MITTEILUNGEN ENTOMOLOGIA ZÜRICH UND UMGEBUNG Dem Antenhen an Max Standlub pewiümel Heit 3 e———_ Preis für Nichtmitglieder Fr. 6.— TAN un N G 211 % ee [B BR u / Ne ’ Pi ZÜRICH U In Kommissionsverlag bei W. Junk, Berlin Druck von H. Grapentien, Dübendorf-Zürich uw: IN52 BE NATI ee | ol Pi 7. geb. oem DB se. Dr Ne DH Ge ach de 2. «09 a a Iitllunden IM Entomolooi Zürich und Umgebung DEM ANDENKEN AN MAX STANDFUSS GEWIDMEI Er N Bo | DEC 21155 )) N B7, N LIBRART ne — a eg en / Ein eigenartiges oynandromorphes Individuum von Anlia tau L. Von Prof. Dr. M. Standfuß fF (Taf. VI).' Anfang November 1915 unterzog ich das Jahresergebnis meiner Tau-Zuchten einer genauen Untersuchung,” um die ge- sunden Puppen in ihre endgültigen Winterquartiere betten zu können. Mein Sohn Rudolf half mir diesmal bei der Untersuchung. Plötzlich unterbricht er die Arbeit, betrachtet eine ihrem Gespinnst im Mooslager soeben entnommene Puppe sehr genau und reicht sie mir über den Tisch hinüber mit den Worten: „Sieh nur, da ist eine ausgesprochene Zwitterpuppe“. Er hatte in der Tat recht. Diese Puppe war ihrer Längsaxe nach, man kann sagen haar- scharf, in eine linke männliche und eine rechte weibliche Hälfte geteilt. Schon an der Färbung der Puppenschale gelangte dies zum Ausdruck, indem die linke Hälfte durchweg einen schwachen Stich dunkler gefärbt war als die rechte. Auf der im übrigen ! Die vorliegende Arbeit wurde von Prof. Standfuß abgeschlossen bis auf den Auszug der Stammbäume aus seinen Notizen. Diesen Auszug habe ich besorgt; am übrigen Text sind nur wenige, die Form allein betreffende Aenderungen vorgenommen worden, Aenderungen, wie ich sie dem Ver- fasser bei Lebzeiten für manche seiner Abhandlungen auch vorschlagen durfte. Kurs: 2 Diese Vorsichtsmaßregel hat sich als sehr notwendig erwiesen, zu- mal seitdem im Jahre 1911 der absonderliche Typus von Aglia tau mut. huemeri Stdfs. in die Zucht-Experimente eingeführt worden war. Nicht nur entwickelten sich seit jenem Jahre aus den Eiern in einem von Brut zu Brut stark schwankenden Anteil gar keine Raupen (Vgl. Standfuß Mit- teilungen der schweiz. entomolog. Gesellschaft 1914 Bd. XII Heft 5/6 p. 259 bis 266, Separat. p. 22—29), sondern auch von den Raupen starben dann in ihren Zuchtbeuteln im Freien noch während des Heranwachsens eine größere oder kleinere Anzahl ohne äußerlich erkennbare Anzeichen einer Erkrankung ab, weitere gingen selbst noch während der Verpuppung oder als Puppen in den Zuchtkästen zu Grunde. Diese erwiesen sich als eine stetige Ansteckungsgefahr für die gesunden Puppen, in deren unmittelbarer Nähe sie sich im Moose eingesponnen hatten. guten Wiedergabe der Puppe auf Taf. VI, Fig. C. kommt dieser Färbungsunterschied nicht besonders klar heraus. Bei der weiteren Durchsicht des Puppenmaterials dieser Brut IV 1915/1916 (vgl. die am Schlusse folgende Stammbaum- tabelle) fand ich dann noch eine weitere gynandromorphe Puppe, deren Bauchseite die Textabbildung B wiedergiebt. Leider starb diese Puppe über Winter ab, und nur die erste lieferte einen tadellosen Falter. A - .. PL - - I. Die auf Taf. VI Fig. C und in Textfigur A abgebildete gynandromorphe Puppe. Dieses Individuum zeigt den gynandromorphen Charakter in überaus scharier Ausprägung. Die linke Flügelscheide ist männlich, die rechte weiblich. (Auf den beiden Abbildungen liegt die männliche natürlich rechts und die weibliche links, weil die Fühler ja, wie die Flügel, in der Puppenhülle auf der Bauchseite ruhen). Uebrigens ist bei Aglia tau, wie bei noch vielen anderen Lepidopteren-Arten, zumal Bombyciden, der Unterschied! zwischen den Fühlern des männlichen und des weiblichen In- dividuums am entwickelten Falter ein viel weiter gehender, als man nach dem Unterschiede der beiden Geschlechter an den Fühlerscheiden der Puppenhülle erwarten sollte. Auch an der Scheide des an der Puppenhülle sichtbaren ersten Fußpaares und der Vorderilügel sind bei bei genauem I Man vergleiche hierüber J. Kennel: Studien über sexuellen Dimorphis- mus, Variation und verwandte Erscheinungen. Schriften der Naturforsch. Gesellsch. Dorpat 1896 p. 22—24. — 156 — Zusehen, Unterschiede zwischen den beiden Hälften erkennbar. Die Scheide des männlichen Vorderfußes ist kürzer als die des weiblichen, und die Scheide des männlichen Flügels reicht etwas weiter in Segment 4 abwärts als bei der weiblichen Hälfte (vgl. ar VL. G): Recht deutlich kommt der gynandromorphe Charakter der Puppe am 8. und 9. Segment des Hinterleibes auf der Bauch- seite zum Ausdruck. Die normale weibliche ' Puppe zeigt in der Mitte des 8. und 9. Hinterleibsegmentes eine flache Furche an der Bauchseite — die normale männliche besitzt in der Mitte des 9. Segmentes zwei dicht nebeneinander liegende kleine Höcker. An unserer zwittrigen Puppe ist die flache, weibliche Furche auf dem 8. und 9. Segment vorhanden, und von den zwei kleinen Höckern am 9. Segment nur der eine an der linken Körperhälfte, von der Bauchseite gesehen also rechtsseitige. Diese Dinge sind an der Texttigur klar zur Anschauung gebracht, aber auch das farbige Bild C auf Taf. VI lässt sie erkennen. Die Puppe wurde am 13. Februar 1916 mit 3 normalen männlichen und 3 normalen weiblichen, geschwisterlichen Puppen in das warme Zimmer (+ 18'/2° C Durchschnittstemperatur) ge- bracht. Die 3 männlichen Puppen ergaben am 23. und 24. Fe- bruar, die 3 weiblichen am 24. bis 26. die Falter. Der Zwitter entwickelte sich erst am Vormittage des 29. Februars, also 5 Tage später als das letzte männliche, und 3 Tage später als das letzte weibliche geschwisterliche Individuum. Aehnliche Ver- spätungen verglichen mit der regelrechten Entwicklungsdauer normaler Falter zeigte die Mehrzahl der bisher von mir bei den Zucht-Experimenten erhaltenen gynandromorphen Indivi- duen, deren Anzahl bereits eine recht ansehnliche ist. Auch die Raupen der gynandromorphen Individuen wuchsen in der Regel erheblich langsamer heran, als die der sexuell normalen. So schritt z.B. eine Raupe, die einen gynandromorphen Falter ergab, 14 Tage später als alle ihre Geschwister zur Verpuppung, eine andere sogar 22 Tage später. Ich düte infolgedessen der- gleichen Nachzügler zur Verpuppung stets gesondert ein. Il. Die in Textfigur B abgebildete gynandromorphe Puppe der Tau-Brut 1915/16. Aniang November 1915 erschien diese Puppe noch lebens- kräftig, starb aber leider über Winter ab. Sie besaß, wie die Ab- ! Man vergleiche über diese Verhältnisse: A. u. O. Speyer, Isis 1845 p- 8595 —897, ferner: Standfuß, Großes Handbuch 1896 p. 172 und 173. — 157 — bildung zeigt, eine Lücke zwischen der Scheide für den linken Fühler und der Scheide für den linken Flügel, welche,wie dies in solchen Fällen stets zu sein pflegt, nur mit einer dünnen Chi- tinhaut überkleidet war. Dergleichen schwach chitinierte Stellen an Puppen sind immer ein bedenkliches Zeichen, da sehr häufig von ihnen aus Infektionen erfolgen, welche das Absterben des In- dividuums nach sich ziehen. Bei dieser Puppe deutet die linke Fühlerscheide auf einen rein weiblich gebildeten Falterfühler, die rechte ist sexuell atypisch und würde einen weiblichen Fühler mit teilweise in männlicher Entwicklungsrichtung ab- geänderten Kammzähnen gelieiert haben. ® An der Bauchseite des 8. und 9. Hinterleibsegmentes finden sich unverkennbare Andeutungen der weiblichen Furche, am 9. Segment rechtsseitig ein schwach entwickelter männlicher Höcker. Nach der Stärke des Hinterleibes dieses relativ kleinen Individuums ist anzunehmen, daß dasselbe mit Eiern gefüllte Keimdrüsen, wenn auch in gewisser Verkümmerung enthielt. Die Form der Flügelscheiden bietet keinerlei Anhalt für Schlüsse hinsichtlich Form und Färbung der Flügel. Soweit man aus dieser Puppe aui den nachmaligen Falter zu schließen vermag, würde es sich in ihm um ein vorwiegend weibliches Individuum gehandelt haben, das in seinen sekun- dären Geschlechtscharakteren teilweise in männlichem Sinne mosaikartig unregelmäßig modifiziert gewesen wäre. Diese Schlüsse gründen sich auf die Beobachtungen, welche von mir an mehr als 70 aus ihren Puppen gut entwickelten gynandro- morphen Faltern im Lauie der Jahre bei meinen Zuchten ge- macht wurden. Ill. Der auf Taf. VI in Fig. A und B abgebildete Falter. ie Derlebendespalter In vollkommener Ruhe saß unser Zwitter nicht, wie normale Individuen, senkrecht zur Unterlage, sondern schief, mit der linken männlichen Seite in einem Winkel von etwa 60° gegen die Unterlage geneigt; dies darum, weil seine männlichen Füsse merklich kürzer sind als seine weiblichen. Aglia tau,hält in der Ruhe die Flügel über den Rücken nach oben geschlagen, wie die Tagialter, darum fiel diese abweichende Stellung so- fort ins Auge. Der auswachsende Falter vermied diese schiefe Lage, welche zu einer Verkrimmung der Flügel an der Basis geführt haben würde, automatisch dadurch, daß er die weiblichen Füße etwas — 158, — weiter seitwärts stellte.e Der männliche Falter von Aglia tau fliegt normaler Weise am Tage, der weibliche in der Nacht. Am Tage des Ausschlüpiens schickte sich der Zwitter gegen 1/12 Uhr Mittags — die Hauptzeit des Hochzeitiluges der Männ- chen von Aglia tau fällt zwischen 11.Uhr und 12'° — durch Ausbreiten und energisches Vibrieren der Flügel zum Fliegen an, wurde aber von mir am wirklichen Fliegen verhindert und alsbald getötet, da ich jede Verletzung des tadellosen Tieres vermeiden wollte. Es ist kaum zweifelhaft, daß der Falter, als halbes Weibchen, auch in der Nacht geflogen wäre. Wie es mit dem Geschlechtstrieb des Falters bestellt war, hätte ich experimentell nicht ermitteln können, da mir gerade in jenen Tagen weder männliche noch weibliche Imagines von Aglia tau zur Hand waren, allein der rechtzeitig einsetzende Hochzeitsilug des Tieres spricht entschieden für den Drang desselben, sich als Männchen zu betätigen. Auch bin ich nach den Eriahrungen mit anderen zwittrigen Individuen aus den Gattungen: Smerinthus, Dendrolimus, Sa- turnia, Aglia, Lymantria, Cheimatobia, die ich lebend zu be- obachten Gelegenheit hatte, überzeugt, daß es nicht nur als Männchen, sondern auch als Weibchen zu funktionieren ver- sucht haben würde. 2. Die Physiognomie und Morphologie des Tieres. Daß seine linke Hälfte in Fühler, Füßen und Flügeln oberseits und unterseits durchweg männlichen Bau und männlichen Färbungscharakter, die rechte Hälfte aber in allen diesen Körperteilen rein weibliches Gepräge aufweist, zeigen die Abbildungen in deutlichster Weise. Hinzugefügt sei, daß auch die Palpen links dem männlichen und rechts dem weib- lichen Geschlecht entsprechen. An den Augen der beiden Häliten ist äußerlich ein Unterschied nicht erkennbar. Natürlich ist es keineswegs ausgeschlossen, daß bei mikroskopischer Untersuchung des inneren Baues sich feine Verschiedenheiten herausstellen könnten, da das Männchen ein Tagflieger, das Weibchen aber ein Nachtiflieger ist. Der Thorax der beiden Geschlechter zeigt nur geringe Unter- schiede in der Größe und in der Länge der Behaarung der Schulterdecke. Der weibliche Falter hat einen etwas kräftigeren Thorax, der männliche längere Behaarung. Beide Verschieden- heiten liegen an unserem Falter vor. Der Hinterleib ist oberseits und unterseits überaus klar in eine linke männliche und eine rechte weibliche Hälfte geteilt. Bei der Abbildung drängt sich nur die verschiedene Färbung — 159 — (der beiden Hälften deutlich auf. Untersucht man aber die beiden Hälften mit der Lupe, so ist leicht ersichtlich, daß die linke Hälfte neun äussere Segmente aufweist, deren letztes die eine Hälfte des männlichen Greifapparates trägt. Auch das verhornte Ende des Penis ist vorhanden. Die rechte Hälfte des Hinterleibes setzt sich nur aus den acht äußerlich zählbaren Segmenten des Weibchens zusammen. Das eingestülpte Körperende des Weibchens, welches als Lege- apparat dient, konnte an dem lebenden Tiere in etwas ver- kümmerter Ausbildung nachgewiesen werden, an dem einge- trockneten ist dies nicht mehr möglich. Ebenso ist der Eingang in das Receptaculum seminis auf der Bauchseite des siebenten Segmentes an dem zusammen- geschrumpiten Leibe des toten Tieres kaum noch kenntlich. Bei schwachem Drucke an dem.noch weichen Leibe wurde die Oefinung sichtbar. Eine anatomische Untersuchung des Leibesinhaltes wurde auf Grund der bisher bei dergleichen Studien gemachten Er- fahrungen unterlassen. Schon viermal habe ich in zwei Hälften verschiedenen Ge- schlechtes scharf geteilte, gynandromorphe Falter untersuchen können; nämlich: a) am 4. April 1890 eine Sat. spini Schiff., die sich aus einer von Wien erhaltenen Puppe bei mir entwickelt hatte, links durchweg weiblich, rechts ebenso männlich. Dieses In- dividuum hatte ich meinem leider früh verstorbenen Kollegen Dr. Karl Fiedler (f 3. April 1894) überlassen, der großes In- teresse dafür zeigte, und habe es damals gemeinsam mit ihm anatomiert. b) am 12. August 1906 einen Rassenmischling von populi var. austauti Stgr. $ Smer. hybr. Sonn © links männlich, rechts weiblich. (Vgl. Standfuß, Mitteil. der Schweiz. entomol. Gesellschaft. 