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MITTHEILUNGEN DES INSTITUTS

FÜR

OESTEKREICHISCHE

GESCHICHTSFORSCHUNG.

UNTER MITWIRKUNG VON

A. DOPSCH, OSW. RKDLICH und F. WICKHOFF

RHy>IUUlT VON

E. MÜHLBACHKR.

XXIV. BAND.

INNSBRUCK.

VERLAG DER WAGNER'SCHEN UNIVERSITÄTS-BUCHHANDLUNG.

1903.

/

/ G58775_

S . S S7

DRUCK DER WAGNER/SCHEN UNIV.-BUCBDRUCKEREI IN INNSBRUCK,

Inhalt des XXIV. Bandes.

Seite

87

Bischof Virgil von Salzburg vuul seine kosmologischen Ideen. Von Him--

m a n n K r a b b o

Die Kiwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Osterreich. Von

Franz W ilhelm . . . -"^

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians l. Von Moritz

Brosch

Zu Amarcius und Eupolemius. Von M. Manitius 185

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz IH. und Innozenz IV.

Von Karl Hampe ^'^'^

Keichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents vom Jahre 1633.

Von J 0 h a n n e s M ü 1 1 e r . . . -'^^

Östen-eich und der deutsche Bundesstaat. Ein Beitrag zur deutschen Ver- fassungsgeschichte (1848—1849). Von Hans v. Zw i ed i neck . 28:5 Zwei Orio-inal-ßriefe von c. 1188. (Mit einer Tafel Abbildungen). Von

Ludwig Schmitz . . .

Zu Jordanus von Osnabrück. Von Fr anz Wii h e Im .... 358 Die A-dventsrede des Matthäus de Cracovia vor Papst Urban VI. im Jahre

1385. Von Gustav Soramerfeidt . 3*^9

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp H. (1568—1569)

Von Robert Frettensattel . Drei Briete Aug. Wilh. Schlegels an Gentz Von Lud wi g Schmi d t . 412 Studien zur Quellenkunde Böhmens. Von Vaclav Novotny . 529

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. Von

R. Sternfeld imd 0. Schultz-Gora ...... ^^16

Beziehungen des böhmischen Humanisten Johann von Rabeustein zu Bayern.

Von Heinricli Waltzer 630

389

Kleine Mittheilungen:

Der Dichter des Waltharius und" die Vulgata. Von M. Manitius . 111 ZLur Frao-e der Interpolation des Privilegium minus. Von Luschm

V. Ebengreuth

Zu Ansbert. I. u. II. Von K. Zimmert 115, 435

Jahresanfang am 1. Januar in der meissnischthüringischen Kanzlei

um die Mitte des 14. Jahrhunderts. Von Woldemar Lippert 302

648

IV

Seite Kleinere Beiträge zu den Regesten der Könige Rudolf bis Karl IV.

Von H. Schrohe ^^^

Zwei weitere Passauer Fälschungen. Von E. M ühlbacher . . 424 Beiträge für den historischen Atlas der österr. Alpenländer. IIl. Das Rüiderholz. IV. Die befreiten Ämter der Herrschaft Steyr: Neustift, Pfnurnreith, Eber.^egg und Windhag. Von Julius

o j. j + . 433, 64t)

Strnadt . . '

Eine Summa dictaminis in einem Merseburger Codex. Von M. Ma- n i t i u s .

jjiteratur und Notizen:

V. Amira, Die Dresdener Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. 1. Band (Puntscha-rt) 654. Arndt, Schrifttafeln zur Erlernung der la- teinischen Paläographie. Dritte erweiterte Auflage besorgt von Michael Tangl, 1. und 2. Heft (v. Ottenthai) 443. Balzani, Le cronache Italiane nel medio evo (v. Voltelini) 167. Bibl, Die Einführung der katholischen Gegenreformation in Niederösterreich durch K. Rudolf IL 1576—1580 (Kretschmayr) 165. Ders., Die Restauration der niederösterreichischen Landesverfassung unter K. Leopold II. (V. Voltelini) 322. Böhmen, Mähren und Üsterr.- Schlesien, Die historische periodische Literatur 1900 1901 (Bretholz) 328, 506, 676. Boye, Lettres inedites du roi Stanislas, duc de Lorraine et de Bar, a Marie Leszczjmska 1754 ^1766 (Lippert) 675. Chroust, Monumenta palaeographica. Denkmäler der Schreibkunst des Mittelalters. Erste Abteilung (v. Ottenthai) 443. Gorrini, La cattura e prigionia di Aunibale Malvezzi in Germania (Kretschmayr) 167. Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg (Kretschmayr) 163. Eubel_, Hierarchia catholica medii aevi. Vol. II (v. Ottenthai) 161. Festschrift des Vereines f. Geschichte der Deutschen in Böhmen zur Feier des 40jährigen Bestandes (Redlich) 341. Grund, Die Verände- rungen der Topographie im Wiener Walde und Wiener Becken (Vancsa) 126. Haake, König August der Starke (Lip.pert) 673. Hackel, Die Besiedlungsverhältnisse des oberösterreichisehen Mühlviertels in ihrer Abhängigkeit von natürlichen un-d geschicht- lichen Bedingungen (Vancsa) 126. Inama-Sternegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte Band III, Teil 11 (Schalk) 319. Kaindl, Studien zu den ungarischen Geschichtsquellen (Steinacker) 135. Mayer Ernst, Deutsche und französische Verfassungsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhundert (Puntschart) 47^. -^ Mengozzi, II Monte dei Paschi di Siena e le aziende in essö riunite (v. Lu- schin) 166. Ders., II Monte dei Paschi di Siena (v.*Luschin) 166. Monumenta ecclesiastica tempora irinovatae in Hüngaria religionis illustrantia. Tom. I. (Aldäsy) 670. Ratti, Ein Mai- länder Onomasticum vom J. 1266 (Sickel) ' 165. Salomon, William Pitt I. Band, I. Teil (Luckwaldt) 324. Schulte, Ge- schichte des mittelalterlichen Handels und Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluss von Venedig (v. Lu-

Schill) 313. Staatengeschichte Allgemeine 343. Städteweseu deutsches, Neuere Literatur über IX (Uhlirz) 449. Stieber, Zur Kutwickelung der Gewährleistung. Der Eiufluss der böhmischen l^lemente auf dieselbe in Österreich u. und o. E., sowie deren Bedeutung für den österreichischen Exekutiv-Frozess \^v. ilieger) 148. ytrnadt, Die Passio sancti Floriani und die mit ihr zu- sammenhängenden Urkundenfälschungen (Uhlirz) 122. Topo- graphie von Niederösterreich (Redlich) 342. Turba, Beiträge zur lieschichte der Habsburger II. u, 111. (Kretschmayr) 672. Vancsa, Historische Topographie mit besonderer Besicksichtigung Niederösterreiclis (Redlich) 342. Ders., Landes- und Orts- geschichte, ihr Wert und ihre Aufgaben (Redlich) 343. Ders., Über topogr.iphische Ansichten mit besonderer Berücksichtigung Niederösterreichs (Kedlich) 343. Vigener, Bezeichnungen für Volk und Land der Deutschen vom 10. bis 13. Jahrhundert (Lechner) 319. V. Voltelini, Die ältesten Statuten von Trient und ihre Überlieferung (v. Sartori-Montecroce) 666. Waltz, Die Denk- würdigkeiten Kaiser Karls V. (Kretschmayr) 672.

Seite

Berichte:

Monumenta Germaniae historica 1902 1903 ..... 525

Histurische Kommission für die Provinz Sachsen und das Herzogtum

Anhalt 1902—1903 527

Personalien

184

Nekrologe:

Julius Ficker (Mühlbacher) .... Franz Krones Ritter von Mar» bland (Loserth) Ferdinand Kaltenlnunner (v. Ottenthai) Laurenz Doublier (Redlich) .... Engelbert Miihlbacher . . . .

167 179 182 184

688

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologisclien Ideen.

Von

Hermann Krabbo.

Über Virgil von Salzburg ist schou viel gescbrieben worden. Er war ein jüngerer Zeitgenosse des Bouifatius und wurde von diesem bei Papst Zacharias angeklagt, kosniologische Lehren zu vertreten, welche mit der christlichen Weltanschauung nicht vereinbar waren! Über die Massregeln des Papstes, welche darauf erfolgten, gehen die Meinungen weit auseinander. Romfeiudliche Historiker haben wieder und wieder behauptet, Virgil sei vom Papste abgesetzt worden; sie suchten ihn zum Märtyrer der Wissenschaft und zum Opfer römischer Bilduugsfeindlichkeit zu stempeln'). Auf der anderen Seite mussten die gläubigen Katholiken sich abzufinden suchen mit der Tatsache, dass der heilige Bouifatius den heiligen Virgil beim heiligen Zacharias

') Sehr mit Unrecht setzen Barthelemy in seinem Aufsatz L' eveque Virgile et les antipodes (in Erreurs et mensonges historiques I, 269) und ebenso Gilbert m semer gleich näher zu besprechenden Arbeit Le pape Zacharie et les antipodes (in Kevue des questions scientifiques publice par la .^ociete scientifique de Bruxelles VI, 481) Aventin, den Historiker Bayerns in der Reformationszeit, in die Reihe derer, welche von einer Absetzung Virgil s durch den Papst sprechen. Aventm hat zweimal über das Ereignis gehandelt: a) Annales ducum Boiariae ed. Riezler (in der Gesamtausgabe der Werke Aventins von der Münchener Akademie, Bd. II, 399 f.) ; b) Bayerische Cljronik ed. Lexer (Münchener Ausgabe Bd. V, 97). An beiden <_ rten wird nur der Tatbestand der Anklage gegen Virgil erzahlt, m den Annales mit engem Anschluss au die vorliegende quelle, den Zacharias-Brief, in der Chronik mit der Wendung, Virgil sei von Bonifatius ver- klagt als ,ain haidnischer maister und philosophus^ ; über den Erfolg der An- klage wird weder hier noch dort ein Wort gesagt.

Mitthoilnngen XXIV. 1

O H e r m a n n K r a b b 0.

der Irrlehre angeklagt habe. Da sind denn zum Teil recht wunder- liche Versuche gemacht, um nachzuweisen, dass keiner der drei in Konflikt geratenen Heiligen sich einer Ungerechtigkeit schuldig ge- macht habe.

Aber ebenso, wie um das Schicksal des Virgil, stritt man sich auch über seine Lehren. Bald sollte er die Kugelgestalt der Erde, bald das Vorhandensein von Antipoden behauptet haben, und besonders verwirrten noch diejenigen die ganze Frage, welche diese beiden in der Wissenschaft jener Jahrhunderte streng zu scheidenden Theorien durcheinander mengten. Überhaupt hat Virgil in der neueren Lite- ratur ein merkwürdiges Schicksal gehabt. Die zahlreichen Histo- riker, die von ihm erzählen, beschäftigen sich nicht weiter mit dem Wesen seiner Lehre ; sie streifen ihn nur als einen der Gegner des Bonifatius. Den Naturwissenschuftlern auf der anderen Seite, welche sich für die kosmologischeu Ideen Virgils interessirten, lag das verstreute historische Quellenmaterial, welches wir über ihn besitzen, nicht zur Hand.

Neu angeregt wurde die Diskussion durch eine Arbeit von Günther!). Wire in Bezug auf Virgil durchweg irrigen Angaben riefen mehrere Entgegnungen hervor. Erwähnenswert ist insbesondere die gelehrte Untersuchung von Ph. Gilbert, Le pape Zacharie et les anti- podes^); der Verfasser schlug den richtigen Weg ein, die dürftigen Nachrichten, die wir über die Lehren des Virgil haben, nicht durch baltlose Phantasiegebilde ergänzen zu wollen, sondern er suchte einen festen Boden zu gewinnen, indem er sonstige Nachrichten über die an dem Konflikte beteiligten Personen sammelte und zu verwerten suchte. Seine Arbeit ist jedoch wenig beachtet worden 3). Ich hoffe nun über die Kesultate derselben hinauszukommen; und gewiss ist es die Persönlichkeit Virgils auch wert, dass ihr noch einmal einige Zeilen gewidmet werden. In der Geschichte der Geographie hat sich Virgil für immer einen Ehrenplatz gesichert, indem er zu eiuer Zeit, die wenig Sinn uud Verständnis für die Naturwissenschaften hatte, selbständige und bedeutsame kosmologi sehe Theorien vertrat, und in

') S. Günther, Die Lehre von der Erdrundung und Erdbewegung im Mittel- alter bei den Occidentalen S. 5 f.

2) Siehe oben S. 1 Anm. 1. " *. .

ä) Soviel ich sehe, ist der Aufsatz nur einmal,, und zwar in einer Weise, die demselben nicht gerecht wird, besprochen worden von S. Günther selbst, gegen den im Wesentlichen die Ausführungen Gilberts gerichtet sind (Zeitschr. für wissenschaftliche Geographie IV, 51 f.; vergl. in demselben Bande auch S. 104 S. Rüge, Bemerkimg zu der Antipodenlehre im Mittelalter).

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. 3

der Kirohengeschichte Deutschlands wird er stets genannt werden als der Missionar Karantaniens.

I.

Bevor wir daran gehen, das Leben des Virgil zu erzählen, um dann im Zusammenhange desselben auch an die Frage heranzutreten, welche Ansicht er über das Weltall gehabt habe, wird es nötig sein, sich klar zu machen, wie seine Zeit im Allgemeinen über solche Dinge dachte. Denn nur so ist es möglich zu verstehen, in welchen Punkten Virgil über seine Zeitgenosssen hinausging, nur so wird auch die Haltung verständlich, welche Papst Zacharias und Bonifatius ihm gegenüber einnahmen.

Die Kosmologie der ersten christlichen Jahrhunderte setzt sich aus zwei sehr verschiedenen Bestandteilen zusammen; auf der einen Seite wurden die Lehren, welche mau von der Wissenschaft des klas- sischen Altertums überliefert erhalten hatte, verarbeitet, auf der anderen Seite durfte mau nicht in Gegensatz zur Bibel geraten.

Wir werfen zunächst einen kurzen Blick auf die Lehren der Alten vom Kosmos 1). Dass die Erde eine Kugel sei, haben die Griechen schon zu sehr früher Zeit erkannt; die Pythagoreer stellten diese grosse Lehre zuerst auf, Parmenides begründete sie wissenschaftlich. Anfangs vielfach angefeindet und betritten, setzte sie sich doch schliesslich durch und wurde Gemeingut der gebildeten Griechen und Eömer.

Weiter aber sahen die Alten, dass die ihnen bekannte Welt, die Ökumene, nicht entfernt ausreichte, die Oberfläche der Erdkugel zu bedecken. Gewiss waren im Altertum grosse Entdeckungsfahrten ge- macht, aber sie hatten stets ihre Grenzen gefunden, im Norden durch die ungewohnte Kälte, im Süden durch die unerträgliche Hitze; rings, so weit man vordrang, war die Ökumene vom Ozean umspült; sollte derselbe die ganze übrige Oberfläche der Erdkugel bedecken? Das war durchaus unwahrscheinlich. Man nahm an, dass es noch andere Ökumenen gebe, durch unüberschreitbar breite Meere, durch eine alles Lebeu zerstörende und deshalb unpassirbare heisse Zone von uns ge- trennt. Namentlich die Stoiker pflegten diese Lehre, und einer der- selben war es auch, Krates von Mallos 2), der einen schematischen

') In Bezug auf die kosmologischen "Ansichten des Altertums verhalte ich mich selbstverständlich nur referirend und verweise auf das grundlegende Werk von H. Berger, Geschichte der wissenschaftlichen I^rdkunde der Griechen, 4 Teile ; eine zweite Auflage befindet sich in Vorbereitung.

2) Berger, a. a. 0. II, 134 f. und III, 113 ff.

1*

4 H e r m a n n K r a b b o.

Globus entwarf: er uabm einen in der heissen Zone liegenden Äqua- torial-Ozean und einen zweiten, diesen rechtwinklig schneidenden, von Pol zu Pol gehenden Gürtel-Ozean an ; auf diese Weise entstanden vier Ökumenen. Die Frage, ob die so koustruirten anderen drei Erdteile bewohnt seien, bejahte Krates ebenfalls; lagen sie doch unter gleichen physischen Bedingungen, wie die bekannten Länder; warum sollte die Natur also nicht auch dort organisches Leben, Tiere und Menschen, hervorgebracht haben. Für die hypothetischen Be- wohner der drei unbekannten Welten wurden auch wissenschaftliche Namen aufgestellt: die Antöken wohnten unter gleicher Lange und ento-eo-en gesetzter Breite wie wir, die Periöken unter gleicher Breite und entgegengesetzter Länge; au Länge aber und an Breite uns ent- gegengesetzt wohnten die Antipoden. Diese Namen haben im Ein- zelnen geschwankt; festzuhalten ist aber, dass die angenommenen Bewohner der anderen Erdteile als vollständig von uns getrennt, für uns unerreichbar galten.

Die praktischen Römer haben für diese kühnen und unbewiesenen Schlussfolgerungen griechischer Spekulation sich nie ernstlich inter- essirt; ihnen war die Geographie nur die wissenschaftliche Erkundung der Länder, bis zu denen sie vorgedrungen waren; was darüber hin- aus lag, war ihnen gleichgültig, und was die griechischen Philosophen darüber vortrugen, wiesen sie als hypothetisch zurück. Zusammen- fassend lässt sich also sagen, dass das ausgehende klassische Altertum sich in den Kreisen der Gebildeten allgemein zur Kugelstult der Erde bekannte 1); der Frage nach dem Vorhandensein von Antipoden gegen- über verhielt man sich teils zustimmend, teils ablehnend. Zu dichcn Ansichten hatte die christliche Wissenschaft Stellung zu nehmen.

Die Periode, in der das römische Reich in Stücke ging, 'um all- mählich der Weltherrschaft des Christentums Platz zu machen, .zeitigte auf fast allen kulturellen Gebieten einen grossen Rücksehritt 2). So

1) Der Masse des bildungslosen Volkes wollte es natürlicli auch im Alter- tum nicht, ebenso wenig wie zu anderen Zeiten, in den Kopf hinein, dass die Erde eine Kugel sei; Plinius, Naturalis historia II, 65.

2) Für den folgenden Abschnitt verweise ich besonders auf' die ' fleissige Arbeit von K. Kretscbuier, Die phj'sische Erdkunde im christlichen Mittelalter; daneben sind zu nennen G. Marinelli, Die Erdkunde, bei den Kirchenvätern, deutsch von L. Neumann ; 0. Zöckler, Geschichte der "-Beziehungen zwischen Theologie und Naturwissenschaft, Bd. I; die erwähnte Untei^chung von S. Günther, Die Lehre von der Erdrundung und Erdbewegung im Mittelalter: Vicomte de Santarem, Essai sur l'histoire de la cosmogvaphie et de la carto- graphie pendant le moyen-äge, tonie 1 ; R. Beazlej, The dawn of modern geo- graphy, a history of exploration and geographica! science from the conversion of the Roman empire to a. d. 900.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. 5

geriet aucli die Lehre von der Kugelgestalt der Erde, gewiss eines der stolzesten Denkmäler griechischen Geistes, mehr und mehr in Ver- o-essenheit. Die alte Scheibentheorie, welche dem ungebildeten und unwissenschaftlichen Sinn der Zeit mehr einleuchtete, wurde wieder hervorgeholt, und mit billigen Witzchen machten sich die christlichen Gelehrten über die unbegreifliche Lehre, dass die Erde eine Kugel sei, lustig; mau pflegt Lactantiusi) und Kosmas Indikopleustes-) anzu- führen als typischen Vertreter dieser unerfreulichen Epoche, Bekannt- lich hat es bis in die neuere Zeit hinein gewährt, ehe sich das Christen- tum vollständig mit der alteu griechischen Lehre von der Kugelgestalt der Erde ausgesöhnt hat. Jedoch ist zu betonen, dass dieselbe nie ganz verloren gegangen ist, um später neu entdeckt zu werden: sie ist vielmehr, wenngleich gewiss nur durch wenige erleuchtete Geister, aus dem Altertum herübergerettet worden. Ab und zu finden sich auch im früheren Mittelalter wissenschaftliche Köpfe, welche die grossen kosmologischen Errungenschaften der Griechen kenneu; Augustinus, der erste umfassende Gelehrte des christlichen Abendlandes, Isidorus von Sevilla, der Encyklopädist des 7. Jahrhuuderts, Beda Venerabilis, der grösste wissenschaftliche Geist des 8. Jahrhunderts, sie sprechen alle drei mit oder ohne Vorbehalt die Ansicht aus, dass die Erde eine .Kugel ist. Verweilen wir einen Augenblick bei ihren Erörterungen. Typisch für die Stellungnahme des gebildeten Christen sind ins- besoudere die Ausführungen des Augustiu; ich möchte deshalb seine viel zitirten Worte hier doch noch einmal anführen 3). Sie kenn-

») Lactantius Firmianus, Zeitgenosse Dioeletians und Constantins d. Gr.; sein Hauptwerk sind die divinarum institutionum libri septem.

2) Kosmas schrieb um 540 eine xoKO'^pavla i^'.aziayiv.-i].

3) Seine Ansicht über die Gestalt der Erde und die Antipoden setzt Augustin auseinander in seinem Werk De civitate dei XYI, 9 (ed. Migne, Patrol. lat. 41, 487; ed. E. Hofltmann, in Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum, herausgegeben von der Wiener Akademie, vol. 40, 2, pag. 142). Quod vero et antipodas esse fabulantur, id est horaines a contraria parte terrae, ubi sol oritur, quando occidit nobis, adversa pedibus nostris calcare vestigia, nulla ratione cre- dendum est. Neque hoc uUa bistorica cognitione didicisse se affirraant, sed quasi ratiocinando coniectant, eo quod iutra convexa caeli terra suspeusa sit, eundemque locum mundus habeat et infimum et medium : et ex hoc opinantur alteram terrae partem, quae infra est, habitatione hominum carere non posse. ISIec attendunt, etiamsi figura conglobata ,et rotunda muudus esse credatur sive aliqua ratione monstretur, non tamen esse consequens, ut etiam ex illa parte ab aquarum congerie nuda sit terra; deinde etiamsi nuda sit, neque hoc statim necesse esse, ut homines habeat. Quoniam nullo modo scriptura ista mentitur, quae narratis praeteritis facit fidem, eo quod eius praedicta complentur, nimis- que absurdum est, ut dicatur aliquos homines ex hac in illam partem, oceani

6

Hermann K r a b b o.

zeichnen zugleich seine Ansicht über die Kugelgestalt der Erde, über die Antipodenfrage, und über die Zweckmässigkeit der Beschäftigung mit derartigen Problemen überhaupt.

Augustin kennt die Theorie der Alten genau, und er gibt zu, die Erde könne eine Kugel sein. Aber die Konsequenzen dieser An- nahme zieht er nicht: selbst wenn die Erde eine Kugel sei, so sei nicht erwiesen, dass jenseits des Ozeans uns anbekannte Länder lägen ; und selbst wenn das zutreffe, so gehe doch keineswegs daraus hervor, duss dieselben bewohnt sein müssten. Dies sei vielmehr unmöglich. Es bezeichnen diese Zugeständnisse in der Tat die äusserste Grenze, bis zu welcher der Christ gehen durfte, ohne sich mit der Bibel in Widerspruch zu setzen. Die kosmologischeu Vorstellungen, welche in derselben gelegentlich zum Vorscheiu kommen, sind bekanutlich recht unklare und verschiedeu artige i); jedenfalls wird meist in ihnen die Scheibentheorie als selbstverständlich angenommen, die Kugeltheorie aber, an die überhaupt keiner der Verfasser der bil)lischen Bücher dachte, nicht ausdrücklich abgelehnt. Die Worte der Bibel waren in allen wissenschaftlichen Fragen die oberste Norm für den Christen, mit ihnen durfte er sich nicht iu Widerspruch setzen. Die meisten der früheren christlichen Schriftsteller, die zu kosmologischeu Fragen Stellung nahmen, fanden die in der communis opinio herrschende Scheibentheorie in der Bibel bestätigt, und damit war für sie die Frage erledigt. Für die geistige Höhe, auf welcher Augustin stand, ist es ein treffliches Zeugnis, dass er die Lehre von der Kugelgestalt der Erde, da er sie in der Bibel nicht ausdrücklich bestritten sah, für diskutabel hielt und geneigt war, sie anzuerkennen.

Anders musste seine Stellung zur Antipodenfrage sein ; ich betone nochmals, dass der vom Altertum übernommene Begriff der Antipoden in sich schloss, dass dieselben ein von uns gänzlich unabhängiges, ein zweites Menschengeschlecht seien. Die Existenz eines solchen aber

immensitate traiecta, navigare ac pervenire potnisse, ut etiam illic ex uno illo primo homine genus institueretur liumanum.

Was im Allgemeinen von dem Studium der Kosmologie zu halten ist, führt Augustin aus in De genesi ad litteram I, 9 [ed. Migne 34, 270 f.). Quaeri etiam solet quae forma et fignra coeli esse credenda sifc' secundum scripturas nostras. Multi enim multum disputant de iis rebus, quas m^ore prudentia nostri auctores omiserunt, ad beatam vitam non profdturas discentibus, et occu- pantes, quod peius est, multum pretiosa et rebus salubribus impendenda tem- porura spatia. Quid enim ad me pertinet, utrum coelum sicut sphaera undique concludat terram in media mundi mole libratam, an eam ex una parte desuper velut discus operiat?

') Kretschmer, a. a. 0. 5 ft'.

Biscliof Virgil von Salzbvu'g und seine kosuiologischea Ideen. 7

durfte kein Christ zugeben, weil es in schroffstem Widerspruch stand zur Bibellehre von der einheitlichen Abstammung des Menschen- geschlechts von Adam und Noah, in Widerspruch auch zur Heilsbot- schaft des Evangeliums, dass Christus alle Menschen erlöst habe. Denn wie sollte zu jenen diese Kunde, die die Apostel zu allen Völkern bringen sollten, jemals gelangen können?

Jedoch Augustin hielt es fast schon für Unrecht, über solche Fragen überhaupt nachzudenken ; denn derartige Spekulationen waren dem Seelenheil nicht nützlich.

Bedeutend freier ist bereits der Standpunkt des Isidor von Se- villa 1), Er nimmt ohne Weiteres eine Erdkugel in der Mitte der grossen, hohlen Himmelskugel au. Bei der Beschreibung der Erde beschäftigt er sich zunächst mit den drei bekannten Erdteilen Asien, Europa und Afrika, und er nennt dann noch einen vierten im Süden, jenseits des Ozeans; der aber ist uns unbekannt, da wir wegen der Sonnenglut nicht dorthin gelangen können, und auf ihm sollen, wie man fabelt, Antipoden wohnen. Dem Verstände Isidors scheint es offenbar ganz plausibel, dass auch die unerreichbaren Länder bewohnt sein sollen ; aber als guter Christ dai-f er es doch nicht zugeben, und weist deshalb die Erzählungen von den Antipoden in das Reich der Fabel.

Beda endlich, der grosse angelsächsische Gelehrte des 8. Jahr- hunderts, tritt voll und ganz für die Kugelgestalt der Erde ein, die er auch wissenschaftlich richtig begründet^). Über seine Stellung zur

1) Isidor hat seine Ansichten niederlegt im 14. Buch seiner Etymologiae, betitelt De terra et partibus. Vergl. dort cap. I, 1 (ed. Migne, Patrol. lat. 82, 495): Terra est in media mundi regione posita, Omnibus partibus coeli in nio- dum centri aequali intervallo consistens. cap. I[, 1 (1. c. 495): Orbis a rotun- ditate circuli dictus, qui sicut rota est; nnde brevis etiam rotella orbiculus appellatur. Undique enim oceanus circnmfluens eius in circulo ambit fines. Divisus est autem trifarie, ex quibus una pars Asia, altera Europa, teitia Africa nuncupatur. cap. V. 17 (1. c. 512): Extra tres autem partes orbis quarta pars trans oceanum interior est in meridie, quae solis ardore nobis incognita est, et in cuius fiuibus antipodes fabulose inhabitare produntur.

^) Beda, De natura rerum cap. 46 terram globo similem (ed. Migne, Patrol. lat. 90, 264 f., ed. Giles VI, US f.). ürbem terrae dicimus, non quod absoluti orbis sit forma, in tanta montium camporumque disparilitate, sed cuius ample- xus, si cuncta linearum comprehendantur ambitu, figuram absoluti orbis efficiat, Inde enim fit, ut septenti-ionalis plagae sidera nobis semper appareant, meri- diaucje nuhquam ; rursusque haec illis non cernantur, obstante globo terrarum. Septentriones non cernit Troglodytice, et confinis Aegyptus, nee Canopum Italia; quamvis eiusdem orbis pene dimidio maior pars ab Oriente ad occasum, quam a meridie ad septentrionem habitetur: hinc calore, illinc rigore prohibente ac- cosöun;.

g H e r m a n n K r a b b 0.

Autipodeufrage hat er sich nicht geäussert. Hier wird er den korrekten christlich-biblischen Standpunkt eingenommeu haben. Beda starb im Jahre 735'), und mit ihm haben wir die Zeit erreicht, in welcher unser Virgil lebte. Indem wir dazu übergehen, sein Leben und seine kosmologischen Lehren, so gut es die Quellen erlauben, zu erzählen, möchten wir noch einmal zusammenfassend die Stellungnahme seiner Zeit zur Lehre von der Erde kennzeichnen.

Die o-rosse Masse der üno-ebildeten und wohl auch der Gebilde- teren hielt die Erde für eine Scheibe und fand diese Ansicht in der Bibel bestätigt. Wenige auserwählte Geister nur mögen die Theorie von der Kugelgestalt gekannt und gebilligt haben, aber immerhin, diese Lehre war. nicht ganz vergessen. Die von den Alten übernom- mene Antipodeulehre jedoch musste eine Zeit, welche WidersjDrüche gegen die Bibel nicht duldete, einstimmig verwerfen.

IL 2) Das Geburtsland 3) des Virgil oder, wie sein Name in der

Vergl. Beda, De temporura ratione cap. 32 causa inaequalitatis dierum eorundem (ed. Migne, 1. c. 90, 437 ff., ed. Giles VI, 210). Est enim revera orbis idem in medio totius mundi positus, non in latitudinis solum gyro, quasi instar scuti rotundus, sed instar potius pilae undiqueversum aequali rotunditate persi- milis: neque autem in tantae mole magnitudinis, quamvis enormem, montium valliumque distantiam, quantum in pila ludica unum digitum. tantum addere vel demere crediderim. Talis ergo scliematis terra mortalibus ad iuhabitandum data, solis circuitus in hoc mundo lucentis certa ratione constitutionis Dei, alibi diem exhibet, alibi noctem relinquit. Et quia, sicut Ecclesiastes ait, oritur sol et occidit, et in locum suum revertitur, ibique renascens gyrat per meridiem et flectitur ad aquilonem, necesse est circumiens orientalibus, quibusqwe prius quam ocoidentalibus sub eadem linea positis mane, meridiem, vesperam adducat, eiusdem tarnen longitudinis dies utrisque toto anno, sicut et noctes, faciat. Item necesse est Omnibus sub aquilonis et austri plaga contra invicem efc eadem linea positis, per totum annum vertentis circuitum, uno eodemque temporis puncto j,yoI medium coeli conscendat igneus prbem*.

Auch die folgenden Abschnitte bei Beda sind beachtenswert.

') Über die Bedeutung Bedas für die Wissenschaft des Abendlandes vergl. K." Werner, Beda der Ehrwürdige und seine Zeit.

2) In den Anmerkungen dieses Abschnittes wird W. .Wattenbach, Deutsch- lands Geschichtsquellen im Mittelalter, stets nach der 6.' Auflage, A. Hauck, Kirchengeschiehte Deutschlands, sofern nicht ausdrücklich anders ^bemerkt, nach der 2. Auflage citirt.

3) Hier sei bemerkt, dass das Geburtsjahr Virgils unbekannt ist. Er starb 781 und war Abt bereits vor 743, Diese immerhin schon bedeutende Würde wird er wohl nicht erhalten haben, wenn er nicht mindestens 30 Jahre alt war; das würde ungefähr auf das Geburtsjahr 710 führen, und Virgil wäre somit über 70 Jahre alt geworden.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. 9

Heimut geschriebea wurde, Fergil, Feirgili) ist Irland^). Hier wuchs er auf und empfing seine wissenschaftliche Bildung^). Er wurde Mönch, brachte es bis zur Abt würde und stand dem Kloster Ao-haboe in Queens county vor^). In der alten irischen Kirche spielten die Klöster eine gauz andere KoUe als auf dem Festlaude. Der Abt und seine Mönche bildeten den eigentlichen Mittelpunkt des kirchlichen Lebens; die Bischöfe, sofern solche vorhanden waren, unterstanden dem Abte und waren selbst Mönche =^). Auch in Aghaboe hatte es zeitweise einen Bischof gegeben^). Als dann die irischen Mönche in Massen als Missionare zu den Deutschen gingen und dort Klöster errichteten, suchten sie diesen eine ähnliche Stellung zu verschaffen, wie auf der Heimatinsel. Das musste naturgemäss zu Konflikten führen mit den auf dem Festlande herrschenden römischen und frän- kischen Rechtsgewohnlieiten, nach welchen der ]3ischof den Klöstern seines Sprengeis vorgesetzt war^).

Auch Virgil wurde von dem Triebe erfasst, bei der Verbreitung- des Christentums mitzuwirken. Er verliess sein Kloster und ffinff im Jahre 743 in das Frankeu reich s). Herren desselben waren damals die Söhne Karl Martells, die Brüder Karlmanu und Fippin. Diese hatten eben einen gemeinsamen Feldzug gegen ihren Schwager, Her- zog Odilo von Bayern, gemacht, welcher sich der fränkischen Ober- hoheit hatte entziehen wollen, und denselben geschlagen; einige Zeit musste der Besiegte sogar Gefangenschaft erdulden'*).

1] Vergl. H. Zimmer, Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtsknnde XVII, 211.

2"» Dies bezeugen verschiedene Quellen: Conversio Bagoariorum et Caranta- norum,- MG. SS. XI, 6; Gedicht Alcuins- auf Virgil, MG. Poetae latini I, 340, Nr. XXIV, Vers 4; Grabinschrift für Virgil saec. IX., MG., 1. c. II, 639, Nr. II, Vers 2, 3.

') Gedicht Alcuins, a. a. 0. Vers 4, 5.

*) H. Zimmer, a. a. 0. Lanigan, An ecclesiastical historj' of Ireland III, 202, erwähnt ,den Tod des Abtes Virgil von Aghaboe, ohne zu merken, dass derselbe identisch ist mit Bischof Virgil von Salzburg, dessen Geschichte er a. a. 0. 179—186, 205—207 behandelt. Die Lage des Klosters Aghaboe siehe auf Spruuer-Menke, Historischer Atlas, Karte 60.

ä) Hauck, Kirchengeschichte Deutschlands I, 251.

«) Lanigan, a. a. 0. II, 201.

') Hauck, a. a. 0. I, 298 ft'.

8) Conversio Bag. et Car., 1. c. 6 ;' Gedicht Alcuins Vers 6 S.

») -H. Hahn, Jahrbücher des fränkischen Reiches 741—752, S. 43—48. Nach Breves notitiae Salzburgenses VII, 5 (Indiculus Arnonis und Breves notitiae Salzburgenses ed. Keinz) befand sich der gefangene Bayernherzog bei Pippin. Es ist also sehr möglich, dass er bereits damals die Bekanntschaft Virgils ge- macht hat.

■j^Q Hermann Kvabbo.

Zu Quiercy traf Pippin den irischen Abt; er fand Gefallen an dem o-elehrten Manne und behielt ihn zwei Jahre bei sich. Dann schickte er ihn seinem wieder freigelassenen Schwager nach Bayern i). Unter den irischen Begleitern des Virgil kennen wir den Sidonius^) und den Dobdagrec^).

Die bayrische Kirche war durch Bonifatius einige Jahre vor der Ankunft Virgils organisirt; im Jahre 739 waren dort die vier festen Bischofssitze Passau, Regensl)urg, Salzburg und Freisiug eingerichtet, und Bonifatius hatte als päpstlicher Vikar Bischöfe für dieselben geweiht'i). Aber unter dem bayrischen Klerus befanden sich noch Elemente, die teils durch ihren schlechten Lebenswandel, teils durch mangelnde Bildung nicht in die strengere Zucht hinein- passten, die mit der neuen Kirchenverfassung ihren Einzug in Bayern hielt ^). Ein ungebildeter Priester war es, der schon im Jahre 746 den Anlass gab zu einem Zusammenstoss zwischen Boni- fatius und VirgilG). Der Mann hatte sich bei der Taufe Neu- bekehrter der fehlerhaften Formel bedient: „Baptizo te in nomine patria et filia et spiritus sancti". Dies war dem Bonifatius zu Ohren gekommen, und er hatte dem Virgil und dem Sidonius den Auftrag gegeben, die Taufen jenes Priesters, da sie nichtig seien, zu wieder-

') Conversio Bag. et Car., 1. c. 6.

2) Über Sidonius ist zwar nirgends ausdrücklich überliefert, dass er Kelte sei, doch ist dies wohl kaum zu bezweifeln, da er gleichzeitig mit Virgil und als dessen ständiger Genosse in Baj'ern erscheint; vergl. Buss-Scherer, Winfrid- Bonifacius 293 Anm. 1, Absatz 2.

3) Er wurde später Abt von Chiemsee ; als solcher wird er genannt in einer Urkunde Karls des Grossen von 788 October 25 (Böhmer- Mühlbacker, Re- gesta imperii I, Nr. 298, 2. Aufl.) ; ob jedoch Dobdagrec, wie Scherer in Buss- Scherer, a. a. 0. 293 Anm. 1 vermutet, und wie auch Hauck, Kirchengeschichte I, 553 anzunehmen scheint, identisch ist mit einem Tuti Grecus adve-na episcopus Scotus, welcher 804 Januar 13 (Meichelbeck, Historia Frisingensis I, Instrumenta 91 Nr. 120) als Begleiter des Arn von Salzburg erscheint, möchte ich bezweifeln. Denn einmal müssen wir annehmen, dass Dobdagrec seit etwa 748, als Virgil die Verwaltung von Salzburg übernahm, Weihbischof war; dann konnte er 788 sehr Wühl noch leben, 804 jedoch schwerlich; sodann aber ist die Urkunde von 804 ein Vergleich zwischen Bischof Atto von Freising und Abt, Liutfridvon Chiem- see. Demnach müsste also dem Dobdagrec als altem Manne die Abtei Chiemsee wieder entzogen und ihm abermals der Rang eines Weihbischofs *zuerteilt sein; das ist aber recht unwahrscheinlich, wenngleich andererseits das. zweimalige Vor- kommen des seltenen Namens Dobdagrec immerhin auffallend ist.

•«) Hauck, a. a. 0. I, 490.

^) Vergl. Die Beschlüsse der ersten bayrischen Synode, MG. LL. III, 455. <') Vergl. hierüber den Brief des Papstes Zacharias, MG. EE. III, 336 (Nr. 68 der S. Bonifatii et LuUi epistolae, ed. Dümraler).

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. W

holen. Diese hielten die Taufen jedoch für gültig und riefen die Ent- scheidung des Papstes Zacharias au. Der trat in einem Schreiben an Bonifatius der Ansicht der beiden Iren bei. Wie es scheint, war seitdem Bonifatius nicht frei von einer gewissen Animosität o-eo-en Virgil 1). Dieselbe kam bei einem neuen Konflikte im Jahre 748 zum Ausbruch 2).

Herzog Odilo von Bayern war ein tatkräftiger und nach Unab- hängigkeit strebender Fürst. Als er einst den Bonifatius zu sich berufen hatte, um die bayrische Kirche zu orgauisiren, hatte er ge- hofft, dieselbe auf diesem, Wege fester in seine Hand zu bekommen. Hierin hatte er sich jedoch getäuscht; das Ziel, welches Bonifatius verfolgte, war vielmehr, die bayrischen Bistümer der fränkischen Kirche anzugliedern. Darauf hatte der Herzog versucht, auf einem anderen Wege sein Ziel zu erreichen; er setzte sich mit dem Papste Zacharias in direkte Verbindung. Der war auch auf die Pläne Odilos einsfe- gangen, und hatte unter Umgehung des Bonifatius selbst einen Bischof nach Bayern geschickt, wahrscheinlich für das von dem Herzog ge- plante Bistum Neuburg3). Dann aber kam 743 der fränkisch-bayrische Krieg dazwischen, den Selbständigkeitsgelüste a des Odilo wurde vor der Hand ein Ende gemacht, und der weltgewandte Zacharias hielt es für geraten, alle seine Pläne in Bezug auf die kirchliche Selbständig- keit Bayerns abzuleugnen; ausdrücklich erkannte er wieder die Lega- tenrechte des Bonifatius über Bayern an^).

') in einem gleich noch weiter zu erwähnenden Brief des Jahres 748 er- mahnt der Papst den Bonifatius. sich gegen den Virgil und den Sidonius nicht vom Zorn hinreissen zu lassen, MG. EE. III, 360 Nr. 80.

2) Hier sei bemerkt, dass früher vielfach ein sachlicher Gegensatz kon- struirt wurde zwischen Virgil und Bonifatius, indem Virgil die Formen der alt- irischen Kirche auf dem Festlande einzuführen «uchte und so zusammenstossen musste mit dem Erzbischof, welcher die römische Kirchenverfassung vertrat. Hiergegen wendet sich Hauck, Kirchengeschichte I, 553 Anm. 2, und weist nach, dass nur von persönlichen Diflerenzen der beiden Männer die Rede sein kann. Hauptvertreter der älteren Ansicht sind Rettberg, Kirchengeschicbte Deutsch- lands II, 234, 235; H. Hahn, Jahrbücher des fränkischen Reiches 111 hier wird mit Unrecht Virgil als Intrigant und Betrüger geschildert ; A. Vogel in der Realeucyklopädie für protestantische Theologie und Kirchengeschichte 16. 537-539".

3) Hauck, a. a. 0. II, 524, 517; ich schliesse mich in der Deutung der Vor- gänge an Hauck an, vergl. dagegen die frühere Autfassung von Hahn, Jaiir- bücher 53.

■*! MG. EE. in, 316 Nr. 58.

J2 Hermann Krabbo.

Um diese Zeit nun starb Johannes von Salzburg i), einer der vier von Bonifatius im Jahre 739 ordiuirten Bischöfe. Zu seinem Nach- folger bestellte der Herzog den Virgil^), und dieser übernahm die Verwaltung des Bistums, ohne sich jedoch die Weihe erteilen zu lassen^). Als Abt des St. Petersklosters in Salzburg regirte er die Diöcese. Er tat dies gewiss in Erinnerung an die Stellung, welche er früher als irischer Abt eingenommen hatte. Die bisehöflischen Funktionen Hess Virgil durch seineu Genossen Dobdagrec. welcher die Bischofs weihe besass, verrichten^). Als später Bonifatius die neue Stellung des Virgil anfocht, behauptete dieser, er bekleide dieselbe mit päpstlicher Genehmigung. Zacharias bestritt das in scharfen Worten^); aber wenn man bedenkt, dass wir über den Charakter des Virgil, mit alleiniger Ausnahme der Äusserungen seines persönlichen Gegners Bonifatius, nur das Beste wissen, während Zacharias mehr als einmal von dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit nicht ganz freizusprechen ist^), so möchte ich fast glauben, dass der Papst auch in diesem Falle über den Kopf des Bonifatius hinweg sich an der Ernennung eines bayri-

') Zwischen 746 und 74S, terminus a quo ist der erste Zacharias-Brief, in ■welchem Virgil s Er Währung getan wird. Der zweite Brief macht es wahrschein- lich, dass Virgil der Diözese Salzburg damals erst seit kurzem vorstand.

-) Hauck, a. a. 0. I, 525 nimmt an, dass die Besetzung Salzburgs mit Virgil auf fränkischen Einfluss schliessen lasse, da Virgil früher sich in der Umgebung Pippins aufgehalten hatte. Nach ßreves notitiae VIII, 5 hat Virgil seine Würde vom Herzog allein erhalten: postea vero cum Virgilius peregrinus donante Otilone duce suscepit regnum ipsius Juvaviensis sedis et episcopatum .... Die um 800 abgefasstea Breves Notitiae stehen den Ereignissen näher als die 870 geschriebene Conversio ; diese lässt allerdings den Pippin die Übertragung des Bistums an Virgil vornehmen. Übrigens nimmt Hauck a. a. 0. I, 553 Anm. 3 selbst an, dass Odilo nach dem Tode des Johannes die Verfügung über das Bistum Salzburg in die Hand nahm.

3) Conversio, 1. c. 6. mit der falschen Angabe, dass Virgil die W"eihe nur 2 Jahre abgelehnt habe. Tatsächlich liess sich Virgil erst 767 Juni 15 zum Bischof weihen, wie die Conversio weiter unten richtig angibt.

*) Conversio 1. c. 6.

'■) MG. EE. III, 360 Nr. 80; quod nequaquam verum est, quia mentita est in^iquitas sibi.

") Ausser den erst angeknüpften und dann 743 verleugneten 'Beziehungen des Papstes zu Odilo, von denen oben S. 11 die Rede war,' sei erinnert, dass er 741, um den Frieden mit den Langobarden zu erkaufen, den Herzog Trasimund von Spoleto, den Verbündeten der Kurie, ohne Bedenken preisgab. Auch seine Mitwirkung beim Sturz der Merowinger war zwar sehr klug und vorteilhaft, aber doch nicht gerade schön. Es soll übrigens hiermit dem Zacharias durchaus kein Vorwurf gemacht werden. Er war in erster Linie Politiker und musste es auch sein, und deshalb konnte er in der Wahl seiner Mittel oft nicht eben wähle- risch sein.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. 15

sehen Bistumsverwalters erst beteiligt und seine Mitwirkurg nachher abcreleucfnet habe.

Die bischöfliche Stellung des Virgil war der eine Klagepunkt, welchen Bonifatius gegen ihn vorbrachte. Sodann beschuldigte er ihn, dass er Hass säe zwischen Herzog OJilo und ihm, dem Bonifatius i). Wir wissen nun, dass Virgil nichts weniger als ein gefügiges Werk- zeug des herzoglichen Willens war, im Gegenteil, er konnte ihm, wenn er es für seine Pflicht hielt, sehr energisch entgegen treten 2); aber doch wird Odilo ihm eher sein Ohr geliehen haben, als dem für seine Pläne so unbequemen fränkischen Erzbischof.

Endlich aber klagte Bonifatius den Gegner der Irrlehre an. Leider hören wir nur von dritter Hand über das, was Virgil behauptet hat. Wir besitzen nichts als das Antwortschreiben des Zacharias auf die Klagen des Bonifatius, es ist auf den 1. Mai 748 datirt. Die hier in Betracht kommenden Sätze führe ich wörtlich au. „De perversa autem et iniqua doctrina, quae contra Deum et animam suam locutus est si clarificatum fuerit, ita eum confiteri, quod alius mundus et alii homines sub terra sint seu sol et luua hunc habito concilio ab ecclesia pelle, sacerdotii honore privatum. Adtamen et nos scribentes praedicto duei evocatorias praenominato Virgilio mit- timus litteras, ut nobis prae.sentatus et subtili indagatioue requisitus si erroneus fuerit inventus, cauonicis sauctionibus condempnetur''3).

Die Worte des Papstes siud unklar. Für Bonifatius freilich waren sie sicher verständlich, denn ihm gegenüber war es nur nötig, kurz hinzuweisen auf die Lehre des Virgil, die der Erzbischof in seinem voraufgegaugent-n Briefe dem Zacharias ausführlich dargelegt haben wird. Wir müssen uns nach einem Wege umsehen, welcher uns dem Verständnis des Briefes näher bringt. Es ist uns hinlänglich bezeugt, dass Virgil ein grosser Gelehrter*) war ; ob er sich selbst schriftstellerisch betätigt hat, ist uns nicht überliefert, jedenfalls aber nahm er grosses Interesse au literarischen Produkten. Bei den lebhaften wissenschaftlichen

1) MG. EE. III, 360 Nr. 80: inmissiones faciens Otiloni duci Baiubariorum, ut odium inter te et illum seminaret.

2) So anlässlich eines Streites um die Maximilianszelle, das heutige Bi- schofshofen im Pöng;m. Herzog Odilo hatte während seiner Gefangenschaft seinem ihn begleitenden Kaplan Ursus diese Zelle geschenkt; dieselbe gehörte aber dem Stifte Salzburg und wurde energisch von Virgil zurückgefordert. Indi- culus Arnbnis VIII und besonders Breves notitiae VIII, de lite Virgilii episcopi et cuiusdam Ursi presbyteri super bonis s. Maximiliani in beneficium sibi con- cessis ab Otilone duce.

3) MG. EE. III, 360 Nr. 80.

*) Darüber Näheres unten S. 18 f.

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Hermann K r a b b o.

Beziehungen, die zwischen Angelsachsen und Iren bestanden i), waren sicher die Schriften Bedas zu seiner Kenntnis gelangt. Die natur- wissenschaftlichen Arbeiten desselben gehören, wie wir wissen, zu den frühesten, die seiner Feder entstammten, sie entstanden etwa 703 2). Volle 40 Jahre später verliess Virgil Irland, es liegt also eine aus- reichende Spanne Zeit dazwischen, dass man annehmen darf, er sei mit diesen Werken Bedas bekannt geworden. Als Virgils irische Lauds- leute seinen Tod in ihren Annalen verzeichneten, gaben sie ihm den Beinamen des Geometers^); er hat also wahrscheinlich schon, als er noch unter ihnen weilte, sich mit denselben Problemen beschäftigt, an denen Bonifatius nachher Anstoss nahm. Dass Virgil das grosse und grundlegende Sammelwerk des Isidor kannte, darf bei einem Mann von seiner Gelehrsamkeit auch angenommen werden. Aus den Fingern kann sich Virgil seine kosmologischen Ideen nicht gesogen haben, und wenn man sich in der Literatur umsieht, so sind eben nur Beda und Isidor vorhanden, die sich für derartige Probleme interessiren. Bei Beda fand er die Lehre von der Kugelgestalt der Erde wissen- schaftlich begründet, und bei Isidor konnte er lesen vou dem unbe- kannten Erdteil jenseits des Ozeans, dem „alius mundus", und von den ihn bewohnenden Antipoden, den „alii homines sub terra". Virgil war ein durchaus selbständiger und origineller Geist, er wird, was er las. auch durchdacht haben, und da mag es ihm schon passirt sein, dass er, als er von den Antipoden sprach, einmal vergass, für alle Fälle ein vorsichtiges .^fabulose", wie es Isidor getan hatte, beizufügen. Sprach er aber von Antipoden, so war auch Bonifatius durchaus be- rechtigt, ihn in Kom zu denunziren. Im Übrigen hatte er gewiss recht weu ig Verständnis für das, was Virgil lehrte; überhaupt ^bestand ja die Bedeutung des Apostels der Deutschen nicht darin, dass er, wie es wohl sonst bei grossen Mäuneru der Fall ist, über den geisti- gen Horizont seiner Zeit hinausblickte ; er war vielmehr ' vollständig ein Kind derselben, nur wirkten deren Ideale in ihm besonders stark^).

') Vergl. darüber H. Zimmer, Über die Bedeutung des irischen Elements für die mittelalterliche Cultur, Preussische Jahrbücher 59, 34 f. ; derselbe, Kel- tische Beiträge 1, Zeitschrift für deutsches Altertum 32, '§'01 ff. ; beachtenswert sind auch die Ausführungen von L. Traube, Peronna ßcottorum, ^tzungsberichte der philos.-philol. und der histor. Klasse der kgl. bayer. Akademie der Wissen- schaften 1900, 470.

-) K. Werner, Beda der Ehrwürdige und seine Zeit 227.

3) H. Zimmer, Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde XVII, 211.

4) Vergl. die meisterhafte Charakteristik, welche Hauck von Bonifatius ent- wirft, Kirchengeschichte Deutschlands I, 575—578.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. ]^5

und so teilte er durchaus den unwissenschaftlichen Sinn des 8. Jahr- hunderts. Gewiss war Bonifatius stolz, ein Landsmann des grossen ßeda zu sein und wir besitzen mehrere Briefe von ihm, in denen er Freunde jenseits des Kanals bittet, ihm doch Schriften desselben zu schicken; aber was verlangt er? „Aliquos tractatusi) ; aliqua de opusculis sagacissimi investigatoris scripturar um^) ; de trac- tatibus, quos spiritalis presbiter et investigator sanctarum scripturarum Beda reserando composuit . . . .; maxime autem, si fore possit quod nobis predicantibus habile et manuale et utillimum esse videtur super lectionarium anniversarium et pro- verbia Salomonis"-^). ' Dass sich Bonifatius auch für die natur- wissenschaftlichen Arbeiten Bedas je iuteressirt habe, dafür fehlt jedes Zeugnis, und es ist auch bei der genauen Kenntnis, die wir von seinen Auschauungeu haben, unwahrscheinlich.

Zu erklären gilt es noch die dunklen Worte der Anklage „seu sol et luua". Sie mögen zurückzuführen sein auf einen verständnis- loseu Bericht, den Bonifatius über die Lehren Virgils abfasste, oder auf die Kürze und mangelnde Präzision des Ausdrucks, deren sich der Papst seinem Legaten, der ja um die Sache wusste, gegenüber be- dieuen konnte: jedenfalls dürfen die Worte wohl nicht gepresst wer- den; die einfachste Erklärung ist, Virgil habe gelehrt, dass auch den Antipoden Sonne und Mond scheinen.

Die Massregeln, welche Zacharias ergriff, sind auch nicht ganz klar; doch lässt sich immerhin Einiges sagen^). Er ordnet eine neue üntersuChuug an, da es ihm noch nicht ausgemacht erscheint, dass Virgil ein Ketzer sei. Sollte sich dies allerdings bestätigen, dann soll er abgesetzt und der Priesterwürde entkleidet werden. Auch an Herzog Odilo schreibt der Papst, und fordert ihn auf, ihm den Virgil zum Verhör nach Kom zu schicken, Sodaun erhalteu Virgil und Sidonius ; der letztere hatte offenbar wieder des Landsmannes Partei ergriffen Drohbriefe. Endlich aber ermahnt der Papst den Bonifatius, sich den beiden gegenüber nicht durch Leidenschaft und Zorn hinreissen zu lassen^). Er muss also wohl die Empfindung gehabt haben, dass

i) Brief au Erzbischof Ecbercht von York, MG. EE. III, 347,

2) Brief an den Abt Huetbercht ven Weremouth-Gyrwy, MG. EE. III, 348. Beda war Mönch iu dem berühmten Doppelkloster gewesen, dem Huetbercht vorstand.

3) Brief an Erzbischof Ecbercht von York, MG. EE. III, 376 f.

^) MG. EE. III, 360. Auf eine wörtliche Anführung der für die Massregelu des Zacharias in Betracht kommenden Sätze seines Briefes kann verzichtet werden.

5) Der Liber pontificalis (ed. Duchesne I, 426) rühmt dem Zacharias einen

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Heriiiann Kr abbo.

bei den scharfen Anklagen des Erzbischofs eine starke persönliche Erbitterung mitgespielt habe.

Die o-anzen Massregeln machen doch nicht den Eindruck, als ob der Papst gleich die stärksten Mittel kirchlicher Strafgewalt gegen Yiro-il ano-ewandt wissen wollte. Er kannte denselben bereits als einen verständigen Manu, dem er selb.-,t vor einigen Jahren einmal ö-eo-en seinen eigenen Legaten hatte recht geben müssen. Auch brachte er sicher den wissenschaftlichen Interessen des Iren mehr Verständnis entgegen, als Bonifatius. Wir wissen, dass er zu Rom den orbis ter- rarum bildlich darstellen liess, ohne uns freilich von dieser Karte eine genauere Vorstellung machen zu können i). Doch genügt die Tatsache, um zu erweisen, dass die Geographie ihn lebhaft interessirte.

Dass Herzog Odilo noch etwas für Virgil tun konnte, ist un- wahrscheinlich 2); denn er starb in den Tagen, in welchen die Ange- leo-enheit schwebte. Wir müssen uns also nach Nachrichten über das fernere Geschick des Virgil umsehen, um von ihnen aus auf den Ausgang seines Konflikts mit Bonifatius schliessen zu können. Um das Resultat o-leich vorweg zu nehmen: die weiteren Ereignisse, die sich an den Namen Virgils knüpfen, machen es schlechterdings zur ünm()glichkeit,

besonders versöhnlichen Charakter nach •, der Papst wird geschildert als ein »vir mitissimus atque suavis, omnique bonitate ornatus, .... tardus ad irascendum et velox ad miserendum, nulli malum pro malo reddens«.

1) Liber pontificalis 1. 0. 432: Fecit autem a fundamentis ante scrinium Lateranensem porticum atque turreni ubi et portas ereas atque cancellos instituit et per figuram Salvatoris ante fores ornavit; et per ascendentes scalas in supe- rioribus super eandera turrem triclininm et cancellos aereos construxit, ubi et orbis terrarum descriptione depinxit atque diversis versicu- lisornavit.

2) Hauck, Kirchengeschichte I, 523 (erste AuE.) schreibt: ^Doch gelang es dem Herzog, den Papst über die Orthodoxie seines Bischofs- zn beruhigen*. Hauck ging von der Annahme aus, dass der in Betracht kommende Zaeharias- brief in der vorliegenden Fassung nicht geschrieben sein könne, er sah in ihm eine Kompilation aus mehieren Stücken (a. a. 0. 501, Anin 1); den Absatz 15 nach der damals besten Ausgabe von Jafie, Monunienta Moguntina 1.91 (Pro Sydonio autem supradicto etc.) hielt er für früher entstanden als den Absatz 14 (Mam et hoc intimatum est etc.), und hiermit konnte -er den zitirten Satz über die Intervention Odilos zu Gunsten des Virgil begründen. .-Gegen ,Hanck wendete sich Dümmler in seiner Ausgabe der Bonifatiusbriefe, MG. KK. 1^1-, 356 nota 8: er trat für die einheitliche Entstehung des Zachariasbriefes in der überlieferten Form ein. In der zweiten Auflage seiner Kirchengeschichte I, 531 Anm. 2 liess darauf Hauck seine zuerst vertretene Ansiebt fallen und schloss sich der Autorität Dümmlers an. Damit aber hätte er auch den Satz streichen müssen, dass Odilo den Papst über die Rechtgläubigkeit Virgils beruhigt habe. Wohl nur versehentlich ist derselbe S. 554 stehen geblieben.

