenartiger, die Nasolabialfalte fehlt beiderseits. Es entstehen weder beim Lachen, noch beim Weinen auch nur die mindesten Falten und es ist mir selbst bei einer bestimmten Gelegenheit widerfahren, als sie plötzlich gewisse eigenthümliche, unarticulirte Laute nervo rstiess, dass ich sie besorgt fragte, warum sie denn weine, worauf mich die ältere Schwester auf- klärte, dass die Kleine lache, und nicht weine. Die Lippen können nicht geschlossen werden und Patientin substituirt desshalb beim Sprechen Lingual- für Labialconsonanten ; sie sagt z. B. „Tata" statt „Papa", „Nana" statt „Mama". Es geschieht aber diese Substitution in einer so unauffälligen Weise, dass man beim gewöhnlichen Gespräch kaum etwas davon merkt, wenn man seine Aufmerksamkeit nicht besonders auf diesen Punkt richtet. Die Muskeln, welche den rechten Mund- winkel nach aussen und nach unten ziehen, sind die einzigen mimischen Muskeln, deren Thätigkeit erhalten ist. Beim Sprechen ist die Ver- ziehung dieses Mundwinkels nach aussen und unten ganz besonders auffällig, doch ist dieselbe auch im Zustande der Kuhe immer bestimmt angedeutet.

Die Stirne kann weder in verticale noch in horizontale Falten gelegt werden. Die Höhe der offenen Lidspalte ist normal ; gewöhnlich sind beide Augen gleich weit geöffnet, manchmal jedoch hängt das eine obere ' Lid der einen, und zwar bald das der rechten und bald das der linken Seite, ein wenig mehr herab. Ueber Aufforderung können beide Lid- spalten ad maximum erweitert werden (Intactheit des Levator palpebrae superioris beiderseits). Ein vollkommener Schluss der Augenlider ist nicht möglich, doch nähern sich die Lidränder bei den betreffenden Ver- suchen bis auf eine ganz geringe Entfernung und diesem Verhalten der Lider ist es offenbar zuzuschreiben, dass die Augen vollkommen reizfrei geblieben sind. Es besteht beiderseits ausgesprochener Ejpicantlius, unter welcher Bezeichnung man seit v. Ammon eine abnorme, halb- mondförmige Hautfalte versteht, welche den innern Augenwinkel be- deckt. Die Carunkel und die Plica semilunaris ist beiderseits nur dürftig ausgebildet und man kann diese Gebilde gar nicht sehen, wenn man das Gesicht gerade von vorne betrachtet, sondern nur, wenn man etwas von der Seite her gegen den medialen Augenwinkel zu hitiblickt.

Beim gewöhnlichen Blick geradeaus stehen die Augen entweder parallel, o 1er aber, was häufiger der Fall ist, es weicht das rechte etwas nach oben und eine Spur nach aussen von der Mittelstellung ab.*) Bei späteren Vorstellungen fand sich gelegentlich, dass nicht das rechte, sondern das linke Auge etwas nach oben abwich. Die Höhenab-

*) In der Abbildung tritt die Höhenablenkung des rechten Auges übertrieben stark hervor.

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weichung ist also, im Gegensatze zu den in der Folge zu beschreibenden constanten Beweglichkeitsanomalien, eine unbeständige Erscheinung, welche, wenn vorhanden, abwechselnd das eine und das andere Auge, und zwar im gleichen Sinne betrifft. Es soll hier gleich vorweg bemerkt werden, dass der etwa vorhandene Höhenunterschied sich jedesmal aus- gleicht, wenn das Fixationsobject nahe zur Antlitzfläche gebracht wird.

Hält man einen Gegenstand in der Medianebene einige Fuss vor dem Kopfe der Pat. und fordert man sie auf, denselben zu fixiren, so thut sie es anstandslos. Sie folgt auch dem Gegenstande mit beiden Augen, wenn man denselben in der Medianebene hebt oder senkt, ebenso behält sie ihn binoculär flxirt, wenn er der Medianebene entlang ihr genähert wird, ja sie kann die binoculäre Fixation eines ihr dicht vor der Nase gehaltenen Fingers viel länger ohne Beschwerde ausführen, als dies unter normalen Verhältnissen möglich ist.

Hiermit sind aber auch alle Bewegungen, welche die Augäpfel aus- führen können, erschöpft. Es sind dies also die Aufwärtsrollung, die Abwärtsroll ung und die Convergenz. Bringt man das Gesichtsobject aus der Median- (Sagittal-) Ebene nach rechts oder links, so sagt das Kind, wenn es aufgefordert wird, dasselbe anzublicken, jedesmal : „Ich sehe es", die Sehachsen bleiben aber starr in der Mittellage und folgen dem Objecte weder nach rechts noch nach links. Dieses Verhalten ändert sich auch nicht, wenn man abwechselnd das eine und das andere Auge mit der Hand verdeckt. Verdeckt man z. B. das rechte Auge und bringt man den Gegenstand aus der Mittellage nach links, so folgt ihm das unbedeckt gelassene Unke Auge nicht (Ausfall der Wirkung des M. rectus externus), ebensowenig aber, wenn er < nach rechts bewegt wird (Ausfall der Wirkung des M. rectus in- ternus). Wir haben nun früher gesehen, dass die beiden Mm. recti interni sich willig contrahirten, wenn man an sie die Anforderung stellte, die Augen in Convergenzstellung für nahe Gegenstände zu bringen. Stellt man nun aber an einen derselben die Anforderung, sich mit M. rectus externus des andern Auges zu einer conjugirten Lateralwendung zu verbünden, so zeigt er sich störrig. Die beiden Mm. recti externi sind offenbar vollkommen gelähmt oder gar nicht vor- handen, da weder der rechte noch der linke Bulbus auf irgend welche Weise zum Abweichen temporalwärts von der Mittellinie veranlasst werden kann. Dagegen sind die innern geraden Augenmuskeln nur relativ gelähmt. Zum Convergenzgeschäft sind sie immer bereit, jedoch demjenigen Impulse gegenüber, welcher unter normalen Verhältnissen eine conjugirte Lateral Wendung der Bulbi nach rechts oder nach links auslöst, verhalten sie sich vollkommen ablehnend. Will das Mädchen einen seitlich von der Mittellinie gelegenen Gegenstand anblicken, so dreht es, statt der Augen, immer den ganzen Kopf. Während gewöhn- lich der Bereich des binoculären Blick- oder Fixationsfeldes (nicht zu verwechseln mit dem Gesichtsfelde) eine im geometrischen Sinne körperliche Ausdehnung mit drei Dimensionen besitzt, ist in dem vor- liegenden Falle das binoculäre Blickfeld zu einer sagittal gestellten

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Ebene zusammengeschrumpft, welche als solche nur zwei Dimensionen hat, eine verticale und eine sagittal-horizontale.

Mit dem Augenspiegel sieht man die Gefässe des Augenhinter- grundes, und zwar besonders die Venen, etwas stärker wellenförmig ge- schlängelt verlaufen als gewöhnlich. Sonst erscheint im Spiegelbefunde nichts Bemerkenswerthes.

Während das linke Auge im Wesentlichen emmetropisch gebaut ist und nur einen geringen Grad von Astigmatismus zeigt, findet man im rechten Auge eine Myopie von etwa 3 D. Dies ist das Auge, welches, wie früher angegeben, beim Blick in die Ferne häufiger etwas nach oben und aussen abweicht. Die Sehschärfe erwies sich nach den angestellten Prüfungen als nicht vollkommen, jedoch nahezu, normal. Um mir das Wohlwollen des Kindes nicht zu verscherzen, habe ich die etwas ermü- denden Prüfungen der Sehschärfe eigentlich nicht strenge zu Ende geführt. Das Gesichtsfeld beiderseits ist uneingeschränkt.

Die Pupillen verhalten sich sowohl was Grösse, als auch was Beweg- lichkeit betrifft, vollkommen normal.

Bei der ohne Mydriaticum angestellten ophthalmoscopischen Unter- suchung sind die Accommodationsanstrengungen der kleinen Patientin sehr störend, doch ist eben dieser Umstand ein Beweis für die intacte Wirksamkeit des Ciliarmuskels, welche Intactheit übrigens auch aus andern Umständen sicher erschlossen werden kann.

Es sei hier mit Rücksicht auf gewisse, von andern Beobachtern mit- getheilte, dem unsern analoge Fälle ausdrücklich erwähnt, dass kein Strabismus convergens besteht, auch keine Spur einer auf eine etwa stattgehabte Tenotomie oder Myotomie hindeutenden Narbe zu ent- decken ist, ferner dass beim Blicke nach unten keine abnorme Conver- genz der Augenachsen eintritt.

Die etwas welk aussehende Zunge weicht beim Vorstrecken um ein Geringes nach links von der Mittellinie ab. Die linke Hälfte der Zunge ist etwas schmäler als die rechte. Bewegungen werden wohl nach allen gewünschten Richtungen ausgeführt, aber nicht ganz mit der gehörigen Ergiebigkeit und Energie. Beim Essen ist die Kleine genöthigt, die Speisetheile mit dem Finger aus den Backen herauszuholen. Sie gibt an, dass sie harte Sachen, wie z. B. Brodkruste, nicht kauen kann. Wird ihr ein fester Gegenstand zwischen die Zahnreihen geschoben, so hält sie ihn über Aufforderung recht fest. Die seitliche Verschiebung des Unterkiefers kann sie nur nach rechts, nicht aber nach links aus- führen (Unthätigkeit des rechten M. pterygoidens externus, vom Trige- minus innervirt). Es besteht Uvula bifida.

Das Kind machte mich von selbst auf einen sonderbaren Befund innerhalb seiner Mundhöhle aufmerksam, auf welchen zu untersuchen ich sonst gewiss nicht verfallen wäre. Jenes strangförmige Gebilde nämlich, welches man fühlt, wenn man den Finger längs der Umschlags - falte der Wangenschleimhaut auf den obern Zahnfächerfortsatz von hinten nach vorn streichen lässt und welches einen von der Gegend der Fossa canina nach dem innern Mundwinkel derselben Seite gerichteten

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Verlauf besitzt (das „seitliche Frenulum" oder „Ligamentum caninum" der Zahnärzte) ist bei unserem Mädchem auf der rechten Seite enorm stark ausgebildet, während es auf der linken nur normale Stärke besitzt. Ueber die Deutung dieses Befundes vermag ich vorläufig nichts auszu- sagen, da es mir bis jetzt noch an Gelegenheit zu anatomischen Studien über diesen Gegenstand gemangelt hat.

Gehör, Geschmack und Geruch sind normal, ebenso die Sensibilität der Haut. Ich habe hier einzuschalten, dass ich mich bei der Unter- suchung des Falles der neurologischen Controlle und Unterstützung des Herrn Dr. George W. Jacoby zu erfreuen hatte, dem ich hierfür zu Dank verpflichtet bin. Die electrische Untersuchung konnte wegen grosser Aengstlichkeit des Kindes nicht zu Ende geführt werden.

Die Endphalanx des linken Zeigefingers steht nicht in der Richtung der verlängerten Achse der beiden anderen Phalangen, sondern bildet mit derselben einen nach dem Mittelfinger zu offenen stumpfen Winkel von etwa 150°. Das betreffende Interphalangealgelenk zeigt normale Beweglichkeit und es sind auch sonst keine Spuren einer etwa hier ab- gelaufenen Entzündnng zu finden. Dass dieser Zeigefinger von Geburt an krumm war, wird auch von der Umgebung zugestanden.

Am Thorax ist vorne eine auffällige Missbildung zu sehen. Das Sternum ist tief eingesunken und bildet so gleichsam ein längliches, senkrecht verlaufendes Thal inmitten von zwei, durch die vorderen Rippentheile gebildeten, stark vorspringenden Wülsten. Herr Dr. Abraham Jacobi, der auf meine Bitte die Güte hatte, speciell die letztere Missbildung genauer zu untersuchen, charakterisirte dieselbe als einen leichtern Grad derjenigen Hemmungsbildung, welche, stärker ausge- prägt, das in der Literatur als „Trichterbrust" bezeichnete Bild liefert,

Sonstige Stigmata, wie etwa schwimmhautähnliche Gebilde zwischen den Fingern oder Zehen, sind nicht vorhanden.

Die Eltern, aus Russland stammend, wo auch das Kind geboren ist, sind geschiedene Eheleute und wohnen in entfernten Orten, während das Kind mit seiner ältern Schwester in hiesiger Stadt bei seinem Oheim untergebracht ist. Die Eltern sind nicht blutsverwandt. Die schon Eingangs dieses Artikels erwähnte 14jährige Schwester ist körperlich wohlgebildet und sieht blühend aus. Ein vor dieser Schwester gebo- renes erstes Kind desselben Ehepaares ist im Alter von nur wenigen Monaten gestorben. Das uns hier beschäftigende Mädchen soll, nach Angabe der Verwandten, bei der Geburt, welche ohne instrumentellen Eingriff verlief, ausser dem früher beschriebenen krummen Zeigefinger, keinerlei Anomalien dargeboten haben und soll die Schiefheit des Mundes, in den Augen der Umgebung offenbar die wichtigste Ent- stellung, erst nach einem in früher Kindheit überstandenen Anfall von Convulsionen aufgetreten sein. Nach einer andern Version wäre eine, ebenfalls im frühesten Kindesalter erlittene Verletzung durch Fall auf den Kopf anzuschuldigen. Auf all diese Angaben ist offenbar gar kein Gewicht zu legen und es sind die beschriebenen Anomalien alle als an- geboren zu betrachten.

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Das Kind hat vor Jahren die „Pferdepocken" überstanden, wofür auch einige kuhpockenähnliche Narben im Gesichte sprechen.

Das Interessanteste an dem Falle sind zweifelsohne die Nerven- läsionen. Sie betreffen die motorische Partie des Trigeminus, den Hypo- glossus, den Facialis, am vollständigsten aber diejenigen Nervenbahnen, welche den conjugirten Seitenwendungen des Blickes vorstehen. Ich möchte mich hier bloss mit der letztern Anomalie eingehender be- schäftigen.

Es hat bisher an einer einfachen und prägnanten Bezeichnung des- jenigen Ausfallssymptoms gefehlt, welches in der Lähmung der conju- girten Seitenwendung beider Augen nach rechts oder links, oder aber auch, wie in unserem Falle, nach beiden Seiten hin, besteht und wobei die Convergenzfähigkeit nicht beeinträchtigt ist. Ich schlage dafür den neuen Ausdruck „Pleuroplegie" vor, von Pleuron „die Seite." Das Wort ist ähnlich gebildet wie „Pleurothotonus", womit bekanntlich ein Krampf des Rumpfes nach der Seite hin bezeichnet wird, wie er ge- J< 'gentlich bei Tetanus zu beobachten ist. Die Gründe, welche die Ein- führung einer derartigen Bezeichnung als zeitgemäss und für das Studium der Sache förderlich erscheinen lassen, werden sich im Verlaufe der Darstellung von selbst ergeben.

Die Pleuroplegie (oder „Ophthalmopleuroplegie", wenn der Name ganz genau sein soll) wird häutig bei Erkrankungen der Brücke, wie Neubildungen, Blutungen, arterio-thrombotischer Erweichung u. A., be- obachtet, und zwar gewöhnlich einseitig. Was diesem Symptome jeweilig zu Grunde liegt, darüber macht man sich ungefähr folgende Vorstellung, wobei man anatomisch Nachgewiesenes mit bloss physio- logisch Postulirtem vorläufig als gleichwerthig ansieht :

Angenommen, es bestehe linksseitige Pleuroplegie. Da die Conver- genz erhalten ist, so müssen folgende Gebilde anatomisch und func- tionell unbeeinträchtigt bestehen : 1. Die beiden Mm. recti interni ;

2. die Oculomotoriusäste, welche diese beiden Muskeln versorgen ;

3. die beiden Oculomotoriuskerne, oder eigentlich, da jeder Oculomo- toriuskern in eine Anzahl von Partialkernen zerfällt, welche seitlich vom Apuäductus Sylvii angeordnet sind und von welchen jeder mit einem besondern Augenmuskel in Beziehung steht, die beiden Internus- kerne ; 4. die beiden intracerebralen Bahnen, welche die Internuskerne mit dem Convergenzwillkürcentrum verbinden, welch letzteres man sich als cortical, unpaarig und in der Mittellinie gelegen vorstellt, und endlich 5. dieses corticale Convergenzcentrum selbst. Aufgehoben ist nach unserer Annahme die conjugirte Linkswendung beider Augen, welche vom äussern Geraden des linken und vom innern Geraden des rechten Baibus ausgeführt wird. Der Ausfall der Thätigkeit dieser beiden Muskeln ist nun für jeden einzelnen besonders zu analysiren. Die Lähmung des linken äussern Geraden ist eine absolute und es ist also folgende neuro-musculäre Kette von Gebilden als ausser Thätigkeit gesetzt zu betrachten : 1. der linke M. rectus externus ; 2. der ihn ver- sorgende linke Nervus abducens ; 3. der in der Brücke gelegene linke

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Abducenskern ; 4. die intracerebrale Bahn, welche diesen Kern mit dem vermuthlich in der Kinde der contralateralen (rechten) Gehirnhälfte ge- legenen Willkürcentrum für die Linkswendung beider Augen verbindet, und 5. das eben genannte Willkürcentrum selbst. Die Thätigkeit dieser ganzen Kette ist, wie gesagt, aufgehoben, doch welches Glied der Kette der Sitz der störenden Läsion ist, darauf werden wir erst im Verlaufe der Analyse der Functionsbeeinträchtigung des andern in Betracht kommenden Muskels, des rechten innern Geraden stossen.