1907. Bd. XI, Heft 6, p. 253). c) am 8.August 1911 einen abgeleiteten Rassenmischling von Bann Um pop. var. austauti Stgr. S\ _ populi L. £ - Smer. hybr. links männlich und rechts weiblich. (Vgl. Standfuß, Mitteil. der Schweiz. entom. Gesellschaft. 1914. Bd. XII. Heft 5/6, p. 289 u. 290; Separat p. 92 u. 39). —2160 — d) am 22. April 1914 einen in den Flügeln vollkommen verkrüppelten zwittrigen Falter von Agl. tau mut. melaina Groß, links männlich, rechts weiblich aus meinen Zucht-Experimenten 1913/1914 Br. XI, abstammend von: Agl. tau (huemeri) 5. Br. VII. 1913 melaina hell2. Br. VII. 1913 Der Smerinthus-Falter 5 stellte sich in seinen Keim- drüsen als ausgesprochen eingeschlechtig heraus. Nur die Ovarien mit ihren acht Eiröhren lagen vor, sämtlich stark verkürzt und nur spärlich mit Eiern gefüllt. Von Hoden war nichts vorhanden. Fortpflanzungsfähigkeit des Tieres war nicht wohl denkbar in- folge der ganz mißgebildeten Bursa copulatrix. Auch das unter c angeführte gynandromorphe Sme- rinthus-Individuum wird kaum anders als in seinen Keim- drüsen rein weiblich gebaut aufzufassen sein. Das auf seinem linken Oviductus duplex aufsitzende etwa keulenförmige Gebilde konnte leider äusserer Gründe halber nicht mikroskopisch unter- sucht werden (vgl. 1. c. p. 290). Der rechte Oviductus duplex besaß hier verkürzte, im übrigen aber reguläre, mit einer An- zahl Eier versehene Ovarialschläuche. Ich neige zu der vorge- nannten Auffassung darum, weil gynandromorphe Individuen mit einer Mischung in den sekundären männlichen und weib- lichen Geschlechtsmerkmalen, die ich im Laufe der letzten Jahre aus meinen Zuchtergebnissen mehrfach zu untersuchen Gelegen- heit hatte, verschiedene Uebergänge zeigten von, wenn auch verkümmerten, so doch unzweifelhaft weiblichen Keimdrüsen bis zu ähnlichen Krüppelbildungen hin, wie jene auf dem Oviductus duplex des Smerinthus-Individuums c nachgewiesene Form. Anders die beiden Saturniden a u. d. Sie wiesen auch in ihren Keimdrüsen ein Nebeneinander männlicher und weib- licher Charaktere auf. Bei der Saturn. spini waren rechts beide Hoden und links die Eierstöcke mit allen acht Ovarialschläuchen vorhanden. Bei dem Aglia tau-Zwitter aber lagen die Dinge umgekehrt, — also links die beiden Hoden und rechts die Ovarien mit ihren acht Eiröhren. Indes Hoden wie Ovarien lagen hier wie dort nur in verkümmerter, oder monströser Be- schaffenheit vor. Die Ovarialschläuche z. B. waren entweder ganz leer, oder sie enthielten nur je ein bis höchstens drei Eier, anstatt der etwa zehnfachen Zahl bei Sat. spini und der etwa sechsiachen Zahl bei Aglia tau. Da eine anatomische Untersuchung unseres eigenartigen Tau-Falters nicht wesentlich neue Ergebnisse versprach, anderer- — 161 — seits damit sicher eine arge Verstümmelung des geradezu prachtvollen Demonstrations-Objektes verbunden war, so glaubte ich davon absehen zu sollen. Eier enthielt die rechte Körperhälfte, das war durch vor- sichtigen Druck mit einer weichen Pincette leicht wahrnehmbar, und die linke dürfte, wie das untersuchte verkrüppelte zwittrige Individuum c von Aglia tau melaina, auch von männlichen Keimdrüsen nachweisbare Anlagen besessen haben. IV. Wie entstand dieser so eigenartige, ausgesprochene Zwitter? Unter der Eigenart des Tieres wollen wir die gesamten in ihm ruhenden erblichen Anlagen verstehen, sowohl die in äußerlich bemerkbaren Eigenschaften nicht an ihm in Er- scheinung getretenen, also latent gebliebenen, als auch die in seinem Kleide zu sichtbarem Ausdruck gelangten. Die Analyse der Erbiaktoren seiner elterlichen Individuen und weiteren Vorfahren nach den Mendel’schen Gesetzen sollte uns darüber Auskunft zu geben vermögen. Ueber seine Beschaffenheit als ausgesprochenen Zwit- ter andererseits werden wir von der Keimzelleniorschung, im besonderen von der auf diese Untersuchungen gegründeten gegenwärtigen Auffassung über die Bildung der beiden Ge- schlechter bei den Lepidopteren, Antwort zu erhalten versuchen müssen. a. Die Eigenart des Falters. Nachdem die zweite Reihe der Tau-Zuchten — eine erste Reihe fiel bereits in die Jahre 1886—1889 — von dem Jahre 1904 bis zur Gegenwart, also bisher 12 Jahre ununterbrochen mit Buchung jedes einzelnen der rund 7500 Falterindividuen seinem Kleide nach, von mir durchgeführt worden ist, sollte man glauben, es müsste ein leichtes sein, über die Erbfaktoren der Eltern unseres Zwitters, und damit auch über seine eigenen bis in alle Einzelheiten auf Mendel’scher Grundlage Auskunit zu geben. Dies ist indes nicht der Fäll. Seit der Einführung (1911) des hochinteressanten Huemeri- Typus in diese Tau-Zuchten sind die Zahlen der wohlentwickelten, kontrollierbaren Falter der einzelnen Bruten, verglichen mit der von dem zugehörigen Muttertiere abgelegten Eiermenge, fast durchweg so ungünstige gewesen, daß eine eindeutige Analyse der meisten Zucht-Ergebnisse nach den Mendel’schen Gesetzen auf die größten Schwierigkeiten stößt oder vollkommen unmög- lich ist. Die Brut z.B., aus der unser Zwitter stammte, be- — 162 — stand aus 276 Eiern, aus denen schließlich nur 22 wohl- entwickelte Falter hervorgingen. Wir haben über die Huemeri-Reihe und die Besonderheiten in ihren Vererbungs-Erscheinungen in den Mitteilungen zur Vererbungsfrage (vgl. Mitteil. d. schweiz. entom. Gesellsch. 1914 Bd. XII. p. 253—266; Separ. p. 16—29) berichtet. Jene Betrach- tungen führten zu der Annahme, daß wir in der mut. huemeri einen Vorläufer unserer gegenwärtigen tau vor uns haben dürlten, also einen „atavistischen Typus“ dieser Art. Mit dieser „Ahnen- form“ sind nun bemerkenswerter Weise zugleich die Anlagen noch älterer Eigenschaften der so ganz isoliert stehenden Gattung Aglia in unser Zuchtmaterial hineingetragen worden. Von dergleichen Hineingetragenem wurde bereits nachge- wiesen: a) Die Anlage für überzählige ' Augenzeichnungen auf den Flügeln. So beschafiene Falter stellten sich nicht nur in den Zuchten von 1911--1913, sondern seither alljährlich in einzelnen Bruten ein, so auch z. B. unter den Geschwistern (vgl. Stamm- baumtafel 1914/1915, Br. V, 1915/1916 Br. IV) des väterlichen Individuums unseres Zwitters und unter seinen eigenen Ge- schwistern, insgesamt etwa 30 Exemplare. Zum Verständnis dieser ganz absonderlichen Erscheinung ist von uns (l. c. p. 261 u. 262; Separat p. 24 u.25) auf die Verwandtschaft der Gattung Aglia mit der Familie der Brahmaeidae hingewiesen worden. Letztere besitzt in mehreren Arten Anlagen für zahlreiche der- gleichen Zeichnungselemente. b) Erbfaktoren für eine Modifikation (Vgl. Standfuß, Mitteil. z. Vererbungsirage 1. c. Taf. XVII, Fig. 4, p. 262—264; Separat p. 25—27) des Falterkleides in dem Sinne, daß die Unterseite der Hinterflügel in Färbung und Zeichnung der Oberseite der Vorderflügel stark angenähert, oder gleich wird, mithin ein von dem jetzt lebenden, europäischen Tau-Typus durchaus abwei- chendes Falterkleid. Diese Modifikation ist 1911/1912 in Br. VII bei drei Faltern entweder bruchstückweise, oder in wohlent- wickelter Ausbildung aufgetreten. Auf jene merkwürdige Br. VII 1911/1912 gehen aber alle für unseren Zwitter in Frage kom- menden Bruten von 1912/1913, nämlich Br. IV, V, VI, VII zu- rück, wie die Vergleichung der Stammbaumtabelle am Schluß mit den Tabellen Aı und As» für 1911/1912 und 1912/1913 in den „Mitteil. z. Vererbungsfrage“ ergibt. Wir werden kaum fehl- gehen, wenn wir diese verwunderliche Vererbungstatsache zu erklären versuchen auf Grund des bei der Familie der Satur- niden herrschenden Imaginalkleides, welches, im Zusammenhang I Vgl. Standfuß, Mitteil. z. Vererbungsfrage 1. c. Taf. XVII, Fig. 2. — 18 — mit ihrer von der Gewohnheit der Agli tau durchaus abwei- chenden Ruhestellung, die Oberseite der Vorder- und die Unter- seite der Hinterflügel in Färbung und Zeichnung wesentlich gleich zeigt. c) Die Verkleinerung der Augenzeichnung der Flügel bis zu dem Verschwinden dieser Zeichnungen. Bei meinen Zuchten sind bisher nur sehr reduzierte Augenilecken aufgetreten, welche in ihrem Durchmesser kaum noch die Hälite, also der Fläche nach nur noch ein Viertel, der normalen Grösse aufweisen. Auf der wiederholt zitierten Taf. XVII in den „Mitteil. z. Ver- erbungsfrage“ ist dies aus der Vergleichung der Augenzeichnung der Vorderflügeloberseite von Fig. 1 mit derjenigen der Vorder- flügelunterseite (die Grösse der Augenzeichnung ist auf der Oberseite der Vorderilügel durchaus die gleiche, wie auf deren Unterseite) von Fig. 3 — eines normalen Tau-Männchens — klar ersichtlich. Auch unser Zwitter selbst zeigt diese Verklei- nerung der Augenflecken auf etwa '/ı des normalen Flächen- masses. Er folgt darin seinen beiden Eltern. In den Jahren 1914, 1915, 1916 zeigten einzelne der er- zogenen Falter einen noch schärferen Schwund der Augen- flecke, nämlich auf '/s des normalen Durchmessers. Ein vollständiger Verlust dieser Zeichnungselemente hat sich bisher bei keinem der von mir erzogenen Falter eingestellt. Allein es sind dergleichen Individuen schon beobachtet worden. Mein Freund Charles Oberthür besitzt ein solches in seiner Sammlung, welches er in der Lepidopterologie comparee Fasc. III, Pl. XXXII, Fig. 216 unter dem Namen Aglia tau fere-caeca ab- bildet. Dieser Falter zeigt oberseits am Schluß der Mittelzelle auf Vorder- und Hinterflügeln nur noch einen ganz kleinen, schwarzen Fleck. Zwei gefangene Aglia tau mut. melaina Männchen ohne jede Reste der Augenflecken zählt Freund Philipps in Cöln zu den Schätzen seiner Sammlung. Nach den bisherigen Zuchtergebnissen bin ich überzeugt, dass auch die Anlage für diesen Typus ohne alle Augenzeich- nungen in meinem lebenden Materiale latent ruht, bisher aber noch nicht in Erscheinung treten konnte. Von diesen eben genannten drei Absonderlichkeiten in den Erbanlagen waren in meinen Tau-Zuchten während der Jahre 1904 bis und mit 1910/11 nicht die geringsten Andeutungen vorhanden. Erst nach Einführung des Huemeri-Typus stellten sie sich plötzlich ein, und gleichzeitig damit fast überall da, wo von Seiten beider Eltern Huemeri-Blut beigemischt war, ein höchst ungünstiger Anteil an lebensfähigen Individuen, ver- — 164. glichen mit den Zucht-Ergebnissen während jener früheren Jahre. Im Gegensatz zu dem atavistischen Huemeri-Typus selbst, habe ich die sehr bemerkenswerte Erscheinung, daß derselbe in seiner Erbmasse die Anlagen für einige unzweifelhaft noch ältere Merkmale mit sich führt, als „Archaeomerie“ bezeichnet, d.h. Anlagen für noch weiter zurückreichende Archaismen auf atavistischer Grundlage. In meinen „Mitteil. zur Vererbungsfrage“ findet sich ein- gehender erörtert, was ich unter Archaeomerie verstehe. Dort sind auch noch verschiedene andere Tatsachen für diese be- deutungsvolle Erscheinung aus den Ergebnissen meiner lang- jährigen Zucht-Experimente namhaft gemacht, indem nicht nur morphologische sondern auch biologische Charaktere uralter Vorfahren durch Archaeomerie wieder zum Durchbruch gelangten (l. ce. p. 259 —266;; Separat p. 2229). Die Erbmasse der Keimzellen erweist sich danach in noch erhöhtem Maße als ein Wundergebilde der Natur sonder Gleichen. Wenn es F. Baltzer möglich war, aus der Kreuzung von Echinodermen-Typen, welche weit getrennten Familien, ja selbst verschiedenen Ordnungen, oder gar Klassen — z.B. Echinoiden und Crinoiden — angehörten, Brut zu erhalten und diese auch bis zu einem bestimmten Entwicklungsstadium heranzuziehen — und es H. Kuppelwieser gelang Entwicklungserregungen sogar durch stammiremde Spermien — in Seeigeleiern durch solche von Muscheln, ja von Würmern — einzuleiten, so wird man bei Erklärungsversuchen dieser ganz erstaunlichen Kreuzungs- Ergebnisse an die Erscheinungen der Archaeomerie zu denken geneigt sein. Sicher sehe ich mich genötigt, ganz abgesehen von dem Ergebnis der tau-Zuchten, gewisse Resultate meiner Hybridations- Experimente mit Dilina tiliae L. 8 X Smerinthus ocellata L. £ sowie mit Saturnia pavonia L. 8X Graällsia, isabellae Graälls 2 in erster Linie von Archaeomerie abzuleiten. (Vgl. Standfuß Exper. Zucht-Studien. Neue Denkschriften der Schweiz. nat. Ge- sellsch. 