ngen Mitteilu: der Gesellschail Geographischen und des Naturhistorischen Museums | + Ci 9° so BRUT EEE FA Wa Im Tri ufjr) ın A Ne f3 f.W # * LUBEC Re DE 11 1921 % / 1. | N } M/ 2 Honal Muss hr le see B Herausgegeben vom Redaktions-Ausschuß. Zweite Reihe. b Heft 28. Lübeck 1921. In Kommission bei R. Friedländer & Sohn-Berlin. ER Mitteilungen der (seographischen Gesellschaft und des Naturhistorischen Museums m un PR vtalı Ist; Ri & ah EN f.M IEN > .. ER LEN LÜBEOKRyır 1a ®) OKRyore 14 191 *) , % f u; ch Km i S@fional M un u nd BE m Herausgegeben vom Redaktions-Ausschuß. A Zweite Reihe. Heft 28. Lübeck 1921. In Kommission bei R. Friedländer & Sohn-Berlin. U Ye N ran We Er KA RER. TH, “ An „BlEl-9581 yUalUpalyyJ INed us3ojosH 4syoagn] Weq‘ :usp4om Uayesuen J4luyosu| Jap J!w [361 45! apunußusjuly WI YooIg agouß ad "uslpoug !ed SISNYa9SISO ELTERN REM, ER ET EER RE B Vorstand der Geographischen Gesellschaft zu Lübeck. Prof. Dr. Gustav Sack, Vorsitzender, Körnerstraße 16 Prof. Dr. Wilhelm Ohnesorge, stellvertretender Vorsitzender, Sophienstraße 26 Oberlehrer Walther Weber, Schriftführer, Gertrudenstraße 7 a Bankdirektor Gustav Schneider, Kassenführer, Lachswehr- Allee 15 Marine - Generaloberarzt a. D. Dr. med. Theodor Hansen, Lindenplatz 1 Julius Hahn, Aesidienstraße 22 Oberlehrer Dr. Rudolf Griesel, Wettiner Straße 2. ln en gg ne Inhaltsverzeichnts. Dr. Paul Range (Berlin), Nachruf auf Professor Dr. Paul Friedrich . . . 8. Oberlehrerin E. Reimpell (Kiel), Zur Siedlungsgeographie von Lübeck. . » Dr. phil. R. Gri.esel (Lübeck), Physikalische und chemische Eigenschaften desrHemmelsdorfer Sees pei@ibübecker > a Nachruf auf Professor Dr. Paul Friedrich von Dr. Paul Range, Berlin. TE ee ER WITT ERE En, Fa Yu VON! Es H Kee a iR REN Khen Am 3. Februar 1918 starb Professor Dr. Paul Friedrich. Sein Lebens- lauf und seine wissenschaftliche Tätigkeit verdienen in der geographischen Gesellschaft um so mehr Berücksichtigung, als sie ihn seit Jahren zu ihren Ehrenmitgliedern zählt. Geboren wurde er am 8. Juni 1856 zu Kreipa bei Halle, hat also nur ein Alter von noch nicht 62 Jahren erreicht. Er besuchte die Gymnasien zu Halle und Eisenach und studierte dann 1875—79 Mathematik und Natur- wissenschaften in Halle. Während seiner akademischen Lernzeit hat er sich vorzugsweise mit Erdkunde, Geologie. Chemie, Mineralogie, Petrographie, Botanik und Zoologie beschäftigt. In Halle promovierte er zum Dr. phil. mit einer Arbeit »Das Rotliegende und die basischen Eruptivgesteine der Um- gsebung des großen Inselberges« und bestand das Examen pro facultate docendi. Sein reger wissenschaftlicher Geist trieb ihn zunächst nach Berlin, wo er an der Geologischen Landesanstalt sich pflanzenpalaeontologischen Arbeiten widmete. In den achtziger Jahren waren die Aussichten für rein wissenschaft- liches Fortkommen äußerst schwierig und so zog er es vor, eine Stelle als wissenschaftlicher Hilfslehrer anzunehmen. Zu Ostern 1882 ging er nach Lübeck und wurde dort Oberlehrer am Katharineum. Diesem hat er mehr als 35 Jahre lang angehört. 1882 verheiratete er sich mit Anna, geb. Reuß, mit der er ein glückliches Eheleben führte, dem ein Sohn entsproß. In den Armen seiner treusorgenden Gattin ist er verschieden. Das Leben floß ibm ruhig und einfach dahin, einen herben Verlust hatte er zu beklagen, als sein” gerade erwachsener Sohn ihm durch den Tod in Rio de Janeiro ent- rissen wurde, wohin er sich als Schiffsarzt begeben hatte. Friedrich besaß eine zarte Gesundheit und hatte schon mit 32 Jahren einen Blutsturz, der ihn für längere Zeit zwang, den Süden aufzusuchen. Die ganzen späteren Jahre waren ein Kampf mit dieser schwachen Gesundheit. Es gelang ihm, durch eine streng geregelte Lebensweise, dem Körper seinen Willen aufzuzwingen. Er blieb bis an sein Ende lebensfrisch und arbeitsfroh und wurde durch einen schnellen Tod abgerufen. Am Katharineum zu Lübeck unterrichtete er Naturwissenschaften und Erdkunde und wußte seine Schüler für die von ihm vertretenen Fächer stets zu begeistern. Seine Lehrweise war lebhaft, sein Vortrag fesselnd. Oft gab er mehr, als der Schulunterricht erforderte, und besonders gut verstand er es, die Begabteren seiner Schüler auch späterhin für die Natur 1* 4 wissenschaften zu interessieren, er förderte sie in jeder Weise. So hat er über ein Menschenalter der Jugend die Elemente der Naturwissenschaften gelehrt und viele von denen, die später auf diesen Gebieten weiterarbeiteten, danken ihm die Grundlage ihres Wissens. Neben seiner eigentlichen Berufs- tätigkeit suchte der stets rege Forscher sein umfassendes Wissen der zweiten Heimat nutzbar zu machen. In Berlin beschäftigte er sich mit den Tertiär- pflanzen der Provinz Sachsen und hat uns eine wertvolle Monographie darüber hinterlassen. Die Arbeit erschien in den Abhandlungen der geologischen Spezialkarte von Preußen, ein Zeichen der Schätzung, welcher sie sich bei den Fachgenossen erfreute. Sie enthielt 305 Seiten Text und einen Atlas mit 31 Lichtdrucktafeln, auf denen sich über 300 von Friedrich selbst ge- zeichneten Abbildungen befinden. Das Werk ist noch heute von grund- legender Bedeutung für die Kenntnis der Tertiärflora Deutschlands; es wurde zu Beginn seiner Lübecker Oberlehrerzeit fertiggestellt. Auch in Lübeck widmete er sich zunächst botanischen Studien. In einer ausführlichen Arbeit hat er die Bäume und Sträucher unserer öffentlichen Anlagen geschildert. Er erkannte mit klarem Blick die Lücke, die darin bestand, daß in den vorliegenden Localfloren lediglich die wildwachsende Flora behandelt: war. Es wäre sehr zu wünschen, daß eine jüngere botanisch geschulte Kraft eine Neuauflage dieses vorbildlichen Werkes, die den stark veränderten lokalen Verhältnissen Rechnung trägt, erstehen ließe. 1895 gab er eine kritische Flora der bei Lübeck wild wachsenden Pflanzen heraus, die mit gewissen- halter Kritik alles bis dahin Bekannte zusammenfaßte. Einige Nachträge dazu sind von ihm und seinen Schülern und Freunden später erschienen. Aus dem Häckerschen Herbarium sowie seinen und seiner Schüler zahlreichen Funden entstand das umfangreiche Herbarium lubecense, ein wertvoller Schatz unseres naturhistorischen Museums. Wie sehr man die botanische Tätigkeit Friedrichs schätzte, zeigt eine Arbeit Christiansens aus dem Jahre 1917, die im wesentlichen auf von Friedrich gesammeltem Rosenmaterial fußte und auch eine neue Unterart nach ihm benannte. Schon während seiner botanischen Studien hatte er sich mit der Geologie von Lübeck beschäftigt, ihr galt dann die Hauptarbeitszeit während der letzten 25 Jahre. Langsam von Tatsache zu Tatsache fortschreitend, gelang es ihm, ein klares Bild über den Aufbau des Landes zu gewinnen. Die Resultate seiner Studien legte er gern in den Mitteilungen der geographischen Gesellschaft nieder. In der Darstellung der Geologie Norddeutschlands war während der Jahre, in denen er arbeitete, noch vieles in Fluß und so konnte es nicht ausbleiben, daß er auch seine Auffassung wiederholt änderte und daß er gelegentlich von wissenschaftlicher Seite angegriften wurde. Er selbst hat sich nie gescheut, einen einmal erkannten Irrtum sofort richtig zu stellen, Wenn sich seine Gegner die Mühe gegeben .hätten, seine Arbeiten so ge- wissenhaft zu lesen wie sie sie zerpflückten, so hätten sie sich viele Angriffe SR sparen können. Letzten Endes sind ja auch nur die Auffassungen wandel- bar und die Forschungsergebnisse bleiben und erfahren nur je nach der Zeit eine wechselnde Beleuchtung. Gerade in exakter Forschung war Friedrich mustergültig, man betrachte nur seine genauen geologischen Karten über die nähere Umgebung von Lübeck. Unwillkürlich drängte sich ihm beim Studium der Geologie die Frage der Wasserzirkulation am Boden auf und ihr galten seine letzten Studien. Er genoß ein uneingeschränktes Ansehen bei den bei Lübeck tätigen Bohrfirmen und hatte Einsicht in fast alle durch Bohrungen gegebenen Aufschlüsse, die er mit peinlicher Gewissenhaftigkeit registrierte. Dadurch trug er ein äußerst vollständiges Material zusammen und hat seiner zweiten Heimat damit wertvolle Dienste geleistet. Es war ihm noch vergönnt, in seinem letzten Werk, betitelt: »Die Grundwasser- verhältnisse in der Stadt Lübeck« seine reichen Erfahrungen niederzulegen; gerade dieses Werk hat die uneingeschränkte Anerkennung aller Fachmänner in den weitesten Kreisen gefunden und wurde überall sehr beifällig be- sprochen; so schreibt Geheimrat Keilhack im Geologischen Zentralblatt, der ersten deutschen Fachzeitschrift für Geologie: »Die außerordentlich sorgfältige Durcharbeitung eines überaus reichen Materials erhebt die Arbeit über eine einfache hydrologische Beschreibung eines begrenzten Gebietes weit hinaus und verleiht ihr bleibenden Wert«. Baurat Dr. Ing. Schiele nennt es im Sammelblatt für Wasserversorgung: »Ein geradezu vorbildliches Buch, all- oemein für die Wasserfachwelt größter Beachtung werte. Eine eingehende Würdigung der Gebiete, auf denen sich Friedrichs wissenschaftliche Tätig- keit bewegte, gab Genzken in ‘den Lübeckischen Blättern 1917 Nr. 37 an läßlich des Rücktritts Friedrichs vom Lehramt; auf diese sei hiermit ver- wiesen. Die darin ausgesprochene Schlußbemerkung, daß dem verdienten Forscher und edlen Menschen ein langes otium cum dignitate beschieden sein möge, hat sich nicht erfüllt. Schon damals schrieb er mir ins Feld, mit meiner Lebenskraft ist's zu Ende. Kaum vier Monate später ist er dahin gegangen, als er die letzte Korrektur seines abschließenden Werkes las. Verzeichnis der wissenschaftlichen Arbeiten Friedrichs. 1878. 1. Das Rotliegende und die basischen Eruptivgesteine der Umgebung des großen Inselberges. Inauguraldissertation Halle 1578. 1883. 2. Beiträge zur Kenntnis der Tertiärflora der Provinz Sachsen, VIII + 305 Seiten mit 2 Holzschnitten, 1 Übersichtskarte und einen Atlas mit 31 Lichtdrucktafeln. Abhandlungen zur geolo- gischen Spezialkarte von Pıeußen und der thüringischen Staaten. Band IV, Heft 5, 1883. 1885. 3. Der geologische Bau des Untergrundes von Lübeck und Umgegend. Vortrag. M.d.g.G. in Lübeck, Heft 4, 1885 und Lübeckische Blätter, Jahrg. 1885, Seite 62. 1889. 4. Die „Sträucher und Bäume unserer öffentlichen Anlagen, ins- besondere der Wälle 128 Seiten. 4° mit einer Planskizze. Beigabe zum Jahresbericht des Katharineums zu Lübeck. I. Teil, 1889; II. Teil 1890. 5. Litteratur zur Landeskunde des lübeckischen Staatsgebietes. Erster Bericht. M.d.g. G. in Lübeck. 1890. 6. Geologisches in »Die freie und Hansestadt Lübeck«, ein Beitrag zur deutschen Landeskunde, herausgegeben von einem Ausschuß der geographischen Gesellschaft in Lübeck. Lübeck 1890. . Literatur zur Landeskunde des lübeckischen Staatsgebietes. Zweiter Bericht. M.d.g. G. in Lübeck, zweite Reihe, Heft 5, 6, 189. 1895. 8. Beiträge zur Geologie Lübecks. Mit 2 Tafeln. Festschrift, den Teilnehmern der 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet. Lübeck, 1895. 8. 239-246. . Beiträge zur lübeckischen Flora. Lübeck, Festschrift, den Teil- nehmern der 67. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte gewidmet. Lübeck, 1895. S. 295—307. 10., Flora der Umgegend von Lübeck. Lübeck, 1895. 47 Seiten 4°. Beigabe zum Jahresbericht des Katharineums zu Lübeck. Ostern 1895. 1897. 11. Geologische Aufschlüsse vor dem Burgtor, mit einer Tafel. Lüb. Blätter 1897, Nr. 24. 12. Über den geologischen Bau unseres Landes und die technische Verwertung unserer Bodenschätze. Vortrag im*lüb. Industrieverein. Abdruck in den Vaterstädtischen Blättern, Jg. 1897, Nr. 28—31. 13. Blütezeit und Niedergang der lübeckischen Ziegelindustrie, dargelegt an den lübeckischen Ziegelrohbauten, Lüb. Blätter 1897. 5. 513 ff. 1893. | Je) 1598. 1899. 1900. 1901. 1902. 1903. 1904. 1905. 29. 0. 31. 7 . Die Versorgung unserer Industrie mit Grundwasser. Vortrag im Industrieverein am 18. 4. 1898, Jahresbericht des lüb. Industrie- vereins 1898. Fol. 4 S. . Die Versorgung der Stadt Lübeck mit Grundwasser. Mit 3 Tafeln. Lüb. Blätter 1898. . Beiträge zur lübeckischen Grundwasserfrage I. Lüb. Blätter, Jg. 1899, 8. 660-663, . Brennversuche mit lübeckischem Ziegelton. Lüb. Blätter, Jg. 1899, S. 660—669. . Beiträge zur lübeckischen und Travemünder Grundwasserfrage II. Mit 2 Tafeln. Lüb. Blätter, Jg. 1900, S. 150-153; S. 190—19. . Nachträge zur Flora von Lübeck. M.d.g. G. in Lübeck, 2. Reihe, Heft 14, 8. 29-39. . Literatur zur Landes- und Volkskunde des lüb. Staatsgebietes. 3. Bericht (f. d. Jahre 1893—1900). Ebenda. . Das Brodtener Ufer bei Travemünde. Sein Rückgang und seine Erhaltung. Mit 3 Tafeln. Lüb. Blätter, Jg. 1901. . Der Untergrund von Oldesloe nebst einer kurzen Darstellung der Geschichte der ehemaligen Saline. M.d.g.G. in Lübeck, 2. Reihe, Heft 16, 1902. . Beiträge zur lübeckischen Grundwasserfrage III. Mit 5 Tafeln. Lüb. Blätter, Jg. 1902. . Geologische Aufschlüsse im Wakenitzgebiet der Stadt Lübeck. Mit 4 Tafeln. M.d.g. G. in Lübeck, Heft 17, 1903. . Eine Brunnenbohrung in der Ferienkolonie auf dem Priwall bei Travemünde. Lüb. Blätter 1903, Nr. 30. . Eine Brunnenbohrung bei der Villa des Herrn Senator Possehl an der Strandpromenade in Travemünde. Desgl. Nr. 32. . Das Brodtener Ufer und der Seedamm. Mit 2 Tafeln. Lüb. Blätter, Jg. 1904. . Bespr. v. R. Struck, der baltische Höhenrüeken in Holstein. Lüb. Blätter, Jg. 1904, S. 47. Die Grundmoräne und die jungglacialen Süßwasserablagerungen der Umgegend von Lübeck. Mit 6 Tafeln. M.d.g.G. in Lübeck, Heft 20, 1905. P. Friedrich und H. Heiden, die lübeckischen Litorinabildungen. Maid &, z. 12, Bleft20,,.1905. Die Sylvestersturmflut und das Brodtener Ufer. Lüb. Blätter 1905, Nr. 3, 1906. 1908. 1909. 1910. 1911. 1912. 1913. 1914. 1919. 1916. 1917. 38. 34. 39. 36. 99. A. 41. 46. 47. S . Zur Erhaltung unserer Naturdenkmäler. Vortrag gehalten in der Versammlung der Lübeckischen geographischen Gesellschaft am 26,102 1.906, Über neue Bohrungen in der Umgegend von Oldesloe und Holstein. (Interglazial, Miocän und Eocän.) Mit 2 Tafeln. Madre, 627712 erg 2371903 Der geologische Aufbau der Stadt Lübeck und ihrer Umgebung. Dem deutschen Geographentag zu seiner X VIII. Tagung Pfingsten 1909 zu Lübeck gewidmet. Beilage zum Programm des Katha-. rineums zu Lübeck. : Ergebnisse einer Trockenbohrung auf dem Priwall. Lüb. Blätter, 01909) Der Untergrund der Stadt Lübeck. Zeitschrift des Vereins für Lübeckische Geschichte und Altertumskunde Band 12, Heft 1. 31. Beiträge zur Geologie Lübecks. M.d.g. G. in Lübeck, Heft 24. . Erläuterungen zur geologischen Karte von Alt-Lübeck. Sonder- abdruck aus Ohnesorge, Einleitung in die Geschichte Lübecks. Maßnahme zur Beseitigung der Mückenplage in der Umgebung Lübecks. Lübecker General-Anzeiger 15. 10. 1911, und mehrere ähnliche Schriften zu derselben Sache in anderen Lübecker Blättern. Die Litorina- und Prälitorinabildungen unter dem Priwall bei Travemünde M.d.g.G. in Lübeck, 2. Reihe, Heft 25, 1912. »Zur Geologie der Umgebung von Lübeck«. Eine Erwiderung auf den Aufsatz an Herrn Professor Dr. Gagel über »Die Ent- stehung des Travetaless. Jahrbuch der kgl. preuß. geol. Landes- anstalt, Band XXXIL Teil I, Heft 3. . Die Wasserversorgung der Villenkolonie Karlshof. Vaterstädt. Blätter 1913, Nr. 49. . Neue Beiträge zur lübeckischen Grundwasserfrage. Vaterstädtische Blätter 30. 11. 1913. . Die Vorarbeiten zu unserer Grundwasserversorgung. Lüb. Blätter, Jg. 1914, 8. 622. . Geologische Karte von Preußen und die benachbarten Bundes- staaten. Lieferung 200. Blatt Lübeck. Geologisch und boden- kundlich aufgenommen von P. Friedrich und C. Gagel. Erläutert von 0. Gage mit Benutzung zahlreicher Angaben von P. Friedrich. »Die Beziehungen unseres tieferen artesischen Grundwassers zur Ostsee. 