Dieser Muskel ist nur relativ gelähmt, d. h. nur für die Aufgabe der con- jugirten Seitwärtswendung ; für den Zweck der Convergenz ist er voll- kommen arbeitstüchtig. Verfolgen wir nun die Kette, welche den rechten innern geraden Augenmuskel mit dem Willkürcentrum der associirten Linkswendung verknüpft, so wandeln wir da zu Anfang auf schon be- kannten Pfaden, denn die ersten Glieder dieser Kette sind : 1. der genannte Muskel selbst ; 2. der ihn innervirende Ast des rechten Oculomotorius und 3. der rechte Internuskern. Mit diesen drei Gebilden haben wir uns schon früher bei der Analyse der intact bestehenden Convergenz beschäftigt. Vom Internuskern an (wir sind beim rechten Internus- kern) trennen sich die Wege des Convergenzimpulses und des Impulses für die conjugirte Linkswendung. Es hat nämlich der rechte Internus- kern zwei Centraiverbindungen, von denen die eine, von uns schon besprochene, ihn mit dem Willkürcentrum der Convergenz verbindet, während die andere, welche uns jetzt beschäftigen soll, ihn mit dem Willkürcentrum der conjugirten Linkswendung in Verbindung setzt. Dieses Willkürcentrum haben wir oben in die Rinde der rechten Hemi- sphäre verlegt, also auf dieselbe Seite, auf welcher der Internuskern liegt, bei welchem wir im Verlaufe unserer Analyse angelangt sind. Die Verbindungsbahn zwischen dem rechten Internuskern und dem in der rechten Hemisphäre gelegenen Corticalcentrum der conjugirten Links- wendung ist aber keine gestreckt gerade, welche als solche ganz im Bereiche der rechten Hirnhälfte verlaufen würde, sondern sie macht einen schleifenförmigen Umweg durch das Gebiet der linken Hirnhälfte, und zwar ganz dicht am linken Abducenskern vorbei. Es ist dies der- selbe Abducenskern, den wir im Verlaufe unserer analytischen Wande- rung schon einmal berührt haben. So dicht streicht die Verbindungs- bahn an diesem Kern vorüber, dass eine Läsion des Kerns beinahe immer eine Läsion der Verbindungsbahn involvirt. Die Bahn der conjugirten Links Wendung ist also eine einheitliche soweit sie eine Centraibahn ist, nämlich von ihrem in der rechten Hemisphärenrinde gelegenen Ursprünge an bis in die Gegend des linken Abducenskerns ; hier aber spaltet sie sich in zwei Nuclearbahnen, von denen die eine direct in den Stamm des linken Nervus abducens übergeht, während die andere erst zum Internuskern der andern (rechten) Seite führt und von da aus erst in den betreffenden Oculomotoriusast einmündet. Wird die Centraibahn an irgend einer Stelle ihres Verlaufs lädirt, so ist links- seitige Pleuroplegie, d.h. absolute Lähmung des linken äussern Geraden mit relativer Lähmung des rechten innern Geraden die Folge. Dies

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gilt natürlich auch von Läsionen ihrer beiden Endstationen, des in der rechten Hemisphäre gelegenen Corticalcentrums einerseits, und des linken Abducenskerns oder eigentlich einer bestimmten in seiner nächsten Nachbarschaft gelegenen Stelle andererseits.

Was hier über, linksseitige Pleuroplegie gesagt ist, gilt mutatis mutandis auch von rechtsseitiger.

Dass der Ausdruck „Abducenslähmung" für den hier besprochenen Zustand unzulänglich und desshalb auch irreführend ist, liegt auf der Hand, und doch finden wir ihn in der Literatur dafür gebraucht. Ge- nauer ist wohl der Ausdruck „nucleare Abducenslähmung", doch eignet er sich auch nicht als Bezeichnung für das uns interessirende klinische Symptom als solches, da er eine topische Diagnose stellt, welche für eine Anzahl der Fälle wohl zutreffen mag, aber doch nicht für alle.

Die Ausdrücke "Deviation conjuguee" und " Paralysie conjuguee " erinnern daran, dass wir die grundlegenden klinischen Beobachtungen über dieses Krankheitszeichen einer Keine von französischen Forschern verdanken. Ich führe hier bloss die Entdeckungen von Achille Foville und Fereol an. Foville machte im Jahre 1858 zuerst die Beobachtung bekannt, dass bei einseitigen Brückenherden Lähmung der associirten Seitwärtswendung der Bulbi nach derjenigen Seite zu auftritt, auf welcher die Brückenläsion gelegen ist, während Fereol im Jahre 1873 zuerst auf das anscheinend paradoxe Verhalten des Kectus internus unter solchen Umständen aufmerksam machte, welcher Convergenz- bewegungen willig ausführen hilft, während er sich dem conjugirten Seitenbewegungsimpulse gegenüber ohnmächtig erweist. Beide Aus- drücke, „conjugirte Deviation" und „conjugirte Lähmung", sind auf Beweglichkeitsstörungen nach allen möglichen Richtungen hin anwend- bar und es muss jedesmal die ausdrückliche Bezeichnung der Richtung, ob nach oben, links u. s. w., durch besondere Worte hinzugefügt werden. Von allen conjugirten Paralysen ist die von uns sogenannte Pleuroplegie die am häufigsten vorkommende, am besten studirte und wegen der dabei so auffallend zu Tage tretenden Doppelwerthigkeit der Interni wohl auch die interessanteste.

Nicht jedesmal, wenn Pleuroplegie (oder Pleuroparese) besteht, ist sie auch durch augenfällige Deviation zu erkennen*), wie z. B. der folgende, kurz wiederzugebende Fall meiner eigenen Beobachtung beweist :

Ein etwa 4 Jahre altes Mädchen war die Treppe herunter auf den Kopf gefallen und wurde in das Eastern Dispensary gebracht. Herr Dr. W. W. Van Arsdale, dem es da vorgestellt wurde, forderte mich auf, das linke Ohr, aus welchem Blut geflossen war, zu untersuchen. Das

*) Hierauf machen auch Leichtenstern und Hunnius nachdrücklich auf- merksam. S. H. Hunnius, Zur Symptomatologie der Brücken erkrankun gen und über die conjugirte Deviation der Augen bei Hirnkrankheiten, S. 33. Das Studium dieses Werkchens mit dem in ihm enthaltenen, oft citirten Schema ist für Jeden unerlässlich, der sich mit unserem Gegenstande eingehender be- schäftigen will.

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Kind war zur Zeit der Vorstellung vollkommen bei Besinnung und ganz munter. An den Augen war weder von Seite der Umgebung, noch ärztlicherseits irgend etwas Auffälliges bemerkt worden, und ich verfiel darauf, die Beweglichkeit der Bulbi zu untersuchen, bloss durch den zu- fälligen Umstand veranlasst, dass ich kurz vorher einen Fall mit Augen- muskellähmung untersucht hatte. Das Kind folgte über Aufforderung dem vorgehaltenen Finger nur im Bereiche der linken Hälfte des Blick- feldes, nach rechts zu gingen beide Augen bloss um ein Geringes über die Mittellage hinaus und blieben an dieser Stelle mit nystagmusartigen Zuckungen stehen. Zwischen den einzelnen Augen war insofern ein Unterschied zu bemerken, als das linke die Mittellinie um ein Geringes weiter nach rechts zu überschreiten im Stande war, als das rechte. Ueber den Verlauf ist nichts zu melden, da die Eltern das Kind nicht wiederbrachten. Es handelte sich hier um rechtsseitige Pleuroparese.

Ist aber vollständige Pleuroplegie, z. B. nach rechts, vorhanden, so wird sie sich in Folge der Contraction der Antagonisten durch zu Tage liegende conjugirte Deviation nach links verrathen.

Es kann aber auch conjugirte Deviation ohne Pleuroplegie bestehen, dann nämlich, wenn die Deviation durch Krampf des conjugirten Mus- kelpaars entsteht, also ein Reizphänomen darstellt. Für den Fall, dass ein solcher Krampf die Seitwärtswender betrifft, könnte man ihn, unserer Terminologie conforni, mit dem Namen „Pleurospasmus" be- zeichnen.

Der Vollständigkeit halber mag hier noch erwähnt werden, dass der der Pleuroplegie entgegengesetzte Zustand, nämlich die Lähmung der Convergenzfähigkeit bei erhaltener conjugirter Seitwärtswendung, auch beobachtet und in der neuern Literatur mit zunehmender Aufmerksam- keit behandelt wird. Wer für dieses Symptom nun eine entsprechende kurze Bezeichnung haben will, dem wird mit dem Namen „Mesoplegie" gedient sein. Dass nicht alle Fälle von sogenannter musculärer Asthe- nopie hierunter zu subsumiren sind, darauf sei hier bloss im Vorüber- gehen hingewiesen.

In dem Eingangs geschilderten Falle sind die beiden Facialis - und die beiden Abducens- (oder pleurokinetischen) Kerne allem Anscheine nach als Opfer einer Bildungshemmung, in deren Bereich gewisse Antheile der Kerne des Trigeminus und des Hypoglossus auch einbezogen sind, gar nicht zur Entwicklung gekommen. Es ist dies wegen der engen Nachbarschaft dieser Kerne die nächstliegende Erklärung des vorliegenden Symptomencomplexes. Der unbeständige und bald das eine, bald das andere Auge betreffende Strabismus sursum vergens deutet aber darauf hin, dass es sich neben der, etwas absolut Abgeschlossenes darstellenden, Bildungshemmung auch noch um einen activen, fluctuirenden Vorgang handelt, über dessen Natur zu theoreti- siren man mir erlassen mag.

In der Literatur sind bisher erst vier Fälle verzeichnet, welche mit dem unsrigen in Parallele gebracht werden können. Es sind dies die Fälle von „angeborener doppelseitiger Abducensfacialislähmung" von

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Alfred Graefe, Halle*); G.C.Harlan, Philadelphia f) ; Julian Chisolm, Baltimore f) und P. J. Möbius, Leipzig §).

Von den fünf vorliegenden Fällen, welche sich in ihren Haupt- punkten gleichen, bietet aber auch nicht ein Einziger eine vollkommene Uebereinstimmung in allen Einzelheiten mit irgend einem der Uebi ig< n dar. Die Facialislähmung war im Graefe'schen Falle nur links voll- ständig, auf der rechten bestand bloss Parese. In den Fällen von Harlan, Chisolm und Möbius war das obere Facialisgebiet beiderseits vollständig gelähmt, unterhalb der beiden Mundwinkel jedoch war etwas Beweglichkeit, erhalten. In unserem Falle ist nur der rechte Mundwinkel beweglich, und zwar in ganz ausgeprägter Weise.

Was die Motilitätsstörung der Augen betrifft, so war in den beiden Fällen von Harlan und Chisolm congenitaler Strabismus convergens vorhanden. . Bei der Patientin Chisolm's war letzterer in frühester Kindheit durch Myotomie der Interni operirt worden, in Folge dessen die Augen zur Zeit der Untersuchung als Chisolm sie zuerst sah, war sie schon 35 Jahre alt parallel standen. Wie in den übrigen drei Fällen, so war auch bei Harlan und Chisolm der Abducens beiderseits vollständig gelähmt. Ob sich die verkürzten Interni auf Aecommoda- tionsimpulse anders verhalten hätten, als auf Seitenwendungsimpulse, darüber wird von diesen beiden Beobachtern keine besondere Angabe gemacht. Harlan sagt bloss, dass die Function sämmtlicher Bulbus- muskeln, mit Ausnahme der Recti externi, normal zu sein schien, und Chisolm, dass in seinem Falle die Seitenwendung nach beiden Richtungen hin vollkommen aufgehoben war, weil der Abducens beider- seits von Geburt aus gelähmt und die Action der Interni durch die Schieloperation aufgehoben war. Man vermisst bei dem letztern Fall eine besondere Angabe über das Verhalten bei Anforderungen an die Convergenz um so mehr, als Chisolm in der Lage war, eben dieser Pa- tientin wegen Hyperopie Convexgläser zum Gebrauche beim Nähen be- stimmen zu müssen. In den drei anderen, nämlich den von Graefe, Möbius und mir beobachteten Fällen war kein Strabismus convergens vorhanden.

Zwischen dem Graefe'schen und dem zu Anfang dieses Artikels ge- schilderten Falle herrscht eine merkwürdige Uebereinstimmung in Bezug auf den Unterschied der Refraction beider Augen, welche in

*) Graefe- Saemisch : Handbuch der Augenheilk., Bd. VI, pag. 60. —Ferner: Siebenter Periodischer Internat. Ophthalm.-Congre.ss, 1888, S. 30.

f) Transactions of the American Ophthalmological Society, 1881, pag. 216.

X) Archives of Ophthalmology, edited by Knapp and Schiceigger, Vol. XI, pag. 323, 1882. Deutsche Ausgabe desselben Archivs, Bd. XVII, Heft 4, pag. 414, 1887.

§) Münchener Medicinische Wochenschrift, 1888, No. 6, (7. Februar). Dieser sehr lehrreiche Artikel enthält ausgiebige Referate sowohl über die im engern als auch über die im weitern Sinne einschlägige Casuistik. Nur der Fall von Harlan ist Möbius unbekannt geblieben.

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beiden Fällen rechts myopisch und links emmetropisch war. Ferner ist ebenfalls in beiden Fällen ein geringer Höhenunterschied der beiden Bulbi notirt, nur dass im Graefe'schen Falle das linke Auge permanent etwas tiefer stand, während in dem unsrigen die Höhenabweichung nicht beständig manifest war, ausserdem, wenn sie sich bemerklich machte, es bald das eine, bald das andere Auge war, welches höher stand. Beim Fixiren eines nahe zur Antlitzfläche gehaltenen Gegenstandes wurde der Höhenunterschied, wenn er etwa früher vorhanden war, in unserem Falle immer wieder ausgeglichen.

Möbius beobachtete das Auftreten eines Höhenunterschieds in dem von ihm beschriebenen Falle bloss beim Blick nach unten. Die Excur- sionsfähigkeit der Bulbi war nach dieser Richtung hin beschränkt und es trat dabei immer Convergenz ein. Es mag hier ausdrücklich be- merkt werden, dass eine Beschränkung der Blickfähigkety nach unten in unserem Falle nicht zu constatiren war und dass bei dieser Blick- richtung eine übermässige, der Distanz des Fixirobjectes nicht adäquate Convergenz niemals eintrat.

Es liegt bisher in der Literatur noch kein einziger Sectionsbefund bei dem in Frage stehenden congenitalen Symptomencomplex vor. Für den Augenarzt mit eine der interessanten Fragen, deren Lösung aber nur durch Autopsie erlangt werden kann, ist die, warum in einer Reihe von Fällen, wie denen von Harlan und Chisolm, die Augen in conver- gente Schielstellung gerathen, während in einer anderen Reihe von Fällen die Bulbi in der Mittelstellung verharren.

Der Epicanthus, die vorspringende Glabella, die Uvula bifida, der krumme linke Zeigefinger und die abortive Trichterbrust sind unserem Falle eigentümliche Begleiterscheinungen, ebenso die Anomalien im Bereiche des Trigeminus und des Hypoglossus. Dagegen ist bei Möbius eine Schwimmhaut zwischen zwei Fingern der rechten Hand vermerkt.

Die erste Beobachtung von Lähmung der Seitwärtswender des Auges auf beiden Seiten rührt von Stellwag von Carion *) her, doch war hier die Lähmung nicht angeboren, sondern wurde erst im Verlaufe einer in den zwanziger Jahren aufgetretenen Struma exophthalmica bemerkt. Das Bild entsprach anfangs im Wesentlichen dem von Graefe, Möbius und mir wiedergegebenen Befunde : Beide Augenachsen standen parallel zu einander und zur Medianebene ; weder nach rechts, noch nach links hin war die geringste Drehung möglich. Dabei war das Convergenzvermögen durchaus nicht beschränkt. Das folgende Stadium aber entsprach dem Chisolm'schen und Harlan'schen Befunde : Beide Augen, besonders das linke, waren nach innen gerichtet. Wurde das Fixirobject aus der Medianebene nach rechts oder nach links gerückt, so folgte nur das gleichnamige Auge und stellte sich schliesslich parallel zur Medianebene, ohne diese jemals zu überschreiten, das andere Auge blieb in seiner stark adducirten Stellung. Wiederum später stand das

*) Ueber gewisse Innervationsstörungen bei der Basedow'schen Krankheit. Wiener Med. Jahrbücher, Bd. XVII, pag. 25, 1869. (Erster Fall. )

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rechte Auge ganz normal, das linke wich jedoch noch ein wenig nach innen ab. Es waren im Verlaufe der Krankheit anderweitige schwere Störungen, wie besonders asthmatische Anfälle und psychische Erregt- heit aufgetreten. Die Beweglichkeitsbeschränkung der Augen wurde stetig geringer und war beinahe vollkommen dem normalen Zustande gewichen, als die Patientin sich weiterer Beobachtung entzog.

III.

Bemerkungen zur traumatischen Hysterie.*)

Von

Dr. Geo. W. Jacoby,

New York.

Herr Präsident und meine Herren !

Es bedarf vielleicht einer Entschuldigung meinerseits, dass ich wiederum den Titel „Traumatische Hysterie" benutze ; und doch ist dies mit Vorbedacht geschehen, und wenn ich diesen Titel dem der trauma- tischen Neurosen vorzog, so hat das eine Begründung, welche für mich, wenn auch nicht für andere, genügend ist, und auf die ich später einzu- gehen gedenke. Als gut oder genau bezeichnend kann der Titel nicht gelten, wohl aber ist es derjenige, welcher bei dem heutigen Stand der Wissenschaft das Thema am besten erklärt. Ferner ist vielleicht dafür eine Entschuldigung nöthig, dass ich überhaupt ein Thema für den heutigen Vortrag gewählt habe, welches von den Neurologen, seit den StrümpeH'schen und Oppenheim'schen Schriften, für abgethan ange- sehen wird. Allein das Thema ist von so hohem practischen Interesse und Werthe, dass ich desshalb schon eine Entschuldigung verdiene, auch wenn ich nicht im Stande bin, Neues zu bringen.

Wie bekannt kommen nach Traumata, bei gewissen Individuen, Störungen des Nervensystems vor, welche durchaus nicht mit dem vor- angegangenen Trauma in Verbindung zu bringen sind ; sei es dass das Trauma verhältnissmässig zu gering war, oder dass dasselbe Störungen hervorgebracht hat, welche wegen Ausdehnung und Localisation offenbar mit der Verletzung nicht in causalem Connex stehen können.

Chirurgen insbesondere sehen häufig Fälle bei denen, nach einem leichten Schlag, oder nach stattgefundener Keduction einer Dislocation, sich eine Lähmung einstellt, welche nach sehr kurzer Zeit von selbst oder nach einigen Anwendungen des elektrischen Stromes wieder ver- geht — und diese Lähmung wird gewöhnlich irrthümlicherweise einer Nervenverletzung, zugeschrieben. Selbstverständlich muss man eine wirkliche Nervenverletzung wenn sie vorkommt nicht verkennen, aber das ist in allen Fällen, wie sogleich gezeigt werden wird, leicht.

*) Vortrag, gehalten in der Deutschen Medicinischen Gesellschaft von New York, am 2. December 1889.

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Biese Lähmung also, welche nach jeglicher leichten Verletzung auf- treten kann, ist entweder schlaff, oder mit Contractur verbunden, und erscheint in Form einer Mono-, Hemi- oder Paraplegie. Sie beschränkt sich immer auf die beschädigte Seite (Paraplegien sind selten), und wird in ihrer Entwicklung durch die Localisation des Traumas beeinflusst. So bekommt der eine Patient bei dem der Arm verletzt wurde eine Monoplegia brachialis, der andere in Folge einer Beinverletzung eine Monoplegia cruralis und bei dem dritten, welcher an einem Kopftrauma leidet, entwickelt sich eine Hemiplegie. Untersucht man die so be- fallenen Patienten näher, so entdeckt man verschiedene Nebenerschei- nungen, von denen sie gewöhnlich nichts wissen bis ihre Aufmerksam- keit darauf gelenkt worden ist.