1898, p. 47). Da die Verfolgung dieser absonderlichen Dinge ein starkes Interesse bot, so wurden von mir für die Zuchten natürlich möglichst gerade solche Individuen zur Paarung gewählt, welche infolge ihres in gewissen Richtungen von dem normalen ab- weichenden Falterkleides eine günstige Ausbeute an dergleichen außergewöhnlicher Brut erwarten ließen. Der Erfolg bestätigte denn auch mehrfach die Richtigkeit meiner Wahl. So erhielt — 18 — ich z.B. einmal in einer einzigen Brut fünf Individuen mit über- zähligen Augenflecken. 1915/1916 ergab nämlich Br. V, bei welcher Aglia huemeri- fere-nigra (mit Bindenandeutung auf der Hinterilügelunterseite) 3 (aus Br. X 1915) gepaart worden war mit huemeri (tau) $ (aus Bra Vv1915)2.167 Eier — 30 Raupen — 98, 72 Puppen 3 6, 3% huemeri-tau und 4 35, 3% tau (huemeri). Alle drei Männchen huemeri-tau und ein Männchen, sowie ein Weibchen tau (huemeri) besaßen überzählige Augenilecken, ein huemeri-tau-Männchen sogar deren zwei nebeneinander. Zu betonen ist dabei, daß beide Eltern dieser fünf Falter aus den gleichen Bruten X und V 1915 stammten, welchen die Eltern unseres Zwitters angehörten. Weiter zeigte sich hier, wie immer, daß je günstiger die Ausbeute an absonderlichen Individuen war, desto düritiger das Ergebnis an zur Entwicklung gelangten Faltern ausiiel. Diese stets wiederkehrende Beobachtung nötigte zu dem Schlusse, daß der ungünstige Ausfall der Zuchten seine direkte Ursache in den Erscheinungen der Archaeomerie habe. Gewisse Zusammensetzungen der Erbmasse schließen die Entwickelung eines lebensfähigen Individuums aus. Also nicht der atavistische Huemeri-Typus selbst ist, wie wir bisher glaubten (Mitteil. zur Vererbungsir.1.c.p.261; Separat p. 24), oder er istdoch wenigstens nicht in erster Linie der Grund für den so unerhört schlechten Ausfall der betreffenden Zuchten an lebensfähiger Brut, sondern vielmehr die in ihm verborgen vorhandenen Anlagen noch älterer Charaktere der Art. Auch von anderer Seite sind bei umfassenden Tier-' und Pflanzenzüchtungen Beobachtungen gemacht worden, welche wahrscheinlich hieher gehören. Jedenfalls verunmöglicht der überaus lückenhafte Ausfall der Ueberzahl der in Frage kommenden Bruten eine befriedigende Analyse dieser Zucht- Experimente nach Mendel’scher Grundlage. Ganz besonders gilt dies noch von der Brut in welcher unser Zwitter auitrat. Damit hätten wir die Erörterungen über die bei diesem ab- sonderlichen Tier in Frage kommenden Jatenten Anlagen be- endet. Noch wäre nun über die an ihm zu sichtbarem Ausdruck gelangten Erbfaktoren Weniges hinzuzufügen. Die Mitteilung einer Ueberraschung ist da zunächst vorauszuschicken: In meiner oft citierten Arbeit von 1914 sagte ich (l.c. p. 255; Separat p. 18): ! Arnold Lang: Vererbungswissenschaftliche Miscellen VII. Präparator Nägelis Zuchten kurzschwänziger und schwanzloser Hausmäuse. Zeitschr. für induct. Abstamm. und Vererb. Lehre 1912, Bd. VIII, Heft 3, p. 271—282, ferner Erw. Bauer, Einführ. i. d. exper. Vererbungslehre, Berl. Gebr. Bornträger 1911 p. 118—120). —#166 „Das huemeri-tau $ kann die Anlage für huemeri-fere-nigra in seinen Gameten nicht beigetragen haben, denn huemeri- fere-nigra war, bisher wenigstens, epistatisch über huemeri-tau, wie Tab. A» 1912/1913, Br. VII zeigt.“ Aus einer Paarung von huemeri-tau 9 mit huemeri-fere- nigra $£ waren nämlich 9 Individuen, die dem Tau-Typus und 8 Individuen, welche dem Huemeri-fere-nigra-Typus an- gehörten, hervorgegangen. Da sich tau-iere-nigra überall in unseren Zuchtexperimenten bis 1911 epistatisch und antago- nistisch tau normal gegenüber ausgewiesen hatte, glaubte ich bei jener Br. VII 1912/1913 annehmen zu müssen, daß jenes huemeri-fere-nigra £'! heterozygotisch gewesen sei, so daß die Nachkommenschaft infolge der väterlichen huemeri-tau, die ich für rassenrein, also für homozygotisch ansah, in jene beiden Hälften zerfiel. Die weiteren Zuchten korrigierten dann diesen, man kann sagen, durch die bisherige, vielfache Erfahrung ge- botenen Irrtum dahin, daß umgekehrt: huemeri-tau sich epis- tatisch und antagonistisch gegenüber huemeri-fere-nigra verhält. Aus der Stammbaumtabelle ersehen wir, dass eine Paarung von huemeri-fere-nigra 5 mit huemeri-tau $ (vgl. Stammbaum 1913/1914, Br. XIV) aus 140 Eiern 70 wohlentwickelte Falter lieferte, welche ausnahmslos dem Huemeri-tau-Typus angehörten. Ferner ergaben Paarungen zwischen huemeri-tau 9 und humeri- tau $ einzelne Individuen der huemeri-fere-nigra (vgl. Stamm- baum 1913/1914, Br. I und 19114/1915, Br. V). In jenem vorgenannten Falle (Tabelle A» 1912/1913, Br. VII) war also der väterliche huemeri-tau heterozygotisch gewesen und hatte huemeri-iere-nigra recessiv enthalten. Das ist auch, wenn wir die Herkunft dieses huemeri-tau 3 auf der Tabelle verlolgen, durchaus möglich. Zur Erklärung des in jenen eben genannten Bruten I 1913/1914 und V 1914/1915 so ganz vereinzelten Auftretens der Huemeri-fere-nigra-Form sei erwähnt, daß Versuche huemeri- ! Dieses humeri-fere-nigra @ besaß eine Bindenandeutung auf der Hinter- flügelunterseite. Gleich beim ersten Auftreten des Huemeri-fere-nigra-Typus unter dem von Huemer, Linz, direkt empfangenen Zuchtmaterial (vgl. Mitteil. zur Ver- erbungsfrage, Tab. B 1911/1912, Br. II) traten unter 3 5, 4 & der Huemeri- fere-nigra-Form 1 5 und 1 ®@ auf, welche diese Bindenandeutung besaßen. Diese modifizierte Form ist seither ganz konstant erhalten geblieben. Eine Spaltung derselben gelang bisher nicht. Der Huemeri-fere-nigra-Typus und diese Bindenandeutung erscheinen bei dieser Form als fest gekoppelt; mit- hin ganz ebenso, wie sich von 1904 an bei tau-fere-nigra die Anlagen für das Zeichnungsgepräge des normalen tau-Kleides und diejenigen für fere- nigra gekoppelt zeigten (vgl. 1. c. 278, Separat p. 41 Anm.). — 167 — fere-nigra rassenrein zu züchten bisher ganz mißglückten, oder nur sehr spärliche, und meist kümmerliche Individuen ergaben. Die an unserem Zwitter zu sichtbarem Ausdruck ge- langenden Erbfaktoren gehen schon aus seiner Benennung auf Taf. Vl fast alle klar hervor. Die linke Hälfte des Falters ist als huemeri-fere-nigra 9 mit Bindenandeutung auf der Hinterflügelunterseite bezeichnet, die rechte Hälite als tau £ mit huemeri-tau recessiv. Der männliche Teil des Zwitters baut sich — wenn wir die von uns in den Mitteil. zur Vererbungsfrage p. 277 und 278; Separat p. 40 und 41, für die mendelnden Erbeinheiten ge- wählten Bezeichnungen zu Grunde legen — auf aus: "Ll2 huemeri, „EB tere-niora (imdemlcserörterten engeren Sinne), zu diesem „F“ müßte noch als Index, weil mit ihm gekoppelt, etwa ein B gesetzt werden zur Bezeichnung der Bindenandeutung; schließlich noch „L“ „color luteolus“, die rostgelbe Grundfarbe des männlichen Typus. Insgesamt also: El Die rechte, also die weibliche Hälite, enthält die Erbein- beiten: "HIT E,. Das "Tau-Kleid, „IT - modiizieit dureh den Huemeri-Charakter „A“ — zum Ausdruck gelangend namentlich durch den verdunkelten Außenrand der Hinterflügelunterseite — und drittens die im weiblichen Geschlecht graugelbe Grund- tarbe: »,lE:* Der Falter entspricht damit in seiner linken Hälfte sieben Exemplaren von seinen Geschwistern, d.i. '/s von ihrer Gesamt- zahl — in seiner rechten Hälfte den 14 anderen Geschwistern, also den übrigen ?/s. Wir werden ferner kaum fehlgehen, wenn wir das schroff geschiedene Nebeneinanderauftreten des Fere-nigra- neben dem Tau-Typus bei unserem Falter in Zusammenhang bringen mit dem Antagonismus, dem schroffen einander Ablehnen dieser beiden Formen. Weiter kann hinsichtlich der Eltern unseres Zwitters mit Sicherheit ausgesagt werden, daß das väterliche Tier huemeri-tau die Anlage für huemeri-fere-nigra recessiv ent- halten haben muss und das mütterliche tau (huemeri) ebenso den Erbfaktor für huemeri-fere-nigra mit dem Index „B“. Sonst hätte unter ihrer Nachkommenschaft unmöglich huemeri- fere-nigra auftreten können. Um dieses Recessivverhalten der Huemeri-fere-nigra-Anlage, welche in direktem Gegensatz zu dem Verhalten des Tau-fere-nigra-Faktors steht, zu erklären, mußten eben die in den letzten Jahren mit huemeri-fere-nigra gemachten überraschenden Erfahrungen vorher eingeschaltet werden. — 168 — Wir sehen also: die Erbfaktoren, welche dem äußerlich in Erscheinung tretenden Falterkleide des Zwitters zu Grunde liegen, sind unschwer namhaft zu machen. In Ungewissheit sind wir lediglich über die latenten Anlagen, welche nur aus- nahmsweise oder bisher auch noch gar nicht — denn auch solche vermute ich mit Bestimmtheit — zu äußerem Aus- druck gelangten. Darum nicht, weil ihre sichtbare Herausge- staltung nur unter besonderen, ganz selten eintretenden Kon- stellationen der Erbfaktoren möglich ist. Deshalb halte ich es für das Richtige, den Stammbaum unseres Zwitters an Hand meiner Aufzeichnungen über diese Tau-Zuchten während der Jahre 1913 bis 1916 zu geben. Die weiteren Vorfahren bis zum Jahre 1904 zurück sind aus den Tabellen Aı bis As undB in den Mitteil. der Schweiz. entomol. Gesellschaft 1914, Bd. XII, Heft 5/6 ersichtlich. So ist doch wenigstens eine Unterlage für etwaige, spätere, erschöpfendere Erklärungsversuche geboten. —.169 — Ahnentafel des Gynandromorphen bis zu acht Ahnen. DPA NIE ZBVIES LIVE VE 28 VIESVE VORIE y — ——— on — no 1913/14 SXIV. ZB Sur. 2 XM. 1914/15 SEN EX. 1915/16 IV. Die Reihe 1912/13 siehe Tabelle loc. cit. Die noch nicht publizierten Bruten von 1913/14, 14/15 und 15/16 gibt die fol- gende Aufstellung: 1913/14 Br. XIV 5 huemeri-fere-nigra Vll £ huemeri-tau (graugelb) V 140 Eier, 99 Raupen, 39 3, 39 2 Puppen huemeri-tau rötlich 18 3, 19 & huemeri-tau graugelb 19 3, 142 1913/14 Br. I 5 huemeri-tau IV £ huemeri-tau VI 134 Eier, 19 Raupen, 14 3, 52 Puppen huemeri-tau 13 3, 4% huemeri-fere-nigra 1% 1913/14 Br. XV 3 huemeri-fere-nigra mit Bindenandeutung VII £ huemeri-tau V 122 Eier, 34 "Raupen, 112:0,518 2 Puppen huemeri-tau rötlich 4 S, 78 huemeri-tau graugelb 1 2 fau (huemeri) 6 3, 7% 1913/14 Br. XIIl S huemeri-fere-nigra mit Bindenandeutung VII 2 melaina cupreola W| 72 Eier, 52 Raupen, 30 3, 192 Puppen huemeri-tau 5 3, 22 tau (huemeri) 5 5, 102 melaina 12 3, 1% melaina cupreola 8 3, 5% — 170. 1914/15 Br. V 8 huemeri-tau XIV Q huemeri-tau | (krüpplig) 86 Eier, 66 Raupen, 28 3, 222 Puppen huemeri-fere-nigra 1 8, 1% (das $ mit überzähliger Augenzeichnung) huemeri-tau 25 3, 10% rotbraun, 82 graugelb 1914/15 Br. X 5 fau (huemeri) XV 2 tau (huemeri) XI 154 Eier, 42 Raupen, 14 S, 252 Puppen huemeri-fere-nigra mit Bindenandeutung 4 5, 8 * huemeri-tau 5 8, 8* fau-huemeri 4 8, 7% ta. normal. 