= x re /193;(, u nn Hibrarn of tbe Museum OR .- ‚COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. I, a $ r / / N ' | | | N al | ie horde. The giftof (hr Se < 223 Be = | r // | IND AU den. | No. /,3,3— Bu N er 1884 _ LS zo | VEDRE 28 ° Mittheilungen der Naturforschenden Gesellschaft in Bern aus dem Jahre 1885. I. Heft. III UINALNIIINT Nr. 1103-1118. Redaktion: Dr. phil. J. M. Graf. Bern. (In Commission bei Huber & Comp.) Buchdruckerei Paul Haller, vormals Haller'sche Buchdruckerei. "m 1885. Inhalt. Jahresbericht pro 1884/85 Ä Baltzer, A., Prot. Dr., a Ueber ein Lössvorkommen im Kanton Bern. 78 Die weissen Bänder und der Marmor im GE, 1 Holzsehnitt ß Fankhauser, J., Gymnasiallehrer und Privatdozent,“ BR Ueber einige neu entdeckte Lycopodienkeime \ a IX: v. Fellenberg, E., Dr. phil., RR Ueber Vorkommen von Löss im Kanton Bern Be . BR Fischer, L., Prof. Dr., | Ueber die neuern Umgestaltungen des Pflanzensystems mit spezieller Berücksichtigung der Ergebnisse der mikroskop. - ea BERCHUDSEN der letzten Dezennien . & Re Flesch, M., Prof. Dr., A Die histolog. Verhältnisse der Hypophysis eerebri RE Zur Kenntniss der Nervenendigung in den quer- gestreiften Muskeln des Menschen, 1 Tafel .. . Graf, J. H., Dr. phil., Gymnasiallehrer und Privatdozent, Beitrag zur Kenntniss der ältesten Schweizerkarte von Aegidius Tsehudi Bi : ; EHRE Si: Jenner, E., Custos, Ueber die Zucht exot. VOR Pr ar Jonquiere, Alf., cand. phil, Mathemat. Untersuchungen über die Färben dkandın .. Gypsblättehen im polarisirten Licht, 1 Holzsehnitt Nencki, M., Prof. Dr., | Ueber die Blutfarbstoffe ö EEE Schwarzenbach, V., Prof. Dr., R Ueber die Verwendung des metall: Wasserstoils. in. er Rd der quantitativen Analyse RE ae oe fe: EN Studer, Theoph., Prof. Dr., RENNEN Veber den Fund eines Me von Rhinoceros. “ tichorhinus . ie a Studer, B., jun., Apotheker, ER Ep | Beiträge zur ee der Schwammvergiftungen. 1. Bot. Theil, 1 Tafel. e ea, h : Sahli, H., Dr. med., Privatdozent, Beiträge zur Kenntniss der Schwammvergiftungen. DER. U. Theil, Patholog. Anatomie und Tosieologie RR, Schärer, E., Dr. med., NEN S Beiträge zur Kenntniss der u III. Klinischer Theil \ REN m —- Dee. 2 ers ” Jahresbericht über die Thätigkeit der bernischen naturforschenden Gesellschait - in der Zeit vom I5. Mai 1884 bis zum 15. Mai 1885. Hochgeehrte Herren! Das Vereinsjahr, über welches ich Ihnen als abtre- tender Präsident in üblicher Weise Bericht zu erstatten habe, ist kein solches, welches grosse Thatsachen, üppige äussere Entfaltung des Vereinslebens verzeichnen lässt, in ruhiger Weise setzte die Gesellschaft die Thätigkeit der letzten Jahre fort. In 9 Versammlungen brachten unsere Mitglieder die Früchte ihrer fortgesetzten Arbeit in verdankenswerther Weise der Gesellschaft vor Augen. Die Gebiete, in welcher sich die Vorträge bewegten, waren die der Physiologie, Anatomie, Chemie, Meteoro- logie, Mathematik, Geologie, Botanik, Zoologie, und es gewährt mir ein besonderes Vergnügen, den Herren Vor- tragenden für ihre so mannigfach anregenden Mittheilungen den verdienten Dank auszusprechen, den Herren Profes- soren Baltzer, Benteli, Herrn Oberforstinspektor Üoaz, Herrn Fankhauser, Professor Dr. Fischer, Dr. von Fellen- berg, Professor Dr. Flesch, Dr. J. H. Graf, Professor Dr. Guillebeau, Dozent Hess, Herrn E. Jenner, Herrn cand. phil. Jonquiere, Professor Dr. Nencki, Dr. Sahli, Professor Dr. Schwarzenbach, Herrn B. Studer, jun. End- See lich sei noch des mehr in das Gebiet der Vorstellungen gehörenden Vortrages von Herrn OÖ. Meyer als Gast ge- dacht, welcher uns in die Geheimnisse des Bauchredens einführte, ein Vortrag, welcher unsern Mittheilungen eine werthvolle Abhandlung von Herrn Dr. A. Valentin über die Physiologie des Bauchredens verschaffte. Was das innere Leben der Gesellschaft betrifft, so haben wir den erfreulichen Zuwachs von acht Mitgliedern zu konstatiren. < Leider haben zwei unserer thätigsten Mitglieder Bern und damit unsern Wirkungskreis im Herbste vorigen Jahres verlassen. Herr Professor Dr. Grützner folgte einem Rufe an die Universität Tübingen und Herr Pro- fessor Dr. Luchsinger einem solchen an die Universität Zürich. Dieselben bleiben als correspondirende Mitglieder unsrem Verbande erhalten. Die zahlreiche Betheiligung an den zu ihren Ehren veranstalteten Abschieds-Banquetten mögen ihnen bewie- sen haben, dass ein dauerndes Band der Sympathie sie an unsere Gesellschaft fesselt. Es sind ferner drei Herren aus dem Verbande unserer Gesellschaft getreten, durch den Tod wurde uns Herr Kuhn entrissen, so dass sich gegenwärtig die Zahl der ordentlichen Mitglieder auf 164 beläuft, gegenüber 162 im Vorjahre. Zum Schlusse gestatten Sie mir noch einen beschei- denen Wunsch. Wir Alle arbeiten an einem grossen Werke, der Erforschung der Geheimnisse der uns um- gebenden Natur, wir Alle sind nur Beobachter und die Resultate der Beobachtung sind, ob gross oder klein, nur Bausteine, die dazu beitragen sollen, einst das Gebäude, das erst künftige Generationen fertig sehen werden, auf- zubauen. Jede Beobachtung, und mag sie noch so unbedeutend scheinen, mag sie von dem sogenannten Gelehrten, der vielleicht ein weiteres Feld überblickt, oder von dem soge- _ nannten Laien gemacht sein, kann ein Förderungsmittel zur * = % - x 2 e sr . TE RATTE EEE - Erkenntniss sein. Lasse sich daher Niemand abschrecken, sein Scherflein zu dem grossen Werke beizutragen, Nie- mand achte das Gesehene zu gering, bringe es vor und lasse es diskutiren; nicht grosse Theorien, die nur vor- übergehendes Dasein haben, sondern feststehende That- sachen können zum Bau verwendet werden. Jeder Einwand, ja jede Frage, die in der Diskussion eines behandelten Ge- 3 genstandes gestellt wird, trägt bei zur Klärung und zum Verständniss der Thatsachen und desshalb möchte ich jedes Mitglied ersuchen, sich an den Diskussionen über die vorgebrachten Gegenstände ohne Scheu zu betheiligen, Fragen zu stellen; denn nicht nur akademisch belehren, sondern unterrichten wollen wir uns, denn dadurch ar- beiten wir gemeinsam und fördern das Ganze. Sitzungsberichte. 757. Sitzung vom 17. Januar 1885. Abends 8 Uhr, bei Webern. Präsident: Herr Prof. Dr. Theoph. Studer. Sekretär: Steck. Anwesend 11 Mitglieder und Gäste. 1. Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt. 9. Hr. Relieffabrikant Beck erklärt seinen Austritt aus der Gesellschaft. 3. Hr. Prof. Dr. M. Nencki spricht über die Blutfarb- stoffe. Referat in den Mittheilungen. A. Hr. Prof. Dr. Flesch berichtet über die histolo- ®gischen Verhältnisse der Hypophysis cerebri. Herr Flesch macht Mittheilungen über einige Beob- achtungen an dem Hirnanhang der Säugethiere. Beobach- tungen des Vortragenden über die Hypophyse des Pferdes, welche bereits an anderer Stelle“) veröffentlicht sind, hatten gezeigt, dass sich in dem Epithelialtheil oder Vor- derlappen dieses Organes zweierlei Zellen, welche durch #) Compte rendu des travaux presentes & la soixante-sep- tieme session de la Societe helvetique des sciences naturelles, reunie ä Lucerne. (Archives des sec. physiques et naturelles. Novembre-Decembre) 1884. 8. 112. — Tageblatt der 57. Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Magdeburg. S. 195. Wa rg" fee EFT Grösse, mikrochemische Reaktionen und örtliche Ver- theilung unterschieden nachweisen lassen. Weitere Unter- suchungen haben nunmehr sicher gestellt, dass das Vor- kommen der einen Zellart, die sich nach ihren Reaktionen und nach ihrer Differenz von den benachbarten Zellen zu letzteren ähnlich verhalten, wie die Belegzellen zu den Hauptzellen der Magendrüsen, nur in bestimmten Re- gionen, nämlich dem peripheren Theile des Vorderlappens finden. Dagegen entbehrt ein an den Hirntheil der Hy- pophyse grenzender schmaler Saum ihres epithelialen Theiles der grossen Zellen. Hier zeigt sich auch die Richtung der Zellketten — es muss diese Bezeichnung der üblichen „Zellschläuche“ vorgezogen werden, da nur ausnahmsweise eine Lichtung von den Zellen umschlossen wird — namentlich verschieden von dem peripheren Ab- schnitte; dieselben stehen senkrecht zur Oberfläche des Hirntheiles, während sie in dem peripheren Gebiet viel- fach verästelt sind. Bei dem Hund und dem Schwein sind überhaupt in diesem schmalen Gebiet Zellketten nicht mehr gesondert und erscheint dasselbe streng genommen nur als ein vielschichtiges, dem Hirntheil aufgelagertes® Zellen-Stratum. Am besten untersucht man diese Ver- hältnisse von vorn nach hinten unten geführten Quer- schnitten, welche wegen der rückwärts absteigenden Rich- tung des Hypophysenstieles dessen ganze Länge nebst dem grössten Durchmesser des Organes treffen. — Solche zeigen nun eine sehr auffallende Beziehung beider Schichten des epithelialen Theiles: dieselben bilden einen Doppel- becher, etwa ähnlich der sekundären Augenblase des Em- bryo, in welchen von vorn oben der Hirntheil einzesenkt ist, wie die Krystall-Linse in den Augenbecher. Da wo sich im Schnitte der dickere Aussentheil in die dünne Innenschicht umschlägt und sonach ersterer sich schnell verjüngt, erscheint derselbe mehrfach gefaltet. Zwischen beiden Theilen besteht beim Hund und Schwein eine scharfe Grenze, so zwar, dass in den Präparaten ein deutlicher Spalt klafft. Bei dem Pferde ist diese Grenze an den Präparaten des Vortragenden keine scharfe; doch könnte dies durch die Schnittrichtung bedingt sein. Der schmale, dem Hirntheil anliegende Theil des Vorder- lappens ist übrigens fast schärfer von der andern Region des Epithelialtheiles als von dem Hirntheil geschieden; stellenweise erscheint sogar die letztere Grenze ver- schwommen; oft sind deutliche Aussprossungen der epi- thelialen in die cerebrale Region sichtbar, fast Drüsen- sprossen vergleichbar. Eine Spaltbildung, wie sie bei dem Hunde und dem Schwein zwischen beiden Abschnitten des epithelialen Theiles besteht, hat der Vortragende bisher bei dem Pferd und an normalen Präparaten der mensch- lichen Hypophyse nicht gesehen; ebenso wenig wird der- selbe in den gewöhnlichen Beschreibungen gedacht. Da- gegen hat Dr. Hans Virchow bei der Untersuchung der Hypophyse eines microcephalen Kindes”), welche er dem Vortragenden zur Veröffentlichung übergeben hat, ein Verhalten beschrieben, welches vollkommen mit jenem des Schweines und des Hundes übereinstimmt: Der Hirn- anhang zeigt eine senkrechte frontal gestellte Spalte, welche den grössten Theil der Höhe des Organes ein- nimmt. Für das blosse Auge scheint sie an der Grenze zwischen beiden Lappen zu liegen, in der That aber geht die Substanz der drüsigen Masse in dünner Lage um *) Dieselbe ist publizirt in « Anatomische Untersuchung eines microcephalen Knaben. Von Dr. Max Flesch. Festschrift zur Feier des 300jährigen Bestehens der Julius-Maximilians- Universität in Würzburg, gewidmet von der medizinischen Fa- kultät daselbst». II. Bd. S, 11. — VII — diese Spalte herum auf die Rückseite derselben und breitet sich hier aus, ohne gegen das Gewebe des hintern Ab- schnittes scharf geschieden zu sein. Diese Schicht des Schlundtheiles welche zwischen der Spalte und dem Hirn- theile liegt, enthält einige solide Cylinder, vorwiegend jedoch hohle Schläuche in deren vielen man eine homo- gene (celloide) Masse antrifft. Auch die erwähnte Spalte ist nicht anderes wie ein solcher Schlauch, denn man trifft an der hinteren Wand derselben ein Epithel von ku- bischen Zellen und sieht an mehreren Stellen die Spalte sich in die Curven von Schläuchen der hintern Schicht fortsetzen. An den Hypophysen normaler Menschen sieht man ebensowohl solche Schläuche als eine grössere Spalte, so dass in unserem Falle nichts vorliegt, worin man eine tiefer gehende Abweichung von der Norm sehen könnte; nur besitzt die Spalte, da sie eine Weite von 0,5 mm hat und diese sogar überschreitet, eine ungewöhnliche Aus- dehnung. Alles dies stimmt vollständig mit unsern Beob- achtungen an Thieren überein. Nur muss aus letzteren entnommen werden, dass der Spalte doch eine weiter- gehende morphologische Bedeutung gegenüber den Drüsen- schläuchen der Hypophyse zuzuschreiben ist; sie ist die Grenzscheide zwischen zwei entschieden ungleichwerthigen Theilen des aus dem Schlundepithel abzuleitenden Theiles der Hypophyse. An der darauffolgengen Diskussion betheiligen sich die Herren Prof. Dr. Nencki, Studer und der Vortragende. 758. Sitzung vom 21. Februar 1885. Abends 8 Uhr bei Webern. Präsident: Herr Prof. Dr. Theoph. Studer. Sekretär: Herr Steck. Anwesend 18 Mitglieder und Gäste. er a N 1. Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt. 9. Herr Notar Balsiger erklärt seinen Austritt aus der Gesellschaft, Herr von Freudenreich wird dagegen als Mitglied aufgenommen. 3. Als Rechnungsrevisoren werden gewählt die Herren A. Benteli und Ingenieur Dr. von Fellenberg. 4. Herr Prof. Dr. Schwarzenbach spricht über die Verwendung des metallischen Wasserstoffes in der quanti- tativen Analyse. An der darauffolgenden Diskussion betheiligen sich die Herren Apotheker Bernh. Studer sen., Ingenieur Stauffer und der Vortragende. 759. Sitzung vom 21. Februar 1885. Abends 8 Uhr bei Webern. Präsident: Herr Prof. Dr. Theoph. Studer. Sekretär: Herr Steck. Anwesend 18 Mitglieder und Gäste. 1. Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt. 9. Auf Antrag des Präsidenten wird beschlossen Herrn Prof. Dr. Mousson in Zürich eine Adresse zur Feier seines 80. Geburtstages zu übermitteln. 3, Herr J. Fankhauser spricht über einige neu ent- deckte Lycopodienvorkeime. An der darauffolgenden Diskussion betheiligen sich die Herren Prof. Dr. Fischer und der Vortragende. 4. Herr Apotheker Bernh. Studer, jun., spricht über die Pilzvergiftungen im letzten Jahre (siehe Abhandlungen)- An der lebhaften Diskussion betheiligen sich die Herren Prof. Dr. Fischer, Dr. Sahli, Ingenieur Stauffer: Lehrer J. Fankhauser und der Vortragende. 5. Herr Alb. Benteli erstattet Bericht über die von ihm mit Herrn Ingenieur Dr. Edm. von Fellenberg vor- genommene Revision ber Bibliothekrechnung und bean- tragt Passation derselben unter warmer Verdankung an den Rechnungssteller, Hrn. Ober-Bibliothekar Koch. 760. Sitzung vom 14. März 1885. Abends 8 Uhr bei Webern. Präsident: Herr Prof. Dr. Theoph. Studer. Sekretär: Herr Steck. Anwesend 20 Mitglieder und Gäste. 1. Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt. | 2. Herr A. Benteli berichtet über die vorgenommene Revision der Gesellschaftsrechnung und empfiehlt dieselbe. zur Passation unter bester Verdankung an den Rech- nungsgeber, Hrn. Apotheker B. Studer, Sohn. 3. Ein Antrag des Herrn Benteli, die Sitzungen in Zukunft nur noch im Anzeiger zu publiziren, wird dem Vorstand zur Prüfung überwiesen. 4. Herr Prof. Dr. Fischer hält einen Vortrag über die neuern Umgestaltungen des Pflanzensystems mit spezieller Berücksichtigung der Ergebnisse der mikroskopisch-ent- wicklungsgeschichtlichen Forschungen der letzten De- zennien. An der darauffolgenden Diskussion betheiligen sich die Herren Dr. Dutoit, Dr. Sahli und der Vortragende. 5. Herr Alfred Jonquiere spricht über Farben dünner Gypsblättchen im polarisirten Lichte (siehe Abhandlungen). 6. Herr Ed. Jenner berichtet über seine Zucht eXO- tischer Vögel. STE 7. Herr Prof. Dr. Theoph. Studer spricht über den Fund eines Unterkiefers von Rhinoceros tichorhinus. 8. Herr Grossrath Paul Fueter, Apotheker in Burg- dorf, wird einstimmig in die Gesellschaft aufgenommen. 761. Sitzung vom 9. Mai 1885. Abends 8 Uhr bei Webern. Präsident: Herr Prof. Theoph. Studer. Sekretär: Herr Steck. Anwesend 18 Mitglieder und Gäste. 1. Das Protokoll der letzten Sitzung wird verlesen und genehmigt. 2. Herr Prof. Dr. Mousson verdankt schriftlich das von der bern. naturforschenden Gesellschaft s. Z. an ihn ge- richtete Gratulationsschreiben zu seinem 80. Geburtstage. 3. Prof. Dr. Th. Studer erstattet den Jahresbericht pro 1854/85 (siehe Mittheilungen). 4. Zum Präsidenten pro 1885/86 wird gewählt Herr Prof. L. Fischer, zum Vizepräsidenten Herr Gymnasial- lehrer Albert Benteli. 5. Die Herren Dr. Ernst Schärer in Bern, Dr. Ernst Mützenberg in Spiez und Sekundarlehrer Schwab in Twann werden in die Versammlung aufgenommen. 6. Herr Dr. J. H. Graf liefert einen Beitrag zur Kenntniss der ältesten Schweizerkarte von Aegidius Tschudi (siehe Abhandlungen). An der darauffolgenden Diskussion an der sich die Herren Prof. Dr. Trächsel, Gymnasiallehrer Benteli und Koch, Prof. Dr. Kronecker und der Vortragende bethei- ligen, hebt Hr. Prof. Theoph. Studer hervor, dass diese Karte Eigenthum der geographischen Gesellschaft in Bern sei und von dieser in der Stadtbibliothek deponirt worden. 7. Herr Prof. Dr. H. Kronecker erstattet einen durch Experimente erläuterten Bericht über Untersuchungen # ei a Bat + x Pas} BE N; des Hrn. Dr. E. Mützenberg über den Herzschlag der Geisteskranken (siehe Abhandlungen). 8. Ein Zirkular der schweiz. naturforschenden Ge- sellschaft an die kantonalen Gesellschaften ladet letztere ein, über die Höhe des Betrages einer einmaligen Ablö- sung der Jahresbeiträge zu entscheiden. Die Sache wird dem Vorstand zur Beantwortung überwiesen. 9. Ein Zirkular vom Bernischen Verein für Handel und Industrie, die Einführung elektrischer Uhren in der Stadt betreffend, wird nach gewalteter Diskussion eben- falls dem Vorstande zur Beantwortung überlassen, wie auch die Beschickung einer allfälligen Versammlung in dieser Angelegenheit durch Abgeordnete ad audiendum et referendum. Nr. 1103. 2 N Prof. Dr. Wax Flesch. Zur Kenntniss der Nervenendigung in den quergestreiften Muskeln des Menschen. Nach Untersuchungen an Querschnitten vergoldeter Präparate der Augenmuskeln. Vorgetragen in der Sitzung vom 26. Januar 1884. Der wesentliche Inhalt der nachfolgenden Mitthei- lungen ist bereits vor mehreren Jahren an anderer Stelle*) in der kurzen Form eines Sitzungsberichtes publizirt worden. Ebenso sind die zugehörigen Zeichnungen schon einmal von mir gelegentlich der 56. deutschen Natur- forscher-Versammlung zu Freiburg i/B.“*) vor einem Kreise von Fachgenossen demonstrirt und besprochen worden. Es war meine Absicht, jene Abbildungen erst dann ab- drucken zu lassen, wenn ich die an dem schwer zu er- langenden, dem Menschen entnommenen Material erzielten *, Sitzungsberichte der physikalisch-medizinischen Gesell- schaft zu Würzburg für das Gesellschaftsjahr 1880, S. XXXVI bis XXXVLD. 9. Sitzung den 8. Mai 1880 (ausgegeben mit den Verhandlungen der phys.-med. Ges. zu Würzburg. N.F. XV. Bd.) *=#\ Amtlicher Bericht der 56. Versammlung deutscher Na- turforscher und Aerzte zu Freiburg im Breisgau. $. 136. Sek- - tion für Anatomie und Physiologie. Das betreffende Referat in dem während der Versammlung erschienenen «Tageblatt » ist unvollständig und durch Druckfehler verstümmelt. Ergebnisse auf vergleichend histologischem Wege geprüft und zum Abschlusse gebracht hätte. Die Ausführung dieses Planes musste indessen gegenüber den alle meine Kraft absorbirenden Aufgaben, welche die Uebernahme der Lehrthätigkeit auf einem mir noch fremden Gebiete meines Faches stellten, vorläufig zurücktreten. Seitdem hat eine Mittheilung Kühne’s*) über Untersuchungen Dr. van Syckel’s an Muskelquerschnitten von Lacerta agi- lis die Aussicht auf eine gründliche Behandlung der Fra- gen eröffnet, welche durch das — soweit mir bekannt — ausser in meinen Beobachtungen zur Behandlung der mo- torischen Nervenendigung nur selten verwerthete Ver- fahren der Untersuchung an Querschnitten gelöst oder doch der Entscheidung näher gebracht werden können**). Die Arbeiten van Syckel’s sind weiterhin, wie eine zweite Publikation***) Kühne’s anzeigt, auch auf andere Thier- klassen ausgedehnt worden. Die ausgedehnten Erfah- rungen Kühne’s gerade auf dem zu besprechenden Ge- biete in Verbindung mit den reichen Mitteln des Heidel- berger physiologischen Institutes lassen nunmehr eine *) Die motorische Nervenendigung besonders nach Beobach- tungen an Muskelquerschnitten von Dr. med. M. B. van Sykel in New-York. Separatabdruck aus den Verhandlungen des natur- historisch-medizinischen Vereins zu Heidelberg. N. F. III. Bd., 3. Heft, S. 223—231. Mir ebenso, wie die folgende Mitthei- lung, durch Hın. Prof. Grützner in Tübingen, früher in Bern, zur Verfügung gestellt. **) Abbildungen von Querschnitten der Muskelfaser mit der motorischen Nervenendigung gibt W. Krause. Allgemeine und mikroskopische Anatomie 1876. S. 87. Die Ergebnisse der Untersuchung der End-Apparate an Querschnitten gefrorener Muskeln erwähnt Kühne in Stricker’s Handbuch der Gewebe- lehre I. S. 162. %#*) Ueber Nervenendigungen in den Muskeln. Nach wei- teren Beobachtungen von Dr. M. B. van Syckel mitgetheilt von W. Kühne. Ebenda S. 538—244 und 494. BD u Fl u naar ne a gründliche Durcharbeitung aller aufgetauchten Probleme _ mit Benützung der neuesten und besten Hülfsmittel er- hoffen. Wenn ich gleichwohl jetzt mit den Ergebnissen meiner vor 4 Jahren, also noch vor allgemeiner Anwen- dung der Oel-Immersion und des Adbbe’schen Beleuchtungs- Apparates angestellten Untersuchungen hervortrete, so mag dies die Seltenheit des von mir benützten Materiales rechtfertigen. Erfreulich ist es mir, dass die Anschauungen, zu welchen Kühne gelangt ist, sich in vollkommenem Ein- klange mit den von mir gewonnenen, zum Theil in den erwähnten Mittheilungen niedergelegten befinden. Das Material zu den hier zu besprechenden Beobach- tungen bildeten Muskeln, welche der Leiche eines Hin- gerichteten etwa 1'/, Stunden nach dem Tode entnommen waren. Als am besten geeignet für unsere Zwecke mussten die Muskeln der Augenhöhle erscheinen, welche durch Reichthum an Nerven alle anderen Muskeln übertreffen. Unter Merkel’s Leitung angestellte Untersuchungen von Tergast”) haben im Anschluss an frühere Angaben Küh- ne’s**) gezeigt, dass in den Augenmuskeln die relative Zahl der eintretenden Nervenfasern eine viel grössere ist, als anderwärts, dass ferner aller Wahrscheinlichkeit nach den einzelnen Fasern der Augenmuskeln eine grössere Zahl von Nervenendigungen zukommt, als jenen anderer Organe. Auch der Musculus Tensor tympani wurde unter- sucht in der Hoffnung, hier an Zerzupfungspräparaten ganze Faserlängen übersehen zu können. Die Untersuchungsmethode war die Goldbehandlung in ihrer einfachsten Form; komplizirtere Verfahren anzu- *) Tergast P. Ueber das Verhältniss von Nerv und Muskei, Archiv für mikroskopische Anatomie, IX. Bd., 8. 36. *#*) Kühne. Nerv- und Muskelfaser in Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben, I. Bd., S. 136. IL i Koi: RR. RR REN Ds) ch PR PR Br RN, Kita /aR, ‚“ KM 2 y. on RR Tr Ne re Kart Baal 2 2 1 a N . } id r alt: f j ehe wenden, verbot die grosse Zahl der in kürzester Frist an der 12 Minuten nach dem Tode eingelieferten Leiche auszuführenden Versuche und Präparationen, welche die Kräfte aller Betheiligten angespannt aber auch das Ma- terial zu einer ganzen Reihe bereits publizirter Unter- suchungen geliefert haben. Die Muskeln, etwa 1!/, Stun- den nach der Exekution und nach vorausgegangener Enu- cleation den Augen der Leiche entnommen, wurden in /aprozentige Goldchloridlösung eingelegt, bis sie stroh- gelb erschienen, dann in verdünnter Essigsäure, zu einem kleinen Theil in verdünnter Ameisensäure dem Lichte ex- ponirt. Nach beendeter Reduktion wurden theils Zer- zupfungspräparate, theils Querschnitte aus verschiedenen Gegenden, endlich auch Längsschnitte der in Alcohol er- härteten Stücke angefertigt. Die Einbettung zum Schnei- den geschah in Paraffin, dem etwas Talg zugesetzt war, ohne vorherige Durchtränkung der Präparate mit Chloro- form oder Terpentinöl; ich fürchtete, durch letztere De- tails der Struktur zu schädigen. Der grösste Theil der Schnitte, die allerdings nicht so fein ausfallen konnten, wie an Trocken- oder Gelloidin-Präparaten (die letztere Methode existirte zur Zeit, in welcher die Arbeit vorge- nommen wurde, noch nicht), wurde in Glycerin conservirt. Später angefertigte Querschnitte von Trockenpräparaten (Giesbrecht-Bütschlö’sches Verfahren *) fielen dünner aus, ohne indessen mehr Einzelheiten zu enthüllen, als mir vorher bekannt waren. Auch die nachträgliche Verwendung der Oel-Immersion hat mir nichts gezeigt, was über das, allerdings weit schwerer zu erzielende Ergebniss der Un- tersuchung mit einer Wasser-Immersion VII von Seibert, *) Griesbrecht, W. Zur Schneide-Technik. Zool. Anz. Nr. 92, p. 483. — Bütschli, ©. Modification der Paraffin-Einbettung für mikroskopische Schnitte, Biol. Centralblatt I, S. 591. | | | | | | j | Ä 1 | FE der stärksten mir damals zugänglichen Linse, hinausgieng. Die beigefügten Zeichnungen sind sämmtlich im Anfang 1880, zum grössten Theile mit dem zuletzt erwähnten System ausgeführt. Der Besprechung der motorischen Nervenendigung selbst sind einige Bemerkungen über die Vertheilung der Nerven im Muskel voranzuschicken. Der in den Muskel eintretenle Nerv verzweigt sich zwischen den Muskel- bündeln bekanntlich in dünnere Stämmchen, welche über- wiegend in der Längenrichtung der Muskelfasern ver- laufen. Di so entstandenen fünf und mehr Fasern ent- haltenden Nervenbündel anastomosiren unter einander in der Weise, dass von ihnen hie und da Fasern abbiegen, um sich benıchbarten Bündeln beizugesellen. Nach den untersuchten Präparaten von Muskelquerschnitten scheint es, dass diese Verbindungen oft, vielleicht meistens, recht- winklig abzweigen, da man leicht, auch an dünnen Schnit- ten, die ganze Ausdehnung der Anastomosen übersehen kann. Oft sieht man mehrere, quer durchschnittene Stämm- chen in derselben Schnittfläche zusammenhängen, der Art, dass durch die Anastomosen geschlossene Maschen entstanden sind, in welchen einige Muskelfasern ringförmig von Nervenzügen umfasst liegen. Bilder dieser An- ordnung sind in Fig 3 und 5 unserer Tafel wiedergegeben. Gerade am Muskelyuerschnitt gelingt es am schönsten, die Thatsache, dass die Verzweigungen der Muskel- Nerven einen an Anastomosen reichen Plexus mit geschlossenen Maschen bilden, zur Anschauung zu bringen”). Vom physiologischen Gesichtspnnkte aus ist diese Plexus-Bildung *), Vgl. u. A. Kölliker, Gewebelehre, 5. Aufl, 8. 168. Toldt, Gewebelehre, 2. Aufl., S. 312. Krause, W. allgemeine und mikroskopische Anatomie, S. 488, Fig. 266. interessant. Es ist bekannt, dass die Innervation jedes’ Muskels von mehreren räumlich getrennten Stellen des cen- tralen Nerven-Systemes ausgeht. Speziell für die Augen- muskeln ist diese Thatsache sowohl durch Erfahrungen der pathologischen Beobachtung, als durch kontrolirende anatomische Untersuchungen festgestellt. Es karn bei centralen Erkrankungen einer?derselben gelähmt sein für nur eine einzige Aktion, d.h., da bei sämmtlichen Bewe- gungen der Augen eine Synergie mehrerer Muskeln einer oder auch beider Seiten stattfindet, für das Zasammen- wirken gerade nur mit einem bestimmten Muskel, wäh- rend gleichzeitig der hier gelähmte Muskel in ener andern Combination noch normal functioniren kann*. Gad’s**) ausführliche Behandlung dieser Frage hat den Nachweis erbracht, dass die functionell gesonderten Territorien des centralen Nerven-Systemes jeweilen nur mit einem ent- sprechend grossen Theile der Fasern eines Muskels in Verbindung treten. Nur diese werden bei Erregung des zugehörigen Nerven in Contraction versetzt. Da aber bei Reizung einer einzelnen, mit einem Muskel zusammen- hängenden Nervenwurzel der Muskel sich als Ganzes ver- *) Zugehörige Beobachtungen sind u. A. eitirt in Schwalbe’s Lehrbuch der Neurologie, S. 675. Vgl. auch Duval, Recherches sur l’origine des nerfs craniens. Journal de l’Anat. et de la Physiol. norm. $. 