Diese Erscheinungen sind :

1. Sensible Störungen, in welchen unregelmässige anästhetische Zonen oder Hemianästhesie bestehen und oberflächlich oder tief sind, die Haut allein oder Haut und Schleimhäute befallen und eine partielle oder totale Etnpflndangslähmung darstellen.

2. Sensorische Störungen, wie Verlust des Geschmack- und Gehör- sinnes auf derselben Seite, und gewisse Augenstörungen hauptsächlich bestehend aus Einengung des Gesichtsfeldes, besonders für gewisse Farben.

3. Veränderungen in den Keflexen ; Abolition des pharyngealen Re- flexes mit Anwesenheit, ja mit Erhöhung des Patellarsehnenreflexes.

4. Verlust des Muskelsinnes, mit normaler elektrischer Reaction der Muskeln.

Sonstige objective Befunde, besonders Veränderungen der inneren Organe fehlen.

Einen Fall, der als Paradigma dienen mag, so classisch ist er, stelle ich Ihnen nun vor. Dieser Fall ist noch besonders instructiv, weil die geringe Verletzung sowohl wie die darauf folgende Lähmung sich ganz und gar auf einen Körpertheil beschränkt, die Anästhese aber sich auf die ganze betroffene Seite vertheilt.

S. C, 20 Jahre alt, in Oesterreich geboren. Die Familiengeschichte ist unwichtig ; Eltern leben und sind gesund, 3 Brüder und 2 Schwestern auch am Leben und gesund. Die Patientin selbst war niemals krank. Sie ist seit 5 Jahren hier im Lande als Dienstmädchen thätig. Vor etwa einem Jahre entwickelten sich an der Streckseite des linken Vorderarms und an der Flexorseite desselben Oberarms einige kleine, mehr als Bohnen grosse Geschwülste. Während einiger Monate be- merkte sie das Eutstehen dieser Balggeschwülste und machte sich desswegen viel Sorge. Ein um Rath gefragter Chirurge empfahl die Extirpation. Patientin ging darauf ein, konnte aber den Gedanken der ihr bevorstehenden Operation nicht los werden. Vor 7 Monaten wurden die Geschwülste am Unter- und Oberarm extirpirt. Schon vor der Operation klagte sie über ziehende Schmerzen im Arm. Gleich nach vollzogener Operation konnte sie die Hand und den Arm nicht mehr gebrauchen. Patientin kommt zu mir wegen der Lähmung der Hand,

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sonst gibt sie an gesund zu sein. Untersucht man die Patientin, so findet man eine schlaffe, complete Lähmung aller Muskeln des linken Armes ; die Schultermuskeln sind nicht gelähmt. Die Muskeln sind nicht abgemagert, und reagiren gut gegen beide Stromesarten. Ferner stellt es sich heraus, dass die ganze linke Seite anästhetisch ist. Gegen Schmerz, Berührung und Temperatur ist die Patientin vollständig un- empfindlich. Die Anästhesie umfasst Arm, Bein, Bauch und Bücken, sowie auch Gesicht und Kopfhaut, und geht bis zur Mittellinie des Körpers, gegen welcher sie aber nicht so vollkommen ausgeprägt ist als anderwärts. Auch die Schleimhaut der Nase und die des Mundes und Kachens sind auf derselben Seite unempfindlich. Der Muskelsinn fehlt nur im gelähmten Arm. Geschmacksinn fehlt links vollständig. Geruchsinn ebenfalls. Untersuchung des Gehörsinnes erweist rechts eine vorhandene Luftleitung von 2| Fuss ; links beträgt dieselbe nur \ Zoll. Die Knochenleitung fehlt links vollständig, während sie rechts normal ist. Die Augenuntersuchung ist wegen dem psychischen Verhalten der Kranken schwer gründlich auszuführen. Jedenfalls be- stellt keine auffallende Störung. Die oberflächlichen Reflexe, wie Sohlen-, Bauch- und Pharyngealreflexe fehlen auf der linken Seite ; Patellarsehnenreflexe sind beiderseitig vorhanden, ja vielleicht erhöht.

Psychisch macht die Kranke auch einen entschieden abnormen Eindruck. Sie ist ängstlich und unstät ; melancholisch, verstimmt und lässt sich durch nichts erheitern. Sind nun alle oder fast alle Symptome vorhanden wie in diesem Falle, so wird die Diagnose auf Hysterie nicht schwer fallen, und ich glaube, dass keiner sich gegen die Bezeichnung- traumatische Hysterie in dem Charcot'schen Sinne, als für solche Fälle passend, sträuben wird. Selbst Strümpell erkennt hier die Richtigkeit dieses Namens an.

Charcot sieht nämlich das Trauma einfach als Gelegenheitsursache, zur Entwickelung der Hysterie an, und ertheilt dem Trauma nur eine untergeordnetere Stellung zu. Er betrachtet den durch das Trauma hervorgebrachten psychischen Eindruck, und nicht das Trauma selbst, als die maassgebende Ursache. Es ist die Einbildung, die Idee, eine Art Autosuggestion, welche die Störung hervorbringt.

Er wurde durch seine Untersuchungen im Gebiete des Hypnotismus zu dieser Erklärung geführt, und es ist und bleibt merkwürdig, dass man bei einem hypnotisirbaren Individuum im Stande ist genau den- selben Symptomencomplex hervorzubringen, wie er sich bei obiger Pa- tienten nach der Operation entwickelt hat. Wo wir aber Charcot nicht mehr folgen können, wo er jedenfalls zu weit geht, ist wenn er den psychischen Zustand nach solchen Traumata mit dem hypnotischen Zustand auf gleicher Basis stellt. Vergleichen lassen sie sich wohl, aber analog sind sie sicherlich nicht.

Auffallend ist noch in diesen Fällen sowie auch bei unserer Patientin, dass eine Vorgeschichte von Hysterie nicht existirt ; das betroffene Indi- viduum ist auch gewöhnlich zur Entwickelung von Nervenkrankheiten beanlagt, braucht aber nicht nothwendigerweise schon hysterisch ge- wesen zu sein.

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Es gibt eben in der Welt sehr viele solch' schlecht beanlagter Indi- viduen, welche einfach um so zu sagen eine Gelegenheit suchen, um hysterisch zu werden. Irgend ein Vorwand ist dazu gut. Bei dem Eiuen wird diese gesuchte Gelegenheit in einem moralischen bei dem Anderen in dem körperlichen Insult, gefunden.

Es ist ganz und gar überflüssig sonstige derartige Fälle hier anzu- führen, da der eine doch immer wie der andere ist. Ich kann aber nicht umhin folgenden Fall von Dana zu erwähnen, weil er so klar und deutlich die untergeordnete Eolle des Trauma und den mächtigen Ein- fluss der Psyche hervorhebt. Der Fall ist kurz wie folgt : (C. L. Dana. Electrical Injuries, N. Y. Medical Kecord, pag. 477, 1889).

Ein Mann im Alter von 50 Jahren, sah wie ein Italiener mittelst eines elektrischen Drahtes um das Leben kam. Zwei Wochen später als er auf die Strasse ging, fiel ein elektrischer Leitungsdraht, welcher soeben durchschnitten worden war, und schlug gegen seinen Kopf. Er um- fasste den Draht mit seiner Hand, und fiel hin. Er gab an, dass er von dieser Zeit an nichts wusste, bis er sich einige Stunden darnach im Hos- pital fand. Zu dieser Zeit hatte er eine Hemiplegie, verbunden mit Hemianästhesie, einschliesslich des Geruch- und Geschmackssinnes. Es bestand ferner Einengung des Gesichtsfeldes und Beschränkung des Gehörfeldes, pharyngeale Anästhesie und alle Stigmata einer typischen Hysterie. Der Draht, von welchem er betroffen worden war, war ein „todter", das heisst, führte keinen Strom, und der Insult war ein so leichter, dass er nicht Mal eine Contusion verursachte. In Beziehung zu diesem Falle ist es noch vom diagnostischen Standpunkte aus wichtig, zu bemerken, dass sich die Lähmung bei der traumatischen, hyste- rischen Hemiplegie, immer auf der von dem Trauma befallenen Seite, befindet.

Nicht so einfach aber wie hier angeführt, steht die Sache bei einer anderen Art Fälle, solcher Fälle nämlich, wo eine schwere Verletzung, welche den Kopf, die Wirbelsäule oder den ganzen Körper betroffen hat, vorausgegangen ist. Hier handelt es sich um Fälle, welche neben allen oder einigen der oben angeführten Erscheinungen auch schwere psy- chische Veränderungen zeigen. Es sind das die Fälle, welche zuerst 1868 von Erichsen mit dem Namen " Kailway Spine " und später von Walton, Putmann, Moeli und Anderen mit " Kailway Brain " bezeichnet wurden, und jetzt durch die Arbeiten, speciell von Thomsen und Oppen- heim als traumatische Neurosen bekannt geworden sind. Auch hier kann man aber nicht umhin den Namen Charcot obenan zu setzen, denn ohne seine einleitenden Arbeiten, wäre die schöne und klarsehende Monographie von Oppenheim, über „Traumatische Neurosen", 1889, nie geschrieben worden.

Es liegt weit ausserhalb meiner Absicht mich hier auf einer näheren Beschreibung dieser schon all zu oft beschriebenen Fälle einzulassen ; ich wollte bloss eine Andeutung derjenigen Symptome geben, auf welchen die Benennung „Allgemeine traumatische Neurose", beruht.

Diese Symptome sind : Verstimmung, Willensschwäche, Gedächt-

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nissschwäche, Energielosigkeit und Schlaflosigkeit. Die Patienten be- finden sich in einem beständigen Zustand von ängstlicher Aufregung, sind leicht gerührt und weinerlich. Alle ihre Ideeen kehren immer wieder und wieder zu dem vorangegangenen Unglück zurück. Ausser- dem beklagen sie sich über leichte Ermüdbarkeit, allgemeine Schmerzen, etc.

In einigen Fällen treten die psychischen, in anderen die physischen Symptome in den Vordergrund ; überhaupt gibt es ein Gemisch dieser Symptome, welches in den verschiedenen Fällen sehr variirt. Dieser Symptomencornplex, welcher hier als diagnostisch maassgebend dient, ist aber genau dasselbe, welches wir ohne vorangegangenem Trauma, als Neurasthenie gewohnt sind aufzufassen. Zwei Bilder gibt es unter den allgemeinen Neurosen, welche uns, durch Jahre lange Arbeit vieler Kliniker bekannt und präcisirt worden sind. Es sind diese die Hysterie und die Neurasthenie. Mögen diese Bezeichnungen so schlecht sein wie sie wollen, wir verstehen doch heutzutage etwas Bestimmtes unter beiden Namen. Diese Bezeichnungen sind lange nicht mehr so dehnbar wie früher. Die Symptome beider sind classificirt worden und jedes bietet ein bestimmtes pathologisches Ganzes dar. Das Entstehen dieser Krankheiten wird, wie bei allen anderen Krankheiten, durch bestimmte Gesetze regulirt ; verstehen wir sodann diese Gesetze nicht, oder ziehen wir aus ihnen falsche Schlussfolgerungen, so liegt das lediglich an uns, und nicht an der Unrichtigkeit der regulirenden Gesetze. Warum also sollen wir diese Arbeit der Classification wieder vernichten und den unbestimmten Namen der traumatischen Neurose einführen, wo man doch bei geringer Aufmerksamkeit fast immer im Stande sein wird die auf Traumata folgende Neurose entweder als eine Hysterie oder als eine Neurasthenie zu diagnosticiren.

Für die reinen Fälle von traumatischer Hysterie wird ja auch von dem Namen „traumatische Neurose", Abstand genommen ; warum also nicht auch für die zweite Classe derjenigen wo die neurasthenischen Symp- tome allein vorhanden sind oder überwiegen ? Es liegt dies wohl ledig- lich an der schnellen Entwickelung der Symptome. Das schnelle oder plötzliche Entstehen einer Neurasthenie hat immer noch für die meisten etwas Befremdendes ; und doch sollte dem nicht so sein. Fälle, wie Averbeck sie beschrieben hat sind von. Jedem bekannt. Ueberhaupt ist diese kleine Schrift von Averbeck die „Acute Neurasthenie," eine der schönsten, wenn auch unbeachtetsten Leistungen über Neurasthenie die ich kenne, und er sagt darin ganz richtig : „Die acute Neurasthenie ent- steht wohl bei kleinen Veranlassungen, nie aber wegen kleiner Ursachen; sie ist in der Mehrzahl der Fälle nur die Katastrophe in einer Tragödie", und weiter : „Die plötzlich eingetretene Erschöpfung der vitalen Energie des centralen Nervensystems kann sich sowohl über einzelne Gebilde als auch über das ganze Centrainervensystem erstrecken." So liegt auch meines Erachtens die Sache für die „allgemeine traumatische Neurose" ; das physische Trauma ist wiederum nur Nebensache, und das psychische Trauma, der Schreck, die Aufregung, und später das

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Denken und Trachten über Gegenwart und Zukunft, bietet den wahren causalen Moment. In vielen Fällen existirt schon vor dem Trauma eine abnorm veränderte Psyche. Der treffendste Beweis, dass es sich hier auch lediglich um den psychischen Insult handelt und nicht um den körperlichen, wird durch folgenden Fall von Bruno Schaefer (Berli- ner Klinische Wochenschrift, pag. 936, 1889), geliefert :

Ein Locomotivführer bemerkte plötzlich, als er auf eine Curve fahr, in sehr kurzer Entfernung die Laterne eines an der Station stehenden Zuges. Der Dampf ward sofort abgesperrt, die Bremse angezogen, und durch Gegendampf gelang es den von ihm ge- führten Zug dicht am stillstehenden Zuge zu halten und einen Zusammenstoss zu vermeiden. Die Aufregung war eine gewaltige, der Schreck ein furchtbarer, und die Schwere der Verantwortung für den mit Menschen besetzten Zug war ihm völlig bewusst. Es stellte sich sogleich ein heftiges Zittern in den Beinen ein. Mit grosser Anstrengung konnte er seinen Dienst noch 5 Tage lang ver- sehen, und dann entwickelten sich allmälig die verschiedenen Symptome, welche Kunde einer vollständigen Zerrüttung gaben. Der Ernährungs- zustand ist schlecht, der Gang mühsam, Sprache schwerfällig ; Hände sowie herausgestreckte Zunge, zittern ; Puls beschleunigt, Beflexe in geringem Grade erhöht. Der Patient ist äusserst reizbar, und me- lancholisch, weint viel, hat hochgradige Angstzustände, Schwindel- anfälle und Kopfschmerzen. Gedächtniss schlecht, Schlaf gestört und von angstvollen Träumen begleitet. Die Hautsensibilität ist am ganzen Körper stark herabgesetzt. Die Beine scheinen ihm bis zum Kuie wie abgestorben und gelähmt und häufig klagt er über ein Kältegefühl in denselben.

Kann man ein klareres Bild der Neurasthenie verlangen wie dieses? Aber nur wenige Fälle bieten allein neurasthenische Symptome. Den meisten sind, wie gesagt, noch Symptome beigefügt, wie sie bei der localen traumatischen Hysterie vorkommen, und das sind sodann ein- fach Combinationsfälle von Neurasthenie und Hysterie.

Dass es diese Combination zweier functionellen Erkrankungen, und nichts anders ist, welche wir in Folge von Traumata so häufig sehen, würde weit besser gewürdigt werden, wenn überhaupt alle Neurasthe- niker auf sensorische Erscheinungen untersucht würden. Ich selbst bin schon seit einigen Jahren zur festen Ueberzeuguug gekommen, dass viele Neurastheniker, seien sie es aus irgend welcher Ursache, auch sensorische Störungen wie wir sie bei der Hysterie finden, zeigen. Dieses sind dann Combinationsfälle von Neurasthenie und Hysterie. Ein solcher Fall wird von Mathieu (Progres Medical, Bd. II, pag. 59, 1888), beschrieben, und in einer bezüglich dieses selben Falles ge- haltenen Vorlesung sagt Charcot : u Voilä un malade qui est ä la fois neurasthenique et hysterique, et je tiens beaucoup a vous mettre en presence de ce cas, car vous entendrez certains auteurs dire que les neurastheniques ont un retrecissement du champ visuel et de l'anaes- thesie. Eh bien ! je n'en crois rien, et quand des malades presentent ce

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re*trecissement du champ visuel, c'est quils sont tout ä la fois hysterique*s et neurastheniques ; mais les deux maladies sont en general dans une complete independance l'une de l'autre, bien qu'elles soient combiuees."

So habe ich auch oft bemerkt, dass nach Traumata ein Symptomen- complex der Neurasthenie oder der Hysterie allein, oder eine Misch - form der beiden, in den mannigfaltigsten Combinationen der Symptome, vorkommen kann ; und sowie eine Lähmung das prägnante Symptom vorstellen kann und andere Symptome gesucht werden müssen, so kann auch irgend welche andere Erscheinung die auffallende sein.

Diesbezüglich möchte ich als von hohem practischen Interesse fol- genden Fall kurz, skizziren. Ein Mann, Führer eines Bierwagens, lässt sich mit anderen Berufsgenosstm in einen Streit ein. Es entsteht eine allgemeine Keilerei, bei welcher der Patient von einem Stein oberhalb der Nasenwurzel getroffen wird. Die Wunde ist eine sehr oberflächliche, und ausser dem momentanen Schmerz empfand der Patient nichts. Am nächsten Morgen aber, als Patient, der beiläufig erwähnt immer gesund und kräftig war, zur Arbeit gehen will bemerkt er, dass er schlecht sieht und als er jedes Auge für sich probirt zeigt es sich, dass er auf dem rechten Auge blind ist und mit dem linken auch nicht so gut sieht wie früher. Ein consultirter Ophthalmolog constatirt am rechten Auge vollständige Amaurose, und am linken Herabsetzung der Sehkraft mit (und das ist das Wichtige) Einengung des Gesichtsfeldes und Farben- blindheit für einzelne Farben.

Der Augenhintergrund beider Augen war normal. Als ich den Pa- tienten am folgenden Tage sah, zeigte die Untersuchung eine gut ausge- prägte Anästhesie für alle Sinne, Gefühl, Gehör und Geruch auf der rechten, der amaurotischen Seite. Patient wurde nach 14 Tagen unter einer nihilistischen Behandlung gesund. Solche Fälle sind nicht neu, und wurden ähnliche von Charcot, Parinaud und anderen beschrieben.