179, 22 1915/16 Br. IV 3 Ahuemeri-tau, kleine Augen 2 tau (huemeri) graugelb, sehr kleine Augen 276 Eier, 52 Raupen, 21 3, 2 gynandr., 20 2 Puppen: huemeri-fere-nigra mit Bindenandeutung 3 3, 4 (18 mit überzähliger Augenzeichnung auf d. rechten Hil.) tau (huemeri) 8 S, 6% und das hier besprochene gynandromorphe Individuum. Mit Namen ausgeschrieben sieht die Ahnentafel folgender- maßen aus: (t=tau, f= fere-nigra, mc — melaina cupreola, h = huemeri) öShfeht Sa sh.T Shit ST Sase Tan Sally Weine. zes a U TDERURE gynand. Shf £t(h) 00 Mitteilungen zur Lepidopteren-Fauna des Oherengadins und der anstossenden Lehieie, Von Prof. Dr. M. Standfuß f '. A. Tagsüber zu beobachtende Arten. I. Die: Talsohle: Tagsüber werden die blumenreichen Wiesen, namentlich aber die steinigen, durchaus unkultivierten und eine besonders mannigfache Flora führenden Schwemmsandilächen — z.B. bei Einfluß des Fexbaches und des Fedozbaches in die Seen — der Talsohle in der anmutigsten Weise durch eine Fülle von Lycaeniden (Bläulingen und Feuerfaltern) belebt. Volle 30 Arten aus den 49 in der gesamten Schweiz bisher beobachteten ent- wickeln sich hier im Laufe des Jahres. Fünf davon, Lye. donzeli B., orbitulus Esp., pheretes Hb., optilete Kn. und £ithonus Hb. sind ausgesprochen alpin, die übrigen finden sich auch in der Ebene, treten aber hier teilweise als besondere Gebirgsrassen auf. Wir bringen diese genaueren Angaben bei der Familie der Lycaeniden als Paradigma. In den meisten anderen Familien, nicht nur der Rhopaloceren, sondern auch der Heteroceren, steht es ähnlich. Der Artenreichtum des Oberengadins und seiner Seitentäler ist ein ganz ungewöhnlicher. Neben diesen zahlreichen Lycaeniden fliegt in grossen Mengen die sehr variable Nymphalide Argynnis pales Schiff. ; wohl sicher eine Erwerbung aus der Eiszeit. Sie ist in dem ganzen Norden Europas (Lappland, Finland etc.) und Asiens weitverbreitet und geht über die zentralasiatischen Gebirge hin bis Nordindien. Als Rasse arsilache Esp. tritt sie, ein typisches Relikt der Eiszeit, in den schweizerischen Voralpen, z.B. aui ! Obige Abhandlung war der letzte Vortrag, den Herr Prof. Dr. Standfuß am 7. April 1916 im Kreise der Entomologia gehalten hat. —72 dem Einsiedler Moor, und vielfach im Jura, auf den Gebirgen Mitteldeutschlands, Riesengebirge, Harz etc. — ja da und dort auch in der Ebene (Berlin, Grunewald) auf. Von weiteren Nymphaliden treffen wir, zumal in den lichten Gehölzen, sechs Arten der Gattung Zrebia. Evias God. fliegt schon von Mai an bis in den Juli hin. Sie ist von den öster- reichischen Alpen ab durch die schweizerischen, piemontesischen, südfranzösischen Alpen bis zu den Pyrenäen verbreitet und nächst blutsverwandt mit der kaukasischen hewitsonü Ld. Von Juni ab treten dann epiphron Kn., melampus Fuessl. und euryale Esp. hinzu. Alle drei sind auch in den Pyrenäen, den ungarischen Bergen und in dem schlesischen Riesengebirge vorhanden. Epiphron und euryale haben eine noch weitere Verbreitung. Im Juli und August folgen lappona Esp. und Zyndarus Esp. Lappona, einen ausgesprochen nordischen Typus, finden wir fast gleich in Lappland, Finland und im Altai wieder; Zynda- rus hingegen, eine ungemein verbreitete Art, stammt aus den östlichen Gebieten der palaearktischen Fauna und reicht durch das ganze zentrale Asien hindurch bis tief in die Mongolei hinein und nach Ost-Sibirien. Selbst Zrebia callias Edw. aus den Gebirgen Colorados etc. dürfte kaum etwas anderes als eine Lokalrasse von Zyndarus sein. Da, wo auf der Sonnenseite des Haupttales Felsenriffe in dasselbe vorspringen, oder grobes Geröll bis zum Niveau der Seen herabflutet, segelt der schöne Parnassius apollo L. in majestätischem Fluge auf und nieder, denn an solchen Stellen steht die Nährpflanze seiner Raupe, das zierliche, in großen Polstern licht rosa weiß blühende Sedum album L. Das prächtige Geschöpf, im Oberengadin ziemlich am höchsten in unseren Alpen bodenständiger Typus, ist hier be- sonders markant und grell gefärbt. Auch die Männchen pflegen stark schwarz gezeichnet zu sein, und die Weibchen sind oft sehr dunkel. Zwischen diesen Tagfaltern tummeln sich im Sonnenschein zahlreich einige Formen, die zu der viel artenreicheren Gruppe der Nachtfalter gehören. Auf den Wiesen flattert die schwarze Odezia atrata L. und gegen Abend hin die ziemlich einfarbig gelbe Cleogene lutearia F., von der die Blütenstände der Phy- teuma-Arten in manchen Jahren wie übersät erscheinen. Auch die grell weiß und schwarz oder gelb und schwarz gezeichneten Männchen der (Nemeophila) Parasemia plantaginis L., einer kleinen Bärenart, huschen flüchtig durch das Gras. In den Geröllhalden an den Talrändern irren nach Weibchen suchend und beim Fluge durch zarte, blasige Gebilde zu beiden Seiten der Hinterbrust einen feinen schrillenden Ton erzeugend —'.173 — die gelblichen, schwarz punktierten oder schwarz gestreilten Männchen gewisser Sefina-Arten umher. Ihre Raupen ernähren sich ausschließlich von dem dürftigen Flechtenanflug der irei- liegenden Steinmassen. Arten dieser Gattung treifen wir daher auch noch unter den letzten Pionieren der Tierwelt in den höchsten Apern und Geröllhalden und auf den Berggipieln, soweit sie wenigstens zeitweilig schneeirei werden. An den Felsen, zumal unter überhängenden und an Baum- stämmen ruhen den Tag über eine Menge nachtiliegender Arten aus den Familien der Noctuiden (Eulen) und Geometriden (Spanner). Zumal unter den letzteren finden sich sehr scheue und flüchtige Tiere, die sich beim Nahen menschlicher Schritte in ganzen Schwärmen von den Felsen und Stämmen ablösen und davonwirbeln (Cidaria caesiata Lang, flavicinctata Hb., infidaria Lah., cyanata Hb.). Die Eulen, aber auch viele Spanner- arten vertrauen hingegen auf ihr den Ruheplätzen bis zu verblüffender Naturtreue angepaßtes Ruhekleid, und bleiben fest sitzen. Am weitesten hat es in dieser Schutzfärbung Gnophos glau- cinaria Mb. gebracht. In Gegenden mit Urgestein findet sich eine Rasse mit diesem entsprechend marmoriertem Falterkostüm. Auf dunklen Schiefern und auf Basalt ist sie düster blaugrau, und im Jura, wie auf sonstigen lichten Kalksteingebieten trägt sie ein einfarbig weißgraues Kleid. Im Juli und August treffen dann auch meist durch das Bergell und das Puschlav herauf allerlei Zuwanderer von Südent.her ein: Fast regelmäßig erscheinen in diesen Monaten in kleinerer Anzahl: Pyrameis carduiL. (der Distelfalter) und Colias edusa F. (die goldene Acht); in grösserer Menge: Pieris brassicae L., rapae L., unsere beiden gewöhnlichen Kohlweißlinge und Plusia gamma L. (die Ypsiloneule). Auffällig ist das in manchen Jahren, so 1893 und 1911, zu beobachtende massenhaite Durchwandern gewisser Schwärmer- arten (Protoparce convolvuliL., Deilephila livornica Esp.) Nach einer kalten Nacht im Jahre 1893 konnte der Berichtende unter den elektrischen Lampen in Sils, Silvaplana und St. Moritz über 200 Exemplare des Windenschwärmers zählen. Pier. brassicae, rapae, Protop. convolvuli, Plusia gamma wandern auch direkt über den Firnschnee und die Eisflächen des Alpenwalles von Süden her zu und auch nach Norden hin weiter. Dabei geraten sie etwa in so niedere Temperaturen in diesen Höhen, daß sie von Frost erstarrt zu Boden fallen und man ihre angeirorenen Leichen dann da und dort, gelegentlich auch zahlreich, bei Hochalpenwanderungen antrifit. Pyrameis 74 cardui und Colias edusa scheinen nur den Taleinschnitten nach die Alpen zu überschreiten. Weder stieß der Berichtende im Laufe der Jahre jemals selbst auf dem Firn auf erirorene In- dividuen dieser beiden Arten, noch wurden ihm solche von anderer Seite zugeschickt. 2. Die Waldzone. Die Waldzone des Oberengadins, etwa von Bevers bis Maloja weit überwiegend Lärchen und Arven, ist an der Sonnenseite meist so licht in ihren Baumbeständen, daß sich unter denselben fast überall ein reicher Blumenflor entwickeln konnte. Hier tummeln sich daher noch alle die Arten, die wir in der Tal- ebene antraien. Nur eine Tagfalter-Spezies, die Melitaea maturna var. wol- fensbergeri Frey ist dieser Zone eigentümlich. In den Wäldern bei Pontresina und im Tale des Cavloccio- sees treffen wir sie in manchen Jahren zahlreich. Die Raupe lebt hier am häufigsten an Lonicera- und Salix-Arten, die der im mittleren Europa weitverbreiteten Taliorm maturna L. liebt besonders Esche und Wollweide. Auch eine Sesie dürite in diese Zone gehören, die im Juli 1905 von M. Bartel bei Pon- tresina entdeckte rufibasalis Bartel. An spezifischen Bewohnern sind die eben genannten Nadel- bäume arm. Es handelt sich in ihnen lediglich um Nachtialter- arten, da aber ihre Raupen, oder deren Fraßspuren am Tage frei sichtbar sind, sei ihrer hier gedacht. Auf Lärche treffen wir von Juni ab die Raupe des Diston lapponarius B., eines stark behaarten spinnerartigen Spanners mit fast flügellosem weiblichen Falter, und gleichzeitig auch die Raupe der Poecilocampa populi var. alpina Frey, eines mittelgroßen, rindengrauen ebenfalls zottigen Spinners. Diese zwei Nachtfalter sind durch ihre Entwicklungszeit bemerkenswert. Der Spanner ist derjenige Falter, welcher sich im Oberengadin am frühesten im Jahre aus der Puppe ent- wickelt. Wenn die ersten Stellen in den Lärchenwäldern schnee- frei werden und noch alle Vegetation schlummert, durchbricht er bereits die Puppenhülle, in welcher er vollkommen ausge- bildet überwinterte. Der Spinner wiederum erscheint neben der Tortrieide Exa- pate duratella Heyd. als letzter gegen Ende Oktober und im November, nachdem hier oben alles pflanzliche Leben bereits zur Ruhe gegangen ist. Als Schutz gegen die Witterungsunbilden der abnormen Er- — 15 — scheinungszeit ihrer Falter erhielten beide Arten von Mutter Natur die pelzige Behaarung. An Lärche lebt auch die Raupe des vielgenannten grauen Lärchenwicklers, der Steganoptycha diniana Gn., (pinicolana Z.); ein Schreckgespenst der Engadiner! Der Schädling tritt zunächst da und dort in besonders windgeschützten, sonnigen Mulden des linken Talhanges zahlreicher auf. So z.B. 1910 in einer kleinen Anzahl solcher Buchten zwischen St. Moritz und Maloja. Der ausgedehnteste Fraß befand sich damals etwas unterhalb von Plaun da lai etwa 10 Minuten von Sils-Baselgia ab nach Maloja zu. Von da aus verbreitet der flugkräfitige Falter während seiner Erscheinungszeit von Anfang August bis nach Mitte September hin talauf und talab seine Brut. Die in dem betreifenden Jahr abgeiressenen Bäume werden dabei von den Eier ablegenden weiblichen Faltern sichtlich gemieden. Vielleicht dient diesen der Geruch der abgebissenen, dürren Nadeln, die auch dann noch (zur Flugzeit der ablegen- den weiblichen Falter) weil angesponnen, in Menge an den Zweigen haften, als Warnzeichen. 1911 erschienen dann die Lärchen von Maloja bis nach Bevers und weiter hinab bräunlich, wie versengt. Der Berichtende entnahm anfangs August 1911 einigen Steinblöcken unter besonders stark abgefressenen alten Lärchen, etwas unterhalb des Hauptfraßgebietes von 1910, mehrere Polster von verfilzten alten Lärchennadeln, wie sie sich in den Ver- tiefungen auf den Blöcken zu sammeln pflegen. In diesem ab- gefallenen Nadelmaterial pflegen sich nämlich die Raupen des grauen Lärchenwicklers mit Vorliebe zu verpuppen. Die gesammelten Polster waren in jenem Jahre um diese Zeit vollkommen trocken und wogen zusammen 352 Gramm. Bis zum 10. September erschienen 107 Falter des Wicklers daraus und 24 Schlupfwespen. Letztere stammten sämtlich aus Raupen oder Puppen des Wicklers. 1912 war der Fraß noch sehr merklich, die Schmarotzer hatten aber bereits außerordentlich zugenommen. Etwa 90°o der eingetragenen Raupen ergab Schlupiwespen, oder starb an Pilzkrankheiten. 