Bischof Virgil von Salzburg um.l seine kosmologischen Ideen. 17

dass er damals seines Amts entsetzt ist. Ob er in Kom war, um sich zu rechtfertigen, wissen wir nicht. Er wird wahrscheinHch, wenn er sich in seiner Antipodeulehre vom biblischen Standpunkt entfernt hatte, dies zugestanden und sich der Autorität der Bibel unterworfen haben und damit war die Angelegenheit erledigt. Mochte der Papst immer- hin ableugnen, bei der Erhebung Virgils auf den Salzburger Stuhl mitgewirkt zu liaben: ein Interesse, den tüchtigen Mann wieder von seinem Posten zu entfernen, hatte er nicht. Ich möchte sogar fast die Vermutung wagen, dass er, wie bei dem ersten Zusammeustoss des Bonifatius mit den irischen Mönchen, so auch diesmal nicht sesen dieselben entschied: jedenfalls ist zu beachten, dass der zweite der Angeklagten, Sidonius, Bischof von Passau wurde, und zwar, wie es scheint, noch zu Lebzeiten des Bonifatius i), aber doch sicher gesfeu den Wunsch desselben.

Wenngleich nun im Folgenden über die kosmologischen Ansichten Virgils nichts mehr zu sagen wäre, so mag es doch erlaubt sein, sein Leben zu Ende zu verfolgen. Wir haben noch mancherlei Nach- richten über ihn, die interessante Züge zum Bilde des Mannes liefern, der in der Geschichte der Geographie so bedeutsam hervorgetreten ist. Virgil blieb zunächst Abt von St. Peter und Verwalter des Bistums Salzburg. Hier bot sich ihm bald ein weites Feld der Betätigung 2). Der Slaveufürst Boruth, welcher au der bayrischen Grenze, iu Karan- tanieu, gebot, suchte Anschluss an das fränkische Reich gegen die ihn von Osten bedrängenden Avaren ; damit aber war es ermöglicht, dass das Christentum nach Ivaruutanien vordringen konnte. Die Nachfolger des Boruth, Cacatius und nach diesem 'Cheitmar, waren im Kloster Chiemsee erzogen, und namentlich der letztere war durch Bande enger Freundschaft an Virgil geknüpft. Oft besuchte er ihn in seinem Sitze 3), und Virgil schickte ihm alluiählich eine ganze Keihe von Geistlichen ins Land. So wurde Karantanien zugleich dem Christentum und der

') Sidonius wird als Bischof von Passau erwähnt im Jahre 75i (Hauck. Kirchengeschichte Deutschlands, Bischofslisten in Band 11, 794). Wenn man nun mit Hauck, Kirchengeschichte I, 573 den Tod des Bonifatius auf den 5. Juni 755 setzt, so ist es sicher, dass Sidonius zu seinen Lebzeiten bereits Bischof war. Aber selbst wenn man, wie ich, geneigt ist, den von Hauck a. a. 0. 573 Aum. 5 bekämpften Ansatz des Todes des Bonifatius zum 4. Juni 754 für richtig zu halten, so ist es doch immerhin sehr wa'hrscheinlich, dass er es noch erlebt hat, dass der (Genosse des Virgil den Stuhl von Passau bestieg.

2) Conversio, MG. SS. XI, 7 f.

^) Ich folge hier bei der Interpretation des nicht ganz durchsichtigen Wort- lautes der Conversio der Ansicht von Hauck, Kirchengeschichte II, 457 (vergl daselbst Anm. 2). Anderer Meinung ist Riezler, Geschichte Baierns 1, 155.

Mitthoilungen XXIV. 2

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Hermann K r a b b o.

Diöcese Salzburg gewonneu. Virgils Gedanken schweiften sogar noch über die Grenzen des Slavenlandes hinaus, sein Wunsch war, das Christentum auch zu den Avareu zu tragen. Betreteu hat Virgil sein Missionsgebiet nicht, er musste sich damit begnügen, von Salzburg aus Alles zu leiten; denn es gab in Bayern selbst noch zu viel zu tun. als dass er seinen eigentlichen Sprengel hätte verlassen können. Wenn er anfangs, wenigstens was seine äussere Stellung anbetraf, noch an dem Brauche der irischen Kirche festhielt, so wuchs er doch mit der Zeit völlig in die Stellung eines bayrischen oder fränkischen Bischofs hinein. Er Hess sich, da seine Geistlichen ebenso wie die Laien es wünschten, am 15. Juni 767 die Bischofsweihe erteilen i). Dobdagrec, welcher bisher für ihn die bischöflichen Funktionen verrichtet hatte, erhielt die Abtswürde in dem Kloster Chierasee^). Wie völlig Virgil mit den Anschauungen seiner Heimat über die bischöfliche Stellung gebrochen hatte, zeigt deutlich ein Vorgang desselben Jahres. Ein Graf Günther hatte in Ötting eine Celle und eine Kirche gebaut. Er wünschte dort einen Abt und Mönche anzusiedeln und erbat dazu Virgils Mitwirkung. Diese war jedoch nur uro den Preis zu haben, dass das Kloster in Allem völlig dem Bischöfe unterstehen sollte^); so wollte Virgil als Bischof Herr über seine Klöster sein. Zahlreiche Kirchen erbaute er in seinem Sprengel^). Auch an dem durch Bonifatius in der jungen bayrischen Kirche erweckten synodalen Leben beteiligte sich Virgil: sein Name wird unter den Teilnehmern der Synode von Dingolüng genannt^).

Besonders lag dem gelehrten Manne die Pflege historischer Tradi- tion am Herzen. Dem Franken Eupert, welcher einst als erster Bi- schof in Salzburg gewirkt hatte, zu Ehren errichtete er eiue neue Kirche, in die er den Leib des Verstorbeneu 774 überführen Hess*'). Wahrscheinlich hat er auch über das Leben dieses ersten Salzburger Heiligen Aufzeichnungen machen lassen'). Seinen bischöflichen Kol-

1) Conversio 1. c.

2) Verg]. oben S. 10 Anm. 3.

•'') Breves notitiae XIII (ed. Keinz pag. 37 f.). '

4) Grabschrift Virgils, MG. Poetae latini II, 639. Nr. II, Vers S f . : Interim et erexit pulchro molimine muUa , ..

Terapla, loco quaedam nunc quae cernuntur-in isto. 6) MG. LL. III, 461. *■

'■•) Annal. Juvav. maiores MG. SS. I, 87; Annal. Juvay. maior. suppl. MG. SS. III, 122; Annal. Salisburg. MG. SS. I, 89. Vcrgl. die späteren Zusätze zur Conversio Eag. MG. Sy. XI, 8.

') AVattenbach, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter I, 122 be- st.xeitet freilich, dass der kurze Bericht über S. Rupert, welcher den Eingang der Conversio Bagoariorura bildet, bereits unter Virgil abgefasst sei. Dafür ist zu-

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologiscben Ideen. J9

legen Ahbo vou Freising veranlasste Virgil, auch in seinem Sprengel für die Erhaltung der lokalen Überlieferung zu sorgen; so entstand die Vita S. Corbiuiani'), die Aribo dann Virgil widmete^).

Das grossartigste historische Denkmal aber, welches uns die hohe geistige Bedeutung Virgils heute noch zeigt, ist das alte, im Original erhaltene Verbrüderungsbuch von St. Peter in Salzburg 3). Virgil ist der Urheber desselben, und er hat seiner Schöpfung das Gepräo-e seiner hervorragenden Persönlichkeit aufgedrückt. Das Buch ist ein Verzeichnis aller derer, die in geistiger Geraeinschaft mit dem Peters- kloster zu Salzburg standen. „Indem man auch die Namen der Pa- triarchen und Propheten, Apostel, Märtj'rer und anderer Heiligen auf- nahm, erhielt mau eine. Art Abbild der grossen, das Jenseits und Diesseits zusammenschliessenden Gemeinde der Heiligen, deren Glied das Kloster sein wollte"^). Der Herausgeber des Verbrüderungsbuches urteilt''), dass nur ein Mann in der bedeutenden Stellung, wie Virgil sie inne hatte, einen so umfassenden Plan entwerfen konnte, einen Plan, ,der in bewusster Absicht einer liturgischen Aufzeichnung das Wesen und deu Wert eines geschichtlichen Denkmals verlieh. Die achtungswerte Kenntnis der bayrischen Landes- und Kirchengeschichte, die übergehung des Bonifatius, die Aufnahme der Äbte des fernen Hyß), sind ebenso viel Momente, die auf Virgils persönliche Einfluss- nahme deuten". Wir besitzen noch einen Brief, in welchem ein Abt Adalbert den Virgil ersucht, einen verstorbenen Mönch in seine Für- bitte aufzunehmen^).

Nach fast vierzigjähriger, erfolgreicher Tätigkeit in Bayern ist Bischof Virgil von Salzburg am 27. November 784 gestorben^). Die

letzt Hauck eingetreten, Kircheugescliichte Deutschlands 11, 417 A.nm. 4 und namentlich I, 358 Anm. 2.

') Meichelbeck, Historia Frisingensis 1, 2 pag. 3 ft'., und neuerdings besser nach einer neuen Handschrift S. Riezler in den Abhandlungen der historischen Klasse der Königlich Bayrischen Akademie der Wissenschaften 18, 217—272.

2) Brief Aribos an Virgil MG. EE. IV, 498. Vergl. Riezler, a. a. 0. 245.

3) Zuletzt edirt von S. Herzberg-Fränkel, MG. Necrologia IL 4 44. ^) Hauck, a. a. 0. 11, 418.

5) Herzberg-Fränkel. Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskuude Sil, 75.

ß) MG. Necrologia II, 27. col. 64. Vergl. Herzberg-Fränkel, Neues Archiv für ältere deutsche Geschichtskunde XII, 70 f. Das bekannte Hebridenkloster Hy o.cler Jona wurde 563 von Columba als erstes irisches Missionskloster gegründet.

■) MG. EE. IV, 497.

*) Das Tagesdatum nach der vita S. Virgilii, deren Nachrichten hier auf alte Salzburger Überlieferung zurückzugehen scheinen, MG. SS. XI, 88; über das

.>*

20

Hermann K r a b b o.

Eriuneruug au ihu aber blieb lebendig, und nicht das geringste An- zeichen spricht dafür, dass auf Virgil auch nur ein Schatten des Ver- dachtes, den Bouifatius gegen ihu erregt hatte, haften geblieben wäre. Voll Stolz rühmte sich in einem Briefe Bischof Arn von Salzburg, eines so frommen und berühmten Mannes Nachfolger zu seini). Der Ano-elsachse Alcuin widmete dem Erbauer der Kupertskirche in Salz- bürg ein schwungvolles Gedicht, in welchem er nur Worte des höch- sten Lobes für Virgil fand 2). Wäre dem strenggläubigsten unter den Gelehrten am Hofe Karls des Grossen 3) irgend etwas Nachteiliges über die Lehren Virgils zu Ohren gekommen, so würde er ihn sicher nicht so hoch gefeiert haben. Ein Salzburger Dichter des 9. Jahrhunderts endlich verfasste für den Verstorbenen eine poetische Grabschrift ^).

Und ebenso, wie man das Andenken Virgils an der Stätte seiner bischöflichen Wirksamkeit ehrte, hielt man auch in der Heimat die Erinnerung au ihn wach. Seine irischen Landsleute verzeichneten, wenn auch nicht zum richtigen Jahre, den Tod Fergils, des Geo- meters^).

Wenige Nachrichteu sind es nur, die über das Leben Virgils auf uus gekommen sind, aber sie genügen doch, um ein ungefähres Bild von seiner Person zu entwerfen. Er war ein Mann, der gegen jeden enero-isch eintrat für das, was er als recht erkannt hatte; er vertrat ebenso seinem weltlichen Herrn, Herzog Odilo von Bayern, wie seinem geistlichen Vorgesetzten, dem päpstlichen Legaten Bouifatius, gegen- über ohne Scheu die eigene Meinung. Er war ein Christ, in dem die werbende Kraft der juugen Religion gegenüber dem absterbenden Heidentum stark wirkte, so dass er als Missionar die Heimat verliess und in den fernen Alpen der Apostel der karantanischen » Slaven wurde; und sein Verbrüderungsbuch zeigt, wie er sich als glaubeus- frohes Mitglied in der grossen Gemeinde der Kinder Gottes fühlte.

Jahr des Todes, welches die Anna!, Juvav. maiores, MG. SS. I, 87 angeben, vergl. H. Zeissberg, Alkuin und Arno, Zeitschrift für die österreichischen Gym- nasien 13, 96, Anm. 6. ' "

1) In einem Briefe, MG. EE. IV, 498; über Arno vergl. H. Zeissberg, Arno, erster Erzbischof von Salzburg, Wiener Sitzungsberichte, philos.-lijstor. Klasse 4.3, 305—381.

2) MG. Poetae latini I, 340. ' *'

3) Über Alcuin und seine strengen religiösen Ansehauuugen vergl. Watten- bach, Deutschands Geschichtsquellen I, 159 163..

•>) MG. Poetae latini II, 639.

'-) H. Zimmer, Neues Archiv für ältere deutsehe Geschichtskunde XVII, 211 ; über die Entstehung des Fehlers in den irischen Annaleu vergl. Hauck, Kirchen- geschichtc II, 419 Anm. 4.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosuiologischen Ideen. 21

Er war, obwohl er politisch nicht eigentlich hervorgetreten ist, doch immerhin Staatsmann genug, um den Geist seiner Zeit, welche Einheit in Staat und Kirche anstrebte, zu begreifen; er erkannte, dass eine lebenskräftige Entwicklung der kirchlichen Gemeinschaft, in die er getreten war, nur möglich sei auf dem Boden der festgegliederten bischöflich-hierarchischen Verfassung: und so wendete er sich nach anfäno-lichem Zaudern bewusst von den Formen der keltischen Kirche ab, um dann einer der besten Bischöfe in seiner neuen festländischen Heimat zu werden. Und er überragte vielleicht alle seine Zeitgenossen durch einen wissenschaftlichen Sinn, der ihn befähigte, sich mit kos- mologischen Problemen zu befassen, die dem Geiste des 8. Jahrhun- derts ganz fern lagen.

Die Nachwelt beurteilt die Grosso eines Mannes nach dem, was er an dauernden Werken hinterlassen hat. Mit Kecht treten deshalb alle Missionare jener Zeit zurück neben der grossen Gestalt des Boni- fatius. Aber es kann doch keinem Zweifel unterliegen, dass Virgil von Salzburg ihm an Selbständigkeit des Geistes überlegen war. Und so hat er in der Kircheugeschichte sich neben jenem einen immerhin sehr achtungswerten Platz gesichert, in der Geschichte der Geographie aber wird sein Name stets genannt werden, denn hier erscheint Virgil als eiuer der wenigen lichten Punkte in einer dunklen Zeit.

Die katholische Kirche des Mittelalters ehrte ihre besten Söhne dadurch, dass sie dieselben später in die Zahl der Heiligen aufnahm, und mit vollem Kechte ist diese Auszeichnung auch dem Bischof Virgil von Salzburg zu teil geworden. In den Unruhen, welche der Kampf Kaiser Friedrichs I. mit Papst Alexander III. über Salzburg brachte, war am 5- April 1167 die alte von Virgil erbaute Kuperts- kirche ein Raub der Flammen geworden i). Nachdem der Frieden hergestellt war, machte sich Erzbischof Konrad von Witteisbach daran, das zerstörte Gotteshaus wieder aufzubauen. Dabei stiess man am 16. Februar 1181 auf das Grab Virgils; man fand dort auch ein Bild des Verstorbenen mit der Inschrift:

„Virgilius templum construxit scemate pulchro"^). Bald, nachdem man den seltenen Fund gemacht hatte, begann der Körper des alten Bischofs denn auch Wunder zu wirken. Es wurde nun- mehr über das Leben Virgils eine Legende verfasst, die allerdings des selbständigen historischen Wertes entbehrt. Kulturgeschichtlich inter- essant dagegen und bezeichnend für den Aberglauben der Zeit sind die

') Tita Gebehardi archiepisc. Salisb. MG. SS. XI, 46.

2) Vitae et mivacula sanctorum Juvaviensiuui Virgilii etc. MG. SS. XI, 88.

22 Hermann Krabbo.

beisefüoten Erzäliluuo-eu vou den zahlreichen Wundern, die am Grabe Viro-ils sceschaheu. Mit besonderer Ausführlichkeit wird von einem jungen Domherrn erzählt, der nicht ati die Zeichen, die geschahen, glauben wollte; er mochte wie Wattenbach bemerkt i) wohl wissen, wie die Dinge zugingen. Zur Strafe fuhr dann ein Teufel in ihn und richtete ihn übel zu.

Nachdem so Virgil ^u neuem Ruhm gekommen war, ruhte mau in Salzburg nicht eher, als bis er heilig gesprochen war. Im Jahre 1230 wendete sich Erzbischof Eberhard 11. mit einem dahin gehenden Antrage an Papst Gregor IX. Es geschah dies auf dem Kongress von Anagni, wo der Salzburger Erzbischof als einer der Friedensvermittler zwischen dem P«,pste und Kaiser Friedrich II. weilte 2). Am 11. Sep- tember 1230 ernannte der Papst eine Kommission, bestehend aus dem Bischof von Brixen und den Äbten von Heiligenkreuz uud Zwettl, mit dem Auftrage ihm eineu Bericht über die Wunder, welche Virgil wirkte 3), einzureichen. Das günstige Gutachten traf in den ersten Tagen des Juni 1233 eiu*^), so dass der Kauonisation nichts mehr im Wege stand. Dieselbe erfolgte im Konsistorium am 10. Juui 1233^), und am 18. Juni teilte Gregor IX. der Christenheit mit, dass er den Erz- bischof Virgilius von Salzburg^) in das Verzeichnis der Heiligen habe eintragen lassen, und dass fortan sein Todestag, der 27. November, vou der Kirche gefeiert werden solle ^).

III. Dass man über Virgil vou Salzburg so viele unbegründete Er- zählungen in die Welt gesetzt hat, liegt hauptsächlich daran, dass man sich nicht genügend nach dem umsah, was an beglaubigteil Nach- richten über ihn auf uns gekommen ist. Die meisten, weiche im Zusammenhange der Geschichte der Geographie seine Person berührten,

') Deutschlands Geschichtsquellen II, 303.

-) Raynaldus, Annal. eccles. ad annum 1230, cap, 26'.

3) Auvray, Les registres de Gregoire IX,, Nr. 489.

•») Ryccavdi de S. Germano Chronica (SS, rerum Germanicarumj 121: Mense Junü de quodam sancto Virgilio miracula multa in scriptis redacta de Aleman- nia missa sunt ad domnum papam ; ebenso in der zwoifen Fassung deiselben Chronik, herausgegeben von der societä Napoletana di stoTia p;itria, monumenti storici, Serie I, 188S (pag, 145). *

ß) Annal. S, Rudberti, MG. SS. IX, 785.

") Der kleine Anachronismus, welcher in dem Worte , Erzbischof* liegt,, ist entschuldbax; Salzburg wurde bekanntlich erst unter Virgils Xachfolger Arn zum Erzbistum erhoben.

') Auvray, a. a. 0. Nr. 1414, vergl. Raynaldus, Annal. eccles. ad annum 1233, cap. 55.

Bischof Virgil von Salzburg uud seine kosraologisclien Ideen. 23

"wussten nur von ihm, dass Bonifatius iliu iu Rom augeklagt habe und dass er 500 Jahre später durch Papst Gregor IX. kanonisirt wurde. Hält man nur diese beiden Nachrichten zusammen, so muss es allerdings so erscheinen, als ob der Papst des 13. Jahr- hunderts gewissermassen eine Rehabilitirung des Mannes habe vor- nehmen wollen, der einst im 8. Jahrhundert dem Missgriff eines an- deren Papstes zum Opfer gefallen war: denn dass Virgil abgesetzt sei, wurde nicht bezweifelt, einerseits wegen der heftigen Gegnerschaft des Bonifatius und des Zacharias, andererseits ebeu, weil sonst seine frei- lich recht verspätete Wiederherstellung durch Gregor IX. keinen Sinn gehabt hätte. So aber blieb das Odium eines ungerechten Urteils- spruchs auf Papst Zacharias haften, uud damit war manchen gläubigen Gemütern auch nicht gedient. Obwohl wir nun dadurch, dass wir das Leben Virgils unter Ausnutzung des gesammteu Qaellenmaterials erzählt haben, den vollen Beweis erbracht zu haben hoffen, dass von einer Absetzung desselben sowohl wie von einer nachträglichen Wie- deraufnahme zu Gnaden uicht die Eede sein kann, so ist es doch immerhin interessant, zum Schluss noch einen kurzen Blick zu werfen auf die verschiedenen Versionen, die über den Konflikt der drei Hei- ligen in Umlauf gesetzt sind.

Schon der seltene Name des Virgil bot Aulass zu allerlei Kom- binationen. Ausser dem Salzburger Bischof kannte mau nur noch zwei Träger dieses Namens, den römischen Dichter P. Vergilius Maro man schrieb seinen Namen früher wie heute oft fälschlich Virgilius uud einen Bischof Virgil von Arles. Und mau hat beide Männer zu Erklärungsversuchen herbeigezogen. Der Dichter Vergil ist bekanntlieh im Mittelalter der verbreitetste antike Schrift- steller gewesen; er diente so ziemlich jedem, der sich auf dem Gebiete lateinischer Poesie betätigte, tils Muster. Wenn S. Günther meinte), .„dass der Nimbus, welcher durch das ganze Mittelalter von dem Namen Virgilius unzertrennlich blieb und besonders augenscheinlich in Dautes grosser Dichtung hervortritt, auf einer partiellen Verwech- selung des oppositionellen Kirchenfürsteu aus Pippins Zeit mit dem altrömischen Vergil beruhte", so ist das natürlich ganz von der Hand zu weisen. Der Salzburger Bischof ist nie ein oppositioneller Kirchen- fürst gewesen, und der römische Dichter ist nie mit anderen histori- schen Persönlichkeiten vermengt, worden, weder vor noch nach den Zeiten Virgils von Salzburg. Der Römer war stets bekannt als der Musterdichter, den man dem Altertum verdankte, uud wenn er später

') Die Lehre von der Erdruudung und Erdbewegung im Mittelalter bei den Occidentalen 6.

24 Hermann K r a, b b o.

mit einem dichten Sagenschleier umkleidet wurde, so ist das einfach eine Folge der Tendenz des Mittelalters zur Legendenbildung; ein Heiliger konnte natürlich aus dem alten heidnischen Dichter nicht werden; so machte man ihm zum Zauberer i).

Was den anderen Virgil betrifft, den mau herangezogen hat, so wissen wir auch über ihn Einiges. Im Jahre 595 ernannte ihn Papst Gregor der Grosse auf Bitten des Frankenkönigs Childebert zum päpst- lichen Vikar in dessen lieich^) ; aus verschiedenen Schreiben des Papstes an den Bischof geht hervor, dass derselbe ein ziemlich roher und gewalttätiger Herr war^), so dass die wissenschaftlichen Inter- essen, die ihm die gleich zu erwähnende Legende andichtet, eine Un- möglichkeit sind.

Die Legende über Virgil von Salzburg hat, um den Zusammen- stoss desselben mit dem Papste zu erklären, unter Zuhilfenahme der anderen beiden Virgile eine doppelte Verwechselung konstruirt. Näm- lich: Der Papst soll den bayrischen Bischof verwechselt haben mit dem alten römischen Dichter; dieser habe die Kucfelg-estalt der Erde gelehrt, und zum Beweise dessen führt J. Berger de Xivrey, welcher von dem Irrtum des Papstes erzählt^), Stellen aus den Gedichten Vergils an^). Natürlich hat P. Vergilius Maro an die Globosität der Erde geglaubt, denn das war unter den Gebildeten seiner Zeit die herrschende Ansicht, aber davon, dass Zacharias die beiden Männer verwechselt habe, kann natürlich nicht die Rede sein. Virgil von

1) Betreft's der Bedeutung des P. Vergilius Maro für das christliciie Mittel- alter vergl. A. Ebert, Geschichte der Literatur des Mittelalters' im Abendlande, 3 Bände, passim, und besonders D. Comparetti, Virgilio nel medio evo, 2 Bände (1896 in zweiter Aufjage), sowie P. Schwieger, Der Zauberer Virgil »(1897). Weitere Literatur verzeichnet P. Strauch in seiner Ausgabe von Jansen Enikels Weltchronik, MG., Deutsche Chroniken ÜI, 462 Anm. ].

') Ernennungsschreiben des Papstes MG. EE. I, 368 ff. Verg-1. auch 371 ff., 373 ff.

^) 591 Juni Gregor verbietet dem Virgil, Juden gewaltsam zur Taute zu zwingen, MG. EE. I, 71 f. b96 Juli Gregor macht dem Virgil Vorwürfe, dass er die Eiunahmen der römischen Kirche aus ihrem Patrimonium bei Arie?, statt sie .abzuliefern, für sich behalte, 1. c. I, 426 f, cf 428 f 599 Juli Gregor er- mahnt den Virgil, ,die Privilegien des Klosters zu Arles^zu schützen, 1. c. II, 203 f 599 Juli Gregor ermahnt den Virgil und andere Bischöfe, auf strengere Kirchenzucht zu halten, 1. c. II, 205 ff. 599 Juli Gregor mach* "dem Virgil Vorwürfe, dass er nicht verhindert habe, dass eine Nonne zur Ehe gezwungen wurde, 1. c. II, 2 IT.".

"•) 'I raditions tiratologiques ou recits de 1' antiquite et du mojen-äge en occident sur quelques points de la fable du merveilleux et de T histoire natu- relle 186 188.

s) Namentlich kommt in Betracht Georgica I, 247 ff'.

Bischof Virgil von Salzburg und seine kosmologischen Ideen. 25

Salzburg, so erzählt Berger de Xivrey weiter, habe dann seinerseits einen zweiten Irrtum begangen, indem er behauptete, er habe niemals sich mit dem in Frage stehenden kosmologischen Problem beschäftigt, der Papst verwechsele ihn wohl mit Bischof Virgil von Arles. Woher nun diese Legende stammt, vermag ich nicht zu sagen, jedenfalls ist sie eine freie Erfindung, die Quellen wissen nichts von der ganzen Sache.

Aber man hat noch weitere Geschichten über Virgil von Salzburg in Umlauf gesetzt. Man hat ihm eine Eeise nach Eom angedichtet, wo er sich persönlich vor dem Papste gerechtfertigt haben solli). Eine andere Legende erzählt von einer ßomfahrt, die er unternommen habe, um des Papstes Zustimmung zu seiner Bischofswürde zu er- wirken ; ja Virgil soll sogar mit sieben anderen Bischöfen in Rom erschienen sein, um von dort nach dem heiligen Land zu fahren"-). Alle diese lieisen sind Phantasiegebilde späterer Jahrhunderte.

Sodann bedarf der Erwähnung, nicht aber der Widerlegung ein anderer Versuch, der gemacht worden ist, um auf keinem der drei mit einander streitenden Heiligen einen Makel sitzen zu lassen. Da nach seiner Meinung Bonifatius den heiligen Virgil nicht angeklagt, Zachanas ihn nicht verurteilt haben kann, so konstruirt Bartolini^) zwei Virgile, einen guten und einen bösen ; der gute ist der, welcher im Jahre 746 sich au den Papst gewandt hatte, als er über die Taufen des bayrischen Priesters mit Bonifatius in Zwiespalt geraten war, er ist natürlich der spätere Bischof von Salzburg und Heilige. Aber neben ihm soll noch ein böser Ketzer Virgil in Salzburg gelebt haben, den habe der Papst natürlich sehr mit Recht verurteilt. Und Bartolini zieht aus dieser seiner Radikalkur eine notwendige Konse- quenz: er halbirt auch den Genossen des Virgil, den Sidonius, indem auch hier aus dem Briefe von 746 ein guter, aus dem von 748 ein böser Sidonius gewonnen wird^j.

Neben diesen Versuchen, welche zur Erklärung des Ereignisses sich vorwiegend mit der Person des Virgil beschäftigen, sind aucli noch andere zu nennen, welche an seine Lehre anknüpfen. Man hat dem Papste dadurch recht geben wollen, dass man ihn als den

») Brasseur de Bourbourg, Popol Vub, le livie sacie et les mytbes de l'antiquite americaine, introduction LXXIV, Anm. 2; vergl. auch P. Gattarel, Les relations entre l'ancien monde et rAmeriquc etaient-elles possibles au niojen-age? im Bulletin de 1' annee 1881 der societe normande de geographie 213.

2) Vergl. Rettberg, Kirchengeschichte Deutschlands II, 235.

3) Di S. Zaccaria papa e degli anni del suo pontificato 384 fl". *) Bartolini, a. a. 0. 387 ff.

26

Her m a im K r a b b o.

Vertreter der wahren Wissenschaft hinstellte, und mau hat dem Virgil eine falsche Theorie in deu Mund gelegt: er soll gelehrt haben, dass die Erde eine Scheibe sei, und dass diese Scheibe auf beiden Seiten bewohnt sei'); der Papst sei also ganz im Recht gewesen, wenn er gegen solchen Irrtum einschritt. Aber eine derartige Behauptung Viro-ils ist aus der Quelle nicht herauszulesen.

Eine andere Vermutung, dahingehend, dass Virgil wohl die Pytha- o-oreische Lehre von einem Zentralfeuer und einer Gegenerde ver- treten habe^), ist gleichfalls abzuweisen. Wie sollte Virgil auf diese Idee gekommen sein? Auf empirischem Wege konnte er zu der Hypo- these von einer selbständigen Gegenerde, welche die Pythagoreer nur ihrer Zahleuspekulatiou zu Liebe erfanden^), niemals gelangen, und wissenschaftliche Werke, aus denen er von dieser Theorie hätte Kennt- nis nehmen können, standen ihm schwerlich zur Verfügung*).

Zu bemerken ist noch, dass mau den Versuch gemacht hat, nach- zuweisen, Virgil habe seine Ansicht von der Kugelgestalt der Erde selbständig und induktiv gefunden. Seine irischen Landsleute seien o-rosse Seefahrer gewesen und sie sollen auf ihren Fahrten nach Amerika gelangt sein-'j: wusste Virgil das, so war damit der Beweis von der Existenz des alius muudus und der alii homines sub terra für ihn erbracht. Mau hat hiermit sogar eine andere Nachricht kom- biuirt; die späteren Entdecker Amerikas fanden dort bei den Ein- geborenen die Sage von weissen Menschen, die einst auf geflügelten Schiffen von Westeu gekommen waren. Sehr mit Eecht hat man stets daraus geschlossen, dass zu irgend welcher Zeit einmal ein Segelschiff von Europa nach Amerika gelangt sein müsse, und die Vermutung ist unter anderen aufgestellt, dass die weissen Männer Iren gewesea seien. Brasseur de Bourbourg behauptet dies; er erzählt die Legende, dasa Virp-il nach Rom gegangen sei und berichtet weiter, jener habe dort

1) J. Ch. A. Seiters, ßonifacius 436. Gegen ihn wendet sich bereits Oelsner, Jahrbücher des fränkischen Reichs unter König Pippin 177 Anin. 1.

-) Scherer, in Buss-Scherer, Winfrid-Bonifacius ^97, Aniu, 1.

3) E. Zeller, Die Philosophie die Griechen 1, 1, S. 414 (5. Auff.). . •*) H. Zimmer, Preussische Jahrbücher 59, 40 spricht die Vermutung aus, dass Virgil den Eudoxus und Eratothenes gekannt "h^ibe. Diese- unbeweisbare Hypothese wird meiner Meinung nach besser durch die'^edenfalls 'sehr wahr- scheinliche Annahme ersetzt, Virgil habe seine Kenntnisse aus Mclor und Beda geschöpft. Eratosthenes wird, soweit ich sehe, erst ein Jahrhundert später,, durch Joannes Scotus Erigena, den berühmten Landsmann Virgils und Gelehrten am Hofe Karls des Kahlen, citirt. De divisione naturae HI, 33 (ed. Migne, Patrol. lat. 122, 71G). Wann Eudoxns dem Mittelalter bekannt wurde, vermag ich nicht zu sagen.

s) Vergl. dagegen die Erörterungen von A. von Humboldt, Kosmos H, 272 ff.

Bisehof Virgil von Salzburg und seine kosmologischeu Ideen. 27

dem Papste dargelegt, dass seine Laudsleute in regelmässiger Verbin- dung mit der anderen Welt stünden i). Das klingt sehr einleuchtend, aber es ist doch reine Phantasie; wir wissen nichts von Fahrten der Iren nach Amerika. Nur soviel ist richtig, dass dieselben tüchtige Seeleute waren: aber der äusserste Punkt, von dem wir wissen, dass sie ihn erreicht haben, ist Island, und die bestimmte Kunde hier- von liegt auch erst einige Jahrzehnte hinter Virgil. Sein Lands- mann Dicvil erzählt, dass 795 irische Mönche nach Island kamen ^), und es sind freilich Gründe vorhanden, anzunehmen, dass damals dort bereits eine irische Niederlassung bestand 3). Von weiteren Fahrten der Iren ist jedoch nichts bekannt^).

') Brasseur de Bourbourg a. a. 0. LXXIV f. Er suclit sogar zu begründen, warum die ersten Weissen, die nach Amerika kamen, wahrscheinlich Iren waren, indem er die Beschreibung, welche die amerikanische Sage von jenen Einwan- derern gab, in Parallele stellt mit den Nachrichten der Alten über die Bewohner von Irland.

-) Dicvili liber de mensura orbis terrae ed. Parthey Vif, 9, ed. Le- tronne VII, 2.

') Letronne, Recherches sur le livre de mensura orbis terrae 129 14'j : vergl. auch A. v, Humboldt, a. a. 0. 11, 274.

*) Hier seien zum Schlüsse noch einige neuere Arbeiten genannt, die sich mit Virgil von Salzburg beschäftigen, ohne jedoch Wesentliches zur Klarlegung seines Lebens und seiner Lehre zu leisten. M. Ch. Baithelemy, L'eveque Virgile et les antipodes, iu erreurs et mensonges historiques I, 269 286. Fr. von Hummelauer, Die christliche Vorzeit und die Naturwissenschaft, Stimmen aus Maria Laach 18, 417. Scheid, Die Lehre von der Erdrundung und Erdbewe- gung im Mittelalter, Historisch-politische Blätter für das katholische Deutsch- land 80, 433 451. Endlich erwähne ich eine mir unzugängliche Arbeit, welche in Poggendorfis biographisch-literarischem Handwörterbuch zur Geschichte der exacten Wissenschaften II, 1198 citirt wird, nämlich G. S. Bauer, Vergilius a Zacharia papa et Bonifacio ob assertos antipodas haereseos inique postulatus, 4°, Lips. 1752. Die Schrift war weder in Berlin noch in Leipzig erhältlich; Herr Prof. Dr. Zarncke machte mich jedoch auf eine kurze Anzeige derselben in den »Neuen Zeitungen von Gelehrten Sachen auf das Jahr 1752" Nr. 26, S. 232 auf- merksam ; die Notiz möge hier folgen.

»Herr Gottlob Samuel Bauer aus Görlitz, hat hej Jacobäern auf anderthalb Bogen in 4 eine Schrift drucken lassen, worinnen er Virgilium, a Zacharia Papa et Bonifacio ob asseitos Antipodas haereseos inique postulatum, darstellet, und zugleich dem Herrn Michaelis, und Herrn Titius, zu ihrer erhaltenen Magister- würde Glück wünschet. Es haben sich verschiedene Gelehrte gefunden, welche den Pabst Zacharias und den ßonifacius wegen ihrer Verdammung einer un- schuldigen und gegründeten Meynung des Bischofs Virgilius entschuldigen, und den Vorwurf einer Unwissenheit von ihnen ablehnen wollen. Sie haben vor- gegeben, dass nicht so wohl die Lehre von den Gegenfüsslern, als vielmehr die Meynung, dass es viele Welten geben sollte, am Virgil verdammet worden. Wider diese nun schreibet hier der Herr Verfasser, und zeiget, dass sie mit

28 " H e r m a n n K r a b b 0.

So hat also die Legende das Bild des alten Bisehofs vielfach ent- stellt; aber zu betonen ist zum Schlüsse noch folgendes: gerade der ümstaud, dass mau die Tatsache vou Virgils kosmologischen Lehren zum Ausgangspunkt so vieler Geschichten gemacht hat, ist ein Beweis dafür, dass man doch zu allen Zeiten lebhaft empfunden hat, ein wie aussergewöhulicher Mann der gewesen sein musste, welcher im 8- Jahr- hundert die Lehre vou der Kuo;el2jestalt der Erde vertrat.

solcher Ausflucht nicht viel ausrichteten; ja dass auch selbst Cointe und Pagi, wenn sie des Zacharias Rechtfertigung übernommen haben, in neue Schwierig- keiten verfallen wären «.

Die Schrift Bauers ist sicher wertlos, denn derselbe geht von der Ver- urteilung Virgils als von einer Tatsache aus.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreicli.

Von

Franz Wilhelm.

Mit Herzog Heiuricli von Kärnten, zugleicli Exkönig von Böhmen, schloss am 2. April 1335 der letzte männliche Sprosse des görz-tiro- lisehen Hauses die Augen i). Unmittelbar nach seinem Tode begann ein Kampf um die von ihm zurückgelassenen Länder Kärnten und Tirol, der nach vier und dreissig Jahren mit der Vereinigung des ge- samten Besitzes in habsbursjischer Hand sein Ende fand.

Heinrich überlebten zwei Töcliter, Adelheid und Margaretha. Die Eechtsfrage nach der -Zukunft von Kärnten und Tirol wäre unter diesen Verhältnissen eine ganz klai'lieo-ende o-ewesen. wären nicht Vergünsti- gungen und Versprechungen für ihn wie für andere dazugekommen, die später nicht gehalten oder geändert wurden, auf welche vom ver- günstigten Teile verzichtet wurde, nur um darauf bei günstiger Ge- legenheit trotz des Verzichtes neue Ansprüche zu gründen. Der un- stäte und ziemlich skrupellose Geist der Kenaissancemenschen wirkte so überaus verwirrend auch auf die Rechtsverhältnisse, Hatte mau bei der Belehnung durch König Albrecht im Jahre 1305 noch genau gewusst, was in Tirol vom Reiche zu Lehen gieng, hatte im Jahre 1330 selbst Ludwig der Baier noch von Reichsieheu in Tirol ge- sprochen, so wurde unmittelbar nach dem Tode Heinrichs von Böhmen absichtlich die Auffassung in die Verhältnisse getragen, Tirol als Ganzes, die Vogtei über die Bistümer Brixen und Trient nicht ausgenommen,

') Vergl. für das Folgende Hubar, Gedch. der Vereinigung Tirols mit Üster- reic-li S. 8 ff.

30 F r a n z W i 1 h e 1 m.

sei Lehen des JReicliesi). lu diesem Gewirre von Verträgen und Bündnissen, bei den sich widersprechenden rechtlichen Auffassungen ist es oft nicht leicht zu sagen, auf wessen Seite unter den zu einem bestimmten Zeitpunkte gegebenen Verhältnissen das Eecht stand.

Heinrich hatte schon nach dem Tode seiner zweiten Gemahlin, Adelheid von Braunschweig, mit der Möglichkeit gerechnet, dass er ohne männliche Erben zu hinterlassen sterben könne, und für diesen Fall seinen Töchtern die Nachfolge in den Ileichsleheu zu verschaffen gesucht. Im Jahre 1327 soll er von König Ludwig eine diesbezügliche Zusage erhalten haben. In einer Urkunde vom ß. Februar 1330 verlieh Ludwig als Kaiser die Reichslelien für den Fall, dass Heinrich ohne männliche Erben sterben sollte, dessen Töchtern oder Brudertöchtern, knüpfte aber an eine eventuelle Verschreibung dieser Lehen durch Heinrich zu Gunsten &:eii)es oder seiner verstorbenen Brüder Schwiegersohnes die Bestimmung, dass dies nur mit seinem Willen geschehen dürfe. Damit schien es, als sei, für die nächste Zeit wenigstens, über Kärnten und Tirol entschieden. Wurden die Zusagen gehalten, dann stand ein Heimfall dieser Reichslehen nach dem Tode Heinrichs nicht bevor. Dieselben fielen an seine Töchter, und wenn er des Kaisers Gunst hiezu erlangte, an seinen Schwiegersohn.

Ganz natürlich richteten sich auf diese Töchter Heinrichs schon bei seinen Lebzeiten die Augen derjenigen Fürsten, welche das Erbe der görz-tirolischen Linie ihrem Hause sichern »voUten. Au dieselben musste ja nach Heinrichs Tod mindestens alles Eigengut und alle Weiberlehen falleu. Das Glück schien sich seltsamer Weise ganz auf <lie Seite der Luxemburger wenden zu wollen, denen Heinrich einst in Böhmen hatte weichen müssen, als die Vermählung der Margaretha von Tirol mit dem Sohne des Böhruenkönigs Johann vollzogen wurde (1330), weil die ältere Adelheid wegen ihres Siechtums überhaupt kaum mehr in Betracht kam. Dieser Erfolg stimmte aber auch den Kaiser nachdenklich gegen die sich immer weiter ausbreitende Macht der Luxemburger. Die dem Privileg vom 6. Februar 1330 augehängte Klausel lässt die ungezwungene Deutung zu, Ludwig habd selbst an den Gewinn der Länder Heinrichs für sein Haus gedacht. Nun, da dies misslungen, war er auch nicht gesonnen, dife .-Zusage ' betreffs der Verleihung der Reichslehen an dessen Töchter zu haltuj^. Es kam zwischen ihm und den Habsburgern, Avelche nach dem Tode Friedrichs des Schöueu sich wieder einer realeren Politik zuwandten, im Sommer 1330 zu einer Aussöhnung und bald einigte iuan sich über einen Vertrag, nach welchem er den Habsburgern nach dem Ableben König

•) Vergl. Huber a. a. 0. y. 5G Anm. ].

Die Erwerbung Tirols durcli Herzog Kudolf iV . von Üsterreicli. p,]^

fieiuricbs Kumten verleihen wollte, wogegen diese ihm bei der Er- werbuug Tirols hilfreiche Hand bieten sollten.

So lagen die Dinge, als der Tod Heinrichs eintrat. Der Kaiser löste das den Herzogen von Osterreich gegebene Wort vollinhaltlich ein. Am 2. Mai 1335 belehnte er dieselben nicht nur mit dem durch den Tod König Heinrichs dem Keiche angeblich ledig gewordenen Herzogtum Kärnten, sondern auch mit dem südlichen Teile Tirols bis an die Finstermünz, den Jaufen und die Gegend der heutigen Franzens- feste, während Nordtirol (das luntal) an ßaiern fallen sollte. Die Habsburger gelaugten rasch in den dauernden Besitz Kärntens; die Zukunft dieses Landes war damit entschieden. Tirol aber wussten die Luxemburger gegen die überlegenen Streitkräfte des Kaisers und der Herzoge von Österreich zu behaupten. Im Frieden von Enns (1336) entsagten die Habsburger ihren Ansprüchen auf Tirol, der Böhrnen- könig Johann verzichtete für sich, seinen Sohn Johann und dessen Gemahlin auf Kärnten. Mit dem Kaiser kam es erst später zu einer Aussöhnung. Als er im Jahre 1330 den jungen Johann von Böhmen mit der Grafschaft Tirol und dem luntal belehnte, schien es, als habe er dadurch alle Anwartschaft auf die Erv^'erbung dieses Laudes auf- gegeben.

Es sollte anders kommen. Margaretha, mit ihrem jungen Gemahl unzufrieden, trennte sich im Jahre 1341 vou demselben und verwies ihn des Laudes. .Es traf sich günstig, dass des Kaisers Sohn Ludwig von Brandenburg damals Witwer war. Ohne vorhergegangene kirch- liche Scheidung der früheren Ehe und obwohl Verwandtschaft im dritten Grade vorlag, wurde im Jahre 1342 die Vermählung Marga- rethens mit Ludwig gefeiert und beiden die Belehnung mit den Keichs- lehen vom Kaiser erteilt. Die Versuche der Luxemburger, Tirol ihrem Hause zu erhalten, scheiterten. Aber erst am 26. Mai 1349 kam es zu einer Aussöhnung und im Februar 1350 zur Belehnung Ludwig des Brandenburgers mit Kärnten, Tirol, Görz uud den Vogteien über die Bistümer Trient und Brixen. Dadurch schien Tirol den Witteis- bachern um so mehr gesichert, als der Ehe zwischen Ludwig und Margaretha mehrere Kinder entsprossen waren.

Der einzige, welcher trotz der anscheinend völlig gesicherten Nachfolgeschaft im tirolisch-brandenburgischen Hause sich dennoch die Möglichkeit der Erledigung Tirols in absehbarer Zeit vor Augen hielt, "war Herzog Albrecht von Osterreich. Man ist zu dieser An- nahme genötigt, weil sich meines Erachtens die intimen Beziehungen, welche Albrecht zu Ludwig dem Brandenburger und auch sonst in Tirol anknüpfte, mit der Begründung, der Herzog sei wegen der Ver-

32 Franz Wilhelm,

binduDg mit seinen vorländischeu Besitzungen auf die Geneigtheit des Markgrafen angewiesen gewesen, nicht zur Genüge erklären lassen i). Diesem einsichtigen und weitsehenden Politiker muss damals schon klar gewesen sein, dass im Falle der Erledigung Tirols bei der Un- sicherheit in der rechtlichen Auffassung zuletzt der Sieger bleiben werde, für den das Land sich entschieden hatte. Das war ja nach dem Tode König Heinrichs mit aller Deutlichkeit zu Tage getreten^).

Besonders am Herzen gelegen war dem tirolischen Herrsclier- paare die Aussöhnuug mit der Kirche wegen ihrer gesetzwidrig ge- schlossenen Ehe. Sowohl Herzog Albrecht von Österreich als auch dessen Sohn Kudolf nahmen sich dieser Sache ernstlich und mit Aus- dauer au. Es kamen dabei ja ihre eigenen Interessen nicht minder in Frage als die Ludwigs und Margarethens, weil die Vermählung der Tochter Albrechts Margaretha mit Meinhard, dem Sohne Ludwigs, erst nach erfolgter kirchlicher Legitimirung Meinhards als vollgiltig ange- sehen werden konnte. Durch die Bemühungen Herzog Rudolfs kam es nach Albrechts Tod am 2. September 1359 in München zur kirch- lichen Einsegnung der Ehe zwischen Margaretha und Ludwig. Am oieicheu Tao-e vermachte Margaretha in einer noch im Original er- halteuen Urkunde den Herzogen von Osterreich für den Fall, dass sie, ihr Gemahl Ludwig und ihr Sohn Meinhard ohne Erben sterben sollten, Tirol und das Land an der Etsch. Dieser Fall trat wirklich ein. Schon am 18- September i:>ßl starb Ludwig von Brandenburg und bald folgte ihm sein einziger Sohn Meinhard (13. Jänner 131)3). Da verschrieb Margaretha am 26. Jänner 1363 den Herzogen von Öster- reich neuerdings Tirol, das Land au der Etsch und das Inntal sowie ihre Besitzungen in Baieru als unwiderrufliche Schenkung»' unter Lebenden und behielt sich nur die Regierung auf Lebenszeit vor. Es gelang aber Herzog Rudolf bald darauf, Margaretha schon bei Leb- zeiten zum Verzicht auf die Regierung zu vermögen (29. September 1363). Da Karl IV. das Vermächtnis Margarethens am 8. Februar 1364 bestätigte und die Herzoge von- Baiern nach erfolglosen Bemü- hungen, Tirol an sich zu bringen, genau 6 Jahre nach' Abdankung Margarethens auf das Land verzichteten, war, dasselbe dem Hause Habsburg tresichert. ' ''

Die Herzoge von Osterreich hatten die Erwerbung lih'ols, abge- sehen von ihrer zielbewussten Politik, wesentlich den beiden Urkunden

') Dieselben sind von Huber a. a. 0. so ausführlich und mit der ihm eigenen Klarheit dargestellt worden, dass ich hiev bloss darauf zu verweisen habe.

-) Vergl. Ficker, Wie Tirol an Österreich gekommen ; erschienen als Beilage (7 II) der Volks- und Schützenzeitung für Tirol und Vorarlberg 185G, S. 110.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Osterreich. 33

Margaretliens zu verdauken. Auf diese gestützt und unterstützt von der Bewohnerschaft gelang es ihnen, in den Besitz des Landes zu kommen, auf welches auch die Erben Ludwigs von Brandenburg, die Herzoge von Baiern, Ansprüche erhoben und denselben mit den Waffen in der Hand Nachdruck zu geben suchten. Wollten sie bloss, wie damals üblich, Gewalt an Stelle von Recht setzen, oder hatten auch sie verbriefte Eechte auf Tirol? Das Letztere wurde behauptet und damit ist zugleich die Echtheit der Vermächtnisurkunde vom 2. Sep- tember und die enge damit zusammenhängende Aufforderun cf Marga- rethens an die Lehensherreu vom 5. September 1359 bestritten worden. Es waren zuerst bairische Historiker, die dies taten. So Westenrieder, Berichtigungen der Regierungsgesehichte des Herzogs Mainhard (1792), Fessmaier, Stephan der ältere Herzog von Baiern etc. (1817) und Berchtold, Die Landeshoheit Österreichs nach den echten und unechten Freiheitsbriefen (1862). Dagegen haben österreichische Forscher, Kink, Akademische Vorlesungen zur Geschichte Tirols (1850), Ficker, Wie Tirol an Österreich gekommen (1856) ^) und am nachdrücklichsten Huber, Geschichte der Vereinigung Tirols mit Österreich (1864) die Echtheit der Urkunde verteidio-en zu sollen o-enieint. Gegen Huber wandte sich einer seiner Schüler, Theodor von Liebenau, in der Ab- handlung: Bischof Johann von Gurk, Brixen und Chur etc. im 8. Bd. der Argovia, ohne jedoch wesentlich neue Gründe gegen die Echtheit anführen zu können. Deshalb konnte auch Huber, als er in den Re- gesten Karls IV. (R. nr. 317) auf die Urkunde abermals zurückkommen musste, erklären: „Die Gründe, welche neuerlich Th. v. Liebenau . . . Siegen die Echtheit vorgebracht hat, scheinen mir nicht schlagend". In letzter Zeit hat sich Steinherz, Die Beziehungen Ludwigs I. von Ungarn zu Karl IV. (Mitteil, des Instituts 9. 553 Anm. 2) direkt gegen die Echtheit ausgesprochen, ohne aber seine Gründe anzuführen. End- lich hat Lindner, Karl IV, und die Witteisbacher (Mitteil, des Instituts 12, 75 Anm. 1) die Entstehung dieser Urkunde in die Zeit nach Mein- hards Tod versetzt, weil der Inhalt derselben „so ganz auf die durch

') Bei Einzelheiten dieser Arbeit, welche die Ereignisse zum erstenmal in zusammenhängender Weise darstellte und der das unstreitbare Verdienst gebührt, die zielbewusste Politik der Habsburger bei der Erwerbung Tirols blossgelegt zu haben, muss man sich immer gegenwärtig halten, dass dieselbe als Vortrag für den bestimmten nächsten Zweck niedergeschrieben wurde, und dass der Verfasser selbst bei" der Veröffentlichung derselben betonte: »Sollte trotzdem jemand ge- neigt sein, sie nach dem Masstabe wissenschaftlicher Kritik zu prüfen, so be- merke ich, . . . dass manche hier ausgesprochene Ansicht bei einer nochmaligen sorgfältigen Prüfung, zu der mir jetzt die Zeit nicht zu Gebote steht, sich viel- leicht mir selbst als nicht haltbar erweisen dürfte«.

Mitthcilungcn XXIV, 3

3^ Franz Wilhelm.

Meinliards Tod geschaffene Lage passt, welche sich vorher nicht be- rechnen liess". So ist das Urteil über die Echtheit dieser Urkunde auch heute noch ein geteiltes.

Dem Wesen der Sache nach mag es auf den ersten Bhck ziem- lich belanglos erscheinen, wie das Urteil über diese Urkunde lautet. Hat doch Margaretha durch die unzweifelhaft echte Urkunde vom 26. Jänner 136.'> Tirol samt Zugehör den Herzogen von Österreich verschrieben.

Mit Recht ist betont worden, dass, wenn auch durch die endgiltige Lösung dieser Streitfrage im Wesen der Sache sich wenig ändert, da- durch immerhin manches gleichzeitige Ereignis in einem ganz ver- schiedeneu Lich-te erscheinen muss^). Es fällt ferner ein neues Licht auf die Individualität Herzog Rudolfs. Seine Tätigkeit auf dem Gebiete der Urkundenfälschung ist zwar durch die grossen österreichischen Hausprivilegien zur Genüge erkannt und bekannt, wird aber dadurch um ein neues Moment bereichert: Das Ziel der Fälschertätigkeit beim Privilegium malus war die Sicherung von Ehrenvorrechten und Vor- rechten für die bereits im Besitze der Habsburger befindlichen Länder, mit einem Worte, die Sicherung des ersten Platzes nach den Kur- fürsten für den Herzog von Osterreich, nachdem dieser durch die goldene Bulle vom Kurfürsteukollegium ein für allemal ausge.=chlossen war. Hier aber ist das Ziel die Erwerbung eines neuen Landes.

Wie nun gar, wenn der Nachweis der Urkunde vom 2. September 1359 als Fälschung auch auf die Entstehung der Urkunde vom 26. Jänner 1363 ein unerwartetes Licht werfen würde? Vergegen- wärtigen wir uns nur, was Huber schon hervorhob^), dass die Ur- kunde von 1359 auf jene von 1363 nicht nur bezüglich des Inhaltes, sondern auch bezüglich des Diktates von massgebendem Einfiuss war, so dass man dieselbe gewissermassen als Yorurkunde bezeichnen kann. Die Folgerungen, welche sich aus diesem Verhältnisse der beiden Ur- künden im Falle der Unechtheit der ersteren ergeben, sind noch nie gezogen worden. Die Verteidiger der Echtheit hatten dazu keine Ur- sache, von den Gegnern aber ist dies bisher übersehen worden.

Dazu kommt die unleugbare Bedeutung der in Frage stehenden Sache an sich. Es ist nicht nur ein Wettbewerb'^um den- Besitz von Tirol zwischen Osterreich und Baiern, sondern ein Ringen um die Vormacht in Süddeutschland. Gewann Baiern Tirol, für dessen Er- werbung Kaiser Ludwig kein Mittel anzuwenden gescheut hatte, dann war ihm die Selbständigkeit, welche es in früherer Zeit besass, wieder

') So Ficker a. a. 0. S. 12G. 2) A. a. 0. S. 127.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 35

verbürgt. Auch für Österreich handelte es sich nicht bloss um den Gewinn eines gebirgigen Landes. Ohne Tirol wäre Österreich vielleicht dauernd zur Stellung einer Macht zweiten Eanges verurteilt gewesen^). Von seinen reichen Besitzungen in den Vorlanden war es so o-ut wie abgeschnitten und auch die Erwerbungen in Friaul hatten nur halben Wert.

Diese Erwägungen dürften es gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn im Folgenden die Untersuchung über die Echtheit der Urkunden von 1359 nochmals aufgenommen wird-). Tch sage der Urkunden, denn jene vom 5. JSeptember hängt mit der vom 2. September so innig zusammen, dass nur beide echt oder beide unecht sein können. Die graphische Untersuchung ergibt, dass beide von einer und derselben Hand geschrieben siud^). Beide Urkunden führen ferner, worauf noch zurückzukommen sein wird, die Korroboration : , unser insigel, das wir zii grozzeu sacken gewenlich nüczen*, während an beiden Ur- kunden das gewöhnliche Siegel Margarethens hängt.

Huber, der diesen Sachverhalt nicht kannte, Aveil ihm, wie es scheint, nicht das Original, sondern nur eine Abschrift vorlag, hat freilich die Urkunde vom 2. September für echt, jene vom 5. September dagegen für unecht erklärt*). Der massgebende Grund hiefür war, dass Margaretha in der Urkunde vom 5. September die Lehensherren an- geblich bittet, die bezüglichen Lehen den Herzogen von Österreich „unverzogenlich ane alle Widerrede*^ zu verleihen. Allein dieses Regest beruht auf einem Verseheu. Huber übersah den Nachsatz: „wenne ez ze schulden kuint, in aller der mazze, als der egenante unser ge- scheftbrief weiset, ane alle geverde", das heisst also, die Lehensherren sollen den Herzogen die Lehen dann unverzüglich verleihen, wenn Margaretha, ihr Gemahl und ihr Sohn mit Tod abgegangen sein würden, so wie es in der Vermächtnisurkunde vom 2. September fest-

') Vergl. Ficker a. a. 0. S. 142.

-) Für Erleichterungen bei der Benützung des archivaliseben Materiales bin ich Herrn Hofrat Dr. Gustav Winter, Direktor des k. u. k. Haus-, Hof- und Staatsarchives in Wien, Herrn Dr. Oskar Freiherrn von Mitis, Aspiranten ebenda- selbst, und Hen-n Professor Dr. Michael Mayr, Direktor der k. k. Statthalterei- archives.in Innsbruck, zu lebhaftem Danke verpflichtet.

ä) Die Urkunden bieten so viel Vergleichungsmaterial, des Ductus ist in beiden ein so übereinstimmender, dass ich mich für den Nachwei.< kurz fassen kann. Ich erwähne bloss die in beiden Urkunden vollständig gleiche Verschnör- kelung-der Oberschäfte bei den grossen Anfangsbuchstaben der ersten Zeile (Wir, herczogin. Allen), das B in Brandenburg, das M bei marchgrefin in der einen, hei Margaretha in der andern Urkunde, sowie die ganz charakteristische Gleich- heit in den Abkürzungszeichen.

•*) A. a. 0. S. 128.

3*

gg F r a 11 z W i 1 b e 1 m.

gesetzt ist. Die Ausdrücke „vormals" und „emaln" aber, welche iu dieser Urkunde für die nur drei Tage früher ausgestellte vom 2- Sep- tember gebraucht werden, bieten allein keinen hinreichenden Grund^ dieselbe für gefälscht zu erklären. Sie besagen nicht mehr, als dass eben die Urkunde vom 2. September vor jener vom 5. September aus- gestellt wurde 1).

Die Bedenken, welche gegen die Echtheit der Urkunde vom 2. Sep- tember vorgebracht worden sind, konnte bereits Huber iu seiner Ge- schichte der Vereinigung Tirols mit Österreich eingehend würdigen, weil seit dieser Zeit wesentlich neue Argumente nicht beigebracht wurden.