3 Tafeln und 3 Figuren. M.d.g.G.z. L., 2. Reihe, Heft 27. Die Grundwasserverhältnisse der Stadt Lübeck und ihrer Um- gebung. 183 S. Mit 12 Tafeln und 25 Abbildungen. Lübeck 1917. >29 Zur Siedlungsgeographie von Lübeck von Oberlehrerin E. Reimpell in Kiel. I) Die deutsche Küste erstreckt sich in nordöstlicher Richtung. Unter- brochen wird diese Linie durch die jütische Halbinsel, die wie ein Damm ins Meer hinauswächst und die Ostsee zum Binnenmeer stempelt. Am Ost- fuße dieser Landschranke, dort, wo die Küste nach Norden umbiegt und das Meer in südwestlicher Richtung in breitem Arme weiter ins Land ein- dringt, den baltischen Landrücken durchbrechend, liegt in einer weiten Mulde die Stadt Lübeck. Obwohl innerhalb der Mulde etwas nach NO. verschoben, erhebt sich die Stadt im hydrographischen Mittelpunkt. Hier strömen aus allen Richtungen die Gewässer der Trave zu, die von Westen in die Ebene eintretend, diese zuerst in östlicher, dann nordöstlicher Richtung durchquert und zum zweiten Male den Höhenring sprengt. Weithin sichtbar beherrscht die Stadt die flache Mulde. Es ist die künstlerisch vollendete Silhouette einer im Flachland gelegenen Siedlung, die das Auge fesselt. Die Stadt wächst zu ihrem Mittelpunkt empor. Die hohen Giebelhäuser, die die Alt- stadt im Westen wie eine Mauer umziehen, lenken den Blick aufwärts. Die zum Zentrum aufstrebenden Linien finden ihren Abschluß in dem gewaltigen gotischen Backsteinbau der Marienkirche. Von Wasser rings umgeben, wächst die Altstadt aus der Niederung empor und erhebt sich auf einem schmalen 10—15 Meter hohen Rücken, der in nordsüdlicher Richtung die ellipsenförmige Insel durchzieht. Im Westen wird die Altstadt von .der Trave und dem Stadtgraben umflossen, im Osten vom Kanal und der Wakenitz, die, durch mehrmaligen Aufstau seeartig erweitert, heute mittels eines Dükers durch Krähen- und Mühlenteich in die Trave mündet. An den jenseitigen Ufern wachsen die Vorstädte in die Ebene hinein. Zwei Straßen führen auf dem Höhenrücken der Altstadt entlang. Sie werden im rechten Winkel gekreuzt durch die zu den Wassern hinab- führenden »Gruben«, die im Westen weit steiler abfallen als im Osten. Diese vom Hügel hinabführenden Straßen sind wiederum durch Querstraßen ver- bunden, die sich der ovalen Form der Insel anschmiegen. Dort, wo der Rücken seinen höchsten Punkt erreicht und sich zugleich plateaumäßig er- weitert, liegen, von den westlichen Längenstraßen berührt, der Markt mit dem Rathaus und die Marienkirche. Die Anlage der Straßen ist gegeben durch die Ellipsenform der Insel. Und doch weist die große Regelmäßigkeit hin auf eine bewußte Gründung. Die geographische Lage der Stadt im westlichsten Teile Ostelbiens deutet auf eine der frühesten Kolonisations- siedlungen hin, Die Höhenlage der breiten Längsstraßen, der verschiedene N Abfall der Gruben, die bei näherer Betrachtung ins Auge fallenden kleinen Unregelmäßigkeiten im Straßennetz, fordern eine kausale Erklärung durch die Beziehung auf den Untergrund der Stadt. Die geologischen Querprofile von P. Friedrich!) zeigen im Untergrunde der Altstadt eine sattelartige Em- porpressung von blauem Ton, die kappenartig von verschiedenen Schichten überzogen wird, auf der Höhe wird sie von Sand überlagert. Der steile Abfall nach Westen ist eine Folge der erodierenden Tätigkeit der Trave, die ursprünglich in breitem Strome an der Westseite des Hügels vorbeifloß und drei noch heute deutlich sichtbare Prallhänge schuf. Die Straßen führen zum großen Teil über aufgeschütteten Boden. Namen wie Engelswisch, Ellernbrook, erinnern an das einst sumpfige Gebiet. Dort, wo der Diluvial- rücken zur Moorniederung abfällt, finden wir den größten Neigungswinkel der Straßen. Das bedeutet für die vom Markt hinabführenden Straßen einen Steilabfall am Ende von den Querstraßen bis zum Hafen. Bei den nördlich und südlich gelegenen Gruben dagegen verschiebt sich der größte Neigungs- winkel an den Straßenanfang. Der langsame Abstieg nach Osten ist bedingt ‚durch das um 2 Meter höher gelesene ehemalige Ufer der Wakenitz. Der selbe Tonboden tritt bis ans Ufer heran und spiegelt die Böschung des blauen Tonsattels wieder, der nach SO. immer flacher wird. Von Interesse ist, wie wir noch sehen werden, die Lage der breiten Sandmulden auf der Ostabdachung. Eine Unregelmäßigkeit im Straßennetz fällt sofort ins Auge. Es ist der Knick der westlichen Längenstraßen am Klingenberg. Hier endet der diluviale Rücken. Die vom Klingenberg zur Petrikirche führende gebogene Schmiedestraße bezeichnet den Rand des Steilabfalls. Der die Ostabdachung überlagernde Ton tritt hier am Westhang in schmalem Streifen unter dem Sande hervor. Die Namen der Querstraßen Depenau, Kl. Kiesau, deuten auf einen Bach, der einst als Quelle hier seinen Ursprung nahm, Dieselbe Erscheinung finden wir oberhalb der Beckergrube, wo der blaue Ton her- vortritt. Eine Querstraße der Fischergrube heißt Gr. Kiesau. Nach einer geringen Senkung erweitert sich südlich des Klingenberges das Gelände zu einem zweiten, kleineren, etwa 10—11 Meter hohen sandbedeckten Plateau, das schroff zur breiten Traveniederung abfällt. Dieser steile Abfall und die breite Traveniederung im Süden haben eine Fortsetzung der Verkehrsstraße in dieser Richtung unmöglich gemacht. Der Knick ist also bedingt durch die Bodenverhältnisse. Im SO. boten der geringe Neigungswinkel, die sich nähernden festen Ufer der Wakenitz einen bequemen Übergang. Die heutige zweimalige Überbrückung ist erst eine Folge der Anlage des Festungsgrabens, dem heute streckenweise der Lauf des Kanales folgt. Die Verbindung mit dem Westen suchte die Altstadt dort, wo der Rücken am weitesten in die Niederung hineinragt. Im Osten führt am Südende des heutigen Kanalhafens die Hüxtertorbrücke zu der ins sumpfige Gelände der ') P. Friedrich, Der Untergrund der Stadt Lübeck. = Wakenitz hineinragenden Landbrücke, die die südliche Vorstadt direkt mit der nördlichen verbindet. In derselben Richtung nach Osten, dort, wo die Ufer sich einander nähern, wird die äußere Wakenitz durch die Moltkebrücke überspannt. Am interessantesten sind die Verhältnisse im Norden der Alt- stadt. Es findet keine Senkung des Geländes statt. Der Sandrücken setzt sich auf dem jenseitigen Ufer in gleicher Höhe fort. Der Durchstich im Norden ist eine Folge des Kanalbaues. Ein schmaler Landhals stellte hier ursprünglich die Verbindung mit der Umgebung her. Das zugeschüttete Gelände zwischen Wakenitz und Kanalhafen deutet darauf hin, daß einst die Wakenitz ‘in doppeltem Bogen an der Ostseite der Stadt heranfloß. Dieser Bogen entstand nach P. Friedrich!) dadurch, daß der Fluß im Norden durch den festen blauen Ton zur Umkehr nach Süden gezwungen wurde. Der Lauf der Flüsse erlaubt ein Hinauswachsen der Stadt in dreifacher Richtung, nach Westen, Norden und Süden. Die Verkehrswege, die die Stadt mit der weiteren Umgebung verknüpfen, bilden die Leitlinien des Straßennetzes. Sie stellen die ältesten Fäden dar, die in engster Abhängigkeit vom Boden gespannt worden sind. Im Norden führt auf der Höhe des Landrückens die alte Straße zur Küste, die Israelsdorfer Allee. Am schmalen Landhalse trennt sich von ihr die Roeckstraße, die den Galgenbruch, das sumpfige Gelände, das ursprünglich mit der Wakenitz in Zusammenhang stand, über- schreitet. Und zwar benutzt die Roeckstraße die Stelle, wo die Ufer des Bruches sich am weitesten nähern. Die Verbindungsstraße beider Wege, »Heiligengeistkamp», zieht auf dem sandigen Rücken entlang, der bei den Sandbere-Tannen- sich von dem Hauptrücken, den wir bis in die Altstadt hinein verfolgt haben, abzweigt. Weiter südlich der Roeckstraße wird der sandige Höhenweg von der Marlistraße benutzt, die nach Mecklenburg führt: DasStraßennetz in dem Dreieck, dessen Seiten von der Israelsdorfer Allee, der Roeckstraße und dem Heiligengeistkamp gebildet werden, zeigt die engste Anlehnung an den sumpfigen Untergrund des Galgenbruches. Weiter östlich herrscht die langweiligste Regelmäßigskeit moderner rechtwinkliger Straßen. Dieselbe Eintönigkeit charakterisiert das Straßennetz der zwischen Kanalhafen und Wakenitz gelegenen Landbrücke Im Süden dagegen ist das Bild belebter. Trave und Wakenitz geben hier die Richtungsfäden. Die alten Verkehrswege führen auf der Höhe entlang in der Richtung der Flußtäler und lassen eine sumpfige Niederung zwischen sich. Die alte Ver- bindungsstraße von Kronsforder Allee und Ratzeburger Allee, die Kahlhorst- straße, folgt, jede Steigung vermeidend, in mehrfachen Windungen der 11-Meter-Isohypse. Regellos verlaufen die Straßen in dem dazwischen liegenden Dreieck in engster Abhängigkeit vom Untergrund wie z. B. die Uhlandstraße, die dem Graben, der einst mit der Trave in Verbindung stand, folgt. Ein ganz anderes Bild bietet der Westen. Strahlenförmig ) P. Friedrich, Der geologische Aufbau der Stadt Lübeck und ihrer Umgebung. laufen die Straßen am westlichen Brückenübergang aus Süden, Norden, Nord-Westen zusammen. Ihre Richtung ist auch hier bestimmt durch die Morphologie. Das sumpfige Gelände des Flutgrabens schreibt den nach Norden führenden Straßen, der Fackenburger Allee und Schwartauer Allee die Richtung vor. Die Verbindungsstraße beider Wege, »Bei der Lohmühlee, ist wiederum ein sandiger Höhenweg am Flutgraben entlang. Das hier entstandene Dreieck zeigt die größte Gleichförmigkeit in der Straßenführung. Im SW. des westlich der Trave gelegenen Stadtteils ist die Regelmäßigkeit weniger groß, sie nimmt nach der Peripherie hin bedeutend zu. Das Fehlen einer Straße, die direkt nach Westen führt, ist nicht etwa eine Folge des dort errichteten Bahnhofes, sondern durch die Bodenverhältnisse bedingt. Die Straße »Beim Rethteich« erinnert noch heute an das sumpfige Gelände, das in großem Bogen umgangen wurde. Ganz allgemein wird das Straßen- netz der Vorstädte gekennzeichnet durch zunehmende Regelmäßigkeit nach der Peripherie hin. Ausgenommen die Vorstadt im Süden, die im Straßen- netz ihr individuelles Gepräge am längsten bewahrt hat. Aber auch hier droht jenseits der Kahlhorststraße die den Boden nicht achtende Gleich- förmigkeit Raum zu gewinnen. Im Straßennetz prägt sich bereits eine Verschiedenartigkeit der Stadt- teile aus, der wir an der Hand des Grundrisses weiter nachforschen müssen!) In engster Beziehung zum Straßennetz steht die Form der Häuserblocks und ihre Parzellierung. Auch hier finden wir eine Zunahme der einförmigen, regelmäßig parzellierten Blocks nach der Peripherie hin und weitgehendste Mannigfaltigkeit im südlichen Teile. Hier trägt jeder Block, jedes Grund- stück sein individuelles Gepräge. Am interessantesten wird sich diese Unter- suchung in der Altstadt gestalten. Hier müssen sich die Verschiedenheiten, eine Folge des städtischen Lebens, nebeneinander finden und vielleicht kommen wir auf diese Weise bereits zu einer Gliederung der bisher ein- heitlich erfaßten mittleren Stadt. Auffallend ist die Regelmäßigkeit der Blocks westlich vom Markte zwischen Holsten- und Mengstraße. Sie zeigen gleiche Parzellierung. Die Hinterseiten der Grundstücke verlaufen in einer geraden Linie. Die gleiche Aufteilung erstreckt sich nicht auf die Blocks unterhalb der Querstraßen. Wir finden sie wieder auf der Ostabdachung zwischen Hüxstraße und Johannisstraße, ebenfalls bis zu den Querstraßen. An dieses durch seine Regelmäßigkeit charakterisierte Gebiet schließen sich Häuserblocks von recht verschiedener Größe an. Die Hinterseiten der Grund- stücke verlaufen im Zickzack, breite, tiefe Grundstücke wechseln ab mit schmalen, flachen. Deutlich ist eine weitgehende spätere Aufteilung großer Grundstücke zu beobachten. Die Blocks sind von Wohngängen durchzogen, die im mittleren Teile ganz fehlen. Nach der Peripherie hin ist eine Ab- nahme der Größenmasse festzustellen. Es liegt im ersten Augenblick nahe, Plan von Lübeck im Maßstab 1 : 1000. 15 diesen Wechsel in den 'Größenverhältnissen der Blocks und der Grundstücke mit der Gestalt der Insel in Verbindung zu bringen. Eine Erklärung für die Regelmäßigkeit der Parzellierung der mittleren Blocks ist damit nicht gegeben. Diese deutet vielmehr darauf hin, daß wir in dem mittleren Teile die älteste einheitliche Anlage der Stadt vor uns haben. Gerade die Be- schränkung der Regelmäßigkeit auf die Blocks bis zu den Querstraßen im Westen, die Verengung der Fläche auf dem Ostabhang, spricht aus geolo- eischen Gründen für die erste Ansiedlung, die sich auf dem Plateau aus- dehnte, nach Osten die beiden bereits erwähnten »Saugsandbecken« ver- meidend. Geologie und Grundriß sprechen für eine erste Anlage der Stadt hier im mittleren Teile des Werders. Der Raum scheint der günstigste zu sein. Spricht auch die Lage des Raumes für die Gründung? Das kleinere Plateau im Süden weist ebenfalls günstigen Sandboden auf. Es liegt am Zusammenfluß von Trave und Wakenitz und bot damit den Ansiedlern Ge- legenheit zur Mühlenanlage. Bis hierher war die Trave schiffbar. Infolge des schmaleren Moorstreifens im Westen, der geringeren Höhe des Plateaus, war der Fluß leichter zugänglich. Trotzdem boten Höhe und Moor genügend Schutz. Die Gunst der Lage des südlichen Plateaus stellt uns vor die Frage: »Ist die älteste Siedlung im heutigen Stadtkern zu suchen oder auf dem südlichen Plateau?« Auf diese Frage nach der Lage der ältesten Siedlung muß uns die Geschichte die Antwort geben. Die Analyse des Aufrisses führt tiefer hinein in das Verständnis der einzelnen Stadtteile. Bevor wir auf die räumliche Verteilung der Gebäude eingehen, müssen wir Lübecks vertikale Ausdehnung vergleichen mit der anderer Städte.!) Von 1000 Gebäuden waren solche mit 1 2 B) 4 5 und mehr Stockwerken Lübeck 255 461 217 64 3 Kiel 3052208. 1.142 172, 3107 Stettin 236 130 152” 435 49 Kolah) 1.59, 7,940 1974 4369 1 In Lübeck bestehen nach der Gebäudestatistik von 1910 71,6 %. aller (Gebäude aus 1 und 2 Stockwerken, in Kiel nur 50,9 %, in Stettin 36,6 ° und in Köln 25,3 %. Schlüter?) hat recht, wenn er behauptet, daß Lübeck für eine Großstadt um ein Stockwerk zu niedrig sei. Die hohe prozentuale Zunahme aber der drei- und vierstöckigen Häuser?) um 33,6 und 289,4 % in den Jahren 1900—1910 gegenüber der geringen Zunahme der ein- und zweistöckigen Gebäude um 0,15 und 2,6 °% zeigt die neue Entwicklungs- ) Statist. Jahrb. Deutscher Städte. S. 101. 1914. ?) Bemerkungen zur Siedlungsgeographie. G. Z. 1899, S. 79. ®) Alle Zahlen sind entnommen resp. berechnet nach der Gebäude- und Wohnungs- statistik der Stadt Lübeck. 16 richtung. Das Bild der inneren Stadt wird bestimmt durch die geschlossene Bauweise, durch die im Verhältnis zur Breite der Straßen hohen Häuser, die das Gefühl der Enge hervorrufen, das noch erhöht wird durch die wechselnde Breite der Straßen. Zwei Haustypen beherrschen das malerische, mittelalterliche Straßen- bild. Das Giebelhaus mit dem treppenartigen Emporsteigen der Häuserfront und das zweistöckige Querhaus, das oft als Bude bezeichnet wird. Natürlich hat das moderne Etagenhaus die Enge der Straßen nicht gescheut. Wenn aber 1910 225 ° aller Gebäude der inneren Stadt aus einem Stockwerk, 72,9 % aus ein und zwei Stockwerken bestehen, so scheint diese Tatsache mit dem geschilderten Straßenbilde nicht übereinzustimmen. Der hohe Prozentsatz der niedrigen Häuser ist zurückzuführen auf die große Anzahl von Höfen und Gängen, die die Häuserblocks durchziehen. Die Betrachtung der räumlichen Verteilung der Gebäude nach der Anzahl der Stockwerke ergibt ein Anschwellen in vertikaler Richtung auf der Travenseite.!) 