285, und Duval und Laborde, De l’inner- vation des mouvements associes des globes oculaires. Ebenda S. 56. In Ermanglung der Originale eitire ich nach dem von mir verfassten Referat in Michel’s Jahresbericht der Ophthalmol. Bericht für das Jahr 1880, S. 36 und 37. Ebenda sind auch weitere bestätigende Beobachtungen vor Roller und Obersteiner erwähnt. *®) (@ad, J. Ueber einige Beziehungen zwischen Nerv, Muskel und Centrum, Festschrift der Würzburger medizinischen Fakultät zur III. Säkularfeier der Hochschule Würzburg. II. Bd., 8.43 #. kürzt und nicht — wie bei partieller Reizung am Stanıme — sich nach einer Seite krümmt, so müssen die vom Centrum aus verschieden innervirten Fasergruppen gleichmässig über die ganze Ausdehnung des Querschnittes vertheilt sein. Zwar geht nun aus Kühne’s*) Versuchen mit unipo- larer Reizung umschriebener Theile der Nerven-Stämmchen hervor, dass schon im Nerven eine Sonderung der Fasern nach den topographischen Bezirken des Muskels statt- findet. Eine vollkommen gleichmässige Vertheilung über die gesammte Breite des Muskelquerschnittes, wie sie nach Gad’s Erörterungen postulirt erscheint, kann in- dessen bei der verhältnissmässig grossen Zahl der von einer Nervenfaser aus zu liefernden Endigungen erst durch die Plexusbildung erreicht werden. Für die Verfolgung der dichotomischen Theilung der einzelnen Nervenfasern innerhalb der Stämmchen erweisen sich die Querschnitt-Präparate nicht günstig, An den quer-verlaufenden Bündeln habe ich solche nicht beob- achtet. Mein Material reicht nicht aus, um festzustellen, ob solche Spaltungen nur in den der Längsrichtung des Muskels folgenden Stämmchen vorkommen — dann würden sie am Querschnitte bei der spitzwinkligen Divergenz der Theiläste nur sehr ausnahmsweise sichtbar sein; es mag auch sein, dass gerade die Augenmuskeln wegen der re- lativ grossen Zahl der Nervenfasern und wegen der darauf beruhenden selteneren Theilung der einzelnen Fasern (wenn dies nicht die grössere Zahl der wahrscheinlich auf eine Faser entfallenden Endapparate ausgleicht) kein günstiges Objekt für das Studium dieser im Uebrigen wohl bekannten *) Kühne, W. Ueber das Verhalten des Muskels zum Nerven. Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg. III. Bd., 8. 21. Bern. Mittheil. 1884. Nr. 1104. en N a Re und z. B. von Kölliker*) wiederholt abgebildeten Ver- ästelung abgeben. Sehr schön lassen sich wiederum die letzten Zweige der Nerven, die zu dem motorischen Endapparate selbst führen, am Querschnitte des Muskels verfolgen. Wieder- holt habe ich Präparate gewonnen, in welchen nicht nur die Endplatte**) im Zusammenhang mit einer mehr oder weniger langen anhängenden Nervenfaser sondern der ganze Verlauf der letzteren bis zu dem sie aussendenden Bündel zu verfolgen war. Zuweilen biegt eine solche Faser rechtwinklig von einem querdurchschnittenen Nerven- bündel ab, um ganz isolirt zu ihrer Muskelfaser zu ge- langen. Die Endfasern können mithin entweder von den in der Längsrichtung des Muskels verlaufenden Stämmchen einzeln abzweigen oder aus allmäliger Verzweigung quer verlaufender Bündel sich entwickeln. Sie können ferner — und es scheint dies das häufigste Verhalten zu sein — in einer zur Längsaxe der Muskel senkrechten oder doch wenigstens in einen merklichen Winkel zu derselben bil- dender Richtung zur Endplatte gelangen (Fig. 2, 4b). Seltener sah ich die Nervenfaser auf eine längere Strecke der Muskelfaser dicht anliegend verlaufen, um schliesslich fast ohne merkliche Anschwellung den Endapparat zu bilden (Fig. 1). *) Kölliker. Gewebelehre, V. Aufl., Fig. 120, 121. *#) Als Endplatte ist in diesem Aufsatze die motorische Nervenendigung in ihrer Gesammtheit bezeichnet, nicht nur die Sohlen-Substanz. Die Bezeichnung als Endhügel glaube ich in diesem Sinne als synonym gebrauchen zu dürfen. Die ge- dräugte Form meiner ersten Mittheilung als Vortrags-Referat möge die, wie ich gerne zugebe, nicht ausreichende Präzisirung des Ausdruckes in derselben entschuldigen, auf welche Bremer (Archiv für mikroskopische Anatomie, Bd. XXI, S. 190) mit im Uebrigen genauer Wiedergabe meiner Auffassung hinge- wiesen hat. Das Aussehen des Endapparates an Querschnitten der Muskelfaser wird sich, da einigermassen dünne Schnitte nur einen kleinen Theil der Endplatte enthalten können, verschieden gestalten, je nachdem der Schnitt die eintretende Nervenfaser selbst, oder mehr oder weni- ger weit von ihr entfernte Stellen abgetragen hat. Im Profilbild erscheint die Endplatte (Fig. 2) als eine drei- eckige, fein granulirte, protoplasmatische Masse, welche mit breiter Basis der contractilen Faser aufsitzt; be- grenzt von einer zarten Hülle, welche nach der einen Seite hin in die Nervenscheide, nach der anderen in das Sarcolemm übergeht. Die Basis der an Kernen reichen Bildung ist von der Muskelfaser durch eine scharfe Grenz- linie geschieden; entlang der quergestreiften Substanz lässt sich das Material der Endplatte mehr oder weniger weit in der Längsrichtung der Faser nach beiden Seiten verfolgen als schmaler Randsaum, in welchem vereinzelte Kerne sichtbar sein können. Es ist mir nicht gelungen, über die Endigung der Nervenfaser in der Endplatte Sicheres zu ermitteln; eine Fortsetzung des Axencylinders dessen Ausbreitung, bezw. Theilung, in ihre protoplasma- tische Masse — von W. Kühne *) neuerdings „Endgeweih“ genannt — leicht zu konstatiren ist, bis zur quergestreiften Substanz habe ich nicht feststellen können. Für die Deu- tung der sogleich zu besprechenden Fortsätze der End- platte in die Muskelsubstanz ergibt sich hieraus insofern eine Lücke, als aus meinen Beobachtungen nicht ent- schieden werden kann, ob jene Fortsätze direkt aus der Substanz des Axencylinders abzuleiten oder ob sie ledig- lich als Ausläufer der protoplasmatischen Substanz der *) Kühne, W. Die Verbindung der Nervenscheiden mit dem Sarcolemm, Zeitschrift für Biologie 1883. S. 501—533. A Endplatte aufzufassen sind. Durch Kühne’s letzte Mit- theilungen *) dürfte diese Frage in dem Sinne der zuletzt vorgetragenen Auffassung erledigt sein. In der Zungen- muskulatur der Eidechse findet man an günstigen Schnitten zuweilen „den mächtigen Nervenhügel fast ganz von der sranulirten Sohlensubstanz und verhältnissmässig wenigen Kernen eingenommen und das Geweih in der Weise auf den Gipfel beschränkt, dass die Unterlage überall mehr einem hohen Sockel, als einer Sohle gleicht.“ An den Querschnitten der von mir untersuchten Muskeln erscheint die Endplatte im Allgemeinen als drei- eckiger Aufsatz auf der runden Scheibe, als welche die Muskelfaser gesehen wird. Dieser Aufsatz ist von un- gleicher Höhe, je nachdem die Mitte der Endplatte mit dem eintretenden Nerven oder ein entfernter Theil der- selben getroffen ist. Indessen ist nicht allein die ungleiche Lage des Schnittes Ursache dieser Ungleichheit. Es scheint, dass auch der physiologische Zustand des Mus- kels von Einfluss ist. Direkte Beweise dafür aus meinen Präparaten kann ich zwar nicht beibringen; dagegen hat Feettinger”*) das verschiedene Aussehen des End- hügels am Insektenmuskel je nach dessen Contractions- Zustand beschrieben. Ich selbst bin durch die auffallende *) Ueber Nervenendigung in den Muskeln, Verhandlungen des naturh.-med. Vereins in Heidelberg. N. F. III. Bd., 3. Heft, S. 240. *#) Feettinger. Sur les Terminaisons des nerfs dans les muscles des insects. Onderz. Physiol. Labor. Utrecht. Deel. V, Afh. 3, VI. Das Original liegt mir nicht vor und eitire ich nach einem vor längerer Zeit angefertigten Auszug. Den Aus- gang der Contractionswelle von der Endplatte hat schon früher Arndt (Archiv für mikrosk. Anat., IX Bd. S. 481 ff.) erwähnt, Thanhoffer (ebenda XXI. Bd., S. 26 ff.) neuerdings ausführlich besprochen. Seltenheit des schematischen Bildes in Präparaten, welche unter den günstigsten Bedingungen entstanden waren, dann aber durch die auffallende Verschiedenheit bei gleich- mässig behandelten Präparaten, wie sie in Fig. 1 und 2 reproduzirt sind, dazu gebracht worden, das Aussehen des motorischen Endapparates als möglicherweise ab- hängig von dem physiologischen Zustande des Muskels im Momente der Einwirkung der Reagentien anzusehen. Neuerdings ist nunmehr Kühne dieser Frage näher ge- treten; die Innervationsfrage wird nach dem Schlusssatze seines zuletzt erschienenen Aufsatzes*) „ausgedehnt wer- den müssen auf die Contractilität der Glia“ (vgl. darüber u. 8. 23), „die in den Nervenhügeln und wo sie sonst in Haufen ungeordnet auftritt, vermuthlich der amöboiden Beweglichkeit nicht entbehrt.* -— Sehr ungleich verhält sich das Aussehen der Endplatte hinsichtlich der Ausdehnung ihrer dem Muskel aufsitzenden Sohlenfläche: die letztere umfasst meistens nur etwa !/,—"/; des Umfanges der Faser; es können aber auch die Hälfte und selbst °/, der letzteren umspannt sein. Da Kühne””) betont, dass bei der Eidechse höchstens '/, der Muskelfasern die Basis der Endplatte bilde, wie dies auch die meisten Beschrei- bungen in gleicher Weise angeben, so können offenbar auch hierin entweder Artverschiedenheiten oder vielleicht Differenzen je nach der Ausgiebigkeit der Innervation der Muskeln zu Grunde liegen. Oft erscheint ferner die Muskelsubstanz am Orte der Endplatte nicht als kreis- förmige Scheibe, sondern verschmälert ***), so dass die *) Verhandlungen des naturhist.-med. Vereins zu Heidel- berg. N.»E. ’IIT.’Bd;,'3. Heft, S. 242. *%), Ebenda S. 224. *##) Krause’s «Nerventhal». Vgl. die Abbildung Fig. 276 in dessen « Allgemeine und mikroskopische Anatomie »; Hannover 1876, S. 494. n. Bär". ee 28 a a ET 1 ne a 2 > u AN Dun‘ I ER A TR ln 3. Lil Substanz der Endplatte nur zum Theil als Hügel vor- springt; dass auch das Umgekehrte — Anordnung der Endplatte bei elliptischem Querschnitt am Ende der grossen Axe — vorkommt, wie Kühne hervorhebt, kann ich bestätigen. Eckige Fasern, an welchen eine Kante die Endplatte trägt, habe ich nicht beobachtet; die Fasern der Augenmuskeln liegen nicht so gedrängt als ander- wärts (z. B. im M. sternohyoideus des Menschen) und mag die Seltenheit polygonaler Formen davon abhängen. Die Nervenfaser tritt, wie schon erwähnt (s. o. S. 10), in verschiedener Weise an die Muskelfaser heran. Kühne hat dies genauer besprochen *); den von ihm besprochenen Bildern, welche gegen die Artefact-Natur des Endhügels zu verwerthen sind, kann ich ein weiteres anfügen: es verläuft ein Nerv, nachdem er von der Seite her die Muskelfaser erreicht hat, im Bogen um die Endplatte, dicht an ihr entlang, ehe er in sie umbiegt. Die meisten Endhügel zeigen an meinen Präparaten deutlich eine oberflächliche, das Nervengeweih enthaltende blasse und eine tiefe dunkle Schicht. An vielen Präpa- raten gehen von der letzteren körnige Fortsätze ab, welche die scharfe Abgrenzung zwischen Endhügel und Muskel- substanz unterbrechend in die letztere eindringen und hier in abnehmender Stärke sich verzweigen, zuweilen durch Ausläufer sich verbinden und so die Scheibe in schmale Felder zerlegen. Allerdings sieht man dies nicht an allen Präparaten. Es kann die Endplatte jeder Differenzirung im Goldpräparat entbehren, ebenso auch der Muskelquer- schnitt, vielleicht allerdings nur wegen ungenügender Ein- wirkung der Reagentien. Man erhält aber auch, wenn *) Verhandlungen des naturhist.-med. Vereins zu Heidel- berg.’ N. E) TI BA;,S. 226, nn u . - k a N oe auch nur vereinzelt, Präparate, an welchen ein schmaler freier Raum zwischen Muskel und Endplatte existirt, während die scharfe Abgrenzung des Muskels einerseits, der Platten-Sohle andererseits jede Andeutung etwa ab- gerissener Fortsätze der Sohlen-Substanz vermissen lässt. Die Möglichkeit, dass gleichwohl ein Zusammenhang be- standen habe, dass vielleicht nur in der dünnen, im Schnitte enthaltenen Scheibe Sohlen-Fortsätze nicht getroffen sind, so dass die Trennung der Sohle von der Muskel-Substanz leichter erfolgen konnte, willich nicht ausschliessen. Zu- nächst aber lassen solche Bilder noch die Möglichkeit verschiedener Formen der Nervenendigung zu, allerdings wohl nur unter der Annahme, dass dieselben physiologisch nicht gleichartig sein könnten. Jedenfalls erklären gerade solche Bilder, dass noch immer ein Forscher auf diesem Gebiete. W. Krause”), die Lage der Endplatte unter dem Sarcolemm bestreitet und darin auf Grund der früheren Mittheilungen von Kölliker**) wenigstens in der letzten Auflage von dessen Handbuch unterstützt wird. Es be- dürfen diese Beobachtungen noch der genaueren Prüfung, ehe die Annahme, dass es sich ausschliesslich um Arte- facte handle, als die einzig mögliche erklärt wird. Ehe ich auf die Bedeutung des beschriebenen Ein- dringens protoplasmatischer Fortsätze der Plattensohle in die Muskelsubstanz eingehe, ist es nöthig, auch auf das Aussehen des Muskelquerschnittes an von der End- platte entlegenen Stellen einzugehen; es lässt sich an denselben leichter kontroliren, was von den mannigfaltigen Bildern, die uns die Goldmethode hier ebenso wie an den *) Krause, W. Allgemeine und mikroskopische Anatomie. Kapitel motorische Endplatten, S. 487. *%) Kölliker, A. Handbuch der Gewebelehre, 5. Aufl., S. 172 (1867). BR) Ui Eintrittsstellen der Nerven liefert, auf Rechnung der un- gleichen Wirkung der Reagentien und was auf den physio- logischen Zustand der imprägnirten Fasern zurückzuführen ist. Das langsame und ungleichmässige Vordringen der Goldlösung hat eine verschiedene Intensität der Färbung in den oberflächlichen und in den tiefen Schichten der in grösseren Stücken imprägnirten Präparate zur Folge. Oft zeigt sich dies sogar an den einzelnen Faser-Quer- schnitten: grössere Flächen zeigen jeweilen nur die eine stets gleichgerichtete Seite der Fasern gefärbt, die an- dere farblos oder blass; in letzterem Falle können, da die beiden ungleich tingirten Gebiete einer Faser fast unvermittelt an einander grenzen, Täuschungen — die allerdings leicht zu vermeiden sind — vorkommen. Ein anderer Unterschied in der Intensität der Färbung scheint hingegen auf Verschiedenheiten im Gefüge der Fasern selbst zu beruhen. Bekanntlich sind die Fasern eines Muskels nicht von gleicher Dicke: innerhalb sonst gleich- mässig imprägnirter Stellen sind aber stets die feineren Fasern etwas dunkler gefärbt. Nach Grützner’s*) Unter- suchungen, durch welche die schon früher bekannten **) aber nicht genügend gewürdigten Structurverschieden- heiten der Muskeln eine physiologische Erklärung ge- wonnen haben, zweifle ich nicht, dass das ungleiche Aus- sehen beider Faser-Arten in unseren Goldpräparaten mit den bei einfacheren Untersuchungsmethoden wahrnehm- baren Differenzen coincidirt. — Die Färbung der Prä- parate zeigt aber auch wesentliche qualitative Verschieden- heiten: es finden sich alle Uebergänge von rosa durch #*) Grützner, P. Zur Anatomie und Physiologie der quer- gestreiften Muskeln. Recueil zool. suisse I, S. 665 ff. **) Vgl.u. A. Kölliker. Gewebelehre, 5. Auflage, S. 157. — Krause, W. Anatomie des Kaninchens, 2, Aufl. S. 49—51. 17 _purpurroth und violett zu fast reinem Himmelblau. Mit diesen Verschiedenheiten der Farbe fällt aber eine Dif- ferenz in dem Aussehen des Querschnittbildes zusammen, _ welche uns darauf hinweist, dass hier die morphologischen - oder physiologischen Verhältnisse des Muskels und nicht - die Art der Imprägnation allein massgebend ist. Es sind im Wesentlichen zwei Bilder, welche sich gegenüber stehen. Das eine, am schönsten und häufigsten in violett gefärbten - Gebieten, zeigt in dem Muskelquerschnitte dunkele Punkte in hellem Grunde, das andere, in den rothen und roth- _ violetten Stellen vorwiegend (blassrothe Färbung lässt _ keines dieser Bilder deutlich werden, während die Quer- - streifung hier am schönsten hervortritt), zeigt netzförmig angeordnete dunkele Züge, ganz ebenso, wie wir sie von der Endplatte ausgehen sahen. Oft hängen dieselben mit einer halbmondförmig als schmaler Saum die Muskel- faser umgreifenden, unter dem Sarcolemm gelegenen - Randzone zusammen. Es scheint mir, dass man nicht be- ; rechtigt ist, ohne direkten Beweis im einzelnen Falle aus - der Verschiedenartigkeit der Bilder, welche eine Substanz liefert, auf die Artefact-Natur des einen oder andern der- 5 selben zu schliessen. Ich habe an einem ganz anderen Objekt, am Hyalinknorpel*), versucht, die Summe der bekannten Bilder, die gerade dort eine fast unerreichte ' Mannigfaltigkeit zeigen, aus der Structur der Grundsub- - stanz und den Beziehungen des Protoplasma zu derselben zu erklären, und es ist, wie ich glaube, dieser Versuch x von günstigem Erfolg gewesen, insofern er manche Auf- schlüsse über die Ernährungsweise im Knorpel geliefert E hat. Die verschiedenen Bilder, welche die Muskelfaser B *) Untersuchungen über die Grundsubstanz des hyalinen _ Knorpels. Würzburg, Stuber’s Verlag 1880. Bern. Mittheil. 1884. Nr. 1105. NR zeigt, hat neuerdings Bremer *) zum Theil auf genetische Vorgänge zurückführen wollen. Da ich nicht in der Lage bin, zur Zeit seine Untersuchungen zu wiederholen, so muss ich unterlassen, dieselben hier zu verfolgen; es scheint mir aber in der That Vieles dafür zu sprechen, dass das Entwicklungsstadium der Fasern von wesent- lichem Einfluss auf das Aussehen des Goldbildes ist. Nur so viel sei hier betont, dass die in dem ersten der beiden Bilder sichtbaren Punkte offenbar die „mittelständigen Punkte Bremer’s**) sind. Bremer selbst hebt indessen mit Recht hervor ***), dass auch der Contractionszustand der Muskelfaser zu der Zeit, in welcher dieselbe zur Be- handlung mit Reagentien kommt, eine Rolle spiele. Aus- führlicher noch hat Gerlach T) schon früher diesen Punkt bebandelt; er weist darauf hin, dass weder der ganz frische, noch der schon abgestorbene Muskel günstige Bilder liefere, ist indessen nicht im Stande, genau den günstigen Moment für die Goldeinwirkung zu bestimmen. Ich glaube in Bezug auf die beiden beschriebenen Gegen- sätze in den mir vorliegenden Präparaten dem Stadium des Absterbens die wesentliche Bedeutung beilegen zu müssen. Es sind immer grössere Bezirke jeweilen gleich- mässig tingirt, in welchen ganz unabhängig von der Stärke der Fasern immer das nämliche Bild erscheint. An con- trolirenden Längsschnitten kann man sich ferner über- *) Bremer, L. Ueber die Muskelspindeln nebst Bemerkungen über Structur, Neubildung und Innervation der quergestreiften Muskelfaser. Archiv für mikrosk. Anat. XXI. Bd. 8. 318. #3 132. 16.08..928, u) OD ES ER E +) Gerlach, L. Das Verhältniss der Nerven zu den willkür- lichen Muskeln der Wirbelthiere. Leipzig, Vogel’s Verlag, 1874, Sa 5 EL, _ zeugen, dass dieselbe Faser an einer Stelle das eine, an _ einer anderen das andere Bild zeigt. Handelte es sich _ um verschiedene Entwicklungsstadien früher und später _ entstandener Fasern, so würde man doch wohl nicht auf - grösseren Feldern dasselbe Bild antreffen, sondern immer beide Formen neben einander. Die Erfahrung, dass to- _ pographisch zusammengehörige Gebiete im Querschnitte gleiche Goldwirkung zeigen, steht dagegen mit der An- nahme, dass hier das gleiche Stadium des Absterbens _ vorliege, ganz gut im Einklang. Dass derselbe Stoff sich ganz anders in lebenden, als in todten Organen verhält, _ ist aus den Erfahrungen der verschiedenartigsten Im- prägnationsmethoden, der Silber-Behandlung, der Erzeu- - gung von Berlinerblau in mit Eisenlösungen durchtränkten - Organen, der Indigo-Injection u. A. m. hinlänglich bekannt. So bliebe nur noch die Frage, welches von den beiden Bildern die im Leben bestehenden Verhältnisse am besten zum Ausdrucke bringt. Ich denke, keines von beiden kann in dieser Hinsicht anders verwerthet werden, als mit der Erwägung, dass, soweit nicht die direkte Beobachtung am überlebenden Präparat als Controle gedient hat, die ge- fundenen Bilder sich wohl von im Leben vorhandenen Structurverhältnissen ableiten lassen, nicht aber diese selbst reproduziren. Aus dem Befunde der Goldimpräg- nation in einer gewissen regelmässigen Anordnung können wir nur entnehmen, dass zur Zeit der Präparation die sich färbenden Substanzen jener Anordnung folgten; im Leben oder im absolut frischen Präparat mögen dieselben ganz anders vertheilt gewesen sein; die gefundene An- ordnung kann vielleicht nur dadurch eine regelmässige sein, dass der Aufbau der untersuchten Organe, sei es ‘der eindringenden Goldlösung selbst, sei es den den Ort wechselnden (vielleicht den von einer Bindung an be- Re stimmte Elementartheile sich in diffuse Vertheilung bege- benden) Bestandtheilen der Organe den Weg vorzeichnet. Ein grobes Beispiel für die letztere Möglichkeit, dass eine im frischen Präparat in circumscripter Anhäufung vor- handene Substanz während der Beobachtung in diffuse Vertheilung übergeht, bietet die Untersuchung auf Gly- cogen, beispielsweise in den Rippenknorpeln; aus der Histochemie der Muskeln selbst lässt sich ein Aehnliches anführen aus Grützner’s *”) schon citirten Untersuchungen: die Jodreaction der dunkleren Fasern verliert sich unter dem Auge des Beobachters, indem die sich färbende Sub- stanz in die umgebende Flüssigkeit diffundirt. Andererseits habe ich bei dem Knorpel gezeigt”*), wie das Silber-Bild ganz direkt von der Art des Eindringens der Silberlösung abhängig gemacht werden kann. Aus den beschriebenen Bildern des Muskel-Durch- schnittes entnehmen wir, dass je nach den Verhältnissen der Präparation, wahrscheinlich namentlich in Abhängig- keit von verschiedenen Phasen des Absterbens die Gold- reaction an verschiedenartigen Structur-Elementen auf- tritt. Unter günstigen Umständen, wie sie gerade ein bestimmter Zeitraum zu bedingen scheint, sind es die Platten-Sohle und mit dieser zusammenhängende Gebilde, die protoplasmatischen Streifen, welche wir von ihr aus in die Muskelsubstanz vordringen sahen. Letztere aber sind nach den Beobachtungen an controlirenden Längs- schnitten, Zupfpräparaten und Schrägschnitten in direktem Zusammenhang mit den an die Muskelkerne sich an- schliessenden Protoplasma-Zügen. Wir haben gesehen, *) Recueil zool. suisse. I. S. 672. **) Untersuchungen über die Grundsubstanz des hyalinen Knorpels. Würzburg, Stuber’s Verlag. Tafel I, Fig. 1—3, Tafel IV. Fig: % A apa dass die Plattensohle sich als Randprotoplasma stellen- weise ziemlich weit entlang der Muskelfaser verfolgen lässt; am Querschnitte sieht man in solchen Fällen einen schmalen Saum dunkler, gefärbter Substanz, der ebenfalls mit den erwähnten Protoplasma-Zügen zusammenhängt. Auffallend sind aber kleine Querschnitte, welche diesen Saum manchmal bis zum vollständigen Ring ausgebildet zeigen; ob es sich um junge Fasern, ob um die spitz zulaufenden Enden ausgebildeter Fasern handelt, kann ich mangels genügenden Materiales nicht entscheiden. Es ist mir nicht möglich, hier auf die Beziehungen, welche unsere Beobachtungen am menschlichen Muskel zu den Ergebnissen der Arndt’schen”) Untersuchungen am Arthropoden-Muskel, sowie zu Bremer’s”*) entwicklungs- geschichtlichen Erfahrungen bieten, einzugehen; Mangel an eigener Controle des bezüglichen Materiales und Ueber- häufung mit anderen Arbeiten zwingen mich, davon abzu- sehen. Es sei mir daher gestattet, nur das auf die mo- torische Nervenendigung direkt Bezügliche zu resumiren: Das wesentliche Ergebniss der mitgetheilten Beobach- tungen sehen wir darin, dass aus denselben eine direkte Continuität der einen der im Aufbau der Muskelfaser enthaltenen Substanzen, welche in den interstitiellen Pro- toplasma-Zügen in etwas grösserer Anhäufung auftritt, mit der Materie der Endplatte hervorgeht. Letztere, spe- ziell ihre protoplasmatische Sohle mit ihrer mehr oder weniger weit der quergestreiften Substanz als Randproto- *) Arndt. Untersuchungen über die Endigung der Nerven in den quergestreiften Muskelfasern. Archiv für mikrosk. Anat. IX, S. 481 ff. *%) Bremer. Ueber die Muskelspindeln nebst Bemerkungen über Struktur, Neubildung und Innervation der quergestreiften Muskeln. Archiv für mikrosk. Anat. XXI. Bd., S. 218. It KETTE N 5 “ plasma sich anschliessenden Ausbreitung ist der Träger des durch Vermittlung des eintretenden Nerven auf die Muskelfaser übertragenen Erregungs-Vorganges. Mit Recht hat in der bei Gelegenheit der Freiburger Naturforscher- Versammlung sich an die Demonstration der diesen Mit- theilungen beigefügten Zeichnungen anschliessenden Dis kussion Herr Prof. Fritsch aus Berlin betont, dass die Verlegung des Ortes, an welchem leitende Nerven-Substanz aufhört und erregbare contractile Substanz anfängt, aus der quergestreiften Muskelfaser in die protoplasmatische Materie der Endplatte eine neue Schwierigkeit nicht mit sich bringt. Das Wesentliche der bei der Umsetzung der Nerven-Erregung in Muskel-Contraction ablaufenden Pro- zesse, ein Vorgang molecularer Wechselwirkungen, wel- cher sich der sinnlichen Wahrnehmung im mikroskopischen Bilde entzieht, wird durch diese Aenderung des Ortes nicht berührt. Wir befinden uns in voller Uebereinstim- mung mit Kühne’s Auffassung, wonach die Sohlen-Substanz, „nachdem sie sich in vielen Fasern der Zunge als die ein- zige Brücke“ des Ueberganges der Erregung vom Nerven zum Muskel dargestellt hat, „als ein erregbares Glied des Gesammtwesens, das wir Muskel oder contractile Substanz nennen, anzusehen ist“ *). Auch in der histologischen Deu- tung der Sohlensubstanz besteht volle Uebereinstimmung zwischen Kühne’s Anschauungen und den meinigen. Letz- tere fanden sich in dem im Eingange dieser Mittheilung erwähnten im Mai 1880 gehaltenen Vortrag”*) in folgen- der Weise präzisirt: „Der Zusammenhang der Nerven mit der Muskelfaser wäre danach durch den Uebergang *), Verhandluugen des naturhist.-mediz. Vereins zu Heidel- berg. -N=.B; II. Bd., (3... Heft, 8.9240: **) Sitzungsberichte der phys.-mediz. Gesellschaft zu Würz- burg. 1880, S. XXXVI. Ba 1 Sa der Endplatte in die protoplasmatische Randschicht und und deren Zusammenhang mit den interstitiellen Körn- chenreihen, beziehungsweise dem die Muskelkerne umgeben- den Protoplasma vermittelt.“ Ausdrücklich ist dies noch in dem Referat durch den Zusatz ergänzt, dass Quer- schnitte „mit Sicherheit den Zusammenhang der die (Cohnheim’schen) Felder darstellenden Linien mit dem Protoplasma der Endplatte* zeigen. Weiter ist dort auch hervorgehoben, dass auch für das von interstitiellen Körn- chen freie Querbindemittel der Muskelfibrillen eine Con- tinuität mit der körnigen Zellensubstanz — 1. e. der kör- nigen Protoplasma-Masse der Endplaite — anzunehmin ist. In ähnlicher Weise, wie ich dies an einer andern Stelle*) für die Grundsubstanz des hyalinen Knorpels ausgeführt habe, muss angenommen werden, dass die kör- nigen Elemente (besser der die Granulirung des Proto- plasma bedingende Antheil) der Zellensubstanz, das Polio- plasma, nicht so weit verfolgt werden kann, als die homo- gene Materie, das Hyalo- oder Paraplasma, sich erstreckt. Letzteres erscheint darum nicht weniger als ein integriren- der Bestandtheil der Zellsubstanz, weil es seiner optischen Eigenschaften wegen durch direkte Beobachtung nur aus- nahmsweise und in den Geweben meist nur nach besonderer Vorbereitung nachgewiesen werden kann. — Kühne’s Auf- fassung der Muskelstruktur ist im Wesertlichen folgende: Die Muskelfaser besteht aus zwei Bestandtheilen, nämlich aus einer in der Querstreifung gegebenen Rhabdia und aus einer die Kerne und das zugehörige feinkörnige Protoplas- ma begreifenden Sarkoglia. Letztere ist Bestandtheil des Muskels und nicht des Nerven. Die Innervationsfrage *) Flesch, M. Untersuchungen über die Grundsubstanz des hyalinen Knorpels.. Würzburg, A. Stuber’s Verlag. 