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Mitteilungen

aus dem germanischen Nationalmuseum

herausgegeben vom Direktorium.

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Jahrgang 1894.

Mit Abbildungen.

Nürnberg, 1894. Verlagseigeutum des germanischen Museums.

Am

101

65« 19

I 2. .

W . S7

Eiu Pokal des Nürnberger Goldschmiedes Elias Lenker.

m 1. Bande dieser MitteiluDg-en^) hat Greheimrat von Essenwein zwei Werke des Elias Lenker beschrieben, die sich in den Sammlungen des germanischen Museums befinden , auf ein drittes haben wir in dem Katalog-e der im germanischen Museum befindlichen Bronzeepitaphien 2) hin- gewiesen. Ein viertes haben im Laufe des vergangenen Jahres die Sammlungen des Museums durch die Güte des Herrn k. b. Überregierungsrates August Frei- herrn von Holzschuher in Augsburg erhalten, der als letzter männlicher Sprosse der Veitschen Linie der Familie Holzschuher den von dem Begründer dieser Linie derselben gestifteten, prächtigen, silbervergoldeten Pokal dem germanischeu Museum zur dauernden Aufstellung übergeben hat.

Dieses tfefäfs zeichnet sich durch elegante Form und schöne Verhältnisse, besonders aber durch reichen und interessanten heraldischen Schmuck aus, der das Geschirr zu einer Art Ahnentafel des Stifters des Pokals macht.

Bekanntlich liebten es die Alten, ihren Trinkgeschirren die seltsamsten Formen zu geben; ganze Menagerien kann man aus Trinkgeschirren des 16. Jahrhunderts zusammenstellen, Gefäfse in Gestalt von Jungfrauen, von Blumen, Birnen, Trauben, Ananas, Laternen, Windmühlen, Schiffen, Geschützrohren, Fingerhüten, Bienenkörben, Schlüsseln u. s. w. zierten die Tafeln der Vornehmen, und es ist wirklich ganz amüsant, zu sehen, wie viele Mühe sich unsere Vor- vordern gaben, alle möglichen Natur- und Kunstprodukte als Vorbilder für Trinkgeschirre gebrauchen zu können und sie so dem edlen Zwecke des Trinkens nutzbar zu machen. Und da ist es nun in der Zeit, in welcher man eifrigst bestrebt war, das Material für die Geschichte der Familien zu sammeln, kostbar ausgestattete Geschlechterbücher anzulegen und Stammbäume in sorg- fältigster Ausführung herstellen zu lassen, gar nicht zu verwundern, dafs ein wolhabender Nürnberger Patrizier auf den Einfall kam^, sich und seinen Frauen, sowie deren Vorfahren durch ein Trinkgeschirr ein Denkmal zu setzen und die übliche Form der Pokale zwar beizubehalten, den Schmuck des Ge- schirres aber durch eine Art Stammtafel zu bilden. Derartig verzierte Gefäfse sind nicht häufig, weshalb die zu besprechende Nürnberger Goldschmiedearbeit auch in dieser Beziehung besondere Beachtung verdient.

Der Schmuck der Fufsplatte des Pokals stellt in erhaben getriebener und nachgestochener Arbeit die Erde dar, die durch das Wasser befruchtet wird. Zwischen Gräsern und Kräutern bewegen sich eine Schlange nnd eine Eidechse, an den angedeuteten Teichen sieht man Krebse und Frösche, aber auch Reiher, die sich Fische holen. In der Mitte dieses Bodens erhebt sich, umgeben von vier Baumstrünken, ein Stamm, der einem knieenden Geharnischten, der den Stiel des Geschirres bildet, als Stütze dient. Letzterer, mit dem Schwert an der Linken, den Dolch auf dem Rücken der rechten Seite, repräsentiert sich durch den Schild, den er mit beiden Händen hält und der in erhabener, emaillierter Arbeit den Holzschuh aufweist, und den Topfhelm mit dem Helmschmuck der

1) S. 179. 2) S. 3i.

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Kolzschuher, einem männlichen Rumpfe mit Stulpliut, als ein Holzschuher, und zwar darf er als der Stifter des Pokals selbst angesehen werden, wie sich aus der Beschreibung- des weiteren Schmucks desselben ergeben wird.

Von dem Topfhelme laufen drei Bügel aus, welche die Cupa des Gesehirres tragen. Dieselbe ist von cylindrischer Form, unten mit einer Ausbauchung, oben am Rande kräftig ausladend, um das Geschirr mundgerechter zu machen. Aus der Mitte der Cupa sind als Hauptschmuck derselben auf punziertem Grunde die Wappen des Stifters des Pokals und seiner drei ersten Frauen herausgetrieben, von welchen jedes durch zwei Tugenden, von weiblichen Figuren dargestellt, gehalten wird. Die Ausladung am Rande ist mit zierlich graviertem Arabeskenornament in der Art des Virgil Solls reich geschmückt, dazwischen sind vier Zwickel, welche mit den vier darunter stehenden Wappen korrespon- dieren und darauf bezügliche eingravierte Inschriften enthalten.

Es findet sich demgemäfs 1) das Wappen des Veit Holzschuher selbst, ohne Helm, gehalten von der »Sterck« (mit einer Säule) und der »Gerechtigkeit« (mit Schwert und Wage, aber unverbundenen Augen), darüber in der Ausladung die Inschrift: »Veyt, Georgen Holtzschuhers, vnd Margretha von Plawen Sohn.« 2) Das Wappen seiner ersten Frau, einer gebornen Ölhafen, gehalten vom »Glaub« (mit Kreuz und Kelch) und der »Hoffnung«, die kein Attribut hat, sondern nur die Hände auf der linken Brust faltet; darüber die Inschrift »Anna, Sixt Ölhaffens vnnd Barbara Rietterin Tochter«. 3) Das Wappen seiner zweiten Frau Clara Grundherr, gehalten von der »Geduld« (zu Füfsen ein zu ihr auf- blickendes Lamm) und der »Fürsichtigkeit« (mit einem Spiegel in der erhobenen Rechten); die Inschrift darüber lautet: »Clara, Paulus Grundtherrn vnd Mar- greta Im Hof Tochter«. 4) Das Wappen der Clara Tetzel, der dritten Gemahlin des Veit Holzschuher, gehalten von der »Lieb« (zwischen zwei kleinen Kindern, auf deren Köpfe sie ihre Hände legt) und der »Messigkeit« (mit Kanne und Schale); darüber steht: »Clara, Friderich Detzels, vnd Helena Kemmererin Tochter«. Für die dritte Hausfrau, die bei der Herstellung des Pokals wol noch lebte, hatte also der galante Stifter des Geschirres die Liebe als Schildhalterin bestimmt, während die verstorbenen Frauen sich mit allgemein christlichen Tugenden begnügen müssen. Die Wappen der drei Frauen Holzschuhers sind kleiner als das seinige, doch sind sie dagegen mit Helm, Helmschmuck und reich ent- wickelter Helmdecke, die das Akanthusmotiv zeigt, versehen. Die Form dieser Wappenschilde, sowie die Stilisierung und Zeichnung der Helmdecken stimmen genau überein mit derjenigen auf dem Bronzeepitaphium Lenkers (No. 57 des Kataloges der im germanischen Museum befindlichen Bronzeepitaphien).

Unter den vier grofsen, schön getriebenen Wappen findet sich in der Ausbauchung eine Reihe kleinerer Wappen, die in Email ausgeführt und leider teilweise restauriert sind. Es sind im Ganzen 15 Schilde vorhanden, von denen jeder von einer Kartusche umrahmt ist; diese Schilde werden durch vier da- zwischen laufende Ornamente in vier Gruppen geteilt, von welchen die erste drei, die übrigen je vier Schilde umfassen. In den ersten drei Schilden sieht man je eine Frauengestalt, welche durch über den Schilden befindliche eingravierte Inschriften als Anna Ölhaffin, Clara Grundtherrin und Clara Detzlin, also als die drei Frauen des unten knieenden, die Cupa tragenden Ritters gekennzeichnet werden. In den drei übrigen Gruppen finden sich die Wappenschilde des

Vaters, der Mutter, der Ahnfrau von väterlicher Seite und der Ahnfrau von mütterlicher Seite der drei Frauen, jeder mit doppelter Überschrift.

Der Vater der ersten Frau des Veit Holzschuher Anna Ölhafen, war Sixt Ölhafen (1466—1539), ihre Mutter Barbara Rieterin von Kornburg (f 1540), ihre

Ahnfrau (hier ist darunter immer die Grofsmutter verstanden) von väterlicher Seite Marg-areta Riegelshoferin von Grraifsbach (f 1503), ihre Ahnfrau mütter- licherseits Marg-areta Schmidtmayer von Schwarzenbruck. Die zweite Gruppe enthält dementsprechend die folgenden Wappen mit der beigesetzten Inschrift:

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1) »Ölhafen. Mein vatter«. 2) »Rietterin. Mein muter«. 3) »Rigelhofferin. An- fraw von Vatter« (in von Silber und Roth längs geteiltem Schilde quer ein schwarzer Riegel). 4) »Schmidtmairin. Anfraw von der muter«.

Der Vater der zweiten Frau Clara Grundherr war Paul Grundherr von Altenthann (1497—1557), die Mutter Margareta Imhof (f 1562), die Ahnfrau väterlicherseits Ursula, des Leonhard Vetter, Ritters zu Ulm, Tochter (i 1513), mütterlicherseits Clara Grofs (f 1517). Es fmden sich demgemäfs in der dritten Gruppe die folgendbezeichneten Wappen: 1) Grundtherr, 2) Im Hof, 3) Vetterin (zwei und eine silberne Lilie in blauem Felde), 4) Grössin, mit den Beisätzen wie in der zweiten Gruppe.

Die Altern der dritten Frau Clara Tetzel waren Friedrich Tetzel von Kirchsittenbach (f 1523) und Helena Cammermeister, genannt Camerari, die Ahnfrau väterlicherseits Ursula, des Siegmund IL Fürer von Haimendorf Tochter (1481—1545), die Ahnfrau von mütterlicher Seite Katharina (i 1529), Tochter des Bartholomäus Groland (j 1507). Diesen Vorfahren entsprechend umfafst die vierte Gruppe folgend bezeichnete Schilde : 1) Detzel, 2) Kemererin, 3) Fuererin, 4) Grolandtin, mit den das verwandtschaftliche Verhältnis be- zeichnenden Beischriften, wie sie bei der zweiten Gruppe angeführt sind.

Der Wappenschmuck des Geschirres ist damit aber noch nicht erschöpft; er pflanzt sich auch auf den Deckel fort und führt die Ahnen des Veit Holz- schuher auf, die nicht fehlen dürfen, nachdem denjenigen seiner Frauen eine so weitgehende Berücksichtigung zu Teil geworden ist. Der kräftig über die Cupa hiuausgreifende Deckel wird durch einen von drei Delphinen getragenen, zierlich gearbeiteten Kolbenturnierhelm mit dem schon erwähnten Holzschuher- schen Helmschmuck gekrönt, dessen Decken zwischen den Delphinen herunterfallen.

Ähnlich wie auf der Ausbauchung der Cupa läuft auch um den Deckel eine Reihe von 16 emaillierten Wappenschilden, ohne Helm, die in vier Gruppen zu je vier Wappen geteilt sind. Oberhalb derselben sind die Namen der Wappenführer eingraviert, in einer zweiten Reihe, durch vier reizend getriebene Köpfchen in vier Teile geschieden, die Angabe des verwandtschaftlichen Ver- hältnisses derselben zu Veit Holzschuher. Die erste Gruppe mit der Überschrift »Meine Vätterliche Annaten« enthält die Namen Holtzschuher, Löffelholtz, Krefs und Müntzmaister, darunter die betreffenden Wappenschilde. Die zweite ist überschrieben »Meine von der vätterlichen anfrauen Annaten«; sie enthält die Namen Garttner. Meichsner, Lochner und Drackler mit den dazu gehörigen Wappen. Die dritte Gruppe, betitelt: »Meiner Muter von jrem vatter her An- naten«, zeigt die Namen Von Ploen (Flohen, Plauen), BeringstorfCer, Erlanger und Landawer^ darunter die Wappen dieser Familien, dasjenige der Erlanger mit einer silbernen Kanne zwischen zwei und einem eben solchen Stern in rot. Die vierte Gruppe mit der Überschrift: »Meine von der muterlichen anfrauen her Annaten« weist die Namen Harstorfer, SchüUer, Birckhaimer und Stain- linger mit den betreffenden Wappenschilden auf.

Es wäre zu umständlich und würde ermüden, wenn wir den Verwandt- schaftsgrad der durch diese Wappen repräsentierten Persönlichkeiten mit dem Stifter des Pokales hier ausführlich feststellen wollten, da die Wappen theil- weise diejenigen der Urururgrofsmütter des Stifters sind. Auch Veit Holz- schuher scheint die Feststellung dieser Ahnen Schwierigkeiten gemacht zu

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haben, denn der Name Drackler ist nicht, wie die übrigen Inschriften, in hübscher Neudorferscher Frakturschrift eingraviert, sondern mit Stempeln in Antiqua eingeschlagen. Es ist dieser Name also erst später nachgewiesen worden. Das Wappen der Drackler, einer weniger bekannten Familie, hat in schwarzem Felde eine liegende silberne Mondsichel, auf welcher die roten Schweife dreier Kometen mit goldenem Sterne aufstofsen.

Sämtliche emaillierte Wappenschildchen sind auf den Deckel besonders aufgeschraubt und werden im Innern desselben durch zierliche Muttern in Ro- settenform festgehalten. In gleicher Weise sind auch die Schildchen auf der Ausbauchung der Gupa angebracht; doch sind hier die Muttern nicht sicht- bar, vielmehr durch eine Fortsetzung des Gylinders der Gupa verdeckt. Auf dein Boden der letzteren ist eine grofse getriebene Rosette.

Eine ganz besondere Zierde zeigt der Deckel noch inwendig: ein Me- daillon mit dem kunstreich stark erhaben getriebenen Brustbild des Veit Holz- schuher auf punziertem Grunde und mit der ebenfalls getriebenen Inschrift: VEIT HOLTZSGHVGHER NATVS- M D XV DEN XV IVNY AN: 1562. Dieses Medaillon hat eine Einfassung, welche in zierlicher Fraktur die gravierte Um- schrift enthält:

j)Ernuester lieber herr vnnd gast,

Der diß geschirr in hennden hat,

Den haist der wirth freundtlich wilkhumb sein.

Mit disem trunk, vnd bitt (bietet) den weyn.

Wollet außtrynncken on Verdruß,

Weyl es ja ist khein Überfluß.

Denn G-ot auch hat, wie Sirach spricht.

Zu fröligkeyt vnns zugericht.

Dem wollet solchs thun zu lob vnnd preyß,

Verdiennt der Wirth mit höchstem vleyß.«

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Die Umschrift auf dem Medaillon gibt ganz in Übereinstimmung mit Biedermann den 15. Juni 1515 als den Geburtstag Veit Holzschubers an. Das Jahr 1562 zeigt auch wol die Zeit der Anfertigung des Medaillons an, das Geschirr selbst aber mufs erst später ausgeführt worden sein. Veit Holzschuher hat seine dritte Frau nämlich erst am 31. Januar 1564 geheiratet; vor dieser Zeit kann also der Pokal, auf dem die Clara Tetzlin durch Bild, Wappen und Namen so gut vertreten ist, nicht gemacht worden sein ; es dürfte die Herstellungs- zeit daher in die Dauer der dritten Ehe Veit Holzschuhers fallen, die bis zum 4. September 1571, an welchem Tage Clara starb, währte. Spätestens könnte er, da Veit Holzschuher am 12. Febr. 1573 zur vierten Ehe mit Katharina Rieterin von Kornburg schritt, die sicher auf dem Pokal nicht übersehen worden wäre, wenn er während der Zeit ihrer Ehe entstanden sein würde, dem Jahre 1572 angehören.

Als der kunstreiche Verfertiger dieses schönen Geschirres gibt sich Elias Lenker zu erkennen, dessen Marke E L dreimal eingeschlagen ist: auf der unteren Schriftreihe des cylindrischen Teils der Gupa, auf der Ausladung an der Mündung und bei der Inschrift auf dem Deckel; an den ersten beiden Stellen ist auch das Nürnberger Beschauzeichen N eingeschlagen.

Das Geschirr hat mit dem Deckel eine Höhe von 40,3 cm., es fafst gerade ein Liter und hat ein Gewicht von 1272 Gramm.

Herrn Oberregierungsrat August Freiherru von Holzschuher in Augs- burg verdanken wir nachstehende Stelle aus dem Testamente des Veit Holz- schuher vom 16. April 1580 (er starb am 21. November 1580), durch welches er den Pokal seinen Nachkommen legiert:

»Und nachdem ich ain getriben silbervergults trinkgeschirr mit aim deckel hab, so ungeverlich über fünf mark wigt, uf welchem mein, auch meiner dreyer hausfrauen seligen vier, acht und sechzehn wappen und agnaten, auch der Holtzschuher stammen getriben, so ist mein will und maiuung, da[5 solches trinkgeschirr allwegen bey dem eltisten meinem söhn als erstlich dem Maximilian Veiten, und dann bey Veit Philipsen, hernacher bey Veit Georgen und forthin, da ich mer eeliche söne bekommen wurde, pleiben solle. Da aber kainer mer, sonder allain söne, die sie eelichen erzeugt beten, vorhanden sein würden, soll es abermals uf den eltisten, der jeder zeit sein würdt, fallen und pleiben, bis so lang meiner söne oder enigklein manlichs stammens kainer mer in leben sein würdt, alsdann soll es uf meine töchter, ire Schwester oder derselben kinder, allergestalt, wie oben bey den sönen gemelt, auch allemal uf das eltist fallen, und sollen dieselben inhaber kaines nit macht haben, solches zu versetzen, zu verkaufen, oder zu verendern, auch allwegen ders in henden hat, den andern derhalben umb zweyhundert gülden purgschaft thona.

Von dem reichen Silbergeschirr, das Veit Holzschuher im selben Testa- mente seinen verschiedenen Kindern vermacht, sei nur das seinem ältesten Sohne Maximilian Veit (1551—1604) verschriebene silbervergoldete »handpeck« er- wähnt, auf welchen sein und seiner ersten »eewirtin, seiner muter seligen vier agnaten wappen geschmelzt« waren, das also einen ähnlichen Schmuck, wie unser Pokal, enthielt. Mit der dazu gehörigen silbervergoldeten Wasserkanne wog es 15 Mark 7 Lot 3 Quint.

Nürnberg. Hans Bosch.

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Aus dem Brief^vechsel eines jungen Nürnberger Kaufmanns im

16. Jahrhundert.

ie Lehr- und Wanderjahre des deutschen Kaufmanns im lo. und 16. Jahr- hundert nach gleiehzeitig-eu Korrespondenzen und Mitteilungen ein- g"eheuder zu verfolg'en und darzustellen, ist ein ebenso anziehendes als

lehrreiches Kapitel unserer vaterländischen Handels- und Kulturg-eschichte, welchem man bei der Erschliefsung neuen, wichtigen Urkundenmaterials g'eg-en- wärtig- eine grölsere Beachtung- zuwendet.

Mit Recht, denn das Bild von dem komplizierten Handelsbetriebe jener merkwürdigen Epoche, von der Stellung- und dem zielbewiifsten Streben z. B. des Nürnberg-er Kaufmanns auf dem Weltmarkte, oder von der Bedeutung des- selben als Bürger und leitendes Glied des hochentwickelten heimischen Gemein- wesens wird erst vervollständigt durch den Einblick in den Bilduugsgang, in das Leben und Wirken desselben während seiner laugen, strengen Lehr- und Wanderjahre.

Ein grofser Teil der zum Handel bestimmten jungen Nürnberger empfing die erste Bildung an einer lateinischen Schule der Vaterstadt; die meisten aber besuchten, nach der Mitte des 15. Jahrhunderts etwa, die Schulen der später nach Art der Handwerker zünftig vereinigten Schreib- und Rechenmeister, die bei dem anwachsenden Bildungsbedürfnisse in den weiteren Schichten der Bevöl- kerung überhaupt einen grofsen Zulauf besafsen. Bald traten damals für den Unterricht der weiblichen Jugend in den Elementarfächern und Handfertigkeiten auch sog. Lehrfrauen hinzu. Das war die damalige Volksschule, »die teutsche schul«, wie sie später genannt wurde, natürlich in ihrer ganzen Einrichtung und dem Bestände nach rein privaten Charakters, hie und da noch von Persön- lichkeiten zweifelhafter Qualität geleitet, die den Unterricht überhaupt nicht selten als ein bescheidenes Nebenamt betrieben.

Bereits am Ende des 15. Jahrhunderts jedoch befanden sich unter diesen Schreib- und Rechenmeistern treffliche Lehrer, deren erzieherischer Einflufs auf die heranwachsende Nürnberger Jugend nicht hoch genug angeschlagen werden kann. Wir erinnern nur z. B. an Michael Hoppel, den Lehrer Chri- stoph Scheurls, an Ruprecht Kolberger, dessen »rechenschuel« Christoph Fürer in seiner Lebensgeschichte erwähnt, an den bekannten älteren Johann Neu- dorfer u. a.

Einzelne dieser Rechenmeister führten ihre Schüler weit über das Mafs der Elementarkenntnisse des Schreibens und Rechnens hinaus und richteten, einem in den handeltreibenden Kreisen immer stärker hervortretenden Bedürf- nisse folgend, gewissermafsen Fachkurse für die zum Geschäftsleben bestimmte Jugend ein.

Nach dem Muster ähnlicher Schulen in den italienischen und französischen Handelsstädten erstreckte sich jeuer Unterricht auf praktisches und kaufmän- nisches Rechnen, auf Buchhaltung und Handelskorrespondenz, und bald er- schienen auch bei Nürnberger Verlegern eine Reihe derartiger Lehrbücher zum Gebrauche für augeheude Kaufleute.

Manche Schreib- und Rechenmeister nahmen auch öfter junge, zum Handel bestimmte Leute zur vollen Erziehung in ihre Familie auf. Ein sj'stematischer

Mitteiluageu aus dem germau. Natiojialmuseuiu. 1894. II.

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Unterricht iu fremden Sprachen, so wichtig- dieselben gerade damals für den Kaufmann waren, wurde in jenen Schulen nicht erteilt; doch gab es ohne Zweifel schon am Ende des 15. Jahrhunderts in Nürnberg bei den regen Be- ziehungen zum Auslande Persönlichkeiten. 16S7 wird die französische Schule des Kaspar Kiehl erwähnt die den jungen Leuten bei den Erlernung fremder Sprachen hilfreich an die Hand gingen.

Die Bedingungen, unter denen der Nürnberger bei einem Durchschnitts- alter von 13 Jahren während des lo. und 16. Jahrhunderts in die kauf- männische Lehre trat, waren jaVol nach Person, Verhältnissen und Entgelt verschieden. Die meisten haben nach unseren heutigen Begriffen und An- sprüchen eine sehr lange, anstrengende, es werden nicht selten 8 Jahre e-enannt ia harte Schule bei einem heimischen oder fremden Lehrherrn

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durchgemacht^).

Erst nachdem sie längere Zeit hindurch selbst zu den niedrigsten Arbeiten im Warenlager etc. verwendet worden waren, lernten sie den eigentlichen Handelsbetrieb auf der »Schreibstube« kenneu; bald befanden sie sich auch häufig in der anstrengenden und gefahrvollen Begleitung von Wareuzügen oder erledigten andere nicht minder schwierige (jeschäfte.

Die Söhne angesehener Nürnberger Handelsherren verbrachten durch- schnittlich drei Jahre in der eigentlichen Lehre und begaben sich zur weiteren Ausbildung auf Reisen ins Ausland^). Die eigentliche Schule für den süddeutschen Kaufmann höheren Stils und von diesem sei hier die Rede war namentlich Italien. Nach Venedig, Mailand, Genua und anderen italieni- schen Städten schickten seit dem 14. Jahrhundert die Nürnberger mit Vorliebe ihre Söhne auf die Komptoire ihrer Geschäftsfreunde, während diese wiederum Glieder ihrer Familie in Nürnberg die deutsche Sprache und den Handel er- lernen liefsen.

Von aufserdeutschen Städten^), in denen sich junge Nürnberger als Lehr- linge oder als »Kaufmannsdiener« aufhielten, sind noch zu nennen : Lyon, Paris*), Poitiers, London, Barcelona, Saragossa, an der äufsersten Ostmark des Reiches Krakau, Wilna, und seit der Auffindung des Seeweges nach Ostindien und den neuen Entdeckungen im fernen Westen, Lissabon, Antwerpen etc.

Namentlich in Italien, dem Lande der Klassizität, des guten oder auch des vermeintlich guten Geschmackes, der Kunst und der politischen Gegensätze, in der stolzen Beherrscherin der Adria mit ihrem »Fondaco«, empfingen die Nürnberger Kaufleute neben tüchtigen Fachkenntnissen und dem praktischen Sinne, eine feinere W^eltbildung, die Liebe zu vielem Nützlichen und Schönen,

1) Vgl. hierüber den interessanten Brief Michel Behaims io den Mitteilungen d. Vereins f. Gesch. d. Stadt Nürnberg HI, 118 ff.

2) Vgl. den Lehrvertrag für unseren Paulus Behaiiu in den Mitteilungen a. a. 0. III, 76 ff.

3) So vollbrachte z. B. Christoph Fürer 1492 seine Lehrzeit zu Venedig bei Hans Hefslein und Heinrich Wolf und bezahlte seinem Kostherrn jährlich 24 Dukaten. Friedrich Behaim, der Vater Pauls, der sich drei Jahre in Lyon aufhielt, verbrauchte dort zum Ver- drusse seiner Eltern folgende Summen: 1507: 79 fl. 17ß; 1508: 62 fl. 12 ß; 1509: illSjfl. rheinisch 6 ß. Stephan Baumgärtner bezahlte 1527 ebendort an seinen Kostherrn 24 Kronen.

4) Nach dem Tagebuch Hans Ölhafens 1541 galt in Paris die Herberge ,,zum eysen Kreuz" als Sammelpunkt der Nürnberger. (Hdsch. i. d. ßibl. des germ. Mus.)

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die politische Reife und alle jene EigeDschaflen, durch deren Entfaltung sie ihre Vaterstadt zu einer so hervorragenden Stellung weit über die deutschen Grenzen hinaus erhoben. Dafs einzelne Nürnberger Kaufleute des 15. und 16. Jahrhunderts gerade durch ihren Aufenthalt in Italien auch zu tüchtigen Kriegsleuten, Dip- lomaten, Sozialpolitikern und Kunstkennern herangebildet wurden, ist eine ebenso bekannte Thatsache, wie derEinflufs italienischer und französischer Ver- hältnisse z. B. auf das Nürnberger Handels- und Sanitätswesen, auf die heimische Gesetzgebung u. a.

Hatte der junge Mann seine Lehrjahre «vollendet, so blieb er nicht selten noch länger als »Diener«, oder als Kommis, Buchhalter, wie wir ihn jetzt bezeichnen, in demselben Geschäfte. Andere führte der den Nürnbergern ohnehin eigene Wandertrieb nach allen Teilen Europas, ja sogar nach den entlegensten Gegenden Asiens und Afrikas.

Das Los dieser »Kaufmannsdienercf und selbst der Vertreter grofser Faktoreien im Auslande, so weit sie nicht selbst als Geschäftsteilhaber gelten. war nach unseren Begriffen durchaus kein glänzendes. Man denke nur an die ungemein häuügen. beschwerlichen und gefahrvollen Reisen meist zu Pferde, an die Verantwortlichkeit bei dem Abschlufs der in jener Zeit mehr als jetzt problematischen und vom Zufall abhängigen Geschäfte! Auch ihre Einkünfte müssen im ganzen als bescheiden gelten.

Christoph Fürer der Ältere verpflichtete sich z. B. 1501 als »Diener«, oder vielmehr als Faktor des gröfstenteils von Nürnberger Patriziern betriebenen Schmelzhüttenhandels zu Arnstadt in Thüringen auf drei Jahre.

Neben den laufenden Geschäften zu Arnstadt und Nürnberg, sollte Fürer öfter die Messen zu Frankfurt am Main und Meifsen letztere zwei auf Kosten der Gesellschaft besuchen, wofür ihm ein Jahresgehalt von 100 fl rhein. aus- gesetzt war. Die Gesellschaft verpflichtete sich aufserdem, ihm, falls er auf seinen Geschäftsreisen von Plackern gefangen gesetzt würde, mit dem Höcbstbetrage von 200 fl. auszulösen. Die Firma Peter Imhofl" und Genossen zahlte 1507 ihrem »Diener« Wolf Rott von Nürnberg, der sich auf 4 Jahre zu ihr versprach, jährlich 65 fl. rheinisch, Landswährung, womit er jedoch noch seine Kleidung bestreiten mulste. Rott versprach in dem Vertrage überall hinzureisen, wohin ihn seine Firma schickte kein Land noch Gegend ausge- nommen — »kein spiel zu thun um kleines oder grofses, um wenig noch viel, ausgenommen im brett um eine collazen« (Mahlzeit). Er wollte sich vor dem Anhange der Frauen und vor böser Gesellschaft hüten, unnötige Reisespesen ver- meiden, überall das Wohl seiner Firma fördern und das durch seine Nachlässigkeit verwahrloste Gut der Gesellschaft aus eigenen Mitteln ersetzen s).

Mit treuer Liebe hingen die in der Ferne weilenden Nürnberger an ihrer Vaterstadt. »Also, lieber Vetter, schrieb z.B. Michael Behaim 1540, als die Sehn- sucht ihn mit Weib und Kind zurückgeführt hatte, hast du zu vernemen, das all mein Gemüt gut normbergisch ist.«

Ein reger brieflicher Verkehr verband Verwandte und Freunde mit den fernen Lieben. Wie sehnsüchtig erwarteten diese bei dem Mangel unserer

5j Nach den Verträgen in den Archiven der Familien von Fürer und von Imhofif, d.d. 1. Mai JöOl. hezw. Dienstag nach Kreuzerfindung 1507.

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heutig-en raschen und reg-elraäCsig-en Verkehrseinrichtung-eu jede Nachricht! Mit welcher Freude eilten sie zeitweise oder für immer der alten Heimat zu!

Als ein kleiner Beitrag- zur Kenntnis der Lehr- und Wanderjahre eines jungen Kaufmanns im 16. Jahrhundert, wie der Nürnberger Kultur- und Geschlechtergeschichte jener Epoche dürften überhaupt nachstehende, dem Archive des germanischen Museums entnommene, je nach Bedeutung ausgewählte und ab- gekürzte Briefe erscheinen, welche Faniilienangehörige, namentlich jugendliche Geschwister, an den 1540—1543 vom Elternhause entfernten Paulus Behaim richteten.

Paulus Behaim^) (1519—1568), der Sohn des RatsherrnFriedrich Behaim und der Klara Imhoff, hatte 1536 seine kaufmännische Lehre in Krakau vollendet und war sodann als »Diener« mit einem für jene Zeit hohen Gebalt von 200 fl. jährlich in die Handelsgesellschaft seiner Verwandten Hieronymus, Endres und Simon Imhoff' eingetreten. Dieselben schickten ihn 1540 nach Antwerpen, oder Antorf, wie man damals in Deutschland sagte, wo die Imhoff neben Venedig und Saragossa grofse Warenlager und ein eigenes Comptoir unterhielten.

Die materiellen Verhältnisse der Behaimschen Familie waren in der Zeit, als Paulus nach den Niederlanden reiste, ziemlich bescheiden. Friedrich Behaim hatte bei seinem Tode 1533 eine Witwe mit sieben unversorgten Kindern hinterlassen, darunter vier heiratsfähige Töchter. Die Hoffnung und Zuversicht der Familie stand auf dem ältesten Sohne Paulus. Ihm schütteten namentlich die Schwestern in ihren Briefen offen ihr Herz aus; sie suchten Rat und Hilfe in den wechselnden Lagen ihres Lebens bei dem in der Ferne weilenden Bruder, der bei seiner Jugend oft noch selbst derselben bedurft hätte.

Schade, dafs die Briefe des Paulus Behaim aus Antwerpen nicht mehr vorhanden sind ! Sie hätten uns ein lebhafteres Bild von dem Leben und Treiben eines jungen Nürnberger Kaufmanns in der Fremde entworfen, als die nach- stehenden Anwortschreiben es vermögen. Hier tritt dieses ziemlich zurück hinter die Nachrichten über die Nürnberger Heimat, über das Wohl und Weh der engeren und weiteren Familie. Allerlei Lokal- und Tagesneuigkeiten, harmlose Klatschereien, Aufträge u. a. nehmen einen grofsen Raum in unsern Briefen ein und geben denselben dadurch einen eigentümlichen Reiz.

Auch die gesellschaftlichen Verhältnisse in den reichsstädtischen Geschlech- terkreisen, sowie die allgemeine Bildung speziell der Nürnberger Frauenwelt erfahren durch unseren Briefwechsel eine interessante Beleuchtung.

In der Behandlung des Textes ist das Original, soweit als möglich gewahrt worden. Die in den Briefen herrschende Willkür im Gebrauch der grofsen Anfangsbuchstaben und in der Häufung von Konsonanten suchte ich in soweit zu heben, als alle Wörter im Satze, Eigennamen ausgenommen, klein gedruckt, jene zur Herstellung eines besseren Textes vereinfacht und die in den Originalen fehlende Interpunktion in moderner Weise geregelt wurden.

Von den Adressen auf den Briefen wurden einzelne ihrer Form wegen mitgeteilt; verschiedene sprachliche Erklärungen schwieriger Wörter und Pro- vinzialismen finden sich in Klammern innerhalb der Brieftexte eingeschaltet.

6) Paulus Behaims Lebensschicksale habe ich bereits näher verfolgt in den Mitteilungen des Vereins f. Gesch. d. Stadt Nürnberg III, 73 ff. VI, 56 ff. und verweise ich auf dieselben.

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1540.

1.

Laus deo semper; anno doraini 1540, Adi. (am Tag) 14 Aprili, in Norrnberg-k.

Mein freuudliclien, willig-en dienst mit wonschong (Wunsch) alles gueten zuvor. Lieber vetter Paulus, wi(3 mich adi 8. dito, spot (spät) von Presla (Breslau) wol herkomen , got dem hern sey allzeit lob, ehr und dank gesagt. Als ich dich aber alhie nit fondeu hab. bin ich fürwahr übel erschrocken und las mich gleich bedonken, ich mangel meines pesten freundes einen in Norm- bergk. Diweil es aber zu deinem nutz raicht, das man es also für das pest angesehen hat, dich gen Antorf zu legen, so las ich mir es gleich auch wol ge- fallen und wonsch dir dazu vil gluk und heil; got der her steh dir und mir sampt den unsern allzeit bey, amen. Lieber veiter, ich kan^ dir nit verhalten, das ich all mein leben lang hab hören sagen, wer gen Antorf kompt, derge- stalt und in solcher jogend, wie es mit dir gelegen ist, und allda des orts be- stendig pleibt, den mag man unter die rittermessigen zelen und dann ein yeder kaufmann wol auf einen solchen gesellen pauhen und dene (diesen) sam (gleich) einen vesten thorn (Turm) achten. Solchs mües ich dir von freundlicher lieb wegen anzeigen, wiewol es noth thet, das du mich in disem val (Fall) er- süeches; ich wolt es auch in treuen von dir aufnehmen. Und erman dich hie- rait ausgrondlichem herzen, dich (?'ow) gesellen und gesellin nit verführen wolst fassen, sondern vor allen dingen dein ehr und gesondhait bedenken, daran mir nit zweifelt. Dan ich wais wol, das du one mein vermanüng sonst guetes Verstands pist, dir von got verliheu; dem wollest dangk sagen und teglich pitten, das er dir solchen erhalt, vor sonden (Sünden), schänden, lästern und allem übel bewahr, amen.

Sonst, lieber vetter, wais ich dir auf ditzmal weiter nichts zu schreiben, allein ich bin altem prauch nach zu deiner muetter einzogen, verhof, sie nit lang zu überlegen und, wils got, in 8 oder 10 tagen widerumb nach Presla zu verreisen, got der her geh mit glugk amen. . .

. .Und bis hiemit dem hern got in genaden bevolhen. Datum in eil.

Aufschrift: J).{ein) w.{illiger) \.{etter) Q\.{zeü)

Dem erbarn Paulus Pehaim, meinem Michel Pehaim').

\.{reundlich) lieben vettern in Antorff'. Erhalten dort am 26. April.

2. Mein freüntlichen grüß und alleß guz. Lieber veter Pauluß, wen dir wol ging und gesunt werst, das hört ich von herzen gern; desselben geleichen wiß mich auch gesunt, got hab lob und geh lang. Lieber veter, mir ist ein prief von dir worden, den hab ich mit freuden empfangen. Darin schreibst du mir, das du gesunt seist hinab (d. h. ?iach Antwerpen) kumen, und das dir das wesen wol gefall. Das hab ich gern gehört; doch pit ich dich auf das höchst, das du dich vor den weibern hüten wolst, den sy kunen aim pald umb sein gut pringen und umb sein gesunt (Gesundheit). Darzu so hat mir einer

7) Sohn Stephan Behaims, Kaufaiann in Breslau, seit Sept. 1540 in Nürnberg, wo er 1569 starb. Über ihn s. Mitt. IE, 77. Anm.

14 -

g-esag-t, wie man so uhel (schlecht) koch (kochf) do iiyden (da unten) \ darunib, so sich dich für, das du das fyber nit krieg'st. und hut dich, das du nit so ung'esuDg:en (ungesunden) keß ist (issest); mau sag-t hie wunder von deinen kejiessen. Halt doch dich ordenlich im essen und drinken und in aller zeruug- genau. Mir ist -angezagt, das du so vil geiz hie hast an worden. Das gefeit mir gar nit; darumb gedenk, das du nun dester kerger (sparsamer) seist, das duß wider herein pringst. ist nit not. das duß einen yeden nach dust (thust) oder ein yeden forbycz [voreilig, unbesonnen) kaufest. Heiz du dich wol, so sols tu sehen, das du es genysen solst; heiz du dich aber nit recht, so wurst duß entgelten. Ich hab aber je ein gut herz zu dir, ich woll alle er (Ehre) an dir erleben; den ich hab je sust (sonst) kein drost den (als) dich. Got geh, das ich dich mit freuden sech {sehe). Damit befllch ich dich in gottes bewarung. amen. Grruß mir den VYolff Haller^) und den (jabarihel Nuczel freuntlich. üatumb am suntag vor pflngsten, {9. Mai) 1540 jar.

Lucia Albrecht Letscherin^). Die Margeret 10) und das"^ Endlein lassen dich fleissig grussen. Aufschrift; Meinen lieben vettern Pauluß Pehem gebort der prief zu Antdorff. Empfangen zu Antwerpen am 28. Mai.

3. Laus deo, adi IS. May in Nurmberg.

Mein freuntlich, willig dienst und alles gut allzeit zuvor. Lieber oham Paulus, dein schreiben vom 2. dito an mich gethun, hab ich vorgestern empfangen, darin und darvor vernumen, das thue (du) wol hinab pist kumen, hab ich gern gebort, got hab lob und verleih zu sein zeit mit freuden wieder her, amen.

So hab ich dein entschuldigung, das thue (du) noch nit vil nutz host sein konen, vernumen, aber dich betleissen wolst, die kuntschaft do niden (da unten) also einzunemen , das es hernoch pesser sol werden. Solch dein furnemen ich gern hab gehört, guter hoffnung, thue werdst im also mit der thad nochkumen. So reit vetter Jeronymus (Imhoff) auch dato im naiuen gots wieder hinab, got wol in mit lieb pleiden (begleiten) und vetter Wilbold herauf wirt schicken. Demnoch, so wolst vetter Jeronymo gehorsam sein und dich seins willens aufs höchst befleisen; das kon dir in vil weg zu guten kumen, auch von im lernen und mit fleis acht auf in haben wolst, wie er sich mit allen dingen helt. Das kan dir in vil wq^ zu grossem nutz kummen, dan (iceil) er furwar ein vernunftig, geschickt gesell ist, do einer wol pey etwas lernen kan und wolst also dein zeit, so thue (du) pey im sein wurdst, wol anlegen, auch dich also gegen im halten, das thue (du) ein lob pey im er- langen mogst. So hab wir davon gered, dieweil man do niden (da unten, d. h. in Antwerpen) am meinsten nur die franzosisch sproch red, das ein grose notorft wer, das thue (du) dieselben konst, dieweil dan do niden ein schul ist, do man

8) Über ihn s. Biedermann Taf. 111.

9j Tante väterlicher Seits. an den Kaufmann A. Letscher zu Nürnberg verheiratet.

10) Pauls Schwester, vgl. Briefe 5. 7. 9. ii. 14. 17 u. s. w.

lo

die lerent, hab wir für g-ut angesehen, das thue dan eing'en (hineingehen) und dieselbig lernen solst. Das darfst dich aber nit Schemen, auch es wol neben dem handel thun konst, so versieh ich mich, thue solst sie pald lernen, dazu wolst allen fleis thun und dir in vil weg nützlich sein wurd, sonderlich, so man dich etwan zu Lion prauchen wolt, demnoch es nit unterlossen wolst ....

Aufschrift des Briefes: Endres Imhoff^^).

Dem erbern, weisen Paulus Peham, meinem lieben oham, Antorf. Empfangszeit in Antwerpen : 26. Mai.

4.

Mein freuntlichen grus zuvoran. Herz lieber prüder, wen es dir wol gein,

das heret (hört) ych von herzen gern ; desselbig geleichen wyst uns alle

gesund, gott geh lang mit freuden, ament (Ameyi). Lieber prüder, wen es dyr

das weseu dunten (drunten) wol gflel, das höret ych gern; daran gar nyt

zweyfelt, es gfal dyr wol. wie uns der VVilwolt Imhoff^^) sagt uns wol.

du habst dye schun (schöne) weyber lieb; eis gfal dyr als wol dunten

(drunten). Es wolt dye mutter, vyl lyeber, es gegfyl dyr nyt so wol. Wist,

lyeber prüder, es hat der Antony Ducher^^j myr gesagt, er hab dyr wol

zwain pryf schryben und hob keyu antwort davuu und die mutter sagt, sy hör

nychs von den drey gülden, wye du den yr schryben hast für den fysch; sy

hat aber dein schuster von yren gelt zalt. Du hast der mutter schriben, du

schycks uns ein faden, so yst er uns noch nyt worden; den ein schaffen( ? )

myr (wir), dorfen (bedürfen) des faden paser (mehr). Dye mutter lest dych

tleyssig grussen, hat dyr auf dysmal nychs sunders wysen zu schreyben. Die

Reichlin^*) und Apel lasen dych fleysig grusen. Damit pyst gott befolchen.

Datum sant Ulrichstag (4. Juli).

Klara Fehamyn^^).

Lyber prüder, ych pit dich fleisyg, du wolst myr und der Apel {der Schwester) ytlyr (jeder) nur ein par such (Schuhe) schicken. Man sagt wye es seten (selten ?) sun (wol schöne) such synd. Das mas ligt ym prif.

5. Ich pytt dich freuntlich, du wolst uns doch schreyben eyn mal, wye es dyr geht; ich hett gemeynt, du best uns pey dem Wylywolt Ymbofi" eyn pot- schaft thun und kans auch nyt wol glauben, das dus nyt gethan hast. Du best uns auf das wenygyst {icenigst) eyn grüß entpoten und geht doch fast altag zu der Fetter Imhoff^^), das ym nyt auß dem weg wer. Lieber prüder, meynethalben wolt ych nyt darnach fargen {fragen), das du myr schrybst, alleyn das dem mumeleyn zorn hat thun, das du so gar keyn potschaft yr hast

11) Vgl. über ihn Biedermann Tafel 235, 244.

12j Wilibald Imhoff, der bekannte Kunstkenner (iS19 ISSO), über ihn s. Biedermann Taf. 236.

13) Anton V. Tucher (1510—1569), in erster Ehe mit Felicitas Imhofi", in zweiter mit Magdalena Holzschuher vermählt. Vgl. Biedermann Taf. 499

14) Frau des Kaufmanns Hieronymus Reichet in Nürnberg.

iö) Die Schwester Behaims, geboren 1521, mit dem Kaufmann Jakob Sattler zu Nürnberg 1543 vermählt, f 1571. Vgl. Mitt. a. o. 0. III. Br. 4.

16j d. h. zu der Witwe des 15^6 verstorbenen Peter Imhof 11. S. Biedermann Taf. 221.

16

thuui'). Lyeber prüder, so wyß, das der Antthony Saurman yst gestorben vor Stageu, g'ott sey ym g-uedig- und uns allen, amen. Und hat also yn dye hyez getrunken; est yst eyn groß hyez hye, das man yn lauger zeyt nyt gedenkt, das ych hob gorße {grofse) sorg, es wer [loerde) wyder theuer werden^^). Darumb, lieber prüder, pytt ych dich freuutlich und das mumelein lest dich auch tleysig pytten, du wolst auch achtung auf dich haben myt essen und trynkeu, das du nur nyt kank {krank) w erst. Es geschycht yezt gar lyederlich {leicht, leichtfertü)) yn der hyez, so wyß auch, das yezt alhye yn 12 tagen 2 mal hat geprent; das ayn mal hat es pey dem tag geprent yn der Peck- schalger gassen {Beckschlag er g asse) , das ander mal pey der nacht yn der eussern Lauflfer gasseu ; da syn {sind) drey heuser hyn geprent, gott erbarms^^). Lyeber prüder, besunders wayß ich dir nychs zu schreyben, den der Henssleyn {d. h. sein Bruder) schreybt dir hye auch myt und das mumelein {und) ich pytten dich aufs höchst, das du als {alles) wol wolst thun, das du yn kunst do nyden vnderpryngen {d. h bei einem Kaufmann in Antirerpen). Es wollen ye unser vettern ^°) uychts dazu thun, das du yn seinen pryf wol vernemen wyrst; es ist ye sein nuz pey uns nyt. Ich pit auch, du wolst dye pryf aufheben, das man dir nit darüber kumbt. Es ist yemand nyt zu trauen yezt; es ist die ganz weit vol falscheyt und untreu. Lieber prüder, das mumelein lest dich fleypig grusseu; und der Grystoffel Pfynzyu {Pßnzing), dein schwager {im Scherze), vud sein Schwester Fellyz haben myr bevolhen, ich sol yn {ihnen) den Jesus kopf^i) fleißig grussen. Die V.^sj hett dich gern grussen lassen, sych {sie) druft {dürft) es nur nit thun. Damyt pyß gott bevolhen. Datum 17 July, anno 1540 yar.

Margretta Pehamyn^^).

6.

Mein freundlichen grus zuvor. Freundlicher, lieber bruter, wist, das unsere mutter, die mum und alle unsere schweste(r)n frisch und gesund seind; dergleichen horden wir auch allezeit gern von dir sagen. Weider wiß, lieber bruder, das mein bess(r)ung siden {seit) deines abwesens gering umb mich word {worden) ist, yedoch hoff ich zu gott, er soll bessrung verleihen, auf

17) Unter dem Mumelein, dem wir in den Briefen öfter begegnen, ist meist die Schwester ihres Vaters, Lucia, die Frau des Kaufmanns Albrecht Letscher zu verstehen. Über sie vgl. Brief Nr. 2 und die Briefe in d. M. f. Gesch d. St. N. III, 9 ff.

18) Die Chi-oniken des 16. Jahrhunderts berichten von diesem ungeheuer heifsen Sommer, indem es drei Monate lang von Mai bis Juli nur zweimal regnete. An Futler für das Vieh wai- allenthalben grolser Maugel, dagegen gab es viel Wein und das Getreide konnte bereits am St. Veitstage (IS. Juni) geschnitten werden,

19) Bei dem ersten Brande, am Tage nach Petri Paul, brannte das Dach an einem Brauhause hinweg; bei jenem in der Laufergasse am St. Margaretentag wurden 2 Häuser von Schmieden und das eines Schreiners von den Flammen verzehrt.

20) Andreas und Gabriel Imhoff.

21) Es ist wol Paulus Behaim selbst gemeint.

22) Wahrscheinlich Ursula Pfinzing, Tochter von Sebald Pfinzing, die sich in Dezember 1540 mit einem Amberger, namens Castner verlobte, von den in den Briefen häufig die Bede ist.

23) Geboren 1517, mit Christoph Haller 1348 vermählt, f 1572.

17

das ich zu merer [gröjserer) Vernunft komme raocht, denn ich bisher gehabt hab. Derhalb bitt ich dich als mein freundlichen, lieben bruder, du wollest so wol thun und mich etwar darniden bey dir underbringen, das ich nicht so gar aller weit (all hie zu Nürenberg) gespot werde, denn unsere vettern, sonderlich Gabriel Imhoff. die denken oder drachten gar nit, mich zu etwas zu ziehen, wiewol sie solichs unbillich gegen mir thun, dieweil sie meine vor- münde sind, geschweig unsere geblüte freund. Derhalb bitt ich dich, du wollest dich doch mein erbarmen und wollest doch auf weg trachten, das ich doch nicht allhie mein tag so uunuzlick verziren mocht, denn all mein hoffnung und guter zu versucht gegen unsern guten freunden (die ich hett gemaint, mich zu fudern [fördern]) verschlossen ist. Damit gott bevolhen, unsere muter, unsere mum und in all lassen dich freundlich grussen. Datum Nurennberg, 17. July, anno 1S40 yar.

Hans Peham, dein w. bruder 2*) Meinem lieben bruder Paullus Behaim gebort zu Andtorff.

7.

.... Wye du myr schreybst, wye der her Endreas Imhoff und Gabriel Imhoff Avyder mich syn, das mich ser wunder nympt ; sych {sie) thun esye unpilig. Ich hab es ye nit gegen yn verschuld, allein das sych {sie) maynen villeicht, sych wollen myr einen man geben, der yn {ihnen) gefeit und myr nit, da weren sych mich hart darzupringeu, sunderlich die sich {sie) mir haben angetragen. Das ist der Anthony Saurman gewesen, der ist schun, wo gott will und hat mich gott wol vor ym behut, gott sey gedankt. So ist der ander, der Gristof von Plawen^^), den ich noch kain mensch hör loben, allein was unser vettern syn, das du zum tail selbst wol weyst, das du mirs selbst nit geraten hast kunen. Darumb hab ich yn bisher nit folgen kunen; kumbt mir oder {abe?') etwas under die hend, das mir zu annemen ist, so wil ich yn gern folgen. So ist die zeyt noch nit eyl. Lieber prüder, so gedank ich dir freuntlich deines schunen faden {Garn), den du mir hast geschickt, er ist schun und gelts vil. Weiter, so wiß, das der Michel Peham her ist kumen, weyb und kinder, wie wol sein weyb und kinder die syn noch pey seiner mutter, piß wir sein hauß zurichten, das er bestanden hat yn der Dyliggassen {jetzt Theresienstrafse), der Lemlich hauß, das du wol yn seine schreiben wol vernemen wirst sein thun. Das mumelein het dir gern geschrieben, so hat sich nit der weil gehabt von des Michel Peham wegen, das {iceil) sych ym haußrat einkauft ....

Lieber prüder, wie du myr schreybst, ich sol dich lassen wissen, ob das mumelein ir gescheft {Testament) hat gemacht, so wiß, das sich mirs ye hat gesagt, sich hab es thun, doch wil ich mit der zeyt noch grundlicher erfaren. Ich kan oder ye nit anders von ir hören, den das sich dir wol wil^^) oder

24) Der jüngste Bruder Pauls, geboren 152b; der körperlich und geistig schwache Knabe besuchte zur Zeit, als er diesen Brief schrieb, noch die Schule des bekannten Rechenmeisters Neudörfer, Über Hans Beheim vgl. Briefe 5. 11. 13. 18. 17. 18. 27; über Rechenmeister d. 15. u. 16. Jahrh. vgl. Mitt. a. a. 0. VI, 97 ff. VU, 126 ff.

25) Die reiche Familie der Ploben stammte aus Plauen in Sachsen.

26) In dem Testamente, das Lucia Letscher übrigens erst während ihrer Krankheit 1542 machte, waren die Behaimschen Kinder reichlich bedacht. Paulus Behaim erhielt 1000 fl.

Mitteilungen aus dem germau. Natioualmuseum. 1894. III.

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unsern 2 Schwestern, den wil sich ganz übel, den großen, das sich yn [ihtieti) das hauß verpoten hat. Sich (sie) halten sich auch unpilig gegen ir, sider du nit hie pist gewest. So syn sych nit vil dochhaymeu (daheim) beplieben und es wer vil darvon zu schreiben, das ich yezt nit zeyt hab. Und nym meyn boß schreiben vergut. Ich hab ye müssen eylen. Das mumelein lest dich fleysig grussen und die 2 maid {Diensimägde). Damit piß got bevolhen. Datum ptingtag nach sant üiligtag {2. Sept.) 1340 yar. Margretta Pehamyn.

Lieber prüder, ich pit dich, das du den pryf wolst bewaren, das dir yemand darüber kumbt.

8. Laus deo semper, anno domini 1540, adi 3 September in Normbergk.

.... So wiß, das ich in dem namen des allmechtigen gottes, mich von Presla wegbegeben hab, und bin adi 9. Augusto wolmit weib und kindgenOschalin zu meiner mutier komen^^), hernochmal allein gen Normbergk geritten, grosse mue und arbait gehapt, eh ich zu einer behausung hab mögen komen. Letz- lich hat mir der guetige herr got ein haus auf St. Egidiengassen beschert; das ligt gegen den predigern über, zwischen Endres Orteis und Heinrich Prauns behausung, wiewol im hiuterhauß wohnt der Hans Klarner, der hat vor IV2 jaren die ganzen volkomen behausung vom Lorentz Tuecher auf 4 jor lang bestanden und verlest davon weg, was er nit bedarf, mues ich im einen grossen zinst daraus geben, über etlich und 40 tl. zu IS batzen des jars, und so her Lorentz Tucher aus gonst oder sonst durch andre weg lenger nit darinen wohnen lassen ... so hat er macht, uns zu yder zeit, wan es im wol- gefelt, ... die mietung ein jarlang daraus aufzusagen . . .

Also, freundlicher, lieber vetter, hast du zu vernemen, das all mein ge- mueht guet normbergisch ist, und hab dardurch mein liebe hausfrauen bewegt, das sie mir ist ditz vals zu willen worden, doch mit dem beschaid, wolt es ditz orts uns nit zu der uarung laufen, so mögen wir allzeit zum Wechsel greifen.

Und so ich nun mit einer wonung gefast, pin ich willens, weib und kind mit erstem von Uschalin herzuholen . . .

Noch freundlich, lieber vetter, ist mein pit an dich, wo du mir was von faktorien kondest zu wegen pringen, daran erzaigest du mir grossen wolge- fallen und pit freundlich, du wollest mich derohalben bedenken und was dich für nütz ansieht zuaignen. Ich hof zu got dem herrn, ydem das sein nach aller nottorft zu versorgen. Thuet purgschaft umb 10 : 20 tausent 11. oder noch vilmer, soviel von nöten, will ich mit gottes hilf der sache auch raht finden. Pit hierinnen das pest helfen. Wer ways, ob es dir einmal nit auch mag zu nutz kommen ... MichelPehaim,

d. w, vetter.

Münze und den Garten vor dem Lauf er Thor »mit der hohen aichen«, der sich meines Wissens heute noch im Besitze der freiherrlich von Behaimscben Familie zu Nürnberg befindet. 27) Seine Mutter hatte als Witwe den Ritter Hans von Obernitz, Schultheils in Nürn- berg (1505 1539), geheiratet, welcher in Böhmen (Oschelin) grolse Güter besafs, und weilte gerade dort.

19

9.

So wiß, das der yung- Hanß Ebner ein preytyam ist mit des Hanß

Schonden^s) tochter, wie wol der handschalg- noch nicht g-ewest ist. Man wart nur, wenn der Schond gesund wirt, der ligt kank an dem fyber. Darumb sagt das mumelein, du solst pillig yezt hie sein, das du die Apel^) trostes (tröstest), das sich {sie) ir den todt nit thet und das du ir die äugen wischest. Wie wol irs vil leut wol vergunnen , weyl sich {sie) so hochtraget {hoffertig) ist gewest und ir geschwistert alle sich haben wol so gewiß gehabt in yren syn, das es noch stetyg gewert hat, weil du aussen gewesen bist, das zu yra ging den ganzen sumer yn den gretten {Garten ?), als wie vor, was man sich {sie) darumb hat gestraft, sich sol es nit thun, er wer sich nit nemen, es ken yetman {jedermann) den Ebner wol, das er nichts an {ohne) gelt thu, das sieht man wol pey der heyrat, ob er nit das gelt ansieht, wie wol sich ser schun ist; auch die Apel kunt ir das wasser nit langen, es hat sich ir liegen und ir boß mayl {Maul) nichts für getragen. Sunst waiß ich dir nichts zu schreyben, den das mumelein sagt, du solst uns lassen wissen, ob es sterb da unten {d. h. eine Seuche ausgebrochen ist) oder nit, du solst dein nur eben warnemen, das du nit kank werst und lest fleißig grussen und die 2 mayd, und grüß mir den Yonymuß Ymhoff fleißig. Damit biß gott bevolhen. Datum suntag vor Michael {26. Sept.) 1540 yar.

Margretta Pehamin.

10.

1540, adi 12. November in Normbergk.

So zweifelt mir nit, du hapst langst verstanden, das mir das

haus auf St. Dyling gassen nit hat mögen werden, unangesehen, das ich schon wein und pier het lassen einlegen, macht aber, derjenig, dem ichs und doctor ScheurP*') abpestanden betten, der hat es allein zu verlassen nit macht ge- hapt, also konden wir weiter mit ime nit handeln, dan er ward gen Frankfurt in die herpstmes zien und da ich auch nit lenger zu warten bette, mueste ich mir umb ein anders umbsehen, hat mir got der herre auf der hindern fülle {hintere Füll) zunechst neben des Pfanmues sei. behausung ein zimliche wonung beschert; daraus gib ich das jarlaug 45 fl. rein monz. Habs auf IVs.jar bestanden und diser zeit nit können verpessern, pin schier die ganzen stadL ausgeloffen, dank got, das ichs dennoch bekommen und mein thon {Thun) allein hab. So seyen wir und deine muetter und Schwester nit weit von einander, ist dardurch meinem weib die weil {Zeit) auch dest kurzer ^i). Lieber vetter, es hat mir auch dein muetter und die Letscherin alle ehr und freundschaft er- zaigt, mein weib mit gastung und geschenken verehrt, des ich mich zum hoechsten bedank und mich sampt meinem weib befleissen will zu beschulden,

28) Verschrieben statt Schnöd. H. Ebner (1315—1559) heiratete als Wittwer am 21. Februar 1541 Helene Schnöd, f 1544.

29) Pauls Schwester, Apollonia, geboren 1523; 1546 mit Georg Ketzel vermählt; t 1565.

30) Der bekannte Ratskonsulent Dr. Christoph Scheurl (1481-1542).

31) Das Behaimsche Familienhaus befand sich an der Ecke der Zistelgasse (Albrecht Dürerstrasse 4), also nur wenige Schritte von der Wohnung des Verwandten Michael B.

20

womit wir können oder mögen. Da hat mir auch herr Endres und Gabrihel Imhof ein silber uberg-ultet pecherla {Becher lein) geschenkt^^j , _ _

Und wiß, man hat vorgestern dem jongen Fridl, der seinen krom {Kram- laden) in der waggassen und etwo des Monstrers kromjongfrau {Ladenfräulein) zum weih gehapt, mit rueten ausgestrichen, die stadt verpoten und wan man nit etzlicher fürpit und seinen vater und muetter angesehen, wurd man ime das leben genommen haben, von wegen das er die Montz geschwecht und un- ehrliche hendel getriben hat ... . Michel Peha im,

d. w. Vetter.

11.

1540. Adi 23 Decembri, in Normbergk. . . . Weiter, lieber vetter, kan ich dir nit verhalten, das ich in kurz vergangen tagen mit deiner mueter mancherley geredt hab. Also begab sichs, das wir auch auf dein prueder Hansen kamen, der dan wol bey einem viertheil jar und lenger von der Letscherin komen und nun bey deiner muetter ist, aber hiemit in gueter meinung, und dir in allem vertrauhen endekt (pit aber, du wollest mich nit melden). So het ich warlich sorg, er were nit wol die lenge alda, sondern achtet für sein pessern nutz, das man ine etwo unter die frembden gethon bette. Nun waist du aber zu gueter mas wol, was er laider für ein gesel ist, dene man echt schwerlich zu dapfern hendeln wird können prauchen und nit wol one kostgelt wird können unterpringen. So will ja dein muetter nit bewilligen gelt vor ine zu geben, vermaint, er kost sovil nit, das man ine daheimen habt und zum Neudorfifer las gehn und spricht doch, er wachs ir zu hals, wolle weder auf sie, noch deine Schwestern, noch uf die maid {üienstboten), noch auf niemand nichts geben, das dan wahr ist und endlich meines erachtens nit guet für ine sein wird, also die lenge da zu sitzen, üerhalben hab ich soviel darzu gered, es were mein raht, das man dir schrib, ob du ime etwo in Antorf oder andern orten kendst einen herren zu wegen pringen, wan es gleich kein handelsman were nit vil an gelegen. Villeicht solt er pey einem doctor, edelman, oder dergleichen ort, da er auf den dienst muest warten, würde hin und wieder geschikt, lernet potschaft werben, das maul aufthon, eben so wol sein, als pey manchem hendler. Dan pedenk selbst, was auf die letzt also daraus werden würde; er solt {sollte) wol dir und all deinen geschwistrigt noch einmal zu schaffen genug geben, wan er also in dem eignen willen und daheimen erwuechs. Ferner will ich dir auch nit verhalten, sovern anders dir und deiner freundschaft damit gedient were, wolt ich vleis furwenden, ob ich ine etwo zu Bresla oder Krakau pey ymand kont unterpringen; aber one ein zimlich kostgelt und das er sich von dem seinen selbst klaidet, wird er gewis nit unterzupringen sein, dan du waist wol, wie sein sach steht. Nun wil mir aber nit zimen, das ich solchs den leuten, als seinen eitern und freundschaft zumuehten sol, da got vor sey, das ime etwo ein unvahl {Unfall) zustuende, so wurde man mir alsdan die schuld geben. Lieber vetter, ich schreib dir hiemit, als einem verstendigen und dene die sach am meinsten angeeht. Darumb pit ich dich, hab mir nichts verubel. Es will

32) Verwandten und Freunde pflegten sich namentlich auch beim Einzug in neue Wohnungen zu beschenken, eine Sitte, die auch heute noch in Übung ist.

21

mir nit anstehu, das ich den herrn Endres Irahof oder andre vormund sol an- laufen. Du must pey inen und deiner muetter antreiben, wird mir alsdan darumb zugesprochen , eih, so wais ich auch, was ich thon sol. Darumb magst du mir dein geraueht auch endecken. Pey einem freund oder gleich pey einem andern alhie in Nurmberg, hais gleich wie und er wolle, wird er nit wol sein; er mues der muetter und den freunden aus den äugen, sonst thuet es fürwahr nichts. Ich het kein zweifeL er würd noch Verstands genog (genug) über- kommen; er ist auch so einfeltig nit, wie man darfur ansieht. Solchs thue ich dir pester meinung zuerkennen, wolt got, ich kont all meiner freunt- schaft vil dienstlich sein, solt es an mir nit mangeln. Damit uns hab got dem herrn pevolhen. Grues widerumb den Nikiaus Molner und all ander guet freund. Datum in eil. Michel Peheim,

d. w. vetter.

1541.

12.

Mein freuntlichen grüß und alles guts; and wünsch dir gott eyn gluck- selig neus yar, was dir nuz und gut ist zu sei und leyb und uns allen, amen. Lieber prüder, wiß, das ich ein prif von dir entpfangen hab ; daryn hab ich dein schreiben vernumen und pyn von herzen fro, das es pesser mit dir ist worden, gott geb, das es beyleib (bleibe). Ich pitt dich auch, das du dein dester pas (mehr) wolst schunen und dein warnemst mit essen und trinken. Lieber prüder, wie du mir schreibst, ich sol dich lassen wyssen, wie sich das mumelein gegen dem Myche! Pehara und seinen weyb helt, wo sy ein ge- fallen ob yn hab oder nit^^). So wiß, das sich (sie) kein groß gefallen ob ym hat , das du yn yren schreyben wol vernemen wyrst, sein thun und lassen, das ich wol sorg hab, wir dürfen nit auf in pauen, das er uns vyl freuntschaft wer (werde) beweysen, als ym unser vater seliger gethon hat. Ich sy (sehe) yn ye noch nit vil, oder (aber) sein weib gefeit uns ser wol. Lieber prüder, ich hett dir gern lengst geschriben, so wiß, das ich nit wol der weil (Zeit) hab gehabt, den hab der Pfynzing Urssei müssen hemat (Hemden) helfen machen auf ir hochzeyt; die wyrd weren des 17 tags Jenner zu Zamburg (?) das sy nit hie wirt. Wen du hie werst gewest, so wolt ich dir die äugen haben gewyscht. Du weist vieleicht wol, wer der preytygam ist. Es hat myr ye der Mychel Peham gesagt, er hab dirs geschriben, so wiß auch, das es iezt gar styl hye ist, das man von kayner neuen heirat wayß, allain was die Joachym Halleryn ist, die hat yren man pald verklagt, ist lecht 13 wochen, das er gestorben ist; hat sich ein andern genumen, den Anthony Muffel. So wiß auch, das es das Ketzel Endlein hochzeyt hat gehabt mit dem Kastner; so ist nuch der Gristoff Haler gar ledig von yr yst. Sunst wayß ich dir nichts zu schreiben, den das

33) Nach seinen Briefen erscheint der schon oft genannte Michel Behaim als ein ge- bildeter, tüchtiger Kaufmann, der aber bei bescheidenen materiellen Verhältnissen sein Geschäft in sog. Nürnberger Waren nur mäfsig ausdehnen konnte. Bei den Verwandten war er weniger beliebt, obgleich Michels Briefe dafür zeugen, wie sehr ihm das Wohl derselben, speziell dasjenige Pauls und dessen Geschwister, am Herzen lag. Seine Heirat mit einer Fremden, Margareta Emerich aus Görlitz, war auch nicht nach dem Sinne einiger Nürnberger Verwandten.

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ich dir fleifsig- dank deiner schunen porten, die du mir hast geschickt und der schuch und pantoffel auch. Du sclireibst mir, ich sol dich wissen lassen, was die sag- von dem Wolff Haller ist; so wi|5, das ich nit vil umb in pyn. So hör ich nit vil von ym, den das er alle tag- zu der Fetter Ymhoff aus und ein get. Er hat mir gesagt, er wol palt wider zu dir hinab noch yn 3 wochen, so wiß, das es noch kein schyldenweder (Schlittemceiier) hie ist. Damit piß got bevolhen. Datum an dem neuen iartag 1S41 iar.

Margretta Pehaim. (Schlufs folgt.) Nürnberg. J. Kamann.

Zum Yerkehrsleben im 15. Jahrlmndert.

n den letzten Jahrzehnten ist ein grofser Teil der Stiche und Holzschnitte jdes 15. Jahrhunderts, welche für die Kulturgeschichte jener Zeit von

Interesse sind, veröffentlicht worden, was dankbarst zu begrüfsen ist, da sich, namentlich unter den ersteren , grofse Seltenheiten befinden, die vordem nur Wenigen bekannt gewesen. So zahlreich diese Veröffentlichungen nun auch sind, so gibt es doch noch mancherlei Darstellungen, die noch nicht publiziert wurden, der Verbreitung in weiteren Kreisen aber ebenfalls würdig wären. Auch in der an alten Druckwerken so reichhaltigen Bibliothek des germanischen Mu-

Fig. 1.

seums, in der sich viele mit Holzschnitten geschmückte Bücher aus dem Jahr- hundert der Erfindung der Buchdruckerkunst befinden, sind noch manche solche Szenen aus dem Leben des IS. Jahrhunderts vorhanden. Wir werden daher eine Reihe derselben, im Anschlüsse an die Reproduktionen einschlägiger Miniaturen

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und Haüdzeichnung-en des Museums, welche Direktor A. von Essenwein im »An- zeiger für Kunde der deutschen Vorzeit« sr. Zt. publiziert hat, an dieser Stelle nach und nach vorführen.

Heute geben wir aus dem Werke Rimicius, vita Esopi fabulatoris claris- simi e greco latino facta (s. 1. et a.), welches nach Hain (Nr. 3:26) in Augsburg- gedruckt wurde es dürfte dem Anfange der 70er Jahre des IS. Jahrhunderts angehören einige Holzschnitte, welche Szenen aus dem Leben auf der Land- strafse darstellen , wie sie der Zeichner eben vor Augen hatte. Auf Fig. 1 sieht man Fufsgänger, welche ihre Waren an einer Stange hängend be- fördern, die auf ihren Schultern ruht. Als Stütze hat jeder der Männer einen tüchtigen Stock. Bei den schlechten Wegen jener Zeit mag diese Art des Trans- portes sich für zerbrechliche wertvolle Waren sehr empfohlen haben, wenn sie auch etwas teuer gekommen sein dürfte. Bekanntlich hat auch der kunstsinnige

Fig. 2.

Kaiser Rudolf II. das Rosenkranzfest von Albrecht Dürer, das er in Venedig um eine hohe Summe erworben hatte, den weiten Weg von Venedig bis Prag auf die gleiche Weise verbringen lassen. Das Gemälde »ist nachmalen, schreibt Sand- rart^), mit Teppichen und vielfältiger Baumwoll eingewickelt, in gewixtes Tuch eingeballt und . . . auf ergangenen Kayserlichen Befehl von starken Männern an Stangen den ganzen Weg bis in die Kayserliche Residenz zu Prag getragen worden.« Der einzelne Mann mit dem Korb voll Brot auf dem Rücken hat auch noch in der Gegenwart Nachfolger, die abgelegene Dörfer, Weiler und Einöden, in welchen nicht alle Tage frisch gebacken wird, von gröfseren Orten aus mit neugebackenem Brote versehen, um sich dadurch einen kleinen Verdienst zu verschaffen.

1) Sandrart, Teutsche Academie (Nürnberg 1675 j ü, S. 223.

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Die beiden anderen Holzschnitte deuten eigentlich auf südliche Länder: der Esel, welcher so schwer mit Ballen beladen ist, und der zweiräderig-e Karren mit dem Maulesel sind in welschen Landen eine alltägliche, in Deutschland eine seltene Erscheinung. Vielleicht hatte der Augsburger Künstler, denn ein solcher, und zwar kein geringer, dürfte wol der Urheber dieser Holzschnitte sein, die ihm nahegelegeneu Alpen überschritten und aus Italien die Kenntnis von diesen welschen Transportmitteln mitgebracht. Einer Erklärung bedürfen diese Dar- stellungen nicht; nur sei bemerkt, dafs die Fig. 2 eigentlich aus zwei Teilen besteht. Der überladene und mit Schlägen reichlich bedachte Esel wünschte sich nach der Fabel den Tod, um von seiner Plage erlöst zu werden ; kaum war

Fig. 3.

er aber tot, so wurden aus seiner Haut Trommelfelle und Siebe gefertigt ; er fand daher auch nach dem Tode die ersehnte Ruhe nicht und auf seine Haut wurde wie zu Lebzeiten geschlagen. Diese Verwendung nach seinem Tode stellt der zweite Teil des Bildes, der Trommelschläger, dar. Vielleicht hat der Handelsmann durch sein Trommeln Käufer für seine Waren herbeilocken wollen.

Nicht ohne Interesse ist es, dafs von den Frachtstücken, deren Beförderung die drei Bilder darstellen , kein einziges eine Kiste ist^ die in der Gegenwart wol als eines der häufigst angewendeten Verpackungsraittel bezeichnet werden darf. Neben den Ballen scheinen damals die Fässer besonders häufig in Gebrauch ge- wesen zu sein, da auch die Bücher vorzugsweise in solchen versendet wurden 2).

Nürnberg. Hans Bosch.

2) Vgl. Oskar Hase, die Koberger (Leipz. 1885) S. 2S7.

Spruchsprecher, Meistersinger iiud üochzeitlader,

vornehmlich iu Nüruherg.

g'ibt kaum ein Gebiet in der deutschen Litteraturg-eschichte, welches noch so sehr der Pflege und des Hebevollen Studiums bedarf, wie das 14. und 15. Jahrhundert. Es ist ja eine in unserer Natur beg-ründete und schon vielfach hervorg-ehobene Thatsache , dafs uns die ihrem Höhepunkt zustrebende Kunst weit mehr interessiert und fesselt, als die verfallende, wie sie auch durch die deutsche Litteratur des 14. und 13. Jahrhunderts repräsen- tiert wird. Aber andererseits liegen doch gerade in diesen Jahrhunderten die Keime zum Neuen, zum AUermodernsteu, und vom historischen Standpunkt aus kann daher die Vernachlässig'ung- dieser Epoche nicht entschuldigt werden.

In der grofsen Zeit der Germanistik, in den Tagen Jakob Grimms, Lach- manns und Gervinus', hat man freilich ihre historische Bedeutung nicht verkannt; was aber seit den 60er Jahren etwa auf diesem Gebiete geleistet worden ist, hat mit wenigen Ausnahmen die Forschung nur um ein geringes gefördert. Ist doch z.B. das bereits 1811 erschienene Buch von Jakob Grimm über den alt- deutschen Meistergesang noch immer die beste zusammenfassende Darstellung dieser kulturhistorisch so interessanten Erscheinung. Bekannt ist die litterarische Fehde über die Frage, ob der Meistergesang einfach als direkte Fortsetzung des Minnegesangs zu betrachten und also mit diesem identisch sei oder nicht, welche im Anschlufs an jene Schrift Grimms entbrannte. Man hat sich seitdem über diesen Punkt wol allgemein dahin geeinigt, dals der Meistergesang allerdings auf den Minnegesaug als seine Wurzel zurückgehe, dafs aber die Veränderungen, denen Form und Inhalt durch den Zunftzwang einer handwerksmäfsigen Dich- tung Unterworten worden seien, im Laufe der Zeit ein völlig neues Gebilde hätten entstehen lassen.

Nun ist nicht zu leugnen , dafs wenigstens das Amt der sogenannten Spruchsprecher gleichfalls auf die Pflichten und Befugnisse der höfischen Säuger an Fürstenhöfen zurückgeführt werden kann , wenn auch ihre Gedichte selbst mehr den Einflufs des Volksepos verraten. Gewissermafsen aus einem Stamme entsprossen sind Spruchsprecher und Meistersinger bald der Verschmelzung nahe gewesen, bald haben sie miteinander rivalisiert und so kommt es, dafs man noch in Arbeiten der neuesten Zeit Männer wie Rosenblüt oder Kunz Has als Meister- singer bezeichnet findet, die doch mit dem Meistergesang aller Wahrscheinlich- keit nach gar nichts zu thun gehabt haben, während andererseits manche Lit- teraturgeschichten sich begnügen, die Worte Wagenseils von der tiefen Kluft, die zwischen Meistergesang und Spruchsprecherei gähne, zu wiederholen. Eine eingehendere Untersuchung über diesen Gegenstand existiert meines Wissens noch nicht.

Wagenseil schrieb sein »Buch von Der Meister-Singer Holdseligen Kunst« am Ausgang des 17. Jahrhunderts, als der Meistergesang in Nürnberg längst in raschem Absterben begriffen war, die Spruchsprecher sich dagegen erneuten Ansehens erfreuten. Insbesondere hatte der bekannteste und begabteste unter den Nürnberger Spruchsprechern des 17. Jahrhunderts, Wilhelm Weber, sich dem Meistergesang völlig fern gehalten, und so wird nicht zum Letzten Brot- neid es gewesen sein, welcher den Meistersingern, bei denen AVagenseil seine

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1894. IV.

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Erkundigungen einzog-, ihre gehässigen Auslassungen über die Spruchsprecherei eingegeben hat.

Wenn demnach in dem ersten Abschnitt der folgenden Studie der Versuch gemacht werden soll, zu einer Klärung der angedeuteten Verhältnisse im 14. und 15. Jahrhundert beizutragen, so wird sich der zweite Abschnitt immer gleichsam als verbindender Text zu den im germanischen Museum bewahrten Denkmälern mit der Darlegung des Thatbestandes im 17. Jahrhundert zu be- schäftigen haben. Ein dritter Abschnitt endlich greift von der Litteraturge- schichte auf das Gebiet der speziellen Xultur- oder Sittengeschichte hinüber und gibt im Anschlufs an ein Gedicht Wilhelm Webers einige Notizen über den Stand der Nürnberger HochzeitJader und Leidbitter, die sich, wie wir sehen werden, im 17. Jahrhundert häufig aus den Meistersingern rekrutierten und sich in ihren Funktionen vielfach mit denen des Nürnberger Spruchsprechers berührt haben müssen.

I.

Auf die Frage nach dem Ursprung des Meistergesangs näher einzugehen, würde mich hier zu weit führen. Sicher ist, dafs seit den Zeiten Frauenlobs, den die Meistersinger selbst als den Begründer ihrer Kunst feiern, die Musik stets eine Hauptrolle bei ihnen gespielt hat. Diese war, wie es scheint, aus- schliefslich Vokalmusik, melodiös nur, wo sie sich etwa an bekannte Weisen, z. B. an einen Choral anlehnte, in der Regel aber Sprechgesang in der Art unserer Opernrecitative mit eingelegten Koloraturen. Wie aber eine Reihe von Meistersingern sich auch als Dichter von Sprüchen hervorgethan hat man denke namentlich an Hans Folz und Hans Sachs so können wir auf der an- deren Seite Spruchdichter namhaft machen, die strophische Lieder gedichtet und wol auch komponiert und selbst gesungen haben. Ja manche derselben werden zugleich unter die Verfasser der damals so üppig aufschiefsenden Volkslieder zu zählen sein. Zwar: die Meistersinger selbst rechneten Suchensin, Grünewald und andere zu den Ihrigen, ebenso wie sie auch den König David, Arion, den »Erbsinger Aristotelesff oder die »weise Sangmeisterin Debora« und die »heilige Jungfrau Maria eine Rechte Meisterin«^) kurz jeden in der Geschichte Be- rühmten, der einmal einen Ton gesungen oder auch nicht gesungen hatte, unter die Meistersinger rechneten ; und sie gebrauchten auch freilich höchst selten ihre Weisen. Aber im Grunde sind sie doch ebensowenig hierher zu zählen, wie etwa der Teichner, Rosenblüt oder Kunz Has, die vermutlich nie ein Lied, sondern lediglich Spruchgedichte oder Priameln verfafst haben und von den Meistersingern nie erwähnt werden, Musik und strophische Form können also für uns nicht das Hauptkriterium des eigentlichen Meistergesangs bilden. Und ebensowenig kann die etwa nachgewiesene Ausbildung durch einen Lehrmeister, einen erfahreneren Dichter, als solches gelten, denn mit Recht ist vielfach darauf hingewiesen worden, dafs manche Kunstausdrücke der Meistersinger sich bereits bei den Minnesingern fänden, was notwendig Belehrung und Unterricht über die Regeln der Dichtkunst schon bei den ritterhchen Sängern voraussetze. Dazu

1) Die angeführten Bezeichnungen sind Cyriacus Spangen bergs Buch »Von der Edlen vnd hochberühmten Kunst der Musica . . wie auch von Auffkomuieu der Meister-Sänger« (herausgegeben von A. v. Keller, Stuttg. Litt. Verein Nr, 62, lÖ61j entnommen.

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kommen manche direkte Auslassungen hierüber, wie Walthers Angabe, dafs er in Österreich singen und sagen gelernt habe, Ottackers, dafs Konrad von Roten- burg sein Lehrer gewesen sei, u. a. m. Nein! wollen wir überhaupt versuchen, eine Scheidung der eigentlichen Meistersinger von anderen Dichtern und Sängern vorzunehmen, so müssen wir das unterscheidende Merkmal darin suchen, ob sich der Besuch einer wirklichen Singschule nachweisen oder doch wahrschein- lich machen läfst. Damit stofsen wir aber zunächst auf eine neue Schwierigkeit: was ist unter Singschule zu verstehen? Wir finden dieses Wort in zwei Bedeu- tungen gebraucht. Das eine mal bedeutet es das Zusammenkommen einer be- stimmten Anzahl von Personen zur Übung regelrechten Singens und Dichtens unter selbstgewählten Lehrern oder besser Kritikern (Merkern) ; das andere mal ist es etwa identisch mit unserem Worte »Konzert^, wie Fechtschule in ähnlichem Sinne nichts anderes bedeutet als Fechtvorstellung oder noch heute bei den Kunstreitern «hohe Schule reiteuff auch durch Schaureiten oder Kunstreiten wiedergegeben werden könnte. Nur Singschule in ersterer Bedeutung kann demnach für uns hier in Betracht kommen, denn wo von einer Singschule in der zweiten Bedeutung die Rede ist, braucht dies keine meistersingerische zu sein. So wird beispielsweise in Nürnberg am 19. Januar 1523 den Kürschnern und am 29. August 1532 »ettlichen deutschen theologen« vergönnt, eine Sing- schule zu halten 2). Aus diesem Grunde ist auch die vielbesprochene Stelle in dem Liede des Ulrich Wiest:

Augspurg hat ain weisen rat das brüft man an ir kecken tat Mit singen, tichten und claffen. Sy band gemacht ein singschül, Und setzen oben uf den stül, Wer übel redt von pfaffen^)

für die Existenz einer Meistersingergesellschaft in Augsburg um die Mitte des 15. Jahrhunderts nicht durchaus beweisend.

Genaue Benennung der Töne, die auf ein »beweren«, d. h. auf ein feier- liches Anerkennen und Taufe derselben durch eine meistersingerische Genossen- schaft schliefsen läfst, ist daher eines der Hauptindizien für ein mehr oder minder nahes Verhältnis des betreffenden Dichters zu einer solchen Genossen- schaft. Demnach ist z. B. ein Mann wie Michel Beheim ohne Zweifel zu den Meistersingern zu rechnen, ein Dichter wie Suchensin dagegen nicht, obgleich auch er Lieder in einer schon ziemlich komplizierten aber ansprechenden Stro- phenform (Meister Suochensinnes don) gedichtet und gesungen hat. Bei Michel Beheim kommt auch noch die genaue Bekanntschaft mit den spezifisch meister- singerischen Gesetzen, Gepflogenheiten und Traditionen, die sich in manchem seiner Gedichte verrät, und der Stolz auf diese Kenntnisse und seine Verachtung der ungeschulten, künstelosen Sänger hinzu. Wenn er sich auch mit den alten zwölf Meistern nicht messen könne, sagt er, so rechne er sich doch zu den Nach-

2) Ratsprotokolle der alten Reichsstadt Nürnberg (R.-P.) Jahrgang 1522, Faszikel X, Blatt 24a und R.-P. 1532, VI, 7a.

3) vgl. Liederbuch der Clara Hätzlerin, ed. Haltaus S. 41. Uhlands Schriften zur Ge- schichte der Dichtung und Sage 11. Band, S. 297 etc.

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lueistern und ilürfe g-etrost vor die Merker treten, denn seine Silben seien wol gezählt und gesetzt, und seine Töne könne ihm niemand nehmen*). Das alles iäfst uns fast" vermuten, dafs Michel Beheira sogar schon eine meisterliche Frei- ung durchgemacht habe, eine Art Examen, in dem der junge Singer den Nach- 'weis zu liefern hatte, dafs er würdig sei, in die Zahl der Meister aufgenommen zu werden. Die Anforderungen, die dabei au ihn gestellt wurden, und die Zeremonien bei der Aufnahme sind aus Wagenseil und anderen genugsam be- kannt und im lö. Jahrhundert werden diese Bestimmungen kaum wesentlich andere gewesen sein. Eine solche Freiung bot aber namentlich den fahrenden Sängern grofse Vorteile, denn der darüber ausgestellte Brief galt geradezu als Befähi- gungsnachweis und wurde auch insbesondere von den Stadtobrigkeiten als sol- cher respektiert. Im 15. Jahrhundert scheinen aber diese fahrenden Meistersinger sich noch durchaus in der überwiegenden Mehrzahl befunden zu haben, und ich werde später auf ein Zeugnis aus der Wende des 16. Jahrhunderts hinzuweisen haben, aus welchem man schliefsen könnte, dafs die Freiung überhaupt von Anfang an in erster Linie auf diese Mitglieder der Genossenschaft berechnet gewesen sei. Es bedarf kaum des Hinweises, dafs dieser Umstand ebenfalls leicht zu einer Verwechselung dieser fahrenden Sänger mit den Spruchdichtern, den Wappendichtern oder Ehrenholden, Pritschenmeistern und so speziell auch den Nürnberger Spruchspreeheru führen konnte und geführt hat; und wenn sich noch 1518 ein Meistersinger »der rechten kunst ein durchfarer der landt« nennt^), so erinnert uns das unwillkürlich selbst au Rosenblüts Worte »ich bin der Wappen ein Nachreiser« in dessen Gedicht von der Zwergin ß). Ob diese Aus- sage des Schnepperers auf Wahrheit beruht oder nur eine Fiktion ist, ist be- kanntlich eine Streitfrage. Für mich hat es nichts Unwahrscheinliches, dafs der Dichter, der 1444 als Büchsenmeister in den Dienst der Stadt Nürnberg ge- treten war, gelegentlich auch einmal wieder, wie vielleicht früher ausschliefslich, bei Turnieren und anderen festlichen Gelegenheiten als Wappendichter auftrat. Ob er überhaupt zugleich der Stadt Spruchsprecher gewesen sei und nicht nur nebenher einmal sein leicht bewegliches Talent in den Dienst der Vaterstadt gestellt hat, raufs dahingestellt bleiben. Wäre es der Fall, so hätten wir wol in dem Jahre 1470, in welchem der »Frauendinst« natürlich auch nur, wie »Rosenblüt«, der Dichtername zu einem »hegelein« aufgenommen wird'), einen terminus ante quem für den Tod Rosenblüts oder doch seines Ausscheidens aus diesem Amte zu erblicken. Denn soweit unsere Quellen zurückreichen , gab es stets nur einen Hegelein in Nürnberg, der schon von Joseph Baader mit dem Spruchsprecher identifiziert wird, wie Baader auch ebenso richtig den Namen Hegelein oder Hängelein (im 16. u. 17. Jahrhundert meist Vorhängelein) mit den Schildern in Verbindung bringt, mit denen die Kleider des Spruchsprechers be- hängt waren^). Welche Bewandnis es mit diesen Schildern hatte, das lehrt uns

4) vgl. Germania 111, 309.

5) cod. dresd. M. 191, Bl. 110b.

6j vgl. darüber Wendeler in Wagners Archiv f. d. Geschichte Deutscher Sprache und Dichtung Bd. I (1874), S. 109 f.

7J Schmeller, Bayer. Wb. I, Sp. 1069.

8) J. Baader, Nürnberger Polizeiordnungeu aus dem Xlll. bis XV. Jahrb. (Bil)l. des Litt. Vereins Bd. 63) S. 76, Aum.

am besten ein kurzes Spruchg-edicht unter dem Bilde des Spruchsprechers Michel Springenklee. Dieses Bildnis unseres Wissens das früheste eines Nürnberger Spruchsprechers mufs nach der verhältnismäfsig-en Häufigkeit seines Vor- kommens in Holzschnitt sowol wie als Kupferstich ziemlich verbreitet gewesen sein. Auch das germanische Museum besitzt davon mehrere Exemplare und wir geben eine Reproduktion des Kupferstichs (Porträte Nr. 1293) in ein Drittel der Origiualgröfse diesem Aufsatze bei (Fig. 1), wie wir auch eine Abbildung des alten Spruchsprecherstabes, den das germanische Museum bewahrt, um- stehend beifügen (Fig. 2); die Länge desselben beträgt 74 cm. Er unterscheidet sich von dem, den wir in Springenklees Hand erblicken, vor Allem durch die

A\ICHAEL SPRLNGENiajEE IN NURNB

Fig. 1.

buntseidenen Bänder, den kleinen Kranz aus Bandwerk und die rund herum angebrachten Wappenschildchen, dann auch durch die reichere Profilierung und die szepterartigere Form. Jene Verse aber unter dem genannten Holzschnitt (Porträte Nr. 2329) lauten:

Michel Springenklee bin ich gnand,

Zu Nürnberg gar wol bekandt,

Von Reich vnd Arfii, grofs vnd klein,

Denn ich geh int Gastheuser ein,

Da man darinnen helt Hochzeit,

Wenn man da sitzt in erbarkeit,

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9)

Dem Breutigaui vnd Braut zu ehren, So thu ich meinen fleifs ani^ehren, Da ich denn vor den Tischen allen, Den Hochzeit Gesten zu g-efallen. Sag schöne sprüch, nach gleg-enheit. Darnach sich schickt vnd g-ibt mein zeit, Setz darnach auff mein Schüsselein, So wirfft man mir die Pfenning ein. Die nem ich, vnd g'eh weitter fort. An mehr vnd andre Hochzeit ort, Oder sunst da man trincket Wein Da gut gönner beysamen sein. Oder das ich defs auch gedenck Wo handwercks Gsellen halten schenck. Welches geschieht an den Sontagen. So thu ich mich denn auch zu schlagen, Vnd Sprüch jn auch da zu gefallen, Zu einer kurtzweil vor jn allen. Crantz artlich Meisterliche dicht, Jdlichs handwercks lobsprich zugricht Die mir von jedes handwercks gsellen Aufs jr Ordnung han lassen stellen, Darzu haben mich auch die milteu. Begabt mit den grofs silbern Schiiten, Die Hefftlamacher, zu erst ein gaben. Die Panzermacher, den andern haben Geben, darnach die Zirckelschmidt Die Ringmacher Hessens auch nit. Gaben den vierten, nach dem kam her Der fünfft schilt, gaben die Nadler, Den sechsten die Schlosser fürwar, Der Sattler schilt der kam auch dar. Der Rotschmit schilt der war der acht, Der Kandelgiesser wur auch gmacht. Den zehenden die HufFschmid gaben Den eylfften schilt gegeben haben, Die Daschner. doch zweiffeit mir nit, Das löblich handwerck der Messerschmit Welchs ist ob all handwercken gfreit, Wer mir ein schilt zu glegner zeit Mittheilen, sampt anderen mehr. Den ich auch zu lob preifs vnd ehr, Wil auch dienen mit meinem mund, Gott der Vatter geb vns all stund. Durch sein lieben Son Jesum Christ, Was vns hie vnd dort nützlich ist 3). »Zu Nürnberg, bey Matthes Rauch Brieffmaler.«

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Alles dies zusammen giebt uns ein klares Bild von der Thätig-keit des Vorhängeleins, wie von seiner äufseren Erscheinung. Auf einige Nebenumstände, insbesondere sein Verhältnis zu den Hochzeitladern komme ich weiter unten noch zurück. Wenn nun auch Springenklee selbst bereits dem 16. Jahrhundert angehört, so können wir doch mit Fug und Recht annehmen, dafs die Befugnisse und die Thätigkeit der Spruchsprecher des Id. Jahrhundert sich nicht weseutUch von der seinigen werden unterschieden haben. Denn gerade das Amt des Vor- hängeleins verrät, wann und wo immer wir in den Quellen davon hören, eine grofse Konsistenz, während der Meistergesang doch wenigstens was Beliebtheit, Ausdehnung und inneren Ausbau betrifTt, eine Entwickelung zu verzeichnen hat.

Werfen wir nun noch einmal die Frage auf, woher es kommt, dafs gerade Nürnbergs bedeutendster Dichter im 15. Jahrhundert, eben Hans der Schnepperer genannt Rosenblüt, nicht der Nürnberger Meistersingergesellschaft angehört hat, so ist die Antwort einfach: weil diese Greuossenschaft zu Rosenblüts Lebzeiten wahrscheinlich noch gar nicht existierte. Es ist bekannt, dafs der Meistergesang erst durch Hanz Folz vom Rhein nach Nürnberg verpflanzt wurde. Die frühesten Nachrichten über Folzens Anwesenheit in Nürnberg stammen aber erst aus den 80er Jahren, also aus einer Zeit, in der uns Daten aus Rosenblüts Leben längst mangeln und in der sich auch die Entstehung keines seiner Gedichte mehr wahr- scheinlich machen läfst. Die früheste Erwähnung der Meistersinger in Nürnberg findet sich gar erst im Jahre 1503, wo es zum 28. Juli in den Ratsprotokollen heifst: »Den singern des meystergesaug sagen, on erlawbnufs kein offene siug- schul halten. So in aber etwo gemeit were (= wenn sie Lust hätten) schul zu halten« lo).

Auch in dieser Notiz spricht sich deutlich die oben angegebene Unter- scheidung der beiden Arten von Singschulen aus.

Im Anschlufs an diesen ersten Abschnitt des vorliegenden Aufsatzes er- laube ich mir ein Gedicht Rosenblüts mitzuteilen, das meines Wissens bisher noch nicht gedruckt ist, aber schon wegen des Dichters, von dem es herrührt, die Veröffentlichung ebensowol verdient, wie manches andere Denkmal der deutschen Litteratur des 14. und lo. Jahrhunderts. Es ist eines jener Lügen- märchen, wie sie uns aus den Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm bekannt und vertraut sind^^) und fast zu allen Zeiten beim Volke beliebt waren. Gerade das 14. und 15. Jahrhundert hat eine reiche Fülle solcher Lügenmärchen entstehen sehen, und auch unter den frühesten Meistergesängen finden sich ganz ähnliche Stücke. Alle diese Umstände mögen die Abschweifung von dem eigent- lichen Thema entschuldigen.

Das Gedicht findet sich in der bekannten Rosenblüt-Handschrift L. 440 des germanischen Museums auf Bl. 410b ff., trägt die von späterer Hand hinzugefügte Überschrift »Spruch das alles in der Welt gut gehet« und bedarf mit seinen ab- sichtlichen Sonderbarkeiten und Sinnlosigkeiten in der Hauptsache keines Kom-

10) R.-P. 1503, VI, 7 a. Eine gleichzeitige Notiz über den Nürnberger Meistergesang hat Lochner gegeben im Anzeiger füi" Kunde der deutschen Vorzeit VII. Bd. (1860), Sp. 408 ^Zur Geschichte der Fechtschulen in Nürnberg).

11) Nr. 138 Knoist un sine dre Sühne, Nr. 1S8 Das iMärchen vom Schlauratfenlaud, Nr. 1S9 Das Dietmarsische Lügenmärchen.

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mentars. Es ist jedoch zu bemerken, dafs iu ihm deutlich ein satirischer Zug; hervortritt, der das Gedicht über die Lüg-enmärchen gewöhnlichen Schlages er- hebt, ich meine dort, wo der Dichter ideale Zustände seiner merkwürdigen er- träumten Welt schildert, die mit den Zuständen der damaligen Zeit sicher im schärfsten Widerspruch standen. Gerade durch die Gleichstellung mit den an- deren Wunderbarkeiten, die aufgezählt werden, wirkt hier die Satire doppelt ätzend. Jene Sinnlosigkeiten selbst kehren in vielen Gedichten dieser Art in ganz ähnlicher Weise wider ^^j. Mag nun der Dichter selbst reden:

Ich sollt von hübscher abenteür^^)

Sagen darzu dorft ich wol steür

üb ich zusamen ein gedieht

Kunt bringen aus gar hofelicher geschieht 5 Ein schweizer spifs ein helnparten

Die tanzten in einem hopfengarten

Eins Storchs pein und eins hasen fufs

Die pfiffen auf zum tanz gar sufs

Die Würfel fürten den reyen clug 10 Dapei was Heinzlein Meyers pflüg

Der sas in einer alten taschen

Und schmidet ser an einer flaschen

Was grosser kunst er daraus dreit

Die flasch was dreimessig weit 15 Er schöpft ganz und gar darein

Das mer die Tunaw und den Rein

In aller weit wassers zuran

Ein muck verschlant ein starken man

Ein feür in wasser nie erlasch 20 Der pfarrer seinen mefsner trasch

Der pauersman sitzt wol und eben [411a] Der darft kein gült noch zehent geben

Ich sach den Dittrich von Bern den recken

Rennen scharpf auf einen heüschreeken 25 Ich wil euch neue mer hie sagen

Die Schweiczer hat er all erschlagen

Der edel fürst von Osterreich

Sitzt in dem Schweiczer land gleich

Und hat gewunnen mit dem seh wert 30 Als er vor lang hat begert i*)

Ich sag euch das fursten und herren

Der Juden schetz nit mer begern

12) Vgl. die Schrift von Carl Müller-Fraureuth : Die Deutschen Lügendichtungen his auf Münchhauseu, Halle 1891, in der jedoch unseres Gedichtes nicht Erwähnung geschieht.

13) Hinter »abenteür« ist »sagen« ausgestrichen.

14) Nach der satirischen Anlage des Gedichtes darf man aus dieser Stelle umgekehrt auf eine Niederlage des Hauses Habsbm-g durch die Schweizer schiiefsen. Ist etwa an die Schlacht bei St. Jakob an der Birs (1444) gedacht?

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Sie haben gemacht gut frid und gleit Und haben vertribeu weit und preit » 35 Die rauber ganz aus irem land

Das unrecht thut den tursten and Es sein alle strafs gar friedlich worden Und yderman helt recht sein orden Eeprechen und meinayd schweren 40 Das vindt man auch nu nymermer

Die weit ist worden schlecht (schlicht, gerade, gerecht) Richter und schöpfen die sprechen recht [411b] Und urteilt yderman nach seinem synn So ist gerecht! keit erschinn 43 In allen landen weit und preit

Hat man die unrecht ausgegeit (ausgejätet) Die prister halten sich wirdigleich Sie schlagen ganz aus alle reich Es wil einer nit mer haben dann ein pfründ 30 Sie haben sich alle mit got versunt Hoffart unkeüsch geitikeit ser Das sieht man nymant treiben mer Man mast7sich aller symonei Alle Wasser und weld sein worden frei 55 Wann fursten und herren thun als wol Und nemen nit steür noch zol Der Pfenning ist worden unwert Das nymant mer Unrechts begert Die weit die fleifst sich aller tugent 60 Und guter ding in aller jugent Die jungen die haben die alten lip Darumb ich in gros lob hie gib Die kind volgen vater und muter schon [412 a] Nymand dem anderen arges gon 63 Nymand tregt mer neid und has Geen dem andern ich sag euch das Die Juden wollen sich ganz bekern Und nymmt keiner kein wucher mer Sie sein all getauft zu der cristenheit 70 Ir sund ist in worden leit

Des habens alle ein guten willen Ein muck ving mit einem grillen Starcker wolf drei on wer Ein schwarzer storch pädt sich ser 75 In einem sperkennest (Sperlingsnest) gros Ein plinter zu dem zil schos Ein zwifaller (Schmetterling) aus clugen witzen Sang mit einem Stieglitzen

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1894.

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Umb hundert elen eg:erig-s tuchs (Tuch aus Eger) 80 Ein henn die las mit einem fuchs

Hie vor das sag ich euch für war

Ich was g-ar nahent hundert jar

Ein gewaltiger pabst in Schottenlant

Ich gabs mit willen auf zuhant [412 b] 85 Do hett ich alles das ich wollt

An dem weg do lag das silber und das golt

Gleich sam die grossen quaderstein

Das was mir alles gar gern ein

Do stund ein prunn der was guldin 90 Daraus flos der allerpest wein

Eine reiche kuch stund auch dapei

Und die was yderman frei

Da ging ich auch ein als ich solt

Und afs und trank do was ich wolt 95 Ich schlug es aus und wolts nit hau

Da sprach zu mir frau und mau

Ich wer nicht weis das ichs ausschlug

Solch herren leben gar gefug

Ich sag ein grossen mülsteiu 100 Da fügen in lüften gemein

Ich sag einen paumen der trug

Die allerpesten semel gut und clug

Der do in einem weyer hing

Der lauter da mit milich ging lOo Darein vilen die semel herab [413 a] Ein loffel man yderman gab

Zu essen genug semel und milch^^)

Ein weher macht guten zwilich

Aus einer alten decken schon HO Ich sag den turn zu Babilon

In eines kramers korb verspert

Ein äff macht hübsch gefert

Auf einer lauten hofenleich

vor Römischen keisern reich Ho Da kund er alle seitenspil

Ein toter Jud der gerbet vil

Schweiner feil zu einem pelz

Ich sag aus einer mucken schmelz

13) Ein Zug aus den Schlaraffenlandiaden. wie beispielsweise auch bei Hans Sachs (Das Schlauraffen Landt, ed. Goetze, Halle 1893 S. 8 f.l:

23 Auff Weyden koppen Semel stehn, »•

Darunter Pech (Bäche) mit Milich gehn: Die fallen dann inn Pach herab. Das yedemian zu essen hab.

35

Das pest schmalz wol drey zentner 120 Des molers pensei trug- gar schwer

An einem schneckeakorb^^^) g-ros

Ein frosch zu einem storchuest schos

Es velt neür umb zwu ackerlen£>-

Er hetts sust troffen sein weit sein emr 123 Mit einem alten videlpog-en

Ob ymant Sprech ich hett gelogen [413 b] Ich hab nit brif noch sigel dapei

Wie es das ewangelio sei

Damit ich die kuust bewer 130 Das ist nit war und ist kein mer

Sagt uns der schnepperer. »Mache das Fenster auf. damit die Lü£>-en hinausfliegen«, so möchte mau mit Grimms dithmarsischem Märchenerzähler schliefsen.

II.

Der Meistergesang des 13. Jahrhunderts, so wurde bisher fast allgemein angenommen, unterschied sich von dem Meistergesang der folgenden Zeiten vor- nehmlich dadurch, dafs »die früheren Singer die Kunst als ihren Beruf betrieben, die späteren als eine fromme Übung und Unterhaltung«^^). Diese Behauptung ist aber wenigstens in der angeführten schroffen Form nicht richtig. Es hat bis ins 17. Jahrhundert noch fahrende Meistersinger, die wol ausschliefslich von ihrer Kunst lebten^ gegeben. Das erhellt z. B. ganz deutlich aus der Einleitung zu einer Nürnberger Freiuugsordnung vom Ende des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts^'), in der es heifst: »Zum andren ist die freyung auch nutz einen ledigen gesellen oder wer im land hin und wider reist und begert schul zu halten der get einem ungefreyten singer vor wau er seinen freybrif aufweist«. Ja gerade auf die fahrenden Meistersinger war vielleicht, wie ich oben (S. 28) schon andeutete, die Freiung hauptsächlich berechnet, denn der Schreiber der Freiuugsordnung fährt alsbald fort: »was aber burger in einer stat und einer compagnj sein so acht ichs für unnöthig das sie alle gefreit sein, dan wer hat Hans Sachsen und ander alte singer, welche doch vil singer ubertroffen haben [gefreit]. Jedoch veracht ich die frejung nicht dann wer lust darzu hat, der mag es thon, dan ich halt '^den für ein eüfferigeu singer, darum merck jeder singer den nachfolgenden spruch

[1010] Hie gib ich einen treuen raht

einem jeden in solcher that

der die freyheit erlangen wil

er schau dafs er könne so vil

der unkunst mengel abzuwenden

sunst thut er sein maisterschaft sehenden

aj Wol ein Körbchen zur Aufbewahrung der Farben; vgl. SchmeUer, Bayer. Wb. II. Sp. o67.

16) A. Holtzmann in der Germama III, 307,; ähnlich Koberstein in seiner Lilleratur- geschichte I, 313 f.

17) Hs, der Nürnberger Stadtbibliothek, Will, Bibl. Korica III, Nr. 782 (»Ein schöner Band von Meistergesängen «j S. 1009 f.

36

Und das er auch kön im g-esang- der thön vil über kurz und lang- Und thu etwas maisterlichs machen sunst wird sein mancher schuler lachen wan er von im erst lernen sol das zimbt keinem gefreiten wol darumb eil nicht maister zu werden du wissest dan alle beschwerdeu der kunst weislich abzutreiben wo nicht thu er ein schuler bleiben steig' nicht zu hoch über die alten thu sunst fleifsig ob der kunst halten thu keiner difs für arg aufnemen dan lernes dorf sich keiner schemen.(f

Die ausgesprochene Meinung von der teilweisen Überflüssigkeit der meister- lichen Freiung mag indessen nur eine Privataasicht des Schreibers sein, der überdies ja auch bereits der Verfallzeit des Meistergesangs angehört und auf dessen Mitteilung über Hans Sachs wir daher kein besonderes Gewicht legen dürfen.

Es ist dies aber nicht die einzige Stelle, durch die uns fahrende Meister- singer für das 16. 17. Jahrhundert bezeugt werden. Mehrfach beschäftigen sich die Gedichte des späteren Meistergesangs mit ihnen. So ermahut sie eine joSchulkunst« des 16. Jahrhunderts i^):

^nver singt umb gelt oder umb gab

der schau das er die kunste recht thu füren« und weiterhin:

»al die so umb gelt dem gesang nach ziehen

und halten schul in mancher stat

sollen gesanges sein gelert, bewerd

sol sein ir kunst ob allen dingen

aus heiliger schritt haben grund

daraus der mensch besser img find a[uf erden?]« 19) Zu den' Singschulen kam in dieser Zeit dann auch häufig das Komödien- Agieren als Erwerbsquelle hinzu.

Richtig ist jedoch an obiger Annahme, dafs vom 16. Jahrhundert an die Zahl der in den freien Reichsstädten fest angesessenen Meistersinger die Zahl der fahrenden immer mehr überwog, und dafs im Verlauf des 17. Jahrhunderts wol überhaupt das »Durchfahren« der Länder, das Umherschweifen seitens der Meistersinger aufhörte und nur noch, allerdings ziemlich häufig, von dem stän- digen Wohnsitz aus Kunstreisen von ihnen unternommen wurden.

Als charakteristisches Beispiel für das Treiben eines solchen späteren nicht mehr fahrenden, aber doch unstäten Meistersingers mögen einige Daten aus dem

18) cgm. 5103 Bl. 45 b u. 47 a.

19) Der Rest des Verses ist mit dem Rande abgeschnitten; es wird ein Reim auf »werden« gefordert.

37

Leben des Thomas Grillenmair hier Platz finden. Thomas Grillenmair war den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts eine der Hauptstützen der Nürn- berger Meistersing-erg-esellschait. AVir tindeu daher sein Bild auch auf einer aus

Fi-. 3.

dieser Zeit stammenden Tafel der Meistersinger, die im germanischen Museum aufbewahrt wird (Fig. 3) 2^). Die Tafel hat die Form eines Altarschreines mit

20) Wie Fig. 2 verdanken wir auch Fig. 3 der Freundlichkeit der Verlagsbuchhandlung von Velhagen u. Klasing in Leipzig, in deren Verlagswerk, Königs Litteraturgeschichte. sich beide zuerst abgebildet linden.

38

barocker, von zwei Säulen getragener ßekrönung iu bemalter Holzscbnitzerei. Das Mittelfeld zeig-t in seiner oberen Hälfte den König David die Dreifaltigkeit anbetend. Ihm zu Häupien schweben zwei kleine Engel, die Krone, Szepter und eine aus Münzen bestehende Kette halten. Die untere Hälfte wird durch eine Säule in zwei ungleiche Teile geteilt. Auf dem gröfseren Bilde, links von der Säule, sieht man hinter einer Brüstung und einem aufgezogenen, roten Vorhang dreizehn Männer um einen langen Tisch, die dem Beschauer ihre ausdrucksvollen Gresichter zuwenden. Am Ende des Tisches links ist Hans Sachs deutlich zu erkennen; die übrigen sind wegen der Porträtähnlichkeit wol nicht, wie sonst mehrfach auf solchen Tafeln, die idealen zwölf alten Meister, sondern die damaligen (ca. 1615) zwölf Ältesten der Gesellschaft. Über ihnen schwebt in der Luft ein goldener Kranz und eine doppelte Münzenkette mit dem schwer zu erkennenden Schulkleinod. Rechts von der Säule ein Sänger auf dem erhöhten, rot ausge- schlageneu Singstuhl, elf andere am Fufse desselben, die Gesichter wiederum dem Beschauer zuwendend. Die Aufsenseiten der Flügel des Schreines sind mit den vier Evangelisten und ihren Symbolen geschmückt: Mathäus und Markus links, Lukas und Johannes rechts; die Innenseiten zeigen vier Porträte mit Umschriften, rechts: »Georg Hager AeLatis Suae 69« und »Wolff Bauttner Aetatis Suae 56<f, links: »Hans gleckler Aetatis suae 71« und »Thoma Grillenmair Aetatis Suae 50«. Die am wenigsten bekannte unter diesen vier Gröfseu des ver- fallenden Nünberger Meistergesangs ist der zuletzt genannte Meister, der da- mals also im 50. Lebensjahre stand. Von seinen dichterischen Erzeugnissen um das gleich vorweg zu nehmen ist mir bisher gar nichts bekannt gewor- den. Benedikt von Watt führt von ihm einen Ton an: Die stinkende Grillen- weise ^i). Er war seines Zeichens ein Kammmacher, scheint aber in seinem Be- rufe nicht sonderlich reüssiert zu haben, da er eine Reihe von zeitraubenden Nebenbeschäftigungen dabei ausüben konnte. 1584 in die Gesellschaft der Meister- singer aufgenommen 22), kommt er 1591 mit dem jüngeren Hans Sachs und an- deren Nürnberger Meistersingern zusammen in den Bürgermeisterbüchern von Frankfurt a. M. vor. Sie führten daselbst KomiWüen mit eingelegten Meister- gesängen auf; Grillenmair war einer der Hauptsänger -2). 1604'tindeu wir ihn unter den gemeinen Hochzeitladern. Als solcher bewirbt er sich um das Amt eines Hochzeitladers der ehrbaren Geschlechter an Stelle des Heinrich Resch, der diesem Amte nicht mehr in genügender Weise glaubt vorstehen zu können 2*). Ein Hans Höllich läuft ihm jedoch hier den Rang ab, weil er, wie mehrfach hervorgehoben wird, »eine feine ansehenliche person und zimblich beredt ist«-^).

21) cod. herol. germ. fol. 24, Bl. 153 a: »In der Stingetcn.^Gryhveirs«. Die Haudschrilt ist, ebenso wie cod. berol. germ. fol. 25 in der Hauptsache von Benedikt von AVatl geschrie- l)en; eine zweite, mir unbcliannte Hand aus der Wende des 17. und 18. Jahrhunderts hat nur verschiedene häufig; fehlende Liedertexte, nie fehlende Noten hinzugefügt. Auf die Zu- sammengehörigkeit der beiden Handschriften mit^der Handschrift der Nürnberger Stadtbiblio- thek, Bibl. Nor. Will. III. Bd., cod. 784 kann ich hier nicht näher eingehen.

22) Nach dem Mitgliederverzeichnis von 1624, wonach er damals 40 Jahre gesungen hatte. (Barack in der Zeitschrift für Kulturgeschichte 1859. S. 385.)

23) vgl. Elise Mentzel, Geschichte der Schauspielkunst in Frankfurt a. M., Frankfurt 1882, S. 18 und Anm. 44.

24) R.-P. 1603, X, 31 a zum 19. Jan. 1604. 25J K.-P. 1603, Xll, 72b zum 27. März 1604.

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Auf Grrillenmairs weitere Thätig'keit als Komödiant beziehen sich folg'ende drei Ratsverlässe: [R.-P. 1606, IX, ob] Freitag-, 5. Dezember 1606: «Thomas Grillen- mair und seiner gesellschaft comedianten, welche ihnen im Hailsbrunnerhof zu ag'irn g'ebeten, soll man solch ihr begern allerdings abschlagen, wie unlängst einer anderen gesellschaft auch geschehen^. [R.-P. 1606, X, 26a] Donners- tag, 15. Jan. 1607: »Thomas Grillenmair und seinen mitconsorten, soll man ihr begern, das sie acht tag nach vafsnacht ein spiel vom jüngsten gericht agirn mögen, ablainen, ihnen sagen, es sey difs ein articul des glaubens und ge- haimbnus, das niemand erforschen könne, sollen sich demnach davon zu spielen enthalten.« [R.-P. 1629, IV, 60b] Samstag, 18. Juli 1629: «Jörgen Hager, Tho- mas Grillenmair und andren raaistersingern alhier soll man das comoedieuspilen abschlagen«.

Besonders viel Anklang scheint er also mit seinen theatralischen Bestre- bungen, in Nürnberg wenigstens, nicht gefunden zu haben.

Auch von seiner speziell meistersingerischen Thätigkeit hören wir noch verschiedentlich, und in dem Nürnberger Singschulbuch Hans Glöcklers, das allerdings nur die Jahre 1583—94 umfafst, spielt er eine Hauptrolle, trägt ein- mal den vierten Gewinn^ einen »Zechleüchter« davon etc.^^). Am 9. Mai 1619 hält er am Himmelfahrtstag eine Pfingstschule ab^^) und 1624 steht er in dem unter den Meistersingern ausgebrochenen Streit auf Seiten der alten Meister mit dem bekannten Nürnberger Zinngiefser Kaspar Enderlein an der Spitze gegen die zwanzig sezessionistischen, neuerungssüchtigen jüngeren Meistersinger^^). Um das Lebensbild dieses für die spätere Geschichte des Nürnberger Meister- gesangs nicht ganz bedeutungslosen Mannes einigermafsen zu vervollständigen, sei schliefslich noch erwähnt, dafs er mehrfach in allerlei Händel verwickelt war, einmal sogar in einen Zwist mit seinem eigenen Sohn Hans, ebenfalls einem Meistersinger 29), gegen den der Vater 1617 eine längere Turmhaft auswirkte ^o)^ und dafs er zum 24. September 1631 als verstorben erwähnt wird^^).

Ein ruhigerer Bürger ist zweifelsohne Kaspar Enderlein gewesen, denn über ihn fliefsen unsere Quellen viel spärlicher. Von seiner Thätigkeit als Meister- singer sei hervorgehoben, dafs er 1583, da er noch »Kandelgiefsers-gesell« war, unter denjenigen Sängern genannt wird, welche die von Glöckler in dem Nürn- berger Singschulbuch (s. o.) wiedergegebene Ordnung eingingen ^^). 1624 finden

26) cod. dresd. M. 197, Bl. 83 b u. ö.

27) vgl. das Gedicht im cod. dresd. M. 16, Bl. 354 b ff.

28) vgl. Barack, Zeitschrift für Kulturgeschichte 1859, S. 382,

29) Zeitschrift für Kulturgeschichte 1859, S. 385.

30) R.-P. 1616, XI, 3 b zum 9. Jan. 1617 und R.-P. 1617, V, 47 b zuui 30. August 1617.

31) [R.-P. 1631, VI, 92 a] Samstag, 24. September 1631: »Obwolen die samptliche gemeine hochzeitlader supplicirt, des mit tod abgegangenen Thomae Grillenmairs stell nicht zu ersetzen, sonder weilen ihrer aniezo neun, und schlechten verdienst haben, es bey solcher anzahl verbleiben zu lassen, so ist doch an ermeltes Grillmairn statt Niclas Schraid, burger und jahrkoch (Garkoch) alhier, zu einem hochzeitlader verordnet, und angenommen, doch dafs er seinem mündlichem erbieten gemefs, dem eltisten, so numehro sich zu ruhe begeben, und nicht mehr fortkommen kan, wöchentlich einen halben thaler, zu seiner Unterhaltung gebe.«

32) Schnorr von Garolsfeld im Archiv für Litteraturgcschichte III (1874), S. 49. M. 100 c ist die alle Signatur der jetzigen Hs. M. 197.

40

wir ihn, wie erwähnt, an dem Streite der alten g-eg-en die unbotmäfsig-en jungen Singer beteiligt ^^). Dafs dabei sein Name an die Spitze g-estellt ist, hat er jedoch g-ewifs wenig-er seiner reg-en Thätigkeit als Meistersing-er, als dem Ansehen, das er als kunstreicher Zinng*iefser g-enofs, zu verdanken. Man wollte aug-enschein- lich mit ihm protzen, denn speziell als Meistersing-er hätten wol Georg- Hag-er, Wolf Bautner und verschiedene andere den Vorrang- verdient. Beg-laubigte Gre- dichte sind mir von ihm nicht bekannt, doch zählt Benedikt von Watt von ihm zwei Töne auf: die »harte, lautere Zinuweis« und die »eng-lische Zinnweis« ^).

Ich sehe davon ab, hier weitere biog-raphische Notizen über andere Meister- sing-er dieser Spätzeit zu g-eben, so lehrreich und kulturhistorisch interessant auch manchmal die uns überkommenen Nachrichten von dem Leben und Treiben einzelner derselben sind. Die beiden angeführten Beispiele von dem unstäten Grillenmair, der noch einmal von seiner Kunst zu leben versuchte, und dem bescheidenen Kaspar Enderlein, der fast ausschliefslich seinem Handwerk lebte, mögen genügen. Welche Ironie des Schicksals, dafs man dort noch von Kunst und hier von Handwerk zu sprechen hat, wo doch die Kunst des Meistergesangs längst in die unerträglichste Handwerksmäfsigkeit ausgeartet war, während die Erzeugnisse von Enderleins Handwerk ihren hohen Kunstwert durch alle Zeiten bewahren werden!

Das Überhandnehmen des »Coraedispiels« in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts und innere Streitigkeiten, wie sie seit dem Ausgang des 16. Jahr- hunderts mehrfach vorkamen, dazu die vielfältige Beschäftigung dieser späteren Meister, die sich häufig nicht damit begnügten, neben ihrem Handwerk den eigentlichen Meistergesang zu pflegen und Komödien zu agieren, sondern auch als Hochzeitlader und Leidbitter oder als Fechter etc. thätig waren, so dafs selbst Hans Sachs in einer solchen späten Handschrift wol einmal »Schuhmacher, fechter, Schulmeister, poet und meistersing-er« genannt werden kann^^) das alles sind die deutlichsten Zeichen eines unaufhaltsamen Verfalles. Ja, das auf- geregte Treiben dieser Leute im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts mutet uns geradezu wie die Agonie des Nürnberger Meistergesangs an , die jedoch erst nach einer durch den dreifsigjährigen Krieg herbeigeführten gänzlichen Erstar- rung gegen den Schlufs des 18. Jahrhunderts mit dem Tode enden sollte. Die Teilnahme einzelner studierter Leute, wie des Magisters Ambrosius Metzger, der übrigens dem eigentlichen meistersingerischen Zunftleben ganz ferngestanden zu haben scheint, konnte an dieser Entwickelung wenig oder nichts ändern.

Ein besonders bedenkliches Symptom für ein rasches Abwärtsgehen der meistersingerischen Kunst hätte man namentlich in der Annäherung der Meister- singer an die Genossenschaft der Hochzeitlader und Leidbitter erblicken müssen. Dadurch lag ein völliges oder teilweises Aufgehen in diese Genossenschaft nahe,

33) Zeitschrift für Kulturgeschichte 1859, S. 382 und 38S.

34) cod. berol. germ. fol. 24, BI. 134.

35) cod. berol. germ. 583, S. 249. (Die Handschrift ist in der Hauptsache von Georg Hager geschrieben.) Man erinnere sich auch der Stelle in Grimmelshausons Simplicissimus (Bibl. des Stuttg. Litt. Vereins Bd. XXXllI, S. 344): ». . . derselbe [Mufsquetier] war seines Handwercks ein Kürschner und dahero nicht allein ein Meister-Sänger, sondern auch ein trefflicher Fechter«, etc.

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das auf die Dauer der Sangeskunst und der poetischen Produktion natürlich nicht zum Nutzen g-ereichen konnte. Dafs auch Grillenmair das Amt eines solchen Hoehzeitladers bekleidete, ist oben bereits erwähnt worden, und aus dem 17. Jahrhundert könnte noch eine ganze Reihe ähnlicher Fälle angeführt werden, aus denen ich jedoch nur noch zwei herausheben will. Der eine Fall betrifft den überaus fruchtbaren und keineswegs unbegabten Meistersinger Hans Deisinger oder Deusinger, der, wie es scheint im hohen Alter, 1609 noch mit dem »Ämtlein« eines Hochzeitladers betraut wurde und 1617 starb ^^j^ den anderen lernen wir aus dem Anschlag- und Einladungszettel zu einer meisterlichen Freiung kennen, welcher der im germanischen Museum deponierten Merkeischen Sammlung an- gehört. Er ist vom Jahre 1646 datiert und stellt sich so als eines der letzten Denkmäler des Nürnberger Meistergesangs dar. Wir geben denselben in einer Re- produktion von 2/3 der Original gröfse wieder (Tafel I). Die Mitte nimmt ein junger »Kranzgeselle« ein, etwas handwerksmäfsig, aber doch leidlich flott in Wasser- farben hingesetzt; rechts und links von ihm, durchlaufend, sieben Zeilen Schrift, in denen uns kund und zu wissen gethan wird, »Dafs vfl" Heutiger Heiligen Oster Schuel Der Er: Hannß Hager ein Schumacher Sol In die Prob genomen (.von den Erßamen Sieman Wolffen, Hochzeitladern vnd Gefreiten Singer der Künste durch frag vnd Antworth soll vernomen werden.) Wo daß Maister singen seinen Vhrsprung genomen, Wer solche Maisterliche Freüung wißen vnd Hören will, der verfieg sich, wie oben gemelt nach der Mitag Predig Zu St: Katharina« ^'j, darunter die Jahreszahl: »1646.«

Aus ungefähr derselben Zeil stammt noch ein anderes Denkmal des ver- fallenden Nürnberger Meistergesangs, das gleichfalls im germanischen Museum aufbewahrt wird und bisher noch nicht publiziert worden ist. Es ist ein Tafel- bild in einfachem, schwarzem Rahmen ^^) von 0,603 m. Höhe und 0,46ö m. Breite, das eine öffentliche Singschule darstellt und gelegentlich solcher Singschulen neben der Einladung als iushängeschild diente. Wir geben es nach einer Zeichnung (von Georg Kellner) von Johann Trambauer in Nürnberg in Holz ge- schnitten umstehend wieder (Fig. 4). Auch in einigen anderen Städten haben sich ähnliche Tafeln erhalten. Dafs wir es in dem dargestellten Gegenstande in der That mit einer öffentlichen Singschule zu thun haben, beweist schon das an- w^esende Publikum, das den Vordergrund füllt; links sitzen die Männer, rechts die Frauen. Im Mittelgrunde erhebt sich der kanzelartige Singstuhl, wozu wol auch wirklich die Kanzel der Katharinenklosterkirche gedient haben mag. Auf demselben sehen wir einen langbärtigen Mann, den eine Beischrift als »Hans Sachs« bezeichnet; vor ihm, wie es scheint, zwei »kunstlose Schülerlein«, die noch ihrer Aufnahme in die Gesellschaft der Meistersinger harren. Im Hintergrunde links, etwas erhöht, hinter einer hölzernen Balustrade und aufgezogenem Vorhang

36) R.-P. 1608, XI, 53b zum 27. Jan. 1609 und R.-P. 1617, VII, 48 a zum 23. Oktob. 1617.

37) Wir geben den Text hier (ausnahmsweise) buchstäblich j^enau in der Orthographie des auf Tafel I abgebildeten Originals wieder, während im übrigen beim Abdruck handschrift- licher Gedichte und Notizen die in dieser Zeitschrift beobachlcten orthographischen Prinzipien im wesentlichen mafsgebend gewesen sind.

38) Nr. 537 des Katalogs der im germanischen Museum befindlichen Gemälde (Nürn- berg, 1893).

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseuni. 1894. VI.

42

ein ideales Gemerk, besteheud aus den vier g-ekrönten alten Meistern: Frauenlob, Regenbogen, Marner und Müg-ling-, alle mit g-roCsen Kronen auf dem Kopfe.

So lebte Hans Sachs fort im treuen Gedächtnis dieser späten Mitglieder einer Genossenschaft, die einst sein Geist allein mit wahrem Leben und mit echter Poesie erfüllt hatte. In dem richtigen Bewufstseiu von der schlichten Gröfse dieses einzigen Mannes bildete man seine ehrwürdige Gestalt, sein freundlich- kluges Gesicht immer wieder ab, berief man sich noch mit Eifer auf seine Au- torität, auch nachdem von der alten Herrlichkeit nichts mehr geblieben war. als die p]rinnerung.

Fig. 4.

Sehen wir uns nun wieder nach den Nürnberger Si)ruehsprecheni um, so ist zunächst zu sagen, dal's sie sich während des ganzen 16. Jahrhunderts sehr im Hintergrunde gehalten[^haben. Sei es, dafs der daiuals in seiner Blüte stehende Meistergesang das Interesse an ihren Hervorbriugungen lähmte und damit diese selbst schwächte, sei es, dafs thatsächlich kein irgendwie bedeutender unter ihnen auitrat, genug, wir erfahren während jenes ganzen Zeitraums blutwenig von ihnen, und es sollte wol schwer halten, eine! ununterbrochene Reihenfolge ihrer Namen aufzustellen von einer Charakteristik der einzelnen Persönlich-

18

keilen g-ar nicht zu redeu. Was Will (Bibliotheea Norica IV, 267) darüber sagt, ist in der Ghronolog-ie gänzlich verfehlt. Wo uns in dieser Zeit der Name eines Spruchsprechers beg-egnet, da begeg-net er uns fast regelmäfsig- in einem Meister- gesangbuch, da war der betreffende Spruchsprecher oder »Schlenkerlein«, wie man ihn auch nannte das Wort bezieht sich wol ebenso wie »Vorhängelein« auf die schlenkernden Schilder zugleich Meistersinger; so noch Hans Weber um die Wende des Jahrhunderts, von dem aufser Sprüchen auch ein paar Meister- lieder in der Chorweise des Mönchs von Salzburg und in seiner eigenen »krummen Spruchweis« erhalten sind ^^). Das wurde anders in der folgenden Epoche, in der Zeit, wo es mit dem Meistergesang trotz der recht selbstgefälligen Teil- nahme eines Ambrosius Metzger und der liebevollen Hingabe eines Benedikt von Watt (f 1616)Juud Georg Hager rapide abwärts ging. Der Nachfolger jenes Hans Weber in dem Amte des Spruchsprechers, sein Sohn Wilhelm Weber (1602 1661), stand, wie ich schon in der Einleitung bemerkte, in keiner nach- weisbaren Beziehung mehr zum Meistergesänge.

Nun verfügte aber dieser Wilhelm Weber nicht nur über Witz und poetisches Talent, sondern scheint in der Improvisation geradezu eine Art Genie gewesen zu sein. Er ist denn auch der einzige unter allen Nürnberger Spruch- sprechern, der in neuerer Zeit einen Biographen gefunden hat, ein Vorzug, dessen sich auch aufser Hans Sachs kaum einer unter allen Nürnberger Meister- singern rühmen kann. Hugo Holstein hat im XVI. Bande der Zeitschrift für deutsche Philologie S. 165 18S sein Leben beschrieben und die von ihm noch erhaltenen Gedichte aufgezählt und besprochen. Ich kann daher hier in der Hauptsache auf diese Arbeit verweisen und mich auf einige Hinzufügungen beschränken.

In den Ratsprotokolleu der alten Reichsstadt kommt Wilhelm Weber 1638 zum erstenmal vor. Es heifst da von ihm, Mittwoch den 27. Juni: »Wilhelm Weber spruchsprecher soll man anzaigen er soll sein spruchsprechen nicht mifsbrauchen, und die leut damit anstechen, sondern bey den geistlichen und weltlichen historien, so keine ergernufs geben, verbleiben, oder gewertig sein, dz man ihme dz spruchsprechen gar darnieder lege« *°).

Schon aus Wagenseils bekannter Abhandlung, die sich nebenher auch mit Wilhelm Weber beschäftigt, wissen wir, dafs dieser sich wol ab und an im Ver- trauen auf seine Beliebtheit mehr herausnahm , als vielleicht schicklich war, etwa einer Hochzeitsgesellschaft, in der es allzu hoch und ausgelassen herging, seinen Spruchstab schüttelnd, zurief: »Paulus schreibt an die Epheser: Ihr Herren, seid lustig, brecht aber keine Gläser« *i). Auf Vorkommnisse ähnlicher und derberer Art wird sich der obige Ratsverlafs bezogen haben.

Von da an hören wir dann fast Jahr für Jahr zur Neujahrszeit von ihm, dafs er den Herren vom Rat einen Neujahrswunsch überreicht hat und wegen einer Verehrung an die Herren Losunger verwiesen wird, »ob sie ihme so viel

39) Vgl. cod. berol. germ. ibl. 24, Bl. 88 b; cod. dresd. M. 6, Bl. 246 (siehe Zeitschrift f. d. Philologie Bd. XVI, S. 166 Anoi. 4 u. Schnorr v. Garolsfeld, zur Geschichte des Meisler- gesangs S. 21); cod. dresd. M. 9, S. 1022, avo wol »schlencklcrla« zu lesen ist; cod. dresd. M. 197 (Glöcklers Singscliulbuch), Notiz vom Jahre 1588, (siehe Schnorr von Garolsfeld im Archiv für Litteraturgeschichte Ilf, S. 50).

40) R.-P. 1638, IV, 37 a. 41) Wagenseil S. 490; Holstein a. a. 0. S. 168.

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als vor einem Jahr beschehen geben lafsen wollen«. Aber die Not der Zeit war grofs, und dicht vor oder hinter der Wilhelm Weber betreffenden Notiz, die sich meist ganz am Schlufs des alten oder zu Anfang des neuen Jahres findet, steht nicht selten der Stofsseufzer: *Ach Gott gieb Fried im 1643. (etc.) Jahr«. So geht denn auch dem wackeren »Spruchraanu« dies seine gewöhn- liche Bezeichnung 1644 zugleich mit seiner Verehrung die Aufforderung zu, »Meine herren ins künftig mit dergleichen gedruckten neuen iahr wünsch zu verschonen« *2), und für die vier folgenden Jahre fehlen in der That diese Ein- tragungen. Dafs Weber gleichwol auch in dieser Zeit fortfuhr seine Sprüche zu dichten, beweisen die aus den Jahren 1647 und 1648 erhaltenen. Das ein- zige bisher bekannte Exemplar des Neujahrsspruches ;für 1648 befindet sich im Besitz des germanischen Museums *3). Aber »Zum Friedseligen Neuen Jahr 1649«, wie in den Ratsprotokollen die Jahresüberschrift so hübsch lautet, wagte er es aufs Neue, dem Rat mit seinem Sprüchlein zu kommen, und von hier an kehrt die Notiz über den »offerirten Neueniahr -Wunsch« und die dafür geleistete »Verehrung« zu der bestimmten Zeit ganz regelmäfsig wieder bis zu Webers Todesjahr 1661. Da lesen wir denn zum 10. August: »Demnach sich Hans Minderlein messerschmid und maistersinger, umb des verstorbenen [9b] Wilhelm Webers spruchmans stell angemeldt, ist befohlen nachzufragen, wie es mit gedachtem Weber gehalten, auch von w^em und welcher gestalt derselbe angenommen worden, wider bringen und ferner räthig werden,« und zum 21. August: »Hans Minderlein, ist mit offener band zugelassen, Wilhelm Webers spruchmans stelle zu übernehmen, mit der an [39a] zeig, sich beschaiden zu erweisen, die leit mit anforderung nicht zu beschwehren und nichts ergerlichs oder schandbares vorzubringen«*^).

Hans Minderleiu also, den Will vor das Jahr lo46 zu setzen geneigt ist, wurde Wilhelm Webers Nachfolger 1661. Auch v^on ihm besitzt das germanische Museum einen »Christlichen Wunsch Zu einem Glückseeligen. Fried- und Freu- denreichen Neuen Jahr, i670('*5); aber zu dem Ansehen Webers, das sich auch in den zahlreichen Abbildungen, die es von ihm gibt, dokumentiert, konnte es Minderlein nicht bringen, und gleich im ersten Jahre seines Amtes verbat sich der Rat »ins künftige« die Zusendung seiner Neujahrswünsche^ß).

Gerade die Beliebtheit und Popularität Wilhelm Webers ist aber, wie ich meine, zusammen mit seiner Geringschätzung oder doch Gleichgültigkeit gegen den Meistergesang die Hauptursache zu jener tiefgehenden Verstimmung der Meistersinger gegen den ganzen Stand der Spruchsprecher gewesen, wie sie sich bei Wagenseil in so scharfer und ungerechter Weise äufsert.

Von der weiteren Geschichte der Spruchsprecher wie der Meistersinger in

Nürnberg sehe ich hier ab.

(Schlufs folgt.) Nürnberg. Th. Hampe.

42) R.-P. 1643, XI, 51a zum 22. Jan. 1644.

43) Historische Blätter Nr. 2106. Siehe auch Holstein a. a. 0. S. 183.

44) R.-P. 1661, V, 9;a und 1661, V, 38 b.

45) Historische Blätter Nr. 5264.

46) R.-P. 1661, X, 9 b zum 30. Dezember 1661.

4o

Aus dem Briefwechsel eines jungen Xärnberger Kaufmanns im

16. Jahrhundert.

(Schlufs.)

13. ... So wiß, das ich mit Micliel Pehem hab gerett des Henßlein halben, so wil er in nit zu im uemen und verdirbt der pub gar pey der muter, den er hat all sein wiln, al|5 die dochter. Du weist wol, daß die muter alß {alles) lest geschehen. Lieber veter, ich pit dich, du wolst des Gredleinß pryef, des- gleichen mein pryef zureissen, das sy nit gelesen werden von nümand. Domit befilch ich dich gott dem almechtigen in sein gotliche bewaruug, amen. Datumb am oberst tag {6. Januar) 1541 yar.

Lucia Albrecht Letscherin.

14.

. . . Lieber prüder, ich hett dir gern lengst geschryben, so haben wir ein zeytlang zu schycken gehabt, das wyr auch leyt {Leute) haben gehabt, weyl der kayser**) hye ist gewest, den herzog von Sefern {?) so wyß, das ein schelchte {schlechte) faßnacht hie ist gewest; man verpot es, als weyl {solange) die fremden leyt hye waren, das sych über 3 nacht nit syn gangen yn der faßnacht .... Damyt piß gott bevolhen. Datum am gülden mytwochen {9. März) 1541 yar. Margretta Pehamyn.

15.

Anno domini 1341; adi 23 Aprili, in Normbergk. .... Weiter, lieber vetter, so wiß, das ich deinen prüder Hansen, adi 23. dito in des namen gottes pey einem richtigen furman von hina gen Presla ge- schickt hab, an Bernhardt Geisler, der wirt allen vleis ankeren, neben meinen schwegern, das er etwo an ein guet ort, da er nun wol ist, nach gelegenhait seiner art umb ein zimlich kostgelt unterpracht kont werden. Darumb wollest dich seiuthalben forthin ein zeit lang unbekomert lassen. Wolt der allmechtig got, das die Schwestern auch mit frommen, erlichen gesellen ver- sehen werden, dan ye die zeit vorhanden were: got weis, sie tauren {dauern) mich und hab ein mitleiden im herzen, wan ich sie 3 ansich. Darumbj hilf got den hern pitten. Und halt auch herr Endresen Imhof an, das man nit feir, dan ye elter die wahr wird, ye erger sie zu verschleissen ist. So wolt ich ye meins thails gern das pest thou, wan ich nur wie und wob west, dann du und deine geschwistrigt sollen sich fürwahr alles guets, treu und vleis stets zu mir versehen, wiewol es am vermögen klein ist . .

Michel Pehaim, d. w. vetter.

16. . . Laus deo 1341; adi 7 May in Nürmberg. , . So wies dies allain, das zaiger dies Gonrat Bair sein wurd, der wurd hinab {d. h. nach Antwerpen) geschickt, domit dester mer des handel nutz

34) Kaiser Karl \.. der am 16. Februar zum ersten Male nach ^'üruberg kam, -^ um von hier aus den Reichstag in Regensburg zu besuchen.

45 -

und uotort't bedorft werd, uud es dir auch dester leichter sey, uochdem wir nit ein klein handel do niden haben. Grot der herr wol in mit lieb pleiden. Demnoch so wolst im freuntlich sein, desgleichen versiech ich mich, er gegen dir auch sein sol und wolt hilflich und retlich miteinander sein und das pest mit allem bedenken und demselben alsdan nochkumnien, wie ich verhoff, dasselbig- wol miteinandÄ- zu thun solt wissen ... So wies, das mit deiner Schwester sich noch zu keiner heiret schicken wil, das mir doch furwar nit lieb ist, dan es grose zeit wer, nit allain irnthalben, sonder auch von den andern Schwester wegen. Aber die Lescherin wil deshalb gar nit bedenken und wie sie ein haben wil, besorg ich, sie mocht noch lang also pleiben. So het das Klerlein gut naigung zum Gristoff von Ploben und wie sie vermaint, so sey dasselb pey im auch; wer es wol beschwerlich, das sie vor dem Gred- lein solt verheiret werden. So aber sie das Gredlein noch alspald zu keiner heiret solt kummen, vvais ich denig {dennoch) nit, ob man die andern auch also versitzen solt lossen. Also das mir gleich di weil lang dapey ist. Was dein gut bedunken damit ist, wolst mich wissen lossen, aber dich sonst gegen nimant nichts merken wolst lossen. Gott der herr wol sein gotliche gnad darzu verleihen. Domit, lieber oham, was dir lieb und dinst ist, allzait willig. So lest dich mein weib fleisig grusen und pis got alzeit befolhen.

Endres Imhoff.

17.

Mein freuntlichen gru(5 und alles guts zuvoran. Lieber prüder, wyß das ych eyn pryf von dyr emtpfangen hab des 22 tag Vunyus. Darynen hab ych deyn gesundheyt vernumen; das hab ych von herzen gern gehört, gott geh lenger myt seynen gnaden ; des selben geleychen wyß mych auch gesund, gott hab lob. Lieber prüder, das mumeleyn hett dyr gern geschryben; so wyß, das sych {sie) eyn boße band hat, das sych {sie) dyr auf dyßmal nyt schreyben kau, aber pald es pesser wyrt myt yr, so wyl sych {sie) dyr deyn pryf verantworten, sunderlich das lezer plad meyuethalbeu. Du drafst {darfst) nyt als {alles) gelauben, das man dyr ynab (hinab) schreybt; wolt gott, das dus solst wyßen, wye man myt myr umbget; ych muß es got bevelhen. So wyß auch, das der Crystof von Plauen gar unsynyg {geisteskrank) yst woren, wyewol er nye fast scheydt {gescheid) yst gewest, aber yezt ist es gar auß der weyß. Man hat yn von Leypczyg her mußen füren ; es kumpt ym aber von kayner krankheyt. Ych versych mych, der Hanß Ronrecke wir {icird) kurzlich danyten pey dyr seyn, der wyrdt dir wol allen beschayd wyßen zu sagen. Darumb hat mych gott wol vor ym behut. Wenn ich oder {aber) meynen freunden hett gefolgt, nemlich dem Andreas Ymhoff, so hett ych yn genumen. Da wer myr nyt wol myt beholfen gewest, wenn ych eynen naren hett zu eynen man. Da fragen dye freund nyt vyl darnach, es geeh ayner myt aym wye es woll. Da haben sych {sie) darumb außgesorgt, wenn ayner nur eyn man hat. Das ich mych aber von meyner Schwester wegen wyll verstecken, das wyll ych nyt thun, vnd ich versych mych auch als guts zu dyr, als eyn

Schwester zu eynen prüder; das du myrs auch nyt raten wyrst Lieber

prüder, wyß, das der Crystoff Harstorfer eyn preytyam yst myt der Hanß Le-

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czeryn; sych (vs/e) hat yezt kayn kleynes Taucherlein, sunder ein groß fa.st (fest) stuck vnd der Hanß Rourecker vnd der Paulius Leczer syn dye jungen gesellen {Brnuiföhrer) und des 6. tags Julyus wyrt die hochzeyt. So wyß auch, das Schurstab Endlein auch ein praiit yst niyt einen Nyderlender, der adlaßbeberyn {Atlasweberin) prüder. Sust vvays ych dyr nychts zu schreyben, dan wyß, das der Henslein her hat geschryben, es gefall ym ganz wol dynnen. Er schreibt auch, er vvoll sych wol halden, das wyr alle er {Ehre) an ym erleben sollen. Er ist auch ser krank gewest underwege an der gelbsucht. Es ist aber pesser woren, gott hab lob 3^). Das mumelein lest üeysig grussen, Crystof Pfynzyng und dye Felyz und der Crystof Eurer lassen dich auch freuntlich grussen. Üaiuyt pis gott bevolhen. Datum an saynt Johanastag {24. Juni) 1541 yar.

Margret t a P eham y n.

18.

.... Auch schreibst du mir des Michel Pehems halber; so wiß, das mir sein wesen nit vast wol gefeit und darfst dich sein nit drosten, ir wurdt stez miteinander zanken, du kenst sein hotfertigen gayst wol. Aber last dich gegen nymand merken, das ich dir es geschriben hab. Aber ich hoff je zu gott, der wer dir ein guten rot geben ; ich verste ye der hendel nit, ich wolt sust {sonst) dir gern helfen und roten {raten), alß wen du mein leiblich kint west {wärest). Aber wen ich an deiner stat wer, so wolt ich den Hanß Rodnecker darin roz {Rates) frogen in einer gehaim {vertraulich); ist je ein frum, treu mendlein, das sich der hendel verstet; versieh mich, er sey iz doniden pey dir. Auch so schreibst du mir des Gredleinß halben. Wiß gott, das es mir ein herzliche freud wer, das ich verheireten solt, aber ist vielleicht gottes wil non {noch) nit, der ist der pest helfer, ich wolt, das ich ein stund mit dir solt reden, es lest solch nit alß {alles) schreiben. Es hot {hat) oft einß (jemand) freund, wer pesser, wern veynt {Feind), so west {tmifste) sich einß vor in zu hüten. Ich weiß dir iz nit sunders zu schreiben, den grüß mir Jeronymuß Imhoff und den Rodnecker. Damit befllch ich dich got. Ady am 15. Augusty lo4l jar.

TiUcia AI brecht Letscherin.

19.

1Ö41, adi 20 October in x\urmberg.

. . So schick ich dir hiemit ein leng und die prait an eim faden von eim teppich, so ich gern wissen wolt, was solcher ungeferlich kosten wurd. Solcher wolt ich in meim hof zu seiner gepurenden zeit aufhenken und prauchen. Dorft nit kostlich, sonder von mitelmessiger arbeit sein; doch mer zu schlecht, dan zu kostlich, aber denigen {dennoch) auch nit zu gar schlecht und das allain gut färb gehabt het. So wolt ich die historia darinnen haben von dem ewangelium Johanni am capitel, do unser herr seligmacher auf der hochzeit

35) Nach der Rechnung Berntiard Geifsiers in Breslau, bei dem Hans Behaim eine Zeitlang sich aufhielt, war dieser auf der Reise in Reiclienbach 22 Tage lang krank. Er schildert den Knaben als »mutwillig und sunderlich im trinken unmesig«.

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ward und wasser zu wein macht. Dieselbig histori wie der Sext (Text) anzaigt, must darin auf antiquitis vermacht sein. Ist demnoch mein pitt, thu (du) wolst mit eim , so es am pesten und negsten machen mocht, handeln und erfarn, was einer nemen wolt und es kosten wurd ....

So pitt ich dich freuntlich, weil thue iz allain do niden (d. h. im Geschäft) pist und denig nit mit wenig, sondern mit grosem gelt zu handeln host, thu wolst im mit fleis nochdenken, domit das nichs versaumbt, sonder des nutzt gehandelt werd, auch dich sonst rechtschaffen halten und vor allen schedlichen dingen hüten wolst und dir ere und nuz aufthun, wie ich hoff, ob gott will, geschehen soll . . .

Endres Imhoff.

20. 1341, adi 19. November in Normbergk.

. . . Wir hoffen alle, du seyest in frischer gesondhait, desgleichen wisse, unser ganze freundschaft auch und deinen prüder Hansen Pehaim zu Presla peym Bernhardt Geisler . . .

Dein jongst schreiben de 18. Sept. ist mir des 29 desselben pehendigt, wollest dich nichts anfechten lassen der artikel halben, die du aus meinem schreiben de 25. Augusto nit hast können vernemen; es betrift nichts dan alter weiber hendel an, die verkeeren sich nach dem wetter. Es hat die sonne schon wider darauf geschinen. Leut [Leute), die nichts zu schiken {schaffen) haben, muessen inen zuweilen etzwas zu schiken machen; doch zweifelt mir nit, du hapst im gaist verstanden, das ich dozumal unser muehmen, die Letscherin, gemaint. Aber wir seindt, got lob, all widerumb guet freund. Es richten oft schnoede meuler auch mer Unwillens zu, welcher man oft not- torftig were. Darumb las dich nichts komern {kümmern), was gestalt ich mich halte; wil mich, ob got wil, dermassen halten, das ichs alzeit in ehren gegen meniglich kon verantworten . .

Michel Pehaim, d. w. vetter,

21.

.... Lieber prüder, wy(5, das ich dir ein pryf hab geschryben an sant Yohanastag, versych mich, er sey dir woren. Weyter, so pytt ich dich, du wolst myr ein garn schycken, wye dus {du es) dem Maltas Ebner ^6) hast ge- schyckt; du must myr haber {aber) allerleyn färb kaufen: der roten ein tb, der grünen eyn halbs % syttyg grün , des lichtgelb ein halbs tt, des goltgelb ein halbs tt, des praun ein halbs ft, des plob ein halbs 'tb, hyraelplob und sunst schun plob, des scharlafarb {scharlachfarbig) ein halbs %, des leypfarb {fleischfarbig) ein halbs %, des schwarzen ein ganz ft. Lieber prüder, mein freuntlich pyt ist an dich, du wolst myr das garn schicken von den färben, wye ich dirs auf hab gezayget; nur von lichten, schunen färben, die nur nit dunkel syn. Fyndstu oder mer schuner färb danyten, so magstu myr die selben auch zuschycken. Und wolst myr die auf das est {eheste) schicken

36) Mathäus Ebner (1316— 1569). S. Biederiuann Taf. 30.

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und wolst myrs auch nit kleyner am faden schicken, den dus dem Maltas Ebner hast geschickt. Was du da umb (darum) g-ybst, das schreyb mir; das wil ich dir zu dank bezalen. Ich muß ein tebyg- über ein dysch neben auß dem garn. Lieber prüder, besunders wayß ich dir nychs zu schreyben, den (als) das der jung- Mertten Geuder^^) danyten yn Osterreych ist gestorben; got sey ym gnedig. Gruß mir den Jeronymuyß Ymhoff; damit piß gott bevolhen. Datum an unser heben frauen tag (8. Sept.) 1541 jar.

Margretta Pehamyn.

22. Meyn freuntlychen grüß und guz alles zuvoran. Lyeber prüder, wen du frysch und gesund werst, das bort wyr alle von herzen gern; des selbygen gleychen wyß uns auch alle gesund, gott hab lob, gott geb lenger. Lyeber prüder, mych wundert ser, das du uns nyt schreybst, das du myr nyt antwort schreybst auf meyn pryf, den ych dyr vor Marttyna hab geschryben, daryn ych dyr meyn freut verkunt hab. Hett gemeynt, du best myr lengst geschryben, best dych myt myr erfreut, best myr gluck gewünschtes). Wolt gott, das es muglych wer, das du wolst her auf meyn hochzeyt kumen, dye auf den dritten Yenar wyrt. Lyeber prüder, ych pytt dych, du wolst myr auf das best (eheste) schreyben. Auf dyß mal nyt mer; ich het dir wol vyl zu schreyben, ich hab oder yezt nyt der weyl, das du wol kanst gedenken und nym also vergut. Das mumelein lest dych freundlich grussen. Damit pyß gott bevolhen. Damtum (Datum) an saut Lucya tag (IS. Dezember) 1541 yar.

Margretta Pehamyn.

Nachschrift: Lieber vetter Paulus Pehem, ich het vermeint, du werst hieher kumen auf deiner Schwester hochzeit. Dan die sag hieb ist, der Yeit Holzschuher soll ein preutigam in kurz mit dem Ölhaffen Enlein^^), auch Gristoff von Ploben mit dem Stromer Enlein^°); ist vorgester der hantschlag gewest. Dein Schwester hat nit so vil muß (Zeit), das sy dir es het geschriben." Mein mutter und . . . laßen dich und den Hieronimus Imhoff freuntlich grüßen.

Felicitas Hallerin^^)

1542.

23.

Mein freuntlichen grüß und alles guts myt wunschung vil guter selig neuer yar, was dyr nuz und gut ist, das geb dyr gott und uns allen, amen. Lieber prüder, wyß, das mumelein eyn schreyben von dyr empfangen hat und

37} Martiu Geuder, Kaiser Ferdinands Rat (f 1541, den 23. Juli zu Pest).

38) d. h. zu ihrer Verlobung mit Christoph Haller; s. über ihn Biedermann Taf. 109c.

39) s. d. Br. 29. 33; Biedermann Taf. 339 und den laufenden Jahrgang dieser »Mit- teilungen« S. 4 f.

40) s. Biedermann Taf. 468.

41) Tochter Ulrich Hallers und der Katharina Tucher (geboren 1320, f 155S unver- heiratet); sie war eine Base zu dem Bräutigam von Margareta Behaim.

Mitteilungen aus dem germaii. Natioualmuseum. 1894. VII.

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deyn gesundheyt darynen vernumen ; das haben wyr von herzen gern gehört. So wyß auch, das uns am yarsabet dye 2 veßlein wol zu syn kumen. Das mumeleyn lest dyr eyn guts selig neus yar wünschen und lest dir freuntlich danken deyner Scheck (Leihrock); du pyst ir ser wol myt kumen. Sych (Sie) hat dyr gern selbst geschryben, sie yst yezt kank und lygt gar dernyder am zyeperlein, gott geb, das es pesser wer. Lyeber prüder, suns way(S ych dyr nychts zu schreyben, dan wyeß, das der Syngmundt Seiler yst außwendyg^^) gestorben und dye alt Schaurlspeckeryn yst auch gestorben , gott sey yn genedyg. Sunst wayß ych dyr nychts zu schreyben. Ich hoff, du solst pald herkumen. Wye ych vernym, so wer man dych auf dye ostern her lassen, gott geb myt freuden. Das mumeleyn lest dich fleyßyg grussen. Damit pyß gott bevolhen. Datum am neuen yarstag lS42:yar.

Aufschrift: Margretta Pehamyn,

Meynem lyeben prüder PauUus Peham d. w. sewester.

gebort der prief zu Antdorf. Empfangen in Antw. am 17. Januar.

24.

Mein freuntlich, willig dienst bevor. Lieber schwager Pauli us! Euer gesundhait , glücklich und wolzusein , bort ich alle zeyt gern. Desselben gleichen so wyst mich auch, got hab lob, in guter gestalt. Gott der almechtig verleyhe zu beden thaileu als ainig, als seine gotlicher wil ist. So ist dis allein mein schreiben: Dieweyl got der almechtig euer Schwester Margretta und mich zusamen gesucht hat, wie ir vorleogst vernommen haben werd, und die hochzeyt auf den 3. tag Januari zukunftig sein wirt, darauf ich euch in sunderhait gern gesehen hett und mir ain grofs wolgefallen daran thun, wan es het kunen muglich sein, darauf zu kumen.

Dieweyl ich aber ansyhe die gescheft , darinen ir seydt und , wie ich vernyme habt, so waiß ich, das euch nicht muglich sein wurd zu kumen, wolt euch sunst fast {sehr) gern gesehen haben.

Und warinnen ich euch dienen oder dienstlichen willen kan erzaigen, solt ir mich allezeyt als ain willigen schwager erfinden. Damit der almechtig mit unß allen. Datum Nurmberg, den 13. Januari anno 1S42; in eyl.

Ghristoff Haller, e. williger schwager.

Dem erbarn und waysen Paulus Behaym , meinem freuntlichen, lieben schwager, zu banden zu Anttorff.

25.

1542, adi 10. Febrar in Nurmbergk.

Lieber oham Paullus, im andern prief vernimst, das thue (du) in die mes

Franckfurt uud von danen her solst, darnach magst dich do niden mit allem

richten. Got wol dich mit lieb pleiden. Dan nochdem dein zeit künftig simmer

ein end hot und sonderlich, das wir furwar hie wol leut bedorft, dan es am

42) d. h. fern von Nürnberg.

51

meinsten über mich get, das mir nun auch schwer wil werden, und es je lenger je pus {schlimmer) empfinden wil, sambt dem so dir nuzlich und erlich heiret, wie ich hoff, zusten wurde, für dich sein mocht, nun zuzugreifen, also es eigentlich flr dich ist, darumb es auch geschiecht . . .

Endres Imhoff.

26.

. . . Aber mein gesuntheit ist nit vast groß. Ich pin sider Michaelliß nit mer den zweymal in der kirchen gewest, aber ist meine kumernuß schuld. Ich hab vernümen, wie du auf die Franckfurter meß her werst {wirst) kumen, das hab ich von herzen gern gehört, das ich dich noch sol sehen mit gottes hulf, ee ich sterb^^^, den ich het dir vil zu sagen, das sich nit alles lest schreiben . . . Domit befilch ich dich gott dem herren, der helf unß mit freuden zusaraen, amen. Datumb am suntag Letare {19. März) 1S42.

Lucia Albrecht Letscherin.

27.

1542, adi 23 Oktober in Uschalin**).

. . . Anfangs klag ich meinen lieben vettern, deinen prüder selig Hans Pehaim mit meidung, so er gleich mein aigner söhn oder leyplicher prueder gewest were, so bette ich ine ye anders nit wissen zu pevelhen. Aber dem willen gottes sol man sich nit widersetzen*^).

Michel Pehaim, d. w. Vetter.

28.

Meyn freuntlychen grüß und alles guts zuvoran. Lyeber prüder, wenn du frysch und gesund hynab kumen werst *^), das ych zu gott verhofi", so hört wyrst {wir es) alle von herzen gern. Desselbygen geleychen wyß uns yn zymlichen wesen, gott hab lob. Lyeber prüder^ wyß, das mych gotl er- freut hat, das meyn heyrat für sych {vov sich) yst gangen, gott hab lob^ myt dem Grystoff Haller. Ych versych, auf den nechsten donerstag soll der hand- schalg geschehen*'). Meyn preutyam lest dych freuntlich grussen und seynen wyllygen dynst sagen und woll dyr thun, waß dyr lyeb yst und woll sych auch desselben zu dyr versehen. Es yst ym und myr nur layd, das du nyt hye solsts seyn pey unsern freuden. Ych pytt dych auch freuntlich, du wolst

43) Ihr Wunsch wurde erfüllt. Lucia Letscher starb [am 6. Oktober 1544, also zu einer Zeit, als Paulus Behaim bereits für immer nach Nürnberg zurückgekehrt war.

44) Oschelin in Böhmen, wo sich M. Behaim bei seiner Mutter aufhielt.

45) Hans Behaim, seit seinem Weggang von Nürnberg immer kränklich, starb^am 12. September 1542 zu Neumark in Schlesien.

46) d. h. von der Frankfurter Messe nach Antwerpen.

47) Der Handschlag, die Verlobung fand am 16. November statt, wobei es, nach einem Briefe des Andreas Imhoff zu schliefsen, wegen des Heiratsgutes zu unerquicklichen Familienerörterungen kam.

32

ym eyn freuntlyches pryfleya schreyben. AVeyter wyß, lyeber prüder, das mu- ineleyn lest dych pytten, du wolst das zucker auf das erst her scbycken, den wyr weren es yezt bedrufen {bedürfen). Ych wayß dyr auf dyß nyt mer zu scbreyben, den (als) das mumeleyn lest djch freuntlicb grussen. Damyt bevyhl ych dich g'ott dem almechtygen. Datum suntag- vor Martyny (5. Nov.) 1S42.

Margretta Pehan, deyn w. Schwester.

1543.

29.

Laus deo 1543, adi 10 Janer, in Nürnberg pei dem jungen emon (Ehemann) Veit Holtschuger (am 27. Dezember 1542 mit Anna Ölhafen verheiratet).

In einem guten, selig neuen jar, wünsch ich dir und ain schöne junkfraü in einem krausen har, das wird dir mit der zeit eben war. Mein freuntlichen grüs und ganz willigen dienst züvoran. Lieber vetter Paulus Peham, wau es dir wol ging und frisch und gesünt werst, bort ich alzait gern. Desgleichen wiß mich und mein waib auch in zimlicher gesünthait, got verleig noch sainen gotlichen willen. Erstlich hastü vileich for langst gut wissen, das sich, sei- derher du von hin geritten pist, sich ezlich fil gesellen verheurat haben, des gleich wol zeiger dis prifs auch einer ist und, als mon wil sagen, soln in kurz mer werden. Nun, wenn du lang wirst aussen sein, ist zu besorgen, werst die reichen jünkfrauen al versäumen. Darümb, wens zeit ist, so mach dich herauf und los dir auch eine an hals hanken. Weiter, so wünsch ich dir fil glucks zu der neuen freuntschaft zu deiner Schwester Gredlein, die dan adi 3 dito hochzeit gehabt hat, da haben wir schuone {schöne) ding gethon und flüx ge- danzt, betten dich wol mugen hie leiden, wens müglich wer gewest. So ist dein müter aber zur selben zeit ain wenig schwach gewest, passert sich aber, gott hab lob, wider. Neuer zeitung halb ist nichts Sünders vorhanden, dan das wir des reichstag alle tag hie warten^^). So pald der kong (König) kümbt, so werden die andern hern und fursten, die darzu geboren, auch kümen; got wol, das mon was guts aufriebt. Weiter, lieber vetter, host du vileicht noch in guter gedechtnüs, das ich dich pat, mir ein fesslein inchodi {Anchovis?), oder gesalzen fischlein, zu schicken. So hab ich seider weiter zu rat worden, mir solg flschlein nicht mer zu schiken, dan ich los mir sagen, si pleiben nicht so lang, als die mon {von) Jenüa {Genua) pringt, Sünder verderben pald; aber ein klein fesslein ollifl, wie mon si dan da niden bot, wen es müglich wer, mocht ich wol haben. Cristof Harstorfer sagt mir, du werst im auch eins schiken, was dan dasselbig fesslein berauf kosten würde, sambt dem fürlon, wolt ich dir zu dank bezaln. Ich hab aber sorg, mon künde es diser zeit nichs herauf pringen. ... So weis ich dir auf dismal nicht sunders zu schreiben, dan wo ich dir kunt lieb und dienstlich sein, schaff und gepeut; ich hab dir je musen ein geseilenpriflein {Freimdscha/tsbriefchen) schreiben.

48} Der Reichstag sollte bereits am 14. Dezember 1542 beginnen, aber von den Reichständeu erschienen zuerst nur einige. Am St. Antonitag (17. Januar 1543) gelangte der König FerdiDand mit seinen zwei ältesten Söhnen nach Nürnberg.

d3

Mein vveib lest dich fleissig grussen; wil dich damit in die bebarung des almechtigen g-ottes bevolen haben.

Jochim Rotmundt, d. w. vetter*^).

30. 1543, adi 27 Jener in Nurmberg.

... So wurdst thue (du) von Nürnberg haben , das deiner Schwester hochzeit wo! und mit freuden verprocht ist worden, got hab lob und verleich in sein gotlichen segeu, amen. Dan er, der Cristoff Haller. gefeit mir wol und guter hoffnung pin, sie sol wol versehen sein . .

So hab ich veruummen, das die dapezerey (Teppich) in rechtem golt

do niden zu bekommen sey, und so ich etwas haben wol, sol ich dir die

"grose davon schicken und was ich am liebsten haben wol. Darauf schick ich

dir hiemit von einem tepich die leng und die prait, wie thue (du) sehen wirdst.

So thue dan noch einen konst bekomen .... so magst ir zwin kaufen, wolt

ich sie auf mein seller (Flur) vor der teglichen stuben (Wohnstube) von der

thur an, do man zur stuben hinein get, pis gar hin hinten, do man zu der

Schreibstuben hinein get, haben und geprauchen. So thue aber histori von

ewangeli konst haben, das wer mir am liebsten, so aber nit verhauten wer,

figur von andern histori ....

Endres Im hoff.

31.

1543, adi 2 Febrer, in Nurmberg. . . . Lieber oham Paulus, dies schreiben allain darumb, das wir gut wissen haben, das der Schmiedmer dir sein tochter zu geben gute naigung het, und unsers erachten gar kein maugel haben wurd, dieweil wir an erberkeit und frumkeit, auch am vermögen kein mangel nit wissen oder haben. Und das die junkfrau zu zeiten schwach ist, wer (werden) wir bericht, das es aus weibliche Schwachheit kümt, und, so sie verheiret wurd, das ir sach pesser und damit kein mangel haben werd. Dieweil uns dan denig (dennoch) allerley gelegenheit noch bedünkt, es sey alls gar nit auszuschlagen, so haben wir nit unterlosen wollen, dir solches anzuzaigen, domit, so mit uns weiter gehandelt und umb ein antwort angehalten wurd, das wir westen, was dein mainung wer und wir zu antwort solten geben. Dan, lieber oham Paulus, so wir im uoch- denken, so bedunkt uns furwar, das dir nunmer nit nutzers (nützlicheres) sey, dan dich zu verheireten und desselben gut ursach haben der Versehens, thue (du) werdst dich darmit weisen lossen, woehin thue dan lust und naigung host, es sey an obgemelt oder an andre ort, dasselbig magst uns anzaigen sind wir erputig, dir darzu hilflich und fuderlich zu sein, dan wir je gern Wolfen, das thue (du) wol versehen werdst, daran sol an uns nichz erwinden. Dasselbig und was dir das pest und nutzt zu sei und zu leib sey, das wol dir got der allmechtig gnediglich verleihen und zuschicken, amen. Sonst, lieber oham Paulus, wies wir dir itz nit mer zu schreiben, dan w^olst dich doniden

49) Der Oheim Pauls väterlicherseits; seine Frau war Katharina Behaim, die Schwester Friedrich Behaims.

54

wol halten und vor allen schedlichen dingen behüten, domit thue (du) nit krank werdst, wie thue waist, das es doniden vor andern orten not thut.

Gabrihel und Endres Imhoff.

32. Mein freuntlich willig- dienst bevor, freuntlicher, lieber Schwager Paulus! Dein schreyben, mir gethan, darinnen mir vil glucks zu deiner Schwester, auch allen freuntlichen und dienstlichen willen, wunst und erpeuts, welches ich mich sampt deiner neuen zaitung in demselben deinem schreyben auf höchst bedank. Worynnen ich dasselbig wyderumb gegen dir oder den deinigen kan oderwaifJ zu verdienen, solst mich alzeyt als einen willigen schwager erfinden, nicht mit Worten, sunder mit den werken, verhoff auch, dein Schwester und ich wollen unß, ain gott wil (ob Gott woll), wol mitainander wyssen zu verdragen, dan sy sol, ain got will, bey mir finden, das ich yr thun wil, was ir lieb ist. Von neuen zaitungen waj^ss ich dir sunders nichts grundlichs nichts anzuzaigen, dan zu besorgen, dieweyl man also spotlich darzuthut und die chur und fursten wenig lust auf solichen reichstag zu kumen haben, sunder anzaigen, so ire romische kayserliche majestät in aigner person komme, wollen sy auch komen, auch zu besorgen, dieweyl sovyl zwitracht zwyschen den fursten im reich sind, das wenig ausgericht werden wird. Got woll alle ding zum pesten richten, dan zu besorgen^ ain seltzam jar werden wird. Anders dir dieser zeyt nicht wayss anzuzaihen. . . . Datum Nurmberg den 3. tag Febrer, anno 1543.

Gristoff Haller, d. w. Schwager.

Byt dich, wollest mich hinfuran wayter nymer yrtzen {Ihr sagen), sunder mich für deinen schwager halten und in deinem schreyben furan anreden.

33.

Laus deo 1543, adi 10. Febrar in Nürnberg.

. . . Mein weib lest dir sagen, si wol dir di äugen wischen, das du die von Til Kordl (?) versäumbt host, die adi 29. Jener bot hochzeit gehabt; den preutigam host du on zweifl vernümen. Aber sie lest dir empieten, sols güts müts sein, es küm iz schier ein ganzer jünger schwärm hernoch, darunter auch fil reich sind, darunter wirt ezwo dein tail sein.

So meldest du auch, wie gar wenig kurzweil daniden zu Antorf sey und sich fil dings verendert hat von wegen der kri egs lauft ^°), das ist wol zu glauben, got wol, das es nur nicht erger werd, Sünder zu einem guten frid schicken. Dann solt solcher krieg fort gen, würd so ein poser krig, als er in langer zeit ist gewest. Got der her fug all ding zum pesten.

Item so vermeinst, du wirst auf herrn fastenmess herauf gen Franckfürt kümen und darnoch her gen Nürnberg, so woln wir dann guter ding mit einan- der sein. Ich glaub wol, Veit Holzschuher den jungen emon {Ehemann), den verlang nicht wenig herauf zo seiner schonen jungen trauen. Er ist je nicht

SO) Es ist der Krieg des französischen Königs Franz I. gegen den Kaiser, sowie die in den Niedex'landen ausgebrochene Erhebung gegen Karl V. gemeint.

lenger dan pei 14 tage pey ir gewest, wer im nicht verübel zu haben. Weiter, liber vetter, es zeigt mir Hans Radneeker an, er hab dir daniden zu Antorf einen korallen paternoster zugestellt, den ich im dan fast for einem jar hab geben, mir in da niden zu verkaufen; zeigt mir an, er hab pisher noch nicht künd verkauft werden, das mich denn nicht wenig verwundert, nochdem mon daniden noch der alte mainüng (des alten Glaubens) ist. Het gemaint, solt seider 3 mol verkauft sein worden; sagt mir, mon hab in in der stat durch ein alte .... um losseu tragen und fall pieten, das hab ich nit gern gebort, war nit gut davon. Derhalben ist mein pit an dich, wolst in sauber halten und nicht fll palnern (?) lossen, dan es im nicht nüz ist. Ich mocht leiden, wo es müglich wer, das du in mit sicherer potschaft bettest herauf geschickt, dan wo ich in itzt hie het, west in pei den fremden leuten, so iz hie auf dem reichstag sind, mit gotes hilf zu verkaufen. Thü so wol und mach in fein sauber ein in paüm- woln und papir, wie er den for angemacht ist gewest, und gib in einem poten, der mit ersten herauf lauft. . . .

Kanst du in aber noch in mitler zeit verkaufen, e du in einmachst, ob ezwo ein glück kern, so mocht ichs wol leiden, halt in auf 4 in 35 fl.; ein 30. oder, 4 ü. solsdü macht haben zu fallen; er ist worlich schon von färben. . . .

So hast du on zweifel gut wissen, das wir den reichstag izt hie haben und der kung Ferdinand sambt zweien sunen. hie adi 17 die passato hie ist ein ge- ritten ^i). Aber es sind sunst wenig fursten hie; ist die sag, si wollen nicht kümen, ist je nicht mer dan ain pischof hie, nemlich der von Hildishaim {Rildes- heim), aber sunst sind die gesanten potschaft, die stand des reichs alhie. So ist des kaisers potschaft, nemlich der Granval {Granvella) ^^) sambt 2 oder 3 sünen for ezlichen tagen herkümen, in soma ist die sag, soln teglich mer kümen; got wol, das mon was guts aufriebt, das im doch pisher fast ungleich sehet 53^. Der herzog von Praunschweig sol auch al tag kümen, der wirt pei dem Schlaüderspach lagern , der wirt hilf begern , das mon in wider einsizen sol^). So sind ir sünst nicht wenig, die auch hilf pegern; ist zu besorgen, mon werd ihn nicht aln helfen künden. So ist die sag, der türk sei auch in groser rüstung; ist zu besorgen, es wird ein heftiger und lankweiliger sümer werden. So wis auch, das die gesellen hie disen winter ser ftux auf dem schliten gefahren sint, auch des küngs {Königs) 2 süne sambt andern fremden hern; ist in etlichen fll jaren nicht gewast (gewesen) als heür; das host du auch als versäumbt; sprich pazianzio (Geduld).

So hab ich auch die zeitung, wie es da nieden stet, vernumen, ist fast die sag noch teglich hie, vergleicht sich fast mit deinem schreiben, ist zu be-

81) d. h. am 17, Januar.

52) Er gelangte acht Tage nach dem Könige in Nürnberg an.

53j An Fürsten waren noch anwesend : der Pfalzgraf Friedrich, Herzog Ludwig von Bayern, der Bischof von Augsburg, der Herzog Heinrich von Braunschweig und einige wenige Stände. Der Reichstag, auf welchem der Kaiser u. a. vergebens HiLfe gegen Frankreich und die Türken begehrte, verlief resultatlos.

54) Der Herzog Heinrich von Braunschweig, ein Hauptgegner bei der Durchführung der Reformation in Norddeutschland, war 1842 von dem Schmalkaldischen Bunde aus seinem Lande vertrieben worden.

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sorgen, wo es g-ot der almechtig nicht anders in guten frid verordnet, es werd müe und arbait werden, dise stat entpfind schon bereits solchen krieg, es mocht in guter hoffnUng sten, wen k. m. eigner person über kann, die sach mocht pesser werden, mon hat hie die tag .... gemelt, k. m. und kung von Frank- reich solen frid miteinander machen, das ist wol war, das der pobst (Pabst) nicht zeit verleurt, ob er ers mocht zu wegen pringen, ist aber zu besorgen, es werd nichts daraus ....

Jochim Rotmündt, d. w. vetter.

Dem erbarn gesellen Paulus Behaim iz zu Antorf, meinem lieben vettern, Antorf.

Dort empfangen am 22. Febr. 1543.

34. 1543, adi 7. April in Nurraberg.

, . Wir haben dein schreiben in sonders empfangen und darin dein ant- wort auf unser dir gethun schreiben, deiner verheiret halben, vernummen. Die- wail es dir dan an dem ort, wir dir haben anzaigt, nit eingen wil, so sey es im namen gottes. Dan unser mainung änderst nit ist, dan dohin thue {du) naigung und lust hast . . .

Demnoch so thue (c?w) etwa zu einer erbern junckfrauen sonderlich naigung best, pitt wir dich, thue (du) wolst es uns nit verhalten, sonder anzaigen, solst thue ou allen zweifei sein, es pey uns wie pillich ist erlich pleiben sol und wir inmitler zeit pis auf dein zukunft in der sach mit pestem fleis, doch in pester Stil, wie sich gepurt, handeln wollen ^^) . .

Gabrihel und Endres Imhoff.

35.

. . . Von neuen Zeitungen wey(5 dir sunders nichtz zu schreyben, allein römisch königl. majestät ist gestern von hinen auf Beheym zogen, also dieser reychstag auch ain end geuumen. Aber wie der abschied ist zergangen oder laut, way(5 sich dir grundlich nicht anzuzaigen, dan man alhie nicht trucken darf, besorg aber sy nicht al wol zufrieden synd. So versycht man sich rom. kay. may. zukunft in Ittalien

Datum Nurmberg, den 24. tag Abril, anno 1543.

Cr ist of Haller, d. w. schwager.

Nürnberg. J. Kamann.

55) Paulus Behaim kehrte im Mai 1543 nach Nürnberg zurück. Erst 6 Jahre später (am 7. Januar 1549) vermählte er sich mit Barbara Kötzler, f 13. April 1552; im Januar 1554 zum zweiten Male mit Magdalena Römer.

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Zwei Weintafelii des 17. Jahrhunderts im germauischeii Museum.

er Deutschen Neigung: zum Trünke macht es erklärlich , dafs es schon im Mittelalter an Schenken aller Art nicht fehlte. Aufser den öffentlichen Wirtschaften gab es noch Trinkstuben, welche nur bestimmten Gresell- schaftskreisen zugänglich waren: Herrentrinkstuben für Augehörige der Gre- schlechter und reiche Kauüeute, dann Trinkstuben der verschiedenen Innungen auf den Herbergen derselben. Die Einrichtung der öffentlichen Schenken mag eine sehr primitive gewesen sein, und auch die Gasthäuser boten den Reisenden keinen angenehmen Aufenthalt, wie aus der bekannten Schilderung des Erasmus von Rotterdam^) nur zu deutlich hervorgeht. Die fürstlichen Personen, welche eine Reise machten, stiegen in der Regel mit samt ihrem Gefolge bei vornehmen Bürgern der betreffenden Stadt ab, Kaufleute manchmal bei ihren Geschäfts- freunden, überhaupt war früher die Inanspruchnahme der privaten Gastfreund- schalt aller Kreise eine viel lebhaftere als heutzutage. Bei der grofsen Reise- lust, welche trotz der mangelhaften Verkehrsmittel schon damals in Deutschland herrschte, blieb aber doch noch immer eine grofse Anzahl Reisender auf die Gasthäuser angewiesen.

Nach einer vom Nürnberger Rat unterm 8. Oktober 15f3 erlassenen Ord- nung 2), »wie es auf fürgenoraen reychstag der ankomende personen halb von den Wirten und gastgeben gehalten werden soll,« war ein Gast, der in seiner Herberge das Mahl einnahm, für Herberge und Lager nichts schuldig, wenn er besondere Gemächer nicht beanspruchte; wenn ein Gast bei einem Wirte aber nicht zehrte, sollte er dem Wirte für das Lager nicht mehr denn vier Pfennig zu geben schuldig sein. Solche Gäste wurden offenbar in mehrfacher Anzahl in einem Räume untergebracht. Auf besonderen Komfort durften diese Reisenden, welche die Mehrzahl gebildet haben dürften, keinen Anspruch machen. Wollten aber Gäste Stuben und Kammern für sich allein haben, so sollten sie sich mit dem Wirte darüber vertragen. Für die Mahlzeiten ward eine bestimmte Taxe fest- gestellt, wobei ein ziemlicher Trunk des landesüblichen Weins meist inbegriffen war; feinere, nicht landesübliche Weine waren keiner gesetzlichen Taxe unter- worfen : bezüglich des Preises dieser mufste sich der Gast mit dem Wirt verständigen.

Wenn heute vielfach und oft nicht mit Unrecht über hohe Hotelrech- nungen geklagt wird, so sei hier darauf hingewiesen, dafs manche der Ordnungen für die Wirte und Gastgeber erlassen wurden »damit nyemandts wider seinen willen mit überm essiger zerung beschwert« werde ^), sie also in erster Linie den Gast vor Übervorteilung schützen sollten , demgemäfs die erwähnten Klagen ziemlich weit zurückgehen. Auf diese ist wol auch die nachfolgende Bestim- mung des Bischofs Julius von Würzburg*) zurückzuführen: »Vnnd sol der Wirth jedem Gast sein Zehrung von Stucken zu Stucken vnderschiedtlich rechnen, Volgents auch vber dieselbigen Zehrung, einen vnterschiedtlichen zettel, zuzu-

1) Wieder abgedruckt bei Alwin Schultz, deutsches Leben im XIV. u. XV. Jalu-hunderl Familien-Ausgabe (Wien 1S92J S. 46 ff.

2) Archiv für Post und Telegraphie XL Jahi-g. (Berlin 1883), S. 681 ff.

3) Mandat des Augsburger Rates vom 4. Februar 1574 im germanischen Museum. 4j Mandat vom 1. Dezember 1578 im germanischen Museum.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1894. YIII.

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stellen schuldig sein«, d. h. es mufste jeder Gast eine spezifizierte schriftliche Rechnung- erhalten, wie dies heute allgemein der Brauch ist.

Im 17. Jahrhundert sind die Gasthäuser wol schon viel bequemer und an- ständiger eingerichtet gewesen; zwei Denkmale aus dieser Zeit, die aus Wirts- zimmern stammen, sprechen wenigstens dafür. Es sind dies zwei hölzerne Tafeln in geschnitztem Rahmen, auf welchen die Weine verzeichnet sind, die es in den betreffenden Gasthöfen gab, denn nach der Reichhaltigkeit und Auswahl der Weine ist es ausgeschlossen, dafs dieselben etwa aus einer gewöhnlichen Kneipe

Fig. 1.

stammen. Ähnliche Tafeln waren in früheren Jahrhunderten auch in Haushal- tungen vielfach gebräuchlich, um den Vorrat an Wäsche, Lebensmitteln u. dgl. zu verzeichnen. Das germanische Museum hat auch eine Anzahl solcher Tafeln, auf die wir an dieser Stelle gelegentlich zurückkommen werden.

Die ältere dieser Weintafeln, welche als Vorläufer der in der Gegenwart allgemein üblichen Weinkarten zu betrachten, aber doch wol auch heute noch nicht ganz ausgestorben sind, dürfte mit ihrem reichgeschnitzten, mit Karyatiden und Fruchtgehängen geschmückten, buntbemalten Rahmen in die ersten Jahr-

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zehnte des 17- Jahrhunderts fallen, der zweite, mit geschnitztem, ornamental verzierten Rahmen, ohne Anstrich, gehört der Mitte des genannten Jahrhunderts an. Die eigentlichen Tafeln sind schwarz angestrichen und die Namen der Weine mit weifser Farbe aufgetragen. Hinter der Abkürzung W, für Wein wurde wol der Preis desselben mit weifser Kreide eingetragen; er war wechselnd und fiel nicht unter die obrigkeitliche Taxe, die sich nur mit dem gewöhnlichen Land- wein beschäftigte.

Über die Herkunft der Tafeln, für welche man wegen der zu grofsem Teile

Fig. 2.

übereinstimmenden Reihenfolge und Anordnung einen gemeinschaftlichen Ur- sprungsort anzunehmen geneigt ist, ist nichts bekannt; sie sind wol mit der frei- herrlich V. Aufsefsschen Sammlung in das Museum gekommen und stammen deshalb vielleicht aus Franken. Die Abbildungen derselben sind in ein Achtel der natürlichen Gröfse wieder gegeben.

Auf beiden Tafeln [finden sich folgende Weine verzeichnet: Rheinwein, Moselwein, Wertheimer Wein, Hafslacher Wein, Stein wein, Markgräfler Wein, Champagner, auf ersterer weifser und rother, auf letzterer fehlen diese Zusätze,

60

weifser u. rother Bourg'ogne Wein, Mouscat, Lünel, Frontig-nant, Mallag-a Seet. Die nachstehead angeführten Weine finden sich blos auf der ersten Tafel: Hö- ning'erbleicher Wein, Leistenwein, Kräuterwein, Pontackwein, Medockwein, AU- cautwein. Spanischer Wein. Auf der zweiten Tafel stehen folgende, auf der ersten nicht angeführten Weine: Rother Wein, Cortebenedicten Wein, Würmuth- wein und Spanischer Sect, dann weifser und rother Meth.

Die meisten dieser Weine bedürfen keiner Erklärung , sie erfreuen sich gröfstenteils heute noch besonderen Ansehens. Bezüglich der verschiedenen Sektsorten sei bemerkt, dafs man mit diesem Namen süfse, starke Weine be- zeichnete, die in südlichen Ländern gebaut wurden. Ob der auf beiden Tafeln vorkommende Kafslacher Wein von Haslach in Baden herstammt, vermögen wir nicht zu entscheiden. Der Frontignant ist wie Mouscat und Lünel ebenfalls ein süfser Muskatellerwein, der in Frontignan in Nieder-Languedoc wächst.

Von den, lediglich auf der ersten Tafel verzeichneten Weinen dürfte der Höningerbleicher Wein entweder zu Hönningen an der Ahr oder Hönningen am Rhein gebaut sein. Der »Pontack« wächst in Pontacq, Arr. Pau, der Alicant- wein in Alicante in Spanien. Der nur auf der zweiten Tafel angeführte »Gorte- benedicten-Wein^ wurde, wie der ebendaselbst verzeichnete Wermuthwein, auf künstliche Art hergestellt, indem Most mit allen möglichen Kräutern versetzt und vergährt wurde ^),

Nürnberg. HansBösch.

5) Rezepte hiezu in Allgemeine Schatz-Kammer Der Kauffmannschafft 4. Theil (Leipz 1742), Sp. 1109 f.

Spruchsprecher, Meistersinger und Hochzeitlader,

vornehmlich in Nürnberg.

III (Schlufs). Is eine Probe der Poesie Wilhelm Webers gebe ich hier zunächst ein

ängeres Spruchgedicht, das den Kulturhistoriker auch inhaltlich wol interessieren darf. Es steht in der Handschrift L 2137 des germanischen Museums auf Bl. 14b ff", (doch sind die Blätter nicht nummeriert), findet sich auch bei Holstein*') erwähnt, ist aber bisher noch nirgends abgedruckt, obwol es, eben aus kulturgeschichtlichen Gründen, meines Erachtens wol publiziert zu werden verdient. Das Gedicht ist überschrieben und lautet folgendermafsen:

Ein lobspruch von den hochzeitladern und laidbittern. Wie man scrieb sechzenhundert jähr Darzu neunzehen die jahrzahl war,

Im monat merzen ich sag

Den zweyundzwainzigsten tag: Die sonn schien ganz löblich und schön, Gar halt thet ich spaziren gehen,

47) a. a. 0, S. 173, II, 1.

61 -

, Durchstrich die acker, wiesen und auen,

Das ackerwerk thet ich beschauen,

Wie die bauersleut gleicher weifs

Das feld umbackerten mit fleifs,

Sechten den lieben samen drein, Auch sangen schön die vögelein,

Dafs es erschall solcher gestalt,

Die baimlein knöpfen manichfalt.

Ich sezt mich uf ein rang-er [so!] nieder Ruhen zu lafsen meine klieder.

In dem ersähe ich einen mann,

Ein schönen ehrrock het er an

Und trug- ein zetel in der band. Der man der war mir unbekant.

Ein junger knab der gieng ihm nach.

Er grüfset mich, als er mich sach,

Und fraget mich von wort zu wort, Was ich da macht an diesem ort.

Ich sprach: der frühling mich erfraüt,

Darin als wieder wird verneüt,

Was vor im winter war gestorben, Hat seine kraft wieder erworben.

Ich sprach: mein herr, verargt mirs nit,

Es ist an euch mein fleifsig bitt:

Was bedeüt dieser zetel schon, Den ihr thut in den banden han?

Er sprach zu mir mit guten sinn:

Wist, ich ein hochzeitlader bin

Und will dort in das schlofs hienein. Laden darinnen den Junkern fein.

Ich sprach: mein herr, mich eins bescheidt, * Weil ihr ein hochzeitlader seid,

Bitt sagt mir solches an der stat, Wo das auch seinen anfang hat,

Dasselbig möcht ich wissen gern.

Er sprach: das will ich dich gewehrn. Merk: erstlich Gott erschaffen hat Den menschen da allen vorat

Von kraut und ruhen, körn und wein,

Hirschen, beern, rinder und schwein,

Die berg und thal auch schön geziert Mit gras und bäimen, wie sichs gebürt;

Nach dem hat Gott erschaffen da

Durch sein wort Adam und Eva,

Schlofs zusamen ihr beide band, Sezt also ein den ehlichen stand, [15 a] Luth darzu alle engel ein.

Die freüeten sich der ehleüt rein;

Also der ewig Gott aus gnaden Thet erstlich auf die hochzeit laden

Alle die engel Gherubiu

Und auch die engel Seraphin,

Und das g-anz himelische heer

Dienet dem ehstand da zur ehr. Also das hochzeitladen wist Von Gott dem herrn geordnet ist.

Nach dem aber das menschlich geschlecht

Kam in dem fluch und Gottes echt, Darob Gott ein erbarmung het: Ein andere er anstellen thet,

Als nemlich sein geliebten söhn,

Den er verhiefs dem Adam nun.

Der solt der schlangen köpf zertreten. Zu der hochzeit haben gebeten

Alle Patriarchen da mit lob,

Abraham, Isack, und Jacob

Das jüdische volk theten aus gnaden Erstlich zu dieser hochzeit laden,

Dergleichen auch alle propheten

Zu dieser hochzeit laden theten. Zu ehren diesen preitigam. Johannes, der taufer mit nam,

Den preitigam verkindet hat

Mit seinem fmger an der stat,

spricht: schaut dz lämblein Jesu Christ, Das unser preitigam worden ist,

Und in dem netien testament

Johannes im andern bekent.

Wie der herr Christus aus genaden Mit seinen Jüngern war geladen

Mit sambt der liebsten mutter sein . Uf eine hochzeit zu Cana rein

Durch einen hochzeitlader, versteht.

Aus Wasser er wein machen thet. Christus im evangelio Redt von den hochzeitladern also,

Spricht auch und wie das himmelreich

Sey einem grofsen könig gleich.

Der seinen söhn ein hochzeit macht Und het sein vüeh drauf abgeschlacht;

Die hochzeitlader auf das hast

Musten ihn laden seine gast.

Weiter so spricht Christus mit nam: Seit bereit, wan der preitigam

Eingehet zu seiner herrlickkeit.

Christus let uns noch allezeit

63

, Durch seine treye diener frora,

Durchs heyh'g- evangelium. Da höret ihr, wie Christus aus genaden Auch ehret hoch das hochzeitladeu.

Das hochzeitladen ist nit umbsonst, Es tragen ihn auch lieb und gunst Kayser, könig, fürsteu und herrn, Ritter, grafen, nahent und fern,

Edelleuth, burger und bauersman Des hochzeitladers nit eutrathen kan. [15 b] Auch hat ein edler weiser rath

Alhier in Nürnberg der stadt

Erstlich einen hochzeitlader secht Verordnet für dz edle geschlecht

Und darzu auch für die kautleüt,

Der sie ledt zu der frolichkeit.

Zue dieser zeit ist wohl bekant Hans Höfling, so ist er genand.

Auch vor die burgerschaft und gemain

Da hat ein erbarer rath allein

Zwelf hochzeitlader auserwehlt, Jedem eine büxen zugestelt,

Die setztens auf an der mahlzeit,

Darein stöst mans geld vor arme leüt. Wan ein preitigam thut begern Eines hochzeitladers, er thut ihn gewehrn

Und kombt an des preitigams haus,

Schreibt auf die leüt und zeicht es aus, Dafs er weifs alle strafs und gassen, Wo er sein gang den hin sol fassen;

Mit werten schön sie laden than

Beyde die herrn, frauen und mann,

Die pfarkirchen sie ihn anzeigen Und darzu das gasthaus dergleichen,

Darinen man helt die mahlzeit

Mit Gottes furcht und bescheidenheit. Die hochzeitlader da mit sitten Die braucht man auch zu den laidbitten,

Geben jedem herrn sein rechten titel

Reichen und armen da an mitel,

Dafs au ihnen da fehlet nicht, Jeder sein sach fleifsig ausricht.

Wie ihr ortnung ausweisen thut.

Ich sprach: mein herr, habt mirs verguet. Sagt mir jetzundt zu dieser früst, Wan eure ortnung aufkomen ist,

Last mich dieselb ein wenig hören

Den hochzeitladern da zu ehren.

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Er sprach: merk, als man zehlen war Sechzehenhundert süebenzehen jähr

In dem monat Apprilln, ich sag',

Nach Ostern vierzehen tag,

Da man alle ämpter besetzet eben. Da hat man uns die ortnung geben ;

Beim silbern fisch, thut mich verstahn,

War unser erste session,

Bey Andareas Lindner, da aus gnaden Richten wir auf büxen und laden,

Darvor wir ein ander verklagen,

Wer etwas weifs, der muls ansagen, Dafs sie in fried und einigkeit Bey einander wohnen alle zeit.

Drumb hat ein erbarer rat zu lezt

Drey vorgenger darüber gesetzt Die alle ding fein ordeniern In ihren stand, wie thut gebiern, [16 a] Das warn die hochzeitlader wiest.

Da dieser spruch gemachet ist:

Andareas Nuding, Gabriel Schmidt, Und Ghristoff Moller war der drit

Fürgenger, und auch diese drey

Wurden darzu erwehlet frey.

Und wan der eiste abthut stahn, So kombt alsbalt ein anderer an.

Nun will ich dr auch über summen,

Wie sie nach ein ander an sind kommen: Der erste war Andareas Nuding, Georg Laudenschmit der ander gieng,

Nach ihm Thoma Grillmair der drit,

Paulufs Bolner der vierte mit

Christoff Gudtschmit der fünfte wiest, Valenthin Stromenger der sechste ist.

Der siebent war Gabriel Schmidt,

Der achte Hannfs Eggerer mit sitt.

Der neunte war Hannfs Wolff und der Zehente war Ghristoff Moller,

Michel Roth der ailfte gerüst,

Michel Merkel der zwelfte ist.

Diese zwelf herrn da mit namen Die kamen all vier wochen zusamen,

Drey creüzer thet einer auflegen,

Stiefs man in die bixen, dargegen

Man in der noth was haben kan. Armen, kranken, zu helfen darvon. '

Wan sie ihr zech hielten mit ehren,

So beten sie einen krenzleius herrn.

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Der liefs den kränz mit einen klas

Mit wein rumgehen, verehret eim das. Kombt umb ein trunk, es kan nit schaden, Gott behüt euch, ich mufs weiter laden ;

Wan ir auch zu uns komt hienein.

So bring' ich euch ein klas mit wein. Nun geseg'n euch Gott, ich geh mein strafs. Ich danket ihm freundlicher mafs.

So hab ich mich darüber gericht

Und macht dz schöne lobgedicht. Den hochzeitladern da zu ehren Lafs ich alhie diesen spruch auch hören,

Und fürnehmlich zu Gottes lob,

Da wir dan halten alle ob Durch unsern herrn Jefsum Christ, Der unser schütz und schürm ist,

Dan Gott ist alles guetes ein geber.

So spricht zu Nürnberg Wilhelm Weber.

Amen.

Nach einer seit lange in solchen und ähnlichen Fällen gebräuchlichen Ein- leitung, der Schilderung eines Spaziergangs im Frühling, läfst sich also der Dichter aus dem Munde eines Hochzeitladers, der ihm begegnet, über Herkommen und Stand der Hochzeitlader berichten. Wie uns dieser Hochzeitlader vom Dichter geschildert wird, mit schönem »Ehrrock«, einem Zettel in der Hand und nachfolgen- dem Jüngling (Nachgeher), so zeigt ihn uns auch ein etwas späterer Kupferstich aus einem Nürnberger Trachtenbuche*^), auf welchem wir den Hochzeitlader mit dem Spruchsprecher zusammengestellt finden (Fig. 5). Nach der sonstigen Tracht gehört dieser Stich dem Ausgang des 17. Jahrhunderts und zwar der Zeit vor 1695 an, denn vom 1. Juni des genannten Jahres haben wir einen Ratsverlafs, welcher allen Hochzeitladern das Tragen der grofsen Erägen , den sogen, ge- meinen Hochzeitladern auch das Tragen der Röcke untersagt, weil dadurch bei Fremden leicht unliebsame Verwechselungen der Hochzeitlader mit den Herreu vom Rat hervorgerufen würden*^).

Der Hochzeitlader rühmt dem Dichter zunächst das hohe Alter seines Standes und Berufes, indem er denselben auf die Uranfänge der Menschheit zu- rückführt und Gott selbst zum ersten Hochzeitlader macht. Solche Stellen und auch die allegorisch-mystische Behandlung des AbsQhnittes entsprechen ganz

48) Das Blatt gehört zu den Alexander Bönerschen Trachten bildern und findet sich bei C. G. Müller, Verzeichnis von nürnbergischen topographisch - historischen Kupferstichen und Holzschnitten (Nürnherg 1791; S. 103 mit aufgeführt.

49) Dies scheint der Sinn des Ratsverlasses zu sein, den ich hier im Wortlaute gebe: [R.-P. 1693, 111, 31a] Samstag, 1. Juni 1693: »Balthasar Krausern dem Jüngern ist aus denen vorgelegten competenten die durch absterben Johann Kuorrenschilds erledigte schenken- und erbarn-hochzeitladers-stelle zugetheilet, ihme aber dabey anzuzeigen befohlen worden, sich des grossen kragens zu enthalten; inmafsen auch die übrige hochzeitlader zu ablegung des rocks samt dem kragen, welcher habit bey fremden , von defsen ankunft und beschatfenheit nicht- informirten personen viel ungleiche, denen herren des raths nachteilige discussen verursachet, anzuweisen seind. Depp, zu den hochzeitladern.«

Mitteilung^en aus dem germau. Natioualmuseum. 1894. IX.

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dem Geiste and dem Geschmacke der damalig-en Zeit, in denen auch das Auf- zäiilen von ang-eblich auf den betreffenden Stand bezUgiichen Tliatsachen aus der biblischen Geschichte begTüudet ist. Die Meistersinger, uamenthch die spä- teren — man denke an Gyriacus Spangenbergs Buch von der Musica , machten es ganz ähnlich und die einzelnen Handwerke standen darin nicht zurück. Sie alle hätten am liebsten und allen Ernstes direkten göttlichen Ursprung für sich in Anspruch genommen. Die Kriegsleute z. B. betrachteten den Paradiesesengel, der Adam und Eva aus Eden vertrieb, als den ersten Soldaten.

Ebenso kehrt die Stelle über das Ansehen , das der betreffende Stand

VoccLto-r- ac/ n-upha^B, etSa.lyruzoS^ am Corvz/^tzti^us inB-cfi.a ntio/u 7?z mie-r eft .

Fig. 5.

hier also die Hochzeitlader bei Kaisern, Königen, Pursten u. s. w. geniefse, fast formelhaft in vielen Gedichten dieser Art wieder.

Im weiteren Verlauf der Erzählung kommt dann der Hochzeitlader auf Zusammensetzung und Beruf der Genossenschaft zu sprechen. Es ist ein Hoch- zeitlader gesetzt für »dz edle geschlecht«, d.h. für die ehrbaren Familien, die Patrizier, sowie für die Kaufleute: in jener Zeit eben der schon früher erwähnte Hans Höflich; dazu zwölf Hochzeitlader »vor die burgei'schaft und gemain«. Unter ihnen wird auch Thomas Grillenmaier mitaufgezählt und von den anderen, die hier noch genannt werden, ist Andreas Nuding gleichfalls als Meistersinger bekannt. Dire Punktionen bestehen besonders darin, die von dem Bräutigam ihnen angegebenen Leute in gewählten Worten das wird wieder besonders

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hervorg-ehoben (»mit worten schön«) zur Hochzeit zu laden und denselben die betreffende Pfarrkirche und das Gasthaus, in dem der Hochzeitschmaus ge- halten werden soll, namhaft zu machen, wobei sie sich vorher darüber auszu- weisen hatten , dafs sie auch in den Strafsen und Gassen der Stadt g-enau Be- scheid wufsten. Ähnlich ist es beim Leidbitten, wo sie dann jedem Herrn, Reichen wie Armen , den richtigen Titel zu geben wissen. Für die Mahlzeit führt jeder eine Büchse mit sich zur Aufnahme von Almosen für die Armen.

In diesen ihren Oblieg-enheiten wird man kaum einen wesentlichen Unter- schied gegenüber den V^erhältnissen , wie sie im IS. und 16. Jahrhundert be- standen und über die uns teils die von Baader publizierten Nürnberger Polizei- orduungen^*^) teils ein paar auf der Nürnberger Stadtbibliothek befindliche, auf Pergament geschriebene Hochzeitsordnungen ^i) zur Genüge unterrichten, kon- statieren können, vorausgesetzt, dafs man, wie ich annehme, die damaligen Tanz- lader mit den späteren Hochzeitladern identifizieren darf. Beschränkte sich doch auch die Thätigkeit der letzteren nicht lediglich auf die Vorgänge bei Hoch- zeiten; sie spielten auch bei anderen festlichen Gelegenheiten eine wichtige Rolle, wie z.B. deutlich aus der Unterschrift des oben reproduzierten Kupfer- stichs (Fig. 5) hervorgeht. Überall wird schon im 15. Jahrhundert, wo etwa von dem Lohne die Rede ist, der Vorhängelein in Verbindung mit den Hoch- zeitladern und Spielleuten genannt, und da von den Hochzeitladern wie von den Spruchsprechern überdies eine gewisse Beredtsamkeit und ein Improvisations- talent verlangt wurde, so durfte ich es mir wol gestatten, sie beide in eine litterarische Betrachtung hineinzuziehen.

Nun noch ein Wort über den Zeitpunkt, auf den sich das Gedicht nament- lich in seinem letzten Teile bezieht. Es wird da von einer Ordnung ge- sprochen, die der Rat den Hochzeitladern 1617 gegeben habe, worauf sich dann diese in der angegebenen Weise als Handwerk, wenn man so will, konstituiert hätten. Die Thatsache einer Abänderung und Besserung der alten Hochzeits- ordnung dokumentiert sich natürlich auch in den Ratsverlässen dieses Jahres, von denen ich einige der wichtigsten in den Anmerkungen wiedergebe, sowie in dem noch erhaltenen »Mandat V^ber etliche Puncten der gemeinen Zahl-Hochzeiten halben« Nürnberg, gedruckt durch Balthasar Scherffen M. DG. XVII ^^J.

50) Bibliothek des Litterarischen Vereins Bd. 63.

51) Hss. 59 und 60 der Ambergerschen Bibliotheli.

52) [R.-P. 1617, I, 79b] Samstag. 17. Mai 1617: »Der hochzeitswirth und hocbzeit- lader supplication umb handhabung ihrer hochzeitordnungen soll man sagen , sie sollen in specie anzeigen, was sie für mengel oder beschwerungen haben, und weil man vernimbt, das die voi'nembste clag ist, das so wenig personen bey den hochzeit [80a] malzeiten er- scheinen, wann sie gleich zugesagt, welchs alein daher kumbt, das es den leuten zuviel sein will, für eine malzeit 10 patzen zu bezalen, ist befohlen, weil gleichwol wein und brod dieser zeit in etwas leidlicherem prefs. bedacht zu sein, ob man die hochzeitmalzeiten wid- rumb auf 8 oder 9 patzen stellen woll.«

[R.-P. 1617, II, 33 b] Donnerstag, 5. Juni 1617: ein ganz ähnlicher Verlafs.

[R.-P. 1617, 111, 55b] Montag, 7. Juli 1617: »Uf der herren deputirten bedenken, wie die hochzeitordnung der gemainen zolhochzeiten in vier unterschidlichen puncten besser hand zu haben, und das die tax der hochzeitmalzeiten diser zeit auf 9 patzen zu stellen sein möchte, ist befohlen den Inhalt difs bedenkens in ein decret zu bringen, dasselbe drucken zu lassen und alle und jede puncten mit 10 fl strof zu verpenen, Nachmals jedem hochzeit-

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Man erkennt darin deutlich ein gewisses Entgegenkommen von Seiten des Rates, wenn man auch auf eine besonders einschneidende Wirkung dieser Bestimmungen auf den Stand der Hochzeitlader nicht gerade geschlossen haben würde.

Die inneren Einrichtungen der Genossenschaft mit ihren drei Vorgängern, der Greldbüchse. den allmonatlichen Zusammenkünften, dem Kränzleinberren, der einen Kranz und ein Glas mit Wein herumgehen läfst, etc. diese Einrichtungen schliefsen sich im allgemeinen eng an den Zechgebrauch der wirklichen Hand- werke an und haben insbesondere mit dem auf den sog. Zechschulen der Meister- singer herrschenden Herkommen viel Ähnlichkeit.

Damit sind wir nun wieder bei dem Punkte angelangt, den ich schon oben (S. 40 f.) flüchtig berührt habe. Auch durch die Ähnlichkeit der Formen und Gebräuche war seit dem 17. Jahrhundert eine Verschmelzung der beiden Ge- nossenschaften, der Hochzeitlader und Leidbitter und der Meistersinger, ein Auf- gehen der einen in die andere natürlich zum schweren Schaden für den pro- duktiven Meistergesang nahe gelegt, und von Städten wie Ulm und Memmingen, in denen der Meistergesang noch länger fortvegetiert hat, als in Nürnberg, wissen wir, dafs in der That der Gang der Entwickelung schliefslich zu einer solchen Verschmelzung geführt hat, dafs der Meistergesang endlich ganz in Grabgesang verkehrt wurde, dafs Leidbitter ^ Leichensänger und Totengräber die letzten Meistersinger gewesen sind.

Dabei wurde aber noch lauge Zeit in Memmingen bis in die fünfziger Jahre dieses Jahrhunderts von dem Neueintretenden die Kenntnis dreier meister-

lader und hochzeitwirth einen oder mehr abdruck zuzustellen, mit bcfehl, demselben also nachzukumuien, und, ob sie wollen, in ihren heusern offenlich anzuschlagen zu maniglichs naehrichtung; man sol auch den pfcndern zusprechen, darob zu halten.«

[R.-P. 1617, VI, 17a] Eritag (Dienstag) 16. September 1617: »Die verlafste besserung der hochzeitordnung, soll man mit der daran alsbalden beschehenen addition, drucken lassen, den hochzeitwirthen und hochzeitladern zustelln, mit befehl derselben in allen punctcn nach- zukommen.«

Dementsprechend heifst es dann auch in dem oben zitierten »Mandat«, welches sich in der Hauptsache nicht als eine Abänderung, sondern nui* als eine Bestätigung und Bekräf- tigung der bisherigen Hochzoitsordnung gibt:

»Ein Ehrnvester Weiser Rath dieser Statt Nürmberg, hat mit grossem mifsfallen er- fahren, Das jhrer Herrlichkeiten gegebene Ordtnung, wegen der gemeinen Zahl-Hochzeiten, von jhrer Burgerschafft vnnd Innwohnern in gebürliche Acht nicht genommen, sondern wider Zuversicht, dieselbe in viel Weg überschritten wirdt, vnd sonderlichen in dem, das man bey berührten Hochzeitmahlzeiten zu der bestimmten Zeit nicht erscheinet. Das auch viel Per- sonen, so in der Ladtschaft't zugesagt, von der Mahlzeit aussenbleiben, dadurch die Jungen Eheleut, Vätter vnd Mütter, auch die Wirth zu vnbillichen schaden kommen.« Dieser Mifs- stand solle künftig abgestellt werden, und diejenigen, welche zugesagt haben und nachher zur Mahlzeit doch nicht oder zu spät erscheinen, sollen »das MahlzeitGelt zubezahlen schuldig sein.«

»Vnd dieweil Gott lob vnd dauck die Theurung vmb etwas leidenlichs herabkommen, als thun jhre Herlichkeiten hiemit auch das geordnet HochzeitGelt von Zehen patzen auflf Neun patzen ringern, das also von dato an, bifs awff fernere Verordnung ein jeder Hochzeit- gast für die Mahlzeit meher nit, dann Neun patzen zubezahlen schuldig sein soll, doch mit offner Hand vnd mit vorbehält, nach gelegenheit der Leufften mit solcher Mahlzeit Tax noch weiter herab zu rucken.«

Die übrigen Bestimmungen des Mandats kommen hier weniger in Betracht.

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lieber Trme verlangt, hielten sie noch immer ihre freilich sang'- und klanglosen Zusammenkünfte ab, an denen dann aucb meist ihre Weiber und Kinder teil- nahmen und bei denen der alte Meistersingerpokal im Kreise herumwanderte. Die Meraminger Meistersinger haben ihren »König David«, wie dieser Pokal genannt wurde, erst 1875 au einen Trödler verkauft, als sie durch eine neue Leichen- ordnung gezwungen wurden, ihre Jahrhunderte alte Gesellschaft aufzulösen.

Wer den Meistergesang etwa nur aus seiner Yerfallzeit kennt (wie Wagen- seil) oder überhaupt bei der ganzen Erscheinung nur die litteraturgeschiehtliche und nicht vielmehr die kulturhistorische Seite berücksichtigt und hervorhebt, der kann natürlich leicht zu einem abfälligen, harten, aber ungerechten Urteil verführt werden.

So kann man z. B. im Jahrgang 1793 des Hannoverschen Magazins (Sp. 978) einen Aufsatz lesen, in dem zunächst Wagenseil ausgezogen wird , worauf sich dann der ungenannte Verfasser in den gröblichsten Schimpfereien gegen den ganzen Meistergesang ergeht. »Die Poesie«, sagt er, »kam aus den Händen der Grofsen und Edlen in die Hände des Pöbels, aus dem ehrwürdigen Orden der Minnesinger entstand die Meistersingerzunft elender, hirnloser, erbärmlicher Reimer, die ohne alles Genie, ohne Kenntnis von Poesie, Sprache und Silben- mafs, Verse auf ihre Gesangsweisen machten, und nach Inhalt ihrer Privilegien ein Recht hatten, ihre Verse öffentlich abzusingen« .... »die erhabenste, edelste aller Künste ward auf das jämmerlichste gemifshandelt und auch nach der Re- formation konnte sich die deutsche Poesie nicht sogleich erheben, denn gerade damals stand die Meistersingerzunft in ihrer besten Blüte, hatte sich fast in allen Städten eingenistet.«

Nun über eine solche gänzlich unhistorische Auffassung von der Sache ist unsere Zeit gottlob hinaus, wie wir uns denn überhaupt in der Wissenschaft daran gewöhnt haben oder doch gewöhnen sollten, keine Erscheinung mehr allein für sich, sondern nur in ihrem Kulturzusammenhange zu betrachten und zu be- urteilen. Gerechtigkeit und Pietät gegen die Vergangenheit sind Pflicht eines jeden Historikers, und da mufs denn doch gesagt werden, und es thut mir leid, dafs dies in dem vorliegenden Aufsatze nicht so voll zur Sprache kommen konnte, wie es in einer Darstellung der Blütezeit wol der Fall gewesen wäre, dafs der Meistergesang der guten Zeit als ein Ausdruck und Zeichen der höchsten Blüte deutschen Städtelebens betrachtet werden will, dafs ohne ihn die Reformation eines starken Rückhalts und Untergrundes hätte entbehren müssen . dafs ein Hans Sachs ohne ihn niemals das geworden wäre, was er uns noch heute ist, und dafs selbst der Meistergesang^ der Verfallzeit noch unzähligen Menschen das Leben verschönt und die bösen Gedanken gebannt hat Auch die hohen Verdienste der Meistersinger um Ausbreitung und Weiterbildung der neuhoch- deutschen Schriftsprache harren noch immer der ihnen gebührenden Anerken- nung und Würdigung. Mehr als ungerecht wäre es demnach, eine Erscheinung von solcher Bedeutung für unsere Kulturentwickelung mit Spott und Hohn zu übergiefsen, nur weil sie auch Auswüchse zeitigte und weil sie im Alter welkte, krank und schwach und eben alt wurde.

Nürnberg. Th. Hampe.

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Aus der Galerie des germauischen Natioiialmuseitiiis.

uter den neuen Erwerbungen des Museums befindet sich ein sicheres signiertes und mit 1624 datiertes Weriv des interessanten Holländers Claes Moeyaert. Für dieses Bild habeich einen neuen Titel vorzuschlagen, etwa: Der Frühling, oder: Allegorie des Frühlings. Mein Vorschlag hängt mit Angaben in älteren Katalogen zusammen. Das Nürnberger Bild des Gl. Moeyaert gehört nemlich zu einer Reihe von vier Bildern, die, als sie noch vereinigt war, mit Recht als eine Suite der vier Jahreszeiten angesehen wurde. Zwei dieser Bilder sind vor etwa zehn Jahren ins Morizhaus im Haag gekommen (jetzt Nr. 222 und 223 als »Optocht van Silenus« und »Mercurius en Herse« signiert und datiert mit 1624, vermutlich die Allegorien des Herbstes und Sommers), ein anderes kenne ich nur nach einer alten Erwähnung, und das vierte ist der »Frühling«, der im Laufe des Jahres 1892 aus der Münchener Sammlung Hoch ins germanische Museum gekommen ist. Vorher war es in der Sammlung Otto Pein zu Berlin, deren Versteigerungskatalog von 1888 das Bild beschreibt.

Die ganze Reihe war noch im Jahre 1768 beisammen (vielleicht auch später noch) u. z. in der Gottfried Winklerschen Sammlung zu Leipzig als Nr. 437 440. Die »historischen Beschreibungen der Gemälde , welche Herr Gottfried Winkler in Leipzig gesammlet« (Leipzig 1768, S. 177 f.) machen genügend be- stimmte Angaben über die Suite, um sich darnach zurecht linden zu können. Die vier Bilder waren auf Holz gemalt 1 Ful's 6 Zoll (also ca. 0,47 m.) hoch, 2 Fufs 10 Zoll (ca. 0,89 m.) breit. »Auf dem ersten al legorischen Bilde der Jahres- zeiten, welche 1624 gefertigL sind, sieht man, den Ruinen einer Rotonda gegen- über, am Zugange eines Gartenhauses zur Rechten, die Bildsäule der Flora von fröhlichen Nymphen bekränzen; deren Gespielinnen frische Blumen in Körben aus den nahen Gartenstücken herbei bringen. In der Mitte des andern bereiten sich die knieenden Schnitter, an der Bildsäule der Geres, die herzugebrachten Garben und Gartenfrüchte zu opfern. Einige ihrer Gefährten setzen indessen in der Ernte die Arbeit fort; und andere dreschen, ihnen gegenüber, unter ver- fallenen Gebäuden. Auf dem dritten wird der berauschte Silen , auf einem Bocke reutend, von seinem ziegenfüfsigen Gefolge im Triumphe hergebracht, wo die Winzer unter den Ruinen einer Arcade keltern und weiter hin schwär- mende Satyren im Haine tanzen. Auf dem vierten betritt Venus die Werkstatt des Vulcan; worinne die unermüdeten Gyclopen die Waffen des Aeneas bear- beiten. Ihr Gebiether fasset die Göttin bey der Hand und führet sie herbey, Zeuginn des Fleifses seiner gehorchenden Knechte zu seyn.« Die beiden Bilder im Haag passen nach meiner Erinneruhg zu den Beschreibungen im Winkler- schen Kataloge und lassen sich in ihren Abmessungen: 0,53 x 0,83 auch mit den Bildern, die ehedem bei Winkler waren, in Einklang bringen. Die Zusam- mengehörigkeit der Bilder im Haag und desjenigen bei Hoch hat Dr. Hofstede de Groot schon vermutungsweise ausgesprochen. Ich füge hier einen Deutungs- versuch für das Nürnberger Bild und zugleich für die im Haag hinzu, unter Hinweis auf die Angaben des alten Winklerschen Kataloges. Nicht zu ver- schweigen ist das Vorhandensein eines zweiten Silenbildes von Glaes Moeyaert, das ungefähr dieselben Abmessungen aufweist, wie der Triumph des Silen im Haag. Dieses Exemplar war 1821 aus der Sammlung Solly in die Berliner Galerie

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j2:ekommeU' und wurde vor einig-en Jahren aus der Galerie in den Vorrat ver- wiesen. Ich habe es zwar gesehen, aber ohne davon Notizen zu machen und ohne eine lebhafte Erinnerung daran zu behalten. Auf eine Vergleichung der Bilder mit Silen in Berlin und im Haag lasse ich mich demnach bis auf wei- teres nicht ein. Hier wurde hauptsächlich nur beabsichtigt, dem Gemälde in Nürnberg- einen Titel zu geben, der auf einen Zusammenhang mit der ganzen Reihe der Moeyaertschen Jahreszeiten hinweist.

Wien. Dr. Th. v. Frimmel.

Inhalt eines Balsambüchsleins.

ie Stelle des Flacon, der, mit VVolgerüchen aller Art gefüllt, den Damen der Gegenwart unentbehrlich ist, nahm in früheren Jahrhunderten das Balsambüchslein ein, das sich aber nicht nur bei den Frauen, sondern auch bei den Männern grofser Beliebtheit, und zwar deshalb erfreute, weil die meist starke Gerüche ausstrahlenden Substanzen der Balsambüchschen auch gegen allerlei Krankheiten, namentlich ansteckende, schützen sollten. Ein Nürnberger Patrizier, Karl Pfinzing von und zu Henfenfeld, hatte ein solches Wolgefallen an seinem Balsamgefäfse, dafs er in einem Bande von Kalendern des Jahres 1616, den er sich binden liefs (der Buchbinderlohn betrug 18 Kreuzer) und der sich jetzt in der Bibliothek des germanischen Museums (Nw. 2925—2930) befindet, den Inhalt des Büchschens folgendermafsen verzeichnete: »Volgen diebalsamb, so in meinen vergulden und silbern balsambbüchslein eingemacht sind. No. 1. Ist der schlagbalsamb i) ; sol uf den wirbei in den nacken, zum schlafen, zum flüßen gebraucht werden. No. 2. Ziemmetbalsamb (sol) in Ohnmächten in die naslöcher und lefzen gestrichen werden. No. 3. 4. Citren- und rosenbalsamb : sollen zum pulsen und herzen, dieselbigen darmit angestrichen, gebraucht werden. No. S. Melifsenbalsamb 2) : kan auch das herz- und magengrüblein darmit bestrichen werden. No. 6. Angelicabalsamb 3), soll in bösen lüften die nasenlöcher und puls damit angestrichen werden.«

Nürnberg. Hans Bosch.

1) Der gegen den Schlag hilft.

2) Das Melissenkraut »wermet, trücknet, verzert, heylt, vnd hefftet zusamen«, schi-eibt Lonicprus in seinem Kräuterbuch (Frankfurt a. M. 1537) BI. 187 a.

3) »Der Angelic füi'nembste tugend ist, giö't außtreiben, geblüt zertheylen, vnd den leib zu erwermen.« ßl. 301 a bei Lonicerus a. a. 0.

Ein rheinisches Wandkästchen des 16. Jahrhdts.

enn man heute das Bild eines Zimmers einer bestimmten Stilperiode und einer bestimmten Gegend durch alte Originale geben will, so ist es, wenn man vom Mittelalter absieht und über das nötige Geld verfügt, nicht gar so schwer, die Täfelwerke und die gröfseren Möbel zusammenzubringen; gröfsere Schwierigkeiten bereitet dagegen das Beschaffen der kleinen Inveutar- stücke, die über das ganze Zimmer zerstreut waren, teils zur Zierde, teils zum täglichen Gebrauche dienten, und dem Zimmer erst ein wohnliches, anheimelndes Aufsere verleihen. Bei der Aufstellung der älteren Tafel werke im germanischen Museum, bei der Ausstattung der durch dieselben gebildeten Räume mit Möbeln derselben Zeit und Örtlichkeit, um annähernd ein Bild von der äufseren Er-

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scheinung" verschiedener Wohnräume vorzuführen, machte sich dieser Übelstand sehr geltend.

In dem Räume, in dem ein kölnisches Täfelwerk aufgestellt, der mit Plafond, Kamin, einigen geschnitzten Schränkchen und einer ebensolchen Bank aus Köln ausgestattet ist, könnten zwar auch noch auf den Stollenschränkchen und dem Gesimse des Täfelwerkes die schönen rheinischen Krüge Platz finden, die des besseren Schutzes wegen aber praktischer unter (jlas aufgestellt sind , sonst aber hätten wir diesen nicht mehr viel beizufügen. Mit Vergnügen hat daher Geheimrat von Essenwein einige Jahre vor seinem Tode die Gelegenheit wahrgenommen, ein Waudkästchen zu erwerben, das für das kölnische Zimmer

sehr willkommen war, da es eben zu jenen kleinen Stücken gehört, die sich in jedem Zimmer befanden, aber nur mehr sehr schwer zu beschaffen sind.

Wir geben das hübsche kleine Möbel in Va der Origiualgröfse wieder und bemerken dazu, dafs es aus Eichenholz geschnitzt ist und der Hausfrau zur Aufbewahrung des Nähzeuges oder dem Hausherrn zur Unterbringung von Briefschaften oder anderen Papieren gedient haben mag. Als es Geheimrat von Essenwein bei Bildhauer Fr. Most in Köln fand, war es ziemlich defekt; es fehlte der obere und mittlere Teil vom Löwenkopfe an und der Oberkörper der linken Putte. Most hat die notwendige Restauration in sehr verständnisvoller Weise vorgenommen, so dafs das Wandkästchen jetzt eines der ansprechendsten kleinen Möbel unserer Sammlung ist.

Nürnberg.

Hans Bosch.

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Ein märkischer Familienschmuck aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts.

enn das g-er manische Museum auch einige hübsche, ältere Schmuckstücke besitzt, so gehört doch die Schmucksammlung zu den relativ schwächsten Abteilungen seiner Sammlungen. Namentlich sind die kostbaren, mit edlen Steinen besetzten und mit buntem Email verzierten Schmuckstücke, die in altererbtem fürstlichen Besitze manchmal noch in beträchtlicher Zahl sich ünden, bei uns beinahe gar nicht vertreten. Wer diese Sachen im germanischen Museum studieren will, ist häuptsächlich auf die Kostümbilder in der Gemälde- gallerie angewiesen, wo er allerdings reiches Material in Hülle und Fülle findet, und auf di ' ( ; :;amentstiche in der Kupferstichsammlung, die von geschickten Meistern ui:I (Icellen des Goldschmiedhandwerkes im 16. und 17. Jahrhundert gefertigt wir. m, und von denen das Museum zahlreiche und wertvolle Serien besitzt.

Je sc!) wacher unsere SchmiickuJjteilung an älteren Originalstücken nun ist, um so freudiger und dankbarer mufs jede Bereicherung derselben begrüfst werden. Eine solche erhielten wir im vergangenen Jahre durch die rührige Ber- liner Ptlegschaft, welche den Schmuckvorrat ei- ner märkischen Adels- familie, der im dreifsig- jährigen Kriege der Erde übergeben worden war, von einem bekannten Berliner Sammler er- worben und dem Muse- um als ihre

Bevor wir uns diesen Schmuck etwas näher ansehen, sei bezüglich seinerHerkunftbemerkt, dafs im August des Jah- res 1886 in der Ucker- mark, Dominium Pin- now, westlich vonPotz- low, im Kreise Templin, eine zinnerne , vier- eckige, 26,5 cm hohe Büchse mit Schrauben- verschlufs (Fig. 1) beim Pflügen aus der Erde gehoben wurde, die auf einer Seite eingeschla- gen die Inschrift »t I- V- H- »t *A- V- H- * 1626 zeigt und mit goldenen Schmucksachen gefüllt war. Der Finder soll augeblich zwei Agraffen und viele Goldmünzen zurückbehalten haben; eine Agraffe davon soll in das kgl. Kunst- gewerbemuseum zu Berlin gelangt sein. Der übrige Teil des Fundes ist bei- sammen geblieben und ist in dieser Vereinigung ein interessantes Beispiel dafür, was eine angesehene märkische Adelsfamilie zu Beginn des dreifsigjährigen Krie- ges an Schmucksachen aufzuweisen hatte. Die Jahreszahl 1626 bezeichnet wol das Jahr, in welchem der Schatz der Erde anvertraut wurde; über die Bedeutung der Initialen erhalten wir weiter unten Aufklärung.

Bei der Betrachtung der vierzehn Einzelstücke, aus welchen der Fund besteht, machen wir den Anfang mit den drei Armbändern, weil diese uns Auf- schlufs über die einstigen Besitzer dieses Schmuckes geben. Das gröfsere Arm- band (Fig. 2) besteht aus zehn ganzen und zwei halben runden, hohlen, etwas

Stiftung

übergeben hat

Mitteilung^en aus dein german. Natioualmuseum. 1894,

X.

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gedrehten Gliedern von 2,2 cm. Durchmeser und einer rechteckigen, leicht ge- bogenen Federsohliefse, welche auf der äufseren Seite in farbigem Email zwei- mal nebeneinander das Wappen der märkischen Adelsfamilie von Holtzendorff und die Initialien IVH HVH GGVGVSS sowie die Jahreszahl 1612 zeigt. Offen hat das Armband eine Länge von 24,5 cm. ; die Abbildung gibt es in der Originalgröfse wieder. Der obere Rand der Schliefse enthält in schwarzem Email die Inschrift S. S. TRI ADI S (!) A VSPIGE; auf ihrer Rückseite ist flüchtig eingraviert 19 KRÖN 2 OVE {1), was sich wol auf das Goldgewicht des Armban- des bezieht. Wenn auch in feinem Golde wie alle zu diesem Fund gehörigen Stücke ausgeführt, macht der Armring mit seinen grofsen Gliedern doch einen etwas klobigen Eindruck.

Fiff. 2.

Etwas zierlicher erscheinen die beiden anderen Armringe , die beide aus zwölf ganzen und zwei halben, hohlen, runden , etwas gedrehten Ringen von 1,7 cm. Durchmesser und einer rechteckigen Federschliefse bestehen. Die Schliefsen beider Armringe sind mit dem Wappen der ausgestorbenen märkischen Famihe

von Steglitz, die ihren Namen von dem Dorfe Steglitz bei Berlin hatte, in farbigem Email geschmückt; über dem Wappen linden sich die Initialen SGVS, unter demselben IV R. In Fig. 3 geben wir die Schliefse dieser Armringe, deren Länge 19 und 20 cm. beträgt, in der Original- gröfse wieder; das Wappen ist, um das Rechteck entsprechend auszufüllen, bei diesen beiden Stücken auf die schmale Seite des Rechteckes gestellt.

Die Armringe gehören be- kanntlich zu den ältesten Schmuckgeräten und wurden schon in vorhistorischer Zeit von Mann und Frau getragen. Richtige, wenn wir den ersteren, massigeren, einem Herrn von Holtzendorff, die letzteren seinen Damen zuweisen. Eine Nürnberger Frau, deren Bildnis 1605 von Lorenz Strauch gemalt wurde (Nr. 641 der Gemäldegallerie), trägt einen

Fig. 3.

Auch zu der Zeit, als die be- sprochenen Armringe gefertigt wurden, waren solche bei beiden Geschlechtern in Mode. In der Gallerie des Museums befinden sich die Bildnisse dreier säch- sischer, 1607 gemalter Prinzen (Nr. 643—645 des Gemäldekata- loges), die an jedem Arme mit einem Armreife geschmückt sind, gerade so wie ihre im selben Jahre gemalte Schwester, Anna Sophie, Herzogin von Sachsen- Altenburg, die damals 9 Jahre alt war. Die Frage, ob unsere Armringe von Damen oder Herren getragen wurden , ist daher schwer zu beantworten; doch erraten wir vielleicht das

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Armring-, dessen Schliefse zwei wie auf Fig-. 2 angeordnete Wappen enthält; es waren diese Art Armringe also im Norden wie im Süden Deutschlands in Ge- brauch.

Die Initialen I V' H, H V H und A V H auf dem Armbande Fig. 2 und auf der Ziunbüchse sind wol J. von Holtzeudorff, H. von Holtzendorff" und A. von Holtzendorff zu lesen. Welche Glieder dieser Familie damit gemeint sind, konn- ten wir nicht bestimmen, da uns eine Stammtafel derselben nicht vorliegt. Es sei aber doch darauf aufmerksam gemacht, dafs Valentin Köuig^) einen Adam von Holtzendorff nennt, der mit seinem Bruder Hans v. Holtzendorff 1604 durch Ghurfürst Christian H. belehnt wurde, und ebenso einen Joachim Ernst von Holtzendorff, der im Jahre 1612 als Mitbelehner genannt wird. Die Anfangs- buchstaben dieser Namen stimmen mit den Initialen überein, auch wäre es zeit- lich möglich, dal's die Initialen diesen drei Herren von Holtzendorff angehörten; da dieses Geschlecht aber sehr zahlreich war, so läfst sich dieses mit Bestimmt- heit nicht behaupten. Noch sei erwähnt, dafs nach Ledebur^) Pinnow im Kreise Templin, woselbst der Fund gemacht wurde, ISOO und 1817, also auch wol in der Zwischenzeit, in dem Besitze der Familie von Holtzendorff war.

Ebenso uralt wie die Verwendung von Armringen zum Schmucke dürfte diejenige von Halsgehängen sein, wenn sie in der Urzeit auch nicht aus edlem Metalle, sondern aus durchbohrten Tierzähnen, Knochenstücken etc. bestanden haben. Im 16. und 17. Jahrhunderte schmückten sich Mann und Frau mit kost- baren goldenen Ketten; man begnügte sich sehr oft nicht mit einer derselben, sondern hieng manchmal gleich ein halbes Dutzend um den Hals oder wand

Fig. 4.

eine recht lange mehreremal um denselben. Diese Mode des 16. und 17. Jahr- hunderts hat sich bei den Männern nur als Zeichen besonderer Würde und be- sonderer Ämter in Bürgermeisterketten, Schützenkönigsgehängen^ Ordensketten U.S.W, erhalten; Herren, welche zum Tragen solcher Ketten nicht das Recht haben, sind in der Gegenwart auf die Uhrkette beschränkt, die aber zur Zeit nur ausnahmsweise um den Hals getragen wird. Die Frauen aber schmücken sich heute noch mit Ketten und Gehängen aller Art ganz nach Belieben.

Die Vorliebe jener Zeit für goldene Halsketten spricht sich auch in unserem Funde aus: nicht weniger als fünf hat derselbe aufzuweisen. Die gröfste der- selben mifst 174 cm.; sie besteht aus ovalen profilierten Gliedern, die abwechselnd glatt und gezähnt, letztere zugleich gewunden sind. In Fig. 4 geben wir eine Probe derselben in Originalgröfse wieder. Die Kette wird durch einen einfachen, fragezeichen ähnlichen Hacken geschlossen; infolge ihrer Länge mufste sie mehr- mals um den Hals geschlungen werden. Ähnlich profiliert, aber etwas gröfser sind die ovalen Ringe zweier anderer, ziemlich gleicher Ketten; auch bei diesen wechseln glatte mit gezähnten aber nicht gewundenen Gliedern. Beide sind je

S. 372.

1) Genealogische Adels-Historie IL Teü (Leipzig 1729), S. 554.

2) Leop. Frbr. v. Ledebur, Adelslexikon der preufsischen Monarchie (Berlin) L Bd.,

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S5 CDi. lang-, durch einen Hacken geschlossen und bei beiden ist an dem mitt- leren Grlied senkrecht ein weiteres angelötet, in welchem in einer Öse bei der einen Kette ein Noble Königs Heinrich VI. von England (1421 1471), bei

Fig. 5.

der anderen eine Utrechter Nachahmung des englischen Rosennobles hängt. In Fig. 5 geben wir letztere Kette in Zweidrittel der Originalgröfse wieder.

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Während die Kette Fig. 4 auch von Damen g-etrag-en werden konnte, waren letztere nur für Herren bestimmt. Vielleicht sollten diese Ketten mit eng-lischen Groldmiinzen die Gnadeuketten mit Gnadenpfennigen ersetzen , die von hohen Herren ihren Getreuen statt der heute gebräuchlichen Orden verliehen wurden.

In der Arbeit vollständig gleich sind die beiden übrigen Ketten, richtige sogenannte Panzerketten mit einer rechteckigen Federschliefse, die vorn durch ein hübsches Ornament in schwarzem Email, das noch dem Ende des 16, Jahr- hunderts angehören dürfte, geziert, ist. Fig. 6 gibt diese Schliefse in Original- gröfse wieder, ebenso eine Probe der Kette, die in Wirklichkeit aber etwas kleiner ist. Länge der Ketten 77 und 91 cm. Wahrscheinlich sind diese beiden Ketten, die kein Anhängsel haben, von Frauen getragen worden.

Auf den Bildnissen des 16. und 17. Jahrhunderts sind die dargestellten Personen reichlich mit Fingerringen geschmückt , die sich auch am kleinen Finger und am Daumen finden. Es ist daher eigentlich zu verwundern, dafs sie in unserem Schatze blofs durch drei Stück vertreten sind. Der eine besteht in einem runden profilierten Reif, in dessen innerer Seite sich nachstehende Buchstaben eingegraben finden: -W-G-Z-S-F-S-D-M-N-S- MVH- SCVS-, die wir zu deuten nicht im Stande sind. Der Ring hat 2 cm. im Lichten.

Etwas kleiner 1,6 cm. im Lichten ist der zweite Ring, der aus einem schmalen zierlichen Reifen besteht, der einen viereckigen Kasten hält, in wel-

Fig. 7. Fig. 8.

eben ein kleiner viereckiger Rubin eingelassen ist. Fig. 7 gibt denselben in natürlicher Grölse wieder, doch ist das Original noch zierlicher, denn die Abbil- dung. Ähnlich ist Fig. 8, doch ist der Kasten, in welchen der Rubin gefafst ist, und der Reif mit schwarzem Email geziert; die untere Seite des Kastens ist rund, unzweifelhaft liegt in diesen beiden Ringen Damenschmuck vor.

Zu den schönsten Stücken des Fundes gehören die Agraffen, von denen wir die gröfste in Fig. 9 umstehend wiedergeben. Fünf Bügel, die mit weifsen, email- lierten Punkten besetzt sind und von denen beiderseits blau und weiCs email- lierte Schnecken auslaufen, zwischen denen sich emaillierte Blumen befinden, halten ein zierlich mit Blumenkelchen geschmücktes, rosettenartiges Plättchen, auf welches ein hoher, viereckiger, schwarz und blau emaillierter Kasten aufge- schraubt ist, der einen kleinen Rubin enthält. Leider gibt unsere in der Ori- ginalgröfse ausgeführte Zeichnung, welcher der Reiz der Farbe fehlt, nicht entfernt die Wirkung des Originales wieder, die nicht im mindesten dadurch beeinträchtigt wird, dafs der untere Teil etwas unregelmäfsig fünfgeteilt er sollte offenbar ursprünglich nur aus vier Teilen bestehen und wurde ein fünfter kleinerer Teil nachträglich eingeschoben, vielleicht weil der Goldschmied die

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Vierteile zu klein gemacht hatte .der obere aber viereckig- ist. Eiue zweite etwas kleinere Ag-raffe (Fig-. 10) zeig-t dieselbe Zeichnung-, dieselbe Ausführung und dieselben Farben, nur hat auch das untere Stück nur vier Büg-el und des- halb auch nur vier Teile. Die dritte Ag-raflfe ist bedeutend kleiner als die beiden vorhergehenden; sie hat Achtpafsform und vier Bügel, die ein verziertes Kreuz bilden. Statt des bunten Emails ist die Agraffe mit aufgesetztem Filigran ge- schmückt. Fig. 11 gibt die Agraffe in natürlicher Gröfse wieder.

Über eine Verwendung dieser Agraffen bei den Herren gibt das Bildnis eines unbekannten Fürsten in der Gallerie des Museums (Nr. 396) vom Jahre 1580 Aufschlufs, weshalb wir den betreffenden Teil des Gemäldes in Fig. 12 zur Ab- bildung bringen. Man sieht hier, wie die gröfsere Agraffe zum Festhalten der Hutfeder diente, die kleineren zur Befestigung oder, besser gesagt, Zierde der

Fig. 10.

Fig. 9.

Fig. 11.

y-\

Fig. 12.

Hutschnur Verwendung fanden. Das schliefst natürlich nicht aus, dafs die Agraffen auch noch zu anderen Zwecken, namentlich auch von Damen gebraucht wurden.

Sämtliche besprochene Stücke dieses Schatzes sind ohne Stempel, so dafs wir keinen Anhaltspunkt haben, um den oder die Verfertiger festzustellen. Da es jedoch keine hervorragenden Werke von feiner, künstlerischer Ausführung sind, wie sie die kunstreichen Goldschmiede zu Nürnberg, Augsburg und in manchem anderen Orte, woselbst die Goldschmiedekunst in besonderer Blüte stand, fertigten, so gehen wir wol nicht fehl, wenn wir annehmen, dafs die Schmucksachen in einer märkischen Stadt, vielleicht in Berlin, hergestellt wor- den sind.

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Im g-ernianischen Museum hat der Schatz, dessen Hauptbedeutung in seiner ZusammeDgehörigkeit lieg't^ eine grofse Lücke ausgefüllt und gibt nun in diesem kulturgeschichtlichen Gentralmuseura Deutschlands ein treffliches Bild des Klei- nodienschatzes, den eine wolhabende norddeutsche Adelsfamilie zu Beginn des dreifsigjährigen Krieges ihr Eigen nannte und den man wol öfter in Testamenten und Inventaren aufgeführt findet, von dem einzelne Stücke auch da und dort sich noch erhalten haben, den man aber in diesea' Vereinigung kaum irgendwo anders mehr in natura sehen kann.

Nürnberg. Hans Bosch.

Noch einmal Hans Sachs als Kapitalist.

n einem früheren Hefte der Mitteilungen (Jahrgang 188ö, I. Band, 2. Heft, 'S. 174 ff.) ist eine Urkunde veröffentlicht, der zufolge Hans Sachs einen Gatterzins, eine zweite Hypothek, auf einem Hause unter den Hutern, in der jetzigen Kaiserstrafse, hatte. Eine Ergänzung hierzu liefert die untenstehende Urkunde. Laut derselben kam dieses Haus, genannt zum roten Hahn, im Jahre loo6 in den Besitz des Dr. med. Heinrich Wolff. Dieser löste, wie der dem Dokument angehängte Revers zeigt, nach acht Jahren den Gratterzins ab, indem er an Hans Sachs die Summe von 600 Gulden zahlte. In dem Jahr , welches den 400jährigeu Geburtstag Hans Sachsens feiert, mag auch die Auffrischung dieser bescheidenen Erinnerung an den trefflichen Nürnberger Bürger und Poeten nicht unwillkommen sein.

Die Urkunde, die vor einigen Monaten mit einer Anzahl anderer auf das Haus zum roten Hahn bezüglicher Dokumente in den Besitz des Museums ge- langte, ist eine Kopie, auf Papier geschrieben, und trägt die Aufschrift: Herr Doktor Heinrichen WolfTens und seiner Ehewirtin Kauf. Sie lautet:

Das Sebastian Albrecht, burger und zuckermacher hie, und Gristina, sein eeliche hausfrau, an gestern vor dato vor dem erbern Philipsen Bernpecken und Gasparn Neumair, beden burgern und genannten des groessern rats diser statt, als zeugen von inen hierzu sonderlich erfordert und erpetten, für sich und ire erben, offenlich verjehen und bekannt haben, das sy mit gutem rath und vor- bedacht von wegen ires nutz und zu fürderuug desselben ir bisher gehabt erb an der behausung und hofrait alhie in sant Lorentzeu pfarr unter den hutern, diser zeit zwischen Linhardt Schlusselbergers und Steffan Raysers heusern ligeud, weliche zum Roten hauen genenut wurde, wie die mit allen iren Hechten, tru- pfen^) und andern darzu gehoerigen rechten und gerechtigkeiten allenthalben umbfangen und begriffen were, eins entlichen ewigen und unwiderruflichen kaufs als der in und ausser rechtens wider meiniglichs anfechten und einreden zum bestendigsten beschehen sollt, könnt und möcht, verkauft und zu kaufen ge- geben betten, sy verkaufens und gebens auch alspalden gegenwertiglich in cref- tigister rechtsform zu kaufen dem wirdigen und hochgelerten herrn Hainrichen Wolffen, der arzney doctor, burgern hie, Rosina seiner eewirtin und allen iren erben, ausserhalb und über nachberurte zuvor darauf steende aigenschaft, aigen und gatterzins umb vierzehenhundert und fünfzig gülden Reinisch in guter

1) Fenstern und Traufen.

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grober münz, je funfzehen patzen für einen gülden gerechent, bedingter kauf- suniraa, die den verkaufern also bar miteinander durch die kaufere eutricht und bezalt worden, welicher bezalung auch die verkaufere also gestendig waren und die kaufere sampt iren erben darumb in bester form der recht quit frei und derwegen ewiglich weiter unanspruchig ledig und los sagten, sie die verkaufere verzigen und enteusserten sich auch darauf für sich und alle ire erben obbe- bemelter verkauften behausuug und aller recht, gerechtigkeit, spruch und for- derung, so sy in ainich weis oder weg daran und darzu gehabt, übergaben die alle mit einander den kaufern und iren erben, stelleteus gar und genzlich in ir hende und gewalt und setzten sy dero hiemit in ruig nutzlich possess und gewer, sunderlich aber versprachen sy den kaufern und iren erben dieses kaufs berur- ter behausung und aller in gebuerender werschaft zeit dortwider furfallender irrung und eintreg halb in und ausser rechtens noch dergleichen erbgueter und diser statt recht herkommen und gebrauch an ire costen und scheden redliche genügsame werschaft, vertigung, Vertretung und enthebung zu thun, wie sich geburt, also das sie die kaufere und ire erben durch diesen redlichen kauf einen rechtmessigen guten titel und ankuuft zu diser behausung erlangt betten, die- selben auch nun furthin inuenhaben, besitzen , nach irem gefallen nutzen und gebrauchen und in all weis und weg damit handeln , thun und lassen sollten und möchten, was sy jeder zeit wollten, innen gelegen und eben were, daran von inen den verkaufern iren erben und sonst meiniglichs in ewig zeit uuver- hindert, alles getreulich und ongeverlich; und in disen kauf hat alspalde per- sonlich bewilligt Katharina, weiland Enndresen Weissenburgers seligen verlassne wittibiu, der die aigenschaft und dreissig gülden Rcinisch in grober münz, jer- lichs aigenzins, die mit sechshundert gülden negst gemelter werung abzuloesen seien, uf solicher behausuug zustehen, doch ir und iren erben an diser aigen- schaft jerlichen aigenzinsen und allen andern derweg habenden rechten und ge- rechtigkeiten, auch Hannsen Sachsen, bürgern hie, an dreissig gülden grober münz jerlichs darauf habents gatterzins, die auch mit sechshundert gülden jetztgemelter werung abzuloesen, in allweg onschedlich. So hat der herr kaufer disen kauf für sich und sein eewirtin also angenommen und ist ime uf sein be- gern briellich urkund erthailt, in judicio, den 3*5? Juli 1556.

Obbemelter Hanns Sachs burger alhie und Barbara sein ehliche hausfrau bekennen für sich und ire erben, das inen obbenannter herr doctor Hainrich WolCf und Rosina sein ewirtin die obeiuverleibten 30 fl. jerlichs auf obbeschribener behausung gehabts gatterzins an heut dato mit 600 fl. grober münz widerumb abkauft abgelöst und die behausung von solcher beschwerden erlediget haben und zelen darauf für sich und ire erben gedachten herrn doctor Hainrich Wolffen, sein eewirtin und alle ire erben, auch die behausung solcher abgelöster 30 fl. jerlichs gatterzins und der darfur bezalter und empfangener 6U0 fl. halber hie- mit auf entlich und ewig derowegen weiters unanspruchig ganz quitt frei ledig und los in bester form.

So hat der obbemelt herr Heinrich Wolff diese quittung für sich und sein eewirtin also angenommen. Testes Wolfl" Christoph Reck und Jheronimus Wern- lein. Actum den 2*5^ Mai 1564.

Nürnberg. Dr. R. Schmidt.

81

Fnndstucke aus dem VI. ^VIII. Jalirliiiiiderte vom Reiheugräberfelde bei

Pfaklheim.

uf (lemselbeD Gräberfelde südlich von Pfahlheim (OA. Elhvaugen), auf welchem im Jahre 1884 Herr Oberanitspfleg-er Steinhardt für das g-er- Sj manische Museum Ausgrabungen veranstaltete i), hat später auch der Unterzeichnete isachgrabungen und zwar erstmals am 13. 16. Oktober 1891 veran- staltet. Über die Örtlichkeit, die Art, Anlage und Auffüllung der Gräber u. s.w. ist in dem berührten Artikel Näheres in ebenso eingehender als sachgemäfser Weise ausgeführt. \Yir haben deshalb keine Veranlassung, hier nochmals da- von zu handeln, und werden nur hie und da bei der Besprechung der einzelnen Gräber und Grabfunde Gelegenheit haben, eine darauf bezügliche Bemerkung zu machen.

Fig. 1. Originalgröfse .

Fig. 2. Originalgröfse.

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Fig. 3. '/s der Originalgröfse.

Zunächst sei erwähnt, dafs eine Ausdehnung des Gräberfeldes nördlich des Weges, der am Fufse der Allmand von Osten nach Westen führt, nicht festgestellt werden konnte und die Nachgrabungen in den Äckern unterhalb desselben ein negatives Resultat ergaben. Dagegen ist es gelungen, auf der Allmand noch einige Gräber, sämtlich in den Felsen gehauen, aufzudecken. Das erste Grab, ungefähr 1,20 m. tief, 2,70 m. lang, i.io m. breit, enthielt die auf dem Felsen autliegenden Überreste eines männlichen Skelettes, dessen Kopf auf die linke Seite gewendet war. Zur Rechten des Kopfes lag eine 41 cm. lange, eiserne, blattförmige Lanzenspitze; in der Tülle befanden sich noch Teile des hölzernen Schaftes. Zur Linken lagen ein 63 cm. langes, schönes Kurzschwert

1) vgl. Mitteilungen aus dem german. Nationalmus. I. Bd., 2. Heft (1885), S. 169 ff. Mitteilungen aus deui gerinau. Nationalinuseuin. 189^1;. . XI.

82

mit vierfacher Blutrinne hart am Rücken und die Reste eines, jetzt etwa 15 cm. langen^ eisernen Messers, beide am Griffe noch Spuren von Holz zeigend. Von dem Schwertscheidebeschläg fand sich noch ein Stück Bronzeblech mit zwei Stiften Zwischen den Füfsen lagen die Bruchstücke einer eisernen Schildbuckel und des Griffes, den diese deckte. Dann fanden sich fünf kleine, zungenförmige, silbertauschierte. eiserne Beschläge, davon eines mit Flechtmuster c. 2,7 3,3 cm, lang und 2 cm. breit (Fig. 1). Ferner eine 6,5 cm. lange, ebenfalls tauschierte, eiserne Riemenzunge (Fig. 2), mit einer Bronzescheibe in der Mitte, und eine ebenso lange, untauschierte. Zu den Füfsen links stand ein Krug aus ziemlich hart gebranntem, grauem Thone in Form einer Kugel mit aufgesetztem Halse (Fig. 3). Durchmesser 16,5 cm., Höhe 22,5 cm.

Das zweite Grab, östlich von dem erstereu und von demselben durch eine 1,25 m. starke Wand getrennt, war ca. 3 m. lang, 1,5 m. breit und 1,33 m tief. In einer Tiefe von 70 cm. fand man, hart an der linken Langseite des Grabes, einen Schädel und dabei zwei kleine Bronzeblechlein, deren eines eine eiserne Niete und ein Löchlein enthält. Unten auf dem' Boden des Grabes lag auf der Felsenplatte das Skelett eines Mannes, dessen Schädel noch sämtliche Zähne ent- hielt. Auf der rechten Seite des Kopfes fand sich eine eiserne Lanzenspitze von 31,5 cm. Länge mit Spuren des Holzschaftes. An weiteren Beigaben enthielt das

^^mrr.

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Fig. 4.

Originalgröfse.

Fig. 5.

Grab in der linken Hüftgegend des Skelettes ein Kurzschwert, 57 cm. lang, und ein eisernes Messerchen, 18 cm. lang. An derselben Stelle lagen fünf runde Knöpfe von Bronze (Fig. 4) mit einem Stiele in der Mitte und j-e drei Löchern, in welchen kleine bronzene Nägel steckten. An der rechten Seite lagen die Reste eines Lang- schwertes, etwa 85 cm. lang, mit Spuren der Holzscheide, welche an einer Seite mit zwei Bronzerinnen, 7,8 und 11cm. lang, beschlagen war. Je an einem Ende sind dieselben zweimal durchbohrt, damit sie befestigt werden konnten. Siehe Fig. 53, welche den Scheiderinnen dieses Schwertes ganz ähnlich ist. Oben am Schwerte lagen auch noch zwei kleine Brouzepyramiden mit quadratischer Basis, deren Seiten 2 u. 1,7 cm. messen, wie sie sich auch bei Lindenschmit^) abgebildet finden (Fig. 5). Dann fand sich eine eiserne Gürtelschnalle, eine solche von Bronze und eine ebensolche Gürtelzunge, sowie ein quadratisches Bronzebeschläg mit je einer Bronzeniete in den Ecken. Länge der Seite des Quadrates 2,7 cm. In diesem Grabe waren also zwei Personen bestattet: eine unten mitten auf der Sohle des Grabes mit reicheren Beigaben und eine in halber Tiefe des Grabes mit ganz geringen Beigaben. Der obere Leichnam lag auch nicht in der Mitte,

Zeit.

2) Handbuch der deutschen Altertumskunde. 1. Teil: Die Altertümer der merowingischen (Braunschweig 1S80-1889) S. 380, Fig. 416.

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sondern an der Wand, ein Yorg-ang-, der sich bei den Pfahlheimer Reiliengräbern noch öfter wiederholt. Man hatte bei dieser zweiten Beisetzung- also die Ab- sicht, den zuerst bestatteten Leichnam nicht zu drücken. An geopferte Slflaven, die dem Verstorbenen mitgegeben wurden, darf hier wol nicht gedacht werden; vielleicht sind die Gräber eben später noch einmal und zwar mit Pietät benützt worden und erklären sich die geringeren Beigaben der oberen Beigesetzten, die immer beobachtet werden konnten, möglicher Weise daraus, da(s diese einer späteren Zeit augehören, in der durch die Einwirkung des Christentums die Mit- gabe von Waffen, Schmuck und Geräte schon in Abnahme gekommen war.

Fig. 6. 'h der Originalgröfse.

Fig. 7. '/li d. Originalgr.

Fig. 8. 'h der Originalgröfse.

Das Grab III lae- in derselben Reihe wie die beiden vorbeschriebenen, un- gefähr IV^m. von dem zweiten entfernt. Es war 2,30 m. lang und 1 m. tief ; da es der Länge nach in einen bebauten Acker hinüberging, konnte es nur 1 m. breit ausgegraben werden. In diesem Grabe fanden sich Knochenreste eines Knaben mit einem kleinen Kurzschwerte von 41,5 cm. Länge, eine 8,4 cm. lange eiserne Spitze (Pfeilspitze?), einige Eisenteile. Bronzeknöpfe und ebensolche Nägelchen. Ein viertes Grab, durch den Steinbruch von den anderen getrennt, gab besonders merkwürdige Ausbeute. Es war 2,50 m. lang, 1,30 m. breit und 1,40 m. tief. Während die anderen Gräber mit den Steinplatten angefüllt waren,

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die bei der Herstellung' des Grabes gewonnen wurden, enthielt dieses nur Erde, fast ohne jeden Stein. Von dem Skelette fanden sich nur sehr g-ering-e Reste. Zu Füfseu links stand eine flache Bronzeschale ohne jeden Schmuck, von 15, Sem. Durchmesser (Fig-. 6), rechts lag eine eiserne Lanzenspitze von eleganter Form, die Spitze nach unten gekehrt, 28,5 laug (Fig. 7), etwas weiter nach oben eine eiserne Trense (Fig. S^), daneben zu beiden Seiten zwei Bronzeringe von je 5,5 cm. Durchmesser (Fig. 9), welche offenbar zur Befestigung des Zaumzeuges dienten und an zwei entgegengesetzten Stellen stark ausgeführt sind. Zwischen der Schale und den Eisenstücken lagen drei gröfsere Riemenzungen von Bronze mit verzierten Nieten und Resten des Leders auf der Rückseite (Fig. 10 u. 11); auch andere kleine Bronzebeschläge fanden sich vor. Ungefähr in der Mitte des Grabes stand ein Krüglein von Bronze, ohne Henkel und ohne Ausgufs, mit ein- gegrabenen Verzierungen, teils geometrische Muster, teils Meerungeheuer darstel- lend, 17,8 cm. hoch (Fig. 12). In Fig. 13 geben wir den Streifen mit den Meerunge- heuern wieder. Wenn das Krüglein einheimisches Fabrikat ist, und es ist wol kein Grund vorhanden, dies zu bezweifeln, so haben dem Verfertiger, der diese Meer- tiere lebend zu sehen keine Gelegenheit gehabt haben dürfte, wahrscheinlich Gefäfse römischer Herkunft, bezw. der Schmuck derselben^als Vorbild gedient.

Fig. 10 Vorderseite. 3|4 der Originalgröfse.

**UiiüEEiär:

Fig. 9. 'h der Originalgröfse.

Fig. 11 Rückseite, ■■'/•i der Originalgröfse.

Neben dem Bronzekrüglein stand ein Gefäfs aus Thon , das aber leider zerbrochen war. Ober diesen Gefäfsen lagen verschiedene Eisenteile, darunter die beiden Teile einer mit Silber tauschierten Schnalle^ deren jeder in der Mitte einen Kreis und innerhalb derselben ein gleichschenkeliges Kreuz enthält. A"on Fig. 14, welche ebenfalls dieses Kreuz zeigt, fanden sich vier Stücke, leider allerdings ziemlich defekt, aber doch noch so erhalten, dafs sich die Form, wie wir sie geben, rekonstruieren liefs. Die schraffierten Ornamente sind von Bronze, die unschraffierten von Silber. Das gleiche ist bei Fig. 15 der Fall, die auch rekonstruiert ist und vielleicht das Mittelstück der Gürtelschnalle bil- dete. Auf der linken Seite des Bestatteten, ungefähr zwischen Bauch und Brust, fand sich ein kleines, goldenes Fiiigerriugchen von 1,6 cm. Durchmesser (Fig. 16), bestehend aus einem runden Plättchen, einer Goldmünze mit dem von vorne

3) Abgebildet auch bei Zschille und Forrer, die Pferdetrense in ihrer Formen-Ent- wickelung. (Berlin, Paul Bette, 1893) Taf. VIH, Fig. 4, woselbst auch Fig. 4 a die Benütz- ungsweise der Trense wiedergegeben, aber iiTtüm lieber Weise Köln als Fundort angeführt ist.

85

Fig. 13. 3/4 der Originalgröfse.

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g-eseheneii Antlitze eines bärtig-eu Königs und einer unleserlichen Umschrift, auf der Rückseite: ROX (REX?) VIGT und die Überreste eines Kreuzes, wie es die langobardischeu Münzen zeigen. Zu beiden Stellen, wo das Reiftein aus run- dem Drahte au der Münze befestigt ist, finden sich drei kleine Küg-elchen. Ober- halb des Ringchens lag ein Messer von 22,5 cm. Länge, mit Holzresten am Griffe, und andere Eisenteile, wol teilweise von einem zweiten Messer herrührend, da sich ein kleiner, bronzener Schuh von der Scheide eines solchen fand. Noch etwas weiter oben, ganz an der linken Seite des Grabes, lagen die Reste einer eisernen, spitzigen Schildbuckel, am Kopfe oben nur ein kleines Ringlein aus Bronze von 1,3 cm. Durchmesser.

Einige Schritte unterhalb dieses Grabes scharrte ein Arbeiter eine schmale, eiserne Lanzenspitze und Teile einer runden Schildbuckel aus einem Grabe her- aus, das von den Steinbrechern schon teilweise zerstört worden war. Diese Stücke lagen nur etwa 1^/2 Fufs tief in der Erde.

Fig. 16.

Fig. 15.

Fig. 14.

Originalgröfse.

Im Jahre 1892 wurden die Ausgrabungen am 13. 17. September fort- gesetzt. Diesmal wurde jedoch nicht die Allmand in Untersuchung gezogen, sondern der an dieselbe in südlicher Richtung anstofsende Acker des Bauern Martin Koppel, genannt der Acker am Mühlberg, nach einer Mühle, die früher jedenfalls am Fufse des Berges gestanden, jetzt aber nicht mehr vorhanden ist.

Das Grab VI, in derselben Flucht wie das im Vorjahre geöffnete Grab III, östlich von diesem, hart an der Grenze des Gemeindesteinbruches liegend, und etwas in diesen hinübergreifend, hatte eine Länge von 2,45 m., eine Breite von 1,40 m. und eine Tiefe von 1 m. Trotz seiner Gröfse war die Ausbeute nur eine geringe. Aufser den zahlreichen Überresten eines Skelettes, dessen gut erhaltener Schädel auf der linken Seite, 50 cm. von der westlichen Seite des Grabes entfernt, lag, fanden sich in der Brustgegend nur eine Bronzefibel (Fig. 17) von 6,6cm. Länge, mit einer eisernen Nadel und mit eingeschla- genen Kreisen und Punkten verziert, dann in der Hüftgegend auf der linken Seite die Bruchstücke eines etwa 15 cm. langen, eisernen Messers und eines dazu gehörigen Beschlages aus 1,2 cm. breitem Bronzeblech mit zwei Nieten

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aus demselben Metalle. In derselben Gegend lag- noch ein gebogener Streifen Bronzeblech, etwa 2 cm. lang und 0,5 cm. breit. Mehr auf der rechten Seite fand sich der Dorn einer Schnalle aus Bronze, unter dessen schildförmigem Plättchen sich ein Öhr bellndet. Derselbe zeigt Spuren von Eisenrost; von der Schnalle selbst fand sich keine Spur, wie überhaupt mit diesem Stücke der Inhalt des Grabes erschöpft war. Der Dorn hat eine Länge von 3,7 cm.

Fig. 17. Originalgröfse.

Etwa 2,8 m. östlich von diesem Grabe und in derselben Flucht gelegen fand sich Grab VII, das 2 m. lang, 1 m. breit und 1,10 m. tief war. In halber Tiefe lagen die Überreste eines Skelettes, dabei an der Seitenwand zur Rechten die Bruchstücke eines bauchigen Gefäfses von grobem, gelblichgrauem, aufsen geschwärztem Thone mit beinahe 1 cm. dicken Wänden. Der Boden desselben, der einen Durchmesser von 8,5 cm. hat, war gegen die Wand des Grabes ge- kehrt, das Gefäfs stand also nicht, sondern lag. Zu Füfsen fand sich ein Feuerstahl mit umgebogenen Spitzen, von denen die eine weggebrochen ist (Fig. 18). Jetzige Länge 9 cm., frühere ca. 10 cm. Auf der Sohle des Grabes lagen die Überreste eines weiteren Skelettes, dessen ziemlich gut erhaltener

Fig. 18.

Fig. 19. Fig. 20.

'/s der Originalgröfse.

Fig. 21.

Schädel auf der rechten Seite lag. Zur Rechten des Kopfes und der Brust lagen drei einzelne Pfeilspitzen. Die oberste, die neben dem Kopfe gefunden wurde, hat die Form einer Lanzenspitze mit breitem Blatte (Fig. 19). Sie ist 9 cm. lang. Etwa in Schulterhöhe lag eine 10 cm. lange Pfeilspitze mit zwei Widerhaken (Fig. 20), neben dem rechten überarme die dritte, weidenblatt- förmig, von gleicher Länge (Fig. 21). Bei jeder dieser drei Pfeilspitzen fan- den sich in der Tülle noch Reste des hölzernen Schaftes. In der Gürtel- gegend lag eine kleine, eiserne Schnalle, oberhalb derselben ein 5 cm. langes Eisenstückchen , vielleicht zu einem Gürtel gehörig. Etwas über der Grabsohle fanden sich an der Ostwand die Bruchstücke eines Schädels; es

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waren also drei Personen in diesem Grabe mit recht ärmlichen Beig-abeu bei- gesetzt. Merkwürdig ist es, dafs hier zum erstenmale ein Schädel am Ostende des Grabes lag.

Reichere Ausbeute gewährte das Grab VIII, das 2 m. südöstlich von dem Grabe IV liegt, dem das goldene Ringchen und zwei Bronzegefäfse entnommen wurden. Es war 2,15 m. lang, 1,30m. breit, 1,35m. tief; die Nordseite lag gerade auf der Grenze zwischen dem Gemeindegrundstück und dem Acker. Es erwies sich als das Grab eines Kindes weiblichen Geschlechtes, von dessen Skelett sich nur noch ein kleines Stückchen des rechten Unterkiefers fand, das ca. 60 cm. von der Westwand des Grabes entfernt lag. Direkt unterhalb dieses Knochenbruchstückes lag eine goldene Scheibenflbel, die reich mit Filigran belegt ist, von reizender Arbeit. Die Goldscheibe von 4,5 cm. Durchmesser ist auf einer Bronzeplatte mit Nadel aus demselben Materiale befestigt. Der Zwischenraum durch Gips ausgefüllt. Um diese schöne Fibel herum lagen

•Fig. 22. Originalgröfse.

Fig 26. '/a der Originalgröfse.

Fig. 23. Originalgröfse.

einfarbige braune, rote, gelbe, blaue und weifse Thonperlen, welche die Bei- gesetzte als Halsgehäng getragen hatte. Daselbst lagen auch drei Glieder eines kleinen Bronzekettchens. In der Kopfgegeud fand sich eine kleine Schnalle von Bronze^ deren Plättchen durch fünf diagonal angebrachte kleine Kreise, die in der Mitte einen Punkt zeigen, verziert ist. Die untere Seite des Plätt- chens hat zwei Ösen. In der Gegend der linken Schulter lag eine kleine Bronzehafte und die Hälfte einer solchen, in der Hüftgegend eine eiserne Schnalle von 3,5 cm. Durchmesser und zwei Thonperlen, die eine, wirteiförmig, rotbraun, mit gelben Strichverzierungen, die andere, zylinderförmig, ebenfalls rotbraun, aber mit drei grofsen blauen, weifs eingefafsten Punkten. Etwas weiter gegen das Fufsende lag eine zierliche Bronzenadel, deren Knopf in ein elephantenrüsselähnliches Ende ausläuft (Fig. 23). Länge 8,3 cm. Ebendaselbst

89

fand sich ein eisernes Messer jetzige Länge 11,5 cm. , dessen lederne Scheide durch Draht oder Sehnen zusammengehalten war, was noch zu erkennen ist {F\g. M). Ein kleines Stückchen Bein, das heilag und durch Punkte, Linien und Kreise verziert ist, rührt wol von dem Griffe her. Unterhalb des Messers lagen zwei mittlere Riemenzungen (Fig. 2o), verziert durch vertiefte Kreise, und

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Fig. 24. 1/3 der Origiualgröfse.

Fig. 25. Originalgröfse.

Fig. 27. Originalgröfse.

die Teile einer Schnalle, auf gleiche Weise verziert und ebenfalls von Bronze. Die Kreise mit einem Punkte im Zentrum, wie sie auf Fig. 25 und auf emer Reihe anderer Fuudslücke, Fig. 38, 39 u.s. w. sich finden, sind mittels eines

Fig. 28.

Zentrumbohrers hergestellt. Etwa 75 cm. von dem Fufs- ende des Grabes entfernt, fand sich innerhalb eines unten flachen, oben etwas gewölbten Bronzeringes_, der durch Striche verziert ist, genau in denselben passend, eine grofse, bronzene, durch- brochene Zierscheibe in Rad- form mit acht unregelmäfsig sei gröberer Leinwand sind, wie sie etwa von

Fig. 29. 2/3 der Origiualgröfse.

angelegten Speichen^ , und durch Kreise wie die Schnal- len und die Riemenzungen verziert (Fig. 26). Durch- messer der Scheibe ohne den Reif 9 cm. Unter der Scheibe lagen zwei Bronzezungen von verschiedener Gröfse und Stoffreste, die nach der Unter- suchung durch Herrn Apo- theker Peters hier Überbleib- unseren Bauern zu ihrer Leib-

wäsche benützt wird. Von der kleineren ßronzezunge (Fig. 27), die am Rande abgeschrägt ist, kam ganz zu Füfsen ein zweites Exemplar zum Vorschein. Links von der Zierscheibe lagen die Überreste eines Topfes aus sehr grobem,

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1894. XII.

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roten Thone, mit einem Henkel, daneben hart an der nördlichen Grabwand die Scherben eines Gefäfses aus schwarzem Thon.

Etwa 2,30 m. von dem eben beschriebenen Grabe entfernt lag- östlich von demselben, in derselben Flucht, aber etwas nördlicher. Grab IX, das bei einer Länge von 2,3o m. eine Breite von 1,30 und eine Tiefe von 1 m. hatte. In hal- ber Tiefe fand man auf der linken Seite des Grabes die Überreste eines grofsen männlichen Skelettes mit einem kleinen, eisernen Kurzschwert von 36 cm. Länge und einem eisernen Messer, dessen Griff nur noch teilweise vorhanden ist und das jetzt lo,5 cm. mifst. Auf der felsigen Sohle des Grabes lag ein zweites Skelett mit wolerhaltenem, auf der rechten Seite liegenden Schädel. Letzteren hatte Herr Obermedizinalrat von Holder in Stuttgart die Freundlichkeit zu prä- parieren. Er schreibt uns darüber, dafs er den ächten Reihengräber-, d. h. ger- manischen Typus zeigt und einem recht kräftigen Manne von über 60 Jahren angehörte. Von besonderem Interesse ist er dadurch, dafs er auf der hinteren Seite des linken Schädel wandbeins eine jedenfalls lange vor seinem Tode gut- geheilte, geradlinige, 6 cm. lange Knochennarbe aufweist, welche sicherlich von

Fig. 30. Fig. 31.

'/2 der Originalgröfse. '/a der Originalgröfse.

einem ziemlich tief gegangenen Schwerthieb herrührt. Hoffentlich hat ihn der wackere Kämpe nicht auf der Flucht, sondern im Handgemenge erhalten, das ja zu jener Zeit die Regel war. Unter dem Kinne fand sich ein eisernes Schnällchen, neben dem rechten Oberschenkel ein eisernes Kurzschwert von 52 cm. Länge mit Resten des Holzes an dem Griffe. Links von dem Kurzschwerte lagen zwei eiserne Gürtelschliefsenteile, ursprünglich in Dreieckform mit je drei grofsen Bronzenieten, die viereckige Unterlagplatte für die Gürtelschnalle mit den gleichen Bronzekuöpfen (Fig. 28), die Schnalle selbst, dann die Bruch- stücke eines eisernen Messers von 22 cm. Länge mit Resten des Holzes am Griffe und einige andere, stark verrostete Eisenteile. Die Gürtelschnalle (Fig. 28/29) kommt in ganz gleicher Weise auch noch in anderen Gräbern vor; sie dürfte für die Ausstattung des gemeinen Mannes zu Pfahlheim typisch sein. Zwischen den Unterschenkeln lagen die Reste zweier eiserner Pfeilspitzen mit Widerhaken (Fig. 30 u. 31), der metallene Schaft von Pfeilspitze Fig. 30 ist schraubenartig gewunden , ganz zu Füfsen, rechts in der Ecke, die Scherben eines Gefäfses aus schwarzem Thon mit eingedrückten, quadratischen und rechteckigen Ver- zierungen.

Auch das nächste Grab (X) barg zwei Leichen. Es liegt östlich von dem vorgehend beschriebenen, ungefähr in gleicher Linie wie dieses, und ist

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von deraselben etwa 1,10 m. entfernt. Seine Länge betrug- ä,60 m., seine Breite l,3o m , seine Tiefe 1,30 m. In einer Tiefe von 65 cm. kam zu Füfsen eine kleine Bronze, römischen Ursprunges, zum Vorschein, die aus einem viereckigen Unterbaue besteht, auf den eine lyraähuliche Figur aufgesetzt ist (Fig. 32). Sie hat eine Länge von 3,8 cm., war jedenialis der (irifl* eines Schlüssels und kam vielleicht nur zufällig in das ürab. Hart an der nordwestlichen Seite des Grabes fand mau in einer Tiefe von 85 cm. die geringen Überreste eines Skelettes. Demselben waren zwei Ohrringe beigegeben, bestehend aus einem Reifen runden Silberdrahtes von 3,2 cm. Durchmesser. Durch herumgewun- deueu Silberdraht wurden drei Schleifen gebildet, in welchen je ein kegelför- miges Anhängsel aus Silber hing (Fig. 33). Ferner fand man die Überreste einer eisernen Schnalle und eines ebensolchen Messers von 15 cm. Länge, von denen aber erstere nicht mehr konserviert werden konnte. Reicher war die Ausbeute des auf der Mitte der Grabessohle liegenden zweiten Leichnams, der aber nur einen Ohrring hatte, der gleichfalls von rundem Silberdraht gefertigt ist, aber mit einem viereckigen Knopfe versehen war, dessen Seiten

Fig. 32. Originalgröfse.

Fig. ai. '/2 der Originalgröfse.

Fig. 37. Originalgröfse.

Fig. 35. Origiualgröfse.

Fig. 33. '/■2 der Originalgr.

krystall von 1,3 cm. Durchmesser. Bronzenadel mit viereckigem Kopfe von Thou und ein Fingerring, aus durch eingeschlagene Punkte

durch Kreise verziert sind (Fig. 34). Der Durchmesser des Ohrringes be- trägt 3,7 cm. In der Halsgegend lagen gegen dreifsig bunte und einfarbige, meist kleinere Thonperlen von verschiedener Gröfse, dabei auch eine von Berg- Auf der Brust lag eine 14,5 cm. lange und Liuienverzierungen, ein Spinnwirtel einem Stückchen Silberblech hergestellt, gemustert und auf der Rückseite offen

ward auf- gedeckt. Es hat die Form eines Langschwertes, ist zweischneidig, mifst aber nur 42 cm. (Fig. 36), so dafs es, da man es unzweifelhaft mit einem Frauen- grab zu thun hat, wol nicht als Waffe für den Ernstfall ansehen darf. In der Gegend der rechten Hand kam ein reizender, goldener Fingerring zum Vorschein, der einfach aus einem ausgeschnittenen Stückchen Goldblech von 2 cm. Durchmesser gefertigt ist, dessen Enden ineinander gebogen sind und das auf der breiten Seite durch aufgesetztes Filigran verziert ist (Fig. 37). Etwas unterhalb der Hüftgegend lag ein kleines Bronzeschnällchen von 4,5 cm.

der ist; ein

sein Durchmesser ist 2 cm. (Fig. 35). Zu Seite des rechten Armes eisernes Schwert mit Spuren des Holzgriffes und der Holzscheide

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Länge und ein kleines, quadratisches Bronzeblechlein, dessen Seite 1,8 cm. mifst, und das in jeder Ecke eine Niete hat. Unterhalb derselben kam eine runde, durchbrochene Bronzescheibe zum Vorschein, die in der Mitte einen Reif und daran angesetzt vier Halbkreise hat. Sie ist durch vertiefte, kleine Kreise ver- ziert. Durchmesser 8 cm. (Fig. 38.) Interessant ist, dafs einer der Halbkreise besonders eingesetzt ist. Um die Scheibe lag als Rahmen ein runder Ring von Bein, der nur in Stücken herauskam, und aus einzelnen Teilen, die durch Bronzeblechlein aneinander befestigt sind , hergestellt ist. Direkt unter der Scheibe lagen Reste eines filzartigen Stoffes. Noch etwas mehr gegen das Fufs- ende zu fanden sich zwei weitere Riemenzungen; die gröfsere (Fig. 39), 3,7 cm. lang, ist durch Kreise mit einem Punkt im Zentrum und durch ein- geschlagene Dreiecke, die ein spitzeuartiges Muster geben, verziert, die kleinere, von 3j3 cm. Länge, ist glatt.

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Fig. 38. '/2 der Originalgröfse.

Fig. 36. '/e der Originalgröfse.

Fig. 39. Originalgröfse.

Das Grab liegt wieder östlich von dem vorigen Grabe und ist von dem- selben nur durch eine Steinwand von 50 cm. Länge getrennt. Es ist 2ra. lang, 1,30 m. breit und nur 0,50 m. tief. Der Schädel lag wieder auf der rechten Seite. Neben dem linken Oberarm kamen fünf eiserne, teilweise zerbrochene Pfeilspitzen, jede anders geformt, davon zwei mit Widerhaken zum Vorscheine, neben dem rechten Arme ein eisernes Kurzschwert von 64 cm. Länge mit ä4cm. langem Griffe, der Spuren des Holzbelages zeigt, leider aber nicht mehr ganz war. Daneben lag hart am Ortbande der eine Teil einer eisernen Schliefse der bekannten drei- eckigen Form mit drei Bronzenieten, wie wir sie in Fig. 28 abgebildet haben, aber mit Resten von Tauschierung. Länge 9 cm. Neben der Spitze des Schwertes lag ein 17 cm. langes, eisernes Messer, in der Hüftgegend eine viereckige, eiserne Scheibe mit grofsen Bronzenägeln in den Ecken, das 9,3 cm. lange Bruchstück eines eisernen Messers und verschiedene kleine Bronzebeschläge, etwas weiter

93

unten der andere Teil der Gürtelschliefse, in der Beckengegend ein jetzt 7 cm. langer Feuerstahl.

Etwa einen halben Meter östlich von diesem Grabe wurde Grab XI aufge- deckt, das eine Länge von 2,25 m., eine Breite von 1,30 und eine Tiefe von 0,90 m. hatte. In einer Tiefe von 60 cm. lagen die Reste eines Skelettes und bei dem- selben in der Gegend des Kopfes, des Halses und der Brust etwa 30 gröfsere, meist gelbe, aber auch blaue und bunte Thonperlen und in der Hüftgegend eine 7 cm. lange, eiserne Riemenzunge. Auch der auf der Grabessohle Liegende hatte nur geringe Beigaben ; zur Rechten des Kopfes eine 33.5 cm. lange, eiserne, schmale Lanzenspitze und in der Hiiftgegend ein halbes Dutzend eiserne Riemenzungen und anderes, sehr stark verrostetes Eisenbeschläge. Links von der Brustseite und etwas oberhalb des Skelettes wurden vermoderte Reste eines Brettes aus Eichenholz gefunden.

Das Grab XII liegt südlich vom Grabe X in einer zweiten Reihe, die nicht gleichmäfsig, sondern nur so ungefähr parallel, mit der Reihe läuft, in welcher die vorbeschriebenen Gräber liegen. Es ward auch für zwei Leichen benützt und zwar war das zweite, obere Grab nicht direkt auf dem unteren, sondern etwas

Fig. 40. '/2 der Originalgröfse.

Fig. 42. Originalgröfse.

Fig. 41. ■/* der Originalgröfse.

mehr nach Westen und Norden gerückt, so dafs das ganze Grab eine Länge von 3 m., bei einer Breite von 1,65 und einer Tiefe von 1,15 m. erhielt. Es läfst sich daher wol annehmen, dafs bei der Beisetzung des oberen Leichnams die Lage des unteren nicht mehr recht bekannt war. Etwa 1^/2 Fufs tief kamen einige Pferde- knochen zum Vorschein, in der halben Tiefe des Grabes im Nordwesten lagen die noch gut erhaltenen Reste eines Frauenskelettes, dem zwei grofse verschiedene Ohrringe von Bronze beigegeben waren. Der des rechten Ohres (Fig. 40) ist offen und läuft auf der einen Seite in einen starken Knopf aus; er ist durch Strichlagen verziert und hat einen Durchmesser von 5,2 5,7 cm. Der Knopf lag offenbar auf dem durchbohrten Ohrläppchen auf, so dafs der nicht geschlossene Ring nicht herausfallen konnte. Der Ohrring vom linken Ohre ist ein einfacher Reif (Fig. 41) aus rundem Drahte, durch zwei in einandergreifende Häkchen ge- schlossen. Durchmesser c. 6,1 cm. In der Brustgegend fand sich eine runde Fibel mit einer Bronzescheibe auf einer Eiseuplatte. Sie zeigt in der Mitte ein Perlenkreuz und aufsen herum Schlangenverzierungen (Fig. 42). Durch- messer 3,7 cm. In der Hüftgegend lagen Reste einer ganz verrosteten, ovalen Schnalle. Das Skelett auf der Sohle des Grabes hatte einen gerade liegenden

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Schädel. In der Brustgeg-end lag- eine kleine quadratische Bronzescheibe mit vier Nägeln, Seitenläng'e 2,2 cra., in der Hüftg-egeud links die Scherben eines Topfes mit eingedrückten Verzierung-en, rechts verrostetes Eisenbeschläg'e, darunter eine Riemenzunge mit Tauschi erung", zwischen den Knieen ein Kamm und am rechten Fufsende eine abwärts gekehrte Lanzenspitze mit Spuren des Schaftes von Eschenholz (Fig-. 43). Sie hat ein schönes, breites Blatt in welches sich die Tülle fortsetzt. Länge 29 cm. Die Spitze ist leider ab- gebrochen.

In derselben Reihe, westlich von Grab XII und von diesem etwa 2 m. ent- fernt, liegt Grrab XIII, das nur etwa halb so tief 60 cm. wie die jetzt beschriebenen Gräber war. Breite 1 m., Länge 1,50 m. Der mächtige Lang- schädel lag auf der rechten Seite. Rechts des Kniees lag ein Kurzschwert von 50 cm. Länge, in der Mitte daneben eine Gürtelschliefse von der gewöhnlichen

Fig. 43. '/6 der Originalgröfse.

Fig. 45. Halbe Originalgröfse.

Fig. 44. '/3 der Originalgröfse.

Form (vgl. Fig. 28), rechts zu Füfsen ein oben abgebrochenes Messer, jetzt 24 cm. lang, mit 11 cm. langem runden Griff'eiseu und unter ihm eine eiserne Scheere von 16 cm. Länge (Fig. 44). Darneben lag der andere Teil der Gürtel- schliefse. Auch ein Messer von 15,5 cra. Länge kam zum Vorschein, dessen Lage nicht mehr genau festgestellt werden konute.

Grab XIV, in der ersten Reihe, 70 cm. östlich von ftrab XI gelegen, das 2,25 m. lang, 1 m. breit und 0,58 m. tief war, enthielt in der Hüftgegend nur die ganz zerdrückten Scherben eines Getafses aus rohem Thone.

Grab XV, südlich vom Grabe XII iu einer dritten von Osten nach Westen gehenden Reihe liegeud, enthielt in halber Tiefe ein Skelett ohne alle Beigaben. Südlich vom Grab XVI wurde in Abwesenheit des Berichterstattersein Massen- grab aufgedeckt, das etwa 80—90 cm. tief, über 3 m. lang und 2 m. breit war. Nach den uns gewordenen Mitteilungen fanden sich in diesem Grabe die Über- reste von mindestens acht Skeletten, die reihenweise dicht nebeneinander gesessen oder gehockt haben sollen und wol gleichzeitig begraben wurden, also in einem Gefechte oder in einer Schlacht gefallen sein dürften. Besondere Fundstücke

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sollen nicht zum Vorschein gekomraea sein; sie sollen nur aus verrosteten, nicht brauchbaren Eisenstückeu bestanden haben. Von den in unsere Hand gekommeueu konnten wir noch den Sporn (Fig- 4o) zusammenstellen, dann stellte sich eine Anzahl der Eisenteile als silhertauschiert heraus. Die Muster, die wir in Fig. 2 und io mitgeteilt haben , wiederholten sich wenn auch nur auf Bruchstücken auf den Fundstücken dieses Grabes. Auch ein Schädel, resp. das Dach eines solchen, wurde aus diesem Grabe aufbewahrt. Herr Obermedizinalrat von Holder, der es gleichfalls einem recht kräftigen Manne von 60 Jahren zuschreibt, bemerkt über denselben, dafs er durch die ungewöhnlich stark entwickelten Stirnhöhlenwulste in der Art des Neander- thaler Schädels beachtenswert ist. »Diese hochgradige Anomalie rührt von fötaler Verwachsung der Stirnnath her, und ist als eine Steigerung der, bei allen männlichen Schädeln vom germanischen Typus vorhandenen stärkeren Entwickelung dieser Wulste anzusehen. Aufserdem ist dieser Schädel noch

Fig. 47. 3/4 der Originalgröfse.

Fig. 48. '/i der Originalgröfse.

: I

Fig. 46.

'/ti der Originalgröfse.

unsj-mmetrisch.« Östlich dieses Massengrabes wurde zum Schlufse der Aus- grabungen im Jahre 1892 noch Grab XVU ausgegraben, das, nur 30 cm. tief, keinerlei Beigaben enthielt.

Im Oktober 1893 hat der inzwischen verstorbene Dr. Weigel im Auftrage des Museums für Völkerkunde auf dem Köppelschen Mühlacker gegraben und, wie uns von Dritten mitgeteilt worden ist, sehr beachtenswerte Funde gemacht; ein Bericht hierüber ist unseres Wissens noch nicht erschienen. Etwa acht Tage später hat der Unterzeichnete nochmals sein Glück dortselbst versucht und ebenfalls noch manches Interessante gefunden. Grab XVIII, südlich von dem Grabe, in welchem Dr. W. ein Frauengehänge gefunden haben soll, hatte eine Breite von 1,73 m. und eine Länge von 2,60 m., war aber nur ca. 0,73 m. tief. Es fanden sich Überreste eines Skelettes, das am Kopfe einige eiserne Riemen- zungen, sonst keinerlei Beigaben enthielt. Diese Zungen waren so schlecht

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erhalten, dafs sie nicht konserviert werden konnten. Besonders auffallend in diesem Grabe war die grofse Menge auf die schmale Seite g-estellter Steinplatten.

Etwa 4.S m. östlich von vorstehendem Grabe ward Grab XIX aufaefun- den und ausg-eg-raben. Es hatte ähnliche Dimensionen wie XVIII, war 1.50 m. breit, 2 m. lang und 0,63 0,70 m. tief. Auch hier waren die Beigaben, die sich bei den Skelettüberresten fanden, sehr spärlich; am unteren Ende der Oberschenkel lagen vier Pfeilspitzen, etwas weiter oben, am rechten Überschenkel, ein eisernes Kurzschwert mit Blutrinne, 51,S cm. lang, einschliefslich des 18 cm. langen Griffes. Aufserdem kam noch ein jetzt 11,5 cm. langes, eisernes Messer, dann eine Reihe sehr ruinöser Eisenteile, namentlich Riemenzungen, zum Vor- schein, von welchen acht ca. 8,5 cm. und je eine 10, 11 und 15 cm. lang sind.

Die reichhaltigste Ausbeute bot Grab XX, ein Männergrab von grofsem Umfange. Es liegt östlich vom Grab XVIII und südlich von dem Grabe, in welchem Dr. Weigel ein goldenes Kreuzchen, in der Art der longobardischen

Fig. 49. 3/4 der Originalgröfse.

Fig. 51. Originalgröfse.

Fig. 50. 'la der Originalgröfse.

Grabkreuze gefunden haben soll, durch welches die hier Bestatteten als Be- kenner des Christentums nachgewiesen sein würden. Allerdings kommt das Kreuz auch auf einigen unserer Stücke (vgl. Fig. 14 u. 42) vor, und unter Fig. 57 und 58 werden Zierstücke in Kreuzesform abgebildet; es erscheint uns aber doch sehr wahrscheinlich, dafs hier nicht das christliche Kreuz, sondern lediglich ein Verzierungsmotiv vorliegt. Bei einer Tiefe von 1,75 m. hatte das Grab eine Länge von 3,30 m. und eine Breite von c. 2 m. Auf der Sohle des Grabes lagen zur Linken die Überreste des Skelettes, zur Rechten die Überreste eines Pferde- geschirres. Zu Füfsen rechts, mit der Spitze nach abwärts, lag zunächst eine eiserne Lanzenspitze (Fig. 46) von eleganter Form, die einen Schmuck durch eingeschnittene Linien erhalten hat. Ein Grat findet sich nicht nur auf dem Blatte, sondern auch auf den Seiten der Tülle. Länge der Lanzenspitze 36cm.

Links (heraldisch) von der Lanzenspitze kamen zwei silber- und bronze- tauschierte, eiserne Beschlägteile zum Vorschein, vielleicht Riemenzungen, die an dem abgerundeten Ende einen runden Ansatz haben (Fig. 47). Betrachtet man letzteren als oberen Teil, so erinnert das Stück in seinen Umrissen an die primitive Gestalt eines Menschen , wie wir sie auf den irischen Miniaturen^)

3) s. Mitteilungen der antiquar. Gesellschaft in Zürich Bd. VlI, Taf. I— IX.

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allerdings noch nicbi so g-anz zu Ornament geworden finden. Daneben lag ein eiserner Ring mit Tauschierung in Bronze (Fig. 48), der in einer eisernen Öse sich bewegte und jedenfalls zum Pferdezeug gehörte. Dann fanden sich, immer noch zu Füfseu des Leichnams, die Bruchstücke einer voll- ständig zerdrückten, grol'sen Urne aus grobem Thoue. überhalb derselben lagen zwei fischförmige, ornamentierte Bronzebeschläge von 8,6 cm. Höhe und 2,7 cm. Breite (Fig. 49). Dann kam oberhalb dieser ein Gefäfs aus feinem, gelblichröt-

Fig. 53. 3/i der Originalgröfse.

Fig. 52. '/i der Originalgröfse.

lichem Thon mit kleinem Boden und eingedrückten Verzierungen auf dem oberen Teile, querliegend zum Vorscheine, das in Fig. 50 in ^3 der Orignalgröfse hier wiedergegeben ist. Bei den Unterschenkeln fanden sich einige Riemenzungen mit ornamentierter Oberseite (Fig. 51) aus sehr dünner Bronze und glatter, eben-

Fig. 55. Originalgröfse.

Fig. 56. Originalgröfse.

falls sehr dünner Unterlage, deren Zwischenraum mit Gips ausgefüllt war. Bei den Knieen lag ein prächtig patinierter Bronzesporn (Fig. 52) mit wolerhaltenem, ebensolchem Stachel und schmalen Öffnungen an den beiden Enden, um einen Riemen durchziehen zu können.

In der Gegend der Oberschenkel fanden sich die Überreste eines mit der Spitze nach unten liegenden Laugschwertes, dessen Scheide teilweise mit Bronze- Mitteilungen aus dem gennan. Nationalmuseuni. 1894. XIII.

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rinnen (Fig. 53) beschlagen war, wie sie sich auch in Grab II gefunden. Der Knauf des Seh wert griffes ist tauschiert (Fig. 54) und von den Heftnägelu, welche den Xnopf, sowie den Bügel verbanden, ähnlich wie auf Fig. läo u. 182 bei Lindenschmit, kamen noch drei Stück zum Vorschein, von welchen wir eines ebenfalls abbilden. Zwei ornamentierte Bronzenieten mit grofsen flachen Köpfen (Fig. 55) mögen vom Beschläge der Scheide herrühren. In der Hüftgegend lagen zwei eiserne Schnallen, davon eine mit Resten von Tauschierung in Silber und Bronze, und einige kleine Bronzeschnalleu, von denen wir eine in Fig. 56 wie- dergeben.

Oberhalb der Spatha lagen, mit der Spitze nach dem Kopf zu, ein Kurz- schwert von 50cm. Länge, einige bronzene Riemenzungen, wie sie auch zu

Fig. 57. 3/i der Origiaalgröfse.

Fig. 58. /' 3/4 der Originalgrüfse.

Fig. 59. 3/4 der Origiualgrüfse.

Fig. 54. 3/4 der Originalgrüfse.

Fig. 60. 3/4 der Originalgrüfse.

Füfsen sich gefunden (Fig. 49) und eioe dritte, einfache, kleine Bronzeschnalle. Der Schädel, der, wie der Hals, jedes Schmuckes bar war, lag auf einer Stein- platte.

Zur Rechten des Überkörpers fanden sich Überreste einer Schildbuckel, mit welchen man leider nichts mehr machen konnte, oberhalb derselben zwei eiserne, tauschierte Ringe, wie deren auch einer unten gelegen (Fig. 48), dann vier silberne Kreuzchen, ganz in der Form unserer heutigen Ordenskreuze, die mittelst Zapfen auf eine Unterlage, wahrscheinlich Leder, befestigt waren (Fig. 57 u. 58), ferner noch fünf Beschläge wie zu Füfsen schon zwei zum Vorschein ge- kommen waren (Fig. 49), und drei weitere Bronzebeschläge (Fig. 59 u. 60). Nicht

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uninteressant ist es, dafs die vier Kreuze zweierlei Fabrikat und zwei derselben Imitation der beiden anderen sind. Das in Fig. 57 abge- bildete Orig-inalkreuz hat in der Mitte einen Kreis, der durch zwei senk-

i

Fig. 62.

recht verschlungene Reife ausgefüllt ist; der Verfertiger der Nachbil- dungen nun hat dieses Ornament nicht verstanden, wenn er auch be- müht war, dasselbe nachzuahmen, wie die Imitation Fig. 58 zeigt. Der-

Fig. 64.

Oiiginal-

gröfse.

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selbe Vorgang- wiederholt sich bei dem Beschläge Fig. 59 und 60, von welchem zwei Exemplare als Original (Fig. 39), das dritte als Nachbildung anzusehen sind (Fig. 60). Schliefslich fand sich noch eine eiserne Trense (Fig. 61) und einige viereckige Beschläge aus Streifen von Bronzeblech mit Holzresten im Innern.

Es dürfte kein Zweifel obwalten, dafs diese Bronzeschmuckstücke, die tau- schierten Ringe, die Bronzebleche u.s. w. als Beschläge und Schmuck eines Pferde^euges gedient haben, dafs hier also das Grab eines wackeren, angesehenen und wolhabenden Reitersmannes vorliegt. Über die Art des Pferdezeuges und über die Verwendung der tauschierten Ringe (Fig. 48) dürfte vielleicht der Reiter Auskunft geben , der sich auf der Kiste von Krauenburg befindet und den wir nach Lindenschmit a.a.O. S. 288, Fig. 225 in Fig. 62 hier wiedergeben. Ein Ring dürfte auf der Brust des Pferdes, die beiden anderen dürften bei dem Lederzeug der Hinterschenkel verwendet worden sein.

Fiy-. 67. 'h «ler Originalgr.

Fig. (55. '/2 der Oriirinalgröfse.

Fig. 63. '/6 der Originalgr.

Fig. 66. Originalgrölse.

Die Spatha, die dem hier Bestatteten beilag, ist die zweite, die wir in Pfahlheim gefunden, so dafs also auf 22 Gräber zwei Stück fallen, was ein ganz günstiges Ergebnis ist und vielleicht als eine Bestätigung der Lindenschmitschen Annahme angesehen werden kann, dafs die Spathen gerade da besonders häutig sind, wo die Tradition römischer Metallarbeit und mit ihr die nötige Erfahrung für die Fertigung der zweischneidigen Klingen erhalten blieb, die natürlich viel schwieriger ist, als die des einschneidigen Kurzschwertes. Das Dorf Pfahl- heim liegt am Pfahl; die Bewohner desselben konnten also leicht die Kunstfertig- keit des Waffenschmiedens von den Römern überkommen haben. Wir haben bei unserer Zusammenstellung über das Vorkommen der Spatha in Pfahlheim das kleine Langschwert (Fig. 36) nicht mitgezählt, das jedenfalls eine grofse Selten-

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heit ist, da Lindenschniit ein solches Stück nicht anführt, und auch eine schon früher dortselbst gefundene Spatha, die sich ebenfalls in unseren Sammlung-en beflndet, aufser Acht gelassen.

Grab XXI, das östlich neben dem Grabe liegt, in welchem Dr. Weigel das Goldkreuz gefunden haben soll, machte den Eindruck, als wenn ein nicht besonders mit Glüeksgütern gesegnetes Ehepaar hier seine letzte Ruhestätte ge- funden hätte. In einer Tiefe von 75 cm. fanden sich zur Rechten des Grabes die Überreste eines männlichen Skelettes mit zerdrücktem Schädel. An Beigaben lag zur Rechten des letzteren, mit der Spitze nach oben, eine hübsche, eiserne, wolerhalteue Lanzenspitze (Fig. 63) von 40.S cm. Länge, in der Hüftgegend zur Linken ein Kurzschwert von 50 cm. Länge mit Blutrinne und vier runde, glatte, flache Bronzeknöpfe von 2,4 cm. Durchmesser. Auf der l.Oo m. tiefen Sohle lagen auf der entgegengesetzten Seite, zur Linken des Grabes, die Überreste eines weiblichen Skelettes, bei welchem sich in der Kopfgegend zwei Ohrringe von dünnem Silberdraht von 3,5 cm. Durchm., in der Hüftgegend die in Fig. 64 abgebildete Bronzenadel und ein eisernes Messer, bei den Knieen eine leider zerbrochene Tigermuschel fanden, die durchbohrt und mittels eines durchgezogeneu Bronzedrahtes zum Anhängen eingerichtet war. Zwischen den Unterschenkeln lag eine durchbrochene Zierscheibe von Bronze (Fig. 64), Durchmesser 8,5 cm. Ein Ring, wie er die Zierscheiben Fig. 26 und 38 um- gibt, fand sich nicht, wie diese auch durch ihre nachlässige Arbeit gegen jene einen ärmlichen Eindruck macht. Bei dieser Scheibe lagen einige kleine, schmale Riemenzungen von Bronze mit eingeschlagenen Punkten, dann zwei gröfsere, ca. 8cm. lange, reich ornamentierte, die wir in Fig. 66 abbilden. Sie bestehen je aus zwei ornamentierten Plättchen aus leider sehr dünnem und deshalb stark verrostetem Brouzeblech, zwischen welchen zur Verstärkung ein dünner Streifen Eichenholz eingefügt ist. Die beiden Bronzebleche werden durch eine um drei Seiten laufende Bronzerinne zusammengehalten. Leider sind diese Zungen infolge des so sparsam verwendeten Materials sehr beschädigt.

In Grab XXII, das nördlich von Grab XXI liegt und eine Tiefe von 0,90, eine Länge von 2,20 und eine Breite von 1,30m. hatte, wurden die Überreste eines Skelettes gefunden, dem jede Beigabe mangelte. Hiemit wurden die Aus- grabungen geschlossen, zu welchen dem Berichterstatter leider nur immer einige Tage zur Verfügung standen. Eine eiserne Pfeilspitze, die sich auf dem Acker fand, ohne dafs nachzuweisen wäre, welchem Grab sie entstammt, geben wir in Fig. 67 um ihres gewundenen Tüllenfortsatzes und auch um deswillen wieder, weil dieselbe möglicher Weise blos einen Widerhaken hatte, wie dies nach Lin- denschmit a.a.O. S. 154 hie und da vorkommt. Auf der Abbildung haben wir den zweiten Widerhaken rekonstruiert, obgleich sich die Frage, ob ein solcher vorhanden war oder nicht, bei dem stark verrosteten Zustand der Spitze nicht entscheiden läfst.

Mit diesen Fundstücken dürfte das Reihengräberfeld zu Pfahlheim kaum erschöpft sein; es würde uns nur angenehm sein, wenn wir diesen Mitteilungen später eine Fortsetzung folgen lassen könnten.

Nürnberg. H a n s B ö s c h.

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De conjuratioiie Judaeoriim.

in raerkwürdig-es Projekt, von dem die Greschichtsdarstellung-en, soviel der Unterzeiehnete weifs, keine Notiz nehmen, nemlicli das heilige Land für die Juden zu erobern, tauchte im Jahre lo40 auf. Unsere Quelle ist ein Brief, der sich in der Autographensammlung des germanischen Museums (V. Philosophen, Winshemius) befindet. Dem Unterzeichneten ist auch keine andere Quelle bekannt, die von diesem seltsamen Vorhaben Kunde gäbe. Eben- sowenig liefs sich über die Person und das Schicksal des »Amalekiters« und den weiteren Verlauf der Sache etwas beibringen.

Das Dokument besteht aus vier Seiten Folio, von denen die beiden ersten (I u. II 1) den Brief des Sebastianus Theodoricus (Winshemius) au Dr. G. Vogler enthalten, während die vierte Seite die im Original quergeschriebeue Adresse trägt. Aufserdem befindet sich auf der zweiten Seite eine spätere Abschrift eines mit unserem Gegenstande nicht in Berührung stehenden Briefes von Luther aus dem J. 1S21, die jedenfalls erst eingetragen ward, als der Brief des Wins- hemius einem Sammelbande eingefügt wurde. Dafs dies geschehen ist, läfst sich mit Sicherheit aus dem Äufseren des Dokumentes schliefsen; darauf deuten auch die Blattnummern 1956 und 1963 und die denselben entsprechenden, eben- falls erst nach Einfügung des Briefes beigesetzten Randbemerkungen vid. fol. 1965 (auf Seite I oben links) und vid. fol. 1936 (auf Seite 111 oben links). Es waren in dem Sammelband acht Blätter dazwischen. Zu dieser Kopie des Briefes Luthers sind wiederum von anderer Hand einige Bemerkungen hinzugefügt. Die dritte und der obere Teil der vierten Seite enthalten in Abschrift den Brief des Sabinus an Johann, den Famulus des Philippus. Ob diese Abschrift gleich- zeitig mit Absendung des Briefes an Vogler eingetragen ward oder erst später, läfst sich nicht mit Gewifsheit feststellen. Freilich weist der Satz: statui eam descriptam ad te dare nebst den unten auf Seite II stehenden Worten: Sequuntur nova de conjuracione ludaeorum (welche letzteren Worte von derselben Hand wie Brief und Adresse, also von der Hand des Sebastianus Theodoricus ge- schrieben sind) auf gleichzeitige Mitteilung und Übersendung hin. Da aber die Abschrift des deutschen Briefes (Sabinus an Johann) von einer anderen Hand geschrieben ist, so bleibt die Möglichkeit offen, dafs der Brief des Sabinus in besonderer Abschrift getrennt beigelegt war, und dafs die auf Seite III und IV eingetragene Abschrift erst später, vielleicht als das Ganze bereits dem Sammelband einverleibt war, und etwa von derselben Hand, der die Rand- bemerkungen vid. fol. 196S und vid. fol. 1936 gehören, hineingeschrieben wurde. Die Schrift dieser Randbemerkungen kann dieselbe mit derjenigen der Abschrift des Briefes des Sabinus sein, ohne dafs dies mit absoluter Sicherheit nach den Schriftzügen sich behaupten Heise. Die Worte: Zeitung des Gefangen zu Berlin u. s. w. erscheinen als Registraturbemerkung und sind von einer Hand des XVI. Jahrb. geschrieben (vielleicht von dem Adressaten Dr. Vogler selbst?). Dieselbe Hand, die diese Registraturbemerkung schrieb, hat das Wort Winds- heim, wie aus der Tinte deutlich erhellt, ausgestrichen. Dies W^ort kann von derselben Hand geschrieben sein , der die Abschrift des Briefes von Sabinus gehört. Auf Seite IV unten befindet sich noch ein kleiner gelber Zettel auf-

1) Die Ziffern I, II, III und IV sind von uns hinzugefügt.

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geklebt, der die gedruckten Worte trägt: Ex collectione Senatoris D!2i Gwinner Francofurti ad Mqen. Uns ist das Stück mit der Autographensamralung des Dr. Theod. Waerener zu Berlin überkommen.

Sebastianus Theodoricus, von seiner Vaterstadt Windsheim in Franken Winshemius genannt, war Doktor der Philosophie und Medizin und Professor publicus zu Wittenberg. Er war der Schwiegersohn des Vitus Winshemius (Veit Ortel) und schrieb Quaestioues sphaericas und observationes politicas. Sein Lehrer Job. Ketzmann , in dessen Hause er sich aufhielt, als er unseren Brief an Dr. Vogler schrieb, ist der erste evangelische Rektor der Schule zu St. Lorenz in Nürnberg; derselbe starb 1542. Georg Vogler hat 1538 Auszüge aus etlichen jüngsten Reichshandlungeu und Abschieden in Sachen der Religion und eines gemeinen, freien, christlichen Konzils, in deutscher Nation zu halten, heraus- gegeben. Philippus, an dessen Famulus Johannes der Brief des Sabinus ge- richtet ist, ist ohne Zweifel Melanchthon, dessen Schwiegersohn Sabinus war. Dieser letztere, der eigentlich Georg Schüler hiefs, war 1508 in Brandenburg geboren und von 1538—1541, also in der Zeit, aus der dieser Brief stammt, Professor in Frankfurt a. 0. Er ward später Professor in Königsberg, lebte aber zuletzt wieder in Frankfurt, wo er 1560 starb. Ob in einer seiner histo- rischen Schriften oder in den observationes politicae des Winshemius auf dieses Ereignis Bezug genommen ist, vermag der Unterzeichnete nicht zu sagen, da diese Schriften ihm nicht vorgelegen haben.

Wir lassen jetzt das Dokument folgen. 1956.

Cum iam M^ Paulus huc ad praeceptorem meum Ketzmannum miserit epistolam quandam germanicam, famulo Philippi ab eius genero Sabino ex Berlin scriptam, de coniuratione quadam iudeorum et recuperando regno et sacerdotio ipsorum, statui eam, quia te rerum novarum avidum esse sciam et iis admodum delectari, una cum mei praeceptoris Ketzmanni de ea opinione, sicut ipse mihi quoque mandavit, descriptam ad te dare. Sic igitur habeto, M. Ketzmannum existimare, eum qui se regem Gottarum atque iudaeorum esse gloriatur, in hoc tantum coufmgere, ut hoc praetextu recuperandae scilicet terrae sanctae atque sacerdotii cum suis copiis Judaeos locupletissimos omni pecunia atque divitiis spoliet ac exuat, cum videlicet vim omuem pecuniae, quam multis iam anuis ex tota germania suis usuris exugerint, ad id perficiendum contulerint. Porro lectis tuis litteris sequenti die coutinuo adii bibliopolam atque ab eo sumpto uno exemplari sacrorum bibliorum obtuli id pictori, ac, ut eius figuras vel imagines pulchris coloribus ornet ac ill uminet, mandavi; quod ubi factum erit, statim optime compingi ac per commodum nuncium vel aurigam ad vos deferri curabo. His paucis bellisime vale. Datae ex aedibus Ketzmanni 4 die Decembris sub lucem, boni igitur consule. Anno Dni 1540.

Rogo te vix ornatissime, cum ad me iterum dederis literas, ne me appelles

Dominum, alioqui enim, cum me eo nomine vel titulo indignum, ita uti sum,

existimem, putavero mihi id fieri in derisione. Iterum valeat tua humanitas.

Ac socero tuo praeceptoris mei, qui et te reverenter salutat, et meo nomine

IL plurimam salutem nuncia, et me ut facis ama atque tibi commendatum habe.

Si praeterea nova quaedara scriptu digna habuero, non te celabo.

Tuus ex animo cliens

Sebastianus Theodoricus.

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[Hier folg-t der Brief Luthers, der, datiert Witebergae 1521 die palmarum, seine Entschlossenheit kundgibt, seiner Überzeugung treu, den Anforderungen, die man bezüglich des Widerrufs an ihn stellt, zu widerstehen. Der Brief nimmt den ganzen freien Raum der Seite ein. Unten rechts stehen dann die Worte von der Hand des Winshemius:] Sequuutur nova de coniuracione Judaeorum.

J(o)anni, philippi famulo. 1963.