Es ist eingewendet worden, dass auflallender Weise die Ver- mächtnisurkunde von 1363 auf jene von 1359 mit keinem Worte Bezug nimmt. Huber schliesst sich bei Widerlegung dieses Einwandes einer Bemerkung von Kink an, nach welcher eine Bezugnahme nur dann notwendig gewesen wäre, „wenn einer der stipulirenden Teile sein Versprechen nicht gehalten hätte". Diese Widerlegung beruht aber auf einer Verkeunung des Charakters der Urkunde vom 1359. Nicht mit einem Vertrage zwischen zwei Parteien haben wir es zu tun, sondern mit einem Vermächtnis, bei welchem, vorausgesetzt dass die daran geknüpften Bedingungen eintreffen, der eine Teil gibt, der andere nimmt. Die Bedingungen bei dieser Urkunde bestehen darin, dass Ludwig, Margaretha und ihr Sohn Meinhard ohne Erben sterben. Am 26. Jänner 1363 waren diese Bedingungen nur zum Teil erfüllt. Ludwig und Meinhard waren gestorben, Margaretha war am Leben. HerzoiT Rudolf hatte also damals auf Grund der Urkunde von 1359 noch kein Anrecht auf Tirol, auch wenn dieselbe echt war. Es ent- fiel, wenn alles beim Alten blieb, auch die Notwendigkeit für die Aus- ferti<Tuno' einer neuen Urkunde. Man darf nicht einwenden, dies sei deshalb notwendig geworden, weil Margaretha am 17. Jähner 1363 versprochen hatte, ohne Einwilligung ihres Rates Tirol niemandem zu vermachen. In der Urkunde vom 2. September 1359 war auch für diesen Fall vorgesehen worden. Margaretha erklärt darin' alle Ur- kunden, mögen dieselben vor oder nach dieser Urkunde, ausgestellt sein, für uugiltig, welche gegen dieses Vermächtnis^ Verstössen, Die Notwendigkeit für die Ausfertigung einer neuien Urkunde, trat nur dann ein, wenn Rudolf nach dem Tode Ludwigs und Meinhards Mar- garetha zu einem weitergehenden Zugeständnis zu bewegen vermochte.

') Der Ausdruck »vormals« wird in derselben Bedeutung gebraucbt in der endgiltigen VerzicMurkunde Margarethens vom 29. September ]36:^ mit Bezug- iiuf das Vermäcbtnis vom 26. Jänner desselben Jahres.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 37

Dasselbe kaun sich uiclit auf die Zeit des Anfalles beziehen, denn auch die Urkunde vom 26. Jänner 1363 hält daran fest, dass Mar- garetha die Eegierung des Landes bis zu ihrem Tode verbleibe. Daher können nur sachlich umfangreichere Zugeständnisse diese Notwendig- keit bedingt haben. Solche liegen auch tatsächlich vor, ganz abge- sehen von ihren Besitzungen .in Baiern, welche Margaretha im Jahre 1363 den Habsburgern verschrieb, nur sind dieselben bis heute auf- fallender Weise von Niemandem beachtet worden. Deshalb ist auch das Verhältnis, in welchem die beiden Vermächtnisurkunden zu ein- ander stehen, nie richtig gefasst worden. Nicht nur Tirol, Görz, die Gegend an der Etsch mit der Burg Tirol und allem, was dazu gehört, vermacht Margaretha in. der Urkunde vom 26. Jänner 1363 neuerdings den Herzogen von Österreich, sondern ausserdem das Inntal. Auf diese bisher nicht beachtete und doch ausserordentlich wichtige Tat- sache w^erde ich noch zurückkommen. Hier genügt es, dieselbe fest- gestellt zu haben. Denn war so das Vermächtnis von 1363 ein sach- lieh viel weitergehendes als das von 1359, so konnte auf dasselbe nicht recht wohl Bezug genommen Averden.

Was ich bis jetzt vorbrachte, spricht zu Gunsten der beiden Ur- kunden von 1359 und man könnte dieselben für unbedingt echt er- klären, beständen nicht noch andere Verdachtsmomente.

Will man sicheren Boden für die Beurteilung der beiden Ur- kunden von 1359 gewinnen, dann muss man sich vor allem die Frage vorlegen, ob Margaretha überhaupt das Eecht besass, in dieser Weise über Tirol zu verfügen. Gewiss ist, dass sie dieses Kecht nicht hatte bezüglich der Keichslehen. Dessen Avar sich schon der Konzi- pient der Vermächtnisurkunde vom. 2. September 1359 bewusst und er sah sich daher genötigt, diese Verfügung damit zu begründen, dass er für Margaretha ein ähnliches Vorrecht in Anspruch nahm, wie es die Paragraphe 9 und 16 des Privilegium malus den Herzogen von Osterreich zusicherten, wenn er dieselbe Tirol vermachen lässt: „mit den freyheiteu und rechten, die ouch alle unser vordem und wir in den obgenanten unsern landen herbracht und besezzen haben von alter, also swenne da nicht erben weren männischer gediet, daz denne dieselben unsere lant vallen solten mit erblichem rechte an die ältisten tochter, d i e o u c h darnach mit irn landen schaffen und tun mag nach allem irm willen, swaz si wil"!). Noch weniger Avar Margaretha natürlich zu einem solchen Schritte berechtigt ohne Zustimmung ihres Gemahls, deren in der Urkunde mit keinem Worte

«) Yergl. Berchtold a. a. 0. S. 1!1.

38 F r a n z W i 1 h e 1 m.

gedacht wird. Dieser war ja im Jahre 1342 gemeinsam mit ihr vou Ludwig dem Baier mit allen Keichslehen belehu^j worden. Von bairi- schen Historikern i) ist sogar behauptet worden, Margaretha habe bei ihrer Vermähluno; mit Ludwig zu dessen Gunsten auf ihre Anrechte auf Tirol verzichtet und dadurch für den Fall, dass ihre Ehe kinderlos bliebe, den Übergang des Landes an die Erben Ludwigs zugesichert. Es ist ein Verdienst Hubers 2), festgestellt zu haben, dass diese Be- hauptung auf Aettenkhofer^) zurückgeht, der sich aber dafür auf keine Urkunde zu stützen vermag, und dass eine solche heute auch weder im Reichsarchiv in München, noch im Staatsarchiv in Wien sich vor- findet. Das Nichtvorhandensein dieser Urkunde beweist natürlich noch nicht, dass diesell;)e überhaupt nicht ausgestellt worden ist. Wir werden, trachten müssen, auf indirektem Wege zu ermitteln, ob dies geschah oder nicht.

Am 19. Dezember 1353 verschrieb Ludwig seiner Gemahlin die Vesten und Städte Innsbruck, Hall, St. Petersberg und Herteuberg mit der Bestimmung als Wittum, dass dieselben nach ihrem Tod an ihre Kinder, oder, falls solche nicht vorhanden wären, an seine (Lud- wigs) Erben fallen sollen^). Auch Huber'^), der gewichtigste Vertei- diger der Echtheit der Urkunde vom 2- September 1359, musste zu- gestehen, dass man damtils am tirolischen Hofe für den Fall, dass Ludwig und Meiuhard vor Margaretha mit Tod abgiengen, die Ver- einigung Tirols mit Baiern erustlich in Aussicht genommen habe. Es ist aber nicht ganz richtig, wenn Huber meint, in den späteren Ver- gabungen Ludwigs für seine Gemahliu sei der Fall, dass er und et- waige Kinder aus seiner Ehe mit Margaretha vor dieser sterben könnten, gar nie mehr in's Auge gefasst worden und diesbezüglich auf die Urkunden vom 10. November 1357 und vom 25. September 13G0 verweist. Dass gerade aus dieser Zeit Vergabungen- Ludwigs für seine Gemahlin vorliegen, ist ausserordentlich erwünscht. Dieselben können uns zeigen, welchen Standpunkt Ludwig und mit ihm, still- schweigend wenigstens, Margaretha, für welche diese .Urkunden aus- crestellt sind, bezüo-lich der Zukunft Tirols vor und nach der Zeit ein-

1) Fessmaier a. a. 0. S. 26; Berclitold ;i. a. 0. S. HIV ' '

-) Vereinigung- etc. S. 54 Anm. 3, *■

3) Kurzgefasste Geschichte von Baiern S. 44.

4) Huber, Vereinigung S. 173 Nr. 15S: Wer aber, das wir ou leiplich erben verfüren und der nicht hieten, oder noch bei unseyer lieben vorgenanten ge- machein gewinnen, so süllen sy wider an unser erben und nachomen. die uns billich und ze recht erben sullent, darnach keren und gevallen.

■■) Ebenda S. 54.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Osterreich. 39

nehmen, zu welcher Margaretha ihre erste Vermäehtnisurkuncle über Tirol zu Gunsten der Herzoge von Österreich ausgestellt haben soll. Durch die Urkunde vom 10. November 1357 verschreibt Ludwig seiner Gemahlin die Yeste Eppan samt Zugehör als Wittum und knüpft daran die Bestimmung: „Wann ouch die obgenant unser lieb gemaciiel verschaidet, das irs lebens nicht mer ist, so sol die obgenante veste Eppan mit aller irer zügehorung erblich genzlichen und ledichlichea an unser erben wider gevallen" ^). Es ist richtig, dass Ludwig hier nicht ausdrücklich ausspricht, diese Bestimmung solle in Kraft treten, falls auch Meinhard vor Margaretha gestorben wäre, allein der ganze Wortlaut der Urkunde setzt voraus, dass er auch diesen Fall hier im Auge hatte. „Unser erben" vom Standpunkte Ludwigs können die Kinder aus der Ehe mit Margaretha ebenso gut sein wie seine Agnaten, die Herzoge von Baiern. Vergleicheu wir diese Urkunde mit der eben besprochenen von 1353, so sehen wir, dass Ludwig hier die Kinder aus seiner Ehe mit Margaretha bezeichnet als „uuserew kind und leiplich erben", seine Agnaten dagegen als „unser erben". Am deutlichsten erhellt diese Terminologie aus der Urkunde Ludwigs vom 19. Februar 1358, mittels welcher er seiner Gemahlin die Veste Klingen und die Stadt Wasserburg ebenfalls als Wittum verschreibt 1). Die Vererbung dieser iu Baiern gelegenen Besitzungen staud fest. Sie mussten nach dem Tode Margarethens an ihre Kinder aus der Ehe mit Ludwig und wenn solche nicht am Leben waren, nach der Teilungs- urkunde von 1351 an die Herzoge von Baiern fallen. Wie wird nun dies in' der Urkunde zum Ausdruck gebracht? ,Uud sweune die ob- genaute unser gemahel verschaidet, so sol die vorgeuante vest und stat .... wider an unsrew kind (aus der Ehe mit Margaretha) und erben (die Herzoge von Baiern) ledichleich und erbleichen wider erben und gevalleu". Daraus wird klar, dass der ganz allgemeine Ausdruck „unser erben" in der Urkunde von 1357 nur bedeuten kann, die Veste Eppan solle nach Margarethens Tod an ihre Kinder aus der Ehe mit Ludwig, im Falle solche nicht vorhanden sind aber an seine (Ludwigs) Erben fallen. Wären darunter ausschliesslich Kinder Mar- garethens und Ludwigs gemeint, dann müsste die Stelle nach der in der Kanzlei Ludwigs üblichen Terminologie lauten: au unser leip- lich erben" oder „an unser bald er erben" 3).

1) Ebenda S. 184 Nr. 202. -') Ebenda S. 185 Nr. 204.

^) Vergl. z. B. die Stelle aus der im Folgenden zu besprechenden Urkunde vom 25. September 1360: »darauf (auf genannte A^esten und Städte) wir nisrer

40 Franz Wilb e Im.

Ludwig stand also im Jahre 1357 noch ganz auf demselben im Jahre 1353 näher präzisirten Standpunkte, dass im Falle die Kinder aus beiner Ehe mit Margaretha vor dieser sterben, seine Erben, das heisst die Herzoge von Baiern, in Tirol folgen sollten.

Eine andere Bewandtnis hat es mit der Urkunde vom 25. Sep- tember 1360')- Markgraf Ludwig hatte seiner Gemahlin als Morgen- gabe die Städte und Yesten Landsberg, Weilheim, Pael und Aibling verschrieben. Als es sich nun im Jahre 1359 darum handelte, seinem Sohn Meinhard das Heiratsgut im Betrage von 18.000 Gulden sicher- zustellen, liess ihm Margaretha zu diesem Zwecke die genannten Be- sitzungen ledig und Ludwig verwies sie bezüglich ihrer Morgengabe auf die Vesten Kodeneck, Stein am Kitten, Ehrenberg und Königs- berg. Von diesen Schlössern befanden sich damals die drei erst- genannten in österreichischem Pfandbesitze. Herzog Albrecht hatte dieselben am 7. Dezember 1354 für 23.000 Gulden von Herzog Fried- rich von Teck gelöst und überdies 5000 Gulden bar an Ludwig ge- liehen''^). Am 18. August 1359 legte Herzog Kudolf gemäss einer schon im Jahre 1354 getroffenen Verabredung 28.000 Gulden vom -Heiratsgut seiner Schwester Margaretha auf diese Besitzungen 3). Da- mals wurde auch vereinbart, dass wenn Meinhard und Margaretha ohne Kinder sterben sollten, die bairischen Besitzungen wieder an Baiern, Ehrenbercj, Rodeneck und Stein wieder in österreichischen Piandbesitz zurückfallen sollen. In der Urkunde vom 25. September 1360 nun, etwas mehr als ein Jahr nachdem Margaretha die fragliche Vermächt- nisurkunde ausgestellt haben soll, bestimmt Ludwig, dass Margaretha in dem Falle, dass er, Meinhard und dessen Gemahlin Margaretha ohne Hinterlassung anderer Erben vor ihr sterben sollten, die drei Schlösser nach den mit den Herzogen von Österreich hierüber getroffenen Ver- einbarungen aus dem österreichischen Pfandbesitz lösen soll^). Der Grund dieser Verfügung ist nicht einzusehen, wenn damals die Ur- kunde vom 2. September 1359 schon in Kraft bestan<l. Dieselbe hat nur dann einen Sinn, Avenn Ludwig voraussetzt, dass Tirol in diesem

"bald er lieben sun margraf Maenharten und Margareten (von Österreich) unser tochter . . . irs heiratgüts verweiset haben*.

') Huber, Vereinigung S. 203 Nr. 235. y . •• ,

•') Ebenda S. 179 Nr. I7ö.

3) Ebenda S. 190 Nr. 220.

4) Wer aber, daz es ze schulden chom, daz unser sun )nargraf Maenhart und fraw Margaret unser tochter verschieden on leiberben, dez gott nicht eu- welle, so sol dew ofgenant fraw Margaret, unser gemähel, die vorgenant vesten haben und lösen nach den taedingen, als zwischan uns und den herzogen von Osterich ze baiden seiten getaedingt ist und begriften.

Die Erwerlmng Tirols durch Herzog- Rudolf IV. von Österreich. 4.\

Falle zunächst an Margaretha und dann an jemanden andern als die Herzoge von Österreich fällt.

Ludwig hatte also im Herl»st loßO keine Kenntnis von der an- geblich ein Jahr früher ausgestellten Vermächtnisurkunde seiner Ge- mahliü ; es schwebte ihm nicht einmal die Möglichkeit vor, Tirol könne nach seinem und seiner Gemahlin kinderlosen Ableben an die Herzoo-e von Österreich fallen. Da er in den Jahren 1353 und 1357 seine Erben, die Herzoge von Baiern, als diejenigen bezeichnet, auf welche die Besitzungen in Tirol, welche er seiner Gemahlin als Wittum ver- schrieben hatte, in diesem Falle übergehen sollen, darf man mit Recht annehmen, dies sei auch bei der Ausstellung der Urkunde von 13(30 seine Intentiou gewesen, obwohl es nicht ausdrücklich gesagt wird.

Nicht von jeher war Markgraf Ludwig auf diesem Standpunkt gestanden. Am 26. Jänner 1342 gab er seinen Willen kund, dass Margaretha 1000 Mark von ihrem Gut im Lande Tirol in ihre Kam- mer nehme „unverzigen aller irr rehten, die si hat als ain erb und si daran nicht irren mit dehainen Sachen'^ i). Diese Zustimmune: erfolgte freihch noch vor Vollzug der Vermählung mit Margaretha (10. Februar 1342). allein Ludwig fühlte sich bereits damals als Herr von Tirol 2). Ja sogar noch in der Teilungsurkunde von 1351^), gemäss welcher Oberbaiern nach Ludwigs kinderlosem Tod an seine Brüder fallen sollte, ist von Tirol nicht die Kede.

Die Verschiebung in der Ansicht Ludwigs über die Zukunft Tirols erfolgte also in den Jahren 1351 bis 1353. Das war nur dann mög- lich, wenn innerhalb dieser Zeit Margaretha zu Gunsten ihres Gemahls auf ihre Anrechte a'uf Tirol in seinem, ganzen Umfange^) verzichtet hatte. Die beti*effende Urkunde, deren Existenz auch bairische Histo- riker annahmen, die aber Huber mit Bestimmtheit ablehnte, muss also wirklich einmal vorhanden gewesen sein, nur war sie nicht bei der

1) Ebenda S. 154 Nr. 82.

-) Vergl.' ebenda S.. 37. In eben dieser Urkunde nennt übrigens Ludwig Margaretha bereits „unser lieb wirtin''.

3) Quellen und Erörterungen 6, 416".

*} Bei der Urkunde vom 19. December 1353 darf nicht ausser Acbt gelassen werden, dass die Städte und Schlösser, auf welche die Verfügung Ludwi'srs sich bezieht (Innsbruck, Hall, St. Petersberg und Hertenberg) sämtliche im Inntal gelegen sind, auf welches das Vermächtnis von 1359 sich nicht erstreckt, sondern erst jenes von 1363. Es wäre also darnach die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass Margaretha zwar auf das Inntal, dem Baiern nächstgelegenen Teil Tirols Verzicht leistete, das übrige Tirol aber sich vorbehielt. Diese Annahme wird aber dadurch ausgeschlossen, dass Ludwig im .Jahre 1357 bezüglich Eppan. wie wir sahen, dieselbe Verfügung trifft.

42 Franz Wilhelm.

Vermählung Ludwigs mit Margaretha, sondern in den Jahren 1351 bis 1353 ausgestellt. Dieselbe sicherte den Agnaten Ludwigs das Land auch dann zu, wenn er und sein Sohn vor Margaretha sterben sollten. Dies ist in der Urkunde von 1353 ausdrücklich ausgesprochen, in jenen von 1357 und 1360 wenigstens stillschweigend vorausgesetzt. Es ist das insofern e von grösster Wichtigkeit, als die Herzoge von Österreich, wie Ficker als erster betoute, nicht als Erben Ludwigs oder Meinhards, sondern im besten Falle als Erben Margaretheus in Tirol folgen konnten. Nachdem Margaretha diese Urkunde ausgestellt hatte, war denselben anscheinend jede Hoffnung benommen, Tirol für sich zu erwerben. Man sah also am Hofe Ludwig des Brandenburgers in Oberbaiern imcl Tirol zwei Länder, welche sich nach dem Aussterben des Mannesstammes in gleicher Weise vererben sollten. Ein Unter- schied bestand nur in formeller Beziehung. . Während Oberbaiern in diesem Falle sofort an die Erben Ludwigs fallen mu^ste, sollte in Tirol Margaretha folgen und erst nach ihrem Ablel)en die Herzoge von Baiern.

Damit ist der Nachweis erbracht, dass Margaretha im Jahre 1359 über Tirol nicht mehr frei verfügen konnte i). Tat sie es dennoch, so lao- darin die gröblichste Verletzung des ihrem Gemahl gemachten Zugeständnisses. War zu einem solchen Wortbruch irgend ein zwin- gender Grund vorhanden ? Man nimmt allgemein an, Margaretha habe am 2. September 1359, unmittelbar nach vollzogener kirchlicher Ein- seo-unuir ihrer Ehe mit Ludwig, im Gefühle der Dankbarkeit gegen Herzog Rudolf, der sich um das Zustandekommen der Aussöhnung mit dei- Kirche unzweifelhafte Verdienste erworben hatte, 'Tirol den Her- zogen von Osterreich vermacht und findet so auch den Tag der Aus- stellung der Urkunde bezeichnend und bedeutungsvoll. Allein e^ wurde bereits hervorgehoben, dass die Bemühungen Eudolfs in dieser Sache keineswegs so ganz selbstlos waren. Erst nach der Aussöhnung des

') Wie selbständig Ludwig in der Folgezeit die Regierung in Tirol führte, geht am besten aus der nachstehenden Vollmacht (Huber Vereinigung Ö. 180 Nr. 179) von 1355 April 10 Tirol hervor, welche ich nach dem Register Ludwigs (Cod. 5!) des Lmsbrucker Statthaltereiarchivs f. 92) im Wortlaute mitteile : Wir Ludwig etc. bechennen etc., daz wir der hochgeboren fui-stinne fra-wen Margret, marchgrefin ze Brandenburg etc., erlaubt und rollen gewäit und macht geben haben etc., daz si ein raitung einnemen und verhören sol und ma% von Heinrich dem Snelmanne, unserm diener, von der vesten und dem gericht ze Tawr, von den zollen ze Insprugg und ze Hall und von allen den pfantschaften, die er von uns ynne hat und sol und mag auch die vorgenanten vesten, zoll und all pfant- schaft von im ledigen und losen, wenne sie wil, nah der brief sag, die er von uns darüber hat. Datum Tirolis feria VI infra octavam pasce anno LV.

Die Erwevbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 43

tirolisclieu Herrschei-paares mit der Kirche war auch die bereits voU- zoo-eue Vermählung seiner Schwester mit Herzog Meinhard im anfecht- bar. Eudolf hatte also eben so sehr im eigenen wie im Interesse Margarethens gehandelt. Es war demnach auch kein zwingender Grund vorhanden, der Margaretha zu besonderer Dankbarkeit gegen ihn stimmen rausste. Davon weiss auch die Urkunde vom 2. September nichts zu sagen. Margaretha erklärt in derselben bloss, dass nach ihren Kindern die Herzoge von Österreich die nächsten Erben Tirols sind, die sie abgesehen von dem Rechte, das sie von selbst auf dieses Land haben, aus angeborener Freundschaft und Liebe zu rechten Erben nimmt. Davon, dass diese Verfügung dem Gefühle der Dankbarkeit entsprungen sei, vernehmen wir kein Wort.

Anderseits muss gewiss zugegeben werden, dass für Margaretha nicht der geringste Grund vorlag, das ihrem Gemahl gegebene Ver- sprechen zu brechen. Wir sind berechtigt anzunehmen, die Verzicht- leistung Margarethens zu Gunsten Ludwigs sei eine völlig aufrichtige o-ewesen. Nach allem was wir wissen, lebte sie mit ihrem Gemahl im besten Einvernehmen 1). Und dennoch soll Margaretha an dem Tage, au welchem ihre Verbindung mit Ludwig die ersehnte kirchliche Sanktion erhielt, der Sprosse aus dieser Ehe, der nächste Erbe Tirols, legitimirt und demselben zu seiner Vermählung mit Rudolfs Schwester Margaretha die Dispens ertheilt worden war, zu einer Zeit also, da die Erbfolge in Tirol fest gesichert schien, ihren Gemahl treulos hintergaugen haben. Denn einen schnöden Bruch des Versprechens bedingt die Vermächt- nisurkunde von 1359 von Wort zu Wort. Margaretha annullirt in derselben direkt die Verzichtleistuug auf Tirol zu Gunsten ihres Ge- mahls, wenn sie für den Fall, dass etwa nach ihrem Tode eine vor oder nach dieser Urkunde ausgestellte entgegengesetzte Urkunde was ihr nicht bewusst sei produzn't würde, dieselbe für nichtig erklärt. Es ist schon von Berchtold^) betont worden, dass ganz andere Gründe als bisher vorgebracht werden müssten, um ein solches Vor- gehen von Seite Margarethens erklärlich zu finden. Es Hesse sich eventuell begreifen nach dem Tode Ludwigs und unter dem Drucke besonderer Verhältnisse, nie und nimmer aber an dem Tage, an wel- chem sie mit ihrem Gemahl enger verbunden worden war denn je. So wird der Tag der Ausfertigung dieser Urkunde allerdings bezeich- nend und bedeutungsvoll für die Beurteilung derselben, aber wie ich meine im entgegengesetzten Sinne als bisher angenommen wurde.

1) So urteilt auch Huber, Vereinigung S. 30 f.

2) A. a. 0. 108 Anm. 35.

44 Fvnnz Wilbelin.

Das Yermächtnis von 1350 sagt uns übrigens durch seinen Inhalt •deuthch, wes Geistes es ist. Es wurde bisher übersehen, dass in das- selbe das Inntal nicht einbezogen ist^). Die Folgerung, welche aus dieser Tatsache vielleicht gezogen werden möchte, dass nämlich Mar- garetha in den Jahren 1351 bis 1353 zu Gunsten Baierns zwar auf das Inntal, nicht aber auf die Grafschaft Tirol im engeren Sinne Ver- zicht geleistet hatte, wurde schon widerlegt^). Es mu5s also mit der Sache eine andere Bewandtnis haben. Erinnern wir uns nun, dass am 2. Mai 1335 Kaiser Ludwig die Herzoge von Osterreich nicht nur mit Kärnten, sondern auch mit dem südlichen Teil Tirols bis an die Finstermünz, den Jaufen und die Holzbrücke (zu Oberau bei Franzens- feste) belehnte, so wird klar, dass die Urkunde von 1359 auf dem Standpunkte dieser Belehnung steht. Den Teil Tirols nördlich dieser Grenzmarken nennt ja Kaiser Ludwig selbst mehrmals kurzweg das" InntaP), so dass kein Zweifel daran aufkommen kann, dass die Be- lehnungsurkunde des Kaisers und das augebliche Yermächtnis Marga- retheus bezüglich der Abgrenzung vollständig übereinstimmen. Das ist nicht ohne Interesse, Mit Meinhard II. war die Tendenz der Grafen von Tirol auf eine Arrondirung ihrer Besitzungen im „Lande im Ge- birge" zu einem gewissen Abschluss gediehen. Ihi^er Herrschaft unter- stand — das Pustertal ausgenommen so ziemlich alles, was wir heute unter Tirol verstehen. In der Teilungsurkunde von 1271 kommt unseres Wissens auch zum erstenmal der Ausdruck „comitatus et do- minium Tyrolense" für dieses Gebiet vor*). Er wechselte in der Folge- zeit, aber mag er nun „herschaft von Tirol" ^) oder kurz „comitatus Tirolis''C) lauten, es ist darunter der Gesamtbe^itz innerhalb des heu- tigen Tirol, also auch das Inntal verstanden. Erst nach dem Tode

. . . *

König Heinrichs fand wieder eine Einschränkung dieses Gesamtbegriffes

statt, die, wenn nicht bedingt, so doch wenigstens begünstigt wurde

') Im Jahre 1359 vermiicht Margaretha den Herzogen von Österreich: »die land und grafscbefte ze Tyvol und ze Gorz und euch die gegent an der Etsch mit der pnrg ze Tyrol"'; im Jalire 1363 dagegen: »die wirdigen uncl edeln graf- schefte ze Tyrol und ze Gorz, die land und gegende an der Etsch und daz Intal mit der bürge ze Tyrol*.

-) Vergl. oben S. 41 Anm. 4. ' ; ' . .

3) So in den ebenfalls am 2. Mai 1335 für die Herzoge von Österreich aus- gestellten Urkunden bei Steyerer, Comraentarii ad bist. Alberti II. S. 85 und Böhmer, Reg. imp. VII Ni\ 1672. Ebenso in der Urkunde Herzog Stephans von Baiern bei Steyerer S. 88.

■*) Vergl. Huber, Gesch. Österreichs 1. 514.

5) Huber, Vereinigung S. 137 Urk. Nr. 39 (vom Jahre 1333).

") Ebenda S. 139 Urk. Nr. 40 (vom Jahre 1335).

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. vou (jsterreich. 45

durch die maunigfacheu Ausprüche, welche damals hervortraten. In der genannten Urkunde Herzog Stephans von Baiern vom 2. Mai 1335, also von einer Margaretha damals feindlich gesinnten Seite wird meines Wissens zum erstenmal wieder deutlich geschieden zwischen der Graf- schaft Tirol, zu welcher der Abgrenzung nach auch das Etschland crehörte, und dem Land in dem. luntali). Setzt man die Echtheit der Vermächtnisurkunde von 1359 voraus, dann hätte Margaretha darin die Bestimmung einer Urkunde anerkannt, die einst direkt zu ihrem Nachteil erlassen worden war, sie hätte in die Zerreissung ihres yäterlicheu Erbes gewilligt, und das scheint mir ganz ausgeschlossen. Die Fassung dieser Urkunde stammt allerdings, wie schon Huber^) erkannte, aus der Kauzlei Kudolfs IV. Die Arenga stimmt wörtlich mit anderen Urkunden Rudolfs überein 3) und nur ein Kauzleibeamter des Herzogs konnte so genau den Inhalt der grossen österreichischen Freiheitsbriefe kennen^). Auf den Umfang des Vermächtnisses aber und auf die Beweggründe, welche dasselbe veranlassten, kann im Falle der Echtheit nur Margaretha von bestimmendem Einfluss gewesen sein imd diese würde die angeblichen alten Aurechte der Herzoge von Österreich, welche einst gegen sie gerichtet waren, nie zur Grundlage ihrer Schenkung gemacht haben.

Mit dem Umfang der Schenkung ist überdies das Motiv, welches für dieselbe genannt wird, unvereinbar. Dasselbe besteht in der Ver- wandtschaft Rudolfs mit Margaretha. Auf Grund dieser verwandt- schaftlichen Beziehungen aber hatte Rudolf, gegebeneu Falles natür- lich. x4.nsprueh auf ganz Tirol, das Inntal mit inbegriffen. Margaretha erklärte also durch diese Urkunde einerseits die Herzoge von (Öster- reich als ihre wahren und rechten Erben, anderseits aber nahm sie Rücksicht auf ein gar nicht mshr bestehendes Anrecht der Herzoge von Baiern auf das Inntal. Das ist von ihrem Standpunkte um so

>) Ebenso in der Urkunde Kaiser Ludwigs für König Johann vou Böhmen vom 20. Mai 1339 (Huber, Vereinigung ^z'. 145 Nr. 63): »Wir der keyser verlihen och Johan grafeu ze Tyrol, des kuaiges sun von Beheim, und sinen erben und haben och in verlihen die grafschaft ze Tyrol, daz Yntal und swaz er in denselben landen iezund inne hat . . .'

'■') Gesch. des. Herzog.« Rudolf IV. S. 43 Auni, 1.

•^) Ausser mit der Urkunde Rudolfs für die Grafen von Schaunberg stimmt die Arenga auch noch mit der Urkunde Rudolfs vom 6. Dec. 1356 (Stiftungsurk. für die ne.ue Kapelle in der Burg zu Wien) fast wörtlich übereiu. Öteyerer a. a. 0. S. 2j8. Gewiss ist der Diktator auch dieser Urkunden Johann vou Platzheim, Rudolfs nachmaliger Kanzler, der schon 1356 Juli 30 als dessen, »oberster Schreiber* erscheint. Huber Rudolf IV. S. 155 Anm. 2.

') Th. von Liebenau a. a. ü. S. 209.

46 Fr an z Wilhelm.

weniger erklärlich, als bie im Jahre 1363 deuu doch Tirol iu seinem ganzen Umfange den Herzogen von Österreich vermachte. Sehr wohl erklärlich aber ist diese Ungereimtheit, wenn die Urkunde ein Mach- werk der Kanzlei Kudolfs IV. ist. Von dem Bestreben geleitet, nach dem Aussterben des tirolischen Hauses vom Erbe desselben so viel als möglich an sich zu bringen, griff man hier, um der Sache einen halb- wegs rechtlichen Anstrich zu geben, zurück auf die ßelehnung Kaiser Ludwigs im Jahre 1335. Dazu mochte die Erwägung kommen, dass das Inntal in dem voraussichtlichen Kriege mit Baiern nur sehr schwer zu halten war, zumal auch ein Teil des daselbst begüterten Adels offen mit Baiern sympathisirte. Dabei weist diese Urkunde eine vielleicht beabsichtigte Unklarheit auf, wenn Margaretha zuerst von ihrem väter- lichen Erbe spricht und bei der Auf^^ählung der Besitzungen einen integrirenden Bestandteil desselben, das Inntal, nicht nennte).

Das aus inneren Gründen gewonnene Ergebnis wird bestätigt durch äussere Merkmale. Auf diese hiu sind die beiden Urkunden von 1359 überhaupt noch nicht untersucht worden. Auch Theodor von Liebenau^), welcher behauptet, die Urkunde vom 2. September 1359 rühre vom Kanzler Rudolfs IV. her, hat wohl nur das Konzept im Auge, da er, wie es scheint, das Original nicht gesehen hat 3). Ebenso gründet sich Lindners ablehnende Haltung gegen die Echtheit der Urkunde und die von älteren bairischen Historikern vorgebrachten Zweifel auf rein innere Merkmale. Eine Untersuchung der äusseren Merkmale mochte von vorneherein wenig aussichtsvoll erscheinen. Auch wenn die Urkunden notorische Fälschungen sind, können sie nur in der Zeit vom 2. Septem.ber 1359 bis 19. Jänner 1363 gefälscht worden sein. Die Schrift muss also zeitgemäss sein und kann kein^ zwin- genden Anhaltspunkt für die Echtheit oder Unechtheit ergeben. Damit ist schon ausgesprochen, dass bei der Untersuchung der. äusseren Merk-

') Hier darf vielleicht auch darauf hingewiesen werden, dass in den beiden Urkunden von J359 im Titel Margarethens Kärnten fehlt-, während Margaretha in allen mir bekannten Urkunden sich auch Herzogin von Kärnten nennt und in ihr Siegel diesen Titel allein aufgenommen hatte, obwohl die Herzoge von Österreich im faktischen Besitze des Landes waren. "Durch den. Umstand, dass die beiden Urkunden in der Kanzlei des Empfängers geschrieben wurden, lässt sich die .Sache nicht zur Genüge erklären. Die Echtheit derselben- vorausgesetzt, sind sie fast unter ganz denselben Verhältnissen entstanden wie die Urkunde vom 26. Jänner 1363, für welche jene vom 2. September sogar die Vorlage bildete; nnd dennoch erscheint im Vermächtnis von 1363 Margaretha mit dem Titel einer Herzogin von Kärnten.

2) A. a. 0. S. 209.

s) Vergl. ebenda S. 210.

Die Erworbung Tirols durck Herzog Rudolf IV. von Ustorreicli. 47

male die Schrift so gut wie ausgeschaltet werden konnte. Ja selbst wenn sich mit Sicherheit erweisen liesse was mir bloss sehr wahr- scheinlich ist , da^s die Schrift der beiden Urkunden Kudolfs Kanzler, Bischof Johann von Gurk, augehört, wäre das immer noch kein strikter Beweis der Unechtheit derselben i). Eine in der Kanzlei des Empfängers hero-estellte Urkunde muss no.ch bei weitem nicht uuecht seiu ; die Besiegelung durch den Aussteller genügt, um derselben Rechtskraft zu geben. Allerdings wird zugegeben werden müssen, dass bei einer in der Kauzlei Rudolfs für diesen hergestellten Urkunde grösste Vorsicht geboten ist.

1) Dieser Nachweis ist deshalb schwer mit Sicherheit zu erbringen, weil zu wenig Vergleichungsmaterial vorliegt. Ich zog dazu zwei Urkunden Ru- dolfs heran, die ungefähr in die Zeit fallen, in welcher m. E. die Urkunden von 1339 entstanden sind, falls sie Fälschungen sind. Die eine ist das Bündnis Herzog Rudolfs mit Erzbischof Ortolf von Salzburg vom 29. Jänner 1362, die zweite eine Urkunde Rudolfs für den Propst Jakob von Berchtesgaden vom 8. Februar 1362. Beide tragen die eigenhändige Rekognition des Kanzlers Johann: Et nos Johannes dei gracia Gurcensis episcopus pretati domini nostri ducis primus cancellarius recognovimus prenotata. Da stimmt nun das G in Gurcensis mit dem laugen Anstrich von oben vollständig mit jenem von grefinn und marchgrefin in den Urkunden von 1359, Ebenso finden wir die beiden Arten von r, je nachdem dasselbe mit dem folgenden Buchstaben kursiv verbunden ist oder nicht, in den Urkunden von 1359 wieder in der Rekognition des Kanzlers: gracia und Gurcensis (ohne kursive Verbindung), nostri (mit kur- siver Verbindung). "Mehr Gewicht, weil individueller, möchte ich schon legen auf das Kürzungszeichen bei Kürzungen durch Suspension in Wörtern, die auf en endigen (egeu, vorgeü), das in den Urkunden von 1359 ständig wiederkehrt. Es sind immer zwei ungefähr halbkreisförmig gebogene Striche, die mit den konkaven Seiten gegeneinander gestellt sind. Auch in der Rekognition des Kanz- lers haben wir eine Kürzung durch Suspension in Gurcen und auch hier ganz das gleiche Kürzungszeichen. Noch ausschlaggebender scheinen mir die Schnörkel zu sein, welche der Kanzler analog den von Rudolf seiner eigenhändigen Be- kräftigung vor- und nachgesetzten Kreuzen zu Anfang und am Schlüsse der Re- kognition beifügt. Es sind drei in Dreieckform gestellte Punkte, bei denen der Schnörkel unten ansetzt und das erstemal nach links, das zweitemal nach rechts um die Punkte geführt wird. Ganz dieselben Schnörkel finden wir wieder in der Urkunde vom 5. September zur Ausfüllung des in der letzten Zeile leer ge- bliebenen Raumes. Auch hier werden dieselben abwechselnd nach rechts und links gezogen. Da der allgemeine Ductus der beiden Schriften nicht so viel Verschiedenheiten aufweist, dass man dieselben nicht ruhig ein und derselben Hand zuschreiben könnte, bin ich geheigt, den Kanzler Johann von Gurk als Schreiber der beiden Urkunden von 1359 anzunehmen. Genügen die von mir vorgebrachten Argumente für die Identität der Schriften, tlann ist es nicht un- interessant zu sehen, wie peinlich die Herstellung dieser Urkunden in der Kanzlei Rudolfs geheimgehalten wurde, wenn der Kanzler, Rudolfs nächster Vertrauter in politischen Angelegenheiten, dabei den Dienst des Schreibers übernahm.

^g F r a 11 z W i 1 h e 1 m.

Somit bleibt vou eleu äusseren Merkmalen allein die ßesiegelung übrig. Es ist schon vorweggenommen worden, dass in dieser Beziehung die Urkunden von 1359 allerdings sehr auffallend sind. In beiden Urkunden wird in der Korroboration das grosse Siegel Margarethens angekündigt („darumb haben wir mit rechter wizzen uuser insigel, das wir zu grozzen sachen gewenlich nüczen, gehenket an disen brief in der Urkunde vom 2. September und: , versigelt mit unserm insigel, daz wir ze grozzen Sachen gewonlich nüczen" in der Urkunde vom 5. September), beide tragen aber das gewöhnliche Sie"^el Margarethens (Tiroler Adler mit der Legende : -j- S. Margarete ducisse Karintie). Leider sind Urkunden Margarethens vor 1363 äusserst spärlich vorhanden; noch seltener sind Originale mit erhal- tenem Siegel. Gewiss ist dies zum grossen Teil auf die Tatsache zurückzuführen, dass Ludwig von Brandenburg die Kegieruug Tirols fast durchwegs im eigenen Namen führte i). Aus den Jahren 1358 und 1361 ist kein Siegel Margarethens 'oekannt, von 1359 uur die beiden eben in Frage stehenden, vom Jahre 1362 keinen wir im ganzen zwei Urkunden, von denen eine wegfällt, weil die Herzogin nicht selbst siegelt^). Etwas zahlreicher, aber immerhin noch selten sind die Urkunden vor 1358. Soweit ich dieselben kenne, tragen sie durchwegs dasselbe Siegel wie die beiden Urkunden von 1359. Dieses Siegel wird aber sonst nie als grosses Siegel angekündigt, sondern mit den Worten „versigelt mit unserm hangenden insigel" o ler mit ähnlichen Formeln. Anderseits ist mir bis zum Beginn des Jahres 1363 kein einziger Fall bekannt, in welchem Margaretha sich eines grossen Siegels bedient hätte. Der erste mir bekannte Fall ist das Vermächtnis vom 26. Jänner 1363. Dasselbe scheint erst nach dem Tode Ludwigs geschuitten Avorden zu sein, als Margaretha mit Grund hoffen durfte, die Eegierung Tirols werde als Vormünderiu ihres Sobnes an sie übergehen. Sie nennt sich in der Umschrift auch Margareta senior zum Unterschied vou der gleiehnaiiiigeu Gemahlin ihres Sohnes. Zum mindesten ist es sehr unwahrscheinlich, dass gerade alle mit diesem Siegel versehenen Urkunden, die wichtigsten also, verloren ge-

1) Zum Teil hängt es auch damit zusammeu, daßs in vielen Fällen, in denen Margaretha urkundet, ihr Gemahl siegelt. Vergl. zwei solche Fälle von 1358 Oktober 22 und 1360 Oktober 25 im Codex 402 des Wiener Staatsarchives f. 229. Die folgenden Nachweise über Urkunden und Siegel Margarethens ver- danke ich zum grössten Teil Herrn Professor L. Schönach in Innsbruck, dem Bearbeiter der Regesten der Grafen von Görz-Tirol, für welche ich ihm auch hier besten Dank sage.

2) Die zweite von 13(;2 Oktober 30 Kitzbühel (im dortigen Stadtarchiv) konnte ich nicht einsehen.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 40

gangen wären, hätte dieses Siegel früher existirt. Und dies noch dazu in einem Lande, welches wie wenig andere durch die Gunst äusserer Verhältnisse sich eines so reichen Schatzes erhaltener Urkunden er- freut! Man darf also mit Sicherheit sagen, die Anküudio-uuo- eines grossen Siegels in einer echten Urkunde Margarethens sei im Jahre 1359 ausgeschlossen gewesen.

Von dieser Ansicht war auch der Schreiber voreingenommen, der am 19. Jänner 1363 zu Brixen die Traussumirung der Urkunde vom 2. September 1359 vornahm und der wohl zur Kanzlei des Bischofs Matthäus von Brixen zu. rechnen sein wird^). Die Beglaubigung dürfte damals in alier Eile vorgenommen worden sein ; die Zeit drängte und es galt zu handeln. Deshalb und weil es sich um eine öfter wiederkehrende Sache handelt, für welche die Formeln feststanden, vermute ich, dass für die Transsumirung ein eigenes Konzept nicht angefertigt wurde, sondern dass man dem Schreiber auch die Ein- kleidung der zu transsumireuden Urkunde in die Beglaubigungsformeln überliess, und die Bischöfe von Brixen und Gurk dann nur ihre Siegel daran hängten. Dieser Schreiber, der offenbar die Urkunde vor der Transsumirung nicht gelesen, sondern bloss das Siegel gesehen hatte, lässt nun eingangs der Beglaubigung die beiden Bischöfe erklären, sie hätten einen Brief der Margaretha gesehen, „der besigelt was mit irem gewonleichem anhangenden insigel".

Der Widerspruch in der Ankündigung und dem Siegel selbst Hesse sich bei der Urkunde vom 2. September freilich noch erklären. Da sie in der Kanzlei Eudolfs gefertigt wurde, wäre es immerhin möglich, dass der Konzipient die Formel in Unkenntnis der tatsächlichen Ver- hältnisse schrieb und dass man dann eine Korrektur nicht vornahm. Dass man aber angenommen die Urkunde ist echt bei der Vor- nahme der Besiegelung auf diesen Widerspruch nicht aufmerksam wurde, ist ausgeschlossen. Gerade bei einer in der Kauzlei des Emp- fängers ausgefertigten Urkunde ist es nicht nur Pflicht, sondern eigenstes Interesse des Ausstellers und dessen Kanzlei, die betreffende Urkunde genau zu überprüfen. Muss man also diese Inkongruenz gewiss bemerkt haben, dann ist es bei der Annahme, die Urkunde

1) Im Wiener Staatsarchiv befindet sich eine Abschrift dieses Transsumpts, ■welche durch Anhängung der Siegel der Städte Innsbruck und Hall beglaubigt ist. Dieselbe gehört vielleicht in die Jahre 1412 bis 1414, in welchen die Herzoge von Baiern neuerdings Tirol zu erwerben trachteten. Dazu würde die Schrift stimmen, die ich in den Anfang des 15. Jahrb. setze. Das Originaltranssumpt vom 19. Jänner 1363 befindet sich nach Huber, Vereinigung S. 125 in München. Darnach ist meine Bemerkung in Mitteil, des Instituts 22, 465 richtigzustellen,

Mittheilungen XXIV. 4

50 F r a n z Wilhelm.

vom 2. September sei in der Kanzlei Margarethens besiegelt worden, unerklärlich, dass in der drei Tage später ausgestellten und ebenso sieber in der Kanzlei Rudolfs gefertigten Urkunde vom 5. September derselbe Verstoss wieder begegnet.

Dazu kommt nun nocb eine andere wichtige Beobachtung. Der Abdruck, des gewöhnlichen Siegels Margarethens an den beiden Ur- kunden von 1359, der sich übrigens von den echten Siegeln der Fürstin in nichts unterscheidet i), ist umgeben von einer ungewöhnlich grossen Siegelschale, wie ich dies bei Siegeln Margarethens in keinem einzigen Falle nachzuweisen vermag und hängt an grün-rothen Seidenschnüren, während dieses Siegel sonst stets an einfachen Pergaraentstreifen be- festigt ist. Hält mau damit zusammen, dass das von Rudolf auf Grund der Esslinger Verabredung mit dem Kaiser (1360 September) verfertigte . ]ieue grosse Siegel durchwegs an grün-rothen Seidenfäden oder Schnü- ren hängt, wie Kürschner^) feststellt, so kann es keinem Zweifel un- terliegen, dass die Siegel an den beiden Urkunden von 1359 wirklich den Eindruck erwecken sollen, es liege eine feierliche Besiegelung vor; mit anderen Worten, der nicht genau informirte Beschauer soll ge- täuscht werden. Das ist von ausschlaggebender Bedeutung für die Beurteilung dieser Urkunden. Eine Urkunde, die auch nur in einer Hinsicht täuschen will, kann nicht echt sein.

Es erübrigt nun noch, einige Gründe zu entkräften, welche von den Verteidigern der Echtheit dieser Urkunden ins Treffen geführt wurden. Ficker^) und mit ihm Huber*) erblickten einen gewichtigen Grund für die Annahme der Echtheit des Vermächtnisses von 1359 in dem Eingreifen Herzog Rudolfs in die durch den Tod Ludwig des Brandenburgers heraufbeschworenen Wirren, namentlich aber und in dieser Hinsicht ist Riezler"') mit ihnen gleicher Meinung in dem Revers, welchen derselbe gelegentlich der Seefelder Belehnung durch den Kaiser im Jahre 1360 ausstellen musste des Inhaltes, der Kaiser habe ihm bei dieser Gelegenheit die Grafschaften Tirol und Burgund nicht geliehen. Das Eingreifen Rudolfs beweise, dass er damals bereits

') Woher man sich in der Kanzlei Rudolfs dieses unzweifelhaft echte Siegel Margarethens verschaffte, vermag ich nicht anzugeben; Vielleicht darf man auch da an Kudolfs Hofkaplan, den Brixener Dompropst Johann von Lichtenwerth denken, von dem später noch zu sprechen sein wird. Gerade in der kritischen Zeit (1362 Sejitemher 9) verschaffte ihm Rudolf die Verwaltung der zum Bistum Brixen gehörigen Veste Veldes in Krain.

") Die Urkunden Herzog Rudolfs IV. im Archiv für österr. Gesch. 49, 31.

s) A. a. 0. S. 12G.

4) Vereinigung S. 127 f.

^) Geschichte Baierns 3, 58 Anm. 1.

Die Erwerbung Tirols durcli Herzog Rudolf IV. von Österreich. ny\

eine Urkunde in Händen hatte, welche ihm eventuelle Ansprüche aut Tirol sicherte und ebenso setze der Eevers „ein bereits erworbenes bestimmtes Anrecht auf Tirol voraus". Nur habe, so meint Huber *), Rudolf dem Kaiser nicht die Urkunde vom 2. September, sondern jene vom 5. September vorgelegt, welche nach seiner irrigen Annahme die sofortige Belehnung mit Tirol forderte. Das habe der Kaiser rundweg abgelehnt und die Ausstellung dieses Reverses verlangt.

Es ist zweifellos richtig, dass Rudolf dem Kaiser die Urkunde vom 2. September nicht vorgelegt haben kann, bevor er von demselben die Anerkennung der grossen Freiheitsbriefe erreicht hatte. Es werden ja in derselben nicht nur die Bestimmungen der grossen österreichi- schen Hausprivilegien der Länge und Breite nach zitirt, sondern auch Margaretha nimmt darin ähnliche Vorrechte für sich in Anspruch wie die Herzoge von Österreich 2), Die Anerkennung durch den Kaiser war aber vor der Seefelder Belehnung nicht erlangt worden, die fal- schen Privilegien sind, soweit unsere Kenntnis reicht, bei dieser Ge- legenheit dem Kaiser überhaupt zum erstenmal und ohne Erfolg vor- gelegt worden 3). Die sonst bei der Belehnuug übliche Privilegien- bestätigung unterblieb und nur eine Urkunde des Inhaltes stellte der Kaiser dem Herzog aus, es solle seinen Rechten ohne Nachteil sein, wenn bei der Belehnung einige Feierlichkeiten unterlassen worden seien. Die Urkunde vom 2. September war meines Erachtens über- haupt nicht für die Augen des Kaisers bestimmt.

Auch die Urkunde vom 5. September 1359 kann Rudolf dem Kaiser nicht vorgelegt haben. Selbst im Falle vollständiger Unan- tastbarkeit derselben musste er gewärtigen, Karl IV, werde die Vor- lage der eigentlichen Vermächtnisurkuude fordern, auf welche sich jene bezüglich der Bedingungen des Vermächtnisses ausdrücklich be- ruft und zu welcher sie bloss einen Annex bildet. Eine Uberleo-ung einfachster Art erweist übrigens die Grundlosigkeit der Annahme, der Revers habe die Existenz des Vermächtnisses von 1359 zur Voraus- setzung, Selbst wenn man die Echtheit der beiden Urkunden von 1359 annimmt, hatte Rudolf im Mai 1360 auf Grund derselben kein Anrecht auf Tirol. Dasselbe sollte erst wirksam werden nach dem unbeerbten Aussterben des tirolischen Herrscherhauses. Das sagt der Wortlaut der beiden Urkunden klar und deutlich. Damals lebte aber noch Ludwig, seine Gemahlin und ihr Sohn Meinhard. Man darf dem

1) Vereinigung S. 128; Rudolf IV. S. 47.

2) Vergl. oben S. 37.

3j Vergl. Steinherz, Karl IV. und die österreichischen Freiheitsbriefe in Mitteil, des Instituts 9, 65.

4*

52 Franz Wilhelm.

berechneuden Politiker Rudolf nicht zumuten, er habe dennoch dem Kaiser das Ansinnen gestellt, ihn schon jetzt mit Tirol zu belehnen. Ein solches Vorgehen wäre zu Lebzeiten Ludwig des Brandenburgers, der übrigens, wie ich nachwies, von dem angebliehen Vermächtnis seiner Gemahlin nichts ahnte, beiläufig ebenso rechtswidrig gewesen, wie wenn heute die Staatsgewalt einem Universalerben auf sein Ver- lausren schon bei Lebzeiten des Testators die Erbschaft ausfolgen würde. Es liesse sich also dem ganzen Sachverhalt nach nur daran denken, dass Rudolf vom Kaiser die Anerkennung der Vermächtnis- urkunde vom 2. September 1359 verlangt habe. Allein dies wird, ganz abgesehen davon, dass die Notwendigkeit für die Ausstellung dieses Reverses dann vollständig entfallen wäre, ausgeschlossen durch den Wortlaut des Reverses (nicht gelihen noch verschriben hat und ouch dieselben grafschaft nicht verleihen noch ver- schreiben wolte). Es handelt sich also um den Akt der Be- lehn uncr und Verschrei bung der Grafschaften Tirol und Bur- gund, nicht um ein blosses Versprechen der Belehnung mit denselben im Falle die Vorbedingungen eintreffen durch Anerkennung des Ver- mächtnisses Ivlargarethens. Wenn der Kaiser nun von Rudolf die schriftliche Erklärung verlangt, dass dieser Akt zu Seefeld nicht voll- zogen wurde, dann muss hier etwas vorgefallen sein, das einem solchen Akte gleichkam oder das wenigstens in dieser Richtung gedeutet wer- den konnte.

Dies leitet hinüber zur Erkenntnis des richtigen Grundes, der die Ausstellunc; dieses Reverses für den Kaiser zur Notwendio-keit machte. Beachtet man den Wortlaut dieses Schriftstückes genauer, dann sieht man, dass Rudolf erklärt, die Urkunde, welche ihm Karl IV. über die Belehnung zu Seefeld am 21. Mai 1360 ausstellte i), enthalte nicht auch eine Belehnung oder Verschreibuug der Grafschaften Tirol und Burgund. Der Revers Rudolfs vom 21. Mai 1360 nimmt also ganz ausdrücklich Bezug auf die Belehnungsurkunde des Kaisers vom glei- chen Tage^). Durch diese hatte Karl IV. Herzog Rudolf und dessen Brüder nicht nur mit den Herzogtümern Osterreich, Steiermark, Kärnten, den Herrschaften Krain, Mark, Port^uau und ihren Be- sitzungen in Schwaben und im Elsass belehnt, sondern auch mit den-

') Iluber, Reg. imp. VI[I Nr. 3118.

2) »darinne (d. h. ia der Belehnungsurkunde) er uns die grafschaft ze Tyrol mit vogtein und alle dem, das darzu gehöret und die grafschaft ze Bur- gundi nicht gelihen noch verschriben hat und ouch dieselben grafschaft nicht verleihen noch verschreiben wolte«. Nach Kurz, Osterreich unter Herzog Ru. dolf IV. S. 339.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Üsterieich. 53

jeuigen Lehen, welche einst Ludwig der Baier ihrem Vater Albrecht und dessen Bruder Otto verliehen hatte. Erinnern wir uns nun, dass die Herzoge Albrecht und Otto am 2. Mai 1335 in Linz von Kaiser Ludwig ausser mit Kärnten auch mit Tirol bis an die Finstermünz, die Holzbrücke und den Jaufen belehnt worden waren, dann springt die Bedeutung dieses Reverses klar ins Auge. Derselbe setzt ein be- reits erworl)enes Anrecht auf Tirol, will mau nicht als solches die Be- lehnung vom 2. Mai 1335 gelten lassen, auf welche ja die Herzoge von Österreich schon im Frieden von Enns wieder verzichtet Latten, keineswegs voraus, am allerwenigsten aber das Vermächtnis von 1359. Es war unter Karl IV. nicht allgemein üblich, in die Belehnungs- urkunden auch eine Bestätigung der Belehnungen Ludwigs von Baiern aufzunehmen!). Soweit ich sehe, haben wir darin eine besondere Ver- günstigung der Herzoge von Österreich zu erblicken. Schon die Be- lehnungsurkunde Herzog Albrechts vom 5. Juni 1348 enthält diese Bestätigung 2). Der Passus wurde zweifellos auf spezielles Verlangen Albrechts aufgeuomraeu. Als Grund wird in der Urkunde die Bechts- ungiltigkeit der von Kaiser Ludwig vorgenommenen Belehnungen ge- nannt^). Gewiss ist dies nicht der einzige Grund, weil eine ähnliche Verfüo-ung sich in keiner andern Belehnungsurkuude Karls nachweisen lässt. Es spiegelt sich darin auch die Opposition des Kaisers gegen Ludwigs Sohn, den Brandenburger, gegen welchen er im Vorjahre in Tirol unterlegen war^). Wir wissen nichts davon, dass Herzog Albrecht im Jahre 1348 einen gleichen Revers ausstellen musste wie 12 Jahre später sein Sohn und eben so wenig, dass er auf Grund dieser Be- stätigung später irgendwelche Ansprüche erhoben habe.

Als Herzog Rudolf IV. im Jahre 1360 die Belehuung durch den Kaiser empfing, hatte sich die politische Konstellation bedeutend ge- ändert. Der Verzicht Karls auf Tirol für sich und seinen Bruder zu Gunsten der Grafen von Görz im Jahre 1347 5) hatte die Kräftigung der Stellung Ludwigs des Brandenburgers im Lande nicht aufzuhalten vermocht. Da entschloss auch er sich zum Frieden. Er versöhnte sich mit dem Markgrafen, entsagte zu dessen Gunsten seinen Rechten und Ansprüchen auf das Land Kärnten und die Grafschaft Tirol und

1^ Vergl. Huber, Reg. imp. VIII Nr. 4C0. 668. 723. 795. 1227. 1389. 1528.

-') Steyerer a. a. 0. S 148.

3) Cum eiusdem Ludovici infeudationes et litere sint et fuerint invalide et nullius vigoris penitus vel momenti. Aus demselben Grunde hat Karl IV. ander- seits die Gnaden und Freiheiten aufgehoben, welche Ludwig einst zum Schaden der Herzoge von Österreich und des Bischofs von Passau erteilt hatte.

•») Vergl. Huber. Vereinigung S. 45 und Exkurs 2.

s) Huber, Vereinigung S. 164 Nr. 108.

54 Franz Wilhelm.

Görz samt den dazu gehörigen Vogteien (1349) ^) und belehnte den- selben mit diesen Besitzungen (1350)^). Dennoch wurde der Passus über die ßelehnuugen Kaiser Ludwigs auch in den Leheubrief Herzog Kudolfs aufgenommen. Karl IV. hatte schon in der Belehnungs- urkunde von 1348 ausdrücklich versprochen, den Söhnen Herzog Albrechts die Lehen ohne Verzug zu verleihen, sobald dieselben erb- lich an sie gefallen wären. Zweifellos hat Eudolf in Seefeld diese Urkunde produzirt. Tatsache ist, dass für die Belehnungsurkuude von 1360 jene von 1348 Vorurkunde ist. Wort für Wort ist daraus her- übergenommen, nur die Namen sind geändert. Zu spät, erst nach Ausfertigung des Lehenbriefes, muss man in der kaiserlichen Kanzlei darauf aufmerksam geworden sein, dass die Belehnung von 1335 sich auch auf den südlichen Teil Tirols erstreckt hatte, den jetzt Ludwig von Brandenburg zu Recht besass, und nun forderte Karl von Eudolf die Ausstellung dieses Reverses^). Sind die ür.sachen für die Aus- fertiffuno- dieses Reverses auf diese Weise meines Erachtens völlig klargestellt, so zeigt anderseits die vom Kaiser für nötig erachtete Vorsichtsmassregel auch, worauf seiner Meinung nach Rudolf im Jahre "1360 etwaige Ansprüche auf Tirol giimden wollte: nicht auf ein Vermächtnis Margarethens, sondern auf die Belehnung seines Vaters durch Ludwig den Baier vom Jahre 1335. Damit ist aber auch jener Pfeiler gefallen, der bis in die letzte Zeit für die Annahme der Echtheit der Vermächtnisurkimde von 1359 die Hauptstütze bildete.