Wie die Fälle der traumatischen Hysterie im strengen Sinne zu er- klären sind, kann ich Ihnen nicht sagen, denn die allgemein ange- nommene Erklärung, dass es sich um einen Verlust der Erinnerungs- bilder handelt, ist nicht befriedigend. Dass die Erinnerungsbilder für die Bewegung, das heisst die Bewegungsinnervation, verloren sein kann, ist ja verständlich, aber dass auch die sensorische Lähmung so zu erklären ist, ist nicht klar. Was über die Therapie und Prognose bei allen diesen Fällen noch zu sagen wäre, kann ich in einen Satz zusam- menfassen, sie sind die der Hysterie und Neurasthenie selbst.

IV

Das massig verengte Becken und seine Behandlung in der Hospital- und Privatpraxis.*)

Von

Dr. C. A. Von Kamdohr.

Prof. der Getmrtshülfe am New York Post-Graduate Med. School and Hospital, etc.

Wenn auch das enge Becken in den Vereinigten Staaten gewiss sel- tener gefunden wird wie in Europa, wenn auch weder Osteomalaeie eine amerikanische, noch Kachitis eine häufige Kinderkrankheit ist, wenn auch in diesem Lande kaum 200 Kaiserschnitte referirt sind, so gibt es doch, obgleich wir das bessere geburtshülfliche Becken der eingeborenen Amerikanerinnen und einen kleineren Procentsatz als 14 20, wie z. B. in Deutschland, zugestehen, genügend eingeborene und eingewanderte Frauen mit engen Becken, um die Bedeutung derselben für die Geburts- hülfe auch hier voll anzuerkennen und jeden Beitrag zur Kenntniss desselben mit Interesse zu begrüssen.

Der Grad der Beckenenge gibt uns eine leicht durchführbare Ein- theilung ; nämlich solche Becken, bei denen die Extraction des Foetus per Vias naturales möglich, oder solche, wo sie unmöglich ist. Die zweite (die absolute) Beckenenge wollen wir gleich von unseren Betrach- tungen ausschhessen. Viel wichtiger sind für uns die relativen Becken- engen, welche häufig leider nicht erkannt, deren Behandlung nicht autoritativ geregelt ist, und welche jährlich so manchen Müttern und Kindern das Leben kosten. Denn Beckenenge, wenn auch zur rechten Zeit diaguosticirt und nach richtiger Indication behandelt, ist eine gefährliche Complication. Die Mortalität der Mütter in Folge von sep- tischen Erkrankungen ist doppelt so gross, wie gewöhnlich ; % aller Kinder werden todtgeboren ; Schieflagerungen des Kindes werden hier vervierfacht. Häugebauch, schlechte Wehen und schlechter Geburrs- mechanismus ziehen unwiderruflich für die Mutter eine lang dauernde Geburt, Insulte in Folge von Druck oder Operation, Prädisposition für Nachblutung, für das Kind dagegen Vorfall der Arme oder Nabel- schnur und Verletzungen bei eventueller Extraction nach sich. Merk- würdigerweise ist die Behandlung der Geburt bei engem Becken durchaus noch nicht geregelt. Während die Franzosen, z. B., früher und auch heute noch mit ihren Axenzugzangen der Extraction des nicht eingestellten Kopfes das Wort reden, verlässt sich die moderne Geburtshülfe heutzutage hauptsächlich auf den besser beweg-

*) Vortrag, gehalten vor der New York Obstetrical Society.

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liehen und sich besser adaptirenden nachfolgenden Kopf um die not- wendige Extraction zu ermöglichen. Sehr viel kommt auf die manuelle Geschicklichkeit und die früher geübte Technik des Operateurs an, und die Resultate scheinen sich dann ziemlich gleich zu bleiben. Jemand, der mit den Axenzugzangen von Tarnier, Breuss oder Poullet nicht ver- traut ist, wird unter Umständen bedeutend bessere Erfolge der raschen Extraction nach Smellie-Veit zuzuschreiben haben, und umgekehrt werden die Resultate der geübten Zangenoperateure im gegebenen Falle manuellen Extractionen durchaus nicht nachstehen.

Leiter von geburtshülflichen Anstalten werden die eine oder andere Methode mit gleich gutem Erfolge für ihre Patientinnen anwenden und anwenden lassen. Ihre Statistik muss und wird die Methode vindiciren und der Kritik Stand halten müssen.

Aber leider hat nicht jeder Arzt, sondern nur eine minimale Anzahl das Glück in einer Anstalt als Experte Geburten leiten zu dürfen, doch muss sich der allgemeine Practiker nach ihren Hospitalsmethoden richten. Diese Experten schätzen nicht bloss, sondern sie messen bei- nahe die Conjugata ; den Querdurchmesser nach Skut?scher Methode, differenziren und finden atypische Formen des Beckens, dirigiren bei Wendung den Hinterkopf nach der Seite, wo das räumliche Missver- hältniss am wenigsten ist, haben Assistenz zur Kopfexpression, stellen relative Indicationen zum Kaiserschnitt und sind im Stande, zwischen moderner Section, einem Porro- oder Gastroelytrotomie zu wählen.

Die allerbesten Assistenten und Wärterinnen, völlig in A- und Anti- sepsis geschult, ein volles Armamentarium, mit dem sie vertraut sind, stehen zu ihrer Verfügung, Anästhesie ist leicht anzuwenden und schliesslich sind die Patientinnen nicht äusserlichen schädigenden Einflüssen unterworfen, sondern stehen unter voller Controlle des Operateurs.

Wie ganz anders hat der allgemeine Practiker zu kämpfen. In seinem Handbuch llndet er dem Nägeli'schen oder Robert'schen Becken (die er niemals sieht) gewöhnlich eine so grosse Seitenzahl gegeben als dem platten oder rhachitisch-plattem Becken, das er aus Mangel an Uebung nicht richtig diagnosticiren kann. Ich habe in den letzten Jahren Hunderte von Practikern, nicht bloss im Post- Graduate Hospital, sondern hier in dieser Metropole in der Privatpraxis gesehen, sonst intelligente Herren, aber meistens aus Mangel an Er- fahrung vollständig im Argen mit der Diagnose des engen Beckens. Jedoch wir wollen annehmen die Diagnose sei gemacht, und selbst in- dicirte Behandlung versucht. Nun fehlen die Instrumente oder die Uebung in deren Gebrauch, es fehlt die notwendigste Reinlichkeit, Assistenz oder Wartung, der Familieneinfluss, der Dollar- und Cent- einfluss macht sich geltend und so wird das Urtheil des Ungeübten getrübt, der Erfolg des Geübten in Frage gestillt. Abgesehen von sehr engen Becken (durch die z. B. die Hand nicht oder kaum dringen kann) wird zugegeben, dass Schädellagen spontan mit bestem Procentsatz verlaufen. Daher soll der Practiker warten lernen bis Mutter oder

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Kind seiner Hülfe bedürfeD. Vorbedachtes Warten ist viel besser und schwieriger als unbedachtes Eingreifen. Irgend welcher opera- tive Eingriff verschlimmert die Prognose, wie viel mehr, wenn in einem Privathause der zweifelhaften Asepsis mangelhafte Diagnose und Technik zur Seite steht. Die prophylactische Wendung ist nur einem geübten Operateur unter exceptionellen Umständen im Privathause zu gestatten. Diese zu frühen Eingriffe veranlassen die meisten Consulta- tionen. Wir wollen annehmen, der Kopf stellt sich nicht prompt ein flugs wird ohne Indication oder Diagnose des engen Beckens die Zange angelegt und gleitet ab. Manchmal habe ich unter den Umtänden gewendet und extrahirt, noch häufiger den Fall mit bestem Erfolge der Natur überlassen. In der Privatpraxis ist es genügend, die Conjugata bis auf 2 Zoll abzuschätzen, aber dies ist absolut nothwendig. Andere als platte Becken sind so selten, dass sie hier zu Lande dem Practiker keine Unruhe zu bereiten brauchen. Aber eben diese leicht verengten sind sehr häufig und verdienen die allgemeinste Aufmerksamkeit. Viel mehr Beachtung sollte der äusseren Untersuchung geschenkt werden, weil bei engem Becken zumal die Behandlung z. B. der Geburt bei lebendem oder todtem Foetus sehr von einander abweicht ; wir alle wissen, dass eine Kraniotomie einem atrypischen Forceps, was die Mutter anbetrifft, absolut vorzuziehen ist.

Ist der Practiker von dem häufigen Vorkommen und den Gefahren des engen Beckens überzeugt, so wird er schon in der Anamnese auf vorhergegangene schwere Entbindungen, Rhachitis im Kindesalter, Lähmungen oder Krankheiten der unteren Extremitäten fahnden. Er wird sodann durch äusserlichen Befund sehr abnorme Becken oder Schlechtlagerung des lebendigen oder todten Kindes constatiren, aber sein Hauptaugenmerk wird er auf eine innerliche Untersuchung richten. Kann man das Promontorium mit dem Mittelfinger nicht erreichen, so darf man dj'eist behaupten, dass kein enges Becken ex&stirt, kann der Zeigefinger dasselbe leicht erreichen, so muss man immer enges Becken annehmen; daran zu denken ist auch, wenn beim Beginn der Wehen der Schädel noch nicht im Becken steht, oder bei irgend welcher unre- gelmässigen Lagerung des Kindes. Eine der werthvollsten Methoden ist, nachdem Conjugata diagonalis gemessen und Conjugata vera abge- schätzt die Einführung der ganzen Hand, welche auch speciell dem Un- geübten das einzige Mittel zur Abschätzung des Querdurchmessers giebt. Kann die Hand nicht durch das Becken gelangen, so ist im Allgemeinen der Kaiserschnitt ein nicht fernliegender Gedanke. Kann von Aussen der Kopf in das Becken gedrückt werden, so wird das viel dazu bei- tragen optimistisch zu prognosticiren, wenn wir den Fall der Natur überlassen. Wird vor der Entbindung ein Becken von 3" Conjugata diagnosticirt oder sind bei einem etwas grösseren sämmtliche vorher- gehende Kinder todt geboren, so dass grosse Kinder oder die Enge daran Schuld waren, wird die künstliche Frühgeburt einzuleiten oder die Grösse des Kindes durch die Hungermethode von Prochownick zu beeinflussen sein.

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Finden wir nun bei mässiger Beckenenge eine Schädellage beim Ein- tritt der Wehen, finden wir Matter und Kind gesund, so warte man zu- mal in Privatpraxis auf die Erweiterung des Os und hüte sich die Eihäute zu früh zu rupturiren, vielleicht durch zu häufige Unter- suchung; sollte das Unglück aber beim Anfang der Geburt passiren, so muss das Fruchtwasser durch horizontale Lagerung und Colpeurynter möglichst zurückgehalten werden. Liegt irgend ein anderer Kindstheil vor oder prolabirt die Nabelschnur oder der Arm, leidet die Mutter an Eclampsie oder sonst, so ist Wendung womöglich auf beide Füsse um besser Zug ausüben zu können mit sofortiger Extraction indicirt. Andernfalls warten wir bis die Wehen den Kopf modeUirt und in das Becken gequetscltt haben. Sehr kräftige, schmerzhafte Wehen sind absolut dazu erforderlich und solange das Kindesherz nicht um ungefähr 40 Schläge von vorhergegangener Frequenz differirt, die Temperatur und Herzthätigkeit der Mutter normal bleibt, besteht keine Indication zum Eingriff. Der Abgang von Meconium (ausser in Beckenendlagen), plötz- liche Abnahme der prallen Kopfgeschwulst beim Kind, Physometra, stinkender Ausfluss und colossales Oedem der Vulva bei der Mutter er- fordern ausserdem unsern Eingriff. Bei nicht eingestelltem Kopf ist Wendung und Extraction bei platten Becken immer vorzuziehen ; wird aber ein leicht, allgemein verengtes Becken gefunden, so darf man einen intelligenten Zangenversuch machen, gelingt das nicht, so gibt Craniotomie auch des lebenden Kindes die beste Chance zur Kettung der Mutter. Bei sehr lang dauernder Geburt oder nach Untersuchung durch mehrere Hände, tritt die prophylactische Scheidenausspritzung in ihre vollen Rechte. Niemals lasse man sich in der Privatpraxis von subjectiven Symptomen oder gar der Umgebung beeinflussen.

Lassen Sie uns nun noch für einen Augenblick die HauptdifTerenzen der Hospital- und Privatpraxis in ein paar Worten zusammenfassen. In der Gebäranstalt wird strictissime diagnosticirt und das Becken genau gemessen, dann wird der nothwendige Eingriff zum Besten des „Falles" gewählt und unbeschadet seiner Schwierigkeit lege artis aus- geführt. In der Privatpraxis ist wegen Abwesenheit der Messinstru- mente nur eine Beckenschätzung möglich, wegen Mangel an Assistenz oder Instrumenten sind gegebenen Falls gewisse Operationen gar nicht auszuführen. Alle Eingriffe sind gefährlicher, theils wegen grösserer Unreinlichkeit, theils wegen späterer, schlechter Wartung, theils wegen Abwesenheit der Instrumente, theils wegen Nichtvertrautsein mit den- selben. Niemals wird auch der gewissenhafteste Geburtshelfer sich dem Einflüsse der Umgebung oder dem seiner Patientin im Privathause vollständig entziehen können. Noch ein grosser durchschlagender Un- terschied : Während heutzutage in Anstalten relative Indication zum Kaiserschnitt gestellt und dieser mit gutem Erfolg ausgeführt werden kann, behält zumal in der Privatpraxis Craniotomie auch des lebenden Kindes ihren anerkannten Platz. Conservativste Methoden, Eingriff nur wenn strikteste Indication vorhanden, sind für die Privatpraxis die dankbarsten. 105 Seventh Street.

MEDICINISCHE MONATSSCHRIFT

Organ für pi actische Aerzte in Nord-Amerika.

Redigirt von

Dr. A. SEIBERT.

Zum Abschluss.

Es geziemt nicht allein dem einzelnen Menschen sondern unter Anderem auch einem medicinischen Fachblatt am Schlüsse des Jahres, am Ende des Bandes und namentlich des ersten Bandes, den Lesern und Freunden, den lesenden Nichtfreunden und endlich sich selbst, strenge Bechenschaft abzulegen über Thun und Treiben in der Vergangenheit. Die „Medicinische Monatsschrift" ist ein amerikanisches medicinisches Journal das in deutscher Sprache erscheint. In dem „Unsere Berech- tigung" betitelten Artikel der ersten Nummer, gaben wir die Gründe an, welche uns bewogen ein solches Blatt zu erhalten.

Fragen wir nun ob sich unsere Voraussetzungen erfüllt haben, so können wir mit einem freudigen „Ja" antworten. Die Begründung dieser Antwort aber ruht auf folgenden Thatsachen :

1. Die medicinische Fachpresse Amerikas hat durch sehr deutliche Anzeichen im Laufe der letzten 8 Monate gezeigt, dass sie die Berechti- gung und theils sogar die Notwendigkeit eines Journals, wie es die ,, Medicinische Monatsschrift" ist, anerkannt. Das verdanken wir na- mentlich dem Fleiss, der Ausdauer und der Gewissenhaftigkeit der Herren Mitarbeiter und Referenten. Die amerikanische medicinische Literatur hat durch die vielen und sorgfältig ausgewählten, regelmässig und frühzeitig erschienenen Referate in unserem Blatt zuerst eine ihrer würdige Vertretung und Auerkennungsmöglichkeit in der deutschen Medicin gefunden. Früher war das anders. Es dauerte 1 3 Jahre bis ein Referat über eine amerikanische Arbeit erschien und wenn, dann oft in verstümmelter Form. Die sorgfältige Auswahl der referirten Ar- beiten von Specialisten, die grosse Anzahl der Referate und die ehrliche Wiedergabe der wichtigen Punkte, konnte nur durch ein deutsch-ameri- kanisches Fachblatt geschehen. Der durch die Arbeit unserer Refe- renten den amerikanischen medicinischen Schriften und Schriftstellern erwachsene Vortheil ist gross, die dem deutschen Wissenschaftler dadurch ersprossene Erleichterung in der Sammlung und Auswahl in der amerikanischen Literatur so auffallend, dass es eben nur des that- sächlichen Beweises bedurfte, um es allen Interessirten klar zu machen. Andererseits haben die Referate aus der deutschen medicinischen Lite- ratur nicht allein den Abonnenten genützt, sondern auch die schnelle Verbreitung und Einverleibung der deutschen medicinischen For-

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Sehlingen und ihrer Resultate, namentlich in die amerikanische Fach- presse für allgemeine Medicin, in hohem Grade befördert, wie wir das beim Durchsehen der Journale constatiren konnten.

Desshalb gebührt den Herren Referenten und officiellen Mitarbeitern der herzliche Dank Derjenigen, welche aus ihrer mühseligen Arbeit Nutzen zogen, und der des Editors, weil ihre Hülfe und Unterstützung und ihr Urtheil es waren, welche es allein möglich machten, dass dieses Blatt gegründet und erhalten wurde.

2. Maassgebende medicinische Journale haben unser Unternehmen erst wachsam geprüft und dann später, ohne Ausnahme, wohlwollend und anerkennend beurtheilt ("The New York Medical Journal", „Deutsche Med. Wochenschrift", „Münchener Med. Wochenschrift", „Wiener Med. Presse", „St. Petersburger Med. Wochenschrift", „Würtemberg. Correspondenzblatt", „Sächsisches Correspondenzblatt" und andere). In anderen Blättern fanden wir manche Uebersetzungen und Auszüge, ohne dass die „M. M.'4 Credit dafür bekam und fassten wir das als „practische" Anerkennung auf.

3. Die Originalarbeiten und Beiträge aus der Praxis, welche im Laufe des Jahres erschienen, haben wohl bewiesen, dass die deutsch-amerika- nischen Practiker strebsam und leistungsfähig sind. Vergleiche anzu- stellen wäre müssig, zu scheuen brauchen wir sie nicht. Man wolle bei der Kritik nur bedenken, dass unsere Autoren alle sammt und sonders eben nur Practiker sind, welche im Kampf um's Dasein alle mehr oder minder schwer zu ringen haben, ehe sie sich den Luxus gestatten dürfen, in mitternächtlicher Stunde ihre Beobachtungen und Erfah- rungen zum Wohle Anderer niederzuschreiben. Staatlich angestellte und besoldete Wissenschaftler und Forscher, welche keinerlei Nahrungs- borgen haben, gibt es hier nicht, und desshalb sollte das, was hier ge- leistet wird, doppelt hoch anerkannt werden. Der practische Arzt ist der wissenschaftliche Forscher hier.

4. Die Zahl der Abonnenten hat eine sehr stattliche Ziffer erreicht und hat unser Reisender, Herr Carl Kahler, wirklich überraschende Er- folge erzielt. Es documentirt das das Bedürfniss eines solchen Blattes bei den deutsch-amerikanischen Collegen, andererseits aber auch die Werthschätzung der bisherigen Leistungen der Autoren und Re- ferenten.