HL Liber Johann, ich hett itzundt nicht dieweil, sonst wolt ich euch wunder-

i. fui. 1956. barliche ding geschriben haben. Es hat mein gnediger her zu Berlin einen ge- fangen, welcher sich rumbt einen konig der Gölten und Juden; ist ein burger von Augspurg, sonst zu Maigdenburgk geboren, und sagt, das er ein Amelechiter sei, habe vaticinia von seinen maioribus, das er das gottlandt sol erobern und terram sanctam, und wie das ihm zwen geister erschineu und solchs geheisen, das er sol ein expedicion (zug) in orientem furnemen. Man hat vil gelt bei ihm gefunden und brif, daraus man sich erkundigt hat, wie das die beste und gewal- digste heuptleude in Italia, Helvecia, Gallia, Germania, üngaria und Hispania und alle Juden per totum orbem sich zu häuf verbunden, Sueciam und Gottiam einzunemen und darnach ein zehenjeriche expeditionem in orientem vorzunemen und seind in der bestallung über die zweimalhundert tausend, terram sanctam den Juden zugut zu erobern. Den die Juden wollen per totum orbem ihre guter darzu cousteriren , das sie ihre regnum widerumb mögen recuperiren, und das solchs war sei, das sich die Juden trefQieh rüsten, so hat man itzt neulich zu Gracow bei den Juden über die 40 grosser wegen mit pulfer gefunden, und sagen die kaufleut, das die Juden zu Prag ein jar oder fünf allen salpeter in Germania aufgekauft. Es ist auch heimlich die sag, das etlich fursten in Germania sollen in diser conjuration sein. Deshalben last mein gnediger herr den gefangen wol bewaren, hat ihm compedes lassen anlegen, und wiewol die von der Schulenburg und vil ander treufliche

IV. edelleut für ihn bitten, und uf vil mal hunderttausend gülden den selbigen

wollen ausburgen, dennoch können sie nichs beim churfursten erhalten. Ich

versehe mich, der churfurst werd ihn dem kaiser zuschicken; ich bin vor zwein

tagen von Berlin konien und wolt euch hier von vil heimligkeit schreiben, aber

wie ich oben angezaigt, hab nicht der weil. Dinstag nach Martini Franckfortt.

Sabinus. Ornatissimo atque pruden-

tissimo viro d. Georgio

Voglero patrono suo unice colendo.

Zeitung des gefangen zu Berlin,

der sich der Gotten und Juden konig

nennt, und von der Juden rustung, das gelobt

land einzunemen. Windsheim 2),

Dies das Dokument. Vielleicht, dafs der Abdruck desselben Anlafs gibt zu weiterer Forschung, bezw. zu Mitteilungen über den in demselben behandelten merkwürdigen Vorgang.

Nürnberg. Dr. R. Schmidt.

2) Das Wort Windsheim ist im Original durchstrichen.

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Das Hänseln der Fnbriente in NürnLerg.

oh. Ferd. Roth schreibt in seiner »Geschichte des Nürnbergischen Han- dels« II. Teil (Nürnberg- 1801), S. 211 : »Das sogenannte Hänseln auf Reisen unter Kauff- und Handels-Herren, wie auch andern Mit-Reisenden , ist ein uralter Gebrauch, der von undencklichen Jahren her, an unterschiedlichen, sowol in Teutschland, als andern, auch sogar entferntesten Orten in Schwang gegangen, und also biß diese Zeit höchsteifrig fortgepflanzt worden.

Das nicht weit von Eger liegende Churf Sächsische Städtlein Adorff unter- hält in seinem Wirthshaus vor die Kaufleute, so nach Leipzig in die Messe reisen wollen, Ketten und Buch, in welches diejenige, so diesen Weg noch nie gezo- gen, ihre Namen einschreiben, nachdem sie vorher gehänselt werden, und nach selbst eigner Discretion, etwas zum Besten geben. Das Einschichtige, nicht weit von Brixen befindliche Wirths Haus, im Sack genannt, hat nahe dabey einen hohlen Stein, neben dem Weeg zur rechten Hand, durch welchen diejenige, so diesen Weg nie gereiset , wann sie mit Kauffleiiten dahin kommen , schliefen müssen, und werden dabey sonderliche Geremonien, wann man sich nicht mit Geld abkaufft, gebrauchet. Das zwey Meilen von Coburg gelegene Neustättlein ^) übet ebenfalls in einem sonderbaren Wirths -Haus, welches man des Bürger- meisters Weissens Wirths-Haus zu nennen pflegt, auch mit sonderbaren Gebräu- chen das Hänseln. Nicht weit von dem Hessischen Stifft Hersfeld, an den Grän- zen Thüringen und Hessen, siebet man einen durchlöcherten Stein, welcher zum hänseln vor tüchtig erkannt wird. Auch sogar zu Fekketoo , an dem Wasser Keres, in Siebenbürgen, weifs man von dem löblichen Hansel - Gebrauch und Tauff'geld, so die armen Wallachischen Einwohner von den Frembden erlangen. «r Seltsamer Weise berichtet Roth nichts über das Hänseln der Fuhrleute in Nürnberg selbst und gibt diese Mitteilung über das Hänseln überhaupt nur aus einer Hänselordnung des Dorfes Röthenbach bei St. Wolfgang, etwa zwei Stun- den südlich von Nürnberg gelegen, der er ein besonderes Kapitel widmet, und doch war das Hänseln, wie wir sehen werden, noch im 19. Jahrhundert auch in Nürnberg selbst in Gebrauch und soll auch nach einer weiter unten anzuführen- den Notiz bereits 1769 hier in Übung gewesen sein. Wie nun Roth dazu kommt, das Röthenbacher Hänseln, das 1697 von Nürnberger Kaufleuten eingeführt wurde, ausführlich zu beschreiben, des Nürnberger Gebrauches aber gar nicht zu ge- denken, entzieht sich unserer Kenntnis.

Die Denkmäler, welche sich auf das Nürnberger Hänseln beziehen, hat das germanische Museum, soweit sie sich noch erhalten haben, durch die Güte von Fräulein Babette Gagstetter dahier im vergangenen Sommer zum Geschenke erhalten. Ehe wir dieselben eingehender betrachten wollen, seien vorerst einige Worte über das Hänseln überhaupt gestattet. Dasselbe war in vergangenen Jahr- hunderten eine weit verbreitete Sitte und wurde namentlich bei denjenigen Per- sonen angewendet, die in irgend eine Korporation aufgenommen wurden oder in einen neuen Stand traten , oder irgend eine Funktion zum erstenmale ausübten, oder zum ersten Male eine gewisse Stadt oder eine Messe besuchten. Gewöhnlich mufste sich der Kandidat mancherlei scherzhafte, nicht immer feine, manchmal sogar recht derbe Prozeduren gefallen lassen, die eine symbolische Bedeutung

4) Wol Neustadt a. d. Haide. Mltteiiuiigea aus dem gerinan. Nationalmuseum. 1894. XIV.

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haben sollten ; das Ganze aber g-ing darauf hinaus, dafs der Kandidat die Kosten eines Trinkg-elag'es bezahlen mufste. Erst wenn man diese Gebräuche geübt und das Gelage gehalten war, ward der Neuling als Gleichberechtigter angesehen. Die Zeremonien beim Gesellenmachen wie die Deposition der Studenten und auch noch andere Gebräuche beruhen auf denselben Grundsätzen, auf denselben An- schauungen wie das Hänseln und hatten auch meist den gleichen Zweck wie dieses. Das Wort Hänseln wird von Hansa, d. i. eine Vereinigung, eine Genossen- schaft, abgeleitet und bedeutet ursprünglich die Aufnahme in dieselbe; in der Folge ist das Wort aber auch auf die Zeremonien bei derselben übertragen worden 2).

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Die Denkmäler des Nürnberger Hänseins , die das Museum erhalten hat, bestehen aus drei hölzernen Werkzeugen und zwei handschriftlichen Büchern.

2) Über das Hänseln vergl. Stahl, das deutsche Handwerk I (Giefsen 1874), S. 224. F. Schneider, die Trinklöffel zu Seligenstadt, im Archiv für Hessische Gesch. u. Alterthums- kunde XIII (Darmstadt 1874), S. 503. Jul. Harltung, die Spiele der Deutschen in Bergen, in Hansische Geschichtsblätter Bd. III Jahrg. 1877 (Leipzig 1881), S. 87. K. E. H. Krause, zu den Bergenschen Spielen, ebendas. Jahrg. 1880 81, S. 109.

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Da ist vor allem eine hölzerne Pritsche, mit welcher der Kandidat bearbeitet wurde, dann die grofse, hölzerne Zange, mit welcher er g-efangen und dann fest- gehalten wurde, wenn man ihn halbierte, was mit dem dritten Stücke, dem grofsen, gleichfalls hölzernen Messer geschah. Wir geben diese drei Geräte in Vio der Originalgröfse hier wieder.

Die beiden Handschriften in Quarto sind als Hänselbücher bezeichnet ; die dünnere (H 2453 b) ist 1811, die stärkere (H 2453 bb) 1823 angelegt. Beide Hänsel- bücher enthalten zunächst die Hänselordnung, dann Aufzeichnungen über die gehänselten Fuhrleute, die Personen, welche dabei mitgewirkt haben, und den Wein, der getrunken worden war. Das ältere der Bücher gehörte in den Gast- hof zum grauen Wolf, der ein Fuhrmannswirtshaus in der Lammsgasse (S. 343) und Eigentum der Familie Gagstetter gewesen war. Das jüngere ward in dem Gasthof zum goldenen Engel benützt, der ebenfalls in der Lammsgasse (S. 344) direkt neben dem grauen Wolf gelegen war.

Die Hänselordnungen sind im Wesentlichen gleich; sie sind jedoch von Händen geschrieben , die dieses Geschäftes nicht sehr kundig waren , weshalb mancherlei Unklarheiten vorkommen, die sich mit Hilfe des anderen Exemplares aber meist in Ordnung bringen lassen. Wir geben die Ordnungen nachstehend in unserer heutigen Orthographie, meist nach dem älteren Exemplp-e, aber doch unter Beiziehung und Berücksichtigung auch des Textes des zweiten.

»Allen ehrlichen und redlichen Herren Fuhrleuten und Knechten , sie mögen sein Kutscher, Wagen- oder Karrenfuhrleute, welche noch nicht in dieser weit und breit weltberühmten Stadt Nürnberg gewesen, und das erste Mal hie- her kommen (wird hiedurch mitgeteilt), wie solche nach Fuhrmannsgebrauch gehänselt werden , dabei ihnen auch vorgelesen wird , wie sie sich hier, in der Stadt und im Wirtshaus, auch auf der Strafse gegen ihre Kameraden oder Ge- spannschaft zu allen Zeiten aufführen sollen; auch wird ihnen dabei gezeigt werden, wie er auf sein eigenes Zeug und Pferde Achtung geben soll, damit ihnen nicht zuviel oder zu wenig geschieht.

»Bei diesem Hänseln soll er jetzt auf mich Achtung geben, was ich ihm vorlesen werde, und auf diese folgende Artikel soll er gehänselt werden, und alsdann, wenn dieses vorbei ist, auch seine Schuldigkeit gegen seine Gespann- schaft eingestanden hat und der Wein auf dem Tisch ist, so kann man seinen Namen in dieses Buch einschreiben, wie auch die beiden Pathen, die er erwählen wird, woher er und sie gewesen, zum Andenken, wo mehrere ehrliche und red- liche Fuhrleute stehen, dafs er ist hier gehänselt worden.

»1) Soll er vor Nürnberg durch den Stein, welcher auf der Strafse stehet

und so aussieht: [ j dreimal durchkriegen und die Gespannschaft soll schuldig

und gehalten sein, ihn rechtschaffen durchzupeitschen. (Hiezu dürfte die neben- stehend abgebildete, hölzerne Pritsche verwendet worden sein.)

»2) Soll er schuldig und gehalten sein, wenn er ausgespannt hat und seine Pferde versorgt sind im Stall, zum Wirt in die Stube zu gehen und den Wirt also anzureden: Herr Wirt, ich habe die Ehre das erste Mal hieher zu kommen. Ich bitte Sie, dafs Sie möchten die Gütigkeit für mich haben und mich hänseln lassen, wie es einem jeden ehrlichen und redlichen Fuhrmann oder Knecht zu- kommt, damit ich auch dabei unterrichtet werde , wie ich mich allhier in der

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Stadt und in dero Behausung zu verhalten und aufzuführen habe , auch mein Name in dieses Buch eingeschrieben werde, allwo mehrere ehrliche und redliche Fuhrleute stehen. (Die jüngere Ordnung hat noch den Zusatz:) Denn wenn dieses nicht geschehen, soll er schuldig sein, eine Mafs Wein zur Strafe zu geben.

»3) Sollte ein solcher Fuhrmann , der das erste Mal hieher kommt , sich nicht Selbsten melden, um dasjenige zu ersparen, was er seiner Gespaunschaft zum Besten geben mufs, so ist sein Herr oder Gespann schuldig und gehalten, solches bei dem Herrn Wirt zu melden, denn wo solches auf beiden Seiten nicht geschehen und unterlassen worden ist, so soll ein jeder eine Mals Wein Strafe geben.

«4) Soll er , wenn seine Gespannschaft beisammen und in der Stube ist, den Herrn Wirt also anreden: Herr Wirt, ich habe vorhin schon gemeldet, dafs ich das erste Mal hieher gekommen bin, dahero bitte ich Sie, sie möchten mich hänseln, weil meine Gespannschaft beisammen ist. Ich bitte aber auch sogleich meine Gespannschaft, sie möchten die Liebe vor mich haben und mich der Strafe überheben, die bei dem Hänseln vorkommt; ich will mich gegen die Gespann- schaft gerne mit 4 bis 8 Mafs alten guten Weines lösen.

»S) Ist aber der Fuhrmann halsstarrig und will sich wehren, so soll man ihn mit der Zange fangen und auf den Stuhl setzen und halbieren , wie es der Brauch ist. Alsdann soll er sich auch die anwesenden Gespänner zu Pathen wählen, zum Andenken, dafs er ist gehänselt worden. Auch sollen die Herren Pathen einen Wein einschenken lassen, damit dafs ihm der Bart frisch abge- waschen wird.

»6) Erzeigt er sich noch ungehorsam, so nehme man das Seil und henke ihn in der Stube an den gewöhnlichen Ort, wo der Ring ist, bis er zwei Bürgen stellt, dafs er gehorsam sein will.

»1) Ist er aber gehorsam und will sich freiwillig hänseln lassen, so soll er verbunden und gehalten sein, vier bis acht Mafs 3) guten Wein auf den Tisch bringen zu lassen , und die Gespannschaft bitten , dafs sie sich mit ihm recht lustig erzeigen, auch diesmal damit vorlieb nehmen möchten.

»8) Ist er aber allzu stufzig, dafs man ihn mit Gewalt und mit der Zange fassen mufs, so soll er für das Zangenanlegen 6 Mafs Wein Strafe geben.

»9) Ist er aber noch halsstarriger, dafs man ihn sogar mit dem Seil hin- aufziehen oder mit der Schleife in's Wasser fahren mufs, wie es den 12. August 1769 Einem von Eisenach ergangen ist, so soll er 12 Mafs Wein Strafe geben müssen und dieses ohne Nachlafs.

»10) Wenn er nun diese Sachen nach diesen Artikeln eingestanden und der Wein wirklich gut auf dem Tisch ist, so kann man ihm auch diese folgen- den Artikel vorlesen, wie sich ein ehrlicher und redlicher Fuhrmann allhier und in seinem Wirtshaus, auch auf der Strafse gegen seine Gespannschaft aufzu- führen, auch gegen jeden sich zu verhalten hat, und sich seiner Schuldigkeit gemäfs bezeigen soll.

»11) [1] Soll ein Fuhrmann, sobald er gegen eine Stadt oder auch auf sein Wirtshaus zufährt, seine Peitsche schwingen und zwei bis dreimal klatschen,

3) Die jüngere Ordnung führt blofs vier Mals an.

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aber ja nicht öfter, damit man nicht glaube, es käme eine Heerde Schweine ge- laufen, sondern dafs man denken kann, es kommt ein braver Fuhrmann, damit dafs man auf ihn Achtung- gibt*).

»12) [2] Wenn du nun in ein Wirtshaus kommst, so nimm deine Tobakspfeife gleich aus dem Mund und stecke sie ein, damit ja keine Tobakspfeife in den Stall kommt, denn in Nürnberg ist es verboten bei 23 fl. Strafe. NB. Das Carresieren mit den Hausmägden auch, aber es wird nicht gehalten.

»13) [3] Auf der Strafse, wo kein Heu oder Stroh liegt, und in der Wirtsstube, da kann man soviel Tobak rauchen als man will.

»14) [4] Wenn du mit den Pferden in den Stall kommst, so wische erstlich den Barren fein sauber aus, hernach kann man das Heu aufstecken und die Pferde anhängen.

»15) [5] Sind die Pferde nun versorgt, so hat man dabei auch dieses nicht zu vergessen , dafs man ihnen auch Futter gibt , den Haber aber ja nicht eher in den Barren schütten, bis du solchen gesiebt und den Barren ausgewischt hast.

»16) [6] Wenn dieses nun geschehen ist, so kannst du in die Stube gehen und mit dem Herrn Wirt verabreden, was man thun will und zu thuu hat, sodann wird er seinen Hausknecht befehlen. Denn so man ein gutes Zutrauen zu seinem Wirt hat, so erfordert es auch seine Schuldigkeit für seinen Gast zu sorgen, wie für seinen eigenen Sohn.

»17) [8] Sollst du deine Pferde sauber halten und sie fleifsig striegeln und ab- wischen, sie alsdann in die Schwemme reiten, damit sie in ihre Ordnung kommen, ihnen aber ja nicht mit der Peitsche oder dem Reuthauenstiel über den Buckel kommen, denn gute Ordnung und Reinlichkeit nützt zu allem und erregt gutes Zutrauen bei den Herren Kaufleuten; wenn man ihnen die Güter in das Haus liefert und allda abgeladen wird, so denken sie gleich, dafs dies ein braver Fuhrmann sein mufs, weil er seine Pferde und Geschirr so wohl hält; auch macht es ihm guten Credit, dafs er weit ehender eine Zurückladung erhält, als ein liederlicher und Pferdeschinder.

»18) [9] Wann nun ein Fuhrmann oder Knecht diesen vorigen Artikel ver- richtet und die Pferde ihr Futter haben und die Güter richtig überliefert sind, so mufst du vor allen Dingen deine Geschirre und Bündzeug in ihre gehörige Ordnung bringen.

»19) [10] Dann mufst du auch bedacht sein, so du etwas aufladen willst, oder dich auf die Statfel zu schreiben^) willens bist, dafs du nicht lange zauderst

4) Die jüngere Ordnung fängt bei diesem Abschnitt wieder mit 1) zu zählen an, was eigentlich richtiger ist, da die folgenden Paragraphen zwar mancherlei Lehren enthalten, mit dem eigentlichen Hänseln aber nichts mehr zu thun haben. Wir setzen nach der Ziffer, welche die einzelnen Abschnitte in der alten Ordnung haben, jeweils in Klammern die Ziffer, unter welcher die betreffenden Paragraphen in der jüngeren Ordnung stehen.

5) Die Fuhrleute, welche nach dem Abliefern ihrer Güter nicht bestellt waren und keine Ladung hatten, aber doch mit solcher wieder von Nürnberg wegfahren wollten, liefsen sich von dem Wirte, bei dem sie einkehrten und der nicht blos Herbergsvater, sondern auch Spediteur, überhaupt Vertrauensmann war, vormerken ; dies nannte man auf die Staffel schrei- ben. Nach der Reihenfolge, in der sie vorgemerkt, erhielten sie dann Ladung, wobei aber doch manchmal einer 8 bis 14 Tage warten mufste, bis er wieder wegkam.

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oder saumselig bist, sondern es in Bälde sagst, so kann sich der Wirt darnach richten und seinem Hauskechl befehlen, was zu thun ist.

»20) [11] Unterdessen kannst du das Beschlag deiner Pferde nachsehen, wie auch deinen Wagen oder Karren , ob du bei dem Schmied oder Wagner nichts zu thun hast ; denn was man da ersparen will , versäumt man auf der Strafse; denn dies wird dir wol bekannt sein, dafs man mit einem Karren, der nur ein Rad hat, und einem Pferd, das nur drei Beine hat, nicht weit kommt. Zur Not darfst oder mufst du dir gar nichts sparen, es möchte doch sonst zum Teufel fahren.

»21) [18] Ferner ist es jedem rechtschaffenen Fuhrmann seine Schuldigkeit, dafs er zu rechter Zeit aufsteht, den Pferden ihr Futter gibt und sie tränkt, also nicht ehender für sich, als für seine Pferde sorgt; denn diese müssen ihm seine Nahrung geben und ihm sein Brot verdienen. Überhaupt die kleine Arbeit achte nicht, die grofse wird mit dem Pferd verriebt.

»22) [19] Sollein Fuhrmann seinen Wagen oder Karren fleifsig schmieren und sein Zeug fleifsig und ordentlich aufladen, absonderlich Winden, Futtersack und Beschlagzeug mitnehmen, damit er nicht, wenn er zwei bis drei Stunden weit gefahren ist, erst wieder zurücklaufen und ein Stück um das ander nach- holen mufs.

»23) [20] Auch soll ein Fuhrmann seine Peitsche schwingen, wenn er zu früh wegfährt, und klatschen, damit Derjenige, der gegen ihn fährt, zu rechter Zeit ausweichen kann und keiner den andern hindert.

»24) [21] Ist er zum Thor hinaus, so mufs er des Schutzengels nicht ver- gessen, der ihn auf der Strafse begleiten und beschützen wird. Er mufs dabei auch nicht gedenken, dafs er nicht wieder kommen und bei diesem Wirt, bei dem er gehänselt worden ist, nicht mehr einkehren wolle; sondern hat er eine Klage, dafs ihm der Wirt zu viel gerechnet hat, so wird er (der Wirt) es ihm spezifizieren. Sollte er aber eine Klage wider den Hausknecht haben, so kann ers dem Wirt melden. Was aber die Ladung anbetrifft, so kann der Wirt sie nicht selbst und nach eines Jeden Verlangen besorgen, denn bald ist die Kiste oder das Fafs zu grofs oder zu klein, bald die Fracht zu wenig, bald (hat sie) diesen, bald jenen Fehler; ein anderer ist hernach froh, wenn ers bekommt. Es liegt auch der Fehler nicht jeder Zeit am Wirt; wenn die Fuhrleute, wenn sie herein kommen , so lange zaudern und sich zu nichts resolvieren können, wie ich es schon im 19. Artikel gemeldet, dafs sie sich auf die Staffel schreiben lassen^), dann ist die Schuld dem Fuhrmann beizumessen, wenn ihm andere vor- gezogen werden, da je eher ein Fuhrmann seine Ladung bekommt und aufladen kann, je eher heifst es, Herr Wirt, meine Zehrung gemacht. Denn das lafs sich ein braver Fuhrmann zur Regel dienen, dafs es nicht von ihm heifst, er ist wie die Tauben, die bald auf diesen, bald auf jenen Schlag fliegen, sondern je länger er in einem Wirtshaus einkehrt, desto bekannter wird er in demselben und in der Stadt, dafs man ihn zu erfragen weifs, und wird ihm auch mehr Ehre machen und Nutzen bringen; denn das, was man in dem einen scheut, findet man in dem andern

»25) [22] Soll ein Jeder, er sei Kutscher, Wagen- oder Karrenfuhrmanu, wenn er auf der Strafse bergein fährt, ausweichen und dazu aus gutem Willen, ja nicht aus Zorn, damit kein Unheil oder Unglück auf der Strafse entstehet.

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»26) [23] Soll ein Fuhrmann, er sei auch wer er will, seine Grespannschaft, welche ihm begegnet, fein mit Vernunft einen guten Morgen, oder guten Tag, oder guten Abend bieten , auch freundlich mit ihm sprechen und nicht wie ein Ochs sein oder wie die Stücker Hölzer , die gegen einander fahren und nichts sprechen, sondern sich freundlich und friedlich gegen seine Grespannschaft bei allen Gelegenheiten bezeigen, so wird man auch ihm dagegen thun.

»27) [24] Lafs dir auch zur Warnung gesagt sein, dafs wenn du gedenkest abzufahren, so bezahle, absonderlich die Herren Wirt, Spielleute, Zöllner und NB. H.6) gern aus, denn sonst laufen sie dir nach auf den Weg und wollen das Geld von dir haben und du wirst hernach nicht lange mehr ein braver Fuhr- mann bleiben.

;)28) [25] Soll ein jeder Fuhrmann dieses in Acht nehmen; wenn der Weg bös ist, dafs er langsam ins Loch fahren thut, aber schnell wieder heraus; auch die Pferde nicht im Loch traktieren, wie ein Schinderknecht mit dem Peitschen- stock oder Reuthauenstiel über die Lenden kommen, auch damit nicht vor den Kopf schlagen, sondern mit guten Worten, hilft dieses nicht, so magst du ihnen ein oder zwei Streiche geben, aber mehr ja nicht. Läuft du aber noch nicht heraus, so lafs deine Gespannschaft vorspannen, dafs du ohne Schaden des Zeugs und der Pferde herauskommst. Wenn du aber keine Gespannschaft hast, wie willst du es alsdann machen? Da will ich dir einen guten, guten Rat geben: es gibt ein Kräutlein heifst Patiencia, damit geschmiert und gewartet, bis einer kommt.

«29) [27] Kommst du nun in ein Wirtshaus, so komme fleifsig allen diesen Artikeln nach, welche ich dir vorgelesen habe, so wird gewifs ein braver Fuhr- mann aus dir werden.

»30) [28] Lafs dir noch dieses zuletzt gesagt sein:

Thu alles was du thust. Mit Klugheit und Bedacht, Denk, wie es gehen kann ,Und gib aufs Ende acht. Nun fährst du ja in Nürnberg ein. Willst fahren in den grauen Wolff hinein. Willst fahren in die weite Welt, So mufst du haben baares Geld.«

Die jüngere Handschrift enthält in dieser zweiten Abteilung noch eine Reihe weiterer Bestimmungen, die der ersten fehlen und die weniger die Pferde als Vorschriften über das Benehmen der Fuhrleute selbst betreffen, somit so eine Art Hof- und Tischzucht für dieselben enthalten. Wir lassen diese Paragraphen nachstehend unter der Nummer folgen, die sie in dieser Handschrift haben.

»1) Vor dem Tränken sollst du jeder Zeit den Pferden ein wenig Heu geben und ja nicht gleich auf das Futter saufen lassen.

»12) Wann es nun Zeit zum Essen ist und du dahin gehen thust, so wasche die Hände fleifsig und unter dem Gesicht die Maulecken aus, wische auch zu- gleich die Butter aus den Augen. Es ist aber nicht die Butter, die man essen

6) Jüngere Handschrift: Jungfern.

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thut, sondern, es ist nur ein wenip: verschnitten, ich meine den Unrat, der an den Menschen kleben bleibt. Wenn es nun verrichtet ist und du sauber bist, so wird deine Gespannschaft mit Lust mit dir essen.

»13) Lafs dir jeder Zeit von dem Wirt oder Kellner zuerst einschenken, damit du nicht aus dem leeren Geschirr trinken mufst, denn mein Vater hat mirs ver- boten, ich soll aus keinem leeren Geschirr trinken.

»14) W^ann du zu Tisch g'ehest. so gehe nicht voran und nehme den besten Platz heraus, greif auch nicht zuerst in die Schüssel, vielweniger über die Schüssel hinaus, sondern lasse alle Zeit den Ältesten die Ehre, dann folge diesen nach , so wirst du auch ein braver Fuhrmann werden und davon Ehre haben.

»15) Noch eines, wenn du zu Tisch bist, so denke nicht, wann du nur alles auffressen oder aufsaufen könntest, es kostet ja doch nicht mehr als die Mahlzeit, du möchtest dich toll und voll saufen, welches doch das Vieh nicht thuet, und hernach auf dem Weg im Dreck herumkugeln, wie ein Mistschwein. Nein, efs und trink so viel du vertragen kannst und dein Beutel Geld hat; und welcher unter diesen Artikeln gehänselt ist, der wird gewifs mäfsig sein, und wo solche mäfsige Gespannschaft beisammen ist , da wird sich ihrer der Herr Wirt freuen und brav auftragen lassen , auch ein frisches Fafs Bier oder Wein anstechen lassen und sich mit ihnen recht lustig erzeugen.

»16) Lafst euch gesagt sein, dafs ihr ja nicht im Wirtshaus zu denen Weibs- personen gehen thut und dem Wirt Fleisch ins Haus bringen wollt, sondern der Herr Wirt wird schon von selbslen bedacht sein (!) euch ein saubers und gutes Stücklein Fleisch zu A' erschaffen , welches wohl geputzt und kein Haar darauf ist.

»17) Wann ihr euch niederlegt auf die Streu oder in das Bett, so gehet ja nicht voran, sondern lafst jeder Zeit den Ältesten die Ehre und folgt hernach. Sollt aber kein Platz mehr vorhanden sein, so lege dich lieber unter den Ofen, da hast du auch ein schönes Himmelbett, ehe du einen anderen vertreiben thust.

)>26) Will ich dir noch mit einigen Worten gesagt haben , dafs wenn du junger Fuhrmann, der da gehänselt worden ist, dafs nicht thuest, was ich dir alleweil vorgelesen habe, so wirst du dein Tag kein rechtschaffener Fuhrmann werden.«

Nach den Artikeln folgen in beiden Rüchern Verzeichnisse der Gehänsel- ten, ihrer Paten und des Weines, den sie zum Besten gegeben haben. Das Hänselbuch des »grauen Wolf« hat seinen ersten Eintrag aus dem Jahre 1811, in welchem am 7. März Benjamin Ramich aus Schneittenbach gehänselt ^vorden ist; er gab acht Mafs Wein zum Besten, jeder der eilf Pathen , unter denen sich auch der Wirt G. J. Gagstetter und seine Frau Barbara befanden, je eine Mafs, so dafs im Ganzen 19 Mafs Wein zu vertrinken waren ein ganz hüb- sches Quantum. Meist waren es weniger Paten , doch befand sich der Wirt immer unter denselben, manchmal auch der Hausknecht, der damals im Fuhr- und Speditionswesen eine nicht unwichtige Rolle spielte und sogar einmal zwei Flaschen Wein zum Besten gab, während sein Herr nur eine spendete. Manch- mal wurden auch gleich mehrere Fuhrleute miteinander gehänselt , so am 14. Dezember 1811 zu gleicher Zeit drei, die zusammen zwölf Mafs Wein spendeten. Die Zahl der in einem Jahre Gehänselten ist sehr verschieden; im Jahre 1811

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sind ira »grauen Wolf« acht als g-ehänselt eing-etragen, in den meisten aber we- niger, in manchen Jahren, z.B. von 1826 bis 1833 gar keiner. Da nicht anzu- nehmen ist, dafs während dieser Zeit nicht ein Fuhrmann im »grauen Wolftf ein- gekehrt sein sollte, den sein Weg; zum ersten Male hieher geführt hätte, so ist der Brauch entweder in dieser Zeit nicht beobachtet worden , oder es sind die Einträge unterblieben. Der Bau der Eisenbahnen und die infolge dessen immer mehr zusammenschrumpfende Zahl der Fuhrleute übte seinen Einflufs auch auf das Hänseln aus. Am 8. November 1843 wurde als Letzter im »grauen Wolf« gehänselt Ernst Strunz aus Hof, der sechs Flaschen oder, wie es seit dem Jahre 1823 statt der vorher üblichen Mafs immer heifst, »Bouteillen« Wein bezahlte, während seine acht Paten zusammen acht spendeten.

Länger wurde diese Sitte im «goldenen Engel« ausgeübt; in diesem Gast- hause wurden am 22. Juni 1856 als Letzte zusammen gehäuselt Dietrich Lohmann aus Brinkum und Ludwig Blank von Jertze. Es scheint, dafs die Teilnehmer an diesem Akte gewufst haben, dafs Diefs das letzte Hänseln im »Engel" sein werde, und es deshalb in höchst solenner Weise begiengen. Die beiden Gehäuselten zahlten zusammen 60 Flaschen Wein, die vier Pathen und der Sekretär, der den Eintrag in das Häuselbuch besorgte, zusammen 30 Flaschen und der Wirt Georg Pommer sechs Flaschen, in Summa 96 Flaschen. Im ganzen Buche findet sich kein zweiter Eintrag, der auch nur annähernd ein so grofses Quantum Wein, wie es bei diesem Akte getrunken wurde, verzeichnet.

Wo der Stein gestanden , durch welchen nach Abschnitt 1 die Fuhrleute durchkriechen mufsten, ist heute nicht mehr festzustellen. Die Hänselordnung vom »Engel« sagt jedoch, dafs der Fuhrmann statt durch den Stein auch drei Mal durch das Rad kriechen könne. Über eine ähnliche Sitte, die an der deutsch- französischen Sprachgrenze in der Schweiz im 16. Jahrhundert beobachtet wurde, berichtet Hans Ölhafen in seinem Tagbuche^).

Bei den Einträgen über die vollzogenen Hänselungen sind nie besondere Vorkommnisse erwähnt; es scheinen sich also dieselben immer glatt abgewickelt zu haben. Wir sagen ausdrücklich »scheinen« , denn Artikel 24 der guten Lehren, die dem Fuhrmann erteilt werden, läfst vermuten, dafs es doch manch- mal ohne Verstimmung dabei nicht abgegangen ist.

Wie die Gasthöfe zum »grauen Wolf« und zum »goldnen Engel«, so dürf- ten auch noch andere Fuhrmannsherbergen dahier ähnliche Bücher geführt haben, da wol anzunehmen ist, dafs dieser Brauch nicht in den genannten beiden allein in Schwung war. Doch ist es uns bis jetzt nicht gelungen, Näheres hierüber in Erfahrung zu bringen.

Nürnberg. HansBösch.

6) vgl. Mitteilungen aus d. germ. Nationalmus. 1893, S. 96.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1894. XV.

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Das Selbstbildnis des Goldscbmiedes Nikolaus Weiler.

anzer führt in seinem Werke: Verzeichnis von Nürnberg-ischen Portraiten aus allen Ständen (Nürnberg 1790) S. 260 folgendes Porträt auf: »Nico- laus Weiler (Goldschm.) Suae Aetatis. S2. Anno 1576? 4.« Dieses Blatt scheint ungemein selten zu sein; aufser Panzer führt es, wol sicher nach ihm, nur noch Nagler in seinem Künstlerlexikon an. Er scheint es aber nicht selbst gesehen zu haben, denn in seinen Monogrammisten fehlt das aus N und W ge- bildete Monogramm, das sich oben auf einem Täfelchen befindet. Vielleicht ist das Blatt Unikum ; wir geben daher wegen seiner Seltenheit und weil es durch die Vorführung einer Goldschmiedwerkstätte auch kulturgeschichtliches Interesse hat, hier eine Reproduktion desselben in der Gröfse des Originals, das mit der ganzen Panzerschen Sammlung jetzt im Besitze der Paul Wolfgang Merkeischen Familienstiftung sich befindet und im germanischen Museum aufbewahrt wird. Die etwas unbeholfene, harte Technik des Stiches läfst keinen Zweifel, dafs hier die Arbeit eines Meisters vorliegt, der nur ausnahmsweise Platten zum Zwecke des Abdruckes stach, dafs Nikolaus Weiler sich also selbst abkonterfeit hat. Nagler bezeichnet das Blatt ebenfalls als Selbstportrait.

Betrachten wir uns die Werkstätte und ihren Inhalt einmal näher. Weiler hat in seiner Rechten ein herzförmiges Anhängsel , in der Linken (I) ein Häm- merchen, was wiederum dafür spricht, dafs er nur ausnahmsweise eine Platte gestochen hat, da er bei der Anfertigung nicht daran dachte, dafs das, was er stach, beim Abdrucke im verkehrten Sinne kommt. Zu seiner Rechten steht eine Büchse mit Punzen, daneben ein Einsatzgewicht, dazwischen liegt ein Fafs- kloben mit einem eingespannten, in Arbeit befindlichen Siegelring. Vor ihm liegt eine Gedächtnismünze mit dem Kruzifix, neben dieser das anzulöthende Öhr und die Rundzange, mit welcher er letzteres hergestellt.

Dann folgt immer von links nach rechts ein Grabstichel und bei seiner Linken eine Flachfeile, sogen, »alte deutsche Feile« mit einem flachen Knopfe am Griffe, der den sonst verwendeten, englischen Feilen fehlt. Der Hasenfufs ge- hört zum Zusammenkehren der Feilspähne und anderer Abfälle. Neben demselben befindet sich eine Pinzette, eine Boraxstreubüchse, die Schlaglothschale mit dem Metall zum Löten und eine Radiernadel, auch »Anreifser« genannt. Aufserdem findet sich auf der Werkbank noch eine Form, die in der Regel von Bronze war, mit eilf Löchern in verschiedener Gröfse, sogen. »Anke<f, in welche mit den Stempeln, von welchen drei daneben liegen, das Metall eingetrieben wurde. Die runde Scheibe Blech , welche neben der Form liegt , war zum Treiben be- stimmt.

Hinter dem Meister schwingt der Lehrling einen etwas zu klein ausgefal- lenen Hammer, um ein Stückchen Metall auf dem Ambos zu schmieden. Neben letzterem sieht man das Kreuz einer Ziehbank, auf welcher Draht gezogen wurde. Auf derselben steht ein Krüglein. Ober dem Ambos ist der Blasbalg und eine kleine Esse. In derselben befindet sich links eine Schale mit Kohlen, auf diesen eine zweite, die jedenfalls die Beize zu enthalten hatte, die jetzt aus verdünnter Schwefelsäure, früher aus Weinstein und Salz bestand. Rechts wird jedenfalls geschmolzen; es liegen hier Backsteine, um das Herausfallen der Kohlen zu ver- hindern. Neben der Esse hängt eine Feuerzange und der Eingufs, in welchen

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man das g-eschniolzene Gold oder Silber laufen liefs. Auf der Esse stehen Schmelztieg-el und ein Kolben zum Auflösen des Goldes oder Silbers, darüber häng-en Formllaschen für den Gufs.

Auf der anderenSeite, zur Rechten Weilers, befindet sich das auf die Strafse

g:ehende Fenster der Werkstätte, welches als Auslage für die kunstreichen Er- zeugnisse des Goldschmiedes diente. Unten liegt ein Fiagerring, den man sich getrieben und mit Email versehen denken kann; daneben steht ein sogen. »Mai- gelein«, in welchem ein an die Wand angelehntes reichverziertes Lineal steht.

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An dem ßänkchea, welches das Fenster in zwei Teile scheidet, hängt ein Be- steckfutteral mit reicher Scheide und Kette, auf dem Brette steht ein reicher Pokal mit einem geharnischten Mann auf dem Deckel. Die Wag-e, welche neben dem Fenster hängt, wurde vielleicht beim Verkaufe der ausgestellten Waren, beim Einkaufe alten Silbers und Goldes, natürlich aber auch sonst benützt.

Über die hier abgebildete Persönlichkeit können wir leider keine Auskunft geben; Panzer hat zwar das Blatt in seinem Verzeichnis Nürnbergischer Por- traits aufgeführt, aber es ist doch sehr fraglich, ob Weiler wirklich ein Nürn- berger gewesen ist. Wir konnten hierüber keinerlei Anhaltspunkte finden und auch Professor Dr. Marc Rosenberg in Karlsruhe , dem ja ein aufserordentlich reichhaltiges Material zur Geschichte der deutschen Goldschmiede und ihrer Kunst zur Verfügung steht und der z. Z. mit einer Arbeit über die Nürn- berger Goldschmiede beschäftigt ist, konnte den Meister weder in Nürnberg noch anderwärts nachweisen. Er glaubt nicht, dafs Weiler ein Nürnberger gewesen. Vielleicht geben diese Zeilen Veranlassung, dem Manne auf die Spur zu kommen.

Nürnberg. HansBösch.

Aus der Galerie des germanischen Nationalniuseums.

ur Geschichte des Moeyaertschen Frühlingsbildes i) ist noch mitzuteilen, dafs die Reihe der vier Jahreszeiten des Moeyaert schon 1819 geteilt war, wie ich aus dem seltenen »Verzeichnis von 172... Ölgemälden des vor- mals Gottfried Winkler'schen Cabinets, .. welche 1819 versteigert werden«

entnehme. Damals war nur mehr der Frühling und Winter in der Sammlung (Nr. 4 u. 5). Beide Bilder wurden aber erst 1834 aus der jüngeren Winkler- schen Sammlung verkauft. Sie stehen im Versteigerungskatalog jener Sammlung von 1834 als Nr. 71 u. 72 verzeichnet. Dr. Martin Schubart in München besitzt ein Exemplar dieses Kataloges mit handschriftlichen Eintragungen. Aus diesen geht hervor, dafs der Frühling an »Geyser« kam, der Winter an »Lepge«. Wien. Dr. Th. v. Frimmel

Land^rirtschaftliclie Beschäftigungen im 15. Jahrhundert.

uf Seite 22 dieser ^^Mitteilungen« haben wir einige Holzschnitte aus dem Werke Rimicius, vita Esopi fabulatoris clarissimi e greco latino facta (s. 1. ä^'et a.) publiziert, welche Szenen aus dem Verkehrsleben der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts darstellten. Heute lassen wir aus demselben Werke einige Holzschnitte folgen, welche landwirtschaftliche Arbeiten vor Augen führen, die einer besonderen Erläuterung nicht bedürfen, sondern durch sich selbst sprechen. Fig. 1 zeigt einen Bauern, der Getreide aussäet. In Fig. 2 sehen wir drei Laudieute, die eifrig mit dem Umgraben eines Weinberges beschäftigt sind. Dafs man dies nicht vornimmt, wenn die Stöcke mit reifen Trauben behangen sind,

1) vgl. S. 70 dieser »Mitteilungen«.

117

wufste wol auch der Künstler; er hat aber die Weinstöcke um deswillen mit Trauben behängen darg-estellt, um das Grundstück als Weinberg zu charakteri-

Fig. 1.

Fiff. 2.

sieren. Nicht uninteressant ist es zu sehen, wie der Künstler bemüht war, Ab- wechslung- in seine Darstellung hineinzubringen; jeder der drei Bauern hat

118

eine anders geformte Kopfbedeckung, und jeder derselben auch eine andere Fufs- bekieidung: der eine Stiefel, der andere Stulpstiefel, der dritte Schuhe. Die übrige Kleidung ist aber bei allen dreien die gleiche; nur hat der eine, um bequemer arbeiten zu können, die Hose losgenestelt. Dasselbe ist auf Fig. 3

Fig. 3. ^

der Fall, die zwei Männer beim Holzfällen darstellt. Die Axt, die der eine schwingt, ist im germanischen Museum durch eine Anzahl alter Originale ver- treten.

Nürnberg. HansBösch.

Alter Spruch.

Wisse vil, wenig sag,

verantwort nicht alle frag,

sey still und verschwigen,

was nicht dein ist, das lass ligen

borg nicht vil, bezals bar,

gelob wenig und red wahr. Auf dem Deckel von Magister Sebastian Glasers Hennenbergischer Ghronicka, Pap.-Hdschr. des 16. Jahrhunderts in der Bibliothek des germanischen Museums. (Nr. 9717. 4.)

Nürnberg. H a n s B ö s c h.

Register zum Jahrgang 1894

der

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.

Ausgrabungen in Pfahlheim 81 ff.

B alsam büchslein, Inhalt dess. 71.

Behaim, Briefwechsel 9 ff. 4S ff.

Beschäftigungen, landwirtschaftliche, im 15. Jahrh. 116 ff.

Bildnis des Goldschmieds Nikolaus Weiler 113 ff.

Briefwechsel eines jungen Nürnberger Kauf- manns im 16. Jahrh. 9 ff. 45 ff.

De eonjuratione ludaeorum 102 ff.

Familien schmuck aus dem Anfange des 17. Jahrh. 73 ff.

Fuhrleute, Hänseln ders. in Nürnberg 105 ff.

Fundstücke aus dem VI.— VIII. Jahrh. vom Reihengräberfeld bei Pfahlheim 81 ff.

Galerie des germanischen Museums 70 ff. 116.

Goldschmiede: Elias Lenker 3 ff.

Nikolaus Weiler 113 ff.

Grillenraaier, Thomas, Meistersinger 37 f.

Hänseln der Fuhrleute in Nürnberg 105 ff.

Hochzeitlader in Nürnberg 25 ff. 60 ff.

Holzschnitte des 15. Jahrh. 22 If. 116 ff.

Holz schuher, Veit: Pokal dess. 3 ff.

H 0 Uzen dorff: Farailienschmuck 73 ff.

ludaeorum, de conjui'atione 102 ff.

Kästchen des 16. Jahrhrts. 71 ff.

Kaufmann, junger, des 16. Jahrh.: Brief- wechsel 9 ff. 45 ff.

Kupferstich von Nikol. Weiler 113 ff.

Landwirtschaft, Beschäftigungen im 15. Jahrh. 116 ff.

Lenker, Elias, Goldschmied 3 ff.

Mark Brandenb urg: Pamilienschmuck 73 ff.

Meistersinger in Nürnberg 25 ff.

Moeyaert, Claes. : Gemälde dess. 70 f. 116.

Nürnberg: Hänseln der Fuhrleute 105 ff.

Spruchsprecher , Meistersinger u.

Hochzeitlader 25 ff. 60 ff.

Nürnberger Kaufmann des 16. Jahrh.: Brief- wechsel 9 ff. 45 ff.

Pfahlheim: Fundstücke das. 81 ff.

Pokal von Elias Lenker 3 ff.

Reihengräberfeld bei Pfahlheim 81 ff.

Sachs, Hans, nochmals als Kapilalist 79 f.

Selbstbildnis des Goldschmiedes Nikolaus Weiler 113 ff.

Spruch, alter 118.

Spruchsprecher in Nürnberg 25 ff. 60 ff.

Tafeln mit Weinverzeichnissen 60 ff.

Verkehrsleben im 15. Jahrh. 22 ff.

Wandkästchen des 16. Jahrh. 71 f.

Weintafeln des 17. Jahrhrts. 57 ff.

Weiler, Nikolaus, Goldschmied 113 ff.

Mitteilungen

aus dem germanischen Nationalmuseum,

herausgegeben vom Direktorium.

Jahrgang 1895.

Mit Abbildungen.

Nürnberg, 1895. Yerlagseigeutum des germauisclieu Museums.

Erasiiiiis Kauiyii oder Erasmiis Kosler.

n neuester Zeit hat mau sich wiederholt mit dem Posener Goldschmiede Erasrans Kamyn uud den Vorlag-en beschäftigt, welche dieser Meister für die Angehörigen seines kunstreichen Gewerbes gestochen haben soll. Zunächst hat Professor Sokolowski in Krakau eine Studie über Kamyn veröffent- licht, die leider in polnischer Sprache verfafst ist, so dafs sie den Westeuropäern meist als ein mit sieben Siegeln verschlossenes Buch erscheint, dann hat Archi- var Dr. Adolf Warschauer in Posen in der »Zeitschrift der historischen Gesell- schaft für die Provinz Posen« i) eine Abhandlung über »die Posener Goldschmied- familie Kamyn« herausgegeben, die besonders dankbar zu begrüfsen ist, weil sie uns erstens mit einem Teile des Inhaltes der Sokolowsklschen Arbeit bekannt macht, dann aber zweitens über die Verhältnisse des genannten Goldschmiedes und der Familie, der er angehört, zum erstenmale jS^äheres bekannt gibt, drittens auch unsere Kenntnis der Blätter, die Kamyn gestochen haben soll, durch die gelungene Wiedergabe von 14 Ornamentstichen erweitert, die bis jetzt noch nicht publiziert waren, und viertens die Frage anregt, ob alle dem Künstler zuge- schriebenen Blätter auch in der That von ihm herrühren.

Warschauer macht aber auch noch darauf aufmerksam ^j, dafs mit den publizierten Blättern^) die Arbeiten, welche unter dem Namen Erasmus Kamyns gehen, noch nicht vollständig erschöpft seien, dafs vielmehr nach einer Mittei- lung des Direktors Dr. Jessen in Berlin sich im Privatbesitze zu Paris noch eine Reihe hieher gehöriger Blätter befinde, die aber mit den von Wessely, Sokolowski und Warschauer beschriebeneu, resp. reproduzierten, nicht identisch seien. Nach unserer Ansicht dürften aber wahrscheinlich diese Pariser Blätter ganz oder teilweise identisch mit einer Anzahl Stiche sein, die das germanische Museum im vergangenen Jahre erworben hat.

Von den elf Blättern des Museums ist nur eines bereits veröffentlicht und zwar dasjenige, welches Warschauer, wol mit Recht, das Titelblatt der älteren Serie nennt und unter Nr. 1 wiedergibt. Es zeigt innerhalb eines grotesken Rahmens, dessen Ornamentik von derjenigen der anderen Blätter, die Kamyn zugeschrieben werden, ganz abweicht und das überhaupt hinter diesen zurücksteht, eine Inschrift in polnischer Sprache „llab^aja tnota gcft Ti^pamc bobje | Uab^ajc nmm fciefc^^t^a C5iekam", welche nach Warschauer deutsch folgenderniafseu lautet: »Meine Hoffnung ist in dem Herren Gott. Ich habe Hoffnung, ich erwarte das Glück.« Wir sehen von der nochmaligen Reproduktion dieses Blättchens ab und geben dafür die übrigen zehn Blätter in Originalgröfse hier wieder. Sie bestehen zunächst aus einer Folge von acht Blättern, welche alle unten in der Mitte (nur das achte im

1} IX. Jahrg., 1. Hft.. S. 1 ff.

2) Zeitschrift d. histor. Gesellsch. f. d. Provinz Posen IX, S. 24.

B) Aufser den von Warschauer veröffentlichten Blättern hat vor demselhen schon Wessely in seinem Werke: »Das Ornament und die Kunstiudustrie in ihrer geschichtlichen Entwickelung auf dem Gebiete des Kunstdruckes« auf Bl. 169 und 170 deren 15 reproduziert.

_ 4 -

rechten Ecke) die Jahrzahl 1552 und rechts in der Ecke die fortlaufende Nuninier zeigen; nur bei dem Blättchen, das offeubar Nr 7 sein mufs, findet sich keine Zahl. Leider sind bei der Herstellung der Zinkocliches bei den Blättern 1—6 die Nummern weg-gelassen worden, sie decken sich aber mit den Figurennummern, die wir beigesetzt. Die Stiche stellen drei Schuhe von Degen-, Messer- oder Dolchscheiden, eine Gürtelschnalle und vier Füllungen dar. Alle enthalten sehr zierliches Arabeskenwerk, weifs auf schwarzem Grunde. Die Gröfse jeder Platte ist 36 x 87 mm. Das letzte Blatt (8) ist besonders beachtenswert, da es aufser dem Monogramm E K auch noch ein Schildchen mit einer Hausmarke enthält. Würden die Blätter von Erasmus Kamyn herrühren eine Frage, die

Fig. 1.

Fig.

< f 5 I

Fig. 3.

Fig. 4.

wir weiter unten erörtern werden so könnte er diese Hausmarke auch als Goldschmiedezeichen geführt haben , und es wäre mit Hilfe dieses Blättchens vielleicht möglich, Arbeiten des Meisters in edlem Metalle nachzuweisen, von welchen bis jetzt noch keine bekannt sind. In Rosenbergs Werk: »Der Gold- schmiede Merkzeichen« findet sich ein Zeichen mit dieser Hausmarke nicht; Posen ist in demselben überhaupt nicht vertreten. Das letztgenannte Blätt- chen enthält in der Mitte aufserdem noch den Spruch: »Vbi plus linguse | Ibi mi- nus cordis«, den Jessen*) auf einem der Pariser Stiche gelesen hat, mit dem der unsrige daher identisch sein dürfte.

Diesen acht Blättern schliefsen sich dann noch zwei weitere an (Fig. 9. u. 10), die nicht zu dieser Folge gehören. Sie sind viel gröfser und enthalten, eben-

4) Zeitschrift etc. IX, S. 24.

J)

falls weifs auf schwarzem Grrumle. nicht Arabesken, sondern refi^elmäfsig- an- geordnetes Bandwerk; das eine der Blätter träg't ebenfalls unten in der Mitte die Jahrzahl 1552. Jedenfalls g-ehören diese Blätlchen, deren Platten 87 und 88 ram. lang und 82 mm. hoch sind, zu einer besonderen Folge, deren übriger Teil sich vielleicht gleichfalls in der Pariser Sammlung ündet.

1 ? S 2

Fig. 5.

Fig. 8.

Unsere Folge und die zwei Einzelblätter schliefsen sich dem Ornament nach enge an die ältere Folge, die Wessely und Warschauer zu gleichen Teilen publizierten. Der von Warschauer mitgeteilten Ansicht Sokolowskis^), dafs die Arabeske des Meisters E K von 1552 eine Eigentümlichkeit dieses Meisters sei, »welche den polnischen Künstler von seinen deutschen Vorbildern unterscheidet«,

5) Zeitschrift etc. IX, S. 25.

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können wir jedoch nicht zustimmen. Die Arabesken Kamyns unterscheiden sich in nichts von denjenigen Flötners, Solis' und anderer Nürnberg-er Meister und es besteht für uns kein Zweifel , dafs hier nicht etwa ein uationalpolnisches Ornament vorliegt, sondern dafs, trotz der g-eringeren Entfernung Polens vom Orient, der Meister E K seine Arabesken nicht direkt von dorther, sondern von Nürnberg bezogen hat, wo er, als in der damals vornehmsten deutschen Gold- schmiedestadt, auf der Wanderschaft gearbeitet haben mag.

Nun hat aber, wie schon bemerkt, Warschauer noch die Frage angeregt, ob Erasmus Karayn denn wirklich der Verfertiger der mit E K und 1552 bezeichneten Goldschmiedornamente sei ^) und hat darauf hingewiesen , dafs ein Vetter des Erasmus Kamyn, der die gleichen Nameusinitialien E K führte:

Erasmus Kosler aus Wilna, 1539 in Nürnberg gearbeitet habe. Wir halten die Aufwerfung dieser Frage für sehr gerechtfertigt und wollen deshalb dieselbe hier näher untersuchen. Die Annahme, dafs Erasmus Kamyn die Blätter von 1552 ausgeführt habe, begründet sich lediglich darauf, dafs dieselben die Initialen E X tragen^ dafs durch den Spruch in polnischer Sprache auf dem Titelblätt- chen der Nachweis erbracht ist, dafs ein dieses Idioms mächtiger Künstler die Stiche gefertigt haben mufs, und dafs Erasmus Kamyn durch eine im Jahre 1592 erschienene Folge von Ornamenten sich als ein auf diesem Gebiete thätiger Goldschmied legitimiert hat. Die letzteren Ornamente gehören ihrem Stile nach unzweifelhaft in das Jahr 1592, die ersteren aber in das Jahr 1552, welche Jahr- zahl alle Blättchen tragen, in der Zwischenzeit gefertigte Ornamente eines Mei- sters E K sind nicht bekannt, es müfste also, da es ganz unwahrscheinlich ist, dafs etwa in der Zwischenzeit gefertigte Stiche gänzlich verloren gegangen sein sollten,

6) Zeitschrift etc. IX, S. 26.

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wenn die Blätter von lf)52 und 1S92 von einem und demselben Meister herrühren sollen , Erasmus Kamyn in der Anfertigung- von Ornamentsticheu eine Pause von nicht weniger als 40 Jahren gemacht haben. Das erscheint uns einfach undenkbar! Wenn wir daher die älteren Stiche einem anderen Meister als Eras- mus Kamyn zuschreiben, so spricht für uns auch noch der Umstand, dafs letz- terer auf der Folge von 1592, die unzweifelhaft von einem Erasmus Kamyn her- rührt, da der ganze Namen darauf genannt ist, sich nicht des E K als Mono- gramm bediente, sondern eines anderen, das in der Mitte zwischen diesen bei- den Buchstaben noch ein s enthält und durch welches ein Querstrich läuft. Nagler gibt in seinen Monogrammisten noch ein weiteres Monogramm Erasmus Kamyns, das aus verschlungenen E, S und K gebildet ist. aber auf keinem der

Fig. 10.

uns bekannten Blätter vorkommt, so dafs von den Kamyn mit Recht zugeschrie- benen Blättern möglicher Weise noch mehr existieren, als zur Zeit bekannt sind.

Vielleicht ist es auch nicht ohne Bedeutung, dafs unsere Blättchen aus einem Bande herrühren, der aus einem alten hiesigen Groldschmiedehause stam- men soll, und dafs mit denselben noch drei Folgen von ganz gleichartigen Or- namentstichen des Yirgil Solls, 16 Blättchen des Monogrammisten Gr Gr und 34 Blätter Arabesken eines unbekannten Meisters, die wol auch in Nürnberg ent- standen sind, zusammengebunden waren. Allerdings wäre es möglich, dafs Ka- myn die Stiche 1352 noch in Nürnberg gefertigt hat, da er erst 1533 in Posen als Meister genannt wird, aber wir können eben an eine so frühe Thätigkeit Kamyns und eine darauf folgende so lange Pause nicht glauben.

Wir glauben aber auch noch eine andere Frage anregen zu sollen: ist es wahrscheinlich, dafs ein Mann in den sechziger Jahren, der am Ausgange seines Schaffens steht und der in diesem Alter sich doch nicht mehr so leicht einer

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neuen Richtung' auschliefst, die neuesten, die damals modernsten Ornamente sticht und herausgibt? Dafs er überhaupt noch in hohem Alter sich auf ein ihm ganz neues Gebiet begibt? Solche Arbeiten lieferten doch meist nur die Jüngeren, junge Meister, aber auch Gresellen, die im Beginne ihrer Thätigkeit standen, und sich einen Namen zu machen suchten. Ein Zweifel an der Urheberschaft des- jenigen Erasmus Kamyn, der schon löo3 Meister war, von der Folge von lo9ä ist daher wol berechtigt, und zwar um so mehr, als sein Name in einem Ver- zeichnis der Posener Groldschmiede vom 22. August 1591 nicht mehr vorkommt'). Vielleicht hatte Erasmus Kamyn. der schon 1533 Meister gewesen, einen Sohn gleichen Namens und ist in diesem der Verfertiger der Folge von 1592 zu sehen.

Ob nun statt des Erasmus Kamyn sein Vetter Erasmus Kosler als der Verfer- tiger der Stiche von 1552 angesehen werden darf, dessen Aufenthalt in Nürnberg nur für das Jahr 1539 nachgewiesen ist, müssen wir, da über Kosler aufser den Notizen von Warschauer gar nichts bekannt ist, zunächst dahingestellt sein lassen: unmöglich ist es nicht und es würde sich vielleicht auch aus dem Umstände, dafs die Blätter in Nürnberg ausgeführt wurden, die Thatsache erklären, dafs in dem ganzen Umfange des ehemaligen Königreiches Polen heute sich kein einziges Blatt dieser selten gewordenen Stiche findet. Vielleicht helfen die Pa- riser Blättchen zur Lösung dieser Frage; vielleicht können polnische Forscher die Hausmarke oder das Merkzeichen der Wilnaer Goldschmiedfamilie Kosler nachweisen und dadurch feststellen, ob Erasmus Kosler der Stecher der Blätter des Meisters E K von 1552 ist, die bisher unter dem Namen Erasmus Kamyns gingen.

Nürnberg. HansBösch.

Dürer.

Kleine Mitteilungen.

Die Aufschriften auf der Rückseite der Bil dnisse Karls desGrofsen

und Sigismunds.

nd sagent meiner Mutter, dass sie auf das Heiltum feil lass haben" schreibt Dürer am 6. April des Jahres 1506 aus Venedig an Willibald Pirkheimer. Unter jenem »Heiltum« ist die Festlichkeit verstanden, die alljährlich zur Zeit der Ostermesse in Nürnberg stattfand und an der die Reichs- kleinodien, welche seit 1424 sich in der Reichsstadt befanden, öffentlich ausgestellt wurden. Ihr gewöhnlicher Aufbewahrungsort war ein metallener Schrein unter dem Gewölbe der Spitalkirche, in der Nacht aber vor ihrer Ausstellung verwahrte man sie in der sogen. Heiltumskammer im Schopper'schen Hause am Markte. Als Dekoration für diese Heiltumskammer malte Dürer 1510 1512 im Auftrage des Nürnberger Rates die Bildnisse Karls des Grofsen und Sigismunds, die später in der Kunstsammlung auf dem Rathause untergebracht wurden und sich jetzt im germanischen Museum befinden. Auf den Rahmen jener Bilder sind Inschriften angebracht, die auf die dargestellten Persönlichkeiten und auf die Reichskleinodien Bezug nehmen. Ähnliche Verse befinden sich auf der

1) Zeitschrift etc. IX, S. :20.

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Rückseite der Tafeln, die mit denen auf den Rahmen zusammen hier Aufnahme finden mögen, da die ersteien bisher nocli nicht veröffentlicht worden sind. Ob die Entwürfe zu den Aufschriften von Dürer selbst herrühren, mag' dahin- gestellt bleiben. Man ist allerdings versucht, es anzunehmen, da ja die An- fertigung" der Bildnisse noch in die Zeit der dichterischen Thätigkeit des Malers fällt.

(Auf dem Rahmen.) (Auf der Rückseite.)

Bis ist der G stall vnd Billnuss gleich Bis ist Kaiser Karlus Gslalt,

Kaiser Karlus, der das Remisch Reich Sein Kran vnd Kleidung manigfalt

Ben Teitschen undertenig macht. zw Nurenberg öffentlich zeige wirt

Sein Krön vnd Klaidung hoch geacht Mit anderm Heiltum, wie sich gepirt.

Zaigt man zv Nurenberg alle Jar Kung Pippinus sv/n ausz Frankreich

Mit andern Haltum offenbar. Und Remischer Keiser auch geleich.

Bis ßildt ist Kaiser Sigmunds Gslalt, Bis Bildnus ist Kaiser Sigmund,

Ber dieser Stat so manigfalt Ber Niernberg zu aller Stund

Mit sunder Gnaden was genaigt. In sunder Gnade was genaigt.

Fil Haltums, das man jarlich zaigt, Fil Heiltums, des man järlich zaigt,

Bas bracht er her gar offenbar Prach er vn Prang ausz Pehemer Lant,

Ber Main zal füer vn zwaintzig Ja/r MCCCC. Mit sunder Gnaden fil bekani.

Die Wappen, die die Vorderseite der Bilder aufweist, wiederholen sich auf der Rückseite. Sie scheinen indessen nicht von Dürer selbst, sondern von einem Gesellen gemalt worden zu sein.

Das Behaim'sche Wappen.

Michel Behaim VII., Ratsherr und Baumeister der Stadt Nürnberg, geb. am 9. Mai 1459, gestorben am 24. Oktober 1311, hatte bei Dürer die Zeichnung des Behaim'schen Wappens bestellt, um nach derselben einen Holzschnitt an- fertigen zu lassen. Leider ist das Jahr, in dem Dürer dieser Auftrag wurde, nicht mehr festzustellen, da die Haushaltungsbücher Michels, in denen sich vor- aussichtlich auch eine Bemerkung über das Wappen befunden haben wird, nur unvollständig erhalten sind. Dürer entwarf die Zeichnung auf einen Holz- stock und schickte diesen an Behaim. Letzterer indessen verlangte einige Änderungen an der Zeichnung, das Laubwerk (dy lewble) gefiel ihm nicht. Wie die beigefügte Nachbildung des Wappens nach einem Abzüge, der sich im germanischen Museum beiludet [K. 350], in 2/3 der Originalgröfse gefertigt zeigt, giebt das stark nach den Seiten hin entwickelte Laubwerk dem Wappen einen etwas gedrückten Charakter, und man kann den Wunsch Behaims, Dürer solle »dy lewble awff dem heim vber sich werfen«, d.h. er solle das ornamentale Beiwerk nach oben zurückschlagen, wohl verstehen. Aber Dürer geht auf den Wunsch des Bestellers nicht ein. Auf die Rückseite des Holzstockes schreibt er kurz und bündig seine Antwort, Behaim giebt sich zufrieden und der Holz- stock wird nach der ersten Zeichnung geschnitten. Dieser Holzstock nun ist nicht, wie man irrtümlich angenommen hat, verschollen, sondern er befindet sich noch wohlbehalten in tadellosem Zustande im Besitze der Familie Behaim. Auch die Aufschrift Dürers auf der Rückseite ist noch, wenn auch stellenweise stark verblafst und verwischt, erkennbar. Damit sie nicht völlig der Nachwelt verloren geht, ist sie in beiliegendem Lichtdruck nachgebildet. Herrn Baron

Mitteiluugeu aus dem gerinau. Natioualmuseum. 1895. II.

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V. Behaim, dessen Liebenswürdigkeit wir die Erlaubnis verdanken, Dürers Schrift photographisch aufnehmen zu lassen, erstatten wir auch an dieser Stelle uusern besten Dank. ,

Die Aufschrift lautet: Uhr her michell beheim Ich schick einch dis waben widr pit latz also beleiben es würt ewchs so keiner verpessern dem ich habs mit fleis künstlich gemacht dorli dys sehen vnd ferstend dy werden ewch woll bescheid sagn soll man dy lewble uioff dem heim vber sich werffen so verdecken sy dy pinden^). E . . . vndertan

Albrecht Dürer.

1) die Zindelbinden, d. h. die gewundene dicke Unterlage auf dem Helm, auf welche

als Helmschmuck der Adler gesetzt ist.

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Dürers Aufschrift auf der Rötelzeichnung' R äff a eis (?) in der Albertina zu Wien.

Auf einer Rötelzeichnung' in der Albertina zu Wien, die einst zur Imhoff- schen Sammlung- g-ehörte, befindet sich fblg-ende Bemerkung:

1Ö13 raffafel de vrbin der so hoch peim pobsi geeicht ist gewest hat der hat dyse 7iackette bild gemacht vnd hat sy dem albrecht dürer von nornberg' geschickt Jm sein hand zv weisen.

Da die Aufschrift den Charakter der Schriftzüge aus dem ersten Viertel des 16. Jahrhunderts wahrt, so hat man bis in die ueuestg Zeit hinein nicht daran gezweifelt, dafs sie von Dürer selbst herrühre, ebensowenig, wie man die Echtheit der Zeichnung in Frage zog. Seit einigen Jahren indessen hat man die Zeichnung einer genauen kritischen Prüfung unterworfen, und das Resultat dieser Untersuchungen, die von Lermolieff ausgingen, war, dafs Raffael die bei- den nackten Männer, die das Blatt zeigt, und welche Studien zu zwei Gestalten auf der Schlacht von Ostia in den vatikanischen Stanzen darstellen, nicht ge- zeichnet haben könne.

Lermolieff schreibt die Rötelzeichnung Giulio Romano zu (kunstkritische Studien über italien. Malerei. Die Galerien Borghese und Doria Panfili in Rom, Leipzig, 1890. S. 182). Ihm schliefsen sich an W. Koopmann (Raffael-Studien mit besonderer Berücksichtigung der Handzeichnungen des Meisters. Nachtrag zur ersten Ausgabe. Marburg 1895. S. XXI) und J. Springer (Literarisches Gentralblatt 1894. N. 47. 17U6). Auch die Echtheit der Aufschrift Dürers wird von den genannten Herren bestritten, besonders energisch von Lermolieff und Springer, während Koopmann sich nur zweifelnd ausdrückt. Ich kann der Frage nach dem Meister der Zeichnung nicht näher treten. Das germanische Museum besitzt zwar eine Nachbildung der Zeichnung, aber es fehlt fast völlig am not- wendigsten Vergleichungsmaterial. Dagegen seien mir einige Worte über die Aufschrift gestattet.

Lermolieff sagt: »Die Aufschrift auf dieser Zeichnung ist, meiner Ansicht nach, Fälschung. Die SchriftzUge entsprechen erstens nicht denen Dürers und zweitens hätte der gebildete Maler aus Nürnberg schwerlich »Raffahel« ge- schrieben. Auch war ihm gewifs bekannt, dafs Raffael vom Papst Leo X. nicht weniger geachtet wurde, als er es von seinem Vorgänger Julius II. gewesen war.«

Dürers Schriftzüge scheinen bei oberflächlicher Betrachtung sehr mannig- facher Art zu sein. Man würde die Handschrift charakterlos nennen. Dürer war gewöhnt, den Grabstichel zu führen, die Feder ist ihm zu leicht, deshalb gibt er seinen Schriftzügen auch nur in besonderen Fällen einen markanten Ausdruck. Die Briefe an Pirkheimer und eine grofse Anzahl seiner Entwürfe sind flüchtig hingeworfen, die Formen der Buchstaben sind im allgemeinen in die Breite gezogen, rundlich, abgeschliffen, möchte ich sagen, bisweilen dick und fett, bisweilen äufserst fein, je nachdem Dürer einer breiter oder spitzer geschnittenen Feder sich bediente. Bei einer Reihe von leider nicht datierten Entwürfen dagegen, die im Gegensatz zu den übrigen aufserordentlich sauber

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g-etrieben sind, sowie in dem druckfertigen Manuskript zur Proportionslehre auf der Nürnberg-er Stadtbibliotbek sind die Buchstaben näher an einander g-erückt, Haar- und Grundstrich schärfer unterschieden, die Formen eckig-er. Ich führe auch an die Aufschrift auf der Handzeichnung- von 1519 »Asperg<f (Lippmann I. Sä). Der Grund für diese Unterschiede ist in der g-röfseren Sorgfalt, die Dürer auf die Schrift verwendete, zu suchen. Denn in die letzterwähnten Entwürfe sind Korrekturen, also spätere Nachträge, eingeschaltet, die wieder durchaus das breite auseinandergezogene Aussehen zeigen, wie z. B. die Pirkheim erbriefe. Dafs Dürer schon sehr früh bei sorgfältiger Schrift eckige Buchstaben schrieb, dafür ist beispielsweise Beweis die Aufschrift »Albrecht Durerin« auf dem Portrait seiner Frau von 1504 (L. 11. 133). Aber nicht nur bei sorgfältiger Schrift, sondern auch dann, wenn Dürer durch Raummangel gezwungen wird, die Buchstaben zusammenzudrängen, ergeben sich naturgemäfs mehr eckige Zeichen. Ich verweise auf die Bemerkungen auf der Bamberger Zeichnung von 1513 (L. IL 186). Dafs die breite, niedrige Buchstabenform sich noch in Dürers letzter Zeit findet, beweist die Aufschrift auf seinem Selbstbildnis, während seiner Krankheit (L. IL 130). Im Allgemeinen ist die Schrift Dürers Steilschrift, wirklich schräg liegende Buchstaben sind mir nur einmal begegnet in einigen Partien der Entwürfe mit eckiger Schrift. Aus diesen Bemerkungen dürfte hervorgehen, dafs es äufserst schwierig ist, aus den Schriftzügen das Alter der Aufzeichnungen zu bestimmen. Sorgfältig geschriebene und datierte umfang- reiche Manuskripte besitzen vielleicht die Londoner Sammlungen, die ich nicht gesehen habe. Nur mit ihrer Hülfe liefse sich dann wahrscheinlich machen, dafs die konsistentere Schrift, wie sie in den druckfertigen Manuskripten uns z. B. entgegentritt, Dürer erst von circa 1519 an eigen wäre. Eine Besonderheit zeigen die Pirkheimerbriefe gegen die späteren Schriften: sie sind »schnörkel- reicher«, lang, s, f, y etc. z. B. sind unverhältnismäfsig nach unten verlängert, reichen bisweilen in die nächste, oft übernächste Zeile hinein und erschweren das Lesen. Der Grundzug der Buchstaben aber bleibt derselbe, von den ersten bis zu den letzten Aufzeichnungen. Wer in Dürers Schrift eingelesen ist, wer sie häufiger gepaust und nachgeschrieben hat, wird sie in ihren mannigfachen Formen aus anderen sofort herauskeunen. Sie geht keineswegs auf in dem all- gemeinen Schrifttypus ihrer Zeit, sondern verrät bei genauer Betrachtung stets ihren eigenen Charakter, der besonders scharf in die Augen springt bei direkter Vergleichung mit gleichzeitigen Schriftstücken, die nicht von professionsmäfsigen Schreibern geschrieben sind.

Die Aufschrift auf der Rötelzeichnung in der Albertina zeigt von Buch- staben zu Buchstaben den Dürer eigenen Duktus, und in der Form gleicht sie den schon mehrfach erwähnten sorgfältig geschriebenen Entwürfen. Auf der Zeichnung ist jedenfalls Platzmangel Veranlassung zu der eckigen Weise gewesen.

Was nun den »gebildeten Maler aus Nürnberg« angeht, so verweise ich nur auf sein »Fittrufius«, »Abblo« (Apollo), »Pingnostilos«, Ottonamia« (Anato- mie) etc. Aufserdem sei erwähnt, dafs Dürer »Raffafel« nicht »Raffahel« schreibt. Herr Inspektor Schönbrunner hatte die Güte, auf meine Anfrage hin das Original zu vergleichen, und er bestätigte meine Vermutung. Wir haben es also nur mit einem Verschreiben zu thun. Auf Lermolieffs weiteren Einwurf, sowie auf das Bedenken Koopmanns komme ich später.

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J. Spring'er sehreibt: »Denn wenn die Zeichnung; nicht von Raffael ist, luufs die Aufschrift g-efälscht sein, da Raffael dem Dürer g-evvifs nur eig-enhän- dig'e Zeichnungen, und nicht solche seiner Schüler, etwa des Griulio Romano, zug'eschickt haben wird. Jedenfalls hätte bemerkt werden müssen, dafs die Form der Ziffern bedenklich von den sonst von Dürer geschriebenen Zahlen ab- weicht und dafs die Schrift keineswegs die des Jahres IS 13. sondern unverkenn- bar die Handschrift aus den zwanziger Jahren ist« Der letzte Einwand findet in den vorhergehenden Bemerkungen schon Berücksichtigung. Zu Dürers Zahlen nun habe ich eine Vergleichung über die Formen während der verschiedenen Lebensabschnitte des Meisters angestellt. Das Resultat war: Die Zahlen sind in der Form überhaupt nicht fest ausgebildet bei Dürer, im allgemeinen entsprechen sie der Art, wie sie von jedermann damals geschrieben wurden. Ich halte es für unmöglich, Dürersche Zahlen von andern aus dem ersten Viertel des 16. eJahr- hundert zu unterscheiden. Ähnliche 1 und 5, wie auf der qu. Zeichnung, findet man zahlreich in dem Nürnberger druckfertigen Manuskript, aber auch die 1S07 (L. I. 17) und die lolO (L. IL 139), um nur diese herauszugreifen, unterscheiden sich so wenig von jenen Ziffern, dafs man nicht berechtigt ist, letztere Dürer abzusprechen. Nur zwei Zahlen zeigen bei Dürer eine augenfällige Wandlung, Die liegende oder gekippte 4 verwandelt sich zwischen 1494 und 1496 in die stehende. Und während die 9 in der frühen Zeit unserer Schreibweise entspricht, läfst Dürer später den unteren Schwung meist nach rechts auslaufen, sodafs die 9 einem Fragezeichen ähnelt.

Der erste Einwand Springers bedarf keiner Erwiderung für den, der mit den Verkehrsverhältnissen des 16. Jahrhunderts einigermafseti vertraut ist, und ich halte es für überflüssig, hier die mannigfachsten Möglichkeiten aufzuzählen. Doch S. sagt a. a. 0. 1707 offenbar im Hinblick auf die fragliche Aufschrift: »Wer z. B. eine Dürer'sche Schrift, etwa die Aufschrift auf einer Zeichnung prüfen will, dem kann es sehr wichtig sein zu erfahren, ob Dürer aws oder aus zu schreiben pflegte.« Diese Bemerkung veranlafst mich, kurze Ausführ- ungen über Dürers Orthographie zu geben. Einige Regeln liegen seiner Schreibart zu Grunde, die ihm in der Schule eingeprägt sein werden. Nur dürfen wir von dem Maler, der »schreiben und lesen zwo Ellen und ein Viertel kann«, nicht erwarten, dafs er jene Regeln überall einhält. Der Grebraucb von v, w, u für den u-Laut stellt sich folgendermafsen dar: u im Anlaut = v (vber, vber, vnd, vnden, vnser, vntzelich etc.) einfaches u im Inlaut = u (nun, puntten, schmel- rung, furhinaus, durch, am dünsten, cubus, corpus, widerum, rucken, kurtz etc.), diphthong. u = w (awff, awgprawen, awgle, hawbt, aws, haws, brawchen, crewtz- weis etc.) u im Auslaut = w mit Ausnahme von »zwu«, (zw, dw, mustw, magstw, tw, [von Pirkheimer einmal in »thue« verbessert] etc.) y steht für lang i und diphthong. i im Auslaute: sy, dy, wy, ny, hy, zwey, trey, pey, malerey etc. Dazu in nymer, mynder und ich uym. Einmal ist mir y für j begegnet in »feryüngten«.

Wenn wir indessen alle die Denkmäler, die jene Regeln nicht streng inne- halten, als Fälschungen bezeichnen wollten, dann werden wir beispielsweise die Bamberger Hs. von 1313 (aus nemung, creutzweis, maull), die Aufzeichnung über das Traumgesicht von 1323 (grausamkeitt, rauschen, brausen, auff) und das Blatt aus dem Gedenkbuche im Kupferstichkabinet zu Berlin (zwg) Dürer ab-

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sprechen müssen. Auch hu Gebrauch des y finden sich zahlreiche Ausnahmen^ so nie neben ny, wie neben vvy, dyse, (selten diese), schynpein, zweyen, seyten, ytzig-, eyg-en etc. neben gewöhnlichem dise, schinpein, zweien, seiteu, itzig-, eigen etc. Über den Gebrauch von Tennis und Media, sowie von Doppelconsonans lassen sich für Dürer überhaupt keine Regeln aufstellen; da finden wir neben- einander pild, bild. trey, drey, pey, bey, fillen, filn, göustig, gönnstlich, will, wil, lewtt, lewd, forteill, nochteil, uiitt, mit. krüpfen, krüpffeu etc. Ebensowenig fest ist der Gebrauch von t und th, von f und v für f-Laut im Anlaut: tw^ thw, tan, than, tir, thir, ertrich, erthrich, für, vür, fan, van etc. Und oft stehen dieselben Worte in verschiedener Schreibung dicht nebeneinander. Altes ie wird bisweilen von Dürer beibehalten, bisweilen weicht es einfachem i: lib, lieb, prieffe, brieff, priff. Auch sind Änderungen der Orthographie Dürers, besondere Eigentümlich- keiten während der einzelnen Perioden seines Lebens nicht zu konstatieren.

Daraus erhellt, glaube ich, zur Genüge, dafs man aus der Beschaffenheit der Orthographie keine Schlüsse auf die Echtheit der Denkmäler ziehen kann, soweit sie natürlich nicht vom örtlichen und zeitlichen Charakter abweicht.

In der fraglichen Aufschrift, um auf diese zurückzukommen, findet sich keine orthographische Abweichung, die uns gestattete, Dürers Autorschaft in Frage zu ziehen. Abweichend von der oben aufgestellten Regel ist nur »dyse«, statt »dise« geschrieben. Um aber einen analogen Fall anzuführen, der leicht nachzuprüfen ist, verweise ich auf die Nachbildung von Dürers Schriftproben in »Dürers schriftlicher Nachlafs von Lange und Fuhse«, wo man in der Probe aus dem druckfertigen Manuskript »dyse« und »dise«, nur durch 6 Zeilen ge- trennt, finden wird.

Meiner Überzeugung nach ist an der Echtheit der Aufschrift nicht zu zweifeln. Die einzelnen Züge sind viel zu ungezwungen, als dafs man daran denken könnte, ein Fälscher habe sie nachgemalt. Die Echtheit der Jahreszahl würde ich nur dann in Frage ziehen, wenn sie mit anderer Tinte, als die Worte geschrieben wäre. Das ist aber, wie mir ebenfalls mitzuteilen Herr Inspektor Schöubrunner die Güte hatte, nicht der Fall. Gleichwohl aber glaube ich, dafs die Aufschrift erst nach Raffaels Tode gemacht worden ist, nicht aus graphischen, sondern aus inhaltlichen Gründen: »der so hoch peim pobst geacht ist gewest.« Thausing hat diese Ansicht bereits geäufsert. und es steht ihr nichts entgegen, da wir analoge Fälle besitzen. Die Aufschrift auf dem Selbstbildnis von 1484 stammt aus späterer Zeit; das Bildnis der Mutter ist am 19. März 1314 gezeich- net, und erst nach dem Tode der Mutter mit der Bemerkung versehen: »Das ist Albrecht Dürers Mutter, die war alt 63 Johr, und ist verschieden im 1514 Johr am Erchtag vor der Kreuz wochen, (16. Mai.) um zwei gen Nacht.«

Wenn aber die Aufschrift erst, vielleicht bei der Nachricht vom Tode Raffaels gemacht wurde, die Jahreszahl sich also auf die Zeit der Übersendung bezieht, ist dann nicht ein Irrtum Dürers mögli-ch? Er war sicherlich im Besitze von zahlreichen Skizzen anderer Künstler, hatte sich aber wohl kaum mit kri- tischen Untersuchungen der Handschrift befafst, so dal's ihm ein solcher Irrtum, in dem tüchtige zunftmälsige Kunsthistoriker nach ihm so lauge verharrten, wohl passieren konnte. Wir brauchen also nicht einmal an Täuschung seitens des vermeintlichen Überbringers zu denken.

Nürnberg. F. Fuhse.

1MJ D

Der Tisch des Sigmuud Schleicher iiiul der Re<^iiia Rehliiigen.

US der Versteigerung- des Museums August Riedinger in Augsburg kam ein interessanter Tisch in das germanische Museum. Der Tisch I- ruht auf vier durch eine kreisförmige Fufsbank verbundenen Füfsen, welche über einem mit Blättern gezierten Sockelgliede als gewundene Baura- äste gestaltet sind. An den Leisten, welche die Füfse oben zusammenhalten, ist einiges erneuert.

Die Platte ist rund und hat einen Durchmesser von 1,615 m. Sie ist aus radial gerichteten, keilförmig zugeschnittenen Fichtenbrettern zusammengesetzt, welche durch sechs untergelegte Randbretter und zwischen diesen durch einen

Fig. 1. Gesamtansicht der Tischplatte, 'ho.

Rost von senkrecht sich kreuzenden Latten zusammengehalten werden. Die Platte ist oben mit radial angeordneten Birnbaumfournieren belegt und mit Intarsien geschmückt (Fig. 1). Den Inhalt der Intarsien bilden Wappen, welche von Ornamenten umgeben und durch solche verbunden sind. Die Wappen sind in Bein graviert. In der Mitte- steht das Allianzwappen der Familien Schleicher und Rehlingen (Fig. 2), dabei auf einem Spruchband die Namen Sigmund Schleicher und Regina Rehlingerin. Der letztere Name ist sehr in- korrekt RE(jLINI(j REII^'EREN geschrieben. Die Richtigkeit obiger Lesung wird unten bewiesen werden. Das Wappen steht auf einem Grunde von dunklem Holze und ist mit einem Lorbeerkranze aus Bein umgeben. In der Mitte zwischen diesem Kranze und dem ornamentirten Rande sind die Wappen der Familien Schleicher, Baidinger, Rehlingen und Roth angeordnet. Sie stehen auf Kartuschen von dunkelgebeiztem Holz, welche durch Zweige unter sich und

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mit den Wappen des Randes verbunden sind. Der Rand (Fig-. 3) enthält acht Wappen, die g-leichi'alls auf Kartuschen stehen. Von den Kartuschen laufen Ptlanzenornamente aus. Zwischen je zwei OrnamenlgTuppen sind ovale und rautenföriuig'e Stücke bunten Marmors eingelegt. Der Grund des Randes ist Eschenholz. Die Einlagen sind gemefsert, d. h. die einzelnen Holzstücke sind nicht mit der Säge aus zwei übereinandergelegten Hölzern ausgesägt, sondern

Fig. 2. Mittlerer Teil der Platte, '/ä.

Fig. 3. Ornament und Wappen vom Rand der Platte, '/j.

durch Zuschneiden mit dem Messer in die aus dem Grunde ausgeschnittene Zeichnung eingepafst. Das Verfahren hat den Vorzug, dafs die Richtung der Holztasern mehr der Zeichnung angepafst werden kann, welch letztere dadurch lebendiger wird, und es gewährt überdies der Individualität des ausführenden Künstlers freieren Spielraum als die mechanische Arbeit mit der Säge.

Die Ausführung der Einlagen ist gut, doch nicht hervorragend, dagegen ist die Gesamtwirkung der Platte in Zeichnung und Farbe eine sehr schöne Die Erhaltung ist eine ziemlich gute.

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Zeit und Ort der Herstellung ergeben sich aus den auf dem Tische ange- brachten Wappen. Zunächst gestattet das in der Mute befindliche Allianz- wappen mit seiner Aufschrift den Schlufs, dafs der Tisch für Sigmund Schleicher und Regina, seine Hausfrau, eine geborene Rehlingerin, gefertigt ist. Aufser den beiden mittleren enthält der Tisch noch 12 weitere Wappen. Die Wappen sind die der Familien Schleicher, Rehlingen, Baidinger, Peutinger, Roth, Dieten- heim und Vöhlin, es kommen also einige mehrfach vor und zwar findet sieh jedes der in der Mitte der Platte vereinigten Wappen in dem von ihm aus- gehenden heraldisch rechten Zweige im inneren und im äufseren Kreise wieder, ferner wiederholen sich die im inneren Kreise links stehenden Wappen bei der Teilung der linken Zweige im äufseren Kreise rechts. Wir haben also hier die Ahnentafeln des Sigmund Schleicher und der Regina Rehlingen vor uns. Die des Sigmund Schleicher ist:

Sigmund Elisabeth

N. Schleicher. N. Peutinger. Baidinger Roth

" ^

Christoph Maria

Schleicher Baidinger

-

Sigmund Schleicher.

Die der Regina Rehlingen: Johannes Anna Johannes Margareta

Rehlingen Dietenheimerin Roth Vöhlin

^ ' . '

Karl Rehlingen ^_ Regina Roth

Regina Rehlingen

Es sind mit Ausnahme der Peutinger ausschliefslich Ulmische Familien, welche in beiden Ahnentafeln vorkommen.

Die Familie Schleicher gehört nicht zu den alten Ulmischen Patrizier- geschlechtern. Sie wird um 1400 erwähnt, aber in dem Verzeichnis der Ulmischen Geschlechter von 1430 in Marchthalers Ulmischer Chronik (Manuscript des germanischen Museums Nr. 78408 S. 146 ff. vgl. Michael Praun, Beschreibung der adeligen und erbarn Geschlechter 1667 S. 66) finden sie sich nicht. Praun nennt neben den adeligen Patriziern auch noch andere gute Familien in Ulm, welche eines ansehnlichen, alten Herkommens sind, darunter die Schleicher, über die er S. 94 bemerkt, dafs sie auch ihre aldeligen Privilegia in optima forma hatten und sich jederzeit unter die adeligen Geschlechter verheiratet haben. Der Adel wurde indefs dem Anton, Niklas, Jakob, Chriftoph, Hieronymus Christoph, Georg, Wilhelm und Marquardt den Schleichern, Gebrüdern und Vettern, wie ihren ehelichen Leibeserben erst am 16. Juni 1368 von Maximilian II. verliehen (G. A. Will, Nürnbergische Münzbelustigungen III. S. 237). Im 15. Jahrhundert finden wir Glieder der Familie als Zunftmeister der AVeber im Rat.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. * III.

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Daniel, Hierouymus Georg' und Franz Schleicher hatten sich nach 1330 mit Martin Scheler, der in Gomo die Samnitwirkerei g-elernt und lolo in Ulm ein- geführt hatte, verbunden. Die Gesellschaft löste sich aber bald wieder auf und die Schleicher errichteten eine eigene Wirkerei. Eine interessante Notiz über diese Vorgänge findet sich bei Marchthaler S. 280, 281, Später trieben die Schleicher den Leinwandhandel.

1680 finden wir in der Liste derer, die zur Bürgerstube Zutritt haben (Marchthaler S. 178), Herrn Sigmund Schleicher des Rats und Herrn Hieronymus Schleicher utr. jur. Dr. Gebrüder, haben 2 Herrn Hanns (recte Karl) Rehlingers Töchter zur Ehe . . . gehabt.«

Dieser Sigmund Schleicher ist der, dessen Wappen die Mitte des Tisches ziert. Nach Weyermann (Neue bist, biogr. artistische Nachrichten von Gelehrten und Künstlern aus der vormaligen Reichsstadt Ulm, Fortsetzung S. 481) ist er geboren am 1. November lo60 kam 1604 in den Rat, wurde 1613 Zeugherr, 1613 Hospitalherr, 1616 Pfleger des Klosters Söflingea, 1617 Stättrechner und starb am 13. Februar 1631. Als Bevollmächtigter der Stadt war er mit seinem Bruder Hieronymus mehrfach auswärts thätig.

Dafs er mit einer Rehlingen verheiratet war, geht aus obiger Notiz, wie aus dem Stammbaum der Rehlingen bei Bucelinus Germania . . . sacra et profana IL in 206 hervor und wird bestätigt durch zwei Einträge eines Manuscriptes der ülmer Stadtbibliothek 6330. Heirats- und Sterbefälle Ulmischer Familien, deren Mitteilung ich Herrn Professor Heyberger in Ulm verdanke. 1611 Sigmund Schleicher, uxor . . . Rehlingen. 1631 Regina Rehlinger des Sigmund Schleichers Wltib gest. 13. Dezember 1631.

Sigmund Schleichers Vater war Christoph Schleicher, der sich unter den von Kaiser Maximilian 1368 Geadelten befunden hatte. Über ihn, seinen Vater und seine Mutter, eine geborene Peutinger, konnte ich in den mir zugänglichen Quellen keine nähern Aufschlüsse finden. Seine Frau war Maria Baidinger Tochter des Sigmund Baidinger und seiner Hausfrau Elisabeth, einer geborenen Roth. Letztere ist in der Ahnenreihe des Sigmund Schleicher die erste, welche dem alten Ulmischen Patriziat angehörte. Sigmund Baidinger, der zuvor in Nürnberg gewohnt hatte, war 1348 durch Vermittelung des Hans Roth, dessen Schwester er geheiratet hatte, Bürger von Ulm geworden (Weyermann Fort- setzung S. 12). Die Familie stammt nach Michael Praun, Adliche und ehrbare Geschlechter S. 91, aus Bayern. Sie sind unter den Ulmischen Familien, welche sich 1332 von Kaiser Karl V. ihre alten Adelsprivilegien bestätigen liefsen, damit ihnen das Bürgerrecht in der Stadt Ulm an ihrem Adel keinen Nachteil bringe und ihrem alten Turnieradel nicht schädlich sein solle.

Die Familie Rehlingen, der Sigmund Schleichers Hausfrau Regina ange- hörte, zählte zu dem bayerischen Landadel. Ihr Stammsitz war das Schlofs Scherneck mit der Herrschaft Rehlingen nördlich von Augsburg. Greinwald Rehlingen schlofs 1300 mit der Stadt Augsburg ein Bündnis, vermöge dessen er der Stadt seine Schlösser öffnete und dagegen sich ausbedingte, in Augsburg wohnen zu dürfen. Drei seiner Söhne verheirateten sich mit Augsburger Bürgers- töchtern und wurden Bürger von Augsburg. Seitdem zählte die Familie zum Augsburger Patriziat. Johannes Rehlingen verheiratete sich 1503 mit Anna, der letzten Dietenheimerin. Er ist der Stifter der Linien von Radau und Horgau,

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welche ihr Wappen mit dem Dietenheiraerischen vermehrteu. Daher finden wir im äufseren Kreis die Wappen der Rehlingen und Dietenheimer g-etrennt, im Innern und in der Mitte vereinigt. Dieser Johannes Rehling-en ist der Grofs- vater der Reg-iaa. Er war Dr. juris und trat 1311 als Ratsadvokat in den Dienst der Stadt Ulm. Sein Sohn Karl, welcher sich looi oder 1357 (Bucelinus II, III. gibt S. 206 erstere, S. 221 letztere Jahreszahl) mit Regina Roth verheiratete, wurde 1553 in die adelige Gesellschaft der Stadt Ulm aufgenommen. Seine beiden Töchter Anna und Regina waren mit den Brüdern Hierouymus und Sigis- mund Schleicher verheiratet.

Die Familie Roth, der Reginas Mutter angehörte, ist eine von den alten Ulmischen Patrizierfamilien. Sie findet sich in dem Verzeichnis von 1430, aber schon im 13. Jahrhundert war die Familie in Ulm. Sie hat 1372 die Spitalkirche zum Heiligen Geist gestiftet. Johannes Roth, der Vater der Regina, war verheiratet mit Margareta Vöhlin, deren Familie, wie die Rehlingen, 1553 in das Ulmer Patriziat aufgenommen wurde. Er war ein jüngerer Bruder der Elisabetha Roth, des Sigmund Baldingers Hausfrau. Mit ihrem Vater Conrad Roth ist also in der Ahnenreihe der Descendenten des Sigmund Schleicher der erste Ahnenverlust eingetreten.

Aus unserer Untersuchung ergibt sich mit grofser Wahrscheinlichkeit, dafs der Tisch im Jahre 1611 in Ulm gefertigt worden ist. Zu dieser Konstatierung hätte es freilich des ausgedehnten genealogischen Apparates nicht bedurft; wenn aber der aufmerksame Beschauer in der Anordnung der Wappen eine gewisse Gesetzmäfsigkeit wahrnimmt, wenn er bemerkt, wie zwei getrennte AVappen Rehlingen und Dietenheim des äufseren Kreises im Inneren ver- einigt sind, so fühlt er sich augeregt dem Zusammenhange dieser Erscheinungen, der Geschichte der Familien und der Träger der einzelnen Wappen nachzu- forschen. Es sind keine grofsen Namen, die uns hier begegnen, aber sie ge- hören tüchtigen Bürgern der alten Reichsstadt an. Indem wir ihren Schicksalen nachforschen, lernen wir ein Stück Städteleben des 16. Jahrhunderts kennen, wir sehen sie thätig im Handel und Wandel, im Rate der Stadt und auswärts, wie auch in ihrer Geselligkeit in der Bürgerstube, wo David Schleicher 1587 von Jakob Ott während des Spiels erstochen wurde.

So erzählen uns die Wappen auf dem Tische gar manches, dem wir noch heute gerne lauschen; = wie vielmehr mochten sie den Besitzern, für die der Tisch gefertigt wurde und deren Kindern sagen. Die beiden Ahnenreihen sind bis zu den Grofseltern geführt, so weit als insgemein die persönliche Berührung des Menschen mit seinen Ahnen zurückreicht. Dem Sigmund Schleicher und seiner Hausfrau Regina mochte beim Anblick der Wappen das Bild der Eltern und Grofseltern vor die Seele treten und frohe und ernste Erinnerungen ver- gangener Tage mit sich bringen.

Nürnberg. Gustav von Bezold,

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Eiue laiigobardische Elfeiibeinpyxis im Germanischen Museum.

achdem die Wissenschaft das Material des frühmittelalterlicheu Kunst- schaffens einigermafsen g-esammelt sowie nach seiner ikonographischen UnterscheiduDg- und den StofTlireiseu durchgearbeitet hatte, fing- sie seit kurzem an, für die frühmittelalterliche Kunst auch die Arbeitsmethode der späteren Perioden anzuwenden. Man begann, die einzelnen Kunstzweige mit Betonung der Technik als bestimmenden und unterscheidenden Momentes zusammenzustellen; grofse allgemeine landschaftliche Gruppen wurden konstatiert, und in diesen wieder kleinere lokale Kreise aus der erdrückenden Fülle ausgeschieden und vereint einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen. So ergaben sich Schulindicien und -Unterschiede, die Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppen wurden klargelegt und es wurde Licht ge- worfen auf den künstlerischen Verkehr verschiedener Gruppen.

Zuerst begann man hier mit den Miniaturen. Giemen und Schlosser suchten die Fuldaer Schreibschule der karolingischen Zeit zu fixieren, das ganze Material der karolingischen Buchmalerei stellte Janitschek nach Schulen zusammen in der grofsen von der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde veranstalteten Publikation der Adahandschrift. Auf die Reichenauer Schule richtete sich die Untersuchung v. Oechelhäuser's über die Miniaturen der Heidelberger Universitätsbibliothek. Voege hat für die ottonische Zeit eine grofse gemeinsame Haudschrifteugruppe konstatiert, die er in Köln (Domkloster) lokalisiert. Auch für andere Lokalgruppen sind in neuerer und neuester Zeit verschiedene Publikationen zu verzeichnen.

Die Elfenbeinschnitzereien auf diese Weise zusammenzustellen, sind erst sehr summarische Versuche gemacht worden. Und doch wäre eine solche Arbeit äufserst wichtig, da wir für manche Zeiten, wo Denkmäler der grofsen Statuarik fehlen, allein auf die Elfenbeine angewiesen sind, um das plastische Vermögen der betr. Zeit zu beurteilen. Eine Vereinigung ist hier vorzu- nehmen mit Hülfe von durch Technik und ikonographischen Typenvorrat be- dingten Schulspecimina und von andern zufälligen Anhaltspunkten (historische Notizen, Inschriften, Zusammenhang mit einem lokalisierten Codex, Verwandt- schaft mit Mosaiken, Architekturteilen und andern Werken der Plastik). Dafs man sich auf diese Mosaiken etc. als Vergleiche berufen kann, ist darin be- gründet, dafs die Elfenbeinplastik von dem Augenblicke an, wo man aufhörte, immer und immer wieder die altchristlichen und antiken Diptychen, Platten und Pyxiden zu kopieren und zu reproduzieren , wo diese Vorbilder in der Reihe der Nachahmungen allmählich verblafsten, sich genötigt sah, bei ver- wandten Kunstzweigen Anleihen zu machen. Eine kurze Zusammenstellung der verschiedenen Elfenbeinarbeiten der altchristlichen Zeit und des früheren Mittelalters findet sich in dem von E. aus'm Weerth und von F. X. Kraus ver- fafsten Artikel »Elfenbein« in Kraus' Realencyclopädie der christlichen Alter- tümer (Freiburg i. B. 1882. Bd. L S. 399 ff.). Aus'm Weerth konstatierte da- mals für sämtliche Elfenbeinarbeiten, von den römischen Diptychen an bis zum Ende des 11. Jahrhunderts mindestens 6 Hauptschulen, die römisch-altchrist- liohe Schule, die byzantinische Schule, sodann im 7. Jahrhundert »eine von byzantinischen Einflüssen nicht freie, aber doch selbständige oberitalienische

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Schule«^), dann im 8.— 10. Jahrhundert Elfenbeine, die sich in Metz und Trier lokalisieren lassen, sowie Werke aus Lorscher und Hildesheimer Werkstätten.

Selbstverständlich lassen sich aus diesen grofsen Gruppen kleinere spezi- fisch lokale ausscheiden, sowie neue konstatieren. Giemen hat in seiner Ab- handlung- über merovingische und karoling-ische Plastik 2) den ersten Versuch gemacht, die diesseits der Alpen so häufig- gefundenen und in vielen Museen und Privatsammlungeu vertretenen altchristlichen italienischen Pyxiden von den französischen Pyxiden, die Nachbildungen jener sind, zu unterscheiden. Ferner erhielt die von Aus'm Weerth bereits angedeutete Metzer Schule durch die Forschungen Kraus' ^l, Voeges*), Clemens^) und Webers^) festere Gestalt und hellere Beleuchtung.

Über andere Gruppen aus karolingischer Zeit, darunter eine allgemeine rheinische, eine süddeutsche, eine österreichische '') vergleiche man Clemens obengenannte Arbeit.

Bei dem hohen Wert der Elfenbeine für die frühmittelalterliche Kunst- geschichte, sowie in Rücksicht auf den Umstand, dafs viele Objekte dieser Technik im Privatbesitze sind, ist es sehr zu wünschen, dafs das so lange er- sehnte Corpus der früheren Elfenbeine endlich in Angriff genommen werde, zu- mal da Aus'm Weerths längst schon versprochenes Werk nicht publiziert zu werden scheint. Das einzige umfassende Handbuch für den, der über Elfen- l)eine arbeitet, Westwoods Fictile ivories London 1876 ist eigentlich nur ein Katalog der allerdings sehr reichhaltigen Abgufssammlung im South Kensington Museum und kann deshalb nicht vollständig sein; die in chronologischer Ord- nung angehängten Notizen über andere Elfenbeine sind zum Teil äufserst flüchtig und ungenau.

Die Originale des South Kensington Museum behandelt der vorzügliche und mit photographischen Abbildungen versehene Katalog von William Maskell, sowie ein Auszug daraus von demselben Verfasser (South Kensington Museum Art Handbooks. Edited by W. Maskell. Nr. 2. Ivories ancient and mediaeval. 1875).

Für die altchristlichen Elfenbeine ist jetzt noch äufserst brauchbar Ant. Francisci Gorii thesaurus veterum diptychorum consularium et ecclesiasticorum.

1) Hier läfst sich wieder eine vom Ende des 6. bis zum Ende des 8. Jahrhunderts nachweisbare umfassende ravenu atische Schule ausscheiden, wie ich demnächst an anderem Orte nachweisen werde.

2) Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande, Heft LXXXXII. Bonn 1892. S. 108 ff.

S) Kraus, Kunst- und Altertum in Elsafs-Lothringen HI, 380 ff.

4) Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrhunderts S. 114 ff.

5) a. a. 0. S. 12o ff.

6i Geistliches Schauspiel und kirchliche Kunst in ihrem Verhältnis erläutert an einer Ikonographie der Kirche und Synagoge. Stuttgart 1894. S. 19 ff.

7) Vgl. die prachtvolle, ganz klassische Platte mit der Darstellung des Papstes Gre- gorius im Kloster Heiligenkreuz, die sogar infolge ihrer klassisctien Schönheit ins 6. Jahr- hundert zurückversetzt wurde (Essenwein im Organ für christl. Kunst 1861 S. o3 auf Grund des »grofsen Stils, der sorgfältigen Ausfühi'ung. der reinen Architektur, der Auffassung der Figuren, des Stils der Gesichter insbesonders, der ganz spätrömisch ist.») Andere versetzen die Tafel ins 12. Jahrhundert, am richtigsten wohl Giemen (a. a. 0. S. 138), der sie ins aus- gehende 10. Jahrhundert setzt, aber noch als total karolingisch beeinffufst bezeichnet.

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Accesere Jo. Baptistae Passerii additamenta et praefatioues. 3 Volumina 1759. Ferner Jo. Bapt. Passerii in monumenta sacra eburnea a Grorio in IV. huius operis partem reservata expositiones a. 1759. Ferner erwähne ich noch als wichtige und verdienstliche Arbeiten von F. Pulszky Gatalog-ue of the Fe.jer- väry Ivories 1856 (jetzt im Museum Mayer zu Liverpool), sowie die genaue und reichausgestattete Publikation der Elfenbeine aus der Sammlung Spitzer, welche Alfred Darcel besorgte; letztere Arbeit ist um so wichtiger, als kurz darauf diese einzig dastehende Privatsammlung in alle Winde zerstreut wurde.

Endlich erwähne ich noch die grofsartige Sammlung von Gripsabgüssen der meisten Elfenbeine (die allerdings durch den gegenseitigen Austausch der einzelnen Museen noch bedeutend vergröfsert werden könnte), welche die Arundel-Society veröffentlichte s).

Die im Folgenden veröffentlichte runde Pyxis^) des Grermanischen National- museums (K. P. 710) wurde im Jahre 1890 von dem Antiquitätenhändler Julius Böhler in München erworben und stammt nach dessen Angabe aus einem Kloster im Kanton Schwyz. Die Pyxis ist 8,5 cm hoch, der untere Durchmesser beträgt ebenfalls 8,5 cm, der obere 8,4 cm. Die obere Rundung ist jetzt etwas oval gedrückt. Das ganze Grefäfs ist aus einem Abschnitte eines Elephantenzahns ge- fertigt. Ursprünglich war wohl ein Deckel aufgelegt, wie eine oben etwas einge- lassene Einkerbung beweist. Zwei innerhalb des breiten Ornamentstreifens ein- gelassene runde Vertiefungen scheinen als Lager für einen Griff funktioniert zu haben. Später hat man das ursprünglich als Weihwasserkesselchen ver- wendete Gefäfs durch einen Verschlufsdeckel zu einem andern kirchlichen Zwecke umgestaltet. Oberhalb des thronenden Christus und des Evangelisten auf seiner linken Seite wurde zu diesem Zwecke das Ornament zum Teil ver- nichtet und mit 2 Kupfernägeln ein Kupferplättchen, von dem noch ein kleiner Teil an dem einen Nagel hängt, als Halt für den Falz befestigt. Spuren und Löcher von andern Nägeln sind noch auf derselben Seite, sowie gegenüber, wo der Deckelverschluls war, erhalten. Die Form des Gefäfses geht aus der Ab- bildung hervor^). Oben legt sich ein schmales Ornamenlband herum, dessen Glieder gebildet werden durch je zwei konzentrische Ringe mit einem Punkt in der Mitte und ein schmales Oblong, offenbar eine unverstandene Nach- ahmung des Eierslabs. Wir finden dasselbe Ornament auf langobardischen Werken auch sonst wieder. Ein schmaler Reif trennt dieses Band von dem unter ihm liegenden breiteren, das zugleich die Einschneidung des Gefäfses bildet. Ein ziemlich gut ausgeführter breiter Rankenfries (Akanthus) mit doppelten Querbändern am Ansatzpunkte der einzelnen Blätter (Andeutung der Alveole) spricht ebenfalls für langobardische Herkunft (vgl. unten).

Unter diesem Akanthusband erblicken wir eine rings herumgehende Ar- kadenreihe, zusammengesetzt aus 11 Säulen. Unter den Bogen der Arkatur befiodet sich je eine Figur, teils stehend, teils sitzend. Beginnen wir mit dem Hauptbilde, einer majestas domini. Christus sitzt ganz en face auf einem nicht sichtbaren Stuhle. Die Beine sind breit auseinandergenommen, ihre Stellung

8) Wyatt Notices of scixlpture in ivory and Oldfield A catalogue of specimens of an- cient ivory carvings London Arundel-Society 18S6.

9) Die Abbildung folgt mit dem Schlufs des Artikels im nächsten Heft.

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spricht sich durch die Faltung- des Grewandes deutlich aus, ebenso sind die Kniescheiben deutlich markiert. Der uubärtige Erlöser trägt einen breit- conturierten Kreuznimbus und hat die rechte Hand mit ausgestrecktem Daumen, Zeige- und Mittelfinger erhoben, die linke Hand stemmt eine längliche Schrift- tafel auf das Knie. Die Füfse sind nackt, die Kleidung ist die ziemlich unver- standene antike (lange Ärmeltunika mit verzierten Säumen, sowie ein Pallium, das die rechte Schulter freilälst, also i^w/xig). In den beiden Bogen zu den Seiten Christi steht je eine nimbierte unbärtige Figur ganz en face im langen Grewande mit nackten Füfsen. Vor Brust und Leib halten sie ein grofses offenes Buch mit buchstabenähnlichen Zeichen. Es sind offenbar Evangelisten dar- gestellt.

Von dem Evangelisten auf der linken Seite Christi aus weitergehend er- blicken wir einen unbärtigen König mit dreiteiliger Krone und nackten Füfsen en face dastehend. Sein Gewand ist am Halse dreieckig ausgeschnitten. In der rechten Hand hält er ein Aspergillum, das die linke Hand unterstützend von unten ergreift.

Im folgenden Bogen sitzt nach rechts auf einem hochbeinigen Stuhle mit niederer Lehne etwas nach vorne gebeugt eine männliche Figur i*^); die rechte Hand trägt einen Stab mit knopfartigem Ansätze oben, die linke Hand ist etwas erhoben, wie zum Redegestus. Die Füfse ruhen auf einem dreibeinigen Schemel.

Die drei nächsten Figuren sind als eine zusammengehörige Gruppe zu betrachten. Nach rechts geht im ersten Bogen ein geflügelter, nimbierter Engel mit langem Gewände, die Füfse offenbar in kurzen Schuhen steckend. Der Körper ist vollständig verdreht. Der linke Arm und die linke Hand greifen über den Körper hinweg nach hinten; die Hand hält einen kurzen Stab. Die rechte Hand ist nach links gegen Maria im folgenden Bogen, zum Zeichen der Verkündigung, erhöhen. Maria selbst, nach rechts gehend, sieht zurück zu dem Engel. Sie trägt ein über der Stirn doppelt gefaltetes Kopftuch und ist nirabiert. Die linke Hand hält die Kunkel in Schulterhöhe erhoben, die herab- hängende rechte Hand hält die Spindel. Von der anderen Seite her kommt auf Maria zu eine nimbierte Gestalt, mit beiden Händen ein Gefäfs haltend, das sie offenbar der Madonna anbieten will.

Es folgt dann ein nach rechts gehender König, dessen Krone ähnlich ist der des sitzenden Königs. Seine linke Hand hält einen Stab, dessen Knopf ein dreiteiliges Blatt als Bekrönuug hat. Den Reigen schliefst eine männliche Figur, ebenfalls mit einem Aspergill, er trägt eine runde, kappenartige Kopf- bedeckung. Den unteren Rand der Pyxis schliefst ein schmales Akanthusband.

Was nun die Technik anbetrifft, so sieht man deutlich, dafs dem Schnitzer für die Ornamentbänder noch ganz gute Vorbilder in demselben Material zur Verfügung standen; dementsprechend sind diese Partien auch ganz gut und vernünftig gelungen. Anders dagegen die Architektur und die Personen des Mittelfrieses. Die Säulen der Arkaden haben vollkommen das Aussehen von Bretterpfosten, sind also rein ira Flächenstile gehalten; die Fähigkeit, solche Details plastisch herauszuarbeiten, ist diesem Künstler ebenso abhanden ge-

10) Ob die Figur eine fünfteilige niedrige Krone trägt oder ob die Haare in dieser Weise angeordnet sind, kann nicht genau bestimmt werden.

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kommen, wie vielen Miniatoren der ausg-ehenden altchristliehen Kunstära (vgl. die feinsinnigen Bemerkungen Wickhoffs über eine altchristliche Handschrift in Wien (Hofbibl. 847): Jahrbuch der Kunstsammlungen des Allerhöchsten Kaiser- hauses Bd. XIV, S. 206 ff.). Die Basis der Säulen wird gebildet durch ein ein- faches umgekehrtes Akanthuskapitell; die Säulen selbst wenn man überhaupt von solchen reden kann zeigen an beiden Rändern eine Längsriefung, in der Mitte zieht sich von unten nach oben eine Reihe von eingelassenen Punkten, Eine dünne Platte trägt ein akanthusähnliches Kapitell. Die direkt aufsitzenden einfachen runden Arkadenbögen zeigen oben eine einfache Einrippung; in den Bogenzwickeln sitzt je ein dreiteiliges Blatt.

Was die menschlichen Figuren anbetrifft, so ergiebt sich sofort, abgesehen davon, dafs verschiedene derselben in der Körperhaltung ganz verdreht und unverstanden sind z. B. Körperbau en face und Füfse in Profil, bekanntlich ja ein spezifisches Charakteristikum der irischen Buchmalerei , eine vollständige Unfähigkeit in der Bildung des Gesichtsausdruckes, der Körperproportionalität und der Gewandbehandlung (Struktur und Faltenwurf). Die Figuren selbst sind in flachem Relief behandelt. Die kleinlich behandelten Falten der Gewänder sind trotz des Flachreliefs ziemlich tief^^) eingegraben. Wir finden \vieder die stark eingebohrten Punkte wie auf den Säulen, ferner dicht neben einander liegende kurze Striche (z. B. bei der der Madonna einen Gegenstand offerierenden Figur rechts neben dieser). Die auf diese Figur nach rechts folgende mit dem Stabe in der Hand hat ein Gewandmuster, das gebildet wird durch kleine eingelassene Halbmonde. Die Falten und sonstige Gewanddetails sind charakterisiert durch derbe Striche. Die Hände sind meist zu grofs. Die beiden Evangelisten zu Seiten Christi sehen infolge der Unfähigkeit des Schnitzers, die Verkürzung der stehenden Füfse, zum Ausdrucke zu bringen, aus, als ob sie auf den Fufs- spitzen ständen. Die Köpfe sind grofse Langköpfe mit grofsen Glotzaugen, ein unter den Augen befindlicher halbkreisförmiger Strich läfst die Backenknochen stark hervortreten. Die Pupillen sind stark herausgearbeitet. Die Haarbehand- lung ist plump und breit und läfst manchen Kopf wie mit einer Perücke be- kleidet erscheinen. Ich kann mich diesen Köpfen gegenüber nicht des Eindrucks erwehren, den auch die unserer Pyxis zeithch und stilistisch nahestehenden Figuren des Pemonaltars zu Gividale (gegen 7oO) auf M. G. Zimmermann ^2) machten: sie zeigen germanischen Typus.

Eine kritische Vergleichung unserer Pyxis, die wohl als das einzige bisher bekannte langobardische Kunstwerk in Elfenbein anzusehen ist, mit den übrigen Erzeugnissen langobardischer Kunstübung, sowie eine Untersuchung des an- scheinend aus ganz disparaten Elementen zusammengesetzten Bilderfrieses, wird, verbunden mit genauen Abbildungen des Gefäfses, im nächsten Hefte der »Mit- teilungen« folgen.

Nürnberg. Edmund Braun.

Id) Dasselbe technische Moment zeigen die ravennatischcn Elfenbeine des 7. und 8. Jahrhunderts, vgl. Giemen a. a. 0. S. 117. wo er einige Vertreter dieser Gruppe bespricht,

12) Vortrag, gehalten auf dem Kunsthistor. Kongrefs zu Köln über »Die Spuren der Langobarden in der italienischen Plastik des ersten Jahrhunderts«. Beilage zur AUgem, Ztg. Nr. 232, 1894, S. 4.

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Eine langobardische Elfenbeiiipyxis im Gerinaiiischen Museum.

(Mit einer Lichtdrucktafel.)

IL as ganze Material der aus den ersten Jahrhunderten erhaltenen Pyxiden läfst sich in zwei Hauptgruppen scheiden: einerseits die klassisch-römi- schen (heidnischen) Gefäfse und die an diese sich anschliefsenden Nach- ahmungen aus späterer Zeit, andererseits die altchristlich-italieuischen Pyxiden, die auf dem Mantel hauptsächlich mit Scenen aus dem Bilderkreis der Testa- mente geschmückt sind. Dieser zweiten altchristlichen Gruppe schliefsen sich an die späteren italienischen sowie die nordalpinen Pyxiden, die inhaltlich von jenen fast vollständig abhängig sind, technisch dagegen weit hinter ihnen zurückstehen. Die heidnischen Pyxiden, wie z. B. in der früheren Sammlung Felix (Kata- log 1886 von Heberle Nr. 319 mit Abb. eines Göttermahles), in Wien i^) (k. k. Autikenkabinett 3. 4. Jahrh. bacchische Scene), Xanten i*) (Domschatz von St. Viktor, spätrömische Arbeit des 3. Jahrb., Erkennung und Wegführung des Achilles von Skyros), Zürich ^^) (Sammlung der antiquar. Gesellschaft, Venus und Adonis 3. Jahrb.), Fabriano ^6) (Genf Possenti, die eine Pyxis mit Kämpfen zwischen Faunen und Menschen, die andere mit dem Urteil des Paris und dem Gastmahl bei Zeus mit der apfel werfenden Erls, beide aus dem 3. 4. Jahrh.) und Wiesbaden") (Museum, frühe Arbeit, Flufsgott (Nil) mit correspondierender weiblicher Figur), waren wohl das Vorbild für eine Reihe anderer Pyxiden, die nach Giemen (a. a. 0. S. 112) zum gröfsten Teil französische Arbeiten des 7. Jahrh. sind und aus einer Schule hervorgegangen sind, welche neben heid- nischen Gefäfsen ebenfalls christliche und zwar in noch viel ausgedehnterer Weise kopierte. Auf heidnische Pyxiden gehen zurück das Gefäfs mit einer Löwenjagd im Domschatz von Sens^^) (Inv. 52. Löwenkampf), sowie dasjenige in der grofsherzogl. Kunstkammer zu Karlsruhe i^) (bacchische Scene, das Gefäfs technisch mit der Pyxis zu Sens zusammenhängend).

Von diesen heidnischen Pyxiden scheidet sich eine grofse Gruppe inhaltlich ab, während sie technisch mit ihnen zusammen-, ja von ihnen abhängt. Es sind die altchristlichen und frühmittelalterlichen Pyxiden. Ikonographisch aufserordent- lich bevorzugt sind von ihnen Darstellungen der Wunder Christi und besonders

13) Westwood. S. 271 No. 764 und S. 473. Sacken in den Mitteil, der k. k. Central- kommission, N. F. IL mit Abb. S. 42.

14) Westwood. S. 272. Giemen, Bonn Jahrb. Heft XCII. S. 112. Abb. Giemen, Kunstdenkmäler I, 3, Moers S. 128; aus'm Weerth, Tafel XVIL, 1, Text L S. 37. Bonn Jahi-b. V. Tafel 7 und 8. Phot. Schmitz 3277.

15) Westwood. S. 281, Benndorf, Mitteil, der antiq. Gesellsch., Zürich XVIL 7, S. 140. Anz. f. Schweiz, Altertumskunde 1889, S. 8; ebenda Abb.

16) Westwood. S. 375.

17) Westwood. S. 474. Nach demselben ist ein Abgufs der Pyxis im Mainzer Museum. Offenbar lehnt sich das Werk an die spätrömische Statuarik an.

18) Westwood. S. 271. Giemen a. a. 0. S. 112. Abb. R. d. Fleury, La Messe Bd. V. p. 68 u. Cahier. Martin Nouveaux Melanges Bd. ivoires etc. S. 15 u. 17. Arundel society Abgufs VI. 6. Sacken a. a. 0. S. 45.

19) Marc Rosenberg. Die Kunstkammer im grofsherzogl. Residenzschlosse zu Karls- ruhe, 1892. Tafel 3 mit kurzem Text. Die Angaben bei Westwood S. 441 sind ganz ungenau.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. IV.

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auch solche aus den Apokryphen, welche die Yeikündig-ung- uud die Geburt Christi betreffea. An der Spitze dieser (iruppe steht ein vollendetes Kunstwerk, die klassisch schöne Pyxis aus derMoselg-egend, jetzt in dem Berliner Museum ^o), (Nr. 427 der christl. Altertümer) mit dem lehrenden Christus in trono und den Aposteln; sie steht in engstem Zusammenhange mit der sepulchralen Plastik, ebenso wie die Pyxis im Dom zu Bobbio ^i). Es würde zu weit führen, die früh- mittelalterlichen Pyxiden hier alle aufzuzählen. Ich verweise zu diesem Zwecke auf die [allerdings' nicht vollständigen Mitteilungen bei Clemen (a. a. 0. S. 112), Westwood S. 272 f., Hahn 22) u. a.

Bereits oben wurde erwähnt , dafs die Pyxis des germanischen Museums als das einzige bisher bekannte derartige langobardische Elfenbein werk anzusehen ist. Diptychen und einzelne Tafeln langobardischer Provenienz sind allerdings vorhanden und werden zum Vergleiche herangezogen. Langobardisch ist wohl die äufserst rohe Tafel ^3) des Kensington Museums Nr. 2S7 '67, 7—8. Jahrb., in ihren beiden Abteilungen die Taufe Christi im Jordan und die Predigt Johannes in der Wüste darstellend. Ferner das Diptychon von Rambona im Vatikanischen Museum, 9. Jahrb. in., mit der Kreuzigung, der Wölfin, Romulus und Remus, sowie der Madonna mit dem Kinde und Cherubim, drei Heiligen und einem fliegenden Engel, nach B. de Montault einer Personifikation der vier Elemente 2*). Endlich ist als eine sichere langobardische Elfenbeinarbeit zu bezeichnen die Pax des Herzogs ürsus 25) mit der Kreuzigung Christi , im Capitelarchiv zu Cividale in Friaul, 8. Jahrb. Citieren wir die vor dem Originale niederge- schriebene etwas harte Charakteristik Eitelbergers: »Das Elfenbeinornament, welches diese Vorstellung (Crucifixus, Longinus, Stephaton, Maria, Johannes, Sol und Luna) einfafst, zeigt den Charakter des langobardischen Stils des achten Jahrhunderts, er ist gewissermafsen die lingua rustica ins Ornamentale über- tragen. Grieichen Charakter haben die Kostüme, die Falten sind wie Streifen, die Porportionen des Körpers kurz, von Ausdruck in den Physiognomien kann man nicht reden. f^

Selbstverständlich werden wir diese drei Arbeiten, in derselben Technik ausgeführt, als vornehmstes Beweismaterial anzuziehen haben. Aber der Cha-

20) Westwood. S. 272. Gramer, Christi. Kunstbl. 1895, S 13 ff., Kugler, kl. Sclirift. IL; 328, Kraus Realencycl. I. S. 67 u. 401, Schnaase III 2, 95, Bode Ital. Plastik S. 2, Kraus 2. Anfänge der christl. Kunst S. 122, Ficker Darstellungen d. Apostel S. 143, Perate L'Archeol. chretienne S. 344, Abb. Westwood a. a. 0. (Photogr. !), Bode-Tschudi Katalog d. Original- skulpturen des Berliner Museums. Garrucci Tav. CCCCXL 1.

21) Westwood. S. 379. Kraus a. a. 0. I. 401, 407.

22) Fünf Elfenbeingefäfse des frühesten Mittelalters, Hannover 1862. Mit 3 Tafeln.

23) Früher in der Sammlung Soltikoff (Nr. 14 des Katalogs von 1861), Ahb. Labarte I^.S. 73. Westwood S. 114, Nr. 266. Maskell Description of-the ivories . . . . in the South Kensington Museum .... 1872, S. 101. Die Rückseite wurde in karol. Zeit mit zwei bibli- schen Scenen (Einzug in Jerusalem und Christus zu Tische bei Maria und Magdalena) versehen.

24) Abb. Gori III. tav. 22. Westwood Proc. Archaeol. Society of Oxford 3. Dez. 1862. Abb, der Kreuzigung, Westwood a. a. 0. S. 56, der zweiten Tafel d'Agincourt, Sculpt. XII. 16. Westwood a. a. 0. S. 56 Nr. 127/8 S. 345. Barbier de Montault im Bulletin monumental XLVL 1880, S. 333.

25) Westwood S. 380. Abb. Eitelberger, Jahrb. d. k. k. C. K. U. 1857, S. 246 und Lübke Gesch. d. d. Kunst, S. 12. Didron Annales archeol. XXVI. p. 143.

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rakter einer so jungen, tastenden, noch viel Typisches enthaltenden Kunst, wie der lang'obardischeu , gestattet auch den Vergleich mit den Objecten anderer Techniken; sowohl die Goldschmiedetechnik als die architektonischen Details bieten Vergleichsmomente. Selbstverständlich finden wir auch starke altchrist- liche Reminiszenzen, besonders ikonographischer Natur; sie wurden den Lango- barden durch das Medium der ravennatischen Kunst vermittelt.

Gerade für die Technik der langobardischeu Elfenbeine ist ein* starker ravennatischerEinflufs zu verzeichnen. AVählen wir zum Vergleiche ein besonders charakteristisches und sicheres ravennatisches Beispiel, die Cathedra Maximiani zu Raveuna. Dabei sehen wir auch, wie die flotte gediegene Technik der Ravennaten in der Hand des langobardischen Schnitzers verrohte: und doch sind die charakteristischen Elemente nicht verschwunden. In der rohen Arbeit erkennen wir die Züge der Originale. Es ist ja eine interessante kunst- physiologische Thatsache, dafs die Kunstprodukte von roheren Völkern und als solche kann man doch sicher die Langobarden den Römern gegenüber be- trachten — mit einer gewissen ängstlichen, allerdings derben, Naturtreue den Vorlagen nachgebildet sind.

Die Cathedra desMaxiniianus^ß) des 556 gestorbenen Erzbischofs von Ravenna (in der Sacristei der dortigen Kathedrale) ist leider bis jetzt weder genau wissenschaftlich beschrieben, noch existiert eine stilistisch getreue Publikation sämtlicher Tafeln. Jedenfalls weist der Schmuck der Tafeln, ebenso wie die ganze, einen stark individuellen Charakter zeigende, ravenuatische Kunst mehr auf altchristlich-römische Vorbilder hin, wenn auch »byzantinische Einflüsse« hier nicht zu leugnen sind. Dafs die reiche Ornamentik des Stuhls auf »die Skulpturen der Sophienkirche zurückgeht«, wie aus'm Weerth (in Kraus Real- encyclop. L S. 401) will, ist meines Erachtens in dieser Fassung viel zu energisch zu Gunsten einer starken byzantinischen Beeinflussung gesprochen.

Die ravennatischen Schnitzereien am Maximiansstuhl, die offenbar auf ver- schiedene Hände zurückgehen, sind in einer frischen, flotten, beinahe möchte man sagen , impressionsistischen Technik ausgeführt. Kurze, tiefe energisch ausgeführte Striche charakterisieren die Gewandfaiten. Die Gesichter sind mit derber, etwas flüchtiger Art ausgeführt. Unter der stark gewölbten Stirne liegen unter den vorgebauten Brauen die Augen mit schweren gesenkten Ober- lidern. Kräftig sitzt der Kopf mit dem kurzen Halse auf dem gedrungenen Körper. Die Haare zeigen bei leiser Stilisierung eine gewisse, manchmal sogar übertriebene Sorgfältigkeit der Ausführung.

26) Eine Zusammenstellung der Literatur der Abbildungen möge hier folgen. West- Wood S. 31 ff. Nr, 8ä— 89. Mit photogr. Abbildung der Platte: Joseph von seinen Brüdern verkauft. Garrucci VI tavv. 414—422. Du Sommerard Atlas V und VJI Serie pl. XI. Phot. Ricci. Dahn, Urgeschichte der germanischen und romanischen Völker (Onken, Allgem. Gesch. II 2}, I S. 326. Weiss. Kostümkunde II S. 152 Fig. 73. Von Zahns Jahrb. I. 1868. S. 176 ff. Sehnaase IIP S. 219 f. R. d. Fleui-y, La Messe II. Tafel CLIV, CLY. Text S. 164.

In der Esposizione storica d'arte industriele in Mailand 1874 waren aus dem Besitze des Marchese Trotti ebenda 2 Tafeln ausgestellt, die ebenfalls von der Cathedra stammen ; sie stellen dar den Einzug in Jerusalem und die apokryphe Darstellung der Salome mit der ver- dorrten Hand. Katalog der Ausstellung S. 178 No. 42. Photogr. von S. Rossi Nr. 111 und 112.

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Ähnliche technische Einzelheiten zeigt allerging-s bedeutend verroht und abgeschwächt unsere Pyxis. Ein Zusammenhaüg zwischen ravennatischer und lang'obardischer Kunst ist übrigens infolge der historischen Verhältnisse so naheliegend, dafs das Fehlen eines solchen sehr überraschen würde.

Bereits oben sind wir zu dem Schlüsse gekommen, dafs die Pyxis als Weihwasserkesselchen gedient hat. Über die Form der altchristlichen und früh- mittelalterlichen Weihwassergefäfse vergleiche man Kraus, Realencycl. II. S. 979 f. und Otte, Handb. P. S. 261 f. und 393 f., sowie Rohault de Fleury, La Messe V. S. 171 ff. Tafel CDXXVII f.

Kraus hat die Vermutung ausgesprochen, dafs einige der erhaltenen Elfenbeinpyxiden (so z. B. die schöne Berliner Pyxis von der Mosel) höchst- wahrscheinlich als Weihwassergefäfse gedient haben könnten. Dasselbe scheint mir bei unserer Pyxis der Fall zu sein, denn nicht nur weisen die Spur eines henkelartigen Griffes, sondern auch die beiden njännlichen Personen, welche Aspergille tragen, darauf hin. Jedenfalls ist es sicher, dafs ein solches vas lustrale (aspersorium etc.)^'^) auch aus Elfenbein gebildet wurde, wenn auch erst aus späterer Zeit sichere Belege vorhanden siod. Hier möge eine kleine Gruppe zusammengehöriger Weihwasserkesselchen genannt werden, die ebenso wie unser Gefäfs nicht zu alltäglichem Gebrauche bestimmt waren das verhinderten schon die Gröfsenverhältnisse sondern bei feierlichen Anlässen, »z. B. wenn beim Eintritt in der Kirche Kaiser und Fürsten mit Kreuz, Evangelienbuch und Weihwasser empfangen wurden«. Die Elfenbeinkesselchen im Domschatz zu Mailand 28) und England ^9), sowie das achteckige Kesselchen im Aachener Domschatz^o) sind inschriftlich mit den Ottouen verknüpft (Otto III. f). Ihnen schliefst sich ein drittes an, ebenfalls ottonisch, was sich in der Kirche zu Cranenburg^^) bei Cleve befindet. Merkwürdig sind bei diesem Gefäfs die archaischen Typen (z. B. der erhängte Judas und die Wächter am Stabe), die auf ein Vorbild aus dem 6. 7. Jahrhundert zurückgehen könnten. Ein viertes Kesselchen, das sich in Lyon im erzbischöflichen Museum befindet (Gipsabgufs im bayerischen Nationalmuseum), ist nach Bock, aus'm Weerth und Graf 2^) eine moderne Fälschung.

Sonst wurden im Allgemeinen schon in der altchristlichen Zeit die cylin- drischen Pyxiden mit Deckel im liturgischen Gebrauche zur Aufbewahrung der

27) Bock, Mitt. C. K. V. 147, u. weitere Literatur. Die interessante Schilderung einer iil. Messe und Coinmunion, wobei ein tragbares vas aquae benedlctae erwähnt wird, aus dem Jahre 798 bei Mabillon Annal. Bened. 11, 332. Schlosser Karoling. Schriftquellen S. 262 Nr. 791.

28) Abb. Gori IV. 73, tav. XXV und XXVI. Agincourt Sculptur XII. 22/3. Mittteil. C. K. V. 1860, S. 147. Didron Annales archeol. XVII., 139.

29) Aus Hildesheim stammend, von Spitzer in Aachen nach England verkauft (South- Kensingtonmuseum ?). P. S. Käntzeler, eine Kunstreliquie des 10. Jahrb., 1856 abgeb. Förster, Denkm. der Baukunst etc. X, Bildnerei S. 6, Tafel 3 und 4. aus'm Weerth B. J. LVIII. 1876, S. 171.

30) Bock, Karls des Grofsen Pfalzkapelle etc. 1865, 1. S. 62 ff. mit Abb. Durand in Didrons Annales archeol. XXVI. S. 54 mit Abb. Voege, Malerschule etc. S. 15, Anm. 1 und 17 Anm. 1, wo weitere Literatur.

31) Publicirt und besprochen von aus'm Weerth in B. J. 58, S. 170 ff.

32) Bock, M. C. K. V. S. 147, f. aus'm Weerth a. a. 0. S. 171. Graf, Katalog des bayr. Nationalmuseums Bd. V. Roman. Altertümer 1890, S. 83, Nr. 562.

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heiligen Eucharistie verwendet. Diese Funktion übernahmen dann zum Teil die sog-enannten eucharistischen Tauben. (Die Literatur über die Pyxiden als Giborien siehe Fleurj'^ a. a. 0., Gorbiet Esai historique et liturg-ique sur les ciboires et la reserve de Teucharistie. Weiteres Giemen a. a. 0. S. 112, Anm. 264. Hahn, Fünf Elfenbeing-efafse etc. S. 1 Anm. Tauben: Schnütg-en, Bonner Jahrb. Heft 83, S. 201 ff. Fleury La Messe V. S. 82 ff.)

Aber nicht blos zu liturgischen Zwecken allein wurden die Pyxiden ver- wendet. Aus'm Weerth behauptet, anläfslich der Besprechung' der von ihm publicierten^^) Pyxiden zu Xanten und Werden, dieselben hätten in altchrist- licher Zeit zum Versand von Reliquien aus Byzanz und Italien nach dem Norden gedient. Hahn (a. a. 0. S. 5.) schliefst sich dieser Ansicht unbedingt an. In dieser Fassung- ist diese Theorie aber nicht zu halten, denn einerseits sind ja viele der hier in Betracht kommenden Pyxiden bei uns entstanden, oder sind nicht altchristlich ^), andererseits ist die Beschränkung' als Reliquienbehälter zu einseitig'. Gewifs wurden auch Reliquien in Pyxiden aufbewahrt. So citiert z. B. Barbier de Montault in seiner Abhandlung' über die Inventare der Kathe- drale zu Monza (a. a. 0. S. 466 und 470, Frisi III, 73) aus einem Schatzverzeichnis des 10. Jahrb., «buxa eburnea I dicunt cum reliquiis et inde dubitamus«, wobei wir den Zweifeln des Schreibers keinen grofsen Glauben beizumessen brauchen. Ein anderes Schatzverzeichnis derselben Kirche (a. a. 0. S. 314. Frisi III, 72) nennt »alveola I eburnea, in qua thus continetur<^ Ein im Berliner Staatsarchiv be- findliches Inventar des Trierer Domschatzes von Ostern 1238 ^^) erwähnt eine elfenbeinerne Pyxis mit Manna, sowie eine zweite elfenbeinerne Pyxis obne be- sonders angegebene Bestimmung. Beide Gefäfse wurden im bekannten Tragaltar des h. Andreas aufbewahrt vorgefunden.

Im Vatikau befindet sich eine Pyxis aus S. Ambrogio in Mailand 3^). Sie stammt ans dem 5. Jahrb. und wurde in späterer Zeit durch Hinzufügung eines Fufses und eines spitzzulaufenden Daches zu einer turris umgewandelt. Die Kirche zu Lavonte-Ghillac^'^) bei Le Puy besitzt zwei Pyxiden, welche ebenfalls in späterer Zeit auf diese eben angegebene Weise zu turres umgewandelt wurden. Neumann 38) erwähnt ebenfalls eine solche Pyxis mit später angesetztem Ständer.

Es liegt nun die Vermutung nahe, dafs unsere Pyxis ebenfalls in späterer Zeit in ähnlicher Weise umgeändert wurde. Ein Fufs ist allerdings nicht mehr vorhanden, aber es deuten darauf hin das runde Loch im Boden des Gefäfses

33) Kunstdenkmäler I, 2. p. 40. Tafel I, 1. 17 u. I, 2. p. 29.

34) Was schon von Quast anläfslich der Besprechung der aus'm Weerth'schen Aus- führungen über die Xantener Pyxis konstatierte. Zeitschrift für christliche Archäol. und Kunst II, 190.

35) Mitteilungen aus dem Gebiet der kirchlich. Archäol. u. Gesch. d. Diöcese, Trier II, 1860. S. 123 ff.

36) Fleury, La Messe V. pl. CCCLXVI u. Text. S. 63. Agincourt Sculptur t. XII. 2, 3, 4 als noch in Mailand befindlich erwähnt. Westwood, S. 273, 343. Photogr. v. Simelli in 3 Teilen. Nach obigen Mitteil, sind die Angaben bei Kraus R. E. I, 404 und Westwood, S. 274, wo von zwei verschiedenen Gefäfsen gesprochen wird, zu berichtigen.

37) Abb. Fleury La Messe V, pl. CCCLXVI/VII u. Text, S. 63. Giemen a. a. 0. S. 112.

38) Neumann. Der Reliquienschatz des Hauses Braunschweig-Lüneburg 1891. S. 301 f. mit Abb.

So- und die Verschlufsreste, wie sie oben bereits beschrieben wurden. Diese Reste lassen bezüg-lich der früheren Verwendung nur an einen Bronzeherikel denken, wie ihn die Weihwasserkesselehen besafsen. Aufg-ehäng-t ist das Gefäfs nie gewesen, weil man solche Geg'enstände stets an drei Kettchen aufzuhängen pflegte.

Als Hauptscene des Bilderkreises auf dem Mantel der Pyxis ist entschieden der lehrende Christus mit einem Evangelisten auf je einer Seite anzusehen. Denn als Evangelisten hat man analog ähnlichen Darstellungen diese en face gebildeten tonsurierten Gestalten anzusehen. Stilistisch vergleiche man den Christus mit dem auf dem Pemmoaltar ^s), ebenso wie die Evangelisten mit den Engeln dort: dieselbe Bildung von Kopf, Auge, Nase, Mund und Hals; ferner gleichen sich der Nimbus, der Habitus des Sitzens, (Füfse auf Zehenspitzen).

Als zweite Hauptscene ist die Verkündigung anzusehen. Der Einflufs der apokryphen Schriften, besonders der Evangelien des christlichen Altertums aut die altkirchliche Kunst, wurde zwar früher schon einzeln von verschiedenen Ge- lehrten hervorgehoben, aber eine systematische, zusammenfassende Untersuchung dieser hochwichtigen Frage in Bezug auf die Evangelien verdanken wir erst de Waal^o). Von den unter apokryphen Einflufs entstandenen Scenen ist in erster Linie die Verkündigung zu nennen. Nach dem apokryphen Bericht: »contigit autem, ut purpuram acciperet ad velum templi. Domini . . . iterum tertia die dum operaretur purpuram digitis suis, ingressus ad eam iuvenis« (de Waal a. a. 0. S. 178), wird Maria mit den zum Weben gehörigen Gerätschaften und den Tuchstreifen abgebildet. Die erste Abbildung dieser Scene finden wir auf den unter Papst Sixtus III (432 443) ausgeführten Mosaiken am Triumph- bogen in St. Maria Maggiore. Sodann stellt die ravennatische Kunst ein starkes Kontingent zu den Darstellungen dieser Scene (Kathedra des Maximin; Buch- deckel "in Paris, Garrucci Tafel 458. Labarte I^ S. 112. Giemen a. a. 0. S. 117. Westwood, S. 45. No. 108, 109; sitzende Maria, spinnend, mit Korb neben sich auf einem ravennatischen Sarkophage, Anfang des 5. Jahrb., Ravenna bei der Kirche S. Niccolö degli Agostiniani. Vor ihr der geflügelte Engel mit Stab. Abb. Liell Darstellungen der Jungfrau Maria. S. 214, vgl. Garrucci tav. 344). Nur müssen wir bei diesen Darstellungen ikonographisch scheiden: einerseits sitzt die Madonna vor ihrem Hause, mit Spinnen beschäftigt, vor sich einen Korb, anderseits finden wir sie stehend neben den eben verlassenen Stuhl *^). Die Darstellungen des Erzengels Gabriel mit dem Stab bei der Verkündigung treten nach Kraus erst seit dem 6. Jahrb. auf^^). Ferner gehört auf der Pyxis mit zur Darstellung die von rechts auf Maria zugehende, ihr einen Gegenstand offerierende Figur. Es ist eine ungeflügelte nimbirte Gestalt. Hier haben sich wohl in mifsverstandener Weise zwei Vorstellungen verschmolzen: einerseits

39) in St. Martin zu Cividale. Abb, Dartin, Etüde sur larchitectiire Loiubarde, Reber Kunstgesch. d. M. A. S. 206,'7. Lübke, Gesch. d. d. K. S. 31. Schnaase III 2 S. 578. Eitel berger Jahrb. d. k. k. G. K. IV. S. 245. Rohault de Fleury La Messe I. Tafel LXXII. Text S. 170.

40) Dr. de Waal. Die apokryphen Evangelien in der altchristlichen Kunst. Römische Quartalschrift I 1887. S. 173 ff. Nachtrag ebenda S. 272.

41) vgl. die Belege bei de Waal a. a. 0. S. 179.

42) Kraus R. E. II. S. 778. In die Fassung zu spät datiert, vgl. den oben erwähnten ravennatischen Sarkophag vom Anfange des 5. Jahrh.

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scheint die Anbetung- der Magier, anderseits die schon in den Katakomben übHche Darstellungs weise eingewirkt zu haben, bei der Verkündigung- mehrere Engel anwesend sein zu lassen. So finden wir in den Katakomben der heil. Domitilla bei der Verkündigung drei Engel ohne FlügeH^), während ein Mosaik in S. Maria Maggiore drei Engel mit Flügel aufweist^).

Für unsere Darstellung scheinen ravennatische Vorbilder (in Elfenbein) vorgelegen zu haben. Das beweist ein Vergleich mit den oben erwähnten ravennatischen Darstellungen. Die ganze Anordnung der Gewandung, des Kopf- tuches sprechen ferner dafür. Das Diptychon von Rambona, sicher ebenfalls nach einem ravennatischen Elfenbeindeckel gearbeitet, zeigt in der Maria unter dem Kreuz eine überraschende Ähnlichkeit mit unserer Madonna. Man vergleiche die Abb. bei Westwood, S. 56/7 mit unserem Lichtdruck der Verkündigung, (Kopftuch, Grewandung*^).

Die beiden Figuren links und rechts von den Evangelisten mit den Asper- gillen sind schwer zu deuten. Der eine ist wohl ein König, (vgl. d. Abb. S. 32,) nach der Krone zu schliefsen, der andere scheint, wie seine Kopfbedeckung wahr- scheinlich macht, ein Bischof zu sein.

Das Weihwasser ^6) spielte schon in dem Kultbedürfuis der Griechen und Römer eine grofse Rolle Mit einem Weihwedel, d. h. einem heiligen Zweige des Lorbeer- und Ölbaumes, der Eiche, -Myrte, Rosmarin oder Wachholder, der unter dem Gollectivbegriff verbena zusammengefafst wurde, besprengte mau. Erst später kam der Name aspergillum, aspergile, aspersorium auf und die Weihwedel wurden künstlich hergestellt. Rofshaaraspergille kannten übrigens schon die Römer (vgl. Abb. eines solchen Pfannenschmid a. a. 0. S. 33). Das Weihwasser war ebenfalls als Sprengwasser bei ihren heiligen Geremonien schon bei den Germanen sehr beliebt und erhielt sich auch nach der Ghristianisierung. Die heidnischen Langobarden machten z. B. beim Opfern einen grofsen Gebrauch von W^eihwasser, sie bestrichen die heil. Opfergerätschaften, die Opfertische und die heil. Bäume *'^). Der langobardische Goldschatz bei Gavaliere Rossi in Rom^^), welcher wohl zwischen 7o2 und 770 für Erzbischof Sergius von Ravenna ge- fertigt wurde, und zwar als Geschenk einer von ihm getauften langobardischen Fürstin, zeigt häufig Figuren mit Palmblättern und Gefäfse mit Taufwasser. Die Palmblätter repräsentieren also hier noch die frühere Form der Aspergille. Es ist damit auch hier eine Vorliebe für die Weihwasserceremonie und eine starke Betonung des Taufaktes zu verzeichnen. Daher liegt die Vermutung nahe,

43) de Rossi Bullett. 1879. p. 94. tav. I, II. Liell Darstellungen etc. Abb, S. 211 u. f. Ende saec 4.

44) Liell a. a. 0. S. 212.

45) Ähnliche Gewandung und Kopftuch siehe Altarplatte vom Peuiuioaltai- in Cividale saec VIII. Abb. siehe Anm. 39.

46) H. Pfannenschmid. Das Weihwasser im heidnischen und christlichen Cultus etc. 1869. S. 25. S. 33 u. a. a. 0. m.

47) Mone, Geschichte des Heidentums II, 199. Pfannenschmid a. a. 0. S. 115.

48) de VVaal. Römische Quartalschrift I, S. 272. II, S. 148 ff. Tafel 2, 3. III. S. 66 ff. Tafel 2, 3, 4, 7, 8. Giemen a. a. 0. S. 44 u. Anm. 106. Die auf dem letztjährigen Kongrefs christlicher Archäologen zu Salona geäufserten Bedenken über dessen Echtheit sind wohl gänzlich unbegründet. ^

auch in unserer Pyxis die Reminiscenz an eine langobardische Taufe, wenn auch vielleicht nur in Form einer abgeschwächten Kopie, zu erblicken.

Die Art und Weise, wie die beiden Fig-uren den Stiel der Aspergille um- fafst halten, erinnert sehr an eine vielumstrittene Darstellung, der wir häufig in der frühmittelalterlichen irischen Buchmalerei begegnen *9). Ich erwähne hier mehrere Belege im Book of Keils und den bekannten Tetramorph von der irischen Hand im Evangeliar 134 der Trierer Dombibliothek (Abb. Westwood pl. 20 und Lamprecht, Initialornameutik). Hier hält der Matthäus des Tetramorph den Stiel eines Gegenstandes in der Hand, der oben in einen sonuenblumen- artigen Stern endet. Westwood, Kraus s'') und Rohault de Fleury denken ganz richtig an ein flabellum. Bei unserer Pyxis ist nun an ein flabellum nicht zu denken, wie schon ein Vergleich mit den bei Fleury ^^) abgebildeten Exemplaren beweist. Aufserdem spricht ganz deutlich für ein aspergillum die kreuzweise Schraffierung des Kopfes, die bei dem Bischof noch' deutlich erhalten ist, während sie bei dem Könige etwas abgescheuert ist.

Y-"^'^5s^

Es bleiben uns noch zwei Figuren übrig. Einerseits der Priester ^2) mit dem Scepter, andererseits der thronende König (?), der ebenfalls ein Scepter trägt. Die Darstellung eines Priesters oder Bischofs mit solchem Scepter in der früheren Kunst war nicht aufzufinden, dagegen begegnen wir auf laugobardischen Gold- münzen (z. B. des Aribert) solchen Sceptern, (vgl. Henne am Rhyn. Deutsche Kulturgesch. 1 2, S. 83. Abb. nach Originalen des Berliner kgl. Münzkabinets). Ferner weist eine Handschrift der »Leges Langobardorum« in la Cava, die auf ein Original vom Anfange des 9. Jahrh. zurückgeht, ein analoges Scepter in der Hand des »Rachis rexe« auf Die Miniatur ist überhaupt charakteristisch lango- bardisch. (Abb. Hefner-Alteueck Trachten etc. P, Taf. 16. Text S. 11 und MM. G. LegesIV.) Und trotzdem ist nicht zu zweifeln, dafs wir einen Priester vor uns haben. Seine Tonsur beweist es. Dieselbe entspricht in ihrer Form sie erstreckt

49) Westwood, Anglosaxon and irish manuscripts. Appendix S. 153, vgl. meine dem- nächst erscheinenden »Beiträge zur Geschichte der frühmittelalterlichen Buchmalerei Triers«, wo weitere Ausführung und Literaturangaben.

50) Realencyclop. I, 329. 51j Rohault de Fleury, La Messe VL tav. 489 bis ff.

52) Oben S. 23 aus Versehen als ein »nach rechts gehender König, dessen Krone ähnlich ist der des sitzenden Königs« bezeichnet. Ich bitte danach zu berichtigen.

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sich bis in die Mitte des Kopfes der auf den ravennatischen Mosaiken und Elfenbeine 53^. Er mag- in Verbindung stehen mit der Taufscene, wofür auch sein Festg-ewand spricht.

Am ungezwungensten reiht sich dieser Taufscene die sitzende Figur ^) (vgl. die Abb.) an, wenngleich als Vorbild für dieselbe eine Darstellung des König Hero- des gedient haben mufs. Der Stuhl hat noch eine alte Form. Ähnliche Darstell- ungen finden sich auf der Pyxis No. 1 bei Hahn (a. a. 0.), auf der einen Pyxis zu Lavoute-Chillac (s. o.) und auf der Maximians-Cathedra (Pharao und der traum- deutende Joseph; Garrueci tav. 421 ^). Ferner erwähne ich noch der grofsen Ähn- lichkeit wegen den sitzenden Herodes auf einem nordfranzösisch-karolingischeu Elfenbeinkästchen im Louvre, das unter starkem angelsächsischen Eintlufs ent- standen ist 55).

Der Goldschatz bei Rossi weist häufig eine ähnliche Kopfbedeckung auf, wie der Bischof mit dem Aspergill, nur ist das Kreuz, was dieselbe dort trägt, hier nicht genau zu erkennen, und vielleicht abgescheuert. Auch in der Ge- wandung finden sich verschiedene Übereinstimmungen. Ferner wurde schon die Ähnlichkeit der Figuren erwähnt, die unsere Pyxis mit den Skulpturen des Pemmoaltars aufweist.

Der dekorative Schmuck der Pyxis Ist vollkommen langobardisch. Schon oben wurde auf die langobardische Eigentümlichkeit hingewiesen, der ziemlich runden Blattranke an den Blattansätzen verkuppelnde Querriegel anzusetzende). Ferner war sehr beliebt der Eierstab, allerdings in etwas barbarisierter Form, vgl. z. B. das Ciborium in San Giorgio di Valpolicella (Giemen a. a. 0. S. 79). Er mag in dieser Form auf ravennatische Vorbilder zurückgehen, wie z. B. an einem Altar des 7. Jahrb. in San ApoUinari in Classe (Abb. Rohault de Fleury La Messe I. Tafel XXX).

Ein Vergleich mit all dem obenangeführten Beweismaterial, besonders mit den Rambonatafeln und dem Peminoaltar, zwingt uns, die Pyxis in die W^ende des 8. und 9. Jahrb. zu setzen. Sie mag in der Nähe der Rambonatafeln ent- standen sein.

Den Hauptwerken der ungefähr gleichzeitigen langobardischen Kunst gegen- über ergeben sich einige ganz interessante allgemeine Beobachtungen. Die Dar- stellungen des Goldschatzes bei Rossi lehnen sich vielfach au den antik-christ- lichen Bilderkreis an häufiges Vorkommen des Fisches und der ürante allein manche Ideen sind durchaus neu und ohne jede Parallele zu anderen

53) La Messe VIII. pl. DCLXX.

54) eine Krone scheint er nicht zu tragen; die kräftige in einzelne Büschel abteilende Haarbehandlung liefs dies allerdings zuerst (vgl. oben Anmerkung 10) so erscheinen.

55j Westwood, S. 230 f. Labarte P. Tafel VIU. S. 42. VieUeicht zu der von Giemen a. a. 0. S. 123 f. erwähnten Schule gehörig.

56) vgl. Giemen a. a. 0. S. 109. Anm. 225. vgL die Literatur ebenda, auch am Pemmo- altar findet man dies Motiv. Ahh. Dahn a. a. 0. S. 266.

Ähnliches findet man an Reliefs von Ghorsrhränken, an Altären von Ravenna bis nach Gividale, an architektonischen Details, z. B. an den Plutei des Sigualdo (762—776) und Ratchis (744—749) in Gividale, Abb. d. ersteren Giemen a. a. 0. S. 78. Man vergleiche Cattaneo Larchitettura in Italia dal secolo VI all mille circa 1889 und Dohme, Die Baukunst des Mittelalters in Italien I. 1894. S. 197, 269, 275, 276, 292, 295, und wird auf viel verwandtes stofsen. Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. V.

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christlichen Bildwerken des Altertums. Das Diptychon von Rombona ist eben- falls hochinteressant. Es zeigt eine g-anze Musterkarte von Stilmischung-en, ein naives, aber kraftvolles Tasten nach Neuem. Ravennatische Elemente (die Engel mit dem Medaillon) verbinden sich mit byzantinischen (Cherubim und zweimaliges Vorkommen des griechischen Segensgestus) und antik-römischen (sol und luna, lupa mit Romulus und Remus) und trotzdem ist das Werk echt langobardisch, national in der Linienführung, den Gestalten und Kopftypen.

Bei längerem Betrachten machen diese rohen Werke einen erfreulichen Eindruck. Vielleicht bewirkt dies die ehrliche geistige Arbeit, das Ringen, welches in ihnen steckt. Die unverbrauchte Naturkraft dieser Künstler warf sich mit aller naiven Leidenschaftlichkeit auf das Christentum. Die neuen herrlichen Lehren drängten sie nach künstlerischer Gestaltung. So ist das starke Betonen des Taufritus, des Fisches auf dem de Rossi'schen Goldschatz zu erklären; da- durch linden wir die Lösung der tiefsinnigen Symbolik der Rambonatafeln, welche schon Martigny^') zu deuten versuchte, und auch die Erklärung unserer Pyxis ist dadurch erleichtert worden. Bei aller Roheit der Ausführung: die Arbeit eines nationalen langobardischen Künstlers ist die Pyxis trotzdem.

Edmund Braun.

Ein Lobspriich anf das Kammacherhandnerk Ton Thomas Grillenmair

und Wilhelm Weber.

Is eine Ergänzung zu meinem im vorigen Jahrgang (1894) der Mitteilungen veröffentlichten Aufsatz über »Spruchsprecher, Meistersinger und Hoch- zeitlader vornehmlich in Nürnberg« sei an dieser Stelle noch ein Spruch- gedicht mitgeteilt, das sich in der Lade der Nürnberger Kammacher, die bei Auflösung der alten Innungen mit zahlreichen anderen Laden im Germaniseben Museum deponiert wurde, vorgefunden hat. Es ist ein Lobspruch auf das ehr- same Kamraacherhaudwerk, ohue Zweifel der Form nach zum guten Teil von Wilhelm Weber herrührend, der sich am Schlufs in der von ihm beliebten Weise nennt. Ich finde denselben weder in Holsteins Aufsatze über Leben und Werke Wilhelm Webers (Zeitschrift für deutsche Philologie Bd. XVI, S. 16ö ff.) noch sonst in der einschlägigen Litteratur irgendwo erwähnt. Doch nicht nur aus diesem Grunde wird ein Hinweis auf das neu aufgefundene Opus des Nürn- berger Spruchsprechers und die Mitteilung des Spruches gerechtfertigt erscheinen; auch inhaltlich ist er in mehr als einer Beziehung von Interesse.

Die lange Blütezeit des deutschen Handwerks, die etwa die zweihundert Jahre von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts umfafst, hat der- artige Gedichte zu Lob und Ehren eines einzelnen Handwerks, einer Zunft oder Genossenschaft in grofser Zahl hervorgebracht. Anfänglich wird dabei noch zuweilen der Versuch gemacht, das gespendete Lob eingehender zu begründen, es herrscht in den frühesten Gedichten dieser Art ein gewisser kampflustiger Ton: das betreffende Handwerk soll das älteste, das beste und nützlichste aller

S7) Dict. d, antiq. ehret, p. 195. vgl. auch Westwood. S. 56. Anin. 1.

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Gewerbe sein, die übrig-eu ihm g-egenüber herabgedrückt werden. So wird beispielsweise in einem Meistergesänge zum Lob des Schmiedehandwerks, der wahrscheinlich aus dem Ende des 13. oder Anfang-e des 16. Jahrhunderts stammt und uns in der sog-enannten Naglerschen Meisterliederhandschrift ^) aufbewahrt ist, der Beweis, dafs »schmidwerck« älter sei als »kürssen werck«, dem doch Manche die Priorität zuerkennen möchten, in folgender Weise geführt:

(3. Gesätz, 2. Stollen)

Nun spricht manig gelerter man: kürssen werck sey das erste, der doch schmidwerck darzw mus han. noch glaub ich aller serste^), das meczler werck dar vür hab er, wan pelcz kümen von schoffen her; noch glaubt für bar: an schmidwerck sis nit taten,

worauf dann der Abgesang die Lobeserhebungen wieder aufnimmt:

Dar vrab ich schmidwerck preis vnd lob, wan es lig allen hendeln ob kunstreich, subtil, glenczlich vnd grob; stein mezig stein, gold schmidwerck rein, munczer, moller an alless nein und rot schmit, schreiner, wer sie sein, kaufleut, musgener^) al gemein, spiller, plint pettler, was er kan: wenn nit des loches nücz erfrew, got offen par, sol er mein furpas spotten!

Später nehmen diese Gedichte dagegen immer mehr eine stereotype Form an, wie denn auch ihre Verfertigung allmählich so gut wie ganz in die Hände berufsmäfsiger Reimer, in Nürnberg der Spruchsprecher, übergeht, die sich in der Regel darauf beschränken, das Handwerk oder die Genossenschaft, um die es sich handelt, in der hergebrachten Art herauszustreichen. Ich habe am an- gegebenen Orte im Anschlufs an den Lobspruch Wilhelm Webers von den Hochzeitladern und Leidbittern bereits kurz auf die Anlage der meisten dieser Gedichte hingewiesen, und ebendieselbe Anordnung (Spaziergang, Zusammen- treffen mit ein paar Meistern des Handwerks, Mitteilungen über letzteres und zwar über die Erzeugnisse desselben, sein hohes Alter, seine grofse Bedeutung, das Ansehen, das es bei Vornehm und Gering geniefst, sowie schliefslich über die Organisation und den gegenwärtigen Stand gemäfs der Handwerksordnung) weist auch das vorliegende Spruchgedicht auf. Nach der Jahreszahl 1637, die

1) cod. berol. germ. 414 Bl. 294. Anfang: »Zu nennen hie das niiczest loch« (ge- meint ist das »wintloch, dardurch die plaspelg plassen«).

2) So. Der Sinn ist: Dann glaube ich noch eher.

3) Müfsiggänger"?

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christlichen Bildwerken des Altertums. Das Diptychon von Rombona ist eben- falls hochinteressant. Es zeigt eine ganze Musterkarte von Stilmischungen, ein naives, aber kraftvolles Tasten nach Neuem. Ravennatische Elemente (die Engel mit dem Medaillon) verbinden sich mit byzantinischen (Cherubim und zweimaliges Vorkommen des griechischen Segensgestus) und antik-römischen (sol und luna, lupa mit Romulus und Remus) und trotzdem ist das Werk echt langobardisch, national in der Linienführung, den Gestalten und Kopftypen.

Bei längerem Betrachten machen diese rohen Werke einen erfreulichen Eindruck. Vielleicht bewirkt dies die ehrliche geistige Arbeit, das Ringen, welches in ihnen steckt. Die unverbrauchte Naturkraft dieser Künstler warf sich mit aller naiven Leidenschaftlichkeit auf das Christentum. Die neuen herrlichen Lehren drängten sie nach künstlerischer Gestaltung. So ist das starke Betonen des Taufritus, des Fisches auf dem de Rossi'schen Goldschatz zu erklären; da- durch linden wir die Lösung der tiefsinnigen Symbolik der Rambonatafeln, welche schon Martigny ^'^) zu deuten versuchte, und auch die Erklärung unserer Pyxis ist dadurch erleichtert worden. Bei aller Roheit der Ausführung: die Arbeit eines nationalen langobardischen Künstlers ist die Pyxis trotzdem.

Edmund Braun.

Eiu Lobspriich auf das Kammacherhaiidwerk Ton Thouias Grillenmair

und Wilhelm Weber.

jls eine Ergänzung zu meinem im vorigen Jahrgang (1894) der Mitteilungen veröffentlichten Aufsatz über »Spruchsprecher, Meistersinger und Hoch- zeitlader vornehmlich in Nürnberg« sei an dieser Stelle noch ein Spruch- gedicht mitgeteilt, das sich in der Lade der Nürnberger Kammacher, die bei Auflösung der alten Innungen mit zahlreichen anderen Laden im Germanischen Museum deponiert wurde, vorgefunden hat. Es ist ein Lobspruch auf das ehr- same Kammacherhandwerk, ohne Zweifel der Form nach zum guten Teil von Wilhelm Weber herrührend, der sich am Schlufs in der von ihm beliebten Weise nennt. Ich finde denselben weder in Holsteins Aufsatze über Leben und Werke Wilhelm Webers (Zeitschrift für deutsche Philologie Bd. XVI, S. 165 ff.) noch sonst in der einschlägigen Litteratur irgendwo erwähnt. Doch nicht nur aus diesem Grunde wird ein Hinweis auf das neu aufgefundene Opus des Nürn- berger Spruchsprechers und die Mitteilung des Spruches gerechtfertigt erscheinen; auch inhaltlich ist er in mehr als einer Beziehung von Interesse.

Die lange Blütezeit des deutschen Handwerks, die etwa die zweihundert Jahre von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts umfafst, hat der- artige Gedichte zu Lob und Ehren eines einzelnen Handwerks, einer Zunft oder Genossenschaft in grofser Zahl hervorgebracht. Anfänglich wird dabei noch zuweilen der Versuch gemacht, das gespendete Lob eingehender zu begründen, es herrscht in den frühesten Gedichten dieser Art ein gewisser kampflustiger Ton: das betreffende Handwerk soll das älteste, das beste und nützlichste aller

S7) Dict. d. antiq. cbret. p. 195. vgl. auch Westwood. S. 56. Anm. 1.

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Gewerbe sein, die übrigen ihm g-egenüber herabgedrückt werden. So wird beispielsweise in einem Meistergesänge zum Lob des Schmiedehandweri^s, der wahrscheinlich aus dem Ende des 13. oder Anfange des 16. Jahrhunderts stammt und uns in der sogenannten Naglerschen Meisterliederhandschrift i) aufbewahrt ist, der Beweis, dafs »schmidwerck<( älter sei als »kürssen werck«^ dem doch Manche die Priorität zuerkennen möchten, in folgender Weise geführt:

(3. Gesätz, 2. Stollen)

Nun spricht manig gelerter man: kürssen werck sey das erste, der doch schmidwerck darzw mus han. noch glaub ich aller serste^), das meczler werck dar vür hab er, wan pelcz kümen von schoffen her; noch glaubt für bar: an schmidwerck sis nit taten,

worauf dann der Abgesang die Lobeserhebungen wieder aufnimmt:

Dar vmb ich schmidwerck preis vnd lob, wan es lig allen hendeln ob kunstreich, subtil, glenczlich vnd grob; stein mezig stein, gold schmidwerck rein, munczer, moller an alless nein und rot schmit, schreiner, wer sie sein, kaufleut, musgeuer^) al gemein, spiller, plint pettler, was er kan: wenn nit des loches nücz erfrew, got offen par, sol er mein furpas spotten!

Später nehmen diese Gedichte dagegen immer mehr eine stereotype Form an, wie denn auch ihre Verfertigung allmählich so gut wie ganz in die Hände berufsmäfsiger Reinier, in Nürnberg der Spruchsprecher, übergeht, die sich in der Regel darauf beschränken, das Handwerk oder die Genossenschaft, um die es sich handelt, in der hergebrachten Art herauszustreichen. Ich habe am an- gegebenen Orte im Anschlufs an den Lobspruch Wilhelm Webers von den Hochzeitladern und Leidbittern bereits kurz auf die Anlage der meisten dieser Gedichte hingewiesen, und ebendieselbe Anordnung (Spaziergang, Zusammen- treffen mit ein paar Meistern des Handwerks, Mitteilungen über letzteres und zwar über die Erzeugnisse desselben, sein hohes Alter, seine grofse Bedeutung, das Ansehen, das es bei Vornehm und Gering geniefst, sowie schliefslich über die Organisation und den gegenwärtigen Stand gemäfs der Handwerksordnung) weist auch das vorliegende Spruchgedicht auf. Nach der Jahreszahl 1657, die

1) cod. berol. germ. 414 Bl. 294. Anfang: »Zu nennen hie das nüczest loch« (ge- meint ist das »wintloch, dardurch die plaspelg plassen«).

2) So. Der Sinn ist: Dann glaube ich noch eher.

3) Müfsiggänger?

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es trägt, steht es ganz am Ende des oben bezeichneten Zeitraums. Dafs aber die Stürme des dreifsigjährigeu Krieges, die zugleich mit dem Wohlstande unseres Vaterlandes, auch der Blüte des deutschen Handwerks ein Ende be- reiteten, die Sitte der Lob- und Ehrensprüche von der eben skizzierten Art nicht sogleich mit ausrotten konnten, zeigl. die bekannte Stelle im zweiten Kapitel des 1669 erschienenen I. Teiles von Griramelshausens Simplicissimus, wo das überschwengliche Lob des Hirtenstandes augenscheinlich seine satyrische Spitze gegen jene ernstgemeinten Handwerkslobsprüche richtet. Möglich, dafs dieser Hinweis auf die Absurdität solcher Erzeugnisse nicht unwesentlich zu allmählicher Abschaffung des alten Brauches beigetragen hat.

Aufser dem Namen Wilhelm Webers weist nun aber der vorliegende Lob- spruch noch den eines anderen Autors auf; Vers 94 f. nämlich heifst es:

Thomas Grillmair dichts ohn beschwer, des Hanndwercks auch Kammacher

und es ist somit kein Zweifel, dafs ein älteres Gedicht von Grillenmair dem Spruchgedichte Webers zu Grunde liegt. Andererseits aber trägt der Spruch so ganz den Charakter Wilhelm Weberscher Poesie, dafs wir wohl nicht fehl gehen mit der Annahme, es habe eine gründliche Umarbeitung des älteren Ge- dichtes stattgefunden. Wenn demnach auch die künstlerische Qualität Grillen- mairs, über dessen Leben und Wirken als Meistersinger, Komödiant und Hoch- zeitlader ich a. a. 0. einige Notizen gegeben habe, einigermafsen im Dunkeln bleibt, so zeugt doch für das Ansehen, dessen er sich wenigstens unter seinen Berufsgenossen als Dichter erfreut hat, der Umstand, dafs noch 26 Jahre nach seinem Tode Grillenmair starb 1631 ein Gedicht von ihm, vermutlich in der Handwerkslade, verwahrt wurde und Wilhelm Weber als Grundlage zu einem regelrechten Lobspruch auf das Kammacherhandwerk dienen konnte. Nicht unwichtig ist dabei auch, dafs der ältere Dichter selbst Kammacher ge- wesen war, und wir daher den in dem Gedicht enthaltenen technischen Mit- teilungen, insbesondere über die zur Verwendung kommenden Werkzeuge, durchaus die Bedeutung fachmännischer Äufserungen aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts beilegen dürfen. Es wird kaum überraschen, dafs Benennung und Gebrauch der Instrumente, die aufgezählt werden, heute noch zum grofsen Teil ganz ebenso ist, wie vor fast dreihundert Jahren ; und nur wo in unserem Jahrhundert die Dampfmaschine die Funktionen des einen oder anderen Hand- werkszeuges übernahm, ist auch der Name für letzteres allmählich in Vergessen- heit geraten, verloren gegangen. Ich verdanke einige sehr willkommene Be- lehrung über diesen Gegenstand Herrn Kammfabrikbesitzer Probst hierselbst, auf dessen Mitteilungen die in den Anmerkungen beigefügten Erklärungen zu- meist beruhen. Im Übrigen ist von einer Verwertung Dessen, was das Gedicht enthält, für nationalökonomische Zwecke Abstand genommen worden.

Auf Pergament kaligraphisch geschrieben, im ganzen fünf Folioseiten umfassend, auf deren jeder die Schrift von zwei parallelen roten Linien einge- rahmt wird, so liegt der Lobspruch vor uns und so war er von Wilhelm Weber den Kammachern »in ihre Lade verehrt« worden zum Dank für das silberne Schildchen, welches ihm das ehrbare Handwerk an seinen Spruchsprecherstab

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cresLiftet hatte. In lier Regel haben sich derartig-e Sprüche nur in Abschriften erhalten, während wir es hier also mit einem Original /u thun haben.

Ich erteile nunmehr dem alten Poeten selbst das Wort, indem ich nur noch bemerke, dafs der Abdruck des Gedichtes buchstäblich genau erfolg-t und nur die Interpunktion eine Modernisierung' erfahren hat.

Ein Schöner Spruch zu Ehrn vnd wollgefallen auffgesetzt dem Erb am vnd löblichen Handwerck der Kammacher alhie in

Nürnberg.

Einesraals safs ich in meinem Haufs,

war vnlustig vberaus, ICh Fandasirt, gieng für das' Thor; alls icb mich vmbsahe daruor, 5 Sähe icb von weiden Männer gehen, ICh eilt ihn nach, ihr waren zwen, Ich grüst sie, sie danckten mir schan, Ich sprach: »darff ich ein weil mit gähn?« Sie sprachen: »Ja, kompt nur herbey, 10 Die Strassen ist eim Jeden Frey«. Wir reden von allerley dingen, Endlich sie beede auch anfiengen Vnnd theten sie*) gar Hart beschwern, wie die Hörner so theuer wern. 15 In dem Reden thett ich erfahrn. Das sie allbeid Kammacher warn. Ich sprach: »ich verwunder mich hoch, Das sich das Hörn lest Zwingen doch. Eins thails so vngeschlacht vnd krum 20 Soll so geradt werden Widerumb«. Das ein war gar ein feiner Mann, gab mir auff all frag antwort schon, [IbJ sprach: »wenn wir könnten kauffen ein.

Das denn Hanndwerckh möcht nützlich sein. io So wern wir gar wol gemuth; darzu wer die schrot segen gut, Feuer, wasser vnnd richteissen, Der Örtersegn mufs man sich fleissen, Bhau vnnd schabmesser, auch bestofsfeilln 30 Vnnd auch noch mehr werckhzeug zuweillu, Hornfleiln [so!], spitzfeiln, mödel vnd segn die raufs mau haben allewegn, Auch schabmesser zu denn aufsbreitten. Den geigentiltz kan man uit meitteu, 35 Das^) werden glentzet Durchaufs,

4) »sie« steht bekanntlich häufig für »sich«.

5) = dal's sie.

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Bis mans den Kauffman treg-t zu Haufs^). Doch sein der Kämm nicht einerley, der g:attung sein noch viel darbey:

Zwyzänet, gockeifslein, bandbalber [so!] vnd 40 dreyeckeckete [so!] andere zur stundt, Bart kämm von Hörn vnd Helffant bein AVerden künstlich durchbrochen Rein'')«.

6) vgl. Abbildung Der Gemein-Nützlichen Haupt-Stände etc. von Christoff Weigel in Regenspurg 1698, S. 454: »Der Werkzeug, den sie [die Kammacher] hiezu [bei ihrem Hand- werk] gebrauchen, sind die Schrot- und Oerter-Säge. womit sie das Elfenbein so dinn als ein Papier zu schneiden wissen, der Schraub-Stock und die Kluppen, die Kämme darein zu spannen. Das Behau- und Schab-Messer, die Bestofs- Hörn- Pfropff- und Spitz-Feile, wovon die erste auf gantz besondere Art gehauen, und eine derselben allein zwey bis drey Pfund wieget, wie auch endlich die Filtz-Geige. um die Kämme auf selbiger schön zu polliren und gläntzend zu .machen.« Es folgen sodann Mitteilungen über die »Hornrichter«, die »mit denen Kamm-Machern in einer Zunfft sich befinden, und mit ihnen zu heben und zu legen pflegen». Dementsprechend sind denn auch in unserem Gedicht die Thätigkeiten Beider, der Kammacher und der Hornrichter. nicht von einander geschieden. Der Gang der Darstellung folgt ungefähr dem Gange der Verarbeitung des Rohmaterials bis zur Fertigstellung eines Kammes. Zunächst werden die Rindshörner, die zumeist verwandt werden, vermittelst der »Schrotsäge« -- so heifst noch heute die Zirkulai-säge , deren man sich wohl erst seit dem Aufkommen des Dampfbetriebes bedient der Quere nach in zwei oder drei Stücke, »Schrote«, zersägt. Dann Averden diese Stücke in kochendem Wasser und über einem offenen Feuer erweicht, um hierauf mit dem Richteisen der Länge nach gespalten und ausgebreitet zu werden. Mit der Ortersäge, heutzutage ebenfalls eiae durch Dampf getriebene Zirkular- säge, wird dann die so entstandene Hornplatte in Stücke von der Gröfse der herzustellenden Kämme zerteilt. Diese Stücke nennt man noch heute Örter. Die weiterhin angeführten Werkzeuge, die heute noch sämtlich in Gebrauch sind, dienen zur Anfertigung des eigent- lichen Kammes. Über ihre verschiedenartige Anwendung soweit sie sich nicht bereits aus dem ÖSamen ergiebt s. u. A. Carl Friedrich, Geschichte der Kammfabrikation, iu »Kunst und Gewerbe«, herausg. vom Bayer. Gewerbemuseum zu Nürnberg XVI. (1882), S. 133 ff. Nur der Geigenfilz oder, wie Chr. Weigel wohl richtiger sagt, die Filzgeige, ein handliches Stück Holz, auf dem ein Stück Filz oder Tuch befestigt war, ist heute nicht mehr in Gebrauch. Ihre Funktion, das Polieren, wird seit einigen Jahrzehnten durch eine Maschine besorgt. Der Name ist jedoch den älteren Kammachern noch bekannt.

7) Chr. Weigel, a. a. 0.: »Es sind aber die Kämme unterschiedlicher Arten und Gattungen, nemlich zwei-zähnige, Gock-Eiisgen, Band, halbrunde, dreyeckigte, Bart- Schlatter- und Perucken-Kämme etc., welche sie zum ötYtern, sonderlich die von Elfenbein und Wall- Roi's-Zähnen gemacht, zierlich auszustechen und durchzubrechen wissen«. Wenn auch schwerlich irgend ein Zusammenhang zwischen unserem Spruch und Weigels Haupt-Ständen besteht, so wiid man doch bei der gleichen, wohl üblichen Reihenfolge der aufgezählten Arten das unverständliche »bandhalber vnd« als auf einem Lese- oder Schreibfehler Wilhelm Webers beruhend betrachten und in »band halbrunde < := »halbrunde Bänder« vei'ändern dürfen. Von den übrigen Worten verlangt namentlich das »gockeifslein« (^Weigel: »Gock- Eifsgenaj eine Erklärung, die aber nicht leicht zu geben ist. Schmeller, bayr. Wb. I, 885 führt an: »Das Gogkeislein (Gogkeisl, Guckeislj Ziegelstein von halber Breite« und bemerkt dazu: »Wahrscheinlich ist das G. benannt nach einem Mann oder einem Ort, von dem oder wo solche Backsteine zuerst verfertigt worden. Es giebt ein Guggays bei Nüziders im Vor- arlberg, vom rasenischen (rätischen) cacusa nach Steub p. 47«. Ob aber die betreffenden Kämme, vielleicht wegen der Ähnlichkeit ihrer Form, den Namen von jener Art Ziegelsteinen

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Ich fraget weiter solcher g-estallt: »Eur Hanndvverck das ist g-ewis vhraltTc 4o Er sprach: »Ja, auff eur beg-er; es rührt von Adam vnd Eva her, auch von denn Altvättern schon,

Abraham, Mosses vnnd Aaron; 1

Eh sie ihre Habit anzug-n, 30 Kämbtens vor Haar vnd bärt, die klug-n.' Sammuel, das achtzeheut secht: da war der Absolon nicht schlecht, [äa] In Israel der schönst fürwar,

200 Seckel wug- sein Haupthaar, oS wie wol er war der schönste mann,

müst er Kämm zu seinem Haar han. '

Desgleich der Starcke Simson auch j

Hette Kämm zu seinen g-ebrauch, Wenn er g'ieng zu defb Liebsten sein, 60 Kämbt er sich vor sehr hübsch vnd fein. j

Dergleichen auch die Pristerschafft, !

wann sie auff die Gantzel warhafft 1

Steig-en vnnd P]-edig"en in Summ j

Das Heilig Euaugelium, 6S Habens zuuor kämbt bardt vnd Haar, i

welches denn Kundt und offenbar. i

Der Barbierer Brauchet sehr viel I

der Kämm, wen er Barbiren will, '

Fürsten, Herrn, Jung und Alt 70 Zeigt sein Barbier stuben der gestallt.

Mancher liebt sein Kämm, thue ich sagn, ]

Lest ihn mit Silber schön beschlagn. ,

Das Adeliche Frauenzimmer I

Brauchen die Kämm auch Je vnd immer, 73 Die Reichen sowoll alls die schlechten, ]

Innsonderheit zu dem Haarflechten. ^

So Lest man machen hin vnd her |

Vberaus schöne Kammfutter \

Neben die Feuer Spiegel gantz, 80 Die von ihn geben schönen glantz^). Wenn einer sieht in spiegel nein,

So mufs der Kamm ein Richter sein: i

Wo es dann fehlt an Bardt vnd Haar, l

Mus ers zusammen Richten gar«. ;

[2b] 83 IGh fragt denn einen Meister milt,

ob man auch Handwercks gewonheit hielt? i

erhalten haben oder mit den in Nürnberg früher viel getragenen kleinen Frauenkämmen, »Gockesla« genannt, identisch sind, wage ich nicht zu entscheiden. 8) Kammfutterale mit Spiegeln aus geschliffenem Glas.

4u

Er sprach: »von einen Edlen Rath Alhier inn Nürnberg- der Statt Drey Greschworne Maister hat erwehlt^), 90 Zu nutz dem Handwerckh vorgestellt, die alleding- teiii Ordiniren, Was sich im Handwerck thutt gebürn. So thut man vber die Ladu erwehln Innsonderheit zum Örtengselln, 95 Das man in Fridt vnd Einigkeit Beysammen kan Leben allezeit. Ein aigne Herberg habens zu band Auff dem Steig ^^j »Zum Mader« genannt«. Ich fraget weiter an dem End, 100 Ob man auff solchem wandern könnt"? Der Maister sprach: »ich selber bin Ihm Land gezogen her vnd hin, In Schiefsien, Osterreich* Schweitzerland In Schwaben vnnd Francken wolbekand, 103 Vnnd sonst in andern Orten mehr

Hatt difs Hanndwerckh Lob. Preifs vnd Ehr«. Solchs Wundert mich vber die Massen, Ich nam vrlaub, gieng mein Strassen; Kunth es auch vnterlassen nicht, HO Daruon Zumachen dis gedieht.

Thomas Grillmair dichts ohn beschwer, des Hanndwercks auch Kammacher. Wie man Schrieb 16: Hundert Jahr Sieben Funfftzig die Jahrzahl war, 113 Inn dem Monat Jenner, ich sag, gleich eben an dem vierten tag [3 a] Verehrt mir inn Nürnberg

Das Erbar Kammacher Hanndwerckh An meinen stab ein Silberes blat, 120 Gott Belohn ihn solche wollthat! Da sie mir solches thetten zustellen, Warn dis die Geschwornen Maister vnd geselln: Andreas Leyckam, Martin Spet, Georg Poppmüller der drit, versteht, 123 Dis warn die drey Meister geschworn; Die Beyde Laden geselln erkorn: Friederich Böckel, Hann[s] Kopp erkannt, Der Elts gesell: Hanns [FJriderich Rifs genannt, Abraham Stettner, Endres Tram, 130 Ihm Folgt Michael Sadtler mit Nam,

9) So anstatt »sind erwehlt«. 10) Die heutige Jakobsstrafse.

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Hannfs Ghristoff Emerndörffer g-erist, 133 Friederich Koch, Simon Leyckain, wist, Michael Koch zu diefser Zeit, Valentin Teüber auch bereit, Friederich Büchner, Vllrich Dorsch] ein, Caesarius Scholl, Hanns Rauffer fein, 140 Georg' Schmidt, Hanns Kopp schlofsen sich nicht aufs, Melchior Walter vnd Johann Kraufs, Friederich Werner vnd Jacob Bayr gaben willig- darzu ihr Steur, Hanns Gonradt Knauer zu g-leicher weifs, 145 Johann Fidler mit allen fleifs,

Caspar Krautsberger : diefse nam stehn alle auff dem Blat Lobsam. Das thue ich auch Ehren tragn, Wann ich ihn ihren Spruch thue sag-n 150 Insonderheit zu ihrem Preifs.

Grott seg-ne sie auff allerley weifs Durch vnfsern Herrn Jesum Christ, Der vnnser Seelig-m acher ist. An Leib vnd Seel alls guts ein geber. 153 Difs verehrt lud Laden Wilhelm Weber.

Finis

Anno Doniinj Christj 1(J57.

Nürnberg. Th. Hampe.

Eine oberschwäbische Bildschuitzerschiile am Bodeusee.

jeun wir uns erinnern, dafs es selbst Bode nicht gelungen ist, das über- reiche Material zur Geschichte der deutschen Plastik während ihrer zweiten Blütezeit im Zusammenhang mit den überlieferten Namen und Lebens- nachrichten von Bildschnitzern und Steinmetzen zu einem übersichtlichen klaren Ganzen aufzubauen, und wenn wir finden und jeder, der den Denkmälern einmal vergleichend näher tritt, wird das finden dafs nicht wenige unter diesen Meistern (nehmen wir Adam Kraft), nur deshalb als Künstler wesentlich überschätzt werden, weil man zufällig von ihnen etwas mehr als den blofsen Namen kennt, dann werden wir jeden Beitrag zur Abrundung dieses Teils unserer Kunstgeschichte dankbar hinnehmen, auch wenn er nur eine kleine Bereicher- ung unseres Wissens bedeutet.

Was wir hier mitzuteilen haben, betrifft zwei Hauptstücke der Skulpturen- sammlung des germanischen Museums, die von Bode (deutsche Plastik S. 186) kurz behandelt, im Katalog der Originalskulpturen Taf. X und XI in vorzüglichen Holzschnitten wiedergegeben sind, von denen wir den einen hier Vergleichs halber wiederholen; der andere findet sich auch bei Bode zu S. 180.

Die beiden lebensgrofsen Gruppen in Holzrelief von nahezu vollen Figuren gehören zum ältesten Bestände unserer Skulpturensammlung, so dafs die Mög-

Mitteilungen aus dem gerraan. Natioualmuseum. 1895. VI.

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lichkeit, über ihre Herkunft und Erwerbuag- etwas festzustellen vollkommen aus- geschlossen war. Es wäre auch sehr verg-ebliche Mühe, wollte man aus den Namen der dargestellten Heiligen etwa für ihren ehemaligen Aufstellungsort

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den Schlüssel finden; denn die heutig-e Bezeichnung* der unten stehenden Gruppe als S. Zosinius und Barbara und der andern aus einem bärtigen Krieg'S- niann mit Schild und Lanze und einer vor ihm knienden Frau mit reicher Kleidung als S. Gereon und Katharina von Sieua ist offenbar an der Hand eines ikonog-raphischen Handbuchs entstanden und in ihrem Inhalt bedenklich g"enug. Zur Katharina von Siena würden das Kreuz in den Händen und die Wundmale wohl stimmen; aber die Heilige (-j- 1380) war Dominikaueruonne und müfste aufser dem Ordenskleid auch wohl den Ring, das Zeichen ihres Gelöbnisses, tragen S. Gereon wäre in der Gegend, der wir diese Bildwerke zuteilen müssen, eine höchst auffallende Erscheinung, und in dem Bischof werden wir wohl S. Martin von Tours erkennen dürfen, der in diesem Zusammenhang unmöglich als Reiters- mann dargestellt werden konnte. Die Gestalt desselben Heiligen als Schutzpatron des Stifters auf dem Wildensteiner Altarwerk (bei Kraus badische Kuusttopogra- phie II. S. 18) giebt dafür ein hübsches Vergleichsbeispiel.

Von all dem bleibt für nns das Wichtigste , dafs der Künstler über dem allgemein Menschlichen seiner Charaktere überhaupt vergafs, sie durch umständ- liche Attribute genauer zu kennzeichnen ; ihm war das Nebensache, Die Typen haben auch in ihrem Äufsern durchaus nichts von Heiligengestalten; sie sind mit feiner Naturbeobachtung ganz realistisch, aber doch mit gutem Gesckmack aus dem Volke gegriffen. Langausgezogene, tiefe Parallelfalten mit malerisch umgeschlagenen Säumen sind die stilistische Eigentümlichkeit der auffallend reichen Gewänder, an denen der Künstler mit Schuitzmesser und Farbe den Charakter der Stoffe sowohl, wie die flgurenreichen Stickereien am Mantelsaura und Halsausschnitt mit liebevoller Sorgfalt wiederzugeben bestrebt ist*). Wenn das malerische Prinzip der geschwungenen, am Saume umgeschlagenen Gewand- partien in weniger individueller Form von Veit Stofs und der Nürnberger Schule schon bis zur Manier abgewandelt worden war, so tritt uns in der eigenartigen Faltenanordnung unserer Gruppen offenbar die künstlerische Verarbeitung des Zeitkostüms des 16. Jahrhunderts entgegen, dessen Rock zu regelmäfsigen parallel herabfallenden Langfalten im Bunde zusammengefafst ist. Die Tracht giebt auch zunächst Veranlassung zu einer Fixierung des Werkes auf die Zeit um 1520: in der männlichen Kleidung bestimmt sich das am leichtesten aus dem Schnitt des Rocks und der Form des Baretts; in dem Kostüm der hlg. Barbara steigt aus einem weiten Brustausschnitt das feiugefältelte Hemd bis zum Halse auf und bildet hier eine Krause, in deren Stickerei die sinnlose Buchstabenreihe ATEMPERNCI zu erkennen ist; die faltenreichen Ärmel fallen weit vor auf die Hände; der Kopfputz der Frauen, deren Flechten gelegentlich in ein Netz zusammengefafst, das Ohr bedecken, ist von phantastischem Reichtum; über dem Untergewand bauscht sich ein weiter, schwerfaltiger Oberrock. Wenn wir die Kostümblätter des jüngeren Holbein mit dem bauschigen, in laugen Fal- ten liegenden Oberkleid und dem mannigfaltigen Kopfputz oder einige Bilder aus der Spätzeit Bernhard Strigels als Zeugen nehmen dürfen, so scheint es, dafs dieser Umschwung der Mode, welcher das Kostüm des 16. Jahrhunderts

*) Die vorzüglich zusamiuengestimmte Beraalung in Gold und satten Farbtöneu, die den lebensvollen Ausdruck der Gesichter wesentlich erhöht, ist anscheinend seit einer Erneue- rung im 17. Jahrh. unversehrt geblieben.

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schuf, am raschesten und reichsten in Schwaben eintrat: dafs Aug:sburg- den übrig-en Städten des Reichs im Kleidorluxus voranging, geht z. B. aus des Nürnbergers Hans Weigel Trachtenbuch deutlich hervor. Ein schwäbischer Meister, der Nördlinger Hans Schäufelein, ist es auch, dessen Holzschnittfolge von Hochzeittänzern wir untenstehenden Ausschnitt entnehmen, weil er nicht nur im Kostüm, in den über das Ohr gelegten Haarflechten und der Brautkrone, sondern auch im Gresichtstypns viel verwandtes mit unseren Figuren zeigt, nur

wenig ins Derbe übersetzt: die hohe gewölbte Stirn, die Nase mit stumpfer Kuppe, das kleine, aber kräftig vorspringende fleischige Kinn. Und da diese ganz realistisch wiedergegebenen und doch so anmutigen Gestalten sich weder in die Nürnberger und unterfränkische, noch in die oberrheinische Bild- schnitzerkunst des 16. Jahrb. einreihen lassen, so durfte man sie einstweilen mit gutem Grunde als schwäbisch in Anspruch nehmen.

Nun hat Dr. E. Probst, der seit Jahren sich um die schwäbische Kunst- geschichte durch seine Beiträge Verdienste erwirbt, im Archiv für christliche

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Kunst (Rotteiiburg: 1805 Heft 1 und 2) eine stilkritisch unanfechtbare Zusammen- stellung- dieser Altarflügel mit zwei ähnlichen Arbeiten vorgenommen, die sich in der St. Lorenzkapelle zu Rottweil befinden. Wie die einfachen grofsen Linien der Komposition, die eine knieende weibliche Figur mit gefalteten Händen mit einer halb zur Seite, halb dahinterstehenden männlichen zusammenstellt und zwar so, dafs die Lücke über dem Kopf der knieenden ausgefüllt wird durch ein Attribut in der Hand des Jünglings, so entsprechen auch alle Einzelheiten der

JE, .Tic K^T\^C4 i-l- jei 55".

Gewandbehandlung mit den langausgezogenen Parallelfalten undden malerisch um- geschlagenen Säumen und die ruhige Milde im Ausdruck der vollen Gesichter ganz dem Charakter der Gruppen im germanischen Museum. Sie sind das einfachere, wohl auch das ältere der beiden Werke: die Gewandfalten sind noch knitteriger, haben noch nicht immer den grofsen ruhigen Schwung, das Gesicht nicht diese feine Durchmodellierung des Charakters, die Tracht nicht die gleiche Üppigkeit; aber auch hier wieder die merkwürdige Attributlosigkeit, die nicht eine der vier Heiligengestalten mit einiger Zuverlässigkeit benennen läfst, aufser wenn das

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wahrscheinlich erg-änzte Messer und das auf'g-eschlag-ciie Buch den prächtigen lebensfrischen Lockenkopf der rechten Gruppe trotz seiner Jugend als Bartholo- mäus kennzeichnet. Auch diese Reliefs, deren Bemalung leider zerstört wurde, bildeten bezeichnenderweise ohne jede Andeutung eines landschaftlichen Vorder- grundes auf einfarbig bemalten glatten Altarflügeln befestigt, die Seiteustücke etwa zu einer Madonnenstatue im Mittelschrein, zu der mit anbetend erhobenen Händen die Knieenden aufschauen.

Die Idendität des Meisters dieser vier ausgezeichneten Holzskulpturen fest- gestellt zu haben, wäre kein nennenswertes Verdienst, wenn wir dadurch nicht auch den Weg zur Quelle dieser liebenswürdigen Bildschnitzerschule gefunden hätten. Die Altarflügel in der Lorenzkapelle zu Rottweil stammen aus der Dorfkirche zu Wangen am Bodensee, unterhalb von Konstanz.

Es ist das Verdienst der lokalen Forschungen Probst's, noch eine ganze Reihe von Holzaltären und Fragmenten von solchen in oberschwäbischen Dorf- kirchen und in der Rottweiler Sammlung angeführt zu haben, die alle durch die Tracht, die bildnisartigen Köpfe und die Gewandbehandlung mehr oder weniger auf die Hand oder die Werkstatt desselben Meisters hinweisen. Es sind zumeist Arbeiten, die mit den Altarflügeln von Wangen an Feinheit nicht wett- eifern können; die glänzendsten Stücke der Werkstatt waren jedenfalls die Nürn- berger Altarflügel, die wohl ein Auftrag eines namhaften Stifters für besonders reichlichen Verding angefertigt waren: denn die Tafeln sind nicht gemacht, wie man sonst zu machen pflegt, sondern mit grofsem und besonderem Fleifs und ohne Gesellenhilfe (Albr. Dürer an Jac. Heller 1509, Thausing S. 35.) Bei gröfserer Anzahl von Figuren läfst den Meister wohl das feine Kompositionstalent im Stich, doch bleibt immer noch im Detail, besonders in den Köpfen, erfreuliches genug (vgl. den Gipsabgufs der ebenfalls aus Wangen stammenden Kreuzauf- findungsgruppe im german. Museum). So haben wir also die Werke einer aus- gedehnten Bildschnitzerschule von eigenartigem, anziehendem Charakter fest- gestellt, deren Blüte etwa in das zweite Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts fällt und deren Sitz offenbar in einem der schwäbischen Städtchen nördlich vom Bodensee zu suchen ist.

Da wir zu den folgenden Untersuchungen Probst's über den Sitz dieser Schule nichts neues beizubringen vermögen, sei nur darauf hingewiesen, dafs Konstanz oder Überlingen nicht in Betracht kommen können, dafs auch für Memmingen, die Heimat Bernhard Strigels, die eingehenden archivalischen Forschungen R. Vischers im Allgäuer Geschichtsfreund 1890 keine genügenden Anhaltspunkte geben, so dafs am meisten noch für Ravensburg spricht, wo die Reformation erst spät aufgenommen wurde, und wo wir deshalb noch bis gegen die Mitte des 16. Jahrh. eine ganze Reihe von Malern und Bildschnitzern thätig finden (vgl. Hafner i. d. Württ. Vierteljahrsheften 1888, S. 120),

Es ist hier nicht unsere Aufgabe, was etwa unter den Schätzen der ver- schiedenen Museen mit dieser schwäbischen Werkstatt in Beziehung steht, zu- sammenzustellen; das germanische Museum enthält weder unter den Original- skulpturen noch unter den Gipsabgüssen nennenswerte Stücke, welche dem Charakter der Bodenseeschule entsprächen. Geringe Werkstattarbeiten mögen etwa die beiden lebensgrofsen flachen Relieffiguren eines hl. Ritters mit reichem Lockenhaar, Barett und faltigem Rock (Katal. der Originalskulpturen Nr. 302) und

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Katharina mit dem Schwert (Nr. 303"), die von Altarftügeln stammen, hier z. Z. als nürnberg'isch loOO 1310 bezeichnet sind, genannt werden; doch wissen wir einstweilen noch zu wenig, wie der Meister von Ravensburg das Einzelbild zu modellieren pflegte.

Dafs seine Art auf die Künstler Schwabens nicht ohne Einflufs blieb, kann uns vielleicht ein Holzschnitt des leicht und ohne besonders starken eigenen Charakter arbeitenden Schäufelein zeigen, (B. 38), der die Enthauptung der hl. Katharina in plastisch gedrängter Komposition und einfachem Faltenwurf giebt. Eine ganz merkwürdige Erscheinung, die wir mit der unserem Meister eigenen Art der Gewanddrappierung in Zusammenhang bringen müssen, lehren uns vier bemalte schweizerische Holzreliefs der Baseler Sammlung kennen^ die wohl mit anderen Stücken aus dem Bilderkreis des Marienlebens ein Altarwerk bildeten (veröffentlicht in »Kirchliche Holzschnitzwerke aus der mittelalterlichen Sammlung zu Basel« von Alb. Burckhardt 1886, Taf. XIH. bis XVI., von denen wir zwei charakteristische Ausschnitte wiedergeben). Der grofse Unterschied zwischen der geschickten Art, wie die figurenreicheu Scenen in den viereckigen

.,.3.'P1CK.E.I^^C^1L.I_.9S

Raum komponiert sind, und der handwerksraäfsig ungelenken Ausführung, hat den Herausgeber wohl mit Recht zu der Annahme geführt, dafs der Künstler gute zeichnerische Vorlagen benutzte, die er fügen wir hinzu am leichtesten aus der Werkstatt seines Lehrmeisters haben konnte. Die Gesichtstypen, beson- ders die weiblichen, sind ganz andere als die des Meisters von Ravensburg; sie sind von acht schweizerischer, derber, fast bäuerischer Art, wenn auch nicht ohne Innisrkeit und Ausdruck.

Was uns interessiert, ist die Gewandbehandlung: Maria trägt jedesmal ein bauschiges, Brust und Arme freilassendes Obergewand, dessen schwere Längs- falten nach jeder Richtung hin unnatürlich weit ausgezogen und am Ende um- geschlagen werden. Es ist die dekorative Art der Nürnberger und Rottweiler Altarflügel nur zur äufsersten Manier gesteigert; und selbst in dieser Über- treibung entbehrt die Behandlung der oben wiedergegebenen Figur der Mutter aus der Scene der Geburt Christi nicht der malerischen Wirkung. Auf dem Relief der Verkündigung ist das Gewand der am Betpult knieenden Maria höchst

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unschön in zwei langen geradlinigen Falten vom Eücken hinabgeführt; am sinn- losesten wirkt aber das einmal erlernte und immer wiederholte Motiv in der Darstellung des Todes Mariae: die Madonna kniet en face in der Mitte, umgeben und gestützt von der dicht gedrängten Schaar der Jünger; von ihrer rechten Hüfte fällt das Obergewand nach links und rechts in fast geradlinigen Falten bis an den Rand der Tafel _, so dafs die beiden vordersten Jünger auf seinen Enden zu knieen scheinen. Wenn über die Abhängigkeit dieser vier, wohl nicht vor 1530 entstandenen Tafeln von der schwäbischen Schule noch ein Zweifel bestehen sollte, so sei zum Schlüsse nur noch auf das umgelegte Kopf- tuch der Maria und die Gestalt des Melchior in der Anbetung der Könige verwiesen, die übrigens wieder mit Nr. 302 des germanischen Museums nicht nur äufserlich verwandt erscheint.

Von den vollendet schönen, vornehmen Nürnberger Gruppen bis zu den manirierten ungeschickten Baseler Tafeln ist ein weiter Weg; die ganze Reihe der zwischen diesen beiden Endpunkten einer Entwickelung gelegenen Bildwerke einmal zusammenzustellen, wäre eine lohnende Aufgabe. Für uns kam es hier nur darauf an, das Vorhandensein dieser Bildschnitzerschule von selbständiger, ästhetisch entschieden bedeutender Eigenart festzustellen und auf ihre Heimat zu lokalisieren; wir kamen dabei in ein Gebiet, das bisher in der Kunstgeschichte wenig Beachtung fand, bis ihm vor kurzem Koetschau in seinen Untersuchungen über den Meister vonMefskirch einen der begabtesten und liebenswürdigsten Maler der schwäbischen Schule schenkte. Der Meister von Ravensburg, dessen Thätigkeit ungefähr in die Zeit von 1510 bis 153S fallen mag, steht also nicht allein; wir haben sogar alle Veranlassung, den Maler und den Bildschnitzer in engen Zu- sammenhang zu bringen. Leider war nicht genug Vergleichsmaterial zur Hand, um den Wechselbeziehungen zwischen beider Werken nachzugehen; es genügt aber wohl, wenn ich einiges aus der Charakteristik, die Koetschau in seiner Dissertation (S. 16 und weiter S. 33) giebt, hierhersetze: Der Meister von Mefs- kirch liebt es, jede einzelne Figur für sich hinzustellen, sie erscheint rein äufserlich an ihren Nachbar angereiht Die Anordnung ist streng regelmäfsig, symmetrisch; er ist ein grofser Psychologe in der Schilderung des Milden, An- mutigen, Friedlichen, Würdevollen, sein Talent scheitert an leidenschaftlicher Bewegung; seine runden Köpfe sind von unschuldigem Ausdruck, die Nase wird mit scharfem Rücken und kurz ansetzender stumpfer Kuppe gebildet, das Ohr liebt er durch reiches, auf Brust und Rücken herabfallendes Haar zu ver- decken ; die Vordergründe seiner Bilder sind wenig ausgearbeitet, enthalten nie Blumen oder sonst feines Detail.

Die Ähnlichkeit des Bischofs in der Gruppe des germanischen Museums mit dem hl. Martin des Wildensteiner Altarflügels (Kraus a. 0. Taf. II) ist wohl nicht zufällig.

Nürnberg. Karl Schaefer.

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Kill Brief Sebastian Scliertlins von Biirteiibach an Kaiser Karl Y.

er nachfolg'eude Brief, deu das Grermanisohe Museum vor einiger Zeit erworben hat, stammt aus der Sammlung des frülieren Direktors der Hof- und Staatsbibliotliek und Professors Dr. Karl v. Halm in München. Er fehlt in der Ausgabe der Briefe Schertlins von Herberger, welche, wie der Titel besagt, nur die Briefe an die Stadt Augsburg gibt^); er würde hier sich den Num- mern 79 (S. 207), Schertlin an den Rat der Stadt Augsburg, 23. Januar 1547, und 80 (S. 211), Schertlins Vertrag mit der Stadt Augsburg um sein Gut Burtenbach, 2o. Januar 1S47, zeitlich und inhaltlich anreihen. Dem Briefe lag eine moderne Abschrift bei, auf welcher sich folgende Anmerkung von Halms Hand findet: »Als nach dem unglücklichen Ausgang des Schmalkaldischen Krieges auch die Reichs- stadt Augsburg, deren Feldhauptmann Schertlin war, der Gnade des Kaisers sich unterwarf, wurde Schertlin von der Amnestie ausgeschlossen und mufste flüchtig gehen. Die Existenz des obigen Schreibens war wohl bekannt, es konnte aber von Herberger^ als er Schertlins Briefe herausgab, nicht benutzt werden. In einem Bericht der Stadt Augsburg (d. d. 28. Januar 1547) 2) an ihre Abgesandten in Ulm, wo diese mit dem Kaiser unterhandelten, heifst es: ,Hiemit ain copei von herrn Sebastian schreiben an die kays. maj. er hat auch gar ein underthenig schreiben an die kunigl. mt. lassen thun.' Eine solche Kopie hat sich im Augs- burger Archiv nicht erhalten.«

Das Original der hier erwähnten Kopie ist der nachfolgende Brief. Wie dieser in den Besitz Halms gelangt ist, erwähnt derselbe in der eben citierten Anmerkung nicht. Die Sammlung Halms ward nach seinem Tode versteigert und auch dieser Brief kam auf den Markt.

Der Inhalt desselben bezieht sich auf Schertlins Thätigkeit im schmal- kaldischen Krieg, wegen welcher der Kaiser ihm aufs höchste grollte. Dafs während des Feldzuges an der Donau die treibende Kraft auf Seite der prote- stantischen Kriegführenden Schertlin war, dessen energische Ratschläge von den Fürsten zu ihrem eigenen Schaden und zum Schaden der evangelischen Sache nicht befolgt wurden, ist nicht zu bezweifeln 3). Es geht auch deutlich aus mehreren Stellen von Schertlins Selbstbiographie hervor*). Er war es, der die Ehrenberger Klause mit kühnem Streich nahm, ein Vorstofs. der, entsprechend fortgeführt, den Krieg über den Brenner verlegen und den Kaiser in die gröfste Gefahr bringen konnte. Das hatte Karl nicht vergessen; daher sein Zorn auf Schertlin und seine unerbittliche, seiner wenig edelmütigen Natur entsprechende Rache. Als der Kaiser in Oberdeutschland siegreich war und die Städte sich unterwarfen, war Schertlin es, der Augsburg zn halten versprach. Aber »rasch genug war in den Reichsstädten jene trotzige evangelische Kampflust wieder

1) Sebastian Schertlin von Burtenbach und seine an die Stadt Augsburg geschriebenen Briefe. Mitgeteilt von Theodor Herberger. Augsburg, 1852. Übrigens werden auch einige an andere Adresse gerichtete Briefe mitgeteilt, z. B. S. 48, Nr. 3, S. 69, Nr. 2.

2J Auch zu lesen bei Herberger, a. a. 0., S. CIX, Anm. ***

3) Vergl. auch Fr. v. Bezold, Geschichte der deutschen Reforntation, S. 776 und 777.

4) Leben und Thaten des . . . Herrn Sebastian Schertlin von Burtenbach, durch ihn selbst deutsch beschrieben. Herausgegeben von 0. Schönhuth, Münster 1858. Seite 45, 46, 49, 59 u. a. a. 0.

Mitteiluugeu aus dem germaii. Natioiialmuseum. 1895. VII.

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verflogen«^). Am 23. Januar 1347 berief Schertlin alle verordneten Kriegsräte und Hauptleute zu sich, beratschlagte mit ihnen einen neuen Plan zur Ver- teidigung der Stadt und legte ihn dem Rate der Dreizehn vor. Nach diesem Entwürfe sollte das Äufserste geschehen. Aber die Unterhandlungen mit dem Kaiser waren schon zu weit gelangt. Die Mehrzahl der Ratsmitglieder hatte sich zu der Überzeugung geneigt, dafs die Stadt an dem Kaiser einen gnädigen Sieger finden werde. Die Abgesandten huldigten ihm in Ulm durch einen Fufs- fall und Augsburg wurde ihm auf Gnade übergeben. Noch ehe aber die Unter- handlung ganz zu Ende war, mufste sich der tapfere Schertlin flüchten, um dem Zorne des Kaisers zu entgehen, der alle Rache an ihm allein zu nehmen be- gierig war. (Liefs er doch eigene Streifzüge seiner Reiter auf Schertlin aus- gehen!) Die redlichen eifrigen Bemühungen Anton Fuggers und Hans Baum- gartners um Versöhnung waren für ihn vergebens gewesen. Auch die uuter- thänigsten Bittschriften Schertlins durften dem Kaiser nicht einmal übergeben werden^). Eine solche Bittschrift ist der nachfolgende Brief, und auch er ist nicht übergeben worden ; es fehlt nämlich auf dem Dokument das Zeichen, dafs er präsentiert ist. Für die Stimmung und Selbstcharakteristik des alten Kriegs- mannes ist der Brief, obschon er seinem eigentlichen Zweck nicht gedient hat, dennoch wertvoll.

Der Brief ist nicht von Schertlins Hand selbst geschrieben; doch ist eigenhändig die Namensunterschrift, und von seiner eigenen Hand sind auch die dem Briefe hinzugefügten (sieben) Zeilen : Allergnedigster kaiser, ich hab oft gedacht, bis : Ich beger und bitt gnad. Aufserdem sind von Schertlins Hand die unter der Adresse stehenden Worte: dedi 25. Jener Ao 1546. Was diese letzten Worte bedeuten, ist nicht ganz klar. Er hat das Schreiben über- geben, etwa dem Rat, zur Weiterbeförderung an den Kaiser, die nicht gelang? oder wurden die Worte nachträglich hinzugesetzt?

Der Brief lautet') :

Allerdurchleuchtigster grosmechtigster unüberwindlicher kaiser, allergne- digster herre. Eur kay. mt. sein mein unterthenigst gehorsam und willig dienst in aller demut ungespart leibs und guts in aller underthenigkeit zuvoran berait. Allergnedigster herre. Ich vermörk und empfind laider, das eur. kay. mt. der schwebenden kriegssachen halb zum allerhöchsten wider mich bewegt und erzürnet seien. Auch sogar, das viel haubtsacher usgesonet werden, ich aber noch kain gnad fynden mag» welches mich schmerzlich bekumert. Dann ich bin von jugent auf in eur kayserlichen und der Römischen königlichen mt. diensten als ain kriegsman herkumen, meinen leib von iren wegen oftmals dürr 8) gewagt und mein plut vielfeltig verrert^), aber nie kein ainigemal wider eur. kay. mt. gedient noch gehandlt. Dann was sichzwuschen eur kay. mt. wider chur- fursten, fursten, stette und stend das vergangen jare zugetragen, darin ich doch uit änderst dann als ein diener verwaut gewest, auch uberal nichts one aus-

b) Bezold a. a. 0., Seite 782. Siehe auch S. 783.

6) Herberger, a. a. 0. S. CVIII und CIX.

7) Der Brief ist eiuem Saininelband eingefügt gewesen, denn oben rechts in der Ecke stehen die Folio-Ziöern 91 und 92.

8) teuer.

9) verrei'en = vergiesseu.

Sl

drucklichen meiner obern rate und befelch gehandelt, wie ich dann solichs als ain bestelter alter diener derselben stende thun muessen, so haben eurkay. mt., das ich bemelten stenden verpflicht gewest, wol gewisst, und mich unan- gesehen desselben hievor all ergned igst in iren veldzugen gepraucht. Ich kann mich auch kains wegs erinnern, das ich ichzit ubermessigs oder beschwerdlich in diesem krieg vor andern gehandlt. Solt mir aber einnembung der Erenberger clausen ^'^) für sogar verweislich und von eur kay. und der ku. mt. zu sölhen Ungnaden gerechnet werden, so kan und mag ich mit Got und höchster war- hait darthun, das mir solches von gemaiuen stenden, wie es zu Ulm im kriegsrat beschlossen, auferlegt und befolheu worden, und aus aigner meiner bewegung gar nit, auch aus kainer andern ursach noch anderer gestalt beschehen, dann dweil kundschaft vorhanden, das ain gross kriegsvolk zu ross und zu fuess damals aus Italia kumen sollen, das dise land und etlich stette ganz und un- verderbt belibeu, wie sie dann also bisher bey wirden unverletzt pliben seind, welches one das nit geschehen. Der und ander Ursachen halb ich mich vor andern kainer solichen strengen ungnad besorgt. Dweil ich aber von einem ersamen rathe der stat Augspurg, meinen gonstigen herren, vernumen, das bishere kain bitt noch flehnen, soviel mein person belangt, stat fynden mögen und die sach daruf gestanden, das gemainer statt Augspurg underthenigste ussönung bey eur kay. mt. allain meiner person halb erwynden wellen, so kan eur. kay. mt. ich allerunderthenigst nit verhalten, wie die Sachen meiner und dieser stat halb dieser zeit geschaffen. Nemblich das Augspurg auf diesen tag dermassen fursehen ist, das ich sie mit Gottes hilf vor zimblichem gwalt ain gute zeit bette wissen zu erhalten. Ich hab auch einsoliche willige burger- schaft und wol erzeugt kriegsvolk, das es mir nach allem meinem willen und gefallen zuestimbt, und rauest fuerwar langer zeit und grosser heftigkeit walten mich uszeheben. Dieweil aber das unschuldig plut aufm land, auch die ver-

10) Am 13. Juli 1546 eroberte Schertlin Schlofs und Engpafs Ehrenberg bei Füssen. Er halte vernommen, dafs die Kaiserlichen zu Füssen und Nesselwangen sich versammelten. Er zog deshalb am 10. Juli mit 12 Fähnlein Knechten aus Augsburg, und sein Leutnant mit ebenfalls 12 Fähnlein gleichzeitig aus Ulm; sie eilten Tag und Nacht, die Kaiserlichen auf ihren Musterplätzen zu überfallen, sie zu schlagen oder zu trennen, und dann noch die Ehrenberger Clause und Schlofs einzunehmen, damit das Vaterland zu retten, und den Fein- den, den Hispaniern und Italienern, den Pafs ins Deutschland zu wehren. Die Feinde, die sich bei Füssen zusammen gezogen hatten, zogen ab, als Schertlin in der Nacht Anstalten zu stürmen machte, nach Baiern und Schongau. Schertlin wünschte ihnen mit etlichen Falkonetten einen guten Morgen. Er nahm das Schlofs und liefs am 13. in Folge von Briefen, die er, einen grofsen Ledersack voll, bei einem niedergeworfenen Postboten fand, wonach »der Papst Italiener und Hispanier herausschicket durch Tirol«, eilends 12 Fähnlein Knecht durch die Clause, liefs verkünden, dafs er nicht willens wäre, die Landschaft zu beleidigen, nur sie und das Vaterland zu retten und vor dem gewaltigen Ueberzug des Feinds und Anti- christs zu schützen, und rüstet sich, »des andern Tags mit allem Zeug und Geschütz hinnach- zuziehen, und war willens, das Conciliura, das zu Trient mit vielen Cardinälen und Bischöfen gesessen, heimzusuchen, und den Feinden das Loch, damit sie nit herauskämen, zu verziehen«. Aber die Ki-iegsräte in Ulm, denen er diese seine Absicht mitteilte, geboten ihm bei eilender Post, mit allem Kriegsvolk eilends wieder umzukehren nach Günzburg, welches also beschehen mufs. Siehe Selbstbiographie, ed. Schönhuth, S. 3S 37. Offenbar war dieser Zug Schertlins eine der Hauptursachen, den Groll des Kaisers zu einem so unversöhnlichen zu machen.

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zeruüg und usmörg-lung des Teutschen krieg-svolks, welches viel notvveiidig-er wider die ung-laubig-en zu gebrauchen, dann ainander selbst umbzebring-en. darzu auch ein ersamer rathe und dise werde statt und frombs volk billich zu be- denken und beherzigt und ich dann vermörkt, das ain ersamer rathe zur us- sönung underthenigst genaigt gewest, so hab ich ehe mich selbst in geferde stellen, dann bemelte vergleicbung meiner person halb verhindern wellen, bin also, nach der übergäbe meiner guter zu Purtenbach^^), die ich ainem ersameu rathe zu Augspurg gethon hab, von weih und kynd, von dieser stat^ von haus und hofe in das leidige pitter eilende gezogen^^), Grot erbarmbs und gebe eur kay. rat. zu erkennen, was costen, gefahre, unruhe und verhindernus eur. kay. mt. an derselben andern vorhaben und was ir in zeit diser stat belegerung oder zwang von anderen poteutateu hett zusteen mögen, ich durch dieses mein exilium, des ich wol noch übrig sein möge^ verhuett und furkumen habe, aller- underthenigts bittent, eur kay. mt. wellen mein eerlich gemute in dem und anderm, auch di gaben, di mir Got verliheu hat, allergo edigst ansehen und mir das eilend kurzlich wenden und mich begnaden, dardurch wirt eur kay. mt. ir hochadelich geplut und gemute, welches Julius Gesar und alle hochberuembde beiden auch gegen ireu feinden guetlich gebraucht, erzaigen, kan ichs dan umb eur kay. mt. in aller underthenigkait verdienen, das soll an mir nymnier mer mangleu, und bittumb allergnedigste autwurt. Datum 23. januarii anno 1547. Eur kay. mt. etc. underthenigster

Schertlin.

Allerguedigster kaiser, ich hab oft gedacht, es werde der strittigen religion halb ainmal übel zugeen und wils mit erenleuten beweisen, das ich oftermals gesagt, wann ich wider die ka. mt. muest handien, hett ich sorg, mich würde kain glück angeeu, das ist mir laider widerfaren. Ich beger und bitt gnad^^).

Die Adresse lautet:

Dem allerdurchleuchtigsten grosmechtigsteu unüberwindlichen fursten und herru, herrn Garolo dem fünften Römischen kayser, zu allen Zeiten merern

11) „Schertlin schlofs mit der Stadt Augsburg einen Vertrag wegen Burteubach, welches von der Stadt gegen eine in einem halben Jahr zu erlegende und erst zu bestimmende, ge- bührliche Kaufsuiiime auf so lange übernommen wurde, bis Schertlin odrr seine Erben die Güter wieder bewohnen könnten.'' Herberger, S. CIX. Der Vertrag vom 23. Jänor 1347 ist bei Herberger S. 211 abgedruckt

12) Er verliefs Augsburg: „und bin also auf 29. jeners im 1347 jars morgens vor tags zum einlafs sampt 33 pfcrden hinuss gezogen, mit mir wek gebracht bis in 40000 tl. bar- geld, Silbergeschirr und ander guts gemcinschlach". Schönhuth, S. 63. Er ging nach Constanz, wo er bis zum November blieb, die Versöhnung mit dem Kaiser fortgesetzt anstrebend. Als sich auch Constanz mit dem Kaiser versöhnte, ohne dafs er in die Aussöhnung mit in- begriffen war, ging er nach Basel und trat in die Dienste König Heinrichs von Frankreich, dessen Bündnis mit den deutschen Protestanten die Folge seiner eifrig betriebenen Unter- handlungen war. Erst nach dem Vertrag zu Passau fand im J. 1333 seine Aussöhnung mit deul Kaiser statt, und auch mit Augsburg, welches sein Gut Burtenbach ihm wieder überliefs. Hier und in Augsburg lebte er von jetzt an in Zurückgezogenheit bis zu seinem im J. 1377 erfolgten Tode.

13) Die Worte von allergnedigsten kaiser bis hierher sind von Schertlins Hand hin- zugefügt.

Mitteilung-en aus dem g-erruani sehen Nationalmuseum.

Tafel III.

Die Kröuuug Kaiser Friedrich III. dureli den Papst Nikolaus Y

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des reichs, in Germanien, Hispanien, bayder Sicilien, Jherusaleni. Hung'ern, Dal- matien, Croatieu etc. kuuig-, erzherzog-en zu Österreich, herzogen zu Burgundi etc., graven zu Hapspurg. Flandern undTyrol etc., meinem allergnedigsten herren. unter der Aufschrift stehen die Worte von Schertlius Hand:

dedi 2o Jener

Ao 15461*).

Nürnberg. . R. S.

Die Krönuug Kaiser Friedrich III. durch den Papst \ikolaiis V.

Gemälde im germanischen Museum.

(Mit einer Lichtdrucktafel.)

as politische Leben Deutschlands wurde im ganzen Verlauf des Mittelalters beherrscht von der Idee des Weltreiches, des heiligen römischen Reiches deutscher Nation. Nicht mit Unrecht darf behauptet werden, dafs diese

Utopie der deutschen Nation einen grofsen Teil seiner Kraft entzogen, dafs sie zum Niedergang der Machtstellung Deutschlands erheblich beigetragen habe. Der Gedanke dieses nie zur vollen Wirklichkeit gewordenen Idealreiches, der das römische Weltreich der Cäsarenzeit zum Vorbild und zur Basis hatte, mufste eben als Erbe des römischen Reiches seineu Schwerpunkt jeuseit der Alpen, in Italien und vor Allem in dem Punkt, wo die der weltlichen rivalisierende Weltmacht, das Papsttum, seinen Herrschersitz hatte, in Rom haben. Die Folge waren die zahlreichen Römerzüge deutscher Kaiser, die von Karl dem Grofsen bis auf Karl V. den höchsten Traum der deutscheu Herrscher zu bilden pflegten. Den formalen Glanzpunkt der Römerzüge aber bildete die Krönung des deutschen Wahlköuigs zum Kaiser durch den Papst. Die Bedeutung und Rechtsfrage dieser Krönung bildete den Ausgangspunkt so vieler Kämpfe zwischen Kaiser- tum und Papsttum, in dem das letztere die meisten Siege davontrug.

Die letzte römische Kaiserkrönung war diejenige des Kaisers Friedrich III. (als deutscher König Friedrich IV.) am 19. März 1452.

Bei der hohen politischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung der Kaiserkrönung ist es natürlich, dafs dem Vorgang und den dabei beachteten Formen von jeher neben der deutschen Köuigswahl und Krönung zuerst in Aachen, dann in Frankfurt ein stets gleichbleibendes Interesse vom deutschen Volke entgegengebracht wurde. So ist insbesondere der deutschen Kaiserwahl und Krönung eine ganze Literatur und zahlreiche Abbildungen gewidmet worden, sowie auch abgesehen von ihrer jeweiligen politischen Bedeutung die Römer- züge den Historikern von jeher ein reiches Feld der Forschung eröffneten. Neben der beschreibenden kann man schon früh auch das Auftreten bildlicher Darstellungen der Krönungen wahrnehmen, in erster Linie allerdings tritt bei diesen die deutsche Königs- oder Kaiserkrönung auf den Plan.

Die früheste dem Verfasser bekannte historische Darstellung einer römischen Kaiserkrönung von symbolischen und allegorischen, ebenso von den plastischen Krönungen soll abgesehen werden ist diejeni^-e des Kaisers Heinrich VII.

14) Nach der noch im 16. Jahrh. zuweilen vorkommenden Rcchnun":, die den Jahres- anfang zu Ostern setzt.

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von Luxemberg- in dem im Auftrag seines Bruders angefertigten Balduineum fiierausgeg. in farbiger Nachbildung der Miniaturmalereien unter dem Titel »die Romfahrt Kaiser Heinrich VII. im Bildercyclus des Codex Balduini Trevirensis von der Direktion der k. preufsischen Staatsarchivs, Berlin 1881) auf Tafel 23 b. Diese Bilderchronik, welche wohl irrttlmlich als Entwurf für einen vom Erz- bischof Balduin von Trier in seinem Palast beabsichtigten Freskencyclus hin- gestellt wurde, kann insoferne den Anspruch verhältnismäfsiger historischer Treue machen, als die 73 Darstellungen nachweislich unter direkter Eintlufs- nahme des am Zuge als erste Nebenperson beteiligten Balduin, des Bruders des Kaisers, und möglicher Weise, worauf manche Züge deuten, sogar von einem Teilnehmer des Zuges, wohl einem Geistlichen, verfertigt worden sind. Etwas von ihrem Wert verliert die Darstellung der Krönung, der dafür die Vorgänge vor und nach der Wahl beigefügt sind, aufser der durch die mittelalterliche Kunstübung bestimmten stark abbrevierten Darstellung dadurch, dafs die Krönung nicht durch den Papst selbst, der ja in Avignon weilte, sondern durch drei Kardinäle vorgenommen wurde.

Künstlerisch und kunsthistorisch weit bedeutender ist die Darstellung der Kaiserkrönung Friedrich III., der, wie erwähnt, letzten überhaupt stattgefundenen, auf einem gegenwärtig im Besitz des germanischen Museums befindlichen un- gefähr gleichzeitigem Tafelbilde, das den Anlafs zu der vorliegenden kleinen Abhandlung gab.

Das Bild, in Oeltechnik auf eine aus mehreren querlaufenden Brettern zu- sammengefügte Eichenholztafel gemalt, 0,72 m hoch, 0,71 m breit, Nr. 22 des Katalogs der Gemälde, soll nach Angaben des Katalogs der Sammlung Eugen Felix, aus welcher es Ende 1886 für das germanische Museum erworben wurde, aus dem Besitze des Königs Christian II. von Dänemark stammen. Vom Gründer und Direktor des nordischen Museums, Konferenzrat Thomsen, wieder auf- gefunden, gelangte es in den Besitz des Barons Dierkung- Hollfeld auf Pinne- berg und durch verschiedene Hände in die Sammlung Eugen Felix. Auch zum Bestände der von Reider'schen Sammlung in Bamberg hat es zeitweise gehört. Das Bild, von vortrefflichem Erhaltungszustand, hat im germanischen Museum die Bezeichnung »altniederländische Schule« erhalten, nachdem es vorher als Schule der van Eyck und auch als Werk des Petrus Cristus angesprochen worden war.

Die Darstellung auf dem Bilde (s. die Lichtdrucktafel Nr. 3) zerfällt in zwei Abteilungen, die auch räumlich bevorzugte, mehr als zwei Drittel der Tafel einnehmende und auf der linken Seite (vom Beschauer aus) befindliche eigent- liche Kaiserkrönung, dann die rechts befindliche Überreichung des Schwertes vor dem Altar einer Kapelle.

Wenn irgend ein Zweifel über die unhistorische Art des Bildes herrschen sollte, so würde dieser schon bei Betrachtung der Darstellung der rein idealen Lokalität schwinden müssen.

Die Krönung geht in einem kapellenartigen Raum vor sich, der jedenfalls die alte Peterskirche darstellen soll , und von dem sich links ein doppeltes Fenster mit Aussicht auf eine bergige, nichts weniger als italienischen Charak- ter zeigende Landschaft öffnet.

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Dem Beschauer g-egenüber steht in diesem zwischen romanischen und go- tischen Architekturformen schwankenden Raum ein holzgeschnitzter gotischer Thron, darüber ein grüner Baldachin in der dem 15. Jahrh. eigentümlichen Weise mit zwei beutelartigen Anhängern vorn.

Merkwürdiger Weise und ganz einer naturwahren Auffassung widerspre- chend befindet sich vor der dem Beschauer zugekehrten, offenen Seite der Ka- pelle ein Wiesengrund mit den üblichen , möglichst naturgetreu gebildeten Pflanzen. Auch die Anordnung der Personen, welche dieser Krönungsscene im engern Sinne beiwohneu, entbehrt der nötigen Naturwahrheit. Die beiden zwi- schen Thron und Feusterwand kuieenden Kardinäle können in dem engen Zwi- schenraum keinen Platz haben, auch die Anordnung des ritterlichen Gefolges von fünf Personen unter dem Bogen rechts, von der Helm-, Banner- und Schwertträger am meisten hervortreten, ist eine gedrängte. Der Papst setzt mit der Linken dem rechts vor ihm knieenden Kaiser, der mit dem rechten Arm sich auf das Seitenteil des Thrones stützt, die Krone auf.

Die dem Krönungsakt zeitlich voraufgehende Nebenhandlung führt uns in eine wohl dem hl. Laurentius, dessen vergoldete Figur wir auf dem Altarauf- satze erblicken, geweihte Nebenkapelle. Der Kaiser, diesmal mit dem Helm auf dem Haupt und ohne den Krönungsmantel kniet auf den Stufen des Altars, aus den Händen des links vor ihm stehenden Priesters das Reichsschwert empfangend. Zu beiden Seiten des Altars zwei levitirende Priester. Die Kapelle mit ihren kleinen hoch angebrachten Fenstern macht einen altertümlicheren Eindruck als der Raum der Hauptsceue. Auch hier öffnet sich durch ein weites Thal der Blick in die Landschaft, allerdings durch den Bildrand begrenzt, wie auch die Figur des Kaisers durchschnitten ist.

Fassen wir nun noch kurz die künstlerischen Qualitäten des Bildes in Be- tracht, so wird das Urteil zunächst dahin zu gehen haben, dafs wir es weder mit einem Hauptbild ersten Ranges, noch auch mit einem scharf den Charakter eines Meisters tragenden Bild zweiten Ranges , sondern nur mit einer aner- kennenswerten Schularbeit zu thun haben.

Auf die Mängel der Komposition war schon Gelegenheit hinzuweisen; die Figureubehandlung läfst ebenfalls manches zu wünschen übrig. Abgesehen von der der ganzen Schule mehr oder minder eigenen überschlanken Körperbildung darf auch die mangelnde zeichnerische oder wie man lieber will, anatomische Er- kenntnis des menschlichen Körpers nicht übersehen werden, eine Erkenntnis, die den ersten gleichzeitigen Meistern in ganz anderem Grade zu Gebot stand als unserem Maler. Besser sind die Köpfe und hervorzuheben auf der mehr betonten Scene der Krönung Kaiser und Papst, die ein wirklich individuelles Gepräge tragen. Ziemlich gut sind auch die Köpfe der beiden Kardinäle , während in den anderen die Gharakterisierungsgabe unseres Künstlers wesentlich nachläfst. Nur der den Helm haltende Würdenträger ist einigermafsen lebensvoll behandelt.

Die schwächste Seite des Bildes ist die recht mangelhafte Raumbehand- lung. Die Vertiefung des Raumes ist gar nicht gelungen, die Perspektive mangelhaft. Dies und der im Gegensatz zu sonstigen guterhaltenen Bildern etwas stumpfe Ton der Färbung, die sonst kräftig und harmonisch gestimmt ist, erschweren noch die Bestimmung der Herkunft. Dagegen hat der Maler sich

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die technische Feinheit seiner Schule in der Ausführurg' alles Nebensächlichen, insbesondere des Kostüiulichen zu eig-en zu machen g'ewufst.

Es wird also wohl auch fernerhin davon abzusehen sein , das Bild mit irtrend einem der bedeutenderen Meisternamen der altniederländischen Schule in Zusammenhang zu bringen ; ich möchte aber auch eher als der Schule der van Eyk es derjenigen des Dirk Bouts zugewiesen wissen; denn vor dem Jahr 1455, oder gar 1460 darf wohl die Entstehung nicht angesetzt werden.

Der Nachweis endlich, dafs wir es auf dem Bilde nicht etwa mit einer Darstellung eines Augenzeugen zu thun haben, ist dadurch leicht gemacht, dafs vertrauenswürdige und zugleich ausführliche Beschreibungen der uns interes- sierenden Zeremonie von Augenzeugen vorhanden sind. Vor allem ist hier Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Piu5 IL zu nennen. Aus diesen Beschrei- bungen, die in der neueren Geschichtslitteratur schon gründlich gewürdigt sind, kann man sich unschwer ein klares Bild des wirklichen Vorganges machen. Auf unserem Bild sind die beiden letzten Phasen der Zeremonie, die Überreichung des Reichsschwerts (Karls des Grofsen), von dem Aenea Silvio behauptet, es sei das Karl IV. gewesen, und die eigentliche Krönung dargestellt. Eine gewisse Kenntnis der Zeremoniells hatte der Maler sicher, auch die Darstellung der Krö- nungsinsignien und des Reichsbanners ist wenigstens annähernd richtig. Ganz gut informiert war dann der Maler über die Darstellung der Kardinäle. Cha- rakteristisch ist auch für die Kenntnis des Zeremonien wesens die Übergabe des Reichsschwertes.

Eine Frage mag nun noch aufgeworfen werden: wie kam der Meister dazu, das Bild zu malen und für wen malte er es. Die letztere Frage dürfte kaum zu beantworten sein. Hat er es für einen Teilnehmer an der Romfahrt geschaffen, der eine bleibende Erinnerung an das denkwürdige Ereignis zu haben wünschte? Möglich wäre es immerhin. Dann wäre wohl die Anordnung allerdings in ziem- lich abgekürzter Weise nach den Angaben des Bestellers erfolgt. Dieser könnte auch die Vorbilder für die Porträts von Kaiser und Papst geliefert haben. Denn solche Vorbilder sind bei der unbedingten Ähnlichkeit Friedrieh III. die eben auch die sichere historische Deutung ermöglichen und der wenigstens anklingen- den des Papstes sicher vorhanden gewesen. Die verhältnismäfsig sehr jugend- liche Darstellung Friedrichs läfst auch den weiteren Schlufs zu, dafs das Bild wohl kurz nach dem Vorgang selbst erstanden sei. Dafs es der Maler aber etwa selbst, sozusagen um seinem künstlerischen Bedürfnis Genüge zu leisten gefertigt habe, ist kaum zu glauben; der Charakter der Zeit widerspricht dem doch völlig. Für kirchliche Zwecke endlich kann es nicht gemalt sein , weil der Vorgang mit kirchlichen Dingen doch erst in zweiter Linie zusammenhängt.

Für den Kaiser selbst war es auch nicht bestimmt, denn dieser hätte sicher das seltene Ereignis, dals zu gleicher Zeit die neuvermählte Kaiserin Leonore von Portugal der Krönung beiwohnte und daran Anteil hatte, berücksichtigt wissen wollen. So sind wir denn wie über den Autor, so auch über den Be- steller des in seiner Art seltenen und kulturgeschichtlich wichtigen Werkes auf blofse Vermutungen angewiesen.

N ü V n b e r g. H. St.

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Stadtpläne und Prospekte

vom 15. bis zum 18. Jahrhundert.

!as Kupferstichkabinet des germanischen Museums enthält aufser den von rein kunstg-eschichtlichem Standpunkt angelegten Sammlungen von gra- phischen Blättern und den Biderrepertorien eine Anzahl nach sachlichen Gesichtspunkten zusammengestellter Holzschnitte, Kupferstiche und Handzeich- nuugen , die eine Menge kulturgeschichtlichen Studienmaterials enthalten und schon dadurch sich als höchst nützlich erwiesen haben, dafs sie fast allen in den letzten zwei Jahrzehnten erschienenen illustrierten Werken aus dem Gebiet deutscher Geschichte an Bildnissen, religiösen und politischen Flugblättern, an Bildern aus dem Feldlager, der Schlacht oder der Städtebelagerung ein will- kommenes Material boten.

Eine der umfangreichsten dieser Einzelsammlungen enthält 3800 Blätter alter Stadtpläne, Prospekte und Ansichten, deren Durcharbeitung und Ordnung zu einigen Mitteilungen allgemeiner Natur Veranlassung gibt. Über ein Drittel dieser Blätter gehören unserem Jahrhundert an: es sind teils die in den ersten Dezennien unseres Jahrhunderts so beliebt gewordenen lithographischen Ansich- ten und Landschaften, die oft mit wenigen Farbentönen eine ganz gute Wirkung machen, Stahlstiche und eine grofse Zahl von Handzeichnungen, an der Natur aufgenommene Skizzen von Burgen und Klöstern aus allen Enden des deutschen Landes, eine von Frhrn. von Aufsefs mit einem Rest romantischer Begeisterung offenbar s. Z. systematisch begonnene Sammlung. Unter den alten Blättern sind die meisten Ausschnitte aus den topographischen Werken des 16. und 17. Jahr- hunderts: 27 von den grofsen Holzschnitten der Schedelscheu Weltchronik, (Nürn- berg, Koberger 1493), die doppelte Anzahl Kupferstiche aus Braun und Hogen- bergs Städtebuch (Köln 1583). Nahezu 100 gröfsere und kleinere Holzschnitte aus den verschiedensten Auflagen von Seh. Münsters Kosmographie (Basel 1543): der Löwenanteil gehört Merlans Topographien an, aus denen an 300 Städtebilder in der Sammlung sich befinden ; fast ebensoviele charakterisieren den Augsburger Prospektstecher Gabriel Bodenehr (thätig 1690 1730 er.) In Kupfer gestochene Ansichten von böhmischen, kärnthischen und ähnlichen Schlössern und Holen enthielt die Topographia Kariuthiae des Freiherrn Valvassore von 1680 von der Hand Lukas Schnitzers, Andreas Trosts u. a. wenig begabter Stecher. Der Ge- lehrte Daniel Meifsner, der die Skiographia Gosmica (newes Emblematisches Büchlein, darinnen in acht centuriis die vornembsten Statt, Vestung, Schlösser etc. der gantzen Welt gleichsamb adrunbrirt und in Kupfer gestochen, bei Paulus Fürst Kunsthändler) 1637 in Nürnberg herausgab, fügte seinen nur zum Teil selbständigen Städtebildern schöne, lateinische und Teulsche Versiculn jedes Orths proprietet betreffend, oder auch lehrhafter Natur bei; Joh. Chr. Volkamer, der sich durch die Versuche der Einführung von Citronen und Südfrüchten in den deutschen Gartenbau bekannt gemacht hat, gab in seinen »Nürnbergischen Hespeiides« von 1708 den Abbildungen der Früchte jedesmal eine Ansicht eines der Nürnberger Patriziersitze der Umgegend bei. Von all diesen buchhänd- lerischen Unternehmungen wie von dem Fleifs der Kupferstecher, die sich mit der genauen Aufnahme von Einzelprospekten mühten, gibt die Sammlung Zeug- nis. Sie enthält eine grofse Anzahl holländischer, viele französische und einige

Mitteiluugeu aus dem german. Natioualmuseum. 1895. YIII.

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italienische Prospektstiche; sie zeigt, wie schon im 17. Jahrhundert in grofsen Städten wie Augsburg-, Nürnberg", Danzig-, die Übung aufkommt, ganze Folgen von Ansichten der öffentlichen Gebäude, Kirchen und Plätze zu stechen.

Von dem alten Nürnberg und seinem Stadtgebiet geben 160 Blätter ein anschauliches Bild; Vieles, was zur Ergänzung derselben von Wichtigkeit ist besonders Handzeichnungen des 16. und 17. Jahrhunderts wird im kgl. Kreis- archiv bewahrt.

Sehen wir von all den Anregungen ab, die man für die Entwickelung des Befestigungsbaues und der Stadtanlage selbst aus diesen Blättern wird schöpfen können suchen wir über die Veränderungen, welche das Stadtbild in der äufseren Form wie in der Bedeutung während dreier Jahrhunderte erfuhr, einen Überblick zu gewinnen.

*

Der Unterschied zwischen geometrischer Aufnahme und malerischer, d. h. perspektivischer Ansicht erscheint uns heute so selbstverständlich, dafs wir uns an die eigenen ersten Zeichenversuche erinnern müssen , um begreifen zu können, dafs erst durch jahrhundertelange Arbelt dieser grundlegende Gegen- satz als solcher erkannt werden konnte. Die von deutschen Künstlern ge- fertigten Architekturzeichnungen, die Visirungen der Steinmetzen, geben bis gegen Ende des 16. Jahrhunderts ohne Unterschied den Beleg dafür so gut wie die Städteansichten , dafs sich die Zeichner über diese Verschiedenheiten noch nicht klar geworden waren.

Die ältesten deutschen Städtebilder , die als solche, d. h. mit lehrhaftem Nebenzweck entstanden, haben sich offenbar aus der Vedute entwickelt, wie sie der Maler für den Hintergrund seiner religiösen Darstellungen brauchte und erscheinen erst im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts losgelöst vom Figuren- bild. Getreu wiedergegebene Stadtansichten wie sie A. Dürer später anscheinend mit Absicht vermied, sind auf den Altargemälden gerade in dieser Zeit häufig: so ist uns auf dem Krellschen Altar in der Lorenzkirche die im 17. u. 18. Jahrhundert wiederholt gestochene älteste Stadtansicht von Nürnberg, eine solche von Bamberg auf der wolgemutischen Kreuztragung in St. Sebald erhalten. Das Interesse dieser Zeit wurde naturgemäfs durch die grofsen überseeischen Unternehmungen, durch die ausgedehnten Handelsbeziehungen, welche Faktoren der Nürnberger Kauf- herren bis nach Portugal und Sizilien führten, auf geographische Dinge gerichtet; Marcho Polos Reisen, (das puchvon mangerley wunder der landt u. leidtvon 1477,) war einer der ersten Drucke nicht religiösen Inhaltes, und die Schilderungen von Pilgerfahrten ins heilige Land gehörten zur beliebtesten Lltteratur dieser Zeit. Die Volkstümlichkeit und Billigkeit des Holzschnitts war Veranlassung, dafs nian solchem Buche einige Städtebilder beigab, wie in des Mainzer Dekans Bernhard von Breydenbach Reisebeschreibung nach Jerusalem, die lateinisch und deutsch 1486 und später in wiederholten Neudrucken und Übersetzungen erschien. Der reiche Geistliche hatte auf seine Pilgerfahrt einen niederländischen Maler mit- genommen, nach dessen Zeichnungen nun sieben authentische Ansichten in Holz geschnitten wurden, Blätter, die an künstlerischer Auffassung und besonders an Gewissenhaftigkeit noch lange unerreicht dastehen.

Sie gaben offenbar den Herausgebern von H. Schedels Weltchronik Ver- anlassung, dem Holzschnitt einen so breiten Raum in dem Buche zw gewähren:

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von den Ansichten der Stadt V'enedig-, der Inseln Candia und Rhodus ist läng-st festgestellt worden, dafs sie auf Breydenbachs Holzschnitte zurückgehen i) ; die ebenso typisch wie der verdorrte Baum wiederkehrenden Schiffe hat Wolg'emut ebenlalls den Zeichnungen des Niederländers entlehnt. Trotzdem von den zahl- reichen Ansichten der Chronik die meisten frei erfundene Phantasiebilder sind, die sich der gläubig-e Leser bald als Trier, Padua oder Metz, bald als Damaskus, Perugia oder Kempten gefallen lassen mufs, während nur dreifsig der Städte- ansichten auf eine mehr oder minder treue Naturaufnahme zurückgehen, trotz- dem der kritiklos kompilierte Text noch ganz den Stempel mittelalterlicher Ge- lehrsamkeit trägt, so bleibt dem gemeinsamen Werke Dr. Hartmann Schädels und Michel Wolgemuts das Verdienst, zum ersten Male und mit grofsem Erfolg das ganze Material, so gewissenhaft es eben ging, »wissenschaftlich« zusammen- gestellt zu haben: es ist das monumentale Vorbild der ganzen folgenden Litte- ratur von Kosmographien und Städtebüchern.

Selbst die besten der von Wolgemut und seinem Schwiegersohn an der Natur gezeichneten oder redigierten Blätter wie Würzburg , München , Passau beschränken sich auf Zusammenstellung weniger für das Stadtbild charak- teristischer Grebäude; Stadtmauern und Thore und die umgebende Landschaft sind zumeist typisch wiederkehrende, in der Form willkürliche Zuthaten. Da- mit nichts wichtiges ungesehen bleibe, wird ohne perspektivische Bedenken der Hintergrund ansteigend gebildet und Häuser und Türme selbst bei der genauesten Ansicht, der Nürnberger bedenklich verschoben; im einzelnen sind die wieder- gegebenen Architekturen selten mit einiger Genauigkeit, der Dom zu Köln z. B. ist ganz unrichtig gezeichnet.

Um uns darüber aufzuklären, auf welchem Wege Schedel im Stande war, in nicht ganz zwei Jahren das ganze gewaltige Material der Weltchronik zu verarbeiten, dürfen wir vielleicht eine Stelle aus dem 1S43 niedergeschriebenen Vorwort seines grofsen und weit populäreren Nachfolgers, des Sebastian Münster, anführen :

So viel der Stetten Contrafestung anbetrifft, sol menglich wissen, dafs ich in dieser meiner arbeit unterstanden hab , einer jeden Statt , deren beschrei- bung in diesem Buch verfafst ist, gelegenheit und coutrafestische gutur, so viel mäglich, eiuzuleiben, hab auch derhalben mich mit schreiben und durch mittel Personen weyt und breyt beworben, nicht allein in teutschem Land, sondern auch in Italia, Frankreich, Engelland, Poland und Den mark. Was ich aber er- laugt hab bey etlichen besunderen Personen, wird in diesem Buche mit ewigem Lob denen so jr hilff herzu gethan, an jedem orth gemeldet. Von manchem orth ist mir auff" mein anlangen kein antwort worden. Es hat sich auch manch orth beklagt, dafs es mir nicht hat mögen zu willen werden, eines geschickten Malers halb. Wie denn ich auch bey etlichen grofsen Stetten erfahren hab, das nicht ein jeder Maler eine Statt in Grund legen kann. Dann fügt er noch hin- zu: die Maler in Italia sind deshalb nicht ungeschickt, wie dass schein ist in

1) Vgl. über die Städtebilder der Schedeischen Weltchronik aufser Lübkes Einleitung, zur Geschichte der deutschen Renaissancebaukunst den tinhaltreichen Aufsatz von Loga im Jahrbuch der kgl. preufsischen Kunstsammlungen. 1888, p. 93 u. 184 ff.

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Rom, Neapel, Venedig-, Florentz, Constantinopel etc., welche alle in Italia con- trafester und recht in grund gelegt in grofser Form gedruckt und mir zu han- den kommen seind, wie ich sie dann auch in dies Werk, aber gar klein, geord- net hab.

Die Redaktion der Zeichnungen hatte für Münsters Werk der rührige Ni- kolaus Manuel übernommen , von dem auch die nach der Natur gezeichneten Ansichten der schweizer und oberrheinischen Städte herrühren. Die zahlreichen späteren Auflagen und Nachdrucke der Kosmographie es waren innerhalb eines Jahrhunderts wohl über dreifsig erschienen in zunehmend reicher Ausstattung mit getreueren Stadtansichten in Holzschnitten grofsen Formats. Was darunter nicht einfache vedutenartige Ansichten sind, zeigt den Typus des Prospekts, wie er im 16. Jahrhundert sich ausgebildet: eine Art Vogelperspektive, bei der das Stadtbild willkürlich gerenkt und gedehnt wird, damit die Strafsen und die an ihren beiden Seiten gelegenen Häusergruppen deutlich zu erkennen seien. Der Deutlichkeit und Vollständigkeit zuliebe wird keine Verschiebung gescheut, die Hauptgebäude werden allmählich mit ziemlicher Gewissenhaftigkeit aus- gearbeitet.

Als Seb. Münster seine Publikationen unternahm, besafsen aber auch schon eine Anzahl deutscher Städte ihre offiziellen »Abkontrafetungen«, die sie ihm wie die Italiener, von denen er spricht, zur Verfügung stellen konnten: meist Kupfer- stiche grofsen Formats mit mehreren Platten gedruckt. So hat fast jede namhafte deutsche Stadt im Laufe des 16. Jahrhunderts ihren Prospektstecher gefunden, der seine Platten gewöhnlich dem hohen Magistrat schenkte, so dafs in sehr vielen Fällen in unsern Tagen Neuabzüge davon gemacht werden konnten. Ein Beispiel, wie solche Werke zu stände kamen, können wir zufällig aus den Rats- protokollen der Stadt Freiburg i. B. mitteilen: Als der »Formschneider« Grego- rius Sickinger, der offenbar auf einer zu solchen Arbeiten unternommenen Ge- schäftsreise von Solothurn gekommen war, in monatelanger Mühe den Prospekt der Stadt in grofsem und kleinerem Format gestochen , und die Kupferplatten dem Rat vorgelegt hatte, gestattete mau ihm eine Anzahl von Abzügen zu nehmen und zu seinem Vorteil zu verkaufen; die Platten behielt die Stadt und berichtigte dafür bei dem Zunftgeuossen, der Sickinger während seines Aufent- halts beherbergt hatte, dessen Zehrung.

In dieser Blütezeit des deutschen Prospektstichs war es offenbar das Stre- ben der einzelnen Städte, ein möglichst stattliches, reich ausgestattetes Bild ihres mit Mauern und Thoren beschirmten, mit Kirchen und öffentlichen Gebäu- den geschmückten Heims zu besitzen. Einige dieser zum Teil sehr selten ge- wordenen Einzelblätter des 16. Jahrhunderts sind von unerhörtem Umfang: gleich das älteste derartige Blatt, der von Grym und Vyrsung herausgegebene und von dem Goldschmied G. Seid gestochene Prospekt von Augsburg, vom Jahre 1521, besteht aus sechs Blättern und mifst 188 x 78 cm. Eine merkwürdige Feder- zeichnung im germanischen Museum, die nach den Schriftzeichen und der Tracht der Staffage nicht wohl nach 1520 entstanden sein kann, gibt eine Ansicht von Nürnberg in freier Umarbeitung des Schedeischen Holzschnitts in der Gröfse 160 X 48 cm. ; das verständig kolorierte Blatt ist bezeichnet Hans Wurm und mufs in irgend einem Verhältnis stehen zu dem von Nagler angeführten Holzschnitt gleicher Signatur in fünf Blättern, von dem ich nicht feststellen konnte, ob und

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wo er existiert 2). Naglers Datierung auf 1S59 ist zweifellos unrichtig-. Das monu- mentalste unter all diesen Werken ist die um die Mitte des Jahrhunderts entstan- dene Ansicht von Lübeck auf 24 Holzstöcken in der schematischen Weise kolo- riert, wie sie der Nürnberg-er Formschneider Hans Weigel um diese Zeit seinen Prospekten zu geben ptleg-te; Pfarrer J. Greffken hat 18oo das in seinem Besitze befindliche Exemplar, das er für ein Unikum hielt, mit begleitendem Text wieder- geben lassen; aufser dem im germanischen Museum befindlichen zweiten Exem- plar ist bisher keines bekannt geworden. Die Gröfse des ganzen Holzschnitts beträgt 380 x 70 cm.

Wenn sich die Zeichner dieser Zeit durchweg noch mit der merkwürdig systemlosen, ad hoc zugeschnittenen Perspektive behelfen, die nur den Vorteil für sich hat, dafs sie nichts von den wichtigen Gebäuden der dargestellten Stadt verschwinden lälst, so ist eine in unserer Sammluag befindliche Ansicht von Strafsburg höchst lehrreich als einzelnstehender Versuch, in die willkürliche Perspektive ein System zu bringen. Vom Jahre 1548 besitzen wir eine sehr sorgfältig ausgeführte getuschte Federzeichnung eines Gonradus Morant, Maler und Bürger von Strafsburg, die mit gewissenhafter Beobachtung einer nach der Ferne sich verjüngenden Perspektive von der Plattform des Münsters herab auf- genommen ist. Um den Standpunkt des Beschauers vollständig klar zu machen, ist in der Mitte des Blattes eine sorgfältige Zeichnung der Müusterfassade aus Pergament ausgeschnitten vielleicht später erst aufgeklect. Das eigen- artige Blatt, welches Baurat Winkler 1882 kopierte und in Lichtdruck verviel- fältigen liefs, mifst 55 x 47 cm. und war offenbar zur V^ervielfältigung in Kupfer bestimmt, da der Künstler in der Unterschrift sagt: ad vium posteris sie expri- mere studuit, anno MDXLVIII Cum Gaes. M. privilegio, nequis alius VIII annis excudat; zur Ausführung ist es aber nie gekommen.

Für die gesamte Entwickelung der Prospektzeichnung ist es nicht nötig, dafs wir auf all die übrigen grofsen Blätter des 16. Jahrhunderts wie Hirsch- vogels Plan von Wien, den Prospekt von Frankfurt a. M. näher eingehen; wich- tiger ist uns, dafs einige entschieden künstlerisch begabte unter den Stechern des 16. Jahrhunderts schon die alte Prospektanordnung verlassen und wie Hans Lautensack von 1552 und Hans Wechter von 1599 in ihren Ansichten von Nürn- berg wieder zu der malerisch aufgefafsten Vedute von wenig erhöhtem Stand- punkt zurückkehren. In dieser Art sind auch die besten Blätter aus dem von Braun und Hogenberg in Göln seit 1582 herausgegebenen Städtebuch gefertigt, einem in der Anlage und Ausstattung vornehmeren Nachfolger der Weltchronik, für dessen Illustrationen der Nürnberger Kupferstecher Hufnagel ausgedehnte Reisen in den Osten des Reichs unternommen haben mufs. Im Laufe des 17. Jahrhunderts hat das gesunde Gefühl für landschaftliche Betrachtung gekräftigt durch die Meisterwerke der holländischen Landschafter den alten Prospekt all- mählich verdrängt; jetzt fängt man an, Grundrifs und Ansicht zu trennen, den einen rein geometrisch, die andere rein malerisch aufzufassen und wiederzugeben.

2) In der mir zugänglichen Fachlitteratur war kein Aufschlufs über die Frage zu finden. Da Bartsch und Heller nichts von dem Holzschnitt wissen, und überdies Naglers Angaben ziemlich verworren erscheinen, ist es wahrscheinlich, dafs Naglcr nur die Nürn- berger Handzeichnung kannte und nicht sorgfältig genug beurteilte.

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Theoretische Arbeiter] wie die Festung-sbaukunst Dan. Specklins von 1590, der in dem höchst interessanten Vorwort mit viel Patriotismus den Vorwurf der Italiener bekämpft, dafs wir Deutsche nichts von diesen architektonischen Dingen verstünden^) mög-en viel zur Einbürgerung klarer g-eometrischer Anschauungen beigetragen haben ; doch wird man Math. Merian den Ruhm nicht streitig machen können, dafs die Kupferstiche seiner Topographien in ihrer grofsen Popularität durch ihre ebenso klaren und gewissenhaften als künstlerisch erfafsten Bilder der deutschen Städte meist noch in ihrem mittelalterlichen Schmuck von Türmen und Thoren an Bedeutung unerreicht dastehen.

Eine gründliche Untersuchung über den umfangreichen Arbeitsbetrieb in Merlans Werkstätte würde wohl der Mühe lohnen^). Die allermeisten seiner Stadtansichten gehen auf an der Natur entstandene Skizzen zurück; es sind rein landschaftlich gedachte Blätter mit Staffage und Baumgruppen zu bildmäfsiger W^irkung komponiert, nicht selten mit weiten sehr zart ausgeführten Fernsichten; besonders die schweizerischen und elsäfsischeu Kleinstädte, Baden, Bruntrut, Säckingen, die Ansichten von Breisach sind, wie mir scheint, landschaftliche Kompositionen von bisher nicht genug gewürdigter Schönheit. Merian scheidet streng zwischen Ansicht und Grundrifs, bei dem er manchmal die Befestigungen und einige öffentliche Gebäude in Parallelprojektion wiedergibt; nur bei wenigen Städten, an denen ihn zufällig sein Weg nie vorübergeführt hatte, schliefst er sich, so gut es geht, an die alten Prospekte an; so hat er für Freiburg jenen Kupferstich Gr. Sickingers verkleinert wiedergegeben. Welche Sorgfalt er im einzelnen auf seine Aufnahmen, wenigstens auf die besten darunter, verwendete, geht am schönsten aus der vergangenes Jahr von der historisch-antiquarischen Gesellschaft zu Basel veröffentlichten kolorierten Handzeichnung zu seiner grofsen Vogelperspektive dieser Stadt hervor.

Auch er hat zweifellos manche ältere Vorlage in seine malerische Weise verarbeitet: von den beiden bayrischen Ansichten von München (vgl. J. A. Mayer Münchener Stadtbuch 1868, Tafel) und Raudeck (Oberbayrisches Archiv 1880, Tafel III.) die Appian für seine Topographie vorbereitet hatte, müssen wir das z.B. annehmen; der grofse Geograph hatte mit einigen Gehilfen, »in die sechs oder schier sieben Summerzeiten« das Land bereist und als Ausbeute aufser seinen bayrischen Landtat^ln noch über dreifsig Stadtansichten mitgebracht, deren nie zur Verwendung gekommene Holzstöcke aus dem Besitze der Münchener Bibliothek leider verloren giengen. Wie er diese und andere Vorbilder auch verarbeitet haben mag, Merlans Stadtbilder bleiben in ihrer vollendeten Technik und ihrem künstlerischen Aufbau die schönsten und reifsten Arbeiten des deut- schen Prospektestichs.

Um diese Zeit, um die Mitte des 17. Jahrhunderts, beginnt sich auch in den Nachbarländern das Interesse für die Prospekteproduktion zu regen: in Italien war wenig tüchtiges seit der Mitte des 16. Jahrhunderts mehr geleistet

3) dafs der Vorwurf auch für unser Gebiet mit einigem Grund erhoben wurde , geht aus den oben angeführten Worten'^S. Münsters hervor.

4) Das umfangreiche Buch von H. Eckardt, Mathäus Merian u. s. w., Basel 1887 ent- hält wenig neues oder brauchbares zu unserer Frage.

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worden; jetzt erst beg-ann sich auch Frankreich und besonders Holland an der Kupferstecherarbeit lebhaft zu beteiligen; vornehmlich in Amsterdam war es, wo eine g-rofse Anzahl von Offizinen technisch tüchtige Ansichten der engeren Heimat wie des Auslandes herausgab, die in der Staffage oder den ornamentalen Zuthaten von den Meisterwerken holländischer Kunst einen ansprechenden Abglanz bewahrt haben. Jede Offizin hatte ihr Spezialgebiet: Nicolaus Vischer glänzte durch seine idyllische Staffage in der Art eines Ostade, die Firma Govens und Mortier warf sich mit Vorliebe auf die orientalischen Städte und Landschaften, liefs es dabei auf eine grobe Mystifikation nicht ankommen und verdeckte meist die mangelhafte Genauigkeit in dem wiedergegebenen Stadtbild durch Palmen, Ka- mele und turbangeschmückte Kaufherren; F. de Wit, einer der sorgfältigsten unter diesen Amsterdamer Stechern von der Zeit um 1700, strebte nach "mög- lichst vollständiger Wiedergabe aller holländischen Städtchen , Flecken und Forts , die er mit sicherer Hand in Parallelperspektive niederzeichnete. Die französischen Stadtprospekte, in dieser Zeit sehr zahlreich, beschränken sich meist auf die Wiedergabe von Festungsplänen, bei denen das verworrene System von Bastionen und Ravelins die Hauptsache bildet.

Im Laufe des 17. und im 18. Jahrhundert hat die Stadtansicht eine ganz andere, populäre Bedeutung angenommen, sie entspricht dem modernen photo- graphischen Stadtbild, welches der Reisende sich zur Erinnerung mitnimmt. Man versteht jetzt die Kupferplatte leichter und rascher zu bearbeiten, kann in- folge dessen durch einen geradezu fabrikartigen Betrieb billige Bildnisfolgen oder Ansichten von Städten und Festungen, die gerade durch irgend ein Kriegs- oder Naturereignis merkwürdig erscheinen, auf den Markt bringen. Die Kauf- lust des Publikums für solche Dinge mufs zur Zeit eines Bodenehr ganz uner- schöpflich gewesen sein, um diese Menge von Kunstverlegern und Kupferstechern zu ernähren; die meisten safsen in Augsburg und Nürnberg beisammen und kopierten einer den andern so schlecht sie's eben konnten. Wenn noch eine Firma sich daran wagte, neue Aufnahmen zu publizieren, so mufste sie sich mit teurem Gelde natürlich das kaiserliche Privilegium für die und die Kreise des Reichs auf sechs oder acht Jahre erwerben und das auf dem Rande des Blattes zum Schutz gegen allzu plumpe Ausbeutung angeben. So nährte sich die Offizin des Mathäus Seutter zu Augsburg fast ausschliefslich von den Prospekten des gewissenhafteren Homann in Nürnberg, und der Besitzer bekam trotzdem im Jahre 1730 für seine Plagiate den Titel eines Hofgeographen kaiserlicher Ma- jestät.

Um die Marktware zugkräftig zu erhalten, versuchte man mancherlei: der Nürnberger Verleger David Funk, der sich um 1680 des unfähigen Stechers Lukas Schnitzer bediente, um Merlans und anderer Stadtbilder nachzustechen, setzte unter seine Blätter lateinische oder deutsche Lobgedichte in schlechten Reimen , Gabriel Bodenehr gab auf dem Rand einen knappen geschichtlichen Text, den er meist auch, wie seine Ansichten, den Topographien entnommen; grelle, schablonenhaft aufgetragene Farbe sollte die Kauflust des Volkes reizen, oder übermäfsiges Format, wie es Joh. Balth. Probst liebte, die mangelhafte Zu- verlässigkeit ersetzen.

Was seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts noch an Einzelblättern an- gefertigt wurde, sind durchweg Arbeiten von grofser Zuverläfsigkeit und sorg-

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lältiger Ausführung. Die Zeichner sind meist Leute, die in der Architektur prak- tisch und theoretisch geschult sind: unter den Steinmetzen ist die Kunst des Reifsens, die Übung- sorgsam ausgeführter Entwürfe mit genauer Angabe des Reduktionsmafsstabs immer mehr eingebürgert; ihre getuschten Federzeichnungen, wie die des Nürnberger Meisters Johann Bien, von dem das germanische Museum unter einer ganzen Reihe wertvoller Blätter auch einen interessanten Entwurf zur Erweiterung der Stadtbefestiguug von 1632 besitzt, sind die Vorläufer der musterhaften Perspektien und Grundrisse, welche die Ingenieuroflfiziere des 18. Jahrhunderts uns hinterlassen haben. Ein mustergiltiges Beispiel der bis in die kleinsten Einzelheiten mit peinlicher Zuverlässigkeit gearbeiteten Blätter dieser Art, die auf malerische Wirkung allerdings zum grofsen Teil verzichten müssen, steht etwa am Ende der ganzen Entwickelungsreihe der grofse Prospekt von Luzern, ein Kupferstich von 170 x 90 cm., den F. X. Schuhmacher, des grofsen Rats und alt Landsbauptmann zu AViehl in S. Gallen, im Jahre 1792 vollendete, eine Aufnahme von bewundernswerter Sorgfalt der Ausführung.

In neuerer Zeit hat erst die lithographische Ansicht und dann die Photo- graphie den alten Prospekt abgelöst und mehr als nötig vergessen lassen.

Nürnberg. KarlSchaefer.

Ein Porträt H. L. Schniifreleins im gernianischeii )laseum.

(Papier auf Eichenholz aus der Sammlung des Konsuls Bamberg, alte Nr. 252.)

(Mit einer Abbildung auf S. 65.)

nter Nr. 211 besitzt die Gemäldegalerie des germanischen Museums eine kleine Tafel, auf welche ich die Aufmerksamkeit der Fachgenossen lenken möchte. Bisher ist dieselbe in der Litteratur nicht erwähnt , auch bei Thieme nicht. Vielleicht liegt dies an dem geringen Umfang des Bildes (0,15 m hoch und 0,19 m breit), vielleicht auch daran, dafs es im Katalog der Gemälde^ 1893 einfach als »Nürnbergisch von 1509« bezeichnet ist. Oben ist das Bild monogrammiert und datiert. Wie die beigegebene, auf Grund einer genauen Gelatiuetafelpause hergestellte Zinkotypie beweist, besteht das Monogramm aus dem kombinierten H und S, entspricht also dem von Schäuffelein in früheren Jahren angewandten Monogramm doch ohne Beigabe der Schaufel. Die Angabe des Katalogs, der das Monogramm ungenau abgebildet hat, wonach dasselbe aus Majuskel H und einer Minuskel d kombiniert sei, ist als ein Versehen zu bezeichnen. Eine solche Verbindung ist, wie ich glaube, für den Anfang des 16. Jahrhunderts nicht nachweisbar.

Dargestellt sind auf dem Bilde zwei gegeneinanderstehende Brustbilder eines älteren Mannes (links) mit wallendem Bart- und Haupthaar, mit oliven- grünem Gewände und einer jungen Frau in weifsem haubenartigem Kopftuche und rotem, schwarzgesäumtem, ausgeschnittenem Gewände; darunter ist das olivengrüne Untergewand sichtbar. Der lange Zipfel des Kopftuches kommt über der rechten Schulter hervor und fällt über die Brust schleierartig auf die schmale am unteren Bildrande sich entlang ziehende Brüstung.

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Ein Monogramm ohne Schaufel ist auf manchem der frühen Holzschnitte, nachgewiesen, z.B. in Ulrich Finders »Beschlossener Gart des rosenkranz marie« Nürnberg- 1505. Monogramm und Datierung- sind unzweifelhaft echt und reprä- sentieren somit das älteste sicher datierte und monog-rammierte Bild des Künst- lers; es tritt also in der zeitlichen Reihe der AVerke zwischen den Christus am Kreuz mit Johannes und David von 150(8) im german. Museum und den hl. Hieronymus im Rudolfinum zu Prag- von 1510. Stilistisch läfst sich das Bild ganz wohl in das Werk Schäuffeleins einfügen. Der männliche Kopf entspricht einem von Schäuflfelein häufig angewandten Typus, den wir u. a. an dem Johannes des ebenerwähnten Bildes ^), sowie besonders an dem Christgartener Altar nach-

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weisen. Es ist ein Männerkopf in reiferem Alter mit langem, wallendem Barte und merkwürdig weit vorgeschobenem Unterkiefer mit öfters verzeichnetem Munde, wie dies an unserem Bilde in hervorragender Weise und etwas schwächer bei dem aus dem Kerker durch den Engel befreiten Petrus des Christgartener Altars der Fall ist. Ferner vergleiche man den alten Apostel mit dem Stabe auf dem Begräbnis der Maria desselben Altars (Thieme Tafel V), den Kopf eines

1) photogr. ebenso wie der Christgartener Altar von Höfle in Augsbui-g. Die Bilder des letzteren z.T. auch in Lichtdruck bei Thieme. H. L. Schäuffeleins malerische Thätigkeit. Tafel IV u. V.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895.

IX.

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Scherg'en auf der Kreuztragung- in Leipzig bei Herrn Dr. Hans Deraiani (Tiiieme Tafel III), sowie den Apostel Jacobus major auf dem Wagersehen Epithaph in der Nördliuger Rathaussammlung. Wir haben es hier anscheinend mit einem Typus zu thun, der vielleicht auf ein den Maler interessierendes Porträt zurückgehen mag.

Thieme erwähnt (S. 59) einen analogen Fall. H. Sertz auf dem ebener- wähnten Wagnerschen Epitaph mit stark gebogener Nase und Kinubart , trägt »ein so individuelles Gepräge, dafs wir in ihm ein Porträt erblicken müssen. Es kehrt von diesem Zeitpunkte an sehr oft auf Schäuffelein'schen Bildern wie- der, wird aber auch bald typisch und ausdruckslos.«

Das Porträt des german. Museums, denn als ein Porträt mufs es an- gesehen werden ist wahrscheinlich das Urbild dieses Typus und scheint nach einer Zeichnung des Meisters ausgeführt zu sein. Der weibliche Kopf, offenbar die junge Gattin des älteren Mannes darstellend, hat unter den weiblichen Köpfen Schäuffeleins Analoge; ich erwähne hier die Judith auf dem Nördlinger Rathaus- bild von 1515 (Kopfbedeckung!) Der männliche Kopf ist z. T. später übermalt worden, wodurch die ohnehin schon verzeichnete linke untere Hälfte des Gesichts noch unnatürlicher wurde. Dagegen ist das Inkarnat und die Gewandung ziemlich intakt geblieben. Verwandt ist mit unserem Porträt das ebenfalls von Thieme nicht erwähnte auf Holz gemalte Porträt im german. Museum (229 a, 0,38 m hoch, 0,21 m breit), einen älteren blondbärtigen Mann in grauem kutten- artigem Gewände und grauer Kappe darstellend. Es ist ein Brustbild nach rechts auf schwarzem Grund. Links oben steht das von Deschler in Augsburg- gefälschte Monogramm A.Dürers und die Jahreszahl 1511; darunter finden sich aber Spuren der älteren Bezeichnung. Das Bild ist dem Museum als Depot der Familie Mezger in München übergeben.

Das Porträt 211 ruft auf den ersten Anblick Zweifel hervor, doch glaube ich an der Echtheit desselben festhalten zu können. Geschlossen sind jedoch die Akten über die Frage noch nicht und vorliegende Notiz hatte nur den Zweck, dem Bilde die Aufmerksamkeit zuzuwenden, die es verdient.

Nürnberg. Edmund Braun.

Zur Dürerforschuiig im 17. Jahrhuudcrt.

s sind nur wenige eigenhändige Manuskripte Dürers auf uns gekommen, die über sein Leben und Wirken Aufschlufs geben. Die grofse Mehrzahl der Aufzeichnungen des Künstlers ist nur in Abschriften erhalten, die ohne Ausnahme dem 17. Jahrhundert angehören. Dazu kommen aus eben dieser Zeit eine Reihe von mehr oder weniger bekannten und benutzten Biographieen, die traditionelle Überlieferungen oder auch vielleicht Nachrichten bringen können, welche aus jetzt verlorenen Quellen geschöpft sind. Ohne weiteres ergibt sich dar- aus, dafs jene Periode für die Dürerforschung im Allgemeinen von eminenter Bedeutung ist, dafs aber auch die einzelnen biographischen Denkmäler einer genauen Prüfung und Vergleichung auf ihren Zusammenhang hin bedürfen, wenn wir erkennen wollen, in wie weit Fabel und Wahrheit in ihnen erhalten

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ist. Um zu wissen, welcher Wert der Tradition beigelegt werden darf, müssen wir orientiert sein über alles, was das 16. Jahrhundert von Dürer zu berichten Wulste.

Dürer starb 1528. Wenige Jahre vorher hatte Nürnberg einen vorwiegend protestantischen Charakter angenommen. Nicht ohne Bedenken und Schwierig- keiten konnte die Reformation ihren Einzug halten, und die Lage der Stadt be- dingte ein lavierendes Verhalten in den politischen Streitigkeiten und Fehden, die sehr bald aus den religiösen Fragen erwuchsen. Ein derartiges Lavieren aber, das zum Überflufs von den Vätern der Stadt öfter übertrieben und im un- rechten Momente angewandt wurde, bringt stets eine allgemeine Aufregung mit sich. Fehden und Prozesse mit den Markgrafen kamen dazu. Wenn eine Stadt in solcherweise von den Zeitläuften engagiert, wenn sie selbst eine schwierige Rolle in der Zeitgeschichte mitzuspielen gezwungen ist, kann es nicht Wunder nehmen, dafs sich in ihr wenig Neigung zu historischer Forschung geltend macht. Derartige Dinge pflegt man begreiflicher Weise meist nur in Zeiten des Verfalls oder der gesättigten Ruhe zu treiben.

So mufste es kommen, dafs* der Einzige, der gegen Ende des zweiten Vier- tels des 16. Jahrhunderts in Nürnberg kunstgeschichtliche Notizen zusammen- schrieb, bereits mangelhaft und fehlerhaft über Dürer unterrichtet war.

1547 verfafste Johann Neudörfer, Schreib- und Rechenmeister zu Nürnberg, seine Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst. Von ihm erfahren wir in dem kurzen Abschnitt über Dürer, dafs unser Künstler im 13. Lebens- jahre von seinem Vater nach Deutschland geschickt sei, um bei Martin Schön in Nürnberg die Malerkunst zu erlernen. Es ist undenkbar, dafs Neudörfer die Familienchronik Dürers vorgelegen hat. Unerklärlich will es scheinen, wie man den Künstler als Nürnberger aufgeben, ihn in Ungarn geboren sein lassen konnte. Flüchtige Einsicht in die biographischen Notizen von Dürers Vater, ungenaues Weitererzählen des Halbverstandenen mag den Grund zu dieser Sage gegeben haben, welche sich bald weit schroffer noch ausbildete und eine fast abenteuer- liche Gestalt annahm. Hören wir eine alte Biographie erzählen: »Historia von Albrecht Dürrer. Anno domini 1471 ist Willibald Pirkheimer geboren worden. Umb diese Zeit (ungefähr wenig Jahr zuvor oder hernach) ist Martin Schon ge- boren. Dieser Martin Schon ist ein Goldschmied worden. Willibald Pirkheimer aber hat woU studieret und ist ein hochgelehrter weiser verständiger Herr des Kaisers, des Königs in Spanien, des Königs in Frankreich und Senator zu Nürn- berg worden. Mittler Zeit, da Martin Schon auf sein Goldschmiedhandwerk ist Meister gewesen und zu Haus gesessen, ist ein armer Schüler vom Gebirg her- unter kummen, und hat zu Nürnberg umb Brot vorn Häussern gesungen. Dieser Schüler oder mendicus hat dem Martin Schon, Goldschmied, gefallen, ihn ange- nommen und das Goldschmiedhandwerk lernen wollen. Nun ist mit diese-m Schü- ler oder Goldschmiedsbuben nach gemeinem Sprichwort gangen: was zur Nessel werden will, das brennt bei Zeit. Und dafs ich seinen Namen nicht lang ver- halte, so ists denn der Albrecht Dürer gewest, welcher hernach nach dem Apelle der kunstlichste Maler worden ist. Dann er hat sich bei seim Meister Martin Schon Tag und Nacht geübet mit Reissen und Stechen, also vill und lang des Nachts beim Licht gesessen. Nun hat der Herr Pirkheimer gegen den Gold- schmied über gewohnet, der hat das Licht so lang brennen sehen, und defshalb

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den Goldschmied gefragt, wer des Nachts so lang beim Licht sitze. Hat er ge- antwortet, es sei sein Lehrbueb. Da hat der Herr Pirkheimer den Schon g-e- betten, er solle den Bueben ihme zukommen lassen, er wolle einen Maler aus ihn machen. Dann obgedachter Herr Pirkheimer ist ein Alchimist gewesen, die schönsten Farben und Säfte aus allerlei Blumen machen können. So hat er auch des Apelles Gemahl und Kunst etlich Bücher voll gehabt, welche er mit grofsen Unkosten aus Graecia bekommen hat. Und also hat der Albrecht Dürer die schönsten künstlichen Farben vom Pirkheimer gelernt, hat darnach die aller- best Apellische Kunst gehabt. Aber Herr Pirkheimer hat seine Zeit und Leben nur mit Studieren und Kunstelieren volnbrachl: und seine Kurzweil mit Albrecht Dürer gehabt, und da er anno 1524 in Gott verschieden, hat er all sein Ein- kommen oder Besoldung, die er vom Kaiser, König in Hispania, König in Frank- reich gehabt, dem Albrecht Dürer verschaffet und beim Leben zu wegen ge- bracht, dafs also der Dürer nit umb Gewinnst willen hat malen dorfen, sondern nur zur Lust und seinen Herr zu Wollgefallen. Das bar Geld aber und das Gut, das der Herr Pirkheimer bei seinem Leben gesamblet und geworben, hat seine Schwester sambt vill Dürerischer und Af)el lischer Kunst geerbet, welche den Wilbaldt Lnhoff den Eltern zu der Ehe gehabt hat und die Höfischen die- selben Kunst noch haben sollen. Und weil der Albrecht Dürer mit seinem Weib kein Erben verlassen, ists alles auf seinen Brueder Andreas Dürer, welcher das Goldschmiedhandwerk von Martin Schon aus gelernt und Meister zu Nürnberg gewest ist, gekommen, und dieser Andreas Dürer Goldschmied hat auch keinen Erben verlassen. Deshalb, da er gestorben, ist alles seinem Weib blieben, welche etwa im Böheimschen Gebirg daheim ist gewesen, und da diese Wittib auch ge- storben, haben ire Freunde aus Boheim des Albrechts und Andreis Dürers Gut geholet und unter sie geteilet, dafs nichts zu Nürmberg blieben ist von gestochen Kupfern oder holzgeschnittnen Stöcken.«

Die Handschrift, welche uns jenes Phantasiegemälde überliefert, ist die älteste von den abschriftlichen Dürerbiographieen , welche mir begegnet sind. Sie stammt offenbar noch aus dem Ende des 16. Jahrhunderts. Ein Originalmanu- skript haben wir nicht vor uns. Die saubere Schrift ist nicht allein Beweis da- für, sondern vor allen sinnlose Schreibfehler, die bestimmt auf einen Abschreiber weisen. Gedruckt habe ich die Erzählung nirgends gefunden. Es sind also wahrscheinlich, wie einige Jahrzehnte später von den besseren Biographieeu, eine gröfsere Anzahl von jenen Abschriften, vielleicht längere Zeit bereits, in Umlauf gewesen, die aber wohl nach Einzug besserer Erkenntnis vernichtet wurden. Und nur der Zufall mag uns eines dieser Opera erhalten haben. Zweier- lei aber beweist uns diese Handschrift: das Interesse an dem grofsen Künstler war wach geblieben, man kannte seinen Namen und war stolz auf ihn, aber die Sage hat sich seiner bemächtigt und ihn in einen fast mythischen Schleier ge- hüllt, während die Forschung sich nicht bemühte, letzteren aufzudecken.

Die Hochschätzung Dürers um jene Zeit beweisen ja auch die zahlreichen Gopien oder Fälschungen, die im 16. bereits zu seinen Lebzeiten und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts nach seinen Werken vorgenommen wur- den von Künstlern, die unter der Firma des weltberühmten Malers besseren Ab- satz für ihre mangelhaften Leistungen zu finden hofften. Seine gedruckten

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Bücher fanden neben seinen Kunstwerken weite Verbreitung, und es sei nur beiläufig- bemerkt, dafs auch Luther des Camerarius Übersetzung- von Dürers Proportionslehre besals. Das Buch befindet sich jetzt auf der Nürnberger Stadt- bibliothek und trägt die Widmung: D. Martino Luthero patri suo Vitus Diethrich D. D. (Will VIII. 354).

Garel van Mander, der 1377 in Nürnberg sich aufhielt, gibt, ebenso wie Neudörfer, in seinem Malerbuche, dessen erste Auflage 1604 erschien, als Lehr- meister Dürers den »hübschen Martin^ an. Als Geburtsjahr nennt er 1470. Und auch er weifs eine Anekdote zu erzählen, die Geschichte von dem Edelmanne, der sich weigert, Dürer beim Malen an einer hohen Mauer Hülfsstellung zu geben, vom Kaiser Maximilian aber dazu gezwungen wird.

Das allmählige Erwachen des historischen Gefühls und der sichtenden Kritik entzieht sich naturgemäfs uusern Augen, umsomehr, als uns fast gar keine Druckwerke, sondern nur undatierte Handschriften zur Erkenntnis zu Gebote stehen. An Stelle des Beweises mufs häufig die Vermutung treten.

Die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts und die ersten beiden Jahrzehnte des 17. waren für Nürnberg politisch ziemlich ruhig. Krankte auch damals schon der Stadtsäckel, so war doch in den Handelshäusern solider Wohlstand vertreten, so dafs man mehr allgemeines Interesse an Kunst und Künstlern vor- aussetzen sollte, als in Wirklichkeit vorhanden war. Doch die ernsten Zeiten wirkten noch nach, und ernsten Dingen wandte sich zunächst das Interesse zu. Die 1575 gegründete Universität Altdorf hatte vorwiegend protestantisch-theo- logischen Charakter, und in der Stadt selbst hatte man sich vor den reaktionären Bemühungen der Katholiken und dem eifrigen Wühlen der zahlreichen Sektierer zu hüten und ihnen zu steuern. So kam allmählich erst die innere Ruhe über Nürnberg, wenn auch das äufsere Leben im heiteren Frohsinn dahinzog; und mit der Ruhe kehrte das historische Interesse an Nürnbergs grofsen Künstlern, besonders an Albrecht Dürer, ein.

Nur kurze Zeit, und die Stadt ward aus ihrem Frieden gerissen. Der dreifsig- jährige Krieg führte sie an den Rand des Verderbens. Dennoch spriefst die For- schung weiter. Wie zu Ende des vorigen und zu Anfang dieses Jahrhunderts, barg man sich vor den Stürmen der Gegenwart in den Blumengärten der Ver- gangenheit, oder man log sich, wie die Pegnitzschäfer, in eine Idealwelt hinein. Der satten Ruhe war die Zeit des Verfalls gefolgt , und so unmittelbar auch der Umschlag eintrat, auf die historische Forschung wirkte er nicht, weil für sie beide Perioden in gleicher Weise förderlich waren.

Die auf Dürer bezüglichen Handschriften, welche uns das 17. Jahrhundert übermittelt hat, zerfallen in drei Kategorien. Die erste liefert eine Abschrift des niederländischen Tagebuches und im Anschlufs daran die sogen. Hauersche Biographie. Hiervon sind bisher zwei Exemplare gefunden worden, eines auf der Bamberger Bibliothek , das andere im kgl. Kreisarchi-v zu Nürnberg. Die zweite Gattung liefert die Hauersche Biographie Dürers als erste einer Reihe von Lebensbeschreibungen Nürnberger Künstler. Die letzteren sind aus Neu- dörfer entlehnt. Zum Schlufs findet sich meist eine Zusammenstellung der »Na- men und Zeichen aller Künstler«. Sie bietet also auf Dürer bezüglich gegen die erste Kategorie nichts Neues und ist nur zur Festlegung des Textes und

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zur Bestimmung- des Alters der Handschriften wertvoll. Die dritte Art endlich beginnt mit der Abschritt der Familienchronik Dürers und schliefst daran an eine gröfsere Zahl von Bemerkungen und Beschreibungen, die im Einzelneu zu betrachten sind. Da diese Klasse durch die Abschrift der Familienchronik von hervorragender Wichtigkeit ist, nenne ich die Zahl der erhaltenen Exemplare: eines befindet sich in Bamberg, zwei auf der Stadtbibliothek zu Nürnberg. Als Unikum hat sich eine Abschrift der Gedichte Dürers erhalten. Sie ist jetzt Eigentum des germ. Nationalmuseums ^).

Campe nimmt an, dafs die erste Blütezeit der Dürerforschung erst nach Beendigung des SOjährigen Krieges anhebt und sich hauptsächlich an den Namen Sandrart anschliefst. Ich möchte hingegen behaupten, dafs sie mit Sandrart ab- schliefst. Gleichwohl aber werde ich mit der Betrachtung seines Aufsatzes über Dürer beginnen, da diese Arbeit fest datiert und sicher beglaubigt vor uns liegt. Schon bei einer oberflächlichen Durchsicht des Saudrartschen Aufsatzes wird man sich des Eindruckes , etwas Zusammengetragenes , aber nicht einheitlich Verarbeitetes vor sich zu haben, nicht erwehren können. Heller schon wirft Sandrart vor,, dafs er hauptsächlich aus Carel von Manders Werk geschöpft habe, ohne, wenigstens in der Angabe der Kunstwerke Dürers, etwas wesentlich Neues zu bringen. Auch Quad ist stark benützt. Ein genaueres Verzeichnis der Quellen hat Sponsel »Sandrarts Teutsche Akademie« gegeben. Sandrart kam 1674 nach Nürn- berg, nachdem er sich vorher dort bereits öfter aufgehalten hatte. 1673 gab er seiner Teutschen Akademie der Bau- und Malerei-Künste ersten, 1679 den zweiten Band heraus. In dem Abschnitte über Dürer druckt er zum ersten Male Dürers Familienchronik ab. Daran schliefsen sich, ebenso wie in den Handschriften, die ich unter die dritte Kategorie gesetzt habe, obwohl bereits eine Lebensbeschrei- bung vorhergeht, biographische Notizen, die mit den handschriftlichen Aufzeich- nungen eine wunderbare Ähnlichkeit zeigen, ohne ihnen wörtlich zu entsprechen. Auch die Wiedergabe einiger Briefe von Erasmus und ein vorgebliches Schrei- ben Georg Hartmanns (in Wirklichkeit der bekannte Brief Pirkheimers an Tscherte) finden sich hier wie dort. Vergleichen wir nun die zweite Kategorie der Handschriften mit dem Saudrartschen AVerke, so finden wir auch hier wieder in der Beschreibung von Adam Kraft, Veit Stofs etc., die von Neudörfer ent- lehnt sind, eigentümliche Übereinstimmungen. Zweierlei Möglichkeiten liegen also vor: entweder sind die Handschriften aus Sandrarts Werk excerpiert, oder aber Sandrart hat aus diesen abgeschrieben. Die Entscheidung fällt nicht schwer. Nehmen wir an, Sandrart wäre Original, so ist es ganz unbegreiflich, weshalb der Abschreiber einmal nur einige Nürnberger Künstler sich herausgesucht, dann aber vor allen, weshalb er diese nicht in der Saudrartschen Anordnung und nicht genau nach dem Saudrartschen Texte wiedergegeben hätte. Alles aber erklärt sich, wenn wir Sandrart selbst als Abschreiber betrachten. Als er

1) Die Handschrift ist publiziert ia »Dürers schriftlicber Nachlafs von Lange u. Fuhse« S. 74 ff. Kleinere Unregeliiiäfsigkeiten, die wahrscheinlich oder offenbar auf den Abschreiber zurückzuführen waren, wurden im Text entfernt, natürlich aber genau in den Texlnoten ver- merkt. Die Herausgabe geschah also nach Analogie unserer neueren phüologischen Publi- kationen. Wer Textnoten zu lesen versteht, vermag mit geringer Mühe den Wortlaut der Handschrift zu rekonstruieren (vgl. J. Springer in »Literarisches Centralblatt 1894, Nr. 47. Sp. 1707.).

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nach Nürnberg' kam, hatte er sicherlich seine Teutsche Akademie im wesent- lichen abgeschlossen. Nun fand er dort bei Bekannten in zahlreichen Abschrif- ten jene kunsthistorischen Sammlung-en vor, und er bedachte sich nicht, die- selben in sein Werk noch erg-änzend hineinzuarbeiten, ohne natürlich deshalb die Reihenfolge und Anordnung des Stoffes zu ändern. Und noch eine weitere Vermutung ist gestattet. Sandrart hat eine Abschrift des Tagebuchs der Reise in die Niederlande nicht vorgelegen, sonst würde er nicht das, nach ihm oft kolportierte Märchen erzählen, Dürer sei nach den Niederlanden heimlich abge- reist, um den Keifereien seines Weibes zu entgehen. Daraus aber dürfen wir schliefsen, dafs von dem Tagebuche schon damals nur wenige Abschriften exi- stierten. Die Länge desselben ist sicherlich der Grund dafür gewesen.

Nun tritt die Frage an uns heran: wer ist der Verfasser und Sammler der zahlreich verbreiteten handschriftlichen Notizen. Mit absoluter Bestimmtheit läfst sich diese Frage nicht beantworten, hohe Wahrscheinlichkeit aber spricht für den Maler Hans Hauer. Thausiug hat auf ihn schon hingewiesen, und be- sonders Leitschuh, der in den Vorbemerkungen zum Tagebuch der Reise in die Niederlande einen längeren Abschnitt Hauer widmet, auf den ich hier verweise^). Ein direktes Zeugnis für die Dürerforschung Hauers steht mir zu Gebote, und es ist deshalb interessant, weil es zeigt, wie Hauer entgegengesetzt den übrigen Sammlern jener Zeit eine Kritik anwendet, die von psychologischen Gesichts- punkten ausgeht, mag auch die eigentliche Beweisführung noch so schwach sein. Andererseits aber ist das Zeugnis beweisend für das lebhafte Interesse, das man in verschiedenen Kreisen Nürnbergs mindestens schon vor 1646 der Dürerforschung entgegenbrachte. Ich habe zwei Briefe im Auge. Der eine ist vom Plarrer Saubertus, der bereits 1646 starb, verfafst und an Hauer gerichtet. Letzterer hatte sich, und wie es scheint, nicht gerade in freundlicher Tonart der verbreiteten Meinung, welche auch Saubertus vertrat: Michel Angelo habe Dürers Gemälde aus Neid vernichtet, entgegengestellt. Der gelehrte Geistliche fühlt sich dadurch beleidigt und stellt den Künstler brieflich zur Rede. Aber Hauer gibt nicht nach, sondern erwidert, energisch seinen Standpunkt verteidigend. Der Brief von Saubertus lautet:

»Dem ehrbarn vornehmen und kunstreichen Herrn Johann Hauern, meinem lieben Herrn und Freund.

Neben meinem frl. Grufs und Wünschung eines gesunden Jahrs schicke ich dem Herrn diese Predigt, darinn er anfangs für ein ungereimt Ding ufge- nommen, dafs Michael Augelus des Albrecht Dürers Gemälde zerrissen. Welches hingegen neben Herrn Pirckamern viel andere in öffentl. Schriften bezeugt, auch erst neulich Herr Dr. Wurfbain in seinem historischen Werk mit mehrern er- zählt. Daher ich bitte, der Herr wolle sich in solchen Sachen nit übereylen. Weil mir glaubwürdig vorkommen, als ob Er auch gegen andern solch Notam historicam disputirlich gemacht, hoffe ich. Er werde vielmehr Ihm belieben lassen, gründl.ii Bericht bei mir selbst einzunehmen. Es soll ihm Blatt, Zeyl und Buch fleissig vor die Augen gelegt werden. Welches ich billich als ein guter Freund bei Ihm offenherzig ante (ahnde) und befehle Ihn der Gnade Gottes.

M. Job. Saubertus Past. Mariae.«

2) Vgl. dazu Dürers schriftl. Nachlafs S. 100.

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Die Antwort 3) lautet:

Es ist bei allen Kunstverständigen, sie seien Maler, Bildhauer, Goldschmied oder dergleichen Personen in g-anz Europa üblich: Wann einer etwas Wohlg-e- raachts zu eigen oder nur zu sehen bekomme, dafs er sich daran . . . erfreut und bespiegelt, was er selbsteu kann, und was ihme noch selbsten fehlet. Ist solches wol gemacht, so gebraucht er dasselbige ihm zur Lehr und hält es in hohen Ehren, Würden, ergötzt sich Tag und Nacht darmit und ist niemals uf der Welt bei keinem vernünftigen Künstler gesehen, dafs er aus Feindschaft ein solch wolgemacht Werk mutwillig verderbet hätte, darumb, weilen er dergleichen nicht machen könnte, wie solches von dem kunstreichen hocherfahruen Maler, Bildhauer, Architecto etc. Michael Angelo unbillicher W^eise beschrieben wird, als hätte er des ^^ seine Stücke, so vielen er daran bekommen können, ver- derbet, vertuschet und verbränt, da doch sein hoher Verstand, Discretion, Ver- nunft und Bescheidenheit viel ein anders an Tag gebracht, welches noch heu- tiges Tags in ganz Italia bekannt und mit Wahrheit ohne besondere Affektion durch unterschiedliche Autores beschrieben (als Gewährsmann wird Tomas Lan- sius, geb. 1577, f 1657, citiert) worden:

Als da er vom Papst selbst zu besonderer Hoheit erhoben und solches von Kardinalen ist wiedersprochen worden, hat der Papst geantwortet, er könne in einem Tag mehr dann lUO Kardinäle, aber in viel 100 Tagen nicht einen Michael Angelum^) machen. Anietzo Ihme andere denen erzeigten Hoheiten zu geschwei- gen, welche Ihme einig und allein von seiner Kunst und Discretion wegen sind angethan worden , welche einem Narren (wie mit Ungrund gesagt wird , die Künstler närrische Köpfe haben) selten, ja gar nicht widerfahren wird. Dann es wissen alle rechte Kunstverständige in Italia, Teutschland, Niederland, ja in ganz Europa, was Angelus (abermals wird Lansius citiert) für ein hocherfahrner Künstler gewesen. Seine Werke bezeugeus noch heutiges Tags. Man höre Kunst- verständige vom Unterschied der Malerey, so zwischen Angelo und ^n^, reden: es würde schwer beeden Meistern fallen, da einer dem andern seine (iemäl nach- machen sollte, welches Wilibald Pirckeimer viel mehr aus guter Affection gegen dem^^, als rechten Erkänntnus und Wissen geschrieben, so sich auch bey Künstlern nimmermehr vertheidigen läfst. Man mufs dem Schuster von seinem Schuh und jedem in seiner Kunst Gehör geben.

Michael Angelus und ^^^seind im Malen ganz ungleich einander gewesen, es hat sich jeder seiner sonderbaren Manier gebraucht, und wann einem kunst- reichen Maler oder Bildhauer ein gemaltes oder gehauetes Bild vom ^^ und dann ein solches von Michael Angelo, welches in gleicher Viele der Arbeit, sollte fürgesetzt werden, Er aber die Wahl darunter erkiesen sollte, so ist ge- wifs, dafs des Angeli seines hervorgezogen, und des y^^ seines geringer gehalten würde. Die ürsach kann kein Literatus, Theologus oder hochgelehrter Doctor,

3) So wenigstens stellt der Abschreiber den Zusammenhang dar. Nach dem Inhalte des Briefes von Saubertus wäre eher anzunehmen, dafs Hauer das Folgende, »diese Predigt», jenem und auch anderen Personen zugeschickt habe, worauf dann Saubertus Epistel erfolgte.

4) Michael Angelus, so ao. 1474 geboren, hat seine Güter und all sein ganz Vermögen zu drey underschiedlichen Malen unter seine arme Freund ausgetheilet. Starb 1564 seines Alters 90 Jahr.

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sondern der, so es studiert, geübt und selbst etwas Gutes machen kann, mit Fundament erweisen und anzeigen.

Es soll und kann aber dem ^^ sein Lob mit nichten genommen oder im geringsten verschmälert werden, dann es nunmehr durch so lange Zeit in ganz Europa ausgebreitet worden, welches Ihme zu Ehren auf dieser Welt unsterb- lich wol verbleiben wird.

Wann es wahr wäre, wie man mit Unwahrheit sagt: Grrofse Künstler, grofse Narren, so hätte es von dem yj^V auch mögen gesagt werden, man hat aber nie- mals Ihme mit Wahrheit eines seltsamen Narrenkopfs beschuldigen können, son- dern vielmehr, dafs er gar vernünftig und bescheiden (sonderlich bei seinem bösen Ehweib Xantippa) sein ganzes Leben zugebracht hat. Wann auch das Studieren einen Menschen sollte närrisch machen, so würde folgen, dafs allzeit ein gelehrter Mann müsse närrischer seyn, als eyner, der nichts als Holzhacken gelehret hätte.

Es ist aber dieses Sprichwort von demjenigen erdacht und wird von solchen Personen verificiert, welche im Grund nicht wissen, was Kunst ist.«

Wir dürfen also Hauer wohl den Namen eines Dürerforschers zuerkennen, zumal auch ein für die damalige Zeit ausgezeichnetes Verzeichnis der Dürerischen Werke, das durchaus kritische Beobachtung, wenn auch nicht Vollkommenheit zeigt, auf ihn zurückgeht. Murr hat dasselbe einer Handschrift nachgedruckt, und in dieser war es als Hauers Arbeit bezeichnet. In den zahlreichen mir vorliegenden Manuskripten fehlt die Angabe des Verfassers. Da aber dieses Verzeichnis regelmäfsig mit einer guten biographischen Beschreibung verbunden ist, so dürfen wir auch letztere wohl Hauer zuschreiben. Wie weit ihm auch die Abschriften des Tagebuches und der Familienchronik zu danken sind, ist mit Sicherheit nicht mehr festzustellen. Seine Verdienste um die Dürerforschung sind jedenfalls ganz hervorragende, und wenn auch seine Arbeiten nicht ge- druckt wurden, so nahmen doch viele Nürnberger Abschriften davon, die durch einzelne kleine, meist unbedeutende Zusätze vermehrt wurden. So finden wir bei Aufzählung der Kinder A.Dürers des Alteren unter Albrecht eingeschoben: Theophrastus beschreibet, dafs in ^i Geburtstund alle Planeten über der Erden in ihren Erhöhungen gestanden unter Hans: dieser Hans Dürer war des Königs in Polen Hofmaler unter Andreas: dieser Andreas Dürer hat endlich alle seine Verlassenschaft ererbet etc. etc.

Und nicht nur die Hauersche Biographie , sondern auch die Abschriften nach den Dürerschen Originalen fanden wiederum Gopisten. Ja, man begnügte sich nicht, bereits vorhandene Abschriften zu benützen, sondern suchte direkt die üriginalmanuskripte zu copieren, sodafs wir in der glücklichen Lage sind, durch Textkritik an von einander unabhängigen Handschriften dem Urtypus möglichst nahe zu kommen. Diese zahlreichen Abschriften aber beweisen mehr als jedes gedruckte Buch den regen Eifer und das allgemeine Interesse, dessen sich die Dürerforschung im 17. Jahrhundert, besonders in Nürnberg, erfreute.

Die Hauerschen Quellen sind klar ersichtlich. Seiner Arbeit ist die Familienchronik Dürers zu Grunde gelegt, wie er selbst sagt: '^i hat Ao, 1524 diese seine Ankunft, Lehr, Reis, Heyrath, Geschwistricht, alles selbsten in ein büchlein aufgezaignet, daraus dieses genommen ist. Daneben benutzt er Neu-

Mitteiluugeu aus dem germaii. Natioualinuseum. 1895. X.

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dörfer . erwähnt in ähnlichem Zusammenhange wie dieser die venezianische und niederländische Reise, sodafs es den Anschein erweckt, als ob seine Bio- graphie Beweis für die erste italienische Reise liefern könnte. Indessen ist aus der ganzen Verbindung klar ersichtlich, dafs Hauer nur im Allgemeinen von den beiden Reisen ins Ausland aus seinen Quellen wufste, ohne die Zeit zu kennen. Neudörfer hat ihn verleitet, die italienische, wie die niederländische Reise schon in die Zeit der Wanderjahre zu verlegen. Das Tagebuch kann Hauer also bei der Abfassung der Biographie noch nicht gekannt haben. Die venezianischen Briefe öcheinen ihm überhaupt entgangen zu sein.

Des weiteren werden die »mehreren Zeugnus vornehmer Leute von Albrecht Dürern« angeführt: Dr. Christoph Scheurl, Heinricus Pantaleon^), Erasmus von Rotterdam, Georg Hartmann^), Pirkheimer, Georg Dambeck und Conr. Ritters- hus''), die letzten drei mit Gedichten.

Neben der Hauerscheu Dürerbiographie findet sich häufig eine zweite in den Handschriften abgeschrieben, die Matthias Quad zum Verfasser hat und in seiner »Nation deutscher Herrlichkeit« bereits 1609 gedruckt ist. Sie ist reich an Anekdoten, bietet aber einige interessante Bemerkungen, welche beweisen, dafs bereits damals der Dürerkult in Aufnahme kam. Er schreibt über die Werke des Künstlers: »Was seine Kupferstuck angeht, so werden derselben insgemein hundert gezellet, von kleinen, grossen und mittelbaren durch ein- ander, neben diesem sindt noch (aber sehr kummerlich zu finden) vier oder funff zum högsten, welche noch unvolkomen: und dis wird heutiges Tags das Buch Dureri genant, unnd waferu dieselbige Truck reinlich und wol ausgetruckt sindt, beleufft sich diefs Buch ungelehrlich hundert goltgulden^): etliche sindt über die hundert Frantze Gronen verkaufet worden, etliche under die funfiftzig Cronen, nachdem sie frisch oder schlecht von papier und Truck waren. Man findt ein klein rundes Grucifix darunder, ungefehr eines halben Reichsdalers gros, kostet über zwo Cronen .... Seine manuscripta, und andere schlecht hin entworflfene papierlin werden von den Kunstnern und andern admiratoribus für Heiligthumb verwaret: Seine Tafeln und Schildereien für die bögste und edelste Kleinoder auffgesetzt unnd gehalten, das man von etlichen auch gelt geben mufs, der sie nur besehen und abspiculiren wil«. Der Kupferstich, Pirkheimer darstellend, kostete, wie Quad S. 408 mittheilt, damals 10 Batzen.

Dafs die Abtretung der Apostelbilder oder Temperamente seitens der Stadt im Jahre 1627, sowie der Verkauf der Imhoff'schen Sammlung 1636 sicherlich gerade in Nürnberg ein erhöhtes, wenn auch mit schmerzlichen Gefühlen unter- mischtes Interesse an Dürer und seinen Werken wachgerufen habe, ist wohl

5) Heinr. Pantaleon, »ein Theologus, Medicus und Hisloricus zu Basel«. (Jöcher) 1S22— 1S9S.

6) Georg Hart mann, ein Mathematicus und Theologe, geb. 1489, f als Vicarius bei der Sebalder Kirche zu Nürnberg 1564.

7) Conrad Rittershausen oder Rittershusius, 1360 zu Braunschweig geboren, stirbt als Professor zu Altdorf und Konsulent der Republik Nürnberg 1613.

8) Die Krone hatte einen Goldwert von ca. 6.3o dk. der Goldgulden einen solchen von ca. 5,36 JL i Goldgulden = "1 Gulden 12 Albus, 1 französ. Krone = 3 Gulden 4 Albus.. Der deutsche (SUber-) Gulden = lo Batzen = 38 Stüber.

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selbstverständlich. Andererseits zeig-t dieser Umstand, dafs die Wertschätzung des Künstlers weit über Nürnberg-s Mauern hinausging-.

Überblicken wir die erste Blüteperiode der Dürerl'orsehung noch einmal in aller Kürze, so erhalten wir ungefähr folgendes Bild: schon in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts sammelte man eifrig alles auf Dürer Be- zügliche. Diese Sammlungen wurden von Hauer durch Abschriften von Originalen erweitert und durch Anfertigung einer gewissenhafteren Biographie Und eines Verzeichnisses der Werke Dürers verständlicher gemacht. Die Abschriften und Aufsätze Hauers aber fanden, wohl durch Bemühung des Verfassers selbst, einen weiten Leser- und Benutzerkreis und dienten auch Sandrart bei seinen Arbeiten, mit dessen Tode das Interesse an Dürer in Nürnberg zu sinken scheint, bis es im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wieder erwacht. Für uns aber haben alle diese biographischen Zusammenstellungen nur historisches Interesse, wir können dank der Thätigkeit der Künstler des 17. Jahrhunderts zu den' Quellen selbst zurückgehen und dürfen uns auf das, was über sie hinaus uns berichtet wird, nicht stützen, denn es ist fast ausnahmslos Fabel. Wir haben jenen Leuten nicht für ihre Forschung, sondern nur für ihren Sammeleifer zu danken, durch den wichtiges Quellenmaterial, wenn auch nur abschriftlich, uns erhalten ist.

Nürnberg. Dr. F. Fuhse.

Dentsclie Grabdenkmale.

|nter den Sammlungen des germanischen Museums ist die der (rrabdenk- male, obwohl sie nur wenige Originale enthält, eine der lehrreichsten. Um eine vollständige Sammlung von Abgüssen , soweit sie von künst- lerischer Bedeutung, oder dem Gedächtnis bedeutender Personen gewidmet sind, kann es sich in einem Museum nicht handeln. Was augestrebt, und mit grofser Umsicht ausgeführt wurde, ist ein Überblick der vorkommenden typischen For- men und ihrer historischen Entwickelung. Für das Mittelalter ist dieses Ziel nahezu erreicht, und sind nur noch wenige Lücken auszufüllen. Mit der Samm- lung von Grabmalen späterer Jahrhunderte ist erst begonnen; mehr noch als in der mittelalterlichen wird in dieser Abteilung eine Beschränkung auf das Wich- tigste notwendig sein.

Die Grabmale sind gröfstenteils in den Kreuzgängen des Museums unter- gebracht. Der grofse Kreuzgang enthält beim Eingang römische und altchrist- liche, weiterhin in seinen drei Flügeln in chronologischer Folge mittelalterliche Denkmale. In den kleinen Kreuzgängen sind die Denkmale der Renaissance aufgestellt.

Wenn auch die Sammlung noch keineswegs abgeschlossen ist, so kann sie doch einer zusammenhängenden Betrachtung der Entwickelung der Grabplastik in Deutschland als Grundlage dienen.