99. S. V Tafeln. S. 85. hat künftig nicht die Erregung der Rhabdia durch die 1 Glia, sondern die der letzteren durch das Geweih in’s Auge \° zu fassen. { Bezüglich des Aufbaues der Muskelfaser aus deren charakteristischen, die Querstreifung tragenden Elementen ° und einer diese verbindenden, in den Grenzlinien der Oohnheim’schen Felder durch die Körnelung leicht nach- weisbaren Substanz schliessen sich die beiden hier vor- getragenen unter sich, wie ich glaube, vollkommen über- einstimmenden Auffassungen an die seit Langem schon von Kölliker*) vertretene Darstellung an. Die von Kühne **) schon 1869 hypothetisch vorgetragene An- schauung, dass die Plattensohle Reste eines für die Ent- wickelung des Muskelgewebes wichtigen Bildungsmateriales darstelle ist nunmehr durch die von mir am Querschnitte gelieferte Demonstration ihres Zusammenhanges mit dem interstitiellen Protoplasma — Kühne’s Sarkoglia — für den ausgebildeten Muskel des Menschen sicher gestellt. Endlich ist durch Kühne’s Nachweis der Endigung des Muskelnervens im Geweih über dem Sohlenprotoplasma letzteres als wahrer Träger der Erregung konstatirt. na 2 ee RE *), Kölliker, A. Handbuch der Gewebelehre.. V. Auflage, Leipzig, 1867, 8. 153. *#) Kühne, W. Nerv- und Muskelfaser. In Stricker’s Hand- buch der Lehre von den Geweben. I. Bd., S. 165. None Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Muskelfaser mit Nervenendigung aus dem M. Tensor Tympani des Menschen. Die Querstreifung ist nur theilweise ausgeführt. Verlauf des Nerven entlang der Muskelfaser. Flache Ausbreitung derselben ohne Erhebung. Fig. 2. Muskelfaser mit Nervenendigung aus dem M. Tensor Tympani des Menschen. Sehr schöne Endplatte mit Verzwei- gung des Axencylinders in deren Protoplasma, Fig. 3. Aus einem Querschnitt eines Augenmuskels des Menschen. 4 Muskelfasern sind von mehreren Nervenstämmchen in geschlossenem Kreis umgeben; ein schwach gefärbtes Nerven- bündel (x) sendet eine Faser gegen das Muskelbündel hin, welche sich anscheinend dem es umspinnenden Plexus zugesellt, Fig. 4 a—d. Querschnitte von Muskelfasern mit Nerven- enden. a. Kerne der Endplatte, 5. Eintretende Nervenfaser (x); Fortsätze der Sohlensubstanz in die Muskelfaser. c. Kerne der Endplatte und der mit ihr zusammenhängenden zwischen Sar- colemm und Muskelfaser gelegenen Protoplasma-Masse. d. Kerne der Endplattensubstanz, deren scharfe Abgrenzung gegen die Muskelsubstanz hier besonders deutlich ist; bei x Sarcolemm-Kern. Fig. 1—4. Mit Seibert. Syst. VII Wasserimmersion ge- zeichnet. Fig. 5. Querschnitt aus einem Augenmuskel des Menschen. Die dunkelen Striche und Punkte entsprechen den vergoldeten Nerven. Bei x ringförmige Umschliessung von Muskelbündeln. Hartnack II. Oc. III. eingeschobener Tubus. Sämmtliche Figuren sind nach Goldpräparaten, Fig. 5 von Hrn. Rabus, Zeichner der anatomischen Anstalt in Würzburg, gezeichnet. Bern. Mittheil. 1884. Nr. 1106. 2 A. Baltzer., Ueber ein Lössvorkommen im Kanton Bern. Eingereicht den 20. April 1885. Bisher kannten wir im Kanton Bern den Löss nicht, erst in jüngster Zeit gelang es Herrn v. Fellenberg und mir, diese interessante Bildung an weit von einander ent- fernten Punkten nachzuweisen. Die von mir entdeckte Stelle ist ausgezeichnet durch das Vorkommen einer ziemlich reichen Schneckenfauna. Sie findet sich 5 Minuten nordwestlich von Schloss Wyl, zwischen der Mühle und dem Kummergut, nördlich des Strässchens. Wandert man von der Station Worb auf Feldwegen über Rychigen und die Säge nach obiger Stelle, so findet man auch hier, wie meist bei uns, das Relief durch sanft- gerundete Hügel bedingt, welche häufig Moränenreste darstellen, ja von der Säge ab sogar an die ven Davis beschriebenen längsgestreckten „Drumlins“ von Massachu- setts, Conneticut, New-York etc. erinnern. Ein breiter, alter Thalboden, in welchem jetzt das unbedeutende Worblenbächlein fliesst, sagt uns, dass ein diluvialer Flusslauf einst über Worb, Stettlen nach Worb- laufen zu sich erstreckte. Hier und da bemerken wir grössere torferfüllte, alte Seebecken (Thalimoos, Vechigen- moos, Stettlenmoos). Sie verdanken wohl weniger einer eigentlichen Auswaschung, als vielmehr der zeitweiligen Stauung durch Moränenschutt ihre Entstehung. Abwärts von Stettlen tritt auch Gletscherchliff auf. Br agb Knie Sa Zei Bene a ee j EI m N en er ne Eu u Ze u BER 1 Die Unsere Lössablagerung liegt bei 710 m Meereshöhe (Bern, beim Münster 539 m) im künstlichen Anschnitt eines sanften Hügels; man erzeugt aus dem Löss eine geringe Sorte Backstein. Das Profil von unten nach oben ist folgendes: 4° Ackererde, mit Geröllen. 3° Erratischer Schutt mit eckigen Blöcken (Jura- und Kreidekalke, ein Quarzit aus der bunten Nagelfluh mit grauem und rothem Quarz und grünen Glimmer- punkten, grauer Marmor, Niesensandstein etc.). 1‘ Lockere, weisse, etwas tuffartige, weniger thonige Masse. 9° Grauer, thonigsandiger Löss, kalkhaltig, mit vielen kleinen, weissen Kalkkonkretionen (Lössmännchen), vielen Schnecken, auch Pflanzenresten (dünne Wurzel- stückchen, nach Hrn. Prof. Fischer wahrscheinlich von einem Laubholz herrührend). Hin und wieder kleine dunkle Thon- und Sandsteinfragmente. 1'/,‘ weisser, thonigsandiger Löss mit weniger meist zer- trümmerten Schnecken und Wurzelstückchen. Fauna von der der höhern Schicht nicht wesentlich ver- schieden. 1/,‘ grauer Löss. 6° weisser Löss, nach unten sandiger, mit zwei rostfarbi- gen, Pflanzenreste führenden Tufflagen, sonst wie oben. Liegendes nicht aufgeschlossen. Auf dem Schutt liegen noch verschiedene erratische Gesteine, wohl aus der zweitobersten Schicht stammend, die übrigens nur an der Nordseite der Grube gut entwickelt ist, darunter ein schöner Serpentin. 20° von der Löss- grube südlich befindet sich am Weg ein Granitblock. BERN) SE Eine Schichtung wird nur durch den Wechsel des Materials bedingt, durchgehend feine Stratification wie am Löss von Kosthofen findet sich hier nicht. Der ganze Complex ist mehr oder weniger durchfeuchtet. Die Bestimmung der Schnecken, der sich Hr. Prof. Mousson in Zürich gütigst unterzog, ergab die folgende Liste: Helix pomatia Lin., kleine Bergform; wie in der jetzigen Epoche bei Bergün und im Engadin. arbustorum var. montana und alpicola, erstere bei 4—5000, letztere bei 6000° und mehr. obvoluta M., kleiner als die Normalform. personata Lam., ebenfalls kleiner wie im Tiefland. fruticum M., im Waldgebüsch. „ eircinnata Stud. ? villosa Drap., in Waldungen bis 6000‘. „ glabella Hartm., kleine Form, bezeichnend für die Schweiz. „ . hortensis M., die kleine Waldform. „ sylvatica Drap., steigt hoch hinauf. Patula ruderata Studer, charakteristisch für Höhenlagen von 5—6000‘. Hyalina nitidula Drap., in feuchtem Schatten. Succinea Pfeifferi Rssm., in feuchtem Gras. b; obtusa Drap, relativ klein, in feuchtem Gebüsch. 5 oblonga Drp. „Es sind“, so schreibt Hr. Mousson, „alles jetzt in der Schweiz lebende Arten, doch abweichend von denen des Tieflandes. Sie weisen auf ein Klima, wie jetzt bei 5—7000‘°. Ich würde sie unbedingt in die Gletscherzeit verweisen *).“ eng Nach allem Gesagten können wir uns von der Ent- stehung dieser lössartigen Bildung folgende Vorstellung machen: In einem Abschnitt der Gletscherzeit, wo der Aargletscher Wyl nicht erreichte,, lief ein Flussarm in dieser Gegend, der in einer seitlichen, ruhigen Bucht oder Lagune bald weisslichen, bald von organischen Sub- stanzen graulichen Schlamm absetzte.e. Eine Unzahl von Landschnecken, wie sie z. Th. an feuchten, waldigen Fluss- ufern leben, wurden (viele mit zerbrochener Schale) nach und nach eingeschwemmt und zusammen mit dem Schlamm abgelagert, desgleichen Wurzelstückchen. Gröberes Ma- terial, Kies, gelangte nicht zur Ablagerung. Später rückte der Gletscher vor und bedeckte den Löss mit erratischem Schutt. Letzterer ist also hier eine rein fluviatile Bildung. Der nächste Lössfundort befindet sich nach Mühlberg bei Aarau, wo diese Bildung auf den oberen Terrassen der Aare (nicht auf der untersten) dem Terrassenkies aufliegt, Unser bernische Löss ist also wohl älter. Durch ihn ist die Reihe unserer heimischen Diluvial- bildungen wieder um ein bisher unbekanntes Glied ver- mehrt. Nachschrift. Während des Druckes dieser Zeilen gelang es mir, noch eine weitere lössartige Bildung mit Lössmännchen und Schnecken bei Kehrsatz aufzufinden, worüber später Näheres berichtet werden soll. A a. A an) A A. Baltzer. Die weissen Bänder und der Marmor im Gadmenthal. Eingereicht den 25. April 1885. Wer das prächtige Gadmenthal durchwanderte, dem sind auch die „weissen Bänder“ bekannt, jene vom Fuss der Gadmerflüh hellfarbig herunterleuchtenden, bald ein- fach, bald mehrfach auftretenden Dolomitstreifen. Sie ge- hören den Zwischenbildungen an (zwischen Gneiss und Kalk eingeschaltete, ganz dünne Lagen von 1) Verrucano und Sandstein, 2) Dolomit, 3) schwarzen Liasschiefern, 4) petrefaktenführendem Dogger). Auffällig treten sie beim „Spreitgraben“ viermal über- einander auf. Wie kommt das? Nachdem ich früher eine complicirte Doppelschlinge an- nahm *), merkte ich bei späterem Besuch des Thales, dass die Verhältnisse einfacher liegen, nämlich so, wie bei- stehendes Querprofil es veranschaulicht. Die Zwischenbildungen (1, 2, 3, 4) formiren mehrere kleine Fältchen im Gneiss. Die Umbiegungen der letzteren sind im Berg versteckt. Wir sehen sie im Querprofil, in der Natur dagegen bemerkt man nur die weithin an der Bergflanke ausstreichenden Schichtenköpfe. Natürlich muss demnach die Dolomitbank (2) viermal übereinander auf- treten. *) Beiträge zur geol. Karte der Schweiz, 20. Lfg., pag. 142, u Zr ua een n: Er ara EEE EBENE: L ar, Zur _ I IV /TZ ef fl Ba r LE 7 fs Ar Die „Mittelschenkel“ dieser Fältchen sind nun aber jeweilig verquetscht, eine häufige Erscheinung, die von Heim *) mechanisch erklärt worden ist. In Folge dessen wiederholen sich die einzelnen Schichtabtheilungen von unten nach oben meist in der Reihenfolge 1, 2, 3, 4. Eigenthümlich ist es, dass sogar der Gneiss sich an der Faltung betheiligt, indem er, durch Erosion entblösst, östlich vom Spreitgraben beidseitig von Zwischenbildungen umgeben zu Tage tritt. Er ist transversal geschiefert, auch verworren geschichtet oder granitisch gequetscht. Fältelungen ähnlicher Art finden sich 3 km weiter - östlich unter „Schwarzenberg“ und den «rothen Nollen». | Hier sind z. Th. die Zwischenbildungen auf den Kopf ge- stellt und überkippt, was in unserm zusammenfassenden Idealprofil bei a durch eine punktirte Linie angedeutet ist. *) Mechanismus der Gebirgsbildung. Rh RE Ja auch im Westen gelang es mir in neuerer Zeit bei Vorsass eine ganz im Gneiss versteckte Folge der Zwischen- bildungen nachzuweisen. Sie besteht von unten nach oben aus Verrucano, sericitischem Sandstein, Dolomit, rothen, gefleckten und grünen, von den Schnitzlern verwendeten Wetzschiefern (? Quartenerschiefer); sandigem Kalk und Thonschiefer (? Lias), späthigem Kalkschiefer und gewöhn- lichem Kalkschiefer. Klar ist somit, dass die geschilderten Longitudinal- fältelungen eine Strecke von 5 km beherrschen. Die glei- chen Erscheinungen treten im Erstfelderthal auf, sind demnach für die Contaktlinie charakteristisch *). Wie kommt es aber, dass streckenweise die Zwischen- bildungen nur einfach aufzutreten scheinen ? Darüber giebt in unserm Querprofil die Linie A B eine Erklärung. Sie soll veranschaulichen, dass in gewissen Profilen die untern Fältchen, weil sie nicht tief in den Berg eindringen, durch die Erosion entfernt werden konnten und somit in einem nach AB geführten Querschnitt gar nicht mehr in die Er- scheinung treten. Zum Theil mögen auch die Kalkstreifen bei der Gebirgsbildung mechanisch auseinander gerissen worden sein. Der oben angedeutete Charakterzug der Tektonik, wo- nach die jüngeren Sedimente in Form von später durch die Erosion isolirten Falten und Fältchen in den Gneiss ein- dringen, hat selbst für die Technik etwelche Bedeutung. Vielfach nämlich wurde bei diesem Prozess der Kalk in Mar- mor verwandelt”*). Bekannt sind die 3 isolirt im Gneiss auf- tretenden Marmorstreifen der Schaftelen, zwischen Gadmen und Nessenthal (die Fortsetzung des Pfaffenkopfkalkkeils). *) Transversalfältchen sind selten (Jäggigrätli am Metten- berg). *%) Vergl. oben citirte Beiträge pag. 51. ; h | vi { E b u ri a TE nr ie nee dl Ze I ee I m ne SETS Be Nach langem Unterbruch wird dieser weisse Marmor jetzt wieder für Bildhauerzwecke ausgebeutet; die alte Marmor- säge „unter der Fluh“ beim Triftwasser soll wieder auf- erstehen; ja ein unternehmendes St. Gallergeschäft will sogar den im Schlund des Triftwassers anstehenden (auf meiner geologischen Karte des Contaktgebietes verzeich- neten) Streifen in Angriff nehmen. Das ist freilich eine wilde Stelle, bei der man an den Taucher von Schiller er- innert wird. Bisher noch nicht bekannt waren zwei Marmorvor- kommnisse dortiger Gegend beim Feldmooshubel (Susten- pass), deren eine dicht neben (nördlich) der Strasse liegt. Sie sind wohl die Fortsetzung derer von Schaftelen. Seri- ceitische Schiefer und Gneisse, wahrscheinlich das Aequi- valent der Quarzphyllite der Ostalpen (? Silur), begleiten sie. In ihrem Streichen treten, beim Vorbettlihorn und Vorder- Uratstock, schwarze, knotige Schiefer auf, die ich als Anthra- citschiefer zu betrachten geneigt bin (Pflanzen fanden sich freilich noch nicht) und die mit jenen Anthracitschiefern zu- sammenhängen mögen, die ich schon früher am Wenden- passe am Uebergang nach Engelberg fand. — Identische schwarze Schiefer kommen in Verbindung mit sericitischen- und Hornblende-Gesteinen am Triftgletscher bei der Thälti- hütte vor. Alles in Allem ist das Gadmenthal geologisch hoch- interessant durch seine Lagerungsverhältnisse, seine Mar- mor- und Wetzschiefervorkommnisse (letztere ihm ganz ei- genthümlich), seine eocenen Braunkohlen und Nummuliten- sandsteine auf der Höhe der Gadmer Flüh. Selten wird man das Thälchen besuchen, ohne etwas Neues zu finden. nnnnnnnnnKknns Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1107. Dad 01 U An OO EEE + a a a a 7 “ Preon a N An! I a Tee N PA. 1% Ali Kr KV NN £ wir on Buß, Kae r Aare). Hr, N u N Ex u 2 Dr. Edmund von Fellenberg. Ueber Vorkommen von Löss im Kanton Bern. Theilweise vorgetragen in der Sitzung vom 8. November 1884. (Seither vervollständigt.) Der Löss (Lehm), der nach Zirkel „wesentlich als ein Thon betrachtet wird, der durch sehr feinen Quarzsand, auch wohl durch kohlensauren Kalk verunreinigt, meist durch Eisenoxydhydrat mehr oder weniger gelblich ge- färbt und öfter von Glimmerblättchen durchsetzt ist“, be- deckt in vielen Flussgebieten Europa’s weite Thalstrecken und erreicht eine Mächtigkeit von vielen Metern. Am grossartigsten ist der Löss bekanntlich in China ent- wickelt, woselbst er sich über Tausende von Quadrat- meilen mit einer Mächtigkeit von vielen hundert Metern erstreckt. In den durch Erosion der grossen chine- sischen Ströme gebildeten Steilwänden des zähen pla- stischen Lösses sind vielfach ganze Dörfer unterirdisch eingeschnitten und bilden Troglodytenwohnungen im gross- artigsten Massstabe. In Mittel-Europa bildet der Löss theils geschichtete, theils ungeschichtete Ablagerungen von verhältnissmässig junger Entstehung in den Thälern oder an den Gehängen älterer Gebirge, sowie in den Diluvialebenen. In den Thälern des Jura’s, des Schwarzwaldes, in den Umgebungen des Bodensee’s, im Rheinthal und dessen Seitenthälern Verse bay nd U An il ke arm Br a a 2 BE rg a a BT 2 von Basel bis über Bonn hinaus lagert der Löss manch- mal in einer Mächtigkeit von mehreren hundert Fuss auf den verschiedenartigsten Gesteinen und steigt stellenweise bis zur Höhe von 400 Fuss über dem Rheinspiegel an; sowie alle Schluchten, die sich vom Kaiserstuhlgebirge in die Rheinebene hinuntersenken, mit Löss erfüllt sind. Sehr häufig sind im Löss längliche, rundliche oder eigen- thümlich gestaltete Concretionen von Kalkmergel, die so- genannten Lösskindehen, Lössmännchen, Mergelkindchen, Lösspüppchen (an der Donau Lösskindl, Lössmandl), die oft im Innern stark zerborsten sind. Südlich des Jura’s, in den Diluvialgebieten der Alpen- ströme hat Prof. Mühlberg zuerst in der Umgebung von Aarau ächten, charakteristischen Löss nachgewiesen. In seinem trefflichen Werke „Ueber die erratischen Bil- dungen im Aargau“, Aarau 1869, erwähnt Mühlberg pag. 257 des Lösses und dessen Fauna und Flora: „Der eisenthümlich bräunlich-gelbe lehmige Sand, welcher bei uns an den Abhängen und auf dem Rücken der Molasse- hügel so häufig angetroffen wird, enthält nur sehr selten Schneckenschalen. Die beiden einzigen Stellen, welche mir im Kanton bekannt sind, befinden sich in der Nähe von Aarau; die eine ist durch den Weg angeschnitten, der von der Wöschnauer Mühle zu dem Steinbruch am Nebenberg hinaufführt; eine andere befindet sich auf der Waltersburg. Dort bedeckt eine mächtige Lössschicht den weissen Jura in dem Steinbruch beim Pulverhaus; auf dieser Lössablagerung finden sich zahlreiche Stöcke der Alpenerle; eine ähnliche Bildung in der Nähe von Schönen- werth ist mit der gleichen Pflanze bewachsen. Die häu- figsten Schneckenschalen, welche in diesem Löss gefunden werden, gehören nach Mösch den Arten Helix arbustorum, H. hispida, Pupa muscorum und Succinea oblonga an.“ N RA Im soeben herausgekommenen „Programm der Aar- gawischen Kantonsschule“, Aarau 1885, gibt Mühlberg eine Zusammenstellung seiner neuesten Beobachtungen in einem Aufsatze: „Die heutigen und früheren Verhältnisse der Aare bei Aarau“. Dem Aufsatze ist eine „Uebersichtskarte der Flussterrassen und alten Aarläufe in der Umgebung von Aarau“ im 1:25,000 beigegeben. Die mit Löss be- deckten Flussterrassen bei Aarau und Schönenwerth sind mit Kreuzchen bezeichnet. Mühlberg beschreibt die Lo- kalität folgendermassen, pag. 32: „Bei der Fundamentirung des Kantonsspitals und der Erstellung der Trinkwasserleitung vom Gönhard zur Stadt und bei andern Anlässen konnte man sehen, dass die Suhrfeld-Terrasse und derjenige Theil der höchsten Ter- rasse, welche das Plateau zwischen der Stadt und der „Goldern“ südlich von Aarau bildet, und also auch des Friedhofes, sowie die Anhöhen des Oberholzes, mit einer Decke von Löss, einer eigenthümlichen, bräunlichen, san- dig-thonigen Erde von verschiedener Mächtigkeit bedeckt ist. Er zeigt absolut keine Schichtung, im Steinbruch von Oberholz ist derselbe 6 Meter mächtig und enthält stellen- weise zahllose kleine, weisse, leichte und gut erhaltene Schneckenschalen (Lössschnecken, Helix arbustorum, Suc- cinea oblonga etc... Auf dem Friedhofe lassen sich aus dieser weichen, ganz steinfreien Erde die Gräber in be- liebiger Tiefe leicht ausheben..... Auf einem grossen Theil der Suhrfeld-Terrasse füllt er von früheren Ero- sionen übrig gebliebene Unebenheiten gleichmässig aus und nimmt nach der Peripherie seiner horizontalen Ausdeh- nung allmählig ab. Auf den tieferen Terrassen zeigten sich bis dahin keine Spuren davon, wohl aber an der schmalen Terrasse oberhalb des Weges von Aarau zur EN A en ST ZZ A DL Ten s ae 2 . L x ge SE Wöschnau und auf der ersten Terrasse am Aufsteig von der Wöschnau zum Nebenberg.“ Ueber die Bildungsweise des Lösses bei Aarau spricht sich Mühlberg pag. 43 folgendermassen aus: „Dass sich der Löss bei Aarau nur auf den beiden obersten Terrassen und auf dem noch höher anstehenden festen Gestein, hier bis 6 Meter hoch, findet, so müssen wir annehmen, dass derselbe auch erst nach der Model- lirung der beiden Terrassen (frühestens während der Modellirung der zweiten) abgesetzt worden ist. Es ist unmöglich, anzunehmen, ein Fluss könnte zu jener Zeit so mächtig gewesen sein, dass er vom Niveau der Suhrfeld-Terrasse aus (395 Meter) noch das jetzige obere Ende des Lösses im Oberholz mit 468 Metern erreicht habe; ein ebenso hoch hinaufragender See kann während der Erosionszeit hier ebenso wenig existirt haben, dess- halb und weil er keine Schichtung zeigt, können wir unsern Löss nicht etwa als eine Ablagerung aus langsamfliessen- dem oder stehendem Wasser betrachten, sondern müssen, so sehr wir uns auch dagegen sträuben möchten, mit Richthofen annehmen, er sei eine erische Bildung (zolische Bildung) d.h. sammt den darin eingeschlossenen dünnen Schneckenschalen (Lössschnecken) als Staub von den Win- den herbeigeführt und an geschützten Stellen fallen ge- lassen worden“ etc.... Soweit Mühlberg. Nun zu unserem Funde. Im Oktober vorigen Jahres (1884) begaben sich einige Freunde der Ur- und Landesgeschichte unter Anführung des fleissigen Alterthumsforschers, Herrn Posthalter Hänni in Grossaffoltern, auf einen arch&ologisch-historischen Ausflug in der weiteren Umgebung von Grossaffoltern. Nachdem zuerst unterhalb der Station Suberg ein von Herrn Hänni entdecktes wohlerhaltenes Refugium, d. h. RB IEN ein mit Wall und Graben umgebener und zudem noch durch seine Lage über einem Steilabsturz mit vorliegen- dem Sumpfe, sehr fest und strategisch gut ausgewählter Lagerplatz, besichtigt worden war, gelangte man im Walde südlich des Hofes Martismatt zu einer Stelle, wo zahl- reiche römische Ziegelreste auf das Vorhandensein von Ruinen deuten, die noch ganz unbekannt und nie unter- sucht worden sind. Ueber Kosthofen stieg die Gesell- schaft auf dem neu angelegten Strässchen nach Gross- affoltern, in dessen Nähe, im Grossrumihubelwald, eine Reihe wohlerhaltener Grabhügel besichtigt wurden. Der Nachmittag wurde zur Besichtigung der Burgruine Balm- egg, der Kapelle zu Balm und des sogenannten Rappen- stüblis, einer künstlich erweiterten Felshöhle unterhalb Balmegg am Bergabhang, benutzt. Beim Ansteigen von Kosthofen”) nach Grossaffoltern, östlich des erstern, da wo das neue Strässchen eine Bie- gung nach Norden macht und am Rande des Birkenegg- waldes eingeschnitten ist, fiel mir ein Einschnitt nördlich der Strasse durch die zart-gelbliche Farbe und eine feine, bräunliche Bänderung auf. Bei näherer Untersuchung fand ich die ganze Masse bestehend aus einem äusserst feinen, gelblichen Thone von durchaus homogener Consi- stenz. Der Thon fühlt sich sehr weich, jedoch nicht seifig an, ist wenig adherent auf der Zunge und lässt sich mit dem Fingernagel kratzen und mit dem Messer zu allen Formen schneiden, blättert jedoch in der Ebene der La- gerung sehr leicht ab. Dieser Lehm steht an zwei Stellen, an der Strasse aufgeschlossen, an. An der ersten Stelle (näher gegen Kosthofen zu) ist das Material ausserordent- *) Siehe Section Aarberg Nr. 140 (Y/gsoo0) der topogra- phischen Aufnahmen (Siegfried-Atlass). 4 ne a Due re REITER Pe 7 I De Be RER die Ser DE O lich fein geschichtet. Die Schichten blättern in Centi- meter- und wenigen Millimetern-dicken Lagen ab, ähnlich dem blättrigen Polirschiefer (Tripel) von Bilin. Die ein- zelnen Schichten unterscheiden sich auch äusserlich von Weitem durch bräunliche oder röthliche Färbung und geben den Lehmmassen im Querschnitt ein fein gebän- dertes Ansehen. Die zweite Stelle (nördlich der ersten, nur wenige Schritte davon) zeigt die Lehmmassen in ihrer ganzen Entwicklung. Die Schichtung ist hier weniger feinblättrig als an der ersten Stelle, das Material com- pakter, die bräunlichen Streifen treten zurück, dagegen fielen mir sofort weisse Punkte in der Thonmasse auf, die ich zuerst für Schnecken hielt. Beim Loslösen dieser weissen Knöpfe fand sich, dass es nicht Schnecken waren, sondern allerliebste Concretionen in allen möglichen For- men und Gestalten, nierenförmige, kuglige, baumförmige, wurstförmige, wahre Figürchen mit Armen, Beinen und Köpfen, es waren typische Lössmännchen oder Lösskind- chen, die ganze Bildung ächter Löss. Der Löss von Kost- hofen liegt am Strässchen nach Grossaffoltern im Birken- eggwald direkt uuf der untern Süsswasser-Molasse, welche gleich unterhalb am Bühlgraben ansteht. Die untern Schichten des Lösses werden immer sandiger und grob- körniger und gehen in Molassedetritus über. Die Löss- männchen sind hauptsächlich in einer etwa 10—12 Centi- meter mächtigen Schicht concentrirt, wo sie massenhaft, dicht an einander gebettet, liegen, so dass man in kurzer Zeit Dutzende mit dem Messer herausgrübeln kann. Sie kommen aber auch, wenn auch nur vereinzelt, durch die ganze Masse des Lösses vertheilt, vor; jedoch scheint eine lagenweise Anordnung derselben auch in den oberen Parthien vorzuherrschen. Die grössten Lössmännchen, die wir in Kosthofen bisher gefunden, messen 6—8 Centimeter BER Länge, die kleinsten sind erbsen- bis haselnussgross. Beim Zerschlagen derselben zeigen sich die grösseren alle hohl, die Farbe der Bruchflächen braungrau und von zahlreichen nach der innern Höhlung convergirenden Austrocknungs- rissen durchsetzt. Die Lössbildung von Kosthofen ist, wie erwähnt, deutlich geschichtet und die Schichten fallen mit 2—3°/, nach Südosten ab, d. h. sie legen sich auf die Süsswasser-Molasse und fallen gegen das Thälchen des Biühlgrabens ab. Die ganze Mächtigkeit des Lösses bei Kosthofen wird kaum 3 Meter erreichen. Auf demselben, im Birkeneggwalde, liegen einzelne Geschiebe von Erra- ticum des Rhonegletschers, beim Austritt aus dem Hohl- weg gegen Kosthofen liegt ungeschichteter Gletscher- schutt oben auf. Ob hier der Löss darunter sich fortsetzt, ist nicht festzustellen, scheint jedoch sehr wahrscheinlich. Bis jetzt hat leider der Löss von Kosthofen noch keine or- ganischen Ueberreste geliefert, besonders keine Schnecken, welche über sein Alter Auskunft geben könnten. Die bräunlichen Streifen an den Schichtflächen scheinen von Pflanzendetritus herzurühren. Es zeigen sich nun zwischen dem Auftreten des Lösses bei Aarau und dem Kosthofener bedeutende Verschieden- heiten. In Aarau bedeckt der Löss die Flussterrassen, er hüllt die jüngeren Terrassen gleichförmig wie das ältere anstehende Gestein (Molasse und Jura) ein und erreicht eine Mächtigkeit von bis 6 Metern. Er enthält Schnecken, jedoch keine Concretionen (?) und ist ungeschichtet, daher sehr wahrscheinlich «@olischer Bildung (wie Richthofen’s China-Löss). Der Löss bei Kosthofen ist äusserst fein geschichtet, geht sogar stellenweise in die feinste Blätte- rung über, liegt direkt auf der Molasse und ist mit un- geschichtetem Erraticum bedeckt; er fällt sanft gegen ein \ Wi m e Sue he Sig) re N EEE I Thälchen in der Molasse ab (Bühlgraben), enthält keine Schnecken (bis jetzt), wohl aber massenhafte Ooneretionen. Es scheint somit hier eine interglaciale, fluviatile oder lacustre Bildung zu sein. Mit Herrn Professor Baltzer sind wir seither dem Kosthofner Löss weiter nachgegangen, haben ihn jedoch nur an einer Stelle unterhalb Suberg, gerade über der Molasse von der Eisenbahn aus in ungefähr gleicher Mächtigkeit wie bei Kosthofen anstehend gesehen. Die srossen Sandgruben zwischen Brügg und Madretsch, die von Weitem wie Löss aussehen, erwiesen sich bei näherer Untersuchung als höchst merkwürdige, sehr unregel- mässige Flussablagerungen von grobem und feinem Sand und Kiesbänken mit Ausfüllung von Strudellöchern und viel- facher discordanter Parallelstructur der Schichten. Glück- licher mit dem Auffinden von Löss war Herr Professor Baltzer bei Schloss Wyl. Zum Schlusse dürfte es von Interesse sein, die Ana- lyse des Kosthofner Lösses mit solchen des Lösses aus dem Rheinthal zu vergleichen. Im Lehrbuch der che- mischen und physicalischen Geologie von Gustav Bischof, Vol. I, 1863, pag. 504, sind 5 Lössanalysen von Kjerulf, A. Bischof und Gustav Bischof angeführt. Mein Bruder Rudoif hat die Analyse des Kosthofener Lösses und der daselbst vgrkommenden Concretionen ausgeführt. Ich führe von Bischof die Analysen I und IV an, bei welchen der Gehalt an kohlensaurem Kalk nicht elimi- nirt ist. I. Löss auf dem Wege von Oberdollendorf nach Heister- bach, analysirt von Kjerulf. II. Löss auf der Strasse von Bonn nach Ippendorf, ana- lysirt von Albrecht Bischof. Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1108. EINE en III. Löss von Kosthofen (Kt. Bern), analysirt von Rudolf von Fellenberg. IV. Concretionen (Lösskindchen) im Löss von Kosthofen, analysirt von R. v. Fellenberg. I Il II IV Oberdollendorf. Ippendorf. Kosthofen. Kosthofen. Löss. Löss. Männchen. Kieselsäure: 58,97 62,43 65,6 7,0 Thonerde: Dot | 4,1 1,4 Eisenoxyd: 4,25 5,14 8,8 5,2 4 Kalk: 0,02 n 0,22 0,22 { Magnesia: 0,04 0,21 1,0 0,8 Kali: 1,11 115 2.41 0,9 , Natron: 0,84 ; 1.5 0,16 ’ Kohlensaurer Kalk: 20,16 17,63 14,8 83,2 | Magnesia: 4,21 3,02 0,35 0,3 b Glühverlust: 137 2,31 1,2 0,5 { 100,94 100,00 99,67 99,68 „Der Gehalt an Carbonaten varirt sehr bedeutend. Nach Krocker’s Analysen von Löss aus 7 Fundorten auf dem linken Rheinufer zwischen Mainz und Worms steigt _ die Menge der kohlensauren Kalkerde von 12,3 bis 36, und die der Kohlensauren Magnesia von Spuren bis zu 3,2 Prozent.* Bischof, pag. 504. Wir sehen aus der Analyse des Kosthofner Lösses, dass letzterer vollkommen in den Rahmen der ächten Lösse passt auch in Bezug auf seine chemische Zusammensetzung, die für ein blosses mechanisches Gemenge ganz wunder- bar mit dem rheinischen Löss übereinstimmt. Der Kost- hofner Löss ist bei sonst beinahe gleicher Zusammen- setzung etwas kieselreicher (um 3,17—6,8 °/,) und kalk- ärmer (um 2,83—5,36 °/,) als der Rheinische Löss, resp. der von Ippendorf und Oberdollendorf. SEEN. Es wird nun von Interesse sein, dieses isolirte Auf- treten des Lösses, welches bis jetzt scheint vollkommen über- sehen worden zu sein, weiter zu verfolgen und möglicher-, ja sehr wahrscheinlicherweise noch an andern Orten des Kantons zwischen Jura und Alpen zu constatiren. Zum Schlusse bemerke ich noch, dass aus der geolo- gischen Localsammlung von Münchenbuchsee, Moossee- dorf und Umgebung des Herrn Doktor J. Uhlmann sel., bestehend aus Suiten von Torf, Seekreide, Erraticum und Molasse etc., in einem Schächtelchen einige sehr schöne und wohlausgebildete Concretionen liegen (von 6-8 cm Länge), ächte Lössmännchen, welche mit der Etiquette „Münchenbuchsee“* bezeichnet sind. Wo ist der Fundort und der anstehende Löss? Hoffentlich gelingt es, durch genaue Localbesichtigung und Erkundigungen den Fund- ort neuerdings festzustellen. Dr. J. H. Graf. Beitrag zur Kenntniss der ältesten Schweizerkarte von Aesidius Tschudi. Vorgetragen in der Sitzung vom 9. Mai 1885. Es steht fest, dass wir die erste kartographische Darstellung unseres Landes dem berühmten Glarner Aegi- dius Tschudi*) (1505— 1572) verdanken. Nachdem Tschudi gute Studien gemacht, beschäftigte er sich mit der vater- *) Siehe Wolf, Geschichte der Vermessungen in der Schweiz, pag. 4 u. ff., an die ich mich in der Einleitung anlehne. a U ni ländischen Geschichte und durchzog das ganze Land, Stoff sammelnd für sein Buch „Die uralt wahrhafftig Alpisch Rhetia“. 1538 kam Glarean auf Besuch zu Tschudi, bei welchem er das vorhin genannte Manuskript für dieses Buch sah, er lieh dasselbe für zwei Monate und nahm es mit nach Freiburg im Breisgau. Dort zeigte er es seinem Freunde Sebastian Münster und anvertraute es ihm auf seine anhaltenden Bitten für einige Tage, eine Spanne Zeit, die Münster dazu benützte, das Werkchen copiren zu lassen. Ohne Tschudi zu begrüssen, publizirte er es unter dem Titel: „Die uralt wahrhafftig Alpisch Rhetia sampt dem Tract der andern Alpgebirgen, nach Plinjj, Ptolemei, Strabonis, auch andern Welt un gschichts- schrybern wahrer anzeygung, durch den Ehrnvesten und wysen herren, herr Gilg Tschudi von Glarus, ettwo im Sarganserland, darnach zu Baden im Ergöw, gmeiner Eydgenossen Landvogt, in Tütsch spraach zusamen ge- tragen und yetz mit einer Geographischen Tabel uss- gangen. Getruckt zu Basell bei Isingrien *) 1538.“ Von dieser Schrift besitzt die Universitätsbibliothek in Basel **) ein Exemplar (Signatur: EJV2), in demselben: fehlt aber die geographische Tafel, die zugleich mit dem Werk erschienen ist. Diese geographische Tafel kann nichts Anderes sein, als die von AegidiusTschudi aus Anschauung gezeichnete Schweizerkarte. Gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe des Buches ist auch von Seb. Münster eine lateinische veranstaltet worden ***). *) Auch Beblerus(?) genannt. *%*) Auch Zürich besitzt ein Textexemplar mit handschrift- lichen Bemerkungen, jedoch ebenfalls ohne Karte. *##) Ob von dieser latein. Ausgabe ein Exemplar in einer schweiz. Bibliothek sich findet, ist mir unbekannt, in Bern, auch in Basel hat man keines. Tschudi beklagt sich bitter über die durch diese Publi- kationen ihm gegenüber begangene Indiskretion. Ob- gleich wir also von der ersten Ausgabe der „Alpisch Rhe- tia“ noch Exemplare besitzen, so ist die erste Ausgabe der Karte verloren oder wenigstens bis jetzt noch nicht gefunden worden. Nun erschien anno 1560 beim gleichen Drucker*) eine zweite Ausgabe durch Konrad Wolfhart von Ruffach gen. Lycosthenes unter dem Titel: „Gründliche und wahrhafte Beschreibung der alpischen Rhätia“. Ein Exemplar findet sich in Basel auf der Universitätsbiblio- thek (Signatur EJV 2c), auch ein lateinisches Exemplar (Sgn. EJV 2ab) mit dem Titel: „De prisca ac vera alpina Rhatia“ ist vorhanden. Beiden Ausgaben war die „Geo- graphische Tabel“ wieder beigegeben. Dem lateinischen Exemplar ist auf dem Titel beigefügt: cui hac editione accessit regula investigationis omnium locorum per Ly- costhenes“; darunter ist ein Verzeichniss verstanden, das sämmtliche Orte, die auf der Karte verzeichnet waren, mit Ziffern angab, wozu besonders ein nummerirter Rand von 1—80, eine Art Gradnetz, verhelfen sollte. Beiden Basler Exemplaren fehlt die Karte, die überhaupt, weil gross und ungeschlacht, leicht vom Buch weg verloren gehen konnte. Die Universitätsbibliothek in Basel besitzt nun aber glück- licherweise doch ein Exemplar dieser Karte. Der Rand ist von etwas dickerem Papier als die Karte und auf- geklebt, dann ist derselbe auf allen vier Seiten durch eine Nummerirung von 1—80 vermehrt, die zum oben erwähnten Zeiger Wolfharts dienen **). Es bleibt fraglich, ob Anno *) Es heisst: Getruckt zu Basel bei den Erben Michaelis Isingrinij im Jar MDLX. #%) Vom Rand sind in jüngster Zeit auf einem alten Ein- band noch zwei kleine Bruchstücke zum Vorschein gekommen und abgelöst worden. SEN ANZ 1560 ein Neudruck oder bloss eine zweite Ausgabe der ursprünglichen Tschudi’schen Karte gemacht worden ist. Immerhin wird die Ausgabe von 1560 doch die ziemlich ursprüngliche Form der alten Tschudi’schen Karte von 1538 besitzen. Sie ist auf die schweizerische Landesausstellung von 1883 hin von Hofer und Burger in Zürich in höchst gelungener Weise mittelst Photo- Lithographie vervielfältigt worden und dieses Facsimile ersetzt das Original im Wesentlichen vollständig. Diese Basler Karte war bis jetzt das einzige bekannte Exem- plar der alten Tschudi’schen Karte, und es ist kaum mehr, trotz des Zeugnisses Haller’s *), daran zu glauben, dass im Cabinet du roi in Paris sich noch ein Exemplar finde. Jedermann wenigstens, der sich jemals darnach er- kundigt hatte, musste ohne Erfolg seine Bemühungen auf- geben. So z. B. schreibt mir der bekannte Geograph A. Bietrix: „J’ai &t€ de mäme de fouiller les archives de bien de villes de France et d’Allemagne, y compris Paris et Vienne.... Je croyais, comme vous, que Paris poss&dait un exemplaire de l’edition de 1560; mais mes visites aux diverses bibliotheques de cette capitale et aux divers d&pöts de cartographie ont &t& sans r&sultat. Les hommes les plus competents auxquels je me suis adresse, m’ont tous de- clar& ignorer l’existence möme de cette carte du celebre glaronnais. J’ar donc rapporte l’intime conviction que l’exemplaire de Bäle est bien, sinon lunique qui existe encore, le seul qui soit connu.“ | Ich war nun, anlässlich eines Besuches des Herrn Dr. Riggenbach-Burckhardt aus Basel, angenehm über- *) G. E. Haller, Bibliothek der Schweizergeschichte, Bern 1785—88, 7 Bände in 8°. Nach ihm soll sich daselbst ein Exemplar betitelt «Helvetia Aegidio Tschudio autore» finden. Sie ist klein und eines grossen Mannes unwürdig, sagt Haller. Wolf, G. d. V. pag. 10 Anmerkung. F see 2 Anal a er la Da Ce a dern ai > ENG ) \ s ' / EP 1: ARESRRR NE rascht, auf hiesiger Stadtbibliothek eine alte Karte zu finden, die auf den ersten Blick betrachtet nichts anderes zu sein schien, als die alte Tschudi’sche Karte. Begreiflicher- weise erregte der Fund in hohem Masse meine Neugierde und bei der nachgewiesenen hohen Seltenheit der Karte und ihrer eminenten Bedeutung für die Anfänge der schweizerischen Kartographie machte ich mich sofort an die genaue Untersuchung des Exemplars in Bezug auf seine Aechtheit vom historischen und mathematischen Stand- punkte aus, eine Untersuchung, die, wie sich aus Nach- folgendem ergibt, mit aller Strenge und Objektivität durch- geführt wurde. Im letzten Jahre schenkte Herr A. Bi6trix der geo- graphischen Gesellschaft von Bern*) eine Menge alter und neuer Karten, unter welchen sich auch die in Frage ste- hende befand. Herr Bietrix hat sie im Jahre 1865 im Hausgang des Pfarrhauses von Charmoille (Jura) gefunden. Der Cure hatte sie von einem alten Diener der benach- barten Abtei von Lützel, einem alten im Jahre 1790 säku- larisirten Cistercienserkloster, erhalten. Der Diener hatte *) Durch die Güte des Herrn Redaktors Reymond - Le Brun habe ich folgende Angabe erhalten: Protokoll- Auszug. .....- Komitesitzung vom 10. April 1884. IV. Präsident theilt mit, dass unter den von Hrn. A. Bietrix der Gesellschaft geschenkten Karten sich theilweise sehr werth- volle Stücke befinden, wie z.B. ein wenn auch beschädigtes Exemplar der alten Tschudi’schen Schweizerkarte. Ferner: 86. Monatssitzung vom 24. April 1884. VII. Präsident referirtt über die von Hrn. A. Bietrix ge- schenkte und theilweise bereits eingelangte Kartensammlung und beantragt, dem Gesehenkgeber schriftlich und auch öffentlich den Dank der Gesellschaft auszusprechen. — Wird mit leb- haftem Beifalle und dem Ausdrucke der dankbarsten Anerken- nung beschlossen. N a sie offenbar bei jenem Anlass aus dem Kloster wegge- nommen. Der Cure, obgleich er sehr darauf hielt, die Karte noch ferner zu besitzen, überliess sie doch endlich für 50 Fr. an Herrn Bietrix, und Herrn Bietrix ist es zu verdanken, dass er, trotzdem er von verschiedenen Seiten grössere Anerbieten für die Karte erhielt, dennoch fest blieb und sich ihrer nur zu Gunsten einer unserer Biblio- theken oder nationalen Gesellschaften entledigen wollte. Die Karte ist, bis auf einige Partien, die Herr Bietrix wieder auf der Leinwand befestigt, noch ganz so, wie er sie 1865 erworben hat. Die Karte ist auf grober Leinwand aufgezogen und schon, wenigstens an den Rändern, in ziemlich defektem Zustand, wesshalb sie wahrscheinlich von Bietrix mit einem schützenden Rand von steifem Papier umgeben worden ist. Wenn wir auf die nähere Beschreibung der Karte eintreten, kommt zu oberst der bekannte Titel der Karte „Nova Rhe- tix atque totius Helveti® Descriptio per Aegidium Tschudum Glaronensem“. Dieser ganze Titel ist auf einem Streifen zu oberst aufgeklebt, statt dass er erst, wie bei dem Basler Exemplar, nach dem wappengeschmückten Rande käme und zerfällt in 2 Theile, die das Wort PER im Buchstaben R durchschneiden. Der Streifen ist da nicht gut zusammengepasst, jedoch findet sich die voll- ständige Ergänzung der Hälfte des Buchstabens R auf dem zweiten Streifen. Vergleichen wir Wort für Wort mit dem Basler Original, so finden wir eine vollständige Uebereinstimmung, hauptsächlich die charakteristischen Verzierungen des Buchstabens A oder des R oder Q finden sich ganz genau wieder, so dass der Titel unbedingt von der ursprünglichen gleichen Holztafel herrühren muss, wie derjenige der Karte von 1560. Etwas stutzig wird man, wenn man weiter den Rand der beiden Karten mit UNE _ einander vergleicht. Während beim Basler Exemplar die Wappen der 13 alten Orte nebst ihren Verbündeten sich rings regelmässig auf alle 4 Seiten der Karte vertheilen, so ist hier beim Berner Exemplar ein breiter, wappen- seschmückter, colorirter Rand nur der obern Seite der Karte aufgesetzt. Zwischen jonischen Säulen stehen die Wappen der 13 alten Orte, während die Wappen- schilder der zugewandten Orte an diesen Säulen befestigt erscheinen. Die Reihenfolge von links nach rechts ist folgende: Bremgarten Schaffhausen Sargans Fryburg Frawenfeld Glaris Tockenburg Unterwalden Rottwyl Uri Wallis Bern St. Gallen Zürich Chur Luzern Mülhusen Schwytz Biel Zug Wyl Basel Baden Solothurn Rhyneck Appenzell Rapperswyl. Das Zürcherwappen, von zwei Löwen als Schildhaltern getragen, ist grösser als die andern und nimmt die Mitte Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1109. des Randes ein. Ob demselben finden sich Spuren eines Tä- felchens, in dem aber keine Buchstaben mehr zu erkennen sind. Dieser ganze Rand, total verschieden von demjenigen des Basler Exemplares, schien mir wegen der hervorragen- den Stellung, die Zürich angewiesen ist, von einer alten Zürcherkarte herzurühren, aber so weit ich auch in alten Karten herumsuchte, ich konnte nichts Aehnliches ent- decken. So scheint er mir denn eigens für diese neue Auflage compilirt worden zu sein”)! Nun kommt wieder ein extra aufgeklebter Streifen, der die bekannte Art Gradeintheilung des Lycosthenes von 1—80 enthält, voll- kommen dem Basler Exemplar entsprechend, leider findet sich diese Eintheilung nur am obern Rand, an den 3 übrigen Seiten ist sie weggeschnitten worden oder dann gar nicht vorhanden gewesen. Im ersten Täfelchen links des obern Randes der eigent- lichen Karte, dessen Randverzierung und Lage sehr gut mit dem Basler Exemplar übereinstimmen, findet sich nicht, wie bei letzterem, eine lateinische Einführung Seb. Münster’s, sondern eine deutsche, mit folgendem defek- tem Inhalt in gothischen Lettern: „Sebastian Münsterus an freundelichen Lesern. Wir haben in dieser Mappan oder Schw... . und Walliser landtschaft sampt dem grossen theil der Alpgebirge ... eigentlich entworfen ....... des hochehrsahmen Herr Egydius Dschudin von Glaris ....... erkundigt und beschrieben.“ Im zweiten Täfelchen, das darauf folgt, dessen Rand- verzierungen und Lage wieder ganz dem Basler Exemplar entsprechend sind, findet sich ebenfalls nicht ein latei- nischer, sondern ein deutscher Text: *) Ich bemerke noch, dass auf dem Basler wie dem Berner Exemplar der Rand vollständig die gleichen Wappen enthält. +2 un” 2 a; o- ai , . 5 = u a ee ee ee Eu w Paz Ayla a BE ARE ZT 0.3 23000 = and BB ad EN Da BEN EAN NE 2 EEE ra a Lk, 2 Ft 1 nr Be 1 ad { \ DET „Wie weit sich heutiges Tags der Schweitzer, Gry. soner und Walliser gebiet wird in dieser Tafel mit Pünctlin als mit Marchsteinen aussgeschieden und also die alten Grenzen gedachter Landschafften mit ganzen Linien be- zeichnet. Auss den Gebürgen werden der berühmten Flüssen ursprung angedeutet, so hernach ihren Lauff ‚gegen Mittag und Mitternacht nemmen.“ Nun kommt die grosse Avistafel. Ihre Lage und die Randverzierung auf der Seite gegen die Karte stimmt vollständig mit dem Basler Exemplar, auf den 3 übrigen Seiten ist der Rand ganz anders, auch der Text ist in ab- weichender Weise angebracht. Während im Basler Ori- ginal eine Zeile die ganze Breite der Tafel einnimmt, so ist er hier offenbar anders angeordnet und in 2 Kolonnen gestellt worden, die durch einen verticalen Strich getrennt sind. Ich kann mich hier der Mühe entschlagen, den selben in extenso anzugeben, er beginnt wie beim Basler Exemplar auf folgende Weise: „Conradus Wolffhart Ru- beaquensis zu allen Liebhabern der Cosmographey vom brauch der abtheilung und regel dieser Tafel, durch wel- cher hilff du alle örter ohne arbeit finden magst.“ Der Text stimmt wörtlich mit demjenigen des Basler Exemplars überein, nur sind einige Wortformen etwas abgeschwächt, ich möchte fast sagen für die damalige Zeit modernisirt. Am Schlusse fehlt ein einziger, im Basler Exemplar vor- kommender Satz: „Ist es dan sach, dass wir selbs mangel spüren wurdend, wollen wir auch, so uns Gott das leben gundt, auffs nechst mol selbs mit grösserem Fleiss unterstan alles zu ersetzen *).“ *) Was diese Avistafel anbetrifft, so möge hier nachfol- gende Beobachtung Platz finden: Herr Prof. Wolf hat seiner Zeit das Basler Exemplar photograpbiren lassen und da erscheint, BR 2 Mr Endlich kommt die wichtige Angabe: „Getruckt zu Basel bey Conrad Waldkirch im Jahr MDCXIV.“ Eine vierte Tafel unten in der Ecke rechts mit voll- ständig übereinstimmender Lage und gleichem Rand; weist auch ganz den nämlichen, diesmal ebenfalls latei- nischen Text auf. Eine fünfte Tafel in der untern linken Ecke der Karte ist nur noch in Rudimenten vorhanden, an charakteristi- schen Ornamenten zeigt sich aber vollständige Gleichheit der Randverzierungen. Der Text lässt nur noch einige Worte wie z.B. „Buch“, „erstreckt sich in die lenge“, „die Helueter* erkennen. Selbstverständlich ist auch bei der ganzen Karte Sü- den und Norden verwechselt. Im Norden resp. Süden haben wir von links nach rechts die Orte „CUremona“, sodann kommt die Angabe: Lombardey vorzeiten Gallia cisalpina atque togata, während es im Basler Original heisst: Lombardia qu& olim Gallia cisalpina atque togata, dann kommt „Loden“ (Lodi), dann folgt „Herzogthumb Mailand“ (Basler Original: Ducatus Mediolanensis), dann folgt „Mylan Meiland“ (Basler Origi- abweichend vom Hofer’schen Facsimile, in der grossen Avistafel ein latein. Text, der folgendermassen beginnt: «Conradus Ly- costhenes Rubeaquensis ad Cosmographixz candidatos de ratione graduum ac regula cuius ductu omnia loca per totam pieturam extra eam quoque posita compendiosissime investigari poterunt, etc, etc.» Diese Abweichung erklärt sich auf folgende Weise: Auf die Basler Karte selbst ist der deutsehe Text gedruckt, wie ihn das Facsimile zeigt, ausserdem ist aber derselben noch ein latein. Textblatt in gleicher Umrahmung und Grösse und beim gleichen Drucker im gleichen Jahre 1560 gedruckt beigegeben, welches der Bibliothekar mit seinem obern Rand auf die Karte aufgeklebt und welches anlässlich des Photographirens herunter- gelegt und unten mit drei Heftstiftchen, wie sie die Photographie deutlich zeigt, an die Karte befestigt worden ist. STE 2 nal: Mediolanum, Meiland), dann „Sextum Sest“, „Nouaria Nowaren“, „Wercellis“ (Basler Original mit V geschrieben). Die Randparthie auf der rechten Seite der Karte enthält: „Gratianopolis Granoble“, „Isara fl.*, „Tarentäserfall“, „Savoie Saphoy“ (Basler Exemplar: Sauoier Ladtschafft), „S. Germano“, „La Peyne fl.“*, „La Franche Conte“ (Basler ‘Exemplar: La Frache conte). Im Süden resp. Norden finden sich „Cottnow“, „Brisgaw“, „die Hart“, „Besanson“, „Verodunum“. Auf der linken Seite kommt von oben herunter: zuerst ein Wald, dann der „Gardsee“ mit Pescara, darüber die Bemerkung in gothischen Lettern: „Dieser See führt gsoldsand durch den Fluss Mintium, welcher durch den Mantuaner See fleusst“. Im Basler Exemplar heisst es: „E uoluere dieitur hic lacus per Mintium fluvium au- reas arenas. Labitur pro inde Mintius per lacum Man- tuanum in Padum. Dann kommt das „Etschland“, „ynthal“, „Lycusfluss“. „Wagegk“, sodann kommt das Täfelchen mit: „die lenge einer schwytzer myl“, die Randverzierungen sind ganz gleich und die Linie, die den Massstab darstellen soll, ist beinahe ganz da. Die ganze Karte besteht aus gleichen 9 Blättern, wie das Basler Exemplar. Die Ueberschrift, der Wappenrand und die sog. Gradeintheilung müssen, wie beim Basler Exemplar, mit besonderen Tafeln gedruckt worden sein. Examiniren wir die inneren Partien der Karte, so sind die Orte, wie beim Basler Exemplar, fast alle durch hervor- ragendeGebäude, wo ein kleiner Kreis die wahre Lage des Orts angeben soll, dargestellt. Die Lageder Orte ist vollstän- dig dem Basler Exemplar entsprechend, nur sind einige Ortsnamen mit etwas andern, fast modernen Lettern ge- schrieben. So haben wir es denn hier mit einem wirklichen Neu- druck der alten Tschudi’schen Karte von 1538 und 1560 zu thun. Es muss mit zwingender Nothwendigkeit ange- nommen werden, dass im Jahre 1614 die 9 Holztafeln, die zum ersten und zweiten Druck gedient hatten, noch in ziemlich brauchbarem Zustand vorhanden gewesen seien. Auf welche Weise der Drucker Conrad Waldkirch die- selben von den Erben des Druckers Isingrin erhalten hat, ist mir nicht bekannt, aber oft heirathet der Geselle die Tochter des Meisters und führt dann das schwieger- väterliche Geschäft weiter, so kann es auch hier gegangen sein.*) Die 15 Holztäfelchen des Randes, welche die Wappen enthielten, sind offenbar im Jahre 1614 nicht mehr vorhanden gewesen, ”*) darum wurde ein eigener wappen- geschmückter Rand gestochen, wohl aber muss das Täfel- chen, welches den Titel „Nova Rh&ti& etc.“ enthielt, noch vorhanden gewesen sein. In den wichtigen Avistäfelchen wurde der lateinisehe Text durch deutschen ersetzt, in der grossen Avistafel bloss für die damalige Zeit moder- nisirt und anders angeordnet.”**) Die Randpartien der *) Diese Hypothese wird durch Folgendes sehr gestützt: Ueber die nähern persönlichen Verhältnisse des Waldkirch konnte ich von Basel nichts weiter erfahren. Jedoch ist es Hrn. Prof. Dr. Wolf gelungen, festzustellen, dass ein Hans Conrad von Wald- kirch, ein Enkel des 1547 zu Schaffhausen verstorbeuen Bürger- meisters Hans von Waldkirch im Jahre 1577 in Schaffhausen die erste Buchdruckerei gegründet hat. Später zog derselbe nach Basel und bürgerte sich dort ein. Dieser Waldkirch muss nun offenbar mit dem hier genannten identisch sein. *%) Darum stimmen auch die Dimensionen nicht ganz mit dem Basler Exemplar, welches 135 cm Breite auf 125 cm Höhe hat, während das Berner Exemplar 119 em auf 103 em aufweist. ##%) Es war diess um so leichter möglich, da nur die Ränder in Holzschnitt da waren, der textliche Satz jedoch. wie bei allen derartigen Sachen sowohl im Jahr 1538 als 1560, bloss Lettern- satz war. — 55 — 9 Holztafeln, die selbstverständlich von 1560-1614 der Zerstörung sehr ausgesetzt waren, wurden renovirt und die schadhaften Theile nach der Sprech- und Schreibweise von 1614 korrieirt. Wir haben es also hier wirklich mit einem ziemlich wohl erhaltenen Exemplar von Tschudi’s Schweizerkarte zu thun. In kartographischer Beziehung ist begreiflicherweise, da die alten Tafeln benutzt worden sind, auch nichts ge- ändert worden, was durch eine genaue mathematische Prüfung, in der Weise, wie sie Prof. Dr. R. Wolf am Basler Exemplar vorgenommen hat, bestätigt wird. Wolf wählte zur Prüfung einer vollständigen Schweizer- karte hauptsächlich die folgenden 4 Polygone: I. Solothurn - Basel - Pruntrut - Neuenburg - Freiburg- Sursee. | II. Rapperswyl- Schaffhausen - Lenzburg -Altorf-Chur- St. Gallen. III. Villeneuve-Yverdon-Genf-Martigny-Leuk-Thun. IV. Chiavenna-Airolo-Lugano-Sondrio-Zernetz-llanz. Vom ersten Punkt jedes Polygons, als dem mehr central gelegenen, werden nach den 5 übrigen radiale Distanzen gemessen und unter den 5 dann selbst 5 peripherische Distanzen, so dass er also auf dem zu untersuchenden Objekt im Ganzen 10 Strecken erhielt. Zur Vergleichung nahm er dann die 4blättrige Generalkarte der Schweiz, auf welcher in gleicher Weise die analogen Distanzen festgestellt wurden. Bezeichnen z. B. m, m, m, ..... . die gemessenen Di- stanzen auf der Tschudikarte und M, M, M,.... die’ entsprechenden auf der Dufour’schen Generalkarte, so nennt Wolf den Quotienten “nt I we IV % er i 17.» er den S! a en den mittlern Beduktionsfaktor. Ym Arten EN TEN Führen wir nun die Prüfung in analoger Weise an unserm vorliegenden Berner Exemplar durch, so erhalten wir folgendes: 0 a b c I. Polygon: Solothurn - Basel - Pruntrut - Neuenburg d e Freiburg - Sursee. Distanz Berner-Tschudi Generalkarte 0a m, = 140 mm M;, = 152mm ob m. 3101 Mr 166 06 m. _ 2132 M,. = 3206 od m. 128 Mn oe m. ==:2120 M)— 4118 ab m, = 128 M, = 2106 be m 5108 M. —_ 199 cd m; = 80 Ms 407 de in, — 7226 M.—020 ea m. 1063 MM. 289 =n 1391 &M = 1930 somit mittlerer Reduktionsfaktor für das I. Polygon 9130 — 1357 — 144 (Wolf 1,47) 0 a b c II. Polygon: Rapperswyl- Schaffhausen- Lenzburg-Altorf- d E Chur - St. Gallen. Distanz Berner-Tschudi Generalkarte 04 m, —' 149 mm M = 2l4 mm ob m — el M..—21207 oc Mm. 4120 M,— 104 1 BER) 1 RER od m,= 2%8 M,= 273 oe m—= 10 M,= 19 ab m, — 2142 M.2-:.193 bc m, = -191 ME 0254 cd m= 1% M; = 269 de mM= 17 M = 28 ea m. 167 M.= 231 3m='159 3m = 2284 somit mittlerer Reduktionsfaktor für das II. Polygon 2984 N 11595 — 1,43 (Wolf 1,44) 0 a b c d III. Polygon: Villeneuve-Yverdon-Genf- Martigny-Leuk- e Thun. Distanz Berner-Tschudi Generalkarte 02a m" t5R mM Ms 190-mm ob m,0— 183 M. — 7252 0C m, 198 Me — 138 od in, 2108 IM’, 220 0e@ ee MM 270 ab m; 2207 M, = 29 be m, = 246 Me, 286 cd m= 13 M —= 197 de m, = 1108 NM. 71006 ea m, Leo Mr 300 Im 875 >M.— 2343 somit mittlerer Reduktionsfaktor für das III. Polygon — ——- — 1,32 (Wolf 1,31) Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1110. 0 a bh’; c d IV. Polygon: Chiavenna- Airolo- Lugano -Sondrio-Zernetz- e@ Ilanz. Distanz Berner-Tschudi Generalkarte 0a m.’ —' 190° mm M, = 255 mm ob m — 20 M,.—: 106 oc m; = 95 Mi 8 od misj==2152 Ma ==%269 0€@ in 1,110 M, = 2,210% ab M,..— 202 208 M be m, = 113 M, = 3291 cd Me. 7100 M, = 242 de he, N ea m lo Mu. 2 — 1516 3M = 2358 somit mittlerer Reduktionsfaktor für das IV. Polygon 2358 Im Mittel erhalten wir aus allen 4 Polygonen: (1,44 + 1,43 + 1,32 + 1,56) :4—= 1,41 (Wolf 1,42, eigent- lich 1,41) Der Massstab der vorliegenden Karte von Tschudi, also des Berner Exemplars, ist somit: 1 1 1 250000. 