Es ist ferner behauptet worden, das Eingreifen Herzog Rudolfs in die Parteiungen der Jahre 13(31, und namentlich 1362 setze voraus, dass Rudolf damals bereits eine Urkunde in Händen hatte, welche ihm bestimmte Anrechte auf Tirol sicherte. Als Ludwig von Brandenburg am 18. September 1361 die Augen schloss, war Rudolf durch einen Krieg mit dem Patriarchen von Aquileja in Friaul festgehalten. Die Regierung von Oberbaiern und Tirol trat nun Rudolfs Schwager Meinhard an. Wenige Tage später geriet er in gänzliche Abhängigkeit von einem von Herzog Friedrich von Niederbaiern im Einvernehmen mit ihm ins Leben gerufenen bairischen Adelsbund'). Aus den Ver- handlungeu der Folgezeit wird klar, dass Herzog Friedrieh in dieser

1) Huber, Vereinigung S. 108 Nr. 133.

2) Ebenda S. 170 Nr. 141.

s) Warum derselbe auch auf Burgund lautete, vermag ich nicht anzugeben. Eine Belehnung der Herzoge von Österreich durch Kaiser Ludwig mit Burgund ist nicht bekannt. Für unsere nächsten Zwecke fallt die Sache nicht ins Gewicht.

■«) Vergl. Huber, Vereinigung S. 70 und S. 188 Reg. Nr. 209.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 55

Angelegenheit in Opposition zu seinem Vater Stephan d. ä. und seinen Brüdern handelte, mit deneu er wegen des Heiratsgutes seiner Ge- mahlin Anna zerfallen war ') ; es scheint, als wollte er Meinhard ganz in sein Interesse ziehen, ihren Eiufluss bei Seite schieben 2). Noch ein anderer wandte kurz nach Ludwigs Tod sein Augenmerk auf Mein- hard, der Kaiser. Schon am 11. Oktober nahm er dessen Land und Leute in seinen und des Keiclies Schutz, ernannte ihn zu seinem Eat und gebot den Katgebern desselben, ihn treu zu seinen Ehren und Frommen zu leiten^).

Um die Verhältnisse noch verworrener zu gestalten, kam zu diesen beiden Parteien, die wenigstens anfangs im besten Einvernehmen handelten, eine dritte. Verlässliche Xachrichten melden, Meinhard sei nach dem Tode seines Vaters mit seiner Mutter wetjen der Graf- Schaft Tirol in Streit geraten-^). Worauf sich die Ansprüche Mar- garetheus gründeten, wird nicht gesagt. Da wir aber wissen, dass Ludwig der F3randeuburger für den Fall, dass er vor erreichter Voll- jährigkeit seines Sohnes sterben sollte, Margaretha unter dem. Beirate von sechs der angesehensten Hofwürdenträger zu dessen Vormünderin und zur Regentin in Tirol bestellt hatte^), unterliegt es keinem Zweifel, dass sie auf Grund dieser Verfügung solche Ansprüche erhob. Die allgemeine Annahme, gestützt auf die Beweisführung Westenriedersi^), geht allerdings dahin, Meinhard sei beim Tode seines Vaters schon grossjährig (ungefähr 18 Jahre alt) gewesen'). Huber ^) hat deshalb diese Nachrichten gleichzeitiger Geschichtsschreiber dahin gedeutet, es habe sich bei diesem Zwiste nicht um den Besitz Tirols, sondern wahr- scheinlicher um die daselbst der Margaretha von ihrem verstorbenen Gemahl vermachten Besitzungen gehandelt. Hätte Margaretha ihrem Sohn Tirol streitig gemacht, so würde dies noch mehr die Irrigkeit der Annahme beweisen, dass sie zu Gunsten der Witteisbacher auf

1) Vergl. Huber, Vereinigung S. 213 Reg. Nr. 254.

2) Vergl. ebenda S. 211 Reg. Nr. 246 ff.

=*) Huber, Reg. imp. VHI Nr. 3758. 3759. So konnte der Kaiser am 15. Jänner 1362 mit Recht erklären, er habe sich »herzogen Meinharts des egenanten nach seines vatir tode undirwunden*. Huber, Vereinigung S. 207 Reg. Nr. 242.

*) Heinrich von Rebdorf bei Böhmer, Fontes rer. Germ. 4, 548: cum quo (Meinhardo) mater sua pro terra Carinthie et comitatu Tyrolis incepit litigare. Goswin v. Marienberg bei Huber, Vereinigung S. 274: pendente quadam lite et controversia inter ipsum dominum Meinhardum et matrem snam pro terra Athasi.

5) Huber, Vereinigung S. 197 Urk. Nr. 231.

«) A. a. 0. S. 5 ff.

') Huber, Vereinigung S. 69; Riezler a. a. 0. S. 56.

^) Vereinigung S. 70 und Anm. .3.

56 Franz Wilhelm.

Tirol verzichtet habe. Dies vorläufig dahin gestellt, geht es meines Erachteus aber doch nicht an, die so bestimmten Ausdrücke comi- tatus Tyrolis und terra Athasi ohne vsreiters auf einzelne Besitzungen zu beziehen.

Die Vormundschaftsverfügung Ludwig des Brandenburgers, welche undatirt überliefert ist, muss zu einer Zeit ausgefertigt worden sein, da Meiuhard noch ziemlich unter fünfzehn Jahren alt war, denn dieses Alter ist für die Volljährigkeit festgesetzt. Dieselbe kann nicht vor dem Sommer 1355 erflossen sein, weil in derselben Konrad von Frauenberg bereits Hofmeister genannt wird^) und anderseits nicht nach dem Jahre 1359, da in diesem Jahre der Pfarrer Heinrich von Tirol zum letztenmal als Pfleger von Trient erscheint 2). So bestimmt Huber3) die Zeit, in welche die Ausstellung dieser Urkunde fallen muss und meint, da Meiuhard um 1343 geboren ist, dürfte dieselbe kaum lange nach 1355 konzipirt sein. Mir scheint es nicht so fest- zustehen, dass Meinhard um 1343 geboren ist. Die Argumente, welche Westenrieder gegen die Annahme vorgebracht hat, Meinhard sei beim Tode Ludwigs noch minderjährig gewesen, konnten mich nicht überzeugen.

Margaretha selbst nennt Meinhard in einer Urkunde vom T.Feb- ruar 1363 primogenitus noster^). Darnach muss Meinhard vor 1349 geboren sein, denn in diesem Jahre bejaht Pfarrer Heinrich von Silz eidlich vor dem von der Kurie in der Ehescheidungsangelegenheit zwi- schen Margaretha und Johann von Böhmen zum Richter bestellten Bischof Ulrich von Chur, dass diese ihrem Gemahl Ludwig mehrere Söhne und Töchter geboren habe^), und ein verlässlicher Geschichts- schreiber erzählt, dass der Bischof von Chur bei der Verkündigung der Auflösung dieser Ehe im Juli 1349 erklärte, der Ehe Margarethens mit Ludwig seien bereits zwei Söhne entsprossen ß). Von andern gleichzeitigen Angaben über das Alter Meinhards können wir von

1) Huber, Vereinigung iS. 121. 1355 vor Juli ist noch Wolfart Satzen- hofer Hofmeister; der Frauenberger wird das erstem-al 1355 September 18 in dieser Würde genannt.

2) Ebenda S. 50 Anm. 1.

3) Ebenda S. 199.

*) Steyerer a. a. 0. S. 586. Diese Angabe der Mutter wird man auch gegenüber der so bestimmt vorgetragenen Nachricht bei Johann von Viktring (Fontes rer. Germ. 1, 442), der Erstgeborene Margarethens sei kurz nach der Geburt gestorben, ohne die gewichtigsten Gründe nicht in Zweifel ziehen dürfen. Dagegen muss zugegeben werden, dass Margaretha dabei bloss an Söhne gedacht habe. Vergl. Huber, Vereinigung S. 53 Anm. 2.

fi) Huber, ebenda S. 169 Reg. Nr. 137.

'^) Heinrich von Rebdorf a. a. 0. S. 536.

Die Erwerbung Tirols dtirch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 57

vorneherein die verworrene Nachricht Goswins von Marienberg aus- scheiden, welcher Meinhard beim Tode seines Vaters (1363!) einen Jüngling von ungefähr 18 Jahren nennt. Dafür haben wir einen nicht minder gleichzeitigen Geschichtsschreiber, Heinrich von Rebdorf, der Meinhard beim Tode ungefähr 14 Jahre alt sein lässt^). Mau hat dieser Angabe bisher keine Bedeutung beigelegt. Und doch mochte Heinrich vou Eebdorf über das Alter Meiuhards im allgemeinen ganz gut unterrichtet sein. Er konnte zur Zeit, da Meinhard in ßaiern weilte, vielleicht im Jahre 1362, als er in die Gewalt des Bischofs von Eichstätt kam, ganz gut Gelegenheit gehabt haben, den jungen Fürsten zu sehen. Es ist dies zudem die einzige Nachricht, die sich mit allem, was wir sonst wissen, vereinen lässt. Meinhard wäre dar- nach 1348 oder 1349 geboren.

Betrachten wir uns nun die Vormund schaftsverfügung Ludwigs selbst etwas näher. Vielleicht ergeben sich Anhaltspunkte, welche eine genauere zeitliche Fixirimg derselben ermöglichen. Dieselbe ist uns in zweifacher Form erhalten, als Konzept und als Registereiutragung^). Da muss denn auffallen, dass im Konzept der Pfarrer Heinrich von Tirol nicht mit dem Titel eines Pflegers vou Trient erscheint, wohl aber in der Registereintragung. Durch ein Versehen der Kanzlei lässt sich die Sache nicht erklären, denn es werden alle Herren des Rates mit ihren Amtstiteln genannt. Es wäre ferner ein Versehen der Kanzlei angenommen immer noch zu erklären, wie dieser Titel in die Registereintraguug gekommen ist, die doch später als das Konzept gemacht ist. Dieser Unterschied zwischen Konzept und Registerein- traguug lä'st sich meines Erachtens nur dadurch erklären, dass die Registereintragung nach dem Original erfolgte, das heisst also, dass zur Zeit, als dieses Konzept in der Kanzlei gefertigt wurde, Pfarrer Hein- rich das Amt eines Pflegers von Trient noch nicht bekleidete, oder seine Amtsperiode bereits abgelaufen war, während die Originalaus- fertigung und mit ihr die Registereintragung zu einer Zeit gemacht wurden, da Heinrich dieses Amt schon bekleidete, oder wieder be- kleidete. Nun wissen wir, dass Pfarrer Heinrich von Tirol am 19. April 1354 von Ludwig dem Brandenburger auf drei Jahre, also bis zum 19. April 1357, zum Pfleger der Stadt und des Bistums Trient ernannt wurde3). Vor dem 19. April 1354 kann das Konzept nicht gefertigt

1) Ebenda 4, 549: Et idem Meinhavdus postea modico tempore supervixit et mortuus est annorum quatuoi'decim vel circa.

-) Vergl. Huber, Vereinigung S. 199.

3) Ebenda S. 174 Reg. Nr. 161. Original der Urkunde im Wiener Staats- archiv.

58 Frauz Wilhelm.

sein, weil Kouracl der Erauenberger erst im September 1355 als Hof- meister erscheint, hier aber bereits mit diesem Titel genannt wird. Die Fertigung des Konzeptes kann also nur nach 1357 April 19 fallen, als die Amtsperiode Heinrichs bereits abgelaufen war, und muss ander- seits vor 1357 September 15 geschehen sein, da er au diesem Tage unseres Wissens zuerst wieder als Pfleger von Trient erscheint i). Hält mau damit zusammen, dass Markgraf Ludwig im Spätjahre 1357 der Kurie gegenüber sein Fernbleiben von Eom mit seiner geschwächten Gesundheit entschuldigte^), so ist auch der Grund gefunden, welcher zur AusstelluDg dieser Urkuode Veranlassung gab. Ludwig mochte damit, wie schon Riezler annimmt, kaum einen vorübergehenden Zu- stand beklagen oder vorschützen. Fällt doch gerade in diese Zeit (1358 Februar 19) die Verschreibung der Veste Klingen und der Stadt Wasserburg für seine Gemahliu, im Falle sie ihn überlebt und sich nicht wieder vermählt. Beide Urkunden verfolgen nicht nur denselben Zweck (Anordnungen für den Fall seines Ablebens), sondern zeigen auch im Konzept so viel Verwandtschaft 3), dass ich nicht anstehen möchte zu behaupten, beide seien, wenn nicht zugleich, so doch nicht lange nach einander ausgestellt. Es ist ja möglich, dass zwischen dem im April bis September 1357 gefertigten Konzept und der Original- ausfertiguug der Urkunde einige Zeit verstrich. Jedenfalls darf man mit gutem Gruud annehmen, die Vormundschaftsverfügung falle in den Herbst 1357 oder Winter 1358.

Damit stimmt auch überein, dass Ludwig der Brandenburger im Spätjahre 1354, als Meinhard an den Hof seines zukünftigen Schwieger- vaters Albrecht von Österreich gebracht werden sollte, dem Heinrich dem Bayer von Aichach und dessen Frau Elisabeth , durch der dienst willen, die uns die vorgenant Elizabeth an unserm sun herczog Meiu- hart, den sew geczogeu hat, getan hat" , einen Hof zu Aichach ver- leiht^). Wurde Meinhard damals erst der Obhut einer Frau entnom- men, wurde ihm bei dieser Gelegenheit, oder vielleicht erst später ein Lehrer an die Seite gestellt^), so muss er damals noch in zartem Alter

«) Huber, Vereinigung S. 183 Reg. Nr. 199.

2) Vergl. Riezler a. a. 0. S. 43. 56.

s) Ich verweise auf die gleiche Arenga: ,daz wir alle tudleich sein« hier, und: ,wan wir alle totlich sein* dort,sowie auf die gleiche Bestimmung, die Verfügung solle kraftlos sein, wenn Margaretha eine neue Ehe eingeht.

'') Urkunde von 1354 Dezember 13 Innsbruck im Cod. 59 f. lOü' des Inns- brucker Statthaltereiarchives. Eine weitere Verschreibung für dieselben aus eben diesem Grunde ebenda f. 103 von 1355 Jänner 2 Tirol.

6) Zum erstenmal erwähnt finde ich einen solchen 1356 März 29 (Cod. 59 f. 65' des Innsbrucker Statthaltereiarchives =: Cod. 402 f. 114' des Wiener Staats-

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 59

gestanden sein und es ist kein Grund vorhanden, die Angabe Hein- richs von Eebdorf, Meinhard sei bei seinem Tode ungefähr 14 Jahre alt gewesen, in Zweifel zu ziehen. Seine Altersangabe ist ja nur eine ungefähre und lässt ganz gut einen Spielraum von einem Jahr zu. Da Margare tha im Jahre 1349 bereits zwei Söhne hatte, von denen Meinhard der erstgeborene war, so war dieser spätestens in der ersten Hälfte des Jahres 1348 und keinesfalls um vieles früher geboren.

Dieses Ergebnis mag im Verhältnis zu dem aufgewandten Appa- rate nferino-fügig erscheinen. Es ist nichtsdestoweniger von grösster

0000 DO

Bedeutung für die ganze Beurteilung der Wirren nach dem Tode Ludwig des Brandenburgers. Denn es steht dadurch fest, dass Mein- hard beim Ableben seines Vaters minderjährig war und infolge dessen die Vormundschaftsverfügung desselben noch in Kraft stand. Auf Grund dieser Verfügung hat also Margaretha und wohl auch der ihr zur Seite gesetzte Kat Anspruch auf die vormundschaftliche Kegierung in Tirol erhoben 1). Bei der Bewohnerschaft Tirols scheinen diese An- sprüche von Anfang an keine sonderlichen Sympathien gefunden zu haben. Die Städte, so Innsbruck und Hall, wandten sich nach Baiern an Meinhard um die Bestätigung ihrer Freiheiten-). Und als es offen- bar nicht länger anging, Tirol von Baiern aus zu verwalten, erbat sich eine Abordnung der tirolischen Landschaft zu Heiterwaug von Meinhard nicht dessen Mutter oder einen aus dem ihr beigegebenen Vormundschaftsrate, sondern den Vogt Ulrich d. j. von Matsch zum Hauptmann (13G2 Juni 1/2) ^).

Maro'aretha wollte nun ihr Glück mit fremder Hilfe versuchen. Es ist darauf hingewiesen worden, dass das Vermächtnis von 1359 sich damit am einfachsten erklären lässt, dass Margaretha dadurch ihre eigenen Nachfolgerechte den Herzogen von Baiern gegenüber wahrte^).

archives): Itein eodem die anno et loco data est littera Johanni capellano et pedagogo ducis Meinhardi pro XX marcis Veronensibus ad plebanuiu. Tj-rolis proxima racione devalcandis.

') So hat Heinrich von Rebdorf auch hierin Recht, wenn er sagt: oritur guerra gravis inter duces Bawarie super tutela seu cura Meinhardi. A. a. 0. 4, 548.

2) Vergl. Huber, Vereinigung S. 74. Anm. 1. Als Hauptleute und Pfleger der Herrschaft Tirol erscheinen in dieser Zeit der schon oftgenannte Pfarrer Heinrich von Tirol, Ulrich d. j. von Matsch und Diepold Häl. Von diesen hatte Heinrich von Bopfingen wenigstens insoferne ein formales Anrecht, als er dieses Amt schon zu Lebzeiten Ludwig des Brandenburgers bekleidete. Woher die beiden andern ihr Recht ableiteten, wissen wir nicht (vergl. ebenda S. 123). Eine faktische Regierung des Landes haben sie nie ausgeübt.

3) Ebenda S. 212 Urk. Nr. 251.

4) Ficker a. a. 0. S. 126.

ßQ Franz Wilhelm.

Gewiss könnte dies der einzige triftige Grund gewesen sein, wenn Margaretlia nicht zu Gunsten eben der bairischen Herzoge auf Tirol verzichtet hatte. War dies nicht geschehen, hatte Margaretha im Jahre 1359 die Herzoge von Österreich nach ihrem, ihres Gemahls und ihres Sohnes kinderlosen Ableben in aller Form zu Erben Tirols ein- gesetzt, dann war aber gerade jetzt der Moment gekommen, in wel- chem die Interessen beider, Margarethens wie Rudolfs, sich aufs innigste berührten. Man muss daher erwarten, dass Margaretha sich an Rudolf wenden werde, der im Falle des Zatreffens der obigen Voraussetzung ihr natürlicher Helfer sein musste. Statt dessen wandte sich Marga- retha aber au die Herzoge von Niederbaieru. Zu Beginn des Jahres 1362 hatte sie mit Herzog Stephan und dem Pfalzgrafen Rupert eine Zusammenkunft in Regensburg, die zweifellos diesem Zwecke diente i). Ja sie scheute sich sogar nicht, in der Fasnacht vor dem Kaiser zu Nürnberg hilfesuchend zu erscheinen. Karl nahm seine ehemalige Schwägerin wohlwollend und ehrenvoll auf, versagte sich aber nicht eine kleine Genugtuung für die einst seinem Bruder angetane schwere Schmach^). Ob er etwas zu ihren Gunsten unternahm, wissen wir nicht ; es ist zum mindesten- unwahrscheinlich, da er zur gegnerischen Partei gehörte.

Mitten in diese Ereignisse hinein fällt die Rückkehr Rudolfs aus Friaul. Ende November 1361 kam er nach dreimonatlicher Abwesen- heit in Österreich an und erfuhr wohl erst hier von den Wirren, welche nach dem Tode Ludwig des Brandenburgers eingetreteu waren. Auch von seiner Seite wäre es das natürlichste gewesen, sich mit aller Kraft für die berechtigten Ansprüche Margarethens einzusetzen, auch ohne von ihr angerufen zu werden, wenn er die Verschreibung von 1359 in Händen hatte. Das ist nicht geschehen, und gerade der Umstand, dass weder Margaretha an Rudolf sich

') Gemeiner, Regensburger Chronik 2, 123. Mit Herzog Stephan muss sie schon flüher in Verbindung gestanden sein. Davon war man schon am 10. Jänner ]362 offiziell in Venedig unterrichtet, wie aus dem von Simonsfekl (Der Fondaco dei Tedeschi in Venedig Bd. 1 Urk. Nr, 191) mitgeteilten Senatsbeschlusse her- vorgeht: Es solle eine Gesandtschaft nach Deutschland abgeordnet werden, »quod per ea, que noviter habentur de magnis divisionibus et novitatibus, que sunt inter matrem marchionia Brandeburgensis (Margaretha) et ducam Stephanum, eins cognatum, parte ex una et dictum marchionem parte altera mercatores balle et mercaciones, que per nostros conducuntur per viagium Flandrie, subiaceant ad magnum periculum*.

-) Vergl. die interessanten Briefe des kaiserlichen Kanzlers über diesen Besuch bei Dobner, Monumenta Boemiae 4, 337 und in Haupt's Zeitschrift für deutsches Altertum G, 28.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. Ql

wandte noch umgekehrt, ist der unumstösslichste Beweis^ dass Rudolf damals eine echte Urkunde Margaretheus, welche ihm Ansprüche auf Tirol zusicherte, nichtbesass. Dies ist bisher entweder ganz übersehen worden i), oder man hat daraus erschlossen, dass zwischen Margaretha und dem Wiener Hofe eine freilich nur vorübergehende Entfremdung bestanden habe 2), Der Nach- weis des Grrundes für diese Verstimmung steht allerdings noch aus. Wir haben auch gar keine Berechtigung, einen solchen Schluss zu ziehen. Es wird uns weder aus den Jahren 1361 und 1362 noch später auch nur das Geringste von einer Verstimmung oder Ent- fremdung berichtet. Die Sache erklärt sich ganz einfach so, dass Margaretha sich von Anfang an an diejenigen wandte, welche in diesem Augenblicke mit ihr das gleiche Interesse hatten, an die Her- zoge von Niederbaiern, und zur Geltendmachung ihres Eechtes auch die Staatsgewalt anrief.

Für Herzog Rudolf war der Entschluss rasch gefasst, sobald er Einblick in die Verhältnisse gewonnen hatte. Seine Angriffsfront kehrte sich zunächst gegen den Kaiser. Mit diesem hatte er noch am 1, August 1361 ein ewiges Bündnis geschlossen. Lag es überhaupt nicht im Charakter jener Zeit, sich um Verträge und Versprechungen weiter zu kümmern, wenn dieselben für einen Teil lästig wurden, so war Rudolf IV. am allerwenigsten gesonnen, ein Bündnis einzuhalten, dessen Lösung die Zeit Verhältnisse erforderten. Am 31. Dezember 1361 schloss er für sich und seine Brüder mit König Ludwig von Ungarn ein Bündniss gegen jedermann 3) und am 7. Jänner 1362 ver- sprach er demselben auf Aufforderung mit seiner ganzen Macht gegen den Kaiser und den Markgrafen von Mähren beizustehen^). Die Er- klärung dieses plötzlichen Bruches mit dem Kaiser hat seine Schwierig- keiten. Huber 5) sah den Grund hiefür in der Annäherung des Kaisers an Meinhard und in der Furcht Rudolfs, es könnten dadurch seine Pläne bezüglich Tirol durchkreuzt werden. Neuerdings ist dieses Moment als nicht ausreichend zur Erklärung der feindseligen Haltung Rudolfs gegen seinen Schwiegervater bezeichnet worden''). Auch ich

1) Huber, Vereinigung S. 70.

2) Riezler a. a. 0. S. 62 f.

3) Huber, Reg. imp. VIH. R. Nr. 360. ••) Ebenda R. Nr. 361.

5) Vereinigung S. 69; Rudolf IV. S. 76; Geschichte Österreichs 2, 268.

<■') Steinherz in Mitteilungen des Instituts 9, 546 Anm. 1. Jedenfalls ist 63 Yerfehlt, den Grund des Zerwürfnisses in der das Patriarchat Aquileja be- treffenden Frage sucLen zu wollen.

62

Franz Willielm.

vermag das Motiv nicht direkt nachzuweisen, welches für Rudolf leitend war. Dass aber Karl IV. der Handluugsweise Rudolfs das von Huber ano-enommene Motiv ob mit Recht oder Unrecht muss dahingestellt bleiben unterschob, geht deutlich hervor aus seiner Antwort. Am 15. Jänner 1362 schliesst er mit den Herzogen Meinhard und Friedrich von Baiern ein Bündnis, verpflichtet deren Räte, ihre Herren anzu- halten, dass sie beim Kaiser verbleiben und ihren Eiden treulieh nach- kommen, nimmt dieselben neuerdings in des Reiches Schutz und ver- spricht ihnen Hilfe gegen jedermann i). Am gleichen Tage verleiht Karl was bisher nicht beachtet wurde die dem Reiche ledige Grafschaft Burgund dem Herzog Philipp von Tours und Grafen von Burgund^). Erinnert man sich, dass Karl IV. bei der Belehnung zu Seefeld seinem Schwiegersohn versteckte Absichten nicht nur auf Tirol, sondern auch auf Burgund zugemutet hatte s), so tritt die tiefere Be- deutung dieser Verfügung reliefartig hervor. Wenn Rudolf durch die Gefährdung des einen der beiden Wünsche, auf welche Karl im Jahre 1360 aufmerksam geworden war, zu einem solchen Vorgehen gegen ihn veranlasst wurde, so sollte er nun durch die gänzliche Aussichts- losigkeit, den zweiten je realisiren zu können, um so empfindlicher getroffen werden.

Am 15. Jänner 1362 war auch eine Annäherung des Kaisers an die Herzoge von Niederbaiern erfolgt. Dieselben waren zweifellos in Nürnberg anwesend, da Karl IV. ihnen alle ihre. Privilegien und Frei- heiten vom Reiche bestätigte-^). Es geht dies anderseits auch daraus hervor, dass man sich um diese Zeit der Hilfe der Herzoge von Baiern am kaiserlichen Hofe versichert hielt, wie wir aus einem Briefe des kaiserlichen Kanzlers au einen Ungenannten wissen"'). Nuu wandte sich Rudolf auch gegen die bairischen Herzoge. Am 29. Jänner 1362 schloss er ein Bündnis mit dem Erzbischof Ortolf von Salzburg*^), in welchem er denselben besonders gegen die Anspüche der Herzoge von Niederbaiern 7) auf genannte Besitzungen und wegen einiger zum Nachteil Salzburgs gebauten Burgen zu unterstützen versprach. Etwas

•) Huber, Reg. irap. VlII Nr. 3810. 7070 und R. Nr. 362.

2) Ebenda Kr. 3S11.

s) Das darf aus dem Reverse Rudolfs vom 21. Mai 1360 ohne weiters wohl auch in Bezug auf Burgund geschlossen werden, wenn wir auch die näheren Umstände nicht kenneu.

") Huber, Reg. imp. VHI Nr. 3809.

^) Böhmer, Acta imp. sei. S. 754.

'•■) Huber, Vereinigung S. 209 Urk. Nr. 244.

') Im Drucke muss es natürlich heissen: gegen der herrschaft ze Payrn in <lem nidern (statt indem) lande, wie auch das Original deutlich liest.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. ßß

später, am 28. März 1362, trat ßudolf aucli mit dem Bischof Gottfried von Passau in Verbindung').

Diese Vorkehrungen mochten Kudolf nicht für alle Eveutualitäten ausreichend erscheinen. Er suchte nun auch bei seiuem jungen Schwager Misstrauen gegen dessen Schützer, insbesondere gegen den Kaiser, zu erwecken. Von vorneherein durfte er da auf einen Erfolg hoffen, da sich beide abgesehen von den verwandtschaftlichen Banden gewiss auch durch den langen Aufenthalt Meinhards am Wiener Hofe (1354 1360) persönlich nahe standen. Der erste Versuch hiezu muss spätestens in den Anfang des Jahres 1362 fallen. In einem Briefe stellte er Meiuhard vor, der Kaiser wolle sein Verderben. Dieses Schreiben wurde allerdiugs auf eine uns nicht näher bekannte Weise in die Hände Karls gespielt, der Eudolf hierüber zur Rechenschaft vor den Kurfürsten auffordern liess^). Der Erfolg war nichtsdesto- weniger ein voller. Am 1. April 1362 finden wir Meinhard bei Ru- dolf in Wien 3), wo er dem Bunde desselben mit König Ludwig von Ungarn beitrat, der gegen den Kaiser gerichtet war. Zugleich mit ihm trat auf Seite Ludwigs von Ungarn König Kasimir von Polen dem Bündnis bei^).

Aus den vorhergehenden Ereignissen ist es klar, dass dieser Schritt Meiuhards nicht wohl gegen den Willen seiner Räte unternommen

1) Huher, Kudolf IV. S. 78.

2) Vergl. diesbezüglich das Schreiben des Erzbischofs Boemund von Trier an Herzog Rudolf vom 23. März 1362. (Houtheim, Hist. Trevir. 2, 223).

•'') Zeuge Rudolfs in der Urkunde für Heiligenkreuz, Fontes ver. Austr. IL 16, 266.

*) Vergl. Steinherz a. n. 0. S. 548 und 604 ff'., dessen Ausführungen zuerst Licht über die Entstehung dieser 1361 Dezember 31 Pressburg datirten Urkunde verbreitet haben. Dagegen darf aber dieses Datum gewiss nicht in 1362 März 31 emendirt werden, sondern sicherlich haben wir es mit einer gele- gentlich des Beitrittes Meinhards und Kasimirs von Polen zu dem am 31. De- zember 1361 zwischen Rudolf und Ludwig von Ungarn abgeschlossenen Bünd- nisse in Wien ausgestellten Neuausfertigung zu tun, wie Lindner (Mittheil, des Instituts 12, 75 Anra. 1) annimmt. Deshalb ist auch der Tag des Beitrittes dieser beiden Fürsten keineswegs so bestimmt, wie Steinherz will. Auch die Ansicht Lindners lä,sst sich nicht halten, dass die Neuausfertigung ungefähr in den No- vember 1362 fä,llt, zu welcher Zeit Rudolf mit Meinhard in Verbindung steht. Wie die Zeugen beweisen, muss die Urkunde in Wien ausgefertigt worden sein und zwar zu einer Zeit, da Meinhard dort persönlich anwesend war, da er sein Siegel an die Urkunde hängte. Eine persönliche Anwesenheit Meinhards in Wien nach dem Tode seines Vaters lässt sich aber nur Ende März und Anfang April 1362 belegen, so dass sich bezüglich des Zeitpunktes von Meinhards Beitritt und der Neuausfertigung mit Werunsky (Gesch. Kaiser Karls iV. 3, 260) nur sagen lässt, es sei dies Ende März, oder Anfang April 1302 geschehen.

64

Franz Wilhelm.

sein konnte, von denen er völlig abhängig war und die ihn, wie Goswin von Marienberg mit Verwunderung meldet i), von Stadt zu Stadt, von Ort zu Ort, von Burg zu Burg führten. Es muss eine Änderung in der Politik dieses Kates erfolgt sein. Zweifellos hatte in demselben Herzog Friedrich von Niederbaiern die entscheidende Stimme, Wie früher den Anschluss an den Kaiser, so wird er auch jetzt die Schwenkung nach der entgegengesetzten Seite veranlasst haben. Die Annäherung des Kaisers an seine Verwandten um die Mitte des Jänner scheint ihn missgestimmt zu haben^), da er im Gegen- satz zu diesen seinen Einüuss auf Meinhard aufrecht erhalten wissen wollte. Meinhard scheint sich am Hofe Rudolfs längere Zeit aufge- halten zu haben-. Wir finden ihn erst wieder am 8. Mai zu Neuburg an der Donau^). Mittlerweile hatte die Unzufriedenheit mit der den jungen Fürsten beherrschenden Adelspartei bei den Städten und einem Teile des Adels in Oberbaiern den Höhepunkt erreicht. Am 5. Mai 1362 verbanden sich diese mit den Pfalzgrafen bei Rhein und den Herzoo-en von Niederbaiern zur Befreiung Meinhards aus seiner Ab- häno-igkeit, kündeten dem Rate desselben den Gehorsam und erklärten alle unter seinem Siegel erlassenen Verfügungen desselben für un- giltig^). Das war Kündigung des Gehorsams und Kriegserklärung zuo-leich. Von beiden Seiten warde nun eifrig gerüstet. Die Nach- richten über die folgenden Ereignisse sind ausserordentlich spärlich und widersprechend 5). Soviel scheint festzustehen, dass Meinhard in dem Schlosse Kottings- oder Ritterswörth von Herzog Stephan belagert, von Friedrich aber entsetzt wurde. Im übrigen müssen die Gegner der Adelspartei im Kampfe glücklich gewesen sein, denn Meinhard zog sich mit seinem Anhang in das Gebiet des Bischofs von Eichstätt zurück, der ihn heimlich von daunen führen wollte. Er wurde jedoch erkannt, nach Ingolstadt gebracht und dem Herzog Stephan ausge- liefert, der ihm München als künftigen Sitz anwies*^).

») Huber, Vereinigung S. 274.

2) Mit dieser Annahme stimmt, dass die Beziehungen zu Rudolf, soweit unsere Kenntnis reicht, schon im Jänner 1362 eröflnet wurden, wie die folgende Registereintragung (Cod. 408 f. 7 des Wiener Staatsarehives) vom 19. Jänner zeigt: Item XXIIII marce deputate sunt domino Johanni, camere magistro (ma- gistri Cod.) ad heredes Oitonis de Awr pro equis sibi emptis ad legacionem in Austriam. Datum Ingolstat in vigilia Fabiani et Sebastiani LXII.

») Vergl. Huber, Vereinigung S. 72 Anm.

•*) Quellen und Erörterungen G", 474.

s) Vergl. Huber, Vereinigung S. 71 Anm. 1.

") Für die richtige Beurteilung dieser Ereignisse wäre das wichtigste, die Parteistellung des Bischofs von Eichstätt zu kennen. Wohin wollte er Meinhard

Die Erwerbung Tirols ilurch Herzog Rudolf IV. von Österreich. ß5

Diese Verschiebung der Verhältnisse muss Herzog Kudolf höchst uuerwüuseht gekommen sein. Allein er war nicht der Mann, der sich dadurch beirren Hess. Im Hochsommer eilte er persönlich nach Baiern und schon am 31. Juli gelaug es ihm zu Passau mit den Herzogen von Niederbaiern ein Bündnis gegen jedermann Genannte, unter denen der Kaiser nicht mit inbegriffen ist, ausgenommen abzu- schliessen^).

Am 5. August urkundet Eudolf noch in München, wo sich Mein- hard aufhielt. Auch dessen Mutter Margaretha war am 7. August daselbst anwesend. Den Zweck ihrer Reise nach Baiern kennen wir nicht. Huber^) scheint geneigt anzunehmen, dieselbe habe ihren Sohn in der Absicht Baiern zu verlassen und nach Tirol zu gehen bestärkt, weil sie so hoffen konnte, einen Einfluss auf die Regierung seiner Länder auszuüben. Diese Annahme ist mir nicht wahrscheinlich. Nichts deutet darauf hin, es sei die Flucht Meinhards nach Tirol im Interesse der Mutter erfolgt. So oft Margaretha nach der Rückkehr ihres Sohnes hervortritt, finden wir sie nicht an seinem Hofe. Am 30. Oktober 1362, als Meinhard schon auf dem Schlosse Tirol weilte, urkundet sie in ihrem Witwen sitze Kitzbühel 3) und am 13. Jänner 13(33, dem Todestage Meinhards, in Bozen^). Ebenso lässt sich nach-

lühren? Erst die späteren Geschichtsschreiber, so Arnpekh und Ebran von Wildenberg geben als Ziel das Gebirge an, obwohl der Weg über Vohburg auf ein ganz anderes Ziel hindeuten würde. Meines Erachtens können da nur zwei Möglichkeiten in Betracht kommen. Eine Intervention des Bischofs zu Gunsten Herzog Rudolfs oder zu Gunsten des Kaisers. Der Weg über Vohburg weist nach Nürnberg hin, das Karl IV. allerdings, wie Huber (Vereinigung S. 72 Anm.) hervorhebt, schon im April verlassen hatte, wo aber die Verwandten des Bischofs geboten, die mit dem Kaiser im besten Einvernehmen standen (vergl. die Urkunden Karls IV. für die Burggrafen von Nürnberg bei Huber, Reg. imp. VIII. Nr. 3703. 3864). Darf man annehmen, dass vom Beitritt Meinhards zum Bündnis zwischen Rudolf und Ludwig von Ungarn schon etwas durchgesickert war, dann wäre auch ein plausibler Grund für das Eingreifen des Bischofs von Eichstätt zu Gunsten des Kaisers gefunden. Ist diese Vermutung richtig, dann klärt sich auch auf, wie es Rudolf so rasch gelang, die Herzoge von Baiern zu einem Bündnis zu bewegen, das sich indirekt wenigstens auch gegen den Kaiser kehrte.

1) Huber, Reg. imp. VIIL. R. Nr. 378.

2) Vereinigung S. 76.

3) Fessmaier a. a. 0. S. 37. Von der Anwesenheit Meinhards ist aber in der Urkunde nicht die Rede. Vergl. Ficker a. a. 0. S. 128.

*) Margaretha bestätigt an diesem Tage der domina Hailklini de Bozano die Privilegien Ludwigs und Meinhards und bezeichnet den letzteren als pie memorie (Cod. 59 des Innsbrucker Statthaltereiarchivs f. 28). Die Datirung muss wohl gelesen werden: Datum in Bozano feria sexta proxima post Erhardi anno

Mittheilungen XXIY. 5

66

Franz Wilhelm.

weisen, dass Mutter und Sohn in der Zeit vom 6. Dezember 1362 bis 3. Jänner 1363 nicht beisammen weilten. Meinhard verbrachte die Zeit vom 21. Oktober 1362 bis 6. Jänner 1363, abgesehen von einer Reise nach Hall (November 22) und Innsbruck (November 24) i), auf dem Schlosse Tirol. In der Urkunde, mittels welcher er am 7. Jänner 1363 mit Heinrich von Isny, Kellner auf Tirol, für die daselbst während der genannten Zeit von diesem beigestellte Ver- pflpo'uug Abrechnung hielt, wird Margaretha unter den Verköstigten nicht genannt, obwohl sogar Diener und Hofgesinde aufgeführt werden 2). Damit stimmt überein, dass die Registerbücher der Kanzlei 3) aus der Zeit nach der Rückkehr Meinhards nach Tirol bis zu seinem Tode auch nicht eine einzige Urkunde Margarethens aufweisen, aus welcher sich auf irgendwelche Anteilnahme an der Regierung schliessen liesse. Aus der Tatsache, dass Margaretha nicht mit ihrem Sohn nach Tirol zurückkehrte, dass wir sie bis zum Tode Meinhards auch nicht ein einzio-esmal in seiner Nähe nachweisen können, darf nicht gefolgert werden, es habe ihr Plan, Meinhard zur Rückkehr nach Tirol zu be- wegen, dennoch bestanden, nur seien die von ihr daran geknüpften Hoffnungen zu Wasser geworden. Besonders der erste Umstand spricht direkt gegen diese Annahme.

Daa-erren hat eine andere Vermutuny; mehr Wahrscheinlichkeit für sich. Nichts lässt darauf schliessen, dass die nach dem Tode Ludwig des Brandenburgers zwischen Margaretha und Meinhard ein- <'-etretene Verstimmung behoben worden sei. Im Gegensatze zu ihren Ansprüchen hatte vielmehr Meinhard noch zu Anfang Juni 1362 den Vogt Ulrich d. j. von Matsch und den Hofmeister Heinrich von Rotten-

LXlll; obwohl das Orclnungszahlwort in derselben Weise gekürzt ist wie secuuda (Jänner 9), was unvereinbar w;lre mit dem erst am 13. Jänner erfolgten Tode Meinhards.

») Cod. 408 des Wiener Staatsarchivs f. 29; Cod. 59 des Innsbrucker Statt- haltereiarchivs f. 32.

2) Cod. 408 des Wiener Staatsarchives f. 34: Wir Meinhart etc. bekennen offenleich etc., daz uns unser lieber getriwer Hainrich von Isningeu, unser chelner auf Tyrol, sider sand Nyklaus tag do man zalt nach Christi gepurd drewzehen- hundert iar darnach in dem zway und sechzigisten iar hincz auf den naechsten eritag nach dem ebenweih tag anno domini MCCCLXllI uns und unsrer lieben swester und gemahel frawn Margreten margravin etc. und unser n amptlaeuten, dyeneren und hofgesind an chost ver- dient hat IUI hundert mark und ... Weil man im Lande von dieser Ent- fremdung wusste, konnte auch das Gerücht von Meinhards Vergiftung durch die Mutter entstehen.

3) Cod. 408 des Wiener Staatsarchives und Cod. 59 des Innsbrucker Statt- haltereiarchives.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. ß^

iDurg mit der Hauptmannschaft im Gebirge betraut. Bald darauf ge- riet er in die Häude seiner. Verwandten von Niederbaiern (Juni 16). Au diese hatte sich Margaretha spätestens schon zu Beginn des Jahres 1361 gewendet, um mit ihrer Hilfe die Anerkennung ihrer Eechte auf die Führuüg der vormundschaftlichen Eegierung in Tirol durch- zusetzen. Diese Bemühungen waren bisher resultatlos geblieben, weil ja die Herzoge von Niederbaiern einen Eiufluss auf Meinhard nicht besassen. Nun erst, nachdem Meinhard in die Gewalt derselben ge- kommen war, durfte Margaretha hoffen, mit ihren Ansprüchen durch- zudringen. Darin möchte ich auch den Zweck ihrer Reise nach München erblicken, den sie allerdings keineswegs erreichte. Ihre Ver- stimmung wird sich nun auch auf die Verwandten ihres verstorbenen Gemahls übertragen haben.

Die Vermutung widerspricht wenigstens in nichts den uns sonst bekannten Tatsachen. Ich möchte sogar zur Deutung einer bisher unerklärten Tatsache in meinen Vermutungen noch weiter gehen, selbst auf die Gefahr des Vorwurfes hin, ich wolle das Gras wachsen hören.

Margaretha war nicht die einzige, die sich durch die Nichtach- tuno" ihres Anrechtes auf die vormundschaftliche Kegieruug in Tirol verkürzt sehen musste. Auch der ihr von Ludwig an die Seite ge- setzte Vormundschaftsrat hatte allen Grund zur Unzufriedenheit. Von diesen Räten war Otto von Auer mittlerweile gestorben i), Heinrich von Rottenburg aber durch Zuweisung der Hauptmannschaft befriedigt worden. Dagegen waren jene beiden Baiern, die unter Ludwig dem Brandenburger zu den einflussreichsten Hofwürdenträgern gehört hatten, der Hofmeister Konrad von Frauenberg und der Jägermeister Konrad von Kummersbruck, leer ausgegangen. Beide standen auch zu Mar- garetha in naher Beziehung. Wird man dem Gerüchte wenig Glauben schenken dürfen, welches den Tod Ludwig des Brandenburgers in direkte Beziehung bringt zu dem unerlaubten Verhältnis, in welchem Mar<'-aretha anu'eblich zu Konrad dem Frauenberger stand 2), so lassen sich daraus doch Beziehungen freundschaftlicher Art mit Sicherheit rückerschliessen. Konrad von Kummersbruck aber war Hofmeister der Markgräfiu^). Seit dem Tode Ludwigs waren diese beiden Männer von jedem Einfluss auf die Regierung ausgeschlossen. Ist unsere Ver- mutung, die immerhin durch einzelne Tatsachen gestützt wird, richtig.

1) Er wird als verstorben erwähnt am 19. Jänner 1362. Vergl. S. 64 Anm. 2

2) Yergl. Zingerle, Die Sage von Margaretha der Maultasche S. 19.

3) Margaretha hatte diesen beiden Männern iiuch die Pflegschaft der Städte Kufbtein und Kitzbühel verschrieben. Vergl. Huber, Vereinigung S. 236 Nr. 355.

5*

ßg Franz Wilhelm.

dann war auch der letzte Versuch Margarethens gescheitert, ihr gutes Eecht, welches auch das des Vormundschaftsrates war, durchzusetzen. Es Hess sich nur mehr ein Erfolg hoffen, wenn es gelang Meinhard in eichene Gewalt zu bekommen. Nun erscheint Herzog Rudolf am 20. September 1362 abermals in München. Zweck der Eeise war ein Vertrag desselben mit Herzog Stephan von Baiern und dessen Söhnen Stephan und Johann des Inhaltes, sie wollten, wenn Meinhard fürder- hin in jemandes Gewalt käme, denselben gemeinschaftlich befreien i). Es ist vermutet worden, dieser bisher bloss im Auszug bekannt ge- wordene Vertrag sei von Rudolf nur in den Vordergrund gestellt worden, Zweck der Reise sei gewesen, Meinhard zur Flucht nach Tirol zu bewegen^). Das letztere wird sich, als Mitzweck wenigstens, nicht leugnen lassen. Allein dessen ungeachtet setzt die Urkunde voraus, dass seit der Anwesenheit Rudolfs in München im August dieses Jahres von irgend einer Seite der Versuch unternommen worden ist, Mein- hard dem Einflüsse der niederbairischen Herzoge und Rudolfs IV. zu entziehen. Dieselbe kann sich nicht beziehen auf die Machenschaften von Mai bis Juni desselben Jahres, denn dann wäre schon bei der ersten Anwesenheit Rudolfs im August der richtige Moment zum Ab- schlüsse dieses Vertrages gewesen. Es wäre dazu am 20. September um so weniger eine Notwendigkeit vorgelegen, als sich Herzog Friedrich, dem die Neugestaltung der Verhältnisse am meisten Ur- sache zur Unzufriedenheit geben musste, schon am 5. September mit seinen Verwandten ausgesöhnt hatte 3). Damit ist auch schon gesagt, dass dieser Versuch nicht von Seiten Herzog Friedrichs ausgegangen sein kann. Wenn wir nun hören, dass Konrad von Fraueuberg und Konrad von Kunimersbruck sich am 6. November 1362 im Gewahrsam des oberbairischeu Vizedoms Konrad von Freiberg befinden, der sie zu Händen Meinhards und Rudolfs gefangen genommen liatte^), dann gewinnt die Annahme viel an Wahrscheinlichkeit, dass von diesen beiden Herren, natürlich im Einverständnis mit Margaretha, ein sol- cher Versuch unternommen worden war. Dadurch würden nicht nur

1) Huber, Vereinigung S. 213 Keg. Nr. 256.

2) Ebenda S. 76 ; Rudolf IV. S. 87 f.

3) Ebenda S. 213 Reg. Nr. 254.

^) Ebenda S. 215 Reg. Nr. 260. Sie müssen damals sclion längere Zeit in Haft gewesen sein, da Rudolf dem Vizedom dafür 8000 Gulden schuldet. Auch aus der Persönlichkeit Konrads von Freiberg geht hervor, dass Herzog Friedrich dabei nicht mit im Spiele gewesen sein kann, denn er gehört mit Friedrich zu jenen 55 Adeligen, welche 1361 September 28 mit Meinhard den erwähnten Adelsbund schlössen.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 69

die bisher in Dunkel gehüllten Ursachen ihrer Gefangennahme sich aufklären, sondern es würde auch die gänzliche Entfremdung, die darauf zwischen Meinhard und Margaretha eintrat, verständlich. Dass Kudolf den beiden auch nach dem Tode Meinhards keine Gnade an- gedeihen liess, sondern dass sie ihm noch am 5. Februar 1363 ver- sprechen müssen, sich bis 19. Februar in Gefangenschaft in Wien zu stellen!), erklärt sich daraus, dass es Kudolf ja vor allem darauf an- kommen musste, dieselben von Margaretha wenigstens so lange fern- zuhalten, bis er in den faktischen Besitz von Tirol gelangt war. In Verbindung mit diesem wankelmütigen Weibe bedeuteten sie für ihn immer eine Gefahr. Tatsächlich lassen sich bis zu dieser Zeit keine Beziehungen zur Markgräfin nachweisen. Aus Wien entkam der Kummersbrucker durch List, der Frauenberger erkaufte angeblich seine Freiheit und beide stellten sich nun in den Dienst der Herzoge von Niederbaieru. Die ihnen von Margaretha verschriebenen Städte Kuf- stein, Kitzbühel und Battenberg bildeten die Hauptstützpunkte der- selben im tirolischen Erbfolgekriege 2).

Die Erklärungen, welche ich im vorausgehenden für die Eeise Margarethens nach München und für die Gefangennahme der beiden bairischen Herren zu geben suchte, beruhen wie ich nochmals be- tonen möchte auf blosser Vermutung; es fehlt jedweder Anhalts- punkt, der eine sichere Deutung ermöglichen würde. Mögen nun diese Vermutungen durch etwa neu zu Tage tretende Quellen sich bestätigen, mögen sie fallen, eines darf heute schon als sicher hin- gestellt werden: In der ganzen Zeit vom Tode Ludwig des Branden- burgers bis zum Tode Meinhards, während welcher alle diejenigen, die irgend ein Interesse au der Neugestaltung der Dinge hatten, m wech- selnder Weise sich gruppirten, je nachdem ihre Ansprüche geartet waren oder die politischen Verhältnisse sich änderten, lässt sich nicht ein einzicresmal eine Parteinahme Kudolfs für die berechtigten Ansprüche Margarethens nachweisen. Er hatte also ganz ofi'enbar kein Interesse •daran, die vormundschaftliche Kegierung in Tirol in den Händen der Markgräfin zu sehen, er wollte die bis zur Volljährigkeit Meinhards ^anz und gar berechtigte Autorität der Mutter über den Sohn nicht hergestellt wissen. Dieses Vorgehen Rudolfs bleibt völlig unverständ- lich, wenn er damals eine echte Verschreibung Margarethens über Tirol in Händen hatte.

») Huber, Vereinigung S. 229 Reg. Nr. 309.

2) Vergl. Riezler a. a. 0. 3, 77; Huber, Vereinigung S. 27ij.

70 FranzWilhelm.

Auch die Flucht Meiuhards ist nicht im Interesse seiner Mutter erfolgt, sondern, wie nie bezweifelt wurde i), im Interesse Herzog Kudolfs. tjm die Mitte des Oktober 1362 verliess er ohne Wissen der Herzoge von Niederbaiern München und war am 21. desselbeu Monats bereits auf dem Schlosse Tirol angelaugt. Wenige Tage darauf (Oktober 30) ernannte er den Brixener Dompropst Johann von Lich- tenwerth, einen der eifrigsten Anhänger Eudolfs, zu seinem Kanzler -j.

Diese Tatsachen wollen nicht übersehen werden, unter diesem, wie ich glaube richtigen, Gesichtswinkel betrachtet, fallen in ihuen die letzten positiven Beweise für die Echtheit des Vermächtnisses vou 1359. Ja noch mehr. Wurde gezeigt, dass die Vorgänge bei der Seefelder Belehnung im Jahre 1360 eine echte Verschreibung Marga- rethens für Kudolf wenigstens nicht zur Voraussetzung haben, so ist die Art und Weise, wie Eudolf in die Parteiuugen nach dem Tode Ludwig des Brandenburgers eingriff, überhaupt nur verständlich, wenn ein rechtsgiltiges Vermächtnis Margaretheus zu Gunsten Kudolfs da- mals (1362) noch nicht bestand. Damit fällt diese letzte Tatsache nicht nur als Beweis für die Echtheit, sondern sie wird in den Kreis iener Gründe gerückt, welche gegen die Echtheit der beiden Urkunden von 1359 vorgebracht wurden.

Dasegen scheint es sicher, dass Rudolf gleich seinem Vater Albrecht stets die Möglichkeit im Auge behielt, das tirolische Herr- scherhaus könne in absehbarer Zeit aussterben und dass er sich für diesen Fall wenigstens einen Teil des heutigen Tirol sichern wollte. Er hielt die alten freundschaftlichen Beziehungen zu Ludwig von Brandenburg und dessen Haus aufrecht und knüpfte mit einflussreichen Persönlichkeiten im Lande neue Verbindungen au. Besonders durch seine Verschwägern ug mit Meinhard war er unter sonst gleichen Um- ständen allen andern Bewerbern gegenüber im Vorteil. Er konnte ferner, mit einem Schein des Rechtes wenigstens, darauf himveisen, dass sein A'ater und sein Oheim einst von Ludwig dem Baier mit dem südlichen Teile Tirols belehnt worden waren. Im Eunser Frieden war darauf allerdings wieder verzichtet Avoiden, aber der Revers, den Rudolf bei der Belehnung zu Seefeld ausstellen mus.-.te, zeigt uns, wie sehr der Kaiser auch damals noch besorgt war, er könnte auf Grund eben dieser Belehnung und auf Grund seiner Bestätigung derselben einstens Ansprüche auch auf Tirol geltend machen. Karl IV. war durch den Revers gedeckt. In der Belehnuugsurkunde Rudolfs aber war noch immer die ganz all-

1) Huber, Vereinigung S. 77; lluber, Kudoll' IV. S. 88; lüezler a. a. 0. 3, G7; Werunsky a. a. 0. 3, 267.

-) Huber, Vereinigung S. 215 Nr. 259.

Die Erwei-Lung Tirols duich Herzog Rudolf IV. von Österreich. 71

o-emeiue Bestätigung der Belehnungeu Kaiser Ludwigs enthalten. Dritten Personen gegenüber konnte er hoffen, damit den Schein begründeter Ansprüche auf Tirol zu erwecken. So lange Ludwig der Brandenburger lebte, konnte er natürlich nicht hervortreten. Auch Margaretha gegen- über, die am Eunser Frieden selbst beteiligt gewesen war, war dies nicht möglich. Allein es liess sich ja annehmen, Margaretha werde vor Meinhard sterben, denn die Annahme, Meinhard sei schon längere Zeit vor seinem Tode leidend gewesen, lässt sich nicht halten i). Diesem gegenü1)er konnte Rudolf immerhin auf einen Erfolg hoffen, nament- lich wenn dessen Ratgeber ihm günstig gesinnt waren. Das mochte ihm auch einstweilen genügen und er benützte die weitere Zeit dazu, in Tirol immer festeren Fuss zu fassen.

Da trat der unerwartete Tod Ludwig des Brandenburgers ein und unmittelbar darauf rührten sich die Hände aller derjenigen, welche Ansprüche auf Tirol hatten oder zu haben vorgaben. Namentlich blieb auch der Kaiser nicht untätig. Gegen diesen wandte sich Rudolf, wie wir sahen, zuerst. Sodann gegen alle andern, welche, um Herren der Situation zu sein, Meinhard in ihre Gewalt zu bekommen trachteten. Am gefährlichsten war die Lage der Dinge für Rudolf, als Meinhard am 16. Juni 1362 in die Gewalt Herzog Stephans von Niederbaiern geriet. Alles schien damals für ihn auf dem Spiele zu stehen, denn eben zu Gunsten der Herzoge von Niederbaiern hatte Margaretha noch zu Lebzeiten ihres Gemahls ihren Ansprüchen auf Tirol entsagt. Da- mals, so meine ich, eutschloss man sich in der Kanzlei Rudolfs jene beiden auf den Namen Murgaretliens lautenden Urkunden zu dem Zwecke anzufertigen, dieselben im geeigneten Momente Meinhard vor- zulegen und ihn zur Anerkennung derselben zu bewegen 2). Dieselben

1) Vergl. Mitteil, des Instituts 22, 462 ff.

■■') Der Ansicht Lindners (a. a. 0. S. 75 Anm. 2), die Urkunde vom 2. Sep- tember 1359 sei erst nach dem Tode Meinhards geschrieben, kann ich mich nicht anschliesseu. In Betracht kommen könnten dann nur die Tage vom 15. bis 19. Jänner 1363. Frühestens am 15., vielleicht erst am 16. Jänner erfuhr Rudolf Meinhards Tod und am 19. wurde von der Urkunde schon ein Transsumpt ge- fertigt. Während dieser Zeit hatte aber Rudolf Siegel und Kanzlei der Marga- retha keineswegs zur Verfügung, wie Lindner meint, denn die Kanzlei amtirte damals in Bozen und Meran. Auch sehe ich nicht, dass die Urkunde so ganz auf die durch Meinhards Tod geschaffene Lage passt. Wenn es in derselben zweimal (Huber, Vereinigung S. 193 und ähnlich S. 194) heisst: ob das geschehe, . . . daz wir und der durchleuchtig fürst, unser herzenlieber gemahel, march- graf Ludweig von Brandenburg, abgiengen ane leiberben, die wir mit einander gewunnen, und ouch ob unser lieber sun herzog Meinhart abgienge, des got nicht welle, ane leiberben, daz dann etc., so setzt sie vielmehr voraus, dass Mein- hard die andern Mitglieder des Hauses überleben werde.

72 Franz Wilhelm.

wurden bezüglich des Umfauges den Rechten angepasst, welche die Belehnuug, Kaiser Ludwigs vom Jahre 1335 und die Bestätigung dieser Belehnungen durch Karl IV. von 1348 und 1360 den Herzogen von Österreich auf Tirol scheinbar verliehen. Die Grafschaft Tirol und das Land an der Etsch Avurdeu aufgenommen, das luntal dagegen, das den Absichten Kaiser Ludwigs gemäss zu Baiern hätte kommen sollen, wurde fortgelassen. Sie wurden ferner zurückdatirt auf deu 2. be- ziehungsweise 5. September 1359, auf jene Zeit also, da Rudolf und ]\Iargaretha, soweit unsere Kenntnis reicht, zum letztenmal an einem Orte beisammen waren. Ein terminus a quo lässt sich mit Sicherheit freilich kaum feststellen. Es scheint aber, dass die Urkunden im April des Jahres 1362, als Meinhard in Wien weilte, noch uicht vorhanden waren, weil Rudolf sonst diesen günstigen Moment kaum unbenutzt hätte verstreichen lassen. Mit den Herzogen von Niederbaiern er- reichte Rudolf zwar, wie es scheint, mühelos eine Aussöhnung und ein Bündnis, aber eine Ingerenz auf Meinhard hatte er damit nicht gewonnen. Die Vormundschaft über denselben beanspruchten ja die Agnaten Ludwigs von Brandenburg entgegen den klarliegenden An- sprüchen der Mutter auf Grund des bürgerlichen Rechtes i). Ist unsere Vermutung richtig, so wurde uicht lange darauf von einer auf Seiten Margarethens stehenden Partei ein Anschlag gemacht, sich der Person Meinhards zu bemächtigen, was zu einer Entfremdung zwischen Mutter und Sohn führte. Rudolf kam im September abermals nach München. Schon allein die Erwägung, wie gefährlich es sei, hier mit den beiden Urkunden an Meinhard heranzutreten, wie leicht etwas durchsickern und den ganzen Plan vereiteln konnte, musste ihm den Entschluss nahelegen, Meinhard zum Verlassen ßaierns zu bewegen. Dies war für Rudolf um so naheliegender, als damals jene Entfremdung zwi- schen Meinhard und Margaretba zuerst hervortrat. Seit dem. 29. Sep- tember, an welchem Margaretba noch in München urkundet, können wir sie nicht mehr in der Nähe ihres Sohnes nachweisen. Rudolf hatte also auch von dieser Seite nichts mehr zu befürchten. In seinem Interesse und sehr wahrscheinlich unter seiner direkten Einflussnahme ist denn auch die Flucht Meinbards nach Tirol erfolgt

In der Tat scheint Rudolf bald darauf den Versuch unternommen zu haben, Meinhard das Vermächtnis von 1359 zur Ratifikation vor- zulegen^). Ungefähr für die Mitte des Jänner 1363 hatte er mit

') Contenclebant esse tutores et curatores prefati Meinhardi iuvenis tanqnam legitim! tutoi'es secundum legem civilem. Heinrich v. Rebdorf a. a. 0. 4, 548.