Pflichten der Pietät und der religiösen Moral haben ebenso wie das Ver- langen des Einzelnen, sein Gedächtnis über die Grenzen seines Lebens hinaus erhalten zu wissen, schon in den frühesten Zeiten menschlicher Gesittung dazu geführt, über der Ruhe.stätte Verstorbener Denkmale zu errichten. Über den Gräbern der homerischen Helden am Hellespont wölbt sich der Grabhügel ebenso,

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wie über denen der Urbewohner unseres Vaterlandes in den deutschen Wäl- dern und an den Küsten der Nord- und Ostsee. Unter dem Hüg-el ruhte der Tote in einer aus dem felsig-en Grunde g-ehöhlten Grabkammer, oder in einem aus Stein- oder Thonplatten hergestellten Sarge, oder es wurde, wenn die Leiche verbrannt worden war, die Asche in einer Urne beigesetzt, die im Altertum, wie bei den alten Germanen, nicht selten die Form des Hauses wiederholt.

Der Grabhügel ist die Urform des Grabdenkmales, seine künstlerische Um- gestaltung der architektonische Denkmalsbau über dem Grabe. Einfach, in starrer Grofsartigkeit erscheint er uns in den Pyramiden des Nilthaies, anmutig in vielen kleinen Bauten des römischen Alterturas, zur höchsten Kunstform durch- gebildet in den grofsen Denkmalsbauten der altchristlichen Zeit.

War die Grabkammer zugänglich, so erhielt der Sarg ein Gehäuse, den Sarkophag. Der Sarg selbst war von Holz, auch ßleisärge kamen vor, zuweilen wurde der Tote auch unmittelbar in den Steinsarg gelegt. Der Sarkophag als das Haus des Toten ist bei den alten Ägyptern dem Hause der Lebenden nach- gebildet und die Erinnerung an das Haus klingt, wenn auch die Form zeitweilig eine andere wird, immer wieder an. Aber nicht nur in Grabkammern, sondern auch im Freien fand der Sarkophag seine Aufstellung; so namentlich in Griechen- land und Kleinasien, wo auch die Hausform fast stets kenntlich bleibt. Bei den Etruskern tritt eine andere Form auf, die des Ruhebettes, auf welchen die Bild- uistigur des Verstorbenen lagert. In Rom tritt die tektonische Form zurück, der Sarkophag wird gewöhnlich nicht als Haus , auch nicht als Ruhebett ge- bildet, sondern als Kasten, die Form des Daches mit Eckakroterien ist gleich- wohl nicht ganz selten. Da er fast ausnahmslos an den Wänden der Grabkammer Aufstellung fand, beschränkt sich die künstlerische Ausstattung auf die Vorder- seite. Hier herrscht das figürliche Relief vor, Darstellungen aus dem Heroen- mythus, Nereidengruppen, Erotenscenen, welche nicht selten Abbilder der mensch- lichen Thätigkeit sind, sind die verbreitetsteu Gegenstände der Darstellungen, Die Frage, wie weit diese Darstellungen zu den Schicksalen des Verstorbenen in Beziehung standen, wie weit sie allgemein den Gedanken des Todes und des Wiedersehens aussprechen, oder beziehungslos sind, ist noch nicht ausreichend geklärt. Die Art der Gomposition ist vielfach die, dafs der Raum nicht durch eine Scene gefüllt wird, sondern, dafs eine Folge von Sceneu nebeneinander dargestellt ist. Der Stil ist der römische Reliefstil mit gedrängter Gomposition und hohem Relief.

Der Formenkreis der antiken Grabdenkmale ist mit dem Denkmalsbau und dem monumental ausgestatteten Sarkophage, der ja streng genommen nicht als Denkmal zu betrachten ist, keineswegs beschlossen. Wichtige Formen sind aufserdem die Stele, ein Steinpfeiler von einer Akroterie bekrönt, nicht selten mit Reliefs geschmückt, und die Grabplatte, welche in ihrem oberen Teil eine Aedicula mit Reliefdarstellung, im unteren die Inschrift trägt. Die Reliefs stellen gewöhnlich den Verstorbenen dar.

Die altchristlichen Begräbnisplätze sind entweder unterirdisch angelegt, die Katakomben, oder sie befinden sich als geschlossene Goemeterien über der Erde. In den Katakomben wurden die Toten in den Loculis, nischeuartigen Öifnungen in den Seitenwänden, welche mit Steinplatten geschlossen wurden, oder in Arcosolieu, aus Fels gemeifselten , von einer flach- oder bogenförmig

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g-eschlossenen Nische umschlossenen Sarkophag-en beigesetzt. In solchen Nischen wurden wohl auch Sarkophage aufgestellt. Bei der Bestattung sub divo wur- den entweder Grabkammern mit gemauerten Loculis errichtet, oder die Toten in Särgen oder Sarkophagen in die Erde versenkt oder endlich die Sarkophage frei aufgestellt. Die Gräber waren mit Steinplatten geschlossen. Inschriften fehlten nicht, zuweilen waren auch Denkmale über den Gräbern errichtet.

Die christliche Antike übernimmt den Formenkreis der heidnischen. Der grofsen Denkmalsbauten ist schon gedacht. Zahlreich sind die christlichen Sar- kophage. In den ersten Jahrhunderten unterscheiden sich ihre Darstellungen nicht von denjenigen der heidnischen, nur die Inschriften kennzeichnen die Verstor- benen als Glieder der Kirche. Mit dem Siege des Christentums traten natürlich die christlichen Darstellungen in ihr Recht. Eine Neuerung ist die Anordnung der figürlichen Darstellungen in zwei Reihen übereinander, sowie die Trennung einzelner Scenen oder Figuren durch Arkaden oder Palmen.

Das ist in flüchtigem Überblick der Kreis dessen, was die Antike an Grab- und Grabdenkraalsformen besessen hat und was durch die Kirche den Völkern des frühen Mittelalters übermittelt wurde. Ungleich sind, wie man weifs, die

Fig. 1.

Überreste der Antike verteilt und namentlich ist, was auf deutschem Boden ge- schaffen wurde, Erzeugnis einer Provinzialkunst, der nur ein äufserst beschränk- tes Können zu Gebote stand. Aber wenn uns die einzelnen Denkmale auch wenig ansprechen, so genügen sie doch, uns die Typen kennen zu lehren. Die Zahl der Denkmale ist keineswegs gering, namentlich in den Rheinlanden, und die Museen von Trier, von Mainz u. A. besitzen deren eine stattliche Reihe. Das germanische Museum hat aus der Zeit der Römerherrschaft nur Abgüsse von Grabdenkmalen. Es sind deren fünf aus dem 1.— 4. Jahrhundert. Gemeinsam ist allen die Darstellung des Verstorbenen in verschiedener Stellung unter einer Aedicula oder in einer einfachen Nische, darunter die Inschrift und einmal unter der Inschrift ein zweites Relief, das Pferd des Verstorbenen, gemeinsam allen das geringe Kunstvermögen, das sich in ihrer Bearbeitung kund gibt. Für die Kenntnis der Tracht und der Bewaffnung bieten sie einiges, ihre künstlerische Bedeutung ist eine ganz untergeordnete.

Aus dem 5. Jahrhundert besitzen wir den Abgufs eines altchristlichen Sar- kophagreliefs aus Trier (Fig. 1). Der Raum ist durch zwei Säulen in drei Felder

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geteilt. Das Relief des mittleren stellt Noah in der Arche dar, zu dem die Taube mit dem Ölzweig- zurückkommt. Noah steht mit seiner Familie in einem vier- eckigen, oben offenen Kasten, er und seine Frau grüfsen die von links oben heranfliegende Taube durch Erheben der rechten Hand. Auf dem Rand des Kastens lagern einige Tiere, ein Kind füttert einen Vogel. Das Technische ist noch geringer, als an den römischen Grrabsteinen, und die Ausführung von einer erschreckenden Unbeholfenheit, die Komposition aber entbehrt keineswegs einer frischen Auffassung, die das Bild trotz seiner Mängel erfreulich erscheinen läfst. Der Vorgang ist in der altchristlichen Kunst häufig dargestellt. Es fehlt mir hier das Vergleichsmaterial zur Bestimmung, wie weit die vorliegende Darstel- lung von älteren Vorbildern abhängig ist oder wie weit sie selbständige Züge enthält.

Fig. 2.

Die Säulen, welche den Raum teilen, haben eine starke Schwellung. Seit- lich sitzen nackte Figuren, Kränze windend, welche mit einem Ende an den Säulen befestigt sind.

Noch unbeholfener ist die Figur eines Heiligen mit Kranz und Buch unter einer Arkade von einem Denkmale im Domkreuzgang zu Mainz aus dem 5. Jahr- hundert. Ein zweites Stück desselben Denkmales (Fig. 2) zeigt unter einer ähn- lichen Arkade das Kreuz mit der Inschrift SGA GRVX SALVA NOS. Das Kreuz steht nach Art eines Vortragkreuzes auf einem Fufs. Die Archivolten der Ar- kaden sind mit Akanthusblättern besetzt, welche mit geringem Verständnis für den Organismus des Blattes gezeichnet sind; woher sollte es der Steinmetz in Mainz haben, da es doch auch seineu Genossen in Rom lange verloren ge- gangen war.

79 -

Wie diese letztgenannten, so steht auch eine Reihe kleinerer Grabsteine, welche teils auf dem merowing-ischen Friedhofe bei dem Liebfrauenstifte in Worms,

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Fig. 3.

teils in Mainz und sonst im Rheinlande gefanden wurden , noch in dem Kreise der christlich antiken Tradition. Es sind Inschriftsteine mit oder ohne symbo-

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Fig. 4.

lische Darstellungen. Die Inschriften sind lateinisch, aber Namen wie Grutilo, Aldvaluh, Ludino, Duda, Berthisindis u. A. beweisen ebenso, wie die den Ver-

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storbenen beig-egebenen Gegenstände, dafs es die Grabsteine Deutscher sind. Wir besitzen eine ganze Anzahl von Abgüssen dieser grofsenteils im römisch-ger- manischen Geutralmuseum zu Mainz aufbewahrten Grabsteine. Ich gebe als Beispiel den der Pauta (Fig. 3), auf welchem unter der Inschrift das Labarum, das Kreuzzeichen, das aus den Anfangsbuchstaben X P des Namens Ghristi zusam- mengesetzt ist und zwei Pfauen dargestellt sind. Die Zeichnungen sind in Um- rissen vertieft, kunstlos in den Stein gezeichnet.

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Fig. 5.

Fig. 6.

Jedes Schmuckes bar ist der Originalgrabstein eines christlichen Germanen (Arefrid?) mit griechischer Inschrift, der beim Abbruch eines Teiles der Stadt- mauer von Konstantinopel, die so viele antike Bruchstücke enthält, gefunden und von Geheimrat von Essenwein mit nach Nürnberg gebracht worden ist.

Primitive Ornamentformen, welche nicht dem Formenkreise der Antike ent- nommen sind, finden wir an dem auf dem Friedhofe bei S. Aureus in Mainz ge- fundenen Grabsteine der Bertisindis und des Randoald (Fig. 4). Die Formen der Umrahmung, sowie der Streifen, welche die Fläche des Steines in drei Felder

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teilen, scheiuen der Textilornamentik, beziehungsweise der Stickerei entnoinmeu zu sein; im oberen Teil sind ein hängendes Kreuz und' vier sehr einfache Rosetten.

Mit diesen Arbeiten ist die Steinmetzkunst auf einem kaum zu überbieten- den Tiefstand angelangt und die folgenden Jahrhunderte waren nicht dazu an- gethan, ihre Hebung zu fördern. Beweis dessen sind einige Sarkophagdeckel aus dem 8. oder 9. Jahrhundert. Ein Original aus Köln (Fig. 5) zeigt in geringem Relief ein Kreuz und zwei Bischofsstäbe in einfacher Umrahmung. Etwas besser sind die in Abgüssen vorhandenen Sarkophagdeckel vom Friedhofe bei S. Alban in Mainz. Während bei dem eben erwähnten Deckel das kümmerliche Relief aus der Fläche vorspringt, liegen hier die ebenfalls sehr einfachen Darstellungen, von deren Charakter Fig. 6 eine Anschauung gibt, in der Fläche, und ist ihr Grund vertieft ausgearbeitet. Der Hauptdarstellungsgegenstand ist auch hier das Kreuz. In den Ecken zwischen den Armen sind Rosetten wie auf dem Grabstein der Bertisindis, doch in besserer Ausführung. Figürliche Darstellungen auf Grabmalen sind mir aus dieser Zeit des Darniederliegens der monumentalen Plastik nicht bekannt.

Während die erwähnten Grabsteine dem christlich antiken Formenkreise angehören, weist die in der lex Salica cap. 37 erwähnte domus in modum basilicae facta super hominem mortuum in das germanische Altertum zurück. Was wir unter diesem Ausdruck zu verstehen haben ist nicht hin- reichend aufgeklärt, ich glaube aber, dafs er ein auf dem Grabe aufgerichtetes kleines Haus bezeichnet. Wie sich in den sogenannten Totenbrettern ein alt- germanischer Gebrauch erhalten hat, so kommen auch heute noch zuweilen haus- artige Gerüste auf Gräbern vor. In gröfserer Zahl aus Holz gefertigt, habe ich solche in dem Dorfe Völlen bei Papenburg in Ostfriesland gesehen und ein der- artiges Haus aus Eisen in dem niederbayerischen Dorfe Haindling bei Geiselhö- ring. Ist letzteres wohl nur als ein Curiosum zu betrachten, so beweist die grofse Zahl von Häusern auf dem Friedhofe von Völlen, dafs es sich hier um einen alten Gebrauch handelt. Es bedürfte näherer Untersuchung, ob derselbe in Friesland weiter verbreitet ist und ob der Ausdruck basilica super hominem mortuum auf diese Häuser Anwendung finden darf.

Nürnberg. Gustav von Bezold.

Eiu frühmittelalterlicher Elfenbeiukamm im germauischen illuseum.

eben dem schon länger bekannten spätkarolingischen Elfenbeinkamm i), der in dem Mittelfeld auf der einen Seite zwei aus einer Vase trinkende li Pfauen, auf der anderen Seite zwei aufeinander zuschreitende Greife ent- hält, besitzt das germanische Museum seit kurzem einen zweiten frühmittel- alterlichen Elfenbeinkamm (K. P. 2266), der aus der Sammlung Spitzer erworben

1) gefunden bei Markt Erlbach, unweit Nürnberg, vgl. A. Essenwein, Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 188:2, Sp. 331 ff. mit Abbildung. Friedrich, Die Kammfabrilfation etc. S. 20 setzt den Kamm ganz ohne jede Begründung ins 11. Jahrb. Dagegen Leitscbuh, Mitteilungen aus dem germ. Nationalmuseum II, 1888, S. 153, mit Abb. Vgl. ferner Katalog der im germ. Museum befindlichen Originalskulpturen 1890, S. 10, Abb. S. 11. Giemen, Merow. u. Karol. Plastik, Bonner Jahrb. Bd. 92. 1892, S. 115 f. mit Anm. 278. Fleury, La Messe VIII, PI. 674.

Mitteilungen, aus dem german. Nationalmuseum. 1895. XL

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wurde. Er ist ein guterhaltenes Stück aus ziemlich weifsem Elfenbein. Ergänzt 2) ist nur ein Teil des Kammes, wie die auf dem (nach einer Photographie gefer- tigten) beigegebenen Holzschnitt (Fig. 1, in Originalgröfse) sichtbare punktierte Linie zeigt. Der Kamm hat 108 mm. Höhe und 97 mm. Breite. Er bildete früher ein Stück der Sammlung Soltykoff (Nr. 364). Kurz besprochen ist er in der grofsen Ausgabe der Sammlung Spitzer (Band I, Abteilung Ivoires S. 31, Nr. 7) als byzantinische Arbeit des 8. oder 9. Jahrhunderts.

Der Kamm hat zwei Reihen Zähne, eine weitere und eine engere. Das oben durch einen flachen Bogen abgeschlossene Bildfeld wird auf beiden Seiten durch ein Flechtmotiv eingerahmt. Oben (als flacher Bogen) und unten umgeben sodann zwei Stäbe wieder ein Ornament, das häufig genug in der altchristlichen und frühmittelalterlichen Elfenbeinplastik vorkommt und auch in die karolingisch- ottonische Buchmalerei Eingang gefunden hat 3). Unzweifelhaft ist dasselbe als eine mifsverstandeneUm- resp. Weiterbildung des antiken Eierstabs zu betrachten. Auf der einen Seite des Bildfeldes erblicken wir eine römische Quadriga, deren Lenker das Gespann auf die Meta zuleukt. Die leere linke Seite des Bildes wird durch ein dreiteiliges, rohprofiliertßs Blatt abgeschlossen. Die Rückseite zeigt uns ebenfalls eine Kampfsceue, nämlich zwei baarhäuptige Reiter, die mit ein- gelegter Lanze gegeneinander reiten. Solche Darstellungen sind bereits in der altchristlichen Kunst häufig anzutreffen. Es ist sicher anzunehmen, dafs der agonale und hippodroraale Kampf hiebei noch eine tiefere, symbolische Bedeutung enthält. Er versinnbildlicht die Kämpfe und Gefahren, die der Christ zu bestehen hat, bis ihm der Lohn zu teil wird. Die Worte TertuUians (ad mart. 3) an die auf das Martyrertum noch Vorzubereitenden geben den Schlüssel für solche Darstel- lungen: »Bonum agonem subituri estis, in quo agonothetes Dens vivus est, Xystarches Spiritus sanctus, coronae aeternitatis brabium etc.« (Kraus, R. E. II, S. 89.)

Kämme*) sind bereits in den Pfahlbauten der Schweiz, im dänischen Torf- moor und den italienischen Terramaren gefunden worden. Ferner kannten die Ägypter, Babylonier, Assyrer und Israeliten den Grebrauch des Kammes, ebenso die Griechen und Römer. Römische Kämme existieren heute noch in zahlreichen Exemplaren, z.T. aus Pompeji. Ferner befinden sich römische Elfenbeinkämme im British Museum, in der Barberinischen Bibliothek zu Rom, im bayerischen National museum zu München u. a. Der Darstellungskreis des Mittelfeldes setzt sich meist aus mythologischen und erotischen Typen zusammen (Neptun und Amphitrite, die drei Grazien bei der Toilette, Venus und Amor, Venus und die drei Grazien, Ganymed und der Adler).

2) Dabei ist der Kamm an den vertieften Ansätzen der Zähne überarbeitet worden.

3) Abb. Kraus R. E. I. S. 404 (Elfenbeiumedaillon im Vatikan), vgl. auch Voege, Eine deutsche Malerschule S. 37, meine Beiträge zur Geschichte der Trierer Buchmalerei. Trier 1893, S. 79 f. und von Frimmel, Repert. XVIII, 134.

4) Müller-Mothes, ülustr. archäol. Wörterbuch II, S, 561. C. Friedrich, Geschichte der Kammfabrikation in »Zeitschrift des bayr. Gewerbemuseums zu Nürnberg« XVI, 1882, S. 97 ff., 129 ff. Ders., Die Kammfabrikation, ihre Geschichte und gegenwärtige Bedeutung in Bayern. 1882. Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde I, S. 310 ff. Giemen, Merowing. u. karol. Plastik 1892. S. 113 ff. Kraus, Realencycl. II, S. 87 ff. Otte, Handb. I &, S. 367. Fleury, La Messe VIII , S. 167 ff. Westwood Fictile, ivories, vgl. Register s. v. »Gombs«.

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Selbstverständlich finden sich auch Kämme unter dem Gebrauchsinventar der alten Christen. So flg-urieren sie unter den Totenbeigaben in den Katakom- ben^) (vgl. Kraus a. a. 0.) und werden reichgeschmückt auch als Geschenke auf- gezählt. Papst Bonifatius V. sandte an Königin Etelreda von England »pectinem eboreum inauratum« (Beda H. e. Augl. II, 11; weitere Belege bei de Rossi Bull. 1881, 78, not. 4; vgl. Kraus a. a. 0.). Es liegt nun ganz in der Art der dama- ligen Zeit, religiöse Symbole auch auf den Kämmen anzubringen, wie auf an- deren Gebrauchsgegenständen , und so findet sich auch in der That auf einem Elfenbeinkamm, der in Karthago gefunden wurde, ein eingegrabenes lateinisches Kreuz zwischen zwei Palmen. (Abb. Fleury a. a. 0. S. 167, u. a. Literatur.) De Rossi setzt ihn ins o. 6. Jahrhundert. Ein anderer in Chiusi gefundener Kamm (saec. IV V nach de Rossi), der jetzt im Museo cristiano ist, zeigt auf der einen Seite eine Kathedra (sedes linteata) zwischen zwei Lämmern, auf der an- deren Seite eiuenKranz zwischen zwei Lämmern (de Rossi, Bull. 1880, tav. VI a-b^ Kraus a. a. 0. Fleury a. a. 0. S. 168.).

Man hat (u. a. auch Fleury) die Frage aufgeworfen, ob in solchen Kämmen liturgische Gebrauchsgegenstände zu sehen sind. Nun finden sich ja in der That in den Pontificalieu und Missalien auch bei Duraudus Gebete, welche der die Messe celebrierende Priester kurz vor der heiligen Handlung spricht, wäh- rend man ihn kämmte. Fleury zitiert eine Stelle aus dem alten Pariser Ponti- ficale: »Jntus exteriusque caput nostrum totumque corpus et raentem meam, tuus. Domine, purget et mundet Spiritus almus«. Nach Kraus ist dieser Ge- brauch für das M. A. seit dem 7. oder 8. Jahrhundert durch zahlreiche Belege, durch Aufführung der Kämme in den kirchlichen Schatzverzeichnissen fest- gestellt; noch im Pontificale Clemens V^III (1592 1603) wird derselben gedacht. Dagegen vermifst man Beweise dafür, dafs er bereits im christlichen Altertum, vor dem 7. Jahrhundert, bestanden habe (Kraus a. a. 0. S. 87 f.). Die altchrist- lichen und frühmittelalterlichen Kämme zeigen gerade in ihrer Dekoration christ- liche Embleme und Symbole, Scenen aus der heil. Geschichte; aber das liegt ja in dem Charakter der altchristlichen Kunst und braucht nicht die Notwendig- keit zu involvieren, einen liturgischen Gebrauch derartig geschmückter Objekte anzunehmen. Vielmehr ist anzunehmen, dafs eine grofse Menge dieser oft mit edlen Steinen besetzten Prachtkämme als Prachtstücke auf dem Toilettentische der vornehmen Damen, sowie der Fürsten geprangt habe. Dafür spricht auch der Name von solchen Personen, welche die Tradition mit einer ganzen Reihe dieser Kämme in Verbindung bringt (Kamm der Königin Hildegard, Kamm Hein- richs I. in Quedlinburg, die Kämme Karls des Grofsen in Osnabrück u. s. w.)

Die germanischen Grabfunde weisen als häufig auftretendes Inventar eben- falls Kämme auf, z. T. aus Holz, z. T. auch aus Bein und Elfenbein (vgl. Giemen a. a. 0. und Lindenschmit a. a. 0. S. 310 flF. mit Abb.). Das germanische Museum besitzt aus solchen Grablunden eine ganze Reihe von Kämmen (G. F. 843, 976 1396—1404). Diese Kämme sind als reine Zweckarbeiten, versehen mit nationalen Dekorationselementen , anzusehen , während eine grofse Zahl von z. T. anderen Prachtkämmen, die mit jenen ungefähr gleichzeitig sind, als Kopien altchrist- licher Originale zu betrachten sind.

5) Das Museo cristiano des Vatikan besitzt einen Elfenbeinkamm aus den Katakomben der auf dem Mittelfelde die Besitzerinschrift EVSEBI AiSNI (Eusebius Annius) trägt. Bullet. 1881, PI. VI, p. 81. Westwood S, 382, ferner abg. bei Fleury YIU, PI. DGLXXIIl, Text S. 168.

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Aus merowingischer und karolingischer Zeit existieren nämlich eine An- zahl von Kämmen, deren Dekorationsweise vollkommen die der antiken und alt- christlichen Kämme beibehalten hat. Der Kamm des hl. Lupus im Domschatz zu Sens (saec. VII/VIII, Giemen a. a. 0. S. 114 mit Abb. S. 116), zeigt zwei gegen

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Fig. 1.

einen stilisierten Baumstamm anspringende Löwen. Ähnlich zeigen einige Skizzen von jetzt verlorenen Kämmen, die Pleury (a.a.O. Tafel 673 673) aus Montfaucons Papieren auf der Pariser Nationalbibiiothek publicierte, zwei nach beiden Seiten fliehende Wölfe (PI. 675), zwei gegen einander gelagerte Löwen,

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sowie auf dessen Rückseite zwei Pfauen (PI. 674). Das Umrahmung-sornament des letzteren Kammes entspricht demjenigen unseres Nürnberger Kammes. Dieser Klasse mit meist halbrund oder flachbog-ig' g-edecktem Mitlelteld gehört schliefs- lich noch der obenerwähnte karolingische Kamm des Museums an.

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Fig. 2.

Eine andere Gruppe g-leichzeitig-er Kämme zeigt in quadratischem oder rechteckigem Mittelfelde reiches Laubwerk, stilisierte Weinranken mit Früch- ten oder stilisierten Akanthus. Dazwischen sind Vögel und einmal Hirsch- kühe (aus Montfaucons Papieren (PL 675). Die ornamentale Umrahmung ist

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öfters eine äufserst reichhaltige. Es sind hier zu nennen der sog. Kamm des hl. Grauzelin in Nancy (Fleury PI. 673), zwei jetzt verschollene Kämme nach Montfaucon (Fleury PI. 673, 675), sowie zwei Kämme aus Stavelot im Brüsseler Museum (Fleury PI. 67S; Giemen a. a. 0.).

Eine Ausnahmestellung nehmen endlich zwei Kämme ein, die stilistisch, technisch und ikonographisch auf das Allerengste verwandt sind, der sog. Kamm der hl. Hildegard (vgl. Fig. 2) und der Nürnberger Kamm (Fig. 1). Der Kamm der heiligen Hildegard war bis 1803 in dem Besitze des Nonnenklosters zu Ei- bingen bei Rüdesheim. Nach der Säcularisation desselben blieb der Kamm bei der letzten Äbtissin und nach deren Tode kam er an die Erben, bei denen ihn Hefner- Alteneck 6) sah und zeichnen liefs. Seitdem ist der Kamm verschollen.

Er enthält in ähnlicher Umrahmung (vgl. Fig. 1 und 2) auf der einen Seite unter drei mit Perlen besetzten Rundbögen drei barhäuptige Krieger, während die andere Seite durch eine hippodromale Scene ausgefüllt wird: zwei Quadrigen mit ihren Lenkern jagen hintereinander dem Ziele zu.

Diesen beiden eng zusammengehörigen Kämmen gegenüber liegt die Frage nach der Provenienz, der Zeit der Entstehung und dem Inhalt der Darstellungen sehr nahe. Hefner-Alteneck, Lindeuschmit und Giemen halten den Hildegardkamm für spätrömisch (saec. VI/VII), resp. die Darstellungen für Kopien nach römischen Vorbildern. Jedenfalls ist an byzantinische Arbeit, wie Darcel sie für den anderen Kamm annimmt, schon aus stilistischen Gründen nicht zu denken. Und auf Grund einer hippodromaleu Scene an oströmische Provenienz zu denken, ist ebenfalls unberechtigt. In Rom selbst ist die Vorliebe für die Girkusspiele und Wettkämpfe zu einer förmlichen Nationalleidenschaft geworden, die sich in der bildenden Kunst in einer zahllosen Menge von Statuen der Gladiatoren und Wa- genlenker, sowie von Darstellungen auf Grabdenkmalen und Gonsulardiptychen erkennen läfst. Bereits oben wurde erwähnt, dafs diese Vorliebe für derartige Spiele auch in die Symbolik der alten Christen, sowohl was die Literatur ich erinnere an das Gleichnis Pauli vom Wettkampf als auch was die Kunst anbetrifft, übergegangen ist. »Die Gladiatorenkämpfe und Wettrennen waren somit in der allegorischen Sprache der Christen ein Bild des geistigen Kampfes« (Kraus, R. E. II, S. 89).

Es existiert eine ganze Reihe von Kästchen, die mit Elfenbein- und Bein- platten belegt sind und zwar finden wir sie in den verschiedensten Sammlungen und Kirchen. Die Sammlung Spitzer zählte deren drei (Nr. 4, 5 u. 6 der »Ivoi- res«), ferner finden sich solche in Würzburg (Westwood S. 475; Hefner- Alten- eck F, Tafel 1), Kranenburg bei Gleve (Giemen, Kunstdenkm. des Kreises Cleve, S. 130 ff. mit Abbild.), Xanten (Giemen, Kreis Mors S. 131), Gividale (Eitelberger, Mitt C. Comm. IV, 1859, S. 325, Taf. X), Arezzo (Westwood S. 223 ff.), in der früheren Sammlung des Grafen Possenti zu Fabriano (Auktionskatalog von R. Dura, Rom 1880, Nr. 19. Taf. III, als italienische Arbeit des 9. Jahrhunderts bezeichnet), Reims (Westwood S. 421, Tarbe, Tresor des eglises de Reims

6) Hefner- Alteneck Trachten I, Tafel 38. Text S. 58. Ders. P. Tafel 2. Lindenschmit Altertumskunde I, S. 315. Westwood S. 447. Giemen a. a. 0. S. 116, Anm. 279. Einen jetzt verschollenen Elfenbeinkamm der Königin Hildegard, der Mutter Ludwigs des Frommen, besafs der Kirchenschatz von S. Arnulf in Metz (Kraus, Kunst und Altertum in Elsafs-Lothringen III, S. 883 und 649).

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pl. 28) a. a. Der Darstellungskreis auf diesen Kästchen zeigt sich stark von der Antike beeinflufst, ja manche der Scenen erscheinen als direkte Kopieen antiker Vorbilder. Die Kämpfe des Heracles mit Tieren, hippodromale und ag'onale Scenen, Sphinxe, fabelhafte Tiere, Gentauren, Bacchantinnen, zwei Pfauen aus einer Vase trinkend u. s. w. Die reiche Ornamentation besteht meist aus Reihen von Kreisen mit eingeschlossenen Rosetten, sternförmigen Mustern etc., sowie aus Medaillons mit Protilköpfen, die z. T. Kopieen nach Müuztypen zu sein scheinen (vgl. ähnliche Medaillons auf der Lipsanothek in Brescia).

Trotz dieser inhaltlichen Übereinstimmung ist die Entstehung der ver- schiedenen Kästchen durchaus nicht als gleichzeitig anzusehen, weder örtlich noch zeitlich. Manche derselben sind schon durch ihre griechischen Inschriften als byzantinische Arbeiten verbürgt, wie die Kästchen zu Sens und Darmstadt, während andere stilistisch auf byzantinischen Ursprung im 10. 11. Jahrhundert hinweisen, wie z.B. die Kästchen zu Kraneuburg und Gleve (Giemen a.a.O.). Aber eine ganze Reihe dieser Objekte sind als italienische Arbeiten des 7. und 8. Jahrhunderts zu betrachten.

Bereits Eitelberger hat anläfslich seiner Besprechung das Kästchen Gividale dasselbe als spätrömische Arbeit bezeichnet und wir acceptieren die in dieser Bezeichnung enthaltene Ansicht von weströmischer Entstehung, wenngleich das Kästchen wohl nicht über das 7. Jahrhundert hinabzugehen scheint. J. Diener hat in seiner Besprechung des Katalogs der Sammlung Spitzer (Kunstgewerbe- blatt N. F. I, 1890, S. 102 f.) mit Glück versucht, die verschiedenen Kästchen zeitlich und örtlich zu sondern. Er hält diese Kästchen für Arbeiten aus »den Anfängen des monoklostischen Systems im 8. Jahrhunderte, und teils byzantini- schen, teils italienischen Ursprungs«. Für italienische Arbeiten hält er die- jenigen Kästchen, welche durchaus antike Darstellungen enthalten, wie z. B, das Kästchen Nr. 6 bei Spitzer. Ferner sollen die byzantinischen Arbeiten stets in Elfenbein, die weströmischen fast durchwegs blofs »in Bein« sein. Diese Ausführungen sind z. T. ungenau. Der stilistische Unterschied ist zwischen den italienischen und byzantinischen Arbeiten erkennbar in der Verschiedenheit der menschlichen Gestalt. Durchweg sind diese Proportionen der byzantinischen Arbeiten schlanker, eleganter die Ausführung. Sodann zeigen die italienischen Arbeiten allerdings stark antikische Art, aber andererseits fanden wir auch christliche Motive und Scenen, z. B. auf dem von Diener selbst abgebildeten Beinkästchen bei Spitzer, zwei aus einer Vase trinkende Pfauen und auf einem Fragment, früher bei Possenti (Dura a. a. 0. Nr, 20) Adam und Eva. Sodann ist das Kästchen in Xanten (vgl. Giemen a. a 0.), eine byzantinische Arbeit, aus Bein geschnitzt.

Dafs in frühkarolingischer Zeit solche Arbeiten gerne und mit Geschick gefertigt wurden, beweist eine sichere römische Arbeit aus dieser Zeit, die Kathedra Petri mit ihren Elfenbeinreliefs, welche die Thaten des Heracles und Fabeltiere darstellen') (Kraus R. E. II, S. 156 ff. Garrucci VI, pl. 412).

Es ist einleuchtend, dafs bei einer solchen Menge von erhaltenen Werken mit derartigen Darstellungen die Reliefs der beiden oben abgebildeten Kämme,

7) Die interessante Beschreibung eines Gefässes, dessen Bauch, Boden und Aufsenseiten mit Scenen aus dem Heraklesmythus bedeckt sind, verdanken wir Tbeodulf (Dümmler Poetae 1. a. Carol. I, S. 498. V, 77—210), vgl. dazu Leitschuh, karol. Malerei S. 37, 41 Anm, Schlosser, Quellen zur Gesch. d. karol. Kunst S. 427 ff. Ders., Wiener Sitzungsberichte CXXIII, 1891. S. 8.

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welche durch die versteckte Symbolik des »guten Kampfes« dem Christen noch einen g-eheiranisvollen Reiz darboten, nicht vereinzelt dastehen.

Wo sind die beiden Kämme entstanden? Die Rohheit und Derbheit der Aus- führung, sowie die Ornamentiii: (Flecbtwerk) weisen auf ein Lokal diesseits der Alpen. Zudem linden sich trotz der alten beibehaltenen Motive einzelne nationale Momente. Das Lauzeurennen zu Pferde mit dem Speer, der ausschliefslich ger- manischen Reiterwafle, war laugobardische und fränkische Sitte, wie uns Paulus Diaconus (V, 10) und Gregor (N. F. V, 25) bezeugen ö). Das Schwert, welches der eine Kämpfer in der linken Hand hält, ist die regelrechte merowingische Spatha. Dabei ist die geringe Gröfse durch die vom Raum bedingte Beschränkung zu erklären. Endlich entspricht die Schildform derjenigen der fränkischen Schilde (Lindenschmit a. a. 0.), Die beiden hippodromalen Scenen sind lediglich als derbe, z. T. unverstandene und provinziell vei'zerrte Kopieen altrömischer oder italieni- scher Arbeiten des frühesten Mittelalters zu betrachten.

Giemen hat (a.a.O. S. 112 f.)^) eine Reihe von merowingischen Pyxiden des 7. Jahrhunderts aufgezählt, die nach altchristlichen, italienischen Vorbildern ausgeführt sind. Darunter befindet sich z. B. auch eine Circusscene, eine Löwen- jagd (Sens Inv. 52; vgl. Giemen a. a. 0. und oben S. 25, Anm. 18.). Das »cha- rakteristische der merowingischen Arbeiten liegt in der flachen Behandlung der Extremitäten, den scharfen eckigen kantigen Einschnitten, welche die Falten darstellen, daneben den übergrofsen kurzgeschorenen Rundköpfen«. Ich glaube, dafs diese vortreffliche Gharakteristik Glemens sich Wort für Wort auch auf die beiden Kämme anwenden läfst, so dafs der merowingische Ursprung dieser für irgend einen Fürsten oder eine Königin gearbeiteten Kämme unzweifelhaft ist.

Nürnberg. Dr. Edmund Braun.

Stadtpläne und Prospekte.

Herr Direktor H. Boesch hatte die Güte, auf einen diesen Aufsatz an- gehenden Irrthum aufmerksam zu machen. Dadurch, dafs der Seite 61 bespro- chene Strafsburger Prospekt während der Abfassung des Aufsatzes nach auswärts verschickt war und nur die photolithographische Wiedergabe zur Verfügung stand, kam es, dafs die Arbeit des Gonrad Morant vom Jahre 1548 als eine für die Reproduktion bestimmte Handzeichnung bezeichnet wurde, während sie in Wirklickkeit ein scharf und sorgfältig geschnittener, sauber kolorierter, nicht getuschter Holzschnitt ist, von dem ein zweiter Abzug bisher nicht be- kannt ist. Der Text desselben ist mit Lettern eingedruckt. Da in der mit- geteilten Unterschrift einige Druckfehler unterlaufen sind, so folgt sie nochmal diplomatisch getreu wieder: »ad.uiuum posteris sie exprimere studuit, Anno M.D.XLVni. Gum Gaes. M. priuilegio, ne quis alius VIII annis excudat.« Seite 57, 11. Zeile V. u. ist zu lesen: adumbrirt. Bemerkt sei noch, dafs die Sammlung bereits geordnet war und nur revidiert und katalogisiert wurde.

Berichtigung. Auf Seite 66 dieser »Mitteilungen« mufs es auf Zeile 6

von oben heifsen: »Der hl. Georg« »statt »H. Sertz«.

8) Lindenschmit a. a. 0. S. 172.

9) vgl. meine Ausfühi-uugea an diesem Orte 1895, S. 21. 25.

^ -

Zur Geschichte der Chirurgie*).

m Juli 1893 erhielt das germanische Museum das Rezeptbuch des Etten- heimer Stadtchirurg-en J. G. Machleid, eines geborenen Villingers. Der- selbe hatte in Villingen seine Lehrzeit durchgemacht, war dann in seinen Wanderjahren nach St. Blasien und St. Trudpert und Schönau gekommen und hatte schliefslich in Ettenheim die Aufnahme in die Bürgerschaft im Jahre 1735 er- halten. Sein Buch, ein Quarlband von mehreren hundert Seiten, enthält alle die Rezepte und Heilmittel , die ein Chirurg damals kannte und anwandte. Fast durchweg sind die Quellen der Rezepte angegeben und ihre Erprobung. Natür- lich fehlen dabei auch nicht die abenteuerlichsten Mittel: Kugelsegen, Kräuter- segen etc., welche heutzutage noch bisweilen im Aberglauben des Volkes fort- bestehen. Das Buch hat daher ein nicht unbedeutendes kulturhistorisches In- teresse, da wir aus seinem Inhalte nicht nur den Stand der niederen Medizin, sondern auch ihren Zusammenhang mit der ganzen gesellschaftlichen und geistigen Gestaltung der Zeit erkennen können. Der Verfasser und Sammler dieser Re- zepte hat nämlich auch einen grofsen Bekanntenkreis unter Feldscheerern, Stadt- und Landchirurgen und auch gelehrten Ärzten gehabt und mit Nutzen gepflegt.

Indem ich mir vorbehalte, über Leben und Ausbildung des genannten Machleid und den Inhalt seines Rezeptbuches bei Gelegenheit noch Näheres zu berichten , möchte ich vorerst nur auf eine interessante Examensordnuug der Ghirurgenzunft in Villingen aufmerksam machen, welche er unter seinen Rezepten gibt (S. 295 310 inkl.). Meines Wissens ist dergleichen noch nicht publiziert worden.

Das ganze Mittelalter, ja zum Teil noch unsere Zeit, kannte und unterschied den gelehrten Arzt, den Doktor oder Physikus und daneben, aber unter ihm, den Chirurgen und Bader. Die Ärzte gaben sich wenig mit der chirurgischen Praxis ab, denn sie verstanden sie auch meist nicht. Dagegen wufsten die zünftigen Scheerer, Bader und Wundärzte überall und immer Auskunft und stets zu helfen. Sie waren die Ärzte des Volkes. Sie besafsen grofse praktische Erfahrung und genossen, trotz der Verachtung durch die gebildeten Ärzte, grofses Ansehen. Die sog. kleine Chirurgie war das Gebiet ihrer Hauptthätigkeit, nämlich die Hilfeleistung bei Knochenbrüchen, Geschwülsten und Geschwüren, Verrenkungen und Wunden aller Art. Daneben bildeten sich Spezialitäten aus, besonders für die eigentliche Operation, wie Steinschneider, Bruchärzte, Starschneider etc. Die tiefer stehen- den »Schreier, Zahnbrecher und Wurtzentrager« aber waren nur an Jahr- und Wochenmärkten zur Ausübung ihres Handwerks zugelassen und standen unter der Aufsicht der Zünfte, die sie möglichst fern zu halten suchten. Nicht hier- hergerechnet wurden die Händler mit wohlriechenden Wassern.

Seit Ende des Mittelalters war die Trennung zwischen dem gelehrten Doktor, der das Gebiet der höheren, inneren Medizin inne hatte, und dem handwerks- mäfsig geschulten Schnitt- und Wundarzt oder zünftigen Bader und Scherer, welche die niedere äufsere Heilkunst pflegten, eine vollständige geworden. Schliefs-

1) Über die Geschichte der Chirurgie und ihren Zusammhang mit der Medizin, vergl. man A. Hirsch Geschichte der medizin. Wissenschaften in der Sammlung der Geschichte der Wissenschaften, herausgegeben von der histor. Kommission der Akademie der Wissen- schaft in München. B. 22. München-Leipzig 189S.

Mitteilungen aus dem germau. Nationalmuseum. 1895. XII.

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lieh hatten die letzteren fast gar keinen Zusammenhang mehr mit der wissen- schaftlichen Medizin und den gelehrten Studien. Erst seit dem vorigen Jahrhun- dert fand wieder eine Annäherung beider Disciplineu statt, und mit dem Ende des Jahrhunderts erstand wieder eine einheitliche Wissenschaft, in welcher Arzt und Chirurg eine gleichberechtigte Stellung einnahmen.

Durch das Aufkommen des anatomischen Studiums erhielt die Chirurgie seit dem 16. Jahrhundert erst ihre rechte Grundlage und bald auch höhere Be- deutung. Damals wurde die Zulassung zur Praxis von einem Examen abhängig gemacht und damit dem Stand der Wundärzte eine höhere Achtung gesichert. Auch stammen die besten Operateure damaliger Zeit aus den Zünften der Wund- ärzte. Ihre Hauptausbildung erhielten die angehenden Chirurgen gewöhnlich als Feldscheerer. Hier erwarben sie sich Beobachtungsgabe, ihr Standpunkt ist ein ausschliefslich experimenteller, frei" von den die hohe Medizin beherrschen- den Dogmen. Ihre Rezepte beruhen auf erprobter Erfahrung. Aufser aller Be- ziehung zu den gelehrten Schulen machen sie meist eine Lehrzeit bei einem tüchtigen Barbirermeister durch; doch gab es auch schon einzelne Zunftschulen für Balbirer und Wundärzte. Da ihnen aber meist die nötigen anatomischen Vorkenntnisse abgiengen, konnten sie es zu keinen bedeutenden Leistungen und Fortschritten bringen. Nichts destoweniger war ihre Bildung eine ziemlich grofse. Ihnen lag die Aufsicht über die öffentliche Glesundheitspflege ob und die Aufklärung bei Epidemien, die Behandlung der Syphilis und anderer Ge- schlechtskrankheiten. Sie hatten die nötigen UntersuchuDgen anzustellen, Leichenöffnungen vorzunehmen, Urteile über Ertrinken, Erhängen, Kindsmord, tötliche Verletzungen etc. abzugeben. Sie waren ferner Leichenbeschauer und hatten die Kurpfuscherei zu überwachen. Wo sie keine eigene Zunft bildeten, gehörten sie, wie alle, welche mit Fleisch und Fett zu thun hatten, zu der- jenigen der Metzger.

Das Villinger Stadtarchiv bewahrt von der dortigen »Scherer-, Balbirer- und Bader-Zunftff eine Ordnung von 113 Art. aus dem Ende des 16. Jahrhunderts neu bestätigt den 10. Nov. 1608. Dieselbe will den üblichen Brauch in den (vorder-) österreichischen Orten festlegen. Sie gibt ausführliche Bestimmungen über das Verhältnis der Meister zu der Kundschaft, bestimmt die Preise für die einzelnen wundärztlichen Hilfeleistungen , regelt die Aufnahme von Patienten durch die Bader, gibt eingehende gesundheitspolizeiliche Vorschriften, regelt das Baden, Schröpfen und Aderlassen, setzt Strafen für verschiedene Uebertretungen fest, gibt Verordnungen über das Halten von Lehrjungen etc. Artikel 10 der- selben gibt auch eine Andeutung über eine Prüfung derjenigen, welche eine chirurgische und andere Praxis ausüben wollen: »Item so setzen wir auch, da artzet, Balbierer oder Scherer ankhomen, haimsch oder frembd, so sie sich der Artzeney anmassen wolten, die sollen für die Meister des gantzen Handtwerkhs gestelt, gefragt, und ihres thuns examiniert werden, wo er sein kunst oder handtwerckh gelernet, Ob er auch redlich (darauß zu schliessen, obs einem Hanndtwerckh zu dulden oder nicht und sonderlich, das derselbig für eine Bür- gerschafft sey oder nicht). Im fal dann einer oder mehr, sein kunst, so er auß- gibt, nicht genugsam Schrifftlich bezeugt ufflegen khann, der soll vom Hanndt- werckh gestrafft werden. Nämlich ein frembder umb ein gantze Zunfft und ein heimischer umb 2 ft Heller.

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Im folgenden gebe ich nun eine Abschrift der Examensfragen, wie sie von dem Ausschusse der Zunft in Villiugen dem ausgelernten Wundarzt vorgelegt wurden, ehe man ihn zur Praxis zuliefs. Zuerst kommen allgemeine Fragen über die Anatomie des Menschen in der alten, beliebten Einteilung nach Kopf, Brust und Leib. Nach derselben erst erfolgte das speziell wundärztliche Examen. Dasselbe zeigt, trotz seiner Primitivität heutigen Anforderungen gegenüber, dafs die Zunft doch bestrebt war, ihre Mitglieder eine wenigstens allgemeine Kennt- nis erwerben zu lassen.

Fragpuncte des Examens

der kais. vord. österr. Stadt Villingen und umliegender Landschaft

Einer löblichen Facultaet Chirurgorum.

1. Was ist ein musculus?

Es ist das vornehmste Werkzeug der Bewegung, und ist ein Stück Fleisch,

in welchem viel Pulsadern, Nerven und Fasen zu finden sind.

2. Wie viel Theil sindt an dem Musculus? Drey: caput, venter et cauda.

Der Kopf ist der Orth, durch welchen die Spannadern eingehen, Der Bauch ist der Leib oder die Mitte deß Musculus Und der Schwantz ist das Ende, allwo alle flbrae des Musculi zusammen laufen.

I.

1. Was ist der Kopf?

Es ist ein beinigter Theil, der das Gehirn in seinem Bezirk begreift und

einschliefst.

2. Was ist auswendig an dem Kopf?

Das sind die Arteria temporalia et musculi temporales oder crataphitae [crotaphites] et suturae cranii, Zusammenfügung der Hirnschalen.

3. Was ist das Pericranium? Es ist die Membran unter der grofsen, langhaarigen Haut, die das cranium unmittelbarerweis bedeckt.

4. Was sind die Meninges? Es sind zwei Membranen, die die Substanz des Gehirns einschliefsen.

S. Was sind die Suturae? Eine Art der grofsen Naht, die das Gebein des cranii zusammenfügt.

6. Wie vielerley Suturae sind es? Zweyerley, verae et spuriae wahre undt falsche.

Der wahren sind drey, die erste Pfeil naht, zweitens die Kreuznaht, drittens die dreieckige Naht.

Der falschen sind zwei an jedem Schlaf: sie sind als wie Fischschuppen. Die Wahren sind wie die Zähne an einer Säg, die in einander laufen. 7. Wie ist dann die Disposition oder das Lager der rechten Suturen oder

Nähte beschaffen? Sutura sagittalis, die Pfeilnaht ist recta gräder, fangt an mitten an der Stirn, bisweilen auch an der Nasenwurzel, und gehet hinten bei der Ver- einigung beider ramorum suturae lamboidae [lambdoideae] aus zu Ende.

(Sutura) CO renalis ist wie ein Kranz gemacht und erstreckt sich mitten an dem Kopf gegen der fontanelle oder ? .... zu, steigt durch die Schlaf hin- ab, ihren Kreis der Nasenwurzel zu vollenden.

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Sutura lamboida ist wie eiu offner Compas, dessen Bein gegen die Achsel zu von einander stehen, der Knopf oben am dem Kopf zu finden ist. 8. Welches sindt dann suturae spuriae oder falsche Näht"? Das sindt die, welche mau squamosa oder schuppichte Theil nennt.

9. Wo sindt sie anzutreffen"? Sie haben ihre Situation beiderseithen des Kopfes, machen einen circul so gTofs als die Ohren umb sie herum.

10. AVie ist denn der Unterschied zwischen den Suturis veris et falsis? Die verae seindt wie die Zähne an einer Säg-', die ineinander laufen, die falschen oder spuriae sind wie die Schuppen , die im Fortgehen sich ein über die andere legt.

11. Wozu dienen denn die suturen"? Die Alten meinten, sie wären dahin gemacht, dafs so etwau ein Bein der Hirnschalen zerbrochen wäre, sie verhinderten, dafs der Schaden nit dem ganzen Kopf Unheil zuziehen möchte. Es ist mehr Ursach zu bedenken, dafs sie dreyer- ley folgenden Nutzen haben:

primo: transpiration, der Ausdämpfung des Hirns zu helfen. 2 do.: den vasis, die zwischen den doppelten Caminis des cranii gehn die Passage, den Durchgang zu machen.

3.: Die Meninges zurückzuhalten, die massam cerebri, welches sie einwickeln, zu unterhalten.

12. Was ist dann an der Dicke des Beins am Granio wohl zu merken? Das Diploe, das fast nix anders ist als eine gewobene kleine Vasa, die das Bein mit Nahrung versorgt und mitten in ihrer Dicke den Unterschied der ersten und andern tabula ossis macht.

13. Ist dann das Hirn, das sich im Granio aufhalt, alles eine gleiche Masse

oder Stück? Nein, es wird vermittelst der Meniugum unterschieden in cerebrum et cere- bellum, das Grofse nimbt die ganze Behältnus der Hirnschalen des cranii ein, das kleine aber nur in dem hinteren Theil logiret, da das grofse annoch in dem linken Theil durch die Meninges, die bis auf den Grund zerschneiden, abgetheilt, daher wirdt's in dieser Gegend Falx genannt.

14. Was ist in der Substanz des Gehirns zu beobachten? Die ventriculi oder cavitates, die Höhlen, die sich daselbst befinden mit Anzahl der Bluth- und Pulsadern , vasorura lymphaticorum et nervorum , die Empfindlichkeit dem Leib mitteilen und die spiritus in die Bewegung bringen.

n.

Von der Anatomia der Brust et caeteris partibus internis.

1. Was ist die Brust? Sie ist ein Gavitaet, in welcher nämlich das hertz und die Lungen ein- geschlossen liegen.

2. Was ist äufserlich an der Brust zu beobachten? Ihr spatium et Situation partium wie weit sie sich erstrecket.

3. Wie weit gehet ihr tractus? Sie erstrecken sich von den claviculis bis an das cartilaginem xiphoideam vorwärts, grenzet von hinten an der zwölften vertebra torsi dann sie alle Rippen

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hat sein (.'ircuniferenz zu formieren von unten aus diaphragma, welches die endiget, und von dem Schmer oder ünterbauch absondert.

4. Wie lieg-en die in der Brust enthaltenen Theile?

Die Lunge nimbt den oberen Orth ein, erfüllt fast den ganzen Bezirk, in dem sie fast zwei Finger an's Diaphragma absteiget. Das hertz lieget inmitten, kehrt sich etwas auf die link Seiten sein Spitz, unter den lobis pulmonis, welche durch das Mediastinum geteilt, welches sie partem dextrae et sinistrae distiuguiret.

5. Wie anatomirt man die Brust?

Wann die 3 tegumenta demonstriert, die Musculi an dem unteren Bauch weggenommen, so hebt man das Sternum auf, sondert es von den Rippen, schlagt es über das (jesicht, oder nimbt es gar hinweck. Die innerlichen Theile der Brust bioser zu sehen, sieht man gleich erstlich das Herz, Lunge , Diaphragma und Mediastinum, welches an dem Sterno lauglecht hänget.

6. Was ist das Hertz?

Es ist der Theil und Ursprung des Lebens, die erste Quell der Bewegung aller anderer Theile; dabero hat es den Namen Primum vivens et ultimum moriens.

7. Was ist an dem Hertz zu beobachten?

Eine fleischichte Substanz et fibras, die sich wie ein Schrauben umdrehen, der Gruudt spitz, Ohren, ventriculos et vasa, pericardium et ligamenta; seine Base ist sein oberster breitester Theil. sein Spitz sein unterster, engester Theil. Die zwei Ohren, die als kleine recepticulas anzusehen sind, giefsen das Blut nach gewifser Mafs ins Hertz, liegen beederseiten über den ventriculis, seine zwei veutri- culi sein cavitates, die es ad dextram et sinistram leiten, seine vasa seindt aorta aut arteria magna aut vena cava, arteria et vena pulmonis oder das pericardium. Die Herzkammer ist ein Sack mit Wasser angefüllt, in welchem das Hertz verwahrt wird, hanget an dem Mediastino durch sein Bas', au denen vasis, die in den ventriculis aus und ein gehen.

8. Wie nennet man das unaufhörliche Hertzklopfen?

Diastole aut Systole, die zweyerley motus haben, die erste dilatatio, die andere contractatio, welche allen Pulsadern zukommt, die eben dergleichen Schlag haben.

9. Worzu dient das "Wasser in dem pericardio?

Zur Verhinderung, dafs das Hertz durch sein stetes Schlagen nicht aus- trockne.

10. Was ist die Lungen?

Sie ist ein Organum, welches zu der respiration dient, einer weichen et porösen Substanz, wie ein Schwamm, allenthalben mit arteriis, nervis, venis et vasis lymphaticis versehen, hat kleine tabulas cartilaginosas, die die arteria aspera ihr gibt et bronchia heifsen. Die Färb ist bleichrot und marmorbraun, umgeben mit einer zarten polirten membran, welches ihr die pleura gibt, hanget an der arteria aspera durch ihre Pulsadern et eigen Blutadern durch die Band, die sie am sterno mediastino, und der pleura hat; teilt sich ab in partem dextram et sinistram per Mediastinum; hat 4 bis ö lobos, die linker Hand bedecken. Das Hertz ihr stete Bewegung, ist die Inspiration schuldig den Luft zu schöpfen, von der exspiration hinweg zu treiben.

Larynx, der Adamknörbs* gibt den Eingang der arteriae asperae in die Lung, Pharynx aber von dem Oesophago unten am Magenmund in den Magen zu gehen.

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IIL

De Ventris Inferiori. 1. Welches ist die klariste apropierdiste Abtheilung: des menschlichen Leibes. Dieser ists: Die 3 veutres, daraus macht supremum, medium et infimum,^ diese sind das Haubt, die Brust, der Unterbauch. Extremitates, welche die Arme und Füeß sind,

2. Was ist der Unter-Bauch? Es ist eine Höhlen deß Leibs, welcher die partes nutricias in sich hat, Nieren et Blasen, diejenige welche zur g-eneration beider g-eschlechts gewid- met ist.

3. Was ist äufserlich an dem Bauch zu beobachten? Seine unterschiedliche regiones, die ungleiche Theil, die er umfasset und

in sich hat.

4. Was seindt's vor regiones?

Seind regiones epigastrica umbilicales et hypogastrica, die man sonsten Epi- gastrium umbilicum et hypogastricum nennet.

5. Wie weit erstreckt sich ihr tractus? Er strecket sich von der cartilagiue xiphoidea aut ensiformi an das Scham- bein zu, dessen Teilung 3 gleiche Theil macht, die regiones, wie vorhero gemeldet. 6) Welches seindt die partes contentae in dem Epigastrio, und was vor ein Platz

und Sitz nehmen sie alldorten ein? Die enthaltenen Theil in dem Epigastrio seindt die Leber, das Milz, der Magen, darunter Pancreas, Der Magen nimbt die Mitten ein, die Leber die rechte Seiten, das Milz die linke Seiten, dis 2 Seiten regiones epigastricae hypo- condria (hypochondr.) rectum et sinistrum.

7. Was vor Vortheil seindt in regioni umbilicali enthalten, was vor

ein Situation haben sie ? Das seindt meisten derer intestiuarii oder Därmen, Duodenum, Jeiunium (ieiunum), Jleum der in der Mitten.

Folgen die ordinari Pragpunkten. 1. Was ist ein Wundarlzt? Ein Diener der Natur; wann er das beschädigte Orth zusammen fügt, den Zufällen wehren kann, thut er genug.

2. Was ist einem chirurgo nötig zu wissen? Die Erkanntnufs der Natur, dessen Vermögen eines Menschen. Er mufs auch wissen ein böse Gestalt oder (?).... übler Beschaffenheit eines Zustandts. 3. Wie soll ein rechter Chirurg beschaffen sein? Er soll ein rechter, frommer Christ, eines redlichen Gemüts, sittsam, eines nüchternen Lebens, subtiler Glieder, scharfes Gesicht, wohl gereist, in der praxi erfahren, [sein] wohl reden, auch ein wenig lügen können oder sein Fach ist nix, aus einem Kreutzer zehen Machen.

4. Was ist die Chirurgie? Eine Kunst, welche die Krankheiten des menschlichen Leibs zu heilen pflegt. 3. Was ist zu beobachten, ob [ehe] man zu einer Operation schreitet? Vier Ding: Imo. was es vor eine Operation seye, die man vornimbt, 2no. warumb man sie thue. 3to. ob sie notwendig oder möglich sei. 4to. die Arth derselben zu verrichten.

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6. Welches sindt die Fundamente der Chirurgie? Sie hat derselben 3. 1. die Erkanutnufs des menschlichen Leibs, 2. derer Krankheiten, welche eine Operation vonnöthen haben, 3. der Mittel oder Hilf, die sich darzu schicken.

7. Gibt es wohl Krankheiten, die die Hand der chirurgi heilen kann? Ja, wann nichts vorfallt, als ein schlechte Verrenckung eines Glieds wieder zurecht zu bring-en, gleichwie ein Zahnausnehmeu auch ein Aderlassen geschieht mit der Hand allein des chirurgi.

8. Was ist die Anatomie? Es ist ein analysis aller Theil eines corporis, die Natur, ihr Vermögen zu- gleich zu erkennen.

9. Was ist ein Bein oder Knochen? Es ist der härteste, Irokenste Theil des gantzen Leibs, derjenige der ihn sonderlich aufrecht erhält.

10. Was ist ein Knorpel? Es ist ein gehorsamer, biegsamer Theil, trockner, harter als ein Sehne, aber linder als ein Bein, die Einlenckungen gering und leicht macht.

11. Was ist ein Band?

Ein Geweb wie Pergament, welches an den Beinen hanget, sie zu umfassen, auch bisweilen andere Theile in die Höhe zu heben, sie in ihrem Ort zu halten.

12. Was sindt Sehnen?

Sie sindt das Ende der musculorum von der Zusammenfügung aller Zä- serlin ihrer corporum, welche dienet sie in ihrer action zu befestigen.

13. Was ist Membrana?

Es ist teils von Nerven, dessen Gebrauch ist, die Höhlen des Leibs inner- lich zu tapiziren, die Theil einzuwickeln.

14. Was seindt fibrae, Zäfserlin? Es seindt fleischichte Strichlin, Leinenfäfserlin, welche den Leib des mus- culi machen.

15. Was ist ein Nerven oder Spannadern? Es ist ein corpus, lang, weifs, rundt von denen meisten fibris zusammen- gesetzt, in eine dopplete tunicam eingeschlossen, die spiritus animales in alle Theil zu bringen, den übern die Fühlung, Empfindung und Bewegung zu geben.

16. Was seindt Pulsadern? Sie seindt Canael von 4 tunicis zusammengesetzt, die mit dem Puls an das End der Theil das Blut, welches von dem Hertz voll Geister kombt, bringet, umb ihnen auf einmal bedes das Leben und Nahrung zu geben.

17. Was seindt Blut Adern? Sie seindt Canael von 4 tunicis zusammen gesetzt, der das Blut von den Pulsaderen nimbt, wieder ins Hertz zurück zu bringen.

18. Was ist das Fleisch? Es ist ein von einem durch die natürliche Hilz dicker zusammengeronnener, formirter Theil des Geblüts, und welcher den Leib des Musculi macht.

19. Was ist die Fette? Es ist ein weichs corpus von den öhlechten und schwefelechten Theil des Geblüts gemacht.

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20. Was ist die Haut? Sie ist ein Theil von Netz und Zäfserlin zusammengesetzt, mit etwas Blut unterlaufen zur Bedeckung des Leibs, überall mit Schweifslöcher durchlöchert, damit die unnützen Dämpf ausschlagen können.

21. Woher kombt das Schlagen der Puls? Es kombt von dem Hertzen und trifft mit seiner Bewegung, der Ausdeh- nung, Zusammenziehung, Diastole et Systole, vollkomlich übereins.

22. Was haben die Pulsadern vor ein Struktur?

Die Pulsadern sindt lange, rundlechte Ganales von vielerley tunicis oder membranis gemacht, welche ihren Anfang bey dem linkeu ventriculo defs Hertzen hat, allwo sie das Blut nehmen, welches sie zu allen Theilen defs Leibs vor ihre Nahrung bringen.

23. Was han die Blutadern vor eine Struktur?

Die Blutadern sindt lange, runde Röhren von vielerley Seithen gemacht, welche bestimbt seindt, das in den äufsersten Gliedern nach gewonnener Nahrung überbliebene Bluth zu nehmen , solches wieder lebendig zu machen und dem Hertzen zuführen.

24. Woher nehmen alle ihre Blutadern ihren Ursprung? Alle Blutadern haben ihre Wurtzel in der Leber; die 3 grofsen tunici, welche darvon kommen, heifsen vena porta et vena cava ascendens et descendens.

25. Was ist eine Geschwulst? Es ist eine der Natur zuwidrige Krankheit, dardurch die Theil des Leibs ausgedehnet, erweitert werden, dafs sie zu Verrichtung ihrer Werke untüchtig gemacht werden. 26. Was ist vor ein Unterschied zwischen einer Geschwulst oder Apostem? Das ist darzwischen, weil die Geschwulst eine Ausdehnung der Theil ist, die Apostem aber seindt harte Beulen, die .... an den Schwamm gleichen, ge- funden von unreiner Beyschlaf, Pest und dergleichen herkommet. Die aposte- mata haben materij, die Geschwulsten aber uit.

27. Was ist gaugraena? Gangraena oder Sphacelus ist der heifse oder kalte Brand, bedeuten einer- ley, gleichwohl werden sie distinguirt: gaugraena nur eine anfangende morti- fication, und sphacelus ist eigentliche, die man necrosin et siderationem nennet, Ersterbung sowohl der weichen als der harten Theilen.

28. Was seindt die Ursachen gangraenae? Alles dasjenige, welches die natürliche Theil, wo sich der Brand sehen läfst, herfür zu leuchten hemmet: die starke ligaturae, die zur Unzeit gebrauchte remedia adstringentia oder resolventia, die durch Haemorrhagias oder vom Alter herkommen, exhaustiones, thörichter Hundsbifs und grofse Kälte.

29. Wo erkennt man gangraenam? An der gelblechten Färb der Hauth , die vom Fleisch abgehet , an der Weiche, Kälte, Uuempfmdlichkeit defs Theils, auch an einer Trockenheit defs Theils und seiner Sckwärze. Endlich merket man auch gangraenam an dem kalten Schweifs, Ohnmächten, und Raserey, welches ein Zeichen des nahenden Todts ist.

30. Findet sich gaugraena nirgends als an den weichen Theilen? Die Bein werden eben auch damit geplagt, so heilst es Gar i es.

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31. Was ist Caries? Die Heilung-, dafs Eyter der Substanz des Beins oder das Geschwär, der Brand des Beins.

32. Woher erkennet man die Beinheili, die von ihnen herkommen?

An den unaufhörlichen Schmerzen , welche lang- vorhergehen und ohne Abnehmen anhalten; an der Veränderung defs Fleisches, welches das Bein be- deckt, wann es weich, schwammicht und bleyfarbig wird.

33. Was ist ein Wunden? Die Wunden ist ein frischer, gewaltsamer, bluthiger Rifs oder Bruch der natürlichen Vereinigung, an den weichen Theilen defs Leibs von einem stechen- den oder hauenden Instrument zugefügt.

34. Was ist ein einfache oder vermischte Wunden?

Ein einfache Wunden ist, die das Fleisch nur schlechterding eröffnet, die kein accidens hat; ein vermengte Wunden ist, die mit accedentiis begleitet ist, als der Bluthflufs, Beinbruch, Verrenckung, Lähmung und dergleichen.

35. Was ist eine gefährliche oder tötliche Wunden?

Ein gefährliche Wunden ist, die compliciert ist, derer accideutia seind, als wann ein Pulsadern verletzt, ein Nerven oder Spannadern zerschnitten, wann sie nah an einem Gleich, gar mit einer Verrenckung oder Bruch gefunden wird.

36. Was sindt vor Theil, an welchen die Wunden tötlich? Das ist das Hirn, Hertz, Lunge, Speisröhren, das Diaphragma, Leber, Magen, Milz, kleine Darm und Blasen, Mutter, insgemein alle vasa und grofse Gefäfs.

37. Worin bestehet die Heilung der Wundchur? Dafs man die natürliche Beschaffenheit defs verwundten Glieds in Kräften erhalte, die Zufäll hinwegnehme, und wohl zusehe, dafs nix in den Wunden zurückbleibt.

38. Was sindt vor Mittel, den Bluthflufs in einer Wunden zu stillen?

Das gemeine Mittel ist eines Catapläsmatis, welches man von den pulveri- bus aloes, sanguine draconis, tolormeni (?) mit Eyerweifs macht, untereinander vermischt also über die Wunden legt.

39. Wie wird die Inflammation und das fressende Fleisch von einer Wunden

hinweg genommen ? Wann die inflammation von einem trembden Theil entstehet, so mufs man auf das aller geschwindeste niit dem Zwickzänglein wegkneipen ; kombt sie aber von der Menge des Eyters , so mufs man solchem einen Ausgang machen, den Schmerzen mit lenimentis stillen.

40. Ist nötig, in alle Wunden Meifsel zu stecken? Nein, es ist aber nicht notwendig, sondern genug, die Heilung- schlechter- dings mit balsamis in den kleinen Wunden zu beförderen, weil in derselben keine Separation vorzunehmen ist.

4L Bei welchen Wunden ist es nöthig oder nicht nöthig. Einheftung

zu machen? Die Heftung wird nur bei frischen bluthigen Wunden vorgenommen, wenn sie die Verbindung nicht wieder zusammenbringen kann, wann es kein giftiger Tierbifs, kein Entzündung, kein BrustWundt, die Bein nit blos liegen.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. XIII.

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42. Was ist ein Geschwür? Ein Geschwür ist in den weichen Theilen, kombt von einer scharfen, umb sich fressenden matery, auch von einer Wunden, welche wegen ihrer bösen Beschaffenheit, ihres Eyters zu rechter Zeit nit hat können geheilt werden. 43. Was ist vor ein Unterschied zwischen der Wunden und dem Geschwür? Der unterschied ist darzwischen, weil die Wunden von äufserlichen Ur- sachen herkommen, die Geschwür aber von einer innerlichen schai'fen, ätzen- den matery.

44. Was ist eine Verrenkhung? Eine Ausweichung- des Beins von seiner natürlichen Stellen in eine frembde, wordurch die freywillige Bewegung verhindert wird.

43. Auf wie vielerley Arth kann ein Bein verrenckt werden? Auf zweyerley Arth, completa et incompleta; beide können vorwärts, hinterwärts, iunwendig und auswendig geschehen. 46. Woran erkennt man die vollkommene oder unvollkommene Verrenkung? Daran , wann man eine grofse Geschwulst und Härte neben der Grube wahrnimbt umb das Gleich, mit grofsen Schmerzen, und die Bewegungen ganz ausbleiben.

47. Was sindt die Zeichen der unvollkommenen Verrenkung? Wenn die Bewegung gezwungen, nicht so stark als sie sonsten pflegt, vor sich geht mit einer kleinen Geschwulst und Schmerzen umb das Gleich. 48. Wie erkennt man, dafs die Einrichtung gerecht und wohl getroffen seye? Wann auf die eine Richtung gute Bewegung folgt und sich die Schmerzen und Geschwulst verlieren.

49. Was ist ein Beinbruch? Ein Beinbruch ist eine Zertheilung der Aneinanderhängung seiner Theilen, discissio continuitatis, gebrochen.

50. Auf wie vielerley Arth kann das Bein gebrochen werden?

Nämlich auf vielerly Arth: überzwerch, .. .? in die Länge, sonsten flssuram, den Riss oder Spalt genennet, ist am schwersten zu heilen zerknittert (?) oder zersplittert. 31. Welche Arth des Beinbruchs ist am schwersten zu heilen oder erkennen?

Der Bruch in die Länge, sonsten den Rifs oder Spalt genennet, ist am härtesten zu erkennen und mufs oft nur auf des patienten Aussag gangen werden.

52. Welche Arth des Beinbruchs ist am schwersten zu curieren?

Die Zerschmetterung oder Zerknirschung wegen der sehr vielen Splitter, welche alle Tag neue Schmerzen und Eiterung machen.

53. An welchem Orth sein die Beinbruch am gefährlichsten?

Die sich an dem cranio oder iuncturen zutragen, sindt die gefährlichsten; an dem cranio wegen des Gehirns, an den iuncturen wegen der nervösen Theilen.

34. Auf wie vielerley Arthen kann das cranium gebrochen werden?

Auf 3 Arthen, durch Gontusion, durch incision oder einen Hieb oder Stich.

53. Welches ist der gefährlichste unter diesen? Der von einer Gontusion herkommet, weil die Erschütterung zu grofs ist darbey und die Bewegung. /

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56. Was ist der Krebs? Es ist eine harte empfindliche und voller g'eschwür von einem verbrandten humore endtsprung-ene Geschwulst, deren malignitet fast durch keine Mitel bey- zukommen noch abzuhelfen ist.

57. Wie ist die Operation des Krebszuschneiden vorzunehmen?

Wann der Krebs noch jung und klein ist, so ist eine gute Operation zu

hoffen, wo er aber zu grofs und weiteing-ewurzlet. so ist schlechte Hoffnung- zu

machen. Er kann von einer unordentlichen Diaet, von einer schwartzen Gallen,

durch Schwachheit deß Milz und böser Leber herkommen, und es Jailft kein

Schneiden, Brennen noch Ätzen, es ist alles umsonst. Der Tod ist das beste

Mittel.

Geschrieben zu Sanct Trudbert Anno 1754 den 11. Aug.

Zum Schlüsse füge ich aus demselben Receptbuch einige sprichwörtliche Randbemerkungen bei :

1. Gott hat gesetzt den Arzt auf Erden,

Damit den Kranken möcht' geholfen werden.

2. Gott schickt manchem Menschen eine Krankheit oder Kreuz zur Straf; Wo ihm von keinem Arzt geholfen werden mag.

3. Es ist kein Kraut gewachsen im Garten,

Wo den Menschen vor dem Tod kann abhalten.

4. Gott ist der Arzt und ich der Knecht, Und wenn Gott will, so kurier ich recht.

Ettenheim i. Baden. Dr. Karl Theodor Weil's.

Über einen Holzschuher'sehen Grabteppich vom Jahre 1495.

ereits seit dem Anfang der siebziger Jahre befindet sich im germanischen Museum ein Wandteppich (Signatur: G. 598, Gröfse: 2,40 : 2,96 m.) in Ver- \ Wahrung, der zu den kostbarsten Stücken der Gewebesammlung zählt und aus verschiedenen Gründen mehr Aufmerksamkeit verdient, als er bisher gefun- den hat. Der Teppich ist Eigentum der Holzschuher'schen Familie und auch von Gatterer in dessen Historia Eolzschuherorum (Nürnberg 1755) unter Bei- gabe eines Kupferstiches von Martin Tyroff (Tab. V) kurz besprochen worden. Aber die dort gemachten Angaben sind nur spärlich und unzulänglich, zum Teil sogar unrichtig oder doch doppeldeutig, und auch der Tyroff'sche Stich, so vor- trefflich er ist, kann im gegenwärtigen Zeitalter der Photographie unseren An- sprüchen schlecht mehr genügen. Die diesem Aufsatz beigegebene Lichtdruck- tafel gibt den in Rede stehenden Teppich nach Stil, Erhaltung, Farbenwirkung und Technik weit genauer wieder und bedarf nur weniger erläuternder Be- merkungen.

Dargestellt ist die Messe des heil. Gregor, bekanntlich jenes Papstes, wel- cher zuerst das Mefsopfer als eine Wiederholung des Opfertodes Christi auffafste. Dem vor dem Altar knieenden Papste, dem ein Mönch das schwere Pluviale tragen hilft und der bei der feierlichen Mefshandlung von zwei Kardinälen, zwei Bischöfen in vollem Ornat und einem jungen Diakon als Ministranten assistiert

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wird, erscheint über der Mensa der Heiland, sich lehrend und segnend zu ihm niederbeugend, umgeben von den instrumeniis dominicae passionis. Den Mittel- und Hintergrund zu beiden Seiten dieser Szene füllen andächtige Zuschauer, vornehme Männer und Frauen, von denen sich einige auf den ersten Blick als Porträts zu erkennen geben. Unten rechts befindet sich das Wappen der Holz- schuher auf hellblauem Grunde und darüber die Jahreszahl 1495. Das Ganze wird eingefafst von einer Borte, die einen reich mit eingelegten Edelsteinen ge- schmückten Bronzerahmen imitieren soll.

Ausgeführt ist der Teppich in der bekannten Gobelintechnik, wie sie zu Ausgang des IS. Jahrhunderts in den Niederlanden, namentlich in Flandern, in ausgedehntestem Umfange geübt wurde. Wie noch die Rückseite verrät, ist die farbige Wirkung ehemals eine ungleich lebhaftere und frischere gewesen, als gegenwärtig nach genau vier Jahrhunderten, wo manche der Farben durch die Einwirkungen des Lichtes viel von ihrer ursprünglichen Leuchtkraft eingebüfst haben. Der rötliche Fleischton und das Blau des Mönchsgewandes sind beinahe vollständig verblafst; besser erhalten hat sich das helle Gelb, das der Vision als Hintergrund dient, und ein schönes, warmes Rot, das aufser für die Gewänder der beiden Kardinäle noch bei einigen Gewandstücken der im Hintergrunde stehenden Figuren zur Verwendung gekommen ist. Von trefflichster Wirkung aber ist noch immer das tiefe Grün der Dalmatika des Bischofs links, das auch am Pluviale des andern Bischofs, sowie beim Gewände der bärtigen Porträtfigur rechts wiederkehrt, und durch dessen Verbindung mit Gelb an den Tänien der Mitra des Bischofs links der Verfertiger in überaus kunstvoller Weise den Glanz der Seide der Einschlag besteht selbstverständlich aus Wolle täuschend zu imitieren gewufst hat. An Stelle von Gold findet sich überall Gelb verwendet, auch Silber kommt nicht vor, und die Kupferfarbe der verschiedenen Geräte wird durch das auch in der Umrahmung auftretende Braunrot wiedergegeben, in dem überdies die hauptsächlichsten architektonischen Teile ausgeführt sind.

Treten wir nun der Frage nach Bestimmung und Entstehung des Teppichs näher, so werden wir zunächst zwei Angaben Gatterers zu prüfen haben. Nach der einen (im Text zu Tafel V) sollen die beiden unbedeckten Hauptes zur rech- ten Seite des Altars stehenden Männer einen Karl und Paul Holzschuher dar- stellen, der ausdrucksvolle Kopf des eine Kerze haltenden älteren Mannes links vom Altar das Bildnis eines Friedrich Holzschuher sein. Die andere Notiz, die hier von Bedeutung ist, findet sich unter dem erwähnten Kupferstich selbst. Sie lautet:

„Tapes quem Hohschuherorun maiores optimi A. MCCCCLXXXXV per Nicolaum Selhi- cerum in Belgio conficiendum suisque imaginibus condecorundum curaruni, ut inserviret sacris, quibus imprimis Friderici Holzschuheri suoriimque memoria in aede Sebaldina a die Martis finito ad Mercurii usque pie colebaiur."

Nun erscheinen aber nach den Stammtafeln des vielfältig verzweigten Geschlechtes der Holzschuher ein Friedrich, Karl und Paul nur einmal in nähe- rer Zusammengehörigkeit, nämlich als Söhne Karls I. Holzschuher (f 1422): Friedrich V., der Stifter der grünen Linie (f 1431), Karl, der Stifter der roten Linie (f 1456) und Paul , der Stifter der braunen Linie (| 1447). Sie könnten also nicht, wie es in der Unterschrift des Bildes heifst, selbst den Teppich mit

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ihren Bildnissen haben schmücken lassen, und es ist auch nicht wahrscheinlich, dafs spätere Nachkommen die Bildnisse ihrer seit Jahren verstorbenen Ahnherren in Porträtähnlichkeit hier hätten anbringen lassen. Dageg-en läfst sich der rechts als Hauptperson im Mittelgrund stehende Holzschuher mit annähernder Sicher- heit mit einem anderen Friedrich identifizieren durch die grofse Ähnlichkeit, welche der Kopf mit einem im germanischen Museum befindlichen, allerdings erst im 17. Jahrhundert, jedoch wohl nach alter Vorlage, in Kupfer gestochenen Porträt hat, das unterschrieben ist: »Friderich Holzschuer, starb A. G. IS 11 den 7. Janu.f^ ^) Es handelt sich hier also um den Sohn des obengenannten Paul, von dem Lazarus Holzschuher in seinen Familienaufzeichnungen ^j in seiner knappen und abspringenden Weise berichtet:

„Fritz Holtzschuher lebt anno dominj 1477 hat ein barbara kresin zu der Zeit ist hertzog Karl vonn purgundj von den schweitzernn mit 2000 tnanen er- schlagen wordenn der starb Jm 1311 Jar ligt begraben zn Sannd Sewoltt bey der schulthur auff dem kirchhoff sein schilt Hecht bey dem predigstullf

Zur Feststellung der übrigen auf dem Teppich dargestellten Persönlich- keiten, die für uns von geringerer Bedeutung sind, gebricht es uns leider an dem nötigen bildlichen Material, sodafs wir die darauf bezüglichen Angaben Gatterers, deren Richtigkeit jedoch in Zweifel zu ziehen ist, vorderhand auf sich beruhen lassen müssen.

Üafs der dargestellte Friedrich Holzschuher mit demjenigen identisch ist, zu dessen Gedächtnis vornehmlich später in der Sebalder Kirche allemal vom Dienstag zum Mittwoch jene sacra angestellt wurden , von denen die Zeilen unter dem Kupferstich bei Gatterer berichten, kann wohl als selbstverständlich gelten. Die Feierlichkeiten selbst mögen der Hauptsache nach in dem Abbrennen geweihter Kerzen, vielleicht auch in Verbindung mit einer Seelenmesse bestan- den haben, wobei dann unser Teppich, die Feier zu verschönen, ausgebreitet wurde, wie das auch Johannes Tezel, dessen Salbuch Gatterer zitiert, von ähn- lichen sog. Grabteppichen berichtet. Dafs dieser Gebrauch die Einführung der Reformation in Nürnberg lange überdauert habe, ist nicht wahrscheinlich, wenn sich auch in unserem Falle kein bestimmter Gegenbeweis erbringen läfst. Im Jahre 1609 jedoch gehörte der Teppich bereits zum Inventar der Holzschuher'schen Stiftung und befand sich in Verwahrung bei dem derzeitigen Pfleger der Stiftung, S. G. Holzschuher, in dessen Aufzeichnungen er zusamt einem andern, jetzt gleichfalls im germanischen Museum deponierten Teppich (G 663) zu dem ge- nannten Jahre andeutungsweise vorkommt. Da es die einzige Stelle in den älteren Büchern. Urkunden und Aktenstücken des Holzschuher'schen Archives soweit ich dasselbe bisher durchgesehen habe ist_, die von unserem Tep- pich handelt, und da die betr. Verzeichnung des Inventars auch sonst von Interesse sein dürfte, so gebe ich sie in der Anmerkung 3) in extenso wieder.

1) P(orträtsammluDg) 649.

2) Im Holzschuher'schen Archiv, das im germanischen Museum deponiert ist.

3) Holzschuher'sches Aixhiv, Stiftungs-Manual 1609 1633, Bl. 2 b:

^1609 Adj 6 vnd 7 Feb. Hat mir Schwager Österreicher der Süffig. Zugehörnus lassen zu Häuf s tragen vnd führen Alfs die Grofs Eisene Truhen, Ein HüUzerne Truhen mit Eisenbesctüag

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Es erübrigt uns noch, die Herkunft des Teppichs näher ins Auge zu fassen. Dafs wir es mit einer niederländischen Arbeit zu thun haben, kann nach dem damaligen Stande der Dinge und nach dem Stilkarakter, den die Darstellung trägt, nicht zweifelhaft sein, auch wenn wir nicht die allerdings späte und nicht mehr auf ihre Quellen hin zu prüfende Nachricht besäfsen, dafs der Teppich »in Belgio« vollendet worden sei. Die ganze Anordnung und der Typus nament- lich der Männerköpfe, dazu die Freude an goldenem Schmuck und edlen Steinen, die unsere Darstellung verrät, das Hennin als Kopfputz der Frauen, das in Nürnberg wenigstens um diese Zeit nicht mehr vorkommt, sich in den Nieder- landen aber noch auf Bildern des Quintin Massys und Barend van Orley findet*), und namentlich auch das überall und in ungefähr zehn Variationen wieder- kehrende Grranatapfelmuster würden allein genügen, die Vermutung zur Gewifs- heit zu erheben. Ja wir werden sogar nicht fehl gehen, wenn wir den Meister, welcher die Patrone, d. h. den Carton zu dem Teppich fertigte, und der nach Gatterers unkontrolierbarer Angabe ^) mit dem Wirker identisch gewesen sein soll, in die unmittelbare Nähe des Dirk Bouts setzen. Insbesondere der Ghristus- typus und der Gesichtsausdruck des rechts im Hintergründe stehenden, bärtigen Mannes scheinen mit grofser Bestimmtheit auf eine solche nähere Verwandtschaft hinzudeuten.

dz Schwartz trühlein

Wolff Holtzschuhers Alte frühen mit seinen schrifften.

Den Kalter mit der Registratur vnd wafs darein gehör,

Dafs Roth Sammate Holtzschnher Buch,

Die doppelte Holtzschnher Scheurn,

Den Stammen vff Pirment in ein Rohm eingefafst.

Defs Dührers Taffei mit der Abnemung Christi vom Creutz,

Ziveen Holtzschnher Deppich,

Zwei Marmo Isteine Holzschuher Wappen, ein grofs vff ein gr ab stein , vnd ei/n Kleines so gehört gehn Altorff vber vnser stuben vff dem collegio Uff dem Obern soler, die letzte vff der Rechten handt vffs feldt hinaus sehendt, gegen der Öhlhaffen stuben vber.

6 Zinene Kanden,

ein Alte Vischpfannen. so alle löcheret,

2 Schlüsselfelder Malter melz-en zu Korn vnd Haber,

Defs Leupoldt Holzschuhers Lehensachen in einer schachtet die Tlwmprobstischen,

In der Andern die Reichs Lehen

Item in einer Schachtel des Bertholdt Ho. se. sachen so mein Vatter seelig gegen einem reuers vom Rathhaus herab genommen.

[Bl. 3 a.] 1613

Darzu hab ich bekomtnen von der F. D. Greisin, dz alt Holtzschnher Stambbuch, so Herr Lazarus Holzschuher mit Aigner handt geschriben, vnd zur Stiffttmg verordnet, welches lang zu Onolzbach in viler handen vmbgangen.

Item des Schedls gemahlten Stammen, manlich vnd weiblichs geschlechts so p. 20 fl. erkaufft worden.

Wafs Zur Neuenbürg gehörig ist, vnd darzii erkaufft icorden, auch von Hanfs Holz- schuher ererbt, darüber seindt Sonderbahre Inuentaria."'

4) Lippmann im Jahrbuch der kgl. preufs. Kunstsammlungen I, 12.

5) Im Text zu Tafel V: Elucet in eo [tapete] ingenium artificis, qui etiam arbitrio suo totam rerum, ipso tapete expressarum, compositionem fabricatus est, suamque, ut fit, rerum quarundam ignorationem satis prodidit. Worauf sich dieser letztere Zusatz bezieht ob vielleicht auf die Tracht? vermag ich nicht zu sagen.

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Auf welchem Weg-e gelangte nun aber dieser Teppich nach Nürnberg? Wir sind über den Handel mit Kunstg-egenständen im IS, Jahrhundert bisher noch so wenig unterrichtet, dafs es sich wohl verlohnt, diese Frage aufzuwerfen, zumal wir in der Lage sind, im vorliegenden Falle Einiges zu ihrer Klärung beizutragen. Grehen wir von der Nachricht aus, dafs die maiores opiimi, d.h. wohl die Familienoberhäupter der Holzschuher, deu Teppich „per Nicolaum Selbi- cerum . . . in Belgio conflciendum suisque imaginibus condeeorandum curarunt." Nach der Fassung dieses Satzes, der schwerlich auf Gratterer als Autor zurück- geht ß), kann man ebensowohl annehmen, dafs mit Nicolaus Selbicerus der Ver- ferliger des Teppichs gemeint sei, wie dafs besagter Selbicerus nur~'eine Ver- mittlerrolle gespielt habe. Der Urheber der Notiz scheint sogar der ersteren Ansicht gewesen zu sein, wie wir aus der Schreibung des Zunamens, wenn die- selbe nicht auf einem Stecherfehler beruht, schliefsen dürfen. Denn für uns kann von vornherein als ausgemacht gelten, dafs wir in Nicolaus Selbicer nicht etwa einen Niederländer, sondern einen Angehörigen des alten zu den Ehrbaren ge- hörenden Nürnberger Geschlechtes Slewitzer, Slebitzer, Schlewitzer oder Schle- bitzer (aber nie Selbitzer etc.) zu erblicken haben. Mit dieser Familie Schle- witzer hatten auch die Holzschuher -schon früh in freundschaftlichen Beziehungen gestanden, wie sich aus einer ganzen Reihe von dem 14. Jahrhdt. angehörigen Urkunden im Holzschuher-Archiv ergibt'), und zu Ende des IS. Jahrhunderts kommt denn auch in den sog. Libri litterarum des Nürnberger Stadtarchivs aufser einem Veit Schlewitzer ein Nikolaus Schlewitzer häutig vor ^) leider meist nur als Zeuge und ohne weitere Bezeichnung, sodafs wir uns über den Beruf des Mannes nicht klar zu werden vermögen. Etwas weiter führt uns dagegen eine Notiz in den alten Nürnberger Ratsprotokollen, die das Kreisarchiv Nürn- berg verwahrt 9). Sie zeigt uns einen Schlewitzer, den wir nun wohl mit jenem Nikolaus indentiflzieren dürfen, in Verbindung mit einem niederländischen Tep- pichwirker und lautet mit Auflösung der Abkürzungen wörtlich:

(Feria quinta post Gantaie [20. Mai] 1484:)

„Item einem niderlendischen icürcke?% der Tebich macht, Ist vergönnt Hie ze arbeiten vnd sein wesen bej dem Sleewitzer oder andern zehalten bifs vff Laurencij schirst."

Mag nun Nikolaus Schlewitzer nur als vermögender Privatmann nieder- ländische Teppiche für sich haben arbeiten lassen, oder mag er, was mir wegen jener anderen Notiz bei Gratterer wahrscheinlicher dünkt, als der Hauptunter- nehmer für deu Import niederländischer Wirkereien nach Nürnberg in jener Zeit zu betrachten sein, der gelegentlich wohl auch einmal einen niederländischen Teppichweber in seiner Offizin in Nürnberg selbst beschäftigte, jedenfalls lernen wir in ihm eine jener Mittelspersonen kennen, die, wie mehr denn hundert Jahre später, freilich in anderem Sinne, Philipp Hainhofer in Augsburg, wesentlich

6) sonst würde er doch auch wohl im Text zu Tafel V des Nicolaus S. Erwähnung gethan haben.

7) Holzschuher'sches Archiv: Bracbmond 3, 134S; Januar 28, 1370; Brachmond 25, 1376; Heumond 18, 1382; Januar 19, 1383; Heumond 10, 138S ; Hornung 3, 1393.

8) Nürnberger Stadtarchiv, Libri litterarum Bd. 11, Bl. 92 b (1488) ; VI, 143 a (1490) ; VI, 147 a (1490) ; VII, 274 a (1491) ; IX, 30 b (1492) ; X, 181 a (1494) ; XI, 222 b etc. (1497) u. ö.

9) Kreisarchiv Nürnberg, Ratsprotokolle (oder Ratsverlässe) 1484, Faszikel VI, Bl. 1 a.

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zur Annäherung; oft durch weite Länderstrecken von einander g-etrennter Gebiete in Bezug" auf die Kunst, zum Austausch ihrer Kunsterzeug'nisse und so auch zu gegenseitigen Beeinflussungen beigetragen haben.

Ich unterlasse es, auf die weiteren, sich hieran knüpfenden Fragen: ob nicht auch unser Teppich zum Teil wenigstens in einer solchen Nürnberger Offizin könne entstanden sein, wie die zeitweilige Anwesenheit niederländischer Wirker von der künstlerischen Qualität des Verfertigers unseres Teppichs, bezw. des Cartons dazu, auf die Nürnberger Künstlerschaft eingewirkt haben möge, u. s. w. hier näher einzugehen. Der Pietät gegen das ehrwürdige Stück, dessen 400 jäh- riges Jubiläum in unserem Jahrhundert der Jubiläen doch nicht saag- und klanglos vorübergehen durfte, scheint mir durch vorstehende Zeilen Genüge geleistet zu sein.

Nürnberg, Th. Hampe.

Eine Nürnberger Stadtansicht aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts.

eher die Nürnberger Stadtansicht des Haus Wurm, von der Seite 60 f. dieses Jahrgangs der Mitteilungen gehandelt wurde, ist es mir unter- dessen gelungen, einiges nähere festzustellen. Ein Holzschnitt, wie ihn Nagler Bd 21, S. 131 beschreibt, findet sich an keinem der deutschen Kupfer- stichkabinette. Dagegen liefs sich nachweisen, dafs die Handzeichuung im ger- manischen Museum von ihrem ehemaligen Besitzer für einen Holzschnitt gehal- ten und als solcher auch unter Glas und Rahmen von der Stadt Nürnberg er- worben und dem Museum übergeben wurde. Eine Pause nach einem etwa ver- loren gegangenen Holzschnitt kann der Prospekt unmöglich sein, da er auf kräftigem altem Papier gezeichnet ist. Irgendwelche Art von Fälschung scheint überhaupt ausgeschlossen: Die Schriftzeichen sind den Kapitalen Wolgemuts in den Zeichnungen der Weltchronik nahe verwandt, die originell verschlungenen Bandrollen, auf denen die Namen der öffentlichen Gebäude bezeichnet stehen, die selbständige Art, wie die Schedeische Ansicht ergänzt und abgeändert erscheint, wie die Staffage in der Tracht der ersten Jahre des 16. Jahrhunderts hinzuge- fügt wird das alles hindert daran, die sorgfältig teils mit der Feder, teils mit dem Pinsel gezeichnete und kolorierte Haudzeichnung einer späteren Zeit zuzu- weisen. Unter den Malern, Formschneidern und Illuministen Nürnbergs, deren Namen, soweit sie durch Archivalien feststehen, zuletzt H. Thode am Schlüsse seines Buches über die Nürnberger Malerschule des 13. Jahrhunderts zusammen- gestellt hat, und in der übrigen auf diese Zeit bezüglichen Litteratur fand sich niemand, der mit unserem Hans Wurm identifiziert werden könnte. Ein im Berliner Kupferstichkabinett befindliches Bildnis eines bärtigen Mannes in Har- nisch und Hut mit Krone, ein später Holzschnitt mit der Unterschrift »HANNS WVRM IN NÜRNBERG 1423« (!) hat für unsere Frage keine Bedeutung; das Wahrscheinlichste bleibt demnach, dafs der Verfertiger der Stadtansicht nur als Dilettant wie später ein Beheim oder Hieronymus Praun zum Zeichner gewor- den ist.

Nürnberg. K. Schaefer.

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Studien ans der Gemäldegalerie des germanischen 9Iuseums.

I. Balduug.

ie diesjährige Ausstellung' von Kunst und Altertum in Elsafs-Lothringen,

welche mit der Strafsburger Industrie- und Gewerbe-Ausstellung ver-

j bunden war, hat den Versuch gemacht, eine möglichst vollständige

Spezialausstellung der Gemälde des groCsen Strafsburgers Hans Baidung zu ver- anstalten. Dank den Bemühungen des rührigen Komites wurden dreiundzwanzig Bilder, darunter einige hochinteressante, vielumstrittene, vereint, die mit dem Namen Baidungs teils mit Recht, teils unberechtigter Weise in der bisherigen Literatur in Verbindung gebracht wurden. Eine absolute Vollständigkeit war nicht zu erzielen, da einzelne Bilder zu entlegen (z.B. in Madrid) andere im Privatbesitz versteckt sind , und endlich die Statuten mancher Museen solche leihweise Abgabe nicht erlauben, wie z.B. das beim germanischen Museum und wohl auch bei der Basler Sammlung der Fall ist. Ich habe bereits an anderem Orte^) über dieBalduugausstellung berichtet, so dafs hier weitere Ausführungen unterbleiben. Es ergaben sich als grofse allgemeine Resultate der Ausstellung verschiedene Punkte, die allerdings noch einer genaueren zeitlichen und ört- lichen Untersuchung bedürfen. Vor allen Dingen ist der liefe Eindruck her- vorzuheben, den Baidung überall hinterlassen hat. Aus der Freiburger Zeit lassen sich verschiedene Bilder nachweisen , die den Stempel Baldungscher Kunstweise tragen, zwei Bilder aus Mainz (die von Rieffei dem Meister selbst zugeschriebene Anbetung im Mainzer Museum [Strafsburger Ausstellung Nr. 1130] und die Dreieinigkeit in Basel, vgl. Schnütgens Zeitschrift a.a.O. S. 224 Anm. 1) lassen vielleicht auf einen, wenn auch nur vorübergehenden Aufenthalt in Mainz schliefsen, wobei diese Etappe zwischen den Nürnberger und den zweiten Strafs- burger Aufenthalt zu setzen wäre. Am nachhaltigsten und stärksten ist natür- lich Baidungs Einüufs während seines dritten Strafsburger Aufenthaltes gewesen. In seine Schule ist ein auf der Ausstellung ebenfalls vorhandenes Triptychon mit Weltgerichtsdarstellungen (Nr. 1143) zu verweisen, manches Bild dieser Art hängt noch in den Kirchen des Mittel- und Uuterelsafses. Ferner hat Stiassny vor kurzem in seiner Publikation der Wappenzeichnungen Hans Baidung Griens in Coburg (k. k. heraldische Gesellschaft «Adler«, Wien 1895, S. 8 f.) einen Einüufs Baidungs in der badischen Ortenau konstatiert, der vielleicht durch des Meisters Freund und Kunstgeuossen Nikolaus Krämer (f 1553 zu Ottersweier bei Bühl) vermittelt wurde.

Konnten einerseits als Resultat der Ausstellung verschiedene Kreise Bald- ungscher Beeinflussung konstatiert werden, so gab andererseits die Ausstellung Gelegenheit, die öfters sich wandelnde Technik des Meisters selbst zu studieren, nö- tigte aber leider auch zu konstatieren, dafs ein grofser Teil der Bilder stark durch spätere Übermalung gelitten hat. Das vollständig übermalte Ansbacher Kelter- bild z.B. ist wohl als Baidung nicht mehr zu halten, sondern mufs Kulmbach zurückgegeben werden.

1) Schnütgens Zeitschrift für christl. Kunst 189b. Nr. 7, S. 221 ff. Ich füge hier noch hinzu, dals ich die Basler Dreieinigkeit, die ich im vierten Hefte des Repertoriums für Kunstwissenschaft, Bd. XVIII mit Baidung in nähere Verbindung brachte, jetzt in den weiteren Schulkreis desselben rücke. Vgl. auch v. Terey Repert. XVIII, S. 194 ff.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. XIT.

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Dem Katalog: der eigeDhändigen Bilder des Meisters möchte ich ein Bild einreihen, welches bisher der Kunstgeschichte unbekannt war und sieh seit 1893 im Besitze des germanischen Nationalmuseums befindet (vgl. den beiliegenden Lichtdruck; jetzt auch von Höfle photographiert, Inv.-Nr. 913, G. M. 339). Das Bild ist eine Stiftung des Kommerzienrates Röseler in Berlin und wurde von Schle- singer in Stuttgart um läOO Mark erworben. Über den frühereu Aufeathalt des Bildes konnte ich nichts eruieren. Dasselbe ist auf Lindenholz gemalt und ist 36 cm hoch und 41 cm breit. Im Vordergrunde sitzt unter einem Baume, von dem zwei Wappen herabhängen, die Madonna, das Kind auf dem Schofse haltend. Das- selbe ist fast unbekleidet und steht aufrecht, von den Händen der Mutter gehalten. Die rechte Hand des Kindes hält einen Stieglitz. Rechts unten sitzt eine Meer- katze mit einer Fessel um den Leib. Den Mittelgrund bildet ein geflochteuer Zaun mit einer Thüre durch den ein Weg nach einem Dorfe mit Kirche führt. Rechts neben dem Baumstamme eröffnet sich der Ausblick auf ein Schlofs. Den Hintergrund füllen hochragende Schneeberge mit dunklem Hochwalde am Fufse. Die linke obere Seite des Bildes ist durch Wolken ausgefüllt, in denen eine Reihe reizender, z.T. mit Baretten geschmückter Putten mit Musikinstru- menten sich um die Person Gottvaters tummeln, dessen Oberkörper, in weit zurückwallenden Mantel gehüllt, sichtbar wird. Die Rechte ist erhoben, hin- weisend auf eine mit dem Kreuze geschmückte Kugel (Reichsapfel als Symbol der Weltherrschaft), welche die Linke hält. Aus den Wolken fliegt direkt auf das spielende Kind zu die Taube des heiligen Geistes. Dergleichen mystisch- symbolische Darstellungen sind bei Baidung nichts Ungewohntes, ich erinnere nur an die jetzt verschollene Beweinung Christi von 1312 (v. Terey, Verzeichnis der Gemälde des Hans Baidung, gen. Grien. 1894. S. 43, Nr. 53).

Die »Madonna mit der Meerkatze« ist vorzüglich erhalten und vollständig unberührt von jeder späteren Übermalung. Denn die Gruppe in den Wolken links oben ist sicher ebenfalls gleichzeitig, nicht etwa spätere Zuthat, wie ober- flächliches Schauen zuerst annehmen läfst. Das Bild ist das Werk eines Künst- lers und gewinnt bei genauerem Studium aufserordentlich, denn es enthält eine Reihe von feineu malerischen und psychologischen Einzelzügen. Es ist meiner Ansicht nach Baidungs Hand zuzuschreiben und gehört in die Nähe des Wiener Riposobildes^) von dem unsere Galerie eine vielleicht eigenhändige, sicher aber in der Werkstatt entstandene Wiederholung besitzt (Lindenholz Nr. 190, alte Nr. 188; St. Nürnberg 101; vgl. die Abbildung S. 107; neuerdings auch von Höfle in Augsburg photographiert). Dieselbe ist in fast übereinstimmenden Gröfseuver- hältnissen ausgeführt das Monogramm Schäuffeleins und die Jahreszahl 1526 sind Fälschung und mit dem Original durchaus identisch, abgesehen von der in der Wiederholung fehlenden Verzeichnung des Mundes der Madonna, sowie von dem ebenfalls fehlenden trinkenden Engel links unten an der Quelle, ja es ist demselben in der Feinheit der koloristischen Ausführung überlegen.

Ebenso wie das Wiener Bild ist unsere »Madonna mit der Meerkatze« ein Bild aus den Jahren 1320 oder 1321. Der Einflufs Grünwalds, den z. B. der Freiburger Hochaltar noch dokumentiert, ist überwunden, dagegen könnte man gerade angesichts des Wiener und Nürnberger Bildes an eine Beeinflussung von

2) Terey, Verzeichnis S. 41, Nr. 49. Abb. bei Woltmann-Woermann II. S. 442.

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Seiten Altdorfers denken. Die Art und Weise des Baumschlag-s, der Landschaft- behandlung, das klare, helle bewegliche Colorit und' die Gewohnheit die Farben zusammenzustellen, erinnert an den Regensburg-er Meister. Ferner stimmt der

Hans Baidung. Ruhe auf der Flucht nach Aegypten.

(Nr. 190 der Gemäldegalerie des Geriuan. Museums}

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Mittelgrund, das Dorf, ziemlich genau mit derselben Darstellung auf Altdorfers Kupferstich (vgl. Abb. S. 108, B 17 Schmidt Nr. 11) überein, der auch sonst noch eine Reihe von Ähnlichkeiten mit dem Bilde aufweist. Ob das Bild älter ist oder der Stich, wie man zuerst vermutet, mag unentschieden bleiben. Die Wahr- scheinlichkeit spricht für den Stich, der also dann in die Zeit vor 1520 fällt.

Es ist ein Bild von idyllischer Liebenswürdigkeit und poetischer Natur- beobachtung, mit entzückenden feinen malerischen Einfällen. Man beachte die feine Abstufung von Vorder-, Mittel- und Hintergrund, die freie und kühne Auffas- sung der Landschaft, die klare, sachverständige "Wiedergabe der gutbeobachteten Schneeberge (vgl. dieselben mit der Landschaft auf dem Wiener Riposobild),

Altdorfer. Madonna mit dem Kinde.

dann wieder die Weichheit in der Modellierung des Fleisches, die gelungene Behandlung des Pelzbesatzes am Gewände der Madonna, die graziöse, flüssip- Haarbehandlung, die feine Partie mit der Meerkatze rechts unten, und man wird die Hand eines hervorragenden Meisters nicht leugnen können.

Dafs unser Bild Baidung ^zuzuschreiben ist, beweist nicht blos die enge Verwandtschaft mit dem Wiener Akademiebild, sondern auch noch eine Reihe

Mitteilungen aus dem germanischeu National-Museum 1895.

Taf. \

Uaiis Baidung. Madouna mit der Meerkatze.

Inv.-Nr. 913. G. M. 339.

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anderer Umstände. Der Typus der Madonna ist schon von früher her bekannt; bereits auf dem Freiburg-er Hochalter finden wir ihn 3). Er findet sich ähnlich (vgl. die weiche Rundung- des vollen Gesichts und die sorgfältige Ausbildung des runden vorstehenden Kinns mit einem Grübchen in der Mitte) auf einer Rötelzeichnung des Meisters im Basler Museum, die aus dem Amerbachschen Kabinet stammt (Terey I, 19 f., der im Texte dazu noch andere hierhergehörende Beispiele aufzählt). Auch »Gottvater« findet sich schon auf dem Freiburger Hochaltar; hier ist die Studie zu demselben im Basler Museum zu vergleichen (Terey I, Nr. 1). Zu den Putten finden wir eine ganze Reihe von Geschwistern in dem übrigen Werke Baidungs. Sie sind direkt integrierend charakteristisch für den Meister. Wie reizende Schildhalter sind sie nicht in den Goburger Wap- penzeichnungen *) !

Es bleibt uns noch übrig, die beiden vom Baume herabhängenden Wappen- schilder zu beschreiben. Beide hängen an roten Bändern. Der linke Schild zeigt auf rotem Grunde einen schwarzen Skorpion , während der rechte Schild auf rotem Grunde eine mir unerklärliche Darstellung zeigt. Ein goldener , mit kleinen Quadraten besetzter Ring umgibt einen dreigeteilten Rundschild, dessen mittlerer Balken schwarz ist, während die beiden andern weifs sind und eigen- tümlich gebrochene schwarze Linien als Zeichen tragen : ^ und p- über und zwischen beiden Wappen stehen schwer leserliche Inschriften. Über dem linken Schorflei?, über dem rechten Sita \jis, und zwischen denselben: Amn Hp (?). Ein Strafsburger Geschlecht der Scorp von Freudenberg führte nun allerdings einen Scorpion, aber stets im goldenen Felde, wie Herr Überstlieutenant a.D. Kindler von Knobloch so liebenswürdig war, mitzuteilen. Weitere Nachforschungen blieben erfolglos. Herr Kindler von Knobloch denkt an ein Allianzwappen bür- gerlicher Geschlechter; jeder weitere Nachweis fehlt. Vielleicht ist es einem Lokalforscher möglich, hier Aufschlufs zu geben.

Nürnberg. Dr. Edmund Braun.

Deutsche Grabdenkmale.

n.

ie Bestattung in sichtbar, sei es in Grabmalbauten oder Krypten, sei es im Freien aufgestellten Sarkophagen, wie wir solche noch in den Aliscamps bei Arles sehen, tritt im Mittelalter zurück. In Deutschland scheint sie, soweit ich sehe, überhaupt nicht vorgekommen zu sein. Die überwiegende Mehrzahl der Verstorbenen wurde in Friedhöfen bestattet, welche die Pfarr- kirchen umgaben. Diese Anlage ist auf dem Lande noch heute üblich. Auch in Städten sind solche Friedhöfe da und dort noch erhalten, wenn auch aufser Gebrauch.

Hochstehende Personen, Fürsten und höhere Geistliche wurden vom frühen Mittelalter an in den Kirchen bestattet, Dagobert in der Abtei Saint Denis, Karl der Grofse im Münster zu Aachen, Emmeram in Regensburg, St. Rade-

3) phot. Cläre in Freiburg. kl. Abb. bei Lübke. Gesch. der deutschen Kunst S. 686, auch Terey Handzeichnungen. I. Text, S. VII.

4) Terey, Handzeichnungen. Bd. II. Stiassny a. a. 0.

HO

gunde und St. Hilarius in den nach ihnen benannten Kirchen in Poitiers, St. Martin in Tours u. A. Diese Begräbnisse fanden ihren Platz im Chor der Kirchen.

Schon frühe, mindestens vom 11. Jahrhundert an sichern die Stifter von Klöstern sich und ihren Nachkommen ein Begräbnis im Kloster. Die sogenannten Hausklöster, in welchen ganze Generationen ihre Ruhestätte fanden, sind zahlreich.

Vom 13. Jahrhundert an wurden die Bestattungen in Kirchen häufiger, man konnte sie durch Stiftungen erwerben. Die räumliche Beschränkung auf den Chor wurde aufgegeben, mau nahm auch das Langhaus für Gräber in Anspruch. In einzelnen Kirchen lagen die Gräber dicht nebeneinander, so dafs das Pflaster geradezu aus Grabplatten bestand.

Der Sarg bestand in der Frühzeit aus Stein, entweder aus einem Block oder aus Mauerung, oder auch aus Holz. Metallsärge kommen vom 13. Jahr- hundert an vor. Der Sarg wird, wie Eingangs bemerkt, stets versenkt, in den Kirchen unter das Pflaster, in den offenen Friedhöfen in die Erde. Über dem Grabe wird ein Mal errichtet. Xur wenige dieser Denkmale und nur solche in Kirchen sind aus dem frühen Mittelalter auf uns gekommen. Sie lassen sich fast ausnahmslos in zwei Hauptformen scheiden. Es sind entweder Platten, welche nur den Zweck haben, die Stelle des Grabes zu bezeichnen, oder Hochgräber (Tumben).

Die Platten lagen entweder in der Fläche des Pflasters, oder sie erhoben sich nur wenig über den Fufsboden. In ersterem Falle war eine möglichst einfache Behandlung der Platten geboten , denn wenn auch ein Betreten der Platte, welche die Stelle des Grabes bezeichnet, thunlichst vermieden wurde, ganz hintanzuhalten war es doch nicht. Das Relief tritt deshalb Anfangs nicht über die Fläche der Platte vor, sondern erhebt sich von einem vertieften Grunde aus bis zur Fläche der Platte. So ist schon die im Folgenden näher zu besprechende Grabplatte des heiligen Bernward behandelt. Geeigneter noch als derartiges Halbrelief ist die vertieft gravierte Zeichnung. Solche Zeichnungen kommen in Deutschland vom 12. Jahrhundert an vor. Neben Steinplatten finden solche von Metall (Bronze) Verwendung bis zum 17. Jahrhundert. Die vertiefte Zeichnung war mit Blei oder Schwarzloth gefüllt. Verbreiteter aber blieb das Relief, das im 15. und 16. Jahrhundert nicht selten eine ziemliche Höhe erreichte. Auch die Ausschmückung der Grabplatten mit Marmormosaik in geometrischer Zeichnung kommt vor, ein Beispiel ist die Grabplatte des Erz- bischofs Gero (j 976) im Dom zu Köln.

Nicht immer begnügte man sich mit einfach behandelten Platten. In Frankreich kommen im 12. und im frühen 13. Jahrhundert Metallplatten mit gegosseneu oder getriebenen Reliefs mit Vergoldung und Email vor und solche Kunstwerke setzte man nicht den Fufstritten der Kirchenbesucher aus. Sie waren deshalb etwas über den Fufsboden erhoben, was ohne ün zuträglichkeiten geschehen konnte, weil hochstehende Personen, welche allein so kostbare Denk- male erhielten, im Chor bestattet wurden, wo die Gemeinde keinen Zutritt hatte.

War die Platte auf einen höheren Unterbau gelegt, so entstand die Form der Tumba oder des Hochgrabes. Diese ist niemals Behälter des Sarges, auch wenn es die Form des Sarkophages nachbildet. Im Allgemeinen ist es als die

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monumentale Umg-estaltung- des Paradebettes aufzufassen, auf welchem der Verstorbene aul'g:ebahrt war.

Die Platte mit dem Bilde des Verstorbenen ruht gewöhnlich auf einem geschlossenen Unterbau, zuweilen auf kurzen Säulen oder Pfeilern. Es kommt wohl auch vor, dafs die auf niedrigem Sockel ruhende Reliefplatte von einer zweiten, von Pfeilern oder Säulen getragener Platte überdeckt war, z. B. die des hl. Emmerain in Regensburg aus dem 14. Jahrhundert. In einzelneu Fällen erhob sich über der Tumba ein Baldachin von Stein oder Metall.

Ist so der Formenkreis der mittelalterlichen Grabdenkmale ein beschränkter, so bieten sie doch im Einzelnen hohes Interesse nicht nur dadurch, dafs sie uns, freilich erst vom 14. Jahrhundert an , die Bildnisse bedeutender Personen überliefern, sondern ebensusehr durch die Aufschlüsse, welche sie für die Heraldik, für die Geschichte der Tracht, für die Waffenkunde bieten. Noch höhere Be- deutung haben sie für die Geschichte der Plastik.

III.

Aus der Periode, in der sich die deutsche Kunst zu nationaler Eigenart entwickelt, aus der Frühzeit des 11. Jahrhunderts sind uns bedeutende Zeugnisse in den Werken des Bischol's Bernward von Hildesheim erhalten. Die Domthüren und die Bernwardsäule in Hildesheim sind mit Reliefs aus der Genesis und aus der Geschichte Christi geschmückt, und es bekunden namentlich die ersteren bei vielen Unbeholfeuheiten schon ein hohes Mafs von selbständiger, künst- lerischer Auffassung. Auf dem Sarkophag und der Grabplatte, welche Bern ward eigenhändig gearbeitet hat (Vita Bernwardi MM. G. SS. IV. 771), sind die Dar- stellungen der Apokalypse entnommen und rein symbolisch.

Bern ward starb am 20. November 1022 und wurde in der Krypta von St. Michael vor dem Hauptaltare bestattet. Der Steinsarg stand in einem gemauerten Grabe, das mit einer Sandsteinplatte bedeckt war. Abgüsse im ger- manischen Musum.

Der Deckel des Sarges hat die Form eines Giebeldaches mit flacher Neigung der Dachflächen.

Im Giebelfelde am Kopfende ist ein Medaillon mit dem Lamm und zu dessen Seiten sieben eigentümlich gewundene Gebilde, welche Bertram (Die Bern- wardsgruft in Hildesheim S. 19) als Flammen erklärt und in welchen er eine Darstellung der sieben Leuchter erblickt, in deren Mitte das Lamm vor dem Throne steht (Apokalypse 4, 5; o, 6), im Giebelfeld am Fufsende ist ein Kreuz ange- bracht. Auf den Flächen des Deckels sehen wir die Brustbilder von Engeln, fünf auf der einen, vier auf der andern, zwischen diesen und zu deren Seiten wieder auf jeder Fläche sieben. Die unsymetrische Verteilung auf der Fläche, welche fünf Engelsbilder enthält, um die Siebenzahl zu erreichen, beweist, dafs dieser Zahl eine besondere Bedeutung beigelegt ist und spricht für die Erklärung Bertrams. Die oeun Engel sollen die neun himmlischen Chöre darstellen.

Auf den Rändern des Deckels ist in Majuskeln die folgende Inschrift angebracht: scio enim quod redempior mens vivü et in novissimo die de terra surrecturus sum. Ei rursum circumdabur pelle men et in carne videbo deum salvaiorem meum, quem visurus sum ego ipse et oculi conspecturi sunt et non alius. Reposiia est hec spes mea in sinu meo.

112

Der (jrund , auf welchem die Reliefs stehen, ist g-egenüber den Rändern etwa 1 cm vertieft, das Relief tritt bis zur Fläche der Ränder vor, tritt aber

an einzelnen Stellen auch bis zu 1^2 cm hinter die Grundfläche zurück, so dafs es sich im Flächenunterschiede von 2^2 cm beweist. Es ist also im Ganzen sehr flach. Die Eugel sind

in Vorderansicht dargestellt, welche in so flachem Relief der Behandlung manche Schwie- rigkeiten bietet. Die Zeichnung der Gesichter ist unbeholfen, besonders unschön sind die breiten starken Nasen. Die Augen sind hoch- liegend , die Iris ist angedeutet. Die Ohren stehen meistens in der richtigen Höhe. Auf den Flügeln sind zwei Lagen von Federn sche- matisch angedeutet. Die Falten der Gewänder sind mit zwei vertieften Linien angegeben.

Das Grab war mit einer Platte bedeckt, auf der ein Kreuz auf einem wie ein Baum- stamm gestalteten Fufse steht. Auf der Kreuzung der Balken ist ein Medaillon mit dem Bilde des Lammes angebracht, auf dem Ende des oberen und der Querbalken sowie auf der Mitte des unteren Balkens finden sich Medaillons mit den apokalyptischen Tieren (Apok. 4, 6—8), welche als Symbole der Evan- gelisten gedeutet werden und allgemein be- kannt sind. Die gleiche Darstellung findet sich häufig auf Vortragkreuzen, so auch auf dem St. Bernwardskreuz in der Magdalenen- kirche in Hildesheim , nur mit dem Unter- schiede, dafs hier statt des Lammes der ge- kreuzigte Erlöser dargestellt ist. Die Platte ist mit einem an Flechtwerk erinnernden Or- namentstreifen umgeben.

Bertram sucht im SS. Bernwardsblatt 1894 den Nachweis zu erbringen, dafs die Dar- stellungen auf dem Sargdeckel wie auf der Platte auf römische Vorbilder, und zwar auf die Mosaiken von SS. Gosma e Damiano zu- rückgehen. Der Gegenstand der Darstellungen ist indes Gemeingut der frühchristlichen Ikono- graphie und ein formaler Zusammenhang mit den genannten Mosaiken besteht nicht.

Die stilistische Behandlung der Grabplatte ist der des Sargdeckels verwandt.

Gegenüber der Behandlung des Reliefs auf den Domthüren und auf der Bernwards-

Deckel vom Sarg des heiligen Bernward in S. Michael in Hildesheim.

113

Säule steht die Ausführung- der Grabskulpturen sehr zurück. Zugegeben, dafs die Bearbeitung des Steines einem Erzbildner, der seine Modelle in Thon herstellt, schwierig sein mochte, erscheint es doch fraglich, ob wir sämtliche Arbeiten dem heiligen Bernward selbst zuschreiben dürfen, umsomehr als auch die Thüren und die Säule nicht von der gleichen Hand zu sein scheinen.

Die gleichen Darstellungen wie die Grabplatte des heiligen Bernward, aber in etwas anderer Anordnung, trägt die des Bischofs Udo von Reinhausen (1069—1114) in der St. Lorenzkapelle am Dom zu Hildesheim. Abgufs im ger- manischen Museum. Oben und unten je zwei Evangelisten-Symbole. Über zwei in Akanthusblätter auslaufenden horizontal abgebogenen Stengeln erhebt sich eine Aedicula. Zwei schlanke Säulen mit rohen Basen und einfachen Blattkapi- tellen tragen kleine Türmchen und zwischen diesen einen Bogen, aus welchem die Hand Gottes auf das in der Mitte befindliche Lamm, das von einem tauartig gewundenen Reif umgeben ist, herabzeigt.

Die Formen weisen auf die frühe Zeit des 12. Jahrhunderts; das Figürliche ist kaum besser als auf dem Bernwardsgrabe.

Der Gegenstand der Darstellungen, der einfache Hinweis auf den Erlösertod Christi, ausgedrückt durch das Kreuz, das Lamm, oder durch beides zugleich, welcher diesen Grabplatten mit denen früherer Jahrhunderte gemein ist, bleibl auch in den folgenden Jahrhunderten verbreitet.

Häufig steht das Kreuz auf einem Dreiberg. Die Kreuzarme sind nicht selten ornamental gestaltet. Die Inschrift wird fast ausnahmslos auf dem Rande angebracht. Zu dem Kreuze treten bald noch Abzeichen, bei Priestern der Kelch, bei Rittern das Schwert oder das Wappen. Beispiele hiefür bietet der kunsthistorische Atlas, hgg. v. d. k. k. Zentralkommission X. ^bt., Taf. 1, 2, 5, 12 u. s. w.

Gustav von Bezold.

Schulkomödieii in Rothenburg o. d. Tauber zu Ausgang des 17. Jahrhunderts.

p^,eber die Geschichte des ehemaligen Gymnasiums zu Rothenburg o.d. Tauber sind wir durch H. W. Bensens Abhandlung im XVII. Jahresbericht des

3] historischen Vereins in Mittelfranken (1848) gut unterrichtet. Wir erfahren daraus u. a., dafs in der Blütezeit des Gymnasiums, wie sie durch die Berufung des gelehrten Abdias Wickner aus Nürnberg zum Rektor herauf- geführt worden war, laut einer dem Ende des 16. Jahrhunderts entstammenden Schulordnung von den Schülern selbst die wenigen Vakanzen (an den Nach- mittagen der Hundstage) »angewendet werden sollten zur erlernung einer feinen und erbaulichen Lateinischen Comödie, welche als von der Schuljugend auf dem Theatro der Stadt zu ihrer höchstnützlichen ermunterung agirt werden möge«.

Eine zweite Blüte erlebte das Gymnasium zu Ende des 17. Jahrhunderts, als es in Wernher, Lipsius und dem Superintendenten M. Georg Caspar Kirch- maier aus Uifenheim drei vorzügliche Lehrkräfte besafs. Dafs in dieser Zeit auch die Schulkomödie in Rothenburg aufs neue erwachte, war bisher nicht bekannt, geht aber aus einer Petitionsschrift an den Rat auf das deutlichste

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1895. ' XY.

114

hervor, welche sich im Rothenburger Stadtarchiv befindet^) und folgeuder- mafsen lautet:

»Magnifici, Prae-Nobilissimi Amplissimi Gousultissimi et Prudentissimi Domini Patroni ac Maecenates humillimo obsequio reverandi.

Etiansi ea quam VOBIS, VIRI Mag-uifici Prae-Nobilissimi etc. debemus, Reverentia haud parum ab initio obstabat, quo minus Supplici hac Epistola compellare auderemus; summa tamen Vestra, qua Studiosam Juventutem prose- quimini, Beuevolentia atque Humanitas pudorem tandem nostrum vicit, ut in Conspectum Vestrum prodire haud dubitaverimus. Quisquis enim insitam VOBIS in literarum Studiosos, propensionem seria aestimatione pensitat, non potest non cog'itatione illius permotus excitari, magnamque felicitatis suae partem in hoc statuere atque ponere, quod in ea incidit tempora, quae tantos ferunt Studiorum Patronos. Vestra siquidem summa Gonsilia unice eo directa esse, ut sub Imperio Vestro Gymnasium floreat, .commodisque adolescentum Studiosorum optime pro- spiciatur, et ingenue agnoscimus, etgratam tantaeVestrae Beneticientiae memoriam promittimus. Quemadmodum autem ex iuflnita benefieiorum, quibus Gymnasij hujus Discipulos beare hacteuus consuevistis, multitudine non uiinimum et hoc est, quod sexto abhinc anno Vestro Gratioso Permissu Gomoedias agere feriis Ganicularibus i l,lis li citum fuerit, quoniam multum utilitatis ea in re positum videtur; ita eundem ad Vestram Benevolentiam aditum Supplicibus hisce literis patefacere nobis voluimus, ea, qua par est, submissione rogitantes, ut idem exercitij genus, ceu in alijs quoque tieri solet Gymnasijs, nobis permittere, locumque ludis hisce idoneum aliaque concedere et destinare ne dedignemini. Non enim de rebus aut vili tbemate, sed quod a Vestra Prudentia^ aut ab Amplissiiuis DNN. Scholarchis praescribetur, acturos nos poUicemur, et, quo omnis omniuo turba evitetur, decentique ordine cuncta agantur MAXIME REVERENDUS et EXGELLENTISSIMUS DOMINUS SUPERINTENDENS^) et PR.EGELLENTISSIMUS DOMINUS REGTOR s) PR.ESIDES horum actuum rogatu nostro se fore permiseruut: Ita futurum confidimus, ut expeditior in sermone, potissimum Latino reddatur liugua, in morum elegantia exerceamur, animoque esse praesenti, et intrepide loqui consuescamiis. Gui Petitioni ut Benigni annuere velitis, etiam atque etiam observanter obsecramus: Gaeterum omnigenam a DEO Supremo Felicitatein Statumque Florentissiraum omnibus apprecamur votis, FAVORI Vestro singulari illi, quem hactenus experti sumus, nos porro com- mendantes. Valete.

V. Magnif. Prae-Nobilit. Amplit. atque Prudent.

devotissimi Discipuli Profefsorij nostro et ceterüm nomine.

1) Stadtarchiv zu Rothenburg o. d. Tauber cod. 1936 »Praeceptores und Schulmeister lölO 1705«, fol. Pappband mit Lederrücken und Bändern. Nr. J78. Das Register setzt das undatierte Schriflstücli wohl mit Recht in das Jahr 1697.

2) Kirchmaier (f 1700).

3) Ludwig Gottfried Wernher, seit 1683 Rektor, f 1714 (Bensen a. a. 0. S. 17 u. 19).

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Ob diese Eing'abe der »discipuli professorii", die übrigens gleichzeitig- ein hübsches Beispiel lür das Schullatein der damaligen Zeit abgibt, von Erfolg gekrönt war, vermag ich nicht zu sagen. Die Akten des Rothenburger Stadt- archivs enthalten darüber nichts.

Nürnberg. Th. Harape.

Die naudzcicliiiuiigcn der Maiiuskri|)te der Scliedelsclicii Wcltcliroiiik.

nter den Problemen der deutschen Kunstgeschichte steht in den letzten Jahrzehnten die Wolgemutfrage mit obenan. Konnten vor zwanzig Jahren noch starke Zweifel bestehen, ob sich dieselbe je in befriedigender Weise würde lösen lassen, so können jetzt diese Zweifel wenigstens geringer werden, denn der immer wieder wiederholte Angriff auf diese harte Nufs hat doch man- ches Neue gebracht und manche Unklarheit schwinden lassen. Die Beurteilung des Führers der Nürnberger Malerschule das ist er eben doch offenbar ge- wesen — ist von einem Extrem ins andere gegangen;, halte ihn Thausing trotz im Allgemeinen richtiger Erkenntnis seines Wesens doch in seiner geistigen Bedeutung überschätzt, so war schon Vischer ziemlich übel mit dem biederen Michel VVolgemut umgesprungen und gar Thode hatte doch recht im Gegensatz zu der freilich spärlichen, sicheren Überlieferung ein wahres Zerrbild von ihm geschaffen. Es ist nur natürlich , dafs gegen diese Art der unverdienten Zu- rücksetzung wieder eine Reaction eintritt, und dies um so mehr, als die enge Verbindung Dürers mit seinem Lehrmeister auch nach der völligen Selbständig- machung des ersteren immer klarer hervortritt, wie insbesondere die Entdeck- ungen Gurlitts bezüglich des Zusammenarbeitens Dürers, Wolgemuts und Jacopo de'Barbari's für den sächsischen Hof beweisen. Auch der Umstand, dafs nach dem jetzigen Stand der Forschung die erste venezianische Reise Dürers sich nur noch künstlich aufrecht erhalten läfst, so dafs neben dem Aufenthalt am Ober- rhein Nürnberg doch ein gröfserer Einflufs auf die schliefsliche Entwicklung- Dürers zugestanden werden mufs , veranlafst uns , den Nürnberger Kunstver- hältnissen der letzten Dezennien des fünfzehnten Jahrhunderts, und damit der zum mindesten vielgenanntesten Persönlichkeit des dortigen Kuustlebens, Michel Wolgemul immer erneute Aufmerksamkeit zu schenken. So ist es nur erfreulich, über Wohlgemut wieder ein objectives, jeder gesuchten Originalität fremdes und nur auf dem vorhandenen thatsächlichen Material bauendes Urteil zu lesen, wie es jüngst V. V. Loga in dem Jahrbuch der königl. preufsischen Kunstsammlungen (1895, S. 2^4 ff.) gefällt hat. Loga bringt, nachdem er schon früher (Jahrbuch 1888 Seite 93 u. 184) sich eingehend mit den Vorlagen für die Städteansichten der Schedeischen Weltchronik beschäftigt, jetzt wiederum Beiträge zum Holzschnitt- werk Michel Wolgemuts, die neues Licht auf diesen Künstler zu werfen ge- eignet sind. Der gelungene Nachweis einer Anzahl von Vorbildern zu den Illu- strationen der Schedeischen Weltchronik, ebenso wie die Zuweisung einer Reihe von Holzschnitten nach italienischen Kupferstichen an Wolgemut geben uns will- kommenen Aufschlufs über die Bekanntschaft des Nürnberger Meisters mit der zeitgenössischen Kunst Deutschlands, wie Italiens. Dafs die Kenntnis der italieni- schen Stiche, welche Wolgemut in seinen Holzschnitten kopierte, jedenfalls durch

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Schedel vermittelt wurde , dafür spricht dessen Besitz an Stichen des Jacopo de' Barbari, von denen eine Zahl in dem Hartmann Schedeischen Manuskript (cod. lat. 716) der Münchener Staatsbibliothek eing-eklebt sind, wenn auch die Möglichkeit direkter Beziehungen des Jacopo de' Barbari zu Wolg-emut vor der Übersiedlung Jacopos nach Nürnberg nicht ausgeschlossen erscheinen.

Schien es ursprünglich, als ob mit dem wenigen, schwer zu identifizieren- den Material der Handzeichnungen nicht zu einem befriedigenden Resultat zu kommen sei, so ist jetzt nach Aufschliefsung zahlreicher neuer Quellen, dann nach der glücklichen Beseitigung des als unnützer Ballast lange mitgeführten angeblichen Stecherwerks Wolgemuts schon ein viel klarerer Einblick möglich. Den Ausgangspunkt der Untersuchung wird immer die Schedeische Weltchronik bilden müssen, das einzige unbedingt sicher beglaubigte Werk Michel Wolge- muts. Die Schwierigkeit, die durch die Gemeinsamkeit der Ausführung der Holzschnitte dieses Werkes mit seinem Stiefsohn Wilhelm Pleydenwurf entsteht, möchte ich verhältnismäfsig gering anschlagen und in Hinsicht auf diesen sicher nicht allzu bedeutenden Meister mich völlig dem Urteil Logas in seiner neuesten Arbeit anschliefsen.

Hier sei gleich bezüglich der Herstellung der Weltchronik, des umfang- reichsten illustrierten Druckwerkes des 13. Jahrhunderts auf einen bisher unbe- achteten Umstand hingewiesen. Es war schon Thausing aufgefallen, dafs die Herstellung der Holzstöcke zu den mehr als 2000 Abbildungen der Weltchronik in der kurzen Zeit von nicht ganz 19 Monaten, d.h. vom Vertragsabschlufs am 29. Dezember 1491 bis zum Erscheinen der Weltchronik am 12. Juli 1493 vor sich gegangen sein sollte. Nun befindet sich in dem Literarium 4. im Nürn- berger städtischen Archiv wenigstens die Spur eines früheren Vertrages ver- zeichnet. Der betreffende Band ist unvollständig; und seine Einträge gehen nur bis zum 4. November 1487 (quarte post marci), während der darauffolgende Band mit dem zweiten Quartal des Jahres 1488 beginnt. Existieren nun auch nicht mehr die Originalverträge aus dem dazwischenfallenden Zeitraum, so hat sich doch der alte Index erhalten und hier ist zu lesen unter Buchstabe S.: Sebolt Schreyer, Sebastian Camermeister, Michel Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurff Fo. iSl. Der Band bricht heute mit Fo. 193 ab. Der Vertrag, der hier gemeint sein kann, ist kaum zweifelhaft; die abschliefsenden Personen sind genau die- selben, wie die späteren Herausgeber der Schedeischen Chronik, und die Her- stellung des Abbildungsmateriales in der Zeit von fünf und ein halb Jahren klingt etwas wahrscheinlicher. Auch das Verhältnis der Weltchronik und ihrer niustrationen denjenigen des Schatzbehalters gegenüber verschiebt sich dadurch nicht unwesentlich.

Die Annahme Logas dagegen, dafs das Druckmanuskript zur Schedeischen Weltchronik nicht mehr existiere ist irrig; vielmehr ist in der Nürnberger Stadtbibliothek (Cent. VI, 98 u. 99) sowohl das Manuskript des lateinischen, wie des deutschen Exemplars fast vollständig es fehlt nur ein Absatz der lateini- schen Ausgabe und in vorzüglicher Erhaltung vorhanden. Nicht nur kunst- geschichtlich, sondern auch für die Geschichte des Buchgewerbes sind die bei- den Bände von hohem Interesse. Sie sind genau von demselben Formate, wie die gedruckten Exemplare, ja sogar auf demselben Papier geschrieben. Die Exemplare sind so eingerichtet, dafs der Setzer eine verhältnismäfsig leichte

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Aufg-abe hatte; die Schrift und der Drucksatz decken sich im Allgemeinen, so dafs die geschriebenen und gedruckten Chroniken auf den einzelnen Blättern ziemlich genau dieselbe Menge Text enthalten. Der Raum für die Illustrationen ist an dem im Druck für dieselben gewählten Platz in der genauen Gröfse aus- gespart, mit den betreffenden Überschriften versehen und mit ganz flüchtigen Skizzen der betreffenden Illustrationen in Federzeichnung ausgefüllt. Diese Skizzen nun sind es, welche für das Holzschnittwerk Wolgemuts von einiger Bedeutung sein, und das bisher in dieser Richtung Gefundene ziemlich erheblich erweitern dürften. Bei der, wie gesagt, ganz skizzenhaften Natur der Zeich- nungen — es sind vielleicht die Hälfte der ausgesparten Illustrationsstellen mit solchen versehen fragt es sich nur, wer dieselben gemacht haben könnte, der Verfasser, der Schreiber, resp. ein Mitglied der Verleger- und Druckerflrma, oder der mit der Illustration beauftragte Künstler. Eines darf mit ziemlicher Gewifsheit angenommen werden : Bei dem schon oben dargelegten Charakter der Handschriften mufs angenommen werden, dafs diese in der Druökerei ange- fertigt wurden. Der Umstand, dafs beide Handschriften, sowohl der lateinische Urtext, als die deutsche Übersetzung von einer Hand herrühren, ist eine weitere Bekräftigung dafür.

Dafs die Herstellung der Handschriften nur unter Beistand sowohl des Ver- fassers, resp. eines gelehrten Redakteurs, vielleicht Sebolt Schreyers, sowie der Illustratoren möglich war, ist selbstredend. Fraglich ist nur, waren die Holz- stöcke der Illustrationen schon fertig und ^wurde nur ihr Mafs eingetragen, um dem Setzer die damals wohl noch mehr als heute gefürchtete Arbeit des Um- brechens zu sparen und die Skizzen eingesetzt, um bei der au fser ordentlich grofseu Anzahl der ' Holzstöcke eine Verwechslung zu verhüten, oder aber haben wir hier den ersten Entwurf der Illustrationen vor uns, die erste Gröfsen- festsetzung, und sozusagen die erste Skizze des Illustrators für die vom Heraus- geber gewünschten Bilder ihrem Inhalt und ihrer Form nach. Das Letztere ist das Wahrscheinlichere, denn wären die Holzstöcke auch nur zum geringen Teile fertig gewesen, so hätte man durch Abziehen der Holzstöcke mit der Hand rascher und sicherer zu dem oben angedeuteten Ziele gelangen können. Dafs dies auch für praktischer gehalten wurde, zeigt der Abdruck der auf den salo- monischen Tempel bezüglichen Stöcke (mit Ausnahme des Hohenpriesters, der im lateinischen Exemplar viel genauer als das Übrige ausgeführt, nach diesem Stock gezeichnet ist), welche schon aus früheren Kobergerschen Verlagswerken vorhanden waren, und aufserdem noch in der deutschen Ausgabe der eingeklebte Titelholzschnitt, Die beiden Ausgaben scheinen auch gleichzeitig vorbereitet worden zu sein; die Annahme, dafs die deutsche Ausgabe erst durch den Erfolg der lateinischen veranlafst wurde, wird durch den kurzen Zwischenraum im Er- scheinen (die deutsche Ausgabe erschien am 23, Dezember 1493, also nur fünf- einhalb Monate später als die lateinische), der für Übersetzung, Satz, Korrektur und Druck des grofsen Werkes unter Berücksichtigung der damaligen techni- schen Verhältnisse völlig unzureichend war, ganz hinfällig. Nimmt man nun an, dafs die Skizzen in den beiden Manuskripten vor den Holzstöcken entstanden seien, so ist damit freilich noch nicht die Angesichts der aufserordentlichen Flüchtigkeit sehr schwer zu lösende Frage nach dem Urheber derselben beant- wortet. Am nächsten läge es, an Hartmann Schedel selbst zu denken, von dem

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wir ja wissen, dafs er sich in der edlen Kunst des Zeichnens versuchte, und auch der Schreiber dieser Zeilen war zeitweise dieser Meinung. Aber ein neuerlicher Vergleich der bedeutendsten authentischen Zeichnungen desselben in dem In- schriftenwerke des Hartmann Schedel (cod. lat. 716 der Münchener Hof- und Staatsbibliothek) ergibt, dafs bei aller Rohheit der künstlerische, oder wenn man lieber will, der berufsmäfsige Zug in den Manuskripten der Weltchronik den Nürnberger Polyhistor und Humanisten völlig ausschliefst, dessen dilettantenhafte Unsicherheit bei jedem Strich trotz aller Mühewaltung und gerade durch diese hervortritt. Es bleibt daher nur übrig, an die Illustratoren, die urkundlich und gedruckt ja des Öfteren genannt werden, an Michel Wolgemut und Wilhelm Pleydenwurtr zu denken. Mir erscheint es. wie gesagt, nicht möglich, in den Skizzen, die ausdrücklich sei dies nochmals bemerkt keinen Zweck haben, als den Inhalt der Illustration für das Gedächtnis festzuhalten, verschiedene Hände zu erkennen. Deshalb unterlasse ich auch alle überflüssigen Hypothesen über die etwaige Verteilung der Skizzen an die beiden Meister, und nehme bei der Betrachtung nur mehr den gesicherteren für den Kollektivbegriff Wolgemut- Pleydenwurff, nämlich Wolgemut an.

Es dürfte überflüssig sein, auf die Zeichnungen, die oft nur aus einigen markierenden Strichen bestehen, hier des Näheren einzugehen. Nur im Allge- meinen sei ihr Bestand und künstlerischer Charakter im Nachfolgenden festgestellt.

Von den ausgeführten Holzschnitten unterscheiden sie sich schon dadurch ganz merklich, dafs an Stelle der üblichen steifen Sirichführung wie sie der Holzschnitt und die ausgeführte Zeichnung auf dem Holzstock zeigen^), eine viel weichere, abgerundetere Art des Zeichnens sich findet. Jedenfalls wurde hier wie bei den gleichzeitigen Basler Tereuzzeichnungen Dürers dasselbe Verfahren eingehalten.

Die Zeichnungen sind unglaublich flüchtig, das ist unbestreitbar, aber doch ist die geschickte, zeichnerisch ungemein geübte Hand mehr zu erkennen, als in irgend einer sonstigen für Wolgemut bisher in Anspruch genommenen Zeich- nung. Besonders beachtenswert in dieser Hinsicht ist die erste Hälfte des latei- nischen Exemplars. Man möchte meinen, fast unwillkürlich seien mit einigen prägnanten Strichen die einzelnen Porträts resp. die Holzstöcke auf das Unver- kennbarste bezeichnet. Es ist freilich die künstlerische Arbeit an und für sich gerade an den Brustbildern der Weltchronik, die ohne jede innerliche Beziehung auf die Darzustellenden entworfen sind, nicht hoch anzuschlagen, sie geben aber doch von der nicht zu gering zu rechnenden Ausdrucksfähigkeit des Künstlers, die hier mehr als in irgend einem andern Werke zu Tage tritt, ein treffliches Zeugnis. Logas Annahme (a. a. 0. S. 227), dafs VVolgemuts künstlerische Schaffens- kraft sich bereits im Schatzbehalter erschöpft habe . vermag ich nicht zu teilen. Die Monotonie war nicht zu vermeiden, und der oft wiederholte Ab- druck derselben Stöcke entsprach nur dem allgemeinen Gebrauch und den sicher eine grofse Rolle spielenden Rücksichten auf möglichst billige Her- stellung. Mehr ausgeführt sind nur verhältnismäfsig wenige Blätter. Vor allem ist da die Anbetung des goldenen Kalbes zu nennen, deren Komposition im Gegensatz zu der sonstigen Gepflogenheit sogar etwas reicher ist, als der ausgeführte Holzschnitt. Hin und wieder hat es der Laune des Künstlers ge-

1) auch die Londoner Zeichnung zum Titelblatt kommt hier in Betracht.

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fallen, auch einem der Bildnisse einen Aug-enblick läng-er Zeit zu widmen, dann tritt vor allem das Charakteristische der Gewandbehaiidlung: zu Tage. Mit der Gesichtsbehandlung hat sich dagegen der Zeichner in der Regel recht wenig aufgehalten, nur die weibliche Kopfform und die Stellung des Auges zeigt so recht Wolgemut'sche Art. Am ausführlichsten ist der Anfang des Buches be- dacht, wie z.B. die gröfseren Sceuen, wie die Erschaffung der Eva, sowie Adams; die Landschaft in dem Erdkreis vor der Erschaffung bes Menschenpaares und der Säugetiere ist wohlgelungen. Auch Adam und Eva, sowie das erste Menschen- paar nach der Vertreibung aus dem Paradies gehören hierher. Bei den Städte- bildern ist vielfach nur ein wichtiger, bezeichnender Teil des betreffenden Ortes, um ihn kenntlich zu machen, gebracht; sehr viele Felder sind hier weifs ge- lassen ; das Yorbildermaterial scheint dem Zeichner beim gröfseren Teile noch nicht zur Hand gewesen zu sein. Die ausgeführteste Städtezeichnung stellt mit Anlehnung an die Breydeubachsche Darstellung Rhodus dar (lat. Exemplar), ebenso ist auch Gorinth recht anschaulich. In der Regel sind die Skizzen so entworfen, wie sie der Abdruck zeigt; dies geschah wegen der im Manuskript schon voiher angebrachten Namensüberschriften , daher mufsten dieselben dann auf den Holzstock in umgekehrtem Sinne gezeichnet werden; einigemale wie bei der Scene von Bileams Esel ist aber auch die Scene von der Gegenseite gezeichnet. Sehr bezeichnend für die Leichtigkeit der Komposition ist die mit ganz wenigen Strichen sicher hingesetzte Scene der Anklage Josephs durch Potiphar vor Pharao, auch die Zauberin Circe gehört hierher; in der Regel ist in der Ausführung die flüchtige Skizze wesentlich reicher gestaltet worden, nur einmal, bei der Darstellung des goldenen Kalbes, findet, wie gesagt, das Gegenteil statt. Du deutschen Exemplar ist das Kaiser- und Papstbild, ebenso wie der Tanz der Skelette wenigstens angedeutet.

Bei solchen Darstellungen, wo durch die genauen Überschriften das Schema der Hlustration sicher vorgezeichnet war, hat der Zeichner, dem es unverkennbar darum zu thun war, möglichst rasch fertig zu werden, stets auch nur die Spur einer Skizze gespart. Die Eile, die man hatte, beweist auch der Umstand, dafs gegen das Ende und zwar in beiden Bänden die Arbeit immer flüchtiger wird, einige rasch hingeworfene Striche müssen genügen.

Hier möchte ich endlich über die Art der Herstellung des Hlustrations- materiales der Schedel'schen Chronik meine Ansicht niederlegen. Ob sie allge- meinere Annahme findet, mag die Zukunft lehren. Die ganze geschilderte Art der Handzeichuungen gibt zu erkennen, dafs dieselben in kürzester Zeit, viel- leicht in einigen wenigen Tagen, in die beiden Codices skizziert worden sind. Der Zeichner gab, so weit eben sein künstlerisches Vermögen reichte und dies kommt manchmal, wenigstens in den ganz flüchtigen Handzeichnungen besser zur Anschauung als in den viel detaillierteren Holzschnitten nach Gegenstand und Form den Willen des Verfassers oder eventuellen Redakteurs wieder. Diese Skizzen dienten dann dem Personal der Werkstatt als Direktive bei der Herstellung d. h. zunächst bei Vorzeichnung der Holzstöcke. Einen grofsen Teil des Bedeutenderen mag sich der Chef und sein Stiefsohn selbst vorbehalten haben, ein noch gröfserer Teil wird von den Gesellen gemacht worden sein. Gerade diejenigen Stöcke, welche sich ängstlicher an die Skizze halten, werden als Gesellenarbeit zu denken sein. Bei besonders wichtigen Hlu-

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strationen wie dem Titelblatt mag auch ein sorgfältig- durchgeführter Entwurf vor der Aufzeichnung auf den Holzstock noch zur Begutachtung durch die Ver- lagsgenossenschaft oder den Autor gemacht worden sein, wie die vorhandene Zeichnung im British Museum hiezu zu erkennen gibt. Die Korrektur des ge- samten Materiales werden dann wohl wieder die beiden Vorstände besorgt haben, ebenso die Aufsicht über die Formschneider. Mag man über "Woigemut und seine Umgebung denken wie man will, so mufs zugegeben werden, dafs insbesondere sein formaler Sinn weit entwickelter war, als dies etwa die Mehrzahl der Holz- schnitte der Weltchronik annehmen lassen. Erst in jüngster Zeit kommt die Wissenschaft dazu, richtig zu ermessen, wie viel durch die unbeholfene Technik der damaligen Formschneiderei von der ursprünglichen künstlerischen Darbiet- ung verloren gegangen ist.

Ein schwerer Vorwurf darf den Leitern der Illustration nicht erspart bleiben, dafs wie beim Vergleich mit dem gleichzeitigen Schatzbehalter aus dem Kobergerschen Verlag ersichtlich ist, sie bei gröfserer Mühewaltung und Aufmerk- samkeit für den Schnitt hätten Besseres bieten können, dafs wahrscheinlich aus kaufmännischen Rücksichten hier schon im fünfzehnten Jahrhundert die mo- derne Devise »Billig und schlecht» zur Durchführung kam.

Nicht unberührt kann die Frage nach dem Verhältnis der Zeichnungen der hier besprochenen Manuskripte zu den übrigen Wolgemut seit längerer oder kürzerer Zeit zugeschriebenen Handzeichnungen bleiben. Dasselbe, was Vischer vor zehn Jahren über diesen Gegenstand sagte, kann auch noch heute gelten: die Untersuchung steht auf einem nichts weniger als festen Boden, wenn auch das Material sich bedeutend gemehrt hat. Übersieht man dasselbe in seinem ganzen Umfange, so ist der erste Eindruck der gleiche, welcher dem Untersucher bei Betrachtung der malerischen Thätigkeit Wolgemuts entgegentritt, der einer schier unentwirrbaren Vielgestaltigkeit. Allein wie es doch meines Erachtens bei längerer, ruhiger Betrachtung der Wolgemut zugeschriebenen Gemälde sehr wohl möglich ist, die künstlerische Individualität, und die persönliche Hand- schrift des Meisters herauszuschälen, so trifft dies auch bei den Zeichnungen zu. Dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen der kgl. Hof- und Staatsbibliothek in München, des Stadtmagistrats in Nürnberg und des Herrn Ludwig Rosen- thal in München, war es dem Verfasser ermöglicht, die Manuskripte der Welt- chronik, den bekannten handschriftlichen, Inschriften der verschiedensten Art enthaltenden Band des Hartmann Schedel (codex latiuus 716), das sogenannte Skizzenbuch aus dem Atelier eines Künstlers des 15. Jahrhunderts (siehe Rosen- thal, Incunabula xylographica et chalcographica, 1892 und Loga a.a.O.), in Nürnberg zu vergleichen, sowie im Anschlufs daran die Handzeichnungen auf der Universitätsbibliothek zu Erlangen zu Rate ziehen zu können. Seiner An- schauung nach verdienen unter den Handzeichnungen Wolgemuts die flüchtigen Skizzen der Weltchronik nicht etwa ihres verhältnismäfsig geringen künst- lerischen Wertes, sondern ihrer verhältnismäfsigen Autenticität halber in den Vordergrund der Untersuchung gestellt zu werden und von ihnen hat nach ihrer Nachweisung die Untersuchung des übrigen Handzeichnungen Werkes aus- zugehen. Ein Versuch zur weiteren Behandlung dieser Frage wird demnächst an dieser selben Stelle erscheinen.

Nürnberg. Hans Steg manu.

Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1895

der

3Iitteiliiiigeii aus dem germanischen Nationalmuseum.

Seite

Erasmus Kamin oder E. Kosler, von Hans Bosch 3

Düi'er, kleine Mitteilungen, von F. Fukse 8

Der Tisch des Sigmund Schleicher uiid der Regina Rehlingen, von G. vonBezold 15

Eine angobardische Elfenbeinpyxis, von Edmund Braun 20

Ein Lobspruch auf das Kammacherhandwerk von Thomas Grillmair und Wilhelm

Weber, von Th. Hampe 34

Eine oberschwäbische Bildschnitzerschule am Bodensee, von K. Schaefer . . . 41

Ein Brief Schertlins von Burtenbach an Kaiser Karl Y., von R. Schmidt ... 49

Die Krönung Friedi'ichs JII. durch den Papst Nikolaus V., von Hans Stegmann 53 Stadtpläne und Prospekte vom 15. bis 18. Jahrhundert, von K. Schaefer . . . 57 u. 88

Ein Porträt H. L. SchäutYeleins, von Edmund Braun 64

Zur Dürerforschung im 17. Jahrhundert, von F. Fuhse 66

Deutsche Grabdenkmale, von G. von Bezold 75 u. 109

Ein frühmittelalterlicher Elfenbeinkamm, von Edmund Braun 81

Zur Geschichte der Chirurgie, von K. Th. Weifs 89

Ein Holzschuher'scher Grabteppich vom Jahre 1495, von Th. Hampe 99

Eine Nürnberger Stadtansicht aus dem Anfang des 16. Jahrhunderts, von K. Schaefer 104 Studien aus der Gemäldegalerie des germanischen Museums. I. Hans Baidung,

von EdmundBraun 105

Schulkomödien in Rothenburg ob der Tauber, von Th. Hampe 113

Die Handzeichnungen der Manuskripte der Schedeischen Weltchronik von Hans

Stegmann 115

Mitteilungen

AUS DEM

Germanischen Nationalmuseum

HERAUSGEGEBEN

VOM DiRECTORIUM.

JAHRGANG 1896.

MIT ABBILDUNGEN.

NÜRNBERG, 1896.

VERLAGSEIGENTUM DES GERMANISCHEN MUSEUMS.

Ein vergessener Schüler Albreeht Dürers ).

n der Gemäldegallerie des Germanischen Nationalmuseums befindet sich unter Nr. 273 ein Bildnisdiptychon, das, wie aus dem rückseits angebrachten Familienwappen zu entnehmen ist, den Nürnberger Bürger Hans Straub und seine Gattin Barbara Pirkheimer darstellt ^).

Die Straube waren eine Kaufmannsfamilie, deren Ahnherr Bernhard Straub im Jahre 1495 in Nürnberg das Bürgerrecht erwarb^) und später Genannter des gröfseren Rats wurde ^), womit seine Familie in den Kreis der Nürnberger ehrbaren Geschlechter eintrat. Einer seiner Söhne , der obengenannte Hans Straub vermählte sich am 8. Februar 1518 mit Barbara, der jüngsten Tochter

*) Anm. der Redaktion. Die Urheberschaft des Georg Schlank an dem Bilde Germ. Mus. Nr. 273 ist zwar mit den folgenden Ausführungen nicht zweifellos erwiesen, wir glaubten aber , eine weitere Untersuchung der Frage durch Aufnahme des Artikels ermöglichen zu sollen, der neben dem im engeren Sinne kunstgeschichtlichen, auch manich- faches kulturgeschichtliches Interesse bietet.

1) Vorzüglich entworfene Wappen der Familien Straub und Pirkheimer im Wappen- buch der Nürnberger Geschlechter vom Jahre 1583. M. S. 144/150 im k. Kreisarchiv Nürnberg.

2) Bürgerbuch M. S. 230, Fol. 13l

3) Ratsgang M. S. 105, Fol. 641'

des Nürnberger Staatsmanns und Gelehrten Wilibald Pirkheimer und dessen Gemahlin Crescentia Rieter *). Die Pirkheimer führten eine Birke, die Rieter ein Meerweib im Wappenschilde. In der goldenen Halskette, mit der Bar- bara auf dem Bildnis geschmückt ist, wechseln diese Wappenfiguren mit ein- ander ab; die Kette war also sicher ein Familienerbstück, das Barbara aus dem Nachlasse ihrer (1504) verstorbenen Mutter zugefallen war.

Wie die Aufschriften des Diptychons besagen, wurde es im Jahre 1525 gemalt. Das Monogramm des Künstlers fehlt. Die Porträts rühren aber zweifel- los von einem Maler her, der sich an Dürer gebildet hatte; sie wurden daher der Schule Dürers und insbesonders dem Maler Georg Peutz zugewiesen '").

Von bekannten Nürnberger IVIalern aus Dürers Schule kämen aufser Pentz noch die beiden Brüder Hans Sebald und Barthel Beham in Frage; allein im Jahre 1525, wo die Bildnisse entstanden sind, können die drei Maler über- haupt nur verschwindend kurze Zeit in Nürnberg thätig gewesen sein. Im Winter 1524 auf 1525 hatte es der Nürnberger Rat mit einer gefahrdrohen- den Bewegung religiöser und sozialistischer Natur zu thun. Unter aen Auf- wieglern befanden sich auch Pentz und die beiden Beham, die sogenannten »drei gottlosen Maler«. Sie wurden Anfang Januar 1525 gefänglich eingezogen und dann zur Strafe aus der Stadt gewiesen''). Die Verbannung wurde wahr- scheinlich in der üblichen Weise gegen sie ausgesprochen, dafs sie nur in einer Entfernung von einer bestimmten Anzahl Meilen sich niederlassen durften. Nachdem die drei Maler hierauf wiederholt vergebens um Erlafs der Strafe gebeten hatten, wurde zunächst dem Maler Pentz vom Nürnberger Rate ge- stattet, in der Stadt Windsheim, die von Nürnberg zwölf Stunden entfernt ist, seinen Wohnsitz zu nehmen '). Schliefslich aber erhielten alle drei Maler auf Fürbitte Melchior Pfinzings, des Probstes von St. Sebald, Verzeihung: es wurde ihnen durch Ratsbeschlufs vom 16. November 1525 erlaubt, wieder zurückzukehren^). Hiernach können also die Maler kaum vor dem 19. oder

4) Ratsbuch 11, Fol. 121*: Item herrn Wilbolten Birkhaimer sind vergönnt zu seiner tochter junkfrauen Barbara vorhabenden hochzeit mit Hans Strauben, Ber(n)hardin Strauben sun, auf montag nach Dorothee schirst der stat pfeiffer, auch das rathaus zum tantz und schenk. Actum secunda post Anthonii XVIII (1518). Nürnberger Geschlech- terbuch M. S. 164, II. Band. Fol. 75».

5) Gemäldekatalog des Germanischen Nationalmuseums vom Jahre 1887 unter Nr. 255 und vom Jahre 1893 unter Nr. 273.

6) Die Prozefsakten sind veröffentlicht von Theoder Kolde, Beiträge zur Refor- mationsgeschichte. Leipzig 1888. Separatabdruck aus den Kirchengeschichtlichen Stu- dien, S. 228 250. Vgl. auch Friedrich Roth, die Einführung der Reformation in Nürn- berg, Würzburg 1885, S. 250 ff. Die Ausweisung der »drei gottlosen Maler« erfolgte Ende Januar 1525: Der Prozefs begann am 10. Januar 1525, am 12. Januar safsen bereits alle drei Maler im Gefängnis und blieben darin fünfzehn Tage, wie dies aus einem Beleg zur Stadtrechnung 1524/25 hervorgeht: »Lochhueter quarta Brigite (1. Februar) 1525. Barthel Beham hat 15 tag ... 6 ft, Sebolt Peham hat 15 tag ... 6 iT,, Jörg Pencz hat 15 tag ... 6 H..« Das Pfund wurde gleich 30 Pfennigen gerechnet.

7) Brief buch Nr. 39, Fol. 239^ und 240"^. Der Brief ist datiert von sontags 28. may

1525.

8) Über die Zeit, wann es den drei gottlosen Malern gestattet wurde, wieder nach

Nürnberg zurückzukehren, finden sich in der kunstgeschichtlichen Litteratur nur vage

20. November nach Nürnberg zurückgekommen sein ; und da nach damaliger Rechnung das Kalenderjahr mit dem 24. Dezember abschlofs ^) so ist es an sich schon wenig wahrscheinlich, dafs gerade in dieser kurzen Zeit am Ende des Jahres 1525 beide Porträts von der Hand eines dieser Maler geschaffen sind.

Doch noch ein weiterer Umstand spricht gegen die Autorschaft eines der genannten drei Maler: weder bei Peutz, noch den beiden Beham lassen sich irgendwelche Beziehungen zu der Familie Straub oder Pirkheimer fest- stellen.

Wohl aber ist dies der Fall bei einem anderen Maler, der nicht blofs wie Peutz und die Brüder Beham wegen der Malweise der Schule Dürers beizuzählen ist, sondern auch dokumentarisch sich als Schüler Dürers nach- weisen läfst ^^). Wir meinen den Maler, dessen in einem Verlafs des Nürn- berger Rats vom 8. Oktober (sabbato post Francisci) 1524 mit den Worten Erwähnung geschieht:

»Albrecht Durers Knecht Jergen, der sein Mayd zur Ehe genommen, um 2 Guldin Werung zu Burger auffnemen.

H. Volkamer.«

Unter diesem Knechte wurde bisher Georg Peutz verstanden"). Peutz aber hatte bereits am 8. August 1523 und zwar gegen eine Aufnahmegebühr von vier Gulden in Nürnberg das Bürgerrecht erworben ^^), und seine Frau

Vermutungen. Vgl. Adolf Rosenberg, Sebald und Barthel Beham, zwei Maler der deutschen Renaissance, Leipzig 1875, S. 11, und S. K. Wilhelm Seibt, Hans Sebald Beham, Maler und Kupferstecher und seine Zeit, Frankfurt a. M. 1882, S. 13. Bestimmte Nachricht gibt ein Ratsverlafs : »Quinta Ottmari 16. novembris 1525. Auf herrn Melchior Pfintzings, brobst, furpeth Sebolt und Bartholmes den Behaim und Jörg Benntz, maier, ir straf von der stat begeben mit dem beding, das man ein sonder achtung und aufsehen haben woll, wie sy sich halten werden ; und sover sy sich voriger weis unschicklich halten werden, woll man sy wider von hinnen weysen. Burgermeister.« Ratsmanuale 1525/26, Heft 8 Fol. 11^. Vgl. hierzu Th. Kolde, Andreas Althamer der Humanist und Reformator in Brandenburg-Ansbach, Erlangen 1895, S. 17, Anm. 3.

9) Dies ist aus den Daten der Ratsverlässe in den Nürnberger Ratsmanualen zu entnehmen. Erst vom Jahre 1558 ab wurde in Nürnberg das neue Jahr vom 1. Januar an gerechnet. Vgl. auch Edmund Goetze, Hans Sachsens Gemerkbüchlein in der Fest- schrift zur Hans Sachs-Feier, gewidmet vom Herausgeber und Verleger der Zeitschrift für vergleichende Litteraturgeschichte, Weimar 1894, S. 49 und 50.

10) Sonst gibt es nur noch einen dokumentarisch beglaubigten Schüler Albrecht Dürers, den Malerjungen Friedrich, den der Kurfürst Friedrich von Sachsen zu Dürer in die Lehre gab. Er war bei Dürer in den Jahren 1501/2. C. Gurlitt, zur Lebensgeschichte Albrecht Dürers , in dem von H. Thode und H. von Tschudi redigierten Repertorium für Kunstgeschichte, 1895, Band XVIII, Heft 2, S. 112.

11) Moritz Thausing, Dürer, Leipzig 1884, II. Band, S. 262. Anton Springer, Albrecht Dürer, Berlin 1892, S. 143, spricht von näheren Beziehungen, die Georg Peutz mit dem Dürerschen Hause unterhielt. Das kann nur auf diesen Knecht Georg zielen. Fried- rich Leitschuh, Albrecht Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande, Leipzig 1884, S. 125 Anm. zu S. 60, Z. 9. K. Lange und F. Fuhse, Dürers schriftlicher Nachlafs, Halle a. S. 1893, S. 126, Anm. 2.

12) Bürgerbuch de 1456—1534, M. S. 237, Fol. 1225.

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hiefs Margareta , während doch Dürers Magd , wie bekannt , den Vornamen Susanna führte ^''j. Demnach kann Pentz unmöglich mit diesem Knecht Georg identisch sein.

Den Familiennamen des Knechtes Georg erfahren \wiv aus dem Bürger- buche, wo unter anderen neu aufgenommenen und vereideten Bürgern zum selben Tage, sabbato post Francisci 1524, aufgeführt ist ^■*):

»Gorg Schlenck, Maler, dedit . . . 2 fl. werung.«

Wir haben es also hier mit einem bisher völlig unbekannten Schüler Albrecht Dürers zu thun; und wenn er auch als Künstler keinen Ruhm erlangt hat, so sind doch seine Schicksale deshalb von ganz besonderem Interesse, weil sie, im Zusammenhang mit anderen Erscheinungen aus Nürn- bergs Kunstwelt betrachtet, es erst erklärlich machen, warum in Nürnberg der Malerei nur eine so kurze Blütezeit beschieden war.

Es dürfte sich daher wohl verlohnen, eine biographische Skizze dieses Mannes zu entwerfen.

Wir begegnen ihm zum ersten Male gelegentlich seiner Verheiratung mit Susanna. Sie hatte schon längere Zeit in Dürers Hause als Magd gedient, mufs aber bei der Eheschliefsung noch jung gewesen sein, weil sie im Jahre 1520 noch als Mägdlein bezeichnet wird'''). Bei dem Ehepaar Dürer, das sich keiner Nachkommenschaft erfreute '*'), wurde sie wie zur Familie gehörig behandelt; sie machte 1520 und 1521 mit Dürer und seiner Frau Agnes die Reise in die Niederlande mit und wurde dort «sogar zu Festlichkeiten mit ein- geladen, die man zu Ehren ihres Herrn veranstaltete.

Als Schlenk das Bürgerrecht erwarb, gewährte ihm der Rat einen Nach- lafs an der Aufnahmegebühr ' ^) ; er hatte nur zwei Gulden zu zahlen, während

13) Dürer nennt ihren Namen in seinem Tagebuch der Reise in die Niederlande. Leitschuh a. a. O. S. 204. Lange und Fuhse, S. 416.

14) Bürgerbuch de 1456—1534, M. S. 237, Fol. 126'': Sabbato post Francisci 1524 . . . Hans Renner, plattner, Friedrich Pruckner, schwertfeger , dedit, quilibet 4 fl. werung, Georg Schlenck, maier, Hans Wolleben, peckschlagerjunger . . . dedit quilibet 2 fl. werung, juraverunt.

15) Lange und Fuhse, a. a. O. S. 116.

16) Springer, S. 124, hält die Magd Susanne irrtümlich für Dürers Tochter. Albrecht Dürer hatte von seiner Frau überhaupt keine Kinder, und auch sein Bruder, der Goldschmied Endres Dürer, hinterliefs keine Nachkommenschaft, denn Constantia, die angebliche Tochter Endres Dürers, war kein leiblicher Spröfsling, sondern eine Stief- tochter Endres Dürers, wie sich dies aus dem I. Ehebuch von St. Sebald ergibt : Gilg Prager von Dresen, Constantia Hirnhoferin, 14. Februarii 1531. Auch bezüglich dieses Gilg (KiUan) Prager herrschen Irrtümer. Er stammte nicht, wie Lochner (Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1863, S. 231) aus seinem Namen geschlossen, aus Prag, sondern aus Dresden. Prager war unbemittelt in Nürnberg eingewandert. Der Rat ge- währte ihm einen Nachlafs an der Bürgeraufnahmegebühr. Ratsmanuale 1531/32, Heft 3, Fol. 6b : Sam.stag 17. juny 1531. Gilg Preger (!), goldschmid, 2 fl. am burgerrecht nach- lassen. Herr B. Baumgartner. Bürgerbuch M. S. 237, Fol. 162=1: Gilg Kihan Prager, goldschmidt, dedit 2 fl. werung, juravit. Secunda post Viti 1531. Meisterbuch de 1456—1534 Fol. 39 li: Gilg Kilian Prager, goltschmid, juravit et dedit x fl. werung sabbato Magdalena 1531.

17) Den Nachlafs hatte er vermutUch einer Fürsprache Albrecht Dürers zu ver-

sonst die Mindestgebühr vier Gulden betrug. Vier Gulden wurden von denen gefordert, deren Gesamtvermögen nicht über 100 Gülden an Wert geschätzt wurde. Er war also von Haus aus arm, und seine Dürftigkeit wird ihn daher bewogen haben, noch weiterhin bei Dürer zvi arbeiten; wenigstens wird noch im Jahre 1526 ein » Diener <- Albrecht Dürers erwähnt ^^).

Über Schlenks Thätigkeit als Maler ist wenig zu sagen. Mit einiger Gewifsheit wird man ihm nur die bereits oben besprochenen Porträts des Nürnberger Kaufmanns Hans Straub und dessen Gattin Barbara, der jüngsten Tochter Willibald Pirkheimers, zuweisen können.

Zwischen den Familien Pirkheimer und Dürer herrschten die freund- schaftlichsten Beziehungen. Auch Barbara stand bei Dürer in besonderer Gunst: er gedachte ihrer auch auf seiner Reise in die Niederlande und brachte ihr von dort Geschenke mit ^^). Dann war Dürer aber auch der Berater seines Freundes Pirkheimer in Kunstsachen und lieferte ihm im Jahre 1525, also gerade in der Zeit, wo die oben erwähnten Bildnisse entstanden sind, mehrere Zeichnungen zu einer Ausgabe des Ptolomaeus^"). So waren also bei diesem intimen Verkehr viele Anknüpfungspunkte zwischen den Gliedern der Familie Pirkheimer und Dürers Hausgenossen, d. h. seinem Gehilfen Georg Schlenk und dessen Frau Susanna, vorhanden.

Ebenso sicher ist, dafs die Porträts von einem Maler aus Dürers Schule herrühren. Da aber, wie schon dargethan wurde, Peutz und die beiden Be ham nicht wohl in Frage kommen können, so wird man sein Augenmerk auf einen andern Schüler Dürers richten müssen.

Schlenk hatte im Herbst 1524, also kurze Zeit, bevor die Porträts ge- malt wurden, sich einen eigenen Hausstand gegründet. Er war von Haus aus unbemittelt; um so eher werden ihm seine Gönner einen Verdienst zu- gewendet haben.

Dafs es Schlenk aufserdem nicht an Talent gefehlt hat, um die Porträts zur Zufriedenheit auszuführen, dafür ist Beweis, dafs ihn ein Dürer in seiner Werkstätte heranbildete. Ein Meister wie Dürer würde sicher keinen Stümper um sich geduldet haben.

Nach alledem wird man kaum fehlgehen, in Georg Schlenk den Maler des Bildnisdiptychons zu suchen.

Der Tod Dürers beraubte Schlenk seiner Stütze. Dürer starb am 6. April 1528. Nicht lange darauf finden wir Schlenk in einer ganz unerwarteten Lage:

danken, wie ja auch einmal ein anderer Maler Hans Hofmann auf Dürers Verwendung unentgeltlich in Nürnberg als Bürger aufgenommen worden war. Ratsmanuale 1520/21, Heft 7, Fol. 4l: Quarto post Michaelis (3. Oktober) 1520. Einen frembden berumbten maier Albrecht Durer zu eren umbsunst zu burger aufnemen. Burgermeister. Am selben Tage fand keine Vereidigung von Neubürgern statt; er wurde daher erst ein paar Tage später vereidet. Bürgerbuch M. S. 237, Fol. 112i: Sabbato post Francisci (6. Ok- tober) 1520. Hans Hofmann, maier, dedit o, Hans Kraft von Ulm dedit 4 fl. werung, juraverunt.

18) J. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, Nördlingen 1890, S. 10.

19) Leitschuh, S. 77 mit Anm. auf S. 163. Lange und Fuhse, S. 153, Anm. 7.

20) Thausing IL, S. 223.

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er bewarb sich im März 1529 um eine Anstellung als städtischer Aufdinger 2'). Die Aufdinger waren die Auf- und Ablader der Kaufmannsgüter, die in Nürn- berg zur Verzollung kamen. Sie wurden nach den Haupthandelsstrafsen be- zeichnet: es gab Aufdinger auf der polnischen Strafse, dann Aufdinger auf den Strafsen nach Sachsen, Franken, Schwaben, Bayern und Ungarn ^^). pas Ämtchen als Aufdinger mufs, allerdings wohl zumeist wegen der Trinkgelder, ein recht einträgliches gewesen sein; denn es war immer ein grofser Zudrang dazu, und wiederholt mufste der Rat einschreiten und fremden Eindringlingen, die keine Bestallung hierzu hatten, das Aufdingen bei Strafe verbieten-^). Als Schlenk um einen Aufdingerposten anhielt, liefs der Rat Erkundigungen ein- ziehen, ob er sich dazu eigne. Sei es nun, dafs er für so eine schwere Ar- beit körperlich zu schwach war, oder dafs keine Vakanz bestand, er erreichte seinen Wunsch nicht und versuchte es das Jahr darauf, wenn auch wiederum vergebens, als Nürnberger Landbote eine Stelle zu erlangen^*). Endlich aber glückte es ihm doch , in städtische Dienste zu kommen : er wurde im April 1532 zum Zöllner am Vestnerthor ernannt und noch im selben Jahre ans Tiergärtnerthor versetzt. Vorher aber hatte er zusammen mit seiner Frau Susanna sich eine Zeitlang seinen Unterhalt als Inhaber einer Garküche er- worben ^^). Das Geschäft, dessen Seele jedenfalls seine in der Kochkunst

21) Ratsverlässe vom 13. und 15. März 1529.

22) Manuscript Nr. 184, Fol. 717, im k. Kreisarchiv Nürnberg.

23) Ratsverlässe vom 29. April und 4. Mai 1531.

24) Ratsverlafs vom 8. August 1530 : Zu erkundigen, ob das landpotenambt mit Jörg Schenken (!), maier, versehen und ime dann dasselbig verlassen. Wo mangel herun- derbringen. »Schenken« ist hier offenbar ein Schreibfehler für »Schlenken^ denn ein Maler Georg Schenk ist gleichzeitig weder durch Archivalien, noch durch Kirchenbücher nachzuweisen.

25) >Amtbuchlein allerlay geschwornen Amt und Handwerk, so vor den Herrn, zu des Pfendtners Rüg verordent, Gehorsam thun vom Jahre 1532: Koch allhie: Jörg Schlenck, Susanna uxor . . . Zoller auf der vesten: Jörg Schlenck, Susanna uxor . . [Zollner am] Thyergartnerthor: Jörg Schlenk, N. uxor. Ein Amtbüchlein, in dem auch, wie hier, die Köche ( gemeint sind Garköche man denke ans heutige »Brat- wurstglöcklein«, das damals bereits als Garküche unter der Bezeichnung »Glöcklein« be- stand — ) aufgeführt sind, ist aus der Zeit vor 1532 im k. Kreisarchiv Nürnberg nicht vorhanden. Die Ämterbüchlein wurden bald vor Beginn jeden Jahres neu gefertigt, da jedes Jahr die darin Eingetragenen, wenigstens war dies bei den Buchdruckern und For- menschneidern der Fall, von neuem Gehorsam oder Pflicht thun mufsten, also von neuem auf die Vorschriften und Gesetze verpflichtet wurden. Der Bestand des vorhergehenden Jahres wurde dann immer in das neu angelegte Amtbüchlein des folgenden Jahres, in das Amtbüchlein zum neuen Rat, wie sonst diese Amtbüchlein betitelt sind, übertragen. Die im Laufe des neuen Jahres neu Hinzukommenden wurden am Schlüsse der betref- fenden Gruppe nachgetragen, wie man das an den Schriftzügen und der abweichenden Tinte erkennen kann. Schlenk ist nicht unter den Köchen, die erst im Laufe des Jahres 1532 nachgetragen worden sind, er mufs also schon mindestens im Jahre vor- her, 1531, Koch gewesen sein. Die im Laufe des Jahres Abgehenden wurden in dem Ämterbüchlein gestrichen. Schlenk ist im Jahre 1532 im Amtbüchlein unter den Köchen gestrichen, er schied also im Laufe des Jahres 1532 als Koch aus; und nunmehr findet sich sein Name wie auch der seiner Frau unter den Thorzöllnern zunächst am Vestnerthor nachgetragen. Wann er zum Zöllner am Vestnerthor ernannt wurde, er-

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bewanderte Ehegattin gewesen sein wird , mufs aber doch wohl ihren Er- wartungen nicht entsprochen haben, und der Posten eines städtischen Thor- zöllners mufs'^Schlenk erwünschter gewesen sein.

Im ersten Augenblick will es kaum glaublich erscheinen, dafs ein Schüler Albrecht Dürers als Zöllner sein Fortkommen suchte. Allein es war nichts Ungewöhnliches , dafs Handwerker , denen ihr Gewerbe keinen genügenden Unterhalt gewährte , sich nach einem Nebenverdienst umschauten ; so finden sich gleichzeitig ein Rotschmied und ein Nadler unter den Zöllnern. Zu den Handwerkern zählten aber damals auch noch die Maler: es war noch keine Scheidung eingetreten zwischen Kunst- und handwerksmäfsiger Malerei. Ja, nach damaliger sozialer Auffassung wurde ein Maler noch nicht einmal einem Handwerker gleich geachtet; denn die Malerei war noch eine freie Kunst, die jeder ausüben konnte, der den Beruf dazu in sich fühlte. Die freie Kunst aber galt erst als Vorstufe des Handwerks, hatten ja doch die meisten freien Künste sich erst allmälich zu organisierten Handwerken mit vorgeschriebenen Lehr- und Gesellenjahren, mit Meisterstücken und festen Gesetzen und Ord- nungen entwickelt. Es ist daher erklärlich, dafs die Nürnberger Maler immer und immer wiederum, auch zu Dürers Zeit, und zwar nicht blofs, um unlieb- same Konkurrenz fern zu halten, sondern auch um ihren Stand sozial zu heben, an den Rat die Bitte stellten, aus ihrer freien Kunst ein Handwerk zu machen.

Das Bestreben durch ein städtisches Ämtlein sich ein gesichertes Neben- einkommen und so eine bessere Existenz zu verschaffen, mufs einen grofsen Umfang angenommen haben: so beschwerten sich einmal die Tüncher, dafs Handwerksgenossen , die ein Amt von der Stadt hatten , auch noch das Meisterrecht ausübten; doch der Rat wies sie barsch ab und drohte ihnen: falls sie bei ihrem Anliegen beharrten, werde er ihre Gesetze wieder auf- heben und ihr Gewerbe wieder zu einer freien Kunst erklären^*'). Doch gehen wir zu Beispielen aus der Malerwelt über. Im Jahre 1510 erhielt Se- bald Baumhauer, der nach dem Zeugnisse Neudörfers selbst von Dürer als Maler hochgschätzt wurde, den Posten eines Kirchners bei St. Sebald^''). Ferner wurde im Jahre 1531 der Maler Lienhard Schürstab Knecht in der Wage ^*), und doch kann er als Maler nicht ganz unbedeutend gewesen sein,

fahren wir aus einem Ratsverlafs vom 17. April 1532: Zu einem zollner undter das spitaler thor ist der zollner undter dem vestenthor ertailt, und zu ainem zollner des vestenthors ist ertailt Jörg Schlenck, zollner (!). Der Protokollirende hat hier irrtümlich »Schlenck, zolin er« geschrieben: denn Schlenk war, wie aus den Amtbüchlein zum neuen Rat aus den vorhergehenden Jahren zu entnehmen ist , noch nicht vorher Zöllner gewe- sen. Wahrscheinlich hat der Protokollirende das Wort »moler« hier schreiben sollen. Im Amtsbüchlein von 1532 ist dann Schlenk wieder als Zöllner am Vestnerthor gestrichen, und ist als Zöllner am Tiergärtnerthor nachgetragen worden. Vom Thiergärtnerthor wurde er durch Ratsverlafs vom 4. Oktober 1533 ans Frauenthor versetzt.

26) Ratsverlafs vom 27. September 1544 (Ratsmanuale 1544/45, Heft 6, fol. 30i:).

27) G. W. K. Lochner, des Johann Neundörfer, Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg, Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst aus dem Jahre 1547. Wien 1875, S. 180. Ratsbuch 9, Fol. 184': zum Datum: Actum secunda post omnium sanctorum 1510.

28) Ratsbuch 15, Fol. 189^, zum Datum: Actum mitwoch 10. Juhi 1531.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. IL

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da ihm einmal für ein Tafelbild 53 Gulden ausgezahlt wurden -^). Endlich rückte im Jahre 1532 der Maler Sebald in die Stelle eines Stadtpfeifers ein^*^). Nürnberg war überhaupt kein günstiger Nährboden für die Malerei. Kein Geringerer als Albrecht Dürer, der noch dazu nicht blofs von seiner Kunst, sondern auch vom Kunsthandel lebte, ist hierfür ein klassischer Zeuge. In einem Briefe an den Nürnberger Rat vom Jahre 1524 äufsert er sich mit Bitterkeit ^^): »Hab auch, wie ich mit Wahrheit schreiben mag, die dreifsig Jahr, so ich zu Haus gesessen bin, in dieser Stadt nit um fünfhundert Gul- den Arbeit, das ja ein Geringes und Schimpfliches und dannacht von dem- selben nit ein Fünfteil Gewinnung ist, gemacht, sunder alle mein Armut, die mir, weifs Gott, sauer ist worden, um Fürschten, Herrn und ander frembdd Personen verdient und erarnt, also dafs ich allein dieselben mein Gewinnung von den Fremden in dieser Stadt verzehr.« Und Georg Peutz, der zweit- gröfste Maler, den Nürnberg in seiner Blütezeit hervorgebracht, kam nie aus Geldnöten heraus und nahm ein unrühmliches Ende. Auch die beiden hoch begabten Maler Hans Sebald und Barthel Beham, die gleich grofs als Maler, Zeichner und Kupferstecher waren, fanden in Nürnberg kein lohnendes Feld für ihre Thätigkcit. Hans Sebald Beham wanderte nach Frankfurt aus, und sein Bruder Barthel, der einst wegen seines religiösen Radikalismus von sich hatte reden gemacht, zog an den kunstliebenden Hof der streng katholischen Herzoge von Bayern in München. Vermochten also schon so bedeutende und vielseitige Maler in Nürnberg keine ausreichende Existenz zu erringen, so wird man sich nicht mehr wundern, dafs Schlenk, der ohnehin von Haus aus unbemittelt war und also in verdienstloser Zeit nichts zuzusetzen hatte, nach dem Beispiele anderer seine Hand nach einem kleinen Ämtlein aus- streckte, um sich und seine anwachsende Familie vor Not zu schützen.

Aber er scheint auch nicht den Mut besessen zu haben, als Maler den Kampf ums Dasein aufzunehmen ; es fehlte ihm an festem Charakter : wir finden etwas Unstätes und Haltloses bei ihm wie bei seinen Kindern.

Ueber seinen gleichnamigen Sohn Georg ^^) ist nur Ungünstiges zu be- richten. Er heiratete 1546 in erster Ehe eine Tochter des Nürnberger Ge- richtsprokurators Georg Seinecker, mit der er vorher unerlaubten Umgang gepflogen. Nach der Geburt des achten Kindes mifshandelte er sie derart

29) Conservatorien, Band 29, Fol. 17h, im Stadtarchiv Nürnberg, zum Datum: Ac- tumia judicio quarta post Remigii, 2. octobris 1521.

30) Zu gemeiner stat pfeifer anzunemen ist erteilt Sebald, maier. Actum 13. no- vembris 1532 per herrn Math. Loffelholz. Ratsbuch 16, Fol. 45a Es ist aber hier nicht etwa der Maler Sebald Beham gemeint , sondern wie aus dem Jahresregister von 1533 zu, entnehmen, Sebald Greyff, der dort bei den Besoldungen als »Trummelschlager und Pfeiffer« aufgeführt ist.

31) Lange und Fuhse, S. 63.

32) Quellen hierfür, wo nicht anderes angegeben, die Ratsmanuale.

33) Dafs dieser Georg Schlenk ein Sohn des Malers und Zöllners Georg Schlenk war, ergibt sich daraus, dafs der Zöllner öfter als Georg Schlenk der ältere bezeichnet wird, so in einem Ratsverlafs vom 28. März 1556 und bei der Erwähnung seines Begräb- nisses im 1. Totenbuch von St. Lorenz.

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im Wochenbett, dafs man ihren Tod ihm zur Last legte ^*). Sein Lebtag brachte er es zu keiner ruhigen und sicheren Existenz. Bald finden wir ihn als Hilfsschreiber bei den Amtleuten des Sebalder und Lorenzer Waldes, bald als Profofsschreiber in der Kriegsstube, bald als Schreiber des Heu- wägers. Seine Bitte aber um eine feste Anstellung wird abgelehnt, und der Rat giebt den Auftrag, nach einem andern geschickten Schreiber zu trachten, »daraus künftig ein -Canzleyschreiber zu machen und zu Mererm zuprauchen sein möcht.« Nunmehr verschwindet er eine Zeitlang vor seinen zahlreichen Gläubigern aus der Stadt. Nach seiner Rückkehr bittet er um Zulassung als Prokurator vor Gericht, erhält aber eine kategorische Abweisung. Gleichwohl mufs er nachher doch vorübergehend als Prokurator aufgetreten sein ; denn der Rat liefs die Verfügung ergehen : »Jörgen Schienken seiner Leichtfertig- keit halben hinfuro zu kainer Curation, noch dergleichen Sachen mehr am Gericht zuzulassen.« Was er aber offen nicht thun konnte und durfte, trieb er im Geheimen : er wurde Winkeladvokat, befafste sich aber mit so un- sauberen Sachen, dafs ihm 1565, weil er »sich solcher bösen Hendel viel- feltig beflissen«, die Stadt Nürnberg und ihr Gebiet »10 Meil hinden« sein Lebenlang verboten wurde ; doch gewährte ihm der Rat einen Strafaufschub von vier Wochen, und in dieser Zwischenzeit wufste er sich einflufsreiche Fürsprache zu verschaffen: er wurde auf Bitten des Grafen Konrad von Ca- stell und dessen Gemahlin wieder begnadigt. Er besserte sich aber nicht. Zwei Jahre darauf forderte er von neuem den Zorn des Rats gegen sich heraus durch eine jedenfalls sehr unziemlich abgefafste SuppUkation, die er für einen Petzensteiner, »der sich Jakob Neunburger genannt < , aufgesetzt hatte. Nunmehr wurde er auf fünf Jahre aus der Stadt Nürnberg verbannt und richtete von Neuenmarkt aus Bettelbriefe an den obersten Landpfleg- schreiber der Stadt Nürnberg Bonifatius Nöttele und die beiden Landpfleg- schreiber Johann Leikauf und Lorenz Nützel ^^) mit dem Anliegen, ihm mit

34) I. Ehebuch von St. Lorenz : Jörg Schlenk, Magdalena Selneckerin, 16. novem- bris 1546. Kinder aus dieser ersten Ehe nach den Taufbüchern von St. Lorenz und St. Sebald : Georg (getauft im November 1546), Jörg (März 1548), Magdalena (Dezember 1549), Hans (August 1551), Gabriel (Mai 1553), Julianna (November 1554), Hans (Mai 1556), Michel (August 1557). Seine erste Frau wurde nach dem Totenbuch von St. Lorenz am 14. September 1557 beerdigt. Über ihren Tod meldet ein Ratsverlafs vom 18. Septem- ber 1557: Item zu erfarn, welcher gestalt Jörg Schlengk sein weib im kindpeth geschla- gen, das sie hernach tods verschieden und widerpringen. »Gabriel Schlenck, Georgen Schienken teutschen Schreibers und burgers hie eeleiblicher söhn« hatte von seinem »Ahn- herrn Georgen Seinecker« einen Eigenzins von jährlich elf Gulden auf Hansen Sörgels Haus geerbt. Dieser Eigenzins wurde von Sörgel abgelöst, worüber am 7. Januar 1578 Gabriel Schlenk »seiner vollkommenen Jahre« Quittung leistete. Conservatorien 130, Fol. 69b. Georg Seinecker, im Jahre 1523 (Ratsbuch 12, Fol. 166 a) noch Stadtschreiber in Hersbruck, wurde später Gerichtsprocurator in Nürnberg. In zweiter Ehe verheiratete sich Georg Schlenk (der jüngere) mit Magdalena Kolnerin am 29. November 1557 und zeugte mit ihr auch noch mehrere Kinder: Martha (getauft 1558), Hester (Mai 1561), Hans (Februar 1563), Michel (26. September 1564).

35) Akt des k. Kreisarchivs mit der Signatur: S 1, L. 598, Nr. 183. In diesem Schreiben nennt er sich »Georgius Schlenk der elter« ; denn er hatte einen gleich-

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einem Zehrpfennig zu helfen, um sein und seiner Kinderlein Notdurft anders- wo zu suchen. Sie spendeten ihm zwei Gulden, aber mit dem Vermerken, das Geld nicht seiner alten Gewohnheit nach unnützlich zu verschwenden. Durch den Erfolg ermutigt, ersuchte er sie dann noch um ein »Fürlehen von einem Thaler zu einer Zehrung nach Würzburg«, da ihm mitleidige Per- sonen »im Lande zu Franken Conditiones fürgeschlagen« ^"). Doch schon im Jahre 1569 ist er wieder in Nürnberg zu finden und hat die Kühnheit, den Rat nochmals um eine Anstellung in städtischen Diensten zu bitten, erhält aber zur Antwort: »meine Herren wüfsten kein Ampt, das für ihn wehr ledig, darumb möcht er sich an andern Orten umthun«. Seit dieser Zeit läfst er sich nicht mehr nachweisen und ist jedenfalls auswärts gestorben und verdorben.

Georg Schlenk des älteren anderer Sohn Michel^'') widmete sich wie sein Vater erst der Malerei und wurde hierauf ebenfalls städtischer Thor- zöllner ^^). Im Jahre 1549, wo er sich in erster Ehe verheiratete'^^), finden wir ihn zunächst als Zöllner am Vestnerthor^'') und dann seit August 1557 am Spittlerthor *^). Hier gab er später (1565) aus unbekannten Gründen den Zöllnerposten ganz auf*'-) und zog schliefsHch, Weib und Kind ver- lassend, als Soldat nach Italien, wo er (1576) unter den Besatztruppen der

namigen Sohn, und sein Vater, der Zöllner und Maler Georg Schlenk, der früher diese Bezeichnung »der ältere« geführt hatte, war inzwischen im Jahre 1557 gestorben.

36) In diesem Schreiben bedient er sich bei der Versiegelung eines Petschafts mit einer Hausmarke und den Initialen G. S. Da dieses Petschaft vielleicht aus der Hinterlassenschaft seines Vaters, des Malers Georg Schlenk, herrührte, und also die Älöglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dafs der Maler Georg Schlenk sich dieser Hausmarke als Künstlerzeichen bedient hat, so geben wir hiervon eine Abbildung.

37) Dafs Michel Schlenk ein Sohn des Malers und Zöllners Georg Schlenk gewesen, läfst sich daraus entnehmen, dafs er wie dieser den Beruf eines Malers wählte und dann ebenfalls Zöllner wurde. In den Nürnberger Bürgerbüchern ist er unter den neu aufge- nommenen Bürgern nicht vermerkt; Michel Schlenk mufs also in Nürnberg geboren sein. Zu jener Zeit gab es aber in Nürnberg nur einen Bürger Namens Schlenk, dem er sei- nem Alter nach als Spröfsling zugewiesen werden kann , nämlich den Maler Georg Schlenk. Über weitere Nachkommen des Malers Georg Schlenk melden die Nürn- berger Kirchenbücher Folgendes: I. Taufbuch von St. Sebald: Georg Schlenk ein tochter : Susan na 12 Februarii 1533. I. Taufbuch von St. Lorenz: Jörg Schlenck, Susanna: Sixt (getauft in der Woche des) dominica pasce 1534. Jörg Schlenck, Su- sanna: Elizabeth, dominica palmarum 1536.

39) Michel Schlenck, Anna Linckin, 16. July 1549. II. Ehebuch von St. Sebald. Kinder aus dieser ersten Ehe: Johannes (getauft im April 1556), Hieronymus (Mai 1557), Sebald (Oktober 1558), Michel (Februar 1560), Purkhart (Oktober 1561), Anna (Oktober 1562), Michel (September 1564). Nach dem Totenbuch von St. Se- bald (im Kreisarchiv Nürnberg) wurde »Anna Michel Schlenkin, Malerin und Zollnerin under dem Spitlerthor«, am 8. November 1564 beerdigt.

40) Amtbuch zum neuen Rat de 1549. Ratsverlafs vom 9. Januar 1550 (Rats- manuale de 1549/50 Heft 10, Fol. IIa).

41) Ratsverlafs vom 6. August 1557 (Ratsmanuale, 1556/57, Heft 4, Fol. 32a).

42) Im Amtbuch zum neuen Rat de 1565 ist er als Zöllner am Spittlerthor ge- strichen.

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Stadt Genua erwähnt wird *^). Von dort ist er -nicht zurückgekehrt, und seine Frau, die aufser für ihre eigenen Kinder auch noch für Stiefkinder zu sorgen hatte '^■*), mufste schlecht und recht bis an ihr Lebensende sich als Hebamme durch die Welt bringen'*-^).

Doch kehren wir nunmehr zu Georg Schlenk dem älteren zurück. Vom Tiergärtnerthor wurde er 1533 ans Frauenthor versetzt ^*^). Hier führte er bis zu seinem Tode das Leben eines Zöllners. Die Thorzöllner standen unter dem obersten Zöllner, dem höchsten Zollbeamten der Reichsstadt Nürn- berg. Soweit die Zölle, insbesondere für feinere Waren, nicht vom obersten Zöllner oder dessen Gegenschreiber eingenommen wurden, geschah dies durch die Thorzöllner, die aufserdem auch noch den Wegzoll zu erheben hatten. Unter den Gegenständen, die bei den Thorzöllnern nach einem festen Tarif, den jeder Zöllner, auf Pergament geschrieben, bei sich hatte, zu verzollen waren , finden sich z. B. Tierfelle, Werkholz, Eisen, Kupfer, Blei, Zinn, Salz, Pech, Harz, Hopfen, Wein, Rüben, Kraut, Heu, Knoblauch, Zwiebeln, dann aber auch Gläser, Teller, irdene Gefäfse (Häfen) und Krausen. Der Zoll wurde teils in Geld, teils in natura erhoben: so von einem Sack Zwiebeln vier Stück Zwiebeln und von einem Wagen oder Karren, der mit Gläsern oder Tellern das Thor passierte, je zwei oder eins von diesen Gegenständen. Von den in natura eingehenden Zöllen erhielt der Thorzöllner den dritten Teil und von den in Geld anfallenden den achten Teil oder, wie es heifst, den achten Pfennig. Neben diesen wechselnden und mehr zufälligen Ein- künften bezogen die Thorzöllner noch eine feststehende Besoldung, die je- doch nur sehr mäfsig war^'). Aufserdem gab es aber auch noch einigen

43) In einer von seiner zweiten Frau »Anna Michel Schienkens, maiers, burgers hie eewirtin« ausgestellten Urkunde heifst es von ihrem abwesenden Manne, »welcher diser Zeit zu Genua in der besatzung lege«. Datiert ist die Urkunde: Actum 5, 1. martij 1576. Conservatorien 125, Fol. 58'^. Aus dieser Urkunde geht zugleich her- vor, dafs damals aus erster Ehe des Michel Schlenk nur noch zwei Söhne vorhanden waren.

44) Michel Schlenk hatte seine zweite Frau Anna Pognerin am 13. Mai 1565 ge- heiratet. III. Ehebuch von St. Lorenz. Kinder aus dieser zweiten Ehe: Hans (Feb- ruar 1566), Valentinus (April 1567), Walpurg (März 1570), Kunigund (Februar 1572), Margareta (November 1573), Johannes (März 1576). Siehe auch die Anmerkung vorher. *

45) Anna, Michel Schienken verlassne wittib, hebam in der weifsgerbergassen, wurde am 3. Oktober 1585 beerdigt. Ihr Schwager war der Schlosser Melchior Gaismann, der laut Ehebuch von St. Lorenz am 12. Oktober 1564 ihre Schwester Barbara Pognerin geheiratet hatte. Daher erklärt es sich, dafs die Melchior Gaismannsche Begräbnistätte auf dem Rochuskirchhofe in Nürnberg (Nr. 522) zugleich auch das Grab dreier hinter- lassenen Kinder des ->^Iichel Schienken, Malers, und Anna seiner Hausfrau seel.« ist. Norischer Christen Freydhöfe Gedächtnis, Nürnberg 1682, S. 15. St. Rochus Kirchhof. Michel Schlenk kehrte aus Italien nicht mehr zurück; denn in den Nürnberger Toten- büchern ist sein Name nicht verzeichnet. Der erwähnte Schlosser Melchior Gaismann ist bemerkenswert als Verfertiger von Weckeruhren. Ratsmanuale 1578/79, Heft 1, Fol. 29k und 30a.

46) Ratsverlafs vom 4. Oktober 1533 (Ratsmanuale 1533/34, Heft 7, Fol. lii) und Amtbüchlein zum neuen Rath 1533.

47) Quelle hierfür das Zollbuch de 1517—1580. M. S. 991 im k. Kreisarchiv Nürnberg.

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Nebenerwerb : so war ihnen gestattet, an Vorübergehende, aber nicht an sitzende Gäste Branntwein auszuschenken*^); und dafs sie manches auch auf unerlaubte Weise sich zu verschaffen wufsten, das beweist das immer und immer wieder ihnen eingeschärfte Verbot, den hereinfahrenden Holzbauern keine Holzscheite wegzunehmen oder abzunötigen*^).

Bei dieser Art der Besoldung war also der einzelne Zöllner umso besser gestellt, je lebhafter der Verkehr war. Zu den verkehrsreichsten Thoren ge- hörte aber schon damals das Frauenthor; daher war der Zöllnerposten an diesem Thor, wie das die Bewerbungen bei Vakanzen erkennen lassen, wegen seiner höheren Einnahmen auch immer viel begehrter als z. B. der Posten am Tiergärtner- oder Spittlerthor.

Georg Schlenk, der innerhalb zweier Jahre vom verkehrsarmen Vestner- thor über das Tiergärtnerthor ans Frauenthor gekommen war, hatte also sein rasches Aufsteigen einem glücklichen Zufall oder, was wahrscheinlicher ist, einer besonderen Vergünstigung zu verdanken.

Allein die Gunst hatte keinen Bestand. Zum ersten Male (1538) for- derte er die Unzufriedenheit des Rats heraus durch eine Überschreitung beim Branntweinausschank und wurde gestraft •''"). Weiterhin (1546) wurde er zur Rede gestellt wegen Unschicklichkeiten, die er sich gegen Bauern des Patriziers Grundherr erlaubt hatte. Dann (1547) nahm er, was streng ver- boten war, Juden bei sich in Herberge und erhielt deshalb vom Rat einen sehr scharfen Verweis; man werde ihn vom Amte Urlauben, wo er dergleichen mehr übe. Endlich (1554) fiel er nochmals wegen einer Ungehörigkeit in Strafe. So hatte er also schon öfter den Unwillen des Rats sich zugezogen, da traf ihn ein weiteres jMifsgeschick. In der Nacht vom 14. zum 15. Feb- ruar 1556 kam die äufsere IMauer beim Frauenthor ins Wanken; sie stürzte in den Stadtgraben mitsamt dem Zollhäuslein und 'allem dem, das im Zoll- häuslein gewest aufserhalb den Menschen, die Gott genediklich und wun- derbarlich daraus pracht und errett hat . Schlenk erhielt als Schadenersatz 40 Gulden vom Rat geschenkt, und das Zollhäuslein wurde rasch wieder aufgebaut; aber verschiedene Wünsche, die er hierbei aussprach, fanden kein Gehör. Seine Bitte, ihm einen Keller einzurichten und ein Höflein zum Zollhäuslein zu erbauen , wurde barsch abgeschlagen : wenn er der Fliegen halber nicht bleiben könne, und wenn ihm das Haus zu eng sei, werde man nach einem andern Zöllner trachten.

Nicht lange mehr sollte er im neuen Zollhäuslein wohnen : er starb Ende September 1557'^*). Um seine Stelle bewarb sich .sein Sohn Michel; sie wurde aber nicht ihm, sondern »der Ordnung nach« dem bisherigen

48) Ratsverlafs vom 29. September 1533 (Ratsmanuale 1533/34, Heft 6, Fof 12 a.)

49) Dieses Verbot findet sich fast Jahr für Jahr in den Ämterbüchlein, manchmal in sehr scharfer Form.

50) Quelle für das Folgende die Ratsverlässe.

51) I. Totenbuch von St. Lorenz: Georg Schlenk der elter, zolner unterm frauen- thor 1. augusti 1557 (beerdigt).

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Zöllner am Spittlerthor, Hans Eschenbach, als dem ältesten Zöllner, zuge- sprochen ^-).

Es ist nunmehr noch die Frage aufzuwerfen, ob keine Anzeichen da- für sprechen, dafs Georg Schlenk auch in der Zeit, wo er Garkoch oder Zöllner war, noch nebenbei sich mit der Malkunst beschäftigt habe. Zieht man in Betracht, dafs das Geschäft eines Garkochs nur wenig Mufse übrig liefs, dafs ihm als Zöllner bei dem überaus starken Verkehr, wie er sich durch das Stadtthor bewegte, noch viel weniger freie Zeit blieb, auch wenn er ab und zu von seiner Ehefrau vertreten wurde , dafs ferner die Lichtver- hältnisse in den kleinen niedrigen Zollhäuslein nicht günstig und die Räum- lichkeiten zumal bei anwachsender Familie überaus beengt waren, so hätte unter solchen Umständen schon ein sehr energischer und strebsamer Cha- rakter, wie ihn allem Anschein nach Schlenk nicht besafs, dazu gehört, um nebenbei noch hervorragende Kunstwerke zu schaffen. Man kann sich daher nicht wundern, dafs von Georg Schlenk, obwohl er ein Schüler und Gehilfe Albrecht Dürers gewesen, nichts weiter als Künstler hervorgebracht wurde, das seinen Namen ruhmgekrönt auf die Nachwelt gebracht hätte. Immerhin scheint er aber der Malerei nicht ganz untreu geworden zu sein, da seine Witwe Susanna, die ihn noch fünf Jahre überlebte, bei ihrem Tode ausdrücklich als »Malerijn, gewesene ZoUnerin am Frauenthor« bezeichnet wird^^).

52) Ratsverlässe vom 4. und 6. August 1557 (Ratsmanuale 1557/58, Heft 4, Fol. 26 und 32.)

53) I. Totenbuch von St. Lorenz: Susanna Jörg Schlenkin, malerin, gewesne zol- nerin am frauenthor, pey dem pösen prunnen verschieden, (beerdigt) 31. Julii 1562. Die Beerdigung fand damals in Nürnberg am zweiten Tage nach dem Ableben statt. Susanna starb also am 29. Juli 1562. Vgl. hierzu Alfred Bauch, Barbara Harscherin, Hanns Sachsens zweite Frau, Nürnberg 1896, S. 13, Anm. 1.

Nürnberg. D r. A 1 f r e d B a u c h.

Aus der Plakettensammlung des germanischen

Nationalmuseums.

|nter dem Namen »Plaketten« fafst man die kleineren, mei.st ge- gossenen Metallreliefs zusammen, die entweder als Schmuckgegen- stände oder als Teile kun.stgewerblicher Arbeiten direkte Verwendung fanden, oder aber den Goldschmieden vornehmlich, den Hafnern, Bildhauern und Erzgiefsern als Modelle dienten. Bisweilen benutzte man sie auch, unverändert oder vergoldet, mit Holz- oder Metallrahmen versehen, als willkommenen Wandschmuck. Das Geburtsland der Plaketten ist Italien, von dort fanden sie, in ausgedehnterem Mafse wohl erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts, Eingang in Deutschland.

Die überwiegende Mehrzahl der deutschen Plaketten stellt sich als Blei- gufs dar , und diese Thatsache erklärt sich vielleicht , abgesehen von der gröfseren Billigkeit , aus dem Umstände , dafs sie besonders als Vorbilder für

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Treibarbeit dienten. Denn für den Gufs bietet ein Modell aus härterem Metall, das die einzelnen Linien, die Details, schärfer und deutlicher hält und wieder- gibt, weit gröfseren Vorteil, während bei einem zum Treiben dienenden Vor- bilde die Hand des nachschaffenden Künstlers selbständig ergänzt , was bei einem mechanischen Reproduktionsverfahren verloren gehen würde.

Die Plaketten des germanischen Museums stammen zum gröfseren Teile aus der Sammlung der Freiherrn C. J. W. C. J. Haller von Hallerstein, die im Jahre 1840 vom Handelsgerichtsassessor Joh. Jak. Hertel zu Nürnberg er- steigert wurde und später in den Besitz des Kaufmanns Arnold daselbst über- ging. Von diesem, der die Sammlung noch bedeutend vermehrt hatte, er- warb sie das germanische Museum. Eine andere Kollektion ging dem Museum als Geschenk von der mittelalterlichen Sammlung zu Basel zu. Sie entstammt indessen nicht, wie im Katalog der Originalskulpturen S. 57 irrtümlich ange- geben ist, einer Modellsammlung, die »1881 in Basel gefunden wurde«. Herr Professor Heyne hatte die Güte, über ihre Provenienz folgende Mitteilung zu machen: »Es ist gar kein Fund einer Goldschmiedewerkstatt zu Basel 1881 gemacht worden ; sondern das wird verwechselt mit einem Fund , der gegen diese Zeit in der Seine zu Paris unter der alten Goldschmiedebrücke zu Tage kam, der an Händler verzettelt wurde und von dem Bossard in Luzern man- ches erwarb; von diesem kam wieder einiges an die mittelalterliche Sammlung in Basel. Den Hauptbestandteil der dortigen Kollektion, von dem ich, so viel ich mich erinnere, auch Doubletten an Essenwein für das germanische Museum abgegeben habe, bildet aber nicht dieser Fund, sondern Stücke, die ich sonst, namentlich auch von Bossard erworben habe, und über deren Provenienz nichts ermittelt werden konnte.«

Unsre Sammlung ist besonders reich an deutschen Plaketten, unter denen die Arbeiten Flötners den hervorragendsten Platz behaupten. Auf einen Teil derselben hat Domanig im Jahrbuch des allerh. Kaiserhauses Bd. XVI, S. 1 ff. bereits hingewiesen , vollständige Veröffentlichung werden sie demnächst er- fahren durch eine umfassende Arbeit über Flötner von Lange. Daneben aber hebt sich noch eine grofse Reihe künstlerischer Arbeiten heraus, die der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts angehören und mehr oder minder stark durch die flötnersche Art beeinflufst sind. Besondere Gruppen lassen sich mit Sicherheit ausscheiden, wenn es auch kaum gelingen dürfte, die Namen der einzelnen Meister, die hauptsächlich Nürnberger gewesen zu sein scheinen, zu ermitteln. Eine dieser Gruppen bietet uns wenigstens die Anfangsbuch- staben, das Monogramm des Künstlers : H. G mit den Jahreszahlen 1569 und 1570. Aus der Bemerkung Naglers, Monogramm. III, Nr. 974 geht hervor, dafs er ein Goldschmied gewesen sei. Die starke Beeinflufsung seiner Technik durch Flötner, die Verwandtschaft seiner Kompositionen mit Virgil Solis, 'der Umstand endlich , dafs gerade Nürnberg im 16. Jahrhundert die meisten und vorzüglichsten Goldschmiede in Deutschland aufzuweisen hatte, berechtigt zu der Vermutung, H. G. sei Nürnberger Künstler gewesen. Stockbauer führt Baye- rische Gewerbe -Zeitung 1893 Nr. 12, Beilage S. 6 in der Liste der Gold- schmiede unter dem Jahre 1560 einen Heinrich Garn auf, der also eventuell

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in Frage kommen könnte. Mir ist indessen in Nürnberger Urkunden niemals eine Goldschmiedsfamilie Garn, sehr häufig dagegen die der Gar begegnet, die bei Stockbauer sich überhaupt nicht findet. Da die von ihm abgedruckte Liste erst 1652 zusammengestellt wurde, so ist es möglich, dafs ein Irrtum vorliegt, dafs aus H. Gar Heinrich Garn gemacht wurde. Die Gar waren verwandt mit Veit Stofs. Sebald Gar, Goldschmied, war vermählt mit Ursula, der Enkelin Stofs' (Nürnb. Stadtarchiv. Cons. 47 fol. 108). Er ist mir begegnet 1534 (a. a. O. Cons. 46 fol. 91 u. fol. 67) 1536 (Cons. 47 fol. 108), 1546 (Cons. 62 fol. 1486), 1549 (Cons. 69 fol. 87). Unter dem letzten Jahre werden seine Kinder aufgeführt (cf. auch Cons. 57 fol. 125): Jörg, Barbara, Kungund, Cun- rad , Hanns und Steffan. Letzterer ist damals noch unmündig. Conrad Gar wird als Goldschmied genannt in einer Urkunde vom 16. Juh 1573 (Cons. 118 fol. 109':'). Es wäre also nicht unmögUch, dafs der von Stockbauer auf- geführte Heinrich Garn identisch ist mit Hans Gar, dem Urenkel Veit Stofs', dem jüngeren Bruder Conrad Gars, dafs wir in diesem Hans Gar den Mono- grammisten H. G. zu erkennen hätten.

Wir finden in den Werken des H. G. alle jene Stoffe behandelt, die die Kleinmeister in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts bevorzugten : Dar- stellungen aus der klassischen Götter- und Sagenwelt, biblische Scenen, sym- bolische Vorwürfe und Jagdstücke. Die mit kurzem verständlichem Text be- gleiteten Emblemata, die Neuwen Figuren, Biblische, Ovidische, Livische etc. »allen Künstlern, als Malern, Goldschmieden, Bildhauwern, Steinmetzen, Schrei- nern etc. fast dienstlich vnd nützlich«, gaben neben den gröfseren illustrierten Werken und den zahllosen Einzelblättern auch dem weniger Gebildeten reich- lich Gelegenheit und Anregung zur Behandlung derartiger Stoffe. Das Ge- wissen der Kleinmeister, selbst der vermögendsten, war nach modernen Be- griffen sehr weit: wenn sie sich auch meist eine gewisse Originalität in der Art der Behandlung des Stoffes wahren, den Gedanken, einzelne Teile des Ganzen eignen sie sich ohne Bedenken an ^). Auch bei dem Meister H. G., der sicherlich den besten seiner Zeit zuzugesellen ist, können wir diese Er- fahrung machen. Die Art und Weise, wie er seine figürUchen Scenen in tiefe.

1) Ein interessantes Beispiel einer Compilation aus verschiedenen Vorlagen zu einem Gesamtbilde bietet eine Plakette im Goethemuseum (Schuchardt, Goethes Kunst- samml. II, S. 23. Nr. 34) zu Weimar, die von einem Meister herrührt, der sich in seinen sämtlichen Arbeiten eng an Jost Amman anschliefst und von dem auch unser Museum eine Reihe von Plaketten besitzt. Dargestellt ist die Erbauung Carthagos durch Dido. Fast sämtliche Vorbilder haben die Neuwen Liuischen Figuren des Jost Amman, Frank- furt 1573, geliefert. Dido und König Jarbas, zwei mit dem Zerschneiden der Kuhhaut beschäftigte Männer und die beiden, die mit den Lederstreifen das gekaufte Land um- ziehen, sind Tafel XL entnommen. Die Begleitung Didos ist nach Tafel XLIIII »Amilcar wirt von den Carthaginensern beschickt« gearbeitet, der Krieger links hinter Dido findet sich Taf VII »Numa Pompilius der andere König in Rom«, während uns der barhäup- tige Mann mit hohem Stehkragen und Schürenrock auf Seite J 2j^ (Psalmo I) der Neuwen Biblischen Figuren von Amman, Frankfurt 1569, begegnet. Und obgleich die einzelnen Teile auf diese Weise zusammengesucht sind, sind sie doch in einer Art zusammenge- stellt, die uns vor dem Kompositionstalente des Künstlers die gröfste Hochachtung ab- nötigt.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. III.

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abwechslungsreiche Landschaften hineinkomponiert, die Behandking der Bäume, besonders auch der Baumstämme, der blumen- und grasbedeckte Untergrund, die fadenartige Wiedergabe des Rauches, weisen unbedingt auf Flötner als sein Vorbild hin, nur dafs uns Alles überladener, manirierter entgegentritt. In dem Wasser, das selten seinen Landschaften fehlt, schlagen Delphine, Schiffe und Kähne schwimmen darauf, Inseln und Gestade sind bedeckt mit teilweise phantastischen Gebäuden. Von den Blumen , mit denen der Boden übersät ist, bevorzugt er eine stilisierte Tulpenart mit weit hervortretendem Stempel oder grofse Anemonen. Die Baumstämme sind häufig stark gebogen, wie vom Sturme gepeitscht. Besonders charakteristisch aber sind seine Wol- ken, die, in der Weise des Moderno, aus einzelnen Teilchen bestehen, deren jedes aussieht, wie ein auf einen Spiefs gesteckter Darm. Das Relief seiner Figuren ist durchschnittlich höher, als bei Flötner. Die Personen, in antiker Gewandung, die Männer meist bärtig, sind schlank und muskulös, elegant in Haltung und Bewegung, die Gestikulation der Hände von dramatischer Be- wegtheit, ohne dafs ein störend unruhiger Eindruck hervorgerufen würde. Die Tiere , die meist gallopierend dargestellt werden , sind ebenmäfsig und natür- lich gebaut. Bei dem Anblicke der Werke des H. G., die sich ausnahmslos durch vorzügliche Komposition und Perspektive auszeichnen, wird man sich des Eindruckes nicht erwehren können, dafs man es mit einem hervorragen- den Künstler zu thun hat.

Unsere Sammlung besitzt von H. G. nachfolgende Stücke vgl. Taf. I:

1) Scylla und Minos. K. P. 203. Katal. 528 (dort irrtümlich Aeneas und Dido bezeichnet). Rund. Durchm. 0,182 m. Bleigufs.

In der Mitte der Platte Minos, nach links gallopierend, mit Helm bedeckt, in der Linken den Feldherrnstab haltend, den er auf die Hüfte stützt. Links von ihm ein barhäuptiger Mann in begrüfsender Stellung, rechts ein Krieger mit Helm und Lanze. Im Vordergrunde zwei sitzende Krieger, den Rücken dem Beschauer zugewandt. Weiter im Hintergrunde sieht man rechts die Krieger des Minos , links drei Frauen der Scylla. Letztere ist zweimal ver- treten: wie sie von einem Turme aus Minos zuwinkt und wie sie, von einer Frau begleitet, ihrem Geliebten das Lebenshaar ihres Vaters Nisos zuträgt. Sämtliche Personen in antiker Gewandung. Im Hintergrunde Meer mit Del- phinen und Schiffen , Architektur etc. Vorn unten auf der Platte befindet sich ein Baumstumpf mit der Inschrift: 1569 H G. Geflechtartige Umrahmung.

Das Vorbild zu dieser Darstellung finden wir in »Johan. Posthii Ger- mershemii tetrasticha in Ovidii metamor. lib. XV. quibus accesserunt Vergilii Solls figurae elegantiss. & iam primum in lucem editae. Frankfurt, Feyer- abent. 1563. 8. S. 91. Die Scenerie ist hier allerdings bedeutend einfacher, da Solls den Gegenstand in zwei Holzschnhten behandelt. Solls ist aber auch nicht der Erfinder, sondern er hat fast sämtliche Abbildungen zu den Metamorphosen aus »La vita et metamorfoseo d'Ovidio, Figurato & abbreuiato in forma d'epigrammi da M. Gabriello Symeoni. A Lione per Giouanni di Tornes. 1559. 8.« übernommen^).

2) Die Holzschnitte in der Ausgabe des Posthius sind dieselben , wie die in der

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Für die weitere Verbreitung und Benutzung der Plakette stehen mir zwei Beispiele zu Gebote. Erstens besitzt unsere Kupferstichsammlung unter Nr. 4015 eine Punzenarbeit (siehe die verkleinerte Abbild, im Text), die von einer nicht sehr geschickten Hand nach der Plakette gearbeitet wurde. Der Stich erscheint natür-

lich gegenseitig, die Perspektive mangelhaft, auffallend schlecht besonders in der Gruppe der Krieger, an die Stelle von Gräsern und Büschen hat der Copist häufig einfach Steine treten lassen. Monogramm und Jahreszahl auf dem Baumstumpf fehlen. Solcher Punzenarbeiten sind uns eine grofse Anzahl erhalten. Sie entstam- men den Goldschmiede Werkstätten und dienten als Vorlagen für Treibarbeiten. Die Zeichnung wird auf die Kupferplatte übertragen und die Umrifslinien mit Punzen eingeschlagen. Die Linien bestehen daher aus einzelnen Punkten, und, um dem Treiber anzugeben, welche Partien höher und welche flacher

gleichfalls 1563 bei Feyerabent erschienenen Ausgabe der Metamorphosen, die Nagler, Monogr. III, N. 570, 5 citiert. Die Abbildungen des Virgil Solis sind im Vergleich zu der Lioner Ausgabe von 1559 gegenseitig, vergröfsert und nur vereinzelt mit geringen Än- derungen versehen. (Über die Offizin des Jean de Tournes in Lion cf. J. Reimers, Peter Flötner. 1890. S. 33 ff.). Solis hat aus der Lioner Ausgabe die Abbildungen S. 36, 43, 57, 67, 77, 80, 84, 85, 88, 101, 118, 127, 176, 181, 182, 186, 187 nicht übernommen. Ent- weder sind die betreffenden Scenen gar nicht, oder selbständig von Solis bearbeitet. Zu den letzteren, die also nicht auf die Lioner Ausgabe zurückzuführen sind, gehören in der Ausgabe des Posthius die Holzschnitte : S. 71, 72, 74, 83, 101, 109, 113, 117. Holz- schnitt S, 27 (bei Posthius) hat unten in der Mitte das Monogramm des Holzschneiders -BV- mit dem Schnitzmesser links, was bei Nagler, Monogr. I. N. 2096 nachzutragen ist. Ebenso gibt Nagler, Monogr. III, N. 570, 5 nur 6 Holzschnitte an mit dem Zeichen des Holzschneiders K Dieses Zeichen findet sich indessen, in verschiedenen Gröfsen , auch auf den Schnitten: Met. IV, 9 Perseus befreit Andromeda. V, 4 Pyreneus von den Musen gestraft. V, 7 Ceres verwandelt einen Knaben in eine Eidechse. IX, 7 Byblis verfolgt ihren Bruder. XII, 1 Opferung der Iphigenie. XIII, 10 Aeneas trägt seinen Vater aus dem brennenden Troia.

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im Relief gehalten werden sollen, werden die Punkte je nachdem tiefer oder flacher, dichter an einander, oder weiter von einander abstehend eingetrieben. Schattengebung ist für die Zwecke der Punzenarbeiten überflüssig, und erst, als auch diese Gattung in der zweiten Hälfte des 16. Jahrh. sich zu selb- ständigen Kunstwerken ausgestaltete, finden wir auch den Schatten beigefügt. Bei unserem Stich, der nach der Art seiner Behandlung lediglich den Zweck einer Vorlage gehabt hat, ist auffallend die Ursache seines Entstehens. Wo- zu war ein Stich nötig, nachdem das Vorbild in Form einer Plakette, also eines brauchbareren und praktischeren Modells schon gegeben war.^ Es mag wohl der Grund darin zu suchen sein, dafs mit der Vervielfältigung einer Plakette immerhin manche Umständlichkeiten verknüpft waren, dafs ihre Auf- bewahrung grössere Sorgfalt verlangte, wenn die Einzelheiten, Baumschlag, Gesichtszüge etc., nicht, wie wir es an vielen Beispielen in unsern modernen Sammlungen noch sehen können, gedrückt, abgerieben und unkenntlich ge- macht werden sollten. Wir müssen annehmen, dafs die Goldschmiede der damaligen Zeit ausnahmslos gewandte Zeichner und geschickte Techniker waren, die Umsetzung einer Plakette in eine Zeichnung ging ihnen leicht von der Hand und das Arbeiten nach einem Stich bereitete ihnen keine Schwie- rigkeit. Es tritt uns häufig die Erscheinung entgegen, dafs plastische Arbei- ten nach einer Plakette im Gegensinne erscheinen. Ich glaube, dafs wir in solchem Falle stets einen Stich als Zwischenglied anzunehmen haben. Auch nach unserer Plakette existiert eine Goldschmiedsarbeit im Gegensinne, zu der aber nicht die angeführte Punzenarbeit unserer Kupferstichsammlung die Vermittelung gewesen sein kann, sondern zu der wir einen anderen Stich als Vorlage voraussetzen müssen. Die Arbeit, eine silber-vergoldete Schale, befand sich im Besitze Spitzers, und ist abgebildet in »La coUection Spitzer« 111, orfevrerie civile PI. Vlll. Die Beschreibung lautet dort (S. 25 Nr. 66) : »A l'interieur de la coupe est figuree la legende de Scylla. Nisus (J), vetu en guerrier antique, monte sur un cheval au galop, occupe le centre de la composition. A droite et ä gauche, des groupes de guerriers (!). Au fond, on apergoit Scylla tenant ä la main la meche de cheveux qu'elle a coupee a son pere ; on la voit encore sur le haut d'une tour qui fait partie de l'en- ceinte d'une ville, au dernier plan : fond de paysage et de fabriques. Sur le bord de la coupe, ä l'interieur, est gravee l'inscription suivante qui explique le sujet: Quid non cogit amor testis Niseia virgo | ausa in purpurea regna pater^) coma | fatali tondere manu quid moenibus hostem | arces. hoste magis nata timenda tibi est. Heu quanto stetit unius tonsura capilli Scylla tibi en tecum patria versa tua est nil agis at vobis male sit nox somne cupido quo- rum opera tantum suscipere ausa scelus. {})

Sur le bord de la coupe, ä l'interieur, un poingon: un ecusson charge d'un V.

In Bezug auf die Landschaft ist der Meister dieser Arbeit sehr selbst- ständig vorgegangen, sie hat durch seine vereinfachende Behandlungsweise

3) Auf der Platte steht deutlich und richtig paterna.

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eher gewonnen, als verloren. Die manirierten Wolken sind verschwunden, die Architekturteile aber sind sehr mäfsig ausgefallen. Der linke Eckturm der Stadt im Vordergrunde ist völlig mifsraten. Scylla hat, in näherer An- lehnung an SoUs, einen grofsen Busch Haare in der Rechten, damit an der Bedeutung ihrer Person kein Zweifel sein kann. Der Baumstumpf mit dem Monogramm und der Jahreszahl fehlt.

2) Verkleinerter Ausschnitt aus der unter 1) angeführten Darstellung von Scylla und Minos. Copie. K. P. 888. Kat. 531. 0,05X0,45 m. Bleigufs.

3) Eberjagd. K. P. 461. Kat. 530. Rund. Durchm. 0,17 m. Arabas- kenartige Umrahmung. Bleigufs.

Ein nach links gallopierender Reiter in antiker Gewandung, mit Feder- hut, in der Linken einen Jagdspeer schwingend und ein Jäger mit der Sau- feder dringen auf einen von 4 Hunden angefallenen Eber ein. Im Vorder- grunde rechts auf einem Baumstumpf 1570 H. G.

4) Tod des Adonis. Von Jagdscenen umgeben. K. P. 204. Kat. 605. Rund. Durchm. 0,159 m. Bleigufs.

Adonis, nackt, liegt nach rechts im Schofse der bekleideten Venus, von links beugt sich Amor zu ihm nieder, im Vordergrunde Schild, Hörn, Jagd- speer und Mantel. Im Hintergrunde sieht man nach rechts den Eber ent eilen. Durchm. des Mittelstücks incl. des umrahmenden Kranzes 0,065 m. Der Rand ist in einer Breite von 0,042 m von Jagdscenen bedeckt, unter denen sich die bei 3) aufgeführte mit geringen Änderungen rechts oberhalb der Venus wiederholt. Der Jäger steht nicht links, sondern rechts vom Eber und hat die Saufeder bereits dem Wild Ln die Seite gestofsen. Den Reiter sehen wir, etwas verändert, links von der Gruppe.

5) Der Angler. K. P. 205. Kat. 529. Durchm. 0,17 m. Umrahmung wie bei 1). Bleigufs.

Im Vordergrunde links sitzt ein nach rechts gewandter Mann am Ufer eines Flusses und angelt. Ein Korb hängt über einem Zweige im Wasser, ein zweiter steht am Ufer. Der Flufs ist belebt durch Vögel, Fische und Kähne. In der reichausgestatteten Landschaft bemerkt man rechts eine Mühle, links antike Gebäudeteile. Rechts dem Angler gegenüber befindet sich auf einem Baumstumpf die Inschrift: 1570. H. G.

6) Vulcan und 3 Cyclopen mit schmieden beschäftigt. K. P. 202. Kat. 602. Rund. Durchm. 0,17 m. Kranzartige Umrahmung. Bleigufs.

Vulcan, vor einem Ambos in offener Landschaft sitzend, und 3 steh- ende Cyclopen schmieden. Links die Feueresse, rechts Venus, die ihre rechte Hand auf Amors Haupt gelegt hat. Sämtliche Personen sind nackt.

7) Das Urteil Salomonis. K. P. 208. Kat. 603. Rund. Durchm. 0,17 m. Umrahmung ähnlich wie bei 3). Bleigufs.

Salomo, bartlos, sitzend in freier Landschaft, mit Scepter in der Rech- ten, vor ihm ein Scherge, der in der linken Hand das lebende Kind am Bein, in der Rechten das Schwert hält. Im Vordergrunde die beiden klagenden Weiber, zwischen ihnen noch einmal das Kind, liegend. Im Hintergrunde

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zwei bärtige Männer, deren einer das Liktorenbeil trägt. Rechts turmartiges Gebäude, von dessen Brüstung, ähnlich wie bei 1), ein Weib herunterschaut. Aus der Thüre, von der eine Treppe zum Erdboden führt, tritt eine Person mit einem Korbe in der Hand.

Schuchardt, Goethes Kunsts. II. S. 26 Nr. 74.

8) u. 9) Hirsch- und Eberjagd in der Art des H. G. K. P. 254 u. 253. Kat. 548. 549. 0,022X0,093 m. Bleigufs.

Ein Hirsch, nach Unks entfliehend, wird von Jägern und Hunden ver- folgt. Ein Reiter mit Jagdhorn. Im Vordergrunde links ein Kreuz.

In der Mitte ein Reiter mit Jagdspeer, rechts ein von Hunden ange- fallener Eber, links laufender Mann mit zwei Hunden.

Nagler, Monogr. III, Nr. 974 erwähnt: »In der fürstlichen Sammlung zu Wallerstein befindet sich ein Pulverhorn mit einer runden getriebenen und vergoldeten Platte, welche den Saturnus vorstellt, wie er die nackte Wahrheit der aufgehenden Sonne entgegenführt. Ein düsterer Dämon sucht sie ver- gebens wieder niederzuhalten, denn schon schwebt die Friedenstaube über dem Lande. Die Umschrift besagt : »Abstrusum Tenebris Tempus Me Educit In Auras. H. G. 1570.«

Leider konnte mir eine Abbildung oder nähere Beschreibung dieses Pul- verhorns nach gütiger Mitteilung des Herrn Bibliothekar Dr. Grupp augen- blicklich nicht zur Verfügung gestellt werden , wohl aber ist m.ir durch die Liebenswürdigkeit der Verwaltung der archaeologischen Abteilung des Darm- städter Museums der Abgufs einer Plakette zugegangen, die zweifellos das Modell zu der Platte des Pulverhorns darstellt. Die Plakette, rund, hat einen Durchmesser von 0,083 m., ohne den mit der Inschrift versehenen Rand 0,063 m. Die Darstellung entspricht genau der Beschreibung Naglers. Aber das erste Wort der Umschrift lautet nicht »Abstrusum«, sondern ABSTRVSAM, aufser- dem steht noch in der inneren Platte mit kleineren Buchstaben: VERITAS- FILIA TEMPORIS Wenn Nagler also richtig zitiert , so hätten wir hier einen Beweis dafür, dafs die Plakette nicht »als Andenken« von einer ausge- führten Treibarbeit abgegossen ist, sondern dafs der Meister zunächst die Plakette herstellte, um nach ihr zu arbeiten, dann aber bei der Platte für das Pulverhorn den Fehler des Modells nicht nachahmte, sondern korrigierte. Ein zweites Exemplar dieser Plakette , weit besser erhalten als das Darmstädter, aber ohne Rand, also auch ohne das Monogramm, befindet sich in Kassel. Eine Photographie davon verdanke ich Herrn Prof. Dr. K. Lange. Es gehört dieses Stück zu den besten Arbeiten des Meisters H. G.

Von den Nachfolgern Flötners steht unserem Plakettisten in der Behand- lung von figürlichen Darstellungen der durch eine grofse Reihe von Punzen- arbeiten bekannte Meister J. S. am nächsten. Was A. Winkler im Jahrbuch der kgl. preufs. Kunstsammlungen Bd. XIII, S. 100 von diesem schreibt: »Besonders charakteristisch ist die Behandlung der Landschaft, zumeist eine Verbindung deutscher Flufs-, Dorf- und Städtelandschaft mit antik-römischen Reminiscenzen« pafst ebenso auf Flötner und H. G. Auch die Wässermühle, die übrigens auch Jost Amman gern verwendet , ist ein bevorzugtes Motiv

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beider. Endlich erinnere ich noch an die Ähnlichkeit der Wolkenbehandlung zwischen H. G. und I. S. Lauter ähnliche Motive, die doch von jedem einzelnen Meister in origineller Weise wieder durchgebildet sind, die aber auf eine gemeinsame Schule schliefsen lassen, welche von Flötner ausgegangen ist. Nürnberg. Dr. F. Fuhse.

Oswald und Kaspar Krell.

(Vergl. Dürers Porträt Oswalds in der Münchener Alten Pinakothek.)

>ie bei jedem Kunstwerk das Verständnis des Gegenstandes, des In- halts, dessen, was der Künstler hat ausdrücken wollen, eine der Hauptbedingungen des künstlerischen Genusses ist, so auch beim Porträt : richtig beurteilen und voll würdigen können wir eine Leistung auf diesem Gebiete erst, wenn wir mit dem Gegenstande hier also der Per- sönlichkeit des Dargestellten bekannt gemacht sind. Aus diesem Grunde werden auch einige Aufschlüsse über Oswald Krell, die sich mir bei Gelegen- heit anderer Studien in den hiesigen Archiven ergeben haben, vielleicht um so mehr willkommen sein, als bisher über diesen Mann nichts weiter be- kannt war, als dafs Dürer im Jahre 1499 sein Bildnis gemalt hat'). Wohl mit Recht vermutet Thausing (Dürer I, 193), dafs es das erste Porträt war, das von dem jugendlichen Meister auf ausdrückliche Bestellung gemalt wurde, denn schon das Aussehen des Mannes ist nicht der Art, dafs man sich da- durch hätte angezogen fühlen können. »Es ist keine einnehmende Persön- lichkeit«, sagt Thausing, »die hier in aller Herbigkeit ihrer Erscheinung dar- gestellt ist. Der knochige, bartlose Kopf des jungen Mannes ist etwas nach links gewandt, und ernst, fast mürrisch, blicken die Augen aus den äufsersten Winkeln heraus.« Diese von dem in der königl. Pinakothek zu München be- findlichen Bilde abgelesene kurze Charakteristik wird durch einen Blick auf die Thatsachen, die wir aus dem Leben Oswald Krells und über seine Fa- milienverhältnisse beibringen können, im wesentlichen bestätigt gewifs ein Zeichen für die hohe Kunststufe, welche Dürer als Porträtist bereits zu Aus- gang des 15. Jahrhunderts erreicht hatte.

Das Geschlecht der Krell oder Kreel gehört zu den Nürnberger Ehr- baren Famifien. In einer Urkunde vom 16. August 1490 kommt ein Franz Krell mit dem Zusatz der »Erbar« als Mitglied des gröfseren Rates vor 2). Oswald erscheint in den im Kreisarchiv Nürnberg verwahrten Ratsprotokollen zuerst im Jahre 1497 , wo über ihn und Wolf Ketzel vom Rat eine Strafe verhängt wird, weil sie einen ehrsamen Bürger^), den Hans Zamasser, in einem

1) Vgl. T. de Wyzewa in der Gazette des Beaux-Arts 1890, 1. August: »Oswald Krell rdalise l'iddal de l'obscurite et du peu dimportance ; on n'a pu decouvrir ni d'oü 11 venait, ni qui il ^tait, et rien ne nous est rest6 de lui, ä part son nom et son Image.«

2) Freiherrl. von Holzschuhersches Archiv (im Germanischen Museum) Perg.-Urk. vom 16. Aug. 1490.

3) Nach Aufzeichnungen Lochners im Nürnberger Stadtarchiv, deren genauere Bc-

24 Fastnachtsspiel als Narren v^erhöhnt haben. Sie sollen dafür einen Monat »auf einen versperrten Turm« wandern, es wird ihnen aber freigestellt, sich von der Hälfte dieser Strafe mit Geld loszukaufen. Alles bittliche Ansuchen hilft dagegen nichts, nur ein Aufschub der Strafe, d. h. ihrer Abbüfsung, wird den beiden Übelthätern endlich gewährt*). Freilich kommt in den Notizen, die sich auf diesen Fall beziehen, der Name Krell überhaupt nicht vor. Es heifst nur »Oswald, der Gesellschaft von Ravensburg Diener«; da aber nach einer ziemlich gleichzeitigen Urkunde im Nürnberger Stadtarchiv Oswald Krell damals in der That »ein diener vnd handler (an anderer Stelle heifst es: »factor vnd handler«) der gesellschafft zu Rauenspurg« w^ar, so ist an seiner Identität mit jenem losen Spötter nicht zu zweifeln ''').

Viele Jahre hören wir nichts mehr von ihm. Dann taucht sein Name plötzlich wieder auf; aber inzwischen ist aus dem Handlungsdiener, der die Interessen einer fremden kaufmännischen Gesellschaft •*) wahrzunehmen hatte, ein selbständiger Mann, wie es scheint ein angesehener Kaufherr zu Lindau

Zeichnung es handelt sich um eine Randbemerkung in den sogenannten Selekten ich mir leider nicht gemerkt habe, besafs ein Zamasser ein Haus am Markt in der Nähe der Fleischbrücke.

4) [R(ats)-P(rotokolle) 1497 (Heft) II, (Blatt) 15 b] Tercia post domini oculi (sS. Febr.)

T497 :

Es ist bey einem erbern Rat erteylt wolff" ketzel vnnd den ofsvvalt der geselschafft von Rafenspurg diener, yr yden ein monat vff ein versperten thurn, zu straffen, den halben teyl mit dem leyb zuuerpringen aber den anndern halben teyl mag Ir yder mit dem geltt darauff gesetzt ablosen , Darumb das sie Hannsen Zamasser, mit einem fafsnacht Spil als ein narren gehondt haben.

[R.-P. 1497, II, 17 a] Quinta post domini Oculj (2. März) 14(^7

Es ist erteylt. In der sachen Zwischen dem Zamesser, vnd wolffen ketzel auch dem ofswalt, das es ein erber Rat bej der straff die In vormalen Im Rat erteylt ist ent- lich sol pleyben, vnd kein cnndrung dar Innen thun lassen.

[R.-P. 1497, III, 9 b] Tercia post domini palmarum (21. März) 1497 '■ Es ist abermalen Im Rat erteylt das es bej der straff die [man] dem ketzell vnnd dem Ofswallt von wegen des Zamasserfs auffgelegt hat, nochmalen sol pleyben. [R.-P. 1497, IV, 13 b] Quinta post misericordiae dominj (13. April) 1497 : Ofswallten der geselschafft von Rafenspurg diener ist frist zu seiner straff geben bis vff pfingsten.

[R.-P. 1497, VI, 16 b] Tercia post Viti (20. Juni) 1497:

Wo der ofswalt sein straf itzo halbe wil verpringen sol [man] Im zu^em anndern Halben teyl bifs vff Jacobj frist geben.

[R.-P. 1497, VII, 4a] Tercia post Johannis Baptiste (27. Jujii) 1497- Es ist abermalen erteylt das Ofswalt sein straff verpringen sol wie am nächsten Im Rat erteylt ist.

5) Stadtarchiv, Libri litterarum, Bd. X, Fol. 82b, leider ohne Datum, aber ohne Zweifel in die neunziger Jahre des 15. Jahrhunderts gehörend. Es handelt sich um Sum- men, welche Hieronymus Behaim, Bürger zu Nürnberg und Blasius Krieg zu Breslau ver- schiedenen Leuten für gelieferte Kaufmannswaaren schuldig sind. Unter den Gläubigern erscheint auch Oswald Krell, der 248 Gulden zu fordern hat.

6) Ohne Zweifel jene grofse patrizisischc Handelsgesellschaft zu Ravensburg, an deren Spitze im 15. Jahrhundert die uralte Familie Hundbifs stand. Vgl. darüber F. Hafner, Geschichte von Ravensburg (1887) S. 94, 260, 441 u. ö.

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im Bodensee ") geworden, dessen Bürgschaft in einer Kriminalsache von dem Rat zu Nürnberg gewünscht wird. Wiederum ist es keineswegs ein sauberer und für seine Familie ehrenvoller Handel, in den Oswald hineingezogen wird, w^enn diesmal auch nicht er, sondern sein Bruder Kaspar Krell der Schuldige war. Der ziemUch abenteuerliche Hergang dieser Angelegenheit bietet manches sittengeschichtlich Interessante, und so will ich ihn hier in Kürze erzählen, obgleich dabei für das Verständnis des Dürerschen Gemäldes, von dem unsere Betrachtung ausging, nicht mehr viel zu gewinnen ist.

Im Februar des Jahres 1511 wurde Kaspar Krell von Lindau wegen mancherlei Diebereien plötzlich festgenommen und unter Androhung der Folter verhört. Welcher Art seine Diebstähle gewesen sind, geht aus den Ratsproto- kollen nicht mit Sicherheit hervor. Er gestand sie aber ein und würde auf den für ihn angesetzten »ernstlichen Rechtstag« vermutlich zum Tode durch den Strang verurteilt worden sein, wenn sich nicht hochgestellte PersönUch- keiten: der Bischof von Regensburg, Kurfürst Friedrich von Sachsen, die kaiserliche Majestät selbst für ihn verwendet hätten. Die Wichtigkeit, welche der Sache beigelegt worden zu sein scheint, dann der Umstand, dafs wir Kaspar Krell einmal im Verein mit einer ganzen Anzahl anderer Häftlinge erwähnt finden, läfst vermuten, dafs wir es in ihm mit keinem gewöhnlichen Diebe, sondern eher mit einem Strauchritter, sogenanntem Placker, oder etwas Ähnlichem zu thun haben, der sich vielleicht guter Beziehungen zu den ver- schiedenen fürstlichen Höfen erfreute. Kaiser Maximihan befürwortete sogar seine Freilassung. Darauf aber konnte sich der Rat nicht einlassen. Er sicherte ihm zwar auf das Drängen der Fürsten das Leben zu, Uefs aber Kaspar Krell bis auf Weiteres im Loch liegen. Der Probst von St. Sebald wurde beauftragt, der kaiserlichen Majestät die Gründe für dieses Verhalten des Rates auseinander zu setzen und sein Schreiben gleich so einzurichten, dafs »Ir MJL an ainen Rate ainich weitter Mandata nit aufsgeen lass, denselben Caspar frey ledig zu geben, in ansehung was sich ain Rate bey Ime besorgen müfs.« Aber im Grunde wäre man doch gegen die nötige Sicherheit des gefährlichen Menschen gern ledig gewesen, zumal man nicht recht wufste, was man nun mit ihm anfangen sollte. Man liefs ihn Urfehde schwören, glaubte sich aber dadurch noch keinerswegs genügend gegen neue Schädigung und Anfeindung von seiner Seite gedeckt und trat daher gleichzeitig in Unter- handlungen mit den von Kaspar Krell selbst vorgeschlagenen Bürgen. Seiner »Freundschaft«, die sich wohl gleichzeitig für ihn verwendet hatte, ward an- gesagt, man sei geneigt, falls aufser ihnen noch Kaspars Eltern, sowie sein Bruder Oswald Krell in Lindau zur Stellung der nötigen Sicherheit zu be- wegen sein würden, solche Bürgschaft gelten zu lassen. Das aber machte Schwierigkeiten. Die Krellen in Lindau konnten sich mit dem Rat nicht so bald über die als Bürgschaft zu zahlende Summe einigen, und während die

7) Wenn zu Anfang des 16. Jahrhunderts von Lindau ohne weiteren Zusatz die Rede ist, ist wohl immer Lindau i. B. gemeint. Über dessen Bedeutung für den damaligen Handelsverkehr s. L. v. Ranke, Zur deutschen Geschichte (Sämthche Werke. 3. Aufl. 1888. VII. Bd.) S. 34.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. IV.

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Verhandlungen noch schwebten, geschah etwas, das eine wesentliche Ver- schlechterung der Lage Kaspars im Gefolge haben sollte. Die Maid des alten Lochhüters gemeint ist wohl seine Tochter hatte sich in den Gefangenen verliebt, und mit ihrer Hilfe machte Kaspar einen Fluchtversuch, der aber mifslang. Gebunden ward er in das Loch zurückgeschafft, dort in Ketten gelegt und aufs Neue mit der Folter bedroht. Vielleicht hat man sie ihm auch zu kosten gegeben, doch reichte wahrscheinlich die Beschaffen- heit des Lochgefängnisses allein hin, auch einen starken Mann mürbe und den gesundesten krank zu machen; das können wir aus einigen Andeutungen schliefsen.

Inzwischen war es wieder Winter geworden. Zu Anfang des neuen Jahres 1512 bat der Gefangene, beichten und das heilige Sakrament em- pfangen zu dürfen. Beides wurde ihm gewährt und aufserdem zugelassen, dafs er alle Samstag ein Licht in seinem Kerker brennen möge, ein Gnaden- gesuch seiner Geliebten jedoch, von der es hiefs, dafs Kaspar sie im Loch zur Ehe genommen habe, abschlägig beschieden. Zugleich liefs der Rat unter der Hand und durch allerlei Mittelspersonen erneute Versuche machen, namentlich Oswald Krell zu den gewünschten, volle Sicherheit verbürgenden Zugeständnissen zu bewegen. Sogar dem Lochhüter ward einmal ein Wink gegeben, Gelegenheit zu bieten und zu verstatten, dafs Kaspar Krell wieder an seine Freundschaft schreibe. Aber Oswald blieb hart. Im September erkrankte Kaspar ; so dürfen wir wohl aus der Mitteilung schliefsen, dafs ihm eine Hauptwaschung und Aderlafs erlaubt wurde. Ein Schermesser, besagte die Verordnung, dürfe aber nicht an ihn kommen. Vermutlich wollte man ihn in recht verwahrlostem, bejammernswürdigem Zustand seinen Verwandten gegenübertreten lassen, deren Ankunft man erwartete. Aber noch bis zum November blieben diese aus. Dann erst, als die Brüder Kaspars ob Oswald darunter war, wird nicht gesagt eingetroffen waren und im Beisein Nikolaus Hallers eine Unterredung mit ihrem elenden Bruder gehabt hatten, kamen end- lich die Unterhandlungen über die zu leistende Bürgschaft in rascheren Flufs. Die nächste Folge davon war, dafs Kaspar aus dem Loch in >das obere Stübchen« umquartiert wurde; doch blieb er auch hier noch mit einer Kette an die Wand geschlossen. Immerhin fehlte nicht viel und es wäre unter vergeblichen Hin- und Herschreibereien zwischen Nürnberg und Lindau auch dieses Jahr zu Ende gegangen. Da kam kurz vor Jahresschlufs die Befreiung. Auf Grund welcher Vereinbarung sich der Rat dazu verstand, ist uns nicht überliefert. Wir hören nur, dafs am 29. Dezember dem Kaspar Krell sein Geld und seine Kleider, die ihm bei seiner Einlieferung ins Gefängnis abge- nommen worden waren, wieder ausgehändigt wurden. Nur ein Becher, der vermutlich zu den ehemals geraubten Gegenständen gehörte, verblieb zunächst in den Händen des Rats, »ob sich vielleicht jemand finde, dem er zustehe.« Das ist die letzte Notiz über Kaspar Krell, und auch Oswalds Name kommt seitdem in den Nürnberger Ratsprotokollen nicht wieder vor*^).

8) Ich gebe hier im Zusammenhang diejenigen Rat-svcrlässe, welche der vorstehenden Darstellung des Falles Kaspar Krell zu Grunde liegen:

[R.-P. 1510, XII, 4 a] Secunda Scolastice (lo. Febr.) 151 1 :

Caspar Krell vmb weitter dieberey zu red hallten-, wo er gutlich nit sagen will weethun.

[ebenda, 5 a] Tercia post Scolastice (it. Febr.) 151 1 :

Caspar Krellen von Lindaw ist vmb sein geübter vnd bekandte dieberey auff nächsten Pfincztag ein ernstlicher recht tag gesatzt.

[ebenda 7b] Quinta post Scolastice (13. Febr.) 1511:

Herzog Friedrichen von Sachsen Churfursten anzaigen das vff sein und defs Bischoffs von Regenspurgs Furbitt Caspar kreel defs lebens gesichert sey.

[ebenda 10 b] Tercia post Juliane (iS. Febr.) 1311:

Die vrfehd vnd purgschafft Caspar krells soll man allso seiner freuntschafft, wie die gelesen Ist, furhallten, vnd Inen ain abschrifft dauon geben.

[ebenda 13 b] Sabato Petrj ad kathedram (22. Febr.) 1511:

Vff furbitt Herczog Friedrichs von Sachsen Churfursten sind dise hernach ge- schribne personen begeben vnd Ihnen Ir uffgelegte straff nachgelassen vnd gesichert nemlich Steffan Fellnstain desgleichen Hans banntzer wo er sich mit defs entleibten freuntschafft vertregt , defsgleichen Bernhardin Mewes wo er sich mit der widerparthey vnd ainem Rate verträgt.

[14 a] Aber diser Person halben Ist defs Herczogen furbitt gelaint nemlich Hanns Schrecken Leonhardten werner Margrethe wegerheim Hansen Krafftshofer, Mathes Henlin Kungund Gollnerin Hannsen Widmann zue klainrewt Conntzen Schmid Fritzen gast Hannsen Ennter Fritzen kolben.

Vnd Caspar Krell soll Im loch bis vff Vollziehung der purgschafft ligen bleiben.

[R.-P. 1510, XIII, 18 a] Sabato post Oculj (29. März) 151 1 :

Caspar Krellen freundschafft Soll man ansagen, wo Sy irn Freund Ofswald Krellen zu Lindaw vermugen, so woll man den zusampt Inen vnd des Caspars vater und mutter zu pürgen annemen.

[R.-P. 1511, II, 4 b] Secunda post vocem Jocunditatis {26. Mai) 1311:

Caspar krellen bruder sagen Soll morgen wider vmb antw*^ manen.

[ebenda 5a] Tercia post Vrbanj {2j. Mai) T311:

Caspar Krellen soll man noch (vnentschlossen was enndtlich mit Ime zu handeln seyj allso ligen lassen, vnd dem Brol^st Sebaldj schreiben aincn Rate vff der k. Mt schrifft seiner halben zuuerantworten vnd zufurkomen das Ir Mt an ainen Rate ainich weitter Mandata nit aufsgeen lass denselben Caspar frey ledig zu geben In ansehung was sich ain Rate bey Ime besorgen müfs.

Vnd Casparlins freunden Anntw^ zu geben ain Rate wöll vff Ir schrifft selber anntwurt geben, vnd dann der angepotten purgschafft halben hab ain Erber Rate Inen vor lawttern beschaid vnd anntwt geben dabey lass es ain Rate bleiben.

[R.-P. 1511, III, Ib) Sabato post corporis Christi (21. Juni) tj;ti:

Den krellen zu Lynndaw so ytzo Irs Sons vnd bruders halben Caspar krelln geschriben haben antw^ zu geben ain Rate hab denselben Caspar defs lebens vff furbitt der fursten vnd gnugsam purgschafft so man ainem Rate verwendt hab gesichert vnd darumb sey ainem Rate Ir angepottne purgschafft alls vngnugsam nit annemlich.

[ebenda 8 b] Secunda post pet. & paulj (30. Juni) 151 1:

Caspar Krellen weitter der maid halben Im Loch die Ime zu seiner erledigung hanndtreich gethan haben soll zu red hallten, pynnden vnd bedroen.

[ebenda 7 u. 9] 2 Notizen ziemlich des gleichen Inhalts.

[R.-P. 1511, X, IIa] Secunda post Erhard] (11. Jan.) 1512:

Caspar Krellen soll man vergönnen zu peichten vnd das heylig Sacrament zu em- pfahen.

Defsgleichen Lst Ime zuglassen das er alle Samstag ain Hecht Im loch geprauchen mag doch das Ime allweg ain ketten an das pain gelegt werde.

Vnd soll bey dem Blarer haimlich angregt werden damit ain Rate seiner erledigung halb durch ofswald Krellen stattlich angesucht werde vnd das soll thun Caspar Nützel.

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[R.-P. 1511, Xn, 22 a] Quarta post Oculj (17. März) 151 2:

Des alten Lochhüters maid ir begern vmb entledigung Caspar Krellen der Sy im loch zu der Ehe genomen haben soll ablainen.

[R.-P. 1512, III, 23 a] Secunda post Visitacionis (f;. Juli) 1^12:

Dem Lochhüter soll man wincken das er Caspar Krell zulaffs an sein freundschafft zu schreiben.

[R.-P. 1512, V, 15 b] Quinta post crucis Exaltacionis ('//. Sept.) 151 2:

Dem Casperla Krell Soll man vergönnen dafs habt waschen ader lassen aber Ime mit keim messer nit Scheren Mit guter gwarsam.

[R.-P. 1512, VIII, 14 a] Tercia Othmari (16. Nov.) 1512:

Des Casperlas Crellen brüder gestatten mit Im zu reden doch In beywesen N. Hallers.

[ebenda 14 b] :

Casparn Krell soll man In das ober stublin an ainer Ketten verwarn so lang die Verschreibung wider von Lynndaw kompt.

[1512, X, 4 a] Quarta thome Canthuariensis (2g. Dez.) 15 12:

Caspar Krellen soll man sein gelt vnd claider so in seinem fengUchen annemen Zuuerwarung genommen sind wider zustellen Aber den Pecher derweil er den nicht geuordert lennger behalten, ob sich ymand finden wollt, dem er Zustund.

Nürnberg. ' Th. Hampc.

Zu Baidungs „Madonna mit der Meerkatze".

f^^err Dr. Stiassny hatte die Liebenswürdigkeit mich darauf aufmerk- ~ sam zu machen, dafs das neue Bild des germanischen Museums,

welches ich im letzten Hefte des vorigen Jahrgangs Hans Baidung zuwies, bereits in der Litteratur erwähnt ist. Es ist dies von Seiten Scheiblers (Repertorium X, 28) und Stiassnys (Wiener Kunstchronik XI. Nr. 28, S. 721) geschehen, aber allerdings in so wenig detaillierenden Ausdrücken, dafs eine Identifikation unmöglich war, zumal in Anbetracht der unzähligen Bilder einer »IVIadonna mit Kind aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts«. Ich hatte mir allerdings schon längere Zeit diese »Madonna bei Postrat Beisch in Stuttgart« auf Grund dieser Zitate notiert, aber da von Seiten des Ver- käufers s. Zt. keine Angaben gemacht wurden, so war die Identität der Beisch'- schen Madonna mit unserem Bilde in der That absolut unersichtlich. Ich habe nun unser Bild vor ganz kurzer Zeit nochmals mit Hauptwerken des Meisters in Freiburg und Frankfurt verglichen, ferner mit den Handzeichnungen, Stichen und Holzschnitten und mufs auf meiner Ansicht beharren : das Bild ist meines Erachtens sicher in Baidungs Atelier entstanden und höchstwahrscheinlich ein Werk seiner eigenen Hand.

Nürnberg. Dr. Edmund Braun.

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Der Meister der nürnberger Madonna*).

reten wir vor ein bedeutendes Kunstwerk, so ist eine der ersten Fragen, die sich uns aufdrängen, wer hat es gemacht. Die Frage ist begreiflich und gerechtfertigt , nicht nur vom Standpunkte des Historikers aus, sondern für jeden verständnisvollen Beschauer. Was uns interessiert, was uns anzieht oder abstöfst, ist nicht nur das Kunstwerk als solches , sondern auch die Individualität des Künstlers , welche aus ihm spricht. So viele Irrtümer unvermeidlich unterlaufen , wenn Künstlernamen einzig aus stilistischen Kriterien bestimmt werden, man wird da, wo schrift- liche Nachrichten oder gute Traditionen fehlen, immer wieder auf diese Be- stimmungsweise geführt werden.

Unter den plastischen Werken der beginnenden deutschen Renaissance wird die nürnberger Madonna (G. M. 314, Städtische Kunstsammlung Plastik 5) stets in erster Linie genannt. Vielfach wird sie als das bedeutendste Werk der deutschen Plastik des frühen 16. Jahrhunderts bezeichnet, oft ist sie be- sprochen, in Abgüssen und Abbildungen ist sie allgemein verbreitet und be- wundert.

Die Bezeichnung eines Kunstwerkes als bedeutendstes ist stets eine relative , insbesondere besteht zwischen Kunstwerken , bei welchen in erster Linie der intensive Ausdruck der Empfindung angestrebt wird und solchen, welche mehr die formal harmonische Schönheit der Erscheinung betonen, eine ästhetische Antinomie. Erstere haben eine höhere individuelle, letztere eine mehr typische Bedeutung, und unvermeidlich mufs bei ihnen der Aus- druck der Gemütsbewegungen um einige Grade herabgestimmt werden. Und doch können zwei Werke dieser beiden Gattungen die gleiche Vollendung besitzen und bezüglich der Gattungen selbst sind wir nicht berechtigt, die eine der anderen überzuordnen. Wohl aber sind wir darüber klar, dafs erstere mehr dem malerischen , letztere mehr dem plastischen Ideal entspricht. Die nürnberger Madonna, welche wohl mit Recht als Teil einer Kreuzigungsgruppe betrachtet wird, gehört zu letzterer Gattung. Die Figur ist das Werk eines grofsen Künstlers, welcher an formaler Begabung, an reinem Schönheitssinn alle seine Zeitgenossen überragt. Eine so ungewöhnliche Sicherheit des plasti- schen Könnens ist Niemanden angeboren, sie wird nur allmählig in ernster Ar- beit erworben. Es ist ganz ausgeschlossen , dafs der Meister nur diese eine oder nur wenige Arbeiten geschaffen habe. Solche sind aber bis jetzt nicht bekannt geworden. Ob ihm die Pietä in der S. Jakobskirche in Nürnberg zugewiesen werden darf, ist zum mindesten fraglich.

Dafs aber das ganze Werk eines so grofsen Meisters bis auf eine Figur zu Grunde gegangen sei, ist höchst unwahrscheinlich.

Haken wir daran fest , dafs die Figur eine nürnberger Arbeit ist , und es ist kein ausreichender Grund vorhanden, sie einer anderen oberdeutschen

*) Auf die stilistischen Eigentümlichkeiten der Figur , welche dieselbe mehr der Metall- als der Holzplastik zuweisen, hat Dr. H. Stegmann schon früher aufmerksam ge- macht.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. V.

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Schule zuzuwei- sen, so ist längst erkannt, dafs sie weder von Veit Stofs , noch von Adam Kraft sein

kann. Beide Künstler halten an dem spätgoti- schen , plastisch malerischen Stile des 15. Jahrhun- derts fest , ihre Arbeiten sind von starker und tiefer

Empfindung durchweht , wel- che selbst vor ge- waltsamen Stel- lungen nicht zu- rückschreckt. Von einer Zuwei- sung der Madonna an einen von ihnen kann keine Rede sein. Anders stellt sich ein Vergleich mit den Arbeiten Peter Vischers, ein Vergleich, der bis jetzt nicht angestellt wurde. Peter Vischer ist seit den grofsen Meistern des 13. Jahrhunderts der

erste deutsche Bildhauer, in dem die strengsten Stilgesetze der Plastik lebendig sind. Es ist etwas Objektives in sei- ner Kunst, seine Figuren haben

:iiin!ia!!i!Sli-:!iäi'l!!Piii!i'ii:"HBiiHliiiii::I'lii^

Nürnberger Madonna.

gattungsmäfsige, typische Bedeu- tung. Gegenüber den scharf indi- vidualisierten Persönlichkeiten Krafts oder gar

Dürers haben seine Menschen etwas Allgemei- nes. Er indivi- dualisiert nicht mehr, als sich mit der harmonisch linearen Schön- heit der Gesamt- erscheinung ver- einigen läfst, auf welche sein Ab- sehen in erster Linie gerichtet ist. Demgemäfs sind auch die Bewe- gungen mafsvoll und die Gewan- dung ist von klas- sischer Einfach- heit, die Körper- form mehr he- bend als verhül- lend. Von den untersetzten Ver- hältnissen der Apostelfiguren am Grabmale des Erzbischofs Ernst von Magdeburg geht er später zu schlanken Pro- portionen über. Die Apostel am Sebaldusgrab ha- ben sieben und mehr Kopflän- gen.

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Die charakteristischen Merkmale von Peter Vischers statuarischen Ar- beiten, namentlich von den Aposteln des Sebaldusgrabes finden sich wieder an der Nürnberger Madonna. Die plastischen Motive und der Flufs der Linien sind von einer Harmonie und Klarheit , wie sie die deutsche Schnitz- kunst vorher nie erreicht hatte. Das Bewegungsmotiv ist von oben bis unten einheitlich durchgeführt, hier stören keine Verrenkungen und Härten wie bei anderen Schnitzwerken der gleichen Zeit. Eine milde Stimmung beherrscht das ganze Werk.

Nun sind diese übereinstimmenden Momente an und für sich noch kein Beweis für Vischers Autorschaft , sie gewinnen aber dadurch erheblich an Gewicht, dafs Vischer mit seiner plastischen Auffassung in seiner Zeit ganz allein steht. Beobachtungen von Einzelheiten kommen hinzu. Vischer liebt in der Gewandbehandlung lang gezogene Falten , der Fall der Obergewänder ist breit, zuweilen etwas schwer. Auch an der Madonna ist der Faltenwurf ähnlich behandelt. Man vergleiche den Fall des Mantels in beistehender Skizze

mit dem der Schwester des Lazarus vom Epi- thaph der Margareta Tucher. Von der Knit- terigkeit , von den ba- rock gebauschten Rän- dern der Gewänder, wie sie noch Veit Stofs liebt, ist hier keine Spur mehr zu sehen. Auch die Behandlung der Hände und das rund vorsprin- gende Kinn hat in an- deren Werken Vischers seine Analoga.

Endlich aber ist die Figur worauf schon Dr. Stegmann aufmerk- sam gemacht hat überhaupt nicht im Holzstil , sondern im Metallstil gedacht und ausgeführt.

Die unruhigen, knit- terigen und gebausch- ten Falten der Holzfiguren zielen auf eine malerische Wirkung ab, welche Poly- chromie und Vergoldung zur Voraussetzung hat ; bei unserer Figur ist eine Steigerung der Wirkung durch farbige Behandlung kaum denkbar. Schon die Verteilung von Ober- und Unterkleid ist eine solche, dafs durch ein Ausein- anderhalten mittels Farbe nur eckige und unschöne Überschneidungen ent-

Tucher'sches Epitaph.

Nürnberger Madonna.

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stünden, welche der plastischen Erscheinung nicht zum Vorteil gereichen wür- den. Die grofsen Flächen des Mantels würden in anderer als der dermaligen grünlichen Farbe eben auch nicht viel anders erscheinen als jetzt.

Wohl aber würde die ganze Gewandung bei einer Ausführung in Bronze durch die Glanzlichter auf den Höhen und die dunkeln Schatten in den Tiefen der Falten sehr wesentlich belebt werden.

Es sei noch darauf hingewiesen, dafs der grünliche Anstrich der Figur nicht modern, sondern alt und mehrmals erneuert ist.

Mit dem Gesagten ist eine ziemliche Wahrscheinlichkeit für Peter Vischers Autorschaft gewonnen. Es darf indes nicht verschwiegen werden, dafs zur Gewifsheit manches fehlt.

Wenn auch Vischer von den kurzen Verhältnissen der magdeburger Fi- guren später zu schiankern übergeht, so überschlanke Figuren, wie die nürn- berger Madonna sind von ihm doch nicht bekannt. Und die Ausführung ist sorgfältiger, als wir es sonst von Vischer gewöhnt sind.

Man möchte vielleicht , wenn man die Autorschaft Peter Vischers be- zweifelt, an einen seiner Söhne denken, allein solange wir deren künstlerische Individualität nicht genauer kennen, wird sich auch nicht entscheiden lassen, ob etwa statt des Vaters , einer der Söhne , als Meister der Figur in Frage kommt.

Nürnberg. Gustav von Bezold.

Das Gedenkbuch des Georg Friedrieh Bezold,

Pfarrers zu Wildenthierbach im Rothenburgischen.

(urch Schenkung seitens des Herrn Direktors von Bezold ist das germanische Museum letzthin in den Besitz einer Handschrift ge- langt, die, wie eine kurze Charakterisierung des Inhalts zeigen wird, manchen willkommenen Beitrag zur Kenntnis insbesondere der Kul- turgeschichte des 18. Jahrhunderts liefert. Viele Eintragungen freilich können nur ein beschränktes, lokalgeschichtliches Interesse erwecken, andere dagegen verdienen auch in weiteren Kreisen ohne Zweifel Beachtung. Diese Doppel- natur unseres (mit Ausschlufs des Registers und eines später hinzugebundenen Heftes von 41 Seiten mit allerlei biblischen Zitaten und Nachweisen) 658 nummerierte Quartseiten zählenden Manuskripts erklärt sich leicht aus der Lebensstellung und Sinnesart des Sammlers und Schreibers.

Es ist der reichsstädtisch rothenburgische Pfarrer Georg Friedrich Bezold, welcher den Codex um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, aber ge- wifs im Laufe mancher Jahre zusammengeschrieben hat. Seine Familie , die seit dem 15. Jahrhundert in Rothenburg nachweisbar ist, gehörte zu den rats- fähigen Geschlechtern und sein Oheim Georg Christoph Bezold stand noch zu Ende des 17. Jahrhunderts dem Rate der freien Reichsstadt als »Consul« d. h. Bürgermeister vor. Er selbst aber (geb. 1710) hatte, wie sein Vater Johann Albert, der Pfarrer an der Kirche zum heiligen Geist gewesen war, die Theo-

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logie zum Lebensberuf erwählt und die Tochter des. Pfarrers Johann Michael Stock zur Frau genommen, dessen Geschlecht bereits seit mehreren Menschen- altern der kleinen evangelischen Gemeinde von Wildenthierbach auch ein- fach Thierbach genannt ihre Seelsorger gegeben hatte. 1734 starb der alte Pfarrherr, wie es in den genealogischen Notizen auf S. 67 des Gedenkbuches, aus denen wir unsere Kenntnis schöpfen, heifst: »ex improviso bombardae ictu militis Würzburgensis«, und im Amte folgte ihm sein Schwiegersohn, der die Pfarrei bis zu seinem im Jahre 1771 erfolgten Tode bekleidet zu haben scheint. Wenigstens folgte ihm, wie eine spätere Eintragung a. a. O. ergibt, in diesem Jahre als Pfarrer von Wildenthierbach sein Sohn Ernst Albert Bezold. Von seinem stillen Erdenwinkel aus hat der Schreiber unserer Hand- schrift Jahrzehnte lang dem Treiben der Welt zugesehen. An beschaulicher Mufse wird es ihm wohl nicht gefehlt haben, sonst würde er schwerlich grofse Abschnitte seines Gedenkbuches in zierlicher Druckschrift ausgeführt und, wo etwa seine Vorlagen gröfsere oder kleinere Vignetten und Zierleisten auf- wiesen, auch diese mit sorgfältiger Feder wiedergegeben haben. Bewunde- rungswürdig ist in der That die Ausdauer und Hingabe , mit der er selbst umfänglichere Flugschriften bis auf die Form der Buchstaben getreu ko- piert hat.

Von ihm selbst rührt in dem Codex nur wenig her. Es sind da vor Allem Aufzeichnungen über Wind und Wetter, Beobachtungen, wie sie dem Landgeistlichen besonders nahe liegen mufsten, zu nennen. Die Einkleidung ist zuweilen originell genug und verrät uns bereits die ausgesprochene Vor- liebe des Pfarrers für absonderliche, »curieuse« Gegenstände und Geschichten. So zählt er auf Seite 85 in seinen »Anmerkungen über das I766ste Jahr« »der Nachwelt zum unvergefslichen Angedenken« acht »Merkwürdigkeiten« des Winters 1766 auf 67, die sich alle lediglich auf die Witterung beziehen, auf. Dafs er aber zugleich mit feinem Sinn für Witz^ und Humor begabt war, zeigen sogar seine »Dicta quaedam breviter explicata« (S. 377 ff.), teils eigene teils fremde Auslegungen von Bibelstellen, in welchen ein schalkhafter Humor nicht selten das theologische Element überwiegt. Da notiert er sich beispiels- weise :

»1. Tim. VI, 9: Denn die da reich werden wollen, die fallen in Ver- suchung und Stricke und in Viele thörigte und Schädliche Begierden, welche die IVl^nschen Versenken ins Verderben und Verdammnifs; den der Geitz sey eine Wurtzel alles Übels, und durchstechen sich selbst mit Vielen todes Schmertzen« und bemerkt dazu :

»Aus diesem Dicto hat eine nachsinnende Feder, Von denen See-Wür- mern in Holland und deren Vermuthender ursach folgende courieuxe Obser- vation gezogen : . . . . Der heil. Geist Brauche durch den Apostel das Wort »Schädliche«, und dieses Wort heifse nach dem Grund Text ßXaßepos, defsen derivation von ßXcTiTw oder eaTrio) und Ikxo), noceo, ich schade. Da Von dan herkomme l^, Inoc, vermis cornua corrodens, ein Wurm der Hörner durch- naget, mit Hörnern armiret. Weilen nun in Holland in Sonderheit die

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Geldgierigkeit und Begierde reich zu werden durch die Handlung zu wafser und zu land , wie bekandt herschet , so hat Gott zur straffe, wie sie selbst bekennen, .... diese schädliche Würmer . . . gesandt, welche ihre hornharte Pfähle an den Teichen durch-Brechen und das Land in äufserste Gefahr der Überschwemmung und des Verderbens setzen.«

Man hört förmlich bei dieser an den Haaren herbeigezogenen, umständ- lichen Erklärung den wackeren Pfarrherrn von Wildenthierbach hinter seinem Buche leise lachen.

Im Übrigen besteht der Inhalt so gut wie ausschliefslich in Abschriften, deren Vorlagen nicht immer leicht festzustellen sind. Es wurde bereits er- wähnt, dafs ihm mehrfach Flugblätter und Flugschriften als solche gedient haben, die heute teilweise zu den Seltenheiten zählen. Vieles auch entnahm er der »Frankfurter gelehrten Zeitung«, die er sich gehalten zuhaben scheint, oder der »Erlanger Realzeitung«, der »Berliner Zeitung« etc., anderes ist aus Chroniken zusammengetragen , aus den Werken gleichzeitiger Dichter , wie Geliert, Gleim, Gottsched u.a. abgeschrieben. Es verrät keinen besonders entwickelten historisch-wissenschaftlichen Sinn, dafs Angaben über das Woher den einzelnen Abschnitten und Gedichten nur selten hinzugefügt sind.

Gleich der erste umfängliche Eintrag in sein Gedenkbuch (S. 1 ff.) ze'igt ihn zwar als guten Rothenburger Patrioten und überzeugten, glaubenseifrigen Protestanten, aber als schlechten Historiker, denn zu einer Sammlung von Nachrichten »von der geseegneten Reformation allhier in Rotenburg« hätten ihm wohl bessere Quellen zu Gebote gestanden als die ziemlich wertlose Kom- pilation Albrechts ^) aus der er seine Weisheit geschöpft hat. In einer anderen ähnlichen »Sammlung allerhand merkwürdiger Sachen«, die sich auf Franken, insbesondere aber wieder auf Rothenburg beziehen (S. 397 ff.), wird ein Lob- gedicht auf Rothenburg angeführt, welches folgendermafsen beginnt: »Rotenburg die Edel Berühmte Stadt Von Schlofs und Burg den Nahmen hat.« Ich kenne dies Gedicht auch aus einem dem 16. und 17. Jahrhundert angehörenden Sammelbande, Ms. 153 fol. der grofsherzogl. Hofbibliothek zu Darmstadt, wo es auf Bl. 39 f. jedoch in sehr veränderter und bedeutend er- weiterter Fassung erscheint und sich für ein Werk Hans Sachsens ausgibt, der in den Schlufsversen als Dichter genannt wird. (»Dz wünscht von Nurm- berg Hans Sachs, Gott geb dz sein kirch darinnen wachs«). Wenn nun auch das Gedicht in der Form, wie es uns heute vorliegt, alle Zeichen des Apo- kryphen an sich trägt und keine Spur von dem Geist des Nürnberger Dich- ters erkennen läfst, so wäre doch immerhin möglich , dafs es in Erinnerung und unter Zugrundelegung eines verloren gegangenen Hans Sachsischen Poems entstanden wäre. Und selbst wenn dies nicht der Fall sein sollte, wäre das in der Darmstädter Handschrift enthaltene Gedicht als eine frühe Unter- schiebung — die Hand, welche es schrieb, gehört der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an nicht uninteressant und ein Gegenstück zu dem be-

1) Vgl. Bensen, Historische Untersuchungen über die ehemalige Reichsstadt Rotenburg (Nürnberg 1837), S. 10.

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kannteren Lobspruch auf die Stadt Rostock, der gleichfalls Hans Sachs fälsch- licherweise zugeschrieben ist^).

Doch zurück zu dem Gedenkbuch des G. F. Bezold ! Was dasselbe sonst über Ereignisse und Verhältnisse im Rothenburger Ländchen enthält, ist von keinem besonderen Belang. Allenfalls dürfte die Aufzählung sämt- licher Landpfarrer der Rothenburger Diöcese von den Zeiten der Reformation bis zu Lebzeiten des Schreibers (S. 45 ff.) für die Rothenburger Lokalge- schichte hin und wieder als Quelle benutzt werden können. Zuweilen wird auch ein Gelegenheitsgedicht oder ein Spottlied, wie das auf den bestraften Nachtigallenfänger und deutschen Schulmeister Vester in Rothenburg (S. 35 f.) wiedergegeben, aber von dem eigentlichen Leben und Treiben in und um Rothenburg oder von der Politik der freien Reichsstadt während des 18. Jahr- hunderts erfahren wir nichts. Wir wissen freilich zur Genüge aus Bensens vortrefflicher Schilderung (a. a. O. S. 383 ff.), wie traurig es in dieser Be- ziehung seit lange, ja eigentlich seit dem Ausgang des Mittelalters, um das Rothenburger Gemeinwesen bestellt war, wo sich im Kleinen wiederholt, was zur selben Zeit auch gröfsere Reichsstädte allmählich in eine ganz unhaltbare Lage geraten liefs : rücksichtslose Interessenpolitik , Protektionswesen und finanzieller Verfall im Innern, kraftlose, feige Nachgiebigkeit nach aufsen. Man erinnere sich nur an die Geschichte von dem preufsischen Lieutenant Stir- zenbecher aus dem Jahre 1762, die Bensen erzählt, oder an jene andere Epi- sode von 1800. Siebzehn französische Soldaten waren damals auf einem Beutezuge in die Stadt eingedrungen und verlangten eine Brandschatzung von 40,000 fl. Bereits safsen die geängstigten Räte beieinander, um über die Aufbringung der Summe zu beraten, als eine kleine Anzahl beherzter Bürger, über solche Schmach erbittert, sich erhob und die Franzosen mit Heugabeln aus der Stadt hinaustrieb ^). Zwei Jahre später wurde bekanntlich die Stadt vom Reichstage dem Kurfürsten von Bayern übergeben.

Es ist kein Wunder, wenn unter solchen Umständen die Blicke der Nachdenklicheren, tiefer Angelegten über die engen Grenzen ihres kleinen in Verfall geratenen Freistaates hinüberschweiften, die grofsen Weltereignisse mit Spannung und lebhaftestem Anteil verfolgend, als könne fremde Gröfse ihnen einen Ersatz bieten für die Ärmlichkeit der kleinlichen Verhältnisse, welche sie umgaben:

Zu starkem eigenen Denken freilich oder auch nur zu überlegtem, ver- standesmäfsigem Politisieren konnte man sich schwer erheben, und so ist es denn auch hier wieder in erster Linie der Treppenwitz der Weltgeschichte, das Anekdotenhafte und Absonderliche an den grofsen Ereignissen und Per- sönlichkeiten der Zeit, das den Schreiber unseres Codex interessiert. Kleine Charakterzüge, satirische und witzige Exkurse aller Art finden sich in Menge in sein Gedenkbuch eingezeichnet, und da es sich dabei grofsenteils um Dinge von allgemeinerem Interesse handelt, so mögen einige Proben solcher Eintragungen hier folgen:

2) Vgl. Glske in Sclmorrs Archiv für Litter atur geschickte X (1881) S. 13 ff.

3) Bensen S. 397.

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S. 506 notiert er sich :

»Alfs der König von Preufsen Zu Ende des 1756sten Jahrs an einem Sonntag in Drefsden den Herrn D. am Ende in der Evangelische Kirche mit Vergnügen predigen hören, auch in der Catholische Schlofs Capelle der Music bey einer halben Stunde zugehört und darauf in die Reformirte Kirche gieng, wo H. Dietrich prediger war, und besagter Dietrich Bey dem Königl. Eintritt, mitten unter Rede anfieng: »Halber Gott! grofser Friedrich!« sprach der König von Verdrufs über diese übertriebene Rede aus dem Steg Reif Zu ihm, laut: »Gantzer Narr, kleiner Dietrich!« und gieng sogleich mit seinem Gefolge wieder aus der Kirche«.

S. 507 liest man:

»Teutschland als ein kranckes Frauenzimmer Vorgestellt in einem Gemähide, von P:P. aus dem Englischen 1757.

Teutschland sitzet unter der Gestalt eines prächtig gekleideten, und mit allerhand Kleinodien ausgezierten Frauenzimmers, auf einem Stuhl, in der rechten Hand hält sie den Scepter, in der Lincken den Reichsapffel. Sie gleichet einer krancken Person, die in eine ohnmacht zu sincken beginnt, und den Kopff über den Stuhl hangen läfst, aus ihrem Mund gehen die Worte: »Ihr Kinder helfft mich doch!«

Eine Menge umstehender Personen Zeigen sich in geschäfftiger Stellung

1) der Kayser, in steiffer Kleidung, nimmt ihr mit beeden Händen den Scepter und den Reichsapffel aus den Ihrigen, mit diesen Worten: Ich will dich leichter machen!

2) der König von Franckreich trennt mit einer Hand die breiten Trefsen von ihrem Rock und läfst mit der andern ihre Armbänder Von den Händen und spricht: wozu dienet der viele Schmuck an einer krancken Person, er Beschweret sie nur.

3) der König von Preufsen in einem fürchterlichen Harnisch dringet hiezu, reifset ihr das Halsband vom Hals, hält ihr den Säbel an die Kehle, mit denen Worten: Machet Platz, ihr Herren! Ihr müfset Lufft machen wann es angehen will.

4) der Churfürst von der Pfaltz und der Landgraf von Hessen Cafsel stehen dem Kayser zur Seiten, und schüttet ein jeder ein Brech- Pulver in den Löffel mit den Worten: wir wollen ihr was zu brechen geben.

5) der König Von Engelland hält ein Gläfsgen Gold Tinctur in Händen und zeiget sie der krancken Person von weitem, und spricht mit den Worten: das wäre wohl die beste Panace!

6) die Republic Holland als ein Apotheker Gesell gekleidet, stehet hinter der Krancken ihren Stuhl, hält in der Hand einen grofsen bündel Recepte, und in der andern Hand eine Clistir Spritze, aus seinen Mund gehen die Worte: Ich kan nicht darzu kommen, und wer weifs ob meine Artzney bezahlet wird.?

7) Der Churfürst von Sachsen langet mit der Hand über die Vor-

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stehende hinweg, und reibet dem Patienten Balsan unter die Nase, mit den Worten: Ich helffe so gut ich kan, ich kan mir selber nicht helffen.

8) die Kayserin von Rufsland stehet von ferne u. siehet mit einem Perspectiv oder fern Glafs auf die krancke Person und spricht: Sie erholt sich wieder!

9) der Türckische Kayser stehet in der Thür des Zimmers, und schüttet einen Löffel Voll Magentropften in den Hals, über ihm stehen die Worte : ich brauche meine Medicin selber!

10) Ein Österreicher läfst ihr am lincken Fufs, Ein Ungar aber am rechten Fufs Zur ader, über ihm stehen die Worte: in desparaten Kranck- heiten mufs m.an desparate Mittel brauchen.

Auf der andern Seite siehet man Teutschland mit Vielen Wunden getödet, auf der Erde in seinem eigenen blute liegen, mit der überschrift't : also mufs man heutzutag die Patienten curiren!«

Ob es sich bei vorstehender Beschreibung in der That um einen Kupfer- stich, bezw. ein Flugblatt mit einem solchen, oder ob es sich nur um eine Fiktion handelt, vermag ich im Augenblick nicht zu sagen*). Freuen wir uns vor Allem, dafs unser Vaterland die lange zum Spott und zum Vorteil der Nachbarn gespielte Rolle der »kranken Person« seit dem Anbruch des neuen deutschen Reiches und hoffentlich für immer ausgespielt hat.

S. 277 bietet eine satirische Kleinigkeit von ähnlicher Tendenz, die sich in erweiterter Fassung auch auf S. 588 f. wiederfindet:

»Friedens-Congrefs d. ISten Jan. 1761 Die letztern Briefe von Parifs verkündigen einen nahen allgemeinen Frie- den, und dafs der Congrefs wird hier gehalten werden. Man hat Quartiere gemietet, nemUch

1) Vor den Kayser .... zur Gnade, in der Gafse von Bourbon.

2) vor die Kayserin .... zur bösen Allianz, in der InvaUden Gafse.

3) vor den König von Engelland .... zum Glück, auf dem Sieges-Platz.

4) vor den König von Preussen .... zu den 4 Winden, in der Fuchs-Gasse.

5) vor den König in Pohlen .... zum Opfer Abrahams, nahe bey den Unschuldigen.

6) vor den König in Schweden .... zur Chimäre, nahe bey der Strasse der lebendigen Bären-Häute(r)

7) Vor die Kayserin von Rufsland .... zum Berg Vesuvius , in der HöUen-Gafsen.

8) vor die Fürsten des H. R. Reichs .... zur Brille, nahe bey den Un- heilbaren.

9) Vor die Holländer .... zur Waage, nahe bey der Stern- Warte.

10) Vor den Marschall de Broglio .... zum hölzernen Degen, in der Gafse, Hochmuths-Berg.

4) Flugblätter aus der Zeit des siebenjährigen Krieges sind nicht eben häufig. Für jede Ergänzung seiner reichen Sammlung historischer Blätter nach dieser Richtung hin würde das germanische Museum den gütigen Spendern zu grofsem Danke verpflichtet sein.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. VI.

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11) Vor die Madame de Pompadour .... zur Magdalene, in der Sal- peter-Sieders-Gafse, welche nach Rochelle gehet.«

Es ist bei der Abfassungszeit des Codex fast selbstverständlich und er- gibt sich auch schon aus den mitgeteilten Proben, dafs der siebenjährige Krieg durchaus im Vordergrnnde des Interesses steht. Bald sind es mehr oder minder witzige Auslassungen der angedeuteten Art, nicht selten auch Chrono- gramme, etwa eine Friedensweissagung enthaltend (z. B. S. 270), am häufig- sten aber politische Gedichte, vornehmlich Kriegs- und SiegesHeder, die wir mit bekannter Sorgfalt in das Buch eingetragen finden. Eben diese politischen Dichtungen auch die meisten der oben erwähnten Flugschriften gehören hierher scheinen mir den eigentlichen Wert der merkwürdigen Sammlung auszumachen und ihr eine allgemeinere Bedeutung zu- gewährleisten. Wenig bekannte Volkslieder, die in neueren Sammlungen solcher Gedichte nicht zu finden sind, wechseln hier mit den Oden und Gesängen gefeierter Poeten, und deutsches Wesen, deutsches Fühlen durchdringt sie fast ohne Ausnahme und läfst auch einen verklärenden Schimmer auf die Persönlichkeit des Schreibers, auf den schlichten Pfarrer in jenem kleinen Dorf im Rothenburgischen fallen. In der Brust Georg Friedrich Bezolds fanden alle grofsen Ereignisse den leb- haftesten Wiederhall, in dem stillen Pfarrhause zu Wildenthierbach wurden alle Schlachten und Siege noch einmal geschlagen und gesiegt, wenn auch nur auf dem Papier und in den zierlichsten geschriebenen Lettern von der Welt. Ganz unverkennbar ist seine hohe Bewunderung für den grofsen Preufsen- könig, die er mit den meisten seiner süddeutschen Amtsbrüder teilte. Es geht aus zahlreichen Eintragungen deutlich hervor, dafs man Friedrich in diesen Kreisen als den Verfechter der protestantischen Sache ansah, seine Siege als Triumphe des Protestantismus über den Katholizismus feierte. Aber der Pfarrer von Wildenthierbach ist doch nicht so sehr Politiker oder Fana- tiker, dafs er nicht auch in den Reihen der Gegnerpartei entstandene Lieder in sein Gedenkbuch aufgenommen hätte, wenn sie sich auch freilich in der Minderzahl befinden. Aus der grofsen Masse des vorhandenen Materials können wieder nur einige wenige Stücke probeweise hervorgehoben werden:

S. 264: Herr Pfarr M . . . r

in H ch

auf

den König in Preufsen

Sinn't, Zeiten, auf ein Wort, daran man Friedrich kennt; Nicht Grofs, nicht MenschenLust, nicht Sieger nicht den Weisen, So mag ein Theil von Ihm, in kleinen Fürsten heifsen

Nennt Ihn den Einzigen, dann ist er gantz genennt.

S. 233: Helden-Lob

Friedrichs des Grofsen Königs von Preussen.

Vor diesem war, wann ein Poete sang. Ihm jeder Held gedoppelt grofs und lang,

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Und sicherlich, je gröfser und je länger,'

Dem Held er log, je besser war der Sänger;

Offt war der Held, mit samt des Helds Verrichtung,

Im Grunde nichts, als seines Dichters Dichtung.

Der brave Hector, Ajax und Achill,

Sind nicht so brav, als der Poet es will.

^neas hätt an keine Schlacht gedacht,

Wann nicht Virgil ein Buch davon gemacht

Printz Satan selbst ist nur ein Funffzen huth [?],

Mahlt Milton ihn gleich voller Trotz und Wuth;

Ja mancher spricht die Existenz ihm ab.

Und die mi"t Recht, wie sie ihm Milton gab.

Doch posito: es wären alle Gaben,

Die in dem Reim, auch ohn ihn, Beyfall haben,

Vereint in ein und nemlicher Person,

Sagt, welche wohl fehlt Preufsens grofsen Sohn ?

Solch Treffen hat, wie Er aufs neu gewonnen, .

Kein Alter nicht, kein Neuer nicht ersonnen!

Drum folgt mir nur, packt euren Kram hier ein,

Poeten Volck! Lafst Friedrich, Friedrich seyn !

Ihm wird. Trotz Epico, Trotz Lyrico,

Die Wahrheit selbst zum Panegyrico.

S. 443: Harte Ausdrücke

Wieder

Friederich, den König von Preufsen

communic. von Mons. Böttcher, Fourier, unter dem Platz.Regim.

d. 18t Aug. 1758.

Als Feldherr, Rechts-Gelehrt, und Zierde der Poeten,

Gab Dich, O Friederich! die Fama anzubeten;

Allein, o Wunder Ding! da Coccejus gestorben.

So war zugleich an Dir der Doctor schon verdorben.

Du bist auch kein Poet, seit dem Voltair entwichen ;

Kein Feldherr von der Stund, als Dein Schwerin erblichen.

Wilst Du, o Friederich! durch das, was Du gethan,

Der Alten Helden-Lob in diesem Krieg erreichen.?

Der Alten Helden Lob.? Difs geht so leicht nicht an. Doch bistu ihnen noch in etwas zu vergleichen.

Denn als Du den August aus seinem Land gejagt,

Da warstu Pharao, der Israel geplagt.

Als Broun das vor'ge Jahr die Völcker commandirte, Da warstu Hannibal, und Broun war Fabius.

Und als letzthin nächst Prag der Daun das Kriegs-Heer führte, Da warstu Attila, und Daun war ^tius.

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Und endlich wirstu auch (stimmt Gott mei'm Wünschen ein) Der durch die Tamyris besiegte Cyrus seyn.

S. 263: Auf

Die Bataille bey Hoch-Kirchen d. 14. Oct. 1758.

In finstrer Nacht zu überfallen,

Wo nicht einmahl Trompeten schallen,

Das ist für Dich kein Ruhm, o Daun! Im Finstern sich den Sieg zu stehlen, Und doch den Zweck noch zu verfehlen,

Das wird Dir kein Trophaeum bau'n.

Wann Friedrich kommt, kommt Er am Tage, Wann Friedrich schlägt, kommt mit dem Schlage Zugleich die Sonne und der Sieg.

Die NachtEul [Randbemerkung: » Graff Daun führt eine NachtEule«]

sucht nur Finsternifsen ; Der Adler [Randbemerkung : »Preufsen führt einen schwartzen Adler«] will die Sonne wifsen; Und dieser ist der Friederich.

Mein Friedrich kommt der Tag bricht an,

Merck doch, o Schlesien! die Stunden, Was jüngst die dunckle Nacht gethan.

Das hastu nun beym Licht empfunden.

Was denckt wohl Daun von Tag und Nacht .'' Er denckt, das hätt ich nicht gedacht,

Dafs Zeit und Stunden also wandern !

Ja wohl, das zeiget eben euch, Er sey dem gröfsten Helden gleich, Pompejen, Caesarn, Alexandern.

[Randbemerkung am Schlufs: »Der Verfafser davon ist Herr Wolzhofer, Pro-Decanus und brandenburgischer Pfarr zu Rofsstall.»]

S.265: Probe

vom Catholischen Witz! GeneraLIs DaVn Coepit FrIngILLaM!

Der Finck, auf seiner Locke, gieng, Lerchen aufzufangen. Und wolt' auf RebenTisch mit diesen Braten prangen, , Doch Wunsch gieng nicht Wunsch, die Lerchen hielten Stich,

Und nahmen Rebentisch, Wunsch und den Lock mit sich.

Nun sitzt im Garn der Finck, und mufs den Lerchen singen, Er pfeiffet: stinck, stinck, stinck! weils ihm nicht wolt gelingen.

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Hingegen schwingen sich die Lerchen mit Gesanger: Es lebe unser Nest! Es leb der Finken Fanger!

Gerechter Eyfer

über

das elende Cathol. Deutsch.

Wer mit solchem tollen G'sanger Sich des Feindes Unglück freyt,

Der gehört mit Recht an Pranger, Der wird billig angespeyt.

Antwort eines Preufsen auf die Spöttereyen eines Oestreichers

über Finckens Gefangen Nehmung

Der Preusich Adler wird noch manchen Lerchen fangen, Obwohl es difsmahl schlecht und nicht nach Wunsch gegangen. Gold Fincken haben wir unzählig grofse Hauffen, Wofür sich Lerchen gnug und Hahnen lassen kauffen.

Um einen Fincken will man so viel Lermen machen, Und soll die gantze Welt hierum mit Oestreich lachen!

Das Lerchen-Nest wird doch von Hahnen noch besch . . . n;

Der einfach Adler wird dem Dopplen helffen müfsen, Dafs dieser Federlofs nicht endUch gar verfriere, Und sich der stolze Hahn mit seinen Federn ziere.

Schaden-Freude

über

den Preusichen Verlust.

Der schönste Vogel-Heerd im gantzen Lande Sachsen, Ist auf dem Marmor Berg, ohnweit vom Dorffe Maxen.

Da fieng auf einen Zug, Graf Daun zum Spott der Preufsen, 8 Gimpel und ein' Finck, nebst 15/m Meisen.

Parodie. Gedult, mein lieber Freund, man fängt noch länger Vögel,

Und Friedrich lauert nur auf die gelegne Zeit. Was gilts! Er fängt vielleicht noch manchen solchen Flegel,

Der so, wie Ihr, mein Herr, sich seines Unglücks freut.

S. 276 Auf

Den König in Preufsen.

Fritze! schämstu dich nicht deiner.? Alle Tage wirstu kleiner;

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Aendre deinen stolzen Sinn, Wirf die stolzen Waffen hin.

Deine grofse Enacks-Kinder Stehen hier wie arme Sünder;

Schaaren-weise fängt man sie,

Das vergifsest du dahie?

Lafs dich nicht den Grofsen nennen. Lerne dich und and're kennen;

Sieh! nach Maxen und Landshuth!

Sieh! was Daun und Laudon thut!

Antwort:

Schämt euch fünffmal gröfsre Mächte, Ihr habt Gottes kleinen Knechte

Längst zerstöhrt in eurem Sinn,

Werfft die schlechten Waffen hin.

Meine grofse Enacks-Kinder Bleiben eure Überwinder;

Allzu theuer fangt ihr sie !

Gott und Fritze steht noch hie!

Durch Den bin ich Grofs zu nennen, Lernet Ihn und andre kennen!

Schweigt von Maxen und Landshuth !

Merkt, was Fritz bey Liegnitz thut!

S. 270: Post Pugnam ad Torgaviam

d. 3. Nov. 1760.

Vivat Rex Borufsiae ! Tutor hie Ecclesiae, Et Defensor Patriae ! Victor sit Theresiae, Atque Regis Galliae, Copiarum Sueciae Barbarorum Rufsiae Corporis Germaniae, Nee non Regis Sueviae Vivat Rex Borufsiae !

Auch unter den zahlreichen Gedichten und sonstigen Eintragungen nicht politischer Art findet sich noch manches Stück, das kulturgeschichtlich nicht ohne Interesse und zugleich infolge der ausgesprochenen Neigung des Sammlers zu Scherz und Satire recht unterhaltend und belustigend ist, wie etwa (S. 473):

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Schwäbischen Bauren ihr Gebet, als viele durch ansteckende Kranckheit schnell hingerifsen worden.

Ach! du liaba Heara Gott! was hab'n wir Dia gethaun?

Dafs Du uns arma Schwöabla wilt gar nimma leben laun? Wir wolla nimma betha, woUa nimma in Kircha gaun, Wir wolla Di scho nöatha, dafs d' uns must lebe laun!

oder eine prächtige Satire es ist noch nicht einmal ausgemacht, ob der Brief, um den es sich handelt, nicht auch wirklich in ähnlicher Weise ge- schrieben worden ist auf den Mifsbrauch und Mifsverstand der Fremd- wörter (S. 464) u. a. m. Doch ein weiteres Eingehen auf den Inhalt des in- teressanten Codex scheint hier um so weniger erforderlich, als diese Blätter lediglich den Zweck haben sollten, den Leser unserer Mitteilungen mit der willkommenen Bereicherung, welche die Bibliothek des germanischen Museums erfahren hat, bekannt zu machen, insbesondere auch den Spezialforscher darauf hinzuweisen und zum Studium des Buches und genauerer Prüfung seines Inhalts einzuladen.

Nürnberg. Th. H.

Die letzten Tage des Malers Georg Pentz.

ie Bibliothek des Germanischen Nationalmuseums besitzt eine für die Lebensgeschichte der Nürnberger Künstler des 16. Jahrhunderts ungemein wichtige Quelle, das handschriftliche Totengeläutbuch von St. Sebald in Nürnberg aus den Jahren 1517 bis 1572. Darin findet sich auch eine Nachricht über das Ableben des Malers Georg Pentz, die in diesen Mitteilungen (Jahrg. 1893, S. 39 u. 40) bereits zum Gegenstande einer längeren Erörterung gemacht wurde ^).

Den dort gegebenen Ausführungen läfst sich zur Ergänzung noch einiges hinzufügen.

Nach dem Totengeläutbuch von St. Sebald ist Georg Pentz im Jahre 1550 in Breslau verschieden-). Nachforschungen, die in Breslau gepflogen wurden, bestätigten jedoch diese Nachricht nicht oder, genauer gesagt, sie führten zu keinem Ergebnis: Die Breslauer Totenbücher gehen nämlich nicht bis zum Jahre 1550 zurück, und auch in den Breslauer Archiven, dem könig-

1) Eine Biographie des Malers Georg Pentz gedenkt in nicht ferner Zeit Albrecht Kurzwelly zu veröffentlichen. In seiner zu Leipzig 1895 erschienenen Inaugural - Disser- tation »Forschungen zu Georg Pencz« kommt Kurzwelly noch nicht auf den Tod des Malers zu sprechen.

2) Die Einträge in diesem Totengeläutbuche sind nach Quartalen gruppiert , weil die Abrechnung über die gezahlten Läutgelder quartalweis erfolgte. Der Eintrag über das Totengeläut, das zu Ehren des Malers Georg Pentz von den Thürmen der Sebalds- kirche erklang, ist im Quartal »von Crucis bis Lucie« des Jahres 1550, also zwischen dem 15. September und 13. Dezember und zwar an 16. Stelle mit den Worten verzeichnet: "Jörg Penntz, moler, zu Pressla verschieden«.

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liehen Staatsarchiv und dem Stadtarchiv, Uefs sich keine auf Pentz bezügliche Notiz ermitteln.

Wären die Totengeläutbücher eine durchaus zuverlässige Quelle, so wäre es unangebracht , die Angabe des Nürnberger Totengeläutbuches von St. Sebald, Pentz sei in Breslau gestorben, in Zweifel zu ziehen. Allein die Totengeläutbücher hatten nicht den Zweck, über die Personalien der Ver- storbenen genaue und sichere Ausweise zu bieten, sondern sie waren lediglich dazu bestimmt, als Rechnungsbücher über die bezahlten oder nicht be- zahlten Totengeläutgelder zu dienen. Aufserdem mögen aber auch öfter die Anmeldungen nicht von den HinterbUebenen selbst, sondern von ferner Stehen- den, von Seelfrauen u. s.w., hinterbracht worden sein. Hieraus erklärt es sich zur Genüge, dafs in den Totengeläutbüchern nicht gar selten irrige Einträge namentlich bezüglich der Vornamen sich finden. Die Personalangaben der Totengeläutbücher wird man daher immer mit einer gewissen Vorsicht auf- nehmen und, wo es geht, andere gleichzeitige Quellen zur Kontrole heran- ziehen müssen.

Nagler hat als Pentz' Todesort Breslau verworfen und dafür jedoch ohne Quellenzitat Königsberg (in Preufsen) eingesetzt^). Aus einer gleich- zeitigen Königsberger Quelle kann er jedoch nicht geschöpft haben; denn auch die Königsberger Totenbücher reichen nicht bis zum Jahre 1550 zurück, und die Königsberger Archivalien enthalten zwar einzelnes über Pentz aus dem Jahre 1550, berichten aber nicht, dafs er dort gestorben sei. Immerhin aber ist Naglers Angabe wegen der Beziehungen, die Pentz gerade in seinen letzten Lebenstagen zu Königsberg hatte, nicht ganz aus der Luft gegriffen.

Bei meinen Studien über Nürnberger Künstler stiefs ich nun auf bisher unbeachtete Nachrichten, die über Pentz' letzte Lebenszeit völlig neue Auf- schlüsse geben. Hiernach ist Pentz weder in Breslau, noch in Königsberg gestorben.

Ehe ich jedoch hierauf weiter eingehe, mufs ich noch etwas zurück- greifen. Georg Pentz war als Fremder in Nürnberg eingewandert und dort am 8. August 1523 gegen Zahlung von vier Gulden Währung als Bürger auf- genommen worden *) ; er war also nicht begütert , da vier Gulden als Auf- nahmegebühr von denen gezahlt wurden, deren Gesamtvermögen nicht über 100 Gulden an Wert ausmachte. Nach der Sitte der Zeit wird er damals sich verheiratet haben. Seiner Ehe entsprofs eine sehr zahlreiche Nachkom- menschaft : zwar erfahren wir nichts über seinen Nachwuchs aus den er- sten neun Jahren seiner Ehe, da die Nürnberger Taufbücher erst mit dem Jahre 1533 einsetzen, dafs aber seine Ehe auch anfangs eine sehr frucht- bare gewesen sein mufs, läfst sich daraus schliefsen, dafs ihm später nach 1532 laut der Nürnberger Taufbücher noch neun Kinder geboren wurden '").

3) Nagler, Monogrammisten, München 1863, III. Band, S. 69.

4) Bürgerbuch de 1496—1534, M. S. 237, Fol. 12^: Sabbato post Sixti 1523 .... Herman Unfug, gertner, Jörg Pentz, maier, juraverunt et dedit quibibet 4 fl. vverung.

5) Ein Kind aus den ersten Jahren seiner Ehe dürfte jenes »Söhnlein« gewesen sein, durch welches Pentz am 24. März 1543 ein von sich gemaltes Porträt des Kardinals

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Er hatte also für eine sehr grofse Familie zu sorgen, und es ist daher kein Wunder, dafs er bei seiner Vermögenslosigkeit und bei dem geringen Ver- dienste, wie ihn zu seiner Zeit die Maler in Nürnberg hatten, sich oft in sehr mifslichen Verhältnissen befand. Am 31. Mai 1532 erhielt er eine Bestallung als Nürnberger Stadtmaler, dem Rate mit seiner Kunst zum Reifsen, Malen und Visiermachen gewärtig zu sein, und dazu ein festes jährliches Wartgeld von 10 Gulden '^); aber schon nach vier Tagen wurde ihm dieses Wartgeld, »so über ein Jar fellig, aus angezeigter Not« im Voraus gezahlt '). Und das Jahr darauf ver- fügte der Rat am 1. September: »Jörgen Benntzen soll man seine jährliche Pen- sion vor heraus geben alle Jar, so lange ime die zuraichen einem Rate gefeilig ist« , und gleichzeitig wurden ihm für eine Visierung vier Gulden ausgezahlt *). Im Jahre 1542 mufs er sich wieder in sehr grofser Not befunden haben; denn am 7. März verkaufte er zusammen mit seiner Frau Margareta, die damals ihrer Entbindung entgegensah '-•), an den Maler Michel Graff um fünfunddreifsig Gulden »Hausrat, Kleider und andere Fahrnufs« ^''-). Weiterhin im Jahre 1548 verehrte er nach damaliger Sitte , um sich Geld zu verschaffen , dem Nürn- berger Rate ein > künstliches« Gemälde »Sant Jeronimus Pild« und erhielt dafür 80 Gulden als Gegengabe ^^). So sehen wir ihn also immerwährend

Granvella in die Losungsstube schickte , um es den Losungherren zu zeigen. Nürn- berger Jahresregister 1543, 1. Frage, im k. Kreisarchiv Nürnberg. J. Baader, Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs, NördUngen 1860, I, S. 40, bringt hier die unrichtige Jahres- angabe 1544. Der von Campe erwähnte Sohn Egidius ist sonst nicht nachzuweisen. Vgl. hierzu G. W. K. Lochner, des Johann Neudörfer, Schreib- und Rechenmeisters zu Nürnberg , Nachrichten von Künstlern und Werkleuten daselbst , Wien 1875, S. 137. Über Kinder, die dem Maler Georg Peutz nach 1532 geboren wurden, melden die Nürn- berger Kirchenbücher Folgendes. I. Taufbuch von St. Sebald: Georg Peutz ein Sohn: Gedeon, (getauft) 12. Septembris 1533. Georg Pentz ein Tochter : Rachel, 22. Octobris 1534. Georgius Pentz ein Tochter: Hester , 29. July 1538. Georgius Bentz ein Son: Georgms, septimo decembris 1539. I. Taufbuch von St. Lorenz: Jörg Penz, Margaretha : Martha, (getauft in der Woche des) dominica exaudi 1542. Jörg Pentz , Margaretha : Vergilius, dominica decima post trinitatis 1543. II. Taufbuch von St. Sebald: Georgius Pentz ein Son: Walterus, tertio July 1546. Georgius Pentz ein Son: Albertus, 17. Juny 1547. Georg Pentz ein Son: Longinus , 30. Augusti 1548. Es möge hiebei noch bemerkt werden, dafs der Täufling den Namen in der Regel nach seinem Paten erhielt. Der Maler Ver- gilius Solls, die einzige Persönlichkeit, bei der sich in dieser Zeit der Vorname Vergilius in Nürnberg nachweisen läfst, hat also wahrscheinlich bei Pentz' Sohne Vergilius Paten gestanden.

6) Ratsmanuale 1532/33, Heft 3, Fol. ir. Ratsbuch 16, Fol. 13 a. Der über diese Bestallung von »Jörg Benutz, Maler, Burger zu Nurmberg« unterm 31. Mai 1532 gefertigte Revers befindet sich im k. Kreisarchiv Nürnberg. Signatur: S 5 44/ir Nr. 532, Bd. 6. Seinem Wortlaut nach ist er veröffentlicht von E. Mummenhoff in den Mitteilungen des Vereins f Gesch. d. Stadt Nürnberg, 8. Heft, 1889, S. 246.

7) Ratsbuch 15, Fol. 13r.

8) Ratsmanuale 1533/34, Heft 5, Fol. 20r und Ratsbuch 16, Fol. 103.

9) Wenige Wochen darauf wurde ihm seine Tochter Martha geboren , die in der Woche des Sonntags Exaudi (21. Mai) ihre Taufe empfing. S. Anm. 5.

10) Conservatorien, Band 55, Fol. 106 1 im Nürnberger Stadtarchiv. Lochner a. a. O. S. 138.

11) Nürnberger Jahresregister 1548, fünfte Frage, zum 9. JuH. J. Baader a. a. O.

zweite Reihe, S. 54.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. VII.

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mit einem widrigen Geschick kämpfen. Zuletzt wufste er sich nur noch durch Schuldenmachen zu helfen. In diese üble Lage war er aber nicht ohne eigenen Fehl geraten ; denn er besafs ein unruhiges Temperament und eine ausschweifende Phantasie, wie dies schon seine Beteiligung an der radikal- religiösen und sozialistischen Bewegung im Jahre 1525 beweist, und dazu hatte er eine Frau, die durch ihre Trunksucht ihn noch mehr ins Verderben brachte.