5. Die Anzeigen in unserem Blatt haben sich erfreulich gemehrt und bezeugen das Vertrauen der Geschäftsleute in unser Unternehmen. Die Abonnenten sind daher gebeten, diese Firmen bei ihren Einkäufen zu berücksichtigen.

Dieser Fortschritt hat die Verleger veranlasst den Preis des Blattes von $2.50 auf S3.00 für den Jahrgang zu erhöhen, ein Schritt, der unsere volle Billigung hat und voraussichtlich die aller Abonnenten. Es wäre doch kaum denkbar, dass nicht jeder Leser aus einer Nummer allein mehr als für $3.00 wissenswerthes Neues herauslesen könnte, d. h. wenn er wollte. Wem das nicht gelang, der hat das Blatt durchblättert, aber nicht gelesen.

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Soweit unsere Leser und Freunde. Die Zahl der lesenden Nicht- freunde der „Med. Monatsschrift" unter den Collegen ist nicht gross, ja sogar kaum nennenswerth und beruht ihre angebliche oder thatsächliche Abneigung wohl oft auf der Thatsache, dass unser Journal ihnen auch ohne Bezahlung zugänglich ist. Gelesen wird es doch von diesen Collegen, wohl gar recht genau, denn worauf könnten sie sonst ihre ausgeklügelten Kritiken basiren. Ein vor circa 2 Jahren eingewan- derter College abonnirte nicht, weil er sich mit den Ansichten der Kedac- tion über amerikanische medicinische Verhältnisse nicht einverstanden erklären konnte. Auch er konnte doch unsere Ansichten nur durch die Leetüre der „Monatsschrift" kennen. Es wäre auch ungerecht, von ihm zu verlangen, dass er nach so kurzem Aufenthalt und ungenügender Kenntniss der englischen Sprache ebenso viel Erfahrung gesammelt hätte als der Editor, der seit 25 Jahren in diesem Lande heimathsbe- rechtigt ist. 'Die Uebereinstimmung des Collegen wurde ja auch nicht verlangt, sondern nur sein Abonnement.

Und das bringt uns zum Schluss auf den editoriellen Theil des Blattes. Hier war die Kritik sehr verschieden. An fachmännischer Anerkennung fehlte es nicht, an absprechender Beurtheilnng auch nicht. Das wussten wir im Voraus. Wer die Verantwortung kennt, weiss, dass man als Editor entweder die Waltrlteit, und zwar die ganze Wahrheit und so ivie sie ist, sagen, oder das Kedigiren ganz aufstecken muss. Einen „goldenen" Mittelweg gibt es da nicht.

Wir haben die Wahrheit gesagt, ohne Rücksicht und ohne Partei- nahme und wir werden sie ferner sagen, so lange wir den Posten be- kleiden und so lange es selbst unseren strengsten Kritikern nicht mög- lich ist zu beweisen, dass das, was wir als Wahrheit gaben, Unwahr- heit war. Die Hoffnung, dass die deutsch-amerikanischen Aerzte als Collegen uns in diesem Thun thatkräftig unterstützen werden, zeigt die Meinung und das Vertrauen, die wir in die moralisch-gesunde Denkkraft derselben hegen. Manches wurde nicht so gethan wie es sein sollte, verbessert hätte Manches sein können, aber von dem, was unter unserem Namen in dem Editoriellen erschien, nehmen wir (ausser den Druckfehlern) keinen Buchstaben zurück. Die freie Sprache ge- ziemt dem Amerikaner, so lange die Grenzen des guten Tons nicht verletzt werden.

Mit einem „Fröhliche Weihnachten" und „Prosit Neujahr" em- pfiehlt sich

Die Kedaction.

AUS DEK PEAXIS. I.

Mittlieiluiigen aus der pädiatrischen Praxis.*)

Von

Dr. A. CaillC, New York.

I.

Membranöse Laryngotracheitis bei einem Mädchen von zwölf Jahren. Tracheotomie. Genesung.

Im Juli 1889 wurde ich aufgefordert, in einem Falle von Larynx- stenose zu intubiren. Ich fand die Patientin, ein Mädchen von 12 Jahren, aufrecht im Bette sitzend, mit mässiger Dyspnoe behaftet, und etwas cyanotisch , der Puls war beschleunigt, Temp. 100° F. Die Haut war blass und kühl. Die Submaxillardrüsen waren beiderseits zu fühlen. Im Nasen- und Kachenraum war keine Membran sichtbar, die Schleim- haut des Rachens war ungewöhnlich blass, die Sprache des Kindes war heiser und es hustete in kurzen Zwischenräumen croupig. Die Palpation mit dem Zeigefinger zeigte eine steife verdickte Epiglottis und eine deutliche Verflachung des trichterförmigen Aditus ad laryngem.

Anamnestisch wurde eruirt, dass das Mädchen seit zehn Wochen mit chronischer Laryngitis behaftet gewesen, dass im Hause der Eltern sich zwei Fälle von Diphtheritis ereignet hatten und dass das Kind, um Com- plicationen zu vermeiden, in eine andere Wohnung transportirt worden war. Die Auscultation erwies die fast totale Abwesenheit des Athmungs- geräusches der linken Lunge. Während der Inspiration war ein eigen - thümliches Klappengeräusch vernehmbar, welches den Eindruck machte, als rühre es von einer theilweise abgelösten Membran her. Ueber der rechten Lunge war das Athmungsgeräusch deutlich, auch waren einige Rhonchi zu hören. Eine Untersuchung mittelst des Kehlkopfspiegels wurde versucht, blieb jedoch wegen der Dyspnoe resultatlos.

Als Ergebniss dieser Untersuchung bestätigte ich die Diagnose des behandelnden Collegen, welcher den Fall als membranösen Croup auf- gefasst hatte, der freilich in diesem Alter sehr selten ist. Ein operativer Eingriff wurde vorläufig aufgeschoben weil eine hochgradige Athem- noth nicht bestand und weil ältere Kinder öfter ohne Operation bei ge- eigneter — speciell mercurieller Behandlung genesen. Es wurden

*) Erscheint auch in den. "Archivesof Pediatrics," Nov., Dec. und Januar.

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halbstündlich minimale Dosen von Quecksilberbichlorid in wässriger Lösung mit einem Zusatz von Vinum Ipecacuanhae verordnet und ein continuirlicher Spray von Eucalyptol und Terpentin im Gange gehalten.

Am folgenden Morgen um 6 Uhr trat ein Stickanfall auf, während dessen eine Membran expectorirt wurde, welche die Dicke von Lösch- papier besass, etwa 3 Zoll lang und einen halben Zoll breit war, und einerseits eine glatte, andererseits eine blutige Fläche präsentirte. Nach dem Auswurf dieser Membran war die Athmung frei, die Patientin fühlte sich wohl und verlangte Nahrung.

Um die Mittagsstunde desselben Tages wurde die Stenose hoch- gradig, so dass ich um 3 Uhr die Tracheotomie behufs Erleichterung dieses Symptoms vornahm.

Die Schilddrüse war in diesem Falle recht gross und ungewöhnlich hoch gelagert. Der Hautschnitt wurde desswegen verlängert und die Trachea unterhalb der Schilddrüse geöffnet um möglichst weiten Zu- gang zur Luftröhre zu erlangen. Nach Eröffnung der Luftröhre prä- sentirten sich massige Membranen, welche, soweit sie erreichbar waren, entfernt wurden. Nach Einlegung der Trachealcanüle war die Athmung gänzlich unbehindert.

Am folgenden Tage zeigte Patientin eine Temperatur von 102°, 103° und 104°, welcher fieberhafte Zustand eine Woche lang anhielt. Wäh- rend dieser Zeit wurde manchmal massenhaft expectorirt und öfters sistirte die Expectoration gänzlich. Ein continuirlicher Spray zeigte sich absolut nothwendig für das Erhalten einer comfortablen Athmung und zwar wurde von dem intelligenten Mädchen, welches seinen eigenen Zustand gut beobachtete, ein Salzwasserspray allem Anderen vorge- zogen. Schwere und anhaltende Stickanfälle traten auch jetzt noch öfter auf, verursacht durch massige Membranfetzen oder durch einge- dickten Schleim in der untern Luftröhre. Diese Anfälle Hessen sich nur durch directes Einträufeln von Salzwasser in die Trachea heben. Ein halber Theelöffelvoll einer sehwach lauwarmen Salzlösung wurde alle 15 Minuten in die Luftröhre gegossen, bis mit dem Aushusten einer Membran die Athmung frei wurde.

Im Laufe der Behandlung war es dreimal nöthig, die Canüle zu ent- fernen, um grossen und derben Membranfetzen den Ausgang zu ge- statten. Nach Verlauf von 8 Tagen wurde die Temperatur normal, der Auswurf flüssig und blutig tingirt, die Athmung frei. Ueber beiden Lungen war feuchtes Rasseln hörbar. Am zehnten Tage stieg die Tem- peratur auf 103° F. und es entwickelte sich für die nächsten 8 Tage eine eitrige Bronchitis. Die Canüle wurde am 14. Tage entfernt, worauf sich die grosse Oeffnung in der Trachea ohne Zwischenfall schloss. Die Pat. erholte sich vollkommen, ihre Stimme blieb jedoch noch eine Zeit lang heiser.

Am Schlüsse dieses Berichtes möchte ich erwähnen, dass meine eigene Erfahrung sich auf 65 Fälle erstreckt, in denen wregen Laryngo- stenose operativ eingeschritten wurde. Das höchste Alter der operirten Kinder war 7 Jahre und der oben beschriebene Fall der erste meiner

649

Beobachtung, in welchem die membranöse Stenose im Alter von 12 Jahren vorkam.

Was die Wahl zwischen den beiden Operationsmethoden, der Intu- bation und der Tracheotomie betrifft, so habe ich in dem hier bespro- chenen Falle die letztere gewählt, in der Meinung, es dürfte bei voraus- sichtlich dicker Auskleidung der untern Trachea mit Membranen die Aussicht auf Genesung mittelst Tracheotomie eine bessere sein, als durch Intubation, eine Voraussetzung, welche durch den Ausgang ge- rechtfertigt wurde.

II.

Vorfalldes Mastdarms, verursacht durch die Anwesen- heit eines grossen Blasensteins bei einem 3, jäh- rigen Kinde. Epicystotomie. Genesung.

Mary wurde mir im Deutschen Dispensary im November 1888

vorgestellt mit folgenden Angaben der Mutter : Der Voi fall des Darmes bestand seit etwa einem Jahre. Zugleich schien das Kind beim Harn- lassen Schmerzen zu leiden. Im Laufe dieser Zeit wurde sie in fast allen Dispensaries und Kliniken dieser Stadt als höchst hartnäckiger Fall von Mastdartnvorfall vorgestellt und demgemäss auf verschiedene Weise, aber immer ohne Erfolg behandelt.

Bei der Untersuchung fand ich das Kind anämisch und im Aussehen kachectisch, ausserdem bestand Durchfall und ein ausgedehnter Bron- chialcatarrh. Der Mastdarm war etwa zwei Zoll prolabirt. Im Laufe der Untersuchung jedoch, gegen welche sich das Kind heftig sträubte, kam der Darm volle 7 Zoll zum Vorschein und präsentirte eine blutige Schleimhaut. Während der Untersuchung stellte sich Harnzwang ein ; der dabei entleerte Urin wurde aufgefangen und enthielt laut einer Untersuchung Eiter und Blasenepithel (Cystitis). DerSphincter ani war derart relaxirt, dass drei Finger ohne Anstrengung eingeführt werden konnten.

Die Pat. wurde nun narcotisirt, genau untersucht und dabei ein grosser Blasenstein, welcher frei beweglieh in der Harnblase lag, ent- deckt. Die Entfernung des Steins mittelst hohen Blasenschnitts wurde wegen der Grösse des Steins und der leichten Zugänglichkeit zur Blase bei dieser Operationsmethode beschlossen.

Nach Reinigung der Blase mittelst warmer Borsalicyllösung und An- legung des Hautschnittes wurde das Kind in die Trendelenburg'sche Lage gebracht, mit tiefliegendem Kopf und erhöhtem Becken behufs Vermeidung des Peritonäums. Die Aufblähung des Rectums war in diesem Falle unnöthig, da zwei Finger einer assistirenden Hand voll- kommen genügten, um den Stein und die Blase über die Symphyse zu drängen. Nach dem Einschneiden der Blase wurde der grosse Stein mit einiger Schwierigkeit entfernt, wobei eine mässige Laceration des Schnittrandes der Blase nicht vermieden werden konnte. Ungeachtet dieser Quetschung der Theile wurde die Blase vernäht und somit der

65Ö

Versuch einer Prima intentio gemacht. Die Tamponade der trichter- förmigen Wunde mit Jodoformgaze und der usuelle antiseptische Ver- band beendeten die Operation.

Am dritten Tage nach derselben registrirte das Thermometer auf kurze Zeit 102°. Im Uebrigen war die Temperatur sowie der Wund- heilungsprocess in jeder Beziehung normal. Am vierten Tage zeigte sich in der Naht ein Auseinandeweichen in geringer Ausdehnung, aber schon am Ende der dritten Woche war die Heilung vollendet und die secer- nirende Wunde geschlossen.

Während der Reconvalescenz zeigte sich der Mastdarmvorfall ein einziges Mal und kam später nie mehr zum Vorschein.

Der entfernte Stein hatte die doppelte Grösse eines Taubeneies und wog 20 Gramm. Seine Anwesenheit in der Blase des Kindes war die directe Ursache des Mastdarmvorfalls in Folge des heftigen und con- tinuirlichen Pressens und erzielte seine Entfernung ohne Weiteres eine Restitutio ad integrum des Rectums.

III.

Zwei Fälle von choreatischen Kopfbewegungen mit Nystagmus bei rhachitischen Kindern.

Unter dem Namen Spasmus nutans, Nictitation spastica u. s. \v., werden von verschiedenen Autoren Fälle von klonischem Krampf einer Muskelgruppe berichtet, welche durch den Nervus accessorius innervirt werden, speciell der Sterno cleido mastoideus und der Cucullaris, ferner aber auch der Rectus capitis, welch letzterer durch einen Ast des Plexus cervicalis superior versorgt wird. Diese Muskelunruhe kann einseitig oder doppelseitig sein und erlischt im Schlafe. Die Aetiologie dieser Erkrankung ist dunkel. In hartnäckigen, langdauernden Fällen ist die Prognose ungünstig. Die Behandlung besteht in der Entfernung des schuldtragenden Reflexreizes, wenn ein solcher nachgewiesen werden kann. Eine kurze Beschreibung dieses Symptomencomplexes findet sich in den bekannten Lehrbüchern über Nervenkrankheiten und Kinder- krankheiten, ferner in den Mittheilungen von Newham, Henoch, Eberth, Fournier, Demme und Anderen. (S. Eulenburg's Realencyclopädie, Bd. XII. Artikel Spasmus nutans.

Da die von mir beobachteten Fälle, Erscheinungen zeigten, welche noch nicht beschrieben worden sind, so berichte ich sie hiermit.

I. Fall. Der erste Fall betraf ein Kind von 11 Monaten, bei welchem die choreatischen Bewegungen des Kopfes zuerst von seiner Mutter beobachtet wurden, nachdem das Kind einmal von seinem hohen Stuhl auf den Kopf gefallen war. Die Unruhe der oben erwähnten Muskel- gruppe erschöpfte das Kind in hohem Grade, so dass es Nahrung ver- weigerte und zusehends abnahm. Eine genaue Untersuchung consta- tirte eine deutliche rhachitische Entwickelung und die Anwesenheit eines horizontalen Nystagmus. Die von competenter Seite vorge-

651

nommene Untersuchung (A. Schapringer, Carl Koller und Edw. Friden- berg) ergab ausser dem Nystagmus einen normalen Augenbefund. Es wurde ferner beobachtet, dass der Nystagmus und die choreatischen Bewegungen aufhörten, wenn man die Aufmerksamkeit des Kindes auf einen glänzenden Körper lenkte, der in der seitlichen oder obern Rich- tung gehalten wurde. Es ist fernerhin mit Sicherheit constatirt worden, dass die Kopfbewegungen nicht direct einer Muskelschwäche zuzu- schreiben waren, im Gegentheil schien es, als ob das Kind die Bewe- gungen mit dem Kopf ausführte, um den Nystagmus gleichsam zu com- pensiren. Die Anlegung einer Augenbinde lag nahe. Und in der That hörten die choreatischen Bewegungen des Kopfes auf, sobald die Augen verbunden waren. Wurde jedoch die Binde so angelegt, dass noch etwas Licht die Augen traf, so stellten sich die Bewegungen wieder ein. Diese Thatsache wurde von einer Anzahl von Collegen mit Sicherheit constatirt. Unter diesen Umständen wurde eine permanente Augen- binde als therapeutische Maassregel angeordnet. Diese Binde wurde öfters zum Zweck der Reinigung des Kindes entfernt, sonst aber immer getragen. Das Kind wurde in die frische Luft geschickt, erhielt täglich ein Salzbad mit nachfolgender Massage des ganzen Körpers, die Diät wurde regulirt und ein Phosphorpräparat innerlich verabreicht.

Nach dreimonatlicher gewissenhafter Befolgung dieser Verordnungen war das Kind gesund, hatte an Körperfülle zugenommen, und der Nystagmus sowie die choreatischen Kopfbewegungen waren ver- schwunden.

In den IL Fall trat das oben beschriebene Muskelphänomen nach einem Anfall von Masern auf. Bei der Vorstellung des einjährigen Kindes war noch Conjunctivitis vorhanden. Der Nystagmus war ein verticaler. Die Kopfbewegungen, die Behandlung und die dadurch er- zielte Sistirung der Muskelunruhe waren genau wie im ersten Fall.

Die hier wiedergegebenen Beobachtungen berechtigen zur Annahme, dass die localisirten klonischen Muskelkrämpfe entweder compensato- risch zum Nystagmus sich verhielten oder als Reflexerscheinungen auf- zufassen sind, in Folge eines Lichtreizes derjenigen Gebilde, welche die Perception heller Gegenstände vermitteln. Mit Rücksicht auf die wohl- constatirte Thatsache, dass der Muskelkrampf aufhörte, sobald eine totale Verdunkelung des Auges stattfand, scheint mir keine andere Erklärung am Platze.

Ein Fall von schwerer Peritonsillitis mit seeundärer

Hämorraghie.

Von

Dr. J. W. Gleitsmann,

New Yobk.

Bekanntlich wird bei Peritonsillitis weniger die Tonsille selbst, als das zwischen ihr und dem weichen Gaumen liegende Bindegewebe ent- zündlich afQcirt und endet die Mehrzahl der Fälle mit Abscedirung.