2) Vergl. meinen kleinen Aufsatz: Zur Erwerbung Tirols durch die Habs- burger in Mitteil, des Instituts 22, 462 tl'., der zu einer Zeit niedergeschrieben

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 73

Meiubard eine Zusammeukunffc in Bruneck vereinbart, für welche in Tirol schon zu Anfang Dezember 1362 Vorbereitungen getroffen wurden. Bald nach dem 5. Jänner 1363 brach auch Eudolf von Wien auf und nahm die Urkunde vom 2. September 1350 mit. Er war von den hervorragendsten Hofwürdenträgern begleitet; Johann von Gurk, der Hofkanzler, war gewiss mit ihm, vielleicht auch der Hof- meister und der Kammermeister. Da auch auf der Seite Herzog Meinharfls wenigstens Ulrich d. j. von Matsch, Hauptmann und Pfleger von Tirol, au der Zusammeukunft teilnehmen sollte, müssen unter Anderem auch wichtige Gegenstände politischer Natur auf der Tages- ordnung gestanden haben.

Der geplante Tag sollte uicht mehr zustande kommen. Als Herzog Rudolf am 16. Jänner in Lienz im Pustertale augelangt war, hatte er bereits die Nachricht von dem am 13. desselben Monats zu Meran erfolgten Ableben Meinhards. War so der eigentliche Zweck der Eeise Rudolfs vereitelt, so musste es ihm anderseits sehr willkommen sein, dass er im entscheidenden Augenblicke an Ort und Stelle war. Gewiss war er sofort entschlossen diesen günstigen Umstand nach Möglichkeit für sich auszunützen. Dem Grafen Meiuhard von Gorz schreibt er am 16. Jänner, dass er die Reise nach Rodeneck und Mühlbach fort- setzen und sein sowie der Grafen von Görz Interesse dabei im Auge haben wolle i). Es war zwar nun der Fall eingetreten, in welchem die Nachfolge auch in Tirol nach dem Verzichte Margarethens den Herzogen von Niederbaiern gesichert sein sollte. Allein wir wissen, dass zwischen der Markgräfiu und ihren bairischen Verwandten seit der Zeit, da diese ihre Ansprüche auf die vormundschaftliche Regie- rung in Tirol uicht anerkannt hatten, eine Verstimmung platzgegriffen hatte. Bei dieser Sachlage durfte Rudolf immer noch auf einen Erfolg hoffen.

Am 18. Jänner finden wir ihn in Rodeneck, am 19- in Brixen. Hier dürfte er auch Kunde von dem übrigen Stand der Dinge in Tirol erhalten haben. Margaretha hatte sofort nach dem Tode ihres Sohnes die ihr rechtmässig zustehende Regierung in Tirol an sich genommen2). Entweder gelang ihr dies, weil sie sich besonderer

wurde, als mir zwar schon Zweifel an der Echtheit des Vermächtnisses von 1359 auftauchten, ich aber dieselben noch nicht für ausreichend hielt.

') Steinherz, Die Reise Rudolfs IV. nach Tirol im Winter 1363, in Mitteil, des Instituts 9, 460.

2) Vergl. S. 42. Daraus erklärt sich auch die sonst auffallende Erscheinung, ■warum die Herzoge von Baiern sich nicht sofort nach dem Tode Meinhards, der ihnen wohl bald darauf, sicher aber noch im Jahre 1363 gemeldet wurde (vergl.

rji Frau z Wilhelm.

Sympathien im Lande nicht erfreut zu haben scheint, nur durch ausserordentlich umfangreiche Zugeständnisse au eiuen Teil des Adels oder dieses rrewiss nicht energielose aber sehr wankelmütige Weib war im späteren Aller so wenig Herrin ihrer selbst, dass der Adel ihr diese Zugeständnisse abzupressen vermochte. Die am 17. Jänner für ihren Eat mit Vogt Ulrich d. j. an der Spitze ausgestellte Urkunde mit ihren weitgehenden Konzessionen erweist zur Genüge, dass die Eegierung nur nominell ihr gehörte. Bei jeder Verfügung von ir- gendwelchem Belang, besonders aber bezüglich der Zukunft Tirols, war sie an die Zustimmung dieses Rates gebunden. So war sie, die seit dem Tode ihres Gemahls unablässig bemüht war, in Tirol das Heft in den Hähden zu behalten, nun, da es ihr scheinbar gelungen, ein willenloses Werkzeug in den Händen eines allmächtigen ßates geworden, der seine Gewalt in schamlosester Weise ausbeutete. In den vier Tagen vom 17. bis 20. Jänner 1363 sind nicht weniger als 21 Gunstbezeugungen für die Mitglieder dieses Rates, darunter solche von bedeutendem Umfang, ausgestellt worden i). Diese ziffermässige Darstellung zeigt am besten, dass Margaretha nicht mehr Herrin ihrer Entschliessuugen war, sondern dass der Rat einfach Urkunden in ihrem Namen zu seinen Gunsten ausstellte.

Von diesem Stand der Dinge mass Rudolf schon unterrichtet ge- wesen sein, als er am 19. Jänner 1363 zu Brixen durch die Bischöfe Johann von Gurk und Matthäus von Brixen ein Transsumpt des Ver- mächtnisses vom 2. September 1359 anfertigen liess. Der Zweck kann nur der gewesen sein, damit den allmächtigen Rat Margarethens zu täuschen-^). Wir sind freilich über die Vorgänge vor dem 26. Jänner 1363 so ausserordentlich dürftig unterrichtet, dass nur auf indirektem Wege Einiges sich erschliessen, Weiteres sich nur vermuten lässt. Am ausführlichsten berichten darüber noch italienische Quellen, das Addita- mentum primum ad historiam Corthusiorum und Viliaui. Es ist gewiss mit Recht des öfteren betont worden, dass der Wert dieser Quellen zu schwinden beginnt, sobald sie über entferntere Ereignisse berichten. Aber es wird da doch abzuwägen sein, ob diese Gewährsmänner nicht gerade über tirolische Angelegenheiten im allgemeinen ziemlich gut unterrichtet sein konnten. Schon Ficker hat darauf hingewiesen, dass

Westenrieder a. a. 0. Beilage XVI), den Titel eines Grafen von Tirol beilegten, sondern erst im J. 1364. Vergl. Huber, Vereinigung S. 90 Anm. 2.

») Aus dem gleichzeitigen Registerbuche, Cod. 59 des Innsbrucker Statt- haltereiarchives.

2) Nach dieser Richtung ist meine in Mitteil, des Instituts 22, 465 ge- äusserte Vermutung richtig zu stellen.

Die Erwerbung Tirols durcli Herzog Rudolf iV. von Österreich. 75

der Florentiner Felippo Villaui einen interessanten Bericht über die Geschichte der Margarethu Maultasch bringt, „ein merkwürdiges Ge- misch sehr genauer und sehr entstellter Angaben, was sich wohl daraus erklärt, dass damals iu Bozen wie überall, sich Florentiner Wechsler, insbesondere die angesehene Familie der Bocci oder Botsch, niedergelassen hatten, aus deren Briefen er manche genaue Angaben entnehmen konnte, mit denen er dann verband, was man sich sonst über das leichtfertige Treiben der Gräfin von Tirol im Auslande er- zählte" 1). Freilich ist Ficker gerade bezüglich der Ereignisse, welche dem Übergang Tirols an die Herzoge von Österreich vorangingen der Meinung, dass die Darstellung bei Villani unglaubwürdig sei^). Meines Erachtens wird man aber doch nicht ausser Acht lassen dürfen, dass Botsch von Florenz in Bozen sesshaft war, wo die Vorverhandlungen und die Ausferti^jung des Vermächtnisses vom 26. Jänner 1363 statt- fanden, ja dass er sogar zu denen gehörte, welche dasselbe mitbe- siegelten ^). Er konnte also wohl auch über die vorausgehenden Er- eiutjnisse unterrichtet sein. Anderseits sahen wir, wie gut man in Venedig über die nach dem Tode Ludwig des Brandenburgers aus- gebrochenen Streitigkeiten unmittelbar darauf unterrichtet war^). Am 3. Februar 1363 erteilte Margaretha ferner einer von Cane von Verona zum Zwecke von Unterhandlungen mit ihr und Herzog Rudolf abzu- ordnenden Gesandtschaft freies Geleite''). Auch diese Gesandtschaft dürfte Gelegenheit gehabt haben, etwas tiefereu Einblick in den Ver- lauf der voraufgehenden Ereignisse zu gewinnen und Nachricht da- rüber in die Heimat zu bringen. Wird man also diese italienischen Quellen nicht kritiklos hinnehmen dürfen, so wird man dieselben auch nicht ohne w^eiteres bei Seite schieben können. Die Historia Corthu- siorum und Villani sind ülierdies unter jenen Gewährsmännern, welche über diese Verhältnisse genauer informirt sein konnten, zugleich die- jenigen, welche sich darüber frei äussern durften. Hire Darstellung war mit der bisherigen Auffassung der vorbereitenden Ereignisse für die Erwerbung Tirols durch das Haus Habsburg freilich unvereinbar. Wir sahen aber, wie durch den Nachweis der beiden Urkunden von 1359 als Fälschungen eine Reihe von Tatsachen in ganz anderem Lichte erschienen; wir werden also zu untersuchen haben, ob aus diesen Nachrichten die im Einzelnen gewiss vielfach entstellt sind.

1) A. a. 0. S. 128.

2) Ebenda S. 133.

•'') Vergl. Huber, Vereinigung S. 225 und Anm. 1.

•») Vergl. oben S. 60 Anm. 1.

^) Cod. 59 des Innsbrucker Statth.-Arcli. f. 25'.

76

Franz Wilbe m.

sich nicht ein Kern herausschälen lässt, der mit unserer Auffassung der Dinge übereinstimmt.

Die Darstellung gerade bei Villani ist nicht ohne Interesse. Er berichtet, dass Herzog Eudolf der Markgi-äfin vorstellte, die bairische Macht sei so stark, dass sie derselben nicht werde Widerstand leisten können, dass er ihre Angst dadurch verdoppelte, hierauf eine alte von ihm aufgefundene Erbeinigung zwischen Tirol und Österreich vorwies und durch das Versprechen, er wolle ihr bei der Verteidigung seine gesamten Hilfsmittel zur Verfügung stellen, die Übertragung der ganzen Grafschaft an die Herzoge von Österreich und die Aufforderung an die Untergebenen, denselben den Eid der Treue zu leisten erreicht habei). In keiner anderen Quelle finden wir mit Ausnahme der Über- trao-uncT Tirols von diesen Einzelheiten etwas erwähnt. Und doch . findet gerade das Versprechen des Schutzes einen glänzenden Beleg in der Vermächtnisurkunde vom 26- Jänner 1363 selbst: „sunder"

beisst es in derselben „daz dieselben unser vattermage und

erben bey unsern lebenden zeiten uns und alle die egenanten unser _land und lawt und nach unsern zeiten dieselben ir land und laut alz ir selbers ai genlich fürstentum und herschefte, laut und gueter schir- men, versprechen, verantwurten und vertreten und uns halten vestich- leich bey allen unsern alten und pebarten freyhaiten, rechten und gueteu gebonhaiten für allen gewalt und unrecht mit aller irer macht wider allermänklich niemau ansgenomen" 2). Dass dieser Umstand, über welchen die Herzoge von Österreich eine eigene Urkunde aus- stellen mussteu, im Vermächtnis viermal hervorgehoben ist, spricht deutlich genug. Ist auch Baiern nicht ausdrücklich genannt, so kann doch in erster Linie nur daran gedacht sein, weil von vorneherein nur von dieser Seite ein ernstlicher Widerstand zu erwarten war. Man wird also nicht fehl gehen, wenn man mit Villani in Marga- rethens Furcht vor Baiern und in der dagegen von Herzog Rudolf in Aussicht gestellten Hilfeleistung das Motiv für die Übertragung Tirols an Österreich erblickt. Eudolf besass darin eine willkommene Haud-

>) Rudolphus . . . prirauiii fidem fccit, ut (Margarita) crederet ßavaricam potentiam maiovem esse, quam cui illa resistere possit, quo ipso timorem iam ante conceptum in duplum duxit ; subiunxit dein repertas a se tabulas, quibus veteres Austriae duces ac Tyrolis comites pacti sunt, ut qui eorum prior improlis decesserit, alterum superstitem terrarum liaeredeni noininet. Tandem vires suas omnes eins defensioni impendendas adpromisit. Quibus dictis a muliere tiniida ac credula obtinuit, ut comitatui universo praefectus esset et ordo omnis eidem diceret iuramentum. Aus Stoyerer a. a. 0. S. 373.

2) Huber, Vereinigung S. 220; ähnlich S. 221. 222. 224.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. vou Österreich. 77

habe gegen Margaretha, dieser aber blieb kaum eine andere Wahl, wenn sie sich die Kegierung, in Tirol auf Lebenszeit sichern wollte.

Mehr als ein rein formelles Gewicht hat übrigens Rudolf der Einwilligung Margarethens zur Übertragung Tirols nicht beigelegt. Das zeigt sein Schreiben an den Dogen von Venedig vom 1. Februar 1363, in welchem des Vermächtnisses der Markgräfin nicht mit einem Worte gedacht wird^). „Licet dicti comitatus et terrae Athasi virtute paternae consanguinitatis verus et proximior haeres simus et fuerimus, ad laudes tamen eximias teuemur altissimo, quod eandem haereditatem omnis contradictionis semoto scrupulo sumus tam pacifice assecuti. Nam mox post ingressum nostrum in terram praedictam communitas incolarum tam nobilium quam ignobilium iios dominum suum recog- noscentes nobis iuramenta fidelitatis, obedientiae et homagii praesti- terunt, [ei sie dictos comitatum et terram possidemus corporaliter et potenter". Das Schwergewicht wird also hier auf die Anerkennung und Eidesleistung durch die Landsassen gelegt. Am wächtigsten und vielleicht zugleich am schwierigsten mochte es da sein, die Zustim- mung der Räte Margarethens zu erlangen. Ihnen war gerade in dieser Sache durch die Urkunde vom 17. Jänner 1363 das entscheidende Wort zuerkannt worden. Dieser Tatsache gegenüber musste sich Rudolf wohl oder übel dazu verstehen, die Herren für sich zu ge- winnen. Eme Nachricht ähnlichen Inhaltes muss dem Verfasser der Eistoria Corthusiorum, der die Dinge sonst ziemlich verworren dar- stellt 2), zugekommen sein, wenn er schreibt, „et seppe si dolcemente portarsi con i baroni della ditta so eusina" 3). Villani bringt ferner eine Nachricht, die in der bei ihm gegebenen Form unmöglich richtig sein kann: Herzog Rudolf soll der Margaretha eine Erbeiniguug der alten Grafen von Tirol mit dem Hause Österreich vorgelegt haben. Eine solche ist nicht bekannt und nach all dem, was wir sonst wissen, ausgeschlossen. Es muss aber Villani doch zu Ohren gekommen sein, dass eine ältere Verschreibung, welche er dann als Erbeinigung deutete, im Jänner 1363 zu Bozen eine Rolle spielte. Nach allem, was uns sonst bekannt ist, lässt sich aber in Wirklichkeit nur an das falsche Vermächtnis von 1350 denken, welches ganz auf die Anerkennung des Erbrechtes der Habsburger durch Margaretha aufgebaut ist, und das Rudolf kurz zuvor hatte transsumiren lassen.

») Huber, Vereinigung S. 226 Nr. 296.

2) Er verwechselt die Anwesenheit Rudolfs in Tirol im Jänner und Februar 1363 mit jener vom September bis Dezember desselben Jahres.

3) Muratori SS. rer. Italic. 12, 972.

73 F r a 11 z W i 1 li e 1 in.

Für diese Vermutung vermag ich allerdings auch uicht ein direktes Beweismoment anzuführen. Aber wie die Dinge liegeu, lassen sie sich nur unter dieser Yoraussetzuug erklären. Aus Villani wissen wir, dass Eudolf ein älteres Dokument produzirte. Anderseits ist es sicher, dass das Vermächtnis von 1359 für das von 13G3 Vorlage gewesen ist; ganze Sätze stimmen fast wörtlich überein. Der Markgräfiu kann Eudolf das Transsumpt der Urkunde von 1359, über deren Uuechtheit wohl jeder Zweifel ausgeschlossen ist, natürlich nicht vorgelegt haben. Um ihre Einwilligung zu erlangen, standen ihm auch ganz andere Mittel zu Gebote. Es konnte sich dabei nur um den Kat Margarethens handeln. Der Herzog fand in dieser Urkunde ein erwünschtes Gegen- gewicht gegen die Zusage Margarethens, ihr Land ohne Zustimmung des Kates niemandem zu vermacheu, da er diesem gegenüber darauf verweisen konnte, dass Margaretha über den grösseren Teil Tirols ' schon lauge vor dieser Zusage zu seinen Gunsten verfügt habe. Und €s gelang, den Eat Margarethens zu täuschen. Die Unterhandlungen mit demselben dürften schon beendet gewesen sein, als Margaretha iu Bozen eintraft). Die Einwilligung derselben zur Versehreibung Tirols an sein Haus muss Eudolf rasch und ohne besondere Schwierigkeit erreicht haben. Sie fand gegen die Herzoge von Baiern eine will- kommene Stütze in dem ihr ausserdem durch verwandtschaftliche

') Margaretha scheint erst am 24. oder 25. Jänner nach Bozen gekommen zu sein, wenn man ans dem Wechsel der Hände bei den Kegistereintragungen einen Sehiuss ziehen darf. In den Registern Meinhards (Cod. 408 des Wiener Staatsarchives und Cod. 59 des Innsbrucker Staattbaltereiarchives) sind im Ganzen 3 Hände tätig. Hand A nahm alle Registereintragungen bis zur Flucht Mein- hards aus Baiern vor. Sie verschwindet dann ganz und an ihre Stelle tritt in Tirol Hand B. Neben dieser lässt sich zuerst am 2. Dezember 1362 eine dritte Hand (C) nachweisen (Cod. 408 f. 37 Eintragung b), die anfangs nur sporadisch, häufiger erst seit dem 17. Jänner 1363 Eintragungen vornimmt. Nach Mein- hardb Tod können wir Margaretha zuerst am 16. Jänner in Meran nachweisen (Cod. 59 f. 14; 15'; 16, sämtliche von Hand B). Es wechseln dann die Hände B und C. Vom 19. Jänner, als Rudolf wohl noch in Brixen weilte, sind 5 Ur- kunden aus Meran eingetragen, davon 2 von Haud B, 3 von Hand C. Vom 20. Jänner datiren 6 Urkunden aus Meran, 4 vom Schloss Tirol und eine aus Bozen. Die aus Meran und Tirol sind von Hand B, die aus Bozen von Hand C eingetragen. Die in Meran ausgestellten Urkunden sind mit Ausnahme einer einzigen sämtliche Vergünstigungen für die Mitglieder des Rates, die auf Schloss Tirol ausgestellten sind durchwegs für andere Empfänger. Daraus lässt sich wohl schliessen, dass am 20. Jänner Margaretha und ihr Rat zu Meran sich trennten. Der Rat zog nach Bozen, Margaretha nach Schloss Tirol. In ihrem Namen stellte der Rat noch am 20. Jänner zu Bozen eine Urkunde für Perchtolt von Hoheneck (Hand C) aus. Hand B lässt sich zu Bozen erst am 25. Jänner nachweisen; nicht viel früher dürfte auch Margaretha dorthin' gekommen sein.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Itudolf IV. von Österreich. 79

Baude nahe stehenden Herzog Kudolf. So erfolgte schon am 26. Jänner 1363, noch vor Meinhards Beisetzung i), fast ganz auf Grund des einst für die Fälschung vom 2. September 1359 festgelegten Formulars die Ausfertigung des neuen Vermächtnisses, das, weitergehend als das erste, auch das luntal mit Inbegriff-'). Hatte Rudolf überhaupt einmal die Zustimmung des Kates erreicht, so muss es für ihn ein leichtes geAveseu sein, denselben zur Verschreibung von ganz Tirol zu bewegen. Einige von den Häten und zwar gerade die hervorragendsten, wie Ulrich d. j. von Matsch und Petermaun von Schenna, waren selbst im Inntale begütert und es lag daher in ihrem eigenen Interesse, die Einheit des Landes zu wahren. Weil aber das Vermächtnis von 1363 auch auf das Inntal und die bairischen Besitzungen Margarethens aus- gedehnt wurde, ging es, wie schon betont, nicht recht an, in dem- selben auf die Urkunde von 1359 Bezug zu nehmen. Anderseits war es natürlich im Interesse Herzog Rudolfs gelegen, dass die Urkunde von 1359 nicht erwähnt werde, weil sonst der Kaiser gelegentlich der Belehuung mit Tirol die Vorlage auch dieser Urkunde wünschen konnte. Er aber hatte nun, da sie ihreu Zweck in anderer Weise freilich als bei ihrer Verfertigung gedacht wurde erfüllt hatte, allen Grund, dieselbe im Archive ruhen zu lassen.

Herzog Rudolf besass nun eine Verschreibung Margarethens nicht nur über Tirol, sondern auch über die bairischen Besitzungen der- selben. Mit Stolz konnte er am 1. Februar 1363 an den Dogen von Venedig schreiben: „omnes stratae et trausitus de Germania ad partes Italiae porrectae nostrae domiuationi subsunf^) Ein Recht, jetzt schon in die Verwaltung und Regierung Tirols mit einzugreifen, er- wuchs ihm daraus freilich noch nicht, denn der Charakter einer letzt- willigen Verfügung war auch in dieser Urkunde aufrecht erhalten worden. Wir wissen auch nicht, dass Rudolf schon jetzt in dieser

1) Dieselbe erfolgte am 30. Jänner, wie sich aus einem Tj'rolis in die sancti Valentini (Februar 14) 1363 datirten Schuldbrief für Petermann von Schenna »pro marcis V, quas dedit ad cameram domine marchionisse ad sepulturam Meynhardi Brandenburgeusis in tricesimo die (kann nur Januarii ergänzt werden) ergibt. Cod. 408 des Wiener Staatsarchives f, 27.

-) Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einen bisher unbeachteten Ver- merk auf einem der beiden im Wiener Staatsarchiv verwahrten Originale auf- merksam maclien, der philologisch nicht uninteressant ist. Derselbe steht rechts auf der Plica: »Nota informacionem cancellarii Austrie: Wer disen brief iemer gelese, der merche und verste, daz nach der gewonheit des lands ze Payrn an manigen stetten ain lindes . b . geseczet ist für ain zwivalt . w , und hinwider ain zwivalt . w . für ain lindes . b . . Darumb nach bezaichnuzze der worten und des sinues begreift'e das ain ieglicher vernunftiger lese«.

sj Huber, Vereinigung S. 226 Urk. Nr. 296.

30 Franz Wilhelm.

Eichtung etwas unternommen hätte'). Der Rat Margarethens blieb nach wie vor im Amte, aber die Verschleuderung von Gütern und Einkünften an denselben hatte ein Ende erreicht. Dies ist wohl einzig auf die Einwirkung der kraftvollen Persönlichkeit ßudolfs zurück- zuführen. Er muss übrigens von vorneherein nicht gesonnen gewesen sein, sich auf den Adel zu stützen. Denn während den Städten bei seiner ersten Anwesenheit in Tirol im Jänner und Februar 1363 Ver- günstigungen in reichem Maasse zuflössen Bozen, Merau, Sterzing, Innsbruck und Hall erhielten von ihm die Bestätigung ihrer Freiheiten und Privilegien , kennen wir aus dieser Zeit keine einzige Gunst- bezeugung Rudolfs für ein Mitglied dieses Rates, Das muss um so mehr auffallen, als Rudolf, wie darzulegen versucht wurde, das rasche Zustandekommen des Vermächtnisses von 1363 hauptsächlich dem Umstände zu verdanken hatte, dass es ihm binnen Kurzem gelungen- war, die Räte Margarethens für sich zu gewinnen.

Wenn Rudolf die Verschreibung von 1363 in rechtlich unanfecht- barer Weise erlangt hatte, dann konnte er im Februar Tirol ruhig verlassen und das Eintreffen der Vorbedingungen für den faktischen Übergang des Landes an sein Haus abwarten. Ein ernstlicher Wider- stand war nur von Seite Baierns zu erwarten und diesem war das Land bei der Mithilfe Rudolfs, welche er ausdrücklich hatte versprechen müssen, um so mehr gewachsen, als auf dessen Seite auch der Erz- bischof von Salzburg stand.

Dennoch kehrte der Herzog schon im August nach Tirol zurück. Hält man die Tatsache, dass Rudolf seinen Weg diesmal ins Inntal nahm, damit zusammen, dass zur selben Zeit auch Margaretha daselbst weilte^), so ergibt sich, dass diese beiden Reisen in irgend einem

*) Huber ebenda S. 88 führt zwar die Ernennung des Dorapropstes Johann von Lichtenwerth zum Kanzler und des Hildebrand von Firmian zum Hofmeistei* Margarethens auf Herzog Rudolf zurück ; allein der Brixener Dompropst erseheint schon am 19. Jänner 1363, als Rudolf wahrscheinlich noch in Brixen weilte, als Kanzler der Markgräfia (Cod. 59 des Innsbrucker Statth.-Arch. f. 12': Item littera data est filiis quondam Ottonis de Awer pro marcis XXIIllo"" ex parte domini Johanni prepositi Brixinensis, cancellarii domiue marchionisse, pro uno equo^ quem olim Meinhardus dei gracia etc. obligatus fuerat sibi, oomputande de_ theloneo im Lüg. Datum Merano feria V ante Sebastiani anno LXIII), wurde also gleich nach dem Tode Meinhards übernommen, und bezüglich des Hof- meisters lässt sich eine Einflussnahme Rudolfs zum mindesten nicht erweisen.

2) Margaretha war am 20. Juni vom Schloss Tirol aufgebrochen, urkundet am 27. Juni in Mühlbach und aeit dem 3. Juli abwechselnd in Hall und Inns- bruck. Zuletzt finden wir sie am 6. August in Innsbruck (Cod. 59 des Inns- brucker Statth.-Arch. f. 3, 5', 37 und Cod. 408 des Wiener Staatsarch. f. 27, 31,- 36, 43, 45').

Die ErwerViung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. ^\

Zusammenhang stehen müssen. Auf eine Verabredung lässt sich das ZusammentreflFen nicht zurückführen, da die Reise Rudolfs nicht von lanffer Hand vorbereitet war. Seit seiner Rückkehr aus Tirol hielt er sich fast ständig in Wien auf. Am 24. Juli urkundet er in Enns und kehrte dann nach Wien zurück (August 9). Bald darauf muss er nach Tirol aufgebrochen sein, denn die Urkunde der Freundsberger vom 15. August!) hat seine Anwesenheit in Hall zur Voraussetzung. Die Notwendigkeit dieser Reise muss sich für Rudolf also erst nach seiner Rückkehr aus Enns ergeben haben. Es gewinnt den Anschein, er habe von der Anwesenheit Margarethens im Inutal Kenntnis erhalten, die Sache sei ihm bedenklich erschienen und er habe sich zu persön- licher Intervention entschlossen. Gewiss ist, dass die Reise Marga- rethens nicht in seinem Interesse gelegen sein konnte, da sie mit ihren Freunden aus der Zeit ihres Gemahls Ludwig, Konrad dem Kummersbrucker und Konrad dem Frauenberger, von denen wir schon einmal vermuten konnten, dass sie gegen Österreichs Interesse auf- traten und von denen mittlerweile der eine aus der Haft Rudolfs ent- kommen, der andere seine Freilassung erkauft hatte 2), noch jetzt und wie wir sehen werden auch später, in regen Beziehungen stand ^).

Bald nach seiner Ankunft geriet Rudolf durch einen Aufruhr in Hall in Lebensgefahr, aus welcher er durch das Eingreifen der Bürger von Innsbruck und Hall befreit wurde. Wir kennen die Namen der Verschwörer nicht, nur so viel wissen wir aus den Urkunden, in welchen Rudolf die Tatsache erwähnt, dass sowohl einheimische Grosse wie Fremde („Gäste") daran beteiligt waren-^). Unter den letzteren sind ohne Zweifel Baiern gemeint. Die Sache musste Rudolf zu denken geben. Wenn die Stimmung gegen ihn unter dem Adel um sich

1) Huber, Vereinigung S. 232 Reg. Nr. 324.

2) Goswin von Marienberg bei fluber, Vereinigung S. 274.

3) Am 16. März 1363 weist Margaretba dem Richter Rüdlinus in Kitzbühel 8 Pfund Denare für ein Pferd an, welches dieser einem Diener des Jägermeisters (Kummersbrucker) geschenkt hatte (Cod. 59 des Innsbv. Statth.-Arch. f. 28) und am 31. Juli wendet sie sich von Hall aus an die beiden Herren mit einem Auf- trag zu Gunsten des Klosters Ettal (Huber, Vereinigung Reg. Nr. 323). Am 6. Juli schenkt Margaretha zu Innsbruck einem Christan Frauenberger 100 Mark (Cod. 408 des Wiener Staatsarch. f. 36). Eine tirolische Familie dieses Namens kenne ich nicht. Liesse sich erweisen, dass es sich um einen Verwandten des ehema- ligen Hofmeisters Konrad Frauenberger handelt, dann gewänne die Vermutung an Wahrscheinlichkeit, dass Margaretha geradezu behufs Unterhandlungen mit ihren Günstlingen ins Inntal gekommen sei. Begleitet war Margaretha auf ihrer Reise von Petermann von Schenna (vergl. Cod. 408 f. 27 und Cod. 59 f. 3), der mit zu jenen gehörte, welche Rudolfs Strafgericht im Oktober traf.

4) Huber, Vereinigung Reg. Nr. 326, 358, 369.

iüttheUuDgeu XXIY. 6

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Franz Wilhelm.

oriff, wenn sie sich auch den mächtigen Eäten Margaretheus mitteilte, dann konnte die so geschickt und glücklich angebahnte Erwerbung Tirols ernstlich in Frage gestellt werden. So reifte in ihm der Ent- schluss, Margaretha schon jetzt zum Verzicht auf die Kegierung zu bewegen.

Dabei musste Eudolf wohl im voraus auf Schwierigkeiten gefasst sein. Man bedenke nur: Jahre hindurch hatte Margaretha ihrem Sohn gegenüber ihr Anrecht auf die vormundschaftliche Kegierung geltend o-emacht und nun sollte sie ihren Sinn so rasch ändern und ohne zwingende Gründe ihrerseits zu Gunsten Kudolfs auf jeden Einfluss verzichten. Die Angelegenheit nahm dennoch einen raschen Verlauf. Schon am 2. September entsagte die Markgräfin nach dem Kate ihres Kates und der" Landschaft der Kegierung i). Man hat denn auch in verschiedener Kichtung nach einer Erklärung dafür gesucht, dass Mar- garetha sich so rasch zu diesem Schritte entschloss und dieselbe zuletzt in den in der offiziellen Enuutiation angegebenen Gründen gefunden. Die Landschaft sowohl wie Margaretha erklären, die Einsicht, Land und Leute nicht nach Notdurft schützen und die Regierung nicht in wünschenswerter Weise besorgen zu können, sei der Grund zur Ab- dankung gewesen. Der wahre Grund kann dies indessen wohl nicht sein. Gerade zu dem Zwecke, um für ihre Regierung auf Lebenszeit der Mithilfe Rudolfs sicher zu sein, hatte ja Margaretha diesem das Land als unwiderrufliche Schenkung unter Lebenden verschrieben.

Meines Erachtens lässt sich die Sache nicht ohne gewisse Zuge- ständnisse von Seite Rudolfs erklären. Dass solche gemacht wurden, beweist auch die Verzichtleistungsurkunde vom 29. September 1363. Während durch die Fälschung von 1359 und durch die Urkunde vom 26. Jänner 1363 Tirol als Vermächtnis Margarethens an das Haus Habsburof übergehen sollte, haben wir es in dieser Urkunde nicht mehr mit einer blossen letztwilligen Verfügung zu tun. Margaretha behält sich darin für den Fall, dass die Habsburger vor ihr aussterben, den Rückfall Tirols und ausserdem des Herzogtums Kärnten vor. Die Urkunde hat also den Charakter eines Erbvertrages angenommen. Das Zugeständnis ist freilich ein höchst geringfügiges, weil allem menschlichen Ermessen nach die Aussicht auf die Verwirklichung des- selben für Margaretha gleich Null war. Dass man die Sache aber dennoch alles Ernstes in Erwägung zog, beweist der Umstand, dass dieser Vorbehalt mit der Ausdehnung auf Krain noch in eine Urkunde vom 15. Dezember 1364 aufgenommen wurde-).

') Goswin von Marienberg a. a. 0. S. 274. ') Huber, Vereinigung S. 252 Reg. Nr. 418.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. §3

Die Bestimmung der Einkünfte, welche Margaretha nach ihrer Verzichtleistung zufallen sollten, wurde dem Eate und der Landschaft übertragen. Nach dem am 11.' September gefällten Spruch sollte die Markgräfin gegen eine Reihe von Besitzungen und Einkünften in Tirol nicht nur die Regierung dieses Landes niederlegen, sondern gegen Übernahme ihrer Geldschulden durch die Herzoge von Österreich auch auf ihre bairischen Besitzungen Klingen, Wasserburg, Kufstein, Kitz- bühel und Rattenberg verzichten. Man sieht, dass Rudolf auch auf den letzten Punkt Gewicht legte. Das wird begreiflich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass drei dieser Städte, Kufstein, Kitzbühel und Rattenberg in den Händen des Kummersbruckers und des Frauen- bergers sich befanden, von denen zu befürchten war, dass sie beim Ausbruch des Krieges sich auf die Seite der Herzoge von Baiern stellen werden.

Mit diesem Wunsche vermochte Rudolf jedoch bei Margaretha nicht durchzudringen, und die Verhandlungen darüber haben meines Erachtens auch die Ausfertigung der Verzichtleistungsurkunde fast um einen Monat verzögert. Erst am 29. September stellte Margaretha eine Urkunde aus, in welcher sie zwar auf ihr väterliches Erbe (Tirol, Görz, das Land an der Etsch, im Gebirge und im Inntal), nicht aber auch auf ihre bairischen Besitzungen verzichtet. Das war für Rudolf nicht Sicherheit genug. Er musste auf Mittel sinnen, diesen politischen Misserfolg wett zu machen. Das Resultat der bezüglichen Unter- handlungen ist uns erhalten in der Urkunde Margarethens vom 1. Ok- tober 1363 1). Hier verspricht die Markgräfin den Herzogen von Österreich ihre Besitzungen iu Baiern ofien zu halten und ihnen mit denselben gegen jedermann Hilfe zu leisten. Gleichzeitig sagt sie die Herzoge der Verpflichtungen los, welche dieselben durch den Spruch der Landherren vom 11. September übernommen hatten, da sie ihr eine genügende Gabe und Ausrichtung gegeben haben. Waren die Güter, welche Margaretha nach ihrem Verzicht auf die Regierung zufallen sollten, sämtliche in Tirol gelegen, so war zweifellos ihr Aufenthalt daselbst auch nach der Abdankung iu Aussicht genommen. Dem gegenüber verfolgte die Ablösung derselben durch Rudolf meines Er- achtens den Zweck, Margaretha nun zum Verlassen des Landes zu bewegen, was ihm schliesslich auch gelang. Dadurch war wenigstens die Gefahr behoben, welche dem Herzog erwachsen konnte, wenn die Markgräfin iu der Nähe ihrer Günstlinge aus der Zeit Ludwigs von Braudenburs weilte.

*) Huber, Vereinigung S. 235 Reg. Nr. 346.

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Franz Wilhelm.

Den ersten Punkt ihres Versprechens hat Margaretha nicht allziu ernst genommen. Die beiden bairischeu Herren blieben im Pfand- besitze der drei Städte und boten in dem bald darauf ausbrechenden Krieo-e dem bairischen Heere die wichtigsten Stützpunkte. Man mag über die Urteilsfähigkeit des Marienberger Abtes in militärischen Dingen denken wie man will, jedenfalls wird man ihm zustimmen müssen, wenn er die Offenhaltung Battenbergs für die Herzoge von ßaiern durch den Kumraersbrucker als Hauptursache dafür nennt, dass Tirol nun die Schrecken des Krieges fühlen musste^). Margaretha muss also auf das Angebot Konrads von Kummersbruck vom 12. Oktober 1363. er wolle von ihr keine Gülten fordern, wenn sie ihn und den Prauenberger nicht enthause^), wirklich eingegangen sein.

Nun befand sich Eudolf im Vollbesitze der Gewalt im Lande und konnte ohne Gefahr für sich an die Demütigung des mächtigen Adels und an die Revindikation der durch Margaretha an denselben vergeudeten Güter schreiten. Der ehemalige Landeshauptmann Ulrich d. j. von Matsch, der Hofmeister Heinrich von Rottenburg und der Burtro-raf Petermann von Schenna fielen diesem Verfahren zuerst zum

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Opfer; ausser diesen auch viele andere 3). Hand in Hand damit ging die Austeilung reicher Begünstigungen an die Städte, namentlich an jene des Inntals*). Nachdem er dann am ^3. Dezember 1363 den ihm ganz ergebenen Berchtold von Gufidaun zum Hauptmann des Landes bestellt hatte, verliess er durch das Pustertal Tirol. Mit ihm zog Marcfaretha, um fortan ihren Aufenthalt in Wien zu nehmen. Schon

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ein Jahr darauf bereute sie ihren Schritt und suchte aus Wien zu fliehen. Rudolf eilte ihre nach und erreichte sie in Graz, wo sie einen weitgehenden Revers ausstellen musste. Nach Wien zurückgekehrt starb sie daselbst 5 Jahre später. Die Art und Weise wie das Ver- mächtnis von 1363 zustande gekommen war, erklärt auch die von Rudolf nachher noch gegen Margaretha in Anwendung gebrachten Vorsichtsniassregeln.

Wir sind am Schlüsse. Kann der Versuch, die für die Zukunft Österreichs unstreitbar bedeutendste Tat Rudolfs neu darzustellen, nicht in allem und jedem befriedigen, da bei der überaus lückenhaften Über- lieferung, welche die Motive des Handelns oft nur erraten lässt, man- ches noch Vermutung bleiben musste, so ergab sich doch eine Reihe

'j A. a. 0. 276; vergl. Huber, Vereinigung S. 245 Reg, Nr. 393. 2) Ebenda S. 236 Reg. Nr. 355. •'') Goswin a. a. 0. S. 275.

4) Vergl. Hnber, Vereinigung Reg. Nr. 352. 353. 358. 361. 369. 373. 375. 383. 384.

Die Erwerbung Tirols durch Herzog Rudolf IV. von Österreich. 35

Yon der bisherigeu Auffassung abweichender Tatsachen mit Sicherheit. Seit der Zeit, da den Habsburgern die den Luxenburgern feindliche Politik Ludwigs von Baiern zuerst Ansprüche auf einen bedeutenden Teil Tirols verliehen hatte, haben diese das Land nicht mehr aus den Augen verloren. Nirgends lässt sich aber davon eine Spur nachweisen, dass sie ihre Hoffnungen auf die Verwandtschaft mit Margaretha gründeten, die übrigens für den Fall kinderlosen Ablebens zu Gunsten der Erben ihres Gemahls Ludwig auf Tirol verzichtet hatte. Ihre Er- wartungen knüpften sich vielmehr an die Vermählung Margarethens von Österreich mitMeinhard, dem Erben von Tirol. Ludwig der Branden- burger starb vorzeitig und widerrechtlich, weil noch nicht zu seinen Jahren gekommen, folgte ihm Meinhard. Er geriet in vollständige Abhängigkeit zuerst von einem Adelsbund, dann von den Verwandten seines verstorbenen Vaters. Beides war gegen die berechtigten An- sprüche der Mutter und gegen Österreichs Interesse. Dennoch kam es zu keiner gemeinsamen Aktion dieser beiden Faktoren, ein Beweis, dass ein echtes Vermächtnis Margarethens für die Herzoge von Oster- reich damals noch nicht existirte. Die Gruppirung der Parteien lässt uns einen Blick in die Tiefe tun. Margaretha wendet sich an den Kaiser, an ihren Sohn, an die Herzoge von Niederbaiern, aber er- folglos. Ein von ihren Parteigängern möglicher Weise geplanter ■Gewaltakt wurde rechtzeitig entdeckt und unterdrückt. Es kam zu einer Entfremdung zwischen Mutter und Sohn und zu einer Ver- bitterung Margarethens gegen die niederbairischen Herzoge. Nicht ein einziges Anzeichen findet sich dafür, dass die Markgräfin einmal ßudolfs Hilfe nachgesucht hätte.

Dessen Politik war von Anfang an eine selbständige. Vor allem suchte er zu verhindern, dass Meinhard in Abhängigkeit vom Kaiser gerate. Dann kehrte er sich auch gegen die Herzoge von Nieder- baiern. Einen vorübergehenden Erfolg erzielte er im April 1362. Meinhard kam nach Wien und trat dem mit Ungarn geschlossenen Bündnis gegen den Kaiser bei. Nach Oberbaiern zurückgekehrt ge- riet er schon im Juni in die Gewalt der Herzoge von Niederbaieru. Nun, da Meinhard unter dem Einflüsse derjenigen stand, welche für den Fall seines kinderlosen Ablebens bereits ein Anrecht auf Tirol besassen, war für Eudolf die Gefahr aufs höchste gestiegen. Er ent- schloss sich jetzt, dem wirklichen Anrechte der niederbairischen Her- zoge ein fiugirtes entgegenzustellen. Um diese Zeit ist allem Anschein nach das angebliche Vermächtnis von 1351) in der Kauzlei Rudolfs entstanden. In der Voraussetzung, dass Margaretha vor Meinhara sterben werde, sucht es nicht ohne innere Widersprüche gleichsam

36 Franz Wilhelm.

einen Kompromiss zwischen den beiderseitig geltend gemachten Rechten zu konstruiren und stellt sich zu diesem Zwecke auf den Standpunkt der Belehnungsurkunde Ludwigs von Baiern vom Jahre 1335, Die Urkunde bedurfte naturgemäss der Ratifikation Meinhards, Zu diesem Behufe hat Rudolf nach erreichter Annäherung an Baiern seineu Schwager zur Flucht nach Tirol beredet. Das Unternehmen gelang, und bald darauf sollte die Urkunde Meinhard vorgelegt werden. Da starb der juuge Fürst, als Rudolf schon nach Tirol unterwegs war, und Margaretha begann in Abhängigkeit von einem Rat eine schwäch- liche Resierunsf. Diese Verhältnisse wusste Rudolf geschickt für sich auszunützen. Gestützt auf die Verstimmung Margaretheus gegen die Herzoge von Niederbaiern und indem er die mächtigen Räte der Mark- gräfiu durch die falsche Urkunde von 1359 täuschte, erlangte er ein Vermächtnis nicht nur über ganz Tirol, sondern auch über die bairi- schen Besitzungen Margarethens. Es ergaben sich zwar noch Schwie- rigkeiten, als Rudolf aber im Herbst 1363 Margaretha zur Abdankung vermochte und in Tirol ein strammes Regiment aufgerichtet hatte, war ihm der Besitz des Landes so gut wie gesichert.

Die eigenartige Persönlichkeit Rudolfs tritt so auch bei der Er- werbung Tirols scharf in den Vordergrund. Es bedurfte seiner seltenen Initiative gepaart mit wenig Gewissenhaftigkeit in der Wahl der Mittel, um dieses bedeutende Werk durchzuführen. Auch dann gelaug es nur auf Umwegen, Aus dem angeblichen Vermächtnis von 1359, welches das Inntal nicht enthielt, wurde eine Verschreibung über ganz Tirol und die bairischen Besitzungen und diese wurde bald darauf zu einer Art Erbvertrag über Tirol alleiu abgeschwächt. Zeugnis von der Be- deutung, welche die Zeitgenossen dem Werke beimassen, legt die In- schrift auf dem Rudolf ins Grab mitgegebeneu Kreuze ab. Au erster Stelle wird dieses Ereignisses gedacht: „qui probitate sua dominio suo obtinuit comitatum Tyrolensem " . Dem vollen Wortlaut nach wird man den Satz freilich nicht mehr als historische Wahrheit hinnehmen können.

Macliiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians I.

Von

Moritz Brosch.

Zu zweien malen, im Oktober löOl zu Trient und im September 1504 zu Blois, hatte Frankreichs Herrscher Ludwig XII. sich ver- tragsmässig gebunden, seine Tochter Claudia dem Enkel Maximilians I. zu vermählen. Aus beiden Verträgen war dem deutschen Herrscher erheblicher Nutzen geflossen : auf Grund des scheinbar herzlichen Ein- vernehmens mit Frankreich hat er den Widerstand mehrerer Eeichs- fürsten bezwungen und, verführt durch den Erfolg, sich mit Plänen getragen, die auf Herstellung einer Universalherrschaft des Hauses Habsburo- gerichtet waren. Bitter musste seine Enttäuschung sein, als König Ludwig, dem Vertrage von Blois entgegen, schon am 25. Oktober 1505 einen französisch-aragonischen Frieden schloss und im nächsten Frühjahr seine Tochter Claudia, der gegebenen Zusage nicht achtend, dem Herzog von Angoulerje feierlich verlobte. Auf solches hätte Maximilian freilich gefasst sein sollen; denn Vertrags- schlüssen der Mächte folgte damals beinahe unausbleiblich und binnen kurzer Frist der Vertragsbruch, so dass Machiavelli aus dieser stetig beobachteten Grundregel der Kabinetspolitik jener Zeit die Lehre ge- zogen hati): -Ein kluger Fürst kann und soll sein Wort brechen, wenn ihm Worthalten Schaden bringt oder wenn die Ursachen, die ein von ihm gegebenes Versprechen bewirkt haben, nicht mehr vor- handen sind".

') Principe, c. 18.

88 Moritz Bros eh.

Seinem Grimme über Ludwigs Treulosigkeit hat der deutsche König zunächst dadurch Luft gemacht, dass er behufs seiner Kaiser- krönung sich in die Vorbereitung eines Eomzugs stürzte. Aber den Weg übers Mailäudische verlegten die dort gebietenden Franzosen, und den übers Venezianische konnte die Signorie nach freiem Ermessen offenhalten oder schliessen. Was tat Maximilian nicht alles, um die Venezianer auf seine Seite zu bringen oder wenigstens zu erreichen, dass sie ihn unbehelHgt über ihr Gebiet gen Rom ziehen lassen. Er sandte zu dem Ende, im August 1506, vier Botschafter nach Venedig mit dem Auftrage: sie mögen in die Signorie dringen, dass sie den deutschen Truppen Durchzugsrecht und Verproviantirung gewähre. Allein es ward , ihnen ein ablehnender Bescheid. Dann bestürmte er den bei ihm beglaubigten Venezianer Peter Pasqualigo mit Beteuerungen der freundlichsten Gesinnung für die Republik i) : er, Maximilian, werde ihr niemals feindlich entgegentreten, vielmehr alle Unterstützung, nach der sie verlangen könne, ihr augedeihen lassen; Pasqualigo verwende sich aufs dringlichste bei der Signorie, dass sie behilflich sei, an den verräterischen Franzosen, ihren und des kaiserlichen Namens Feinden, Rache zu nehmen. Solche Eröffnungen verfehlten ihren Eindruck auf den Botschafter nicht; er schrieb dem Rate der Zehn: seine kais. Majestät zeige sich der Republik so zugeneigt, wie keinem Staate der Welt; man könne nicht umhin, dies für aufrichtig zu halten, da Maximilian einen Bund mit Venedig sehnlich herbeiwünsche, um durch einen solchen gekräftigt sich für all' die Unbill zu rächen, die ihm die Franzosen angetan haben '^).

Doch Pasqualigo's vertrauensselige Stimmung fand kein Echo iu den Reihen der Signorie. Wenn diese nicht schon gewusst hätte, dass freundschaftliche Gesinnungen zwischen den Mächten sehr rasch mit feindlichen wechselten: so konnte sie solches in dem gegebenen Falle mit Händen greifen. Es war ihr kein Geheimnis geblieben, was vor zwei Jahren in Blois paktirt worden; wie da derselbe Herrscher, der jetzt ihren Beistand gegen Frankreich zu erlangen suchte, einen Bund

1) Dep. Pasqualigo, 10. Jan. 1507 (more ven. 1506), ebne Ortsangabe, walirscheinlich aus Innsbruck; Sriveteli (alla Signoria). da mia parte et certifi- cate! a . . . che fin'che me durera una gioza de sangue non la abandonarö ne mai 11 sarö inimico, anzi sempre sarö presto ad ogni suo bisogno, et pre- gatela cum ogni vra. instanzia et efficacia che nolit me derelinquere . . . me retrovo adesso meglio di 100.000 ducati de contadi li quali per carte non reservo ad altro che al mio venir in Italia, per vendicarme de sti traditori francesi apertissimi iniraici mei et del stato della Signoria. Ven. Arch. Lett. al Cons. X, Germania.

-) Pasqualigo 12. Jan. 1507.

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians I. 39

<Teschlossen hatte mit demselben Frankreich und die Spitze des Bundes geo'en die Eepublik gerichtet war^). Wie hätte sie jetzt Vertrauen zu dem fassen können, der nicht lange vorher sich mit der Absicht ge- tragen, ihr zu entreissen, was sie auf dem italienischen Festlande, von Treviso und Padua bis Verona, ihr eigen nannte; der nun allerdings diese Absicht fallen gelassen hatte, aber gegen Wiederaufnahme der- selben keine nach Lage der Dinge zureichende Bül-gschaft zu bieten vermochte.

Nicht abgeschreckt durch die Erfolglosigkeit seiner Botschafter- Sendung und seiner Eröffnungen au Pasqualigo, trat Maximilian un- ablässig, bis Oktober 1507, mit Forderungen und Bundesvorschlägen au die Signorie, die ebenso unablässig ihnen eine steife, wenngleich überaus höflich gehaltene Weigerung entgegensetzte. Der Form nach verschieden lief eine der Ablehnungen nach der andern immer auf das nämliche hinaus : Maximilian wolle friedlich, ohne Waffenmacht gegen Rom ziehen ; die Signorie werde ihn dann fördern, wie sie nur könne, und o-etraue sich zu verbüro-en. dass solches von andern italienischen Staaten ebenfalls geschehe. Auch eine neue, nach Venedig gesandte königliche Botschaft, die aus drei Personen bestand und abermals einen Bundes- vorschlag überbrachte, konnte nichts ausrichten; selbst das Ansinnen, Venedig möge sich verpflichten einem Eomzug keinen Widerstand ent- gegenzusetzen, wurde zurückgewiesen. Die Signorie glaubte sich ihres Bundes mit Frankreich sicher ein Glauben zu dessen Befestigung Ludwio- XII. durch seinen ordentlichen Botschafter Lascaris und zwei Spezialgesandte in Venedig erklären Hess: er werde aufs wirksamste, durch Truppensendung aus dem Mailändischen der Piepublik Beistand leisten, wenn sie dem römischen König den Weg nach Rom versperren wollet). Der französische Herrscher erreichte mit dieser Erklärung seinen Zweck; denn der Glaube au Frankreichs Bundestreue ward in venezianischen Kreisen ein so starker und dauerhafter, dass selbst der Rat der Zehn, noch gegen Ende Februar 1508, von einer innigsten Vereinigung mit den Franzosen träumte 3). Er wurde bald aus dem Traume geweckt: schon Anfang März muss er die Schreiben erhalten

1) Schon am zweiten Tage nacli dem Yertragsschluss von Blois hatte der venez. Gesandte in Frankreich das wesentliche der gegen die Republik verein- barten Bestimmungen der Signorie gemeldet; vgl. des Verf. P. Julius IL, Gotha 1878, p. 327.

2) Reg. Sen. Secreta, 19. Juni, 12. und 18. Aug. 1507. Yen. Arch.

3) Kui veramente habiamo facte tante e tanto gagliarde provisione, che rasonevelmete non habiamo a dubitar, maxime essendo, come siamo, unitissimi cum la Maesta christianissima ad ogni fortuna comune. Schreiben an den Botschafter in Rom, 22. Febr. 1508: Reg. misti Cons. X. fol. 231.

90 Moritz Broscli.

haben, mit denen Venedigs Botschafter in Frankreich über die Ver- handlung eines französisch-kaiserlichen, gegen die Republik gerichteten Bundes Meldung brachte i).

Den Widerstand der Signorie wollte Maximilian endlich mittels einer vollendeten Tatsache brechen, die sein Durchzugsrecht grund- sätzlich zur Geltung bringe. Er befahl einer Schar der Seinigen, etwa 1000 Mann, über das Gebiet der Republik auf Mantua zu rücken. Allein kaum dass dieselben den Marsch angetreten hatten, ordnete die Signorie an, sie mögen entwaffnet und über die Grenze zurückgewiesen werden. So geschah es auch: sie mussten in kleinere Abteilungen getrennt von dannen ziehen und erhielten die Waffen nicht früher zurück, als bis sie das Venezianische geräumt hatten-).

Um die Zeit dieser verunglückten Expedition wurde Machia- velli von seiner Regierung, an deren Spitze der Gonfaloniere Soderini stand, nach Deutschland entsendet. Mit der Sendung hatte es folgende Bewandtnis. Einen Botschafter an Maximilians Hofe und beim Reichs- tag von Konstanz hielten die Florentiner in Person des Franceso Vettori, der zur antifranzösischen, dem Soderini gegnerischen Partei zählte. Da nun der Reichstag die bekannten, für das Unternehmen des Romzugs scheinbar überaus günstigen Beschlüsse gefasst hatte, ward in Florenz nach längeren Debatten^) die Anordnung getroffen, dass Machiavelli dem Vettori neue Weisungen überbringe. Der Gon- faloniere hat dies nicht ohne Schwierigkeit durchgesetzt offenbar in der /Absicht, sich des ihm ergebenen Machiavelli als Aufpassers über Vettori zu bedienen. Damit aber hat Soderini, wie in manch' anderen Fällen, keine glückliche Hand gehabt. Denn zwischen den zwei in Deutschland ihres Amtes waltenden Florentinern kam es gleich von Beginn und im Laufe dieser Mission zu einem intimen Freund- schaftsverhältnis, welches später ungetrübt durch ihr Leben vorhielt.

Machiavelli reiste am 17- Dezember von Florenz ab; er schlug den Umweg über die Lombardei, Savoyeii und die Schweiz ein : die kürzere Route über das Gebiet der Republik Venedig galt für unsicher, wßil die Kunde von der oben erwähnten Truppensendung Maximilians ins Mantuanische dort weitere Kriegswirren befürchten Hess. In der Lombardei wurdeu alle Durchreisenden französischerseits aufs genaueste untersucht und Machiavelli riss die ihm für Vettori mitgegebene Wei-

') S. P. Julius [[. a. a. 0. pp. 155. 337 ft".

-') Reg. Sen. Secr. ult. Nov. und 9. Dez. 1507. Machiavelli. Legazione all' Imp. Maximiliano, in den Opere ed. Firenze 1876, vol. V, pp. 251. 262. 279.

8) Das Protokoll über dieselben ist veröffentlicht bei 0. T o m m a s i n i , La vita e gli scritti di N. Machiavelli, Torino 1883, I, app. S. 676 ft".

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians I. g|

sung, die er auswendig wusste, in Stücke, damit sie deu Franzosen nicht in die Hände falle. Am 25. Dezember traf er zu Genf ein, von wo er die Schweiz durchquerend die Kichtung auf Tirol einschlug. Seinen Bestimmungsort Bozen erreichte er den 11. Januar 1508. Er hat, seiner eigenen Aussage zufolge, sich nur vier Tage im Schweize- rischen aufgehalten, welch kurze Zeit ihm genügte, in die staatsrecht- lichen und militärischen Verhältnisse der Eidgenossenschaft Einblick zu gewinnen. Das Bild, das er von diesen Verhältnissen in seiner Bozener Depesche vom 17. Januar entwirft, ist unfraglich zum Teile verzeichnet; doch im grossen Ganzen zeigt es trotzdem eine ungemein praktische Auffassungsgabe.

Aktuell war derzeit für die Regierungen monarchischer Staaten die Frage, welches die Waffenmacht sei, die sie bei Ausfechtung ihrer Fehden schweizerischerseits erhalten könnten. Darüber stellt Machia- velli eine Rechnung auf, die mit derjenigen, welche von Vinc. Quirini, dem venezianischen Botschafter bei Maximilian, gegeben wird, sich so ziemlich in Übereinstimmung setzen lässt. Jeder der 12 Kantone, sagt Machiavelli, kann durchschnittlich je 4000 Mann für die Ver- teidigung der Eidgenossenschaft ins Feld rücken lassen, für auswärtige Unternehmen fremder Fürsten bloss zwischen 1000 bis 1500 Maun^). Was letztere Ziffern betrifft, differiren sie nur um ein keineswegs be- deutendes von Quirini's Angaben, der in seiner Depesche aus Konstanz, 19. Mai 1507 eine Liste der Söldner bringt, die jeder der Kantone nach auswärts zu liefern im Stande sei: die stärkste Zahl falle auf Bern mit 2200, die schwächste, je 500 Mann, auf Zug, Glarus, Schaff- hausen; die Gesamtzahl der Schweizer, die ein fremder Fürst sich gewinnen könne, betrage 13-000^). Auf Grund von Machiavelli's Rechnung wären statt dieser 13.000 ihrer 12.000 bis 15.0<>0 anzu- setzen.

über die weitere Frage, unter welcher Voraussetzung die schwei- zerische Hilfe einem kriesrslusticfen Fürsten zu Gebote stehe, wird uns

') Andere Zittern gibt Machiavelli, etwa 10 Jahre später, in den Disc. sopra T. Livio II, c. 12 ; da schätzt er, otienbar übertrieben, die Streitmacht der Schweizer für den Dienst im Innern ihres Landes auf 100.000, für auswärtige Unternehmungen auf 30—40.000 Mann.