141 325500 (WO eigentlich auch Tm000 ) 325500 Aus diesem ergibt sich, dass die beiden Karten, was Anlage anbetrifft, vollständig identisch sind. Die Dif- ferenzen sind zu unwesentlich und nur dem Umstande zuzuschreiben, dass das Berner Exemplar schon in ziemlich defektem Zustande sich befindet und durch WER AUGE, 7 GAME ungenügende Aufbewahrung und Zusammenfaltung viel- fach deformirt ist. Bei einigen Punkten, hauptsächlich des letzten Polygons, musste mehrfach, sowohl von Wolf als von mir, nur die approximative Distanz angenommen werden, da z. B. Sondrio weder auf dem Basler noch auf dem Berner Exempler angegeben ist und auf unserem Exemplar auch Lugano und Chiavenna sehr undeutlich verzeichnet sind. Sokommt es, dass das IV. Polygon weder von Wolf noch von mir hat genau gemessen werden können. Dies ist die einzige Ursache, warum der mitt- lere Reduktionsfaktor beim IV. Polygon sowohl bei Wolf als auch hier bei mir ein von den andern Polygonen etwas abweichendes Resultat zeigt. Im Allgemeinen findet in Be- zug auf die Distanzen nach genauer Vergleichung mit dem Facsimile des Basler-Exemplars ziemliche Ueberein- stimmung statt, ich habe höchstens Abweichungen von 1—5 mm konstatiren können. Ein weiteres Kriterium, ob die Karte ächt sei, bildet die Berechnung des sogenannten mittlern Unterschieds. Um denselben zu finden, da ihn Wolf als Mass der Ge- nauigkeit der Karte gebraucht, setzt Wolf bei jedem Po- lygon ff =m:-m-—M,, wo m = mittlerer Reductions- 5. —- N, +» Ms M, faktor, hier = 1,41. , = m, -m —M, Angenommen, es seien n solche Vergleichungen für jedes Polygon durchgeführt und f = mittlerer Unterschied, so finden wir f aus der Relation ei A 3: SE = er 5 = ee a RE, nt BR Ar Ich habe für die zu untersuchende Karte die Rech- nung auch vorgenommen und habe erhalten für I. Polygon f = + 24,19 (Wolf & 26,4) 1]: Sum EN re (Wolf + 16,4) II. act — \ck 38.503 (Wolke ge IN; — + 4863 (Wolf + 32,1) Im Mittel finde ich & 31,66 und Wolf (+ 28,7). Die Unterschiede sind gering, mit Ausnahme des letzten Polygons und rühren wohl hauptsächlich davon her, dass ich als mittleren Reduktionsfaktor 1,41 genommen habe, während Wolf 1,42 gebraucht. Dass das letzte Polygon unmöglich exact stimmen kann, geht aus Obigem klar hervor. Trotz dieser kleinen Divergenzen steht fest, dass die Berner Stadtbibliothek durch die uneigennützige Gesin- nung des Herrn A. Bietrix in St. Imier in den Besitz einer kartographischen Seltenheit ersten Ranges gelangt ist, die als zweites in der Schweiz gefundenes Exemplar der alten Tchudv’schen Karte unsere Beachtung voll und ganz verdient. Zum Schlusse sage ich dem Herrn Prof. Dr. Wolf, Herrn A. Bietrix und Herrn Dr. Riggenbach für ihre be- reitwillige Hülfe zur Feststellung der Aechtheit der Karte meinen verbindlichsten Dank. — Alfred Jonquiere. Mathematische Untersuchungen über die Farben dünner Gypsblättchen im polarisirten Lichte. Vortrag gehalten in der Sitzung vom 14. März 1885. Die Erscheinungen, welche an dünnen Gypsblättchen im polarisirten Lichte auftreten, gehören wohl zu den schönsten und lehrreichsten der gesammten Optik. Es gibt wohl kaum Thatsachen, die für die Anschauungen über das Wesen des Lichts von so grosser Bedeutung sind und deren Erklärung so sehr für die Richtigkeit der Un- dulationstheorie spricht, wie die Farbenerscheinungen doppeltbrechender Krystallplatten im polarisirten Lichte. Von den einfachen Prinzipien der Undulationstheorie aus- gehend, ist es möglich, die verwickeltsten Erscheinungen der Optik mit mathematischer Sicherheit vorauszube- stimmen, bevor sie noch durch das Experiment bestätigt sind. Die vorliegende kleine Arbeit hat zum Zwecke, zu zeigen, wie es möglich ist, die an dünnen Gypsblättchen im polarisirten parallelen Lichte auftretenden Erschei- nungen mit Hülfe der reinen Mathematik unabhängig vom Experimente mit Sicherheit zu bestimmen. Lässt man einen durch einen beliebigen Polarisator polarisirten Lichtstrahl senkrecht durch ein dünnes Gyps- blättchen treten, dessen beide optischen Achsen in der Schnittebene liegen, und betrachtet man das Blättchen durch ein Nicol’sches oder Foucault’sches Prisma, den sog. U OB Analysator, so sieht man im Allgemeinen eine mehr oder weniger deutlich ausgeprägte Farbe. Sind Analysator und Polarisator entweder in paralleler oder in gekreuzter Stel- lung und dreht man das Gypsblättchen um den Strahl als Axe, so ändert sich die Intensität der Färbung; dreht man dagegen bei unveränderlicher Stellung des Blättchens den Analysator, so ändert sich die Färbung selbst. Es ist wohl sehr schwierig, wenn nicht geradezu unmöglich, ohne Anwendung von Mathematik eine Erklärung dieser Er- scheinungen zu geben, welche nicht nur für einige spe- zielle Fälle passt, sondern alle denkbaren Fälle in sich schliesst. Bei Zuhülfenahme des mächtigen Hülfsmittels der Mathematik gestaltet sich dagegen die Sache ziemlich einfach und übersichtlich. p Es stelle in neben- G stehender Figur die Zeichnungsebene die Ebene des Gypsblätt- chens dar. In o sei die Eintrittsstelle des senk- recht einfallenden Strahls, dessen Schwin- gungsebene in PP zur seraden Linie verkürzt erscheint. Im Krystall sind Schwingungen nur nach zwei zu einander senkrechten Richtungen GG und G’G‘ möglich ; der einfallende in der Richtung PP schwingende Strahl muss daher in 2 Strahlen zerlegt werden, von denen der eine nach GG, der andere nach G’G‘ schwingt. Nehmen wir an, die Strecke oP stelle der Grösse nach die Vibrationsintensität des einfallenden @ SEHAaR. DS Strahls dar, d. h. die Geschwindigkeit, mit welcher ein unter dem Einflusse dieses Strahls schwingendes Aether- theilchen die Gleichgewichtslage passirt; dann erhalten wir die Vibrationsintensitäten der beiden Strahlen im Kry- stall, indem wir die Strecke oP=a auf GG und G‘G‘ projiciren. Bezeichnen wir dann den Winkel, den die beiden Richtungen PP und GG mit einander bilden, mit go, so haben wir po —= 4.008; go = asiny. Mit diesen Vibrationsintensitäten treten die beiden Strahlen aus dem Krystall. Da aber die Elastizität des Aethers im Blättchen nach der Richtung GG eine andere ist, als nach der Richtung G’G‘, so pflanzen sich auch die beiden Strahlen im Krystall mit ungleicher Geschwindig- keit fort und es wird ein Strahl dem andern um eine be- stimmte Strecke voraneilen. Nach dem Austritt aus dem Blättchen werden die beiden Strahlen einen absoluten Gangunterschied * oder einen in Wellenlängen ausge- drückten Gangunterschied a haben, wenn wir mit A die Wellenlänge des einfallenden Lichtes bezeichnen. Die beiden bei o austretenden Strahlen können nicht interferiren, weil ihre Schwingungsebenen rechtwinklig zu einander stehen, die Interferenz wird aber zu Stande kommen, wenn die Schwingungen der austretenden Strahlen auf die Schwingungsebene des Analysators reduzirt werden. AA sei die Schwingungsebene des Analysators. Sie bilde mit der Schwingungsebene PP des Polarisators den Winkel /y. Die Projektionen mo und no von po und go stellen die Vibrationsintensitäten der beiden Strahlen nach der Reduktion auf die Schwingungsebene A A des Analy- sators dar und wir haben offenbar EEE TI I ERFR u SS un Sp En A IBHR: mo — 20 .C08 (dp) = 3008 Y.C0s (d—%) no — — g0.$sin (d—g) = — a8iny .sin (d—y) und zwar ist no negativ zu nehmen, weil es der als po- sitiv angenommenen Richtung om entgegengesetzt ist. Diese beiden Componenten mo und no kommen nun zusammen zur Interferenz. Wir kennen die Vibrations- intensitäten der beiden interferirenden Strahlen, die des einen ist — 8c08 cos (Y—y), diejenige des andern — — asinysin (P—g); ihr Gangunterschied beträgt, wie wir gesehen haben, - Wellenlängen. Aus diesen Daten lässt sich leicht die Vibrationsintensität des aus den beiden Strahlkomponenten resultirenden Strahls berechnen. Es ist nämlich nach einer bekannten Formel der mathema- tischen Optik v-yYw + v? + 2u-Vv+.co0s22°W wo u und v die Vibrationsintensitäten zweier interferi- render Strahlen, w ihren in Wellenlängen ausgedrückten Gangunterschied, V die Vibrationsintensität des resulti- renden Strahls bedeutet. Unter Anwendung dieser Formel erhalten wir für unsern Fall Ne Vl. cos? p cos? (d—g) + a? sin? o sin’ (d—o) — 232008 9 c0sS (Yd—g) sin p sin (d—%) COS 27 | Die Lichtintensität J ist bekanntlich proportional dem Quadrate der Vibrationsintensität V, kann also einfach — YV? gesetzt werden. Es ist somit 93 | c0s*gcos® (d—g) + sin?gssin? (d—) B 5 % — 208 p cos (d—%) Sin g sin (d—%) c08 2 | INTER er — 9? | 008° 7 1-sin? | + sin? o sin? (Y—y) Bar . % — „7 sın2 gsin2 (Y—g) c0s2ar | ee | 008° p — 6082 y sin? (d—y) Bar h x „sn 2 og sin2 (b—g) cos? =| Alle Erscheinungen, welche an dünnen Gypsblättchen im polarisirten Lichte auftreten, lassen sich aus dieser Formel ableiten. Man muss dieselbe nur gehörig unter- suchen und die in mathematischer Form gewonnenen Re- sultate richtig interpretiren, um die bei allen denkbaren Stellungen des Analysators und des Gypsblättchens sich zeigenden Erscheinungen vollständig zu erklären. Die Formel enthält 4 Variable g, d.h. die Stellung des Gypsblättchens, ı oder die Stellung des Analysators, x eine Grösse, die, wie wir später sehen werden, haupt- sächlich von der Dicke des Blättchens abhängt; endlich *, d. h. die Farbe des einfallenden Lichts. In Bezug auf diese 4 Variablen lassen sich verschie- dene Fälle unterscheiden: 1. Y, x, X seien konstant, „ variabel, d. h. das Gyps- blättchen werde gedreht. Wir fragen uns, welche Lage wir dem Gypsblättchen geben müssen, damit es in seiner grössten oder kleinsten Helligkeit erscheint. Der erste Differentialquotient des Ausdruckes für J in Beziehung auf & liefert uns, wenn wir ihn — 0 setzen, diejenigen Werthe von %, für welche wir entweder ein Maximum oder ein Minimum von Helligkeit haben. Welches von Bern. Mittheil. 1884. NE ITEl, Be beiden der Fall ist, entscheidet der zweite Differential- quotient, indem bekanntlich einem positiven Vorzeichen des zweiten Differentialquotients ein Minimum, einem ne- gativen Vorzeichen dagegen ein Maximum entspricht. Wir finden durch Differentiation 3, ur E sin29+ 2sin2% sin’ (®—g) + c0s2% sin 2 (b—) — 0082 sin2(y—y) c0s2 7 - + sin 2% c082 (db —%) 082 7 | I, — a | sin2@cos2(p —g)+ 60829 sin2(y —g) + sin2 (29— 1b) cos 22 | = — a (1— 00822 -)sin2(20—%) —- sin2(2y—Yy) = 0 2(29—ı) = na Re a! 2 wo n eine beliebige ganze Zahl bedeutet. Für den zweiten Differentialquotienten findet man unmittelbar den Ausdruck J, — — 4a? (1—cos 22) cos 2 (2py—ıb) — — 49? (1— 0052: ) cosn woraus man sofort ersieht, dass man Maxima für gerade, Minima für ungerade n hat. Wir haben also i R WD Y a ı Maxima für o a = Ho a 7 ah. Yw 5n DT Y Minima für % = ta Dre Sind Analysator und Polarisator gekreuzt, so ist De N # IBT:. Y = = und wir haben dann für @ = 45°, 135°, 225°, 315° grösste Helligkeit für @ = 90°, 180°, 270°, 360° absolute Dunkelheit. Beim Drehen des Gypsblättchens ändert sich also, wie wir soeben gesehen haben, die Helligkeit. Es fragt sich nun noch, ob die Intensität aller Farben sich in glei- chem Masse verändert, d.h. ob das Blättchen stets die- selbe Farbe zeigt, oder ob auch diese einer Veränderung unterworfen ist. Auch hierüber gibt uns unsere Formel Aufschluss. Wir sehen zunächst, dass alle Farben mit derselben Intensität auftreten für alle diejenigen Werthe von y, für welche das Glied sin 2% sin 2 (d—g) cos 22 verschwindet. In diesem Falle erscheint das Blättchen farblos und zwar je nach dem Werthe von ı mehr oder weniger hell. Der genannte Fall tritt offenbar ein für die folgenden Werthe von g: (4 7 317 7 EU Ba Beh rn. In der Mitte zwischen je 2 solchen Stellungen, wo das Blättchen farblos erscheint, befinden sich die Stellungen grösster und kleinster Helligkeit. Schon der Umstand, dass der Uebergang von einem Maximum zu einem Mini- mum von Intensität durch Farblosigkeit hindurchgeht, lässt als wahrscheinlich erscheinen, dass das Blättchen in den Maximum-Stellungen eine andere Farbe zeigt, als in den Minimum-Stellungen. Diess bestätigt auch unsere Formel. Y “r Setzen wir nämlich einmal 9 = (2n + 1) en das andere Mal % TEN x 5 +79; 80 erhalten wir "RE" A JTAESE \ AIR, Ka ty für die Minimum-Stellungen: J=a? [ eos®It2n + ), + n — (c0S | (22 +1) — + ab aaa. N Ds Ba x sin a für die Maximum-Stellungen : Rz Ihe [os (n+ =) — cos (nı+/) sin? (IE REN, x — 5, sin ıD C08 27 -. In den Minimum-Stellungen werden a Farben am meisten hervortreten, für welche cos 9a — amgrössten ist, dagegen werden diejenigen Farben am Be sicht- bar sein, für welche cos 22 sich seinem kleinsten Werthe nähert. Gerade das insekilirie tritt bei den Maximum- Stellungen ein. Bei diesen sind diejenigen Farben, für welche cos 22 gross ist, schwach, diejenigen, für welche co822- klein ist, stark vertreten. Es folgt daraus, dass die Farbe, welche das Blättchen in seinen Maximum- Stellungen zeigt, zu der den Minimum-Stellungen ent- sprechenden Farbe in einem ähnlichen Verhältnisse steht, wie eine Farbe zu ihrer komplementären. Obschon die beiden Farben im Allgemeinen nicht genau komple- mentär sind, so erscheinen sie doch dem Auge als nahe- zu komplementär. Es ist leicht zu sehen, wie sich die Sache gestaltet, wenn Polarisator und Analysator ge- kreuzt sind. An Stelle der Farblosigkeit tritt dann voll- kommene Dunkelkeit und die Minimum-Stellungen fallen mit den Stellungen vollkommener Dunkelheit zusammen. Das Blättchen zeigt dann beim Drehen nur eine Farbe. BEN Ri j 4 RN On) 2. 9, #, 4 seien konstant, ı» variabel, d. h. der Ana- lysator werde gedreht. Wir fragen uns, welche Stellung wir dem Analysator geben müssen, um ein Maximum oder Minimum von Intensität zu erhalten. Durch Differentiation in Bezug auf ı finden wir: I, — a? [cos 2rsin2 (pP —g) +sin2YCos2 (—g) cos 27 | tg2 (d—g) + tg29 -cos2 nn ei tg (22002) = — 1829 60527, ı — arctg E tg2% cos2: | +g+ T Für den zweiten Differentialquotienten erhält man den Ausdruck ve _ 222| cos 296082 (d—g) — sin?psin2(P—g)coSs 22 | — 9920082 g 0082 (ı | 1—tg Ypte2ld—p) cos 22 | 2a "992 | 1+t8? 9 (6-9) | c0oS2 c082 (b—y) Wie wir sehen, sind die Werthe von /, für welche die Intensität ein Maximum oder Minimum ist, abhängig von %, der Lage des Blättchens, x, der Dicke desselben, und A, der Farbe des einfallenden Lichts; ebenso hängt das Vorzeichen von J“ von diesen 3 Grössen ab. Für jede Lichtsorte sind die Werthe von v, für welche Maxima oder Minima eintreten, andere. Umgekehrt wird einem bestimmten Werthe von», d.h. einer bestimmten Stellung des Analysators, im Allgemeinen nur eine oder wenigstens eine beschränkte Anzahl von Farben entsprechen, welche in grösster Helligkeit erscheinen. Bei jeder neuen Stel- lung des Analysators tritt auch eine neue Farbe in den Vordergrund und das Blättchen muss daher beim Drehen des Analysators nothwendig seine Farbe verändern. Setzen wir in J, + an Stelle von ı), so ändert on der Faktor cos u und mit ihm J" das Vorzeichen, d.h. wenn für eine bestimmte Stellung des Analysators eine bestimmte Farbe in grösster Helligkeit auftrat, so hat man für dieselbe Farbe nach Drehen des Analysators um 90° ein Minimum und umgekehrt. Substituiren wir in unserer Hauptformel für J Y+ = an Stelle von v, so ergibt sich J. =a? | 608? 4 — 0082 p cos’ (db — Y) r n sin 2 g sin 2 (1) c08 22 — 4? Jd + Die beiden Intensitäten ergänzen sich zu a?, d.h. zur grössten Intensität, welche überhaupt möglich ist. Da diess für alle Farben gilt, so wird nach Drehung des Ana- lysators um 90° jede Farbe in der komplementären Inten- sität auftreten. Das Blättchen muss daher in der Kom- plementärfarbe erscheinen. Setzen wir N in der Hauptformel a —, so ist A = — undy—= E 4 = 2 a —= a? [5 — 5 sinnz- cos 22 —- -|-> Die gefundene Intensität ist ganz unabhängig von der Farbe des Lichts. Wenn also eine der Schwingungsrich- tungen im Krystall mit der Schwingungsebene des Polari- sators einen Winkel von 45° macht und die Schwingungs- ebene des Analysators parallel oder rechtwinklig zu dieser ZEN BR Stellung ist, so zeigen sich alle Farben in derselben In- a2 tensität 5 und das Resultat wird somit sein, dass das Blättchen farblos hell erscheint. 3. Nachdem wir den Einfluss der Stellung des Gyps- blättchens und des Analysator’s kennen gelernt haben, bleibt uns zunächst übrig, zu untersuchen, inwiefern die Dicke des Blättchens die Erscheinungen beeinflusst. Zu dem Zwecke müssen wir vorerst die Bedeutung der Grösse x genau feststellen. Ist A die Wellenlänge einer bestimmten Farbe, sind ferner A, und }, die Wellenlängen derselben Farbe für die beiden Strahlen im Krystall und n und n‘ die bezüglichen Brechungsexponenten, so ist, wenn wir die Dicke des Blättchens mit d bezeichnen: A N A h Hr ZB, Tag n‘; oder }, = Bl en Auf die Dicke des Blättchens gehen daher für den einen Strahl nn für den andern z Wellenlängen. Nach dem Austritt aus dem Krystall haben die beiden Strahlen einen Gangunterschied von ei Wellenlängen. Dieser Gangunterschied ist aber nach Früherem = = Wir haben somit die einfache Beziehung: x = d (n—n’). Wenn wir den gefundenen Werth von x in die Formel für J einsetzen und J nach d differenziren, so erhalten wir 4 2, —_n“ ö 2 ER) De ee) sin 2% sin 2 (Y—g) sin 2x a, a 0% Ir d(n—n‘) —= rTı sin 2a — K wo r eine beliebige ganze Zahl bedeutet LE 1 2 n—n’ N urn), nel Berücksichtigt man, dass 2x en = Tnrist, so er- gibt sich der zweite Differentialquotient 22 NA U u sin 2y sin 2(d—) cos ra Das Vorzeichen von Ja hängt ab vom Faktor sin 2% sin 2(b—g) und von T. Ist sin 2% sin 2ıp—r) positiv (was z. B. bei gekreuzten Polarisatoren der Fall ist), so hat man 1 A 3 A 5 A a }. 21 34 n—n‘’ n—n‘’'n—n‘” Maxima für d= Minima für d= Umgekehrt wird das Verhältniss, wenn sin 2% sin 2) —g) negativ ist (bei parallelen Polarisatoren). Dreht man den Analysator um 90°, so ändert der Faktor sin 2% sin2(y—y) sein Vorzeichen und wir haben dann Maxima für dieselben Dicken, für welche wir früher Minima hatten, und umgekehrt. Die Brechungsexponenten n und n‘ sind ausser von der Beschaffenheit des Krystalls nur noch abhängig von A, von der Farbe des Lichts. Die obigen Werthe von d sind also nur Funktionen von A. 4. Es bliebe nun schliesslich noch übrig, zu unter- suchen, welche Farbe bei einer bestimmten Stellung des Gypsblättchens und des Analysators und bei gegebener Dicke des Blättchens im Maximum oder Minimum von Helligkeit auftritt. Zu diesem Zwecke sollte man die In- tensität J nach % differenziren. Diese Differentiation ist jedoch nur ausführbar, wenn man n und n’ als Funktionen von A kennt. Da jedoch eine mathematische Beziehung Te! A WENDE Na Ta Ana EEE a a Fa N a a Er a . er ’ b u f r 7 ö De ae zwischen deu beiden Brechungsexponenten n und n‘ und der Wellenlänge X kaum bekannt ist, so sind wir genöthigt, auf diese Untersuchung zu verzichten. Zum Schlusse können wir uns noch folgende Frage zur Beantwortung vorlegen: Es sei eine bestimmte Lichtsorte von der Wellenlänge A und eine bestimmte Stellung des Analysators gegeben. Wir fragen uns, welche Dicke das Blättchen haben muss und welche Lage wir dem Gypsblättchen geben müssen, damit die betreffende Farbe im Maximum der Intensität erscheint. Nach Früherem haben wir für ein Maximum folgende Bedingungen : ST T A Ger N Wir wissen jedoch noch nicht. ob r gerade oder un- gerade sein soll. Es war Ja = Const. x sin 2% sin 2 (d—g) cosra Setzen wir = — BE nr so wird = 27 sin 2% sin 2 dp —g) = sin (nz+p) sin (P—na) = sin’Y Somit Ja = Const. x sin 4. cosra Damit Ja negativ wird, muss r ungerade sein; im Fall eines Maximums muss also die Dicke d die folgenden Werthe haben: 1 A IR A 5 ) 3. n—-n’ 2° n-n‘!':2 nn’ Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1112, ee I) Kr U X Bar RL ME Wenn die Dicke des Blättchens ein ungerades Viel- faches von ; . ist und wenn wir dem Blättchen 2 DM eine solche Stellung geben, dass eine seiner Schwingungs- richtungen parallel oder rechtwinklig zur Halbirungslinie des Winkels « ist, so erscheint die betreffende Farbe von der Wellenlänge X im Maximum der Intensität. Dieses Maximum selbst finden wir, wenn wir in der Hauptformel (1) r } » ana, wo r eine ungerade Zahl bedeutet. Man gelangt dann nach mehreren Reduktionen zu dem merkwürdigen Resul- tate, dass J —= a? ist, also ganz unabhängig von der Stellung des Analysators.. Wenn man nur dem Gypsblätt- chen eine solche Lage gibt, dass eine seiner Schwingungs- richtungen parallel oder rechtwinklig zur Halbirungslinie von » ist, so wird stets, wenn die Dicke des Blättchens für’) > + statt und statt d einsetzen, en aan ist, die betreffende a a 1! Farbe in der grössten Intensität a?, welche überhaupt möglich ist, auftreten. Auf ganz ähnliche Weise gelangt man zu dem Resul- tate, dass, wenn eine der Schwingungsrichtungen im Blätt- chen einen Winkel von 45° mit der Halbirungslinie von Y macht, und wenn die übrigen Bedingungen dieselben sind, wie oben, die betreffende Farbe die Intensität 0 hat, d.h. vollständig fehlt. ein ungerades Vielfaches von TITTNNNNnnNNn Beiträge zur Kenntniss der Schwammvergiftungen Ueber die Vergiftungen mit Knollenblätterschwamm (Amanita phalloides, Agar. bulbos.) in Bern im Jahre 1884 I. Botanischer Theil von B. Studer jun., Apotheker. II. Pathologische Anatomie und Toxicologie von Dr. Hermann Sahli. III. Klinischer Theil von Dr. Ernst Schärer. re nina ET TREE Be Br re DE De ENIB NAT » Er RR | BR Sk B. Studer, jun. Ueber die Vergiftung mit Amanita phalloides in bern im Jahre 1884. I. Botanischer Theil. Vorgetragen in der Sitzung vom 21. Februar 1885. Mit einer chromolithographischen Tafel. Dienstag den 19. August 1834 wurde der städtischen Sanitäts-Commission in Bern die Anzeige gemacht, dass in einer hiesigen Familie 7 Personen an Vergiftungs- erscheinungen erkrankt seien, welche einem drei Tage vorher genossenen Pilzgericht zugeschrieben wurden. Leider war es nicht möglich, von dem corpus_ delicti Ueberreste zu erhalten, indem das Pilzgericht vollstän- dig aufgezehrt und auch die bei der Zubereitung ent- standenen Abfälle längst entfernt waren. Durch die Ver- mittlung der Polizei gelang es indessen, nicht nur die Frau ausfindig zu machen, welche die Pilze gesammelt und auf dem Markte zum Kauf angeboten hatte, sonderu es wurden auch am 19. August bei dieser gleichen Frau eine Partie zum Verkauf in die Stadt gebrachten Pilze confiscirt, deren Identität mit den am vorhergehenden Samstag verkauften Pilzen von Augenzeugen festgestellt werden konnte. Dieser Pilz erwies sich als der weisse Knollenblätterschwamm (Agaricus od. Amanita phalloides), ein Schwamm, welcher schon viel mehr Vergiftungen ver- ursacht hat, als der bekannte Fliegenpilz (Amanita mus- caria), den jedes Kind kennt und scheut. Es dürfte dess- Kr hN. Br A BRD Anal NR "PAR x Na halb nicht unzweckmässig sein, dieses gefährliche Gewächs etwas genauer zu betrachten und durch Vergleichung mit dem geschätzten Champignon (Agaricus oder Psalliota campestris), mit welchem er am häufigsten verwechselt wird, zu zeigen, wie man sich gegen solch’ verderblichen Irrthum sicher stellen kann. Amanita phalleides. Das Subgenus Amanita gehört zu den Blätterpilzen (Agaricineen) und ist dadurch aus- gezeichnet, dass jeder Pilz im ersten Entwicklungsstadium des Fruchtkörpers von einer doppelten Hülle eingeschlossen wird, die sich in velum universale und velum partiale differenzirt. In ganz jungem Zustande ist der Pilz eiförmig, weiss, von der Grösse eines kleinen Hühnereies. Bei ein- tretender Streckung der Längsaxe wird zuerst das velum universale gesprengt und seine untere Hälfte umgibt als Wulst oder Manchette den Knollen, aus welchem der Strunk des Pilzes emporsteigt. Bei fortschreitendem Wachsthum zerreisst auch das velum partiale (der Schleier) und als Ueberrest bleibt ein häutiger, glockenförmig herab- hängender Ring, welcher dem Strunk des Pilzes unterhalb des Hutes anhängt. Amanita phalloides kommt hauptsächlich in zwei Va- rietäten vor, die eine mit hellgrünem Hute (amanita vires- cens, Flor. dan., der Schierlingsblätterschwamm) und die andere mit rein weissem Hute (amanita bulbosa alba Bull). Da der Unterschied bloss in der Farbe besteht, so werden Beide in neuerer Zeit unter dem Namen Amanita phalloides Fr. vereinigt. Die weisse Varietät, welche hier ausschliess- lich in Betracht fällt, zeigt einen in der Jugend fast halb- kugeligen, im Alter mehr polsterförmigen, 3-10 cm breiten Hut. Die Oberfläche ist weiss oder weissgelblich, häufig mit gelblichen, unregelmässigen, häutigen Schuppen be- kleidet, welche aus anklebenden Ueberresten des velum ARISEN L, >» ER partiale bestehen, wie wir dies beim Fliegenpilz zu sehen gewohnt sind. Das Hutfleisch ist dünn, besonders gegen den Rand zu beinahe hautartig, weich, weiss, an der Luft unveränderlich. Die Lamellen sind weiss, dicht stehend und ungleich lang, Der Strunk ist weiss, nahezu cylin- drisch, im Alter kegelförmig und am Grunde in einen dicken Knollen übergehend. In erster Jugend ist der Strunk nicht hohl, sondern mit einem zarten Gewebe ausgefüllt, das aber mit zunehmendem Alter schwindet, so dass er später von oben bis auf den stets massiven Knollen hohl erscheint. Ungefähr 0,01 m unter dem Hut hängt der weisse, häutige, leicht zerreissbare Ring. Die Sporen sind kugelig und weiss. In jungem Zustand ist kein auffallen- der Geruch wahrzunehmen ; auch der Geschmack ist nicht unangenehm. Gekocht soll der Pilz sogar sehr wohl- schmeckend sein Der Ohampignon (Psalliota campestris) gehört eben- falls zu den Agaricineen, hat jedoch im Gegensatz zu Amanita nur eine einzige Hülle, so dass dem vollständig entwickelten Pilz die Manchette fehlt und nur der Ring bleibt als Ueberrest des velum partiale. Bloss in jungem Zustand hat er Aehnlichkeit mit dem Knollenblätter- schwamm, so lange nämlich die Lamellen noch weiss sind. Später werden dieselben successiv rosa, violett bis schwarz. Der Hut ist weiss oder gelblichweiss, seiden- glänzend, 0,03—0,12 m breit. Der Strunk ist weiss, glatt, derb, meistens voll, bis 0,15 m lang und 0,02 m dick. Die Sporen sind purpurbraun, elliptisch., Der Ring ist häutig, dauerhaft, oft zerschlitzt, aber immer horizontal abstehend. Bei der Zusammenstellung dieser beiden Beschrei bungen ergeben sich folgende Unterscheidungsmerkmale. BRIAN = Maya Amanita phalloides. Psalliota eampestris. Manchette: vollkommen, dauernd total fehlend Strunk: ausgezeichnet knollig, am Grund schwach an- hohl, zäh, biegsam geschwollen, dicht, brüchig Ring: glockenförm.,gestreift abstehend Lamellen: weiss, ungleich lang rosa bis schwarz, fast gleich lang Sporen: weiss, kugelig purpurschwarz, ellipt. Dan sn nicht ablösbar leicht abzuziehen Geruch: meist fehlend schwach, aber sehr fein, aromatisch Dass der Nährwerth der Pilze ein sehr bedeutender ist, wird kaum Jemand in Abrede stellen wollen. Sie ver- danken denselben ihrem hohen Gehalt an Stickstoffsub- stanzen einerseits und ihrem hohen Gehalt an Phosphaten und Kalisalzen anderseits. Hingegen sind die darauf be- züglichen Angaben und Vergleichungen, denen man beson- ders in neuerer Literatur öfters begegnet, mit einiger Vorsicht aufzunehmen. So bringt die „Tribune de Geneve“ im October 1884 folgendes Curiosum : Stickstoffsubstanz in der Morchel 22,5 °/,, in der Kartoffel 1,75 °/,. Hier hat der Autor übersehen, dass bei der Analyse der Mor- chel bei 100° getrocknetes oder wenigstens lufttrockenes Material vorlag, während die Kartoffel in wasserhaltigem Zustand zur Bestimmung gelangte. Da die Morchel durch- schnittlich*) 90 °/, Wasser enthält, so wäre kaum mehr Raum für 22,5 °/, Stickstoffsubstanz und 46 °/, stickstoff- freie Extract-Stoffe.. Wenn die Analyse über den Nähr- *) König, Menschliche Nahrungs- und Genussmittel. 1882, mag. 152. RER werth einer Substanz Aufschluss geben soll, so muss das in natürlichem Zustand vorhandene Wasser mit in Rech- nung gebracht werden. So enthält die Morchel in frischem Zustand 3,38°/, Stickstoffsubstanz*), die Kartoffel 1,95°/,**). Wie Lenz dazu kommen konnte, auf Seite 35 seines sonst vorzüglichen Werkes „Die Schwämme“ zu behaupten, dass die Pilze bezüglich ihres Stickstoffgehaltes an Nährwerth das Fleisch zu ersetzen im Stande seien, wäre unbegreif- lich, wenn man nicht annimmt, dass er sich in ähnlicher Weise verrechnet hat. Zur Illustration dieser Behauptung erlaube ich mir, Ihnen zum Schluss eine kleine Zusammenstellung über den Proteingehalt einiger Nahrungsmittel vorzulegen, die alle dem bereits oben citirten Werke von König „Cheiwi- sche Zusammensetzung der menschlichen Nahrungs- und Genussmittel“ entnommen sind. Wasser: Stickstoffsubstanz : Ochsenfleisch 7225 °/, 20,9: 9/5 Trüffel 72,8 % 8,65 %/, Mittel aus 9 Agaricus-Arten 90,4 °%, 3,0: Mittel aus 8 Boletus-Arten 91,3%, 159%, Kartoffeln RN 1,90% Erbsen 14,99 °/, 22,85 °/, Linsen 12,34 °/, 2,8: Aus dieser Zusammenstellung ist ersichtlich, dass der Nährwerth der Pilze ein durchaus nicht zu verachtender ist, aber doch denjenigen des Fleisches und besonders unserer in dieser Beziehung immer noch zu wenig ge- würdigten Leguminosensamen bei Weitem nicht erreicht. *) König, Menschliche Nahrungs- und Genussmittel. 1882, I, pag. 152. **) Ebendaselbst pag. 125. Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1113. FEW Be. ge Dr. EM. Sahli. Ueber die Vergiftungen mit Amanita phalloides (agaricus bulbosus — Knollen- blätterschwamm) in Bern im Jahr 1884, 11. Pathologische Anatomie und Toxicologie. Theilweise vorgetragen in der Sitzung vom 21. Febr. 1885. Unser Landsmann Trog nennt die Schwämme des Waldes „ein unbenutztes, todtes Kapital, ein bis dahin ungeöffnetes Vorrathshaus von Lebensmitteln, das uns am Besten zeigt, in welch einem von Gottes Güte gesegneten Lande wir geboren wurden, indem wir bis dahin nicht nöthig hatten, von diesem Lebensmittel Gebrauch zu machen, während in vielen Ländern, wie Deutschland, Böhmen, Oesterreich und Italien, die Schwämme häufig zur Speise benutzt und. in unzähliger Menge zu Markte ° gebracht werden, ja es selbst ganze Gegenden gibt, wie in Polen und Russland, wo die armen Leute während mehrerer Monate ausschliesslich auf dieses Nahrungs- mittel angewiesen sind.