Unter diesen Umständen wird es ihm wie eine Erlösung vorgekommen sein, als er eine Bestallung zum Hofmaler des als Freund der Künste und Wissenschaften bekannten Herzogs Albrecht von Preufsen erhielt. Die Be- stallung, in Königsberg ausgefertigt, datiert vom 6. September 1550^^).

Es liegt auf der Hand, dafs Pentz sich sogleich auf den Weg gemacht haben wird. Die Nachricht von seiner Ernennung zum preufsischen Hofmaler traf aber sicher selbst bei schneller Beförderung nicht vor Ende September in Nürnberg ein. Pentz kann daher erst um diese Zeit die Reise nach Königsberg angetreten haben. Da er jedoch, wie dies bereits von anderer Seite auf Grund des Totengeläutbuchs von St. Sebald festgestellt wurde ^^), schon vor Mitte Oktober seinen Tod gefunden hat, so mufs er noch vor Er- reichung seines Zieles unterwegs gestorben sein. Der Ort, wo er verschied, kann aber demnach nicht Breslau gewesen sein, da es viel zu abseits von der Hauptstrafse liegt, die von Nürnberg nach Norden führt.

Nun liefse sich allerdings einwenden : es ist doch wohl möglich und denkbar, dafs Pentz schon vor Oktober oder September nach Breslau gezogen war, um dort Verdienst zu suchen. Hiegegen wäre zu erwiedern: wenn es Pentz in Nürnberg, das an Reichtum, Bedeutung und Verkehr die Stadt an der Oder damals noch weit überragte, schon recht sauer geworden war, für sich und seine zahlreiche Familie das tägliche Brot zu erringen, so hätte er sich schwerlich in Breslau eine bessere Existenz versprechen können. In Nürnberg hatte er ja zudem auch noch durch seine Stellung als Stadtmaler einen Rückhalt.

Nach dem Vorhergesagten wird man also mit gröfserer Berechtigung als Pentz' Todesstätte einen Ort zu vermuten haben, der mit Pentz' Ernen- nung zum Hofmaler des Herzogs Albrecht von Preufsen und mit einer Reise des Künstlers nach Königsberg sich in Beziehung bringen läfst, einen Ort, der an der von Nürnberg nach Norden gehenden Hauptverkehrsstrafse zu suchen und nicht gar zu entfernt von Nürnberg anzunehmen ist, weil Pentz, nach der Zeit seines Ablebens zu schliefsen, nicht allzuweit auf seiner Reise gekommen sein kann.

Diese Vermutungen finden ihre Bestätigung durch einen Eintrag der Nürnberger Ratsmanuale. Hiernach brachte am 17. Oktober 1550 Hans Ze- ser, der zusammen mit Pentz die Vormundschaft über die Kinder des Hans

12) Mitteilung des k. Staatsarchivs zu Königsberg i. Pr.

13) Hans Bosch , der Todestag des Malers Georg Penz , im Jahrgang 1893 dieser Mitteilungen, S. 40.

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Wolf ^*) führte, bei dem Nürnberger Rate zur Anzeige, dafs in Abwesenheit des Georg Pentz, „so yetzo zu Leiptzigk mit Tod abgangen'\ eine Truhe, die den bevormundeten Wolf'schen Kindern gehörte, in Pentz' Behausung aufge- sperrt, und dafs daraus etliche Ding' entwendet worden seien.

Die Angaben Zesers verdienen vollen Glauben, weil er als einer der Nächstbeteiligten gute Kenntnis hatte, und weil er dem Rate gegenüber sich nur auf zuverläfsige Nachrichten gestützt haben kann.

Die Kunde von Pentz' Tode brauchte bei dem schnellen Postverkehr, der damals zwischen Nürnberg und Leipzig durch reitende Boten geschah, kaum fünf Tage um zu den Hinterbliebenen zu gelangen.

Nach all dem wird man also kaum fehl gehen, wenn man den zu Leip- zig erfolgten Tod des Malers Georg Pentz in die Tage vom IL 13. Oktober 1550 verlegt.

Der Nürnberger Rat verfügte auf die Anzeige Zesers eine Untersuchung, die den Verstorbenen schwer belastete. Die Haltung aber, die der Rat und alle Beteiligten in dieser Sache zeigten, läfst deutlich erkennen, dafs Pentz trotz seiner menschlichen Schwächen bei seinen iMitbürgern behebt und als Künstler hoch geachtet war.

Doch lassen wir nunmehr die Quellen selbst sprechen: Freitags, 17. octobris 1550. Dieweil nach anzaig Hansen Zesers, als Vormund Hansen Wolfs kinder, in abwesen Jörg Pentzen, seines gewesnen mitvormunds seligen, so yetzo zu Leiptzigk mit tod abgangen, ain truhen, in soliche Vormundschaft gehörig, in sein, des Pentzen behausung geöffent und etlich ding daraus entwendt sol worden sein , sol des Pentzen wittib beschickt und derhalb zu red gehalten, ir antwurt wider pracht und ir ein- gepunden werden, weiter nichts aus dieser truhen entwenden zulassen, weil die nit ir oder irs manns gewest, sonder in berurte Vormundschaft ge- hörig sey. C. Grolandt.

[Ratsmanuale 1550/51, Heft 7, Fol. 34a.]

Sambstags, 18. octobris 1550. Auf Jörgen Pentzen seligen verlassener wittib verantwurtung, das nit sy, sonder ir verstorbner hauswirt seliger die truhen vor seinem hynnen raysen aufgespert, etliche pecher heraus gethan, versetzt und die Schlüssel mitsampt den hausschlüsseln mit ime hinwegk genomen hab etc., sol dieselb truhen von gerichts und ampts wegen in beysein der wittib und Hansen Zesers geöffent, was darinn, inventirt und beschryben, auch volgends wider darinn verspert und verpetschirt, dem Zeser und der wittib yedem ain abschryft gegeben und solichs alles ime dem Zeser angesagt, auch auf ine gestelt werden, sein clag und vorderung gegen der wittib und des Pentzen kinder vormundern, die in aufs fürderlichst von oberkait gesetzt werden sollen, zuthun, und fürzunemen, wie das sein gelegenhait und notturft ervordern oder in rathe befynden werde.

C. Grolandt.

[Ratsmanuale 1550/51, Heft 7, Fol. 36l.]

14) Die Persönlichkeit dieses Hans Wolf konnte ich dem Stande nach nicht fest- stellen, da es gleichzeitig vier Bürger Namens Hans Wolf in Nürnberg gab.

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Donerstag, 13. novembris 1550. Margareten (Jörg) Pentzin ir supplicirn ablernen und sagen, das meine Herren ir eingangs halben nit wilfarn kön-

den. Joch. Haller.

[Ratsmanuale 1550/51, Heft 8, Fol. 29».]

Freytag, 30. january 1551. Margretha Jörg Pentzen wittib auf ir sup- pliciren in ansehung irer vyl kinder und grossen armut, das auch ir man ain feyner künstner, mit dem meine Herren wol zufriden gewesen, zu be- zalung irer übrigen schulden, die man ir, weils unmündige kinder betryfft, nit nachlassen kan, aus ainem guten willen mit den begerten 66 fl. zustatten kumen und dargeben ^^), doch den zwayen vordersten fürbittern, als dem abt Egidi und dem prediger zu sandt Sebaldt, sagen, das solichs nit ir der frauen, weil man wol wiss, das sy iren man seligen redlich zum verderben geholfen und alles, das sy überkumen, vertrunken hab, sonder iren armen kindern zu gutem und irem man seligen, als ainem künstner undter der erden, zu eeren geschehe, mit beger, ir und den andern fürbittern solichs also anzuzaigen und dabey, wan sy wider mit dergleichen begern kumen, wurd man in weiter nit wilfaren, sonder sy die frauen zum almusen weysen, das zaichen zutragen, wie andere burger auch thun. J. Schürstab.

[Ratsmanuale 1550/51, Heft 11, Fol. 30'.]

Zwischen Petern Eppenbach und Hansen ISIarschalck, beden als vor- mundern weiland Jörgen Petzen, molers, seligen verlassner kinder, an ainem und Margarethen, seiner verlassnen wittibin, am andern thailn ist darumb, ob die vormundere sich umb der kinder vatterlichen erbthail von der frauen an einer gemainen caution uff allen iren hab und gutern settigen zulassen schuldig seien oder nicht, uf der frauen furbringen, das sie niemand hie hab, den sy zur burgschafft zuvermögen wesst, und das gemein irs mans seligen glaubiger ir alle schulden nachgelassen haben, auch nach besichti- gung des aufgerichten inventarii und allerlei gelegenheit diser sachen er- kannt, das di vormundere sich an der frauen erbieten der gemeinen caution halb uf allen iren hab und guetern settigen zulassen schuldig sein sollen. Actum in judicio (feria) quarta 22. aprilis 1551*^° jar.

[Conservatorien, Band 71, Fol. 219i-.]

15) Die Angabe Baaders, Beiträge II, S. 54: der Rat habe im Jahre 1550 sechszig Gulden bezahlt, die Pentz einer Vormundschaft schuldig war, ist vor allem, was Jahr und Geldsumme betrifft, unrichtig. Sie entstammt nicht den Ratsmanualen, sondern den Jahres- registern und lautet : Item LXVI gülden den Georgen Pentzen seligen vormundt, nemlich Peter Eppenbach und Hans Marschalk, die Pentzs seliger in ein vormundtschafft schuldig worden und seine glaubiger in kein vertrag geen wollen, solich schult sei dan bezalt. Solichs dan (!) weib und kindt in ausehung der armutt propter deum beschehen. Actum sabbato adi ultimo january 1551.

Nürnberg. Dr. Alfred Bauch.

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Initialen in Holzschnitt von dem Rechenmeister

Paulus Frank (um 1600).

S^*?V^^^eiT Geheimrat Dr. von Hefner-AIteneck in München hat dem ger- ^lyfil IT manischen Museum vor einigen Wochen eine Sammlung von 46 [^|S|^ Blatt Initialen in Holzschnitt aus der Wende des 16. Jahrhunderts zum Geschenk gemacht, die in der That, was Schwung und Bra- vour der Ausführung betrifft, ihres Gleichen suchen und von einem hoch entwickelten Sinn für ornamentale Schönheit zeugen, wenn auch die Deut- lichkeit der Buchstaben hin und wieder zu wünschen übrig läfst. Die Ini- tialen gehören im ganzen fünf verschiedenen Alphabeten an. Eines derselben ist jedoch nur durch einen Buchstaben, ein W, vertreten, welches offenbar aus der Schule Neudörfers stammt und im Folgendem unberücksichtigt bleibt. Von den vier anderen Alphabeten sind die prachtvollen Initialen des einen

Fig. 1.

fast in kl. 2 "-Format ausgeführt, die Buchstaben des zweiten nur etwa halb so grols und diejenigen des dritten und vierten wiederum halb so grofs als die Buchstaben der zweiten Folge. Das dritte Alphabet unterscheidet sich von dem vierten wesentlich dadurch, dals die Initialen des einen in gewöhn- lichem kl. 8 "-Format, die des andern in kl. qu. 8 "^-Format angeordnet sind.

Alle diese vier Alphabete rühren, wie schon die oberflächlichste Be- trachtung mit vollkommener Deutlichkeit lehrt, von einem und demselben Meister her, der auch seinen Namen auf allen Holzschnitten der grofsen Folge mit nur einer Ausnahme und auf den meisten Blättern des mittleren Alpha- bets durch ein verschlungenes PcS" in gotischen Lettern nur einmal stehen beide Buchstaben gesondert angedeutet hat.

Wer war dieser Meister -PcS- .^ Diese Frage beantwortet uns ein zu Nürnberg bei Christoff Gerhard im Jahre 1655 gedrucktes Buch, welches den

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. VIII.

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Titel trägt: »Kunstrichtige Schreibart Allerhand Versalien oder Anfangs Buch- staben Der Teütschen Lateinischen und Italianischen Schrifften, aus unter- schiedlichen Meistern der Edlen Schreibkunst zusammen getragen. Nürnberg Bey Paulus Fürsten Kunsthändlern daselbst«, und welches in seiner zweiten Hälfte die vier Alphabete vollständig enthält. Auch die beiden Holzschnitt- folgen des kleinsten Formates, die in unserer Sammlung nur durch ein, bezw. zwei Blätter vertreten waren, weisen hier meistens das Monogramm X^^- auf. Man würde nun aber sehr irren, wollte man dasselbe etwa auf Paul Fürst beziehen und aus dem Buchhändler zugleich den Formschneider oder Zeichner für den Holzschnitt konstruieren. Die Übereinstimmung der Anfangs- buchstaben des Namens ist nur zufällig. Den wahren Verfertiger dieser Alphabete lernen wir vielmehr erst aus der Vorrede zu dem genannten Buche kennen, in der es auf S. 14 zu Anfang des V. Abschnittes (»Von diesem Wercke») heifst:

»FErners ist zu wissen, dafs dieses Wercke von Paulo Francken, weiland Modisten und Rechenmeistern zu Memmingen angefangen, und 1601 in Druck gegeben worden, nach- mals hat solches jetziger Verleger an sich erkaufft, und es nun der lehrgierigen Jugend zu guten, mit etlicher Autoren Hand vermehret, wider aufflegen lassen, nicht zweifflend, es werde allen Liebhabern der zierlichen Schreib- kunst, damit bedient seyn; sonderlich aber den Schulhaltern , welche sich durch diese Vorschrifften vieler Mühe entheben können.« Damit wären wir nun bei Paulus Frank als dem Autor unserer Samm- lung von Initialen angelangt. Dafs an dieser Autorschaft in der That nicht zu zweifeln ist, ergiebt sich noch aus einer Reihe weiterer Umstände, die zu- gleich einiges Licht über die Persönlichkeit des kunstreichen »Modisten und Rechenmeisters« verbreiten.

Das »R«, welches er bei dem L der mittleren Folge seinem Monogramm hinzugefügt hat, bedeutet ohne Zweifel »Rechenmeister«. Eine weitere Hin- zufügung findet sich auf dem X der mittleren Folge (s. Fig. 1) '), nämlich

Fi ff. 2.

1) Die Abbildungen sind in V2 der Originalgröfse gegeben.

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die Zahl 97, welche wohl nichts anderes als die Jahreszahl 1597 bedeuten kann. Es ist also anzunehmen, dafs Paul Frank die Zeichnungen zu diesen Holzschnitten um das Jahr 1597 angefertigt hat. Ob sich vollständige Exem- plare des von ihm dann 1601 in Druck gegebenen Werkes, dem, wie die trefflichere Erhaltung , die klarere und schärfere Ausführung zu verraten scheint, auch unsere Blätter angehören mögen, noch erhalten haben, vermag ich nicht zu sagen. Es kann jedoch als wahrscheinlich gelten.

Zeitlich noch weiter zurück führt uns eine in Leder gebundene Hand- schrift in kl.-qu.-fol., welche der im germanischen Museum deponierten Merkei- schen Sammlung angehört ^) und auf 16 Pergamentblättern die köstlichsten kaligraphischen Schreibvorlagen von Paul Franks Hand enthält ^). Das Titel blatt lautet: »Anweifsung Kunnstlichs vnnd artlichs Schreibens Daraus dann ein Jeder Junger die Fundament der gebreuchligisten Lateinischen Teutschen Fractur Cantzley vnd Currentschrifften begreiffen vnd lernnen kan Durch

Fig. 3.

Paulum Franckh von Gfrefs Allen liebhabern dieser Kunst zum besten ver- ordnet. Im Jar Jhesu Christi Anno 1587.«

Jedenfalls ist auch diese »Anweifsung« auf den Druck berechnet ge- wesen, mit dem Buch von 1601 hat sie aber wohl nichts zu thun, da sie mit unseren Holzschnitten keine direkten Berührungspunkte bietet, beispiels- weise auch das Monogramm Paul Franks auf keiner der handschriftlichen Schreibvorlagen erscheint, von ihm also wohl erst um etwa zehn Jahre später in seine zur Reproduktion bestimmten Arbeiten aufgenommen wurde. Ein gedrucktes Exemplar ist mir von der »Anweifsung« ebenfalls nicht bekannt.

2) Hs. Nr. 301 der Merkel'schen Sammlung.

3) Aufserdem ist ein Doppelblatt (Papier) mit einem prachtvollen, zum Teil mit metallisch glänzenden Farben ausgezierten J, ebenfalls von Paul Frank, mit eingeheftet.

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Wie sehr sich dieselbe aber im Stil unseren Holzschnittfolgen nähert, wird am besten durch die Gegenüberstellung eines F der Handschrift (Fig. 2) mit einem Holzschnitt-F (Fig. 3), welches zu dem Alphabete mittlerer Gröfse gehört, veranschaulicht werden. Hier wie dort der gleiche prächtige Schwung der Linien und Schnörkel, die gleiche Vorliebe für schön verlaufende Spiralen, für allerlei Vergitterungen und für die wie kräftige gotische m-Striche aus- sehenden Quer-Einschiebsel, die für Paul Franks Art besonders charakteristisch sind. Nur ist, w4e zu erwarten, die ganze Ausführung in den Handzeich- nungen auf Pergament noch eine ungleich sorgfältigere, feinere und reichere, als die Holzschnitte aufweisen. Auch das ergiebt sich bereits aus einem Ver- gleich der beiden hier reproduzierten F.

Zur Biographie des Paul Frank erfahren wir aus der Pergamenthand- schrift der Merkeischen Sammlung vor Allem, dals er aus Gefrees in Ober- franken gebürtig gewesen ist. Als er seine »Anweifsung« schrieb, im Jahre 1587*), war er aber wahrscheinlich bereits in Memmingen ansässig. Es wäre sonst wenigstens auffallend , dafs der Inhalt seiner Schreibvorlagen mehr- mals ^) gerade auf Memminger Verhältnisse Bezug nimmt. Acht Jahre später (1595) ereignete sich mit Paul Frank in Memmingen ein tragischer Fall: er wurde zum Mörder. Christoph Schorer berichtet darüber in seiner Memminger Chronik: »Den 3. October hat Paulus Franck, Modist vnd Teutscher Schul- meister allhier, so mit andern Teutschen Schulmeistern auff dem Stadt Weyher (welcher den vorigen Tag gefischet worden) gewesen , im herein gehen zwischen den Gärten den David Lochbichler, sonst Girtler genand, Schul- haltern mit einem Faust-Hammer am Haupt also verletzet, dafs er den 13. October hernach gestorben« ^). Welches die Veranlassung zu dieser That gewesen, ob überhaupt eine vorsätzliche Verwundung vorgelegen oder nur ein unglücklicher Zufall obgewaltet hat, hören wir nicht. Möglich, dafs Kon- kurrenzneid oder verletzte Eitelkeit dabei im Spiel gewesen sind, denn um schliefslich auch noch ein Wort über den mutmafslichen Charakter unseres Mannes zu sagen ein etwas übertriebenes Selbstgefühl scheint Paul Frank eigen gewesen zu sein und verrät sich auch in seinen Arbeiten. Ist es schon ein seltenes Vorkommnis, dafs ein Rechenmeister fast jedes seiner für den Holzschnitt gefertigten Blätter mit seinem INIonogramm signiert, so kenn- zeichnen ihn auch mehrere der für seine »Anweifsung Kunnstlichs vnnd art- lichs Schreibens« gewählten Vorlagen oder Beispiele durch ihren Inhalt als eitel und von unverhältnismäisigem Stolze auf seinen Künstlerberuf erfüllt. Verschiedentlich ist darin von den Rechenmeistern oder Schreibkünstlern die Rede, namentUch von dem durch seine »Ehrbarkeit, Redlichkeit, gute Sitten, Tugend und Vernunft berühmten« kaiserlichen Kammer-Kanzleischreiber Veit

4) Der braune Ledereinband des Manuskripts ist auf der Vorder- und Rückseite mit sehr geschmackvoller Goldpressung verziert. Die Vorderseite weist u. a. die Inschrift P- F- V- G (Paul Frank von Gefrees) und die Jahreszahl 1585 auf. In letzterer haben wir vielleicht den Zeitpunkt für die erste Anlage, für den Beginn des Buches zu erbhcken.

5) Blatt 9 b, 12 a und 13 b.

6) Chr. Schorer, Memminger Chronick. Ulm 1660. S. 114.

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Stofs aus Schweinfurt, von dem weiterhin einmaP) in der »sehr gemainen vngebrochenen Canntzleyschrifft«, nebenher, aber wohl sehr geflissenthch mit- geteilt wird, dafs ihm Konrad Lang von Überlingen »Ein Schlofs Hummel- burg gnant widerkauftlichen verkaufft habe« ^) u. s. f.

Über den späteren Lebensgang des Paul Frank habe ich bisher nichts weiter ermitteln können, als was sich aus seinen Holzschnitten und der Vor- rede zu der, »Kunstrichtigen Schreibart« des Paulus Fürst ergab und oben mitgeteilt worden ist.

7) Blatt 10 a.

8) Der Sinn der Urkunde, die hier zu Grunde liegt, kann schwerlich ein anderer gewesen sein, wenn auch in der Abschrift das Satzgefüge nicht ganz in Ordnung ist.

Nürnberg. Th. Hampe.

Albreeht Dürer und der Rahmen des Aller- heiligenbildes.

om Lauferschlagturm bis hinauf gegen den Egidienberg erstreckte sich um das Jahr 1500 noch ein Rest des alten Nürnberger Be- festigungsgürtels mit Stadtgraben und Zwinger. Davon erwarb ein Stück der wohlhabende Rot- und Bildgiefser in der Beckschlager- gasse, Mathäus Landauer; er liefs daselbst ein stattlich Bruderhaus mit einer Kapelle, mit Hof und Garten anlegen, dem er den Namen zu Allerheiligen gab. Ein Alchimist Erasmus Schildkrot, ein geborner Engländer, der sich von Königsberg in Preufsen nach Nürnberg gewendet, hatte in Landauers Werkstätte ein Plätzchen für sein Laboratorium gefunden; und da ihm seine Kunst Segen brachte, konnte er durch ein grofses Vermächtnis den Grund zu der wohlthätigen Stiftung Mathäus Landauers legen; so etwa berichtet Andreas Würfel in seiner ausführlichen Beschreibung aller und jeder Kirchen, Klöster, Kapellen und der annoch in denenselben befindlichen merkwürdigen Monumenten vom Jahre 1766.

Das Haus steht, manchmal umgebaut und seit Mitte unsres Jahrhunderts als Kunstgewerbeschule benützt, noch heute; die Kapelle, ein hohes Gelafs von fast quadratem Grundrifs, hat als einzigen Schmuck ein sechsteiliges Netzgewölbe von mannigfach abwechselnder Rippenführung. Zwischen den beiden spiralig kannelirten knauflosen Pfeilern, die das Gewölbe tragen, und der Ostwand, senken sich die Rippen von der Decke zu einem eigenartigen Hängewerk, an dessen unterem Ende das Wappenschild der Landauer hängt ^); es mag wohl sein, dafs die ganze, eigenartige Anordnung nach den Angaben des damaligen Meisters auf der Peunt, des hochbegabten Hans Beheim getroffen wurde.

1) Das Wappenschild der Landauer, wie es noch mehrmals an dem Bruderhaus wie an der Predella des Altars angebracht wurde, enthält in rotem Feld eine geschweifte silberne Spitze, darin in verwechselten Farben ■.• gestellt drei Lindenblätter.

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Hier an der Ostwand, gegenüber der Eingangsthür, war der Platz für den Altar, vor dessen Stufen in der Mitte seines Kirchleins Mathäus Landauer sich die letzte Ruhestätte bestimmt hatte. Albrecht Dürer sollte die Altar- tafel ausführen. Die Bestellung mufs schon bald nach der Rückkehr des Meisters aus Venedig erfolgt sein; denn schon im Jahre 1508 ward dem Besteller ein sorgfältig mit der Feder ausgeführter, mit Wasserfarben leicht getönter Entwurf vorgelegt, der offenbar Landauers volle BilUgung fand^'): über einer flachen anmutigen Seelandschaft umgibt die Schaar der Heiligen in anbetender Verehrung den dreieinigen Gott, der in den Wolken schwebt; nur dies eine grofse Fest aller Heiligen, denen das Bruderhaus ja geweiht sein sollte, keine Flügelbilder, kein Gemälde in der Predella sollte dazu kommen. Dagegen wollte Dürer die ganze Kraft seiner Dekorationsgabe an die Fassung des Gemäldes wenden: ein reich geschnitzter Rahmen ,mit Säulen in antikischer Art und statt der aufstrebenden gotischen Fialen und Türmchen ein kräftiges Gesims mit einer Rundbogennische darüber, sollte die Tafel umschliefsen. Und hier liefs sich auch wie eine Ergänzung der Hauptdarstellung eine zweite grofse Scene aus der heiligen Geschichte anbringen, eine Andeutung des jüngsten Gerichts. Das Ganze dieser Komposition ist aufserordentlich feinsinnig erdacht und künstlerisch abgewogen.

Drei Jahre dauerte es noch, bis der fertige Altar aufgestellt werden konnte. Dürer hatte damals das Gemälde für Jakob Heller in Frankfurt

2) Die Handzeichnung befindet sich in der Sammlung des Herzogs von Aumale, und ist bisher noch nicht in Farben wiedergegeben worden. Abb. siehe bei Ephrussi, Albert Durer et ses Dessins zu Seite 172 und danach in Hirths Formenschatz 1889 Nr. 136. Abbildungen des Rahmens und einiger Einzelheiten seiner Ornamentik enthält Thausing Albrecht Dürers Leben und Werke 11/27. Ferner Buch er & Gnauth das Kunsthandwerk I. S. 32 und danach der Katalog der Originalskulpturen des germanischen Museums S. 43. Sie haben alle den Mangel, dafs sie vor der Wiedervereinigung des Frieses mit dem Rahmen gezeichnet, jenen nur andeutungsweise und ungenau wieder- geben. Eine gewissenhafte Kopie des Gemäldes samt Rahmen hat die Familie von Tucher der Gemäldegalerie des germ. Museums geschenkt. Die alte Bemalung des Rahmens ist nur noch an den köstlichen Friesfiguren erhalten, dadurch dafs diese zur Zeit der Restauration durch Keim vom Hauptstück entfernt waren, und erst später unter Heideloffs Nachlafs sich wiederfanden. Unter dem heutigen Ölfarbanstrich lassen sich Reste dej- Bemalung noch überall feststellen. Demnach gibt die nach Angaben des Dr. von Essenwein angefertigte Kopie des Rahmens im ganzen die richtige Vorstellung von dem ehemaligen Farbenglanz des Ganzen. Dafs Gold zusammen mit einem matten Blau die indifferentesten Farbtöne sind, die am wenigsten die aus kräftigen Lokaltönen zusammengesetzte Farbenwirkung des Gemäldes zu beeinträchtigen vermögen, das wufsten die Italiener schon lange ; und auch dieseits der Alpen übte man schon im 15. Jahrhundert diese Technik der Gemäldefassung: vergoldetes Laubwerk auf blauem Grunde, die abgefasten Ecken und Hohlkehlen gelegentlich auch dunkelrot, bei den Figuren goldene Gewänder mit blauen umgeschlagenen Säumen, das war z. B. in Wohl- gemuts Werkstatt Regel. Wenn uns heute an der erst vor wenigen Jahren angefertigten Kopie des Allerheiligenbildes die Vergoldung zu aufdringlich erscheint, so mag man da- gegen erwägen, dafs für das gedämpfte Licht eines Kirchenraumes stärkere Effekte nötig waren, als sie ein moderner Oberlichtsaal zuläfst; und überdies that der aus- gleichende Einflufs der Natur bald das Seine, um die übergrofse Leuchtkraft der Farben zu dämpfen.

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auszuführen, an das er so lange Monate seinen besten Fleifs wandte, und aus seinen eigenen Worten dürfen wir wohl schliefsen, dafs ihm damals seine kleine Kunstware, seine Stiche und Holzschnitte mehr Freude machten als die grofsen Gemälde. 1511 wurde das Werk vollendet, und schon 1515 starb der Stifter und ward in seiner Kapelle beigesetzt, nachdem er sich schon früher mit dem Probst von S. Sebald, Erasmus Toppler, auseinandergesetzt wegen der an der Sebalduskirche erst erworbenen Begräbnisstätte ^).

Das Gemälde kam an Rudolph II. und befindet sich nun in den k. k. Kunstsammlungen in Wien, der Rahmen ist seltsamer Weise leer stehen geblieben und als eines der wichtigsten Stücke der städtischen Sammlungen ins germanische Museum gekommen, nachdem er zuletzt in der Zeit Heideloffs ausgebessert und mit graugelber Ölfarbe überstrichen worden war.

Von der ersten dem Besteller vorgelegten Skizze bis zur Vollendung des Altars war ein weiter Weg, und manches kam anders zur Ausführung als es entworfen war. Rechnen wir zunäch.st das ab, was ungeschickte Restauration dem Werke anthat das leere Mafswerk an Stelle des prachtvollen Bildfrieses, der sich merkwürdiger Weise später erst in Heideloffs Nachlafs wiederfand, und das Stabwerk am untern Sturz des Architravs, so können wir vom Gesamteindruck sagen, der Rahmen ist entschieden gotischer geworden als er im Entwurf ge- dacht war. Nicht im Gerüst, in der Grundidee des Aufbaus, sondern in den Zierformen: Die Säulen, die in der Zeichnung ungegliedert als kräftige Masse vor dem ebenfalls glatten Grund stehen, sind im oberen Dritteil des Schaftes mit kräftigen, blau in gold gefafsten Kanneluren versehen und darunter um- sponnen von üppigen Reblaubranken in halb gotischer, halb dürerischer Stilisirung; das beliebte gerollte Distelblattband füllt die Rückleisten und die Hohlkehle nach dem Gemälde hin. Dagegen fehlen in der Ausführung die echt dürerisch gezeichneten Rankenleisten am unteren Rande des Bildes und oben an der Schmiege des Hauptgesimses. Am auffallendsten tritt die Umgestaltung an der Umrahmung des Rundbogenaufsatzes zu Tage: an Stelle des mageren gotischen Mafswerks und der Zinnenleiste hatte Dürer eine dreifach gegliederte Archivolte vorgesehen : aufsen ein schmales Gesimsprofil mit einer Art Perlstab, dann ein Ornamentband mit Ranken, wie sie etwa auf dem Rahmen einiger Blätter vom Marienleben sich finden, und inner- halb davon ein Band mit radialen Einschnitten, die den Eindruck der Rund- nische betonen sollen, genau so wie sie Dürer in der Thronlehne auf dem Mittelbilde des Lorenz Tucher'schen Triptychon anbrachte, das 1511 Hans von Kulmbach nach seines Meisters Zeichnung für den Chor von S. Sebald ausführte, vgl. Lippmann Handzeichnungen Albr. Dürers.

Aus diesen an sich geringfügigen Änderungen lassen sich, wie ich meine, Schlüsse ziehen: Wenn Dürer den Rahmen für das Allerheiligenbild in dieser neuen, von den landesüblichen Formen so stark abweichenden Fassung entworfen

3) Vgl. Würfel a. a. O. In der Zeit, da Landauer vor der Gründung des Bruder- hauses noch Pfleger von S. Sebald war, hatte er sich zusammen mit seinem Amtsgenossen Sebolt Schreyer am Chor der Sebalduskirche ein Familienbegräbnis bestellt, dessen be- rühmte Reliefplatte Adam Kraft zur Ausführung übertragen worden war.

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hatte, wird man annehmen müssen, dafs er auch die Ausarbeitung in seiner Werkstatt überwachte und leitete ; dabei verfertigte der Bildschnitzer die Orna- mentstücke offenbar meist ohne weitere Detailzeichnungen seines Meisters in den ihm geläufigen gotischen Mustern. Nur dafs sie so dem Schnitzer hand- gerechter waren, erklärt dies Abgehen vom Entwurf. Für andere Stücke wieder, wie für das Füllornament am Sockel der Säulen oder für die Säulen- knäufe, hat zweifellos Dürer ausführUche Zeichnungen angefertigt, wie wenig diese letzteren auch mit irgend welchen italienischen Kapitellformen überein- stimmen. Gerade ihm und nur ihm eigentümlich ist diese ganz persönliche Zierkunst, die wir gerade in diesen Jahren seiner Künstlerentwicklung in den Blättern des Marienlebens*) in den Randzeichnungen zum Gebetbuch des Kaisers Max am schönsten ausgesprochen finden.

Es wäre wirklich vergebene Mühe, zu erforschen, bei welchem Italiener Dürer eine Anleihe gemacht haben könnte, denn er ist nie Kopist, er ist immer Dürer. Aber eine andere folgenreiche Neuerung hat der Allerheiligen- Altar der deutschen Kunst gebracht , die unmittelbar auf italienische Ein- drücke zurückgeführt werden mufs ; es war der erste Angriff auf den in seinem weitläufigen Aufbau entschieden unkünstlerischen nordischen Flügel- altar. In Deutschland war man bis dahin gewöhnt den Hauptaltarschrein, das Mittelfeld, dem Bildschnitzer zu überlassen; eine Reihe von Heiligen- gestalten unter zierlichen Baldachinen oder eine Scene des biblischen Dramas unter einem flachen Korbbogen voll wilden gotischen Rankenwerks war das Übliche; zwei- und dreifache Flügel jederseits mit einer bilderbogenartig nebeneinandergestellten Reihe von Darstellungen der Legende des Kirchen- patrons fügte der Maler dann an die Seiten des Schreins, über dem eine ganze Architektur von Türmchen und Fialen in die Höhe strebte. In Italien war das anders: die monumentale Überlieferung, in der dort die Malerei grofs geworden war, zwang schon, das Wandgemälde mit der umge- benden Architektur als ein Ganzes zu behandeln; den Ausblick in das Blau des Himmels, in dem eine Schaar von Putten sich tummelt, an eine Gewölb- decke' malen, heifst doch die Architektur der Halle zum Rahmen des Ge- mäldes machen. Und wo man solche Aufgaben mit so viel Geschick zu lösen vermochte, da lag es auch nahe, das freistehende Altarbild durch einen Rahmen von Sockel, Pfeilerstellung und Gesimsstücke als eine Architektur im kleinen zu behandeln. Der streng symmetrische Aufbau der Gruppen, dem die späteren Quadrocentisten huldigen, mag diese Neigung zu einer so knappen Fassung in strenggegliedertem Architekturrahmen begünstigt haben. Und gerade derjenige Meister, von dem wir aus Dürers eignem Munde wissen, dafs er ihn unter den Venezianern am höchten schätzte, dessen glänzende Werke damals die Dogenstadt in Staunen versetzten Giovanni Bellini zeigt uns, wie sehr er gewohnt war, Bild und Rahmen als ein künstlerisches Ganze zu denken und zu komponieren.

In S. Maria dei Frari zu Venedig steht eines der Hauptwerke Bellinis,

4) Vgl. das gotische Portal aus der Scene der Beschneidung.

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der 1488 entstandene Marienaltar^): Die Madonna mit dem Knaben und zwei musizierenden Engeln in der Mitte und auf den feststehenden Seitenflügeln zwei Paare ehrwürdiger Heiliger in ruhiger Haltung. Die drei Gemälde werden durch vier breite Pilaster umrahmt, die in der Mitte mit einem hohen Rundbogen, zu beiden Seiten mit geradem Gesims überdeckt, den ganzen prächtigen Aufbau wie eine Vorwegnahme Palladios erscheinen lassen.

Und der architektonische Eindruck dieses mit reichem Reliefschmuck gezierten Rahmens wird erhöht bis zur Täuschung, indem der Maler den Hintergrund des Mittelbildes eine in ihren Formen dem Rahmen ganz an- gepafste Nische um den Thron der Maria bilden läfst und anderseits auf den beiden Flügeln Gebälk und Pfeiler einer Halle in sorgfältig festgehaltener Perspektive darstellt, als hingen sie mit dem Pilaster des Rahmens zusammen. Dieser höchst eigenartige künstlerische Gedanke, den Hans Holbein für seine Fassadenentwürfe aufnahm, und den die Dekorateure des 18. Jahrhunderts in ihrer Weise so vorzüglich auszubeuten verstanden, ist für Bellinis Auffas- sung von Bild und Bilderrahmen höchst bezeichnend : In dem Kreise von Künstlern, in dem Dürer in Venedig verkehrte, legte man Gewicht auf der- artige künstlerische Fassung der Gemälde; Dürer sah ihre Werke, hörte den Gedanken aussprechen, und als er wieder nach Nürnberg kam, verarbeitete er ihn in seiner Weise zu dem Landauer Altar.

Man hat bisher auf diese innere Verwandtschaft zwischen Dürers Neu- schöpfung und der in Italien schon lange geübten Art nicht geachtet; da- gegen hat Thausing auf eine andere Gattung von Denkmälern dekorativer Bildhauerkunst hingewiesen, unter denen Dürers Vorbild zu suchen sei, auf die Grabmonumente Venedigs. Es ist wahr, der oberitalienische Grabmal- typus, wie er am Ende des Quattrocento sich ausgereift hat, diese Nischen- architektur mit Pilastern und Rundbogen, die den Sarkophag des Entschlafenen dekorativ umschliefst, baut sich aus denselben Elementen auf, und kleine Ver- schiedenheiten Uefsen sich unschwer aus Material und Bestimmung erklären. Thausing hat sogar das unmittelbare Vorbild Dürers zu finden geglaubt, ein Werk, das allerdings dem Meister ebensowohl bekannt sein mufste als Bellinis Marienaltar das Grabmal des Dogen Pasquale Malipiero in SS. Giovanni e Paolo, das bald nach 1462 entstanden sein dürfte. Auch abgesehen von der typischen Ähnlichkeit des ganzen besticht dieser Vergleich wirklich durch die überein- stimmende Anordnung eines dreifigurigenReUefs Christus als Schmerzensmann, gestützt von zwei Engeln im Bogenfeld und der akroterartigen Anbring- ung dreier Freifiguren am Scheitel und an den Seiten der Archivolte. Weiter geht aber die Ähnlichkeit nicht, und die akroterartigen Aufsätze hatte Bellinis Marienaltar ebenfalls; beiden ist die ungemein geschickte Art, wie Dürer die überdies feinsinnig in die Komposition hineingezogenen drei Engelchen anbrachte, weit überlegen.

5) Neuerdings veröffentlicht im klassischen Bilderschatz Bruckmann 1896. Nr. 1102. Ich wähle unter manchen verwandten italienischen Altarwerken dieser Zeit gerade Bellinis Gemälde, weil Dürer dieses zweifellos in Venedig gesehen hat.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. IX.

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Wenn Dürer in diesem Altarwerk zum ersten Male die epische Breite der bisherigen deutschen Wandelaltäre vermied, wenn er statt der bisher üblichen zahlreichen Heiligenlegenden und dramatischen Bibelscenen hier eine einzige knappe aber erschöpfende Komposition vorzog, so konnte er sich doch nicht versagen, das angeschlagene Thema, da wo der Rahmen Platz zu figürlichen Darstellungen bot, weiter auszuspinnen durch den Hin- weis auf das jüngste Gericht. Es ist nun höchst lehrreich zu sehen, wie er den Stoff verarbeitet:

Wie oft war seit dem Wandgemälde in der S. Georgskirche auf der Reichenau oder seit der ersten grofsen plastischen Darstellung des Welt- gerichts in der Vorhalle des Freiburger Münsters der Stoff im Lauf der Jahr- hunderte auf deutschem Boden zur Darstellung gekommen , und wie wenig war der einmal eingelebte Typus abgewandelt worden. Die Reihe der aus den Gräbern auferstehenden, die Reihe der Seligen und Verdammten, dar- über die Schaar der Apostel und endlich Christus als Weltenrichter, umgeben von den Engeln, die durch Posaunenstöfse den Tag des Gerichts verkündigen so wiederholte sich gut und recht in lehrhaftem Schema der Bilderzyklus, und wer etwa davon abzuweichen versuchte wie in seiner Rosenkranztafel Veit Stols sonst ein Meister der Beschränkung in der Komposition scheiterte, weil er die grofse Figurenzahl nicht zu bemeistern, auf das pla- stisch Darstellbare zu beschränken wufste. Dürer griff nun die beiden wesent- lichen Gruppen heraus: Im Bogenfeld sitzt Christus auf dem Regenbogen, seine Füfse ruhen auf der Weltkugel, die rechte hat er segnend erhoben, die linke weist hinab zu den Verdammten; anbetend knien zur Seite Maria und Johannes in den Wolken. Zwei Posaunenengel, echt dürerische Putten, sitzen an den Seiten des Rundbogens und geben zusammen mit dem im Original verloren gegangenen Engelsfigürchen , das ehemals die Bekrönung des ganzen bildete , eine anmutige Belebung des sonst streng architekto- nischen Aufbaus.

Unter dem Hauptgesims folgt dann im Fries der in flachem Relief ausgeführte Zug der Seligen, die Petrus in die Himmelspforte eine Strahlensonne einführt, und die von grotesken Teufelsfratzen an einer Kette in den Höllenrachen gezogenen Verdammten. Noch nie war in der deutschen Kunst eine Komposition so plastisch gedacht, so im Sinne des antiken Reliefstils erfunden worden. Am dichtesten gruppieren sich die Gestalten an den beiden Enden des Frieses, wo unter den vordersten der Reihe der Verdammten ebensowohl wie der Seligen dem demokratischen Geist der Zeit gemäfs Papst und Kaiser, Bischof und Kardinal, an ihrer Kopfbedeckung kenntlich ihrem Bestimmungsorte zugeführt werden. Nach der Mitte werden die Reihen lockerer, die einzelnen Gestalten stehen fast ohne Überschneidung nebeneinander; dafür ist aber hier die stärkste dramatische Bewegung ausgedrückt in der grofsartigen Kampfgruppe: der letzte in der Reihe der Seligen, der sich eilt, dem Zuge nachzukommen, hat einen am Boden liegenden Freund am Arme gefafst, um ihn mit sich zu ziehen; von der andern Seite fafst ein Teufel nach den Beinen des Mannes, den er her-

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überreifsen möchte, indem er zugleich um Hilfe schreiend den Kopf zurück- wirft. Wie die Bewegungsmotive in all diesen Figuren variiert und jedes einzelne durchgebildet ist, wie das sanfte Geleiten auf der einen Seite in Haltung und Geberde der beiden Engel, im Faltenwurfe sogar zum Ausdruck kommt, alles das sind Feinheiten in formaler Natur sowohl wie in Bezug auf den Gedankeninhalt des ganzen, wie sie kein deutsches Bildwerk bis dahin aufweisen konnte.

Wer war aber der Künstler, dessen Schnitzmesser sich so ganz Dürers Zeichnung anzupassen vermochte, dafs wir keine andere als Dürers Hand noch heute darin erkennen.? Manches, wie die auffallende Flachheit der Reliefbilder im Tympanon, läfst fafst einen Dilettanten vermuten; ich meine, überhaupt kann es kein im Beruf des Bildhauers gereifter Mann gewesen sein, da ein solcher Spuren seines eigenen Stils in seinem Werke hätte hinter- lassen müssen. Im Katalog der Originalskulpturen des germanischen Museums steht der Rahmen des Allerheiligenbilds als Nr. 318 neben dem Reliefbild der Krönung Mariae und der grofsen Rosenkranztafel an dritter Stelle unter den Werken des Veit Stofs. Dafs man dem berühmtesten, oder richtiger gesagt, dem einzig bekannten Nürnberger Bildschnitzer dieser Zeit dies zweifellos zu den hervorragendsten Werken deutscher Plastik gehörige Stück zuweisen wollte, ist begreiflich; jedenfalls verdient diese Annahme mehr Beachtung als die seltsame Meinung des sonst so feinsinnigen Thausing, "der sich an die Art Albert (sie!) Krafts erinnert fühlt. Adam Kraft mufs um Weihnachten 1508 im Spital zu Schwabach gestorben sein ^) ; und dafs er oder einer seiner Ge- hilfen, die doch Steinmetzen von Beruf waren, in Holz gearbeitet und unbe- kleidete Figuren von ähnlich klassischer Bildung wie die des jüngsten Ge- richts geschaffen habe, müfste doch erst nachgewiesen werden.

Aber auch Veit Stofs, für den sich Bergau und Lübke entschieden haben, hat mit der Ausführung von Dürers Skizze nichts zu thun. Denn gerade er hatte seinen aufserordentlich ausgeprägten persönlichen Stil nach seiner Rückkehr von Krakau in keinem seiner Werke verleugnet und würde es als Mann von weit über 50 Jahren, wie er damals war, auch nicht mehr vermocht haben.

Übrigens besitzen wir ja ungefähr aus den gleichen Jahren und im gleichen Grölsenverhältnis ausgeführt in der Rosenkranztafel eine Darstellung des jüngsten Gerichts und einige Gruppen aus der Schöpfungsgeschichte, die uns von der ungelenken derben Durchbildung des nackten Körpers bei Veit Stofs eine Vorstellung geben "). Es klingt etwas befremdlich wenn wir in Neudörffers Nachrichten hören, Stofs habe für den König von Portugal zwei vielbewunderte Statuetten von Adam und Eva gefertigt; denn die Behandlung des Nackten war nie seine Stärke. Die in ihrer Eckigkeit sehr übertriebene.

6) Vgl. Alfr. Bauch im Repertorium für Kunstwissenschaft, Bd. IXX. Heft 1.

7) Vgl. die Werke des Veit Stofs in Photographien mit begleitendem Text von Bergau, Nürnberg Soldan, und K. Schaefer, Meisterwerke deutscher Bildschnitzerkunst im germanischen Museum, wo auch eine vollständige Wiedergabe des Frieses vom jüngsten Gericht.

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oft überflüssig erregte Bewegtheit seiner Figuren, die eingeschnürten Leiber und verrenkten Hüften, die flachen typischen Gesichter stehen ganz gewifs der hohen Formenschönheit im Fries des Altarrahmens konträr entgegen. Und die drei Figuren des Tympanons geben Falte um Falte die Gewand- anordnung von Dürers Zeichnung wieder, ohne dafs man irgendwo eine Spur des sonst doch leicht wieder zu kennenden stofsischen Faltenschwungs wahrnehmen könnte.

Ein einziges Denkmal deutscher Bildhauerkunst ist uns bekannt geworden, das mit den Figuren des Altarfrieses aufs engste verbunden werden mufs, das nicht nur durch die ganze eminent plastische Auffassung und die Durchbil- dung des nackten Körpers, sondern auch durch Einzelheiten, wie die originell behandelte Haartracht mit den beiden übers Ohr gelegten Zöpfen dieselbe Hand verrät, wie die Seligen des jüngsten Gerichts das ist die Plakette mit dem Flachrelief einer nackten Frau mit Dürers Monogramm und der Jahreszahl 1509. Es gibt davon zwei Platten in Kelheimer Stein, von denen eine wohl das gröfste Recht hat, als Original angesehen zu werden; denn dafs Metallabgüsse nach diesen gefertigt worden seien, ist jedenfalls wahr- scheinlicher als das umgekehrte. Nach welchem der Originale Thausing seine Abbildung der Plakette herstellen liefs, ist fraglich, da er das Imhofsche Relief nicht gesehen hat. Auch mir ist es nicht gelungen, das Kästchen, zu dessen Schmuck das Silberrelief gefertigt sein soll, zu sehen, da der Familienälteste Major Frhr. von Imhof versichert, dafs er trotz wiederholter Bemühungen nicht habe feststellen können, ob und wo das Kunstwerk existiere. Das Relief im Nationalmuseum zu München ist in zahlreichen Gipsabgüssen, das zweite durch eine Lichtdrucktafel XVII im Katalog der Sammlung Felix bekannt. Das Relief ist der Technik entsprechend flacher als der holzgeschnitzte Fries, die Modellirung hier der Fernwirkung wegen kräftiger ^).

Thausing suchte bekanntlich gerade dieses Relief als Zeugen und zwar als einzig übrigen Zeugen von Dürers Versuchen in der Bildhauerkunst fest- zuhalten; mir scheinen seine Schlüsse nicht unglaubhaft, und jedenfalls hat sich noch niemand gefunden, der sie widerlegte. Die ganze Frage nach Dürers etwaigem Anteil an der Plastik seiner Zeit hier wieder aufzugreifen, ist müfsig, da wesentlich neue Beweisgründe seit Thausings kritischer Enquete auf diesem Gebiet nicht herbeigebracht wurden. Nun liegt es mir gewifs fern, zu behaupten, Albrecht Dürer müsse mit eigener Hand das figürliche

8) Einige, vielleicht allerdings nur äufserliche Ähnlichkeit mit den Figürchen des Frieses zeigt eine kleine kreisrunde Komposition einer thronenden Maria, die unterstützt von zwei über ihr schwebenden Engeln an die versammelten Vertreter der Christenheit Rosenkränze austeilt. Das bemalte und vergoldete Rehef, das 31 cm Durchmesser hat, ist irrtümlicher Weise in den Katalog der Originalskulpturen des germanischen Museums als Nr. 156 aufgenommen. Es ist keine Terrakotta, sondern ein Abgufs in einer Thon- masse, die des besseren Anhaftens der Farben wegen, wie es scheint, ein wenig gebrannt wurde. Das nicht uninteressante Original dazu im Besitz der Kunsthandlung Fleischmann in Nürnberg ist ein Ölgemälde auf Holz , in dessen Mitte umrahmt von einem Kranze gemalter Rosen das Relief eingelassen ist. Das ungefähr 1515 entstandene Werk soll aus einer Kirche im bayerischen Schwaben stammen.

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Schnitzwerk zum Rahmen des Landauer Ahars angefertigt haben; wir be- denken überhaupt viel zu wenig, welche grofse -Anzahl namhafter und namenloser Künstler noch zwischen einem Adam Kraft, Veit Stofs und Albrecht Dürer stand, von denen wir nur deshalb nichts wissen, weil sie Neudörffers Aufmerksamkeit entgangen sind ; aber das steht wohl fest : ebensowohl wie an der Imhofischen Silberplakette ist an dem Fries der Seligen und Verdammten das Beste, das stilistisch Grofse, den gleichzeitigen Werken z.B. Veit Stols' weit überlegene, Dürers geistiges Eigentum, und wenn eine Gehilfenhand dabei beteiligt war, die sich von des Meisters Geist führen liefs, so fällt ihr nichts weiter zu, als die handwerkliche Arbeit, nichts von dem Stil, der hohen Schönheit des Werkes.

Bis auf die einfachen gotischen Distelblattleisten ist das ganze Altar- werk, der Aufbau, der figürliche Schmuck und das Zierwerk ganz und echt Dürer.

Nürnberg. Karl Schaefer.

Deutsche Pilgerfahrten nach Santiago de Com- postella und das Reisetagebueh des Sebald

Örtel (1521—22). I.

»ährend die deutschen Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande in den letzten Jahren vielfache Behandlung erfahren haben, ist den Reisen deutscher Wallfahrer nach Santiago de Compostella, dem »Jerusa- salem des Occidents«, bisher nicht die gleiche Beachtung zu Teil geworden. Über jene sind wir durch die Schriften von Röhricht , Meisner, Kamann u. a. gut unterrichtet, für diese fehlt zur Zeit noch eine zusammen- fassende Monographie und ist auch das Material bisher nur ungenügend be- kannt geworden. Und doch lassen sich aus diesen Reisen nicht minder will- kommene Aufschlüsse nicht allein über geographische und kulturelle Verhält- nisse, sondern hin und wieder auch in kunstgeschichtlicher Hinsicht gewinnen. Als eine der für ein so umfassendes Thema unerläfslichen Vorarbeiten zu dienen , ist der Zweck der folgenden Blätter. Die Reisebeschreibung , um deren Veröffentlichung es sich dabei vornehmlich handelt, stammt allerdings bereits aus der Periode des Übergangs vom Mittelalter zur neuen Zeit, steht aber der Sinnesart ihres Verfassers Sebald Örtel nach noch ganz auf dem Boden der alten Zeit und bietet überdies so mancherlei Interessantes von der oben angedeuteten Art , dafs ein diplomatisch getreuer Abdruck des bisher ganz unbekannt gebliebenen Diariums nicht ungerechtfertigt erschien, zumal es aus jener Zeit nur wenige gleich ausführliche und genaue deutsche Reise- beschreibungen durch die Schweiz, Frankreich, Spanien und Portugal geben wird.

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Bevor ich indessen zur Mitteilung dieses Tagebuches selbst übergehe, sei es gestattet, einige Bemerkungen über deutsche Heiligtumsfahrten nach Santiago de Compostella im Mittelalter überhaupt vorauszuschicken.

Obgleich schon früh von solchen berichtet wird ^), sind uns doch aus- führlichere Reisebeschreibungen erst aus dem 15. Jahrhundert erhalten. Es hängt das ohne Zweifel zusammen mit dem gröfseren Gewicht, das seit dieser Zeit dem Sammeln von Reliquien der Heiligen beigelegt wurde und dem regen Interesse, das sich noch bis tief ins 16. Jahrhundert hinein überall dafür kund that. Zu der religiösen Verehrung gesellte sich die eben in jener Zeit er- wachende Lust am Sammeln als solchem. Die Menschen von damals empfanden diesen Überresten gegenüber etwa die gleiche Pietät, wie sie heutzutage noch bei den Autographensammlern gegenüber ihren Schriftstücken besteht , oder von den Museen der verschiedensten Art durch sorgsame Aufbewahrung von Andenken an historische PersönUchkeiten, an Helden des Schwertes oder des Geistes, mit Recht genährt wird. Ja, man wird sogar behaupten dürfen, dafs man die grofsen Sammlungen von »Heiligtümern«, wie sie zu Anfang des 16. Jahrhunderts bestanden und auch in Abbildungen ihrer bedeutendsten Stücke publiziert wurden^), in gewissem Sinne geradezu als Vorläufer unserer heu- tigen Museen betrachten kann. Dafs sich das Interesse eben der Gebildeten seitdem auch in katholischen Ländern in solchem Mafse von den Gegen- ständen der Sakralgeschichte auf die der Profangeschichte zurückgezogen hat, dafür können wir eine Erklärung nur in dem so sehr veränderten Zeitgeiste finden.

Die Aufzählung von Reliquien , die man zu sehen bekam , spielt denn auch in allen diesen Reisebeschreibungen des 15. Jahrhunderts, soweit sie sich überhaupt auf Einzelheiten einlassen, eine grofse Rolle.

1428 pilgerte der Nürnberger Peter Rieter nach Santiago, um von dort aus über Monteserrato nach Rom zu reisen. Er hat darüber eine kurze Auf- zeichnung hinterlassen, die uns in Abschriften erhalten ist ^).

1436 folgte ihm ein anderer Nürnberger Patrizier, Georg Pfintzing. Wie

1) In Rosseis Urkundcnbuch von Eberbach 1, 114. 141 werden Wallfahrten aus dem Rheingau nach St. Jakob schon aus dem Jahre 1203 erwähnt (vgl. Zeitschrift für die Ge- schichte des Oberrheins XVI, 1864, S. 490); nach dem Lübecker Urkundcnbuch III, 199 ff. wurde 1354 bestimmt, dafs die Mörder des Knappen Marquard von Westensee zur Bufse je einen Pilger nach Aachen, Rom, Santiago und Jerusalem schicken sollten. (Vergl. Röhricht und Meisner, Deutsche Pilgerreisen nach dem heiligen Lande, Berlin ISiSO, S. 486).

2) Das Haller Heiligtumsbuch, das Wittenberger Heiligtumsbuch, Einzelblatt mit den Abbildungen der Heiligtümer, die in St. Ulrich und Afra zu Augsburg aufbewahrt wurden, etc. Auch von den Heiligtümern in St. Sernin zu Toulouse mufs es solche Abbildungen gegeben haben , wie aus der Reisebeschreibung Örtels (». . Pud sonst viel Heilthumbs, als ich auf ein Zettel gedruckt hab^) hervorgeht. Ob noch Exemplare davon existieren, vermag ich nicht zu sagen.

3) Vgl. Röhricht und Meisner, a. a. O. S. 476. Eine Abschrift auch in dem sogen, schwarzen Rieterbuch der Nürnberger Stadtbibliothek El. 393 a. Die Aufzeichnung um- fafst nur wenige Sätze. Der Schlüfs lautet nach der Nürnberger Handschrift: -^vnd thet das In einer guttejt maynwig mein Nachkommen Andacitt zu haben dy heylige stett zu besuchen ob sie gott ermant er hett es aber gelobt zw ihun.'^

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Peter Rieter hat auch er aufserdem eine Pilgerfahrt ins heilige Land unter- nommen. Diese wurde von ihm ausführlich beschrieben; der Reise nach »Sant Jobs« dagegen, auf der er sieben Wochen abwesend war, erwähnt er nur mit wenigen Worten"^). Weit ausführlicher ist ohne Zweifel die Reise- beschreibung eines Augsburgers, von 1439 40, die sich in einer Handschrift des Brittischen Museums erhalten hat, über die aber meines Wissens nähere Angaben bisher nicht gemacht worden sind '").

Peter Rieter hatte am Schluls seiner kurzen Aufzeichnung betont, dafs er seine Pilgerreisen nach den heiligen Stätten auch zur Nacheiferung für seine Nachkommen unternommen habe ''). Seine Mahnung fiel in dem Herzen seines Sohnes Sebald Rieter auf fruchtbaren Boden. Er ist nach Rom, St. Jakob und zum heiligen Grab gepilgert. Die Wallfahrt nach Santiago und zum Cap Finisterre unternahm er in Gemeinschaft mit einigen andern Pilgern im Todes- jahre seines Vaters (1462), reich mit Empfehlungsbriefen (»fuderprieff«) aus- gestattet, die den Wallfahrern eine freundliche, ja ehrenvolle Aufnahme bei den Königen von Spanien und Frankreich und der Herzogin von Savoyen sicherten. Herolde geleiteten sie durch die von Kriegsunruhen aufgeregten Gebiete. Im Ganzen bietet auch Sebald Rieters Reisebeschreibung'') obgleich erheblich ausführlicher als die des Vaters, nicht eben viel des Interessanten und auch die Reiseroute ist nur in grofsen Zügen angegeben , nicht im Ein- zelnen beschrieben.

Von ungleich gröfserer Bedeutung sind die Beschreibungen, die uns von der Ritter-, Hof- und Pilgerreise des böhmischen Herrn Leo von Rozmital (1465 1467) erhalten geblieben sind, eine lateinische von einem unbekannten Verfasser und eine deutsche von dem Nürnberger Patrizier Gabriel Tetzel, der im Gefolge Leos an dessen Fahrt durch die Abendlande teilgenommen hatte ^). Die Genauigkeit in der Angabe der Stationen läfst freilich auch hier hin und wieder zu wünschen übrig. Die Reiseroute stimmt auf grofse Strecken mit derjenigen Sebald Örtels überein ^).

Mit Übergehung der Reisen des St. Galler Bürgers Daniel Kauffmann (vor 1491)^°) und des Dominikaners Felix Fabri (vor 1492)^^) ist dann weiter- hin vor allem zu nennen die Pilgerfahrt des niederrheinischen Ritters Arnold von Harff (1496 1499), die von ihm selbst ausführlich beschrieben und

4) Röhricht und Meissner a. a. O., S. 66 u. 95.

5) Papierhandschrift 14 326, wahrscheinUch Autograph; vgl. G. Waitz im Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde IV (1879) S. 350.

6) S. oben Anm. 3.

7) Ebenfalls im sogen, schwarzen Rieterbuch der Nürnberger Stadtbibliothek 395 ff. Vgl. auch Röhricht und Meisner, a. a. O. S. 484 f.

8) Herausgegeben von J. A. Schmeller im 7. Bande der Bibliothek des Stuttgarter litterarischen Vereins (1844).

9) Sie deckt sich damit ziemlich genau in folgenden Abschnitten : Dax bis Tolosa ; Santiago bis Ponte de Lima; Porto Coimbra Thomar; Evora Badajoz Guadalupe Talavera de la Reina; Madrid Zaragoza Fraga; Igualada Barcelona Pergignan Nar- bonne; Avignon.

10) Erwähnt von Dietrich von Schachten, bei Röhricht und Meisner S. 224.

11) Vgl. Röhricht und Meisner S. 279 ff.

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uns in mehreren Handschriften erhalten ist^^). Sie hat in der Anlage und in der genauen Angabe der Meilen von Station zu Station so manche Ähnlichkeit mit dem hier zu veröffentlichenden Reisetagebuch des Sebald Örtel, dafs man wohl der Ansicht zuneigen könnte, Örtel habe eine Hand- schrift der Reisebeschreibung des Ritters von Harff gekannt. Inhaltlich jedoch bieten beide Beschreibungen nur geringe Berührungspunkte, wie sich denn auch die von Arnold von Harff eingehaltene Reiseroute nur für wenige gröfsere Strecken annähernd mit derjenigen Sebald Orteis deckt ^^).

1506 unternahm der Breslauer Peter Rindfleisch, der schon zehn Jahre zuvor nach Jerusalem gepilgert und dort zum Ritter des heiligen Grabes ge- schlagen worden w^ar, von Antwerpen aus eine neue Wallfahrt nach Santiago, wo er den Herzog Heinrich von Sachsen mit seinen Begleitern, von Colditz und Hans Roch, antraf ^^). Seine Beschreibung dieser Reise *°) kann sich an Bedeutung weder mit der des Ritters Arnold von Harff, noch mit der Sebald Orteis messen. Mit der letzteren deckt sie sich, was die innegehaltene Route betrifft, für die Strecke von Bayonne bis Santiago.

Wir wissen noch von manchen anderen Fahrten deutscher Pilger nach St. Jacob de Compostella aus dem Mittelalter und dem beginnenden 16. Jahr- hundert ^^), können es aber für unseren Zweck bei den oben angeführten wichtigsten derselben, von denen zumeist noch eine Beschreibung vorhanden ist, bewenden lassen.

Wie an den Pilgerfahrten nach dem heiligen Lande sind auch, wie wir gesehen haben, an den Reisen nach Santiago de Compostella Nürnberger in hervorragender Weise beteiligt gewesen, und einer alten Nürnberger Familie, die zu den Ehrbaren gerechnet wird , gehörte auch der Schreiber unseres Reisetagebuches an. Sebald Örtel, dessen Bildnis wir dieser Abhandlung bei- geben ^'^), war als dritter von sieben Söhnen Sigmund Orteis und seiner Frau Margaretha, einer Tochter des Philipp Grofs, 1494 geboren. Aufser den Brü- dern, unter denen ihm der im Diarium mehrfach genannte Florentius im Alter am nächsten stand, hatte er, wie aus einem Örtelschen Geschlechterbuch ^^)

12) Herausgegeben von Dr. E. von Groote. Köln, 1860.

13) Toulouse. Von Burgos über Leon nach Santiago ; und von Burgos bis Bayonne.

14) Vgl. Röhricht und Meisner, S. 316 und 345 ff.

15) s. ebenda.

16) So von der des Thomas Voglin 1503 (vgl. Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins XVI. 1864, S. 490), Heinrich und Hans Peters aus Ilsenburg, zwischen 1481 und 1516 (vgl. Urkundenbbuch des Klosters Ilsenburg, beabeitet von Jacobs, Halle 1877, Nr. 452) u. a. m.

17) Nach einer Radierung (P. 947 der Porträtsammlung des Germanischen Museums), die allerdings nicht gleichzeitig ist, sondern etwa aus dem ersten Viertel des 17. Jahr- hunderts stammt, aber, wie man aus der Tracht, insbesondere aus der Kopfbedeckung schUefsen darf, auf ein gleichzeitiges Bildnis zurückgeht und daher wohl auf Porträtähn- lichkeit Anspruch machen kann.

18) Hs. 7057 der Bibliothek des Germanischen Museums, Bl. 13 u. 16.

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hervorgeht, noch acht Schwestern. Die Örtel sollen namentlich einen »starken Handel mit Berkwercken getrieben« haben ^'') und müssen früh zu ansehn- lichem Reichtum gelangt sein. Auch Sebalds Vater, Sigmund (f 1525), war sehr vermögend, er besafs zu Ausgang des 15. Jahrhunderts ein Haus in der Kotgasse, je ein weiteres in der Derrergasse, Bindergasse und unteren Schmied- gasse, sowie ein Gut zu Galgenhof, das er eben im Geburtsjahr Sebalds, 1494, von der Gerhaus Kohler gekauft hatte -'^). Über Sebald Örtel selbst erfahren wir nicht eben viel. Während einige seiner Brüder (Andreas, Florentius, Sigmund) in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verschiedene städtische Ämter be- kleidet haben-'), wird ein Gleiches von ihm nicht berichtet. Unmittelbar

nach der Rückkehr von seiner weiten Reise hat er sich am 11. Februar 1522 mit der Tochter des Hans von Ploben und der Barbara Hallerin, Anna von Ploben, vermählt, die ihm drei Söhne gebar, Christoff, Abraham und Paulus ^^). 1552 ist Sebald Örtel 58 Jahre alt gestorben.

Was nun sein Reisetagbuch betrifft, so liegen uns in der Handschrift 420 (kl. 8) der im Germanischen Museum deponierten Merkeischen Sammlung,

19) Nach der Topographia Reipubücae norimbergensis, Hs. 7178 der Bibliothek des Museums, S. 706.

20) Nach dem sog. Libri Utterarum der Nürnberger Stadtbibliothek Bd. 3, fol. 51 (1484); 9, 101 (1492); 11, 133 (1496); 13, 152 (1496) und 12, 40 (1494).

21) Topographia S. 707.

22) Nach dem Örtelschen Geschlechterbuch S. 16.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896.

X.

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zwar kaum die Notizen vor, die er sich auf der Reise selbst gemacht haben mag dem widerspricht die Gleichmäfsigkeit und Sauberkeit der Schrift ohne Zweifel aber haben wir es mit einer fast gleichzeitigen , wahrscheinlich von Sebald Örtel selbst bald nach seiner Rückkehr unternommenen Abschrift oder Bearbeitung seiner Reiseaufzeichnungen zu thun. Das so entstandene Werkchen umfafst 2^/4 Bogen oder 22 Blätter und ist auf starkem, nur leider etwas schlecht geleimtem und daher die Tinte durchlassendem Papier ge- schrieben.

Interessant ist es, zu beobachten, was den Nürnberger Kaufmannssohn auf seiner Reise vor Allem interessiert. Unternommen wurde sie , wie aus den Eingangsworten hervorgeht, in erster Linie als eine Pilgerfahrt nach San- tiago und die Aufzählung kirchlich bedeutsamer Stätten, die besucht, die Be- schreibung der Reliquien, die besehen und fromm verehrt wurden, nimmt einen breiten Raum in der Erzählung ein. Auch unterläfst Sebald Örtel es nie, getreulich zu berichten, wo er Messe hat lesen lassen, ein Almosen »in den Stock« gelegt hat u. s. f. Daneben aber Verrät sich der Zeitgenosse und nähere Landsmann so vieler grofser Künstler, eines Dürer und Peter Vischer, deutlich in dem Eindruck, den hervorragende Kunstwerke auf ihn machen, in der ausführlichen Schilderung, die er beispielsweise der berühmten Chor- bühne in der nicht minder berühmten Kathedrale der heiligen Cäcilia in Albi widmet. Aus seinen Notizen wird vielleicht Manches für die lokale Kunst- geschichte zu entnehmen sein, doch mufs ich die Verwertung des Tagebuchs nach dieser Richtung hin besseren Kennern der mittelalterlichen Kunst in Frankreich und Spanien überlassen.

Auch sonst bekundet Örtel in seinem Tagebuch einen offenen Blick namentlich auf praktischem Gebiete und ein vielseitiges Interesse. Wie von vornherein ein Nebenzweck seiner Reise der gewesen war, seinen in Lyon weilenden Bruder Florentius zu besuchen und später die Rückreise von Lyon aus mit ihm gemeinsam zu machen dieser Plan hat auch seine Marsch- route wesentlich beeinflufst so verkehrt er aufser zu Lyon, auch in Lissa- bon, Saraeossa und anderen Orten mit den dort anwesenden Deutschen und läfst es sich manchen Dukaten kosten, was alles gewissenhaft verzeichnet wird. Ebenso genau wird über die bezahlten Zollgebühren Buch geführt. In Züriclj zei- gen ihm die Züricher Herren ihr Zeughaus, ebenso besieht er sich das könig- liche, reich ausgestattete Zeughaus in Lissabon ; in St. Juan de Luz, Lissabon und Marseille werden die grofsen Schiffe, in letzterer Stadt auch die Docks in Augenschein genommen Dinge, die den künftigen Handelsherrn, den vor- nehmen Städter, besonders interessieren mufsten. Daneben aber versäumt er auch nicht bei St. Galmier des dort aus der Erde quellenden, »wie Wein schmecken- den« doppeltkohlensauren Wassers, oder der heifsen Quellen von Dax Er- wähnung zu thun, oder für die kleine spanische Stadt Tolosa sich voll Ver- wunderung anzumerken, dafs alle Strafsen mit Steinen gepflastert seien. Der- artige kleine Bemerkungen, die zum Teil ein willkommenes Streiflicht auf die damaligen Verhältnisse fallen lassen , finden sich in dem Tagebuch noch manche, wie man aus der Lektüre desselben entnehmen mag.

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Nur von der Natur und ihren Schönheiten , die ihm doch im südlichen Frankreich, in Spanien und Portugal auf Schritt und Tritt entgegen getreten sein müssen, findet sich in dem ganzen Büchlein auch nicht ein Sterbenswort. Als die Reisenden, d. h. Örtel und sein Diener, im herrlichen Barcelona an- kommen, heifst es nur: »Da liefsen wir unsere Pferd beschlagen und unsere Stiefel flicken, kostet mich 6 Real, und blieben den Christabend und den Tag auch da und besahen viele Ding«. Auch in dieser Teilnahmlosigkeit gegen die ihn umgebende Natur zeigt sich der Verfasser noch durchaus als ein Kind des Mittelalters. Weiteren Kreisen das lange nach innen gekehrte oder nur auf die Bedürfnisse des täglichen Lebens gerichtete Auge auch wie- der für die Reize der Natur geöffnet und empfänglich gemacht zu haben, ist wesentlich ein Verdienst der Kunst, insbesondere der Renaissancekunst, und gewifs keines ihrer geringsten. Aber freilich: diese Entwicklung vollzog sich nur ganz allmälich und bei dem Einen später als bei dem Andern. Unser Sebald Örtel scheint 1521 von ihr noch so gut wie unberührt gewesen zu sein.

Bei dem Abdruck des Diariums , das ich nunmehr buchstabengetreu folgen lasse, glaubte ich auch die nach Schlufs des eigentlichen Tagebuches noch hinzugefügten verschiedenen Marschrouten in gleicher Weise unverkürzt wiedergeben zu sollen; einmal weil unser Abdruck auch für den Forscher die Handschrift völlig zu ersetzen bezweckt , dann weil gerade auch diese Ver- zeichnisse noch manches Wissenswerte enthalten und die in denselben er- scheinenden Ortsnamen nicht selten die oft sehr korrupte Schreibung des Tagebuches zu erklären geeignet sind.-'^) Die heutigen Namen der Orte sind, soweit es nötig schien und soweit sie aus den mir zur Verfügung stehenden Landkarten und Reisebüchern zu ermitteln waren, in den Anmerkungen hin- zugefügt; Abkürzungen wurden in der Regel aufgelöst.

II.

Das Reisetagebuch des Sebald ÖrteL

In nomine domini Jesu Christi 1521 Item ich Sebolt Orttel reit zu Nürnperg aus gen sant Jacob an sant Bartelmes abent d. 23 august. Da nam ichw mit mir ein palbirers gesellen, was bey Maister Nicklas Kun am pladenmarck, hies Christoff Melper. Sein vatter sas zu München, den verzert ich mit mir aus vnd ein, vnd gab jhm sonst nichts denn ein Rock in mein färb, vnd ich reit hie aus ein rots fuchs- lein , was meines bruders Florentij ]p 20 fl. vnd ich gab meinem diener ein ciain schimle zu raiten, das kostet 14 fl. Kaufft ich es vom Endres Rechen, der was bey dem Sebastian Melpar in gesellschafft. Item so reit ich den

23) Den »Bädeker für die Santiagopilger aus Deutschland« , welchen Röhricht (Deutsche Pilgerreisen nach dem heiligen Lande, Gotha 1889. S. 36. Anm. 11) erwähnt, mit dem Titel: »De overen vnde meddelen Straten van Brunswygk tho Sünte Jacob in Galicien. Brunswygk 1518« 8. konnte ich leider bisher nicht zur Hand bekommen. Vielleicht würden sich aus demselben mancherlei Aufschlüsse insbesondere auch über die dem eigentlichen Tagebuche angehängten Marschrouten gewinnen lassen.

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ersten tag von Nurnperg aus mit meinem knecht gen Guntzenhaussen an sant Bartolomeus abent, do lagen wir vber nacht was 6 meil da verzert ich 4^2 h. gelts , darnach gen Otting "■*) was 3 meil, [Ib] verzert ich 2 h. 20 ,^, von dann gen Nörling^^) was 2 meil, verzerten 28 kreutzer, von dann gen Genge^^) was 4 meil, verzerten 16 fer, von dann gen New [?] was 2 meil, verzerten 24 fer. Von dann gen Ulm was 2 meil verzerten 16 fer. Darnach rait ich gen Waltringen - '^) was 3 meil, do verzert ich vber nacht 25 fer. Von dann Rait ich gen Pibrach ^*) was 1 meil da regnets als sehr, dafs ich den halben tag dar belieb, da verzert ich 14 fer. Von dann gen waingarten was 3';2 meil, verzerten 30 fer, von dann gen Mersperg^^) was 3'/2 meil, verzert 16 fer. Darnach fuhr ich vber den see, gab darvon 13 fer, da lagen wir zu nacht zu Kofstznitz^") verzert 24 fer. Darnach blieb ich den andern tag zu Koschnitz, dann wir kunten vor wasser nit auskummen, verzert 1 fl., darnach rait ich mit ietzlichen von Zürch gen sant Anna, die thutt auch grofse Zai- chen, vnd hatt gar hübsch geschnitten [2a] altar taffei was 2 gros meil, da assen wir zu mittag, verzert ich 14 fer, von dann gen Winterdurren ^') was 2 gros meil verzert 24 fer. Von dann gen Zürch was auch 2' grofs meil, verzert ich für 6 mal, vnd für 2 tag für die pferd , die ich stehn hat lassen 1 fl. vnd 3 patzen, vnd so fuhr ich mit dem Christoff den see ab pifs gen [Lücke]^^) verzert ich 12 fer. Darnach morgens frü an sant Egidijtag giengen wir gen einsidel was 1 meil vber ein hohen berg, da beichten wir, vnd namen da das heilig hochwirdig Sacrament, vnd befahlen vns vnsern lieben herrn, vnd assen, daselbst verzert ich 15 fer. Darnach giengen wir wider an See, vnd fuhren wider gen Zürch, da gab ich den schiffleuten ein S[avoyer] fl. zu Ion.

[2b] Da schenckten vns die Herrn von Zürch den wein, vnd Hessen vns jhr Zeughaus sehen vnd jhr geschos, beweisten vns viel ehr vnd frevmd- schafft, darnach reit ich zu mittag aus gen Lentzspurg^^) was 2 gros meil, verzert ich 24 fer: von dann gen Arburg ^^) sind 2 grofs meil, verzert ich 4 batzen, von dann gen Doringen [.i^] 2 meil verzert ich 7 batzen. Von dann gen Purtdolf^-^) sind zwei gros meil verzert 4 batzen. Item von Purtdolff gen Bern 2 meil, da verzerten wir 10 batzen, von dann gen Freyburg ist 3 grofs meil, da verzerten wir sieben Safoir g: von dann gen Remund^*^) ist 3 meil, da verzerten wir 16 Saffoir g. Von dann gen Losanna ^') ist 5 meil, da ver- zerten wir 8 g., von dann gen Nifs^^) 4 meil, verzerten 7 g. Von dann gen Jenff ^^), ist 3 meil, an vnser lieben frawen abent. Da blieb ich den Sambs- tag, vnd vnser lieben fraw[3a]en tag zu Jenff, da verzerten wir bey dem Ulrich Embler 2 fl. Item so ritten wir den montag zu Jenff wider aus, vnd ritten gen Kolunge*"), das ist 4 meil, da verzerten wir 7 g. Von dann gen Senpermann*^) ist 3 meil, verzerten wir 15 g. mit sambt den 2 Teutschen,

24) Öttingen. 25) Nördlingen. 26) Giengen. 27) Baltringen. 28) Biberach. 29) Meersburg. 30) Konstanz. 31) Winterthur. 32) Vielleicht Pfäffikon? 33) Lenz- burg. 34) Aarburg. 35) Burgdorf. 36) Romont. 37) Lausanne. 38) Nyon (Neuss). 39) Genf. 40) Collonges. 41) Saint Germain de Joux.

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die lud ich zu gast, von dann gen Scherdung ■^") ist 4 meil, do verzerten wir 6 g, von dann gen Samony*^) ist 3 meil, da verzerten wir 14 g. Von dann gen Mulla''*) ist 3 meil, verzerten wir 7 g., von dann gen Lion ist 3 meil verzerten wir nichts. Lagen bey meinem bruder Florentius in seiner Herbrich bey 14 tagen, da zalt er für mich.

[3b] Item so luden mich die Teutschen zu Lion zu gast, nemlich der Sebolt Schurstab, Schlisselberger, vnd der Hans Scheiffelein, der Hans Schwab, vnd des Dürrer diener, vnd der alt Hans jr. So lud der Florentius mir zu lieb zu 2 tisch Teutsche in des Marx Rauschen Haufs. So sahen wir zu Sangust '''**') 2 vnschuldige kindlein vnd ein stuck von der seulen, da vnser Herr daran gegeisselt ist worden, vnd sonst viel Heilthumbs von sant Anna.

Item so ritt ich zu Lion wider aus Adj 24 September , mit des Hans Schwaben Sun , vnd sunst mit 2 Wallon , vnd ritten von Lion aus gen Jfa- rung'^^) ist 3 meil, da verzerten wir 7 ß, van dan gen Sangervay **^) was 4 meil, da verzerten wir 14 ß, da selbens da hats ein brunnen gehabt der hat geschmeckt als wein. Darnach ritten wir gen sant bunet deschada*''), was

5 meil, da verzerten wir 7 ß, von dann gen pung [4a] deperat*^) was 3 meil, verzerten wir 14 ß, von dann gen Sassangen*^) was 5 meil, da verzerten wir

6 ß. Von dann gen allabantha [?] was 3 meil, da verzerten wir 14 ß, von dann gen sant fior ^"), da verzerten wir 6 ß, was 5 meil, darnach blieben wir denselben tag dar, vnd besahen ein grosse glocken, vnd ein stuck vom hei- ligen f , vnd ein dorn von vnsers herrn krön, vnd 2 ohr von sant Johann vnd sunst viel Hailthumbs. Im prediger closter da verzerten wir 14 ß, von dann gen Schadesloy ^*), was 4 meil, da verzerten wir 7 ß, von dann alla giolap) was 4 meil, da verzerten wir 7 ß, darnach ritten wir gen Rodes ^''^) was 4 meil, da verzerten wir 22 ß. Da sahen wir in eins pfaffenhaus, das hübschst sel- zamst ding von bildern vnd gemeiden: vnd hangen, niemands kan nit sehen war an. Darnach giengen wir, vnd besahen vnsser lieben frawen schue, [4b] vnd ein seiden das sie selber gespunnen hat, vnd 3 st. vom heiligen f vnd ein dorn von vnsers Herrn krön, vnd mehr ein gar güldene Jungfraw Maria vnd sonst viel löblichs Hailthumbs, von Rodes raiten wir alla motda [?] was 5 meil, verzerten 5 ß, von dann gen AUerung-^*) was 5 meil. Item do verzerten wir 12 ß. Von dann gen Albis'"'-^) was 3 meil verzerten wir 7 ß, da hats ein Hübsche kirchen , vnd alle gemalt vnd vergult , vnd der kohr mit hübschen gehaunen steinen, vnd man weisset vns den hohen altar, darinnen was vnssers herrn gepurt, vnd die beschneidung , vnd die vnschuldigen kindlein , vnd die flucht in Egypten, als von silbern bildern, vnd oben von sant Jörgen, von sant Nicklas von sant Marta, von sant Barbara, von sant Steffan, von sant Paul als in Silber eingefast, vnd sonst 9 kopfi" von den 11 tausent Jungfrawen, vnd sunst viel heilthumbs. Darnach wiefs man vns [5a] im Sagra viel hübsche güldene , perlene vnd sammete vnd damaskatine Mefsgewant vnd 2 silberne mefsbücher , vnd ein guldes f mit viel hübschen edelen steinen , vnd sunst

42) Cerdon 43) S. Denis. 44) Montluel. 44 a) Saint Just. 45) Yzeron. 46) Saint- Galmier. 47) Saint Bonnet-Ie-Chäteau. 48) Pont Tempera. 49) Chavagnac. 50) StFlour. 51) Chaudesaigues. 52) Laguiole. 53) Rodez. 54) Almeirac. 55) Albi.

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viel silbernes gefefs, das alssams hat ein Bischoff lassen machen. Von dann ritten wir gen Gelieck^'^) was 4 meil, verzerten wir 4 ß, von dann gen Baus- set ^^) was 4 meil, verzerten wir 7 ß, von dann gen Tolosa ■''^) was 4 meil, da blieben wir ij tag vnd verzerten 1 Ducaten , vnd wir besahen viel löblichs Heilthumbs, als nemlich 6 Zwelffbotten, vnd der hailig Ritter Sant Jörg, vnd sonst viel Hailthumbs, als ich auff eim Zettel getruckt hab. Mehr das buch Apocalipsis vnd ein Zan von sant Christoff, vnd ein perlemutter, darein ist gar hübsch ding geschnitten^"), vnd wir ritten Zu Tolosa wider aus am Donnerstag an sant Franciscitag [4. Oktober] Zu mittag gen Lillagordung "") was 4 meil, verzerten wir 12 ß darnach gen Lysignan [?] was 3 meil ver- [5 b] zerten wir 6 ß, von dann gen Asch®') was 4 meil verzerten wir 12 ß, von dann gen Wick®^), was 4 meil verzerten wir 7 ß von dann gen naxaro ®^) was 4 gr. meil, verzerten wir 18 ß von dann gen Kasaras ''^) was 3 gr. meil verzerten wir 6 ß. Von dann gen Garnada ''•^) was ij meil, da ritten wir vber ein brück, da must man 6 ß Zu Zol geben. Darnach ritten wir noch gen sant Sotber "'') was ij meil, verzerten wir 12 ß, von dann gen Munfort *' ') was 3 meil, verzerten wir 7 ß. Von dan a Dax was 3 meil verzerten wir 14 ß, da ist ein Heifs wasser , das quilt von der erden , als sunst ein quellender prun. Von dan gen sant Winssang ''^) was 3 gros meil verzerten wir 7 ß. Von dan gen Wayana ^•') was 4 meil. Da blieben wir ein gantzen tag stil Regent , vnd besahen die befestigung , die der König von Franckreich lies machen mit pastey vnd grofs graben vmb das schlofs, mehr besahen wir wie man die grossen ancker macht, da einer 40 bis in 50 c. wigt , braucht man der fünff in ein grofs schiff, vnd die Jungfrawen sind alle beschoren, daselb- sten verzerten wir 40 ß. Von dann ritten wir gen sant Jangdelus ^'^) [6a] was 3 meil, verzerten wir 6 ß, ist ein port des Meers. Da besahen wir die grossen schiff, vnd alle Zugehörung. Darnach ritten wir vber ein brück vber das Meer, da musten wir 6 ^ zu Zol Zalen. Darnach ritten wir noch 2 meil zu eim schlofs, das ist des Königs von Spania; vnd sein Herrschafft hebt sich her genseit des wassers an, vnd man lest kain Kauffmann heraus raiten, man besucht ihn vor , dafs er kein gelt mit ihm hraus fürt. Darnach ritten wir noch ein halbe meil in ein stetlein hies Dirrong''), da verzerten wir 12 ß.

56) Gaillac. 57) Buzet. 58) Toulouse.

59) Sebald Rieter berichtet von Toulouse (Nürnberger Stadtbibliothek, schwarzes Rieterbuch Bl. 395b): ». . . darnach fugt wyr vns genn dolosa In langendöcken gelegen ist ein grose stat grösser dann zwey Nürmberg vnd liegen Alda In der kirchen vntter dem köre dy lieben Zwelffpotten sant philipp vnd sant Jacob In einem grab Sant Symon vnd Judas auch In einem grab Sant barnabas Heroben In einer Mawr Sant Jörgen des lieben Ritters Maysters leichnam Sant Seuerinus vnd ander vil Heyligen vnd Heyltums Auch dy vber geschriflft von dem Heyhgen Creucz.«

Noch ausführlicher ist Arnold von Harff (ed. Groote S. 223), der u. a. auch, ähnlich wie Örtel, eines Evangelienbuches Erwähnung thut, »dat gantz mit gülden litteren ge- schreuen was, dat man sait sent Johann ewangelist mit sijner eygener hant greschreuen haue.«

60) l'Isle-Jourdain. 61) Auch. 62) Vic - F^zensac. 63) Nogaro. 64) Cazeres. 65) Grenade. 66) St. Sever. 67) Montfort. 68) St. Vincent-de-Tyrosse. 69) Bayonne. 70) St. Juan-de-Luz. 71) Irün.

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von dann gen Armany '^^) was 3 meil, verzerten wir 8 ß, von dann gen Do- losada'^^) was 3 meil. Die Statt ist mit eitel dein steinlein gepflastert, da verzerten wir 16 ß, von dann gen Sigura'^'*) was 4 meil, da verzerten wir 8 ß. Ist daselbs der weg 8 meil aneinander gepflastert. Darnach ritten wir gen Sagama'-^), was 1 meil. Da namen wir 2 essel oder meyler. Und ritten den berg auff der ist fast hoch, vnd heifst der berg sant Atrion^**). Ist der weg durch ein fels gehauen wunderbarlich, da must [6b] ich 1 Real von eim Esel geben. Und lagen darnach vnten am berg in eim dorfl" das hies Galareda'^^). Was 2 meil, da verzerten wir 4 Reall. Darnach ritten wir gen Odygany [?] am suntag. Do hörten wir mefs, was 2 meil, da verzerten wir 2 Real vnd 2 Darges, gilt ein Darges 8 Spanisch ^. Von dann ritten wir gen Witdoria '^), was 3 meil , da beschreibt man die Rofs vnd die esel , die man hinein reit, da verzerten wir 4 Real. Von dann alla punda Dormurug [?] was 4 meil, da verzerten wir 8 Dargefs, von dann gen Mermiste ''^) was 4 meil, verzerten wir 1 Real vnd 2 Dargefs. Von dann gen Mestir Derodilla^*') was 3 meil, ver- zerten w4r 2 Real vnd 2 Dargefs. Von dann ritten wir gen Wurges^^) was 5 meil. Do besahen wir im Augustiner Closter ein Cruci-[7a]fix, das Ni- codemus hat gemacht, das thutt grosse Zaichen, vnd wenn man Ihm ein finger oder Zween beugt: So rieht es sich wider auff; Und niemand waifs nit war- von es gemacht ist. Darnach besahen wir die grossen kirch : 4Jnd bey 3 hundert st. Heilthumb in eim altar. Und in der kirch ein fast hoch durch- sichtig gewelb, vnd fast hübsch ausgehauen. Mehr besahen wir des Königs Spitall, vnd sonst viel dings. Und wir blieben iij tag dar. Verzerten wir 15 Real. Darnach ritten wir am sambstag wider aus, vnd ritten gen Hörvilles^^) was 3 meil, da verzerten wir 1 Real, von dan gen Casterseris *^), was 4 meil, da verzerten wir 2 Reall 2 dargefs, von dan gen Formestein ^*) was 5 meil, verzerten wir 2 Realen [7 b] Von dann gen Carion'^^) was 4 meil, verzerten wir 3 Reall, von dann gen Kassadilla^*^) was 4 meil, verzerten wir 6 darges, von dann gen Sagona^'), was 3 meil, verzerten wir 9 Darges. Von dann gen Gurgada [}] was 3 meil, verzerten wir 9 Darges. Von dann gen Man- sille^^) was 4 meil, verzerten wir 10 Darges, von dann gen Lion^'-*) in Spania, was 3 meil, verzerten wir 6 Darges. Da namb ich 2 essel bis gen sant Jacob, gab ich darvon 24 Real, vnd dem Knecht 11 Real, der die essel widerholet, dann das schimela was sehr getruckt, von dann raiten wir noch gen noder- dama daschaschinung [}] was 1 meil, verzerten wir 10 darges, von dan alla puntdy dorby^") was 5 meil verzerten wir 7 darges. Von dan gen Sturges^^)' was 3 meil, da besahen wir ij Zan von sant Christoff sollen wegen 10 h ^/4, vnd ein st. vom heiligen f , vnd ein rören von sant Blasius, vnd ein rören von

72) Hernani. 73) Tolosa. 74) Segura. 75) Segoma. 76) P. de Arlaban. 77) Gale- rota. 78) Vitoria. 79) Bribiesca, älter Birbusca; bei Peter Rindfleisch (Röhricht und Meisner S. 346): Vermeseck. 80) Monast. de Rodillas. 81) Burgos. 82) Bei Arnold von Harff (ed. Groote S. 230): Hornilus. 83) Castrogeriz. 84) Fromista. 85) Carrion d. 1. Condes. 86) Calcadilla. 87) Sahagun. 88) Mansilla de las Mulas. 89) Leon. 90) Harff (ed. Groote S. 231): »... Ponte de orfigo eyn dorff, lijcht zo beyden sijden vff deme uasser Orfigo oeuer eyn steynen brück.« 91) Astorga.

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sant Barbara. Und man weist vns wie der teuffei einen verstorbnen reichen man het aus dem grab geholet [8 a] Und wir besahen die ringmauren, ist fast die best in Castillia. Von dannen ritten wir gen Spidall dowasch^-) was 2 meil, da verzerten wir 4Reall: von dann an den berg Rafanell "•^) was 4 meil. Dar- nach vber den halben berg gen Lassebo ^■^) was 3 meil, verzerten wir 2 Real, von dann gen Pungferade '■^^) was 3 meil, verzerten wir 4 Real, von dann a Willa franca^^) was 5 meil, verzerten wir 2 Real. Von dann auff den berg Malafaber ^ '') gen santa Maria ^'*) was 7 meil, verzerten wir 4 ',2 Real, von dann gen Troi CastelP") was 5 meil, verzerten wir 2 Real, von dan gen Sorge ^^'^) was 4 meil verzerten wir 3^2 Real, von dann gen Legunda*^^) was 8 meil, verzerten wir 2 Real. Von dann gen Millisse ^"^) was 5 meil, verzerten wir 4 Real, von dann gen troy Cassa^"^), was 4 meil verzerten wir ij Real. Von dan gen Compostell gen sant Jacob ^^*) was 3 meil, da lagen wir iij tag still, vnd am aller Hailigen [8 b] tag da Hessen wir vns bewaren, vnd verzerten wij- 2 Ducaten. Und ich lies für 1 Ducaten mefs lessen, vnd gab eim armen Teut- schen Weber 1 Ducaten, dafs ei; aus der gefengnus kern. Und ich lies des Zillers söhn, vnd den 2 Distlerren 1 Ducaten vnd gab den armen leuten in dem Spital 1 Ducaten, vnd wir besahen den gantzen Spital, ich habe kein hübschem nit gesehen. Darnach an aller seelen tag zu mittag, Zügen wir zu St. Jacob wider aus, vnd ritten gen pattron ^ "■''), was 4 meil. Da ist St. Jacobs brun, vnd sein bett , vnd der felfs da Sant Jacob 3 mal durch ist krochen, da jhn die baurn gejagt haben. Da verzerten wir 3 ^2 Real. Von dan gen Goldafs ^"**) was 3 meil, verzerten wir 7 Dargefs. Von dan gen Pundafedar *"'') was 3 meil verzerten wir 4 Real. Von dan gen Rodinidella ^*^^) 3 meil, verzerten wir 6 Darges. Von dann gen Duya^"'-*) was 5 meil, ver- zerten wir 3 Reall. Darnach am morgens früh fuhren wir vber ein wasser halst Muga ^ ^ **) do ligt ein statt [9a] zunechst darbey, heist Valentie ^ '^), vnd wir ritten gen Egalunga [.?] was 3 meil, verzerten wir 2 Real 2 Darges. Von dan gen punda do limy^^^) was 3 meill, da ist ein hübsche lange brück, ist iij Hundert rofsschritt lang, da verzerten wir 3 Real. Von dann gen Wars- selles^^^) was 5 meil, verzerten wir 60 portugal. Real, von dan in ein dorff heist gassy [.?], was 3 meil, verzerten wir 80 Real, von dan gen parda portu- gal ^^^) was 4 meil, da wolten wir auf das meer sein gesessen, da war kein schiff vorhanden, das gen Lisabona gieng. Da verzerten wir 128 Real oder K. d. Und am Donnerstag ritten wir gen Riffano'^^), was 5 meil, da ver-

92) Harflf (ed. Groote S. 231): »Item van Storgis zo Hospitale eyn dorff ij lijge.« 93) Ravanella. 94) Luceno. 95) Pon-ferrada. 96) Villafranca. 97) Peter Rindfleisch : »Ma- lefaber«. »Nördlich von Sa de! Oribio« [Röhricht u. Meisner S. 347 Anm. 6.] 98) Harflf S. 232: »Item van Ala faba zo Marie de sebreo eyn klein dorfifgen vflF deme berge Malefa- ber.« 99) Harflf S. 232: »Trecastelle«, auf älteren Karten: »Tria Castella*. 100) Särria. 101) Harflf, S. 232: »Ligundi eyn dorflfgen.< 102) Mellid. 103) Harflf S. 232: »Trykasa eyn dorff«; das »Dos Casas« der älteren Karten (16. 17. Jahrh.)? 104) Santiago de Compo- stella. 105) Padron. 106) Caldas d. Reyes. 107) Pontevedra. 108) Redondela. 109) Tuy. 110) Minho. 111) Valenga do Minho. 112) Ponte de Lima. 113) Barcellos. 114) Porto. 115) Leo von Rozmital (ed. Schmeller S. 93): »Portu Rifanam quinque milliarium itinere pervenimus«.

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zerten wir 90 Real. Von dann gen Walantz [?] was 4 meil, verzerten wir 44 Real. Von dann gen Albagaria ^^''), was 4 meil, verzerten wir 90 Real. Von dann gen Quimer^'j was 5 meil, da verzerten wir 56 Real, da ist ein hübsch Parfusser closter mit hübschen aufsgehawen stei- [9 b] nen. Von dann gen Sarnoschka ^^^) was 2 meil, verzerten wir 66 Real. Von dann gen Warges ^^^) was 4 meil verzerten wir 42 Real. Von dann in ein eintzlich Haufs was 3 meil, da verzerten wir 68 Real. Von dann gen Domner ^^*') was 3 meil, ver- zerten wir 42 Real. Von dann gen Woligany [}] was 4 meil , da verzerten wir 70 Real, da machen die bauren gar eine hübsche kirchen. Von dan gen Sant Darring ^^^) was 4 meil, da verzerten wir 48 Real. Von dann gen Willa longa [}], was 4 meil, verzerten wir 90 Real, von dann gen Willa noggra [?], was 5 meil, verzerten wir 48 Real. Von dann gen Lissabona ^^^) was 5 meil, da blieben wir 6 tag dar stilligent, vnd besahen die grossen schiff, die von Calecut kummen, vnd das ganze Haus von India, vnd des Königs Zeughaufs, gar viel hübsche büchssen, vnd die Harnisch sollen sein für 40 tausent [10 a] man zu fus, vnd für 10 taussent zu Rofs, Und viel glocher zu den pferden, vnd ein Kalakudisch Harnisch , vnd viel seltzamer waar , vnd fuhren zu dem newen schlofs, vnd zu dem newen Closter, das der König bawen lest, vnd besahen die gantz statt, was darinnen zu besehen was. Da luden vns der Hirschvogd diener, vnd der Weisser diener zu gast, vnd theten mir viel ehr vnd freundschafft, Und ich lud die andern Teutschen auch all zu gast, kostet mich das mal vnd Zerung was ich verzert hett 5 Ducaten. Darnach am Erichtag vor sant Katharina tag [19. November] 7 stund nach mittag sassen* wir auff das meer, vnd fuhren vber 3 meil gen Aldegaloga ^^^), [10b] Da assen wir zu nacht, vnd verzerten wir da 90 Real, von dann gen Landera [.^J was 5 meil verzerten wir 90 Real, von dann gen Schabarida [?] in ein eintz- lich Haus, was 3 meil, verzerten wir 125 Real, von dann gen Munda mort- noua ^^*) was 4 meil, verzerten wir 38 Real, von dann gen Ebrach ^^°) wz 5 meil, was die Küng. Mt. von Portugal dar, vnd namen ein passaport vom König durch sein leut , kostet mich 1 Ducaten , vnd wir sahen den König essen, vnd die Kunigin, vnd ich redet mit der Kunigin, die fraget mich von wannen wir kemen , vnd sunst fraget sie mich von jhres bruders vnsers H. Kaysser Karols wegen. Und wir besahen des Königs seine pferd, vnd seine gärten, darinn was ein balsambaum, vnd besahen sunst viel dings, da verzerten wir 2 Ducaten. Darnach ritten wir an sant Catharina abent gen Estramos '^^) was 6 [IIa] meil, verzerten wir 126 Real, vnd an sant Catharina tag lies ich ein mefs lessen, vnd ritten darnach gen Elssis ^^^) was 6 meil, verzerten wir 76 ^, vnd wir antworten den brieff vom König, vnd sie gaben mir ein an- dern, darfür gab ich 4 ^ oder Real, vnd dem auff der wart gab ich ein Wintden^^'^'a)^ von dann ritten wir gen Wagadofs ^^^), Hebt sich da Castillia an, da lies ich vnsere pferd, vnd das golt, vnd die ring beschreiben, wie dafs ichs am Heraus raiten wolt verzollen. Darvon gab ich 16 Marfadifs, darnach

116) Albergaria. 117) Coimbra. 118) Sernache. 119) Alvorge. 120) Thomar. 121) San- tarem. 122) Lissabon. 123) Aldöa Gallega. 124) Montemor Novo. 125) Evora. 126) Estre- moz. 127) Elvas. 127») So viel wie: eine Kleinigkeit. 128) Badajoz.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XI.

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macht mir einer ein Zaichen darauf, darvon gab ich 12 r5j, da verzerten wir 38 ^. Von dann gen Dallabarela ^^^) was 3 meil, verzerten wir 94 ^, von dann gen alarua^^*^) was 4 meil, verzerten wir 42 ^, von dann gen mereyda^^^) was 2 meil, da ist ein heidnische brück ist bey 60 joch lang, von dann gen Dorsilon [?] was 1 meil, verzerten wir 96 ,df. Von [Hb] dann gen Myaso- gada'^^) was 6 meil, verzerten wir 87 ^. Von dann gen Grusan^^^), was 7 meil, verzerten wir 53 ^. Von dann gen Kananero ^^*) was 2 meil, ver- zerten wir 86 ^. Von dann ritten wir gen Gardalub ^^^). Da blieben wir ij tag, was 2 meil. Da besahen wir das gantz Gotzhaufs, vnd alle jhren vor- rath, den sie haben, gleich als wers in einer grossen Statt. Sie haben jhr aigen Spital, vnd hohe schul, vnd schier die gantz statt gehört zum closter- Da legt ich 2 Real in stock vnd gab ein Real, vnd lies mefs lessen. Darfür do verzerten wir 6 Real, von dann gen aspidal dekardedial [}], was 3 meil. Da verzerten wir 78 d. Von dann gen Willa petroysy ^^'^), was 4 meil, ver- zerten wir 44 ^. Von dann gen alapunta arsabaschko ^^'^), was 2 meil ver- zerten wir 65 /^. Von dann gen Dallabero ^^^), was 6 meil, verzerten wir 40 /^. Von dann gen GrusseP^^), was 2 meil, verzerten wir 70 ^. Von dann den sant Silvester [.?}, was 5 meil [12 a] verzerten wir 45 z^^, von dan gen Kassia Roy [?], was 4 meil, da verzerten wir 80 ,^. Von dann gen Mulynes ^'*''), was 3 meil, verzerten wir 50 /^, von dann gen MatrilP*^) was 4 meil, da verzerten wir 37 ^, von dann gen Kallasfenodfs ■^*"), was 6 meil verzerten wir 28 ^. Von dann gen wott de lagerra ^^^) was 4 meil, verzerten wir 86 ^ , Von dann gen Hytda ^'**), was ein hohes schlofs, was 4 meil, ver- zerten wir 40 ^. Von dann gen Wurgesherres [?] was 2 meil, verzerten wir 52 /^. Von dann gen Weydes ^^^), was 2 meil. Da hörten wir mefs an vnser lieben frawen tag [8. Dezember], verzerten wir 32 ^ . Von dann gen Siganssa ^*^), was 2 meil, da ist ein fast hübsche kirchen, mit eitel weis Merbelsteinen altar. Von dann gen Ifsgossa [.''] was 1 meil, verzerten wir 63 /^, Von dann Modine delamunde ^•*'') was 3 meil. Da blieben wir den halben tag, vnd fragten darnach, wie wir vns halten solten mit dem Zoll. Da verzerten wir hundert v siebentzig ^. [12b] Von dann gen Arkifs '"*^) was 3 meil, da ist das endt des Castillia. Da mufs man die Rofs, vnd gelt vnd ring verzollen. Gab ich von den 2 pferden 3 Ducaten, vnd von Ringen, vnd vom gelt 1 Du- caten. Da wurd mir mein ring gestolen. Da verzerten wir 40 ^. Von dann gen Arrissa ^'^•'), do hebt sich Arrgon an, was dahin 4 meil verzerten wir 60 Arragonisch /^, von dan gen Wurbicka ^•^'^) was 4 meil, verzerten wir 34 /^. Von dan gen Kaladiff' ■''^) was 3 meil, verzerten wir 80 ^. Da Hessen wir 10 Duckaten einschreiben, vnd 2 ringlein, darvon must ich 1 Ducaten Zol

129) Talavera. 130) Arroyo. 131) Mdrida. 132) Miajadas. 133) Logroson. 134) Cana- mero. 135) Guadalupe. 136) Villar del pedroso. 137) Puente de! Arzobispo. 138) Tala- vera de la Reina. 139) Sta. Cruz del Retamar? 140) Mostoles. 141) Madrid. 142) Alcalä- de Henares? 143) Guadalajara. 144) Hita. 145) Baydes. 146) Sigüenza. 147) Medinaceli. 148) Arcos. 149) Ariza. 150) Leo von Rozmital (S. 102): »Monrealo Bubiercam venimus quatuor milliarium itinere. Is pagus, arci impendenti subjectus, inter eosdem montes jacet, quem praeterfluit torrens nomine Schalun, primus ab eo Aragoniae latere. 151) Calatayud.

75 .—

geben, durch gantz Arragon. Von dann ritten wir gen Rigla^-^-), was 5 meil, verzerten wir 32 ,d}. Von dann gen Molla^^^), was 5 meil, da verzerten wir 68 d. Da regnets an sant Luccia abent [12. Dezember] 5 stunt nach mittag. Von dan gen Sarragossa was 4 meil, da blieben wir ij tag, vnd besahen die statt, vnd die mutter Gotts de pillerin thutt auch grosse Zeichen. Und daselbst macht man gar ein hübschen altar [13 aj von eitel Allawassara, vnd der Sebastian Sche- perlein lud vns zu gast vnd leih mir 12 Ducaten, als ich jhm ein schuldbrief gab, Zu Lion wider auszurichten. Da verzerten wir 8 Real. Von dan gen Otschery^^^) was 3 meil, verzerten wir 28 ,^ Von dan gen Anfeda, was 3 meill. Verzerten wir 54 ^. Von dann gen Sandalusa [}] was 3 meil, ver- zerten wir 2 Real. Von dan gen Pinalba ^^^), was 3 meil, verzerten wir 3 Real. Von dann gen fraga was 5 meil, verzerten wir 54 d. Von dann gen Dürres ^^'^) was 2 meil, verzerten wir 64 ^. Da namen wir ein brieff, dafs wir durch kein sterben waren geritten, darfür gaben wir 10 ^. Von dann gen Gunada^-^^) was 3 meil grofs. Da verzerten wir 34 ^. Von dann gen Malta [}] was 2 meil , da verzerten wir 53. Da wolt man vns weder durch Gotts willen, noch von gelts wegen nit beherbrigen. Da giengen wir zu dem herrn ins schlofs, vnd batten jhn dafs er [13b] vns vnterhülff, da lies er dem Richter gebieten , dafs er vns einhülff. Von dann gen Gumara ^^^), was 3 meil ver- zerten wir 42 rdi, da namen wir wider ein brief, dafs wir durch kein sterben waren geritten, kostet 10 ^. Von dann gen santa Kaiana ^^^) was 2 meil, da verzerten wir 90 ^. Von dann gen Anguleda^*^^), was 3 meil, verzerten wir 60 ^. Von dann gen Munserat ^'^^) was 3 meil, da blieben wir ij tag, vnd wir besahen auff dem berg wol 10 armittes oder einsiedel, die wonen in den felssen, gar wunderparlich ding, vnd wir besahen gar viel ding im Closter. Und die Mutter Gotts thut gar grosse Zaichen, vnd sind da viel grosse wäch- sine Kärtzen, die einer kaum vmbgreiffen kan, vnd wol 43 silberne lampen, die tag vnd nacht brennen, vnd sonst wol bey 100 silberne lampen, die nit brennen. Da leget ich 5 Real in den stock. Da gibt man einem jeglichen Reich oder armen brot wein [14a] öU vnd essig bevor. Aber was man für die Rofs vnd essel bedarff, mus man bezallen. Da verzerten wir 8 Reall, vnd lies mefs lessen für 1 Real. Und daselbst wurd mir mein 2 pferdten die schwentz abgeschnitten. Von dann ritten wir gen Sant Endres^*'^), was 4 meil, verzerten wir 54 ^. Von dann gen Spidelat [}] was 2 meil, verzerten wir 74 /^. Von dann gen Warsalona *^^), was 1 meil. Da Hessen wir vnsere pferd beschlagen, vnd vnsere stiffel flicken, kostet mich 6 Real, vnd blieben den Christabent vnd den tag auch dar, vnd besahen viel ding. Da verzerten wir die 3 tag dar 2 Ducaten.

[14 b] Und an Sant Steffanstag [26. Dezember] ritten wir wider aus mit 4 Frantzosen, vnd ritten gen alla Rocka^*^*) was 4 meil, da verzerten wir 3 Real. Da wurd mir mein pferd das fuchslein kranck , da lies ich jhm die

152) Ricla. 153) la Muela. 154) Osera. 155) Penalba. 156) Torres de Segre. 157) Juneda. 158) Guimera. 159) Sta. Coloma de Queralt. 160) Igualada. 161) Olesa de Monserrat. 162) St. Andres del Palomar. 163) Barcelona. 164) la Roca.

76

feuffel reissen^^***). Von dann ritten wir gen Fanssaloner ^*'-^) was 3meil, vnd da wolt mein fuchslein nimmer gehn. Ligt ein halbe meil vor der statt Und alsbald ichs in stall zug, da fiel es nider vnd starb von stund an. Da ver- zerten wir 5 Real. Darnach luden wir vnsere stiffel vnd claider auff das Schimelein , vnd luffen neben jhm her gen Vecacopy ^***') was 3 meil. Da verzerten wir 3 Real. Von dann gen Girona^^'') was 4 meil, verzerten wir 5 Real. Da namen wir 2 essel, bifs gen Parpion '*'*), darvon gab ich 2 Du- caten. Von dem ritten wir gen Sigires ^ "'■'), was 3 meil, verzerten wir 4 Real, von dann gen Wollang^''^) was 4 meil, da verzerten wir 2 Real. Von dann gen Parpion was 3 meil, da kaufft ich ein Sc'himele |15a] pferd vmb 7 Du- caten, vnd verzerten 16 ß, Und ich namb 2 essel bis gen Narbona ^'^^), dar- von gab ich 1 Ducaten. Von dann ritten wir gen Palma ^'^^), was 5 meil, da must ich von 2 pferden vnd 2 Esselen 4 ß Zol geben, vnd verzerten dar 12 ß. Von dann gen Willa falssa^^^), was 2 meil, da must ich von 1 pferdt 1 ß Zollen, vnd von eim Esel 8 ^. Darnach ritten wir noch folgent gen Narbona, was 2 meil. Da verzerten wir mit sambt den 2 esell 24 ß. Von dann gen sant Dobery^^"*) was 3 meil, verzerten wür 14 ß. Von dann gen Lopia [}], was 3 meil, verzerten wir 7 ß. Von dann gen Willa noffa^'''^) was

4 meil, da blieben wir 1 tag, vnd giengen alla Magalona^''*') an das meer, vnd fuhren hinvber, vnd besahen das hailthumb, vnd die kirchen. Da waschen sie alle tag den Jüngern, vnd den Jacobsbrüdern jhre füfs. Da fuhren wir wider vber; vnd verzerten dar 45 ß, vnd wir hatten einen man mit vns lauffen von Pardalupa^'^') bifs [15b] gen Willa noffa, da wurd er mir krank, gab ich jhm 2 Ducaten. Von dann gen Sanbegs^'^^) was 4 meil, da verzerten wir 8 ß, von dann gen Wafer ^ ''*•') was 4 meil, da verzerten wir 12 ß. Von dann gen sant Gilgi^'') was 4 meil da verzerten wir 8ß. Und wir sahen ein arm vnd das Haubt von sant Gilgen, vnd das ander Heilig gebain ligt in eim sarch. Mer ein arm von sant Jörgen, vnd ein Finger von sant Johans Wathisse [Johannis Baptista], vnd sunst viel Hailthumbs. Von dann ritten wir gen sant Anthony Darles*^^), was 3 meil, verzerten wir 12 ß, vnd sahen den kopff vnd das gebain als von Sant Anthony bifs ohn ein arm, der ist A wino ^^'). Von dann bis gen sant Marding de kraub ^^^) was 3 meil verzerten wir 8 ß. Von dann gen sallung ^^•*), was 4 meil, verzerten wir 12 ß, von dann gen Laspena [?], was

5 meil, verzerten [16aj wir 19 ß. Von dann gen Marsilia^'^^), was 3 meil. Da lagen wir ein tag still, vnd besahen das hailthumb zu Predigern, Sant En- dres bart. Und in der Pfarr St. Lasarus Haubt, vnd ein gantze Hand, vnd ein arm von sant Atrion^*^^), Und ein rören von Sant Victor, vnd sunst viel Hailthumbs, vnd zu sant Victor im closter sant Endres X' '^^^ ^^^"^ Victors

164 a) »Die Speicheldrüsen ausschneiden oder zerquetschen.« Grimms Wb. III. Bd. Sp. 1433 unter Felbel, Feifei. 165) San Cetoni. 166) Bei Leo von Rozmital (S. 112) steht an dieser Stelle »Castelricum« (heute: Hüstalrich). 167) Gerona. 168) Perpignan. 169) Figueras. 170) Boulou. 171) Narbonne. 172) la Palme. 173) Auf älteren Karten: »Ville Falce«. 174) Leo von Rozmital (S. 113): »Narbona Santyberium septem milliaribus distat«. 175) Villeneuve. 176) Maguelonne. 177) Guadalupe. 178) St. Bres. 179) Vauvert. 180) St. Gilles. 181) Arles. 182) Vienne. 183) St. Martin de Crau. 184) Salon. 185) Mar- seille. 186) St. Hadrian.

77

Haiibt, vnd sein gcbain ^ar hübsch in silber einrefafst. Und dann Pabst Urbanus, der ligt noch vnerhaben, vnd sonst viel hübsch Hailthumbs als in silber eingefast , Und ist mehr ein Capellen, da rast die Mutter Gotts innen, vnd brint sunst nichts nit darvor dann wax. [16b] Und darff auch kein fraw darein gehn sie stürbe von stund an. Darnach besahen wir die grossen schiff vnd gallern, die erst vom Türeken waren kummen. Sie hatten nicht viel ehr eingelegt, w'aren wol bey 460 all erschlagen. Und wir sahen auch das Haus, wie man sie hinnein zeucht, da verzerten wir 35 ß. Und von dann gen Rifsla [?] was 3 meil, verzerten wir 7 ß. Von dann gen alla bama^^') da Maria Magdalena gebüst hat bey 34 Jar. Was da hin 4 meil , vnd wir sahen den felfs, vnd die wonung, vnd das bett, darauff sie gelegen ist ein felsstein, da haut man ein stain darvon, vnd wir besahen auch jhren brunn, vnd tropfft dz wasser vber all Hindan In jhr bett nit. Da habens die Engel alle tag zu 7 mal auff gefürt auff die Höhe des bergs. Da sang sie allweg eine der sieben freud. Und wir verzerten alla bama bey den München 14 ß, von dann ritten wir gen sant Melymy^^''^) was 3 meil. Da blieben wir ein tag, vnd besahen Maria Magdalena haubt , das Gott der Herr hatt angerürt im garten [17aJ da er sprach: Noli me tangere. Das ist 13 Hundert Jar vnter dem ertrich gelegen, vnd ist noch vnversehrt, was die finger angerürt haben, vnd mehr das Haar, damit sie vnserm Herrn Jesu Christo die heiligen füfs mit getrucknet hat, das ist als vnversehrt blieben. Vnd mehr ein arm, vnd das grab, da Maria Magdalena innen gelegen ist, vnd mehr ein gläfslein, dar- innen ist ein blutstropff, den vnser Herr am stammen des Heiligen Creutz hat lassen fallen, das hatt sie mit sand vnd stein aufgehaben, das Zeugt man am Carfreytag, so wirds eben vol mit blut, bis man vnsern Herrn in das grab legt, so verbürgt es sich wider. Das Zaigt man jederman, vnd sonst fast viel Hail- thumbs. Da gaben wir zu Hailhumb 6 ß, vnd wir verzerten 25 ß. Von dann gen Rossat [?], was 3 meil, verzerten wir 6 ß. Von dann gen Seyb [.^^j was 3 meil, Da be- sahen wir in einem frawen closter König Scharlamany von Franckreich seinen leib vnverwesen, vnd vnser frawen gürtel, ein [17 b] fus von sant Endres, vnd ein fus von sant Dobort^^''^), vnd ein spindel aus dem arm Maria Magdalena, vnd 3 Zan von sant Johans, vnd sunst viel Hailthumb in silber eingefast. Da gab ich 4 ß zum Heilthumb, da verzerten wir 12 ß. Von dann gen Kasiles ^^**), was 3 meil, da verzerten wir 7 ß. Von dann gen Durgung^^'*) w^as 4 meil. Da verzerten wir 12 ß, von dann gen Avinung^^") was 5 meil. Da wolt man mich nit einlassen, da musten wir raiten gen pung de sorg^^^), was 1 meil, verzerten wir 7 ß, von dann gen schatdea nofa de papa [}] was 1 meil, ver- zerten wir 2 ß. Vonn dann gen noderdame de plang [}] was 5 meil, da ver- zerten wir 9 ß. Thutt auch große Zaichen. Von dann gen Doßes orres ^^^) was 3 meil, verzerten wir 12 ß. Von dann gen Munda Linnart^^'^) was 2 meil verzerten wir 18 ß. Von dann gen Lonnion^^^) was 4 meil verzerten wir 7 ß. Von dann gen den Gwafs ^^°), 3 meil [18 a] verzerten wir 14 ß. Von dann gen

187) laSte. Baume. 187 a) St. Maximin ? 187 b) Dagobert oder St. Aubert? 188) Ca- denet? 189) Orgon. 190) Avignon. 191) Sorgues. 192) Donzere. 193) Montdlimar. 194) Lo- riol. 195) So anstatt »deng wafs«; Tain ist gemeint.

78

sant Rambert ^^''), was 4 meil, verzerten wir 14 ß. Von dann gen Wine ^^^), was 2 meil, da verzerten wir 8 ß. Da wurd mir mein pferd kranck. Da nam ich ein anders bis gen Lion. Darvon gab ich ihm 12 ß, Und ritten gen Lion an sant Anthony tag [17. Januar 1522] was 5 meil. Da kam mein bruder Florentius vnd der Marx von Nurnperg. Und ich vnd mein knecht kamen all vnter der thur Zusammen vor der Herbrig , vnd begerten als zu wissen. Gott hab Lob vnd Ehr.

Item so blieb ich 14 tag zu Lion, vnd wartet auff mein bruder Floren- tius. Und darnach ritten wür auff Sant Glado ^^^) zu.

[18 b] Und zu Genff kam mein Bruder wider zu mir, vnd ritten mitein- ander gen Nurnperg, so verzerten wir bifsher 15 fl., vnd wir kamen all beed frisch vnd gesund aus vnd ein.

Gott hab lob vnd ehr. Und behut uns vor aller schwerer kranckheit, Amen, Amen, Amen.

Item hernach steht der Weg kürtzlich aufgezaichnet wie ich geritten bin, von einem halben Tag zu dem andern, wie viel meil von einander. Item von Nurnperg aus gen^^^)

Guntzenhaussen 6 M.

Ötting 3

Heuerling 2

Genge 4

Aio 2

Ulm 2

Waltringen 3

Pibrach 1

Weingarten 4

Zsr

2 0 0

)

Martdorff [Markdorf] . . .

Merspurg 1

Über den see 2

Von Koschnitz gen St. Anna . 2 g.

Winterdurren lg

Zürch 2 g

Von Zürch fuhren wir den See ab 2 meil vber den berg gen Einsiedel, Darnach fuhren wir wider gen Zürch, was eben als weit , vnd darnach ritten wir von Zürch gen Lentz-

spurg 2 gr.

Arburg 2 gr.

Dorringe 2 gr.

Purtdolff 2 gr.

[19a]

Pern 3 gr.

Lossana 4

Morssa [Morges] 2

Nyfs 4

Jcnff 4

Kolunge 4

Sengerman 3

Schardung 4

Sanmony 3

Mula 4

Lion 3

Isarung 3

Sengermy 4

Santbunet de Schadea .... 5

Pungdeperat 3

Saffangne 5

Alba bautha 3

Sant flor 5

Schades Egy 4

Alla giola 4

Spalion [Espalion] 3

Rodefs 4

Alla motda 5

196) St. Rambert. 197) Vienne. 198) St. Claude. 199) Im Folgenden sind nur bei den Hauptstationen , soweit sie nicht schon in der vorstehenden Reisebeschreibung vor- gekommen sind, die heutigen Namen in [] hinzugefügt. 200) Bedeutet wohl »grofse Mei- len«, wie g »gute Meilen« bezw. »Meile«.

79

Alleros 3

Albis 3

Galliack 4

Baussett 4

Dolosa 4

Lilla gordung 4

Lysigmen 3

Asch 4

Wick 4

Nagaro 4

Koseras 3

Garnada ij

Sant Seber ij

Munfort 3

Adax 3

Sant Winssang 3 g.

Weyana 4

Sant Jongdelufs 3

Dirreng 3

a Arnaby 3

Dolosada 3

Segura 4

Sagona 1

Vber den berg S. Atrian gen Gala-

reda 2

Odikany 2

Witdoria 3

AUa punda Dorumeng . . . . ij

Panckarbo [Pancorbo] .... 2^2

Mermiste 4

Mestir de Rodille 3

Wurgefs 5

Hornilles 3

Kasterferis 4

Formestein 5

Carion 4

Kalssadilla 4

Sagona 3

Gurgada 3

Lion in Spania 3

Moder dama de scheschinge . 1

Alla punda dorby 5

Stergefs 3

Aspidal de wasche 2

[19b]

An den berg Rafanell .... 4

Über den ben berg gen Lasebo 3

Apungferada 3

a Willafrancka 5

Über den berg Malafab. gen sant Ma- ria 7 M.

Troy Castell 5

Seyrge 4

Legunda 8

Nullisse 5

Cassa 4

Compostell gen St. Jacob auff Lissa-

bona zu gen Patron .... 4

Goldafs 3

Pundafeder 3

A Rodundella 3

Duya 5

Egalunga 3

Punda de liny 3

Marselles 5

Passy 3

a Portu Portugall 4

Riffano 5

Wallans 4

Albagaria 4

Quimir 5

Sarnescka 2

Warges 4

Einzlich Haus 3

Von dann gen Domar .... 3

Walligany 4

St. Dorring 4

a Willa longa 4

a willa negra 5

a Lissabona 5

Über das meer gen Aldega Lega 3

Landera 5

Schabarida 3

Munda mortnova 4

Ebrach 5

Estrames 6

* Elssis 6

Abagadofs 4

Dalla barrla 3

80

[20 aj

Alarua 4

Mereyda 2

Derssiltung 1

Myasgada 6

Grusam 7

Kannanero 2

Gardaluba 2

gen spidal de kardenal .... 3

a willa petroasy 4

a la punda arsabisko 2

Dallaberos 6

Grussei 2

Silfester 5

Kasyo Royg 4

Mulmes 3

Mattrill 4

Kalasofanadafs 6

Wat de la gerra 4

Hitda 4

Wurgefs herrefs 2

Waydefs 2

Siganssa 2

Isogossa 1

Modine de celis 3

Arckes 3

Arrissa 4

Wur wicka 4

Kaladiff 3

Rigla 5

Molla 5

Sergossa 4

Otschany 3

Anseda 3

Santelusa 3

a Pinn alba 3

Fraga 5

Durrafs 2

Guneda 3 g.

Malda 2

Gunara 3

Santa kalona 2

Angulada 3

Muserat 3

Sant Endrefs 4

Spidellat 2

Bersalone 1

Alla Rocka 4

[20 b]

Sanssalonie 3

Verraropy 3

Girona 4

Sigires 5

WoUang 4

Parpion 3

Willa falssa 2

Arbona 2

Wosir [Beziers] 4

Sant Dobery 3

Lopia 3

Willa noffa 4

Sanbrefs 4

Waffer 4

Sant Gilg 4

Sant Anthoni darlefs 3

Sant Martding de kraub ... 3

Sallung 4

Laspena 5

Marsillia 3

Risola 3

Alla boma 4

Sant Mapymy 3

Rosset 3

Seyfs 3

Kasiles 3

Durgung 4

Avinung 4

Pung de sorg 1

Schatdea nova de papa ... 1

Moder dama de plang .... 5

Dosses orres 3

Mudalimart 2

Lorrior 4

Walansse [Valence] 4

Deng 3

Sant Rambert 4

Wine 2

Lion 5

[21a] Item der weg von Dolosa aufs gen

81

Sargossa zu zum ersten gen Pla-

sansse 2

Sant Veit 2

St. Matay 3

Punoy 3

Mangack [Magnoac] 4

Pondons Va

Petringfs 1

Jarba [Tarbes] 4

Nag [Nay] 4

Ollerung [Oloron] 5

Sarrasansa 3

Zantt 3

Canfrang [Canfranc] 5

Jacke [Jaca] 3

Cansa 5

Juba 3

Gorrea [Gurrea] 5

Surra [Zuera] 4

Willanofa [Villanueva de Gallego] 2

Sargosse 3

Item den andern weg von Dolosa auf Serpellire

Sergosse zu vber den portt da bo- Bergeng

nast [Benasque] zu von dann gen da da pung

Barnossa 4

AUa fitte [Laffitte] 3

Matter [Martres] 2

ä sant martire [St. Martory] . 2

ä Wallantine [Valentin]. ... 3

ä Wandire [Bagneres] .... 4 Über den berg hat kein Herbrig bifs

gen Bonnast [Benasque] . . 6

Castellong 2

Silles 4

Para Roga 2

Grans [Graus] 2

Popla [la Puebla] 2

Barbasta [Barbastro] 2

Peratta [Peralta de Alfocea] . . 4

Conbre [Alcubierre] 4

Perdigre [Perdiguera] 4

Cergosse [Zaragoza] 2

Der weg von Sargossa auff Wurges

zu. Von dann gen Lugarda 5

[21b]

Canryne 1

Lorsing 2

Gallore [Gallur] 2

Corttes [Cörtes] 2

Rififa horrade [Ribaforada] . . 2

Dodella [Tudela] 2

Alfara [Alfaro] do man die rofs ver- zollt 4

Hora [Calahorra] 4

alla Gronna [Logrono] .... 8

Nasyra [Najera] 5

Sant Dominico [Sto. Domingo] 4

Grang Jang [Grannon] .... 1

Ballorare [Belorade] 3

Willa francka 2

Waldafanies 5

Wurges 3

Item von Lion vber den Monssenir

von dan gen Sant Lorentz [St. Laurent de Mure]

a pung da boana wesung [Le Pont-

de-Beauvoisin] Schanberie [Chambery] Egebelletta [Aiguebelle] Monsenir

Der weg von Lion gen Mumpelgart zu

Schallemang [Chalamont] ... 6

Crusaw 4

Chawane 4

Sant Jullian [St. Julien]. ... 4

orgellot [Orgelet] 5

a Schattellung [Chätillon sur Lison]

Schrittene [?] 5

a Werb 4

alla Wick 6

anno 5

Werst 3

Landers 3

a CoUombick 4

a Mumpelgart [Mömpelgard, Monbeil- lard] 2

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XII,

82

[22 a] Der Weg aus Nörnperg gen Lion, als

hiemit verzeichnet steht die tagreifs

zu stunden. Erstlich von Schwobach [Schwabach]

stund 2

Wasser Monnau 3

NM Guntzenhaussen 14 ^oi) .3

Knotza 1

Westa IV2

Osta V2

Ottingen 1

2 Nordlingen d 2

Khessingen [Essingen] 13. . . IV2

2 Walperfshoffen 1 V2

Genga d 3

Langenaw [Langenau] .... 1 ','2

3 Ulm 12 3

Stetten 2^2

Wadttringen d 2

Bibrach 1 1/2

4 Esendorff 11 3

Walssee [Waldsee] 1 V2

Weingarten 2

Raffelsburg d

Buchhorn 10 3

5 Mersburg 3

Ubern See 1 1/2

Costnitz d 1

Steckhparan [Steckborn] ... 3

Stain 9 2

N" 6 Schaffhaufsen d .... 3

Lottstetten [Lestetten] . . . . I1/2

Raifitzerfeldt I1/2

KaisserstuU 8 1

Zum Newnhaus I1/2

NO 7 Pada d I1/2

Mollienga 1

Lentzburg 7 2

Aran 2

Arburg d 2

8 Morgental 2

Langendorff

Rittweil 6

Weiningran 1

Burttolff 11/2

NO 9 Bernd 2

An die Senssa 2

Freyburg 5 21/2

[22 b]

N" 10 Remandtt d 4

Lossanna 4 5^/2

Morsa 2V2

No 11 Roll 21/2

Niefs d 3

NO 12 Jenff 3 4

CoUonnge d 4

Seingermon 2 4

13 Manttua [Nantua] ... 3

Scherdung d 2

Sainctjehan le vitu[St.Jean le vieux]2

Sammoris [St. Denis] 1 . . . . 2V2

14 Mulluard [Montluel] d . 41/2

15 Lion 4

Sindt 15 Tag 130 stundt.

201) Die Zahlen 14, 13 u. s. w. sollen die Tagesstrecken des Rückweges andeuten. Was die mehrfach hinzugefügten d bedeuten sollen, ist nicht recht klar.

Nürnberg. Dr. Th. Hampe.

83

Über ein Prosatrakfätlein Hans Folzens von

der Pestilenz.

|us den Zeiten des ausgehenden Mittelalters ist uns eine ganze Reihe in Deutschland entstandener Werkchen über die Pestilenz und die ■^Q^^Wjj^ Art, wie man sich in Pestzeiten zu verhalten habe, erhalten geblieben, von denen bisher nur sehr Weniges neugedruckt oder sonst allge- meiner bekannt geworden ist. So besitzen wir aus dem Jahre 1483 einen zu Augsburg gedruckten »kösthchen und gründlichen Spruch von der pestilentz, wie man sich mit allen sachen zu derselben zeyt halten solle ... In reymen weifs gesetzt«, aus Strafsburg vom Jahre 1500 einen »tractat contra pestem Preservative vnd regiment«, der 1519 zu Oppenheim in neuer Bearbeitung erschien^), u. s. f.

Andere Gedichte oder Schriften dieser Art weisen auf Nürnberg. So zunächst ein 88 Verse umfassendes Spruchgedicht, das sich in der Münchener Handschrift cod. germ. 714 auf Blatt 274a 276a findet und wohl dem Kreise Rosenplüts angehört, zwischen dessen Gedichten es steht. Jedenfalls dürfte es noch im dritten Viertel des 15. Jahrhunderts entstanden sein, denn weiter gegen das Ende des Jahrhunderts zu möchte ich den Codex seiner Schrift nach nicht rücken. Es kann also als eines der frühesten Gedichte über die Pestilenz aus dem gedachten Zeitraum betrachtet werden. Das Gedicht ist überschrieben: »Dy Befstilentz«, und der Anfang lautet^):

»ICh hab mich des wol vermessen:

Ich wil meiner geselln nit vergessen,

Ich wil sy aufs den püchern lern.

Wie sy sich vor der pestilenntz schüln ernern.

Darümb hör was ich dir sagen wil.

Wann sterben ist ain claines zil.

Des ersten hallt den rat, den ich main.

Wann der dünckt mich sicher ciain.

Das man in der sach Ernstlich schol

Got an rüffen, das hilfft wol;

Das mainen all Mayster weis,

Dye da sein in der schul zu Pareis.« Nachdem dann eine Reihe von Verhaltungsmafsregeln gegeben und allerlei Mittel empfohlen worden sind, unter denen natürlich auch der all- heilende Theriak nicht fehlt ich kann darauf hier nicht näher eingehen folgt noch der wohlgemeinte, aber etwas naive Rat, bei Zeiten weit davon zu zu fliehen; das sei das Sicherste:

1) Vgl. Goedeke, Grundrifs I, 393 Nr. IV, 3 und 4.

2) Ich benutzte eine Abschrift des Gedichtes, die mir Herr Apotheker Peters in Nürnberg freundlichst zur Verfügung stellte und die ich durch das liebenswürdige Ent- gegenkommen der königl. Hof- und Staatsbibliothek in München selbst noch einmal mit dem Original vergleichen konnte. Der Abdruck geschieht hier, wie bei den folgenden Zitaten, buchstabengetreu, doch sind etwaige Abkürzungen überall aufgelöst, die Inter- punktion von mir hinzugefügt.

84

»Noch einen rat dir ain Mayster geyt: Fleuh verr dauon vnd auch pey zeyt, Fliehen ist gar ain sicher ding.«

Endlich schliefst der Verfasser, wie folgt:

»Das hat Maister Hanns Thomauro gelert, Der manchs mit seiner kunst hat ernert, Vnd Junger Bernhart Jordanus genant, Des kunst yetzund laufft durch alle lant, Vnd auch anderr Mayster vil, Der ich yetzund nit nennen will. Nu Helff vns got aufs der not, Der durch vns hat geliden den tot.«

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Jj'ig. 1.

Titelholzschnitt von dem „fast köstliclien sprach von der pestilencz"

von Hans Folz nach dem Münchener Exemplar.

1482 verfafste dann Hans Folz seinen in der Litteratur mehrfach zitierten >fast köstlichen spruch von der pestilencz,« der uns in ein paar gleichzeitigen Drucken, die zu Colmar und München bewahrt werden, erhalten ist^). Das

3) Hain, Repertorium bibliographicum Nr. 7220. Vgl. Keller, Fastnachtspiele aus dem 15. Jahrhundert III. Bd. (Bibliothek des litterarischen Vereins in Stuttgart Bd. XXX) S. 1272.

85

ganze Schriftchen umfafst 12 Ouartblätter. Bl. la ist leer; Bl. Ib wird von einem prächtigen, alten Holzschnitt eingenommen, auf dem in sehr realistischer Weise ein Arzt dargestellt ist, wie er eben einen von der Beulenpest Be- fallenen kuriert. Wir geben dieses interessante Blatt vorstehend in ^js der Originalgröfse wieder (Fig. 1).

Bl. 2a folgt sodann ein kurzes Inhaltsverzeichnis, zugleich eine Art Vorwort, in welchem es u. a. ähnlich wie am Schlüsse des Gedichtes heifst, dafs der Autor seine Lehren deswegen »in reimen weis auf das alles kurczest begriffen« habe, damit »sein dest leychter gedacht vnd auswendig gelernt werd, dar durch die, welch nit erczt sint, yn vnd andern tröstlich sein mügen«*).

Die Einleitung auf Bl. 2b lautet:

»IN lob der heiligen trinitat,

zu er got jhesu, den vns hat

gepert die küngin aller tron,

von der man schreypt, sie sey gancz schön,

der sey besunder das ein eer

vnd allem himelischen heer,

die pit wir vns zu pey gestan-^),

auch well der heiig Sebastian")

vns hilfflich sein mit seiner gunst,

ob zu vns neht der gifftig dunst

oder die pestilenczisch plag,

das wir vor sülcher nieder lag

durch sein gepet versünet werden,

alls er erworben hat auff erden,

wer in heilgt, fast feyert vnd ert,

das der werd vor der plag ernert.

des heb ich an in seinem namen

zu tröstung aller Christen, amen.« Im Verlauf der nun folgenden Unterweisungen kann er zwar auch nicht umhin, der Ansicht, dafs Fliehen das beste und sicherste Mittel gegen die Pest sei, Ausdruck zu geben:

»fleuch pald, fleuch ferr, kum wider spot [kmmn wieder spät] das sint drey krewter in der not, für all apptecken vnd doctor«, indessen mit der Überlegung »doch mag yder nit flihen zwor« geht er dann alsbald dazu über, ausführlich und augenscheinlich mit nicht geringer Sach- kenntnis darzulegen, welche Verhütungsmafsregeln man anwenden müsse und welche Mittel bei Ausbruch der Krankheit die wirksamsten seien. Eben darin unterscheidet er sich sehr wesentlich von dem Verfasser des vorhin behandelten,

4) Dieses und die folgenden Zitate nach dem Münchener Exemplar.

5) Fehler im Satzgefüge, wie dieser, und andere Nachlässigkeiten, die zum Teil auf Setzerversehen zu beruhen scheinen, lassen vermuten, dafs Hans Folz, wie verschiedene andere seiner Werke, so auch diesen Spruch von der Pestilenz selbst gedruckt habe.

6) Der Schutzpatron der Schützen und Pestkranken.

86

nur handschriftlich erhaltenen Gedichts, der, ohne Zweifel selbst nur wenig oder gar nicht pharmazeutisch geschult, sich zumeist damit begnügt, unter Berufung auf verschiedene »Meister« allgemeine Verhaltungsmafsregeln zu geben und einige Hausmittel anzuführen, während sich bei Hans Folz, dem Barbierer und Wundarzt, ganze Rezepte in Reime gebracht finden. Aus diesem Grunde wäre gerade diesem Gedichte gegenüber auch eine Würdigung vom pharmazeutischen Standpunkte aus wohl am Platze und Xvürde gewifs der Mühe verlohnen, da sich aus einem eingehenderen Studium ohne Zweifel Manches ergeben würde, was unsere Kenntnis von dem damaligen Stande der medizinischen Wissenschaft zu fördern geeignet und insbesondere für die historische Heilmittelkunde von Interesse wäre. Mir mufs eine Ausdehnung auf dies Gebiet selbstverständlich ganz fern liegen; ich werde bei dieser Arbeit lediglich von litteraturgeschichtlichen und bibliographischen Gesichtspunkten geleitet, und vor Allem kommt es mir darauf an, dem gleich zu besprechenden Büchlein seinen Platz in unserer Litteratur anzuweisen. Zuvor aber will ich noch den Schlufs des Gedichtes mitteilen, wo sich Hans Folz bekanntlich '^) als Verfasser nennt. Er lautet:

[Bl. IIb] »also der siech geheylet wirt

vnd auch erledigt von der swer. hie hat hans folcz barwirer aus der capitel samenung gesucht mit end vnd vrsprung von diser plag vnd ir erczney, vnd hat das durch sein fantasey gedieht gar in ein kurczes werck zu eren der stat nürmberck, vnd das dar vmb zu vers gemacht, das sein destleichter werd gedacht, vnd das die ding equaliter zu fassen seyen taliter, das yder doch ein stücklein merck, dar mit ein mensch das ander sterck. vnd wem die 1er zu hilffe kum, den hofft der dichter also frum, das er got auch pit für seyn sei. got frey vns all vor helle quell A- M- E- N «

Bl. 12 a bietet dann wiederum zwei Holzschnitte, die offenbar aus Wol- gemuts Werkstatt stammen, mit dem oben mitgeteilten aber an Genialität der Ausführung und Unmittelbarkeit der Wirkung nicht entfernt verglichen werden

7) Vgl. Hain a. a. O. Hain scheint aber die betreffende Stelle mifsverstanden zu haben, da er unrichtigerweise eine Satzverbindung herstellt, aus der man schliefsen könnte, dafs Hans Folz selbst von der Pest befallen gewesen, aber mit dem Leben da- von gekommen sei. Das geht aus unserem Gedichte nicht hervor.

87

können. Sie stellen, als Gegenstücke gedacht und dementsprechend neben einander gestellt, die berühmten Ärzte Hypokrates und Galenus in ganzer Figur, jeden in einfachster architektonischer Umgebung und mit einer unbe- schriebenen Bandrolle in den Händen, dar. Über Hypokrates steht:

»Es werden fil me leüt versert

von vbriger füll dan durch

das Schwert. Ipocras«

über dem Bilde des Galenus liest man:

»Sich hüten vor der fülerei ist die aller höchst ercznei.

Galienus Mcccclxxxjj « ,

woraus wir also das Erscheinungsjahr des Gedichtes (1482) kennen lernen.

Bl. 12 b ist leer.

Wenn Hans Folz in seinem Spruchgedicht von der Pestilenz, wie wir ge- sehen haben, mehrfach hervorhebt, dafs er die gereimte Form absichtlich ge- wählt habe, damit sich seine Lehren und Rezepte leichter dem Gedächtnisse ein- prägen möchten, so hatte er ohne Zweifel Recht mit dem Glauben, dafs nur auf diese Weise der grofsen Masse des Volkes mit seinem Büchlein wirklich ge- dient sein könne. Hat doch das frühere Mittelalter, von demselben Gedanken geleitet, gelegentlich noch ganz andere Dinge in Reime gebracht, und ver- danken wir doch noch heutzutage die schönen Schmalzischen Genusregeln, den kürzlich erschienenen ersten Teil einer gereimten Übertragung des neuen Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich und so manches Andere der gleichen menschenfreundlichen Absicht. Aber Gefühl und Verstand der Gebildeten wird sich doch in der Regel gegen eine solche mechanische Lern- weise sträuben, und gerade in der Zeit des erwachenden Humanismus und bei einem so schreckUchen Gegenstande, wie es die Beulenpest war, konnten Folzens Reime dem Geschmack der höheren Stände nicht entsprechen. Anderer- seits aber mufste man sich doch sagen, dafs Folz mit seinem tüchtigen ärzt- lichen Wissen und der grofsen Popularität , deren er sich als Poet erfreute, der rechte Mann zur Abfassung verständiger und wirksamer Unterweisungen über die Natur, Verhütung und Behandlung der verheerenden Seuche sei. So ward denn der Dichter, kurz nachdem er sein Gedicht von der Pestilenz hatte in Druck ausgehen lassen, von Anton Haller, offenbar einem Angehö- rigen der bekannten Nürnberger Patrizierfamilie, aufgefordert, noch einmal und zwar in Prosa ein Traktätlein darüber abzufassen »von etlicher wegen, den das vngereimt pas gewon ist«; und dieser Bitte ist Hans Folz noch im selben Jahre in der That nachgekommen. Ein Exemplar seines Prosatraktats von der Pestilenz hat nun letzthin für die Bibliothek des historisch-pharma- zeutischen Zentralmuseums erworben werden können , und da ich dieses Schriftchen weder in den einschlägigen litteraturgeschichtlichen Werken noch in den typographischen und bibliographischen Handbüchern irgendwo er- wähnt gefunden habe, so verlohnt es sich wohl, über die neue Erwerbung an dieser Stelle etwas ausführlicher zu berichten.

88

Es ist ein Heftchen von 16 Blatt in kl. 8", mit genau denselben Typen und auf dem gleichen, vortrefflichen Papier (Wasserzeichen: Ochsenkopf mit Stange und Kreuz) wie das vorbesprochene Gedicht, und noch augenschein- licher als dieses von einem Dilettanten, d. h. von Hans Folz selbst gedruckt. Bl. la enthält in vier kurzen Zeilen den Titel:

»Item von der pestilencz ein hübsch nüczlich vnd kurcz begriffes trac tetlin getrukt im mcccc vnd in dem Ixxxii iare hans folcz«

acb ücm vn ich gepete pirt von antboni baller meine bcfunDe^n guten freunteincöre gimcnte bcbiitung vno befcbia mung balben vor Der 5u ftorug Deöpeflilenc5ircben lufTre oocb nicbt als Das vong 5U rctme ge fec3t von etlicber rrcge Den Daa

Fig. 2.

Bl. Ib ist beifolgend in der Gröfse des Originals wiedergegeben (Fig. 2). Anstatt der Anrufung des heiligen Sebastian als des Schutzpatrons der Pest- kranken, die sich in dem Spruchgedicht gleich zu Anfang findet, sehen wir hier einen ziemlich rohen Holzschnitt, das Martyrium des Heiligen darstellend dem Texte vorgedruckt. Dieser selbst ist in mehrfacher Beziehung von nicht geringem Interesse. Zunächst müssen wir noch einige Augenblicke bei dem Eingang

89

verweilen, nach welchem oben bereits die kurze Entstehungsgeschichte des Werkes mitgeteilt worden ist. Folz nennt hier den Antonius Haller seinen »besundern guten freunt,« was uns, da an der Zugehörigkeit Hallers zum Patriziat der Stadt doch wohl nicht zu zweifeln ist^), einen willkommenen EinbUck in die gesellschaftliche Stellung Folzens, die eine recht angesehene gewesen zu sein scheint, gewährt. Nur nebenbei sei bemerkt, dafs jener »Anthoni Haller« wahrscheinlich identisch ist mit einem anderen Haller, an den sich einmal der Schreiber eines Teils der Weimarer Fastnachtpiel- handschrift Q 566, es handelt sich um eine Version von Folzens »Pha- retra contra iudeos« in ein paar Zeilen wendet"), woraus dann wohl die Identität jenes Schreibers mit Hans Folz gefolgert werden könnte ^°). Weiter aber ergiebt sich aus den Eingangsworten auch , wie bereits angedeutet wurde, ein Rückschlufs auf das Ansehen, welches Folz als Arzt genofs. Und fürwahr, wer diese kernige Prosa liest, der wird sich der Einsicht, es mit einem bedeutenden Menschen, mit einem tüchtigen Charakter zu thun zu haben, nicht verschliefsen können.

Zunächst wendet er sich vom Gedankengang des Gedichtes weicht der des Traktätleins erheblich ab gegen die, welche auch aus religiösen Gründen meinen , dafs niemand durch menschliche Kunst der Seuche wider- stehen, der Krankheit vorbeugen könne. Dann also, sagt Folz

»hette got erczney vm sunst erschaffen, vnd also würden die erczt verlossen , vnd so hette auch salamon vergebes geret : ere den arczt vm deiner notturfft willen.« »Dar vmb« , heifst es später weiter, »so sech ein yder auff, wan sich selbs sol niemant verkürczen, so er doch nit weys, ob die erczney hilflich sein möcht oder nit, vnd ob er sie verliesse vnd müste sterben, möcht er in sich schlaen, sich selbs verkürczt haben.

hie mit ich bewert will haben, fil pefser den arczat gesucht vnd die dötlich gifft geflohen, dan im selber des sterbes vrsach geben, so doch der mensch nicht dester minder got seinen willen heim seczt.«

Nun folgen die Verhaltungsmafsregeln und Rezepte, die einer genaueren Prüfung und Würdigung zu unterziehen, ich wieder Anderen, solcher Sache Kundigen überlassen mufs. Dabei geht es gelegentlich kräftig über die schlech- ten Arzte und Quacksalber her, die nicht jeden einzelnen Kranken nach seiner besonderen Individualität behandelten :

8) Namentlich wegen des Zusatzes »eines regiments behütung vnd beschirmung halben«. In Biedermanns »Geschlechtsregister des Hochadelichen Patriciats zu Nürnberg« habe ich ihn allerdings nicht gefunden und neben der patrizischen existierte in Nürnberg auch eine bürgerliche Familie Haller.

9) Diese Zeilen lauten nach Victor Michels, Studien über die ältesten deutschen Fastnachtspiele (QF. 77. Heft), Strafsburg 1896 S. 235: Lieber haller jch habe fast geeilt vnd ser poefs geschriben pittue mir daz nit verunclimpfen vnd wo ir efs nit lessen konet So schickt nach mir oppffere mich euch vnd all den ewren zw allen wolgefallen wegenn vnd potten allezeit vnvertrossen.

10) Der Beweis dafür würde sich allerdings nur durch eine Vergleichung der Schrift des betreffenden Abschnittes in Q 566, die übrigens sehr verblafst sein soll, mit der von Hans Folz geschriebenen ehemals Habeischen jetzt Conradyschen Sammlung seiner Ge- dichte erbringen lassen.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XIII.

90

»wan sie weder die complex des krancken noch der kranckheit gancz kein vnter scheyt haben.

vnd also leyt ein plinter den andern vnd fallen peid in die gruben, wen ich selbs einen gesehen hab, der mit einer purgaczen, die er yder man gab, sich selber schnei hin richtet.

Sülch erczt dürfften eins eigen spitals oder kirchofs in einer stat. Aber

ein weyser , fürsichtiger rot solt ob einem sülch sein vnd keinem rohen

leyen fraw oder man besunder in der kunst vngeüpt des nit zu sehen, so

es den wissende vnd lang erfaren schwer ist ich sweig, das von sülchen

erczten mancher gichtig, vnsinig, contract, lam, auseczig oder in die hin

faleden sucht feit oder an einer sülchen purgaczen pald erstickt, aber als

man den schuster vm hosen flickens willn suchen wolt , also sucht man

nun erczney pey pecken , plattnern , rotschmiden , goldsmiden vnd alten

weybern vnd fil andern lant bescheissern, die ir ercznei mit dörechter zeig-

nus der prif besteten wein, vnd das fil mer ist : so sucht man auch erczney

pey den iüden, der es keinem erlaupt ist pei verwerffung aus irer sinagog,

dan allweg den zehenden zu erdöten oder auf das minst erlemen oder eim

ein gift ein zu füren, die sich über ein iar zwey, drew erst fint; do claupt

auf die puczpirn«").

Sodann werden 14 Präservativmittel angeführt und besprochen, hierauf

noch die Symptome der Krankheit und endlich das Sterben des von der Pest

Befallenen beschrieben :

»Item die zeichen des dots sint: differ atem, begerung des kuln luffts,

vmsleglung mit henden vnd füssen, grofs angst, steti vnru, truckner munt,

swercz der zungen, dürrer hust, endrung der vernunfft, kalter sweis, zehe-

rung der äugen, grosser graw, fil vndewung, scheissen vnd prunczen an das

pet, schaumig stul, feucht oder schwarcz, heilstet suchen, kerung zu der

wend, geher hunger, verswindung der aposten ^^), vnsetiger durst, zitern

dez pulfs, swarczer prun dan gnad im got

AMEN«

Dieser Schlufs des Tractats steht auf Blatt 16a. Bl. 16b ist leer, nur

hat in unserem Exemplar eine gleichzeitige Hand noch einen frommen Spruch

darauf geschrieben:

»O angele meus

Angelus dei

plenus misericordie

Miserere mei.«

Auf Hans Folzens sonstiges Leben und Wirken werde ich demnächst

an anderer Stelle Gelegenheit haben ausführlicher einzugehen.

11) *do claupt auf die pticzpirn<^ augenscheinlich eine sprichwörtUche Redensart, deren Sinn indessen nicht ganz klar ist. Das Wort »Butzbirne«, eigentlich »Birne mit dem Butzen«, kommt gerade in derartigen Redensarten mehrfach in der Bedeutung von Prügel, Ohrfeige vor; vgl. Grimms Wörterbuch II, 588 unter Butzbirne, VII, 2282 unter Putzbirne. Also etwa : da hebt denn die Prügel auf, da bedankt euch denn für die Prügel.

12) >aposten<^ eine Pluralbildung von apostema, apostcm =: Geschwulst.

Nürnberg. Th. Hampe.

91

Eine Nürnberger Labyrinthdarstellung aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts.

Jas germanische Museum erwarb für sein Kupferstichkabinet auf der Auktion der grofsen Bibliothek ^), die zum gröfsten Teil aus der stattlichen Bücherei des gräflichen Schlosses Lobris in Schlesien stammte, ein fliegendes Blatt aus den ersten Jahren des 16. Jahr- hunderts, das sowohl seines Inhalts als seiner Herkunft wegen einer eingehen- den Publikation würdig ist.

Fig. 1.

Der doppelseitig bedruckte Bogen in Folio enthält auf drei Seiten über je einer Labyrinthdarstellung, die verschiedene Form, nämlich die eines Quadrates, eines Dreieckes und eines Kreises (vgl. die Abbildungen, die in der Hälfte der Originalgröfse hier wieder gegeben sind) mit figürlichen Zuthaten zeigen, einen zweispaltigen lateinischen Distichentext; die vierte Seite ist mit zweispaltigem lateinischem Prosatexte bedruckt. Sowohl äufsere Gründe, die Typen, die Holzschnittmanier und dessen Stil, als auch andere positive Fingerzeige, wie

1) Auktionskatalog von Ludwig Rosenthals Antiquariat in München. Auktion 22. April 1895, Nr. 1182. Der Preis betrug 86 Ji Herr Ludwig Rosenthal hatte die Liebens- würdigkeit, dem Museum die hier folgenden Abbildungen aus dem Katalog geschenkweise zu überlassen.

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Namen von nachweisbaren Persönlichkeiten, weisen auf Nürnberg als den Entstehungsort des meines Wissens bisher unbeschriebenen und unbekannten Blattes hin. Es entstammt den dortigen Humanistenkreisen und bietet den Anlafs zu interessanten Beobachtungen aus denselben.

Zuerst folge eine genaue Reproduktion des Textes.

Eig. 2.

Figura Labyrinth i. Sebastianus Calcidius at lectorem.

Ut varios flexus Labyrinthique ianua cernis Tensas multiplici tramite late vias Cernis et anfractus fallaci ambage recuruos Qui faciles gressus explicitosque negant Sic iaculis feriet blandus quem forte cupido Ducit in errores innumerosque dolos

Que si vitassent multorum corda virorum Mars non strauisset sanguinolenta manu

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Non tot prodissent armate ex Aulide classes Non viribus danaum diruta Troia foret Sic qui tranquillam gestis traducere vitam Inceste veneris noxia tela fuge.

Uive memor leti.

(Hierunter steht im Originale Fig. 1.)

Figura Labyrinthi Sebastiänus Calcidius des Basilisco

Debilis heu nimium subtili pendula filo Mortalis vita est / vndique pressa malis Mille habet hec postes: quibus est seuicia leti

Usque adeo variis tradita plena modis Sybilo adest testis rauco terrens basiliscus Uiroso afflatu statim queque necans Uive memores leti.

(Hierunter steht Fig. 2.)

Figura Labyrinthi.

Joannes Stabius Austriacus ad labyrinthi inspectores.

Dum varios flexus dum multiplices labyrinthi Conspicis errores / innumerasque vias Te vite humane cursum / seriemque / laborem/ Et tristes curas / cernere cuncta puta Sic cum leticia / metu / spe / cumque dolore Optima queque dies / et mala queque fugit Flexibus ex illis queris / qui euadere possit Silua Achademie / quem fouet / ille potest Comite virtute / duce sapientia.

Andreas Kunhofer Nurmbergensis ad eundam.

Qui vacuus monstris / labyrinthi tutus in omnes Se recipit flexus / multiplicesque dolos / Egressu facili superat quia lumina cuncta / Omnia virtuti peruia namque patent Ast amor inuisus / thaurus / prolesque biformis Cui quatiunt mentem / cui quoque monstra prenunt Incidot errores varios / variosque rotatio Uoluitur in preceps , et mala multa subit

Patere et sustine.

(Hierunter steht Fig. 3.)

94

Die vierte Seite nimmt ein Brief des bekannten Humanisten Johannes Stabius ein, den derselbe aus Ingolstadt »diuersorio nostro litterario«, wo er lehrte, »dem doctissimo ac integerrimo viro domino Conrado Hainfogel, Nurem- bergefi, arcium et philosophie magistro«, sandte. Er bezieht sich zuerst auf die während seines Nürnberger Aufenthaltes gepflogenen humanistischen Stu- dien und Interessen und führt dann sein Vorhaben aus, die Ansichten der her- vorragendsten Autoren über das zwischen ihnen öfters besprochene Labyrinth dem Freunde mitzuteilen und dies kurze Blatt, dem Illustrationen beigegeben

Fig. 3.

seien, zu widmen. Auf diese Einleitung folgt die Aufzählung der vier Laby- rinthe, die Plinius in der historia naturalis kennt, nämlich das ägyptische, das kretische , das leonische und das italienische , in dem König Porsenna beige- setzt sein soll.

Eine historisch-antiquarische Zusammenstellung der Notizen des Plinius, Herodot , Strabo , Diodorus Siculus und Virgilius bildet den Beschlufs des Briefes, der in »Florentissima Achademia Ingelstadiensi« geschrieben wurde.

»Andreas Kunhofer Nurmbergensis« ist uns sonst nur noch aus den Briefen Dürers aus Venedig bekannt. Er ist offenbar ein Nürnberger, wohl ein Verwandter des Konrad Kunhofer^), der 1424 zu Rom war, 1426 zu Nürn-

2) Roth. Verzeichnifs aller Genannten d. gröfseren Raths. 1802. S. 32. Dipt. Lau- rent, in der Beschrbg. der Lorenzer Kirche S. 35 f. Waldau, Nürnberger Zion S. 21 f. Siebenkees Mat. Bd. II. 661. Literar. Blätter II. 304. Lochner, Die Personennamen in Albrecht Dürers Briefen aus Venedig. S. 37. Die im Nürnberger Stadtarchiv aufbewahrten

95

berg dem Herzog Johann von Bayern, Graf Ludwig von Oettingen und den Priestern auf dem Heilthumsstuhle die Reliquien zeigen half. In einem Ver- zeichnis der alten Nürnberger Juristen wird er aufgeführt als: »a 1427. Meister Cunrad Kunhofer unser Jurist«. Ferner war er Pfarrer zu St. Lorenz, Dr. dreier Fakultäten und Stifter des ältesten bekannten Stipendiums (1445) für je einen Theologen, Juristen und Mediziner. 1452 stiftete er ein Fenster im Chor von St. Sebald (das fünfte rechts), dessen Zeichnung nach Thode (S. 117) vielleicht auf eine Zeichnung von H. Pleydenwurff zurückgeht. Andreas Kun- hofer, der »Endres Kunhoffer« Dürers in seinen venezianischen Briefen, wird in denselbenjverschiedene Male genannt. So schreibt Dürer unter dem 28. Februar 1506 an Wilibald Pirkheimer (Lange-Fuhse S. 24, 19): »Lieber Herr, Euch läfst Endres Kunhoffer sein Dienst sagen. Er wird Euch itzt bei dem nächsten Boten schreiben«. Dasselbe schreibt er unter dem 8. März 1506 (Lange- Fuhse 26, 25). Er erwähnt da einen Brief Kunhofers an Pirkheimer , der letztern bitten will, »ihn gegen die Herren (d. h. den Rath) verantworten, so er nit zu Badow (Padua) wil beleiben. Er spricht, es sei der Lehr halben ganz nix für ihn.« Am 25. April meldet er dem Freunde, dafs »Kunhofer todtlich krank ist« (Lange-Fuhse 30, 32). Die Hauptstelle aber enthält das Postscriptum des Briefes vom 18. August 1506 (Lange-Fuhse 33, 10 ff.) die hier folgt: »Item Endres ist hie, läfst Euch sein willig Dienst sagen, ist noch nit am schtärksten, hat Mangel an Geld. Warn sein lange Krankheit und Verschuld hat ihms alls gfressen. Ich hab ihm selbs acht Dukaten geliehen. Aber saget Niemands davon, dafs es ihm nit fürkomm. Er mecht sunst ge- denken, ich thäts aus Mistreu: Ihr sollt auch wissen, dafs er sich also eins ehrberen weisen Wesens hält, dafs ihm Jdermann wol will.«

Ob Andreas Kunhofer thatsächlich auf dem Rosenkranzbilde mit abge- bildet ist, wie Neuwirth in seiner Studie angibt, kann nicht entschieden wer- den. Aber soviel geht aus den Briefen und aus den Distichen des Labyrinth- flugblattes hervor, dafs Kunhofer kein Handwerker war, wie Thausing (I. 377.) annahm, sondern offenbar ein junger Gelehrter und wahrscheinlich ein Jurist war, der aus dem Nürnberger Humanistenkreise stammte und seine Studien in Padua fortsetzte, offenbar allerdings nicht zu seiner Zufriedenheit. Seine wahrscheinliche Verw'andtschaft mit dem gelehrten obenerwähnten Konrad Kun- hofer Hefse ebenfalls eher auf einen Akademiker als einen Handwerker schliefsen.

Über Sebastianus Calcidius war nichts, über Konrad Hainfogel nichts bestimmtes zu eruiren. Dafs Hainfogel Nürnberger war, geht aus der Apo- strophe des Johannes Stabius hervor. Aufserdem treffen wir den Namen verschiedene Male in den Geschichtsbüchern der Stadt, den libri litterarum, welche das städtische Archiv aufbewahrt. So verkauft der Priester Konrad Haynfogel, der also offenbar mit dem unsrigen identisch ist, im Jahre 1492 aus einer am Markte liegenden Behausung 2 fl. Eigenzins (L 8. 22 b). Derselbe verkauft 1493 eine Badestube am weifsen Thurm mit Nebenhaus an Gerhaus Fuchs (L 9. 241b); diese Badestube hatte er in demselben Jahre dem Erhart

Libri litterarum bringen ebenfalls verschiedene Male den Namen, so einen Cunhofer 1492, so einen Fritz Kunhofer von Unterrüsselbach in den Jahren 1492 und 1493.

96

Wagner abgekauft (L 9. 172). Wir können also annehmen, dafs dieser offen- bar begüterte Priester Hainfogel, ebenso wie Kunhofer, dem Nürnberger Hu- manistenkreise angehört hat, der in den letzten Jahren des 15. Jahrhunderts blühte und die glänzendsten Namen zu den seinen zählen durfte , so einen Conrad Celtes und einen Johannes Stabius ^), der als Mitglied der von Celtes begründeten Sodalitas Renana und Danubiana sicher öfters zu Nürnberg war. Einen direkten Beweis dafür enthält ja auch sein Brief an Hainfogel. Seit dem Jahre 1498 höchstwahrscheinlich lehrte er in dem nicht zu entfernten Ingolstadt, das er im Jahre 1503 mit dem Lehrstuhl an der Wiener Hoch- schule vertauschte. Später als kaiserlicher Historiographus schrieb er ja den lateinischen Text zur »Ehrenpforte« des Kaiser Maximilian und im Jahre 1515 gab er, wieder im Verein mit Albrecht Dürer, eine Weltkarte heraus. Seine Beziehungen zu Nürnberg, sowohl die litterarischen, als die künstlerischen, haben lange bestanden und waren immer rege geblieben, denn sowohl der Druck als die Illustrationen des in die Jahre 1500 1502 fallenden Labyrinth- flugblattes sind Nürnberger Ursprungs, wie die folgende Untersuchung erwei- sen wird.

Eine kurze Entwicklungsgeschichte der Ikonographie der Labyrinthdar- stellungen aus der Antike durch das Mittelalter bis zur Neuzeit wird sich in Artikel II anschliefsen. Sie soll einen Überblick geben über die verschiedenen Deutungen und Darstellungen und wird eine Lücke ausfüllen, da sie in dieser Fassung bisher fehlte.

3) Vgl. Krones in der Allgemeinen Deutschen Biographie XXXV S. 337, wie weitere Literatur, ferner Prantl, Geschichte der Ludwig-Maximiliansuniversität in Ingolstadt, Lands- hut etc. I. S. 137; vgl. auch II. 486 Nr. 16.

Nürnberg. Dr. Edmund Braun.

Notiz über Dürer aus den Nürnberger

Ratsprotokollen.

ür Dürers Verhältnis zu dem Rate seiner Vaterstadt ist ein Rats- verlafs aus dem letzten Lebensjahre des Meisters recht bezeichnend, der hier, ohne der Waschzettellitteratur der Goetheforschung oder Allers' Bismarck im Schlafrock und ähnlichen Unternehmungen, deren Ziel es ist, uns die grofsen, siegenden Geister unserer Nation »mensch- lich näher zu bringen«, irgendwie Konkurrenz machen zu wollen, wiederge- geben sei :

[Ratsprotolle 1527, Heft II, Bl. 33b] Tercia i8. Jujij io27: Albrecht Durern sagen man sey Ime mit guetem willen geneigt, aber seyns heymlichen gemachs halb konn man es nit anders gegen Ime halten dann andern.

Aber so pald er die straff entricht sol man Ime dj widergeben.

Burgermeister Junior.

Nürnberg. Th. H.

97

Aus der Plakettensammlung des germanischen

Nationalmuseums.

IL

'm ersten Artikel habe ich bereits beiläufig die in Weimar befindliche Plakette eines Meisters erwähnt, der seine Vorbilder bei Jost Amman sucht, die Selbständigkeit der Composition aber sich zu wahren bestrebt ist. Das germanische Museum besitzt 7 Plaketten dieses Meisters, den ich den »INIeister der Jagdscenen« nennen möchte, da der weit- aus gröfste Teil seiner Darstellungen eben Jagdscenen sind und es mir nicht gelungen ist, irgend einen Anhalt für die Person des Künstlers zu gewinnen. Nur so viel kann man wohl vermuten, dafs er Nürnberger war. Sein Stil ist ganz flötnerisch, jedoch bereits ausgestattet mit den Übertreibungen, die wir bei H. G. kennen gelernt haben, dessen Zeitgenosse er (eine Plakette trägt die Jahreszahl 1580) war. Indessen ist weder seine technische Fertigkeit, noch seine künstlerische Bedeutung mit der des H. G. zu vergleichen. Er ist in jeder Beziehung abhängiger und unbeholfener. Seine Hintergründe ähneln denen des H. G., das Wasser stellt er dar durch zarte, ziselierte Wellenlinien, der Boden ist in mafsvoUer Weise mit Gräsern bedeckt. Auch er hat eine Vorliebe für Weiden mit herabhängendem Laubwerke, die in gleicher Weise, wie bei Flötner und H. G. behandelt sind; seine übrigen Bäume aber, besonders diejenigen, die weiter im Vordergrunde stehen, zeigen eine so eigenartige Technik, dafs sie allein schon auf den ersten Blick unsern Meister verraten. Das Laubwerk wird dargestellt durch einzelne wagerechte, parallel laufende Schuppenreihen, die dem Baume ein mosaikartiges Aussehen verleihen. Diese Schuppenreihen werden zu einzelnen Gruppen vereinigt, die, meist durch kurze Zweige mit einander verbunden, den Baum in verschiedene Etagen einteilen. Künstlerisch betrachtet macht natürlich eine in der Weise zusammengestellte Baumkrone einen höchst primitiven, handwerksmäfsigen Eindruck. Die Personen tragen meist das Kostüm der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, die schlanken, hohen, bisweilen etwas steifen Gestalten gleichen denen des Jost Amman.

Von den 6 Jagdscenen gehören je drei zu einer Gruppe. Die Plaketten der ersten verjüngen sich nach unten und sind mit einer kartuschenartig verzierten Umrahmung versehen. Beide haben offenbar als Vorlagen zur Verzierung von kleinen truhenartigen Kästchen gedient.

Jagdscenen. I.Gruppe. Br. 0,094— 0,089 m., H. 0,057 m. Bleigüsse.

1) Hasenjagd. K. P. 901. Katal. 537.

Links eine von rückwärts gesehene Frau, nach rechts reitend. Vor ihr steht ein Jäger, der einen erlegten Hasen an den Hinterläufen emporhält. Zu seinen Füfsei; ein Hund. Rechts ein Jäger, der in der Linken Barett und Speer hält. Tracht der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Oben in der Mitte der Umrahmung Engelskopf.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XIV.

98

Dieselbe Plakette in Bronze: Collektion Spitzer Bd. IV, S. 151, Nr. 93. Die Verjüngung ist nicht erwähnt, geringe Gröfsenabweich- ungen sind auf das Beschneiden der Bleiplakette zurückzuführen. (Ich will an dieser Stelle bemerken, dafs ich bei den Messungen den überstehenden [unornamentierten] Rand der Plakette nicht mitmesse. Bei jedem einzelnen Nachgufs ergeben sich ganz naturgemäfs schon durch das Bestreichen der nassen Form kleine Abweichungen). Blei-

gufs in Kassel.

2) Hirschjagd. K. P. 1913. Katal. 538. Tafel IL

Ein Hirsch, eine Hindin und ein Hase eilen von links her gegen ein in Schlangenlinien die Mitte der Plakette durchziehendes Fang- netz, das im Vordergrunde von einem Baume begrenzt wird. Rechts zwei Jäger, deren einer auf einem Baumstumpf sitzt und in der Rechten einen Jagdspeer hält. Neben ihm sitzt ein Hund. Oben in der Mitte der Umrahmung gekrönter bärtiger Kopf. Bleigufs in Kassel.

3) Jagd. K. P. 471. Katal. 540.

Ein Reiter, der in der vorgestreckten Rechten eine Pistole hält, galoppiert nach rechts, von zwei Hunden begleitet. Weiter im Hinter- grunde eilt ein Jäger mit Hörn und Speer, ebenfalls in Begleitung von zwei Hunden, nach rechts. Oben in der Mitte der Umrahmung Frauenkopf.

II. Gruppe. Br. 0,09 m. H. 0,043m. Bleigüsse.

1) Kyparissus. K. P. 898. Katal. 534.

Kyparissus erlegt durch einen Pfeilschufs den am Boden liegen- den, mit einem Perlenhalsband geschmückten Hirsch, in dessen Geweih ein Tuch geknüpft ist (Ovid, Metam. 10, 111 ff.). Im Hinter- grunde links eine von der Hüfte abwärts bekleidete Gestalt mit empor- gehobenem rechtem Arm (Apoll }) und ein nach rechts galoppierender Jäger mit geschwungenem Jagdspeer, von zwei Hunden begleitet. Rechts ein Mann, der pflügt, und einer, der säet.

2) Bärenjagd. K. P. 899. Katal. 535.

Von links galoppiert in Begleitung eines Hundes ein Reiter heran mit dem Schwert in der Rechten. Dem Hintergrunde zu ein Jäger mit Netz über der Schulter. Rechts greifen drei Jäger mit Speer, Säbel und Bogen einen Bären an, der bereits gegen vier Hunde, deren einer überwunden am Boden liegt, kämpft. Im Hinter- grunde rechts sucht ein junger Bär Q) einen Baum zu erklimmen.

3) Falkenbeize. K. P. 900. Katal. 536.

Links im Vordergrunde steht ein von rückwärts gesehener Jäger, der auf seiner linken Hand einen Falken trägt ; neben ihm zwei Hunde. Rechts ein Reiter, der einen Falken steigen läfst, aufserdem zwei Jäger, deren einer einen Hasen in der Linken trägt. In der Mitte ein Falke, der einen Hasen ergriffen hat. Dahinter ein nach rechts

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galoppierender Reiter mit Schwert in der Rechten. Drei fliegende Falken. Kornfeld. III. Susanna. K. P. 462. Katal. 611. Oval, H. 0,045 m., Br. 0,039 m. Bleigufs. Tafel II.

Die nackte Susanna sitzt unter einem Baume in einem Bassin, die Füfse im Wasser. Sie hat den Kopf nach rechts gewandt, den ge- krümmten linken Arm zur Abw^ehr erhoben. Von rechts und links wird sie von den beiden Alten angegriffen. Links im Vordergrunde ein kleiner Hund. An dem Bassinsteine rechts die Jahreszahl 1580. Gezahnter Rand. Während der Meister der Jagdscenen wenigstens in Bezug auf Kom- position Selbständigkeit sich wahrt, begibt sich der Monogrammist L -f- D in sklavische Abhängigkeit von seinem Vorbilde. Auch er gehört der jüngeren Nürnberger Richtung an. Nagler (Monogr. Bd. IV, S. 332, Nr. 1015) deutet das Monogramm auf Leonhard Danner, einen Nürnberger Mechaniker, der von 1497 1585 lebte, und die Art der bei den Plaketten von L + D ange- wandten Technik scheint diese Deutung zu unterstützen. Das übertrieben hohe Relief, die kräftige harte, aber aufserordentlich sichere Formengebung w^eist entschieden auf eine schwere Hand, die in sprödem Material zu arbeiten gewohnt ist. Zur Sicherheit würde diese Vermutung, wenn es sich bestätigt hätte, dafs eine im Berliner Kunstgewerbemuseum befindliche Uhr (cf. R. Fischer, historisch -kritische Beschreibung der Kunstkammer in dem Neuen Museum zu Berlin. 1859. S. 15, Nr. 1440), die mit Plaketten von L + D geziert ist, auch wirklich von L. D. angefertigt wäre. Das scheint indessen nicht der Fall zu sein, denn nach brieflicher INIitteilung des Herrn Geheimrat Lessing sind die Plaketten auf der Tafeluhr nicht völlig identisch mit den Bleigüssen. »Sie sind sehr energisch ziseliert und hierbei können die an sich kleinen Abweichungen entstanden sein. Sie sind viel gröber als die Bleigüsse und haben keine Marke.«

Leonhard Danner scheint ein grübelnder Kupf gewesen zu sein, der grofse technische Probleme in seinem Hirne wälzte, ohne es zu verstehen, seine Fähigkeiten zur Verbesserung seiner äufseren Lage zu verwenden. Erst im letzten Drittel seines Lebens wurde er bekannt und berühmt durch seine Maschinen. So wenigstens ist wohl der Vers, der auf seinem Grabe sich fand, zu verstehen (s. Neudörffer, ed. Lochner S. 54) : »Seht an die einfältig Gestalt, Doch sinnreichs Verstand und ward alt Acht und achtzig Jahr hatt sein Alter, Seine Bekannten hiefsen ihn 'Bettler, War allzeit dienstwillig Jedermann Durch sein Werk ward bekannt der Mann, Darnach verlangt ihn zu sterben, In Hoffnung das ewig Leben zu erben.« Gulden, Neudörffers Fortsetzer (s. Ausg. Lochner S. 213, Nr. 14) be- richtet über ihn: »Hat das Schraubwerk, wie auch den Druckzeug in Holz, allerlei Figuren künstlich zu drucken, erfunden,« Doppelmayr S. 294: »Ein

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Mechanicus, war ebener massen, wie sein Bruder Hanns Danner, wegen ge- schickter Zubereitung groser Hebzeuge und starcker Schrauben-Wercke, wozu ihme seine ordentliche Profession des Schrauben-machens Anlafs gäbe, wohl bekandt und berühmt. Er erfände um A. 1550 eine Maschine, die er die Brech-Schraube (davon die 4. und 5. Figur in der XIII. Kupffer- Tabellen zweyerley Gattungen, und zwar die letzte eine geringere, zeiget) benennte, und zur Ausübung übermässigen Forcen brauchte, da er mit Beyhülffe der- selben die dicksten Mauren von Thürnen und andern Gebäuen zu brechen und über einen Hauffen zu werffen vermögt, gleichwie er so wohl in Nürnberg A. 1558 an einer starcken Thurn-Mauren, als ausserwärts an denen dicksten Mauren alter Gebäue, seine Proben rühmlichst erwiesen. Erst bemeldte In- vention gäbe ihm auch Anlafs, dafs er die messinge Spindeln zu mehrerer Beförderung der Buchdruckerey, dabey ein Drucker alsdann nur seine halbe Stärke anzuwenden hatte, am ersten bey dergleichen Pressen gantz glücklich angebracht. Starb A. 1585 in dem 88. Jahr seines Alters.«

Eine auf ihn geprägte Medaille ist bei Doppelmayr Taf. XIV abgebildet. Sie zeigt ein kurzes breites Gesicht mit starker Nase, in dem nur die grofsen Augen den sinnenden Geist verraten. Die Umschrift : »Leonhart Danner. M,. S. 54. A. 1561 enthält einen Irrtum, der wahrscheinlich auf den Stecher zurückzuführen ist. Statt 54 mufs es heifsen 64, wie auch in der darunter befindlichen Abbildung der Jamnitzer-Medaille aus 1563 1503 gemacht wurde. Dafs der Mechaniker und Maschinenbauer auch Plaketten gearbeitet habe, kann bei der aufserordentlichen Vielseitigkeit, durch die die meisten Nürn- berger Künstler sich auszeichnen, nicht auffallen. Vielleicht gehört diese Art der Thätigkeit vor die Zeit, die ihn mit grofsen Maschinenplänen be- schäftigte. Ob unser L. D. identisch ist mit dem Künstler, dessen Mono- gramm auf dem Holzmodell zu der Medaille eines Anthonius Sanftl vom Jahre 1545 (s. Erman, Deutsche Medaill. S. 48) in der k. Sammlung zu Berlin sich be- findet, mufs ich dahingestellt sein lassen, da ich das Stück nicht gesehen habe.

Das germa- nische Museum besitzt von L 4-D 4 Plaketten, die

nach Kupfer- stichen H. S. Be- hams, und 3, die ^..

nach Stichen Aldegrevers gear- beitet sind. Cha- rakteristisch sind die kräftig her- vortretenden, stark verästeten

Bäume deren Stämme meist eine wagerechte Riefelung zeigen. Die Arbeiten nach Beham weichen nur in geringen Kleinigkeiten von dem Stiche ab, die

\-7^fefer

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896.

Taf. III.

0r^

\ \

»5J*^S?»^

Aus der Plakettensammlung (II).

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nach Aldegrever sind stark verkleinert und rund ; der Hintergrund ist bei den letzteren selbständig behandelt : er ist mit der bekannten Phantasieland- schaft ausgestattet. Das Monogramm des Stechers fehlt auf den Plaketten stets. Da die Stiche sämtlich dem Jahre 1540 angehören, so haben wir in diesem Jahre den terminus a quo für die Entstehungszeit der Plaketten.

I. Der verlorene Sohn. K. P. 452. 225—227. Katal. 443—446. H. 0,051—0,054 m. Br. 0,087— 0,09 m. Bleigüsse. Nach den Stichen H. S. Behams. B. 31—34.

1) Abschied. Aufschrift in erhabenen grofsen lateinischen Lettern : Pater da mihi porcionem substancia quae ad me redit.

2) Das Gastmahl. Bezeichnet: L+D. Aufschrift: Dissipavit substanciam suam vivendo luxuriöse. Luce. XV.

3) Der Sauhirt. Aufschrift : Cupiebat implere ventrem suum de siliquis. Luce. XV. (Tafel II).

4) Rückkehr. Aufschrift : Filius meus mortuus erat, et revixit, perierat, et inventus est. Luce. XV.

Abschied (1) und Rückkehr (4) CoUektion Spitzer Bd. IV, S. 149 Nr. 34 und 83, Bronze, mit Rand, ohne Aufschriften. Gastmahl t2) und Rückkehr (4) Kunstgewerbemuseum in Berlin, Bleigüsse. Nagler, Monogr. IV, S. 332 Nr. 1015 ist (nach Mitteilung des Herrn Geheimrats Lessing) dahin zu be- richtigen, dafs »Die Rückkehr« das Monogramm L + D nicht hat. Ein Gipsabgufs der »Rückkehr«, der auf keine der genannten Plaketten zurück- geht, befindet sich im germanischen ]\Iuseum , es läfst sich aber leider nicht feststellen, von welchem Ori- ginal er genommen ist. Es scheint ein Buchsrelief zu sein.

II. Evas Schöpfung. K. P. 447. Katal. 451. Durchm. 0,043 m. Blei- gufs. Verkleinerte Nachbildung des Stiches von Aldegrever B. 1.

in. Sündenfall. K. P. 854. Katal. 452. Durchm. 0,043 m. Bleigufs. Verkleinerte Nachbildung des Stiches von Aldegrever B. 2.

IV. Adam und Eva. K. P. 448. Katalog 453. Durchm. 0,043 m. Bleiguis. Verkleinerte Nachbildung des Stiches von Aldegrever B. 6. (Tafel IL)

Die Darstellungen II IV sind wahrscheinlich auf Brettsteine zurück- zuführen. Während der Korrektur des vorliegenden Aufsatzes hatte Herr Direktor Bosch die Güte, mich auf einen, soeben von ihm für das Museum angekauften Brettstein von Leonhard Danner aufmerksam zu machen. Der

S.

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Stein (Durchm. 0,045 m.) bietet sich dar als »Empfehlungskarte« in modern- stem Sinne. Die Vorderseite zeigt in der Mitte eine Tanne (Anspielung auf den Namen Danner), umrahmt von einem Blätterkranze. Die Umschrift (in grofsen, erhabenen lateinischen Buchstaben) lautet: »Leinhart Daner zv Nvren- berg.« Auf der Rückseite befindet sich, ebenfalls von einem Blätterkranze eingefafst, ein Hobel und unter ihm zwei kreuzweis übereinander liegende Schrauben. Umschrift: »Schreiner vnd Schravfenmacher.« Der Brettstein ist geprefst, wir haben es also mit einem fabrikmäfsig hergestellten Gegenstande zu thun, der wahrscheinlich dutzendweise gefertigt und auf den Markt ge- bracht wurde, so dafs er für das künstlerische Können Danners keinen Beweis liefern, die Hypothese also, dafs das Monogramm L. D. auf der Plakette mit »Leonhard Danner« aufzulösen sei, nicht unterstützen kann.

Zeigten die Werke der Meister, die wir bisher betrachtet haben, eine bestimmte technische und stilistische Verwandtschaft, die man als Schule Flötners bezeichnen könnte, so mögen jetzt zwei Plakettenserien folgen, deren Schöpfer eine selbständigere, originellere Stellung einnehmen.

Die Plaketten des einen Meisters, der den besten deutschen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts an die Seite gestellt werden mufs, sind mit Ausnahme einiger Körperteile der Hauptfiguren in ziemlich flachem Relief gehalten, sodafs schon aus diesem Grunde der Hintergrund weniger energisch hervortritt und das Augenmerk ungeteilt an die im Vordergrunde zur Dar- stellung gebrachte Scene gefesselt bleibt. Die Bäume zeigen eine völlig andere Technik, als die Flötnerschen. Sie sind weniger plastisch, sondern breit, malerisch behandelt. Die Wolken werden nur schwach, oft durch Spiralen, angedeutet. Vorzüglich aber ist die Darstellung der schlanken, eleganten Personen mit ihren lebhaften und graziösen Bewegungen. Die nackten Körper sind ausgezeichnet modelliert, bei den bekleideten liegt die antike Tracht so eng an, dafs man ebenfalls jede Muskel und jede Linie des Fleisches erkennen kann. Die Arbeiten erinnern an die besseren Schnitte Virgil Solls. Diesem Meister weise ich folgende Plaketten unserer Sammlung zu :

1) Hirschjagd. K. P. 897. Katal. 532. Br. 0,113 m., H. 0,05 m. Blei- gufs. Tafel II.

Links Hirsch von drei Hunden angefallen, deren einen er auf- spiefst. Von rechts reitet ein Jäger an in antikem Kostüme, in der Linken den Jagdspeer schwingend. Rechts im Hintergrunde enteilt nach rechts eine Hindin, in der INIitte ein Jäger mit Hörn und Lanze, nach links laufend. Der Schwanz des einen Hundes links ragt über den Rand hinaus. 2j Löwenjagd. K. P. 896. Katal. 533. Br. 0,118 m., H. 0,051 m. Bleigufs. Rechts wird ein Löwe von vier Hunden angegriffen. Einer liegt bereits überwunden unter ihm. In seinem Genick sitzt ein Pfeil. Von links kommt ein mit antikem Helm bedeckter, sonst nackter Reiter angesprengt, von einem Tuche umwallt, in der Rechten einen Säbel haltend. Neben dem Gaul läuft ein Hund. Mitten im Hinter- grunde nach rechts eilend ein Jäger mit gespanntem Bogen.

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3) Vulkan, Amor Pfeile schmiedend. K. P. 864. Katal. 592. Oval. Br. 0,085 m., H. 0,107 m. Bleigufs.

Links, vor der Esse, sitzt Vulkan, hält in der Rechten in Lenden- höhe den Hammer, in der Linken einen Pfeil, der auf dem Ambos aufliegt. Rechts Venus, stehend, nackt, mit der Linken ein Tuch auf der Brust haltend, die Rechte gegen Vulkan vorgestreckt. An ihr rechtes Bein lehnt sich der nackte Amor, der in der Rechten den Bogen trägt. Links im Vordergrunde am Boden ein Helm, rechts am Ambos ein Hammer. Hintergrund : Flufslandschaft, Brücke, Berge, Bäume, antike und ruinenhafte Architektur.

Die Plakette ist beschnitten. Das Original, Bronze, ist viereckig. S. »Beschreibung der Bildwerke der christlichen Epoche. Berlin 1888. (Königl. Museen zu Berlin) S. 238, Nr. 1071. Abb. Taf. XLVIII. Molinier, Les Plaqu. No. 599.

4) Aktäon. K. P. 869. Katal. 578. Oval. Br. 0,107 m., H. 0,077 m. Bleigufs. Tafel IL

Diana, die sich mit drei Nymphen links im grottenartigen Bade befindet, besprengt mit ihrer Rechten, während die Linke ein Laken vor die Scham hält, Aktäon mit Wasser. Sein Haupt ist bereits in einen Hirschkopf verwandelt. Er sucht nach rechts zu enteilen. In der Linken trägt er einen Jagdspeer, rechts und links von ihm je ein Jagdhund. Den Unken führt er an der Leine.

5) Umarmung. K. P. 865. Katal. 591. Oval. Br. 0,09 m., H. 0,12 m Bleigufs.

Auf den Knieen eines nackten, nach rechts gewandten, sitzen- den, vollbärtigen Mannes sitzt ein ebenfalls nacktes Weib mit empor- gezogenem rechtem Knie, das er küfst und umarmt. Sie stützt ihre Linke auf sein linkes Knie. Über beiden schwebt der Liebesgott, der sie mit Blumen bestreut. Links im Vordergrunde zwei Gefäfse. Ich habe bereits auf den erhöhten Einflufs der Litteratur auf die bil- dende Kunst im 16. Jahrhundert hingewiesen. Waren es im Mittelalter vor- nehmlich biblische Geschichten und Heiligenlegenden, welche die Phantasie des Künstlers beschäftigten, so wagen sich seit dem Ende des 15. Jahr- hunderts auch die weltlichen Darstellungen immer dreister hervor, bis sie innerhalb weniger Jahrzehnte die ersteren an Zahl weit überflügeln. Anderer- seits werden auch viele der biblischen Stoffe in einer Weise profaniert, dafs man sie von den weltlichen Dingen nicht mehr scheiden darf. Es ist un- nötig, auf die allgemein bekannten Gründe dieser Erscheinung nochmals hin- zuweisen. Die Emblemata, die ovidischen und livischen Figuren etc., die bewufst für den Künstler und besonders den Kunsthandwerker geschaffen waren, hatte ich angeführt. Daneben aber existiert noch eine aufserordent- lich reichhaltige Anekdoten- und Schwanklitteratur, die sich der weitesten Verbreitung erfreute und häufig dem Künstler als Born diente, aus dem er schöpfte. Dazu gehören beispielsweise die Erzählungen, die,' ^bereits im Mittelalter handschriftlich in den sogenannten »Gesta Romanorum «^ nieder-

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gelegt, im 15. Jahrhundert in lateinischer und deutscher Ausgabe erschienen, dann »Buch der Beispiele der alteu Weisen«, Boccaccios Decamerone, Pauli, Schimpf und Ernst, Kirchhoff, Wendunmuth etc. etc. bis auf Samuel Meiger, der in seinem »Nucleus Historiarum« 1598 eine systematisch geordnete Zu- sammenstellung dieser »Geschichten« anstrebte. Manche dieser Anekdoten, die früher sicherlich zum gröfsten Teil ganz allgemein bekannt waren, die also jeder Künstler auch, ohne befürchten zu müssen, dafs er nicht verstanden werde, benutzen konnte, haben sich bis heute im Bewufstsein des Volkes erhalten, die grofse Mehrzahl aber ist ihm im Laufe der Zeit entschwunden. Dafs man auch in Gelehrtenkreisen nicht immer diesem Anekdotenschatze die nötige Aufmerksamkeit schenkt, davon legen die oft sehr wunderlichen Erklärungen von Bildwerken der Renaissance Zeugnis ab. Als typisches Beispiel in dieser Beziehung kann die Collektion Spitzer gelten. Es ist ja allerdings nicht immer leicht, selbst wenn man die Geschichten kennt, die richtige Deutung zu finden , da der Stoff ein sehr umfangreicher ist, die Überlieferungen oft von einander abweichen und der Künstler bisweilen sich nicht streng an die schriftliche Überlieferung hält. Umsomehr wäre es eine verdienstliche Arbeit, das ganze Material einmal zu ordnen, eine Art Realencyklopädie auf diesem Gebiete anzulegen, zumal dieselbe auch einen wesentlichen Beitrag zur Erkenntnis der geistigen Interessen jener Zeit liefern würde. Ich berühre hier diesen Gegenstand, weil eine Anzahl von Plaketten eines Meisters mir vorliegen, deren einzelne völlig falsche Erklärung gefunden haben.

1) Der ungerechte Richter. K. P. 250. Katal. 574. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links über einem Stuhle, hinter dem ein nackter Krieger mit Helm und Lanze steht , liegt die Haut des ungerechten Richters. Rechts davon der König in antiker Tracht, auf die Haut deutend. Neben ihm der Sohn des Geschundenen. Des weiteren vier Personen, von denen drei bewaffnet sind. Rechts ein rundbogiger Eingang.

Die Darstellung ist im Katalog der Originalskulpturen irrtümlich erklärt als: »der des Kopfes beraubte Sohn vor dem Schatzhause.« In »Collektion Spitzer« Bd. III, S. 15, Nr. 29 aber findet sich fol- gende treffliche Deutung: »Plusieurs personnages vetus ä l'antique regardant une sorte d'armure complete, composee d'une peau de lion posee sur un trone.« In WirkUchkeit haben wir es mit einer Erzählung zu thun, die sich in »Gesta Romanorum« ed. Österley S. 324, cap. 29, findet: »Erat quidam Imperator, qui statuit pro lege, quod sub pena gravi quilibet judex recte judicaret, et si contrarium faceret nuUo modo misericordiam inveniret. Accidit casus, quod quidam judex muneribus corruptus falsum Judicium dedit. Imperator cum hoc andisset, servis suis precepit, ut eum excoriarent. Et sie factum est. Pellem ejus in loco, ubi judex sedere deberet, posuit ad significandum, quod ille judex cogitaret, quod amplius falsum Judicium non daret. Rex vero filium judicis defuncti judicem constituit dicens

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ei: Sedebris super pellem patris tui, ut judices populum meum. Si vero aliqiiis affert tibi donum ut declines a via recta, ad pellem patris tui respicias, ne tibi hoc idem contingat«.

2) Blendung (Zaleucus). K. P. 252. Katal. 576. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links sitzt ein bärtiger Mann, rechts ein bartloser, beide nackt. Jedem wird von einem nackten Scher- gen ein Auge ausgesto- chen. In der Mitte vier Personen in antikem Kostüme. Der Darstellung liegt folgende Erzählung (Gesta Roman., ed. Österley, S. 347, Cap. 50) zu Grunde: »Refert Valerius, quod Zelongus consul edidit pro lege, quod, si quis virginem defloraret, utrumque oculum amitteret. Accidit, quod filius ejus filiam unicam cujusdam vidue defloravit. Mater hec audiens imperatori occurrens ait: O do- mine, legem quam fecisti, impleri faciatis. Ecce unicus filius vester unicam filiam meam rapuit et vi oppressit. Rex hoc audiens com- mota sunt omnia viscera ejus et precepit, ut duo oculi filii sui eru- erentur. Dixerunt Satrape domino: Tantum unicum filium habes, qui est heres tuus. Toto imperio esset dampnum, si filius tuus oculos amittat. At ille: Nonne vobis constat, quod ego legem edidi.? Obpro- brium esset michi frangere, quod semel firmiter statui. Sed quia filius meus est primus, qui contra legem fecit, primus erit, qui peni- tencie subjacebit. Sapientes dixerunt: Domine, propter deum rogamus vos, ut filio vestro parcatis. Ille vero precibus devictus ait: Carissimi, ex quo ita est, andite me! Oculi mei sunt oculi filii mei et e con- verso. Dextrum oculum meum eruatis et sinistrum oculum fillii mei! Tunc lex est impleta. Et sie factum est, unde omnes prudenciam regis et justiciam laudabunt«.

3) Der Richter tödtet seinen Neffen. (Graf Archambeau). K. P. 251. Katal. 575. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links auf einern Bette sitzt ein nackter bärtiger Mann, der in der empor- gehobenen Rechten den gezückten Dolch hält. Mit der Linken zieht er eine nackte, von rückwärts ge- sehene Gestalt über sein Lager. Rechts vier Männer.

Derselbe Gegenstand in andrer Behandlung bei Aldegrever, B. 73.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XV,

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Pauli, Schimpf und Ernst, ed. Österley, S. 93 (CXXIX): .Man liszt von einem Edelman, der was ein amptman ein richter in einer stat, der niemans vbersah, vnd was nach gottes gerechtikeit hiesch, dem gieng er nach. Vnd vft' ein zeit ward er kranck, da er also an dem bet lag, da hert er ein dochter ein junckfraw schreien. Er fragt seinen diener einen, der da für gieng warumb die dochter also ge- schruwen hat, er wolt es wissen. Der knecht sprach, euwer veder, euwers bruders sun hat mit ir geschimpfft. Tc. Der edelman ver- stunt es wol, vnd nam ein brotmesser, vnd legt es vnter das Küssen, vf ein mal erblickt er in, da er für die kamer anhin gieng, er rufft im vnd hiesz in zu im kumen, vnd er kam. zu im, vnd er truckt in an sein brüst vnd stach im das messer zu dem rucken hinyn in das herz, vnd stach in zudot, vnd stiesz in von im, vnd hiesz in vergraben«.

4) Söhne, die auf die Leiche des Vaters schiefsen. K. P. 248. Katal.

572. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links an einen Baum gebunden die von einem Laken verhüllte Leiche eines bärtigen Mannes. Ein Pfeil steckt in der Gegend des Herzens. Neben ihm, dem Hintergrunde zu, eine Tragbahre. In der Mitte die drei Söhne. Zwei, bärtig, stehen, mit Bögen bewehrt. Der dritte, bartlos, kniet vor dem rechts sitzenden Richter, der in der Rechten ein Scepter trägt. Im Hintergrunde die Ruinen einer Burg.

Die Darstellung ist so bekannt und künstlerisch so oft ver- wertet (cf. z. B. Woltmann, Holbein S. 140, Mummenhoff, Das Rat- haus in Nürnberg S. 336, v. Terey, die Handzeichnungen des Hans Baidung I, 45), dafs der Hinweis auf die Gesta Romanorum in der angeführten Ausgabe S. 342 f. und S. 719, 45 genügen mag. In Collect. Spitzer, Bd. III, S. 15, Nr. 29 ist allerdings die Deutung trotzdem falsch.

5) Ein Vater verurteilt seine Tochter. (S. Barbara.^) K. P. 249. Katal.

573. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links sitzt ein nackter bärtiger Mann mit abgewandtem Haupte, in der vorgestreckten Linken das Scepter haltend. Rechts von ihm eine bekleidete Frau und ein bärtiger Mann in antikem Kostüm, der mit der Rechten auf den Richter zeigt. Ein anderer Mann in antiker Kleidung hat seine Linke auf die Schulter der Frau gelegt und hält in der emporgehobenen Rechten das gezückte 3chwert. Weiter rechts drei Krieger, die aus einem Thore kommen.

Ob wir es wirklich mit der Geschichte der h. Barbara (vergl. den Holzschnitt von Aldegrever, Nagler, Monogr. I, S. 293, Nr. 32) zu thun haben, mag dahin gestellt bleiben. Die Auswahl ist in diesem Falle eine zu grofse, um eine sichere Entscheidung zu erlauben.

6) Mucius Scävola. K. P. 247. Katal. 571. Br. 0,065 m., H. 0,024 m. Bleigufs.

Links auf dem Throne sitzt Porsenna, in der Rechten das Scepter haltend. Vor ihm auf rundem Postament das Kohlenbecken,

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aus dem die Flamme schlägt, und in das Scävola seine rechte Hand

hält. Hinter ihm ein, rechts von ihm drei bewaffnete Krieger. Alle

Personen in antiker Tracht.

Bleiguis in Kassel.

Drei der zuletzt beschriebenen Plaketten (1, 2 u. 4) befinden sich auf

einem Pokale, der im Besitze Spitzers war und »Collektion Spitzer« Bd. III, S. 15,

Nr. 29, folgendermafsen beschrieben ist: »(Argent dore) Le vase se compose

d'une partie cylindrique reposant sur deux disques aplatis ornes de masca-

rons d'hommes et de femmes, entoures de cartouches, separes par des godrons

sur Tun desquels est grave un dragon heraldique levant une epee, accom-

pagne des lettres B. L. Sur la partie cylindrique sont representees en bas-

reliefs fondus et ciseles, separes par des termes, trois scenes appartenant

ä une meme suite (folgt die Beschreibung der Plaketten). Le pied, en balustre,

est orne de mascarons en forme de termes. Sur la platte, deux figures de

fleuves et deux sources couchees, appuyees sur des urnes; sur le bord, des

arabesques gravees.

Le couvercle est orne sur le bord d'un rang d'oves au-dessus duquel est gravee l'inscription suivante: CAVETE AVTEM VOBIS § NE GRAVENTVR CORDA § VESTRA CRAPVLA. Au-dessus de cette inscription se deroule une frise representant de petits genies jouant sur les flots et des monstres marins. Au-dessus d'une seconde frise est nn sujet deux fois repete: un homme et une femme s'embrassant, accompagnes de deux amours. Une figu- rine d'enfant nu, tenant un ecusson, termine le couvercle et forme le bouton. Sur l'ecusson, somme d'une mitre, d'une Crosse et d'une epee, on voit un trefle accompagne de deux etoiles en chef (Wappen des Bistums Sitten). »Enfin ä l'interieur du couvercle est rapportee une plaquette repoussee, repre- sentant la Trinite. Sur le bord sont gravees les initiales L + L. Hauteur: 0,260 m.«

Der Pokal trägt zwei Marken, deren eine einen senkrecht in zwei Felder geteilten Schild zeigt, von denen das linke zwei Sterne übereinander hat. Die andere Marke bildet ein schlüsselartiger, nach unten halbmondförmig aus- laufender Gegenstand. In dem halbmondförmigen Teile befindet sich ein Stern. Der aufserordentlichen Liebenswürdigkeit des Herrn Professor Dr. Marc Rosenberg verdanke ich die Erklärung der ersten Marke: sie ist das Beschau- zeichen von Sitten. Gleichzeitig aber übersandte mir Herr Professor R., wo- für ich auch an dieser Stelle ihm meinen verbindlichsten Dank sage, Be- schreibung und Abbildung eines anderen Pokales desselben Sittener Meisters, der, in Genf zur Ausstellung gebracht, eine feste Datierung giebt und im Verein mit dem Spitzerschen das hervorragende Können des Meisters dar- thut. (Ich erfülle gern die Pflicht, das liberale Entgegenkommen der Genfer Ausstellungskommission in dieser Sache dankend hervorzuheben.) R. urteilt über den Pokal: »Auf der Ausstellung in Genf das beste Renaissance- Becherchen«.

Die Beschreibung aus dem Katalog Nr. 2130 lautet: »Coupe sur pied ä couvercle, en argent repousse, cisele et dore; sur la coupe le massacre

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des Innocents, des mascarons et des amours; sur le couvercle, surmonte d'iin amour tenant un ecu aux armes de la famille de Graffenried, rinscription HOC SECVLVM EST lOCANTIS FORTVN^ LVDVS. M. D. LXIL, ä r Interieur du couvercle les armes accolees et emaillees des familles de Graffen- ried et Michel dite Schwertschwendi. Poingon de Sion, marque indeter- minee. 1562.

»Cette coupe appartenait ä Nicolas de Graffenried, Gouverneur d'Aigle et banneret de la ville de Berne (1530—1580)«.

Beide Pokale zeigen in ihrem Aufbau grofse Ähnlichkeit, nur dafs der senkrechte, cylindrische Teil der cupa bei dem Graffenried'schen im Ver- hältnis zum Gesamtmafs höher ist, während bei dem Spitzer'schen der Schaft freier und schlanker emporstrebt. Der den Deckel abschliefsende Putto ist bei beiden Stücken derselbe. Die Darstellung des Bethlehemitischen Kinder- mordes zeigt in der einfachen, äufserst geschickten Komposition, in den muskulösen, beweglichen Figuren eine so augenscheinliche innere Verwandt- schaft mit den Plakettendarstellungen, dafs ich in weiterer Berücksichtigung der in jeder Beziehung künstlerisch vollendeten Durchführung der beiden Pokale nicht im Zweifel bin, dafs wir in dem Sittener Meister auch den Urheber der Plaketten zu sehen haben, dafs er nicht etwa nach fremden Mustern gearbeitet hat. Hoffentlich gelingt es der Lokalforschung, auch den Namen dieses bedeutenden Künstlers festzustellen, der, 1560 in Sitten arbei- tend, von Italien stark beeinflufst ist, seine Ausbildung aber zweifellos deutschen, vielleicht Strafsburger Meistern, verdankt.

Über den Vorbesitzer unsrer Plaketten giebt Nr. 2, »Blendung« interes- santen Aufschlufs. Auf der Rückseite nämlich hat Kinderhand Linien zum »Rechnen auf der Linie« gezogen und in die Spacien Rechenpfennige mit Hilfe des Zirkels eingetragen. Aufserdem aber sind Schreibversuche gemacht, die uns den Namen des jugendlichen Autors verraten. Oben lesen wir die Buchstaben des Alphabets von h m, unten »all mechtiger«, in der Mitte aber »caroUus perckmann«" Die Schrift gehört der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts an. Dieser Karl Perckmann ist, da die Plaketten später in den Hallerschen Besitz kamen, also wohl auch vorher in Nürnberg waren, sicherlich ein Mitglied der Nürnberger Goldschmiedefamilie gleichen Namens, aus der zwei Meister bekannt sind: Andreas Berckmann 1651, und Johann B. 1691.

Nürnberg. Dr. F. Fuhse.

Das Nürnberger Münz- Kabinet des Freiherrn Job. Christ. Sigm. von Kress.

u der Zeit, als Hubert Goltzius der Kupferstecher und Antiquar aus

Amsterdam seine Reisen in Europa machte , um für seine merk-

'% würdige Veröffentlichung der alten Kaiserbildnisse nach den Münz-

"* bildern Stoff zu sammeln, gab es bereits wenn wir wenigstens Golt-

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zens Angaben vertrauen dürfen über 900 Münz- und Medaillenkabinete, die den Besuch lohnten. Allerdings handelte es sich bei den meisten vornehmlich um Antikes, um römische Kaisermünzen, wie sie der Niederländer ja auch haupt- sächlich für seine Kupfer verwendete. In Deutschland war es Kaiser Max, von dessen persönlichen Verhandlungen mit seinen Alünzstempelschneidern uns noch manches erhalten ist, der das erste ]>^Iünzkabinet, das zu Wien, begründete.

In Nürnberg war der Sammeleifer schon zu Dürers Zeit in dessen Freundeskreis erwacht: Wilibald Pirkheimers Stolz war zwar in erster Linie seine Büchersammlung, für die ihm befreundete Humanisten aus allen Städten Europas die neuen Erscheinungen besorgten; aber seine Münzen und Kunstschätze wurden nicht minder bewundert und in den Briefen seiner Freunde mit grofsem Lob genannt. Da der Gelehrte ohne männliche Nach- kommenschaft starb, kamen seine Schätze in den Besitz der Familie Imhof und bildeten für seinen Enkel, den berühmtesten Kunstsammler des 16. Jahrh. in Nürnberg, für Wilibald Imhof, den Grundstock zu seiner reichen Kunst- kammer. Aber Wilibalds Freund und Günstling war Hans Hofmann, der erste und auch der begabteste unter jenen berüchtigten Malern, die es sich zum Berufe machten, Dürers Gemälde und Zeichnungen zu fälschen. Aus der Freude am Sammeln ward ein immer mehr bedenklicher und gewissenloser Kunsthandel, den die Familie Imhof mehrere Menschenalter hindurch weiter- betrieb und über den ihr »Geheimbüchlein« auf der Nürnberger Stadtbibliothek recht merkwürdige Aufschlüsse giebt. Wirklich gute Stücke enthielt die Kunst- kammer damals gewüfs keine mehr; denn als anno 1630 dem feinsinnigen Ver- ehrer Albrecht Dürers, dem Kurfürsten Maximilian »auf sein inständiges An- halten die Hauptstücke der Sammlung präsentiert worden waren, hat er dazu gar keine Lust getragen, auch viel unter denselben nicht für Originalien er- kennen wollen, sondern sie alle zurückgegeben und gar kein Gebot darauf legen lassen«. Dafs die Imhofsche Kunstkammer, die bald darauf in ihren unbe- rühmten Resten nach Wien und Amsterdam verkauft ward, aufser den antiken römischen auch eine gröfsere Sammlung von mittelalterlichen Münzen ent- halten habe, ist nirgends gesagt und auch wenig wahrscheinlich ^).

Dafs es dagegen im Beginn des folgenden, des 18. Jahrhunderts, an Interesse für die mittelalterliche Münzkunde in der alten Reichsstadt nicht fehlte, das beweist das Erscheinen der ersten numismatischen Zeitschrift der histo- rischen Münzbelustigungen, die sich 35 Jahre lang am Leben erhielten und erst anno 1764 eingingen. Am Ende des Jahrhunderts ist es wieder einer aus der alten ehrbaren Familie der Imhof, den wir als hervorragenden Münzkenner und Besitzer einer aufserordentlich reichhaltigen Sammlung von Nürnberger Münz- und Medaillenprägungen finden : Es war sein eigenes Kabinet , das Christoph Andreas IV. Imhof in den Jahren 1780 1782 in zwei starken Quartbänden »mit vieler Mühe so vollständig als möglich in wenig Jahren

1) Über die Geschichte der Imhofschen Kunstkammer haben in ihren Dürerbio- graphien Haller u. Thausing eingehend gehandelt.

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zusammengetragen und sodann auf das Genaueste beschrieben« herausgab. Eine Sammlung von dieser Vollständigkeit und dieser systematischen Anlage in wenigen Jahren zusammenzubringen, war damals gewifs weit mehr noch als heute ein Ding der Unmöglichkeit ; aber da der Besitzer in seiner Ver- öffentlichung selbst keine Angaben über die Geschichte seiner einzigartigen Sammlung macht, so müssen wir uns bescheiden bei der Thatsache, dafs wenigstens von der alten Imhofischen Kunstkammer nichts mehr bis auf diese Zeit im Besitz der Familie geblieben sein kann.

Der Sammler hatte sich weise beschränkt, nicht mit dem grauen Altertum begonnen und die entlegensten Länder mit herangezogen in sein Sammel- gebiet; so gab er seinem IVIünzkabinet einen für die Wissenschaft um so höheren Wert, je näher er der systematischen Vollständigkeit in seinem immer noch weiten, alle Nürnberger Reichsstädtischen Münzprägungen umfassenden Rahmen kam. Zum Glück ist uns der gröfste Teil dieses unvergleichlichen Schatzes von Sammler- und Forscherfleifs erhalten geblieben und nunmehr nach jahrzehntelangen Verhandlungen und Erwägungen so wohl verwahrt und doch so leicht zugänglich untergebracht worden, dafs man wohl annehmen darf, die Sammlung habe den Abschlufs ihrer merkwürdigen Geschichte er- reicht und werde für alle Zukunft da verbleiben, wo sie jetzt sich befindet, im germanischen Museum.

Der anno 1818 im 89. Lebensjahre verschiedene Staatsrat Johann Chri- stoph Sigmund von Krefs hatte das Imhofsche Kabinet, soweit es noch bei- sammen war, an sich gebracht und hinterliefs es seinen Erben als eine unver- äufserliche Familienstiftung zum Studium der nürnbergischen Münzkunde. Der Erblasser, der übrigens in seinen späteren Jahren ziemlich vereinsamt lebte, hatte den Wert seiner Sammlung auf 2600 fl. geschätzt und dazu noch 200 fl. gestiftet, aus deren Zinsen gelegentUche Ergänzungen vorgenommen werden sollten. Nun fand sich aber unter seinen Erben niemand, der die nötigen Geldmittel und die nötige Mühe aufwenden wollte, welche eine Auf- stellung und Versicherung des Kabinets im Sinne des Verstorbenen verlangt hätten; so kam es nach vielen Mahnbriefen der Ansbachischen Regierung endlich 1821 dazu, dafs der Senator Joachim Freiherr von Haller im Namen der Erben die ganze Stiftung selbst an Stelle der Kaution der Stadt übergab mit einer weitschweifigen und umständlichen Begründung, dafs ein Privat- mann nie so viel Zeit, Geld und mühsames Studium an die Sammlung wenden könnte, als nötig wäre, um sie wirklich nutzbar zu machen. »Will er nicht in der nächsten besten Reisebeschreibung andern zum Abscheu und Exempel als ein ungefälliger Mann aufgestellt werden, so heifst es da, so darf er wie einer vor dem Guckkasten vor seinem Münzkasten sitzen, um jeden Fremden, der vielleicht kaum 24 Stunden in der Stadt verweilt, in solchen hineinsehen zu lassen.«

Am 27. August 1823 erfolgte denn auch endlich die Übergabe des in dessen von Haller selbst neu geordneten Kabinets an die Stadt. Aber dieser war mit dem Geschenk auch wenig gedient; weder der Bibliothekar noch sonst einer von den Beamten mochte die Verantwortung und die Sorge für

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den gefährlichen Schatz übernehmen, für dessen Aufstellung überdies nirgends ein geeigneter Raum vorhanden war. ]\Ian wandte sich daher bald wiederum an die Krefsischen Erben, bald an die mittelfränkische Kreisregierung in Ans- bach, um von dem lästigen Geschenk befreit zu werden; aber ohne allen Erfolg zogen sich die Verhandlungen hin, bis im Dezember 1857 aus dem Kreise des Gemeinde -Kollegiums dem Magistrat der Antrag vorgelegt wurde, die ganze Sammlung dem wenige Jahre zuvor gegründeten germanischen Museum zur Aufstellung zu übergeben. Aber erst nach langen Verhandlungen und nach dem der Magistrat, »um endlich einmal von diesem Kabinet befreit zu werden« auch auf die Kaution verzichtet hatte, geschah im März 1866 die Übergabe der ganzen Sammlung von 2547 Stücken nach damaliger Schätzung im Werte von 3190 fi. an das Museum^).

Aber auch hier hat das Krefsische Münz -Kabinet noch manche Sorge gemacht, bis endlich nach 30 Jahren auch der letzte Wunsch des Stifters er- füllt und die Sammlung allgemein zugänglich gemacht werden konnte. Münz- sammlungen dem Publikum zugänglich zu machen, ist eine schwierige Auf- gabe ; meist hält man sie wohl verschlossen in einem Kassenschrank, der sich sehr selten nur für einen Fremden öffnet, und legt einige Beispiele, denn mehr erlaubt in der Regel der Raum nicht, in Glaskästen auf; so ist aber ein Betrachten der ganzen Münze samt der Rückseite für den Sachverständigen unmöglich. Deshalb kam der als Nürnberger Numismatiker bekannte Grofs- händler Joh. Chr. Stahl vor wenigen Jahren auf die Idee einer neuen Auf- stellungsweise, welche die Münze aus nächster Nähe und von beiden Seiten sehen läfst, ohne sie doch den> Beschauer in die Hände zu geben. Die Kassenschrankfabrik von Hermann hat den Schrank mit seinem scharfsinnig erdachten Mechanismus ausgeführt, der es gestattet, die nahezu 1600 Münzen des Krefsischen Kabinets mit einem Raumaufwand von wenig mehr als zwei Kubikmeter zur Aufstellung zu bringen. Auf 48 ungefähr quadratischen Holz- tafeln liegen die Münzen in chronologischer Folge nach der Regierungszeit der Kaiser, mit deren Bilde die Reichsstadt so oft prägte, angeordnet so, dafs in die 5 mm. starke Holztafel ein Ausschnitt entsprechend der Gröfse jeder Münze gemacht und in diesem die ?*Iünze durch drei Klammern aus Zelluloid sozusagen ä jour gefafst wurde. Die einzelnen Tafeln sind durch eine Kette so verbunden, dafs sie der Reihe nach mittels Kurbeldrehung heraufgehoben werden können bis dicht unter die Glasscheibe, welche in der Tischplatte des Kastens eingelassen ist; ein eigener Mechanismus bewirkt da- zu noch, dafs jede Tablette beim Weiterdrehen der Kurbel sich wendet und von der Rüchseite zu sehen ist. Es ist begreiflich, dafs für eine in sich so gut wie abgeschlossene Sammlung wie das Krefsische Münz -Kabinet , die keiner namhaften Ergänzungen mehr bedarf, eine derartige Aufstellung die best mögliche Lösung gewährt. Die Alünzen erscheinen dem Beschauer in wohlgeordneter unveränderlicher Folge, in nächster Nähe zu sehen, und bedürfen anderseits doch nicht beständiger Überwachung.

2) Die hier mitgeteilten Thatsachen verdanke ich der Güte des Herrn Joh. Ch. Stahl, der sie aus dem weitschichtigen Aktenmaterial auszog.

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Über die Bestände der Sammlung, die nun endlich dem Wunsche des Stifters gemäfs aufgestellt sind , eingehend zu berichren , ist hier unmög- lich. Es sei nur auf eine gerade dem heutigen Stande der numismatischen Forschung besonders empfindliche Lücke hingewiesen , die der im übrigen, namentlich an Prägungen des XVII. und XVIII. Jahrhunderts erstaun- Uchen Vollständigkeit wenig entspricht. Einmal hat Andreas Imhof in seiner Sammelthätigkeit bis zur Mitte des XVI. Jahrhunderts die Scheidemünze zu gunsten der prachtvollen Goldprägungen dieser Zeit sehr vernachläfsigt und dann hat er alle diejenigen Stücke unberücksichtigt gelassen, die zu der höchst interessanten Entstehungsgeschichte der städtischen Münze aus der alten Reichsmünzstätte , zu dem Wechsel des Münzrechts und zu den Münzkon- ventionen des XIV. Jahrhunderts aufklärende Beiträge bilden könnten. Immer- hin sind das Lücken, welche durch die Hauptsammlung des Museums aus- geglichen werden können, und zum Teil schon ausgeglichen sind, so dafs in absehbarer Zeit die Prägungen der Nürnberger Münze von ihren ersten An- fängen bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1806 in möglichster Vollständigkeit dem Forscher zur Benützung stehen werden.

Nürnberg. K. Seh.

Friesische Häuser auf den Halligen.

s war einer der Lieblingspläne des verstorbenen Direktors v. Essen- wein, nach Analogie der sogen, altdeutschen Zimmer unseres Museums auch ein friesisches Wohngemach nebst Küche in unseren Samm- lungen einzurichten, wobei er wahrscheinlich an Muster aus West- oder Ostfriesland gedacht hat. Ein allzufrüher Tod hat ihn an der Ausführung dieses Vorsatzes gehindert, aber sein Gedanke wirkte wie ein Vermächtnis fort und wird unter der gegenwärtigen Direktion seine Vollendung finden, wenn auch nunmehr infolge mannigfacher Umstände den Besuchern des Museums das interessante Innere eines nordfriesischen, speziell eines Hallighauses vorzuführen beabsichtigt ist. Wertvolle und charakteristische Ausstattungsstücke dafür wurden bereits vor 3 Jahren von dem Unterzeichneten, in diesem Jahre von Herrn Direktor Bosch an Ort und Stelle erworben. Es dürfte daher an der Zeit sein, den Lesern unserer »Mitteilungen« die Beschreibung eines Hallig- hauses zu gewähren, wie sie im Wesentlichen bereits in meiner Monographie »die Halligen der Nordsee«, Stuttgart 1892, und im Maiheft der illustrierten naturwissensch. Monatsschrift »Himmel und Erde«, Berlin Jahrg. 1895, in meinem Aufsatz »Halligbilder« enthalten ist.

Die wissenschaftliche Fachlitteratur über das friesische Haus ist einer- seits nicht sehr umfangreich, andrerseits auch lückenhaft, indem sie die Ge- bäude auf den schleswig'schen Utlanden und speziell auf den ganz eigentüm- lichen Halligen nur dürftig behandelt. Lasius in seiner kleinen Monographie »das friesische Bauernhaus«, Strafsburg 1885, und Allmers in seinem Marschen- buch beschäftigen sich nur mit dem ost-westfriesischen Bauernhaus der

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Marschen, wie auch die von Henning in seiner bekannten Arbeit >das deutsche Haus«, Strafsburg 1882, benutzte Litteratur erkennen läfst, dafs selbst diesem Autor nach seinen Quellen und nach eigener Kenntnis das Hallig- haus unbekannt geblieben war, was bei der früheren Abgeschlossenheit dieser Inseln vom allgemeinen Verkehr nicht zu verwundern ist. 1891 erschien dann zwar das Buch von Hansen-Jensen über die nordfriesischen Inseln , doch ist darin der kurze Abschnitt über die Halligen ohne jeden Wert. Henning weist übrigens die Gebäude der Inseln im 5. Kapitel der anglo-dänischen Bauart zu und meint, man finde auf den Werften der Inseln und der Halligen Gebäude, die in quadratischer Form unter einem gemeinsamen Dache mehrere Wirtschaftsgebäude umfassen, ähnlich dem Eiderstetter Heuberge. Da diese Auffassung geeignet ist, eine irrige Vorstellung von den Ansiedlungen auf den Halligen zu erwecken, so habe ich sie bereits in dem Aufsatz »Halligbilder«

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1) Diele.

2) Wohnräume.

3) Wandbetten.

4) Durchgänge.

5) Küche.

6) Herd mit Backofen.

7) Speisekammer.

8) Kellertreppe.

9) Dittenschacht.

10) Bodentreppe.

11) Stallräume.

12) Schornstein.

13) Gerätkammer. 1-1) Einlegeröfen. 15) Wandschrank.

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ZU widerlegen versucht, wie ich auch hier bei der Bedeutung des Henning'schen Buches nicht versäumen will, sie als unzutreffend zu bezeichnen. Nur die kleine Hallig Süderoog besitzt ein quadratisches, sehr grofses Haus (das ein- zige auf der Insel), dessen 4 Flügel einen kleinen, offenen Hof umschliefsen, so dafs also auch in diesem Ausnahmefalle die Gebäude nicht unter einem Dache vereinigt sind. Die wenigen Angaben, die Haupt in Bd. I seiner »Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Schleswig-Holstein« pg. 436 bringt, beruhen zwar auf persönlicher Kenntnisnahme, sind aber gar zu knapp bemessen und bedürfen deshalb der Erweiterung. Lütgens behandelt in seinem Werk »Kurz- gefafste Charakteristik der Bauernwirtschaften in den Herzogtümern Schleswig und Holstein«, 1847, pg. 16 und Tafel 36 und 37 die westfriesischen Inseln, aber mit Ausschluls der Halligen, und nur bei R. Mejborg, »nordiske Böndergaarde« finde ich in Band 1, Slesvig, 1892, eine zutreffende Schilderung der Halligen,

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XVI.

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der ich auch bezüglich der Häuser beizustimmen vermag ; erhöht wird der Wert dieses Werkes durch gute Illustrationen.

Die Halligen und die heutigen Inseln Nordstrand und Pellworm sind die Über- bleibsel der alten Strandinger Marschlandschaft nördlich vom Heverstrom. Nach- dem von Zeit zu Zeit durch verheerende Sturmfluten einzelne Teile von ihr los- gelöst waren und als Halligen weiter existierten, vollendete sich das Schicksal des Nordstrandes in der schrecklichen Katastrophe des Jahres 1634. Nur die beiden grofsen Fragmente Nordstrand und Pellworm erhielten nach derselben neue Seedeiche, die übrigen blieben abermals als niedrige Halligen den weiteren Verwüstungen preisgegeben, die mit elementarer Gewalt wiederholt im 18. Jahr- hundert und zum letzten Male im Jahre 1825 über sie hereinbrachen. Die Folge davon war, dafs eine Anzahl von ihnen überhaupt spurlos verschwunden, auf den übrigen aber alte Häuser nicht mehr erhalten sind. Man wird mit Sicherheit annehmen dürfen, dafs sie vor ihrer Isolierung dieselben Gebäude trugen, wie die benachbarten Festlandsmarschen und wie die genannten beiden Inseln, dann aber bedingte die Veränderung des Wirtschaftssystems und die

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Fig. 2.

1) Diele.

2) Wohnräume.

3) Wandbetten.

4) "Wandschrank.

5) Küche.

6) Kellertreppe.

7) Speisekammer.

8) Bodentreppe.

9 u. 11) Stallräume. 10) Brunnenraum.

12) DUngerrinne.

13) Herd.

14) Schornstein. lö) Einlegeröfen. 16) Dittenschacht.

Notwendigkeit des engen Zusammenbauens auf mühsam errichteten Werften eine andere Bauart, die im allgemeinen wohl an der alten Überlieferung fest- hielt, aber den Bedürfnissen einer Hirten- und Schifferbevölkerung und den physischen Bedingungen einer oft grandios furchtbaren Natur angepafst wer- den mufste. Neuere wie ältere Hallighäuser und kaum eins ist hinter das Jahr 1717 mit seiner Sturmflut unseligen Andenkens zurückzudatieren weisen daher einen übereinstimmenden Typus auf ^). Sie sind sämtlich mit ihrer Front nach der Südseite gerichtet , woselbst sich auch der Eingang manchmal unter einem aus dem Rohrdache hervorspringenden Giebel befindet. Durch die horizontal zweiflüglige Thür betritt man die mäfsig breite Diele, von der rechts und links Thüren in die meist niedrigen Wohnzimmer führen. Dafs die bestausgestattete Stube Pesel und das gewöhnliche Wohngemach

^) Derselben Ansicht ist Mejborg, der den Gebäuden holländischen Charakter zu- spricht: De gamle og de ny er omtrent ens; Indretningen er naesten overalt den samme, og saavel det indre som det ydre Udseende retter sig efter den hollandske Mode, der gör sig gaeldende fra Fanö til Helgoland (pg. 71).

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Dönse genannt wird, ist hinlänglich bekannt, eine bestimmte Norm aber für die Lage dieser Räumlichkeiten, ob links oder rechts von der Diele, ist nicht befolgt worden, sie richtete sich in jedem Falle nach dem Gutdünken des Erbauers. Stets ist das Hallighaus gleich dem fränkischen in erster Linie Wohnhaus; wie dort nimmt die darin untergebrachte Viehstallung nur etwa einen Vierteil des Gesamtraumes ein, selten eine Hälfte, vielmehr wird bei reichem Viehstande lieber ein Flügel angebaut, mitunter vertritt den Flügel sogar ein selbständiges Stallgebäude. Vergleicht man die hier und meiner erwähnten Monographie beigegebenen Grundrisse von Hallighäusern mit dem- jenigen des fränkischen Hauses bei Meitzen, »das deutsche Haus«, Berlin 1882, auf Tafel I, Fig. 2, in welchem i und k die Lage der Ställe bezeichnen, so ergiebt sich unzweifelhaft eine Ähnlichkeit im Prinzip der inneren Raumaus- nützung, andrerseits aber auch mit der Wohnungsabteilung des friesischen Hauses bei Lasius, Fig. 6, wie ja das friesische Haus in den Wohnräumen dem fränkischen, in den Wirtschaftsräumen dem sächsischen Hause näher steht. Die Halligfriesen, die nach der Einbufse des Deichschutzes ihrer

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1) Diele.

2) Wohnräume.

3) Wandbetten.

4) Brunnen.

5) Küche.

6) Kellertreppe. T) Herd.

8) Einlegeröfen.

9) Speisekammer. 10) Bodentreppe.

11 U.12) Viehverschläge.

13) Schafstall.

14) Düngerrinne. 15^ Futterkrippen. 16) Deckenstützen.

Ländereien ledigHch auf Viehzucht und Schiffahrt angewiesen waren, mithin keiner Scheunen , Pferdeställe und Gerätschuppen bedurften , scheinen von jeher doppelten Werth auf bequeme, geräumige Wohnungen gelegt zn haben, denn nur in sehr kleinen Häusern, welche die Minderzahl bilden, begnügt man sich mit Pesel und Dönse , in den gröfseren Häusern findet man aufser dem Pesel zwei Wohnzimmer nach der Südseite, ja in den wohl- habendsten sogar zwei Staats- und zwei Wohnstuben. Die Wände zwischen ihnen und der Diele sind fast ausnahmslos gemauert, ^2 1 Stein stark, die Trennung der Zimmer unter sich erfolgt dagegen häufig durch Bretterwände, wo aber Mauern diesen Dienst verrichten, sind Wandnischen in ihnen ange- bracht mit Glasthüren, hinter denen allerhand Ziergerät aus Messing, Por- zellan und Silber sowie Andenken an ferne Länder und Meere aufbewahrt werden. Die festen Wände sind mit kleinen quadratischen Kacheln belegt, in den Häusern aus der guten alten Zeit von Delfter Fayence, in den neueren aus minderwertigem Material, das aus Hamburg bezogen wird. Auf weilsem Grunde enthalten die Kacheln blaue eingebrannte Bildchen mit den mannig-

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faltigsten Darstellungen: Schiffe, Brunnen, Vögel und andere Thiere, Jagd- bilder, Landschaften und Stoffe aus der heiligen Schrift in reicher Abwechs- lung ; dafs die modernen Wandkacheln häufig weifs und braun gehalten sind, sei nebenbei erwähnt, jedenfalls übertreffen die echten alten die neueren an Schönheit der Farbe und Glasur. In vielen Zimmern, besonders auf Hooge und Langenefs-Nordmarsch, heben sich aus diesem bunten Wechsel aneinander- gereihter Einzelbildchen Kompositionen von Schiffen heraus, zusammengesetzt aus 5x5 Kacheln, die nach einer Originalvorlage auf besondere Bestellung gebrannt wurden; sie bilden Andenken für Kapitäne an die Schiffe, welche sie im Dienste fremder Rheder geführt haben. Eine solche Inschrift lautet beispielsweise :

Ao. 1750

Handelaar

gefoerd doer Skipper

Barend Frederik Hansen

voor De Heer John Notemann. Um die Kompositionen herum läuft gleichfalls aus Kacheln zusammengesetzt eine Art Rahmen von Putten- und Rankenarabesken, wie auch zuweilen die Thürrahmen von Bordüren gleicher Art oder von zusammengesetzten Säulen und Tieren eingefafst sind. Bestehen die Scheidewände aus Brettern, so fehlen natürlich die Kacheln und an ihre Stelle tritt wie bei Thüren und Fenstern der Anstrich von weifser Ölfarbe, in den ältesten Häusern eine Bemalung der Wände mit Pflanzenornamenten in blauer, weifser und roter Farbe.

Wo die Art der Wände und die Gröfse der Zimmer es erforderlich macht, ruht die Decke auf Balkendurchzügen; darüber liegen die dicht ge- fugten Bretter, auf denen unmittelbar zugleich die Vorräte des Bodens auf- gestapelt sind. In älteren Häusern sind Decken und Durchzüge farbig gestrichen ^), in den späteren wieder weifs. Es scheint, dafs in der Glanzzeit des Halligwohlstandes etwa in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts, wo die männliche Bevölkerung im Dienste von Hamburger, Bremer, Flensburger u. a. Rhederfirmen dem noch sehr einträglichen Walfisch- und Robbenfang im Polarmeer nachging, die Freude an Farben lebhaft gewesen sei; sie hat sich auch auf den Schmuck des Hausgerätes erstreckt, wie wir in einer späteren Mitteilung sehen werden. I\Iit dem langsamen Versiegen dieser Quelle sehr reichen Verdienstes und der rapiden Abnahme des Halliglandes, der Wirt- schaftsstellen und der Einwohner trat Nüchternheit an die Stelle frohen Lebens- genusses, und heut schwinden rasch die letzten Reste des schmuckreichen alten Besitzes, um für den Erlös dringendere Bedürfnisse befriedigen zu helfen.

In Häusern des Festlandes und auf gröfseren Inseln, die bei gleichen wirtschaftlichen Bedingungen auch eine den Hallighäusern ganz ähnliche Einrichtung zeigen, fand ich wiederholt in der Wohnstube die grofse Eckbank des fränkischen Hauses von ganz derselben Art, wie sie Henning auf S. 10

2) Vergl. die Abbildung der Deckenmalerei des »Königshauses« auf Hooge bei Mejborg, pg. 75.

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durchaus zutreffend beschreibt; sie kommt auch auf den Halligen vor, wo man indessen die zum Sitzen bequemeren Stühle bevorzugt. Praktisch für gewöhnlich nicht sehr grofse Zimmer sind die Tische am Wandpfeiler zwischen den Fenstern: in unbenutztem Zustande haben sie eine sehr schmale, etwa 1 m lange Platte, von der nach beiden Seiten Klappen bis nahe an die Diele herabhängen. Zur Stütze der letzteren dienen im Bedarfsfalle entweder aus dem Tischkasten herausziehbare Arme oder eine sinnreiche Vorkehrung : jedes Brett der Langwand des Tischkastens ist vertikal bis zur Mitte seiner ganzen Länge durchgeschnitten, so dafs es also bis dorthin aus 2 Brettchen von der halben Stärke der übrigen Kastenwände besteht. Das äufsere Brettchen läfst sich in Scharnieren vom Mittelpunkt des ganzen Brettes aus drehen und mit ihm die Hälfte eines ebenfalls vertikal durchschnittenen Tischbeines, in welches das drehbare Brettchen am oberen Ende eingelassen ist. Werden also beide Klappen aufgeschlagen, so ruht der Tisch auf 2 vollen und 4 geteilten Beinen und seine frühere Länge entspricht nun seiner Breite.

Vielbeschrieben sind die den Schiffskojen ganz ähnlichen Wandbetten in tiefen Nischen mit Raum für 2 Personen. Am Tage sind sie durch Vor- hänge geschlossen, von denen das germanische Museum ein altes Muster mit der Opferung Isaaks besitzt, oder durch Bretterthüren, die früher bemalt zu werden pflegten. Über den Thüren fehlen jetzt die alten sinnigen Sprüche, die noch das vorige Jahrhundert anzubringen liebte in der Weise, wie Jessen das bei Haupt, Bd. I pg. 435 dargestellt hat. Wie das Kojenbett kein bewegliches Gestell bildet, sondern organisch mit den Schiffswänden ver- wachsen ist, so auch das friesische Wandbett, dessen Kasten sich nahezu in Tischhöhe über der Stubendiele befindet. Da während des Tages die Thüren oder die Vorhänge geschlossen sind, so übersieht zwar der Besucher, dafs er eigentlich in einem Schlafzimmer empfangen wird, dafür aber ist die Lüftung der Nischen eine sehr mangelhafte. Wandbetten findet man sowohl im Pesel wie in der Dönse, in gröfseren Häusern jedoch bleibt eins oder das andere Zimmer frei davon, weil die nach Norden gelegenen Hinterstuben und Kammern genügende Lokalitäten dafür bieten. Wie übrigens der Friese im allgemeinen sehr überlegt und genau ist im Ausdruck, so entspricht es ganz besonders der Ausdrucksweise einer Schifter- und Inselbevölkerung, nicht von Vorder- und Hinterzimmern zu sprechen, sondern die Lage der Räume geographisch zu bezeichnen; man hat also Norder- und Süder-Stuben oder andere »bi Osten« und »bi Westen«.

Bemerkenswerth sind sodann die eisernen Einlegeröfen. Sie bestehen aus eisernen Kästen in der Form eines Parallelepipedons , dessen eine Schmalseite in die Wand nach dem Inneren des Hauses eingelassen ist. Die drei freien Seitenwände weisen in Flachrelief vorzugsweise Scenen aus der biblischen Geschichte auf, sehr oft mit der Jahreszahl, von denen die älteste, welche ich auf den Halligen las, 1593 lautete. Diese Zahl ent- spricht natürlich nicht mehr zugleich dem Alter des betreftenden Hauses, denn Sturmfluten vermögen wohl Gebäude zu 'zertrümmern und ihre schwimmbaren Bestandteile fortzuführen, die schweren Eisenöfen dagegen

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blieben auf den Werften zurück und fanden im Neubau wieder Verwendung. Nicht ganz 1 m. in das Zimmer hineinragend, ruht hier der Ofenkasten auf 2 eisernen Füfsen, und auf den Ecken darüber zieren ihn blankgeputzte Messingkugeln. Geheizt werden die Öfen vom Herd aus, indem durch eine Öffnung in der Wand glimmende Ditten hineingelegt werden, andere Öfen, die vom Herd aus nicht erreichbar sind, haben ihre eigene Heizvorrichtung mit eigenem Schornstein. Unter dem Ofen bemerkt man in jedem Hause Blechbüchsen mit wohlschmeckendem Buttergebäck, womit man Gäste zu bewirten pflegt. Verschwunden dagegen ist aus den meisten Häusern der messingne »Stülp«, der in der Form einer mitten durchgeschnittenen läng- lichen Wanne bestimmt jwar, unter ihm Speisen auf der Oberplatte des Ofens warm zu halten. Von ganz einfachen, glatten Exemplaren fortschreitend gab es solche mit mannigfach wechselnden ein- bis mehrreihigen Bandornamenten, von welchen letzteren wir ein treffliches JMuster erworben haben.

Am Ende der Diele, also der gewöhnlichen Orientierung entsprechend nach Norden Hegt die Küche mit grofsem, gemauertem, offenem Herde unter einem^mächtigen Rauchfang. An der rechten und linken Seite der Plattform sind Züge für die beiden^Feuerungsstellen eingemauert, darüber feste Roste für das -Brennmaterial und bewegliche Roste, auf denen die Töpfe stehen. Zwischen den Zügen liegt im Herdbau der Backofen, nur mit einem Holz- deckel an seiner Zugangsöffnung verschlossen^ und vor ihm in dem gepflasterten Küchenboden bemerkt man einen zweiten Holzdeckel über einer Vertiefung, in welcher die Hausfrau die Füfse einstellt, während sie beim Backen vor dem niedrigen Ofen auf der Diele sitzt. Oft ragt neben dem Herd ein vier- eckiger Schacht durch die Decke nach dem Boden empor, wo das Brennmaterial aufbewahrt wird, die Ditten; durch denselben werden sie herabgeworfen und vermittelst eines Thürchens daraus hervorgeholt. Neben der Küche finden wir eine Speisekammer und die Norderstube oder eine Kammer mit Wand- bett, unter einem dieser Räume den Keller, nach der anderen Seite der nörd- Uchen Hälfte die Ställe, soweit sie nicht wie in Figur 8 und 9 der »Halligen der Nordsee« in besonderen Anbauten untergebracht sind. In unserem Grund- rifs 2 überrascht in der Stallabteilung ein besonderer Brunnenraum mit einer Erdsoodencisterne zum Auftangen des Regenwassers für das Vieh. Das sind vereinzelte Anlagen, sowohl die aus Ziegeln gemauerten wie die Sooden- cisternen liegen sonst aufserhalb des Hauses, diese mit dem Trinkwasser für die jNIenschen »in vestibulo domus«, wie schon Plinius berichtet, d. h. in dem gehegten Räume vor dem Hause, der jetzt von wohlgepflegten Gärtchen eingenommen zu werden pflegt, jene mit dem Trinkwasser für das Vieh auf der Nordseite.

l'Jber dem ganzen Hause ruht das mächtige Dach, das einen einzigen, ungeteihen Bodenraum umschliefst. Die Balkenlage stützt sich teils auf das Gemäuer des Wohngeschosses, teils auf die starken eichenen Ständer, die tief in den Werfthügel eingelassen und an den 4 Ecken in die Haus- mauer eingeschlossen sind. Die Ständer haben den oft genug thatsächlich erfülhen Zweck, den Dachboden als den wichtigsten Teil des Hauses in

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Zeiten der Gefahr zu tragen, wenn die Mauern und Wände durch die Wucht hochgespannter Sturmfluten eingedrückt waren; denn in solchen Zeiten retten sich die Bewohner mit ihren Schafen auf den Boden als ihren einzigen Zu- fluchtsort. Das kräftige Gesparr wird gestützt durch einen Firstrahmen mit Kehlbalken und Firstsäulen, denn das auf dichtgereihten Latten ruhende Rohrschaubendach hat den Druck von häufig genug orkanartigen Stürmen auszuhalten. Wo ein Haus mit den Giebeln an Nachbarhäufser stöfst, ist es mit einem einfachen Satteldach gedeckt, wo es freisteht, mit einem Walm- dach, dessen Walme entweder ganze oder Krüppelwalme sind. Nicht mehr so regelmäfsig wie früher ragt auf den Halligen ein Giebel aus dem Dache über der Eingangsthür hervor, wie er sonst charakteristisch ist für das frie- sische Haus auch auf den Utlanden.

Den gröfsten Teil des Bodens nehmen festgestopft bis unter die Rohr- schauben die Heuvorräte ein, der einzige Ernteertrag, den die Halligen bei ihren zu jeder Jahreszeit vorkommenden Überschwemmungen liefern können. Das Heu wird so fest eingelegt, dafs es das Dachgerüst stützen hilft und zum Gebrauch mit scharfen Spaten abgestochen wird. Der übrige Theil des Bodens beherbergt Kisten und Kasten und vor allem Wintervorräte für den Haushalt, die im Herbst von Husum und Wyk auf Föhr für mehrere Monate beschafft werden müssen, weil mit Beginn der Eisbildung auf den Watten die Halligen so gut wie von jedem Aufsenverkehr abgeschnitten sind.

Das Innere eines Hallighauses in seiner ganzen Behaglichkeit hat in letzter Zeit Jacob Alberts in mehreren Ölgemälden dargestellt; seine Studien und ausgeführten Bilder waren 1894 der Gegenstand einer besonderen Aus- stellung in Kiel, seit welcher sich sein bekanntestes Bild, der Königspesel auf Hooge, im Museum daselbst befindet. Das erste Heft des Jahrganges 1895 der »Graphischen Künste«, hat vortreffliche Reproduktionen seiner Arbeiten gebracht, auf die hiermit hingewiesen sein möge. In einem späteren Aufsatz sollen die wichtigsten Stücke der bisher erworbenen inneren Ausstattung be- sprochen und in Abbildungen vorgeführt werden. Vielleicht tragen diese Anregungen dazu bei, dem Museum in seinen Bemühungen um die Aufstellung eines friesischen Zimmers nebst Küche materielle Unterstützung zu verschaffen, deren es bei der raschen Verschleppung der letzten alten Ausstattungsstücke in die Häuser vermögender Sammler und bei der Kostspieligkeit des Erwerbes wie des Transportes dringend bedarf. Was im Privatbesitz sich ziemlich zwecklos verbirgt, würde im germanischen Museum den Tausenden von Besuchern aus allen Teilen Deutschlands zur Freude und Belehrung zugänglich sein.

Nürnberg. Dr. Eugen Traeger.

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Dürer.

Kleine Mitteilungen. vPir^i^ach Lochner' s Darlegungen im Korrespondenten v^on und für Deutsch- y^ land, 1858, Nr. 421, nimmt man allgemein an, dafs der Schwieger- vater des älteren Albrecht Dürer Hieronymus Holper geheifsen habe, und nicht Haller, obgleich alle uns erhaltenen Abschriften der Fa- milienchronik die letztere Lesart aufweisen. Es ist nicht zu leugnen, dafs Lochners Hypothese grofse Wahrscheinlichkeit für sich hat, andererseits aber nicht zu vergessen, dafs zwingende Beweiskraft dem von ihm beigebrachten Material nicht innewohnt, dafs sehr wohl ein tückischer Zufall hier sein Spiel getrieben haben kann. Es Hegt mir fern, diese an sich nebensächliche Frage zum Gegenstande einer eingehenden Untersuchung zu machen, sondern ich möchte nur einiges Material über die Verwandtschaftsverhältnisse von Dürers Schwiegereltern beibringen, die zu allerhand Vermutungen Anlafs geben. Hans Frey , Dürers Schwiegervater , war vermählt mit Anna , Tochter Wilhelm Rumeis und dessen Ehefrau Kunigund, geb. Hallerin oder Münzmeisterin von Bamberg, Schwester von Anton Haller, Genannten und Richter zu Wöhrd. Die Familie Frey war also zweifellos mit einer Nebenlinie der Haller verwandt. Ist das gleiche auch mit Dürer der Fall, dann erscheint die im.merhin auf- fallende Thatsache , dafs der begüterte und angesehene Hans Frey sich für seine Tochter um den jungen Malergesellen bewirbt, in ganz anderem Lichte : die Familien waren bereits durch verwandtschaftliche Bande mit ein- ander verknüpft und es herrschte demgemäfs ein vertrautes Verhältnis zwischen ihnen, das einen solchen Schritt erklärt. Gehörte auch Johann Haller aus Rothenburg o. d. T., der Schüler Kobergers, der 1491 das Bürgerrecht in Krakau erwarb und dort eine Druckerei gründete, zu dieser Verwandtschaft? Hat er vielleicht Dürers, des jungen Verwandten, Wanderschaft beeinflulst, so dafs Burckhardt mit seiner Annahme von Dürers Aufenthalt in Krakau Recht hätte.?

Der Entwurf zur Widmung der Befestigungslehre (Dürers schriftlicher Nachlafs S. 201) befindet sich noch auf dem städtischen Archiv zu Nürnberg (D. 394 397) und stammt, wie Campe richtig angibt, v^on Pirkheimer.

Die Abschriften der Heller-Briefe, die sich zur Zeit der Herausgabe von Dürer's schriftlichen Nachlafs (S. 43) nicht auffinden liefsen, befinden sich nicht mehr auf der Hof- und Staatsbibliothek in München, sondern nach Mitteilung des Herrn Konservators Bayersdorffer im kgl. Kupferstichkabinett daselbst. F.

Leonhard Danner.

Zu dem Artikel »Aus der Plakettensammlung II« sei nachträglich er- wähnt, dafs der unter Danner angeführte Brettstein nebst einer Reihe anderer, sicher auf diesen Künstler zurückzuführender, von Stockbauer, Bayer. Gewerbe- Zeitung 1888, Nr. 1, beschrieben wurde. F.

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Das schleswig-holsteinische Frontale im germanischen Museum.

;u den wertvollsten Schätzen des germanischen Museums zählt ein in der Kirche aufgestelltes Frontale. Es dürfte nicht überflüssig sein, das hiteresse der Besucher der Sammlung auf dieses schon durch seine Seltenheit und sein Alter kostbare Stück zu lenken.

Die Seitenwände, vornehmlich aber die Vorderwand des Altares zu schmücken, sei es durch Vorhänge, sei es durch eine Vorsatztafel (antependium, frontale, antemensale) ist jedenfalls eine sehr alte Sitte, welche bis in die frühchristliche Zeit zurückreicht. Auf dem bis etwa zum Jahre 1000 gewöhn- lich vom Ciborium überdachten Altar durften nur die notwendigsten Geräte aufgestellt werden, das Kruzifix, die Leuchter, das jMefsbuch und aufserdem Reliquienbehälter. Für figurale Darstellungen bot sich also kein geeigneterer Platz, als die Seitenwände und die Vorderseite des Altares. Letztere wählte man naturgemäls vorwiegend zur Anbringung bildlichen Schm«.ickes. Meistens scheint man sich dabei einer metallenen Tafel bedient zu haben, sehr häufig auch des Holzes, oder in Rahmen gespannter Gewebe. In einzelnen Fällen wurde Stein verwandt. Diese Aharvorsätze waren beweglich und konnten nach Bedarf entfernt oder gewechselt werden. Für die weitere Entwicklung des Altarschmuckes wurde die Neigung zur Aufstellung einer immer gröfseren Anzahl prächtiger Reliquienbehälter auf der Aharplatte (mensa) von Bedeutung. Diese Gegenstände beengten den Raum der Mensa. Um nun diesen wieder für ungehinderte Ausübung der heiligen Handlung zu gewinnen, ohne doch den prächtigen Schmuk der goldenen und silbernen ReUquienbehälter ent- behren zu müssen, errichtete man hinter der Mensa eine sie überragende Steinwand (retabulum) die zur Aufstellung kirchlicher Prunkgefäfse diente. Das Retabulum selbst bot eine neue Fläche für Anbringung figuraler Dar- stellungen, die man nicht unbenutzt liefs. In derselben Weise, wie beim Schmuck der Stirnwand des Altares verfuhr man auch hier und so entwickelte sich über dem Frontale ein Super frontale*). Aus dem Retabulum mit dem Superfrontale ging unter der Herrschaft der Gotik der reichgeschnitzte und bemalte, in die Höhe und Breite wachsende Flügelaltar hervor, während gleichzeitig das Frontale mehr und mehr seinen bildlichen Schmuck verlor und sich in eine ornamental verzierte Altarbekleidung umwandelte. Das metallene Antemensale verschwindet im Laufe der ersten Hälfte des XIII. Jahr- hunderts, an seine Stelle tritt die zuweilen geschnitzte, meist bemalte Holz- tafel und vor allem gewebte Antependien.

1) Aufserordentlich interessant ist ein Altar aus dem XII. Jahrhundert in Lisbjerg (Dänemark). Er besitzt bei einem reich figuralgeschmückten Frontale ein Superfrontale, das in einreihiger Darstellung den thronenden Christus, zu seinen Seiten je sechs Apostel in Bogenstellung zeigt. Darüber wölbt sich auf medaillonverzierten Untersätzen ein mächtiger Halbbogen, in dem der Kruzifixus mit Maria und Johannes unter dem Kreuz sich befindet. Das Ganze wird gekrönt durch einen Aufsatz, der unter einem mittleren gröfseren Bogen den thronenden Heiland enthält, während in den nach beiden Seiten niedriger werdenden drei Bögen anbetende Gestalten dargestellt sind.

Mitteilungen aus dem german, Nationalmuseum. 1896. XVII.

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Aus der hier kurz gegebenen Entwicklung der Altarbekleidung ergibt sich, dafs sich das metallene Frontale mit figuralem Schmuck allgemein nur bis zum Beginn der Gotik findet-). Die erhaltenen romanischen Antemen- salien sind in ihrer gröfseren Zahl gewebte, bemalte oder gestickte Antepen- dien, ferner bemalte, sehr selten geschnitzte Holztafeln. Metallene Frontalien sind nur in geringer Anzahl überkommen. Doch darf man daraus nicht den Schlufs ziehen, sie wären seltener angewandt worden, denn der Not und dem Kampfe der Zeiten mufsten solche Stücke leichter als weniger kostbare zum Opfer fallen. Dieses Schicksal hatte z. B. eine am Ende des XII. Jahr- hunderts aus Gold und Silber gefertigte Altartafel des Klosters Petershausen. So wurde auch im XVI. Jahrhundert der mit Edelsteinen gezierte Altar aus dem Dom zu Merseburg, ein Geschenk Kaiser Heinrich II., Kriegsbeute.

Doch sind einige metallene Altarvorsätze in Deutschland erhalten ge- blieben: Im Schatze des Münsters zu Aachen 17 getriebene Goldplatten aus dem X. Jahrhundert^), ein goldenes Frontale, das Kaiser Heinrich II. 1019 dem Münster zu Basel gestiftet hat^). Jetzt befindet es sich im Hotel Cluny zu Paris. In der Stiftskirche zu Komburg in Württemberg ist ein kupfernes, vergoldetes, mit Emailarbeit und Edelsteinschmuck versehenes Fröntale aus dem XII. Jahrhundert^); ferner ist das Antemensale der Ursulakirche in Köln zu nennen, von gleicher Arbeit und aus gleicher Zeit wie das vorige'*). Ein hervorragendes Werk deutscher Emailarbeit ist das Frontale in Kloster-Neu- burg, das in drei Reihen die Heilsgeschichte zur Anschauung bringt ^).

Das zuletzt entdeckte unter der geringen Anzahl in Deutschland erhal- tener Frontale ist das im germanischen Museum aufgestellte, aus Quem in Angeln (Kreis Flensburg, Schleswig-Holstein) stammende.

Erwähnt wird das Querner Frontale von Haupt in seinen Bau- und Kunstdenkmälern der Provinz Schleswig-Holstein Bd. I. S. 321 ; ferner in der schleswig-holsteinischen Kirchengeschichte, nach hinterlassenen Handschriften von H. N. A. Jensen, herausgegeben von A. L. J. Michelsen Bd. II. S. 267. Auch in Ottes Handbuch der kirchlichen Kunstarchäologie des deutschen Mittelalters Bd. I. S. 136 findet es eine kurze Erwähnung. Eine ausführ- lichere Beschreibung widmet ihm J. P. Trap in seiner Statistisk-topographisk Beskrivelse af Hertug-demmet Slesvig Bd. II. S. 500 und 501. Endlich darf

2) Von einem metallenen gotischen Antemensale mit figuraler Darstellung spricht Bouillart in seiner Geschichte der Abtei von St. Germain. Er berichtet von einem Fron- tale (1404) mit Säulenbündeln und Fialen, in dessen Nischen die Bilder des Johannes, des Philippus, des Germanus und der heiligen Catharina stehen. Laib und Schwarz, Studien über die Geschichte des christlichen Altars S. 19.

3) Abbildung aus'm Weerth. Tafel XXXIV. 1.

4) Abbildung Laib und Schwarz, Studien über die Geschichte des christlich. Altars. Tafel IV. Fleury, La messe PI. LXXXVI. Anton Springer, Handbuch der Kunstgeschichte Bd. II. S. 198 u. s. w.>7 !i< '. -L:

5) s. Paulus, Kunstdenkmäler von Würtenberg. Laib und Schwatz, Studien über die Geschichte des christlichen Altars. Tafel V. Boisser^e Denkmäler Tafel XXVII.

6) Abbildung Bock, das heilige Köln. Tafel XVIII. 69.

7) siehe darüber: Der Altaraufsatz im regul. Chorherrenstift zu Kloster-Neuburg, von Dr. Gustav Heider. Karl Drexsler, Das Stift Kloster-Neuburg.

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wohl angenommen werden, dais das von J. von Schröder in seiner Topo- graphie des Herzogtums Schleswig S. 414 erwähnte kupferne Altarblatt mit dem Brustbild Christi und den vier Evangelistenzeichen unser, hier allerdings ungenau beschriebenes Frontale sein soll. Wenigstens haben meine Nach- forschungen am Orte selbst keinen Anhalt ergeben für die Annahme, dafs noch ein zweites kupfernes Altarblatt in Quem sich befunden habe.

Das Frontale im germanischen Museum stammt aus der St. Nicolaikirche in Quem, einem romanischen Quader- und Feldsteinbau, der in seiner ursprüng- lichen Form dem XII. Jahrhundert angehören mag. Die Altartafel wurde, wie Haupt mutmafst, am Ende des XVII. Jahrhunderts mit Flügeln versehen, die eine schlecht gemalte Darstellung des Abendmahls und der Kreuzigung enthalten. In dieser Form diente sie als Altaraufsatz. Unter dem 31. Oktober 1881 beschlofs das Kirchenkollegium, das Antependium, welches seit 1869 hinter dem Altar gehangen hatte, und dessen Altertumswert niemand ahnte, nebst zwei messingenen Altarleuchtern für 300 Mk. zu verkaufen^). Eine Zeit lang war das Antemensale im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe ausgestellt und wurde schliefslich vom germanischen Nationalmuseum in Nürnberg erworben.

Die Querner Altartafel ist zwei Meter lang und ein Meter hoch, von stark vergoldetem Kupferblech, aus einzelnen unregelmäfsig geschnittenen Platten zusammengesetzt. Die Aureole in der Mitte der Tafel ist 580 mm. hoch, 432 breit, der obere Rand hat 30, die innere Abschrägung 32 mm. Die Bogennischen haben eine Höhe von 340 und eine Breite von 60 mm. Der mittlere Ornamentstreifen ist 40 mm. breit. Die Figuren haben folgende Maafse: Die Christusfigur mit der Gloriole 400 mm., der geflügelte Mensch 290 mm., die übrigen Figuren messen 270 280 mm. von der Hake bis zum Scheitel. Die unbärtigen Köpfe haben ein Maafs von 45 50 mm., die bärtigen von 60 70 mm.

Inhalt und Einteilung der Tafel sind die für das Frontale um 1200 allgemein üblichen. In kräftig getriebenem Relief, das die Köpfe und oberen Körperpartien besonders stark hervortreten läfst, zeigt sie in einer von den vier Evangelistensymbolen in der Reihenfolge Matthäus, Johannes oben, Marcus, Lucas unten, umgebenen, zugespitzten elliptischen Aureole den Sal- vator auf tuchbehangenem Thron, die rechte Hand segnend erhoben, die linke auf das Buch des Lebens gestützt. Die Füfse stehen auf einem Schemel. Der bärtige Kopf des Heilands ist von einer Gloriole umgeben, welche die Kreuzform in bekannter Weise enthält. Das Bild hebt sich von schuppenartig gemustertem Grund ab. Über der Aureole ist die Taube, unter der Aureole das Lamm mit Heiligenschein und Fahne in typischer Darstellung gegeben. Zu beiden Seiten des grofsen Mittelfeldes sind je sechs Apostel zu drei und drei über einander in romanischer Rund- bogenstellung angeordnet. Petrus ist durch den Schlüssel ausgezeichnet, die übrigen Apostel tragen das Buch. Die obere und untere Bogenstellung werden durch einen Ornamentstreifen getrennt ; ebenso ist die Aureole durch Orna-

8) Eine Mitteilung, die ich dem Herrn Pastor H. Flor in Grofs-Quern verdanke.

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mentstreifen gebildet. Ein Rundstab scheidet die Tafel von dem nach innen abgeschrägten Rand. Auf letzterem findet sich in Beziehung auf das Salvatorbild die mit Gold gemalte Inschrift : Sum lux eterna residens in sede superna. Lux ego sum vite per me sup astra venite.

Mit Bezug auf die Bestimmung des Altares heifst es weiter : Est deus hie regnans hie sacratur et ebibitur roseus cruor agni per quem sulphurei tepuit violentia stagni. Die erste Umschrift beginnt über der letzten Bogen- nische links von der Aureole und endigt unter Petrus. Dort setzt die zweite Umschrift ein.

Der Querner Tafel fast gleich nach Inhalt und Einteilung ist das dem XII. Jahrhundert angehörende Antemensale aus der Stiftskirche zu Komburg in Württenberg. In der jMitte zeigt es gleichfalls die Aureole in Gestalt einer zugespitzten Ellipse mit der hier allerdings stehenden und auch sonst ab- weichenden Heilandfigur. Durch gerade verlaufende Ornamentstreifen wird das Mittelfeld von den Seitenfeldern abgetrennt. In den so um die Aureole entstehenden vier Zwickeln sind die Evangelistensymbole angebracht in der- selben Reihenfolge wie auf der Ouerner Tafel. Die Seitenfelder gleichfalls durch gerade verlaufende Ornamentstreifen abgeteilt und darin von der Querner Tafel abweichend, enthalten in gleicher Anordnung, zu drei und drei über einander beiderseits je 6 Apostel.- Die Reihenfolge unter den Aposteln selbst ist allerdings insofern eine andere, als in dem Komberger Antemensale Petrus, der hier noch nicht mit dem Schlüssel dargestellt ist, in der oberen Reihe rechts zu nächst dem Mittelfelde steht, während er in dem Querner Frontale an der entsprechenden Stelle in der unteren Reihe rechts seinen Platz gefunden hat.

Dem Komburger Antemensale nahe verwandt ist die Altartafel in St. Ursula in Köln. Die übrigen von mir angeführten metallenen Frontalien aus Deutschland weichen völlig ab von dem Typus, den die Querner Tafel zeigt. So stellt der berühmte goldene Altarvorsatz aus dem Münster zu Basel unter 5 hohen schmalen säulengetragenen Rundbögen Christus mit den 3 Erzengeln und dem heiligen Benedictus dar. Die Tafel aus Klosterneuburg entbehrt ganz des plastischen Schmuckes, sie giebt in vortrefflicher Emailarbeit die Heilsgeschichte wieder.

In Schleswig-Holstein selbst finden sich einige hölzerne Altarvorsätze, die bezüglich ihrer Einteilung und des Inhalts ihrer Darstellung bemerkens- werte Ähnlichkeit mit der Querner Tafel zeigen. Zunächst ist in der alten Kirche zu Ekwadt (Kreis Apenrade) vor der Mensa ein spätromanischer, um 1200 gefertigter Vorsatz^), der genau dieselbe Einteilung hat. Die Mitte nimmt die Aureole ein in Form einer zugespitzten Ellipse, die hier freilich keinen Raum mehr für eine Darstellung der Taube und des Lammes (über und unter sich) freiläfst. Dagegen sind für die Anbringung der 4 Evange- listenzeichen an gleicher Stelle wie bei der Querner Tafel Teile von der Ellipse durchschnittener Bögen ausgespart. Zu beiden Seiten des Mittelfeldes finden wir auch hier in 2 Reihen je 3 Bögen. Leider sind die Figuren aus dem Frontale verloren gegangen. Man darf jedoch bei der völligen Gleichheit

9) Haupt Bau- und Kunstdenkmäler der Prinz Schleswig-Holstein. Bd. I. S. 24.

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der Einteilune des Rahmens auch annehmen, dafs der von ihr umschlossene figürliche Inhalt derselbe war, wie ihn das Querner Antemensale besitzt. Wir dürfen das um so unbedenklicher thun, als sich in Hellewadt i"), in der Nähe Ekwadts, ein dem Ekwadter gleiches Frontale befand, welches zwar 1878 zerstört ist, aus dem sich aber ein trottender Christus und 8 Apostel erhatten haben. Beachtenswert sind beide Stücke auch deswegen, weil Bögen, Säulen und Figuren nicht nur gemalt, sondern in Holz geschnitzt sind. Ein ähnliches Stück soll sich in der Universitätssammlung zu Christiania befinden.

Die Frontalien des XII. Jahrhunderts geben sehr oft Vorgänge aus der Heilsgeschichte, meist in 3 Reihen von Bildern, wieder, so das Antemensale aus Stroddetorp im Museum zu Stockholm ' ^) ferner die Reste eines norwegi- schen kupfernen Frontale, das Bendixen in den Bergens Museums Aarsberet- ning for 1890 bespricht. Um 1200 scheinen die früher beliebteren scenischen Darstellungen der Anbringung einzelner Figuren in umgrenztem Felde zu weichen und für Letztere wurde Einteilung und Inhalt der Darstellung, wie sie die Querner Tafel zeigt, typisch. Bis in die Zeit der Gothik hinein hat sich diese Tradition, ohne freilich zur ausschliefslichen Herrschaft zu gelangen, erhalten. So finden wir in einem hölzernen gotischen Antemensale in Riseby (Kreis Eckernförde) das Haupt in den Anfang des XII. Jahrhunderts setzt *^) bei gleicher Einteilung Christus mit den Aposteln in gleicher Anordnung wieder. Dasselbe ist in einem ungefähr gleichzeitigen norwegischen Frontale aus der Kirche von Ulvik in Hardanger ^'^j der Fall, nur ist hier die Aureole abweichend gestaltet.

Die Darstellung des Heilandes in der Aureole, umgeben von den Evange- listensymbolen, ist in romanischer und frühgotischer Zeit eine überaus häufige. Seit dem XII. und XIII. lahrhundert scheint man meist die, auch in unserer Tafel angewandte Reihenfolge der Symbole (geflügelter Mensch und Adler oben, Löwe und Ochse unten) bevorzugt zu haben.

Es würde aber doch nicht unbedenklich erscheinen, die Reihenfolge der Evangelistensymbole als weiteren Anhaltspunkt zur Datierung der Querner Tafel zu benützen. Ebensowenig dürfte die Darstellung der Symbole in ganzer Figur (wie in dem Querner Altarvorsatz) oder in halber Figur (wie im Komburger Frontale) auf einen zu verschiedenen Zeiten allgemein üblichen Gebrauch zurückzuführen sein. Auch ist es mir zweifelhaft, ob die anthro- pomorphe oder nichtanthropomorphe Gestaltung der Symbole ein für die Datierung zu benutzendes sicheres Merkmal bildet. Dagegen darf zur Be- stimmung der Entstehungszeit darauf hingewiesen werden, dafs Petrus in dem uns vorliegenden Antemensale als Attribut den Schlüssel in den Händen hält. Das XII. Jahrhundert stellt die Apostel entweder mit einer Schriftrolle oder mit einem Buch versehen dar. Die Gotik charakterisiert die einzelnen Apostel durch bestimmte Attribute. Das XIII. Jahrhundert beginnt damit, Petrus mit

10) Haupt Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Schleswig-Holstein. Bd. I, S. 34.

11) Fleury, la mes pl. LXXXVIII.

12) Haupt. Bd, I, S. 185.

13) Bendixen, Bergens Museums Aarsberetning for 1893

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einem solchen zu versehen und zwar wird ihm entweder das Schwert gegeben, wie die aus dem Frontale zu Hellewadt erhaltene Figur des Apostels zeigt, oder man stellt ihn den Schlüssel tragend dar. Ich möchte glauben, dafs die letztere Art der Charakterisierung des Petrus die jüngere ist. Jedenfalls scheint die Petrusfigur aus dem Hellewadter Frontale, die neben dem Schwert auch noch die ursprüngliche Schriftrolle trägt, älter zu sein, sie stammt, wie oben gesagt, aus der Zeit um 1200. Das Querener Frontale würde danach in den Anfang des XIII. Jahrhunderts zu setzen sein.

Dafür spricht auch der Stil der Figuren selbst. Auf den ersten Blick erinnern die in lange Gewänder gehüllten, wenig proportionierten Gestalten, mit den schmalen, schräg abfallenden Schultern, den stark herausgetriebenen Köpfen und den mehr in die Fläche zurücktretenden nackten Füfsen an die Plastik des beginnenden XI. Jahrhunderts, etwa an die Erzthür im Dom zu Hildesheim. Bei aufmerksamerer Betrachtung entgehen uns aber in dieser unbeholfenen und zum Teil rohen Arbeit nicht die Züge, welche die Kunst- blüte im Anfang des XIII. Jahrhunderts auszeichnen. Der Trieb nach treffen- derer Wiedergabe des Wirklichen, nach freierer Bewegung der Gestalten und die nicht ungeschickte Behandlung des Stofflichen. Die rechte, segnend er- hobene Hand des Heilandes ist noch v^öllig konventionell. Sie steht fast in rechtem Winkel zum Arm, eine Haltung, die in Wirklichkeit aufserordentlich schwierig, wenn nicht unmöglich sein würde. Die Stellung der Finger der segnenden Hand (der kleine Finger und der Ringfinger sind eingeschlagen, während die übrigen 3 Finger gestreckt sind) findet sich schon sehr früh, z. B. auf dem erwähnten Buchdeckel des heiligen Bernward im Domschatz zu Hildesheim und vielen anderen Stücken ; ebenso noch in der spätromanischen Zeit, u. a. in einer Miniatur in einem Evangelienbuch aus der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts in der Königl. Schlofsbibliothek zu Aschaffenburg. ^'') Gut beobachtet dagegen ist die Stellung des linken Beines; es ist stark an- gezogen, um dem Buche als Stütze zu dienen. Bekleidet ist der Heiland mit einem langen, weitärmlichen Gewand, das am Halse mit einem breiten, ge- musterten Kragen abschliefst und in der Mitte des Körpers von einem breiten etwas nach oben verschobenen Gürtel gehalten wird. Nur über die linke Schulter geworfen ist ein Mantel, welcher das linke angezogene Bein bis übers Knie deckt. In ganz derselben Weise finden wir den Salvator aus dem Antemensale zu Hellewadt bekleidet, auch dort liegt der Mantel nur auf der linken Schulter, ist dann freilich über beide Beine geschlagen und rechts im Gürtel befestigt. Grofse Ähnlichkeit mit dem Salvator in der Querner Tafel zeigt der thronende Heiland in dem norwegischen Antemensale im Museum zu Bergen, nur thront er dort auf dem Bogen und hat zu beiden Seiten der Gloriole das Alfa und Omega. Leider ist in dem Ouerner Frontale der Kopf des Heilandes eingedrückt, doch kann man deutlich erkennen, dafs bei der Behandlung des Bartes und Haares zu feinerer Ausarbeitung der Stichel an- gewandt ist. Seine Anwendung finden wir nur noch einmal bei dem Apostel

14) Abbild, u. a. Anton Springer, Handbuch der Kunstgeschichte. Bd. 11, S. 145.

15) Abbild. Knackfufs deutsche Kunstgeschichte. Bd. I, S. 251.

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in der vom Mittelfeld aus ersten Bogennische oben rechts im Frontale wieder. Die Figuren lassen ein gewisses Streben nach natürlicherer und freierer Ge- staltung nicht verkennen. Bei Einzelnen wird der oft nicht ganz geglückte Versuch gemacht, durch die Kleidung die Körperformen sehen zu lassen, so bei dem geflügelten Menschen, dem Symbol des Matthäus. Hier ist auch die Behandlung des Faltenwurfes eine recht gute. Beim Petrus zeigen sich die Knie deutlich durch das Gewand. Einer der Apostel (im Frontale rechts unten der äufserste), ist ganz in Profilansicht gegeben. Er schreitet eilend vorwärts und die Kontouren seines Beines heben sich deutlich im Stoff ab. Überhaupt ist die Absicht unverkennbar, möglichsten Wechsel in Haltung und Gebärden der Figuren eintreten zu lassen. Wenn dennoch einmal 2 Gestalten grofse Ähnlichkeit mit einander zeigen, wie die beiden unbärtigen Apostel (in der oberen Reihe die äufsersten), so mufs man zur Erklärung in Betracht ziehen, dafs es gar nicht leicht ist, 12 Figuren, die durch gleiche Bedeutung und gleiche Raumbeschränkung gebunden sind, überall in abweichender Stellung zu zeigen. Dazu kommt, dafs die Figuren durch Säulen getrennt, keine Be- ziehungen zu einander haben. Allerdings könnte es scheinen, als ständen die 3 Apostel oben rechts in einem gewissen inneren Zusammenhang. Die beiden äufseren Figuren wenden sich der mittleren zu. Auch die Fufsstellung würde mit solcher Annahme im Einklang sein. Doch ist das wohl nicht mehr als ein zufälliges ZusammentreiTen, denn unter den übrigen Aposteln ist irgend eine Beziehung nicht zu konstatieren. Die meist bärtigen Köpfe der Apostel haben entschieden eine in die Augen fallende Ähnlichkeit, den- noch besteht das Streben zu individualisieren wie in der Haltung und Beweg- ung so auch hier; man betrachte z. B. den Kopf des Petrus, ferner den des über Petrus stehenden Apostels mit dem zugespitzten Vollbart. Hier ist, wie bereits erwähnt, zur feineren Behandlung des Haares auch der Stichel ange- wandt. — Ein bemerkenswerter realistischer Zug zeigt sich in der Wieder- gabe der Tierleiber. So ist der geflügelte Ochse, wenn auch nicht völlig richtig wiedergegeben, doch gut beobachtet in Bezug auf seine Bewegung und nicht ungeschickt modelliert. Die Wendung des Kopfes mit der herab- hängenden Wampe findet sich freilich auch öfter in romanischen Werken früherer Zeit , ebenso das Hervortreten der grofsen und kleinen Rippen. Beim Löwen, wo der Anfertiger auf Vorbilder oder seine Phantasie angewiesen war, finden wir eine ganz typische Wiedergabe, die Füfse sind sogar stilisiert. Einen naturalistischen Zug bekundet dagegen wieder die Bildung des Halses bei dem geflügelten Menschen. Hier zeigen sich deutlich die Knorpelringe des Kehlkopfes. Nach Allem dürfen wir wohl im Stil der Figuren trotz ihrer augenfälligen Alängel Züge der Kunst des beginnenden XIII. Jahrhunderts als festgestellt annehmen.

Der Mittelstreifen und der obere Rand der Aureole zeigen 2 einander verwandte spätromanische Ornamente, die, zierlich in Zeichnung und Aus- führung, viel Verständnis für die Füllung des Raumes beweisen und in ihrer Arbeit einen merkwürdigen Kontrast zu dem übrigen groben ornamentalen Schmuck des Frontales bilden. Von Letzterem fallen besonders die urnen-

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artigen Gebilde in den Bogenzwickeln auf. Sie bestehen aus einem oberen, von einem Knopfe gekrönten, überquellenden und einem sich nach unten, unter Anschlufs an die Linien des Bogenzwickels verengenden Teil. Dieser ist durch eine horizontale Linie geteilt und läfst unter ihr deutlich eine quadratische Vertiefung erkennen. Der obere Teil zeigt vom krönenden Knopf abwärts verlaufende Striche, mehr oder weniger deutlich unter der Farbe erkennbar. Ferner läuft eine Horizontale von einem Knopf zum anderen, nicht überall in gleicher Höhe über den Bögen. Unter ihr zu beiden Seiten der vortretenden Bogenwölbung ist wieder je eine quadratische Vertiefung zu bemerken. Die deutschen Frontalien geben uns keinerlei Analogien für diese eigenartige Dekoration. Wohl aber zeigen nordische Arbeiten Ähnliches. In dem Superfrontale des Altares zu Lisbjerg (Dänemark) findet sich eine sehr ähnliche Bogenstellung, die in den Zwäckeln klar erkennbare Architektur zeigt. Bei mangelhafterer Ausführung könnte sie recht wohl zu Formen führen, wie sie die Querner Tafel über den Bögen hat. In dem norwegischen kupfernen Frontale im Museum zu Bergen läfst sich auch hierin eine nahe Verwandtschaft mit der Querner Tafel konstatieren. Die Platten der zweiten und dritten Reihe haben dort nämlich in den Bogenzwickeln fast völlig gleiche Gebilde, nur kann man dort etwas deutlicher als hier erkennen, dafs Türme mit Fenstern dargestellt werden sollten. So darf wohl angenommen werden, auch die Dekoration über den Bögen der Querner Tafel sollte Ar- chitektur darstellen. Die Verwendung von Architekturformen, Kuppeln und Türmen, über der Bogenstellung ist ja eine keineswegs seltene, sie will in naiver Weise gleichzeitig die Aufsen- und Innenansicht eines Domes geben. Sehr oft findet sie sich in Miniaturmalereien, aber auch in der kleinen und grofsen Plastik. Als Beleg für letztere erinnere ich z. B. an die Chorschranke der Michaelskirche in Hildesheim.

Die Kapitale und Basen der Säulen in dem Querner Frontale sind, wo sie nicht verloren gingen, teils ornamentiert, teils glatt. Ein systematischer Wechsel bei der Anwendung beider Formen läfst sich nicht feststellen. Die glatten Stücke bilden einfach einen von 2 Rundstäben eingefafsten Wulst. Die ornamentierten Kapitale und Basen tragen entschieden das Gepräge der ersten Hälfte des XIII. Jahrhunderts. Auf dem gleichfalls von Rundstäben eingefafsten Mittelstück wechseln langgestielte Dreipafsblätter mit kurz gestiel- ten, über denen sich zur Ausfüllung des Raumes kugelartige Gebilde befinden, die unter der Übergoldung nicht deutlich zu erkennen sind. Besonders be- achtenswert ist, dafs in dem Südportal der Querner Kirche selbst ein ganz ähnliches Kapital vorkommt ^^). Das auch dort von 2 Rundstäben eingefafste Mittelstück hat ebenfalls, allerdings etwas abweichend gestaltete Dreipafsblätter. Das Südportal gehört offenbar dem Anfang des XIII. Jahrhunderts an. Es ist spitzbogig, wechselt mit roten und schwarzen Backsteinen, der innere Stab trägt das eben beschriebene Kapital, seinen Sockel bilden noch roh glasierte, schwarze, backsteinere Basen mit den romanischen Eckblättern.

16) Abbild. Haupt. Bd. I, S. 321, Fig. 458.

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Es haben in der Querner Kirche im Anfang des XIII. Jahrhunderts also Umhauten stattgefunden. Nicht unwahrscheinlich ist die Annahme, dafs bei dieser Gelegenheit auch das Frontale, welches, wie wir gesehen haben, gleich- falls den Beginn des XIII. Jahrhunderts entstammt , zum Schmucke des Altares angeschafft wurde.

Nach Stil und Technik gehört die Querner Tafel dem Norden an. Und da sich, wie wir sehen, ähnliche, wenn auch nicht in Metall gearbeitete Altar- vorsätze in Schleswig-Holstein gefunden haben (die Antemensale aus Ekwadt und Hellewadt), dürfen wir annehmen, dafs auch das Querner Frontale im Lande selbst entstanden ist ^').

Leider ist das Querner Frontale mit Farbe dick überstrichen. Der Grund der Aureole, sowie der Bogennischen ist blau. Die Figuren sind nochmals übergoldet. Die Flächen über den Bögen zeigen ein Braunrot, darin sind die architektonischen Gebilde in den Zwickeln von hellerem Braun, unter dem ein grüner Anstrich liegt, mit vergoldetem oberen Teil. Die Ornamentstreifen sind dunkelgrün mit Ausnahme eines links von der Aureole durch ein glück- liches Geschick dem Anstrich entgangenen Stückes und des durchbrochenen vergoldeten Ornamentsstreifens in der inneren Abschrägung der Aureole. Die Säulen sind rot und weifs marmoriert und, wie die Innenfläche der Au- reole, durch einen schwarzen Streifen eingefafst. Kapitale und Basen sind übergoldet. In den Bogennischen hat man ohne Verständnis für die Be- deutung der Bogenstellung den Boden mit gemaltem Pflanzenwuchs bedeckt. Die wenig schöne Bemalung könnte etwa aus der Zeit stammen, in der man das Antemensale mit den schlecht gemalten Flügeln versah und zum Schreinaltar umbildete. Eine weitere gewaltsame Umbildung mufs der Altarvorsatz auch insofern erlitten haben, als man ihm eine neue Unterlage, entschieden vor der Zeit seiner letzten Bemalung gab. Die einzelnen unregel- mäfsig geformten Platten sind offenbar nicht mehr auf der ursprünglichen Holzunterlage; sie sind nicht, wie es in der Entstehungszeit der Querner Tafel geschah, mit Kupfernieten, sondern mit groben geschmiedeten Nägeln befestigt. Jede Figur ist aus einer Platte für sich gearbeitet, die ausge- triebenen Formen wurden, um dem durch die Bearbeitung dünn gewordenen Kupfer Halt zu geben, mit einer Art Harz ausgegossen. Diese Füllungs- masse scheint stellenweise verloren gegangen zu sein, wie der eingedrückte Kopf des Salvators vermuten läfst. Die die Figur umrahmenden Platten sind einfach übergenagelt und zwar zum Teil so unachtsam, dafs ein Stück der Figuren verdeckt wird, so der obere Rand des Nimbus bei dem geflügelten Menschen und dem Apostel im ersten Bogen links. Die Platten, aus denen die Taube und das Lamm gearbeitet sind, zeigen deutlich die schräg abge- schnittenen Ränder. An einigen Stellen lassen die nicht ganz zureichenden Metallstücke den Holzuntergrund sehen. Die Säulenkapitäle und Basen sind auf die über einen runden Holzstab geschlagenen Säulen mit geschmie-

17) Ob auch die von Haupt Bd. II, S. 320 erwähnten kupfernen, stark vergoldeten Altäre, die im Hl. Geisthaus in Schleswig gewesen sein sollen, derselben oder einer späteren Zeit angehören, ist mir unbekannt.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896. XVIII.

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deten Nägeln leicht befestigt. Die verschiedene und nicht im regelmäfsigen Wechsel angewandte Form derselben legt den Gedanken nahe, man habe die glatten Kapitale und Basen später, als man das romanische Ornament der Erhaltenen nicht mehr verstand, zur Ergänzung der etwa verloren gegangenen Kapitale und Basen hinzugethan. Doch zeigen auch andere nordische Fron- tale, so das norwegische im Museum zu Bergen, denselben unregelmäfsigen Wechsel zwischen glatten und ornamentierten Stücken. Spätere Zuthat dagegen ist unzweifelhaft der Ornamentstreifen der inneren Abschrägung der Aureole. Er zeigt in durchbrochener Arbeit ein romanischen Stil imitierendes, von der Feinheit der Ornamente auf den anderen Streifen weit entferntes, übergoldetes Ornament auf schwarzem Grund. Alles übrige ist ursprünglich und echt. Ein Zweifel könnte höchstens bezüglich des nicht gestrichenen in seinem alten Glänze erhaltenen Ornamentsstreifens links von der Aureole entstehen. Doch ergab die Untersuchung, dafs das Metall dem bei den echten Teilen des Frontale verwandten Material gleich sei.

Nürnberg. Gustav Brandt.

Geschnitzte friesische Thüren im germanischen Museum.

(Mit 1 Lichtdrucktafel), 'm letzten Heft 5 unserer »Mitteilungen« hatten wir das speziell auf

den Halligen übliche nordfrisische Haus kennen gelernt, woran wir nunmehr die Schilderung einiger in unserem Besitze befindlichen Einrichtungsstücke schliefsen, die im gegebenen Zeitpunkt bei der Aus- stattung eines friesischen Zimmers Verwendung finden sollen. Das Glanzstück derselben bilden zwei geschnitzte eichene Stubenthüren, das bedeutendste Profanaltertum, welches die Halligen bargen und welches sich eines nicht geringen Rufes erfreute. Die Thüren stammen von Nordmarsch, der Schwester- gemeinde der Hallig Langenefs- Nordmarsch, einer Insel, die lange Zeit durch einen mächtigen Schlot (Graben, der mit der See in Verbindung stehend an Ebbe und Flut teilnimmt) in zwei annähernd gleiche Hälften getrennt war. Das Haus, welches sie schmückten, war eines der ältesten Halliggebäude vom Anfang des 18. Jahrhunderts, in welchem sich vortreffliche Wandkacheln und manches wertvolle Möbelstück befanden, woraus insgesamt geschlossen werden darf, dafs es sich von Anfang an eines behaglichen Wohlstandes er- freut habe. Die in die Thüren eingeschnitzten Inschriften bilden den Beweis, dafs sie in die Blütezeit des Halligwohlstandes zurückzudatieren sind, von dem ich in meinem vorigen Aufsatze sprach. Das Haus sah ich bei meinem Halligbesuch im Jahre 1893 noch vollständig eingerichtet, aber rettungslos dem Untergang geweiht, weil die Werft, auf der es stand, die Peterswerft, schon damals in gefahrdrohender Weise vom Wasser zerstört war, so dafs sie in den heftigen, andauernden Orkanen der beiden folgenden Jahre demselben

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Schicksal verfiel, wie schon so viele Halligwerften: dem völligen Zusammen- bruch und Hinabgleiten in die tobende Brandung schwerer Sturmfluten.

Die beiden Thüren, die wir mit A und B bezeichnen wollen, befanden sich als Pendants in einem ziemlich kleinen Wohnzimmer von ungefähr 3 3^2 m. Tiefe und Breite und kaum 2V2 m. Höhe. Vom Flur aus betrat man es durch die Thür A, während B in eine Kammer führte. Das Haus war feucht, weshalb die Flächen der vier gröfseren Thürfüllungen in der Mitte, die geschnitzten Rahmen an den oberen Ecken auseinandergeborsten sind, die Bretter der anschliefsenden Holzwände aber Spuren von Ver- moderung erkennen lassen, während das Eichenholz der Thüren selbst der Fäulnis Widerstand zu leisten vermochte. Sie sind ein Produkt der in ganz Friesland geübten Liebhaberkunst des Holzschnitzens, zu deren Aus- übung auf unseren Inseln der sehr geringe Verkehr mit dem Festlande bei- getragen haben mag, wodurch die Bewohner darauf angewiesen waren, viele Gebrauchsgegenstände selbst zu verfertigen, und die Vertrautheit mit der Holzbearbeitung, wie sie bei der Ausübung des Schiffzimmermanns-Gewerbes erforderlich ist. An Holz selbst aber gebrach es trotz des mangelnden Baum- wuchses auf den Inseln nicht, man fand es an allen Sandplatten und Insel- gestaden als Strandgut, das früher noch häufiger gewesen sein mufs als jetzt, wo Leuchttürme und ein ausgebildetes Warnungssystem die Schiffe von den gefährlichen Untiefen fernhalten. Dafs kein Berufsschreiner sie angefertigt habe , scheint mir schon aus den nicht ganz übereinstimmenden Mafsen hervorzugehen, denn der Thürflügel A hat eine Höhe von 187.5, B von 189 cm., die geschnitzten Rahmenleisten der letzteren aufserdem auf der Angelseite 200, auf der Schlofsseite 202 cm. Höhe, wie auch sonst noch kleine Unregelmäfsigkeiten festgestellt werden können, z. B. in der Breite der ge- schnitzten Rahmenflächen, die bei A 10, bei B 9 9,3 cm. beträgt, u. s. w.

Jede Thür hat eine Breite von 82 cm. und ist durch eine doppelt über- schobene obere und untere und eine schmale einfach überschobene IMittel- füUung gegliedert, die also auf der Rückseite aus der übrigen Fläche hervor- treten. Die eigentlichen Bilder der oberen und unteren Paneele von A und B haben je eine dreifach zusammengesetzte Umrahmung, bestehend aus einem immer wiederkehrenden, überaus steif stilisierten Pflanzenornament mit phan- tastischen grofsen roten Blumen in Breite von 8 cm. zwischen zwei Kehlstofs- leisten, die der doppelten Ueberschiebung entsprechen. Das obere Paneel von A zeigt in 34,2 : 34,6 cm. zwei ganz symmetrische Säulenhallen mit roter Stoffdraperie. Unter der Unken Halle sitzt der Evangelist Matthäus auf einem hochlehnigen Polsterstuhl; vor ihm kniet ein Engel und hält ihm das Evan- gelienbuch, in welches er schreibt, ihm zur Linken steht ein Tisch mit blumenerfüllter, schlanker Amphora. Unter der rechten Halle sitzt Markus hinter einem gotischen gedeckten Tisch auf einem Bänkchen mit schwellendem Polsterkissen. Auf dem Tische steht ein kleines Schreibpult mit dem Evan- gelienbuch, vor welchem der Apostel, in tiefes Nachdenker^ versunken, sitzt, die Feder in der Hand. Vor dem Tisch steht der Löwe und bUckt zu seinem Herrn empor. Oben mitten zwischen beiden Säulenhallen erblicken wir die

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Taube des heil. Geistes in einem Strahlenkranze, wie auch die Häupter der Evangelisten von einem goldenen Heiligenschein umgeben sind.

Die Mittelfüllung besteht aus einer oblongen, glatten Kartusche mit dem in Oelfarbe aufgemalten Namen Ebeneser; umrahmt ist letztere von einem horizontal 4, vertikal 8,5 cm. breiten geschnitzten Pflanzenornament von nicht ungefälligem Schwung in zierlicher Spätrenaissance, das sich in seiner freieren Anmut vorteilhaft abhebt von den übrigen steifstilisierten Ornamentschnitzereien. Die Dimensionen des so bearbeiteten Paneels sind 18 : 56 cm.

In der unteren Füllung tritt aus seiner Umrahmung ein Vollschiff heraus, das mit g-eschwellten Segeln, wehender Flagge und Wimpeln durch die Wellen streicht, wahrscheinlich der Walfischfänger, dessen glücklichen Reisen der Ver- fertiger der Thüren als eifriger Teilnehmer seinen Wohlstand verdankte. Möven umflattern das stolze Fahrzeung, dessen gedrungener, fester Bau sehr wohl ge- eignet erscheint, den Gefahren des Eismeeres zu trotzen. Die Friesen heben es noch heut, Bildnisse von den Schiften zu besitzen, auf denen sie gefahren sind, man findet sie als Zeichnungen, Gemälde, Reliefschnitzereien und zierlich gearbeitete Modelle in allen Häusern, sogar als Kachelkompositionen, wie wir früher gesehen haben. Dafs wir es hier mit einem Walfischfänger zu thun haben, dessen blau-weifs-rote Flagge auf Schleswig-Holstein hinweist, ersehen wir aus den Inschriften, die in die oberen Querleisten des äufseren Thür- rahmens eingeschnitten sind, und zwar auf jedem die Hälfte eines mifs- lungenen Verses :

DURCH GLUCK UND WALFISCHFANGST (A) GIBT GOT MIR HAUS UND LAND (Bj

Gröfsenverhältnisse des Schiffsbildes: 33,5X^3 cm.

Die geschnitzten Umrahmungen der Paneelbilder der zweiten Thür B gleichen ganz denjenigen von A. Die obere Füllung behandelt hier die Apostel Lucas und Johannes in unverkennbarer Uebereinstimmung der Auf- fassung und des Arrangements, wie in dem entsprechenden Paneel von A, so dafs der Schnitzer nach Vorlagen desselben Künstlers gearbeitet zu haben scheint. Wem diese Vorlagen aber zuzuschreiben sind, vermag ich nicht zu entscheiden, vielleicht haben wir dabei an einen Bibelillustrator zu denken. Links von dem Beschauer sehen wir, abermals unter einer Säulenhalle, ge- schmückt durch eine schöngeschwungene Purpurdraperie mit goldener Franse, den Apostel Lucas auf einer mit schwellenden Polstern belegten Bank vor einem Schreibtisch sitzen, beschäftigt mit der Niederschrift seines Evangeliums. Ihm zur Linken ragt ein Crucifix bis zum Dache der Halle, zur Rechten liegt am Boden sein Attribut, der Ochse, neben dem Tisch ebenfalls auf dem Boden steht eine blumengefüllte Amphora, doch niedriger als die auf dem Tische des Matthäus. Gegenüber sitzt Johannes, sein Evangelienbuch auf den Knieen haltend und ebenfalls eifrig mit Schreiben beschäftigt. Den Hinter- grund erfüllt hier eine von Bäumen umgebene, hochragende Stadt mit spitzen Türmen (wohl Jerusalem), links neben ihm steht sein Adler und über ihm in einer Wolke thront Christus, eine Hindeutung auf seine Eigenschaft als Lieblingsjünger des Herrn. Zwischen beiden Evangelisten schwebt wieder

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1896.

Taf. V.

Thüre von der Hallig Nordmarsch.

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die Taube in goldenem Strahlenkranze, und goldene Nimben verklären die Häupter der beiden Evangelisten, auf diesem Bilde sogar die symbolischen Tiere, was bei A nicht der Fall ist

Die Verhältniszahlen des Bildes sind 34,5 : 35 cm.

Die Mittelfüllung ist ausgezeichnet durch ein ähnlich zierliches Ranken- ornament wie bei A, nur läuft es in gleichbleibender Breite von 4,5 cm. um eine Schrifttafel, die in Schnitzerei die gotische Inschrift enthält:

Der Ein Und Aus Gang Mein Lafs Dier O herr Befohlen Sein.

Die Gröfsenverhältnisse des Schnitzwerkes sind hier 17,5; 66,5 cm.

Die untere Füllung von B ist einigermafsen überraschend, denn der gelbe Blumenkorb mit steifem, streng symmetrisch geordnetem Bouquet, mit welchem sie geschmückt ist, erscheint mehr als ein Lückenbüfser , denn als charakteristische, der ganzen Veranlassung zu den beiden Pendants ent- sprechende Verzierung. Da wie um alle übrigen Paneelbilder auch um dieses eine Umrahmung von Pflanzenornament läuft, so ist hier des vegetabilischen Motivs etwas zu viel gethan, und man würde an Stelle des Blumenkorbes lieber irgend eine Scene aus dem Seemannsleben dargestellt sehen.

Um wieder die Verhältniszahlen anzuführen sie betragen 34,5 : 43,4 cm.

Jeden Thürflügel umschliefst ein 17 18 cm. breiter Rahmen mit 10 cm. breiter Schnitzerei, die sich wesentlich von den übrigen umrahmenden Orna- menten unterscheidet. In Wellenlinien läuft hier von oben nach unten eine scharf hervortretende Lianenranke, deren Wellenhöhe bei B beträchtlicher ist, als bei A, wodurch dann natürlich die Wellenlängen in umgekehrtem Verhältnis stehen. An die Ranke setzen sich Blätter, Blüten und Früchte in naturalistischer Ausführung der exotischen Formen, doch unterscheiden sich beide Rahmen noch dadurch, dafs bei A zahlreiche buntgefiederte Vögel, die bei B ganz fehlen, einen Teil der Blüten und Früchte ersetzen.

Die Spruchbänder in den oberen Querleisten sind in der Mitte abgeteilt, bei A durch eine Blüte, aus der ein geflügeltes Engelsköpfchen herauswächst, bei B durch ein ganzes Figürchen, das mit erhobenen Armen ein wehendes Band etwa in der Form eines Schiffswimpels hält. Deutlich hervortretend zieht sich die Lianenranke in organischem Zusammenhange mit denjenigen der Seitenrahmen bei B auch durch die Querleiste, bei A verschwindet sie mehr unter üppigerem Blattwerk. Durch das Auseinanderbersten des Holz- werkes haben sich spätere Besitzer der Thüren veranlafst gesehen, geschnitzte Keile in die breit klaffenden Fugen zwischen Quer- und Seitenleisten ein- zusetzen, welche der Harmonie des Ganzen leider in unschöner Weise Ab- bruch thun.

Die Thürverschlüsse bestehen aus ovalen Messingschilden mit Bogen- ausschnitten an den Kanten und mit rechtwinkligen Griffbügeln. Von wenig geübter Hand sind Anfangsbuchstaben von Namen in der Mitte eingraviert und die Jahreszahlen 1774. Sie sind ganz augenscheinlich erst nachträglich aufge- nagelt worden, denn die Farbe der Thür war hier bereits merklich abgegriffen

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und die Schilde selbst passen der Breite nach nicht auf die ungeschnitzte Leiste, so dafs sie bis auf die Kehlstöfse der Mittelfüllung überragen.

Zu den Thüren gehören Bretterwände, die horizontal mit weifsen akanthus- artigen Arabesken auf blauem Grunde bemalt sind. Breite, reich profilierte Leisten mit buntem Oelfarbenanstrich verbinden je zwei Bretter und bilden auch oben und unten den Abschlufs der Wände.

Die Thüren mit ihrem tiefen, ruhigen Farbenschmuck und die Wand- bretter harmonierten aufs Schönste mit den dunkelblau-weifsen Kacheln der übrigen Wandteile, so dafs im Verein mit dem über das gewöhnliche Mafs hervorragenden Mobiliar, das mit den Thüren im Hause alt geworden war, mit dem reliefgeschmückten Einlegerofen und der Bettnische das ganze Zimmer ein ungewöhnlich charakteristisches Ensemble bot, dessen Zerstörung, ehe es ganz in unseren Besitz gelangen konnte, sehr zu bedauern bleibt.

Nürnberg. Dr. Eugen Traeger.

Das Bildnis des Hans Perckmeister.

egen das Ende des Jahres 1894 gelangte durch Ankauf ein interes- santes Porträt, in Öl auf Holz gemalt, h. 51 cm, br. 41,5 cm in die Gemäldesammlung des germanischen Museums. Am obern Rande trägt das Bild, dessen nähere Beschreibung unten folgt, auf dem olivgrünen Grund in gelben lateinischen Majuskeln die Inschrift: ALS MAN M CCCC LXXXXVI lAR ZALT | WAS PERCKMEISTER LX lAR IN DER GE I ST ALT Am Rande der linken Seite in der Mitte das Monogramm W aus zwei sich überschreitenden V gebildet. Der Dargestellte (Brustbild) blickt dem Beschauer dreiviertel en face etwas nach rechts gewandt entgegen, die beiden nicht mehr ganz sichtbaren Hände sind gekreuzt, in der Rechten hält er einen Rosenkranz mit roten Perlen. Er trägt schwarze Schaube und schwarze Mütze mit hinten herabhängendem Ende. Das Gesicht ist schmal, mit kräftiger, ein wenig gebogener Nase, vielfach von Falten durchfurcht, das Haar graumeliert , der Ausdruck der eines klugen , dabei etwas gutmütigen Mannes.

Über die Persönlichkeit des Dargestellten hat Hermann Peters in seinen geschichtlichen Notizen über die Mohrenapotheke das Wissenswerte zusammen- gestellt. Darnach war er der Sohn des Meisters Conrad Berkmeister, Besitzers der an Stelle des jetzigen Rathauses an der Ecke der heutigen Theresien- strafse dem seinerzeitigen Predigerkloster gegenüberliegenden Apotheke. Nach der mitgeteilten Inschrift ist Hanns 1436 geboren; 1470 1512 in welchem Jahre er starb , war er Genannter des gröfseren Rates. Die Apotheke am Predigerkloster, die er jedenfalls nach seinem Vater übernommen, befand sich schon vor seinem Tode in andern Händen (1511) und es ist wahrscheinlich, dafs er, der mit seiner Frau eine Stiftung für die neue Spitalapotheke ge- macht hatte, diese selbst in seinen letzten Lebensjahren geleitet habe.

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Das Bild ist gewifs kein hochbedeutendes Kunstwerk, aber nach mehr als einer Richtung von kunstgeschichtlichem Interesse. In der reichen Litteratur über Wolgemut ist es bisher nicht erwähnt, insbesondere auch Thode un- bekannt geblieben. Gehört es wirklich Wolgemut an, so wäre es dessen bisher einzig existierendes bezeichnetes Gemälde. Dafs das Monogramm W alt und echt ist, unterliegt nach Angabe von Geheimrat v. Reber und Pro- fessor Hauser, die gelegentlich der Restauration Gelegenheit hatten genau zu prüfen, keinem Zweifel. Fraglich bleibt zunächst nur, ob es Wolgemut be- deutet. Sind die verschiedenen W auf Illustrationen des Schatzbehalters Hinweise auf den Künstler Michael Wolgemut, so ist es das W auf dem vor- liegenden Bilde sicher auch. Noch mehr aber dürfte für Wolgemut die künst- lerische Art und Weise sprechen. Zum Vergleich heranzuziehen ist zunächst das in Gröfse und Ausführungsart dem des Hans Perckmeister ganz gleiche Brustbild des Martin Rosenthaler (Kat. d. Gem. d. Germ. Mus. Nr. 119). Leider ist das Bild schlecht erhalten, mit Ausnahme des Gesichtes ist alles übermalt. Die Persönlichkeit des Dargestellten geht aus einer fast verwischten Inschrift der Rückseite, die bisher nicht beachtet wurde, hervor, und heifst: MERTEN ROSSENT AHLER IN DIESER GESTALT 72 lAR ALT. Sie ist nach der Schrift (Weifs auf schwarzem Grund) wohl im sechzehnten Jahr- hundert, vielleicht als das Bild eine Übermalung erhielt , erneuert worden. Die freie, kecke, an eine schnell gemachte Skizze erinnernde Art des Porträts Perckmeisters wohnt ihm nicht inne, es ist sorgfältiger behandelt, wie das Perckmeisters zeigt es aber dieselbe Auffassung und dieselbe Art den Dar- gestellten gegen den Hintergrund zu setzen. Der Dargestellte war nach ur- kundlichen Nachrichten 1493 gestorben, 1492 von einer Reise in das gelobte Land zurückgekehrt. Vermutlich ist das Bild kurz nach 1490 oder 1492 93 entstanden. Von diesem Martin Rosenthaler existiert ein auch in der Porträt- sammlung des Museums vorhandener Kupferstich von J. F. Leonhardt (Ende des 17. Jahrhunderts). Dieser enthält auch die Notiz über Rosenthalers Wallfahrt zum heiligen Grab, welche in der betreffenden Litteratur bis heute nicht Erwähnung gefunden hat. Es ist eine ebenfalls nach links gewandte Halbfigur in schwarzer Schaube mit Rosenkranz in der Rechten. Das Haupt deckt ein pelzverbrämtes Barett. Der Dargestellte trägt hier einen Bart und ist jugendlicher, etwa als Fünfziger, wiedergegeben, so dafs die beiden auf die Pilgerfahrt bezüglichen Zeichen, Muschel und Stern wohl spätere Zuthat sind. Die Gesichtszüge sind trotz des Bartes unverkennbar dieselben wie auf dem Ölgemälde und offenbar liegt dem Stich ein gleichzeitiges Gemälde zu Grunde. Nicht so grofs, aber doch leicht erkenntlich ist die Verwandt- schaft zu den neuerdings Albr. Dürer zugeschriebenen Tucherbildnissen der Casseler Galerie und des Weimeraner Museums. In Auffassung und Technik stehen diese 1499 datierten Bilder entschieden bedeutend höher als das vorliegende Porträt. Nichtdestoweniger ist die zeichnende, die Konturen hervorhebende Art beiden gemeinsam, auch die Art die Augen zu behandeln zeigt Verwandtes. Dafs das Bildnis in die der Werkstatt Wolgemuts ange- hörende Gruppe zu verweisen ist, wurde auch ohne Monogramm des Weiteren

'— 136

ein Vergleich mit der Vorderseite der Predella des Peringsdorfferischen Altars (Brustbilder Cosmas, Damian, Magdalena und Lucia, Kat. Nr. 113 und 114) ergeben; die technische Behandlung des Haares und des Fleisches, der Model- lierung stimmt genau überein.

Ein erhöhtes Interesse gewinnt das Bild durch den Umstand , dafs wir von einem zweiten und zwar plastischen Bildnis desselben Mannes Kunde haben. Wäre nicht die ganz ausdrückliche Bemerkung dabei, dafs es Bild- hauerarbeit und zwar vermutungsweise eine solche von Veit Stofs sei, so würde die Annahme, dafs wir es mit dem eben besprochenen Gemälde zu thun haben, wohl kaum fehlgreifen. Joh. Christoph von Murr berichtet näm- lich in seiner Beschreibung der Marienkirche zu Nürnberg (v. J. 1804, auf S. 15) bei Gelegenheit der Besprechung der Kunst weise von Veit Stofs: »Ich habe von Veit Stofs eine sehr schöne Büste. Sie ist 12 V2 Zoll hoch (das entspricht auch ungefähr der Gröfse des gemalten Bildnisses) , und hat diese Aufschrift in goldenen Buchstaben :

»ALS MAN M CCCC LXXXVI lAR ZALT

WAR HANS PERCKMEISTER IX lAR IN DER GESTALT.«

Das in der Bibliothek des germanischen Museums befindliche Exemplar der Schrift, stammt aus der Colmarischen Bibliothek und trägt von der Hand dieses Sammlers wie so viele andere, auch die Bemerkung: Jetzt hat sie (die Büste) Hr. Fürst Reifs -Lobenstein. Leider waren die Bemühungen den weiteren Verbleib dieser Skulptur, die als deutsche Porträtbüste des XV. Jahrh. von gröfster kunstgeschichtlicher Wichtigkeit wäre, festzustellen, bis jetzt ohne Erfolg. Eine handschriftliche Bemerkung auf der Rückseite des Öl- gemäldes, der Schrift nach aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts, weist auf die »alhier« befindliche Praunsche Kunstkammer hin, und beweist damit, dafs das Gemälde sich bis auf unser Jahrhundert in Nürnberg befand. In den Besitz des Museums gelangte es aus der nachgelassenen Sammlung des Appellations- gerichtsrates Lippart in Sulzfeld a. M., wo es wohl wenigstens seit der Mitte des Jahrhunderts war. Merkwürdig ist immerhin, dafs weder Murr, der doch die Nürnbergischen Kunstbestände sehr genau kannte, noch der Autor der handschriftlichen Bemerkung von dem Vorhandensein des Bildes etwas wufsten. Vielleicht trägt diese Notiz dazu bei, der Büste des weiteren nachzuforschen ; dann kann auch entschieden werden, ob, wie zu vermuten ist, beide Arbeiten zusammenhängen, resp. das eine nach dem Vorbild des andern geschaffen wurde. Die lebenswahre, jedem Beschauer auffallende Behandlung des Ge- mäldes spricht vorläufig für die Arbeit desselben nach dem Leben.

Nürnberg. Hans Stegmann.

Register zum Jahrgang 1896

der

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.

Seite

Ein vergessener Schüler Albrecht Dürers, von Dr. AlfredBauch 3

Aus der Plakettensammluug des germanischen Nationalmuseums, von Dr. F.

Fuhse. 1. II 15 u. 97

Oswald und Kaspar Krell, von Dr. Th. Hampe 23

Zu Baidungs Madonna mit der Meerkatze, von Dr. Edm. Braun 28

Der Meister der Nürnberger Madonna, von GustavvonBezold 29

Das Gedenkbuch des Georg Friedrich Bezold, Pfarrers zu Wildenthierbach im

Rothenburgischen, von Dr. Th. Hampe 32

Die letzten Tage des Malers Georg Pentz, von Dr. Alfred Bauch 43

Initialen in Holzschnitt von dem Rechenmeister Paulus Frank (um 1600), von

Dr. Th. Hampe 49

Albrecht Dürer und der Rahmen des Allerheiligenbildes, von KarlSchaefer 53 Deutsche Pilgerfahrten nach Santiago de Compostella und das Reisetagebuch

des Sebald Oertel (1521—22), von Dr. Th. Hampe 61

Über einProsatraktätlein des Hans Folzens von der Pestilenz, v. Dr. Th. Hampe 83 Eine Nürnberger Labyrinthdarstellung aus dem Anfange des 16. Jahrhunderts,

von Dr. Edmund Braun. 1 91

Notiz über Dürer aus den Nürnberger Ratsprotokollen, von Dr. Th. Hampe 96 Das Nürnberger Münzkabinet des Freiherrn Joh. Christ. Sigm. von Krefs, von

Dr. K. Schaefer 108

Friesische Häu.ser auf den Halligen, von Dr. EugenTraeger 112

Dürer. Kleine Mitteilungen, von Dr. F. Fuhse 120

Das schleswig-holsteinische Frontale im germanischen Museum, von Gustav

Brandt 121

Geschnitzte friesische Thüren im germanischen Museum, von Dr. Eugen

Traeger 130

Das Bildnis des Hans Perckmeister, von Dr. HansStegmann 134

Mitteilungen

AUS DEM

Germanischen Nationaltmuseum

HERAUSGEGEBEN

VOM DiRECTORIUM.