Der zu beschreibende Fall ist einerseits wegen der Heftigkeit der entzündlichen Erscheinungen, als auch noch mehr wegen der während des Verlaufes eintretenden, heftigen Blutungen interessant.

Der Patient, ein kräftiger, junger Mann von 24 Jahren hatte früher schon oft an Tonsillaraffectionen gelitten, und erkrankte von Neuem am 4. October dieses Jahres. Da seine Beschwerden immer heftiger wurden suchte er nach 5 Tagen ärztliche Hülfe. Die Inspection des Rachens, die wegen der fast absoluten Unmöglichkeit des Patienten den Mund zu öffnen, auf grosse Schwierigkeiten stiess, zeigte an der rechten Seite eine beträchtliche Geschwulst, die bis über die Mittellinie ragte. Die Uvula war in Folge dessen nach links gedrängt und bei näherer Untersuchung ergab sich, dass die betreffende Geschwulst lediglich aus dem vorderen Gaumenbogen bestand, welcher auch die rechte Tonsille noch um ein beträchtliches überragte. Uvula und Gaumenbogen waren stark ötdematös infiltrirt und wenn der letztere mit einem stumpfen Haken bei Seite geschoben wrurde, bot die alsdann sichtbare Tonsille keine pathalogischen Veränderungen dar.

Die ungewöhnliche Vorwärtsschiebung des vorderen Gaumenbogens gegen die Mittellinie w7urde schon damals nicht der augenblicklichen Erkrankung zugesehrieben, sondern als ein permanenter Zustand in Folge der früheren wiederholten Erkrankungen betrachtet eine An- nahme, die sich durch die Position des Gaumenbogens nach Ablauf der Krankheit als richtig erwies.

Wie zu erwarten waren die Beschwerden des Patienten sehr be- trächtlich, da ihm Nahrungsaufnahme fast unmöglich war, er mehrere Nächte nicht geschlafen hatte und ständig von heftigen Schmerzen ge- quält war. Ein augenblicklicher Eingriff zur Erleichterung war dringend geboten und da Eiterbildung bereits zu erwarten war, wTar von Incision das beste Resultat zu hoffen. In der Regel wird empfohlen, die Incision in solchen Fällen von der Mitte aus durch die Tonsille nach Aussen zu in den Eiterheerd zu machen. Ich habe jedoch schon in vielen Fällen die Eröffnung eines peritonsillitischen Abscesses nicht von der Mitte aus durch die Tonsille, sondern an der Seitenwand des Halses durch einen Schnitt in den weichen Gaumen gemacht. Die Einwendung gegen

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dieses Verfahren, dass es irrationell ist, den Gaumenbogen zu incidiren, ferner, dass bei solchen Incisionen, später klaffende Oeffnungen zurück- bleiben, hat die practische Erfahrung nicht bestätigt. Wenn die Vor- sicht gebraucht, wird die Incision durch den Gaumenbogen vertical, wo- möglich mit leichter Convexität nach Aussen, zu machen, wird, wie ich immer bisher beobachtet habe nach Ablauf der Krankheit eine voll- ständige Vereinigung stattfinden. In diesem Falle blieb auch kein anderer Weg wohl übrig, da bei der schmalen Mundspalte und der enormen Vorwärtsdrängung des Gaumenbogens von der Medianlinie aus dem Abscess mit keinem Messer beizukommen war. Die erste Incision wurde gleich am 10. October, ganz nach aussen an der Seiten- wand durch den Gaumenbogen gemacht, ohne dass Eiter entleert wurde, wie sich später herausstellte, in Folge der nicht genügend tiefen Insertion des Bistouri. Da der Patient keine Erleichterung fühlte, wurde drei Tage später noch einmal incidirt, und grosse Massen Eiter mit Blut gemischt entleert. Das geknöpfte Bistouri, mit dem die Wund- ränder noch etwas erweitert wurden, drang volle zwei Zoll tief in die Abscesshöhle ein. Wieder drei Tage später wurden nur leichte Adhä- sionen der Wundränder gelöst und die Oeffhung noch um ein weniges erweitert. Patient befand sich nach diesem letzten Eingriff vollständig wohl, that seine Arbeit wie gewöhnlich und betrachtete sich als genesen.

Acht Tage nach der letzten Incision kam er am Morgen in meine Office, fortwährend grosse Mengen Blut entleerend. Die Blutung hatte plötzlich an demselben Morgen begonnen und alle paar Minuten ent- leerte er ein Coagulum von der Grösse einer kleinen Wallnuss. Da es unmöglich war die genaue Quelle der Blutung zu finden, wurde die Abscesshöhle mit hömostatischer Watte ausgefüllt, worauf die Blutung cessirte. Tags darauf wurde im Haus des Patienten der grössere Theil der Watte sorgfältig entfernt und nur im tiefsten und untersten Theil der Höhle dieselbe belassen. Am folgenden Tage fühlte der Patient vollständig wohl und verliess das Bett. Einen Tag später bekam er, wie das erste Mal, ohne jegliche äussere Veranlassung wieder dieselbe heftige Blutung, die in derselben Weise, wie das erste Mal controllirt wurde. Die Watte wurde alsdann drei Tage in der Wunde belassen, und kam, als bei dem Versuche sie stückweise zu entfernen, Traktionen gemacht wurden als ein Ganzes, in der Grösse einer Wallnuss, heraus. Nach 10 Tagen war die Wunde vollständig geheilt und nur mit Mühe die Narbe der Schnittwunde zu entdecken. Der Gaumenbogen war jedoch nur weniges von der Mittellinie zurückgetreten.

Bemerkenswerth an dem Falle ist die permanente Verschiebung des Gaumenbogens, die Tiefe und Grösse der Abscesshöhle und die ohne nachweisbare Ursache aufgetretenen Hämorraghien, 8 resp. 11 Tage nach dem letzten blutigen Eingriff eine Complication, die mir in meiner langjährigen Praxis noch nicht vorgekommen ist.

REFERATE.

Arzneimittel lehre.

Referirt von De. F. C. Heppenheimer.

Ueber die Behandlung der Diphtherie mit saurer Sublimatloesung. Bennert. (Berliner Klinische Wochenschrift No. 34.)

Laplace (Deutsche Med. Wochenschr., 1887) erkannte als schweren Missstand, der den gebräuchlichen Antisepticis (Sublimat, Carbolsäure) anhaftet, dass sie Eiweiss coaguliren und dadurch in vielen Fällen eine dichte Schicht schaffen, welche ihrer Wirksamkeit eine Schranke setzt. Unter verschiedenen Mitteln, die er, um dies zu verhindern, versuchte, fand er den Zusatz von Säuren und insbesondere für Sublimat von Weinsteinsäure (im Verhältniss 1,0 Sublimat, 5,0 Weinsteinsäure, 1000,0 Wasser) am besten. Bennert benutzt nun diese Lösung zur Disinl'ection des diphtheritischen Halses. Er taucht Watteballen hinein und wischt die Membranen von Unten nach Oben ab, bis er eine blutende Fläche vor sich hat. Dann wird noch einmal die ganze Gegend mittelst eines grösseren Wattebausches mit der Lösung überschwemmt. Bereits nach einer Stunde wird die Procedur wiederholt. Nach sechs bis zwölf Stunden (je nach der Tageszeit) wird w ieder controllirt. In der über- wiegenden Mehrzahl ist der Patient jetzt entfiebert. Der örtliche Be- fund ist verschieden. Handelte es sich bloss um crou] Öse Auflagerung, so rinden wir jetzt einfach eine stark geröthete, doch bereits etwas abgeschwollene Schleimhaut. War die entfernte Membran diphthe- risch gewesen, so restirt jetzt ein missfarbiges Geschwür. In vierzehn Monaten behandelte R 62 Fälle nach dieser Methode, die sämmtlich genasen. Daneben behandelte K. elf Fälle auf andere Art, wovon zwei starben. Bei einigen Patienten, denen es bei Kali chloricum Behand- lung immer schlechter wurde, konnte R sein obiges Regime mit ecla- tantem Erfolge anwenden.

Die Behandlung der Diphtherie lässt noch immer eine sichere Me- thode zu wünschen übrig. Hoffentlich erfüllt die Rennert'sche Behand- lungsweise die Erwartungen, die er an sie knüpft. Versuchenswerth ist sie gewiss.

Ueber Somnal. (Deutsche Apotheker Zeitung, 31. Oct. 1888.)

Somnal heisst das neueste Hypnoticum. Wenn es das Sulfonal nicht an Sicherheit der Wirkung übertrifft, so hilft es gewiss keinem „tiefge- fühlten Bedürfnis»" ab. Versuche am Menschen liegen noch nicht vor, und wird die Aerztewelt sich vor der Hand sehr reservirt verhalten.

Schmiedeberg glaubte, dass wenn man die Amidgruppe in das Chloralmolekül einführt, dieselbe auf die Centren des verlängerten Marks nicht nur nicht lähmend, sondern sogar erregend wirke. Da- gegen haben in neuester Zeit die Versuche Langgaard's ergeben, dass die NH„ Gruppe überhaupt nicht erregend wirkt. Baumann fand, dass die Methylgruppen zum Zwecke der Herstellung eines Hypnoticums so gut wie ganz unwirksam sind, dass dagegen der Aethylgruppe eine bestimmte pharmacologische Bedeutung zukommt. Der Erfinder des Somnals, dessen Namen die Deutsche Apotheker Zeitung verschweigt, stellt nun die neue Substanz aus gleichen Theilen Chloralhydrat, Urethan und Alcohol bei 100° C. her, und sollen die sich in der Kälte ausscheidenden Krystalle sich vom gewöhnlichen Chloralurethan durch einen Mehrbesitz eines Aethymoleküls unterscheiden.

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Bas Präparat kommt in Lösung in den Handel und ist nicht einmal der Procentgehalt an dem wirksamen Bestandtheil angegeben was sehr verdächtig ist. Es soll einen noch schärferen Geschmack als das Chloralhydrat haben und bedingt desshalb Corrigentia. Wir fügen zur Uebersicht die Formeln hierher gehörenden Verbindungen bei :

CC13 H = Chloroform. CCl3 CH (OH)2 = Chloralhydrat. CONH2 OC2 H5 Urethan.

/OH / OC„ H5 Somnal

CCI3— H = Chloralurethan CC1S C— H" = ( Aethylirter

\NHCOOC2H5 ' \NHCOOC2H5 Chloralurethan)

(CH3)2 = C = (C2 H5 S02)2 Sulfonal CC13 CH( S?rFro = Chloralmid.

Krankheiten der Verdauungs- und Circulationsorgane.

Keferirt von Dr. Max Einhorn.

1. Ueber den Stoffwechsel und das Coma der Krebskranken. G.

Klemperer. (Berliner Klinische Wochenschrift, No. 40, 1889.)

K. gelang es durch genaue Stoffwechselversuche bei Krebskranken den Nachweis zu führen, dass die Stickstoffausscheidung bedeutend die Stickstoffaufnahme überschreite und zwar selbst bei Nahrungs- mengen, die sonst genügen würden, um das Körpergleichgewicht zu erhalten. Es findet also stets ein Zerfall von Organeiweiss im Körper des Krebskranken statt. (Dieses steht im Einklänge mit der klinisch längst bekannten Abmagerung der Krebskranken). Da man beim Krebs ausserdem Verfettung der inneren Organe, ferner Abnahme der Alkalescenz des Blutes beobachtet hat, möchte K., aus der Analogie aller dieser Erscheinungen mit den, bei der Phosphor - und Arsenikvergiftung sowie während des Fiebers auftre- tenden, Veränderungen schliessen, dass auch der Krebs zur Gruppe der Intoxicationskrankheiten zu rechnen sei. K. meint, dass in der Krebs- krankheit ein Gift im Blut kreise, das jenen Zerfall der Gewebe hervor- ruft. Auch das in der letzten Zeit von Senator, von Jacksch und And .-ren beobachtete Coma beim Krebs fasst K. als die Wirkung des von ihm supponirten im Blute kreisenden Giftes auf. K. schliesst seine Arbeit mit Schilderung zweier von ihm beobachteter Fälle von Coma carcinosum.

2. Welches Stethoskop soll der Arzt gebrauchen ? P. K. Pel. (Ber-

liner Klinische Wochenschrift, No. 43, 1889.)

P. hat während vieler Jahre hindurch die Resultate verschiedener Stethoskope bei der Krankenuntersuchung mit einander verglichen und kam zum Schluss, dass das Weiss'sche binaurale Stethoskop (welches in England und Amerika viel in Gebrauch ist) bei weitem alle anderen Hörröhren an Schärfe übertrifft. P. empfiehlt warm die aus- schliessliche Anwendung des binauralen Stethoskops.

3. Ein Ersatz der diagnostischen Ausheberung. A! Guenzburg.

(Deutsche Medicinische Wochenschrift, No. 41, 1889.)

Um die Schlundsonde bei der Prüfung des Magenchemismus ent- behren zu können, schlug G. folgendes Verfahren ein ; er legte in ein kleines Schlauchstückchen (aus Gummi) 0,2 Jodkali ; darauf wurden die Enden des Schlauches zum Verschluss umgeknickt und mit Fibrinfäden zugebunden ; das Ganze wird in eine Gelatinkapsel gethan, die man Pat. eine Stunde nach dem Probefrühstück verschlucken lässt. Quellen nun die Fibrinfäden im Magen auf, so löst sich der Verschluss, und das

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Jodkali kann nun resorbirt werden. Der Auftritt des Jods im Speichel zeigt nun den Punkt an, wann sich der Verschluss des Schlauches ge- lockert hat, resp. die Fibrinfäden aufgequollen sind. Bei gesunden Menschen trat nun die Reaction nach 1\ Stunde auf, während bei vielen Magenkranken eine erhebliche Verlangsamung dieser Zeit (bis auf 3 Stunden) vorhanden war. [Gegen diese Methode lässt sich anwenden, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, wo die Quellung der Fibrin- fäden stattgefunden hat, d. h. es liegt immer die Möglichkeit vor, dass die Kapsel gleich weiter durch den Pylorus nach dem Darm befördert worden ist, und dass die Verdauung des Fibrins sich dort vollzog. Keferent.]

4. Ueber periodische Neurosen des Magens. J. Boas. (Deutsche Medi- cinische Wochenschrift, No. 42, 1889.)

B. hebt hervor, dass seit Leyden's Arbeit über „das periodische Er- brechen" publicirt war, nur wenig über diese Frage gearbeitet wurde, während die periodisch auftretenden Magenneurosen gar nicht so selten sind. B. beschreibt nun drei Fälle von periodischem Erbrechen. Die Intervalle, wo sich die Pat. vollständig wohl fühlen, dauern verschieden lange, von 3 Monaten bis 8 oder 10 Tagen. Der Anfall selber besteht in hartnäckigem Erbrechen alles Genossenen ; zuweilen werden auch nur Schleimmassen, Magen- oder Darmsecret erbrochen. Das Er- brechen hält etwa 3 5 Tage an. Salzsäure ist gewöhnlich während dieser Zeit nicht vorhanden oder vermindert. Nach dem Anfall tritt plötzliches "Wohlsein auf. Sodann beschreibt B. mehrere Fälle von pe- riodischen Magenneurosen, wo dem Erbrechen andere cerebrale Symp- tome vorausliefen, wie Kopfschmerzen.

Krankheiten des Nervensystems.

Beferirt von Dr. Geo. W. Jacoby.

Trepanation wegen cerebraler Blutung. Eine Serie Trepanationen wegen verschiedenen vorkommnissen ; vertigo, echte und symp- TOMATISCHE Epilepsie. (Journal de Medicine, pag. 532, 1889.)

Unter obigem Titel legtChampionnier, der " Academie d edecine " einen neuen Fall, sowie eine Statistik über 30 Fälle, vor. Alle verliefen ohne einen einzigen Todesfall, oder ohne störenden Vorfall. Diese 30 Operationen wurden in solchen Fällen ausgeführt, bei welchen kein Trauma vorhergegangen war.

Der neue Fall ist wie folgt : Ein Mann im Alter von 53 Jahren hatte vor 20 Monaten einen Anfall von Gehirnblutung. Rechtsseitige Hemi- plegie, späte Contractur der Hand und epileptit'orme Krämpfe stellten sich ein. Der Herd wurde im mittleren Theil der Precentralwindung localizirt. Mittelst craniometrischer Messungen wurde der darüber liegende Theil des Schädels markirt, und das Trepan angelegt. Es fand sich ein aus einer alten Blutung bestehender Herd. Dieser wurde entfernt und die Wände sorgfältig mit antiseptischen Flüssigkeiten ge- reinigt. Dura und Kopfhaut genäht. Drainage. Dauer der Operation 1^ Stunden. Den Tag nach der Operation, war die Contractur der Hand verschwunden. Die Kraft hatte sich auch sehr vermehrt. Alses dem Patienten gestattet wurde sein Bett zu verlassen, wurde constatirt, dass sein Gang besser sei als vor der Operation. Seine Sprache ist deutlicher und seine Intelligenz grösser. Während vier Monaten hat er keine Convulsionen gehabt, wohingegen diese vor der Operation sich in zwei wöchentlichen Zwischenräumen einstellten.

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ÜNE FAMILLE DE DeGENERES INCEND1 AIRES. Dr. EMILE LAURENT. (An-

nales Medico-Psychologiques, pag. 355, 1889.)

Die Pyromanie kann sich unter drei verschiedeneu Formen ent- wickeln. In einigen Fällen ist sie einfach eine Episode in dem Gang eines mehr oder minder System atisirten Wahnsinns. In anderen Fällen ist sie das Resultat einer Zwangsidee. Dieses ist die wirkliche Pyro- manie ; der Pyroman brandstiftet genau so wie der Dipsoman säuft. Schliesslich gibt es eine dritte Classe, bestehend aus solchen Individuen, welche mit irgend welchem Degeuerationsprocess belastet sind, und die Brandstiftung in Folge irgend einer unwichtigen Veranlassung be- gehen. L. erzählt hier die Geschichte einer ganzen Familie, Brand- stifter. Alle Mitglieder dieser Familie sind hereditär degenerirt, fast schwachsinnig, ohne Willenskraft oder Beständigkeit. In dieser Fa- milie gibt es drei Brandstifter. Diese unterscheiden sich von den gewöhnlichen Pyromanen, insofern als der brandstifterische Impuls sich nicht um die Pubertätszeit entwickelte ; der eine Fall hatte diese Periode schon längst überschritten, während die anderen sie noch nicht erreicht hatten. Sie schienen auch ferner keinem Zwangsimpuls, welcher periodisch unter fast identischen Umständen wiederkehrt, zu gehorchen. Im Gegentheil, sie wurden immer von einem bestimmten Beweggrund geleitet. In dem einen Fall war es die Sucht nach Rache, indem irgend wrelche vermuthmaasste Beleidigung durch das in Brand- setzen des Feindes Hauses gerächt wurde, bei den zwei anderen war der Beweggrund einfach Selbstbefriedigung, die empfundene Befriedi- gimg beim Zusehen des Brandes. Diese Fälle unterscheiden sich gesetzlich von jenen Fällen Bi andstiftung, welche das Resultat eines Zwangsimpulses sind, denn die ersteren leiden nur an einem geschwäch- ten Willen, und können gegen kriminelle Ideen ankämpfen, während die letzteren keine Opposition entwickeln können.