30 °% aller Gebäude weisen hier mehr als zwei Stock- werke auf, gegenüber 23,7 °% auf der Wakenitzseite. Und bedenkt man, daß die hohen Giebelhäuser, die vorwiegend den Westhang einnehmen, zahlreiche Böden besitzen, die nicht als Stockwerke in der Statistik gezählt werden, so ergibt sich ein Zusammendrängen der höchsten Gebäude auf den mittleren Teil zwischen Marlesgrube und Fischergrube. Hier in diesen beiden Straßen erscheinen zuerst die Querhäuser, die im zentralen Gebiet ganz fehlen. Marlesgrube und Fischergrube auf der Travenseite, Hundestraße und Wahmstraße auf der Wakenitzseite, zählen in der Statistik von 1895 zu den budenreichsten. Also auch im Aufriß hebt sich das Kerngebiet deutlich hervor gegenüber den peripheren Teilen. Es zeigt gegenüber dem Kerngebiet, das wir durch Betrachtung des Grundrisses festgelegt haben, eine horizontale Erweiterung im Westen und im übrigen den sehr charak- teristischen Unterschied in der vertikalen Ausdehnung zwischen West- und Osthang. Die Betrachtung der räumlichen Verbreitung der Gebäude nach ihrem Zweck führt ebenfalls zu einem Gegensatz von Traven- und Wakenitzseite. 52,4 % aller Gebäude der Altstadt dienen geschäftlichen Zwecken. Nur 19 °% werden ausschließlich zu Geschäftszwecken verwandt. Die Geschäfts- stadt hat ihren Schwerpunkt auf der Travenseite, indem hier 28,2 % aller (Gebäude rein geschäftlichen Zwecken dienen, gegenüber 17,2 %o auf der Wakenitzseite. 62 ° aller Läden, 72 °. aller Speicher befinden sich auf dem Raume, der der Trave zugewandt ist. Die Folge ist, daß die Gebäude mit zwei Wohnungen vorwiegend auf dem Östhang zu finden sind. ') Die Statistik gibt die Zahlen an nach den vier Quartieren der Stadt. Die Grenz- linien bilden von Norden nach Süden die westliche Längenstraße. Von Östen nach Westen Johannisstraße und Mengstraße. ie7 Aus dem weniger wertvollen Grund und Boden ergibt sich ohne weiteres, daß die Wohnstadt auf der Wakenitzseite liegen muß. In der inneren Stadt kommen auf ein Hektar 'bebauter Fläche (einschl. Garten- und Hofräume) 47,7 Gebäude, in den Vorstädten nur 25,2. Die lockere Bebauung charakterisiert das Vorstadtbild im Gegensatz zur Altstadt. Nur 3,7 % aller vorstädtischen Grundstücke haben keinen Garten aufzu- weisen. Es ist ein erfreulicher Anblick gegenüber den modernen Vorstädten der Großstädte. Charakteristisch für das Stadtbild ist im Vergleich zu Kiel, Stettin und Köln der hohe Prozentsatz der Grundstücke mit Garten in Lübeck. Bebaute Grundstücke mit Garten :') Lübeck —= 6567 67 °% aller Grundstücke, , Kiel — hl 60 °% aller Grundstücke, Stettin — 1970 39 °/) aller Grundstücke, Köln = 10707 = 34 % aller Grundstücke. In Bezug auf die Zahl der Stockwerke der Gebäude ist kein erheblicher Unterschied zwischen Altstadt und Vorstadt. Dort bestanden 1910 72,9 %o aller Gebäude aus ein und zwei Stockwerken, hier 69,8 °%. In der inneren Stadt dienten mehr als die Hälfte aller Gebäude geschäftlichen Zwecken, in der Vorstadt nur 30,6 °/o. Hier tritt ganz allgemein der Gegensatz von Geschäftsstadt und Wohn- stadt in die Erscheinung. Die Verschiedenartigkeit der Vorstädte, die sich bereits im Grundriß ausprägte, tritt jetzt deutlicher in die Erscheinung. Sie ist bedingt. durch Lage und Raum. Die südliche Vorstadt zeigt offene Bebauung, breite Straßen, villenartige Häuser. Das Villenviertel liegt fern von der verkehrsreichen Untertrave. Nach Norden hin, dort, wo die Land- brücke zwischen Wakenitz und Kanalhafen beginnt, staut sich die flache Welle Ein plötzliches Zusammendrängen der Häuser, ein Ausdehnen in vertikaler Richtung wird hier durch die Nähe der Binnenwasserstraßen hervorgerufen. | Ein recht abwechselungsreiches Bild bietet die Vorstadt im Norden zwischen dem Verkehrsstrom der Trave und der stillen Wakenitz. Die Straße am Hafen zeigt geschlossene Bebauung, vorwiegend vierstöckige Häuser. Das Ufer der Wakenitz wird von Villen begleitet. Weiter östlich ist durch den Neubau der Kaserne plötzlich ein Stadtteil aus der Erde her- vorgewachsen, der im Aufriß dieselbe große, Einförmigkeit zeigt wie im Grundriß. Im Westen erstreckt sich die Vorstadt am Stadtgraben entlang, der mit der Trave in Verbindung steht. Die geschlossene Bebauung, die Ein- tönigkeit des Straßenbildes -— hier werden keine Häuser gebaut, sondern \) Statistisches Jahrbuch deutscher Städte 1914. 13 Straßen — die hohe Anzahl der Fabriken charakterisieren die Industriestadt. Von Süden nach Norden schwillt das Häusermeer an und erreicht seine höchste vertikale Ausdehnung im NW. Die Hälfte aller vierstöckigen Häuser drängen sich auf diesem Raume im NW. zusammen. Die Spitze des gleich- schenkligen Häuserdreiecks weist hin auf den Hafen, dessen Nähe der ganze westliche Stadtteil seine Entwicklung verdankt. Seine Eigenart gegenüber den anderen Vorstädten kommt zum Ausdruck in dem höheren Prozentsatz der Gebäude, die geschäftlichen Zwecken dienen (35,5 ’% gegenüber 27,5 % im Norden und 24,6 °% im Süden). Der Gegensatz tritt schärfer hervor, wenn wir den Prozentsatz der Gebäude berechnen, die ausschließlich zu geschäftlichen Zwecken benutzt werden (15,7 °% im Westen, 11,2 % im Norden, 8,7 % im Süden). Der vorwiegend nach Westen gerichtete Land- verkehr hat die Gunst der Lage der westlichen Vorstadt noch erhöht. Der Bahnhof mußte hier angelegt werden. Die Verkehrslage erforderte es. Auf- fallend ist, daß der SW., ausgenommen die peripheren Teile, dem Aufriß nach einer viel früheren Bebauungsperiode angehört als der NW., trotzdem dieser die bei weitem günstigste Lage besitzt. Infolge der Erweiterung des Hafens, der noch in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts mit dem Nord-Ende der Altstadt abschloß, nach Norden und durch die Beseitigung der verkehrshemmenden Windungen des Stadtgrabens hat eine Verschiebung stattgefunden. Die Verbindung von Trave und Stadtgraben bei der Wall- brücke brachte früher den SW. dem damaligen Hafen bedeutend näher Der NW. war durch den Stadtgraben, durch die Wälle vom wichtigsten Verkehrswege abgeschnitten. Die bevorzugte Lage des Westens zu den Ver- kehrsstraßen, die im Gegensatz zur nördlichen Vorstadt, die ebenfalls an der Trave gelegen, günstigen Bodenverhältnisse, indem der Steilhang zum Flusse . fortfällt, haben die Entwicklung des Industrieviertels im Westen begünstigt, trotz der bei uns vorherrschend südwestlichen und westlichen Winde, die den Rauch über die Stadt leiten. Das typisch Großstädtische fehlt dem Antlitz der Stadt. Wenn die Einwohnerzahl heute 100000 überschreitet, so ist diese Zunahme den großen Eingemeindungen von 1913 zuzuschreiben. 1910 stand Lübeck mit seinen 95620 Einwohnern weit hinter den benachbarten Seestädten zurück, wie die folgende Tabelle beweist.!) Hamburg == 932 166 Einwohner Königsberg — 248 095 » Stettin — 234.033 > Kiel — 208 845 ’ Danzig - — 169 306 » Lübeck —1,9381020 » ‘) Wallroth, Die Stellung Lübecks im Wettbewerb der deutschen Seeplätze, Seite 591. 19 >. Eine Erklärung für die scheinbar langsamere Entwicklung Lübecks wird sich erst später bei der Betrachtung der verkehrsgeographischen Ver- hältnisse ergeben. Die Bevölkerungsstatistik zeigt die allgemeine Erscheinung des pro- zentualen Rückgangs der Zunahme seit 1900. Es ist nach Olbricht!) das Zeichen beginnender Dezentralisation infolge der hohen Bodenpreise und Steuersätze. Der Anbau von Fabriken erfolgt außerhalb der Stadt. Die umliegenden Ortschaften wachsen heute aus eigner Kraft der Stadt entgegen, während sie früher von ihr umklammert wurden. »Nicht das ganze Land wächst, sondern nur bestimmte Zonen im Umkreis der Städte, die sich in bestimmter wechselnder Entfernung um die Stadt legen.« Diese Zone stark anwachsender Ortschaften bezeichnet Olbricht als den »Umkreis«. Wirt- schaftlich bestehen die engsten Beziehungen zwischen Stadt und Umkreis. Von den umliegenden Ortschaften Lübecks weisen folgende in den Jahren 1900—1910 eine besonders hohe Zunahme auf.?) Städte 1900 1910 % Zunahme 1900—1910 Moisling 1028 Einwohner 1254 Einwohner 21,9 % Genin 337 » 371 > OT Stockelsdorf 1524 > ‚1731 > 13.5.% Schwartau 2747 » 3335 > 21,4 % Rensefeld 1429 >» 1829 » 27,9 % Siems 222 » 567 » 155,4 % Kücknitz 149 » 1385 > 829,5 % Schlutup 1572, >. 2713 » 12,9 °% Travemünde 1849 » 2138 » 15,6 °% Olbricht's Behauptung, daß in jüngster Zeit nicht die großen Städte prozentual am schnellsten wachsen, sondern die umliegengen Ortschaften, bestätigt sich demnach auch für Lübeck. Die Stadt wies in derselben Zeit nur eine Zunahme von 19,2 % auf. Warum Olbricht Ratekau?) zum Um- kreise zählt, ist mir unverständlich. Es weist einen Zuwachs von nur 4,4 % auf und trägt rein dörflichen Charakter. Ein Vergleich des prozentualen Wachstums der Bevölkerung von Stadt und Umkreis bringt die Erscheinung der Dezentralisation deutlich zum Ausdruck. Stadt von 1880-1890 — 24,5 %, Umkreis 8,2 %, » » 1890-1900 282 io: » Saale, » 2190019107 = 19273, > 81,9 0/0, ' = !) Olbrieht, Die deutschen Großstädte, Seite 58. °) Ortschaftsverzeichnis des Großherzogtums Oldenburg 1910. Statist. Beschreibung der Gemeinden des Fürstentums Lübeck 1901. P. Kollmann. ®) Olbricht, Die deutschen Großstädte, Seite 66. IF 20 1900 betrug der Anteil des Umkreises an der Gesamtbevölkerung von Stadt und Umkreis 13,5 %, 1910 bereits 15,2 °/). Charakteristisch für Lübeck ist die Form des Umkreises, die Erstreckung in nordöstlicher Richtung am ' Travestrom entlang. Wir sehen darin den Ausdruck der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt. Das geographisch Wertvolle an der Olbricht’schen Idee liegt gerade in der räumlichen Darstellung des Wirtschaftslebens einer Siedlung, das unberücksichtigt bleibt bei der Festlegung der Stadtgrenze. Bereits innerhalb des Umkreises liegen Ortschaften wie Gothmund, die keine Zunahme, sondern einen Rückgang der Bevölkerung zu verzeichnen haben. Sie gehören bereits in das »Aufsauggebiet« der Stadt, das in größerer Ent- fernung an Raum gewinnt. Die Grenze dieses (rebietes festzustellen, wäre eine interessante Aufgabe, sehr wahrscheinlich ‘würde man anschaulich die hemmende Wirkung der Nachbarstädte Hamburg und Kiel zur Darstellung bringen können. Die Betrachtung der räumlichen Verteilung der Bewohner innerhalb der Stadt ergänzt das bereits durch Grundriß und Aufriß gewonnene Bild. Die Vorstädte bergen heute fast zwei Drittel der Bevölkerung. Interessant st, daß die Vororte 1362 denselben Anteil an der Bevölkerung besaßen wie heute der Umkreis, nämlich 15 %. Der Westen wird infolge seiner größeren räumlichen Ausdehnung, seiner engeren Bebauung die höchste Bewohnerzahl aufweisen. Er umfaßt 52,9 % der Vorstadtbevölkerung, also mehr als die Hälfte. Setzen wir die Einwohnerzahlen der verschiedenen Stadtteile in Be- ziehung zur bebauten Fläche, so erhalten wir die größte Dichte in der eng- bebauten Altstadt. Hier kommen 321,4 % auf 1 ha. Es folgt die westliche Vorstadt mit 28,8 % Menschen auf 1 ha. Die im Norden und Süden ge- legenen Stadtteile zeigen die geringe Dichte von 15,5 % und 18,8 %. Hier tritt wieder der Charakter des Villenviertels in die Erscheinung. Die große Dichte der Altstadt ist auf die weitgehende Raumausnützung zurückzuführen. Aber wir müssen versuchen, auch aus der Verteilung der Bevölkerung den Gegensatz von Altstadt und Vorstadt, von Geschäftsstadt und Wohnstadt herauszulesen. Hier hilft uns die Behausungsziffer, d. h. die Zahl der Bewohner, die auf ein Wohnhaus kommen. In der inneren Stadt beträgt die Behausungsziffer 8,4 %, im Villenviertel 8,6 %, im Norden 9,6 ”% und endlich im industriellen westlichen Teile durchschnittlich 10,4 %o. Im NW. steigt sie auf 11,4 %. Der Unterschied von Altstadt und Vorstadt kommt in der Behausungsziffer zum Ausdruck. Der Gegensatz tritt aber schärfer hervor, wenn wir die Bewohnerzahl nicht in Beziehung setzen zur Zahl der Wohnhäuser, sondern zu der der Gebäude überhaupt. Da ergeben sich folgende Zahlen: für die Altstadt 6,7 %%, für die Vorstädte 8,3 %%. Die westliche Vorstadt weist die größte Ziffer auf von 8,6 %. Es folgt der Norden mit 8,3 % und das Villenviertel im Süden mit nur 7,8 %. Ein Ver- ‚1 [7 gleich der Behausungsziffer Lübecks mit der anderer Städte!) charakterisiert wiederum die Eigenart der Siedlung: _ Berlin — 26 Frankfurt = 20 % Lübeck =.) %o Bremen = 6 % Lübeck und Bremen weisen auffallend niedrige Ziffern auf. Diese Tatsache ist zurückzuführen auf die starke Vertretung des Einfamilienhauses in beiden Orten. In Lübeck bewohnen 14,3 °/ aller Einwohner ein ganzes Haus, in Hamburg nur 4,78 %, in Kiel 43 % und in Stettin 0,3 °%.?) Dem raschen Wachstum der Vorstädte gegenüber hat die innere Stadt langsam zugenommen, von 1880-1900 um 6,4 %, die Bewohnerzahl der Vorstädte ist in derselben Zeit um. 171,7 % gestiegen. Seit 1900 ist die Bevölkerung der Altstadt im Rückgang begriffen. Der Prozeß der City- bildung, der in Stettin bereits in den 80er Jahren einsetzte, in Hamburg noch früher, hat auch in Lübeck begonnen. Der prozentuale Rückgang be- trägt seit 1900 4,8 %, eine geringe Abnahme im Verhältnis zur City von ' Hamburg, die nach Reinhard?) in der Zeit von 1890 —1895 um. 12,62 % zurückging. Da der Prozeß der Citybildung in Lübeck erst in jüngster Zeit eingesetzt hat, wird uns die Betrachtung der räumlichen Verteilung der Bewohner der Altstadt im Jahre 1910 unserem Ziele, der Abgrenzung der eigentlichen Geschäftsstadt, nicht viel näher bringen. Die Bevölkerungsbe- wegung innerhalb der Stadt allein kann uns Aufschluß bringen. Noch im Jahre 1895 war die Verteilung der Bewohner ungefähr gleich auf der ganzen Insel. Es kamen 17348 Bewohner auf die Travenseite und 17830 Bewohner auf die Wakenitzseite. Im Jahre 1910 hat sich der Schwerpunkt der Be. völkerung nach Osten verschoben. Wir finden nur noch 16557 Bewohner auf dem Westhang und 18486 Bewohner auf dem Osthang. Die Zahl der Gebäude für Wohnzwecke ist seit 1895 auf der Traven- seite um 13,4 °/, gesunken, auf der Wakenitzseite nur um 7,3 %. Eine Untersuchung der Anahme der Wohnungen in den einzelnen Straßen in der Zeit von 1905—1910 — eine frühere Statistik ist leider nicht vorhanden — brinst uns unserem Ziele bedeutend näher. Ich führe die Straßen an, die in den bezeichneten fünf Jahren mehr als fünf Wohnungen eingebüßt haben: Königstraße 6 Wohnungen Holstenstraße 6 » Fischergrube 9 » Engelsgrube 10 » Marlesgrube 10 » Untertrave 10 y !) Aus einem Vortrag des Herrn Baudirektors Baltzer über die Wohnungsnot (geh. im Februar 1918). ?) Statist. Jahrbuch Deutscher Städte. Bremen war in der Statistik nicht angegeben ?) Reinhard, die wichtigsten deutschen Seehandelsstädte, S. 504. |) (89) Nicht die Hauptverkehrsstraße weist die größte Abnahme auf. Der Prozent-. satz an Wohngebäuden war bereits vor 1905 hier sehr gering. Die stärkste Abnahme verzeichnen charakteristischer Weise Marlesgrube, Fischergrube, Engelsgrube und Untertrave. Sie liegen nicht nur auf der Travenseite, sondern umschließen dasselbe Gebiet, das sich uns bei der Betrachtung des Aufrisses als Zentrum herausschälte. Die Abnahme der Wohnungen in der Engelsgrube deutet auf eine Erweiterung der City nach Norden, eine Folge - der günstigen Lage am Hafen. Nach Osten würde auf Grund dieser Unter- suchungen die Grenze mit der östlichen Längenstraße, der Königstraße, zu- sammenfallen. Es wäre sehr gefährlich und geradezu verkehrt, aus der geographischen Lage Lübecks auf die Vertretung der einzelnen Berufsarten in der Stadt schließen zu wollen. Unter den Ostseehäfen zeigt Lübeck nach Wallroth den höchsten Prozentsatz der im Handel Erwerbstätigen. Mit allen See- städten teilt Lübeck die Industriearmut.!) Wallroth weist darauf hin, daß, ‘ der Unterschied gegenüber den Großstädten des Binnenlandes noch deut- licher hervortreten würde, »wenn man das in den Seestädten verhältnis- mäßig stark vertretene Handwerk und Kleingewerbe von dem eigentlichen Großgewerbe vergleichsweise abtrennen könnte«. In engem Zusammenhange mit der industriellen Entwicklung der Stadt steht die Abnahme der in der Landwirtschaft tätigen Bevölkerung und derer, die in häuslichen Diensten stehen. Erwähnenswert im Hinblick auf die Entwicklung der Stadt ist die ständige Zunahme derer, die keinen Beruf haben. Bei weitem die größte Anzahl von ihnen (62 %) fällt auf die Rentner. Der Lage in der Nähe der See, inmitten des abwechslungsreichen baltischen Hügellandes, dem Fehlen großstädtischen Getriebes verdankt Lübeck den Zuzug der Pensionierten. Lübeck .ist in erster Linie eine Stadt der Kaufleute. Gerade im Stadtbild kommt Wallroths Charakterisierung der lübeckischen Industrie voll zum Ausdruck. Öde Industrieviertel kennt Lübeck nicht. Ganz entschieden hat auch die Schar der Rentner dem Stadtbild charakteristische Züge verliehen. Die ausgedehnte Villenvorstadt im Süden verdankt ihr Entstehen in hohem Grade der wohlhabenden Klasse der Berufslosen. | In der Zusammensetzung der Bevölkerung nach der Gebürtigkeit kommt die Lage der Stadt am baltischen Meere, an der Grenze von Westen und Osten Deutschlands zum Ausdruck. Nach Hartwig?) macht sich auch in Lübeck der allgemeine Zug nach Westen bemerkbar. Unter den Ausländern, die nach der Staatsangehörigkeit nur 2 °/ der Bevölkerung ausmachen, über- wiegen der Lage der Stadt nach Schweden, Russen und Dänen. In neuester Zeit wandern zahlreiche Oesterreicher als Industriearbeiter ein. ') Wallroth, Die Stellung Lübecks im Wettbewerb der deutschen Seeplätze, Seite 592 und 593. ?) Hartwig, Dr. J., Die Bevölkerung nach der Gebürtigkeit. Lübeckische Blätter 1905 Seite 597. 