1913 zeigte sich der Fraß im Oberengadin bereits im starken Rückgange begriffen, während er damals nach dem Unterengadin zu und in diesem selbst gerade erst zur Höhe gelangte. Die Raupe lebt auch an den jungen Trieben der Arven, hier besonders das zarte Rindenparenchym verzehrend und da- durch wohl vielfach gewisse Verkrümmungen der Arvenstämme und Aeste verschuldend. Ferner verzehrt sie die männlichen Blütenstände der Berg- — 16 ı— föhre gern und geht auch die frischen Schosse der Fichte an. Die alten Nadeln dieser drei Coniferenarten sind für ihre Freß- werkzeuge offenbar zu hart und so wird ihr Schaden an diesen Bäumen niemals sehr auftällig. Die Fraßperioden des Schädlings wiederholen sich alle 10 bis 15 Jahre. Sie dürften an einem geringeren Holzzuwachs, also durch schmälere Jahresringe am Querschnitt der seinerzeit von Fraß stark befallenen Stämme nachweisbar sein. Da gesunde Lärchen, wie die Beobachtung in den Fraßjahren zeigt, fähig sind, noch im August eine genügende Menge frischer Nadeln als Ersatz nachzutreiben, so entsteht bei solchen ein dauernder Schaden für ihre Lebensfähigkeit nicht. Verletzte, altersschwache Individuen, oder anderweite Todeskandidaten sterben allerdings abgeiressen wohl etwas früher ab, als ohne dies. Die bedenklichste Gefahr, welche älteren Lärchenstämmen aus starker Schädigung durch Fraß erwächst, ist die dadurch geschaifene Prädisposition für das Befallenwerden von dem verbreitetsten Borkenkäfer des Oberengadins: /ps (Tomicus) cembrae Heer. Auch die Arve hat ihren Quälgeist unter den Lepidopteren: die Arvenminiermotte (Ocnerostoma copiosella Frey), die alpine Rasse einer kleinen silbergrauen Motte, der Ocner. piniariella Z., welche an Pinus silvestris L. und anderen Föhrenarten in den Ebenen Europas und Asiens weit verbreitet ist. Das Ei wird dicht an der Spitze der Nadel abgelegt, das ausschlüpiende Räupchen bohrt sich dann in diese hinein und verzehrt deren Chlorophyll nach der Nadelscheide hin minierend. Ist die Raupe erwachsen, was nach dem Ausbohren von ?/s bis ®/a der Nadel der Fall ist, so verläßt sie diese durch ein sehr sichtbar bleibendes Bohrloch und wird in einem zwischen den Nadeln angelegten, weißseidenen feinen Gespinnst zur Puppe. An den Arven mit ihren fünf Nadeln in jeder Nadelscheide sind die sich verspinnenden Raupen und die Puppen gegen Witterungsunbilden und tierische Feinde, namentlich gewisse kleine Wanzenarten, sehr viel besser geschützt als an den nur zweinadeligen Föhrenarten, deren Nadeln überdies sehr viel spröder sind. Mit diesem grösseren Schutz, den das fünfteilige Nadel- büschel der Arve der Art gewährt, dürfte es mit in erster Linie zusammenhängen, daß die kleine Motte an den Arven nicht selten in unglaublicher Menge auftritt und eine wahre Nadel- schütte zur Folge hat. — 17 — Die Rasse der Ebene, wie die der Alpen entwickelt sich in dem Zeitraume eines Jahres stets zweimal vom Ei bis zum Falter. Die Sommergeneration entfaltet sich schnell zwischen Juni und August. Die Wintergeneration überwintert dann als winziges Räupchen in der Nadel dicht vor deren Spitze. Winter mit öfterem, starkem Temperaturwechsel dezimieren diese Generation glücklicherweise oft gründlich. Während im Sommer 1911 der Falter der Ocner. copiosella von Bevers bis Maloja so häufig war, baß beim Klopfen an junge Arven ganze Wolken der kleinen Motte herausstoben, und im September sonnig stehende Büsche fast an jeder Nadel- spitze das schwach metallisch glänzende Ei erkennen ließen, war die Art im Sommer 1912 nur sehr einzeln anzutreffen. Bei näherem Zusehen zeigten dann 60 bis 80° Nadeln die während des Winters zugrundegegangenen winzigen Räupchen vor ihren Spitzen. Von den Nadeln der Lärche ernährt sich weiter noch die Raupe der schönen Plusia ain Hochenw., von denen der Lärche und Arve die der interessanten Zxapate duratella Heyd. Die letztere spinnt kleine Geweberöhren zwischen den Nadeln, in denen sie dann auch zu einer ungemein beweglichen Puppe wird, die im Sonnenschein in dem gewobenen Schlauch eifrig hin und her spaziert. Der Falter entwickelt sich gleichzeitig mit dem der Poec. populi var. alpina Frey erst im Oktober und November. Die weibliche Imago hat ganz kurze Flügelstummel, aber sehr kräftig entwickelte Beine und läuft schnell. 3. Die Alpenmatten über der Baumgrenze. Verlassen wir die Waldzone und steigen die weiten Gebiete der Alpmatten aufwärts, so wechselt mit der anders gestalteten Vegetation des Bodens die Falterfauna schnell. Die vielen Lycaenidenarten des Tales verschwinden mit den Futterpflanzen ihrer Raupen, überwiegend Papilionaceen, und weichen einigen wenigen anderen hier bodenständigen Arten, unter denen die im männlichen Geschlecht unscheinbar grau- blaue, im weiblichen schwärzlich graue Zye. orbitulus Prun. die häufigste ist. Sie besitzt ein ausgedehntes Verbreitungsgebiet, findet sie sich doch, vielfach in einem besonderen Lokalkostüm, auf allen zentralasiatischen Hochgebirgen, ferner in dem nörd- lichen Sibirien, Lappland und selbst noch in Labrador und dem weiteren polaren Amerika. Anstelle des Parn. apollo stossen wir hier auf eine kleinere, schärfer gezeichnete Art, den Parn. delius Esp. Er fliegt mit Vorliebe auf sumpfigem Terrain und den Gebirgsbächen ent- — as: — lang. Seine Raupe lebt nämlich an der Feuchtigkeit liebenden Saxifraga aizoides L. und verträgt viel Nässe. Die mit einem bläulichen Wachsreif überzogene Puppe kann sogar viele Stun- den lang bei Gewittergüssen unter Wasser geraten ohne im geringsten Schaden zu leiden. Sonne und Feuchtigkeit sind die Lebenselemente dieses schönen Falters. Die Art fehlt der skandinavischen Halbinsel gänzlich, ist da- gegen im nördlichen Asien bis Kamtschatka hin und noch auf den Gebirgen von Colorado und Californien, hier auf amerika- nischem Boden als Rasse smintheus Dbl. Hw. eine häufige Er- scheinung. Mit der bald zu erwähnenden, kleinen Bärenart Arctia quenselii Payk. und der eigenartigen Satyride Oeneis aello Hb. dürfte Parnassius delius Esp. zu den erdgeschichtlich besonders alten Arten unserer schweizerischen Falterfauna gehören. Der ähnliche, durchweg in tieferen Berglagen bodenständige Parn. apollo ist wohl als ein bei Rückgang der Eiszeit und den da- mit eintretenden günstigeren klimatischen Bedingungen von delius artlich abgespaltener Typus zu denken. Von den sechs Erebien des Tales begleiten uns hier noch fünf, nur evias fehlt. Die Species dieser Gattung sind in den Futterpflanzen ihrer Raupen, mancherlei Grasarten, nicht be- sonders wählerisch. Dazu kommen nun aber noch eine ganze Reihe weiterer Arten: flavofasciata Heyne-Rühl, eriphyle Frr., mnestra Hb., pharte Hb., gorge Esp., manto Esp., ceto Hb. u.a.m. Die Entwickelung vom Ei bis zur Imago währt hier bei vielen Arten zwei, ausnahmsweise sogar drei Jahre. So kann eine Species in dem einen Jahrgange fast oder ganz fehlen, während sie in einem anderen zahlreich vorhanden ist. Von den genannten Erebientypen sind die drei ersten sehr wahrscheinlich von älteren Arten speziell in unseren Schweizer- und Tyroleralpen neuerdings abgezweigte Species. Flavofasciata ist sehr lokal und findet sich in unserem Gebiet in-einer ver- düsterten Form am Schafberg und Tschierva-Gletscher. Zriphyle und mnestra sind weiter verbreitet. Die übrigen vorgenannten Spezies mögen aus östlichen Gebirgszügen von Ungarn und Bulgarien her in unsere Alpen eingewandert sein. Dasselbe gilt von einer schmucken Pieride, der Colias phicomone Esp., die uns hier überall umilattert. Die im europäischen Tieflande weitverbreiteten Melitaea aurinia Rott. und parthenie Brkh. erscheinen in diesen Höhen in zierlichen verkleinerten und verdüsterten Rassen als var. merope Pr. und var. varia M.D. Damit vergesellschaitet fliegen aber wieder zwei nur den Hochalpen angehörende Arten dieser Gattung: die durch ihren sexuellen Färbungsdimorphismus aus- —4 179 7— gezeichnete, den schweizerischen, österreichischen und bulga- rischen Alpenzügen gemeinsame cynthia Hb. und die nur den Ostalpen zukommende, kleinste Melitaea: asteria Frr. Auch die uns von der Talsohle her bekannte Argynnis pales fliegt hier noch vielfach, aber in dürftigeren Individuen. An den oberen Grenzen dieser Alpmatten treffen wir in manchen Jahren zahlreich (Muotas Muraigl, Celerina-Alp, Weissenstein-Albulapaß) den bereits erwähnten zierlichen Bären- spinner: Arctia quenselii Payk. Die Weibchen ruhen, oder kriechen gern zwischen Cetraria islandica. Die Männchen fliegen um die Mittagszeit wild im Sonnenschein nach den Weibchen suchend. Sie können mit Hilfe frischer, ungepaarter Weibchen, die in luftigen Gazekästen eingeschlossen wurden, leicht in Menge gefangen werden. Die Art ist in Lappland und Labrador nicht selten und hat eine ganze Reihe nahe verwandter Arten in Nordamerika, wo wir die Wiege des interessanten Geschöpfes zu suchen haben dürlten. Von eben daher stammen wohl auch die flüchtigen kleinen Noctuiden Anarta rupestralis Mb. und nigrita Bdv., die sich hier im Sonnenschein tummeln und besonders gern die roten Blümchen der moosartigen Polster von Silene acaulis L. und exscapa All. nach Honig absuchen, oder dann auf feuchter Erde ruhen. Aus der rein palaearktischen Gattung Zygaena (Blutströpf- chen) finden wir auf allerlei Blumen, zumal Compositen, sau- gend die dichtbehaarte exulans Hochenw., ein Produkt der Eiszeit von zentralasiatischer Herkunft. Die lappländische Form ist von der unserer Alpen kaum verschieden und die nächsten Blutsverwandten finden sich auf dem Altai und Tarbagatai. In manchen Jahren sind plattige Steine an ihrer Unterseite ganz bedeckt mit den weissen, silberglänzenden, halbeiförmigen Puppenkokons dieser Zygaene. In Unzahl beobachtete sie der Berichtende im Juli 1882 bei dem Gran Sasso in den Abruzzen. Flüchtig irrt hier auch noch Pieris callidice Esp. verstreut um- her, ein hochalpiner Falter, der sich durch Kleinasien, den Kaukasus und die asiatischen Hochländer bis zum nördlichen Himalaya hinzieht und wohl sicher auch seinerzeit von jenen östlichen Gebieten her bei uns einwanderte. An grasigen Hängen treffen wir dann noch eine ansehnliche, absonderliche Satyride, die Oeneis aello Hb., eine spezilische Art der Alpen und zugleich hier der einzige Vertreter dieser Gattung. Sie ist im Norden und auf den höchsten Gebirgen Europas, Asiens und Nordamerikas in einigen zwanzig Arten heimisch. Unsere aöllo steht unter diesen Species noch am — 180 — nächsten den Nordamerikanern gigas Butler von Vancouver Is- land und macouni Edwards von den Rocky Mountains. Wie wir bereits hervorhoben, ist aöllo sicher eine erdgeschichtlich recht alte Tierform. Dabei ist die Art noch gegenwärtig ziem- lich anpassungsfähig. Der Berichtende erbeutete sie zahlreich im Juli 1879, teils mit noch unentwickelten Flügeln, auf einer sonnigen Grashalde im Ortlergebiet bei 2700 m, — am Julier- paß (2287 m) ist sie in manchen Jahren ziemlich häufig — andererseits fielen ihm mehrere, ganz frischentwickelte Stücke auf der Halbinsel Chaste des Silser Sees, also bei 1800 m (1797. m), in dierklänude. | Bemerkenswerter ist noch, daß aello von Arn. Wullschlegel und K. Vorbrodt wiederholt im Rhonetal bei Martigny und Vernayaz bis zu 477 m herab frisch entwickelt beobachtet wurde. 