JAHRGANG 1897.

MIT ABBILDUNGEN.

NÜRNBERG, 1897.

VERLAGSEIGENTUM DES GERMANISCHEN MUSEUMS.

Wissenschaftliehe Instrumente im germanischen Museum.

'^^ as germanische Museum besitzt eine reichhaltige Sammlung von

wissenschaftlichen Instrumenten aus älterer Zeit, namentlich aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Die Methoden der wissenschaftlichen Beobachtung, wie die der Herstellung der Instrumente haben sich im Laufe des 18. und namentlich des 19. Jahrhunderts aufserordentlich vervollkommnet, manches ältere Instrument ist ganz aufser Gebrauch gekommen, während andere in mehr oder minder veränderter Form noch Anwendung finden. Diese älteren Instrumente geben mancherlei Aufschlüsse über die Methoden der wissenschaftlichen Beobachtung in früheren Jahrhunderten und sind nicht selten auch durch ihre künstlerische Ausführung von Interesse. In letzterer Hinsicht stehen die Instrumente aus vergoldetem Messing von Praetorius allen anderen voran. Diese Instrumente sind Eigentum der Stadt Nürnberg, sie stammen gröfstenteils aus dem Nachlasse des Aegidius Aeyerer, eines reichen Liebhabers, für welchen sie Praetorius gefertigt hat. 1675 wurden sie von der Stadt Nürnberg erworben. Auch unter den übrigen Beständen der Sammlung sind sehr schöne Instrumente.

Die Erfinder neuer Instrumente haben nicht selten in kleinen Traktaten Beschreibungen und Anweisungen für den Gebrauch derselben gegeben. Oft spricht aus diesen Traktaten die naive Freude der Erfinder an ihren Erfin- dungen und sie bekunden in ansprechender Weise den Eifer, mit welchem sie bestrebt sind, sie möglichst vollkommen und vielfach verwendbar zu machen. Im Folgenden sollen einige Instrumente unserer Sammlung beschrieben und abgebildet, und ihre Anwendung erläutert werden. Zur Bestimmung der historischen Stellung der Instrumente müssen zuweilen auch solche herange- zogen werden, welche wir nicht besitzen. Ich habe dabei nicht den engeren Kreis der Fachleute, denen ich als Laie kaum Neues sagen kann, sondern den weiten Kreis der Leser der Mitteilungen im Auge. Einige elementare geometrische Ausführungen werden sich nicht vermeiden lassen; ich werde suchen, sie möglichst allgemein verständlich zu halten und hoffe, dafs das Interesse des Gegenstandes dem Leser über etwaige Schwierigkeiten der Er- klärung hinweghelfen wird.

I.

Die Mensula Praetoriana und das Winkelinstrument des

Andreas Albrecht.

„Nuperrime eam (Norimhergatn) mihi delegi domum perpetuam tum propter commoditatem. instrumentorum, et maxime astronomicorum qutbus

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tota sideralis innitiUir disciplina, tum propter universaletn conversatiotiem faciliiis hahendam cum studiosis viris ubicunque vitam. degentibus, quod locus nie perinde quasi cefitrum Europae propter excursuni mercatorum habeatur. Ich habe mir jetzt Nürnberg zu meinem dauernden Wohnsitze erwählt, sowohl wegen der AnnehmUchkeit, die es durch Instrumente, insonderheit astronomische bietet, auf welchen die gesammte Sternkunde beruht, als auch wegen des leichten Verkehrs mit den Gelehrten aller Länder, da dieser Ort seines Handelsverkehrs wegen, gewissermafsen als der Mittelpunkt Europas gelten kann." So schrieb Regiomontanus am 4. Juli 1471 an den Mathematiker Christian Röder in Erfurt. Wenige Monate vorher war er aus dem Dienste des Ungarnkönigs Matthias Corvinus aus- getreten und nach Nürnberg übergesiedelt. Er hatte das Glück in Bernhard Walther einen gleichstrebenden Freund zu finden, der seine Absichten in freigebigster Weise förderte. Walther bot ihm nicht nur die Möglichkeit astronomische Instrumente zu fertigen und beteiligte sich an seinen Be- obachtungen, sondern er errichtete sogar eine eigene Druckerei, in welcher die litterarischen Arbeiten des Regiomontanus, für welche er ein umfassendes Programm aufgestellt und von welchen er vieles schon ausgearbeitet hatte, gedruckt werden sollten.

Nur vier Jahre weilte Regiomontanus in Nürnberg. 1475 wurde er von Sixtus IV. nach Rom berufen, um an der Verbesserung des Kalenders mit- zuwirken und schon im folgenden Jahre starb er daselbst. Doch die An- regungen, welche dieser mächtige Geist in der kurzen Zeit seines Aufenthaltes in Nürnberg ausübte waren nicht verloren; mehr denn hundert Jahre blieb Nürnberg ein Mittelpunkt mathematischer Studien in Deutschland. Auch für die Richtung dieser Studien blieb sein Vorbild bestimmend, weniger die reine als die angewandte Mathematik wurde in Nürnberg gepflegt, insonderheit Astronomie, Geographie und Geometrie.

1492 fertigte Martin Behaim seinen Globus. Ihm folgte in der Frühzeit des 16. Jahrhunderts Johann Schöner, von dem noch mehrere Erdgloben vorhanden sind.

1462 kam Johannes Praetorius aus Joachimsthal nach Nürnberg. Während seines ersten Aufenthaltes bis 1569 beschäftigte er sich hauptsächlich mit der Anfertigung astronomischer Instrumente. Ein Teil derselben kam 1675 in den Besitz der Stadt Nürnberg und befindet sich jetzt in den Sammlungen des germanischen Museums. In vergoldetem Kupfer ausgeführt erfreuen sie das Auge des Mathematikers wie das des Kunstfreundes durch die Genauig- keit ihrer Ausführung und durch die Schönheit ihrer Erscheinung.

1569 verliefs Praetorius Nürnberg. Folgte aber 1576 einem Rufe an die Nürnberger Universität Altdorf, wo er bis zu seinem Tode 1616 als Pro- fessor der Mathematik thätig war.

In seinen Schriften behandelte er algebraische und geometrische, sowie astronomische Probleme und gab Anleitungen zur Feldmefskunst. Merk- würdigerweise hielt er in seinen Anschauungen vom Weltgebäude an dem System des Ptolemaeus fest. Vgl. Doppelmayr, historische Nachricht von den

nürnbergischen IMathematicis und Künstlern S. 88, wo mehrere Belegstellen angeführt sind. Von den Schriften des Praetorius ist wenig veröffentlicht. 34 Bände in Maniiscript übergab der Sohn seines Nachfolgers Daniel Schwenter der Universitätsbibliothek in Altdorf, von wo sie nach Aufhebung der Uni- versität Altdorf in die Erlanger Universitätsbibliothek gelangten.

Praetorius hat sich nicht darauf beschränkt astronomische und andere Instrumente in der überkommenen Weise anzufertigen, sondern er hat an denselben allenthalben Verbesserungen angebracht und neue Instrumente er- funden. Unter diesen letzteren hat der Mefstisch, die mensula Praetoriana eine weite Verbreitung gefunden und ist, im Einzelnen verbessert, noch heute im Gebrauch.

Das Verfahren der Landaufnahme*) war bis ins 16. und selbst ins 17. Jahrhundert ein ziemlich oberflächliches. Einzelne Hauptrichtpunkte wurden durch Winkelmessung mit dem Quadranten und der Bussole, Ent- fernungen durch Messung mit Stab und Kette oder nur durch Abschreiten das Zwischenliegende durch Schätzung bestimmt. Das Verfahren, nach wel- chem unter Anderem die Apianische Landtafel von Bayern von 1566 her- gestellt ist, gab recht brauchbare Ergebnisse, genügte aber doch höheren Anforderungen an Genauigkeit nicht. Mit der Konstruktion des Mefstisches führte Praetorius ein Aufnahmeverfahren ein, das eine weit gröfsere Genauig- keit verbürgte und zugleich den Vorteil bot, dafs das verjüngte Bild der auf- zunehmenden Objekte sofort auf dem Felde aufgezeichnet wurde.

Der Mefstisch des Praetorius wurde zum ersten Male beschrieben von dessen Schüler und Nachfolger Daniel Schwenter im dritten Tractat der Geometria practica nova 1618. Die umstehende Abbildung Figur 1 ist diesem Tractat entnommen. Wir besitzen keinen Mefstisch von Praetorius, und ich weifs auch nicht, ob überhaupt einer erhalten ist.

Der Mefstisch AB CD ist ein quadratisches Brett von 15 Zoll (37 cm.) Seitenlänge. In der einen Ecke A ist eine Bussole E eingelassen. Von I aus geht nach unten eine Schraube G H, mittels deren der Tisch auf das Holz I K geschraubt wird, an welch letzteres bei M N und O die Stäbe des Gestelles S T V angeschraubt werden. Damit ist der Tisch zum Aufstellen fertig.

Zum Arbeiten sind noch verschiedene Instrumente erforderlich. Zunächst ein Diopterlineal W von 14 Zoll Länge, an dessen einem Ende a sich in einem halbkreisförmigen Vorsprung ein kleines Loch befindet, dessen Mittel- punkt in der Richtung der Kante a c liegt. Ein gleiches Loch steht im Abstand eines halben Fufses bei b. Die beiden Löcher sind so grofs, dafs man eine feine Nadel hindurchstecken und so das Lineal auf der Tischplatte befestigen kann, e und f sind die »Absehen« (Diopter), welche aufgeklappt werden können. Die Länge ist in 100, 200 oder eine andere Zahl von Teilen geteilt. Dieses Instrument nennt Schwenter die Hauptregel.

*) Vgl. Max Schmidt , mensula Praetoriana in der Z. f. Vermessungswesen 1893. XXII. 269.

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Drei Nebenregeln, x y z, gleichfalls mit Längenteilung können zu einem rechtwinkeligen Dreieck zusammengestellt und, wie an der Figur zu sehen, an einer Seite der Tischplatte angeschraubt werden, wenn Höhen gemessen werden sollen.

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Fig. 1.

Ein weiteres Lineal h i mit einem Bleilot, die Lotgabel dient dazu, den Standpunkt, von dem aus gemessen werden soll, auf die Tischplatte zu über- tragen, weil hier die Hauptregel angelegt werden mufs.

Die Tischplatte wird mittels einer Setzwage horizontal gestellt. Die übrigen auf Fig. 1 abgebildeten Instrumente sind von geringerem Belang.

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Das Meisverfahren ist ein graphisches, und zwar wird unmittelbar auf dem Felde ein verkleinertes Bild der aufzunehmenden Linien und Flächen auf die mit Papier bespannte Mefstischplatte aufgezeichnet.

Es kann sich hier nicht darum handeln, die sehr mannigfaltige Ver- wendbarkeit des Mefstisches allseitig zu erörtern, ein ganz einfaches Beispiel mag genügen, einen Begriff von der Art und Weise der Aufnahmen zu geben.

Es soll der Abstand zweier Thürme Fig. 2 B— C, welcher nicht direkt gemessen werden kann, bestimmt werden.

Die Messung mufs von zwei Standpunkten aus geschehen. Man nimmt den ersten in einem passenden Abstände B o an, schlägt hier seinen Mefs- tisch auf, überträgt den Punkt o mittelst der Lothgabel auf die Tischplatte

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Fig. 2.

und befestigt hier die Hauptregel. Nun wird zunächst eine Standlinie ge- wählt und auf dieser ein Stab aufgestellt in p. Dann wird mit dem Diopter von o nach p visiert und auf dem Mefstisch mit der Regel die Linie o p gezogen, desgleichen visiert man von o nach den Spitzen der Türme und zieht die Linien o b und o c. Ist dies geschehen, so wird der Mefstisch von o entfernt und in o ein Stab aufgestellt. Ferner wird auf der Standlinie ein passender Abstand b n. hier 38 Ruten , abgemessen , desgleichen werden 38 kleine Teile auf der Regel mit dem Zirkel abgegriffen und auf der Zeichnung der Standlinie von o nach n aufgetragen. Der Tisch wird alsdann so aufgestellt, dafs der Punkt n der Zeichnung senkrecht über n der wahren Standlinie zu stehen kommt, die Regel wird in n befestigt und so gerichtet, dafs ihre Kante mit n o der Zeichnung zusammenfällt. Die Regel bleibt auf n o liegen

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und der Tisch wird solange gedreht, bis die im ersten Standpunkte o auf- gestellte Stange im Diopter in der richtigen Stellung erscheint. Der Tisch steht alsdann richtig. Nun wird wieder nach B und C visiert und auf dem Tisch mit der Regel die Linien n b und n c gezogen. Die Schnittpunkte b und c mit den von o aus gezogenen Linien o b und o c geben in verjüngtem Mafsstabe den Abstand beider Türme (hier 41 Ruten). Mit diesen Operationen ist aber nicht nur der Abstand B C, sondern auch die Abstände o B und n C bestimmt.

Fig. 3.

Das Verfahren beruht, wie man sieht, darauf, dafs auf dem Mefstisch eine der natürlichen ähnliche Figur gewonnen wird.

Analog ist das Verfahren bei Höhenmessungen, wo mit rechtwinkeligen Dreiecken operiert wird.

Das germanische Museum besitzt ein Instrument (W. J. 1262), welches An- dreas Albrecht 1625, also wenige Jahre nach dem Erscheinen von Schwenters Geometria angegeben hat und welches als eine Kombination des Mefstisches mit der Feldmesserbussole erscheint. Es gestattet nicht, wie die mensula Praetoriana, eine unmittelbare graphische Aufnahme von Figuren, sondern nur eine solche von Winkeln. Das Auftragen der Figuren geschah nachträglich.

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Die Platte besteht aus einem in Holz gebundenen Notizbuch, welchem eine gedruckte Beschreibung und Gebrauchsanweisung beigebunden ist. Die Notiz- blätter fehlen jetzt. Der Titel des Buches lautet: EygendUche Beschreibung und Abrifs Eines sonderbaren nutzlich und nohtwendigen Mechanischen Instruments, so auff ein Schreibtafel gerichtet, welches zum Feldmessen, zum Vestung aufsstecken, zum höh- und tiefen messen, zum Land und Wasser abwegen, desgleichen zur Perspectiv, gar füglich zu gebrauchen ist.

Fig. 4.

Durch Andreas Albrecht von Nürnberg an Tag geben. 1625. Dem Text waren fünf Tafeln beigegeben, von welchen in unserem Exemplar die erste, welche die Beschreibung erläuterte, fehlt. Doch läfst sich aus dem Vergleiche des gleichfalls unvollständigen Instrumentes mit der Beschreibung eine Rekon- struktion des Instrumentes vornehmen, wie in Fig. 3 versucht ist.

In den oberen Deckel E war eine Bussole A mit Angabe der vier Orte der Welt eingelassen. An dieser war eine Regel B befestigt. Beide waren fest verbunden und konnten gedreht werden.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. II.

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Sie sind umgeben von einem auf dem Deckel des Buches befestigten, in 360 Grade geteilten Kreis C, der gleichfalls mit den vier Orten der Welt bezeichnet ist. Unter dem Kreis und über ihn vorstehend ist eine kreis- förmige Schreibtafel D befestigt.

An die Seite des Buches, an welcher es aufgeschlagen wird, ist eine messingene Röhre, F G angeschraubt, welche um die Axe H drehbar ist. Sie ist als Diopter eingerichtet, und es kann an ihr ein in zweimal 90 Grade geteilter Halbkreis mit einem Pendel befestigt werden.

An Stelle der Diopterröhre kann ein Lineal geschraubt werden, auf welchem der Nürnberger Schuh in natürUcher Gröfse, in Vs und in einer weiteren Verjüngung verzeichnet ist.

Fig. 5.

Mit einer Hülse, welche abgeschraubt werden konnte, wird das, Instru- ment auf ein Stativ aufgesetzt.

Das Instrument ist wie bemerkt, jetzt unvollständig. Die Bussole A mit der Regel B und der Teilkreis C fehlen, desgleichen das Diopter F G. Die Schreibtafel, Kreidegrund auf Leder ist schadhaft. An Stelle der fehlen- den Bussole ist eine solche aus dem 18. Jahrhundert eingesetzt. Sie ist nicht drehbar. Auch das Lineal mit dem Lotmafs ist aus dem 18. Jahrhundert. Fig. 4 stellt das ganze Instrument auf dem Stativ dar.

Seine Anwendung soll an einigen einfachen Beispielen gezeigt werden. Wie bereits angedeutet, sind die Aufnahme auf dem Felde und die graphische Aufzeichnung getrennte Operationen.

Bekanntlich ist ein Dreieck in allen seinen Stücken bestimmt, wenn

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eine Seite und die beiden anliegenden Winkel bekannt sind. In dem ge- gebenen Falle Fig. 5 ist also zunächst die Länge der Linie a b zu messen und es wird diese Gröfse in das mit dem Instrument verbundene Notizbuch einge- tragen. Dann wird das Instrument über dem Punkte a aufgestellt, mit dem Diopter von a nach b visiert und die an der Hülse befindliche Schraube an- gezogen, so dafs eine Drehung der Platte nicht mehr möglich ist. Hierauf wird die Bussole mit der Regel B so gedreht, dafs die Nordnadel einspielt, und diese Richtung auf der Schreibtafel D mit 1 bezeichnet.

Alsdann wird das Instrument soweit gedreht, dafs die Sehlinie des Diopters die Richtung a c erhält, die Bussole wird wieder orientiert und die Orientierung auf der Schreibtafel mit 2 verzeichnet.

Eine einfache Überlegung zeigt, dafs der Winkel der beiden Orien- tierungen dem Winkel b a c gleich ist. Völlig gleich ist er allerdings nur, wenn die beiden Punkte, nach welchen visiert wird, gleich weit vom Standpunkte entfernt sind. Denn wie die Fig. 5 zeigt, ist das Instrument mit einem Fehler behaftet, der darin besteht, dafs die Sehaxe des Diopters sich nicht mit der Drehungsaxe des Instrumentes kreuzt. Der in der Zeichnung sehr auffallende Fehler wird indes dadurch wesentlich verringert, dafs die Abstände der Stand- punkte und der zu bestimmenden Punkte im Verhältnis zu den Abmessungen des Instrumentes in Wahrheit weit gröfsere sind als auf der Zeichnung; dann dadurch, dafs die Winkeldifferenz immer auf derselben Seite der Visierlinie liegt. Der Fehler kann ganz vermieden werden, wenn man das Instrument bei jeder Visierung dreht, so dafs das Diopter einmal rechts, das andere Mal links von der Bussole steht und das Mittel aus beiden Visierungen nimmt, oder wenn man in a und b statt des Instrumentes Visierstäbe aufstellt, es sind aber dann für a und je zwei verschiedene Standpunkte des Instrumentes erforderlich.

Die gleichen Operationen werden in b wiederholt und so der Winkel a b c auf der Schreibtafel verzeichnet und damit sind für die vorliegende Aufgabe die Arbeiten auf dem Felde beendet. Das Aufzeichnen der Figur geschieht zu Hause.

Das Instrument wird vom Stativ genommen und die Hülse abgeschraubt, desgleichen das Diopter, an dessen Stelle nun das erwähnte Lineal befestigt wird. Das so veränderte Instrument wird alsdann auf ein Zeichenbrett ge- legt, das während der Ausführung der Zeichnung vollständig unverrückt liegen bleiben mufs. Die Reihenfolge der Operationen ist hier die umge- kehrte wie auf dem Felde. Um die Richtung der Standlinie a b zu bestimmen, wird die Regel B auf die mit 1 bezeichnete Linie in der Schreibtafel D ge- stellt und nun das ganze Instrument solange gedreht, bis die Nordnadel einspielt, das Lineal hat alsdann die Richtung a b, welche auf dem Zeichen- brett angezeichnet wird. Auf dieser Linie wird die gemessene Länge a b in der gewünschten Verjüngung aufgetragen. Weiter wird die Regel B auf die Linie 2 der Schreibtafel D gestellt, in dem Punkte a des Zeichenbrettes eine Nadel eingesteckt, das Instrument mit dem Lineal an diese Nadel heran- geschoben und um den Punkt a solange gedreht, bis die Nordnadel einspielt.

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Das Lineal hat alsdann die Richtung a c. Durch die gleiche Operation in b wird die Richtung b c gefunden und es ist damit in dem verjüngten Mafsstabe, der der Zeichnung zu Grunde gelegt ist, der Abstand und die Lage des Punktes c gegen a und b bestimmt.

Die Idee, das Instrument selbst zum Auftragen der Zeichnung zu be- nützen, hat Levinus Hulsius in einem Bussoleninstrument, das er Planimetra nennt, schon gegen Ende des 16. Jahrhunderts verwirklicht und es darf an- genommen werden, dafs Albrecht die Planimetra des Hulsius kannte.

Wie das Instrument zur Aufnahme von Flächen und zu deren Auf- zeichnung in verjüngtem Mafsstabe dient, so kann es auch umgekehrt zur Absteckung von Plänen nach Zeichnungen benützt werden.

Es dient ferner zur Messung von Höhen. Soll die Höhe a b Fig. 6 ge- messen werden, so wird das Instrument in einiger Entfernung aufgestellt. Man visiert mit dem Diopter, an welchem nunmehr der Transporteur befestigt ist, nach b und, ohne das Diopter zu verschieben, nach c. Dieser Punkt wird mit

c.-'

Fig. 6.

einer Stange bezeichnet. Dann wird an dem Transporteur mittelst des Lot- maises der Winkel X abgelesen, in welchem das Diopter zur vertikalen steht, und endlich wird der Abstand a c gemessen.

Um die Figur aufzuzeichnen, wird der Transporteur vom Diopter ab- genommen, und an Stelle des Pendels ein Lineal befestigt, dessen eine Kante durch den Drehpunkt des Pendels geht.

Es werden zunächst auf einem Reifsbrett zwei senkrecht sich kreuzende Linien gezogen, das Lineal am Transporteur auf den Winkel X gestellt und so an die Vertikallinie angelegt, dann hat die Oberkante des Transporteurs die Richtung b c, welche das Diopter auf dem Felde hatte. Zieht man diese Linie und mifst von ihrem Schnittpunkte mit der horizontalen auf dieser in verjüngtem Mafsstabe die Länge a c ab, errichtet in a eine vertikale, so liegt der Schnittpunkt b dieser letzteren mit der Linie b c b in der gesuchten Höhe.

Mit zwei Aufnahmen kann auch eine Höhe, an deren Fufs man nicht gelangen kann, bestimmt werden. Ferner gestattet das mit dem Diopter

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verbundene Lotmafs, das Instrument als Nivellierinstrument zu verwenden. Endlich können durch die Kombination der Planaufnahme mit der Höhen- aufnahme perspektivische Bilder von Gegenständen gewonnen werden. Die Methode ist die der Zentralprojektion.

Die Genauigkeit, welche das Instrument gewährleistet, steht hinter der des IMefstisches mit fester Holzplatte und Kippregel oder Diopterlineal erheb- lich zurück. Sein geringes Gewicht und seine wenigstens für den ersten Teil der Arbeiten, die Aufnahme auf dem Felde, einfache Handhabung mögen es für Fälle, in welchen keine grofse Genauigkeit und rasche Aufnahme ver- langt wurden, empfohlen haben. Eine grofse Verbreitung hat es nicht ge- funden und unser INIefstischchen wird wohl das einzig erhaltene Exemplar sein.

Schon 1617, also einige Jahre früher als Albrecht hat Johann Lörer, Bürger und Kleinuhrenmacher zu Basel ein auf dem gleichen Grundgedanken beruhendes Instrument zur zeichnerischen Aufnahme von Winkeln erfunden und in einem Traktat : »Novum Instrumentum geometricum ,perfectum, das ist voUkommner vnd grundlicher Bericht, alle Weite, Breite, Höhe und Tieffe, mit sonderbarem Vortheil, als mit einem einzigen Instrument ohne Ziffer und Rechnung gantz gewifs abzumessen« beschrieben.

Das Instrument besteht aus einer kreisförmigen, horizontal zu stellenden Scheibe. Ein Lineal, dessen eine Kante durch das Centrum der Scheibe geht, dreht sich um einen in der Mitte der Scheibe befindlichen Zapfen. Über dem Lineal erhebt sich eine zweite vertikale Kreisscheibe. An dieser ist, gleich- falls drehbar und das Centrum berührend, ein langes Diopterlineal angebracht, dessen Sehaxe mit der Kante des Lineales parallel ist und mit der des unteren Lineales in einer Vertikalebene liegt. Die Scheiben werden mit Papier be- spannt , horizontale Winkel werden auf der horizontalen , vertikale auf der vertikalen Scheibe verzeichnet.

In verbesserter Form war dieses Instrument noch um die Mitte des 18. Jahrhunderts in Gebrauch. Die Winkelscheibe (planchette ronde) ist in dem Traite de la construction et des principaux usages des instruments de mathe- matique par N. Bion. 4'^ editioyi. Paris 1752. S. 123 beschrieben und auf PI. XIV. abgebildet. Die Planchette ronde ist eine Metallscheibe von etwa 1 Fufs Durchmesser. Der Rand ist in Grade geteilt. Bei 0'^, 360" und bei ISO*' sind Diopter angebracht. Die Innenfläche ist vertieft, so dafs einige Blätter Papier eingelegt werden können. In der Mitte erhebt sich ein Zapfen, um welchen sich eine Regel dreht, deren Kante die Drehaxe schneidet. Über der Regel befindet sich ein Fernrohr , dessen Sehaxe der Kante der Regel parallel ist. Seitlich an der Regel ist eine Bussole angebracht.

Wie man sieht, sind die Operationen mit diesen Instrumenten einfacher, als mit dem Albrechtschen und zugleich ist durch die konzentrische Lage der Visieraxe eine gröfsere Genauigkeit gewährleistet. Die Winkel werden bei jedem Standpunkte auf ein gesondertes Blatt gezeichnet. Die Instrumente selbst können nicht zum Auftragen der Zeichnung gebraucht werden.

Ahnliche Erwägungen wie sie Lörer und Albrecht angestellt haben, hatten schon 1607 den schweizer Geometer Leonhard Zübler zu einer Umgestaltung

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des Mefstisches geführt, welche er mit dem Namen: Instrumentum Choro- graphicuni bezeichnet. Dieses Instrument wurde später von Athanasius Kircher verbessert. Bei diesen Instrumenten dreht sich der äufsere rechteckige Teil der Platte mit dem Diopter und der Regel um eine mittlere runde Scheibe, auf welche gezeichnet wird. Letztere bleibt wie bei dem Albrecht'schen In- strument fest orientiert. Dagegen gestattet das Instrument die zeichnerische Aufnahme der zu vermessenden Winkel und Flächen auf dem Felde.

Leonhard Zübler hat sein Instrument unter dem Titel : Fabrica usus In- strumenti Chorographici . . . Basel 1607, beschrieben.

Die Beschreibung des Kircher'schen Mefstischchens Pantometrum findet sich in der Geometria practica von P. Schott. Beide Instrumente beschreibt auch Jakob Leupold in seinem Theatrum arithmetico-geometricum Leipzig 1727.

Nürnberg. Gustav von Bezold.

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Riehard von England.

n dem Wolkensteinischen Archiv des Museums befindet sich, auf feinerem, ziemlich weifsem Pergament geschrieben, eine Urkunde vom 5. April 1494, deren Aussteller im Eingang sich als Richard, Herzog von York, Sohn und Erbe König Eduards IV. von England bezeichnet und sich unterschreibt als Rychard off'Cngland.

In derselben verspricht dieser Richard dem edlen und sehr mächtigen Herrn Michael von Wolkenstein für täglich bewiesene und fernerhin zu be- weisende gute Gesinnung, sowie für die heilsamen, in der «Verfolgung seiner Angelegenheiten ihm gewährten Ratschläge 1000 Goldgulden deutscher Wäh- rung, die ihm selbst oder seinem rechtmäfsigen Vertreter ausgezahlt werden sollen, sobald Richard in England die Anerkennung seines Geburtsrechtes erlangt hat.

Die Urkunde lautet:

Notum sit, quod nos, Ricardus, dux Eboraci, filius et heres metuen- dissimi domini et patris nostri, Edwardi quarti, nuper regis Anglie et Francie ac domini Hibernie, bonum et gratuitum obsequium per nobilem et prepotentem virum, dominum Michaelem de Wolquestain, nobis in dies multipliciter impensum et imposterum impendendum, in ministrando nobis suum Sanum et salubre consiUum circa negocia nostra agenda, intime con- siderantes, concessimus et per presentes concedimus, quod, cum ad jus et rectum nostrum ad quod nati sumus in Anglia diuina gratia adducti et stabiliti fuerimus, soluemus seu solui faciemus predicto Michaeli aut suo sufficienti et legittimo in hac parte attornato summam mille florenorum auri de Almania, ad quam quidem solucionem modo et forma predictis fideliter fiendam et perimplendam obligamus nos firmiter per presentes, signeto nostro manuali signatas et sigillo nostro sigillatas. Datum quinto die men- sis Aprilis anno domini millesimo quadringentesimo nonagesimo quarto.

Rychard off england.

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Das Siegel von dunklem Wachs hängt an ; doch ist es am Rande so beschädigt, dals von der Umschrift nichts mehr zu entziffern ist. Dagegen läfst das Wappen im zweiten und dritten Felde deutlich die drei Leoparden, im ersten und vierten bei schärferer Prüfung die Lilien erkennen und ist offenbar als das königliche Wappen aus der Zeit der Plantagenets, Lancaster und York zu bezeichnen. Die Urkunde ist in klarer, leicht lesbarer Kanzlei- schrift geschrieben, etwas verwischt. Die eigenhändige Unterschrift Richards zeigt feste, energische Züge. Dafs der Ort der Ausstellung nicht angegeben ist, ist nicht störend und stimmt mit der Persönlichkeit des Ausstellers eines heimatlosen Prätendenten.

Denn wer ist dieser Richard von England, vorgeblicher Sohn König Eduards IV. und Herzog von York.f* Ohne Zweifel niemand anders, als jener Perkin Warbeck, dessen abenteuerliche Gestalt Schiller zu einem Drama an- regte, wovon der Entwurf uns erhalten ist. Eine Zeitlang anerkannt in Flan- dern, wo er in Brüssel am Hofe der Margarete von York lebte, landete er seit 1495 wiederholt in England, Schottland und Irland. Er fand Aufnahme bei dem jungen ritterlichen Jacob IV. von Schottland, der im Jahre 1497 auch Warbecks Schilderhebung in Cornwales durch einen bewaffneten Einfall in Eng- land, der allerdings nicht zur Ausführung kam, unterstützen wollte^). Schiller bringt in seiner Dichtung Warbeck mit dem echten Warwick zusammen ; mit diesem safs er, in Gefangenschaft geraten, thatsächlich im Tower und wurde, als er ihn zu einem gemeinsamen Fluchtversuch verleitet hatte, 1499 mit ihm hingerichtet.

Über Michael von Wolkenstein, den Empfänger der Urkunde, sei hier bemerkt, dafs er seit 1499 als Hofmeister und Mitglied des von Kaiser Maximilian eingesetzten Landesregiments hervortritt und beim Tode des Kaisers Landhofmeister ist. Sein Leben verlief ruhiger, als das seines be- rühmten Stammesgenossen Oswald. Die Thaten und Ereignisse, auf welche unsere Urkunde hindeutet, fallen in die Zeit seiner Jugend.

Das Bindeglied zwischen ihm und »Richard von England« bildet sein Landesherr Maximilian. Man vergleiche hierzu Ranke, Engl. Geschichte, S. 101, der bei Schilderung der Schwierigkeiten, welche den Regierungsan- fang Heinrichs VII. von England kennzeichnen , unter Anderem sagt : Noch lebte die Witwe des Herzogs Karl von Burgund (jene oben erwähnte Mar- garete), die es unerträglich fand, dafs das Haus York, aus dem sie stammte, von seiner »triumphierenden Majestät« herabgestürzt worden sei. Bei ihr fanden die flüchtigen Anhänger des Hauses York Aufnahme und Schutz : von ihr und ihrem Schwiegersohn Maximilian von Österreich wurden die Präten- denten ausgerüstet, welche Heinrich VII. die Krone streitig machten.

Wir denken später über Michael von Wolkenstein Eingehenderes zu bringen und begnügen uns hier mit dem Abdruck dieser Urkunde, die seine Gestalt eigenartig einführt und auf den Anfang seiner Laufbahn ein roman- tisches Licht wirft.

Nürnberg. Dr. R. Schmidt.

^) Ranke, Englische Geschichte, S. 99.

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Ganerben. I.

;n Grimms Wörterbuch Bd. IV, 1. Sp. 1215 lesen wir unter ganerbe: »ahd. ist bezeugt kanarpan, canherben, aber glücklich auch die ältere Gestalt geanervo, fränkisch 9. jh., in einem capitulare der Könige Ludwig und Lothar (Pertz mon. 3, 262), nachher der geanervo siner, coheres ejus, aber auch schon ganervo siner, wie dann mhd. ganerbe, mnd. ganerve, also ursprünglich gi-ana-erbo. Das bestätigt eine Form des 13. jh. mit Umstellung der beiden Vorsätze anegerve.«

Die ältere Form geanerbe wurde also frühzeitig in ganerbe zusammen- gezogen. Nun heifst es weiter bei Grimm, Sp. 1217 unter 3a: »Dafs dies gan, an dem die spätere Gelehrsamkeit wunderlich herumgedeutet hat, schon im 14. jahrh. und früher verdunkelt war, zeigen die wunderlichen var. im Ssp. I, 17 bei Homeyer, z. B. als gan gönnt ausgelegt, wie die Uebersetzung favorabiles heredes zeigt, oder als »gegen« nach generben u. ä., im Kaiser- rechte 3, 10 gagenerben, auch als gahen eilen. . . Dagegen klingt das Richtige nach in der Form geanerbet Parz. 330, 30 var., geanerbet sitzen R. A. 482 anm. (vom J. 1326), worin freilich anerbe, anerben hineingefühlt sein wird.« Dann heifst es unter 3b): »Um so merkwürdiger ist daneben, wie noch im Jahre 1267 das ge-an am Rhein lebendig gefühlt, ja in seiner Stellung beweglich, flüssig erscheint. <' Das urkundliche Beispiel ist: »si quid questionis . . emerserit ab hiis qui uulgo anegeruen dicuntur, das Duplikat der Urk. aber hat ganeruen.«

Angesichts dieser Ausführungen dürfte es interessieren, dafs noch weit später als in den oben angeführten Beispielen v. J. 1267 und von 1326 das Richtige nicht nur nachklingt oder lebendig gefühlt wird, sondern die ältere Form geanerben thatsächlich noch vorkommt. Kürzlich (s. Anz. 1896, Nr. 6 S. 80 oben) ward von uns in einem gröfseren Komplex eine Urk., Orig. perg. vom 25. Juli 1381, ebenfalls aus der Rheingegend stammend, erworben, welche in dem hier in Betracht kommenden Teil lautet:

Ich Daniel von Muderspach wepener dun kunt allen luden die dissen brief sehent oder horent lesen, daz ich mit gehencknisse minre lenherrn unde mit gunst unde willen Diederiches mins bruder unde minre mage unde gean- erbin han gewiedemet unde wiedemen Gretin min eliche husfrauwe mit solichem gude, als ich unde mine geanerben han zu lene von deme edeln mime lieben junchern, junchern Heinrichen greben zu Nassauwe, herrn zu Bil- scheim mit namen druzen huwen mit zinsen, mit zienden, mit ierme zugehore besucht unde unbesucht, daz allez halp ist minre mage, minre geanerben etc. Und später heifst es noch einmal: So han ich Daniel gebedin Diederichen minen bruder unde mine gemage, mine geanerben.

Viermal kommt also hier in einer Urk. vom J. 1381 noch die Form geanerben vor. Dagegen haben zwei, derselben Kollektion angehörende und dem Inhalte nach mit dieser Urk. in Zusammenhang stehende, die Ganerben von Riffenberg betreffende Urkk. vom 5. Sept. 1384 und vom 31. Dez. 1405 nur noch in wiederholter Nennung die Form ganerben.

Nürnberg. Dr. R. Schmidt.

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Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhunderts.

(Mit 14 Tafeln.)

n den Sammlungen des germanischen Museums nehmen die Abtei- lungen, welche den deutschen Hausrat der Vergangenheit umfassen, mit vollem Rechte einen sehr grofsen Teil der Räume ein, welche dem Publikum allgemein zugänglich sind. Reichhaltige Serien von Möbeln sind hier vereinigt mit umfangreichen und lehrreichen Sammlungen von kleineren Geräten aller Art und aus allen möglichen Materialien, welche im Süden und Norden, im Westen und Osten unseres Vaterlandes zu einer bestimmten Zeit im Hause gebraucht wurden. Kostbare Teppiche und kunstvoll ausgeführte goldne Pokale, reich geschnitzte Bettstellen und eingelegte Schränke , zierlich getriebenes Eisenwerk und schön reliefiertes Zinngeschirr , bunt emaillierte Gläser und farbig dekorierte Thonschüsseln bekunden, dafs alle Handwerke im Dienste des Hauses standen und dafs alle miteinander wetteiferten, durch formenschöne , zweckentsprechende und solide Geräte das Haus wohnlich zu machen, es zu verschönern und durch den Gesamteindruck, den sie hervor- riefen, durch den Zauber, den dieser ausübte, die Bewohner des Hauses an dieses zu fesseln.

Naturgemäfs gehört nur der kleinere Teil dem Mittelalter an , während der weitaus gröfsere der späteren Zeit entstammt. Wenn es nun auch noch keine besondere Schwierigkeiten macht , einzelne häusliche Denkmäler der letzten Jahrhunderte zu erwerben, obgleich auch diese nachgerade anfangen seltener zu werden , so ist es dagegen doch aufserordentlich schwierig , das Material zusammenzubringen, um das Gesamtbild eines Wohnraumes einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Gegend und einer bestimmten Gesellschafts- klasse zu geben. Im germanischen Museum ist ja auch hiemit der Anfang gemacht worden ; aber die Versuche sind noch weit entfernt von der Lösung dieser Aufgabe. Sie haben nur bestätigt, dafs es kaum möglich ist , solche Gesamtbilder mit allen erforderlichen Einzelheiten und namentlich den vielen Kleinigkeiten, die dazu gehören, aufzustellen, da ja zeitlich und räumlich nicht Zusammengehöriges, da Geräte des Bauern mit solchen der Patrizier nicht nebeneinander verwendet werden dürfen.

Unter diesen Verhältnissen ist es freudig zu begrüfsen, dafs das ger- manische Museum eine Hilfe bei Lösung dieser Aufgabe durch die schönen Puppenhäuser erhalten hat , die im Kleinen das Innere des Hauses und aller seiner Räume in grofser Wahrheitstreue wiederspiegeln. In Deutschland sind sie vorzugsweise in Nürnberg und Augsburg gebräuchlich gewesen und so kommt es, dafs das germanische Museum deren mehr als irgend eine andere Anstalt besitzt. Der Umstand, dafs ein solches Puppenhaus alle Räume des Hauses vom Keller bis zum Dachboden vorführt , dafs ferner die Puppen- häuser verschiedenen Zeiten angehören, bei manchen die Einrichtung und Ausstattung auch später, dem damaligen Geschmacke entsprechend, geändert

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897, III.

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wurden, erhöht den kulturhistorischen Wert, der den Puppenhäusern als Mo- dellen alter Wohnhäuser innewohnt, ganz bedeutend.

Zu den Einzelstücken und den Modellen kommt aber noch ein dritter Faktor, der sehr wesentlich dazu beiträgt, dafs wir uns ein getreues Bild ein- zelner Wohnräume der Vorzeit machen können, nämlich die bildlichen Darstel- lungen solcher, die in Miniatur- und Tafelmalerei, in Handzeichnung, in Kupfer- stich und in Holzschnitt in nicht geringer Zahl auf uns gekommen sind. So wertvolle Kunstwerke, so lehrreiche Bilder sich darunter befinden, haben sie doch den Nachteil, dafs sie eben nur einen Raum eines Hauses wiedergeben, während wir über die übrigen Lokale keinen Aufschlufs erhalten und uns deren Erscheinung verborgen bleibt.

Durch die Güte des Herrn Geheimrates, Direktors Dr. J. von Hefner- Alteneck in München, des Nestors der deutschen Kulturhistoriker, ist dem germanischen Museum nun eine graphische Darstellung des Innern eines Wohn- hauses zugekommen, die an dem erwähnten Mangel nicht leidet, die vielmehr gleich einem Dockenhause alle Räume vom Keller unter der Erde bis zu dem Speicher unter dem das Haus bekrönenden Dache enthält. Zu einer Zeit schon, als das Interesse für die Kulturgeschichte noch in tiefem Schlaf ver- sunken war und man Diejenigen, welche solches zu erkennen gaben, für ver- schrobene Köpfe, für Sonderlinge ansah, hat Geheimrat von Hefner-Alteneck, den kulturschichtlichen Wert dieser Darstellungen sofort erkennend , diese Blätter erworben und sie seinen wertvollen Sammlungen eingefügt. Nicht ganz leicht wurde es ihm, sich von den reizenden Blättern, die ihm lieb ge- worden, zu trennen; aber die Ansicht, dafs sie in dem deutschen kulturgeschicht- lichen Zentralmuseum am Allerbesten aufgehoben, dafs sie hier am passendsten Platze seien , machte ihm den Abschied weniger schwer. Wärmster Dank sei ihm hiefür auch an dieser Stelle dargebracht ! Auch uns haben die Bildchen hoch erfreut ; wir zweifeln nicht, dafs sie auch weiteren Kreisen Genufs bereiten werden in einer Zeit, in welcher die Freude an der Väter Werk allerorts eine sehr rege und »stilvoll eingerichtete« oder sogen, »alt- deutsche Zimmer« zvi besitzen, das Streben von Tausenden und Abertausen- den ist.

Die Serie besteht aus 14 einzelnen Blättchen, die mit der Feder auf gelbliches Papier sehr sauber, aber auch flott gezeichnet und alle leicht an- getuscht sind. Die Jahreszahl 1736 auf der Platte eines gufseisernen Ofens in einem der vorgeführten Zimmer besagt wohl, wann die Zeichnungen ent- standen. Das Kostüm der Frauen, namentlich ihre eigenartige Kopfbedeck- ung mit den Schneppen auf der Stirne und an den Schläfen , verkündet, dafs die Blätter in Augsburg, in der Metropole des deutschen Kupferstiches im 18. Jahrhundert, entstanden sind. Die Hantierungen in verschiedenen Räumen verraten ferner , dafs der Künstler, und zwar ein Kupferstecher, sein eigenes Haus gezeichnet hat, dafs er die Räume vorführt, die ihm und den Seinigen zu behaglichem Aufenthalte gedient. Der Zeichner hat sich leider auf keinem der Bildchen genannt; wir werden auf die Frage, wem sie ihre Entstehung zu verdanken haben, am Schlüsse dieser Mitteilungen

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nochmals zurückkommen. Schon an dieser Stelle aber kann erwähnt werden, dafs die Zeichnungen zur Vervielfältigung in Kupferstich bestimmt waren und wohl auch in Kupfer gestochen wurden, da sie bis auf zwei Blätter die Waschküche und eine Flur auf der Rückseite mit Röthel bestrichen sind, mit dessen Hilfe man die Zeichnung auf die Kupferplatte zu übertragen pflegte. Herr Geheimrat Dr. J. von Hefner-Alteneck, der so aufserordentlich viel kennt und dem so viel durch die Hände gegangen, hat nur ein einziges Mal einen Stich nach einer dieser Zeichnungen und zwar in der fürstlich Öttingen-Wallerstein' sehen Sammlung zu Maihingen gefunden. Doch soll der Stich eine sehr stümperhafte Arbeit sein und weit hinter der Original- zeichnung zurückstehen. Mir ist noch keine Wiedergabe irgend eines dieser Blätter zu Gesicht gekommen. Man sieht daraus wiederum, wie viele der Kupferstiche und auch Holzschnitte , die in vergangenen Jahr- hunderten gefertigt wurden, im Laufe der Zeit spurlos verschwunden sind, und welch grofse Mengen aus der Anfangszeit dieser Kunstübungen uns ver- loren gegangen sein müssen, wenn schon Blätter aus dem 18. Jahrhundert nicht mehr aufzutreiben sind.

Aus dem Charakter der Zeichnungen, aus der Ruhe und Behaglichkeit, die sie atmen, geht hervor, dafs der Künstler seine Wohnung in aller Treue wie- dergegeben und sich keinerlei »Verbesserungen« beflissen hat, die etwa die- selbe vornehmer erscheinen lassen sollten , als sie in der That war. Er hat keinerlei Künsteleien vorgenommen; die Zeichnungen sind, bis auf eine, wie aus einem Gusse, die verschiedenen Interieurs harmonieren vollständig mit- einander. Sie stellen das wohleingerichtete und gut ausgestattete Wohnhaus, die gemütlichen Wohnräume eines nicht reichen, aber in angenehmen, ge- ordneten Verhältnissen lebenden Bürgers dar, der heute eine Seltenheit in gröfseren Städten so glücklich war , mit seiner Familie ein Haus allein bewohnen zu können. Acht deutscher Geist und vielleicht unbewufste Freude an dem schönen , traulichen Besitze spricht aus diesen mit grofser Liebe ausgeführten Blättern. Des Künstlers Heim gehörte wohl zu jenen Häusern, die Paul von Stetten d. J. im Auge hatte, als er 1765 von seiner Vaterstadt Augsburg schrieb: »So ist unsere Stadt seit fünfzig Jahren aber- mahls verschönert worden , und haben wir schon wenig Palläste , so haben wir doch bequem gebaute bürgerliche Häuser^)«.

Wir wollen nun die verschiedenen Räume des Hauses, ihre Einrichtung und Ausstattung betrachten und als Erläuterung dasjenige mitteilen, was in dem Werke »Die so kluge als künstliche von Arachne und Penelope getreulich unterwiesene Haufs-Halterin« (Nürnberg 1703^) über die einzelnen Räume eines Nürnberger Wohnhauses zu jener Zeit gesagt ist. Bei den vielen Be- ziehungen, welche die beiden vornehmsten süddeutschen Reichsstädte zu ein- ander hatten, und dem Umstände, dafs das Buch und die Zeichnungen auch zeitlich nicht weit auseinander stehen, können die Ausführungen des ersteren

1) Erläuterungen der in Kupfer gestochenen Vorstellungen aus der Geschichte der Reichsstadt Augsburg. Augsburg 1765 S. 205.

2) Bibliothek des german. Museums Gs. 1228.

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als Text zu den letzteren angesehen werden. Die Nürnberger »Haufs-Halterin« enthält auf beinahe 1000 Quartseiten Alles, was zu jener Zeit junge Mädchen und Frauen wissen sollten; ihr Inhalt ist für die Kulturgeschichte von beson- derem Werte.

Der Hof (Taf. 1).

Die erste der Darstellungen ist die einzige der Reihe , welche aus dem Hause herausführt. Der Hof, der sich hinter demselben befindet und zu ver- schiedenen Arbeiten, die innerhalb des Hauses sich nicht gut ausführen lassen, so zweckmäfsig gebraucht werden kann, ist von bescheidener Gröfse. Rechts begrenzt ihn die Rückseite des Wohnhauses, links die Mauer eines Neben- gebäudes, vorn eine Mauer mit einer Thüre m derselben, die wohl in eine Nebengasse führt. Der Hof ist gepflastert mit Kieseln, wie sie aus dem Schotter des Lechbettes ausgesucht werden. Viele der alten Augsburger Strafsen zeigen heute noch das gleiche Pflastermaterial. Am Rande des Hofes läuft ein Belag von gröfseren Steinplatten. Der Brunnen am Hause, der das Trink- und Waschwasser liefert, ist einfachster Konstruktion, während er in vornehmeren Häusern Nürnbergs, und sicher auch Augsburgs, eine Zierde des Hofes war und in architektonischer Umrahmung plastische Dar- stellungen, häufig schöne Bronzegüsse zeigte. Letztere sind leider zum gröfsten Teile der Sammelwut unseres Jahrhunderts zum Opfer gefallen.

Der Hof gab den Bewohnern des Hauses Gelegenheit, ihre Freude an der Natur zum Ausdrucke zu bringen. Er ist der Tummelplatz des Ge- flügels, der Tauben und Hühner, der Enten und Truthühner. Die Mauer mit der Thüre zeigt ein Spalier mit Weinreben, ein schwacher Ersatz für den Hausgarten, der das Sehnen aller Stadtbewohner ist. Von Interesse ist, was die Nürnberger Haufs-Halterin u. a. über den Ersatz der kleinen Hausgärten schreibt (S. 738 f.), den sie namentlich in Blumengerüsten sieht, die vor den Fenstern angebracht und mit Kübeln und Blumentöpfen besetzt werden, die »mit allerley Bäumlein, Wurtzeln, Zwiebeln und Saam-werck« anzufüllen sind, »Aug und Geruch ergötzen, und (kann man) also seine Vergnügung so gut als in den schönsten Garten haben.«

Wir können uns nicht versagen, hier noch mitzuteilen, was in dem be- sagten Werke über den Luxus gesagt wird, der zu jener Zeit mit Blumen- töpfen getrieben wurde und der so recht die Freude unserer Vorfahren an Zier und Schmuck bekundet: »Werden die höltzerne Kübel oder vier-eckichte Kästen gemeiniglich zu mehrerer Zierde mit bunden Farben beliebiger massen angestrichen, mit zierlichen Laub-werck, oder wohl gar mit den Wappen defs Haufs-Patrons bemahlet, die Reife oder eiserne Ringe verguldet, die erdene Blumen-Töpff"e schön braun, grün, oder sonst nach Gefallen geglaset und in defs Töpff'ers Ofen gebrannt, ingleichen auch an deroselben statt gantze erdene oder von Gips formirte und mit Farben bemahlte Brust-Bilder aufgestellet, in deren jeden Kopf man einen kleinen erdenen gemeinen Blumen-Topf mit Blumen angefüllet zu setzen pfleget, und weil einige Gewächse eines Pfahles oder Geländers von Bünd-werck benöthigt sind, als werdeQ auch dieselbige mit eben

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solcher Färb wie die Kübel oder Kästen bemahlet, und oben mit güldenen Knöpfferi gezieret.«

Der Herr im Hofe mag wohl der Hausherr sein, der nach des Tages Last und Mühe hier etwas frische Luft schöpft und sich mit seiner Frau und einem Besuche aus der Nachbarschaft unterhält. Der Knabe und das Mädchen erscheinen für ihr Alter merkwürdig gesetzt; sonst mögen wohl auch sie sich in dem Hofe weidlich getummelt haben.

Die Ausführung dieses Blattes steht hinter jener der übrigen Blätter etwas zurück. Da auch das Papier nicht gelblich gefärbt ist, sondern die weifse Naturfarbe zeigt, so scheint es erst später der Serie angefügt und von einem etwas weniger tüchtigen Künstler ausgeführt worden zu sein. Vielleicht hat es seine nachträgliche Anfertigung dem Umstände zu ver- danken, dafs dem Verleger die ungerade Zahl 13, welche die Innenräume des Hauses ergaben, nicht pafste und er durch Hinzufügung eines weiteren Blattes, zu dem sich der Vorwurf dann nur aufser dem Hause fand, eine gerade Zahl erreichen wollte.

Der Keller (Taf. II).

»Nun gehen wir in den Keller. Selbiger je trockener er ist, schreibt die Nürnberger Haufs-Halterin, je besser ist er, weil sonst alles darinnen ver- stocket und gerne anlaufft: Er soll versehen seyn beedes mit einen starcken Wein- und Bier-Läger, und dann auch mit einen bequämen hölzernen mit frischen Stroh überdeckten Lager vor das Obst, mit einem Gläser-Behälterlein, oder kleinen Repositorio zu denen gebrannten Wassern, welche sich in dem Speifs-Gewölb nicht allzu wol halten: man verwahret in den Keller den Essig, man stellet darein so wohl das lange saure, als eingemachte Kumbus-^) und klein-gehackte Ruben-Kraut, so man eines oder das andere im Haufs selbst eingemachet hat; wann man von Fleisch-werck etwas eingesaltzen oder in Essig eingebeitzet im Vorrath hat, hält sichs im Keller in einen bedeckten hölzernen Wännlein gleichfalls am besten , und das Wild-pret kan man daselbst am längsten gut aufbehalten, fremde Weine in gläsernen Flaschen oder Bouteillen, so man sie oben am Halfs wohl vermacht, und in einen Hauffen Sand (den man ohne dem auch im Keller auf zu schütten gewohnet) zu setzen pfleget, kan man lange Zeit, ja wohl Jahr iind Tage auf das beste aufheben und gut erhalten ; ingleichen werden die Pomeranzen, Limonien, Feigen, Lorbeer und andere Bäume, so man Sommers-Zeit vor den Fenstern oder auf denen Altonen zur Ergötzung stehen hat, in denen Kellern sehr wohl vor der Kälte bewahret und überwintert ; doch müssen zu solcher Zeit die Lufft- und Keller-Löcher mit Stroh oder Dummung^) wohl verstopfet und

^) Über die Zubereitung des »Kumbus«, Kombus- oder Cappus-Kraut vgl. die Nürn- berger Haufs-Halterin S. 247 u. Schmeller- Frommann Bayer. Wb. I, 915, woselbst auch Gumpost, Gumpas, Kumpas, Kumpost etc. als gleichbedeutend angeführt werden. Es unterscheidet sich vom Sauerkraut dadurch, dafs es, nach der Haufs-Halterin, nicht wie dieses fein geschnitten, sondern das »Häuptlein« nur in vier Stücke geteilt und diese in einem Fasse mit halb Wein und halb Wasser Übergossen wurden.

^j Düngung, Dünger.

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verwahret werden, dafs der rauhe Lufft nicht eindringe, und den Gewächsen Schaden bringe.«

Unser Keller erweist sich als ein hoher Raum, der wohl auch entsprechend trocken war. Durch eine vergitterte runde Öffnung im Gewölbe und ein vier- eckiges Fenster neben der Treppe fällt etwas Tageslicht herein. Weiter wird der Keller durch zwei an Pfeilern befestigte Kerzenträger erhellt , die mit Blenden versehen sind, und eine Lampe, die auf einem vom Gewölbe herab- hängenden viereckigen Brette bei der Treppe steht und diese erleuchten soll. In den Fässern sind die Vorräte an Wein, Bier und Essig, welche früher jede bessere Familie sich in den Keller legte. Drei Küfer sind mit diesen Flüssigkeiten beschäftigt. Einer derselben hat sich beim Abziehen des Weines etwas übernommen; er hat einen stillen Winkel aufgesucht, wird aber ohne sein Wissen von dem Hausherrn , der auf der Treppe steht , beobachtet. Auf der Bank in der Mitte des Kellers liegt neben dem Leuchter ein Heber und Werg für den Küfer; i-fin Hammer und ein Trichter stehen auf dem kleinen Bänkchen neben einem Kruge, in welchen der Küfer den Rest eines Getränkes giefst. Links an der Wand sind zwischen den Pfeilern Lager mit Obst und zwei Käslaiben, von denen der eine angeschnitten ist. Auf dem Lager an der rechten Seite befinden sich Schüsseln und Krüge , die einge- beiztes Fleisch, eingekochtes Obst, bezw. Schnäpse und ausländische Weine enthalten mögen. Zu beiden Seiten sieht man auch Lager, die an Seilen von dem Gewölbe herunterhängen , um die Speisevorräte vor dem Besuche von Ratten und Mäusen zu schützen. Die linke Hänge scheint ebenfalls Käslaibe zu bewahren, die rechte vielleicht Fleisch, Eingemachtes u. s. w. Die stehen- den Fässer unter der Treppe enthalten die verschiedenen Sorten Kraut, welche zu den Wintervorräten gehörten. Heute würde der Keller sicher auch noch ein Quantum Kartoffeln bergen; damals waren aber die »Tartuffeln« noch nicht sehr verbreitet , die man , wie Alwin Schultz '') berichtet , mit Baumöl einmachte und allerdings doch auch schon auf verschiedene Weise bereitete.

Geht man die Treppe des Kellers hinauf, so gelangt man auf

die Flur (Taf. III),

in Süddeutschland vielfach auch Tenne genannt. Ihren einzigen Schmuck,

ihr ganzes Inventar bildet ein Lüsterweibchen in Form einer Meerjungfer, das

von der Decke herabhängt. Die Flur ist ein Durchgangsraum um in die

übrigen Räumlichkeiten des Hauses zu gelangen. Ein Gang rechts führt in

den Hof; eine Frau mit einem Mädchen an der Hand kommt von demselben

herein. Letzteres hält in der Hand eine Blume; im Hintergrund sieht man

einen Baum, den die Ansicht des Hofes allerdings nicht aufzuweisen hat, der

aber vielleicht auf der Seite stand, von welcher der Hof aufgenommen wurde.

Der stattliche Herr mit Perrücke und Degen ist wohl der Besitzer des Hauses,

der sich lebhaft mit seiner Frau unterhält. Die Treppe herab kommt ein

5) Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Leipzig, S. Hirzel 1890, S. 190. Unsere Abbildungen sind treftliche Illustrationen zu diesem Werke, das wir allen Jenen, die sich für die Zeit, in die unsere Darstellungen fallen, interessieren, bestens empfehlen können.

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Mann, der über seine Arme gelegt eine Partie Kupferstiche trägt. Sie werden in die unten stehende geöffnete Kiste, auf deren Rand ebenfalls schon Stiche liegen , verpackt und dann versendet werden. Es ist unglaublich , welche Unmassen von Kupferstichen im vergangenen Jahrhunderte in Augsburg ge- fertigt und in alle Länder exportiert wurden. Der Kunstwert derselben ist meist ein nicht sehr grofser, doch befriedigten sie das künstlerische Bedürf- nis der grofsen Masse des Volkes vollauf. Ihr Preis wird ja wohl auch nicht sehr hoch gewesen sein. Für die Gegenwart hat ein grofser Teil dieser Blätter lediglich kulturgeschichtliches Interesse.

Die verschnürten Ballen neben der Kiste enthalten wohl Papier zum Drucke bestimmt. Bei dem an der Wand stehenden Ballen hat der Zeichner oben eine falsche Kontur gezogen, die er für den Stecher korrigiert hat. Die Kisten und Ballen erinnern daran, dafs in der Flur allerlei Geschäfte besorgt wurden, die man nicht gerne im Zimmer vornahm. Hier wurde Wäsche zusammen- gelegt, Gemüse geputzt, die Kinder spielten , und im Sommer setzten sich wohl die Frauen des Hauses mit ihrer Handarbeit in diesen kühlen Raum. »Für uns Kinder, eine jüngere Schwester und mich, erzählt Goethe*'), war die untere weitläufige Hausflur der liebste Raujn , welche neben der Thüre ein grofses hölzernes Gitterwerk hatte, wodurch man unmittelbar mit der Strafse und der freien Luft in Verbindung kam. Einen solchen Vogelbauer, mit dem viele Häuser versehen waren , nannte man ein Geräms. Die Frauen safsen darin um zu nähen und zu stricken; die Köchin las ihren Salat; die Nach- barinnen besprachen sich von daher miteinander.« Ein »Geräms« hatten die Augsburger Häuser zwar .nicht , sonst aber wurde deren Flur zu gleichem Zwecke benützt wie diejenige der Frankfurter.

Rechts vor dem an die Wand gelehnten Brette ist Brennholz aufge- schichtet. Folgt man der Magd links, die einen Zuber oder Kübel, süddeutsch Schaff, mit Wasser auf dem Kopfe trägt, so gelangt man in

die Waschküche (Taf. IV).

Dieselbe ist mit viereckigen steinernen Platten belegt; die Decke ist getäfelt. Aufser jener Thüre, zu welcher die Magd mit dem Kübel hereinkommt, welchen sie inzwischen vom Kopf herunter genommen, hat die Waschküche, in Süddeutsch- land auch Waschhaus genannt, noch zwei Thüren ; die eine führt in den Hof, in den auch das grofse Fenster geht, zu dem ein Mädchen hereinblickt, um zu sehen, was in der Waschküche vorgeht. Wohin die andere Thüre führt, kann nicht gesagt werden; in derselben ist ein Guckfensterchen mit runden, in Blei gefafsten Scheiben, unter demselben ein Brett zum hinaufklappen, auf welches die Hausfrau das Frühstück und andere Mahlzeiten für die Wäsche- rinnen gestellt haben mag. Denn nach Schultz ') besorgten das Waschen

6) Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit. 1. Band. Goethes Werke. (Weimarj 26. Bd., S. 12.

7) a. a. O. S. 151, woselbst auch die Einrichtung eines Waschhauses und der ganze Prozefs, der sich beim Reinigen der Wäsche vom Einweichen bis zum Aufheben in dem Wäschekasten abspielte, geschildert ist.

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besondere Wäscherinnen , die , wie es heute noch üblich ist , im Tagelohn arbeiteten und von den Dienstmägden unterstützt worden sein mögen. Von einem eigentümlichen Gebrauche der Wäscherinnen berichtet Schultz. Sie hatten nämUch einen -»Klinge-Beutel«, offenbar gleich jenen, die in den Kirchen gebraucht werden, welchen sie den Vorbeigehenden vorhielten, diese dabei um ein Trinkgeld zu Branntwein ansprechend. Ihre nasse Beschäftigung mochte sie für solchen besonders aufnahmefähig machen. In unserem Augsburger Hause konnte dieser Unfug nicht ausgeübt werden, da die Waschküche vernünftiger Weise auf den Hof und nicht auf die Strafse gieng. Die Frau mit dem Kopf- bunde , die den Deckel des einen Kessels in die Höhe hebt um sich nach der kochenden Wäsche umzusehen, mag eine berufsmäfsige Wäscherin sein.

Die beiden Waschkessel sind die Hauptausstattungsstücke des Wasch- hauses. Über ihnen befindet sich ein mächtiger Schlotmantel, auf dem die verschiedensten Gegenstände : ein Fafs , eine Decke , eine Säge , ein Hobel, ein Topf mit Teller und einem Kochlöffel , eine Pfanne , eine Schüssel , ein Bilderrahmen und eine Ofengabel friedlich vereint ruhen. Die Waschküche bildete also auch eine Art Rumpelkammer oder doch wenigstens den Auf- bewahrungsort für verschiedene Gegenstände, welche eigentlich mit dem Waschen nichts zu thun hatten; z. B. auch für die rechts an der Wand leh- nende Leiter, für das Sieb über der Thüre, und auch für den Sack, der an der Wand hängt, dessen Inhalt wir aber nicht kennen. Die Laterne, die in der Mitte der Decke hängt und der Leuchter auf dem Fensterbrett, waren sehr notwendige Gebrauchsgegenstände des Waschhauses, da man sicher da- mals, wie noch vor 30 und 40 Jahren, gleich nach Mitternacht zu waschen anfieng.

In der Ecke neben der Thüre, die in den Garten führt, stehen einige Stangen, die wohl zum Spreizen der Leine gedient haben, auf welcher die Wäsche getrocknet wurde. Über der Thüre mit dem Guckfensterchen ist ein Wandbord, vor derselben an der Decke ein Hängebrett, das leer ist, auf welchem aber irgend welche Gegenstände, die man vor vierfüfsigen Haus- bewohnern schützen wollte, ihren Platz fanden. Und nun ist noch der ver- schiedenen Kufen, Bottiche, Kübel, Schäffer, Zuber, Gelten und Wannen, die je nach der Gröfse, Form und Gegend diese abweichenden Namen führen, zu gedenken, von welchen eine Kufe der Küfer in Arbeit hat, der in unserem deutschen Vaterlande beinahe eben so viele verschiedene Namen hat, wie die Geräte, welche er herstellt. Denn aufser dem Namen Küfer führt dieser Handwerker auch noch den Namen Böttcher, Büttner, Kubier, Schäffler und Fafsbinder, letzteren mit den Unterarten Weifsbinder, die nur Gefäfse aus weichem Holze fertigen, Rotbinder, die solche aus Rotbuchen, und Schwarz- binder, die solche aus Eichenholz herstellen.

Den grofsen Bottich, dessen Reife der Küfer antreibt, benützte man zum Einweichen der Wäsche, das Schöpfkübelchen, das auf dem Tritte steht, auf welchen sich die Wäscherinnen stellen, um nicht nasse Füfse zu be- kommen, zum Ausschöpfen der Bottiche. Daneben steht eine Gelte, dahinter eine niedrige Kufe; das davor liegende Kübelchen mit dem langen Stiele

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diente zum Ausschöpfen von Gruben etc. Die an der Wand lehnende grofse Wanne hat eine Vorrichtung zum Ablassen des Wassers, nämlich einen langen Zapfen, der in der Röhre einer stärkeren Fafsdaube läuft und ein Abflufsloch im Boden verschliefst, durch welches das Wasser abfliefst, sobald der Zapfen in die Höhe gezogen wird. In der Wanne wird vorzugsweise das Fielen, d. i. das Ausspülen der Wäsche, vorgenommen. Vielleicht hat diese Wanne auch zum Baden, das Waschhaus auch als Badezimmer gedient. Unsere Nürnberger »Haufs-Halterin« sagt nichts von einem Waschhaus, sondern be- richtet in dem nachstehenden Texte über das Bad im Hause, dafs man zum Waschen irgendwo im Hofe einen Kessel eingemauert hätte, also wohl im Hofe wusch. Hiegegen fehlt dem Augsburger Hause das Bad. Es folgt daher, da es möglich ist, dafs die Waschküche auch als Baderaum benützt wurde, zur Ergänzung Dasjenige, was die »Haufs-Halterin« über das Bad berichtet. »Wo man ein Bad in den Häusern hat, findet man in den Ofen derselben einen grossen küpfernen Kessel eingemauret, um das benöthigte Wasser darinnen auf zu wärmen, welchen Kessel, wo man zum waschen nicht mit einen be- sondern dazu irgendwo in den Hof eingemauerten versehen, man hiezu eben- falls gar wohl gebrauchen kan ; übrigens mufs das Bad mit Bäncken um- geben und rings um mit Holtz getäfelt seyn , damit die Kälte nicht durch das Mauer-werck häufig eindringe, und man an einen Ort verbrenne, und an den andern fast erfröhre.

Nechst deme gehören auch in das Bad ein messing- oder küpfernes Laugen-Kesselein, den Kopf zu zwagen, ein und andere Bad- Wannen, hölzerne Schäfflein und Gelten, so wohl zu kalten Wasser, das allzu heisse damit zu temperiren und abzukühlen, als auch zu warmen Wasser, die Füsse darein zu setzen, wiewohl man gemeiniglich hiezu besondere aus Kupfer gemachte tiefe Fufs-Becken hat, welche man hiezu gebrauchen, und jedes mal aus der Küche hinab in das Bad zu tragen pfleget.«

Über das Waschen selbst verbreitet sich S. 483 ff. die »Haufs-Halterin«' ausführlich; es liegt jedoch kein Grund vor, an dieser Stelle näher darauf einzugehen.

Über die Lage der bis jetzt besprochenen Räume kann wohl kein Zweifel bestehen; anders ist es mit dem gröfseren Teil der übrigen Räume. Dafs der Bodenraum (Speicher) unter dem Dache sich befindet, und die zweite Flur nicht ebenfalls im Erdgeschosse, sondern nur in einem oberen Geschosse sein kann, nachdem die Flur des Erdgeschosses festgestellt werden konnte, wissen wir ja. Wir dürfen auch wohl annehmen, dafs die Mägdekammer und Wäsche- kammer in dem oberen Stockwerke untergebracht sind, aber wie wir die übrigen Räume : das Wohnzimmer, das Schlafzimmer, zwei zu Arbeitslokalen verwendete gröfsere Zimmer, die Küche und die Speisekammer, verteilen sollen, welchem Geschosse diese zuzuweisen sind, ist um so schwieriger zu entscheiden, als wir gar nicht wissen, wieviele Stockwerke das Haus unseres Künstlers über- haupt hatte. Eine alte Nummerierung der Blätter auf der Rückseite gibt hier-

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. IV.

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über ebenfalls keine Auskunft. Ingleichen geben die Räume selbst, die Thüren und Fenster derselben nur geringe Anhaltspunkte über die Lage der einzelnen Räume, da sie ja nicht alle von einer und derselben Seite gesehen, sondern offenbar von verschiedenen Seiten aufgenommen sind. Ein vollständiges drittes Geschofs ist aber nicht wohl anzunehmen. Wir sind aber doch nicht sicher, dafs wir das Richtige getroffen haben, wenn wir das Wohnzimmer und das Schlafzimmer in das Erdgeschofs, die beiden gröfseren Arbeitszimmer, Küche und Speisekammer in das obere Geschofs, die Magdkammer und die Wäschekammer in einem Aufbau auf die Mitte desselben verlegen.

(Fortsetzung folgt.)

Nürnberg. Hans Bosch.

Wissenschaftliche Instrumente im

germanischen Museum.

II.

Das Quadratum geometricum.

oll ein Grundstück aufgenommen werden , so kann die Aufnahme mit Stäben und der Mefskette geschehen, ebenso können Höhen in vielen Fällen direkt gemessen werden, die Aufnahme wird aber sehr vereinfacht, wenn die Messung von Linien und Winkeln kombiniert wird.

Mit den bisher besprochenen Instrumenten werden die Winkel graphisch aufgenommen und mit dem Mefsstich wird sogar sofort auf dem Felde ein verkleinertes Bild der aufzunehmenden Fläche gewonnen. Neben den Instru- menten zur graphischen Aufnahme stehen solche zur Messung der Winkel.

Winkel werden durch Kreisbögen gemessen, deren Mittelpunkt im Scheitel der Winkel liegt. Die Mafseinheit ist der Grad, der dreihundertundsechzigste eines Kreises, dieser wird in 60 Minuten und die Bogenminute wieder in 60 Sekunden geteilt. Neben der Teilung des Kreises in 360 ^ war in früheren Zeiten eine solche in 24 Teile in Gebrauch, welche man Stunden nannte und noch heute wenden die Markscheider in den Bergwerken Instrumente mit dieser Teilung an. Eine Stunde entspricht einem Winkel von 15 ". Sie wird wieder in Viertel, Achtel und Sechzehntel geteilt, oder auch in 15 Teile, was der Teilung des Kreises in Grade entspricht.

Die Bestimmung der Gröfse eines Winkels kann aber auch noch in der Weise geschehen, dafs man ihn als Bestimmungsstück eines Dreiecks, inson- derheit eines rechtwinkeligen Dreiecks auffafst. Die Verhältnisse, in welchen die Seiten des rechtwinkeligen Dreiecks untereinander stehen , hängen von der Gröfse der der Hypotenuse anliegenden Winkel ab, und umgekehrt ergibt sich die Gröfse dieser Winkel aus den Relationen der Seiten. Man bezeichnet diese Relationen als die trigonometrischen Funktionen. Sie müssen als bekannt vorausgesetzt werden, denn ihre Entwickelung würde an dieser Stelle zu weit führen.

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Sämtlichen trigonometrischen Funktionen ist es eigen, dafs einer gleichen Zunahme eines Winkels nicht eine gleiche Zu- oder Abnahme der zugehörigen Funktionen entspricht ; diese ändern sich vielmehr progressiv. Die Über- tragung dieser Progressionen auf eine Scala ergibt deshalb ungleiche Teile und ist selten ausgeführt worden, man hat vielmehr wie noch heute die Winkel nach Graden gemessen und die Gröfse der Funktionen , seit Erfindung der Logarithmen die letzteren aus den trigonometrischen Tafeln abgelesen.

Um aber eine gleichmäfsig fortschreitende Scala zu gewinnen, aus der man durch eine einfache Proportionsrechnung Entfernungen und Höhen er- mitteln kann, genügt es, ein rechtwinkeliges Dreieck mit beweglicher Hypo- tenuse zu konstruieren und die beiden Katheden nach gleichem Mafsstabe zu teilen. Auf einem solchen Instrumente kann man dadurch , dafs man die Hypotenuse um den Endpunkt der einen Kathede dreht, ein dem zu messen- den ähnliches Dreieck herstellen und erhält durch Messung einer Kathede des aufzunehmenden Dreiecks die zum Ansätze einer Propositionsrechnung nötigen Gröfsen. Eine Winkelmessung nach Graden findet dabei nicht statt.

Diesen Gedanken hat schon Ptolemaeus der Konstruktion seines Trique- trum zu Grunde gelegt. Das Triquetrum war aus drei Stäben zusammen- gesetzt, einem senkrechten um dessen oberes Ende sich als zweiter der Vi- sierstab drehte und einem dritten horizontalen mit Teilung versehenen , auf welchem der Visierstab je nach seiner Elevation verschiedene Längen abschnitt. Ein Zusammenhang zwischen diesem Instrumente und dem auf dem gleichen Grundgedanken beruhenden geometrischen Quadrat ist zwar nicht nachweis- bar, kann aber nicht unbedingt abgewiesen werden.

Die Zeit der Erfindung des geometrischen Quadrates konnte ich nicht ermitteln. Es wird von einigen als Erfindung Georgs von Peurbach 1423 1461 betrachtet, ist aber älter. Die Scalen der umbra recta und der umbra versa finden sich schon auf Astrola'bien des 13. und 14. Jahrhunderts und kommen noch auf WinkeUnstrumenten des 18. Jahrhunderts vor. Ihre Bezeichnung als umbra, Schatten, weist auf den gnomonischen Ursprung des Instrumentes hin.

Das geometrische Quadrat (quadratum geometricum) wurde namentlich zur Messung von Höhen benutzt, fand aber auch zur Messung von horizontalen Entfernungen sowie zu astronomischen Beobachtungen Anwendung.

Es ist eine quadratische Scheibe, auf welcher zwei zusammenstofsende Seiten in 12 oder in 100 gleiche Teile geteilt sind. Die Teilungslinien gehen von der gegenüberliegenden Ecke aus, treffen also unter verschiedenem Winkel auf die geteilten Strecken. Die beiden anderen Seiten, welche stets mit ihrer ganzen Länge in Rechnung gestellt werden , können ungeteilt bleiben. Die nebenstehende Figur 7, der ocularis radicalis demonstratio usus quadrantis von Levinus Hulsius aus Gent, Nürnberg 1596, entnommen, veranschaulicht die Teilung des Instrumentes. Sie ist hier eine doppelte, in 12 und in 100 Teile, die Teilungslinien der umbra recta und der umbra versa gehen von der Ecke a aus, die Teilung läuft von b und d nach c. Auf diesem Instrumente sind auch die Seiten a b und a d in doppelter Weise in 12 und in 100 Teile geteilt. Zugleich geben die Aufschriften an

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den Seiten an, was bei vertikaler Aufstellung des Instrumentes an jeder Seite abgelesen wird. Das Instrument enthält aufser der Teilung des Quadrates noch einen in 90 Grade geteilten Quadranten. Zum Visieren mufs eine um den Punkt a drehbare Regel (Diopterlineal), angebracht werden. Eine solche Regel ist jedoch nicht in allen Fällen vorhanden , ja sie dürfte , abgesehen von den Astrolabien nicht zur ursprünglichen Einrichtung des Instrumentes gehört haben. Es sind vielmehr bei den meisten älteren Instrumenten an einer der ungeteilten Seiten kleine Diopter angebracht; so an einem kleinen Qua- drat einfachster Art vom Jahre 1523, W. J. 26. Eigentum der Stadt Nürnberg,

Fig. 7. Quadratum geometricum nach Levinus Hulius.

an dem schönen Instrument von Christoph Schiefsler von 1596, W. J. 137, Fig. 9, sowie auf dem geometrischen Quadrat des Praetorius von 1571. W. J. 12., Eigentum der Stadt Nürnberg. Soll mit diesen Instrumenten gemessen wer- den, so mufs das ganze Quadrat so lange gedreht werden, bis die Seite mit den Dioptern in der Richtung der Visierlinie steht und die Neigung wird durch ein Pendel, das in der der Teilung gegenüberliegenden Ecke ange- häuft ist, angegeben. Während die Seiten des erstbesprochenen mit einer Regel versehenen Quadrates bei den Messungen horizontal und vertikal stehen, ist die normale Stellung des Quadrates mit feststehenden Dioptern über Eck und wird dasselbe bei den Messungen in positiver oder negativer Richtung aus dieser Stellung gedreht.

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Bei den Astrolabien ist regelmäfsig ein geometrisches Quadrat auf der Rückseite angebracht. Es findet sich schon auf einem alten arabischen Instrument unserer Sammlung W. J. 353. Figur 8 stellt ein Astrolabium aus dem 15. Jahrhundert W. J. 21, Eigentum der Stadt Nürnberg, dar. Die Stellung des Astrolabiums ist durch die Aufhängung an einem Ring gegeben, es kann deshalb das Pendel nicht zur Bestimmung eines Winkels benutzt werden und es wird statt desselben ein Diopterlineal angebracht, dessen Kante durch den Mittelpunkt geht. Das Quadrat ist auf den Astrolabien gewöhnlich zweimal in entgegengesetzter Richtung aufgezeichnet.

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Fig. 8. Geometrisches Quadrat auf der Rückseite eines Astrolabiums aus dem 14. Jahrhundert.

Eine einfache Überlegung zeigt, dafs die Teilung der umbra recta und umbra versa auf den Kreis oder auf Polygone übertragen werden kann. Schlägt man vom Ausgangspunkte der Teilungslinien einen Viertelskreis, welcher diese Linien durchschneidet, so wird dieser in eine der Teilung ent- sprechende Anzahl von Teilen geteilt, welche von beiden Enden gegen die Diagonale kleiner werden. Diese Art der Teilung findet sich auf den Quadranten, welche Apian 1533 in seinem Instrumentenbuch angibt und sie kommt auf dem Annulus sphaericus, sowie auf vielen Winkelinstrumenten vor. Fig. 9 stellt ein Instrument von Christoph Schiefsler in Augsburg von 1596, mit der Übertragung der Scalen der Umbra recta und Umbra versa auf den Kreis. W. J. 137.

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Wirft ein senkrechter Gegenstand seinen Schatten auf eine horizontale Fläche, so kann seine Höhe durch Messung der Länge des Schattens und durch die Bestimmung des Neigungswinkels der Sonnenstrahlen ermittelt werden, denn der Gegenstand, die Grundfläche und die Grenzlinie des Schattens umschliefsen ein rechtwinkeliges Dreieck, von welchem alsdann eine Seite und die beiden anliegenden Winkel bekannt sind.

Zur Vornahme dieser Messung wurde das geometrische Quadrat mit feststehenden Dioptern an der einen Seite benutzt und zwar anfänglich nicht in der Weise, dafs man durch die Löcher des Diopters nach dem Gipfel des Gegenstandes visierte, sondern indem man es so lange drehte, bis ein Sonnen- strahl durch beide Löcher hindurchfiel. War dies der Fall, so wurde durch die beiden Kanten des Quadrates und durch das Bleilot ein rechtwinkeliges

Fig. 9. Instrument von Christoph Schiefsler in Augsburg, mit der Übertragung der Scalen der Umbra recta

und Umbra versa auf dem Kreis. W. J. . .

Dreieck begrenzt, das dem zu messenden ähnlich war. War der Gegenstand höher, als die Länge des Schattens, so fiel das Lot in die umbra recta und die ganze Länge der Quadratseite entsprach der Höhe des Gegenstandes, der Abschnitt auf der umbra recta der Länge des Schattens.

Ist z. B. Fig. 10 das Lot auf den 25 Teilstrich der in 100 Teile ge- teilten Scala gefallen und hat der Schatten 42 Fufs Länge, so hat man folgende Proportion : 25 : 42 = 100 : x, und x, die Höhe des Turmes ist 108 Fufs.

Steht dagegen die Sonne tiefer als 45", so dafs der Schatten länger wird, als die Höhe des Gegenstandes , so fällt das Lot in die umbra versa und in diesem Falle entspricht die ganze Quadratseite der Schattenlänge, der

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Abschnitt auf der umbra versa der Höhe. Fällt der Faden auf 75 u. v. und ist die Schattenlänge gleich 240 Fufs, so haben wir folgende Proportion : 100 : 240 = 75 : X und x ist 180 Fufs.

Diese Messungsmethode erklärt die Ausdrücke umbra recta und umbra versa. Bei beiden wird mit dem Schatten operiert. Fällt das Lot in die umbra recta , so entspricht der Abschnitt thatsächlich der Länge des Schattens (umbra recta), fällt es in umbra versa, so entspricht er nicht der Schattenlänge, sondern der Höhe, daher umbra versa.

Das Verfahren war nur bei Sonnen- oder Mondschein anwendbar. Es mufste daher schon frühzeitig auch das Visieren nach dem Gegenstande An- wendung finden. Hiezu aber mufste es bequemer erscheinen, beim Visieren nicht immer das ganze Instrument drehen zu müssen, und man brachte eine drehbare Regel in dem Eckpunkte an, welcher den Scalen der umbra geg£n-

Fig. 10. Höhenmessung mittels des Schattens unter Anwendung des geometrischen Quadrates oder des Quadranten.

Überliegt. Die Quadratseiten wurden alsdann, wie oben bemerkt, horizontal und vertikal gestellt. Der Neigungswinkel der Regel war jetzt nicht mehr von der Sonnenhöhe, sondern von dem Abstände des Instrumentes und der Höhe des Gegenstandes abhängig. Um die Höhe richtig zu finden, mufs die Standlinie bis zu dem Punkte verlängert werden, in welchem sie von der rückwärts verlängerten Visierlinie geschnitten wird, oder es mufs, wenn sie nur bis zum Standpunkte des Instrumentes gemessen wird, die Höhe des letzteren der berechneten Höhe zugezählt werden.

Zur Messung von Entfernungen gibt Levinus Hulsius zunächst ein Ver- fahren an, das auf die Umkehr der Höhenmessung hinausläuft und das aus Fig. 11 B A T und BON ersichtlich ist. Hiebei wird statt der Grund- hnie die Höhe B A beziehungsweise B O mit dem Lot gemessen.

Ein zweites Verfahren aus zwei Ständen ist aus derselben Figur er- sichtlich, wo im Hintergrunde die Breite eines Flusses gemessen wird. Zu

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dieser Operation wird das Instrument horizontal auf dem Stab befestigt und so gestellt, dafs die eine Kante vom ersten Standpunkte nach dem anzu- messenden Punkt gerichtet ist; ferner wird mit der Regel eine auf dieser Visierlinie senkrechte Standlinie abvisiert und abgesteckt, auf dieser ein zweiter Standpunkt eingemessen und hier das Instrument aufgestellt. Die weiteren Operationen sind die gleichen wie bei der Höhenmessung.

Der Grad der Genauigkeit der Messungen mit diesem Instrumente ist kein sehr hoher, doch kann ein Fünfhundertstel der Gesamtscala schon bei mäfsig grofsen Instrumenten mit ziemlicher Sicherheit geschätzt werden.

Obiges wird genügen, um einen Begriff zu geben von der Einrichtung des geometrischen Quadrates und von seiner Verwendung in der Feldmefs-

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Fig. 11. Messung von Höhen und Enttornungen mit dem geometrischen Quadrat. Nach Levinus Hulsius.

kunst. Auf seiner Fläche sind gewöhnlich noch verschiedene Linien zur Be- stimmung der Höhe der Gestirne, der Sternstunden u. s. w. verzeichnet, worauf ich später zurückkommen werde.

III.

Distanzmesser (Tachometer).

Man nennt heute Distanzmesser solche Instrumente, mit welchen die Entfernung zweier Punkte von einem dieser Punkte aus gemessen werden kann. Man benutzt zur Messung gewöhnlich eine senkrechte Standlinie und da dieselbe gegenüber der zu messenden Länge sehr klein ist , haben diese

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Instrumente befriedigende Ergebnisse erst geliefert, Seit die Messung kleiner Winkel mittels Spiegeln oder Prismen sehr vervoUkommt ist.

Im Grunde aber ist die Messung einer Entfernung mit dem geometrischen Quadrat von zwei Standpunkten aus auch als Distanzmessung zu betrachten. Da man es hiebei in der Hand hatte , den parallektischen Winkel nach Be- lieben zu vergröfsern, konnten auch diese unvollkommenen Instrumente ziem- lich befriedigende Resultate geben.

Nachdem man gelernt hatte, mit der Ähnlichkeit rechtwinkeliger Drei- ecke zu operieren, lag der Gedanke um so näher Instrumente zu konstruieren, welche gestatteten , der Messung ein beliebiges Dreieck zu Grunde zu legen,

Fig. 12. Ähnliche Dreiecke. C A. B ~ C D E. Nach Leonhard Zübler.

als es in manchen Fällen unmöglich sein konnte, eine Standlinie zu finden, welche auf der einen Visierlinie senkrecht stand. Ist es nämlich möglich mit einem Instrumente (Fig. 12) das Dreieck C D E dem zu messenden Dreieck C A B ähnlich zu gestalten und i,st auf den Seiten des kleinen Dreiecks ein verjüngter Mafsstab angebracht, so kann man auf diesem sofort die Längen der Seiten C A und B A ablesen, wenn C E der Länge C B entsprechend eingestellt ist.

Wir besitzen ein derartiges Instrument (W. J. 1151) aus dem Ende des 16. Jahrhunderts (Fig. 13). Es ist bezeichnet Joachim Kreich zu Weyniar anno i599. Das Instrument besteht aus drei Regeln. Die eine feste

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. V,

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kann mittels einer Hülse auf einen Stab gesteckt werden, sie hat eine Länge von 25 cm, nahe an ihrem einen Ende an der Seite, an welcher sich die Hülse befindet ist ein Halbkreis angebracht, der in zweimal 90 Grade geteilt ist. Um den Mittelpunkt dreht sich eine zweite Regel von der gleichen Länge wie die erste. Eine dritte gleich grofse , der zweiten symmetrische Regel ist über einem gleichen Halbkreis angebracht und um dessen Mittelpunkt drehbar. Sie kann mit einer Hülse (Schlitten) auf die Grund- regel gesteckt und auf dieser verschoben werden. Über den Mittelpunkten der Halbkreise stehen drehbare Diopter und am Endpunkte jeder beweglichen Regel ist ein, Korn, über welches vom zugehörigen Diopter aus visiert wird.

Fig. 13. Distanzmesser von Joachim Kreich aus Weimar 1599. Germ. Mus. W. J. 1151.

Die Scalen sind mit einer Teilung versehen, welche eine doppelte Num-' merierung trägt, die erste geht vom Drehpunkte der Regeln aus und ist so der sechzehnte Teil mit 1 und mit 16, bezw. 2 : 32 u. s. f. bezeichnet. 1 : 16 Teile sind = 23 mm. Es ist eine Teilung in Fufs und Ruten, letztere zu 16 Fufs in ^. Die zweite Nummerierung bezieht sich auf doppelt so grofse Teile, also j^; die Ziffern 8, 16, 24 u. s. w. stehen jeweils um 8 kleine, be- ziehungsweise 4 grofse Teile von der ersten Nummerierung ab und zwar, so dafs der Beginn um 4 hinter den Drehpunkten zurückliegt. Der Grund dieser Verschiebung ist mir nicht klar geworden. Um die Länge der Standlinie richtig bestimmen zu können , ist auf dem Schieber eine vom Drehpunkte nach rechts laufende Teilung von 2\ Ruten in ~ aufgebracht. Man mufs also, um das verjüngte Mafs der Standlinie zu erhalten, den Anfang des Schiebers

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auf einen Teilstrich der Hauptregel stellen , der um 24 Teile gegen die zu fixierende Länge zurückliegt.

Das Instrument ist ungenau gearbeitet. Die Operationen mit demselben sind einfach. Zur Erläuterung mag Fig. 15 dienen.

Ist der Abstand A C zu suchen so wird das Instrument in A auf- gestellt und eine Standlinie angenommen, welche nach ihrer Richtung und Länge so zu wählen ist, dafs beim Visieren eine Kreuzung der beweglichen Regeln stattfindet. Auf diese Standlinie wird die Hauptregel eingestellt, die bewegliche Regel a. c aber auf die Linie A. C. Sie mufs in dieser Stellung

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Fig. 14. Instrument von Leonhard Ztibler in Zürich, 1614.

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unverrückt bleiben. Ferner wird der Schieber mit der zweiten beweglichen Regel so gestellt, dafs a b in dem Verhältnis von ~ oder j^ zu A. B steht, das Instrument in B aufgestellt und auf A zurückvisiert und endlich die Regel b c auf B C eingestellt. Die beiden beweglichen Regeln schneiden sich als- dann in Abständen a c und b o, welche den natürlichen Abständen propor- tional sind und es können diese von dem Instrument sofort abgelesen werden. Das Instrument verwirklicht einen einfachen und praktischen Grund- gedanken in ansprechender Weise und mochte in Fällen, in welchen es auf grofse Genauigkeit nicht ankam, gute Dienste leisten.

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Die Teilkreise bei a und b gestatten eine Messung der der Hauptregel anliegenden Winkel und somit auch die Berechnung des Winkels bei C.

Ein ähnliches Instrument hat Leonhard Zübler in Zürich 1614 angegeben und in einem Traktat: »Novum instrumentum geometricum , das ist kurtzer und grundtlicher Bericht , alle Weite , Breite , Höhe und Tieffe mit sonder- barem Vortheil, kunstlichem und gewifs auch von der Arithmetik unerfahrnen abzumefsen« beschrieben.

Das Instrument (Fig. 14) besteht aus einer Scheibe A B C D, welche etwas mehr als einen Halbkreis umfafst. Der Umfang ist von dem Durch- messer B A D ist in 180 Grade geteilt. Auf diese Scheibe sind zwei um

Fig. 15. Messung mit den Instrumenten von Zübler und Kreich. Nach L. Zübler.

den Mittelpunkt drehbare Regeln A E und A J angebracht, deren innere Kante den Mittelpunkt trifft. Die Regeln sind ihrer Länge nach in tausend Teile geteilt. Eine weitere Regel J, welche mit dem Instrument nicht in -fester Verbindung steht, trägt die gleiche Teilung. Das Instrument kann mittels einer Bussole mit Stundenteilung orientiert werden. Über dem Mittelpunkt ist ein nadeiförmiges feststehendes Diopter M errichtet, über den Innenkanten der drehbaren Regeln verschiebbare G und H. Am Ende der Regel J ist ein kleines Loch , mittels dessen sie auf die Diopternadeln aufgesteckt werden kann. Das Instrument wird auf einen Stab L von 4' Höhe aufgesetzt.

Die Messung gröfserer Entfernungen geschieht aus zwei Ständen Fig. 15. Dabei wird in A die eine Regel auf die Standlinie eingestellt, die andere auf

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den Gegenstand C. Die Regeln können durch Klemmschrauben festgestellt werden. Vom Standpunkt B aus wird zurück visiert, dann das Diopter an der Standlinie parallelen Regel der Länge dieses Linie entsprechend gestellt und nun das Diopter auf der anderen Regel so lange verschoben, bis es in die Visierlinie B C zu stehen kommt. Seine Stellung gibt dann die Länge A C in verjüngtem Alafsstab wieder.

Handelt es sich darum, den Abstand zweier unzugänglicher Punkte zu bestimmen, so werden ihre Abstände von zwei zugänglichen Punkten in der eben angegebenen Weise gemessen und zugleich die Winkel der Visierlinien. Das Verfahren entspricht der Mefstischaufnahme Fig. 2, mit dem Unter-

Fig. 16. Distanzmessung aus einem Stande. Nach Leonhard Zübler. 1614.

schiede, dafs die Linien und Winkel nicht gezeichnet, sondern durch die Stellung der Regeln bestimmt werden. Der gesuchte Abstand der zwei Punkte wird mit der losen Regel J. gemessen.

Kleinere Entfernungen können mit dem Instrument von einem Stand aus gemessen werden. Die Figur 16 bedarf wohl keiner Erläuterung. Bei Entfernungen über 200' wird der parallaktische Winkel zu klein und die Messung ungenau. Der Gedanke ist der gleiche, der den neueren Distanz- messern zu Grunde liegt.

Leonhard Zübler hat in seiner geometrischen Büchsenmeisterei noch ein z-weites ähnliches Instrument angegeben (Fig. 17). Wir besitzen ein

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Exemplar dieses Instrumentes (W. J. 1143), welches wahrscheinlich von Zübler selbst gefertigt ist, denn es stimmt ziemlich genau mit der Zeichnung und Beschreibung überein, mit Ausnahme einer Teilung, welche auf unserem Exemplar fehlt, Leider ist unser Exemplar nicht vollständig, es fehlen die Diopter, eine Regel und die Bussole.

Das Instrument als Winkelinstrument besteht aus zwei um einen Punkt drehbaren Regeln. Die eine (N M) kann mittels einer Stellschraube am Stativ auf eine bestimmte Richtung firiert werden. Ein dritter kürzerer Arm

Fig. 17. Winkelinstrument von Leonhard Zübler 1614, Tgl. Germ. Mus. W. J. 1143.

trägt an seinem Ende eine Bussole. Auf diesem Arme bewegt sich ein Schlitten , von dem aus zwei gleich lange Büge (Querstreben) nach den Regeln gehen, an welchen sie in gleichen Abständen vom Drehpunkt ange- schraubt sind, doch so, dafs das ganze System verschiebbar bleibt.

Das Instrument wird als Winkelinstrument wie als Distanzmesser in der gleichen Weise benützt, wie das vorhergehende. Eine direkte Messung des Winkels der beiden Regeln ist bei unsererri Exemplar nicht möglich. Nach Züblers Zeichnung findet sie auf einer auf dem dritten Arme ange- brachten Scala durch die Stellung des Schiebers statt. Eine indirekte

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Messung ist mittels der Bussole möglich. Auf dem dritten Arme ist eine weitere Scala, mittels deren die Regeln so gestellt werden können, dafs sie die Winkel der regelmäfsigen Polygone vom Viereck bis zum Fünfzehneck an- geben. Auch diese Scala fehlt bei unserem Instrument, dagegen trägt der mittlere Arm an seinem Ende drei Kaliberscalen für Eisen, Blei und Stein von 1 100 '- für artilleristische Zwecke. Die Messung geschieht mit den Spitzen der Regeln und der Schieber gibt das Kaliber an.

Die Bussole dient zur Orientierung des Instrumentes. Auf ihr kann die Lage der festen Regel abgelesen werden, wenn das Instrument geschlossen, also der Winkel N M R = 0 ist. Ist dann die bewegUche Regel auf einen gewissen Punkt eingestellt, so kann der Winkel der beiden Regeln mittels der Bussole berechnet werden, denn sie hat sich von der ersten Stellung bei geschlossenem Instrument um die Hälfte dieses Winkels gedreht.

Nürnberg. ' Gustav von Bezold.

Nürnberger Ratsverlässe Joachim Desehler

betreffend.

.elegentlich einer Besprechung des neuen Werkes von Karl Domanig: Portraitmedaillen des Erzhauses Österreich von Kaiser Friedrich III. bis Kaiser Franz II. (Gilhofer und Ranschburg, Wien 1896) in Nr. 1 und 2 des gegenwärtigen Jahrgangs der Bayerischen Gewerbezeitung habe ich u. a. ein paar neue urkundliche Nachrichten über den Nürnberger Klein- künstler Joachim Deschier, der sich vor Allem als Medailleur sein Zeichen ist ein aus J und D zusammengesetztes Monogramm ausgezeichnet hat, aus den im Kreisarchiv Nürnberg verwahrten Ratsprotokollen mitgeteilt, näm- lich:

[1537, II, laj 3. Mai 1537: Joachim Teschler den Bildhawer zu Burgern vmbs gellt annemen.

und [1554, VII, 19a] 24. September i554: Auff Joachim Teschlers bitlichs ansuchen sol man seiner dochter zu irer frumefs hochtzeit mit Wolffen Alichel ain abenttennzlein vergönnen. Hier folgen noch einige weitere auf Deschier oder Angehörige seiner Familie bezügliche Ratsverlässe, auf die ich im Laufe weiterer Studien über Nürnberger Medailleure, Goldschmiede etc. gestofsen bin und mit denen die Zahl der aus den Ratsprotokollen zu gewinnenden urkundlichen Nachrichten über unseren Künstler wohl als abgeschlossen gelten kann, denn zu Anfang der sechziger Jahre siedelte Deschier dauernd nach Wien über. Von Interesse sind diese Nachrichten unter anderm auch deswegen, weil wir aus ihnen er- fahren, dafs Joachim Deschier sich offenbar in zweiter Ehe mit der Künstler- familie Glockendon verschwägert hatte. Der mehrfach genannte Jörg Glocken- don, dessen Wittwe er heiratete, kann nur der Sohn des Illuministen Niko-

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laus (f 1534) sein, der 1547, als Johann Neudörfer seine »Nachrichten von Nürnberger Künstlern und Werkleuten« schrieb , noch am Leben war (ed. Lochner S. 143). Die Tochter, die sich 1554 mit dem Rechenmeister (auch »teutscher Schreiber« wird er zuweilen genannt) Wolf Michel verheiratete, stammte wohl aus Deschlers ersten Ehe , denn ^Michel wird nie direkt als Schwager der jungen Glockendone bezeichnet.

[1560, I, Abteilung 2, 9b] H. Mai iö60: Hannsen vnnd Gabrieln der Glockendhon gebrueder vnnd Irer Mit- erben Supplication soll mann Joachim Teschlern ytzo zu Wien einschliessen, vnnd schreiben, sich mit ersten hieher zuuerfugen vnnd die Erbschafft sach mit seinen Stiefkynndern an ein ort zupringen oder vfs wenigst ein Vol- mechtigen Anwaldt dartzu zuuerordnen, damit die Supplicanten lennger nit aufgehalten werden.

[1560, III, 33b] iO. Juli io60:

Alls sich Hanns vnnd Gabriel dj Glokendhon wider Wolffen Michln alls Irer Muter der Joachim Teschlerin seligen Testaments Executorn be- clagt, wie er nit Inuentiern, noch mit Inen Ires Mutterlichen Erbs halben abtheilen wolle, darauf sich dann gedachter Wolff Michl endtschuldigt, das sein Mitexecutor gemelter Joachim Teschler nit alhie vnd er one desselben beywesen den Inuentarium vnnd schulden nit richtig machen khönne, Ist der hanndel herrn doctor [34 a] Schurstaben vmb sein bedennckhen furge- halten vnnd vff sein mundtlich referirts bedenkhen den clagenden glocken- dhonen gesagt worden, Mann könn dem Wolff Michl vff sein gethane ent- schuldigung nichts auflegen, Sie möchten aber Ir notturfft Inn einer schrift verfasst Meinen herren vbergeben, die wolt mann dem Teschler zuschickhen, vnd Ine vff einen benannten Termin anheims eruordern, die sach richtig, zumachen, wo Inen aber der so lannge vertzug beschwerlich , möchten sie einen Anwaldt hindterlassen.

Hans und Gabriel Glockendon, die beiden schon volljährigen Söhne Georgs des jüngeren, hatten also ihren Wohnsitz aufserhalb Nürnbergs.

[1560, IV, 46 a] 7. Augusi 1560:] Welchergestalt Joachim Teschlern am Jüngsten geschrieben worden sich hieher zustellen zur handt suchen vnd widerbringen.

[1560, XI, 22 b] 4. Februar 1561: Wolff Micheln Rechenmaister alls Vormunder Jörgen Glockendhons seligen kynnder [d. h. also der noch unmündigen Stiefgeschwister seiner Frau] auf sein bitt zulassen, seiner pflegkinder Behausung kauflich anzu- nemen, doch vf ein vorgehennds angloben, das sein furgeben die warheit seye.

Einige sonstige Deschlers Schwiegersohn Wolf Michel betreffende Ver- lässe haben für uns hier kein weiteres Interesse.

Nürnberg. Th. Hampe.

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Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhunderts.

(Mit 14 Tafeln.)

(Fortsetzung:)

Das "Wohnzimmer (Taf. V).

inen anheimelnden Eindruck macht das Wohnzimmer, dessen Wände, ausgenommen die Ecke, an welcher der Ofen steht, bis zu zwei Drittel ihrer Höhe mit einfachem, aber hübschem Täfelwerk verkleidet sind. Sehr praktisch sind die mit demselben organisch verbundenen Sitze unter den Fensterbögen. Die Fenster befinden sich in tiefen, runden Bögen, sind aber rechteckig. Sie zeigen runde Scheiben in Blei gefafst, unten in jedem der beiden Flügel je ein kleines viereckiges Fensterchen, das für gewöhnlich zum Hinaussehen gebraucht wurde, um nicht immer die ganzen, grofsen Flü- gel aufmachen zu müssen. Um deren vollständige Öffnung zu ermöglichen, ist das Gesims des Täfelwerkes an der Stelle, wo es an das Fenster anstöfst, abgeschrägt.

Betrachtet man die Einrichtung des Zimmers , so fällt vor allem der mächtige Ofen auf. Er steht mit seinen zwei dünnen, aus gewundenem Stab- eisen gebildeten Füfsen auf einem, von hölzernem Rahmen umgebenen Pflaster. Der untere Teil, der Feuerkasten, der von aufsen geheizt wird und noch keinen Rost hat, wird durch Platten von Gufseisen gebildet, die hinten auf einem gemauerten Vorsprung an der Wand aufstehen. Die Seitenplatten zeigen in Relief ornamentiertes Rankenwerk, die vordere den Doppeladler, darüber die Kaiserkrone. Den Aufbau, der in seinem untern Teil eine Ofenröhre mit Thüre enthält, hat man sich aus schönen, grün glasierten, mit Nischen, Gehängen und anderem Ornamentwerk verzierten Thonkacheln hergestellt zu denken. Sehr stattlich ist die ornamentale Bekrönung des Ofens, welche etwas an die üppige, phantastische Ornamentik der grofsartigen Öfen des Augsburger Rat- hauses erinnert. Um den oberen Teil des Ofens geht eine Hänge , welche durch vier eiserne, von der Decke herabgehende, ins Rechteck gestellte Stäbe gebildet wird, durch deren Öffnungen runde Stangen geschoben sind, die an den Enden einen eicheiförmigen Knauf haben. Auf dieser Hänge wärmte man im Winter die Kleidungsstücke, die man anziehen wollte, und trocknete sie, wenn sie vom Regen und Schnee durchnäfst worden waren; die Hausfrau hängte wohl auch einen Teil der weifsen Wäsche hier nach dem Mangen auf, bevor sie in den Schränken aufgehoben wurde.

Neben, resp. hinter dem Ofen scheint noch ein kleines Schränkchen zu stehen; man sieht von ihm nur den Fufs, der eine Schublade enthält. An der hinteren Wand steht neben der Thüre , deren Rahmen mehrfache Ver- kröpfungen zeigt, ein Aufsatzschrank. Der untere Teil desselben besteht aus zwei Etagen, von denen jede zwei Thürchen hat, die mit geometrischen Figuren, wohl durch aufgesetzte profilierte Leisten hergestellt, geziert sind. Der Aufsatz enthält unten vier Schubladen , darüber zwei offene , mit einem

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. VI.

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Ornament gekrönte Fächer, in welchen Bücher, unten solche gröfseren, oben solche kleineren Formates, stehen. Vielleicht birgt auch der untere Teil des Schrankes Bücher , wohl vorzugsweise solche mit Kupferstichen , die dem Künstler, der dieses Haus bewohnte, Motive für seine Arbeiten lieferten, wenn er sie nicht gleich direkt nachgestochen hat, was damals in Augsburg ja flott betrieben wurde. Der Büchervorrat im bürgerlichen Hause zu Augsburg war aufserdem zu jener Zeit ein sehr bescheidener. Stetten ^) berichtet aus der Zeit nach dem dreifsigjährigen Kriege: »Hingegen las kein junges Frauen- zimmer etwas anderes als geistliche Bücher und den Calender.« Auch in der Zeit, in der unsere Bilder entstanden, wird es in Bezug auf die literarischen Bedürfnisse des anderen Geschlechtes noch nicht viel anders gewesen sein, denn von den Romanen, welche Alwin Schultz^) aufführt, werden wohl nicht sehr viele in das bürgerliche Haus gewandert sein. Die Aufserung des Ab- raham a. Sta. Clara über die müssigen Weibsbilder, welche verliebte Bücher lesen, wird auch die Meinung vieler ehrsamen Bürger Augsburgs gewesen sein.

Die Nürnberger »Haufs-Halterin«, welche die Töchter in allen möglichen Künsten und Arbeiten unterrichtet , sagt von der Lektüre der Mädchen gar nichts, und trotz ausführlicher Beschreibung aller Räume des Hauses, erwähnt sie von Büchern und ihrer Aufbewahrung nicht das Mindeste ; dagegen äufsert sie sich über das Studium der Töchter , also über eine Frage , die in der Gegenwart brennend geworden ist, in nicht uninteressanter Weise, weshalb die kleine Abschweifung , welche durch die betreffende Stelle hervorgerufen wird, entschuldigt werden möge. Sie schreibt :

»Betreffend nun auch das Studiren der Weibs-Personen, so ist die Frage ob ihnen solches zu zulassen.? solohe aber ist schon hin und wieder von den Gelehrten theils mit Ja, theils mit Nein beantwortet worden, meines Erachtens aber ist der Ausspruch mit einen mercklichen Unterschied zu machen : Dann es ist nicht zu laugnen, dafs man gar leicht einen zimlichen Catalogum von gelehrten Frauenzimmer, so sich hier und dar gefunden, und eine in diesem die andere in einem andern Studio rühmlich floriret habe, anführen könne; wann nun ihnen der liebe GOtt solche Gabe gleich den Manns-Personen ver- liehen, warum solten sie sich derselben nicht gebrauchen dürffen.f' allein man mufs hieriiien eine Unterscheid wie schon erwehnet machen , und auf den Stand und das Vermöge solcher Persone sehen ; In den bürgerlichen Stand eine Tochter zum Studiren anhalten wollen, erfordert ein grosses Capital, da- von sie ihre Unterhaltung Lebens-lang zu suchen wisse , dann wegen ihrer Studien, sonderlich, wo sie nicht mit ungemeiner Schönheit zugleich begabt, wird so leicht kein anständiger reicher Freyer sich einfinden , indeme die meinste mehr auf Geld und eine kluge Haufshalterin sehen , welches ihnen auch in solchem Stand nutzer ist, als waü eine dergleiche gelehrte Frau den gantzen Tag über den Büchern sitzet , die schönste Sonnette , Madrigal und Oden verfertiget; Zu deme wird sie auch mit allen ihre Fleifs und Studiren nicht viel gewinnen, weil sie gleich den Manns-Personen nicht zu öffentlichen

8) a. a. O. S. 163.

9) a. a. O. S. 133.

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Aemptern gezogen werden kan; sind nun die Mittel nicht sonders grofs, mufs sie zu all ihrer Wissenschafft Hunger und Kummer leiden, und wäre ihr besser gewesen, andere dem Weiblichen Geschlecht wohl anständige Künste, zumal die Wissenschafft einem Haufshalten wohl vorzustehen erlernet zu haben : Hohen Stands-Personen aber stehet das Studiren weit besser an, als welche nicht nöthig haben sich in Nahrungs-Sorgen zu verwickeln, noch mit Haus- Geschäfften umzugehen, sondern dazu ihre Hofmeisterinnen, Kammer- und Kuchen-Bediente haben, welchen solches oblieget, daher können sie auch den von GOTT ihnen verHehenen hohen Geist, desto freyer empor schwingen, und sowohl in der Edlen Poesi und Wohlredenheit, als auch in Historischen und Politischen Staats-Wissenschafften ihre Vergnügung und sich zu perfec- tioniren suchen , zumal sie an grosser Herrn Höfen tausenderley Gelegenheit haben, solches nutzlich anzuwenden.«

Nun wieder zurück zu unserem Zimmer. Rechts von dem Bücherschranke hängt an der Wand ein Waschapparat, bestehend aus einem hübsch ornamen- tierten Rahmen, in dessen Füllung ein wohl aus Zinn gefertigter ei- oder eichei- förmiger Wasserbehälter mit einem Hahnen hängt, aus welchem das Wasser in das darunter befindliche Becken fliefst , welches auf einer mit dem Rahmen organisch verbundenen Console steht. Das Waschschränkchen ist soweit oben an der Wand angebracht, dafs man es nur benützen konnte, wenn man sich auf einen Stuhl stellte, was man sicher nicht that. Vielleicht hat es der Künstler etwas hinaufgerückt, damit das schöne Möbel, das in der Gegenwart wieder so viele Freunde gefunden hat, durch den davor stehenden Knecht nicht verdeckt wird. Vielleicht war das Geräte aber damals schon aufser Gebrauch gestellt und durch ein tragbares Gestell ersetzt worden. Denn die »Haufs-Halterin« schreibt darüber bereits vom Jahr 1703: »Gleiche Beschaffenheit (d. h. dafs es mehr zum Schein als zum Nutzen dient) hat es auch mit denen aus Zinn ge- gossenen, und in einen besondern offenen Schrank eingefassten Hand-Fässern und Giefs-Behältern, welche noch von den werthen Alten herrühren, heut zu Tage aber auf eine gantz andere Art, und zwar ins gemein die Hand-becken in Form einer auf Kugeln ruhenden Muschel, der Aufgufs aber wie ein Wall- fisch, oder wie es sonst beliebt, gemachet, und auf ein besonderes Gestelle, so man mit dem daran abhängenden Hand-tuch hin und her tragen kan, ge- stellet werden.« Die Annahme, dafs das Augsburger Waschschränkchen schon antiquiert war, dürfte der Mangel eines Handtuches bekräftigen. Die ohr- muschelförmigen Verzierungen an den Seitenteilen des Rahmens deuten auch auf eine frühere Entstehung des Möbels, etwa auf die Zeit um 1630 1660 hin.

In der Ecke links von, der Thüre steht ein Tischchen mit sechseckiger Platte und geschweiften Beinen, auf demselben eine Vase mit Blumenstraufs. An den beiden Pfeilern zwischen den Fenstern und am Tische sieht man Stühle mit hoher Lehne, deren Sitz ebenso wie der die beiden Lehnenpfosten verbindende Teil mit Leder überzogen gewesen sein dürften. Die Pfosten des am Tische stehen- den Stuhles sind nicht gerade wie die beiden andern, sondern unten mit einer Krümmung versehen. Der Tisch ist von einfacher Art; die schräggestellten Beine sind gewunden und durch einen ziemlich breiten Untersatz zum Auf-

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stellen der Füfse verbunden. Die Tischplatte hat einen zwischen zwei Leisten sich bewegenden Schubkasten, der etwas herausgezogen ist. Ein sehr an- spruchsloser dreibeiniger Stuhl vor dem Ofen mit gedrechselter Lehne und ein Sessel neben dem Ofen , auf dem der Grofsvater sitzt , vervollständigen das grofse Mobiliar des Wohnzimmers. Das Fufsbänkchen vor dem Grofs- vater und der Stock in seiner Linken lassen vermuten , dafs der alte Herr von Podagra geplagt wird. Vielleicht haben ihm »gute Freunde« eine Auf- nahmsurkunde in den Orden der Podagristen zugesendet, womit man zu jener Zeit Leidende dieser Art gerne neckte.

Sieht man sich nach den kleinen Einrichtungsgegenständen und dem Zimmerschmuck um , die dem Raum erst ein wohnliches Gepräge verleihen, so fallen vor allem die zahlreichen Bilder auf, welche ringsum auf dem Ge- simse der Wandtäfelung stehen. Es sind wohl eingerahmte Kupferstiche, vielleicht auch die Vorlagen zu solchen : Zeichnungen und Gemälde. Zu er- kennen ist nur das Bild über dem Grofsvater, das ein Kreuz mit einem Kranz darstellt, und dasjenige in der ersten Fensternische mit dem Bildnisse eines Herrn. An demselben Pfeiler hängt schräg über dem Gesimse ein Spiegel mit reichgeschnitztem Rahmen, der noch dem 17. Jahrhundert angehören dürfte. An der Wand neben der Thüre hängt ein Hut (Dreispitz) und eine Taschenuhr , hinter dem Grofsvater ein Mantel und ein rundes geflochtenes Körbchen.

Von den Bewohnern des Zimmers ist des Grofsvaters bereits gedacht worden; auch den Knecht haben wir erwähnt, der einen gefüllten Korb her- einträgt. Neben ihm steht ein Spinnrocken. Alwin Schultz^'*) schreibt: »Im Hause beschäftigte sich die Dame, ihr Hauswesen in Ordnung zu halten. Noch war das Spinnen eine sehr geschätzte Arbeit ; in keinem Hause fehlte der Spinnrocken.« Dem widerspricht nun die Nürnberger »Haufs-Halterin« etwas, indem sie berichtet*^): »Auf das Spinnen haben unsere in Gott ruhende Alte sehr viel gehalten, so gar, dafs sie fast durchgehends alle junge Töchter dazu angehalten spinnen zu lernen, unter dem Vorwand, es sey eine Schande, wann nicht eine jede Tochter ihren Vater ein Hemd gesponnen habe . . . heut zu Tag aber ist es nur allein eine Arbeit vor die Mägde und alte Weiber, welche andern Verrichtungen nicht mehr wohl vorstehen können.«

In der Mitte des Zimmers sitzt im bequemen Hausanzug auf einem Schemel die fleifsige Hausfrau und wickelt Garn oder Wolle vom Garnwickel, in Süd- deutschland Haspel genannt, auf einen Knäuel. Das flache, geflochtene Körb- chen mit der Leinwand zu ihrer Linken, harrt auch ihrer flinken Hand. Am Tische, mit dem Rücken gegen das Licht, sitzt .der Herr des Hauses, auch in bequemem Hausanzug; er zeichnet wohl, da ein Tuschschälchen vor ihm steht. Dann hat das Zimmer auch noch einige vierfüfsige Bewohner: die Katze, die sich unter dem Ofen einen warmen Platz herausgesucht hat , und den Hund, der unter dem Stuhl neben dem Tisch hervorsieht. An der Decke endlich hängt ein Vogelbauer, in dem ein gefiederter Sänger seine lustigen

10) a. a. O. S. 182.

11) S. 471.

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Weisen ertönen läfst. Wie sehr man damals es liebte, Singvögel zu halten, bekundet der Umstand, dais auch in den beiden anderen Zimmern sich Vogel- bauer befinden und die Nürnberger »Haufs-Halterin« den singenden Vögeln, »welche man in Häusern zu halten pfleget«, einen ganzen Abschnitt widmet*^). Nachstehend folgt die Einleitung desselben, welche die Freude verrät, mit welchen man an diesen kleinen Hausgenossen hing.

»Die Vögel sehen einige lieber in der Schüssel als im Kefig , andere aber wählen vielmehr das Gegentheil, in deme sie sich an ihren angenehmen Gesang ergötzen, und defswegen das gantze Jahr durch ernähren, ob sie schon solcher ihrer Lust nur kurtze Zeit genüsen, in deme die wenigste das gantze Jahr durch singen, sondern die mehreste nur etliche Monat, doch gleichwohl findet man allhier gar wenige Häuser, worinnen nicht einige solcher singen- den Vögel anzutreffen , welche wir am füglichsten in dreyerley Sorten ein- theilen , nemlich in kleine , mittelmässige und grofse , oder in zwizerende, pfeiffende und singende ; ja es ist sich nicht wenig zu verwundern, dafs auch einige derselben so gelernig seyn, dafs ob sie schon von Natur einen wilden und unlauten Laut von sich geben, doch gleichwol es so weit bringen, dafs sie gewiese Melodien, Arien und Lieder pfeiffen, auch so nett und artig nach- ahmen lernen, dafs ein Unwissender behaubten sollte, sie würden auf einem Flagellet oder andern Instrument geblasen: Andere ahmen so gar menschliche Stimme in so ferne nach , dafs sie gewiese Worte und Reden auf das deut- lichste nachsprechen und ausreden lernen: diejenige aber, so zu diesen beeden ungeschickt, wissen sich durch allerhand andere Lust- und Gaukel-Possen angenehm und beliebt zu machen, in denen Häusern gedultet zu werden, und ihre Kost und Azung zu verdienen. Nun ist auch diese gar unterschiedlich, gleichwie auch die Gesang- Vögel unterschiedliche Arten von Kefigen erfor- dern, wann man sie zum Singen in denen Häusern halten will, weil aber dieses und jenes nicht allen bekannt, als wollen wir nebst der kurtzen Beschreibung eines jeden Vogels solches zugleich berichten.«

Dann folgt die Aufzählung und Beschreibung der einzelnen Vögel, ihrer Eigenschaften, Nahrung und Behandlung. Es werden angeführt als kleinere singende Vögel: die Meise, Kohl-Meise, Blau-Meise, Kobel-Meise, Zogel-Meise, Meisen-Mönche, Zeislein , Hänfling, Finck, Blut-Finck oder Gimpel, 'Distel- Finck oder Stigelitz , Emmerling und Rothkehlein; als andere wohlsingende Vögel kleinerer Art: Lerche, Nachtigall und Canarien- Vogel; als singende Vögel mittlerer Gröfse: Wachtel, Krumm-Schnabel , Mistler, Droschel und Amschel; als Vögel gröfserer Art: Hetze oder Atzel, Staar und Papagei. Aus- führlich wird namentlich die Zucht der Kanarienvögel und ihre Abrichtung zu allerlei Kunststücken behandelt.

Der Beschreibung dieses Augsburger Wohnzimmers folgt am*Besten zum Schlüsse noch Dasjenige, was die Nürnberger »Haufs-Halterin« über das Nürn- berger mitteilt. Teilweise stimmt es mit der wiedergegebenen Abbildung, teilweise mit jenen der folgenden beiden anderen Zimmer ; doch fehlt es selbstverständlich nicht an kleinen Abweichungen. Sie schreibt :

12) S. 899 ff.

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»Die Wohn-stube erfordert zum wenigsten zween, oder wann sie weit, drey Tische, davon der eine etwas grofs, und der Speifs-tisch genennet wird, weil man darauf täglich zu speisen pfleget, es hat selbiger gemeiniglich oben gegen der Thür über seine Stelle, oder aber wann es der Platz leidet, in der Mitte des Zimmers; der andere Tisch wird etwas abwärts gegen die Thüre zu gestellet, und dem Stuben- oder Kammer-menschen, oder wie man sie hier nennet, der Beschlieserin, darauf zu nehen, zu begeln, oder andere dergleichen Arbeit zu verrichten eingeraumet. Wo drey Tische in der Stube stehen, werden die beede kleinere gemeiniglich an die Wand also gestellet, dafs der eine, wie gedacht, etwas abwärts, auf einer, der andere aber hinaufwärts, an der andern Seiten nahe an dem Fenster zu stehen kommet, und der Frau zu Diensten bleibet , welche so sie dabey sitzet , zugleich einen leutseeligen prospect auf den Platz oder die Strasse haben kan: und weil solche Tische dann und wann beschwerlich, findet man hier in den meinsten Wohnstuben nechst am F'enster kleine Hang-Tischlein angemachet , welche man nach Be- lieben aufstellen und niederlassen, oder gar abheben und gantz hinweg nehmen kan. Zu solchen Tischen werden wenigstens ein halb Dutzend Stühle und zween Sessel erfordert , deren jene vor die, so mit bey Tisch speisen , oder sonst in der Stube eine sitzende Arbeit zu verrichten haben, diese aber vor die Herrschafft, und andere Bekannte aufser dem Haufs, wann sie ihre Einkehr nehmen, dienen.

In denen meisten Wohn-stuben allhier findet man ein mit den Täfel- werck fest-eingemachtes Wand- und Faul-bett, vielleicht von faullentzen also benamset, welches hoch aufgebettet, und mit einer säubern Decke überdecket, worauf zum Haubten ein grosses gantz dickes und starres Kissen angelehnet ist, entweder weifs bezieget, und mit einem schön-geneheten Blumen-Strich oder Borten verbremet, oder aber auf der untern Seite Ledern, auf der obern aber mit bunten Genehe gezieret, so allerley Laub- und Blumen-werck, auch öffters des Haufs-Patrons Wappen vorstellet , und werden diese Betten gar selten abgeraumet und gebrauchet, sondern dienen mehr zum Schein als zum Nutzen.« (Was an dieser Stelle über das Waschschränkchen gesagt ist, wurde schon weiter vorn mitgeteilt.)

»Ausser deme gehören auch in eine Wohn-stube ein oder zwey wohl- versperrte Behälterlein , welche man bey uns fast allenthalben, in die Wand schon eingemachet findet, in deren eines man den Tisch-Zeug, in das andere aber die Haufs-Mutter ihre zu denen andern Zimmern und Behältern in Hän- den habende Schlüssel , und das zur täglichen Ausgabe benöthigte Geld zu verschliesen und zu verwahren pfleget.

Den Aufbutz defs Wohn-zimmers betreffend, so bestehet selbiger vor allen in einen feinen Spiegel, welcher gemeiniglich gegen die Thür über, und zwar etwas schreg, auf zierlichen von Messing gedreheten, oder aus Zinn ge- gossenen Schrauben ruhend , gestellet wird , damit der Staub nicht so sehr darein falle, und man sich auch desto besser darinnen bespiegeln und be- schauen könne: Die Tische sollen mit schönen Teppichen überdecket, und die Fenster mit Vorhängen versehen seyn. Die Gesimse pfleget man ge-

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meiniglich mit Mahlereyen zu belehnen , manchmal Pyramiden , verguldete Kugeln, antiquische von Holtz geschnittene, oder nur von Gips gegossene Brust-Bilder, auch wohl von Porcellain gemachte grosse Schalen darzwischen zu stellen und aufzulehnen, wie es nemlich einen jeden beliebt , und dessen Zustand und vermögen leidet. Das vornehmste aber ist die Reinlichkeit, dafs m^n nemlich das Wohn-Zimmer so wohl als die andere sauber halte, durch die Mägde täglich auskehren, auch zu gewiesen Zeiten reinigen und säubern lasse, damit es nicht so wohl einer Wohnung der Schweine als vernünfftigen Menschen gleiche.«

Man geht wohl nicht irre , wenn man annimmt , dafs die Thüre des Wohnzimmers in

das Schlafzimmer (Taf. VI)

führt. Nimmt man an, dafs dieses von der entgegengesetzten Seite wie das Wohnzimmer dargestellt ist, so decken sich die Thüren dieser beiden Räume vollkommen. Auch in der Gegenwart liebt man es noch, dieselben neben- einander zu haben, damit das nicht heizbare Schlafzimmer im Winter etwas von der Wärme des Wohnzimmers abbekommt. Das Schlafzimmer ist ge- täfelt wie das Wohnzimmer ; es hat auch dieselben Fenster. Doch ist ein Flügel des einen durch ein Drahtgitter ersetzt worden, das den Zutritt frischer Luft gestattet, den Insekten aber den Eingang verwehrt. Die Decke zeigt ein grofses Feld, das wohl durch Stuckarbeit hergestellt ist, der Fufsboden quadratischen Bodenbelag, der aber kaum als steinern angesprochen werden darf. Das Hauptstück des Schlafzimmers ist, wie sich von selbst versteht, das Ehe- bett, ein grofses zweischläferiges Bett mit einem Himmel, der zu Füfsen von zwei gewundenen Säulen, zu Köpfen von dem Kopfende getragen wird, das architektonisch aufgebaut mit Säulen und Bogenstellungen versehen ist. Es ist hier wohl am Platze mitzuteilen, was die »Haufs-Halterin« über die Betten sagt, über welche sie sich, als über sehr wichtige Möbel, folgendermafsen aus- führlich ergeht:

»Wir wollen hingegen sagen von den hölzernen Betten, als welche dermahlen am meinsten im Gebrauch sind, selbige werden gar selten von gemeinen Holtz gemacht, ohne diejenige, so vor das Gesind gehören, sondern gemeiniglich von Eichen, und Nufs-baumen, oder von schwartz-gebeitzten, je zuweilen mit schönen Brasilien, oder auch wohl Eben-Holtz, eingeleget, manch- mal nur mit Leisten-werck , und Fillungen , je zuweilen mit zierlichen Laub, Früchten, Festinen, und Säulen, oder wohl gar mit Bildern und andern häuf- figen Schnitzv/erck, gezieret: man findet auch kostbare Betten, so zwar nur von gemeinen Holtz gemachet, aber mit stattlichen Gezeug überzogen sind, so mit den Tapezereyen defs Zimmers überein kommen.

Die Ehe und Sechswochen-Bette sind mit einen auf artiggewundenen Seulen ruhenden Zelt versehen, so entweder mit rauer Leinwat überzogen, und beedes in- und auswendig zierlich gemahlet, oder mit Tafend oder an- dern Gezeug überkleidet, und mit dergleichen Vorhängen umgeben, an den

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vier Ecken siehet man öffters gedrehete Spitzen oder Kugeln von Holtz, oder auch, nach Heydnischer und dem Alterthum abgeborgter Art gemachte und mit zierUchen Feder-büschen besteckte Blumen-Töpfe zur Zierde stehen: So wol an diesen, als andern Galanterie- und Prang-Betten, sind die bifs auf die Erde abhängende Vorhänge unten an den Saum herum , an gewiesen Orten mit Bley versehen, und also eingerichtet, dals sie von der darinnen ruhenden Person, mit einen einigen Zug rings herum gantz oder halb aufgezogen, und wie es beliebt , also bevestiget , endUch aber wieder niedergelassen werden können , welches dann nicht nur sehr bequem , sondern auch gar wol und zierUch in die Augen fallet. Wie die andern Arten der Betten beschaffen, ist bey dero Benennung schon guten theils angezeiget worden , und hier zu wiederholen unnöthig.

Was nun in so mancherley Arten der Bette geleget werde , sind mit einem Wort , Polster und Kissen : Es sind aber selbe entweder von Leder gemachet , und werden sonderlich zu denen Wand-Faul und Stuben-Betten gebrauchet , bevorab gerne in denen Studier-Stuben gefunden , um sich nur so gleich hin mit den Kleidern darauf zu steuern , und einer kurtzen Ruhe zu genüssen. Oder von Barchent, und die , so etwas kostbarer , linder und subtiler, von Bomesin ^^) gemachet, und mit leinenen weissen, oder auch blau und weifs-zierlich gemodelten Tuch und Kölnisch'^', oder die feinere Betten mit zarter Leinwat überzogen, auch auf der Seiten mit bunden Taffend oder Atlafs verbremet, die Zügen aber selbst mit artigen Blumen und Laub-werck in ein enges Gestrick genehet, so man hier zu Land Striche nennet, oder mit ge- wirckten Borten und Spitzen gezieret.

Aller Orten werden die Betten nicht auf einerley Art zugerichtet, son- dern an den meinsten Orten nur ein wenig auseinander getheiltes Stroh unten in das Span-bett eingeleget, mit einer Matratze, oder mit Watt, Baum- oder Scheer-woUe angefüUet- und abgeneheten Decke, und diese wieder mit einen Leylachen überdecket, unter den Kopf ein Polster und Haubt-kissen geleget, und zur Ober-decke wiederum eine Matratze , mit einen übergeschlagenen Leylachen aufgebreitet : Hier zu Nürnberg aber und an denen meinsten Orten Teutsches Landes wird das Stroh ordentlich , und zwar sehr fest zusammen gehefftet, in einen oder zween nach der Länge und Breite defs Bettes abge- messene Flache , und einer Spannen dicke zwilchene , oder von blau- und weissen Köllnisch verfertigte Säcke eingefüUet, und auf den Boden der Bett- statt geleget, ein oder auch wol zwey gute wohl angefüllte Unter-betten darauf gebettet, beedes ein Haubt- und Fufs-Polster etwas schreg angelehnet, alsdann ein Leylachen eingebreitet, und zwar so, dafs der Fufs-Polster darunter, der Haubt Polster aber darauf zu liegen komme, die Kopf-kissen schön hoch auf- gestellet, und das Deck-betten, woran noch einige ein überschlagenes Leylach hefften, aufgelegt. Diese letztere Art der Betten ist weit wärmer als die erste, auch viel linder und sänffter darauf zu ruhen als auf jenen, wie wol die Ge- is) d. i. Baumwolle, vgl. Schmeller-Fromr.i. BWB. I, 239.

14) auch Kölisch, Golisch, eine weifs und blau oder weifs und rot gestreifte oder gewürfelte Art Leinwand Schm.-Fr. BWB. I, 893.

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wonheit viel thut, und diese Betten denen Fremden anfänglich fremd vor- kommen , jedoch aber von einigen bald gewohnet und überaus sehr gelobet worden : Die Krancke bedienen sich bey uns etwas leichterer und nicht so schwer-angefüUter Deck-betten, auch sind viele gewohnet, zur heifsen Sommer- zeit die Deck-betten gar hinweg zu legen, und an deren statt sich mit einer Matratze oder zierlich abgeneheten Decke zu bedecken.

Die Materie, womit die Kissen angefüUet werden, sind entweder Watt, Baum- oder Scheerwolle, und meinst zu denen Galanterie-Betten gebräuchlich; die ärmere Leute bedienen sich allerley Vogel-Federn, von welchen man vor- gibt, dafs man darauf nicht ersterben könne, welches aber ein falscher Wahn, und vielleicht daher rühren mag, dafs die arme Nothleidende aus Mangel ge- nügsamer Lebens-Mittel nach und nach sich abzuzehren , auszuschmachten, und auf ihren Sterb-Bettlein freylich lang zu liegen pflegen , bifs sie nach GOttes heiligen Willen , die ausgestandene Trübsalen dieser Zeit , mit der Freude der seeligen Ewigkeit verwechseln : Insgemein aber sind die Federn von den Gänsen zu den Betten die gebräuchlichste, wiewol auch grosse Herren sich solcher von denen Schwanen bedienen.«

Auffallend ist bei unserer Bettstatt, dafs die Vorhänge fehlen ; man geht wohl nicht fehl, wenn man annimmt, dafs sie der Künstler nur deshalb weg- gelassen hat , damit die Partie des Zimmers hinter der Bettstelle nicht ver- deckt wird. An der dem Beschauer zugekehrten Langseite des Bettes steht ein Kasten, der eben so lang ist wie dieses und als Tritt diente, um in die hochaufgetürmten Kissen , den Stolz der Hausfrau , zu gelangen. Benötigte man doch nach der »Haufs-Halterin« zu einem Nürnberger Eehebett 125 Pfund Federn zu zwei Unterbetten , einem Kopfpolster und einem Fufspolster und 30 Pfund Federstaub zum Deckbett, zu zwei Kopfkissen und zwei »Bauch- Küfslein«, also zusammen 155 Pfund Federn für ein zweischläfriges Bett! Der Tritt war wohl zugleich Truhe, diente aber auch als Sitzbank. Die zwei Tassen, die auf ihm stehen, dürften das Frühstück für Mann und Frau ent- halten haben. Zu Füfsen des Bettes steht ein Schränkchen in der Höhe des Fufsendes derselben. Solche Schränke sind namentlich auch in Ulm in Ge- brauch gewesen, wo sie den Namen »Fufsnet« oder »Fufsnetkasten« führen. Das Schränkchen hat an den Seiten eiserne, bewegUche Griffe , um es leicht von einem Ort zum andern transportieren zu können. Es diente zum Aufbe- wahren der Bettwäsche und zum Auflegen der einzelnen Bettteile beim Machen des Bettes. Bei dem Griffe hängt ein Kehrwisch. Die Platte, die auf dem Schränkchen steht und an der sich der Junge mit dem Messer zu schaffen macht, enthält w^ohl einen Teil des Frühstückes.

Neben der Bettstatt steht ein grofser Schrank mit drei Säulen , an der hinteren Wand ein etwas kleinerer, der dagegen reich verziert ist. Er dürfte, wie schon die gotischen süddeutschen Schränke zweigeschossig sein ; zwei Reihen Säulen mit Gebälken stehen je auf einem Sockel übereinander. Die Thüren enthalten architektonisch gegliederte Nischen. Vor allem aber fällt die reiche Bekrönung des Schrankes ins Auge, die früher wohl die meisten Schränke hatten, die aber höchst selten auf die Gegenwart gekommen ist. Der Schrank

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. VII.

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dürfte ein Erbstück gewesen sein, da er noch in die Mitte des 17. Jahrhun- derts zu setzen ist. Wie man sieht, besteht das MobiUar des Schlafzimmers neben dem Ehebette hauptsächlich aus Schränken. Es stimmt dies auch mit den Ausführungen der »Haufs-Halterin« über die Einrichtung der Schlafzimmer überein, die berichtet: »Jn die Schlaf-kammer gehöret das Ehe-bett , samt einen Behälter'^) zu dem alltäglichen weissen Gezeug, vor grofs und kleine, in allerley Fällen zu gebrauchen, auch pflegen viele ihre beste Sachen von Silber-Geschmeid, Kleinodien etc. in einem gleichfalls hiezu gehörigen, wohl- verschlossenen Schrank, so man defswegen den Silber-Behalter zu nennen pfleget, in dieser Kammer zu verwahren , weil man solchen allhier stets vor Augen hat, und nicht so leicht ohnvermerckt eröffnet werden kan, als etwan in einen andern Zimmer, darein man selten zu kommen pfleget : Es gehöret auch in diese Kammer ein kleines Artzney-Schränklein , damit man selbiges auf ereignenden Fall zur Hand haben, und daraus, was der zu Händen gestossene Zufall erfordert , hervor langen möge ; zuvörderst aber soll auch ein Nacht- stuhl vorhanden seyn , sonderlich so das gewöhnliche Ort etwas weit davon entlegen und entfernet ist.«

Ob das letztere Geräte vorhanden ist oder nicht, kann nicht mit Ge- wifsheit entschieden werden. Vielleicht ist es das Stück rechts im Vorder- grunde, auf welchem die hölzerne Büste mit der Perrücke des Hausherrn steht. Das Mobiliar vervollständigen noch zwei Tische : ein kleiner mit geschweiften Beinen neben der Thüre , auf welchem zwei Gläser stehen , welche Toilette- Artikel enthalten das eine wohl Puder, da an der Wand darüber eine Pu- derquaste hängt und ein grofser einfacher Tisch an der Wand zwischen den beiden Fenstern, der gekreuzte Beine, einen Tritt zum Aufstellen der Füfse hat und gedeckt ist. Auf ihm stehen ein Leuchter mit Licht und einige Gebetbücher, die dem Ehepaare beim Niederlegen und Aufstehen zur Verrichtung der häuslichen Andacht dienten. Der Herr des Hauses, der seine Strümpfe anzieht, sitzt auf einem dreibeinigen Schemel; »ein solcher dürfte auch der Frau als Sitzgelegenheit dienen. Eifrigst mit dem Auftrennen einer Naht beschäftigt, übersieht sie das Hündchen, das vor ihr sitzt und aufwartet. Auf dem Gesimse der Wandtäfelung stehen ausschliefslich Bilder. Das neben der Thüre ist ein Sinnbild der Auferstehung: aus einem Totenkopfe wächst eine Blume heraus. Die zwei kleinen daneben stellen Figuren dar , das am Pfeiler zwischen den Fenstern einen Herrn vor einem Vorhange stehend, also wohl ein Porträt, das in der Fensternische ein tanzendes Paar. Neben der Puderquaste hängt die Hausmütze (oder Schlafmütze.?) des Herrn, weiter vorn dessen Rock. Schliefslich ist noch der Glocke zu gedenken, die in der ersten Fensternische angebracht ist und den Bewohnern des Hauses Kunde von Denjenigen gibt, die Einlafs in dasselbe begehren.

Wenn nun auch weder die »Haufs-Halterin« in ihrer Beschreibung des" Schlafzimmers eine Waschgelegenheit erwähnt , noch unsere Abbildung eine solche zeigt, so ist trotzem doch wohl anzunehmen, dafs eine solche diesem

15) d. i. Schrank.

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Räume nicht fehlte. Sie mag an der Wand Platz gefunden haben , die auf der Abbildung nicht sichtbar ist.

Begibt man sich in das obere Geschofs, so kommt man zunächst wie- derum in einen

Vorplatz (Taf. VII),

von dem aus Thüren in die übrigen Räume des oberen Geschosses und eine Treppe in den von uns angenommenen Aufbau führt. Dieselbe herab kommt ein Knecht, der auf den Schultern einen Sack trägt. Der Vorplatz ist wie- derum sehr einfacher Art. Die Wände getüncht, der Boden mit viereckigen Platten, wohl aus Solnhofer Stein belegt, nur die Rahmen der Thüren sind etwas reich profiliert. Ein Kronleuchter oder Lüsterweibchen ist nicht vor- handen, sondern nur ein Wandarm. Aufserdem besteht die Ausstattung der obern Flur nur noch aus einem runden Tischchen mit gedrehtem Fufs , auf und neben welchem einiges Geschirr steht, und einem Gemälde über der Zimmerthüre rechts, w^elche ein Stillleben, Hut, Kanne, Glas und Früchte darstellt. Eine IMagd mit Besen, Kübel, Kehrwisch und Schaufel macht den Vorplatz rein. Im Hintergrund rechts in einer offenen Thür hat ein Mann ein Buch in der Hand, links trägt ein Mann Holz, wahrscheinlich in die Küche, wie später dargethan werden wird. Ein Hündchen zeugt von der grofsen Vorliebe damaliger Zeit für Tiere.

Über der Thüre links befindet sich ein länglich rundes Fenster mit ver- bleiten runden Scheiben, ein sogenanntes Ochsenauge, das von dem Lichte des Zimmers etwas an den Vorplatz abgeben soll. Ein ebensolches Ochsen- auge hat über der Thüre

das Wohn- und Arbeitszimmer (Tafel VIII).

Man kann also annehmen , dafs dieses Zimmer an den vorstehend be- schriebenen Vorplatz stöfst. Es ist gleichfalls mit Wandtäfelung versehen, wie die übrigen Zimmer, und nur die Wand, an welcher der Ofen steht, ist in üblicher Weise von solcher frei. Der Fufsboden ist quer gebrettert, die Decke quer getäfelt. Die Fenster zeigen dieselbe Form und Gröfse wie diejenigen in dem erstbeschriebenen Zimmer, die Fensternischen sind mit Bänken ver- sehen. Das erste Fenster hat eine grofse Blende von Papier oder Leinwand, die das Licht dämpft , welches auf die Platte fällt , an welcher der Kupfer- stecher arbeitet. Die Platte liegt auf dem Tische am Fenster, neben ihr steht ein Spiegel, welcher die Vorlage im negativen Sinne wiedergibt , in dem sie auch gestochen wird , damit das Bild beim Abdrucke wieder in positivem Sinne kommt. Dabei liegen Stichel und ein Lineal und steht ein Töpfchen mit einer Feder. Der Tisch selbst hat breite , aus Brettern ausgeschnittene Füfse, die nach aufsen und innen ein durch aufgesetzte Leisten gebildetes rechteckiges Feld enthalten. Sie sind durch einen Steg und unten durch einen Fufstritt verbunden. Der Tisch stand auf diese Art wohl sehr fest, was der Künstler im Interesse seiner Arbeiten wünschen mufste. Die Tisch- platte hat durch Abschrägung der Ecken eine achteckige Form erhalten.

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Ein zweiter Tisch mit gespreizten, gedrehten Beinen, die ebenfalls durch einen Fufstritt verbunden sind, steht rechts in der Ecke; ein dritter links an der Thür. Dieser hat gekreuzte, durch einen Steg und Fufstritte verbundene Füfse. Er ist gedeckt ; auf ihm steht eine Kanne, eine Flasche , wohl aus Zinn , und ein Becher. Zum Mobiliar gehören ferner eine Bank , die an der Wand im Hintergrunde entlang läuft, drei Stühle mit hohen Lehnen, wie sie auch im Wohnzimmer sich finden und im Hintergrunde ein von diesen ab- weichender Stuhl mit Seitenlehnen. Neben diesem Stuhl, auf den Ofen zu, steht ein wiegenähnliches (?) Gestelle , von dem eine Decke herabhängt und auf dem ein Körbchen mit Wäsche sich befindet. Der Ofen stimmt in Auf- bau, Ornament und Material vollständig mit jenem des Wohnzimmers überein; auch er ist mit einer Hänge umgeben. Hinter dem Aufsatz des Ofens steht eine Kanne und hängen zwei Würste.

Weiter sind zu erwähnen drei Schemel verschiedener Form; auf zweien derselben sitzen Knaben , von denen der eine eifrig mit Zeichnen auf einer Tafel beschäftigt ist, die er auf den Knieen hält. Neben ihm steht auf dem Fufsboden ein Schälchen mit darauf liegendem Pinsel. Der andere Knabe, der seine Füfse auf ein Fufsbänkchen stützt , blättert in dem auf seinem Schofse liegenden Buche und blickt auf die Zeichnung mit der Darstellung eines Mannes, die auf dem kleinen Pulte liegt, der vor ihm steht. Dieses nette Möbel hat unten drei grofse und oben zwei kleine Schubladen. Die Knaben sind wohl keine LehrUnge -des Kupferstechers, sondern Schüler, denen er Unterricht im Zeichnen gibt. Bestärkt werden wir in dieser Annahme durch die Sanduhr, die auf dem dritten der Schemel steht; wenn sie abge- laufen, war die Zeichenstunde vorüber, die Schüler entfernten sich, um viel- leicht anderen Platz zu machen. An der Thüre selbst steht, die Rechte auf den Drücker des schönen Schlosses legend, der Herr des Hauses, eine statt- liche Figur, in seinem Galaanzug. Der Mantel, den er an hat, sagt, dafs er im Begriffe ist , auszugehen. In der Linken hält er eine Rolle. Auch in diesem Zimmer fehlt es nicht an Tieren. Am erstbeschriebenen Tische sitzt der Hund bei seinem Frefsnapf, im Hintergrunde sieht man zwei Katzen, von welchen eine munter unter dem Ofen hervorspringt, an der Decke hängt ein Vogelbauer.

Noch ist der übrigen Stücke zum Schmucke des Zimmers zu gedenken. In stattlicher Anzahl sind die eingerahmten Bilder vertreten , die auf dem Gesimse der Täfelung stehen. In der ersten Nische sieht man einen Baum, am Pfeiler darneben den gekreuzigten Heiland, am nächsten Pfeiler hängt in ver- ziertem Rahmen ein schräg gestellter Spiegel. Die Darstellungen der Bilder im Hintergrunde lassen sich nicht genau feststellen. Neben der Thüre hängt schräg eine Landschaft mit grofsem Hause, auf die Thüre selbst ist ein Blatt angenagelt mit einer weiblichen Figur in Zeichnung oder Stich. Auf den Bänken liegen und stehen Bücher, wohl Kupferwerke, an der Wand im Hihter- grunde hängen zwei Röcke, eine Perrücke und ein Dreispitz. Das Hörn, das dort ebenfalls Platz gefunden, läfst den wackern Meister auch als Freund der edlen Frau Musica erkennen.

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Von Wichtigkeit für die Orientierung in diesem Hause ist das vier- eckige Fenster mit den runden eingebleiten Scheiben. Es führt nämlich in die Küche, der Tisch mit seinen Gefäfsen, der davor steht, wird dadurch als Anrichte oder Servirtisch legitimiert.

(Fortsetzung folgt.)

Nürnberg. Hans Bosch.

Zwei Handzeichnungen des Wolf Huber im Germanisehen Museum.

(jGjp^^jJen Anlafs zu folgenden Zeilen gab das unter Nr. 1 abgebildete Blatt, ^)m^^M^. (Hdz. 2430) das bisher unter den unbekannten ^Meistern eingereiht war, und das ich, auf Grund stilistischen Vergleichs, dem Passauer jMeister Wolf Huber zuschreibe. Am nächsten steht ihm die unter Nr. 2

Fig. 1.

abgebildete Handzeichnung (Hdz. 161), die auch W. Schmidt, der genaueste Kenner und Entdecker W. Hubers , laut handschriftlicher Notiz unserem Meister zuschreibt.

Das erste Blatt gibt uns den Einblick in ein Thälchen, das ein von Bäumen umgebener Bach durchzieht. Ein Haus , sowie weiter im Hinter- grund eine Burg auf einem kleinen Hügel ragen aus den Bäumen. Den

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ssen einer Seite ein verjügter ]\Iafsstab angebracht ist. Dieser Kompafs rd in ein Kästchen von 2 Fufs Länge so eingesetzt, dafs dessen Lang- ten der Südnordlinie de^Kompafs parallel sind. Der Kompafs wird mit lem Schiebedeckel bedecl, auf welchem ein Notizblatt befestigt werden nn. An der Seite des Kstchens ist eine drehbare Regel angebracht.

Pfinzings Traktat ist bsonders dadurch von Bedeutung, dafs er einen lauen Einblick in die ^Nlchode der Landaufnahme im 16. Jahrhundert ge- hrt. Er gibt an, wie di Messungen zu Fufs, zu Pferd und zu Wagen ^geführt werden und erläiert seine Ausführungen durch anschauliche Bilder.

Die Winkelmessungenwerden alle aus freier Hand, d. h. ohne dafs das trument auf ein Stativ gesetzt wird, vorgenommen, die Entfernungen rden abgeschritten.

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F. 18. Feldbussole von Paul Pfiiiziug.

sieht man nach der Stnde, welche die Nordnadel angibt und notiert diese dem Notizblatt. Danrwird der Abstand der beiden Punkte abgeschritten, lieser Weise wird dasganze Grundstück Umschriften. Das Verfahren zu i ist das gleiche, bei Berechnung der Entfernungen werden die Schritte rechten Vorderfufses gezählt. Der Schritt des Pferdes mufs gleich zwei ■itten des Mannes sei} denn nicht alle Wege können zu Pferd gemacht der Reiter mts alsdann absteigen und die Entfernung abschreiten, ^so ein Pferc verwenden, dessen Schritt sich dem des Mannes ^m Schlufs lieses Kapitels bemerkt Pfinzing allerdings, »dafs Feldmeser finden wird, dafs sie gänzlich auf den Schritt ^schon bweilen der Meinung gewesen, so fallen sie doch en, chnur oder Grad und messen das Land nach der id ire Wege so schwer und unannehmlich gewesen, lüde geworden und ganz davon gelassen.« -sten Aufnahme sind die Hauptpunkte und Linien Sind sie auf dem Papier eingetragen, so wird

"rman. Nationalmuseum. 1897, VIII.

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Hintergrund nimmt aufsteigendes Hochgelrge ein. Die Zeichnung ist, von 1520 datiert, flott ausgeführt mit bläulich issender Feder. Sie stammt aus dem ältesten Bestand des Museums, da sie och die Aufsefs'sche Marke trägt. Die andere Zeichnung (Abb. 2) trä,[ ebenfalls die alte Aufsefs'sche Marke und stimmt in Technik und Ausführug mit dem ersten Blatt stark über- ein. Nur finden wir neben der bläulichen "inte noch einen bräunlichen Ton, in dem auf der unteren Abbildung die Häsergruppe links, die Burg rechts sowie ein Teil der Bäume in der Mitte gaalten sind. In der oberen Ab- teilung ist bräunlich gezeichnet die Burggrppe rechts, sowie der am Rande

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des 16. Jahrhunderts (abgebildet bi Eye und Falke, Kunst und Theben der Vorzeit 1868, II 75) bereits unserei Meister zugeschrieben. Wolf Huber war uns bis vor wenigen Jahren nur ekannt durch seine im P. Behaim'schcn Manuskript von 1618 erwähnten lolzschnitte (vgl. Bartsch VII 485 Pass. I 230. III 305. Wessely Repertor VI 61) W. Schmidt hat zuerst (Repertor. XI 358) die teilweise datierten und eistreichen Federzeichnungen zu Budapest, München, Nürnberg, Erlangen, D.vsden und Berlin besprochen. Er hat die früher dem Altdorfer zugeschriebena Blätter herausgehoben und in ihrer Eigen- art charakterisiert.

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Hintergrund nimmt aufsteigendes Hochgebirge ein. Die Zeichnung ist, von 1520 datiert, flott ausgeführt mit bläulich lassender Feder. Sie stammt aus dem ältesten Bestand des Museums, da sie noch die Aufsefs'sche Marke trägt. Die andere Zeichnung (Abb. 2) trägt ebenfalls die alte Aufsefs'sche Marke und stimmt in Technik und Ausführung mit dem ersten Blatt stark über- ein. Nur finden wir neben der bläulichen Tinte noch einen bräunlichen Ton, in dem auf der unteren Abbildung die Häusergruppe links, die Burg rechts sowie ein Teil der Bäume in der Mitte gehalten sind. In der oberen Ab- teilung ist bräunlich gezeichnet die Burggruppe rechts, sowie der am Rande rechts ansteigende Hügel. Diese beiden Handzeichnungen bilden mit den

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Fig. 2.

übrigen im Museum befindlichen desselben Meister eine hübsche Serie, die einen lehrreichen Einblick in die Kunst Hubers gibt, dieses hervorragenden Landschaftszeichners. Es seien erwähnt die 1519 datierte Federzeichnung »Ingol- stat«, eine flüchtig aber geschickt und charakteristisch gezeichnete Silhouette des Stadtbildes (Hdz. 2339j, ferner Baumstudien auf rotbraun getöntem Papier in gelb und weifs gehöhter Federzeichnung (Hdz. 370), ganz in der Weise Alt- dorfers, aber wohl auch von Huber herrührend (auch Schmidts Autorität neigt sich dieser Annahme zu) und endlich die entzückend feine Federzeichnung, »W. H. 1510« den Mondsee darstellend (Hdz. 18), eine der bedeutendsten und künstlerisch hervorragendsten Landschaftszeichnungen aus dem Anfang

55

des 16. Jahrhunderts (abgebildet bei Eye und Falke, Kunst und Leben der Vorzeit 1868, II 75) bereits unserem Meister zugeschrieben. Wolf Huber war uns bis vor wenigen Jahren nur bekannt durch seine im P. Behaim'schen Manuskript von 1618 erwähnten Holzschnitte (vgl. Bartsch VII 485 Pass. I 230. III 305. Wessely Repertor. VI 61) W. Schmidt hat zuerst (Repertor. XI 358) die teilweise datierten und geistreichen Federzeichnungen zu Budapest, München, Nürnberg, Erlangen, Dresden und Berlin besprochen. Er hat die früher dem Altdorfer zugeschriebenen Blätter herausgehoben und in ihrer Eigen- art charakterisiert.

Weiterhin hat er das Werk des Meisters erweitert, er hat ihm den früher Grünewald zugeteilten Christus am Kreuze von 1503 in Schieissheim zuge- schrieben und endlich ein Altargemälde in der Pfarrkirche zu Feldkirch in Voralberg, eine auch urkundlich bezeugte Beweinung Christi, bezeichnet W. H. MDXXI, entdeckt (Kunstchronik N. F. IV. Sp. 46. Repert. XVI. 148).

Was nun unsere beiden oben mitgeteilten Handzeichnungen betrifft, so glaube ich mit meiner Zuschreibung an W. Huber der allgemeinen Aner- kennung sicher zu sein. Äufsere und innere Gründe sprechen dafür. Das- selbe Naturgefühl, dieselben stilistischen Eigenheiten, die Zeichnung der Berg- konturen, die Behandlung des Baumschlages, die Strichelung der Schatten, die auch von Schmidt hervorgehobene »zungenförmige Bildung des Ufers« erscheinen mir aufserordentlich charakteristisch für Huber. Was das Datum des 2. Blattes betrifft, so ist es, an und für sich undeutlich, in der Repro- duktion noch etwas verunglückt. Ich lese es aber für 1510. Ist dieses Datum recht, dann ist es für die Kunstweise Hubers immerhin sehr wichtig, da es den auf dem ersten Blatte von 1520 ausgebildeten reifen Stil bereits im Jahre 1510 aufweifst.

Nürnberg. Dr. Edmund Braun.

Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum.

IV. Bussoleinstrumente zu ^Vinkelmessungen.

ei den bisher betrachteten Instrumenten wurde die Gröfse der Winkel ^ entweder auf graphischem Wege bestimmt, oder dadurch, dafs sie als Bestandteile von Dreiecken behandelt wurden. Die Instrumente für die letzteren Aufnahmen waren zum Teil mit Gradbogen oder Scalen versehen, welche eine Messung der Winkel nach Graden ermöglichten. Diese Art der Messung ist die verbreitetste. Die neueren Instrumente, sowohl die Theodolite, als die Spiegelsextanten, ermöglichen einen sehr hohen Grad von Genauigkeit der Messung. Hier haben wir es mit älteren Instrumenten zu thun. Winkel können entweder einfach nach ihrer Gröfse gemessen werden oder es kann zugleich die Lage ihrer Schenkel gegen eine bestimmte Him-

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melsrichtung bestimmt werden. Als solche wird allgemein die Süd-Nord- richtung angenommen, welche jederzeit durch die Magnetnadel erkannt werden kann. Freilich stellt sich die Nordnadel nicht auf den Nordpol der Erdaxe, sondern auf den magnetischen Nordpol ein, sie gibt also nicht unmittelbar die Richtung der Erdmeridiane , sondern die der magnetischen Meridiane ; denn der magnetische Nordpol fällt bekanntlich nicht mit dem Erdpol zu- sammen. Man nennt die Abweichung der magnetischen Meridiane von den geographischen die Deklination. Die excentrische Lage des magnetischen Nordpoles bedingt, dafs diese Deklination für Orte unter verschiedener Breite oder Länge eine verschiedene ist. Überdies ist die Lage des magnetischen Nord- poles keine feste, sondern wechselt in langen Perioden, so dafs die Declination für einen bestimmten Ort keine konstante ist. Sie war beispielsweise für Paris im Jahre 1580 = 11" 30' östlich, 1633 = 0", 1814 = 22«' 34' westHch und nimmt seit dieser Zeit wieder ab. Aufser dieser saecularen Änderung der Deklination macht die Nadel noch täglich periodische Schwankungen von etwa 8 Bogenminuten. Endlich treten zuweilen magnetische Störungen ein, welche plötzliche Änderungen im Stande der Magnetnadel mit sich bringen. Alle diese Schwankungen beeinträchtigen die Genauigkeit der auf der An- wendung der Magnetnadel beruhenden Instrumente, welche man allgemein als Bussolen-Instrumente bezeichnet.

Die Bussole, die Büchse, in welcher sich die auf einer Stütze balancierte Magnetnadel befindet, ist mit einem entweder nach Graden oder nach Stunden geteilten Kreis versehen. Auf ihrer Grundscheibe sind die Haupthimmels- richtungen, gewöhnlich auch die Deklination, angegeben und Süd oder Nord fallen zumeist auf den 0,360" der Kreisteilung. In fester Verbindung mit der Bussole steht ein Diopter, dessen Visierlinie entweder die Drehungsaxe der Bussole be^w. der Magnetnadel schneidet oder seitlich an ihr vorüber- geführt ist. Die Visierlinie ist einer der Hauptrichtungen der Kreisteilung S. N. oder O. W. parallel.

Die Winkelmessung geschieht in der Weise, dafs das Instrument im Scheitel des Winkels aufgestellt und erst auf den einen, dann auf den anderen Winkelschenkel eingestellt wird. Bei diesen Einstellungen wird das Diopter und damit der Nullpunkt der Kreisteilung aus der Meridianrichtung herausgedreht, während die Nadel im magnetischen Meridian stehen bleibt und die Gröfse des Winkels anzeigt, um welchen das Diopter gedreht wurde. Die Differenz zweier Ablesungen entspricht der Gröfse des zu messenden Winkels.

Einfache Bussoleninstrumente waren schon im 16. Jahrhundert, vielleicht auch schon früher, in Anwendung. Einen solchen Feldmesserkompafs be- schreibt Paul Pfinzing in seiner Methodus geometrica 1598, deren Original- holzstöcke das germanische Museum bewahrt ^). Das Instrument (Fig. 18) besteht aus einem in einem quadratischen Holzstock von 13*2 cm Seiten- länge eingelassenen Kompafs mit Stunden und Viertelstundenteilung , an

1) Sie sind beschrieben im Katalog der Holzsstöcke von II. Bosch unter Nr. 391—435.

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dessen einer Seite ein verjüngter Mafsstab angebracht ist. Dieser Kompafs wird in ein Kästchen von V2 Fufs Länge so eingesetzt, dafs dessen Lang- seiten der Südnordlinie des Kompafs parallel sind. Der Kompafs wird mit einem Schiebedeckel bedeckt, auf welchem ein Notizblatt befestigt werden kann. An der Seite des Kästchens ist eine drehbare Regel angebracht.

Pfinzings Traktat ist besonders dadurch von Bedeutung, dafs er einen genauen Einblick in die Methode der Landaufnahme im 16. Jahrhundert ge- währt. Er gibt an, wie die Messungen zu Fufs, zu Pferd und zu Wagen ausgeführt werden und erläutert seine Ausführungen durch anschauliche Bilder.

Die Winkelmessungen werden alle aus freier Hand, d. h. ohne dafs das Instrument auf ein Stativ gesetzt wird, vorgenommen, die Entfernungen werden abgeschritten.

Der Feldmesser (Fig. 19), welcher eine Fläche aufnehmen will, stellt sich an einem Endpunkt derselben auf, setzt den Kompafs an die Brust, er- hebt die Regel und visiert nach dem nächsten Eckpunkt, hier einem Baum, in der Weise, dafs die Regel, der Stift, auf dem sie, wenn sie geschlossen ist, ruht, und der Baum in eine Linie kommen. Ist die Richtung einvisiert,

Fi^. 18. Feldbussole von Paul Pfiuzinsr.

SO sieht man nach der Stunde, welche die Nordnadel angibt und notiert diese auf dem Notizblatt. Dann wird der Abstand der beiden Punkte abgeschritten. In dieser Weise wird das ganze Grundstück umschritten. Das Verfahren zu Rofs ist das gleiche, bei Berechnung der Entfernungen werden die Schritte des rechten Vorder fufses gezählt. Der Schritt des Pferdes mufs gleich zwei Schritten des Mannes sein, denn nicht alle Wege können zu Pferd gemacht werden, und der Reiter mufs alsdann absteigen und die Entfernung abschreiten. Man mufs also ein Pferd verwenden, dessen Schritt sich dem des Mannes vergleicht. Am Schlufs dieses Kapitels bemerkt Pfinzing allerdings, »dafs man bei keinem Feldmesser finden wird, dafs sie gänzlich auf den Schritt gangen, ob sie schon bisweilen der Meinung gewesen, so fallen sie doch wieder auf ihre Ruthen, Schnur oder Grad und messen das Land nach der Elle aus. Darum sind ihre Wege so schwer und unannehmlich gewesen, dafs ihrer viele darüber müde geworden und ganz davon gelassen.«

Das Ergebnis der ersten Aufnahme sind die Hauptpunkte und Linien des aufzunehmenden Landes. Sind sie auf dem Papier eingetragen, so wird

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum, 1897. VIIL

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das Land ein zweites mal umgangen oder umritten und Gründe, Berge, Wälder, Dörfer u. s. w. »von der Hand und nach dem Augenschein darein gerissen.« Punkte, an welche man nicht gelangen kann, oder solche, »da es sich nicht gebühren will, gar hin zu reiten oder zu gehen,« wie ein hohes Gericht, werden, wenn es auf gröfsere Genauigkeit ankommt, mit dem Kompafs durch Messung aus zwei Ständen bestimmt.

Die Messung mit einem Wagen ist zuverlässiger, als die zu Fufs oder zu Pferd, weil der Umfang des Rades stets vollkommen konstant bleibt. Die

Fig. 19. Landaufnahme mit der Feldbussole von Paul Pfiuzing.

Umdrehungen des Rades werden durch einen Bewegungszähler, der auch als Schrittzähler für Mann und Rofs dienen kann, gezählt. Im übrigen ist das Verfahren das gleiche wie zu Fufs oder zu Rofs.

' Man sieht, dais die Anforderungen an die Genauigkeit der Aufnahmen noch sehr weit hinter denjenigen unserer Zeit zurückstanden. Die Aufnahmen Pfinzings von den Nürnberger Pflegämtern, deren mehrere im kgl. Kreisarchiv zu Nürnt)erg verwahrt werden, beweisen indes, dafs das Ergebnis keineswegs so mangelhaft war, als wir erwarten. Auch hätte sich die Methode nicht bis zum Schlufs des 16. Jahrhunderts, also in eine Zeit, da sowohl genauere

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Winkelinstrumente, als auch der Mefstisch schon in Anwendung waren, er- halten können, wenn ihre Ergebnisse allzusehr hinter den mit jenen Instru- menten erreichten zurückgeblieben wären.

Zum Auftragen der Aufnahmen verwendet Pfinzing entweder das Kom- pafskästchen selbst oder ein besonderes Instrument, das mit einem Stunden- kreis und Zeiger versehen an eine Reifsschiene angeschraubt werden konnte.

Genauere Ergebnisse lieferte die Aufnahme , wenn das Instrument auf ein Stativ gesetzt und der Abstand der verschiedenen Standpunkte gemessen wurde. So hat sich der Feldmesserkompafs oder die Feldbussole in wenig veränderter Form bis ins 19. Jahrhundert erhalten. Wir besitzen einen Feld- messerkompafs von Quillet in Paris aus der zweiten Hälfte des 18. Jahr- hunderts (W. J. 1049.)

Das Instrument besteht aus einem hölzernen Kästchen von 16 cm Seiten- länge, in welches eine Magnetnadel von 106 mm Länge eingesetzt ist. Der Limbus ist von links nach rechts laufend in 360" geteilt. Auf der Grund- fläche der Bussole befindet sich ein zweiter Teilkreis , der von Süden und Norden aus in 4 Quadranten mit Gradteilung geteilt ist. Die Orientierung geschieht nach dem magnetischen Meridian. An der Ostseite ist ein Diopter

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Fig. 20. Planimetra nach Levinus Hulsius.

angebracht. Mittels einer Hülse mit Kugelgelenk kann das Instrument auf ein Stativ gesteckt werden.

Hat sich die einfachste Form der Feldbussole lange erhalten, so werden doch schon im Ausgange des 16. und in der Frühzeit des 17. Jahrhunderts Versuche zu Umgestaltungen und Verbesserungen gemacht. Das Winkel- instrument des Andreas Albrecht. von 1625 ist im Grunde ein Bussoleninstru- ment , ein anderes , auf welches ich bei der Besprechung jenes hingewiesen habe ist die Planimetra , welche Levinus Hulsius aus Gent gegen Ende des 16. Jahrhunderts konstruiert und 1603 in dem ersten Traktat der mechanischen Instrumente beschrieben hat. Das Instrument Planimetra (Fig. 20) ist eine halbrunde Scheibe aus Holz oder Messing von 12 Zoll Durchmesser, in welche ein Kompafs eingesetzt ist. An dem Durchmesser ist ein Lineal D E aus Messing von 1 Fufs Länge, in 12 Zoll und diese in je 5 Gerstenkörner geteilt und an diesem ein zweites um die Schraube L drehbares Lineal I. K. befestigt, welches statt eines Diopters zum Absehen dient.

Zu dem Instrument gehört ein Stab von 4 Fufs Länge, welcher unten mit einer eisernen Spitze, oben mit einem kleinen Brettchen versehen ist.

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Bei der Aufnahme wird der Stab in die Erde gesteckt und das Instrument auf das Brettchen gelegt, womit es zur Aufnahme fertig ist.

Um die Planimetra auch zur Messung von Höhen verwenden zu können, ist auf der Rückseite ein geometrisches Quadrat angebracht und der Umfang des Halbkreises in Grade geteilt, von der Mitte nach links 0—90, nach rechts 360 270. Wird nun das Instrument in vertikaler Richtung an dem Stab befestigt, so können mittels des Lotmafses auf dem Quadrat Höhen bestimmt, und es kann durch Beobachtung der Stellung des Lotes auf dem geteilten Umfang nivelliert, sowie die Höhe der Gestirne über dem Horizont abgelesen werden.

Die Operationen zur Messung von horizontalen Winkeln sind dieselben wie bei anderen Feldbussolen. Auch zum Auftragen der Zeichnung kann die

Fig. 21. Feldmefskompafs aus der Frühzeit des 18. Jahrhunderts. W. J. 172.

Planimetra benützt werden. Hulsius beschreibt aber unter dem Namen In- ductorium auch ein Zulegeinstrument , das dem des Paul Pfinzing nachge- gebildet ist.

Es leuchtet sofort ein, dafs auch die Planimetra noch ein ziemlich un- vollkommenes Instrument war, mit welchem eine grofse Genauigkeit nicht er- zielt werden konnte. Ein Mangel ist der , dafs sie keinen festen , mit dem Scheitel des Winkels zusammenfallenden Drehpunkt hat , ein anderer , der auch den oben beschriebenen Feldbussolen gemein ist , dafs die Visierlinie exzentrisch liegt, d. h. dafs sie sich mit der Drehungsaxe der Magnetnadel nicht kreuzt. Die Übelstände, welche die exzentrische Lage der Visieraxe zur Folge hat, sind schon bei Besprechung des Winkelinstrumentes des An- dreas Albrecht erörtert worden.

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Diesen Übelständen wurde in der Folge abgeholfen. Das germanische Museum besitzt einen Feldmesserkompafs aus der Frühzeit des 18. Jahrhun- derts W. J. 172 (Fig. 21). Auf einer rechteckigen Messingplatte, welche mit einer Hülse auf ein Stativ gesteckt werden konnte, ist eine Bussole von 10 cm äufserem Durchmesser mit einer Magnetnadel von 6\'2 cm Länge befestigt. Der Teilkreis ist in 360 Grade geteilt. Bruchteile von solchen können noch bis auf ungefähr ein Viertel eines Grades geschätzt werden.

Seitlich ist ein Halbkreis von 18 cm. Durchmesser angebracht, an welchem sich zwei Diopter befinden. Das eine dient zur Messung von horizontalen Winkeln und seine Axe kreuzt die mit der Drehungsaxe des Instrumentes zu- sammenfallende Axe der Bussole. Das andere steht über dem Halbkreis und seine Sehaxe ist dem Durchmesser desselben parallel, es wird bei Höhen- messungen angewandt.

Der Halbkreis ist mit einem Lotmafse versehen und von der Mitte aus nach beiden Seiten in 90 Grade geteilt. Eine zweite Teilung nimmt von dem

Fig. 22. Hängekompafs von Andreas Wolf in München, zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts.

W. J. 84Ö.

Nullpunkt aus nach beiden Seiten einen Winkel von 76 Grad ein. Diese Tei- lung (in 40 Teile) ist eine Übertragung der Teilung des geometrischen Qua- drates auf den Kreis.

Ein zweites Instrument W. J. 845 (Fig. 22), bei welchem die Ablesung gleichfalls unmittelbar an der Bussole vorgenommen wird, ist ein Hängekom- pafs, wie solche in den Bergwerken benützt werden. Das Instrument ist von Andreas Wolf in München wohl in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gefertigt. Die Bussole ist in zwei Ringen aufgehängt und stellt sich von selbst horizontal. Der äufsere Ring ist vom Horizont aus in 4 Quadranten zu je 90" geteilt. Die Bussole trägt Stundenteilung von 0 24. Jede Stunde ist in 8 Teile geteilt.

Die Messung mit dem Hängekompafs wird in der Weise vorgenommen, dafs Schnüre in der Richtung der Winkelschenkel ausgespannt werden, und dafs das Instrument an diese Schnüre gehängt wird. Die Differenz der Ab-

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lesungen ergibt die Gröfse des Winkels. Umgekehrt kann eine bestimmte Richtung abgesteckt werden, wenn man die Schnur an einem Fixpunkte be- festigt, das Instrument aufhängt und das freie Ende der Schnur solange hin- und herbewegt, bis die Nadel auf die vorherbestimmte Richtung einspielt. Die Bussole kann aus den Ringen herausgenommen und in eine mit Dioptern versehene Platte, welche wieder auf einer gröfseren rechteckigen Platte ruht, eingelassen werden. Auf der oberen Platte ist um die Öffnung für die Bussole ein Kreis eingezeichnet, der von der VisierUnie aus in Quadranten zu 90 ^ geteilt ist.

Das Instrument kann in dieser Form auf einer Fläche liegend zur Winkel- messung, sowie zum Auftragen der gemessenen Winkel (als sogenanntes Zu- legezeug) benützt werden.

Ein ähnliches Instrument mit Stundenteilung, von 1668 ist unvollständig, es fehlt die Hängevorrichtung.

(Fortsetzung folgt.)

Nürnberg. Gustav von Bezold.

Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhunderts.

(Mit 14 Tafeln.) (Fortsetzung.)

Die Küche (Taf. IX).

>ie grofse geräumige Küche zeigt rechts das viereckige Fenster mit den runden verbleiten Scheiben, welches in das soeben besprochene Wohn-, auch Efs- und Arbeitszimmer führt. Der Boden ist mit quadratischen Steinplatten gepflastert, die Decke getäfelt, die Wände sind wohl als weifs oder gelblich getüncht anzusehen. Aufser dem erwähnten kleinen Fenster, das in das Zimmer führt, hat die Küche noch zwei gröfsere, von denen aber das eine halb vermauert ist, so dafs dieser Raum für seine Gröfse eigentlich nicht sehr viel Licht hat. Das wichtigste Stück der Küchen- einrichtung ist der gemauerte Herd mit seinem mächtigen Mantel , durch welchen der Rauch abzieht. Gar lustig brennt das Feuer , um die Speise, die sich in der Pfanne befindet, welche der Pfannenhalter an der Wand^rägt, zu bereiten. Auf dem Herd befindet sich an der Wand ein gemauerter Auf- satz, der wohl zur Bereitung von Backwerk dient. Es scheint, dafs ein eisernes Rohr den Rauch aus dem Ofen, der im Zimmer neben dem mehr- erwähnten Fenster steht, in den Schlot leitet. Auf der Herdplatte liegt eine eiserne Zange, in dem Bogen unter dem Herde Brennholz. Um den Schlot- mantel gehen zwei hölzerne Rähmchen, auf welchen allerlei Geschirr steht.

Das gröfste Möbel der Küche ist der an der gegenüber liegenden Wand stehende niedrige einfache Schrank mit zwei grofsen Flügelthüren, dessen Ecken abgeschrägt sind. In diesem Schrank wird wohl besseres Geschirr,

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das man nicht alle Tag benützte, aufbewahrt worden sein. An der dem Be- schauer zugekehrten schmalen Seite des Schrankes hängt ein rechteckiger eiserner Rost mit vier Füfsen und hölzernem Handgriffe, der zum Braten der Bratwürste gedient haben dürfte. Auf dem Schranke stehen, an die Wand gelehnt, einige runde Platten mit Handgriffen, einige kleinere Platten ohne solche, dann eine viereckige Pfanne, ferner einige kannenähnliche Gefäfse ohne Henkel, ein Hafen, ein Krug und wie es scheint, eine ovale zinnerne Wärmflasche, wie sie in Süddeutschland heute noch in Gebrauch ist.

Neben dem Fenster, das in das Zimmer führt, steht ein Anrichtetisch, auf dem in friedlichem Vereine eine zinnerne Schraubenkanne, ein Becher und ein Blasebalg sich befinden. Unter demselben stehen auf dem Brette zwei kupferne Kannen, ein Krüglein und noch einige Gefäfse, auf dem Fufs- boden ein Kehrichtfafs und eine Mausfalle. An der Fufswand der Anrichte hängt ein Hammer und eine Bürste; in dem Winkel, den dieselbe bildet, lehnen Besen und Schaufel, für welche die Nürnberger »Haufs-Halterin,« wie nachstehend zu ersehen ist, besondere Behälter anführt. In der andern Ecke lehnt die Ofengabel, mit welcher Töpfe in das Feuer gestellt oder aus dem- selben geholt wurden. An Mobiliar ist noch zu erwähnen ein grofser Geflügel- käfig, der nicht unbelebt ist, und eine ziemliche grofse Bank mit geschweiften Beinen, auf welcher ein seltener Gast in der Küche ein Mann mit einer Tabakspfeife in der Linken, den linken Fufs auf einen viereckigen Klotz gestützt, sitzt. Was hat dieser Mann in der Küche zu thun? Vielleicht hat er sich eine Kohle auf den Tabak seiner Pfeife gelegt und ruht nur einen Augenblick aus. Die Küche ist kein Aufenthalt für Männer. Nach Alwin Schultz^**) bindet die Köchin dem Manne, der sich unbefugt eindrängt, die Küchenschürze in Augsburg Küchen-Fürfleck, in Nürnberg Küchenfleck genannt um, und er mufste sich mit einem Trinkgeld loskaufen. Ebenso machten es die Scheuerweiber, die den Mann, der in ihr Bereich kam, mit Stroh banden. Der Korbmacher, der weiter hinten einen Korb ausbessert, hatte ein solches Verfahren nicht zu befürchten ; seine Arbeit gab ihm ein Recht zum Aufenthalt in der Küche. Die dritte Person, die sich hier befindet, ist die Köchin, die im Hintergrunde, am Gofsstein (Ausgufs) vor dem Küchen- fenster, mit dem Spülen (Scheuern) des Geschirres beschäftigt ist. Zu ihrer Rechten steht ein hölzerner Kübel, zu ihrer Linken stehen zwei Fässer; vor ihr läuft zwischen den zwei Fenstern eine Bank, bezw. ein schmaler Tisch. An dem Pfeiler zwischen den zwei Fenstern hängt oben ein Bund Lichter (.?), darunter zwei Schüsseln mit Griffen , vielleicht Spülschüsseln ; an dem zuge- mauerten Teile des linken Fensters ist ein Löfifelrahm mit acht Löfteln ver- schiedener Art.

Betrachtet man das übrige Geschirr, mit dem die Küche ausgerüstet ist, so sind zunächst an der Wand, die mit dem Zimmer gemeinschaftlich ist, vier Pfannen mit langen Stielen, wohl aus Messing, anzuführen. Darunter hängen eine Lichtputzscheere und zwei Leuchter aus Messing oder Kupfer

16) a. a. O. S. 149 und 146.

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mit Kerzen, ein Spülhadern (Scheuerlappen) und eine grofse Spülschüssel, die in der Gegenwart meist aus Blech ist. Auf dem Schlotmantel haben Häfen verschiedener Gröfse, Tiegel, Krüge mit Deckeln und anderes mehr Platz gefunden. Über dem Schranke rechts finden sich zwei Reihen von zinnernen Tellern, Schüsseln und Platten und einige kupferne Backformen, darüber ein Satz von acht thönernen, gewundenen Krügen, wahrscheinlich dunkelblau glasiert, mit Deckeln. Daneben stehen wieder zwei zinnerne Tiegel mit Deckel und noch ein Deckelkrug. Ganz oben hängen verschiedene Lebensmittel: einige Schinken, ein ballonartiger Korb mit unbekanntem Inhalt, ein Hase und zwei Bündel kleineres Geflügel, wahrscheinlich Feldhühner. Ihnen schliefsen sich noch drei Schüsseln mit Handgrifi"en an, jenen beiden gleich, welche an dem Fensterpfeiler hängen.

So hübsch die Küche ausgestattet ist, so würde die Köchin, welche anfangen wollte zu kochen und zu backen, doch recht viel vermissen; es konnten eben die Kleinigkeiten, welche zur Ausstattung einer Küche gehören, nicht alle auf der Zeichnung angebracht werden. Was man damals aber zur Einrichtung einer Küche für notwendig erachtete,, sagt ausführlich die Nürn- berger »Haus-Halterin«, die zum Schlüsse der nachstehenden Mitteilung auch der Prangküchen gedenkt, die in Nürnbergs bessern Häusern der Stolz der Hausfrauen war. Sie schreibt über die Küchen: »Von einer wohl-gebauten Küche wird vornemlich erfordert, dafs sie nicht allzu weit von der Efs-Stube entfernet seye, damit nicht im Winter das Essen, wann es so weit getragen werden mufs, kalt auf den Tisch gebracht werde, sie soll weit und hell seyn, rings um mit niedern Behältern umgeben, und einen kleinen Kämmerlein zu Besen, Spiel-standen und dergleichen Gezeug versehen seyn, einen grossen und breiten Herd, weiten und wohl-geführten Schlot, so nicht rauchet, und zu Aufhäng- und Dörrung des Fleisches dienliche Eisen, wie auch sowohl um den Schlot innwendig einen hölzernen Rechen die Häfen daran zu hangen, als auch auswendig und an allen Wänden kleine Rähmlein haben, allerley Zien-Geräthe darauf zu stellen, oder die Pfannen auf zu machen, nicht weniger hier und dar verzierte Schrauben, die so zienen- als küpferne Becken und Näpfe daran zu hängen.

Das Zien-werck bestehet aus Hand-becken, und dazu gehörigen Auf- güssen, allerley Gattungen von grofs- und kleinen, flach- und tiefen Schüsseln, Bratens Dellern , gemeinen und nach jetziger neuerfundenen Art mit Ein- giessung warmen Wassers, sehr bequemen Wärm-Dellern, Wärm- und andern zu mancherley Gebrauch insgemein dienUchen Becken, Fisch- und Schwanck- Kesseln, aus Kannen, Krügen und Flaschen, unterschiedlicher Art Leuchtern, Schüssel-Ringen, Saltz- Fässern, Pasteten -Tiegeln, Pasteten -Blechen, Thee- Kannen etc. etc.

Von Messing hat man in der Küche grofs- und kleine Mörser mit ihren Pistillen und Stämpfeln , Leuchter und Putz - scheeren oder Liecht- schneutzen, Kessel und Pfannen, Glut- und Wärm-Pfannen.

Von Kupfer, Wasser-Häfen, Schöpf-Häfen, einwendig wohl verziente Koch-Häfen und Stützen, Schwanck- und Kühl-Kessel, samt denen dazu ge-

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hörigen Schwanck - Brettern , Fleisch -Schäffern, Seyer, Salat -Sieblein, Spiel- Ständen. Butten und Stüzen, Brat-Pfannen, Meel-Kübelein, Mülterlein, Kohl- und Glut -Pfannen, Bett -Wärmer, Dorten- Pfannen, Schärtlein zu kleinen Pa- stetlein und allerley Bach-werck, grofs- und kleine Becken, sonderlich auf Muschel Art getriebene Becken, die so genannten Gogel-hopfen darinnen zu bachen, Schüsseln , und dergleichen , welches alles einwendig wohl verzinnet ist. Zu geschweigen, dafs die meinste Ausgufs in denenen mehresten hiesigen Häusern aus Kupfer bestehen.

Das Eiserne Kuchen-Geräthe ebenfalls zu benennen, sind selbiges die Bräter oder Braten-wender, und entweder hier zu Land Feder-Bräter, oder Zug- und Gewicht-Bräter , samt denen dazu gehörigen , wie auch allerley Arten von Hand-Spifsen also genannt, weil man sie mit der Hand umdrehet; theils Orten werden auch die Bräter von Hunden umgetrieben: Man hat von Eisen-werck in denen Küchen beedes Brat-Pfannen und gemeine Pfannen, Glut- oder Kohl-Pfannen , Schüssel-Ringe , gemeine und aufgebogene Stirzen zum abbräunen, Rost, tiefe Traif-Löffel, löcherichte Faim-Löffel, flache löcherichte Bach-Löffel, Fisch-Reisten , Hack-messer, Fleisch-parten, Bratwürst-Zänglein, Fisch-Schäufelin, Schmaltz-stecher, Spick-Nadel, Leuchter und Liecht-schneutzen, Feuer-zeug, Feuer-Zangen, Feuer-Hacken, Pfannen-Knechte, Dreyfufs, Ofen- Gabeln, Ofen-Schäuffelein.

Von Holz-werck Koch-Löffel, ein Hack-bret, Deller, samt dem dazu gehörigen Gestell, tiefe Schüsseln, allerley Fleisch- uud Fisch-Bretter, Mülter- lein, Gewürtz-Büchsen , Spül-Standen , Schäffer, Ständlein, ein Kehrig-fals, Kehr-wisch und Kehrig-Schaufel samt einen Ofenrohr: AUhier in Nürnberg haben theils Frauen eine grosse Freude mit besondern Prang-Kuch en, darinnen niemal gekochet, sondern das Gerethe nur allein zur Zierde und Gepräng aufgestellt wird , da siehet man nichts von Eisen noch Holtz, sondern es mufs alles von Zinn und Messing schimmern und gläntzen, auch sogar der Besen-stiel und das Kehrig-fafs von Zinn gemachet seyn, ob man nun davon nicht füglich sagen möchte: Wozu dienet dieser kostbare Unrath.? lasse ich andere davon urtheilen.«

Auf unserer Darstellung der Küche befindet sich links, neben dem halb- gemauerten Fenster, eine Thüre, die offenbar in die

Speisekammer (Taf. X)

führt, deren rechts befindliche halb geöffnete Thüre mit der Thüre in der Küche zusammenfällt.

Die Speisekammer macht einen recht angenehmen Eindruck; der wohl ausgestattete Raum läfst auf gute Vermögensverhältnisse und eine tüchtige fürsichtige Hausfrau schliefsen. Gar stattlich präsentiert sie sich in dem- selben. Hier ist ihr wohl. Eifrig ist sie unterstützt von ihrer Tochter bedacht, die Vorräte zu ergänzen und dafür zu sorgen , dafs der richtige Zeitpunkt hiefür nicht versäumt werde.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. IX.

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Durch zwei Fenster in der Art der übrigen fällt Licht in die Speise, deren Fufsboden und Decke gebrettert ist. Links vorn steht ein Kasten mit Schubladen, welche Hülsenfrüchte und Mehl bergen. An der vordem Seite desselben hängt ein Netz und ein Bratspiefs. Auf dem Kasten sind Seifen- stücke aufgeschlichtet und steht eine Platte mit Fischen {?). An der Wand hängen zwei Würste und zwei Säckchen, welche wohl Kräuter enthalten. In dem darüber befindlichen Wandschränkchen mit Doppelthüren bewahrt die Frau des Hauses wahrscheinlich Gewürze , eingemachte und getrocknete Früchte und andere gute Sachen, durch welche sie ihren Speisen erhöhten Wohlge- schmack zu verleihen weifs. An der Seite hängt ein Reibeisen; auf dem Schranke steht eine Schüssel mit Krug und ein Haspel zur Abnahme des Garnes vom Spinnrad. Darüber hängt an der Wand eine eiserne Bratpfanne.

Gar stattlich erscheint neben diesen Schränken ein grofses Repositorium, welches unten das Essigfafs, daneben ein anderes Fäfschen und einen augen- blicklich nicht benutzten Hühnerstall enthält, während in den vier ober Bor- den grofse Schüsseln und Platten aus Zinn und buntbemalter Fayene, mäch- tige Krüge und Kannen stehen, welche nur bei festlichen Gelegenheiten diesen Raum verlassen, um die Tafel zu zieren. Auch ein Mörser, Tiegel mit Deckel, Töpfe u. a. sind hier aufgesteUt. An der Seite hängt ein Eimer, wahrschein- lich aus Kupfer, vielleicht für Fische. Zwischen den beiden Fenstern ist in die Wand ein Schränkchen eingelassen, in welchem Gläser, darunter solche in Römerform, sich befinden. Unter dem Schränkchen hängt wiederum ein gestricktes Netz und steht ein Brett , an die Wand gelehnt. Links davon steht ein Bratspiefs, rechts ein Tritt mit vier Stufen, um zu den hochstehen- den oder hängenden Gegenständen gelangen zu können.

An der rechten Wand hängt an dem Pfeiler neben der Thüre ein Seiher wohl aus Kupfer mit langem Stiele. Die übrige Länge der Wand nimmt eine Anrichte ein. Unter der Platte derselben hängt zunächst ein Salzfafs, dann findet sich ein sehr grofser Hafen aus gebranntem Thon und zwei hölzerne Kübel, welche Butter und Schmalz enthalten dürften. An der Seitenwand der Anrichte hängen eine runde Pfanne mit Stiel und ein eiserner rechteckiger Rost. Über der Platte hängt von der Decke an eiserner Kette eine ziemlich grofse Wage herab, um das Gewicht der angekauften Vorräte prüfen und die zur Bereitung der Speisen notwendigen Mengen abwiegen zu können. Auf der Anrichte stehen Gewichte, die Spitze eines Zuckerhutes, eine angeschnittene runde Scheibe (Käse oder Salz) und ein Krug mit Henkel und Ausgufsröhre. Auf den Rahmen über der Anrichte stehen Krüge verschie- dener Form, wahrscheinlich für Fruchtsäfte, Öle u. s. w. Links davon hängen zwei runde Platten, rechts ein Trichter mit langem Stiele und ein Lichter- körbchen, sowie zwei Büschel Unschlittlichter, darüber zwei geflochtene Körbe verschiedener Form. Schliefslich ist noch zu erwähnen, ein geflochtener seich- ter rechteckiger Korb, der nebst einer Schüssel auf einer Bank vor der Frau des Hauses steht , ein hübscher runder Tisch , der eigentlich besser in ein Zimmer pafst, mit einem Korb voll Früchte, einer Kanne und einem runden Holzteller mit zwei mundgerecht gemachten Brötchen und oben an der Decke

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ein an drei Ketten hängender kronleuchterartiger eiserner Kranz, welcher ein halbes Dutzend sicher delikater Schinken trägt.

Die Nürnberger »Haufs-Halterin« ergeht sich in sehr ausführlicher und lehrreicher Weise über die Speisekammer. Sie hält neben der Speisekam- mer eigentlich noch ein Speisegewölbe für notwendig, »wiewol die Unbequem- lichkeit der Häuser offtermals eine kluge Haus-Mutter nöthiget, aus beeden eines zu machen, oder wohl gar einen besondern Speifs-Behalter verfertigen zu lassen.« Ihre weiteren Ausführungen, die öfter mit unseren Darstellungen übereinstimmen, lauten folgendermafsen :

»In der Speifs-Kammer, welche nebst der Küchen, und den gewöhnlichen Wohn-Zimmern , auf einer Ebene seyn solle , wird der kleinere , in dem Ge- wölb aber der gröffere Vorrath aufbehalten: Zu solchem Ende siehet man in denen Speifs-Kammern eine gewiese Anzahl Schubladen mit allerley Zugemüfs, von Linsen , gantzen und gerendelten Erbsen , gekneuten oder abgebälgten Hirfs zum kochen, gantzen Hirfs und Wicken zu Mästung der Tauben, Weitzen vor die Hüner, Heydel, Grob- und Klarer Gersten, Reifs, Schönen Meel und Mettel-Meel, allerley dürren Obst, als Zwetschgen, Aepfel- und Birn-Schnitzen, wie auch mit Saltz etc angefüllet : Ingleichen etliche noch andere Schubladen, zu denen Unschlicht-Liechtern.

Es gehören herein etliche zinnerne oder auch nur höltzerne Büchsen, zu den gestossenen Zucker und gemahlenen Gewürtz , als Ingwer , Pfeffer, Negelein , Cordomomen , Saffran, Nuscaten-blüh , deren letztere nicht viel auf einmal gestossen werden solle ; die ]\Iuscaten-Nüsse und das Zimmet im Vor- rat gar nicht, wiewol man sie gleichwol in dergleichen Büchsen annoch gantz in die Speifs-Kammer zur Hand zu stellen gewohnet ist.

Nebst denen zinnernen Gewürtz-Büchsen, hat man auch in den Speifs- Kammern zinnerne, oder in Ermanglung derselben, erdene Butter-Tigel , so wol zur frischen Koch- als auch eingesaltzenen Butter, wiewol diese letztere in erdenen Geschirren weit besser aufgehoben wird : So soll man auch von frischen Schmaltz und guten Baum-Oel allezeit etwas in der Speifs-Kammer bei Händen haben, damit man nicht defshalben jedesmal in das Speifs-Ge- wölb oder den Keller zu lauffen genöthigt seye : Und weil die Speifs-Kammern auf den Seiten gemeiniglich um und um mit Rähmlein versehen , als pfleget man sie mit allerley Gattungen , grofs- und kleinen , tief- und flachen aus Porzellainen gemachten Schalen , zu mancherley Gebrauch zu besetzen , und die noch übrige leere Wand mit allerley Sorten von Körben zu behängen.

Auf den Gesimsen stehet ^ie Saife in viereckichte Stücke geschnitten aufgestellt , damit sie desto besser ertrocken , wie auch etliche Schachteln, voll gedörrten ^^laurachen oder Morgeln, Champignon, aufgetrockneten Spargel und Artischocken-Kernen, dürren Hiefen oder Hagen-butten , Weixeln, Prü- nellen oder auf dergleichen Art zugerichteten gescheiten Pflaumen und Zwetsch- gen, dürren Lorbeeren, Majeran, Salbey, Rosmarin, dann und wann zu aller- ley Brühen und Sosen zu gebrauchen: die übrige noch leere Simse werden mit Zucker-hüten besetzet:

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Durch zwei Fenster in der Art der übrigen fällt Licht in die Speise, deren Fufsboden und Decke gebrettert ist. Links vorn steht ein Kasten mit Schubladen, welche Hülsenfrüchte und Mehl bergen. An der vordem Seite desselben hängt ein Netz und ein Bratspiefs. Auf dem Kasten sind Seifen- stücke aufgeschlichtet und steht eine Platte mit Fischen {?). An der Wand hängen zwei Würste und zwei Säckchen, welche wohl Kräuter enthalten. In dem darüber befindUchen Wandschränkchen mit Doppelthüren bewahrt die Frau des Hauses wahrscheinUch Gewürze , eingemachte und getrocknete Früchte und andere gute Sachen, durch welche sie ihren Speisen erhöhten Wohlge- schmack zu verleihen weifs. An der Seite hängt ein Reibeisen; auf dem Schranke steht eine Schüssel mit Krug und ein Haspel zur Abnahme des Garnes vom Spinnrad. Darüber hängt an der Wand eine eiserne Bratpfanne.

Gar stattlich erscheint neben diesen Schränken ein grofses Repositorium, welches unten das Essigfafs, daneben ein anderes Fäfschen und einen augen- blicklich nicht benutzten Hühnerstall enthält, während in den vier ober Bor- den grofse Schüsseln und Platten aus Zinn und buntbemalter Fayene, mäch- tige Krüge und Kannen stehen, welche nur bei festlichen Gelegenheiten diesen Raum verlassen, um die Tafel zu zieren. Auch ein Mörser, Tiegel mit Deckel, Töpfe u. a. sind hier aufgestellt. An der Seite hängt ein Eimer, wahrschein- lich aus Kupfer, vielleicht für Fische. Zwischen den beiden Fenstern ist in die Wand ein Schränkchen eingelassen, in welchem Gläser, darunter solche in Römerform, sich befinden. Unter dem Schränkchen hängt wiederum ein gestricktes Netz und steht ein Brett , an die Wand gelehnt. Links davon steht ein Bratspiefs, rechts ein Tritt mit vier Stufen, um zu den hochstehen- den oder hängenden Gegenständen gelangen zu können.

An der rechten Wand hängt an dem Pfeiler neben der Thüre ein Seiher wohl aus Kupfer mit langem Stiele. Die übrige Länge der Wand nimmt eine Anrichte ein. Unter der Platte derselben hängt zunächst ein Salzfafs, dann findet sich ein sehr grofser Hafen aus gebranntem Thon und zwei hölzerne Kübel, welche Butter und Schmalz enthalten dürften. An der Seitenwand der Anrichte hängen eine runde Pfanne mit Stiel und ein eiserner rechteckiger Rost. Über der Platte hängt von der Decke an eiserner Kette eine ziemlich grofse Wage herab, um das Gewicht der angekauften Vorräte prüfen und die zur Bereitung der Speisen notwendigen Mengen abwiegen zu können. Auf der Anrichte stehen Gewichte, die Spitze eines Zuckerhutes, eine angeschnittene runde Scheibe (Käse oder Salz) und ein Krug mit Henkel und Ausgufsröhre. Auf den Rahmen über der Anrichte stehen Krüge verschie- dener Form, wahrscheinlich für Fruchtsäfte, Öle u. s. w. Links davon hängen zwei runde Platten , rechts ein Trichter mit langem Stiele und ein Lichter- körbchen, sowie zwei Büschel Unschlittlichter, darüber zwei geflochtene Körbe verschiedener Form. SchliefsUch ist noch zu erwähnen, ein geflochtener seich- ter rechteckiger Korb, der nebst einer Schüssel auf einer Bank vor der Frau des Hauses steht , ein hübscher runder Tisch , der eigentlich besser in ein Zimmer pafst, mit einem Korb voll Früchte, einer Kanne und einem runden Holzteller mit zwei mundgerecht gemachten Brötchen und oben an der Decke

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ein an drei Ketten hängender kronleuchterartiger eiserner Kranz, welcher ein halbes Dutzend sicher delikater Schinken trägt.

Die Nürnberger »Haufs-Halterin« ergeht sich in sehr ausführlicher und lehrreicher Weise über die Speisekammer. Sie hält neben der Speisekam- mer eigentlich noch ein Speisegewölbe für notwendig, »wiewol die Unbequem- lichkeit der Häuser offtermals eine kluge Haus-Mutter nöthiget, aus beeden eines zu machen, oder wohl gar einen besondern Speifs-Behalter verfertigen zu lassen.« Ihre weiteren Ausführungen, die öfter mit unseren Darstellungen übereinstimmen, lauten folgendermafsen :

»In der Speifs-Kammer, welche nebst der Küchen, und den gewöhnlichen Wohn-Zimmern , auf einer Ebene seyn solle , wird der kleinere , in dem Ge- wölb aber der gröffere Vorrath aufbehalten : Zu solchem Ende siehet man in denen Speifs-Kammern eine gewiese Anzahl Schubladen mit allerley Zugemüfs, von Linsen , gantzen und gerendelten Erbsen , gekneuten oder abgebälgten Hirfs zum kochen, gantzen Hirfs und Wicken zu Mästung der Tauben, Weitzen vor die Hüner, Heydel, Grob- und Klarer Gersten, Reifs, Schönen Meel und Mettel-Meel, allerley dürren Obst, als Zwetschgen, Aepfel- und Birn-Schnitzen, wie auch mit Saltz etc angefüUet : Ingleichen etliche noch andere Schubladen, zu denen Unschlicht-Liechtern.

Es gehören herein etliche zinnerne oder auch nur höltzerne Büchsen, zu den gestossenen Zucker und gemahlenen Gewürtz , als Ingwer , Pfeffer, Negelein , Cordomomen , Saffran, Nuscaten-blüh , deren letztere nicht viel auf einmal gestossen werden solle ; die Muscaten-Nüsse und das Zimmet im Vor- rat gar nicht, wiewol man sie gleichwol in dergleichen Büchsen annoch gantz in die Speifs-Kammer zur Hand zu stellen gewohnet ist.

Nebst denen zinnernen Gewürtz-Büchsen , hat man auch in den Speifs- Kammern zinnerne, oder in Ermanglung derselben, erdene Butter-Tigel , so wol zur frischen Koch- als auch eingesaltzenen Butter, wiewol diese letztere in erdenen Geschirren weit besser aufgehoben wird : So soll man auch von frischen Schmaltz und guten Baum-Oel allezeit etwas in der Speifs-Kammer bei Händen haben, damit man nicht defshalben jedesmal in das Speifs-Ge- wölb oder den Keller zu lauffen genöthigt seye : Und weil die Speifs-Kammern auf den Seiten gemeiniglich um und um mit Rähmlein versehen , als pfleget man sie mit allerley Gattungen , grofs- und kleinen , tief- und flachen aus Porzellainen gemachten Schalen , zu mancherley Gebrauch zu besetzen , und die noch übrige leere Wand mit allerley Sorten von Körben zu behängen.

Auf den Gesimsen stehet ^ie Saife in viereckichte Stücke geschnitten aufgestellet , damit sie desto besser ertrocken , wie auch etliche Schachteln, voll gedörrten Maurachen oder Morgeln, Champignon, aufgetrockneten Spargel und Artischocken-Kernen, dürren Hiefen oder Hagen-butten , Weixeln, Prü- nellen oder auf dergleichen Art zugerichteten gescheiten Pflaumen und Zwetsch- gen, dürren Lorbeeren, Majeran, Salbey, Rosmarin, dann und wann zu aller- ley Brühen und Sosen zu gebrauchen: die übrige noch leere Simse werden mit Zucker-hüten besetzet:

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Über dieses alles gehöret noch in eine Speifs-Kammer, ein gutes Schnitt- Messer, das Gewürtz und andere harte Materialien damit zu schneiden , eine Gewürtz-Mühl , grofs- und kleine Walcher-hölzer , Pasteten- und Raviolen- Rädlein, hölzerne Spritzen, mit ihren dazu gehörigen Stern, wie auch allerley Mödel und Formen zu unterschiedlichen Bachwerck, vor allem aber eine gute Waag und richtiges wohl-abgeeigtes Gewicht.

Das Speifs-Gewölb mufs von allen diesen jetzt-beschriebenen, mit einen weit grössern Vorrath , und noch mit vielen andern Sachen dazu versehen seyn : und solchem nach die fleissige Haufs-Mutter ausrechnen , was sie das Jahr über beyläuffig von diesem und jenem zu verbrauchen nöthig habe, und so dann im Vorrnth zu rechter Zeit, wann es gut und wohlfeil, nicht aber annoch rar und teuer ist, einkauffen lassen.

Was das Zugemüfs betrifft , (dafs wir bey der in der Speifs - Kammer gehaltenen Ordnung bleiben) gehöret solches samt dem Mehl nicht hierein in das Speifs-Gewölb, weil man gar selten so trockene Gewölber findet, da- rinnen sie sich nicht patzen, anlauiifen, und so dann einen widrigen Geschmack anziehen sollten : sondern an einen trockenen Ort , in eine Neben-Kammer, oder aber in einen besondern Verschlag oben auf den Boden , wohin man auch das in grossen mit Schlössern verwahrten Stübichen oder versperrten Truhen befindliche dörre Obst setzen, und als einen guten und nützlichen Vorrath aufbehalten kan.

Haubtsächlich aber gehören in das Speifs-Gewölb etliche Scheiben mit Saltz, welche man aber nicht so blofs auf den Erd-boden, sondern auf ein paar Scheiter-Holtz stellen solle, dafs sie unten hohl stehen, und das Saltz nicht flüssend werde und ausrinne. Die Unschlicht-Liechter soll man Centner- weifs, sonderlich wo ein aus vielen Leuten bestehendes Haushalten ist, bey Händen haben, und so wol dicke, mittelmässige als dinne fein sortirt, in einen alten Schranck, oder vor den Mäusen wohl-verwahrten Küsten aufbehalten.

Das Gewürtz gehöret in Schachteln oder Säcke, und mufs man sonder- lich den Saffran wohl verwahren, zu welchen viel verständige Frauen etliche kleine Zwiebeln zu legen gewohnet sind, Ui^d glauben, dadurch zu verhindern, dafs er nicht so stark verrieche ; ich bin aber versichert, dafs die Zwiebeln allein wenig helffen würden, wann man nicht den Saffran erstlich in einer trockenen Rinds-Blase oder ledernen vestverbundenen Sack, und so dann in einer bleyernen Büchse oder geheben Schachtel zugleich verwahrete.

Der Zucker gehöret nicht weniger in versperrte Küsten oder Fässer, weil der Katzen Lecker-Bifslein, die gefrässige Mäuse, selbigen sehr gefähr sind, und die Hüte so künstlich auszuhöhlen wissen, dafs das blaue Papier mit seinen Faden umbunden, unverrucket stehen bleibet, nicht änderst als ob der Zucker annoch unversehret darinnen befindlich wäre: Das Baum-Oel wird in zinnernen weiten, und mit dazu gehörigen Deckeln versehenen Stän- dern, das frische ausgelassene Schmaltz aber am besten in besonderen aus Eichen-Holtz gemachten, und mit Ralfen von den Bettiger oder Büttner wohl- gebundenen Kübeln und Fäfslein aufbehalten. Der Butter-Vorrath hingegen, so wol der frischen als gesaltzenen , gehöret besser im Keller , wiewol ich

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denen keinen Fehler beizumessen gesonnen bin , so sie mit in den Speils- Gewölb aufzubehalten gewohnet sind: Eben dieses verstehet sich auch von denen, so in Saltz-Wasser als Essig eingemachten Gurcken und Kümmerlingen, Cappern, Oliven, Kühn-Schroten oder Genister-Spröfslein, Spargel, Artischocken, Wegwarten, Stachelbeeren, Rothen Rüben etc

Hieher gehören auch allerley in Zucker eingemachte Sachen und Säffte

welche in starcken und weiten Zucker-Gläsern, oder aber steinernen Tiegeln aufbehalten, und entweder nebst denen vorbenannten in Essig eingemachten Früchten, in einen besonders dazu zugerichteten Behalter verschlossenen, oder aber in gewiese Repositoria ordentlich mit angeklebten Zetteln, was in jeder Büchse enthalten seye, aufgestellt werden, damit man nicht lange nach einem und dem andern zu suchen habe.

Insonderheit werden in dem Speifs-Gewölb aufgehoben allerley Fisch- Waaren , als marinirte und eingemachte Fische , oder , nach dem es an der Zeit ist, Pricken oder Neunaugen, Heringe, so frischer, als gesaltzen- und geräucherter Lax, Picklinge, Plateifs und Halbfische, Stockfische, Laperdon etc.

Oben an der Höhe defs Speifs-Gewölbes findet man gemeinlich grosse eingemauerte eiserne Hacken und Ringe, zu dem Ende, dafs man an selbige hölzerne, mit groben Tuch überzogene Gehäuse, um Käse, Butter, und andere dergleichen Sachen , vor den Mäusen und Ratzen zu verwahren , anhängen könne, oder auch runde weite um und um mit krumm-aufgebogenen Hacken versehene Fleisch - Ringe , das gedörrte und aufgeträgte Fleisch , Zungen, Schincken etc. daran zu hangen: Wo man das Brod im Hause zu bachen gewohnet , hat man in den Speifs-Gewölb auch eine besondere Brod-Hänge, worauf man die Laibe zu legen , nach und nach hinauf zu tragen und zu essen pfleget. '<

Wie aus diesen Mitteilungen zu ersehen, erfüllt in unserem Hause der Keller manche jener Aufgaben, welche nach der »Haufs-Halterin« dem Speise- gewölbe obliegen. Die Häuser hatten ebensowenig wie heutzutage schablonen- hafte Einrichtungen; man mufste sich wie in der Gegenwart eben nach der Decke strecken und nach den Räumen, die zu Gebote standen, richten und diese so gut und zweckmäfsig als möglich ausnützen.

Im oberen Stocke dürfte auch das dritte Zimmer des Hauses seinen Platz gehabt haben, das wohl als

Arbeitszimmer (Taf. XI)

zu bezeichnen ist, wenn es wohl auch zu Wohnzwecken benützt worden sein mag. Es hat links drei grofse Fenster in gleicher Form und Gröfse, wie sie auch die anderen Zimmer zeigen, rechts zwei Thüren und ober der einen ein Fenster in Ochsenaugenform. Zwei ebensolche Fenster finden sich im Hin- tergrund auf der Schmalseite des Zimmers. Wohin die Thüren und Fenster führen, kann nicht bestimmt werden. Die Wände sind wiederum bis zu Zwei- drittelhöhe getäfelt, die hölzerne Decke zeigt quadratische Kassetten.

Mit Möbeln ist das Zimmer nicht besonders reich ausgestattet; es ist des- halb viel Platz vorhanden, um sich frei bewegen zu können. An dem ersten

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Fenster ist ein Konsoltisch mit geschweiften Füfsen an der Brüstung befestigt. Auf der quadratisch gemusterten Tischdecke steht eine zweihenkelige Vase mit Blumenstraufs, ein Glas und ein Becher, sowie eine Platte mit Obst, daneben liegt ein Messer. Vielleicht sind es die Reste eines Frühstückes , bei dem auch die Kanne und die Schüssel mit dem Geflügelbraten, welche das schlanke Mädchen zur Thüre hinausträgt und nach welcher der Hund seine begehr- lichen Blicke wirft , eine Rolle gespielt. An den ersten Tisch stöfst ein zweiter, gröfserer, ein einfacher Arbeitstisch mit sechs Beinen und grofs^r Platte. Vor ihm sitzt auf einem Sessel, der geschweifte Füfse hat, in nach- lässiger Haltung und im Hauskostüm unser Künstler; er stützt sein Haupt auf die Rechte und scheint sich von den Anstrengungen des Frühstückes zu erholen. Das Fenster vor ihm ist mit einer Blende, wohl aus Papier, ver- sehen; auf dem Tische liegt die Platte, an welcher er arbeitet, steht der Spiegel, welche das Bild, das er sticht, im gegenteiligen Sinne widergibt, liegt ein Grabstichel und steht eine Büchse mit Arbeitsgeräte.

Zwei Sessel, gleich jenem, auf dem der Kupferstecher sitzt , stehen an der Wand zwischen den beiden Thüren. In der Mitte der hinteren Wand hat der Ofen Platz gefunden. Er hat einen auf gedrehten Füfsen ruhenden Untersatz aus gufseisernen Platten , deren vordere den Reichsadler und die Jahreszahl 1736 enthält, welche wohl die Zeit angibt, in der die Zeichnungen ausgeführt worden sind. Der hohe viereckige Aufsatz mit seiner Bekrönung ist aus glasierten Thonkacheln aufgebaut. Links vom Ofen steht eine Bank (J) mit Wänden an den Seiten und am Rücken , ein etwas eigentümliches Möbel ! Auf ihm liegt eine Zeichnung oder ein Stich mit Darstellung eines Waldes. Rechts befindet sich ein Aufsatzschrank, wohl schwarz poliert, dessen unterer Teil mit Schubladen versehen ist, während der Aufsatz zwei Flügel- thüren zeigt , hinter welchen sich kleine Schublädchen , vielleicht mit ge- schnitzten, eingelegten oder gemalten Kopfwänden bergen. Solche Schränke waren eine Spezialität der Augsburger Kunsthandwerker. Gekrönt wird der Aufsatz durch die in Holz geschnitzte lebendige Figur eines Amors , der triumphierend in der erhobenen Rechten den verwundenden Pfeil hält. Neben dem Schrank ist ein Reifsbrett an die Wand gelehnt.

Hiemit ist der Bestand des Zimmers an gröfseren Möbeln erschöpft. Von der Decke i herab hängen die unvermeidlichen beiden Vogelbauer aus Draht. Auf dem Gesims des. Täfelwerkes am ersten Fenster hängt schief wiederum der Spiegel in reichem, mit Voluten geziertem Rahmen. Von der an der Wand hängenden Geige, der Perrücke und dem Rock, sowie einigen Büchern auf dem Täfelgesims neben dem Ofen abgeseheuj besteht der übrige Inhalt des Zimmers aus eingerahmten Bildern, wohl gemalten, teilweise wohl auch Kupferstichen oder den Vorlagen für dieselben. Unter dem Spiegel und in der ersten Fensternische hängt je ein männliches Brustbild , am zweiten Pfeiler wohl auch ein Bildnis, darüber auf dem Gesims ein Bild , das Vater und Sohn darstellen dürfte. Auf dem Täfelwerk zwischen Fenster und Ofen und zwischen den beiden Thüren stehen vier zusammengehörige Landschaften, die vielleicht die vier Jahreszeiten versinnbildlichen. Über der Thüre haben

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drei Bildchen Platz gefunden, von denen das mittlere einen sitzenden Amor darstellt; flankiert werden diese Bilder durch zweihenkelige Vasen mit Blumen. Neben der Thüre steht eine Staffelei mit dem Bildnis eines Geistlichen. Solche stachen die Kupferstecher mit Vorliebe; da jeder das Bild seines Beichtvaters haben wollte , so war die Herstellung solcher Portraits ein einträgliches Ge- schäft. Von dem in Nürnberg sehr beliebten Prediger zu St. Sebald Joh. Mich. Dilherr z. B. zählt G. W. Panzer in seinem Verzeichnis von Nürn- bergischen Portraiten (Nürnberg 1790) gegen 40 verschiedene gestochene Por- traits auf. Als letztes Stück des reichen künstlerischen Schmuckes dieses Zimmers, der natürlich durch den Beruf seines Bewohners veranlalst ist , sei noch die heilige Familie auf dem Täfelwerke über der Staffelei erwähnt.

Zum Schlüsse sei noch der dritten Person, die sich in diesem Zimmer aufhält , des Lehrlings mit der Zipfelmütze gedacht , der aus der auf dem Fufsboden stehenden Schublade Stiche herausnimmt , auch schon herausge- nommen hat, wie die daneben auf dem Boden liegenden Blätter darthun.

Dieses Zimmer ist das letzte des Hauses , das von der Herrschaft bewohnt wurde. Eine Prunk- oder Prachtstube, oder wie sie in der Gegen- wart heifst, eine »gute« oder »schöne Stube« hatte das Haus vernünftiger Weise nicht. Es war eben ein einfaches bürgerliches. Den Häusern der reichen Kaufleute und der Patrizier durfte aber eine solche nicht fehlen. Wie diese eingerichtet und ausgestattet waren , welche Anforderungen man stellte, sagt wieder ausführlich die Nürnberger »Haufs-Halterin«, die anschliefsend hieran auch die Säle der Vornehmen beschreibt. Sie berichtet :

»Die Prang- und Audientz-Stuben sind hier zu Land gebräuchlicher als die Säle, und rings um die Wände derselben mit wohl-ausgearbeiteten aus Flader- oder andern schönen Holtz gemachten Täfel-werck umgeben, die Ober-decke oder das Tillwerck , mit zierlichen nach der Geometrie ausge- theilten Füllungen, ebenfalls von Holtz bereitet, in deren Mitte ein mit vielen Schenckeln und Armen prangender messinger Cronen-Leuchter hanget. Die Thür ist mit schönen jezuweilen hier und dar vergüldeten und blau-überlauffenen eisernen Banden und kostbaren Schlössern beschlagen, man siehet in diesen Zimmern einen steinernen aus zierlichen Bilderwerck formirten, und ebenfalls, theils Orten vergüldeten Ofen, eine Stufen-weifs aufgeführte und mit kostbar- geschnittenen Gläsern besetzte Credentz; gegen der Thür über hänget ein grosser Spiegel, in eine entweder in Silber oder von Bildschnitzer Arbeit sehr wohl geschnittene, und mit Planier- oder Glantz-Gold belegte Rahm gefasset ; theils Orten, wann es der Platz leidet, pfleget man zween dergleichen Spiegel neben einander aufzuhängen , und zwischen beeden nur einen wenigen Platz zu lassen. Der Tisch wird mitten in das Zimmer gestellet, mit einen bifs auf die Erde, oder auch etwas weniges davon abhängenden bunden Teppich be- decket, ein zierlicher von Silber, oder Porcellein verfertigter Blumen -Krug mit schönen von Seiden oder Leinwat gemachten Blumen bestecket , darauf gesetzet, dergleichen Blumen aus Italien sehr viele verschicket, auch einigen von allhiesigen curiosen Frauen und Jungfrauen so fleissig, accurat, und dem

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Leben-ähnlich nach gemachet werden, dafs sie auch die Klugeste und Scharf- sichtigste betrogen , welche sie vor recht-natürlich angesehen haben : Dieser Tisch wird wenigstens mit einem halben Duzend Sesseln umsetzet , oder so deroselben zwölffe sind, also eingetheilet, dafs auf jeder Seiten an der Wand sechse zu stehen kommen: Die Gesimse sind mit kostbaren von guten Meistern gemahlten Schildereyen und Tafeln gezieret, mit zierHch aus Holtz geschnit- tenen und schön vergüldeten Bildern , Pyramiden , oder grossen von guten Porcellain gemachten Schalen untermischet: ja es wird an manche dergleichen Stube und deren Aufbutz viel Geld gewendet, welches aber die Verständigere nicht billigen, sondern vor rathsamer halten, nicht gar so viel an den Haufs- rath zu hängen, weil man solches Geld weit nützlicher anlegen , nutzen und gebrauchen kan :

Die Säle sind von diesen Prang-Stuben darinnen unterschieden, dafs die Oberdecke entweder durch und durch gemahlet, oder von Stuccador-Arbeit gantz überzogen, oder auch so, dafs nur die mittlere Füllung, bifsweilen auch noch eine und die andere aus schöner Gemählden, das übrige aber aus Schnee- weisser solcher Gips-Arbeit bestehe; die Wände sind ebenfalls nicht getäfelt, sondern entweder mit Tapezereyen und Spagliern ^'') überkleidet, oder doch auf solche Art bemahlet; der Fufs-boden mufs nicht gebrettert, sondern entweder geöstert^^), oder mit Marmor, oder wenigstens mit gebackenen Steinen beleget, und zierlich mit Farben angestrichen seyn: Es gehöret auch kein Ofen, wie schön er auch immer seyn mag, in einen Saal, welches bey uns an vielen Orten ein grosser Fehler ist, sondern an deren Stelle ein zierlich-aufgeführter Camin mit seinen Feuer-Böcken , Zangen und Schir-hacken , welche mit messingen Hand-heben und Zieraten versehen: Die Gemähide, weil keine Gesimse vor- handen, werden an die Wände über die Tapezereyen aufgehangen, und also vertheilet, dafs neben jedes derselben auf beeden Seiten zween schöne Wand- Leuchter, bei hohen Personen von Silber, bei geringern aber von Gold-färbigen Messing gemacht, an der Wand bevestiget zu stehen kommen. Da hingegen die in denen Stuben an der Decke abhängende Cronen-Leuchter hier keinen Platz finden: Heut zu Tage pfleget man in einen Saal vier grosse Spiegeln auf zu hängen, und so zu vertheilen, dafs der eine, so die Thür sich nicht gerade mitten im Zimmer öffnet, in die Mitte defs Saals, zwischen den Fenstern, und der andere diesen gerade gegen über , der dritte oben rechter, und der vierdte unten linker Hand, zu hangen komme: so aber die Thür auf die Mitte defs Zimmers gerad zutrifft, gebrauchet man nur drey grosse Spiegel, deren der erste gegen selbige über, der andere an der obern, der dritte aber an der untern Seite defs Saals aufgehänget wird , damit man alles , was in den Zimmer ist, aller Orten darinnen sehen und wahrnehmen könne.«

In den vornehmen Häusern , in welchen man einen Saal hatte , stand der Frau des Hauses auch ein besonderes Toilettenzimmer zur Verfügung;

17) Spaliere, Spoliere nannte man nach Alwin Schulz a. a. O. S. 129 halbseidene und halbleinene gestreifte Tapeten, die aber auch als Susies bezeichnet wurden.

18) von Estrich, dem gepflasterten Fufsboden, also so viel wie gepflastert.

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dem Augsburger Haus mangelt natürlich auch dieses. Die Nürnberger »Haufs- halterin« aber schreibt darüber:

»In hohen Ständen haben die Frauen ihr besonderes Aufbuz-Zimmer und Cabinet, selbiges soll von Rechts wegen ebenfalls ausspagliret ^'') seyn, und also eingerichtet, dafs gegen der Thür zu ein kleiner Altar mit einem Crucifix und zweyen silbernen Leuchtern, samt einen davor-stehenden Bet-schämel, ihre Andacht dabey zu verrichten, zukomme, auf beeden Seiten aber, so es die Grösse des Zimmers leidet , zwey kleine mit schönen bifs zur Erde ab- hängenden Teppichen bedeckte Tischlein, und über jeden derselben ein grosser Spiegel hangen, das eine soll mit einen zierlichen Schreib-Tisch besetzet seyn, und nechst dabey eine schöne Sack- oder andere Galanterie-Uhr liegen, oder aber an der Wand eine runde Scheiben-Uhr hangen : Auf das andere kleine Tisch- lein gehöret der Nacht-Zeug, bestehend in einen Tabulet-Spiegel , den man auf den Tisch vor sich stellen kan, einen wohl-ausgezierten Küstlein, worinnen ein Kamm und Bürste mit Silber beschlagen , samt einer guten Scheer zum Haar-schneiden, eine silberne Buder-Schachtel, dergleichen Haar-Nadeln, unter- schiedliche wohlriechende Essenzen, ein und anderes kleines silbernes Hand- Leuchterlein , etliche so silberne als porcellainene Schällein , zu mancherley Gebrauch, etc. etc. befindlich : Nebst der Thür, oder so nur ein Tischlein im Zimmer, stehet gegen selbigen über an der Wand ein kleines Galanterie- Bettlein, mit einen schönen Teppich bedecket, ingleichen auch ein oder zwey Paar Sesseln : Ist es aber nur ein Cabinet und der Platz klein , mufs man hierinnen menagiren und alles so genau zusammenrichten, als es immer möglich.«

Und noch einer Stube , die in den Häusern der bevorzugten Stände nicht fehlen durfte, ist zu gedenken: der Kinderstube. Auch diese fehlt dem bescheidenen Augsburger Kupferstecherhause. Die Nürnberger »Haufs- Halterin« läfst sich aber auch hierüber und zwar folgendermafsen vernehmen:

»Wo Kinder sind, wird ihnen, so es änderst die Gelegenheit und die Mittel der Eltern leyden , nicht nur eine , sondern wol gar zwo besondere Mägde zur Pflege und Wartung zugeeignet, sondern auch eine absonderliche Stube eingegeben, so man daher auch die Kinder-Stube zu nennen gewohnet ist.

Diese mufs fürnemlich mit einen oder zweyen Betten vor die Mägde, wie auch mit so viel kleinen Betten als der Kinder sind, versehen seyn; in- gleichen einen Tisch, die Kinder daran zu setzen, auch so sie noch gar klein, darauf zu wickeln : Es gehöret darein eine Lauff-Banck, worinnen sie gehen lernen, welche man hin und her tragen kan, und weit besser sind als die vor Alters gebräuchliche Lauff-Wagen , weil sich die Kinder darinnen , wann sie im Lauff kommen, nicht helffen, noch selbige aufhalten können, sondern offt nicht ohne grosse Gefahr sich zu verrencken , mit fort gezeschet werden, welches aber in denen Lauff-Bäncken nicht zu besorgen: Es gehöret darein ein zinnern Becken, dergleichen Wasser-Häfelein , und Schwämme, wie auch Kamm und Bürsten die Kinder daraus zu waschen , auch damit zu reinigen und zu säubern , dafs sie nicht in Unflat verderben , kranck und ungesund werden, ein besonderes kleines Nacht-Stühlein, um sich darauf zu erleichtern,

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. X.

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ein kleiner Schranck, das weisse Kinder-Gezeug in guter Ordnung, was diesem

und jenem gehöre, zusammen zu legen, und darinnen aufzuheben; nebst deme

soll man auch allerley Spiel-gezeug bey der Hand haben, um sie damit zu

stillen.«

(Schlufs folgt.)

Nürnberg. Hans Bosch.

Deutsehe Bauernstühle.

l^äA^J s ist eine genügend bekannte Thatsache, dafs nicht nur in Sitten ^^^J^Sn^^ und Gebräuchen, sondern auch in der Ausübung ihrer künstlerischen 3^^^^^ Bedürfnisse, im weitesten Sinne des Wortes, die Landbevölkerung allerwärts länger und liebevoller an dem Althergebrachten festhielt, als das raschlebige Volk unserer Städte. Die stets über das gestrige hinausstreben- den Stilwandlungen in der grofsen Kunst berühren nur mit den äufsersten, leise auslaufenden Ringen ihrer Wellen diesen Boden, auf dem die Bauweise und die ganze Anlage des Wohnhauses, die bunte Bemalung und das Schnitz- werk an Truhe und Kasten, Schnitt und Farbe der Kleidung ohne den Ein- flufs des Modegeschmacks und der städtischen Kunstübung sich konservativ erhalten, um so mehr, als den Bedürfnissen des Landvolkes eigene Bauern- handwerker, z.B. Landschneider und Landschreiner in Nürnberg dienten, deren zünftige Abgeschlossenheit das Eindringen des Städtergeschmacks erschweren mufste.

Wenn wir von der höchst selbständigen, oft zu hervorragender Schön- heit gelangenden Blumenornamentik absehen, stellt sich die bäuerUche Kunst dar als eine merkwürdige Mischung altererbter einheimischer Formen, die wir in den Werkstätten der städtischen Handwerker nirgends finden, und ver- späteten verflachten Reminiszensen an die bekannten Formen des städtischen Kunstgewerbes. Primitive SchUchtheit und bequeme Brauchbarkeit auch bei schwerfälligen Formen , kennzeichnet das Mobiliar des Bauernhauses ; der Verzicht auf reiche Reliefschnitzerei, auf Furniere und Intarsien, dagegen eine ausgesprochene Neigung zu bunter Bemalung und zur Anwendung von Flach- schnitzerei ist ihm mit wenigen Ausnahmen eigen. Fast jeder Gau des deutschen Landes, in dem einige Wohlhabenheit einem selbständigen Bauern- stand über die einfachsten Tagesbedürfnisse hinauszugehen gestattet, hat in dieser Weise seine eigenen Formen gebildet und bis in unser Jahrhundert bewahrt. Heute, wo diese eigenartigen Stücke schon fast überall modernen Fabrikarbeiten den Platz geräumt haben, ist es an der Zeit, das Beste dieser im Verschwinden begriffenen Bauernkunst als lehrreichen Typus deutschen Volksgeschmacks aufzubewahren.

Die drei Typen deutscher Bauernstühle, die wir aus den Beständen des germanischen Museums hier mitteilen, sind in ihrer Eigenart charakteristisch für drei verschiedene Landstriche, in denen sie bis zur Mitte unseres Jahr- hunderts in grofser Zahl zu finden waren. Gemeinsam ist ihnen ein kräftiger,

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breiter Bau mit zahlreichen Oiiersprossen, die Vorliebe für reichliche Ver- wendung gedrehter Sprossen als zierliche Füllung der Arm- und Rückenlehne und ein leuchtender einfarbiger Anstrich bald in hellem Blau , bald in kräf- tigem Rot.

Der erste, der Stuhl der Mette Eggers von 1793, stammt aus den hamburgischen Vierlanden. Seine vierkantigen gespreizten Beine sind bis auf die Stellen, wo sie mit den Querhölzern verzapft sind, abgefast; die flache Schnitzerei der geraden Rücklehne zeigt einen gekrönten Doppeladler um- geben von flauen Ranken von bäurischem Rococo und grofsen Blumen. Zier- lich gedrechselte Stäbe füllen die Öffnung unter der Rücklehne und tragen die ebenfalls gedrehten Armlehnen ; den Sitz bildet ein Geflecht von starken

Fig. 1. Vierländer Bauernstuhl von 1793.

gespaltenen Weidenruten in zwei Farben. Der hohe, etwas nach rückwärts sich lehnende Stuhl der J. Ahlheit Zumfelde von 1798 gibt dagegen den Typus des Bauernstuhles, wie er im hannoverschen Altenlande üblich war. Pfosten und Sprossen sind alle reich gedreht, doch weicher, ohne jene scharf absetzenden Profile der Vierländer Art. Die Armlehnen bilden bequem ge- schweifte Bretter; das Kopfende der hohen Rücklehne zeigt ausgesägtes Ornament, dessen Mittelstück ein Taubenpaar bildet, das nie fehlende Symbol ehelicher Liebe. Den nach vorne stark breiter werdenden Sitz bildet ein

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Brett, auf dem ein Federkissen meist mit gobelinartiger Weberei von blumen- umrahmten Bibelszenen zu liegen kam.

Ein derartiges Prunkkissen denn für den alltäglichen Gebrauch waren sie sicher einfacher ausgeführt aus dem Jahre 1722 stammend, besitzt das Museum; es trägt auf blau-grünem Grunde eine Gruppe von gezierten Kostüm-, figuren umgeben von einem Blumenkranz , eine Szene , die sich bei näherem Zusehen als die Begegnung Jakobs mit Rebekka am Brunnen darstellt.

Fig. 2. Heimbacher und Altenländer Bauernstuhl.

Während man dem schwarzwälder Bauernstuhl z. B. mit seiner hübsch ausgeschweiften Rückenlehne, dem Brettsitz ohne Querhölzer und Arm- lehnen mit ziemlicher Bestimmtheit die Herkunft von der süddeutschen Stuhlform des spätem 16. Jahrhunderts ansehen kann, ist es besonders bei den beiden friesischen Arbeiten, die wir eben kennen lernten, schwer, über die Abstammung ihrer Stilformen eine Meinung sich zu bilden. Sicher sind

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die Rococozuthaten im Schnitzwerk nur äufserlich und unwesentlich; dagegen erinnert die reiche Verwendung gedrehter Stäbe und die damit verbundene farbige Behandlung merkwürdig an jene eigenartigen Möbelzeichnungen, die uns von Bettgestellen und Stühlen des 12. Jahrhunderts in den Zeichnungen zum Lustgarten der Herrad von Landsberg und in den Miniaturen eines Psal- teriums des 10.*Jahrhunderts in der K. Bibliothek zu Stuttgart bekannt sind.

Fig. 3. Maria (?) auf reichem Thronsessel.

Auch dieses Mobiliar bestand nur aus gedrehten Pfosten ganz in der Art des Alten- länder Stuhls mit abwechselnd rot und gelb oder ähnlich gestrichenen Ringen und mit dazwischen eingefügten Füllbrettern ^), also eine Bauweise, die sich von Viollet le Ducs Rekonstruktionen der frühmittelalterlichen Zimmereinrichtung sehr

1) vgl. Hefner-Alteneck. Trachten, Kunstwerke u. Gerätschaften Bd. I. 26, 30, 32.

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weit unterscheidet. Und durch einen glücklichen Zufall ist uns sogar unter den Schätzen des germanischen Museums ein Thronsessel dieser Art erhalten, den wir uns nicht versagen können, hier zum Vergleiche wiederzugeben: Ein annähernd zuverlässiges Bild jener um das Ende des 12. Jahrhunderts irgend- wo in Deutschland üblichen Stuhlform mufs die kleine, etwas beschädigte Holzskulptur geben; ob sie wirklich aus Tirol stammt, ob sie die Madonna oder S. Anna darstellen wollte, bleibt für uns belanglos. Gedrehte Pfosten und vielfach profilierte gedrehte Stäbe als Füllglieder finden wir hier wieder, auch hier in abwechselnder bunter Bemalung von rot, weifs und gelb ^). Man wird aus dieser auffallenden Ähnlichkeit, für deren Einzelheiten die Abbildungen sprechen mögen, den Schlufs ziehen dürfen, dafs die friesischen Bauernstühle in ihrem Charakter einiges von der mittelalterlichen Möbeltechnik mit ihrer Vorliebe für Drechslerarbeit bewahrt haben, in Formen, die seit dem 15. Jahrh. zum mindesten aus dem städtischen Kunstgewerbe verschwunden sind. Aller- dings wird man dabei berücksichtigen müssen, dafs mit der Drehbank und ihrer Technik die Formen für Pfosten und Sprossen der Stühle nicht wesent- lich anders im 18. Jahrhundert gebildet werden konnten, als sie der romanische Thron und die Zeichnungen schon aus dem 10. und 12. überlieferten.

Ganz anders, aber nicht minder originell als bequem ist der aus dem Rheingau stammende Heimbacher Stuhl gebaut. Auch er trägt die Jahreszahl 1798 und die Anfangsbuchstaben vom Namen seines Besitzers an der Rück- lehne; der dreieckig geschnittene Brettsitz ruht auf drei festen gedrehten Pfosten, von denen der hintere sich als Träger einer kleinen geschweiften Rücklehne nach oben fortsetzt, während die vorderen in der Höhe der halb- rund gebogenen, aus einem dünnen Brett geschnittenen Seitenlehne endigen. Eine solide Behäbigkeit ist der Vorzug dieses Möbels , in dessen Art das Museum noch ein zweites Stück mit dreieckigem Sitz und kleiner Rücklehne aber gedrehten Stangen als Armlehnen besitzt.

So wenig man wird behaupten können , dafs die Einzelformen dieses Heimbacher Stuhls an gotische Stilformen gemahnen, so hat doch die Art, wie -die Konstruktion der Pfosten und Lehnen zu Tage liegt, ohne Zuthaten und zwecklose Zierrate etwas entschieden gotisches, und auch rein äufserlich genommen, gibt es für die Bauart dieses Möbels aus der Zeit des gotischen Stils auffallend verwandte Gebilde : Der dreieckige Brettsitz und die niedere Lehne, die im Bogen um die drei stützenden Pfosten geführt ist, kehren ge- nau so wieder an einem gotischen Stuhle des 16. Jahrhunderts, den das Museum aus rheinisch-westfälischem Boden erwarb. Drei mit geringer Pro- filierung geschnitzte Säulen werden verbunden durch ein aus Eichenbrettern ausgeschnittenes Gitterwerk , das hier die Stelle der Quersprossen vertritt, und auf welches der Sitz aufgelegt ist. Die Bildung der Rücklehne des Heim- bacher Stuhls geschieht dagegen wieder in Anlehnung an das Motiv des romanischen Thrones Fig. 3, wenn auch zweckentsprechend bequemer; das ganze Möbel schmückt ein dunkelroter einfarbiger Anstrich.

2) A. von Essenwein hat im Jahrgang 1891 dieser Mitteilungen der interessanten Figur bereits eine eingehende Besprechung gewidmet (S. 51 flf.).

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Bei der grofsen Aufmerksamkeit, die unsere Zeit gerade den Volksalter- tümern und der Volkskunst zuwendet, liegt meines Wissens nicht selten der Gedanke zu Grunde , als sei hier im Schnitt und in der Farbenwahl der Kleidung, im Hausbau, in Gebräuchen und Benennungen etwas stammhaftes altgermanisches erhalten, was sich als Merkmal des Stammcharakters z. B. der Alemannen oder Friesen betrachten liefse, und was eben deshalb erhalten und gepflegt zu werden in hohem Mafse verdiene. Ich glaube vielmehr, man sollte um eine unanfechtbare Grundlage für eine wissenschaftliche Bearbei- tung dieser Volksaltertümer zu ermöglichen , von einem etwas skeptischeren Standpunkt ausgehen und zunächst historisch sichten: Für eine Geschichte der oder jener Volkstracht, des oder jenes Bauernhaustypus läfst sich heute weit leichter greifbares Material zusammenstellen , als für ihre Ätiologie , die wohl noch längere Zeit für wissenschaftliche Betrachtung verschleiert liegen wird.

Nürnberg. K. Schaefer.

Ausrüstung einer Wagenburg im 15. Jahrhundert.

?V n dem um die Mitte des 15. Jahrhunderts geschriebenen Codex 637 des im Germanischen Museum deponierten Freiherrl. von Löffel- holzschen Familienarchives findet sich auf Blatt 356 eine kurze Wagenburgordnung , die von den bisher bekannten ^) in manchen Punkten abweicht und daher hier wiedergegeben sein möge. Die Erwähnung der Ketzer in dieser Aufzeichnung läfst vermuten , dafs es sich um eine kriege- rische Unternehmung gegen die Hussiten gehandelt habe, die bekanntlich in der neuen, erfolgreichen Verwendung bewegUcher Wagenburgen die Lehr- meister ihrer Nachbarn gewesen waren ^).

Der Abdruck der Ordnung erfolgt diplomatisch genau; nur die Inter- punktion ist von mir hinzugefügt.

[Bl. 356a Spalte 1] »Item zw einem streitbagen gehorn sechs schützen vnd zw iglichem ambrust vier schock pfeyl, zwen man mit hantpuchsen, zw itlicher vierschok kugelich vnd puluers gnug, vier man mit hacken, vier man mit drischelen, zwu hacken, zwu schaufeien, zwu keylhauen oder grabscheyt.

Item ZV/ itUchem wagen vier starcker hengst; welcher aber nicht starke pferde hat, der nem sunst sechs, doch das itlicher wagen zwein furman hab gewappent.

Item dy schaufeien , grabscheit vnd hacken durffen nicht sunder lewt [bedürfen nicht besonderer Leute], Sunder , wirt man ir bedirffen , so nympt man sy, [wo man sy] wolt, aufs dem hauffen, do lewt gnug werden.

Summa zw einem wagen XVIII person , dy sich von dem wagen nit fwgen sollen, es sey dan mit des hauptmans geheifs.

1) Vgl. namentlich J. Würdinger, Kriegsgeschichte von Bayern, Franken, Pfalz und Schwaben von 1347 bis 1506. II. Band. München 186a S. 377 ff., dazu Anzeiger für Kunde der deutschenVorzeit XIX (1872) Sp. 283 ff., 341 ff; Max Jahns, Handbuch einer Geschichte des Kriegswesens. Leipzig 1880 S. 943 ff.

2) Vgl. Jahns a. a. O. S. 944.

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Item sulcher starker wagen sol sein in fassangs weifs (?) mit holtzen leyttern getarrast [verbarrikadiert] vom felde zwyschen den leittern vnd vnder den leittern mit guten hangenden bretern an starkenn weyden oder ketten.

Item pey itlichem wagen siiUen ketten sein, dy selben zw winden, ob ez not sein.

- [2. Spalte.] Item albeg zw funff wegen sol sein ein stein puchs, genant haufnicz, vnd zw itlicher ein schogk stein zwm mynsten vnd puluers gnug, vnd zw der selben puchsen vnd zw iren stein müfs man ein wesundern wagen haben.

Item man mufs auch auff den selben wagen kein speifs legen, Sunder ein stat dor auff lassen, dor ein man den lewten wurff stein leget.

Item wafs vbriger lewt sein vber bestellunge wegen, dy suUen alle ire were haben vnd thun noch geheifs des hauptmans.

Item vil sach vnd westellunge mag man dor zw thun , dy do nicht zw schriben. Sunder nach gelegenheit der lewte vnd ordenung aufs zw richten sind, als man das dann vor äugen sehen werdet.

Item ee man zw feit aufs zeucht, das dann alle obgeschriben stuke be- reit sind.

Item zw allen obgeschriben Sachen suUen leute aufs erkoren sein , die alle dinge wesehen werden vnd ordiniren, das daz volkumelich zw gee.

Item es sol vnder dem volk ein sulch ordenung sein, daz ye zehen man einen hauptman haben vnd hundert einen vnd tausent auch einen vnd [Bl. 356b 1. Spalte] also ymmer für sich wifs auf den obersten hauptman, als man dann lewte gnug haben wirt, dy solche sache vnd schikung wol ordi- niren können, vnd das ye ein hauptman auf den ander sehe, als dan gebon- heit ist.

Item man sol vndersteen, das alle huldunge ab sein werde.

Item das yder man uf sey mit sein selbs leybe.

Item wer aber von alter oder von krankheyt wegen nicht ziehen muge der mag einen andern an sein stat bestellen.

Item wer sich in den obgeschriben sachen vngehorsam finden Hesse, zu des leybe vnd gut solt man greiffen, alfs zw einem zw leger vnd helffer der ketzer on alle genade.

Item das man gereissig volk zw rosse aufbringe, So man meyst müg, vnd das man dem fufsvolk auch gereyssig lewte in der wagen bürge zw schiken sol.

Item auch suUen die fursten , herren vnd stet grofs vnd klein buchsen vnd ander zeugk mit in bringen, so sy meist mugen.

Item als man vnfsn herren aufs der schlesingen zw sagen sol, wy starck yderman helfen sol, ist notturfft, dafs vnfser herre sein treffelich potschaft [2. Spalte] zw allen landen vnd stetten thun vnd yn weuelhe , sulche zw sa- gung auf zw nemen , es sol auch nymant wifsen , waz dy summe ist solcher macht, dann dy, dy dar zw geschickt sint, dy das auch vnfserm herren von stund an verkünden sullen.«

Nürnberg. Th. H.

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Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum.

(Fortsetzung.)

V. Scheibeninstrumente, Graphometra.

ussoleinstrumente, bei welchen die Ablesung unmittelbar durch die Beobachtung des Standes der INIagnetnadel geschieht, sind stets an kleine Dimensionen gebunden und gewähren, abgesehen von ihren sonstigen Mängeln schon aus diesem Grunde nur eine geringe Genauigkeit. Es leuchtet ein, dafs die Genauigkeit der Teilung solange man die modernen Hilfsmittel nicht kannte , mit der Gröfse des Teilkreises zunimmt , dafs also grofse Instrumente eine genauere Beobachtung ermöglichen als kleine.

Grofse Kreise oder-Teile von solchen, Quadranten waren in der Astro- nomie schon von Ptolomäus angewandt worden ; die Beobachtungen wurden mit Diopterregeln vorgenommen. Tycho Brahes Mauerquadranten, wie seine grofsen beweglichen Azimuthaiquadranten waren bei einem Radius von fünf Ellen in Grade, Minuten und Sechstelminuten geteilt, so dafs die kleinste Tei- lung einem Winkel von 10" entsprach und die Hälfte dieses Winkels , also 5" noch geschätzt werden konnte. Mit der Abnahme der Dimensionen nahm aber auch die Genauigkeit rasch ab, selbst wenn Nonnianische Kreise die Teilung des Limbus ergänzten. Vgl. Tychonis Brahe , Astronomiae instau- ratae mechanica. Noribergae apud Levinum Hulsium. Anno MDCII. 2 °.

Es lag nahe , Instrumente mit Teilkreis und beweglicher Diopterregel (Alhidade) auch in der Feldmefskunst anzuwenden. Die älteren Autoren be- zeichnen solche Instrumente als Scheibeninstrumente oder Graphometra. Da bei Aufnahmen im Gelände sowohl spitze als stumpfe Winkel zu messen sind, ist der Quadrant nicht die geeignete Form für das Scheibeninstrument, es fanden vielmehr Halbkreise oder Vollkreise Verwendung und die Instru- mente wurden danach, nicht sehr korrekt, als halbe und ganze Scheiben- instrumente bezeichnet.

Den Zeitpunkt ihrer ersten Einführung konnte ich nicht genau ermitteln. Nach freundlicher Mitteilung des Direktors des Conservatoire des arts et metiers zu Paris, Herrn Oberst Laussedat gibt Daufrie, tailleur des monnaies de Frane 1598 die Beschreibung eines von ihm erfundenen Graphometrons mit einer festen und einer beweglichen Regel. Dies ist die älteste bis jetzt bekannte Beschreibung eines Scheibeninstrumentes. Das Instrument selbst war aber schon früher bekannt. Wir besitzen ein zu geometrischen, astro- nomischen und gnomonischen Zwecken verwendbares Instrument von Praetorius W. J. 13 aus dem Jahre 1568, welches unter anderem auch die Teilkreise und Diopter der Scheibeninstrumente enthält. Aus dem Ende des 16. Jahr- hunderts haben wir eine sogen. Eisenscheibe W. J. 1033, und die früher be- sprochenen Distanzmesser von Joachim Kreich und Leonhard Zübler, welche auch mit Teilkreisen versehen waren beweisen , dafs Scheibeninstrumente zu Ende des 16. Jahrhunderts in Gebrauch waren.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XI.

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Die Scheibeninstrumente bestehen aus einem Teilkreis mit einer dem Anfang der Teilung entsprechenden festen , und einer um den Mittelpunkt drehbaren Diopterregel, deren Sehaxe die Drehungsaxe schneidet. Behufs Messung eines Winkels wird das Instrument im Scheitel des Winkels so auf- gestellt, dafs die Scheibe möglichst horizontal steht. Es wird dann die fest- stehende Diopterregel auf den einen Schenkel einvisiert und das Instrument festgestellt. Weiter wird das bewegliche Diopter solange gedreht, bis es die Richtung des anderen Schenkels hat. Die Ablesung des Punktes , welchen die bewegliche Regel in dieser Stellung auf dem Teilkreis berührt , gibt die Gröfse des Winkels unmittelbar an. Ist mit dem Instrument eine Bussole verbunden, so läfst sich, da die feste Regel entweder parallel oder senkrecht zur Südnordrichtung steht, ohne Mühe auch die Himmelsrichtung der Visier- linien bestimmen. Bei Aufnahme von Polygonen wird beim zweiten und den folgenden Standpunkten die feste Regel auf den jeweils vorhergehenden Punkt eingestellt und mit der beweglichen auf den folgenden visiert. Aufserdem sind die Längen der Seiten zu messen.

Altere Instrumente, welche mit Bussolen versehen sind, sind nicht selten auch zum Auftragen der Aufnahmen eingerichtet. Später fand das Auftragen gewöhnlich mittels des Transporteurs statt.

Fig. 23.

Fig. 24.

Bei der Teilung der Kreise wird im Allgemeinen nicht über halbe Grade hinausgegangen, soferne die Teilung auf den äufsersten Kreis beschränkt wird. Will man kleinere Teile von Graden mefsbar machen , so werden mehrere Kreise und zwischen diesen Transversalen von Grad zu Grad gezogen, welche gestatten , noch Winkel von 10 6 Minuten zu messen. Das Prinzip ist das der Transversalmafsstäbe. Will man einen Abstand a-b (Fig. 23) in eine Anzahl , gleiche Teile teilen , so zieht man in gleichen Abständen Parallele von gleicher Länge und verbindet den linken Endpunkt der unteren mit dem rechten der oberen Parallele durch eine Gerade, diese schneidet alsdann auf den zwischenliegenden Parallelen Teile ab, welche auf die Grundlinie projicirt, diese in gleiche Teile teilen.

Bei Übertragung dieses Teilungsprinzipes auf den Kreis ergeben sich freilich, wenn die Abstände der Parallelkreise gleich und die Transversalen gerade sind, ungleiche Teile, vgl. Fig. 24 I, doch ist der Fehler, wenn die Teilung nicht auf einen gröfseren Sector wie hier , sondern nur auf 1 '* aus- gedehnt ist ein sehr geringer und wurde gewöhnlich vernachläfsigt. Eine richtige Teilung läfst sich auf zwei Wegen erreichen, entweder indem man

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bei gleichen Abständen der Parallelkreise die Transversale krümmt, oder indem man bei gerader Transversale die Abstände der Parallelkreise ungleich macht, vgl. Fig. 24, II und III. Ersteres Verfahren gibt Bion in seinem Traite de la construction . . . des instrumens de mathematique , Paris 1752, S. 127 und PI. XIV an, das andere ist bei mehreren unserer Instrumente angewendet.

Das Bestreben der alten Instrumentenmacher , eine möglichst vielseitige Anwendbarkeit der Instrumente zn ermöglichen führte dahin , dafs entweder auf dem Limbus oder auf der Scheibe noch andere Teilungen angebracht wurden.

Fig. 25. Ganzes iScheibeninstrument vom Beginn des 17. Jahrhunderts.

W. J. 1231.

Das germanische Museum besitzt neun Scheibeninstrumente teils mit Vollkreis, teils mit Halbkreis, aus dem 17. und 18. Jahrhundert und eines mit Fernrohr aus dem 19. Jahrhundert.

Das älteste (Fig. 25) ist ein ganzes Scheibeninstrument, W. J. 1221, aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Das Instrument stammt aus der Samm- lung Spitzer (La collection Spitzer Tom. V. p. 81. Nr. 1.) Der Kreis hat einen Durchmesser von 19^ mm und ist in halbe Grade geteilt, eine schätzungsweise

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Bestimmung von V* Graden =: 15' ist noch ohne Mühe auszuführen. Am oberen Teil des Kreises ist eine zweite Teilung angebracht, welche der Ein- teilung des Kreises in regelmäfsige Polygone vom Viereck bis zum Zwölfeck entspricht. Die Scheibe selbst ist durchbrochen. In den Zwischenraum zwi- schen dem Limbus und der mittleren Scheibe ist ein doppeltes geometrisches Quadrat eingeschrieben, dessen Seiten in 60 Teile geteilt sind. An den Enden des Hauptdurchmessers 0360" 180'* stehen feste Absehen (Diopter). Die bewegliche Regel trug ehemals eine Bussole.

Dem Hauptdurchmesser parallel ist eine Regel mit dem Kreis in fester Verbindung. Das Instrument konnte also mit Verwendung der Bussole auch zum zeichnerischen Auftragen der Aufnahmen gebraucht werden.

An die Scheibe ist unten eine mit einem horizontalen Gelenk versehene Hülse angeschraubt, mittels deren die Scheibe auf das Stativ aufgesetzt wurde. Das Gelenk ermögUcht, die Scheibe in senkrechte Stellung zu bringen, was nötig war, wenn Höhen nach Graden oder mit dem geometrischen Quadrat gemessen werden sollten.

Aufser zum Messen oder zum Abstecken von horizontalen Winkeln war das Instrument also auch zum Höhenmessen und endlich zum Abstecken von regelmäfsigen Polygonen, wie sie namentlich im Festungsbau vorkamen, verwendbar.

Ein halbes Scheibeninstrument, W. J. 265, bezeichnet: Michael Scheffelt Ulm fecit An. iJoS, hat gleichfalls eine Teilung zum Abstecken von Poly- gonen. Die Diopter sind zum Umlegen eingerichtet. Ihre Träger sowie die Füllung der inneren Scheibenfläche sind mit schönen durchbrochenen und gravierten Ornamenten geziert.

Ein hervorragend schönes Instrument, W. J. 250 ist in Fig. 26 darge- stellt. Es ist bezeichnet ; Franciscus Fiebig nie fecit und ist aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Der Durchmesser des Kreises beträgt 314 mm. Der Limbus, auf welchem verschiedene Teilungen angebracht sind, hat eine Breite von 36 mm, innerhalb desselben ist die Fläche ausgeschnitten, nur vier Stege laufen nach dem mittleren Kreis. Die Enden der Stege sind mit durchbrochenen Rankenornamenten verziert. Auf dem mittleren Kreis ist eine Bussole befestigt, um welche sich die bewegliche Regel dreht. An den vier Enden der Hauptdurchmesser der Scheibe, wie an den Enden der beweglichen Regel sind Diopter angebracht.

Der Limbus trägt drei Teilungen. Der äufsere Kreis ist in 360" und diese in je sechs Teile geteilt, so dafs eine direkte Ablesung auf zehn Bogen- minuten möglich ist. Bei genauer Beobachtung kann man Schätzungsweise auf 5' kommen. Die Teilung ist von rechts nach links und von links nach rechts numeriert und zwar stehen die Anfänge beider Numerierungen um 15 " von einander ab. Dies rührt daher, dafs die Ablesung nicht in der Visier- linie der bewegHchen Diopter sondern an den Kanten der Regel geschieht, welche auf die Breite des Limbus eine radiale Richtung haben und um 7^2 " von der Visierlinie abstehen.

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Der innere Kreis ist in den vier Quadranten mit einer Skala zu Höhen- messungen, einer Übertragung des geometrischen Quadrates auf den Kreis versehen, jeder Quadrant ist in zweimal Hundert, gegen die Mitte abnehmende Teile geteilt. Auch hier ist die Teilung gegen die Axe der festen Diopter um7V2" nach rechts verschoben. Zwfschen diesen beiden Teilungen ist, auf die vier Quadranten verteilt die Gröfse der trigonometrischen Funktionen Sinus, Tangente, Secante und Sagitta = Sinus versus in der Weise dargestellt, dafs man von jedem Bogen aus die Gröfse der ihm entsprechenden Funktion ablesen kann. Hiebei ist eine Teilung des Radius in 1000 Teile zu Grunde gelegt.

Fig. 26. Ganzes Scheibeninstrument von Franciscus Fiebig. 17. Jahrhundert 2. E. W. .J. 250.

Das Instrument ist zunächst zu Winkelmessungen bestimmt, es kann aber auch zur Messung von Höhen und horizontalen Längen, sowie zu deren trigonometrischer Berechnung verwendet werden.

Die Ausführung des Instrumentes ist eine vortreffliche , sowohl das in technischer wie in dekorativer Hinsicht.

Ein kleines hübsch gearbeitetes halbes Scheibeninstrument W. J. 1266 von nur 7^2 cm Durchmesser, bezeichnet »Anthon Sneew«, aus dem 17. Jahr- hundert, hat eine Teilung in halbe Grade und auf dem inneren Rande des Limbus eine Scala zur Höhenmessung (geometrisches Quadrat auf den Kreis

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übertragen). Auf dem Drehpunkte der beweglichen Regel ist, mit ihr drehbar, eine Bussole angebracht.

Bei der Mehrzahl unserer Instrumente ist eine Teilung der einzelnen Grade durch Transversalen, gewöhnlich in sechs Teile zu 10', zuweilen in zehn Teile zu 6' angegeben. Hier sei zunächst das ganze Scheibeninstrument W. J. 1263, Fig. 27 erwähnt, dessen Limbus eine Transversalteilung mit gleichen Abständen in Sechstelsgrade (10') trägt. Auf dem Instrument ist ein doppeltes geometrisches Quadrat angebracht. Den Hauptdurchmessern entsprechen Diopter, selbstverständlich ist auch die bewegliche Regel mit einem solchen versehen. Über dem Zentrum ist eine feststehende Bussole angebracht.

Fig. 27. Ganzes Scheibeninstrument. 18. Jahrhundert. W. J. 1263.

Die Scheibe ist mit durchbrochenem Rankenornament geziert , das, prächtig gezeichnet, den Raum in vortrefflicher Weise ausfüllt. Leider ent- spricht die Sorgfalt der Teilung nicht ganz dem künstlerischen Werte des schönen Instrumentes.

Das Instrument hat noch sein altes Stativ mit Kugelgelenk, auf welches es mittels einer Hülse aufgesetzt wird. Die halben Scheibeninstrumente W. J. 251 aus dem 17. Jahrhundert und W. J. 1220 von Butterfield in Paris (aus der Sammlung Spitzer Nr. 2769) sowie W. J. 967 von Chapotot aus Paris aus dem 18. Jahrhundert haben Transversalteilung der einzelnen Grade mit aequidistanten Kreisen. Bei den beiden ersteren sind die Grade in sechs, bei letzterem in zehn Teile geteilt.

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Ein halbes Scheibeninstrument von J. G. Ebersberger in Nürnberg 1729, W. J. 252, Fig. 28, hat Transversalteilung mit ungleichen Abständen der Kreise, so dafs die Teilung vollkommen korrekt ist. Es ist einfach, aber sorg- fältig gearbeitet.

Das Visieren mit Dioptern erfordert eine grofse Accommodationsfähig- keit des Auges, welche nicht jedem Auge eigen ist, man hat deshalb schon zu Anfang des 18. Jahrhunderts an Stelle der Diopter Fernrohre mit Faden- kreuz gesetzt. Abbildungen derartiger Instrumente mit einem festen und einem drehbaren Fernrohr finden sich schon in der ersten Auflage von Bions Traite, übersetzt von Doppelmeyer. 1712. Tab. XIII und XIV, ersteres eine sog. Planchette ronde (vgl. Seite 13), letzteres ein halbes Scheibeninstrument. Ein Instrument aus der Spätzeit des 18. oder dem Beginn des 19. Jahrhun- derts besitzt das germanische jMuseum (W. J. 631). Der Limbus ist in ganze, halbe und vierteis Grade geteilt, innerhalb desselben ist die Fläche der Scheibe

Fig. 28. Halbes Scheibeninstrument von J. G. Ebersperger in Nürnberg. 1729.

etwas vertieft, so dafs ein Zeichnungsblatt eingelegt werden kann. Auf die Mitte kann eine Kippregel mit Fernrohr aufgeschraubt werden. An der Kipp- regel ist ein Nonius befestigt, an welchem 30 Teile 29 Viertelsgraden des Limbus gleich sind. Das Instrument kann also zur Messung wie zur Auf- zeichnung von horizontalen Winkeln benützt werden. Leider ist es so defekt, dafs ich hier von einer Beschreibung absehen mufs.

Ich habe mehrfach darauf hingewiesen , dafs die Scheibeninstrumente auch zur Messung vertikaler Winkel benutzt wurden; die Scheibe mufste als- dann vertikal gestellt werden, was mittels einer horizontalen Axe oder mittels eines Kugelgelenkes möglich war. Diese Umstellung der Scheibe liefs sich vermeiden, wenn man das bewegliche Diopter so einrichtete , dafs es nicht nur in horizontaler, sondern auch in vertikaler Richtung gedreht werden konnte und wenn zugleich eine Ablesung des Winkels der vertikalen Drehung mög- Hch war.

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Auch solche Instrumente waren schon im 16. Jahrhundert im Gebrauch. Ich erinnere an das Eingangs erwähnte Universalinstrument von Praetorius aus dem Jahre 1568. Ferner gehört hierher die Eisenscheibe (Markscheide- instrument) W. J. 1033 Fig. 29 und der Aufsatz einer solchen W. J. 1149. Beide sind in ihrer Konstruktion nahezu identisch , es genügt also die Be- schreibung des vollständigeren. Vgl. auch das Instrument von Lörer S. 13.

Dieses trägt die Bezeichnung W. P. Der Stil der Ornamente und die Schrift weisen auf das Ende des 16. Jahrhunderts und ein Zulegeinstrument desselben Meisters trägt die Jahreszahl 1599. Den Namen des Meisters konnte ich nicht ermitteln, dagegen ist es nicht ganz unwahrscheinlich, dafs sich sein Bildnis im germanischen Museum befindet. Dieses Bildnis hängt in der sog. Kostümgallerie unter Nr. 652. Es ist von Hieronymus von Kessel im Jahre 1613 gemalt (Eigentum der kgl. bayerischen Staats-Gemäldesammlung N. Inv. 5546) und stellt eine Familie in bürgerlicher Tracht , Mann , Frau und zwei Kinder dar. Der Mann hält in der linken Hand das vielleicht von ihm erfundene

Fig. 29. Eisenscheibe von W. P. Um 1600.

Zulegeinstrument mit der Bezeichnung P. W. 1591. Die Tracht ist deutsch und die Anhänger, welche sämtliche Familienglieder tragen, besagen, dafs die Familie der katholischen Konfession angehört. Die Provenienz des Bildes ist nicht bekannt.

Die geometrischen Instrumente erfahren für die Anwendung in der Mark- scheidekunst, der auf den Bergbau angewandten Mefskunst, gewisse Umgestal- tungen, welche hauptsächlich dadurch bedingt sind, dafs in vielen Fällen längere Visierlinien, wie sie die Anwendung von Dioptern oder Fernrohren erfordert, nicht gegeben sind. Schon bei der Besprechung des Hängekompafs habe ich erwähnt, dafs das Streichen der Linien durch gespannte Schnüre angegeben wird. Von Alters her ist in der Markscheidekunst die Teilung des Kreises in 24 Stunden üblich. Auch für die Richtung der Linien sind beson- dere der übrigen Feldmefskunst fremde Ausdrücke in Gebrauch geblieben. Eine horizontale Linie heifst söhlig, eine vertikale seiger und eine schief an-

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steigende donlegig. Die Projektion einer donlegigen Linie auf eine horizontale Fläche wird als ihre Sohle, die auf eine vertikale Fläche als Seigerteuffe be- zeichnet.

Das Instrument Fig. 29 besteht aus einer horizontalen Scheibe und aus einem , um eine in deren Mittelpunkte errichtete , vertikale Axe drehbaren Aufsatz. Das Instrument konnte auf ein Stativ oder eine andere Unterlage geschraubt werden. ' Die horizontale Scheibe hat einen Durchmesser von 176 mm; sie ist aus Birnbaumholz, auf ihrer oberen Fläche ist der Limbus und das füllende Ornament, auf der unteren die Bezeichnung W. P. aus Bein eingelegt. Der Limbus ist in 24 Stunden und jede Stunde in acht Teile ge- teilt. Die Numerierung der Stunden läuft von Unks nach rechts wie bei der Uhr. In die Scheibe sind zwei Bussolen eingelassen , deren Mittagslinie von den Stunden 0 24 nach 12 geht. Die freibleibende Fläche ist mit derbem Blattornament gefüllt. Die Gravierungen auf den weifsen Flächen sind mit schwarzer und roter Farbe eingerieben.

Ein Dorn, der sich in der Mitte der Scheibe erhebt, trägt den drehbaren Aufsatz. Statt des Diopters, das in den Gruben keine Anwendung fand, ist ein Richtscheit (Arm) angebracht , das mit einem horizontalen Gelenk und einem Zeiger versehen ist und vorn in einen Hacken ausläuft, in welchen die die Richtung der Linien bezeichnende Schnur eingehängt wird. Das Gelenk des Richtscheites , welches eine Drehung des vorderen Teiles in vertikaler Richtung gestattet , steht im Mittelpunkt eines Vertikalkreises. Die beiden äufseren Quadranten dieses Kreises sind von der söhligen Stellung des Richt- scheites aus in je 12 Stunden und jede Stunde in acht Teile geteilt. Der Winkel einer Stunde umfafst also nicht 15 " wie auf der söhligen Scheibe, sondern nur 7^2. Ich weifs nicht ob diese Art der Teilung allgemein verbreitet war; bei dem Aufsatz einer Eisenscheibe W. J. 1149 findet sie sich* ebenfalls. In späterer Zeit wurde, auch wenn das Streichen der Linien in Stunden an- gegeben wurde, ihre Donlege (Neigung) nach Graden gemessen.

Aufser dem Richtscheit und dem Teilkreis ist an dem Aufsatz ein Zeiger angebracht, der die Stellung des Richtscheites auf der söhligen Scheibe an- zeigt und endlich ein Lotmafs zum Zweck der genauen Aufstellung des In- strumentes.

War das Instrument söhlig und nach der Mittagslinie aufgestellt, so dafs sich sein Mittelpunkt über einer, oder über dem Schnittpunkte zweier Linien stand, wurde die Mefsschnur in den Hacken des Richtscheites eingehängt und angespannt, so dafs sie der Richtung der zu bestimmenden Linie parallel war, so stellte sich der Aufsatz in eine Vertikalebene ein, welche durch den Dorn und die Schnur bezw. die Linie gelegt war und der untere Zeiger gab auf der Eisenscheibe den Winkel der Linie gegen' die Mittagslinie, der Zeiger am Richtscheit die Donlege der Linie an. Bei Messung von Winkeln mufsten die Differenzen der Ablesungen gesucht werden.

Ein geometrisches Instrument ähnlicher Konstruktion aus dem 18. Jahr- hundert, besitzt das germanische Museum unter W. J. 166, Fig. 30. Auf einer horizontalen Scheibe von 13,2 cm Durchmesser, deren Limbus in ganze

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XU.

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Grade geteilt ist, ist konzentrisch eine kleinere drehbare Scheibe angebracht. Auf dieser Scheibe erhebt sich ein Gestell, das eine um eine horizontale Axe drehbare Diopterregel und einen mit dieser aus einem Stücke geschnit- tenen Halbkreis trägt. Der Halbkreis ist von der Mitte an nach beiden Seiten in 90*^ geteilt. Ein Lot, welches an der Axe befestigt war, jetzt aber fehlt, spielte bei horizontaler Stellung der Regel auf den Nullpunkt der Teilung ein und gab, wenn das Diopter um die horizontale Axe gedreht wurde, dessen Neigung gegen den Horizont an. Zum Zwecke der Messung von Horizontal-

Fig. 30. Instrument zur Messung von horizontalen und vertikalen Winkeln 18. Jahrhundert, W. J. 166.

winkeln ist an der drehbaren Scheibe in der Richtung der Diopterregel ein Stift angebracht, welcher auf dem Limbus der festen Scheibe die Stellung der Visierlinie angibt. Die Differenz der Ablesungen ergibt die Gröfse des Winkels.

An der festen Horizontalscheibe ist, parallel zu der Linie 0—180 der Teilung eine Diopterregel angebracht, es konnte also, wenn diese auf den einen, und die drehbare auf den anderen Winkelschenkel eingestellt war, die Gröfse des Winkels auf der Horizontalscheibe auch unmittelbar abgelesen wer-

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den. Die Ablesung ist mit einem kleinen, aus der Exzentricität der Visier- linien herrührenden Fehler behaftet.

Die Spangen auf der drehbaren Scheibe trugen ehemals eine Bussole.

Das Instrument ist kein einfaches Scheibeninstrument mehr, sondern es ist im Prinzip ein Theodolit, allerdings von einfachster Form und Konstruk- tion und der Weg von ihm bis zu den äufserst vollkommenen Instrumenten unserer Zeit ist ein weiter, aber die Grundgedanken des Theodolits sind in unserem Instrumente schon verwirklicht.

Unsere Sammlung besitzt keine Instrumente, welche die allmälige Aus- bildung des Theodolites veranschaulichen. Einige derartige Instrumente sind in der fürstlich Wallerstein'schen Sammlung in Maihingen, andere im Museum Fridericianum in Kassel, auch in den geodätischen Sammlungen der technischen Hochschulen, in den Beständen der topographischen Bureaus, der Kataster- bureaus u. s. w. dürfte sich manches Material zur Entwickelungsgeschichte des Theodoliten, des vollkommensten geodätischen Winkelinstrumentes finden.

(Fortsetzung folgt.)

Nürnberg. Gustav von Bezold.

Der Zeugdruck mit der heiligen Anna, der Jungfrau Maria und Seraphim (aus der Samm-, lung Forrer, jetzt im Germanischen Museum)

und einige altkölnisehe Handzeichnungen.

(Mit einer Lichtdrucktafel.)

Is das sowohl kunstgeschichtlich, wie auch rein künstlerisch bedeut- ^ samste Stück der zu Anfang des Jahres 1895 vom Germanischen >-. Museum erworbenen Dr. R. Forrer' sehen Zeugdrucksammlung, mit deren Katalogisierung der Unterzeichnete zur Zeit beschäftigt ist, darf ohne Zweifel der ungebleichte Leinenstoff gelten, dessen schwarz aufgedruckte Dar- stellung unsere Textabbildung in V3 der Originalgröfse wiedergibt ^).

Rechts sehen wir die heilige Mutter Anna in ein faltenreiches Gewand gehüllt auf einer Bank sitzend , den linken Fufs auf einen Fufsschemel von der vorauszusetzenden Länge der Bank gesetzt. Ihr zur Seite steht die jugendliche, kaum dem Kindesalter entwachsene Maria, sich lernbegierig über eine Schriftrolle beugend, die sie mit beiden Händen hält und die aufgerollt über den Schofs der Mutter bis auf die Erde hinabfällt. Die heilige Anna weist mit dem Zeigefinger der rechten Hand offenbar auf Noten zu Anfang des Schriftbandes hin , und der weiter folgende Text der Rolle : »gloria laus deo«-) zeigt uns, dafs es der Gesang zu Lob und Preis des Höchsten

1) Herr Dr. Forrer war so liebenswürdig, uns das Clichd für diesen Aufsatz wie für den Gewebekatalog zur Verfügung zu stellen.

2) Das letzte Wort verkehrt geschnitten. Vgl. auch Forrer , Die Zeugdrucke der byzantinischen, romanischen, gotischen und späteren Kunstepochen. Strafsburg 1894 S. 28.

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ist, worin die Mutter die Tochter unterrichtet. Sie wird darin von fünf als Vögel mit Engelsköpfen gestalteten Seraphim unterstützt, die hinter der Jung- frau Maria, ihr »heilig, heilig, heilig« singend, den Raum erfüllen. Dieser wird überwölbt von drei gotischen Baldachinen , von denen der mittlere, breitere und auch wohl vorspringend gedachte wiederum in drei Teile geteilt ist. Die mit Krabben und Kreuzblumen geschmückten Wimperge derselben ragen vor einer Arkadenreihe empor, die von einem Vierpafsfries überhöht wird, worauf das Ganze mit einer Bekrönung von Blumen abschliefst.

Niederrheinischer (kölnischer) Zengdruck. 15. Jahrhundert.

E5iese Darstellung erscheint hell auf dunklem, mit gotischem Distel- und Rankenwerk gemustertem Grunde und wiederholte sich zum mindesten nach oben hin noch einmal. Von dieser Wiederholung scheidet sie eine 12 mm breite Vierpafsbordüre, und eine ebensolche Bordüre bildet auch nach unten hin den Abschlufs. Gerade der Umstand , dafs wir es gewissermafsen nur mit der Einheit einer Musterung zu thun haben, verdunkelt uns den Zweck, zu dem unser Zeugdruck ursprünglich hergestellt sein mag. Handelte es sich nur um einen einmaligen Abdruck des Models , um einen Bilddruck, so wären wir wohl eher berechtigt, eine Vorlage für Stickerei darin zu erblicken, wie solche nachweislich nicht selten dnrch Modeldruck hergestellt worden

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sind^). Wie die Sache liegt, scheint mir indessen diese Vermutung Forrers *) nur wenig Wahrscheinlichkeit für sich zu haben, um so weniger, als die sorg- fältige nnd elegante Zeichnung doch wohl verrät , dafs dieselbe sich selbst Zweck war. Die eigentlichen Stickereivorlagen in Zeugdruck sind zumeist weit gröber. In späterer Zeit werden dabei auch wohl die verschiedenen Sticharten zugleich mitangedeutet , wie das z. B. bei dem von Forrer (Die Zeugdrucke Taf. LVl) reproduzierten Zeugdruck, der, im wesentlichen genau nach der Darstellung des Titelblatts von Dürers Marienleben , die Madonna mit dem Kinde zeigt und sich jetzt ebenfalls im Germanischen Museum be- findet, der Fall ist. Eher möchte ich noch bei unserem Zeugdruck mit der heil. Anna, der Jungfrau Maria und den Seraphim an die aus einer doppelten Reihe gleicher Darstellungen bestehende breite Einfassung eines auch im übrigen auf einfache Art mit stilisierten Mohnpflanzen , Distelzweigen oder dergl. gemusterten kirchlichen Vorhanges zur Abkleidung eines Raumes (vgl. die zur Fastenzeit vor dem Altar aufgehängten Hungertücher etc.) oder als Wandbehang denken. Ahnliche Doppelborten zu solchem Zweck die Darstellungen in der Regel freilich nicht von so ansehnlichen Abmessungen finden sich unter den Geweben des 14. und 15. Jahrhunderts nicht selten.

Ebenso schwer, wie über die ursprüngliche Bestimmung läfst sich über Ort und Zeit der Entstehung des in Rede stehenden Zeugdrucks nach diesem allein selbst Sicheres aussagen. Die Nachrichten über seine Provenienz be- schränken sich darauf, dafs er in einer Kirche bei Euskirchen gefunden wurde. Wie dieser Fundort, so mufste auch das häufige Vorkommen alter Zeugdrucke namentlich in den ärmeren Kirchen der Gegenden von Köln , Düsseldorf, Aachen u. s. w. von vornherein dazu führen, den Fabrikationsort unseres Zeug- drucks in die Landschaften um den Niederrhein oder die angrenzenden Ge- biete zu verlegen, und die auf den Entstehungsort gerichtete Frage hat denn auch bisher nur gelautet und kann in der That wohl nur lauten: nieder- rheinisch-kölnisch oder französisch-burgundisch }

Die Ansicht, dafs der Zeugdruck vielleicht burgundischen Ursprungs sei, gründet sich vornehmlich auf einem Urteile W. L. Schreibers , wonach die Auffassung der Seraphim als Vogelgestalten auf Frankreich weisen soll ''j. Ich kann die Richtigkeit dieser Behauptung nicht kontrolieren , da es mir hiezu an dem nötigen ikonographischen Vergleichsmaterial fehlt. Was ich im Original oder in Abbildungen an Seraphimdarstellungen kenne , steht mit alleiniger Ausnahme der weiter unten zu besprechenden Handzeichnung den Engels- gestalten des Zeugdrucks denn mit eigentlichem Seraphim , die nach Je- saias 6, 2 drei Paar Flügel haben müfsten und für die aufserdem eine teil- weise Verdeckung des Gesichts charakteristisch ist , haben wir es hier nicht mehr zu thun völlig fern, und auch Oskar Wulff in seiner verdienstlichen

3) Vgl. namentlich Essenwein im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1872 Sp. 245 , Lippmann , Über die Anfänge der Formschneidekunst und des Bilddrucks , im Repertorium für Kunstwissenschaft I (1876) S. 217, Forrer a. a. O. S. 29 u. a. m,

4) a. a. O.

5) Forrer a. a. O. S. 28.

94 . ,

Dissertation »Cherubim, Throne und Seraphim. Ikonographie der ersten Engelshierarchie in der christlichen Kunst« (I. Teil Altenburg 1894) erwähnt oder beschreibt nichts Ähnliches, obgleich er zahlreiche Typen bespricht und abbildet, S. 68 ff. alle ihm bekannten Seraphdarstellungen bis zum 14. Jahr- hundert aufzählt und kurz charakterisiert und S. 72 ff. auch der späteren Um- wandlung namentlich der Seraphimtypen ein besonderes Kapitel widmet. Nur zu zwei unter den dort behandelten Fällen bemerkt Wulff, dafs man den Eindruck der Vogelgestalt erhalte, »weil die Flügel fast ganz oder ganz unter- halb des Kopfes angeordnet sind«, nämlich bei der Darstellung zweier Vier- flügler auf einem rohen Frescogemälde des 13. Jahrhunderts in Nederizy bei Nowgorod und bei zwei ähnlichen Figuren auf der Erzthür der Kathedrale von Susdal (Gouvernement Wladimir), die trotz der Übereinstimmung in der Technik mit den Thüren von S. Paolo und des Domes von Amalfi erst eine Stiftung des 16. Jahrhunderts zu sein scheine^). Beide Werke östlicher Kunst- übung können, welches auch immer ihre Vorbilder gewesen sein mögen, für unser Stück gewifs in keiner Weise zur Vergleichung in Betracht kommen. Ich mufs also die Frage , ob sich etwa aus der Art der Seraphimdarstellung ein Kriterium für die Herkunft unseres Zeugdrucks ergibt , auf sich beruhen lassen.

Dagegen hätten wohl auch andere ikonographische Gründe für die Ansicht, dafs die Darstellung der französischen Kunstsphäre angehören und entsprossen sein möge, beigebracht werden können. Zunächst könnte man versucht sein, es aus dem Gegenstand der Darstellung selbst zu schliefsen. Denn seitdem 1378 der öffentliche Kultus der heil. Anna, der im christlichen Orient bereits früh- zeitig geblüht, auch im Abendlande Eingang gefunden hatte, indem Papst Ur- ban VI. ihn den Engländern gestattete, scheint sich anfangs Frankreich dem- selben mit weit gröfserem Eifer hingegeben zu haben, als Deutschland, wo erst gegen das Ende des 15. und zu Anfang des 16. Jahrhunderts mit dem mäch- tigen Aufschwung, den zu Ausgang des Mittelalters noch einmal der Marien- kultus nahm, namentlich infolge der Bemühungen des Abtes Trithemius auch die Verehrung der Mutter Anna allgemeiner geworden zu sein scheint '^). Schon die verhältnismäfsig häufige Darstellung der heiligen Anna als Hauptperson in Werken der französischen Kunst vor der Mitte des 15. Jahrhunderts gegenüber dem seltenen Vorkommen derselben auf deutschem Boden spricht ohne Zweifel dafür. Auch die auf unserem Zeugdruck dargestellte Szene : die heil. Anna ihre Tochter Maria unterweisend, begegnet uns in Frankreich bereits im 14. Jahr- hundert, z. B. als Schnitzerei am Chorgestühl der Kathedrale zu Amiens ^). Die Szene findet in der Legende der heiligen Anna keine Stütze, »ja es galt sogar als unorthodox, anzunehmen, dafs die heilige Jungfrau, die ja seit und vor ihrer Geburt mit allen Gaben des heiligen Geistes reichlich ausgestattet

6) Oskar Wulff a. a. O. S. 80.)

7) Vgl. F. Falk, Die Verehrung der heiligen Anna im XV. Jahrhundert in Der Ka- tholik LVIII, 1 (1878) S. 60 ff. Der Verfasser (Falk) hat vor allem die. deutschen Verhält- nisse im Auge.

8) Klassischer Skulpturenschatz Nr. 77.

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war, von irgend Jemandem unterrichtet zu werden brauchte«''). Daher ist diese Darstellung, die weniger dem religiösen als einem rein menschlichen Empfinden entsprang, im Mittelalter nicht gerade häufig. Aus Deutschland wüfste ich im Augenblick kaum eine zu nennen , denn eine gotische Holz- skulptur der Kirche zu Kirchlinde in Westfalen , die man nach dem Licht- druck in den Bau- und Kunstdenkmälern von Westfalen (Kreis Dortmund- Land Tafel 24 Nr. 4) ohne Zweifel als eine solche Darstellung ansprechen würde, wird in dem genannten Inventar als >'Selbdritt« mit dem Zusatz »Jesus verstümmelt« von Ergänzungen sagt der Text indessen nichts bezeichet, und eine gleichfalls in Westfalen, in einem Codex der Esterhazy' sehen Bi- bliothek auf dem Schlosse zu Nordkirchen befindliche Miniaturmalerei, die eben- falls unsere Szene zum Gegenstand hat vgl. Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Lüdinghausen Taf. 75 scheint mir zu starke flandrische Ein- flüsse zu verraten, um als spezifisch deutsche Kunst in Anspruch genommen werden zu können; sie steht möglicherweise in näheren oder entfernteren Be- ziehungen zu den »Heures« der Anne de Bretagne, aus deren reichem Minia- turenschmuck Dibdin und nach ihm Guenebault die reizvolle Darstellung »Sainte Anne instruisant sa fiUe« besonders hervorheben^"). Immerhin sieht man schon aus diesen Anführungen deutlich , dafs nicht erst , wie in den meisten ikonographischen Handbüchern zu lesen steht, die Neuzeit, nicht erst Murillo , Rubens u. s. w. das anziehende Motiv in das Bereich ihres künst- lerischen Schaffens gezogen haben, sondern dafs die Darstellung bereits dem späteren Mittelalter eigen war , Frankreich ofl'enbar früher als Deutschland. Ebenso scheint in der Baldachinarchitektur unseres Zeugdrucks das kräftige Betonen der Horizontale eher auf Frankreich als auf Deutschland hinzuweisen. Aber gerade hinsichtlich dieser Architektur brauchten wir , auch wenn wir den deutschen Niederrhein bezw. Köln als Entstehungsort des Zeugdrucks annehmen würden, nach einem Vorbilde nicht weit zu suchen. Die Wand- maiereien im Chor des Kölner Doms, das Leben der Maria (schon mit zwei Szenen aus der Vorgeschichte), sowie die Legenden der heil, drei Könige, des Papstes Silvester und der Apostel Petrus und Paulus darstellend, weisen als Umrahmung für die einzelnen Hauptbilder eine sehr ähnliche, nur reicher durchbrochene Architektur auf , die teilweise ebenfalls mit Arkadenreihen hinter den Wimpergen und einem Dreipafsfries (anstatt des Vierpafsfrieses unseres Zeugdruckes), freilich noch mit anschliefsendem Dach und bekrönen- der Zackenreihe nach oben hin abschliefst*'). Ja es macht sieht nicht ein- mal ein durch die verschiedene Enstehungszeit bedingter Stilunterschied be-

9) B. Eckl , Die Madonna als Gegenstand christlicher Kunstmalerei und Skulptur. Brixen 1883, S. 66.

10) Dibdin, Voyages en France I, 162 Anm. A. ; L.-J. Guenebault, Dictionnaire icono- graphique des monuments de l'antiquite chretienne et du moyen äge (Paris 1843) I, 64.

11) Die Kopien und Durchzeichnungen, die Osterwald seinerzeit von den Malereien im Chor des Kölner Doms gefertigt hat und die sich jetzt im kgl. Kunstgewerbemuseum in Berlin befinden , konnte ich durch das freundliche Entgegenkommen der Verwaltung des Kunstgewerbemuseums zu vorliegender Untersuchung im Germanischen Museum be- nutzen.

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sonders geltend , obgleich doch die Malereien des Kölner Domchors ohne Zweifel aus den zwanziger oder dreifsiger Jahren des 14. Jahrhunderts stammen die Weihe des Chors erfolgte schon 1322 , während wir als die Epoche, in welcher unser Zeugdruck entstanden ist . zunächst einmal die ganze Zeit- spanne von 1378 bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts im Auge behalten wollen. Allein nach der Architektur würde man den Zeugdruck vielleicht um einige Jahrzehnte früher datieren.

In gleicher Weise aber könnten jene anderen ikonographischen Beson- derheiten — mit stilkritischen Erwägungen kommen wir infolge des Mangels an Vergleichsmaterial der gleichen Technik und Zeit bei unserem Zeugdrucke nicht vom Fleck nicht sowohl auf französischen Ursprung als nur auf fran- zösisch-burgundische Einflüsse deuten, wie sie sich ja in der Kunstübung der Rheinlande während des Mittelalters so häufig und zahlreich geltend gemacht haben. Und so äufsert bereits R. Forrer (Die Zeugdrucke S. 28 f.), dafs trotz der oben zitierten Meinung Schreibers bei der Herkunft des Stoffes aus jener Kirche bei Euskirchen »immerhin auch der Gedanke an eine am Niederrhein unter burgundischem Einflufs entstandene Arbeit nicht ganz aus- geschlossen« sein möchte, und in seinem neuesten Werk (Die Kunst des Zeugdrucks vom Mittelalter bis zur Empirezeit. Strafsburg 1898 S. 26) nennt er schon etwas bestimmter , wenn auch noch immer zweifelnd , die Kölner Gegend als den Entstehungsort des bedeutsamen Stückes ^"^).

Diese Ansicht Forrers glaube ich wesentlich unterstützen zu können durch einen Vergleich des Zeugdrucks mit einer kleinen Reihe von Hand- zeichungen, die das Kupferstichkabinet des Germanischen Museums bewahrt (Hz. 37 und 38). Eine derselben, die als die Rückseite zweier anderer be- handelt war und aus diesem Grunde bisher so gut wie unbeachtet ge- blieben ist , weist nämlich fast genau die gleiche Darstellung wie unser Zeugdruck auf, nur dafs, da es sich überhaupt nur um eine Skizze handelt, die Architektur und der letzte der fünf Seraphim fehlt, zu einer Musterung des Hintergrundes erst flüchtige Ansätze gemacht sind und die ganze Szene überdies im Gegensinne erscheint. Unsere Lichtdrucktafel giebt an erster Stelle diese Seite und Darstellung des betreffenden Blättchens (Hz. 38) in Originalgröfse wieder. Ein Vergleich mit der Textillustration zeigt, wie Zeugdruck und Handzeichnung sogar in Einzelheiten übereinstimmen. Die Haltung der heiligen Anna und der Faltenwurf ihres Gewandes, Haltung und Lebensalter der Maria , die beidemale abweichend von anderen Dar- stellungen und noch mehr abweichend von der Legende, wonach die heilige Jungfrau kaum drei Jahre alt bereits von ihren Eltern dem Dienste des Tempels geweiht wurde als etwa 12- bis 14 jährig dargestellt ist, die An- ordnung der vier Hände, die tatzenartige Bildung der Füfse bezw. Hände der Seraphim, von denen beidemale einer die Schriftrolle unten halten hilft, die Behandlung des lockigen Haares der Engel, ja Haltung und Ausdruck ihrer

12) Das zuletzt zitierte Werk ist zur Zeit, da ich dies schreibe, wohl noch kaum erschienen. Mir lag ein zum Teil noch handschriftliches Exemplar davon vor, das Herr Dr. Forrer die Freundlichkeit hatte, zur einstweiligen Benutzung zu senden.

Köpfe sind hier wie dort fast völlig die gleichen. In einigen Punkten kann die Handzeichnung gewissermafsen als Kommentar für den Zeugdruck dienen. Man erkennt z. B. aus ihr erst mit Deutlichkeit, dafs die je mit einer Art Auge endigenden Schwung- und Schwanzfedern der Seraphim nur der letzte, fünfte, der in der Handzeichnung fehlt, ist damit nicht in derselben Weise bedacht worden Pfauenfedern bedeuten sollen : ein sehr an- sprechender, wahrhaft künstlerischer Auffassung entspringender Ersatz für die zahlreichen Augen, die, eine frühe Entlehnung vom Cherub, sonst meist, etwa als goldene Flecken, das Gefieder der Seraphim zu bedecken oder auch, in Reihen gestellt, bandartig, wenig sinnvoll zu umsäumen pflegen. Dem allen gegenüber können die bestehenden Unterschiede , dafs in der Hand- zeichnung die Heiligenscheine fehlen, auf dem Zeugdruck der vierte der Seraphim , wie es scheint , eine geschlossene Schriftrolle in der Rechten hält etc. die wichtigeren Abweichungen wurden ja bereits angegeben nicht eben schwer ins Gewicht fallen; es wird zugegeben werden müssen, dafs zwischen Zeugdruck und Handzeichnung sehr nahe Beziehungen ob- walten. Ja man wird sogar noch einen Schritt weiter gehen und sagen dürfen, dafs beide aller Wahrscheinlichkeit nach bezüglich des Ortes von Zeit und Werkstatt sehen wir hier noch ab der gleichen Herkunft sind, dafs also, wenn sich für unsere Handzeichnung der Entstehungsort nach- weisen liefse, er auch für den Zeugdruck nachgewiesen wäre.

Allerdings hat ein unwiderleglich sicherer Nachweis in Fällen wie dem vorliegenden seine grofsen Schwierigkeiten, grenzt, wenn dem Forscher nicht ein günstiger Zufall, ein glücklicher Fund zu Hilfe kommt, sogar ans Un- mögliche. Immerhin mufste es, da die nahe Verwandtschaft des Zeugdrucks mit der besprochenen und infolgedessen auch mit einigen weiteren Hand- zeichnungen desselben Meisters als ausgemacht gelten konnte, in hohem Grade lockend und lohnend erscheinen, nun auch in die weitere Untersuchung ein- zutreten, der Entstehung, der Schule dieser Handzeichnungen, die überdies nicht unbedeutende künstlerische Qualitäten aufweisen, genauer nachzugehen, selbst auf die Gefahr hin, keine sicheren Resultate zu erzielen, sondern etwa nur einen Wahrscheinlichkeitsnachweis zu erbringen. Diesen wenigstens glaube ich , wie ich der Entwicklung vorgreifend schon hier bemerke , im Folgenden führen zu können. Vielleicht dafs Andere, denen der Kunstkreis, um welchen es sich hier handelt, mit seinen originalen Denkmälern örtlich näher liegt, weiter zu gelangen, die Wahrscheinlichkeit zur Gewifsheit zu er- heben, im Stande sind.

Demselben Meister, der die bereits besprochene Handzeichnung skizzen- haft, aber doch nicht ohne manche Feinheiten in der Ausführung entwarf, gehören nun zunächst die beiden Zeichnungen an, welche die andere Seite des Blättchens einnehmen und auf unserer Lichtdrucktafel an zweiter Stelle wiedergegeben sind. Die Benutzung eines und desselben Blattes und die Gleichheit in Stil und Ausführung man vergleiche z. B. Bildung und Aus- druck des Gesichtes der heiligen Anna mit den Gesichtszügen der zweiten von den beiden Frauengestalten lassen darüber einen Zweifel nicht aufkommen.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XIII.

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Die erste der Figuren stellt sich uns als eine höchst merkwürdige Ver- mischung verschiedener ikonographischer Typen dar, für die ich keine Analogie beibringen kann. Es ist offenbar die Jungfrau Maria, die, das lockige Haupt ein wenig nach rechts vorgeneigt, in weiter, faltenreicher Ge- wandung ruhig dasteht. Aus ihrem Schofse nur mit dem Oberkörper her- vorragend ist in kleiner Gestaltung der göttliche Sohn sichtbar. In ähnlicher Weise findet man wohl bei Darstellungen der Heimsuchung gelegentlich die Conception angedeutet, doch mit dem wesentlichen Unterschiede, dafs dann regelmäfsig sowohl bei Maria wie bei der Elisabeth die edle Leibesfrucht in kindlicher Bildung erscheint, während wir hier den Heiland am Ende seiner Erlöserlaufbahn dargestellt sehen. Das tote Haupt ist zur Seite gesunken, die Züge des Dulderantlitzes sind von Schmerz verzogen, die durchbohrten Hände liegen kreuzweis übereinander. Es ist dieselbe Darstellung, die uns bei den Vesperbildern, der Beweinung oder Pietä geläufig ist. Gleichwohl kommen Kummer und Schmerz in dem Gesichte unserer Madonna nicht zum vollen Ausdruck. Ist sie doch, wie die Krone deutlich zeigt, nicht etwa als schmerzliche Mutter gedacht, sondern vielmehr als über alles irdische Weh erhabene Himmelskönigin dargestellt. Es ist hier also der Versuch gemacht, die drei bedeutsamsten Momente aus der Geschichte der allerseligsten Jung- frau in einem Bilde, in einer Figur zu vereinigen. Mag man diesen Ver- such wohlgeglückt nennen, den Gedanken selbst wird man nicht als besonders geschmackvoll bezeichnen können. Der Künstler hat hier mit dem dog- matisch gebildeten, fromm-gläubigen Christen nicht Schritt gehalten.'

Weit mehr mutet uns die letzte Darstellung unseres Blattes, die noch zu besprechen bleibt, an, diejenige der Madonna mit dem Kinde. Die frei- lich allzu schlanke und kräftige Gestalt der heiligen Jungfrau ist ganz in ein faltenreiches Gewand gehüllt, das nur das Gesicht, die rechte Hand und eine Fufsspitze unbedeckt läfst. Das Christuskind, das sie auf dem rechten, etwas steif gehaltenen Arm trägt, schmiegt seinen Kopf an das Gesicht der Mutter und liebkost sie auch mit dem rechten Händchen , während sich beider Lippen im Kusse begegnen. Trotz der angedeuteten Mängel der Zeichnung verrät dieselbe doch eine nicht zu unterschätzende künstlerische Kraft. Das sinnig und natürlich zum Ausdruck gebrachte Motiv der Lieb- kosung und die feinen, seelenvollen Gesichter von Mutter und Kind zeugen von Tiefe der Empfindung, der Faltenwurf und der weiche Flufs des Ge- wandes, das offenbar als ein Wollenstoff gedacht ist, zeigen deutlich eine gute Beobachtung und tüchtige Schulung an. Von der Eigenart seines Denkens vmd seiner Auffassung waren bereits die vorbesprochenen beiden Handzeichnungen unseres Meisters ein Zeugnis.

Als echten Künstler lernen wir ihn auch aus der letzten der hier zu besprechenden Handzeichnungen kennen , deren Zugehörigkeit zu jenen anderen bereits durch das gleiche Papier, die gleiche Technik und die gleiche Provenienz so gut wie sicher gestellt wird. Es ist der Heiland in voller Vorderansicht und ganzer Figur dargestellt, die Rechte segnend erhoben, in der Linken die Siegesfahne. Über dem Untergewande trägt er um die

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Schultern einen weiten Mantel, der auf der Brust durch eine kleine rauten- förmige Agraffe oder Heftel zusammengehalten wird und zu seinen Füfsen beiderseits fast symmetrisch am Boden schleppt, sich rechts noch einmal um- schlagend. Wir werden auf dieses Motiv im weiteren Verlaufe unserer Untersuchung zurückkommen müssen. Ahnliches hätten wir übrigens bereits bei der Maria als Himmelskönigin zu beobachten Gelegenheit gehabt. Auch dort schleppt ein Zipfel des Gewandes am Boden. Das langgelockte Haupt des Erlösers umgiebt ein kreuzführender Nimbus , wie ein solcher auch das Köpfchen des Christusknaben auf der an dritter Stelle besprochenen Hand- zeichnung umstrahlt. Das Antlitz soll Hoheit und Milde widerspiegeln, doch haben leider die Augen eher einen schalkhaften Ausdruck erhalten, der die bedeutende Wirkung des Blattes etwas beeinträchtigt. Die Stellung be- zeichnet offenbar die erste Phase der Auferstehungsgeschichte: der Heiland hat soeben glorreich das Grab verlassen. In ganz ähnlicher Weise ist der Auferstandene namentlich in späterer Zeit häufig dargestellt worden.

Treten wir nun der Frage nach Nam' und Art unserer Zeichnungen näher, so ist zunächst zu sagen, dafs uns, wie so häufig in solchen Falten, die Überlieferung völlig im Stich läfst. Das kleine Aufsefs'sche Wappen, das beide Blätter tragen, zeigt nur an, dafs sie zum ältesten Bestände der Kupferstichsammlung des Germanischen Museums gehören. Im geschriebenen Kataloge werden sie als »altkölnische Schule des 14. Jahrhunderts« bezeich- net, ob aus anderen, gewisseren als stilkritischen Gründen, läfst sich nicht sagen. Ein Vermerk, woher sie etwa vom Freiherrn von Aufsefs erworben wurden, findet sich nicht beigefügt.

Etwas bessere Ausbeute gewährt die Betrachtung der Äufserlichkeiten. Im geschriebenen Kataloge werden die Blätter Federzeichnungen genannt. Trotz der feinen Strichlagen mancher Partien scheinen es dennoch Pinsel- zeichnungen zu sein. Oder man müfste ein Zusammenwirken von Feder und Pinsel annehmen wollen, denn mit der Feder allein wären so sanfte Ab- schattierungen und Übergänge kaum möglich gewesen. Auch der Zeichner, der, bereits in den fünfziger Jahren, für das Bilderrepertorium des Ger- manischen Museums sorgfältige Kopien sowohl der Himmelskönigin wie der Madonna mit dem Kinde und des auferstandenen Christus angefertigt hat, bediente sich offenbar hierbei des Pinsels. Die Farbe erscheint tiefschwarz, nicht, wie auf unserer Lichtdrucktafel, mit einem Stich ins Bräunliche. Als Grund diente ein starkes, hie und da leicht wolkiges Papier mit w^eiter Rippung, die auch im Lichtdruck zu erkennen ist: 11 Rippen ^ 29 mm. Es geht daher nicht wohl an, das Papier seiner Entstehung nach später als in die achtziger Jahre des 14. Jahrhunderts zu setzen. Von Stegen ist in der Rippung unserer Blätter nichts zu entdecken, dagegen weist das hier in Licht- druck reproduzierte Blatt in einer Ecke ein allerdings nur zum kleineren Teil erhaltenes Wasserzeichen auf. Dieses Wasserzeichen-Bruchstück sieht aus wie ein durch drei helle Linien in vier ziemlich gleiche, etwa 5 7 mm breite Teile geteiltes Fragment eines Rades mit einer dünnen Speiche. Ich habe es in der mir zugänglichen einschlägigen Litteratur (Kirchner, Keinz, Bri-

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quet u. s. w.) nicht identifizieren können. Am nächsten kommt ihm etwa das bei Keinz (Die Wasserzeichen des XIV. Jahrhunderts in Handschriften der k. bayer. Hof- und Staatsbibliothek in den Abhandkmgen der k. bayer. Akademie der Wissenschaften I. Cl. XX. Bd. III. Abt. München 1896) unter Nr. 60 abgebildete und beschriebene Wasserzeichen des 14. Jahrhunderts (dessen Provenienz übrigens dunkel bleibt), doch bricht unser Radfragment auf der einen Seite deutlich mit einer, wie es scheint, gebrochenen Linie ab, worauf die Rippen sich fortsetzen.

Gemäfs der Erfahrung nun, dafs sowohl Klöster wie Werkstätten sich bei dem regen Papier-Kleinhandel damaliger Zeiten in der Regel nicht mit gröfseren Papiervorräten für längere Zeit zu versehen pflegten, dürfen wir wohl aus der beschriebenen Art des Papieres schliefsen, dafs auch die Handzeich- nungen in den achtziger, spätestens neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts entstanden sind. Sie früher als 1378 zu datieren, geht schon aus dem oben mehrfach angezogenen Grunde nicht gut an.

Die ikonographischen Besonderheiten unserer Zeichnungen sind bereits ausführlich dargelegt worden. Für die weitere Untersuchung ergiebt sich aus ihnen nicht eben viel, jedoch mag schon hier auf die Ähnlichkeit, die zwischen unserer Madonna mit dem Kinde und der sog. Madonna mit der Bohnenblüte im Kölner Museum hinsichtlich des sonst nicht gerade häufig vorkommenden Gestus der Liebkosung obwaltet, hingewiesen sein. Zur eigent- lichen Führerin aber müssen wir nunmehr die Stilkritik wählen und an ihrer Hand namentlich die Frage nach dem Entstehungsort zu beantworten versuchen.

Wir können auch da wohl, schon wegen der nahen Verwandtschaft der Handzeichnungen mit dem Zeugdruck, von vornherein die frühere Beschränkung eintreten lassen und wiederum lediglich fragen: niederrheinisch-kölnisch oder französisch-burgundisch? Die erwähnte Bezeichnung der Blätter als »altkölnische Schule« legt es nahe, diese Möglichkeit in erster Linie zu erwägen, jene Be- zeichnung, die aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem allgemeinen Charakter der Zeichnungen, einem sicherlich nicht zu unterschätzenden Faktor, ent- sprang, zuvörderst näher auf ihren Wert zu prüfen.

Auf die Zeit, in der die noch streng stilisierten, ernsten Wandmalereien im Kölner Domchor vermutlich durch die hervorragendsten Kräfte unter den zeitgenössischen Kölner Künstlern geschaffen wurden, folgt in der Geschichte der kölnischen Malerei jene Epoche, welcher Meister Wilhelm, »der beste Maler in allen deutschen Landen«, wie ihn der Limburger Chronist nennt, ihr Ge- präge gegeben haben mufs. Leider hat es bisher nicht gelingen wollen, ein Bild von der Eigenart dieses Meisters zu gewinnen. Wir können ihm zur Zeit noch kein Werk mit einiger Sicherheit oder auch nur Wahrscheinlich- keit zuschreiben, wie denn Denkmäler der Kölner Malerei aus jener Epoche überhaupt nur äufserst spärlich erhalten sind. Meister Wilhelm starb 1378; seine Kunst und sein Stil könnte also für uns ohnehin zur Vergleichung nicht in Betracht kommen.

Aber auch die folgenden Entwicklungsphasen der Kölner Malerei liegen noch sehr im Dunkeln. Firmenich-Richartz, der sich in neuester Zeit durch

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zahlreiche Studien unbestreibare Verdienste um die Erforschung der alt- kölnischen Malerei erworben hat freilich mufste seine Thätigkeit nament- lich für die älteste Zeit zunächst mehr im Niederreifsen, denn im Aufbauen bestehen , knüpft bei der Betrachtung der Kölner Malerei in den Jahr- zehnten nach Meister Wilhelms Tod , die dann von der Kunst des Meisters der Madonna mit der Bohnenblüte abgelöst wird und die für uns hier von ganz besonderem Interesse ist , an die sicher datierten Miniaturmalereien der Privilegien-, Statuten- und Memorabilienbücher der Universität Köln an , die von verschiedenen Händen herrühren ^^). Sie stammen sämtlich aus den neun- ziger Jahren des 14. Jahrhunderts und legen in der That Zeugnis dafür ab, dafs erst um diese Zeit der alte starre Stil des INIittelalters der für die spätere kölnische Malerei so bezeichnenden innigen, milden und individuellen Auffassung zu weichen beginnt, freilich müssen wir hinzufügen : in der Buch- malerei. Ob nicht für die Wand- und Tafelmalerei, soweit letztere damals schon existierte, der Umschwung etwas weiter zurückdatiert und nicht doch vielleicht dem weitberühmten Meister Wilhelm kein ganz unwesentlicher An- teil daran zugeschrieben werden dürfte, was Firmenich-Richartz durchaus in Abrede stellt ^^), kann hier nicht näher untersucht werden. Gegenwärtig zu halten hat man sich dabei jedenfalls, dafs die grofse Malerei zu jener Zeit wohl mit der Bildschnitzerei nicht aber mit der von Mönchen oder beson- deren Illuminatoren geübten Miniaturmalerei Seite an Seite und gleichen Schrittes marschierte, grofse Neuerungen und Stilwandlungen stets von jener ausgegangen sind, während der Buchmalerei in der Regel ein konservativerer Zug anhaftet , alte Tradition in ihr länger fortwirkt. Das wird auch bei der Beurteilung des Verhältnisses unserer Zeichnungen zu jenen Miniaturen in Anschlag zu bringen sein.

Unter letzteren verraten nur die in dem Privilegien-, Eid-, und Statuten- buch von 1392 eine wirklichq Künstlerhand, wenn auch nicht, wie Firmenich- Richartz meint, einen »Künstler allerersten Ranges«. Nur diese stehen auch bereits völlig auf dem Boden des neuen Stiles, für den überschlanke Zierlich- keit der Gestalten und >minnigliche Zartheit« der Empfindung so charak- teristisch sind , während die Miniaturen der anderen Bücher bei handwerks- mäfsigerer Ausführung noch mehr oder weniger in den Bahnen der älteren, strengeren, gebundeneren Kunstweise verharren. Dennoch läfst sich sowohl bei diesen, wie bei jenen eine ganze Reihe sicherlich nicht zufällig zu unseren Handzeichnungen stimmender Züge aufzeigen. So ist die Zeichnung und Haltung des Körpers des Gekreuzigten in dem Statutenbuch von 1392^-^)

13) Vgl. Firmenich-Richartz , Meister Wilhelm. Eine Studie zur Geschichte der altkölnischen Malerei, in der Zeitschrift' für christliche Kunst IV (1891) Sp. 250 f. Die- jenigen vier Statutenbücher, welche jetzt das Stadtarchiv zu Köln in Verwahrung hat, nämlich das Privilegien-, Eid- und Statutenbuch der Universität von 1392 (Nr. 1), das Statutenbuch der medizinischen Fakultät von 1393 (Nr. 7), das Privilegien-, Statuten- und Memorabilienbuch von 1395 (Nr. 2) und das Privilegienbuch der Artistenfakultät von 1398 (Nr. 4), habe ich dank dem liebenswürdigen Entgegenkommen der Verwaltung des Kölner Stadtarchivs im Germanischen Museum benützen können.

14) a. a. O. Sp. 252 f. 15) Reproduziert in dem mehrfach angezogenen Aufsatz von Firmenich-Richartz Sp. 249.