“ Obschon diese Worte schon im Jahr 1848 geschrieben wurden, so scheinen sie doch immer noch in sofern Geltung zu haben, als, trotzdem von gemein- nütziger Seite vielfach auf die Vortheile der Schwamm- nahrung aufmerksam gemacht wurde, doch eigentlich noch jetzt nicht gesagt werden kann, dass bei uns in der Schweiz die Schwämme einen irgendwie wesentlichen Faktor für den Unterhalt des Einzelnen oder ganzer Fa- milien ausmachen. Es mag theilweise hiermit zusammen- hängen, dass die Schwammvergiftungen glücklicherweise bei uns in der Schweiz zu den selteneren Ereignissen zählen. Ungemein reich ist dagegen die ausländische Lite- ratur an casuistischen Daten über Schwammvergiftungen, am reichsten wohl die italienische und französische. Die äusserst traurigen, in unserer Mitte vorgekommenen Ver- giftungsfälle des letzten Jahres haben jedoch auch bei uns das Interesse für (die giftigen Schwämme wieder auf- gefrischt und es dürfte daher nicht ganz unzeitgemäss sein, wenn, nachdem Herr Apotheker Studer in der voran- gehenden Mittheilung der botanischen Frage näher ge- treten ist, und unter Anderm durch vorzügliche Abbil- dungen von Amanita phalloides und Psalliota campestris einen werthvollen Beitrag zur Vermeidung der gefähr- lichen Verwechslung dieser beiden Pilze geliefert hat, die Frage der Giftwirkung unserer Schwämme von medizini- scher Seite eine Besprechung erfährt. Ich beabsichtige nun keineswegs, mit der vorliegen- den Mittheilung Hrn. Dr. Schärer vorzugreifen, welcher letzten Herbst die durch A. phall. vergiftete Familie H. im Verein mit Hrn. Dr. Christener behandelt hat und seine klinischen Beobachtungen dem vorliegenden Aufsatze bei- fügen wird. Ich werde vielmehr mich in Betreff der Fälle H. darauf beschränken, den von Prof. Lanshans und mir erhobenen päthologisch-anatomischen Befund kurz mit- zutheilen und mich im Uebrigen an Dasjenige halten, was ich über die klinische Geschichte und das Wesen der Pilz- vergiftung in der Literatur bis in die neueste Zeit mit- getheilt gefunden habe. Die Sectionen wurden von Herrn Prof. Langhans ausgeführt. Derselbe war aber so freund- lich, mir die Organe zur mikroskopischen Untersuchung zu überlassen. | Es ist hier wohl nicht der Ort, die Sectionsprotokolle in extenso zu reproduziren und ich begnüge mich dess- halb damit, nur die Hauptergebnisse anzuführen, indem u ir Fr ad DE Fl a Ps u, N a Be ed I he = Du Ze r DEN, ö \ Gr ” Br j er. » » er ar Ss % r “ er, Br a ich in Betreff der Details und namentlich der Resultate der von mir vorgenommenen mikroskopischen Unter- suchung auf eine spätere Publikation in einem medizi- nischen Fachblatte verweise. Das Auffallendste in beiden zur Section gekommenen Fällen war eine theilweise ausserordentlich hochgradige Verfettung der verschiedensten Organe. Im Vordergrund stand in dieser Beziehung in beiden Fällen die Leber, welche das typische Bild der Fettleber darbot, wie wir sie z. B. bei der acuten Phosphorvergiftung vorfinden. Fast ebenso hochgradig waren die Verfettungen in den Nieren. Sie betrafen hier, wie gewöhnlich, hauptsächlich die Rindensubstanz. Ausserdem war in beiden Fällen in ziemlich hohem Grade verfettet die Muskulatur des Her- zens und — in dem einen Fall deutlicher als im andern — das Parenchym verschiedener Körpermuskeln, vor Allem der Pectorales, der Deltoidei, der recti abdominis, der Adductoren, des Ileopsoas etc., der Zunge und des Dia- phragma’s. In beiden Fällen zeigte der Panniculus adi- posus die Merkmale der Atrophie, er war wenig ent- wickelt und von bräunlicher Farbe. Die Zeichen der Ga- stroenteritis, welche nach dem Bericht der Aerzte das Krankheitsbild eingeleitet hatte, waren nicht mehr nach- zuweisen, wenn man absieht von einer Schwellung des Peyer’schen Plaques und Solitärfollikel des Darmes. Da- gegen fand sich ein Theil der Magen- und Darmschleim- haut intensiv getrübt. Das centrale Nervensystem zeigte keinen irgendwie prägnanten Befund. In beiden Fällen waren subpleurale und intrapulmonale Blutungen vor- handen. Dagegen fehlten subcutane und Schleimhaut- blutungen. Wenn wir hiermit Dasjenige vergleichen, was in der Literatur über den anatomischen Befund bei der Ver- — 55 m giftung mit Amanita phalloides mitgetheilt wird, so ist die Differenz eine ziemlich auffallende. Die ältesten Pro- tokolle erwähnen überhaupt nur gastroenteritische Er- scheinungen mit Ekchymosenbildung in der Darmschleim- haut. Dieses Bild wurde dann etwas erweitert und ver- vollständigt, so dass z. B. Maschka*), welcher 7 Fälle mittheilt, als Haupterscheinungen hervorhebt : „1) Gänz- lichen Mangel der Todtenstarre; 2) Erweiterung der Pu- pillen; 3) grösstentheils flüssige Beschaffenheit des dunkel- kirschbraun gefärbten Blutes, dem nur hie und da einige lockere unter dem Finger gleichsam zerfliessende schmu- tzig gelbe Faserstoffeoagula beigemengt sind; 4) zahlreiche Ekchymosen und Blutaustretungen sowohl in den serösen Häuten als den parenchymatösen Organen; 5) Ausdehnung der mit Urin übermässig angefüllten Harnblase.“ Die Todtenstarre fehlte in der That auch in unsern beiden Fällen. Für einen derselben findet sich im Sec- tionsprotokoll die Angabe, dass die Pupillen „etwas“ weit waren. Die flüssige Beschaffenheit des Blutes wird da- segen in beiden Fällen direkt in Abrede gestellt. Die Ekchymosen waren, wie gesagt, in beiden Fällen vorhan- den, sie beschränkten sich aber auf Lunge und Pleura. Dagegen fehlt in dem Maschka’schen Bilde Dasjenige, was bei unsern Beobachtungen im Vordergrund stand, die hochgradige Adipose verschiedener Organe. Ich habe auch eine grössere Zahl älterer Sectionsbefunde der Phalloidesvergiftung nachgesehen und diese Erscheinung nicht erwähnt gefunden, bis ich schliesslich darauf stiess, dass doch gerade Maschka in dreien seiner Fälle von Fettdegeneration der Leber (von andern Organen wird sie nicht erwähnt) spricht, offenbar aber ohne darauf *), Prager Vierteljahrsschrift 1855, Bd. 2. = 64- irgend welches Gewicht zu legen, da er die Verfettungen in der mitgetheilten Uebersicht der Merkmale gar nicht anführt. Da es sich nach den Untersuchungen von Herrn Studer in unsern Fällen ganz unzweifelhaft um Vergif- tungen mit Amanita phalloides gehandelt hat, so wirft sich die Frage auf, warum die ältern Beobachter ebenso unzweifelhafter Phalloidesvergiftunges von der auffallen- den Erscheinung nichts oder, wie Maschka, nur wenig wissen. Da wäre es in erster Linie denkbar, dass die Verfettungen nicht constant vorkommen. Allein ich muss gestehen, dass diese Erklärung bei der ungemeinen Präg- nanz der Erscheinung in unsern zwei Fällen nicht gerade viel für sich hat und dass es mir wahrscheinlicher vor- kömmt, dass die Differenz davon herrührt, dass die Sec- tionsbefunde meist nur sehr oberflächlich und theilweise auch zu einer Zeit erhoben wurden, wo die pathologisch- anatomischen Kenntnisse noch viel zu wünschen übrig liessen. Mikroskopische Untersuchungen bei jenen ältern Befunden fehlen ganz und wenn auch eine hochgradige Fettleber selbst einem weniger geübten unbewaffneten Auge auffallen sollte, so ist doch die Erkennung selbst hochgradiger Verfettung in den Muskeln und Nieren na- mentlich für Jemanden, der nicht path. Anatom von Fach ist, oft mit Sicherheit nur durch das Mikroskop möglich. Natürlich habe ich auch durchaus kein Recht, bloss auf meine zwei Sectionsbefunde gestützt die Verfettungen als etwas Constantes zu bezeichnen. Jedenfalls aber verdienen die Verfettungen für die theoretische Auffassung der Giftwirkung bei Weitem das grösste Interesse. Nach dem Gesagten dürften die pathologisch-anato- mischen Veränderungen noch am ersten zu vergleichen sein mit denjenigen der acuten Phosphorvergiftung. Die Verfettungen stimmen in Hochgradigkeit und örtlicher Lg Vertheilung vollkommen mit dem überein, was man bei der acuten Phosphorvergiftung findet. Die Verfettung der Magen- und Darmschleimhaut, worauf wahrscheinlich die mikroskopisch sichtbare Trübung dieser Partien in unserem Falle beruhte (der mikroskopische Befund ist hier noch _ nicht erhoben), findet sich, obschon dies weniger bekannt ist, bei der Phosphorvergiftung ebenfalls. Auffallend wenig ausgesprochen waren dagegen bei unsern Sectionen die Blutungen, welche bei der Phosphorvergiftung meines Wissens immer viel ausgedehnter sind und oft grosse Partien des Unterhautzellgewebes infiltriren. Icterus, der bei der acuten Phosphorvergiftung meist vorhanden ist, fehlte bei unsern Patienten *) und ebenso, eigenthümlicher Weise, wenigstens in den auf dem pathologischen Institut untersuchten Harnproben der Eiweissgehalt des Urins. Es ist wohl nicht zu bestreiten, dass trotz dieser erwähn- ten Differenzen die Uebereinstimmung auffallend erscheint. Es gibt dies Anlass zu gewissen theoretischen Er- wägungen über die Art und Weise, wie das Gift in un- serem Falle auf den Stoffwechsel gewirkt haben mag. Die fettige Degeneration der Organe scheint unter allen Umständen hinzuweisen auf eine Herabsetzung der Oxy- dationsprozesse im Organismus und so wurde denn auch für die Phosphorvergiftung die leichte Oxydirbarkeit des Giftes in Anspruch genommen, um zu erklären. warum dasselbe die normalen Oxydationsprozesse im Körper be- schränkt. Der Sauerstoff würde eben dann seinen ursprüng- lichen Zwecken entfremdet und zur Oxydation des Phos- phors verwendet. Aehpliche Vermuthungen liegen ja sehr nahe auch für unsere Pilzvergiftung. In der That scheinen *) Es ist übrigens zu erwähnen, dass in manchen der in der Literatur beschriebenen Fällen von Phalloidesvergiftung auch Icterus nicht fehlte. — 3 — manche Thatsachen dafür zu sprechen, dass gewisse Pilze ungemein leicht oxydable Substanzen enthalten. Jeden- falls läge die Analogie zu der erwähnten Theorie der Phosphorvergiftung nahe, wenn nicht — dies ist der Punkt, worauf es ankommt — eine etwas genauere Ueber- legung gezeigt hätte, dass auch für den Phosphor jene Theorie falsch ist. Eine sehr einfache Berechnung zeigt nämlich, dass wenn die Beschränkung der Oxydationsvor- gänge bei der Phosphorvergiftung auf dem erwähnten grob- chemischen Wege zu Stande kommen sollte, es dazu un- gleich höherer Dosen Phosphor bedürfte. Man hat schon Phosphortodesfälle nach Genuss von 0,05 P. beobachtet, . bei Kindern bedarf es nur einiger Milligramme und diese Quantitäten brauchen zu ihrer Oxydation nur sehr kleine O.-Mengen. Eine tödtliche Dosis von 0,1 Phosphor be- darf zu ihrer Umwandlung in Phosphorsäure nur 13 ©. cm. OÖ, die der Organismus sich in allerkürzester Zeit ersetzen könnte. Mit jener Theorie der Phosphorwirkung steht es daher schlimm und wir müssen hier, wie bei andern Ver- giftungen, auf eine eigentliche Erklärung verzichtend, uns damit begnügen, die Thatsache zu umschreiben, indem wir eben eine spezifische Einwirkung des Giftes auf die Organe annehmen, welche die zu erklärenden Stoffwechsel- veränderungen hervorruft. Dasselbe gilt natürlich für unsere Vergiftungen mit Amanita phalloides in noch hö- herem Masse, da in Wirklichkeit hier ein stark redu- zirender Körper nicht nachgewiesen, sondern von uns vorhin bloss ad hoc supponirt wurde. Wir wissen denn auch über das wirksame toxische Princip der Amanita phalloides noch so gut wie nichts, obschon dies derjenige Pilz ist, welcher, wie man sich durch Nachschlagen der Literatur überzeugen kann, am allerhäufigsten zu Vergiftungen führt. Ich werde hinten DET eine kurze Zusammenstellung der seit 1868 beschriebenen Fälle geben; die ältere Casuistik findet man zusammen- gestellt und verarbeitet in der von Th. Husemann be- sorgten und von ihm reichlich mit Anmerkungen ver- sehenen deutschen Uebersetzung der Schrift von E. Boudier über die Pilze in ökonomischer, chemischer und toxicolo- gischer Hinsicht (1868), welche bis auf den heutigen Tag für denjenigen, welcher sich mit der Frage der Pilzver- giftungen beschäftigt, noch eines der lesenswerthesten Werke ist. Denn abgesehen von der Entdeckung des Muscarins und anderer muscarinähnlicher Substanzen im Fliegenpilz, *) in amanita pantherina und boletus luridus **) und der Erlangung genauerer Kenntnisse über die Morchel- und Lorchelvergiftung ***) haben wir seither in unserem Wissen über Schwammvergiftungen relativ nur wenig Fort- schritte gemacht. E. Boudier theilt in seiner oben erwähnten Schrift die Resultate vieler chemischer Pilzuntersuchungen mit. Aus Amanita phalloides, speziell der Varietät citrina (Sch&ff.) hat er eine amorphe, offenbar noch unreine Substanz dargestellt, in welcher er ein Alkaloid vermuthet, für das er den Namen Bulbosin vorschlägst (Amanita bul- bosa Synonym für A. phalloides). Er glaubt mit dieser Substanz die Giftwirkungen der Amanita phalloides bei Thieren erzeugt zu haben, drückt sich jedoch, da die Ver- *) Durch Schmeedebery und Koppe, 1869. #*#*) Böhm, Beiträge zur Kenntniss der Hutpilze in che- mischer und toxicologischer Hinsicht. Arch. für exp. Pathologie und Toxicologie, 1885, Februar, ###) Boström. Ueber die Intoxication durch die essbare Lorchel (Helvella eseulenta) D. Archiv für klin. Medizin, XXXII, p- 209. — Ponfick. Ueber die Gemeingefährlichkeit der ess- baren Morchel. Virchows Archiv, Bd. 88, p. 445. Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1114. Be 1a suche noch nicht völlig hinreichten, in dieser Beziehung etwas reservirt aus. Bald darauf erschienen weitere Unter- suchungen von Letellier und Speneux über die giftigen Prinzipien der Amanita phalloides. *) Die einzelnen Varie- täten wurden von diesen Autoren nicht auseinander ge- halten. Es sollen hiernach in diesem Pilze zwei wirksame Stoffe vorhanden sein. Der erste,**) als scharfes Prinzip bezeichnet, ist fix und findet sich im wässerigen und al- koholischen Extract. Es bedingt bei Katzen Erstickungs- erscheinungen, Speichelfluss, copiöses Erbrechen und Te- nesmus, selbst blutige Stühle, welche Erscheinungen auch durch den frischen kalt ausgepressten Saft hervorgerufen werden. Das zweite als rein narkotisch bezeichnete Prinzip lässt sich nur durch ein etwas complizirteres chemisches Verfahren isoliren und wurde von den Autoren bloss in amorpher Form erhalten. Es charakterisirt sich chemisch als «glycosidisches Alkaloid» und wird von Letellier, wie eine schon früher von ihm aus dem Fliegenschwamm dar- gestellte Substanz als Amanitin bezeichnet. Dasselbe ist in den Lamellen etwas reichlicher als in dem Fleisch des Hutes vertreten, so dass das Extract der Lamellen stärker giftig wirkt, als solches aus dem Fleisch. Es findet sich im rohen und gekochten Saft und Fleisch, wird durch Trocknen nicht zerstört und hält sich selbst in viel Wasser mehrere Jahre. Beim Frosch wirkt 1 Decigramm subeutan, bei Kaninchen 1 Gramnı subcutan oder '/, Gramm innerlich narkotisch, und zwar in ähnlicher Weise, wie Narcein. Ein flüchtiges Prinzip haben Letellier und Speneux in Amanita phalloides nieht finden können. Nach Letellier *) Annales d’hygiene Janvier 1867, p. 71. *#) TReferirt nach Husemann, Anmerkung auf p. 64 der erwähnten deutschen Uebersetzung des Boudier’schen Werkes. EM "= TR. Vgl (l. ce.) wirkt das Amanitin bei subcutaner Injection ziem- lich rasch. Es tritt bei Kaninchen in 10 Min. bis '/, Std. Torpor ein, dann Betäubung der Sinne, Sinken der Ohren, Paralyse oder Hemiplegie, Verlangsamung der Respiration, Tod in Coma oder nach leichten Convulsionen. Locale Entzündungserscheinungen fehlen dabei. Abgesehen davon, dass das Boudier’sche Bulbosin eben- sowohl als das Letellier’sche Amanitin wohl kaum als chemische Individuen betrachtet werden können, wird der Werth der erwähnten mühevollen Untersuchungen dieser Autoren auch dadurch beschränkt, dass sie in eine Zeit fallen, wo das Muscarin noch nicht entdeckt war. Wir sind somit über allfällige Beziehungen dieser giftigen Sub- stanzen zum Muscarin völligim Unklaren. Dagegen kann man mit Sicherheit sagen, dass das Boudier’sche und das Letellier’sche Gift mit dem von Schmiedeberg und Harnack neben Muscarin aus dem Fliegenschwamm dargestellten, von ihnen auch Amanitin genannten Hydroxz&thyliden — trimethylammonium*) nichts zu thun haben; denn das letztere wird von den Autoren ausdrücklich als pharma- kologisch unwirksam und bloss chemisch zu den Muscarinen gehörig bezeichnet. Die Toxicologie der Amanita phalloides ist somit noch durchaus nicht zu einem irgendwie befriedigenden Ab- schluss gelangt und bedarf erneuter Untersuchungen, die namentlich auch mit Rücksicht auf den theoretisch so interessanten Befund der Verfettungen ganz besonders viel versprechen dürften. Diese Untersuchungen sind auch, *) E. Harnack. Untersuchungen über Fliegenpilzalkaloide, Arch. f. experim. Pathologie und Pharmakologie. Bd. 4, H. 3, 1875. E. Harnack und Schmiedeberg. Ueber die Constitution und Darstellung des Muscarins. Centraiblatt f. d. med. Wissen- schaften, 1875, Nr. 36, p. 198. 2% “ rs 5 PET 1 seitdem wir über die Muscarine und die ihnen eng ver- wandten Ptomaine oder Fäulnissalkaloide durch verschiedene hervorragende Chemiker und Toxicologen so überraschende Aufschlüsse erhalten haben, *) bedeuteud leichter ge- ‚worden und mit Methoden, wie sie z. B. Böhm in der oben erwähnten ganz neuen Arbeit für Amanita pantherina und Boletus luridus angewendet hat, könnte man wohl sicher sein, mit verhältnissmässig geringen Schwierigkeiten über das Gift oder die Gifte der Amanita phalloides in’s Klare zu kommen. Es wäre dies schon wünschenswerth wegen der ausserordentlichen Häufigkeit dieser Vergiftung, welche diejenige durch den Fliegenschwamm und Panther- schwamm bedeutend übertrifft. Eine Hauptschwierigkeit für die Untersuchungen über Amanita phalloides liegt jedenfalls darin, dass man Mühe hat, den Pilz in genü- gender Menge zur Verarbeitung zu erhalten. Böhm brauchte für seine Untersuchungen über A. pantherina und Boletus luridus jedesmal bis 10 Kilo getrockneter Pilze. Um eine solche Menge Amanita phalloides zu erhalten, müsste man jedenfalls einige Jahre sammeln, da der Pilz, so viel mir bekannt ist, nirgends besonders massenhaft vorkommt. Eine sehr nahe liegende Frage wäre die, ob klinischer und anatomischer Befund bei der Vergiftung mit A. phal- loides vielleicht irgendwie für die Annahme sprechen, dass auch bei diesem Pilz die Giftwirkung auf der Anwesenheit von Fliegenschwamm-Muscarin oder von verwandten Mus- carinen oder Ptomainen (Oholin, Neurin etc.) beruhe. Die in der Literatur mitgetheilten anatomischen Befunde der Fliegenschwammvergiftung sind aber viel zu wenig zuver- lässig und vollständig, als dass wir aus der Vergleichung *) Vergleiche die monographische Darstellung von Brieger. Die Ptomaine. Berlin 1885. ET ER derselben mit unsern beiden Sektionsbefunden oder gar mit den nach dem Gesagten meist ebenfalls unzuverlässigen in der Literatur mitgetheilten Befunden bei Phalloides- vergiftung irgend welche sichere Schlüsse ziehen könnten, und was die Symptome betrifft, so glauben sowohl Boudier als auch Husemann gerade aus deren Verschiedenheit auf eine Verschiedenheit der wirksamen Substanz schliessen zu dürfen. Eine vollkommene Identität der Wirkung ist schon aus dem Grunde nicht anzunehmen, weil Amanita phalloides für Fliegen unschädlich, A. muscaria dagegen in frischem Zustand für dieselben ein heftiges Gift ist. Durch die oben erwähnten höchst zeitgemässen Unter- suchungen von Böhm, welche zeigten, dass auch bei andern nicht einmal mit dem Fliegenschwamm verwandten Pilzen Muscarin und muscarinartige Substanzen eine Rolle spielen und durch die neuern chemischen Arbeiten über Ptomaine (Nencky, Brieger u. A.) scheint mir die Frage der Pilz- vergiftungen in ein ganz neues Stadium getreten zu Sein. Man hat jedenfalls bei den Pilzen in erster Linie nach Ptomainen und Muscarinen, beziehungsweise Trimethyl- ammoniumbasen, Keinenfalls aber bloss nach dem Fliegen- schwamm-Muscarin, welches ja bekanntlich schon mit dem künstlichen Muscarin in seinen Wirkungen nicht ganz über- einstimmt, zu suchen. Innerhalb dieses Kreises von Alka- loiden ist die Mannigfaltigkeit noch so gross, dass man sich keineswegs über die verschiedene Wirkung der ein- zelnen Pilzspecies zu wundern brauchte, selbst wenn die Gifte alle demselben angehörten. Auch dürfte die Thatsache, dass jene Gifte uns auch als Fäulnissalkaloide oder Ptomaine entgegentreten, ein gewisses Licht darauf werfen, warum gerade die Pilze, die saprophytischen Ge- wächse par excellence, dieselben in sich bergen. Auch die vielfach angegebene und zur Erklärung gewisser That- a ae sachen nicht wohl ablehnbare Verschiedenheit der Pilz- wirkung nach dem Standort und Jahrgang dürfte eine gewisse Aufklärung erhalten, wenn man annimmt, dass, wenn auch nicht die Gifte selber, so doch chemische Vor- stufen derselben in dem modernden organischen Material, worauf die Pilze wachsen, präformirt sich vorfinden. Dabei liegt der Annahme nichts im Wege, dass innerhalb gewisser Grenzen sich in den Pilzen giftigere und weniger giftige Basen ersetzen können. Die von Böhm hervorgehobene srosse Verschiedenheit der Mengeverhältnisse von Cholin und Muscarin in der Ausbeute von boletus luridus ver- schiedener Jahrgänge dürfte hierhin gehören. Sehr in- teressant sind jedenfalls ‘die Analogien zwischen der Bil- dung von Ptomainen bei der Fäulniss organischer Sub- stanzen unter Mitwirkung von Schizomyceten und der Bildung von Pilzgiften durch den Vegetationsprocess hö- herer Pilze. Es sei mir noch gestattet, kurz den klinischen Ver- lauf der Vergiftung mit A. phalloides nach dem, was ich hierüber in der Literatur gefunden habe, zu charak- terisiren, mit der Bemerkung, dass in den Fällen H. nach der Mittheilung der behandelnden Aerzte das Krank- heitsbild im Grossen und Ganzen mit dem Bekannten übereinstimmte. | Eine der auffallendsten Erscheinungen bei der Ver- giftung mit A. phalloides ist die, dass die Symptome häufig relativ spät, 10—48*) Stunden nach der betreffenden Mahl- zeit auftreten. Bei andern Pilzvergiftungen, überhaupt wohl bei fast allen Vergiftungen, mit Ausnahme derjenigen *) Letzteres z. B. in dem von Orfila (Toxicologie generale 5° edition 1852, Tome II, p. 671) angeführten Falle. (Citirt nach Boudier-Husemann |]. c.) RL durch die Herbstzeitlose werden die Symptome weit früher bemerkbar. Woran dies liegt, ist nicht zu sagen, bis wir die giftige Substanz des Schwammes kennen. Es wäre in erster Linie zu denken an die bekannte Schwerverdaulich- keit*) der Pilze und namentlich gewisser Arten. Vielleicht *) Es seian dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Schwer- verdaulichkeit der Pilze und die damit untrennbar verbundene mangelhafte Ausnutzung des in ihnen enthaltenen Nährmaterials von Denjenigen nicbt berücksichtigt wird, welche in allzu en- thusiastischer Weise, gestützt auf gewisse z. Thl. missverstandene chemische Analysen, den Nährwerth der Pilze in den Himmel er- heben. Es ist überhaupt ein sehr grosser Fehler, der aber häufig begangen wird, aus der chemischen Analyse eines Nahrungsmittels direkt dessen Nährwerth ableiten zu wollen. So weit ist die Che- mie noch lange nicht. Was hilft «der hohe Stickstoffgehalt der Pilze, welcher an denjenigen des Fleisches erinnert», wenn er durch die Verdauung nicht ausgenutzt wird. Lebt doch der Mensch « nicht von dem, was er isst, sondern von dem, was er ver- daut und assimilirt». Daher die vielen Widersprüche zwischen Theorie und Praxis oder besser gesagt zwischen falscher Theorie und Praxis. Wie unvollständig das werthvolle Nährmaterial oft bei den Pilzen ausgenutzt wird, das geht unter Anderem daraus hervor, dass man bei Schwammvergiftungen zuweilen noch viele Tage nach der Schwammiahlzeit Pilzbestandtheile in Erbroche- nem und in den Fieces nachweisen kann; eine Thatsache, auf welche Boudier eine interessante Methode gegründet hat, um aus der mikroskopischen Untersuchung der entleerten Massen die Pilzart, welche zur Vergiftung geführt hat, zu erkennen, was auf anderem Wege oft nicht leicht ist, da die giftigen Gerichte in den meisten Fällen ganz aufgegessen werden. — Ich möchte mit dem Gesagten keineswegs gegen den Genuss der Schwämme eifern, lasse ich ıir sie doch selber jeweilen sehr wohl schmecken, allein ob die Pilze gerade wegen ihres Nährwerthes ihren Ruhm verdienen, das steht so lange dahin, bis über diese Frage physiologische und nicht bloss chemische Untersuchungen gemacht worden sind, was meines Wissens bis jetzt nicht geschah. Die blosse chemische Analyse hat für die Lösung der Frage so gut wie keinen Werth. Praktische Beob- achtungen, wie diejenigen über Z'ungismus und Schwamm- dyskrasie, d. h. über das Auftreten von eigenthümlichen Krank- ei: Puder. er aber ist gerade bei diesem Pilze zum Auftreten der Gift- wirkung, abgesehen von der zur Verdauung nöthigen Zeit, noch eine gewisse chemische Umwandlung ihrer Substanz im Verdauungstractus nothwendig, die zu ihrer Vollendung einer gewissen Frist bedarf.”) Nach Ablauf dieser Periode, heitserscheinungen bei Leuten, welche sich lange Zeit ausschliess- lich von Steinpilzen (Boletus edulis), die sonst so geschätzt sind, genährt hatten, verdienen hier weit mehr Berücksichtigung. Das letzterwähnte Vorkommniss wird angeführt von Boudier- Husemann (l. ec. p. 98 Anmerkung). Daraus, dass an vielen Orten wirklich die Pilze ein wichtiges Nahrungsmittel des Volkes aus- machen, geht noch keineswegs ihr ganz besonders hoher Rang als Nahrungsmittel, sondern bloss ihre Nützlichkeit im Allgemeinen hervor, denn die sozialen Verhältnisse sind leider an den we- nigsten Orten derart, dass jener Schluss berechtigt wäre. *) Wie sehr die Veränderungen der Pilzgifte im Verdauungs- tractus die Wirkung der letztern modifiziren können, zeigt fol- gendes umgekehrte Verhältnis. Nach Bertillon (Champignons comestibles et champignons veneneux, Journal de Chimie medi- cale 1869, Mai, p. 211) tödtet subeutane Injection von ?/, Cub.-cm des Saftes giftiger Pilze Schnecken, welche sonst dieselbe Pilz- spezies mit Leidenschaft und ohne Schaden verzehren. Es ist ja überhaupt bekannt, dass giftige Pilzsorten von Insekten und Mollusken keineswegs gemieden werden und dass die Angaben, welche hierauf die Unterscheidung giftiger und nichtgiftiger Pilze gründen wollen, falsch sind, wie alle solchen allgemeine Kri- terien. Ja selbst bei den essbaren Schwämmen scheinen gewisse Veränderungen ihrer Substanz durch die Verdauung wesentlich zu Sein, damit nicht auch sie schädlich wirken. Nach G. Dupetit (Sur le prineipe toxique des chauıpignons comestibles. Comptes rendus XCV, Nr. 26, p. 1367, von Husemann ref. in Virchow’s Jahresbericht für 1882) wirkt der frische Saft essbarer Pilze (Boletus edulis, amanita cx&sarea, a. vaginata und rubescens, aga- ricus campestris, bei letzterer Spezies von kultivirten Exemplaren in weit geringerem Grade) auf Kaninchen bei subeutaner Appli- cation von 2 Cub.