4. Die äußersten Steinhalden, Apern und Gipiel. Diese letzten Stationen tierischen Lebens weisen nur noch einen bodenständigen Tagfalter auf, die Erebia glacialis Esp. Der Name ist sehr zutreffend. Der Berichtende z. B. stieß 1879 und dann später wiederholt in den achtziger Jahren noch auf ringsum von Eis umflossenen Felsriffen mit spärlichem Gras- wuchse am Piz Umbrail, Ortler, Corvatsch, auf der Diavolezza- Höhe etc. bei 2900 bis etwas über 3000 m Höhe auf aus- wachsende oder doch noch weiche, flugunfähige Falter dieser Art. Em. Bäbler traf bei seinem verdienstvollen Erforschen „der wirbellosen terrestrischen Fauna der nivalen Zone“ (Genf, Al- bert Kündig 1910) unserer Alpen Raupe und Puppe (letztere als Erster) dieser Art mehrfach in gleichen Höhen und noch höher. Am Finsterarhorn konstatierte er bei 3237 m Höhe noch die Raupe von Zrebia glacialis Esp. unter Steinen und dürftigen Grasbüscheln; ferner die Raupen von Psodos alticolaria Mn. und von Setina andereggii H.S. Die beiden letzteren Arten leben von dem spärlichen Flechtenanflug der Felsen und Ge- röllhalden. Der Gattung Setina gedachten wir bereits bei der Talfauna. Zrebia glacialis Esp. findet sich nur in den Alpen und auf den Abruzzen. Ihre Herkunft ist problematisch. Die Erebia magdalena Strecker von den Hochgebirgen Colorados ist ihrem äußeren Aspekt nach ähnlich, allein es kann sich da sehr wohl um eine auf die Einwirkung äußerer Faktoren zu- rückzuführende Konvergenz-Erscheinung handeln, da geogra- phische Zwischenglieder zu fehlen scheinen. Kaum weniger interessant sind eine Reihe Spanner-Arten aus den Gattungen Dasydia und Psodos, die sich fast aus- schließlich in diesen Einöden finden. Wir erwähnten soeben — 1831 — bereits Psodos alticolaria Mn. Diese Spanner sind sämtlich zu Tagfliegern geworden, da die in diesen Höhen meist sehr kühlen Nächte das Zusammenfinden der beiden Geschlechter bei Nacht in manchen Jahren fast unmöglich machen und so die Existenz dieser Arten sehr gefährden würden. Die fast insuläre Art der Verbreitung dieser äußersten Vor- posten der Tierwelt begünstigt die Entwicklung lokaler Rassen und damit im weiteren auch die Herausgestaltung gesonderter Species. So haben sich denn in der Tat in der Gattung Psodos die drei neuen Arten: frigidata Roug., noricana Wagner, ben- telii Rätzer, in den Alpen von den altbekannten: alficolaria Mn., alpinata Sc. und frepidaria Hb. abgespalten, von denen sich frigidata und bentelii mit vieler Wahrscheinlichkeit auch auf den Engadiner Bergriesen finden düriten. Auch einige Species der Spanner-Gattung Gnophos, welche tagsüber und bei Nacht fliegen, steigen noch so weit auf. Die Flügel der Weibchen sind ziemlich reduziert bei Gnophos zelle- raria Fır. und andereggaria Latt. und stark verkümmert bei Gnophos caelibaria H.S. und operaria Hb. Letzteres gilt auch von den weiblichen Faltern der Pygmaena fusca Thnbrg., der Agrotis fatidica Hb. und gewisser Microlepidopteren-Arten, die aber allerdings alle noch den obersten Alpmatten angehören. Kurzflügelige und fast flügellose Arten gibt es in diesen Höhen nicht nur unter den Lepidopteren, sondern auch unter den Dipteren (Tipuliden) und den Orthopteren (Pezotettix). Die Vergleichung zeigt, daß die Weibchen mit reduzierten Flügeln eine größere Anzahl Eier zu produzieren vermögen, als die der nächstverwandten im: weiblichen Geschlecht stets voll geflügelten Arten. Die Reduktion der Flugorgane dürfte danach auf dem Weg des Kampfes der Teile im Organismus der Art, wie man diesen Hergang nennt, zustande gekommen sein. Für die Erhaltung der Art war es dienlicher, eine größere Anzahl Eier zu produzieren und der Flügel zu entraten — als weniger Eier hervorzubringen und vollauf flugfähig zu sein. So gestaltete sich der Körperbau bei diesen Arten allmählich in dem Sinne um, daß die Flügel abnahmen, der Inhalt der Keimdrüsen aber eine Zunahme erfuhr. Auch ist zu erwägen, daß diese exponierten Gebiete von Stürmen viel heimgesucht sind und wenig guten Schutz da- gegen gewähren, so daß die vollgeflügelten Weibchen dann leicht auf die Schnee- und Eisfelder der Umgebung verweht werden könnten, wo sie zugrunde gehen müßten. Natürlich laufen beide Geschlechter, wenn geflügelt, diese Gefahr. Indes da ein Männchen 3—5 Weibchen vollwertig zu beiruchten ver- — 12 — mag, so sind zur Erhaltung der Art eine Anzahl Männchen jedenfalls eher entbehrlich. Vor der Gefahr, auf Eis und Schnee verweht zu werden, schützen sich die Tagflieger dieser hohen Regionen durch so- fortiges Fallenlassen, wenn stärkerer Wind oder Sturm einsetzt. Verschwindet die Sonne plötzlich, womit in der nivalen Region ein sofortiger, sehr fühlbarer Temperaturrückgang verbunden zu sein pflegt, dann verkriechen sie sich augenblicklich in die Vegetation oder unter Steine, um von Regen, Schnee, Hagel, die dann oft unerwartet schnell folgen, nicht überrascht zu werden. In der Tat ist es denn auch auffallend, wie unglaublich wenig von der alther bodenständigen Fauna dieser höchsten und letzten noch tierisches Leben aufweisenden Zone der Alpen man auf Schneefeldern und Gletschern zugrundegegangen antrifit. Der Berichtende hat auf zahlreichen Gletscherwanderungen während seiner häufigen Aufenthalte im Oberengadin fleißig auf diese Dinge geachtet. Nur die kleine Bärenart Parasemia plantaginis L. hatte in der geschwärzten hochalpinen Form matronalis Frr. nicht selten den weissen Tod erlitten. Von den letzten Sennereien, Klubhütten und Gasthäusern stammten die angefrorenen Kadaver der Vanessa urticae L., deren Raupen dort Nesseln verzehrt hatten, und der Zristalis tenax L., der bekannten, weitverbreiteten, die Honigbiene nach- ahmenden Fliege, welche als langgeschwänzte Larve in den Senkgruben dieser letzten zeitweiligen menschlichen Siedelungen herangewachsen war. Von eigentlichen Touristen zeigten sich die Leichen der vorher genannten Pieris brassicae, rapae, Proloparce convolvuli und Plusia gamma auf den Firnfeldern, und aus der Waldzone zugeweht, oft in Anzahl, eine große Coniferen-Blattlaus, die Lachnus pinicola Klt., nebst einigen Tipula-Arten. B. In der Nacht zu beobachtende Arten. Die Zahl der in der Nacht rege werdenden Schmetterlings- arten ist eine noch höhere als die der Tagflieger. Abgesehen von den Familien der Hepialiden, Psychiden und Arctiiden (die Blüten besuchende Bärengattung Callimorpha steigt nicht bis zu dieser Höhe an) mit vollkommen verkümmer- tem Saugrüssel werden wir uns von dieser nächtlichen Fauna etwa ein Bild durch Absuchen der Blumen bei Mondenschein — oder dann, bei gedecktem Himmel, mit der Laterne zu ver- schaflen vermögen. — 18 — Besonders beliebte Pflanzen sind da: Polygonum bistortaL. Silene inflata Smith und nutans L. und die Dianthus-Arten, zumal superbus L. Manche Falter gehen lieber, oder ausschließlich den süßen Exkrementen der Pflanzenläuse nach. Diese finden sich zahl- reich an künstlichem Köder !' ein, der an Baumstämmen und Telegraphenstangen, mit geringerem Erfolg an Steine und Fel- sen, angestrichen wird und können da leicht beobachtet werden. Auf diesem Wege wird man sich am Palpuogna See, unter- halb Weissenstein an der Albulastrasse und in dem schönen Waldrevier zwischen Sils-Maria und dem Fextal die Kenntnis von den eigenartigen Noctuiden: Agrotis speciosa Hb., rheetica Stgr. und hyperborea Zett., welche alle drei der Waldzone an- gehören, am leichtesten verschaffen können. Am Tage ruht der Falter von Agrotis speciosa an Stämmen und Steinen, der von Agr. hyperborea in der niederen Vegetation am Boden verborgen. Den Falter von Agr. rheetica fand der Berichtende wiederholt tagsüber an der Erde zwischen Cetraria islandica versteckt, vielleicht der Futterpflanze seiner Raupe. Die bequemste Methode, sich über die Nachtfalterfauna einer Gegend zu orientieren, ist aber unzweifelhaft der Fang mit Licht, zumal seitdem überall in unseren Hochalpen die weithin leuchtenden elektrischen Lampen eingeführt sind, welche die Falter auch noch hoch von den Berghängen her in das Tal herunterlocken. Ueberdies stellen sich hier auch die einen Saugrüssel ent- behrenden Arten ein. So wurde z. B. unsere größte schweize- rische Psychide Sterrhopteryx slandfussii H.S. von dem Be- richtenden zweimal in Silvaplana an den Bogenlampen am frühen Abend erbeutet, während die auf den Sumpigebieten nach dem Cavlocciosee hin und zwischen St. Moritz und Pon- tresina von ihm gesammelten Raupensäcke der Art bisher stets nur Schmarotzer (Schlupfwespen) ergaben. Es ist unglaublich, was da, zumal in warmen, trüben Nächten, diesen intensiven Lichtquellen von Insekten alles zuströmt. Außer Lepidopteren erscheinen auch eine Reihe nächtlicher Hemipteren-, Neuropteren-, Coleopteren- und Hymenopteren- arten. Der Hauptmangel dieser Erforschungsweise der Fauna ist und bleibt das sehr lückenhafte Erscheinen gut erhaltener weib- licher Individuen. Wer sich ihr widmet, wird dann such sehr bald zu seiner Verwunderung bemerken, zu wie verschiedenen ! Bier und Honig zu gleichen Teilen, die durch Kochen etwa auf die Hälfte eingedickt und denen schließlich einige Tropfen Rhum beigemischt werden, sind als solcher beliebt. —. 184 — Stunden in der Nacht sich die verschiedenen Arten einzustellen pilegen. Kleinschmetterlinge beginnen, sobald es dunkelt: Tineiden, Tortriciden, Pyralo-Crambiden. Dann folgen Scharen von Spannern, zumeist aus den Gattungen: Cidaria, Gnophos und Eupithecia. Noctuiden und die hier sehr dünn gesäten Bomby- ciden schliessen sich an, die verschiedenen Arten zu verschie- denen Nachtstunden. So erscheinen, um nur ein Beispiel zu nennen, die sehr seltenen, den höchsten Alpenmatten angehö- renden Agrotis culminicola Stgr. und wiskotti Stdis. meist erst zwischen "212 und ‘al Uhr, auch noch später. Als letzter Falter findet sich der große, schöne Alpenbär Arctia flavia Fuessl. gegen Morgen zwischen 2 und 5 Uhr „zum Lichten“ ein. Uebrigens schwankt der Beginn des Aniluges nach den Jahreszeiten: im Hochsommer treten die frühesten Noctuiden kaum vor 210 des Nachts — im Frühjahr und Herbst schon um 8 Uhr, oder noch früher auf. Von den Wiesen der Talsohle stammen: Dasypolia templi Thnbrg. (April bis Juni, aber auch schon vor Ueberwinterung des Falters, August bis Oktober); Mythimna imbecilla F. (Juni, Juli); Caradrina (Hydrilla) palustris Hb.; Biston alpina Sulz. (nur 5, Mai und Juni). Aus der Waldzone stellen sich ein: [Hier muß allerdings gesagt werden, daß viele der ange- führten Arten auch in der Talsohle des Oberengadins leben und andererseits noch über der Waldzone hoch an den baum- losen Alpmatten auisteigen]. Trichiura crataegi var. ariae Hb. (Juni bis September); Poe- cilocampa populi var. alpina Frey (Oktober, November); Zrio- gaster arbusculae Fır. (April, Mai). Dieser zierliche, hochalpine Spinner vermag als Puppe bis achtmal zu überwintern, ohne daß dadurch die Fortpilanzungs- fähigkeit des nach so langer Puppenruhe sich entwickelnden Falters irgendwie leiden würde. Nur ausnahmsweise entwickelt sich der Falter vor viermaliger Ueberwinterung der Puppe. Bis siebenmal vermag auch die Puppe von Diston alpina Sulz. ohne Schaden für die Fruchtbarkeit der dann erscheinenden Imago zu überwintern. Diese Arten gehören mit vieler Wahrscheinlichkeit zu den praeglacialen Relikten unserer Alpen. Für die Entwicklung der ziemlich langsam heranwachsenden, nicht überwinterungsfähigen Raupe bis zur Verpuppungsreife waren kühle, ungünstige Jahrgänge während der Glacialzeiten sehr wahrscheinlich zu kurz. Noch jetzt gehen, wie der Be- richtende oft genug mit eigenen Augen ansehen konnte, in — 15 — allen rauhen Jahrgängen, so z. B. 1912/1913, tausende und abertausende von Raupen der Zriog. arbusculee besonders an den höheren Orten ihres Vorkommens zugrunde, weil sie die Spinnreife nicht zu erreichen vermögen. Der höchste Punkt, von dem der Berichtende den eigenartigen Spinner bisher aus der Raupe bis zum Falterstadium glücklich in Anzahl zu er- ziehen vermochte war Plattje (2508 m), gegenüber Almagell, im Wallis, — der niedrigste Punkt, die Umgebung des Cav- locciosees (1910 m), eine Stunde von Maloja. Auch von Muottas-Muraigl (2250 m), ob Celerina, gelang es ihm, etwa ein Dutzend Imagines zu züchten. Die letzten tadellosen Falter erschienen bei ihm nach siebenjähriger Puppenruhe. Der ver- storbene eifrige Lepidopterologe Rudolf Zeller (Balgrist bei Zürich) erhielt noch mehrere tadellose Exemplare nach acht- jähriger Ruhe. Nur dank dieser Fähigkeit, besonders kühle, unireundliche Jahre, ja Reihen von Jahren, im Schlaf zu verbringen, dürfte es dieser Spinnerart und wohl auch dem Spanner Biston alpina Sulz. möglich gewesen sein, die Eiszeiten in unseren Alpen zu überdauern. Von Noctuiden kommen: Agrotis lucernea L., helvetina B. (Juli, August); decora Hb. (Juli bis September); simplonia H.G. (Mai bis August); grisescens Tr., recussa Hb., corticea Hb. (Juli, August); Mamestra glauca Hb. (Mai bis Juli); proxima Hb., marmorosa var. microdon Gn. (Juni bis August); Dian- fhoecia caesia Bkh. (Juni bis August); Bombycia (Cleoceris) viminalis F. (Juli bis September); AHadera adusta Esp. (Juni bis August); pernix Hb., maillardi