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fast genau die gleiche , wie bei der Darstellung des Schmerzensmannes auf der oben an zweiter Stelle besprochenen Handzeichnung, und zeigt sich der weiche »fast antikische« Faltenflufs der Gewandung des Engels Matthaei in demselben Buche ^^) mit der Wiedergabe der Gewandung unserer Madonna mit dem Kinde auf das nächste verwandt. Im Ausdruck der Gesichter frei- lich und namentlich in der Behandlung des Haares glaubt man noch wesent- liche Abweichungen zu erkennen. Während insbesondere das Köpfchen des Engels über die Behandlung der Köpfe des Heilandes , der Maria oder des Johannes auf dem Kreuzigungsbilde des Buches kann man leider wegen der mangelhaften Erhaltung nur schwer urteilen durchaus dem bekannten Typus des Meisters des Münchener Veronikabildes etc. entspricht , nirrimt man doch Anstand, die Köpfe, wie sie unsere Handzeichnungen aufweisen, mit Bildern wie die Veronika (Katalog der Gemäldesammlung der kgl. älteren Pina- kothek Nr. 1)* den Klarenaltar, die Madonna mit der Bohnenblüte, (im Kölner Museum), die Madonna mit den Erbsenblüten oder St. Katharina und St. Elisa- beth (Katalog der im Germanischen Museum befindlichen Gemälde Nr. 7, 88 und 89) und so vielen anderen über einen grofsen Teil Niederdeutschlands verbreiteten , kurz mit der ehemals fälschlich Typus Meister Wilhelms ge- nannten Stilrichtung und Ausdrucksweise direkt in Parallele zu setzen. Dabei machen jedoch die Zeichnungen nicht so sehr den Eindruck gröfserer Unreife höchstens die häufig nach den inneren Augenwinkeln hin verschobenen Pupillen könnten an die Prophetenbilder aus dem Hansasaale des Kölner Rat- hauses erinnern, mit deren strenger Art sie im übrigen nichts mehr zu thun haben als den von Erzeugnissen einer anderen selbständigen und eigen- artigen Künstlerindividualität. Möglich allerdings, dafs dieser Eindruck durch die Verschiedenheit der Ausführung der vielfarbigen Gemälde und Minia- turen einerseits , der einfach in Schwarz ausgeführten Handzeichnungen an- dererseits — wesentlich bedingt ist oder doch verstärkt wird. Unsere Blätter mit authentischen Kölner Handzeichnungen aus der Wende des 14. Jahrhun- derts vergleichen zu können, habe ich bisher keine Gelegenheit gehabt.

Auch die Miniaturen der anderen Kölner Universitätsbücher bieten bei einem Vergleich mit unseren Zeichnungen im Allgemeinen wie im Besonderen manches Analoge. Da finden wir bei dem Johannes des Kreuzigungsbildes, welches das Privilegienbuch der Artistenfakultät von 1398 schmückt, wie bei unserer Madonna mit dem Kinde den wohlgelungenen Versuch gemacht, durch entsprechende weiche Vertreibung der Lichter und Schatten den sanften Flufs und Faltenwurf eines wollenen Obergewandes wiederzugeben , wie wir das ähnlich auch bei Kölner Tafelbildern und Werken der Kölner Plastik aus dem letzten Viertel des 14. Jahrhunderts beobachten können; man vergleiche z.B. die Gewandung des heil. Johannes auf dem von Schnütgen im II. Jahrgange der Zeitschrift für christliche Kunst (1889) Sp. 137 ff. publizierten und be- sprochenen altkölnischen Tafelgemälde aus dem Kölner Museum. Ganz besonders häufig begegnet uns sodann in den Miniaturen dieser Universitäts- bücher das oben näher beschriebene Motiv des am Boden schleppenden, sich

16) Reproduziert ebenda.

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in der Regel noch einmal umschlagenden Gewandzipfels, zuweilen bei ein und derselben Figur doppelt in fast symmetrischer Anordnung wie bei dem seg- nenden Heiland unserer Handzeichnungen ; man vergleiche hierzu namentlich den Engel des Matthäus in dem Statutenbuch der medizinischen Fakultät von 1393, die Madonna auf dem erwähnten Kreuzigungsbilde des Buches von 1398^'') Maria und Johannes auf dem Kreuzigungsbilde des Privilegien-, Sta- tuten- und Memorabilienbuchs von 1395. Die unteren Teile der Figuren, des Hauptbildes in dem Privilegien-, Eid- und Statutenbuche von 1392 sind leider durch das Auflegen der Finger bei der Eidesleistung bis zur Unkennt- lichkeit verdorben. Dafs es sich hierbei in der That um eine specifisch kölnische Eigentümlichkeit aus dem Ende des 14. Jahrhunderts handelt, scheinen auch andere kölnische Arbeiten jener Zeit , wie beispielsweise die beiden in der Zeitschrift für christliche Kunst VII (1894) Sp. 23 ff. von Schnüt- gen veröffentlichten altkölnischen Madonnenbildchen in durchsichtigem Email u. a. m. zur Genüge darzuthun. Schon im benachbarten Westfalen wie an- dererseits in der gleichzeitigen französisch-burgundischen Kunst kommt es, so- weit ich sehe, in dieser Ausprägung kaum vor.

Es könnte leicht noch eine Reihe weiterer Übereinstimmungen zwischen unseren Handzeichnungen und den Miniaturen der Universitätsbücher oder anderen Werken kölnischer Kunstthätigkeit aus der Wende des Jahrhunderts namhaft gemacht werden. Die angeführten wichtigeren Parallelen genügen indessen, um die nahe Verwandtschaft beider Gruppen zu erweisen. Und da nun der Nachweis ähnlich naher Beziehungen zur französischen Kunst oder niederländisch-burgundischen Schule auf erhebliche Schwierigkeiten stöfst nur die kräftig-schlanke Gestalt der Madonna mit dem Kinde scheint auch hier burgundische Einflüsse zu verraten, erinnert unwillkürlich ein wenig an Claus Sluters Madonna vom Portal der Karthause zu Dijon , so werden wir wohl unbedenklich unsere Handzeichnungen, in Übereinstimmung mit dem handschriftlichen Katalog , als Leistung eines bedeutend angelegten Kölner Meisters aus der Wende des 14. Jahrhunderts ansprechen dürfen.

Damit neigt sich aber auch hinsichtlich des Zeugdrucks, von dem unsere Untersuchung ausging und der im Mittelpunkt derselben steht, das Zünglein der Wage zu Gunsten Kölns, und es bliebe nun nur noch zu er- wägen, in welcher Zeit dieses bedeutende Stück daselbst entstanden sein mag.

Auch darüber sind bisher die Meinungen geteilt; die Einen möchten als Entstehungszeit des Zeugdrucks den Anfang des 15. Jahrhunderts, Andere die Zeit um 1440 in Anspruch nehmen. ^^) Die Entscheidung darüber, welche von diesen beiden Ansichten der Wahrheit am nächsten kommt, würde ohne Zweifel ganz wesentlich erleichtert werden, wenn sich das Verhältnis, in dem der Zeugdruck und die an erster Stelle besprochene Handzeichnung zu ein- ander stehen , näher bestimmen liefse. Könnte man nachweisen , dafs die Zeichnung ein Entwurf zu dem betreffenden Zeugdruckmodel gewesen sei, so dürfte man sicherlich die Entstehungszeiten beider nicht allzu weit ausein-

17) Reproduktion bei Firmenich-Richartz a. a. O. Sp. 249.

18) Vergl. Forrer, Die Zeugdrucke etc., S. 29.

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anderrücken, müfste sich vielmehr notwendig zur ersten der beiden Ansichten bekennen. Wäre aber jene Zeichnung etwa die Skizze zu einem jetzt unter- gegangenen oder verschollenen Tafel- oder Wandgemälde, von dem dann erst der INIodelzeichner die Darstellung entlehnt hätte, so läge zu so früher Datierung des Zeugdrucks nicht die gleiche Nötigung vor. Mein subjektives Empfinden um sichere Anhaltspunkte kann es sich kaum noch handeln neigt mehr der letzteren Auffassung zu. Es kommt dafür u. a. der durchaus statuarische Charakter der in den drei anderen Handzeichnungen zur Dar- stellung gebrachten Figuren in Betracht , die wahrscheinlich auf eine Aus- führung in Holz berechnet waren. Davon weicht allerdings die Darstellung der heiligen Anna mit der Jungfrau Maria und den vier Seraphim erheblich ab. Sie war ohne Zweifel eher auf eine malerische Wiedergabe als auf eine Ausführung in Relief oder gar als plastische Gruppe berechnet. Die Hand- zeichnungen entstammen also augenscheinlich einer ansehnlichen, namentlich mit der Herstellung von Altären , Heiligenfiguren , bemalten Reliquien- schreinen u. s. w. beschäftigten Maler- und Bildschnitzerwerkstatt, und dafs man bei einem solchen Betriebe nebenher auch Zeit gefunden habe, Vor- zeichnungen für den Zeugdruck zu fertigen, ist nicht sehr wahrscheinlich. VermutHch war diese Arbeit Sache der Zeugdrucker und Modelstecher selbst oder blieb den Formschneidern für den Holzschnitt, den Wappen- und Brief- malern etc. überlassen.

Trotzdem aber möchte ich, auch wenn es sich so verhalten sollte, was schwer mit Sicherheit zu entscheiden sein dürfte , den Zeugdruck zeitlich nicht allzu weit von unseren Handzeichnungen fortrücken, vielmehr annehmen, dafs die originelle und wirkungsvolle neue Darstellnng einen feinsinnigen Künstler unter den Zeugdruckern alsbald zur Nachahmung gereizt habe. , Stilistische Gründe stehen einer solchen Annahme, nach der wir also die Ent- stehung unseres Zeugdrucks etwa in das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts zu setzen hätten, meines Erachtens nicht entgegen, sowenig sich allerdings aus der Art der Darstellung des Zeugdrucks selbst triftige Gründe gegen eine spätere Entstehung desselben beibringen lassen.

Doch wir sind damit unversehens auf das Gebiet der reinen Hypothese gelangt, in das wir nicht weiter vordringen wollen. Die Frage nach dem Namen von Zeichner oder Zeugdrucker bleibe unberührt, und nicht minder die Frage, welche Stellung dem« Meister unserer Handzeichnungen innerhalb der Geschichte der altkölnischen Malerei etwa zuzuweisen sein möchte. Bei einem Vergleiche mit dem gesamten Vorrate an Denkmälern der kölnischen Kunst aus dem Ende des 14. und Anfang des 15. Jahrhunderts, der Zeit des Übergangs vom alten zu einem neuen Stil, würde sich ohne Zweifel noch manches nicht Uninteressante für die Zeichnungen und ihre kunstgeschicht- hche Bedeutung ergeben. Für uns waren sie hier zunächst nur Mittel zum Zweck.

Nürnberg. T h. Hampe.

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Ein Brief des Abtes Heinrieh von Herrenalb

aus dem Jahre 1429.

^as erst kürzlich in den Besitz des ^Museums gelangte Pergament- Original ist nicht ganz vollständig. Es ist unten beschnitten , so dafs die Siegel fehlen, und an der linken Kante den Rand herunter, so dafs zu Anfang jeder Zeile sich eine Lücke befindet. Obwohl es sich jedesmal nur um wenige Worte handeln kann , so sind diese Lücken doch nicht leicht zu ergänzen und erschweren das Verständnis des Inhalts. Das Äufsere des Dokuments läfst darauf schliefsen, dafs es als Bucheinband ver- wendet worden ist.

Das Schreiben ist gerichtet an den Abt von Citeaux und die übrigen ehrwürdigen Äbte und Visitatoren (diffinitores), die zum jährlichen General- konvent des Ordens in Citeaux (aput Cystercium) versammelt sind. Abt Heinrich, der ordnungsgemäfs zur Teilnahme verpflichtet ist (Zeile 4 : ex ordine obligor etc.), entschuldigt sich, dafs er wegen grofser und schwerer Geschäfte, die seinem Kloster obliegen, nicht kommen könne. Es handelt sich, wie aus Zeile 5 und 6 hervorgeht , um einen auf den nächst bevorstehenden 8. September (proximum festum nativitatis Marie) angesetzten Schiedstag zur Beilegung von Streitigkeiten zwischen dem Abt Heinrich und seinem Kloster einerseits und einem anderen Kloster andererseits. Die Feststellung dieses zweiten Klosters kann nur aus der einmaligen, am Anfang der sechsten Zeile durch eine Lücke unterbrochenen Bezeichnung der Worte et monasterio . . . Albe ex parte altera erfolgen. Da als der Name dieses feindlichen Klosters ebenfalls Alba genannt wird, und dieses zugleich in Gegensatz zu meo mona- sterio Herrenalb gesetzt ist, so kann wohl nur an Frauenalb gedacht werden, welches als benachbartes Kloster auch ganz gut pafst, obschon auffällig bleibt, dafs es nicht ausdrücklich Alba dominarum genannt wird; die Lücke scheint, der Wortstellung nach zu urteilen, kaum das Wort dominarum enthalten zu haben , da dominarum doch hinter Albe stehen mufste. Als Schiedsrichter in dem Streit wird der Graf Bernhard v. Eberstein namhaft gemacht. Der Abt Heinrich kann sich jetzt keinesfalls entfernen , und er beruft sich auf das Zeugnis eines anderen Abtes, Johannes mit Namen, dem die Sache bekannt sei und der ihn, wie er hoffe, durch wahrheitsgetreuen Bericht ent- schuldigen werde. Welchem Kloster der Abt Johannes vorgestanden hat, ist nicht ersichtlich, da der Name des Klosters gerade in den Anfang der Lücke von Zeile 8 fällt. Aber noch einen zweiten Tag, den er besuchen mufs, gibt Abt Heinrich als entschuldigenden Grund seines Nichterscheinens auf dem Konvent zu Citeaux an. Nach Zeile 9 hat auf Veranlassung der Edlen von Ryetpur der Markgraf von Baden diesen Tag angesetzt, bei dem es sich ohne Zweifel ebenfalls um den Austrag von Streitigkeiten, hier wohl zwischen dem Kloster und den genannten Edlen, handeln wird. Wir sehen, die Lage des Klosters ist bedrängt. Aber noch Anderes kommt hinzu. Auf dem Kloster lasten grofse Schulden (propter magna sarcina debitorum) und der Abt sieht sich (Zeile 12) zu dem unangenehmen Geständnis genötigt, dafs er

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XIV.

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kaum bei seiner Anwesenheit im Kloster im Stande wäre, die Gläubiger zu befriedigen und zu besänftigen , und wie die Lücke wohl ergänzt werden kann »zu verhindern«, dafs sie sogar die Güter des Klosters in Besitz nehmen (Zeile 13). Wie vielmehr würden sie in seiner Abwesenheit dies ohne Zweifel zum grofsen Schaden des Klosters zu thun nicht unterlassen) Die Gründe des Abtes , wie man sieht , sind triftig , und beweglich klagt er in Zeile 14 und 15: »Da Derartiges, wie das Erwähnte, und Anderes ach! täglich vorfällt, so bin ich gezwungen Eure Gnaden mit gebeugten Knieen anzuflehen, dafs ihr mir gestattet, vom Generalkapitel zurückzubleiben, was auch meinem Konvent nötig und vernünftig erscheint wegen verschiedener Geschäfte und Gefahren.« Er fährt dann fort (Zeile 16): »Es ereignet sich so Vieles, was abhängig ist und hervorsprofst ^) aus den verkehrt gewordenen (oder zurückgeschobenen, rückwärts gerichteten) Zeiten,« a retroactis temporibus, und nachdem er in seinem eigenen geringen Namen und zugleich in dem seines Konventes die besten Segenswünsche ausgedrückt hat, bittet er zum Schlufs noch einmal , man möge alles Vorausgegangene für wahr und not- wendig halten.

Ein Bild des Zerfalles der Klöster ! Hader mit den Nachbarn, trotz der Güter Schulden ! Die drückendsten Verhältnisse in einem der Cisterzienser- klöster, die sich sonst gerade durch wirtschaftliche Blüte, Kultivirung des Landes, durch gute Ökonomie auszeichneten. Über die Abhaltung der Ge- neral-Kapitel sagt R. Dohme'"^): »Alljährlich an einem bestimmten Termine haben sich die Vorsteher sämtlicher Ordensstiftungen in der gemeinsamen Mutterabtei unter dem Vorsitze des dortigen Abtes zu versammeln. Das Richterkollegium bestand aus den Äbten der fünf ersten Klöster, deren jeder noch vier ,Definitoren' hinzuwählte, mithin im Ganzen aus 25 Personen. Jeder Abt war verpflichtet, auf diesen Versammlungen zu erscheinen, nur schwere Krankheit entschuldigte, oder bei weiterer Verbreitung des Ordens zu grofse Entfernung seines Wohnsitzes von Citeaux. In letzterem Falle aber sollte Jeder doch wenigstens alle drei Jahre einmal erscheinen.« Weiter unten heifst es dann: »Freilich mochte sich im Laufe der Zeiten eine laxere Befolgung des Gesetzes geltend machen, und oft verhinderten die bürgerlichen Unruhen und Kriege geradezu die Abhaltung der Kapitel, so dafs Unterbrechungen bis zu 20 Jahren eintreten mufsten.« Für diese Darlegung gewährt das Schreiben des Abtes Heinrich eine ebenfalls die Zeit charakterisierende Illustration.

Drei Stellen in der Urkunde beziehen sich auf die Frage der Besiege- lung. Zeile 5 : sigillum generosi domini Bernhardi comitis de Eberstein prae- fixi michi etc., Zeile 16: attestante hoc sigillo suo hie finaliter coappenso, und endlich Zeile 19: sigilla nostra praesentibus sunt appensa. Die beiden ersten Stellen sind lückenhaft. Jedenfalls ist anzunehmen, dafs Graf Bernhard sein Siegel mit an den Brief gehängt hat, um die Aussagen des Abtes zu bekräf-

1) dependencia und pullulancia kann auch als Apposition zu negocia und pericula gehören, je nachdem die Lücke zu Anfang von Zeile 16 auszufüllen ist.

2) R. Dohme, Die Kirchen des Cistercienser-Ordens in Deutschland. Berlin, 1868. S. 22 u. 23.

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tigen. Sein Siegel hing wohl an erster Stelle ; darauf könnte praefixi deuten, obschon wahrscheinlicher ist, dafs das praefixi in demselben grammatischen Sinn angewendet ist, wie in den Worten Zeile 8 : Alius quoque dies michi praefixus est. Die zweite Stelle Zeile 16 spricht ebenfalls von einem zum Zeugnis am Schluls mitangehängten Siegel, doch läfst sich wegen der Lücke die grammatische Konstruktion nicht genau erkennen. Es kann der Konvent gemeint sein, dann würde man zwei Ablativi absoluti annehmen können, und also ergänzen und interpungiren : attestante hoc, sigillo suo hie finaliter coap- penso, conventu: indem der Konvent dies bezeugt, dadurch, dafs sein Siegel hier am Schlufs mit angehängt ist. Einfach wäre die Sache, wenn man attestanti (Dativ) lesen könnte, dann wäre attestanti als Apposition zu meo conventui in Zeile 15 zu beziehen, und die Übersetzung würde lauten: es erscheint auch meinem Konvent nötig, welcher dies bezeugt, indem er sein Siegel zum Schlufs mitangehängt hat. Doch müfste man dann einen Schreibfehler an- nehmen, da deutlich attestante dasteht. Es kann sich auch die Stelle wieder- um auf den Grafen Bernhard beziehen, doch ist dies weniger wahrscheinlich, da er zum zweiten Male kaum in dieser Form eingeführt wäre. Sehr wohl kann man aber an eine andere, wegen der Lücke nicht erkennbare Person denken. Die letzte Stelle, Zeile 19, ist wohl ganz klar. Sigilla nostra sind wohl auf das Siegel des Abtes und das des Konventes zu beziehen, da eine derartige Besiegelung ja dem Herkommen entspricht und sich in vielen Ur- kunden findet. Es sind also entweder 3 oder 4 Siegel an der Urkunde ge- wesen, drei, das des Grafen Bernhard, das des Abtes und dasjenige des Kon- ventes , oder vier , nämlich die Siegel der genannten drei Personen und das- jenige einer vierten nicht erkennbaren Person, auf welche sich die Worte in Zeile 16 beziehen.

Über das zur schwäbischen Provinz des Cisterzienser-Ordens gehörige Kloster Herrenalb zitiere ich zum Schlufs noch die Notiz aus E. Schnell, Die oberdeutsche Provinz des Cistercienser-Ordens , S. 235: Herrenalb, alba do- minorum, früher Filial von Neuburg, später von Salem, in der Diözese Speyer gelegen, wurde 1148 von dem Grafen Berthold' von Eberstein und seiner Gemahlin Utta gestiftet.

Es folgt nun die genaue Wiedergabe des Dokuments , indem wir die Schreibart buchstäblich beibehalten und unsererseits nur die Interpunktion hinzufügen.

Excusacio domini abbatis de alba spirensis diocesis.

(1) . . . US et dominis, domino dignissimo abbati Cystercii ceterisque venera- bilibus dominis abbatibus et diffinitoribus vniuersis (2) . . . aput Cystercium in dei nomine congregatis frater Heinricus, humilis abbas monasterii in Alba dicti ordinis Spirensis dyocesis (3) . . . dam obediencie promptitudinem Om- nibus et singulis exhibendam cum reuerencia et honore subiectis. Quia ad capitulum generale (4) . . . ex ordine obligor ad presens venire non valeo propter magna et ardua negocia meo monasterio incumbentia praesertim (5) . . . Sigillum generosi domini Bernhardi comitis de Eberstein praefixi michi et

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meo monasterio ex parte vna et monasterio (6) . . . Albe ^) ex parte altera circa proximum festum natiuitatis gloriose virginis Marie tamquam arbitris*) a nobis ex utraque parte electi (7) . . . me ab eo vUumodo absentare possum. Sicut eciam hoc notum est venerabili patri et domino Johanni abbati mona- sterii (8) . . . quem spero me excusare erga vestras paternitates relacione veridica. Alius quoqiie dies iterum michi praefixus est (9) . . . dus per illustrem principem dominum Marchionem de Baden ^) ex parte nobilium de Ryetpur quem eque minus valeo (10) . . . uersaliter singulis et sigillatim ®) vniuersis humiliter et obnixe supplico dictis patribus abbatibus et specialiter diffini . . (11) . . . dictorum impedimentorum facto et re ita se habencium ut praemissum est necnon propter magna sarcina ') debitorum circa v. . (12) . . . beni persoluendorum me habeant excusatum. Cum enim presens exi- stens non uel vix valeo compescere ac sedare creditores (13) . . . ut et occu- pent bona monasterii, quantomagis in absencia mei hoc sine dubio cum magno dampno non obmitterent. Hiis (14) . . . s praemissis nee non et aliis cotti- die heu incidentibus cogor vestris paternitatibus supplicare genibus prouolutis, quatenus (15) . . . atis remanere a capitulo generali, quod et meo conuentui videtur esse necessarium et racionabile propter diuersa negocia et pericula (16) . . . incidunt dependencia quodammodo et puUulancia aretroactis ^) tem- poribus, attestante hoc sigillo suo hie finaliter coappenso (17) . . . conuentus erga omnipotentem deum et vestras paternitates legales quantum suppetit nostra

paruitas votis omnibus (18i ereri, suscipientes in animas et conscien-

cias nostras^) omnia praemissa esse vera et necessaria. In quorum omnium praemissorum (19) . . . iom sigilla nostra praesentibus sunt appensa. Datum in nostro monasterio praetacto, ipso die decollacionis sancti Johannis^") (20) . . . millesimo quadringentesimo vicesimo nono.

3) Frauenalb.

4) Es steht deutlich arbitris da; man erwartet arbitri als Genitiv, homogen Bern- hardi und electi; jedenfalls hat der Schreiber den Genetiv im Sinne gehabt. Das Mönchs- latein zeigt sich auch z. B. Zeile 8 : quem spero me excusare.

5) Es ist Markgraf Bernhard I. (1379 1431), der nach dem Tode seines Bruders Rudolf VII (gest. 1391) die ganze Markgrafschaft allein beherrschte und nach einer thätigen, inhaltreichen Regierung allgemein betrauert starb. Über ihn als Förderer der Werke des Friedens , als welcher er hier erscheint , sagt Fr. v. Weech , Badische Geschichte, S. 58: »Die Kirchen und Klöster seines Landes durften sich seines Schutzes und seiner Freigebigkeit rühmen; dem Klostef Frauenalb gab er schon 1396 eine neue, bisherige Mifsstände beseitigende Ordnung; unter seiner Mitwirkung wurden 1403 die in den Kriegs- läuften zerstörten Klostergebäude von Herrenalb wieder aufgebaut und befestigt, die Benediktinerabtei Gottesaue beabsichtigte er mit der iro Jahre 1423 erwirkten Ge- nehmigung des Papstes in ein Kartäuserkloster umzuwandeln und beschenkte , als sich dies Vorhaben nicht ausführen liefs, das verarmte Gotteshaus mit namhaften Summen, dem Kloster Schwarzach erteilte er 1430 einen Freibrief, welcher die bisher ihm zu- stehenden Dienste und Gefälle der Klosterleute dem Kloster überliefs.«

6) gleich singulatim.

7) müfste propter magnas sarcinas heifsen. Schreiber nimmt ein Wort sarcinum an.

8) in einem Wort geschrieben, gleich a retroactis.

9) Man würde uestras erwarten; aber es steht deutlich nostras da. 10) 29. August.

Nürnberg. ^R. Schmidt.

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Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhunderts.

(Mit 14 Tafeln.)

(Schlufs.)

Die Wäsche- und Kleiderkammer (Taf. XII).

lenn nicht noch im oberen Geschosse , so dürfte sich die in der Überschrift genannte Kammer, in dem Aufbaue befinden, welcher in der Einleitung für das beschriebene Haus angenommen wurde. Zwei verhältnismäfsig kleine Fenster, deren geringe Gröfse und Tiefe für ein höheres Stockwerk sprechen, geben dem ziemlich grofsen Räume nur spär- liches Licht, welches das Oberlicht über der einzigen Thüre dieses Raumes zu verbessern bestimmt ist. Die Decke ist Stuckarbeit, der Fufsboden ge- brettert, die Wände mit Nischenbögen wohl einfach weifs oder gelb getüncht. Der Bestimmung des Raumes entsprechend ist die Ausstattung eine sehr ein- fache; sie besteht beinahe lediglich aus Wäsche- und Kleiderschränken.

Der doppelthürige Schrank direkt neben der einzigen Thür der Kammer zeigt ein von drei runden Säulen, welche halb heraustreten und hübsche Ka- pitale haben , getragenes Gebälke. Im Fufse befinden sich ein oder zwei Schubladen. In diesem Schranke wurden die Kleider aufbewahrt; auf welche Weise man hiebei verfuhr, wird weiter unten nach der Nürnberger »Haufs- Halterin« dargethan werden. Oben auf dem Schranke stehen einige runde Papp- oder Holzschachteln, welche bemalt oder mit Buntpapier überzogen ge- wesen sein und Hüte und Hauben der Frauen des Hauses bewahren dürften. An der Seite des Schrankes hängt eine Tafel, welche wohl zum Aufschreiben der Vorräte diente.

An der gegenüber liegenden Wand der Kammer stehen zwei Schränke, alle beide bedeutend einfacherer Art wie der vorstehend beschriebene. Der vordere zeigt architektonischen Aufbau. An der Stelle der halbrunden Säulen des erstbeschriebenen Schrankes finden sich einfache glatte Pfeiler. Er hat auf einem Untersatze mit zwei Schubladen, zwei Kästen, jeder mit Doppel- thüren und an den Seiten eiserne Handgriffe, um sie im Falle einer Umstellung oder eines Umzuges oder bei Feuersgefahr bequem transportieren zu können.^ Die Thüren haben einfache, wohl durch aufgesetzte Leisten gebildete Füllungen. Auf dem niedrigen Gesimse steht ein flacher Giebel, der in der Mitte auf der Fortsetzung des durchgehenden Pfeilers eine Vase enthält wie sie etwas kleiner, auch zu beiden Seiten des Giebels auf den Seitenpfeilern stehen. Oben auf dem Schranke steht ein längliches Kästchen , wenn es sich hier nicht etwa um einen Aufsatz handelt, der zum daraufstellen von Gegenständen diente. Die eine Thüre des oberen Kastens ist geöffnet, man sieht, dafs der letztere durch zwei wagrechte Bretter in drei Fächer geteilt ist, von denen die beiden unteren mit Wäsche gefüllt sind. Es dient der Schrank also zur Aufbewahrung der letzteren.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XV.

110 -

Neben diesem Wäscheschrank steht ein zweiter, der noch einfacherer Art ist. Er hat auch einen Untersatz mit Schublade, auf dem der doppel- thürige eingeschossige Schrank mit ähnUcher einfacher, architektonischer Glie- derung wie der vorbeschriebene, steht. Das Gesims ist jedoch kräftiger ent- wickelt ; es wird ebenfalls durch einen Giebel gekrönt , der über die ganze Breite des Schrankes geht und ohne Urne ist. Das Möbel ist wohl als Klei- derschrank anzusprechen.

Was sich sonst noch an Möbeln in diesem Räume befindet, dient alles mehr oder weniger dem Zwecke desselben. In der Mitte steht ein grofser Tisch mit geschweiften, durch einen Steg verbundenen Füfsen; er ist mit einem Tischtuche bedeckt, auf welchem einige kleine Stöfse Wäsche liegen. Vor dem Tische steht eine Bank (oder Truhenbank .f"), welche wohl zum darauflegen der Wäsche, weniger zum daraufsteigen beim Einräumen derselben in die Schränke diente. Zu diesem Zwecke ward vielmehr vorzugsweise die dreistufige hölzerne Treppe verwendet, welche vor dem Schrank, dessen eine obere Thüre geöffnet ist, steht. Vor dieser Treppe steht ein flacher vier- eckiger Korb, welcher die frisch gewaschene Wäsche birgt, welche die dar- über gebückte Frau in den Schrank einzuräumen beabsichtigt. Eine weitere Partie Wäsche, die unterzubringen ist, befindet sich auf einem Brett, das auf zwei Querleisten auf dem Boden liegt.

Aufser der erwähnten Frau befinden sich noch zwei weibliche Wesen in dieser Kammer. Nahe der offenen Thüre steht die stattliche Hausfrau und sagt dem vor ihr stehenden Töchterchen, in welcher Weise sich diese bei dem Einräumen der Wäsche beteiligen soll. Frühzeitig mufs das Mädchen mithelfen, um selbst einmal eine tüchtige Hausfrau zu werden.

Auch vor dem zweiten Schranke rechts steht ein Korb , diesmal ein runder, mit Wäsche. Zwischen den beiden Fenstern hängt ein viereckiger Spiegel, dessen Rahmen eine geschnitzte Bekrönung hat; die Frauen des Hauses wollten doch gleich schon hier oben sehen, wie sie dies oder jenes Stück kleide. Unter dem Spiegel steht ein vierbeiniger Stuhl mit geschnitzter Lehne und herzförmigem Ausschnitt zum Anfassen, ein heute Bauernstuhl genanntes Möbel. In der Ecke rechts lehnt ein Brett zum Bügeln oder Plätten der Wäsche , links steht ein Möbel , das zwischen Schemel und Bank die Mitte hält ; auf ihm steht mit viereckigem Untersatz ein auf gewundener Säule ruhendes Klöppelkissen, das hier untergebracht war, wenn die Frauen es nicht zur Arbeit benötigten.

Die Nürnberger »Haufs-Halterin« kennt nur eine Kleiderkammer; die Wäsche wurde nach ihr, soweit es Bettzeug war, im Schlafzimmer aufbewahrt, im übrigen schweigt sie sich darüber aus. Es ist daher wohl nur vergessen worden zu erwähnen, dafs Wäsche auch in der Kleiderkammer zu finden ist. Über letztere berichtet die Nürnberger »Haufs-Halterin« Folgendes:

»Was in die Kleider-Kammer gehöre, ist aus deren Benennung leicht abzunehmen, nemlich ein und andere Behälter, die Ehren- und andere saubere Kleider, so man nicht täglich an zu tragen pfleget, darinnen aufzuheben, vor denen Schaben, Staub und andern Unreinigkeiten zu verwahren, und in guten

111

Stand vor Verderbnis und Schaden zu erhalten. Es ist aber hier billig an- zumercken, dafs die lange Kleider beedes der Mann- als Weibs-Personen besser hangen als liegen, daher dann, wie die gemeine Behälter mit Fächern inn- wendig unterschieden und abgeteilet sind , was beliebt , darauf zu legen , so haben die Kleider -Schräncke solche nicht, ohne etwan nur zu öberst ein einiges Fach, da sie hingegen mit Schrauben versehen, besagte lange Kleider daran zu hängen ; Zu den Mandeln sind besondere Mandelhöltzer an den hin- tersten Bret vest angemachet, darüber man selbige schlagen , und so dann mit einen reinen Tuch überdecken kan ; Zu den Weiber-Röcken aber und bey uns sogenannten"^Schürtzen, hat man besondere runde mit Ralfen umbundene, oben etwas enge, und so dann immer zu erweiterte Stöcke, welche man oben an eine Schraube, und also einen oder mehr Röcke über einander daran her- um hänget, auf welche sie unverkrippelt ihre Falten auf das schönste behalten. Sehr wohl ist es gethan, wann man diese Behälter und Schräncke also ein- richtet , dafs sie auf beeden Seiten mit starcken gegen einander in gerader Linie überstehenden Fältzen versehen werden , worein man nach Belieben hiezu gerichtete schön glatt gehobelte Bretter schieben, und also einen gemeinen Behalter mit Fächern daraus machen kan ; so man aber besagte Bretter ent- weder alle, oder nur etliche nach Befinden heraus ziehet, auch zu einem Klei- der-Behalter dienet: So man einen Überflufs von ungerichteten Betten hat, kann man selbige auch herein in diese Kammer stellen, ob sie schon ihre Benennung von den Kleidern, so darinnen aufbehalten, hauptsächlich erhalten.« In gleicher Stockwerkhöhe mit diesem Räume dürfte sich die

Magdkammer (Taf. XIII)

befinden. Dieselbe hat in der Anlage grofse Ähnlichkeit mit der Kleider- kammer. Auch sie hat nur an der schmalen Seite zwei nicht sehr grofse Fenster und auf der linken Seite eine Thüre, aber eine einfachere, ohne Ober- licht. Dann sind die Langseiten der Wände nicht getüncht , sondern mit einfachem , aus Rahmen gebildetem Täfelwerk versehen. In gleicher Weise ist die Decke ausgeführt, der Fufsboden aber scheint gepflastert zu sein, was für eine Schlafkammer bei unserem rauhen Klima allerdings nicht sehr an- genehm war.

Das Hauptmöblement dieser Kammer bilden die beiden Bettstellen, die sehr einfacher Art sind, keinen Himmel haben, daher einer besonderen Be- schreibung wohl nicht bedürfen. Der Kopfteil des im Hintergrunde stehen- den Bettes wächst aber doch ziemlich in die Höhe und ist von einem Giebel gekrönt. Vielleicht darf aus dieser Verschiedenheit geschlossen werden, dafs in dieser besseren Bettstatt das Töchterchen des Hauses zu ruhen pflegte. Denn es war damals noch wie im 16. Jahrhundert Sitte die Mädchen, wenn sie gröfser waren. Nachts in der Magdkammer, die Knaben bei den Dienern unterzubringen. Man mufs bei den letzteren nicht gleich an Hausknechte und Hausdiener denken, es wurden als Diener auch die Buchhalter, Kassiere u.s.w. bezeichnet, die in einem Kaufmannshause thätig waren und daselbst, wie all- gemein üblich, auch Wohnung und Essen hatten. Die Nürnberger »Haufs-

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Halterin« sagt hierüber: »Wann die Kinder das siebende und achte Jahr er- reichet haben, pfleget man sie aus dieser Kinder-Stube heraus, und entweder die Eltern zu sich des Tages in die Wohn-stube , und des Nachts in die Schlaf-kammer zu nehmen, oder so es Söhne, zu den Bedienten, so es aber Töchter, zu der Beschliesserin und IMägden in die Kammer zu legen, und schon allgemach zu ernsthafften Sachen und etwas nutzliches zu erlernen, an zu gewehnen.«

Es spricht für ein schönes Verhältnis zwischen Herrschaft und Diener- personal, dafs erstere kein Bedenken hatte, den in ihrem Dienste Stehenden das Liebste anzuvertrauen, was sie hatte: ihre Kinder; heute sind solche Ver- hältnisse wohl nur Ausnahmen. Zwischen der Bettstatt der Magd und der Wand steht eine Bank, ohne Lehne, welche wohl beim Auskleiden diente und auf welche Nachts die Kleider gelegt wurden. Eine solche Bank mag wohl auch bei dem Bette der Tochter des Hauses stehen. Unter dem Mägdebett steht ein hölzerner Kasten, liegt umgekehrt, mit den Füfsen nach oben, ein hölzerner Fufsschemel, und stehen vorne zwei Paar Schuhe, die der Sitte der Zeit entsprechend, hohe Absätze haben. Ein Geräte, das schon auf Holz- schnitten des 15. Jahrhunderts unter dem Bette sich befindet, fehlt hier. Gegenüber dem Mägdebett steht an der anderen Seitenwand des Zimmers ein einfacher, niedriger, doppelthüriger Schrank mit durch Leisten gebildeten Füllungen. In ihm bewahrte die Magd ihre Kleider und Wäsche , sowie sonstigen Habseligkeiten auf. Auf diesem Schranke stehen zunächst zwei Büchlein, also w^ohl Gebetbücher, darneben ein Haubenstock mit einem Augs- burger Schneppenhäubchen mit je einer Schneppe in Mitte der Stirn und an den Schläfen. Der auf dem Schrank stehende Kasten hat einen Schubdeckel; vielleicht birgt er Hüte oder Hauben und wird in ihm sonst das Schneppen- häubchen aufbewahrt, das jetzt vor ihm steht. Auf dem Kasten befinden sich ein Becher und eine Schale , neben demselben steht ein kleiner einfacher Spiegel, der durch eine bewegliche Spreize auf der Rückwand schräg gestellt ist. Er ist das wichtigste Stück der Toilettenartikel der Magd des Hauses; der Spiegel mit viereckigem Rahmen, der zwischen den beiden Fenstern hängt, gehört wohl der Tochter des Hauses. Unter letzterem steht ein einfaches Tischchen mit Becher und Schale, wohl das Waschzeug der Tochter.

Zu dem Mobiliar gehört ferner noch ein dreibeiniger niedriger Stuhl mit rundem Sitze ohne Lehne, wie sie noch niedriger die Schuhmacher gebrauchen. Auf ihm liegen zwei Kämme und eine Bürste von pinselartiger Form zu Händen des daneben stehenden Mädchens, welche der vor ihr sitzenden statt- lichen Frau das Haar flicht. Letztere sitzt wohl auf einem gleichen Stuhle Das dritte weibliche Wesen, das diese Kammer belebt, hängt bei der linken Ecke des Zimmers einen viereckigen geflochtenen Korb auf. Längs des Magdbettes ist ein einfaches Wandbrett in ziemlicher Höhe angebracht , auf welchem Wäsche liegt und eine kugelförmige Frauenmütze (Pelzhaube.'') steht. Darunter hängt ein Frauenrock, daneben an der Wand einige Beutel oder Netze mit unbekanntem Inhalt (schmutziger Wäsche .?). An der Wand gegenüber ober dem niedrigen Schrank liegen über einer Stange, welche an zwei Stricken von der

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Decke herabhängt, einige Hemden, und Schnüre, daneben eine Bettjacke (?). Eine ebensolche dürfte über dem Kopfteil des Tochterbettes hängen.

Die Nürnberger »Haufs-Halterin« äufsert sich über diesen Raum folgen- dermafsen: >Nach deme man viele Mägde hat, nach deme mufs man auch viele Better in der Mägde-Kammer haben, ingleichen auch vor die Töchter, so viel nemlich derselben bereits aus der Kinder-stube heraus genommen , bei den Mägden in der Kammer ihre Lieger-statt haben sollen, wiewohl es öffters ge- schiehet , dafs ihrer zwo in einen etwas grössern Bett beysammen schlafen ; wann es die Gelegenheit defs Zimmers zulasset, ist es nicht übel gethan, wann auch in diesen ein und anderer Schranck und behalter stehet, so den Mägden eingeraumet wird, ihre Kleider, weisses Gezeug und andere Zugehör darinnen aufzuheben und zu verwahren: Es mufs aber diese Kammer also angeordnet werden, dafs sie dem Schlaf-Gemach der Diener nicht zu nahe gelegen seye, damit nicht die Gelegenheit Schälcke mache , und Feuer und Stroh , so es einander zu nahe kommet, brenne.«

Mit dieser Kammer sind die Wohnräume unseres Hauses alle vorgeführt. Sie mochten für eine einfache bürgerliche Familie ja weitaus genügen. Die Nürnberger »Haufs-Halterin« kennt aufser den weiteren Zimmern, die schon oben beschrieben worden sind, auch noch eine Gastkammer, die dem Augs- burger Hause fehlt. Wie aus der nachfolgenden Beschreibung aber hervor- geht, wahr auch diese sehr einfacher Art. Es wird darüber gemeldet:

»Zur Gast -Kammer soll man vor andern ein schönes helles und rein- liches wohl-angelegenes Zimmer erwehlen , mit etlichen wohl-zugerichteten Betten, auch wann das Span- und Holtz-werck darnach beschaffen, selbige so w^ohl als die Fenster mit Vorhängen behängen, mit einigen Stühlen oder Ses- seln, um sich derselben beym an- und ab-kleiden zu bedienen, besetzen, und die Wand mit etlichen Schrauben versehen, damit man die Kleider daran aufhängen könne, zumahl aber die Nacht-Geschirr hinein zu setzen, weil den Fremden defs Hauses Gelegenheit unwissend, nicht vergessen.«

Die Nürnberger » Haufs-Halterin < sagt zum Schlüsse ihrer Ausführungen, dafs diese nur ein Leitfaden sein sollen, dafs es aber Jedem selbst überlassen bleiben müsse, mit wieviel Wohnräumen er sich behelfen und wie er dieselben einrichten und ausstatten wolle. Sie schreibt: »Es ist aber hiebey wohl zu erinnern, dafs diese Beschreibung und Auszierung der Gemächer nicht eben nothwendig also seyn müsse ; dann wer nicht so viel Zimmer hat, und haben kan, mufs sich wohl mit wenigem behelffen, zu deme stehet jedem frey, solche nach Gefallen köstlicher und schicklicher aus zu zieren, denen so nicht bey Mitteln, bleibet es schon selbsten gewehret, solches nach zu ahmen; ich ge- schweige, dafs nicht jederman Lust zu so unnützen Gepräng und vielen Haus- rath Belieben habe , welche wir selbsten vor klug achten , jedoch das Ver- langen einiger Liebhaber zu stillen, und gegenwärtiges Werk, desto vollkom- mener zu machen, haben wir diese Beschreibung hier als ein nach Belieben zu änderndes Modell vorstellig machen wollen.«

114

Wenn nun auch die Wohnräume des Augsburger Hauses aufgeführt sind, so bleibt doch noch, als letzter, ein Raum zu beschreiben :

der Boden (Taf. XIV),

in manchen Gegenden unseres Vaterlandes auch Speicher genannt. Die Treppe, die an der Wand der Magdkammer zum Boden empor führt, kann nicht die- jenige sein, die in den abgebildeten Bodenraum mündet, da sie eben an der Seite des Bodens gelegen sein müfste. Wohin man auf dieser Treppe kommt, kann nicht gesagt werden , da ein zweiter Bodenraum nicht dargestellt ist. Die Nürnberger »Haufs-Halterin« teilt über den Boden sehr prosaisch mit : »Ausser diesen nun sehr weitläufig-beschriebenen Zimmern, hat man auch eines Wösch-Bodens und einer Holz-Lage nöthig, jener soll mit Stangen oder Stricken behangen seyn, um die Wösch darauf zu trocknen; diese aber so verwahret, und beschaffen, dafs sie raumig seye, eine gute Anzahl Holtz im Vorrath einzukauffen und zusammen zu legen , anbey gewölbt oder doch wenigstens ausser dem Gesicht , damit es vor den Feuer und bösen Leuten sicher, nicht so bald höchst-verderblichen Schäden erleiden möge.«

Poetischer hat der Künstler unserer Zeichnungen die Sache aufgefafst, er stellt den Boden nicht als Trockenraum für die Wäsche, sondern als Tum- melplatz für die Kinder bei schlechtem Wetter dar, welches den Aufenthalt im Freien nicht gestattet. Eine schon ziemlich erwachsene Tochter schaukelt sich, ein Bruder sitzt auf einer Kiste und betreibt das »unglückselige Flöten- spiel«, um die Ohren der Eltern nicht zu beleidigen, zwei andere Knaben aber halten Rat, was sie nun miteinander anstellen wollen. Eine Magd mit einem Kleinen auf dem Arm sieht zu und übt wohl so eine Art Oberaufsicht aus, die hier, fern von den Eltern, doch notwendig ist. Der getreue Hund des Hauses ist auch gern da, wo es munter und lustig zugeht. Über die Aus- stattung ist wohl kein Wort zu verlieren , nur auf das Vesperbrot , das auf einem Fäfschen sich befindet, sei noch aufmerksam gemacht.

Den Kindern ist dieser Boden sehr ans Herz gewachsen; hier werden alle möglichen Spiele ausgeführt und der jugendlichen Phantasie , die hiebei zur Geltung kommt, wird durch die Eltern kein Dämpfer auferlegt. Der Schreiber dieser Zeilen hat auf dem Boden des elterlichen Hauses selbst ein- mal bei der Aufführung der Preziosa mitgewirkt, die natürlich »wunderschön« verlief und Akteure wie Zuschauer »hochentzückte«. Der Dichter in Nürn- berger Mundart, Joh. Wolfg. Weikert (f 1856), erzählt in einem seiner besten Gedichte »Die Ritterburg. Ein Jugendschwank« '^) wie er mit anderen Buben den Holzstofs auf dem Boden zur Ritterburg machte, die schliefslich zu wanken anfieng.

»Mit ahmaul kröigt mei Ritterburg An Oart von Ueberg'wicht, Su dafs in Aug'ngottesblick

19) Joh. Wolfg. Weikerts Ausgewählte Gedichte in Nürnberger Mundart. Heraus- gegeben und mit einem grammatischen Abrifs und Glosar versehen, von Dr. Georg Karl Frommann. Nürnberg 1857, S. 55 ff.

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Der Hulzstaufs äff es ligt : Der Kunz ligt affn Adelbert Zammbrochen ist des Ritterschwert Und alli thenna heul'n.

Die Mutter häirt des Poltern ah

Bis nunter in die Stub'n.

Glabst's, Moh, dau störzt der Hulzstaufs ei ?

Wos Teuf'l is dau drub'n !

Die Boub'n senn's, dau wett' i draf!

Döi Galingstrick' ! Wart't, laufst mi naf!«

Sie flöigt ner su die Stöig'n,

Und bricht halt öiz in Bud'n nei ;

Die Ritter und die Knapp'n,

Döi woU'n g'schwind die Stöig'n noh

In an, den thout s' dertapp'n,

Und dachtelt'n röcht tüchti oh,

Nou wörft s'n goar die Stöig'n noh :

Dös is der Thurnwart g'wös'n.

Mei gouter Ritter Adelbert, Öiz kummt on den der Reiha, Denn knapp derblickt s' ihr Schnöierbrust, Su thout s' ah Zeter schreia, Und nau föllt s' über'n Ritter her * Und tascht'n ober kreuz a quer,

Der heult und schreit erbärmli.

Der Ritter Kunz will hint'n weck,

Den thout s' grod no dergratsch'n,

Äff den haut s' lang a Schneid scho g'hat:

Den langt s'öiz Fetz'n-Watsch'n,

Nau peitscht s'n no die Stöig'n noh,

Der heult und schreit Komordio;

Z'letzt flanna alli Knapp'n.«

In ähnlicher Weise mögen sich auch die Augsburger Kinder in diesem Hause die Zeit auf dem Boden vertrieben und allerlei lustige Geschichten auf- geführt haben, nicht immer gerade zum Vergnügen der Eltern.

Dem in der Einleitung gegebenen Versprechen, am Schlüsse dieser Mit- teilungen auf die Frage, welchem Künstler die Bilder ihre Entstehung ver- danken , zurückzukommen , sei hiemit entsprochen. Leider kann aber nur gesagt werden , dafs es nicht möglich war , über den Zeichner dieser Blätter Klarheit zu gewinnen. Die Zahl der Augsburger Künstler und Kupferstecher war im vorigen Jahrhundert so grofs, ein grofser Teil derselben hat so wenig Individuelles, es ist ihnen vielmehr gröfstenteils so etwas Gemeinschaftliches eigen, dafs es nicht möglich ist, aus dem Charakter der Zeichnungen auf den Künstler zu schliefsen. Es mufs deshalb diese Frage zunächst ungelöst bleiben, da es doch keinen Zweck hat, Behauptungen aufzustellen, für welche eine Beweisführung nicht möglich ist.

116

Augsburgs Bürger haben einen grofsen Sinn für Häuslichkeit gehabt; es sagen dies nicht nur die mit so grofser Liebe ausgeführten Zeichnungen, es geht dies auch aus anderen eigenartigen Schöpfungen hervor, die in Augs- burg im vorigen Jahrhundert entstanden sind. Man fertigte nämlich die Dar- stellung des eigenen Hauses in der Art, dafs man Bilderbögen kaufte, welche Ansichten von Zimmern, Hausgeräten, Menschen und Tieren enthielten, diese ausschnitt und die Ausschnitte zu einem Bilde zusammenklebte, welches irgend einen Raum des Hauses wiedergeben sollte. Auf diese Art und Weise stellte man das ganze Haus vom Keller bis zum Boden dar, ja man führte sogar die verschiedenen Wände der Zimmer vor , vergafs auch das Äufsere des Hauses und selbst den geheimen Ort nicht, dessen Thüre und Deckel, wie alle dargestellten Thüren, auch die der Schränke, so dafs man deren Inhalt sehen konnte, beweglich waren. Und wenn die Bilderbogen das notwendige Material nicht vollständig lieferten , so half man sich dadurch , dafs man das Fehlende durch Zeichnungen ergänzte. Von dieser Art Darstellungen, die kulturgeschichtlich recht merkwürdige Bilder liefern , ist uns ein starker Band im Privatbesitz in einem Städtchen Württembergs und hier in Nürnberg der Rest eines solchen , der aber nur aus der äufseren Ansicht des Hauses, der Küche und der Speisekammer besteht, bekannt. Sicher existieren noch mehr von diesen Büchern, von welchen aber doch wohl die meisten im Laufe der Jahre den Weg aller Bilderbücher gegangen sind, denn als solche sind diese Werke anzusehen.

Eine ähnliche Reihe Darstellungen wie die wieder gegebenen Bilder ist in Augsburg noch in den 20er Jahren unseres Jahrhunderts erschienen und zwar in der Herzberg'schen Kunsthandlung. Die Folge führt den Titel: »Zwölf Blätter Kinder-Bilder zur Unterhaltung und mündUchen Belehrung«. Das erste Heft dieses Werkes war für Mädchen bestimmt. Es führt wie die veröffentlichte Serie alle Räume des Hauses vor, die natürUch im Stile jener Zeit, der Biedermeierzeit gehalten und auch ausgestattet sind. Sie sind ganz gut gezeichnet , wenn auch die Interieurs in ihrer Erscheinung weit hinter den hier mitgeteilten zurückbleiben. Das zweite Heft enthält die Darstellung verschiedener Handwerke; es war den Knaben gewidmet. Der Stecher oder Zeichner ist nicht genannt. Ein Teil dieser Stiche ist in dem in hiesigem Privatbesitze befindlichen Bande enthalten , in welchem sich die drei übrig gebliebenen Darstellungen der älteren Serie befinden.

Heutzutage fehlt es durchaus nicht an Bildern der jetzigen Wohnungs- räume , gibt es ja sogar besondere Zeitschriften , die sich ausschliefslich mit der Veröffentlichung solcher befassen. Aber lange wird man bei diesen suchen dürfen, bis man ein so abgerundet harmonisches, auf keinerlei Effekt berech- netes, einfaches, aber darum um so anziehenderes und anheimelnderes Innere wieder findet , bis man ein für die Zeit der Darstellung so charakteristisches Bild eines bürgerUchen Hauses wiederum zu sehen kriegt, als wie es unsere Handzeichnungen vor Augen führen.

Nürnberg. Hans Bosch.

117

Geheimmittelindustrie im 18. Jahrhundert.

,o alt wie die Heilkunde ist auch der Geheimmittelschwindel und ihn durch den Lauf der Jahrhunderte, bis zum heutigen Tage, wo er noch unentwegt sein Wesen treibt, zu verfolgen, gehört zu den kultur- gesichtlich interessantesten Kapiteln der Geschichte der Medizin. Besondere Blüte hatte bekanntlich der Charlatanismus und die Quacksalberei im 16. und 17. Jahrhundert gezeitigt. Mit Recht hat Hermann Peters in seinem treftlichen Buche »Aus pharmazeutischer Vorzeit in Wort und Bild« in dem einschlägigen Kapitel (IL Bd. 225 ff.) darauf hingewiesen, welch' wichtige Stellung in der Quacksalberei die Reklame der angeblichen Heilmittel durch den Buchdruck fast vom Auftreten desselben an gespielt, wie gerade wie in unseren Tagen die Presse oder, was sie damals vertrat, als erste und wichtigste Helfershelferin der nichtzünftigen Heilkünstler angerufen wurde. Vereinzelte Anpreisungen von Heilmitteln jeder Art haben sich in gröfserer Zahl bis in unsere Zeit erhalten. Über die Verwendung dieser als Flugblätter gedruckten Reklamen gibt ein auch von Peters mitgeteiltes (a. a. O- S. 228 ff.) Gutachten des Nürnberger Arztes und medizinischen Schriftstellers Dr. Joachim Cammermeister Aufschlufs, welches am 27. Dezember 1571 dem Nürnberger Rate überreicht »Bedenken, welcher gestalt in einem wolgeordneten Regiment es mit den Aerzten und Artzneien sambt allen anderen darzu notwendigen Stücken möcht geordnet und gehalten werden« betitelt und in seinem fünften Teil »den frembden Leuten, die sich allerlei Artzneiens unterstehen wollten« gewidmet ist. Darin heifst es: »Zum dritten lassen sie getruckte, herrliche, offne Zettel, die voller brechtiger Zusagung der Gesundheit , und das mehrers thail mit anderer Arzt Verkleinerung und Verachtung gesteh und gemeiniglich voller Unwahr- heit sein, an allen Orten anschlagen, welche ihre besten Lockvögel sein, damit sie das Gelt von den Leuten bringen, und ziehen hernach davon.« Mit dem Aufkommen der Zeitungen kam die Verwendung als Plakat wohl nicht mehr so ausschliefslich zur Verwendung, die Anpreisungen wurden genau wie heute den Zeitungen als Beilage beigegeben, soweit sie nicht etwa beim Verkauf als Gebrauchsanweisung und etwa am Verkaufsort selbst an die anwesende Menge verteilt wurden. Über den in ersterer Weise getriebenen Unfug gibt wieder ein Nürnberger Ratsverlafs aus dem Jahre 1720 Auskunft (Peters a. a. O. S. 250): »Wegen der medicinischen Tractätlein, Thee-Kräuter und anderer dergleichen Dinge, welche denen Medicis und Apotheckern zum Nachtheil bisshero öffters an die hiesige Wochenzeitungen getruckt worden, dem Herrn Zeitungs-Censori, dergleichen Dinge auf denen Zeitungen durchgehends nicht mehr stehen zu lassen, zu bedenken. Denen Zeitungsdruckern aber bei einer nahmhaften Geldstraff das Verbot zu thun, nicht das Geringste mehr vdn solcherlei Dingen ohne spezielle Erlaubnis ihren Zeitungen mit anzufügen.« Geholfen hat dies Verbot aber wohl nur wenig.

Die nicht unbedeutende Zahl von marktschreierischen auf Geheimmittel bezüglichen Einzelblättern vom 16. bis zum 19. Jahrh., welche das germanische

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XVI.

118

Museum besitzt, konnte vor einiger Zeit um eine kleine Sammlung, die schon im 18. Jahrhundert angelegt und zusammengebunden wurde, vermehrt werden. Diese Blätter gewinnen dadurch besonderes Interesse, dafs sie zum gröfsten Teil sicher, wahrscheinlich aber Alle von demselben Händler, der das Geschäft ziemlich im Grofsen betrieben zu haben scheint , herrühren. Es sind im ganzen 26 Blätter, von denen 17 das »Signet« im heutigen Sinne die Schutz- marke oder das Warenzeichen eines gewissen Lorentz Blumenhöffer tragen. Dasselbe , bestehend aus einem Wappen mit zwei gekreuzten Fackeln und zwei Flügen mit einem Stern in der Mitte als Helmzier, ist an die Spitze des Druckes gestellt, im Text wird ganz wie heute darauf hingewiesen, dafs jede Packung mit diesem Signet versehen oder »petschiert« sein mufs, während am Schlufs sich der Verkäufer in folgender Weise nennt: »Diese Medica- menta sind in Leipziger Mefs-Zeiten bey Lorentz Blumenhöffer von Hamburg in seinem Gewölbe zu bekommen.« Während die Mehrzahl der Blätter mit der Anpreisung eines Mittels dessen Geschichte und Gebrauchsanweisung enthält , ist auf einem derselben eine Art Warenliste zusammengestellt , die wir hier folgen lassen.

Der Welt-berühmte UnwersaZ-hehens baisam, welcher nach Ost- und Westindien geschickt wird, und bey allen Menschen gute Würckung erweiset, indem er die gantze Natur stärcket, und die mehresten Kranckheiten ver- treibet. In der Taubheit, und im schwachen Gesichte erweiset er geschwinde Hülffe, denn er stärcket alle Lebens-Geister, und wird er fleissig gebraucht, wird man wie neu gebohren.

2.

Eine herrliche Essentia Mineralis , die weislich viele Mühe und Arbeit erfordert, ehe sie verfertiget wird: Sie widerstehet dem Krebs, er mag offen oder verborgen seyn , denn sie reiniget das Geblüt ungemein , welches ihr nicht leicht einMedicament nachthun wird. Imgleichen ist es gut für Schwangere, denn es verhütet abortum , oder unzeitige Gebührten. Wie es denn auch geschwinde Hülffe erweiset, denen Unfruchtbahren , bei welchen der Uterus oder die Mutter stark verschleimt, oder verkältet wird.

3.

Essentia Vegetabilis. Es bestehet die Würckung dieser herrlichen Medizin in einer stärckenden Krafft des Magens, und aller andern Teile, in allen Fiebern, in allen Haupt-Schmertzen, in allem Durchlauff, in der rothen und weifsen Ruhr, in der Colica, wie auch in Mutter-Beschwerung, im Er- brechen des Magens, ja in allen Schmertzen des Leibes, also Stein-Beschwe- rung ec. Im Sootbrennen gibt diese Artzney geschwinde Hülffe.

4.

Englisches Cordial. Dieses macht das Geblüt flüchtig, und erhält es in einer guten Circulation, nimmt allen kalten Schleim von der Brust hin-

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weg; und machet daselbst Lufft, indem es das sich verstopffende Geäder in der Lunge wiederum eröffnet; ist gut für die Lungensüchtigen, und sicher in allen Fiebern zu gebrauchen, e. g. in hectischen, hitzigen und kalten Fiebern, welches recht zu bewundern ist.

5. Ein fürtreflich Elixier Vitae, oder 'Lehens-B/ixir , welches schon mehr als 100. Jahr im Gebrauch gewesen, auch seine Würckung ganz erwiesen hat. Es eröfnet den Leib gelinde , führet die Galle und dem Schleim aus dem Magen und Gedärmen, befördert die haemorhoides, oder güldene Ader wie auch bey dem Frauenzimmer die vienses, und ist ein gewünschtes Hülffs-Mittel für den ]\Iagen, der die Speisen nicht gut verdauen kann.

6.

Eine bewährte Stein- Tinctur , welche den Stein in den Nieren und in der Blasen zermalmet, falls das Uebel nicht gar zu alt ist ; indem es die scharffe Materie gelinde durch den Urin abführet, auch die Schmertzen und alle Zu- fälle vertreibet, dass nicht leicht ein böser Zufall dazu kommen kann.

7.

Ein Sauer-Brunnen, welches ein recht himmlisches Medicament, so alles Podagra, Gicht und Wassersucht gänzlich ausrottet ; vertreibet die Geschwulst aus. denen Füssen, wie auch das erschreckliche Hertzklopffen. Inngleichen wiederstehet dieser Sauer-Brunn dem Zittern der Glieder, nimmt die grosse Hitze aus dem Geblüte und ist gut wieder die Blutstürtzung; denn dieses Medicament leidet durchaus keine Unreinigkeit bey dem Menschen. Wieder den weissen Fluss ist es ein gewisses Hülffsmittel : wie auch gegen die Go- norrhaea Benigna, oder Samen-Fluss , da sonst andere Medicamenta nichts ausrichten können : Doch hilft dieses gewiss.

8- Pulver contra epilepsiam. Es sind viele gewesen, die dieses malum haben curiren wollen, aber es hat ihnen niemahls geglücket. Dieses kan ich mit gutem Gewissen sagen , dass es mir nie fehl geschlagen , und habe ich noch erst kürtzlich eine vornehme Dame glücklich mit diesem Pulver curiret, und ein jeder der es gebrauchen wird, der wird es rühmen müssen. In einer Schachtel ist ein halb Loth.

9.

Panacea Antipyretica. Diese Panacea dienet in allen verdriesslichen Kranckheiten , sonderlich in der f^«2<j'-Kranckheit : Wer dieses Medicament fleissig gebrauchet, hat nicht viel andere nöthig.

10.

Das EngUsch rothe Gold-Pulver , welches dienet das Gedächtniss zu stärcken; Schlag und Schwindel ist es sehr diensam; inngleichen für schwangere Frauen, wenn sie sich etwa erschrecket oder geärgert haben: Es stärcket die

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Frucht, wenn es fleissig gebraucht wird, auch hat man sich nicht zu be- fürchten, dass das Kind mit der schweren Noth sollte behafftet werden, da dieses Wunder-Pulver ein recht Universal dawieder ist. In Blattern und Masseln ist es unschätzbar.

11.

Ein Gesundheits-Thee, welcher seiner herrlichen Wirkung halber von allen Menschen gepreiset wird, indem er alle Brüche des Leibes nimmt, sie mögen Nahmen haben, wie sie wollen. Wieder die Schwindsucht, wie auch Wassersucht, ist er sehr gut zu gebrauchen: Wieder den weissen Fluss der -Weiber, wie auch wieder den Saamenfluss der INIänner, ist es sehr diensam, und hat in diesen Kranckheiten nicht leicht seines gleichen.

12.

Essentia miraailosa. Ein herrliches Mittel das verlohrne Gehör wieder zu bringen, welches an vielen versucht, und jederzeit für gut befunden wor- den. Wieder das Sausen und Brausen der Ohren hat es, seiner geschwinden Hülffe wegen, nicht seines gleichen. Es wird anders nicht alss äusserlich gebraucht.

13.

Haupt- und Y\\iss- Essenz wieder Kopff-Schmertzen , Ohren -Sausen, Scharbock und dergleichen. In denen daraus herrührenden Zahn -Wehtagen ist es ein gewünschtes Mittel.

14.

Ein grün Augen- Wasser , welches nunmehro in der gantzen Welt be- rühmt, indem es alle Augen-Mängel curirt, die Fellen von den Augen gäntz- lich hinwegnimmt, auch trübe und fliessende Augen in kurtzer Zeit gut machet.

15. Ein Fluss- und GWeder -Spiritus, äusserlich zu gebrauchen in Lähmungen, in grofsen Geschwulsten, starcken Flüssen, sich darmit gewaschen, hilfft wun- derbahr.

16.

Ein Mund- und Zahn-Lattwerge, die alle Mund-Fäule hinwegnimmt, die Zähne weiss, wie auch die wackelnde fest machet; imgleichen macht sie das Zahnfleisch wachsend. Für Leute, die starck aus dem Munde riechen, ist es sehr diensam zu gebrauchen.

17.

Ein Schönheitswasser. Dieses nimmt alle Mängel der Haut weg , und machet dieselbe fein und weiss , verhütet auch das Schrumpffen der Haut. Wer sich fleissig damit waschet, wird solche zarte Haut bekommen, wie er nie gehabt hat. Die Holder-Sprossen curirt es auch mit der Zeit.

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18.

Das rechte aufrichtige Oleum Talci , oder Schönheits - Oel , welches keine Unreinigkeit der Haut leidet, und gut wieder die Pocken-Gruben zu gebrauchen ist.

Von den hier mitgeteilten Geheimmitteln finden diejenigen unter Nr. 2, 8, 10, 12, 13 17 noch auf Einzelblättern eingehende Erörterung, aufserdem, ebenfalls mit dem Signet und der Adresse Lorentz Blumenhöfer gezeichnet, sind noch vorhanden: Eine Schönheitspomade und eine Tacken Salbe oder Unguentum Haemorrhodialis (sie). Die zweite Reihe von Reclameblättern, welche den Namen des Verfertigers oder Verkäufers nicht trägt, bezieht sich auf folgende Mittel. 1. Cordial Royale oder das in Engelland so sehr be- rühmte Königliche Cordial. 2. Das Englische Printzliche Cordial. (In erster Linie ist es gegen das Podagra bestimmt, seine Vielseitigkeit geht aber aus dem folgenden Schlufs der Reclame hervor : Und auf eben diese Art wird diese Medizin von denen gebraucht welche mit den Blasen- oder Lenden- Stein , Schaarbock , Schwind- und Wasser - Sucht ' Colica und Reissen im Leibe / und mit einem schwachen / überladenen und verderbten Magen in- commodiret sein / so wohl Manns als Frauens.

Diese Medizin ist auch absonderlich den Frauenzimmern in ihren Be- schwerungen und indispositionen ein gewisses reinedium.) 3. Englisches Cor- dial. Vor den Husten und Verkältung / Schwind- und Lungensucht. 4. Vor die Haeinorrhoides oder sogenannte Tacken. 5. Englische Medicin. Vor die Colicq und Reissen im Leibe. Die eben genannten fünf lassen durch ihre typographische Ausstattung und die Ähnlichkeit der Sprache erkennen , dafs sie einem und demselben Geheimmittelgeschäft entstammen. Ebenso gehören die drei letzten, welche einen »güldenen Englischen Löffel-Kraut Spiritus«, den »weissen Englischen Löffelkraut Spiritus << und nochmals ein »Englisches Cordial« behandeln , zusammen. Vielleicht aber , und » das ist ziemlich wahr- scheinlich, haben wir es mit Anzeigen derselben »Firma« nur aus verschie- denen Zeiten zu thun.

Von der zum Teil ergötzlichen Art dieser Reclamen mögen die nach- folgenden Proben Zeugnis geben.

Rechter Gebrauch und wahrer Nutzen

der ESSENTIAE MINERALIS

Was für ein gesegnetes Medicament und was für eine Gutthat es sey, welche doch billig der Gnade GOttes zuzuschreiben , wenn gegen den Krebs endlich ein Mittel gefunden worden, um diese Pein-bringende Kranckheit da- mit auszurotten , wird niemand der von solcher incoinmodiret , in Abrede seyn. Es haben sich zwar schon vor vielen Jahren viele gelehrte Männer die Mühe gegeben, etwas zu erfinden, womit diese cruelle Kranckheit möchte ausgerottet werden, es ist aber vergebens gewesen : jedennoch hat der liebe GOtt selbst ein Mittel dargegeben , denen armen Menschen zum nutzbaren

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und heilsamen Gebrauch, wofür dann sein Heiliger Nähme gelobet und ge- priesen sey. Zwar alle Kranckheiten, sie mögen Nahmen haben wie wollen, sind beschwerlich, doch übertrifft fast der Krebs sie insgesamt. Man erwege nur vors erste , was für eine entsetzliche Pein die mit dieser Plage belegten Menschen ausstehen müssen : ingleichen wenn der Krebs offen ist , was für einen entsetzlichen Gestanck sie sodann riechen müssen : gewisslich eine solche Plage, dass jedermann mit dergleichen Geplagten billig Mitleiden haben muss. Diesen preshafften Personen nun zur Hülffe und zum Trost, ist dieses Me- dica^nent ausgefunden worden, und wird aus lauter Mineralien gemachet, welches wahrlich viele Mühe und Arbeit erfordert. Dass es aber gewiss und wahrhafftig unter Göttlichen Beystand und Segen die Menschen davon befreyt, davon können 4 Standespersonen, welche glücklich durch dieses Medicament vom Krebs-Schaden curiret worden, Zeugen seyn, wann nur nicht das schlimmste wäre , das die Leute es niemals haben wollen , dass solches öffentlich kund werde ; vielmehr wird man von ihnen gebeten , man soll es doch niemand sagen; welches aber nicht recht ist, sintemal man GOttes Güte, der den Segen zu ein soliches Medicament verleihet, billig preissen muss : woran aber leider der wenigste gedenket, wann er erst wieder gesund, und muss man öffters von vielen erfahren, dass die Perle unter die Säue geworffen worden.

Hierauf folgt eine sehr umständliche Gebrauchsanweisung, der sich die folgende nicht uninteressante Definierung des Krebses anschliefst :

»Denn der Krebs bestehet aus lauter kleinen lebendigen Würmern: Je- doch sind sie so gross nicht, dass man sie äusserlich sogleich sehen kann, sondern sie müssen durch ein Microscopium oder Vergrösserungs-Glass wahr- genommen werden , und wer curieux sein will , der nehme nur ein klein Kliergen, da Materie drinnen ist, und lese die Haut umbher ab, und lege es auf einen Bogen schwartz Papier an der warmen Lufft , so wird es keine Vierthel Stunde dauren, der Bogen Papier wird überall voll solcher kleinen lebendigen Würmern seyn, aber so klein, dass sie nicht anders, als durch ein Vergrösserungs-Glass gesehen werden können.« Der Schlufs heifst: »Wann nun dieselben (die Würmer) insgesamt getödtet sind, gleichwie es durch meine Medicin geschieht, so wird der Patient durch die Gnade GOttes frisch und gesund. Es sollen sich billig alle Menschen dieses edle Medicament an- schaffen: Denn es praeservirt und bewahret einen für dergleichen anstecken- den gifftigen Kranckheiten, wenn man alle Monath ein oder zweymal davon einnimmt: und versichere ich alsdann dass keiner von solcher erschrecklichen Kranckheit kan inficirt oder angesteckt werden.« Als weiteres Beispiel mag das verhältnismäfsig kurz gefafste Blatt über ein grünes Augenwasser dienen.

Beschreibung des gantz nicht zu verbessernden grünen Augen-Wassers, welches von einem Mönche ist erfunden worden, der mehr als tausend presshaffte Personen , die stockblind gewesen , durch die Gnade GOttes sehend gemacht hat. Es nimmt dieses vortreffliche Augen- Wasser alle Felle der Augen, sie mögen so alt seyn, wie sie wollen, hinweg, und müssen sie dafür weichen; ingleichen dient es fürtreflich zur Heilung

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der fliessend- und trieffenden Augen; nicht weniger deren Röthe und über- mässige Hitze hinwegzunehmen. Für Augen die da blöde sind , oder blöde werden wollen, ist es ein gewünschtes Hülffs-Mittel. So kan auch nichts bessers und heilsamers gebraucht werden für das starcke Jucken und Beissen in den Augen, wie auch, wann die Augen alle Nächte sich zusammen backen, als eben dieses unverbesserliche Augenwasser. Es sind noch nicht viele Wochen verstrichen, dass eine Frau, die 4. Jahr von dem Staar blind gewesen, hierdurch wieder sehend worden: ingleichen zwey kleine Kinder, die des Tages Licht nicht sehen können , hatt GOtt gleichfalls durch dieses Mittel geholffen.

Was nun den Gebrauch anlangt , so muss man demjenigen , der gantz blind ist, des Abends und Morgens 3. Tropffen lauwarm eintripffen; welcher aber ein Fell auf den Augen hat , alle Abend und Morgen einen Tropffen, oder auch wohl zwey , nachdem es die Noth erfordert , und nach dem das Fell hart oder weich ist. Hat einer blöde Augen, der kann sich bei Schlaffen- gehen mit dem Finger etwas hineinwischen. Für alte Leute ist es sehr nütz- lich zu gebrauchen, denn es stärcket die Augen gantz fürtrefflich : und dienet zur Nachricht , dass ich es nicht um des schnöden Gewinstes willen ver- kauffe , sondern nur zu dem Ende , meinem Nächsten dadurch zu dienen ; sintemal es mir selber fast so viel kostet, als ich davor bekomme.

NB. Es kan wol 20. biss 30 Jahr dauren, und verdirbet nicht, kan auch nur alle Jahr einmal gemacht werden.«

Diese Beispiele geben von der Art der Anpreisung einen guten Begriff, die charakteristischsten Mittel indessen sind nach dem beigegebenen Text etwa die »Essentia vegetabilis«.

Aus der Art und Weise wie die Anpreisungen verfafst sind , die das unverkenntliche Bestreben zeigen , den Schein der Wissenschaftlichkeit zu wahren die zahlreichen termini technici der damaligen Medizin und die verhältnismäfsig geschickte Stilisierung mögen als Beleg angeführt sein läfst sich die Vermutung herleiten, dafs entweder hier in Lorentz Blumen- höffer ein zünftiger Apotheker vorliegt, der sich auf die Geheimmittelherstel- lung im Grofsen geworfen hatte, oder dafs, wie es ja heute noch häufig ge- schieht, aus schnöder Gewinnsucht wissenschaftlich gebildete Ärzte sich dazu hergaben, diesem Geheimmittelschwindel ihre Hülfe zu leihen. Es dürfte um die Einträglichkeit des Geschäftes zu erweisen, schliefslich nicht uninteressant sein, die Preise einiger der empfohlenen Mittel mitzuteilen, die leider nur bei einzelnen derselben vermerkt sind. Der »abführende Sauerbrunnen« kostet »ein Fläschgen, worinnen sich 600 Tropffen befinden, 3. Rthlr. und wird man keine Medicin finden, die so klein tropfft, als eben diese.«

Vom »Pulvis Epilepticum« beläuft sich der Preis für »ein Gläsgen wor- innen sich ein halb Loth befindet 2. Reichsthaler.« Der Flufs- und Glieder- spiritus kostet »eine Flasche / worinnen ein halb Pfund oben auf mit des Autoris gewöhnlichen Petschafft versiegelt / nebst dem gedruckten Bericht / L Rthlr.«

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Leider ist auf den Blättern keine Zeitangabe , wann sie gedruckt sind, doch dürften alle Umstände auf die erste Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts verweisen.

Es ist jedenfalls lehrreich zu sehen , wie vor anderthalb Jahrhunderten in dieser Materie genau mit denselben Mitteln gearbeitet wurde, die Leicht- gläubigkeit und den Geldbeutel der Kranken auszubeuten wie in modernster Zeit. Wir brauchen nur die heutige Tagespresse zur Hand zu nehmen, um den Beweis dafür zu finden. Das Jahrhundert der Aufklärung bewegt sich hier auf demselben Boden, wie das dunkelste Mittelalter. Ob es je anders werden wird.? Schwerlich; die Devise unter der die Quacksalberei nach wie vor reichliche Ernte hält, heifst eben: Die Dummen werden nicht alle.

Nürnberg. Hans Stegmann.

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Das Baumeisterbueh des Wolf Jakob Stromer.

n der Zeit des uneingeschränkten Virtuosentums in der Architektur, in den letzten Jahrzehnten des gotischen Baustils, begannen die deutschen Steinmetzen das Zeichnen sozusagen als Selbstzweck zu betreiben; wenigstens werden wir es nicht für Zufall halten wollen, dafs aus der vorhergehenden Zeit uns auf deutschem Boden weder ein Theoretiker der Baukunst, noch auch Architekturzeichnungen in gröfserer Zahl bekannt sind. Es lag wohl auch an der eigenartigen Entwickelung des einst so klaren willkürlosen gotischen Baustils zu phantastisch reichen spielenden Schnörkel- formen, dafs man mehr erfand und entwarf, als ausführte; die vielgestaltige Freiheit in der Kombination von Streben , Fialen und Mafswerk , die fast keinen konstruktiven Sinn mehr besafsen, verlockte zur Erfindung immer neuer Zierwerke: zahlreiche Entwürfe zu Sakramentshäuschen, Taufbecken und Kapellenbauten zur Aufnahme eines Sarkophags oder des Corpus Christi sind Beweise dafür. Wenn man sie mit dem ernsten systematischen Denken der italienischen Theoretiker der Frührenaissance vergleichen wollte , haben auch solche Auslassungen wie das Büchlein von der Fialen Gerechtigkeit von Math. Roritzer, oder die Unterweisungen des H. Schmuttermayer, diesen selben Charakter oberflächlicher Spielereien.

Als dann die wälschen Säulenordnungen und Gebälke zur Mode wurden, war es die Schar der Architekturzeichner , die ihnen diesseits der Alpen zu rascher Verbreitung half und anderseits den ausschliefslich dekorativen, spielenden Charakter der ersten deutschen Renaissanceformen verursachte ; willkommener Tummelplatz für phantasievolle Erfindungen war diesen Zeichnern die Baukunst und wenige von ihnen aufser dem genialen klaren Kopfe H. Hol- beins konnten sich rühmen, mögliche , ausführbare Architekturen gezeichnet zu haben. Und während des ganzen 16. Jahrh. bleibt dieser unorganiche dekorative Charakter, aus dessen Gebilden man die phantastisch schaffende, gegen Material und Konstruktion gleich rücksichtslose Hand des Zeichners

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herausfühlt , mehr oder minder die Eigenheit der deutschen Renaissance ; denn erst gegen das Jahr 1600 wächst der itaUenische Gedanke von dem gesetzmäfsigen. einheitlichen Bauorganismus des neuen Stils sich langsam aus; Architekturzeichner wie der Maler und Formschneider Heinrich Vogther von Strafsburg, der Holländer Vredemann de Vries, Wendel Dieterlin begnügen sich alle 'noch mit dem freien Erfinden lustiger Motive für alle möglichen Zierglieder unbekümmert um die Ausführbarkeit, also mehr Anregung als Vorbild gebend für den Baumeister. Hand in Hand mit diesem Wechsel der Geschmacksgrundsätze vervollkommnet sich auch bis zum Ende des Jahr- hunderts der Renaissance erst die klare, gesonderte Vorstellung von Grund- rifs, geometrischem Aufrifs und perspektivischer Ansicht, ihrerseits wieder im Zusammenhang mit der von Praetorius ausgehenden Vervollkommnung der Feldmefskunst und der dazu dienlichen Instrumente.

Das ist ungefähr der Boden, auf dem die Zeichnungen eines künstlerisch wie kulturgeschichtlich höchst merkwürdigen Buches entstanden , des Bau- meister-Buches von Wolf Jakob Stromer. Der mächtige Querfolioband, den bisher nur W. Lübke in der Einleitung seiner deutschen Renaissance kurz besprochen hat, ist der wissenschaftlichen Benützung nunmehr zugänglich gemacht worden, nachdem die Freiherrliche Familie von Stromer das wert- volle Vermächtnis eines kunstsinnigen Vorfahren in dankenswerter Liberalität dem Germanischen Museum unter Eigentumsvorbehalt übergeben hat.

Schon zur Zeit als man den schönen Brunnen baute, war ein Mitglied des alten Nürnberger rathsfähigen Geschlechts der Stromer Stadtbaumeister gewesen; der uns hier angeht, Wolf Jakob Stromer, war 1561 geboren, mit etwa 30 Jahren in den Rat gekommen und verwaltete da mehrere Jahre hindurch das Baumeisteramt.

Die Baumeister der alten Reichsstadt Nürnberg waren nicht etwa Archi- tekten vom Fach, Werkmeister, die selbst mit Hand anlegten beim Bau, sondern wie in anderen Städteverfassungen eine Kommission von »Bauherrn« waren sie zur Verwaltung des städtischen Bauamts verordnet; Mitglieder des engeren Rats hatten sie das Referat in allen Bausachen und führten die Ober- aufsicht über die Werkleute auf der Peunt (dem Stadtbauhof), den Stein- metz-, den Maurer- und den Zimmermeister samt ihren Gesellen. Künstler waren demnach die Stadtbaumeister keineswegs ; wohl aber dürfen wir annehmen, dafs sie Männer von ausgezeichnetem Kunstsinn unter ihren Amtsgenossen waren, vielleicht gelegentlich auch Dilettanten. Denn Männer von künstler- ischer Begabung, die sich auch selbst thätig versuchten, sind unter dem Nürnberger Patriziat des 16. Jahrhunderts nicht all zu selten. Dafs Wolf Jakob Stromer einige von den Blättern seines Baumeisterbuches selbst ge- zeichnet habe, haben wir trotzdem keine Veranlassung anzunehmen.

Da gab es bald Konkurrenzentwürfe für ein städtisches Gebäude, eine Brücke oder ein Stadtthor zu prüfen , bald dem Rat die sachverständige Er- läuterung zu einem Bauprojekt zu geben, bald unter einer grofsen Zahl von Bewerbern, die ihre Visierungen oder Modelle eingeschickt hatten, einen tüchtigen Werkmeister ausfindig zu machen. Gerade in der Zeit um die

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1897. XVII.

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Wende des 16. zum 17. Jahrhundert berichten uns die Ratsverlässe nicht selten von Steinmetzen, die sich durch eingesandte Zeichnungen, Stadtansichten oder Gebäudeentwürfe , beim Rat in empfehlende Erinnerung zu bringen suchen, und vom Rathausbau wissen wir ja, wie viele Konkurrenzen und Entwürfe nötig waren, bis die heutige Renaissancefassade fertig stand. Da war es naheliegend genug, dafs der Stadtbaumeister, durch dessen Hände alles das gieng, auf den Gedanken kam, Skizzen und Entwürfe derart zu einem Sammelbande zu vereinigen.

So entsand das Baumeisterbuch , ein stattlicher Lederband, dessen 248 Folioblätter gröfsten Formats teils aufgeklebte, teils auf das vorzügliche Nürn- berger Papier gleich aufgezeichnete Federzeichnungen enthalten.

Den anfänglichen Grundstock für diese Sammlung bildete vielleicht die grofse Menge der Entwürfe für den Neubau der Fleischbrücke 1596 98. Das war damals eine Aufsehen machende Angelegenheit; an Stelle der 1595 vom Hochwasser unterspülten und baufällig gewordenen alten sollte eine stattliche neue Brücke von einem einzigen Bogen errichtet werden, so etwas wie der ponte Rialto, den mancher der Ratsherrn schon mit Bewunderung betrachtet hatte. Wie an beiden Seiten Strafsenanschüttungen zu machen seien, wie der Pfahlrost in die Pegnitz zu legen, wie das Lehrgerüst aufzu- schlagen und darüber der flache Brückenbogen zu wölben sei, all das ist da mit Durchschnitten, Perspektiven und Aufrissen gezeichnet; auch einige nicht zur Ausführung gekommene Entwürfe mit reichen Mafswerkgeländern mit Obelisken und allerlei Bildhauerarbeit befinden sich darunter.

Eine etwas kleinere Folge von Blättern enthält Visierungen von Brunnen, die zum Teil allerdings nur ein papierenes Dasein erlebten. Interssant sind darunter zwei verschollene Arbeiten von dem Meister des Tugendbrunnens, dem Rotgiefser Benedikt Wurzelbauer: die eine, auch aus einem gleichzeitigen Kupferstich bekannt, zeigt den in Dieterlins Art sehr phantastisch kompo- nierten Neptunsbrunnen , der auf Bestellung des Dänenkönigs nach Kopen- hagen kam ; knieende Vollfiguren von Schützen im Zeitkostüm auf dem Rande des Brunnenbeckeiis lassen aus Büchse und Pfeil Wasserstrahlen nach der Mitte springen , wo der Meergott auf hohem Postament sich erhebt. Eine zweite, sonst bisher nicht bekannte Arbeit mit der Bronzegruppe von Venus und Amor ward 1599 in der gleichen Werkstätte gefertigt und anscheinend nach Prag geUefert, wo sie verschollen ist. Eine merkwürdig antiquarische Idee gibt ein anderes Blatt mit einer Skizze , wie der Schöne Brunnen auf dem Markt zn Nürnberg im 15. Jahrhundert ausgesehen habe, ein Phantasie- gebilde, das weder in künstlerischer noch in geschichtlicher Hinsicht glaub- haft ist. Jedenfalls bilden diese Blätter für die reizvolle Phantastik, mit der die Erfindungsgabe der deutschen Künstler von Dürer an bis auf Dieterlin das ganze 16. Jahrhundert hindurch ihre Brunnengruppen ersann, interessante Beiträge.

Als die kunstgeschichtlich wertvollste Partie des Buches müssen wir aber die Fassadenentwürfe und Ansichten im Stil der deutschen Hochrenais- sance nennen. Einige davon sind wohl unter dem Eindruck der Pellerhaus-

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architektur entstanden : mächtig vortretende, grofse Quader, schwere Pilaster und Voluten, vielstöckige Giebel, auf deren Stufen gelegentlich ganz natur- wahr gezeichnete Tierfiguren sitzen. Dals nach einer dieser Skizzen ein Bau- werk ausgeführt worden sei, ist mir unwahrscheinlich; dagegen erkennen wir unter diesen Blättern eine ziemliche Anzahl Ansichten namhafter, noch heute erhaltener Renaissancebauten: so einen wunderbar gezeichneten Durchschnitt des ehemaligen Lusthauses am Schlofsplatz zu Stuttgart, eine Fassadenansicht des alten Schlosses Gottesau bei Karlsruhe, "den Turmunterbau der kürzlich durch Feuersbrunst zerstörten Kreuzkirche zu Dresden, also Gebäude, die eben damals entstanden waren und lernbegierigen jungen Architekten wohl Stoff zum Studium bieten konnten.

Für die Kunsttopographie des alten Nürnberg insbesondere finden wir in dem Baumeisterbuch naturgemäfs eine ganze Reihe von wertvollen Blättern. Wie das Gebäude der städtischen Schau auf S. Sebalds Kirchhof mit seinem gotischen Giebelaufbau nach Hans Beheims Entwurf aussah, und wie dann zu Stromers Zeit ein Stockwerk mit Fenstersäulen und Zahnschnittgesims und mit Mafswerkfüllungen unter den Fensterbänken aufgesetzt wurde ; wie der Markt mit seinen rings umlaufenden Verkaufslauben und der Gebäudekomplex des heutigen Rathauses um das Jahr 1600 sich ausnahm; die Burg und ihre Bastionirung nach Norden hin all das ist hier im damaligen Zustand auf- genommen. Auch einen sehr gewissenhaft ausgeführten Stadtplan von Nürnberg, zahlreiche Maschinen, Hebevorrichtungen und Räderwerke enthält das Buch, dessen Einleitung einige unbedeutende allegorische Kompositionen bilden, während am Schlüsse einige Kuriositäten , ein Giraffe , die Mifsgeburt einer Ente, ein seltsamer Fisch abgebildet sind. Dazwischen finden wir dann wieder theoretische Zeichnungen zum Festungsbauwesen, Pläne zu einem Fort, das, obwohl im Jahre 1592 erdacht, doch schon die Hauptzüge des Vauban'schen Systems erkennen lälst ; ein Kaspar Schwabe, kurbrandenburgischer Baumeister, der in Crailsheim und Heidenheim ansäfsig war, nennt sich als ihr Verfertiger.

Wer die übrigen in der Art der Ausführung ebenso wie an künstlerischem Werte verschiedenartigen Blätter gezeichnet habe, wie viele Hände dabei thätig gewesen sind, läfst sich kaum entscheiden; aufser dem Monogramm I.W. und I. H.W., das vielleicht auf Jacob Wolf, den Steinmetzmeister des städtischen Bauhofs, den Vater des nachmaligen Rathauserbauers zu beziehen ist, ist keine Künstlersignatur in dem Buche zu finden. Jedenfalls sind auch die unsig- nierten Blätter viel zu sicher in der Perspektive und im Federstrich, als dafs man sie einem Dilettanten zuschreiben dürfte. Dem Stadtbaumeister Wolf Jacob Stromer bleibt das Verdienst, diesen in der Geschichte der deutschen Baukunst einzigartigen Prachtband gesammelt und angelegt zu haben.

Nürnberg. Dr. K. Schaefer.

Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1897

der

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum,

Seite Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum, von Gustav

von Bezold 3, 26, 55, 81

Richard von England, von Dr. R. Schmidt 14

Ganerben I., von Dr. R. Schhiidt 16

Ein süddeutsches bürgerliches Wohnhaus vom Beginne des 18. Jahrhun- derts, von Hans Bosch 17, 41, 62, 109

Nürnberger Ratsverlässe Joachim Deschler betreffend, von Dr. Theodor

Hampe 39

Zwei Handzeichnungen des Wolf Huber im germanischen Museum , von

Dr. Edmund Braun 53

Deutsche Bauernstühle, von Dr. KarlSchaefer 74

Ausrüstung einer Wagenburg im 15. Jahrhundert, von Dr. Theodor

Hampe 79

Der Zeugdruck mit der heiligen Anna, der Jungfrau Maria und Seraphim (aus der Sammlung Forrer, jetzt im germanischen Museum) und einige altkölnische Handzeichnungen, von Dr. Theodor

Hampe 91

Ein Brief des Abtes Heinrich von Herrenalb aus dem Jahre 1429 , von

Dr. R. Schmidt 105

Geheimmittelindustrie im 18. Jahrhundert, von Dr. Hans Stegmann . 117

Das Baumeisterbuch des Wolf Jakob Stromer, von Dr. Karl Schaefer 124

Mitteilungen

AUS DEM

Germanischen Nationalmuseum

HERAUSGEGEBEN

VOM DiRECTORIUM.

JAHRGANG 1898.

MIT ABBILDUNGEN.

NÜRNBERG, 1898.

VERLAGSEIGENTUM DES GERMANISCHEN MUSEUMS.

U. E. Sebald, Nürnberg.

Ein Epitaph aus buntglasiertem Thon vom

Jahre 1554.

(Mit einer Tafel.)

jüngster Zeit bot sich dem germanischen Museum Gelegenheit, ein hervorragendes Werk aus der Blütezeit künstlerischen und kunst- gewerblichen deutschen Schaffens, der Mitte des 16. Jahrhunderts, welches vor Jahren schon über Deutschlands Grenzen gegangen war, wieder in die Heimat zurückzuführen. Dasselbe, eine grofse Gedenktafel in buntglasiertem Thon, war Bestandteil einer französischen Sammlung und wurde durch gütige Ver- mittlung eines Freundes unserer Anstalt in der Schweiz erworben. Bekannt ist die Blüte einer monumentalen Thonplastik, welche aufs Engste mit dem Namen der FamiHe dellaRobbia verknüpft, von Florenz ausgehend, im 15. und 16. Jahr- hundert in Mittel- und Oberitalien einen breiten Raum einnahm ; im Norden da- gegen hat die Thonplastik verhältnismäfsig in allen Epochen nur eine geringe Zahl hervorragender Werke gezeitigt, der Schwerpunkt keramischer Thätigkeit lag hier überall auf der Gefäfs- und Ofenbildnerei, von welch' letzterer das ger- manische Museum wohl die hervorragendste Sammlung ihr Eigen nennen kann. In den allerwenigsten Fällen aber haben figürliche deutsche Werke dieser Art farbige Glasur aufzuweisen. Die vorliegende Arbeit stammt, wie eine unter dem Ganzen angebrachte viereckige Platte angibt, aus dem Jahre 1554. Die Form des wohl als Gedenktafel gedachten Werkes klingt wenigstens mittelbar an die gebräuchliche Form des italienischen Tabernakels an.

Buntglasierte figürliche Terrakottaarbeiten sind in ganz Oberdeutschland sehr selten, häufiger finden sich unglasierte , von denen wieder manche be- malt sind. Angesichts der Farben, welche in Schmelzglasuren bestehen und genau dieselben Farbentöne enthalten wie die italienischen des 15. Jahrhun- derts, drängt sich unwillkürlich ein Vergleich mit den berühmten Werken der Familie della Robbia in Toscana auf. Nicht so sehr die künstlerische Vollen- dung des figürlichen Reliefs, das an Dürers gleichartige Darstellungen in der Komposition angelehnt ungefähr in der Mitte zwischen der Dreifaltigkeitsdar- stellung auf dem Wiener Allerheiligenbild und dem grofsen Holzschnitt von 1511 steht, möglicherweise auch auf ein weiteres ähnliches nicht weiter be- kanntes Vorbild der oberdeutschen Schule zurückgeht ,* bietet den Haupt- reiz — die Figuren sind derb in den Gesichtszügen und stark knochig so- gar in den um Gottvater gruppierten Engeln mit den Leidenswerkzeugen als in der frischen naiven Auffassung, die an den Charakter der Bevölke- rung der kräftigen Oberbayern gemahnt, in deren Mitte das Denkmal entstand. Die Vorliebe für bunte lebendige Färbung, die ja auch der altbayerischen Holz- plastik in hohem Mafse eigen war, macht sich auch in der vorliegenden Ge- denktafel geltend. Weifs, Blau, Gelb, Grün, Manganviolett und Schwarz geben eine überaus kräftige Wirkung, die Umrahmung bewegt sich in den beiden

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Tönen bräunliches Gelb und Blau. Die PilasterfüUungen wie die Inschrifts- tafel, die ohne eigentlichen Zusammenhang mit diesem unter dem Epitaph an- gebracht gewesen sein mufs, zeigen auf weifsem Grund leicht hingeworfenes, aber recht geschickt und elegant gezeichnetes Rankenwerk.

Der Aufbau des farbenprächtigen Werkes besteht aus einer Art Aedicula. Zwischen zwei glatten Pilastern mit korinthischen Kapitalen, deren Sockel durch ein Gesims verbunden sind, findet sich die Relieftafel mit der Darstellung der Dreieinigkeit. Oben schliefst über dem Gebälk ein Giebel das Ganze ab. Der-

Buntglasiertes Terracotta-Kelief in Amerang in Oberbayern.

selbe wird aus zwei flachen Doppelvoluten gebildet, durch die sich ein breites Band schlingt. Zwischen den Voluten befindet sich ein schüsselartiges Medaillon mit zwei Wappen und der Inschrift Rueprech(t) Heller. Das linksseitige Wappen und der Name geben Auskunft über die Herkunft. Die Familie Heller war im 16. Jahrhundert in der Gegend von Wasserburg ansäfsig, wo verschiedene Mitglieder in der dortigen Rent- und Gerichtsverwaltung Stellen bekleideten. Nach den kärglichen Nachrichten, welche Hundt im dritten Teile seines Stammenbuches (Freyberg, Sammlung historischer Urkunden und Schriften III

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum 1898.

Taf. I.

Buntglasiertes Epitaph aus gebranntem Thon vom Jahre 1554.

407 f.) gibt, stammt die Familie aus Tyrol. 1580 wird von ihm ein Rueprecht Heller als »Stat- und Landrichter zu Wasserburg« erwähnt. Von einem 1593 vorkommenden Jakob Heller zu Klugheim und Ronersberg wird gesagt, dafs die, wie es scheint seit der Mitte des 16. Jahrhunderts im Besitz der Familie befindliche Hofmark Zellerreit (bis dahin im Besitz der Zeller von Zellerreit) von ihm an Sigmund Leublfing verkauft worden sei; sein Vater sei Bürger und Handelsmann in Wasserburg gewesen. Ob dieser vielleicht oder der oben erwähnte Stadt- und Landrichter mit dem Stifter des vorliegenden Werkes identisch ist, mufs einstweilen offen bleiben. Das rechtseitige Wappen dürfte, da es Siebmacher nicht anführt, ein bürgerliches Wappen, der Frau des Rue- precht Heller gehörig, sein, was um so näher liegt, als nach dem eben gesagten die Heller wohl ebenfalls erst im 16. Jahrhundert den Adel erworben haben mögen.

Eine kurz nach der Erwerbung durch die Presse gegangene Notiz über dieselbe , führte glücklicher Weise zur Ermittelung des früheren Standortes des Denkmals und zur Bestätigung der Annahme bezüglich der Stifterfamilie und des Entstehungsortes. Dasselbe war bis zum Jahre 1879 an der Nord- seite des Chores der Pfarrkirche zu Wasserburg und wurde gelegentUch der Restauration dieser Kirche von seinem Standorte entfernt. Angestellte Nach- forschungen , ob, wie zu vermuten war, noch ein Abschlufs nach unten , ein Sockelglied mit einer Inschrift dort vorhanden war, ergaben kein Resultat.

Im Chiemgau findet sich in Amerang wenigstens ein Beispiel ähnlicher Arbeit, in dem Rupertuskirchlein des Dorfes Amerang, allerdings von geringer Erhaltung und stark erneuert , von welchem die Abbildung im Text eine Vorstellung gibt. An der Südseite des Chors aufsen befindet sich das in seinem Aufbau ähnliche nur etwas einfacher ausgestattete Denkmal. In dem viereckigen Mittelfeld kniet die bäuerliche Stifterfamilie vor dem jetzt erneuten Kruzifixe. Die Figuren sind in Flachrelief gehalten, der glasierte Hintergrund bemalt. Als Bekrönung dient ein halbrunder Giebel, in dessen Lünette die Halb- figur Gottvaters mit der Taube des heil. Geistes ebenfalls in Relief angebracht ist. Im Rahmen befindet sich die Schrift: Peter Linner und Elspet sein Hausfrau 1553 machen dize Figur Got zu lob. In dem Rand der Lünette steht: Das ist mein allerliebster Sun j(es)u. Das Denkmal ist 89 cm. hoch, 58 cm. breit.

Wenn sich auch die Herkunft vom gleichen Verfertiger nicht mit apo- diktischer Sicherheit behaupten läfst, so liegt doch bei der grofsen Selten- heit gleichartiger Werke der Schlufs sehr nahe, dafs derselbe Meister sie ge- arbeitet habe. Merkwürdiger Weise scheint derselbe in dieser wirksamen und dabei doch verhältnismäfsig wenig kostspieligen Dekorationsweise keine Nach- folger gefunden zu haben. Überhaupt hat die Thonplastik in jenen Gegenden aus späterer Zeit fast keine Bethätigung gefunden. Ein in mehreren Exem- plaren, z. B. in Jakobsberg bei Kloster Beyharting, B.-A. Rosenheim, vor- kommendes kleines figurenreiches Relief der Kreuzigung aus dem letzten Viertel des 16. Jahrhiinderts , in unglasiertem Thon ist die einzige bekannte Arbeit dieser Art.

Nürnberg. Dr. Hans Stegmann.

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Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum.

(Fortsetzung.)

VI. Spiegelinstrumente.

on den zur Winkelmessung bestimmten Instrumenten seien noch die Spiegelinstrumente erwähnt. Das verbreitetste , der Spiegelsextant ist zwar in erster Linie ein nautisches Instrument, kann aber auch zur Messung von Winkeln aller Art benutzt werden.

Fällt ein Lichtstrahl auf eine vollkommen glatte, ebene Fläche, so wird er unter dem gleichen Winkel zurückgeworfen, unter dem er die Fläche trifft. Auf dieses Grundgesetz der Katoptrik gründet sich ein Verfahren zur Höhen- messung, welches in den geometrischen Schriften des 16. Jahrhunderts z. B. in H. Jakob Köbel, von Feldmessen, geometrischen Messen und Absehen, Frankfurt Chr. Egenolff 1531 und in Apians Instrumentenbuch, Ingolstadt 1523 angegeben ist.

Fig. 31 HöhenmefsiiDg mittels des Spiegels. Nach Apian.

Ist die Höhe eines Turmes zu messen, so kann dies in der Weise ge- schehen, dafs man in der Höhe seines Fufses einen Spiegel horizontal auf die Erde legt. Tritt der Beschauer in einem solchen Abstand hinter den Spiegel , dafs der von der Oberkante der Mauer ausgehende , vom Spiegel reflektierte Strahl das Auge trifft (Fig. 31), so entstehen zwei ähnliche Drei- ecke. Beträgt der Abstand des Spiegelst vom Turm 40 Fufs , der des Be- schauers vom Spiegel 4 Fufs und ist das Auge des Letzteren in 3 Fufs Höhe, so ergibt sich die Höhe des Turmes aus der Proportion 4:3 =: 40 : x zu 30 Fufs.

Ist der Fufs des Turmes unzugänglich, so kann die Messung aus zwei Ständen vorgenommen werden (Fig. 32). Der Beschauer sieht das Bild der Oberkante des Turmes bei einer Augenhöhe von 7 Fufs in 18 Fufs Abstand vom Spiegel. Er rückt alsdann den Spiegel um 155 Fufs zurück und sieht das Bild, wenn er 28 Fufs hinter dem Spiegel steht. Nun ist die Augenhöhe 7 Fufs nicht nur die Höhe der beiden Beobachtungsdreiecke, sondern auch

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die eines Dreieckes, das sich ergibt, wenn man beide Dreiecke mit ihrem rechten Winkel aufeinanderlegt und dessen Grundlinie 28 18 = 10 Fufs ist. Dieses ist aber ähnlich dem Dreieck, das von der zwischen beiden Ständen gelegenen Grundlinie von 155 Fufs und den von der Turmoberkante aus- gehenden Strahlen eingeschlossen ist, und die Höhe des Turmes ergibt sich aus der Proportion 10:7 = 155 :x zu 108 V2 Fufs.

Bei diesen Messungen ist immer vorausgesetzt, dafs der Fuis des Turmes, der Spiegel und der Fufs des Beobachters in einer horizontalen Ebene liegen. Das Verfahren konnte also nur eine beschränkte Anwendung finden und liels an Genauigkeit sehr zu wünschen übrig.

Bei dem Spiegelsextanten wird mit zwei Spiegeln operiert, seine Theorie ist die folgende (Fig. 33).

Stehen zwei Spiegel, B und D, welche unter sich einen beliebigen Winkel y einschliefsen normal auf einer Ebene und fällt in dieser Ebene, oder parallel zu ihr ein Lichtstrahl unter dem Winkel ß auf dem Spiegel B, so

Fig. 32. Höhenmefsung aus zwei Ständen mittels des Spiegels. Nach Apian.

wird er unter dem gleichen Winkel ß zurückgeworfen. Er trifft und verlälst alsdann den zweiten Spiegel D unter dem Winkel 0 d. i. in der Richtung DC. Dieser zweimal reflektierte Strahl DC bildet mit der ursprünglichen Richtung des Strahles AB bzw. deren Verlängerung bis C einen Winkel a, der doppelt so grofs ist , als der Winkel y der beiden Spiegel. Es ist nämlich , da in jedem Dreieck die Summe der drei Winkel = 2 R und hier in den beiden Dreiecken BCE und DEF die Winkel e gleich sind

(X -\- p =z y -\- b oder

a = Y -|- S ß aber

Y = 5 ß weshalb

a = 2 Y-

Ist es nun möglich, ein Instrument zu konstruieren, welches gestattet,' über den zweiten Spiegel hinweg einen Gegenstand so anzuvisieren, dafs sein Bild mit dem des doppelt reflektierten Strahles in eine Ebene fällt, welche senk- recht auf der Grundebene steht, so kann die Gröfse des Winkels a = ACD,

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welche der von letzterem Gegenstand ausgehende Strahl D'C mit der Anfangs- richtung des Lichtstrahles ABC bildet, gemessen werden, wenn der Winkel BFD = y der beiden Spiegel bekannt ist.

Die Idee, ein solches Instrument zu konstruieren, soll von Dr. Hooke herrühren, der sie Newton mitteilte, von diesem weiter verfolgt, wurde sie um 1700 von Hadley ausgeführt; vgl. G. Adams, geometrische und graphische Versuche, übersetzt von J. G. Geifsler, Leipzig 1795. S. 274. Das Instru- ment führte Anfangs den Namen der Hadley'sche Quadrant, jetzt bezeichnen wir es als Spiegeloktant oder Spiegelsextant.

Es hat die Gestalt eines Kreissektors von 45" (Oktant Fig. 35) oder 60** (Sex- tant). Auf dem die Radien verbindenden Kreisbogen ist der Limbus aufgetragen. Im Mittelpunkt des Kreises ist die drehbare Alhidate (Zeiger) angebracht; auf ihr steht senkrecht und in der Richtung auf den Nullpunkt der Limbus- teilung ein Spiegel (Zeigerspiegel), der die Drehungen des Zeigers mitmacht. Etwas seitwärts von dem hinteren Schenkel des Sectors ist ein zweiter Spiegel (Kimmspiegel) angebracht. Er steht wie der erste auf der Ebene des Sectors

senkrecht und ist so befestigt, dafs er

dem Zeigerspiegel parallel ist, wenn der

Zeiger auf dem Nullpunkt der Teilung

steht. Zwischen beide Spiegel können

farbige Gläser eingeschlagen werden,

um allzuhelles Licht abzublenden. Dem

Kimmspiegel gegenüber befindet sich

auf dem rechten Schenkel des Sectors

ein Diopter oder ein Fernrohr, dessen

Axe auf die Mitte des Kimmspiegels

^' ' gerichtet ist. Es bilden also die Öffnung

des Diopters bezw. die Fernrohraxe die Mittellinie des Kimmspiegels und die

des Zeigerspiegels einen konstanten Winkel, dessen einer Schenkel horizontal

liegt wenn das Instrument senkrecht gehalten wird.

Der Kimmspiegel ist nur in seinem unteren Teil belegt, die obere Hälfte ist durchsichtig, während also der doppelt reflektierte Strahl nach dem Auge des Beschauers gesendet wird kann dieser zugleich durch die obere Hälfte des Spiegels einen anderen Gegenstand anvisieren und durch Drehung des Zeigers, beziehungsweise des Zeigerspiegels beide Bilder zur Deckung bringen. Die Drehung des Zeigerspiegels entspricht stets der halben Gröfse des zu messenden Winkels und es ist in Folge dessen der Bogen von 45 " oder 60 "^ in 90 oder 120 Teile geteilt, deren jeder einem Grad des zu messen- den Winkels entspricht. Es folgt aus dieser Einrichtung, dafs jeder Fehler in der Ablesung in Wahrheit doppeh so grofs ist, als er auf dem Limbus erscheint. Um die möglichste Genauigkeit zu erreichen, ist der Zeiger häufig so eingerichtet, dafs er zuächst mit der Hand soweit bewegt wird, dafs beide Bilder sich annähernd decken. In dieser Stellung wird er durch eine Stell- schraube befestigt und alsdann durch eine Mikrometerschraube die feinere Einstellung auf die vollständige Deckung der Bilder bewerkstelligt. Ferner

ist der Zeiger gewöhnlich mit einem Nonius und einer Lupe versehen, so dafs ein hoher Grad von Genauigkeit der Ablesung erreicht werden kann.

Auf die Berichtigung des Instrumentes kann hier nicht eingegangen werden. Das Instrument hat eine Parallaxe, weil der Scheitel des zu messen- den Winkels nicht im Drehpunkt des grofsen Spiegels, sondern in C Fig. 33 liegt. Für grofse Entfernungen kann sie unberücksichtigt bleiben, für kleinere läfst sie sich auf einfache Weise berechnen.

Mit dem Instrument wie es eben beschrieben wurde, können Winkel bis 90 ^ oder 120 ^ gemessen w^erden. Um den Quadranten auch zur Messung von stumpfen Winkeln verwendbar zu machen wird er zuweilen mit einem zweiten Kimmspiegel versehen , welcher senkrecht auf der 0 Richtung des Zeigerspiegels steht. Es ist dann auch ein zweites Diopter nötig. Da der zweite Kimmspiegel gegen den Zeigerspiegel um 90 '^ gedreht ist , reflektiert er Strahlen, welche vom Rücken des Beschauers einfallen und zwar unter 180*^ gegen den Horizont, wenn der Zeiger auf 0 ist, von 90^^ wenn er auf 90 ^ steht. Der Weg der Strahlen ist der folgende (Fig. 34). Sie kommen von A, werden von B nach C und von da nach dem Auge des Beschauers D geworfen, der zugleich einen Punkt des Horizontes E anvisiert. Der zu messende Winkel a bewegt sich zwischen 90 " und 180 ". Er ist gleich dem doppelten Nebenwinkel y' der beiden Spiegel.

Wir besitzen drei Spiegeloktanten aus dem 18. Jahrhundert und einen Sextanten aus dem Anfang des 19.

Der Oktant W. I. 1230, Fig. 35, welcher 1873 auf der Insel Sylt er- worben wurde, ist der einfachste. Er ist fast ganz aus Holz gefertigt, nur die Fassungen der Gläser, die Diopter und einige Schrauben sind von Mes- sing und die Regel zur Ablesung von Bein. Der Zeigerspiegel A ist auf die Scheibe des hölzernen Zeigers aufgeschraubt , seine senkrechte Stellung auf die Ebene des Oktanten konnte durch die Schraube a reguliert werden. Der erste Kimmspiegel B steht seitwärts auf dem linken Schenkel des Oktanten, auch er hat eine Schraube b zur genau senkrechten Einstellung, w^ährend der Parallelismus zu dem Zeigerspiegel durch einen drehbaren Schieber auf der Rückseite des Oktanten reguliert wird. Zwischen den beiden Spiegeln stehen um eine horizontale Axe drehbar zwei rote Einschlaggläser C. Sie können herausgenommen und bei E eingesetzt werden, wenn der zweite Kimmspiegel D benützt wird. Dieser steht auf der Nullrichtung des Zeigerspiegels senk- recht und ist im Einzelnen ebenso eingerichtet wie der erste, nur seine Be- legung ist eine etwas andere. Während jener in seiner oberen Hälfte durch- sichtig, in seiner unteren belegt, ist bei diesem nur ein schmaler Spalt ober- halb der Mitte unbelegt und durchsichtig. Gegenüber dem ersten Kimm- spiegel bei F steht ein Diopter zur Beobachtung von Winkeln von 0 90 ^, seitwärts vom zweiten bei G ein solches zur Beobachtung von Winkeln von 90 180 Graden. Der Weg der doppelt reflektierten Strahlen ist bei Winkeln unter 90 ^ HABE , während der direkt anvisierte Gegenstand in der Fort- setzung der Linie FB liegt ; bei Winkeln über 90 ° macht der doppelt reflek- tierte Strahl den Weg lADG und der direkt beobachtete Gegenstand liegt in

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. II.

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der Verlängerung der Linie GD. Über dem Limbus ist der Zeiger in der Fortsetzung der Fläche des Zeigerspiegels ausgeschnitten, diese Linie liegt in der Ebene des Zeigerspiegels und gibt dessen Stellung an. Der Limbus ist in 90 Teile und jeder von diesen auf dem äufseren Rande in 3 Teile geteilt. Die gleiche Einteilung in 270 Teile trägt dann der innere mit Transversalen versehene Teil des Limbus. Jeder Drittelsgrad wird hier wieder in 10 Teile geteilt, so dafs eine Ablesung von 2 Minuten möglich ist. Auf Fig. 35 sind der Deutlichkeit wegen nur ganze Grade angegeben. Auf dem die beiden Schenkel verbindenden Steg ist eine Elfenbeinplatte mit der Aufschrift Cap- Batlimallo i'jöj angebracht. Es ist der Name des ehemaligen Besitzers.

Die beiden anderen Octanten W. 1. 1213 und W. I. 1214 sind aus der Sammlung Spitzer (Nr. 2776 und 2775). Sie unterscheiden sich nur

Fig. 35. Spiegeloctant (Hadley'scher Quadrant von 1763. W. J. 1230.

darin wesentlich von dem beschriebenen, dafs der Zeiger mit einem Nonius versehen ist. W. I. 1213 ist gefertigt von Goater in London. Der Name des Besitzers ist ausgekratzt und nur die Jahreszahl 1777 stehen geblieben.

Der zweite Octant hat nur einen Kimmspiegel. Er ist wie die beiden anderen aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, sein Besitzer hiefs Chrighton und war aus London.

Genauer gearbeitet als diese 3 Instrumente ist ein weiteres W. I. 1215 von Gambey in Paris aus dem Anfang des 19. Jahrhunderts (Collection Spitzer 2774). Es umfafst einen Winkel von 70*^, beziehungsweise 140*^. Es hat nur einen Kimmspiegel und an Stelle des Diopters ein Fernrohr, das leider zu Verlust gegangen ist. Für die Berichtigung der Stellung der Spiegel

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ist hier durch verschiedene Mikrometerschrauben ausreichend gesorgt. Zwischen beiden Spiegeln stehen 4, hinter dem Kimmspiegel 3 Einschlaggläser. Der Zeiger ist mit einem Nonius versehen , an seinem vorderen Ende ist ein Schlitten angebracht, der auf dem Rande des Limbus gleitet. Wird er mittels einer Stellschraube festgestellt, so ist noch eine feine Verschiebung durch eine Mikrometerschraube möglich. Ferner trägt der Zeiger eine Lupe zur Ablesung auf dem Nonius.

Der Limbus ist in 140 ° und jeder Grad in 6 Teile zu 10' geteilt. Der Nonius ist in 60 Teile geteilt, welche gleich 59 kleinsten Teilen des Limbus sind, so dals eine Bestimmung von Winkelunterschieden von 10" möglich ist.

Auf der Oberfläche der Speichen und des Zeigers sind einige Ver- zierungen aus Silber angebracht. An der Rückseite des Instrumentes befindet sich ein Griff, an dem es gehalten werden kann, der aber zugleich gestattet, es auf ein Stativ zu stecken. Die Stative für Sextanten haben 3 aufeinander senkrechte Axen. Sie gestatten, die Sextantenebene in die Ebene des zu messenden Winkels zu bringen, denn das ist notwendig, wenn das Instrument überhaupt gebraucht werden soll. Die Verwendbarkeit der Sextanten in der Feldmefskunst ist aber dadurch beeinträchtigt, denn in dieser kommt es fast ausnahmslos nicht auf die schief liegenden Naturwinkel, sondern auf deren Horizontalprojectionen, die sogenannten Horizontalwinkel an. Alle topo- graphischen Aufnahmen geben ja das Bild des Terrains auf eine horizontale Ebene projiciert. Wird daher ein schiefliegender Winkel im Gelände mit dem Sextanten oder Octanten aufgenommen, so ist es nötig, noch die Neigung jedes seiner Schenkel zu bestimmen. Auch das ist unter Anwendung eines künst- lichen Horizontes mittels des Sextanten möglich, es sind aber alsdann statt einer Winkelmessung deren drei und zudem noch rechnerische oder graphische Operationen nötig. Das Verfahren bei der Winkelmessung ist im Grunde schon oben bei Erläuterung der Idee des Instrumentes angegeben. Man stellt das Intrument im Scheitel des Winkels auf und bringt es in dessen Ebene, so, dals die Visierlinie Fig. 35 mit dem linken Schenkel des Winkels FB zusammenfällt, dann führt man den Zeiger dahin, dafs der Visierpunkt H des zweiten Winkelschenkels HA im Kimmspiegel neben dem Bilde des direkt anvisierten Punktes B' erscheint, stellt fest und liest ab.

Handelt es sich nun noch darum, den Höhenwinkel der Winkelschenkel d. h. ihre Neigung gegen den Horizont zu ermitteln, so mufs man einen so- genannten künstlichen Horizont anwenden. Man versteht darunter eine spie- gelnde (reflektierende) Fläche. Als solche dienen entweder Flüssigkeiten, welche den Vorzug haben, sich selbst horizontal einzustellen gewöhnlich Öl oder Quecksilber in Gefäfsen von etwa 8 10 cm. Durchmesser oder Glasplatten, welche mittels der Libelle und Stellschrauben horizontal gestellt werden.

Die Messung wird in der Weise vorgenommen, dafs man sich so hinter dem Reflexionshorizont aufstellt, dafs sowohl der Fixpunkt des Winkelschenkels, als auch dessen von dem Horizont reflektiertes Bild sichtbar ist. Man visiert dann durch den durchsichtigen Teil des kleinen Spiegels nach letzterem und

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dreht den Zeiger so lange, bis das doppelt reflektierte Bild neben dem vom Horizont reflektierten erscheint. Die Ablesung gibt den doppelten Höhen- winkel, ist aber mit einer kleinen Parallaxe behaftet, welche daher rührt, dafs sich das Auge des Beobachters nicht in der Ebene des Reflexionshorizontes befindet von dem der Strahl zurückgeworfen wird, sondern höher steht.

Ihre hauptsächlichste Anwendung finden die Spiegeloctanten und Sex- tanten in der nautischen Astronomie zur Bestimmung von Breite und Länge der Meeresörter. Zur Längenbestimmung werden vorzugsweise die sogenannten Monddistanzen verwendet, das ist der Abstand des Mittelpunktes des Mondes von dem Mittelpunkte der Sonne oder einem Stern, vom Mittelpunkte der Erde aus gesehen. Hiebei handelt es sich um die Messung schiefliegender Winkel; zu Messungen der Höhe von Gestirnen, welche bei Breitenbestimmungen, Be- stimmungen von Zeit und Polhöhe, sowie bei der Reduktion der scheinbaren Monddistanzen erforderlich sind, wird der Meereshorizont benutzt. Die so gewonnenen Beobachtungen bedürfen verschiedener Reduktionen, auf welche

hier nicht eingegangen werden soll.

(Fortsetzung folgt.) Nürnberg. Gustav von Bezold. .

Noch einmal der Kölner Zeugdruck mit Mutter Anna, Maria und Seraphim.

n den »Mitteilungen des germanischen Museums «1897 S. 91 u. ff. hat Herr Dr. Th. Hampe den Zeugdruck mit Mutter Anna, der Jungfrau Maria und Seraphim mit Handzeichnungen des dortigen Kupferstichkabinets zusammengestellt und den Nachweis erbracht, dafs wir es bei beiden mit Werken der Kölner Schule bezw. der Kölner Gegend zu thun haben. Ebendort sagt Dr. Hampe S. 97, dafs ein unwiderlegHch sicherer Nachweis in Fällen wie dem vorliegenden seine grofsen Schwierig- keiten hat, ja an's Unmögliche grenzt, wenn dem Forscher nicht ein günstiger Zufall, ein glücklicher Fund zu Hilfe kommt. Hieran anschlielsend möchte ich nun hier auf einen Fund zu sprechen kommen, der, wenn Hampe von ihm schon früher Kenntnis gehabt hätte, ihn zweifellos bestimmt haben würde, noch weitere und sicherere Schlüsse zu ziehen.

Auf die von Dr. Hampe konstatierte auffallende Übereinstimmung der Hand- zeichnung (Fig. 1) mit dem Seraphimdrucke (Fig. 2) werde ich unten zu sprechen kommen. Hier will ich zunächst einer Abweichung gedenken, die, statt das Gegenteil zu thun, Handzeichnung und Zeugdruck um so näher zusammenbringt. Auf der Handzeichnung bemerkt man nämlich bei genauerer Betrachtung rechts vom Schofse der Mutter Anna, zwischen dieser und der jugendlichen Maria ein Weinblatt mit Stiel. Dieses steht aufser Zusammenhang mit der Zeichnung selbst, und fehlt dem Zeugdrucke. Dies ist der einzige greifbare Unterschied zwischen Druck und Zeichnung. Das Weinblatt steht dagegen zweifellos in engstem Zusammenhang mit den im leeren Raum oberhalb der Zeichnung vom

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Künstler hinskizzierten Weinblättern in der Mitte und am Rande links des Bildes. Diese Weinblätter nun erregten, als ich die Lichtdrucktafel des Herrn Dr. Hampe sah, meine Aufmerksamkeit, und sofort erinnerte ich mich einer Stickerei mit Vorzeichnung, die ich s. Z. zusammen mit dem Seraphimdrucke erworben und seither in meiner Textilsammlung, später in meiner Zeugdruck- sammlung aufbewahrt hatte. Ich eilte, das Stück herbeizuholen und sofort ward mir klar : Zwischen den Kölner Handzeichnungen und meiner Stickerei mit Vorzeichnung besteht ein ganz bestimmter Zusammenhang.

Bevor ich diesen Zusammenhang näher beleuchte, möchte ich nochmals hervorheben, dafs ich jene Stickerei direkt vom Finder zusammen mit jenem Seraphimdruck und andern Stoffen jener Zeit, d. h. des XIV.

Fig. 1. Handzeichnung der Kölner Schule.

und XV. Jahrhunderts, erwarb, und dafs es sich hier um das Fragment einer einst etwas, doch nicht viel gröfseren Stickerei handelt. Ich vermute, dafs dieses, heute 15 cm. breite und 12^2 cm. hohe Bruchstück ehedem als Um- hüllung eines Reliquienschädels diente ; die Form des Stoffrestes , die vor- handenen Nähte und Andeutungen von Seiten des Finders scheinen dies zu bestätigen. Als Grundlage dient ein weifser Leinenstoff, auf welchen wein- rote, mehrfach stark verblasste Seide aufgelegt ist. Diese Letztere nun zeigt einen Weinstock, dessen Stamm sich mehrfach verzweigt. An der Mittelstelle sitzt ein nach rückwärts blickender Vogel. An den Zweigen hängen Wein- blätter und Weintrauben. Die Stickerei ist so ausgeführt, dafs der Stamm und die Äste, auch einzelne Weintrauben, aus cyprischen Goldbrocatfäden, die Weinblätter aber aus grünen und gelben Seidenfäden, der Vogel mit weifser Seide gebildet sind. An zahlreichen Stellen nun ist die Stickerei

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abgerieben und dort sieht man dann deutlich eine Stickerei-Vorzeichnung, die in ihrer gewandten , eleganten und sicheren Linienführung einen Künstler als Autor vermuten läfst. Diese Weinblattskizzen tragen nun eine solch' auffallende Übereinstimmung der Linienführung mit den Weinblattskizzen der Handzeichnung, dafs ich nach reiflicher Überlegung mir sagen mufste, diese Stickereiskizze und die Kölner Handzeichnung seien von ein und dem- selben Meister gezeichnet ! Man wird mir vielleicht entgegnen , dafs ein Weinblatt eben ein Weinblatt ist, aber ich behaupte und will es sofort be- weisen, dafs so gut als in einem Gesichte, in einem Faltenwurfe oder in einer Tierdarstellung, ja noch mehr als in einem so grofsen Räume in kleinen

i^z^z^x4»»iia^^M^!^^^

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Fig. 2. Kölner Zeugdruck.

Dingen wie in einem Weinblatte jeder Künstler seine eigene individuelle Hand zeigt. Ich habe mir selbst erst jenen Einwurf vorgelegt, bin aber um so überzeugter geworden , als ich all' mein Nachschlagematerial durchgesehen hatte und fand , dafs gerade bei der Darstellung von Weinblättern die ver- schiedenen Künstler sich ganz verschieden von einander gehen lassen. Zum Beweis gebe ich hier genaue Facsimiles 1) der Weinblätter auf der Kölner Handzeichnung, 2) der Weinblätter auf meiner Stickereivorzeichnung, 3) der Weinblattdarstellungen in Manuscripten und alten Holzschnitten, wie ich sie gerade in Quellenwerken meiner Bibliothek zur Hand hatte (Fig. 3). Wie man sieht sind diese ohne alle Auswahl wiedergegebenen Weinblätter jedes vom

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andern verschieden, nur die der Handzeichnung und der Stickerei überein- stimmend ! Dazu kommt nun noch die gleiche Provenienz und das gleiche Alter von Zeugdruck und Stickerei, sowie die Übereinstimmung von Zeug- druck und Handzeichnung, weiterhin aber kommt dazu, dafs die Hand- zeichnung des Nürnberger Kabinets als ein Entwurf derselben Hand anzusehen ist, welche auch den Zeugdruck verfertigt hat. Dr. Hampe Jäfst S. 103 die Frage offen, ob die Zeichnung »ein Entwurf zu dem betreffenden Zeugdruckmodel gewesen sei« oder ob sie die Skizze sei zu einem jetzt untergegangenen oder verschollenen Tafel- oder Wandge- mälde , von dem dann erst der Modelzeichner die Darstellung entlehnt hätte. Auch diese Frage glaube ich beantworten zu können, denn ich bin in der Lage, nachzuweisen , dafs alle Gründe , welche für die letztere Auf- fassung sprechen könnten, hinfällig sind : Dr. Hampe sagt und mit Recht dafs die Handzeichnungen augenscheinlich einer ansehnlichen , nament- lich mit der Herstellung von Altären, Heiligenfiguren, bemalten Reliquien-

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Fig. 3. Weinblätter : il und 2 auf der kölnischen Handzeichnung im Germanischen Museum. 3 5 auf der Stickerei-Vorzeichnung der Sammlung Forrer. 6 auf einem Lesepultbehang (Zeugdruck) aus Innichen (Tirol). Um 1400. Vgl. Forrer , Die Kunst des Zeugdrucks. Strafsburg. 1898. Taf. XX. 7 u. 8 aus dem Spiegel menschlicher Behaltnus Basel 1476. Vgl. Muther. Bücherillustration S. 64. 9 u. 10 aus einem Pergament- Initiale vom Anfang des 14. Jahrhunderts in der Forrerschen Initialensammlung. 11 aus dem Defensorium inviolatae virginitatis beatae Mariae virginis. Würzburg 1470. 12 aus Sebastian Münsters Cosmographie von

1598 S. 864.

Schreinen u. s. w. beschäftigten Maler- und Bildschnitzerwerkstatt entstammen, bemerkt dann aber dazu, »dafs es nicht sehr wahrscheinUch sei, dafs man bei einem solchen Betriebe nebenher auch Zeit gefunden habe, Vorzeich- nungen für Zeugdruck zu fertigen, und dafs das vermutlich Sache der Zeug- drucker und Modelstecher selbst, oder auch der Formschneider, Wappen- und Briefmaler etc. war.« Dem mufs ich aber entgegnen, dafs für die Zeit, welche hier in Betracht kommt , also die Wende des XIV. und die erste Hälfte des XV. Jahrhunderts, eine Trennung von »Zeichnern, Malern, Bild- schnitzern etc. einerseits und Zeugdruckern, Formschneidern etc. andrerseits noch nicht stattgefunden hatte. Alle diese Arbeiten waren damals, wie Cenninis Trattato della pittura, ferner Wiener Urkunden des XV. Jahrhunderts und zahlreiche andere Belege unwiderleglich beweisen (man vgl. darüber mein Buch über »Die Kunst des Zeugdrucks« und speziell meine Broschüre »Las imprimeurs de tissus dans leurs relations artistiques et historiques avec les

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corporations, 1898) eine Arbeit der Künstler, Maler und Bildschnitzer selbst, die fa z.B. noch weit unkünstlerischere Arbeiten, wie z.B. das Bemalen von Stech- sätteln, Baldachinen etc. zu versehen hatten ^). Ferner führt Dr. Hampe den plastischen, mehr statuarischen Charakter der zur Handzeichnung mit den Cherubim gehörigen andern Handzeichnungen ins Feld, anulliert aber das Argument selbst wieder durch die Bemerkung, dafs allerdings die Seraphim- Handzeichnung erheblich hievon abweiche und eher auf einq malerische Wiedergabe berechnet war. In der That machen die andern von Dr. Hampe erwähnten und abgebildeten Handzeichnungen ganz den Eindruck, als wären es Entwürfe für plastische Kunstwerke , dagegen ist gerade die Cherubim- zeichnung mehr flach gehalten, wie dies Dr. Hampe bestätigt und zeigt dadurch, dafs sie einem andern Zwecke, mehr für ein Flachbild bestimmt war. Da bleiben also Fresko, Gemälde oder Zeugdruck annehmbar. Es sprechen demnach keine äufsern Gründe dagegen, alle äufsern Gründe, wie aber auch die Wahrscheinlichkeit und endlich das Bild selbst dafür, dafs in der Seraphimhandzeichnung ein Entwurf zum Zeugdruck vorliege. Würde man ein Gemälde oder einen Holzschnitt kennen, die in dem Mafse wie der Seraphimzeugdruck der Handzeichnung entsprächen , so würde man keinen Augenblick zögern, die Skizze als den Original-Entwurf zum Gemälde oder Holzschnitte zu beanspruchen. Weil wir es nun aber mit einem Zeugdrucke zu thun haben, und weil diese Kunst heute mehr eine »Fabrikarbeit« ist, können manche nur schwer sich daran gewöhnen, das dem Zeugdruck zu gewähren, was sie unbedenkUch dem Papierdruck zusprechen würden! In WirkUchkeit war und bUeb gerade die künstlerische Seite der Arbeit ganz dieselbe, man brauchte ja blos an Stelle des Pergamentes oder Papieres Lein- wand zu unterlegen. Es kann übrigens heute als feststehende Thatsache gelten, dafs der Bilddruck auf Papier sich aus dem Zeugdruck entwickelt hat, also die Formschneider resp. Zeichner zuerst blos für den Zeugdruck arbeiteten. Zum Überflufs bleibt uns noch ein sehr gewichtiges und UHtrüg- Uches Vergleichsmaterial um zu zeigen, dafs der Zeichner der Skizze mit dem des Zeugdrucks identisch ist. Dafs die Zeichnung, abgesehen vom Weinblatte, dem in der Zeichnung noch weggelassenen fünften Cherubim und der den Hintergrund bildenden Architektur, in allen Einzelheiten mit dem Zeugdrucke übereinstimmt, hat Herr Dr. Hampe bereits überzeugend nachgewiesen^). Es bliebe aber noch die Möglichkeit, dafs irgend ein Zeugdrucker das Bild nach einem Gemälde oder eine Freske kopiert hätte. Nun ist es aber allen bekannt, dafs ein Kopist in der Kopie um so weniger das Original trifft, je mehr die Technik von der des Originals abweicht und natürlich auch je nach seinen

1) Dafs aber auch in jener Zeit eben der Befähigtere sich nach Möglichkeit aus- schliefshch mit höheren Kunstarbeiten beschäftigte , dem minder Begabten dagegen die gewöhnlicheren Arbeiten reserviert bUeben, ergaben die Verhältnisse natürhch schon durch sich selbst.

2) Nach brieflicher Mitteilung üest übrigens Herr Prof. Dr. Lippmann die Schrift auf der Bandrolle des Zeugdrucks nicht >gloria laus deo«, sondern »i . . gr(ati)a laus ch(rist)o.«

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Fähigkeiten. Will man ein Gemälde in eine Linienzeichnung umkopieren, so gehen selbst dem geschicktesten Zeichner zahlreiche Charakteristiken des Autors verloren, ja der Zeichner bringt seine eigene Hand darin unwillkürlich zum Ausdruck. Man sehe nur, wie verschieden ein und dasselbe Gemälde, ja selbst Handzeichnungen und alte Holzschnitte in Lithographiereproduktionen reproduziert sind, ja wie selbst direkte Pausen alter Linienzeichnungen je nach der Hand des Kopisten variieren. Man vergleiche übrigens auch das oben bezüglich der Weinblätter gesagte. Würde nun unser Zeugdruck von einem Gemälde mit fraglicher Darstellung kopiert sein, so könnte ja zweifellos die ganze Darstellung bis in alle Einzelheiten übereinstimmen , aber ebenso zweifellos würden jene des Künstlers Hand charakterisierenden Merk- male fehlen, welche sowohl in den Handzeichnungen, wie in dem Zeugdrucke sich wiederfinden. Dahin gehört vor allem die durchaus eigenartige Bildung der hochgezogenen Nasenflügel aller Figuren , die allen Gestalten unseres Kölner Meisters ein gewissermafsen schnippisches Gesicht geben. Der Mund aller Figuren ist ebenso charakteristisch, auch zahlreiche andere intime Details, wie z. B. die schöne Haarbildung, die gleiche Behandlung der Hände u. s. w. Dann aber ist es vor Allem ein Vergleich der einzelnen Gesichter miteinander, der ausschlaggebend ist. Die Cherubimköpfe des Zeugdrucks entsprechen in ihrem Ausdruck absolut denen der Handzeichnung und zwar bis in alle Einzelheiten. Gerade hier würde ein Kopist zu andern Linien haben kommen müssen, selbst wenn er ein Gemälde genau in der Gröfse des Zeug- druckes blos hätte durchpausen können; noch viel weniger aber würde er diese Charakterübereinstimmung getroffen haben, wenn er ein gröfseres Ge- mälde oder gar ein Wandgemälde hätte kopieren und auf eigene Hand ver- kleinern müssen ! Wir kommen also gezwungen durch kunstkritische Be- denken zur Überzeugung, dafs in der Handzeichnung mit St. Anna, Maria und Cherubim die Originalskizze zum Zeugdrucke mit demselben Bilde vor- liegt, sei es, dafs diese Skizze den ersten Entwurf direkt für den Zeugdruck bestimmt bedeutete, sei es, dafs der Künstler diesen Entwurf erst für andere Zwecke skizziert hatte, und später durch Umzeichnen und Vergröfsern für den Holzschnitt resp. Zeugdruck verwandte. Wollte man in dem Zeugdrucke eine gröfsere Reife der Ausführung erblicken und daraus auf ein etwas jüngeres Alter schliefsen , so darf dem entgegengehalten werden , dafs die Handzeich- nung, wie ja schon aus ihrer UnvoUständigkeit hervorgeht, eben blos als eine Skizze, ein vorläufiger Entwurf angesehen werden mufs. Feinheiten, wie sie die Zeichnung bietet , mufsten bei dem damaligen Stande der Holzschnitt- technik im Zeugdruck verloren gehen. Höchste Wahrscheinlichkeit bean- sprucht ferner die Annahme , dafs die oben erwähnte Stickereivorzeichnung in Folge Übereinstimmung von Stickereizeichnung und Cherubimzeichnung, anderseits in Folge ihrer mit dem Zeugdrucke gleichen Provenienz was den Autor angeht zusammengehört mit Cherubimzeichnung und Cherubimdruck. Sofort mit dieser Annahme erklärt sich die auffallende Übereinstimmung zwischen der Stoff- und der Papierzeichnung , und jene zwischen dieser und dem Zeugdrucke. Damit gewinnen Dr. Hampe's Entdeckung der Überein-

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. III.

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Stimmung und seine Datierung und Zuweisung der beiden Cherubimbilder eine ungeahnte Bestätigung, der Zeugdruck erhält seine Datierung in die Zeit der Skizze (um 1400) und der Kenntnis jenes Kölner Meisters selbst sind wir einen wesentlichen Schritt näher gerückt, gleichzeitig aber haben wir neues Material zur Geschichte der Beziehungen zwischen der »hohen Kunst« und der Kunst des Zeugdrucks im Mittelalter gewonnen.

Strafsburg. R. Forrer.

Autographen Bugenhagens, Crueigers und Melanchthons in einem Gebetbuch der Kirehen-

bibliothek zu St. Lorenz.

;n der sog. Fenitzer-Dilherrschen Bibliothek zu St. Lorenz in Nürn- berg fand ich u.a. ein Exemplar des »Betbüchlins, mit dem Ca- lender vnd Passional , auffs new corrigiert vnd gemehret« von Doctor Martin Luther aus dem Jahre 1542. Schon der freilich um 41 Jahre spätere, reizvolle Einband des Büchleins fällt auf: die Holzdeckel, sowie der pergamentene Rücken und die aus starkem Bindfaden gobelinartig gewirkten Bünde sind oder waren einst denn die Zeit hat hier manchen Schaden angerichtet mit schwarzem Leinen überzogen ; Eck- und Mittelbeschlag und ebenso die Heften für die Schliefsen sind aus vergoldetem Silber und mit Gravierungen, Eck- und Mittelbeschlag auch durch hübsch gearbeitete er- habene Rosetten sehr geschmackvoll verziert. Die runden Mittelschilder weisen jederseits die Jahreszahl 1583 und nach oben wie nach unten gerichtet je ein Schildchen mit der Hausmarke des späteren Besitzers , die sich vozugsweise aus N und F zusammensetzt, auf. Von den Schliefsen ist nur noch eine vorhanden, und auch diese macht mit ihrer besser erhaltenen Vergoldung und der weniger ansprechenden Gravierung den Eindruck , als ob sie später er- gänzt worden sei, etwa erst dem 18. Jahrhundert entstamme. Dagegen stimmt wiederum der Goldschnitt mit seiner einfachen aber hübschen, durch Stempel oder Punzen bewirkten Musterung mit Bogenlinien, kleinen Rosetten, Punkten u. s. w. sehr gefällig zum Ganzen.

Aber mehr noch als das anziehende Äufsere des Buches überrascht uns sein Inhalt, und zwar nicht sowohl derjenige des bekannten Lutherschen »Bet- büchlins« oder des Passionais mit seinen teilweise aus Albrecht Dürers kleiner Holzschnitt-Passion entlehnten Holzschnitten, als der Inhalt der beiden Schutz- blätter unmittelbar vor und unmittelbar hinter dem gedruckten Büchlein. Das erste dieser vier Blätter hat nämlich Johann Bugenhagen, das zweite Caspar Cruciger , das dritte und vierte Philipp Melanchthon eigenhändig mit einem Bibelspruch und einer kurzen Auslegung desselben beschrieben. Diese drei Autographen, unter denen sich namentlich Melanchthons erklärende Worte durch Kraft und Prägnanz auszeichnen, lauten buchstabengetreu :

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1) »Christus dicit Jo. XIIII [v. 6] Nemo venit ad Patrem NISI per ME :

Christus dicit omnes homines esse damnatos, Nemo inquit, venit ad Patrem, et neminem saluari per aliud Nisi, tantum, solum, per Christum Christus autem Sola fide apprehenditur, Ergo Sola fide iüstificamur et sal-

uamur.

Joh. Bugenhagius Pomeranus d' mdxliiij«

2) »1 Thimoth 1 [v. 15]

Das ist ie gewifslich war vnd ein tewer werdes wort das Christus Jhesus kome[n] ist in die wellt, die Sünd[er] selig zu machen, vnter welchen ich der furnemest bin, etc.

Es ist nie keine lere noch Weisheit auff erden komen die da komm arme betrübte gewissen, der gnaden Gottes und Vergebung der sunden ver- sichern vnd rechten ewigen trost geben vnd schaffen, denn diese lere des Euangelü, so die propheten [2. Seite] vnd Aposteln, vnd furnemlich Gottes son selbs der wellt verkündigt, dar umb es billich allein den rhum vnd titel füret, das es heisst ein gewisses tewr vnd werdes wort, das mit allen ehren an zu nemen vnd Gott zum höchsten dafür zu dancken ist.

Caspar Creutziger.«

3) ' »Esaiae 59 [v. 20 und 21]

veniet Sion redemptor ijs qui redeunt ab iniquitate in Jacob dicit dominus. Hoc foedus meum cum eis, dicit dominus , Spiritus meus qui est in te, & verba mea quae posui in [2. Seite:] ore tuo, non recedent de ore tuo, et de ore seminis tui, dicit dominus, deinceps & in sempiternum.

Hac consolatione confirmemus nos aduersus Turcica [3. Seite:] arma, aduersus tyrannorum et vulgi furores qui minantur se Ecclesiam dei dele- turos esse. Nos uero ex hac promissione sciamus aeternam fore, et Euan- gelium hac spe constanter [4. Seite:] discamus amemus & propagemus, ac sciamus ibi vere esse dei Ecclesiam, vbi vere sonat vox Euangelij

Philippus Melanthon.«

Für wen schrieben nun die drei Reformatoren, die treuen Berater Luthers insbesondere bei der neuen Ausgabe seiner Bibelübersetzung , diese Worte ? Der Name des Betreffenden ist uns ohne Zweifel auf dem Titelblatt des »Betbüchlins« erhalten geblieben, auf dem dicht unter der oberen Leiste der Holzschnittumrahmung in gleichzeitiger Schrift zu lesen steht : »Jörgen V. perckhaimer geherig«. Über die Persönlichkeit und die näheren Lebens- umstände dieses Perckheimer habe ich indessen bisher nichts ermitteln können, und ebensowenig läfst sich über den späteren Besitzer unseres Buches, eben jenen N F, der dasselbe 1583 in erfreulicher Pietät so splendide binden Hefs, irgend etwas Sicheres sagen. Möglich, dafs er ein Verwandter des Stifters des weitaus gröfsten Teils der Bibliothek bei St. Lorenz, des Nürnberger Messerschmieds Johann Fenitzer (1568 1629), war, von dem dieser das Buch

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erbte oder geschenkt erhielt, möglich, aber kaum wahrscheinlich, denn da das feine Büchlein nicht wie die übrigen Bände aus Fenitzers Bibliothek das in Kupfer gestochene Porträt des Stifters vorn eingeklebt aufweist und auch in den alten Katalogen jener Büchersammlung nicht figuriert, so ist fast mit Sicherheit anzunehmen , dafs es auf anderem Wege etwa mit den Beständen der Dilherrschen Sammlung oder, wie es mehrfach vorgekommen ist, durch besondere Stiftung in die Bibliothek bei St. Lorenz gelangt ist. Irgend eine sei es alte oder neue Signatur , die vielleicht über die Provenienz Aufschlufs geben könnte, trägt das Büchlein nicht.

Nürnberg. Th. Hampe.

Eine Prangertafel im germanischen Museum.

m Jahre 1897 erhielt die Abteilung für Rechtsaltertümer geschenk- weise eine aus dem gräfl. Gleichen'schen Archiv zu Blankenhain in Thüringen stammende Prangertafel auf die bereits im Anzeiger des Museums kurz hingewiesen wurde. Sie ist in etwa 3 cm hohen Buch- staben geschrieben und war entweder am Pranger selbst befestigt oder dem, dem Namen nach unbekannten Deliquenten um den Hals gehängt. Wir lassen hier den charakteristischen Wortlaut der jedenfalls aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts stammenden Tafel folgen.

Dieser hat seiner Obrigkeit befelch ver/acht vnd hit allein die lenge über die zeit gesoffen sondern auch ander leuten noch Molest gewesen mit einschlagen der ofen vnd fenster/die leute in ihren heusern überfallen: da ihn sein Obrigkeit alss Rath citirt ,' hat er kein gehorsam leisten wollen / über das seine Obrigkeit belogen vnd ihn vil nachgeredet : Da Sie nicht an gedacht / sondern er es erticht / seine vorgesetzte beamten im namen der Herrschaft nicht geacht sondern Sie in ihren ehren geschmächet auch sonsten auser- halb der Stad so vil seines muth willen gewesen dass nichts drüber dahero ist er so vil tage mit dem thurm gestraft worden vnd mit dem Pranger einem andern zum Exempel dass er hinführo andere Ehrliche leuth unbelogen vnd an ihrer Reputation unangegrifen lasse . Als ist er seiner straff selbers ein uhrsach vnd sich ferner zu hütten dafs es geendet wird damit der staub bessen nicht endlich vor sich gehet / Also hat auch ein jeder zu Spiegeln vnd sonderlich die Eltern dass Sie ihre kinder von solcher leckerey vnd lügen ab- manen vnd zu Gottes furcht ziehen.

Nürnberg. Hans Stegmann.

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Einige Kaiserurkuiden des germanischen

Mseums.

(Mit eiiK Lichtdrucktafel.)

py^n dem Jahrgang 1890 1er »Mitteilungen aus dem germanischen Z^yf Nationalmuseum' sind ce Kaiserurkunden des Museums, im ganzen »^-^^ 257 Nummern, behand<t. Seitdem sind aus der Zeit des früheren Mittelalters bis zu Maximilian I. wölf weitere Stücke hinzugekommen, von Ludwig dem Kinde, Otto 111., Heirich 11, Heinrich IV., Heinrich VI., Karl IV., Sigmund, Friedrich 111. und Maxhilian 1., darunter als wertvollste hervorzu- heben die nachfolgend abgedructe Urkunde Ludwigs d. K. und diejenige Heinrichs II. für das Kloster Nieeraltaich vom Jahre 1011. Es war die Ab- sicht, diese zwölf Urkunden, obscon sie eine zusammenhängende Reihe nicht bilden, hier zusammen zu veröffetlichen. Doch gestattet der Umfang dieses Heftes die ganze Ausführung nict, und wir begnügen uns deshalb zunächst mit der nachstehenden teihveiseiPublikation, indem wir die Veröffentlichung der fehlenden Stücke in baldige \ussicht stellen.

1.

Ludwig IV. schenkt auf Bten und Rat des Erzbischofs Hatho (Mainz) an das zum Bistum Worms geörige Kloster des h. Cyriakus (Neuhausen) extra muros den zu Deidesheimim Speiergau in der Grafschaft des Weren- har gelegenen ehemaligen Besit;des Mahtfried, welcher diesem nach gesetz- lichem Urteil der Völker, weil f sich gegen die königliche Gewalt auflehnte, genommen war.

Nordhausen, 906 Nov. 4.

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Originaldiplom im ArchiA des germanischen Museums zu Nürnberg, Pergament-Urkunden Nr. 9466. \bschrift aus dem XII. Jahrhundert in einem rVin.fiilarium der königl. Biblichek zu Hannover. Gedruckt bei Schannat, patus Wormatiensis, tom^I, Nr. XVI aus dem chart. Neuhaus. Regest F. Böhmer, Regesta imerii 1 (Mühlbacher RK), Nr. 1985. Gut ist •chrift des Chart. Hannver (unten als H bezeichnet), aus der Mühl-

s Regest

In

mmenhat; mangelhafter der Abdruck bei Schannat.

nctae ' et indiuiduae ^) trinitatis Hludouuicus ^) diuina

i loc diuino cultui dicata nostro iuuamine augere

c p:)pitium habere liquido credimus. Quapropter

os'i presentes scilicet et futuri, quia nos rogatu

•rabilis archiepiscopi quasdam res iuris nostri

Nationalmuseum. 1898.

IV.

21

Einige Kaiserurkunden des germanischen

Museums.

(Mit einer Lichtdrucktafel.)

-^n dem Jahrgang 1890 der »Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum' sind die Kaiserurkunden des Museums, im ganzen ^gJ^ 257 Nummern, behandelt. Seitdem sind aus der Zeit des früheren Mittelalters bis zu Maximilian I. zwölf weitere Stücke hinzugekommen, von Ludwig dem Kinde, Otto III., Heinrich II, Heinrich IV., Heinrich VI., Karl IV., Sigmund, Friedrich III. und Maximilian I., darunter als wertvollste hervorzu- heben die nachfolgend abgedruckte Urkunde Ludwigs d. K. und diejenige Heinrichs II. für das Kloster Niederaltaich vom Jahre 1011. Es war die Ab- sicht, diese zwölf Urkunden, obschon sie eine zusammenhängende Reihe nicht bilden, hier zusammen zu veröffentlichen. Doch gestattet der Umfang dieses Heftes die ganze Ausführung nicht, und wir begnügen uns deshalb zunächst mit der nachstehenden teilweisen Publikation, indem wir die Veröffentlichung der fehlenden Stücke in baldige Aussicht stellen.

I.

Ludwig IV. schenkt auf Bitten und Rat des Erzbischofs Hatho (Mainz) an das zum Bistum Worms gehörige Kloster des h. Cyriakus (Neuhausen) extra muros den zu Deidesheim im Speiergau in der Grafschaft des Weren- har gelegenen ehemaligen Besitz des Mahtfried, welcher diesem nach gesetz- lichem Urteil der Völker, weil er sich gegen die königliche Gewalt auflehnte, genommen war.

Nordhausen, 906 Nov. 4,

Originaldiplom im Archiv des germanischen Museums zu Nürnberg, Pergament-Urkunden Nr. 9466. Abschrift aus dem XII. Jahrhundert in einem Chartularium der königl. Bibliothek zu Hannover. Gedruckt bei Schannat, Episcopatus Wormatiensis, tom. II, Nr. XVI aus dem chart. Neuhaus. Regest bei J. F. Böhmer, Regesta imperii I (Mühlbacher RK), Nr. 1985. Gut ist die Abschrift des Chart. Hannover (unten als H bezeichnet), aus der Mühl- bacher das Regest entnommen hat; mangelhafter der Abdruck bei Schannat.

C. 3E In nomine sanctae ^) et indiuiduae ^) trinitatis Hludouuicus -) diuina fauente dementia rex. Si loca diuino cultui dicata nostro iuuamine augere studuerimus, Deum ob hoc propitium habere liquido credimus. Quapropter zt nouerint omnes fideles nostri presentes scilicet et futuri, quia nos rogatu atque consultu Hatthonis ^) uenerabilis archiepiscopi quasdam res iuris nostri

1) H. sce und indiuidue.

2) H. hat ludowicus.

3) hathonis. H.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum, 1898. IV.

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in pago Spirahgovvue ^) in comitatu Uuerenharii ^) in loco [ Titinesheim dicto sitas ad monasterium sancti Cyriaci ^) martyris Christi extra muros illius urbis constructum pertinens ad episcopium Vuormacense ''), ubi Thiotoloh ^) uir uenerabiUs presenti tempore episcopus esse dinoscitur, [ pro remedio anime nostrae ^) et illius pontificis amore ^°) in proprium donauimus, hoc est, quicquid Mahtfrid ^^) in supradicta uilla proprii tenuit et ipsi illic legali po-

4) H. hat spirahgovve ; Schannat : Spirahgouve.

5) Werenharii, H.

6) cyriaci. H. Das Kloster des h. Cyriacus zu Neuhausen bei Worms.

7) Wormatiense. H.

8) thiotoloh H. Dümmler, Geschichte des ostfränkischen Reiches, nennt Thiotoloh (Thietelah) unter denjenigen Bischöfen, welche die Leitung des Königs und des Reiches hatten, bezw. dieselbe mit einer Anzahl der hervorragendsten weltUchen Grofsen teilten (a. a. O. Band III, S. 500). Schon unter Arnolf trat Thiotoloh hervor. Er nahm Ende Mai 897 an der Versammlung teil, die der Kaiser in Worms abhielt. In demselben Jahre machte der Kaiser ihm auf Fürbitte Hattos von Mainz und Adalberts von Augsburg mehrere königliche Güter und Einkünfte, sowie eine Anzahl von Hörigen, teils für seine Kathedrale, teils für die Cyriakkirche in Neuhausen zum Geschenke. Am 18. März 904 bestätigte König Ludwig ihm in Ulm die Schenkungen seines Vaters. Am 2. Sept. 906 schenkte Ludwig zu Steegaurach bei Bamberg auf Verwendung Hattos ihm 5 Hufen zu Eich im Wormsfelde, die bisher Graf Gebhard besessen hatte. S. Dümmler, a. a. O. Bd. III, S. 454, 457, 534, 541.

9) H. anime nostre.

10) Mühlbacher a. a. O. bezieht diese Stelle auf Thiotoloh, indem er ihn neben Hatho als Intervenienten nennt: »auf Bitte und Rat des Erzbischofs Hatho und aus Liebe zu dem Bischof Thiotoloh« ; die Worte können doch aber ebensogut auf Hatho gehen.

11) Der lothringische Graf Matfrid , im Bliesgau und Moselland begütert, war vom König Arnolf über den Metzer Gau gesetzt. Schon Zwentibald entzog ihm seine Lehen und Aemter wegen Landfriedensbruch und Gewaltthätigkeiten, die sich dieser nebst anderen Grofsen hatte zu Schulden kommen lassen, gab sie ihm aber auf Fürbitte seines Vaters, des Kaisers Arnolf, zurück. Trotzdem stiftete Matfrid bald wieder Unruhe, indem im Jahre 899 er und sein Bruder Gerard den Abt Regino von Prüm zur Niederlegung seiner Würde nötigten , um ihren Bruder Richar gewaltsam an seine Stelle zu setzen. Er gehörte zu den lothringischen Grofsen, welche nach Arnolfs Tode Ludwig aufforderten, von Lothringen Besitz zu ergreifen und den unfähigen, der allgemeinen Verachtung preisgegebenen Halbbruder zu verdrängen. Mit den Grafen Stephan und Gerard, seinem Bruder, kämpfte er dann, im Auftrag des neuen Herrschers handelnd, gegen Zwentibald, der in einem Treffen an der unteren Maas am 13. Aug. 900 Reich und Leben verlor. Zu dem Anteil der Beute, die Matfrid davontrug, gehörten auch wohl die Güter zu Deidesheim, von denen unsere Urkunde handelt (Dümmler, S. 504). Als die Konradiner anfingen (im Jahre 906), in Lothringen sich auszubreiten, waren es namentlich die Brüder Gerard und Matfrid, welche ihnen entgegentraten. Doch sahen sie sich, in eine feste Burg zurückgedrängt, wegen der Verwüstung ihrer Güter und Lehen mit Feuer und Schwert genötigt, um Frieden zu bitten, welcher ihnen unter gegenseitigen Eiden bis zum Ablaufe der Osterwoche (d. h. bis zum 20. April) bewilligt wurde. (Dümmler, S. 539 u. 540.) Nachdem aber die Konradiner den völligen Sieg über die Babenberger erfochten hatten, ereilte das Geschick auch Gerard und Matfrid. Ludwig, selbst willenlos in den Händen der Konradiner und des zu ihnen stehenden Hatto, verhängte auf einer Reichsversammlung in Metz, wohin er sich im Oktober 906 begeben hatte, die Reichs- acht über sie als Hochverräter, zog alle ihre Güter ein, und so kamen diese Besitzungen in Deidesheim , von denen unsere Urkunde handelt , an die Cyriakkirche zu Neuhausen bei Worms. (Dümmler, S. 544, der aber die Urkunde nur nach Schannat citiert.) Diese

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pulorum iudicio^^), quia regiae '^) | potestati repugnauit, ablatum est, cum cur- tilibus, aedificiis, mancipiis , uineis , siluis, terris cultis ^^) et incultis , pratis, pascuis, uiis et inuiis et omnibus rebus magnis et paruis ad ipsum ; proprium rite pertinentibus. lussimus quoque hoc praeceptum ^^) inde conscribi , per quod uolumus firmiterque iubemus, quatenus^^) supradicta proprietas cum omnibus appendiciis suis ad supra memoratum coenobium perpetualiter possi- dendi^') consistat. Manu nostra illud firmauimus et sigillo nostro consignari iussimus.

Signum domni Hludouuici ( ) serenissimi regis ^®).

Ernustus cancellarius ad uicem Theotmari archicappellani recognouit et sr. (L. S.)

Data IL Non. Novemb. anno incarnationis domini MCCCC. VI. Indict. ^^) Villi. Anno autem regni domni Hludouuici VII. Actum Nordhusa, in Dei nomine, amen.

Das Siegel ist abgefallen, doch ist die Spur desselben, welches einen Teil der tironischen Noten bedeckte, deutlich zu erkennen. Auf der Rückseite alte Notiz:

Traditio ludouuici regis de proprietate mahtfridi in didenesh.

Die Urkunde ist ihrer ganzen Fassung und ihren äufseren und inneren Merkmalen nach ein Beleg der guten Kanzleiverhältnisse , die unter Arnolf mit der Reform der Kanzlei im Jahre 888 begannen und über die Zeit Lud- wigs d. K. und Konrads hinausreichten : Korrektheit und Knappheit in Stil und Formeln, sachgemäfser Ausdruck des Thatbestandes, Klarheit und Gleich- mäfsigkeit der Schrift , Einfachheit , Formenschönheit und Deutlichkeit der

Uebertragung geschah also am 4. Nov. 906, dem Datum unserer Urkunde. Seitdem treten beide Brüder in der Geschichte zurück. Im Jahre 915 tritt noch einmal ein Mat- frid als Graf von Metz auf, aber nicht mehr als Nebenbuhler um die herzogliche Gewalt, in welcher Reginar so befestigt war, dafs er dieselbe bei seinem Tode, eben im Jahre 915, ohne Anstand auf seinen jugendlichen Sohn Giselbert vererbte. Dümmler, S. 588, hält diesen Matfrid für identisch mit dem Mahtfried unserer Urkunde.

12) Sowohl Dümmler , S. 544, wie Mühlbacher in dem Regest 1985 heben diesen auffälHgen Ausdruck hervor, ohne weiter eine Erklärung hinzuzufügen. Unter den populi können doch nur die deutschen Stämme, die hier vertreten waren, einerseits und die lothringischen Grofsen andererseits verstanden werden. Es soll der Ausdruck populi somit wohl andeuten , dafs die Lothringer als gesonderte , den ostfränkischen Stämmen gegenüber stehende Nationalität (trotz ihrer augenblickUchen Zugehörigkeit zum ost- fränkischen Reich) aufgefafst werden.

13) H. hat regie.

14) Die Worte cultis bis magnis et parvis sind bei Schannat durch etc. ersetzt.

15) Schannot : scriptum! S.: pceptum.

16) quatinus, H.

17) Schannat: possidenda. H. : possidendi.

18) Die Worte Signum domni Hludouuici serenissimi regis mit der Bezeichnung des Handmals fehlen in H.

19) H. hat ausgeschrieben Indictione. Simon hätte, ebenso wie sein Lehrer Er- nustus, ausgeschrieben: indictionum (s. Sickel, KUiA, Text, S. 12 zu Lief I, Taf 17.)

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Zeichen, des Chrismon, des königlichen Handmals, des Rekognitionszeichens nebst den in letzterem enthaltenen Noten, Alles findet sich vereint ; ein Zweifel an der Echtheit der Urkunde ist ausgeschlossen.

Zur Vergleichung standen aufser der im Jahrgang 1890 der »Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum« abgedruckten und besprochenen Ur- kunde Ludwigs IV. vom 29. April 905 die »Kaiserurkunden in Abbildungen« zur Verfügung. Die Fülle des Vergleichsmaterials war somit eine beschränkte, und die nachfolgenden Bemerkungen wollen darnach beurteilt sein.

Die Urkunde zeigt die kurze und schmucklose Fassung (Fehlen der inscriptio, Einfachheit der arenga, Klarheit und Schlichtheit der weiteren ein- zelnen Teile des Kontextes, promulgatio verbunden mit der narratio, präzise Fassung der dispositio, Fehlen der sanctio), wie sie nach Sickl, KUiA, Text S. 190, der hervorragendste Schüler des Ernustus, Simon, mit VorUebe an- wendete. Das Chrismon hat unter dem mir zu Gebote stehenden Vergleichs- material die meiste Ähnlichkeit mit demjenigen der 21. Tafel der VII. Liefe- rung der KUiA. Dieses Stück ist nach Sickl (Text S. 196) in allen seinen Teilen von Engilpero geschrieben. Auch das Abkürzungszeichen ist in diesem Stück dasselbe, wie in unserer Urkunde, und kehrt in letzterer ebenso stereo- typ wieder, wie in dem genannten Stück. Doch wird kein allzugrofses Ge- wicht auf diese Ähnlichkeit zu legen sein.

Beachtenswert erscheinen folgende Punkte : Die Korroboration in unserer Urkunde ist zunächst nur zum Teil geschrieben und, wie der Punkt und Ab- stand hinter firmauimus zeigt , erst in zweiter Linie die Ankündigung des Siegels hinzugefügt ^). Und zwar hat der ursprüngliche Ingrossist die Korro- borationsformel vervollständigt. Ob derselbe auch die Schlufsformeln hinzu- gefügt hat, ist zweifelhaft, aber die ganze Schlufsformel ist von ein und der- selben Hand geschrieben , und das EschatokoU jedenfalls von demselben Schreiber, wie das Protokoll. Somit ist der Context durchgehends derselben Hand zuzuschreiben; ebenso ist das EschatokoU jedenfalls von demselben, dem die erste mit verlängerter Schrift geschriebene Zeile angehört.

Das Handmal des Königs zeichnet sich durch Feinheit der Ausführung aus; in dem vollziehenden Verbindungsstrich ist das IJberlaufen der Tinte erkennbar.

In der Subskription ist hinter recognouit kein Punkt, aber ein Abstand; eine Pause an dieser Stelle in dem Geschäfte der Kanzleiarbeit ist anzunehmen. Es wäre in diesem Falle an zwei Stellen eine Unterbrechung der Schreib- arbeit zu konstatieren , und hiernach würde die Frage , wo das scribere auf- hört und das firmare anfängt, zu beleuchten sein. (KUiA, Text, S. 191 196.) Diese Frage, welche Sickel eingehend erörtert (Text S. 191 ff.), kommt dar- auf hinaus, dafs entweder unter scribere die Herstellung des Kontextes in der Reinschrift und unter firmare die Hinzufügung des Schlufsprotokolls nebst der Besiegelung zu verstehen ist , oder dafs das scribere bis zu dem Wort recognovi reicht (falls nämlich die Arbeit mit recognovi abgebrochen ist

1) Vgl. hierüber KUiA, Text S. 191.

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in diesem Falle Punkt oder Abstand nach recognovi! , um erst mit et (SR) wieder aufgenommen zu werden), und das firmare einzig und allein darin besteht, dafs in dem Augenblicke der Besiegelung das Recognitionszeichen ergänzt wird. Das Letztere wäre nach meiner Annahme für unsere Urkunde der Fall, da an den zwei markanten Stellen eine Unterbrechung der Arbeit eingetreten ist: 1) nach firmavimus und 2) nach recognovi. Der Vorgang wäre dann der, dafs die erste Pause eintrat, um den Vollziehungsbefehl ein- zuholen. War dieser erfolgt , so fand die Fortsetzung der Schreibarbeit bis recognovi statt , und hier trat die Pause ein , indem der Kanzler (oder voll- ziehende Notar) dem sigillator die Siegelung an seiner Stelle übertrug , der mit der Besiegelung die Subscription vollendete. (S. Text zu den KUiA, S. 194 unten.)

Was die tironischen Noten betrifft , so mufs ich bei der Lückenhaftig- keit des mir zu Gebote stehenden Vergleichungsmaterials auf eine eingehende Untersuchung verzichten. Dennoch gewährt eines der in den KUiA wieder- gegebenen Stücke einen Anhaltspunkt, der auf eine gute Spur führt. Sickel sagt in dem Text zu den KUiA S. 194, nachdem er die Ernustus-Noten im Verhältnis zu den Engilpero-Noten als minder gleichmäfsig bezeichnet hat : »Sie stammen auch gleich den Subskriptionszeichen nicht immer von der- selben Hand. So halte ich die in Lief. I. Taf. 15 um so mehr für das Werk des Simon, weil hier und in den später von Simon für Salomon notierten Diplomen die letzten Noten für notarius scripsi et subscripsi sich vollständig gleichen. Also hat auch hier Stellvertretung Platz gegriffen : der sigillator kann seinen Namen selbst notieren oder kann es durch einen anderen Schreiber thun lassen.« Diese Noten der Taf. 15 haben nun eine auffällige Ähnlichkeit mit den Noten unserer Urkunde, nicht in jedem einzelnen Zeichen, wohl aber in dem aufserordentlich charakteristischen Schlufszeichen, einer S-Form, wel- ches durch Abfallen des Siegels bei unserer Urkunde wieder sehr deutUch zum Vorschein gekommen ist. Als signum principale gilt für die Ernustus- Noten nach Sickel das nach links geöffnete E (zur Unterscheidung von dem nach rechts geöffneten E des Engilpero). Dies signum principale findet sich in den Noten der Taf. 15 an erster Stelle, bei unserer Urkunde an der zwei- ten Stelle: haben wir etwa zu lesen: pro Ernusto etc.? Wenn nun auch die anderen signa auxiliaria nicht übereinstimmen (wie ja Sickel selbst die min- dere Gleichmäfsigkeit der Ernustus-Noten betont), so ist mir das einzige Schlufszeichen doch so überaus charakteristisch, dafs ich nicht anstehe, diese Noten dem Simon zuzuschreiben, und es bliebe die Frage offen, ob er in den Noten sich selber als den stellvertretenden Namens - Notierer , nämlich des Namens des Sigillators, bezeichnet hat.

Ferner nehmen wir an, dals das Subscriptionszeichen (mit dem zuge- hörigen et) von derselben Hand , wie das Recognitionszeichen ist. Denn es hält sich das et, wie auch der ganze Duktus der Zierrate im Subskriptions- zeichen in demselben Charakter, wie die Schrift der Rekognition, deren Hand ihrerseits wieder identisch ist mit der des königlichen Handmals und der- jenigen der ersten mit verlängerten Buchstaben geschriebenen ersten Zeile

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der Urkunde. Übereinstimmend hiermit ist das Ergebnis Sickels für die Diplome Arnolfs, welches wir hier auch auf unsere Ludwigs-Urkunde anwen- den: »Auch da, wo in unverkennbarer Weise das Rekognitionszeichen mit seinen Zierraten nachgetragen ist, stammt es in der Regel von derselben Hand, welche die vorausgehende Subskription geliefert hat , wie denn überhaupt unter Arnolf Wechsel der Hände innerhalb eines Präceptes die Ausnahme bildet.«

Auch für unsere Urkunde sind wir geneigt, einen Wechsel der Hände nicht anzunehmen, und das Resultat, zu welchem wir auf Grund der voran- stehenden Bemerkungen , wie nach der von uns gemachten Schriftver- gleichung ^) kommen, ist das: die ganze Urkunde nach Fassung, Mundierung und Firmierung dem Simon zuzuschreiben. Dennoch kann dieses Resultat von mir nicht als ein absolut sicheres hingestellt werden, da mein Vergleichs- material ein keineswegs erschöpfendes war, und ich mufs mich darauf be- schränken, als Ergebnis der Untersuchung an der Hand des mir zur Ver- fügung stehenden Vergleichsmaterials folgende Alternative zu stellen : Ent- weder gehört die ganze Urkunde dem Simon oder es hat eine Teilung der Arbeit stattgefunden derart: der Text ist von Ernustus, die Anfangszeile und das SchlufsprotokoU mit SR und Noten von Simon. Den Vorzug gebe ich der ersteren Eventualität.

Sehen wir ab von dem besonderen Interesse, welches die behandelte Urkunde für den Diplomatiker hat, so ist der materielle Gehalt ein derartiger, dafs auch von dem Standpunkt der allgemein historischen Forschung aus der Wert des Dokumentes als ein nicht geringer zu bezeichnen sein wird.

II.

Kaiser Otto III. bestätigt auf die Intervention seiner Mutter, der Kaiserin Theophania dem Bischof Sigefridus von Parma den vom Kaiser Otto I. der bischöflichen Kirche von Parma übertragenen Besitz von Borgo S. Donnino, der Abtei Berceto, der Stadt Parma mit dem Weichbilde samt Zoll und allen öffentlichen Leistungen, sowie die Rechte eines Königsboten in ihren Be- sitzungen.

Quitiliniborg 989 April 5.

Notarielle Kopie des 12. Jahrh. im Germanischen Museum, Perg. Urk. Nr. 9540. Abgedruckt nach Ughelli Italia sacra ed. I, 2, 203 ex cod. ta- bularii Vaticani (U) = ed. II, 2, 160 und Affö Storia di Parma 1, 367 Nr. 77

2) In den sehr zutreffenden Ausführungen, welche Bresslau, Handbuch der Ur- kundenlehre, S. 916 ff., über Schriftvergleichung macht, scheint besonders eine Be- merkung (auf S. 917) beachtenswert, die auch gerade für unsere Urkunde Anwendung finden müfste: »Während ein Schreiber wohl für gewisse Buchstaben immer dasselbe Zeichen wählt, stehen ihm oft für -andere Buchstaben mehrere Zeichen zur Verfügung, die er beliebig verwendet. Nichts ist in Folge dessen gefährlicher, als allein wegen der verschiedenen Gestalten eines oder mehrerer Buchstaben ohne genügende Berücksichtigung anderer Umstände mehrere Schreiber anzunehmen.«

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aus damals im bischöflichen Archiv zu Parma befindlicher Abschrift des 12. Jahrh..(A) in den MGH, DO II, IL, Nr. 54, und hier als Fälschung gekenn- zeichnet , dort sind auch die vermutlichen Interpolationen angegeben. Böhmer, Reg. 663. Stumpf, Reg. 924.

In nomine sancte et individue trinitatis. Otto diuina fauente gratia rex. Nouerit omnium sancte dei ecclesie fidelium nostrorumque praesentium scilicet ac futurorum industria qualiter interuentu ac peticione nostre genitri- cis Theophanie imperatricis auguste Sigefredus sancte Parmensis ecclesie episcopus nostram adiens clementiam peciit ut more praedecessorum nostro- rum omnes res^) episcopio Parmensi attinentes uidelicet burgum sancti Donnini ] cum sua pertinentia, abbaciam de Berceto cum sua pertinencia nee non districtum Parmae ciuitatis cum muro et theloneo insuper et tria miliaria in circuitu ipsius ciuitatis quae diuae memoriae auus noster Otto Imperator augu I stus praelibate Parmensi ecclesie per praeceptum') contulit . nostre con firmationis praecepto confirmaremus sibi et ecclesie sue atque corroboraremus. Cuius precibus annuentes et mala omnia que acciderunt sepe inter comites ipsius comitatus j et episcopos ipsius ecclesie considerantes ut penitus praeterita lis et scisma euelleretur et ut ipse pontifex cum clero sibi commisso pacifice uiueret res et familias tam cuncti cleri eiusdem episcopii in quocumque comitatu inuente fue | rint quamque et cunctorum hominum infra eandem ciuitatem habitantium de iure publico in eiusdem ecclesiae ius et dominium et districtum et murum ipsius ciuitatis et theloneum et omnem publicam fonctionem tam infra ciuitatem j quam extra ex omni parte ciuitatis infra tria miliaria destinata scilicet atque determinata per fines et terminos sicuti sunt loca uillarum cum nominibus defixa castrorum. In Oriente scilicet Benecite, Caselle , Colorite. In j meridie Purpuriano , Albari , Uicoeffuli. In occidente Uicoferdulfi, Fabrorio, EUi. In septentrione Banganciola, Casale, Pallanga- tini , Terabiano cum omnibus pertinenciis praefatorum locorum integre remota occasione uUius reprehensi( on)is^) ut habeat pontifex eiusdem ecclesie uel missus ipsius potestatem deliberandi et diiudicandi seu distringendi ueluti si praesens esset noster comes palatii nee non et regias uias aquarumque^) decursus seu ripam Padi fluminis | duodecim pedum juxta aquae alueum a capite Tari usque ad Bouem curtum sive arenam carnarium azadrum publica pascua uias ingressus publicos incircuitu ipsius (civitat)is^) uidelicet in locis . . aciano Monaster(iolo) j Albareto Frascerium quod dicitur Pecorile cum aliquantis terris apertis iacentibus inter fines designatos a mane vallis quaedam Bosedana. A meridie uia quae pergit ad ipsa pascua et terra canonicorum ipsius eccleside.

1) In der Urkunde stand ursprünglich »rex«, dann korrigiert in »res«.

2) Ursprünglich verschrieben »praeteptum« ; durch Radieren aus dem t ein c ge- macht.

3) Das Pergament ist an dieser Stelle durchlöchert, so dafs das o nicht mehr vor- handen , das n nur stückweise.

4) Durch den Falz ein Loch entstanden, wodurch der gröfsere Teil des Wortes zerstört.

5) Lautete ursprünglich »Uico ferdulfi«, dann ist ein r darübergesetzt und das andere r durch einen Punkt als ausgestrichen bezeichnet.

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In sera uia publica ! quae dicitur Laualtulo a septentrione pertinentia uille Marturiano aliquantula terra gerbida cum frascario in Macritule Somardico Uicofredulfi Bucitulo Colliclo iacente in Oriente juxta aque ductum qui pergit ad uicum j Fredulfi terram de carrucis in nauticis uie alicubi jacentem infra ipsum comitatum seu etiam ripas omnium fluminum, infra ipsum comitatum manentium uillam de Albazano cum famulis , terram Dudonis terram Andree Tallamasi juxta | Suspirium, palludem integram juxta pratum regium , seu burgum sancti Donnini atque abbaciam de Berceto cum omnibus pertinenciis et abiacentiis suis et omne territorium cultum et incultum ibidem adiacens et omne quicquid rei publi ce pertinet insuper et omnes homines infra eandem ciuitatem uel praelibatos fines habitantes ubicumque fuerit eorum hereditas siue adquestus seu familia tam infra comitatum Parmensem quamque in uicinis comitatibus nullam ex inde functionem alicui nostri regni persone persoluant siue alicuius placitum custodiant nisi Parmensis ecclesie episcopi qui pro tempore fuerit , sed habeat ipsius ecclesie episcopus licenciam distringendi distribuendi uel deliberandi tamquam noster comes palatii omnes res et familias tam omnium clericorum eiusdem episcopii quamque et omnium habitantium infra praedictam ciuitatem nee non et omnium hominum residentium sub praefatae ecclesiae terra siue libellariorum siue precariorum ! seu castellanorum omnia supradicta nostre confirmationis prae- cepto confirmamus atque corroboramus sepe dicto Sigefredo Parmensi epis- copo sueque ecclesie, eo uidelicet ordine ut nullus marchio, comes, uicecomes, dux aut alique regni nostri ma (gna)"^) remissaque persona exinde de prae- dictis rebus et familiis et omnibus que superius leguntur se intromittat aut aliquam functionem inde recipere aut disuestire uUo modo temptet et ut liceat episcopo quiete uiuere si acciderit de praedictis rebus et familiis sine pugna legaliter non posse diffiniri huius nostre confirmationis pagina concedimus eiusdem episcopi misso siue uicedomino ut sit noster missus et habeat po- testatem deliberandi et diffiniendi atque diiudicandi tamquam noster (c)omes'^) palatii. Insuper etiam concedimus ut si aliqua nauis alicuius castelli episcopii Parmensis per Pa(d)um ^) aut per aliquam aque ductum Ferrariam transierit nullus exinde tributum exigat aut requirere temptet. Si quis (i)gitur'-*) quod minime credimus huius nostre confirmationis praeceptum infringere temptauerit sciat se (compo)siturum^") auri optimi libras. C, medietatem camere nostre et(me)dietatem^^) Parmensi episcopo, qui pro tempore fuerit. (Q)^^)uod ut uerius credatur firmiusque ab omnibus obseruetur manu propria roborantes nostro sigillo iuss(im)us ^^) inferius insigniri.

Signum domni Ottonis inuictissimi regis. Udelbertus cancellarius ad uicem petri episcopi et archicancellarii re- cognoui et subscripsi.

6) Die Urkunde ist hier ausgeschnitten, wodurch die Buchstaben »gna« zerstört.

7) Das c zerstört ; siehe 6.

8) Urkunde durchlöchert, das »d« zerstört.

9) Das »i« am Anfange zerstört, siehe 6 und 7.

10) Durch Falz ein Loch entstanden, daher der Anfang zerstört.

11) Siehe 10. 12) Siehe 10. 13) Siehe 10.

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Data nonas aprilis anno dominice incarnationis DCCCC LXXXVIIII, indict. prime, anno uero tercii ottonis regni regnantis sesto actum quitilini- borg, feliciter amen.

Ego Puteolisius sacri palacii notarius autenticum huius exempli uidi et legi et sie ibi continebatur ut in hoc legitur exemplo praeter litteras uel sillabas plures uel pauciores.

Unsere Copie schwankt, namentlich was die Schreibung der Namen an- betrifft, zwischen U und A, ohne dafs ein Vorwiegen einer der beiden Grund- lagen zu erkennen wäre.

III.

Kaiser Heinrich II. schenkt auf Intervention seiner Gemahlin Cunigunde und des Abtes Godehard von Altaich dem Kloster Nieder-Altaich (in Nieder- bayern) zehn in der Mark und Grafschaft des Markgrafen Heinrich belegene

Königshufen.

Regenesburc 1011 Juni 25.

Originaldiplom im Archiv des Germanischen Museums, Perg. Urk. Nr. 9054. Gedruckt in Ludewig, SS. rerum episcop. Bambergensis I, S. 334 und Mon. Boica, Band 11, S. 140. Beide Drucke sind, abgesehen von Kleinigkeiten in der Orthographie, nicht ganz genau, namentlich was die Orts- und Personennamen anbetrifft. Böhmer, Reg. 1073. Stumpf, Nr. 1548.

C. In nomine sanctae^) et indiuiduae^) trinitatis. Heinricus diuina fauente dementia rex. Siquid nos aecclesias^) Dei uel in eisdem seruientes de nostris ditare studuerimus, procul dubio inmarcescibile^) premium*) in futuro capes- sere credimus. Qua de re cunctis fidelibus nostris presentibus scilicet atque futuris I notum esse uolumus, qualiter nos aeterne^) uite desiderio inflammati tam pro remedio anime nostrae quam parentum nostrorum nee non et interuentu dilecte contectalis nostre Cunigunde^) et pro dilecti Aldahensis ') abbatis^), Go- dehardi nomine^), gratissimo^'') obsequio eidem aecclesie ^^), cui ipse praeesse uidetur, in usum monachorum inibi Deo famulancium ^^) | in marca ^^) et co- mitatu Heinrici ^*) marchionis x regales mansos inter hos terminos sitos , id

1) MB.: sancte, individue, und so öfter e statt ae.

2) MB.: Ecclesias.

3) Ludewig und MB.: immarcessibile.

4) L. (=: Ludewig) : praemium.

5) MB.: eterne.

6) L. : Chunegundae. MB.: Chunigunde.

7) L. : Altahensis.

8) L.: abbatis fehlt.

9) L. und MB.: nomine fehlt.

10) MB. : gratiosissimo.

11) MB.: Ecclesie.

12) L. und MB.: famulantium.

13) L. : marcha. MB. : marha.

14) MB.: Henrici.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. V.

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est ^^), in orientali plaga de illo uallo et duabus arboribus uulgo feleuun^^) dictis I subtus uillam Abbatesdorf ^') dictam usque in fluuium Danuuii ^^) et inde sursum^^) in latitudine usque in occidentalem plagam ad terminum mini- sterii Sigimares uueride-*^), in longitudine uero de Danuuio^^) usque ad uuagreini ^^) ad aquilonem terminantur , per hanc nostri praecepti paginam concedimus atque largimur cum omnibus appendiciis ^^) ad eosdem pertinen- tibus^*), j areis, aedificiis ^^), terris cultis et incultis et^^) pratis, pascuis, aquis^'') aquarumue decursibus, molendinis, piscationibus, uenacionibus "®), siluis exstir- patis ^^) uel adhuc stirpandis ^''), seu cum omnibus, quae dici ueP^) nominari possunt, vtensilibus et de nostro iure ac dominio in eins ius ac dominium omnino tranfundimus^-), ea quippe racione, ut predictus abbas suique succes- sores j exinde liberam habeant potestatem tenendi, commutandi vel quicquid eis in usum praedictorum fratrum agere libuerit. Et ut hec nostre donationis auctoritas omnium hominum j contradictione remota stabilis et firma constet, hanc cartam^^) ex nostra iussione conscriptam ac signatam propria manu sub- tus firmauimus. |

Signum ^*) domni Heinrici regis ( ) inuictissimi. S .

Guntherius cancellarius uice Erkanbaldi^^) archicappellani recognoui.

15) Deutlich ausgeschrieben. L.: item. MB.: idem.

16) felwa = sahx, Weide.

17) L.: Abbatorf. MB.: Abbadorf. Absdorf, Bez. -Amt Vilshofen, Landgericht Osterhofen, Forstamt Passau. Topograph. Statist. Handbuch des Königr. Bayern, Sp. 597. (Bavaria, Bd. V).

18) L. und MB. : Danubii.

19) L. : rursum.

20) Förstemann, Ortsnamen, Sp. 1203 : Sigemaresweret. Verweist auf MB. XXVIII, a, 450 (a. 1014); pg. Ostarriki.

21) L. und MB.: Danubio.

22) L. und MB.: Wagreim. Doch ist uuagreini zu lesen; in unserer Urkunde sind die einzelnen Striche des m immer verbunden, nie getrennt, während hier ein scharfer Abstand zwischen den beiden ersten und dem letzten Strich ist; vor allem aber ist die charakteristische Form des i unverkennbar, welche mit dem dritten Striche eines m nie verwechselt werden kann. Förstemann, Ortsnamen, Sp. 1456 : Wagreini, doch kann keiner der bei ihm genannten Orte identisch mit der Örtlichkeit unserer Urk. sein.

23) MB.: appenditiis.

24) Bei dem Worte pertinentibus ist zwischen den verbunden geschriebenen Silben pertinenti und der davon getrennten letzten Silbe bus eine Rasur, doch derart, dafs keiner der Buchstaben des genannten Wortes auf der Rasur steht.

25) MB.: edificiis.

26) Dieses et vor pratis fehlt sowohl bei L., wie in MB.; es scheint in der That ein Schreibfehler vorzuliegen.

27) L.: aquis fehlt.

28) MB.: venationibus.

29) L. und MB.: extirpatis.

30) L. : exstirpandis.

31) MB.: aut.

32) L. : transfundimus. MB. : transfudimus.

33) L. und MB.: chartam.

34) Das ganze Signum regis und die Kanzlerrekognition fehlen bei L.

35) MB. : Erkabaldi. Stumpf Nr. 1548 schreibt Erkawaldi und fügt in Klammern bei : sie.

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Data VII kal. Ivlii Indictione ^^) Villi. Anno dominicae incarnationis Millesimo XI. Anno uero domini Heinrici^'^) secundi regnantis X. Actum Regenesburc^^).

Das grofse Siegel ist von braunem Wachs, eingefafst in Metall mit Zacken, und gut erhalten. Es zeigt die ganze Figur des Königs , auf dem Throne sitzend mit Szepter und Reichsapfel. Umschrift: HEINRICHVS DEI GRATIA REX.

Auf der Rückseite von einer Hand des 12. saec. : Prima donatio Hein- rici regis super Abbatesdorf.

IV.

Karl IV., römischer König, beurkundet, dafs er in den Streitsachen zwischen ihm von dem einen Teil und dem Markgrafen Ludwig von Bran- denburg, seinem Oheim, und dessen Brüdern Ludwig und Otto von dem andern Teil auf Ruprecht, Pfalzgrafen bei Rhein und Herzog in Bayern, seinen Schwager kompromittiert habe , nach dessen Ausspruch der genannte Mark- graf Ludwig die Reichskleinodien zu einem ihm gesetzten Tag, nemUch acht Tage nach Ostern, nach Nürnberg bringen und dieselben dem König binnen drei Tagen überantworten soll, wogegen der König auf denselben Tag den angeblichen Markgrafen Waldemar nach Nürnberg will laden lassen, wo durch Ausspruch der Fürsten über denselben entschieden werden soll.

Budessin, 1350 Febr. 16.

Das bisher ungedruckte Original im Archiv des germanischen Museums, Perg. -Urkunde Nr. 9595. Die Urkunde fehlt bei Böhmer , Reg. imp. VIII (Huber, Reg. Kaiser Karls IV) ; sie stellt sich ihrem Inhalte nach dort zu den Nummern 1223—1227 (S. 98) und R. 121 (S, 541).

Die Urkunde ist gut erhalten , nur an der in unserem Druck gekenn- zeichneten Stelle gegen Ende ein Loch (durch Mottenfrafs) im Pergament. Das Siegel ist nicht erhalten, nur noch ein Stück des Pergamentstreifens vor- handen.

Wir KareP) von Gots gnaden Römischer küng, ze allen ziten merer

des richs vnd künig ze Beheim , vergehen offenlichen mit disem brief allen, die in sehen, hören oder lesen, daz wir aller der sache, die zwischen vns sin an einem teyl vnd dem hohgeboren Ludwig, marggrafen ze Brandenburg vnd zu Lusitz, des heiligen Römischen richs obersten kamrer, phalentzgrafen by Ryn, hertzogen in Beygeren vnd in Kernden, graf zv Tyrol vnd zv Görtz vnd vogt der gotshüser Agley, Trient vnd Brihsen, vnserm lieben fürsten vnd öheime, Ludwigen vnd Otten, sinen brüderen, an dem andern teyl, vf den hohgeboren Rüprehten, phalentzgrafen by Ryn vnd hertzogen in Beygeren,

36) Das Wort ist in unserer Urkunde vollständig ausgeschrieben: Indictione. L. hat: indict. MB: Indict.

37) MB.: Henrici.

38) L. und MB: Regenspurg. In unserem Original keine apprecatio. MB. fügen zu Regenspurg hinzu: in Dei nomine feliciter, Amen.

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vnserem lieben Fürsten vnd swager, gentzlichen gegangen sin vnd er vns daz funden hat vnd gesprochen, daz der vorgenant vnser lieber öheme vnd fürste dy kleynot vnd daz heiligtum des riches, die er inne hat von sinem vatter, mit im bringen sol vf einen nemlichen tag, dem wir im gemachet vnd be- scheiden haben, daz ist aht tag nach osteren , die nu schierst künftig sint, in die stat ze Nürenberg vnd die selben cleinot vnd heyligtum vns da selbest inwendig drien tagen nach der vorgenanten frist gentzlichen ane geuerd vnd vnuerzogenlichen inantwurten schol, vnd haben wir durch gebot vnsers vor- genanten swagers hertzogen Ruprehtes, der vns daz funden vnd gesprochen hat, dem vorgenanten vnserm öheim, marggrafen Lud., gelobt vnd geloben im auch mit trewen ane geuerd vnd mit gesworem eyde, den wir dar vber ZV den heiligen getan haben, daz wir vf den vorgenanten tag, daz ist aht tag nach ostern, als vorgeschriben ist, vnd in die selben stat ze Nvrenberg marg- grafen Woldmaren für vns mit vnserm künglichen brif vnd gewalt laden wellen vnd svllen, vnd da selbest die fürsten vnd herren des Römischen richs, die billich dar vber sprechen süUen, erkennen lauzzen, ob er es, der marggraf Woldmar, sey, der marggrafen Chünrades zv Brandenburg seligen sun waz vnd des man sich lang tot versehen hat, vf die rede, waz dem vorgenantem marggrafen Lvd. zu Brandenburg, vnserm lieben fürsten vnd öheim, do selbest von den vorgenanten fürsten vnd herren des richs funden vnd erteylt wirt vmb die mark ze Brandenburg, daz wir in da by lauzzen vnd auch behalten wellen vnd süUeri , als wir vnsern vnd des richs kurfürsten billich ze tun phlihtig ze sin. Wer aber, daz die vorgenanten fürsten vnd herren des richs, dy billich dar vber sprechen süUen, da hin nicht kömen vnd die selben, die geladen weren, auch niht kömen vf den vorgenanten tag vnd stat, so sol der vorgenant marggraf Ludwig ze Brandenburg alle sinev reht eruolget haben, gelicher wise, als ob die vorgenanten fürsten alle da by gewesen weren vnd heten dar vber gesprochen, vnd auch als ob die geladenen ze gegenwertig gewesen weren, vnd süUen vnd wellen wir auch keynerley brief noch bot- schaft senden, die dem vorgenanten vnserm lieben öheim oder sinen brüdern geschaden möhten in dheiner wise , vnd wa wir daz vber füren vnd daz kuntlich vnd offenbar würde, da Got vor sy, so geloben wir mit guten triwen ane guerde mit dem gesworen eyde, den wir dar vber zu den heiligen getan haben, daz wir mit zehen ritteren zu vns nach dem vorgenannten tag in die stat ze Dresden in riten wellen vnd do selbest inneligen , als inlegers vnd gyselschefte reht ist, vnd dannen niht komen noch vzrithen in dheine wise, wir haben denn des ersten dem vorgenanten marggrafen Lud. vnserm öheim volzogen vnd volbraht alles, daz do vorgeschriben stat , ane geuerd ; vnd zv merer Sicherheit erkennen wir vns mit rehten wizzen zu dem inlager, daz der vorgenant vnser öheim dar nach aller gelübde , verbuntnuzze vnd eyde , die er vns gethan hat, von vns gentzlichen ledig sin sol vnd mag, auch der vor- genant vnser öheim vnser vyent werden vnd ob in des lüstet mit sampt hertzogen Lud. vnd Otten sinen brüderen, vnd geloben auch mit guten triwen

1) Wegen der Litteratur s. Huber a. a. O., S. LVIII, Abschnitt IV.

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ane geuerd, daz wir alle vorgenante gelübde dem hohgeboren Ludwigen dem Romer gelich dem vorgenannten marggrafen Lud. vnserm öheim halten vnd volziehen wellen ane geuerde. Vnd die obgenannten gelübde tun wir in allen verbintnüzzen vnd vnd vnder allen den penen , als in briefen des hochgeboren Rüprehten , phalentzgrafen by Rin vnd hertzogen in Beygeren, vnsers lieben swagers vnd fürsten , geschrieben stet , dar inne er vns beden siten beydiu minne vnd reht gesprochen hat , wan wir by den selben ent- scheidebriefen wellen beliben vnd meinen, daz si by iren kreften besten vnd beliben süllen vnd .... dise gegenwertig brief keynen schaden süUen bringen. Mit vrkund ditz briefs, versigelt mit vnserm insigel, geben ze Budessin , do man zalt nach Gotes geburt driüzehenhundert jar, dar nach in dem fünfcze- gisten jar, an dem nehsten dinstag nach dem suntag, so man singet daz ampt Inuocauit, im vierden jar vnserer riche.

Auf dem Buge rechts: Johannes Nouiforij.^)

V.

Kaiser Karl IV. bestätigt zwei dem Propste von Wetzlar, Rudolf von Wetzlar , Rudolf von Friedeberg , von dem Wetzlarer Bürger Heinrich Snau- hart ausgestellte , den Zehnten an dem Steinbohel zu Wetzlar betreffenden Briefe vom 17. und 21. Nov. 1360.

Nürnberg 1362 Febr. 14.

Das Original im Archiv des Germanischen Museums , Perg. -Urkunden Nr. 9596. Die Urkunde fehlt bei Böhmer, Reg. imp. VIII (Huber, Reg. Kaiser Karl IV), wo sie zu Nr. 3830 gehören würde. In dieser, ebenfalls 14. Febr. 1362 datierten Urkunde bestätigt Karl auf Bitte desselben Rudolf v. Fride- berg die Gewohnheiten der Schneider zu Wetzlar gegenüber der dortigen Propstei. Ulmenstein, Geschichte von Wetzlar, war mir nicht zur Hand, doch nehme ich an, dafs auch er unsere Urkunde nicht kennt, da sonst bei Huber, der ihn zitiert, das Regest nicht fehlen würde. Als vermutliches Ineditum wird sie hier abgedruckt.

Das braune Wachssiegel mit rotem Gegensiegel am Pergamentstreifen ist am Rande ziemlich beschädigt. Es zeigt den von Heffner, die deutschen Kaiser- und Königssiegel S. 22 unter Nr. 105 besprochenen und Tafel XI

2) Johannes von Neumarkt (in Schlesien), Johannes de Novoforo , plebanus Novi- forensis wird in Urkunden Karls von 1347 Okt. 16 bis 1353 März 30 erwähnt, und 1351 Juni 14 vom Könige als Johannes de Novoforo Wratislaviensis et Olomucensis ecclesiarum canonocus, notarius, secretarius et familiaris noster dilectus bezeichnet. 1352 Mai 26 heifst er Newenburgensis (Naumburg) electus, 1352 Sept. 19 oberster Schreiber. S. Huber, a. a. O. S. XLII. Später Bischof von Leitomischl, war er von 1352 Sept. 19 1354 Jan. 2 Prothonotar (»oberster Schreiber«), und erseheint endlich als Kanzler (jetzt Bischof von Olmütz), zuerst 1365 Okt. 22. »In der zweiten Hälfte des Jahres 1374 scheint er die Würde eines Kanzlers niedergelegt zu haben , und es wurde diese Stelle unter Karl nun nicht mehr besetzt.« Huber, S. XLV u. XL VI.

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Nr. 83 und Taf. X Nr. 84 abgebildeten Typus. »Der Kaiser (bärtig) sitzend auf einem nicht sichtbaren Stuhle , auf dessen beiden Seiten je ein Adler, den Kopf sich zugewendet , mit ihren Schnäbeln an Ringen zwei dreieckige Schilde haltend, auf welchen rechts der einfache Adler, links der böhmische Löwe zu sehen sind.« Der Kopf der kaiserlichen Figur ist abgesprungen. Von der Inschrift Karolus Ovartvs Divina Fauente Clemencia Romanor Im- perator Semper Augustus Et Boemie Rex sind zu lesen die Silben bezw.

Buchstaben: ... na Fau cia Romanor Imperator Semper A . . . .

Vollkommen gut erhalten ist das Rücksiegel mit dem einfachen linkssehenden Adler und der Unterschrift in Majuskeln + IVSTE -|- IVDICAFE + FILII -f HOMINVM.

Wir Karl , von Gots gnaden Romischer keiser , zu allen zeiten merer des reiches vnd kunig zu Beheim, bekennen vffenliche mit diesem brieue vnd tun kund allen den, die yn sehent oder horent lesen, wann Heinrich Snau- hart, burger zu Wetslar, dem ersamen Rudolphe von Frideberg, prabiste zu Wetslar, vnserm paffen vnd heimelichen diener , vnd auch der egenannten prabistien zwene brieue, die hernach geschriben stent, versigelt gegeben hat, so hat vns der selbe Rudolph demütecliche gebeiten, daz wir yme als eyme prabiste zu Wetslar, sinen nachkomen prabisten vnd der prabistien zu Wets- lar die nachgeschribenen brieue bestetigen vnd von vnser keiserlicher macht confirmieren wollen. Die brieue lutent von worte zu worte also : Ich , Hein- rich Snauhart, burger zu Wetslar, bekennen vnd tun kunt offenliche mit diesem brieue allen den, die yn sehent oder horent lesen , daz ich daz halbteile des zehenden, gelegen an dem steynbohel zu Wetslar, zu rechtem manlehen ent- pfangen han von dem ersamen manne meister Rudolphe von Frideberg, pra- biste zu Wetslar, mit eyden, hulden vnd diensten, als solichs manlehens recht vnd gewonheit ist, als auch ich vnd nach mir mine eliche libes mannes lehens erben dazselbe halbteile des zehenden an dem steynbohel von eime ietlichem prabiste zu Wetslar, der zu zeiten da ist, zu rechtem manlehen entphahen vnd halden sullen. Auch sal ich vnd nach mir mine vorgenannten erben dem vorgenannten hern Rudolphe vnd nach yme allen sinen nachkomen prabisten zu Wetslar von dem obgenanten halbteile des zehendes an dem steynbohel ewecliche geben vnd antworten alle jar ein malder kornes Wetslar masses vnd sullen yn daz malder kornes alle jar antwurten vnd geben uff sente Mertins abent des heiligen bisschoues ane alle hindernuzze vnd wiederrete, vnd aller dieser egenannten Sachen zu vrkunde han ich min ingesigel an diesen brieff gehangen vnd han dar zu gebeiten vnd bieten an diesem brieue den wolge- born knecht Johannen von Garbenheim , der daz ander halbteile desselben zehenden an dem steynbohel von der prabistien zu Wetslar auch zu man- lehen hat vnd mit des rate vnd willen alle diese egenannte sache geschehen sint , daz er sin ingesigel an diesen brieff wolle hencken zu vrkunde vnd zu gezugnuzze aller dieser egenannten sachen, vnd ich Johann von Garbenheim bekennen offenliche an diesem brieue, daz ich zu rechtem gezugnuzze aller dieser egenannten sachen min ingesigel durch beite willen des vorgenannten Heinrichs an diesen brieff han gehangen, der geben ist zu Wetslar nach Gots

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geburte dreutzenhundert jar vnd dar nach in dem sechzigisten jare des neh- sten dinstages nach sente Mertins tage des heiligen bisschoues. Der ander brieff sprichet also von worte zu worte : Ich Heinrich Snauhart , burger zu Wetslar, bekennen vnd tun kunt offenliche mit diesem brieue allen den, die yn sehent oder horent lesen, daz der ersame man her Rudolph von Fri- deberg, prabest zu Wetslar, mir soliche gnade getan hat, wer iz sache, daz der wolgeborn kneht, Johann von Garbenheim , vorfur vnd ane libes mannes lehens eliche erben stürbe, daz dann daz halbteil des zehenden an dem steyn- bohel bei Wetslar gelegen, daz derselbe Johann von dem egenannten hern Rudolph vnd von der prabistien zu Wetslar zu rechtem manlehen hat , an mich vnd nach mir an mine libes mannes lehens eliche erben ledecliche sal veruallen, also daz dann ich vnd mine egenannten erben den vorgenannten zehenden an dem steynbohel allen von dem egenannten herren Rudolphe vnd nach yme von sinen nachkomen prabisten zu Wetzlar zu rechtem manlehen entphahen vnd halden suUen mit eyden , halden vnd diensten , als soliches manlehens recht vnd gewonheit ist. Auch sal ich vnd min egenannte erben alle jar uff sente Mertins abent des heiligen bisschoues dem egenannten hern Rudolphe vnd nach yme sinen nachkomen prabisten zu Wetslar vnd derselben prabestien ane alle hindernuzze antworten vnd geben ein malder kornes Wetslar masses, vnd sal daz malder korngeldes uff die egenannte zeit alle jar yn geben von dem halbteile des zehenden an dem steynbohel, daz ich itzunt zu man- lehen halden von dem egenannten hern Rudolphe vnd der prabstien zu Wets- lar. Wann auch ich oder nach mir mine vorgenannten erben vorfuren vnd ane libes mannes lehens eliche erben stürben, so sal der egenannte zehende an dem steynbohel ledecliche ane ydermans hindernuzze vnd wiederrete voruallen an die prabistien zu Wetslar vnd an einen ieclichen prabest , der zu Zeiten da ist, wann alleine sone vnd nit dochtere recht haben an dem egenannten zehenden. Und aller dieser egenannten Sachen zu vrkunde vnd ewiger warheit han ich min ingesigel an diesen brieff gehangen , der geben ist zu Wetslar nach Gots geburte dreutzenhundert jar vnd darnach in dem sechzigisten jare, des nehsten samztages nach sente Elsebechten tage. Des haben wir angesehen gantze truwe, die der vorgenannte Rudolph alle zeit gen vns vnd dem heiligen Romischen reiche bewiset hat, vnd auch nutze stete dienste, die derselbe Rudolph vns vnd dem egenannten riche offt vnuerdros- senliche vnd mit flizze hat getan, stetecliche tut vnd noch tun sal vnd mag in künftigen Zeiten, vnd haben darumb dem vorgenannten Rudolphe als eime prabiste zu Wetslar, sinen nachkomen prabisten vnd der prabistien daselbes mit wolbedachtem mute vnd mit rechtem wissen vnd von vnser keiserUcher macht die vorgeschribene brieue in allen yren artikeln , puncten vnd mein- ungen, so wie sie begriffen sint, bestetiget vnd confirmieret , bestetigen vnd confirmieren die gnedecliche mit craft ditz brieues. Dauone gebieten wir allen vnsern vnd des heiligen reichs lieben getruwen vestecliche bei vnsern hulden, daz sie vnd ir ieclicher die vorgen. Rudolphe sine nachkomen vnd die prabistien zu Wetslar an den vorgeschribenen brieuen vnd waz da inne begriffen ist, nit hindern noch irren suUen in dhein wys, vnd wer dar wieder

se- id ^) tete, der sal, so offt er dar wieder tut, veruallen sin sechs phunt fines lotiges goldes, die halb vns vnd vnsern nachkomen an dem riche romischen keisern vnd kunigen vnd daz ander halbteil dem egenannten Rudolphe vnd nach yme sinen nachkomen prabisten vnd der prabistien zu Wetslar suUen werden. Mit vrkund ditz brieues versigelt mit vnserm keiserlichem ingesigel. Geben zu Nuremberg nach Cristes geburte dreutzehenhundert jar vnd dar nach in dem zwei vnd sechzigisten jare uff sente Valentines tage des heiligen mertelers , vnser reiche in dem sechzehenden vnd des kaisertums in dem sibenden jare. .

per dominum imperatorem Auf der Rückseite : Rudolphus ^).

R. Johannes Tribouiensis ^).

1) Kaum anders zu lesen und gleich iet (etwas) zu setzen ; man müfste sonst ein u mit einem Abkürzungszeichen herauslesen und mit tete verbinden: vertete = wer in unrechter Weise dagegen thäte, handelte. Ersteres ist das WahrscheinUchere.

2) Diese beiden Zeilen stehen auf dem Buge rechts. Es erscheint nicht zweifel- haft , dafs unter Rudolphus eben der Probst Rudolf von Frideberg zu verstehen ist , der auf Befehl des Kaisers zuerst im Jahr 1354 ununterbrochen in einer gröfseren Anzahl von Urkunden ausgefertigt, zuletzt im Jahre 1367, und auch als Intervenient erscheint, lieber ihn Huber, S. XXXVIII ff. und XLIII, Nr. 13. Nach einigen Urkunden nennt er sich Rndolf Johann Ruhlen Sohn von Frideberg, probiste zu Wetslaren. »1365 apr. 17 heifst er des Kaisers heimlicher Schreiber« (Huber a. a. O.). Schon in unserer Urkunde spricht von ihm der Kaiser als von »vnserm paffen vnd heimelichen diener.«

3) Huber nennt diesen Registrator Joh. Tribuniensis (S. XLI); doch ist in unserer Urkunde n und u stets sz unterschieden, dafs in unserem Falle nicht Triboniensis, sondern Tribouiensis zu lesen ist. Nach letzterer Lesart kann man seine Herkunft aus böhmisch oder mährisch Tribau (Trübau, Triebau), annehmen, während für die Lesart Hubers ein entsprechender Ortsname meines Wissens sich nicht findet. Dieser Johannes erscheint bei Huber nur zweimal als Registrator.

Nürnberg. R. Schmidt.

Die Grabmäler der Markgrafen von Baden in der Sehlosskirehe zu Pforzheim.

Im sonnigen Abhang des Schlofsberges über der Stadt Baden liegt >^*^ die alte Hauptkirche der Stadt, die Markgraf Bernhard I. zu einer Collegialstiftskirche erhob, nachdem er ihren Chor zur Begräbnis- stätte seiner Familie erkoren hatte. Zahlreiche Grabdenkmäler der Ahnen des badischen Regentenhauses waren hier schon errichtet, als sich im Jahre 1527 die Spaltung der Markgrafschaft vollzog, infolge deren die eine Linie des Hauses sich in Durlach eine neue Residenz und im Chor der Schlofskirche zu Pforzheim eine eigene Familiengrabstätte gründete.

Zu einer feierlich glänzenden Ahnengalerie hat die Künstlerhand, wie in Baden so auch hier den Kirchenchor gestaltet, von dessen Wänden die Bilder

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von Generationen der Markgrafen und ihrer Anverwandten herabsehen. Wie in Baden, wie in der Grabkirche der Grafen von Löwenstein zu Wertheim, wie in S. Arnual, der Begräbnisstätte der Grafen von Nassau-Saarbrücken, in der Reihe der württembergischen Herzogedenkmäler in Stuttgart und in zahl- reichen andern Stätten dieser Art im deutschen Süden fällt auch unter den Pforzheimer Denkmälern der Renaissancezeit der künstlerische Löwenanteil zu; und zwar nicht der Frührenaissance, die in OberitaUen mit ihren wunder- vollen Nischenbauten die unübertreffliche Lösung der Grabmalplastik gefunden hat, sondern in den reichen, mit immer neuer Phantasie sich aufbauenden Formen der letzten vierzig Jahre des Jahrhunderts der Renaissance. Vielleicht weniger für die grofse, aber um so mehr für die dekorative Kunst und das Kunsthandwerk bilden diese Jahrzehnte für Deutschland eine aufserordentlich bewegte, merkwürdige Zeitspanne. Die Schaar der Steinmetzen in den Dom- bauhütten steht noch im Formenbann der Gotik, und auch im Profanbau denkt noch niemand daran, Rippengewölbe und Mafswerkbrüstung zu verschmähen; anderseits bringt das Schaffen Italiens und der Niederländer täglich neue An- regungen und Ideen auf den Markt , für die sich auch bald Verleger und Käufer finden. Peter Flötner war der Bahnbrecher gewesen; man studierte die antiken Säulenordnungen in Walter Rivius' Architektur und Perspektive und nicht minder die Proportionslehren Serlios. Und so tritt mit einem Male ohne eigentliche Vorgeschichte und ohne dafs sich die Flötner'schen Formen ausgelebt hätten, die Hochrenaissance fertig hervor, mit wohlgebildeten Säulen und Gebälkformen mit Ranken und Masken , Kartuschenwerk und Frucht- schnüren mit ihrer geschickten Verbindung von starkem Hochrelief, Voll- figuren und leicht aufgelegten flachmodellierten Ranken. Für dekorative Auf- gaben, wie die kleinen Architekturen der Grabmäler, waren diese Formen ganz besonders geschaffen.

Die Elemente des Grabdenkmals, das mit architektonischem Rahmen das Bildnis des Verstorbenen umgab, waren schon in der Spätzeit der Gotik vielfach die gleichen wie hier. Wenn man auch die mittelalterliche Sym- bolik aufgab, nach der ein Löwe zu Füfsen des Mannes die Stärke, ein Hündchen die Treue der Frau ausdrücken sollte, wenn man auch aufhörte, die Schrift als breites Ornamentband um die Grabplatte zu legen, so bleiben doch die persönlichen Wappenschilder mit reicher Helmzier und Decke und daneben die kleiner ausgeführte Reihe der Ahnenwappen aufser Architektur und Bildnis die beliebtesten Beigaben. Während aber einem Riemenschneider in den Bischofsgräbern des Doms zu Würzburg oder einem Veit Stofs in denen zu Krakau die lebensvolle Modellierung der Gestalt stets Hauptsache war, so dafs sie auch aus der ganzen Komposition als künstlerische Haupt- sache hervortrat, ist diesen Renaissancemeistern die Zierkunst, die Freude am dekorativ Wirkungsvollen der leitende Gedanke, die Architektur das wichtigste. Dazu fügen sie aus dem Gedankenvorrate ihrer literarisch ver- anlagten Zeit allerlei allegorisches Figurenwerk, nicht nur Hermen und Karya- tiden, Masken und geflügelte Engelsköpfchen, an deren Stelle gelegentlich auch geflügelte Totenschädel treten, sondern auch Siegesgöttinnen, den Genius

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. VI.

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mit dem Stundenglas, die Gestalten der Tugenden, all die Motive, die aus den Holzschnitten und Kupferstichfolgen der Kleinmeister damals eben zum Allgemeingut des Kunsthandwerks geworden waren. Der Typenvorrat, die Menge der Motive, die zu neuen künstlerischen Gedanken und Kompositionen anregten, war für dies Geschlecht so unerschöpflich reich und strömte täglich aus Norden und Süden von neuem zu, dafs von einer konsequenten Ent- wickelung einer Individualität im Künstler kaum noch die Rede sein kann. Dafür war es ihm um so leichter, immer modern zu bleiben, in seinem Schaffen den raschen Wandel des Zeitgeschmacks mitzumachen. Wir werden in Johann von Trarbach ein lehrreiches Schicksal der Art kennen lernen ; und von Männern wie Dietterlin können wir ja mit Mufse verfolgen, was sie alles kannten, beherrschten und verarbeiteten. Lokale und gar persönliche künstlerische Züge lassen sich an diesen Werken nur noch schwer erkennen.

Der Gipsabgufs eines der schönsten unter den Grabdenkmälern der Schlofskirche zu Pforzheim, des Prinzen Albrecht von Baden, wurde als wertvolle Ergänzung der langen Reihe von Grabmonumenten in den Kreuz- gängen der alten Nürnberger Kartause vor Kurzem aufgestellt. Das gibt mir Veranlassung auf die künstlerische Bedeutung des Originals und seines Meisters hier einzugehen.

Markgraf Karl IL, auf dessen Veranlassung vermutlich die frühesten der Pforzheimer Monumente errichtet wurden, war zweimal verheiratet. Aus der ersten Ehe mit Frau Kunigunde, Markgräfin zu Brandenburg, stammten zwei Kinder, Prinzessin Marie, die schon 1561 im neunten Lebensjahre starb und Prinz Albrecht, der im zwanzigsten Lebensjahre .stand, als er 1571, wie be- richtet wird, in Folge seines zügellosen Lebens, durch das er seinen Eltern viele Sorgen bereitete, verstarb. Auch die aus der Ehe mit der Prinzessin von Pfalz-Veldenz entsprofsene Tochter starb, noch nicht 9 Jahre alt, schon vor dem Tode ihres vom Schicksal schwer getroffenen Vaters. Das statt- lichste und künstlerisch vollendetste der Grabmäler dieser Generation ist der reiche dreigeteilte Säulenaufbau, in dem die Standbilder des Markgrafen Karl und seiner beiden Gattinnen sich vereinigen; seine Inschrift besagt, dafs es 1579 von dem Bildhauer Johannes Trarbachius vollendet wurde, also noch zu Leb- zeiten der Markgräfin-Witwe, zwei Jahre nach dem Tode Karl II. Das früheste unter diesen Monumenten, das zwischen den allegorischen Gestalten der Treue und Mutterliebe die zarte Gestalt der Prinzessin Marie enthält, trägt in der Kartusche seiner Bekrönung die Jahreszahl seiner Vollendung 1565. Dafs es die trauernden Eltern waren, die auch der beiden andern frühverstorbenen Kinder in liebevoller Pietät in diesen Denkmälern gedenken wollen, dürfen wir ohne weiteres annehmen ; und so ergibt sich die Gewifsheit , dafs in der Zeit zwischen 1574 und dem Todesjahr des Markgrafen Karl 1577, auch das Grabmal des Prinzen Albrecht , das wir hier zur Veröffent- lichung bringen, entstanden sein mufs. Und die gröfste WahrscheinUchkeit spricht -dafür, dafs dies Monument ein Werk desselben Meisters ist, dem drei Jahre später wohl von der Witwe des Markgrafen das Denkmal für diesen und seine beiden Frauen übertragen wurde, eben jener Johann von Trar-

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bach. Wenigstens scheint mir diese Annahme durch- aus natürlich und nur dann aufzugeben, wenn gewichtige Gegengründe sich zeigen sollten.

Gröfsenverhältnisse und Komposition der Monumente der drei Kinder des Mark- grafen Karl sind von grofser Übereinstimmung : über

einem Gesims, dessen INIitte sich über einer Konsole im Kreissegment ausbaucht, um für die Porträtstatue Raum zu schaffen, erhebt sich eine Pilasterarchitektur , die mit einem Rundbogen und dar- über abermals mit einem Gesims abschliefst. Unter diesem Hauptteil des Grab- mals hängt die rechteckige Schrifttafel , umgeben von schlichtem Kartuschenrah- men; darüber ragt ein nied- rit{er Pilasteraufbau , der durch einen Mittelpfosten in zwei Felder geteilt, die elter- lichen Wappen der Verstor- benen enthält, und mit Ge- sims und Bekrönung nach oben abschliefst. Das be- scheidene Verwenden des aufgeroUtenKartuschenwerks und der Fruchtschnüre, der flache Charakter der ganzen Architektur und das Fehlen von Säulen, die sich von der Wand loslösen, ist den drei Werken gemein ; weil sich in den schweren Gesimspro- filen, deren flachen Rund- bogen über den Statuen und in Ringelformen von Rosetten und Delphinen noch unver-

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kennbarer als im Epitaph des Prinzen Albrecht die Erinnerung an Frührenaissance- Formen ausspricht, möchte ich die Grabmäler der beiden Prinzessinen für die frühesten Arbeiten halten : erst ein Jahrzehnt nach Vollendung des 1565 datierten ersten Monuments ward das des 1574 verstorbenen Prinzen ausgeführt. Zeit genug um in so rasch fortschreitendem Zeitgeschmack den Künstler zu etwas reiferen Formen , eleganterer Profilbildung , lebendigerer Durchbildung seines Werkes gelangen zu lassen: Die ruhig gegliederten Formen, die hier an Stelle der Pilaster treten, das prächtig modellierte Medusenhaupt, das über der Schrift- tafel die Vorkragung des Gesimses vermittelt, und nicht minder das Stand- bild des Prinzen, ist jenen beiden ersten Werken an künstlerischer Freiheit entschieden überlegen. Man merkt es diesem Bildnis kaum an, dafs dieser Zeit der Dekorationslust die künstlerische Vertiefung in eine statuarische Aufgabe, das Herausarbeiten eines persönlichen Charakters in fast allen ihren ähnlichen Werken so wenig gelang, ja Nebensache war. Schon bei jenen Bronzestandbildern in der Schlofskirche zu Innsbruck macht sich die unkünst- lerisch reiche Behandlung des Staatskleides, des gemusterten Gewandes, der reichverzierten Rüstung störend genug geltend ; im Laufe des Jahrhunderts der Kleiderordnungen konnte das nicht besser werden. Die mit Relief und Gravierung gezierte Vollrüstung der schlanken jungen Form läfst uns am Hals eine feingefältete spanische Krause hervorsehen, die zusammen mit der ausgebogenen Haltung der Gestalt eine etwas stutzerhafte Eleganz giebt. Jedenfalls zeigt das bartlose Gesicht in der frischen Modellierung der Augen- und Mundpartieen Leben genug, um über der äufserlichen Erscheinung der Gestalt das Interesse an dem dargestellten Menschen nicht ganz zurückzu- drängen. Übrigens erweist sich der Bildhauer auch in seinen späteren Werken manchmal als ein schlechter Kriegsmann sowohl in den Formen des Helms, der neben den Füfsen des Prinzen am Boden steht, als in dem Bewegungs- motiv, das ihm in jede Hand ein Schwert gibt. Es mag sein, dafs der Künstler die einzige redende Beigabe des Monuments, das Brustbild Mosis, der auf die Gesetztafeln hinweist , nicht ohne Beziehung zu den Leben des Prinzen, des Sorgenkindes seiner Eltern, gewählt hat; jedenfalls ehrte der Markgraf das Andenken seiner frühverstorbenen Gemahlin Kunigunda durch die Anbringung der beiden Wappenschilder ihrer Eltern Brandenburg und Pfalz-Bayern die von Genien an den Ecken der Bekrönung gehalten werden.

Obgleich ohne Frage zwischen der reifen Renaissancearchitektur vom Grabmal des Markgrafen Karl und seiner beiden Frauen, den edeln korin- thischen Säulen mit reliefgeschmücktem Fufs, dem verkröpften Gebälk und den flachen sparsamen Zierformen am Epitaphium des Prinzen Albrecht unleugbare Stilunterschiede bestehen, habe ich oben aus äufseren Gründen wahrscheinlich gemacht, dafs Johann von Trarbach auch der Schöpfer jener älteren drei Familiendenkmäler sei. Sehen wir nun zu, ob das Wenige, was sich über Leben und Schaffen des ungemein fruchtbaren Künstlers feststellen läfst, diesen Schlufs rechtfertigt.

Das älteste Datum von des Meisters Schaffen gibt uns eine Bestallungs- urkunde des Johann von Trarbach, Bildhauerrs zu Simmern, durch Friedrich,

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Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Bayern und Graf zu Sponheim vom Jahre 1557 im Copialbuch 499 des gr. General-Landes-Archivs zu Karlsruhe. In Ansehung der getreuen Dienst und fleifsigen Arbeit, so der Meister schon weiland dem hochgebornen Fürsten Herrn Johannsen Pfalzgrafen bei Rhein etc., unserm gnädigen Herrn und Vater, an etlichen Werken gethan hat, und uns auch hinfürder thun kann und soll, werden ihm als Wart- oder Dienstgeld jährUch vier Malter Korn Simmerer Mass und ein Lindisch Sommerhos' durch den Hofschneider, oder wenn der gräfliche Hofhalt nicht in Simmern weilt, durch den Landschreiber gegeben. Dann treffen wir ihn wieder in einem Vertrag vom 7. Oktober 1568, in dem er sich verpflichtet, für den Grafen Ludwig Kasimir von Hohenlohe und dessen Gemahlin Anna von Solms-Laubach, die übrigens noch bis 1594 unter den Lebenden weilte, ein Denkmal aus Ander- nacher Stein anzufertigen, »desgleichen er zu f Herrn Eberharts, Grafen von Erpach monument gebraucht«. Die letzte Zahlung von den ausbedungenen 800 Gulden Fränkischer Währung, die ausbedungen waren für das in der Stiftskirche zu Oehringen stehende Grabmal , erhielt Johann von Trarbach im November 1570^). Um uns über die ganz erstaunliche Entwickelungs- fähigkeit des Künstlers klar zu werden, der schon anno 1557 »etliche Werke« geschaffen hatte, mufs ich hier so überflüssig das scheinen mag daran erinnern, dafs naturgemäfs das, was damals entstand, von der reifen Renaissance am Grabmal des Markgrafen Karl soweit entfernt gewesen sein mufs, wie eben der Geschmack der Zeit um 1550 von dem der Zeit um 1580 sich unterschied: Johann von Trarbach mufs seine selbständige Künstler- laufbahn begonnen haben als Meister der ausgesprochenen Frührenaissance! Was er etwa im Dienste des Pfalzgrafen in den folgenden Jahren ausführte, festzustellen, bin ich zur Zeit aufser Stand. Aus der Zeit, kurz bevor das Monument des Prinzen Albrecht in Angriff genommen wurde, finden wir ihn im Dienste der katholischen Linie der badischen Markgrafen: 1573 errichtet er im Chor der Stiftskirche zu Baden das Denkmal Philiberts und seiner Gemahlin Mechthild, zu dessen Ausführung fünf Jahre zuvor die ersten Ver- handlungen angeknüpft worden waren; es wird sich nachher Gelegenheit bieten, ausführlich auf diese zurückzukommen.

Aufserdem stammt von seiner Hand vermutlich in der Stiftskirche zu Baden das etwa in den 60 er Jahren errichtete Monument des 1536 ver- schiedenen Markgrafen Bernhard III. und in der Stadtkirche zu Wertheim hat er den letzten der alten Grafen von Wertheim Michael III., gest. 1556, seiner Gemahlin, gest. 1590, und deren zweitem Gemahl, dem Grafen Philipp von Eberstein, gest. 1590, ein stattliches, dreiteiliges Grabmal mit reicher Säulenarchitektur errichtet. Es liefse sich leicht verfolgen, wie an diesen Werken stets bald dieses, bald jenes Lieblingsmotiv des Meisters in den Einzelformen der Dekoration wiederkehrt. Allen gemeinsam ist eine äufserst frische, lebensvolle Durcharbeitung aller figürlichen und ornamentalen Formen,

1) Vgl. Klemm, Württ. Baumeister und Bildhauer S. 166 und Kunstblatt 1833, 19 und 1838, 89. Bei Klemm findet sich ohne Quellenangabe die Nachricht, der Künstler selbst sei anno 1586 gestorben.

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die beweist, dafs der Künstler trotz der Menge seiner Aufträge nicht zum leichtfertigen Fabrikant wurde.

Wir sehen also in Johann von Trarbach einen gewandten Meister, der mit den meisten Dynastenhäusern des südwestlichen Deutschland langjährige Beziehungen unterhielt. Wahrscheinlich begründeten seinen Ruf die ersten gröfseren Arbeiten, die er für die Simmerische Linie der Pfälzischen Witteis- bacher ausführte. Diese empfahlen ihn dann an die badischen Markgrafen, nach Wertheim und Hanau zu Arbeiten, die ihn dann vielleicht auch noch weiter von seiner Heimat wegführten.

Die Akten über die Bestellung und Ausführung der Pforzheimer Denk- mäler werden vermutlich beim Brande der durlachischen Residenz für immer verloren gegangen sein; jedenfalls findet sich im grofsherzoglichen General- Landes -Archiv zu Karlsruhe nichts davon.

Aber einen Blick in die Lebensverhältnisse und in die Werkstätte unseres Meisters gewinnen wir ebenso gut aus den Verhandlungen über das Denkmal Philiberts und seiner Gemahlin Mechthild in der Stiftskirche zu Baden, die in einem Akt des grofsherzoglichen Hausarchivs noch vorhanden sind^).

Vom 23. Januar des Jahres 1568 datiert Vergleich und Übereinkommen des eben verwitweten Markgrafen mit seinem lieben besonderen Johann von Trarbach, Bildhauer zu Simmern, für die verstorbene Fürstin Mechthildis ein Epitaphium und Grabstein zu machen. Es wird bedungen, dafs das Werk namblichen und zum ersten aus schönen Andernacher Steinen gefertigt werden soll, die durch einen markgräflichen Schultheils und seine Gesellen bis gen Simmern verschafft und geführt werden ; alsdann soll das Werk allerdings und was dazu gehört durch den Bildhauer zu seinen Kosten gemacht und nach aller Verfertigung auf des Markgrafen Kosten in die Pfarrkirche zu Baden geliefert und aufgestellt werden ; dem Künstler werden dafür durch unsern Landschreiber zu Trarbach 250 fl. und durch unsern Keller daselbst ein Fuder Weins' ausbezahlt werden. Während der Arbeit, die der Künstler in seiner Heimat ausführte, wohl um sein Schultheifsenamt nicht zu ver- nachlässigen, wird alsdann im Sommer 1549 über das Bildnis der Markgräfin korrespondiert : auf Trarbachs Bitten um eine Abkontrafaktur auch Kleidung der Fürstin, desgleichen die acht Ahnherrn und Juristen, die zu den Epitaph gehörten, wird ihm geantwortet, dafs der Markgraf es bei schlechter Trauer- kleidung verbleiben lassen wolle und also das Werk in die Hand zu nehmen sei.

Indessen fiel der kriegerische Witwer in der Schlacht bei Moncontour im Poitou, als er dem Französischen König zum Kampfe gegen die Hugenotten zu Hilfe zog, im gleichen Jahre 1569, bevor anscheinend die Arbeit in der Werkstätte des Bildhauers begonnen war. Denn nun sollten die Gatten in einem Doppelgrabmal dargestellt werden. Ihr Sohn Markgraf Philipp II. ist

2) Die Benutzung dieser Archivalien wurde uns durch das liebenswürdige Entgegen- kommen des Herrn Geheimrat von Weech in dankenswertester Weise ermüghcht. Den Hinweis auf sie und manchen wertvollen Fingerzeig verdanke ich der Güte des Herrn Prof. Waag, Direktor der Kunstgewerbschule zu Pforzheim.

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der Auftraggeber. Dafs der Künstler unterdessen auch mit anderen Aufträgen beschäftigt war, sehen wir aus dem nächsten Blatt der Korrespondenz, wo er um Rückgabe der »Hanauischen Visierung« bittet, die er her gen Baden verschickt und jetzo wieder bedürfe. Höchst wahrscheinlich handelt es sich hier um das Monument der Gräfin Helene von Hanau, einer Tochter jenes Pfalzgrafen Johann von Simmern, für den Trarbach zu Anfang seiner Künst- laufbahn thätig war'^). Diese köstUche Arbeit des Meisters mit ihrer immer noch flach behandelten Architektur von Pilastern und Säulen zeigt überdies mit dem badischen Epitaph, wie es endlich zu Stande kam, in der palladia- nischen Vereinigung eines mittleren Rundbogens mit seitUchen Gesimsstücken und in dem runden Kartuschenrahmen des Wappenschilds viel Ähnlichkeit. Die Zeichnung war von Philipp II. unterdessen an seine Ahnfrau, die Mutter, der Markgräfin Mechthild, verschickt worden ; man teilte daher Trarbach mit, er möge sich zu endlicher Ausmachung der Epitaphia gegen Pfingsten (1571) nach Baden begeben, bis dahin werde die Zeichnung zurückgekommen sein. Dieser Aufforderung leistete der Meister wohl Folge ; wenigstens zeigt er sich später über die Raumverhältnisse im Chor der Kirche wohl unterrichtet, in der nit Platz oder Raum, dafs man zwei unterschiedliche Epitaphia hinein könnte setzen. Am 3. Oktober 1572 überschickt er dem markgräflichen Secretarius eine Visierung, danach das Monument zugericht' sei, mit ausführ- licher Schilderung des Werkes, in dem die beiden Gatten zu den Seiten eines Crucifixus knien^), und bittet dafs der Geschriften für die Inschrift- tafeln am Sockel nit zu viel seien, denn die spatia klein, wie in der Visierung zu sehen. Auch bittet er, die Zeichnung bald zurückzugeben, da er, fast ebener (?) Gestalt weiland Herzog Wolfgang, Pfahlzgrafen bei Rhein etc. und seiner Gemahlin die Epitaph zu verfertigen habe. Letztlich spricht er die Hoffnung aus, mit der Bezahlung werde man sich genau gegen ihm nit verhalten, denn er bereits mehr als seine verdingte Belohnung antreffe, auf das Werk verwendet habe. Überdies fügt er bei: so geben mir die zwei- brückischen Fürsten 500 fl. von ihres Herren Vaters Monument so eben wie das Markgräflich gemacht.

' Die gleiche Summe erhielt der Künstler dann auch, als er im August 1573 das vollendete Werk in der Stiftskirche aufstellte. Zuvor hatte ihm Markgraf Philipp, den die Porträtähnlichkeit seines Vaters auf der Visierung nicht ge- nügte, eine in Blei gegossene Abkontrafaktur des Verstorbenen zum Vorbild gesandt und für den Transport der fertigen Werkstücke, die zu Schiff von Mainz oder Bingen aus transportiert wurden, Zollfreiheit erwirkt.

Wann und wie Meister Johanns arbeitsreiches vielbewegtes Leben endete, weifs ich nicht zu sagen. Doch hat es den Anschein, als ob auch das letzte grofse Monument aus der Schlofskirche in Pforzheim, das Doppelgrabmal des Markgrafen Jacob III. und Ernst Friedrich, von denen letzterer anno 1604 verschied, noch von seiner Hand herrühre. So hätte der Meister eine stets fortschreitende rastlose Künstlerthätigkeit von rund 50 Jahren erlebt. Viel-

3) abgebildet ebenda, Baden, Blatt 26, 35—38.

4) abgebildet in Ortweins Renaissance Abt. LVII. Bl. 33.

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leicht gestattet mir reichlicheres Ouellenmaterial bei späterer Gelegenheit auf das Wirken des Bildhauers und Schultheifsen von Simmern ausführlicher zurückzukommen. Denn wenn seine Kunst wie die seiner ganzen Zeit auch stark zum dekorativen Kunsthandwerk hinneigt, so hat er doch ohne Frage in der Geschichte der führenden deutschen Künstler aus der zweiten Hälfte des Jahrhunderts der Renaissance seinen Platz wohl verdient.

Bremen. Dr. K. Schaefer.

Zwei oberrheinische Glasgemälde aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts.

(Mit 1 Tafel.)

m November vorigen Jahres wurden von J. M. Heberle (H. Lempertz Söhne) in Köln eine Sammlung alter Glasgemälde versteigert *), welche aus dem Besitz des Grafen Douglas von Schloss Langenstein in der Nähe von Konstanz stammten und die den schönsten uns bekannten Werken dieser Kunst beizuzählen sind. Das Germanische Museum, das sich bekanntlich einer höchst instruktiven und wertvollen Sammlung alter Glas- gemälde rühmen darf, hat zwei Stück davon erworben und ist somit in den Besitz gelangt von Hauptwerken aus der letzten hohen Blütezeit dieser Kunst, deren Verfall kurz nachher begann und unaufhaltsam war.

Die zwei Fenster zeigen die Bilder der Heiligen Bruno und Hugo und sind bis auf eine Kleinigkeit aufserordentlich gut erhalten. Der hl. Bruno, der Stifter des Karthäuserordens in dem weifsen Ordenshabit mit weifser Ku- kuU und gleichfarbiger, mit Goldborten verzierter Mitra. steht nach rechts gewandt, er trägt in der Linken den Abtsstab und in der Rechten hält er ein Buch, die Ordensregel. Sieben Sterne vor ihm erinnern an den Traum, der die Stiftung des Ordens veranlafste ").

Höhe 146 cm. Breite 52 cm. Im Gewände ist ein kleines Stück eingeflickt.

Das Gegenstück hiezu stellt den nach links gewandten hl. Hugo dar, auch er im Karthäusergewande, mit Stab und roter Mitra (mit schönen Orna- menten verziert), in seiner Hand der Kelch mit dem Christkind und neben ihm der Schwan, das Symbol seiner Liebe zur Einsamkeit.

Höhe 146 cm. Breite 54 cm.

Was die Technik betrifft, so zeigen unsere Fenster den sogenannten zweiten Stil der Glasmalerei auf seiner Höhe. Im ersten Anfange dieser Kunst verfuhr man bekanntlich derart, dafs man kleine Stücke, die in der Mafse gefärbt waren, mosaikartig zusammensetzte und durch Blei verband. Nur eine Farbe besafs man, mit der man auf Glas malen konnte, das soge- nannte Schwarzloth. Im 14. Jahrhundert nun traten zwei Erfindungen hinzu,

1) Die Gräfl. W. Douglas'sche Sammlung alter Glasgemälde auf Schloss Langenstein. Köln 1897. Druck von M. Du Mont-Schauberg. Mit guten Abbildungen.

2) Detzel. Die Glasgemäldesammlung des Grafen Douglas im Schlosse Langenstein bei Stockach. Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. 26. Heft. Lindau 1897.

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum. 1898.

Taf. IIL

Der heilige Bruno.

Der heilige Hugo.

Glasgemälde aus der Douglas'schen Sammlung auf Schloss Langenstein, jetzt im Besitz des Germanischen Museums.

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die von gröfster Wichtigkeit waren, umsomehr, als gerade damals die hohe Blüte der gotischen Architektur immer gröfsere Anforderungen an die Künstler stellte. Neben dem Schwarzloth erscheint jetzt das sogenannte Kunstgelb, welches aus Chlorsilber besteht und das wie die erstere Farbe eingebrannt wurde. Je nachdem man dieses Silbergelb auf verschiedenfarbige Gläser auf- trug, konnte man eine ganze Reihe von Nuancen erzielen und war fürder nicht mehr gezwungen, für jede einzelne Farbe ein neues Glasstück einzu- fügen, konnte füglich auch auf sehr viele Bleilinien verzichten. Die zweite Erfindung war die des »Ueberfangglases«. Auf ein weifses Stück Glas wurde ein dünnes Häutchen farbiger Glasmasse aufgeschmolzen; später verwendete man statt weifsen auch farbiges Glas als Untergrund und konnte nun durch Ausschleifen immer neue Variationen hervorbringen. Mit den eben geschil- derten Mitteln sind unsere Glasfenster gemalt und man kann wohl sagen, dafs diese Technik hier eine höchste Stufe der Vollendung erreicht hat. »Nur allein durch diese beiden Mittel nämlich brachte der Glasmaler eine solche vollendete Modellierung der Figuren, solche Nuancierungen und scheinbaren Reichtum in der Farbe hervor, wie man sie sonst nur an der späteren Kabinetsglasmalerei, die mit Emailfarben aller Art zu arbeiten imstande war, oder an Gemälden auf Leinwand gewohnt ist. Und doch ist noch keine Schmelzfarbe angewendet, sondern nur das Silbergelb, während alle anderen Farben aus in der Fritte gefärbten Gläsern hergestellt sind. Dazu kommt die weitere Merkwürdigkeit dieser Fenster, dafs, obgleich nur in der Masse gefärbte oder überfangene Hüttengläser angewendet sind, wir doch Scheiben in so grofsen Tafeln finden, wie sie der Glasmaler auch des späteren Mittel- alters noch nicht herzustellen vermochte«^).

Die Farbenwirkung gerade unserer Glasgemälde ist ganz aufserordentlich fein. Neben dem einfachen weifsen Glas (Gewänder, Fleischpartien etc.) kommt in der Hauptsache nur noch ein sattes Rot (schön gemusterter Hinter- grund auf beiden Bildern, sowie Mitra des hl. Hugo) und sparsam angebrach- tes Gold vor (d. h. Kunstgelb: die Goldverzierungen an den Mitren, die Nimben, die oberen Teile der Bischofs- bezw. Abtstäbe und dergl. mehr). Und trotz dieser Beschränkung auf wenige Farben ist der Eindruck der Fenster ein erstaunlich warmer und reicher. Aber nicht nur in dieser Hinsicht, auch in stilistischer Beziehung sind dieselben hochbedeutend und es wäre daher wohl interressant, über ihren Autor und ihre Herkunft Bestimmtes zu erfahren. Man hat darüber zwar einiges combiniert, ohne aber einen stichhaltigen Beweis beizubringen *). Sicher ist nur, dafs die gesamten zu gleicher Zeit versteiger- ten Figurenfenster sich von 1690 an auf dem Speicher des Gymnasiums von S. Blasien befanden ; der spätere Baron Eichthal, damals noch Seligmann ge- nannt, der das aufgehobene Kloster im Jahre 1808 kaufte, eignete sich damit auch die Glasgemälde an. Von seinem Rechtsnachfolger erwarb sie dann 1820 Grofsherzog Ludwig von Baden, als dessen Privateigentum sie in Schlofs Langenstein aufgestellt waren und so in den Besitz seiner Erben, der jetzigen

3) Detzel a. a. O. 66.

4) Mone. Die gräfl. Douglas'sche Glasgemäldesammlung im Schlofse Langenstein bei Stockach. Diöcesanarchiv von Schwaben. 1897 in den Numrnern 4, 5 und 6; ferner Neimargedorff's Aufsatz in »Die Wahrheit«, herausgegeben von Kausen. 1897, Heft 9.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. VII.

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Grafen Douglas übergingen. Es fragt sich nun, für welchen Ort diese Glasgemälde, die sicher in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts verfertigt sind, gearbeitet worden und wo sie angebracht waren, bevor sie dürftige Unterkunft auf dem Speicher des Klostergymnasiums fanden. Hier fehlt uns aber jegliche Notiz. Man hat behauptet, sie stammten aus der Karthause von Klein-Basel; doch ist das lediglich eine Vermutung, die sich darauf stützt, dafs einige der Bilder (25 wurden versteigert), so besonders die unsrigen, unleugbare Beziehungen zum Karthäuserorden haben ; wie auch die Zusam- mengehörigkeit der ganzen Gruppe kaum abzustreiten ist. Einige der Fenster sind nun mit Jahreszahlen (z. B. 1528) und mit Bildern oder Namen der Stifter versehen, worunter die bekannten Familien Botzheim , von Brunn, Widmann, Spilmann, Schnewlin. Man kann daher als sicher annehmen, dafs diese Werke für eine Kirche oder ein Kloster, das in der Gegend von Kon- stanz, Basel und Freiburg lag, in dem ersten Drittel des Jahrhunderts gemalt wurden. Am engsten müssen die Beziehungen zu Basel gewesen sein, doch konnte man daselbst, wie es scheint, nichts mehr darüber in Erfahrung bringen. Genaueres über die Entstehungszeit wissen wir nicht und wenn Mone die Zeit von 1512 1529 angiebt, so ist das nur Konjektur, zu welcher er vor- nehmlich geführt wurde durch seine Annahme, bei dem grofsen Bildersturm von 1529 seien die Fenster von Basel geflüchtet worden.

In dieser Blüteperiode der deutschen Kunst war es allgemein Sitte, dafs die grofsen Künstler der Zeit auch Zeichnungen (die »Visierun^en») für Glasgemälde lieferten und es sind uns solche Visierungen von Dürer und Anderen, ganz besonders aber von Hans Holbein d. J. und von Hans Baidung Grien erhalten. Ja, gerade im Werk der beiden letztgenannten Meister zählen diese Vorzeichnungen zu den schönsten Stücken ; die Phantasie der Maler treibt in der Ornamentik der Umrahmungen ihre üppigsten Blüten und mancher Zug frischer Lebensbeobachtung spricht sich in diesen Blättern aus, der in diesen Gemälden nicht zum Ausdruck gelangte. Die Glasgemälde der Douglas'schen Sammlung nun zeigen eine solche Gröfse des Stiles, solche Kraft der Charakteristik und Sicherheit der Zeichnung, dafs man zu der Annahme gedrängt wird, die Vorlagen dazu müfsten von ersten Meistern der Zeit geliefert sein und so lag es nahe, an die zwei gröfsten Maler zu denken, welche die Gegend damals aufzuweisen hatte, an Hans Holbein und Hans Baidung Grünewald kam nicht in Frage und ihnen hat man denn auch, vielleicht mit etwas zu grofser Sicherheit, die Entwürfe zugeschrieben. Ja, man wollte sogar ver- muten, die Künstler hätten die Glasgemälde teilweise selbst ausgeführt, was natürlich nicht zu beweisen ist. Der Holbein'sche Charakter in einer Reihe der Scheiben läfst sich nicht leugnen und man mag daher geneigt sein, ihn als den Cartonzeichner zu betrachten ^). Nicht so deutlich prägt sich die Eigenart Hans Baldung's in den vierzehn Fenstern aus, welche unsere Gewährs- männer ihm zuschreiben; darunter auch die vom Germanischen Museum er- worbenen Stücke.

Hans Baidung genannt Grien (etwa 1480 Q) bis 1545), der eigentliche Maler des Oberrheins in dieser Zeit, war Schüler Dürer' s gewesen und hatte

5) Auctionskatalog No. 12 25.

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wohl auch den mächtigen Einflufs Grünewald's erfahren. An Begabung sicher- Hch hinter diesen, sowie Hans Holbein weit zurückstehend, mufs er doch an der vierten Stelle genannt werden in der Geschichte der deutschen Malerei. Seine Eigenart entwickelte sich vor allen nach der Seite des Kolorits, hierin ist er wesentlich über Dürer hinausgegangen, ohne aber die gewaltigen Wir- kungen Grünewald's zu erreichen, vielmehr ganz andern Zielen als dieser zu- strebend. Ein ausgeprägter Schönheitssinn war ihm zu eigen, und wenn auch seine Fähigkeiten nicht genügten, immer ein Höchstes zu leisten, so hat er doch in manchen seiner Zeichnungen und Gemälde, vor allem seinen Alle- gorien einen Adel der Formengebung erreicht, wie wenige seiner Zeitgenossen. Oft allerdings sind die reizvollen Erscheinungen, die schönen Gesichtstypen des Meisters leer und inhaltslos ; wird jedoch nicht mehr von ihm verlangt, als Schönheit der Form, wie in seinen rein dekorativen Arbeiten, so leistet er durchaus Befriedigendes. Diese Eigenschaften, verbunden mit dem oben erwähnten aufs Feinste ausgebildeten Farbensinn, mufsten ihn ganz vorzüg- lich befähigen, den Glasmalern seiner Zeit Entwürfe zu liefern, von denen uns viele erhalten sind und so läfst sich denn auch das Fenster der Alexander- Kapelle im Chorumgange des Münsters zu Freiburg auf den Meister, andre wenigstens auf seine Schule zurückführen. Der Zusammenhang zwischen diesen gesicherten Glasgemälden und den Douglas'schen ist nun ein ziemlich loser und ein Vergleich derselben spricht nicht allzulaut für die Autorschaft Hans Baldung's ; dagegen sind die Gestalten der Heiligen Ursula, Hieronymus und Johannes des Täufers sehr nahe verwandt mit den Figuren derselben Heiligen vom Hochaltar des Freiburger Münsters und man mufs gestehen, die Ueber- einstimmung ist besonders in der Gestalt des Täufers grofs genug, um den sicheren Schlufs zu gestatten, dafs wenigstens die Vorlage für dieses Fenster in der Werkstätte des Hans Baidung entstanden ist. Auch in den andern Glasgemälden finden sich so viel Anklänge an den Meister, dafs enge Bezieh- ungen wahrscheinlich scheinen: so zeigen gerade unsere zwei Stücke in der Zeichnung der Hände und des Kopfes, vorzüglich der Kinn- und Wangen- partien seine Manier, wie wir sie aus seinen Zeichnungen kennen, deren Zu- schreibung allerdings selten über allen Zweifel erhaben ist. Eines müssen wir uns jedoch eingestehen: in diesen Bildern tritt eine Gröfse der Formen- gebung zu Tage, wie wir sie in den Gemälden Hans Baidungs vergebUch suchen und die uns nur wenige seiner Zeichnungen ahnen lassen. Doch kann sich da derselbe Vorgang wiederholen, wie überall in der deutschen Kunst: Zeichnungen und einzelne Ausnahmen lassen oft eine Gröfse und Freiheit des Stiles hoffen, die im Allgemeinen nicht erreicht worden ist. Wollen wir nun einmal versuchsweise die Hypothese annehmen, dafs die Entwürfe zu den Fenstern von dem Strafsburger Maler sind, so fragt es sich, in welche Periode seines Lebens man sie ansetzen mufs. Mone behauptet, schon 1511 habe er damit begonnen und während seines Aufenthaltes in Freiburg daran gearbeitet ; im Katalog wird daraus gar ein Aufenthalt von 1506 1516 in Freiburg-Basel; dabei ist von alledem nichts bewiesen. Uns scheint, diese Glasgemälde können nicht wohl der frühen Zeit des Meisters angehören und sie werden kaum vor der Vollendung des Freiburger Hoch-

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altars entstanden sein. Gerade die Gemälde des letzteren, so schön sie sind, zeigen vielfach in der Behandlung der Formen noch eine solche Härte, öfters auch eine Häufung von unverstandenen und knittrigen Falten, mangelhafte Proportionen der Figuren und Unsicherheit in der Zeichnung des Körpers, dafs es uns schwer glaublich dünkt, der Meister habe zu gleicher Zeit so grofs gedachte Vorlagen liefern können. Doch vergessen wir nicht, dafs alle diese Annahmen nur Hypothesen sind, wenn sie auch noch so viel Wahr- scheinlichkeit für sich haben; verlangt man eine ehrliche Antwort auf die Frage nach dem Kartonzeichner, so müssen wir eingestehen , wir wissen es nicht und es dürfte auch ohne neu hinzukommende Anhaltspunkte schwer festzustellen sein. Indefs wäre es zu wünschen , dafs unsere berufenen Bal- dung-Kenner sich über die Frage aussprechen, handelt es sich doch um Werke, die, schon als Glasgemälde hochbedeutend , auch in anderer Hinsicht das höchste Interesse verdienen. Denn mehr noch als die technische Vollen- dung überrascht uns der hohe Adel und die reife Schönheit dieser kräftigen Gestalten , denen alles Kleinliche fehlt , das doch manchen gleichzeitigen Schöpfungen noch anhaftet; vor allem deshalb sind diese Glasgemälde be- wundernswert und beredte Zeugen für die hohe Blüte, welche die deutsche Kunst in dem ersten Drittel des sechzehnten Jahrhunderts erreicht hatte. Nürnberg. Dr. Max Wingenroth.

Die Stadtfahne von Roth a. S.

»ie jüngst dem Museum von Seite der dortigen Stadtverwaltung zur Aufbewahrung übergebene Fahne der Stadt Roth, beansprucht neben ihrer eigenartigen, schönen Ausführung noch dadurch besondere Auf- merksamkeit, dafs wir in ihr mit ziemlicher Sicherheit das Werk einer kunst- geübten Hand eines Mitgliedes des ZoUernhauses erblicken dürfen. Roth, das freundlich gelegene Städtlein am Einflufs der Roth in den Rednitzflufs, besafs in dem 1535 erbauten Schlofs (Ratibor an derRednitz) eine beliebte Residenz des brandenburgischen Fürstengeschlechtes und so mag die Fürstin, wie berichtet wird, den getreuen Bürgern von Roth wohl dies hervorragend schön gearbeitete Werk ihres Kunstfleifses als Dank für die in Roths iNlauern verlebten Stunden gewidmet haben. Der Grund der leider schon etwas schadhaften Fahne ist blaue Seide ; auf der einen Seite findet sich in sorgfältigst ausgeführter Applications- stickerei, umgeben von einem Lorbeerkranz der rote brandenburgische Adler mit schwarzweifsem Herzschild darüber die Buchstaben C.W. F. M. Z.B. Auf der andern Seite, ebenfalls im Innern eines Lorbeerkranzes in reicher gold- farbener Cartouche das Wappen der Stadt Roth, das schwarz-weifs geviertete Schild der Hohenzollern mit dem R im (heraldisch) rechten oberen Geviert. Die erwähnten Buchstaben geben zusammen mit dem Stil der Arbeit Aufschlufs über die Verfertigerin und die Entstehungszeit. Sie beziehen sich jedenfalls auf Markgraf Carl Wilhelm Friedrich (1712 51), dessen Gemahlin Friederica Louise, die Tochter Friedrich Wilhelms von Preufsen, die Fahne stiftete. Nürnberg. H. St.

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Ein Sehnittmusterbueh aus dem 17. Jahrhundert.

[er hat nicht schon mit Wohlgefallen einem Schneider zugesehen, welcher Kleidungsstücke auf einem Stück Tuch entwirft. Er zieht ^^ die geraden Hauptrichtungslinien und trägt von diesen aus die Mafse auf, welche er an dem menschlichen Körper genommen hat; die einzelnen Stücke werden bald geradlinig, bald durch Curven begrenzt und letztere müssen an den Linien, in welchen sie zusammengestofsen werden, genau übereinstimmen. Das so in der Ebene Entworfene ist wird kunstvoll zusammengesetzt und mufs in Flächen höherer Ordnung den Körper umhüllen und schmücken. Dazu ist es notwendig, dafs das Kleid dem Körper ganz genau angepafst ist, denn es mufs abgesehen von einigen Ausnahmen , welche die Mode zuweilen verlangt volle Freiheit der Bewegung gestatten und darf doch nicht im Ganzen oder in einzelnen Teilen zu weit sein. Ist die Schneiderei keine Kunst, so ist sie doch ein Kunstgewerbe. Zwar hat sie bisher in die Kunstgewerbe- schule noch keinen Eingang gefunden, dafür wird aber auf eigenen Akademien die wissenschaftliche Zuschneidekunst gelehrt, deren Name schon besagt, dafs in ihr die Thätigkeit des Verstandes und der Phantasie in gleicher Weise in Anspruch genommen werden. Gewifs ist diesen Hochschulen nicht zum wenigsten die schöne und würdevolle Erscheinung des modernen Menschen zu verdanken. Was hier erfunden und gelehrt wird, dringt durch die Mode- journale in die weitesten Kreise. Und da die Modejournale in vielen Biblio- theken sorgfältig verwahrt werden , werden spätere Jahrhunderte über das Wesen unserer Kleidung viel genauer unterrichtet sein, als wir über das der Kleidung unserer Vorfahren.

Die Kunst des Schnittzeichnens ist aber keine Erfindung der Neuzeit, sie mufste sich entwickeln, sobald man anfing, anliegende Kleider zu tragen. Vereinzelt sind uns Schnittmuster aus früheren Jahrhunderten erhalten, aber sie gehören zu den Seltenheiten. Ein Freund unserer Anstalt hat dem germanischen Museum vor Kurzem ein Schnittmusterbuch geschenkt, das die vier Meister von Brück in der Oberpfalz im Jahre 1682 (die Lesung 82 nicht ganz sicher) dem Hand- werk der Schneider zu Nittenau geliefert haben. Diesem war vom Kurfürsten befohlen, als Meisterstücke Kleidungsstücke von vier Ständen und zwar von jedem Stande drei Stücke zu machen. Die Nittenauer wufsten nicht, was für Stände und Stücke gemeint seien und wandten sich um Rat an die Meister von Brück. Auch diese wufsten es nicht, lieferten aber nach ihrem Ermessen die Zeichnungen für Gewänder von Geistlichen, Edelleuten, Bürgern und Bauern. Ihr Elaborat ist ein Manuskript in Quart in acht Blättern mit derben Feder- zeichnungen, welchen einige Erläuterungen beigegeben sind. Die Zeichnungen sind ungenau und die angegebenen Mafse stimmen nur annähernd oder gar nicht mit den Zeichnungen überein. Stücke welche über den Rand des Stoffes hinausstehen haben Zeichen, unter welchen sie auf dem Stoff nochmals ge- zeichnet sind. Liegt der Stoff an einzelnen Stellen doppelt oder mehrfach, so ist dies gewöhnlich den Zeichnungen eingeschrieben, liegen Vorderteil und Rückteil übereinander, so sind die Verschiedenheiten des Schnittes beider

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. VIII.

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kenntlich gemacht. Die Erläuterungen sind zum Teil in, zum Teil neben die Zeichnungen gesetzt.

Diese beginnen auf Seite 3 mit den in Fig. 1 dargestellten liturgischen Gewändern. Die Erklärung zu diesen Zeichnungen steht auf Seite 2 und lautet:

Fig. 1. »Das ist ein Mesgewandt, hinden IV2 Elen lang, forn 1 Ein V* lang; Stoln, Manibel auch dabey. Mer 2 levitten Rekh ein Ein ein ^a lang, ein Rokh Undt 2 Ein Weit. Die Erbl V2 Ein lang Unndt Sammet breiden. Zu auch ein Carbral Daschen. Nimb 9 Ein sammat.«

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»Kumbt zu den Mesgewandt 6 Ein sammat. Zwey Dridt bereit (^/a breit). Neben den Mesgewandt ligt den Pfarrer ein gnie Rekhlein 1 Ein Vs lang; Der leib V2 Ein lang, Die anleg Erbl firt halbs firtl lang, Die fügende Erbl

\\

/-.

Fig. 2. Fig. 3.

•74 lang, der Rockh 4^2 Elen Weit, das hinder Deil oben 73 breit. Nimb 9 Ein 1 Dritl Zeig 2/3 breit.

Auf dem ersten Streifen ist oben die Casula und die Stola dargestellt, bei ersterer der vordere Teil und der Rücken verschieden. Unter der Casula

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steht die Dalmatica. Sie ist weiter als die Stoftbreite und der überstehende Teil ist unterhalb neben dem Corporale dargestellt. Ganz unten die Ärmel. Die Manipel fehlen.

Weniger klar ist, was unter einem Knieröcklein zu verstehen ist.

Seite 5 folgt eine weitere Figur, eine Sutane darstellend (Fig. 2). Die Zeichnung ist sehr oberflächlich. Der Hauptteil des Rockes steht oben, die überstehenden Zwickel unten, die Ärmel und Stutzen (Aufschläge) in der Mitte. Auf den Strich des Tuchs ist keine Rücksicht genommen.

Aufser der in der Zeichnung stehenden Bemerkung über die Lage enthält das Blatt folgende Erklärung :

»Dafs ist ein briester Rokh Mit einer gestalt 7 firtl lang 6 Elen weit. Die hindern Erbl V^ Ein lang tueg weit (so weit als das Tuch breit ist) zu ein. Die fordern stutzen Vs lang. Nimb 7 Ein schlechttug ^,4 breit.«

Auf der nächsten Seite (6) folgt das Kleid eines Edelmannes (Fig. 3). Die Erklärung besagt:

»Dals ist den Edlman eingleidt ein. Das stellt ein Rokh hosen undt strimpf aneinander geschulten mit einen Rundt geschnittenen schofs Undt ein bar Handtschug.« »Die hossen Undt strimpf 1\2 Ein lang lindisch 7 firtl breit.«

Die Zeichnung ist ganz oberflächlich. Oben der Leib, dann der Schofs und die Handschuhe , weiterhin die Ärmel , unter diesen der überstehende Teil der Ärmel und die Aufschläge. Dann die Hosen und Strümpfe; ganz besonders kümmerlich. Es ist kaum anzunehmen , dafs der Edelmann an diesem Kleid grofse Freude gehabt habe.

Seite 7 enthält weitere Kleidungsstücke des Edelmannes in 2 Figuren (4 und 5.) Der ersten ist beigeschrieben:

»Das ist den Edelmann ein Cabut. Über den Ruckh ein wenig schmeller als ein Ein und 5 firtl lang halbe durch weit.«

»Zu ein 4 Ein V* Hndisc 7 firtl breit.«

Die Erklärung zu Fig. 5 ist der Zeichnung eingeschrieben.

Seite 8 zeigt ein Kleid für die Edelfrau (Fig. 6.)

Die Beischrift sagt: »Dafs ist der Edlfrauen ein Kleid. Vorn ein Rokh mit 4 biedern, ein bladt ^ji lang, 2 fodern deit mit Zipfl, die Erbl firthalbs firtl lang. Kumbt 14 Ein Sammet.*

Oben liegt der Stoff doppelt. Die Ärmel und der vordere Teil des Leibes sind dargestellt, der Rücken fehlt, die Doppellinie ist hier nur Kor- rektur. Unten der Rock in vier Blättern von rechteckiger Form.

Seite 9 folgt der Edelfrauen ein Wams, ein Rock und ein Fürtuch (Schürze). (Fig. 7).

»Dafs ist der Edlfrauen ein Wammes mit 4 sches (Schöfse) aneinand geschniden ohne Stuckh. Dafs Wammes ^/i lang, die Erbl auch so lang.«

Neben der Inschrift auf der Figur: »Da ligt Rokh und firtug« steht seit- lich: »auch der Edlfrau.» ; weiter unten bei 14 bieder: »ein bladt 1 Ein 1 dritl lang 11 bieder zu den Rockh, 3 zu den firtug zu disen ganzten gleidt kombt 23 Ellen 1 firtl Sammath. Der Rock ist sehr faltenreich.

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Fig. 4.

Fig. 5.

Fig. 6.

Es folgen Kleidungsstücke für Bürger. Seite 10 ist ein Bürgermantel (Fig. 8) dargestellt. Er ist halbkreisförmig, der überstehende Teil wird aus zwei Stücken zusammengesetzt; um den Halsausschnitt legt sich ein vier- eckiger Kragen, der unten links gezeichnet ist. Die Erklärung steht in der Figur.

Fig. 9, auf Seite 11 stellt den Rock eines Bürgers dar, die Erklärung steht zum Teil in der Zeichnung; neben derselben ist noch bemerkt: Die Erbl firt halbs firtl lang ohne die Handt Datzen.

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Seite 12 enthält auf 2 Figuren den Mantel und das Wams einer Bürgersfrau (Fig. 10 u. 11). Die Erklärung zum Mantel steht in der Zeichnung , er umfafst mehr als einen Halbkreis und hat gleich- falls einen Umlegekragen. Das Wams ist auf Fig. 11 gezeichnet, oben der Leib, Vorder- und Hin- terteil, darunter die Äimel, dann die Schölse. Die Beischrift sagt: »Dafs ist der Burgerfrauw ein Wammes. Der Leib nit gar ein halbe Ein lang, die sches (Schöfse) 1 , Dritl lang, Die Erbl firthalbs firtl lang.« In der Fortsetzung der Zeichnung steht unten (hier nicht wiedergegeben) ein rechteckiges Blatt mit der Beischrift : »14 bieder, 1 bladt ^/4 lang.« Es ist die Darstellung des Rockes. Daneben steht :

Kumbt zu allen 20 Ein 1 firtl Damaschgat.

Den Schlufs bilden die Kleider der Bauern. Auf Seite 13 ist links (Fig. 12) ein Bauernrock abgebildet mit der Erklärung : »Dafs ist ein bauer ein Rockh Von schlechtentug. 3 Ein. das tug */3 breit. Fig. 13 auf der- selben Seite: »Der baurbraut (Bauern Braut) ein gleit ein Rekhlein.«

Fig. 8.

Fig. 7.

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»Der Rockh Undt das firtug 1 Ein Va firtl lang. Kumbt zu allen I6V2 Ein Zeig.*

Figur 12 zeigt oben den Rückteil, darunter den Vorderteil, unten die Ärmel. Der Stoff liegt doppelt.

Figur 13 oben der Leib, Vorderteil und Rückteil, darunter die Ärmel, unten Rock und Schürze 12 Blätter. Die Zeichnung enthält noch ein rund- lich ausgeschnittenes Stück Stoff und viel kleinere Lappen, über deren Er-

/

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Fig. 10.

Fig. 11.

klärung ich nicht ganz im Reinen bin, vielleicht ein Kragen und kurze Schölse an das Wams.

Das letzte Blatt enthält auf S. 15 eine Mitteilung über den Zweck des Büchleins. Leider ist die Schrift teilweise verlöscht.

»Dafs Erbare Handtwerkh der Schneider von Nitenau haben Von Unfs Vier Maister von Prukh begerth und gebetten, Man sollt Ihnen verginsten (.?). und Mit Deilen Etliche abris der Meisterstukh dieweil solches Ihra Von Unser Genedigsten Chu[rfürsten] und herrn Ihren Ver Mag aufs firn stendte jeden (.?)

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stand drey stuckh zu Machen. Dieweil sie aber Nicht gewust, Welche Vor der gleichen Meister stuckh solln Erkhenen Also haben wir die vier diese

Fig. 12.

Fig. 13.

vor gesetzte Abrifs aus Unsern Eigen guet achten solche Abrifs Vor Meister stuckh Erkhend Und mit getheilt. Dieweil aber in Ihrer Handtwerkhs Ord- nung Mit Namen kein stuckh begriffen seind, Also haben wir oben gesetzte

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Meisterstuckh umb die gebür geg(e)ben Und Mit gedeilt, das Uns Und den Unsern ohne schaden.

Datum Prukh den 9 augustus Anno 1682.

Grofse »Meisterstukh« sind nun die Abrifse der vier Meister von Brück keinesfalls; weder in der Zeichnung, noch in der Art, wie die Schnitte auf den Stoff aufgetragen sind. Sie zeigen aber, wie die Schneider kleiner und entlegener Marktflecken die Kleidung der Zeit auffafsten und sind dadurch von Interesse. Der Vergleich mit modischen Kleidungsstücken der gleichen Zeit wird durch die Mangelhaftigkeit der Zeichnung erschwert, immerhin ist leicht zu erkennen, dafs die vier Meister von Brück nicht recht auf der Höhe der Zeit standen.

Trotzdem ist das Büchlein der vier Meister von Brück eine interesante Merkwürdigkeit, denn unseres Wissens sind aufser ihm nur fünf ähnliche Schnittmusterbücher aus so früher Zeit bekannt, von denen sich zwei in Ori- ginal, drei in Kopien in der Büchersammlung des Freiherrn von Lipperheide in Berlin befinden.

Nürnberg. Gustav von Bezold.

Vorlagen für Stuhllehnen des 17. Jahrhunderts.

;m Jahrgang 1887 (Bd. II, S. 25 ff.) dieser Mitteilungen hat Geheim- rat A. von Essenwein sechs geschnitzte Stuhllehnen veröffentlicht, die sich an alten Originalmöbeln der Sammlungen des Germanischen Museums befinden. In dem Texte hiezu hat er darauf hingewiesen, dafs die meisten dieser Schnitzereien von den Schreinern erfunden sein mögen und dafs die Tüchtigeren unter ihnen für die minder begabten Genossen passende Vor- lagen durch den Stich veröffentlichten und somit zum Gemeingut Aller machten.

Diese Mitteilung hat dem Germanischen Museum manche Anfrage zuge- zogen von Seiten Jener, welche solche Vorlagen gerne benützt hätten, um sie bei Anfertigung neuer Möbel im alten Stile zu verwenden. Wir halten uns daher verpflichtet, einige Entwürfe geschnitzter Lehnen, die sich in unserer Kupferstichsammlung befinden, zu veröffentlichen, um den Wünschen der Freunde solcher zu entsprechen. *

Die drei Vorlagen, welche hier in ^/s'der Originalgröfse wiedergegeben werden, sind dem Werke entnommen »Neues Zieratenbuch den Schreinern, Tischlern oder Küstlern und Bildhauern sehr dienstlich Durch M. Friederich Unteutsch Stattschreinern zn Franckfurth am Main heraußgegeben. Zu finden in Nürnberg Bey Paulus Fürsten Kunsthändlern.« Der Frankfurter Stadt- schreiner Unteutsch reiht sich seinen Handwerksgenossen des 16. Jahrhunderts, den Haas, Ebelmann, Guckeisen, Eck, die für die Renaissance mustergültige Vorbilder an Möbeln und Täfelwerken lieferten, würdig an. Den Ohrmuschel- oder Knorpelstil, in dem er seine Entwürfe ausführte, beherrscht er ebenso trefflich und weifs ihn ebenso konsequent anzuwenden, wie die älteren Meister die Formen der Renaissance.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. IX.

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Die reproduzierten Lehnen unterscheiden sich von den nach Originalen mitgeteilten dadurch, dafs sie viel reicher denn diese geschnitzt sind, vielleicht sogar etwas zu reich, um als Vorlagen für neu anzufertigende Möbel in der Gegenwart umfassendere Verwendung zu finden, zumal auch der angewandte Stil nicht nach Jedermanns Geschmack sein dürfte. Was Geheimrat von Essenwein über diese Art Stuhllehnen gesagt hat, trifft auch auf die unsrigen

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zu; besonders wird auch die Öffnung in der Mitte, mittels welcher man das Möbel ordentlich anfassen kann, durch den weit aufgerissenen Mund des Fratzengesichtes gebildet.

Natürlich wurden diese Lehnen für Möbel der bürgerlichen Kreise ver- wendet; die häufige Bezeichnung »Bauernstühle« für solche rührt nur daher, dafs sie in bäuerlichen Kreisen sich eben am längsten erhalten haben.

Nürnberg. Hans Bosch.

Ein emailliertes Glas mit dem Bilde des Sebastian Stoekhorner vom Jahre 1630.

as Bemalen der Gläser mit Emailfarben war schon in den Anfängen unserer Zeitrechnung bekannt und geübt. Auch Theophil spricht davon. Man hat es wahrscheinlich gemacht, dafs im oströmischen

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Reich und zwar nicht sowohl in Byzanz wie anfangs angenommen wurde, getreu der Theorie von der Vorherrschaft des byzantinischen Styles son- dern hauptsächUch in Alexandria, wo von alters her sich abendländisch-grie- chische und orientalische Einflüsse kreuzten , eine blühende und weit über die Lande berühmte Glasindustrie ihren Sitz hatte. Einen hohen Ruf ge- nossen dann die Gläser von Damascus, mit deren Nachahmung (»peints ä la fagon de Damas«), wie es scheint, die Venetianische Industrie begann, um allerdings später immer mehr farbloses unbemaltes Glas vorzuziehen. Als nun in Deutschland die Glasindustrie anfing, sich von dem übermächtigen Einflufs Venetianischen Gewerbes zu befreien, etwa gegen Mitte des 16. Jahrhunderts, begann man auch sofort , neben der Herstellung der schönen Römer und der künstlichen Formen der Angster , Kutrolf etc. der Freude des Jahrhun- derts an Farbe und Bild Rechnung zu tragen, indem man farblose beziehungs- weise schwach gefärbte Gläser mit figürlichen Darstellungen, Wappen etc. in opaken Farben schmückte. »Deutschlands Waldgebirge, der Böhmer- und der Thüringerwald , das Riesengebirge , der Spessart , der Schwarzwald , die Tiroler Berge u. s. w. sind zweifelsohne schon viel früher Sitze der Glas- macherei gewesen, als sich durch Daten und Gegenstände beweisen läfst ^).«

Von hier , und zwar vom Fichtelgebirge , besonders von Bischofsgrün aus scheint auch der erste Anstofs gekommen zu sein zur Bemalung der Gläser mit Emailfarben und man nennt daher die in Bezug auf die Technik einander meist sehr ähnlichen Gläser oft »Fichtelberger«, obwohl nur der kleinste Teil derselben wirklich daher stammen möchte. Auf diesen schönen Erzeugnissen des deutschen Kunstgewerbes finden wir, wie gesagt , die ver- schiedensten Darstellungen, nach denen die Gläser zum Teil ihren Namen führten (wie die Adlergläser , Kurfürstenhumpen u. dgl.). Der Geschmack daran wie die Herstellung derselben verbreitete sich allmälich über alle deutschen Lande , immerhin scheinen sie im Anfange vor allem in den südöstlicheren Gegenden Deutschlands behebt gewesen zu sein. Aus diesen stammt auch das in unserer Abbildung gegebene Glas , welches seiner Zeit aus der Sul- kowski'schen Sammlung in den Besitz des Germanischen Museums überge- gangen ist und das uns an die schweren Zeiten des dreifsigjährigen Krieges erinnert, daher nicht ohne Interesse ist.

Ein Willkomm-Glas in konischer Form ^) zeigt es uns den General- obristlieutenant Stockhorner zu Starin mit seiner Reiterschaar. Voran der Reitknecht mit dem Reservepferd seines Herren und fünf Trompeter ; dann der Obristlieutenant in völler eiserner Rüstung auf eisengrauem Pferde, das mit roter Schabracke und gelbem (wohl Metallbeschlag andeutenden) Ge- schirr aufgezäumt ist ; er trägt den Hut mit breiter Krampe, den eine weifse und eine rote Feder schmücken (wohl die niederösterreichischen Farben be- deutend), in der Hand hält er den Kommandostab , über ihm das Wappen seines Geschlechts ^), hinter ihm folgt in fünf Gliedern zu je sieben Mann

1) Bucher, die Glassammlung des k. k. Österreich. Museums. Wien, 1888 p. 22.

2) Oberer Durchmesser 14,6 cm., Höhe 29 cm.

3) gelber (goldener) Halbmond in schwarzem Felde, was, wie mir Freiherr O. von Stockhorner mitteilt, offenbar ein Irrtum des Glasmaler war, da gerade das umgekehrte, schwarzer Halbmond in goldenem Felde, richtig ist.

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Emailliertes Glas des Sebastian Stockhorner vom Jahre 16^0. (^/a der Originalgröfse.)

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sein Fähnlein Reiter, auf weifsen, braunen, eisengrauen und schwarzen Rossen. Der mittlere Mann der vordersten Reihe, der Kornet, trägt die weifse Stand- arte , in der das gelbe (golden gedachte) gekrönte F prangt , das Zeichen Kaiser Ferdinands II. Der Anzug der Reiter besteht in einem Waffenrock, welcher wohl aus Büffelleder oder aus derbem fllzartigem Tuch gearbeitet war und bei den Reitern von gelber, bei dem Reitknecht und den Trom- petern von brauner Farbe ist, ferner braunen oder blauen weiten Hosen und in derselben Abwechslung gelben oder schwarzen grofsen Reitstiefeln. Sie tragen weifse Halskrausen und blaugraue Hüte mit weifsen Federn; an schwarzem Bandelier hängt der Pallasch herab*), vorne am Sattel ist der Karabiner befestigt, wie es scheinen möchte in schwarzem Lederfutteral. Die Pferde sind gelb oder schwarz geschirrt und tragen eine Schabracke aus gelbem Tuch (in einem Fall auch schwarz). Den Beschlufs macht, in derselben Tracht, der Profofs ; auf ihn deutet der Stock in seiner Hand. Der Boden ist eine ziemlich gleichmäfsige Rasenfläche ; nur unter dem Profofsen, der auf der Höhe der mittleren Rotte reitet, spriefst noch ein besonderer Grasbüschel hervor, um den Raum auszufüllen und die Perspektive anzudeuten. Anfang und Ende des Zuges werden durch eine hochstenghge Lilie von einander getrennt. Ueber dieser Darstellung lesen wir die Inschrift: »Sebastian Stockharner zu Starin . Ob . Leitenant. 1630.« Ein jetzt ziemlich abgeriebener , fast 1 cm. hoher , goldner Streifen schlofs das Glas ab, begleitet unten von einer, oben von zwei Reihen weifser Schmelz- perlen. Ein schmales rotes und ein gelbes Band gehen unter dem Bilde her. Wo der Fufs an das Glas ansetzt, war ursprünglich gewifs ein goldener Streifen wie der obere, der vermutlich, weil er ganz abgegriffen war in neuerer Zeit durch einen solchen von braunroter und gelber Oelfarbe ersetzt wurde, damals malte man auch mit gleicher Farbe die Verzierung des Fufses, der offenbar zerbrochen war, was man durch die auf der Innenseite darüberge- schmierte gelbe Farbe zu verdecken suchte. Im Uebrigen ist das dünne, fast farblose nur leicht grün schimmernde Glas mit guten schönen Emailfarben gemalt, in deren Wahl und Zusammenstellung sich deutlich der Farbensinn des ausgehenden 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts offenbart ^). In der Anordnung des Zuges bei dem die Perspektive in der bekannten primitiven Weise, durch Höherstellung der hinteren Figuren, gegeben ist scheint so ziemlich die damals übliche militärische Ordnung beibehalten. Es handelt sich offenbar um eine Karabiniers-Eskadron oder eine ähnlich bewaffnete Truppe, worauf das Gewehr (Karabiner.?) und der Pallasch deutet, denn durch letzteren unterschied sich diese Kavallerie von den Dra- gonern, die ein kurzes Seitengewehr trugen*^). Eine Eskadron »Reuterschützen«

4) der gerade um diese Zeit immer mehr aufkam.

5) Die Farbe ist gut erhalten, nur an wenigen Stellen verschwunden.

6) G. Heilmann. Das Kriegswesen der Kaiserlichen und Schweden zur Zeit des dreifsigjährigen Krieges. Meifsen 1850. Die Unterscheidung scheint allerdings nicht sehr scharf gewesen zu sein ; Ritter Melzo zum Beispiel (siehe weiter unten) kennt dieselbe nicht. Für eventuelle Fehler in kriegs- bezw. heeresgeschichtlicher Beziehung bitte ich von vornherein um Entschuldigung.

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sollte nach zeitgenössischen Schriftstellern höchstens 50 60 Mann stark sein und in 3, 4, 5 oder 6 Gliedern stehen. Unsre Schwadron ist auf 35 Mann reduziert und in 5 Gliedern zu je 7 Mann breit , aufgestellt. Die sonstige übliche Anordnung gibt Heilmann') folgendermafsen : > Der Fähndrich befand sich in der Mitte des ersten Gliedes. Der Lieutenant zunächst vor der Mitte der Eskadron. Vor ihm die Trompeter. Vor diesen der Rittmeister und zwischen diesem und den Trompetern des ersteren Leibknecht.« Die Dar- stellung auf unserem Glas weicht von dieser Schilderung nur wenig ab. An der Spitze der Reitknecht mit dem Reservepferd vor den Trompetern , wie üblich. Anstatt vor dem, Knecht reitet der Kommandeur hinter den Trom- petern , da wo sonst der Platz des hier gänzlich fehlenden Lieutenants ist.

Ritter Melzo gibt folgende Beschreibung von der Thätigkeit der Reuter- schützen :^)

»Der gebrauch der Reuterschützen ist von den Franzosen in den letzten

Kriegen in Piemont erfunden worden, Als man den nutzen

gespürt, welcher von dieser art Soldaten kam, so hat man in den Spanischen Heeren auch angefangen, derselben etliche anzunehmen: Und als der Duc d' Albe ins Niderlandt kam , brachte er deren etliche Compagnien mit sich. Die Schützen führten erstlich Rohren mit Lunten: Aber hernach hat man befunden, dafs die Rohren mit dem Radt zu Pferdt dienlicher sind, wie sie noch gebraucht werden. Diese Reuter sind sehr nützlich, wann man sie recht braucht, insonderheit sind sie gut, die Quartieren zu bewahren, und auff das Geleit zu reiten, fürnemlich wann Wägen darbey sind, damit sie die Strassen bereuten und kundtschaft einnehmen. Sie können auch bifsweilen im fort- ziehen von ihren Pferden absteigen , und einen guten standt einnemen , aufs welchem sie dem Feind einen abbruch, und bessern widerstandt thun mögen, im Fall er stärcker ist an Volck. Man schickt sie auch bifsweilen auffs Feldt hinaufs, damit sie den Feind mögen angreiffen und überfallen, nach dem sie seiner von weitem ansichtig worden : Und dieweil sie ohne Rüstung und leicht sind, können sie dem Feind grossen bedräng an thun, wann er mit dem gantzen Heer auffbricht, oder mit einer anzahl Reutern sich zu rück begibt, welchem sie mit stetigem schissen hart zusetzen mögen. Gleichwol sollen sie auf allen fall einen hinderhalt von Speer-Reutern oder Kürissern haben. Über difs so sind sie sehr nützlich, eine stelle zu bewahren, damit dem hauffen, welcher aufsgeritten, kundtschaft einzunemen oder sonst etwas ander zu verrichten, der Weg nit verschlossen werde. Sonderlich sind sie bequem zum Abzug in einem Landt, das befestigt ist : Dann sie können absteigen , Brücken und andere schmale örter einnemen. Der dienst ist auch nicht gering zu schetzen,

7) a. a. O. p. 38.

8) Kriegs-Regeln d. Ritters Ludwig Meltzo Malteser Ordens. Wie eine Reuterei zu regieren und was man für einen sonderbaren Dienst von derselben haben könne. Frank- furt. Bey Caspar Rödtel : In Verlegung Peter Mareschals, 1625. (Deutsch u. französisch.) Der Autor kennt nur drei Arten Cavallerie: Speerreuter, Kürrisser und Reuterschützen, welche letzteren er auch Dragoner nennt. Der Name war erst kurz aufgekommen und feinere Unterscheidungen wurden wohl erst später gemacht. Melzo scheint unter dem Namen Dragoner auch die Karabiniers zu verstehen, die er gar nicht anführt.

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den sie können leisten, wann sie behend eine Stell einnehmen, da das Fufs- volk nit so bald kommen könnte, wie es die Notturfft erfordert, und würde dasselbe nothwendig im stich bleiben.« Auch als Garde wurde diese Truppe oft verwendet nach der Aussage unsres Ritters : »Der Generalissimus pflegte zwo Compagnien zu seiner Leibquardi zu haben, eine von Speer-Reutern, die andern von Schützen....« Es ist leicht möglich, dafs die auf unserm Glase abgebildete Eskadron letzterem Zwecke diente. Sebastian Stockhorner be- kleidete nämlich^) lange Zeit die Stelle eines General-Land-Oberst-Lieutenants ^*'), welche sein Oheim, Adam Stockhorner, Ende des 16. Jahrhunderts längere Zeit inne gehabt hatte. Sie war eine der hervorragendsten des Landes, die nächste nach dem General-Landobristen, dem obersten Befehlshaber des Lan- desaufgebots, welcher stets der dem Herrenstande entnommene Landmarschall war. Der General-Landobristlieutenant war dessen Stellvertreter und wurde aus den Mitgliedern des Ritterstandes gewählt. Beide Befehlshaber hatten die Pflicht , das Land gegen feindliche Einfälle zu schützen und , falls sich der Landesherr bei dem Landaufgebot einfand, mit demselben auch aufser Landes zu ziehen. In dieser seiner Würde ist Sebastian auf unserm Glas abgebildet und mit ihm die Garde ^^), die ihm, bezw. dem Generallandobristen sicherlich zur Verfügung stand.

Sebastian Stockhorner von Starein entstammte einem der ältesten Geschlechter des ritterschaft- lichen Uradels in Niederösterreich. Im 12. Jahrhun- dert, wahrscheinlich mit den Babenbergern dahin gekommen, nannte sich dies Geschlecht von Stocharn und besafs aufser der bei Eggernburg gelegenen Stammveste Stocharn (dem heutigen Freiherrlich von Suttner' sehen Schlosse zu Stockern) eine Reihe von Vesten, Herrschaften und Gütern in jener Ge- gend. Von dem gemeinschaftlichen Stammvater Ortolfus I de Stocharn (1293 und 1298 genannt) stammten die beiden Linien ab, deren ältere etwa um 1500 erloschen ist, während die jüngere jetzt noch blüht. Die letztere nannte sich etwa von 1400 an nach dem Besitz einer Hardegg'schen Lehens- veste bei Hörn in Niederösterreich: »zu Starein«. Diese heute dem Fürsten Khevenhüller gehörige Herrschaft wurde infolge der dem dreifsigjährigen Kriege vorangehenden Verhältnisse im Jahre 1618 verkauft. Dieser jüngeren Linie entsprofs Se- bastian. Geboren 1586 als Sohn des Abraham, ritterschaftlichen Oberviertelshauptmann, und der

9) Die Notizen über die Familie Stockhorner und das Leben , sowie die Stellung des Sebastian Stockhorner verdanke ich der Güte des Freiherrn Otto Stockhorner von Starein in Freiburg, der so liebenswürdig war, mir eine Skizze zur Verfügung zu stellen, die ich gröfstenteils im Wortlaut wiedergegeben habe.

10) in Niederösterreich. 11) oder das Landaufgebot?

Seliastian Stnckhorner. (Hi (lerOii^inalgTöfse.)

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Margareta, geb. Hager von Aliensteig, erscheint er zum ersten Mal kurz nach dem Ausbruch des dreifsigjährigen Krieges, am 12. Dezember 1619 als Ritt- meister einer Reiterkompagnie. Er war, wie sein ganzes Geschlecht, ein über- zeugter und eifriger Protestant, wohlbewandert in der Bibel, in welche er seine Haupterlebnisse aufzeichnete.

Damals zogen schwere Zeiten über Niederösterreich und seine Prote- stanten empor. Diese hatten 1609 endlich eine gesetzliche Stellung errungen, die ihnen aber bald wieder bestritten wurde durch den allmächtigen Ratgeber des Kaisers , den Bäckerssohn , späteren Kardinal Khlesl. Indefs konnten sie unter der Regierung des schwankenden Matthias den Gang der Dinge noch ruhig mit ansehen, gefährlich wurde ihre Lage erst, als Erzherzog Fer- dinand, der spätere Kaiser Ferdinand IL, zum Nachfolger ernannt wurde und auch den Thron bestieg. Auf ihn setzte man grofse Hoffnungen von katho- lischer Seite und mit Grund, hatte er doch bereits in seinen Erblanden, Steier- mark, Kärnthen und Krain, gezeigt, wie Ernst es ihm sei mit der Ausführung seines in Loretto gethanen Gelübdes : der Vertreibung der Protestanten. Begreif- licherweise standen diese dem neuen Herren mit Mifstrauen gegenüber und dies Mifstrauen genährt durch geheime Wühlereien führte bekanntlich in Böhmen zum Ausbruch des unheilvollen grofsen Krieges. Die anfänglichen Erfolge der böhm- ischen Waffen rissen auch die Glaubensgenossen in Niederösterreich mit, die nun den König mit Forderungen bestürmten und teilweise geradezu eine drohende und heftige Sprache führten, so bei jener berühmten Audienz in der Burg, in deren Verlauf, der Sage nach, einer der Protestanten, Thonradel, den König sogar an den Knöpfen seines Wamses gepackt haben soll und die dann durch das Erscheinen von 400 Kürassieren einen so kläglichen Ausgang fand. Ob Se- bastian Stockhorner bei diesen Aktionen mitthätig war , wissen wir nicht ; Thatsache ist, dafs er fest auf der Seite seiner Glaubensgenossen stand. Am 3. August 1620 unterzeichnete er zugleich mit seinem Vetter Ehrenreich Stockhorner zu Hörn den Eid der verbündeten Stände von Ungarn, Böhmen und Oesterreich zur Erhaltung ihrer politischen und religiösen Freiheiten und scheint überhaupt an den in Hörn gepflogenen Unterhandlungen teilgenommen zu haben. Er befand sich somit in vollem Aufruhr gegen seinen Kaiser und Herrn und war ein Anhänger der Partei des Winterkönigs. Nach der Schlacht am weifsen Berge, dem völligen Zusammenbruche der Gegner Ferdinands IL, wurde Sebastian begnadigt, entging also dem traurigen Schicksale vieler seiner Genossen, hingerichtet oder aufser Landes gewiesen und seiner Güter beraubt zu werden. Am 25. Juli 1622 vermählte er sich mit Anna Maria Artstöt- terin, Tochter des Herrn Christoph Artstötters von Artstötten zum Wartberg und Zahlhof und der Frau Anastasia Artstötterin, geb. Kienastin von Tonbach auf Falkenberg, im Schlosse zu Hörn. Getraut wurde er in der Kirche des nahegelegenen Breitenaich durch den evangelischen Pfarrer, der damals noch zu Wildsperg Sitz hatte. Er kaufte von Franz Wiesent von Wissenburg das Gut Grünau, wo er das Schlofs neu erbaute, das nachher den Namen »Hein- richs« erhielt. Im Mai 1629 leistete er mit dem Ritterstand dem Kaiser Ferdinand IL die Erbhuldigung und scheint überhaupt ein getreuer Unterthan

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. X.

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geworden zu sein , der die Bitterkeit seines beleidigten protestantischen Ge- mütes nicht merken Uefs und redlich seinem Lande diente. Als General- Landoberstlieutenant, in welcher Würde wir ihn abgebildet sahen, wird Se- bastian Stockhorner zum ersten Male 1627 und zum letzten Male 1642 genannt, dann war er bis 1645 ständischer Oberkommissär des Viertels ob dem Mann- hardtsberg. Er starb wahrscheinlich 1661 und wurde in der Stockhorner- schen Gruft in Weitersfeld begraben. Sein Gut Heinrichs ging auf seinen einzigen Sohn, Johann Friedrich über, dessen Söhne 1669 in Folge erneuten Drucks der Gegenreformation ins Reich flüchten mufsten und deren Nach- kommen Ende des vorigen Jahrhunderts unter der weisen Regierung des gü- tigen Markgrafen Carl Friedrich im Lande Baden wieder eine dauernde Heimat gefunden haben ^^).

So sind wir durch unser Glas an bedeutende Zeiten der deutschen Ge- schichte erinnert worden , an die Zeit der Glaubenskämpfe und jener unheil- vollen Ereignisse, die dem reichen Leben und der aufblühenden deutschen Kunst des sechzehnten Jahrhunderts ein schreckliches Ende bereiteten. Aber der Durst des Deutschen hat darunter nicht gelitten, (unser Glas fafst 2 Liter) und mit der Freude am Trinken blieb die Freude an schönen Gläsern. So erhielt sich die volkstümliche Art der Glasbemalung bis an das Ende des achtzehnten Jahrhunderts, ja in, allerdings sehr bescheidenen Ausläufen bis in unsre Zeit, in welcher man, wie so manchen alten Industrieen , auch dieser wieder zu neuem Leben verhelfen will.

12) Vgl. die Schrift: »Die Stockhorner von Starein« von Frhrn. Otto Stockhorner von Starein , Grofsherzogl. Bad. Kammerherrn und Landgerichtsrat in Freiburg. 1896.

C. Konegen Wien.

Nürnberg. M. Wingenroth.

Über die Technik eines frühgotisehen Glas- gemäldes im germanischen Museum.

as in der neuen Ausgabe des Glasgemäldekatalogs erstmals abge- bildete Glasgemälde M. M. 29 Tafel VII verdient besondere Be- achtung wegen der vollendeten Technik , mit welcher durch ver- schiedenen Auftrag der einzig verfügbaren Schmelzfarbe, des Schwarzlots, eine grofse Anzahl feiner Nüancierungen des einfarbigen Hüttenglases erreicht ist. Es wurde in der Versteigerung der Freiherrlich von Zwierlein'schen Sammlungen zu Geisenheim 1887 erworben und trägt die Nummer 145 im Versteigerungskatalog. Nach der Einleitung zu diesem Katalog von Ernst aus'm Weerth besteht die Familientradition, sie seien aus St. Kunibert in Köln. Die stilistische Verwandtschaft mit Chorfenstern von St. Kunibert und der frühkölnischen Malerschule überhaupt mifst dieser Tradition viel Wahr- scheinlichkeit bei. Die Entstehung mag also in die ersten Jahrzehnte des XIV. Jahrhunderts fallen.

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Die Linien, besonders der Gesichter und auch des nackten Christkinds, lassen manches zu wünschen übrig, die Fehler erscheinen jedoch in der Ab- bildung bedeutend kräftiger als im Original, da die Linien des Schwarzlots durch Überstrahlen des farbigen Lichts (besonders bei den magern Händchen) korrigiert werden. Bedeutend aber ist die Farbenzusammensetzung und deren Abtönung durch Schwarzlot.

Die Wahl der Farben ist eine äufserst glückliche und die Wirkung des Glasgemäldes eine durchaus harmonische. Die ganze Figur hebt sich ruhig und bestimmt von dem dunkel gehaltenen Grund ab und über ihr leuchtet die Krone und der Heiligenschein.

Wenn C. Elis (in Seemann's Kunsthandbücher, Glasmalerei S. 76) zu dem Schlufs kommt, dafs zu harmonischer Wirkung die Verwendung von Blau. Rot und Gelb im Verhältnis 5:3:1 geschehen möge, so dürfte das ungefähr bei unserem Gemälde zutreffen. Theophilus in seinem Tractat über die Glasmalerei (herausgegeben von Ilg, Bd. VII der Quellenschriften für Kunstgesch.) rät schon sehr sparsame Verwendung von Gelb: Croceo vitro non multum uteris in vestimentis nisi in coronis et in eis locis ubi aurum ponendum esset in pictura. Offenbar verwendet er auch ganz dieselben farbigen Gläser, z. B. sagt er cap. XXI, imagines vesties cum saphiro, viridi, purpura et rubicundo. Leider gibt er nur die Fabrikation des gelben, fleisch- farbenen und purpurnen Glases an, wobei er sich aber auch auf den Zufall zu verlassen scheint, während er sagt, dafs Franci (in hoc opere peritissimi) Saphirglas und anderes zu giefsen und schmelzen verstehen.

Noch bewundernswerter als die Auswahl der Farben ist aber die Eingangs erwähnte beinahe raffinierte Anwendung des Schwarzlots. Je nach Bedürfnis trägt es der Glasmaler dicker oder dünner in Strichen oder in Tönen auf die Vorder- oder Hinterseite des Gemäldes oder auf beiden zugleich auf.

Alle Umrifslinien sind mit Bleiruten gebildet, da ja die Zeit unsres Glas- malers (Anfang des XIV. Jahrhunderts) noch kein Malen mit Farben kennt. Aber das dick aufgetragene Schwarzlot mufs, wo die Bleiruten den scharfen Umrifsen nicht folgen könnten, letztere herausheben. So, wie erwähnt, bei den Blättchen und Sternchen des Hintergrundes, den Korb kann er sogar durch dieses Mittel auf dasselbe Glasstück bringen wie die ihn haltende Hand.

Die schwarzen Umrahmungen sind beinahe millimeterdick aufgetragen und der Umrifs ist mit einem scharfen Instrument ausgeschnitten. Bei der Krone aber, wo ihm besonders darum zu thun ist, dafs die scharfe Zeichnung durch die leuchtende gelbe Farbe nicht überstrahlt werde '), legt er (aller- dings in unscharfen Konturen, denn scharfe wären doch wegen der Fenster- dicke wertlos) auch auf die Rückseite eine dicke Schicht um die Krone herum. Sie leuchtet denn auch aus dem Dunkel wie blitzendes Gold hervor. Man wird an das Abdecken photographischer Negative auf der Rückseite , das ganz denselben Zweck hat, erinnert.

Die Innenlinien der Fleischteile und die Gewandschatten werden fein gezeichnet, zunächst mit Strichen, aufserdem aber sind stärkere und schwächere

1) Vgl. hiezu die Ausführungen von C. Elis a. a. O.

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Schattentöne fein verwaschen darüber lasiert, so dafs eine Reihe von Nüan- cierungen auf demselben Glas erreicht ist. Auch die Fleischteile sind fein getönt, so tritt der Hals in Schatten, der obere Teil der Stirn wird von der Krone beschattet. Bei dem blauen Mantel könnte man leicht an Malerei mit Farben denken. Man erinnert sich lebhaft des Caput XX der schedula »Von den drei Schattentönen«-): idem tractus in una parte sit densus , in altera levis, atque levior cum tanta diligentia discretus quasi videantur tres colores appositi.

Während nun der hermelinartige weifse Besatz des blauen Mantels durch schwarze Töne auf der Vorderseite dargestellt ist (in der Abbildung Tafel VII des Katalogs schlecht durch Striche ausgedrückt), zeigt das ganze übrige Gewand neben der eingehenden Schattierung eine reiche Damascierung auf der Rückseite, wodurch der Natur entsprechend die Hermelinzeichnung kräftig wirkt, während

das Rankenmuster hinter den Scheiben nur leise durchschimmert. Die ganze Rückseite der Scheibe wurde mit einem Schwarzlotton, der einem mittleren Schatten an Stärke gleichkommt , zugedeckt und dann wurde mit einem Holz (dem Pinselstiel) das Rankenmuster hineinradiert ohne Rücksicht auf die Gewandfalten, dagegen komponiert in die Glasstücke. Bei den rundlichen Blättchen blieben dabei oft unabsichtlich kleine Teile des Farbentones stehen, wie ich es auf vorstehender Skizze zu zeigen versucht habe. Die beiden Stücke sind vom Brustteil des Mantels im Gegensinn zur Wiedergabe der ganzen Figur (Katalog Tafel VII). Diese Rankenmuster fehlen bei den ergänzten Stücken, welche sich dadurch sofort als Ergänzungen repräsentieren, so be- sonders an dem Stück der rechten Schulter, wo aufserdem auch auf der Vor- derseite die Faltenzeichnung fehlt.

Nürnberg. Karl Franck.

2) Ilg übersetzt de coloribus Tribus: »von den 3 Farben ...... Offenbar sind blos

drei Abstufungen der einzigen Caput XIX erwähnten Farbe des Schwarzlots gemeint: »de colore cum quo vitrum pingitur.« Unter Tractus ist in demselben Capitel jedenfalls meist ein breiter Pinselzug gemeint, kein schmaler Strich, in welchem die Abtönungen ja nicht zur Geltung kämen.

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Das Nürnberger Geschlechterbueh von 1563.

-m Jahre 1892 habe ich im »Kataloge der im germanischen Museum vorhandenen zum Abdrucke bestimmten geschnittenen HolzstöGke<' unter Hst. 153 390 238 Holzstöcke aufgeführt, welche zur Her- stellung eines grofsen Nürnberger Geschlechterbuches bestimmt waren. S. 64 dieses Katalöges ist bemerkt worden: »Es ist uns nur ein Exemplar des mit diesen Holzstöcken gedruckten Geschlechterbuches bekannt geworden , das sich im Besitze eines Berliner Antiquars befand, gut gedruckt und altkoloriert war.« Diese Mitteilung verdankte ich Geheimrat Dr. von Essenwein. Es ist begreiflich, dafs ich nach diesem Geschlechterbuche fahndete und sehr erfreut war, in der Bibliothek Sr. Excellenz des Grafen Hans von Wilczek ein Exem- plar zu finden, der es nach gütiger Mitteilung des Herrn Dr. Karl Mandl von einem kleinen, seither wahrscheinlich verschollenen Wiener Antiquar, der ihm das Buch zu Anfang der 80er Jahre ins Haus brachte, gekauft hat. Ob nun das angebliche Berliner Exemplar mit dem Wiener identisch ist, Essenwein den Sachverhalt nicht mehr genau im Gedächtnis hatte, oder gar zwei Exem- plare existieren, kann ich leider nicht feststellen, doch bin ich geneigt, das Wilczeksche für das einzige Exemplar anzusehen. Mit gewohnter Liberalität überliefs mir der ausgezeichnete Sammler das schöne Geschlechterbuch um das Verhältnis seiner Abbildungen zu dem im Germanischen Museum befind- lichen Holzstöcken feststellen zu können.

Das Geschlechterbuch (Nr. 10 203 der Gräflich Wilczeck'schen Bibliothek) ist ein stattUcher, in braunes geprefstes Leder gebundener Foliant, dessen ein- zelne Blätter eine Breite von 26,5 und eine Höhe von 39,5 cm. haben. Leider fehlt der Anfang desselben mit sammt dem Titelblatt, das vielleicht Aufschlufs über den Urheber gegeben hätte.

Zunächst soll lediglich der Text und die Anlage des Buches einer Betrachtung unterzogen werden. Ersterer berichtet zunächst wie so viele handschriftliche Nürnberger Chroniken über die deutschen Kaiser und ihre Beziehungen zu Nürnberg. Da aber, wie gesagt, der Anfang der Hand- schrift fehlt, so beginnt dieselbe mit Heinrich IV. »Dieser kaiser Hainrich der viert wurde gar mechtig , reich und glückhaftig , dessen er sich seer übernam« etc. Für diesen Text hat der Verfasser des Geschlechterbuches die Chronik Sigmund Meisterlins benützt, der schreibt: »Dieser Hainrich was gar mechtig und reich und glückhaftig , dorumb fiel er in hoffart u. s. vv. ^) Doch hielt sich der Verfasser des Geschlechterbuches nicht sklavisch an Meisterlin, sondern zog aus demselben nur aus, was er brauchen konnte und verarbeitete dies auch in freier Weise. Auf Bl. 3b des nicht paginierten Textes, auf welcher die Wahl Heinrichs VI. berichtet wird, fällt der Ver- fasser nun in die Grube, welche Georg Rüxner in seinem Werke »Anfang: vrsprung: j vnnd herkomen des | Thurnirs in Teutscher nation.« | etc.

1) Die Chroniken der deutschen Städte, III: Nürnberg III, S. 80. Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XI.

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(Siemern 1530) so vielen Geschichtsschreibern des 16. bis 18. Jahrhunderts gegraben. Er erzählt frei nach Rüxner das Turnier, welches Heinrich VI. im Jahre 1198 in Nürnberg gehalten haben soll und die Festlichkeiten , welche damit verbunden gewesen sein sollen. Mit Rüxner berichtet er sodann, wie der »Kaiser zum Schlufs einem Tanz beigewohnt in nachfolgender Weise (Bl. 4b u. 5a): »Und als der kaiser vom tanz abschaiden wollt, und von frauen und junkfrauen Urlaub genommen hette, beschickte er die zween burgermeister und etliche des raths; liefs ihnen fürhalten: nachdem etliche fürsten in Un- willen abgeschieden werden , auch andere irrung im reich sein mochte , und aber er dieser zeit nit leut genug bei sich hette, wie er wol bedurfte, darumb sein billigs gesinnen, ime etliche raisige pferd zu leihen, und derer soviel inen muglich bis gen Thunewerdt zu belaiten ; das sagt ein erbar rath dem kaiser zu, in eigner person zu thun. Damit schiede der kaiser den abend frölich vom tanzhaus.

Uf solches rüsten sich des andern tags nachfolgende geschlecht., soviel ein jedes mocht , dem kaiser zu dienst , und inen ehr dadurch zu erlangen, wie dann auch geschah, welches sich kay: mt: gar nit versehen, dafs sie in so kurzer Zeit zu solcher rüstung kummen hatten kunnen.

Hernach volgen die geschlecht derjenigen , so mit dem kaiser Hainrich dem Sexten gen Thunawerdt als hie oben gemelt geritten. Deren ward oberster hauptmann Wilhelm Haller der elter, und Wilboldt Gruntherr, mit , sampt den alten klaidungen, so dazumal getragen worden, sampt jedes ge- schlechts wappen, auch wieviel ein jedes pferd gehabt.«

Dieser Text geht bis Ende des Blattes 5a, und auf 5b folgen hierauf die Abbildungen , welche das Geschlecht repräsentieren , je eine Figur und ein Wappen, wobei für jedes Geschlecht immer eine ganze Seite in An- spruch genommen wird. Es geht auch jetzt erst die Nummerierung der Seiten mit 1 an und zwar in der Weise, dafs nicht die beiden Seiten eines und desselben Blattes eine Nummer bilden, sondern die zwei einander gegenüber- stehenden Seiten im Register unter einer und derselben Ziffer angeführt wer- den. Es kommen nun die 20 Geschlechter, welche nach Rüxner mit dem Kaiser angeblich nach Donauwörth geritten sind. Sie stimmen genau mit Rüxner überein , wenn die Reihenfolge in unserem Geschlechterbuche auch einige Abweichungen zeigt.

Bl. la die Waldstromer. Bl. Ib die Haller. Bl. 2a die Grundtherrn. Bl. 2b die Vorchtel. Bl. 3a die Tucher. Bl. 3b die Volckmair (Volckamer). Bl. 4a die Bilgram von Eyb. Bl. 4b die Tetzell. Bl. 5a die Koler. Bl. 5b die Muffel. Bl. 6a die Rutzen. (Das Blatt mit Seite 6b u. 7a fehlt; nach dem Register, das sich am Ende der Handschrift befindet, standen auf Bl. 6 b die Nordtwein, Bl. 7 a die Pehaim.) Bl. 7 b die Segwein. Bl. 8 a die Grossen. Bl. 8b die Zenner. Bl. 9a die Ebnner. Bl. 9b die Riedtter. Bl. 10a die Menndel. Bl. 10b die Gruber. Bl. IIa die Schurstab. Bl. IIb die Sachsen. Bl. 12a die Holtschucher. Bl. 12b die Escheloer. Bl. 13a die Stainlinger. Bl. 13 b die Lemmell. Bl. 14a die Ammon. Bl. 14b die Cunherrn. Bl. 15a die Prunster. Bl. 15b die Keypperr. Bl. 16a die Inngram. (Bl. 16b und

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17a fehlen; nach dem Register standen hier Bl. 16b die Schützen, Bl. 17a die Meuerl.) Bl. 17 b die Eissenwanger. Bl. 18 a die Elwanger. Bl. 18 b die Kressen. Bl. 19a die Reinsperger. Bl. 19b die Schlewitzer. Bl. 20a die Tracht. Bl. 20 b die Stromair und Nutzell.

Auf jeder dieser 20 Doppelseiten ist oben der Name des betreffenden Geschlechtes geschrieben. Darunter steht dann in kleinerer Schrift: »Diß geschlecht hat die kay. mt. gen Thunewerdt helfen belaiten mit . . ^) pfer- den, und ist solich geschlecht als man zalt 1563 nit abgestorben.« Diese Überschrift, welche uns das Jahr 1563 als das Entstehungsjahr dieses Buches verrät, wiederholt sich, abgesehen von kleinen Änderungen ganz stereotyp bei den Familien, die damals noch in Nürnberg florierten. Bei den 1563 be- reits ausgestorbenen Geschlechtern (19 an der Zahl) steht : »und ist solich geschlecht als man zalt 1563 lang darvor abgestorben.« Damit begnügte sich der Verfasser aber nicht , sondern schablonierte noch ein ziemlich grofses rotes Kreuz auf die betreffende Seite und setzte in frommer Weise hinzu »Requiefcant in pace«. Auch die Stainlinger (Bl. 13a) werden als abgestorben bezeichnet. Von anderer Hand, die auch Unrichtigkeiten bei den Wappen feststellt, ist aber beigesetzt: »ist nit abgestorben«. Auf diese Korrekturen wird später noch zurückgekommen werden. Bei den Bilgram von Eyb (Bl. 4 a) dagegen ist bemerkt »diß geschlecht ist hinaus unter den adel kummen«.

Unter diesen Überschriften und Texten ist dann auf jeder Seite eine männUche Figur in Holzschnitt von ca. 23—26 cm. Höhe, die mit der Hand sorgfältig koloriert und dem betreffenden Familienwappen zugewendet ist, das zu ihren Füfsen ruht. Über diese Figuren und Wappen wird später aus- führlich berichtet werden.

Den bezeichneten 40 Familien reihen sich auf Bl. 21a »die Pfintzing zuvor Geyer« ^) an, von denen berichtet wird: »Diß geschlecht hat die kay: mt: gen Thunawerdt nit helfen belaiten, dieweil es aber von raths wegen zu den turniervogten beschieden und dazumal gewest , hab ich solichs auch hier zugesetzt; und ist soHch geschlecht als man zalt 1563 nit abgestorben.« Die Angabe, dafs kein Pfinzing mit nach Donauwörth geritten , stimmt mit Rüxner nicht überein, denn dieser sagt*), dafs über die Nürnberger so nach Donauwörth geritten seien, Wilhelm Haller der Äkere und mit ihm Wilboldt Grundherr, oberster Hauptmann, und Andre Göit, genannt Pfintzing, Kammer- meister gewesen seien. Es hätte also doch ein Pfinzing den von Rüxner erfun- denen Ritt nach Donauwörth mitgemacht.