2) Quirini's Dep. vom Kaiserhofe finden sich handschriftlich auf der Marcus- bibliothek; sie reichen vom 26. Febr. 1507 (m. v. 1506) bis 21. Nov. d. J. Eine durch Gachard genommene Kopie derselben wird in Brüssel vorhanden sein. Auszüge dieser Quirini-Dep., so weit sie auf den Konstanzer Reichstag Bezug haben, sind in deutscher Übersetzung veröffentlicht worden von Er d man s- dörfer, in den Berichten der sächs. Gesellsch. der Wissenschaften, phil. bist. Klasse, Bd. IX, 57 ff.

•g2 Moritz B r o s c li.

bei Machiavelli eine überraschende, wenngleich nur teilweise richtige Auskunft. Er sagt^): was in der Tagsatzuug (dieta) beschlossen wird, ^as wird auch von allen Kantonen ausgeführt, und kein Kauton würde sich dem widersetzen ; deshalb täuscht sich, wer da glaubt, 4 Kantone seien für Frankreich, 8 für den Kaiser. Solches kann nicht sein, ausser wenn es in der Tagsatzung beschlossen würde, und wenn sie es beschlösse, würde einer der Könige schlecht bedient werden, und schlechter der andere. Man ersieht hieraus, dass Machiavelli die Eid- ß-enossenschaft für einen Staatenbund hielt, über den die Vertretung der Kantone auf ihren Tagen durch Mehrheitsbeschlüsse zu verfügen habe. Allein die eidgenössischen Abschiede erheischten Einhelligkeit der an Vollmachten gebundenen Kantonsgesandten, und die Tagsatzung glich eher einer diplomatischen Konferenz der Abgesandten selbstän- dio-er Staatswesen, als der Vertretung eines Staatenvereins. Wenn aber Machiavelli sich hierüber täuschte, über die praktischen Folgen, die an das ihm rätselhaft gebliebene Verhältnis der Kantone sich knüpfen konuten, tappte er durchaus nicht im Dunkeln. Falls die Tagsatzung, meint er, den beinahe unmöglichen Beschluss fasste, 4 Kantone mögen "zu Frankreich, 8 zum Kaiser stehen, so würde einer der Fürsten schlecht, der andere noch schlechter dabei fahren. Er verwechselt hier Vorgänge, die aus der Haltung einzelner Kantone oder auch der Eisenmächtig-keit der ßeisläufer zu erklären waren, mit Vorgängen, die er fälschlich aus Beschlüssen der eidgenössischen Tage herleitet. Jedermann weiss, und Machiavelli musste es wissen, dass im J. 1500 schweizerische Söldner im Lager Frankreichs wie auch Lodovico Moro's gestanden hatten, und er glaubte sicherlich, dass der Moro von seinen Schweizern an die Franzosen verraten worden. Er wusste ferner, dass bald darauf auch der Herrscher Frankreichs, Ludwig XIL, von seinen Schweizern schlecht genug bedient wurde-). Was er freilich nicht gewusst hat, war, dass eine am 11. März iu Zürich abgehaltene Tag- satzung die schweizerischen Söldner aus Lodovico's Lager, eine zweite am 31. März in Luzern abgehaltene die aus beiden Lagern abberufen hatte; dass ferner diese Beschlüsse zwar den beim Moro stehenden bekannt gegeben worden, aber denen im französischen Lager nicht zugekommen waren, und dass in den Reihen dieser letzteren, dem Könige,

') Dep. aus Bozen, 17. Jan. 1508: üpere ed. cit. V, 254.

-') Kön. Ludwig selbst äusserte desfalls gegen Machiavelli und della Casa: «r habe von den Schweizern vieles zu seinem grossen Schaden ertragen müssen und könne mit ihnen nicht brechen, weil er gezwungen sei, sich ihrer zu be- dienen. S. die von Machiavelli mit eigenhändigen Korrekturen versehene Chro- nik des Vesp. da Terranova und Buonaccorsi's in den Opere, ed. cit. III, 88.

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians L 95

nicht cleai Moro Verpflichteten sich der Schändhche gefunden hat, der den Herzog dea Franzosen in die Hände spielte i).

Wie es zur Zeit mit der Bewerbung Maximilians um den An- schluss der Schweizer an den geplanten Romzug stehe, hat Machia- velli scharfblickend durchschaut. Er sagt in jener Depesche vom 17. Januar: man wisse zwar noch nicht, was die letzte, am Drei- königstag in Luzern abgehaltene Tagsatzung beschlossen hat; doch es sei wahrscheinlich, dass auf derselben, wie auf den früheren, ein Wechselbalg geboren worden, d. h. weder für noch gegen Maximilian etwas rechtes zustande gekommen sei. In der Tat sehen wir aus den eidgenössischen Abschieden, dass auf jenem Tage von Luzern einhellig der Beschluss gefasst ward, in völliger Neutralität zwischen Frankreich und Maximilian zu beharren, beide Könige von Werbungen in der Schweiz abzumahnen und in den deutschen Herrscher zu dringen, er möge während seines Romzugs sich jeder Schädigung des französischen Besitzes in Italien enthalten, widrigenfalls die Eidgenossen ihren Ver- schreibungen mit Frankreich entsprechend handeln müssten^). Auch spätere nach Luzern und Einsiedeln ausgeschriebene Tage brachten kein anderes Ergebnis. Die seit April 1507 fortgesetzten Bemühungen Maximilians um schweizerischen Beistand scheiterten endgiltig auf der in Baden, Juli 1508 abgehaltenen Tagsatzung, die ohne einhelligen Beschluss auseinanderging, keinen weiteren Tag für Wiederaufnahme " der Verhandlung ansetzte und ins freie Belieben der Eidgenossen stellte, es möge „sich jedermann der ding halb versechen nach sinem gefallen und das jedermann truwt, glimpf und Er ze haben"' 3).

Die Lage der Dinge auf dem italienischen Schauplatz der Er- eignisse brachte es mit sich, dass dort ohne tätige Mithilfe der Schweizer weder für Ludwig XII. noch für Maximilian irgend etwas von Belano- und noch weniger von Dauer zu erreichen war. Der deutsche König erkannte dies aufs deutlichste, ja er glaubte, wenn er im Bunde mit den Schweizern stehe, könne es ihm gelingen, den Widerstand der ganzen Welt niederzuwerfen^). Er hatte deshalb den Eidgenossen gar viel angeboten: für jeden der von ihm geforderten Knechte jährlich 41/2 fl. rheinisch, für jeden gerüsteten Reisigen 10 fl.,

<) S. hierüber den unterrichtenden Aufsatz Herrn. Escher's, Der Verrat von Novara, im Jahrbuch für schweizerische Geschichte, Bd. 21 pp. 74 ff.

2) Absch. v. 26. Jan. 1508, in der amtl. Sammlung der alt. Eidgenöss. Abschiede. Luzern 1829, Bd. III, 2, 418 ff.

3) Eidg. Absch. ut supra, p. 430.

*) Se Sforza s. Maesta persuader li principi soi a far mazor e piu potente exei'cito, ed e de opinione che cum la union de Suizari tutto el mondo nou li possi resister. Dep. Quirini, 15. Juni 1507.

^4 M 0 r i t z B r 0 s c h.

ausserdem wollte er sich zur Lieferang von Proviant und Geschützen verpflichten 1), Doch einerseits herrschten Zweifel an Maximilians Zahlungsfähigkeit, andererseits reisten französische Sendlinge, Girolamo Morone und ein Mafrosini, ein Koquebertin und der Bischof von Kieux in den Kantonen herum, freigebig mit Bestechungen, noch frei- gebiger mit Versprechen. Als Quirini auf dem Sprunge stand, das königliche Hoflager zu verlassen, erkannte er, der über reichliche Mittel verfügende Venezianer, genau so wie 27, Monate später der armselig dotirte Machiavelli, dass ein Abschluss der Schweizer mit Maximilian nicht erfolgt war und es nur eitel Flunkerei gewesen sei, wenn die Höflinge das Gegenteil behauptet hatten^).

Längs seiner ßeise nach Bozen traf Machiavelli in Schaffhausen zwei Genueser," die er über die deutschen Küstungen für den Romzug ausforschte ; ebenso hielt er es in Konstanz, wo er nur einen halben" Tag verweilte uud dennoch Zeit fand, zwei Mailänder, einen savoyischen Oesandteu uud den Musiker Heinr. Isaak auszuholen, welch letzterer ehedem, noch zu Lorenzo's des Prächtigen Zeit, auch als Geschäfts- träger Maximilians in Florenz gewirkt und eine Florentineriu gehei- ratet hatte^). Alle diese bestätigten ihm, dass König und ßeichstag einig seien, den Komzug ins Werk zu setzen, die militärische wie die finanzielle Rüstung für denselben zu vollenden. Doch schon den weiteren Depeschen von dieser Mission und den früheren des Vene- zianers Quirini ist deutlich zu entnehmen, dass die autgeworfene Machtfrage mit einer Art von elementarer Gewalt auf eine Geldfrage sich zuspitzte. In dem gegebenen Falle war diese auch sonst gewöhn- liche Metamorphose einer hochpolitischen in eine rein pekuniäre Frage vollends unvermeidlich, weil Maximilian L geradeso wie sein Enkel Karl V., der erste aus Mangel an Sparsamkeit und Voraussicht, der audere aus Überfluss an ihn erdrückenden staatsmännischen Aufgaben uud Sorgen, niemals aus finanziellen Nöten herausgekommen sind.

') Eidg. Absch. p. 377 ff. (6. Juni 1507). Quirini will in seiner Dep. V. 22. Mai wissen, Maximilian habe den Schweizern eine der französischen gleich- . kommende Jahrespension (35.000 scudi) und 4 Sc. jährlich für jeden ins Feld gestellten Manu verheissen; aber in den eidgenöss. Abschieden steht hiervon nichts, und der venez. Diplomat wird in dem Punkte an grosstuendes Hofgerede sich gehalten haben.

-) La Geis. vra. poträ comprendere che non c'e ancora conclusione alcuna tra la predicta Maestä et Suizari, et che quello se e ditto fin mh da tutti in Corte sono stä pavole et zanze. Quirini aus Hall. 20. Okt. 1507.

3) Über den seiner Zeit als Tonsetzer hochberühmten H. Isaak, den einen zufolge einen Niederländer, nach den andern einen Prager, ist zu vgl. die Allg. deutsche ßiogr. XTY, 590 mit Arabros, Gesch. der Musik. III, 380 ff.

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians I. 95

Machiavelli sagt: für deu Romzug habe der Kaiser (was auch Tatsache war) nur 120.000 fl. oder wenig mehr vom Reiche zu er- warten; weitere Beträge würden ihm die Fugger und andere Handels- häuser, denen Grundbesitz in Pfaud gegeben werde, flüssig machen. Genaueres findet sich bei Quirini über die zur Vorbereitung des Rom- zugs unternommenen Kreditgeschäfte. Der Venezianer schätzte die ordentlichen und ausserordentlichen Einnahmen Maximilians auf 400.000 fl., wobei die Einkünfte aus den Niederlanden nicht mit- gerechnet sind, weil diese, 400.000 Dukat. betragend, wenn Maximilian sie ausserhalb des Landes, es wäre denn gegen Frankreich verwenden wollte, von den Staaten rundweg verweigert würden^). Eine andere Schätzung gibt Machiavelli in seinem Juni 1508 erstatteten Schluss- rapport über Deutschland 2): der eigene Staatenbesitz rentire dem Kaiser, ohne dass es der Veranlagung irgend einer Steuer bedürfe, mit 600.000 fl., die kaiserliche Würde mit 100-000 fl. In völliger Übereinstimmung jedoch bezeichnen die zwei italienischen Diplomaten den Finanzstand Maximilians als einen ganz und gar zerrütteten: „Der Kaiser schenkt weg, was er hat, zuweilen auch was er nicht haf^, sagt der eine; „trotz aller seiner Einnahmen, hat der Kaiser nie einen Heller Geldes, und das schlimmste ist, man weiss nicht, wie und wohin die Einnahmen verschwinden", sagt der andere. Ungeachtet peinlicher Geldnot einen Eomzug planen hiess daher aufs Schuldenmachen an- gewiesen sein, und zwar aufs Schuldenmachen im grossen Stil.

Quiririni meldet^); der Erzbischof von Salzburg und der Bischof von Würzburg hätten jeder 100.000 fl. zu 25 Prozent dem Kaiser ge- liehen; auf jede mögliche Weise suche S. Maj. zu Gelde zu kommen: kein Tag vergehe, ohne dass von ihr etwas verkauft oder verpfändet wird. Jakob Fugger überbrachte soeben 80.000 fl. als Pachtschilling für schon ehedem seiner Firma überlassene Bergwerke, und es heisse, der Kaiser wolle alle seine Silber- und Kupferminen gegen eine grosse, in vierteljährlichen Raten zahlbare Geldsumme den Fugger in Pacht geben 4), In Augsburg angelangt erhält Quirini Kunde: für eine Grafschaft, die ihnen verkauft worden, hätten die Fugger neuerdings 50.000 fl. dem Kaiser zu zahlen; ausserdem stehe ein Anlehen von 150.000 fl. in Verhandlung, welches eine Kompagnie von Augsburger Kauf leuten nächsten Lichtmesstermin baar einzahlen solle ; desgleichen werde mit Ulmer Handelshäusern wegen eines weiteren Anlehens unter-

1) Relaz. Quirini, bei Alberi, ser. I, vol. 6, pp. 28 ff.

2) Opp. ed. cit. VI, 316.

3) Depeschen vom 24. Juni und 1. Juli 1507. •») Dep. vom 3. Juli 1507.

96 Moritz Bro seh.

handelt, und die Fugger haben das oben (in der Depesche v. 4. Juli) erwähnte Geschäft wirklich abgeschlossen: sie verpflichten sich für Überlassung der kais. Silber- und Kupferminen 6000 fl. wöchentlich loco Innsbruck zu entrichten^). Über ein Gespräch mit Jakob Fugger selbst berichtet Quirini, vom 18. September: derselbe habe ihm, dem Venezianer gesagt, des Kaisers Majestät könne so viel Geld, als sie nur immer brauche, von Handelskompagnieen in Augsburg, Nürnberg, Ulm und Köln gegen Unterpfand und zu einem Zinsfuss von bloss 5°|o erhalten.

Mit dieser Äusserung aber hat Jakob Fugger über die Wahrheit offenbar hinausgeschossen. Denn wir sehen, dass Maximilian, auf jene deutschen Geldgeber keineswegs Verlass nehmend, eifrig bemüht war» italienische Staaten zu Geldleistungen heranzuziehen. Wie er es Florenz gegenüber hielt, dessen zwei Vertreter, Machiavelli und Vettori, sich . durch beinahe 5 Monate mit nichts als Feilschen über ein Mehr oder Weniger, ein Früher oder Später des der Kepublik angesonnenen Beitrags abzugeben hatten, wird alsbald gezeigt werden. Neben Florenz fiel der Herzog von Ferrara in Betracht, von dem der Kaiser erst 100.000 Dukaten, etwas später, für die förmliche ßelehnung von Keichs wegen, gar 220.000 Dukaten gefordert haben soll 2), Allein diese Italiener wussten aus Erfahrung, dass Maximilian ein vorgehabtes Unternehmen leicht fallen lasse, um sich in ein anderes zu stürzen 3); sie hätten wohl seinen Forderungen entsprochen, wenn der Romzug'^ schon im Laufe gewesen wäre, da er bloss ein Projekt war, suchten sie durch Unterhandlungen Zeit zu gewinnen und dabei ihres Geldes zu sparen. Einzig der Gewaltherrscher von Siena, Pandolfo Petrucci, der malcontenten Sienesen gegenüber die kaiserliche Autorität aus- spielen wollte, hat sich voreilig genug zu einer sofortigen Zahlung herbeigelassen.

Das erste Angebot, welches Vettori auf Grund der ihm von Machiavelli überbrachten Weisungen gestellt hat, ging dahin, dass die florentinische Eepublik zu den Kosten des Eomzugs 40.000 Duk. zuschiessen wolle: die erste Rate im Betrage von 16.000 Duk., wenn

1) Dep. vom 12. August 1507.

2) Quirini 18. Sept. und 11. Okt. An letzt. Orte- heisst es: Ho inteso che la Maestä Ces. ha detto per ultima conclusione al orator ferrarese che sei duca vuol la investitura el debbi trovar 220.000 duc. L' orator veramente prefato dice chel re li ha dimandato nomine mutui summa grande de danari et non speci- fica quanto. Vgl. auch Machiavelli, Dep. v. 24. Jan. 1508, Opp. V, 266.

3) Potria facilmente achader che queso ser. re de romani, el quäl natural- mente de una impresa deliberata salta in una altra, come molte volte ogniuno ha visto, se mutasse de questo suo voler de scender a Roma. Quirini, 5. Sept.

Machiavelli am Hofe und im Kriegslager Kaximilians I. 97

Maximilian in einer ital. Stadt angelangt sei, den Rest in zwei Raten, über deren Fälligkeit eine spätere Übereinkunft getroffen werde. Da- gegen erhob die Republik den Anspruch auf Anerkennung ihres fak- tischen Besitzstands, ihrer kais. Privilegien und auf das Fallenlassen aller o"eo-en sie von Maximilian und früheren Kaisern erflossenen Strafedikte Edikte, deren erstes noch aus der Zeit Heinrichs VII. stammte. Eine definitive Antwort auf diesen Vorschlag ward dem Vettori für den nächsten Tag (18. Januar 1508) versprochen.

Allein am nächsten Tage wurde es Morgen und Abend, und Vettori harrte der in Aussicht gestellten Antwort vergebens. Ebenso vergingen fünf Aveitere Tage ohne jeglichen Bescheid. Vettori führt als Grund der auffälligen Zöger ung an : entweder wolle man bei Hofe die Ankunft des Matthäus Lang abwarten, der um Gelder auf/cutreiben in Aujjsburo; weile, oder es haben Paul Lichtenstein und der Seren- theimer den Aufschub bewirkt, teils um bessere Bedingungen zu er- langen teils um für sich etwas herauszuschlagen. Die Republik ver- stand den ihr gegebenen Wink und ermächtigte den Vettori, auf die Besteclnmg der zwei genannten und eines dritten eiuflussreichen Würdenträgers 800 Dukaten zu verwenden 1). Man sieht, dass es an Maximilians I. Hofe nicht viel anders zuging, wie beim gleichzeitigen französischen, wo ohne Bestechung nichts auszurichten war-), oder wie etwas später am spanischen und englischen, wo Chievres und Wolsej-, allerdings auf grösserem Fusse, über ihr eigenes pekuniäres Interesse eifersüchtig wachten.

Erst am 24- Januar ward dem Vettori statt der verheisseuen Antwort ein Gegenvorschlag: der Kaiser begehre von den Florentinern ein sofort zahlbares Anlehen im Betrage von nur 25.000 Dukaten. Dafür wolle er eine eigenhändifj unterschriebene und mit seinem Pet- Schaft versehene Schrift ausstellen, mit der er sich für die Erhaltung und Sicherheit ihres Staates verbürge, diese Schrift aber nicht ihnen einhändigen, sondern bei den Fucrger hinterleo^en. Des fernereu mögen ihm die Florentiner, wenn er auf dem Romzug begriffen an den Po gelangt sei, ihre Botschafter senden, mit denen er über Haltung und Leistungen der Republik das nötige abschliessen könne ; gelänge dann der Abschluss, so hätten die Fugger jene bei ihnen hinterlegte Schrift an Florenz auszufolgen : geläuge er nicht, so verpflichte sich Maxi-

') Schreiben der florentinischen Balia der Zehn an Vettori, vom 29. Januar 1508, bei Machiavelli, Opp. V. 276.

2) Machiavelli, I. Legazione di Francia, 26. Aug. und 24. Nov. 1500, Opp. TU, 158. 243. Über die Bestechlichkeit Robertets, Chaumonts- und selbs des Kardinals d' Amboise s. Mach. 's III. Legat, nach Frankr. in den Opp. VI, U

Mitthüilungcn XXIV. 7

98 Moritz Bros eh.

milian, die leihweise erhaltenen 25.000 Dukaten der Kepublik binnen Jahresfrist zurückzuzahlen. Als Vettori nach Ende der Audienz privatim mit Lang Eücksprache nahm, konnte er sich nicht enthalten, offen zu sagen: in Florenz würde man allgemein glauben, die 25.000 Dukaten zu verlieren, ohne den Kaiser sich zum Freunde zu u'ewinnen; denn die Eepublik und er, Lang, wissen, wie den Königen Gelder ge- liehen und wie sie zurückgezahlt werden. In einer Nachschrift der aus Bozen datirteu Depesche findet sich die Bemerkung i): Mit 20.000 Dukaten kontant wäre bei diesem Könige mehr auszurichten, als mit 50.000, die man ihm auf Zeit verspräche. Die zwei Florentiner, welche für die Vorgänge in ihrer Umgebung ein offenes Auge hatten, müssen eben erkannt -haben, dass Maximilian, trotz aller Bemühung, aus den früher erwähnten grossen Geldoperationeu mit deutschen Handels- häusern und Bewilligungen des Reiches seinen Bedarf zu decken, empfindlichen Mangel an Bargeld litt. Man könnte sich dies daraus erklären, dass Einzahlungen auf die gemachten Anlehen nur langsam einliefen und das Reich mit den verheissenen Geldleistungen wohl ebenso im Rückstand blieb, wie mit Ausführung der geharnischten, vom Konstanzer Reichstag betreffs der Heeresaufstellung gefassten Beschlüsse. Allein im Grunde genommen bedarf es einer Erklärung- gar nicht, da die kaiserliche Finanzwirtschaft in Maximilians Regie- ruugszeit sich wie gesagt fortwährend und unrettbar in einem bösen Kreise bewegte, den Gegnern des Imperiums zum Hochgeuuss und Spotte. Mild und kaum verletzend klingt desfalls noch die bekannte Äusserung in Machiavelli's Scblussrapport : „Wenn die Blätter der Bäume Italiens ihm (dem Kaiser) zu Dukaten würden, so genügten sie ihm nicht". Schneidender Hohn dagegen spricht aus den Worten, die ein päpst- licher Nuntius König Franz I. gegenüber fallen Hess und dieser in Anwesenheit des venezianischen Botschafters wiederholte: der Kaiser pflege, wenn er kein Geld habe, seine Frau in den Gasthöfen als Pfand zu lassen-).

') Die Dep. von dieser Gesandtschaft, ausgenommen die zwei ersten und die letzte, sind von Vettori unterzeichnet, der Text der Schriftstücke aber ist durchweg, und nicht bloss zum grössern Teile, von Machiavelli's Hand; vgl. hierüber P. Viliari, Machiavelli ei suoi tempi (1. Ausg.) Firenze 1881, II, 67. Ganz davon abgesehen, dass man nicht annehmen kann, Machiavelli habe dem Vettori nur Schreiberdienste versehen, zeigen die Depeschen unverkennbar Spuren seines Geistes.

-) Für den höfischen Ton in Franzens 1. Zeit lautet die Dep. des Vene- zianers bezeichnend: [El Re] intrö poi a dir pur a tal proposito le spese che facevano quelli rev. Cardinali in caze, stravestirsi etc. et j)oi a dir come la terra di Roma era facta molto bella, et esser cosa da vederla, unde el rev. Nunzio

Macliiavelli am Hofe und im Kriegsla<ier Maximilians I. 99

Beinahe wörtlich bekommen wir in der Depesche vom 1. Februar XU lesen, was in der Nachschrift jener vom 24. Januar gestanden hat: Maximilian schätze mehr 10 Dukaten kontant, als 20 auf Zeit. Dann •wii'd berichtet: der Kaiser eröffne einen Tiroler Landtag und lasse hier (in. Trieut) nicht ab, um Gelder zu feilschen, andare limosinando danari. Doch in diesem Schreiben vom 8. Februar stossen wir auf eine Stelle, die den Stempel vom Geiste Machiavelli's trägt und die Lage der Dinge, wie auch den Charakter Maximilians meisterhaft schildert. Sie lautet wie folgt:

„Dass der Kaiser viele und gute Soldaten hat, unterliegt keinem Zweifel; allein wie er sie beisammenhalten mag, das liegt im Zweifel. Denn er kann dies einzig durch Macht des Geldes thun, und einerseits leidet er Not an solchem für seine eigene Person, wenn andere, was man nicht wissen kann, ihn nicht unterstützen; andererseits ist er zu freigebig, so dass Schwierigkeit sich auf Schwierigkeit häuft. Und obgleich Freigebigkeit zu den Tugenden eines Fürsten zählt, ist es doch nicht genügend 1000 Leute zu befriedigen, wenn man ihrer 20 000 bedarf, und Freigebigkeit hilft zu gar nichts, wo die Mittel zum Zwecke nicht reichen. Was seine Regierung betrifft, kann man nicht leugnen, dass er ein Mann von Sorgfalt und im Waffenhand- iverk sehr erfahren ist, auch grosse Anstrengung nicht scheut und grosse Erfahrungen durchgemacht hat; er geniesst mehr Ansehen, als irgend einer seiner Vorgänger seit 100 Jahren, ist aber ein so guter und humaner Herr, dass er leicht zu täuschen ist. Daher kommt es, •dass manche an den Erfolg dieses seines Unternehmens nicht glauben. Alles in Betracht gezogen, muss mau zugleich fürchten und hoffen bei allem, was er vorhat. Was aber diesmal sein Gelingen erhoffen lässt, sind zwei Bedingungen, die in Italien gegeben sind: dass es nämlich

disse : che la ill. Madama sua madre (Luise von Savoyeu) venendo sua Maestä in Italia lo haveva tolto per guida a condurla a Roma. Ditta Maestä rispose : (von hier das weitere in Chiffre) Si. se vui li farete dar lo Imperator per marito, coine me havete promesso. El nunzio devenne rosso et palido in un puncto dicendo : Sacra Maestä questa e cosa grande, et lo ambasciator veneto qui lo hara a male. Dieta Maestä replico : Et che velete vuj tar mentir el Roy '? Sua signoria dixe : Supplico quella che dica in la fazon che io li dixi. Alhora ridendo s. Maestä piii che mal 1' habbia veduto me dixe : Ambasciator tolete tal mie parole in bona parte, chel nunzio me ha dicto, chel Imperator era solito lassar la moier sua in pegno nele hosterie quando non haveva danari, et che hora non havendo moglie era bon darli Madama, azo la impegnasse. Ünde io risposi tuor il tutto in optima parte et aquetato i.anzio se intro in altre cose piü piace-

vole. Giov. Badoer, Paris 16. Oktober 1516 an den Rat der Zehn. Disp. Francia Cons X. Ven. Arch. In einer andern Dep. (ult. Dec.) kommt Badoer au die J^fache zurück.

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VeräuJerungen und Rebellionen ausgesetzt ist und schlechte Soldaten hat. Daher sind die wunderbaren Eroberungen und die wunderbaren Verluste gekommen. Und wenngleich die Frauzosen mit guter Waffen- macht in Mailaud stehen, haben sie doch die Schweizer, mit deren Hilfe sie zu siegen gewöhnt waren, nicht auf ihrer Seite : ausserdem wankt der Boden unter ihren Füssen, so dass am Ausgang der Dinge zu zweifeln ist".

In derselben Depesche, in der Machiavelli seine Beobachtungen also zusamraenfasst. wird auch ein für die deutsche Geschichte nicht unwichtiges Ereignis ganz nebenbei erwähnt oder eigentlich bloss ausredeutet: die Ausrufung Maximilians als erwählten röm. Kaisers. Über den Tag,' an welchem sie stattfand, weichen die Angaben von einander ab : Guicciardini gibt in seiner ital. Geschichte den 3. Februar au, Fugger im Ehrenspiegel des Erzhauses Habsburg den 10. d. M. Beides ist gleich unhaltbar i), und ich glaube, dass die bezüglichen Stellen in Machiavelli-Yettori's Legation, die als Aussagen an Ort und Stelle des Ereignisses anwesender Berichterstatter von entscheidendem Gewicht sind, den (3. Februar als das einzig richtige Datum heraus- stellen. Erst Donnerstag Abends, heisst es in der Depesche vom 8. Februar, ist Maximilian zu Trient eingetroffen, am nächstfolgenden Tage kam es zu einer feierlichen Prozession, die den König unter Begleitung der Herolde nach der Domkirche führte, wo dann nach einer Rede des Matthäus Lang die Zeremonie der Ausrufung stattfand. Bestimmteres über das Datum ist der Depesche vom 7. März zu ent- nehmen, wo es wörtlich lautet: „Der Kaiser liess am 5. vor. Mts. Roveredo durch den Markgrafen von Brandenburg angreifen und schritt selbst des gleichen Tages zum Angriff auf die 7 Gemeinden von Asiago; erst am Abend desselben Tages hat er sich nach Trient zu- rückgezogen. Kombinirt man die zwei Stellen ^). so ergibt sich der 6. Februar als Tag der Ausrufung, ja es zeigt sich, dass es schlechter- dings kein anderer gewesen sein kann. Denn vor dem 5. Abends war Maximilian noch nicht in Trient, und am 7. ist er nach Bozen "aufgebrochen, wo er noch am 10- verweilte.

Da alle Versuche, eine Verständigung mit der Signorie von Venedig zu erzielen, gescheitert waren, hatte der Kaiser mittlerweile die ersten Schritte zur kriegerischen Bedrängung der Republik getan. Aber in Erwägung der Erfolglosigkeit, zu der sie führten und des ümstands,

1) Vgl. desfalls die kritische, nur in'eiiiem Punkte nicht völlig zureichende Auseinandersetzung bei H. He i denheimer, Petrus Martyr Anglerius und sein Opus Epistolar. Berlin 1881 pp. 173 ff.

2) Die stehen in den Opp. V, 284. 296.

Macbiavelli am Hofe und im Kriegslager Maximilians L \(){

dass die Keiclishilfe nur auf sechs Mouate gewährt worden und eine Verlängerung der Frist in unbestimmter Aussicht stand, Hess Maxi- milian nochmals eine Friedensbotschaft nach der Lagunenstadt ab- gehen. Überbringer derselben war Lukas de Rinaldis, ein geistlicher Herr, der früher als kais. Geschäftsträger in Neapel gewirkt hatte i). Als Antwort holte sich dieser vom Senate nur Beschwerden über die von deutscher Seite gegen Venedig im Zuge behndlichen Feindseligkeiten und die so oft gehörte Einladung, Maximilian wolle friedlich, ohne bewafiuetes Gefolge nach Italien kommen. Um die Mitte März war der Kaiser in Kenntnis dieses Bescheids, und nicht ganz drei Wochen später sandte er den Einaldis abermals nach Venedig. Inzwischen war (Anfang April) Riva am Gardasee von den Kaiserlichen belagert worden; aber die im Belageruugsheer anwesenden 2000 Graubündner, denen man weder den verheissenen Sold voll auszahlen noch auch «rehöriffeu Proviant liefern konnte, machten sich bis auf etwa 500 Mann, die man zum Bleiben vermochte, nach ihrer Heimat davon: die Be- lagerung musste aufgehoben werden. So berichten Mach.-Vettori mit ihrem Schreiben vom 16. April.

Über die neuen, dem Rinaldis mitgegebenen Anträge erfahren wir-), dass sie dahin gingen: der Kaiser nehme die Einladung, nach Italien friedlich zu kommen, im Prinzipe an; er wolle mit der Re- publik einjährigen Waffenstillstand schliessen, in den aber Frankreich nicht einbezogen werde, und verlange bloss, dasS man ihn mit 4000 Füsslern und 2O0O Reitern über venezianisches Gebiet passiren lasse. Unverkennbar bedeuteten solche Anträge den Willen zum Nachgeben, zum Fallenlassen oder wenigstens Herabmindern früher gestellter For- derungen, und was den Kaiser dazu bewogen bat, war die prekäre Lage, in der er sich zur Zeit befand. Mit der in Konstanz zugesagten Reichshilfe hatte es ganz genau den Bestand gehabt, welchen der für Frankreich m der Schweiz agitirende Girolamo Morone schon im Vor- jahr prophezeit hatte ■^): die Reichsfürsten sandten ihre Kontingente so lässig, dass die Mannschaft des einen abzog, wenn die des andei'n eingetroffen war und das im Felde stehende Heer stets ein schwaches blieb. Es fehlte au einer Truppenzahl, mit der etwas auszurichten gewesen wäre, und an Geld zur Bestreitung der Kriegskosten. In den kaiserlichen Reihen klafi'ende Lücken, in den kaiserlichen Kassen

3) Von der Sendung geschieht Erwähnung (7. März) in den Opp. 1. c 297.

-■) Aus einem 13. April datirten Schreiben des venez. Senats an den Bot- schafter in Frankreich : Reg. Sen. Secr.

8) G. Morone, Lett. lat. ed. Müller e Promis: das Schreiben an d" Amboise, Zürich IV idus Aug. 1507.

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gähnende Leere. Maximilian begab sich nach Deutschhiud, um den schwäbischen Bund und die Reichsfürsten zu energischem Handeln anzuspornen; aber der Bund zögerte, wahrscheinlich aus Furcht den einträglichen Handelsverkehr mit Venedig ganz einzubüssen'), und die zu Worms im Mai versammelten Kurfürsten erklärten sich ausser stände, ohne den lieichstag etwas zu tun. Nebstdem stürmten auf den Kaiser die Hiobsposten aus Friaul ein. Dort hatte Bartholomäus. d'Alviano, der Feldhauptmaun der Venezianer, nach der (April 1508) vollbrachten Eroberung des Cadore, den Görzer Pass forcirt, alsbald darauf Görz selbst eingenommen und .seinen Vorteil weiter verfolgend, im Zusammenwirken mit venezianischen Galeeren, auch Triest zur Ka- pitulation gezwungen. Man rechnete, dass ausserdem nicht weniger als 40 kleinere Plätze, vom Cadore bis Adelsberg im Karst, dem Kaiser durch Alviano entrissen worden.

Maximilian blieb in der Tat nichts anderes übrig, als die Ver- handlungen über den Waö'eu stillstand, welchen er durcii Kinaldis der Signorie angeboten hatte, ernstlich zu betreiben. Und die Signorie handelte in dem Falle, ihrer sonst mit Recht gerühmten Schlauheit entgegen, nach Art von Leuten, die es eilig haben, für gern achte Beute Sicherung zu gewinnen, ohne die Qualität der ihnen dargebotenen Sicherung aufs genaueste za prüfen.

Zum Ort der Unterhandlung über den Stillstand \vard Riva be- stimmt, wo auch ein Vertreter Frankreichs erschien, das in den Ver- trag, darauf bestand die Signorie unweigerlich, einzubeziehen sei. Der Unterhändler Venedigs war Zacharias Contarini. dessen Vollmacht vom 19. Mai datirt ist. Sie wurde durch ein Schreiben des Senats vom 30. d. M. dahin präzisirt, dass Venedig, welches einen 5jährigen Still- stand begehrt hatte, den Kaiserlichen entgegenkommend auch in einen ojährigen willige; dass ferner auf die Inklusion Frankreichs unab- änderlich zu bestehen und bei der JS^anihaftmachuug ]judwigs XIL vorzusehen sei, dass sie auch alle Bündner desselben einbegreife; wenn aber die Kaiserlichen dies nur für die italienischen, nicht auch für die jenseits der Alpen befindlichen Bündner des französ. Königs wollen gelten lassen, habe Contarini iu den Gesandten Ludwigs zu dringen, sich damit zufrieden zu geben, .,weil die venezianisch-französische Allianz sich nur auf die Sachen Italiens erstrecke" ; äussersten Falls. Avenn Frankreichs Vertreter wegen des Ausschlusses der nordischen Bündner, vornehmlich dos Herzogs von Geldern, seiue Zustimmung

') Rispetto alle uicrcanzie lovo, so drücken Macbiavelli-Vettori es aus. werden die Mitglieder des schwäbischen Bundes sich vielleiclit hüten, dem Kaiser gegen Venedig beizustehen. Dep. v. 28. März, Opp. p. 313.

Machiavelli ain Hofe und im Kriegslager Maxin^ilians I. {()';)

verweio-ere. habe Contariui auch ohne ihn deu Vertrag zu unter- zeichiieu^). Mit einem weitem Schreiben wurde Contarini in Kenntnis gesetzt, dass die in Venedig beglaubigten französischen Gesandten den Ausschluss Gelderns für vernünftig (ragionevole) erklärten; aber der in Riva weilende Vertreter Frankreichs, es war der Präsident Karl Juffre, hielt au der. entgegengesetzten Meinung fest und blieb der Unterzeichnung des Vertrages ferne. Seiner Weisung gemäss schritt Contarini trotzdem zum Abschluss mit den Kaiserlichen (6. Juni), Der also vereinbarte Waffenstillstand sollte für 3 Jahre gelten und die Republik ihre durch Alviano gemachten Eroberungen, das einzige Adelsberg ausgenommen, unangefochten behalten.

Mit einem solchen Vertrag schien und glaubte die Signorie vieles gewonnen zu haben. Und sie hat doch nur den Kaiser aufs tiefste erbittert, dem Herrseher Frankreichs durch xAusschluss Gelderus deu erwünschten Vorwand geboten, seine Allianz mit Venedig zu brechen und dem Papste Julius IL die unablässige Arbeit erleichtert, die er endlich mit der berüchtigten Liga von Cambrai, noch in demselben Jahre 1508, mit Erfolg gekrönt sah.

Vettori suchte, nach Empfang der Nachricht von Abschluss des Waffenstillstands, um seine Abberufung au. Machiavelli bnich, krank geworden, schon den 10. Juni von Trient gegen Florenz auf. Er schrieb, bis Bologna gelangt, von da deu letzten Brief dieser Legation. aus welchem zu ersehen ist, dass die zwei Florentiner vom kaiser- lichen Sekretär Serentheimer gefragt wurden, ob ihre Republik den Wunsch beere, als Bündnerin des Kaisers in der laut des Vertrags ihm (jelassenen dreimonatlichen Frist namhaft gemacht zu werden. Seren- theimer, meinte Vettori, habe dies getan, weil etwas dahinterstecke, wodurch er und ein anderer 1000 Dukaten als Gieschenk zu verdienen hoffen-). Wie oben (S. 97) gezeigt worden, scheint Serentheimer floren- tinisches Geld schon früher angenommen zu haben es mag ihm also der Wunsch nach solchem auch diesmal gekommen sein.

Im Lauf dieser Mission waren Machiavelli und Vettori offenbar klüger gewesen, als ihre eigene Regierung, die sie wiederholt ermäch-,

i) Den aktenmässigeu Beleg für dieses und das näclistfolgemle enthalten die Reg. Senate secr. vom J. 1508. Berichte Contariurs aus Riva finden sich in einem Codex der Markusbibliothek.

2) Die Stelle, an der Mach, diese Meinung des Vettori ausspricht, haben die Editoren nicht abdrucken lassen; sie befindet sich aber, wie es ViUari 1. c. II, 75 bezeugt, im Original des Sclireibens und lautet : Crede Francesco che costui abbi mosso questa cosa, credendo esserne di mezzo qualche cosa; e crede che con 1000 duc. che si dessino fra lui et uno altro. la si coudurebbe. Et pero prego V. S. li ue dieno subito aviso.

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tigt hatte, mit dem Kaiser abznscliliesseu und unter gewissen Bedin- gungen sich ihm zu Zahlungen zu verpflichten. Sie waren, je dring- licher es die Kaiserlichen hatten die, um den Gang der Dinge zu beschleunigen, selbst die Kurriere bezahlen wollten i) aus ihrer Haltung, ihrem fortwährenden Zögern, nicht zu bringen. Immerdar machten sie Einwendungen geltend, sei es wegen Höhe der gefor- derten Summe, sei es wegen Kürze der ihnen zugemuteten Zahlungs- fristen, und niemals Hessen sie es auf den Abbruch der Verhandlungen ankommen. So gelang es ihnen, die Sachen länger als 4 Monate liinzuschleppen, bis dass mit dem venezianisch-kaiserlichen Waffen- stillstand die Entscheidung gefallen war, auch über Maximilians un- aufhörliche Geldbegehren: er konnte jetzt bis auf weiteres anstands- halber unmöglich auf Zahlungen dringen. Die Mandatare der Republik hatten bewirkt, dass sie, die kaiserlicherseits mit Tausenden von Du- katen taxirt war, auch nicht einen Heller ihres Geldes eingebüsst hat. Dieses Endergebnis war die Frucht eines glücklich vollbrachten diplomatischen Kunststücks, mit dem freilich, wie mit allen Kunst- stücken solcher Art, auf die Länge nichts zu erreichen war. Denn bei den Kämpfen, die schon im nächsten Jahre aus der Liga von Cambrai sich entwickelten, musste Florenz doch den Entschluss fassen, dem Kaiser 40.000 Dukaten zu steuern. Und da war es Machiavelli, der die zweite Rate dieser Summe als Zahlmeister nach Mautua über- braclite. Die Florentiner mochten sich trösten, dass Maximilian das Geld gegen das ihnen tödtlich verhasste Venedig verwende 2). Sie hatten wohl keine Ahnung davon, selbst der tiefblickende Machiavelli lies es sich nicht träumen, dass kurze Zeit darnach ein viel schwererer Schlag, als die Ligirten von Cambrai ihn jemals hätten führen können, der Markusrepublik durch Sultan Selim I. werde zugefügt werden. Dieser grossartige Barbar eroberte in den Jahren seit 1012 Mesopo- tamien und Ägypten; er hat damit den letzten Weg versperrt, der über Alexandria, Kairo und Aden führend den Venezianern nach Indien offen gestanden. Die schon ums Kap segelnden Portugiesen, später die Holländer und Engländer versorgten das europäische Festland fortan mit orientalischen Produkten jede Möglichkeit, mit diesen Handelsvölkern in Konkurrenz zu treten, war den Venezianern ab- geschnitten. Der Niedergang des Handels und die Verminderung der

>) Dep. vom 28. März, Opp. 312.

-) Aufs grellste, uiu nicht zu sagen volieste tritt der Ilass der Florentiner gegen Venedig in der Instruktion hervor, die der Gonfaloniere Soderini, Juni 1510, dem Machiavelli für dessen dritte Legation nach Frankreich erteilte; s. Opp. VI, 3.

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Geldmaclit brachten im uatürliclieu Kückschlag auch das Versiegen der politischen Aktionskraft- den langsam, aber stetig sich vollziehenden Verfall der venezianischen Kepublik.

Als Machiavelli, kurz vor Mitte November 1509, sich mit dem Gelde für den Kaiser auf den Weg machte, nahm er auch den Auf- trag mit, von Mantua, wo er es auszuzahlen hatte, nach Verona zu gehen, das den Venezianern im Namen des Kaisers entrissen worden. Dort angelangt, möge er über den Stand der Diüge auf dem Kriegs- schauplatz und die Aussichten der kriegführenden Mächte unauffälliger Weise Erkundigung einziehen.

Die Verrichtung seines Geschäftes in Mantua hielt ihn dort fünf Tage auf: bereits am 23. November sandte er eine Depesche aus Ve- rona den Zehn der florentiuischen Balia ein. Es war inzwischen eine erste günstigere Wendung für die Venezianer eingetreten: sie hatten sich des ihnen kaum verloren gegangenen Vicenza wieder bemächtigt. Machiavelli war )}ur zufällig nach Verona durchgekommen, wohin die Strassen Verbindung veuezianischerseits unsicher gemacht, ja völlig unterbrochen war. Die Behauptung Verona's für den Kaiser hing vom guten Willen der Franzosen ab; wenn diese der Besatzung nicht Sukkurs geschickt hätten, so wären, bei dem Widerwillen der Mehr- heit der Stadtbevölkerung gegen die kaiserliche Herrschaft, Tumulte ausgebrochen, die von den Venezianern zu einem erfolgreichen Augriif hätten benützt werden können. So achildert Machiavelli in jener De- pesche die Lage, und wie richtig er gesehen hat, erhellt aus einem nur um wenige Tage späteren Schreiben des venezianischen General- proveditors Gritti^), in dem es heisst: Wir halten Verona gleichsam belagert, und wenn unsere Truppen ordentlich bezahlt würden, so dass sie dem Kommando Folge leisteten, glaube ich diesem Unternehmen binnen kurzem einen guten Erfolg verheissen zu können; in Verona mangelt es au Proviant, und Bürger wie niedriges Volk sind dort in grosser Verzweiflung über die Misshaudlungen, denen sie von Spaniern lind Franzosen ausgesetzt sind.

') Die handschriftlichen Berichte Gritti's werden im venez. Arch., Biblioteca miscell. im mehreren Bänden aufbewahrt, unter dem Titel Proveditor gen. in terra ferma. Dio oben angezogene Stelle ist aus dem Schreiben vom 3. Dez. und lautet : Sia certa la Sria. vra. che tegnimo Verona quasi assediata, et ha- vendo le zente nre. pagate talmente che se gli possi comandar, io credo potermi prometter fra pochi zorni un bon fine di questa impvesa . . . Sento la terra esser in gran mancameuto de vituarie. li citadini et populo in grandissima •desperazion per li excessivi oltrazi gli sono fati da francesi et spagnoli.

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Des ferneren entwirft Machiavelli ein scharf gezeichnetes, nur hier und da etwas zu lebhaft gefärbtes Stimaiungsbild von Verona und Umgebung. Er sagt: die Adeligen halten zum Kaiser, die Bürger und die unteren Volksklassen sind venezianisch gesinnt, die bäuerliche Be- völkerung, die von der Zügellosigkeit der fremden Soldaten unsäglich zu leiden hat, ist voller Wut gegen Venedigs Feinde, wie es nur die Juden (zur Zeit der Belagerung Jerusalems) gegen die Römer waren. „Ich kann" schreibt er, „nichts anderes sagen, als dass es mit diesem Lande nicht lange also stehen kann, und je länger die Fürsten den Krieg lässig führen, desto heftiger wird der Wunsch der Bewohner uach Rückkehr unter die frühere Herrschaft entbrennen; denn inner- halb der Stadt werden die Leute von der Einquartirung förmlich aus- gesogen, auf flachem 'Lande beraubt oder todtgeschlagen. Und die Venezianer, die das wissen, befolgen eine ganz entgegengesetzte Me- thode: sie schouen die Bevölkerung in einer von Seiten eines Heeres UDglaublichen Weise, so Jass, wenn diese Könige sich einer den an- deren hinhalten, ohne den Krieg energisch und rasch zu führen, Dinge entstehen können, denen zufolge dieses Gebiet schneller, als es verloren ging, wieder gewonnen würde. An anderer Stelle heisst es: die Ve- nezianer erobern hier in der Umgebung so viele Kastelle als sie nur wollen ; der veronesische Adel sendet Frau und Kinder, Hab und Gut nach Mantua, weil er spürt, dass die Venezianer Fortschritte machen, das Landvolk ihnen ergeben ist und der Lauf der Dinge eine uner- wartete Veränderung mit sich bringen kanni).

Alles dieses findet in Gritti's Depeschen teils vollauf seine Be- stätigung, teils seine ursächliche Begründung und nur in einem Punkte an Widerleguns streifende Einschränkung. Bestätigt werden die Partei- nähme des Adels gegen und das werktätige Eintreten des gemeinen. Volkes, insbesondere der Bauern, für die Republik. Die festländischen Adeliocen konnten es eben nicht verwinden, dass sie neben den stolzen Nobili der Dogenstadt eine Art von Adel zweiter Klasse bildeten, so- wohl ihrer untergeordneten staatsrechtlichen Stellung nach, als auch wegen der Unmöglichkeit, mit der durch Handel reich gewordeneu xlristokratie der Hauptstadt zu rivalisiren. Ausserdem lockte diese vornehmen oder sich vornehm dünkendea Herren der Hofdienst, für den es unter venezianischer Herrschaft keinen, unter kaiserlicher mehr oder weniger breit ausgesteckten Raum gab. Offen oder insgeheim hat der festländische Adel das Unternehmen der Feinde Venedig» be- arünstio-t: er musste nun freilich sehen, dass er für eine Sache sich

') iScbreiben vom 26. und "29. Nov., 1. und 12. Dez. in der Legazione a Mautova etc. Opp. vol. V.

Macliitivelli am Hofe und im Kriegslage!- Maximilians [. 107

biossgestellt hatte, deren Aussicht auf Erfolg zu schwinden begann. Allein er konnte nicht zurück, weil er fürchtete, dass ihm die Signorie seinen Abfall bitter werde entgelten lassen. Der General proveditore Gritti erteilte wohl öfter den Kat, es möge den für Maximilian kom- promittirten Geschlechtern die Umkehr leicht gemacht, ja volle Ver- zeihung, selbst Belohnung zugesichert werden, falls sie durch ihren 4nhano- bewirkten, dass in Verona ein Aufstand ausbreche, der den Venezianern die Wiedereinnahme des 'Platzes erleichterte. Aber einer- seits reichte die Macht der Adeligen dazu nicht aus, andererseits hielten sie es doch für das sicherste, gegen jede Wendung des Glückes die Vorsorge zu treffen, dass sie ihre Familien und beweglichen Güter nach Mantua sandten i).

In nicht so völlige Uebereinstimmuug lassen sich die Berichte Machiavelli's mit denen Gritti's in den Punkte bringen, der auf die fanatisch venezianische Haltung der Bauern des Flachlands Bezug hat. Machiavelli war der Meinung, die unerhörten Gewalttaten des Feindes und die unglaubliche Schonung, mit der das Landvolk von den vene- zianischen Truppen behandelt werde, hätten zusammengewirkt, den Bauern Hass gegen die fremden Eroberer und Liebe zu Venedig ein- zuflössen. Nach Gritti's Aussagen war dies keineswegs der Fall. Die Bauern hielten stramm zur venezianischen Herrschaft, aber mit nichteu aus diesem Grunde. Vielmehr bezeugt es Gritti wiederholt und wieder- holt, dass die Soldaten beider Teile sich vor wüsten Ausschreitungen nicht zurückgehalten haben. Er begründet es mit Ausbleiben des Soldes, den die von allen Seiten bedrängte Signorie nicht mit ge- höriger Pünktlichkeit ins Lager senden konnte oder vielleicht aus übel angebrachter Sparsamkeit über Gebür zurückhielt. Es ist wunderbar, schreibt Gritti S. November, ja zu Tränen rührend, wie dieses Land- volk der Signorie anhängig ist; aber unsere Soldaten lohnen es ihm schlecht, fordern und erzwingen ganz Unerhörtes, und wer sie des- halb tadelt oder bestrafen will, dem schreien sie frech ins Gesicht, sie bekämen keinen Sold und müssten ihr Leben fristen, wie's mög- lich ist. Am nächsten Tage hat er zu melden: viele Kompagnien sind weo-eu Ausbleibens der Soldzahlung unzufrieden und erheben ein Geschrei, das furchtbar anzuhören ist; sie schreiten auch zu den schlimmsten Erpressungen, derentwegen zur Rede gestellt sie auf Maugel an Geld sich berufen. In einer Depesche vom 2U. November dieselbe

') Gritti meldet dies aus Lonigo 7. Dez.: E ritornato da Verona qiiel Jacorao famigliar de Galeotto Nogarola . . . Dice haver trovato tutti quelli citadini in grandissima confusione, et beato quelle che puol raandar le sue robe et famiglie verso Mantova. Fünf Tage später meldet Machiavelli dasselbe.

I^Qg Moritz B r 0 s c h. .

Klao-e mit der Erinnerung, in allen seinen Schreiben sei auf promptere Geldsendung gedrungen wordem. Am 27. d. M. hat er dann zu be- richten, äass die Zufuhren ins eigene Lager von den Soldaten ge- plündert werden und die Offiziere, wenn man mit Strafen dreinfahren will, auf Schonung dringen, weil der gemeine Manu sich nicht anders helfen könne. Vollends kläglich lautet Gritti's Bericht vom 5. De- zember. „Diese Nacht", heisst es da, „konnte ich nicht schlafen, denn die Wut der Soldaten, die immerfort nach Gelde schrien, war nicht zu stillen ; Kompagnien des Fussvolks, die man durch etwa 5 Monate ohne Zahlung gelassen, sind der Auflösung nahe, die leichten Reiter desgleichen, und in Verona liegt eine starke Garnison; wenn diese einen Ausfall macht, ist zu befürchten, dass wir Schmach und Schande davontragen. Um Gotteswillen und abermals um Gotteswillen flehe ich die Signorie an, für Zahlung zu sorgen, damit sie sich der Truppen bedienen könne".

Solche Äusserungen Gritti's führen auf den Schluss, dass ohne Löhnung gelassene Venezianer Truppen sich der wehrlosen Bevölke- runsf cpe<Tenüber nicht anders benommen haben als die des Feindes. Und diese Schlussfolgerung wird durch Tatsachen bekräftigt, von welchen der venezianische Rat der Zehn selbst Zeugnis ablegt. Nach- dem die Kaiserlichen Padua's Belagerung aufgehoben hatten, schrieb nämlich der genannte Rat an den Vorstand der befreiten Stadt i): Das schlimme, ja einigermassen feindliche Betragen, das unsere Truppen <lem getreuen Landvolk und den uns ebenso getreuen Stadtbewohnern widerfahren lassen, erfüllt uns mit Entrüstung. Die armen Leute werden ausgeplündert, ihre Häuser erbrochen, der geringen Habe, welche die Feinde ihnen gelassen, beraubt, so dass die Verzweiflung eine allgemeine ist und grösser nicht sein kann. Die Schuldigen sind genau zu ermitteln und exemplarisch zu bestrafen : die Herausgabe des

1) Schreiben v. 17. Okt. 1509 an die Proveditoreu von Padua, Reg. misti Cons. X: Non senza grande displicentia et pariter admiratione intendemo ogni liora se puol dir per diverse vie i sinistri deportamenti et modi quodammodo hostili che . . . vieneno tenuti et servati per i soldati et fanti nostri deli contra 1 nostri poveri contadini ac etiam citadini tanto fideli : derobandoli et per forza delle case loro proprie, tolendoli quel pocho li e restato cum tanta desperatiou universalmente de tutti che mazor esser non potria . . Undeche omnibus optime consideratis havemo deliberato scrivervi le presente cum el cons. nro. di X cum la zonta. volendo et comniettendovi, che omnibus posthabitis dobiate cum ogni diligentia al tutto veder de inteader quelli harano fatto et fanno tal disordini et trovati iarli portar la pena severa et suplicio, che siano exemplo ad altri, facendo restituir ali dannificati tutto ([uello li fasse stä tolto, cum proveder -etiam che nel advenir sia posto tal meta et freno a questi effrenati et disordinati homeni insatiabili.

Machiavelli am Hofe nnd im Kriegslager Maximilians L. 1()9

Geraubten miiss erzwangen und Sorge getragen werdeu, dass den wütig unersättlichen Soldaten Zaum und Zügel angelegt werde.

Aus dem hier Beigebrachten ist ersichtlich, dass Machiavelli mit der Behauptung, die venezianischen Truppen hielten Disziplin und daraus sei die Parteinahme des Landvolks für die Signorie zu erklären, fehlo-eschossen hat. Er glaubte dies, weil er sonst über. die Ursache der ihm auffälligen Erscheinung sich anders nicht Eechenschaft geben konnte. Und diese Ursache liegt zweifelsohne darin, dass Venedigs Herrschaft über seine Besitzungen des italienischen Festlandes seit Menschenaltern, gleichviel .ob hart oder mild, doch immer gesetzlich genau umschrieben Avar und niemand sich darüber täuschen konnte,, die sein wollenden Eroberer Avürden ein nacktes Willkürregimeut führen. Machiavelli hat dies später erkannt und ausgesprochen mit den Worten 1): Alle Städte in Venedigs Umgebung waren gewöhnt, unter Fürsten zu leben, nicht frei zu sein, und darum hat Venedig mit ihnen ein leichteres Spiel gehabt, als Florenz mit seinen Nachbar- orten — es konnte ihnen, lässt er hinzudenken, wenn nicht Freiheit, doch wenigstens einen Grad von Rechtssicherheit gewähren, wie er damals unter Fürstenherrschaften, besonders den italienischen, nicht zu finden war.

Der Angelpunkt, um den sich die Erfolge und Misserfolge im Felde bewegten, ward von Machiavelli getroffen, indem er nach Hause schrieb2): „Es stehen den Venezianern als Feinde zwei Könige gegenüber, von denen der eine den Krieg gern führen möchte, aber nicht fuhren kann, der andere ihn zwar führen kann, aber nicht mag*-. Tatsächlich hat Maximilian, die verlockenden Friedensanbote der Venezianer beharrlich zurückweisend, von den Waffen sein Heil erwartet, ohne sich ihrer wirksam bedienen zu können; hat ferner Ludwig XIL, so kriegstüchtig die Franzosen im Felde standen, wohl für die eigene Sache, aber nicht für die seines kaiserliehen ßündners mit ausreichendem Geld und genügender Mannschaft in den Kampf treten wollen. Die Stimmung, die am französischen Hofe und im französischen Lager über den verbündeten Kaiser herrschte, wird Gian Giacomo Trivulzio, der berühmte Mailänder in Frankreichs Diensten, getreu wiedergegeben haben; er sagte 3): ,Der Kaiser baut Luft- schlösser und wäre imstand, ein Meer von Golde auszutrocknen". Es wj4r eine Stimmung, in der Ludwig XII. kein Bedenken trug,

') Discorsi, HI, 12.

-) Dep. vom 1. Dezember.

8) Vgl. Romanin, Storia doc. di Venezia. V, 273 ft.

j^ ]^0 M 0 r i t z B r o s c b .

Buudesbruch zu begehen, den Kaiser im Stich zu lassen und mit dessen Feinden, den Venezianern, Allianz zu schliessen.

Am i2. Dezember schrieb Machiavelli nach Florenz um die ße- Avilligung zur Heimkehr, da es ganz überflüssig sei, dem Kaiser zu dem nach Augsburg ausgeschriebenen Reichstag zu folgen; denn auf demselben werde nichts anderes herauskommen, als auf frühereu Reichstageu. Dies ist buchstäblich eingetroffen: die Stände bewilligten für den italienischen Krieg eine wie üblich ungenügende Reichshilfe. Machiavelli traf, nachdem sein Gesuch um Abberufung genehmigt worden, am 2. Januar 1510 wieder in Florenz ein.

Die während dieser Mission gemachten Erfahrungen werden in der Überzeugung ihn bestärkt haben, dass Staaten, die ihre Fehden durch Mietsoldaten ausfechten lassen, ins Verderben rennen, dass Re- publiken und Fürstenherrschaften das ihm vorschwebende Milizsystem «inzuführen haben, wenn ihnen Sicherheit und Erfolg werden soll. Die Verwirklichung dieses Gedankens hat er im Laufe seiner Amts- führung mühselig angestrebt und bei seiner Signorie, mit allerdings nur partiellem Erfolge, durchgesetzt. Und als er von den Medici aller seiner Ämter entsetzt worden, hat er eben diesem Gedanken in den Discorsi und der Arte della Guerra, Werken eines steifen Republikaners, so beredte Seiten gewidmet, wie in seinem „Principe", dem Buche, das grauenhaft wahr ein sprechendes Abbild der Politik jener Zeit und •der Gewaltherrschaften aller Zeiten liefert.