The Curability of Locomotor Ataxia, with an account of our present

KNOWLEDGE OF ITS PATHOLOGICAL ANATOMY. By LaNDOX C ARTER GRAY,

M.D. (N. Y. Med. Journ., pag. 533, II. 1889.)

Der Ausdruck " Locomotor Ataxia " sowie die Namen " Tabes Dor- sales " und „Hinterstrangssclerose" sind alle wTeder klinisch noch anato- misch passend. Als Definition der Krankheit dient eine gedrängte Herzählung der prominentesten Symptome. Dann geht Gray auf die, in den letzten zehn Jahren zu Tage gelegten anatomischen Gestaltungen des normalen Rückenmarks näher ein. Die hauptsächlichsten dieser sind : Flechsig's Kleinhirnseitenstrangbahnen, das Gower'sche Bündel und die Sissauer'sche Randzone, welche alle ausserhalb der Hinter- stränge liegen und doch sensible Bahnen sind und in Tabes erkranken. Auch die peripheren Nerven sind häufig an dem Process betheiligt. Die Fälle welche, angeblich geheilt oder zum Stillstand gebracht wurden, sind : 1. die syphilitischen Fälle, 2. Fälle welche, mit Dementia paraly- tica verbunden sind, 3. sehr selten die nicht syphilitischen Fälle.

Die erste Classe wiederum lässt sich in solche Fälle zerlegen bei denen die Tabes sich nach einer syphilitischen Infection entwickelt hat ; solche, bei denen auch Symptome einer intracraniellen Lues bestehen, und solche, bei denen die Läsion sich als eine syphilitische Meningitis darstellt. Aus der zweiten Classe sind es nur die syphilitischen, welche geheilt worden sind, obgleich eine Besserung auch bei den nicht syphi- litischen eintrat. Diese Fälle aus der Literatur bespricht nun Gray, und kommt schliesslich zu folgendem Ausspruch : „Wir sind also ge- nöthigt den Schluss zu ziehen, dass kein Bericht einer wirklich auten- tischen Heilung der Tabes in irgend einem Falle existirt, aber Besse- rungen, besonders der syphilitischen Fälle und solcher, welche mit Dementia paralytica verbunden sind, lassen sich nicht absprechen."

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Ueber die Erkrankungen der peripheren Nerven bei Lepra. Dr. Karl Dehis. (St. Petersburger Medic. Wochenschrift, pag. 362. 1889.) Bei der Lepra gibt es noch rein klinische Fragen, welche ungelöst sind. Bei der anästhetischen Form spielt die Erkrankung der peri- pheren Nerven eine sehr bedeutende Rolle. Die Nerven zeigen diffuse, spindelförmige oder rosenkranzartige Verdickungen, welche gegen das periphere Ende immer beträchtlicher werden, während sie cent ralwärts mehr und mehr abnehmen. Der Process beginnt augenscheinlich an der Peripherie. Verfasser hat die Erkrankung nur an den Nerven der Ex- tremitäten beobachtet. Mikroscopisch handelt es sich um eine auf- steigende degenerative Atrophie der Nervenfasern und ganzer Nervenäste.

Viele der klinischen Symptome sind auch mit diesem Process in Ein- klang zu bringen. Verf. führt einen diesbezüglichen Fall an. Der Fall bot, neben anderen Erscheinungen, Herabsetzung der groben Kraft der Hände ; Atrophie der interossen ; fibrilläre Zuckungen. Die ver- schiedensten Arten der partiellen Entartungsreaction waren in den paretischen Muskeln, nachzuweisen. Es bestand ferner Herabsetzung der Sensibilität, welche alle Gefühlsqualitäten ziemlich gleichmässig betraf, und sich besonders in den Gebieten der N. ulnares ausbreitete. Sensible Reizerscheinungen bestanden auch. DeJdo fasst den ganzen Process als eine „multiple, ch ronische, degenerative Neuritis ascendens leprosa'" auf. Ueber die Beziehung der Blasenbildung, Mutilationen etc. zu diesem Process, drückt Verf. sich nicht aus, geht also auch der Beantwortung der Frage nach der Betheiligung des Rückenmarks, ganz aus dem Wege.

Tabes Dorsualis. Von Geh. Med. Rath Prof. Dr. Leyden. (Separat Abdruck aus der Realencyclopädie der gesammten Heilkunde. II. Annage. Urban & Schwarzenberg. Wien.)

Seit dem Erscheinen der ersten Auflage des Leyden'schen ge- drängten und umfassenden Artikels über „Tabes Dorsuales" sind kaum einige Jahre vergangen, so dass man in Anbetracht der Zeit, kaum viel Neues in dieser Auflage zu finden erwartet. Obgleich alles was auf diesem Gebiete Neues geleistet worden ist, seine Berücksich- tigung hier findet, so ist doch im grossen Ganzen diese Auflage nicht sehr verschieden von der ersten. Von dem geänderten oder neu auf- genommenen Stoffe, sind folgende Sachen speciell zu erwähnen.

Ueber die Veränderungen der peripheren Nerven bei Tabes sagt L. „Aus allen diesen Unternehmungen geht hervor, dass eine atrophische Erkrankung an den peripheren sensiblen Nerven bei Tabes relativ häufig gefunden wird, und dass dieselbe eine gewisse Unabl ängig- keit, von der Rückenmarkserkrankung behauptet, indem sie nicht continuirlich, sondern herdweise auftritt, und in ihre Intensität keineswegs immer der spinalen Degeneration proportional ist. Auch eine mehr oder minder acute motorische Neuritis, tritt zuweilen auf, kann aber rückgängig werden, hat also nicht den degenerativen pro- gressiven Charakter, welcher die sensible Neuritis ebenso wie die Rückenmarksaffection selbst auszeichnet."

Später, als von der Theorie der Krankheit die Rede ist, findet L. für die seinige, die sensorische Theorie, eine wichtige Stütze in den Untersuchungen von W^estphal, Dejerine und Oppenheim, über die Betheiligung der peripherischen sensiblen Fasern bei der Tabes, sowie auch in den Fällen von Ataxie, welche durch multiple Neuritis im Gefolge von acuten Krankheiten hervorgebracht wird.

Unter Aetiologie ist der Paragraph über Trauma, umgearbeitet worden und Verf. sieht die Annahme des ursächlichen Zusammen- hangs zwischen Trauma und Tabes, bei solchen Fällen wo sonst keine

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Ursache zu eruiren ist, als berechtigt an. Auch kann im Verlauf einer Tabes, ein Trauma eine Verschlimmerung der Krankheit her- vorbringen.

Die Ansicht L.'s über den Zusammenhang zwischen Tabes und Syphilis ist dieselbe als die in deL' L Auflage ausgedrückte, nämlich, durchaus ablehnend.

Therapeutisch, sagt Leyden, von Quecksilberkuren : „Obgleich all- seitig anerkannt und durch die Erfahrung genügend bestätigt, dass die antisyphilitische Quecksilberkur eine sichtliche Besserung der Tabes nicht herbeiführt, so werden doch noch häufig genug derartige Kuren angestellt, namentlich bei solchen Kranken, die nachweislich syphilitisch gewesen sind."

Anknüpfend an das vernichtende Urtheil über Nervendehnung bei Tabes, sagt er über die Suspensionsbehandlung : „Und nachdem man sich überzeugen musste, dass diese eigenthümliche Behandlungsmethode gar nicht so unbedenklich ist, als es zuerst schien, nachdem sogar be- dauerliche Unglücksfälle eingetreten sind, wird dieselbe hoffentlich ebenso schnell wie sie aufgetaucht ist, wieder vom therapeutischen Schauplatze verschwinden."

Mehr verspricht sich Leyden durch eine orthopädische Behandlung ; es wird durch solche Apparate wie der von Hessing, eine Besserung des Gehens und eine grössere Festigkeit der Gelenke und des Rückens erreicht. An ausführlichen Publicationen hierüber fehlt es noch.

Was die Prognose der Tabes anbelangt, so drückt Leyden sich milder als früher aus, wenn auch er eine Heilung oder einen definitiven Stillstand der Krankheit für unerreichbar hält.

Kinderheilkunde.

Referirt von De. A. Seibert.

Beitraege zur Kenntniss der Diphtherie. Von Otto Heubner. (Jahrb. für Kindern., Bd. XXX, Heft 1.)

Verfasser hat die diphtherischen Schleimhautauflagerungen an den verschiedenen Krankbeitstagen untersucht. Er macht als Resultat derselben unter Anderem folgende Angaben : ,,Die ersten dünnen, reifartigen, grauen oder milchweissen, oft wie durchscheinende Flecke und Auflagerungen also sind in den obersten Lagen des Epithels zu suchen. Das Exsudat, welches in den ersten Stunden noch von einer mehr oder weniger dünnen Lage des verhornten Epithels bedeckt ist, hat um diese Zeit noch keineswegs den croupösen Charakter, sondern scheint halb schleimig zu sein. Später erscheinen darunter geronnene Lagen. So kann man die D. ohne Zwang als ein exsudatives Schleim- hautexanthem betrachten. Die Exsudation aus den erkrankten Blut- gefässen kann zu jeder beliebigen Periode der Krankheit aufhören. Die allerintensivste Bacterienentwickelung findet in dem anfänglichen lockeren Exsudat statt, und die Anfangs überwiegend aus Coccen besteht, die sich der Epithelblättchen bemächtigen u. s. w. wie dies bekannt ist. Die einzige wichtige (?), in Betracht kommende Gattung, die Löffler'- schen Bacillen, ist mir gerade in den Membranen der ersten Stunden der Krankheit aufzufinden nicht gelungen." „Für die Behandlung der örtlichen Affection bei der D. scheint mir aus den vorliegenden Unter- suchungen hervorzugehen, dass die jetzt wohl überwiegende Mehr- zahl der Aerzte in ihrem Rechte ist, wenn sie eingreifende Maassregeln gegen die afficirten Sclileimhautstellen zu lichten ablehnt, und sich auf Erhaltung eines reinlichen Ablaufs der Erscheinungen beschränkt. Auch die Anwendung der sogenannten lösenden und verdauenden Mittel zur rascheren Beseitigung der Ausschwitzung sind offenbar

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zwecklos, da die Membrane von selbst rasch genug beseitigt werden, sobald einmal die Ursache der Ausschwitzung aufgehört hat."

Aus der hochverdienten Arbeit des Verfassers, der als Kliniker und Forscher gleich hoch dasteht, geht hervor, 1. dass die D. Anfangs stets eine locale Schleimhautentzündung ist, die durch in dieselbe einwan- dernde Bacterien bedingt ist, und zwar scheinen Coccen zuerst als Ent- zündungserreger zu dienen ; 2. dass der Belag bei D. aus geronnenen Exsudat der entzündeten Blutgefässe besteht, natürlich vermischt mit allerlei Bacterien ; und 3. dass alle und jede Therapie die nicht der er- krankten inficirten Schleimhaut selbst gilt, einfach nutzlos oder (je nach dem Mittel) schädlich sein muss.

Beitraege zur Lehre vom Fieber beim Scharlach. Von Dr. Reimer. (St. Petersburg. Jahrb. für Kinderheilk., Bd. XXX, Heft 1.)

Das vom Verf. verwerthete Material umfasst 3460 Fälle, welche theils aus der Hospital- und theils aus der Privatpraxis stammen. Seine Eintheilung ist folgende : 1. Einfacher oder uncomplicirter Scharlach, a) Leichte Form : 61 Fälle oder 1,1%, charakterisirt durch mässiges Fieber und schnellen Abfall der Temperatur, b) Schwere Form : 211 Fälle oder 5,7%, charakterisirt durch schnelles Ansteigen der Tempe- ratur (bis zu 41° C.) am ersten Tag und Tendenz zum Stationärbleiben oder noch höherem Ansteigen (hyperpyretischer Scharlach), und fast ausnahmslosem letalem Ausgang. 2. Complicirter Scharlach, a) Kör- per mittelleichter : 317 Fälle oder 9,1%. Hierbei findet sich schnelle Entfieberung mit nachfolgenden kleinen Steigerungen durch leichte Complicationen. Ablauf meist nach 9 10 Tagen, b) Körper mittel- schwerer : 468 Fälle oder 13,5%. Wie die vorige Form, bloss tritt Ent- fieberung später ein, nach gelegentlichen Steigerungen der Temperatur bis zu 39° C. Endet meist in Genesung, c) Mittellanger leichter : 339 Fälle oder 9,7%. Mässige Temperaturen, Dauer 3 Wochen, gutartig.

d) Mittellanger schwerer : 682 Fälle oder 18.7%. Höhere Tempera- turen, längere Dauer hohen Fiebers und schwerere Complicationen.

e) Protrahirte leichte : 419 Fälle oder 12,1%. Febris continua, häufige Exacerbationen, Dauer 34 10 Tage, schwerere, aber meist gutartige Complicationen. f) Protrahirte schwere : 371 Fälle oder 10,7%. Schwere septische Complicationen, Temperatur meist über 40° GL, Antipyrese meist nur vorübergehend erfolgreich. Temperatur meist entsprechend den complicirenden Krankheiten, g) Scharlach im Gefolge anderer Krankheiten : 394 Fälle oder 11,3%. 77 Fälle zeigten Scharlach mit Masern zugleich oder 1 2 Tage nachher, 203 Mal kam Scharlach erst 7 20 36 Tage nach Ablauf der Masern zum Vorschein. Das Fieber des die Masern complicirenden Scharlachs wird durch denselben durch- aus nicht so wesentlich erhöht, wie man annehmen könnte. Meist kamen später schwere Complicationen. 4. Scharlach gefolgt von an- deren Krankheiten : 198 Fälle oder 5,7%. Auch hier gesellten sich meist Masern zum Scharlach (117 Fälle), charakterisirt durch hohes continuir- liches Fieber (41—42° C.) und schlechte Prognose. Andere Erkran- kungen zeigten nichts Abweichendes. Prognose : Je schneller und stetiger der Temperaturabfall, desto günstiger die Prognose und umge- kehrt. Absolut letal erscheinen die Fälle, wo die Temperatur mit 41° C. anfängt und weitere Schüttelfröste auftreten.

Behandlung : Kalte Umschläge oder Eisblase wirkten günstig. Kalte Einwirkungen zeigten sich in 28 Fällen nur 4 Mal befriedigend ; ver- bunden mit Abklatschungen in 82 Fällen bewirkten sie tiefere Inspira- tionen, blieben aber ohne Einfluss auf die Temperatur ; mit Ueber- giessungen in trockener Wanne (131 Fälle) wurden bei tiefer Somnolenz, Apathie und Cyanose gute Resultate erzielt, mussten jedoch 6 12 Mal in 24 Stunden tagelang wiederholt werden, Vorsicht ist hierbei geboten ;

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mit Uebergiessungen im allmälig abgekühlten Bad (96 Fälle) trat Wirkung rascher ein und blieb nachhaltiger. Vorsicht sehr geboten. Lauwarme Vollbäder (72 Fälle) waren schädlich, indem sie erschlaffend wirkten. Allmälig abgekühlte Vollbäder zeigten sich als nutzlos (186 Fälle). Kalte Bäder (363 Fälle), Dauer 5—8 Minuten, mit Frottirungen und Stimulation, sind entschieden von Werth, namentlich wegen ihrer günstigen Wirkung auf Herz- und Nerventhätigkeit. Bleibt Cyanose bestehen, so darf nicht mehr gebadet werden.

Mit Chinin wurden 1489 Fälle behandelt. Kleine Dosen erwiesen sich ebenso nutzlos und irntirend wie grössere.

Natron Salicylicum (431 Fälle) wirkten direct schädlich auf die Herz- thätigkeit. Kairin (36 Fälle), Thallicum sulphuricum und tartaricum (48 Fälle) sind unwirksam und wegen Derpression der Herzaction höchst gefährlich. Antipyrin (684) ist, mit einiger Vorsicht angewandt das sicherste Fiebermittel bei Scharlach, und wird namentlich das Behagen der Kranken dadurch erhöht und „scheinen die vielen schweren Com- plicationeu schmerzloser ertragen zu werden." Abgekürzt wird die Krankheit aber nicht durch dieses Mittel. Antifebrin (522 Fälle) wirkt noch prompter als Antipyrin, ist aber gefährlicher. [Verfasser sagt am Schluss seines Berichtes bezüglich der Hytrotherapie : „Dieselbe vermag die Mortalitätsziffer ebenso wenig herabzudrücken wie die an- deren antipyretischen Mittel." Das heisst doch mit anderen Worten: J ede Antipyrese ist nutzlos und hat noch niemals ein Leben gerettet. Was Ref. dagegen einzuwenden hat, findet sich in seinem Artikel über „Moderne Antipyrese", Med. Monatsschrift, 1889. Warum aber Reimer dann überhaupt therapeutisch gegen das Fieber beim Scharlach ein- schreitet, das für ihn doch prognostisch ausschlaggebend ist, ist unver- ständlich. Ref.].

Ueber Versuche einer Ernaehrung kranker Saeuglinge mittelst

STERILISIRTER MlLCH (NACH SOXHLET'S METHODE). Von Dr. RüD.

Uhlig. (Jahrb. f. Kinderheilk., Bd. XXX, Heft 1 und 2.)

Verfasser hat in der Heubner'schen Poliklinik für Kinderkrankheiten in Leipzig 39 an schweren Verdauungsstörungen leidende, meist sehr heruntergekommene Kinder mittelst sterilisirter Milch behandelt, nachdem vorher in jedem Fall der Magen ausgespült worden war. 16 dieser Kinder nahmen in normaler Weise zu, 6 zeigten Abnahme des Gewichtes und starben von ihnen 3, die übrigen konnten nicht controllirt werden. Vier der so behandelten Kinder starben an Erkrankungen die nichts mit den Verdauungsstörungen zu thun hatten, und weitere 7 an letzteren. [Ref. möchte annehmen, dass diese Mortalitätsziffer wahr- scheinlich wesentlich kleiner ausgefallen wäre, wenn man nicht allein Magen und Dickdarm mit Wasser sondern auch den Dünndarm in jedem Fall beim Beginn der Behandlung mit Calomel entleert und des- inficirt hätte].