Auf Bl. 21 b folgt dann »Wie hievorgemelte geschlecht von kay: mt: abgefertigt sind worden«. In dieser Erzählung folgt der Verfasser des Ge- schlechterbuches wiederum Rüxner ^), der erzählt , dafs der Kaiser die ge- nannten Geschlechter »mit sundern gnaden und freiheiten von neuem geert

2) Hier steht immer die betreffende Zahl, die genau mit den Angaben bei Rüxner übereinstimmt.

3) Von anderer alter Hand beigesetzt : Geuschmitt.

4) a. a. O. Bl. clxxxixb.

5) a. a. O. Bl. clxxxxj a u. b.

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und erhaben hat«. Während nun aber Rüxner berichtet, dafs »wo sy sich der AdelUchen Tügent vnd Freyheiten jres Adellichen Stannds furbaßhyn halten wollen, vnd gemeiner Burgerschafft der Stat Nürmberg allen jren handel vnd gewerb frey lassenn, sich des nit bekümniern, wie sy bißher gethan haben, In solcher maß erhöcht die Keyserlich Maie- stat diese Geschlecht alle in jrem Adelichen stannde, erhebt vnd freyt sy von neuem in allen Erlichen vnd Adellichen dyngen, das sy allen Edeln geschlech- tern vff dem Lannd (in des heiligen Reichs gebyte) gleich , gehalten werden sollenn« etc. etc., hat der wohl dem Nürnberger Patriziate angehörende Ver-

Hst. 155.

fasser des Geschlechterbuches die Bedingung, sich bürgerlicher Handtierung zu enthalten, einfach weggelassen.

Nun beginnt eine zweite Serie Nürnberger Geschlechter. Die Überschrift auf Bl. 22a für diese Abteilung lautet: »Hernach volgende geschlecht sind innerhalb zehen jarn vor dern auflauf in den rath kummen und gangen, welche ich auch unterschiedlich mit ihren claidungen und wappen gesetzt wie volgt.« Unter dieser Überschrift ist, ebenfalls .mit der Hand koloriert, in Holz- schnitt der geteilte Nürnberger Schild, wie er vorstehend wiedergegeben ist ^).

6) Auch abgedruckt im >Katalog der im german. Museum befindlichen Holzstöcke« S. 66 (Hst. 155).

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Auf Bl. 22b stehen dann die Ortlieb. Ihnen reihen sich an Bl. 23 a die Eisfogell. Bl. 23b die Kuedorffer. Bl. 24a die Menttelein. Bl. 24b die Katterpeck. Bl. 25 a die Schmugenhoffer. Bl. 25 b die vom Neuenmarck. Bl. 26a die Schopper. Bl. 26b die Weygell. Bl. 27a die Teuffell. Bl. 27b die Pucken. Bl. 28a die Geuschmidt. Bl. 28b die Nadler. Bl. 29a die Langman. Bl. 29 b die Kreutter. Bl. 30a die Essler. Bl. 30b die Seuboltt. Bl. 31 a die Grolandt. Bl. 31 b die Geuder.

Die Ausstattung dieser Serie reiht sich jener der ersteren genau an. Auf jeder Seite steht in Holzschnitt eine kolorierte männliche Figur, daneben das Familienwappen, oben der Name der Figur und unter diesem immer der Text: »Diß geschlecht ist vor dem auflauf in den rath gangen , als man zalt nach Christi geburt anno 1340, und ist solich geschlecht als man zalt 1563 nit abgestorben« oder »lang darvor abgestorben«, was mit den meisten dieser Familien der Fall gewesen. Die Jahrzahl 1340 ist nicht gleichmäfsig bei allen Geschlechtern angegeben; sie steigert sich allmählich bis 1348. Das schab- lonierte rote Kreuz etc. findet sich ebenfalls bei den abgestorbenen Familien nicht allein dieser zweiten, sondern auch der folgenden Abteilungen.

Auf Bl. 32 a u. b wird in kurzem über den Nürnberger Auflauf von 1348 berichtet, natürlich von dem Standpunkte der Geschlechter aus. Zu Ende des letzteren Blattes findet sich die nachstehende Aufschrift über die dritte Reihe von Geschlechtern: »Hernach volgende geschlecht sind siender dem auflauf in den rath kumen , sampt iren namen und wappen verzaichnet wie Voigt.« Diese Serie enthält die Familien, welche vom Aufstande an bis zum Ende des 14. Jahrhunderts in den Rat kamen. Es werden als solche folgende angeführt ; die beigefügte Jahreszahl soll die des Eintrittes in den Rat sein. Bl. 33a die Muntzmaister (1350). Bl. 33b die Derrer (1350). Bl. 34a die Kessttell (1351). Bl. 34b die Heller (1351). Bl. 35a die Prüller (1351). Bl. 35b die Hayden (1357). Bl. 36a die Feuchtell (1359). Bl. 36b die Ehinger (1360). Bl. 37 a die Koburger (1363)^). Bl. 37 b die Bamberger (1364). Bl. 38a die vom Stain (1365). Bl. 38b die Wagner (1380). Bl. 39a die Flexdorfer (1380). 39 b die Grabner (1381). Bl. 40a die Pirckhamer (1386). Bl. 40 b die Pomer (Pömer) (1395). Bl. 41a die Grasser (1395). Bl. 41b die Paumgartner (1396). Bl. 42 a die Stainlinger (1397). Wie im ganzen Geschlechterbuche findet sich auch in dieser Abteilung wiederum auf je einer Seite Figur und Wappen mit einer Überschrift darüber, bestehend aus dem Namen und dem Texte : »Diß geschlecht ist nach dem auflauf in den rath gangen, als man zält nach Christi geburt anno (folgt die Jahreszahl) und ist solich geschlecht als man zält 1563 nit abgestorben« oder »lang darvor gestorben«.

Sodann folgt ein nichtnummeriertes Blatt , das auf der vorderen Seite leer ist , auf der Rückseite aber nur Text enthält , der über die Absetzung König Wenzels und die Entbindung des Rats und Gemeiner Stadt Nürnberg von Pflicht und Eid gegen denselben berichtet. Das Geschlechterbuch geht

7) Von anderer Hand ist beigesetzt: Dieser namen ist nit recht.

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dann ganz wie vorbeschrieben weiter: Bl. 42b die Rummel (1402). Bl. 43a die Imhoff (1402). Bl. 43b die Zollnner (1402). Bl. 44a die Valtzner (1403). Bl. 44b die Zingel (1435). Bl. 45 a die Löffelholtz (1440). Bl. 45b fehlt (nach dem Register: die Hegner). Bl. 46a fehlt (nach dem Register: die Cammermaister). Bl. 46 b die Reich (1447). Bl. 47 a die Harstörffer (1450). Bl. 47b die Stareken (1453). Bl. 48a die Hirschvogel (1453). Bl. 48b die Meichsner (1453). Bl. 49a die Röhlinger (1468). Bl. 49b die Toppler (1475). Bl. 50a die Wolff (1499). Bl. 50b die Fuerer (1501). Bl. 51a die Weisser (1504); endlich Bl. 51b die Futterer (1504).

Auf Bl. 52a fängt eine »Bauernkrieg« überschriebene kurze Mitteilung über denselben an, die auf Bl. 53 a endigt. Darunter steht dann die Bezeich- nung der vierten Reihe von Geschlechtern: »Hernach volgent geschlecht ist nach dem pauernkrig in den rath kummen , dabei es auch in dieser jarzal des 1563 jars belieben.« Das Nürnberger Patriziat hatte sich damals schon sehr abgeschlossen und erkannte selbst angesehene , wohlhabende und mit den Geschlechtern vielfach verschwägerte Familien nicht als ratsfähig an , so dafs diese vierte Reihe nur (Bl. 53 b) die Schlüsselfelder aufweist, von denen gesagt wird, dais sie 1536 erstmals in den Rat gegangen seien.

Die fünfte Serie von Geschlechtern die nun folgt, die umfangreichste der Handschrift, umfafst die vornehmen Familien Nürnbergs, die nicht in den Rat giengen, die *unrathfähigen< , wie sie in mancher Nürnberger Handschrift genannt werden. Bl. 54a enthält folgenden einleitenden Text hiezu. »Her- nach volgende geschlecht, welche einstails gar alt, sind nach der Zerstörung wiederumb hieher kumen, etlicher namen verendert worden , aber ich dieser zeit nit finden kunnen, dafs unter solchen in den rath gangen weren. Sonst das mainste tail vor und nach dem auflauf bei dieser Stadt gewesen , und noch seyen, und doch an^dere nicht, dann welche schilt in den kirchen hangent haben. Wiewol etlicher schilt jung und derer wenig sind , so haben doch unter solchen, an auslendischen orten, da sie nach der Zerstörung und auf- lauf gewont, vyl schilt und gezeucknus ; sind auch solche geschlecht, außer- halb des klainern raths , zu den furnembsten ampten und beuelchnussen ge- braucht worden , und noch gebraucht werden , darunter auch vyl so gar ab- gestorben. Wiewol etliche so hievor und hernach gemelter geschlecht namen, derselben wappen ausgebeten und doch derer stammens und herkomen gar nit seyen , allein was der name ist , hab ich dasselbig zu jedem sonderlich darzu verzaichnet , dann mich solches unpillich gedunk , dafs solche solcher guten alten geschlecht, so doch abgestorben, wappen füren sollen, sich derer rhumen und gebrauchen, welch inen nit angeboren, uf dafs solche alte ge- schlecht irer ehr auch nit beraubt werden, und dabey pleiben mögen.«

Die Überschriften der einzelnen Seiten lauten: »Diß geschlecht ist nit in den rath gangen und als man zält nach Christi geburt anno 1563 lang dar- vor abgestorben«, oder es heifst »anno 1563 nicht abgestorben«, oder »anno 1563 nicht abgestorben, sondern hinaus unter den adel kummen.« Da diese Familien ja alle bekannt sind und in den neueren heraldisch - genealogischen Werken und Handbüchern sich genaue Daten über dieselben finden, so wird

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von der Wiedergabe dieser Daten und der Prüfung ihrer Richtigkeit ebenso wie bei den vorhergehenden Geschlechtern umsomehr abgesehen , als der Wert der Handschrift ja nicht im Texte , sondern in den Abbildungen liegt. Es wird sich daher nachstehend auf die Wiedergabe der Namen beschränkt.

Bl. 54b die Styber. Bl. 55a die Neyding. Bl. 55b die Rotflasch. Bl. 56a die Schnoeden. Bl. 56b die von Lauffenholtz. Bl. 57 a die Neustetter, Lochner genannt. Bl. 57b die Vetterr. Bl. 58a die von Oehenheim. Bl. 58b die Grossen von Meckenhaussen. Bl. 59a die Seckendorffer. Bl. 59b die Tinttner. Bl. 60a die Härder. Bl. 60b die Staudigel. Bl. 61a die Haller von Bamberg. Bl. 61b die Schueler. Bl. 62 a die Pessler. Bl. 62 b die Ha- gelsheimer, Heldten genant. Bl. 63a die Vlstadt. Bl. 63b die von Dyl. Bl. 64a die Hubner. Bl. 64b die Muntzer. Bl. 65a die Ortteil. Bl. 65b die Pergenstorffer. Bl. 66 a die Hauggen. Bl. 66b die Wernitzer. Bl. 67 a die Ketzell. Bl. 67b die Knebeil. Bl. 68 a die Deixler. Bl. 68 b fehlt (nach dem Register die Heidenaber). Bl. 69a fehlt (nach dem Regi.ster die von Watth). Bl. 69 b die Riedler. Bl. 70a die Letzcher. Bl. 70b die Mindel. Bl. 71a die Kramer. Bl. 71b die Garttner. Bl. 72a die Garttner. Bl. 72b fehlt (nach dem Register die Kopffen). Bl. 73a fehlt (nach dem Register die Halbachsen). Bl. 73b die Granetell. Bl. 74a die Melber. Bl. 74b die Oster- reicher. Bl. 75a die Kettenhoffer. Bl. 75 b fehlt (nach dem Register die von Blaben). Bl. 76a fehlt (nach dem Register die Coeler). Bl. 76b die Braun- wartt. Bl. 77a die Erckel. Bl. 77 b die Schreyer. Bl. 78a die Schmittmer. Bl. 78b fehlt (nach dem Register die Lanndauer). Bl. 79 a u. b fehlen (nach dem Register die Kyffhaber und die Rech). Bl. 80a fehlt (nach dem Register die Kragen). Bl. 80b die Orttolff. Bl. 81 a die Tummer. Bl. 81 b die Voytten. Bl. 82a die Ölhaffen. Bl. 82b die Wolckastein. Bl. 83a die Vnbhauen. Bl. 83b die Rossenberger. Bl. 84a die Schedell. Bl. 84b die Bucher. Bl. 85a die Scheuerll. Bl. 85b die Kemmerer. Bl. 86a die Heugell. Bl. 86b die Roemer. Bl. 87 a die Höltzell. Bl. 87 b die Felchner. Bl. 88 a die Wintter. Bl. 88b die Stainmergl. Bl. 89a die Lussmer. Bl. 89b die Haugen. Bl. 90a die Haselpecken, Fogler genannt. Bl. 90b die Huldult. Bl. 91a die Grisen. Bl. 91b fehlt (nach dem Register die Bueler). Bl. 92a fehlt (nach dem Re- gister die Reuwein). Bl. 92 b die Mullstein. Bl. 93a die Vnrue. Bl. 93 b die Fronhoffer. Bl. 94a die Plesnitz. Bl. 94b die Pillsacher. Bl. 95a die Friwitzhoffer. Bl. 95b die Roetten. Bl. 96a die Mullner.

Aber auch mit diesen Familien ist der Inhalt des Buches noch nicht vollständig erschöpft. Auf Bl. 96 b u. 97 a wird über einige weitere Geschlech- ter Nachstehendes geschrieben: »Diese hernachvolgende geschlecht sind auch nit in den rath gangen, haben auch keine schilt in den kirchen alhie , allein solche Wappen in den kirchenfenstern oder deren orten und dafs etliche alte geschlecht, so zu inen geheirat zu finden; derhalben unterlassen, dieweil sie keine schilt in den kirchen, mit personen und klaidungen zu malen, aber umb dafs es auch gute alte geschlecht in dieses puch gesetzt, dessen sie dann wirdig , wiewol derer eins tails auch abgestorben , wie dann bey solchen zu finden und stadtliche leuth gewesen. So sind sie' auch gut darum, wann solche

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Wappen gesehen oder gefunden, man wissen könne, wer sie gewesen und wie sie gehaissen, als wie dann jedem geschlecht sein namen zugeschrieben ist.

Wiewol noch etlicher guter leut wappen in den kirchenfenstern, todten- tafeln und auf den grabstainen zu finden, sind solche hieher zu setzen unter- lassen, umb dafs sie etwas neu, jung oder zu den alten geschlechten dieser zeit nicht geheirat haben ; und dieweil es etliche vertriessen wird , dafs ichs nit auch zu hernach volgenden geschlechten gesetzt habe , halte (ich) doch

darfür, sie werden solich's aus ^) und erzelten Ursachen, guter

mainung verstehen, und mich ent (Bl. 97a) schuldigt halten, dann wo ich einen derselben wie gemelt, gesetzt hette, den andern auch setzen muessen, welches diesem buch etwas und nit wenig unfurm gemacht würde haben. Aber solcher und anderer meer wappen sollen hernach in ein ander wappen- buch gebracht werden, wie ich dann hievorn auch meidung gethan ; dan un- terschied zu halten, ist je und alwegen gued gewesen und noch, der allmech- tige guetige gott verleihe sein genadt , dafs wir hie und dort ewig mögen leben, amen.

Wiewol es auch pillich wer gewesen, den krig mit margraf Albrecht hierin zu beschreiben , dieweil aber solcher grofs , weitlauftig und lang ge- werth , davon dann gar vyl zu schreiben ist , hab ich ine in difs buch zu bringen von leng wegen unterlassen.«

Dem Inhalte des vorstehenden Textes entsprechend , sind auf den fol- den Blättern lediglich Wappen ohne »Personen und Kleidungen« gegeben und zwar auf jeder Seite zwei mit einander zugekehrten Schilden: Bl. 97 b die Reichsswirth , die von Lochaim. Bl. 98 a die Rodthan, die Sayler. Bl. 98 b die Freyen, die Rodtmundt. Bl. 99a die Spaltter, die Muntzer. Bl. 99 b die Gundelfinger, die Behaim von Weisseburg. Bl. 100a die ZoUnner, die Burck- amer.

Bl. 100b hat die Überschrift: »Hernacher wirt etlicher geschlecht halber anzaigung gethan, was gestalt und wie sich ire namen verendert, auch welche etlicher geschlecht, so abgestorben, wappen zu wegen gebracht, sampt andern guten anzaigungen mer, wie volgt.«

Es folgen sodann (Bl. 100b) Mittheilungen über die Familien Muffel, Menttelein, vom Newenmarckt, Weygell, Bl. 101b über die Prünsterr, über die Stromair und Nützel, Bl. 102a über die Pfintzing, Bl. 102b über die Haller von Bamberg, Müntzmaister und die Braunbartt, Bl. 103a über die Hayden und über die Hagelsshaimer, Helden genannt, Bl. 103 b über die von Tyl, über die Müntzer und über die Garttner, Bl. 104a über die Geuschmidt.

Auf Bl. 104 b u. 105 a finden sich als Schlufs des Geschlechterbuches nachstehende Ausführungen über die Wappen der Stadt Nürnberg:

»Anzaigung der Stadt Nürmberg wappen. Nach dem hievorn von der stadt Nürmberg anekunft, Zerstörung, und anderm angezaigt wirdt, derhalben auch von nöten gemelter stadt wappen halber meidung zu thun , dieweil solcher zweyerle , erstlich ist das wappen

8) Fehlt in Folge eines Defekts.

77

mit dem halben schwarzen adler in gelbem feld und dreyen roeten und weissen stramen, das recht alt Nurmberger wappen, welches vor der Zerstö- rung die Stadt gebraucht hat; aber nach der Zerstörung hat der kaiser da- zumal gemeine stadt von neuem mit einem wappen begäbet , und darumb, dieweil das schlofs nie gewunnen oder von dem kaiser abweichen wollen, sonder alwegen beim reich bestendig plieben und sich des schütz von dem adler beholfen , demnach er solches als einer junckfrau wirdig bedacht , und das wappen mit dem junckfraukopf, sampt einer cron, und sonsten ganzen adlers leib, welches zu gemeiner stadt insigel gebraucht wirdet, begäbet, und

Est. 154.

heutiges tags noch darzu gebraucht wirdet, und hat die mainung gar nit, dais solich wappen mit dem junckfraukopf das alt, und das ander mit den halben adler das neu wappen sein (sollt), sonder als hieob (Bl. 105a) gemelt ist; aber soviel des gerichts insigel betrifft, ist dasselbig alwegen für sich selbste gewesen, und darin kein enderung fürgenomen worden. Der liebe gott wolle uns noch bei solchen erhalten und vor krieg , Uneinigkeit , und anderm , so dieser stadt, Nurmberg, schedlich oder nachteilig sein soll, oder mocht, ge- nediglich bewaren und unsere herzen anzünden, ime darumb für alle wolthat, als unserm vater, von welchem wir alle guedtheit haben und empfahen, dar- umb dank zusagen in ewigkeit amen.«

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XII.

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Hierunter stehen nebeneinander der Nürnberger geteilte Schild, wie er sich auf Bl. 22 a des Geschlechterbuches findet und auch hier Seite 72 abge- druckt ist (Hst. 155), und der vorstehend wiedergegebene Jungfrauenadler (Hst. 154), darunter ein Schild mit dem einköpfigen Reichsadler, der in der Holzstockserie des Germanischen Museums fehlt, beziehungsweise durch den Schild mit dem Doppeladler ^) ersetzt ist.

Das ausführliche Register nimmt sechs Blätter in Anspruch und liefert den Beweis, dafs dem Buche aufser dem Anfange und den neun Blättern im Texte nichts weiter fehlt. Es ist diese Feststellung nicht ohne Bedeutung, wie weiter unten zu ersehen sein wird.

Nachdem die Handschrift selbst, ihr Inhalt, ihre Anlage und Einteilung vorstehend beschrieben ist, sei ihrem bildlichen Schmucke, namentlich dem Verhältnisse desselben zu den Holzstöcken im Germanischen Museum nach- stehender Abschnitt gewidmet.

Vor allem sei hier nochmals konstatiert , dafs das beschriebene Ge- schlechterbuch im Besitze Sr. Excellenz des Grafen von Wilczek die einzigen alten Abdrücke der Holzstockserie des Germanischen Museums enthält, die mir bekannt geworden, und mir auch alte Abzüge einzelner Stöcke bis jetzt nicht vorkamen. Es scheinen also nur sehr wenige Abzüge , vielleicht nur diese von den Holzstöcken genommen worden zu sein. Diese Annahme wird durch die äufsere Erscheinung der letzteren unterstützt, da bei manchen das Holz noch so frisch erscheint, als wäre es vor einigen Jahren und nicht vor einigen Jahrhunderten geschnitten worden.

Die Holzschnitte, welche das Wappenbuch zieren, bestehen 1) aus den Wappen, 2) aus den Figuren, welche als Repräsentanten der betreffenden Geschlechter dem jeweiligen Familienwappen zur Seite gedruckt sind. Die drei erwähnten Wappen der Stadt Nürnberg des Geschlechterbuches, von denen in der Holzstockserie des Germanischen Museums sich zwei befinden (Hst. 154 u. 155), sind vollständig in Holzschnitt ausgeführt und mit der Hand koloriert. Die Wappen der Geschlechter aber in der vorliegenden Handschrift sind alle mit der Hand in ein vorgedrucktes, in Holzschnitt aus- geführtes Schema eingemalt und von den 175 Holzstöcken von Wappen Nürn- berger Geschlechter, welche das Germanische Museum besitzt^") und die offenbar zu denselben Figuren gehören, welche das Geschlechterbuch zieren, ist kein einziges in demselben zum Abdrucke gekommen. Das Schema be- steht aus einem schräg nach rechts gestellten Dreieckschilde mit Topfhelm und nach links aufdrapierter Helmdecke, die ungefähr die Form eines halben Wappenmantels hat. Dieses Schema, das nebenstehend wiedergegeben ist, kommt auch nach links gewendet vor. Weshalb von den 175 Wappenholzstöcken kein einziger in der Handschrift zum Abdrucke gelangte, ist schwer zu sagen. Das Wahrscheinlichste ist, dafs dieselben bei der Herstellung des Buches noch nicht

9) Abgedruckt im »Katalog der im Germanischen Museum vorhandenen .... Holz- stöcke« S. 64 (Hst. 153).

10) Katalog der im Germanischen Museum vorhandenen Holzstöcke S. 73 (Hst. 212—386.)

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fertig gewesen und erst nachher ausgeführt wurden, als sich der Verfasser oder Herausgeber überzeugt hatte, dafs das Einmalen von beinahe 200 Wappen in doch mindestens ebenso viele Exemplare des Geschlechterbuches, denn so hoch wäre die Auflage doch sicher bemessen worden , theurer zu stehen käme, als deren Ausführung in Holzschnitt.

Die Wappenserie des Germanischen Museums ist in zwei verschiedenen Mustern ausgeführt, die sich immer wiederholen. Die eine ist in Form und Stellung des Schildes, in Topfhelm und der nach links drapierten Helmdecke dem Schema des Geschlechterbuches gleich, die andere hat tartschenartigen, etwas nach rechts geneigten Schild , Stechhelm und Laubwerk-Helmdecken. Die nachstehenden Wappen der Ölhafen (Hst. 306) und der Tummer (Hst. 369) geben diese beiden Formen wieder. Die Form des ersteren Wappens , also die ältere, ist viel häufiger verwendet worden, als diejenige des ^weiten.

Die Holzstöcke der Figuren des Geschlechterbuches befinden sich sämt- lich im Germanischen Museum; es ist in der Handschrift keine zum Abdrucke

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gekommen, welche das Museum nicht besäfse. Scheinbar fehlt allerdings die auf Bl. 12a u. 20b abgedruckte Figur; aber dieselbe ist von dem auf Bl. 2a verwendeten Holzstock mit Verdeckung der gezaddelten Hängeärmel abge- druckt — ein Verfahren, das hier leicht angewendet werden konnte, da offen- bar nur ein oder einige Exemplare des Geschlechterbuches hergestellt wurden.

Hst 306.

Merkwürdigerweise hat das Museum dann aber auch noch einen Holzstock, der diesen Mann wirklich ohne Zaddelärmel wiedergibt, aber von der Gegen- seite. Es darf also angenommen werden , dafs der Herausgeber des Ge- schlechterbuches bei der Herstellung des einzig vorliegenden Exemplares wahrnahm, dafs der Druck des Holzstockes mit verdeckten Hängeärmeln zu

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langsam vor sich gehe, weshalb er den Stock, ohne diese Ärmel nachschnei- den liefs. Der Künstler aber machte es sich bequem; er zeichnete den Mann einfach nach dem Holzschnitt auf den Holzstock, so dafs er beim Abdruck im Gegensinn kam.

Hst. 369.

Das Geschlechterbuch, wie es heute vorliegt, zählt im Ganzen 165 Fi- guren, von welchen 164 mit 37 Holzstöcken gedruckt sind, während eine auf Bl. 51a lediglich gezeichnet und gemalt ist. Dieselbe ist dem Wappen der

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Welser beigesetzt. Merkwürdiger Weise besitzt das Germanische Museum aber auch den Holzstock zu dieser hier lediglich gezeichneten Figur (Hst. 211), der im Katalog der Holzstöcke auf S. 72 abgedruckt ist. Der Holzstock trägt auf der Seite auch die alte gleichzeitige Aufschrift »Weisser«,

In dem Texte , welcher der ersten Abteilung des Geschlechterbuches vorangeht, ist gesagt: »Hernach volgen die geschlecht . . . mit sampt den alten klaidungen, so dazumal getragen worden«. In der That hat sich der Künstler auch Mühe gegeben , die Repräsentanten der Geschlechter in der Tracht vergangener Zeiten darzustellen , wenn er auch nicht bis in die Zeit Kaiser Heinrichs VI. zurückgegangen ist, sondern nur bis ins 14. Jahrhundert gelangte. Darnach ist meine Angabe in dem Katalog der Holzstöcke S. 65, dafs die Figuren in der Tracht des 15. und 16. Jahrhunderts dargestellt seien, zu berichtigen. Die ältesten Familien, welche angeblich mit Kaiser Heinrich VI. nach Donauwörth geritten, sind durchweg durch Männer in älterem Kostüme repräsentiert; die Tracht des 16. Jahrhunderts dagegen findet sich vorzugs- weise in der zweiten Hälfte des Buches; konsequent verfuhr man hiebei aber durchaus nicht, vielmehr offenbar nur nach Laune. Zu den nach den frühesten Vorbildern ausgeführten Holzstöcken gehört der Mann mit der Kapuze oder »Kogel«, »Gugel«, mit lang herabhängender Spitze an derselben (Hst. 161 auf Seite 90), welcher wohl der ]\Iitte des 14. Jahrhunderts entstammt. Noch einige andere Stöcke dürften ebenfalls nach Vorbildern aus dieser Zeit ge- schnitten sein.

An diese Holzstöcke reiht sich sodann eine Anzahl an, welche Figuren in gezaddelter Tracht vorstellen, denen Originale aus der zweiten Hälfte des 14. und der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts als Vorbilder gedient haben, die der Künstler aber nicht gar so streng benützte, sondern wohl mancherlei Veränderungen oder »Verbesserungen«, wie der Künstler meinte, anbrachte. Dann folgen Kostüme der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, für welche reich- licheres Material als Vorlage dienen konnte. Ihnen reiht sich das 16. Jahrhundert bis zur Mitte desselben an (Hst. 164). Welche Quellen der Künstler für die Figuren aus dem 14. und 15. Jahrhundert benützte, ist heute nicht mehr festzustellen. Jedenfalls lieferten ihm Miniaturen und Glasgemälde, besonders die denkmalreichen Kirchen Nürnbergs gutes Material für diesen Zweck.

Der Künstler hat aber nicht allein die Darstellungen archaistisch behan- delt; der Holzschneider folgte ihm gleichfalls. Er schnitt seine Stöcke in der alten derben Manier, wandte die Schattierung nur mäfsig an und bediente sich dabei nur einfacher Strichlagen, nie sich schneidender. Über die Künstler, den Zeichner sowohl wie den Holzschneider, können wir uns nicht einmal ver- mutungsweise äufsern. In Nürnberg safsen um die Zeit der Anfertigung der Holzstöcke so viele Künstler und Holzschneider, dafs sich um so weniger ein Verfertiger derselben nennen läfst, als auf keinem Holzstock weder ein Zeichen noch ein Name vorkommt, der Anhaltspunkte geben würde, und die archa- istische Art der Ausführung die Spuren verwischt, welche in anderen Fällen Zeichnung und Technik geben. Jedenfalls aber läfst sich mit Bestimmtheit sagen, dafs mehrere Holzschneider an dem Werke mitgearbeitet haben, denn

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derjenige, welcher die Figur Hst. 211 S. 72 des Kataloges schnitt, hat sicher nicht auch Figur Hst. 160 S. 71 geschnitten.

Es ist bereits gesagt worden , dafs die 164 Figuren des Geschlechter- buches mit 37 Holzstöcken gedruckt wurden, letztere also wiederholt zum Abdrucke gelangten. In der naiven Art und Weise jener Zeit nahm man ja keinen Anstand, einen und denselben Holzstock zur Darstellung verschiedener Ereignisse, oder zur bildlichen Vorführung von Personen zu verwenden, die Jahrhunderte von einander entfernt lebten und manchmal nur das gemein hatten, dafs sie in einem und demselben Werke vorkommen. So auch in diesem Geschlechterbuche. Nur zwei unserer Holzstöcke sind nur je einmal verwendet worden. Zwei Holzstöcke je zweimal , zwölf Holzstöcke je dreimal , sechs Holzstöcke je viermal, drei Holzstöcke je fünfmal, fünf Holzstöcke je sechs- mal, vier Holzstöcke je siebenmal, zwei Holzstöcke je achtmal und ein Holz- stock je neunmal. Letzterer (Hst. 162) ist auf der folgenden Seite wieder- gegeben. Welchen Grundsätzen der Herausgeber bei der Auswahl der Figuren huldigte, konnte nicht festgestellt werden, abgesehen davon , dafs, wie schon bemerkt, die Figuren in älteren Kostümen mehr für die älteren Familien, die in späteren Trachten mehr für jüngere Geschlechter zur Verwendung kamen, aber dabei auch durchaus nicht konsequent verfahren wurde. Nur darauf wurde offenbar gesehen, dafs nicht ein und dieselbe Figur auf zwei einander gegenüber stehenden Seiten gebraucht wurde , also für Abwechslung gesorgt wurde. Und doch ist auf den Seiten 36a u. b die gleiche Figur abgedruckt, eine Ausnahme, welche nur die Regel bestätigt. Nur einmal wurde z. B. die Figur mit kurzem gezaddeltem ärmellosen Mantel (Hst. 156) verwendet, die S. 66 des Katalogs der Holzstöcke abgedruckt ist, und zwar für die Wald- stromer. Die im selben Kataloge S. 71 befindliche Figur, deren Vorlage wohl noch in das 14. Jahrhundert zurückgeht (Hst. 160), wurde fünfmal abgedruckt, nämUch Bl. 14b als Cunherr, Bl. 28a als Geuschmidt, Bl. 39a als Flexdorffer, Bl. 64 b als Müntzer, Bl. 91a als Vertreter der Grisen.

Die meisten dieser Holzstöcke sind an den Seiten mit Inschriften ver- sehen, bestehend aus den Namen der Geschlechter, welche sie illustrieren sollten, und einer Zahl, welche sich auf die Reihenfolge der Geschlechter in dem projektierten Werke bezieht. Ein Vergleich mit dem vorliegenden Ge- schlechterbuche hat aber ergeben, dafs diese Aufschriften nicht mit den Figuren in letzterem korrespondieren, oder dafs dies nur ganz ausnahmsweise der Fall ist, wie z.B. die Mendel auf Bl. 10a durch den Holzschnitt repräsentiert wer- den, der auf der Seite ihren Namen trägt.

Aufser den 37 Holzstöcken, die im Geschlechterbuche zum Abdrucke gelangten , bewahrt das Germanische IMuseum aber noch 20 weitere , die im Geschlechterbuche nicht zur Verwendung gekommen sind. Diese 20 Holz- stöcke lassen sich in bestimmte Kategorien teilen : 1) in Darstellungen weib- licher Personen. Von solchen liegen im Museum 10 Holzstöcke vor, während Frauen im Geschlechterbuch überhaupt nicht vertreten sind. Eine, mit ge- zaddelten Hängeärmeln (Hst. 158) findet sich im Kataloge der Holzstöcke S. 69 abgedruckt. Die übrigen acht dürften ebenfalls nach Vorbildern des 14. und 15. Jahrhunderts ausgeführt sein, nur eine Figur gehört in das 16.

XIII.

Hat. 162.

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Jahrhundert. 2) Figuren in gezaddelter Tracht. Zwei derselben sind in dem oftgenannten Kataloge auf S. 68 und 70 unter Hst. 157 und 159 wiederge- geben. Die dritte und letzte ist jene, welche nach der obenerwähnten Figur mit gezaddelten Hängeärmeln unter Weglassung dieser letzteren kopiert ist. 3) Männer in der Modetracht der Zeit, aus welcher die Holzstöcke stammen, sechs Stück. 4) Ein Propst, der einzige Geistliche, der sich unter den sämt- lichen Figuren befindet.

Äufserlich unterscheiden sich die Holzstöcke dieser 20 Figuren von denen im Geschlechterbuche abgedruckten dadurch , dafs auf ihren Seiten Namen von Geschlechtern, die sie illustrieren sollten, nicht aufgeschrieben sind. Aber auch hier liegt wieder eine Ausnahme vor; die dritte Figur in gezaddelter Tracht, welcher die Hängeärmel fehlen, zeigt die Aufschrift Gruntherr, darunter 3. Nun stehen im Geschlechterbuch die Grundherr allerdings an dritter Stelle, die bei ihnen abgedruckte Figur ist aber nicht diese, sondern diejenige mit den Hängeärmeln, nach welcher die andere ohne diese Ärmel kopiert ist.

Bevor die Frage erörtert wird, was es mit diesen Figuren für eine Be- wandtnis hat, soll noch ein Blick auf das Geschlechterbuch selbst geworfen werden. Es ist aufserordentlich auffallend , dafs von dem Geschlechterbuch, das mit so grofsem Aufwand in Scene gesetzt werden sollte, nur dieses eine Exemplar vorhanden ist, für welches zudem nur ein Teil der Holzstöcke ver- wendet wurde, und dafs sich weder ein zweites Exemplar des Buches, noch überhaupt alte Abdrücke der Figuren und der Wappen sich nachweisen lassen. Nicht minder bemerkenswert ist es, dafs der Text nicht auf der Buchdrucker- presse, sondern handschriftlich ausgeführt wurde. Diese Umstände und noch ein anderer, auf den noch zurückgekommen werden soll, legen die Vermutung nahe, dals die vorliegende Handschrift als Druckmanuskript dienen sollte und zu derselben die Probedrucke der Holzschnitte verwendet wurden. Dafs man in Nürnberg bei der Herstellung illustrierter Werke auf diese Weise verfuhr, bekunden die Druckmanuskripte zur Schedel'schen Weltchronik, welche sich in der Nürnberger Stadtbibliothek befinden und allerdings nicht die Holz- schnitte in Original, sondern nur in Skizzen enthalten ' ' j.

Für die Bestimmung des Geschlechterbuches als Druckmanuskript sprechen auch die mannigfachen Korrekturen, die wie teilweise schon erwähnt sich in der Handschrift befinden und der Umstand, dafs diese Korrekturen in Kurrentschrift vorgenommen sind, während der Text sonst in einer die Druckschrift imitierenden Weise geschrieben ist. Die Korrekturen sollten offen- bar beim Drucke berücksichtigt werden. Auf Bl. 4 a findet sich bei der Helm- zier des Wappens der Pilgram von Eyb die Note: »Im Flügel sollen auch 3 moschel wie im schilt sein.« Bl. 13a »die Stainlinger« ist beigesetzt: »ist nit abgestorben«, und das aufschablonierte rote Kreuz, welches wie der Text das Gegenteil verkündete, ist durchstrichen. Bl. 25b »die vom Neuenmarck« findet sich die Note »diß wapen ist nit recht«. Dieselbe Bemerkung steht auf Bl. 26b »die Weygell«. Bl. 26a werden die Schopper als ausgestorben be- zeichnet. Eine andere Hand , nicht diejenige , welche die vorstehenden Be- merkungen gemacht, setzte bei: »Seindt nit abgestorben, sondern an ander

11) Vgl. Hans Stegmann, die Handzeichnungen der Manuskripte der Schedel'schen Weltchronik in Jahrg. 1895 S. 115 ff. dieser »Mitteilungen«.

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ort komen und das wappen verendert worden und früher ein krebs«. Bl. 28a »die Geuschmidt« zeigt die Note: »Diße sint die Geyer hie vorn bei den Pfintzingen vermelt und ist hie obgeschribner namen Geuschmidt recht und Geyer unrecht.« Bl. 36b die Ehinger, die als abgestorben bezeichnet waren, steht: »Ist nit abgestorben, sondern an frembten orten.« Bl. 37a »die Ko- burger« heifst es »dieser namen ist nit recht«, vielleicht sollte damit gesagt sein , dafs die Koburger oder Koberger nicht 1363 in den Rat giengen, wie irrtümlich angegeben ist, wenigstens nicht in den kleinen, um den es sich bei den ratsfähigen Geschlechtern ja handelt, sondern nur in den grofsen, wie Oskar Hase ^^) berichtet. Abgestorben waren sie 1563 aber auch noch nicht, wie das Buch fälschlich angibt. Bl. 38 b haben die Wagner einen von Schwarz und Gold geteilten Schild mit einem Drittelrade in unterm Felde ; dabei steht : »Diß wappen ist nit recht, soll ein oxekopf in plaben feld etc. sein.« Bei den BU. 55a u. b die Neyding und die Rotflasch steht bei beiden Wappen: »soll ein schwarzer federpusch in der flaschen (des Helmschmucks nämlich) stecken«. Bl. 76b die Brauwartt heifst es »dieser namen und wappen ist keins recht«. Dabei ist auf Bl. 102 des Manuskriptes verwiesen, wo über die Haller von Bamberg, die Müntzmeister und die »Braunbartt« als alle von einem Geschlechte herstammend berichtet wird. Bei dem Braunbartt steht hier aber wiederum »diß geschlecht ist nit recht, gehört nit zu den obern.« Auf Bl. 100b wird über die Muffel, Menttelein, vom Neuwenmarckt und Weygell berichtet; den beiden letzteren Namen der Überschrift ist beigesetzt: »Mit diesen zweien geschlecht ist es änderst geschaffen, dann wie hernach volgt.« Bl. 102 a ent- hält Nachrichten über die Pfinzing. Es wird dort erzählt, dafs der Pfinzing einzige Erbtochter einen Geuschmid geheiratet habe , der dann Namen und Wappen der Pfinzing angenommen. Ursprünglich stand an allen Stellen dieses Blattes , wo jetzt Geuschmidt steht , Geyer. Anschliefsend hieran ist auf Bl. 104a folgende Mitteilung durchstrichen: »Die Geuschmidt will man sagen, dafs dieselben und die Geyer ein geschlecht sollen gewest sein , ich aber solches mit grund nie erfaren kunen , derhalben ichs uff ime selbst beruen lassen und hievorn (Bl. 28a) zu der figur kein wappen gesetzt.«

Warum nun das Geschlechterbuch nach diesem JNIanuskripte »icht ge- druckt wurde , nach dessen Zeichnungen offenbar ein grofser Teil der Holz- schnittwappen zur Ausführung gelangten, warum 20 der Figurenholzstöcke in dem vorliegenden Geschlechterbuche nicht benützt wurden, kann leider nicht gesagt werden. Vielleicht wurden letztere erst später gemacht, um das Buch mannigfaltiger erscheinen zu lassen , vielleicht , was allerdings weniger wahr- scheinlicher ist, sollten sie zu dem andern Wappenbuch Verwendung finden, das der Herausgeber auf Bl. 97 a in Aussicht stellte. Da es sich bei diesem Buche aber offenbar meist um jüngere Familien gehandelt hätte, so ist nicht einzusehen , warum er diesen Figuren die Zaddeltracht gegeben haben sollte und er für dieses zehn Frauenfiguren bestimmte , die dem vorliegenden Ge- schlechterbuche gänzlich mangelten. Dagegen hätten sich für diesen zweiten Teil die sechs männlichen Figuren in der Tracht der Zeit um 1563 recht wohl geeignet. Vielleicht ist ,der Veranlasser des Geschlechterbuches vor den grofsen Kosten zurückgeschreckt , welche die Drucklegung eines so um-

12) Die Koberger. Leipzig 1885 S. 13.

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fangreichen Werkes verursacht hätte , obgleich nachdem die Holzstöcke geschnitten waren doch der Hauptaufwand gemacht, wenn auch vielleicht nicht bezahlt war. Weder im Kgl. Kreisarchive zu Nürnberg noch anderwärts hat sich leiderbis jetzt irgend etwas über dieses Werk finden lassen.

Im Katalog der Holzstöcke des Germanischen Museums ist Seite 66 darauf aufmerksam gemacht , dafs erst im Jahre 1610 ein die Nürnberger Geschlechter umfassendes Buch im Druck erschienen ist, betitelt: > Geschlecht | Buch deß Heiligen Reichs Stat Nürm- berg Darinen alle alte vnd neue Ade- 1 liehe Geschlecht : daraus der Rath von 300 Jaren he-ro erwölth wordn j hierin zusam ge- bracht Anno 1610.« Das Titelblatt sowie die 83 Figuren mit je einem Wappen sind in Radierung ausgeführt. Nach dem Titelblatt steht nur ein drei Seiten langer gedruckter Text , der sich nicht einmal in allen Exemplaren befindet. Die historischen Nachrichten bei den einzelnen Geschlechtern sind handschriftUch auf die jeder Tafel beigebundenen Blätter verzeichnet. Nach C. G. Müller '•^) ist von diesem Geschlechterbuch noch eine frühere, aber undatierte Ausgabe erschienen unter dem Titel: »Patricy Res- publicae Nürenberg: das ist 83. vhralte Adeliche geschlächt daraus der Rath von 300. Jaren hero erwölt vnd noch das Regiment füerSn , zusam gebracht vnd an tag geben.«

Wer die Blätter dieses Buches radiert hat, konnte noch nicht festgestellt werden. Bei Vergleichung der Radierungen mit den Holzschnitten des pro- jektierten Geschlechterbuches habe ich aber gefunden , dafs der Radierer bei seinen Figuren vielfach den Holzschnitten gefolgt ist und verschiedene in freier Weise und sehr maniriert nachgeahmt hat. Da bei den Radierungen aber bei jeder Figur der Name der Familie oben in einer Kartusche ebenfalls radiert ist, so mufsten eben 83 verschiedene Platten radiert werden und war die wiederholte Verwendung einer und derselben Platte für eine Reihe von Familien ausgeschlossen. Zum Vergleiche in welcher Art und Weise für das neue Nürnberger Geschlechterbuch die Holzschnitte des alten verwendet wur- den, sind hier die radierten Figuren der >von Neuenmarck genant Mente- lein« und der Katterbeck wieder gegeben und ihnen die Holzschnitte des Nürnberger Geschlechterbuches gegenübergestellt. Trotz mannigfacher Ver- änderungen, welche mit den Figuren vorgenommen wurden, wird man leicht erkennen, dafs dem Radierer die Holzschnitte vorgelegen. Das Vorbild für die von Neuenmarck genannt Mentelein ist nach einem neuen Abdrucke des Holzstockes auch (Hst. 163j in der 2. Auflage von Dr. J. H. von Hefner- Altenecks »Trachten, Kunstwerke und Gerätschaften vom frühen Mittelalter bis Ende des achtzehnten Jahrhunderts« in verkleinertem Mafsstabe publiziert^*).

Hoffentlich werden gelegentlich noch in einem der Nürnberger Archive Nachrichten über die Veranlasser des projektierten grofsen Nürnberger Ge- schlechterbuches in Holzschnitt gefunden und läfst sich mit der Zeit auch noch feststellen, wer die Blätter des späteren Geschlechterbuches radiert hat.

13) Verzeichnis von Nürnbergischen topographisch-historischen Kupferstichen und Holzschnitten. Nürnberg 1791 S. 193.

14) V. Bd. Frankfurt a. M. 1884. Taf. 345 A.

Nürnberg. Hans Bosch.

93

Zwei historische Lieder.

ie Hs. Nr. 520 der Bibliothek der Merkel'schen Familienstiftung ^) enthält aufser

a. der »Kirchweih zu Affalterbach» ^),

b. einem »Bericht über die Belagerung Nürnbergs durch Markgraf Albrecht den Jüngern i. J. 1552«,

c. einem »Spruche von Alkuin und Rossimunda«,

d. einem »Liede über das Nürnberger Lochgefängnis«

auch zwei historische Lieder, von denen das eine die polnische Königswahl Heinrichs III. vom Jahre 1573 und das andere die Belagerung der Stadt Her- zogenbusch durch Friedrich Heinrich von Oranien behandelt. Das erste, for- mell sehr plump, tritt als Spottlied auf und ist dementsprechend etwas derb im Ausdruck. Der Verfasser beweist gute Kenntnis der einschlägigen politischen Verhältnisse. Das zweite Lied, welches den Oranier verherrlicht , zeigt eine saubere und glatte Form, die freilich durch die Nachlässigkeit des Abschreibers hier und da gelitten hat. Es behandelt in Gestalt eines Gespräches die Be- lagerung und Einnahme der Stadt als die Liebeswerbung eines Helden um ein sprödes Weib, das sich endlich doch ergeben mufs. Klar und deutlich hat der Dichter dieses Bild erfafst und bis ins Einzelne recht gut durchge- führt.

Ich gebe die Lieder diplomatisch getreu wieder, wobei ich bemerke, dafs der Schreiber des zweiten Liedes oft sehr undeutlich geschrieben hat. Zum besseren Verständnis schicke ich einige historische Bemerkungen voraus.

I.

In Polen war der letzte Jagiellone Sigismund August am 7. Juli 1572 gestorben , und zur bevorstehenden Neuwahl fanden sich eine Reihe von Fürsten , die sich um die Krone bewarben. Johann III. von Schweden , der Zar Iwan der Schreckliche, der Herzog Albrecht Friedrich von Preufsen, der Kurfürst von Sachsen und der jNIarkgraf von Anspach erhoben Ansprüche. Schliefslich aber mufsten sie alle zurückstehen hinter Maximilian IL, der die Krone für seinen Sohn Ernst, und hinter Katharina von Medici, die sie für ihren Lieblingssohn Heinrich von Anjou zu erringen hoffte. Durch die Er- werbung der polnischen Krone hätte sich für die Habsburger die grofsartige Aussicht eröffnet, im Osten Europas eine ähnliche Machtsphäre zu gewinnen, wie sie zweihundert Jahre früher Ludwig von Anjou (1370 1382) als König von Ungarn und Polen besessen hatte , aber Maximilians Unentschlossenheit verpafste den günstigen Augenblick, und so kam die französische Partei obenauf, die durch den französischen Gesandten , den Bischof von Valence derselbe hatte Gold und Juwelen im Werte von 400 000 Ducaten mit- gebracht — gut vorgearbeitet hatte. »Der Bischof wies darauf hin, dafs ein

1) Deponiert in der Bibliothek des Germ. Nat. -Museums.

2) Mitgeteilt bei R. v. Liliencron, Die historischen Volkslieder der Deutschen vom 13. bis 16. Jahrhundert. Leipzig. F. C. W. Vogel. 1866. II, pg. 465.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XIV.

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französischer König den Frieden mit der Türkei sichere, gegen Rufsland ge- winne man einen genialen Feldherrn, und der ungeheuere Reichtum des (von Schulden erdrückten, fast ruinierten, auf die Reichtümer Polens spekulieren- den) Herzogs von Anjou werde dem ganzen Lande zu Gute kommen.« Selbst den Eindruck der Pariser Bluthochzeit , an der Heinrich hervor- ragend beteiligt war, wufste der Bischof zu verwischen , und so wurde nach stürmischen Debatten am 15. Mai 1573 Heinrich von Anjou zum Könige von Polen gewählt. Dies Königtum hat freilich nicht lange gedauert , denn am 26. Januar 1574 kam Heinrich nach Polen, um schon am 15. Juli, nachdem sein Bruder Karl IX. von Frankreich am 30. Mai gestorben war, bei Nacht und Nebel wieder zu entfliehen und als Heinrich III. den französischen Königs- thron zu besteigen ^).

Das die Pollacken Narren seindt, Erweist ihr jüngste wähl gar fein, Weyl sie zum könig haben gemacht, Den sonst die gantze weltt veracht, Wiewol in solcher Wahl die Stendt Vntereinander wahren zertrent: Der gemein Pöffel, wie ich vernim, Auff die frantzosen gab die Stimm. O lieben Polen, furwar ihr seydt Recht kindisch vnd einfeltig Leut: Ewer landt habt ir vmb gelt gmacht feihl. Das wirdt euch nimmermehr zutheyl. Gallus, Ewer könig, hadt nicht krohnen, Mitt hannenfedern wirdt er euch lohnen. Und du, mein han, kree nit zu sehr. Von deinem Reich bist du noch ferr. Ein seltzams liedt mustu singen. Gar wunderlich die federn schwingen, Ja gwisz mitt allen Negeln kratzen. Bis Man Dich lest in Polen platschen"*). Der könig in Moscouia Wirdt fragen, was thustu alda, So er nun hört zur selben frist. Das Du ein wilder frembdling bist, Wirdt er Dich baldt mit heeres krafft

3) Vergl. Alex. v. Bronikowski, Die Geschichte Polens. Dresden , P. G. Hilscher, 1827. II pag. 72 ff. Ferd. Aug. v. Witzleben, Die Geschichte Polens. Halberstadt , C. Brüggemann 1831. pag. 86 ff. Th. v. Pilinski, Das polnische Interregnum von 1572 1573 und die Königswahl Heinrichs von Valois. Diss. Heidelberg. 1861. Oncken, Allgem. Gesch. i. Einzeldarstellungen. II. Abt. 10. Teil, 2. Bd. : Th. Schiemann, Rufsland, Polen und Livland bis ins 17. Jahrhundert. Berlin, G. Grote. 1887. pg. 343 ff.

4) platzen : plötzlich worauf hin stürmen.

95

Verjagen aus seiner Nachtbarschafft.

Wie wil man Dich zur krönung führen,

So Dich Deutschland! nicht lest Passieren ?

Der Suet^) vnd konig in Dennenmarck

Seindt beyde sampt mechtig gar vnnd starck,

Die werden auch nicht leyden wollen

Dich glied- ayd- vnd treulosen gesellen.

Der Turck mag Dir sein hilff verhayssen,

So lang er hofft von Dir zu schweissen

Einen Tribut vnnd faiste schmier,

Sonst fragt er auch nicht viel nach Dir.

Jetzt loosz,") frantzosz, was ich Dir Rath,

Gleichwol es auch gfahr ob sich hadt,

Leg an ein grobes Paurenkleydt

Weyte stiefeln, ein schwartze pfaidt,'')

Als den droU durch Germanien,

Kans sein kom ihn poUanien,

So wirdt man Dich darnach Erkennen,

Alzeyt ein gstolnen König Nennen,

Der sich in sein Reich hab einkaufft

Vnnd haimlich wie ein Pauer drein gschraufft.^)

Zu Ehren ist Dir Disz gmacht,

Wunsch Dir hie nicht ein gute Nacht.

IL

Ein Schön Newe Werblied desz Edlen Printzen Heinrich Friedrich von Vranien Wegen der Mechtigen Jungfraw

Hertzogenbusch. Am 9. April 1621 war der 12jährige Waffenstillstand abgelaufen, den Erzherzog Albrecht und dessen Gemahlin Isabella mit Moritz von Nassau geschlossen hatten. Die Niederlande hatten den Krieg mit Spanien wieder aufgenommen und Moritz hatte ihn noch vier Jahre ohne nennenswerten Er- folg geführt, als er am 23. April 1625 ins Grab sank. Ihm folgte als Statt- halter von Holland, Zeeland, Utrecht, Geldern und Overyssel sein Bruder Friedrich Heinrich, der den spanischen Krieg mit gröfserem Glück fortsetzte. Den ersten schweren Schlag erlitten die Spanier im Seekriege im Jahre 1628. Die westindische Compagnie nämlich hatte mit dem Auftrage, der spanischen Silberflotte nachzustellen, eine Flotte von 31 Schiffen unter Pieter Pieterszoon Hein ausgesandt, der seine Aufgabe so gut erfüllte, dafs er die Silberflotte in der Bai von Matanzas zur Ergebung zwang und mit einer Beute von fast 12 000 000 fl. heimkehrte. Durch diesen ungeheueren Erfolg ermutigt, ent-

5) Die Lesart Suet (= Schwede) ist nicht ganz sicher.

6) losen : horchen.

7) pfaidt: Hemd.

8) schraufen : unbemerkt hinzugehen.

ge- schlossen sich die Niederlande, nun auch den Angriff zu Lande kräftiger durchzuführen, und im Frühjahr des Jahres 1629 rückte Friedrich Heinrich vor s' Hertogenbosch, jene starke Feste, die sein kriegsgewandter Bruder Moritz schon zweimal in den Jahren 1601 und 1603 vergebens be- lagert hatte. ^)

Über den Verlauf der Belagerung berichtet ein gleichzeitiges Flugblatt^*') folgendermaszen : »Er hat die Stadt vnd Vestung Hertzogenbusch in Brabant I den 1. May N. Cal. dieses lauffenden Jahrs | mit 40000 Mann zu Rosz vnd Fusz I mit Ernst zu belägern angefangen | ein Läger in die drey Meil Wegs in der Refier geformiert ] mit Haupt- vnnd andern Schantzen j Redutten vnd Transcheen dermassen sich begraben vnd verschantzt | auch die Läger durch stopffung der 3. Wasser so durch die Stadt geflossen | die Duist | Dommel i vnd die Aah [ rings vmb ins Wasser gesetzt | dasz dergleichen in vielen Jahren nicht gesehen worden | nach vollbrachter Defension desz Lägers I hat man von Tag zu Tag j der Stadt sich genahet | vnd sonderlich die Haupt- oder Füchter Schantz | genannt Ysabella | vnnd die kleine S. Anthoni Schantz darbey mit Gewalt vnd stürmender Hand erobert ingleichem die Hornwerck vnd halbe Mond | vor der Füchter vnd Hentemer Pforten sich auch bemächtiget j vnd sonderlich mit Instrumenten vnd Wassermühlen j das Wasser ausz den Stadtgräben gemahlen | die Gräben mit Reysz^^) | Sandt vnd anderer Materien auszgefüllt dardurch der Stadtmawer vnnd Wahl gar nahe kommen | vnd obwol die Spanischen vnterm Commando, Gräfe Hein- richs von dem Berg | durch eine starcke Armada, die Stadt zu entsetzen | vnnd das Stadische Lager auffzuschlagen versucht | auch die Belagerten mit Auszfallen j TVIannhafftigem fechten vnd schiessen | die höchste vnnd eusserste Gegenwehr gebraucht | so ist doch das Glück vnd die Victoria, wiewol mit zimlichen Verlust | beyderseits vieles Volcks | allezeit auf der Stadischen Seiten auszgeschlagen.« Am 11. September 1629 wurde der »Generalsturm« mit Glück ausgeführt, und am 13. Sept. erfolgte die förmliche Übergabe der Stadt an Oranien.

1. Der Prientz:

Hertzogenbusch, erweite Liebe, Sag mir o du werthe Magdt, Warumb es Dich so sehr betrüebe, Dafz Vranien nach Dir fragt. Wolestu Dich recht besinnen,

9) Vergl. Heinrich Leo, Zwölf Bücher Niederländischer Geschichten. Halle. E. Anton. 1835. II, pg. 769 ff. N. G. van Kampen, Geschichte der Niederlande. Hamburg Fr. Perthes. 1833. II, pg. 46 ff.

10) >Eigentlicher Abrisz der Weitberümbten Statt Hertzogenbusch in Brabant, wie dieselbige belagert, vnd von jhr Excell. Heinrich Friedrichen Printzen von Vranien den 8. vnd 18. Sept. zur Auffgebung bezwungen, vnd wie beyderseits der Accord getroffen, mit fleisz vermelt.« Germ. Nat. Mus. Kupferstichkabinet H. B. 347.

11) Reysz = Reisig.

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Beszeren werber findestu nicht, Allsz Vranien mag beginnen. Traw dem Helden Deine Pflicht i^).

2. Her tzogenbusch :

Nimmer mer es kan geschehen, O Du Edles Helden Hertz, Dasz ich solches sol verjähen, ^^) Ist mir Eytel schimpff vndt schertz. Viel der Werber wolten freyen, Viel der Werber ich veracht. Die der Werbung thet gereuwen, Zogen ab mit schlechten Pracht.

3. Der Printz: Liebe, sol es mich gereuwen Liebe, sol ich sein zu schlecht, Zu einer Jungfrawschaft zu freyen, Bleiben ein vnwürdiger knecht. Musz ich bosz ^*) Dein schön beschauen Vndt haben ein Helden muth. So wirdt doch on i^) mir Dir nicht grau wen Wirst mich Deiner Achten guet ^^).

4. Hertzogenbusch.

Edler Helt so hochgeborren, Deinen Muth veracht ich nicht, Aber weil Du bist erkohrren Aller staaden Zuuersicht, Kanstu meiner nicht genissen, Lieb allein der Staaden Art! Ob es Dich schon thut verdriessen. Bleibt Mein Jungfrawschafft verwahrt.

5. Der Printz:

So wil ich so Ueblich dantzen Vor der schoenen Liebgens thür, Dasz du allszbaldten die schantzen ^'') Deiner Trewe ergeben mir.

12) Vertrau ihm die Obhut über Dich an.

13) verjähen : zugestehen.

14) bosz : basz, besser.

15) on: an.

16) Wirst mich für Deiner würdig halten.

17) Wohl verderbt aus: Dasz du sollst alsbaldt die schantzen etc.

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Mit Trometen vndt Schalmeyen Wil ich Dir schön hoffieren'^) auff, Datz es sol Dein Hertz erfreyen, Zu beschliessen diessen Kauff.

6. Hertzogenbusch:

Teuwerer Heh, kein hoffieren Mein veracht verdiennen kan, Den ich acht gantz kein Praviren ' ^) Zu vertrauen mich ein mann. Hob Du Deinen Dantz vnd Flotten, Hob Du Dein gesang vnd Lust, Lieber wolt ich mich lohn töten, Alsz dasz mein Ehr wert verwust.

7. Der Printz:

Dein Ehr wirt Dir nicht genomen Noch Dein Züchtig Hertz beraubt, Wan Du mich zum Mann bekommen. Zum Regenten vnd oberhaupt, Dasz Dich mechtig wirt erheben Vber Wasser, Lant vnd Leuth Wie ein göttin noch ym Leben Jetzunt vnd In ewigkeit.

8. Hertzogen-Busch:

Ja ich hör rühmen die taten Von den theuren Rittern Dein, Wie in ist dasz glück geraten, Besondersz dasz Peter Hayn Hob die flott vnd schiff gewonnen Auch dasz Indianisch gelt, Aber ich bin nicht gesonnen, Ein zu freichen ^*') In der weit.

9. Der Printz:

Petro Hayn dem ist esz gelungen,

Hat erlangt vnsterbUch Ehr,

Wan Du wirst von mir betzwungen,

Hob ich noch viel Ruhmesz mehr.

Ein Jungfrau zu erwerben,

Lasz ich kosten Blut vnd schweisz.

18) hoffieren : in Unterwürfigkeit aufwarten.

19) bravieren : einherstolzieren.

20) Die Lesart freichen (= freien?) ist nicht sicher.

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Darna lieber wolt ich sterben Alsz verliehren dieszen Preisz.

10. Hertzogen Busch:

Threuher Helt, mein Hertz thust nagen, Weil esz hört die Werbung Dein, Aber wasz wirt darzu sagen Der grosz mechtigste vatter mein, König Philipusz In Spanien, Wan ich wider seinen will Dir, dem Printzen von Vranien, Mich sollt vertrauen In der Stil?

11. Der Printz:

Fräulein, lasz Dich dasz nicht Irren, Esz musz dieser vatter doch Entlich darein Consentieren, Ihm, nicht Dir, ein verdriszlich sach. Nimmer wil ich Dich verlassen, Nimmer sol Dir Mangeln schütz. Sicher sein zu aller Strassen, Dein Miszgunern bitten Drutz.

12. Hertzogen Busch: Werther herr, ist vergebensz, Lasset fahren euer bitt, Ich verzei^^) mich meinesz Lebensz, Ehr ich lerne Statisch Sitt, Ehr mich solt oranien lehren, Einen mann gehorsam sein. Mein gespilen mir esz wehren. Besser ist esz ich schlaff allein.

13. Der Printz:

Dein gespilen Dir esz wehren. Dein gespilen müssen all Zu vranien wider kehren. Hohe Berg, vnd dieffe thal Sollen Dier dan zu dienst auffwarten Dein knecht vnd Diener sein. Auch mit heim vnt helleparten Schützen beite seitten Dein.

21) sich verzeien : entsagen.

100

14. Hertzogen Busch: Helt, Du rühmbst Dein Manlich Leben, Wie Du Zwingst Berg vndt Thal, Aber sol ich mich begeben, Mustu kommen noch einmal. Ich der vesten hob geschwohren, Die vesten meine Zucht bewahrt. Die Ich niemol hob verlohren, Wirt noch bestehen fest vnd hart.

15. Der Printz: Vesten kan Dich nicht erretten. Ja Du must mir werten holt, Must in Frauen orten tretten. Ob Du Dich schon wegern solt, So wil ich doch all mein Tage Dich zu Lieben nicht lassen ab, Bisz Du komest zu mein Haage, Dasz ich Freute an Dir hab.

16. Hertzogen Busch. Mein hartesz hertz ist nun gewunnen Durch Printzen von vranien. Acht nunmehr nicht der vesten Nonnen, Acht auch nicht mehr Spanien. Ich den Printzen hob erweit, Welcher mit seiner Dapffrigkeit Tag vnd Nacht mein hertz gequelt, Genniesz nun auch sein Freuntligkeit.

Der Printz:

Allein gott in der höhe Ewig Ehr für vnsren Triumpff. Nürnberg. O. Lauffer.

Wissenschaftliehe Instrumente im germanischen Museum.

(Fortsetzung.)

Vn. Instrumente zum Auftragen geometrischer Zeichnungen.

leben den Instrumenten zur Messung im Gelände kommen für die geometrischen Operationen noch die zum Auftragen geometrischer Zeichnungen in Betracht. Sie dienen einerseits dazu, die Auf- nahmen auf dem Felde in Zeichnung darzustellen, anderseits, die Pläne

101

herzustellen, welche mittels der iMefsinstrumente auf dem Feld abgesteckt werden sollen.

Unterweisung zur Messung mit Zirkel und Richtscheit nennt Dürer seine Anleitung zum geometrischen Zeichnen. Er nennt damit die beiden wichtigsten Zeicheninstrumente. In der That lassen sich alle geometrischen Konstruktionen mit Zirkel und Lineal durchführen. Allein diese Operationen sind in vielen Fällen schwierig und zeitraubend, man hat deshalb schon früh Instrumente konstruiert, deren Verwendbarkeit eine weniger umfassende ist, die es aber ermöglichen, die Operationen, für welche sie konstruiert sind, rasch und mühelos durchzuführen. Dafs das 16. und 17. Jahrhundert, eine Zeit, welche an mechanischen Hilfsmitteln für Arithmetik und Geometrie Freude hatte, in der Erfindung derartiger Instrumente besonders fruchtbar war, bedarf kaum der Erwähnung. Die Zahl der im germanischen Museum befindlichen Zeicheninstrumente ist nicht sehr grofs, doch sind einige interessante Stücke unter denselben.

Zirkel.

Der Zirkel ist eines der ältesten Zeichnungs- und Mefsgeräte. Seiner Erfindung nachforschen zu wollen, wäre vergebliches Bemühen.

Die Einrichtung des Zirkels ist bekannt ; er besteht aus zwei Schenkeln von Holz oder Metall, welche sich um eine im Scheitel ihres Winkels befindliche Axe drehen. Anforderung an einen guten Zirkel ist, dafs sich diese Drehung ruhig, mit gleichmäfsigem Widerstand und ohne toten Gang vollzieht. Den Teil des Zirkels, in welchem die beiden Schenkel ineinand£r- greifen und die Axe (das Gewinde) aufnehmen, nennt man den Kopf des Zirkels. Er ist in der Weise konstruiert, dafs der eine Schenkel einen oder mehrere Einschnitte hat, in welche entsprechend gestahete Stücke des anderen Schenkels eingepafst sind. Bei älteren Zirkeln besteht der Kopf nicht selten auf der einen Seite aus drei, auf der anderen aus zwei Blättern, doch kommt daneben stets die einfachere jetzt übliche Form vor, bei welcher der eine Teil nur einen Ausschnitt hat , während der andere ein Blatt hat , das in diesen Ausschnitt eingreift. Stets aber war die Konstruktion so, dafs die bei- den äufseren Blätter einem Schenkel angehörten. Um einen ruhigeren Gang zu erzielen, wurden die Blätter des inneren Schenkels schon früh aus an- derem Metall gemacht, als die des äufseren. An dem einen Ende des Gewin- des befindet sich eine Scheibe, an dem anderen eine Schraubenmutter, mittels deren die Blätter mehr oder weniger fest aneinander gedrückt und damit der Gang des Zirkels mehr oder weniger streng gemacht werden konnte.

Es kann nicht meine Aufgabe sein, die allbekannten Konstruktionen und Formen der Zirkel, welche seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts ziemlich unverändert geblieben sind, zu erörtern. So können die in den beiden Reifszeugen W. J. 260 und W. J. 1051 enthaltenen Zirkel hier über- gangen werden. Ein messingener Mefszirkel mit Stahlspitzen, 16. 17. Jahr- hundert, W. J. 242 (Fig. 36) hat über dem Kopf einen Fortsatz in Form einer weiblichen Herme. Er trägt eine Marke in Form einer Traube oder kleinen Blume und gilt als Arbeit des Nürnberger Zirkelschmieds Hans Forster.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XV.

102

Der ungewöhnliche Fortsatz in der Verlängerung des einen Schenkels ist eine hübsche Zierde, für die Benützung aber keineswegs handlich.

Ein Zirkel aus Eisen W. J. 966 (Fig. 37) hat Schenkel, welche vom Gewind an rundlich ausgebogen sind und erst nach einer etwas mehr als halbkreisförmigen Biegung in die radiale Richtung übergehen. Der Zweck dieser Ausbiegung ist der, dals der Zirkel durch Druck sowohl geöffnet, als geschlossen werden kann. Drückt man auf die gebogenen Teile, so öffnet er sich, ein Druck auf die geraden Teile schliefst ihn. Er ist also mit einer Hand bequem zu handhaben. Solche Zirkel waren zu Messungen auf den reducierten Seekarten bestimmt. Unsere vervollkommneten Konstruktionen dürften sie wohl vollständig verdrängt haben.

Fig. 36. Zirkel aus dem 16.— 17. Jahrhundert. W. J. 242.

Fig. 37. Seekartenzirkel. W. J. 966.

Der Zirkel W. J. 239 (Fig. 38) aus dem Beginne des 17. Jahrhunderts ist reich profiliert, aber etwas derb gearbeitet. Der Kreisbogen zwischen den Schenkeln ist erneuert; er dient dazu, den Zirkel mittels einer Klemm- schraube in einer bestimmten Stellung festzustellen. Die Stahlspitzen sind vortrefflich gehärtet. Aufser der beweglichen Spitze sind zwei Einsätze vor- handen, eine Ersatzspitze und eine Reilsfeder. Bion, Traite de la construction des Instruments de mathematique (S. 65) bezeichnet diese Art Zirkel, welche allerdings nach seinen Angaben mit zwei weiteren, zum Schneiden und Bohren von Metallen bestimmten Einsätzen versehen sind, als Uhrmacherzirkel.

Handelt es sich darum, Linien mittels des Zirkels zu teilen, so kann das in der Weise geschehen, dafs man die Zirkelöffnung ausprobiert, welche der gesuchten Teilung entspricht. Das ist zuweilen, namentlich bei unge- rader Teilung sehr zeitraubend. Ein einfacheres Verfahren ermöglichen die sogenannten Reduktions- oder Proportionalzirkel. Ihre Konstruktion beruht auf der Ähnlichkeit der Figuren. In den beiden gleichschenkeligen Dreiecken

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a b c und ade (Fig. 39) verhält sich bc:de = ab:ad. Verlängert man also die Schenkel des Zirkels in einem bestimmten Verhältnis über den Kopf hinaus, so ist der Abstand der Spitzen d c der diesem Verhältnis entsprechende Teil der Linie b c. Das Verhältnis ist gewöhnlich so, dafs de =: V2, V3 oder V4 ae ist. Ein Halbierzirkel aus dem 16. Jahrhundert: W. J. 240 ist in Figur 40 dargestellt. Die Verwendbarkeit solcher Zirkel ist eine beschränkte. Der Schweizer Mechaniker Jost Bürgi hat deshalb im Ende des 16. Jahrhunderts das Instrument in der Weise vervollkommt, dafs er den Kopf verschiebbar gemacht hat. Der Zirkel hat damit eine aufserordentlich vielseitige Verwendbarkeit gewonnen, denn es können mittels desselben alle auf der Ähnlichkeit der Dreiecke, bezw. auf einem einfachen Dreisatz beruhenden Aufgaben gelöst werden. Wir besitzen einen sehr schönen Reduktionszirkel

Fig. 39.

Fig. 38. Zirkel aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts. W. J- 239.

Fig. 40. Halbierzirkel aus dem 16. Jahrhundert. W. J. 240.

W. J. 266 (Fig. 41). Er ist bezeichnet : Hans Buschmann. Augspurg anno 1635. Leider entspricht die Genauigkeit der Teilungen nicht ganz der Schön- heit der Ausführung.

Der Reduktionszirkel des Jost Bürgi besteht aus zwei getrennten Schenkeln, welche auf beiden Seiten Spitzen und in der Mitte einen langen rechteckigen Ausschnitt haben. Sie werden vereinigt durch einen gleichfalls aus zwei Teilen bestehenden Schlitten, dessen Teile durch eine Schraube zu- sammengehalten werden und um diese drehbar sind. Der Schlitten greift in die Ausschnitte der Stäbe ein und kann, wenn der Zirkel geschlossen und die Schraube gelöst ist, verschoben und nach der Verschiebung durch An- ziehen der Schraube wieder festgestellt werden. Das Verhältnis der oberen und unteren Schenkel ist also ein variabeles und kann beliebig verändert

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werden. Steht der Schlitten so, dafs a b fig. 39 = 3 a d so ist auch b c = 3 d e und jede Gröfse, welche mit d e gegriffen wird, erscheint in b c in der dreifachen Länge und umgekehrt. Es ist klar, dafs auf die gleiche Weise auch andere Verhältnisse als die Teilung von Linien gefunden werden können, z.B. das Verhältnis der Polygonseiten zum Radius oder zum Durchmesser u. A. Um nun die gesuchten Verhähnisse stets sofort finden zu können, sind die Teilungen auf den Stäben aufgetragen und zwar so, dafs wenn die vordere Kante des Schlittens auf der betreffenden Teilungslinie steht, der Mittelpunkt der Schraube auf den zugehörigen Drehpunkt fällt.

Fig. 41. Reduktionszirkel von Hans Buschmann 1635. W. J. 265.

Die Teilungen , welche sich auf dem Proportionalzirkel des Jost Bürgi finden, kommen noch auf einem zweiten Instrument vor, das gleichfalls den Namen Proportionalzirkel führt, das aber im Grunde kein Zirkel ist. Da es auf dem gleichen Grundgedanken beruht, wie jener Zirkel, soll es gleich hier mit besprochen werden. Es gilt als eine Erfindung Galileis.

Es ist klar, dafs die Proportionen', welche durch zwei mit den Scheitel- winkeln zusammenstofsende Dreiecke bestimmt werden, auch auf ein Dreieck aufgetragen werden können. Das Verhältnis bc:de = ab:ad bleibt das gleiche in Fig. 42 A und Fig. 42 B.

Der Galilei'sche Proportionalzirkel Fig. 43 besteht aus zwei lineal- förmigen Schenkeln , welche sich um einen in ihrer Innenkante gelegenen Drehpunkt um 180" drehen lassen.

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Auf der Vorder- und Rückseite sind verschiedene radial stehende Linien gezogen, von welchen immer je 2 und 2 zusammengehören und gleiche Winkel gegen die Innenkante haben. Ihre Zahl ist bei den verschiedenen Instrumenten sehr verschieden. Jakob Leupold behandelt in seinem Theatrum arithmetico- geometricum, Leipzig 172L 2'^ im 16. Kapitel deren dreizehn. 1. Linea arithmetica, 2. Linea geometrica, 3. Linea tetragonica, 4. Linea subtensarum, 5. Linea reducendorum planorum et corporum re- gularium, 6. Linea corporum sphaerae inscribendorum, 7. Linea tangentium, 8. Linea cubica, 9. Linea chordarum, 10. Linea cir- culi dividendi oder Linea polygonorum, 11. Linea rectae dividen- dae, 12. Linea fortificatoria, 13. Linea metallica. Aufserdem kommen vor Sinus- und Secantenlinien, Linea Musica, Linea graduum quadantis u. s. w. Nicht alle diese Linien finden auf einem Instrumente Raum, gewöhnlich sind etwa sechs Linien verzeichnet. Ferner sind nicht

Fig. 43. Galilei'scher Proportionalzirkel aus dem 17. Jahrhundert. W. J. 183.

selten parallel zu den Aufsenkanten vergleichende Darstellungen verschiedener Längenmafse angebracht. Auf dem Proportionalzirkel von Jost Bürgi kommen vor: die Linea geometrica, Linea rectae dividendae, Linea circuli dividendi, Linea reducendorum planorum et corporum, Linea corporum s'phaerae inscribendorum, Linea graduum quadrantis, Linea proportionis diamtri ad circumferentiam und Linea metallica.

Es würde hier zu weit führen, die Theorie und Konstruktion dieser sämtlichen Linien zu erörtern, es mag genügen, wenn ich einige herausgreife. Eine kurze Theorie sämtlicher Linien findet sich bei Leupold a. a. O., die wichtigsten sind bei Bion, Traite de la construction . . . des Instruments de Mathematique Livre second und bei Adams, Beschreibung mathematischer Instrumente, Abschnitt VI, besprochen.

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Die erste und wichtigste Linie ist die arithmetische. Sie ist in 200 gleiche Teile geteilt und dient sowohl zum mechanischen Rechnen als auch zur Reduktion und zur Messung von Linien.

Addition und Subtraktion werden auf einem der beiden Schenkel durch Abgreifen mit dem Mefszirkel ausgeführt. Das mechanische Verfahren bietet hier keine besonderen Vorteile. Auch die Multiplikation kann auf einem Schenkel ausgeführt werden, indem man den Multiplikanten in den Zirkel nimmt und diesen so oft umschlägt , als der Multiplikator angibt. Die Multiplikaton kann aber noch auf anderem Wege ausgeführt werden. Wird in einem gleichschenkligen Dreieck a b c eine Parallele d e zur Grundlinie gezogen, so verhält sich ab:bc := ad :de. Wird nun dieses Verhältnis so gewählt, dafs b c ^ nxab ist, so ist de = nxad. Mittels des Proportional- zirkels ist also die Aufgabe gelöst, sobald die beiden arithmetischen Linien einen Winkel bilden, bei welchen der Abstand der beiden zusammengehörigen Ziffern b und c = n x a b ist. Nun läfst sich dieses Verhältnis jederzeit sofort

180 170

Fig. 44.

Fig. 45.

für die Zahl 10 bestimmen. Ist ab = 10, so mufs bc ^ n x 10 sein. Dieses Verhältnis ist auch am Proportionalzirkel nicht jederzeit herzustellen, man operiert deshalb bequemer mit dem Zehntel des Produktes, d. h. dem einfachen Multiplikator, was bei der Decimalrechnung zulässig ist, soferne man die Stellung des Komma berücksichtigt. Ist beispielsweise die Zahl 13 mit 6 zu multiplizieren, so nimmt man die Gröfse 0 6 anstatt 0 60 in den Zirkel und öffnet den Proportionalzirkel so weit, dafs der Abstand der beiden Ziffern 10 gleich 0 6 wird. Greift man nun auf am Zirkel den Abstand 13 13, so ist derselbe gleich 7,8, das Produkt aber 78. Die so gefundene Öffnung des Proportionalzirkels gestattet aber sämtliche Produkte, welche 6 als Multiplikator haben, abzugreifen, so ist der Abstand 11,7 11,7 =r 7,02 oder 6x11,7 = 70,2 u. s. w.

Bei der Division ist das Verfahren das Folgende. Soll eine Zahl a in n gleiche Teile geteilt werden , so nimmt man sie in den Zirkel, setzt sie

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transversal zwischen n n und greift dann den Abstand 1 1, so ist dieser gleich dem nten Teil von a. Da der Quotient 1 n =i ^"/lo n ist wird man auch hier in vielen Fällen leichter mit den zehnfachen Transversalab- ständen arbeiten. Es ist klar, dafs auf gleiche Weise auch Linien geteilt werden können.

Die zweite Linie, die linea geometrica dient zum Ausziehen von Quadratwurzeln , sowie zum Vergröfsern und Verkleinern geometrischer Figuren nach dem Euklidischen Satze : Gleichförmige Figuren verhalten sich wie die Quadrate ihrer homologen Seiten. Die Länge, welche auf der arithmetischen Linie in 200 gleiche Teile geteilt ist, wird hier in 100 Teile geteilt, jeder Teil wird vom Mittelpunkt aus genommen. Die hundert Teile

Fig. 46. Instrument Ton Christoph Schisler 1555. W. J. 238.

entsprechen den Quadratwurzeln der Zahlen von 1 100. So ist 1 := 1, 2 ^ 1,414, 3 =r 1,732 u. s. w. Die Teilung kann auch nach einem rein geometrischen Verfahren vorgenommen werden (Fig. 44). In einem gleich- schenkeligen rechtwinkeligen Dreieck, dessen Katheden die Länge 1 haben, ist die Länge der Hypotenuse z=.\/~^- Läfst man nun die eine Kathede unver- ändert und nimmt die Hypothenuse ]/ 2 als zweite Kathede, so ist die Hypote- nuse dieses neuen Dreiecks = 1/3 u. s. w. Handelt es sich nun darum, die Quadratwurzel einer Zahl, z. B. 81, auszuziehen, so nimmt man 81 von der arithmetischen Linie in den Zirkel und stellt es transversal zwischen 81 und 81 der geometrischen Linie. Nimmt man alsdann den Abstand 1 1 der geometrischen Linien in den Zirkel, so ist dieser r= 9 der arithmetischen Linie.

Beim Zirkel des Jost Bürgi ist die Teilung so, dafs 1 in der Mitte des Abstandes beider Spitzen steht. Bei 2 ist das Verhältnis der Abstände des des Kopfes von beiden Spitzen 1=1 1 : |/ 2^, bei 3=1: \^ %, bei 4 ^ 1 : 2 u. s. w.

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Ist eine geometrische Figur zu vergröfsern, so nimmt man eine Seite in den Zirkel, stellt sie transversal zwischen 10 und 10 der geometrischen Linie und greift dann den Abstand der Zahlen, um welche die Figur ver- gröfsert werden soll, ab u. s. f. Der Beweis gründet sich auf den oben erwähnten Satz des Euklid.

Die Linea tetragonica gibt die Länge der Seiten von regelmäfsigen Polygonen von gleichem Flächeninhalt an, wobei die Seite des Dreiecks = 10 000 gesetzt wird. In diesem Fall ist der Inhalt des Dreiecks 43 300000. Aus letzterer Zahl kann die Quadratseite sofort durch Radicierung gefunden werden, die übrigen Polygone werden in Dreiecke zerlegt und ihr Inhalt zu- nächst unter Annahme einer Seitenlänge von 10 000 berechnet, woraus sich weiter durch Proportion und Radicierung die Seite des Polygons von 43 300 000 Inhalt berechnen läfst. Die Linie enthält die regelmäfsigen Polygone vom 3—20 Eck.

Gewöhnlich ist an ihrer Stelle die linea reducendorum planorum et corporum regularium vorhanden. Diese enthält die Proportionen der Seiten des Dreiecks, des Vierecks und des Kreises (Durchmesser), sowie der regulären Körper Tetraeder, Hexaeder (Cubus), Ikosaeder und Dode- kaeder und die Kugel. Sie dient dazu eines der genannten Polygone oder Körper in ein anderes von gleichem Inhalt zu verwandeln. Bei dem Zirkel des Bürgi sind diese Verhältnisse auf einer der Seiten der Stäbe aufgetragen und wird der Zweck, der beim Galilei' sehen Zirkel durch transversales Ab- greifen erreicht wird durch die Stellung des Kopfes auf die betreffende Teil- ungslinie erreicht.

Die Linea Chor darum gibt die Chorden der Winkel von 1 180 **, ihre Konstruktion ist einfach; man teilt einen Halbkreis in 180", setzt den Zirkel am einen Ende des Durchnlessers ein und überträgt die Abstände der Kreisteilung auf den Durchmesser. Fig. 45. Die Chordenlinie kann statt eines Transporteurs zur Messung und zum Auftragen von Winkeln, sowie zur Teilung von Kreisen dienen.

Den letzteren Zweck verfolgt hinsichtlich der regulären Polygone auch die Linea circuli dividendi oder polygonica. Auf ihr ist die Teilung nicht nach Graden, sondern dem Verhältnis der einen bestimmten Kreis- durchmesser entsprechenden Polygonseiten vorgenommen. Die ganze Länge entspricht der Dreieckseite.

Sollen die Chorden oder die Polygonseiten für einen anderen, als den durch die Länge der Chordenlinie bezw. durch die doppelte Sechseckseite gegebenen Durchmesser gefunden werden, so werden sie transversal ab- gegriffen.

Auf dem Bürgi'schen Zirkel ist die Teilung so, dafs eine Seite den Radius, die andere die Polygonseite ergibt.

Um Polygone ohne Zuhilfnahme des Kreises aus ihren Winkeln zu kon- struieren bedient man sich der linea subtensarum angulorum poly- gonorum. Sie gibt für eine Seitenlänge der Polygone gleich der Dreieck- seite die Chorden der Polygonwinkel,

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Gibt die linea reducendorum planorum et corporum die Mittel an die Hand, einen regelmäfsigen Körper in einer anderen von gleichem Inhalt zu verwandeln, so gibt die linea corporum sphaerae inscribendorum die Verhältnisse der Seiten regulärer Körper, welche in eine Kugel eingeschrieben werden können.

Die linea cubica wird im Verhältnis der Cubikwurzeln der Zahlen geteilt und dient zum Ausziehen von Cubikwurzeln, sowie zur Vergröfserung oder Verkleinerung regulärer Körper.

Die linea rectae dividendae dient zur Teilung von Linien. Die Teilung geht vom äufseren Ende nach dem ^Mittelpunkt ; 1 ist die ganze Länge, 2 die Hälfte, 3 ein Drittel u. s. w. Soll z. B. eine Linie von beliebiger Länge in 5 gleiche Teile geteilt werden, 6o wird sie transversal zwischen 1 und 1 ge- stellt, der Abstand 5:5 ist alsdann gleich ^5 der ganzen Linie.

Die Linien für die trigonometrischen Funktionen sind im Verhältnis der wahren Gröfsen dieser Funktionen geteilt ; die Sinuslinie bis zu 90", die Tangentenlinie bis 45" oder bis 75", die Secante^alinie desgleichen. Bei letz- teren darf der Anfang der Teilung nicht im Mittelpunkt liegen, weil sie nie kleiner als 1 wird. Soll die Länge einer Funktion für einen bestimmten Radius und Grad gefunden werden, so setzt man die Länge des Radius beim Sinus transversal zwischen 90 und 90, bei der Tangente zwischen 45 und 45 bei der Secante zwischen 0 und 0 und kann, wenn der Proportionalzirkel in dieser Weise geöffnet ist, sofort die Gröfse der betreffenden Funktion für alle auf der Teilung angegebenen Grade durch transversales Abgreifen finden.

Die Linea musica ist im umgekehrten Verhältnis der Schwingungszahlen der Töne und Halbtöne der Octav geteilt, so dafs z. B. der Grundton = 1, die Terz ^4, die Quinte = '^ 3 die Octave =z V2 ist. Die Linea metallica ist im umgekehrten Verhältnis der spezifischen Gewichte geteilt, d. h. sie gibt die Durchmesser von Kugeln gleicher Schwere für Metalle und einige Steine (Marmor, Alabaster u. dgl.) an.

Wir besitzen drei Galilei'sche Proportionalzirkel. Der Fig. 43 abgebil- dete W. J. 183 ist aus dem 17. Jahrhundert. Er ist von Holz, die Länge der Linien beträgt 37 cm. Die Teilungen sind genau. Auf der Vorderseite sind aufgetragen die Linea cubica, geometrica, rectae dividendae und metallica, arithmetica, musica, fortificatoria; auf der Rückseite Linea graduum quatrantis, circuli dividendi, corporum sphaerae instriptorum, redicendorum planorum et corporum. Auf der Vorderseite sind ferner parallel zu den Rauten aufge- tragen die Durchmesser von Eisen- und Bleikugeln von 1 10 "Sb Nürnbergisch und Belgisch, auf der Rückseite Fufsmafse von Nürnberg, Wien, Genf, Rhein- land, Ulm, Prag und St. Gallen, sowie der römische Palm.

Ein zweites Instrument, aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, W. J. 124 ist aus Messing. Die Linien haben eine Länge von 15,3 cm. Es sind auf der Vorderseite : Arithmetic, Geometrica, polygonica, auf der Rückseite cleor- darum, cubica, metallica. Die Teilungen sind nicht sehr genau. Das dritte befindet sich in dem Reifszeug von Brander und Höschel W. J. 260. Es ist gut gearbeitet. Auf der Vorderseite befinden sich: die linea arithmetica,

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XVI.

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solidorum (cubica), metallica, auf der Rückseite: linea eleordarum, planorum und polygonorum. .

Nürnberg. Gustav von Bezold.

(Fortsetzung folgt.)

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Unbekannte Sehrotblätter im Germanisehen

Museum.

n der Bibliothek der Spitalkirche zum heiligen Geist in Nürnberg, über deren Bestände ich demnächst an anderer Stelle ausführlicher zu berichten gedenke, fand ich auf der Innenseite des vorderen Deckels eines in Kalbsleder mit Granatapfelpressung gebundenen Exemplars des seltenen, 1482 bei Conrad Zeninger in Nürnberg erschienenen Vocabularius theutonicus (Signatur : Bb. 75. 4") vier kleine, altkolorierte Schrotblätter ein- geklebt. Dieselben sind vor kurzem von der Verwaltung der Bibliothek dem Germanischen Museum zur Aufbewahrung übergeben und als H[olzschnitte] 5728 31 in die Sammlungen eingereiht worden. Ich will sie hier, da ich sie bei Schreiber (Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur metal au XV'' siecle) nicht habe identifizieren können und auch sonst nirgends erwähnt gefunden habe, in Kürze beschreiben. Vorweg sei bemerkt, dafs sie den sechziger bis siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts enstammen und wohl von demselben Meister herrühren mögen, von dem das Germanische Museum ein Schrotblatt mit der Darstellung des heiligen Veit im Ölkessel (Schreiber Nr. 2743 a) besitzt (reproduziert in den Denkschriften des Germanischen Museums Bd. I, Teil 2, S. 91 und im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1883. Sp. 287.) Ich gebe jedem Blättchen gleich die Nummer, die dasselbe bei Schreiber haben müfste. Rechts und links verstehen sich vom Beschauer aus.

Nr. 2521a. (Inv. H. 5728.) St. Agnes, leicht nach links gewandt, mit vierzackiger Krone, Heiligenschein und beiderseits lang herabwallendem Haar, steht, das Haupt ein wenig zur Seite geneigt, in einen weiten Mantel gehüllt, in der Linken ein aufgeschlagenes Buch, mit der Rechten das rechts neben ihr stehende Lamm am Bande haltend, vor einem unten mit Fransen besetzten, im übrigen mit heraldische Lilien einschliefsenden Rauten gemusterten Teppich, der den Grund bildet. Der Fufsboden mit Plattenmosaik geziert. Über dem Ganzen, weifs auf schwarzem Grunde, die Inschrift: ^nntta ttngncta , 56 : 42 mm.

Nr. 2558a. (Inv. H. 5729.) St. Barbara nach vorn, mät vierzackiger Krone und Heiligenschein. In einen faltenreichen Mantel gehüllt, in der Rechten ein offenes Buch, in der Linken einen Palmzweig haltend, steht die Heilige auf blumigem Rasen; rechts neben ihr der Turm, darin Kelch und Hostie, links im Hintergrunde ein zweiästiger Baum. Der Grund ist weifs. Über dem

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Ganzen, weifs auf schwarzem Grunde, die Inschrift: §anrta^ «borbara» 56 : 42 mm.

Nr. 2601a. (Inv. H. 5730.) St. Christophorus nach rechts, das Christus- kind , dessen Haupt ein Heiligenschein umgiebt und das in der Rechten die von einem Kreuz überhöhte Erdkugel hält, während es die Linke mit aus- gestrecktem Zeigefinger erhebt, durch das Wasser tragend. Der Heilige stützt sich mit beiden Händen auf einen ästelosen Baumstamm. Sein Haupt umgibt eine Binde ; er ist ohne Heiligenschein dargestellt. Im Vordergrunde Gras und Kräuter. Am Ufer rechts scheinen Treppe und Rad im Vordergrunde eine Mühle zu bedeuten ; im Mittelgrunde der Einsiedler mit der Laterne ; im Hintergrunde Felsen mit einem Baume. Am Ufer links auf hohem, baum- bewachsenem Felsen ein Schlofs. Der Grund ist weifs. 59 : 44 mm.

Nr. 2727a. (Inv. H. 5731.) St. Sebastian mit Heiligenschein, nur mit einem Lendentuch bekleidet, mit den Händen an einen Baumstumpf ge- bunden und von vier Pfeilen durchbohrt , nimmt die linke Hälfte des Blattes ein. Von seinen drei Peinigern, die rechts dargestellt sind, ist einer eben im Begriff, aufs neue den Bogen auf ihn anzulegen, ein anderer der durch Szepter, langes, fransengeschmücktes Gewand und turbanartige Kopfbedeckung als heidnischer König charakterisiert ist, weist mit dem Zeigefinger der Linken nach dem Heiligen. Der Erdboden ist mit Blumen und Kräutern bedeckt. Der Grund ist weifs. 59 : 44 mm.

Nürnberg. Th. Hampe.

Ein Brief Jean Paul Friedrieh Richters.

^^^«^Iv^j ach folgender Brief des grofsen Humoristen kam vor kurzem in den /?^-\?ltt^ Besitz des Museums. Derselbe ist gerichtet an den Bügermeister T^^-i/tXJ^O^ Köhler in Hof und zeigt den Dichter von einer besonderen Seite, auch als liebevollen Sohn.

Hochedelgeborner, hochzuverehrender Herr Bürgermeister,

Hätt' ich diesen langen Brief mit sympathetischer Dinte hingeschrieben: so war es überaus gut; denn Sie könten ihn dan gar nicht lesen stat dafs ich iezt bei der schwarzen unglaublich schlecht fahre. Gewis wird Ihnen nun der Brief (ich wolte darauf schwören) alles hinterbringen, was ich Ihnen doch verhalten wil. Er wird Ihnen Sie können mir glauben ohne Bedenken die Bitte verrathen, die ich im Namen meiner Mutter an Sie wagen wollen und die ich Ihnen wol nicht zu eröfnen brauche, da ich mich mit ihr geschikt schon zur h. Anna gewandt. Diese Heilige, die wie die Katholiken glauben, sich mit der Vertheilung des Reichthums unter die Menschen abgiebt sie ist sonach die allgemeine Kriegszahlineisterin und gefället mir sehr wegen

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ihrer kontanten Zahlung diese hab' ich nemUch so angeredet: »Einen grolsen Gefallen thätest du mir und auch meiner Mutter freilich, liebe h. Anna, wenn du es so machtest und ihr wie gesagt zu dem Vorlehn von 20 fl. vom H. Bürgermeister Köhler verhälfest. Sie wird , um es dir noch einmal zu wie- derholen, sonst überal gedrückt, verkant, verläumdet , und ohne Hülfe ge- lassen; mancher verschlimmert sogar ihre Lage heimlich, um die seinige zu verbefsern, weil er ihr durch diese Verschlimmerung endlich ihren Garten ab- zunöthigen hoft. Es ist ja nicht das erstemal, dafs du den H. Bürgermeister zu einem wolthätigen Entschlüsse bewegst. Ich thäte die Bitte selber, aber ich bin nur ein gemeiner Satirenschreiber und bin dabei zu närrisch ange- zogen; du hingegen bist ein Frauenzimmer und dem kan er es aus Höflich- keit weniger abschlagen, weil das schöne Geschlecht auch eine schöne und mithin entscheidende Stimme hat. Erscheine ihm im Traume oder in Ge- stalt einer Predigt, oder du kannst auch heute abend zu ihm gehen und meine ganze Figur annehmen, indem du ein Paar Beinkleider anlegst, einen runden Hut aufsezest und dein Haar verschneidest , so dafs wahrhaftig jeder denkt, ich war' es leibhaftig.« Ich habe es Ihnen aber vorausgesagt, dafs dieser fatale Brief alles verrathen würde.

Und ich glaube gar, er offenbart es Ihnen auch, wie sehr ich Sie schäze; ich wil es aber nicht hoffen; denn es wäre zu unschicklich, jemand ins Ge- sicht mündlich oder schriftlich zu loben, es müste denn ein Frauenzimmer sein.

Am schlimmsten ist dies, dafs er Ihnen einmal einen Besuch von mir geradezu weissaget, welches ich vor Ihnen bisher mit so vieler Mühe geheim zu halten gestrebet ; denn man mus keinem Menschen eine Widerwärtigkeit dadurch nur noch schwerer machen , dafs man sie ihm vorausverkündigt. So aber sehen Sie nun den ganzen Besuch zu Ihrem gröfsern Misvergnügen völlig voraus. Inzwischen können Sie kek mit die Schuld auf drei gewisse vortreffliche Frauen- zimmer schieben, die ich gesprochen habe und daher öfter zu sprechen trachte. So ziehen sich einige Leute Wespen und Bienen in die Sommerstube, wenn sie draufsen vor dem Fenster gerade blühende und wolriechende Blumen stehen haben.

Verzeihen Sie mir den vielleicht zu scherzhaften Ton; ich bin demunge- achtet mit ausnehmender Hochachtung

Euer Hochedelgeboren

gehors. Diener Hof, d. 9 April 86. J. P. F. Richter.

Nürnberg. R. Schmidt.

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Aus der Glasgemäldesammlung des germanischen Museums.

I. Die Arbeiten Schweizer Glasmaler für Nürnberg und ihr

Einfluss.

en Glanzpunkt der ansehnlichen Gruppe von Schweizerscheiben aus dem Ende des 16. Jahrhunderts in der Sammlung des Museums bilden die vier von Christoph IMurer (Maurer) von Zürich gefertigten vier Scheiben auf das Nürnberger Regiment. Über ihre Bestimmung zur Aus- schmückung eines Raumes des Rathauses kann kein Zweifel herrschen, wenn auch zur Zeit nicht mehr bekannt ist, in welchem Raum sie sich eigentlich befan- den. Die Inschriften auf den Scheiben, deren ausführliche Beschreibung sich im Katalog der Glasgemälde II. Aufl. unter M. M. 295—298 findet^), geben zwar mit einiger Genauigkeit die Entstehung an. Leider ist es aber nicht mit Sicherheit festzustellen, ob sie auf Bestellung des Rates gefertigt, oder eine Stiftung etwa damaliger Ratsherrn gewesen sind. Das erstere ist um deshalb mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, weil sich sonst die Wappen der Stifter vorfinden würden. Es ist früher die Vermutung aufgestellt worden^), dafs Christoph Murer, der als Maler, Zeichner, Stecher und Illustrator zu den besten zeitgenössischen schweizerischen Meistern gehört, vielleicht um die Zeit der Anfertigung in Nürnberg geweilt habe. Diefs ist durch die Forschungen Meyer von Knonau's^) ebenso, wie die Behauptung, er habe das Nürnberger Bürgerrecht erhalten, als nicht stichhaltig erwiesen worden. Es fehlen leider aus den in Frage kommenden Jahren die Rechnungsbücher der Stadt Nürn- berg und auch in den Ratsprotokollen der einschlägigen Jahre wird derselben keine Erwähnung gethan. Wohl aber geht aus einem im Anzeiger für Schwei- zerische Altertumskunde, Bd. XVIII, S. 151 veröffentlichten Briefe Christoff Murer's an den St. Gallener Stadtschreiber Hans Jakob Widenhuber hervor, dafs Murer im Jahre 1604 eine weitere Folge von zwölf Wappenscheiben und diese wohl ebenfalls für den Rat zu fertigen hatte, über deren Verbleib aller- dings zunächst keine Auskunft gegeben werden kann*). In den die Publi-

1) Noch ausführlicher ist die in alle Einzelheiten gehende Beschreibung von Rahn, Anz. f. Schweiz. Altertumskunde. 1883, S. 465 ff. Die reichste der vier Scheiben ist ab- gebildet auf Tafel XIV des Glasgemälde-Katalogs.

2) Rettberg, Nürnbergs Kunstleben S. 172 und von da aus ohne weitere Begründung an verschiedenen anderen Stellen.

3) Meyer von Knonau, Die Schweizerische Sitte der Wappen und Fensterschenkung, Frauenfeld, 1884, S. 184 ff.

4) Die uns hier interessierende Stelle aus dem Briefe lautet : . . . . füge hiemit dem Herren uff sein begeren zu wissen, ob ich mich gleychwol allhie in Zürich erklärt keine wapen mehr in glas zu Brennen anzunehmen, ist das allein geschehen, damit ich nit mit zu vil arbeit überfallen werd weile ich vil mit dem fiachmalen ze thun , damit wen mir von andern Ohrten ein gutte arbeit mit gutter gelegenheit zustünde ich dest besser zu schlag möge komen, wie ich dan diser zeit albereit vnder hab ein dotzet wappen die nach Nürmberg vndetliche noch Speir gehörend, welche arbeit eine wol- bezallt werdend sonst hette ich sy och nit angenommen.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XVII.

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kation dieses wie eines weiteren uns hier nicht beschäftigenden Briefes Murer's begleitenden Ausführungen bespricht H. Bender die Thätigkeit Murer's für Nürnberg und kommt ebenfalls zu dem Schlüsse, dafs für die ja heute noch im Besitz der Stadt befindlichen, welcher Umstand von den mit der Frage sich beschäftigenden Schweizer Autoren nicht berücksichtigt wurde, vier Scheiben und die zwölf weiteren im J. 1604 erwähnten, der Rat von Nürnberg der Besteller gewesen sei. Bei der verhältnismäfsig hohen Blüte, die gerade in Nürnberg vom späteren Mittelalter an in Nürnberg die Glasmalerei erlebte, mufs es auf den ersten Blick Wunder nehmen, dafs der in allen, so auch in künstlerischen Dingen so überaus konservative Rat zur Beschaffung dieses Fensterschmuckes sich nach auswärts, noch dazu dann so weit weg gewandt habe. Der hohe Ruhm der Schweizer Glasmalerei im all- gemeinen und des Christoff Murer, der ja nach dem angezogenen Briefe auch für Speyer arbeitete, genügt doch nicht zur Erklärung. Es ist dabei zu be- achten, einmal, dafs die Kabinetsmalerei und um solche handelt es sich ja hier im Gegensatz zu der monumentalen Verwendung für Kirchenfenster u. dergl., die, wie aus unserer Sammlung ersichtlich, in ausgezeichneten Werken bis spät ins 17. Jahrhundert verfolgt werden kann, in Nürnberg keine an- nähernd so hohe Ausbildung erfahren hat, wie in der Schweiz, dais beispiels- weise Nürnberger Werke einer wenig späteren Zeit dieser Art, in der Zu- sammensetzung der Scheiben, wie in der Technik der Schmelzfarben eine ganz bedeutende Inferiorität gegenüber Schweizer Scheiben beweisen. Als Beispiele können die übrigens trefflich komponierten drei Scheiben M. M. 462 464 und die weiter unten behandelten Scheiben M. M. 442 447 gelten. Trotzdem die Blütezeit des deutschen und auch Nürnbergischen kunstgewerb- lichen Schaffens in die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts fällt,, ist doch ein Nachlassen schon im letzten Dezennium dieses und noch mehr in den ersten Dezennien des folgenden Jahrhunderts zu verspüren. Das mag die aufserge- wöhnliche Bestellung ebenso erklären, wie die fünfzehn Jahre später erfolgte Erwerbung eines französischen Prunkpokals und eines vermutlich ebenfalls französischen oder doch ausländischen Prachtschreibtisches als Ehrengeschenke beim Einzug des neu erwählten Kaisers Mathias mit seiner Gemahlin in Nürnberg.

Im Nachfolgenden möchte ich nun einmal auf einige weitere, wie schon im Katalog angedeutet, wohl schweizerische Arbeiten hinweisen, die mir mit den Murer'schen Arbeiten in Zusammenhang zu stehen scheinen, andererseits ein Beispiel von dem nachhaltigen Einflufs beibringen, den diese Scheiben auf einen weitern Zeitraum hinaus für die Nürnberger Glasmalerei gehabt haben.

Ich habe in der Neuauflage des Glasgemäldekataloges bei den Nrn. M. M. 249 und 422 ^) schon auf die stilistische Verwandtschaft dieser Arbeiten mit

5) M. M. 299. (311) Tafel, enthaltend in reicher Architektur das Allianzwappen der Dörrer und Hatzold. Unterschrift : Christoff Derrer vnd Ursula seine Ehewirtin Anno domini 1593.

M. M. 422. Rechteckige Tafel, in einer Renaissanceumrahmung, an deren Fufs zwei Genien und in deren oberem Teile der hl. Georg im Kampfe mit dem Drachen, befinden sich die Wappen der Familie Gundelfinger und Eber. Unten die Inschrift: »Georg Gundelfinger von Nürnberg Sein Hausfrau Maria Madalena Ein geborne Eberin. 1597.«

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den vier Scheiben Murer' s hingewiesen. Da sie sich auf Nürnberger beziehen, so würde die Annahme, dafs sie unter Einflufs der Murer'sChen Scheiben entstanden sind, da sie an Feinheit der Komposition und technischen Aus- führung jenen doch einigermafsen nachstehen, nahe Hegen, wenn nicht die Datierung 1593 und 1597 dem widerspräche.

Dals wir in beiden Arbeiten Schweizerscheiben vor uns haben, ergibt einmal die Gesamtanordnung, resp. die Umrahmung, dafs wir es aber so gut wie sicher mit Murer'schen Arbeiten zu thun haben, die stilistische und technische Behandlung. Die völlige Identität der Farbtöne der verwendeten Schmelzfarben würde zum Beweise nicht genügen, wohl aber die eigenartige, und von keinem Meister in so virtuoser Weise geübte Radiertechnik, die insbesondere in der ganz eigenartigen Weise, wie im Fleische die Lichter aufgesetzt sind, zu Tage tritt. Die Tutten an Nr. 299 und die allegorischen Frauengestalten an Nr. 422 verraten ebenso sofort den gleichen Meister. Ob- gleich in den vier grofsen Scheiben die Architektur eine weit wichtigere Rolle spielt als in den beiden kleinen Scheiben, so ist doch in der Behand- lung des Rollwerks und seiner einzelnen Teile, in der charakteristischen Verwendung spangenartiger Ansätze an Pilaster und Kapital genau dieselbe Manier zu erkennen. Auch die Komposition so viel einfacher sie hier ist, zeigt doch augenfällige Verwandtschaft. Freilich ist hier, wo es sich um eigentliche Wappenscheiben handelt, die als Mittelpunkt das jeweilige Doppel- wappen enthalten, auf eine Durchkomposition des Hintergrundes verzichtet; die Wappen umschliefst als Rahmen ein kompliziertes Rollwerk , während wieder unten die Ecken wie schon erwähnt, bei Nr. 422 allegorische Frauen- gestalten, bei 299 reizende Patten schmücken.

Ob die Anschaffung von Schweizer Arbeiten für Nürnberger Patrizier eine weiter verbreitete war, läfst sich an der Hand des vorliegenden Materials nicht entscheiden; wahrscheinlich ist sie immerhin. Die Vermutung, dafs die Bestellung der Scheiben für den Rat an Murer auf die schöne Scheibe des Christoph Derrer, dessen Familie in dieser Zeit zu den angesehensten Nürn- berger ratsfähigen Geschlechtern gehörte, zurückzuführen sei, liegt wenigstens nahe. Ob die andere Scheibe von 1597 mit dem reizenden Fries des Kampfes des St. Georg mit dem Drachen, ursprünglich für Nürnberg gefertigt wurde, ist dagegen nicht sicher. Die Bezeichnung des Stifters der Scheibe »von Nürnberg« läfst die Möglichkeit zu, dafs die Scheibe an einem andern Ort zunächst aufgestellt war, denn für Nürnberg selbst, wo die Gundelfinger , wenn nicht zu den ratsfähigen, so doch zu den alten »erbaren« adeligen Geschlechtern zählten, war diese Bezeichnung eigentlich überflüssig. Die aus der Sulkowski'schen Sammlung stammende Scheibe ist auch nicht in ihrer Provenienz genauer zu bestimmen. Immerhin ist' es vielleicht doch kein Zu- fall, dafs diese Werke in dem langen Schaffen Christoph Murer's gerade auf den kurzen Zeitraum von vier Jahren zusammenfallen.

Sechzig Jahre später , als die Anschaffung der Murer'schen Scheiben geschah, begegnen wir zwei ähnlichen Werken, die ebenfalls im Besitz der Stadt Nürnberg, wohl zur Ausschmückung eines Raumes des Rathauses, wenn

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nicht desselben wie M. M. 275 298 gedient haben mögen. Es sind dies die Scheiben unserer Sammlung M. M. 507 und 510 ^). Auch hier ist uns der Verfertiger ganz ausnahmsweise bekannt, es ist der mehr durch seine be- malten Gläser und Krüge bekannte , aus Harburg a. d. Elbe stammende Johann Schaper, der sich mit seinem vollen Namen ebenso wie Christoph Murer und offenbar dieses Beispiel im Auge unterzeichnete. Schaper hat in der Geschichte des Kunstgewerbes durch seine meist in schwarz mit miniatur- artiger Feinheit mit staffierten Landschaften und dergleichen gemalten Glas- gefäfse, dann durch die ihm zugeschriebenen flotten bunten und Cama'ieu- Malereien auf Fayencegeschirren einen bedeutenden Ruf erworben. Als eigentlicher Glasmaler ist er weniger bekannt. Und wenn wir auch bei einem Ueberblick der uns vorliegenden Nürnberger Arbeiten des 17. Jahr- hunderts den beiden vorliegenden Werken, vor allem was die farbige Wirkung, die Tiefe der Farben besonders anbetrifft, einen hohen Rang zuer- kennen und eine treffliche Kenntnis der Schmelzfarbentechnik zugeben müssen, so ist doch der Abstand zwischen der Leistung Murers und der seinigen ein ungeheurer und illustriert in einem treffenden Beispiel den schnellen Niedergang deutschen Kunstgewerbes im 17. Jahrhundert. Die nüchterne magere Komposition im Gegensatz zu dem überreichen allegorischen Inhalt, der Christoph Murer erst die Möglichkeit zu seiner glänzenden Aus- gestaltung gab, darf ja wohl weniger auf den Künstler als auf den Auftrag- geber und die in ihren geistigen Aeufserungen verarmte Zeitrichtung zurück- zuführen sein.

Den Rahmen bildet hier wie dort eine reiche dekorative Architektur. Betrachten wir zunächst die bessere der beiden Scheiben, M. M. 507, so finden wir in den Verhältnissen der architektonischen Glieder , der Aus- führung und Anfügung der vergröberten Details und der Verrohung des rein dekorativen Beiwerks, einen Rückgang, der für einen so bekannten Meister, wie Schaper etwas Beschämendes hat. Die sieben Wappen der Scheibe (der Septem Viri.?) sind freilich vortrefflich ausgeführt, aber die Einfügung in den dekorativen Rahmen ist hier schon keine gelungene mehr. Auch die allegorischen Figuren in den unteren Ecken, sowie die beiden Genien in den oberen sind flott komponiert und gezeichnet. Das Ganze wirkt wenigstens noch halbwegs geschlossen, wenn auch das starke Stehenlassen von weifsem Glase schon einen Schein von Dürftigkeit erweckt.

Noch dürftiger wirkt M. M. 510, weil die Rahmen und Hintergrund bil- dende Architektur , in der die drei Hauptfarben , Rubinrot , Kobaltblau und Gelb an sich schon zu unvermittelt wirken, in der Hauptsache den Gesamt- hintergrund als leere weifse Zwischenräume erscheinen läfst; vor dieser Architektur hängen ohne jede organische Verbindung die unglücklich geformten Wappen des Reiches und die beiden Nürnberger Schilder, Fünfecke, oben rechteckig und nach unten spitz zulaufend. In der weifsen Fläche schweben

6) Bezüglich der Datierung der Scheiben sei bemerkt, dafs auf M. M. 507 die letzte Ziffer 135? durch ein Notblei grofsenteils verdeckt ist, und sowohl 5 als 8 heifsen kann.

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zwei verhältnismäfsig kleine posaunenblasende Engel, die an sich sehr flott komponiert sind. Schaper hat hier, wohl wieder im Hinblick auf die Murer'- schen Arbeiten noch rothes und blaues Farbglas verwendet, was um jene Zeit in Nürnberg schon zu den Seltenheiten gehört, besonders bei feiner durch- geführten Sachen.

Zum Schlufs möchte ich noch zwei weitere Scheiben aus demselben Jahre 1658 hier anführen, M. M. 511 u. 512 die an der Spitze wie 507 denselben Namen Burkhard Löffelholz und seiner Gemahlin Anna Maria Heuglin tragen. Auch hier ist im allgemeinen die Komposition der Schweizerscheiben beibe- halten, in wenigen Farben herrschen Rot und Blau vor, und es ist ausschliefslich auf weifses Glas gemalt. Auch diese Scheiben möchte ich von stilistischen und technischen Vergleichspunkten ausgehend, Johann Schaper zuschreiben. Aber hier ist die Anlehnung an die Schweizer Scheiben , wie sie ein Murer für Nürnberg geschaffen, eine nur noch ganz äufserliche. Die Architektur- formen sind ganz und gar in einem zerfahrenen, haltlosen, an Theaterdekorationen erinnernden Stil gehalten, und es ist auf jede tiefe und kräftige Farbenwirkung verzichtet.

II. Die sechs Scheiben des Jörg Tratz.

Bei den einleitenden Worten zu den Schweizerscheiben des 16. und 17. Jahrhunderts in der Neuauflage des Kataloges der Glasgemäldesamm- lung des germanischen Museums wurde die eigentümliche Sitte der Fenster- schenkung erwähnt , die in erster Linie zur überaus grofsen Verbreitung der Scheiben, dann aber damit auch zu der aufserordentlich hohen Blüte der dortigen Glasmalerei führte. Diese eigenartige und ansprechende Sitte hat in dieser Form im übrigen Deutschland nicht bestanden, denn die Stiftung von Wappenscheiben in Kirchenfenstern von Seite von Fürsten, Gemeinwesen, Handwerkern und Geschlechtern kann nicht in dieselbe Kategorie gebracht werden. Das Fehlen der Sitte hat der deutschen und besonders der Nürn- berger Profanglasmalerei einen wesentlich anderen Charakter gegeben, der wohl der Untersuchung wert wäre. Zusammenhängende Reihen von Scheiben, die in profanen Gebäulichkeiten, öffentlichen, wie privaten, ihre Stätte ge- funden, sind wegen des Fehlens der angezogenen Sitte der Wappen- und Fensterschenkung selten, eben weil das Wesentliche der Fensterstiftung die Wappenschenkung eines Wappenführers an Andere nicht im Schwünge war. Deshalb sind zusammengehörige, nicht für Kirchen bestimmte Reihen, welche der Nürnberger Schule zugehören, in unserer sonst an Nürnberger Erzeugnissen so reichen Sammlung selten.

Sie bildeten in der Regel ohne Beziehung auf den Geschenkgeber den Schmuck von Wohn- und Gesellschaftsräumen, insbesondere wohl aber von Räumen für gesellige Zusammenkünfte, wie Zunft- nnd Trinkstuben, und überhaupt Wirtshäuser. Unter diesen hierhergehörigen Scheiben ragen die hier zunächst zu betrachtenden weniger durch hohen künstlerischen Wert, als durch die kultur- und kostümgeschichtliche Bedeutung, sowie die merkwürdige Er- scheinung der Person, auf die sie sich beziehen, hervor. Es sind dies die im

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Katalog unter M. M. Nr. 442 447 verzeichneten sechs Scheiben, welche sämtlich auf einen gewissen Georg Tratz, gelernten Barbier und Wundarzt, dann Wirt im Heilsbronner Hof der ehemaligen Niederlassung des Cister- zienser Klosters Heilsbronn, zwischen Nürnberg und Ansbach, später branden- burgischer Besitz fürstlich Brandenburgischen Geleitsmann, Impresario von Fechtschulen, Schauspielen, Ochsen- und Bärenhetzen etc. etc. Bezug haben. Wo die nach Format und Ausführung offenbar zusammengehörigen Scheiben, welche dem Kunstbesitz der Stadt Nürnberg angehören, angebracht waren, läfst sich, da die Provenienz nicht bekannt ist, nicht mit Sicherheit sagen, doch ist wohl der Schlufs, dafs sie ein Gastzimmer des ehemaligen Heils- bronner Hofes zierten, und beim Abbruch desselben, der samt der St. Niclaus- kapelle an Stelle der heutigen königlichen Bank sich befand, gerettet und in den Besitz der Stadtverwaltung gekommen sind, gerechtfertigt.

Was die Scheiben nun selbst anbetrifft, so beziehen sie sich mit Aus- nahme von zweien, von denen die eine M. M. 443 sich auf den Einzug des Kaisers Mathias, die andere auf die Veranstaltung einer Bärenhetze bezieht, wohl auf die Eigenschaft des Tratz als Brandenburgischen Geleitsreiter. Ent- standen dürften sie sämtlich in der Zeit von 1590 1620 sein. Es sind sicher in der Herstellung zwei Hände zu unterscheiden. Von der einen stammen die früheren Scheiben M. M. 444, Georg Tratz allein, verhähnismäfsig jugend- lich und die M. M. 445, worauf die Mummerei anläfslich einer Bärenhetze dar- gestellt ist. Diese sind in der Ausführung wesentlich besser und sorgfältiger; am schönsten ist die erste.

Auf einem reich gezäumten mit Beifskorb versehenen und mit Feder- büschen gezierten Apfelschimmel galoppiert Görg Tratz nach links, voraus springt ihm ein Läufer mit Peitsche, zu dessen Füfsen ein Lamm weidet, während neben dem Reiter ein grofser Hetzhund läuft. Vermutlich hatten diese Tiere eine Anspielung auf irgend ein nicht bekanntes Ereignis. Der Reiter in hohen Reitersliefeln und dunkelvioletter Kleidung; es sei bemerkt, dafs der Glasmaler eine manganviolette Farbe als Ersatz von Rot ver- wandte — trägt links auf der Brust den gevierteten, schwarzweifsen Branden- burgischen Schild mit Krone darüber, jedenfalls sein Amtszeichen. In der Rechten trägt er eine Reitgerte. Vielleicht ist die Scheibe überhaupt die Erinnerung an die Erlangung des Amtes als Geleitsmann.

Das Ganze ist gut gezeichnet und in einer Reihe von Lokaltönen auf eine Scheibe weifsen Glases mit grofsem technischen Geschick gemalt, die später eine Zahl von Notbleien erhielt. Über dem Reiter befindet sich das Tratzische Wappen, ein senkrecht geteilter rot und weifser Schild mit einem von einem Pfeil durchbohrten auf kleinem grünen Dreiberg stehenden Reh(.'')- fufs in der Mitte. Darüber die Worte Soli deo gloria. Das Bild stellt etwa einen Mann in den dreifsiger Jahren vor, ist also wahrscheinlich im letzten Dezennium des 16. Jahrh. entstanden. Die zweite Scheibe M. M. 445 ist von derselben Hand.

Vorn auf einem Apfelschimmel der mit grün, rot und gelben Feder- stutzen geziert ist, führt ein Knecht in Pelzwams und Haube einen Schlitten

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der Zug bewegt sich von rechts nach links. Zwischen den Kufen ist ein langgestrecktes Fafs befestigt, auf dem ein Bär (Bärenfell) mit einem Zügel im Maul ausgebreitet ist. Auf diesem sitzt rittlings ein Mann, jedenfalls Jörg Tratz, in gelb-rot-grünem Wams und blauen Strümpfen. Über das Haupt hat er einen über Brust und Leib herabgehenden und wie es nach der Zeich- nung erscheint mit Stroh überflochtenen Stechhelm mit Federstofs in den angegebenen Farben, sowie herabflatternder roter Helmbinde. Im rechten Arm hält er eine ebenso, wie die Gabel des Schlittens grün-rot-gelb über- zogene Stange mit Scheibe, ähnlich wie sie bei Fischerstechen gebräuchlich ist. Hinter dem Schlitten trottet ein Bär (Maske) aufrecht daher, mit Keule in der rechten Vorderpranke und einer der Helmbinde gleichen Binde um den Hals. Im Vordergrund stehen sechs ihrem kindlichen Staunen lebhaft Ausdruck gebende Knaben. Die Strafse ist mit Schnee bedeckt.

Das vorbeschriebene Bild stellt nun entweder einen Mummenschanz dar, den Jörg Tratz zur Reklame für eine abzuhaltende Hetze, durch die Strafsen der Stadt aufführte oder einen ebensolchen Zug durch die Stadt mit dem erlegten Bären. Für die Art der Bärenhetze, die gewöhnlich im Verein mit Kuh- und Ochsenhetzen späterhin gewöhnlich vom Metzgerhandwerk bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts abgehalten wurden, und zwar im Fechthaus auf der Insel Schutt, mögen die nachstehenden Notizen einer Nürnberger Chronik des 17. Jahrh. (Siebenkees, Materialien III 50ff.) eine Vorstellung geben: »Anno 1614. Sontag den 18 Decembris hat Görg Tratz der Wirth vnd Marggräffische Glaits- man Im Hailsbrunner hoff alhie, sonst der Balbirer Görg genant ein lustige Kurtzweil, vnd Kurtzweillige Lust angefangen, vnd eine Hatz im selben Hoff angestelt vnd gehalten, vnd erstlich eine Kue herfür gebracht, vnd dieselbe mit hunden gehetzt, welche sich waidlich gewehret, biss Ihr von den hunden beide Ohren abgerissen, ermüdet, vnd darvon gelauffen, darnach ist herfür" Komen ein Ochs, an welchen sich die hunde auch gehenget das er sich in einen Winckel gesteh, das die Hunde ihm nit beykomen können, Ist also in seinem Vortheil vnd mit der Kue lebendig blieben, zuletzt ist uf den plan ufgetroUt kommen ein Alter zotteter blinder Beer , welcher angebunden mit den hunden kämpfen müssen. Aber weil demselben die Zähne ausgebrochen gewesen, hat er die hunde, die vberal an ihm gehangen, nit fast beschedigen können, ohne das er sie mit den tatschen, wen er sie ertappt, zu Boden ge- druckt, aber nicht sehen können, letzlich hat er, Görg Tratz, dem Beern mit einem schweinspiess den fang gegeben, das er uf dem Platz todt blieben, vnd er allein sein Blut vergiessen müssen«.

Ein ähnlicher Bericht lautet: »1621 den 18. February, Görg Tratz, wirth vnd Fürstlicher Marggräfischer Glaitsman im Halsbrunner Hof alhie, hat einen alten Beeren hetzen, aber vor hunden nit dürffen sehen lassen, hat eine Jede Person so derselben hat zusehen 3 Creutzer, vnd ist ein grosse menge Volcks im Halsbruner hoff zusamen komen, die gesehen haben zu hetzen«. Auch aus dem Jahre 1512 findet sich in den Ratsprotokollen eine Notiz über die Erlaubnis einer Bärenhetze. Daraus geht hervor, dafs Tratz regelmäfsig

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Bären hielt, deren Hetzen wie aus den verhältnismäfsig hohen Eintrittspreisen hervorgeht, ihm sehr erklecklichen Gewinn gebracht haben dürfte.

In Ratsverläfsen wird Georg Tratz häufig genug genannt, einmal aus Anlafs der Erlaubniserteilung zur Abhaltung von Fechtschulen, um welche er in der Regel jährlich im Frühjahre nachsuchen mufste, da um kein Recht daraus entstehen zu lassen, der Rat die Erlaubnis nur für das laufende Jahr erteilte in der Weise, dafs die Fechtschulen abwechslungsweise an den Feier- tagen und Sonntagen einmal im Heilsbronner Hof, einmal im goldenen Stern am neuen Thore abgehalten wurden. Dann aber auch bei Gelegenheit der erwähnten Ochsen- und Bärenhetzen, sowie insbesondere auch der Spielerlaubis für mannigfache Komödiantengesellschaften, wie die öfter erscheinenden hoch- fürstlich hessischen Diener und Komödianten, eine der ersten englischen Truppen in Nürnberg, dann auch der ebenfalls aus Engländern bestehenden Hoftruppe des fürstlich brandenburgischen Hofes zu Ansbach. Für den so beweglichen, für alles Auffällige begeisterten Georg Tratz vermag daher die von Direktor Bosch '') aus dem Tragen eines goldenen Ohrringes auf dem Bildnis des Barbierer- geschwornenbuches gezogene Schlufsfolgerung zu Recht bestehen, dafs er selbst jedenfalls hier und noch wahrscheinlicher am Ansbacherischen Hofe gelegent- lich dieser oder jener »Kurtzweill« auch schauspielerisch thätig gewesen sei. Ebenso oft aber erscheint er in den Ratsverläfsen in seiner Eigenschaft als fürstlich Brandenburgischen Geleitsmann, in den unaufhörlichen Reibereien und Kompetenzkonflikten zwischen dem Nürnberger Rat und den Branden- burger Markgrafen betreffs der Geleitsgerechtigkeit. Die doppelte Eigenschaft die Tratz als Nürnbergischer Bürger und Unterthan und als Brandenburgischer Beamter innehatte, scheint ihm beim Rate, dem eine solche nach zwei Seiten gebundene Persönlichkeit nur genehm sein konnte, zu Statten gekommen zu sein, denn die den Heilsbronner Hof, sein Gasthaus, betreffenden Gesuche werden in der Regel bewilligt; ja als er sich im Jahre 1597 eines Übergriffs in den sonst ängstlich gehüteten Formen des Geleitswesens schuldig macht, wohl wieder durch seine Eitelkeit dazu verleitet, kommt er wie der nach- folgende Ratsverlafs zeigt, sehr gelinde weg: »Mittwoch 23 Juni 1596. Jörgen Tratzen Margravischen gleitsman im Heilsprunner Hoff soll man erfordern vnd Ime fürhalten | wie dass meine herren In erfarung gebracht [ dass er mit seiner gleitsbüchsen | als er von dem Naumburger glait kommen | herein vnd durch die Statt geritten sey | warumben er ein solches gethan hab | das wolten Ihre Herren von ihme wissen«. Dafs aber unsern Georg Tratz auch in vor- geschrittenen Lebensjahren seine Liebe zu Wein und Fechtkunst übel mit- spielten, geht aus einem argen Stücklein hervor, dafs ebenfalls nach der derselben Chronik in Siebenkees »Materialien« Bd. 3, S. 68 ff. mitgeteilt ist:

»1612 Sonntag den 22 Novembris, hat ein Fechter, ein Marxbruder, der Dürren Beckh genant, dan er seines Handwerckhs ein Beckh vnd Burgers Sohn alhie , vnd der furnembst fechter vnder den Marxbrüdern , diser Zeit alhj, zum Gulden Stern alhie ein offene fechtschuU zergangen, vnd Er fecht-

1) Siehe Mitteilungen des Germanischen Museums, 1893, S. 29 ff.

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meister alhie mit dem Jüngern Georg Tratz, sonst nach seinem Vater Balbirer Gorgle genant , Im demselben Wirthshause gezecht , vnd vnder andern vom Hoffleben der beiden Herrn Brüder, der Marggraffen Christian] zu Culmbach hoffhaltung geruhmet, wie er dasselbe stattlich hielte, vnd sonderlich vf new- lich daselbst gehaltener Kindtauff, vf welcher er Beckh gefochten, were es alles Fürstlich vnd herrlich zugangen, vnd an essen vnd drincken voll vf ge- wessen, das es billich zu loben ec. hernach oder hergegen aber der Tratz dess herrn Marggraffen Joachim Ernst zu Onoltzbach Hoffhaltung gepreiset, gegen welchen der herrn Marggraffen von Culmbach vf dem gebirg lauter Kinder- werck sey, den er im Octobris vergangen, vf des Marggraffen Onoltzbach Hochzeit gewest, vnd daselbst gesehen, wie es alles mit speis vnd dranckh recht Fürstlich, vnd mit Ziert vnd Kleidung, brechtig vnd costlich zugangen sey. Indem etliche tage, 1300 Tisch, zweimal reichlich gespeiset worden, das nit genüge am dauon könne gesagt werden. Und als ein Jeder auff seiner mainung steiff verharret , seines gnedigen Fürstens vnd herrn hoffleben sey das furtref flieh st, sint sie entlich mit Zorn gegeneinander erhitzt, das der Tratz, ein glass mit Wein genommen, vnd dasselbige dem Fechter ins angesicht ge- worffen , dass ihm die stuckh vom glass im angesicht stecken blieben , vnd ihm also geblendet, vnd noch darvber mit dem Rapier zween stiche, die aber nicht gefährlich, den dritten aber bey dem gemecht, hinein ihm geben, das Er gantz todt kranckh worden, daruf der tratz , weil es kurtz vor dem thor- sperren gewesen , zum Neuen thore hinaus gelauffen , vnd nit weit vor dem Thore des Gorg Leopoldt fuermann Buchdruckers Jungen mit eim Ross, so er ins feldt geritten, vnd nun derselbe wieder herein vnd heimbreitten wollen, angetroffen , vnd das Ross von demselben , erstlich in der guette begeret, mit Vermelden, wie er einen gestochen, vnd derwegen fliehen muesse, darumb solle er ihm das Ross geben. Er wisse woU, weme es zugehört, Er wolle es seinem herrn wider schicken oder bezallen, welches aber der Junge sich zu thun geweigert, darumb der tratz den Jungen zu erstechen gedrohet, wann er ihm das Ross mit gewalt genumen, sich daruf gesetzt, vnd ohne sattel dauon Postiret, hat aber doch nach dreyen tagen dem Fuhrmanne sein Pferdt wider zugeschickt , der verwunde fechter aber ist Im Wirthshausse vorgemelt ver- wunden, wider heil, vnd der handel vor den funffen vertagen. Aber der tratz vmb den freuel hart gestrafft worden.«

Als Geleitsreiter , wie er etwa fürstUche Personen durch das branden- burgische Gebiet geleitete, tritt uns Tratz in der dritten und vierten Scheibe M. M. 442 und 446 entgegen, denn dafs er mit seinen Söhnen in solch pomp- hafter Weise die Nürnberger Kaufleute etwa zur Frankfurter Messe begleitet, habe ist doch nicht zu vermuten. In einem Glied in derselben Anordnung der Personen , wie der nachfolgenden Scheibe , dem Einreiten mit Kaiser Mathias, von rechts nach links, auf Apfelschimmeln, in gelbem Koller mit eleganten umgelegten Spitzenkragen treten die Reiter auf, in hohen schwarzen Reitstiefeln. Sie tragen schwarze Filzhüte, an denen vorn ein schwarzweifser Federbusch, nebst einigen ebenfalls schwarzweifsen Hahnenfedern angebracht

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XVIII.

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ist. Die reichgeschirrten Pferde haben am Kopf und Schweif ebenfalls schwarz- weifsen Federschmuck, wodurch die Uniform also als Brandenburgisch gekenn- zeichnet ist. Die eine Scheibe trägt keine Inschrift, die andere die Zeilen auf einem eigens angebrachten herumlaufenden Glasstreifen: Anno Domini 1612 den 29 Junii ist Georg Tratz Fl. B. gleidtsman In Halsbruner hoff Mitt Sampt 4 Söhnen zu Mir Hanns Liener Gast geb zur gülden ganss Eingeritten Vnd Allhierinnen Mallzeit Gehalten vnd Einen Guttenn Nacht Drunk. Dafs Jörg Tratz die Scheibe in die goldene Gans stiftete, was man zunächst vermuten sollte, ist deswegen nicht wahrscheinlich, weil sie doch mit den andern zusammen- gehörig ist. Wie wir aus den zeitgenössischen Notizen über Tratz ihn kennen, hat vielleicht die glänzende Zeche, die er beim Wirt zur goldnen Gans ge- n^acht und die recht wohl in einer fürstlichen »Verehrung« ihren Grund gehabt haben kann, diesen veranlafst auf diesen »Gutten Nacht Drunk« seinem Freund und Gewerbsgenossen eine Wappenscheibe, denn auch diese wie alle übrigen Scheiben trägt das Wappen, zu stiften.

Auf dem Bild M. M. 443 (Abgebildet im Katalog der Glasgemälde 2. Auflage Taf. XV), welches das Einreiten mit Kaiser Mathias am 2. July 1612 darstellt vnd wie M. M. 442 die Inschrift enthält: Anno 1612 am 2. July ist Rom: Kay: May: Matthias in Nürn. ankommen vnd Georg Tratz Sampt 4 Söhnen also Entgegen geritten, sind die fünf Reiter, der Vater in der Mitte, je zwei Söhne zur Seite von Rechts nach Links reitend dargestellt. Sie reiten wie auf dem vorausgehenden Bild fünf Schimmel, deren Auf- zäumung bis auf die veränderte Farbe der Fedrbüsche die gleiche ist. Die Kleidung ist die vom Rat der Stadt Nürnberg der Bügerschaft bei der Einzugs- feierlichkeit vorgeschriebene Librey, Livree oder Uniform, von der zur Darnach- achtung ein Exemplar im Erdgeschofs des Rathauses ausgestellt gewesen war. Weiche graue Filzhüte mit weifs und roten Straufsenfedern, der Vater trägt deren drei, die Söhne je zwei und Hahnenfedern und roten mit weifsroten Rosetten geschmückter Hutschnur. Zwei der Söhne scheinen anfangs der zwanziger Jahre zu stehen, die aufsen reitenden, während die innern beiden noch im Knabenalter stehen. Es mufs einigermafsen auffallen, dafs die zeigen, Tratz und seine Söhne in Brandenburger, auf der andern in Nürnberger Datierung der beiden Tafeln, auf deren einer, der früheren, wie die Farben Livree erscheinen , nur um drei Tage auseinander steht. Vielleicht ist das nicht aufser Zusammenhang mit der in den Akten über den Einzug des Kaisers Mathias einen so breiten Raum einnehmenden Zänkereien über das Geleitsrecht zwischen dem Ansbacher Markgrafen und dem Nürnberger Rat, von denen der erstere das Entgegenreiten vor die Stadt mit bewaffnetem Einschreiten bedrohte, während der Rat wiederum das Einreiten der Reiterei des im Gefolge des Kaisers befindlichen Markgrafen von Brandenburg vor dem Kaiser nicht zugeben wollte. Um die feierliche Einholung zu ermöglichen, hatte der Kaiser einen Machtspruch erlassen, dais alle Geleitsfragen dadurch erledigt seien , dafs er als Kaiser des landesüblichen Geleits nicht bedürfe. Die Nürnberger durften also entgegenreiten bis Schweinau, die Brandenburgische Reiterei aber nach der Nürnberger und vor dem Kaiser in die Stadt ein-

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reiten. Die letztere Bestimmung wurde aber von den Nürnberger Bürgertruppen, ob mit oder ohne Vorwissen des Rates sei dahingestellt, nicht eingehalten und am Spittlerthor der Brandenburger Reiterei der Vorritt nicht gelassen, wodurch ein ärgerlicher, fast eine Stunde währender Auftritt entstand, sodafs die Nürnberger Reiterei , die den Vorfall nicht beachtete , schon ein gut Teil durch die Stadt geritten war , ehe der übrige Teil des Zuges durchs Thor erfolgte. Es bedurfte wieder eines in bestimmtester Weise gegebenen Befehls des Kaisers, um die festgesetzte Reihenfolge zu wahren. Tratz wollte viel- leicht zweien Herren dienen, indem er am 29. Juni als Fürstlich Branden- burgischer Beamter sich gerierte, möglicher Weise auch einen der minder bedeutenden, schon vor dem Einzug in Nürnberg eingetroffenen Fürsten bis zur Stadt geleitete, am 2. July aber als getreuer Nürnberger Bürger. Auf- gefallen mufs dies schon sein , denn in einem im Kreisarchiv befindlichen Bericht wird gerade Tratz mit seinen Söhnen neben den Anführern und bedeutenderen > Geschlechtern <' und dem mutmafslichen Schreiber des Berichts als einziger bürgerlicher Teilnehmer mit Namen aufgeführt , der noch dazu gleich nach den Herrn der Geschlechter an der Spitze der Bürger im ersten Trupp erschien.

Bei dem sechsten und letzten der in Frage kommenden Bilder ist Zeit- punkt und die Veranlassung der Entstehung nicht festzustellen. Vermutlich sind die fünf auf Jörg Tratz folgenden Reiter Tratz trägt wieder gelbes Lederkoller und schwarzen schmalkrempigen, cylindrischen Filzhut mit schwarz- weifser Federzier und reitet diesmal nach rechts auch nicht seine Söhne, sondern Soldaten oder Knechte, denn sie sind sämtlich mit kräftigen Barten und nicht jugendlich dargestellt. Sie haben auch nicht etwa dasselbe Kostüm, sondern tragen Halbharnische und hohe schwarze Reiterstiefeln, sowie die für Fürstliche Trabanten üblichen morionartigen schwarzen Hüte mit schwarz- weifsem Federbusch. In dritter Linie beschliefst ein Stallknecht in grauem Flaus mit einer Heugabel, aber doch auch schwarzweissen Federn auf dem Hut den kleinen Zug. Die Pferde sind hier braun. Möglicher Weise bezieht sich die Scheibe, auf der Tratz etwas jugendlicher erscheint als auf der letzt- genannten, auf die Teilnahme an einer kriegerischen Unternehmung des Branden- burger Markgrafen, oder stellt Tratz in ordentlicher Ausübung des Berufs, bei keiner besonders festlichen Gelegenheit dar.

Die vier Scheiben M. M. 442, 443, 446, 447 sind ebenfalls von einer Hand. Wenn auch flott behandelt, verraten sie, ziemlich handwerksmäfsig hin- geworfen, keinen bedeutenden Künstler. Ebenfalls je auf eineScheibe weifsen Glases gemalt ist die Palette der Schmelzfarben ziemlich mager bestellt und die Farben selbst sind trüb und von geringer Leuchtkraft.

Unser Georg Tratz, der so viel auf die Verewigung seiner äufseren Er- scheinung gegeben, hat sich natürlich nicht mit diesen gemalten Scheiben begnügt. Während merkwürdiger Weise keine gedruckten Bildnisse von ihm sich nachweisen lassen, mag hier doch eine kleine Zahl sonst von ihm be- kannter »Conterfets»;, wie die Zeit sich ausdrückte, erwähnt werden.

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In einem Aufsatz über das »Geschworenenbuch der Nürnberger Bar- bierer und Wundärzte« im Jahrgang 1893 dieser Mitteilungen S. 29 ff. hat Direktor H. Bosch über die merkwürdige Persönlichkeit unseres Georg Tratz schon eine Reihe von Mitteilungen gemacht , die sich an das im genannten Buch enthaltene vorzügliche Bild desselben in ganzer Figur anschliessen. Aus den das Bild begleitenden jedenfalls vom Stifter des Buches herrührenden Versen gewinnen wir zunächst den besten Aufschlufs über ihn, weshalb die- selben hier nochmals wiederholt seien :

Aber seim Sohn (des vorangehenden Niclaus Tratz)

Georg Tratz gfils hofleben bass, denn der zwagstahl darumb eben begab er sich zur reuterey hielt sich alzeit tapfer darbey mit fürsten und herrn ist er bekand angenehm bey Hoch vnd in deren stand vnd Brandenburgischer Glaitsman noch uf die stund hat oft gricht an guter ehrlicher kurtzweil viel Gott lengre ihm sein Lebensziel.

Auch im Geschworenenbuch der Barbiere hat sich Georg Tratz wohl selbst verewigen lassen, denn sein wie seiner Angehörigen Bildnisse tragen nicht den Vermerk des Stifters des Buches Conrad Schortz; übrigens gehörte er genau genommen auch gar nicht in das Buch, da er nie Geschworener des Handwerks war. Weinglas und Rappier weisen ja deutlich genug auf seine Beschäftigung hin.

Vom Heilsbronner Hof, dem Sitze Jörg Tratz und der Thätigkeit als Fechtschulimpresario gibt ein gröfserer Stich vom Jahr 1623 o. A. (Kupfer- stichsammlung des germanischen Museums H. B. 318) eine gute Anschauung, der späterhin bis ins 18. Jahrh. mehrfach nachgestochen wurde. Er stellt, wie schon von Th. Hampe in seiner Geschichte des Nürnberger Theater- wesens ausführlich beschrieben, eine der feiertäglichen Fechtschulen dar, von denen schon oben die Rede war. Für unseren Zweck ist das Blatt nur inso- fern von Interesse, als wir in dem unter der Hausthür stehenden, altern bärtigen Mann wohl den Wirt, also Jörg Tratz zu erkennen haben werden, trotz aller Flüchtigkeit und Kleinheit der Zeichnung. Noch interessanter und charak- teristischer für unseren Helden und seine Eitelkeit sind die Malereien, welche, wenn auf dem Stich auch nur flüchtig angedeutet, an der Haupt-Hoffront sich erkennen lassen. Einmal erblicken wir je zur Seite des vollständigen brandenburgischen Wappens einen nach links sprengenden Reiter (die Male- reien sind auf den breiten Zwischenpfeilern der Galerie des ersten Ober- geschosses angebracht), dann zwei Männer zu Fufs, immer von links nach rechts, der eine mit einer Fahne, endUch eine dritte Replik des dahin- sprengenden Reiters. Man geht sicher nicht fehl in der Annahme, dafs unser Jörg sich hier in seinen verschiedenen Gala - Liebereyen als »Glaitsmann«,

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dann vielleicht als Wundarzt, Fechter, Wirt oder dergleichen hat abconter- feien lassen.

Das letzte Mal , wo er uns hoch zu Rofs in seinem Paradekostüm be- gegnet ist auf dem, auf dem Rochuskirchhof zu Nürnberg befindlichen Bronze- epithaph. Dasselbe künstlerisch nicht gerade bedeutend, zeigt in einem Rund- medaillon über dem oben im Halbkreis ein Spruch aus dem Römerbrief an- gebracht ist, das Doppelwappen der Tratz und Steib (zwei Querbalken im untern Teil; darüber nach links laufender Hund). Darunter die Inschrift: Anno 1630 den 19 Martzi verschidt Georg Tratz dem Gott genedig sein wolle I Anno 1626 den 9 Martzi verschid Magdalena sein Ehewirthin ein ge- borne Steibin dene Gott ein fröhliche Aufferstehung verleihe, derer beyder vnd Ihrer leibs Erben Begrebnus. Unten in einem schildförmigen Ansatz Georg Tratz zu Pferd in einem Galakostüm mit gezogenem Schwert, darüber der Spruch: Wir hoffen zu Gott, der uns geschaffen hat.

Nürnberg. Hans Stegmann.

Ein Verwandlungsbild des XV. Jahrhunderts').

,eit Essenwein im Jahre 1874 die im germanischen Museum befind- lichen Holzschnitte des 14. und 15. Jahrhunderts publiciert hat, sind nach dieser Seite hin wieder eine ganze Reihe neuer Erwer- bungen zu verzeichnen, von denen die meisten bei Schreiber^) bereits auf- geführt, einige jedoch auch ihm noch unbekannt sind, weil sie erst nach Ver- öffentlichung des 3. Bandes seines bekannten Werkes in unseren Besitz ge- langten. Unter diesen letzteren greife ich heute ein Blatt zur Besprechung heraus, welches in mehrfacher Beziehung nicht ohne Interesse ist. Schon in Hinsicht auf den Gegenstand der Darstellung läfst sich dies behaupten. Während nämlich die Mehrzahl der auf uns gekommenen Holzschnitte jener Zeit lediglich religiöse Motive zum Vorwurf haben, greift unser Blatt zu einem profanen Gegenstande und weifs diesen sogar in einer sehr originellen scherz- haften Weise zu gestalten.

Eine detaillierte Beschreibung wird uns dies veranschaulichen: Vor uns erscheint im Bilde ein von der Seite gesehenes Pferd, das sich in mäfsiger Bewegung befindet und den Kopf dem Beschauer zuwendet. Die Mähne des Tieres ist gescheitelt, der Schwanz geknotet. Sattel und Zaumzeug verraten Schmuck und Prunk. Unverständlich erscheint auf den ersten Blick die Form des Gebisses. Die Hebelstangentrense, welche seitlich mit einer Rosette ver- ziert ist und einen Ring zur Aufnahme der Zügelleinen aufweist, erscheint ohne Verbindung mit dem Stirnband, dem seinerseits wiederum der Halt

1) Inv. H. 5690. Gröfse: 270:195. Die Reproduktion ist in verkleinertem Mafs- stabe hergestellt.

2) Manuel de l'amateur de la gravure sur bois et sur m^tal au XVe siecle.

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mangelt durch das Fehlen des von der Schläfengegend aus hinter die Ohren abzweigenden Kopfriemens. Der Stirnstreifen trägt als Schmuck in der Mitte ein Anhängsel in Gestalt eines Rautenkreuzes. Von der Trense aus nach dem Sattel zu laufen die locker liegenden Doppelzügel, von denen einer glatte Ränder hat, der andere aber einseitig gezackt erscheint. Der Sattel selbst weist eine sehr hohe Lehne auf und liegt über der reich gezattelten, mit Scheibenschmuck ausgestatteten Schabrake, unter welcher sich Vorder- und Hinterzeug des Geschirrs vereinigen. Ersteres besteht aus einem einfachen Brustblatt, das gleichfalls mit Metallscheiben besetzt ist, eine Verzierung, welche wir auch bei den Zaddelgehängen der Unterlegdecke antreffen, ebenso wie an den zackigen Anhängseln des Hinterzeuges. Diese haben dieselbe Form wie die am Brustteil angebrachten, nur unterscheiden sie sich von ihnen durch eine etwas gröfsere Länge. Der Hauptriemen des Hintergeschirrs ist nicht wie beim Brustblatt glatt, sondern in derselben Weise wie die von ihm aus über das Kreuz des Pferdes laufenden Querriemen gezackt und weist ab- wechselnd Scheiben- und Rosettenverzierung auf.

Auf dem derartig angeschirrten Tiere, respective an einer in mäfsiger Höhe über demselben befindlichen Stange sind vier Bruchstücke zweier Affen- körper angebracht, die vervollständigt werden durch ein schmales mit dem Hauptblatt durch eine leichte Verknotung verbundenes Längsblättchen, an dem die auf dem eigentlichen Holzschnitt nicht angedeuteten Mittelteile der Leiber zur Ausführung gekommen sind. Je nachdem man nun diesem dreh- baren Papierstreifen eine verticale oder horizontale Stellung giebt, ändert sich das Gesicht unseres Bildes. Im ersteren Falle erblicken wir einen im Sattel sitzenden Affen, der auf einem Dudelsack bläst und sich mit seinem Körper soweit zurückbiegt, dafs sein Schädel auf die Schwanzwurzel des Pferdes zu liegen kommt. Horizontal über ihm schwebt dann der zweite Affe, der sich mit den Füfsen und der linken Hand an die Stange klammert, während er in der Rechten einen breiten Kreisring hält, der durch sechs Speichen in die entsprechende Anzahl von Feldern geteilt wird. Bei der horizontalen Lage des Längsblättchens ändert sich die Darstellung derart, dafs dann nicht mehr der Dudelsackblasende Affe im Sattel sitzt, sondern der mit dem Kreisring in der Hand, während der erstere sich nunmehr mit beiden Beinen um die Stange klammert. Diese selbst ist an ihren Enden in der Leibung eines die ganze Dar- stellung umrahmenden Thorbogens eingelassen, der architektonisch sehr ein- fach gestaltet ist: Zu beiden Seiten erhebt sich im Vordergrunde eine Drei- viertelsäule, die allerdings als solche kaum zu erkennen ist. Basen sind nicht vorhanden, wohl aber völlig unverstandene Kapitelle, an denen man mit einigem guten Willen vielleicht noch Wulste und Hohlkehlen unterscheiden kann. Der halbkreisförmige Bogenwulst, den die Kapitelle tragen, bildet zu beiden Seiten Zwickel, in denen Dreiecke eingeblendet sind, die ein Blattornament aufweisen. Der Abschlufs nach oben ist durch eine einfache horizontale Linie hergestellt, welche die Bogenhöhe berührt.

Mit diesen Bemerkungen wäre die Beschreibung des interessanten Blattes abgeschlossen, das sich uns als ein frühes Beispiel eines Verwandlungsbildes

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darstellt. In demselben Verhältnis wie die aus jener Zeit stammenden Holz- schnitte religiösen Inhalts mit ihren jedermann verständlichen Scenen aus dem

Figr. 1.

Leben Jesu, seiner Mutter und der Heiligen gewissermafsen zum Unterrichte des in Lesen und Schreiben noch nicht allgemein durchgebildeten Volkes

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dienten, waren diese Blätter zur Unterhaltung bestimmt. Diese bildete neben der religiösen Erbauung schon frühzeitig mit einen Zweck der Reproduktion bildlicher Darstellungen. Das beste Beispiel dafür haben wir in den Spiel- karten, welche, wenn sie auch nicht als älteste Erzeugnisse der Formschneide- kunst gelten können, doch schon bald nachdem der Holzschnitt die erste Phase seiner Entwicklung durchschritten hatte, einen grofsen Prozentsatz der Produkte dieser Kunst ausmachten. Einen ähnlichen Zweck wie diese Karten verfolgten auch die Vexir- und Verwandlungsbilder, nur dafs sie nicht so sehr zur Unterhaltung der Alten als vielmehr der Jugend dienten, für welche man um nicht allzuhohen Preis derartiges Spielzeug in den Krambuden oder vom »fliegenden Händler« kaufte. Unser Holzschnitt bildet das erste mir bekannte Beispiel eines auf reproduktivem Wege hergestellten Blattes dieser Gattung. Eiii gleichzeitiges Pendant ist in den Sammlungen unseres Museums nicht vertreten, und erst der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts gehören die im Kupferstichkabinet befindlichen ersten Exemplare der bekannten Doppelkopf- bilder an, welche von oben wie von unten betrachtet immer ein Gesicht auf- weisen. Sowohl bezüglich dieser als auch ähnlicher Darstellungen überhaupt läfst sich behaupten, dafs sie im Laufe der Jahrhunderte fast keine oder doch nur ganz geringfügige Wandlungen durchgemacht haben, wie ja überhaupt die Mehrzahl der für die Jugend berechneten Unterhaltungsartikel, abgesehen von jeweiligen Modespielen, im allgemeinen dieselbe geblieben ist. Man halte nur einmal um ein gerade für unseren Fall interessantes Beispiel zu geben neben den eben beschriebenen Holzschnitt eine der besonders in den acht- ziger Jahren u. J. wieder so verbreitet und beliebt gewesenen Verwandlungs- figuren, die durch verschiedenes Zusammenfalten des Blattes andere Köpfe resp. Extremitäten bekommen, und man wird eine auffallende Übereinstimmung der zu Grunde liegenden Idee konstatieren, nur mit dem Unterschied, dafs dieselbe in unserem Holzschnitt bedeutend gehaltvoller zur Ausführung ge- bracht ist.

Wenn man nun auch bei derartigen direkt aus dem Zweck der Unter- haltung heraus geschaffenen Darstellungen naturgemäfs einen rein künstlerischen Mafsstab nicht anlegen kann, so läfst sich von unserem Blatt doch behaupten, dafs es die Durchschnittsarbeiten dieser Gattung sicherlich übertrifft. Ohne Zweifel haben wir es mit der Arbeit eines Briefmalers zu thun, der vielleicht verschiedene Motive aus Werken gröfserer Künstler geschickt benutzt und für seinen Zweck auf den Stock übertragen hat. Man kann durchaus nicht sagen, dafs die Zeichnung im , allgemeinen roh und ungeschickt wäre; im Gegenteil bekundet dieselbe eine ungezwungene Leichtigkeit, und die Aus- führung erscheint nur infolge der ziemUch starken Konturen etwas nach- lässig. Derbe Linien sind es, welche die äufseren Umrisse wie die innere Gliederung der Gestalten geben; eine Andeutung der Schattenpartien äurch Strichlagen fehlt so gut wie ganz. Trotzdem ist der Schnitt nicht primitiv und schlecht zu nennen. Im allgemeinen weifs er die vorgezeichneten Formen geschickt herauszuheben , wenigstens in der Hauptdarstellung , während ja bei dem als Beiwerk betrachteten Rahmen arge Flüchtigkeiten, besonders an den Capitellen und beim Ornament des linken Zwickels, zu verzeichnen sind.

129 "*

Der Druck ist in schwarzer Farbe ausgeführt, jedoch nicht ganz gleich ;

an manchen Stellen erscheint er scharf und bestimmt, an anderen blässer

und intermittierend. Dieser letzte Punkt würde Weigel ^) jedenfalls veranlalst

haben, unser Blatt unter die sogenannten Metallschnitte zu rechnen, deren

Druck, wie er sagte, meist »grieslich« wäre, weil das polierte Metall nicht

wie Holz die Farbe leicht aufnähme und festhielte, sondern sie wie ein fettiger

Körper leicht zu kleineren und gröfseren Punkten zusammenlaufen lasse. Dals

diese Ansicht illusorisch ist, steht heutzutage fest ; nicht auf das Material der

Platte, sondern auf die Art und Weise des Druckes, auf die Stoffe und die

Bereitung der alten Druckfarbe sind die Fehler des Abdrucks zurückzuführen.

Eine Verschiedenheit der Zusammensetzung bedingt jedenfalls auch eine solche

des Abdrucks. Andrerseits sind Unregelmäfsigkeiten auf ein und demselben

Blatt, wie bei unserem Holzschnitt, durch ungleichmäfsige Verteilung der

Schwärze hervorgerufen. Ein Anzeichen für einen ungenügend festen und

sicheren Prefsdruck^) darf man jedoch in diesem Falle darin nicht sehen,

denn unser Blati trägt auf der Rückseite deutliche Spuren der Glättung und

des Niederdrückens der Papierfasern an sich; auch haben sich die Formen

des Holzstocks ziemlich tief ins Papier eingedrückt: alles Anzeichen, die auf

einen Reiberdruck schlieisen lassen.

Wie fast alle älteren Holzschnitte, so ist auch der unsrige nicht ohne

die übliche Colorierung. Die ganze Ausführung, die sich beim Schnitt nur auf die Betonung der Kontur beschränkte, forderte eine übermalung, wenn sie auch nur in ganz geringer Weise den Anspruch machen wollte, ein Bild im Kleinen zu schaffen. Schwarze Darstellungen würden in jener farbenfrohen Zeit jedenfalls wenig Absatz gefunden haben; dem Geschmack des Publikums mufste schon damals Genüge geschehen, und die Illuminatoren besorgten dies in der ausgiebigsten Weise. Um die Frage »wie« kümmerten sie sich aller- dings bei der Ausführung nicht allzuviel; das zeigt uns der erste Blick, den wir auf ihre Produkte werfen. Nur ganz selten findet sich unter diesen Arbeiten einmal ein Blatt, welches aus der Masse der Handwerksware heraus- fällt. Auch von unserem Holzschnitt läfst sich dies nicht behaupten. Das Colorit desselben ist von geringer Sorgfalt und hält die Konturen in vielen Fällen nicht ein. Die zur Anwendung gekommenen Farben sind Safrot, Grau, Braun, Ocker und Grünspahn. Das verschossene Rot mit dem Glänze des aufgelegten Kirschharzes findet sich an der Leibung, abwechselnd bei zwei Zaddelstreifen der Schabrake und in derselben Weise in drei Feldern des Kreisrings. Die drei entsprechenden Abteilungen desselben sind grau, ebenso wie das Pferd, der Balg des Dudelsacks und die Zwickel; letztere allerdings nur in sehr beschränktem Mafse, insofern die Dreiecksblenden, welche sie zum gröfsten Teil ausfüllen, mit Grünspahn übergangen sind. Diese Farbe tritt aufserdem noch auf an den beiden übrigen Zaddelgehängen der Unterlegdecke des Sattels. Dieser selbst ist gelb, ebenso wie das Geschirr des Pferdes, das Pfeifenwerk am Dudelsack und die sechs Speichen des Kreisrings.

1) Die Anfänge der Druckerkunst in Bild und Schrift.

2) Wohl zu unterscheiden von dem mittels der Druckerpresse hergestellten.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1898. XIX.

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Weiterhin kommt Ocker noch zur Verwendung bei den Säulen und Kapitellen, am Bogenwulst, bei der Querstange der Leibung und dem zwischen dieser letz- teren liegenden Stück des Fufsbodens. Braun sind nur die Körper der Affen. Diese Farbenzusammenstellung gestattet einen ziemlich sicheren Schlufs auf die Herkunft unseres Bildes, denn das Colorit gibt feste Anhaltepunkte zu einer Scheidung und Gruppierung der älteren Formschnitte. Ob und inwieweit die einzelnen Malerschulen auf den Geschmack der Bildilluminierer einen Einflufs ausgeübt haben, will ich hier nicht feststellen; jedenfalls läfst sich so viel behaupten, dafs wenigstens bei den schwäbischen Erzeugnissen bezüglich des lebhaften Colorits eine gewisse Coincidenz zwischen den Ge-

Fig. 2.

mälden und Holzschnitten besteht. Auf Grund dieser lebhaften Farbengebung, welche sich bei den fränkischen, oberbayerischen oder gar niederländischen Holzschnitten nicht im entferntesten findet, mufs ich auch für unser Blatt den Ort der Entstehung nach Schwaben verlegen und kann es mit Rücksicht auf das geradezu typische Colorit wohl als eine Ulmer Arbeit bezeichnen. Mit diesem Ergebnis stimmt auch überein, was bezüglich der Provenienz des Bildes in Erfahrung gebracht werden konnte. Unser Blatt ist nämlich in Ulm beim Abbruch des Kirchles gefunden worden, war dann eine Zeitlang im Besitz des Hauptmanns Geiger in Neuulm, kam von hier an L. Rosenthal in München, danach an H. G. Gutekunst in Stuttgart, auf dessen Auktion es vor ein paar Jahren vom germanischen Museum für die Sammlungen erworben wurde.

Die Frage nach einer genaueren zeitlichen Begrenzung der Entsteh- ung ist in diesem Falle nicht so einfach beantwortet. Die Hauptursache dafür liegt besonders in dem Fehlen so mancher Hilfsmomente, welche

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die Datierung anderer Blätter erleichtern. Ich muls mich daher an die wenigen vorhandenen Punkte halten und will zunächst vorausschicken, dafs das Wasserzeichen des Papiers in einem Herzen besteht , zwischen dessen beiden Lappen sich ein Kreuz erhebt. Wenn nun auch nach dem bisherigen Stand der Forschung feststeht, dafs derartige Zeichen von nicht geringer Wichtigkeit für die Altersbestimmung sind, insofern sie alle nur eine bestimmte Zeit im Gebrauch waren ^), so ist es mir in diesem Falle trotzdem unmöglich, auf Grund des Wasserzeichens eine genauere Datierung zu geben, weil ich es anderweitig nicht gefunden habe und auch nichts näheres über die Zeit seiner Verwendung feststellen konnte. Es wird dies insofern zu ent- schuldigen sein, als die Forschung nach dieser Seite hin überhaupt noch wenig fortgeschritten und über die grundlegenden Arbeiten Briquets kaum hinausgekommen ist. Ich mufs mich daher darauf beschränken, auf folgende Momente aufmerksam zu machen. Zunächst können wir bei unserm Blatt bezüglich der farbigen Ausführung einzelner Partien, so besonders des Pferde- körpers und des Balges am Dudelsack eine höhere Entwicklung feststellen, als wir sie in vielen Holzschnitten des 1 5. Jahrhunderts vorfinden. Wir haben nämlich in den erwähnten Teilen nicht gleichmäfsig aufgetragene , platt hin- gesetzte Farben vor uns, sondern bemerken eine deutliche Nuancierung durch verschiedene Tinten und gut ausgesparte Lichter. Wenn nun allerdings auch bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts diese Technik des öfteren zur Ausführung kommt, so weist sie doch in der Regel nicht die gute Natur- beobachtung auf, wie wir sie bei unserem wenn auch flüchtig und oben- hin kolorierten Holzschnitt konstatieren können. Weiterhin möchte ich auf die verhältnismäfsig schon recht gute Kenntnis der Perspektive hinweisen und auch die Haltung und Formen des Pferdes nicht unerwähnt lassen. Diese erinnern in ihrer gedrungenen Derbheit und Schwerfälligkeit schon lebhaft an die Renaissancerosse, wie wir sie beispielsweise bei Burckmair und Cranach finden. Auch das Ornament der Zwickel deutet schon auf einen Einflufs der von Italien ausgehenden Kunstrichtung hin, sodafs ich mich dafür entscheiden möchte, das besprochene Blatt als ungefähr um 1500 entstanden zu bezeichen*).

3) Kirchner (die Papiere des 14. Jahrhunderts im Stadtarchive zu Frankfurt a. M.) behauptet, höchstens 25 Jahre.

4) Wir wollen nicht unterlassen zu bemerken, dafs hervorragende Kenner früher Holzschnitte, Professor Dr. M. Lehrs in Dresden und Direktor Dr. H. Bosch, hier u. A. das Blatt nach seiner Technik und wegen der Zaddelung des Zaumzeuges der Zeit von 1440—1450 zuweisen. D. Red.

Nürnberg. Dr. Alfred Hagelstange.

Das Nürnberger Wappen mit dem Jung- frauenadler.

;n meinem Artikel über »das Nürnberger Geschlechterbuch von 1563« habe ich auf S. 76 f. dieser »Mitteilungen« abgedruckt, was in dieser Handschrift über das Wappen der Reichsstadt Nürnberg geschrieben steht. Der Jungfrauenadler, der jetzt als Stadtwappen gebraucht

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wird, soll nach dieser Handschrift der Stadt vom Kaiser von welchem ist nicht gesagt verliehen worden sein, »dieweil das schlofs nie gewunnen oder von dem kaiser abweichen wollen.« Ich hielt es für selbstverständlich, dafs diese Angabe als das, was sie ist, als eine IMythe, eine Wappensage, als eine poetische Erfindung späterer Zeit erkannt werde, und hielt es für überflüssig, hierauf noch besonders aufmerksam zu machen.

Ich habe aber nachträglich erfahren, dafs diese unwidersprochene An- gabe doch mancherlei irrige Meinungen hervorgerufen hat. Ich halte mich cfeshalb für verpflichtet, hiedurch noch ausdrücklich zu erklären, dass irgend eine Urkunde, durch welche der Jungfrauenadler der Reichsstadt Nürnberg als Wappen verliehen wurde , natürlich nicht existiert, dass überhaupt der Jungfrauenadler erst in späterer Zeit zu einem solchen geworden ist und dafs das ursprüngliche Bild überhaupt keine Wappenfigur, sondern ein Siegelbild gewesen ist.

Das eigentliche Stadtwappen war der gespaltene Schild mit dem halben schwarzen Adler in Gold und der sechsfachen rechten Schrägteilung in Silber und Rot ^). Der Vorläufer des heutigen Jungfrauenadlers, aus dem sich letz- terer entwickelt, war das Bild des Siegels des Nürnberger Rates, das 1243 zum ersten Male urkundlich auftritt. Von einer Jungfrau ist hier aber gar nichts zu sehen; dem Adlerleib ist vielmehr der gekrönte Kopf des Kaisers aufgesetzt, dessen Gesicht von langen Locken umrahmt ist^). Diese Haar- tracht war die Tracht des 13. Jahrhunderts. Ganz ähnlich wie auf dem Siegel findet sich dieselbe z. B. bei der Figur Kaiser Rudolfs von Habsburg auf dessen Grabmale. In späterer Zeit verstand man diese Haarfrisur nicht mehr und hielt infolge dessen das Bild für dasjenige einer Frau. Als solche erscheint die Figur auf dem Titelholzschnitt der Nürnberger Reformation, im Auftrage des Nürber^er Rates gedruckt von Anthoni Koberger 1484; die weiblichen Brüste fehlen aber noch. Ebenso ist der Jungfrauenadler auf dem Titelholzschnitt des Nachdruckes der Nürnberger Reformation von Hanns Schönsperger in Augsburg 1498 vorgestellt. Auf der zweiten offiziellen Aus- gabe dieses Buches, gedruckt bei Hieronymus Höltzel in Nürnberg 1503, ist der Jungfrauenadler aber bereits mit weiblichen Brüsten versehen, die er bis auf den heutigen Tag behalten hat. Von Interesse ist, dass schon bei der ersten Ausgabe der Reformation das zum Wappen gewordene Siegelbild dem alten Nürnberger Wappen mit dem halben Adler und der Schrägteilung voran- gestellt ist und auch auf den Holzschnitten der folgenden Ausgaben voran- gestellt bleibt.

Gustav A. Seyler^) sieht in dem Vogel nicht einen Adler, sondern eine Harpyie. Ein Grund hiefür ist nicht zu erkennen; denn der gemauerte Leib, welchen das bei Seyler a. a. O, nach dem Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 1855 Sp. 127 abgebildete Siegel hat und der die von Aeneas und

1) Mummenhoff, Altnürnberg. Bbg. 1890 S. 24.

2) Abbildung s. Mummenhoff a. a. O. S. 23.

3) Geschichte der Heraldik. Nbg. 1885—1889 S. 157.

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seinen Genossen erprobte Undurchdringlichkeit des Gefieders anzeigt, ist im Original, wie ich mich an einer Reihe von Originalsiegeln des 13. und 14. Jahrhunderts überzeugt habe, gar nicht vorhanden. Das Siegel ist also nicht ganz genau gezeichnet ; statt des gemauerten Leibes soll es vielmehr einen ge- fiederten haben.

Nürnberg. Hans Bosch.

Zur Narrenlitteratur des XVI. Jahrhunderts.

inen kleinen Beitrag zur Kenntnis von der Verbreitung der Narren- litteratur in der ersten Hälfte des XVI. Jahrhunderts gewährt ein Blatt aus einer Sammelhandschrift des Nürnberger Patriziers Hie- ronimus Koler, welche sich in der Bibliothek des Germanischen Museums (Hs. 2908. 2.) befindet. Daselbst ist als Fol. 34 ein Blatt eingeklebt, welches offenbar die handschriftliche Nachbildung eines fliegenden Blattes darstellt, dessen Text zugleich die hochdeutsche Übersetzung eines Abschnittes aus Mur- ners Narrenbeschwörung (Cap. 21, V. 1 52) bildet.

Das Blatt zeigt in der unteren linken Ecke das bis zu ^4 Blatthöhe sich erhebende Brustbild eines nach links gewandten Juristen in Schaube und Barett, der einen Brief mit anhängendem Siegel zwischen beiden Händen hält. Links von der Figur, etwa in Mundhöhe, ist auf einer sehr flüchtig gezeichneten, an einer Schlinge hängenden viereckigen Tafel die Überschrift des Textes zu lesen, mit einem sehr wirren Monogramm, das ich nicht zu entziffern ver- mag, und der Jahreszahl 1532. Unter der Tafel steht das Motto: »Bekentt ist halb gebeicht«. Zur Dekoration ist unterhalb dieses Mottos und ferner in der oberen linken Ecke je ein Narrenkopf angebracht, beide mit gesenkten Eselsohren, an deren Enden eine Schelle hängt. Der untere dieser beiden Köpfe ist aus einem anderen Blatte ausgeschnitten und aufgeklebt, doch sind sie beide offenbar von derselben , nicht sehr geschickten Hand gezeichnet. Unter dem oberen Kopfe zeigt ein Handweiser zum Anfang des Textes.

Oberhalb des Juristenbildes stehen die Verse 1 14, und rechts von diesen und hinter Kopf und Rücken der Figur herab die folgenden 41 Verse. Der Text steht innerhalb der Randlinien, die die Umgrenzung des Bildes dar- stellen. Man hat sich also den Druck des Blattes so zu denken, dafs die betr. leer gebliebenen Stellen des Holzstockes ausgesägt und in das entstandene Loch die Lettern eingesetzt wurden, so dafs nun mit einem einzigen Abzüge Text und Abbildung zugleich gedruckt werden konnten. Der Text ist von Koler selbst geschrieben, doch ist die sonst sehr grofse und kräftige Handschrift des- selben hier klein und zierlich, offenbar infolge des Bestrebens, den ziemUch um- fangreichen Text auf der Seite unterzubringen. Eben in diesem deutlichen Bemühen finde ich einen Hauptgrund für die Annahme, dafs es sich um die Abschrift eines Flugblattes handelt, denn ohne besondere Veranlassung würde

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Koler seine Handschrift kaum auf ein Viertel verkleinert haben. Aber auch die ganze Anordnung von Text und Darstellung macht durchaus den Eindruck, dafs man es mit einem Flugblatte zu thun hat. Ebenso spricht dafür die verallgemeinernde Moral, die als Schlufs angefügt ist, zumal da bei Murner der Abschnitt noch gar nicht mit Vers 52 schliefst, und wenn es sich nur um eine Übersetzung desselben gehandelt hätte , so wäre kein ersichtlicher Grund vorhanden gewesen , das vorliegende Original zu verkürzen. Dieses letztere dagegen war durch die Rücksicht auf den Raum geboten, sobald es sich um ein Flugblatt handelte. Da in diesem Falle nun auch die Verse ganz aus dem Zusammenhange der Narrenbeschwörung herausgerissen wurden, so wird es verständlich, dafs man auch in Vers 48 die Worte der Vorlage: »Darum ich müsz üch hie beschweren« nicht mehr gebrauchen konnte.

Demnach liegt uns also die handschriftliche Fassung eines Flugblattes vor, und zugleich ein interessanter Beweis für die Beliebtheit von Murners Narrenbeschwörung. Dafs Koler selbst auf den Gedanken gekommen sein sollte, einen Abschnitt dieses Buches als Flugblatt zu verwenden , und dafs wir in dem vorliegenden Blatte also den ersten Entwurf dazu erblicken müfsten, ist nach dem übrigen Inhalt seiner Handschriften, die meist aus Lebens- und Familiennachrichten etc. bestehen, nicht anzunehmen. Vielmehr haben wir es wohl mit der Abschrift eines wirklich in Druck erschienenen Blattes zu thun, welches Koler als angehenden Juristen inhaltlich interessierte^). Ob sich die Jahreszahl 1532 auf die Zeit des Druckes oder auf die der Abschrift bezieht, läfst sich nicht entscheiden, doch ist wohl das erstere anzunehmen. Es liegt uns also die Abschrift eines Flugblattes vor, welches genau 20 Jahre nach der ersten datierten Ausgabe der Narrenbeschwörung gedruckt wurde ^).

Sprachlich will ich nur eine Bemerkung machen, nämlich zu dem Aus- druck »trocken scheren« (V. 48), der in Grimms »Deutschem Wörterbuche« nicht richtig erklärt ist. Daselbst heifst es Bd. VIII, pag. 2575 unter der Chiffre h: »besondere beachtung verdient die redensart, einen trocken scheren eigentlich einen barbieren, ohne ihn vorher einzuseifen.« Diese Erklärung ist an sich schon nicht gut denkbar, es handelt sich aber auch gar nicht um eine besondere Art der Thätigkeit des Barbierers, sondern um einen handwerks- mäfsigen Unterschied zwischen der Arbeit der Barbierer und der der Bader. Um diese meine Anschauung zu belegen und zugleich im einzelnen deutlich zu machen, verweise ich auf eine allerdings ca. 150 Jahre jüngere Stelle, die ich in dem Buche »Von Ursprung und Herkommen samt der Beschreibung aller Hand Wercker in der Stadt Nürnberg« ^) finde: »Die Barbierer haben auch nun eine lange Zeit einen grofsen Streit und Rechtfertigung mit dem Bader Hand-

1) Hieronimus Koler, geb. 1508 zu Nürnberg, kam 1548 ins Stadtgericht und wurde im Jahre 1560 Stadtrichter daselbst.

2) Vgl. K. Goedeke, Grundrifs z. Gesch. d. d. Dichtung. 2. Aufl. II, pg. 216.

3) Bibliothek der Merkel'schen Familienstiftung, deponiert im Germanischen Nat.- Museum, Hs. 981, c. 1690. 2. pg. 131. Vgl. auch Joh. Ferd. Roth, Fragmente zur Ge- schichte der Bader, Barbierer, Hebammen .... in der freyen Reichsstadt Nürnberg. 1792. kl. 4. pg. 22.

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werck, dals dieselben Niemand, wie Sie reden trucken scheeren sollen, sondern nur die würcklich in ihren badstuben baden , und also ausgezogen und nafs nur das Haar, und bart buzen derffen.« Nun aber galt das Treiben in den Badestuben und die Behandlung durch die Bader bis hoch in das 16. Jahrhundert hinein als gröfste Annehmlichkeit , wie denn das Baden zu den sieben mittelalterlichen Seligkeiten gehörte. Der Ausdruck »trocken scheren« bedeutet also ursprünglich nur eine Behandlung, die nicht so vergnüglich ist wie diejenige, die man in den Badestuben erfährt. Erst nachdem dieser Ge- danke im Anschlufs an den Gebrauch des einfachen Wortes »scheren« stärker betont wurde, kam die Redensart, »trocken scheren« zu der Bedeutung des Piagens und Quälens.

Im Folgenden gebe ich den Text in der Weise wieder, dafs ich die Ab- weichungen von Murner durch die Anmerkungen deutlich mache, wobei ich Goedekes Ausgabe der Narrenbeschwörung folgen lasse. Die selbständigen Einschiebungen werden durch gesperrten Druck kenntlich gemacht.

Ich red ein loch yetz durch ein brieff | so braitt weitt *) vnd auch so tieff | vnd triff man weib vnd ir kinder | stundens schon zwo meill dar hinder

X. 1532.

Bekentt ist halb gebeichtt.

Sitztt dir der sathan-^) auff der zungen

das du so schedigest altt vnd junge

vnd die frumen brieff zersthichst

an mir armen man dich riehst

5. der dir ny kein leidt hatt gethan

du zwingst mich an den bethel gon

vnd seztt dir für ein fauUe Sachen

mitt roszwasser mich wo 11 riehen wellen machen

wasz zeuchstu mich vnd meine kindtt.

10. die leider yeztt verdorben sindtt.

so wir doch brieff vnd sigill hatten

die wir von gantzem ratt erbatten

so finstu nu ein cleuszlein drin

die krumbst vnd beugst nach deinem syn 15. wie ich dem rechten lauffen noch

so hastu **) meinem brieff gemachtt ein loch

vnd hast das rechtt getrogen fayll

I darumb du auch zeugst am narensayll

wie du dich rumst ist leider war

4) breit und wit. 5) tüfel. 6) hast. 7) nüt gar.

136

20. vnd feiest nichts '^) vmb ein har

das du vill gutter frumer sachen

hast schentlich kunen hincken machen

der bössen auch herwiderum(b)

sy warent faull falsch oder krum 25. es war^) kein sachen ny so kaltt

wen man euch den senfft bezaltt

vnd nam von euch consilium

so wasz sy rechtt wer sy schon krum

wen ir all ding kundtt richtten 30. rips vnd raps all krummen schlichtten

so denck daran du lieber weinschlauch ^)

das gott wirtt selber richtten auch

dein eigen sach dir legen für

da brauch vernu[n]fft die selb glosir 35. den er verstett sich woll auff rechtten

lest jm kein stroen partt nit flechten

rechenstu ^'^) herfur ein falchse (sie) glosz

mein sorg wer vnsers hergotts rossz

dem wurtt dein sattel vbel stan 40. damitt du betreugst mannchen man

wie offt habt ir das rechtt verzogen

das nun das vrtteill wird gepflogen

wen ir den schon die sach verliertt

so habtt ir baltt da appelirtt 45. vrsach^^) gen Rom genumen

wie soll ich armer naher kumen

also kundtt ir das rechtt verkeren

darumb thue ich euch hie drucken scheren^-)

wen ir die sachen hie verziehen 50. vnd schon dem richtter hie empflichen

so faltt ir gott in sein vrtteill

der tregt sein rechtt vmb kein gelt faill

ach ir Juristen | ir seitt gemeinlich

bösse Cristen | darumb so helff

euch gott I änderst ir kumptt in grosse nott.

8) ward. 9) gouch. 10) brechtstu. 11) Euer sach. 12) Darum ich musz üch hie beschweren.

Nürnberg. Otto Lauffer.

Inhaltsverzeichnis zum Jahrgang 1898

der

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.

Seite

Ein Epitaph aus buntglasiertem Thon vom Jahre 1554, von Dr. Hans Stegmann 3 Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum, von Gustav von

Bezold 6, 100

Noch einmal der Kölner Zeugdruck mit Mutter Anna, Maria und Seraphim, von

Dr. R. Forrer 12

Autographen Bugenhagens , Crucigers und Melanchthons in einem Gebetbuch

der Kirchenbibliothek zu St. Lorenz, von Dr. Th. Hampe ... 18 Eine Prangertafel im germanischen Museum, von Dr. HansStegmann. . . 20 Einige Kaiserurkunden des germanischen Museums, von Dr. R. Schmidt. . . 21 Die Grabdenkmäler der Markgrafen von Baden in der Schlofskirche zu Pforz- heim, von Dr. K. Schaefer 36

Zwei oberrheinische Glasgemälde aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts,

von Dr. M. Wingenroth 44

Die Stadtfahne von Roth a. S., von Dr. H. Stegmann 48

Ein Schnittmusterbuch aus dem 17. Jahrhundert, von Gustav von Bezold . 49

Vorlagen für Stuhllehnen des 17. Jahrhunderts, von Hans Bosch 57

Ein emailliertes Glas mit dem Bilde des Sebastian Stockhorner vom Jahre 1630,

von Dr. M. Wingenroth 59

Über die Technik eines frühgotischen Glasgemäldes im germanischen Museum,

von Karl Franck 66

Das Nürnberger Geschlechterbuch von 1593, von HansBösch 69

Zwei historische Lieder, von Dr. O. Lau ff er 93

Unbekannte Schrotblätter im germanischen Museum, von Dr. Th. Hampe . . 110

Ein Brief Jean Paul Richters, von Dr. R. Schmidt 111

Aus der Glasgemäldesammlung des germanischen Museums, von Dr. Hans

Stegmann 113

Ein Verwandlungsbild des XV. Jahrhunderts, von Dr. A. Hagelstange . . . 125

Das Nürnberger Wappen mit dem Jungfrauenadler, von HansBösch . . . . 132

Zur Narrenlitteratur des XVI. Jahrhunderts, von Dr. O. Lau ff er 133

yj

Mitteilungen

AUS DEM

Germanischen Nationalmuseum

HERAUSGEGEBEN

VOM DiRECTORIUM.

JAHRGANG 1899.

MIT ABBILDUNGEN.

NÜRNBERG, 1899.

VERLAGSEIGENTUM DES GERMANISCHEN MUSEUMS.

U. E. Sebald, Nürnberg.

Die Haushaltungstafeln im Germanisehen

Museum.

ie gewissenhafte Hausfrau der Gegenwart führt sorgfältig Buch über ihre Einnahmen und besonders Ausgaben und verzeichnet genau was Fleischer und Bäcker, Schneider und Schuhmacher und wie sie alle heifsen von letzteren bekommen haben. Um ihr diese Niederschreib- ungen zu erleichtern gibt es jetzt vorgedruckte Haushaltungsbücher, in welchen die Ausgaben nach den verschiedenen Kategorien ausgeschieden eingetragen werden, so dafs sich am Ende des Jahres genau feststellen läfst, was die Kleider, die Wäsche, das Schuhwerk gekostet, was die Dienstboten erhalten, was für Fleisch , Brot , Gemüse , Milch u. s. w., überhaupt für Essen und Trinken ausgegeben wurde. Ebenso notiert sich die Hausfrau, welche Stücke sie zum Waschen gegeben, ganz gleich ob sie im Hause selbst gewaschen oder in einer Waschanstalt aufser dem Hause gereinigt werden. Und ist nun alles wieder rein und sauber, so werden die Waschstücke vor dem Einlegen in den Waschschrank, der wohlgefüllt heute noch wie vor Jahrhunderten der Stolz der Frau des Hauses ist, genau nachgezählt und erst nach Richtigbefund den übrigen Vorräten angereiht.

Aus der Vergangenheit sind uns Bücher mit Vordrucken, welche den Hausfrauen dieses Geschäft erleichtert hätten, nicht bekannt geworden. Sie hatten dafür ein anderes Hilfsmittel: gemalte Tafeln verschiedener Art, welche zu Aufschreibungen für den angedeuteten Zweck dienten. Wohl die meisten gröfseren deutschen Museen , welche auch den Hausrat früherer Zeiten be- rücksichtigen, besitzen eine oder einige dieser Tafeln. Dieselben sind einfach aus einem Brette von weichem Holze ausgeschnitten, so dafs oben noch ein Ansatz blieb, der durchbohrt wurde, um die Tafel aufhängen zu können. Dann wurde die Tafel schwarz angestrichen und durch mit Zinnober ausge- führte senk- und wagrechte Linien in eine Reihe von Feldern geteilt. Die erste senkrechte Reihe wurde dann je nach der Bestimmung des Brettes entweder mit Wäschstücken oder mit Viktualien aller Art bemalt. Die zweite Reihe dieser Felder blieb leer, um, wenn es sich um Wäsche handelte, die Stückzahl einschreiben zu können, oder, wenn es eine Küchentafel war, in derselben die Beträge zu notieren, welche für die betreffenden Lebensmittel ausgegeben worden waren. Gewöhnlich waren zwei solche Doppelreihen auf einer Seite der Bretter angebracht und diese meist auch auf beiden Seiten in dieser Weise bemalt.

Auch in der reichen Sammlung von Hausgeräten im Germanischen Museum finden sich drei solcher Tafeln: zwei waren für die Küche bestimmt, die dritte zum Aufschreiben der Wäsche. Die älteste derselben, eine Küchen-

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Fig. 1. Küchentafel. H. (i. 1742. Vorderseite.

tafel (H. G. 1742), ist beiderseits bemalt und zeigt auf jeder Seite zwei Reihen Lebensmittel und daneben einen leeren Raum zum Einschreiben der Ausgaben, welche deren Einkauf jeweils verursacht hatte. Wir geben in Fig. 1 und 2

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Fig. 2. Küchentafel. H. G. 1742. Rückseite.

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Abbildungen derselben. Wie aus denselben ersichtlich, steht obenan das Ochsen- und Kalbfleisch. Die beiden ersten Felder enthalten Schlegel, Rippen- stücke, Lunge, Lenden, Nieren, Zunge u. s. w. Dann folgt das Lamm mit Schlegel, Kopf und Lunge und drei Würfel, einem grünen Packete und einem

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Zuber, über deren Bedeutung ich keinen Aufschlufs geben kann. Hierauf das Schwein mit Rippenstück, Schweinskopf, Nieren, Speckstück und Würsten verschiedener Art einschliefslich der Prefswurst. Ihnen schUefsen sich Gans und Ente mit einer Reihe Einzelstücke dieser beiden Vögel an. Den Schlufs der ersten Reihe bilden Ochsenfüfse und Ochsenmaul. Da letzteres meist in Öl und Essig serviert wurde ^), so ist wohl anzunehmen , dafs die Korb- flasche mit dem Trichter Essig, die daneben hängende Flasche das Öl enthält.

Die zweite Reihe beginnt mit einem Bottich mit einer Ochsenwamme, daneben hängt ein Kalbsgekröse, darunter finden sich Kälberfüfse. Dann folgt ein Feld mit frischen Fischen : Hecht, Karpfen, Aal u. s. w. und ein Sieb mit Krebsen; hierauf kommen die fremden und gesalzenen Fische: Heringe, Stockfische, Aale und ein Salm, den man in Nürnberg im 16. Jahr- hundert meist von Frankfurt a. M. bezog. Den Fischen schliefst sich das Wild an; ein Hase vertritt die Vierfüfsler, neben ihm hängen Lerchen und Krammetsvögel, steht eine Wildgans und eine Wildente, aufserdem findet sich noch ein Rebhuhn und eine Schnepfe. Auf diese folgt das zahme Ge- flügel : Hahn, Henne, ein Kober mit Hähnchen, Truthahn und Tauben. Be- schlossen wird die Reihe von zwei Körben Schwämmen, der obere mit Morcheln gefüllt, einem Kübel Schmalz, einem Krug Himbeeren, einem kupfernen Kübel Erdbeeren (}) und einem Sack, der mit Schnecken gefüllt ist.

Die Lebensmittel, welche die Rückseite aufweist, hat beinahe aus- schliefslich das Pflanzenreich geliefert, auch sie sind von grofser Mannigfaltig- keit. Das erste Feld zeigt vier Körbe mit verschiedenen Pflanzen, die wir nicht näher bestimmen können, ein Körbchen Hüften (Hagebutten), dazwischen ein Sträufschen Maiglöckchen. Im zweiten Felde findet sich ein Körbchen mit Suppengrün, unter diesem vier Bündel Spargel, dann ein Körbchen Blumen, Lauch, Sellerie, ein Kürbis und weifse Rüben. Ihnen reihen sich ein Körbchen Stachelbeeren, ein Körbchen Johannisbeeren, ein Teller Erdbeeren, Bohnen, ein Bund Rettige und ein Bund gelbe Rüben an. Auch hier fehlt ein Straufs Blumen mit Tulpen und Rosen nicht, aufs Neue die VorUebe der einstigen Besitzerin der Tafel für Blumen bezeigend. Dann kommen verschiedene Kohlarten, darunter Blumenkohl, ferner schwarze Rettige, Artischoken u. dgl.; hierauf wieder Kohl, kleine Rübchen, grofse und kleine Gurken letztere zum Einmachen , Petersihe, Meerrettig und rote Rüben. Zum Schlüsse dieser Reihe, welche eine so stattliche Zahl dem Pflanzenreich entnommener Lebensmittel aufweist, kommen Teller mit Butter in Krautblättern einge- schlagen und in Hörnchenform, ein Teller mit Käse von geronnener Milch, eine weifse Rübe und Zwiebel, eine Zinnkanne und ein Krug, wohl zur Auf- bewahrung der Milch bestimmt, endlich ein Korb mit Eiern.

Die vierte und letzte Reihe beginnt mit zwei hölzernen Mafsen mit Früchten, denen sich zwei kurzcylindrische Käse und ein Edamer Käse, ein Glas mit eingemachten Früchten (grünen Nüssen.?), ein Zuckerhut, zwei

1) Die In ihrer Kunst vortrefflich geübte Köchin. Oder Au.serlesenes und vol ständig vermehrtes Nürnbergisches Koch-Buch Nürnberg. 1734. S. 403 Nr. 119.

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Citronen und eine Orange anschliefsen. Dann kommt Schwarz- und Weifs- brot in Laib-, Kipf-, Bretzenform u. s. w. Nun schliefst sich das Obst an. Zunächst ein Korb mit Pflaumen und Zwetschgen, dann Quitten, Mispeln. Kastanien, Nüsse, Haselnüsse und ein Teller mit Mandeln. Was die drei Bünde für Früchte sind, können wir nicht angeben. Das nächste Feld zeigt Aprikosen und Pfirsiche, weifse und blaue Weintrauben und einen Korb mit grolsen Äpfeln und Birnen. Darunter stehen dann drei Tragkörbe mit roten und schwarzen Kirschen und Weichsein, sowie ein Körbchen mit kleinen Birnen. Den Beschlufs macht einiges Küchengeräte: ein hölzerner Kochlöffel, ein grofser und ein kleiner Besen, ein Bündel Kienholz, ein Bündel Schwefel- faden, vier Feuersteine, zu welchen allerdings ein Feuerstahl gehört, der aber wohl in der blechernen Büchse ist, welche den Zunder enthalten dürfte. Ein Handschuh von Kettengeflecht zum Putzen des Geschirres bildet den Schluis.

Die Tafel hat ohne den Aufsatz zum Aufhängen eine Höhe von 67,5 cm. und eine Breite von 38,8 cm. Die gemalten Lebensmittel sind nicht unge- schickt, teilweise recht charakteristisch ausgeführt. Jedenfalls rührt die Malerei von einem Nürnberger Maler vom Ende des 17. Jahrhunderts, die teilweise schon so weit von ihrer einstigen Höhe herabgestiegen waren, dafs sie gerne auch solche Aufträge ausführten. Über den Ursprungsort dieser und der beiden noch zu beschreibenden Tafeln sagt unser Katalog leider nichts ; sie sind wohl schon mit der Freiherrlich v. Aufsefs'schen Sammlung in das Museum gekommen, bei welcher nur selten Näheres über die Herkunft der einzelnen Gegenstände vermerkt wurde. Wir glauben aber nicht fehl zu gehen, wenn wir in den Haushaltungstafeln Stücke Nürnbergischen Ursprunges sehen, denn in den Nürnberger Puppenhäusern der Muscumssammlung finden sich drei ebensolche Tafeln en miniature : eine Wäschetafel (einseitig), eine Tafel mit Wäsche auf der einen und Lebensmittel auf der anderen Seite, und eine Küchentafel mit Fleisch und Tieren auf der einen und Früchten auf der anderen Seite.

Die zweite Küchentafel im germanischen Museum (H. G. 1377) ist ein- seitig bemalt. Sie ist senkrecht in fünf Fächer geteilt, welche durch Quer- linien in je zehn Felder geschieden sind. Die erste, dritte und fünfte senk- rechte Reihe ist mit den Lebensmitteln bemalt , die zweite und vierte senk- rechte Reihe diente zum Eintragen der Zahlen ; für die drei Reihen Lebens- mittel waren daher nur zwei Reihen zum Einschreiben der Preise zur Ver- fügung. Diese Tafel zeigt also 30 bemalte Rechtecke , während die vorbe- schriebene, trotz der doppelseitigen Bemalung deren nur 24 aufweist, die aber gröfser und reicher bemalt sind. Im Grofsen und Ganzen finden sich die- selben Lebensmittel wie auf der vorbeschriebenen Tafel , auch dieselbe An- ordnung und Zusammenstellung, so dafs man trotz manigfacher Unterschiede zur Vermutung kommt , dafs denselben ein gemeinschaftliches Vorbild oder eine bestimmte Norm zu Grunde gelegen ist. Eine Aufzählung des Inhaltes der einzelnen Fächer hätte keinen Zweck , da sie im Wesentlichen nur Das wiederholen würde , was wir bei der vorstehenden Tafel angeführt haben.

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Auch diese Tafel schliefst mit einem Büschel Kienholz zum Anheizen , mit Schwefelfaden, Kochlöffeln und einem Besen. Merkwürdiger Weise schliefst auch der Holzschnitt von Hanns Paur, der mitteilt, was Einer, der zur Ehe greift, an Hausgeräte haben müsse (ca. 1480), mit Feuerstahl, Feuerstein und Holz ■').

Fig. 3. Wäschetafel. H. G. 193. Vorderseite.

Die Tafel hat eine Höhe von 68,8 und eine Breite von 42 cm. Die Malerei ist etwas weniger gut als wie jene der erstbeschriebenen. Auch sie dürfte noch dem 17. Jahrhundert angehören. Diese beiden Küchentafeln be-

2) Wiedergabe bei Alwin Schultz, deutsches Leben im XIV. und XV. Jahrhundert Fig. 136.

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zeugen, dafs die Küchen Nürnberger Häuser wohl bestellt waren und es nur einer tüchtigen Köchin bedurfte , um beim Mahle reich und gut auftragen lassen zu können.

Die dritte und letzte der Haushaltungstafeln des Museums ist eine Wäschetafel (Fig. 3 u. 4), die aus einem ziemlich dünnen Brette aus weichem

Fig. 4. Wäschetafel. H. G. 193. Rückseite.

Holze nicht gerade sehr sorgfältig ausgeschnitten ist (H. G. 193). Sie ist beider- seitig bemalt. Jede Seite ist durch drei senkrechte Striche in vier Reihen geteilt, von welchen die erste und dritte , in welcher die Wäschestücke eingemalt sind, doppelt so breit sind, als die zweite und vierte, in welche die Zahl der Wäschestücke mit Kreide eingetragen wurde. Die Querteilung der vorbe- schriebenen Tafeln fehlt hier. Die ersten drei der dargestellten Stücke

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. ^^'

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dürften Bett- und Tischtücher sowie Handtücher sein. Dann dürfte ein Taschentuch, das mit Spitzen besetzt war (Fatzanetlein), nach ihm ein Tisch- fatzanetlein, d. i. eine Serviette, folgen; den Schkifs der ersten Reihe bildet eine ärmellose Jacke für Frauen , eine Art Leiblein. Vielleicht ist es auch ein »Latz zum Unterziehen«, wie bei Alwin Schultz^} ein ähnliches Wäsche- oder Kleidungsstück genannt wird. Die zweite Reihe beginnt mit einem Frauenhemd, dann folgt ein Mannshemd, ein ärmelloses Kinderhemd und da- neben irgend ein Tuch, dann ein Herrenkragen mit Päffchen, zwei Überärmel oder Halbärmel mit Spitzen besetzt, vier Handkrausen oder Manschetten, dann zwei Kragen, Radkrägen ähnlich, ein fichuähnliches Hals- und Brusttuch und zwei lange Handschuhe. Die andere Seite beginnt mit zwei Vorhängen, denen Schnüre mit Quasten zur Seite stehen , dann folgen vier Stück Kissenüber- züge, von welchen drei mit gestickten Einsätzen versehen sind, zwei Schürzen, deren einer ebenfalls mit Spitzen besetzt ist, und ein Paar Strümpfe. Die letzte Reihe beginnt mit zwei Hauben ; ihnen folgen zwei ärmellose Leibchen, eines für Männer, das andere für Frauen , dann Kinderwäsche aller Art : ein Röckchen (das daneben befindliche, anscheinend gestrickte Stück können wir nicht bestimmen), ein Hemdchen , ein Schürzchen mit Stecker , dann zwei ohne solchen (oder sollten es Kinderlätzchen , Geiferlätzchen sein.^), davon der eine mit Spitzen, zwei Häubchen, ein Paar Strümpfchen, zwei Tücher, dann vier Kissenüberzüge zu dem Bette und den Wickelkissen , und zum Schlüsse noch vier Stückchen Leinwand verschiedener Gröfse, we^phe wohl Windeln, Schnullertücher etc. vorstellen.

Die Tafel hat ohne den Ansatz zum Aufhängen eine Höhe von 54,5 und eine Breite von 28 cm. Die Malerei ist eine handwerksmäfsige, ohne jeden künstlerischen Wert. Von der Kinderwäsche sind einige ursprüng- lich dort gemalt gewesene Stücke herausgekratzt und durch andere darauf gemalte, die mitgeteilten, ersetzt worden. Die Tafel dürfte dem Ende des 17. Jahrhunderts entstammen.

Was das Alter der Haushaltungstafeln betrifft, so können wir sie über das 16. Jahrhundert hinaus nicht verfolgen. Aus diesem liegen aber ver- schiedene Nachweise vor. Der früheste findet sich in der Zimmerischen Chronik *). Der Verfasser derselben erzählt von Frau Agnes Christophs Schenk von Limpurg Gemahlin (f 1540), die als W^ittfrau zu Hedingen im Kloster lebte: »Sie hett ir haushaltung merteils uf ein britt lassen malen, daran stände wein, brot, salz, schmalz, air, fleisch, visch, obs und anders, nach der Ordnung gemalet. Was sie dann teglichs oder wochenlichs ver- prauchte in die haushaltung, das verzaichnet sie an jedes gehörigs ort mit ainer kreiden, darauf sie vil fleis legt und gros achtung darauf gab. Es trüge sich auch vilmals zu , dafs sie ir bruder , grafe Christoph , heimsuchet , der- gleichen ire baide söne schenk Wilhelm und schenk Hanns , die namen sich keines Unwillens gegen ir an. Es kamen auch sonst ander graven und herren.

3) Alltagsleben einer deutschen Frau zu Anfang des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1890. S.. 30.

4) Herausg. von Dr. K. A. Barack III (Bibliothek des litterar. Vereins in Stuttgart XCIII), S. 142.

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denen sie bekannt, zu ir, die sie ansprachen. Begab sich zu manchem mal, wann dieselbigen die gemalt dafel hünder dem offen fanden und erfragt, was die bedeuten were , das sie dann in irem abwesen solchs abwutschten oder aber vil mehr hinzu verzaichneten , derhalben sie manichmal , wann sie es markt, übel zufrieden war.«

Aus dieser Mitteilung geht hervor , dafs im südlichen Schwaben der Gebrauch der Haushaltungstafeln damals kein allgemein verbreiteter gewesen ist und sich nur auf einzelne Personen beschränkte , da aufserdem die Be- sucher der Frau Agnes nicht nach dem Zwecke des Brettes hätten zu fragen brauchen.

In Paulus Behaims I. Haushaltungsbüchern im Archive des Germanischen Museums findet sich folgender Eintrag: »1549 Adi 3 marzo zalt für ein ge- malts hauspret in die küchen , daran man teglich das ausgeben schreibt, hat cost 4 fl. 24 Pf. "•). Es dürfte also ein ganz gut gearbeitetes , bezw. ge- maltes Brett gewesen sein.

Eine Wäschetafel aus dem Anfange des 17. Jahrhunderts hat C. Fisch- naler in der Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg *^) be- schrieben und abgebildet. Sie ist zweiseitig bemalt ; die Rubrik für jedes Wäschestück geht aber über die ganze Tafel. Neben dem Bilde jedes der- selben ist auch noch der Name in gelb gewordener Schrift beigesetzt. Jede Seite der Tafel zeigt 14 Fächer. Die Tafel stammt aus dem bei Sterzing gelegenen Schlofs Wolfsthurn und ist im Besitze der freiherrlichen Familie von Sternbach , einst mag sie der Familie Grebmer zu eigen gewesen sein, der früher auch Schlofs Wolfsthurn gehörte.

Eine allgemeine Verbreitung scheinen die Haushaltungstafeln nicht ge- habt zu haben; es scheinen doch mehr Einzelne gewesen zu sein, welche dieselben benützten. Alle Tafeln, die wir beschrieben oder kennen, stammen aus dem Süden Deutschlands, doch ist es trotzdem möglich , dafs sie auch im Norden bekannt waren und gebraucht wurden.

5) Mitteilungen des Vereins für Geschichte der Stadt Nürnberg VII, S. 42.

6) Dritte Folge. 37. Heft (Innsbruck 1893) S. 361 ff.

Nürnberg. Hans Bosch.

Zur Geschichte der Herstellung und Verzierung der geschlagenen Messingbecken.

I.

^ie Literatur, die sich mit den geschlagenen Messingbecken beschäftigt hat, ist eine überaus umfangreiche. Weder die interessante gewerbe- geschichtliche Bedeutung der geschlagenen Becken, noch die Art ihrer Herstellung oder Verzierung hat aber in der Mehrzahl der Arbeiten über dieselben, die erstmals im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit, Jahrgang 1853 S. 16, dann neuerdings wohl unabhängig von dieser Notiz von Kleinwächter in der Zeitschrift der Historischen Gesellschaft für die Provinz

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Posen (XII. Jahrg. III. u. IV. Heft S. 323 ff.) zusammengestellt sind, sich mit einer auf einer sehr grofsen Anzahl dieser Becken vorkommenden Inschrift, bezw. mit Auflösungsversuchen derselben beschäftigt. Der Umstand, dafs die Bemühungen die gedachte Inschrift nach den dutzendfachen Vorschlägen zu erklären noch zu keinem befriedigenden Resultat geführt haben, und dafs be- züglich der Inschriften von geschlagenen Messingbecken verschiedentlich An- fragen an das germanische Museum gelangt sind, hat den Anlafs zu den nach- folgenden Ausführungen gegeben. An der Hand der immerhin beträchtlichen Zahl von älteren Messingbecken im germanischen Museum und an der Hand des in Nürnberg vorhandenen urkundlichen und literarischen Materials soll die schon etwas abgedroschene Frage nach der gedachten Inschrift, dann aber zur Erläuterung derselben die feststellbare Geschichte des Nürnberger Beckschlagergewerbes kurz zusammengefafst und auch die technische Her- stellung und die Verzierung in den Kreis der Betrachtung gezogen werden.

Für die Geschichte der in Messing geschlagenen Becken wäre es zu- nächst von Wichtigkeit, festzustellen, wie weit überhaupt deren Herstellung verbreitet war. In der Literatur werden an vielen Stellen die Städte Nürn- berg, Augsburg '), Braunschweig und Lübeck als Herstellungsorte genannt, ohne dafs aber für die Fabrikation urkundliche, gewerbegeschichtliche Belege ange- führt wurden. Bis auf Weiteres darf wohl Nürnberg die Gewerbegeschichte Deutschlands steckt ja vielfach noch in den Kinderschuhen und dem Schreiber dieses mangelt hier das nötige Vergleichsmaterial aus anderen Orten als ausschliefslicher Verfertigungsort angenommen werden, wie dies unter Anderen auch schon Brinckmann (Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, S. 766) gethan hat.

In den Nürnberger Bürgerbüchern werden nach Rehlen ^) die Becken- macher zuerst 1373 genannt. Das vierzehnte Jahrhundert war die Zeit, in der die blühende Messingindustrie Nürnbergs, das mit Aachen ganz Deutsch- land in diesem Handels- und Gewerbszweig beherrschte, zuerst wahrnehm- baren Aufschwung nahm. Die Blüte der Messing verarbeitenden Handwerke hat gerade hier die Jahrhunderte bis zur Gegenwart überdauert.

Nachdem das Beckschlagergewerbe zu Nürnberg bis 1493 eine freie Kunst, dessen Ausübung jedem Bürger freistand, gewesen war, beschlofs der Rat in diesem Jahre dasselbe zu einem geschworenen Handwerk zu machen, ihnen geschworene Meister (als Vorstände) zu geben und wegen einer Ord- nung der Meisterrechte durch Gabriel Holzschuher und Jakob Groland, die damals Herrn an der Rüg, der Nürnberger Handwerksbehörde, waren, beraten zu lassen^). Die wichtigsten Aufschlüsse über die Handwerksordnung der

1) Dr. C. G. Rehlen erzählt, leider ohne Belege, in seiner Geschichte der Gewerbe, S. 392, dafs in Augsburg die Beckenschlager Messingschmiede genannt wurden. Ob hier nicht eine oft vorkömmende Verwechslung mit den »Messingschlagern«, die aus den gegossenen Platten die Bleche herstellen, vorliegt?

2) 1. c.

3) S. Mummenhoff, Handwerk und freie Kunst zu Nürnberg, Bayrische Gewerbe- zeitung 1890, S. 318. Nach Murr, Journal zur Kunstgeschichte V, S. 51, werden die Beck- schlager 1475 erwähnt, sind aber wie gesagt schon viel älter.

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Beckschlager, auch Beckstämpfer genannt, gibt der Pergamentcodex, welcher die sämtlichen Handwerksordnungen Nürnbergs von 1535 bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hinein enthält und dessen Bestimmungen, soweit sie für den vorliegenden Fall Interesse haben, hi"er im Auszug mitgeteilt seien'^).

Nach der 1535 bestehenden Ordnung war den Beckschlagern nicht ge- stattet fertiges Messing in Tafeln zu kaufen, sondern sie mufsten dasselbe selbst brennen und giefsen.

Die V'erordnung, dafs das Handwerk ein gesperrtes sein solle, resp. dafs nur Nürnberger Bürger als Lehrknechte (Lehrlinge) aufgenommen werden sollten, galt bis 1618 (bis zu welcher Zeit die Verordnungen des Pergament- bandes reichen). Dies gab zu manchen Eingaben seitens der Meister Anlafs und scheint des öfteren durchbrochen worden zu sein. Bisweilen wird ihnen gestattet, dafs die Lehrjungen erst nach Ablauf des ersten halben Lehrjahres Bürger zu werden brauchten, 1577 wird wiederum anbefohlen, dafs die Lehr- linge innerhalb vierzehn Tagen das Bürgerrecht zu erwerben haben, 1583 darf bis auf Weiteres jeder Meister zwei Lehrlinge einstellen, 1588 aber wegen Überzahl der Gesellen überhaupt nur von Fall zu Fall nach jedes Mal einge- holter Erlaubnis des Rugsamts. Im Jahre 1618 wurde, in Ansehung, dafs in Nürnberg Bürgersöhne sich schwer finden liefsen zur Erlernung des Beck- schlagergewerbes, den Meistern gestattet auch fremde Lehrknechte aufzu- dingen, mit dem Bemerken, nach Möglichkeit solche aus dem Nürnberger Landesgebiet einzustellen. Dieselben sollen dann nach Vorstellung und Ein- tragung beim Rugsamt zum Bürgerrecht »vorgestellt werden«.

Die schon aus den noch weiter anzuführenden literarischen Quellen er- sichtliche Thatsache, dafs mit dem 17. Jahrhundert das Beckschlagergewerbe stark zurückging und 1635 dem Aussterben nahe war, läfst sich wie aus der oben angeführten Verordnung bezüglich der Lehrknechte auch aus anderen Verlässen nachweisen. Die Konkurrenz der Rotschmiede mit gegossenen Becken scheint in erster Linie den Niedergang befördert haben, wie aus nach- folgendem Verlafs zu ersehen ist:

>Auff der Peckschlager Supplicirende beschwerung wider die Rotschmidt das dieselben Ihnen mit dem giessen der Messen Peck Inn Ir Arbeit vnd Handtwerck greiffen, darumb es bey Ihnen abzuschaffen bitten, Ist verlassen, dieweil sich erfindt, das solche Arbeit absonderlich. In dem der Rotschmidt Peck gegossen, der Peckschlager aber von der Handt geschlagen, auf gedieft vnd gestempfft werden, vnd die Rotschmidt von Alters solche Arbeit hergebracht, den Peckschlagern Ir Begern abzu Lainen, vnd darneben anzaigen, weil der Meister nur 3. allhie vnd doch Alle gnug zu Arbaitten haben. Wann sie die Kauffleuth nur selbsten belürdern wollen haben sie

4) Dieser Pergamentcodex wurde von J. Stockbauer, zu dessen »Nürnberger Hand- werksrecht des XVI. Jahrhunderts«, Nürnberg 1879, verwendet, in welcher Schrift aber, S. 6, über die Beckschlager nur die Bestimmungen über das Meisterrecht aufgenommen sind, ferner dafs jeder Meister als Meisterstück »eine schüssel, ein padpeck, und eine schalle mit sein selbst handt« machen mufste, die alsdann vor die Fünfherrn (Stadtgericht) bringen und wobei er schwören mufste, dafs er dieselben Stücke mit seiner Hand »erhebt und gestemppft« habe.

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nicht vrsach sich von hinnen anderswohin zubegeben, darumb sollen sie als verpflichte Burger, Ires Handtwercks mit Vleiss abwarten vnd nicht vrsach zu annderm einsehen geben. Actum Donnerstags den 8. Octobris 1612

per H. W. Imhof.«

Diese Verordnung gibt nach verschiedenen Richtungen interessante Auf- schlüsse, einmal gibt er die technische Herstellung der Becken an, Schlagen der Tafeln zu Blechen, das eigentliche Treiben und das Drücken oder Stanzen der Verzierungen (von der dazwischen liegenden Dreharbeit wird noch weiter unten die Rede sein). Dann erfahren wir, dafs die Zahl der iNIeister, die wie oben mitgeteilt, 1635 auf einen zusammengeschmolzen war, 1612 nur noch drei betrug, endlich aber hören wir von einem gewerbegeschichtlich in- teressanten Vorgang, nämlich der Drohung, das Gewerbe, das offenbar eine fast ausschliefsliche Nürnberger Spezialität darstellte, nach auswärts zu ver- pflanzen , um wohl leichtere Betriebsbedingungen fern von der blühenden Rotschmiedskonkurrenz zu finden, die jedenfalls infolge der weniger kompli- zierten, fabrikmäfsigeren Herstellung durch den Gufs zu billigerer Lieferung in der Lage war.

In den früheren Bestimmungen über die Aufnahme der Lehrknechte war ausdrücklich das Gebot enthalten, oftenbar um das Handwerk nicht zurückgehen zu lassen, dafs der Meister nach dem Auslernen des einen, sofort einen andern Lehrling einzustellen habe

Das immerwährende Bestreben des Nürnberger Rates, gröfsere fabrik- mäfsige Betriebe innerhalb der Nürnberger Gewerbe nicht aufkommen zu lassen, drückt sich auch wieder in der folgenden Verordnung aus: »Es sol auch ein Jeder ein besundere Werckstat, also nicht zwen meister bey ein ander In ainem haus zway meysterrecht nicht arbeyten oder treyben«. Der Versuch mag wohl, wie es gerade bei den Beckschlagern nahe lag, durch Arbeitsteilung mit vermehrten Arbeitskräften billiger zu arbeiten, gemacht wor- den sein.

Vom Meisterstück ist hier nicht die Rede, das Zeugnis der geschworenen Meister über Fertigkeit im Brennen und Giefsen von Messing genügt.

Das Auftiefen, Treiben der Becken, besorgten die Beckschlager offenbar nur im Rohen. Vor dem Verzieren wurden sie den Rotschmiedsdrechslern zum Abdrehen übergeben. Es scheinen eigene Drechsler gerade für das Beck- schlagergewerbe vorhanden gewesen zu sein. Die nachfolgenden Verläfse die auf das Verhältnis der Beckschlager zu ihren Drechslern Licht werfen, mögen als Beispiel Nürnberger Gewerbeverhältnisse hier Platz finden:

»Uff der peckschlag anpringen der alten peck halben, so die drechsel vernewen vnd drehen bey einem Erbarn Rath beschehen | ist verlassen, diweil solchs bisher vnd lange Zeit dermassen gepraucht worden ist, dass die peck- slaher den Trechseln solchs nit zu weren haben , sunder das die Drechsel die selbigen wol vernewen mögen.

Vnnd diweyl sunnders Zweyfels ein yeder seinen Trechsl sein ar- beyt furweg, derhalb ein Jeder seinen abgang finden vnd wissen könne, soll es noch dabey pleiben.«

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»Auf fürgebrachte clag der geschwornen vnd gemeiniglich aller Maister des Peckhschlager hanndtwercks wider Hanns Reschen Iren verordneten Pecktrechsel, das er sy mit dem grossen werckh her gemachten Arbeit nit alweg volkhomen ferdern wolt , sonndern merertheils auf dem ziehrad vnd der clainen hanndarbait leg | Ist bey eim E. Rath verlassen, diweil der dreh- muel dem hanndtwerckh zu guettem vnnterhalten | vnd hne Reschen von derselben Enderung wegen verlassen, das er nachdem er zwen sonnderlich angenomen Meister hat, denn er mit Enderung auf ein zeit versprochen ist, zuvorderst solch zwen Maister mit Irer Arbait befürdern soll , was aber her- neben von anndern Maistern des Peckhschlagerhanndtwercks für Arbayt zu- fallen wirdt, da soll er schuldig sein , die dein handtarbeit ligen zu lassen, vnd Inen als des Peckhschlagerhanndtwerckhs geordneter Drechsel, Ir arbait des grossen Werckhs zu befürdern, damit sy seynthalber one clag sein mögen, die peen soll auff 5 tb novi sein. Dagegen aber Ime Reschen vorbehalten sein wann er von den Peckhschlagern mit dem grossen werckh nit fürderung hat, das er die ciain hanndtarbait am Ziechradt auch woll trehen mag, welches man ime von allen thaillen durch die Rugsherrn also anzaigen soll.

Decretirt den 5 Augusti 1563.«

»Bei einem erbarn Rath vnsern Herrn ist verlassen, dem Alten Sebastian Weiselmann Peckstempfer, auff sein Supplicirn mit anlangen, dass auffkauffen, vernewen vnd widerverkaufien der Alten fach von wegen seines Alters, so lanng er lebt, vnd allein auff seinen leib, soll verlassen , aber seinem Sun solches ganz vnd gar ablainen.

Decretum in senatu 13 Juny 1577.«

Die ältesten bildlichen Darstellungen von Beckschlägern in ihrem Gewerbe- betrieb findet sich in zwei Bänden der Nürnberger Stadtbibliothek mit Ab- bildungen von Insassen des Mendelschen Zwölfbrüderhauses bei der Karthause. Jeder im Bruderhaus Gestorbene wird bei seinem ursprünglichen Handwerk beschäftigt dargestellt. Der älteste Beckschlager ist gestorben 1474. Sein Name war Hans Hoffmann. Das Bild ist wohl nur wenig später entstanden. Charakteristisch ist nur der flach gewölbte vielkantige Ambos und der kurz- stielige, unseren Pflastererhämmern genau gleichende Hammer. Ahnliche Ab- bildungen folgen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts noch eine Reihe, ohne indes zur Kenntnis des Gewerbes Neues zu bringen.

Von besonderem Interesse für die Herstellung der geschlagenen Messing- becken sind zwei gedruckte illustrierte Darstellungen des Beckschlagergewerbes aus früherer Zeit. Die erste findet sich in Jost Ammans bekanntem Büchlein »EygentHche Beschreibung Aller Stände auff Erden etc.« mit den Versen von Hans Sachs : '')

Der Beckschlager.

Ein Beckschlager bin ich genannt | Mein Beckn führt man in weite Land 1

5) Frankfurt, 1568. Neu^edruckt von Georg Ilirth, München, 1884.

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Allerley art ] grofs vnd auch klein | Von gutem Messing gslagen rein | Gestempfft mit bildwerck | gwecks vfi blum | Einstheils jr Spigel glatt auff kum | Wie gross Herrn vnd Balbierer tan | Auch gring | für den gemeinn Mann. |

Die zweite bildliche Darstellung des Beckschlägergewerbes finden wir in dem für die frühere Handwerksgeschichte wichtigen Werke Christoph Weigels*^). Auch hier enthält die Werkstatt im Hintergrund den Ofen zum Messingbrennen ^), in dem der Brenner mittelst einer Zange eine Tafel, wohl Kupfer, einführt. In der vorderen Werkstatt sehen wir unter einer grofsen Anzahl fertiger Becken zwei Arbeiter. Der eine mit dem Zirkel an einem bereits gewölbt geschlagenen Messingblech beschäftigt , der andere mit dem Hammer auf einem achteckigen oben flach abgerundeten Ambos mit dem Aufziehen (Treiben des Beckens) beschäftigt. Von den Werkzeugen fallen neben Blechscheeren ein hoher , dünner , ebenfalls gekuppelter Ambos , die verschieden geformten kurzstieligen schweren Hämmer und Zangen zum Biegen auf. Ob die links und rechts unten auf dem Stich erscheinenden scheiben- förmigen Gegenstände etwa die zur Verzierung dienenden »Stempfei« (Stanzen) darstellen sollen, ist ungewifs. Aus den historischen Bemerkungen Weigels geht hervor, dafs die geschlagenen Messingbecken zu seiner Zeit durch die kupfernen getriebenen, und die gegossenen zinnernen Becken verdrängt waren. Wichtig ist wohl auch die wiederholte Bemerkung, dafs das Gewerbe aufserhalb Nürn- bergs, wo es besonders berühmt gewesen, so gut wie nicht bekannt sei. Die Verwendung geschah nach dieser Quelle zu allen möglichen Zwecken, und zwar vorzugsweise profanen (für Aderlafs, für Barbiere, für Kuchenbäcker, für Küchen- zwecke, für Wagschalen u. dergl.) Für die technische Weiterentwicklung, die das Beckschlagergewerbe bis zum Ende des 17. Jahrhdts. erfahren, ist die folgende Angabe interessant: »Diese Stücke (Becken) werden durch den bey einem Wasser angerichteten Tief-Hammer erstlich aus dem groben getiefet | her- nach durch den Hand-Hammer folgends ausgefertiget. Vor Zeiten wusste man zwar von den Tieff-Hämmern | so heut zu Tage | umb besserer Bequemlichkeit willen j von dem Wasser getrieben werden | nichts und obschon die Arbeit damit weit leichter und ge- schwinder von statten gehet ] halten doch einige die alte Art | nach welcher die Becken auf dem ebenen Ambos von freyer Hand auf- und tiefgeschlagen werden 1 vor künstlicher.«

6) Abbildung der Gemein-Nützlichen Hauptstände Von denen Regenten und ihren etc. Bedienten an bifs auf alle Künstler und Handwerker nach Jedes Ambts- und Beruffs Verrichtungen I meist nach dem Leben gezeichnet und in Kupfer getruckt etc. Regensburg 1698.

7) Übrigens gibt Weigel auch die Abbildung und Beschreibung des Messingbrennens in einem eigenen Abschnitt 1. c. S. 313 ff.

Nürnberg. Dr. Hans Stegmann.

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Zur Geschichte der Herstellung und Verzierung der geschlagenen Messingbecken.

IL

atterer gibt in seinem technologischen Magazin, 1799, Bd. I S. 240 die Ergänzung, »dass im Jahre 1784 in der Stadt selbst kein einziger (ßeckschlager) mehr war, sondern in der Vorstadt Wöhrd zwei, wo sie auch zugleich ein dazugehöriges Hammerwerk haben.« Dieser Zusatz gibt eine weitere Erklärung zu den zitierten Weigelschen Angaben. Gatterer fügt noch bei, dafs die zuvor »Beckstämpfer« genannten Beckschlager ehemals d. h. wohl so lange sie eine freie Kunst ausübten und nicht zu den geschwornen Handwerken zugelassen wurden , zu den Flinderlein- (Flitter)- schlagern, Rechenpfenningmachern und Messingschabern gehörten.

Die in verschiedenen Abschriften bekannte Handschrift : »Von Ur- sprung und Herkommen etc. aller Hand-Werker in der Stadt Nürnberg, 18. Jahrhundert« enthält über die Beckschlager wenig Bemerkenswertes. Höchstens dafs aus leicht zu erratenden Ursachen die beiden Beckschlagergassen vorher »Unruhegassen* genannt wurden, dann Nachrichten über einen hervorragen- den Nürnberger Beckschlager, Mathäus Landauer, den Stifter des durch Dürers Allerheiligenbild berühmten Nürnberger Zwölfbrüderhauses , der dadurch zu grofsem Reichtum gekommen sein soll, dafs er zur Zeit der Hussiten-Kriege in Böhmen gelebt und von den Soldaten vielfach erbeutetes Gold und Silber als altes Messing erkauft habe.

Im Jahrgang 1874 des > Anzeiger für Kunde des D. V.« hat in treffen- der Weise v. Eye bereits darauf hingewiesen , dafs die besagten Becken aus anderen Rücksichten , als wegen ihrer Inschriften wichtig erscheinen, indem sie an die früh- und hochmittelalterlichen Bronzegüsse anschliefsend, das Verbindungsglied zu den Kupfertreibarbeiten und dem Zinngufs der spä- teren Zeit bilden. Bei dieser Gelegenheit befafst sich der verdienstvolle Kunst- historiker auch mit der Technik. Seinen im Wesentlichen richtigen Angaben mag hier auf Grund neuerer Untersuchung eine genauere Beschreibung der Herstellung folgen. Ob die Beckschlager das von ihnen selbst, nach ihren Handwerksgesetzen, gebrannte Messing schlugen, das heifst, die gegossenen dünnen Platten selbst zu mehr oder minder dicken Blechen die mittlere Stärke des zu den Becken verwandten Messings beträgt ca. 1 mm. aus- hämmerten , oder dies auf den Zainhämmern durch die Messingschlager be- sorgen liefsen, ebenso ob die weitere Zubereitung, das Schaben derselben von ihnen besorgt wurde , oder von dem eigens bestehenden Handwerk der Messingschaber, ist nicht genau bekannt. In späteren Zeiten werden sie wohl die Hammermühlen benutzt haben. Sodann wurde das passend geschnittene Messingblech im Groben bearbeitet, aufgetieft, »aufgezogen« wie der moderne Ausdruck lautet, und zwar bis ins spätere 17. Jahrhundert mit der Hand, später durch Hammerwerke. Nachdem die Form so fertiggestellt, auch der Rand geschlagen und beschnitten , wurden die Becken von den eigens bestellten

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. III.

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Messingdrechslem, »Beckschlagdrechsel«, abgedreht. Hierauf folgte die Ver- zierung. Die kleinen Kreise, Sterne, Blumen, Kreuze etc., die den Rand und manchmal auch einen Teil des Bodens zieren, wurden von vorn (auf die Schauseite), mit Punzen eingeschlagen. Die Bildwerke , die aufgetriebenen Mittelstücke (umbilico) von hinten, wie bei Treibarbeiten üblich, in eine ge- härtete Eisenform , in der Regel wohl aus einem Stück bestehend , mittelst dazwischen eingelegter Bleiunterlage getrieben. Ebenso die um die Mitte in wiederholter Folge laufenden Inschriften , oder sonstigen ornamentalen Ver- zierungen, wobei die Stempel nacheinander und nebeneinander angesetzt wur- den. Damit die Stempelstücke während der Arbeit nicht ausweichen konnten, hatten sie kleine erhöhte Dorne, deren Spuren sich auf der Rückseite der Becken noch als runde kleine Vertiefungen, auf der Schauseite aber als Erhe- bungen nachweisen lassen. In ähnlicher Weise wurden die Rundstäbe erzeugt. Bei der verhältnismäfsigen Dicke der Bleche war es natürlich schwer, die Vor- lagen scharf herauszutreiben. Darum erscheinen Bild und Ornament bei stark vertieften Vorlagen wenig scharf. Um diesem Fehler nachzuhelfen, sind die besseren Arbeiten der Art deshalb nachträglich mit verschieden geformten Eisen direkt nachgetrieben. Die häufige Stumpfheit , die offenbar nicht nur von der im Lauf der Zeit erfahrenen Abnützung herrührt, mag auch von der durch die kräftigen Bleche bedingten raschen Abnützung der Stanzen her- rühren. Ob später in der Verfallzeit des Gewerbes maschinellere Wege (durch Prägung mittelst Spindelpressen etwa) die umständliche Handarbeit teilweise ersetzten, mufs dahingestellt bleiben. Das im Nürnberger Hand- werkerleben ängstlich bis in späte Zeiten festgehaltene Prinzip, keine Hilfs- maschinen, sondern nur Handarbeit zuzulassen, spricht dagegen. Ein im ger- manischen Museum befindliches Beispiel, wo die mechanische Prägung anzu- nehmen naheliegt, wird noch zu erwähnen sein. Ebenso selten dürfte freies Treiben aus der Hand vorkommen. Das Museum besitzt hiefür nur ein Bei- spiel, das ebenfalls unten beschrieben ist.

Wenden wir uns nun der Frage der Inschriften zu, die abgesehen von kürzeren Publikationen im Anzeiger f. K. d. D. V.'*), fast ausschliefslich den Gegenstand der Untersuchung gebildet haben , so ist allgemein vorauszu- schicken, dafs dieselben, abgesehen von angebrachten Schriftrollen, in einem oder mehreren Kreisen um die Mittelverzierung der Becken angeordnet sind. Die Inschriften, von denen unten eine Reihe von Beispielen mitgeteilt werden, sind teils deutsch, teils lateinisch, meist verstümmelt und korrumpiert, bald in gotischen Minuskeln , bald in mittelalterlichen Majuskeln oder doch an solche sich anlehnenden Zeichen, bald in reiner Antiqua abgefafst und wieder- holen sich in der Regel in einem Schriftkreis mehrere Male. Die Mehrzahl derselben ist nicht vollständig aufzulösen , die Tradition hat bei ihrer Ver- wendung eine grofse Rolle gespielt, denn viele kommen in manigfachen Ver- änderungen auf verschiedenen Fabrikaten immer wieder vor.

Die häufigste in rätselhaften, aber auf die Minuskelschrift zurückgehen- den Zeichen mit vielfachen Abkürzungszeichen versehen, hat seit Beginn des

8) Jahrg. 1861 Sp. 318, 1874 Sp. 175, 1876 Sp. 193.

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19. Jahrhunderts spekulative Gemüter heftig beschäftigt. Die Thatsache, dafs heutzutage oder doch vor nicht weit zurückreichender Zeit, die Mehrzahl der vorhandenen geschlagenen ]\Iessingbecken als Taufbecken, was ursprünglich wohl die wenigsten waren , in Gebrauch stehen und standen , hat dazu ver- führt, dahinter allerhand wichtige Geheimnisse zu suchen, die zu Dutzenden von Lösungsversuchen in den verschiedensten Sprachen geführt haben. Sie hier aufzuführen besteht keine Veranlassung. Der neueste Bearbeiter, Klein- wächter, der bald in neun, bald in sieben (letzteres eben eine Verstümmelung) Buchstaben vorkommenden Inschrift hat, wie in den einleitenden Worten schon erwähnt, sich neuerdings sehr eingehend mit dieser Inschrift beschäftigt, dabei die früheren hauptsächlichen Lesarten angeführt und als Auflösung der von ihm auch im Bild reproduzierten Inschrift: «nomen christi benedictum in eternum« angegeben.

Allein so wenig wie die vorhergehenden Inschriftenlösungen mag die Klein- wächtersche zu befriedigen. So eifrig er an der Hand der von ihm im Ganzen wohl fast vollständig aufgezählten Versuche der definitiven Erklärung nahe zu kommen sucht, so ist doch auch hier wieder der Buchstabenform ent- schieden Zwang angethan. Es ist mindestens zweifelhaft, ob die beiden ersten Buchstaben n und x, das im fünften Buchstaben völlig andere Form zeigt, und

Fig. 1.

es ist geradezu ausgeschlossen , dafs der drittletzte Buchstabe i bedeuten soll. Fig. 1 gibt die Inschrift mit sieben Zeichen wieder. Die Kleinwächter- sche Arbeit gibt einen merkwürdigen Einblick, welch' enorme Arbeit an Zeit und Geduld diese Angelegenheit schon in Anspruch genommen hat, die mit der Wichtigkeit der Frage in einem umgekehrten Verhältnis steht. Die geringe Tragweite der betreffenden Inschrift hat wohl auch die berufenen Kreise der Museologen, beispielsweise Essenwein und Brinckmann, abgehalten, trotzdem ihnen das nötige gröfsere Vergleichsmaterial zur Verfügung stand und bekannt war, dieser bereits zum Elephanten angeschwollenen Mücke eine übertriebene Beachtung zu schenken, und die Untersuchung zwar eifrigen, aber mehr dilettirenden Kreisen überlassen.

Es mag daher an dieser Stelle von der Aufstellung naheliegender ähn- licher Vermutungen abgesehen werden ; vielleicht bringt ein Zufall ein älteres Exemplar mit nicht corrumpierter Inschrift zum Vorschein, aus der auch dies so viel Kopfzerbrechen verursachende Rätsel seine Lösung findet.

So viel dürfte feststehen, 1) dafs es sich ursprünglich um eine wirkliche Inschrift gehandelt hat, 2) dafs diese in der vorliegenden Form corrumpiert ist, 3) dafs dieselbe in eben dieser Form nicht vor der Mitte des 16. Jahr- hunderts in Verwendung gekommen ist.

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Die im germanischen Museum vorhandenen Schüsseln zeigen auiser der am meisten vorkommenden aus neun und sieben Zeichen bestehenden Um- schrift eine Reihe weiterer, die teils entzifferbar, teils nicht, bei der Übersicht erwähnt sind ^). Es geht aus allem nur so viel hervor, dafs die guten Beck- schlager, als die Herstellung der Becken eine handwerksmäfsige im schlechten Sinne wurde, ganz sinnlos verfahren und nicht blos lateinische, sondern auch deutsche Sprüche in der unglaublichsten Weise verballhornten.

Bei der folgenden Übersicht sind nur die im germanischen Museum vorhandenen Exemplare von Messingbecken berücksichtigt. Es mag hier, wie

Fig. 2.

bereits von anderer Seite des Öfteren geschehen , auf die verhältnismäfsige Häufigkeit des Vorkommens hingewiesen werden. Kleinwächter zählt in seiner Abhandlung etwa 150 auf, deren Existenz in verschiedenen norddeutschen Gauen er in Erfahrung gebracht. In Wirklichkeit dürfte die Zahl sich auf viele Hunderte belaufen , da fast jede deutsche und auch aufserdeutsche

9) Auf die bei der Darstellung des Sündenfalls auf Schriftbändern vorkummenden Worte O eva O adam mit öfterer Hinzufügung von mehreren willkürlichen Buchstaben ist nicht weiter eingegangen. Auf einer Schüssel fand der Verfasser die Worte ; eva mac der annfanng des gebruchs adam hat gebrochen d : gebot.

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öffentliche Sammlung solche Stücke besitzt; sie kommen auch in den Händen der Privatsammler oft genug vor so z. B. in Nürnberg, wo auch stets eine grölsere Zahl im Antiquariatshandel anzutreffen ist. Brinckmann ^"') verzeichnet auch die Thatsache , dafs diese Becken bis zur Gegenwart als Schaustücke in den oberitalienischen Garküchen in Gebrauch stehen 'M- Der Schreiber dieses kann dies aus eigener Anschauung bestätigen, sowie auch das häufige Vorkommen bei den ober- und mittelitalienischen Antiquaren. Das germanische Nationalmuseum besitzt 34 Stück , in denen die hauptsächlichen Typen ver- treten sind, wenn auch manche solche, wie die herumlaufende Hirschjagd, der hl. Christophorus, der hl. Sebastian, sich nicht vorfinden.

Sicher geht keines der Stücke w^eiter zurück als bis auf das letzte Drittel des 15. Jahrhunderts und es mufs dabei dahingestellt bleiben, ob nicht die Anfertigung mit den für diese Zeit charakteristischen Verzierungen mit altern Modeln (Stempeln) erst später fällt. Sicher ist, dafs die offenbar altern Stücke weit sorgfältiger gearbeitet sind, und stets eine starke Nachhülfe in freier Treibarbeit verraten , ebenso ergibt sich aus den stilistischen Merkmalen der Verzierung, dafs die Becken mit den verschiedenen rätselhaften, resp. ver- stümmelten corrumpierten Inschriften nicht mehr der guten bessern, sondern der Verfallzeit, dem spätem 16. und dem 17. Jahrhundert angehören.

Datiert ist von den im Museum befindlichen Stücken nur ein einziges und zwar das gröfste vorhandene Becken oberer Durchmesser 53 cm. Dasselbe trägt auf dem schräg aufgebogenen Seitenteil die eingeschlagene Inschrift in Majuskeln : Jackob Krel der Rechten Doctor ^ Wass sein sol Das mag Nimant wenden. Die Schrift ist mit einem meiselartigen Instru- ment eingeschlagen; um das Relief der Buchstaben zu erhöhen, ist der Ver- such gemacht , durch einfache von hinten eingeschlagene Striche diese auf- zutreiben. Bei der verhältnismäfsigen Dicke des Blechs ist aber dieser Ver- such ohne Erfolg gewesen und das Verfahren läfst auf eine ziemlich ungeübte Hand schliefsen. In der Mittelfläche befindet sich ein Wappen : zwei gekreuzte, krallenartige Haken auf einem Dreiberg; die Helmzier bildet ein gekröntes Meerweib. Zu beiden Seiten der Helmzier die geteilte Jahres- zahl 1523. Das Ganze i.st frei aus der Hand getrieben. Am obern horizon- talen Rand eingeschlagene Verzierungen, Halbkreise, die in eine Art heral- dische Lilie endigen. Der Rand ist erst nach dem Einschlagen dieser Ver- zierung umgebogen. Leider liefs sich das Wappen und damit die wahrschein- liche Provenienz der Schüssel nicht nachweisen'-). Möglicherweise ist es das der Leipziger Familie Krell, welcher der berühmte sächsische Kanzler Nico-

10) Das Hamburger Museum f. Kunst- u. Gewerbe, a. a. O.

11) Von technisch-fachmännischer Seite wurde mir übrigens allerdings ohne nähere Belege versichert, dafs solche Schüsseln in unseren Tagen zu Mailand hergestellt würden.

12) Die wenig geschickte . Haue Stilisierung der Helmdecke liefs zunächst an eine moderne Fälschung denken. Der echte Charakter der Helmfigur, der Zahl und der Schrift widerspricht dem. Jedenfalls aber ist die Schüssel mit Ausnahme des Randorna- mentes glatt, d. h. ohne die Treibarbeit, aus der Beckschlagerwerkstätte hervorgegangen und von anderer Hand mit der Inschrift und dem Wappen versehen worden.

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laus Krell entstammte; wenigstens kommt in dieser in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein Jacob vor. Es ist dieses Becken das einzige frei ge- triebene in unserer Sammlung.

Die schönsten Exemplare sind zugleich offenbar die ältesten, die in ihrer Dekoration noch den Geist des hohen Mittelalters widerspiegeln. In der Mitte der einen sitzt in .stark geschwungenem und gebrochenem Gewand, in das Rund trefflich komponiert, eine Frau im Kostüm des 15. Jahrhdts. (als Entstehungszeit des Reliefes ist wohl die Mitte desselben anzunehmen),

Fig. 3.

mit Blütenzweig und Kreuz in den Händen, an ähnliche Darstellungen auf Kästchen] und Gobelins, Kupferstichen u. dergl. erinnernd. Zwischen vier charakteristisch geformten gebuckelten Feldern vier weitere Ornamente: aus einer stilisierten Tierfratze .sprossen Frucht und Blumenranken hervor, deren mittelste ein Kreuz bildet. Oben in der Ranke das springende Einhorn. Der ornamentale Teil gemahnt noch einigermafsen an die romanisch-gothische Übergangszeit. Die Ausführung ist eine sehr sorgfältige, die Formen sind durchwegs an den Rändern aus freier Hand mit dem Eisen nachgetrieben und scharf au.sgeprägt. Der Rand zeigt mit dem Punzen eingeschlagene kleine

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Blättchen. Die Schale trägt keinen Schriftrand. in stumpferer Ausführung kommt die Mitteldarstellung allein noch an einem kleinen tiefen Becken (ebenfalls ohne Schrift) vor. Die Form (Stanze) ist bei Anfertigung derselben offenbar schon ziemlich stumpf gewesen und deshalb die Möglichkeit späterer Ent- stehung nicht ausgeschlossen. Dieselbe Dekoration zeigt eine weitere sehr sauber gearbeitete Schüssel, deren Mitte, von einem eingepunzten Ornament- streifen umgeben, ein kleiner liegender Hirsch bildet, (Fig. 2, abgebildet zuerst im Anz. f. K. d. D. V. 1876 Sp. 94). Der Hirsch ist ein äufserst beliebtes Moti\ bei den geschlagenen Becken. Nochmals den liegenden Hirsch

Fig. 4.

zeigt ein kleineres tiefes Becken , dessen Bodenmitte von zwei Ornament- bändern umschlossen wird. Die an romanische anklingenden Stilformen des einen Ornamentfrieses würden auf einen früh entstandenen Stempel schliefsen lassen, wenn nicht auch aus dem 16. Jahrh. Belege solcher Anlehnungen sich auf anderen Gebieten fänden. Auf einem weiteren, ebenfalls der frühern Periode angehörenden tiefen Becken, ist ein laufender Hirsch im Mittelrelief zu sehen; hinter ihm ein Spruchband mit undeutlichen Buchstaben ^^).

13) aid) . raariör . in möchte ich lesen, ohne eine Erklärung geben zu können.

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Eine weitere tiefe Schüssel enthält den liegenden Hirsch, darum ein ge- wundener Buckelfries. Mit Inschriftfries, der ohne besondere Trennung die ungelöste Inschrift mit den sieben Zeichen trägt. Die Art des Aneinander- setzens ergibt auch hier den schon sinnlos gewordenen Gebrauch der Buch- staben.

Von den mit Inschriften versehenen Schüsseln macht den altertüm- lichsten Eindruck eine solche mit dem hl. Georg, der den Drachen unter dem Pferd mit der Lanze ersticht. Links oben findet sich die knieende Königstochter. Den Grund bilden Sterne. Die künstlerisch korrekt ausge- führte Darstellung weist in ihrer stilistischen Behandlung auf die letzten Jahr- zehnte des 15. Jahrhunderts hin. Der figürliche Teil wird von einem Orna- mentkranz umgeben, darauf folgt der innere Schriftrand mit lateinischen Majuskeln. : GEH WART : DER! : NFRID : . Die Art, die Trennungs- zeichen zu setzen, gibt von der Sorglosigkeit der Verfertiger der Schrift- stempel einen klaren Beweis. Der äufsere Rand enthält eine sich wieder- holende Umschrift in sieben Zeichen, die auf die oft diskutierte zurückgeht, aber einigermafsen klarere Buchstabenformen aufweist. Zeichen 1 scheint deutlich ein n zu sein, 2 ist ein richtiges i mit schräger Ouerlinie, 3 b (v.-*), 4 ein offenes e mit Schlufshaken, 5 ein n, 6 e mit dem Abkürzungszeichen, 7 ein deutliches Minuskel s. Ob hier eine ursprünglichere Fassung der so häufig vorkommenden Inschrift vorliegt, mufs dahingestellt bleiben. Weit schöner in der Verzierung ist ein weiteres Exemplar mit dieser Darstellung ohne Schrift (Fig. 3. abgeb. zuerst Anz. f. K. d. d. V. 1874 Sp. 175), wo neben den kleinen eingeschlagenen Verzierungen um das figürliche Relief ein Fries mit den birnförmigen, gezogenen Buckeln läuft. In einer anderen späteren, wohl nicht vor 1550 entstandenen Redaktion, erscheint uns die Legende des hl. Georg in zwei andern Schüsseln, nämlich in einem tiefen Becken ohne In- schrift und in einer gröfseren, mehr flachen grofsen Schüssel. Das figürliche Relief zeigt den hl. Georg nach links sprengend hoch zu Rofs mit gezücktem Schwert. Die Tracht ist die der Landsknechte der L Hälfte des 16. Jahrh. Unter dem Pferde der von der Lanze durchbohrte Drache. Um das Bild Ornament- fries mit wieder an den romanischen Stil anklingenden Formen, von Ranken umgebene Palmetten und Rosetten. Der einmalige Schriftrand trägt in eigen- tümlich gebildeter Majuskulschrift eine nicht entzifferbare, ursprünglich wohl lateinische Inschrift ^■*).

Ebenfalls von Essenwein publiziert (Anz. f. K. d. d. V. 1876 Sp. 93) und in Fig. 4 wiedergegeben, ist eine flache Schüssel mitStechtartsche in der Mitte, um die sich ein kleiner Kranz aus zwei verflochtenen, beschnittenen Zweigen mit verein- zelten Blütenzweigen schlingt. Aufsen am Rand des Bodens läuft ein Reif mit stilisiertem Blattwerk und Rosetten, unterbrochen von einem Spruchband auf der sich die wegen Unscharfe des Stempels nicht mehr entzifferbare, mög-

14) Die Buchstaben lassen sich wohl mit einiger Sicherheit so lesen: Hj(N?) GIk SEALS REKOR« DE. Der Stempel zeigt die Worte (?) in der gegebenen Reihenfolge.

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licherweise auch wieder verstümmelte lateinische Aufschrift in Minuskeln : »per . o : ?? on . amor g « wiederholte^).

Unter den Schüsseln mit figürlichen Darstellungen kommen diejenigen mit dem Sündenfall am häufigsten vor; das Museum besitzt eine ganze Reihe mit und ohne Schrift. Das Bild kommt in zwei wenig verschiedenen Varianten darauf vor, einmal (auf dem ausgebrochenen Boden eines Beckens) mit den stehenden Figuren von Adam und Eva zu Seiten des Baumes der Erkenntnis, während sich rechts ein burgartiger Bau erhebt; fünfmal in derselben An- ordnung, mit Schriftbändern zu Raupten der Figuren und einer niedrigen zinnenbekrönten Mauer im Hintergrund. Zwei der letzteren und zwar geringe Exemplare tragen keine Umschrift. Zwei weitere in Majuskeln (Antiqua) die sich wiederholenden unverständlichen Worte; RAM(H.?) : EW : S'Ii(H)NB : die fünfte zeigt eine, der bekannten rätselhaften Inschrift ähnliche, in zehn minuskelartigen Zeichen, von folgender Form:

Fig. 5.

Die Verwandtschaft mit der anderen vielbesprochenen Umschrift leuchtet sofort ein. Ob die eine auf die andere zurückgeht, mag dahingestellt bleiben.

Dazu noch eine äufsere sich wiederholende Umschrift in Majuskeln : DI . DAL . WVNDI . Das letztere könnte leicht eine Verstümmelung von Chri. Sal. Mundi, i. e. Christus Salvator Mundi sein. Bemerkenswert ist noch, dafs 'der Stempel der innern Minuskelschrift nicht die richtige Folge der zehn Zeichen enthält, sondern je die acht letzten und die zwei ersten Zeichen der . sich wiederholenden Schrift, wie sich aus den Absätzen ergibt, ein weiterer Beweis für das gänzlich gedankenlose Verfahren bei Herstellung von Stempel und Becken.

Die Darstellung des Sündenfalls ist durchweg eine rohe, völlig unkünst- lerische. Dadurch erscheint sie bei der in der Regel sehr mangelhaften Ar- beit und der vorauszusetzenden schlechten Beschaffenheit der Stempel alter-

15) Eye hat dieselbe, ehe das Original ins Museum kam, nach einer noch im Kupferstichkabinet befindlichen Facsimilezeichnung wiedergegeben und zwar wie folgt :

Es dürfte daraus hervorgehen, wie leicht auch heutzutage und zwar von schrift- kundigster Seite Verstümmelungen, resp. falsche Lesarten solcher Inschriften entstehen. Auch auf dem Holzschnitt sind die Buchstaben nicht originalgetreu wiedergegeben.

Mitteilungen aus dem german. Natlonalmuseum. 1899. IV.

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tümlicher, als sie wirklich ist. Die gewöhnlich vorkommenden Exemplare werden daher nicht vor das Jahr 1550 zu setzen sein. In dieselbe Zeit des Verfalls gehören aus unserer Sammlung ein Becken mit der Darstellung der Verkündigung; links naht der Engel, rechts kniet Maria, über beiden schwebt die Taube, der Grund ist mit Blumen gemustert; dann zwei verschieden grofse mit dem Lamm, mit Kelch und Kreuzfahne in ganz roher Ausführung. Etwas besser ist ein Teller mit Blatt- und Rosettenverzierung und der Maria auf dem Halbmond, aber sicher erst aus dem 17. Jahrhundert.

Späterer Zeit gehört auch der Typus »Josua und Kaleb mit der Traube« an. Es findet sich hier ein Exemplar ohne Inschrift , während auch solche mit einem und mehreren Schriftbändern bekannt sind. Die Ausführung des Stempels deutet auf den Ausgang des 16. oder Anfang des 17. Jahrhunderts. Dieselbe, häufig vorkommende Vorlage, hat auch eine kupferne Platte, wohl aus einer kupfernen Butte, wie solche insbesondere im 18. Jahrhundert speziell in Nürnberg mit reicher Treibarbeit hergestellt wurden und bei denen gerade diese Darstellung bevorzugt wurde.

Eine tiefe kleine Schüssel mit dem offenbar nach einer antiken Vor- lage gearbeiteten Reliefkopf des Cicero mit Lorbeerkranz trägt in Antiqua die Umschrift : Marcus . Tulius . Cicero . Cons. Dieses Stück ist zweifelhaft ; italienische moderne Herstellung ist wohl nicht ausgeschlossen. Ebenso läfst sich das Alter einiger weiterer kleinerer Becken nicht bestimmen. Ein solches trägt einen einfachen Rosettenstern in der Mitte ; in ähnlicher Weise ist auch ein tiefes Becken verziert; ein anderes zeigt in der Mitte einen kleinen Mönch (.'') mit Heiligenschein und kurzer Kutte und in beiden Händen Blumenzweige. Die Ausführung ist bei diesen Stücken eine flüchtige und kennzeichnet die- selben als gewöhnliche Gebrauchsgeräte. Eine weitere Gruppe meist gröfseren Umfangs bilden die Schüsseln mit rein ornamentaler Verzierung, die an- scheinend als Schmuck der Credenzen und zum vornehmen Tafelgebrauch bestimmt waren. IMeist ist bei diesen in der Zeichnung sehr geschmackvollen Stücken die Mitte des Bodens hoch aufgetrieben, ein Kranz von geschwungenen Blättern oder Buckeln (fischblasenförmig) umgibt die Mitte, oder auch ein Kreis von Blüten und Blättern. Die Inschriften haben im Wesentlichen denselben Charakter, wie bei den figurierten Exemplaren. Zwei schöne Beispiele dieser Art tragen die wiederholte Minuskelinschrift : got . sei . mit . vns. Eine andere dieser Art trägt im innern Schriftrand die rätselhaften neun Zeichen; im äufsern in Antiqua die in verschiedenen Lesarten (die korrekteste wohl : JEH . Wart . ALZEIT . GELVEK) vorkommende Umschrift: EMBART : ALZEIT : GELVEK: Verschiedene Male ist der Stempel unvollständig^*^). Eine flache grofse Schüssel mit aufgetriebenem, mittlerem Buckel und Kranz aus geschwungenen Blättern hat

16) Die Umschriftkreise sind im Ganzen immer von ungefähr gleicher Gröfse. Die vorkommenden Verschiedenheiten bewirkten aber doch, dafs in dem Kreis die Anein- anderreihung nicht >hinausging<. Die Beckschlager halfen sich dadurch, dafs sie dann über die zuerst eingeschlagenen Buchstabentexte den Stempel noch einmal einschlugen, so dafs der erste Teil der zuerst eingeschlagenen Reihe des Öfteren fehlt. Wiederum ein Zeichen, wie wenig Wert auf eine sinngemäfse Wiedergabe der Inschriften gelegt wurde.

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die ungelöste Inschrift mit sieben Schriftzeichen, ohne Trennung zwischen den Wiederholungen, woraus hervorgeht, dafs der Stempel verkürzt, resp. unvollständig war. Eine grofse tiefe Schüssel mit Buckel und herumlaufenden Fries von Knospen und Fruchtstengeln, die Inschrift mit neun Schriftzeichen. Eine der vorigen sehr ähnliche Schüssel dieser Reihe hat im inneren Schriftrand wieder die ungelöste Inschrift in neun , einmal in sieben Zeichen. Der äufsere Schriftrand in Majuskeln bringt wieder den Spruch : AL : ZEIT : GELVEK ART : Die drei Endbuchstaben ART fehlen einmal. Die immer wechselnden Lesarten zeigen deutlich, wie leicht der Sinn eines so einfachen Satzes von gedankenlosen Arbeitern verunstaltet wurde. Zu der- selben Gruppe gehört dann eine Schüssel, welche aller Wahrscheinlichkeit nach mittelst eines mechanischen Verfahrens verziert war. Die Verzierung bildet ein Kranz von zwei gewundenen beschnittenen Ästen, im inneren Kreis ab- wechselnd mit Blüten und Blättern versehen. In der Mitte zwischen einem äufseren gewellt profiliertem Ring und einer schwach halbkugelförmigen Er- hebung eine Inschrift in Minuskeln. Die eigentümliche Schärfe der orna- mentalen Vertiefung und der Verzierungen von der Rückseite aus , läfst die Vermutung aufkommen, dafs diese nicht in Stanzen mit der Hand getrieben, sondern in einem Prefswerk hergestellt wurden ^'^). Die nach mehreren Rich- tungen bemerkenswerte Inschrift dagegen möchte in der üblichen Weise her- gestellt sein. Sie besteht aus einem ca. 10 cm. im äufseren Durchmesser haltenden Kreise, ist in ziemlich deutlichen aber doch stark stilisierten Minuskeln (ausschliefslich) hergestellt und gibt ebenfalls nur teilweise einen Sinn; sie heilst : benedicite deum et vetate (?) etu (.?). Das m des zweiten Wortes, sowie das et sind eigenartig zusammengezogen, die beiden letzten Worte sind cor- rumpiert; das letzte vielleicht aus »eum« oder »eternum«. Die Inschrift ist die zweite sicher in Latein abgefafste auf den Becken des Museums. Hier ist die Verstümmelung wieder augenscheinlich genug erwiesen. Die Herstellungs- zeit ist sicher nicht vor die zweite Hälfte des 16. Jahrhunderts zu setzen. Die Schüssel zeichnet sich auch dadurch aus, dafs sie unter allen vorliegen- den allein am Rande die j\Iarke des Verfertigers, ein Doppelkreuz mit je einem Punkte unten seitlich, mit der Punze eingeschlagen zeigt.

Wenn wir am Schlufs der Betrachtung das Urteil über die »geschlagenen« Becken noch einmal zusammenfassen, so ist einmal bezüglich der Inschriften zu bemerken , dafs dieselben kulturgeschichtlich von keiner allzuhohen Be- deutung sind, dafs dieselbe vielmehr wohl vielfach überschätzt wurde und wird. Dieselben reihen sich den übrigen im mittelalterlichen Leben gebräuchlichen, sei es, dafs wir diese auf Hausgeräten, wie Gefäfsen, Kästchen, Wirkereien u. s. w.

17) Das erste Vorkommen solcher Prefswerke in Nürnberg dürften die Notizen Doppelmeyers (Von den Nürnbergern Künstlern S. 293) über Hans Lobsinger bezeugen : Hier heifst es am Schlufs: >Er war auch letztens in Darstellung eines und des andern künstlichen und besondern Presswerckes gar glücklich . . . ; dann aber noch andere ver- fertigte, mit dero Beyhülffe man alle Metallen so sauber in Figuren zu drucken vermogte, als wenn sie getrieben wären.« Wentzel Jamnitzer >soll« sich des Lobsingerschen Ver- fahrens vielfach bedient haben. Zur allgemeinen Einführung sind diese Prefswerke sicher nicht gekommen.

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vorfinden, oder auf Malereien, Wismutmalereien, aber auch Tafelgemälden, Kupferstichen, Holzschnitten u. dergl. an , sie sind ursprünglich gleichmäfsig sowohl in lateinischer und deutscher Sprache verfafst und dem geistlichen wie dem weltlichen Leben entnommen. Ihre Unverständlichkeit, d. h. der hohe Grad der Verstümmelung, in dem sie in der Mehrzahl der Fälle auf den erhaltenen Stücken uns entgegentreten, läfst sich gegenüber anderen Gegenständen und Materialen, auf denen wir Inschriften sonst begegnen, mit der völlig hand- werksmäfsigen Herstellung sehr wohl erklären. Wir dürfen getrost annehmen, dafs die Mehrzahl der Beckschlager bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts des Lesens und Schreibens insbesondere dieser immerhin nicht ganz geläufigen aber hergebrachten Zeichen nicht mächtig war. Der handwerksmäfsige, und in einem gewifsen Sinn natürlich nicht im modernen der Arbeitsteilung fabrikmäfsige Herstellungsbetrieb gibt auch für die künstlerische und kunst- gewerbliche Bedeutung interessante Aufschlüsse. Der Überblick über die Erzeugnisse vom Ende des 15. bis zum 17. Jahrhundert läfst leicht erkennen, wie von der ursprünglichen Sorgfalt der Verzierung sich der Verfall zu einer rohen und teilweise geradezu geschmacklosen Dekoration vollzieht. Sie gibt zugleich manchem modernen »laudator temporis acti« im kunstgewerblichen Schaffen zu bedenken, dafs zu jeder Zeit und insbesondere zur Zeit der höchsten Blüte deutschen Kunstgewerbes, der zweiten Hälfte des 16. Jahrhdts. auch recht minderwertige Erzeugnisse auf den Markt kamen. Die sorgsame Auswahl der Verzierungsformen, die vorzügliche Herstellung der Stempel, die saubere Aus- arbeitung jedes einzelnen Stückes, die die Arbeiten des späten 15. Jahrhunderts auszeichnet, ist im Laufe des 16. Jahrhunderts bis zum 17. stetig zurück- gegangen. Sorglosigkeit in der Zusammenstellung der Formen, Nachlässigkeit in der Herstellung, mufsten, ganz abgesehen von dem Aufkommen anderer beliebter Materialien wie Zinn, Kupfer und vor allem der keramischen Pro- dukte einen raschen und sicheren Verfall des Beckschlagergewerbes herbei- führen. Nicht blos für die Inschriften, sondern auch für den Geschmack der Verzierung, die nicht der fortschreitenden Zeit zu folgen vermochte, gelten daher die vollberechtigten Worte v. Eyes, (Anz. f. K. d. D. V. 1864 Sp. 328) mit denen wir diese Betrachtung schliefsen wollen: Wenn es sich um die Gründe handelt, welche die in der Menge auftretenden Erscheinungen (gemeint sind die verschiedenen unlösbaren Inschriften) erklären sollen, ist das Gesetz der Trägheit gewifs das, welches als am nächsten liegend ins Auge zu fassen ist. Nürnberg. Dr. Hans Stegmann.

Ein Karabinerhaken aus dem 17. Jahrhundert.

-m vorigen Jahre erwarb das germanische Museum einen Karabiner- haken aus der Frühzeit des 17. Jahrhunderts, der infolge seiner schönen formalen Durchbildung eine nähere Betrachtung verdient. Der Haken ist aus geschnittenem Eisen und be.steht aus zwei ihrer Be- stimmung nach verschiedenen Teilen. Der obere bildet eine grofse Öse, die

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den Lederriemen des Bandeliers aufnimmt; der untere Teil ist der eigentliche Haken, in den der Ring des Karabiners eingreift. So ist dieser selbst sicher befestigt und gestattet eine bequeme Benutzung seitens des Reiters.

Der obere Teil wird von zwei Schlangen gebildet, deren gestreckte Leiber den Hauptteil der Ose bilden. In der Mitte stofsen die Schwänze zusammen und ihre Enden ringeln sich wieder zu kleineren runden Ösen. Ein Ring fafst die Enden zusammen. An dieser Stelle zeigen beide Leiber geschlitztes Blattwerk; ebenso gehen an den Köpfen der Schlangen von der Stirn und vom Unterkiefer Blättervoluten aus, die sich auch an dem aus dem Maule hervorgehenden Stücke fortsetzen. Dieses selbst biegt knieförmig um , geht nach entgegengesetzten Richtungen auseinander und bildet einen Ring, der eine senkrecht zum eigentlichen Haken stehende Rolle umfafst. Diese ist drehbar, so dafs jeder Teil des Hakens freie Bewegung hat.

Beide Enden der Rolle sind mit aufsteigendem Blattwerk verziert, ebenso die zunächst stehenden senkrechten Teile des Hakens.

Der Teil an dem sich die Rolle befindet, schliefst ab mit einer massiven Rosette mit Mittelknopf und sieben von ihm ausgehenden Blattvoluten.

Von dieser Rosette geht rechts in schön geschwungenem Bogen wieder eine Schlange aus , an deren Leibe sich zunächst noch das Blattwerk der Rosette mit einem andern Motiv zusammen fortsetzt.

Dann aber zeigt sich der natürliche glatte Schlangenleib, bis über Stirn und Unterkiefer wieder Voluten ansetzen, in die auch der Oberkiefer ausläuft.

Auf ihren Unterkiefer trifft ein gleich gebildeter Schlangenkopf, der am ganzen dazugehörigen Leibe mit Blattwerk v^erziert, ebenfalls auf die Rosette stöfst, aber in einer Feder befestigt ist, die ein Hin- und Herschnellen gestattet, so dafs zwischen beiden Köpfen die Öffnung für den Karabiner entsteht, die nur nach innen geht.

Mit feinem künstlerischen Sinn ist die verschiedene Art der Bestimmung dadurch angedeutet, dafs das Blattwerk auf der federnden Schlange deutlich

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von dem der Rosette gesondert ist , während dieses sich auf dem anderen Schlangenleibe fortsetzt.

Auch sonst waltet echt künstlerische Absicht.

Den glatten Schlangenleibern oben entspricht ein ebensolcher unten ; sind sie dort künstlich verbunden, so verläuft der untere in einem Ganzen. Züngeln sich die Schlangen oben nur von ferne an, so treffen sie unten un- mittelbar aufeinander ; aber die in Voluten endigenden Oberkiefer zeigen uns, dafs es sich nur um dekoratives Spiel handelt.

So hat der Künstler e i n Motiv durch das Ganze durchgeführt, ohne in Gleichförmigkeit und Langeweile zu verfallen.

Nürnberg. Simon.

Über eine Anzahl mittelalterlicher zu Konstanz

gefundener Bodenfliesen.

m Herbste 1898 wurde von dem Pfleger unseres Museums in Konstanz Herrn Hermann Burk unserer Sammlung eine Anzahl Fliesen zugewendet , die der genannte Herr bei Abtragung eines durch Brand zerstörten Hauses in Konstanz in Sicherheit zu bringen Gelegenheit hatte. Während die Mehrzahl der gefundenen Fliesen dem Rosgartenmuseum zu Konstanz überlassen wurde, kamen Doubletten derselben in unser Museum, wo sie eine erfreuliche Ergänzung unserer schon bestehenden, sehr beträchtlichen Sammlung derartiger Erzeugnisse zu bilden bestimmt sind. Die Erhaltung dieser Fliesen ist nur einem Zufall zu verdanken. Das obengenannte Kon- stanzer Haus, ein ehemaliges Domherrnhaus, soll um das Jahr 1600 einem Umbau unterzogen worden sein. Bei diesem Umbau wurden jedenfalls die alten mittelalterlichen Fufsböden aus Fliesen durch andere ersetzt und die Fliesen als Baumaterial , insbesondere zur Ausgleichung des Mauerwerks be- nützt. Das Alter des ursprünglichen Gebäudes ist unbekannt und damit auch die Datierung der interessanten Fliesenreihe naturgemäfs eine unsichere.

Die vorliegenden Konstanzer Fliesen lassen sich in drei Gruppen scheiden. Eine Anzahl (sechs) sind kleine Rauten mit einfacher Strichverzierung , die wohl zu einem zusammengesetzten (Multiplications-) Muster gehören. Einige weitere , die einzigen , welche Spuren von Glasierung in schwärzlich grüner Farbe tragen, gehören zu einer kreisförmigen Umfassung eines Kreises, eben- falls nur mit einfachem geometrischen Ornament geziert. Weitaus die Mehr- zahl weist phantastische Tierfiguren auf. So einfach auch diese vertieften Muster in ihrer schlichten Contourzeichnung sind, so sind sie doch sehr sicher und straff gezeichnet , aufserdem im Ganzen auch durchaus glücklich in den Raum komponiert. Neben geflügelten Greifen, Vierfüfslern , die an Hunde oder Wölfe erinnern, solche die zwei Vorderfülse, als Ausläufer des Leibs aber

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einen stilisierten Schweif haben, Vögeln, z. B. einen trefflich der Natur abge- lauschten Schwan, kommen auch Darstellungen komplizierterer Art, wie die beiden eine Pflanze fressenden Vögel , oder das Fabelwesen mit Schild und

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Mittelalterliche Bodenfliesen aus Konstanz.

Szepter vor. Menschliche Figuren , von anderer Hand augenscheinlich aus- geführt, als die eben genannten, zeigt nur eine Fliese, zwei nur skizzenhaft angedeutete Menschen unter einem Baume. Zu den Tierdarstellungen lassen

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sich auch die heraldischen rechnen. Es sind fünf verschiedene Typen, die sich vorfinden. Viermal, je von einem aus Kreisen mit Punkten oder sich in ihrem Winkel schneidender Strichverzierung gebildeten Ring umgeben, der Adler. Zweimal kommt er als einfacher und zwar nach links und rechts ge- kehrt, zweimal als Doppeladler vor, das einemal in einer noch sehr primitiven Anordnung mit einem Kopf, der zwischen den zwei Schnäbeln ein einziges grofses Auge hat. (Siehe die Abbildung.) Als eine heraldische Darstellung ist der nach links schreitende gekrönte Löwe aufzuführen.

Der dritten Art endlich gehören eine Anzahl von rein ornamental ver- zierten Fliesen an. Die Muster sind teilweise geometrische aus Sternen, Kreisen u. dergl. gebildet, teils zeigen sie reiche Bandverschlingungen. Die Zeichnungen sind auf allen uns zugekommenen Exemplaren verschieden und zeigen eine bemerkenswerte stilistische Sicherheit, sowie die Fähigkeit aus den einfachen Elementen die verschiedenartigsten Combinationen herzustellen. Die Technik ist sicher bei den meisten die, dafs mit einem scharfen kantigen Werkzeug die Zeichnung aus freier Hand eingerieft wurde, was immerhin eine bemerkenswerte zeichnerische Sicherheit und Fertigkeit voraussetzt, während nur einige wenige, ein heraldischer Adler und einige ornamentale Stücke, mittelst eines abgedruckten Models hergestellt sind.

Die sechs in den Abbildungen wiedergegebenen Stücke geben charak- teristische Proben der im Ganzen 38 Stück zählenden Sammlung. Und zwar wurden zwei der heraldischen Fliesen, Doppeladler und Löwe, die eigenartigsten Beispiele der Tierdarstellungen die Fliese mit den stilisierten an der Pflanze beifsenden Vögeln könnte einem Meister der modernsten Richtung ihren Ur- sprung verdanken und zwei der ornamentalen Muster mit Bandverschlingungen gewählt.

Die Fliesen haben mit Ausnahme der kleineren zu den zusammen- gesetzten Mustern gehörigen Stücke, quadratische Form mit einer Seitenlänge von 13 14 cm. Das Material ist ein feiner, fast ganz sandfreier Thon von rötlich-gelber bis ziegelroter Farbe. Können diese Fliesen an Gröfse und Reichtum der Dekoration auch keinen Vergleich mit den spätem auch in unserer Sammlung vertretenen Arbeiten aushalten, so verdienen sie deshalb Beachtung, weil sie anscheinend zu den frühesten Beispielen des Vorkommens zählen. Wenn auch nicht von gleicher Hand , so sind , wenigstens die quadratischen Stücke, sicher aus einer Zeit. Die stilistische Behandlung der stilisierten Tiere weist auf das hohe Mittelalter, die »droleries« im Buchschmuck und in der dekorativen Plastik. Das völlige Fehlen von Mafswerkformen und vegetabilem Ornament, deutet aufserdem auf eine verhältnismäfsige frühe Ent- stehung. Wir möchten als solche wegen der vorwiegend gebrauchten Band- verschlingungen das 13. Jahrhundert und, wenn dem gegenüber die oft geübte lange Beibehaltung früherer Stilformen eingewendet würde, höchstens das frühe 14. Jahrhundert als Entstehungszeit annehmen, wodurch die vorstehenden Fliesen mit an die Spitze aller bis jetzt bekannten gerückt werden.

Nürnberg. Dr. Hans Stegmann

Mitteilungen aus dem germ. Nationalmuseum.

Taf. I.

Ostgotische Adlerfibel aus dem V. VI. Jahrhundert.

i

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Goldsehmiedearbeiten im Germanisehen

Museum.

(Hiezu Tafel I) ^ er Schatz des Germanischen Museums an goldenen und silbernen

Geräten und Schmucksachen ist in den letzten Jahren um manches hervorragende Stück bereichert worden. Bisher haben indessen nur zwei der bedeutsameren Zugänge dieser Art in diesen Blättern eine ein- gehendere Besprechung erfahren, nämlich der Veit Holzschuher'sche Pokal von Elias Lenker aus den sechziger oder siebziger Jahren des 16. Jahrhunderts (Mitteilungen 1894 S. 3 ff. von Direktor Hans Bosch) und der von Holtzendorf- sche Familienschmuck aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts (Mitteilungen 1894 S. 73 ff. ebenfalls von Direktor Bosch). Es ist daher meine Absicht, hier von einer Reihe weiterer vorzüglicher Werke der Goldschmiedekunst zu handeln, die alle zu den Erwerbungen der letzten Jahre gehören und gröfsten- teils noch nicht veröffentlicht sind. Es sind Schmuckstücke und Geräte aus dem 5. oder 6. bis zum 18. Jahrhundert, die wir in chronologischer Folge an uns vorüberziehen lassen werden, jedes einzelne Stück ein bedeutungs- voller Repräsentant der Kunstübung seiner Zeit und der Kultursphäre, der diese entsprossen, alle zusammen ein reiches, wenn auch freilich keineswegs vollständiges Bild insbesondere auch von dem technischen Können früherer Jahrhunderte auf dem Gebiete der Edelschmiedekunst gewährend.

Die in den folgenden Aufsätzen behandelten Gegenstände gehören ver- schiedenen Gruppen der kunst- und kulturgeschichtlichen Sammlungen an, den frühchristlich-germanischen Denkmälern (F. G.), kirchlichen Geräten (K. G.), Tracht und Schmuck (T. S.) und Hausgeräten (H. G.), wie dies in jedem Falle durch die beigefügte Signatur der Stücke kenntlich gemacht sein wird.

I. Ostgotischer Frauenschmuck aus dem 5. bis 6. Jahrhundert*).

(F. G. 1598 1603) Die Kunst der Völkerwanderungsepoche ist in den letzten Jahrzehnten besonders häufig Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen, und es gibt in der That kaum eine anziehendere Aufgabe als die, den Zusammen- stofs der alternden Antike mit dem jugendlichen Kunstempfinden der Ger- manen und die wechselseitigen Einwirkungen beider in ihren Einzelheiten zu erforschen und klarzulegen, so gewissermafsen das Fundament für eine tief eindringende Geschichte der deutschen Kunst zu schaffen. Trotz eifrigen Bemühens sind dennoch die Ergebnisse der bisherigen Forschung auf diesem Gebiete mit wenigen Ausnahmen nicht eben glänzend zu nennen. Den Argumenten, auf die sie sich stützen, mangelt meistens die schlagende Be- weiskraft, häufig sogar die Wahrscheinlichkeit, mit der wir uns für so weit zurückliegende Zeiten gern begnügen würden, jenen Ergebnissen selbst daher

*) Wir bringen diesen Artikel, ohne in der Frage alle Anschauungen des Verfassers zu teilen. Die Red.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. V.

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die Sicherheit und Zuverlässigkeit. So stehen denn vielfach und gerade in den wichtigsten Fragen Ansichten gegen Ansichten, Theorien gegen Theorien, was stets ein schlimmes Zeichen für den Stand des Wissens ist. Die Haupt- ursachen dieser Erscheinung lassen sich unschwer erkennen. Es ist einmal die durch die staatlichen Umwälzungen der Völkerwanderungszeit mitbedingte Spärlichkeit der Quellen namentlich in kunstgeschichtlicher Hinsicht, dann aber und ganz besonders auch die ebenfalls im Charakter der Zeit begründete weite Zerstreuung der Denkmäler über Europa und Teile Asiens ich denke an die sibirischen Funde und Afrikas. Dem ersteren Übelstande wird durch etwaige neue Quellenfunde und die Fortschritte vornehmlich der byzantinischen Wissenschaft kaum jemals wesentlich abgeholfen werden; der Zerstreuung der Denkmäler aber, der heute ihre Unterbringung in den ver- schiedensten Museen und Privatsammlungen Spaniens, Italiens, Frankreichs, Deutschlands, Österreich-Ungarns, der nordischen Reiche, Rufslands u. s.w. ent- spricht, würde wohl durch sachgemäfse Veröffentlichung in einem Corpus anti-

Fig. 1, Originalgröfse.

quitatum wirksam begegnet werden können. Nur ein solches Werk, dessen Herausgabe stets in erster Linie eine finanzielle Frage sein wird, könnte der Forschung insbesondere über den sogenannten Völkerwanderungsstil, die Kunst der Barbaren, einen festen Boden unter die Füfse geben. Solange wir es nicht besitzen, wird jede neue Publikation über einzelne Kunstgegen- stände dieser Art gut thun, auf eine möglichst getreue Wiedergabe und sorgfältige Beschreibung nicht zum mindesten nach der technischen Seite hin, die bisher nur zu häufig vernachlässigt worden ist, den ganzen Nachdruck zu legen.

Aus diesem Grunde haben wir auch geglaubt, das Hauptstück des Schmuckes, dem der vorliegende Aufsatz gewidmet ist und über dessen Zu- gehörigkeit zum Kunstschaften der Völkerwanderungszeit wohl kein Zweifel sein kann, nicht anders als in der Gröfse des Originals und in Farbendruck wiedergeben zu dürfen (vgl. die Tafel). Es ist eine mächtige, goldene, mit Steinen besetzte Fibel in der Form eines stilisierten Adlers, die in der gröfsten Längenausdehnung 120, in der gröfsten Breite 58 mm mifst und auf der Rückseite mit einer starken , ehemals federnden Bronzenadel versehen ist. Sie soll nach Aussage der beteiligten Händler das Germanische Mu-

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seum erwarb sie von David Reiling in Mainz, dieser von Sambon in Mai- land — in der Nähe von Cesena in der Romagna , also nicht allzuweit von Ravenna ausgegraben worden sein. Mit ihr zusammen gefunden und ebenfalls vom Germanischen Museum erworben wurden drei im wesent- lichen vollständige Teile einer Halskette, oder richtiger eines Gehänges der gleichen Art (vgl. Fig. 1; gröfste Länge je 43, gröfste Breite je 15 mm), sowie die untere Hälfte eines vierten solchen Teilstücks und ein prächtiges Ohrgehänge (vgl. Fig. 2; gröfste Länge 91, grölste Breite 24 mm), dem leider zwei der Bommeln, die mit der erhaltenen dritten zusammen den Abschlufs nach unten bildeten, fehlen, wie aus den leeren Ringen zu beiden Seiten der erhaltenen Bommel hervorgeht. Das Ohrgehänge als solches deutet schon

Fig. 2, Originalgröfse.

mit annähernder Sicherheit darauf hin , dafs es Teile des Schmuckes einer vornehmen Frau sind , mit denen wir es zu thun haben. Wie sie in die Erde gekommen, ob es sich um einen Grabfund handelt oder um einen Schatz, der vor vielen Jahrhunderten vor feindlichen Nachstellungen im Schofse der Erde geborgen wurde, darüber liefs sich vorderhand nichts Sicheres fest- stellen. Nur soviel wissen wir, dafs sich zusammen mit denjenigen Teilen des Schmuckes, die jetzt das Germanische Museum besitzt, noch einige weitere Stücke gefunden haben, die schon vor längerer Zeit von dem Ungarischen Nationalmuseum in Budapest erworben wurden. Diese wurden im Archaeolo- giai Ertesitö Bd. XVI (1896) S. 121 ff. von Leo Käräsz veröffentlicht und

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finden sich auch im zweiten Bande von Joseph Hampels Werk über früh- mittelalterUche Altertümer Ungarns (Budapest 1897) Taf. CCIII und CCIV abgebildet. Es sind darunter drei weitere Teilstücke des Halsgeschmeides und das andere Ohrgehänge, das völlig mit dem unserigen übereinstimmt, nur dafs ihm die mittlere Bommel fehlt, während die beiden seitlichen, ganz ebenso gestalteten erhalten sind (Käräsz und ebenso Hampel Nr. 3 5 und 6). Ferner stammen in Budapest noch aus demselben Funde zwei in der gleichen Technik wie unsere Stücke ausgeführte schildförmige Platten, die wohl zur Verzierung irgend eines anderen Gegenstandes dienten (ebenda Nr. 1 und 2), eine Haarnadel mit prächtiger Zierscheibe (ebenda Nr. 7), ein Fingerring (ebenda Nr. 8), eine aus Drahtringen zusammengesetzte Kette (»sodronyos karikäba kapcsolt sodronyläncz« ebenda Nr. 9) und zwei Riemenzungen (ebenda Nr. 10 und 11), alles aus Gold. Überdies entnehmen wir den ge- nannten beiden Publikationen , dafs dieser bedeutungsvolle , jetzt leider so zerstreute Fund noch eine zweite Adlerfibel aufwies, die in Gröfse, Form und Ausführung der unserigen genau entsprach , nur dafs bei ihr der Kopf des Adlers nicht nach rechts, sondern nach links gewendet war. Wohl mit Recht vermutet Käräsz (a. a. O. S. 122), dafs die beiden Fibeln dazu dienten, um, vor den Schultern symmetrisch angebracht, daselbst das Gewand zusammen- zuhalten. Über den Verbleib dieser zweiten Fibel, die sich möglicherweise noch in Händlerhänden befindet, war nichts in Erfahrung zu bringen, ebenso- wenig über das etwaige Vorhandensein weiterer Teilstücke des Halsschmucks, deren Zahl mit den bisher bekannten sieben Gliedern schwerlich erschöpft war (vgl. auch Käräsz a. a. O. S. 124). Auf Einzelheiten der im Unga- rischen Nationalmuseum befindlichen Schmuckstücke wird im folgenden ge- legentlich zurückzukommen sein; im allgemeinen beschränke ich mich in- dessen auf die mir vorliegenden Gegenstände des Fundes, zumal die Ab- bildungen in den genannten beiden ungarischen Arbeiten zur Behandlung tech- nischer und stilistischer Fragen nur unvollkommen genügen ').

1) Herr Dir.-Custos Dr. J. Hampel hatte die Freundlichkeit , mir auf eine Anfrage mitzuteilen, dafs die fraglichen Stücke dem Ungarischen Nationalmuseum ursprünglich unter der Angabe verkauft worden seien, dafs dieselben aus Ungarn stammten. >Nach- träglich erfuhren wir«, fährt er fort, »dafs die Stücke, die wir besitzen, nur den Bruch- teil eines Schatzes bilden, der in Cesena gefunden worden sei. Sambon hatte einige von den Sachen und ein hiesiger (Budapester) Antiquitätenhändler noch ein Stück, für das er jedoch zu viel verlangte, sodafs wir es nicht kauften; es war dieses eine Adlerfibula« vermutlich jenes Gegenstück zu der unsrigen, wie aus der genaueren Beschreibung dieser Fibel bei Käräsz (a. a. O. S. 122) hervorzugehen scheint , wo u. a. gesagt wird, dafs sich in der Augenhöhle ein weifser Stein, in der Mitte mit einem kleinen Granaten befunden habe (»a szemüregekben fehdr van, közepett kis gränättal«), was für unsere Fibel in ihrem jetzigen Zustande nicht zutrifft. Den ungarischen Forschern gegenüber wollte übrigens ein Mailänder Händler (also ohne Zweifel Sambon) den Schmuck aus erster Hand, von dem Finder selbst, gekauft haben (Käräsz S. 121). Es läfst sich in- dessen , wie auch Käräsz bemerkt, in dieser Sache schlechterdings nicht klar sehen, und bleibt nur zu bedauern , dafs hier wiederum durch Händler-Machenschaften einem wich- tigen Funde in unverantwortlicher Weise mitgespielt worden ist.

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Einer ausführlicheren Beschreibung des rein Formalen , der äufseren Erscheinung unserer Schmuckstücke, überheben mich zum guten Teil die beigegebenen Abbildungen sowie die Ausführungen, die etwa vor Jahresfrist bereits Julius Naue unter der Überschrift »Ausgrabungen und Funde« in den »Prähistorischen Blättern« (X.Jahrgang, 1898, S. 57 f.) über unseren Schmuck gebracht hat. Was etwa ergänzend nachzutragen und aus den Abbildungen nicht mit völliger Deutlichkeit zu ersehen ist , wird bei Behandlung der Technik und der stilistischen Fragen Erwähnung finden.

Das für den Schmuck zur Verwendung gekommene Gold ist, wie Proben ergaben, durchaus Feingold (24 karätig). Aus solchem Golde hämmerte sich der Künstler vor allem ein ziemlich dünnes Blech, ganz ähnlich demjenigen, das wir auch bei Funden diesseits der Alpen zur Überkleidung anderen Materials (einer kalk- oder gipsartigen Masse etc.) namentlich für die grofsen edelsteinbesetzten Scheibenfibeln verwandt finden , rifs auf demselben , wenn wir zunächst die Entstehung der Adlerfibel ins Auge fassen, die Formen derselben nach seiner Vorlage ab , schnitt oder sägte die Zeichnung aus und umgab den Rand mit einem senkrecht zu dem Goldbleche stehenden , 4 mm hohen und V2 bis 1 mm dicken Goldbande, kaum mit einem anderen Instrument als mit einer kräftigen Zange arbeitend. Das Band wurde mit dem Bleche überall verlötet und gab dem Ganzen erst die nötige Festigkeit zu weiterer Bearbeitung. Diese bestand darin, dafs zunächst in die Mitte ein starker kreisförmiger Goldreifen eingesetzt und wiederum durch Löten befestigt wurde. Hierauf trieb der Goldschmied von der Rückseite des Stückes her an der von jenem Reifen umgrenzten Stelle eine gleichmäfsige, fast halbkugelförmige Vertiefung in das Blech, das nun hier, an seiner kon- vexen Oberfläche, der schönen mittleren Kreuzrosette zur Unterlage diente. Wie es scheint, wurde diese Rosette nicht etwa für sich gearbeitet und dann aufgesetzt, sondern zunächst auf den erwähnten, etwa 2 mm dicken Goldreifen ein schmälerer aufgelötet, in diesen das vorher fertiggestellte griechische Kreuz mit seinen eingelöteten Kreiszellen und die ebenfalls für sich gearbeiteten, winkelförmigen Figuren mit ihren schrägen Sprossen in den vier Ecken am Durchschnittspunkte der Kreuzbalken eingesetzt, jene Winkelfiguren sodann je durch einen sich gabelnden Steg mit dem umschliefsenden Reifen ver- bunden. Infolgedessen weist die Rosette längs der Kreuzarme und an den Kreuzenden doppelt gelegte Goldbänder oder -streifen auf eine rohe, Material verschwendende Technik. Das Zellenwerk der übrigen Teile des Adlers, des Kopfes, Schwanzes und der beiden Flügel, wurde schliefslich in der Weise hergestellt, dafs zunächst die Längsstreifen eingefügt und befestigt und zwischen diesen die verschieden geformten, bald geraden, bald in der Mitte eingeknickten, bald gewellten oder auch zum Ring oder Halbkreis (am Schnabel) zusammengebogenen Goldbandstückchen eingelötet wurden. Auch hier verrät sich eine ziemlich primitive Kunstübung in der Harmlosigkeit, mit der man es gänzlich versäumt hat, kleine Unebenheiten, wie eine solche auch auf unserer Tafel am deutlichsten an dem grofsen Goldringe, der das Auge des Adlers bildet, erkennbar ist, auszugleichen.

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Vielleicht wurde jedoch gerade bei dem Auge das störende, über- schüssige Goldstreifchen, das sich bei der Bildung des Ringes vordrängte und nicht entfernt wurde, durch die ehemalige Füllung dieser Zelle, die sich leider nicht erhalten hat^), genügend verdeckt. Wo sich die in die übrigen Goldzellen der Adlerfibel eingesetzten Steine erhalten haben, sind dies mit nur zwei Ausnahmen tafelförmig geschliffene, orientalische Almandine, die nach der Gröfse der Zellen zugeschnitten, lediglich in dieselben eingeklemmt wurden. Unter den mit den trennenden Goldstreifchen zusammen ehemals eine glatte Oberfläche bildenden Almandinen findet sich, wie einzelne Unter- suchungen ergaben, vermutlich überall da, wo ein tiefes, violettrotes Leuchten des Steines erzielt werden sollte, auf dem Grunde der Zelle ein zweiter Almandin eingelegt. Zu diesen den oberen als Folie dienenden Steinen ver- wandte der Goldschmied mit Vorliebe die etwas fehlerhaften oder auch zer- brochenen Steine. In vielen Fällen sind nur sie auf dem Grunde der Zelle bewahrt geblieben, während die oberen Almandine verloren gegangen sind.

Die beiden Ausnahmen, von denen ich sprach, betreffen die Zellen am untersten Ende der beiden Flügel, die doch wohl schon ursprüngUch, wie man nach der augenscheinlich beabsichtigten Symmetrie annehmen darf je mit einem weifsen, weichen, unedlen Stein, einem Kiesel oder Schiefer ^), ausgefüllt worden sind •*).

Eine starke, ebenfalls aus Feingold gearbeitete Tülle oder Bügel für die zwischen zwei kleinen Goldbarren an einem Eisenstift drehbare Bronzenadel auf der Rückseite der Fibel vervollständigte das Stück. Die Tülle ist mit einer kräftigen Öse versehen, mit der wohl der kostbare Schmuck am Ge- wände festgenäht war. Das um den wohl ehemals festliegenden Eisenstift aufgerollte Oberteil der Nadel ist leider an zwei Stellen gebrochen, die Nadel daher nicht mehr federnd. Die Vorrichtung selbst entspricht im wesentlichen der bei Lindenschmit, Handbuch der deutschen Altertumskunde I (1880 89) auf S. 439 Fig. 446 wiedergegebenen.

Die übrigen im Besitz des Germanischen Museums befindlichen Teile des Schmuckes machen im allgemeinen den Eindruck sorgfältigerer Aus- führung, die indessen wohl schon durch die minutiösere Arbeit bei geringeren Gröfsenverhältnissen notwendig bedingt war. So ist für diese Stücke als Untergrund ein erheblich stärkeres Goldblech zur Verwendung gekommen, die zur Umgrenzung jedes Stückes verwandten Goldstreifen, deren Höhe hier zwischen 1 ' -^ und 2 mm. schwankt, sind nicht unmittelbar auf den

2) Vgl. das bezüglich der anderen Adlerfibel in Anm. 1 über die Füllung der das Auge bildenden Zelle Gesagte.

3) Auch Alabaster könnte es sein, wie solcher z. B. an dem Schmuck von Szilagy- Somlyö zur Verwendung gekommen ist (vgl. Käräsz a. a. O. S. 127).

4) L. Käräsz (a. a. O. S. 122) spricht bei Beschreibung jener zweiten Adlerfibel auch von Perlen und Email, die in der Richtung der Längsachse der Fibel und an den Kreuzbalken in die Zellen eingesetzt gewesen seien. Davon ist an unserem Exemplar nichts mehr zu entdecken. Wo sich hier vereinzelt eine Füllung insbesondere der Rund- zellen erhalten hat, besteht sie ebenfalls aus Almandinen.

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Rand aufgelötet, sondern lassen rund herum noch ein schmales Streifchen des Untergrundes frei, das auf der Vorder- wie auf der Rückseite in ein- facher, doch geschmackvoller Weise durch filigranartige Kerbung verziert ist. Nur an den beiden Seiten der oberen Hälfte jedes der zu dem Hals- schmuck gehörigen Stücke fehlt dieses Rändchen. Man hat sie sich eben dicht aneinander geschlossen zu denken. So bildeten diese Stücke, wie sich aus der Form der Oberteile ergibt, zusammen mit den im Ungarischen Nationalmuseum verwahrten und anderen noch nicht wieder aufgetauchten ein schimmerndes Geschmeide rund um den Hals ihrer ehemaligen Besitzerin, ähnlich demjenigen , das wir auf den bekannten Mosaikgemälden von San Vitale zu Ravenna eine der Frauen der Kaiserin Theodora tragen sehen. Jedes der Oberteile ist seitlich zweimal durchlocht zur Aufreihung an starken Seidenfäden.

Im übrigen bieten die Stücke in technischer Beziehung nicht eben viel Neues. Erwähnt zu werden verdient jedoch, dafs, wie sich bei den niedrigeren Zellen des Ohrgehänges nachweisen läfst, gelegentlich auch ein ganz dünnes Goldblech als Folie verwandt worden ist. Dasselbe liegt alsdann unmittelbar unter den Almandinen und verleiht diesen einen goldigroten Glanz. Aufser Almandinen finden sich noch und zw^ar je zu beiden Seiten des gröfsten Almandins an dem Oberteile der Halsgeschmeideglieder, sowie in dem spitzen Winkel, den die Hauptfigur des Ohrgehänges bildet Smaragde eingesetzt, dazu in den kleinen kreisrunden Zellen des Halsschmucks und der kleinen kreisrunden Zelle im Anhängsel des Ohrrings ganze Perlen, während, wo nur eine Hälfte der Perle sichtbar wird, die Goldschmiedekunst sonst in der Regel halbierte Perlen verwendet. Alle diese Perlen unseres Schmuckes, die einfach in ihren Zellen festgeleimt sind, zeigen Durchbohrung, sind also wohl schon früher einmal zu einem Perlenhalsband oder dergleichen verwandt gewesen. Eine besonders schöne und gröfsere Perle bildet auch den letzten Abschlufs des Ohrgehänges.

Unser Schmuck gehört also seiner Technik nach jener grofsen Gruppe von Zellen- oder Cloisonarbeiten mit eingelegten Almandinen oder Granaten an, die in zahlreichen im südlichen Rufsland, den Pontusländern, ausgegrabenen Schmuckgegenständen, wie z. B. der berühmten Krone von Novo Tscherkask am Don (Eremitage-Museum in St. Petersburg), ferner in einigen Stücken der Goldfunde von Petreosa in Rumänien und von Szilagy-Somlyö in Ungarn, den Grabschätzen der Merowingerkönige Childerichs I. und Chilperichs, dem Becher und der Schüssel von Gourdon im Departement Haute-Saone, dem Gürteltaschenbeschlag von Evermeu in der Normandie, der Fibel von Kent, den goldenen Votivkronen von Guarrazar in der Nähe von Toledo mit den Namen der Westgotenkönige Swinthila und Recceswinth, den Schmuckstücken von der sogenannten Rüstung des Odoaker im Museum zu Ravenna, und einigen von den Langobardenfürsten gestifteten Stücken im Domschatz zu Monza, wie namentlich dem berühmten EvangeUar der Theodelinde um aus den verschiedensten Ländern und Gegenden nur diese Arbeiten zu nennen ihre Hauptvertreter hat.

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Schon in seiner Schrift »Recherches siir la peinture en email dans l'antiquite et au moyen-äge« (Paris 1856) hatte Labarte, vom Childerich- schwert ausgehend, diese ganze Gruppe der einheimischen Kunstübung ab- sprechen zu müssen geglaubt, die Cloisonarbeiten geradezu als Exportartikel von Byzanz und dem Orient hingestellt. Dieser Ansicht schlofs sich im wesentlichen auch Jose de los Rios in seiner Arbeit über die Funde von Guarrazar an, wie schon aus dem Titel dieses Werkes »El arte latino-bizantino en Espana y las Coronas vizigodas de Guarrazar« (Madrid 1861) hervorgeht. Dagegen trat der Abbe Cochet in seinem Buche »Le tombeau de Childeric I.« (Paris 1859) gegen Labarte, Ferdinand de Lasteyrie in seiner »Description du tresor de Guarrazar« (Paris 1860) im Gegensatz zu Jose de los Rios, wie später in seiner »Histoire de l'orfevrerie« (2. Aufl. Paris 1877) mit guten Gründen für die Verfertigung jener Cloisonarbeiten durch germanische (oder nach Vorschrift der Germanen arbeitende landeingesessene) Künstler ein. »Dans ma conviction intime«, sagte Lasteyrie schon 1860 (a. a. 0.*S. 33), »l'orfevrerie ou la joaillerie ä decoration de verre rouge cloisonne n'a ete pratiquee en aucun pays que par des peuples d'origine germanique: chez nous, par les Francs venus ä la suite des premiers Merovingiens; en Angle- terre, par les conquerants anglo-saxons ; en Suisse, par les Burgundes ; en Italic, par les Goths ou les Lombards. Et j'ajouterai que, dans tous les pays que je viens de citer, 1' Industrie dont il s'agit a ete, non point trouvee, mais importee par les peuples envahisseurs.« Namentlich angesichts dieses letzteren wichtigen Arguments, welches Lasteyrie in seinen späteren Arbeiten noch mehr betonte, dafs nämlich in denjenigen Ländern, die von den Germanen durchzogen wurden und in denen sie als Eroberer ihre Reiche gründeten, bisher keinerlei Kunstgegenstände der bezeichneten Art gefunden worden sind, die einer früheren Zeit als der Völkerwanderungsepoche zugeschrieben werden konnten, liefs sich die Theorie von dem byzantinischen Import auf die Dauer nicht mit Glück aufrecht erhalten, wenn auch Labarte selbst noch in der zweiten Auflage seiner »Histoire des arts industriels* (Paris 1872) diese Ansicht weiterhin verfocht. Man mufste sich sagen, dafs allerdings die Technik zweifellos dem Orient entlehnt sei, wo wir sie, wie viele Funde beweisen, von den alten Babyloniern und Assyrern nicht minder wie von den alten Ägyptern und frühzeitig auch von Persern und Oströmern geübt finden. Man mufste auch zugeben, dafs in der Ornamentik vieles auf Byzanz und die ihm benachbarten östlichen Länder deute, dafs manche zweifellos byzantinische oder persische Werke eine nahe Stilverwandtschaft zu jener Gruppe von Cloisonarbeiten zeigten. An der Herstellung dieser Gegenstände durch die Germanen konnte dennoch kaum mehr gezweifelt werden, und es fragte sich nunmehr nur, wer d. h. welcher Volksstamm der Vermittler gewesen sein könne. Es lag nahe, hier in erster Linie an die Goten zu denken, die nicht nur während ihres Jahrhunderte langen Aufenthalts am Schwarzen Meer in nahe Berührung mit der Kunst der östlichen Länder gekommen waren, sondern auch , nachdem sie vor dem Ansturm der Hunnen gegen Ende des 4. Jahrhunderts aus jenen Gegenden hatten weichen müssen, mit den ihnen

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stammverwandten Gepiden und Vandalen ihre Wanderungen am weitesten von allen Germanen ausgedehnt hatten, fast überall, wo sich Cloisonarbeiten in Europa gefunden haben, herumgekommen waren. Die Goten also konnten in der That mit einiger Wahrscheinlichkeit als die Vermittler der alten Technik an die Germanen der Völkerwanderungszeit angesehen werden ; und wenn auch die Ultras dieser Theorie, die dem Gotenvolke überhaupt alle derartigen, auf europäischem Boden gefundenen Arbeiten zu vindizieren geneigt waren, nur geringen Glauben finden konnten, so hat sich die Forschung gegen andere Hypothesen, wie beispielsweise gegen die von de Linas auf- gestellte, nach der die Zigeuner die Vermittler gewesen sein sollten, noch ablehnender verhalten.

Das Kunstschaffen der Goten näher erforscht und neue Stützpunkte von nahezu beweisender Kraft für die oben skizzierte Theorie von der Vermittler- rolle der Goten beigebracht zu haben, ist das Verdienst mehrerer ungarischer Forscher, Emerich Henszlmann , Joseph Hampel, Franz von Pulszky und anderer, und namentlich sind es J. Hampels gründliche Untersuchungen über den Goldfund von Grofs-Szent-Miklös (deutsche Ausgabe Budapest 1886), die hier klärend gewirkt haben. Nach- Hampel stehen zwischen den Goten und den Byzantinern und Orientalen noch die mi:5chellenischen Bewohner der Pontusgegenden , mit denen die Goten so lange zusammen gelebt haben. Namentlich die Städte Chersonesos, Pantikapeion und Phanagoria auf den Halbinseln Krim und Toman, dann das weiter westlich liegende Olbia waren dort von altersher die Vorkämpfer griechischer Kultur gewesen und insbesondere hatte sich die Goldschmiedekunst schon in früher Zeit bei ihnen grofser Beliebtheit und eifriger Pflege erfreut (Hampel a. a. O. S. 82 f.). »Später, seit dem Verfall der guten antiken Kunst, als die Kunstindustrie des Ostens dominierte und immer mehr und mehr Artikel nach den Pontusländern ex- portierte , besonders gewebte Seidenzeuge , Gold- und Silberschüsseln, kam die orientalische Stilisierung immer mehr zur Herrschaft« (ebenda S. 89). Neben der antiken Tradition und den orientalischen Einflüssen macht sich endlich namentlich in den nachchristlichen Jahrhunderten auch das Barbaren- tum in den Werken dieser mixhellenischen Künstler geltend, wie denn Barbarenfürsten nachweislich nicht selten die Auftraggeber gewesen sind.

Wie die Forschung heute steht, mufs man also vornehmlich Künstler dieser Sphäre als die Lehrmeister der Goten in Technik, Stil und Ornamentik betrachten. Die Goten im Süden, die wie das ganze Gotenvolk für die Kunst nicht selbstschöpferisch veranlagt waren '"), teilten diese Errungenschaften ihren im Norden, im südlichen Skandinavien, Gotland und Teilen des westlichen Rufsland, sitzen gebliebenen Stammesbrüdern, mit denen auch nach erfolgter Trennung ein reger Verkehr vorausz-usetzen ist, mit und vermittelten sie gleicherweise auf ihren weiteren Wanderungen den anderen germanischen Stämmen. Ohne Zweifel wird indessen eine eifrig fortgesetzte Forschung

5) Vgl. Hans Hildebrand, Das heidnische Zeitalter in Schweden. Deutsche Aus- gabe von J. Mestorf. Hamburg 1873.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. VI.

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allmählich auch die Unterschiede zwischen fränkischen, ost- und westgotischen, langobardischen, burgundischen, angelsächsischen u. s. w. Arbeiten oder doch bestimmte einzelne Charakteristika deutlich erkennen lassen. Dazu eben könnte aller Wahrscheinlichkeit nach eine genaue Beobachtung und gründ- liche Beschreibung der Technik sehr wesentlich beitragen.

Wenn man alle diese Denkmäler in ihrer Gesamtheit betrachtet, kann man den ihnen gemeinsamen, so entstandenen, weit verbreiteten Mischstil den Völker- wanderungsstil nennen , sofern man sich dabei nur gegenwärtig hält, dafs es sich hier um einen von den Germanen fortgebildeten, nicht auch seinem Ursprünge nach spezifisch germanischen Kunststil handelt. In letzterem Sinne dürfte wohl eher jene eben in der Völkerwanderungsepoche eintretende Umbildung des alten, aus der Bronzetechnik entwickelten Stiles mit seinen nun allmählich der Auflösung verfallenden Band- und Tierverschlingungen, der namentlich für weniger kostbare Werke überall nebenher geht und um dessen Erforschung sich aufser unserem Lindenschmit vor allem die nordischen Forscher H. Hildebrand und Sophus Müller verdient gemacht haben, Anspruch auf jenen Namen erheben. Besser freilich, man sieht von Schlagworten ganz ab und spricht lediglich von verschiedenen Richtungen und Entwicklungs- phasen in der Kunst der Germanen der Völkerwanderungszeit.

Exemplifizieren wir von diesen Auseinandersetzungen auf unseren Gold- schmuck , so werden aufser der Cloisontechnik im allgemeinen vermutlich auch die einzelnen oben ausführlich behandelten Feinheiten derselben, die Verwendung verschiedener Folien u. s. w., auf jene späten Nachkömmlinge des alten Hellenentums in den reichen Pontusstädten zurückzuführen sein, vielleicht allerdings auch direkt auf Einflüsse der Kunstübung Ostroms. Un- germanisch ist sodann auch manches in der Stilisierung und Ornamentation unserer Stücke. So hat die Stilisierung, in der in unserer Fibel die Figur des Adlers erscheint, ohne Zweifel ihren Ursprung im Orient und zwar aller Wahrscheinlichkeit nach in der Kunst der Sassaniden, aus der sie allerdings frühzeitig, namentlich durch die Seidengewebe vermittelt, sowohl in die Kunst der Pontusländer als von Byzanz übergegangen ist. Denn die byzantinische Kunstentwicklung um auch diese Frage, die neuerdings durch F. X. Kraus' Geschichte der christlichen Kunst wieder recht in Flufs gekommen ist, hier wenigstens zu berühren besteht nach meiner Auffassung vorzugsweise in der allmählichen Erstarrung und Verknöcherung des von der Antike ererbten Kunstbesitzes infolge der andauernden Beeinflussung durch die Kunst und das Ceremoniell des Orients. Wann der »byzantinische Stil« fertig dasteht, ob bereits vor Justinian oder erst mit und nach Justinian, das wird sich, wie dies ähnlich auch Eduard Dobbert in seiner Besprechung des Kraus'schen Buches (Repertorium XXI 1898 S. 20) treffend hervorgehoben hat, wohl ebenso schwer entscheiden lassen, wie man den genauen Zeitpunkt festsetzen kann, in dem etwa die Renaissance sich ins Barock verwandelt hat.

Auf byzantinische Einflüsse möchte ich, so primitiv uns dies Ornament erscheint und so leicht es schliefslich auch aus der germanischen Kunst genommen sein könnte, in dieser Verbindung auch die Reihen der spitzen.

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winkelförmigen oder »schwalbenschwanzförmigen« (Käräsz a. a. O. S. 123) Zellen auf unserer Fibel zurückführen, die vielleicht die Federn bedeuten sollen (Käräsz ebenda), sich jedoch mit den Reihen zusammengesteckter Herzfiguren, wie sie uns in spätantiken , bereits von Ostrom beeinflufsten oder selbst dort entstandenen Gobelinwirkereien und Stickereien und in den frühesten byzantinischen Miniaturmalereien so häufig begegnen, auf das nächste berühren und daher vermutlich in erster Linie als eine Reminiszenz an dieses Ornamentationsmotiv aufzufassen sind. Eigentlich klassische Nach- klänge dagegen liefsen sich höchstens in dem verzierenden Abschlufs des Ohrgehänges durch kleine knospen- oder eicheiförmige Bommeln und in der Form dieser Anhängsel selbst erkennen, wofür manche namentlich im südlichen Rufsland gefundene, kostbare griechische Gehänge Analoges bieten ^). Gewifs hat man auch hier die Beibehaltung und Weiterbildung dieses gefälligen dekorativen Elementes den Künstlern am Schwarzen Meere zu v'erdanken. Ebenso dürfen wohl die beiden aus Golddraht gebildeten, symmetrisch angeordneten, etwas schräg gegeneinander gestellten S- Figuren, die das hauptsächlichste Ornamentationsmotiv auf der Zierscheibe der Haar- nadel des Budapester Museums ausmachen, als Nachklänge der antiken Ornamentik betrachtet werden.

Wird man nun nach alle dem behaupten dürfen, dafs etwa einer jener mixhellenischen Künstler selbst oder auch ein Byzantiner, ein Romane unseren Schmuck verfertigt habe r Wir müssen auch hier, analog der allgemeinen Betrach- tung, mit Nein antworten. Die ganze Ausführung insbesondere der Adlerfibel, die erwähnten Unebenheiten der Technik, die Materialverschwendung sowohl was das Gold als was die echten Perlen betrifft u. s. w. weisen mit grofser Wahr- scheinlichkeit auf einen Germanen als ausführenden Künstler hin , und nach dem Lande, in dem der Schmuck gefunden wurde, werden wir also in erster Linie und so gut wie ausschliefslich denn Heruler, Rugier, Skyren, Van- dalen u. s. w. haben in Italien keinerlei Kultur entfaltet an einen Goten oder einen Langobarden zu denken haben.

Spezifisch germanische oder doch von Germanen ausgebildete Motive unterstützen noch unsere Vermutung eines germanischen Verfertigers. Wenn auch die Verwendung der Figur des Adlers in der Kunst von altersher be- liebt und weit verbreitet war, uns beispielsweise bereits unter den altägyp- tischen Goldfunden Adler und Sperber in einer ganz ähnlichen Technik wie der unsere '') und weiterhin manche derartige Stücke unter den griechischen und mixhellenischen Funden des südlichen Rulsland ^) etc. begegnen, so war doch die Vorliebe der Germanen für diese Figur ganz besonders stark, und

6) Vgl. in Kondakof, Tolstoi und Reinach, Antiquitds de la Russie mdridionale (französische Ausgabe Paris 1891) die Abbildungen 75, 82, 207, 208, 288 u. s. \v. Natür- lich ist bei unserem Ohrgehänge das Ornament in den flachen Cloisonstil übertragen.

7) Vgl. z. B. Perrot und Chipiez , Geschichte der Kunst im Altertum : Aegypten, deutsche Ausgabe von R. Pietschmann. Leipzig, 1884, S. 766 f.

8) Vgl. Charles de Linas, Les origines de rorfövrerie cloisonnde Bd. II (Paris 1878) »Mus6e de l'Ermitage PI. Ac etc.

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die in Germanengräbern gefundenen kleineren und gröfseren Adlerfibeln aus Bronze und auch aus Gold zählen nach Hunderten. Und zwar haben wir es hierbei nur in seltenen Fällen mit eigentlicher Entlehnung zu thun; der Vogelkopf wenigstens hat sich zunächst und schon vor der Völker- wanderung in der Regel in einfachster Weise und wie von selbst aus teil- weise konstruktiven Elementen der heimischen Kunstweise, aus den spitzaus- laufenden Enden der Bandverschlingungen, die nach Art eines Schnabels ge- spalten, aus den befestigenden Nägeln, die nun als Augen aufgefafst wurden, heraus entwickelt ^). Daher ist in der spezifisch germanischen Kunst der weiterhin häufig als Adler charakterisierte Vogelkopf stets ins Profil gestellt, das Auge grofs, der krumme Schnabel kräftig ausgebildet wie wir dies ' alles auch an unserer Fibel beobachten können. Wenn freilich Joseph de Baye '") und andere das Motiv der »oiseaux ä bec chrochu« gewissermaisen als ein speziell oder auch nur vorzugsweise gotisches hinstellen möchten , so gehen sie damit sicherlich zu weit. Das Motiv kann so wenig wie die Ver- fertigung aller barbarischen Cloisonarbeiten jener Zeit auf die Goten allein zurückgeführt werden ^ \).