23 Die Analyse des Stadtbildes ergab eine Sonderstellnng Lübecks gegen- über seinen Nachbarstädten Hamburg, Kiel, Stettin. Die geographisch so günstig gelegene Isthmusstadt ist in ihrer Entwicklung hinter den genannten Seehäfen zurückgeblieben. Die rein geographische Betrachtung der Lage genügt hier nicht zur vollen Erfassung der Siedlung. Eine Seestadt wie Lübeck ist nur aus ihrer verkehrsgeographischen Lage heraus zu verstehen. Die geographische Lage am Meer, die Konzentration der Siedlung am Hafen, die berufliche Gliederung der Bevölkerung weisen hier auf den Lebensnerv der Stadt, den Handel. Dieser gibt Aufschluß über die verkehrsgeographische Lage und führt zu tieferem Verständnis der Siedlung. Für einen Seehafen kommen verkehrsgeographisch in erster Linie die Verbindung mit dem Meer und die Erschließung des Hinterlandes in Betracht. Lübeck liest 21 km von der Ostsee entfernt. Die in jüngster Zeit auf 8 Meter vertiefte breite kanalartige Untertrave ermöglicht großen Seeschiffen, mit Ausnahme der größten Ozeandampfer, Ein- und Ausfahrt. Kein schiffbarer Strom aber führt ins Innere des Landes und verschafft Lübeck ein eigenes Hinterland. Der Elbe-Trave-Kanal, der seit 1900 dem lübeckischen Handel das Binnen- land erschließen soll, mündet bereits 67 Kilometer südlich von Lübeck in die Elbe, in einer Entfernung von 57 Kilometern von Hamburg. Mit der mächtigen Nordseestadt muß Lübeck das elbische Hinterland teilen. Den Flüssen folgen durch die natürlichen Tore der Mulde Eisenbahnen nach allen Richtungen. Lübecks gesamte Güterbeförderung belief sich im Jahre 1910 auf 3,65 Mill. t. Sie verhielt sich zu der Stettins und Hamburgs wie 1:2,6:11.') ‚Ein Vergleich der Verteilung der Güterbeförderung auf die verschiedenen Verkehrsmöglichkeiten ergibt, wie die folgende Tabelle zeigt, für Lükeck einen auffallend hohen Anteil der Warenbeförderung durch die Bahn.?) Lübeck Hamburg Stettin BSR Boolean — 42,925 722,7 Mill6— 53,4% 48° MN]l.t 48,95% B: ade 9.» 3822) 6,3909 164.0 203°» » 20:00 Bean 50189. 71262 25 302%, 253 >» 20,5 % Prozentual ist der Anteil der Bahn an der gesamten Güterbeförderung seit 1899, dem Jahre vor der Eröffnung des Kanals, bedeutend zurückge- sangen, von 50 % auf 38 %%. Die weitere Untersuchung muß ergeben, ob die Verteilung der Güterbeförderung, in der Lübeck eine Sonderstellung ein- nimmt, den Nachbarhäfen gegenüber bereits die verkehrsgeographische Lage der Stadt beleuchtet. ') Oppel, Die deutschen Seestädte. Alle Zahlen, soweit auf besondere Quellen nicht hingewiesen wird, sind den tabellarischen Übersichten des Lüb. Handels entnommen. ®)S — Warenbeförderung zur See. B — Warenbeförderung durch die Bahn. B. W. = Binnenwasserstraße. 24 Im gesamten seewärtigen Güterverkehr der wichtigsten deutschen See- häfen stand Lübeck, wie folgende Tabelle!) zeigt, 1910 dem Gewichte nach in 1000 t in Mill. #% Hamburg 22109 7939 Bremen 5535 2226 Stettin 4804 _— Königsberg 1923 304 Danzig 1796 274 Lübeck 1564 349 an sechster Stelle. Dem Werte nach steht es also vor Königsberg und Danzig. Diese Tatsache der wechselnden Stellung Lübecks unter- den See- häfen in Bezug auf Gewicht und Wert seines Handels müssen wir im Auge behalten. Leider ist für Stettin keine Weıtstatistik vorhanden. Lübecks Anteil am reinen Seeverkehr der deutschen Hafenstädte betrug dem Gewichte nach 3,6 °%/ gegenüber Stettin und Hamburg mit 11 % und 51 %0.?) Ein Vergleich der Ein- und Ausfuhr der verschiedenen Häfen nach Menge und Wert bringt uns der Charakterisierung der verkehrsgeographischen Lage Lübecks bedeutend näher. Es fallen in °/ des Seeverkehrs auf die Ausfuhr 1910?) Jahr Menge Wert Danzig (1909) 45 °% 49° % Königsberg (1908) 43 °% 48,5 °% Hamburg (1910) 32- %0 44,5 % Stettin (1910) 30 °% — ln Lübeck (1910) 28 % 67% Bremen (1910) 43: %%o 41,5 °% Keiner der Seehäfen zeigt wie Lübeck den auffallenden Unterschied zwischen Gewicht und Wert, mit denen die Ausfuhr am Seehandel beteiligt ist. Diese Tatsache erklärt sich dadurch, daß Lübeck in erster Linie Aus- fuhrhafen für hochwertige Fabrikate ist. Der Anteil der Industrieprodukte an der Ausfuhr betrug 1913 40,9 °%% der seewärtigen Ausfuhr. 50,3 % der Einfuhr fallen auf Rohstoffe. Vom Hinterlandverkehr fällt der Hauptanteil, wie wir sahen, der Eisenbahn zu. Leider ist eine spezialisierte Statistik hierüber nicht vorhanden. Um aus den Ergebnissen der Handelsstatistik Schlüsse auf die Lage Lübecks ziehen zu können, müssen wir die räumliche Verteilung des Verkehrs und die Richtungen des Handels feststellen. Lübecks Handel ist vorwiegend Ostseehandel. Von der gesamten seewärtigen Einfuhr Lübecks kam 1910 dem Gewichte nach 64,2 % auf die Ostseeländer, dem Werte nach sogar 90,2 °”. In der Ausfuhr waren es dem Gewichte nach ') Wallroth, Die Stellung Lübecks im Wettbewerb der Seeplätze, Seite 599. ?) Oppel, Die deutschen Seestädte, Seite 88. 3) Nach Oppel. 25 \ 85,3 °%, dem Werte nach 96,4 °%.!) In dieser fast ausschließlichen Be- schränkung des Seehandels auf das östliche Binnenmeer nimmt Lübeck wiederum eine Sonderstellung ein. 1907 betrug Stettins Nordseehandel dem Gewichte nach 63 °. seines seewärtigen Güterverkehrs. Auch für Königs- berg lag der Schwerpunkt seines Handels im westlichen Meere.”) Für Danzig habe ich die Zahlen nicht bekommen können. Die Flaggen im Danziger Hafen zeugen aber von einem regen Verkehr mit der Nordsee. In demselben Jahre 1907 fielen nur 23,5 % des lübeckischen Handels der Nordsee zu. . Die Handelsbeziehungen mit Schweden und Rußland sind am lebhaftesten, auf beide Länder zusammen fallen dem Werte nach 47 °/ des lübeckischen Seehandels, also beinahe die Hälfte. Es folgen die deutschen Ostseehäfen, Dänemark, Finnland, die deutschen Nordseehäfen und Groß-Britannien. Das bereits früher festgestellte sehr verschiedene Verhältnis von Ein- und Aus- fuhr nach Gewicht und Wert tritt in charakteristischer Weise im Handel mit den einzelnen Ländern in die Erscheinung. Im Verkehr mit Rußland, Schweden und Finnland ist dieser Gegensatz scharf ausgeprägt. Dem Ge- wichte nach nimmt die Einfuhr den bedeutendsten Anteil in Anspruch, dem Werte nach fällt das Hauptgewicht auf die Ausfuhr. Die baltischen Länder führen Rohstoffe, vorwiegend Holz und Erze, über Lübeck ein und empfangen von dort Industrieprodukte, Maschinen und Eisenwaren. Der Unterschied fällt fort im Handel mit Dänemark infolge der Einfuhr hochwertiger Pro- dukte der Viehzucht. Der Gegensatz tritt ebenfalls zurück im Handel mit dem Westen, der ausschließlich nur als Lieferant für Steinkohlen in Betracht kommt. Die Hauptrichtung des lübeckischen Handels weist seewärts nach NO. Und welche Richtung bevorzugt der Hinterlandverkehr ? Der Binnenschiffahrtsverkehr auf Trave und Wakenitz ist so gering, daß er unberücksichtigt bleiben kann. Von Bedeutung sind als Verkehrs- möglichkeiten nur der Kanal und die Bahn. 1913 fielen 36 % des Hinter- landverkehrs auf den Kanal, 64 °/, auf die Bahn. Der Kanal verbindet Lübeck in erster Linie mit dem reichen mittelelbischen Hinterland. Die Ladungen der Elbkähne auf der Talfahrt bestehen vorwiegend aus Kalisalzen und Gipsen. Im Bergverkehr nimmt Holz den ersten Platz ein. Die Güter- beförderung durch die Bahn steht heute im Hinterlandverkehr Lübecks noch an erster Stelle. Uns interessiert auch hier die räumliche Verteilung. 72,6 °% der Waren gehen über Hamburg und Büchen; das bedeutet, daß der Binnen- verkehr seinen Schwerpunkt im Westen Deutschlands hat. Der Hauptverkehr findet mit dem Rheinland und Westfalen statt. Das Verhältnis von Empfang und Versand muß auch hier zur näheren Charakteristik der verkehrsgeogra- phischen Lage Lübscks kurz gestreift werden. Eine Wertstatistik ist nicht vorhanden. Dem Gewicht nach überwiegt der Empfang den Versand mit ") Hammermann, Seite 97 und Seite 100. ”) Wallroth, Lübeck und der Elbe-Trave-Kanal, Seite 17. 26 rund 62 °%, im Gegensatz zur Güterbeförderung auf sämtlichen anderen Strecken Lübecks, auf denen allgemein der Versand größer ist. Aus der - Betrachtung der räumlichen Verteilung des Handels ergibt sich für Lübeck _ eine Mittellage auf der SW.— NO-Verkehrslinie. Die Verkehrsspannung, die in dieser Richtung entsteht zwischen dem industriellen Westen und rohstoff- liefernden NO., kommt in der Eigenart des lübeckischen Handels, seinem Verhältnis von Ein- und Ausfuhr, seiner Zusammensetzung voll zum Aus- druck. Lübeck liest dort, wo die billige Seeverkehrsstraße am weitesten nach dem Westen hineinführt, im klimatisch begünstigten Südwest-Winkel des Binnenmeeres. Wie verträgt sich mit dieser scheinbar günstigen ver-. kehrsgeographischen Lage Lübecks der im Vergleich mit benachbarten See- häfen geringe Handelsverkehr? Die Verkehrsspannung zwischen dem indu- striellen Westen und dem rohstoftliefernden NO. ist heute weit geringer als die zwischen dem Westen und den transozeanischen Ländern. Der verkehrs- geographische Schwerpunkt liest im Westen. Lübeck liegt an einem Binnen- meer, abseits von den Hauptverkehrsstraßen, die die Ostsee mit dem Westen verbinden. Diese führen durch den Kanal und den Sund, wie die Verkehrs- dichtekarte von Jordan') anschaulich zur Darstellung bringt. Die Folge ist, daß Hamburg am Eingang des Kanals, Stettin in direkter Verlängerung des Sundes gelegen, auch am Östseeverkehr der deutschen Häfen mit den Ostseeländern den Hauptanteil für sich in Anspruch nehmen. Vom see- wärtigen Güterverkehr der wichtigsten deutschen Seehäfen mit den Ostsee- ländern fielen dem Gewichte nach auf Hamburg 31,2 %, auf Stettin 22,1 %, auf Lübeck 13,8 °%°). Lübeck liegt auch abseits der Hauptstraßen ‘des Binnenverkehrs. Die alten Urstromtäler geben dem Binnenverkehr die Richtung nach NW. auf Hamburg zu. Seewärts und landeinwärts ziehen die Straßen in geringer Entfernung au Lübeck vorbei, auf Hamburg kon- vergierend. Die Lage in der Nähe des Schnittpunktes dieser Linien scheint Lübeck in seiner Entwicklung zu hemmen. Ein kurzer Blick auf die Entwicklung des lübeckischen Handels in den letzten Jahren soll zeigen, ob Lübeck an dieser Umklammerung allmählich zugrunde gelıt, oder ob es seine ihm eigene verkehrsgeographische Lage auszunutzen vermag, ob der Anschluß an die Hauptbinnenwasserstraße durch den Kanal der Lage Lübecks eine neue Bedeutung geben wird. Lübecks Seegüterverkehr ist in den Jahren 1890-1900 von 179,25 Mill. # auf 239,45 Mill. #2 gestiegen. Das bedeutet eine Zunahme von 33,5 %. Im Jahre 1910 hatte die Ein- und Ausfuhr den Wert von 349,15 Mill. #, sie ist in den Jahren 1900—1910 bereits um 45,8 °/ gestiegen. Dem Ge- wichte nach ist die Zunahme in jüngerer Zeit bedeutend größer. Sie stieg in den 90er Jahren um 44 % (von 573263 t auf 829549 t), in den Jahren pr !) Jordan, Verkehrsdichte auf der Ostsee im Jahre 1905. ?) Wallroth, Die Stellung Lübecks im Wettbewerb deutscher Seeplätze, Seite 596. 27 1900-1910 um 88,4 % (auf 1564075 t). In dieser Zunahme übertrifft ‘ Lübeck sämtliche anderen wichtigen deutschen Seehäfen, wie die folgende Tabelle beweist.') : Zunahme des Gewichtes (1900—1910): Hamburgs’ 753,2» %o x Bremen 43,6 % Stettin 40,6 °% Königsberg 37,8 Danzig 19,302 | Lübeck 88,4 % Der Hinterlandverkehr weist in derselben Zeit dem Gewichte nach nur eine Zunahme auf von 55,7 %. (Er ıst gestiegen von 1166000 t auf 1755662 t.) Diese geringere Zunahme gegenüber dem Seeverkehr ist für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, wie wir noch sehen werden, sehr charakteristisch. Durch die Eröffnung der leistungsfähigen Binnenwasser- straße ist die Zufuhr von Massengütern für die so nötige Rückfracht der rohstoffliefernden baltischen Dampfer und Segler möglich. Der Verkehr auf dem Kanal betrug im Jahre 1910 nicht ganz 20 °/o?) des Elbschiff- fahrtsverkehrs von Hamburg. Trotzdem hat er die Erwartungen übertroffen. Nach vorausgegangenen Berechnungen’) war für das Jahr 1910 ein Verkehr von 472000 t angesagt. In Wirklichkeit betrug er bereits 569910 t. Auch der Eisenbahngüterverkehr stieg in den Jahren 1899—1910 von 1057093 t auf 1219893 t, das bedeutet eine Zunahme von 15 %. Lübeck ist nun einmal infolge seiner verkehrsgeographischen Lage der Exportplatz für die hochwertigen Stückgüter des Westens nach den nordischen Reichen und wird daher weiter in hohem Maße auf den Bahnverkehr angewiesen sein bis zu dem Augenblick, wo der Elbe-Trave-Kanal an den Mittelland- kanal angeschlossen wird. Die verkehrsgeographische Lage Lübecks als Umschlaghafen an der den Westen mit dem Norden verbindenden Wasser- straße wird dann in hohem Maße an Bedeutung gewinnen. Lübecks Anteil am seewärtigen Güterverkehr der wichtigsten deutschen Seehäfen mit den Ostseeländern betrug 1910 13,8 °/o, im Jahre 1889 betrug er noch 19,8 ®%o, 1899 14,6 °.*) Das bedeutet, daß der prozentuale Rückgang Lübecks am Handel mit den Östseeländern im’ letzten Jahrzehnt weit geringer ist als in den 90iger Jahren. Die bedeutende Zunahme des lübeckischen Handels seit 1900 zeugt von einer Neubelebung der SW.-NO.-Verkehrsstraße. Der wirtschaftliche Aufschwung der nordischen Reiche,?) die Industriealisierung Schwedens und S ") Wallroth, Seite 599. 2) Hammermann, Der Elbe-Trave-Kanal. Seite 83. 3) Hammermann, Seite 28. *, Wallroth, Die Stellung Lübecks. Seite 596. >) Berichte der Handelskammer 1910 und 1911. 