H.G., furva Hb. (Juli, August); gemmea Tr. (August, September); rubrirena Tr. (Juli, August). Ferner: die zierliche Zeucania andereggii B. mit ihrer var. engadinensis Mill. (Mai bis Juli), deren Raupe an Gräsern, mit Vorliebe an der prachtvollen Gebirgsform des Zittergrases, der Briza media var. major Peterm. lebt, und die schöne Plusia ain Hochenw. (Juli, August). Auch der schmucke Alpenbär Artia flavia Fuessl. (Juli, August) ist in manchen Jahren zahlreich unter den Lichtgängern vertreten; allein in gut erhaltenen Exemplaren ebenfalls fast nur im männlichen Geschlecht. Seine Raupe überwintert zwei- mal und bedarf dafür, wie zum Schutze des zarten Puppen- gewebes großer Steinblöcke, oder Felsen. Herangewachsen liebt sie mastiges Futter. Sie ist daher in der Nähe der Bergbäche, oder zwischen nicht zu dichtem, mit Vegetation viel durchsetztem Steingeröll am ersten zahlreich zu treffen. Die Art steigt in den zu dem Engadin zuführenden Tälern noch ziemlich tief herab, — 16 — so im Tale der Julia bis Sur und Mühlen, im Tale der Albula bis Bergün und Filisur (1040 m). Andererseits fand der Be- richtende im Juli 1879 am Stilfserjoch (2756 m) noch zahlreiche erwachsene Raupen und lebende Puppen unter Steinblöcken. Selbst die höchsten Alpmatten liefern noch einige be- sonders seltene, spezifische Arten an das Licht, aber nur sehr einzeln bis zum Tal des Oberengadins herab: Agrotis wiskotti Stdis., culminicola Stgr., sanctmoritzi Bang-Haas, fatidica Hb. (Juli, August). Von letzterer Art nur das Männchen, das Weib- chen ist, wie wir früher sahen, kurzflügelig. Zahlreicher kann man diese Seltenheiten erreichen von den inmitten der majestätischen Stille der Hochalpen liegenden Klubhütten und Berghotels aus. Hier kommen dann auch noch von den letzten Geröll- halden und Apern her: Gnophos zelleraria Frr. und ande- reggaria Lah. in beiden Geschlechtern und das Männchen von Gnophos caelibaria H.S. und ihrer var. spurcaria Lah. an das Licht. Als besonders günstige Punkte für dergleichen Nachtfang sind da bekannt: Franzenshöhe und Ferdinandshöhe an der Ortlerstraße, Preda und Weissenstein am Albula, die Bernina- häuser und das Berninahospiz, Riffelalp und Riffelhaus am Gornergrat. — 197 — o%s ! Prof. Dr. M. Standfuß Am 22. Januar 1917 verschied Prof. Dr. M. Standfuß, das Ehrenmitglied der „Entomologia Zürich und Umgebung“. Unser Verein verliert in ihm einen seiner Gründer, dem es hauptsäch- lich zu verdanken ist, daß unser Verein lebensfähig wurde. Seine zahlreichen prächtigen Vorträge und Demonstrationen haben den Grundstock für das wissenschaftliche Leben im Ver- ein gegeben. Um unsere Dankbarkeit gegenüber dem von allen Mitgliedern hochgeschätzten und verehrten Verstorbenen wenig- stens in geringem Maße zu bezeugen, haben wir vorliegendes Heft der Mitteilungen seiner Erinnerung gewidmet. Das Heft enthält seine letzte wissenschaftliche Arbeit, seinen letzten in unserem Kreise gehaltenen Vortrag und die beiden Ansprachen, die anläßlich der Trauerfeier in der Neumünsterkirche am 24. Ja- nuar 1917 von seinem Kollegen Herrn Prof. Dr. H. C. Schellenberg und von seinem Freunde Herrn Direktor Dr. F. Ris gehalten wurden. Der Vorstand der Entomologia. — 4188 — Ansprache von Herm Prof. H. C. Schellenberg in der Neumünsterkirche. Verehrte Trauerversammlung! Ein müder Wanderer hat nach vollbrachtem Tagewerk sein Haupt zur ewigen Ruhe hingelegt. Maximilian Standfuß, Professor für Entomologie an der eidgen. techn. Hochschule und an der Universität Zürich, ist nach kurzem Krankenlager Montag, den 22. Januar, vom un- erbittlichen Tod abberufen worden. Gestatten Sie mir, im Namen der eidgen. techn. Hochschule, im Namen seiner Kollegen, und auch im Namen der Kollegen der Universität, spez. der philosoph. Fakultät II dem lieben Ver- storbenen einige Worte des Dankes und der Anerkennung zu widmen. Geboren zu Schreiberhau, Preußen, am 6. Januar 1854 hatte Standfuß im elterlichen Hause reichlich Gelegenheit, sich mit entomologischen Dingen zu beschäftigen. Sein Vater war Piarrer und nebenbei ein eifriger Schmetterlingssammler. Der junge Standfuß sollte nach dem Wunsche des Vaters Theologie stu- dieren. Doch nach zweijährigem Studium in Halle entschied er sich definitiv für die Naturwissenschaften. Er promovierte in Breslau 1878 mit einer Arbeit über die Systematik der Psychiden. Nachher schließen sich die Wanderjahre an, auf denen er eifrig Insekten sammelte. Wir sehen ihn in Ungarn, Italien dem Stu- dium der Insektenfauna obliegen, und in zahlreichen Publikationen hat er neue Formen aus diesen Gebieten beschrieben. Im Jahre 1885 wurde die Stelle eines Kustos der entomologischen Samm- lung am Polytechnikum neu bestellt. Die Wahl fiel auf den damals 3ljährigen Maximilian Standfuß. Der damalige Schulrats- präsident Kappeler wußte, daß das Gebiet der Entomologie nur nutzbringend auf die Fächer der Bodenkultur einwirken kann, wenn ein tüchtiger Spezialist die Sammlungen verwaltet. Es war ein glücklicher Griff. Die entomologische Sammlung der eidg. techn. Hochschule ist in diesen 31 Jahren, seit Standfuß — 189 — sie leitete, nicht allein zum Mittelpunkt für die schweizerischen Entomologen geworden, sie ist unter der eifrigen, sachkundigen Leitung zu einer der berühmtesten derartigen Sammlungen an- gewachsen. Was dieser Sammlung ganz besonderen Wert ver- leiht, sind nicht die durch bloße Sammeltätigkeit zusammen- gestellten Belegstücke, sondern es sind vor allem die reich- haltigen Materialien von den wissenschaftlichen Versuchen, die Standfuß mit seinen Schmetterlingen ausführte. Daneben aber hat Standfuß gesucht, eine Sammlung für die Praxis der Land- und Forstwirtschaft nutzbringend auszugestalten. Die Zusammenstellung der nützlichen und schädlichen Formen unter den Insekten zu biologischen Gruppen ist ihm in vor- züglicher Weise gelungen, und an den landwirtschaftlichen Aus- stellungen in Frauenfeld und Lausanne waren diese Objekte Gegenstand allgemeiner Bewunderung und sie bilden heute den Stolz des neuen Institutes. Leider war es in den alten Räumlichkeiten nicht möglich, diese Sammlung in richtiger Weise aufzustellen. Wie freute sich dann Standfuß, als endlich auch die entomologische Sammlung in den neuen Räumlichkeiten des Institutes für Land- und Forst- wirtschaft einem weitern Publikum zugänglich gemacht werden konnte. Mit einem Feuereifer ging er an die Arbeit der Neu- einrichtung, aber nur allzu kurze Zeit — kaum ein Jahr — war es ihm vergönnt im neuen Hause seine Lebensarbeit weiter zu führen. Seine Sammlungen gelten als mustergültige, und erwecken ungeteilte Freude bei allen Besuchern. Er hat sich regelmäßig gefreut, wenn vor allem seine Studenten, aber auch sonstiger Besuch seinen schönen Sammlungen Aufmerksamkeit schenkten, und nie wurde er müde, Erklärungen aller Art zu erteilen. Doch neben der Tätigkeit des Kustos der entomologischen Sammlung hat Standfuß seinen Vorlesungen besondere Auf- merksamkeit gewidmet. Er habitilierte sich an beiden Hochschulen im Jahre 1892 und wurde im Jahre 1905 an der technischen Hochschule zum Titulaturprofessor mit Lehrauftrag ernannt. Seine Vorlesungen beziehen sich auf die Insektenkunde; ganz besondere Freude aber bereitete ihm die Vorlesung über die Hauptschädlinge in der Land- und Forstwirtschaft, denn sie führte ihn in nähere Beziehungen mit der Praxis. Im Sommer schlossen sich noch Exkursionen den Vorlesungen an. Den Studenten war er nicht allein ein Berater in allen fach- lichen Fragen, sondern er suchte ihnen das Studium auf dem Wege des Anschauungsunterrichtes so leicht als möglich zu machen und den etwas trockenen Lehrgegenstand in lebendiger Weise vorzuführen. —. 190 — Der Erfolg seiner Wirksamkeit blieb denn nicht aus. Bald war es die land- und forstwirtschaftliche Praxis, die sich bei ihm Rat holte, bald waren es die Fachgenossen, die ihn in Anspruch nahmen. Immer war er freudig zur Hand, wenn es galt, seine großen Erfahrungen und Kenntnisse andern dienstbar zu machen. Wir sehen Standfuß als langjähriges Präsidium des entomo- logischen Vereines, als eifriges Mitglied der Zürcher natur- forschenden Gesellschaft und deren Präsident in den Jahren 1912— 1914. Standfuß hat auf seinem Spezialgebiet der Schmetterlings- kunde Weltruf erlangt, und sehr zahlreich sind die Anerkennungen, die ihm besonders das Ausland gezollt hat. Die Bedeutung seiner wissenschaftlichen Arbeiten wird von beruiener Seite gewürdigt werden. Doch kann ich es mir als Landwirt nicht versagen, aus den zahlreichen Publikationen eine Serie herauszugreifen, um auf die speziellen Verdienste hinzuweisen, die sich Standfuß um die Vererbungslehre und damit um die Tierzucht erworben hat. Das viel umstrittene Problem der Vererbung erworbener Eigenschaften und die Beziehungen zur Entstehung neuer Formen suchte Standfuß an Hand von Züchtungsversuchen mit Schmetter- lingen zu lösen. Seine Versuche über die Einwirkung von Kälte und Wärme während der Entwicklung auf die Formen der Schmetterlinge sind bis heute die umfassendsten dieser Art geblieben und haben weitaus das beste Material zur Lösung des ganzen Fragenkomplexes geliefert. Als dann durch die Wiederentdeckung der Mendelregeln die Fragen der Kreuzung von neuem in Fluß kamen, griff Standfuß mit Schmetterlingsversuchen ein. Er bestätigte die neuen Vererbungsregeln auch für die Insektenwelt und lieferte ein Material, wie es glanzvoller nicht beigebracht werden konnte. So wird sein Name, wenn von landwirtschaftlichen Züchtungsfragen gesprochen wird, mit in erster Linie stehen und sein Verdienst um die Förderung allgemein biologischer Fragen wird stets anerkannt bleiben. Doch wir verlieren in Standiuß nicht allein den großen Gelehrten, sondern vor allem einen mit großer Herzensgüte und Wohlwollen ausgestatteten lieben Kollegen, seine Familie den treubesorgten Vater und seine Mitwelt den einfachen schlichten Bürger, der überall eingriff, wo er helfen konnte. Sein Verhältnis zu den Behörden, den Studierenden und zu seinen Kollegen zeugte von goldlauterem Charakter und war das denkbar beste. — 19 — Und wenn er auch in wissenschaftlichen Fragen vielfach auf Opposition stieß, so blieb er stets der gerechte Beurteiler der Tatsachen und so entwickelte sich daraus nie eine persön- liche Fehde. Die Hochachtung, die er darum bei Freund und Gegnern genoß, war eine allgemeine. Mit dem Dichter können wir darum auch von Standfuß sagen: Wir haben einen edlen Menschen verloren. Wenn wir heute die sterbliche Hülle von Maximilian Standfuß der Mutter Erde übergeben, so sind es vor allem die Gefühle des Dankes, die seine Schüler und alle, die den edlen Mann gekannt haben, ergreifen. Habe Dank, guter Lehrer, für die treue Sorge um deine Studenten und deine Mitmenschen, für deine pflichttreue Hin- gabe für dein Lieblingsfach und für die Dienste, die du der Wissenschaft wie unsern Hochschulen geleistet hast. Das Pfund, das dir anvertraut war, hast du treulich verwaltet; die Saat, die du ausgestreut, wird aufgehen und Früchte bringen immerdar. Die Erde ’seirdir leicht! — 192 — Ansprache von Herm Dr. F. Ris in der Neumünsterkitche. Wir widmen an dieser Stelle unser Abschiedsgedenken einem Manne, dessen Lebensarbeit der Wissenschaft gehört hat. Im Kreise der blühenden Hochschulen Zürichs hat er die zweite Hälfte dieses Lebens gewirkt und mit unabänderlicher Pflicht- treue sein Amt verwaltet, hat nicht auf einem ragenden Posten großer und nach außen weithin sichtbarer Wirksamkeit gestanden, sondern treu, sorgsam und fleissig reiche Forschergaben in den Dienst eines Spezialgebietes gestellt, das zwar im Wissenschafts- betriebe selbst etwas beiseite steht, aber durch vielfache und enge Verknüpfungen mit dem praktischen Leben und mit Lieb- haberkreisen der Entfaltung mancherlei menschlicher Gaben Spielraum gewährt. Der Entomologe einer öffentlichen Anstalt soll die ihm an- vertrauten Sammlungen erhalten und pflegen; er soll aber auch die studierende Jugend: Lehrer, Landwirte, Förster in das un- geheuer weitläufige Gebiet einführen können; und nicht zuletzt soll es ihm gegeben sein, den vielen Liebhabern zu Stadt und Land, denen die Entomologie nach der Väter Sitte noch Er- holung und Scientia amabilis geblieben ist, mit Rat und Tat zur Hand zu gehen. Und will er geistig jung und tätig bleiben, so wird er auch selbst Forscher sein müssen, der den Schatz unseres Wissens um die Natur und ihre Rätsel zu mehren nicht müde wird. Unser Freund den wir heute, allzufrüh, zu Grabe geleiten, hat alle diese Forderungen in reichem Maße erfüllt: die alte Escher-Zollikofer Sammlung steht heute schön, wohlgepflegt und um kostbaren Zuwachs bereichert in neuen Räumen, dahin von dem Verstorbenen in seinem letzten Lebensjahre sorgfältig geleitet auf dem für das gebrechliche Material schwierigen und nicht ungeflährlichen Umzug; ihre kostbare Bücherei ist kunst- gerecht geordnet und ladet den Forscher zur Benutzung ein. Für weitere Kreise ist eine überaus originelle Schausammlung — 19 — von ihm ganz neu aufgestellt und mit gedruckten Wegleitungen versehen. So verläßt der Verstorbene dieses sein kleines Reich als ein Erhalter und Mehrer. Daß er der Jugend ein trefflicher Lehrer war, werden viele bezeugen, die in den letzten Jahren noch seinem Unterricht folgten und ihrer noch mehr, die schon lange draußen im praktischen Leben oder auch in Amt und Würden stehen. Er war kein Blender, der schön reden konnte; die Sprache floß ihm eher mühsam, und in den letzten Jahren mochte auch die Krankheit eine gewisse Schwere bringen. Aber er schöpfte aus reicher Fülle eines breiten und tiefen Wissens, aus einer Er- fahrung, die aus intimster Berührung mit der Natur und ihren Gebilden seit früher Jugend, ja seit der Kindheit stammte. Er hing an seiner Wissenschaft mit wahrer Liebe; und da es sein redlichstes Bemühen war, sich in seine Schüler zu versetzen, ihnen zu helfen und sie zu fördern, so konnte es nicht fehlen, daß der treue Lehrer auch treue Schüler fand. Er hat nie exa- miniert und seine Fächer haben stets auf der Freiliste gestanden; aber noch in jedem seiner Semester hat er eine ansehnliche Schar von Zuhörern um sich vereinigt, und das hat ihn stets beglückt und über manche aus seinem körperlichen Leiden ent- springende Mühsale hinweggetragen. Standfuß wäre hervor- ragend geeignet gewesen, bei den so beliebten Exkursionen in der freien Natur zu führen und zu belehren — das kann einer bezeugen, der einst viel und immer wieder mit gleichem Ge- nuß an seiner Seite wanderte; — er hat auch einige Jahre lang Exkursionen geführt und es wurde tief bedauert, als es seines Leidens wegen bald nicht mehr möglich war. Alles in allem war seine Lehrtätigkeit eine fruchtbare und er selbst hat sie sehr geliebt und tief ernst genommen. Die Liebhaber der Entomologie in Zürich und in der ganzen Schweiz danken Standfuß überaus viel, viel mehr als wohl manche von ihnen heute noch wissen, denn nicht jeder Ein- fluß ist hier den direkten Weg gegangen; mancher war in der glücklichen Lage, selbst wieder weiter zu geben, was er aus dieser Quelle empfangen hatte. Da er die Schmetterlinge in erster Linie kannte, so konnte er der großen Mehrzahl der Entomophilen auf diesem weitaus am meisten gepflegten Teil des großen Gebietes seine Hilfe leihen. Und wie er sie Kannte! Da gab es einfach keine unlösbaren Fragen, denn wo sein eigenes Wissen einmal am Rande war, hatte er ganz sicher irgendwo einen hilfsbereiten Freund und Kollegen an der Hand, der für ihn eintreten konnte und wollte. Dann aber hat er durch sein Wissen und Können, durch sein eigenes rastloses wissenschaftliches Suchen überaus viel zur Vertiefung entomo- —eu 194. — logischer Tätigkeit beigetragen, hat exakte Beobachtung gelehrt, die Methoden der erfahrensten Sammler und Züchter in unsere Kreise gebracht. Er hat unermüdlich in den lokalen und schvrei- zerischen der Entomologie dienenden Vereinigungen mitgewirkt: in den Sitzungen Vorträge gehalten, sein überreiches Material vorgelegt und erläutert, durch seine Erfolge zur Nacheiferung ermuntert, in jeder Weise dafür gewirkt, daß wissenschaftliche Vertiefung an die Stelle blos spielerischer Betätigung trete, die auf die Dauer doch nicht Stand hält. Der Verstorbene begann seine Tätigkeit in Zürich in sehr bescheidener Stellung. Rein praktisch gesprochen war es einst und ist es so heute noch ein Wagnis, wenn ein Gelehrter auf die Insektenkunde seine bürgerliche Existenz aufbauen will; diese ist noch fast nirgends bei uns als besonderes Fach der akademischen oder praktischen Tätigkeit anerkannt und doch ist sie viel zu umfangreich geworden, um von der Zoologie nur nebenbei noch mitgenommen zu werden; sie muß dabei verkümmern. Standfuß kam nach Zürich als Kustode der Escher- Zollikofer'schen Sammlung, deren Direktor damals Dr. Gustav Schoch war, der Professor der Naturgeschichte an der Kantons- schule. Die ganze Stellung war so, daß sich nicht viele Aus- sichten auf eine Wirksamkeit boten, die über den Museums- dienst hinausgewiesen hätte. Nach einer nicht ganz geradlinigen Entwicklung, wo ihn die Begeisterung für Naturwissenschaft der Theologie entführt hatte, trat er den Posten im Alter von 32 Jahren an. Die Anpassung an die neuen Verhältnisse war dem Norddeutschen nicht ganz leicht; aber diese Schwierigkeit wurde überwunden; sein engerer schlesischer Landsmann Prof. Hugo Blümner mit seiner verehrten Familie hat ihm dabei wacker geholfen; auch unter den Schweizern fand er bald Freunde; unter denen die heute hier stehen sind noch einige die den norddeutschen Gelehrten von seinen ersten Zürcher- tagen an auf einem Wege begleiteten, wo er schweizerischem Wesen und Art vertraut und anhänglich wurde, wenn er auch unsere klangvolle Sprache nie gelernt hat. Er lebte sich ein und begann auch bald mit noch tastenden Schritten die Wege zu begehen, die ihn später als einen Meister der experimentellen Zoologie zu damals noch fernen Zielen trugen. Zu seinem Glücke gelang es ihm auch im Jahre 1889 einen Hausstand zu gründen, wo er, nach seinem ganzen Wesen für eine Jung- gesellenwirtschaft nicht geschaffen, ein glückliches, freundliches, und für seine Freunde gastliches Heim fand. Für den Forscher Standfuß kam aber die Schicksalstunde, als in demselben Jahre 1839 Arnold Lang als Ordinarius der Zoo- logie nach Zürich berufen wurde. Dieser rastlose Feuergeist, WET . v — 195 — den auch seine Lebensflamme zu früh verzehrt hat, war nicht nicht nur ein großer Forscher und Lehrer, sondern auch ein unvergleichlicher Organisator und dabei ein warmfühlender Mensch. Er hatte bald erkannt, daß Standfuß berufen war, reiche Ernte für die Wissenschaft zu holen auf einem Felde, das den Laboratorien und streng in sich geschlossenen Instituten seiner Art nach verschlossen war, wo nur der hingebenden Kleinarbeit und besonderen Begabung eines Einzelnen Erfolge winkten. Wir stehen damals in den Anfängen der experimentellen For- schung, die über Fragen der Artbildung und der Vererbung nach Antwort sucht. Erstes Erfordernis zur Arbeit auf diesem Gebiet ist Kenntnis der Lebensweise, Kunst der Behandlung des Materials, eine unerschöpfliche Geduld und Treue bei der Durchführung der Zucht, Erfindungsgabe zur Ueberwindung zahlreicher meist umerwarteter Hindernisse. All das war bei Standfuß in seltenem Maße vereinigt; aber es fehlte ‚ihm eine richtige Basis in Form einer genügend dotierten und unab- hängigen Stellung, um diese Gaben zu entfalten. Diese Stellung ihm zu schaffen, setzte Lang das Gewicht seiner Persönlichkeit ein; dankbar hat Standfuß stets anerkannt, wie Lang ihn se- kundiert hat und wie er beim Eidg. Schulrate, insbesondere seinem damaligen Präsidenten Oberst Bleuler verständnisvolles und wohlwollendes Entgegenkommen gefunden hat. Die treue Freundschaft der beiden, in manchen Dingen so weit verschie- denen Gelehrten hat erst mit Langs Tode geendet. Standfuß aber hat die Stellung, die nicht nur ihm selbst, sondern auch zum ersten Mal bei uns der von ihm vertretenen Entomologie gewährt wurde, voll verdient durch seine fruchtbare und ori- ginelle wissenschaftliche Arbeit auf der einen, durch seine Lehr- tätigkeit auf der andern Seite. Wir wollen hoffen, daß die schöne und unabhängige Stellung des schönen und reichen Faches in Zürich erhalten bleibt. So gab es denn in den Neunzigerjahren des verilossenen Jahrhunderts und noch darüber hinaus ein frisch fröhliches Ex- perimentieren mit zahllosen Schmetterlingszuchten in Zürich. Den Grund und Boden und die Pflanzen dazu verschalite sich Standfuß durch seine liebenswürdige, vertrauenerweckende, und für erwiesene Gefälligkeiten herzlich dankbare Art. Es bleibt unvergessen, wie wir zuallererst auf den Apielbäumen eines vornehmen Privatgartens in der Enge herumstiegen, sie mit Gazebeuteln von riesigen Ausmaßen phantastisch dekorierend. Nach solchen Beispielen standen dann auch die Strickhofanlagen, wo damals noch Herr Lutz waltete, dem Forscher offen; dann öffneten sich ihm die großen Gärtnereien, Fröbel und vor allem Mertens, wo er bis in die allerletzten Jahre schalten und walten achte, 8 nn gen Sc esehen und immer sleich dankbar für die uwiesene, (efälligkeit. Die Experimenie wären weit über die matereHm e eines Crelehrten wie Standfuß gegangen, denu „.crhejteien sehr vieies und ch reci:t teures Material; aber as wieder Rat, eine Lösung, wie sie, wiederum einem sein schwer möglich wäre: .:e konnten im All- Jei.ahen sıllaseinst erhalten, da ein Teil des erhaltenen Ma- erlata mvol Priv ind wissenschaftlic hen Anstalten immer gerne vek.uli wurde: i'ich nicht ohne daß daraus wieder ler Berschem, sey9t Feichlich Arbeit nicht i:imer angenehmer 4° sen wäre. Die wissenschaillichen Resultate waren Inze2nü wije.es immer bei solcher Arbeit geht, jede halb und gauz geiösie ı .age. geba' eine neue, jedes neue Jahr brachte seine neue Aufgabe; man sciet etwa um 1003-1905 in den una u.lesVererhrugsiehren, die sich an. den Namen Mendel knünien ad Jah: Zardan: Drache nenesung wertvolles N...- tenial ae Beantwortung der hier aufgestellten Fragen. ‚il . gann wurde der Zenith erreicht und überschritten. Was rastlose, gerne geleistete und immer wieder ne: anregende Arbei zewesen war; wurde Zu einem immer müh. ımern, immer weniger siegreichen Kari, seren eine tückische Krankheit, die das le zıı Lebensjahrzehnt unseres Freundes zunehmend ver- cüsierte. Er hielt sich oben solange er konnte, hat nie in seinen Arbeiten ""itersuchungen, Schmetterlingszuchten zu immer neuen Verer! bun,, ragen aufgehört, hat seine Lehrtätigkeit fast bis zum ln. lage fortgesetzt. Aber es geschah unter vielen Schmerzen, qualvollen Leiden. Die einst so geliebte Bewegung in der freien Natur, die ‚Teriesiwanderungen, die Besuche bei guten Ferm senmolz mehr und. mehr. zusammen, “denn as kranke Herz verweigerte den Dienst. Als es dann auihörte zu schlagen, war er ein müder Mann, mit dessen treuer F. ındschaft wir aber doch gerne noch ein Stick weiter gewandert wären. R.i.P. zum Agila Tau yynanc!ro na’ph / } i \u-.me 3ir den fl gelu tau L ef se re-nig IScCılcjy a vl NETTER SMITHSONIAN INSTITUT In un) IM Inhalt des Heftes 3 der Mitteilungen der „Entomologia Zürich und Umgebung“ R 000 N N Be vr r 1. Prof. Dr. M. Standfuß, Ein eigenartiges gynandromorplies Indivi- | Ko duum von Aglia tu L...... RN Is 2. Prof. Dr. M. Standfuß, Ühkeilungans zur Kehidopterch: -Fauna des Oberengadins und der anstoßenden Gebiete . . .... 3. Prof. H. C. Schellenberg, Ansprache anläßlich der Trauerfeier. . 18 4. Dr. F. Ris, Ansprache anläßlich der Trauerfeier . . . .....20. 00 Gesettschaen und Vereine, die mit der „Entomologia“ in Scheittenwibahsel IN zu treten wünschen, werden ersucht, sich an Herrn Prof. Dr. A. Schweitzer, . ... Möhrlistraße 69, Zürich 6, zu wenden. Das vorliegende wie auch die früher er- . schienenen Hefte der Mitteilungen können durch den Kommissionsverlag W. Junk, Berlin W, Sächsischestr. 68, bezogen werden. ah