Anders steht es mit dem bei unserm Schmuck in den unteren frei herab- hängenden Teilen der Glieder des Halsgeschmeides zur Verwendung gekommenen Ornamentationsmotive. Wie bereits Julius Naue (a. a. O.) hervorgehoben hat, findet sich in diesem das vor allem vom Grabmal des grofsen Theoderich zu Ravenna bekannte sogenannte, oder besser: ehemals sogenannte »Zangen- ornament« variiert. Nur ist die Ausdrucksweise Naues insofern nicht ganz treffend, als sie zu der Annahme verleiten könnte, unser Goldschmied habe sich nach dem Ornament des Theoderichgrabmals gerichtet, dasselbe nur auf seine Art und für seinen Zweck umgestaltet. Dies ist aber schwerlich der Fall. Seitdem wir durch die Untersuchungen Hampels und die einleuchtenden Er- gebnisse seiner Forschung über die Entstehungsgeschichte gerade dieses Ornaments so trefflich unterrichtet sind, darf man es wohl mit Sicherheit aussprechen, dafs das Ornament, wie es uns an unserm Schmuck begegnet, auf einer früheren Entwicklungsstufe steht, als das am Theoderichgrabmal. Hampel hat nachgewiesen, dafs dieses Ornament sich aus den ursprünglich mit Pflanzenmotiven dekorierten Zwischenräumen eines Frieses von palmetten-

9) Vgl. namentlich die einleuchtenden und treffenden Ausführungen von Sophus Müller (Die Tierornamentik im Norden. Deutsche Ausgabe von J. Mestorf Hamburg 1881 S. 31) über diesen Gegenstand.

10) de Baye, >Les bijoux gothiques de Kertch« in der Revue archdologique III. Serie, Band XI (1888) S. 351 u. ö.

11) An die altgermanischen Band- und Tierverschlingungen scheint noch soweit sich nach den Abbildungen (Nr. 1 und 2 bei Hampel, A r6gibb köz(!pkor emldkei magyar- honban, und ebenso bei Käräsz) urteilen läfst die Stilisierung der auf den beiden schildförmigen Platten des Budapester Museums wiedergegebenen Fische und langschnä- beligen Vogelköpfe zu erinnern. Die Fischfiguren als solche gehören natürlich vgl. auch Käräsz a. a. O. S. 124 ebenso wie die Kreuzfiguren in der Mitte der Adlerfibeln und auf der gröfseren der beiden schildförmigen Platten dem frühchristlichen Vorstellungs- kreise an.

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artigen Akanthusblättern entwickelt hat, also wie viele andere aus der antiken Formenwelt stammt. Die Goten und Gepiden am Pontus und die für sie arbeitenden mixhellenischen Künstler bildeten es weiter aus, indem sie die Bedeutung des Blattfrieses immer mehr herabdrückten und verkannten, das Zwischenornament dagegen immer kräftiger hervorhoben. Seiner Entstehung nach unverständlich geworden, hat es sich dann gerade in der Kunst der Goten , man könnte fast sagen als ein Kriterium ihrer Kunst , Jahr- hunderte lang erhalten, und wenn Dehio (Mitteilungen der k. k. Central- Commission XVIII, 1873 S. 272 ff". Vgl. Hampel, Der Fund von Nagy-Szent- Miklös S. 96 Anm.) auf einige im Museum von Christiania befindliche Bauern- stühle aus dem 15. Jahrhundert mit diesem Ornament hinweist, so ist es in der That nicht ganz unwahrscheinlich, dafs selbst dieses späte Dekor auf eine vor alters geschehene Übertragung des charakteristischen Ornaments von den Goten des Südens auf die Kunst ihrer Stammesbrüder im Norden zurückgeht.

Auf der frühesten Entwicklungsstufe zeigt uns Hampel das Ornament in der Figur 52 seines Buches über den Goldfund von Nagy-Szent-Miklös. In schon entwickelterer Form umkränzt es sodann den Halsansatz oder die Schulter mehrerer der goldenen Krüge dieses bedeutsamen Fundes (vgl. nament- lich Fig. 2 u. 3 des Hampeischen Buches). Auf einer etwas weiteren Stufe steht das betreffende Ornament unseres Geschmeides. Allerdings hat es sich hier bereits gänzlich von dem ursprünglichen Akanthusornament losgelöst; legt man jedoch die einzelnen Glieder des Geschmeides dicht aneinander, wie es beabsichtigt war, so ergeben die Zwischenräume zwischen den unteren, hängenden Teilen noch fast genau die Figur der entarteten Blätter des in Fig. 2 und 3 bei Hampel abgebildeten Goldkruges. Wie hier den Hals des kostbaren Gefälses, war es auch bei unserem Geschmeide noch ihre Bestim- mung, Hals und Nacken einer vornehmen Frau zu schmücken. Lediglich der Gedanke des Umkränzens waltet noch bei der Ausschmückung des Theoderichgrabmals mit unserem Ornament vor. Bei den Schmuckstücken von der sogenannten Rüstung des Odoaker im Museum zu Ravenna, die gleich- falls Reihen dieses Ornaments aufweisen und die daher bereits Hampel (a. a. O. S. 95. Vgl. auch Naue a.a.O.) dem gotischen Kunstschaften zuteilt, finden wir schliefslich auch diesen Gedanken aufgegeben oder verloren gegangen.

Nach dem Gesagten läfst sich an einen langobardischen Künstler wohl nicht mehr denken. Denn wenn auch auf langobardischen Denkmälern gelegentlich das soeben behandelte Ornament erscheint vgl. z. B. das von A. Essenwein 1886 im ersten Bande der Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum S. 110 f. veröffentlichte goldene Kreuz aus einem Langobardengrabe , so steht es dann doch, soweit ich sehe, stets in direkter oder indirekter Ab- hängigkeit vom Ornamentfries des Theoderichgrabmals, der ja auch in späterer Zeit noch germanische Künstler zur Nachahmung zu reizen wohl geeignet war

Aus demselben Grunde, eben wegen der verhältnismäfsig frühen Ent- wicklungsstufe, die unser Ornament zeigt, kann man bei unserem Schmuck auch zweifelhaft sein, ob er wie das Theoderichgrabmal dem 6. Jahrhundert angehört oder noch in das fünfte Jahrhundert gesetzt werden mufs. Zwischen

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West- und Ostgoten dagegen brauchen wir wohl kaum lange zu schwanken. Denn wenn auch die Westgoten im Anfang des 5. Jahrhunderts gleichfalls in Italien verweilt haben, und wenn wir selbst bei Procop lesen, dafs Theo- derich nach dem Siege Chlodwigs über den Westgotenkönig Aalarich II. (507) als Vormund seines Enkels Amalarich den Königsschatz der Westgoten von Carcassonne nach Ravenna habe bringen lassen (vgl. Dahn, »Die Könige der Germanen«, Bd. III. 1866. S. 139), so bieten doch die in Spanien erhaltenen Denkmäler westgotischer Kunst, insbesondere die Votivkronen von Guarrazar, kaum irgend welche nähere Berührungspunkte mit unserem Schmuck, während wir unter den italienischen Goldfunden aus der Zeit der Völkerwanderung wenigstens ein demselben sehr nahestehendes Kunstwerk anführen können : eben die goldenen Spangen von der unter dem Namen Odoakers gehenden Rüstung. Die Übereinstimmung zwischen beiden Arbeiten, auf die schon Naue (a. a. O.) hingewiesen hat, beschränkt sich nicht allein auf das Vor- kommen des sog. Zangenornaments bei freilich verschiedener Anwendung desselben (s. oben). Auch die Reihen herzförmiger neben Reihen kleiner rechteckiger Zellen finden sich auf den Spangen wie auf unserer Adlerfibel ornamental verwendet.

Fragen wir zum Schlufs nach der ehemaligen Besitzerin unseres Schmuckes, so ist bereits im Vorstehenden mehrfach Bezug darauf genommen worden, dafs dies bei der Kostbarkeit des Geschmeides wohl nur eine vornehme Frau gewefen sein kann. Zudem scheint schon die ganze Art des Schmuckes, die der eigentlichen Volkstracht sicherlich fremd war, auf eine Angehörige des in Kleidung und Sitten mehr oder weniger romanisierenden oder byzantisieren- den ostgotischen Adels, vielleicht sogar des Königsgeschlechts der Amaler selbst hinzudeuten. Wer es war, wie ihr Name gelautet hat, wird wohl stets unaufgeklärt bleiben. Möglich, dafs die auffällige und ungewöhnliche Haupt- figur des Ohrgehänges , wenn wir in ihr nicht etwa eine weitere Abart des Zangenornaments vor uns haben, ein grofses lateinisches A bedeuten soll, was nach analogen Vorkommnissen wohl zu dem Namen der ehemaligen Be- sitzerin und Trägerin des Schmuckes in Beziehung gesetzt werden könnte. Weiter aber geht unsere Kunst nicht. Wem es durchaus um einen ^Jamen zu thun ist, dem bleibt es unbenommen, etwa auf des grofsen Theodorich Tochter Amalasuntha zu raten und unseren Schmuck nach ihr zu benennen. Wir anderen bescheiden uns mit dem, was durch die Untersuchung mit gröfserer oder geringerer Sicherheit festgestellt werden konnte. Mir wird es schon genügen, wenn durch dieselbe die hohe Bedeutung der neuen Erwerbung des Germanischen Museums klar gelegt worden ist.

Nürnberg. Th. Hampe.

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Kachelöfen und Ofenkacheln des 16., 17. und

18. Jahrhunderts

im Germanischen Museum, auf der Burg und in der

Stadt Nürnberg.

m Jahrgange 1875 des Anzeigers für Kunde der deutschen Vorzeit hat Essenwein unter anderen buntglasierten Thonwaren auch die Öfen und Ofenkacheln, welche das Museum aus der Zeit des gotischen Stiles besitzt, besprochen und in ihren wichtigsten Exemplaren abgebildet^). Eine zusammenhängende Besprechung der v-iel zahlreicheren Werke dieser Gattung aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert lag nicht im Plane des genannten Aufsatzes, ein solcher Überblick steht daher noch aus; nur eine kleine Anzahl der neuen Erwerbungen hat im Laufe der Jahre in diesen Blättern ihre Würdigung erfahren.

Die Öfensammlung des Germanischen Museums ist aber unterdefs zu immer gröfserer Bedeutung herangewachsen und man wird wohl sagen dürfen, dafs sie die reichhaltigste dieser Art in Deutschland ist, zugleich von einer gewissen Vollständigkeit. Fast alle Provinzen, in denen die Ofenfabrikation blühte, sind mit Ausnahme des Niederrheins und des nordöstlichen Deutsch- land — in mehr oder minder guten Exemplaren vertreten. Unsere Anstalt zählt heute 41 ganze Öfen in ihrem Besitz, dazu einzelne Aufsätze, Ofen- modelle, Kachelformen und eine aufserordentlich grofse Anzahl Kacheln. Als der Unterzeichnete es unternahm, die zum Teil sehr schönen Erwerbungen der letzten Jahre, welche den verschiedensten Zeiten und Gegenden ent- stammen, einer Betrachtung zu unterwerfen, da ergaben sich so viele Bezie- hungen auf bereits vorhandene, meist noch nicht publizierte Stücke, dafs es geraten schien, die verschiedenen Notizen zusammenzufassen und dem Auf- satz das gesammte wichtigere Material des Museums zu Grunde zu legen. Noch eine andere Überlegung trat hinzu. Es war vielfach nötig, einige in der Stadt Nürnberg sowie auf der Burg erhaltene Öfen mit in den Kreis der Untersuchung zu ziehen; so entschlofs ich mich, meinen Plan dahin zu er- weitern und alle am Ort befindlichen wichtigeren Stücke dem Aufsatze ein- zureihen. Keine Stadt dürfte auch nur annähernd so viele Meisterwerke der Hafnerkunst aufweisen, wie gerade Nürnberg; scheint es doch auch, als ob die alte Reichsstadt in den Jahrhunderten, welche wir ins Auge fassen, neben der Schweiz und Tyrol einer der Hauptsitze dieser Kunst gewesen ist.

Es werden sich im Laufe der Untersuchung manche Ausblicke auf die Thätigkeit anderer Gegenden ergeben, sei es geboten durch auswärtige Stücke, sei es der mannigfachen Beziehungen oder auch des Vergleichs halber. Es liegt mir aber dabei durchaus fern, eine Kunstgeschichte des Ofens zu geben, wozu mir schon die erforderliche, ausgedehnte Autopsie fehlt; aus demselben Grunde mufs ich auch darauf verzichten, alle wichtigen Stücke Nürnberger

1) Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit. 22. Jahrg. Seite 33 ff., 65 ff., 136 ff.

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Ursprungs, die in anderen Museen aufbewahrt werden, vollständig zu berück- sichtigen. Ebensowenig vermag ich aber, eine Geschichte der Nürnberger Hafnerkunst zu schreiben. Hierzu wären ausgedehnte archivalische Studien nötig und das Material wäre aus zahllosen Urkunden zusammenzusuchen. Dazu fehlt mir aber die Zeit. Ich habe an geeigneter Stelle Erkundigungen eingezogen und dabei erfahren, dafs nur eine Durchforschung des gröfsten Teiles der Nürnberger Archive ein Resultat und vermutlich kein sehr befrie- digendes ergeben würde. Ich hege trotzdem die Hoffnung, im Folgenden einige brauchbare Notizen beizubringen oder doch wenigstens durch Be- sprechung und, soweit möglich, Abbildung der wichtigeren Stücke dieselben in weiteren Kreisen bekannt zu machen. Jedenfalls sind die Werke alter Hafnerkunst würdig gröfsten Interesses ; gehören sie doch mit zu den schönsten Erzeugnissen deutschen Kunstgewerbes, sind vielleicht die sichersten Doku- mente für den wechselnden Farbensinn unserer Vorfahren und ist es dabei merkwürdig genug, zu verfolgen, wie auch in diesem Handwerk alle Stil- wandlungen der grofsen Kunst ihren Wiederhall finden. Zugleich ist dieser Zweig des Kunstgewerbes, mehr wie irgend ein anderer, ureigenstes Eigen- tum unseres Volkes ; denn wenn auch in anderen Ländern hie und da Öfen angefertigt wurden, so hat doch im allgemeinen eine andere Feuerungsart vorgeherrscht ; ein hervorragendes Interesse an der künstlerischen Ausbildung war also nicht vorhanden und das Gewerbe wendete demgemäfs nur mäfsigen Eifer daran; ja man scheint sich bei der Ausführung vielfach an deutsche Muster gehalten zu haben. Für Frankreich sind aus dem Beginne des 16. Jahr- hunderts dafür interessante Notizen erhalten. Dort führte Franz I., allem Anscheine nach zum ersten Male in gröfserem Mafsstabe, Fayenceöfen ein; er liefs 1545 in Fontainebleau einen Pavillon erbauen, der pavillon des poeles genannt wurde: »ä causes des grands poeles, que le roi fit mettre, ä la mode d'Allemagne, pour l'echauffer.« (Piganiol de la Force, Description de Paris, t. IX, p. 218.) '') 3).

2) citiert nach Havart, Dictionnaire de rameublement et de la ddcoration. Bd. IV. S. 444.

3) Von den nicht allzu zahlreichen Publikationen kommt für uns zunächst in Be- tracht die wichtige Publikation: Sammlung von Öfen in allen Stilarten vom XVI. bis Anfang des XVIII. Jahrhunderts. Ausgewählt und herausgegeben von Adalbert Röper unter Mitwirkung und mit einem Vorwort von Hans Bosch. Kunstverlag Jos. Abert, München, welches in grofsen Lichtdrucken neben andern die im Germanischen Museum und auf der Burg vorhandenen Öfen fast vollständig enthält. Wir eitleren es der Kürze halber: Roeper-Boesch. Öfen und Ofenkacheln des Museums sind der Abteilung Bauteile und Baumaterialien eingereiht und tragen die Signatur A. Wir geben diese Signatur jedes- mal verbunden mit der Nummer des schriftlichen Kataloges. Der im Jahre 1868 gedruckte Katalog dieser Abteilung enthält nur einen kleinen Teil, eben die bis dahin erworbenen Stücke. Bei der Beschreibung der einzelnen Nummern verwende ich stets den Text des gedruckten und schriftlichen Kataloges, ihn, soweit mein Zweck es gebot, weiter aus- führend und einschränkend. Auf die Angabe der Farben glaubte ich eine besondere Sorgfalt legen zu müssen; in der Farbe besteht der gröfste Reiz und gerade sie fehlt in der Abbildung.

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I.

Bereits im 15. Jahrhundert war für Aufbau und Gliederung des Ofens der Kanon gefunden, welcher mit geringen Ausnahmen für die folgenden Jahrhunderte Gesetz bleiben sollte; nur der unruhige Geist des Rokoko ver- suchte es auch hier, die gewohnten Formen zu durchbrechen. Der Ofen gliederte sich in einfachen Feuerraum und Aufsatz. Der Feuerkasten war durchaus viereckig, im Grundrifs oblong, er stiefs mit einer der kurzen Seiten des Rechteckes an die Wand und wurde von aufsen geheizt. Auf ihm erhob sich, meistens etwas zurückgerückt, durch Gesimse, Hohlkehlen oder anderes deutlich von ihm geschieden, der vier- oder vieleckige, öfters auch runde Aufsatz. Der schöne Ofen auf Schlofs Tyrol bei Meran vom Ende des

Fig. 1. Aus: G. Semper, Der Styl u. s. w.; Verlag von F. Bruckmann, München. II. Auflage.

15. Jahrhunderts (vergl. Abbild. 1, wobei auch erläuternder Grundrifs) sowie das Prachtstück im Rittersaal des Schlosses Hohensalzburg (von 1501) *) sind vorzügliche Beispiele dieser Gattung. Innerhalb dieser Form gab es zahl- reiche Möglichkeiten architektonischer und plastischer Ausschmückung und die späteren Hafnermeister verstanden es denn auch, einen grofsen Reichtum in dem alten Schema zu entwickeln.

4) Abgebildet bei J. v. Falke, Geschichte des deutschen Kunstgewerbes S. 153 und in Hirth's Formenschatz 1895, Nr. 35 und 148.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

VII.

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Eine einfachere Gestaltung zeigt der etwa um 1500 entstandene, gotische Ofen unserer Sammkmg aus Ochsenfurt ^). Hier sind Feuerraum und Auf- satz durch keine GUederung von einander getrennt ; ein einziger, viereckiger Kasten steht vor uns da, dessen untere Hälfte einfach rückwärts bis an die Wand fortgeführt ist. Ob diese einfachere Form die ursprüngliche gewesen, wir wüfsten es nicht zu sagen ; trotz der Schönheit des erwähnten Exemplares ist aber ersichtUch, dafs diese Lösung des Problems die geringere ist, die Funktion der einzelnen Teile weniger klar ausspricht, eine gewisse Monotonie der Dekoration veranlafst und lange nicht die Möglichkeiten künstlerischer Ausgestaltung bot wie jene erste. Mit sicherem Takt haben denn das 16. und 17. Jahrhundert sich durchweg an das erste Schema gehalten und selbst da, wo dem Aufsatze die gleiche Ausdehnung und der gleiche Grundrifs zu Teil wurde, wie der vorderen Hälfte des unteren Teils, wufste man durch starke Gesimse, durch Doppelreihen von Säulen oder Pilastern die Trennung zu betonen; nur äufserst selten kehrt die verhältnismäfsig primitive Form des Ochsenfurter Ofens wieder, so an dem später zu besprechenden Ofen unserer Sammlung A. 520. Erst das Rokoko griff wieder hierauf zurück, da die

Fig. 2.

einheitliche Gestalt für manche Absichten dieses Stiles geeigneter schien, ohne dafs aber die gewohnte, zweckdienlichere Gestaltung verdrängt werden konnte.

Auch bezüglich der Dekoration enthalten die Beispiele von Meran und Hohensalzburg gewissermafsen in nuce alle Variationen der späteren Zeiten. Der Feuerraum des Meraner Ofens zeigt viereckige, mit ornamentalen Mustern gezierte Kacheln, welche eine nur etwas bereicherte Abart der alten stets wiederkehrenden einfachsten Schüsselkacheln sind. Wir bilden hier (Abb. 2) eine Kachel unserer Sammlung ab, die ein durchaus ähnliches Muster wie das Meraner aufweist. Das Museum besitzt acht derartige Kacheln (A. 504 511a) und eine Eckkachel, schüsselartig, in der Mitte vertieft und mit Rosetten geschmückt, verschiedenartig bunt glasiert. Man stellte sie früher in eine Reihe mit den fälschlich Hirschvogel zugeschriebenen Arbeiten und zögerte nicht, auch sie diesem Meister zuzuweisen. Die Zuwendung an Hirschvogel braucht nach

5) Abgebildet und besprochen in dem mehrfach citierten Aufsatze Essenweins S. 139. Röper-Bösch Taf. 1.

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dem heutigen Stande der Forschung nicht widerlegt zu werden. Doch ab- gesehen vom Namen ist auch die Verwandtschaft mit den bekannten Krügen keineswegs sehr nahe. Essenweins Meinung aber, dals es sich hier um Nürn- berger Fabrikat handle, scheint mir kaum aufrecht zu erhalten. Ist schon das abgebildete Stück denen des Meraner Ofens sehr ähnlich, so zeigt gar eine der Kacheln, sicher wenigstens in den die eigentliche Schüssel um- gebenden und eckenfüllenden Ornamenten, genau die gleiche Zeichnung; während, wie es scheint, die Verzierung der Schüssel ein wenig verschieden ist. Ob die Kachel aus dem gleichen Model geformt ist, wie die Meraner der Schmuck der Schüssel könnte ja, wie so oft, durch andern Model er- zeugt werden kann ich nicht entscheiden, da mir ein Vergleich nur auf Grund der für diesen Zweck nicht ausreichenden Aufnahmen der Wiener Bauhütte möglich ist. Zweifellos haben wir aber den Ursprung auch unserer Kacheln in Tirol zu suchen. Der runde Aufsatz des Meraner Ofens ist zu- sammengesetzt aus etwas oblongen, kleinen, viereckigen Kacheln, welche mit Wappen und Gestalten in Relief geschmückt sind, wie auch die Kacheln unseres Ochsenfurter Ofens. Während die Verwendung von Wappen später etwas zurücktritt, werden die Figuren schon in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts zugleich mit den Kacheln immer gröfser und wachsen schliefslich zu reichentwickelten Scenen aus. Die Gliederung durch Gesimse ist in Meran noch sehr spärlich; die ganze Dekoration aber möchte man eine malerische nennen: da die Figuren für die gewöhnliche Entfernung plastisch nicht sehr heraustreten, so mag man den Anblick mit dem nebeneinander geklebten Bildchen vergleichen. Auf eine ganz andere Zukunft weist uns der Hohensalzburger Ofen. Die Baldachine, Konsolen und Fialen, die rund modellierten Gestalten an den Ecken und die grofsen Figuren bei der Ein- mündung des Feuerraumes in die Wand lassen eine architektonische und plastische Ausschmückung ahnen, die später ihre üppigsten Blüten treiben sollte.

II.

Die Öfen unserer Sammlung sowie der Burg, welche sich deutlich als Erzeugnisse der Frührenaissance manifestieren, knüpfen eng an den auf Schlofs Tirol erhaltenen spätgotischen Typus an, indem sie nur Bekrönung und Zwischenglieder durch antikisieren Gesimse klarer betonen, getreu dem trotz aller Phantastik und allem Mifsverständnis doch nicht zu leugnendem architektonischen Streben dieser Zeit, das sie von Italien überkommen hatte. Auch ist meistens die runde Form des Aufsatzes zu Gunsten der eckigen aufgegeben, in welche die Kacheln sich entschieden besser eingliederten. Wenige Stücke nur sind aus dieser Frühzeit erhalten. Diese seltenen Exem- plare nun verdienen eine ausführliche Besprechung und so möge es verziehen werden, wenn wir länger bei ihnen verweilen, als es sonst der Rahmen dieses Aufsatzes gestattet.

Der erste hier zu erwähnende Ofen (aus den Sammlungen des Museums A. 820) ist ein prächtiges Beispiel der Gattung (Fig. 3). Röper-Bösch Taf. 3.

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Ein vierseitiger Feuerraum, dessen beide vorderen oberen Ecken schild- förmig abgeplattet sind ; darauf erhebt sich der achtkantige Aufsatz. Das be- krönende Gesims ist neu, aber genau rekonstruiert nach dem eines Ofens der Burg, welcher die gleichen Kacheln aufweist. Der Feuerraum wird nach unten und oben von einer Hohlkehle begrenzt, in der gelbglasierte Löwen

Fig. 3.

Aus dem demnächst erscheinenden Werke: Gustav von Bezold, Die Baukunst der deutschen Renaissance, (Handbuch der Architektur) Stuttgart; Verlag von Arnold Bergsträsser.

und Greife liegen; seinen vorderen Kanten ist ein weifser Rundstab vorgelegt, umflochten von blau und gelbem Bande. Auf den erwähnten abgeplatteten Ecken sind zwei nackte Frauengestalten angebracht, welche ein gelbes Schild halten. Die Kacheln des Feuerraums zeigen alle die gleiche Darstellung, von

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der wir in Fig. 4 ein Beispiel geben; nur in einzelnen Ecken ist das Bild zusammengedrückt und es fehlt der mittlere Teil. Auf den Kacheln des Auf- satzes erblicken wir allegorische oder mythologische Frauengestalten in mehr oder minder reicher Bekleidung unter einem Portikus. Weifs, rotbraun, gelb, lila und blau sind die vorherrschenden Farben, die sich von dem grünen Grunde prächtig abheben. In den Kreisen zu beiden Seiten des Portikus lesen wir das Monogramm AF. W., in der aus der Abbildung (Fig. 5) ersichtlichen Form; ob dasselbe auf den Hafnermeister hinweist oder wer derselbe gewesen, wissen wir nicht zu sagen**). Die Bedeutung der Frauenfiguren wird uns durch Inschriften erklärt; es sind einmal fünf Personifikationen der freien Künste und zwar: Grammatik, Logik, Rhetorik, Geometrie (Fig. 5) und Astronomie, alle in kaum modifizierter Zeittracht ehrsamer Bürgersfrauen aus den zwanziger und dreifsiger Jahren des Jahrhunderts; dann eine nackte Gestalt mit dem

lliillttllllMlllMIIIlIM^^^^^

Fig. 4.

Schwert in der Hand, wohl Judith, dazu Eva, neben ihr der Baum mit der Schlange; endlich noch zwei Gestalten, beide wohl aus Ovids Metamorphosen, Byblis und eine zweite, deren Inschrift keinen genügenden Aufschlufs gibt. Was zunächst an unserm Ofen auffällt, ist seine ungemein schlanke Erscheinung, die im Original noch mehr zur Geltung kommt, als in der Ab- bildung. Diese schlanke Form ist mehr oder minder allen in diesem Ab- schnitt zu erwähnenden Öfen eigen und steht in scharfem Gegensatz zu denen der vorhergehenden und nachstehenden Zeiten, wie auch die bemerkenswerte Kleinheit all dieser Stücke; beides zusammen verleiht ihnen ein aufserordentlich leichtes Aussehen. Vielleicht dafs die Epoche, welche noch keine gröfseren

6) In dem von Direktor Hans Bosch publizierten Verzeichnis der Nürnberger Hafnermeister (Kunstgewerbebl. 1888 S. 34) findet sich kein Name, auf den das Mono- gramm pafst.

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Kacheln als die Gotik bildete und wagte, ein Gefühl dafür hatte, wie wenig schön doch eigentlich die Übereinanderhäufung von vier, fünf und sechs Reihen annähernd gleichgrofser oder besser kleiner Kacheln war und deshalb den Ofen lieber so klein herstellte, dafs für jede der zwei Abteilungen zwei Reihen genügten. Der Übergang zum Aufsatz durch abgeplattete Ecken ist noch ein Überrest der Spätgotik, wir haben ihn schon am Meraner Ofen gefunden; die nackten Wappenfrauen darauf aber führen uns in den Formen- schatz der Renaissance ein. In der präcisen Form dieser Abplattung, in der schlanken und kleinen Erscheinung macht sich vielleicht ein ähnlicher Sinn für Sauberkeit und Einfachheit der Formen geltend, wie in manch' anderen Frühzeiten eines Stiles. Dafs die Herrschaft der gotischen Architektur

Fig. 5.

noch kaum vorüber, zeigt uns übrigens noch die erwähnte Hohlkehle an Fufs und Bekrönung des Feuerraums.

Die Kacheln hatten schon gegen das Ende des 15. Jahrhunderts eine wesentliche Umbildung erfahren. Vorher kann man ungefähr zwei Arten unterscheiden ; um es kurz auszudrücken, die Schüssel- und die Cylinder- kacheln. Die ältere, primitivste Form war »wie eine Schüssel auf der Dreh- scheibe gedreht, sodann aber vier Abschnitte des runden Randes derart um- geschlagen, dafs die Kachel einen quadratischen Rand erhielt, der sich zum Aufbauen eines Ofens bequem eignete«^). Durch Jahrhunderte hat sich diese

7) Essenwein in dem mehrfach citierten Aufsatze, S. 35 und 36.

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rohe Form neben der entwickelteren gehalten, obwohl schon um die Mitte des 15. Jahrhunderts kunstreiche Hafner sie einer wichtigen Veränderung unterzogen haben. Das Motiv der Schüssel behielt man bei, erzeugte dieselbe aber nicht mehr auf der Drehscheibe, sondern formte sie aus einem Model. Die Schüssel wurde dabei flacher; auch brauchte man keine Abschnitte mehr umzuschlagen, sondern gab einfach dem Model quadratische Form. Diese quadratische Umgebung wurde nun immer breiter und gewährte Raum für ornamentalen und figuralen Schmuck, auch die Schüssel erhielt solchen, meist jedoch nur ornamentaler Natur. Ein Beispiel haben wir bereits oben an der Tyroler Kachel gesehen. Bald verliefs man aber auch die quadratische Grund- form, ging zur oblongen über, schmückte die Ecken mit Putten und Frauen- gestalten — und die neue Erscheinung der Schüsselkachel, wie sie sich bis in unser Jahrhundert erhielt, war fertig. Die zweite frühe Art der Kacheln »dürfen wir in jenen, hohl wie ein Krug gedrehten Cylindern sehen, die, solange der Thon noch feucht war, der Länge nach in zwei Halbcylinder zerschnitten worden, deren jeder dann einem oblongen oder quadratischen vorn offenen Schildrand oder Rahmen angefügt wurde, oben und unten einen halbrunden Boden erhielt. Nicht immer ist es ein halber Cylinder, der mit einem solchen offenen Rahmen verbunden ist, mitunter nur ein Cylinderabschnitt«^). Damit war aber schon der Anstofs zur Weiterentwicklung gegeben. Wozu noch die ganze Umständlichkeit, da man ja bereits gelernt hatte, aus einer Form von Holz, Gips oder gebranntem Thon zu formen, da man ja schon den Rahmen aus einer solchen Form herstellen mufste. So kam man dazu, auch den Cylinder zu formen und damit fiel überhaupt die Notwendigkeit der Cylinder- gestalt weg; man gab sie auf und formte jetzt Kacheln mit etwas erhabenem Rand und flacher Vertiefung, welch' letztere durch ein aufgelegtes Relief verziert wurde. Diese gänzliche Umwandlung war schon in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts vor sich gegangen. Endlich verstand man sich auch dazu, das Relief zugleich mit der Kachel aus einer Form herzustellen. Vor- sichtig begnügte man sich zunächst noch mit kleinen Kacheln, die selten über eine Höhe von 30 cm hinausgingen, erst nach der Mitte des 16. Säcu- lums fingen sie an gröfser zu werden, um dann in folgenden Zeiten zu wahren Riesenstücken auszuwachsen.

Hatten die ältesten Cylinderkacheln den Anblick einer Nische gewährt, hatte man ganz selbstverständlich dem Rahmen, an den sie gefügt wurden, das Aussehen einer Thüre bezw. eines Fensters gegeben, mit Mafswerk, Krabben und allen gebräuchlichen Motiven des damaligen Stiles so pflegte die Spätgotik darauf zu verzichten. Liebte man doch auch in der Architektur selbst nicht mehr den strengen, architektonisch gedachten Bogen, sondern ersetzte ihn durch knorriges Astwerk und andere dekorative Spielereien, und mit den gleichen Elementen umrahmte man nun das Relief der Kachel. Die Renaissance wiederum erstrebte ein architektonisches Gepräge. Auf allen Büchertiteln, den zahlreichen Stichen und Schnitten der grofsen und

8) Essenwein, ibid.

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kleinen Meister wird die Scene flankiert von Pfeilern oder Säulen, die gerades Gebälk tragen oder durch einen Bogen verbunden sind. Ja, für den Rund- bogen und gar die Nische war die ganze Epoche geradezu begeistert hef- tiger selbst und einseitiger, als das in dem Mutterlande des neuen Stiles, in Italien, der Fall war und brachte ihn an, wo sie konnte. Auf Stichen, Miniaturen, Gemälden aller Art, Grabdenkmälern, in den Füllungen von Schränken, Kanzeln etc., naturgemäfs auch auf Kacheln, überall finden wir die Nische wieder. War sie doch gerade bei den grofsen Meistern, welche den Sieg des neuen Stiles entschieden, das beliebteste Motiv. Ich erinnere nur daran, welche Rolle Bogen und Nische spielen in den Werken Hans Burgkmairs, Hans Holbeins, Hans Baidung Griens und Peter Vischers. Es ist selbstverständlich, dafs die Architektur auf Ofenkacheln nie von jenem Geschmack zeugt, wie bei den genannten Meistern. Auf keinem Gebiet aber hat das Motiv solche absolute Geltung gewonnen, keiner der im Folgenden zu erwähnenden Öfen der ersten Zeit , auf dem wir es nicht vorfinden. Vielleicht ist es auch nirgends besser angebracht. Die einzelne Kachel, ob- wohl mit vielen andern zusammengefügt, tritt doch immer als solche hervor und dazu eignete sich denn nichts besser als dies Motiv, das hier denselben Entwicklungsgang durchmacht, wie in anderen Zweigen der Kunst; bald Bogen, bald Nische oder ein Kuppelbau von merkwürdiger Struktur, in perspektivi- scher Verkürzung ein Bogen hinter dem anderen ; erst phantastisch und vom Ornament überwuchert, dann von immer deutlicherer Betonung der architek- tonischen Glieder. Es ist das sofort verständhch, wenn man berücksichtigt, dafs die biederen Hafnermeister sich genau an Vorlagen, die ihnen der Kupferstich oder der Holzschnitt bot, hielten. Selten mögen diejenigen ge- wesen sein, die selbständig plastisch thätig waren, wie uns das aus späterer Zeit von Andreas Leupold berichtet wird. Und auch solche werden sich an Vorbilder gehalten haben, umsomehr die meist untergeordneten Thonbildner, welche sonst die Modelle für die Formen herstellten. Man darf sicher wenigstens in dieser Zeit von vornherein ruhig annehmen, dafs Vorlagen der graphischen Künste, später etwa auch Plaketten copiert sind. Es wird nicht immer gelingen, diese Vorbilder aufzufinden, doch thut das nichts zur Sache. Erst kürzlich konnte Otto von Falke für verschiedene von ihm in einem Aufsatz des Jahrbuchs der königl. preufsischen Kunstsammlungen besprochene Krüge Kölnischen Ursprungs einen vollständigen derartigen Nachweis bringen ^). Was nun die Kacheln unseres Ofens betrifft, so habe ich bisher die Vorlagen nicht feststellen können. Doch will es mich bedünken, als ob für die Frauen- gestalten des Aufsatzes ein Meister aus dem ersten Drittel des Jahrhunderts die Vorlagen geliefert hat. Dafür spricht einmal die Tracht, aber auch die gesamte Körper- und Gewandbehandlung, die geradezu vorzüglich genannt werden mufs und auf einen gröfseren Meister der Zeit schliefsen läfst. Gewisse Details in der Faltengebung sowie die Proportionen erinnern an Eigentüm- lichkeiten des Dürer'schen Stiles. (Man mifsverstehe mich aber nicht dahin,

9) Jahrbuch der kgl. preufsischen Kunstsammlungen. 1899. S. 191 ff.

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als ob ich Dürer'sche Vorbilder vermuten wollte.) Auch die architektonischen Formen weisen auf diese Frühzeit, so wenig man sich sonst auf ihre Angaben verlassen kann. Die Betrachtung des folgenden Ofens giebt uns indes darüber gröfsere Sicherheit, für dessen Kacheln, die Gegenstücke der unsrigen, es mir gelungen ist, die Vorlagen aufzufinden.

Die Ausführung der Reliefs ist eine recht gute, selten finden wir eine mit geringen Ausnahmen so treffliche Modellierung. Auch die Glasur ist mit grofsem Verständnis aufgetragen, sie hat die Formen kaum verwischt und ist von leuchtender Frische. Das Museum besitzt noch eine, offenbar zu demselben Cyklus gehörige Kachel (A. 962.) mit der Darstellung einer von hinten gesehenen nackten Frau in der gleichen architektonischen Um- rahmung mit der Überschrift -IUI- LIBERAZEI, die ich leider nicht zu deuten weifs. Trotz der argen Zerstörung des Stückes erkennt man noch seine ehemalige Schönheit : die Modellierung des Rückens und der Schenkel ist von einer in diesem Kunstzweige geradezu überraschenden Weichheit und Wahrheit.

Die gleiche Form des Aufsatzes, wie der eben besprochene, zeigt der Ofen im Vorzimmer der Königin auf der Burg (Röper-Bösch Taf. 5). Der Feuerraum, aus grünglasierten, ornamentierten Schüsselkacheln und je einem grofsen Medaillon mit dem etwa zweidrittel lebensgrofsen Kopfe eines antiken Helden in der Mitte jeder der drei freistehenden Säulen, endigt in einer Hohl- kehle, in welcher wiederum Löwen und Greife gelagert sind, an den vier Ecken sind kleine, gelbglasierte, antikisierende Medaillons angebracht. Darüber erhebt sich der neunseitige Aufsatz. Der Ofen ist in späterer Zeit aus zwei unvollständig erhaltenen zusammengesetzt worden und zwar vermutlich von Heideloff. Diesem gebührt das Verdienst, fast alle auf der Burg heute auf- bewahrten Öfen Nürnberg dadurch erhalten zu haben, dafs er sie aus Privat- häusern der Stadt , wo sie sich ursprünglich befanden, gelegentlich seiner Restauration der Burg für diese erworben und dort aufgestellt hat. Vielfach wurden dabei wohl Stücke verschiedener Öfen zu einem vereinigt. Es ist danach grofse Vorsicht in der Beurteilung geboten, umsomehr als solche Zusammensetzungen schon in alter Zeit geschahen. Sei es, dafs einzelne Teile schadhaft geworden waren oder aus anderen Gründen; wir finden häufig einen aus dem 17. Jahrhundert stammenden Feuerraum an einen Aufsatz des 16. Jahrhunderts angeflickt oder umgekehrt; auch einzelne Kacheln wurden so einem alten Ofen eingefügt. Doch damit nicht genug. Die iNIodel er- hielten sich Jahrhunderte lang in den Werkstätten und wairden häufig wieder gebraucht; weifs man doch sogar von Modeln des 16. Jahrhunderts, aus denen ein Rothenburger Hafner noch in unserer Zeit Kacheln herstellte; einen ähn- lichen Fall teilt mir Dr. Stegmann aus seiner Erfahrung mit. Nun wird man manchmal schon aus der flauen Erscheinung der Kachel auf einen abgenützten und vielfach gebrauchten Model schliefsen dürfen, aber nicht immer sicher. Bessere Handhabe gewährt uns schon die Glasur: ist ein den Formen nach aus verschiedenen Jahrhunderten stammender Ofeti in gleichmäfsiger Weise glasiert, so werden auch die scheinbar älteren Kacheln erst in späterer Zeit

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. VIII.

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aus alten Modeln geformt sein; endlich gibt der in der Bemalung bekundete Farbensinn einen wertvollen Fingerzeig. Doch mufs zugestanden werden, dafs wir in vielen Fällen ein ganz sicheres Urteil nicht aussprechen können. Bei dem in Rede stehenden Ofen indes darf es als zweifellos gelten, dafs Aufsatz und Hohlkehle nebst kleinen Medaillons aus einer, der Feuerraum und die grofsen Medaillons dagegen aus späterer Zeit stammen, wohl erst vom Ende des Jahrhunderts. Letztere, übrigens schöne Stücke, werden daher erst an passender Stelle die gebührende Erwähnung finden.

Unter den buntglasierten Kacheln des Aufsatzes kehrt eine des vorhin besprochenen Ofens wieder, die Rhetorika. Aus derselben Werkstatt müssen aber auch die übrigen Stücke hervorgegangen sein, wie ihre Übereinstimmung in Allem verrät: auch die Architektur ist die gleiche, nur sehen wir an der Bogenleibung dort fehlende goldene Sternchen. Die hier vertretenen Cyklen sind ebenfalls nicht vollständig. Es sind einmal in der oberen Reihe drei von den thörichten und klugen Jungfrauen und zwar auch hier, wie auf den Personifikationen der freien Künste sind die Nummern angegeben Nr. III, V und VIII der Serie, von denen III und VIII nochmals wiederkehren. Ferner eine Eva und sichtlich zur Ergänzung einer fehlenden hineingeflickt, eine grünglasierte Architektur. Die untere Reihe zeigt die drei guten Christen : Kaiser Karl der Grofse, König Artus und Herzog Gottfried; zwei von den guten Juden: Judas Mackabäus und König David; einen der guten Heiden: Alexander den Grofsen. Dazwischen der ruhig dastehende Christus, eine grünglasierte Schüsselkachel und eine bunte Genrescene. Die beiden letzten, von durchaus andrer Behandlung» hineingeflickt ; aber auch der Christus wohl nicht an seinem ursprünglichen Platze; statt dieser drei wird früher die Serie der guten Christen, Heiden und Juden vollständig gewesen sein. Wir sind diesmal imstande, die Vorbilder anzugeben. Diese waren für die Bräute Christi die Holzschnittfolge mit dem gleichen Sujet des Nikolaus Manuel Teutsch von 1518 (Bartsch 1 10). In Einzelheiten hat sich der Thonbildner einige Freiheiten genommen, ist aber dann wieder einmal sklavisch treu, wie bei der Jungfrau Nr. VIII, wo er sogar das Netzmuster der Schuhe versucht hat, wiederzugeben, ebenso die Zaddeltracht der Ärmel und den phantastischen Kopfputz : Dinge, die natürlich aus dem Model und unter der Glasur nicht scharf herauskamen, sondern verschwommen sind. Für die guten Christen, Heiden und Juden haben die Holzschnitte Hans Burgkmairs von 1519 (Bartsch 64 69) als Vorlagen ge- dient. Aus den Gruppen, welche jeweils die drei zusammengehörigen Helden bei Burgkmair bilden, hat der Tonbildner die einzelnen herausgelöst^**), aber ihre Stellung beibehalten, welche somit nicht mehr recht motiviert erscheint. Dagegen hat er in richtiger Erkenntnis der Grenzen seiner Kunst das Kostüm zwar in allen Hauptsachen getreu wiedergegeben, die allzufeinen Details aber zum Teil weggelassen, zum Teil vergröbert. So die Krone des Königs Artus;

10) Möglicherweise auch statt der Burgkmair'schen Originale die Nachbildungen derselben durch Daniel Hopfer (Bartsch 53—55), in welchen zwar die Zeichnung Burgk- mairs genau kopiert ist, aber die Helden auseinandergerückt und weite Zwischenräume zwischen ihnen gelassen sind. <

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so hat er dann bei allen drei guten Christen die Schilde weggelassen, dafür Kaiser Karl den Reichsapfel in die Hand gegeben. Im übrigen gibt unsere Abbildung (Fig. 6 und 7) ein Beispiel für das Verhältnis der Nachbildung zum Original. Die Kachel, im Besitze des Museums (A. 537) gehört zu der Serie des Burgofens; sie zeigt uns denjenigen der drei guten Juden, der dort fehlt : Josua. (Der untere Teil ist angeflickt und zwar in früheren Zeiten merkwürdiger Weise in Alabaster.)

Wir dürfen wohl annehmen, dafs alle diese Kacheln nicht allzuspät nach ihren* Vorbildern entstanden sind. Auf Grund der letzteren allein wäre das ja noch nicht zu folgern. Der ganze Charakter dieser Öfen weist aber so sehr

v^xo«^

Fig. 6.

Fig. 7.

auf die Frühzeit, die Kacheln des erstgenannten Ofens haben uns aus ver- schiedenen Gründen etwa die zwanziger Jahre des Jahrhunderts als Entsteh- ungszeit wahrscheinlich erscheinen lassen, dafs nach allem kein Zweifel mehr am Platze ist. Wir haben bis jetzt vier Serien kennen gelernt, welche alle die gleiche Gröfse, gleiche Glasur und den gleichen architektonischen Rahmen zeigen. Auch ihre Behandlung ist durchaus übereinstimmend ; gewisse kleine Verschiedenheiten nur deuten darauf, dafs Vorlagen verschiedener Künstler benutzt worden sind. Wir werden später noch, an einem Ofen in Zwickau, drei weitere dazu gehörige Serien kennen lernen. Allem nach dürfen wir vielleicht annehmen, dafs alle diese Kacheln einer einzigen Hafner-

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werkstätte entstammen, welcher Frage wir am Schlüsse dieses Abschnittes näher treten werden. Sie sind wahrscheinlich in grofser Zahl vorrätig ge- wesen oder wurden, ursprünglich für bestimmte Öfen hergestellt, dann in beliebiger Weise zusammengesetzt und verwendet. Doch kehren wir zu dem Ofen im Vorzimmer der Königin zurück. Unsre Aufmerksamkeit ver- dienen noch die kleinen Medaillons, welche an Stelle der beim vorigen Ofen erwähnten schildförmig abgeplatteten Ecken mit Wappen und wappenhalten- den Gestalten hier den Übergang von Feuerraum in Aufsatz vermitteln. Die Medaillons lösen diese Aufgabe gewissermafsen in modernerem Sinne; diese Art hat denn auch schnell Anklang gefunden und eine gröfsere Verbreitung erlangt als die erste. Das Museum besitzt zahlreiche interessante Beispiele davon, denen wir im nächsten Aufsatz einige Zeilen widmen werden.

Fig. 8.

Die Sujets, mit denen man die Kacheln verzierte, variieren indes sehr. Es ist ja wohl die einfachste Art der Ausschmückung, die man sich denken kann : eine einzelne Figur mit oder ohne Architektur. Sie war aus gotischer Zeit übernommen worden und man findet zahlreiche Beispiele davon abgebildet in den mehrfach citierten Aufsätzen Essenweins. Da sind es hauptsächlich Heilige, welche den Ofen schmückten. Der mehr weltliche Charakter der Renaissance äufsert sich sofort in der starken Einführung von Gestalten aus der Mythologie und Geschichte des klassischen Altertums; dazu treten immer häufiger Allegorien und Personifikationen. Daneben aber verschmähte man nicht, Personen in Zeittracht ohne besondere Bedeutung auf den Oefen an- zubringen. Ein gutes Beispiel geben wir davon in Abbildung 8. Die Kachel (A. 1175) gehört zu den besten des Museums. Der Mann trägt die Tracht, wie sie im zweiten Viertel des Jahrhunderts bei den vornehmen , adeligen

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Herren Mode war. Sehr geschmackvoll ist die Farbenzusammenstellung des Kostümes. Die hell-lila Schaube mit herabhängenden Vorderärmeln ist mit breitem, blauem Besatz verbrämt ; von derselben Farbe ist das Barett. Das Wams ist gelblichgrün, rotbraun besetzt, rotbraun sind auch die geschlitzten Aermel unter denen weifses Futter zum Vorschein kommt. Über dem Wams sehen wir das weifse Hemd , das mit einer breiten gelben , blauver- zierten Krause am Halse abschliefst. Grasgrün sind die gelbgefütterten, geschlitzten Hosen, ebenso die Strümpfe. Auch die Schuhe sind geschlitzt. Die Figur hebt sich ab von leuchtend orangegelbem Grunde , der fast etwas grell erscheint , aber den Vorzug hat , die Gestalt scharf hervor- treten zu lassen. Die Gesammterscheinung des Ofens mufs aufserordent- lich leuchtend und lebhaft gewesen sein und hat jedenfalls ein charakte- ristisches Beispiel der grofsen Farbenfreudigkeit gegeben, welche die Frühzeit des Jahrhunderts auszeichnet. Glasur und Modellierung sind von präciser Aus- führung; die sehr einfache Architektur, ein Bogen, bei dem auf jede weitere Perspektive verzichtet und bei dessen Bemalung alle Rücksicht auf die Wirk- lichkeit aufser Acht gelassen worden, ist gleichsam ein erster grober Anfang jener später so glänzend ausgebildeten Nischenarchitektur. Das Berliner Kunst- gewerbemuseum besitzt eine vielleicht verwandte, wiewohl etwas spätere Kachel, auch mit der Figur eines vornehmen Mannes geschmückt; sie ist abgebildet bei Otto von Falke, Majolika (Handbücher der kgl. Museen) S. 189, der einen Ursprung aus Oberdeutschland oder Tyrol annimmt. Ueber die Provenienz unseres Stückes sind leider keine Notizen erhalten.

Wie schon erwähnt, hat die Renaissance nur selten auf einen architekto- nischen Rahmen ganz verzichtet. Eines der wenigen Beispiele in unserer Sammlung ist die Kachel A. 1174 mit einem nackten Knaben auf gelbem Grunde in grünem mit Blättern verziertem Rande. Die Form dürfte den vorzüglichsten ihrer Art beizuzählen sein. Zeichnung und Modellierung des Knabenkörpers deuten auf hohe Vollendung ; leider ist die Ausführung unseres Exemplares sehr ungenau und auch die Glasur schlecht aufgetragen, dabei ganz von Bläschen durchsetzt.

Nürnberg. Max Wingenroth.

Jagdseenen aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts.

loch lange nach der Erfindung und Einführung der Feuerbüchse war es Brauch , den Hirsch mit Hunden zu jagen , ihn zu stellen und ihm den Fang mit dem Schwert zu geben. Das »New Jägerbuch Jacoben von Fouilloux«, das 1590 bei Bernhart Jobin in Strafsburg in deutscher Übersetzung erschien, lehrt nur diese Art der Erlegung des Hirsches, wie überhaupt die Parforcejagden in Frankreich ausgebildet worden sind ^). Sollte sich der Hirsch aber in das Wasser flüchten, kein Schiff bei der Hand, der Jäger aber des Schwimmens mächtig sein, so sollte sich dieser entkleiden und

1) Vgl. Franz von Kobell, Wildanger. (Stuttg. 1859) S. 33.J

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mit einem Dolche bewaffnet in das Wasser gehen und dem Hirsch den Fang geben.

Die Jagd auf den Hirschen, den »edlen« Hirschen, wie er genannt wurde, ward als die vornehmste der Jagden angesehen. Die Jäger mufsten für den Jagdherrn in Holz ziehen und den Hirsch suchen. Fig. 1 scheint uns diese Thätigkeit des Jägers darzustellen, obgleich die Hunde dem Hirschen schon böse auf dem Nacken sitzen. Mit dem Hifthorn gibt der Jäger sowohl seinen Jagdgesellen als den Hunden Zeichen. Die Darstellung ist dem Werke : Rimicius, vita Esopi fabulatoris clarissimi e greco latino facta (s. 1. et a.) ent- nommen, welches nach Hain (Nr. 326) in Augsburg gedruckt wurde und der der Zeit um 1480 angehören dürfte -). Sie findet sich als Illustration der Fabel VII des III. Buches : De ceruo et venatore.

Yig. 1.

Die eigentliche Jagd auf den Hirschen dürfte Fig. 2 darstellen. Der Jäger folgt hoch zu Rofs dem Hirschen , in seiner Linken das einschneidige Jagdschwert unter dem Arm haltend, mit welchem er dem Hirschen den Fang geben will. Von Hunden sieht man nichts mehr, obgleich sie in Wirklichkeit sicher nicht fehlten. Die Darstellung ist im genannten Werke enthalten als Illustration von Fabel IX des vierten Buches : De equo, ceruo et venatore.

Weniger vornehm, aber nicht minder beliebt, war die Jagd auf die Hasen. In Fouilloux Jägerbuch ^) finden sich über diese Tiere folgende Verse : »Ein Haafs bin ich genennet, sehr klein von Leib, Dem Adel beuor, viel freud vnd kurtzweil treib, Von Natur hurtig, fertig vnd fast geschwind, Vber all Thier, das schnellauffendst so sich findt.«

2) Vgl. diese Mitteilungen Jahrgang 1894 S. 22 ff. u. 116 fT. 3) S. 69.

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Auch der Hase wurde par force gejagt. Die Jagdbücher des 16. Jahr- hunderts enthalten besondere Kapitel von Bosheit, List und Geschwindigkeit

Fig. 2.

Fig. 3.

der Hasen, so die Parforce-Jäger wissen sollten. Der Holzschnitt Fig. 3 zeigt wie der Jägerknecht die Hasen aufgejagt, damit der Jäger zu Rofs »auf die Fahrt« reiten könne. Mit dem Hörne gibt er dem Jäger und den Hunden

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Signal. Die nebenstehende Darstellung ist eine Illustration der Fab. VIII des 2. Buches des angeführten Werkes: De leporibus et ranis.

Die Füchse wurden ausgegraben , mit Fallen , Garnen und Luder ge- fangen *). Nach einem Holzschnitte in dem genannten Werke, welcher Fab. V der Extra Vagantes »de vulpe et catto« illustriert, wurden sie aber auch par force gejagt. Möglicher Weise ist diese Darstellung aber auch eine Freiheit des Künstlers, obgleich in der Gegenwart ja der Fuchs noch auf diese Weise gejagt wird und sein Name mit diesen Jagden eng verbunden ist.

Nach dem Büchlein »Waidwergk« o. O., Dr. u. J. (ca. 1500) fing man zu dieser Zeit Hirsche , Hasen und Füchse auch mit Netzen , letztere beide auch mit Strickung, Füchse in Fallen. In diesem Buche ist auch von Hirschen

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Fifir. i.

die Rede , welche vom Geschofs verwundet sind und deren Blutspuren mit kleinen Hündlein verfolgt werden. Zu Lebzeiten Kaiser Maximilians I. begann sich der Übergang von den alten Schiefswaffen, dem Handbogen, dem eng- lischen Handbogen (aus Eibenholz) und der Armbrust, zu den Feuerwaffen anzubahnen. Kaiser Maximilian hat mit den alten Waffen noch selbst gejagt und sich im Weilskunig mit solchen, nicht aber mit Feuerwaffen, darstellen lassen.

4) Neuw Jag vnnd Weydwerck Buch. Frankf. a. M. Sigm. Feyerabendt 1582. Bl. 100a, Nürnberg. Hans Bosch.

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Wissensehaftliehe Instrumente im germanischen Museum.

(Fortsetzung.)

^ie Neigung der Instrumentenmacher des 16. und 17. Jahrhunderts, ihren Instrumenten eine möglichst universelle Verwendbarkeit zu geben, hat sich an einem Instrument bethätigt, welches die Form eines Zirkels hat und als solcher dienen kann. Ob das Instrument vielleicht für markscheiderische Zwecke bestimmt war, könnt eich nicht ermitteln. Das Instrument W. J. 238 (Fig. 46) ist bezeichnet Christofferus Schisler me fecit Augustae anno domini 1555. Es ist nicht ganz vollständig. Die Schenkel des Instruments haben U-förmigen Querschnitt und sind an der Innenseite offen. Die Spitzen stehen in der Fortsetzung des Rückens und können demgemäls nicht vollständig geschlossen werden. Aus jedem Schenkel kann ein Querarm herausgeklappt und in den gegenüberliegenden eingehakt werden, so dals eine doppelte feste Dreiecksverbindung hergestellt ist. Auf der Vorderseite des Kopfes ist eine Bussole angebracht, mittels welcher das Instrument in horizontaler Lage orientiert werden kann. Auf den zunächst anstofsenden Teilen der Schenkel und auf dem inneren Querarm ist eine horizontale Sonnenuhr für die Polhöhen von 47 ", 48 ^ und 49 ^ verzeichnet. Leider fehlt der Zeiger. Auf der Rückseite des Instrumentes befinden sich am Kopf und an der Mitte des äufseren Querbalken Ösen zum Einhängen eines Fadens bezw. eines Bleilotes. Das festgestellte Instrument kann also auch als Lotmafs benützt werden. Aus den Schenkeln können zwei Haken herausgezogen werden, welche gestatten, das Instrument an einer horizontal gespannten Schnur aufzuhängen. Ob diese Einrichtung mit der Verwendung als Lotmafs im Zusammenhang steht oder was sonst ihr spezieller Zweck war, ist mir nicht klar geworden. Ist der Zirkel auf 180*^ geöffnet und sind die Haken ganz ausgezogen, so hat das Instrument die Länge eines Werk- schuhs und kann als Mafsstab dienen. Es ist in 12 Zoll und diese in je acht Teile geteilt. Endlich befinden sich auf der Vorderseite des einen Schenkels zwei Ösen, in welche ein rechteckiger Stab gesteckt werden konnte. Er fehlt, sein Zweck ist also nicht mehr zu bestimmen. Das Instrument ist aus Messing und vergoldet.

Lineale und Instrumente zum Auftragen von Winkeln.

Nächst dem Zirkel ist das Lineal (die Regel) zum Auftragen gerader Linien das wichtigste geometrische Zeicheninstrument. Seine Anwendung geht in die ältesten Zeiten zurück und seine Form hat sich seit dem Alter- tum kaum verändert. Lineale aus älterer Zeit haben deshalb fast nur durch ihre Ausstattung Interesse. Wir haben drei Lineale aus Messing aus dem 17. Jahrhundert. Künstlerische Bedeutung kommt ihnen nicht zu; die beiden gröfseren aus den Jahren 1607 und 1620 sind Messingschienen mit einfachen Ornamenten an beiden Enden, das dritte ist eine dünne Messingplatte, auf

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. IX.

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welche eine zweite mit allerlei Durchbrechungen einfachster Art aufgenietet ist, während auf der Rückseite ein Mafsstab eingraviert ist.

Die meisten geometrischen Zeichnungen werden von einer, oder von zwei aufeinander senkrechten Grundlinien (Süd-Nord und Ost-West, oder horizontal und vertikal) aus aufgetragen. Man mufste deshalb darauf bedacht sein, Instrumente zu haben, welche gestatteten, diese Grundlinien zu ziehen und immer wieder zu finden, ohne sie konstruieren zu müssen Diese Instrumente sind die Reifsschiene oder der Anlegewinkel und das Winkelmafs. Auch sie gehen in frühe Zeit zurück. Im 16. Jahrhundert wurde die Reifsschiene Richtscheit genannt, ein Name, der durch Dürers Unterweisung der Messung mit dem Zirkel und Richtscheit auch uns noch geläufig ist. Sie war damals nicht so eingerichtet, dafs der Holm über den Rand des Zeichnungsbrettes herabreichte, sondern dieses hatte an einer Seite einen erhöhten Rand, an welchen das Richtscheit angelegt wurde, (vgl. Paulus Pfintzing, Methodes geometrica S. S. XIX und XX).

Ist eine zweite, auf der ersten senkrechte Hauptrichtungslinie erforder- lich, so wird sie mit dem Winkelmafs aufgetragen. Das Winkelmafs bestand entweder aus zwei im rechten Winkel zusammenstofsenden Regeln, wie es

Fig. 47. Winkelmafs aus dem 18. Jahrhundert. W. J. 945.

heute noch von den Zimmerleuten und Schreinern benützt wird, oder es war ein rechtwinkeliges Dreieck. Bei ersterem sind die Regeln entweder fest- stehend, oder sie können um eine Axe gedreht und zusammengelegt werden. Ein solches Instrument (W. J. 945) aus dem 18. Jahrhundert (Fig. 47.) hat am inneren Ende der Regeln eine auf deren Fläche senkrechte Axe und auf beiden Seiten Nürnberger, Pariser und Wiener Zollstäbe und Kalibermafse für Eisen, Blei und Stein. Bei einem zweiten von Menard in Paris (W. J. 259), aus dem 18. Jahrhundert drehen sich die Schenkel um eine in ihrer gemeinsamen Kante liegende Axe. Auch hier tragen die Flächen verschiedene Mafsstäbe, den Pariser Fufs und Reduktionen desselben.

Das dreieckige Winkelmafs war ursprünglich wohl nach dem pythago- räischen Lehrsatze mit der Hypotenuse = 5 und den Katheden = 3 und 4 konstruiert; wann die jetzt üblichen Dreiecke mit den Winkeln 90", und zweimal 45", sowie mit 90", 60" und 30" aufgekommen sind, weifs ich nicht anzugeben.

Unter den Instrumenten, mit welchen Winkel von beliebiger Grölse auf- getragen werden können, ist der Transporteur das verbreitetste. Über Ort

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und Zeit seiner Erfindung konnte ich nichts ermitteln. Der Name deutet an, dafs er aus Frankreich stammt, obwohl er dort den Namen rappoiicu?- trägt.

Gewöhnlich besteht der Transporteur aus einem an eine Regel ange- legten Halbkreis. Der Raum zwischen beiden ist bei den Transporteuren aus undurchsichtigem Material ausgeschnitten , und der IMittelpunkt des Halb- kreises auf der Innenkante der Regel markiert. Der Halbkreis ist je nach der erforderlichen Genauigkeit in Grade und halbe Grade (oder Stunden) ge- teilt, oder es haben die Grade noch eine Teilung durch Transversalen. Prä- cisionsinstrumente haben wohl auch eine um den Mittelpunkt drehbare, mit einem Nonius versehene Alhidade, deren eine Kante den Mittelpunkt trifft und den gesuchten Winkel angibt.

Die Anwendung des Transporteurs ist einfach; soll ein Winkel gemes- sen werden, so legt man die Regel so an den einen Schenkel an, dafs der Scheitel des Winkels im Mittelpunkte des Halbkreises liegt und liest an dem Punkte, in welchem der andere Schenkel den Teilkreis schneidet, die Grölse des Winkels ab; soll der Winkel aufgetragen werden, so trägt man zunächst

Fig. 48. Transporteur. 18. Jahrhundert. W. J. 258.

den einen Schenkel und auf diesem den Scheitel des Winkels auf, legt die Regel \v\Q bei der Messung an und bezeichnet vom Rande des Teilkreises aus einen Punkt des anderen Schenkels, wodurch dessen Richtung festgelegt ist. Fig. 48, ein Transporteur aus dem 18. Jahrhundert (W. J. 258) bedarf nach dem Gesagten keiner weiteren Erläuterung.

Aufser den halbkreisförmigen Transporteuren kommen auch rechteckige vor. Schon Benjamin Bramer hat 1617 die Konstruktion eines solchen in seiner trigonometria planorum mechanica angegeben. Wir besitzen keinen rechteckigen Transporteur.

Fig. 49 stellt einen Transporteur für bergmännische Zwecke (W. J. 352) vom Ende des 16. Jahrhunderts dar. Das Instrument ist ein aus Birnbaum- holz gefertigter Quadrant, die Ränder mit der Teilung und die Alhidade sind aus Bein. Der Quadrant ist in 12 Stunden und jede Stunde in acht Teile geteilt; die beiden Radien sind in acht und jeder von diesen wieder in vier Teile geteilt, die gleiche Teilung trägt die Alhidade. Der Mafsstab entspricht

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einem Lachter, das in 80 Zoll geteilt ist, so dafs jeder Hauptteil 10" bedeu- tet. Von den Untertheilungen der Lachtermafse, bei welchen also jeder Teil einer Länge von 2V'" entspricht, gehen Parallele zu den beiden Radien aus, so dafs die ganze Fläche in kleine Quadrate geteilt ist. Ist nun die Länge und die Neigung einer donlegigen (schrägen) Linie gegeben, so läfst sich da- durch, dafs man den Zeiger auf die betreffende Stunde stellt und ihre Länge auf dem auf dem Zeiger angebrachten Mafsstab beobachtet, zugleich ihre Sohle und ihre Seigerteuffe, d. i. ihre horizontale und verticale Projektion auf dem Instrument ablesen und umgekehrt kann aus Sohle und Seigerteuffe die Donlege und Länge der donlegigen Linie durch Einstellen des Zeigers bestimmt werden und es können die Gröfsen mit dem Zirkel abgegriffen und auf die Zeichnung übertragen werden.

Figr. 49. Qnadrat (Transporteur) für bergmännische Zwecke. Ca. 1600. W. .J. 352.

Ein anderes, dem vorigen gleichzeitiges vielleicht von demselben Meister gefertigtes Instrument, (W. J. 246), bezeichnet W. P. 1598, Fig. 50 dient dem gleichen Zweck. Es ist das, welches der Meister auf seinem Bilde in der Hand hält (vgl. Jahrg. 1897. S. 88.) Das Bild ist deshalb von Wichtig- keit für die Kenntnifs des Instrumentes, weil unser Exemplar nicht voll- ständig ist.

Das Instrument besteht aus einer festen Regel, einem Quadranten mit Stundenteilung und einer um dessen Mittelpunkt drehbaren beweglichen Regel, an welcher ein Stift angebracht ist der bewirkt, dafs die bewegliche Regel nicht über den Nullpunkt der Kreisteilung hereinklappt, sondern in dieser, der festen Regel, parallel stehen bleibt. Die beiden Regeln sind in 22 Teile geteilt (Länge des Mafsstabes 13,65 cm.), die Teilung der beweglichen Regel beginnt im Drehpunkt, die der festen senkrecht unter diesem.

Zu dem Instrument gehört ein Winkelmafs, das jetzt fehlt, in unserer Zeichnung aber nach dem Bilde ergänzt ist. Dieses ist in der gleichen Weise wie die anderen Regeln geteilt, seine Teilung beginnt aber erst in einem Ab- stände von dem Scheitel des Winkels, der dem des Mittelpunktes des Quad- ranten von der festen Regel gleich ist. Mittels des Instrumentes lassen sich ähnlich wie bei dem vorigen aus Länge und Donlege einer schrägen Linie

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deren Sohle und Seigerteuffe und umgekehrt ablesen. Die Genauigkeit des Instrumentes ist gering, es hat ferner den Nachteil, dafs die Kante der be- weglichen Regel deren Drehpunkt nicht trifft.

Fig. 50. Winkelinstiument für bergmännische Zwecke. 1598. W. J. 246.

Zum Auftragen von Horizontalwinkeln, welche mit der Bussole aufge- nommen sind, läfst sich diese selbst verwenden (vgl. Jahrg. 1897, S. 62). Zu

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Fig. 51. Zulegezeug 1568. W. J. 1285.

diesem Zweck wird die Bussole in der Weise in ein rechteckiges Kästchen von Holz oder Messing eingesenkt, dafs die Haupthimmelsrichtungen den

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Seiten des Kästchens parallel sind. Man nennt diese Vorrichtung ein Zulege- zeug. Ist nun ein Winkel mittels der Bussole gemessen, so genügt es, das Zulegezeug in die bei der Messung beobachtete Stellung zu bringen um dem Rande desselben entlang die Winkelschenkel aufzuzeichnen.

Der Jahrg. 1897, S. 61 besprochene Hängekompafs von Andreas Wolf ist mit einem Zulegezeug versehen. Fig. 51 stellt ein zweites vom Jahre 1668 dar (W. J. 1285). Der Kreis der Bussole ist in zweimal 12 Stunden geteilt. Das Instrument ruht auf einer rechteckigen Messingplatte, an deren Lang- seiten Mafsstäbe von 30 Teilen angebracht sind. Ihre Länge beträgt 10 cm.

Ein Zulegezeug anderer Art stellt Fig. 52 dar. Das Instrument aus

Fig. 52. Zulegezeug. Ca. 1600. W. J. 1137.

Holz und Bein ist sehr hübsch ausgeführt, und wahrscheinlich von dem Meister W. P. gefertigt. Es besteht aus einer Bussole, welche von zwei Teilkreisen mit 24 und zweimal 12 Stunden umgeben ist. Der Durchmesser beträgt 9 cm. Über der Bussole ist ein Bügel von Messing, der an einer Axe senkrecht über dem Mittelpunkt ein Visier und in der Fortsetzung des Radius eine Regel mit Mafsstab trägt. Der Mafsstab hat 24 Teile, welche links wiederholt von 1 7; während die Teile rechts, doppelt so grofs als die links fortlaufend nummeriert sind. In der Mitte der Regel ist eine Reihe von Löchern in Abständen gleich der Hälfte der kleineren Teilung.

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Beim Auftragen der Winkel bleibt die Bussole orientiert, während der Zeiger auf die auf dem Felde abgelesenen Stunden eingestellt und mittels der Regel die Linien gezogen werden.'

Als Zulegezeuge wurden auch andere Instrumente, wie das des Andreas Albrecht und die Planimetra des Levinus Hulsius verwendet.

Bringt man auf einem Richtscheit einen drehbaren, in fester Verbindung mit einer Regel stehenden Teilkreis an, so kann dieser die Stelle der Bussole in dem Zulegezeug vertreten, indem durch das Richtscheit eine Hauptrich- tung, Süd-Nord oder Ost-West festgelegt ist.

Ein solches Instrument hat schon Paul Pfintzing in seiner methodes geometrica angegeben und Levinus Hulsius hat dasselbe 1604 in seinem ersten Traktat unter dem Namen inductorium beschrieben.

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Fig. 53. Instrument von Paul Pfintzing.

Das Instrument von Paul Pfintzing (Fig. 53) besteht aus einem Richt- scheit, an welchem ein Schieber mit einem senkrecht gegen ersteres gerich- teten Zeiger angebracht ist. An diesen Zeiger wird ein trapezförmiges Stück starken Papieres so angeschraubt, dafs es um den Mittelpunkt eines Teil- kreises gedreht werden kann. Die lange Kante des Papieres läuft parallel der Stundenteilung 12 24 oder der Gradteilung 180 360 und dient als Mafsstab und Regel. Ist das Papier so gestellt, dafs der Zeiger auf der vier- undzwanzigsten Stunde oder auf 0 360 '^ steht, so gibt die Regel die Süd- Nordlinie an. Durch Verschieben des Richtscheits und des Schiebers kann sie auf jeden Punkt des Zeichnungsblattes eingestellt werden. Dreht man nun den Teilkreis so, dafs der Zeiger auf eine andere Stunde weist, so gibt

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die Regel den Winkel dieser Stunde gegen die Südnord-Richtimg an und der Winkel kann gezeichnet werden.

Im Jahre 1615 hat Benjamin Bramer in Marburg ein Winkelinstrument beschrieben, das die Abnahme und Aufzeichnung von Winkeln ermöglicht. Das Instrument besteht aus fünf gegeneinander beweglichen Regeln (Fig. 54). An einem Ende der Hauptregel A B sind zwei um die Punkte C und D dreh- bare Regeln C E und D F befestigt. Von diesen gehen zwei kleinere Regeln G H und I K nach einem Schlitten der sich auf der Hauptregel auf und ab schieben läfst. Es entstehen auf diese Weise zwei Dreiecke mit zwei kon- stanten und einer variabelen Seite. Wird der Schlitten verschoben, so drehen sich die Regeln und die Winkel G C E und IDF und damit auch der Winkel der beiden Regeln C E und D I verändern sich. Seine Gröfse kann an der Skala auf der Hauptregel abgelesen werden. Legt man nun das Instrument an einen gegebenen Winkel an, so dafs die Regeln C E und D F in die Richtung

¥ig. 54. Winkelini3tiiuiient von Benjamin Bramer.

seiner beiden Schenkel fallen, so kann die Gröfse des Winkels auf der Skala abgelesen, es kann aber auch der Winkel mittels des Instrumentes aufge- zeichnet werden, wenn man es, ohne die Regeln zu verschieben auf das Zeichnungsbrett legt.

Das Instrument von Bramer hat den Mangel, dafs die beweglichen Regeln sich nicht bis zum Scheitel des Winkels fortsetzen. Wir besitzen keines dieser Instrumente, dagegen haben wir ein ähnliches Instrument von Heinrich Stolle, Uhrmacher in Prag W. J. 1144 (Fig. 55), bei dem dieser Übel- stand vermieden ist. Das Instrument ist aus der ersten Hälfte des 17. Jahr- hunderts. Es unterscheidet sich von den Bramer'schen dadurch, dafs die be- weglichen Regeln nicht fest mit der Hauptregel verbunden sind, sondern mittels Stiften in eine an letzterer befindliche, federnde Zange eingehängt werden. Und zwar werden nicht beide eingehängt, sondern nur eine, die andere wird mit

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ihrer Spitze gegen die Spitze der ersten gestellt. Das Instrument ist zum Auftragen der inneren und äufseren Winkel regelmäfsiger Polygone vom Drei- eck bis zum Fünfzehneck bestimmt. Die betreffenden Stellungen des Schlit- tens sind auf der Skala angegeben. Die Teilungen gehen in abnehmender Gröfse von beiden Seiten von 3 bis 15. Die in der Mitte zwischen den bei- den mit 15 bezeichneten Linien stehende 0 Linie gibt die Stellung an, in der die beiden Regeln eine Gerade bilden. Auf der Rückseite der Hauptregel ist eine Skala für Gradteilung angebracht. Aufserdem verschiedene Zollstäbe, auf der Rückseite der Hauptregel der Prager, mit Teilung in Zolle, Viertels-, Sechzehntels- und Achtundvierzigtels-ZoUe, auf den Hilfsregeln Wiener und römische Zoll mit der gleichen Teilung.

Fi?. 5.5. Instrument zum Auftragen von Winkeln von Heinrich Stolle. 17. Jahrliundert. W. .J. 1144.

Die Hauptregel trägt ferner einen Limbus mit Gradteilung und inner- halb desselben eine drehbare Bussole mit einem in der Südnordlinie stehenden Zeiger, so dafs die Hauptregel orientiert werden kann.

Das Instrument ist schön und genau gearbeitet. Seine Handhabung er- fordert grofse Sorgfalt, weil die geringste Verschiebung falsche Resultate zur Folge hat.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum 1899. X.

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Ganz kurz seien noch die Parallellineale erwähnt. Wir verwenden für parallele Linien, welche senkrecht auf einer Seitenkante des Reifsbrettes stehen, die Reifsschiene und für "solche, welche auf ersteren senkrecht stehen, das Dreieck. Zum Ziehen einer gröfseren Anzahl von Parallelen in kleinen Abständen dienen die Schraffiermaschinen. Bequemer ist es, ein Dreieck auf der Reifsschiene mit freier Hand zu verschieben. Bei einiger Übung im Schraffieren werden die Abstände für die meisten Zwecke ausreichend gleichmäfsig.

Will man Parallelen zu Linien ziehen, welche auf unseren Winkeldrei- ecken nicht enthalten sind, so thut ein Parallelen-Lineal gute Dienste. Eine verbreitete Konstruktion ist die, bei welcher zwei aneinandergelegte Lineale durch parallele Stäbe in der Weise verbunden werden, dafs die vier Verbindungspunkte ein Parallelogramm bilden. Werden nun die Lineale ver- schoben, so bleiben sie doch stets parallel.

Leupold gibt in seinem theatrum Arithmetico geometricum S. 137 ff. noch einige andere Konstruktionen an, die wir nicht besitzen.

Ich schliefse hiemit die Darstellung der geometrischen Instrumente. Einige wenig bedeutende und fragmentarische Stücke habe ich übergangen. Instrumente, welche hauptsächlich astronomischen oder gnomonischen Zwecken dienten, welche aber nebenbei auch für geometrische Aufnahmen verwendet wurden, werden an anderer Stelle besprochen werden. Andere Lücken meiner Darstellung sind dadurch bedingt, dafs wir keine einschlägigen Instrumente haben.

Seitdem ich im Jahre 1897 meine Mitteilungen über unsere wissen- schaftlichen Instrumente begonnen habe, ist der erste Band der Recherches sur les instrunients, les methodes et le dessin topographiques von Colonel A. Laussedat, dem Direktor des Conservatoire national des Arts et Metiers in Paris erschienen. Laussedat behandelt die Geschichte der geometrischen Instrumente in systematischer Vollständigkeit und mit der Sicherheit des Fachmannes dem die Methoden geometrischer Messungen vollständig geläufig sind, und sein Werk kann als grundlegend für weitere Forschungen auf dem Gebiete der geometrischen Instrumentenkunde gelten.

Durch Laussedats Arbeit werden namentlich einige meiner Angaben über die Erfindung von Instrumenten fraglich. Die Widersprüche rühren daher, dafs Laussedat vorwiegend französische, ich vorwiegend deutsche Quellen benützte. Die Verfertiger geometrischer Instrumente im 16. und 17. Jahr- hundert haben ihre Erfindungen in kurzen Traktaten mit Abbildungen ver- öffentlicht, sie haben sich aber auch fremde Erfindungen ohne Bedenken an- geeignet, so dafs die Frage der Priorität der Erfindungen zuweilen zweifelhaft ist. Zur Entscheidung wäre die Kenntnis der gesamten Bibliographie dieser Traktate erforderlich, die ich mir hier nicht verschaffen kann. Es wäre aber zu wünschen, dafs eine Zusammenstellung dieser Litteratur einmal von irgend einer Seite gegeben würde. Bezold.

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Jacob Heinrieh von Hefner- Alteneek*).

n der zweiten Hälfte des XIX. Jahrhunderts sind allerorten gröfsere und kleinere Museen entstanden, in welchen die Denkmäler der Kunst- und Kulturgeschichte unserer Vorzeit gesammelt und be- wahrt, geordnet und dem Studium für Wissenschaft oder Praxis zugänglich gemacht werden. Die Grundsätze der Anlage und der Verwaltung der Museen haben sich zu einem wissenschaftlichen System ausgebildet, das zwar noch nicht auf den Hochschulen gelehrt, wohl aber in der Praxis des Museumsdienstes erlernt wird und es fehlt nicht, ja es besteht schon ein Überfluls an jungen Leuten, welche ihren ganzen Studiengang auf eine künftige Museumsthätigkeit einrichten. Auch ist das Bewulstsein von der Bedeutung historischer Sammlungen in sehr viele Kreise des Volkes ge- drungen und es wird den beweglichen und unbeweglichen historischen Denk- mälern mehr und mehr die Beachtung zu Teil, welche ihnen gebührt. Die Denkmalspflege ist als eine Pflicht der Staaten und öffentlichen Korporationen allgemein anerkannt und wird auch für Denkmäler im Privatbesitz gefordert, wenn schon der Durchführung dieser Forderung noch mancherlei Hindernisse im Wege stehen. So war es nicht zu allen Zeiten, die Männer, welche vor etwa einem halben Jahrhundert die Idee historischer Sammlungen fafsten und ins Werk setzten, welche die Erhaltung historischer Denkmäler im weitesten Umfang forderten mufsten die Wege, auf welchen sie ihrem Ziele zustrebten, erst suchen und bahnen und sie fanden geringes Verständnis und wenig Entgegenkommen ; es bedurfte zäher Ausdauer und unentwegter Begeisterung um nicht zu ermatten. Von den ersten Vorkämpfern des Denkmalschutzes weilen wenige mehr unter uns ; einer dieser wenigen ist der ehemalige Direktor des bayerischen Nationalmuseums und Generalkonservator der Kunstdenkmale und Altertümer Bayerns Jakob Heinrich von Hefner-Alteneck. Er blickt auf eine lange an Verdiensten und Erfolgen, aber auch an Wider- wärtigkeiten und Kränkungen reiche Thätigkeit im Dienste seiner Sache zurück. Wer vor 30 40 Jahren in München sich mit Kunst und Altertum beschäftigte ist mit ihm in Berührung gekommen und hat an ihm einen wohlwollenden Förderer und Berater gefunden, dessen Wissen auch die ent- legensten Einzelheiten umfafste, und wer ihn heute in seiner von erlesenen Kunstwerken angefüllten Wohnung aufsucht, gewahrt mit Staunen, dafs er in seinem geistigen Wesen, wie in seiner äulseren Erscheinung von dem Wandel der Zeiten fast unberührt gebUeben ist. Auch den treuen und un- ermüdlichen Fleifs, der ihn durch sein ganzes Leben begleitet hat, hat er sich bis ins höchste Alter bewahrt und nachdem er die Altertumswissen- schaft durch zahlreiche, mit den sorgfältigsten Zeichnungen geschmückte Bände gefördert hat, widmet er in den letzten Tagen seiner Familie, seinen Freunden und Fachgenossen seine Lebenserinnerungen.

*) Lebens-Erinnerungen von Dr. J. H. von Hefner-Alteneck. München 1899.

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Hefner-Alteneck entstammt einer alten bürgerlichen Familie, welche in Mainz und im Rheingau begütert war. Sein Vater, Franz Ignaz Heinrich von Hefner, stand wie manche seiner Vorfahren in kurmainzischem Dienste, ge- leitete den letzten Kurfürsten nach Aschaffenburg, blieb daselbst auch ferner unter Dalberg und war später königlich bayerischer Staatsrat. Saine Mutter, Margareta Göbhardt war die letzte Erbin der alten Göbhardt' sehen Buch- handlung in Bamberg und Würzburg.

Jakob Heinrich von Hefner ist am 20. Mai 1811 in Aschaffenburg ge- boren. Die ersten Erinnerungen, die er sich aus seiner Jugend bewahrt hat, knüpfen sich an die Befreiungskriege, der Kanonendonner der Schlacht bei Hanau, fremde Krieger, Verwundete; dann eine Feuersbrunst in dem der elterlichen Wohnung benachbarten Franziskanerkloster. In frühester Jugend auch traf ihn das Unglück den rechten Arm zu verlieren.

Hefners Jugend fällt in die Zeit, in der Deutschland von den Nöten der napoleonischen Kriege sich langsam, langsam zu erholen begann. Der Wohlstand war für viele Jahrzehnte geschwunden und die Hoffnungen der Patrioten auf Einigung und Gröfse des Vaterlandes wollten sich nicht erfüllen.

Im elterlichen Hause empfing der Knabe die Eindrücke, welche seinen späteren Lebensweg bestimmten. Der Vater war anscheinend nicht reich, erfreute sich aber doch eines behaglichen Wohlstandes. Er baute sich in Aschaffenburg ein kleines Haus und umgab es mit einem Garten, der mit Geschmack angelegt und wohl gepflegt war. Im Hause aber waren Kunst- werke mancherlei Art verwahrt. Aus der kurzen Beschreibung Hefners klingt der Eindruck wieder, den diese Herrlichkeiten auf das empfängliche Gemüt des Knaben machten.

Auch sonst fehlte es in dem elterlichen Hause nicht an künstlerischen Anregungen. Die Schwestern wurden in mancherlei Künsten unterrichtet und an ihren Versuchen im Zeichnen nahm auch der jüngere Bruder auf eigene Faust teil.

Frühzeitig erwachte in dem Knaben die Vorliebe für deutsches Altertum, anfangs ganz in romantischer Färbung. Er ging »teutsch« gekleidet in alt- deutschem Röcklein mit grofsem weifsen Kragen, mit einem Barett, an dem ein silbernes Kreuzlein befestigt war und trug lange Haare. Besonderes Entzücken erregten ihm die Ritterschauspiele, »in denen der edle Ritter stets Sieger blieb«, und die er schon in früher Jugend sehen durfte.

Die langen Haare fielen, das teutsche Röcklein und das Barett wurde abgelegt, mit Humor wird ein ritterliches Unternehmen des siebenjährigen Knaben erzählt, das kein rühmliches Ende nahm; die Begeisterung für deutsches Altertum stärkte und vertiefte sich in späterer Zeit, aber sie hat nicht nur ein langes Leben hindurch angedauert, sondern auch stets einen Nachklang der Romantik beibehalten.

Mit dem siebenten Jahre begann die Zeit des Lernens. Der Elementar- unterricht war mangelhaft, die Lehrer waren pedantisch, der Schüler zerstreut, das Auge war bei ihm das Organ der geistigen Rezeptivität, was sein Geist aufnehmen sollte mufste ihm durch die Anschauung vermittelt sein und in

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dieser Hinsicht wurde ihm nichts geboten. Sowie er einen Lehrer erhielt, der auf diese Veranlagung einging, war er ein fleifsiger und aufmerksamer Schüler. So gewann der lateinische Unterricht für ihn erst Interesse, als ihm bei der Lektüre der Klassiker durch die Erinnerung an die Holzschnitte und Kupferstiche von Virgil Solis, Tobias Stimmer, Georg Pencz und anderen bildliche Vorstellungen vor die Seele traten. Der Unterricht durch Hausieher umfafste ungefähr die Fächer, welche damals im Gymnasium gelehrt wurden. Hefner besuchte dann noch das Lyzeum zu Aschaffenburg, welches etwa den philosophischen Semestern an einer Universität gleich geachtet wurden.

Für das, was von früh auf seine Neigung und später sein Lebensberuf war, haben ihm all' diese Studien wenig geboten; als Autodidakt suchte und fand er seinen Weg. Sein Programm scheint ihm frühzeitig klar geworden zu sein, wenn er sich auch wahrscheinlich nicht klar machte, ob es zu einem einkömmlichen Lebensberufe führen würde oder nicht.

»Die Werke bildender Kunst der Vorzeit«, schreibt er, »sprachen zu mir wie Geisterstimmen aus nebelgrauer F'erne, sie wurden mir mit Zunahme meiner Jahre Lern- und Lehrmittel und zwar von A. B. C. bis zu dem, was ich Philosophie nennen darf. . . . Die Geschichte der Menschheit, ohne jene der Kunst, gleicht einem grofsen Schauspiel, welches man hört und liest, von dem man aber nichts sieht.«

In diesem Streben, sich die Menschen der Vorzeit und ihr Leben an- schaulich zu machen, interessierte ihn vor allem die angewandte Kunst, und an Werken der reinen Kunst, das, was sie für die Erscheinung der Menschen und die Umgebung, in der sie sich bewegten, boten. So hat er z. B. aus der Grabplastik wichtige Aufschlüsse für die Waffenkunde und Kostümgeschichte gewonnen.

»Mein Streben galt bis zu meinem Mannesalter nur als etwas Absonder- liches ohne Wert für das praktische Leben und ich für einen Sonderling, aus dem niemals etwas werden könne. Für mein Schaffen existierte noch nicht einmal eine entsprechende Bezeichnung, erst in neuerer Zeit tauchte der jetzt so beliebte Name Kulturgeschichte auf, welcher auch meiner Sache eine gröfsere Geltung verschaffte. Wenn ich bei manchem der jetzigen Kulturhistoriker auszusetzen habe, dafs sie dabei öfter die Bedeutung der Kunst zu wenig schätzen, so mufs ich mir auch gefallen lassen, wenn sie mir manche Einseitigkeit vorwerfen. Das Gebiet ist grols und kann nur durch Zusammenwirken und gegenseitiges Ergänzen gefördert werden.« Hefners Gebiet ist für das Mittelalter das, was man in der klassischen Archäologie »Altertümer« nennt. Dafs ihn vor Allem die Altertümer an- zogen, welche mit der Kunst in Beziehung standen, habe ich schon erwähnt.

Das Zeichnen übte Hefner mit Vorliebe. Der Gedanke, Maler zu werden, erschien ihm bald als höchstes Ziel des Lebens, warum er ihn nicht verfolgte, deutet er nur an. »Ich hatte schon zu früh die Höhe und Be- deutung der Kunst erkannt, so dafs es mir als Verwegenheit erschien, ein so hohes Ziel anzustreben.« Was er über die Absichten sagt, die er mit seinen Zeichnungen verfolgte, zeigt, dafs ihn weniger der Drang gestaltender

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Phantasie, als der nach genauem Verständnis älterer Kunstwerke zum Griffel greifen liels. Aber auch auf diesem' Gebiete fehlten geeignete Lehrer, und Selbstunterricht mufste die mangelnde Anleitung ersetzen.

Reiche Anregungen boten einige gröfsere Reisen, welche Hefner von seinem 16. Jahre an mit seinem Vater machte. Die erste ging nach Düssel- dorf, die zweite nach Wien, eine dritte nach Strafsburg. Man reiste noch mit eigenem Wagen und Pferden. Allenthalben wurden die Bauten und Kunstwerke der Städte besichtigt, kunstverständige Männer besucht und Kupferstiche und andere Kunstgegenstände erworben. Die Lust zu sammeln ist bei Hefner frühzeitig erwacht.

Der Vater schätzte und förderte die Studien seines Sohnes, konnte sich aber der Sorge nicht verschliefsen, dafs sie zu keiner festen Lebens- stellung, wenigstens im Staatsdienst, führen würden und er suchte ihm einen Wirkungskreis zu verschaffen, in dem er sein Können und Wissen ver- werten und Gewinn daraus ziehen könnte. Ein solcher fand sich denn auch. Hefner wurde Mitbesitzer und künstlerischer Leiter einer Porzellanfabrik nahe bei Aschaffenburg (Dammi^). Daneben gab er an der 1883 neu er- richteten Gewerbeschule in Aschaffenburg den Unterricht im Freihandzeichnen. Im Herbst 1835 fand in München eine Ausstellung von Zeichnungen, welche die Schüler der Gewerbeschulen gefertigt hatten, statt. Die Zeichenlehrer, darunter auch Hefner, wurden zu einer Versammlung nach München be- rufen. Der Minister des Innern, Fürst Ludwig von Oettingen- Wallerstein, wies in längerer Rede auf die Bedeutung des Zeichenunterrichts und die Notwendigkeit der Verbindung von Kunst und Handwerk hin. In einer Privataudienz, welche Hefner vor seiner Abreise beim Minister hatte, sprach sich dieser ausführlich darüber aus, »dafs die Kunst für die allgemeine Bildung der Menschheit, und zwar auf allen Stufen des Lebens, von hoher Wichtigkeit sei, dals das allgemeine Geschichtsstudium ohne jenes der Kulturgeschichte immer eine mangelhafte Seite behalten werde; dafs die jetzt neu gegründeten Gewerbeschulen für das gewöhnliche bürgerliche Leben ausreichen, aber auch zugleich für die höheren polytechnischen Anstalten, welche bei uns bis jetzt noch sehr mangelhaft seien, eine ent- sprechende Grundlage bilden müfsten. Daraus hervorgehend würden noch aufser Museen für Kunstwerke auf der höchsten Stufe, auch Museen für Industrie und Kunstgewerbe entstehen, aber alle diese Museen müfsten nicht nur als Aufbewahrungsorte für Kostbarkeiten und Seltenheiten, oder als Schaubuden, sondern als Lehranstalten verwaltet werden. Auch sprach er viel, mit grofser Sachkenntnis über den Stand der Künste und Gewerbe im Mittelalter im Vergleich zu jenem unserer Tage.«

»Ich mufs gestehen, dafs von da an bis zur neueren Zeit in dieser Richtung nichts erdacht oder geschrieben wurde was Wallerstein damals, wenigstens dem Wesen nach, nicht schon berührt hätte.«

Hat Fürst Wallerstein all diese Ideen entwickelt und haben sich nicht in der Erinnerung Hefners eigene Ideen mit jenen des Ministers konfundiert, so hat er von diesen Besprechungen die tiefgehendsten Anregungen er-

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fahren, denn die Gedanken, welche er hier dem Fürsten in den Mund legt, sind durchaus die gleichen, die er selbst sein ganzes Leben hindurch ver- treten hat. Bis zu ihrer Realisierung hatte es freilich noch gute Weile.

Vorerst eröffnete sich Hefner ein anderer Wirkungskreis, er begann im Jahre 1839 sein grofses Werk »Trachten des christlichen Mittelalters, nach gleichzeitigen Kunstdenkmalen«. Die Anregung ging vom Grafen Radowitz aus; Heinrich Hoff in Mannheim übernahm den Verlag. Schon am 20. Mai 1840 erschienen die drei ersten Lieferungen.

Das Werk, zu dem anfangs befreundete Künstler und Gelehrte einiges beitrugen, nahm bald die ganze Kraft des Autors in Anspruch. Das Material mufste gröfsenteils auf Reisen gesucht und aufgenommen werden und dabei durfte die Arbeit der Kupferstecher, Koloristen und Drucker nicht stocken. Die Arbeit nahm indes einen guten Fortgang und das Werk fand im In- und Auslande lebhaften Anklang.

Durch den Erfolg seines Werkes ermutigt , begann Hefner noch vor dessen Vollendung ein zweites, das unter dem Titel »Kunstwerke und Ge- rätschaften des IMittelalters und der Renaissance«, Utensilien zum täglichen Gebrauch wie zum Luxus in sorgfältiger Darstellung wiedergab. Da seine Zeit und seine und seine Kräfte noch durch das erste Werk in Anspruch genommen waren, liefs Karl Becker in Frankfurt durch geschickte Künstler Zeichnungen nach den Originalen herstellen. Der gröfste Teil der Arbeit ent- fiel aber auch bei diesem Werke auf Hefner. Den Verlag übernahm Heinrich Keller in Frankfurt.

Alle diese Arbeiten wurden durch die Ereignisse des Jahres 1848 unter- brochen. Bis zu ihrer Wiederaufnahme fertigte Hefner im Verein mit seinen Kupferstechern und Koloristen ein Geschlechterbuch der Freiherrn von Fechen- bach das auf fünfhundert Tafeln alle Wappen der Herren von Fechenbach und soweit als thunlich ihre Bildnisse, Grabdenkmäler, Burgen, Schlösser und Biographien enthielt, alle Blätter waren mit Randverzierungen im Stil der be- treffenden Zeiten vom romanischen Stil bis zum Empire versehen.

Dieser Arbeit folgte eine andere über die Burg Tannenberg.

Als Hefner nach dem Jahre 1849 sich wieder seinen gröfseren Werken zuwandte, hatte sich manches geändert. Der Verleger der »Trachten«, Heinr. Hoff, mufste infolge seiner politischen Thätigkeit flüchten und sein Verlag kam in Konkurs. Die Verlagsrechte und Vorräte kamen in Frankfurt zur Versteigerung, und Heinrich Keller erwarb die »Trachten«. Dadurch kamen beide Werke in einen Verlag und nahmen von da an einen ungestörten Fortgang.

Schon 1837 hatte sich Hefner mit Elise Pauli der zweiten Tochter des Geheimen Rates Anton Pauli vermählt und hatte von ihr drei Söhne. Die eigenen Arbeiten wie die Erziehung der Kinder liefsen den Wohnsitz in einer gröfseren Stadt als Aschaffenburg wünschenswert, ja notwendig erscheinen. Schon als 1846 sein Vater gestorben war, hatte er den Plan hierzu erwogen; nach einem längeren Aufenthalte in Berlin im Winter 1850 auf 51 trat er der Ausfüh- rung näher. Als künftiger Wohnort war München in Aussicht genommen,

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im Winter 1851 reiste Hefner dorthin, um die Verhältnisse näher kennen zu lernen und im Mai 1852 fand der Umzug statt. Zwar hatten in Nürnberg Heideloff und Hans von Aufsefs gesucht, ihn für Nürnberg zu gewinnen, letzterer namentlich im Hinblick auf die beabsichtigte Gründung des ger- manischen Museums; Hefner entschied sich jedoch für München. Er teilt nicht mit, was ihn abhielt, seine Person in den Dienst einer Sache zu stellen, die so sehr seinen eigenen Idealen entsprach. Es war wohl das richtige Gefühl, das er neben Aufsefs nicht zu selbständiger Entfaltung seiner Kräfte kommen könne. Auf der Versammlung der deutschen Geschichts- und Alter- tumsvereine in Dresden 1852, auf welcher die Gründung des germanischen Museums erfolgte, war er aber anwesend und gehört seit der Gründung dem Verwaltungsausschufs unserer Anstalt an.

Die Aufnahme, welche er in München fand, war eine freundliche, an an- regendem Verkehrs in angesehenen Familien, wie in den Kreisen von Künst- lern und Gelehrten fehlte es nicht. Es war die Zeit, da König Max durch Berufungen von Gelehrten und Dichtern München zum Mittelpunkt deutscher Wissenschaft und Literatur machen wollte, und es herrschte ein bewegtes geistiges Leben. Hefner trat in den Verein zur Ausbildung der Gewerbe ein, wo er als einer der ersten der Renaissance und späteren Stilarten Gel- tung zu verschaften suchte. Schon 1853 wurde er auch Mitglied der Aka- demie der Wissenschaften.

Hefners Name ist mit den Anfängen und dem Werden des bayerischen Nationalmuseums aufs engste verbunden. Am 15. März 1852 hatte er seine erste Audienz bei König Max. Der König hatte allerhand Ideen, welche in Hefners Fach einschlugen, so die Anlage einer wittelsbachischen Ahnengallerie in Schleifsheim , die Herstellung eines illustrierten Werkes zur bayerischen Ge- schichte u. A. Hefner bemerkte, dafs aus dem zu solchem Zweche ge- sammelten Material wohl ein historisches Museum werden könne und er- wähnte den Plan des Freiherrn von Aufsefs. Der König hatte indes kein Vertrauen zu diesem, ihm lag an Werken und Sammlungen zur Verherrlichung des bayerischen Herrscherhauses.

Hefner opponierte nicht, sondern dachte zu gelegener Zeit an die guten Gedanken des Königs anzuknüpfen. Das sind die ersten Keime des baye- rischen Nationalmuseums, es wurde nicht lange darauf ins Werk gesetzt. Es ist kaum zu bezweifeln, dafs es in einer gewissen Rivalität mit dem germani- schen Museum und in der Absicht, dieses in Schatten zu stellen, entstanden ist, denn der König war diesem nicht sehr günstig gesinnt. Riehl teilte mir einmal mit, dafs er bald nach der Eröffnung des germanischen Museums vom König nach Nürnberg gesandt wurde, um über dassselbe zu berichten und er liefs nicht undeutlich merken, dafs ein ungünstiger Bericht erwartet wurde. Was er berichtet hat, hat er mir nicht gesagt.

Vorerst wurde Hefner zur Mitarbeit an Aretins Werk »Altertümer und Kunstdenkmale des bayerischen Herrscherhauses« bestimmt. Er hat an dem Zusammenarbeiten mit dem rücksichtslosen Herausgeber wenig Freude erlebt und sich nach der zweiten Lieferung zurückgezogen. Was ihn zur Mitarbeit

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bestimmte, war der Gedanke, dafs sich an das Werk ein bayerisches Museum anschliefsen würde und diesen Gedanken verfolgte er auch weiter, als er zu- rückgetreten war.

Schon 1852 war er Konservator der »vereinigten Sammlungen« geworden, die Stelle war eine Sinekure wie die des Direktors Heinrich Hefs. Die ver- einigten Sammlungen entstanden dadurch, dafs man die Räume der Gemälde- gallerie, an den Arkaden des Hofgartens, die seit Ueberführung der Gemälde in die Pinakothek leer standen, wieder zu Sammlungszwecken verwenden wollte. Sie enthielten das Elfenbeinkabinet , die Vogelbergische Sammlung griechischer Terrakotten, einen Teil des Antiquariums und der Gewehr- und Sattelkammer, sowie eine Sammlung alt-japanischer Bronzearbeiten. Sie sind später wieder getrennt worden. Ein Teil wurde dem Nationalmuseum einverleibt.

Hefner hielt die Idee eines solchen unentwegt fest und suchte auf seinen Reisen Gegenstände für dasselbe. Als der König erkannte, dafs das Material für ein Museum ausreiche, genehmigte er es und wies als Lokal für die Sammlung die Herzog-Max-Burg an . Die Anstalt erhielt den Namen » WittelsbacherMuseum « .

Sobald das Museum beschlossene Sache war, nahm sich auch Aretin um dasselbe an, er entwarf einen Plan für die Sammlung und wurde mit deren Leitung betraut. Beide begannen teils gemeinsam, teils getrennt für dasselbe zu sammeln. Hefner berichtet eingehend über seine Thätigkeit. Unter seinen Erwerbungen steht die der Reider'schen Sammlung in Bamberg in erster Linie. Aretin sammelte stürmisch und entnahm namentlich den könig- lichen Schlössern in der Provinz nicht nur hewegliche Objekte, sondern auch Bauteile, Decken, Täfelungen u. dgl. in einer Weise wegnehmen, welche wenig- stens unseren Anschauungen von Denkmalpflege ganz widerspricht. So kamen innerhalb weniger Jahre die Schätze zusammen, welche den Grundstock des bayerischen Nationalmuseums bilden.

Die Bestände des Museums waren mit der Zeit so grofs geworden, dafs ein eigenes Gebäude für dasselbe notwendig wurde. Klenze schlug vor, das Schlofs Schleifsheim dafür zu verwenden. Gegen diesen Plan, der die Be- nützung der Sammlungen sehr erschwert hätte, wurden ernstliche Bedenken geltend gemacht, doch konnte sich der König nicht sofort entschliefsen ihn fallen zu lassen. Da zeigte sich, dafs das in der Maximilianstrafse erbaute Taub- stummeninstitut seinem Zweck nicht entsprach und der Vorschlag, den Bau nebst dem anstofsenden freien Raum für das Nationalmuseum zu verwenden, fand die Genehmigung des Königs. Nun wurde der Museumsbau in grofser Uebereilung hergestellt und noch vor seiner Vollendung bezogen. Aretin war in- zwischen zum Direktor der neuen Anstalt ernannt worden. Hefner, der schon vorher sich von Aretin zurückgezogen und eingesehen hatte, dafs er mit ihm nicht zusammenarbeiten könne, lehnte eine amtliche Stellung am Museum ab.

Er begann damals ein neues gröfseres Werk, die Ornamentik der Schmiedekunst. Das war im Jahre 1861. In diesem Jahre wurde er zum Konservator des königlichen Kupferstich- und Handzeichnungskabinetts er- nannt. Der Wirkungskreis war hier ein gröfserer als an den vereinigten Sammlungen. Zunächst war in der nachläfsig verwalteten Anstalt vieles zu

Mitteilungen aus dem german. Nationalrouseum. 1899. XI.

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ordnen, dann strebte Hefner danach sie möglichst nutzbringend zu machen. Die Aufgabe der Kupferstichkabinette präcisiert er dahin, dafs in ihnen der Künstler, der Kunstforscher und Kunstliebhaber alles vereinigt finden soll, was die verschiedenen Kunstepochen hervorgebracht haben, wenn nicht in Origi- nalen, so doch in guten Nachbildungen. Ouellensammlungen sollen sie sein für das Studium der Kunst und des Kunstgewerbes. Dieses Programm geht über das der Kupferstichkabinette im älteren, engeren Wortsinn weit hinaus, ja es verschiebt dasselbe eigentlich vollständig. Nur an sehr reich dotierten Sammlungen wird es durchführbar sein. Und selbst bei hoch dotierten Kupfer- stichkabinetten wird es fraglich sein, ob sie zu so ausgedehnten Central- instituten gemacht werden sollen, oder ob nicht auch hier eine Teilung statt- finden soll. Seit wir allenthalben reine Kunstgewerbemuseen haben, sind diese der natürliche Sammelpunkt auch für die Publikationen älterer und neuerer Zeit auf kunstgewerblichem Gebiete. Ein anderer Zweig sind die photographischen und die mit Hilfe der Photographie hergestellten Abbil- dungen von Werken der bildenden Künste. Sie haben für das eingehende Kunststudium die älteren Reproduktionsweisen fast ganz verdrängt und es mufs Sammelstellen geben, an welchen sie vorhanden sind und der Benützung zugänglich gemacht werden. Nun können sich Bibliotheken auf das syste- matische Sammeln von Photographien gar nicht einlassen und die massen- haften Lichtdruckwerke sind für sie eine Last; ihre Anschaffung beschränkt die der Litteratur im engeren Sinn und Vollständigkeit kann doch nicht erreicht, ja nicht einmal angestrebt werden. Die Sammlungen von Repro- duktionen werden nun wohl am besten den Kupferstichkabinetten angegliedert. Zu Hefners Zeiten war das flutartige Auswachsen dieser Litteraturgattung noch nicht zu erwarten, die Photographie leistete noch wenig und die auf sie gegründeten Druckverfahren waren noch nicht erfunden.

Die Benützung der Sammlung suchte Hefner möglichst zu fördern, auch wenn es sich nicht um ernstliche Studien handelte. Ich selbst habe als Gymnasiast mit einigen Freunden das Kupferstichkabinet regelmäfsig besucht, nicht um Studien zu machen, sondern nur zur Befriedigung unserer Schau- lust. Unermüdlich wurden uns grünen Jungen immer neue Mappen vorgelegt und unbewufst haben wir daraus doch manchen Gewinn gezogen.

Am 27. Januar 1868 ernannte König Ludwig IL, dem Hefner schon seit längerer Zeit in künstlerischen und kunstgeschichtlichen Fragen ein Be- rater war, diesen zum »Generalkonservator der Kunstdenkmale und Altertümer Bayerns.« Die Stelle war ein reines Ehrenamt ohne Gehalt und ohne fest umschriebene Competenzen, es ist daraus allmählich eine Behörde geworden, welche auch nach Hefners Rücktritt in Personalunion mit dem National- museum geblieben ist. Die Organisation ist indes heute noch nicht abge- schlossen. Bei dem umfassenden Wirkungskreis beider Anstalten mufs eine Trennung vom Nationalmuseum, die auch aus anderen Gründen angezeigt erscheint, früher oder später eintreten.

Hefner hat für die Erhaltung von Kunstdenkmalen gethan, was er in seiner Stellung thun konnte, aber er hat von manchen Mifserfolgen zu be-

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richten, die nicht mögUch gewesen wären, wenn der Denkmalschutz schon damals wirklich organisiert gewesen wäre. Sein Verdienst ist, dafs er, als einer der ersten auf die Bedeutung historischer Denkmäler hingewiesen und ihre Erhaltung als eine Pflicht des Staates gefordert hat. Die Berechtigung dieser Forderungen ist heute fast allgemein anerkannt; als sie zuerst auf- tauchten mufsten sie vielfach auf Widerspruch stofsen, denn der historische Sinn, in dem die Pietät gegen die Denkmale der Vorzeit wurzelt, mufste erst geweckt werden. Das konnte nur durch wiederholte Mahnungen erreicht werden. Es ist auch nicht zu verkennen, dafs die Forderungen der historischen Pietät mit denen des täglichen Lebens zuweilen in Konflikte geraten, welche eine alle Teile befriedigende Lösung kaum erreichen lassen. Immerhin ist die Lage bei öffentlichen Denkmälern noch verhältnismäfsig einfach. Die gröfsten Schwierigkeiten aber bietet der Schutz von Denkmälern, welche im Privatbesitz stehen. Allgemein anwendbare Grundsätze hiefür sind dann auch heute noch nicht gefunden, und die Frage des Denkmalschutzes ist gerade jetzt wieder in lebhaftem Flufs. Freilich ist sie in ein anderes Entwicklungs- stadium getreten, als zu der Zeit da Quast, Hefner u. A. wirkten. Sie haben ideale Forderungen in idealer Weise gestellt, diese sind im Wesentlichen als berechtigt anerkannt worden, uns liegt die Aufgabe ob, ihre Durchführbarkeit zu ermöglichen und in nüchterner Prüfung ihre rechtliche Formulierung zu finden. Was wir anstreben, ist eine gesetzliche Regelung des Denkmalschutzes, welche auf einer für ganz Deutschland gemeinsamen Grundlage den in den einzelnen Staaten sehr verschieden gelagerten Verhältnissen Rechnung trägt.

Am 29. April 1868 starb Aretin plötzlich auf einer Reise in Berlin, wenige Tage darauf wurde Hefner zum Direktor des bayerischen National- museums ernannt. Er stand nunmehr als Leiter an der Spitze der Anstalt, welche ihr Entstehen hauptsächlich seinen Anregungen verdankte und für welche er schon vor ihrer Eröffnung so viel gethan hatte.

Das bayerische Nationalmuseum war von Aretin als eine kulturgeschicht- liche Sammlung gedacht. Es sollte, soweit dies durch Kunstwerke und Alter- tümer des öffentlichen und häuslichen Lebens erreichbar ist, ein Bild der deutschen Kultur im Laufe ihrer Entwickelung bieten. Diesem Plane war der des Gebäudes angepafst. Die Reihenfolge der Säle und ihre architekto- nische Ausstattung, zu welcher Decken, Täfelungen, Teppiche und andere Stücke älteren Bauwerken entnommen wurden, entsprach der chronologischen Folge der Sammlungen. Diese waren im Erdgeschofs und im zweiten Ober- geschofs aufgestellt und zwar das Mittelalter in jenem, die spätere Zeit in diesem. Die dreifsig Säle des ersten Obergeschosses dagegen wurden mit hundertunddreiundvierzig Gemälden aus der bayerischen Geschichte geschmückt. Sie sollten keine Sammlungen enthalten, sondern dem Besucher eine Ruhe- pause zwischen den beiden Abteilungen gewähren.

Der Plan des Museums fand unter Hefner eine Erweiterung. Ging Hefners Bestreben von jeher dahin, die Kunstsammlungen nicht nur der Wissenschaft, sondern auch der praktischen Übung von Kunst und Kunst- gewerbe dienstbar zu machen, so wurde diese Forderung nun auch von

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vielen anderen gestellt, als gegen Ende der Sechziger Jahre die Pflege des Kunstgewerbes gewissermafsen als eine nationale Angelegenheit betrachtet wurde. Ein königliches Kabinetsschreiben verlangte bald nach dem Amts- antritt Hefners, dafs das Museum immer mehr Bildungsanstalt nicht nur für Künstler und Gelehrte, sondern auch für Kunstgewerbetreibende werde. Es wurde angeregt, mit dem Museum eine kunstgewerbliche Fachbibliothek, eine Gipsgiefserei und eine photographische Anstalt zu verbinden. Hefner ging mit Freuden auf diese, seinen Absichten so sehr entsprechenden Anregungen ein, aber er ging noch weiter, indem er die ganzen Sammlungen einer Neu- gestaltung unterzog. Dem Zweck einer kunstgewerblichen Lehranstalt konnte eine, nach historischen Gesichtspunkten angelegte Sammlung nur mittelbar genügen; unmittelbar lehrhafter für Kunstgewerbetreibende war es, wenn jeder die Gegenstände seines Faches in einer Specialsammlung vereinigt fand. Hefner legte deshalb neben der kulturgeschichtlichen Sammlung eine zweite Abteilung an, in welcher die verschiedenen Zweige des Kunstgewerbes getrennt aufgestellt wurden. Diese Fachsammlungen füllten das ganze erste Obergeschofs und drei Säle des Erdgeschosses.

Durch die Trennung von historischen und Fachsammlungen ist ein Dualismus in die Anordnung des Nationalmuseums gebracht worden, welchen ich beklage. Ich habe, als die Frage eines Neubaues des Museums auftauchte, einmal Gelegenheit genommen, diese Frage mit Riehl zu besprechen und angeregt, die Trennung der beiden Abteilungen aufzugeben und eine ein- heitliche Anordnung durchzuführen; Riehl war aber nicht geneigt, darauf ein- zugehen, und ich habe, da ich nicht Beamter des Museums selbst war, es nicht für passend gehalten, durch direkte Anträge in die Verwaltung der An- stalt einzugreifen. Da meine Anschauungen in diesem Punkte denen der hoch- verdienten Direktoren des bayerischen Nationalmuseums teilweise wider- sprachen, glaube ich, die Frage in möglichster Kürze berühren zu sollen.

Die grofsen Museen der Neuzeit verfolgen zwei verschiedene Zwecke, entweder den historisch-wissenschaftlichen, oder den für Kunst und Gewerbe praktisch-lehrhaften. Diese müssen sich in der Anordnung der Sammlungen aussprechen. Für die Einteilung der historischen Sammlungen kommen natürlich nur kulturgeschichtliche Gesichtspunkte in Frage, die der Kunst- gewerbemuseen erfolgt nach Material und Technik. Es ist nicht in Abrede zu stellen, dafs eine bestimmte und zutreffende Einteilung bei letzteren leichter und vollständiger durchzuführen ist, als bei ersteren. Eine vollkommen durch- gehende Systematik ist bei historischer Sammlung schwer, vielleicht gar nicht zu erreichen. Die sogenannten Kulturbilder, welche da und dort zusammen- gestellt werden, haben ihr Bedenkliches. Sie verführen leicht zu starker Be- tonung des Dekorativen. Sie können in malerischem Sinne sehr schön sein, aber sie entsprechen niemals einer irgendwann gewesenen Wirklichkeit. Was in ihnen Anspruch auf Bedeutung für die historische Forschung hat, sind die einzelnen Gegenstände, soferne sie nicht gefälscht sind, nicht aber die Ge- samterscheinung der Räume, vielleicht abgesehen von einzelnen Kapellen oder Zimmern, die man im Ganzen in Museen versetzt hat. Ich will damit gar

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nicht in Abrede stellen, dafs es möglich ist, solche Gesamtbilder auf den Charakter der Epoche, welche sie zur Anerkennung bringen sollen, zu stimmen. Das neue Nationalmuseum in München bietet einige sehr glänzende Beispiele, deren Berechtigung ich nicht bestreiten will. Aber man mufs sich darüber klar sein, dafs hier das wissenschaftliche Element von dem künstlerischen überwogen wird.

Will man wissenschaftlich vorgehen, so wird man auch in historischen Museen stets ein System von einzelnen Abteilungen aufstellen müssen; ob dieselben sachlich weitere oder engere Kreise umfassen, ist von sekundärer Bedeutung, sie werden sich teilweise mit denen der Kunstgewerbe-Museen berühren. Für die Aufstellung des Systems aber mufs der historische Gesichts- punkt mafsgebend bleiben, der die Gegenstände nicht in erster Linie als in bestimmter Technik aus bestimmtem Material erzeugt, sondern als Erzeugnisse der praktischen Anforderungen, des technischen Könnens und der künstlerischen Richtung einer bestimmten Epoche auffafst.

Ich vermag leider den praktischen Wert systematisch angelegter Vor- bildersammlungen für das Kunstgewerbe nicht allzuhoch anzuschlagen. Gewifs haben uns die Kunstgewerbemuseen technisch sehr gefördert, sie haben auch kräftig dazu beigetragen, dafs wir wieder das Bedürfnis fühlen, unsere Um- gebung künstlerisch zu gestalten, aber sie sind auch mit dafür verantwortlich, dals unser Kunstgewerbe in Nachahmung und Eklekticismus befangen geblieben ist, dafs es, nachdem es alle unsere historischen Stile durchlaufen hat und selbst von Japan desorientiert worden ist und all das nicht vorhalten wollte, jetzt den ebenso aussichtslosen Versuch macht, unabhängig von historischen Voraussetzungen neue Formen zu finden.

Eine weitere Erörterung der leidigen Stilfrage gehört nicht hierher. Wohl aber bin ich meinen Lesern eine Antwort schuldig auf die Frage, sollen denn nun die Kunstgewerbemuseen aufhören Vorbilder zu liefern.^ J\lit nichten. Aber das mufs angestrebt werden, dafs man über die äufserlich formale Nachahmung hinausgeht, dafs man an die alten Werke nicht die Frage stellt, wie sind sie gemacht, sondern warum, in Hinsicht auf welchen Zweck sind sie so gemacht. Auch sie werden die Antwort zuweilen schuldig bleiben, im allgemeinen aber werden sie vollen und zuverlässigen Aufschlufs geben und dem Künstler den Weg zu analogem Verfahren aus dem ihm vor- liegenden Zweck heraus weisen.

Abgesehen von den prinzipiellen Bedenken, welche ich gegen die Zwei- teilung des Systems im bayerischen Nationalmuseum habe, verkenne ich keineswegs, dafs die Durchführung eine sehr gute ist und dafs die dort auf- gestellten Fachsammlungen sehr übersichtlich angeordnet und sehr instruk- tiv sind.

Über seine Grundsätze bei der Organisierung des Nationalmuseums berichtet Hefner in einem besonderen, »Zweck und Einrichtung des National- museums« betitelten Kapitel seiner Lebenserinnerungen. Es enthält viel des Interessanten und Beherzigenswerten. Hefner kann hier von Bemühungen und

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Erfolgen sprechen die ihm innere Befriedigung und dauernde Anerkennung gebracht haben. Was er sonst über diese Periode seines Lebens mitteilt, liest sich wie ein langes Klagelied. Der Bau des Nationalmuseums war äufserst unsolid ausgeführt und mufste schon wenige Jahre nach seiner Er- öffnung tiefgreifenden konstruktiven Veränderungen unterzogen werden, das ging vorüber. Dauernd behindert fühlte er sich in seiner Thätigkeit durch die geringe Unterstützung die er bei seinen Vorgesetzten fand und durch die Anmafslichkeit des Konservators Dr. Kuhn. Ich glaube diese Abschnitte hier übergehen zu sollen. Hefner ist eine edle und vornehme Natur und die widerwärtigen dienstlicheu Verhältnisse vergällten ihm selbst die Freude an dem Nationalmuseum, das der Traum seiner Jugend, die Sorge und der Stolz seiner Mannesjahre gewesen war. Im Jahre 1883 kam er um seine Ouieszierung ein. Da um diese Zeit ein Wechsel in der Besetzung der Konservatorenstellen eintrat, liefs er sich indes vorerst noch zum Verbleiben in seinem Amte bewegen, doch am 2. April 1885 trat er, in seinem 75. Lebens- jahre in den Ruhestand.

Auch häuslicher Kummer ist ihm in seinem langen Leben nicht erspart geblieben. Von seinen drei tüchtigen Söhnen starben zwei, und seine Frau hat er im Jahre 1887 verloren.

Hefners Buch wird belebt durch viele persönliche Erinnerungen, die er teils in die Erzählung verwebt, teils in besonderen Abschnitten mitteilt.

Es gibt heutzutage Leute, und sie haben gerade in künstlerischen Fragen das grofse und schöne Wort, welche ihre Begeisterung jedesmal dem Neuesten zuwenden und dieses beiseite werfen, sowie sich das Allerneueste zeigt. Hefner ist nicht von dieser Art, er ist den Überzeugungen, welche er sich in jungen Jahren erworben hat, durch ein langes an Freuden und Leiden, an Mühen und Erfolgen reiches Leben treu geblieben. Darin ist es be- gründet, dafs sich unsere Anschauungen mit den seinigen im Einzelnen nicht immer decken. Das ist das Los des Alters, auch wir nehmen bereits wahr, dafs die kommende Generation anders denkt und fühlt wie wir. Doch nicht auf Unterschiede im Einzelnen kommt es an. Hefners Streben und Wirken und unseres sind doch nur verschiedene Äufserungen der gleichen Empfindung, der Liebe zu unserer Vorzeit. Darin fühlen wir uns Eins mit ihm. Und darum bleiben wir auch eingedenk des Dankes, den wir ihm schulden. Denn er gehört zu den Männern, welche die Grundlagen für die Organisation und die Verwaltung der Museen geschaffen haben, auf denen unsere Thätig- keit beruht.

Das germanische Museum aber ist ihm noch ganz besonders zu Danke verpflichtet, denn seit seiner Gründung gehört Hefner dem Verwaltungsaus- schufs des Museums an und waltet dieses Amtes noch heute in jugendlicher Frische. Er spricht darüber gegen den Schlufs seines Buches. »Zu den angenehmen Erinnerungen meines Lebens rechne ich, dafs es mir vergönnt war, den Traum meiner Jugend, ein einiges deutsches Vaterland, verwirklicht zu sehen, ferner zähle ich dazu die fortschreitende Entwicklung des ger- manischen Nationalmuseums in Nürnberg, das ich unter Leiden und Sorgen

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seines Gründers Hans von Aufsefs entstehen sah. Zu meiner grofsen Freude konnte ich noch erleben, dafs es nicht nur nach dem Wunsche seines Stifters ein wirklich germanisches Museum geworden ist, dafs es von allen Deutschen Staaten unterstüzt und erhalten wird, sondern auch, dafs man es jetzt ein Museum für die ganze gebildete Welt nennen kann.« Möge er noch lange dieses Amtes walten zu seiner und unserer Freude und zum Wohle unseres Museums.

Nürnberg. Bezold.

Kachelöfen und Ofenkacheln des 16., 17. und

18. Jahrhunderts

im Germanischen Museum, auf der Burg und in der

Stadt Nürnberg.

M

lle bisher erwähnten Stücke waren buntglasiert, wie denn überhaupt in .^^ dieser Zeit eine aufserordentliche Lust an freudigen, hellen Farben vor- '^i^^so-. herrschte, während die eigentUche Gotik noch fast durchaus grün- glasierte Öfen hergestellt hatte. Erst gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann ein bedeutender Umschwung sich geltend zu machen zu Gunsten bunter Kacheln, wie wir sie an den in der Einleitung angeführten Öfen kennen lernen. Daran knüpfte die Frührenaissance an mit noch stärkerer Betonung des farbigen Prinzipes; doch unterscheiden sich ihre Farbenzusammenstellungen recht be- deutend von denen der Spätgotik, mögen auch die betreftenden Öfen kaum mehr wie zwanzig Jahre auseinanderliegen. Verhältnismäfsig selten dagegen sind in den zwei ersten Dritteln des 16. Jahrhunderts die einfarbigen Öfen; kommen sie vor, so sind sie durchaus grünglasiert, die später so häufige schwarze Glasur war in dieser Zeit noch nicht bekannt. Aber auch das Grün der in Frage stehenden Stücke ist wesentlich verschieden von jenem älteren Grün aus gotischer Zeit, es ist heller, durchsichtiger und leuchtender als jene oft stumpfe und sehr dunkle Glasur. Das ruhige Aussehen dieser grün- glasierten Öfen wird häufig durch eine leichte Goldverzierung belebt. Wie in früheren Zeiten Beispiele in den genannten Aufsätzen Essenweins Seite 70 ff. so kommt es auch jetzt vor, dafs die gleichen Kacheln ein- mal grün , dann wieder bunt glasiert werden ; je nach dem Geschmack der Besteller oder aus Rücksicht auf den Raum konnten die einen oder anderen aus dem reichen Vorrat verwendet werden. Eine grünglasierte Kachel der Zeit ist uns erhalten in A. 600 unserer Sammlung, welche genau den Portikus der Stücke Fig. 5 und 7 zeigt, statt des dort eingesetzten Bildes aber ver- tieft einen Hof mit zwei übereinanderstehenderi Bogenstellungen. Letztere muten uns an, als ob sie einem italienischen Architekturtraktat entnommen wären, sie sind in eben der »vereinfachten und vergröberten Form« wieder- gegeben, wie es »die Anforderungen der linearen Deutlichkeit bedingten bei

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diesen kleinen Umrifszeichnungen, Vereinfachungen und Umgestaltungen der körperlichen zu flächenhaften Formen« ^), welche Fra Giocondo, Polifilo und andere in ihren Büchern gaben.

Das in Deutschland erwachte Interesse an der italienischen und antiken Architektur, das sich hier dokumentiert, tritt auch an dem Ofen A 528 unserer Sammlung zu Tage. Er ist einfach grünglasiert, wie das solche gewissermafsen abgekürzte Architekturdarstellungen, wo es auf das Architektonische allein an- kam, unbedingt erforderten, auch hier w^ar aber durch Vergoldung der etwas eintönigen Erscheinung zu Hilfe gekommen, wovon sich an einigen Kacheln noch Reste finden. Die Gestalt des Ofens ist ähnlich der des erstbesprochenen Stückes (Fig. 3) schlank und klein, wenn auch etwas gedrückter wie jener; der untere Teil vierseitig mit zwei schildförmig abgeplatteten Ecken, der Aufsatz achteckig, turmartig mit vorspringendem antikisierendem Gesimse. In der Hohl- kehle am Fufse lagern gelbglasierte Löwen, auf den Kacheln befinden sich architektonische Perspektiven von Hallen und Zimmern mit und ohne Per- sonen darin: sieben verschiedene Model. Auf den zwei abgeplatteten Ecken Putten, die einen Schild halten, darunter in einem Kranze das Brustbild des Kunz von der Rosen, wozu das bekannte Daniel Hopfer'sche Blatt (Bartsch 87) als Vorlage gedient zu haben scheint, obwohl die Nachbildung eine ziemlich freie und vereinfachende gewesen ist. Der 1,40 m. hohe Ofen besteht aus achtunddreifsig alten Kacheln und Gesimsstücken, der Rest ist neueren Ur- sprungs.

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Fig. 9. Nach Lübke. Deutsche Renaissance. 2. Aufl., Bd. I. S. 143. Verlag: v. Ebner u. Seubert.

Vorstehende Abbildung (9) gibt eine Kachel des Ofens wieder, auf die wir später noch oft Gelegenheit haben werden, zurückzukommen, da sie viel- fach, mit einem andern Mittelstück versehen, wiederkehrt. Eine andre

1) G. v. Bezold. Die Baukunst der Renaissance in Deutschland. Stuttgart 1900. p. 9.

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Kachel auch noch in nicht zum Ofen gehörigen Exemplare (A 531) er- halten — zeigt einen merkwürdigen Kuppelbau; die Vorlage dafür mufs in der betreffenden Hafnerwerkstätte öfters zu Modeln verwendet worden sein : unsre Sammlung besitzt ein in allen Details übereinstimmendes Stück (Fig. 10 A. 534), das aber 3 cm schmäler ist und statt der dortigen Staffage zweier miteinander sprechender Personen nur eine über die Brüstung sich lehnende Gestalt, unten aber einen sitzenden Affen aufweist. In einer bedeutend kleineren Kachel endlich aus dem Besitz der Stadt Nürnberg kehrt dasselbe Motiv gleichsam verkümmert wieder. Ahnliche Wiederholungen hat die Vorlage der in Fig. 11 abgebildeten Zimmeransicht (an dem genannten Ofen und als Einzelkachel unetr A. 529 vorhanden) erfahren: leicht verändert werden wir sie wiedererkennen an dem bereits erwähnten Ofen in Zwickau, zusammen geschrumpft und verkümmert ist das Motiv in A 603 u. 604 unsrer Sammlung.

Fig. 10. Nach Lübke. Deutsche Renaissance I. p. 143.

So hat also die Architekturphantasie, die in so vielen Büchern und Stichen ihre üppigsten Blüten getrieben, auch auf dem Gebiete der Kacheln ihren Einzug gehalten. Die Formen weisen entschieden auf die Frührenais- sance, wie auch die Gestalt des Ofens und es mag wohl die erste Begeiste- rung für die neue Architektur, für Kuppel- und Zentralbau, schuld daran sein, dafs man es versuchte, sie auch in diesem Material nachzubilden, das für präcise Wiedergabe architektonischer Formen doch nichts weniger als geeignet ist. Mit richtigem Takt scheint das auch die Folgezeit erkannt zu haben : unsres Wissens wenigstens ist das hier gegebene Beispiel ohne grofse Nach- folge geblieben.

Mit den drei bisher erwähnten steht in engster Verbindung ein Ofen, der im Kalandstübchen der Marienkirche zu Zwickau aufbewahrt wird und zweifellos aus Nürnberg stammt. Die Beziehungen der sächsischen Kunst

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

XII.

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zu Nürnberg sind ja sehr zahlreich und der Import fränkischer Kunstwerke in Sachsen war ein häufiger. In Zwickau selbst sind uns deren eine Anzahl noch erhalten, vor allem das Altarwerk des Michael Wohlgemuth in der Marienkirche, in welcher ferner noch als bescheidene Zeugen die ehernen Glöckchen zweier silberner Klingelbeutel das Nürnberger Beschauzeichen tragen. Von dem Einflufs dieses grofsen Kunstzentrums spricht auch die schöne Gruppe der Beweinung Christi in ebendemselben Kalandstübchen, in dem der Ofen steht, von Bode -) als Meisterwerk unter den sächsischen Bildwerken der Zeit bezeichnet, wobei er zugleich von Nürnberg als der Hochschule dieser Künstler spricht. Was Wunder also, wenn man sich von Zwickau, um ein möglichst vollendetes Werk der Hafnerkunst zu erhalten, an den Ort wendete, wohin gerade im Kunsthandwerke Aller Blicke gerichtet waren.

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Fig. 11 3).

Nebenstehende Figur 12 gibt ein Bild des Ofens in seinem Aufbau. Die unteren fünf Reihen setzen sich zusammen aus grünglasierten Zimmeransich- ten, die nach der einen Seite gerichtet, wie im gegenseitigen Sinne vor- kommen. Sie sind sehr ähnlich der in Figur 11 widergegebenen, doch weisen kleine Abweichungen darauf hin , dals sie nicht dem gleichen Model ent- stammen. Die Eckkacheln des Feuerkastens, die zum Teil auf dem Kopf stehen, zeigen eine sehr leichtfertige Redaktion dieses Zimmers auf engerem Raum. Die oberste Reihe endlich enthält Kacheln mit Medaillons, Köpfen

2) Bode, Geschichte der deutschen Plastik p. 202 u. 204 f.

3) Die Abbildungen geben, mit Ausnahme der beiden vorhergehenden, die Kacheln in ^/8 der Originalgröfse wieder.

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Fig. 12.

der Tracht des zweiten Drittels des 16. Jahrhunderts, welche auf bekannte Persönlichkeiten zu bestimmen mir nicht möglich war, vermutlich hat auch

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der Bildner nicht an solche gedacht. Diese Kacheln sind buntglasiert ; eine derselben besitzen wir auch in unserem Museum (Fig. 13 A 512): sie zeichnet sich durch tiefe, schwere Farben , braun und blau aus, gegen welche das Weifs des Gesichts sehr absticht. Die Zwickel verraten uns durch ihr Ornament , dafs die Zeit der Gotik noch nicht allzu ferne liegt. Leider sagt uns das auf diesem Stück und am Ofen angebrachte Monogramm *) nichts, wenigstens ist es mir nicht gelungen, einen Namen dafür zu finden. Die Schildkachel, welche auf den abgeschrägten, vielmehr abgehauenen Eck- medaillons liegt , zeigt zwei Putten mit originellem Flügelansatz , die ein Schild halten, auf dem einmal das Brandenburgische Wappen angebracht ist. Ohne jede Gesimsbildung, wie wir sie, wenn auch bescheiden, bisher an den Öfen dieser Zeit gewohnt sind, geht hier Feuerraum in Aufsatz über, auch einen unteren Abschlufs des Ofens durch etwelche Profilierung, etwa eine

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Fig. 13.

Hohlkehle mit liegenden Löwen, vermissen wir: ein Umstand, der vielleicht zu beachten.

Die drei Reihen des achtseitigen Aufsatzes zeigen Stücke aus verschie- denen, aber zusammengehörigen Kachelserien, einmal die uns wohlbekannten Wissenschaften: Philosophie, Geometria und Rhetorica aus der Serie des Ofens Fig. 3. Des weiteren zwei Kurfürsten, Kurbrandenburg (Fig. 14) und

4) Vergl. die Angaben bei Steche, Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen XII p. 117 f. Steche hat noch ein zweites Monogramm angegeben, das auf dem Ofen nicht vorkommt, wie mir Herr Baurat Dr. O. Mothes mitteilt, der mir in liebenswürdiger Weise sehr ausführliche und genaue Notizen über den Ofen, sowie einige Skizzen zur Verfügung zugestellt hat. Ich möchte nicht versäumen, Herrn Baurat Mothes an dieser Stelle für seine gütige Unterstützung meinen wärmsten Dank auszusprechen. Er hat auch die Herstellung der Zeichnungen (Fig. 13 u. 14) durch Herrn Oberlehrer Falk in Zwickau vermittelt.

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Pfalz, sowie den deutschen Kaiser, alle wohl so wenig Porträt wie auf den Krügen und Gläsern mit den gleichen Darstellungen ; die Nischen weichen in ihrem oberen Teil von denen der Wissenschaften ab, doch lehrt ein Ver- gleich mit Fig. 5 u. 7, dafs auch sie der gleichen Hand entstammen dürften. Die oberste Reihe umgebogener Kacheln enthält roh gearbeitete Gestalten von Landsknechten und ihren Weibern in einfachen Bögen. Im Fünfeck erheben sich darüber fünf Halbkreisgiebel, mit aufgemalten Ornamenten zwi- schen den Evangelistensymbolen geschmückt.

Wie man sieht, ist der Ofen reich an verschiedenartigsten Darstellungen und es möchte scheinen, als ob er nicht mehr in seinem ursprünglichen Auf-

¥ig. 14.

bau erhalten sei, umsomehr als dafür die umgekehrten Eckkacheln, das Fehlen der Gesimse , vielleicht auch die Verbindung des buntglasierten Aufsatzes mit dem grünglasierten Feuerraum sprechen. Ausgeschlossen ist dabei nicht, dafs die Zusammenstellung die alte ist, denn was wir nie vergessen dürfen die damaligen Hafner setzten manchmal recht planlos Öfen aus ihrem Kachelvorrat zusammen und kümmerten sich wenig um höhere Compositions- gesetze.

An dem Zwickauer Ofen finden wir zum ersten Male in ausgiebiger Weise Medaillonbildnisse als Schmuck verwendet. Eine Dekoration, die ja auch in der italienischen Architektur beliebt war und die sich ganz natur-

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gemäfs an die Stelle des ornamental und figural ausgeschmückten Drei- oder Vierpasses der Gotik setzte. Sofort mit dem Eindringen der Renaissance in Deutschland tritt das Motiv denn auch auf an Gebäuden sowohl als als Bil- dern, Schränken und Thüren, kurz, bei jeder Art von Flächenfüllung. Mit besonderer Begier bemächtigten sich aber seiner die Meister der graphischen Künste und haben uns, vor allem die Hopfer und Genossen, zahllose Me- daillonstiche hinterlassen, welche zweifellos als Vorlagen für die verschiedenen

Handwerke gedacht waren. Was unser Thema betrifft, so waren wir dem Medaillon zum ersten Male begegnet an jenem Ofen der Burg (Röper-Bösch Tafel 5), wo aufgelegte Medaillons an Stelle der abgeschrägten Ecken den Übergang vom Feuerkasten zum Aufsatze bildeten. Dem gleichen Zwecke hat sicherlich das Bildnifs Karl's V gedient, das wir in Fig. 15 publizieren.

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Fig. 16.

(A. 967). Diese Verwendung mufste sich von selbst ergeben, wenn man schon einmal, wie an dem Ofen mit Architekturperspektiven, auf den Eck- platten unter den Wappenhaltern ein Medaillon anbrachte. Häufiger jedoch als hiezu verwendete man die Medaillons als Abschluls einer Anzahl von Kachelreihen oder als Gesimse, insbesondere des Feuerkastens. Diesem Zwecke diente, dem stark vorspringenden Rande nach zu urteilen, die Kachel welche wir in Fig. 16 abbilden und ihr Gegenstück (A 538) mit dem lorbeer-

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geschmückten Kopfe eines römischen Imperator, dessen Helm dieselben etwas phantastischen Formen zeigt, wie der des im vorigen Aufsatze abgebildeten Josua. Der frische blaue Grund, der umgebende braunrote Lorbeerkranz, das blonde Haar der Frau und der rote Bart des Mannes sind von glücklich- ster Wirkung. Etwas reicher ist die grünglasierte Kachel A. 513 (Fig. 17) von sehr präziser Pressung; durch die Art der Einfügung des Medaillons in die Kachel, den hier ornamentierten ]\Iedaillonrand und die Ausfüllung der Zwickel an das Beispiel aus Zwickau erinnernd, mit dem unser Stück auch der Tracht nach ungefähr gleichzeitig sein dürfte. Lippiger und vollendeter erscheint das Motiv in A 960 mit dem Bildnisse des Kaiser Ferdinands (nur zur Hälfte erhalten) und den etwas gröfseren Pendant A 961 mit dem Portrait des Sultans Soliman (Fig. 18), welches eine merkwürdige Vorliebe für ge- mischte Farben bekundet. Der Sultan trägt hellbraunrötlichen Turban und

Fig-. li

ebensolchen Mantel, der Grund schimmert von rötlich bezw. violett bis ins Blauschwarze ; eine Mischfarbe, die wohl aus Übereinanderauftragen von gelber, manganroter und einer Art schwarzblauer (?) Glasur entstand, welch' letztere von dem Thon nicht mehr gleichmäfsig aufgenommen wurde, flofs und so ein ungleichmäfsiges Aussehen verschuldete. Von dem trübweifsen Medaillon- rande hebt sich der grüne Blattschmuck ab. Die Zwickel sind etwa salmroth, wie der Turban Solimans, wohl durch Auftragen von Manganrot auf Gelb, entstanden, in diese Farbe ist vielfach das Gelb der Knöpfe hineingeflossen. Der äufsere Rand ist grün. Die Kachel ist stehend gebrannt, daher das viele Ineinanderfliefsen der Glasuren, dessen Wirkung aber nicht ohne Reiz ist. Hier darf der Gröfse des Stückes nach schon zweifelhaft sein, ob dasselbe noch als Gesimse bezw. Abschlufs diente und nicht vielmehr seine Stelle schon in der Mitte des Feuerkastens oder Aufsatzes hatte, wie das später

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ganz allgemein in Gebrauch kam. Wie in allen Künsten, so war das Medaillon auch in der Hafnervverkstätte berufen, eine stets bedeutendere Rolle zu spielen. Der Raum, den es einnahm, wurde immer gröfser, bis es um die Wende des Jahrhunderts und im siebenzehnten Saeculum als Riesenkachel die ganze Seite eines Feuerraums oder Aufsatzes ausfüllte. Die immer mehr vorherrschende Neigung, am Ofen die Bilder hervorragender Zeitgenossen anzubringen, kün- digt sich, wie wir sehen, gleich in den ersten Zeiten der Renaissance an. Sowohl der Ferdinand I. als der Soliman sind übrigens niemals an einem Ofen verwendet gewesen ; offenbar, weil sie auch der Soliman zeigt einen fast durchgehenden Sprung, in den die Glasur hineingeflossen schon beim Brande Schaden erlitten hatten.

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Fig. 18.

Von der gleichen Gestalt wie die bisher erwähnten Öfen unserer Samm- lung ist der ebenda aufbewahrte, grünglasierte A 540 (Röper-Bösch Taf. 11) mit vierseitigem Feuerraume und neunseitigem Aufsatze. Der Ofen endigt nach unten in einem herabfallenden Akanthusblattkranze; ein gleicher, nach oben gerichtet, bildet das Gesimse. (Höhe 1,40 m). Die Kacheln des Auf- satzes zeigen runde Schlüsselchen zwischen zierlichen Renaissance-ornamenten, die Eckkacheln des unteren Teiles zusammengedrückt die beiden Seiten der in Fig. 9 abgebildeten perspektivischen Darstellung. Im übrigen wiederholt sich an dem ganzen Feuerraum ein und dasselbe Sujet; das Brustbild eines bärtigen Helden in Helm und Panzer unter einer Architektur, die wohl als Kuppel gedacht war, aber als Nische erscheint. Durch die Inschrift in dem runden Medaillon an der Balustrade, auf welche der Recke gelehnt ist, wird

Mitteilungen aus dem germanischen Nationalmuseum.

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Taf. II.

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leiten Viertel des 16, Jahrhunderts mit Versen des Hans Sachs.

Inmer des Königs auf der Burg.j I

97

er uns als Goliath bezeichnet. Das Goliathbild ist noch in zwei bunt- glasierten einzelnen Exemplaren unserer Sammlung erhalten und gehört jener Kachelserie mit den Brustbildern der Tyrannen an , die wir an dem Aufsatz des Ofens im Schlafzimmer des Königs auf der Burg (Röper- Bösch Taf. 2) kennen lernen. Dieser buntglasierte Ofen besteht aus einem zwölfeckigen Aufsatze dessen drei Reihen Kacheln über Eck gestellt sind, sodafs die Mitte einer oberen Kachel jedesmal auf das Eck einer unteren zu stehen kommt; eine Hohlkehle mit gelbglasierten liegenden Löwen leitet zu dem viereckigen Feuerraum über. Die oberste Reihe des Aufsatzes zeigt zunächst die offenbar hier eingeflickte grünglasierte Kachel mit dem Hallenhof

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Fig. 19.

unter der Nischenarchitektur, welche wir unter A. 600 bereits erwähnt haben, weiter die sechs Brustbilder von Tyrannen , jeweils mit Aufschrift , sowie lateinischer Nummer versehen, unter denselben Nischen wie das Goliathbild unserer Sammlung, und zwar zuerst eben diesen Goliath V, Nabuchodonosor X, Achab VIII, Serah VII, Holofernes XI und Antiochus XII; welch' letzteres Stück auch in einem Exemplar im Germanischen Museum vertreten ist. (A. 1265 Fig. 19.) Ebenso besitzt das Bayrische Gewerbemuseum drei dieser Kacheln. In der mittleren Reihe erblicken wir nochmals Serah VII, dann die guten Helden Ezechias XI, Judas Machabeus XII, Samson IV, Gedion II, Samson (in etwas anderer Bemalung) IV, in der unteren Reihe dieselbe grünglasierte Archi-

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum 1899. XIII.

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tekturkachel wie oben, Gedion II, Jonathan V, Amassia X, Assa VIII, Josaphat IX, David VI ^). Diese Brustbilder der guten Helden sind in Styl und Kostüm den Tyrannen vollkommen gleich, nur die über ihnen sich wölbenden Bogen zeigen andere , besser verstandene Architekturformen. Dem Hafnermeister hat als Vorlage gedient ein Folioblatt mit der »Erenport der zwelff Sieg- haften Helden des alten Testaments und ander Tyrannen«, das Weller (Der Volksdichter Hans Sachs etc. Nürnberg 1868. Nr. 24) aus Heerdegens (Schrei- bers) alter Sammlung bekannt war und von dem das Kupferstichkabinet des Germanischen Museums zwei auseinandergeschnittene Drittel besitzt , deren eines unsere Tafel wiedergibt. Die Holzschnitte verzierten das Gedicht »Die Erenport« von Hans Sachs, das nach der Ausgabe in der Bibliothek des litte- rarischen Vereins Stuttgart (Band 102 p. 211 ff.) die Unterschrift trägt: »Anno Domini MCCCCCXXXI am XXV tag Junii.« Das Folioblatt, das Weller sah (ebenso unser letztes Drittel) enthielt keine Angabe des Orts und der Zeit, wie denn überhaupt auf ihm der Beschlufs des Hans Sachs'schen Gedichtes nicht wiedergegeben ist. Weller setzt das Blatt aus mir unbe- kannten Gründen um 1560 an. Der Styl des Holzschnittes, sowohl der Figuren als auch insbesondere des Pilasterornaments scheint mir jedoch auf die erste Hälfte des Jahrhunderts und auf einen Meister hinzuweisen , der mit feinem Verständnis die Formen der oberitalienischen Renaissance ver- wendete. Nach gütiger Auskunft des Herrn Direktor Lehrs war ihm das Blatt unbekannt und ist auch in dem Dresdener Kupferstichkabinet nicht vorhanden , das gleiche teilte mir Herr Direktor W. Schmidt aus München mit. Letzterer erfahrener Kenner knüpfte die Vermutung daran , das Blatt stamme vielleicht von Peter Flötner , wofür ja manche Anzeichen sprechen. Jedenfalls dürfen wir einen Nürnberger Meister aus dem zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts als Urheber desselben annehmen, obwohl ich nicht leugnen will, dafs man auch auf eine Verwandtschaft mit der Augsburger Schule und insbesondere jener Serie der österreichischen Heiligen hinweisen kann. Die Brustbilder sind auf den Kacheln unseres Ofens bis auf wenige Vergröbe- rungen getreu kopiert ; die Umschriften dieselben wie bei Hans Sachs, dessen Reihenfolge auch der Nummerierung nach beibehalten war. Da der Styl der bösen Tyrannen genau mit dem der unteren Reihen übereinstimmt, Über- schriften und Nummeriernng wiederum mit denen des Hans Sachs'schen Ge- dichtes: Schandenpord. Die zwölff thyrannen des alten testaments mit ihrem wütigen leben etc. (Gleiche Ausgabe und Band, Seite 221 ff. Unterschrift : Anno salutis MCCCCCXXXI am 1 tag Julii.) gleich sind, so wird man wohl sicher vermuten dürfen, dafs auch von dieser Schandenpord ein gleiches Folio- blatt existiert hat oder noch irgendwo existiert, mir aber leider nicht bekannt ist. Wie denn berufne Kenner des damaligen Holzschnittes leichthin noch für manche der von mir publizierten Kacheln die Vorlagen werden nachweisen können, die mir aufzufinden nicht gelungen ist. Der zwölfseitige Aufsatz des Ofens war offenbar gerade dafür berechnet, in je zwei Reihen die zwölf

5) Im übrigen ist der Aufsatz mit geringen, grünglasierten Schüsselkacheln der gleichen Zeit ausgeflickt.

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zusammenhängenden Bilder aufzunehmen und in der dritten eine vielleicht dazu gehörige Zwölferserie ; ob er schon in alten Zeiten oder erst unter Heideloff in der jetzigen Weise zusammengestoppelt worden ist, vermag ich nicht zu sagen. Mündlichen Nachrichten zufolge ist dieser Ofen von manchen Beurteilern dem Augustin Hirschvogel zugeschrieben worden , wofür jedoch alle Anhaltspunkte fehlen. Viel geringer in der Ausführung sind die Kacheln des Feuerraums, welche in drei Reihen übereinander bildliche Szenen zeigen, eingesetzt in die Bogenarchitektur der Kacheln des Ofens A. 528 vgl. Fig. 9, und zwar aufser einer eingeflickten Rosettenkachel, die Scenen: Bundeslade, Erschaffung der Eva, Steinigung des Stephanus, Abendmahl, Anbetung der heiligen drei Könige, Darbringung im Tempel, Grablegung, Moses empfängt

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Figr. 20.

die Gesetzestafeln, Himmelfahrt, Noah's Trunkenheit, Verkündigung u. s. w. kurz planlos zusammengereihte Scenen aus dem weiten Umkreis des alten und neuen Testamentes, die darauf hindeuten, dafs eine weit gröfsere Serie solcher biblischen Kacheln existierte. In der That besitzt das Museum zwei vveitere hiezugehörige Stücke, A. 940—942, Geburt Maria, Kreuzigung und das cananäische Weib. (Fig. 20.) Die Deutung letzterer Scene ergibt sich aus der Überschrift: Matthäi XV. Es ist der Moment dargestellt, da Christus von der Stärke ihres Glaubens gerührt sich zu ihr wendet und spricht: »o Weib, dein Glaube ist grofs! dir geschehe, wie du willst.« Und ihre Tochter ward gesund zur selbigen Stunde. Die Ausführung dieser Stücke läfst viel

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zu wünschen übrig: die Andeutung der Augen ist durchweg vergessen, oft nicht einmal Nase und Mund angegeben. Blau, braun, grün, gelb und weifs sind die beliebten Farben. Noch roher allerdings sind Formen und Glasur auf einer (nicht zu dieser Serie aber in die gleiche Zeit gehörigen) Kachel mit dem Einzug Christi in Jerusalem, A. 514.

Wir haben bis jetzt eine Anzahl von Kachelserien kennen gelernt , die uns alle nicht vollständig erhalten sind , doch vielfach einen Schlufs auf die Zahl der vorhanden gewesenen Kacheln gestatten. Ich stelle sie kurz zu- sammen :

I. Die 7 freien Künste.

II. Personifikationen von Tugenden und Lastern, bezw. Leidenschaften durch Gestalten einerseits aus der Bibel, andrerseits aus Ovid's Metamorphosen etc.

III. Die 9 guten Heiden, Christen und Juden nach Burgkmair. Vermutlich waren auch die weiblichen Gegenstücke vorhanden.

IV. Die 7 klugen und die 7 thörichten Jungfrauen nach Nicolaus Manuel Teutsch.

Diese alle in der gleichen Nischenumrahmung; in derselben, also dazu- gehörig, noch die perspektivische Ansicht eines Hallenhofes (A. 600 und am Ofen im Schlafzimmer des Königs auf der Burg).

V. Die 7 Kurfürsten. Die Umrahmung eine leichte Variante der vorigen. (Zwickau.)

VI. Landsknechte und Weiber. (Zwickau.) VII. Zimmeransicht mit Thüre und Fenster.

VIII. Zweierlei Architekturperspektiven : Hallen- und Kuppelbau.

IX. In der Architektur der ersten dieser Perspektiven biblische Scenen, die offenbar in reicher Anzahl vorhanden waren,

X. Medaillons mit Köpfen in zeitgenössischer Tracht.

XI. Die zwölf sieghaften Helden ; nach dem Gedicht von Hans Sachs

und dem Holzschnitt des Flötner (.?). XII. Die zwölf Tyrannen, nach der Schandenpord des Hans Sachs und vermutlich einem Holzschnitt von der gleichen Hand.

Dazu eine Anzahl von Reduktionen dieser Kacheln , Eckkacheln etc. Alle diese Stücke befinden sich mit Ausnahme des Zwickauer Ofens in Nürn- berg; ein Teil der Kacheln des letzteren ist ebenfalls an hiesigen Öfen oder einzeln erhalten, seine Provenienz aus Nürnberg dürfte aufser Frage stehen. Der durchaus übereinstimmende Aufbau des Ofens kehrt unseres Wissens nirgends wieder; wir werden später sehen, wie die Öfen in andern Gegenden Deutschlands, welche den Styl der Frührenaissance zeigen, zwar sicher nach demselben uralten Prinzip, aber doch in charakterisch abweichender Weise aufgebaut sind. Wir sind also wohl berechtigt in diesen Stücken typische Erzeugnisse der Nürnberger Hafnerkunst zu sehen und zwar solche aus der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Sie spiegeln getreu den Styl dieser Pe- riode wieder und soweit wir Vorlagen nachweisen konnten, stammen dieselben

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gleichfalls aus der Zeit von 1520 1550. C. Friedrich^) wollte alle diese Oefen erst nach dem sogenannten Hirsvogel - Ofen der königlichen Burg (Röper- Bösch, Taf. 8) entstanden wissen. Ein kurzer Vergleich dieser Stücke dürfte Jeden das Gegenteil lehren. Die technisch vorzüglich ausgeführten, doppelt und dreifach so grofsen Kacheln dieses Prachtofens mit ihren reinen Renais- sance-Ornamenten von bestem deutschem Geschmacke können nichts anderes als gerade den einschneidenden Fortschritt gegenüber den teilweise noch so unbeholfenen und doch nach guten Mustern der Frühzeit gearbeiteten Pro- dukten bedeuten, welche wir im Vorigen charakterisiert haben. Gerade aus dem Gegensatz zu ihnen ist die Bedeutung des Hirsvogel-Ofens zu begreifen : ihrem noch ungeschickten , gotischen Aufbau aus zahlreichen , übereinander- gesetzten Reihen kleiner, sehr bunter Kacheln ohne besondere architektonische Gliederung macht eben jenes Meisterstück ein Ende ; aus ihm spricht das Empfinden einer ganz andern Zeit , die nicht mehr mühsam nachstammelte, was ihr oft in recht ungenügenden Mustern von dem Formenreichtum der Italiener kaum bekannt war, sondern sich deutlich bewufst war, wo sie ihre Vorbilder zu suchen hatte und solche denn auch aufs Gründlichste studiert hatte. Friedrich kann nur durch seine Vorliebe und grofse Begeisterung für seinen Helden Hirsvogel, welche ihn ja auch an anderen Stellen des sonst so trefflichen Buches zu gewagten Schlüssen geführt hat, zu dieser unmöglichen Datierung bewogen worden sein. Er wollte, wenn ich so sagen darf, reinen Tisch machen und die ganze Hafnerkunst Nürnbergs unter das Zeichen jenes merkwürdigen Mannes stellen, während es vor und nach demselben selbst- ständig arbeitende Hafnermeister gegeben hat. Wir werden die Bedeutung jenes Ofens im nächsten Aufsatze klar legen. Im Verlaufe unserer weiteren Unter- suchung werden wir auch konstatieren können , dafs vielleicht nirgends an- derswo die Hafner sich so getreu dem Wechsel der Kunstrichtungen fügten, als in der alten Reichsstadt und zwar sowohl im Aufbau als in den Details; so werden wir gleich im Folgenden eine Anzahl von Öfen nachweisen können, welche den Stempel der, wenn ich so sagen darf. Nürnberger Hoch- renaissance und ihrer Ornamentik, der Zeit Hirschvogels, Flötner's, Laben- wolfs etc. deutlich verraten. Ich möchte übrigens sogar geneigt sein, in allen den erwähnten Kacheln Produkte einer und derselben grofsen Hafnerwerkstätte zu erblicken ; doch ist das lediglich eine Vermutung, die sich vor allem auf das sozusagen kreuzweise Vorkommen der Kacheln an den verschiedenen Öfen, das Verwenden derselben Umrahmungen, den gleichen Aufbau und die Ähn- lichkeit der Glasuren gründet. Diese Hafnerwerkstätte hätte dann die zahl- reichen Model aller Serien zu beliebiger Verwendung parat gehabt. Der Thon aller der Einzelkacheln, die zu den genannten Öfen gehörend, sich in unserem Museum befinden und bei denen allein mir natürlich eine Unter- suchung möglich war, ist stets derselbe : ein heller, rötlicher, sehr feinkörniger und ziemlich hart gebrannter Thon. Dabei sind die Kacheln bemerkenswert dünn, was mir auch von Kundigen berichtet wird, welche Gelegenheit hatten,

6) Die alten Kachelöfen auf der Burg in Nürnberg. Kunst und Gewerbe XIX p. 166 ff.

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die Öfen der Burg gelegentlich von Versetzungen zu untersuchen. Der Thon ist nicht einfach mit dem Handballen in den Model hineingedrückt: eine Art Sackleinwand wurde darübergelegt , die ein leichteres Arbeiten er- möglichte und das Ausweichen des Thons verhinderte : die Spuren dieser Leinwand sind noch deutlich zu sehen und zeigen überall die gleiche Struktur. Die Farben sind im Allgemeinen Blau , entweder tief oder ins Weifsliche spielend, weils, grün, gelb, braunrot, selten schwarz. Die Färbung ist kräftig,

Fig. 21.

die Zusammenstellung der Farben entspricht durchaus dem Geschmack der Frührenaissance, M'ie er uns auch aus Glasfenstern und Gemälden bekannt ist. Noch hat die Bleiglasur das Übergewicht: Zinnglasur ist, soweit wir be- urteilen können und nach dem Ausspruch erfahrener Praktiker , im Allge- meinen nur für ein gewisses helles Blau und Weifs in Anwendung gekommen, wie schon in früherer Zeit an dem aus Ochsenfurt stammenden, gotischen Ofen des Museums, der Eingangs erwähnt wurde. Noch waren es keine

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hervorragenden Bildhauer, welche die Formen für die Model herstellten ; geringe Gehilfen arbeiteten, so gut es eben ging, nach den Vorlagen, die der Holz- schnitt und Kupferstich bot: nur bei einigen Stücken konnten wir eine etwas bessere Modellierung konstatieren. Der in den beschriebenen Exemplaren vertretene Typus des Ofens vom Anfange des 16. Jahrhunderts ist ein achtes Produkt der Nürnberger Frührenaissance : im wesentlichen alles noch gotisch, der gleiche Aufbau, dieselbe Gröfse oder besser Kleinheit der Kacheln (durch- schnittlich nicht über 18:28 cm.?), nur ein paar neue Stoffgebiete und in allem Detail die Einführung des unverstandenen neuen Formenschatzes.

Der nächste Fortschritt lag wohl auf technischem Gebiet. Die Hafner wagten es allmählich , zuerst schüchtern dann immer mutiger , die Kacheln CTröfser zu bilden. Selbstverständlich benützte man auch den zu Gebote stehen-

Fig. 5fi.

den gröfseren Raum , um ihn reicher auszufüllen. So zeigt uns die Kachel A. 1205 Fig. 21 eine recht figurenreiche Kreuzigung, die zugleich ikonographisch nicht ohne Interesse ist. Rechts vom Kreuz sehen wir Moses , dann Tod und Teufel, ersterer mit einem Schwert, letzterer im Mönchshabit mit dem Speer in der Hand auf den links knieenden nackten Menschen anstürmend, den Johannes der Täufer auf den Gekreuzigten hinweist , den Erlöser aus dieser Bedrängnis, während ein bärtiger Mann in Zeittracht klagend die Hand erhebt. Der Teufel in der Mönchskutte läfst vermuten, dafs die Kachel nach dem Vorbilde eines Meisters angefertigt wurde, welcher der neuen Lehre an- gehörte. Die Architekturformen zeugen von einem besseren Verständnis : die schwellenden Säulen aber sind ja ein hochbeliebtes Motiv der deutschen Renais- sance. Ungefähr auf der gleichen Stufe architektonischen Verständnisses steht

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die Kachel A. 1415 Fig. 22 von 1564 datiert. Die sehr stark aufgetragene, etwas stumpfe grüne Glasur läfst die Zeichnung am Original nicht so scharf hervortreten als in der Abbildung. Reiner jedoch ist die »antikische Bau- weise« angewandt auf den Kacheln A. 937 939; auf denen drei Genrescenen dargestellt sind : eine Buhlerin, die ihrem Liebhaber während der Umarmung das Geld aus der Tasche stiehlt, (Fig. 23) ; das Gleichnis vom ungerechten Verwalter, sowie dasjenige vom Splitter im Auge des Nächsten und dem Balken im eigenen, wobei denn der Balken recht drastisch wiedergegeben ist. Nürnberger Ursprungs scheinen diese drei Stücke nicht zu sein; der ver- schiedene, gröbere Thon, die dickeren Wände sprechen dagegen; endlich ist

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Fig. 23.

in viel gröfserem Mafse als sonst Zinnglasur angewendet und kommt daher die helle und freudige coloristische Haltung der Stücke, in denen Blau und Weifs stark vorherrschen, dem Aussehen ächter Majolikareliefs nahe ; auch ist der Thon deshalb härter gebrannt. Das scheint auf genauere Bekanntschaft mit Italien hinzudeuten, was noch durch die reinere Form der korinthischen Säulen bestätigt wird. In der That sind die Glasuren die gleichen , wie wir sie später im Südosten (Oberösterreich, Salzkammergut und Tirol) kennen lernen werden, wo denn wohl der Ursprung dieser Kacheln zu suchen sein dürfte. Nürnberg. Max Wingenroth.

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Beiträge zur Geschichte des Kaufmanns im

15. Jahrhundert.

In der von G. Steinhausen herausgegebenen Sammlung von Mono- graphien zur deutschen Kulturgeschichte ') ist jüngst von des Her- ausgebers eigener Hand der zweite Band erschienen , welcher die Geschichte des Kaufmanns in der deutschen Vergangenheit darstellt. Eine nähere Besprechung dieses Buches kann ich hier leider nicht geben , ich werde aber in diesem Aufsatze wohl des öftern Gelegenheit finden , darauf zu verweisen. Im Allgemeinen will ich nur bemerken, dafs es bei dem sehr beschränkten Räume , der zu Verfügung stand , für den Verfasser sich nur darum handeln konnte , die Geschichte des deutschen Kaufmanns in ganz grofsen Zügen darzustellen , eine Aufgabe, der er in sehr anziehender Weise gerecht geworden ist. Dagegen glaube ich mich aber nicht zu täuschen, wenn ich bei vielen unserer Leser annehme, dafs eben durch Steinhausens Buch das Verlangen in ihnen angeregt ist , über die Geschichte des Kaufmanns- standes im Einzelnen noch näher unterrichtet zu werden. In diesem Sinne gebe ich die folgenden Mitteilungen , und zwar hoffe ich mit Recht mich zunächst auf das 15. Jahrhundert beschränken zu dürfen, weil eben diesem Zeiträume die erste grofse Entwicklungsperiode des deutschen Kaufwesens angehört.

Die Quellen, auf welche diese Darstellung in erster Linie sich stützt, sind die Predigten zweier hervorragender Kanzelredner, von denen der eine, Johannes Nider-), der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts angehört, während der andere, Johannes Geiler von Keisersberg^j mit seinen letzten Lebens- jahren noch in das 16. Jahrhundert hineinragt. Von Nider ist zunächst eine Predigtsammlung meine Quelle, die unter dem Titel: »Tractatus de contracti- bus mercatorum«^) in Anknüpfung an eine Betrachtung des 7. Gebotes einen Gedankengang ausführt , den schon vor ihm Thomas von Aquino , Heinrich von Langenstein, Gerson, Tritheim u. a. behandelt hatten.

Von Geiler kommt in erster Linie eine Reihe von Predigten in Betracht, die unter dem Titel »Von dem Wannenkremer vnd der kaufleut hantierung« sich in den »Brösamlin Doct. Keiserspergs , vffgelesen von Frater Johann Pauli« findet-^), doch sind in den vielen uns erhaltenen vortrefflichen Predigten dieses einzigen Mannes so zahlreiche hierher gehörige Anspielungen verstreut, dafs ich sie hier nicht einmal alle benützen kann. Eine vollständige Zusammen- stellung aller einschlägigen Stellen hoffe ich später bei anderer Gelegenheit geben zu können.

1) Verlag von Eugen Diederichs, Leipzig.

2) Vgl. AUgem. Deutsche Biogr. XXIII, pg. 641.

3) Vgl. ibid. VIII, pg. 509. Über die Einflüsse Niders auf Geiler vgl. Edw. Schröder. Anzeiger f. d. Altert. XII. pg. 186.

4) Ich benütze einen der Bibliothek des Museums gehörenden Kölner Druck etwa von 1470 (ohne Angabe von Ort und Jahr.)

5) Ich benütze den Druck von Joh. Grüninger. Strafsburg 1517. Die beiden ver- schieden paginierten Teile zitiere ich als I. und II.

Mitteilungen aus dem german. Nationalrouseum. 1899. XIV.

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Es handelt sich also hauptsächlich um Predigtstellen, und ich mufs dazu bemerken, dafs da, wo in ihnen die offizielle kirchliche Anschauung über Han- delssachen hervortritt, ein zum Teil schon veralteter Standpunkt sich zeigt, da die Praxis des täglichen Lebens die Theorie der Kirche bereits in manchen Punkten überholt hatte. Wir werden das im Einzelnen sehen. Anders ist es natürlich da, wo die Prediger warnend auf die Schäden hinweisen, die im Kaufmannsleben eingetreten sind. Da sind sie durchaus beweiskräftig für ihre Zeit. Vor allem gilt das von Geiler, der überhaupt fast in allen Fragen des täglichen Lebens einen erstaunlich freien Blick zeigt.

Nun zur Sache !

Längst war in Deutschland das Geld") das Verkehrsmittel des Handels geworden, aber schwankend in den einzelnen Territorien war sein Wert, un- sicher in vielen Fällen seine Echtheit, denn die Falschmünzerei war ein alt- überkommenes Übel, und wenn im Jahre 1494 Seb. Brant in seinem Narren- schiff sagt :

»Die alte müntz ist gantz har durch

Vnd möcht nit lenger zyt beston,

Hett man yr nit eyn zusatz gethon.

Die müntz die schwächert sich nit kleyn

Falsch geltt ist worden yetz gemeyn'^)* so sprach er nur die alte Klage aus. Darum hatte der Kaufmann doppelten Grund, jede Münze, die er einnahm, vorher sorgfältig zu prüfen, und »wann einer die müntz nit kent , der do feil hat , vh eyner kümpt , der kouft im etwas ab, vn gibt im frembde müntz, so spricht er: »wil man sie von mir nemen, so ist es mir ein gute müntz <. vn sieht er, das sie ein ander von im nympt, der sich bafs darumb verstot, vh wyser ist denn er, so nympt er sie denn ouch vnd spricht: ist sie dem gut, so ist sie mir ouch gut«®).

Solche Münzverständige waren in erster Linie die Wechsler (lat. cam- bitor, campsor, nummularius, monetarius, mensarius^)), die den Eintausch fremder Münze gegen die der Landeswährung besorgten i"). Diese verstanden sich auf Prägung wie auf den Klang der Münzen, sie wufsten: »Ein güldin oder Ducat würt nicht bas erkent dann in seinem Clang« ^^). Das Wechsler- geschäft war früher ausschliefslich in den Händen der Juden gewesen, und dieses mag auch wohl mit ein Grund dafür sein, dafs Nider auch vom kirchlichen Standpunkte aus den Wechslern zugestehen will, bei den Geldgeschäften ihre Prozente zu nehmen je nach den Schwankungen, denen der Wert des Geldes unterworfen ist. »Pro quacunque re, causa uel operatione potest mercator lucrum recipere ratione mercium, pro tanto potest campsor recipere lucrum pecuniarum, de quanto ista res. causa vel operatio circa pecunias locum habet

6) Vgl. Grupp, Die Anfänge der Geldwirtschaft. In Steinhausens Zeitschrift für deutsche Kulturgesch. IV. 241 fif. u. V. 194 flf.

7) Brant, Narrensch. Hrsg. Zarncke. 102, 41 ff.

8) Geiler, Christenlich bilgerschafft (Basel. Adam Petri v. Langendorff 1512.) fol. 85a.

9) Vgl. Du Gange, Glossarium II pg. 43.

10) Vgl. Steinhausen, a. a. O. pg. 77.

11) Geiler, Brösami. II. fol. 37.

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et exercetur sicut circa merces .... Secundum hoc potest recipere plus uel minus uel de quanto communi aestimatione moneta in melius uel in peius mutata est« '^). Bei den Juden war das von jeher üblich gewesen , ebenso wie die Kirche ihnen auch nicht hatte verwehren können, für ein ausge- liehenes Kapital (lat. sors.) ihre Zinsen (lat. usura) zu nehmen. Den Christenmenschen dagegen hatte die Kirche dieses verboten, und eben darin besteht ein Hauptcharakteristicum des mittelalterlichen Geldverkehrs ^^). Man stützte sich bei diesem Verbote, das übrigens aus den obwaltenden Verhält- nissen ganz natürlich erwachsen war ^*), hauptsächlich auf zwei Bibelstellen : auf Hesekiel 18, 8. »Der nicht wuchert . . . das ist ein frommer Mann« und auf Lucas VI, 35: Thut wohl und leihet, das ihr nichts dafür hoffet«.

Fig. 1. Wechsler. Holzschnitt aus: Der Seele Trost. Augsburg, Sorg. 1478. Hain 14582.

(Steinhausen a. a. 0. Abb. 78.)*)

'De mutui datione et solutione est iniusticia precipua usura. Cujus vitu-

peratio habetur in nouo testamento Luc. XVI. ^^) Mutuum date, nihil inde

*) Die Abbildungen sind uns von der Verlagsbuchhandlung Eug. Diederichs, Leipzig in dankenswerter Weise zur Verfügung gestellt.

12) Nider, a. a. O. fol. 20b.

13) Ueber den Zinsfufs im Altertum vgl. Gust. Billeters sehr gründliches Buch: Geschichte des Zinsfufses im griechisch-römischen Altertum bis auf Justinian. Leipzig. B. G. Teubner 1898.

14) Vgl. G. Freytag, Bilder a. d. d. Vergangenheit. 17. Aufl. I. pg. 290.

15) Nider zitiert falsch, es mufs Luc. VI. heifsen.

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sperantes. In veteri testamento ezechiel XXIII. Ad usuram non accommo- dabitis« ^^). Der Gläubiger (lat. mutuans) sollte danach nur das Recht haben, das Geliehene oder etwas ihm gleichwertiges von dem Schuldner zurückzu- verlangen ohne irgend einen Aufschlag. »Licet mutuans possit de iure recipere uel repetere rem mutuatam uel valorem "rei, nihil tarnen potest ultra hoc, quod sit pecunia mensurabili, recipere, repetere uel sperare ratione rei mutuatae uel ratione mutuationis« ^"). Dafs diese Verhältnisse nicht von Bestand sein konnten, sobald nur der Geldverkehr einigen Aufschwung nahm, liegt auf der Hand, und da die Geldleute in der That schon längst nicht mehr auf die Zinsen verzichteten, so sucht sich Nider, dessen genannte Pre- digten in die 20er Jahre des 15. Jahrhunderts fallen, damit zu helfen, dafs er zwei verschiedene Arten von Leihgeschäften unterscheidet. Das erste, durch welches ein mittelloser Mann sich in den Stand setzt , sein Leben zu fristen, soll nicht mit Zinsen besch*vert werden. Wenn dagegen ein wohl- habender Mann zu geschäftlichen oder gar zu repräsentativen Zwecken eine Anleihe macht, so erklärt Nider das als eine Art von Pachtung (lat. conductio), für die mit Fug und Recht ein Zins erhoben werden könne: > licet ut quando pecunia locaretur alicui ad ostentandum uel ad ornandum uel ad ostenden- dum . . ., tunc iterum de usu eins ultra sortem recipi potest, quia tunc non esset mutuatio sed locatio uel conductio^ ^^). Etwas rührendes für uns Nach- geborene hat dies Bemühen des geistlichen Herren, der Auffassung der Kirche treu zu bleiben, und dabei doch nach Kräften den obwaltenden Verhältnissen gerecht zu werden zu einer Zeit, wo die Kaufleute selbst schon längst der Stimme des Geldbeutels sträflicher Weise mehr Gehör schenkten als der Stimme der Kirche. So ist es denn auch etwa 70 Jahre nach Nider für Geiler ganz selbstverständlich, dafs ausgeHehenes Geld zu verzinsen ist. »Ich nym von hundert gülden, die ich hin gelihen hab, allwegen fünff«, läfst er einen Kapitalisten .sprechen, und er hält diesen Zinsfufs für ganz gebührlich: »es mag wol sin pro interesse« ^^). Dagegen warnt er auf das Dringendste da- vor, leichtsinnig sich mit Schulden zu belasten oder in Saus und Braus das Geliehene zu verthun , das man bei Gefahr des Bannes später zurückzahlen mufs. »Es seint etlich so arm, das sie es nit haben, [zurück] zu bezalen. Sie seint liederlich gesein, gütt zubehalten, vnd warten, bifs sie yn bann kummen. Das seint Sachen, die der hinlessigkeit nachfolgen. Sie entlehen gelt , wa sie finden , die inen lihen wollen , vnnd wan sie es vff das zil nit bezalen mögen, so kummen sy yn ban. »Ja, was sollen wir thün.?« Du sollt zil oder barmhertzigkeit begeren , oder weich von deinen gütteren , das ist dein letste frischtung , bifs das yn bezalest«^"). Andere, die nicht bezahlen

16) Nider, a.a.O. fol. 26 b. Nider zitiert ungenau, Ezech. XVIII. 8 steht >vir si . . . ad usuram non commodaverit . . hie justus est«. Vgl. auch Geiler, Narrenschiff (Joh. Grüninger, Strafsburg. 1520.), fol. 185b.

17) Nider, a. a. O. fol. 20b/21a. Der Gedanke ist dort noch weiter ausgeführt.

18) Nider, a. a. O. fol. 24 b. Vgl. auch ibid. fol. 21a.

19) Geiler, Bilgersch. fol. 94a. Freilich findet sich auch bei ihm noch einmal die alte kirchliche Auffassung. Postill (Strafsburg. Joh. Schott. 1522.) II fol. 17 a.

20) Geiler, Narrensch. fol. 141b.

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können, vergröfsern ihre Schuld, um nur Zeit zu gewinnen, wieder andere borgen auf Erbschaften, die sie zu erwarten haben. »Es seint ethch , die grofse schuld machen: sie entlehnen vnd nemment vff, allein das man inen zil gibt vnd nit vff sie trengt, zu bezalen. In der Zeit schlemmen sie, laufen den huren nach, sauffen, singen: »Lofs voglin sorgen« .... Das gröst ist noch dahinden, das ein sun gelt vff nimpt vff seines vatters dot, der alt vnd schwach ist^*).« Unter solchen Verhältnissen war es für den Gläubiger oft eine schwere Aufgabe, wieder zu seinem Gelde zu gelangen, denn selbst zah- lungsfähige Leute scheinen den vereinbarten Termin nicht innegehalten zu haben. »Wo sind ietz«, klagt Geiler ^^) »vnser rychen burger vnd burgerin, die man nit mag zu bezalung bringen.^ Ob schon ir schuldherren arm sind, ihre dienstlüt oder wercklüt, noch hilfft es nit«.

Figr. 2. Wechselbank und Leihgeschäft. Holzschnitt, aus: Petrarca's Trostspiegel. Augsburg, Steyner. 1539.

(8teinhausen a. a. U. Abb. 65.)

Dafs die Geldspeculanten gegen solche Gefahren sich zu sichern suchten, ist natürUch. Indessen scheint es kaum , dafs sie den säumigen Schuldnern viel vorzuwerfen hatten, denn die Bedingungen, auf die sie ihr Geld ausliehen, dürften bei Christen wie bei Juden schwerlich als sehr milde zu bezeichnen sein. Geiler wettert einmal dagegen-'^), indem er die Kapitalisten unter der Zahl der Narren auftreten läfst, deren einzelne Narrenschellen er strafend vor Augen führt: »Die vierdt schell ist lyhen vff ein farend gut, vff ein pfand, als vff cleider, vff ein rofs vnd der glychen mit dem geding (Bedingung), das

21) Ibid fol. 65.

22) Geiler, Bilgersch. fol. 1.

23) Geiler, Narrensch. fol. 185/185 b.

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er das selb pfand bruchen sol, bifs er ihm das Geld widerumb gibt, daz ist Wucher vnd todtlich (= Todsünde). Die fünfft schell ist: leihen vff ein pfand, vff ligent gut, vff hufs vnd hoff, acker vnd matten vnd der gleichen mit dem geding, daz er den nutz nem des pfands, die weil iener das gelt bruchet. Ist Wucher vnd todtsünd , vnd sol es widerkeren {=z zurückerstatten) Die sechszt schell ist: gelt vszlyhen vnd hoffen der gaben zu Überkummen, es sei dienst mit der zungen . . . oder sunst dienst, es sei mit ochsen vn rofs bruchen, oder er selbst mit leib dienen vnd arbeiten müfste. Ist als wücher vnd seint schuldig widerkerung. Die sübend schell ist: gelt legen zu eim kauffmann oder zu eim handwercks mann on packt. Aber noch so meint er etwes nutzes haben nach ienfs bescheidenheit. Doch er gewin oder verlier, so wil er seiner gelyhener summ vnd des capitals sicher sein. Ist wUcher vnd sol im widerkeren, wan er aber gelt zu eim leit zu gewin vnd zu Ver- lust, das ist ein anders.« Eine der gesuchtesten Geldanlagen für den Kapi- talisten, der sich von Spekulation frei halten wollte, war gewifs auch damals schon die Hypothek auf ein Haus, die mit 5'% verzinst wurde: »do einer mit hunderf gülden koufft fünff gülden geks vff eim hufs. Die fünff gülden gelts das ist merx mercis, contractus habens modum recipiendi. Aber merces mercedis ist ein anders. Die hundert gülden das ist precium. Do hat er seine gerechtigkeit vff dem hufs, die mag er nemen vnd mag gynen (:= jenen) zwingen vnd tringen, das er in betzale, nit vmb die hundert gülden houbt gut , vmb die der kouff ist beschlossen , aber allein vmb den zynfs , den er koufft hat vff dem hufs, do mag er in zwingen. Dorumb ist es kein wücher« ^•*). Hier merkt man noch recht deutlich die Nachwirkungen der altkirchlichen Auffassung vom Zinsnehmen. Daneben freilich wufste Geiler recht genau, wie manchem Halsabschneider es glückte, gerade durch Hypotheken einen armen Schlucker ganz in seine Gewalt zu bringen: »ein bauren den gat ietz not an, er mufs gelt haben, vnd nimpt gelt vff; da sprichst du : das ist ein gut gut, möcht es dir werden' und i.st kein end daran« ^•'').

Damit kommen wir zu dem Kapitel der moralisch zweifelhaften oder geradezu rechtswidrigen und betrügerischen Manipulationen der Geld- und Handelsleute , mit denen sie sich für die Unzuverlässigkeit ihres Publikums entschädigten , und die schon seit dem 14. Jahrhundert immer wieder die Klagen der Rechtschaffenen laut werden liefsen.

»Ich will vom übernütz ^'*) nit schriben.

Den man mit zynfs vnd gült düt triben

Mit lyhen, blätschkouff, vnd mit borgen.

Manchem eyn pfundt gewynt eyn morgen

Me, dann es thün eyn jor lang soltt.

Man lyhet eym yetz müntz^') vmb goltt,

Für zehen schribt man eylff jnns buch.«

24) Geiler, Postill. II fol. 17 a.

25) Geiler, Brösami. IT fol. 25b.

26) übernütz = Zins im allgemeinen, dann auch Wucher.

27) müntz = Kupfer- oder Silbergeld. Vgl. Schmeller I, 1632.

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Mit diesen Worten geifselt Sebastian Brant "-'*) einen Teil der kommer- ziellen Mifsstände, denen wir nun unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Zur Erklärung derselben hat schon Zarncke manchen schätzenswerten Beitrag gegeben, so verweist er, Namen und Begriff des Blätschkaufes erläuternd-^) auf eine Stelle aus dem Strafsburger Rechtsbuche, die uns eine vortreffliche Anschauung gibt. »Welicher eim andern utzit (= etwas) verleyhet oder zu kouffen gibt zu borg, doch uf Sicherheit oder verschreibunge, getreyde, wyn, tuch oder anderes, nützit usegenommen, und dann solichs donach durch sich oder jemand anders von sinetwegen wider koufft umb bare gelt vil neher (= wohlfeiler) dann er es jennem uff borge geben hette, welicher ouch eim utzit uff borg hin git uff Sicherheit oder verschreibunge ungevaerlich um den dritten pfenning hoeher denn es werth ist, oder er umb baar geld verkouffen moechte. Desglichen alle verborgene kouffe und fürkouffe , domit fromme lüt um das ir und die statt an ihren zollen betrogen werden moegen , die suUent alle für bletsch geachtet werden.« Blätschkauf ist also ein Ausdruck, unter dem eine ganze Reihe der unredlichen Mittelchen begriffen werden, deren die Kaufleute zum Schaden des Publikums sich bedienten. Zu ihnen wird auch obwohl an der eben angezogenen Stelle nicht ausdrücklich er- wähnt — der sogenannte »Nachkauf« zu rechnen sein, der bei Geiler'*") also beschrieben wird: »es seindt die, die als nach (=: billig) kauffen als sye mögen vnd verkauffen es als thür sie mögen. Sie warten der Zeit , bifs ein armer man zwungen wirf, das er müfs verkauffen, vnd geben im minder dar- umb, dan es wert ist. O wie vil seindt vnder der schellen nachkauffen vnd thür geben.« Was ein richtiger Geschäftsmann war, wufste also schon da- mals aus der Not des lieben Nächsten seinen Vorteil zu ziehen. Indessen solche Geschäfte waren doch auch dazumai nicht allzu häufig zu machen, sie hatten auch die häfsliche Eigenschaft, dafs sie den unternehmenden Speku- lanten gar zu leicht in der Leute Mund brachten. Es empfahl sich also ein anderer Geschäftsgang mehr, und zu dem Nachkauf kam deshalb der »Für- kauf« ^'), eine der bestgehafsten, eine der meistverfluchten Spekulationen, die die Kulturgeschichte des Kaufmanns kennt.

Bei dem »Für kauf«, den wir oben bereits als Unterabteilung des Blätschkaufes erwähnt fanden, handelt es sich um »das Vorwegkaufen nament- lich des Weins und Getreides, um so eine künstliche Theuerung zu erzielen und dann den Preis in seiner Gewalt zu haben« '*-). Schon im 14. Jahrhun- dert hatte man sich obrigkeitlich genötigt gesehen, dagegen vorzugehen, so

28) Narrensch. 93, 15 ff.

29) Ibid. Commentar zu 93, 17. pg. 436/437.

30) Narrensch. fol. 185.

31) Dafs der Ausdruck >Nachkaul« den ich in dieser Bedeutung bei Grimm, W. B. vermisse, sprachlich nicht etwa als eine gegensätzliche Bildung zu »Fürkauf« aufzufassen ist, scheint mir aus der oben angeführten Stelle mit genügender Deutlichkeit hervorzu- gehen. Sonst müfste Geiler die Komposition bereits nicht mehr deutlich verstanden haben, was wohl kaum anzunehmen ist.

32) Vergl. Zarncke's Kommentar zu Brant, Narrensch. Kap. 93, eine Stelle, die ich im folgenden auch sonst benütze.

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hatte z. B. das Meraner Stadtrecht bestimmt: »ouch sol kein burger noch gädemler (= Krämer) niht mer kornes koufen, dan er in sinem hüse bedarf äne gevaerde, und durch keinerleie fürkouf«, indessen hatte das nicht viel genützt , der Fürkauf wurde nach wie vor von den Kaufleuten geübt , und mehr und mehr seufzte das Publikum darüber. So ist es denn nur eine Stimme von vielen, wenn wir Brant dagegen wettern hören :

»Dem solt man griffen zu der hüben

Vnd jm die zacken wol ab kluben ^^)

Und ruppfen die fluckfäder vfs,

Der hynder sich koufft jnn syn hufs

Alls wyn vnd körn jm gantzen land

Vnd vörchtet weder sünd noch schand,

Do mit eyn arm man nützet fynd

Vnd hungers sterb mit wib vnd kynd.

Do durch so hat man yetz vil dür

Vnd ist dann värnyg, böser hür^*)

Nun galt der wyn kum zehen pfundt,

In eym monat es dar zu kundt,

Das er yetz gyltet dryssig gern.

Alls gschicht mit weyssen, rocken, kern«^'^). Im Anschlufs an diese Stelle spricht sich Geiler über die Fürkäufer folgendermafsen aus ^''). »Es seint die, die ym herbst wein samlen vnd kauffen vnd yn der ern körn vnd der gleichen, das sie es darnach thürer geben, vnd vnderstont damit ein thüre (= Theurung) zemachen, vnd werden die men- schen zwungen, von inen zekauffen, und sie mögen es geben vnd verkauffen wie sie wollen ... sie machen hunger vnd thüre vnd tödten arme leut , vnd werden betrübt , wan gut iar seint , wan aber reiffen vnd hagel vnd des glei- chen kummen, so lachen sy: »ich wil wein vnd körn behalten, bifs sant Gre- gorius vff eim falwen hengst über die brück würt reitten , vnd meint ryflfen (^ Reif), die vmb die selbe zeit fallen, die haben die färb. Das seint böfs leut. Die seint aber vil böser, die nüt behalten, vnd es kaufen, eb es vff den gemeinen merckt kumpt, vnd es gleich widerumb verkauffen, vnd habent kein arbeit mit gehebt. Die solt man vfsrüten , spricht Scotus.« Was die fremdländischen Waren anlangt , so erstreckte sich die Fürkauf-Spekulation namentlich auf den wichtigsten Artikel des ostindischen Gewürzhandels ■^''), auf den Pfeffer, und gerade in dieser Beziehung war man den Spekulanten unentrinnbar preisgegeben, sobald dieselben an den Handelshäfen zuverlässige Agenten besafsen, die über die Preisschwankungen pünktlichen Bericht er- statteten. Schon Nider sehen wir scharf dagegen zu Felde ziehen: »Si aliquis

33) Der Vers bedeutet wahrscheinlich = ihm die Läuse einzeln ablesen.

34) = es ist in diesem jähr schlimmer als im vorigen. Vgl. Grimm, W. B. III, 1538.

35) Narrensch. 93, 1. Kern = Spelt.

36) Geiler, Narrensch. fol. 185.

37) Vgl. Steinhausen, a. a. O. pg. 84. Grupp, a. a. O. Zs. f. d. Kulturgesch. IV. pg. 248. Hier findet sich auch über die Handelsmonopole viel Interessantes.

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pecuniosus haberet notos siios Venetiis, qui continue nimtiarent sibi valorem piperis, et ipse audiens, piper carius fieri, emeret hie omne piper, vt postea venderet, sicut vellet, hujiis officium nociuum esset.

Jedoch alles Predigen der Geistlichen half ebensowenig wie die Klagen des Publikums. Statt dafs das Treiben der Fürkäufer abgenommen hätte, nahm es vielmehr ständig zu, es erreichte sogar erst seine höchste und ge- fährlichste Ausdehnung, als die grofsen Händler sich obrigkeitliche Handels- monopole zu verschaffen gewufst hatten, und als sie unter einander sich zu festgefügten und wohlorganisierten Handelsringen verbunden hatten. Man kann diese ganzen Verhältnisse in ihrem Bezüge zum Leben und Treiben jener Tage nicht trefflicher darstellen, als es Geiler gethan hat in einer langen

Fig. 3. Wucher und Fürkauf. Holzschnitt aus: Braut, NarrenschifF. Basel. J. Bergmann von Olpe. 14W.

iSteinhausen a. a. 0. Abb. 83.)

Schilderung, die ich nicht anstehe, hier unverkürzt folgen zu lassen ^^): »Die ersten heissen Monopoli , die da ein war allein feil hond vnd haben wellen, vnd allein wellen verkaufen, vnd über semlichs so erwerben sie ein freiheit, Brieff vnd Sigel von eim Fürsten im land oder von eim Künig , das seind die rechten Monopoli, die ein ding allein verkauffen wellen. Die andren Monopoli seind, die nit ein ding wellend allein verkaufen, aber sie stupfen mit einander vm das gelt (de precio), wie sie es geben wellend, also* vnd an- ders nit. Vnd dy monopoli heifse ich stupfer, als da sie etwan miteinander Stupfen, ze gon vff ein kirchwei wein trincken , also stupfen dise , die war

38) Brösami. fol. 94—95. Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

XV.

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also zegeben vnd nit anders, bei seinem eid. Dy seind minder. Denn dy ersten wellend den gewin allein hon, vnd nieman darff es feil hon denn sie, sy stont allein im trog als ein mor ^^), die kein andre suw hinein will lassen, also wellen sie dye war allein hon, vh yederman der müfs sein liecht von irem liecht anzünden. Das thünt dise nit, sie stupfen numen {=: nur) ze- samen, das keiner ein eilen des thüchs, oder was es ist, wolfler (= wohlfeiler) gebe denn also. Er mag es wol türer geben , aber nit wolfler , vnd wen sie es schon vff ein zimlich gelt setzen vnd die leüt übermessen, noch so seind es Monopoli, stüpfer. Warumb ist das stupfen vnzimlich.^ Darum: es hat ein schein vnd scheint, wie es ein erber ding sei, vnd ist doch dem gemeinen nutz schedlich Wie ist das.-* Es nympt dem merckt sein freiheit. Es ist hie (d. h. zu Strafsburg) vnd anderswo ein freier mergt , darumb so sol iederman sein kaufmanschatz mögen geben wie er welle. Dy freiheit nimt das stupfen hinweg, wan er hat gestupft vnd geschworen , das also zegeben' vnd nit wölfler, aber wol thürer. Zu dem andern so ist es schedlich dem gemeinen man, wen ein ding zegeben hat sein zall, wye er es geben wil oder mag, vnd er dennoch hatt erbern gewinn daran. An dem gelt mage er auff vnd abe gon, mee oder minder nemen vmb ein pfennig oder zwen, vnd bestot er dennocht wol darbei. Nim das exempel: Ich setz, das ein thüchman der nit gestupft hat, der setzt für sich vnd schlecht an, das er ein eilen wol mag geben vmb fier Schilling pfennig, vnd ob er es eins pfennigs neher gebe, so hatt er dennecht ein erbern gewin, wann der gewinn ist nit gesetzt auf eyn örtle oder auf ein fyerteil eines örtlis, es gat vff vnd ab, vnd ist vm den gewin ein kaufmans gleich als vm ein büchsen schütz am schiesrein (= Scheiben- stand). Am schiesrein, da man vmb gaben schüfst mit büchsen, so stelt man ein Scheiben dorthin, vnd wer den zeüger in mitten trift, der hat ein schütz. Er müfs aber nit eben den Zweck*") treffen, wen schüfst er ein spann weit vom zweck oder zwu spannen , oder trifft nümmen die scheib an einen ort, so hat er noch dennecht ein schütz. Also wen ein kaufman setzt sein sach, das er welle ein eilen thüch geben für vier Schilling pfennig, er mag es meren vnd minderen, vnd bestot dennocht wol bei seinem gewin. Es kumpt ein gütter fründ, dem will ers eins pfenniges neher geben dann vmb die vier Schilling, das mag er thün, wen er nit ist monopolus, ein stupfer vnd nit ge- stupft hat. Wen er aber gestupft hat, so gethar er seinem frünt den pfennig nit nach Ion, wan er wer meineidigk, wan er hat gestupft, ein eilen nit neher zegeben, den eben um vm die vier Schilling. Darum so ist das stupfen sched- lich dem gemeinen nutz ... es ist auch bei grossen penen verbotten , bei gelt straffen. Wer das thüt, der soll dem Keiser bessern hundert pfund golds. Wer aber einer das nicht vermocht , der soll viertzig pfund golds geben. Aber die regenten vnd oberer , die semlichs gestatten oder nit straffen , die sollen dem Keiser verfallen sein fünfftzig pfund goldes. Darumb die Fischgal des Keisers die solten der ding war nemen , damit das es gestraftt würde, wenn man also stupfet, als gesagt ist, vnd weün das die kaufleut thünt, so sol man inen als ir gut nemen, vnd inen das land verbieten.«

39) mor =: Mutterschwein.

40) Zweck = ein Pflock, per das Zentrum der Scheibe markiert.

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Geiler hatte ganz recht , wenn er Obrigkeit und Gesetz gegen die ver- hafsten »Monopoli« aufrief, aber es ging auch hier wie so oft: die kleinen Diebe hängt man und die grofsen läfst man laufen. Die »ehrbaren« Handels- herren waren zu mächtig, als dafs man es gewagt hätte, ihnen an den Kragen zu gehen, ja sie safsen zum grofsen Teil selbst im Regiment und hielten das Schwert der Gerechtigkeit in Händen, das sie sich wohl hüteten gegen ihre eigene Brust zu richten.

»Ich kenn vil, die ich nit will nennen,

Die triben doch wild kouffmanschatz,

Vnd schwygt dar zu all recht vnd gsatz :

Jo vil sich gen dem hagel neygen.

Die lachend vff den ryffen zeygen« klagt Brant *^), und Geiler fügt ergänzend hinzu: »Menger grosser vnd reicher man hie im rat ist gsin Ammeister, Stettmeister, Fünffzehener, Dreizehener Einundzwentzger etc. vnd dy grossen herren haben manchen armen man vnd erbern man betrogen, vnd ist an inen viel verloren worden , vnd hat einer ein Schwert vff die achslen genummen , vnd ist zu der stat vfsgangen , vnd ist nymerme wider kummen, ich hab ir mer dann einen kent, vnd haben ire schulden nit bezalt« ■*^). Das peinigende Gefühl, immer wieder von den Grofskapitalisten geschröpft zu werden , ohne die geringste Aussicht , irgend welchen Erfolg der Klage zu erreichen, ja sogar unter Verhältnissen, die es für den Einzelnen geradezu gefährlich erscheinen liefsen, die verhafsten »Wucherer« auch nur bei Namen zu nennen, das eben war es, was den Hafs des Publikums am meisten schürte , und Geiler sprach vollkommen aus dem Herzen seiner Zuhörer heraus, wenn er s*ch also äufserte : »die Wucherer seint nit allein narren, sie seint auch Latrones, dieb, verreter vnd todtschleger, sy schneiden das brot dem armen vor dem mund ab, das sein leben ist. Er leicht dem freund vnd dem feindt vff ein gut, ia seim brüder, das es sein werd« *^).

Nicht genug aber damit, dals die Art, in der die Ware auf den Markt gebracht wurde, eine wucherische war, die Ware selbst, war recht häufig auch nicht geeignet, die nachhaltige Befriedigung des Käufers zu sichern, und wenn wir diese erste *'*) Sammlung von Beiträgen zur Geschichte des Kaufmanns begonnen haben mit dem Bericht über die Geldfälschungen, die den Kauf- mann schädigten, so schliefsen wir sie mit einer Erinnerung an die Waren- fälschungen, durch die der Kaufmann sich für jene schadlos hielt '^■^). Die Klagen darüber waren schon alt, und sie ziehen sich auch durch das ganze 15. Jahrhundert, so dafs es fast wie eine direkte Anlehnung klingt an Niders Worte: »in substantia quidem vel specie committit fraudem, vt si dat aure- calcum (= Messing) loco auri, vel aquam pro vino«***), wenn Geiler (Narrensch.

41) Narrensch. 93, 26. 42) Brösami. II. Fol. 14b. 43) Narrensch. Fol. 185b.

44) In dem nächsten Hefte dieser Mitteilungen gedenke ich eine zweite Sammlung folgen zu lassen.

45) Vergl. Steinhausen, a. a. O. pg. 76.

46) Nider, a. a. O. fol. 5 a.

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fol. 198b.) sagt: »welcher kaufmann ist der, der nit betrieg in der war, der nit eins für dafs ander geb, kupffer für gold, alchamy gold für gewar gold, ein kostlichen stein für den andern, gemischetten wein für lautern, bockfleisch für spintwiders {■= Fetthammel) wachfs mit öl gemischt für lauter wachfs.« Besonders verhafst oder wenigstens besonders oft genannt ist die Wein- pantscherei, die dem deutschen Zecher von jeher empörend und durchaus zuwider war, und von der Brant in Fortsetzung vieler gleich eingehender Klagen folgende Schilderung macht :

»Vor vfs lofst man den wyn nüm bliben,

Grofs falschheyt düt man mit jm triben,

Salpeter, schwebel, dottenbeyn,

Weydesch, senff, milch, vil krut vnreyn

Stofst man zum puncten (= Spunt) jn das fafs.

Die schwangern frowen drincken das,

Das sie vor zyt genesen dick,

Vnd sehen eyn eilend anblfck.

Vil krankheit springen ouch dar vfs,

Das mancher fert jns gernerhufs (=: Beinhaus)« *^). Man kann diese Stelle nicht ohne Belustigung lesen, nur schade, dafs sie so bitter ernst gerneint war.

So hatte es denn der Kaufmann glücklich so weit gebracht, dafs man weder zu seinen grofsen Spekulationen und Handelsbeziehungen noch zu den Waren, die er auf den Markt brachte, Vertrauen hatte, und wenn wir eines Standes kulturelle Bedeutung für irgend eine Zeit lediglich nach der Wert- schätzung beurteilen wollten, die ihm von den anderen Ständen zu teil wurde, so müfste unser Urteil über den Kaufmann des 15. Jahrhunderts ein sehr ungünstiges sein. Wie ein Verdammungsspruch klingt es , wenn im Jahre 1508 Geiler am Ende seiner Tage seine Meinung in die harten Worte zu- sammenfafst: »Wer yetzund nicht kan vil list vnd beschifs vnd den andern nicht vber das seil werffen, den haltet man für einen thoren ietz. Wer aber vil beschifs kan vnd leckerei, den halt man für ein weisen, da spricht man : »das ist ein behender man«**^).

47) Brant, Narrensch. 102, 13 ff. Vgl. Zarnckes Anmerkungen dazu!

48) Geiler, Emeis (Strafsburg, Joh. Grüninger 1516.) fol. 11.

Nürnberg. Dr. Otto Lauffer.

Die Nürnberger Maler, ihre Lehrlinge, Probe- stücke, Vorgeher u. s. w. von 1596 16S9.

chon im Jahre 1534 hatten die Nürnberger Maler, dem allgemeinen Zuge der Zeit folgend, um Ordnung ihres »Handwerkes« gebeten'), wurden aber von dem Rate abschlägig beschieden. Sie wieder- holten ihr Gesuch, um eine Ordnung, welche ihnen die Rechte eines Hand-

1) vgl. Mummenhoff, Handwerk und freie Kunst in Nürnberg, in Nr. 24 des Jahr- gangs 1891 der Bayerischen Gewerbe-Zeitung.

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Werkes gewährt hätte, im Jahre 1564 abermals, aber erst im Jahre 1596 fühlte sich der Rat bewogen, ihrer nochmals erneuerten Bitte zu willfahren und ihnen »um diese freie Kunst in Ehren und Würden zu erhalten und der eingerissenen Stümpelei desto mehr vorzukommen«, eine Ordnung zu ver- leihen, die bei Mummenhoff a. a. O. besprochen und von Baader^) ab- gedruckt ist.

Natürlich legte sich nun das Gewerbe der Maler dieselben Bücher an wie sie andere Handwerke führten. Meines Wissens existiert aber keines derselben mehr - es ist mir wenigstens keines bekannt geworden und

man würde über sie gänzlich ununterrichtet sein, wenn nicht Maler und »Gradierer« Hans Hauer, ein die Feder sehr gewandt führender Mann, zur Zeit, als er zum zweiten Male Vorgeher des Malergewerbes gewesen 1640 bis 1644 Näheres über diese Bücher geschrieben und auch das Wichtigste aus denselben ausgezogen hätte. Diese Aufzeichnungen sind in einer Handschrift vereinigt, die sich früher in der Norikasammlung des Buch- binders Roth in Nürnberg befand und mit derselben vor mehreren Jahren in den Besitz des Herrn Guido von Volkamer in München gelangte, in dessen Norikasammlung sie sich nunmehr befindet (Bibliothek Nr. 891). Die Folio- 2) Beiträge zur Kunstgeschichte Nürnbergs I, S. 40 ff.

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Handschrift ist aulsen auf dem Deckel als 'Der Mahler Ordnung und Gebrauch in Nürnberg« bezeichnet und hat auf dem ersten Blatte folgende Aufschrift: »Alles dasjenige, so in der maier sieben underschiedlichen ihren büchern alhier: ist in dieses buch zusammen getragen, wie volgent register in Ordnung nach dem alphabeth auch nach dem blat gerichtet ufs fleissigste be- schrieben . . . . sol meinem söhn Ruperto zu künftiger nachrichtung dienen und von ihme nicht aus banden gelassen werden.«

Auf Blatt 156 b beschreibt Hans Hauer diese sieben Bücher, wie er sie am 17. April 1643 von Paul Kolb durch dessen Sohn Paul empfangen, in folgender Weise. »No. 1 helt in sich erstlich und zu vorderst eine be- nennung der maier, so 1600 noch im leben gewest, dan eine verzeichnus oder register der maier, was jeder für einen lehrjungen gehabt (ist hierinnen fol: 113^). Das ein- und ausschreiben der lehrjungen, wie solches im rugs- buch begriffen ordentlich (hierin folio 57). Dan von ao. 1596 der Ordnung an die verzeichnus, wan und wie einer nach dem andern sein probstück vor dtr rueg vorgezeigt und bestanden sei oder nicht (hierin folio 39). No. 2. Ouartalbuch von 1619 an, darin die vierteil jahrseinnahm und jährliche rech- nungen eingeschrieben sind. (Ist sonderlich abgeschrieben.) No. 3. Ord- nung der maier von ihnen selbsten zusammgeschrieben, welche auch von jedem alt- und jungen meister ist underschrieben worden (hierin an folio 2 bis 9 zu finden). Leichtuchs erlangen 1615, aller uncosten beschrieben (folio 33). Verzeichnus was jeder maier darzu gesteuert hat (folio 36). Laid- mentel uncosten und was jeder darzu gesteuert hat (folio 121). Verzeichnus der vorgeher wie solche von 1596 nacheinander am ampt gewesen, stehet im buch No. 1 dergleichen (hierin folio 29). Vereinigung der jungen meister wegen leichtragens so geschehen ao. 1630, 13. sept. (ist keins abschreibens wert). Verzeichnus oder inventarium obgedachter 7 bücher (ist hie aus- führlich). — No. 4. Ein quartbuch in rot leder eingebunden, darin zuvorderst eine abschrift von herrn Aegidj Arnolds sei: testament eingeschrieben. Der original birment besigelte brief ist in der maier laden zu finden. (Copia hierin fol: 13.) Die rechnung und ausgaben wegen dieses gelds von 1610 an bis ao. 1630 (Rechnung seind unnötig zu copiren). No. 5. Ein quart in rot berment gebunden büchlein, darein frembde malergseln reissen, so von herrn Aegidj Arnolds almusgeld beisteuer empfangen, jahrsempfang und ausgab, welche zu hinderst Johann Hauer eingeschrieben hat (ist nicht nötig abzu- schreiben gewest). No. 6. Ein quartbuch in rot leder gebunden , darin 1606 Lorenz Strauch die vierteiljahrseinnam und ausgab angefangen einzu- schreiben, gehet bis ao. 1619 (ist nit abzuschreiben nötig). Ruegshändl und streit seind hindenher hineingeschrieben, es ist aber dis büchl sehr zer- rissen worden (rugshändl weil sie zerissen sind nit abgeschrieben). No. 7. Des buchs abschrift wie es anitzo ist, hab ich beihanden, aber die ruegshändl so im buch no. 6 seind keines abschreibens würdig.«

Hauer hat diese Auszüge nur teilweise selbst in seiner kleinen, zierlichen

und deutlichen Handschrift geschrieben, der gröfsere Teil rührt von anderer

3) Die in Klammern stehenden Worte sind in der Handschrift mit roter Tinte an den Rand geschrieben.

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Hand her. Die Auszüge sind auch nicht systematisch geordnet, sondern nach Beheben in das Buch eingetragen; zwischen den einzelnen Materien findet sich meist eine mehr oder weniger grofse Zahl leerer Blätter. Sehen wir uns nun die Handschrift etwas näher an. Das erste Blatt mit dem Titel hat Hauer eigenhändig geschrieben, ebenso die darauf folgenden drei Blätter mit dem alphabetischen Register und dem Inhaltsverzeichnisse des Bandes nach der Reihenfolge. Die Ordnung auf Blatt 1 9 rührt von anderer Hand her, nur einzelne Bemerkungen oder Ergänzungen sind von ihm eigenhändig beigesetzt. Die Verzeichnisse der Maler auf Bl. 10 13 sind gleichfalls von ihm selbst geschrieben, nicht aber das Testament des Aegydius Arnold auf Bl. 13 16. Von der Supplikation der Maler, die Verpflichtung ihrer Vor- geher betr., hat er nur die 7 Zeilen des Eingangs, sowie den Schlufs mit den Namen geschrieben. Die Notiz auf Bl. 19 über das Verlangen, dafs die Maler ihre Bilder vor das Fünfergericht bringen sollen, ist ebenfalls von seiner Hand. Bl. 20 26 sind leer. Die Notizen über Dürer auf Bl. 27 sind wieder von Hauers eigner Hand, die Namen der Maler, die als Genannte dem gröfseren Rate angehörten, der Vorgeher der löblichen Malerei, die sich auf Bl. 28—30 finden, nur teilweise. Bl. 31 und 32 sind leer. Auf Bl. 33—37 ist die Anschaffung des Leichentuches behandelt, von welchem nur auf dem letzten Blatte Aufzeichnungen von seiner Hand sich befinden. Auf Bl. 38 sind die Namen der Maler in der Reihenfolge, wie sie ihr Probstück gemacht haben, von Hauer aufgeführt, das ausführliche Verzeichnis dagegen auf Bl. 39 45 ist bis Bl. 42 von fremder, von da an meist von Hauers Hand. Bl. 46 49 sind leer. Bl. 50 enthält eigenhändige Aufzeichnungen Hauers über Vorkommnisse im Jahre 1650, als er Vorgeher war. Bl. 51 56 leer. Auf Bl. 57 106 sind von fremder Hand die Aufzeichnungen über das Ein- und Ausschreiben der Lehrlinge, Bl. 107 111 sind leer, Bl. 113—116 enthalten das Register zu dem Lehrlingsverzeichnis. Bl. 117 120 sind leer. Auf Bl. 121 123 sind die Notizen über die Anschaffung der Leidmäntel nur teil- weise von seiner Hand. Bl. 124 126 leer. Bl. 127 und 128 sind aus- schliefslich von Hauer geschrieben und enthalten die von ihm als Vorgeher 1626 gelegte Rechnung. Bl. 129 mit einem Verzeichnis der Vorkommnisse in dem Streite der Flach- und Ätzmaler ist gleichfalls von seiner eignen Hand, die Schriftstücke, die in diesem Streite aber gewechselt wurden, von Bl. 130 bis 142 von fremder Hand, Bl. 143 145 von seiner eignen, Blatt 146 156 von fremder Hand; nur einzelne Korrekturen, Zusätze und Nach- träge hat Hauer geschrieben. Hier sind nach dem Verzeichnisse der Maler, so im Jahre 1600 und 1620 gelebt haben, vier Blätter (156 I IV) eingeheftet, auf welchen sich von fremder Hand ein Verzeichnis der Maler von 1640, dann von Hauers eigner Hand der Verlauf des Schlusses seines Streites mit den Flachmalern und einige Rugshändel verzeichnet finden. Den Schlufs der Handschrift Bl. 157 198, bilden Verzeichnisse der Genannten des gröfsern Rats, die von 1500 bis 1560 gewählt wurden und 1560 noch am Leben gewesen, ferner derjenigen, so von 1560 1628 gewählt wurden, nach den Vornamen alphabetisch geordnet, mit der Angabe des Jahres der Erwählung

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und vielfach auch des Todes, dann der Genannten Eid nach seinen Artikeln. Einen Teil hat Hans Hauer selbst geschrieben, einen anderen mit mancherlei Notizen versehen, die manches noch nicht Bekannte enthalten mögen. Über diese Verzeichnisse, die Hauer wiederum als sehr schreiblustigen Menschen dokumentieren, sagt er selbst: »alles soviel möglich und man hat erfahren können mit grofser mühe zusammen getragen und verfertigt ao. 1628.«

Hauer hat sich auf die sieben Bücher der Maler aber nicht beschränkt, er hat manches noch aus eigenem Wissen dazugethan, und zwar sowohl aus früherer als aus seiner Zeit. An dieser Stelle sei aber nur ein alphabetisches Ver- zeichnis der Nürnberger Maler von 1596 1659 gegeben, ferner seien verzeichnet ihre Lehrlinge, deren Lehrzeit, das Jahr, in welchem die Gesellen ihr Probe- stück machten und was dasselbe darstellte, die Lehrlinge, die sie als Meister hatten, die Angaben, ob und wann sie Vorgeher des Malerhandwerkes waren, das Todesjahr und was sonst Hans Hauer da und dort in der Handschrift noch mitzuteilen für gut fand.

Schon Friedrich Leitschuh hat in der Ausgabe von Albrecht Dürers Tagebuch der Reise in die Niederlande^) auf Johann Hauers Thätigkeit als Dürerforscher hingewiesen ; K. Lange und F. Fuhse haben diese Angaben in ihrem Buche Dürers Schriftlicher Nachlafs^) teils berichtigt, teils erweitert. Hauer war eifrigst bemüht, den schriftlichen Nachlafs Dürers zu kopieren und ihm ist direkt und indirekt die Überlieferung verschiedener Aufzeichnungen Dürers zu verdanken ''). Leider hat Hauer erst lange Jahre nach dem Tode Dürers gelebt und was er aus eigner Anschauung erlebt, gehört einer für die Nürnberger Kunst traurigen Zeit des Niederganges an, in welchem sich die Nürnberger Maler nicht selten mit den Tünchern stritten, ob jenen oder ihnen irgend eine Arbeit zukomme. Hans Hauer war ein klarer Kopf, der viel auf die Kunst hielt und sich energisch dagegen wehrte, dafs sie zum Handwerk herabsinke. In dem Streite der Nürnberger Flachmaler mit den Ätzmalern (1625 bis 1626) nahm sich Hans Hauer, der selber als Probestück einen Harnisch geätzt hatte, dieser in entschiedener Weise an. Jedenfalls wäre Hans Hauer selbst einmal einer Biographie wert, wenn auch nicht als produzierender Künstler, sondern nur als eifriger Verehrer Albrecht Dürers und mannhafter Verfechter künstlerischen Strebens, sowie Gegners aller be- engenden kleinlichen Bestrebungen im Kunstleben Nürnbergs.

Zu dem Verzeichnis der Probestücke , welche die Meisterkandidaten Uefern mufsten, sei bemerkt, dafs die Probestücke nach der Ordnung der Maler ins Eigentum der Stadt übergingen, welche durch diese Gemälde auf wohlfeilem Wege zu einem künstlerischen Schmucke ihres neuen Rathauses gelangen wollte. Die Ätzmaler verzierten in der Regel eine Rüstung durch Ätzarbeit, die dann in das Zeughaus wanderte.

Wenn die nachfolgende Liste auch der Zeit des Niederganges der Nürnberger Kunst angehört, so dürfte doch auch diese bald ihre Bearbeitung

4) Leipzig 1884. S. 22. 5) Halle a. S. 1893.

6) Vgl. F. Fuhse, zur Dürerforschung im 17. Jahrb. in den Mitteilungen aus dem germ. Nationalmuseum 1895, S. 71 ff.

121

finden, nachdem über die Glanzzeit und die darauffolgende Epoche schon so vielfache Studien gemacht wurden und so wertvolle Publikationen erschienen sind. Den Forschern , die sich mit der dann folgenden Zeit beschäftigen, dürfte die nachstehende Liste manchen willkommenen Fingerzeig über Namen geben, die in der Kunstgeschichte vielfach noch keinen Platz ge- funden haben.

Dem Verzeichnisse lassen wir nachstehend einige Bemerkungen und Erläuterungen, namentlich das Lehrlingswesen und die Anfertigung der Probe- stücke betreffend, vorangehen.

Die Lehrlinge, deren Heimat in dem nachfolgenden Verzeichnisse nicht angegeben ist, stammen sämtlich aus Nürnberg. Das ursprünglich auf 24 ü. festgesetzte Maximum des Lehrgeldes wurde sehr oft über- schritten. Für die richtige Bezahlung desselben, sowie für den Ersatz bei etwaigen Veruntreuungen übernahmen in der Regel die Eltern oder der Vater allein oder der Vormünder oder sonst zwei Bürger die Gewährschaft. Die Bezahlung erfolgte meistens zu Zweidritteilen oder zur Hälfte bei Beginn der Lehrzeit, während der Rest nach verflossener halber Lehrzeit entrichtet wurde. Nicht selten kam es vor, dafs sich Mei.ster und Lehrlinge nicht miteinander vertragen konnten, weshalb dann letzterer von dem Rugamt dem ursprünglichen Lehrmeister abgeteilt und einem anderen Meister zugeteilt wurde, bei dem er dann den Rest der vereinbarten Lehrzeit erstehen mufste. Manchmal erfolgte eine solche Trennung und Überweisung auf direktes An- drängen des Vaters des Lehrlings, da letzterem eben nichts gelehrt worden war. So wurde dem Friedr. v. Falckenburg 1606 sein Lehrling Hieronymus Reuff genommen , »wegen des stetigen ausschickens und aufsailung allerley possel- arbeit, dardurch der jung an seinem lernen merklich versäumet worden.« Im Jahre 1609 beschwerte sich der Vater des Sebastian Ebert, dafs diesem sein Meister Georg Stöckel, »so gar nichts rechts zum handwerk überstellet und lernete, sondern sein weib, die eine Uechtzieherin were, ihne stetigs nur zu derselben und ander hausarbeit gebrauchet.« Er kam deshalb zu Maler Franz Hein, wurde aber schliefslich Zimmerknecht bei seinem Vater, so dafs doch wohl auch der Lehrling nicht ohne Schuld gewesen sein mag, wenn er bei Stöckel nichts gelernt hatte.

Die Klagen der Eltern führten auch zu folgender Erklärung der Vor- geher, die in der Ordnung angeführt ist. Sie trägt kein Datum, fällt aber auch in die Zeit vor 1615; vielleicht war einer der beiden mitgeteilten Fälle die Veranlassung zu dieser Bestimmung. »Auch kompt uns vorgehern oft grofse clag vor, von der lehrjungen eitern oder vormundern, dafs die meister die jungen oft so übel halten, es sei mit wenig essen oder (dafs sie) die lehrzeit über an dem farbstein stehn, also darbei wenig lernen können und ihre lehrjahr übel angewendt sein, sampt dem lehrgeld, welches ein solcher lehr- maister nicht recht empfengt, und er seinem versprechen nach kein vergnüg thut; es were dann, dafs ein jung solches selbsten verursachte, so were der maister für entschuldigt zu halten. So wollen wir vorgeher dieselbigen maier gebeten und vermahnt haben, dafs sie sich hierinnen selbst bedenken, dann

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. XVI.

122

so weitere clag vorfallen würde, seind wir vorgeher schuldig, solchen eitern und jungen behülflich zu sein und in allen billigen sachen beizustehen, damit die malerey nicht in Verachtung kommen möchte; ein jeder wolle gedenken und (sich) zu gemüth führen, dafs (wenn) sein söhn oder kind, da er bei einem m.aister oder handtierung were, (er verlangen könne), dafs er nach der billigkeit gehalten würde, und sein zeit und geld wohl angelegt werde.« «Auch solle kein maier seinen jungen Urlaub geben, ehe die lehrjahr aus seind, da es aber mit willen der eitern geschehe, und der jung von den malen ab- stehen will, und (es) nicht treiben, solle das vor den vier vorgehern und den rugsschreiber ordentlich geschehen. Hatt der jung noch ein jähr oder mehr zu lernen, so soll der maister so lang still stehen, ehe dafs er ein andern jungen annimbt, bifs die zeit des jungen vollendt, jedoch so es des lehr- maisters schuld wer gewesen, dass der jung were übel gehalten worden.«

Manchmal liefen die Jungen aus der Lehre, wie es heute auch noch vorkommt und wendeten sich von der Malerei ab. Wohl kaum dürfte es sich aber in der Gegenwart ereignen , dafs ein Lehrling deswegen sich von seinem Gewerbe abwendet, weil er geheiratet. Dies war mit Hans Lorenz Hattenreuther der Fall, der von 1612 1614 bei Hans Hauer lernte, und, dieweil er sich nach den ersten zwei Lehrjahren verheiratete, das Ätzmalen verschwor. Hie und da trat ein Lehrling seines »blöden« Gesichts wegen aus und wandte sich einem anderen Gewerbe zu. Ein Lehrling des Hans Hauer ging vom Ätzmalen zum Flachmalen über, da man hiezu keines so scharfen Gesichtes bedurfte. Gewöhnlich wurden die vorgeschriebenen vier Lehrjahre aber ausgehalten; nur bei Meisterssöhnen wurde die Lehrzeit hie und da auf zwei Jahre reduziert, weil sie bei ihrem Vater schon von Jugend auf das Handwerk gelernt. Anthoni Peter Cordier wurde schon nach 2^2 Jahren ausgeschrieben, weil er sich in Italien weiter ausbilden wollte. Nicht selten kam es vor, namentlich bei armen Jungen, welche nicht viel Lehrgeld zahlen konnten, dafs der Meister hiefür durch längere Lehrzeit entschädigt wurde. So mufste Hans Barthel Geifsler bei Hans Sibmacher das Flach- und Ätzmalen nicht weniger als acht Jahre von 1597 an lernen, es heifst zwar, »von wegen dafs er noch jung ist,« der wahre Grund war aber wohl der, dafs der Junge kein Lehrgeld zahlte, denn es heifst: »was das lehrgeld und ander dinge . . . anbelangt, das haben beede theil in ein besondere verschreibung begriffen lassen, welches hiehero zuvermelden un- nöthig.« Michael Hofmann, der bei Hans Hauer in die Lehre ging, mufste vier Jahre lernen und seinem Meister wegen seines geringen Alters noch zwei Jahre dienen. Auch dieser hat wohl kein Lehrgeld bezahlt, da sich hierüber nichts niedergeschrieben findet , während sonst nie versäumt wird, dies zu erwähnen. Als Henfslein Mayr 1603 bei Georg Hartmann in die Lehre trat, wurde das Lehrgeld auf 24 Gulden für vier Jahre festgestellt; würde des Lehrlings Mutter (sein Vater war gestorben) aber nur 12 Gulden bezahlen, so sollte die Lehrzeit fünf Jahre dauern.

Das Probestück, welches die Gesellen fertigen mufsten, um Meister zu werden, blieb nicht selten hinter den Anforderungen der Vorgeher zurück,

123

aber nicht etwa weil diese sehr hohe Ansprüche machten, sondern weil die Probestücke eben gar so schlecht gewesen. Manchmal begnügten sie sich, den Verfertiger zu ermahnen »sich zu bessern«, liefsen aber das Probestück, »obwohl es ziemlich schlecht«, »wiewohl die Vorgeher viel Mängel daran befunden«, doch passieren. Andere durften, weil das Probestück so gar schlecht und gering, zwei Jahre lang keinen Lehrling halten und sollten sich unterdessen besser üben. Manches Probestück war aber so schlecht ausge- fallen, dafs es dem Betreffenden zurückgegeben wurde und er so lange als Geselle arbeiten mufste, bis er ein besseres gefertigt, oder er durfte bis zur Erfüllung der letzteren Bedingung nur mit seiner Einshand arbeiten , d. h. keine Gesellen und Lehrjungen halten. Sie haben also eine Art Zwitter- stellung zwischen Gesellen und Meister eingenommen. Die Zeit, die zwischen der Verfertigung des ersten mifslungenen und des zweiten Probestückes lag, war sehr verschieden. Dem Melchior Balthasar Krieger ward aufgetragen in einem halben Jahr ein anderes Probestück zu verfertigen, da das erste hätte besser sein können. Wilhelm Strobel, der 1625 ein nicht genügendes Probe- stück gemacht, kam erst 1651 zum vollen Meisterrechte, und da erhielt er es geschenkt, ohne ein neues Probestück gemacht zu haben. Leonhard Brechtel d. J. Ueferte auch das zweitemal ein nicht meisterliches Probestück ; er ward aber doch Meister, da er bereits Weib und Kind hatte, durfte jedoch zwei Jahre nur mit seiner Einshand arbeiten.

Paulus Bonackher war der erste, der, als er am 14. Juni 1625 INIeister ward, einen leiblichen Eid schwören mufste, dafs er das Probestück allein, »ohne meniglichs hülfe« gemacht habe, was zuvor keiner gethan und von keinem verlangt worden war. Hauer hält sich über diese angebliche Neuerung, die durch den älteren Hans Münckh veranlafst worden war, auf, übersieht aber, dafs der Eid schon durch die Ordnung vom 30. März 1596 vorgeschrieben war. Der Eid wurde auch in der Folge nicht von allen verlangt, namentlich nicht, wie Hauer besonders hervorhebt, von dem jüngeren Münckh, dem Sohne des angeblichen Einführers des Eides, der 1642 Meister ward, als Hauer Vorgeher gewesen, welch letzterer überhaupt immer für freieste Be- wegung eintrat. Dafs sich Mancher bei der Anfertigung seines Probestückes helfen liefs, war trotzdem nicht ausgeschlossen. Hauer bemerkt zu dem Probestück des David Lauer, die Enthauptung Holoferni: »Das original hat MH (wohl Michael Herr) gemacht und auch das probstück überholfen.«

Auch die Herren vom Rat hatten meist liberalere Anschauungen als die Mehrzahl der Meister des Malerhandwerks. Und wenn sie ja einmal die ent- gegengesetzte Richtung einschlagen wollten, so liefsen sie sich wenn nur die Meister dieselbe nicht mitmachen wollten leicht wieder davon ab- bringen. Im Jahre 1634 z. B. begehrte der Rat von den Malern wie von anderen Handwerken, dafs die Vorgeher der Malerei jährlich vor dem Amts- buch zu österlicher Zeit Eidespflicht über ihre Ordnung leisten sollen. Hie- gegen richteten die sämtlichen Maler unterm 30. April 1636, nachdem sie 1635 um kein Präjudiz zu geben, keinen Vorgeher gewählt, eine Supplikation an den Rat, worin sie zunächst ausführten, dafs ihre Vorfahren von dem

124

Rate deshalb eine Ordnung erbaten und 1596 erlangt, »damit solche freye kunst vermittelst dero hochansehentlichen authoritet bey hiesiger statt, welche wegen vieler fürtrefflicher künstler von der malerey, so sich alhie aufge- halten und florirt haben, vor allen andern Städten Oberteutschlands vor hundert und mehr jähren berühmbt gewesen, noch lenger bey solchem rühm erhalten, und nit allein den posteris sich in berührter kunst desto mehr zu üben und dadurch excellent zu machen anlals und ursach gegeben, sondern auch allerhand stumpeley und was zu schmälerung und abbruch solcher freyen kunst immer gereichet, renovirt und abgewendet werden möchte.«

Es wird darauf hingewiesen, dafs die Leistung des Eids »einen und dem andern unter uns, seines gewissens halben, darumb so gefährlich als be- schwerlich fallen will, dieweilen fürs erste die malerkunst so infinirt und weitleuftig, dafs von keinen menschen solche auszulehren, noch das excremum oder die Vollkommenheit zu erlangen , möglich : überdas auch mancherley und viel unterschiedliche unerzehliche species begreift , dannenhero in er- wehnter uns mitgetheilten Ordnung keiner meisterstück gedacht, sondern allein den jungen angehenden malern, so sich dieser kunst alhie zu gebrauchen und damit zu nehren Vorhabens , nur ein probstück, seine qualitet und und was er profizirt dardurch an den tag zu geben, zu machen anbefohlen worden, über welche probstück, ob sie meisterlich und sufficientes sein, den vorgehern bey einem geschw-orenen aid zu judicirn und zu erkennen sehr bedänklich, ja unmöglich ist, dieweilen uf dieser kunst ein meister zu sein, viel in sich hat, und auch das Judicium davon sowohlen als ars ipsa variabel und sine termino, dannenhero keiner, so sich der perfection berühmen dürfen, jemals gefunden worden ist; da hingegen anderer handwerker meister- stück in einen gewissen pondere, mensura oder numero, gröfs oder lenge bestehen, und nach demselben unfehlbar judicirt und ästimirt werden können.« Ferner sei es in ganz Italien , in den Niederlanden und in allen Reichs- und Fürstenstädten Deutschlands unerhört, dafs dieser freien Kunst halben Jemand ein Eid auferlegt werde und endlich schwören die Maler als Bürger ja ohnehin zu Anfang und alle sieben Jahre das juramentum fidelitas. Es wird daher gebeten »die malerkunst noch bei der alten vieljährigen freyheit, indem wir unsere vorgeher jährlich um diese zeit selbst gewehlet , und den- selben die lnspektion, ohne sonderliche pflicht anvertrauet, grofsgünstig ver- bleiben lassen.« Unterzeichnet ward das Schriftstück von den Malern »alhier sampt und sonders«, nämlich von den damaligen Vorgehern Conrad Michael, Linhart Heberlein, Egidi Zimmerman, und ferner von Georg Gertner, Paul Juvenel, Hanns Hauer, Paul Kolb, Hanns Munck, Michael Herr, Linhart Brechtel, Georg Bronauer, Friedrich Juvenel, Joh. Christian Rupertus, Wilhelm Geist, Georg Grüneberger, Hanns Conrad Spörl, Linhart Golling, Georg Strauch und Wolf Drechsel. Das Nürnberger Malerhandwerk zählte also da- mals nur 19 Meister; die Epidemien des dreifsigjährigen Krieges hatten ordentlich auch unter den Malern aufgeräumt.

Der Rat willfahrte den Malern durch einen Erlafs vom 14. Mai 1636, welcher sie von der auferlegten Pflicht enthob und sie als eine freie Kunst passieren liefs.

125

Hans Hauer ward eifersüchtig auf die Wahrung der Rechte der Maler bedacht. Als am 18. Oktober 1659 Antoni Langmair im Beisein der drei Vorgehen sein Probestück vorgewiesen und damit auch bestanden hatte, be- fahlen die Rugsherren das Probestück wieder zu nehmen und es künftigen Freitags vor das Fünfergericht zu bringen, >' welches den malern sehr frembt vorkommen.« Tags darauf frug Hans Hauer den alten Herrn Bürgermeister Georg Paul Imhof, was damit gemeint sei, worauf er zur Antwort erhielt: es sei der Gebrauch also. Hauer erwiderte aber, dafs das bei den Malern nie der Fall gewesen sei. Er verwies zum Beweis dafür auf die oben ange- führten Verhandlungen im Jahre 1636, worauf »ihre herrlichkeit nachsehen lassen, und weiln sie solches also befunden, haben sie solche besichtigung vor dem fünfergericht eingestellt, und die maier bei ihrem alten gebrauch verbleiben lassen.«

Nicht einigen konnten sich die Maler und der Rat als Christian Ruprecht am 13. Juli 1651 nach Wien verreiste, wohin ihm 1652 seine Frau nachfolgte, während er zwei Gesellen und die Kinder in Nürnberg liefs. Ein Jahr nach seiner Abreise verklagten die Vorgeher seine Gesellen vor der Rüg, »wie dafs selbige alhier in bürgerloser nahrung sitzen, für sich selbsten arbeiten, unterm schein die hinterlassenen kinder zu ernehren, welche doch ohne diese von ihres vaters reicher Belohnung, so er vom kaiser zu geniefsen, gar wol könen erhalten werden. Darüber sind wir von ihren herrlichkeiten ausge- treten, haben sie des Christiani an seinen gesellen geschriebenen brief, so er ihnen bei unserm abtreten zugestellt , abgelesen , und nach langem auf- warten uns endlich nachvolgend abgefertigt, weiln solche bede gesellen von ihme und seinem weibe seien bestellet und angenommen worden, also können solche nit abgeschafft, sondern müssen bei ihrer anbefholenen arbeit gelassen werden.«

Doppelmayr '') sagt, dafs Rupert, wie er ihn nennt und wie er dazwischen auch in der Hauer'schen Handschrift genannt wird, für Kaiser Ferdinand III. allerhand schöne Tafeln fertigte, eine reiche Belohnung dafür bekam und nach einiger Zeit in Wien gestorben sei. Es scheint aber, dafs er doch wieder nach Nürnberg zurückgekommen ist, den 1653 wurde er zum Genannten des gröfseren Rats erwählt. Hans Hauer, der 1660 starb, und in seinem Ver- zeichnisse der Genannten, so Maler und gestorben waren, jedem ein Kreuz- chen oder das Datum des Ablebens beisetzte, hat bei Rupert keinerlei Notiz gemacht; es dürfte also nicht unmöglich sein, dafs er 1660 noch gelebt hat.

Umstehend folgt das Verzeichnis der Maler und Lehrlinge von 1596 bis 1659.

7) Histor. Nachrichten von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern S. 225.

126

Harne

Geburts- ort

Ward

Lernte bei iLehrzeit Geister i ^rol^estück

Aichemann, Christoph Am mon, Conrad

> Hans

Aumann, Wolf 2)

Baier, Jeremias

Ballier, Abraham Baudenbacher, Georg » Niclaus

Bauer, Lienhart Beckh, Georg

(Peckh) Peter » » Heinrich

Beheim, Martin

Velden

Gerolfingen Absberg

Berdau, Thomas

Berer, Hans Besolt, Niclaus ekel, Georg Franz Bonackher, Michel

» Paulus *)

Dorn, Hans

Beheim, Martin

Kraufs, Georg

Minckh, Hans

Lauer, David Weyer, Hans

Ritterlein, Wolf

1604/8

1607/11

1649/53

1622/26

1629 ff. 1602/6

1604/6

Walch, Lienhart ! 1624 ff.

1611 22. Nov.

1616 2. Mai

1612 28. Juli

1604 16. Okt.

1637 15. Juni

DieFluchtJosephs u. Maria nach Ägypten

1610

Keines

St. Maria Magdalena neb. beid. Aposteln St. Petro u. Johanne bei d. Grab Christi *)

Keines Begräbnis Christi^)

Keines

Beheim, Martin, 1599/1603

1658 Die Jungfrau Maria 8. Oktbr. mit d. Kindlein Jesu

Keines

1604 4. Dezbr.

1625 ' St. Laurentius auf 14. Juni dem Rost liegend*)

Keines

Brandmüller, Lienhart Brechtel, Bartholme

1) Half 1613 als Geselle bei der Restauration des grofsen Nürnberger Rathaussaales. Vgl. Mummenhoff, das Rathaus in Nürnberg S. 121. In G. W. Panzer's Verzeichnis von Nürnbergischen Porträten (Nbg. 1790) ist S. 4 ein Porträt Amnions aufgeführt. Nach Nagler's Künstlerlexikon (I, 107) findet sich eine von ihm gemalte Tafel mit der Jahrzahl 1616 (also wohl sein Probestück) im Rathause zu Nürnberg. Bei Mummenhoff wird sie nicht erwähnt.

2) Bei Doppelmayr, historische Nachricht von den Nürnbergischen Mathematicis und Künstlern (Nbg. 1730) S. 215 als WoM Avemaun aufgeführt.

127

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgelier

Todesjahr

Bemerkungen

Weber, Hans

Hans Wenzel Mahler

1632

War ein feiner Maler, guter Comödiant. ')

Ward in Hessen erstochen, hat schöne Per- spektivkirchen auf .Steinwegs Art gemalt.

Wernlein, Barthel

Trost, Matthes

Melonius, Christoph

-

Lega, Moritz

1

1647

26. Februar

•) Zugelassen worden, wiewohl die Vorgeher viel Mängel daran befunden.

1611/15

Aetzer.

Aetzmalerssohn. Nachdem er bei seinem Vater von Jugend auf das Aetzmalen gelernt, wurde er zu einem Flachmaler in die Lehre gethan. Weil das Probestück so gar schlecht und gering, durfte er in den nächsten 2 Jahren keinen Lehrling annehmen.

Harrich, Jobst

Stretz, Jakob

Brandmüller, Lienhart

Pantzer, Lienhart

Ammon, Hans

Leibinger, Adam

Zeifsen, Simon

Khol, Hans Hieronymus

1599/1603

Wohl identisch mit dem weiter unten folgenden B r e d a u.

Hempf, Martin

1598/1602

1632 22. März

Malerssohn.

*) Mufste einen leiblichen Eid schwören, dafs er

solches allein ohne nieniglichs Hülfe gemacht

habe, was zuvor nie geschehen.

Einspeiinigerssohu.

1596/1600

3) Vielleicht identisch mit der Grablegung Christi, die bei Mummenhoff, Rathaus y. 294 unter Nr. 23 angeführt ist.

4) In Andreas Guldens Fortsetzung der Johann Neudörfer'schen Nachrichten, herausgeg. von Lochner (Quellenschriften f. Kunstgesch. Bd. X) wird S. 198 unter Nr. 8 „Gärtner und Ponnacker" berichtet: „Ingleichen sind diese gute Dürorische Copisten gewesen." üb sich diese Notiz auf den älteren öder jüngeren Bonackher bezieht, ist nicht ersichtlich. Lochner bemerkt: „Von einem Ponnacker als Maler weifs Niemand etwas. Sattler dieses Namens existierten." Pas bei Munnnonhoff, Rathaus S. 293 unter Nr. 17 angeführte Bild dürfte das Probestück Bouackhers sein.

128

Name

Geburts- ort

Lernte bei

Lehrzeit

Ward Meister

1

Probestück

Brechtel, Lienhart^)

■~^

'

Keines

1

» Leonhart, d. J.

1

1628 20. März

Die heil. Jungfrau

Maria mit dem Kinde

und Joseph.

i { i

» Hans Lienhart

^

Heberlein, Lienhart

1637/43

Bredau, Thomas

-

Bronauer, Kaspar

Stretz, Jakob

1607/11 1

Bronauer (Pronauer), Georg

1613 26. Aug.

Ein weifs geätzter Mannsharnisch

Bronauer, Hans

1613 26. Aug.

desgl.

» Jakob

1621 3. Mai

desgl.

Caesar, Hans Georg

1604 30. Aug.

Conrad (Cunrad), Barthel

Lindner, Alexius

1592/97

1604 16. Okt.

Hans Barthel

Vischer, Wolf

1617/22

Cordier, Peter Anthoni

Herr, Michael

1632/35

. i:

Creutzfelder, Hans

_

Juvenel, Niclaus

1594/97

Desnauer, Heinrich

Hauer, Johann

1639/44

jDorn, Hans

1

Keines

1 i

» Georg

_

Juvenel, Paul

1611/15

Drechfsel, Wolf

"

~

1604 4. Dezbr.

1) Praiiiiieite und vergoldete 1620 do» grrofsen Kinnlciirlitor im Rathaussaale. Mummenhoif, Rathans S. 120. Über weitere Arbeiten s. ebendas. Anmerk. 386 S. 333 u. 334. J. F. Leonart hat 1665 sein Porträt nach einem von L(oronz) S(trauch) 1605 nach dem Leben gezeichneten Bilde gestochen. Nach Naglers' Künstler-Lexikon (Bd. II, 119) ward ein Leonhart Er. um 1605 Maler zu Nürnberg. Es kann sich dies auf unseren Lienhart Br. nicht beziehen (bezw. die Jahreszahl ist falsch), da dieser schon 1602 Vorgeher des Malerhandwerkes geworden.

129

Walch, Lienhart

Hoppe!, Georg

Rueger, Hans Georg

Ganfser, Georg

Harrich, Wolf

Kraufs, Georg

Jakob, Adam

Schiller, Christoph

Schreiber, Jochim Mondeckan, Cornelius

Schützinger, David

Lauffer, Hans Georg

Vogel, Valtin

Telot, Hans Georg

Fahriger, Philipp

1602/6

1642

Kannler, Gabriel (f 1622)

Redwein, Lienhart

Keyfser, Hans

Aichemann, Christoph

Kilga, Michel

Habermair, Christoph Kraufs, Stefan

1608/12 1621/25

1605/09

1627/31

Begraben

1644 21. Juni

Hatte schon 1623 ein erstes Probestück ge- macht; es ward ihm aber zurückg-egeben und ihm verboten, Jungen und Gesellen zu halten, bis er damit bestanden habe. Dasjenige von 1628 war zwar auch nicht meisterlich, aber es wurde angenommen und er Meister, da er bereits Weib uud Kind hatte, doch durfte er 2 Jahre keinen Gesellen und Lehrling halten.

Siehe oben B e r d a u. Malerssohn. Mutter Odilie Br. Ätzmaler

Gebrüder.

Flachmalerssohn.

Vischer starb während der Lehrzeit. Die Witwe verlangte beim Ausschreiben 25 fl. für zuge- fügten Schaden an Farben und anderem, erhielt aber nur 8fl. 2)

Lernte blos 2'h Jahre und wurde so früh aus- geschrieben, „weiln er aber an itzo in Italiam zu reisen und sich in der malerkunst ein mehreres zu üben gewild." '^I

Goldschmiedssohn.^)

Flach- und Aetzmaler.

Sohn des Aetzmalers Hans Dorn.*) War ein guter Geometra Visierer.

2l Ein Hans Conrad, dessen Stand aber nicht angegeben ist, verschied am 3. April 1639. Trechsel, Johannis-Kirch-Hof S. 401

Nach Doppelmayr S. 224 im Jahre 1644 zu Venedig gestorben.

4) Starb nach Doppelmayr S. 222 im Jahre 1636. Vgl. Naglers Künstler-Lexikon III, S. 200.

öl Half als Lehrling 1613 bei der Restauration des grofsen Rathaussaales. Mummenhoff, Rathaus S. 121.

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

XVII.

130

Name

G-eburts- ort

Lernte bei

Lehrzeit

Ward Meister

Probestück

Drechfsel, Paulus

Heberlein, Lienh.

1619/24

_

Dümler, Heinrich

Strauch, Georg

1649/54

Eisenmann, Wolf

Keines

1

Elsasser, Georg Heinr.

Hefs, Lorenz

1631 ff.

_

E m m a r t , Christoph Dav.

Königsberg

unterh.

Bamberg

Gertner, Georg

1594/98

Fabriger, Philipp

Conrad, Barthel Vischer, Wolf

1610/16 1616/17

> Jeremias

Grüneberger, Georg

1617

Faickenburg, Friedr. v.

Historia vom Zins- groschen j

» Moritz V.

1628 4. Dezbr.

Einnehmung und

Eroberung der Stadt

Troja2)

Fuchs, Endres

Freiung (Oberpfalz)

Weber, Christoph

15951600

1616 2. Mai

> Hieron. Franz

Heberlein Leonh.

1650/56

Gallwerner, Jakob

Aach (Niederlande)

Hertz, Georg

1600 ff.

Ganser, Georg

Vischer, Wolf Brechtel, Lienh.

1611—12 1613—?

Gärtner, Georg d. Ä.^)

Machte kein Probe- stück

. d. J.*)

Machte kein Probe- stück

Christof^)

Harrich, Jobst Gertner, Georg

1613

Geifsler, Hans Barthel

Sibmacher, Hans

1597/1605

Geist, Wilhelm

München

1635 14. Nov.

Zwen Münche mit '

einem nackigten weibsbild, welches monachorum gusti- tatem scilicet an- zeigen sollen.

Geng, Rudolf

Ravensburg

Heberlein, Lienh.

1624/28

G ob 1er, Georg

Altdorf

Faickenburg, Fr. v.

1618/24

1) Vgl. Neudorfer-IiOchner S. 199. Doppelmayr S. 216. Ein Porträt desselben verzeichnet bei Panzer S. 59.

2) Bei Mummenhoff, Rathaus S. 293 als Bataille der Amazonen bezeichnet. Ein Porträt desselben bei Panzer S. 59.

3) Starb nach Doppelmayr S. 222 nach Anno 1640 und war na.-h Muramenhof, Rathaus S. 116, 120 und 121 an der Restauration des Rathaussales beteiligt. S. a. Neudorfer-Lochner S. 198.

i'\ Vgl. Doppebnayr .S. 225.

131

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgeher

Todesjahr

Bemerkungen

1

Sohn des Vorstehenden.

Schleelein, Paulus

Werner, Sebastian

Herneifsen, Valtin

Marson, Joachim Friedrich

Stadtmaler.

Lief aus der Lehre.

: Reuff, Hieronymus Schrenckh, Hans Schmid, Niclaus Göbler, Georg

1613/17

„Niederländischer Maler." 1610 Genannter des gröfseren Raths. „War ein schöner Land- schaftsmaler." ')

1632

Sohn des Vorigen.

1632

im März

Ätzmaler.

Einspennigerssohn.

Vertrug sich mit dem ersten Lehrmeister nicht und entlief dem zweiten.

Greiffinger, Hans

Klarner, Thoma

Halter, Christoph

Kaufmann, Hermann

~

Soll der Zeit (17. Oktober 1607) in Würzburg sein. War ein guter Maler.

Emmart, Christ. David , Vischer, Wolf i Motschenbacher, Hans Koch, Michel

1620-24 1638-42

1654 16. Februar

Hat Albrecht Dürer's Gemälde gar sauber kopiert.

—"

Sohn des Georg Gertner.

Harrich starb während der Lehrzeit.

Ein gewesener Mönch.

Obwohl es ziemlich .schlecht, hat man das Bild doch passieren lassen.

1 -

5) Nach Mummenhoff, Rathaus S. 121 ist auch ein Jeronymus Gerdner als Junge an der Restauration des Rathaus- saales beteiligt gewesen : ein solcher kommt in der Hauer'schen Handschrift nicht vor. Ebenso fehlt in derselben der ebenfalls bei Mummenhoff (S. 121) angeführte Lehrjunge Chri. Ger., unter welcher Abkürzung wohl Christoph (Terdner zu verstehen sein dürfte. Seinem Lehrmeister Jobst Harrich war ja auch die angeführte Arbeit mit übertragen gewesen.

132

Name

G-ebnrts- ort

Lernte bei

Lehrzeit

Ward Meister I'rotestück

Golling, Lienhart

Juvenel, Paul

1617/22

1629 9. Juh

Die Abnehmung des

Herrn Christi vom

Kreuz.

Götz, Hans Christoph

1650 14. Mai

Die Jungfrau Maria

mit dem Christkindl

und Joseph

Greiffinger, Hans

Gärtner, Gg. d. Ä.

1592/96

Grüneberger, Georg

~

"

1600

» Hans Georg

1639 21. Febr.

_ 1

Habermair, Christoph

Drechsel, Wolf

1602—06

Hagen, Christof

1655 3. April

Ein ecce homo*)

Hager, Georg

1618

7. Mai

Hain (Hein) Franz

Keines

>• Jakob

Minckh, Hans

1617/21

"~

Haintzel, Ferdinand

Augsburg

Juvenel, Paul

1637/41

1

1

Halter, Christoph

Gärtner, Gg. d. J.

1618/23

1628 Jungfrau Maria mit 13. Nov. dem Kindlein Jesu.

Harrich, Jobst*)

Beheim, Martin

1594/97

1604 20. Novbr.

Wolf

Brechtel, Lienhart

1619/24

Hartmann, Georg

1603 22. Sept.

Hattenreuther , Hans Lorenz

Hauer, Hans

1612/14

^

Ha übt, Christof

1

Schmidten-

berg

(Meifsen)

» >

1624/28

1) Vgl. Doppelmayr 8. 232. Von ihm verzeichnet Panzer 5 Porträte, darunter auch eines von dem Niederländer L. Visscher nach H. Popp, auf dessen Unterschrift er als „Schilder en Liefhebber der Schilder-Konst" bezeichnet ist.

2) Panzer verzeichnet ein Porträt des Malers Johann Georg Grinaberger. der abei- nach der Unterschrift 1642 ge- storben wäre.

1 oo

loo

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgeher

Todesjahr

Bemerkungen

Limmerer, Endres

Stretz, Hans

Funckh, Hans

Fahriger, Philipp und Jeremias

Lang, Hans Georg

1657

1636—40

1641

Hofmann, Eustachius ]\Iinckh, Hans Ebert, Sebastian**) Schreiber, Jochim***)

Püeler, Georg

Vischer, Sebald

Schütz, Sebastian

Gertner, Christof

Mair, Matheus

Mayr, Henfslein Körber. Niclaus

Bierbräuerssohu. Hat sich 1645 den 27. April von der Malerei abgesondert im Beisein der Vorgeher bei der goldenen Gans, ursach weiln er von jungen Malern ist geschimpft worden. 1633 Genannter des gröfsem Raths. 1639 des Raths als ein Bierbräu ').

1645 2)

1607—11

1637/41

1644/48

1609/13

Meisterssohn.

Bäckerssohn.

Ein fremder Malergesell.

*) Weil er damit schlecht bestanden, durfte er zwei Jahre laug keinen Gesellen fördern, noch Lehrjungen annehmen, unterdessen sich aber besser üben.

Ätzmaler. Starb im Spital.

*) Früher bei Stöcke], wurde bei seinem Vater

Zimmerknecht. **) Früher bei Hans Gg. Cäsar.

1648 21. Februar =5)

"War ein Handelmaunssohn.

Sein Sohn Tobias t 1652, 3. August.

Schreinerssohn. Hat Albrecht Dürers Gemälde fleifsig kopiert.

Ätzmaler.

Dieweil sich dieser H. L. H. nach den ersten zweien leeijaren verheurat und nit gar folgents auslernen wollen, hat er das Ätz- malen verschworen.

I

3) Vgl. Doppelmayr S. 224. Daselbst wird der 23. Februar als Todestag angegeben. Panzer verzeichnet ein Porträt von ihm mit der Aufschrift Aet. S. 43 Anno 1636. Wenn diese Angabe richtig ist, so müfste er 1593 geboren sein und wäre dann erst mit 25 Jahren in die Lehre gekommen.

4) Vgl. Doppelmayr S. 214. Ward nach Mummenhoff, Rathans S. 116 und 121 m der Restauration des Rathaussaales im Jahre 1613 beteiligt.

134

Name

1 Geburts- i ort

Lernte bei iLehrzeit

Hauer, Hans^)

Ruprecht

Hazmann, Jakob*)

Heber lein, Hans

Lienhart ^)

Hempff, Martin Herneifsen, Endres

Valtin

Herr, Michel 6)

Hertz, Georg ^)

» Tobias ^) » Johann

Ward Meister

Probestück

1613 12. Januar

1657 26. Aug.

Michel, Hieronymus 1594/98 1605

12. März

Schwab. Kaspar 1593/97 Ritterlein, Wolf 1600/4 1610

Kronach Berer, Hans 1597/1601

und dessen Witwe

Eifsenmann, Wolf 1610/14

DerKirchen St. Petri Chor in Rom, so er daselbst abgezeich- net, nacher alhier perspectivisch ab- gemalt 2)

2. August

1622 20. März

1605 12.Novbr.

1627

8. Mai

Ein Stuck aus der Passion, wie der Herr Christus ge- bunden auf der Erden liegt

Die artes liberales, Justicia und Mars

Keines

Ein Brustbild Joh.

Evangelista in die

Nacht gemalt^)

1) Vgl. Doppelmayr S. 227 f.

2) Noch im Besitze der Stadt. Katalog der im German. Museum befind!. Gemälde 3. Autlage. Nr. 357. In dem bei Mummenhoff, Rathaus, abgedruckten Verzeichnisse der im Rathause befindlichen Gemälde (S. 263) fölschlich als Arbeit Johann Hauers angeführt.

3) Starb nach Doppelmayr S. 231 am H. Januar 1667.

4) In Panzers Verzeichnis; von Nürnberg. Porträten ist S. VJ6 das Porträt eines Malers „Nicolaus Hatznian" \nm 1626, gestochen von J. .\. Böner 1670, aufgeführt, der in unserem Verzeichnisse fehlt.

ö> Vgl. Neudorfer-Lochner S. 201. Panzer führt zwei Porträte von ihm auf vom Jahre l&=i5 {Xet. s. 71). Dio .\ngalien bei Nagler, Künstler-Lexikou (\. 491) sind nicht korrekt.

135

Ih

Hatte zu Lehrlingen

"War Vorgeher Todesjahr

Bemerkungen

Hochheimer, Paulus

Hattenreuther, Hans Lorenz

Reuchart, Veit

Haubt, Christof

Strauch, Georg

Strauch, Hans Ulrich

Hoffman, Michael

Metzger, Christof

1622/25

1640/44 1650/54

1660 12. luni

Atzmaler.

War im gpadieren sehr berühmt und ein Mann

von vielen Wissenschaften. 1628 Genannter

des gröfseren Rats.

-')

Michel, Conrad

Meufsel, Hans Georg

Kaiser, Carl

Schopper, Endres

Röfsner, Johann

Drechsel, Paulus

Geng, Rudolf

Schmidt, Hans

Brechtel, Hans Leonhard

Kaltenprunner, Johann

Luber, Hans Jakob

Fuchs, Hieronymus Franz

Stahl, Hans Albrecht

Putz, Jeremias

Kilga, Lienhart

Vogel, Wilhelm

Pfenner, Hans Chr. Cordier, Pet. Anth.

Galhverner, Jakob Nützel, David Lang, Christof

Wetzel, Hans

1614—18 1625

1625

ührmacherssohn.

1623—27 1633—37 1642 -47 1650—54

1596/1600

1656

27. Januar

73 Jahre alt

(Toldschmiedssohn. Stadtmaler. War ein fried- licher Mann. An der Kirchentafel ange- schriehen: „DerErbar und Kimstreich Leon- hart Heberlein eltister Mahler, auch Eines Edl Hochweisen Eahts Stadt und Land- schaft Maler, amBonersbergbeimEosenbad." Genannter des gröfseren Rats 1&40.

1630/34 1641/45

1661 21. Januar

1604/8 1617/21

Sohn des Vorstehenden.

,,Ein guter Maler, Inventor, Conterfetter, allerlei Thier-, Gespenster- und Zaubereimaler." Ge- nannter des srrüfseren Rats 1639.

lO^ Sohn Georg's. Hat gar sauber auf Pergament

gemalt.

6) Vgl. Neudorfer-Lochner S. 202. Doppelmayr S. 228. Trechsel S. 267. Auf dem Rathaus befanden sich nach Mummen- hoff S. 293 von Herr's Hand zwei Gemälde: die Bufse der Niniviten bei der Predigt Jonae und das vom Fürsten Piccolomini beim Friedensschlufs gehaltene Feuerwerk, sowie das Probestück: Das Gesetz, die Kunst und der Krieg. Panzer führt S. 101 ein Porträt Herr's, gestochen von P. Troschel, an.

7) Panzer führt S. 102 Porträte Georg Hertz's (t 1635) und Georg Hertz's des Jung.. Maler zu Danzig (v 1648) an.

8) Nach einem bei Panzer S. 102 angeführten Porträt starb er 1620.

9) Noch im Besitze der Stadt : Katalog der im German. .Museum befiudl. Gemälde 3. .^ufl. Nr. 3.54.

10) Vgl. Doppelmayr S. 222 t «ni 28. Oktober 16a5. Panzer verzeichnet ein Porträt eines Hans Hertz von H. Fenitzer das IVäQ als Todesjahr aufführt.

136

1

Name

G-eburts- ort

Lernte bei Lehrzeit

Ward Meister , Probestück

Hefs, Lorenz

1628 27. März

10. Oktober 1626 hat er sein Probestück, ist des Rathaussaals Conterfet gewest, vorgewiesen; es ist aber wieder zurück gegeben worden, weil noch etliche Monate an der Zeit

gefehlt. 1628 war sein Probe- stück die Jungfrau Maria mit dem Kind- lein Jesu. Wurde ihm .zurückgegeben, da{ das erstere behalten worden war ^).

, Hirsch vogel, Gg. Friedr.

Strauch, Georg

1656 ff.

Hochheimer. Paulus 2)

Hauer, Hans Weyer, Gabriel ^

1611 1612 ff.

Hofman, Conrad

Hofmann, Maximilian

Juvenel, Niclaus, u. dessen Witwe Klara

1594/97

» Eustachius

Hein, Franz

1597/1601

Wilhelm

Ober- ferrieden

Kind, Johann

1599/1605

1 » Georg

1607 7. Mai

H o f f m a n n , Michael

Hauer, Johann

1644—48

Hohemann , Wolf

Weingarten, Georg

1614/18

H o p p e 1 , Georg

Brechtel, Lienhart

1603/7

J acob, Adam

Kettgau

(3 Meilen von

Leipzig)

■» »

1630/34

Jamitzer, Barthel

Moll, Dietrich Ohler, Niclaus

1596/99 1600/1

Juvenel, Niclaus^)

i

Machte keinMeister- stück

Hans*)

>

Paul 5)

1

„—

1609 13. Juli

Die Taufe Christi am Jordan

1) Vgl. Mummenhofi, Rathaus S. '293, woselbst dieses Bikl als eine Arbeit des Lorenz Hofs bezeichnet wird. Es liegt also wohl ein Schreibfehler des Gg. Jak. Hefs, der 1711 die Bilder verzeichnet!', vor.

2) Nagler führt in seinem Künstler-Lexikon (VI, 2041 einen Peter Hochheimer an. der um 1625 in Niirnberg gewesen. Sollte hier eine Verwechslung mit dem Paul H. vorliegen?

31 Starb nach Doppelmayr S. 208 am 1. August 1597. Ward auf dem Roehuskirchhof begraben : siehe Gugel a. a. (.). S. 65. Schenkte dem Rate ein Gemälde in die Regimentsstube : vgl. Mummeuhoff, Rathaus S. 72.

137

War

Hatte zu Lehrlingen Vorgeher Todesjahr

Bemerkungen

Elsasser, Georg Heinrich

Reier, Hans Streit, Henfslein

Hofmann, Maximilian Creutzfelder, Hans

Troschel, Jakob *) Pfenner, Hans Chr.

Dorn, Georg

Raiser, Karl

Golling, Lienhart

Haintzel, Johann Ferdinand

1616/20

Verliefs das Ätzmalen 1611 seines blöden Gesichts wegen und wandte sich dem Flachmalen zu, „welches kein solches scharpfes gesicht bedörffe".

Kürschnerssohn.

Blieb noch zwei Verspruchsjahre 1648 50 bei Hauer.

Goldscliiiiiedssohn.

Starb während der Lehrzeit (1594 97) dieser beiden. Seine Wittwe hlefs Clara.

War erstlich ein Glasmaler, hernacher von Olfarb viel schöne Conterfet und anders gemacht.

•) War statt 4 Jahre nur ^/4 Jahre (159&— 99) bei I J. und wurde dann von der Rüg dem J. abgeteilt.

1643 Vormund des Wolf Harrich 1619. Ein ruhm-

zu Prefsburg i würdiger Maler in der Perspektiv und allerlei

j j Dingen, wie allhier an der grofsen geraalten

I Decke auf dem Rathaus zu sehen.

4) Nicht zu verwechseln mit Johann Juvenel, dem Sohne des Paul J. (Doppelmayr S. 223), da Paul wohl erst 1609 heiratete, als er Meister wurde, Hans aber schon 1598/99 Lehrlinge hatte.

5) Doppelmayr .S. 223. Über sein Wirken bei der Ausschmückung des Rathauses vgl. das MummenhofFsche Werk S. 116 ff. Panzer führt ein von G. .Strauch 1655 gestnchenes Porträt an „aet. suae 41 .\o. 1620."

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

XVIII.

138

Name

Juvenel, Friedrich

» Hans Philipp 2)

Paul *) Kaltenpruner, Johann

Kaufmann, Hermann

Kampf, Hans Kästner, David

» Michael

Keyfser, Hans

Kilga, (Kilian) Lienhart

» Michel

Kind, Johann

Koch, Michel

Khol, Hans Hieronvmus

Ward

Geburtsort Lernte bei Lehrzeit j^eister Probestück

Gemündt

bei Marburg

(Hessen)

Galgenhof

Onolzbach

Kolb, Paulus 7)

d. J.8)

Körber, Niclaus Pegnitz Kraufs, Stefan

Georg !

K rieger, Melchior Balth.9) Altdorf

Strauch, Georg

1654/8

Heberlein, Leonh. ' 1644 ff.

Gärtner, Gg., d. Ä. 1603/7

i

I

Weber, Christof 1601/7

Vischer, Wolf 1608/12

Preufsler, Daniel 1656/60

Dorn, Hans 1600/5

Herneifsen, Endresj 1603/8 Dorn, Hans 1610

Gärtner, Georg, d. J. 1605/9

Beheim,Martin,dannl 1620—24 bei dessen Wittib u. ihrem nachmaligen Mann Jakob Martin

2V2 Jahr bei Maler

Peter und 1 V2 Jahr

bei Weyer, Georg

1624—25 1595 -97

1597—99

Hartmann, Georg 1609/14

Drechsel, Wolf 1608/14

Weyer, Hans 1624/26

Brechtel, Lienhart 1626/28

1633 'Der Herr Christus 21. Mai i mit den zween Jün- 1 [ gern, sonachEmausI j gangen , ob dem Tisch' sitzend.

1645

18. Nov.

Eine perspektivi- sche Kirche^)

1610 9. Januar

') ')

1604 30. Aug.

1613 15. Juni

1645 22. Mai

Keines

1647 9. Febr.

1656 14. Okt.

DieBekehrungPauli.

(Es ist ihm dabei

gesagt worden, »sich

zu bessern.«)

Die Aufopferung Isaacs

Des Apostels Petri Schwigerwie solche von dem Herrn Christo vom Fieber gesund gemacht worden.

1) Doppelmayr S. 224 bezeichnet den 2. März 1647 als Todestag. Ein bei Panzer angeführtes Porträt gibt ebenfalls 1647 als Todesjahr an.

2) Vgl. Doppehnayr S. 224.

3) Wohl das von Mummenhoif, Rathaus S..294 unter Nr. 27 augeführte Gemälde.

4) Ward nach einem bei Panzer (S. 122) angeführten Porträt 1634 geboren.

5^ Nach Mummenhoflf S. 293 Nr. 2 hat Michael Kestner als Probestück Judith mit ihrer Magd und des Holofernis Kopf gemalt. 6) Sein Meisterstück war ein geätzter Halbharuisch, der sich jetzt im Germanischen Museum befindet : vgl. Mitteilungen aus dem Germanischen Nationalmuseum 1891, S. 57 und 87.

139

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgelier

Todesjahr

1

Bemerkungen

1645 1) '

Sohn des Paul.

Malerssohu.

Ist nach "Wien verreist.

_

Sohn des Friedrich.

Während der Lehrzeit

Glaserssohu.

Schatz, Georg Rösian, Stefan

i

1603/7

1631

Ätzmaler. Sohn des Kandelgiefser.s Heinr. K.

Bruder des nachfolgenden und 1603 Bürge für dessen Lehrgeld.

Sohn des Lienhart K., der am 2. Sept. 1610 ver- storben war. aiichel K. mufste seines bösen Gesichts halben die Malerei aufgeben.

Hofmann, Wilhelm Rofsmann, Hans Endres

i

Schnitzer, Michel Röfsel, Franz

1 -

Ballier, Abraham Popp, Heinrich

1619/23 1629/33 1639/43

1655/56

1650 3. Oktober

1656 11. Oktober

Ist zuletzt au der linken Seit« lahm gewest. Sohn des Vorigen.

1657 2. März

Liefs sich am 1. August 1643 einen Gebui-ts- und einen Lehrbrief ausstellen.

i

7) Nach Gulden (QueUenschriften X) S. 199 starb Paulus Kolb am 5. Oktober 1650. Doppehuayr (S. 22-5) gibt denselben Tag an.

8) Panzer führt drei Bildnisse, bezeichnet Maler Paul Kolb an, darunter eines von J. F. Leonart von 1672.

9) In Mummenhoff wird als auf dem Rathause befindlich erwähnt S. 291 „Die Erweckung der Tochter Jairi vom alten Melchior Krieger", S. 293 unter Nr. 12 „eine Grablegung Christi vom jungen Krieger. Probstück." Vgl. Nagler's Künstler- Lexikon VII, 174.

140

^ ort ^" ^®^^*® ^®^ Lehrzeit ^^eister I'robestück

Lang, Hans Georg

> Christof Länger, Lorenz '^) Langmair, Antoni

Lauer, David 2)

Jakob

Lauffer, Hans Georg Lega, Moritz

Leibinger, Hans Adam Isny

Grüneberger, Georgl 1622/26 Hertz, Georg 1623/26

1659

18. Oktbr.

Weyer, Gabriel 1613/18 1623 Die Enthauptung

23. Sept. Holoferni*)

Lemmerer, Endr.**) 1616/17

Michel, Conrad 1617/20

Cäsar, Hans Georg 1623/27

Stiobel, Stefan 1595/97

Bendenbacher, Gg. 1597/99

Beheim, Martin 1613/17

Lembke, Philipp*)

1653 3. Novbr.

DieKinder Israel mit

den Amalekitern

streitend

Lemmerer, Endres

Grüneberg, Georg

1595/1602

1606 16. Oktbr.

Lindner, Alexius

Keines

Löfsenberger, Jakob

Lindner, Alexius

1606/10

_

Luber, Hans Jakob

Heberlein, Leonh.

1648

Mahler, Hans Wenzel °)

Ammon, Conrad

1618/22

Marson, Joachim Frdr.

Eisenmann, Wolf

1614/18

Martin, Jakob

Schweinfurt

1624 9. März

Sein zum andermal gemachtes Probe-

stück: Der englische Grufs

Mayr, Henfslein

Hartmann, Georg

16U3 flf.

Meifsel, Peter

Öhler, Nicklaus

1610/14

Melonius, Christof

!

Immerfeit

bei Bleuburg

(Pfalz)

Cammerschreiber,

Hans (Hofmaler in

Neuburg)

Baier, Jeremias

1606/8 1608/10

Metzger, Christoph

Hauer, Johann

1653/57

Michel, Hieronymus

-—

Keines

> Heinrich

1604 16. Oktbr.

Conrad

Hazmann, Jakob

1606/8

1611 17.Dezbr.

Die Göttin Venus

» »

i 1

_ .

1643 3. Oktbr.

Die Judith mit Holo-

fernis Haupt nach

Goltzii Kupferstück

gemacht

1) Panzer führt S. Ul ein von G. Fenitzer gestochenes Porträt des Laurentius Langer von Prefsburg, Glasmalers in Nürnberg an, geb. 1584, f 1630.

2) David Lauer half nach Mumiuenhoff ,s. 121 als Lehrling 1613 bei der Restauration des Rathaussaales. Nach einem bei Panzer angeführten, von H. J. S. gestochenen Bildnis ist David Lauer, Maler und Kunsthändler, 1634 gestorben.

3) Soll wohl Michael Herr sein.

I

141

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgelier

Todesjahr

Bemerkungen

Kaiifinannssohn.

Handelsmannssohn.

Genannter des gröfseren Kats ]62y. ,

Sattler, Jobst Bauer, Lienhart

Goldschmiedssohu.

*) NB. Das Original hat ilH^i g.'uiac-lit und auch das Probestück überholten.

•*) Konnte sich mit dem Lehrling nicht ver- tragen.

_

Pathe seines Lehrherm. 1

Konnte sich mit seinem ersten Lehrherrn nicht t vertragen.

Lauer. Jakob***) Pauli, Paulus

1630

Buchdruckergesellensohn.

"') Ward ihm von der Rüg abgetheilt.

Cunrad, Barthl,

Troschel, Jakob

Löfsenberger, Jakob

Strobel, Wilhelm

1596/1600

Starb während der Lehrzeit. '

=

Heirathete die Wittwe des Malers Martin Beheini.

Drechslerssohn.

Sensalssohu.

Hazmann, Jakob Baier, Jakob

1631/35

zwischen 1596 98

1627 8. April

1645

Seine Ehewirthin hiefs Katharina.

War der Maler üm-sager.

Malerssohn. Lernte nur 2 Jahre, da er „ein ' Meisterssohn, albereit bei seinem Vater etlicher Mafsen das Handwerk schon begriffen."

Des Heinrich Sohn. Seit 1655 Umsager. Da sein Probestück sogar schlecht gemalt u. gezeichnet war, durfte er keinen Lehrjungen annehmen u. keinen Gesellen halten, bis er ein besseres [ geliefert.

4) Panzer führt das Porträt eines Joh. Philipp Lembke, gestochen von Sandrart, auf. Mummeuhoff verzeichnet S. 293 ein Bild auf dem Rathause von Joh. Phil. Lembke, Anno 1651 gemalt, ehe er nach Italien gereist : „Die Bataille Josuae und der Ämalekiter nach Exod. XVII. 9. 10." Weiteres über ihn siehe Doppehnayr S. 265 f. Nagler, Künstler-Lexikon VII, ilb.

öl Panzer führt S. 153 das Porträt eines Wenzelaus Maller, Reiser und Gradierer in Nürnberg auf. Hirschmanu sc. 1680.

142

Name

G-ebnrts- ort

Lernte bei Lehrzeit

Ward Meister

' n

Probestück ,

Moll, Dietrich,

Serpent genannt

Machte kein Probe- stück

iMondeckan, Cornelius

Cäsar, Hans Georg 1613/17

Motschenbacher, Hans

Forchheim

Gärtner, Georg, d. J. 1601/4

1

Müller, Matthes

Weingartten, Georg 1620/4

~ i

■' Georg

Au bei Linz

Weyer, Gabriel 1626/30

!

Münckh(Minckh),Hansi)

Hain, Franz 1602/6

1613 1. Juni

, 1)

Münckh, Hans

1642 24. Mai

Das Geschenk der Königin aus Arabia, dem Salomon gethan

Negelein, Lienhart

Spörl, Hans Konrad

1607/8

.

1

Neidlinger, Michael

Strauch, Georg 1639/44

Nürnberger, Hans Lienh.

Öhler, Nikiaus 1603/7

Nüfsel, Hans

Strobel, Stefan 1599/1603

Nützel, David

Hertz, Georg | 1619/23

jOberndörfer, Jakob

Kärnten

Münckh, Johann 1647/50

Öhler (Olher), Niclaus

Machte keinMeister- stück 1

Örttel, Johann

Reichhart, Veit

1648/53

' t

'i

Ottreich, Heinrich

Strobel, Stefan 1592/96

1 Pantzer, Lienhart

Beheim, Martin 1603/7

1615 11. Mai

Das Kindlein Jesus mit seiner Mutter Maria u. dem Pflege- vater Joseph

Pauli, Paulus

Lemmermann,Endr. 1623/27

Peter, Maler

Pfenner, Hans

Herr, Michael ' 1622/23 Juvenel, Hans i 1623/26

Popp, Heinrich*)

Kraufs, Georg ^ 1653/57

Prait, Hans Georg

Weyer, Gabriel | 1617/22

1 1 j

Pretting, Georg

Ruprecht, Christian 1644/48

Preusler (Preisler), Daniel &)

1

-

1654 5. Mai

Die Historia , wie Cain seinen Bruder Abel ermordet, ganz lebensgrofs aufTuch gemalt^)

Raiser, Karl

1 1

Juvenel, Paul Hazmann, Jakob

1616/17 1617/18

1) Panzer führt S. 159 das von .J. F. Leonart, gestochene Porträt des Malers Hanns Minckh und ein zweites des Malers Johann Minckh von 1672 an.

2) Starb nach Doppelmayr S. 254 f. zu Venedig am 27. Oktober 1700.

3) t 1633. Vgl. Doppelmayr S. 221.

4) Vgl. Doppelmayr S. 286 f. Nagler, Künstler-Lexikon .XI, 510, Mnmmenhoff S. 292 bezeichnet als sein Probestück Abrahams Opfer.

143

Hatte zu Lehrlingen

!

War Vorgeher

Todesjahr

Bemerkungen

Jamitzer, Barthel, 1596 -1599

1 11 1

Hein, Jakob

Baudenbacher, Nikiaus

Sauerzapf, Georg

1624/28 1635/39

1641

begraben am

21. Septbr.

Oberndörfer, Jakob

Raifsenlaider, Johann

Scherzer, Sebastian

1653/57

Sohn des Vorstehenden.

Am 2. Juni 1651 ist H. Münckeus Hausfrau samt ihrem Kind im Leib begraben werden, wurde von 9 Malern samt 5 Malersgesellen, so alle Niederländer, hinausgetragen.

Ätzmaler.

'')

Methschenkensohn.

i

Sohn des Malers Wolf Nützel.

Jamitzer, Barthel

Nürnberger, Hans Lienhart

Meifsel, Peter

1600/4

^)

War ein feiner Maler.

Arztssohn.

Zeifs, Simon

1617

Wurde zu Würzburg erstochen.

Schweinestecherssohn.

Kolb, Paulus, 1595—97

Kirchnerssohn.

.

Weinhändlerssohn.

Schuldienerssohu. Aus der Findel.

Kestner, Michael

"

Ein frembder Malergeseli.

*

Lernte vorher zwei Jahre in Bamberg.

5) Vgl. Doppelmayr S. 230 f. Fr. Fr. Leitschuh, die Familie Preisler und Markus Tuscher. Leipzig 1886. Panzer führt einige gestochene Porträte von ihm an.

6) Noch im Besitze der Stadt Nürnberg: Katalog der im German. Museum befindlichen Gemälde. ^^. .\ufl. Nr. :%6.

144

Name

Geburts- ort

Lernte bei

Lehrzeit

"Ward Meister

Probestück

Raifsenlaider, Johann

Münckh, Johann

1650/54

Red wein, Lienhart

Fell

(5 Meilen von

Nürnberg)

Dorn, Hans

1595/1600

R ei Chart (Reuchart) Veit 1)

Hauer, Hans

1617/24

1627 5. Juli

Ein geätzter Manns- harnisch

Reier, Hans

Hofman, Conrad

1596 ff.

Reuff, Hieronymus

Falckenburg, Fried- rich V. Weyer, Gabriel

1604/6 1606/7

t

Reuther, Hans

Schneelein, Johann

1605/11

1615 16. Mai

Der Hercules mit I

einem Frauenbild |

(derererseinLöwen- i

haut aufgesetzt und ;

dagegen ihren '

Spinnrocken ge- i

nommen) |

Ritterlein, Wolf

Keines

Rösian, Stefan

Magdeburg

Keifser, Hans

1620/24

_

Röfsel, Franz

Kolb, Paul, d. Ä.

1645/48

1655 22.Dezbr.

Der englische ! Grufs *) 1

Rofsmann, Hans Endres

Schweinfurt

Khindt, Joh.

1604/8

1

1 ~ i

Röfsne r , Johann

Heberlein, Lienhart

1614/19

Rüeger, Hans Georg

Prechtel, Lienhart

1610/11

';

Rupert (Ruprecht), Christian '*)

1634 6. Mai

Histori Semiramis, ; welche Königs Ciri Haupt in einSchüssel mit Blut eintauchen 1 läfst 3)

Sattler, Jakob

Lauer, David

1623/26

Sauerzapf, Georg

Minckh, Hans

1626/31

Schatz, Georg

Keiser, Hans

1616/21

Scherzer, Philipp

Weyer, Gabriel

1602/4

Joh. Sebastian

Onoldsbach

Minckh, Johann

1654/58

Schiller, Christoph

~

Bredau, Thomas

1658/62

Schleelein, Paulus

Neuenmark

Eifsenmann, Wolf

1594/97

Schleich, Peter*)

1604 4. Dezbr.

1) Panzer führt S. 195 das Porträt des Veit Reichert, Maler in Nürnberg, in .Schwarzkunst, ausgeführt von J. F. L(eonaii; 1672 auf.

2) Vgl. Doppelmayr S. 225. Panzer führt ein Bildnis des Malers Johann Christian Ruprecht und dasselbe mit de Unterschrift Christian Ruprecht auf.

145

Hatte zu Lehrlingen

"War Vorgeher Todesjahr

Bemerkungen

Örttel, Johann

1645/49 1652/54

Zösch, Philipp

Heberlein, Lienhart Peckh, Heinrich Trautt, Hänslein

1654 30. Januar

Herold, Lorenz *) Prettins, Georg

1651

1610/14

1632 6. Novbr.

Pfragnerssohn.

Lernt« Flachmaleii und (Tradieren.

Er nannte sich auf der Brust seines Probestückes einen Flachmaler, welches Wort die Vorgeher ihm auferlegt auszulöschen und sich des Flachmalens nicht zu gebrauchen.

Aus der Findol.

Aus Falckenburgs Lehre getreten, „wegen des stetigen Ansschickens und Aufsailung allerlei Pofselarbeit, dardurch der Jung an seinem Lernen merklich versäumet worden".

Handelsmannssohn.

*) Durfte weil „er sich damit also übereilet" zwei Jahre lang keinen Gesellen und Lehrjungen halten oder hatte „unterdessen ein bessers zu machen."

Ahlenschmiedssohn.

Wurde seinem Lehrherm von der Rüg abge- theilet.

Ein fremder Flachmalergesell.

Genannter des gröi'seren Rats 1653. Verreiste

1651 nach Wien. *) Wandte sich von der Malerei.

Pfragnei-ssolin.

Hafnerssohn.

3) Aufgeführt bei Muramenhoff S. 294 als die Historia, wie die Domiris ihres Feindes Kopf in sein eigen Blut eintauchen Ifst. nach Rubens Kujjferstichen gemalt.

: 4) Porträt von 167.Ö bei Panzer S. 214. Ein Maler dieses Namens arbeitete nach Nagler, Künstler-Lexikon XV, 268 um

t6T5 in Nürnberg. Sollte er nur durch die Jahreszahl dieses Pi.rträts zu dieser .\nnahme gelangt sein?

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899. XIX.

146

. Name

G-eburts- ort

Lernte bei Lehrzeit ^gig^er

Probestück

Schmid, Niclaus

Falckenburg, Fried- rich V.

1612/17

Schmidt, Hans

Prag

Heberlein, Lienhart

162832

Schneelein, Johann

Schnitzer, Michael

Kolb, Paulus

1621/25

» Ruprecht

Wechter, Hans

1597/1601

Schöner, Daniel

1654 24. Dez.

»Der junge Tobias

als er von seiner

reifs nacher Haus

kommen.« ^)

Schopper, Endres

Hatzmann, Jakob Weyer, Gabriel

1622/25 1625/26

Schreiber, Joachim

Cäser, Hans Georg 1608/11 Hein, Franz 1612/13

Seh ren ckh, Hans

Hamburg

Falckenburg, Fried- rich V.

1602/6

Schultheifs, Hans 2)

1605 22. Januar

Schuester, Wolf

Weyer, Gabriel

1621/25

Schütz , Sebastian

Harrich, Jobst

1608/13

Schützinger, David

Cäsar, Hans Georg

1618/22

Schwab , Kaspar

Keines |

Sibmacher, Hans ^)

■1

Solis, Georg

1604 30.August

» Henfslein

Solis, Georg

1599/1603

Spörl, Hans Conrad*)

1607 l7.Novbr.

Stahl, Hans Allirecht

Bamberg

Sandner, Georg

in Bamberg

Herneifsen, Endres

nach des ersteren

Ableben

zwei Jahr 1594/97

Stöckel, Georg ^)

1 1

1604 8. Novbr.

Strauch, Lorenz^)

Keines

1) Bei Muminenhoif ,S. 293 wird das Probestück als den alten blinden Tobias vorstellend bezeichnet. Vgl. auch Naglei;> Künstler-Lexikon XV, 468.

2) Nach Gugel, Norischer Christen Freydhofe Gedächtnis S. 91 ward des Schultheifs Grab auf dorn St. Rochuskirchhof mit der Inschrift: „Der Ersam und Kunstreich Hanns Schultheifs, Flachmahler, und dieser Zeit HofFineister zu Sanct Rochius (!), Margaretlia, sein Ehewürthin, ihrer all Leibs-Erben Begräbnis. Anno 1622."

3) Vgl. Doppelmayr S. 210; auch 0. v. Schorn, Johann Sibmacher in „Kunst und Gewerbe" 1879 Nr. 25 und 26.

4) Über sein Probestück s. Mitteilungen aus den» Germanischen Nationahnnseuni 1891, S. 57 ff., woselbst es Taf. IV. Fig. 1 abgebildet ist, und S. 87 f.

147

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgeher

Todesjahr

Bemerkungen

Reuther, Hans (1605-11)

Marschand, Hans Jakob

Heberlein, Hans (1593-97)

Geifsler, Hans Barthel (1597—1605)

Solis, Henfslein

Negelein, Lienhart Schuster, Philipp *)

Ebert, Sebastian

1618/22

1615/19

1606/10 1625/29

1641

Händlerssohn.

Weiland des f Heuprecht Caynioxen Tochter mann, ein Niederländer und Inwohner.

Bäckerssohn. Zauumacherssohn.

Sanduhrmacherssohn.

Suhu des Goldschmieds Peler 8.

Hat das Waiipenbucli und audois gratirt.

Flachmalerssohii. Bruder des Vorstehenden.

Ätzmaler.

*) Hat nicht ausgelernt.

Bürge für den Lehrling Valeutiu V<jgül IB&l.

(benannter des griUseren Rats 162-1.

Beklagte sich 1628 seines Alters und der Uiivcr-

möglichkeit wegen .Schwindels : „hat viel

hundert Gonterfet gemacht."

5) Lag nach Gugel S. 45 zu St. Rochus begraben. Inschrift des Grabes Nr. 934 : „üefs Ersamen und Kunstreichen Georgen Stöckeis, Mahlers, Ursula seiner Ehewürthin, und ihrer beeder Leibs-Erben und Nachkommen Begräbnus. Anno 1624."

6) Vgl. Doppelmayr 8. 217. Für seinen Stich des neuen Rathauses erhielt er nach Munimenhoff S. 2:34 vom Rate aui 13. März 1621 2.5 fl. verehrt. Sein Porträt hat H. Troschel gestochen (vgl. Panzer S. 236). Sein (iiab auf dem St. Rochus- kirchhof zeigt ebenfalls sein Bildnis und die Inschrift: „Der mich und die Meinen alhie verwoudt, den straf (rott an sein Endt." Die Jahreszahl 1591 bezeigt, dafs er bei Zeiten sich die letzte Ruhestätte sicherte. Abgebildet ist das Epitaph bei Gerlach u. Boesch, die Bronzeepitaphien der Friedhöfe zu Nürnberg (Wien, Gerlacb und Schenk) Taf. X, Fig. 4.

148

Name

G-eburts- ort

Lernte bei

Lehrzeit

"Ward '' Meister | Probestück ^

1

Strauch, Hans '

1626 22.August

Der Stadt Nürnberg Conterfet, wie es auf der Freyung der Vesten anzusehen.

» Georg ^)

Hauer, Hans

1628/34

1635 8. Septbr.

S. Sebastian, wie

er an einem Baum

gebunden wird.

i

» Hans Ulrich

» »

1632/38

1 •1

Streit, Henfslein

Plech

Hofmann, Conrad

1600/1605

Stretz, Jakob

Beheim, Martin

1595/99

1605 22. Januar

> Hans

Grüneberger, Georg

1600/1605

!

Strobel, Stefan

Keines

Wilhelm

Lindner, Alexius

1613/17

1651 19. März

1625 wurde ihm sein I Probestück zurück- gegeben, weil es so sehr schlecht. Er j sollte so lange als Geselle arbeiten, bis er ein besseres gefertigt.

Telot, Hans Georg 2)

Augsburg

Cäsar, Hans Georg

1630/34

Trautt, Hänslein

Ritterlein, Wolf

1605/9

Troschel, Jakob ^)

Juvenel, Hans Lindner, Alex

1598/99 1599/1600

Trost, Matthes

Baier, Jeremias

1604/8

Uttenhofer, Anthoni

Keines

'Vi seh er (Fischer), Wolf

1604 8. Novbr.

» Sebald

Harrich, Jobst

1603/8

Vogel, Wilhelm

Pfarrkirchen

(Bayern)

Herneifsen, Endres

1606/10

*)

Valtin

Kaden (Böhmen)

Cäsar, Hans Georg

1624/28

*)

Vorbruck, Heinrich

"

"

"

1630 2. März

Pietatem de signans

Wal ch, Lienhart

Brechtel, Lienhart

1598/1602

1610

1620

31. Oktbr.

Ecce homo Die beiden Evan- gelisten

Walther, Hans

Strauch, Georg

1644/48

1656 11. Dezbr.

Die Vanität mit den vier Altern.

1) Vgl. Doppelmayr S. 233 f. Neudörfer-Lochner S. 203, 231. Panzer führt einige Bildnisse dieses Künstlers an.

2) War vielleicht ein Angehöriger, wenn nicht der Älteste der Äugsburger Kupferstecherfamilie Thelott.

3) Vgl. Doppelmayr S. 216. Panzer führt zwei Bildnisse Jakob Troschels auf. Eines gestochen von P. Troschel mit

149

Hatte zu Lehrlingen

War Vorgeher , Todesjahr

Neidlinger, Michael

Walther, Hans

Dümler, Heinrich

Juvenel, Paulus

Hirschvogel, Georg Friedrich

1632/36

1647/51 1654/58

Bronauer, Caspar

Ottreich, Heinrich Lega, Moritz Nüfsel, Hans

Kestner, David

Ganser, Georg

Conrad, Hans Barthel

1596/1600

1597/1601 1612/16

Böckhel, Franz Georg

1632

Des Lorenz Sohn.

Maler und tjradieier.

Genannter des gröfs. Raths 1K51.

Malte gar klein Ding von Schmelzglas auf Gold.

Visirerssolm, wahrscheinlich Bruder des Georg, der ebenfalls ein Visireresohn war.

Sattlerssohn.

Ist aus dem Handwerk ausgetreten.

Sattlerssohn.

Kam 1651 zum vollen Meisterrecht, ohne dafs er ein neues Prohestück gemacht. Hat 1627 bis 1655 das Umsageramt versehen.

Bäckerssohu. Kompafsmacherssohn.

Ätzer. Marktmeisterssohn.

162:^ wurde ihm sein Pruliestück wieder zurück- gegeben und ihm das Halten von .Jungen und Gesellen so lange verboten, bis er be- standen. Schwager des Leonh. Brechtel d. J.

Das erstere wurde nicht für meisterlich erkannt, durfte daher nur mit seinerAinshand arbeiten. Wurde für das zweite zum Maler erkannt. Goldschmiedssohn.

der Angabe: geb. zu Nürnberg 1583, gestorben in Krakau 1624. Das andere: „aetat. 32 Ao. 1624." (Es inüfste wohl heifsen aetat. 42.)

4) Mummenhoff führt unter den Probestücken, welche im Nürnberger Rathaus sich befanden, S. 293 auch die Grab- legung Christi von .... Vogel auf. Der Vorname fehlt.

150

Name

G-eburts- ort

Weber, Christoph

» Erhard

» Hans

Wechter, Hans

» Georg

Weingarten, Georg^)

» Veit Georg

Werner, Sebastian

Wernlein , Barthel Wetzel, Hans Weyer, Georg ^)

Gabriel^)

Hof i. V.

Weber, Christoph Ammon, Konrad

Weyer, Gabriel » Georg

1609/14 1613/18

1604/8 1599/1603

Keines

Zimmermann, Egid. 1619/24

Nudling bei Eisenmann, Wolf 1599/1604 Murstatt a. d. Röhn

Baier, Jeremias J1599/1603

Drechfsel, Wolf 1614/18

Hans

Zeifs, Simon

Zimmermann, Egidius Zösch (Zesch), Philipp

1610 4. Septbr,

Die Ausführung Lot's

Keines

1604 30. August

I^antzer, Lienhart 1616/17 Beheim, Martin 1617/20

Reuther, Hans 1617/22

1604 20. Novbr,

1624 6. Juli

1616 5. März

1639 18. Juli

St. Sebastian

Die Auferweckung Lazari

1) Wanl nach Mummenhoff S. 145 im Verein mit (4aliriul Weyer mit der Herstellung von dekorativen, mehr handwerks mäfsigen Malereien im kleinen Rathaussal beauftragt. Siijhe daselbst auch 8. 336/37.

2) Neudörfer-Lochner bemerkt S. 201 : „üoppebnayr nennt ihn Gabriel und setzt seinen Tod in 1640. Rettberg Kstl. 188, adoptirt auch den Gabriel" etc. Georg und der nachfolgende Gabriel Weyer wurden von Lochner also irrtümlicher Weise als mit einander identisch angesehen.

i

151

Hatte zu Lehrlingen

i

War Vorgelier

Todesjahr

Bemerkungen

!

Fuchs, Endres

Kempf, Hans

Weber, Erhard

1601/5

Schnitzer, Ruprecht (1597 1601)

*

Hohemann, Wolf Müller, Matthes

1628/32

Das Prohestiick „war nit sehr künstlich".

1

Solin des Yorstehonden.

Kolb, Paulus

(1597-99)

Weingarten, Georg

(1599-1603)

Scherzer, Philipp

Wechter, Georg

Reuff, Hieronymus

Hochheimer, Paul

Lauer, David

Prait, Hans Georg

Schuester, Wolf

Schopper, Endres

Müller, Georg

1626/30

Hat Inventiones, war ein geschwinder Maler.

1

Beckh, Georg Kraufs, Georg

Sohn des Gabriel.

Weingarten, Veit Georg

1634/38

1643 17. April

1

"

"

1

3) Vgl. Doppehnayr S. 222. War na<h Muminenhoff S. 116 ff. an der Restauration des grofsen Rathaussaales 1613 be- teiligt; ebenso (s. S. 145) au der Ausschmückung des kleinen Rathaussales. Über mehr handwerksmäfsige Arbeiten desselben für den Rat s. ebendas. S. 336 f.

Nürnberg.

Hans Bosch.

152

Die Kreuzigungsgruppe aus Weehselburg.

(Mit einer Abbildung.)

n der letzten Nummer unseres Anzeigers konnten wir mitteilen, dafs unsere Pflegschaft in Leipzig dem Museum einen Abgufs der berühmten Kreuzigungsgruppe aus Wechselburg, ehemals Kloster Zschillen bei Rochlitz in Sachsen, eines Hauptwerkes der deutschen Plastik des XIII. Jahrhunderts gestiftet hat. Heute können wir, Dank dem Entgegen- kommen des königlich Sächsischen Staatsministeriums des Innern unseren Lesern eine Abbildung der Gruppe vorlegen, welche wir der beschreibenden Darstel- lung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler des Königreichs Sachsen von Dr. R. Steche, Heft 14, S. 120 entnehmen.

Die Gruppe besteht aus drei Figuren , Christus am Kreuz , Maria und Johannes. Der Körper Christi ist leicht nach rechts ausgebogen , der Kopf nach der gleichen Seite geneigt, die übereinander gelegten Füfse sind unmittel- bar an den Stamm des Kreuzes genagelt und ruhen nicht mehr wie bei vielen älteren Darstellungen auf einem eigenen Untersatze. Die Körperformen zeigen zwar kein genaueres Anatomiestudium, doch aber eine gute Naturbeobachtung. Die ganze Haltung ist ernst und würdig und weder so steif noch so über- trieben bewegt, wie bei vielen anderen romanischen Kruzifixen. Insbesondere kommt im Kopfe der Schmerz in mafsvoll schöner Weise zum Ausdruck. Am Fufse des Kreuzes kauert ein alter Mann, der in einem Kelche das herab- rinnende Blut auffängt. Er wird als der Urvater des Menschengeschlechts, Adam gedeutet. Seitlich schweben an die Kreuzarme zwei Engel heran, leb- haft und sehr anmutig bewegte Gestalten. Am oberen Abschlufs des Kreuzes sehen wir das Reliefbild Gott Vaters , die Taube , das Symbol des heiligen Geistes in der Hand, eine herrliche Figur voll feierlichen Ernstes.

Unter dem Kreuz steht links vom Beschauer Maria, die Hände ringend, den Blick zu dem gekreuzigten Sohne erhebend , rechts der Evangelist Jo- hannes. Seine Minen sind schmerzlich zusammengezogen, aber sie geben mehr die äufsere Erscheinung körperlicher Leiden, als die Offenbarung eines inneren Schmerzes. Der Künstler beherrscht die Regungen der Seele noch nicht voll- kommen. Maria und Johannes stehen auf kleinen , gekrönten liegenden Fi- guren, dem überwundenen Heidentum und Judentum. Die Gewänder sind im Ganzen ruhig gehalten, doch im Detail reich und zierlich behandelt.

Die Kreuzigungsgruppe ist der obere Abschlufs einer von drei Rund- bogen durchbrochenen Wand, welche jetzt am Eingang der Apsis der Kirche steht, deren Stellung aber früher eine andere war ; sie stand am westlichen Ende deS; Chores vor dem Triumphbogen und bildete den lettnerartigen Ab- schlufs dieses und der unter dem Chor befindlichen Krypta. Als die Krypta be€eitigt und die Chorwand versetzt wurde, wurde auch deren Anordnung im Einzelnen abgeändert und der ursprüngliche Zustand läfst sich nicht mehr mit voller Sicherheit erkennen. Die Unsicherheiten betreffen hauptsächlich die Frage, in welcher Weise die jetzt im Schiff aufgestellte Kanzel mit der Chorwand verbunden war und ob vor oder unter der Kanzel ein Altar , der

153

sogenannte Kreuzaltar, stand. Der figürliche Schmuck der Chorwand und der Kanzel ist erhalten und gehört nach allgemeiner Annahme einem Gedanken-

kreise an, ein räumlicher Zusammenhang beider ist deshalb wahrscheinlich. Wir haben hier den architektonischen Aufbau nicht näher zu untersuchen und

Mitteilungen aus dem german. Nationalmuseum. 1899.

XX.

154

erwähnen nur, dafs Steche annimmt, dafs die Kanzel vor der Mitte der Chor- wand stand und von dem erhöhten Chor aus zugänglich war.

Die erhaltenen Skulpturwerke sind : An der Chorwand in den Bogen- zwickeln die Halbfiguren von Kain und Abel, sowie von zwei Engeln in kleinem Mafsstab und mäfsig hohem Relief. Darüber unter romanischen Blendarkaden vier stehende Figuren, Daniel, König David, König Salomo und ein Prophet, der als Jesaias oder Nahum zu deuten ist. Neben dem Chorbogen stehen zwei Freifiguren, Abraham und Melchisedek. Die Brüstungswände der Kanzel enthalten an der nördlichen Seite Christus als Weltenrichter, umgeben von den Symbolen der EvangeUsten, zu den Seiten Maria und Johannes der Täufer, an der westlichen Seite die Erhöhung der ehernen Schlange, an der östlichen die Opferung Isaaks.

Nehmen wir Steches Vermutung über die Stellung der Kanzel an , so ergibt sich für die Gruppierung der sämtlichen Teile folgendes Schema:

Maria Christus Johannes, Ev.

am Kreuz

Judentum, Adam Heidentum.

Erhöhung der Maria Der Herr als Johannes Isaaks Opferung

Schlange Weltenrichter Baptista

Daniel. David Salomo. Nahum,

Engel Abel Kain Engel

Abraham. Melchisedek.

Der Cyklus stellt demnach die im alten Bund verheifsene , durch den Opfer- tod Christi vollendete Erlösung der Welt dar. Dieser Grundgedanke steht fest, auch wenn die hier nach Steche gegebene Anordnung nicht ganz die ursprüngliche sein sollte.

Das grofsartige Werk steht nicht vereinzelt. Die Chorabschlüsse geben der romanischen Kunst willkommenen Anlafs zu reicher plastischer Ausstattung. Insbesondere sind in Niedersachsen mehrere gröfsere Bruchstücke solcher Cyklen erhalten. Das bedeutendste, wohl auch das früheste ist die nördUche, Chorwand in S. Michael in Hildesheim. Es sind sieben stehende Figuren unter Baldachinen, in der Mitte Maria mit dem Jesuskinde, dann beiderseits je zwei Apostel und zuletzt die Lokalheiligen Sankt Bernward und Sankt Godehard. Man darf annehmen, dafs die Mitte der gegenüberliegenden Chor- wand Christus einnahm, und dafs zu seinen Seiten je drei Apostel standen. Der Chor war sicher auch gegen das Langhaus abgeschlossen und dieser Abschlufs mit Reliefdarstellungen geschmückt , doch läfst sich über deren Gegenstand keine sichere Vermutung aufstellen. Die Figuren sind in Aus- druck und Haltung noch vielfach befangen. In Hamersleben ist Christus und zwei Apostel, sitzende Figuren, in Kloster Groningen an einem Einbau im westlichen Teil der Kirche Christus und die zwölf Apostel erhalten.

Weit fortgeschrittener sind die sitzenden Figuren an den Chorschranken der Liebfrauenkirche in Halberstadt , auf der einen Seite Christus , auf der anderen Maria zwischen je sechs Aposteln. Die Behandlung der Gewänder weist auf südfranzösische Einwirkungen hin.

155

In Halberstadt ist auch eine grofse Kreiizigungsgruppe erhalten. Sie steht auf dem Triumphbalken über dem Lettner äes Domes. Christus am Kreuz mit Maria und Johannes nebst zweier Cherubim, altertümlich strenge Figuren von ernstem Ausdruck. An der Vorderseite des Triumphbalkens sind unter Baldachinen die kleinen Halbfiguren von Aposteln und Propheten angebracht. Die Form des Kreuzes ist der des Wechselburger fast gleich. Das Kreuz ist auf einer kreuzförmigen Rückwand befestigt in deren kleeblatt- formigen Endungen unten Adam seitlich und oben Engelsfiguren in Relief angebracht sind. Etwas später ist das grofse Cruzifix in der Liebfrauenkirche zu Halberstadt. Eine weitere Kreuzigungsgruppe wird im Museum des Altertumsvereins zu Dresden bewahrt; sie stammt aus der Kirche zu Freiberg im Erzgebirge. Die Figuren sind über lebensgrofs von strenger und ernster Haltung, jedenfalls älter als die Wechselburger.

In Freiberg sind ferner Fragmente der Skulpturen des Lettners und der Kanzel vorhanden, vier Relieffiguren und ein Relief der Erhöhung der ehernen Schlange. Sie sind sehr beschädigt, lassen aber die stilistische Verwandtschaft mit den Wechselburger Reliefs noch deutlich erkennen. Am nächsten aber stehen den Wechselburger Skulpturen, die der goldenen Pforte am Dom zu Freiberg. Sowohl der Grundgedanke wie die formale Ausgestaltung desselben sind in beiden nahe verwandt. Man vergleiche in letzterer Hinsicht die Fi- guren Daniel, David, Salomo und den Priester, der in Wechselburg als Melchi- sedek, in Freiburg als Aaron bezeichnet ist. Es sind jeweils Variationen des gleichen Motivs.

An der goldenen Pforte stehen zwischen den Säulen des Gewändes bei- derseits je vier Figuren, Männer und Frauen des alten Bundes ; links von aufsen nach innen aufeinanderfolgend Daniel, die Königin von Saba, Salomo, Johannes der Täufer, rechts Aaron, die Ecclesia, David, Nahum. Die Deu- tung der zweiten und vierten Figur ist nicht ganz sicher, namentlich scheint mir die Bezeichnung der Frauengestalt als Ecclesia, nach Hohes Lied 4. 1, als anfechtbar. Springer hat sie als Bathseba bezeichnet.

Im Tympanon thront in der Mitte Maria mit dem Kinde, rechts steht der Engel Gabriel, weiterhin ist Joseph sitzend dargestellt. Von links kommen die heiligen drei Könige zur Anbetung heran. Im oberen Teil bringen schwebende Engel Kugeln (Sonne und Mond.?) heran. Die Archivolten tragen nach gotischer Weise Reihen kleinerer Figürchen, deren Deutung nicht in allen Teilen vollkommen feststeht, doch ist soviel klar, dafs es sich um die letzten Dinge, die Auferstehung der Seligen und die Krönung Mariae handelt. Also auch hier Verheifsung im alten, Erfüllung im neuen Bunde.

Die Frage , ob in Freiburg die Darstellungen des Lettners mit denen der Pforte in einem ideellen Zusammenhange standen , mufs unentschieden bleiben.

In stilistischer Hinsicht ist zu bemerken, dals das Portal in seiner archi- tektonischen Komposition schon als gotisch bezeichnet werden kann, dafs aber die formale Ausgestaltung noch ganz im romanischen Stile verharrt. Das letztere gilt auch von der Behandlung der Figuren. Auf ihre formale

156

Übereinstimmung mit den Wechselburger Skulpturen habe ich schon hinge- wiesen. Beide sind Werl^e einer Werkstätte, ja wahrscheinlich eines Künst- lers. Seine Naturbeobachtung ist noch nicht vollkommen, in den Proportionen wie in den Bewegungen waltet noch manche Unfertigkeit. Was ihn aber auszeichnet, das ist die freudige Sicherheit, mit der er seine Ideen gestaltet, unbekümmert darum, ob einige kleine Mängel bleiben und der hohe Schön- heitssinn, der seine Hand führt und der so sieghaft ist , dafs auch wir noch über die kleinen Unfreiheiten seiner Werke hinwegsehen ; eine reine , abge- klärte, allem Mafslosen abgewandte Künstlernatur.

Überblicken wir die geschichtliche Entwickelung der sächsischen Plastik, wie sie in den oben genannten Werken in Hildesheim , Halberstadt und an- wärts veranschaulicht wird , so sehen wir sie von der alten durch Bernward begründeten Tradition ausgehend im Ende des XII. und im beginnenden XIII. Jahrhundert sich zu immer gröfserer Freiheit und Ausdrucksfähigkeit, sowie zu gröfserer formaler Vollkommenheit vervoUkommt. Wie allenthalben in der deutschen Kunst dieser Zeit, machen sich Einwirkungen der höher entwickelten französischen Plastik bemerkbar , aber die sächsischen Meister halten dabei unverrückt am deutschen Wesen fest. Die Skulpturen in Frei- berg und Wechselburg bezeichnen einen ersten Höhepunkt dieser Kunst. Aber die in lebhaftester aufsteigender Bewegung befindliche Schule konnte auf dieser Stufe nicht stehen bleiben; fast gleichzeitig und wenig später ent- stehen die Skulpturen des Magdeburger Domes, die Grabplatten Heinrich des Löwen und seiner Gemahlin im Dom zu Braunschweig , denen wieder in Wechselburg die des Grafen Dedo und seiner Frau entsprechen und endlich die herrlichen Stifterfiguren im Dom zu Naumburg.

Dann tritt in Bamberg ein grofser Meister auf, der vielleicht von der sächsischen Schule ausgehend , von der französischen Plastik bestimmende Einwirkungen erfährt. Seine Werke sind gotisch.

Die reiche und sorgfältig ausgewählte Sammlung von Abgüfsen deutscher Skulpturen im germanischen Museum enthält charakteristische Beispiele der sächsischen Plastik, welche gestatten, deren Entwickelung von ihren Anfängen unter Bernward bis zu ihrer Vollendung im XIII. Jahrhundert an einem Orte zu überblicken. Die schmerzliche Lücke, welche bisher in dieser Reihe be- stand, das Fehlen von Bildwerken aus Wechselburg ist nunmehr durch das Hauptwerk des dortigen Cyklus, die Kreuzigungsgruppe, ausgefüllt.

Unsere Pflegschaft Leipzig hat sich durch die Stiftung dieses herrlichen Denkmals deutscher Kunst gerechten Anspruch auf den Dank des germanischen Museums und aller, welche dort Studien über die Geschichte der deutschen Plastik machen, erworben.

Nürnberg. Bezold.

Inhaltsverzeichnis zmn Jahrgang 1899

der

Mitteiluiisfeii ans dem germanischen Nationalmnsenm,

Seite

Die Haushaltungstafeln im germanischen Museum, von Hans Bosch 3

Zur Geschichte der Herstellung und Verzierung der geschlagenen Messingbecken,

von Dr. Hans Stegmann 11, 17

Ein Karbinerhaken aus dem 17. Jahrhundert, von Karl Simon 28

Über eine Anzahl mittelalterlicher zu Konstanz gefundener Bodenfliefsen , von

Dr. HansStegmann 30

Goldschmiedearbeiten im germanischen Museum, von Th. Hampe 33

Kachelöfen und Ofenkacheln des 10., 17. u. 18. Jahrhunderts im germanischen

Museum, auf der Burg und in der Stadt Nürnberg, von Max

Wingenroth 47, 87

Jagdscenen aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts, von HansBösch .... 61

Wissenschaftliche Instrumente im germanischen Museum, von Gustav von

Bezold 65

Jacob Heinrich von Hefner-Alteneck, von GustavvonBezold 75

Beiträge zur Geschichte des Kaufmanns im In. Jahrhundert, von Dr. Otto

Lauffer 105

Die Nürnberger Maler, ihre Lehrlinge, Probestücke, Yorgeher u. s. vv., von

1596—1659, von Hans Bosch 116

Die Kreuzigungsgruppe aus Wechselhurg, von Gustav von Bezold 152

AM Nuremberg. Germanisches

101 ^ationalmuseura N84145 Mitteilujngen

1894-99 1894-99

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