7 28 Finnlands, die Umgestaltung des bäuerlichen Besitzes in Rußland baben eine vermehrte Zufuhr von Eisenwaren, Maschinen gefordert. Die bedeu- : tende Zunahme der Ausfuhr nach Rußland, Finnland und Schweden um 35 %, 42 %% und 16 % in den Jahren 1911—13 zeugt von Lübecks Aus- nutzung seiner verkehrsgeographischen Lage. Schweden ist bereits in der Industriealisierung am weitesten vorgeschritten. Es bedarf weniger der Einfuhr von Fabrikaten. Dem Gewichte nach ist die Ausfuhr nach Schweden in demselben Zeitraum um rund 30 °/, (von 115898 t auf 150225 t) gestiegen. Von einem Rückgang der alten Handelsbeziehungen kann also nicht die Rede sein. Rohstoffe und Halbfabrikate aus dem Gebiete der Mittelelbe werden über Lübeck nach Schweden verschifft. Der Rückgang wäre eingetreten, der Umklammerungsprozeß hätte für Lübeck hier seinen Anfang genommen, wenn die Stadt nicht Anschluß gesucht hätte an die Hauptwasserstraßen des Binnenlandes. Lübeck durfte die verkehrsgeo- graphische Bedeutung seiner Lage heute nicht mehr an einen einzigen Weg binden. Die Eigenart der verkehrsgeographischen Lage Lübecks ist nicht ohne Einfluß auf den Siedlungsraum geblieben. D.e halbinselartige Lage der Stadt war für einen modernen Seehafen äußerst günstig. Es bedurfte nur des Durchstiches im Norden der Altstadt, einer Regulierung des Wakenitz- bettes und des Festungsgrabens um dem Binnenwasserverkehr einen eigenen Hafen zu geben, der nicht in gleicher Linie mit den Seehäfen diese mit- belastete, sondern die Elbkähne an der. Ostseite der Stadt herumführte direkt in den Umschlaghafen. An der Westseite der Stadt zieht sich der Seehafen hin bis zur Marlesgrube, der südlichst gelegenen Hafenstraße, bis zu der wir die Citybildung verfolgten. Weiter südlich schließt sich der Stecknitzhafen für Flußschiffer an. Der Festungsgraben ermöglichte die Gabelung des Seehafens im Norden der Altstadt. Es war dadurch möglich, den Winterhafen für Segler zu isolieren. Die alten Wälle im Norden der Holstenbrücke sind Lagerplätzen gewichen. Infolge des fast auschließlichen Ostseehandels beherrschen deutsche und nordische Flaggen das Hafenbild. Im Anteil der einzelnen Flaggen spiegelt sich die räumliche Verteilung des Seeverkehrs der verschiedenen Seehäfen wieder. Im Jahre 1910 betrug der Gesamtverkehr Lübecks 1674155 N.-Reg.-T. Davon fielen der deutschen Flagge zu 44,4 °/o, der schwedischen 29,3 °%/o, der russischen 11,2 %, und der dänischen 8,6 %.') Ein wesentlich anderes Bild bieten der Stettiner und Danziger Hafen.) Hier ist die britische Flagge mit 12 und 11 °% am Gesamtverkehr beteiligt. Die schwedische und russische Flagge tritt zurück hinter der dänischen und norwegischen. Lübecks verkehrsgeographische Lage tritt demnach auch im Hafenbild in die Erscheinung. Die Zahl der ı) Hammermann, Seite 49. °”) Oppel, Seite 201 und 195. 29 täglich ein- und auslaufenden Schiffe gibt ungefähr eine Vorstellung vom Verkehrsleben eines Seehafens.') Oppel berechnet für das Jahr 1910, daß sich »täglich im Durchschnitt im Hamburger Hafen annähernd 100 Seeschiffe hin- und herbewegen«. In demselben Jahre würde sich für Lübeck die Zahl 18 ergeben. 1913 fuhren bereits durchschnittlich 24,8 Schiffe täglich im Lübecker Seehafen ein und aus. Die flachen Schuppen am Hafen dienen zur Aufbewahrung von Holz und Kohlen. Die Holzlagerplätze gerade sind es, die dem Lübecker Hafen sein charakteristisches Gepräge geben. Große Lagerhäuser zur Aufbewahrung von Getreide und Kolonial- waren wie in Hamburg und Danzig fehlen in Lübeck. Ein einziges steht verloren am Hafen. Am Kanal und an der Trave sind Plätze für industrielle Anlagen geschaffen. Der bereits stark angewachsene Seeverkehr — gegenüber dem Hinterlandverkehr — deutet hin auf die neu einsetzende Industriepolitik Lübecks, die notwendig ist, um eine Handelsstadt lebens- kräftig zu erhalten. Die bodenständige Ziegelindustrie, für die die feinen Tone des Staubeckens das beste Material lieferten, tritt heute zurück. Die verkehrsgeographische Lage der Stadt begünstigt die Metall- und Holzindustrie. Das schwedische Erz und die westfälische Kohle legen den Grund zur lübeckischen Großindustrie. Wie wir bereits sahen, ist die Industriealisierung der Stadt noch nicht sehr weit fortgeschritten. Sie wurde erst möglich nach der Eröffnung des Binnenschiffahrtsweges. Lübecks verkehrsgeographische Lage ist nicht ganz ohne seine politische Lage zu verstehen. In Anlehnung an das Meer hat sich der Stadtstaat durch die Jahrhunderte der Kleinstaaterei erhalten können. Wollte er nicht erdrückt werden, so mußte er sich 1866 bei der Gründung des norddeutschen Bundes eng an diesen anschließen. Noch zeugt das isolierte Bahnnetz von Lübecks politischer Sonderstellung. Die Bahnen nach Hamburg, Büchen, Eutin, Travemünde liegen in Privathänden. Eine Folge ist, daß Lübeck immer wieder vergeblich Anschluß sucht an die direkten Verbindungen. Diese Isolierung ist ein Verkehrshemmnis. Sie mag zeitweilig‘ stark mit- gewirkt haben an der langsamen Entwicklung der Ostseestadt. Aus der verkehrs- und politisch-geographischen Lage der Stadt während der letzten Jahrzehnte verstehen wir die neuere Entwicklung der Stadt. Die Altstadt aber mit ihren gewaltigen romanischen und gotischen Baudenkmälern redet von Tagen, da Lübeck eine audere Stellung eingenommen haben muß. Wir sehen in den Bauten Spuren, die die verkehrsgeographische und politische Lage vergangener Jaltrhunderte dem Raume aufgeprägt haben. Wollen wir die Dissonanz, die sich uns im Stadtbild aufdrängt, lösen, so müssen wir die räumlichen Beziehungen der Lage seit der Gründung der Stadt näher ins Auge fassen. !) Oppel, Seite 134. 2. 30 Wie sich aus der Analyse des Grundrisses ergab, ist Lübeck eine Kolonisationsgründung. Die gegen die östlich der Elbe bis nach Holstein hineinwohnenden Slaven vordringenden Holsten und Sachsen schufen hier im SW.-Winkel der Ostsee am Schnittpunkt dreier wichtiger Straßen aus SW., Norden und Osten in denkbar günstiger Schutzlage ein Ausfalltor nach dem Osten. Die Ostseeländer waren dünn besiedelte Gebiete Im Süden wohnten Slaven, im Osten und Norden Esten, Slaven und Finnen, im Norden Germanen. Von einem politisch geeinten Volke kann man nur bei den Dänen sprechen, die auf der jütischen Halbinsel südlich bis zur Eider, auf den Inseln und auf Schonen saßen. Die Insellage hatte die schnellere politische Entwicklung begünstigt‘), Gegenüber diesem kulturell unentwickelten Osten war der Westen Europas infolge des günstigen Klimas und unter dem kulturellen Einfluß des Mittelmeergebietes weit dichter besiedelt. Handel und Gewerbe waren hier unter römischem Einfluß erwachsen. Der klimatische und kulturelle Gegensatz hatte früh zu einer WO.-Verkehrsspannung geführt. Der den W. und O. trennende Landsporn wurde bei Schleswig auf dänischem Gebiet von der WO.-Verkehrsstraße gekreuzt. Der Mittelpunkt des Verkehrs lag damals auf der Insel Gotland.?) Hier tauschten Wickinger und Araber die Erzeugnisse ihres Landes aus. Gotland lag im Schnittpunkt der NS. den skandinavischen N. mit dem byzantischen Reiche verbindenden Verkehrsstraße und des OW.-Zuges. Mit der Gründung Lübecks war der slavische Riegel durchbrochen. Ein direkter Weg führte jetzt aus dem gewerblichen West-Deutschland nach dem NO, Der direkte Verkehr, der auf die Küstenschiffahrt angewiesen war, fand hier am Fuße der Halbinsel den günstigsten Übergang. Lübeck lag in der Fortsetzung der von SW, nach NO, hinziehenden Küstenlinie. Etwa 100 Jahre später, um die Mitte des 13. Jahrhunderts, war die Süd-Küste von Deutschen besiedelt. Dem städtearmen Dänemark lag eine städtereiche Süd-Küste vorgelagert. Im engen Raum kamen die wirtschaftlichen und politischen Kräfte schneller zur Entwicklung. Das politische Schwergewicht neigte sich nach Süden. Die Kolonisation hatte eine rasche Hebung des Handels zur Folge. Die alte Straße über Schleswig war verfallen, der ganze Verkehr, der im_ wesentlichen Stückgüterverkehr war, ging über Lübeck. Der verkehrsgeographische Schwerpunkt verschob sich von Gotland nach Westen zur Travestadt. Diese Verschiebung des politischen und verkehrsgeographischen Schwerpunktes nach Süden und Westen führte zu einer Spannung, die nur im SW.-Winkel der Ostsee zur Auslösung kommen konnte. Der Besetzung der wichtigen Verkehrsstraße amı Fuße der Halbinsel galt die dänische Invasion am Anfang des 13. Jahrhunderts. Die Entscheidung zugunsten der Städte fiel auf dem Land- \) Ratzel, Politische Geographie, Seite 658. 2) Bugge, A. al sporn. Lübeck war in erster Linie durch seine geographische Lage das Haupt der Handelsmacht der deutschen Kaufleute, das Haupt der Hanse. Die Hanse vermittelte den Verkehr zwischen dem Westen und Osten. Lübeck beherrschte die Verkehrsstraße. So lange der Handel aus Stück- gütern bestand, kam der Sund als Verkehrsstraße nicht in Betracht. Er konnte erst in Frage kommen, als infolge der raschen Entwicklung des Westens eine Zufuhr von Rohstoffen — Holz und Erzen — und an Lebens- mitteln — Getreide — nötig wurde. Die Seekriege der Städte gegen Däne- mark im 14. Jahrhundert galten der Beherrschung des Sundes. Durch den Besitz der Schlösser am Sunde war nach dem Frieden von Stralsund 1370 die Ostsee ein hansisches Binnenmeer. Lübeck stand auf dem Höhepunkt seiner Macht. Die Stadt baute in den 90iger Jahren des 14. Jahrhunderts den Stecknitzkanal, um dadurch einen Teil des Massenverkehrs über Lübeck zu leiten, den salzarmen Norden mit dem Salz der Lüneburger Saline zu versehen. Bereits 100 Jahre später setzt eine neue Verschiebung der politischen Raumverteilung ein; ebenfalls ändert sich die räumliche Verteilung des Verkehrs. Zwei Jahrhunderte lang hat Lübeck seine zentrale Lage behauptet. Um die Mitte des 15. Jahrhunderts setzt die neue Bewegung, ein. Die kulturelle Entwicklung hatte eine dichtere Bevölkerung zur Folge Eine intensivere Bewirtschaftung des Bodens war nötig. Der Boden gewann an Wert. In dem Maße, wie Bevölkerung und Boden zusammenwachsen, wie der Boden zu einer ungeahnten Machtquelle wird, gewinnen die Terri- torien an Bedeutung. Aus einem losen Konglomerat werden sie zu einem lebenskräftigen Organismus. Die Städte hören auf isolierte Gebilde zu sein Die ursprünglich von den Städten verfolgte wirtschaftliche Politik wird von den Territorien übernommen und verdrängt die mittelalterliche dynastische Politik. Die Folge dieser Bewegung ist, daß im ÖOstseegebiet im Norden und Osten kraftvolle Staaten entstehen. An der Süd-Küste versuchen die deutschen Landesherren vergeblich ihrem Territorium das Ansehen zu verleihen. Die Räume waren zu klein, es fehlte der Rückhalt am Reich. Holland war durch Anschluß an das burgundische Reich zur Entwicklung sekommen und England!) konnte den politischen Wert seiner Lage erst voll ausnutzen nach der Verbindung mit Schottland. Um 1600 liegt das politische Schwergewicht des Nordens im Westen. Der Handel liegt in den Händen der Holländer, Engländer, Dänen und Schweden. Die wichtigste Verkehrsstraße ist der Sund. Lübeck verblieb allein der Stückgüterverkehr zwischen dem westlichen Deutschland und den baltischen Ländern. Die politischen Verschiebungen der folgenden Jahrhunderte sind auf den kleinen Stadtstaat im SW.-Winkel ohne wesentlichen Einfluß geblieben. Die Störung ‚der Verkehrsstraßen am Anfang des 19. Jahrhunderts durch die englische Blockade belebte für kurze Zeit den Lübeckischen Handel. Als nach den \) Ratzel, Seite 658. 32 Freiheitskriegen der Handel im Ostseegebiet neuen Aufschwung nahm,') wurde Lübeck durch .die Nähe Dänemarks stark beengt. Seit 1460 war Holstein dänisches Territorium, 1815 fiel auch Lauenburg dem Inselvolk zu. Das bedeutete für Lübeek, daß die beiden wichtigsten Verkehrsstraßen nach Hamburg und Büchen durch dänisches Gebiet führten. “Die politische Raumverteilung auf der jütischen Halbinsel blieb bis zu den 60iger Jahren äußerst ungünstig für Lübeck. Dem Anschluß an das wirtschaftlich sich kraftvoll entwickelnde Deutsche Reich nach 1870 verdankt Lübeck seine neueste Entwicklung. Lübeck ist aus der zentralen Lage, die es im Mittel- alter innegehabt hat, in die randliche Lage übergegangen. Die Istmusstadt am Binnenmeer konnte nur im Mittelalter, das von kleinen Räumen, engen Raumauffassungen beherrscht wurde, die Vorrangstellung behaupten. Welche Spuren haben nun die Jahrhunderte im Raum hinterlassen? Die Lage der Kernsiedlung drängte uns bereits die Frage auf, ob wir in der mittleren Altstadt tatsächlich die erste Gründung vor uns haben. Das südliche Plateau schien für Kolonisten geeigneter, die neben der Schutzlage die enge Verbindung mit der Wasserverkehrsstraße suchten. Hier kann uns nur die Geschichte Antwort geben. Der erste Gründer Graf Adolf von Holstein wählte 1143 das südliche Plateau am Zusammenfluß von Trave und Wakenitz. Den Zugang zum Werder schützte er durch eine Burg. Eine Feuersbrunst zerstörte die Anlage. Das Gelände im Süden blieb aber bischöflicher Besitz. Bei der zweiten Gründung der Stadt 1158 durch Heinrich den Löwen blieb infolgedessen dieser Teil von der Bebauung ausgeschlossen.?) Die Stadt‘ wurde auf dem mittleren Plateau erbaut. Die regelmäßige Aufteilung der Häuserblocks habe ich als Kennzeichen des Stadtkernes aufgefaßt. Die Annahme einer einheitlichen Gründung liegt nahe. Im allgemeinen stimmen die Grenzen des Kernes mit denen bei Reuter und Brehmer überein. Unklarheit besteht nur im Osten. Für Reuter liegt die östliche Längenstraße an der Peripherie der Stadt. Die Bebauung der Ostseite, der Königstraße, setzt seiner Meinung nach erst am Anfang des 13. Jahrhunderts ein. Trotzdem verlegt er die Anlage der beiden mittleren Straßen des Ostabhanges (Johannisstraße und Fleischhauer- straße) in die Zeit nach der Erbauung des im Osten an der Wakenitz auf fettem Lehmboden gegründeten. Klosters. Auch hier wird der Verkehr zwischen dem Kloster und der Stadt für die Erweiterung der Stadt maß- gebend gewesen sein.?) Brehmer bringt ebenfalls die Anlage dieser Straßen in Verbindung mit der Gründung dieses Klosters. !) Siewert, Der deutsche Handel nach den nordischen Reichen. °”) Brehmer, Beiträge zu einer Baugesch. Lübecks $. 130. ®) Reuter, Der Aufbau der Stadt Lübeck. 8. .22. 233 »Nachdem sodann im Jahre 1177 auf einer an der Wakenitz belegenen Wiese mit der Erbauung des St. Johannisklosters begonnen ward, werden die vom Höhenrücken zu ihm hinabführenden Straßen, die Fleischhauer- straße und die Johannisstraße, angelegt und beginnend von ihrem westlichen Teil allmählich mit Häusern bedeckt sein.«!) Eine Entscheidung, wie die Bebauung vor sich gegangen ist, ist nicht zu treffen, da das älteste Stadt- buch von 1227 nicht mehr vorhanden ist. Die Zunahme der Ausmaße nördlich und südlich des Kernes lassen auf die wachsende Bedeutung der Siedlung schließen. Die Bebauung setzt hier ein, als nach der Nieder- lage der Dänen am Anfang des 13. Jahrhunderts die Bedeutung Lübecks erheblich zunahm durch die fortschreitende Germanisierung der Südküste. Nach Reuter?) zeugen die marktartig breit angelegte Mühlenstraße, Große Burgstraße, Beckergrube von der großzügigen Politik, die Lübecks Bürger jetzt beseelt. Haben wir in der Stadt noch irgend einen Anhalt, der uns bei der Untersuchung der Bebauung leiten könnte? Der Name »Tünken- hagen«, den eine Querstraße führt im NO. der Stadt, deutete auf eine einseitig bebaute Straße hin.’) Das sumpfige Gebiet im äußersten NO. war hier von der Bebauung ausgeschlossen, Ebenfalls blieb das Gebiet an der Trave im NW. der Stadt noch längere Zeit unbebaut. Reuter und Brehmer nehmen an, daß im großen und ganzen der Ausbau der Stadt um 1300 vollendet ist. Von Lübecks zentraler Lage in den beiden folgenden Jahrhunderten reden die gotischen Kirchen und Giebelhäuser eine deutliche Sprache. Die verfallenen Salzspeicher am alten Stecknitzhafen erinnern an den lebhaften Salzhandel mit dem Norden. Die Form der hohen Giebelhäuser ist bedingt durch die Art des mittelalterlichen Handels: Lübeck war Stapelplatz. Von dem wachsenden Bedürfnis der städtischen Verwaltung zeugen die wieder- holten Anbauten des Rathauses. Das mittelalterliche Zunftwesen hat seinen Niederschlag im Stadtbild bewahrt in den Namen der Straßen. Im Osten an der Wakenitz ließen sich am Langen und Weiten Lohberg die Lohgerber nieder. Die Nähe des Wassers, die vorherrschenden Winde bedingten ihren Wohneitz. Die Wahmstraße, die Wagemann-) d. h. Fuhrleutestraße, be- findet sich in der Nähe der alten Ackerhöfe, die um St. Ägidien herumlagen. Fleischhauerstraße, Weberstraße, Hüxstraße (Straße der Höker, Krämer) befinden sich alle am Ostabhang. Es ist aus den vorausgegangenen Be- trachtungen ohne weiteres verständlich, daß vorwiegend die Ostseite des Rückens von Handwerkern bewohnt wurde. Der Westen gehörte dem handeltreibenden Kaufmanne. Nur Gewerbe, die in enger Verbindung mit ") Brehmer, S. 137. ?) Reuter, Der Aufbau der Stadt Lübeck. 