Kleine Mitteilungen.

Der Dichter des Waltharius und die Yulgata. K. Strecker hat in seinem gehaltvollen Aufsatze über Probleme der Waltharius- forschuug (Neue Jahrb. f. Phil. III, 573—594. G29— 645) auch auf einige Stellen hingewiesen, welche der Dichter unmittelbar der Vulgata verdankt. Es wäre für einen Dichter des 10. Jahrhunderts jedenfalls einzig dastehend, wenn er sich in seiner Ausdruckweise nicht an die lat. Bibel hielte und ich habe daher schon seit langer Zeit gelegent- lich einiges darauf bezügliche zusammengetragen, was ich jetzt zu- sammenstelle (zugrunde gelegt ist die Ausgabe von R. jilthoff Leipz.

Wiiltli. 103 Qui simul ingenio crescentes mentis et aevo Iiobore vincebant fortes. Luc. 2, 4(i Puer autem crescebat et con- fortabatur, planus sapientia.

111 Kegiuae vultum placavit. 1 Reg. 13, 12 faciem Domini non X^laca vi.

125 Provideat caveatque. Luc. 12, 15 videte et cavete.

138 Amplificabo quidem valde te. Gen. 17, 20 Et augebo et multiplicabo eum valde.

161 Si sero aut medio noctis. Marc. 13, 35 sero an media nocte.

175 confortat corda suorum. Gen. 18, 5 et confortate cor vestrum.

288 Praefinita dies epularum venit. Ezech. 21, 25 venit dies in tem- pore iniquitatis praefinita.

291 velis. 293 bissus compsit et ostrum. 2 Par. 3, 14 velum ex . . Purpura coeco et bysso.

294 laterique . . Assedisse 1 Keg. 20, 25 sedit Abner ex latere Saul.

299 exquisitum fervebat migma. Isai. 30, 24 commistum migma comedent.

344 piscis deglutiat hamum. Jon. 2, 1 piscem . . ut deglutiret Jonam.

382 trabeam discindit. 1 Macc. 3, 47 et disciderunt vestimenta. ^

431 iam vespere tum mediante. Joann. 7, 14 Jam autem die festo mediante.

434 pro naulo pisces declit. Jon. 1, 3 ft dedit naulum eius.

■^12 Kleine Mitteilungen.

450 Conspexique viatorem propere venieutem. Gen. 37, 25 viclerunt

Ismaelitas viatores venire. 45 C) incredibilis formae decorata nitore. Esth. 2, 15 formosa valde et

inc/edibili pulchritudine. 481 Ne tardate viri. Psal. 39, 18 Dens maus, ne tardaveris. 488 coeptis resipiscere non vult. 2 Tim. 2, 26 resipiscant a diaboli

laqueis. 494 specus extat. 49 6 statio latronibus. Matth. 21. 13 fecistis illam

speluncam latronum. 538 ferro vestiverat artus. 1 Reg. 17, 38 vestivit eum lorica. 548 Cruor innocuus me tinxerit, Deut. 21, 9 alienus eris ab iunocentis

craore. 552 Qui me de variis edusit saepe perielis. Deut. 8, 14 qui eduxit te

de terra Aegypti, 1095 Erubuit domini vultum. 4 Eeg. 3, 14 vultum . . regis . . eru-

bescerem. 1128 Insidiisque locum circumspexere. Jos. 8, 9 perrexerunt ad locum

insidiarum. 1154 furis de more per umbras. Job 24, 14 per noctem . . quasi für.

1165 contrita mente. Psal. 50, 19 cor contritum.

1166 üt qui peccantes non vult sed perdere culpas. Ezech. 33, 11 noio mortem impii sed ut convertatur impius a via sua.

Man sieht, dass dem Dichter die Reminiszenzen an die Vulgata am stärksten im ersten Drittel des Gedichtes kommen, dann ver- schwinden sie und nur in dem Gebete verwendet er eine sehr häufig auch bei andern Dichtern vorkommende Bibelstelle. Eingehendere Be- schäftigung dürfte allerdings eine weit grössere Zahl von unmittelbaren Anlehnungen ergeben.

Dresden. M. Manitius.

Zur Frage der Interpolation des PriYilegium minus. In

seiner eben erschienenen Arbeit über das Privilegium Friedrich I. für das Herzogtum Österreich, (Wien, Konegen 1902) hat Wilhelm Erben eine Überprüfung der handschriftlichen Überlieferung jenes Freiheits- briefs vorgenommen, den Kaiser Friedrich I. im Jahre 1156 dem neuen Herzog von Österreich, Heinrich Jasomirgott, erteilt hatte. Erbens Abhandlung, geradezu das Muster einer eben so gründlichen als schwie- rigen diplomatischen Untersuchung, gelangt zum Schluss, dass uns nur der interpolirte Wortlaut des kaiserlichen Gnadenbriefs von 1156 vor- liegt. Als Stellen, die hinterher einseitig verändert worden seien, be- zeichnet er den Satz vom sogenannten jus affectandi, sowie die Ein- schränkung zweier dem Herzoge dem Eeich gegenüber obliegenden Verpflichtungen auf den Besuch der kaiserlichen Hoftage in Baiern und

Zur Frage der Interpolation des Privileum minus. jjv-;

auf Heerfalirten nach den Nachbarlanden. Da uns der Wortlaut des Privilegium minus nicht mehr aus dem Original, sondern nur aus alten ins 13. Jahrhundert zurückreichenden Abschriften bekannt ist. musste Erben bei seiner Untersuchung auf die Heranziehung äusserer Kenn- zeichen einer späteren Zutat verzichten und den Beweis seiner Behaup- tung mühsam durch Vergleichung der überlieferten Form mit andern ürkuudeu derselben Zeit und gleichen Ursprungs, sowie durch Prü- fung, ob der Inhalt mit andern sichern Nachrichten im Einklang stehe, erbringen. Es lässt sich nun nicht leugnen, dass die Stellen im Pri- vilegium minus über die Beschränkung der Pflichten des Herzogs zum Besuch kaiserlicher Hoftage und zur Heerfolge durch ihre objektive Fassung einen sehr befremdlichen Gegensatz zur übrigen Urkunde zeigen, welche den Kaiser als Aussteller durchwegs in erster Person redend einführt. Man muss ferner zugeben, dass sie einen Inhalt haben, der sich mit dem Verhalten der babeubergischen Herzoge geo-enüber kaiserlichen Befehlen bis zum Jahre 1230 nicht vereinigen lässt. Kann somit die Interpolation des Minus, die Erben sehr wahrscheinlich o-e- maeht hat. nicht vor dem Jahre 1230 stattgefunden haben, so sprechen Gründe, die vom Verfasser im Einzelnen auseinander gesetzt werden, dafür, dass sie in den Jahren 1239 1245 vorgenommen wurde. Da nun Erben diese Einschaltungen dem Herzog Friedrich IL zuschreibt. so wäre es für seine Behauptung eine starke äussere Unterstützung, wenn man den Beweis erbringen könnte, dass es noch andere Inter- polationen gibt, die unzweifelhaft auf Befehl des Herzogs vorgenommen wurden. Erben ist auf diesen Punkt nicht weiter eingegangen, ich aber habe ihn hervorgehoben, weil ich meine, solch einen Nachweis schon vor Jahren erbracht zu hüben. Es sei mir gestattet, ihn hier kurz zu wiederholen, weil er in meiner Abhandlung über die steirischen Landhandfesten (erschienen 1872 im 9. Jahrgang der Beiträge zur Kunde steiermärkischer Geschichtsquellen) niedergelegt ist. welche der Verfasser für seine Zwecke heranzuziehen nicht bemüssiorf war.

Es handelt sich um zwei der mehrern Interpolationen, die das steiermärkische Ministerialeu-Privilegium vom Jahre 1186, die soge- nannte Georgenberger Handfeste erfahren hat. Das Original der- selben, das im steiermärkischen Landesarchiv verwahrt wird, zeigt im Texte an zwei Stellen Verweisungszeicheu und ein de est, dann am Schlüsse durch ein hie est und die gleichen Zeichen eingeleitet zwei Zusätze von späteren Händen, welche in den Abschriften der Handfeste in den Text eingeschaltet erscheinen. Von diesen beiden Zusätzen knüpft der voranstehende, mithin früher niedergeschriebene an die Worte des Textes: statu entes ut si ideai dux et filius ejus

iJittheiluQgen XXIV. 8

\14t Kleine Mitteilungen.

Fridericus quibus uostra designavimus nos supervixerint die Fortsetzung au ^nostros iu sua potestatc liabeant adeo, quod si etiam regni gratiaoi amiserint, a nobis sibi col- latos amittere uon valeant qui u. s. w,)>. Der darauf folgende, auch der Schrift nach jüngere Zusatz mit der bekannten Bestimmung <(Si dux idem sine filio decesserit, ministeriales nostri ad quemcunque velint, diver tan t)> gehört seinem Inhalte nach offenbar der Zeit nach dem Aussterben der Babenberger au, fällt also nach 1246, während der vorhergehende ebenso deutlich auf die Vor- gänge nach Achtung Herzog Friedrichs IL durch den Kaiser (Juni 1236) anspielt. Die zeitliche^ Begrenzung dieses Zusatzes von 1236 bis 1246 kann jedoch noch weiter eingeschränkt werdeu, da die stei- rischeu Dieustmaunen im April 1237 vom Kaiser unter Ausstellung eines neuen Freiheitsbriefs zu Keichsministerialen erhoben wurdeu und. erst nach der Aussölinung des Herzogs mit dem Keichsoberhaupt (Weih- nachten 1239) zu ihrem alten Herrn zurückgekehrt sind. Erwägt man, dass die steirischen Ministerialen gerade iu einem solchen Augenblick die meiste Ursache hatten, die Georgetiberger Handfeste als die unanfecht- bare Grundlage ihrer Rechte unversehrt zu erhalten, so wird man die Hinzufüguug einer neuen Bestimmung, welche die seither erlaugte ßeichsministerialität in ihren Wirkuugen ausschliesseu sollte, nur als Ergebnis von Verhandlungen zwischen dem Herzog und seinen Dienst- mannen und als eine der Bedingungen, unter welchen die Unterwerfung erfolgte, auffassen können. Herzog Friedrich II. verlangte, um sich für die Zukunft gegen einen Abfall sicher zu stelleu, die Aufnahme des Zusatzes: <(Nostros u. s. w. bis nou valeaut)> ins Original der Georgenberger Handfeste, das die Ministerialen als Rechtsnachfolger der ursprünglichen Empfänger iu Häudeu hatten. Andererseits mochte ihueu Herzog Friedrich II. für die bewiesene Willfährigkeit ausser seiner Huld auch die Anerkennung einzelner Artikel der kaiserlichen Hand- feste zugesagt haben, deren Auslieferung nicht begehrt wurde, da sich das Original bis heute erhalten hat. Unter solchen Verhältnissen wäre es zwar jnöglich, dass der erwähnte Zusatz nach ^ Vorschrift und unter Übervvachuug durch den Herzog von deu Ministerialen selbst beige- fügt wurde, doch ist es weit wahrscheinlicher,, dass er durch die her- zogliche Kanzlei vorgeuomuien wurde. Eine genaue Vergleichuug der aus der herzoglichen Kauzlei in deu Jahren 1230 1246 hervorge- gangenenen Urkuuden-Originale könnte vielleicht sogar über den Schrei- ber dieses Zusatzes volle Gewissheit bringen. Allein selbst ohne die^e Untersuchungen dürfte schon jetzt der Nachweis erbracht seiu, dass während der Jahre 1239 1246 in einem bestimmten Falle die Inter-

Zu Ansbert.

U5

polation einer älteren Urkunde auf Befehl Herzog Friedrichs U. vor- genommen wurde und dies dürfte hiureicheu, um Erbens Behauptung, der letzte Babenberger habe trotz aller Freude am Waffenhandwerk zweifellos auch diplomatisch zu wirken verstanden und den Wert schrift- licher Aufzeichnungen wohl zu schätzen gewusst (S. 123), vollauf zu bestätigen.

Graz. Luschin V. Ebenereuth.

Zu Ansbert. I. Die Historia PeregTiiiorum und die ur- sprlinglielie Fassung Ansberts. In der „Entstehung der Historia de expeditione Friderici imp. des sogenannten Ansbert" (Mitth. des Instituts XXI, 562—598) im folgenden Sigle EA. ~ habe ich S. 574 ff. zu begründen gesucht, dass die HP. auf eine ursprünglichere Form A.'s Sigle A^^ statt der dortigen A.' zurückzuführen sei, wozu ich hier noch Folgendes auszuführen habe^).

Bezüglich der Interpolationen A.'s aus dem Briefe Kaiser Fried- richs vom IG. Nov. 1189 blieben einige Bedenken bestehen, vgl. EA. S. 577 ff. Aber der Anonymus kennt nicht bloss jene Interpolationen A.'s nicht, durch die dieser die eigene Darstellung des Durchzugs durch die Wasilitzaklause verwirrt, sondern auch HP. Gög ff. (Ankunft des Heeres in der Maritzaebene) hat, nicht so wie A., mit dem Briefe nicht mehr gemein, als was sich bei Erzählung desselben Ereignisses durch mehrere Autoren von selbst ergibt, wie eine Vergleichuug dieser Stellen lehrt'-^) (vgl. hingegen Pannenborg S. 321 und Cb. S. 170).

') Bezüglich der meisten Quellen, Literatur und Siglen siehe obigen Auf- satz, namentlich S. 562 N. 1 und die Nachweise bei Simson (Giesebrecht VI. Bd.) 8. 313 318, 321. Über »Tageno und Dietpold* vgl. mein Gym. Prog. (Nikols- buig 1902).

2) HP. : ,interea nostri effractis et succensis clau surarum repagulis, cum ar mata manu libere transe untes, ingressi sunt terram adiacentem Circuiz terram scilicet planara, fertileni et .moenam etc. -

A.28,,,,_., : JgiturXIIl. r^al. septerabris clusas illas multiplices et perosas suc- censis machinis Grecorum exiuimus, sex ebdomatibus in Bulgaria de Brandiez transmensis, et reperimus terram planam uinetis et Omnibus bonis habundan-

Brief (A. 3U-:,): »ita- que universis claustris per dei gratiam victoriose tran- sitis in terram planam Cir- cuwicz Omnibus bonis re- fertam pervenimus et sie in peregrinatione Bulgariae sex hebdomadas laboriose satis expendimus*.

tem, Circuiz dict;im, etc.

Der Anonymus sagt bemerkenswerter Weise nichts von den 6 Wochen:

auch zeigt die Benennung der Ebene Differenzen: »terram adiacentem Circuiz

. . . . planam' ist »die Ebene, die bei Zirkwitz liegt« (vgl. HP. 70jn f. »adja-

centis provinoiae« d. i. bei Adrianopel); auch Dietpoid (M. 510o) kennt nur eine

8"

]_][g Kleine Mitteilungen.

Ferner fehlen in der HP, jene Interpolationen Ä.'s, die sich auf die Verfolgung und Bestrafung der Wegelagerer beziehen: A27i4_i7 ,nichilominus . . afflicti' (Brief SOpj—gi), A 26i7_9 2 ,iiam iterum , . . exsoluerunt' (Brief 30i 2-18)1 ^- ^G^g—j? 1^ quibus . . . suspensos' (Brief ;iOis_i<,). Das möchte wohl genügen, um zu sagen, die HP. habe bej A. noch keine Interpolationen aus dem Briefe gekannt. Diese Stelleu verdienen aber noch weitere Beleuchtung, weil es sich zeigen wird, dass die HP. die gegenwärtige Form A.'s auch aus anderen Gründen nicht benützt haben kann. Das Tatsächliche der Stelle A.'s wird aller- dings auch von der HP. berichtet, aber sie weiss z. B. (60^7 f.) nichts von den ,, vergifteten'' (toxicatis) Pfeilen der Bulgaren bei A. (nach dem Briefe). Was A. 2617-22 über die Verfolgung unvorsichtiger Pil- ger durch jene Wegelagerer erst auf dem Marsche von Nisch bis Sofia erzählt, bezieht der Anonymus an der genannten Stelle schon auf die Strecke Branitschewo (Brandiz, Brundusium) Nisch, wo bei A. 2031—33 iuinierhin der Ausfall der früheren Darstellung erkennbar ist (bis ,ferirent'). Warum A. die Verschiebung von S. 20 auf S. 26 vornahm, ist aus dem Zusammenhange der entsprechenden Stelle im Kaiserbriefe mit der unmittelbar anschliessenden betreffs der an einem Tage, an einem Galgen vollzogenen Exekutionen ersichtlich. Letzteres war allerdings erst nach Nisch geschehen; A. mochte aber die voraus- gehenden Worte des Kaisers über jene Verfolgung unvorsichtiger Pil- ger auf die nachfolgenden Exekutionen beziehen, ohne zu bedenken, dass der Kaiser über alles, was sich auf dem Wege von Belgrad Branitschewo Nisch Sofia vollzogen, summarisch, ohne Differenzirung der einander ähnlichen Ereignisse berichtet hatte. A, erzählt, dass von den Wegelagerern mehr als 50 durch den Herzog von Meran und den Bischof von Passau verwundet und 24 hievou au einem Galgen aufgeknüpft wurden, dann (S. 2627—33) ^^^ ^^"^ Vogte Friedrich von Berg, dass er einen Feind an demselben Baume aufknüpfte, von dem dieser die Pilger beschossen hatte. Auch habe der Vogt noch sechs an- dere Unholde auf gleiche Weise bestraft. Dann folgen Taten des Herzogs von Schwaben, des Grafen von Sein und eines kranken Ritters (beide zur Abteilung des Kaisers gehörig) S. 2633 27ii. Das

Ortschaft dieses Namens; es ist ein Kirchenort: tzerkwitzai, Deminutiv von tzerkwa, neubulg. tscherkwa: Kirche (Mitteihing Prof. C. Jireceks), bei der das Heer die unbekannte Ebene betrat, was den Kaiser wohl veranlasst haben mag, dieselbe nach dem ersten grosseren Orte zu benennen (vgl. TuUner Feld, Lüne- burger Heide u. a.), und so drückt sich auch A. aus, obwohl er mit sdictam" andeutet, dass dies auf eine Autorität hin geschieht, während er (A'>) ursprüng- lich sich ebenso wie die HP. ausgedrückt haben wird, d. h. nur eine Ortschaft des Namens kannte. Wo diese Ortschaft gelegen, ist noch unsicher.

Zu Ausbert, j^l^'J'

alles steht nicht im Briefe > hievon erzählt die HP. die Tat des Kranken zur ersten Klause hinter Nisch, jene Exekution, ausgeführt vom Merauer, zur zweiten (S. 62i2 ff- und 623;. ff.). Vom Bischöfe, vom Herzog von Schwaben, vom Grafen von Sein, vom Vogte hören ^vir aber nichts. Auch difierenzirt der Anonymus nicht, sondern zählt einfach 30 Gehängte (im Briefe 32, bei A. 24 -f 1 + 6 == 31). Simson S. G97 Z. 11 meint, die HP. habe die 6 durch den Vogt ge- hängten Leute zu den 24 anderen hinzugezählt. Warum sollte aber der Anonymus hier die Verdienste des Vogtes unterdrückea, wenn er es sonst nicht tut? Wo bleibt übrigens der eine schon vorher vom Vogt exekutierte Unhold? Die Lösung bietet die HP. an einer frü- heren Stelle (6024-27) zwischen Branitschewo und Nisch, wo sie, au- kliugend an die oben zitirte Stelle A.'s (2637 ff.) die indessen nicht im Briefe steht zusammen mit der schon bemerkten Notiz über die unvorsichtigen Pilger auch das genannte Stücklein des Vogtes vorbringt. Das eine wie das andere wird also auch A'' schon vor Nisch berichtet haben. Da aber A. der vierten und letzten Heeres- abteilung angehölte 1), so hat er auf dem Wege von ISisch bis Sofia das, was die dritte Abteilung unter Befehl des Merauers tat, nicht mit- erlebt, musste aber einen Tag später die 30 an einem Galgen hängen sehen, glaubte also, dass dies das Werk der Meraner sei (Fassung der HP. und A^). Später, wahrscheinlich zu Philippopel, musste ihm, als Passauer, bez. österreichischen Kleriker, bekannt werden, dass jene Exe- kution vom Meraner und Bischof Dietpold von Passau veranlasst wurde und dass auch sein Liebling, der Vogt, 0 Unholde vernichtet

1) Bischof Dietpold (M. 509..4_4,) sagt zur 2. Klause (4. VIII. 1189), er sei mit dem Herzog von Meran und nur 12 Begleitern zur Abendzeit »circa horam vespertinam« die Nachhut bildend ^extremos societatis custodientes" von den Bulgaren überfallen worden, von denen sie 24 Vervi^undete ins Lager schleifen und dort aufhängen Hessen. Es muss also um diese Zeit die ganze Abteilung schon das Lager bezogen gehabt haben, d. h. getrennt von der 4. Abteilung (des Kaisers) genächtigt haben. Auch sagt Dietpold (M. ÖIO.), dass erst nach dem 16. August wieder eine A^ereinigung mit der kaiserlichen Abteilung erfolgte ; jibique (hinter der Wasilitzaklause) societas domini imperatoris nobis iuncta fuit*. Endlich 'sagt A. 27, der Abt Eisenreich von Admont sei am 10. August gestorben und am 11. durch den Bischof von Meissen bestattet worden; der Leichnam war also die Nacht über im Lager. Wäre nun die 3. mit der 4. Ab- teilung vereinigt gewesen, so gebürte die Ehre der Bestattung viel mehr dem Bischöfe von Passau oder dem von Würzburg. Aber keiner von den G Bischöfen der 3. Abteilung, sondern eben der Meissener von der 4., der nur noch der nichtdeutsche Erzbischof von Tarentaise angehörte, vollzog den Akt; vgl. A. 25 f. In der Tat traf Dietpold mit der 3. Abteilung am IL, Ansbert mit der 4. erst am 13. August zu Sofia ein; vgl. ,/rageno und Dietpold . . . .% S. 14 fi'.

\-^^ Kleine Mitteilungen.

habe. So mochte er bei der Umarbeitung seines Berichtes nicht bloss jenen Bericht richtig gestellt, sondern damit auch jeue frühere Er- zählung über den Vogt verschmolzen haben, so dass die Exekution an einem Feinde der an den 6 andern voranging und statt der Gesamt- summe von früher (30) jetzt die von 31 Gehängten resultirte. A. er- reichte damit einen doppelten Vorteil: er brauchte Gleichartiges nicht wiederholen (ein Seitenstück zu dem von A. beliebten Vorgange gegen- über dem Berichte über den Leichenfrevel EA, S. 579) und setzte die Taten seines Lieblings, des Vogtes von Berg, inmitten der Taten der übrigen Kreuzfahrer ins günstigste Licht.

Was ich also in EA. bloss betreffs einer Stelle nachgewiesen zu haben glaube, dass nämlich der Anonymus die von Chroust N. A. XVL S. 523 in erscliöpfender Weise angegebenen Interpolationen A.'s aus dem Kaiserb riefe nicht gekannt haben kann, gilt nun auch bezüglich aller jener Interpolationen, die der Darstellung der Ereig- nisse von Belgrad bis zu jener Stelle (Wasilitzaklause, Trajanstor) an- gehören. Die späteren Interpolationen A.'s sind nur geringfügig; eine Benützung derselben durch die HP. ist nicht nachweisbar. Damit ent- fällt das wichtigste Bedenken gegen meine Annahmen in EA. Augen- scheinlich hatte A^'. den Brief Friedrichs weder im ganzen noch inter- polationsweise benützt, sondern dies für die Umirbeitung seines Be- richtes aufgeschoben, wobei er ja diesen auch noch in anderer Weise erweiterte, vgl. EA. S. 576 al. 2 u. S. 570 al. 1. Er hatte sich ja auch der Benützung Tagenos ursprünglich fast ganz enthalten (EA. S. 583 al. 3 ff.)- Da man aber nicht annehmen kann, dass A. bei der Umarbeitung jenen Brief sowohl im ganzen wie auch interpolirend benützt.haben sollte, so muss mau sich die Interpolinmg des ganzen Briefes erst bei einer dritten Redaktion des Berichtes vorgenommen denken, womit übereinstimmt, dass dieser Brief wie 4 andere in der Form des Grazer Fragmentes fehlt, obwohl diese schon der zweiten umgearbeiteten Form A.'s zugehört, vgl. EA, S. 594 al. 1 und al. 3 t

Es zeigt sich, dass der Bericht A.'s von Belgrad bis zur Ankunft in der Maritzaebeue (bei Zirkwitz) im Verhältnis zu dem Dietpolds, eigentlich Tagenos (M. 509 f. und T. 407 ff.), weniger als chrono- logischer Bericht denn als pragmatische Darstellung erscheint; beson- ders der über den Durchzug des Heeres durch die Klausen von Nisch bis Zirkwitz ist gegen jenen dürftig zu nennen, summarisch und teil- weise sogar konfus. Kann der ursprüngliche Bericht A.'s, der docii Teilnehmer am Zuge war, ebenso gehiutet haben? Es wurde indessen von mir schon angedeutet (oben S. 116 und in EA. S. 578 f.), dass sich A. sowohl wörtlich wie sachlich durch den ebenfalls sehr sum-

Zu Ansbert. ;119

marischea Bericht des Kaisers leiten liess; die Frische und Ursprüng- lichkeit A.H musste so verloren geheu. Da aber die HP. trotz der stark geänderten Form A.'s noch immer auch in diesem Teile viel- fach, wörtlich und sachlich, rait-A. übereinstimmt, dieser aber (viel- mehr A.^) die Hauptquelle "der HP. ist, so möchte ich schliessen, dass wir in der HP. den ursprünglichen Bericht A.'s über die Klausen von Niseh bis Zirkwitz wiederfinden. Während nämlich Dietpold im gan- zen 3 Engpässe zählt und sie genau auseinanderhält (Autbruch von Nisch am 30-, 1. Engpass am 31. Juli, 2. am 4. August, Ankunft in Sofia am 11., 3. Engpass, Wasilitzaklause, am 16. August) ergibt sich aus der summarischen Darstellung A.'s nur die Passiruug von 2 Eng- pässen, des einen zwischen Nisch und Sofia und eines zweiten , von A. zweimal berührten Engpasses (Wasilitza) hinter Sofia; Daten hat A. nur für den Aufbruch von Nisch (31. VIT.), für die Ankunft in Sofia (13. Vni.) uud in der Ebene bei Ziikwitz (20. VIII.) : A. 27 f. Nach Dietpolds Darstellung wurde, wenn man die hist.-geogr. Dar- stellung C. Jireeeks^) zu Rate zieht, welche auf dem Wege von Nisch bis Sofia 3 Pässe kennt^), am ersten oder zweiten Tage ein Pass genommen, die Kunovica Jireceks (Schlacht 1443), ungefähr in der Mitte des Weges ein zweiter, der nach Jirecek vor Pirot liegen müsste; einen dritten, Je^evica zwischen Caribrod und Dragoman oder Slivnica (Schlacht 1885) nennt Dietpold nicht, weil seine Abteilung wahrschein- lich keine Kämpfe dort zu bestehen hatte. Dagegen kennt die HP. drei Pässe bis Sofia („vallis angusta" oder „iu imo arctissima" ge- nannt): S. 62 al. 1, Verlust eines Ritters und von Wagen des Bi- schofes Dietpold von Passau (erster Pass, Kunovica); S. 62 al, 4, Kampf des Herzogs Berthold von Meranien, Exekution der Gefangenen (zweiter Pass, von Pirot); S. 63 al 1, „montibus in altum porrectis" passt auf das Quellgebiet der Nisava abermals Kämpfe (dritter Pass, Je- i^evica); hinter dem ersten Pass gab es noch Känipte in einem Tal- kessel (S. 62 al. 3: „in quandam vallem aliquantum spaciosam in- gressis"), wohl nichts anderes als der von Ak-Palanka, das alte Remi- siana. Gerade den Umstand nun, dass die HP. von Kämpfen um drei Pässe und von einem anderen um den Talkessel nach dem ersten Passe spricht, Dietpold aber nur von solchen um 2 Pä.sse, darf man

') Die Heerstiasse von Belgrad nach Constantinopel und die Balkanpässe, Prag 1877, S. 23 f., 89 f. Ergänzungen in » Arcliäol.-epigr. Mitt.% Wien X., S85f. ; auch nach dankenswerten schriftlichen Mitteilungen ebendesselben an den Ver- fasser.

') Im folgenden ist nur von diesen 3 Pässen bis Sofia die Rede, nicht aber von dem 4. hinter Sofia (Wasilitzaklause), d. i. dem 3. Dietpolds.

-[20 Kleine Mitteilungen.

wohl als einen Beweis dafür ansehen, dass der Anonymus den Bericht einer Person wiedergibt, die einer anderen Abteilung des Heeres als Dietpold. u. zw. der vierten und letzten augehörte: gerade diese wird den heftigsten Angriffen ausgesetzt gewesen sein, eben deshalb führte sie der Kaiser selbst an. Ebenso wie Dietpold und die dritte Ab- teilung bei dem dritten Passe, so hatte nach der HP. 62 al. 4 die vorderste Abteilung des Herzogs von Schwaben beim zweiten Passe keinerlei Widerstand gefunden. Da aber oben S. 117 N. 1 gezeigt wurde, dass A. der letzten, kaiserlichen Abteilung angehörte, so ist es nahezu gewiss, dass uns die HP. den Bericht A.'^s überliefert hat, den A. unter dem Einflüsse des Kaiserbriefes nicht zu seinen Gunsten

umgestaltet hat. Vgl. noch „Tageno '", S, 16.

In EA. S. 580 wurde ferntr darauf verwiesen, dass die HP. ge- genüber dem tendenziös gefärbten A. den Abzug der Ungarn in ihre Heimat sehr harmlos bespricht. Es lässt sich aber nachweisen, dass auch sonst fast alle bezüglich Uugarus tendenziösen Äusserungen A.'s der HP. fehlen. Gegenüber A. spricht die HP. 58 al. 1 mit grossem Lobe von dem Empfang des Kreuzheeres in Ungarn, hebt die Ver- lobung des Herzogs von Schwaben mit Belas III. Tochter hervor A, bezeichnet nur nebenbei einmal und zwar im November 1189 den Herzog als präsumtiven Schwiegersohn Belas (39jj ff.) spricht (58 al. 2) von 4 Tagen (vgl, Arnold von Lübeck IV. 8, Simson - Giese- brecht, \\. S. 69o), an denen Bela seiuen Gast mit Jagd ergötzte, während A. 19 sie auf 2 Tage herabgesetzt hat, erwähnt zu ßrandiz (Branitschewo) S. 58 al. 4 f. die Ankunft der ungarischen Kreuzschar neben einer Anzahl deutscher Nachzügler, die sonst auch nur A. 2(>iy ff. verzeichnet (vgl. 16,9 ff-)» während er der Ungarn keine Er- wähnung tut; die HP. berichtet S. 59 al. 5 wohl von der Zurück- lassuug der Schiffe zu Branitschewo, aber nicht wie A. S. 20, dass der Kaiser sie dem König Bela schenkte, womit er mehr als genug die Geschenke des letzteren vergolten habe; Avahrscheinlich berichtete A. jetzt nur deshalb über diese Schenkung, um daran jene tendenziöse Bemerkung zu knüpfen; endlich fehlt der HP. jene Kritik, die A. 19 an der uno-arischen Übervorteilung beim Wechseln der deutschen Mün- zeu übt; es kommt nun allerdings vor, dass auch gutes Geld im frem- den Lande unter dem Druck der Verhältnisse ein Disagio erleidet i);

1) Die Preussen haben selbst als Öieger in Mähreu (1866) ein zirka IS"/,, Disagio ihrer Vereinstaler hingenommen, trotzdem durch ihre Kundmachungen im Voraus dem österreichischen Papiergelde ein niedrigerer Wert als der des Tageskurses anbefohlen worden war (nach Erinnerungen von Nikolsburgern aus

dem J. 1866).

Zu Ansbert. 121

das damalige indessen scheiut schon ein beträchtliches (30 ^|o?) gewesen zu sein'). Aber A.'' scheint davon noch nicht Notiz genommen zu haben. Jedenfalls finden wir in der HP. eine einzige am Ungaru- könige kritikübende Bemerkung (S. 58 al. 2): ,huc usque in transitu regni sui nostris satis accomodus et benignus extiterat rex üiigariie, nisi in quibusdam postea se suspectum reddidisset". Sie erscheint dort, wo das Kreuzheer den ungarischen Boden verlässt, während eine ähnlich lautende Notiz A."s S. 19 schon dem Berichte über die Ge- schenke Belas beigefügt ist, vor dem weitereu Zuge durch Ungarn. Ich möchte diese Bemerkung A.'s als eine ßandnote ansprechen, die A*^ in späterer Zeit zu dieser früheren Stelle seines ursprünglichen Be- richtes hinzugefügt hat, in einer Zeit, wo er in jene tendenziöse Stimmung geriet, die dann bei der Umarbeitung auch bei der Schil- derung der früheren Ereignisse zum Ausdruck kam : es war im Januar 1190, wo der kaiserliche Gesandte, der Kleriker Eberhard, vom Hofe Belas 111. zurückkehrte und berichtete (A. 460, s ff')' ^^® auf die Kunde vom Falle Dimotikas sich die Mienen Belas, des Schwiegervaters Isaaks. verdüsterten und Eberhard nicht mehr die frühere Gastlichkeit zuteil ward; vielleicht erfuhr damals erst A. von dem Inhalte der November- botschaft Belas, den er bei den Ereignissen des Nov. 1189 scharf kri- tisirt (383 ö ff.), jedenfalls zu einem späteren Zeitpunkte als zum No- vember, da auch diese Kritik der HP. 70^ ff. entgangen ist: vgl. EA. 580. Es scheint demnach, dass die unbefangene, ja lobende Stellung- nahme der HP. auch dem A.^' eigen war, und dass erst im Verlaufe des Kreuzzuges die Antipathie A.''s gegen die Ungarn (in jener Rand- note) entstand, die sich dann bei der Umarbeitung erst allenthalben in seinem Berichte geltend machte'-).

Nikolsburs. K. Zimmert.

1) Vergleicht mau die Angaben A.'s (im Grazer Fragment wird dem Re- gensburger Denar noch der Kremser gleichgesetzt: Ch. X. A. XVI. S. 519) mit den Mitteilungen Dannenbergs bei R. Röhricht, Beiträge z. Gesch. d. Kreuzzüge II. S. 189 N. 38, so möchte wohl obiges Disagio resultiren; freilich gibt Dannen- berg nur die Gewichtsverhältnisse zur Vergleichung an.

2) Über die korrekte Haltung Belas vgl. „Der deutsch-byzantinische Kon- flikt«, Byz. Zschr., XII. (1903), S. 75 f., (im Druck). Hier gibt es auch mehrfache Belege für das Verhältnis der HP zu A'' ; wichtig ist ferner HP, 74 (Stellung griechischer Geisel), s. Byz. Zschr., XI., Der Friede zu Ädrianopel, S. 310 ö'., 689 f.; endlich einige in »Tageno . . .% S. 14 ff. Über die Beziehungen der HP. zu italienischen Quellen äussere ich mich nach Holder-Eggers Mitteilungen im nächsten Artikel: Zu Ansbert. II.

Literatur.

Julius Strnadt, Die Passio sancti Floriaui und die mit ihr zusammenhängeuden ürkundenfäl schungen. Eine auf Grundlage des Handsclirifteubefimdes Dr. Bruno Krusch's gepflogene quellenkritische Untersuchung von . Sonderabdruck aus Band VID und IX N. F. der Archivalischen Zeitschrift, München 1899 und 1900 Th. Ackermann. [Erster Teil, Seite 1 118 des Bandes VIII. Zweiter (polemischer) Teil. S. 176—314 des Bandes IX].

Im dritten Bande der Script eres rer. Merowing. (l896) hatte Krusch auch die Passio s. Floriani veröffentlicht (S. 65 7l). Sie ist uns in zwei Fassungen, einer kürzeren (Pez, SS. I. 36) und einer längeren überliefert. Bisher hatte man die erstere für älter, die längere für eine spätere Er- weiterung gehalten. Da aber Krusch nachwies, dass in der Passio Floriani die des Bischofs Irenaeus von Sirmium benützt sei, in der längeren mehrere dieser Vorlage entlehnte Worte sich finden, welche in der kürzeren fehlen, so ergab sich der zeitliche Vorrang der längeren Fassung. Krusch machte noch darauf aufmei-ksam, dass der Lorcher Märtyrer in dem ursprünglichen Verzeichnisse des Martyrologium Hieronymianum nicht vorkam, sein Mar- tyrium erst später, aber noch vor dem Jahre 772 in die Handschriften des Martyrologiums eingeschaltet worden war.

Diese Ergebnisse, denen in der Hauptsache ein in der altchristlichen Literatur so wohlbewanderter Gelehrter wie Albert Ehrhard zustimmte, waren allerdings von grosser Bedeutung nicht allein für die Kirchengeschichte Ober- österreichs im Allgemeinen, sondern noch mehr für die Geschichte des Stiftes St. Florian. Hatte man in diesem die offenkundigen Erfindungen der längeren Passio fallen gelassen und sich an die einfachere und darum glaubwürdigere kürzere gehalten, diese aber bis in das VI. oder VII. Jahr- hundert hinaufgerückt, dabei zugegeben, dass auch in ihr schon eine le- gendenhafte Ausschmückung der ältesten verlorenen Vorlage nicht zu ver- kennen sei, so war nunmehr dieser Kückzug in eine anscheinend haltbare Stellung unmöglich geworden. Dadurch gewann die Frage innerhalb des engeren Kreises orts- und landesgeschichtlicher Forschung eine Wichtigkeit, welche den sachlichen Wert, den die Passio s. Floriani im Vergleiche mit an-

Literatur. 125

deren Stücken derselben Art , beanspruchen kann, weit überragte. Es ist daher begreiflich, dass der um die geschichtliche Topographie Oberöster- reichs so sehr verdiente Oberlandesgerichtsrat Julius Strna<lt sich veran- lasst sah, die von Krusch gewonnenen Ergebnisse zur Kenntnis weiterer Kreise zu bringen, indem er über sie in der Beilage zur Münchener All- gemeinen Zeitung \om 9. September 1S97 (Nr. 202) berichtete. Am Schlüsse seines Artikels bezeichnete er die Suche nach dem Grabe deB heiligen Florian als müssig, da » die Überlieferung nur aus der erfundenen, oder besser gesagt, aus einer fremden auf ihn übertragenen Passion ent- standen« ist. Diese praktische Nutzanwendung scheint in den nächstbe- teiligten Kreisen peinlich berührt und zur Widerlegung herausgefordert zu haben. Als eifriger Verteidiger der so scharf angefochtenen Überlieferung trat der Kegensburger Lj-cealprofessor Dr. Bernhard Sepp auf den Plan. In der Beilage zur Augsburger Postzeitung vom 9. Oktober 1897 (Nr. 59) suchte er die von Krusch für seine Annahme beigebrachten Beweisgründe zu entkräften, ohne jedoch trotz der »temperamentvollen« Form seiner Darlegung überzeugend zu wirken. Ihm erwiderte Strnadt in der Beilage zur Münchener Allgemeinen Zeitung vom 7. März 1898 (Nr. 5.3). Erging jetzt um einen Schritt weiter, indem er die geschichtliche Existenz des angeblich am 4. Mai 304 in der Enns ertränkten Florian bestritt; der heilige Florian vom 4. Mai sei ein afrikanischer Märtyrer gewesen, dessen Schicksale uns ganz unbekannt sind, erst »betrügerische Manipulation habe zuerst vorsichtiger, dann kühner daraus den Heiligen Noricums, unsern Florian gemacht«. Am 23. April desselben Jahres erschien die Antwort Sepps in der Beilage Nr. 20 der Augsburger Postzeitung. Sie hielt sich vornehmlich an nebensächliche Dinge, die mit der Hauptfrage nur in losem Zusammenhange stehen. Damit schloss das Kriegsjahr 1 898. Mit ver- stärktem Eifer wurde der Kampf im folgenden Jahre aufgenommen. Strnadt veröffentlichte seine oben angeführte erste Abhandlung, sein Gegner eine Artikelreihe in der Augsburger Postzeitung, welche auch als Sonderabdruck ausgegeben wurdet). Im Sommer 1900 arbeitete Strnadt seine zweite Ab- handlung aus, ira Oktober erschien eine zweite Artikelreihe Sepps, der eine dritte im Jahre 1901 folgte 2). Der Frühling dieses Jahres brachte dann Artikel im Welser Anzeiger und einen in der Linzer Tagespost erschienenen Aufsatz aus der Feder des Grazer Staatsrechtslehrers Gumplowicz, die mir nicht bekannt sind, die aber dem Anscheine nach, ohne sachlich Neues zu bringen, Öl ins Feuer gegossen haben. In den Nummern 120 123 des Linzer Volksblattes hat dann zu Ende Mai 1901 ein Angehöriger des Stiftes St. Florian das Wort ergriffen, um den Patron seines Hauses gegen die Anfechtungen der Kritik in Schutz zu nehmen.

Im Jahre 1899 war auch Krusch genötigt worden, im Zusammen- hange des über das Martyrologium Hieronymianura mit Duchesue geführten Streites sich über die Passio s. Floriani zu äussern. Er machte Mitteilung

») Zur Florianslegende. Von Dr. Bernhard Sepp. Separatabdruck aus eleu Beüageu zur Augsburger Postzeitung 1899 Nr. 68, 69, 71— 7 i. Augsburg 189.9.

2) Über das Alter des Floritinskultus. Separatabdruck aus den Beilagen zur Augsburger Postzeitung 1900, Nr. 47-49. Augsburg 1900. Zweiter Artikel. Separatabdrücke aus den Beilagen der Augsburger Postzeitung Nr. 37, 38. Augsburg 1901.

1 24 Literatur.

von einer nachträglich in St. Gallen aufgefundenen Handschrift des zehnten Jahrhundeils, welche die Passio längerer Fassung in ihrer ursprünglichen Gestalt enthält, änderte seine frühere Anschauung, daas die Passio in der Einschaltung des Martyrologiums benützt sei, dahin ab, dass das umge- kehrte Verhältnis angenommen werden müsse, und nahm an, dass die »Ver- wandlung des afrikanischen Märtyrers Florian in den Lorcher . . . nicht vor der Mitte des 7. Jahrhunderts erfolgt sein* könne, während der spä- teste Termin durch das Alter der Hss. des Martyrologiums gegeben sei (Neues Archiv XXIV, 548 &.)■

Dies der Verlauf eines mit grossem Eifer geführten Kampfes, der viel- leicht weniger seines Gegenstandes als vielmehr seines kirchenpolitischen Charakters wegen Beachtung verdient, sich als eine erste Äusserung jener Bewegung darstejlt, welche mit dem vielbesprochenen Buche Albert Ehr- hards ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheint. Ist hier nicht der Ort. auf diese Dinge näher einzugehen, so muss doch gesagt werden, dass von den Gegnern Strnadts eine Form der Polemik gewählt worden ist. die besser vermieden worden wäre.

Suchen wir das Ergebnis der langwierigen, auseinanderfliessenden Erörterung zusammenzufassen, so kommen in Beschränkung auf die Passio s. Floriani etwa folgende Hauptfragen in Betracht: Ist die längere Fassung "der Passio älter als die kürzere? Ist die Passio eiiie rein legendäre Er- findung? Ist sie in der Einschaltung des Martyrologium Hieronyraianum benützt oder umgekehrt? Hat es überhaupt einen Lorcher Märtyrer, namens Florian, gegeben? Die erste und die dritte Frage sind, wenn nicht neue handschriftliche oder antiquarische Funde zu anderer Erklärung- nötigen, von Krusch in durchaus befriedigender Weise beantwortet worden. Anders steht es dagegen mit der Frage, ob nicht doch in der Passio einige gute Nachrichten erhalten sind, und mit der von ihrer Echtheit und Zu- verlässigkeit zu trennenden Frage nach der geschichtlichen Existenz des heiligen Florian. An diesen Punkten hätte eine sich von Polemik und Apologetik frei haltende, ruhige und streng methodische Untersuchung ein- zusetzen, und es spricht viel dafür, dass sie zu einem der Überlieferung in der Hauptsache günstigen Ergebnisse gelangen werde. Es ist zu er- wägen, dass die Einschaltung in das Martyrologium Hieronymianum vor dem Jahre 772, also zu einer Zeit stattgefunden hat, in der man zu Passau noch nicht so weitgreif^nden Plänen nachhing, wie zwei Jahrhunderte später Bischof Piligrim, dass aber schon damals der Kult des heiligen Florian an der Ipf grössere Bedeutung gehabt haben muss, man seiner auch in den fernen Landschaften, in denen jene Handschriften des Martyrologiums entstanden, gedachte. Fraglich bleibt, ob das Martyrium in der Tat am 4. Mai stattgefunden, oder oVi man eine willkürliche Einreihung vorge- nommen hat.

Aus dem Gesagten ergil^t sich, dass den Ausführungen Strnadts, welche «larauf abzielen, die frühesten Zeugnisse für die Verehrung des heiligen Florian an der Stätte seiner Beisetzung auszuschalten, nur verhältnismässig geringer Wert zukommt. Hauptsache ist und bleibt doch die Eintragung in die Handschriften des Martyrologiums, deren Bedeutung zu schmälern Strnadt sich vergeblich bemüht hat, neben ihr könnten nur jene Zeugnisse in Betracht kommen, welche den Bestand des Kultes vor dem Jahre 772

Literatur. 125

nachweisen sollen, an erster Stelle also «lie Urkunde eines Priesters Regiuolt' (Mon. Boica XXVIII'', 35 Nr. 38), in welcher ein »vocatus episcopus Ot- karius* und der Ort »Puoche,- ubi preciosus martyr Florianus corpore re- quiescit« , erwähnt werden. Dass der Versuch Strnadts, diese Stelle als eine »aus der Feder des Copisten geflossene Glosse ^^ zu erklären, abzu- lehnen ist, hat schon W. Erben [Hist. Vierteljahrschrift IV (l90l), 53 Ij nachgewiesen. Besser begründet ist die zeitliche Eestimmung des Bischofs Otkar und damit auch der Urkunde. Die Herausgeber der Mou. Boica haben sie nach Schreitwein zu 624 circa r>39, Sepp (Zur Florians- legende S. 22, Über das Alter des Florianskultes I, 11 ff.; II, 20 flf.) ähn- lich wie Dümmler (Piligrim S. 148 Anm. l) etwa zu 720 730 eingereiht, Struadt entscheidet sich mit beachtenswerten Gründen für die Zeit 814 bis 830 (I, 54). Eine sichere Einreihung, wenn sie überhaupt möglich ist, hätte allerdings eine genaue Untersuchung des Formulars der Passauer Traditionen zur Vorbedingung.

Wenn Strnadt des Weiteren bestrebt ist, alle Urkunden und sonstigen Quellenzeugnisse des neunten Jahrhunderts, in denen von dem heiligen Florian die Rede ist, zu beseitigen, so sind diese Ausführungen, wenn sie auch teilweise belehrende Aufschlüsse , namentlich über topographische Fragen gewähren, doch eher geeignet, von den Hauptfragen abzulenken, als ihre Beantwortung zu fördern, abgesehen davon, dass sie methodische Mängel recht bedenklicher Art aufweisen (vgl. Erben a. a. O. S. 533). Das endgiltige Urteil über die von Strnadt mit dem Verdachte der Un- echtheit belasteten Karolinger-Urkunden kann billig der Neuausgabe in den Diplomata überlassen werden. Die in der zweiten Abhandlung (S. 42 ff: vgl. I, 37) eingeschaltete Ausführung über die am 2. Juni 819 »in Hunia in exercitu^^ begonnene, am 12. September »apud sanctum Florianum* vollendete, später nach Mönchsmünster gelangte, jetzt in Brüssel befind- liche Handschrift, welche nicht, wie man bisher annahm, auf der Rückkehr aus Ungarn in St. Florian, sondern bei der Florianskirche zu (Jagliano in der Nähe von Cividale fertiggestellt worden sein soll, vermag nicht zu überzeugen. Die Untersuchung des Altmann'schen Stiftbriefs und der auf ihn folgenden, dem Stifte St, Florian von den Passauer Bischöfen ver- liehenen Urkunden beschränkt äch auf die inneren Merkmale und kann daher nicht als abschliessend gelten. Die Mühe, welche Strnadt auf eine Zusammenstellung über »die Herkunft und das Verbreitungsgebiet des Kultes des heiligen Florian« (II, 60 fl.) verwendet hat, würde sich besser gelohnt haben, hätte er die dem Heiligen geweihten Kirchen nach der zeit- lichen Folge und innerhalb zeitlicher Abschnitte nach ihrer Lage geordnet.

Wien. K. Uhlirz.

1 2(5 Literatur.

Alfred Hackel, Die Besiedluugsverhältuisse des oberösterreicliischeu Mülil vierteis iu ihrer Abhängig- keit voD, natürlichen und geschichtlichen Bedingungen. (Forschungen zur deutschen Landes- und Volkskunde, herausgegeben von Dr. A. Kirchhoff, XIV. J3and, 1. Heft) Stuttgart, J. Engelhorn 1902, 8^ 77 S.

Alfred Grund, Die Veränderungen der Topographie im Wiener Walde und Wiener Becken. (Geographische Ab- handlungen, herausgegeben von Prof. Albrecht Penck. VlII. Bd. 1. Heft). Leipzig, Teubner 1901, 8°, 239 S.

Nahezu ein Vierteljahvhundert ist vergangen, seitdem Kämm eis An- fänge deutschen. Lebens in Österreich bis zum Ausgange der Karolingerzeit (Leipzig 1K79) erschienen ist, ein raerkw^ürdiges Buch, das zu einer Zeit, als man sich durchaus noch nicht allgemein, systematisch und nach den modernen Grundsätzen mit der Siedluug?gescbichte und allen mit ihr zu- sammenhängenden wirtschafts-geschichtlichen Fragen beschäftigte und ohne dass der Verfasser als Nicht-Österreicher eine genaue Kenntnis des Landes gehabt hätte, für das Stammland Österreichs, die alte Ostmark, dieses Thema in gründlicher und w^irklich grundlegender Weise in Angriff ge- nommen hat. Eine in Aussicht gestellte Fortsetzung das Buch gab sich als I. Band eines grösser angelegten Werkes »Die Entstehung des österreichischen Deutschtums <- kam nicht zustande, aber auch in Öster- reich selbst wurde die ganze Zeit über kein Versuch gemacht, Kämmeis Spuren nachzufolgen. Unterdessen hat nun die siedlungsgeschichtliche Forschung durch Meitzens epochemachendes Werk, Siedlung und Agrar- wesen der Wesigermanen und Ostgermanen (1896) einen mächtigen An- stoss erhalten und auch die vielen Hilfsdisziplinen sind üeissig ausgestaltet worden, so dass sie schon vieliach festeren Boden gewinnen lassen. Allent- halben sind schon erfreuliche Forschungsergebnisse erzielt worden. So kommt es, dass man sich endlich auch in Österreich wieder diesem arg vernachlässigten, aber der Bearbeitung schon dringend bedürftigen Gebiete zugewendet hat, zunächst von geographischer Seite. Das verschlägt nichts, denn auf dem Zwischengebiete der Anthropographie, zu welcher auch die Darstellung der Siedlungen zu rechnen ist, berührt sich die Geographie mit der Geschichte und man kann es nur begrüssen, wenn sich Ethno- graphie, Siedlungs- und Wirtschaftsgeschichte auf einer gesicherten geo- graphischen Grundlage aufbauen. Es ist das unbestreitbar grosse Ver- dienst des Proiessors der Geographie an der Wiener Universität, Albrecht Penck, in dem ihm unterstehenden geographischen Institute in systema- tischer Weise Arbeiten nach dieser Richtung hin angebahnt zu haben und nach den vielversprechenden Anfängen kann man diesen Arbeiten nur den besten Fortgang wünschen. Die Geschichtsforschung wird sich dadurch hoffentlich angespornt fühlen zu folgen, denn nur durch ein zielbewusstes Ineinandergreifen der geographischen und historischen Forschung kann auf diesem schwierigen, aber dankbaren Gebiete Erspricssliches und Gesichertes geleistet werden.

l.iteratur. 127

Von den beiden vorliegenden Arbeiten, welche beide dtis muss hervorgehoben werden, um einen gerechten Maasstab anlegen zu können Erstlingswerke sin'l, ist die Hackeis, obwohl um einige Monate später gedruckt, der Entstehung nach die frühere. Sie hat sich auch engere Ziele gesteckt, was im Titel klar zum Ausdruck gelangt und ist auch dem Um- fang nach bescheidener. Sie zerfällt in drei Hauptabschnitte: 1. Natür- liche Beschaffenheit des Landes; 2. Geschichte der Besiedlungen und 3. die lieutigen Besiedlungsverhältnisse.

Im ersten Abschnitt werden die geographischen Grundlagen des Land- striches ( so wohl besser zu bezeichnen als mit »Land« ) in Bezug auf Bodengestalt, klimatische Verhältnisse, Bodennutzung und die Ver- teilung der Bevölkerung auf die Höhenstufen klargelegt Uns müssen hier iiaturgemäss vom Standpunkt des Historikers hauptsächlich die beiden fol- genden Abschnitte interessiren.

In der »Geschichte der Besiedlung^' wird freilich nicht auf die Quellen selbst zurückgegi iffen, daher werden auch keine neuen Daten ge- liefert, aber es ist immerhin sehr dankenswert, dass Verf das in den landes- kundlichen Arbeiten von Johann Lamprecht, Edlbacher und besonders Strnadt verstreute Material für sein Gebiet unter dem neuen Gesichtspunkt <ier Siedluugsgeschichte zusammeugefasst hat. So treten uns die verschie- denen Perioden, in welchen man dem Nordwald, jenem dichten Urwald, welcher das Land im Noi'den der Donau von der Ilz bis zum Kamp er- füllte, zu Leibe rückte, jetzt erst klar entgegen. Zur Kelten- und Eömer- zeit führten lediglich einige Saumpl'ade oder, wie man sie im Mittelalter nannte, Steige hindurch, um den Verkehr Noricums mit Böhmen zu ver- mittein. Nach der A''ölkerwanderungszeit begannen die Slaven an den leichter zugänglichen Nebenflüssen der Donau im Osten des Mühlviertels mit Rodung und Niederlassung. An sie erinnern noch heute viele Namen. Sie wurden von den Franken angetroffen, als das Gebiet dem karolingi- schen Reiche einverleibt wurde und indem sie von diesen wie in der Ost- mark auf friedliche Weise in ein Unterfaneuverhältnis gebracht und in ihrem Besitze gelassen Avurden, wurde die Kolonisirung im östlichen Mühl- \nertel und im Eferdinger Becken fortgesetzt. Die Unterbrechung, welche die Kulturarbeit hier durch den Magyarensturm erlitt, dauerte gerade ein Jahrhundert. Mit der grossen Schenkung Kaiser Heinrichs II. an das Nonnenkloster Niedernburg in Passau vom Jahre 10 10 begann endlich auch für den Westen des Gebietes die Kolonisirung, welche jedoch im Wesent- lichen nicht von Passau, sondern von weltlichen Grossgrundbesitzern (den Windbergern) geleitet wurde. In dem Teil des Gebietes östlich der grossen Rottel und des Haselgrabens, welcher der babenbergischen Ost- mark angegliedert war und welcher in das Machland und die Riedmark zerfiel, iässt sich dagegen erst im 12. Jahrhundert eine intensivere kolo- nisatorische Tätigkeit urkundlich nachweisen. Sie drang bis 1150 an den Flüssen, an den beiden Gusen, an der Feistritz, an der Aist bis etwa Rei- chenau an der Gusen im Nordwesten, St. Oswald an der Aist im Nord- osten vor. Das dichte unwirtliche Waldland gegen die böhmische Grenze blieb noch immer unangetatest. Auch dessen Urbarmachung in Angriff genommen zu haben, war einer letzten grösseren Kolonisationsperiode vor- behalten, welche mit dem Ende des 12. Jahrhunderts begann, und abge-

128 Literatur.

sehen von vereinzelten späteren Ansiedlungen, besonders an der Malisch, etwa bis zur Mitte des 1 3. dauerte.

Es ist nun interessant, dass während die Ortsnamen der früheren Ee- siedlungspieriode vielfach die bayrische Endung ing zeigen, ja zum Teil sich mit Ortsnamen in Bayern direkt decken, die der letzten Periode aus- gesprochen fränkisches Gepräge haben, Zusammensetzung mit reit, reut, raad, schlag, gschwandt, gschwendt, heim u. s. w., wie denn auch die Mundart im nördlichen Teile des Mühlviertels noch heute fränkische Elemente erkennen lässt.

Nachdem der Verfasser diese autfallende Tatsache in Kürze mitteilt, ohnfe einen Vei'such zu machen, ihre Gründe aufzufinden, geht er zum nächsten Abschnitt über, den er ^Die heutigen Besiedlungsverhältnisse '^■^ betitelt hat und 'welcher die Siedlungsarten, die Verteilung der Bevölkerung und die Hausformen behandelt. Aber gerade dieser Abschnitt, besonders das erste und tetzte Kapitel desselben, greift so sehr wieder auf das Hi- storische zurück, dass der Titel nicht ganz zutrifft und man gerne eine andere Anordnung wünschen würde, wodurch auch viele Wiederholungen vermieden worden wären. Zum mindesten fehlt ein zusammenfassendes Schlusskapitel. Dieses würde erst die weitere Tatsache ins rechte Licht rücken, dass dem Teile der letzten Siedlungsperiode auch das fränkische Waldhufendorf und das fränkische Bauernhaus eigentümlich ist, während die übrigen Teile vorzugsweise den bajuvarischen Einzelhof, allenfalls die Mischform der Weilersiedlung zeigen.

H. hat sich, wie gesagt, gescheut, die letzten Konsequenzen aus seinen Forschungen zu ziehen. Eine gewisse Unsicherheit geschichtlichen Fi-agen gegenüber verlässt ihn während der ganzen Arbeit nicht. Dass er nicht auf die Quellen zurückgeht, habe ich bereits hervorgehoben; daher passiren ihm aber auch solche bösartige Schnitzer wie S. 71, wo zu lesen ist, dass »die Zollurkunde von Eaffelstetten von fremden Schotten (!) spricht, welche von der Donau aus nördlich des Stromes Handel treiben <S während die Scoti der Zollurkunde bekanntlich eine Münze sind. H. übernahm, wie ich konstatiren konnte, den grossen Lapsus unbesehen aus einem Pro- grammaufsatze über »Freistadts Handel« von Maade. Die Darstellung der Verhältnisse zur Eömerzeit auf S. 33 erweckt den Anschein, als würde der Verf. glauben, dass die römischen Kastelle an der Donau bereits zur Zeit Marbods bestanden hätten. Die Angabe S. 38, dass mit der baben- bergischen Mark auch der Traungau verbunden gewesen, lässt sich nicht in dieser Weise aufrecht erhalten. Ein statistisches Werk von Foltz ist S. 51 irreführend mit dem unrichtigen Titel »Grundlage der Bodenproduk- tion Oberösterreichs* zitirt, während es tatsächlich »Statistik der Boden- prodirktion^^ heisst.