Zur Reform der kuenstlichen Saeuglingsernaehrung. Von Dr. Th. Escherich, Privatdocent in München. Vortrag, gehalten in der

PAEDIATRISCHEN SECTION DER DEUTSCHEN NATURFORSCHERVERSAMMLUNG

zu Heidelberg. (Wiener Klinische Wochenschrift, No. 40, 1889.)

Die neueren Forschungen haben gezeigt, dass die Veränderungen, welche die Milch unter dem Einflüsse von Bacterien erleidet, von grösserer Bedeutung sind, als die chemisch-physikalischen Unterschiede und dass die Beschaffenheit des kindlichen Magens eine genaue Regu- lirung in der Grösse und Zahl der Mahlzeiten nothwendig macht. Die Zufuhr von so grossen Wassermengen wie sie nach dem Biedert'schen Schema bisher üblich war ist zum mindesten nicht gleichgültig, wenn nicht gar schädlich für den Stoffwechsel. Wir müssen zum natürlichen

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Vorbild, der Brusternährung, zurückkehren, welche dem Säugling eine keimfreie Milch in beschränkter, mit dem Nahrungsbedürfniss allmälig aufsteigender Menge und in Einzelportionen darbietet, deren Volumen, der Grösse des kindlichen Magens entsprechend, stetig zunimmt. Alle Bemühungen das Kuhcasein in eine leichter verdauliche Modification überzuführen sind, abgesehen von der Peptonisirung, resultatlos gewesen. Mit Kücksicht auf die Analysen von Emil Pfeiffer bezüglich der vom normalen Säugling verzehrten Nahrungsmengen, hat Verfasser die von Pfeiffer angegebenen Tabellen auf die künstliche Ernährung übertragen. Da ein 8 Wochen altes Kind eine Eiweissmenge trinkt, wie sie ungefähr in 450 Gras. Kuhmilch enthalten ist, und das Volumen dieser Nahrung rund 900 Cms. Muttermilch beträgt, so hat Escherich das auf die künstliche Ernährung so übertragen :

Monat. Wochen. Kuhmilch, Wasser. Gesammt- Zahl und Grösse

menge. der Mahlzeiten.

1. £ 150 + 250 = 400.

1 200 + 200 = 400

2 250 + 250 = 500.

3 300 + 300 = 600.

4 350 + 350 = 700.

2. 5u. 6 400 + 400 = 800.

7 XL 8 450 + 450 = 900.

3. 9 u. 10 500 4- 400 = 900

11 u. 12 550 + 450 == 1000.

4. 13 u. 14 600 + 4i)0 = 1000.

15 u. 16 650 + 350 = 1000.

5. 17 u. 18 700 + 300 = 1000.

19 u. 20 750 + 250 = 1000.

6. 21 —24 800 + 200 = 1000

7. 25- 28 900 + 100 = 1000

8. 29 —32 1000 = 1000.

9. 33 —36 1200 = 1200.

8

X

50

.8

X

50

8

X

62

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X

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166

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166

6

X

200

Verfasser hat einen mit graduirten Saugflaschen nach Soxhlet'schem Princip ausgerüsteten Apparat herstellen lassen, welcher obige Ein- theilung ermöglicht. Nur solche mit Eintheilung in Cubikcentimeter oder gleichzeitig noch mit Nahrungsvolumina versehene Saugflaschen sollten in Zukunft verwandt werden, und würde dies der erste Schritt zur Besserung der künstlichen Ernährung der Säuglinge sein.

Beitrag zur Pathogenese der bacteriellen Magen- und Darm- erkrankungen im Saeuglingsalter. Von Dr. Th. Escherich in München. Vorgetragen in der paediatrischen Section der Heidelberger Naturforscherversammlung. (Wiener Med. Presse, No. 41 und 42, 1889.)

Die vom Verf. in Gemeinschaft mit Cnopf angestellten Unter- suchungen haben ergeben, dass die gewöhnliche Handelsmilch, wenn sie in die Hand des Consurnenten gelangt, bereits über eine Million Keime im Cubikcentimeter enthält, und somit verzehrt ein Kind, das im Tag ein Liter Milch trinkt, die Menge von Milliarden Keimen, resp. deren Leichen und Stoffwechselproducte, wenn sie gek< cht wurde. Der Magen des Säuglings aber ist der Aufgabe, die mit der Nahrung einge- führten Keime zu tödten oder auch nur in ihrer Entwicklung zu hem- men, noch nicht gewachsen. Der Keichthum der Kuhmilch an Alkalien, speciell an Kalksalzen, welche die Salzsäure sofort in Beschlag nehmen, trägt viel dazu bei. Ein solches Kind müsste auf einen Liter Milch nahezu 3 Liter Magensaft zur vollständigen Bindung der Salze ver- brauchen. Die durch die zugeführten Keime erzeugten Gährungspro- ducte der Milch im Magen erzeugen die als Cholera infantum bekannten Vergiftungen, im Darm kommen wegen Mangels an Sauerstoff wahr-

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scheinlich nur facultativ anaerobe Bacterienarten zur Fortsetzung der Gährungsthätigkeit. Die grosse Mannigfaltigkeit der Bacterienarten im Verdauungscanal verhinderte bisher die Forschung an der Klar- legung dieser Gährungs Vorgänge. Escherich ist der Ansicht, dass die in Körpertemperatur gehaltene Milch wesentlich andere Keimentwick- lungen gestatte, als solche in niedriger Temperatur gehaltene, und ver- spricht er sich von einer Keihe von Untersuchungen, mit denen er eben noch beschäftigt ist, interessante Aufschlüsse über diesen Punkt. Man wird diesen Resultaten des verdienten Forschers auf dem Gebiete der Kinderheilkunde, wohl allgemein mit Spannung entgegen sehen.

Therapeutics of infancy axd Childhood. By A. Jacobi, M.D. VI. Diseases of the digestive organs. (Archives of Pediatrics, September, 1889.) A) Referent möchte nur einige Punkte aus dem Abschnitt dieser Abhandlungen (deren Studium nicht dringend genug empfohlen werden kann) hervorheben, um theils die Ansicht des Meisters in der Kinder- heilkunde dieses Landes wiederzugeben, theils auch um eine Erklärung abzugeben, welche wohl geneigt sein dürfte eine irrige Anschauung über den Standpunkt des Referenten bezüglich der Magenausspülung zu beseitigen.

Jacöbi sagt : „Die Therapie diarrhoealer Erkrankungen hängt theils von der Oertlichkeit und theils von der Aetiologie der indi- viduellen Afiection ab. Keine „specifische" Behandlung wird Nutzen schaffen, nicht einmal die modernisirte Magenpumpe, welche stolz aus der Rocktasche des erfreuten Mediciners schaut", u. s. w. Ferner : „Die meisten Fälle von Intestinalcatarrh (mit oder ohne Magencatarrh) und Durchfall basiren auf der Gegenwart von schlechter Nahrung und der durch sie bedingten Störung. Dieselbe sollte so schnell wie möglich entfernt werden. Beschränkt sich der Fermentationsprocess auf den Magen, oder enthält dieses Organ noch schädliche Massen, so sollten diese herausgeholt werden. In solchem Fall wird das gesunde Urtheil des Practikers entscheiden ob Emesis noch nützlich ist oder ob der Magen ausgewaschen werden soll. Die meisten Fälle von Gastro-Ente- ritis sind vorwiegend Enteritiden ; desshalb wird die Behauptung, dass die Magenausspülung nicht allein in jedem Fall vorgenommen werden soll, sondern, dass dieselbe auch das nahezu unfehlbare Mittel in den allerschlimmsten Fällen sei. nur das Resultat erzielen diese nützliche Maassnahme in den Augen derjenigen zu discreditiren, welche geneigt sind an den Werth „heuer" Methoden und die pretensiösen Behaup- tungen kurzsichtiger Enthusiasten zu glauben." „Thatsächlich ist das schädliche Element meist ausserhalb des Bereiches der Magenpumpe ; dieselbe kann thatsächlich nur das entfernen was aufgelöst oder sus- pendirt ist ; das Herausbefördern von grösseren Massen, Caseinge- rinnseln namentlich, durch einen elastischen Catheter ist ausser Frage."

[Referent, dessen Befürwortung der Magenausspülung wohl ejnige dieser Bemerkungen hervorgerufen haben mögen, kann nur hier erklären, dass er mit denselben fast vollkommen übereinstimmt. Nur in der Behandlung von Enteritis, selbst wenn keine Magenstörungen sichtbar sind und namentlich bei chronischen schweren Erkrankungen, hat die Magenausspülung dem Ref. ebenfalls sehr werthvolle Dienste ge- leistet, und wird, je grösser die Anzahl der so behandelten Fälle, von dem- selben nur mehr und mehr geschätzt. Unfehlbar ist keine Therapie, nicht einmal .nahezu unfehlbar, aber der Werth der Behandlungs- methoden ist verschieden. Ref. verwirft keine Methode der Behand- lung, welche einer gegebenen Indication entspricht und hat seines Wissens auch die Magenausspülung nicht als die alleinige Methode empfohlen. Wohl aber hat diese Art den Magen zu reinigen seinen Patienten mehr genützt als andere therapeutische Mittel und das zu constatiren und zu empfehlen ist doch wohl nur Pflicht.

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Caseingerinnsel durch einen kleinen elastischen Catheter zu entfernen geht allerdings nicht, wohl aber am schleunigsten durch die Anfüllung des kindlichen Magens mit Wasser mittelst Catheters und zwar so, dass derselbe förmlich überfliesst und das Kind zum Herausschleudern der Gerinnsel mit dem Wasser gebracht wird, während der Catheter ruhig in der Lage gehalten wird, eine Methode die Eeferent schon vor einem Jahr (Arch. of Pediat., April, 1889) als auch namentlich bei schwerem Collaps bei Kindercholera empfohlen und vielfach mit Erfolg geübt hat. Ohne Catheter geht das oft nicht, wie Eose sich verschiedentlich überzeugt hat, indem die Kinder wohl eine grössere Quantität Wasser trinken, aber selbst dann nicht erbrechen, wenn der Finger tief in den Oesophagus gesteckt wird. Da aber die Indication „in den meisten Fällen" ist die schlechte Nahrung „so schnell wie möglich zu entfernen," so zieht Ref. den Catheter und das Wasser jederzeit irgend welchen Brechmitteln vor.]

The surgical Treatment of Erysipel as in Children. By A. Sei- bert, M.D. (New York Med. Journal, Oct. 19, 1889.)

Verf. berichtet über 3 Fälle von Erysipel bei Kindern, welche er mit einer kleinen Modifikation der Riedel-Kraske-Lauenstein'schen Methode erfolgreich behandelte. S. bedient sich, statt des Messers zur Herstel- lung des die Erysipelgrenze umzäumenden Gitters aus Hautschnitten, zweier stählerner Kämme, deren Zinken bei genügendem Druck das

Gitter sehr schnell herstellen. Der schmale Kamm zieht die Längs- streifen des Gitters, und mit dem breiteren Instrument können die Querstreifen schnell und bequem nachgemacht werden.

Diese Modifikation hat die Vortheile, dass 1. der Eingriff von dem Kranken oder seinen Angehörigen wohl eher gestattet wird, als der mit dem Messer, 2. dass ferner die kleine Operation sehr rasch und bei nur geringen Schmerzen ausgeführt werden kann, und 3. endlich, dass man dabei der Narcose nicht bedarf, die bei Anwendung des Messers stets nöthig ist. Das Erysipel überschritt sowohl in diesen '3 Fällen sowie in einem weiterberichteten Fall von Gesichtsrose, der ebenso behandelt wurde, an keiner Stelle das so hergestellte Gitter, die Temperatur sank binnen 6 10 Stunden und erholten sich die Patienten sehr rasch. Die Sublimatverbände wurden 3 Tage liegen gelassen und häufig ange- feuchtet. Narbenbildung fand nicht statt.

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Büchertisch.

Die Uräemie. Von L. Landois. (Wien und Leipzig, Urban und Schwar- zenberg, 1890.)

In dieser Monographie sucht Landois auf dem Wege des Experi- ments das Wesen der Urämie, sowie der Eclampsie und gewisse Fälle von Epilepsie, Zustände, die mit einander eng verwandt sind, zu er- gründen. Landois weist nach, dass die bisher aufgestellten Theorien über die Urämie nicht stichhaltig sind. So hat sich die Frerichs'sche Theorie, dass die urämischen Zustände durch die Zersetzung des, im Körper zurückgehaltenen, Harnstoffs in kohlensaures Ammoniak und durch die Ansammlung des letzteren im Blute hervorgerufen werden als unrichtig erwiesen. Kühne und Strauch, sowie ferner Feltz und Ritter und endlich Kruse, der unter Leitung Landois arbeitete, unter- suchten das Blut urämisch gemachter Thiere und fanden entweder gar kein kohlensaures Ammoniak oder nur Spuren, wie sie auch im Blute gesunder Thiere vorkommen. Auch bei urämischen Menschen ist das Blut mit negativem Erfolge auf kohlensaures Ammoniak vielfach unter- sucht worden.

Auch Traube's mechanisch-physiologische Theorie der urämischen Erscheinungen, welche bekanntlich darin besteht, dass zwei Momente auf das Gehirn einwirken sollten, nämlich eine Combination von Hydrämie und übermässiger Drucksteigerung des arteriellen Blutes, wobei es zu Hirnödem mit gleichzeitiger Anämie der Hirnsubstanz komme und so durch die Wirkung auf die Hirnrinde, Coma, und durch die auf das Mittelgehirn convulsivische Bewegungen ausgelöst werden sollten, ist nicht stichhaltig. Das Gehirn der Urämiker ist nach Landois nicht immer ödematös, noch ihr Blut stets wässerig.

Der Harnstoff, als solcher, bedingt auch nicht Urämie, wie dies bereits Zolget, Staunius und Scheven durch Einspritzung von Harnstoff- lösungen in die Blutbahn gezeigt haben.

Von dem Gedanken ausgehend, dass die Hauptsymptome der Urämie : Erbrechen, Convulsionen und Coma viel Aehnlichkeit haben mit Zuständen, die man bei Reizung der Hirnrinde, sei es auf elektri- schem, thermischem oder chemischem Wege bekommen hat, vermu- thete Landois, dass die Urämie dadurch entstände, dass die gestörte Abfuhr der, im Blute kreisenden für den Lebensunterhalt nicht mehr nöthigen Stoffe der Gewebsmetamorphose eine Ansammlung resp. Ab- lagerung derselben im Centrainervensystem (Gehirn und Rückenmark) bedingen könnte. Diese Stoffe würden die psychomotorischen Centra der Hirnrinde reizen und auf diese Weise die urämischen Zustände her- vorrufen. Landois hat nun bei Hunden und Kaninchen den Schädel trepanirt und sodann auf die Hirnrinde verschiedene Stoffe, die im Harne enthalten sind (Harnstoff, Kreatin, Kreatinin, Extractivstoffe etc.) direct aufgetragen. Am wirksamsten erwies sich das Kreatin. Wurde dieser Körper in Pulverform (etwa 0,1) auf die Oberfläche der einen Grosshirnhalbkugel eines Kaninchens gebracht, so verharrte das Thier zunächst in ruhiger aber gewöhnlich etwas benommener Haltung; es zeigte sich gleich eine Neigung der Körperachse nach der gekreuzten Seite hin, so dass bei Bestreuung der linken Hemisphäre eine Neigung nach rechts hervortrat, welche in ausgesprochenen Fällen sich zur Zeigerbewegung rechtsherum ausbildete. Nach Verlauf von etwa 10 Minuten tritt ein charakteristischer Krampfanfall auf. Derselbe beginnt mit einem leichten Vibriren der Kaumuskeln, wobei die Bewegungen rechts stärker sind als links ; sodann treten klonische Zuckungen in der rechten Lippen- und Nasenmusculatur auf ; starke Kaubewegungen werden ausgeführt, so dass intermittirendes Zähneknirschen hörbar wird ;

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nun wird die rechte Nackenmusculatur, sodann die rechte Bückeninus- culatur tonisch contrahirt ; der Kopf wird so reehtshin gedreht ; in dieser Dauerstellung erfolgen jedoch klonische Erschütterungen des Kopfes und Halses von Zeit zu Zeit. Mitunter verlassen die Vorder- füsse des klonisch durchzuckten Thieres den Boden und der Körper wird durch die ausgeprägten Opisthotonus rückwärts hinübergeworfen. Bei stärkeren Anfällen wird neben der Musculatur der gekreutzten auch die derselben Körperseite von den Krämpfen befallen. Den An- fällen folgt ein Zustand der Buhe, der jedoch fast immer von Zeit zu Zeit von leichten Convulsivanfällen unterbrochen wird. Werden die chemischen Substanzen beiderseitig auf die Gehirnrinde gebracht, so verfallen die Kaninchen meist sofort in einen benommenen, apathischen Zustand ; die Zuckungen rinden dann auf beiden Seiten statt.

Stellte Landois dieselben Versuche an Hunden an, so traten die Krampfanfälle viel heftiger auf, sie waren den eclamptischen und epi- leptischen Convulsionen beim Menschen völlig ähnlich. Nach den Anfällen tritt beim Hunde wahres, tiefes Coma ein, zur selben Zeit ist die Beflexerregbarkeit tief herabgesunken oder ganz erloschen. Das Thier kann sich aus diesem Zustande noch völlig erholen. Aus der Analogie dieser experimentell erzeugten Zustände mit denen bei der Urämie vorkommenden, ist die Annahme L.'s vollkommen berechtigt, dass die Urämie durch sich anhäufende, die Hirnrinde reizende, Sub- stanzen hervorgerufen werde.

Diese Experimente Landois's sind auch für die Therapie von hohem Belang : es zeigte sich nämlich, dass, wenn man die Tliiere bei Beginn der Krämpfe narcotisirte, dieselben sofort nachliessen ; ferner konnten während der Narcose durch Beizung der psychomotorischen Centra der Hirnrinde keine Krampfzustände ausgelöst werden.

Aus dem eben Skizzirten geht leicht hervor, von welch hoher Be- deutung die Monographie des weltberühmten Physiologen, „Die Urämie", für das Verständtiiss der so dunklen Zustände der Epilepsie. Eclampsie und Urämie ist, und hat sich der Verfasser von Neuem durch seine letzte Schrift uuschreibliche Verdienste zugezogen.

Dr. Max Einhorn.

An die Leser.

Der Preis der „Med'win. Monatsschrift" ist (vom Januar an) $3.00 für den Jahrgang.

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122 East 17th Street, New York. Dr. A. Seibert.

Gesucht.

Ein jüngerer College, der deutschen und englischen Sprache mächtig, als Keisegefährte eines Nervenkranken auf 4 Monate. Gehalt $300 pro Monat. Man wende sich schriftlich an die Kedaction.

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