8. 25. 8) Reuter, 8. 18. #, Reuter, S. 19. 54 dem Hafenbetriebe standen, wie Kupferschmiede, Böttcher, haben ihre Niederlassung auf der Travenseite gefunden. Der Markt war der Mittelpunkt städtischen Lebens. Die Namen der angrenzenden Straßen: Schüsselbuden, Krambuden, Kohlmarkt (Verkaufsplatz der Meilerkohlen) geben noch heute ein anschauliches Bild von der Verteilung der Verkaufsläden, der regen Betriebsamkeit damaliger Zeit. In der Königstraße sieht Reuter!) die alte Heerstraße, die bereits vor der Gründung der Stadt aus dem Sachsenlande an die Ostsee führte. Im Gegensatz zur westlichen Längenstraße führt sie sanz über Sandboden, vermeidet jede größere Steigerung. Nach seiner Ansicht wurden vielfach die öffentlichen Heerstraßen entsprechend benannt. Die mittelalterliche Isolierung der Stadt kommt zum Ausdruck in den Wällen und den beiden noch heute erhaltenen Toren im Norden und Westen der Altstadt. Das Burgtor im Norden schützte den Zugang zur Halbinsel, hier lag einst die Burg Adolfs von Holstein. Im 16. Jahrhundert mit der Verlegung des politischen und verkehrsgeographischen Schwer- punktes rückt Lübeck aus seiner zentralen Lage heraus. Prächtige Renaissance- und Barockbauten bezeugen, daß das Leben in der Stadt auch in den folgenden Jahrhunderten bis zum Aufschwung nach 1870 nie ganz erstarrt ist. Lübeck hat sich seine ihm eigene verkehrsgeographische Be- deutung für den Handel des industriellen Westens mit dem rohstoffliefernden Norden und Osten durch die Jahrhunderte hindurch erhalten. ! 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Generalstabskarten: Lübeck und Umgesend. \ Meßtischblätter: Schwartau, Kurau, Hamberge, Lübeck, Ratzeburg, Mölln. Geologische Karte von Preußen und benachbarten Bundesstaaten: Blatt Lübeck, 'Hamberge, Ratzeburg, Mölln. Geologische Karte von Lübeck 1 : 18600, bearbeitet von P. Friedrich. Plan von Lübeck 1 : 1000. » » » 1 : 10000. Ehysikalische und chemische Skrarseienlen des Hemmelsdorfer Sees bei Lübeck von Dr. phil. R. Griesel in Lübeck. Einleitung. ) Die erste eingehendere Untersuchung des Hemmelsdorfer Sees mit besonderer Berücksichtigung seiner Tiefenverhältnisse wurde im Jahre 1909 durch Professor Halbfaß-Jena ausgeführt; die Ergebnisse sind in den Mit- teilungen der Geographischen Gesellschaft zu Lübeck veröffentlicht?), eine Tiefen- karte im Maßstab 1: 12500 ist beigefügt. Der Verfasser gibt in dieser Arbeit eine kritische Betrachtung der bisher von dem See vorhandenen Tiefenkarten und geht dann auf die Morphologie und Entstehung des Sees näher ein. Angerest durch diese Arbeit sowie durch Besprechungen mit Professor Dr. Friedrich-Lübeck (f) begann ich im Frühjahr 1914 mit der Untersuchung der physikalischen und chemischen Eigenschaften des Sees. Diese Unter- suchungen wurden bis zu meiner Einberufung zum Kriegsdienst am 1. Januar 1915 durchgeführt. Die thermischen Verhältnisse waren bis dahin ziemlich seklärt, bei den chemischen waren dagegen am Ende des Jahres noch soviele Probleme zu lösen, daß ich nach Kriegsende noch ein weiteres Jahr am See gearbeitet habe; Ostern 1920 ist die Arbeit abgeschlossen. Über das den Untersuchungen zugrunde liegende Material gibt folgende kleine Zusammenstellung Aufschluß: Anzahl der Beobachtungstage auf dem See . . . . 2 .n.'2..6 Nnzalhleder Nemperaturmessungen u en en rei‘ Anzahl der Sichttiefenbeobachtungen . . . Rt) Anzahl der Chlor-(Kochsalz)-Bestimmung loss een le: Anzahl der Chlor-(Kochsalz)-Bestimmung durch Widerstandsmessung 176 mal derisauerstorsbestimnnungen 2... nm Saar Anzahl der Schwefelwasserstoffbesimmungen . . . 2. 2.2.2... 47 Außerdem wurden 55 Messungen von Zu- und Abflüssen und 50 Chlor- bestimmungen an artesischem Grundwasser in der Umgebung des Sees semacht. " Die vorliegende Arbeit ist ein Auszug aus einer Dissertation (Rostock 1920). Die vollständige Dissertation wird nicht im Druck veröffentlicht. 2) Mitt. d. Geogr. Ges. in Lübeck 1910. Der Halbfaßschen Tiefenkarte sind auclı die in Figur 1 eingezeichneten Tiefenlinien entnommen. 42 Infolge der hohen Druckkosten mußte die vorliegende Arbeit stark zusammengedrängt werden. Die thermischen Verhältnisse, die optischen Eigenschaften und die stehenden Seespiegelschwankungen sind nur kurz behandelt, da sich hier keine wesentlichen Unterschiede gegenüber anderen Seen ergaben; eine eingehendere Behandlung war dagegen bei den ganz eigenartigen chemischen Verhältnissen notwendig. Von den oben angegebenen Beobachtungen sind im folgenden auch nur einige zur Begründung der Ergebnisse notwendige Zahlenreihen ein- gefügt. Bei der Durchführung der Arbeit wurde ich von vielen Seiten unter-‘ stützt. Es ist mir eine angenehme Pflicht, hierfür auch an dieser Stelle meinen Dank auszusprechen, vor allem den Herren Prof. Dr. Ule-Rostock, Prof. Dr. Halbfaß-Jena und Professor Dr. Friedrich-Lübeck (}) für ihre wert- vollen Ratschläge, ferner den Herren Heeren, Süfke und Jakobsen in Hemmelsdorf, Dr. Klünder-Wilmsdorf und Eisinger-Lübeck für Überlassung von Booten, Herrn Timmermann-Offendorf für Aufbewahrung des Geräts, | endlich einer Reihe meiner Schüler, besonders H. Drefahl (}), W. Halle (7), E. Rabe, R. Braune und W. Stülcken für ihre tätige Mithilfe bei den Fahrten aul dem See. Allgemeines über den See. (Hierzu Figur 1.) Der Hemmelsdorfer See, zwischen Bad Schwartau bei Lübeck und der Ostsee gelegen, besteht aus dem nördlichen, nur wenige Meter tiefen Flach- see und dem südlichen Tiefsee, der in seiner Mitte zwei Stellen von 40 bezw. 44,5 m Tiefe hat; zwischen beiden liegt ein bis 30 m unter die Oberfläche aufsteigender Rücken. Die 45-m-Tiefe ist die stärkste bis jetzt auf deutschem Boden bekannte Kryptodepression.!) Der Flächeninhalt des ganzen Sees beträgt 5,02 qkm, sein Rauminhalt 27,6 Millionen cbm, davon entfallen auf den Tiefsee nur etwa ein Viertel der Fläche, dagegen zwei Drittel des Raum- inhaltes. Das Einzugsgebiet des Sees umfaßt 38,5 qkm, d. h. etwa das 7'/»-fache der Seefläche; die vier größeren Zuflüsse versiegen sämtlich im Spätsommer, sodaß der See zu dieser Zeit nur durch Grundwasser, das in einer Tiefe von etwa 30 m austritt, gespeist wird. Der See entwässert durch die Aalbeek in die Ostsee, die Abflußmengen schwanken zwischen 2250 Sekundenlitern im Winter und 113 im Spätsommer. Die folgende kleine Tabelle gibt einen Überblick über den Wasserhaushalt des Sees im Jahre 1919/20: ‘) Bereits von Halbfaß gefunden (a. a. O.). 43 Marienlust Klein- , | Timmehdorf Hemmels- dort ' ' r 7 + 7 ı 1% N N I \ \ N) Moven-" ui h Insel nm Warnsdorf Fig. Grammersdorf Der Hemmelsdorfer See. Malsstab: 0° 250 soo 750 4000m 44 Zu- und Abflußmengen in Sekundenlitern: Tas. 2.2 |19.2.19| 9.6.19] 28.119 1.10.1902 20. 22 009 P | Gr. Spannbeek . . | 32 0 0 0 90 240 = | Kl. Spannbeek . .. 46 5 0 0 75 130 = |PMoorbach %.. 2.260 0 0 5 200 270 A| Mühlbachyr se.) 2° 10% 32 0 5 2 2 00 Gesamtzulluß 2 003 265" 37 0 10 610 » Y40 Abfluß Aalbeek . . .| 410 150 113 125 | 1190 | 2250 Mehrabilußr 2 2er 2145 1738, 0.115 115 580 1510 Der Wasserstand des Sees zeigt eine jährliche Schwankung von 47 cm und folgt im wesentlichen der Menge des zuströmenden Oberflächenwassers, der Höchststand wird im Januar/Februar, der tiefste Stand im Juli/Sep- tember erreicht. Die Temperaturverhältnisse. In den thermischen Verhältnissen des Sees während eines Jahres sind 4 Abschnitte zu unterscheiden: 1. Erwärmung; 2. Sommerstillstand; 3. Ab- kühlung; 4. Winterstillstand. Einen Überblick über die Beobachtungen des Jahres 1914 gibt Figur 2 sowie die folgende Tabelle: Temperatur in‘. — 4 r ; 5 0° 5° 10° AS 20 15 — ASS rn n.n.y23. m ul mu MN wel a) ng 164, nn f f \ I N ® ! h 57 I N ri N ' = ' l 1} er \ \ UNE NZ \ ! ein 40 | u, N . , ı Ten Fig. 2 I | rel i ] \ SL Sf AS. \ PA B ) r Eau ge „ “ J . Det \Wassertemperaturen i.J. 1914. ı l 25 (Thermische Isochronen.) l \ j \ ı ! Erwärmungsperiode. 30 N ı - | Re RENNEN ern = AbKühlungsperiode. 35 Wr 45 Wassertemperaturen im Jahre 1914 in ° ©. Dar 092.3.\18.4. 175. 14 6. 16.7. 10.8. |10.9. 1710. 15.11.1122. Tee m 0| 50 [102 1133 |174 |24,8 |197 |152 [108 | 72 | 47 =>5.:4,3..10.0%13,9216,6, | 20,841. 2.115,3..0108 73, 0 We az a RE re 32310) 29,90, K013i 15.0 10 ae Wrong een oa 075, 21e, 0107.08 ,48.,8.041110,34 230 = 20720, 62,205. 67. 1205.6.6831.69,. 1.083 A SB ee > 2,50 Aa 57 00 61 root, 63 20 san ao oe 222 Wann Wera zo ee ar Die wagerechten Linien geben die Lage der Sprungschicht, die stark gedruckten Zahlen die Höchst- temperatur für jede Schicht an. Aus dieser Tabelle ersehen wir folgendes: Im Frühjahr erfolgt zunächst eine schwache Erwärmung der gesamten Wassermasse, dann erst bildet sich die sogen. thermische Sprungschicht. Diese tritt Ende April zwischen 10 und 13 m auf; in dieser Lage bleibt sie, bis sie durch die herbstlichen Abkühlungsströme mit in die Tiefe gezogen wird. Ende Juni hat die Oberfläche im wesentlichen ihre höchste Temperatur erreicht. Folgte sie bisher nur der allgemeinen Temperaturzunahme und auch dieser nur nachhinkend, so macht sie von jetzt ab, wie aus hier nicht angegebenen Messungen ersichtlich, alle Schwankungen der Lufttemperatur mit. Das dauert bis Ende August. Von da ab beginnt die stetige Abnahme der Temperatur, die sich infolge der auftretenden Abkühlungsströmungen rasch in die Tiefe fortsetzt. Zugleich damit wandert auch die Sprungschicht, sich zuerst immer mehr verschärfend, dann ’aber allmählich verschwindend in die Tiefe. Am 20. Dezember ist der See fast bis auf den Grund gleichwarm. Das Maximum der Temperatur. wird von den oberen Schichten im Juli-August erreicht. Die tieferen Schichten erreichen ihre höchste Temperatur erst durch Eintreffen der Abkühlungsströme ; daher verspätet sich der Eintritt der Temperaturmaximums in diesen Schichten gegenüber der Oberfläche immer mehr, die Schichten in 10 m Tiefe erreichen Mitte September, diejenigen in 30 m Tiefe gar erst Mitte November ihre höchste Temperatur. Eine besondere Rolle in der Thermik des Sees spielt das unterhalb 35 m im See vorhandene Salzwasser; da es sich mit dem überlagernden Wasser nicht mischt, geht seine Temperatur im Winter nicht unter 4,5 ° und im Sommer nicht über 5,4 ° (1914). Treffen im Herbste kältere Wassermassen diese Schicht, so beginnen auch innerhalb des Salzwassers 46 die Ausgleichsströmungen, sodaß wir zu dieser Zeit zwei übereinanderliegende aber vollkommen getrennte Systeme von solchen Strömungen haben. Der Wärmehaushalt des Sees ohne Berücksichtigung seiner Gestalt ergibt für das Jahr 1914 ein Maximum von 41500 und ein Minimum von 15100 g-Kalorien auf den gem Seefläche, der jährliche Wärmeumsatz beträgt somit 26400 s-Kalorien. Die größte Wärmeaufnahme findet im April, die stärkste Wärmeabgabe im Oktober statt. Der tatsächliche jährliche Wärme- umsatz des‘ Sees mit Berücksichtigung der Gestalt des Seebeckens beträgt 464,4 Milliarden kg-Kalorien. Das Jahr 1919 ist mit einer mittleren Lufttemperatur von 74° (1914 : 9,3 °) ein auffallend kaltes Jahr; das spiegelt sich natürlich auch in den Wassertemperaturen wieder, länger als sonst dauert der Winter und zu Beginn des Monats Mai haben wir eine Oberflächentemperatur von nur 8,5 ° gegen 12,4 ° im Jahre 1914. Erst im Juni finden wir zwischen 8 und 10 m eine Sprungschicht, die 1914 bereits im April in einer Tiefe von 10-11 m zu beobachten war. Die höchste Oberflächentemperatur wird mit 19,0 ° am 6. Juli (1914 : 24,35 ° am 16. Juli) gemessen, von diesem Zeitpunkt an fällt die Temperatur wieder, eine ausgesprochene Periode des Sommerstillstandes ist nicht wahrzunehmen. Am 1. November geht die gleichwarme Schicht bereits bis zu 25 m Tiefe hinab. Im November setzt dann eine kurze, aber sehr starke Kälteperiode ein, sodaß der See zufriert; die tiefste Luft-Temperatur des ganzen Jahres wird am 17. November mit — 14,3 ° gemessen. Nachdem der See wieder aufgetaut ist wird am 30. November eine Lotung vorgenommen; es zeigt sich, daß die gesamte Wassermenge bis zu 35 m hinab unter die Temperatur des Dichtemaximums abgekühlt ist, selbst bei 30 m haben wir nur 3,0 ®, bei 35 m 3,2 °. Die Ursache dieser bis in die Tiefe hinabreichenden starken Abkühlung ist in der großen Kälte, vielleicht auch in starken Winden (am 21. und 24. SW 8) zu suchen. Auffällig ist die hohe Temperatur des Salzwassers gegenüber der des Jahres 1914; beriets am 1. Mai haben wir 6,0 ° gegen 5,1 ° im Jahre 1914 und im Laufe des Jahres erreicht die Oberfläche der Salzwasserschicht gar die Temperatur von 6,6 ° gegen 5,4 ° im Jahre 1914. Es ist dies wohl darauf zürückzuführen, daß das Wasser im Frühjahr 1911 infolge der tieferen Temperatur längere Zeit klar blieb und auch während des ganzen Jahres eine größere Durchsichtigkeit hatte als im Jahre 1914. Die mittlere Jahrestemperatur des Wassers beträgt 6,9 ® gegen 7,2 ° im Jahres 1914. Die Sprungschicht zeigt kein wesentlich anderes Verhalten als im Jahre 1914; der Wärmeumsatz ohne Berücksichtigung der Gestalt des See- beckens ist mit 27650 o-Kalorien fast der gleiche wie 1914, der tatsächliche Umsatz dagegen beträgt mit 347,7 Milliarden kg-Kalorien nur etwa 75 '% desjenigen von 1914. Bo 47 Die chemische Zusammensetzung des Wassers. Chlor- und Schwefelwasserstoffgehalt des Wassers. — Oberwasser und Tiefenwasser. — Lage der Grenzschicht. — Änderung des Chlorgehaltes im Laufe (des Jahres. Die am Hemmelsdorfer See ausgeführten chemischen Untersuchungen beschränkten sich im wesentlichen auf die Bestimmung des für das Wasser charakteristischen Salz- und Schwefelwasserstoffgehaltes. Der Schwefelwasser- stoffgehalt ist im folgenden stets in Milligrammen in Liter (mg i. I) ange- geben. Beim Salzgehalt dagegen wird es notwendig sein, denselben bald in Milligrammen Chlor im Liter, bald in Kochsalzprozenten anzugeben. Zwischen diesen Zahlen besteht bekanntlich die Beziehung: 35,5 mg Chlor (Cl) i.1. = 58,5 mg Kochsalz (Na Cl) i. 1 und 6067 mg Chlor i.1 = 10000 me Kochsalz i.i = Wasser mit 1°/0 Kochsalzgehalt. Die Wasserproben wurden zuerst mit einer sogenannten Meyerschen Flasche, später ausschließlich mit einem von der Hamburger Seewarte gütigst zur Verfügung gestellten Wasser- schöpfer (Durchspülapparat) gezogen. Die Chlorbestimmung geschah nach dem bekannten Mohrschen Verfahren durch Titrieren mittels" Silberlösung, der Schwefelwasserstoffgehalt wurde durch Titrieren mit Jodlösung bestimmt. Bei dem außerordentlich hohen Gehalt an Schwefelwasserstoff fiel aus den Proben schon nach 10—15 Minuten Schwefel aus, sodaß diese Bestimmungen sofort im Boote ausgeführt werden mußten. Bereits im Winter 1913/14 wurden vom Eise aus einige Wasserproben ge- nommen. Das Oberwasser zeigte einen Öhlorgehalt von 200 mg ı. I, das Tiefen- wasser dagegen enthielt etwa 1°» Salz und 300 mg Schwefelwasserstoff 1. 