-cm. pro 100,0 Köpergewicht in 3—6 Stun- den, auf Meerschweinchen und Ratten in etwas längerer Zeit tödtlich. Der Saft von Amanita rubescens tödtet auch rasch Frösche, die von den übrigen Pilzen nicht affieirt werden. Vom I ET die man in Analogie zu den Infectionskrankheiten Incu- bationsperiode nennen könnte, treten nun die Zeichen einer mehr oder minder heftigen Entzündung des Magen- Darmkanals, Brechen und Durchfall auf, Symptome, die, wie einige Autoren hervorheben, zuweilen auffallend an diejenigen der Cholera erinnern. Es schliesst sich hieran Somnolenz und grosse Prostration, kalte Schweisse brechen aus, das Gesicht nimmt das Aussehen der Facies Hippo- kratica an, Zunge und Finger erscheinen eyanotisch. Die Urinentleerungen sind gewöhnlich selten. Zuweilen ist Gelbsucht vorhanden. Das Bewusstsein ist mitunter bis zum Tode erhalten, zuweilen schwindet es früher. Con- vulsionen, allgemeine und partielle, wurden wiederholt beobachtet. Auch Sensibilitätsstörungen werden beschrie- ben. Psychische Störungen, Sprachlosigkeit (Aphasie ?), in einzelnen Fällen heftiger Kopfschmerz. Das Verhalten der Pupillen scheint nicht völlig constant zu sein. In den meisten Fällen werden sie als erweitert angegeben, einige Male als verengert, in vielen Krankengeschichten fehlt über diesen Punkt jede Mittheilung. Der Tod erfolgt 12—100 Stunden nach Eintritt der Symptome. Die Hoff- nung auf Genesung ist bei dieser Vergiftung auflallend gering. Etwa ?/, der Vergifteten sterben. Die Mortalität Magen aus sind selbst grosse Dosen bei Meerschweinchen un- schädlich, die auch nach Genuss von rohen Exemplaren von A. rubescens nicht erkranken. — Das Gift (mit Microben hat die Erscheinung nichts zu thun) ist in Aether, Schwefelkohlen- stoff, Chloroform, Aethyl- und Methylalkohol unlöslich, wird fast vollkommen beim Versetzen von Pilzsaft mit Weingeist, Gerbsäure, Bleiessig gefällt und scheint den löslichen Fermenten näher zu stehen als den Alkaloiden. Kochen zerstört dasselbe, so dass es für die Verwendung gekochter Pilze schon in Folge des Kochens nicht in Betracht kommt. Auch mehrere phanero- gamische Gewächse scheinen ähnliche Substanzen einzuschliessen. Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1115. Bar ist jedenfalls grösser als bei der Fliegenschwamm-Vergif- tung. Eine Dosis letalis der Pilze lässt sich natürlich nicht angeben. Es hängt dieselbe von Zufälligkeiten ab, z. B. davon, wie viel erbrochen wird, wie vollständig die Pilze verdaut werden, wie viel von den giftigen Substanzen sie enthalten u. s. w. In einem Fall von Plowright*) starb ein 12jähriger Knabe schon in Folge des Genusses des dritten Theils von dem Hute eines mittelgrossen Pilzes. Er hatte denselben in rohem Zustande gegessen. — : Wir hätten noch kurz der Mittel zu gedenken, durch die man sich vor der giftigen Wirkung der Amanita phal- loides zu schützen sucht. Bekanntlich können manche gif- tige Pilze durch passende Zubereitung geniessbar gemacht werden. Zu den giftigen Pilzen hätten wir nach den neuern Untersuchungen von Boström und Ponfick (vgl. oben) auch die Morcheln und Lorcheln zu rechnen. Sie können 'be- kanntlich durch Trocknen oder durch Entfernen ihres Saftes mit der Kochbrühe leicht giftfrei erhalten werden. Ebenso erscheint es durch die Untersuchungen von Bou- dier festgestellt, dass, wenn auch nicht alle, so doch (die meisten dem Genus Lactarius und Russula angehörigen, in rohem Zustande giftigen Pilze durch blosses Kochen unschädlich gemacht werden können. Es scheint, dass durch die Kochhitze der scharfe, im Saft dieser Schwäm- me emulgirte, harzartige Giftstoff' in einen weniger feinzertheilten Zustand übergeführt wird, in welchem er die sonst eintretenden Symptome heftigster Magen- und Darmreizung nicht mehr veranlasst. Auch Amanita phal- *) Case of fatal fungus poisoning by amanita phalloides (Lancet 1879, Dec. p. 941). a OD Fa loides, wie der Fliegenschwamm und verwandte Arten lassen sich entgiften, jedoch ist dies nicht ganz leicht und das Endresultat wenig zuverlässig. Es handelt sich darum, das in Wasser lösliche Gift durch genügendes Auswaschen mit kaltem oder kochendem Wasser, am besten aber erfahrungsgemäss mit verdünntem Essig zu entfernen. Die praktische Verwerthung dieser Möglichkeit ist jedoch wohl sehr wenig empfehlenswerth, auch wenn man absieht von der unheimlichen Unsicherheit, in der man sich in Betreff des Zeitpunktes, wo man mit dem Auswaschen aufhören darf, befindet. Denn wenn man ganz sicher ist, alles Gift entfernt zu haben, so wird wohl im Allgemeinen ‘ der Schwamm wenig Schmackhaftigkeit und Nährkraft übrig behalten haben, weil natürlich mit dem Gift gleich- zeitig ein grosser Theil der andern löslichen Substanzen entfernt wird. Es ist jedoch erwähnenswerth, dass nichts- destoweniger nach einer Mittheilung von J. de Seynes*) der Fliegenschwamm bei Genolhac (Gard) in beträcht- lichen Quantitäten genossen wird, indem man dabei die Vorsicht gebraucht, den Pilz lange zu kochen und die Brühe fortzugiessen. Auf ähnlichen Zubereitungsweisen wird die verbürgte Thatsache beruhen, dass auch an manchen andern Orten Fliegenschwamm und andere’ Pilze gegessen werden, die bei uns als giftig gefürchtet sind. **) Gerard stellte im Jahr 1851 genauere Untersuchung über die Entgiftung von Amanita phalloides u. A. muscaria *) Essai d’une flore mycologique de la region de Montpellier et du Gard. Paris 1863. **) Etwas anderes ist natürlich der Genuss giftiger Schwäm- me, speziell des Fliegenschwammes, als Berauschungsmittel, wie wir ihn bei ostasiatischen Völkerschaften antreffen. Hier ist gerade das Gift das Gesuchte und gegen die deletären Wir- kungen schützen sich die Kamtschadalen und Koräken nur durch vorsichtige Dosirung. Vgl. Boudier-Husemann |. c. — 10 — durch Essig an und produzirte sich vor dem Conseil d’hy- giene et de salubrit&, indem er einmal 500 Gramm Fliegen- schwamm und einige Tage später 70 Gramm Amanita phalloides, in der erwähnten Weise präparirt, ohne Schaden verzehrte.e Für uns, die wir, wie Trog richtig bemerkt, in keiner Weise darauf angewiesen sind, uns von Pilzen zu nähren, am Allerwenigsten aber gerade von giftigen, haben diese Dinge wenig Werth. Zur Zeit einer Hungers- noth liessen sie sich dagegen in Wiedererwägung ziehen. Was die Behandlung der eingetretenen Vergiftung betrifft, so lässt sich darüber nur wenig angeben. In den bisherigen Fällen war sie eine rein symptomatische und schon desshalb jedenfalls wenig werthvolle. Zur mechani- schen Entleerung der genossenen Schwämme durch Magen- pumpe oder Brechmittel kommt man wohl meist gerade bei der Amanita phalloides, wo die Symptome sich so spät zeigen, nicht früh genug. Abführmittel können allenfalls angewendet werden, allein was in Hinsicht auf Entleerung der Pilze geschehen kann, besorgt die Natur gewöhnlich schon von selbst, indem die meisten Patienten starkes Erbrechen und Diarrhoe bekommen. Eventuell kann aber doch nach dieser Richtung hin nachgeholfen werden. Eine chemische Bindung des Giftes innerhalb des Verdauungs- tractus durch Tannin etc. verspricht wenig Erfolg, da ja bekanntlich viele, vielleicht die meisten gerbsauren Ver- bindungen, wenn sie auch im Reagensglas noch so schöne Niederschläge bilden, doch im Verdauungskanal wieder gelöst und resorbirt werden. Auch ist der Nachweis durch- aus noch nicht geleistet, dass das Gift von Amanita phal- loides durch Tannin überhaupt gefällt wird. Die muscarin- artigen Substanzen verhalten sich gegenüber dem Tannin verschieden. Brieger hat z. B. für das Cholin nachgewiesen, dass es durch Tannin nicht gefällt wird. Jedenfalls —NIOE dürfte es schwierig sein, in andern als den allerobersten Theilen des Darmtractus das Tannin in wirksamer Weise auf die Ingesta einwirken zu lassen. Auf ihrem Wege durch den Darmkanal findet diese wie im Allgemeinen jede giftbindende Substanz so vieles zu binden (Eiweissstoffe, Peptone etc.), dass an der Stelle, wo sie erforderlich wäre, gewöhnlich nicht mehr viel von ihrer wirksamen Affinität übrig bleiben dürfte. Es gilt für alle derartigen Mitte dasjenige, was jedem Mediciner über die geringe oder voll- kommen imaginäre Wirksamkeit innerlich angewendeter Adstringentien und Blutstillungsmittel geläufig ist. Da wir jedoch einstweilen noch nicht viel besseres wissen, so kann auf’s Gerathewohl Tannin oder tanninhaltiges Ge- tränk (Eichelkaffee, Thee) verabfolgt werden, da möglicher- weise doch im Magen und im obersten Theil des Darms eine wenigstens vorübergehende Bindung einer gewissen Menge des Giftes denkbar ist. Jedoch darf man sich über den Erfolg keine Illusionen machen. In ähnlicher Absicht wie Tannin könnte nach der im Anhang referirten Arbeit von Or& auch die Thierkohle verwendet werden, welche die Eigenschaft haben soll, das Gift, wie manche andere Substanzen, in sich zurückzuhalten. Auch hier ist es sicherlich gerathen, die Erwartungen auf Erfolg nicht zu hoch zu spannen. Eine gewisse Zukunft scheinen dagegen gerade bei den Pilzvergiftungen die physiologischen Antidote zu haben, Bekanntlich ist gegen das natürliche (Fliegenschwamm-) Muscarin das Atropin ein souveränes Gegengift. Der diasto- lische Herzstillstand der Muscarinvergiftung kann durch eine Atropindose wie durch einen Zauber gehoben werden und ebenso kann durch vorherige Atropinisirung die Mus- carinvergiftung beim Thier verhindert werden. Bei denjeni- gen Pilzvergiftungen, bei welchen sicher Muscarin im Spiele EEE ee ER - ri . .. j Best, ee ist (Fliegenschwamm, Amanita pantherina, Boletus luridus), hat man daher unbedingt die Verpflichtung, Atropin zu versuchen. Allein auch bei der Vergiftung mit A. phal- loides und andern Pilzen dürfte, da sie doch wahrschein- lich’ verwandter Natur ist, ein Versuch mit Atropin zum mindesten rationell sein. Natürlich lässt sich über diese Verhältnisse am besten dann endgültig urtheilen, wenn die; einzelnen Schwammgifte genau bekannt und in ihrem Antagonismus zu Atropin getrennt untersucht sind. Für die von Brieger*) untersuchten muscarinähnlichen Ptomaine Neurin und Cholin ist der Beweis des Antagonismus der- selben zu Atropin durch den erwähnten Autor, sowie durch die Untersuchungen von Luchsinger und Glause nachge- wiesen. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Atropin für die Behandlung der Schwammvergiftungen eine weittragende Bedeutung erlangen wird, ist daher eine sehr grosse. Auch das Coffein scheint nach neuern Untersuchungen als Antidot gegen muscarinähnliche Substanzen ein vielver- sprechender Körper werden zu sollen. Für die rein praktischen Zwecke liesse die Frage der Atropin- und Coffeinwirkung speziell bei der uns hier interessirenden Phalloidesvergiftung auch schon vor Lösung jener che- mischen Probleme eine direkte experimentelle Prüfung zu. Ueberhaupt wird natürlich in der ganzen für unser Wohl und Wehe unter Umständen so wichtigen Frage der Pilz- vergiftung das Thierexperiment das letzte und einzig ent- scheidende Wort sprechen, wie ja auch die praktisch so ungemein wichtige Erkenntniss des Antagonismus zwischen Muscarin und Atropin ausschliesslich dem vielgeschmähten Thierexperiment zu verdanken ist. Ich habe letzten Herbst das experimentelle Studium der Phalloidesvergiftung be- gonnen und beabsichtige, die nur aus Mangel an Pilz- *) Brieger: Die Ptomaine. Berlin 1885. Re f} N B * ker. material unterbrochene Arbeit in der nächsten Schwamm- saison wieder aufzunehmen. Am Schlusse theile ich in einem Anhang noch die- jenigen Arbeiten, theilweise wörtlich nach den Virchow- Hirsch’schen Jahresberichten (Husemann) referirt, mit» welche für die Frage der Vergiftung mit A. phalloides von Interesse sind, insofern sie nicht schon in vorstehender Arbeit angeführt oder (als vor dem Jahre 1868 erschienen) in dem Buche von Boudier-Husemann, das die ältere Lite- ratur sehr vollständig berücksichtigt, benutzt worden sind. 1.. Carayon, Empoisonnement par les champignons. Gazette des höpitaux 1873, 140, pag. 1146. Fünf Soldaten in Laon durch Amanita bulbosa (-phalloides) vergiftet. Auftreten der Symptome nach 11 Stunden. Symptome choleraähnlich, ohne nervöse Begleiterscheinungen. Tod von zwei Kranken am zweiten und von zwei andern am dritten Tag nach Eintritt der Symp- tome. Der vierte starb in der Reconvalescenz nach Hinzutritt von Hoämoptae. Die Section ergab: intensive Magen-Darm- entzündung. 2. Michel, Josephe. (De l’empoisonnement par les cham- pignons Gaz. hebdomadaire de medecine. 42, 1876, p. 657.) theilt einen Fall mit, wo die giftige Species nicht erkannt wurde, aber aller Wahrscheinlichkeit nach zu den Varietäten von A. phalloides gehörte, da alle Fälle trotz der von M. stark be- tonten Differenzen den gleichartigen Charakter gastrointestinaler Irritation darboten, in zwei Fällen entschieden rein, ohne alle Trübung des Bewusstseins, in einem mit Kopfschmerz, Singultus und Schmerzen in Hand- und Fussgelenk verbunden und von leichtem leterus gefolgt. Bemerkenswerth ist, dass in letzterem Fall Immobilisation und Contraction der Pupille, letztere jedoch nicht in gleichem Masse an beiden Augen bestand. Die von Rabuteau als charakteristisch für die Pilzvergiftunz bezeichnete Muskelparalyse war in keinem Fall vorhanden; ebenso fehlte das Blausehen Tardieu’s. In dem ersten Fall glaubt M. die aus- gesprochene Anurie mittelst Digitalis erfolgreich bekämpft und dadurch die Wendung zum Bessern eingeleitet zu haben. In diesem Falle war die Pupille normal. Dagegen fand sich in ee Lin einem Fall, der unter Coma tödtlich endete, Anfangs Myose, später beträchtlich Mydriase. 3. Ore (De l’influence de l’empoisonnement par l’agarie bulbeux sur la glye&mie. Comptes rendus LXXXII 18, p. 837, 1876) fand in Leichen mit Amanita phalloides vergifteter Thiere, welche unter choleriformen Erscheinungen zu Grunde gingen, Zucker weder im Herzblut, noch in der Leber, während das bei Lebzeiten entnommene venöse Blut stets zuckerhaltig war. 4. Or&. Recherches experimentales sur l’empoisonnement par ’agarie bulbeux. Bulletin de l’acad. de me&deeine, 13, p. 350 1,792, .PE O4 4. 180%. | 5. Derselbe. Nämlicher Titel: Archives de physiol. normale eb -path!?2, 0,972792.1877: 6. Derselbe. Suite des recherches sur l’agaric bulbeux. Bul- letin de l’acad. de med. 45, p. 1196. Bericht von Gubler über Or&e’s Arbeiten. Or& stellt ohne genügende Gründe die Hypothese von der Identität des Giftes der A. ph. mit Strychnin auf. 0. fand trockne Pilze ebenso giftig wie frische. Weinessig zieht das Gift aus, das dann aber im Macerat enthalten ist. Die empfohlenen Injectionen von «Eau vinaigree» sind dem entsprechend ohne Ein- fluss auf den Ablauf der Vergiftungen. Thierkohle hält aus der Essigbrühe das Gift zurück. Anatomisch fand O0. ausser den Zeichen von Gastroenteritis diastolischen Ventrikelstillstand, dunkles unvollständig geronnenes Blut, starke Füllung der Hirn- und Rückenmarkgefässe. Blase gefüllt. Symptomatelogie bei Hunden: Erbrechen und Diarrhöe erst nach mehreren Stunden. Dann Wechsel von Coma und Paralyse mit gesteigerter Reflexerregbar- keit und Krampfanfällen. Tod nach starkem Sinken der Puls- und Respirationsfrequenz. 7. Corradi, A. Del veleno de’ funghi. Studio eritico. Annali universali di med. Genajo 1878, p. 72. Febbrajo p. 183. Aprile p. 249. Giugno p. 545. Zusammenstellung älterer und neuerer auf Pilzvergiftungen bezüglicher Daten und Krankengeschichten. Der Verfasser theilt die giftigen Pilze ein in narkotische, irritirende und irritirendnarkotisch wirkende. Rein narkotisch wären ausser A. muscaria auch A. pantherina, A. eitrina (Pers.), Varietät von A.phalloides oder verna. Vielleicht gehört dahin auch A, va- ginata #) und Vitadini. Gemischte Symptome bewirken ver- schiedene Varietäten von A. phalloides (A. candida, A. verna), für welche die italienische Literatur reiches Material an Ver- giftungsgeschichten darbietet (Vergiftungen mit Pratajuolo sel- *) An manchen Orten ohne Verdacht gegessen. — 15 — vatico sind wohl auf diesen Pilz zu beziehen). Irritirend sind die giftigen Russule und Lactarii. 8. Plowright, Ch. B. Case of fatal fungus poisoning by agaricus (amanita) phalloides. Lancet 1879 Dee. p. 941. Charak- teristische Vergiftung eines 12jährigen Knaben durch den Ge- nuss von etwa !/, des Hutes eines mittelgrossen Pilzes der ge- nannten Art im rohen Zustand. Symptome erst 12 Stunden später auftretend, in wiederholtem Erbrechen, Purgiren und Collaps bestehend. Tod nach eirca 90 Stunden. Todtenstarre 86 St. nach dem Tode noch wohl ausgesprochen, Magenschleim- haut heftig entzündet, erweicht, Dünndarmschleimhaut neben intensiver Entzündung auch gangränöse Flecken zeigend. Leber anämisch, Herz leer. 9. Palmer, Julius A. (Boston). Toad-stool poisoning. Boston medicaland surgicaljournal. Aug.1879. Vergiftungserscheinungen bei 5 Personen, nach einem Lycoperdongericht, dem ein einziges Exemplar von wahrscheinlicher A. phalloides beigemengt war. Nur in einem Fall nach 17 St. Collaps. Ueberall Genesung. 10. Choue und Pelissie, etude celinique et anatomo-patholo- gique de l’empoisonnement par les champignons. Gaz. hebd. de med. 5, p. 58. 6, p. 83. 1880. In Luzech starben 5 Personen an Vergiftung mit A. phalloides. Symptome traten auf bei 2 Personen nach 7, bei 3 nach 13 Stunden. Tod in 36 Stunden bis 3 Tagen. Die Autoren schliessen, dass auf ein choleriformes Stadium ein zweites folgt, in welehem meningitische Erscheinungen vorherrschen (Fieber, mussitirende Delirien, Contracturen, hydro- cephalisches Schreien und « Depression »). In einem Fall wurde Urticaria beobachtet, in einem andern Icterus. In zwei Sec- tionen wurde neben theerartigem Blut und Gastroenteritis, Durch- setztsein der Leber mit zahlreichen Ekchymosen und starke Hyperämie der Meningen g:funden. 11. Solles. Lesions du tube digestif par l’agarie bulbeux (A. phalloides) chez le chien. Journal de med. de Bordeaux. 40. May 1880. Der Verfasser fand locale Entzündung im Magen, auf die Drisenschicht beschränkt, und des Dünndarms, ebenfalls auf die Drüsenschicht und die Submucosa beschränkt. Im Ma- gen ist die Schleimhaut des Epithels beraubt, die Pepsindrüsen sind fast völlig verschwunden und durch reichliche Bildungen eubischer und eylindrischer Zellen ersetzt, die Zwischendrüsen- räume von Kernen und embryonalen Zellen, extravasirten Blut- körpern und Leucocythen ausgefüllt. Im Darm sind die cylin- drischen und becherförmigen Zellen der Lieberkühn’schen Drüsen vollkommen verschwunden und durch dichtgedrängte, mitunter Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1116. ae cubische oder fast cylindrische ersetzt, die ganze Drüsenschicht , vertieft, die Zotten zu mehr als !/, geschwunden, in der Binde- gewebsschicht mit neu gebildeten Elementen erfüllt und die «ge- schlossenen Drüsen » nicht mehr deutlich von einander getrennt. 12. PBoudier. Des caracteres distincetifs des espöces de champignons qui composent la groupe de l’amanite bulbeuse. Rapport de Chatin. Bull. de l!’acad. de med. Nr. 15, p. 372, 1882. Nach B. zerfällt die als A. bulbosa oder phalloides zu- sammengefasste Pilzart in 6 diverse Species oder Unterspecies, welche sich in der Toxieität unterscheiden, nämlich Amanita verna, die am häufigsten in Folge von Verwechslung mit dem Champignon oder im Süden mit Amanita ovoides Anlass zu schwerer Vergiftung gibt, Amanita virosa, wie die vorige weiss, mit mehr klebrigem Hut, häufig mit Resten eines Halsbandes, dagegen mit wenigen Resten einer Volva versehen, Amanita phalloides, kräftiger, von olivengelber Farbe des Huts, mit grosser Scheide, unten stark verdicktem Stiel und kleinen grünlichen Schuppen auf demselben und Amanita mappa, mit schwefelgelbem Hut, auf dem zahlreiche Trümmer der Volva eine mehlartige Be- stäubung bilden, und stark angeschwolleuer Basis des gelblich ;n Stieles, wovon jedoch auch eine Varietät vorkommt, welche Cordier mit A. phalloides vereinigt hat. Zu der Grupf ; der A. bulbosa gehören ausserdem zwei seltenere und ans’ „einend weniger giftige Species, Amanita recutita und porphrv.ıa, welche wegen der rothen oder bräunlichen Färbung ihres Hutes nicht mit dem Champignon zu verwechseln sind. 13. Trask, J. D. Cases of mushroom poisoning. Aal Journal of med. sc. 1883. p. 358. Es geht aus der Arbeit hervor, dass auch in den Vereinigten Staaten Intoxicationen durch giftige Pilze nicht selten sind und dass die Mehrheit der- selben durch A. phall. verursacht werden. In einem Sommer kamen in einem Rayon von 75 engl. Meilen 3 Vergiftungen mit diesem Pilz vor, die sich auf 14 Personen bezogen, wovon fünf starben. Verlauf übereinstimmend mit dem Bekannten. 14. Schröter, J. Bericht über die Vergiftungen durch Pilze in Schlesien bis zum Jahre 1880. Breslauer ärztl. Zeitschrift, 1883, Nr. 14, p. 149. Die meisten Fälle aus der neuern Zeit kommen auf 1879, in welchem Jahre 12 Personen nach Genuss von einer aus A. phalloides bestehenden Mahlzeit erkrankten und mit einer einzigen Ausnahme 11/,—2°/, Tag nachher starben. — 107 — Dr. Ernst Schärer, Ueber die Versiftungsfälle mit Knollen- blätterschwamm (Amanita phalloides, Agaricus bulbosus) in Bern im Jahre 18834. III. Klinischer Theil. Eingereicht den 2. Mai 1885. Schwammvergiftungen sind, unseres Wissens, hier zu Lande bisher nur sehr selten zur Beobachtung gekommen, und es lässt sich auch aus der schweizerischen Mortali- tätsstatistik von 1877— 1883 mit Sicherheit nur 1 Todes- fall infolge Schwammvergiftung nachweisen *). Bei diesem seltenen Vorkommen war es denn auch sehr begreiflich, dass die sieben im August des Jahres 1884 in einer hiesigen Fa- milie aufgetretenen Vergiftungsfälle durch den Knollen- blätterschwamm (Amanita phalloides, s. Agaricus bulbosus) bedeutendes Aufsehen erregt und wegen der mit ihnen ver- bundenen bedauerlichen Folgen (zwei Todesfälle) gleich- zeitig das lebhafte Interesse der Bevölkerung wachgerufen haben. _ Der Umstand, dass, wie anderwärts, so auch bei uns der Schwammgenuss in den letzten Jahren entschieden mehr in Aufschwung gekommen ist, und hiemit die Ge- fahr der Wiederholung solcher Unglücksfälle näher liegt, *) Nach einer gef. Mittheilung des eidg. statist. Bureau’s betrifft dieser Fall ein am 18. August 1878 in Zeihen, Kanton Aargau, verstorbenes 3 Jahre altes Kind. TE . - ) P be — 108, als früher, veranlassten denn auch die städtische Sanitäts- kommission, sofort auf die geeigneten Mittel zur Verhü- tung derartiger Katastrophen bedacht zu sein. — Ausser- dem haben bald nach dem Auftreten der Vergiftungsfälle einige tüchtige Schwammkenner sich bereitwilligst der Aufgabe unterzogen, das Publikum vor ferneren Gefahren durch eine sachverständige Marktkontrolle möglichst zu schützen, sowie überhaupt dasselbe über die mit dem Schwammgenuss verknüpften Gefahren aufzuklären. Letz- teres geschah theils durch das Mittel der Presse, theils durch öffentliche Vorträge, von welchen wir besonders den sehr interessanten und von einer zahlreichen Zuhörer- schaft besuchten Vortrag des Herrn C. Ducommun im Kasino erwähnen. | Diesen, mehr durch praktische und polizeiliche Rück- sichten hervorgerufenen Bestrebungen schlossen sich nun, da diese Vergiftungsfälle auch in wissenschaftlicher Be- ziehung nach verschiedenen Richtungen hin ein grosses Interesse beanspruchten, hierauf gerichtete wissenschaft- liche Arbeiten an. Es sind dies besonders: 1. Das die bo- tanischen Verhältnisse sowie den Nährwerth der Schwäm- me spezieller berührende, in der naturforschenden Ge- sellschaft vorgetragene Referat des Herrn Bernh. Studer, jun., Apotheker, sowie 2. eine auf Grundlage der höchst- interessanten Obduktionsresultate beruhende, die patho- logisch-anatomischen Verhältnisse und das Toxikologische hauptsächlich in’s Auge fassende Arbeit des Hrn. Dr. Hermann Sahli. — a Diesen beiden unter dem Titel „Beiträge zur Kennt- niss der Schwammvergiftungen“, I. und II. Theil, in die- sem Hefte im Drucke vorliegenden Arbeiten lassen wir nun, auf den Wunsch der Redaktion, zur Vervollständi- gung des Gesammtbildes dieser Vergiftungen eine vor #. es Nr — 109. — Kurzem im medizinisch-pharmazeutischen Bezirksverein vorgetragene Arbeit als II. klinischen Theil folgen. Nebst der Anamnese werden wir in diesem ein möglichst getreues Gesammtbild der sämmtlichen von Hrn. Dr. Ad. Christener und dem Berichterstatter gemeinsam behandelten Ver- giftungsfälle zu geben bestrebt sein. Gleichzeitig haben wir es versucht, durch Zuhülfenahme der einschlägigen Literatur aus älterer und neuerer Zeit*) unsere Fälle mit den früher und anderwärts beobachteten zu vergleichen. Wir bemerken schon jetzt, dass diese Vergleichungen im Grossen und Ganzen für unsere Fälle das bekannte Ge- sammtbild ergeben haben, dass aber doch in verschiedenen Punkten nicht unwesentliche Abweichungen zu Tage ge- treten sind. Besonders scheinen aber die pathologisch- anatomischen Verhältnisse, sowie die von Dr. Sahli vor- genommenen aber noch nicht abgeschlossenen toxikolo- gischen Versuche bestimmt zu sein, nicht unwichtige Auf- klärungen über diese Erkrankungen zu geben. Samstag den 16. August 1884 wurde in der Familie H. Abends gegen 8 Uhr ein Schwammgericht genossen, das als ächte Champignons (Agaricus campestris) in ganz frischem Zustande am Morgen auf dem Markte gekauft worden war. Nach Angabe der Verkäuferin wurde das- selbe am vorhergehenden Nachmittage eingesammelt. Es handelte sich demnach durchaus nicht etwa um veraltete oder verdorbene Schwämme. Es wurde uns mitgetheilt, *) Siehe Zusammenstellung derselben in der Arbeit Sahli, Anhang, pag. 103 u. ff. — 10 - dass die Zubereitung in gewohnter Weise und mit aller Vorsicht stattgefunden, und dass auch die, übrigens ganz unzuverlässige, Probe mit dem silbernen Löffel nicht ge- fehlt habe. Leider fehlten bei Eintritt der Vergiftungen alle Anhaltspunkte zur Bestimmung der genossenen Schwämme, da dieselben vortrefflich mundeten und vollständig auf- gezehrt worden waren. Erst am darauffolgenden Markt- tage, am nächstfolgenden Dienstage, war es infolge ange- stellter Nachforschungen auf dem Markte möglich, darüber in's Klare zu kommen, dass es sich unzweifelhaft um A. phalloides, wohl gemischt mit Ag. vaginatus gehandelt hatte. Es wurde nämlich die Frau, die am Samstag die Schwämme auf den Markt gebracht hatte, durch die Magd wieder ausfindig gemacht und zugleich konstatirt, dass dieselbe auch die nämliche Schwammspezies wieder zum Verkaufe feil bot. Glücklicherweise konnte der ganze Vorrath konfiszirt werden, wobei in Erfahrung gebracht wurde, dass die von der Familie H. gekauften Schwämme auch die ersten von dieser Frau bisher auf den Markt gebrachten dieser Spezies gewesen waren. Eine sofortige Nachschau auf dem ganzen Markte ergab denn auch an diesem Tiage nirgends Am. phalloides oder anderweitige verdächtige Arten. Es mag hier am Platze sein, sofort ‚zu erwähnen, dass die bisherige Casuistik ergeben zu ‚haben scheint, dass wohl die grosse Mehrzahl der Schwamm- vergiftungen durch diese Spezies bedingt sind. Hiefür sprechen die Mittheilungen nicht nur aus dem Kontinent, sondern auch aus Amerika (s. Arbeit Sahli, neuere Lite- ratur, pag. 103). Die Aehnlichkeit dieser Schwämme mit dem ächten und sehr beliebten Champignon mag in den meisten Fällen zu diesen fatalen Verwechslungen geführt haben. Ob nun das von der erkrankten Familie genossene Gericht ausschliesslich aus Am. phall. bestanden habe, oder — SEE ob demselben, wie dies bei den konfiszirten Schwämmen des Dienstags der Fall war, auch der immerhin verdäch- tige aber doch weniger gefährliche Ag. vaginatus bei- gemischt gewesen, war natürlich nicht zu ermitteln. Nach den Beschreibungen, wie sie von der Familie gemacht wurden, scheint letzteres jedoch nicht unwahrscheinlich. Kehren wir nach dieser Abschweifung zu unsern Erkrankten zurück. Mit Ausnahme der Magd, welche gar nichts von den Schwämmen genossen, und der circa 6 Jahre alten N., welche kaum davon gekostet hatte, hatten die übrigen Familienglieder, die Eltern und 5 Kinder, alle mehr oder weniger genossen und erkrankten auch alle in mehr oder weniger starker Weise. Von den sieben Erkrankten genasen schliesslich fünf und in zwei Fällen trat ein lethaler Ausgang ein. Am wenigsten scheint dem Vater das Gericht gemundet zu haben, und er gab auch an, nur wenig genossen zu haben; während von den übrigen Familiengliedern alle so ziemlich eine gleich grosse Portion verzehrten. Die Kinder gaben sämmtlich an, dass das Gericht ihnen sehr gut geschmeckt habe und dass sie wohl die doppelte Portion mit Behagen genossen hätten. — Die Schwämme wurden Abends gegen 8 Uhr genossen und es machte sich bei Niemandem bis zum Schlafengehen irgend eine unangenehme Empfindung geltend. Sämmtliche Patienten, auch der ersterkrankte zehnjährige W., gaben ferner an, dass sie eine ruhige, durch keine Zwischenfälle gestörte Nacht verbracht hätten. Bevor wir nun in die Schilderung der Erscheinungen eintreten, mag es am Platze sein, ein kurzes Bild der Ver- giftung mit Am. phall., wie es von den bisherigen Beob- achtern zusammengestellt worden ist, vorauszuschicken; es wird uns dies auch einiger ermüdender Aufzählungen in unsern Fällen entheben. Wir folgen hier zunächst der a ; Schilderung Boudier’s, wie sie dieser in seiner von der Acad&mie de Medecine gekrönten Schrift, die von Huse- mann in’s Deutsche übersetzt und mit werthvollen An- merkungen versehen worden ist”), gibt. Boudier sagt: „Alle von Autoren eitirten Fälle sind gleich oder höchst _ ähnlich, alle stimmen besonders auch in Bezug auf die Länge des Intervalls zwischen dem Genuss der Pilze und dem Eintritte der ersten Symptome: 9 Std. in minimo, meistens 10—12 Std., selten mehr, überein. Zuerst er- scheinen Schmerzen im Epigastrium, dann treten Nausea, Erbrechen, Durchfall, Beängstigungen, mehr oder weniger heftige Kolik hinzu und der Puls wird ausserordentlich klein. Hierauf zeigt sich Somnolenz oder richtiger sehr grosse Prostration, starker Durst, die verschluckten Flüs- sigkeiten werden sofort wieder erbrochen; dann folgen kalte Schweisse und Gesicht, Zunge und Finger erscheinen cyanotisch. Die Urinentleerungen sind gewöhnlich selten- Das Bewusstsein erhält sich, bis der Tod dem Leiden ein Ende macht”). Dieser tritt nach Verlauf von 2 -4 Tagen, ja selbst später ein, wenn keine heilsame Reaction sich gel- tend macht, die Zufälle aufhören und Wärme und Kreislauf sich wieder herstellen. Ein günstiger Ausgang wird un- glücklicherweise sehr selten beobachtet und nur dann, wenn spontan oder künstlich herbeigeführtes Erbrechen das Gift aus dem Körper schafften, ehe es zur Wirkung gelangte, oder wenn die genossene Quantität nicht sehr beträchtlich gewesen war. Jedenfalls leiden die Kranken noch sehr lange an den Folgen der Vergiftung. *, Boudier Emile. Die Pilze in ökonomischer, chemischer nnd toxikologischer Hinsicht. — Deutsche Uebersetzung von Th. Husemann, 1867. **) Für unsere beiden Todesfälle nicht zutreffend. a * a a Te - 13 — Alle Autoren stimmen darin überein, dass diese In- toxication grosse Gefahr mit sich bringt und dass es zweckmässig ist, die zurückgebliebenen Pilze schleunigst durch alle zu Gebote stehenden Mittel zu entfernen. ?,, der Vergifteten gehen nach den von mir izusammen- gestellten Zahlen an der Intoxication durch diese Pilze zu Grunde und der grösste Theil der Geretteten verdankt, wie ich schon bemerkte, dem spontanen oder künstlich erregten Erbrechen, durch welches die eingeführten Pilze wieder entfernt werden, sein Leben. Die meisten Pilzvergiftungen werden durch diese Art oder durch eine Mischung derselben mit anderen herbei- geführt, und da fast alle ohne genaue Angabe der Spe- cies mitgetheilt werden, so glaube ich, dass man alle In- toxicationen als durch diesen Pilz verursacht betrachten muss, in denen die Symptome erst 10 Std. nach dem Genusse auftreten, weil die anderen Arten weniger Zeit zu Entwicklung derselben bedürfen.