1. | Es galt nun zunächst, die Lage der Trennungsschicht zwischen Süß- und Salzwasser -— sie sei im folgenden kurz als „Grenzschicht“” bezeichnet — festzustellen. Zu diesem Zwecke wurden im April 1914 7 Proben im Ab- stand von je 7 Meter gezogen; es zeigte sich, daß die Grenzschicht zwischen 23 m und 35 m lag. Genauere Ergebnisse lieferte die Lotung vom Juli des Jahres, bei der in der kritischen Tiefe von 28—35 m in geringeren Abständen Proben gezogen wurden. Die Ergebnisse seien in folgender kleinen Tabelle zusammengestellt: a, Chlorgehalt Salzgehalt SER ne. mei. | %/o etwa mei. |] 3 229 0,04 0) 92 238 0,04 \ () 38 5148 0,85 234 35 6106 1 291 40 6923 1,14 283 43 6954 1,14 304 48 E \ Die Grenzschicht lag also zwischen 32: m und 33 m. Es schien nun erwünscht, ein chemisches Längs- und Querprofil durch den See zu legen, um möglicherweise Austrittsstellen des Salzwassers aufzufinden. Das geschah wenige Tage später; der Tiefsee wurde in seiner Längs- und Querrichtung befahren und an 21 Stellen wurden unmittelbar über dem Grunde Proben genommen. Auf die Angabe der Einzelheiten soll hier verzichtet werden. Es ergab sich, daß Salz und Schwefelwasserstoff überall in derselben Tiefe beginnen, Austrittsstellen des Salzwassers waren nicht zu finden. Das Wasser auf dem bis zu 30 m unter der Oberfläche aufsteigenden Rücken zwischen beiden Tiefen hatte den Chlorgehalt des Süßwassers und war gänzlich frei von Schwefelwasserstoff. Das Salzwasser in beiden Tiefen war also ohne nachweisbare Verbindung und es erhob sich nun die Frage, ob die Lage der Grenzschicht und die chemische Zusammensetzung des Wassers in beiden Tiefen dieselbe ist. Um diese Frage zu klären, wurden im Juli in beiden Tiefen Messungen vorgenommen, die zu dem Ergebnis führten, daß das Tiefenwasser in beiden Tiefen gleich hoch steht und fast denselben Gehalt an Chlor und Schwefel- wasserstoff besitzt. / Die uns vorläufig noch rätselhafte Ursache des Salzwassers muß demnach auf beide Tiefen in gleicher Weise einwirken oder eingewirkt haben. Als wichtigstes und zugleich interessantestes Problem bei der ganzen Untersuchung des Sees ergab sich die Frage nach der Herkunft des Tiefen- wassers. Um diese zu lösen, musste man zunächst einmal feststellen, ob die Lage der Grenzschicht und die chemische Zusammensetzung des Wassers im Laufe des Jahres irgendwelcher Veränderung unterworfen ist. Aus den Beobachtungen war zu ersehen, daß sich in der Zeit vom Frühjahr bis zum Ende des Jahres 1914 weder die Lage der Grenzschicht noch die Zusammen- setzung des Tiefenwassers änderte. Anders lagen dagegen die Verhältnisse beim Süßwasser, wo schon wegen der Diffusion, thermischen Schichtung und der herbstlichen Auseleichs- strömungen Veränderungen im Chlorgehalt zu erwarten waren. Es ergab sich cine periodische Änderung des Chlorgehaltes: ‚die im Diffusionsbereich des Salzwassers stehenden Schichten unterhalb 15 m haben, dem Aufhören und Wiederbeginn der thermischen Ausgleichsströmungen entsprechend, ein Minimum im Frühjahr und ein Maximum im Herbst, die weiter oberhalb liegenden Schichten dagegen ein Maximum im Winter, wenn die Ausgleichsströmungen Salzwasser aus der Tiefe mit heraufbringen, und ein Minimum im Frühjahr, wenn das Salz durch das reichlich zuströmende Oberflächenwasser wieder ausgewaschen ist. Das Ergebnis dieser beiden gegensinnig wirkenden Faktoren ist eine jährliche Abnahme des Chlorgehaltes des Oberflächenwassers um etwa 10 mg i. |. 4) Herkunft des Schwefelwasserstoff- und Salzgehaltes. Das Absinken der Grenzschicht in den Jahren 1914/18. — Chlorbestimmung durch Wider- standsmessung. — Genaue Festlegung der Grenzschicht. — Veränderung im Jahre 1919/20. — Herkunft des Schwefelwasserstoffes. — Herkunft des Salzgehaltes. — Die Sturmflut im Jahre 1872. — Voraussichtliche Weiterentwicklung der chemischen Verhältnisse. Als ich im Frühjahr 1919 nach Beendigung des Krieges meine Unter- suchungen am See wieder aufnahm, galt das Hauptinteresse natürlich den chemischen Verhältnissen und da vor allem der Lage der Grenzschicht. Daß mittlerweise große Veränderungen eingetreten seien, daran glaubte ich nicht. Umsogrößer war mein Erstaunen, als ich sah, daß die Grenzschicht in den Jahren 1915—1918 von 32 m auf 55 m, d. h. um 5 m abgesunken war; ' die chemische Beschaffenheit des Tiefenwassers dagegen hatte sich in der angegebenen Zeit nicht geändert. Wenn das Absinken der Grenzschicht stetig vor sich geht und nicht einer plötztlich eingetretenen Änderung im Untergrunde des Sees zuzuschreiben ist, so würde die jährliche Tieferlegung etwa 60 em betragen. Dies mit Hilfe eines Schöpfapparates genau nachweisen zu wollen, wäre ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Von einem Gerät, mit dem auch das Absinken im Laufe eines Jahres nachweisbar ist, müßte man einen Tieferfehler von höchstens + 10 cm ver- langen. Eine solche Genauigheit bot nur die Bestimmung des Salzgehaltes durch elektrische Widerstandsmessung. Ich benutzte zu diesem Zwecke die sogenannte Kohlrauschsche Brücke (Wechselstrom mit Telefon) bei der der eine Zweigstrom zu einem auf einer starken Holztrommel aufgewickeltem doppeladrigem von nahtlosem Bleirohr umgebenes Kupferkabel geleitet wurde; dieses endigte unten in zwei etwa 32 X 35 mm großen Platinblechen, die auf den Innenseiten zweier im Abstand von 30 mm befestigter Glasplatten auf- gekittet sind. Diese Bleche wurden bis zu der Tiefe herabgelassen, deren Salzgehalt bestimmt werden sollte. Bei ruhigem See betrug der Tiefenfehler des Gerätes nur * 2 cm; die Empfindlichkeit war so groß, daß in der kritischen Tiefe schon die. Bewegung eines Bootsinsassen genügte, um die Bleche einige Zentimeter tiefer zu bringen und demgemäß ganz andere _ Widerstandswerte zu bekommen. Das Tiefenwasser des Hemmelsdorfer See enthält natürlich außer Kochsalz noch eine Reihe anderer Salze und ich möchte den aus dem Widerstand errechneten Kochsalzgehalt als „Äquivalent-Salzgehalt“ bezeichnen. Unter letzterem ist also der Kochsalzgehalt einer Lösung verstanden, die dasselbe elektrische Leitvermögen hat, wie das untersuchte Seewasser. Für das Tiefenwasser des Hemmelsdorfer Sees beträgt der durch Titrieren des Chlors errechnete Kochsalzgehalt 1,2 °/o, während durch Widerstandsmessung ein Aquivalentsalzgehalt von 1,5 %/ gefunden wurde. 50 Am 8. Juli 1919 wurde in der Nordtiefe die Grenzschicht mit möglichster Genauigkeit festgelegt. Die folgende Tabelle gibt uns für die einzelnen Tiefenstufen die Temperatur, den gemessenen Widerstand nach Abzug des - Kabelwiderstandes, die nach der Formel K — Bi gefundene Leitfähigkeit und W endlich den Äquivalentsalzgehalt. Tiefe m | Temperatur °| Widerstand 2 | Leitfähigkeit an salzgehalt °/oo 0 19,0 2 0,00074 0,2 10 13:7 223 0,00072 0,2 20 7,8 220 0,00073 0,2 30 6,7 217 0,00074 0,2 35 6,6 21% 0,00074 0,2 35,20 — | 214 0,00075 02 35,25 u | 214 0,00075 0,2 30 — 205 0,00078 0,2 35 en 41,6 0,00385 2,6 40 — 22,8 0,00700 5,0 45 — 14,3 0,0112 90 530) 6,0 13,0 0,0123 10,3 55 .— 11,8 0,0135 al 60 — 114 0,0140 12,2 ON + — 1141 0,0144 13,6 36,00 3,5 10,5 0,0152 14,5 37,00 5,2 10,0 0,0160 15,4 40,00 5,2 10,0 0,0160 15,4 Festlegung der Grenzschicht durch Widerstandsmessung. Aus dieser Tabelle ersehen wir, daß der Salzgehalt von der Oberfläche bis herab zu 35,350 m fast keine Zunahme erfährt, dann aber plötzlich innerhalb 15 cm von 0,2 auf 9,5 %oo d. h etwa auf den 50fachen Betrag springt; unterhalb von 35,45 m haben wir bis zu 37 m eine geringe Zunahme und weiter abwärts bis zum Grunde einen konstanten Salzgehalt von 15,4 %oo. Wir kommen nun zur Frage, wie sich die Höhenlage der Grenzschicht im Laufe des Jahres ändert. Aus dem Absinken der Grenzschicht während der Kriegsjahre um 5 m ergab sich eine mittlere jährliche Absenkungstiefe von 60 cm. Da eine immer weiter heraufgehende Diffusion des Salzwassers in das Süßwasser zu erwarten war, wurde bereits am 5. August eine Unter- suchung vorgenommen, die aber keinerlei merkliche Veränderungen zutage brachte. Dasselbe Ergebnis hatte die Untersuchung vom 18. Oktober. Vom Anfang Juli bis Mitte Oktober hatte sich also weder die Höhenlage noch die _ { Schärfe der Grenzschicht merkbar verändert. Im November trat dann die bereits früher erwähnte kurze aber sehr starke Kälteperiode ein. Sie genügte, um die Grenzschicht von 35,30 m auf 35,50 m, d. h. um 20 cm herab- zudrücken und in den Schlußbeobachtungen im April 1920 finden wir die Grenzschicht in einer Tiefe von 35,75 m; sie ist also im Laufe des Winters um 45 cm herabgesunken. Als Ursache für das Absinken der Grenzschicht kommen demnach nur die Abkühlungsströme in Frage, die beim Auftreffen auf die Grenzschicht Salzwasser mit heraufnehmen und sie dadurch weiter herabdrücken. (Figur 3.) Die für 1919/20 gefundene Absenkungstiefe von SUSSwasser Salawasser Die Abkühlungsströmungen bringen Salzwasser mit herauf und legen die Grenzschicht tiefer. 45 cm ist kleiner als der früher gefundene Mittelwert von jährlich 60 cm. Die Ursache hierfür liest wohl in der plötzlich einsetzenden starken Kälte- periode, bei der die Ausgleichsströmungen infolge der starken Abkühlung schon nach kurzer Zeit ihr Ende fanden und nicht soviel Salzwasser herauf- bringen konnten, als bei allmähliger lange Zeit dauernder Abkühlung. Folgende Tabelle, die die gemessenen Widerstände angibt, zeigt das Absinken der Grenzschicht im Jahre 1919/20. Dr de ohm m | 8.7.19) [45lasınon Kals 10. 19) 128 zart) 6220 0 217 AR 288 324 | 288 30 217 BE 294 276 35,30 205 0 a8 da 35,40 22,8 38,1 30,0 217 233 35,50 13,0 17,8 19,0 215 02: 35,60 114 e 13,7 32,5 e 35,70 an Er: au A el Sa 111 11,1 11,0 67,0 4* 52 Wir kommen also zu folgendem Ergebnis: Die Schärfe der Grenzschicht bleibt zu allen Zeiten und auch bei Änderung der Höhenlage der Schicht dieselbe, die Diffusion in höhere Schichten ist sehr gering. Vom Frühjahr bis zum Herbst bleibt die Grenz- schicht in genau derselben Höhe, eine Absenkung tritt nur durch die herbstlichen Abkühlungsströme ein, die beim Auftreffen auf die Grenzschicht Salzwasser mit heraufnehmen. Nach diesen Ergebnissen ließ sich nun die Frage nach der Herkunft des Salzes und des Schwefelwasserstoffs lösen. Wir beginnen mit dem Schwefelwasserstoff. Dieses Gas bildet sich am Grunde von allen Gewässern, in denen organische Substanzen in größerer Menge verfaulen, und zwar zunächst im Faulschlamm, dringt dann aber durch Diffusion auch in die darüberliegenden Wasserschichten;; aus letzteren wird der Schwefelwasserstoff bei den meisten Gewässern durch die Ausgleichsströme wieder entfernt; erhalten bleibt er nur in solchen Gewässern, in denen, wie in unserem Falle, Wasserschichten von verschiedener Dichte ein Hinabgehen der Ausgleichs- ströme bis zum Grunde verhindern. Der besonders hohe Schwefelwasser- stoffgehalt beim Hemmelsdorfer See ist wohl verursacht durch den großen Dichteunterschied und die außerordentliche Schärfe der Grenzschicht, die tatsächlich jede Mischung von Ober- und Tiefenwasser unmöglich machen. Hierzu kommt noch, daß nei der großen Sturmflut von 1872, von der weiter unten noch die Rede sein wird, durch das eingedrungene Salzwasser sicher sehr viele Lebewesen zu Grunde gegangen und in der Tiefe unter Bildung von Schwefelwasserstoff verfault sind. Schwieriger ist die Frage nach der Herkunft des Salzwassers zu lösen. Aus den Vergleichsbeobachtungen in beiden Tiefen ergibt sich, daß die Grenzschicht in beiden Tiefen genau gleich hoch liegt, und daraus folst, wie wir schon früher sahen, daß die Ursache des Salzwassers auf beide Tiefen in gleicher Weise einwirkt oder eingewirkt haben muß. Es ist also sehr unwahrscheinlich, daß das Tiefenwasser unterirdisch in den See hinein- gedrücktes Ostseewasser ist, da dann doch wohl die Grenzschicht in der der Ostsee näherliegenden Nordtiefe höher liegen müßte; außerdem müßte das Salzwasser früher beginnen, da die tiefste Stelle der Lübecker Bucht mit 25 m noch 10 m oberhalb der Grenzschicht liegt; endlich ist ein solcher durchlaufender Salzwasserstrom in keinem der zahlreichen Niendorfer Tief- und Flachbrunnen nachgewiesen. | Aus dem jährlichen Absinken der Grenzschicht um etwa 60 cm folgt ferner, daß es sich nicht um einen stetigen Zufluß handelt, sondern daß das ganze Salzwasser mit einem Male in den See hineingekommen ist. Wann ist nun dies Ereignis eingetreten? Die Grenzschicht sinkt jährlich um etwa 60 cm ab; nehmen wir an, daß diese Absenkungstiefe im Laufe der Jahrzehnte dieselbe geblieben ist, so müßte der See vor etwa 60 Jahren 53 bis zur Oberfläche salzig gewesen sein. Berücksichtigen wir, daß nieht nur die Ausgleichsströme, sondern bis zu 30 m hinab auch das Grundwasser an der Aussüßung des Sees gearbeitet hat, so wird die Zahl von etwa 60 Jahren wohl etwas zu groß sein und wir gehen nicht fehl, wenn wir annehmen, daß die große Sturmflut des Jahres 1872 das Salzwasser in den See hinein- gebracht hat; Aussgleichsströme und Grundwasser arbeiten seitdem daran, den See wieder zu einem Süßwassersee zu machen (Figur 4). -=-=---- - = P077 0 Süusswasser Salzwasser Aussüßung des Sees. Beobachtete \ Lage der Grenzschicht. una Merkur Eerschnete se Grenzschicht Was sagt nun die chemische Analyse des Tiefenwassers hierzu? Folgende kleine Tabelle gibt uns eine Übersicht über die’ Ergebnisse: Ostseewasser (Schorer) Hemmelsdorfer See (Dr. Wetzke) as. €. 100 ae 1. E10 cl. 9088 100 7455 100 Hs 504 864 9,5 158 2,1 Ca 0 254 2,8 426 De Ms 0 803 3,9 156 Dal Da fällt uns zunächst der Unterschied im Chlorgehalt in die Augen, doch ist die Analyse des Ostseewassers wohl zu einer Zeit besonders hohen Cl.-Gehaltes (bei N-Winden?) gemacht. Ich habe am Kopfe der Niendorfer Landungsbrücke mehrfach Proben gezogen und Werte von 1,0—1,3 "0 entsprechend 6300-8200 mg Cl. gefunden; nach Krümmel beträgt der mittlere Salzgehalt des Oberflächenwassers im Fehmarnbelt 1,28 %.. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß bei der Überschwemmung eine starke Ver- mischung mit dem Wasser des Hemmelsdorfer Sees und damit eine Abnahme des Salzgehaltes des Ostseewassers stattgefunden hat. Die Zusammensetzung des Tiefenwassers vom Hemmelsdorfer See weicht auch im übrigen ziemlich von dem der Ostsee ab; in der 2. und 4. Spalte unserer Tabelle sind die Gehalte angegeben, wann der Cl.-Gehalt — 54 100 gesetzt wird. Geringer ist beim Hemmelsdorfer See der Gehalt an He SO4 und Mg0, höher derjenige an Ca0. Dabei ist aber in Rücksicht zu ziehen, daß sich in 50 Jahren unter dem Einflusse des Schwefelwasser- stoffes viel verändert haben kann. | Eine andere Ursache für das Auftreten des salzigen Tiefenwassers könnten salzige Quellen sein, die am Grunde des Sees austreten, nicht erklärbar wäre dann aber das jährliche Absinken. Salzquellen werden in der weiteren Umgebung des Sees gefunden in Segeberg, Oldesloe und Schwartau. In Segeberg ist Steinsalz in etwa 100 m erbohrt, in Oldeloe in 30 m Tiefe Sole von 2 Ya %% und in Schwartau in 300 m Tiefe Sole von. 3 1/2 °/o Salzgehalt. Keine dieser Quellen paßt jedoch an Tiefe und Salz- gehalt recht zur Erklärung des Salzgehaltes des Hemmelsdorfer Sees, am wenigsten die in der Nähe befindliche Schwartauer Quelle. Wir kommen also zu dem Ergebnis, daß das Salzwasser des Hemmels- dorfer Sees ein letzter Rest des bei der großen Sturmflut von 1872 hinein- getriebenen und mit dem Süßwasser vermischten Ostseewassers ist; die Ausgleichsströme legen zur Zeit in jedem Winter die Grenzschicht um etwa 60 cm tiefer. Der Schwefelwasserstoff ist sekundären Ursprungs und auf Faulschlamm und das Fehlen der winterlichen »Durchlüftung« des Tiefen- wassers zurückzuführen. Bei der großen Bedeutung, die die Sturmflut des Jahres 1872 für die chemischen Verhältnisse des Hemmelsdorfer Sees gehabt hat, ist es wohl angebracht, etwas näher auf dies Naturereignis einzugehen. Ein eingehender Bericht hierüber ist uns in einem kleinen Heftchen, gegeben, das (ohne Angabe eines Verfassers) den Titel führt: »Die Überschwemmung der Ostsee in der Lübecker Bucht, an den 'Travegestaden, an den Küsten des Fürstentum Lübecks, Schleswig-Holsteins, Mecklenburgs usw. am 12./13. November 1872« '). Der Bericht sei hier z. T. wörtlich wiedergegeben. . Das Hochwasser wurde hervorgerufen durch eine eigenartige Windver- teilung im Ostseegebiete. Im bottnischen Meerbusen herrschte Nordwind, in der südlichen Ostsee Ostwind und auf den dänischen Inseln Nordwind, sodaß das Wasser von drei Seiten in die Südwestecke der Ostsee hineinge- blasen wurde. Ein Vergleich des Wasserstandes mit den Hochwasserständen früherer Jahrhunderte ergibt, daß ersterer der höchste bisher überhaupt gemessene Stand ist; die kleine Tabelle sei hier eingefügt: Jahr Tas höchster Stand 1625 10222 + 6,84 1694 KON 918 -+ 6,86 1836 26.12: + 6,14 1867 10. 12. -+ 5,04 1872 lol. -- 7,40 ) Auf der Lübecker Stadtbibliothek vorhanden, 59 | Welches der Nullpunkt dieser Höhenangaben ist, geht aus dem Berichte nicht hervor, doch findet sich später die Angabe, daß das Wasser im Jahre 1872 bis zu 3,41 m über Normalwasserstand gestiegen ist. Uns interessieren hier hauptsächlich die Verhältnisse in der Niederung des Hemmelsdorfer Sees. Durch den Sturm wurden eine Anzahl Schiffe — der Bericht gibt 14 an —- auf Strand gesetzt. Zwei von diesen, die deutsche Bark »Dritter Juli< und die finnländische Bark »Lilly«, lagen nach Ablaufen der Flut bei Klein-Timmendorf, etwa 1'/), km landeinwärts der Küste auf dem Trocknen. Über die Wirkung der Sturmflut auf Niendorf wird uns folgendes berichtet: »Von der Gewalt der Elemente, welche sich in Niendorf entwickelte, legt die grausige Verwüstung des Strandes, des Dorfes und der dahinter oelesenen Felder ein Zeugnis ab, wie es wohl niemand sich zu denken vermag, der es nicht gesehen. Ein Weg durchs Dorf existiert nicht mehr, der ehemalige Weg, Gärten, Bauplätze am Meeresufer bilden jetzt einen mit eroßen und kleinen Steinen übersäten flachen Strand, der ohne Hindernis jeder höheren Flut die Erreichung der an der Landseite der ehemaligen Dorfstraße stehengebliebenen Häuserreste gestattet. An der Strandseite sind bis auf zwei, deren leere Fachwerkwände tief im Grunde vergraben stehen, alle Häuser verschwunden und von mehreren ist die Stätte, auf der sie standen, nicht meht zu erkennen, von Baum, Hecke und Grenze ist keine Spur mehr vorhanden. An der Ländseite der ehemaligen Dorfstraße sind drei Häuser ganz fortgerissen, die übrigen sind zum Teil Ruinen, zum Teil schwer beschädigt. Im Speisesaal und den Zimmern des Gastwirts Johannsen liegen Steine und Sand 3 Fuß hoch. Die inneren Wände sind ausgeschlagen. Die alte Verbindung des Hemmelsdorfer Sees mit der Ostsee durch die sogenannte Aalbeek ist mit einer etwa 60 Fuß breiten Düne verschüttet, in einer Entfernung von etwa 300 Schritt ist eine neue Verbindung durch einen 200 Fuß tiefen breiten Strom entstanden, durch welchen das Dorf von hinten überflutet wurde. Man befürchtet, daß die Fische in dem See _ wegen des Rindringens von Salzwasser sterben werden. Den unglücklichen Bewohnern ist fast alles Vieh ertrunken, sie sind durch den Verlust ihrer Häuser, aller ihrer Sachen, ihrer Vorräte zum größten Teil ganz arm oeworden, zum Teil haben sie nichts als das nackte Leben gerettet... .. .« Soweit der Bericht. Die eindringende Salzflut hat wohl einen Teil der gegen Salzwasser besonders empfindlichen F ische vernichtet; alte Anwohner des Sees, die noch Augenzeugen der Flut waren, berichten, daß man am Ufer Fische, die infolge des Salzwassers »klamm« waren, in großer Zahl habe greifen können. Der größte Teil der Lebewelt ist aber wohl erhalten geblieben, da der Hemmelsdorfer See jetzt immer noch ein sehr fischreiches Gewässer ist; viele Fische wie Aale, Barsche u. a. besitzen ja die Fähigkeit, sich an brackiges Wasser zu gewöhnen. Außerdem hat sich wohl das vom CH op) Norden eindringende schwere Salzwasser zum Teil unter das Süßwasser geschoben, so daß am Südende des Sees noch Süßwasser oder doch wenigstens nur schwach brackiges Wasser erhalten blieb. Die chemischen Verhältnisse des Hemmelsdorfer Sees sind, wie wir sehen, nicht stabil, sondern der See befindet sich im Zustande der Aussüßung. Aus den vergleichenden Beobachtungen der Jahre 1914 und 1919 lassen sich Schlüsse über die voraussichtliche Weiterentwickelung der chemischen Verhältnisse des Sees ziehen. Die Grenzschicht lag im Sommer 1920 in 36,0 m Tiefe und sinkt in jedem Jahre um etwa 60 cm ab. Da die größte Tiefe des Sees 44,5 m beträgt, so sind noch 8,5 m auszusüßen, hierzu sind ungefähr 14 Jahre erforderlich. In dem Maße, wie das Salzwasser ver- schwindet, wird natürlich auch der Schwefelwasserstoff mit entfernt. Im Jahre 1934 etwa wird also der See ganz ausgesüßt sein (s. Figur 4) und in seinen physikalischen und chemischen Verhältnissen den andern osthol- steinischen Seen gleichen, bis möglicherweise wieder einmal eine Sturmflut Salzwasser in den See hineinbringt und das Spiel von neuem beginnen läßt. Die chemischen Verhältnisse des Sees sollen von 2 zu 2 Jahren weiter untersucht werden; ich hoffe, später in diesen Blättern über den Fortgang und die Beendigung der Aussüßung berichten zu können. Vergleich des Wassers vom Hemmelsdorfer See mit Wassern ähnlicher Zusammensetzung. Vergleich mit andern ostholsteinischen Seen. — Andere Seen mit verschiedenen Wasser- schichten. — Vergleich des Tiefenwassers mit andern Schwefelwassern. Bei den eigenartigen chemischen -Verhältnissen des Hemmelsdorfer Sees lag es nahe, nach Seen zu suchen, die ähnliche Eigenschaften zeigten. Im Juli 1914 wurde der 76 m tiefe Schaalsee untersucht, er zeigte von der Oberfläche bis zum Grunde hinab einen gleichmäßigen, außerordentlich niedrigen Chlorgehalt (19 mg i. 1), Schwefelwasserstoff fehlte vollständig. Im Herbste 1919 wurde dann der nur 12 m tiefe Große Segeberger See untersucht. In diesem See wurde im Jahre 1874 die Sole aus einem der beiden zur Erbohrung von Steinsalz angelegten Schächte gepumpt, so daß die Fischwelt im See vernichtet wurde. Es war also nicht ausgeschlossen, daß sich in der Tiefe des Sees noch Salzwasser vorfand. Die Untersuchung ergab einen für einen Süßwassersee zwar hohen (260 mg ıi. ]) aber bis im dıe Tiefe gleichmäßigen Chlorgehalt. Schwefelwasserstoff fehlte auch hier. Endlich wurde noch der Chlorgehalt des Oberflächenwassers von einigen in unmittelbarer Nähe der Küste gelegenen Seen bestimmt, des Wesseker Sees (39 mg i. 1), des Großen Binnensees (36 mg i. ]) und des Sehlendorfer Binnensees (57 mg i. ]). Schon aus diesen Oberflächenproben ergab sich, daß in der Tiefe kein größerer Salzgehalt zu erwarten war. 57 Es sind bis jetzt nur wenige Seen bekannt geworden, bei denen zwei Wassermassen von verschiedener Dichte fast ohne jeden Übergang aufeinander lagern, wie dies beim Hemmelsdorfer See der Fall ist. Am nächsten kommt unseren Verhältnissen noch der Ritomsee'). Auch hier haben wir in der Tiefe Schwefelwasserstoff (31 mg i. ]). Der Sprung ist aber beim Hemmels- dorfer See sowohl bezüglich der Dichte als auch bezüglich des Schwefel- rasserstoffgehaltes sehr viel größer als beim Ritomsee. Aus den Untersuchungen dieses Sees ergab sich, daß die Grenzschicht in den 12 Jahren von 1906-1918 ihre Höhe nicht geändert hatte. Die wnineralischen Bestandteile des Tiefenwassers entstammen dem Dolomit und Gips, die einen Teil des Seebodens bilden, sind aber vielleicht auch auf Quellen zurückzuführen. Der Schwefelwasserstoff verdankt seine Entstehung einer langsamen Reduktion der Erdalkalisulfate unter Einwirkung des Faulschlammes. Ähnliche, wenn auch nicht so stark ausgeprägte Verhältnisse haben wir beim lac de la Girotte (Savoien)?. Hier hat das ÖOberwasser im Liter 75 mg und das Tiefenwasser 520 mg gelöste Stoffe, die entsprechenden Zahlen für den Hemmelsdorfer See sind 444 und 13700 mg. Das Tiefen- wasser des lac de la Girotte enthält außerdem im Liter 15,5 mg Schwefel- wasserstorf; die Höhenlage der Grenzschicht ist nicht angegeben. Die mineralischen Bestandteile und der Schwefelwasserstoff des Tiefenwassers sind mit Sicherheit auf unterirdische Quellen zurückzuführen, da der Boden des Sees aus Fels und Kies besteht und vollkommen frei von Faulschlamm ist. Noch verschwommener ist die Grenzschicht bei dem Ulmener Maar °). Auch hier sind die mineralischen Bestandteile durch Quellen in das Tiefen- wasser gebracht. Außer diesen Seen finden sich in der Literatur noch zwei Beispiele _ für Gewässer, in deren Tiefe sich größere Mengen von Schwefelwasserstoff vorfinden: Das Schwarze Meer und der Mofjord®). Beim Schwarzen Meer nimmt der Salzgehalt von der Oberfläche bis zur Tiefe nur wenig zu, Schwefelwasserstoff tritt bei 183 m auf und nimmt bis zum Grunde, wo er 9 me i. 1. beträgt, stetig zu. Der Motfjord hat an der Oberfläche einen geringen Salzgehalt, doch nimmt dieser sehr bald zu, ändert sich aber von 320 m an nur noch unbedeutend, von 40 m fast garnicht mehr; der Schwefelwasserstoff nimmt von 75 m Tiefe mit 0,2 mg i. 1 bis zu 200 m Tiefe mit 1,4 mg i. | langsam und gleichmäßig zu. !) Collet, Mellet et Ghezzi, Le lac Ritom. Publications du service des aux, Bern 1918. 2) Delebecque, les lacs francais, Paris 1898, zitiert in Thienemann, das Ulmener Maar, Münster 1912. >, Thienemann, a. a. O. *) Krümmel, Ozeanographie I S. 300. 58 Der Hemmelsdorfer See überragt also sowohl an Schärfe der chemischen Sprungschicht als auch an Schwefelwasserstoffgehalt des Tiefenwassers alle bisher bekannt gewordenen Gewässer. Endlich seien zum Vergleich noch eine Reihe von schwefelwasserstoff- haltigen Quellen, die sogen. Schwefelquellen herangezogen; sie sind in der untenstehenden Tabelle nach ihrem Schwefelwasserstoffgehalt geordnet. (Angaben nach dem »Bäder-Almanach« von 1910.) Schwefelwasser- Bad stoffgehalt Bemerkungen mo | (uach dem Bäder-Almanach) (Hemmelsdorfer See) (300) Sebastiansweiler bei Tübingen 115 stärkste Schwefelquelle Europas Nenndorf 68 gehört zu den stärksten Sch.-Q. Europas } Schinznach (Schweiz) 58 eine der stärkst. Sch.-Q. Europas Eilsen (Schbg.-Lippe) 90 —_———— Langensalza 44 stärkstes Schwefelbad Mittel- deutschlands Uber außereuropäische Schwefelquellen waren Angaben nicht zu bekommen. Das Tiefenwasser des Hemmelsdorfer Sees übertrifft also auch alle diese Quellen bei weitem an Schwefelwasserstoffsehalt und dürfte somit das stärkste bis jetzt auf der ganzen Welt bekannt gewordene Schwefel- wasser sein. Einige kleinere physikalische u. chemische Untersuchungen. Durchsichtigkeit und Farbe des Sees. — Stehende Seespiegelschwankungen. — Sauerstoffsehalt des Wassers. Um ein Urteil über die Durchsichtigkeit des Wassers zu gewinnen wurde in bekanter Weise die Tiefe bestimmt, bei der eine weiß lackierte Scheibe von 50 cm Durchmesser dem Auge entschwand. Aus den Beob- achtungen ergab sich im allgemeinen das bekannte Gesetz, daß die Durch- sichtigkeit im Winter am größten und im Sommer am geringsten ist. Im einzelnen treten jedoch mancherlei Schwankungen ein, die durch den Einfluß der Witterung, des Planktons u. a. verursacht sind. Die Beobachtungen begannen im Mai des Jahres 1914 mit einer Sichttiefe von 1,30 m. Die Durchsichtigkeit nimmt dann bald ab und erreicht am 16. Juli mit nur 0,90 m ibren geringsten Wert. In den nächten Wochen klärt sich der See mehr und mehr, doch treten Anfang Oktober und Mitte November Rück- schläge auf, verursacht durch Stürme, die den See an seinen Ufern bis zum Grunde aufwühlen und Schmutz und Schlamm über die ganze Wasserfläche N 59 verteilen. Am 20. Dezember, dem letzten Beobachtungstag des Jalıres, beträgt die Sichttiefe 4,10 m; zu dieser Zeit war das Maximum noch nicht erreicht. Nehmen wir letzteres zu 5,00 m an, so hätten wir eine jährliche Schwankung von 4,10 m; die mittlere Sichttiefe während der Beobachtungszeit betrug 2,30. Im Jahre 1919/20 ist die Sichttiefe, wohl infolge des kalten Frühjahırs und der dadurch verursachten geringeren Planktonentwicklung, etwa 50 °/o größer, im einzelnen aber stärkere Schwankungen unterworfen als im Jahre 1914. Die Farbe des Sees wurde mit einer selbsthergestellten Forel-Uleschen Skala zu 15—16 bestimmt, sie ist also ein etwas braunes Grün. Ähnliche Werte fand Ule!) für andere ostholsteinischen Seen, der große Plöner See zeigte 14, der Schaalsee 19. | Es sollte dann noch die Frage geklärt werden, ob der See seine Farbe im Laufe des Jahres verändert; zu diesem Zwecke wurde das Verschwinden der weißen Scheibe durch farbige Filter beobachtet. Aus den Beobachtungen ergab sich, daß sich die Farbe des Sees im Laufe des Jahres nicht merklich ändert. Als letzte physikalische Untersuchung wurde noch die Dauer der stehenden Seespiegelschwankungen errechnet und beobachtet. Die Errechnung geschah nach Defants Verfahren?) und ergab eine Hauptschwingungsdauer von 26,5 Min., die tatsächliche Dauer nach den Aufzeichnungen des Schreibpegels betrug 34,5 Min. Der große Unterschied ist wohl auf die starke Dämpfung durch den Flachsee zurückzuführen. Das logarithmische Dekrement der Dämpfung ist mit 0,14 außerordentlich groß. Eine zweite Schwingung von 4,9 Min. Dauer ergab sich durch Rechnung als Längsschwingung und eine weitere von 1,7 Min. Dauer als Querschwingung des Tiefsees. Die mittleren Amplituden betrugen für die Hauptschwingung 10 mm, für die Längsschwingung des Tiefsees 5 mm und für seine Querschwingung 4 mm. Die größte überhaupt gemessene Amplitude ergab sich bei der Hauptschwingung zu 38 mm. Zum Schluß seien noch die Untersuchungen über den Gehalt des Wassers an Sauerstoff angeführt; die Bestimmung des Sauerstoffs geschah nach dem bekannten Winklerschen Verfahren. !) Beiträge zur physikalischen Erforschung der baltischen Seen in »Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde 1899«. ») Defant, Neue Methode zur Ermittlung der Eigenschwingungen .... Annalen der Hydrogr. u. marit. Geol. 1918. 60 Binige Ergebnisse sind in folgender Tabelle zusammengestellt: 30 68 | 02 2 6,8 0 34 65 | 00 ) 6,7 0 Tag 6. August 1919 | 18. Oktober 1919 6. April 1920 5 a =) | E el Sn = EB — 8 Betal ı. |: ä5 00 ea m 2 ea n | ® a 2 a az > IE Dal 16,9% 17 16,5 97 9,7 u hl) 8,8:.10,3, 107 Do 5A 719 — en = = a 1645 78 = | _ = ar 34 9:00,83, 2105 68 | 88 | 103 15 Sa en) 23 —- 0 = - u 20 TR 1,0 12 8.6.1 5,92 ns 05,4 3208 100 6 0 0 Vergleicht man die Temperatur und Sauerstoffwerte miteinander — noch deutlicher ist die Darstellung durch Kurven in Figur 5 -— so sieht man, daß Temperatur und Sauerstoffgehalt zu allen Zeiten parallel laufen, Temperatur in —> o 5° 10° 45° 20° wurajaı]) sum. Rıie. 5. Temperaturen ——) und Sauer - | stoffgehalt F-----) am 6.819. u.0420. al 0% 50 % 100% 150% Sauerstoffgehalt in %der Satligung. —> beide haben ihre Sprungschicht in derselben Tiefe. Der Hemmelsdorfer See gehört also bezüglich seiner Sauerstoffverhältnisse zum baltischen Seentypus (in Thienemannscher Bezeichnung.') Diese Seen des baltischen Typus sind nährstoffreiche Gewässer mit reicher Produktion an Phytoplankton. In der Wassermasse oberhalb der Sprungschicht erzeugt das lebende Phytoplankton immer neuen Sauerstoff, unterhalb der Sprungschicht dagegen fehlt diese Produktion und der vom Winter her vorhandene Sauerstoff wird durch das herabsinkende abgestorbene Plankton aufgezehrt; je tiefer wir kommen, umsoweniger Sauerstoff ist vorhanden, Temperatur und Sauerstoffkurve verlaufen parallel zu einander. Am Grunde solcher Seen finden meist starke Fäulnisprozesse und damit verbunden eine Entwicklung von Schwefel- wasserstoff statt. ') Thienemann, Biologische Seentypen, Archiv f. Hydrobiol. 1920. Im Gegensatz zum baltischen Seentypus steht der subalpine Typus, bei dem der Sauerstoff auch bei vorhandener thermischer Sprungschicht in allen Tiefen fast gleich hoch ist. - Ma N, TR er re, N " Kay a Hau ı I BIN W B aNNENINNNIN 01299 5270