“ Kehren wir zu unsern Fällen zurück, wobei ich be- merke, dass ich die Erkrankten zuerst am Nachmittage des 17. August gegen 3 Uhr, also eirca 15 Stunden nach dem Genuss gesehen habe. 1. Fall. Der zuerst Erkrankte war der 10 Jahre alte W. Es gab derselbe an, dass er bis Morgens nach 4 Uhr ruhig und ohne irgend welche Schmerzen verspürt zu haben, geschlafen habe, dass er dann nach 4 Uhr von Diarrhöe und hernach von Erbrechen befallen worden sei. Es hätten sich nun Bauch- schmerzen eingestellt, die so heftig gewesen seien, dass er nicht mehr habe schlafen können. Nach dem Frühstück trat die Diarrhöe in heftigster, alle paar Minuten sich wiederholender Weise, verbunden mit sehr häufigem Brechen, wieder auf. Schwämme sollen nicht erbrochen worden sein. Als ich den Kranken Nachmittags sah, war derselbe in hohem Grade hin- fällig. Die Stimme fast erloschen, der Puls sehr klein, bei 100. Lippen etwas livid, die Zunge feucht, rein, der Bauch sehr ein- gezogen, die Haut feucht, Pupille mässig gross. Keine Krampf- Bern. Mittheil. 1884. Nr. HIT a ul. 0 erscheinungen. Auch am Abende und am darauffolgenden Tage dauerten die gastroenteritischen Erscheinungen, wenn auch schwächer, an und erst am 3. Tage stellte sich ein entschie- denerer Nachlass ein. Mit Ausnahme einer ebenso sehr auf die Schwächung, als auf eine toxische Einwirkung des Giftes auf das Centralnervensystem zu beziehenden Prostration stellten sich im weitern Verlaufe keine erhebiichen Cerebralerscheinungen ein. Die Genesung trat nach circa 8 Tagen ein, aber immerhin war noch längere Zeit ein gewisser Grad von Anämie unverkennbar. Dieser den kürzesten Zwischenraum zwischen dem Genusse und dem Auftreten der ersten Erscheinungen darbietende und unter den heftigsten gastroenteritischen Anfangserscheinungen auftretende Fall bot noch am ersten die in der Literatur oft erwähnte Aehnlichkeit mit dem Choleraanfalle dar. Es stimmt der Verlauf desselben auch mit der von Paulet und Andern aufgestellten Behauptung, dass je mehr natürliche oder künstliche Entleerungen, um so weniger Gefahr. 2. Fall. Den längsten Zwischenraum vom Genusse bis zu den ersten Erscheinungen bot der Vater dar, bei welchem erst 24 Stunden hernach Diarrhöe auftrat, welche in ziemlich starkem Grade einige Tage anhielt, worauf dann rasch vollständige Bes- serung eintrat. Brechen, sowie Gehirnerscheinungen fehlten hier volllständig. Nebst der etwas grösseren Widerstandskraft mag hier noch der Umstand, dass derselbe nur wenig von dem Gerichte genossen, die relativ geringen Erscheinungen erklären. 3. Fall. Bei der Mutter trat schon im Laufe des ersten Tages öfteres Brechen von grünlicher Flüssigkeit auf, dem be- sonders in der darauffolgenden Nacht häufige Diarrhöen folgten, die auch an den nachfolgenden Tagen andauerten. Besondere Cerebralerscheinungen wurden ebenfalls nicht beobachtet. Dass bei der durch die ganze Dauer der Erkrankung ihrer Kinder mit grosser Energie der Krankenpflege sich widmenden Frau schliess- lich eine gewaltige Abspannung und ein mehrere Wochen an- dauernder Schwächezustand sich ausbildete, ist wohl nicht zu verwundern, um so weniger, da noch Complication mit Gravi- ditas vorhanden war. — 15 — 4. Fall. Während in dem ersten Falle Brechen und Diar- rhöe, im zweiten Falle nur Diarrhöe als Anfangserscheinungen beobachtet wurden, bestanden bei dem 14 Jahre alten Knaben R. die Anfangserscheinungen nur aus Brechen. Es trat dasselbe nach einem eirca 11 stündigen Intervalle Morgens gegen 7 Uhr auf und wiederholte sich öfters während des Vormittags und Nachmittags. Erst um 4 Uhr trat Stuhlentleerung und hierauf sich öfters wiederholende Diarrhöe auf. Ein unlöschbarer Durst quälte den Kranken, dessen Allgemeinzustand im Uebrigen ver- hältnissmässig ordentlich blieb, und bei welchem sich insbeson- dere keine Collapserscheinungen, wie bei dem Bruder einstellten. Immerhin war in den nachfolgenden Tagen ein gewisser Grad von Apathie und geistiger Stumpfheit unverkennbar. Nach circa 8 Tagen befand sich Patient in voller Reconvalescenz. Während bei den bis jetzt behandelten vier Kranken die gastroenteritischen Erscheinungen die vorwiegenden und die Cerebralerscheinungen entweder gar nicht vor- handen oder nur schwach angedeutet waren, boten nun die drei letzten Fälle neben mehr oder weniger starken Magendarmsymptomen theilweise sehr heftige Cerebral- erscheinungen dar. In diese Gruppe fallen denn auch die zwei tödtlich abgelaufenen Fälle. Eine etwas eingehendere Behandlung dieser drei Fälle mag wohl am Platze sein. 5. Fall. Gleichsam den Uebergang von der 1. zu der 2. Gruppe bildete das 12 jährige Mädchen E., bei welchem neben sehr stark ausgesprochenen Reizerscheinungen von Seite der Digestionsorgane schon etwas bedrohlichere Cerebralerscheinungen im weiteren Verlaufe auftraten. Die Anfangs- Erscheinungen waren hier ungefähr die nämlichen wie im 1. Falle. Nach einem 11 stündigen Intervalle beim Erwachen etwas Brechen, das sich im Verlaufe des Vormittags noch zwei Male wiederholte. Das allgemeine Befinden war ein verhältnissinässig noch ordentliches, so dass Patientin während des Vormittags noch einige Ausgänge machen konnte. Während des Nachmittags erfolgte noch einige Male Brechen und erst um 5 Uhr Nachmittags trat nach Ge- brauch von Rizinusöl Stuhlgang ein. Choleraähnliche Collaps- erscheinungen waren auch in diesem Falle nicht vorhanden. Der folgende Tag verlief unter ziemlich heftigen Darmerschei- nungen. Schmerzen, besondeis in epigastrio, öftere Brechreize a ER — 16 — zahlreiche dünne, oft blutig gefärbte Stühle. Am 19. schien etwas Besserung sich einstellen zu wollen, doch waren die Aus- leerungen noch ziemlich frequente. Am 21. stellte sich nun eine hochgradige Apathie ein, die am folgenden Tage sich zur Somnolenz steigerte, die nur durch öfter auftretende Schmerzen im Unterleibe unterbrochen wurde. Angesprochen gibt die Kranke zwar klare Antworten, verfällt jedoch bald wieder in einen somnolenten Zustand, in welchem sie von ihrer Umgebung keine Notiz nimmt. Auch die sich oft wiederholenden durch- dringenden Schreie der comatös darniederliegenden Schwester vermögen sie nicht aus ihrer Apathie zu erwecken. Die Pupillen sind hiebei normal oder nur leicht erweitert. Patientin beklagt sich jedoch sehr über den Lichteinfall. Krämpfe und Erbrechen wurden nicht beobachtet. Erst aın Abend des 22. traten krampf- hafte Schmerzen in den Waden ein, die aber nach Einreiben von Chloroformöl bald nachliessen. — Ein fieberhafter Zustand war nicht vorhanden. Puls 84, ziemlich entwickelt, Temp. 36,8. Resp. 16. Zuuge feucht, nicht belegt, starker Durst und Brennen im Halse. Kein Brechen und kein Stuhl am 22. August. Da- gegen noch Brechreiz und öfters Bauchschmerzen nach Genuss von flüssiger Nahrung Urinsecretion geht von Statten. Die Unter- suchung des Unterleibes ergiebt weder besondere Spannung noch Einziehung, dagegen Schmerzen beim Druck in epigastrio. Untersuchung der Leber, Milz, Lungen fällt negativ aus. Die darauffolgende Nacht vom 22. auf 23. verlief recht ordentlich. Patientin ist nur zwei Mal erwacht. Das Krankheitsgefühl ist entschieden geringer als gestern. Dagegen haben die Bauch- schmerzen etwas zugenommen. Somnolenz geringer. Kopf kühl, Pupillen normal. Zunge feucht, Durst noch stark, Athem fötid wie gangranös. Kein Brechen. Kein Stuhlgang seit dem 21. Wadenkrämpfe haben nachgelassen. Zustand afebril. Temp. 36,8, Puls 72, Resp. 16. Auf Klystiere tritt Stuhlgang und hiemit Nachlass der Bauchschmerzen ein. Ohne besondere Zwischen- fälle trat Patientin in den folgenden Tagen allmälig in die Reconvalescenzperiode. — In diesem Falle, welcher das gewöhnliche Intervall von circa 11 Stunden darbot und bei welchem, wie im 4. Falle, die Anfangserscheinungen nicht mit besonderer Intensität auftraten, sich vielmehr erst nach Ablauf der ersten 24 Stunden sehr heftige Darmerscheinungen ein, stellten, sahen wir nun schon Erscheinungen auftreten —: 11 — die wohl nicht als blosse Prostration, sondern bereits als bedrohliche Cerebralerscheinungen aufzufassen sind. Es war doch schon ein ziemlicher Grad von Stupor vorhan- den, und die Symptome derart, dass wir einige Zeit grosse Besorgniss für die Patientin haben mussten. Die zwei letzten, schwersten und lethal verlaufenden Fälle boten zwar in ihren Enderscheinungen ziemliche Aehnlichkeit dar, waren aber in Bezug auf die Zeit des Eintrittes und Dauer derselben, sowie ausserdem auch hinsichtlich des Anfangsstadiums und des fernern Ver- laufes ziemlich verschieden. 6. Fall. Bei dem Yjährigen Knaben R. betrug das Inter- vall ebenfalls 11 Stunden, da sofort nach dem Frühstücke Er- brechen eintrat, welches sich um 11 Uhr wiederholte. Im Verlaufe des Vormittags 3 Mal Diarrhöe. Während des ganzen Nachmittags befand sich Patient so ordentlich, dass er zu ver- schiedenen Hülfeleistungen für seine schwerer erkrankten Ge- schwister verwendet werden konnte. Erst gegen Abend trat noch einmal Brechen nach Genuss von Brod und Brühe, sowie 2 Mal Diarrhöe ein. Ueber Bauchschmerzen klagte Patient nicht, und es war überhaupt der Allgemeinzustand ein recht ordent- licher. — Am folgenden Tage (18. August) waren die Erscheinungen auch nicht besonders beunruhigende, und am 19. August er- wachte der Kranke fröhlich, sang und war anscheinend so wohl, dass er zur Schule verlangte. Im Verlaufe des Vormittags traten noch 3 Stuhlgänge ein. Gegen Mittag wurde Patient apathisch, wünschte zu schlafen und wurde desshalb auf sein Zimmer ge- bracht, wo er sich während des Nachmittags aufhielt. Der ihn im Laufe des Nachmittags besuchenden Magd fiel ausser der Mattigkeit und Schläfrigkeit, die sie auf Schwäche bezog, nichts Besonderes auf. Abends gegen 8 Uhr findet man nun den Kranken blass und starr in seinem Bette, Bald stellte sich Trismus und Schäumen ein nebst Opisthotonus. Der Nacken ist stark rückwärts gebogen. Contracturen in den Armen. Es stellen sich zeitweise krampfhafte Bewegungen des Oberkörpers ein. Vollständiges Coma. Pupillen noch schwach reagirend. Schlucken unmöglich. Leichtes Stöhnen, schwere Athmung. Es werden Sinapismen, Umschläge, Chloralelystiere verordnet. Alles ee Ne ohne Eıfolg. Um 11 Uhr finden wir den Kranken stark auf die rechte Seite geneigt, fast auf dem Bauche liegend, infolge wiederholtem Auftreten von krampfhaften Drehbewegungen um die Längsaxe von links nach rechts. Die Extremitäten befinden sich sämmtlich in starker Contractur, die bisweilen durch con- vulsive Bewegungen unterbrochen wird. Besonders charakteri- stisch war das gleichzeitig auftretende Wegwerfen der obern linken und das schnellende ruckweise Anziehen der linken untern Extremität. Das leise Stöhnen und Jammern wird oft durch durchdringende hydrocephalische Schreie unterbrochen. — Ge- sicht geröthet, voll Schweiss, Körper kühl. — Unter Hinzutritt einer stertorösen, stets langsamer werdenden Respiration tritt am 20. August 5 Uhr Morgens der Tod ein. Während dieser Fall mit seinen verhältnissmässig un- bedeutenden Anfangserscheinungen für die oft ausgespro- chene Behauptung zu sprechen scheint, dass die Gefahr eine geringere sei bei möglichst frühzeitigen und häufigen natürlichen und künstlichen Ausleerungen, trifft dies ent- schieden nicht zu bei dem letzten, dem 7. Falle, in wel- chem trotz sehr reichlicher Entleerungen doch die schlimm- sten, zum Tode führenden Gehirnerscheinungen auftraten. 7. Fall. Das 11 Jahre alte Mädchen @. wurde nämlich beim Erwachen von Uebelkeit, hernach von Brechen und Diar- rhöe befallen, welch’ beides bis Mittags sich sehr häufig wieder- holte. G. gab an, dass sie zuerst Schwämme erbrochen habe, was von den übrigen Kranken nicht angegeben wurde. Nach- mittags hörte das Brechen auf, die Diarrhöe wiederholte sich noch 2 Mal. Die stark angegriffene Kranke klagte über starken Durst, Bauchschmerzen und Schwindel. Puls 100, Respiration ruhig. Ordination: Abführlimonade. z 18. August. Während der Nacht trat noch 2 Mal Brechen und bei 10 Mal Diarrhöe auf, die auch den Tag über sich noch 7 Mal wiederholte. Die Kranke klagte viel über Schwindel und fühlte sich überhaupt im höchsten Grade übel und ange- griffen. 19. August. Zustand hat sich ordentlich gebessert, so dass eine mehr exspectative Behandlung eingeleitet wurde. Tem- peratur Morgens 37,5, Abends 38,2. 6 Stuhlgänge. 20. August. Die Kranke beklagt sich Vormittags über grosse Mattigkeit, Schmerzen in allen Gliedern, so dass sie Nie} — 19 — nicht weiss, wie sie liegen will. Beim Aufsitzen sofort Schwindel. Nachmittags 5 Uhr treten sehr heftige Schmerzen in epigastrio, sowie Zahnschmerzen auf, so dass Patientin wie rasend vor Schmerzen durchdringende Schreie ausstösst. Auf eine Mor- phiuminjeetion von 5 Milligramm trat sofort Ruhe ein. Im Uebrigen war den ganzen Tag durch das Bewusstsein voll- kommen klar. Abends gegen 10 Uhr finden wir die Kranke in einer eigenthümlich aufgeregten heitern Stimmung, an sie gerichtete Fragen rasch und bestimmt, wie hingeworfen und lachend beantwortetend. Schmerzen vollständig verschwunden. 21, August. Nacht ruhig bis gegen Morgen früh, wo die Kranke öfters, ohne zu erwachen, heftige, durchdringende Schreie ausstösst. Bei unserem Besuche um 8 Uhr tritt das heftige Schreien wieder auf. Angesprochen ertheilt die Kranke keine Antwort und wir konstatiren bei genauer Untersuchung voll- ständigen Stupor bei mässig dilatirter Pupille.e Nach einiger Zeit stellen sich Zucknngen um den Mund ein und hierauf schnellende Bewegungen mit dem Kopfe von links nach rechts in ganz isochronen Intervallen. Vor- und Nachmittags wieder- holen sich die Schreie sehr oft. Nachmittags finden wir die Kranke in vollständigem Coma, aus welchem sie auch nach einem Bade und kalten Begiessungen nicht erwacht. Bald nach dem Bade stellten sich nun starke Contrakturen in den beiden obern Extremitäten ein. Puls elend, klein. Ord. Campher- ztherinjection den Abend durch oft wiederholt. Sinapismen. 22. August. Nacht unverändert. Oefters durchdringende Schreie, die bis weit hinauf in der Strasse vernommen werden. Contracturen in den Extremitäten, besonders ausgesprochen in den obern; linkerseits werden diese oft unterbrochen durch con- vulsive Bewegungen, durch welche der Arın und das Bein rasch angezogen und wieder weggeworfen werden. Während des ganzen Tages tiefer Stupor bei ziemlich ruhiger Athmung. Gesicht etwas geröthet. Pupillen mässig erweitert, beim ersten Lichteinfalle sich zusammenziehend. Wird das Experiment einige Male wie- derholt, so wird die Reaktion eine träge und "hört nach 3—4 Versuchen auf, Die Lippen sind trocken, fuliginös; Zunge et- was belegt, Athem sehr übelriechend, wie gangranös. Oft Knir- schen. Respiration verschieden, oft ganz ruhig, in den Anfällen aber beschleunigt. Puls elend, bei 100. Contraeturen in den obern Extremitäten und in den Fussgelenken stark. Sehnen- reflexe am Ligamentum patelle sehr stark. Beginnende Schlund- lähmung. Ordination. Campherätherinjection oft wiederholt. Nebstdem Mixtur mit Aqua chlorata. — .1202 In der Nacht vom 22./23. August hört das Schreien um 3 Uhr auf. Um 6 Uhr Morgens liegt Patientin ziemlich ruhig da. Stirne heiss, Gesicht geröthet, Haut heiss, Temperatur 39,6. Respiration ruhig. Contracturen anhaltend. Unter Zunahme der comatösen Erscheinungen tritt Nachmittags 3 Uhr der Tod ein. Ueber die interessanten Resultate der von Hrn. Prof. Dr. Langhans vorgenommenen ÖObductionen, welche in beiden Fällen hochgradige, fettige Degenerationen ergeben haben, verweisen wir auf die vorstehende Arbeit des Hrn. Dr. Sahli. Diese beiden letzterwähnten, tödtlich verlaufenen Fälle zeigen uns bei ziemlicher Aehnlichkeit der Gehirnerschei- nungen doch wesentliche Verschiedenheiten in Betreff des Eintrittes derselben, sowie der denselben vorhergehenden Symptome. Während das Intervall in beiden Fällen das nämliche war, waren die Anfangserscheinungen und der weitere Verlauf bis zum Ausbruche der Gehirnsymptome in dem ersten lethalen Falle (Fall 6) sehr milde, und es stimmt demnach dieser Fall mit dem Satze, dass die Ge- hirnerscheinungen im umgekehrten Verhältnisse zu den gastroenteritischen Anfangserscheinungen stehen. Im zweiten Falle (Fall 7) haben wir dagegen trotz sehr hef- tiger Initialerscheinungen auch ganz bedeutende Gehirn- symptome. Es traten dieselben freilich erst am 4. Tage auf und dauerten nahebei 4 Tage, während im ersten Falle sie schon am 3. Tage ausbrachen und in 10 Stunden zum Tode führten. Bemerkenswerth ist in Fall 7 das rasche Auftreten des Schwindels, eines Symptomes, das in den andern Fällen wenig bemerkt wurde, in diesem Falle aber von Anfang bis zum Eintritt der schweren Gehirn- erscheinungen stets angegeben wurde. In Betreff der letztern ist eine ziemliche Aehnlichkeit in beiden Fällen unverkennbar. Die hydrocephalischen Schreie, die Con- tracturen in den Extremitäten, die halbseitigen, in unsern .- - n ’ « — 21 — Fällen linksseitigen convulsiven Bewegungen, die Tendenz der Drehung um die Längsaxe von links nach rechts finden wir in beiden Fällen. Die Angabe Boudier’s jedoch, dass das Bewusstsein bis zum Tode erhalten bleibe, traf in beiden Fällen nicht zu. Es war im Gegentheil von Beginn der heftigern Cerebalerscheinungen an ein tiefer Stupor, ja Coma vorhanden. Es hat übrigens diese, wohl hauptsächlich auf die oft erwähnten Fälle der Baronin Boyer und Tochter sich stützende Angabe Boudier’s schon durch verschiedene Beobachtungen ihre Bestätigung nicht gefunden. Was nun das Gesammtbild dieser sieben Intoxica- tionen betrifft, so ersehen wir aus den Krankengeschichten, dass dieses, wenn auch in den einzelnen Fällen hinsicht- lich der Intensität ziemliche Verschiedenheiten beobachtet wurden, doch im Allgemeinen mit dem von Boudier und andern Berichterstattern geschilderten übereinstimmt. Be- sonders gilt diess, mit Ausnahme eines einzigen Falles, für das Intervall vom Genuss der Schwämme bis zum Ein- tritt der ersten Erscheinungen. In 6 Fällen haben wir ein approximatives Intervall von 9—11 Stunden, und nur in 1 Falle ein solches von nahebei 24 Stunden. In letzterm Falle war jedoch der Genuss ein viel geringerer. — In diesem langen Intervalle nun scheinen zum grossen Theil auch die Gefahren dieser Vergiftungen begründet zu sein, da dasselbe einer Resorption des giftigen Prinzipes ge- waltig Vorschub leisten mag. Wenn in unsern Fällen nur einmal die bestimmte Angabe gemacht wurde, dass auch Schwämme erbrochen worden seien, so lässt diess wohl darauf schliessen, dass in dieser langen Incubation die Weiterbeförderung derselben aus dem Magen in den Darm- kanal schon vor sich gegangen, und dass die Resorption des giftigen Prinzipes bei Eintritt der Initialerscheinungen wohl Bern. Mittheil. 1885. Nr. 1118. — 12 — zum Theil erfolgt sei. Von Paulet wird dies bereits an- genommen, wenn er sagt: „il parait, par la maniere lente dont ce poison agit, et par la nature des symptömes, qu’il affecte d’abord les secondes voies, et ensuite l’origine des nerfs et le cerveau, d’oüu s’ensuivent les defaillances et l’assoupissement. Was die einzelnen Symptome betrifft, so sind hier zu unterscheiden die gastroenteritischen und die Gehirner- scheinungen. Ueber beide haben wir bereits in den Kranken- geschichten uns ausführlicher ausgesprochen, und haben besonders gesehen, dass ziemliche Varietäten in den gastro- enteritischen Erscheinungen konstatirt wurden, indem in den einen Fällen z. B. mehr das Erbrechen, in den andern mehr die Darmerscheinungen vorwiegend waren. — Die Gehirnerscheinungen sind bei den lethal verlaufenen Fällen schon so ausführlich behandelt worden, dass wir auf die- selben nicht mehr zurückzukommen brauchen. Was die Prognose betrifft, so ist dieselbe nach über- einstimmenden Berichten älterer und neuerer Beobachter eine sehr schlimme. Zwei Drittheile der Erkrankungen sollen zum Tode führen. Wenn wir in unsern Fällen ein etwas günstigeres Verhältniss zu verzeichnen haben, so darf dies jedenfalls nur dadurch erklärt werden, dass überhaupt die Menge der genossenen Schwämme eine nicht sehr bedeutende gewesen ist, und dass insbesondere die Erwachsenen, welche ohnedies eine grössere Resistenz darboten, entschieden weniger davon genossen haben, als die Kinder. Ausserdem ist es nicht sehr unwahrschein- lieh, dass das Schwammgericht nicht ausschliesslich aus Amanita phalloides bestanden habe, sondern dass dem- selben wahrscheinlich auch Amanita vaginata beigemischt gewesen Sei. — 223 — In Betreff der Behandlung wird gewöhnlich als erste Indication schleunige Entfernung der Schwämme durch Brech- und Abführmittel aufgestellt. So richtig nun diese Vorschrift für solche Gifte sein mag, die bald nach ihrer Einverleibung in den Körper Symptome bedingen, so we- nig Hoffnung kann man leider bei den Vergiftungen mit Am. phalloides auf diese Mittel, und besonders auf die Brechmittel, setzen, da wohl meistens bei Eintritt der ersten Erscheinungen schon ein guter Theil des giftigen Prinzips zur Resorption gelangt ist. Kommt zudem der Arzt erst spät zu bereits durch Brechen und Diarrhöe sehr heruntergekommenen, wie Cholerakranke daliegenden Patienten, so wird sich demselben wohl zunächst die Nothwendigkeit einer analeptischen Methode aufdrängen. In unsern Fällen haben wir von Laxantien ziemlich ausgiebig Anwendung gemacht. Es wurde Ricinusöl, so- wie Abführlimonade öfters gebraucht, in den schwerern Fällen freilich verbunden mit Analepticis. Eis, Citronen- saft, essighaltige Getränke, Opium, sowie das als Anti- dot gepriesene Tannin wurden ebenfalls versucht. Dass die schwereren Üerebralerscheinungen nur eine sympto- matische, von der gewöhnlichen, bei Gehirnentzündungen gebräuchlichen, nicht abweichende Behandlung zuliessen, braucht wohl nicht erwähnt zu werden. Ob vielleicht das bei den Fliegenschwammvergiftungen als wirksames Gegen- ‚gift gepriesene Atropin auch bei den Vergiftungen mit Am. phalloides etwas zu leisten vermöge, kann wohl erst durch weitere toxikologische Studien und Experimente ermittelt werden. In unsern Fällen kam dasselbe nicht zur Verwendung. Solange es nun den toxikologischen Forschungen nicht gelingen sollte, ein wirksames Antidot ausfindig zu machen, welches auch den mit erstaunlicher Raschheit auftreten- ee — B4 — den Umsetzungsprozessen im Körper (Verfettungen) Ein- halt zu bieten vermag, wird, bei der Unzuverlässigkeit der bisherigen Behandlungsmethoden, das Hauptaugenmerk vorzüglich darauf gerichtet sein müssen, diese Vergiftun- tungen möglichst zu verhüten oder zu beschränken. Ausser den Aufklärungen, die durch Vorträge und populär ge- haltene Abhandlungen competenter Schwammkenner dem Publikum in dieser Absicht gegeben werden können, sind es vor Allem zweckmässige sanitätspolizeiliche Vorkehren, welche hier als wirksamste prophylactische Massregeln in Betracht kommen. — Es können dieselben wohl nur in einer strengen Marktpolizei bestehen, welche eine durch tüchtige Kenner vorzunehmende genaue Untersuchung der auf den Markt gebrachten Schwämme, sowie das Verbot des Hausirhandels mit denselben sich zur Aufgabe macht. Im Interesse einer leichtern und schnellern Kontrole und Ueberwachung ist es jedoch unbedingt nothwendig, dass der Verkauf der Schwämme auf einen besonders abge- grenzten Schwammmarkt beschränkt werde. Wenn auch die hierauf abzielenden Bemühungen der städtischen Sanitätskommission noch nicht zu einem ganz hefriedigenden Resultate geführt haben, so wollen wir doch die Hoffnung nicht aufgeben, dass wiederholte Schritte bei den Behörden doch schliesslich zur Durchführung der be- antragten sanitätspolizeilichen Massregeln führen werden. nırunnnnnnnne er u N mn er Zu > AU N. r en, Ta #; osch Nerveneuden ım Muskel. 293 | | EB Lips. Lith:bern. 'SIa4sadwued e}01[]e8q INN NINNUMINN 1 ZA N HA RAN ver G n E73} KINN \/ ne ke DW . F f { W a | rt PN 7 P PR ER . N AuTaE | ; | dr ya \ u 11 h FR ’ 4 EB nf I, I ul Zu \ f Dir nn z AN 4 . \ ' 4 } Fr} u ! I] 1 | Vi ' f IN h r |) u |* 4 \ m f FY aa Y f ig 1 f 4 A a’ Hi 4 * Aa ! k ) 1 if gi; { - )