Ein Anhang berichtet noch über die Entwicklung des Verkehres. Dem Buche ist ein kleines Kärtchen zur Veranschaulichung der Bevölkerungs- dichte und eine grössere Karte mit Oleate zur Veranschaulichung der Sied- lungen beigegeben. Es wäre sehr wünschenswert, dass H. seine For- schungen auch auf das niederösterreichische Waldviertel, das vielftich ähn- liche Verhältnisse zeigt und das bisher von der Forschung in geradezu merkwürdiger Weise vernachlässigt worden ist, ausdehnen würde.

Literatur. 129

Ein weit kühnerer und grösserer Wurf als diese bescheidene fleissige Anfängerarbeit ist das Buch von Grund, welches schon dem Umfange nach imponirender auftritt. Merkwürdig ist, dass der Titel die Reich- haltigkeit und Vielseitigkeit des Inhaltes gar so wenig vermuten lässt. Und doch ist der Verf. bemüht, sein Thema nicht nur nach fast allen Seiten hin zu verfolgen und überall ungleich der Hackel'schen Arbeit bis zu den letzten Consequenzen zu führen, sondern auch von der Be- sonderheit des Themas zum Allgemeinen und Systematischen emporzu- steigen. So gewinnt das Buch eine Bedeutung, welche man dahinter nicht suchen würde und welche bei einer Erstlingsarbeit selten ist, wenn es auch von einigen Hauptfehlern temperamentvoller Erstlingsarbeiten, näm- lich auf einmal gleich Alles ausschöpfen zu wollen und Leitgedanken mit allzu apodiktischer Sicherheit a priori hinzustellen, nicht freizusprechen ist.

Am Schlüsse des Vorwortes präzisirt G. sein Thema in treifender Weise mit den Worten: »Wie erklärt sich die topographische Gegenwart eines in später historich verfolgbaren Zeit vom deutschen Volke besiedelten Landstrichs aus Landesnatur und Wirtschaftsentwicklung?« Natur und Mensch sind nämlich die beiden einflussnehmenden Faktoren, von welchen die erstere in historischer Zeit sich wenig mehr veränderte, so dass sich die Verschiebungen fast nur aus der kulturhistorischen Entwicklung des Menschen erklären lassen. Schon hier wird einer der Leitgedanken des Buches, den G. weit mehr betont, als meines Wissens irgend ein Topo- graph vor ihm, kräftig angeschlagen: Schwankt der Wert des Bodener- trages, so beeinflusst dies die Bewohnbarkeit.

Auch G. beginnt sein Buch mit einem geographischen Abschnitt, in welchem er zuerst »Bau und Oberflächenform«, dann das »Klima« behan- delt, doch ist es bemerkenswert, übrigens nach dem oberwähnten auch selbstverständlich, dass dieser Teil nicht viel mehr als ein Viertel des Buches einnimmt, während drei Viertel den historischen Bedingungen und der historischen Entwicklung gewidmet sind.

Der grosse Abschnitt über die »Togographie des Mittelalters« beginnt mit einem Kapitel über »die Besiedlungen vor 955«, das wohl richtiger die »karolingische Besiedlung« genannt worden wäre, da zwischen 907 und 955 von keiner Besiedlung des Landes gesprochen werden kann. Es ist im Wesentlichen ein kurzer Auszug aus Kämmel. Gerade deshalb hätte hier die Identifiziruag von Eparesburg mit Mautern, welche mit Kämmel von allen hervorragenden Forschern endgiltig fallen gelassen wurde, nicht aufrecht gehalten werden sollen (S. 59). Von neueren Werken hätte das allerdings übel berüchtigte Buch von Strakosch- Grassmann, Geschichte der Deutschen in Österreich-Ungarn, das übrigens trotz seiner falschen Präten- sionen manche Ergänzungen zu Kämmel liefert, mindestens unter der Li- teratur genannt werden müssen.

Selbständiger musste der Verf. im zweiten Kapitel »Die zweite deutsche Kolonisationsepoche« werden, für welches eben noch keine Zusammen- fassung bestand, doch geht auch G. nicht durchwegs auf die Quellen zu- rück, sondern vielläch auf Einzeldarstellungen. So ohnehin schon stark an zweiter Hand arbeitende Werke wie Juritsch, Geschichte der Baben- berger, sollten doch nicht so häufig als Beleg genannt werden. Die Quellenzitate könnten für den Zeitraum, lür den bereits die Diplomata-

iMittJioihingeii XXIV. ^

\'^(] Literatur.

Ausgabe der Mon. Germ, vorliegt, doch besser nach dieser statt nach dem Mon. Boica u. a. gegeben werden. Als Ergänzung der fleissigen Zusam- menstellung der Besitzverhältnisse möchte ich noch auf den Besitz des Bistums Eichstädt um das Jahr 1033 zwischen Kaumberg und Liesing aufmerksam machen, welcher jetzt durch die Publikation Öfeles in den Sitzungsber. der bavr. Akademie 1893, 197, Kr. 15. festgestellt ist. Dem chronologischen Gang der Besiedlung entsprechend zerfällt dieses Ka- pitel wieder in zwei Unterabteilungen: a) Besiedlung der Ebene, b) Be- siedlung des Waldes und Gebirges. Die letztere beginnt mit dem Augen- blicke, da im Jahre 1043 die Gebietserweiterungen gegen Ungarn abge- schlossen sind und die bequeme Besiedlung der Ebene vollzogen ist.

In den letzten Jahren hat der Nachweis eines ganz hervorragenden Anteiles der Franken an der Besiedlung Österreichs und demzufolge einer ganz bedeutenden Beimischung des fränkischen Elementes im österreichi- schen Stamm immer greifbarere Gestalt angenommen, während man doch früher von der rein bajuvarischen Herkunft der Kolonisten überzeugt war/ Es bleibt G.s Verdienst, endlich einmal die Frage systematisch angepackt und für den östlichen Teil seines Gebietes fränkische Siedlung nachge- wiesen zu haben. Nur im südlichen, ursprünglich steirischen Teil ist rein bayrische Siedlung, im Westen eine Mischsiedlung. Der historische Gang der Ereignisse lässt dies auch ganz natürlich erscheinen. Stammten doch die Babenberger und gerade jene Kaiser, welche den meisten persönlichen Anteil an der Ausdehnung und Erstarkung der Ostmark nahmen, aus Franken, während das Land im Westen bis zum Wienerwald der älteren bayrischen Kolonisationsperiode angehörte. Dem entspricht auch die Sied- lungsanlage: im Westen der bayrische Einzelhof, im Osten das fränkische Dorf, welches auch der gefährdeten Lage eines Grenzlandes besser ange- passt war, zwischen beiden die Mischform der Weilersiedlung.

In der Darstellung macht sich hie und da die Sucht geltend, Alles nur von dem einen Leitgedanken aus aufzufassen. Wenn wir z. B, den bayrischen Herzog Heinrich in der Mark tätig finden, so waren dafür wohl nur staatsrechtliche Gründe, nicht aber die bayrische Kolonisation mass- gebend. Auch kann man doch wohl nicht sagen, dass auf den Synoden zu Mautern und Lorch die staatliche Organisation der Ostmark erfolgt ist (S, 62), sondern doch wohl nur die kirchliche. Zu wenig scheint mir auch die Bedeutung der Gründung der sogenannten Neumark um 1043 (S. 72) gewürdigt. Ich hojffe in dem im nächsten Jahre zur Ausgabe gelangenden I. Bande meiner »Geschichte Nieder- und Oberösterreichs« klar gelegt zu haben, dass Kaiser Heinrich III. nichts Geringeres beabsichtigte, als dieser rieuen Mark die bisherigen Funktionen der Ostmark zu übertragen, näm- lich der Eroberungsaktion gegen Ungarn zur Operationsbasis zu dienen, während die Mark der Babenberger nunmehr dieselbe Aufgabe gegen die slavischen Gebiete im Norden übernehmen sollte. Im Einzelnen auf die Ausführungen in meinem Werke verweisend, möchte ich hier auf die auf- fallende Tatsache aufmerksam machen, dass ja um diese Zeit die Baben- berger mit einemmale ausgedehnten Besitz an der böhmischen Grenze um Raabs erhalten.

In Verfolgung seines Nachweises der fränkischen Besiedlung geht nun G. von den historischen Nachrichten zu den »Ergebnissen der Hausform-

Literatur. 131

forschung '■■' über, für welche allerdings durch die vortreffliche Arbeit Dach- lers in den »Blättern d. Ter. f. Landesk. von Niederösterreich« XXXI (1897), der sich auch G. im Wesentlichen anschliesst, zuerst eine sichere Grundlage in der ganzen Frage geschaffen wurde. G. greift in diesem Ka- pitel weit über die Grenzen seines Gebietes hinaus und unterzieht sich vor- erst der Mühe, die gesamten südostdeutschen Hausformen in ihrem Ver- breitungsgebiete aufzuzeigen, zu beschreiben und zu erklären. Zu unter- scheiden ist das nördliche Gebiet des zweiteiligen, gewöhnlich als fränkisch bezeichneten Hauses (welche Bezeichnung G. aber als nicht ganz zutreffend lieber vermieden wissen will) und das südliche des dreiteiligen Hauses, das wieder in zwei Zonen zerfällt (Plettendach und Sparrendach.) G, ver- sucht aucli, Vorschläge zu einer neuen präziseren Terminologie zu machen, und unterscheidet im Gebiet des dreiteiligen Hauses demnach fünf Haupt- typen u. zw. im Gebiete des Pfettendaches oder, wie G. genauer sagt, des bajuvarischen Pfettendaches: den Einheitshof, den Gruppenhof und den Vierseithof und in dem des ostbajuvarischen Sparrendachgebietes den Vier- kant und den karantanischen (von anderen Forschern meist steirisch ge- nannten) Haufenhof.

Inwiefern diese allgemeinen Auseinandersetzungen, welche sich mehr an Bancalari als an Meitzen anschliessen, zutreffend sind und in praktischen Gebrauch kommen werden, muss ich den Spezialforschern zur Beurteilung überlassen. Wertvoll scheint mir auch in diesem Abschnitte das Metho- dologische zu sein. Gewisse prinzipielle Unterscheidungen, gewisse allge- meine Beobachtungen können jeder künftigen Hausforschung als Richt- schnur empfohlen werden. So z. B. dass das Haus des Kleinhäuslers von dem des Hufenbauers auseinandergehalten werden muss; dass man nicht so sehr die speziellen ältesten nachweisbaren Häuser als vielmehr die Typen zur Grundlage nehmen muss; dass diese Haustypen sehr alten Kolonisa- tionsgrenzen entsprechen: dass die heutigen Hausformen das Ergebnis dreier Faktoren: der Tradition der Kolonisten, fremder Einwirkungen und der Einflüsse der Landesnatur sind; dass spätere ethnographisch verschie- dene t'berschichtungen an dem ältesten Typenbilde nichts mehr ändern u. dgl. m.

In Bezug auf sein spezielles Gebiet schliesst sich G., wie gesagt, an Dachlers Forschungen an. welche durch die topographische Fixirung des Verbreitungsgebietes des drei- und zweiteiligen Hauses die oben er- wähnten Ergebnisse der Kolonisationsgeschichte in auffallender Weise stützen.

Ein folgendes Kapitel behandelt in Kürze (auf nur :3^!2 Seiten) den ;, inneren Ausbau der Besiedlung'- vom Ende des 12. 14. Jahrhunderts, d. h. es beschäftigt sich hauptsächlich mit den städtischen Gründungen dieser Zeit. Hier findet sich auch die ganz überflüssiger Weise tendenziös gefärbte Bemerkung: > ... es verliert somit die alte, so viel nachgeschrie- bene und nachgefaselte Fabel, dass die Klöster so grosses Verdienst um

die Rodung der Urwälder hätten jede Berechtigung % welche in

dieser Schroffheit gar nicht aufrecht zu halten ist. Die Hauptkloster- gründungen der früheieu Babenbergerzeit erfolgten allerdings in bereits kultivierten Gebieten und wurden mehr für die geistige Kultur von Wich- tigkeit, aber man denke an die Arbeit, welche die Stifte und Klöster in der karolingischen Kolonisationsperiode geleistet und man denke daran, dass

9*

132 Literatur.

die von den späteren Babenbergeru so sehr bevorzugten Cisterzienser ge- rade der Orden der schweren Kultivirungsarbeit waren, daher auch die Be- deutung von Zwettl, Heiligenkreuz, auch Lilienfeld, im Lande ob der Enns vor allem von Schlägl um die Urbarmachung des Landes, Unrichtig wird übrigens hier auch G-loggnitz als Klostergründung bezeichnet, wozu G. vielleicht die Bezeichnung Propstei verleitete, doch ist diese nicht im kirch- lichen, sondern im wirtschaftlichen Sinne zu verstehen. Gloggnitz war ein Wirtschaftsamt des Klosters Formbach.

Das Kapitel »Namengebung und Siedlungsverteilung des Mittelalters« enttäuscht zunächst stark dadurch, dass der Verf. sich über die wichtige Frage der Ortsnamenforschung und ihrer Ergebnisse für die Siedlungs- geschichte im Vergleiche zur Ausführlichkeit, womit er die anderen Themen behandelt , nur sehr wenig verbreitet. Bloss auf einer halben Seite wird dieser wichtige Gegenstand gestreift, wobei ich ja nicht verkennen will, dass hier dem Historiker, welcher nicht zugleich auch Sprach-, ja speziell Dialektforscher ist, ausserordentliche Schwierigkeiten sich entgegen- türmen. Gar kein Wort wird auch darüber verloren, ob nicht auch an- dere Disziplinen, wenn auch nur als Hilfsmittel zweiten und dritten Grades. zur Unsterstützung siedlungsgeschichtlicher Arbeiten herangezogen werden könnten, so vor allem die Dialektforschung, wie denn in der Tat Dach- 1er in jüngster Zeit einen bemerkenswerten Versuch nach dieser Richtung' gemacht hat, indem er sehr wesentliche Verschiedenheiten des Dialektes in den beiden Vierteln ober und unter Manhartsberg von dem im Süden der Donau, die auf fränkische und bayrische Grundformen zurückgehen, nach- gewiesen hat (Zeitschr. f. öst. Volksk. VIII, 1902, 8l). Auch Sitten und Gebräuche, bekanntlich ja in sehr frühe Zeit zurückreichend, könnten viel- leicht einmal für diese Zwecke untersucht werden.

Für diese Mängel und Lücken entschädigt der übrige Teil des ge- nannten Kapitels, welcher in überaus geschickter und, wie mir scheint^ im Allgemeinen gelungener Weise zum erstenmale den Versuch macht, auf Grund der bestehenden und der verschollenen Orte die Ortschaftsdichte im Mittelalter ziiFernmässig zu bestimmen. Zunächst ergibt sich, dass das Tertiärhügelland seit jeher in den westlichen und südlichen Partien, zwei bis dreimal dichter mit Ortschaften besetzt war als das Tullnerfeld und dieses wieder doppelt so dicht wie das Wiener Becken. Überraschend ist aber der Nachweis, dass dmxhwegs die Ortschaftsdichte seit dem Mittel- alter zurückgegangen ist, Z. B. zeigte das Wiener Becken einstens einen Bestand von 2G2 Ortschaften (l6 auf 100 km=*), heute nur mehr von 220 Ortschaften (iS-^/^ auf 100 km^), zeitweilig war der Bestand sogar auf 187 Ortschaften (ll^/g auf 100 km 2) herabgesunken.

Im nächsten Abschnitte »Die Änderung des topographischen Bildes*' sucht nun der Verf. dieser auffallenden Erscheinung auf den Grund zu kommen und gelangt damit zu dem zweiten grossen Leitgedanken seines Buches, wekher nicht minder wichtig wie der Nachweis des fränkischen Kolonisationsanteiles ist und für welchen ihm in weit höherem Grade die gei- stige Urheberschaft zukommt. Die Forscher, welche bisher sich mit den abgekommenen Ortschaften Niederösterreichs beschäftigt haben , führten ihr Verschwinden fast durchwegs auf die Türkenkriege, zum Teil auch auf die traurigen Zustände der Keformationszeit und des folgenden

Literatur. 133

dieissinj ährigen Krieges oder die Pest zurück. Dem steht aber entgegen, dass alle unsere urkundlichen Kachrichten sich auf das ausgehende 15. und das beginnende 16. Jahrhundert beschränken, weshalb Einzelne auch in den berüchtigten Zeiten Friedrichs III. und dem Einfall König Mathias C'orvinus die Erklärung gesucht haben. Indem G. alle diese Annahmen an der Hand unserer Nachrichten widerlegt, kommt er dahin, die Erschei- nung aus wirtschaftlichen Momenten zu erklären. Die gegen Ende des Mittelalters zunehmende Edelmetallarmut Europas hatte zwar die Kauf- kraft des Geldes gesteigert, da aber in Österreich diese Armut besonders stark war, so hatte der Wiener Silberpfennig im Grossverkehr einen sehr o-eringen Kurswert und die Getreidepreise sanken tatsächlich im Edel- metallwert rapid. Dazu kain noch die unglückliche Münzpolitik der öster- reichischen Herrscher, die Kriege und desolaten inneren Zustände u. dgl. m. Die durch die Wertminderung des Bodenertrages eingetretene succes- sive Verarmung der Landwirtschaft wäre nur durch eine Steigerung der Eodenproduktion auszugleichen gewesen, aber nur dem weinbautreibenden Bürgertum war dies durch Vermehrung der Weinbaufiäche möglich, wäh- rend eine Vergrösseruug der Ackerbaufläche nicht mehr eintreten konnte. So strömte denn die ackerbautreibende Bevölkerung, welche von dem ver- minderten Bodenertrag nicht mehr leben konnte, in die Städte, Märkte und Weinorte ab. Die letzteren blühen überall rasch empor.

Nun rächte es sich mit einemmale, dass ursprünglich die Kolonisation in begreiflicher Unkenntnis der physischen Verhältnisse bei dem Ausmass an Grund und Boden für jede Ortschaft ohne Eücksicht auf Boden und KJima rein schematisch verfahren war. Jetzt konnten sich unter den ge- änderten Bedingungen nur die durch Boden und Klima begünstigten Ge- biete in der alten Ortschaftsdichte erhalten, die anderen zeigen den obener- wähnten starken Rückgang.

Um die wirtschaftlichen Bedingungen des Näheren begründen und darstellen zu können, hat der Verf. seinem Buche einen Anhang zu diesem liapitel beigegeben, welcher sich 42 Seiten umfassend zu einer Art niederösterreichischen Wirtschaftsgeschichte während des 14. 16. Jahr- hunderts im Kleinen ausgewachsen hat und streng genommen doch nicht eigentlich in das Buch mehr gehört. Es werden darin behandelt »Die Or- ganisation der niederösterreichiseh - mittelalterlichen Gesellschaft«, »Die Münzpolitik und ihr Einfiuss auf die Politik der Stände«, »Der Ruin des Bauernstandes im 15. Jahrhundert* und »Niederösterreich im 16. Jahr- hundert*. Auch hier macht sich stellenweise zu sehr die Tendenz be- merkbar, alle Ereignisse rein wirlschaftsgeschichtlich erklären zu wollen. Der Historiker darf niemals aus dem Auge verlieren, dass die Gescheh- nisse und die geschichtliche Entwicklung das Ergebnis einer Vielheit von Faktoren ist. Diese Schwäche, mit welcher der verständnisvolle Benutzer leicht rechnen kann, wird jedoch reichlich aufgewogen durch die Fülle des mit erstaunlichem Fleisse zusammengetragenen Materials , das hier zum ersten Male systematisch gruppirt und zu einer bisher noch nie versuchten wirtschaftlichen Statistik Niederösterreichs im genannten Zeitraum aufge- baut ist. Obwohl man heute recht gut weiss, dass jeder Statistik nur ein relativer Wert zukommt und dass namentlich statistische Rekonstruk- tionen aus der Vergangenheit immer an gewissen Mängeln, namentlich an

[3^ Litera,tur.

der Ungleichmässigkeit der Überlieferung in der Regel betreffen die Zahlenangaben der Quellen Ausnabmszustände , kranken, so liaben doch G.s ziffernmässige Belege im Text und die Tabellen der Münzwerte und der Preise des Getreides, des Weines und der Importwaren vom 14. Iß. Jahrhundert hervorragende Bedeutung.

Um nun wieder zur Hauptdarstellung zurückzukehren, so folgt auf die Darstellung der Katastrophe vom 14. 1(3. Jahrhundert ein Abschnitt, welcher die »Fixirung des Ortsbestandes und die Eestaurationsversuche des 16. und 17. Jahrhunderts« behandelt. Im 16. Jahrhundert begann näm- lich nach dem Preissturz der Edelmetalle seit Entdeckung Amerikas der Wert des Bodenertrages wieder zu steigen und so kommt es wieder zu einer Fixirung der ländlichen Bevölkerung und des Ortschaftsbestandes. Dafür trat allerdings ein rapider Niedergang des Weinbaues ein, weshalb die weinbautreibende Bevölkerung von den Weinbauorten ab- und den Ackerbauorten zuströmte. Auch die Städte und Märkte sanken durch das . Versiegen des Handelsverkehrs auf der Donau und der Semmeringerstrasse wieder zur Landwirtschaft herab. Um dem Mangel an ackerbautreibender Bevölkerung abzuhelfen, beriefen die Grundherren kroatische Kolonisten, die wieder ihrerseits durch die Türkeneinfälle um ihr Land gekommen w^aren. nach Niederösterreich. Wenn gleichwohl die Lage der landwirtschaftlichen Bevölkerung sich nicht in demselben Masse besserte, als sich die Bedin- gungen für den Ackerbaubetrieb wieder günstiger gestalteten, so lag der Grund davon in der starken Steigerung ihrer Lasten. Es gab auch noch- mals eine Katastrophe: den Türkeneinfall des Jahres 1683, welcher aber bloss die Bevölkerungszahl nicht aber den Ortschaftsbestand wesentlich be- rührte, denn unmittelbar nach ihm setzen Neu - Kolonisationsversuche ein. bei welchen das bajuvarische Element (aus Steiermark und Oberösten-eich. aber auch aus Süddeutschland) überwog und welche langsam, aber stetig, das Land wieder hoben. Es begann eine Periode grosser Aufforstungen durch die sogenannten Hüttlerkolonien mit der alpinen Wirtschaftsweise der Holzknechte mitten im Mittelgebirge. Dazu kamen im Anfang des 18. Jahrhunderts die Experimente des physiokratischen Systems, um auch die materielle Kultur der Ebene zu steigern. Die Versuche zur Hebung der Industrie blieben lange steril, erst die Schaffung neuer Verkehrswege ermöglichte den Übergang vom Kleinbetrieb zur Grossindustrie, der aller- dings für manchen Betrieb (z. B. für die Eisenindustrie) mit schweren Krisen verbunden war, aber nur zu sehr wenigen Ortsgründungen führte. So hat denn Niederösterreich, welches 168.3 so weit hinter allen Kultur- s.taaten zurückgeblieben war, sich innerhalb zweier Jahrhunderte wieder auf deren Niveau emporgearbeitet, freilich und dafür bietet der letzte Abschnitt des Buches »Die Siedlungs Verhältnisse der Gegenwart«, der na- turgemäss sich im Wesentlichen auf statistische Nachweise aufbaut, einen Beleg ist jetzt als Folgeerscheinung der zunehmenden Industrie und der Goldwährung wieder ein starker Rückgang der landwirtschaftlichen Bevölkerung eingetreten.

Zum Schlüsse fasst G. noch einmal die Ergebnisse seiner Arbeit zu- sammen und sucht daraus die allgemeinen Gesetze zu gewinnen, wobei es wieder von hohem Werte ist, dass er an der Hand landeskundlicher For- schungen aus andern deutschen Gebieten, namentlich über die Wüstungen,

Literatur. 1 35

den Beweis erbringt, dass die Beobachtungen der Oscillation der Bevöl- kerung und Ortschaftsdiclite, welche er für sein spezielles Gebiet gemacht, auch für die meisten anderen Gegenden Deutschlands gelten.

In ganz Mitteleuropa ist das 15. Jahrhundert das Zeitalter negativ stabiler Ortschaftsdichte, die Perioden 8. 14. und 16. 19. Jahrhundert zeigen positiv labilen Ortsbestand, Ferner ist die Kolonisationszeit des 9. 14. Jahrhunderts die Zeit nationaler Eroberungen, dagegen das 15- und 16. Jahrhundert die Zeit nationaler Verluste. Zeiten hoher Boden- ertra^swerte sind somit gekennzeichnet durch nationale Eroberungen des kulturell höher stehenden Teiles ; Zeiten niederen Bodenertrages haben das siegreiche Vordringen des bedürfnisloseren Teiles im Gefolge.

So erfüllt G.s Arbeit die Forderung, welche die Wissenschaft an jede Spezialarbeit stellen soll: aus dem Besonderen das Allgemeine zu erklären. Da aber das Buch wegen der Fülle des verarbeiteten Materials auch von der Spezialforschung wird häufig benützt werden, so werden sich zwei Mängel sehr unangenehm fühlbar machen : das Fehlen einer Siedlungskarte, welche die vielen meist stummen kleinen Kartenskizzen, die im Text bei- gedruckt sind, nicht ersetzen können und das Fehlen eines Ortsregisters. Nachdem der Band der »Geographischen Abhandlungen«, welchen G.s Ar- beit als stattliches erstes Heft eröffnet, noch nicht abgeschlossen ist, so wäre noch Gelegenheit, diesen beiden unangenehmen Mängeln am Schluss des Bandes abzuhelfen.

Die vorliegende Arbeit hat einem in ÖsteiTeich lange Zeit vernach- lässigten Forschungsgebiete wieder einmal einen starken Impuls gegeben. Da es die Eigenschaft guter Bücher ist, rasche Nachfolge zu finden, so ist zu hoffen, dass auf der nun einmal betretenen Bahn rüstig vorwärts ge- schritten wird.

Wien. M. Vancsa.

R. Kaindl, Studien zu den ungarischen Geschichts- quellen. I.— XVI. Sonder-x4.bdrücke aus dem Archiv f. österr. Ge- schichte Bd. 81—91. (1894—1902).

Zunächst sollen Inhalt und Ergebnisse der einzelnen Studien charak- terisirt und mit dem bisherigen Stand der Forschung verglichen werden. Auf dieser Grundlage wird sich dann ein Urteil xiher die Aufsatzreihe als Ganzes gewinnen lassen.

I. (Bd. 81 (1894) S. 32.5 337) behandelt das Verhältnis, das zwischen den drei Legenden König Stefans d. H. besteht. Wattenbach und Huber (Mitteil. d. Inst. IV. 130 f.) haben festgestellt, dass die Vita minor und die V. maior unabhängige Werke sind und nahmen an, dass diese beiden Viten in der dem König Kolomann (l09."j 1116) gewid- meten, von einem Bischof Hartvich verfassten Legende kompilirt und durch Zusätze vermehrt worden seien. Der letzte Editor, M. Florian, hat nun aber nachgewiesen, 1. dass die Schrift Hartvichs, wie sie im Cod. Pest, und in allen Drucken vorliegt, Spuren der Entstehung um 1200 zeigt, 2. dass in der ungarisch-polnischen Chronik, (die er als Cod. War- sawiensis der Hartvichlegende bezeichnet) eine ältere Form des Werkes

j^gg fjiteratur.

erhalten ist^). Diesen Gedanken hat nun K. neuerlich aufgenommen und in Einzelheiten berichtigt aber in befremdender Weise. Von den Er- gebnissen Florians ist nur das erste genannt, das in dieser Isolirung einen anderen Sinn erhält und Objekt einer billigen Polemik wird. Das zweite, das sich mit dem Kerne von Stxidie I. deckt, ist nicht erwähnt. Dieses Vorgehen entspricht der üblichen Art wissenschaftlichen Zitirens kaum. Wenn nun K. wenigstens die bei Florian in der Tat nicht recht verwertete Entdeckung weiter verfolgt und konsequent zu Ende gedacht hätte! Er nimmt dazu in II. (a. a. 0. S. 337 345) einen Anlauf, indem er die Komposition des Cod. Pest, untersucht und zwei Fragen aufwirft: 1. ob die V. minor, die dem ursprünglichen Hartvichtext fehlte, erst durch den Schreiber des Cod. Pest, eingefügt wurde, 2. was von den nicht aus V. maior und minor entlehnten Angaben dem Cod. Pest., Avas dem ursprüng- lichen Texte angehört. Die Erörterung beider Fragen führt im Grunde zu einem non liquet^). Zu einem wirklichen Eindringen in die Über- lieferungsgeschichte der Legenden ist K. auch im Nachtrag zu Studie VI. (Bd. 84 (1898) S. 530 543) nicht gekommen, wo er die von K^trzynski an einen von ihm entdeckten neuen Text der Legende geknüpften Folgerungen widerlegt, aber ohne zu merken, dass in diesem Text das Mittel gegeben ist, den wirklichen Sachverhalt festzustellen, auf den K. bei tieferem Eindringen schon in II. hätte kommen können. Karäcsonyi wenigstens hat schon 1894 aus der Entdeckung Florians im wesentlichen die richtigen Schlüsse gezogen 3) und dann 1901 auf Grund des von Ketrzynski gefundenen Textes eine Einzelheiten ausgenommen end- giltige Lösung der Frage gegeben*). Er hat nämlich festgestellt, dass in dem heute vorliegenden Text der Hartvichlegende neben dem durch die Legenda maior gebildeten Grundstock zwei verschiedene Gruppen von Zu- sätzen nachzuweisen sind, die nicht auf Hartvich zurückgehen, sondern durch Tendenz und sachliche Beziehungen mit Sicherheit auf das Dom- kapitel von Stuhlweissenburg resp. auf Martinsberg als Entstehungsort hinweisen. Die ungarisch-polnische Chronik hat bereits den in Stuhl- weissenburg erweiterten Text benützt. Damit ist eine genaue Analyse des Textes und die entsprechende historische Verwertung jeder einzelnen An- gabe ermöglicht. Nur eine letzte Konsequenz hat Karäcsonyi aus seinen Resultaten nicht gezogen^).

Auf eine nähere Prüfung der in ihrem Verhältnis bestimmten Le- genden geht K. leider überhaupt nicht ein. Und doch fängt der historische

') Font. bist. Hiing. dornest. SS. I. (1885) S. 183 ff. Vgl. iusbesondeve S. 1S6: Ex his conchuli posse videtur, codiceiu Warsawiensem ante ceteros Hartviciuuos extitisse primamque editionem collectitii huius operis fuisse.

'■') Die erste wird zwar für § 6 bejaht, aber auf Grund einer ganz unzu- länglichen Beweislührnng, für die anderen Stellen aber ausdrücklich otten ge- lassen. Das hindert K. aber nicht in X. S. 404 alle Stellen ans der V. minor auf Piechnung des Schreibers des Cod. Pest, zu setzen.

8) Szäzadok 18fl4. S. 1 ff. und 97 ff.

4) Ebendort 1901 S. 991 If.

^) Zwischen dem Poster Codex und der von Karäcsonyi allerdings für echt gehaltenen Martinsberger Stefansurkunde bestehen nämlich sachliche Berührungen und auch ein bemerkenswerter wörtlicher Anklang. Ich werde diese Umstände in anderem Zusammenhange als Beitrag zur Entstehungsgeschichte dieser Fälschung geltend machen.

Literatur. 137

Nutzen der Quellenkritik erst an, wenn Ort und Zeit der Entstehung, Wert und Quellen der behandelten Schritten erörtert werden und über das was (um nur lateinisch oder deutsch geschriebene Arbeiten anzuführen) Florian und der von K. übersehene Kosenauer (Gymn. -Programm Mediasch 1886) in dieser Eichtuug beigebracht haben, hätte K. wohl auch hinaus- kommen können.

III. ('Bd. 82 (1895) S. 587 625) behandelt die erwähnte ungarisch- polnische Chronik u. zw. l. Entstehungszeit 2. Interpolationen 3. Ur- sprünglichen Bestand und eigentümliche Nachrichten 4. Entstehungsort und Autor. In Kocznik filarecki 1886 S. 121» ff. hat Eos n er diese Quelle besprochen. Er setzt, wie ich aus K. ersehe, ihre Entstehung etwa 1188 1192, unterscheidet eine in Ungarn entstandene ursprüngliche Fassung von späteren Zusätzen aus polnischen Quellen und stellt fest, dass die ursprüngliche Fassung in ihrem ersten auf mündlicher Tradition beruhenden Teile die erste Aufzeichnung der ungarischen Überlieferung über Attila ist, während der Best (vom Beginne Stefans bis Ladislaus) unter Benützung der Vita Hartvici entstanden sei, vermutlich in Stuhlweissen- burg. Zu denselben Ergebnissen kommt im Wesentlichen K. Er bringt neue Argumente für die Entstehungszeit bei, die allerdings nur die Grenz- termiue 1114 und 1270 ergeben. Denn die zu näherer Bestimmung her- angezogenen Gründe sind nicht zwingend ; die Unbekanntheit mit der von K. 1215 angesetzten Ladislauslegende nicht, wegen der historischen Inhalts- losigkeit dieser Schrift und die Benützung der ursprünglichen Hartvich- legende auch nicht, weil die um 1200 erfolgte Umarbeitung derselben die Benützung der älteren Form doch nicht in die Zeit vor 1200 verweist, wie K. will. In der Feststellung der polnischen Zusätze weicht K. von ßosner mehrfach ab; wie mir scheint, mit Rechte). Für den Entstehungsort hält K. Gran, für den Autor einen ungarländischen Slaven. Seine Gründe sind jedoch nur Wahrscheinlichkeitsgründe 2), und rechtfertigen die positive Fassung der Behauptung nicht. Dieselbe gewinnt an Sicherheit natürlich keineswegs durch die Wiederholung in VI. (a. a. 0. Bd. 84 (1898) S. 523 530), deren erste Seiten lediglich eine breitere Wiedergabe von HI. S. 039 f- sind, während das was neu hinzukommt (Übereinstimmung der Chronik mit Alberich von Trois-Fontaines) vollinhaltlich in VII. wieder vorgebracht wird. An neuen Anhaltspunkten für die Graner Entstehung bringt K. in AI. nur die Vermutungen Wilmans und Scheffer-Boichorsts bei, nach welchen Alberich seine ungarischen Nachrichten von Robert von Leyden (Graner Erzbischof seit 1227), resp. vom Kardinal Jacob von Praeneste erhalten hat. Ich glaube eine befriedigendere Erklärung dafür vorschlagen zu können, durch welche allei-dings die Graner Beziehungen entfallen^).

') Ich verweise jedoch auf die folgende Anmerkung.

'■') Eines der Argumente ist direkt irrig. D^e Beschreibung der ungarisch- polnischen Grenze, aus deren ^besonderer« Klarheit K. auf Ortskenntnis des Chronisten schliet'sen will, hat schon Pauler (A magy. nemz. tört. I' 527) mit Recht als Anachronismus bezeichnet. Dieser auf das 13. Jahrhundert weisende Passus dürfte ein Zusatz der polnischen Überarbeitung sein.

3) Alberich hat die in ungarischen Quellen fehlende Nachricht von der Gründung des Klosters Somogyvär (Marczali S. 111) unter dem König Logescelaod (Ladislaus). Diese ungewöhnliche Namensfurm kommt auch in der nur in Frank- reich überlieferten Gründungsurkunde vor (Letzter Druck nach Kollation von

138 Literatur.

Jedenfalls ist die Beziehung auf Gran ein schwacher Punkt in der Polemik K.s gegen K^trz^nski, umsomehr als ihm dabei ein Selbstwiderspruch unterläuft. Während nämlich in VI. (S. 52ö) und VII. (S. 442 f.) die Graner Herkunft für eine in der Chronik benützte Quelle behauptet wii'd, ist es in III. (S. 621) und im Nachtrag zu VI. (S. 541) der Chronist selbst, der »offenbar* in Gran schreibt.

Studie IV. (a. a. 0. S. 625 638) ist die weitaus schAvächsle in der ganzen Reihe. Sie gilt der bekannten Urkunde Stefans I. für Martinsberg. Dieselbe ist nach K. (S. 638) eine Kopie, der man das Aus- sehen einer Originalurkunde zu geben bemüht war. Das Original soll zur Zeit des Graner Erzbischof Dominicus zwischen 1035 und 1038 ausgefer- tigt worden sein u. zw. nicht als Gründungsurkunde, sondern zum Schutz gegen Ansprüche des Bistums Vesprim. Bald darauf soll Jemand unter- halb der Datumszeile eine Notiz über die Güter des Klosters zur Zeit von Dominions' Vorgänger (Sebastian) zugefügt haben; an eine Fälschung zu rechtlichen Zwecken sei hiebei nicht zu denken. Als noch im 11. Jahrhundert die so erweiterte Ux'kunde abgeschrieben wurde, glaubte der Kopist die Urkunde in die ersten Jahre Stefans verlegen zu müssen (sie! damit wäre der »unwiderstehliche Zwang* auch in die Diplomatik eingeführt), setzte also statt des echten Datums das .lahr 1002 und da er den als Kanzler ' genannten Dominicus als Zeitgenossen der Ereignisse um 1000 betrachtete (!), brachte er ihn mit denselben in Verbindung. Ab- gesehen von diesen beiden »Verstössen« des Kopisten sei die Urkunde unverdächtig. Die Beweisführung, die zu diesem Ergebnisse führt, zeigt, dass K. mit den elementaren Grundbegriffen der Diplomatik, so speziell mit dem Begriff der Formelhaftigkeit, ganz unvertraut ist^). Ganz ab- gesehen davon, dass sich die Urkunde aus den voliegenden Abbildungen

Waitz bei Marczali, Encheiridion foat. bist. Hung. 1902 S. 100 ff'. Die Urkunde kann übrigens in dieser Form kaum echt sein.) Albericb kann Nachricht und Namensforra nur aus fSt. Gilles (bei Nime.s\ dem Mutterkloster Somogyvärs her- haben, wie er denn bekanntlich (Mon. Germ. Sy. 23, S. 648, 669) Archiv und Bibliothek Terschiedener Klöster benützt hat. Aus St. Gilles hat er wohl auch seine bis Ende des 11. Jahrhunderts reichende ungarische Quelle. Dass eine solche aus Somogyvär nach Frankreich gelangte, gibt der feinen aprioristischen Vermutung Büdingers, dass mit diesen nach Ungarn geratenen hochgebildeten französischen Mönchen die ungarische Historiografie vielleicht überhaupt begonnen habe (Ein Buch ung. Gesch. S. 85) einen sachlichen Halt. Was nun die Nach- richten für das 12. und 13. Jahrhundert betrifft, so sind dieselben sicher aus dem Tochterkloster von Trois-Fontaines, der 1181 gegründeten ungarischen Cisterce . St. (jlotthard, zu Alberich gelangt. Damit erklären sich auch die auf mündliche Mitteilunjren deutenden Wendungen, die schon Scheffer aufgefallen sind. Dass die Gründung von St. Gotthard nicht, wie jene Somogyvärs, bei Alberich selbst gemeldet wird, erklärt sich durch die Auslassung der Trois-Fontaineser Haus- nachrichten seitens des Überarbeiters der Weltchronik.

•) Es ist schwer ernst zu bleiben, wenn K. gegrenüber den im unechten Teile genannten duces et comites die Anführung der Reihe: archiepiscopus, epi?- eopus, dux, marchio comes et vicecomes, die zu den typischen Formelteilen des Diploms gehört, als »feine Differenzirunt^* auffasst, die als Zeugnis für die Echt- heit gelten soll. Schon kaum mehr als speziell diplomatische, sondern schon als allgemein histoi-ische methodische Forderung muss aber gelten, dass man eine bestrittene Urkunde nicht für sich betrachtet und »logisch* interpretirt, sondern im Zusammenhang mit den Bestätigungen und den anderen Besitz- urkunden des betrettenden Empfängers behandelt.

Literatur. y^(^

(zuletzt als Beilage zu Bd. I. von A magy. uemz. millen. tört. 18 95) als ^Nachzeichnung erkennen lässt, kann man in ihr einen dem Formular der deutschen Köuigsurkunde entlehnten Teil deutlich von einem anderen Teile unterscheiden, der in einer echten Urkunde überhaupt kaum möglich ist. jedenfalls aber nicht aus derselben Feder geflossen sein kann, wie der erste*). Sowohl die Selbstwidersprüche als die mit Händen greifbare Tendenz lassen diesen zweiten Teil als Fälschung erkennen. Diesen Sach- verhalt hat denn auch schon Pauler unter Verzicht auf speziell diploma- tische Beweisführung rein mit inhaltlichen Gründen zur Evidenz gebracht. (A. a. 0., II. 8. 7.'')2ff.) Auf seine 1893 erschieneneu Ausführungen ist K. (S. 62.5, Anm. l) erst aufmerksam geworden, als seine Arbeit »zum Ab- senden bereit lag*'. Er habe sie nicht nachprüfen können, »aber das Er- gebnis erscheint sehr zweifelhaft"^. Hätte K. die selbstverständliche Pflicht der Nachprüfung erfüllt, so wäre diese Bemerkung und wohl auch die ganze Studie, die als völlig wertlos bezeichnet werden muss, ungeschrieben geblieben. Ich habe hier eine Bemerkung einzuschalten. K. spricht sich nie ausdrücklich darüber aus, ob er der magyarischen Sprache mächtig ist oder nicht. Dass ihre Kenntnis für jene österreichischen Historiker, die sich die ungarische Geschichte zum speziellen Arbeitsgebiet wählen, un- erlässlich ist, hat kein Geringerer anerkannt, als A. Huber, der mit eiser- nem Fleiss noch in reifen Jahren das fremdartige Idiom meisterte. K. scheint, obwohl er hie und da auch nichtübersetzte magyarische Werke zitirt, dieser Sprache nicht mächtig zu sein. Sonst hätte er wohl, um von manch Anderem abzusehen, wenigstens die grundlegenden Ausführungen Paulers über die ungarischen Chroniken berücksichtigt, die sich unmittel- bar an den K. im Jahre 1895 bekannt gewordenen Exkurs über di-^ Martinsberger und andere Fälschungen anschliessen. Studie VII XII wären dann wohl auch besser ausgefallen 2). Bevor wir un-^ ihnen zu- wenden, haben wir noch V. zu besprechen.

') Ich habe, als ich 1898 mit freundlicher Unterstützung des Stiftiirchivais Dr. V. Recsey im gastlichen Martinsberg arbeitete, das sonst unter Glas befind- liche angebliche Original mit Erlaubnis des hochwürdigen Erzabtes Fejer, wenn auch nur kurz, prüfen dürfen und kann das zitirte Faksimile als verlässlicli be- zeichnen, obwohl es nicht auf photographischer Reproduktion beruht. Dass der verdiente ungarische Diplomatiker Fejerpatak}' für die Originalität dieses Stückes eingetreten, kann ich mir nur damit erklären, dass seine 1878 erschienene Mo- nographie über dieselbe seine Erstlingsarbeit war und vor allem damit, dass er die Diplomata Ottos III. noch nicht in Sickels Ausgabe benützen konnte. Auf Grund derselben sind wir heute in der Lage nachzuweisen, dass die Vorlage dieser Fälschung von einem der unter Heribert in der Reichskanzlei tätigen Notare diktirt war, ja wir können mit annähernder Wahrscheinlichkeit Her. C. als Diktator der Vorlage annehmen. Ich gedenke nach Abschluss dringen- derer Arbeiten den Nachweis hiefür zu liefern, die Argunieutation Paulers diplo- matisch zu rechtfertigon und jene Erwägungen vorzubringen, die uns eine Aus- scheidung der echten Bestandteile aus der Fälschung erlauben.

-) Dieser Fall ist ein neues Beispiel dafür, wie wünschenswert es wäre, von dieser tüchtigsten Leistung der ungarischen Geschichtsschreibung eine deutsche Ausgabe zu besitzen, wie sie doch dem wertlosen Buche Csudais zu Teil geworden ist. Au loyalem Widerspruche würde es auch dem durch und durch ehrlichen Buche Paulers bei uns in Österreich nicht fehlen. Ich selbst würde Pauler zu überzeugen trachten, dass eine seiner Grundvoraussetzungen (die Zuverlässigkeit der Editionen der älteren ungarischen Urkunden) nicht zutrittt. Eine der modernen Wissenschaft entsprechende diplomatische Bearbeitung dieser Urkunden ist die

140 Literatur.

V. (a. a. 0. S. 898 S. ü05 530) beschäftigt sich mit den Annales "veteres ungarici (als Ann. Posonienses edirt Mon. Germ. SS, 19, 5 710".), widerlegt die schon von Huber bezweifelte Annahme Marczalis, dass die- selben nur ein Auszug aus den ungarischen Chroniken seien ^) und zieht aus der von Wattenbach präzis festgestellten Geschichte der Handschrift (Arch. f. österr. Gesch. 42. S. 495 ff.) genauere Folgerungen. Während sich nämlich Wattenbach damit begnügte, die älteren auf den Süden be- züglichen Angaben in Südungarn, die späteren Notizen in Szeplak und Jäszö im Bistum Erlau zu lokalisiren, stellt K. fest, dass anualistische bis 1127 reichende Aufzeichnungen, die er als annales Albenses bezeichnet, in dem 1143 gegründeten Kloster Szeplak bis 1177, dann in unsorg- fältiger Abschrift zu Sz.- Jäszö bis 1203 fortgesetzt wurden. Den nächsten Besitzer des Codex, die ecclesia Taxen, vermag auch er nicht zu identifi- ziren ; Taxen ist Taksony im W^aagtal. Seine beiden wesentlichsten Zu- taten zu Wattenbach, die Lokalisirung des ältesten Teiles in Stuhlweissen- burg und die Annahme, dass Szeplak in besonderer Beziehung zum Königs- hofe stand, stehen auf recht schwachen Füssen 2).

VII. (a.a.O. Bd. 85 (l898) S. 433— 507), VIII. (Bd. 88 (l899) S. 205 31 1), IX. XII. (l9()0S. 369 472) gehören enger zusammen. Siebehandeln das verwickelte Hauptproblem der älteren ungarischen Quellenkunde, nämlich Entstehung und Wechselbeziehungen der vielverzweigten ungarischen Chro- nikenliteratur. Die Besprechung dieser Aufsatzgruppe wird durch ihre etwas unbeholfene Komposition erschwert. K. ist des Stoffes formell nicht recht Herr geworden. Ein komplizirtes System von Vor- und Eückverweisen, erstere meist ganz unbestimmt gehalten ist die notwendige Folge

wichtigste und dringendste Aufgabe der magyarischen Geschichtswissenschaft. Und praktische Diplomatik ist immer und überall nur ans der organisirten Ar- beit iür grosse Urkundenausgaben und Regestenwerke erwachsen. Es gilt daher grosse Aufgaben zu stellen, an denen sich eine Generation ungarischer Diplo- matiker hei'anbildeu kann. Freilich darf sich dieser grossen Aufgaben nicht jene Scheinpaläographie und Scheindiploraatik bemächtigen, für die Karacson}'i, dessen sonstige Arbeiten ich durchaus würdige, mit seinem Buch über die Urkunden des König Stefans ein schlagendes Beispiel ist.

') Mit der Art der Polemik bin ich hier so wenig einverstanden, wie bei Studie 1. mit der gegen Ploridn.

2) Dass von den 5 kurzen Notizen, die überhaupt in Szeplak eingetragen wurden, sich alle auch mit dem Königshause befassen, ist durch die politische Bedeutung der betreuenden Ereignisse motivirt. Dass K. aber in der Notiz über die Gründling aus dem regnante gloriosissimo rege Geza irgend etwas folgern will, zeugt von geringer Vertrautheit mit der chronologischen Termino- logie mittelalterlicher Schreiber. Auch die Gründe für die Beziehung der Annalen auf Stuhlweissenburg sind kennzeichnend.. Zum Jahre 1081 heisst es: ,,.. . et crux domini fiilgure percussa est". Die Form dieser Aufzeichnung, ^also offenbar die VVeglassung der Ortsangabe) beweist nach K., dass sie nur am Orte des gemeldeten Ereionisses erfolgt sein kann. i>Ein glücklicher Zufall wollte nun, dass der Interpolator des Chron. Pictum (entstanden 1358!) der unsere Annalen benützte, . . . den bei einem mittelalterlichen Chronisten recht anerkennenswerten, glüiklichen Einfall hatte, auch den Ort des Unglücksfalles zu nennen". Er schreibt allerdings: crux domini, que Albe constituta fuerat, . . . woher wusste er das aberV Entweder ist es ein willkürlicher Schluss aus dem Schauplatz der im Pictum vorausgehenden Ereignisse, oder er fand es in seiner Vorlage. In beiden Fällen ist nicht bewiesen, dass die Annalen in Stuhl- weissenburo' entstanden.

Literatur. j^^ ^

einer Anordnung, die Zusammengehöriges oft zerreisst. Mit dieser äusseren Anlage sind auch zahlreiche Widerholungen, wie wir sie bei VI. zu rüo-cn hatten, unvermeidlich geworden. Und damit hängt wieder zum Teil die störende Breite der Studien zusammen. K. braucht für dieses Thema, welches Marczali auf 68 Seiten erledigt und über welches Heinemann (N. A. XIII. (1888) S. 63-74) in erquicklicher Knappheit auf 1 1 Seiten eine Gesamtanschauung entwickelt und begründet hat, nahezu 3 ()(» Seiten. Dabei ist seine Quellenkritik eine rein formale; er vergleicht Quelle mit Quelle, selten die Quellen mit der hislorischen Wirklichkeit d. h. mit der Summe unserer namentlich aus den Urkunden geschöpften Kenntnis der Ereignisse, die in den Quellen vorkommen. Eine solche mehr inhaltliche Quellenkritik macht, wie wir noch sehen werden, die grosse Überlegenheit der Untersuchungen Paulers aus. Schliesslich gilt auch von diesen Studien, dass K. seinen Vorgängern (hier speziell Heinemann) gewiss gegen seinen Willen nicht immer gerecht wii-d.

Doch wenden wir uns dem Probleme zu. Die ungarischen Chroniken, deren 15 Nummern umfassende, ungegliederte Liste K. an die Spitze von VII. stellt, lassen sich in drei Gruppen teilen. ]. Der Anonymus (Notar König Belas III. und nicht des IV.) Sein Werk reicht nur bis Stefan, hat die Hunnengeschichte, welche bei den anderen Chroniken die Einleitung bildet, nicht und zeigt mit den übrigen Chroniken überhaupt nur in wenigen Partien Berühi'ungen, diese allerdings sind wörtlich. 2. Simon Kezai, der unter Ladislaus IV. (1272 1290) schrieb; sein Werk, das bis 1282 reicht, zerfällt in 2 Teile, die Gesta Hunorum und die Gesta Hungarorum. 3. die Ofner Minoritenchronik v. J. 1330, die mit Kezai vom Prolog bis zum Regierungsautritt Ladislaus IV. in fortlaufender, wörtlicher Berührung steht. Alle anderen Chroniken sind Ableitungen dieser Chronik mit mehr oder weniger Zutaten, Änderungen und Furt- setzungen. Eine besondere Stellung nehmen indessen die Werke Muglens und das 1358 entstandene Chron. Pictum ein durch ihre teils gemein- samen, teils individuellen Zutaten für das 11. und 12. Jahrhundert.

Von den zahlreichen, stark auseinandergehenden früheren Ansichten über Entstehung und Wechselverhältnis dieser Chroniken führe ich kurz bloss jene an, die für die noch ausstehende endgültige Lösung in Einzel - resultaten oder in ihrer Gesamtanschauung Wesentliches geboten haben. Xach Marczali (Geschichtsquellen S. 38 ff.) ist die erste Fixirung der in den späteren Chroniken erhaltenen ungarischen Königsgeschichte 1150 116(t im Kloster Dömös erfolgt. Nach längerer Pause sei unter Andreas II. eine Fortsetzung geschrieben worden, vermutlich von einem Deutschen aus der Umgebung der Tochter dieses Königs, der heil. Elisabeth von Thürin- gen, und zwar nach 1227, dem genannten Todesjahre des Laudgrafen Ludwig, und vor 1236, dem Kanonisationsjahre Elisabeths'). In dieselbe Zeit verweist Marczali auch die Entstehung der Abschnitte über die Hunnen- züge und das Land Skytliien. Denn damals zogen jene östlichen Gegenden

•) Gründe: Nach längerer Pause werden die Nachrichten für die ersten RegieruiiijBJahre Andreas II. reichlicher. Es tauchen Angaben über Elisabeth und Ludwiy auf, in der Hunnengeschichte ist die Etzelsage verweitet, der sprachliche Unterschied zwischen Hunnen und Masryaren mit jenem zwischen Sachsen und Thüringern verglichen, Eisenach öfters ziemlich unmotivirt genannt.

X42 Literatur.

die Aufmerksamkeit Europas auf sicli (Reisen der Dominikaner) und die ethnographischen Verhältnisse, wie sie' sich in den Chroniken spiegeln, entsprechen nur dem Zustande vor dem Mongolensturm, der das Bild Osteuropas gründlich verschob. Diese Quelle nun. welche Marczali die »nationale Grundchronik -^ nennt, ist nach ihm am treuesten erhalten in der Ofner Minoritenchronik vom Jahre 1330, obwohl sie seit 1282, als Ke7,ai sie ausschrieb, Umarbeitungen und Interpolationen erfahren hat. (Diese Einschränkung hat K. bei seiner Polemik schlechthin übersehen.) Der Anonymus, den Marczali in die Zeit nach Bela IV. setzt, habe die Örundchronik auch benutzt. Die übrigen Chroniken seien Ableitungen der Ofner. Von ihren Zutaten gehen die bei Muglen auf eine Aufzeichnung über die Jahre 1150 1180, die im Chron. Pictum auf die zum Teil wert- volle heimische Tradition zurück.

Huber (Mitteil, des Inst. IV. ]27ft'.) hat gewichtige Bedenken gegen die erste von ^Marczali angenommene Fixirung vorgebracht. Man müsse eher an eine Redaktion unter Andreas II. denken oder da die Chroniken sich auch für dessen Regierungszeit wenig verlässlich zeigen, noch um einige Dezennien hinaufgehen ; denn sonst könnten Kezai und die anderen Chi'oniken, die beide die Grundchronik benützen, nicht auch noch für die Zeit Stefans V. (l270 1272) wörtliche Berührungen zeigen. Als ältesten Bestandteil dieser Chronik bestimmt Huber die ausführliche Darstellung der Zeit bis 1087, in der drei Partien, nämlich 1. Vorgeschichte und Bekehrung 2. Stefan I. und seine Nachfolger bis 1052 3. die Kämpfe im Königshause bis 1()87 (Tod Salomons) zu unterscheiden sind. Für 1 und 3 'f/iegt die einheimische Tradition, für 2. die benützte fremde Literatur (Regino, Altaicher Annalen) vor.

Eine geschlossene Gesamtauschauung hat dann 1888 (a. a. 0.) L. v. Heinemann entwickelt. Er nimmt an, dass Anonymus, Kezai und die üb- rigen Chroniken auf eine gemeinsame Quelle zurückgehen, die er Gesta Hungarorum nennt. Diese Quelle beruht auf Regino und den Altaicher Annalen, deren Angaben vielfach zu Gunsten der Magyaren umgemodelt sind, ferner auf volksmässiger Überlieferung. Mit den Legenden Stefans, Emmerichs und Ladislaus zeigt sie keine Berührung, in der Legende Ger- hards scheint sie benützt, ebenso bei Alberich von Trois-Fontaines und in den bayrischen Annaleu Aventins. Sie reicht, wie die Übereinstimmung der Ableitungen zeigt, bis gegen Ende des 11. Jahrhunderts. Auf ihr fusseud schrieb Kezai seine Gesta Hungarorum, denen er als 1. Teil die ausführlichen Gesta Hunorum, nach Heinemann sein originales Werk - vorausschickte. Von dem Punkte an, wo die Gesta versagen, muss er -^ich mit einem dürftigen Krmigs Verzeichnis begnügen und wird erst für seine eigene Zeit ausführlicher. Das Werk Kezais wurde von dem Ver- fasser der Ofner Minoritenchronik samt Prolog und Einleitung übernommen, das Ende der Hunnengeschichte etwas verändert. Kezais Text aus den von ihm schon benützten alten Gesta in grösserem Massstab ergänzt, der ebenfalls aus der Feder Közais stammende Appendix » De advenis * mit Veränderun- gen an anderer Stelle eingeschoben , die rosige Schilderung der Zeit Jja- dislaus IV. berichtigt. Ferner wurden noch andere Quellen herangezogen: die erwähnten Legenden, die Volkssagen, die einheimische Tradition. Auf

Literatur. -. ^4>

die Ofiier Chronik gehen alle anderen zurück, auch die Bilderchronik, die vom 12. Jahrhundert ab zahlreiche sagenhafte Elemente einarbeitet.

Uevor ich mich nun K. zuwende, schalte ich hier eine Wieder<^abe der Ansichten Paulers ein, der als Geschichtsschreiber der Arpädenzeit°sich eine eigene Anschauung über diese für ihn grundlegende Frage bilden musste und dieselbe in einem Exkurs über die Bestandteile des Chron. Pictumi) knapp dargelegt hat. Aus der Vergleichuug Kezais mit den Chroniken stellt Pauler eine bis Stefan d. V. reichende gemeinsame Vorlage fest, die er mit 3>I.« bezeichnet. Aus einem Vergleich der Partie »De advenis« mit dem, was uns die Urkunden der Zeit über die dort genannten Ge- schlechter lehren, ergibt sich nicht nur eine Bestätigung dieser Abfassungs- zeit, sondern auch die sichere Einsicht, dass Kezai "^ hier nicht Quelle der Chroniken gewesen sein kann. In I. unterscheidet Pauler mit Hilfe der Agramer Chronik, die nur bis Andreas II. mit den anderen Chroniken stimmt und von dort an eine selbständige von K. übersehene Quelle für die Königsreihe des 13. Jahrhimderts bildet, einen älteren bis Andreas II.

reichenden Teil: I.^ aus und verwendet eine, vermutlich 1220 22 als

Randbemerkung eingeschaltete, im Präsens gefasste Notiz übe"r die Ver- mählung Kaiser Friedrichs II. mit Constantia von Aragon, der einstigen Ge- mahlin des Königs Emmerich, zur zeitlichen Bestimmung von I.", das nach ihm bald nach 1205 abgeschlossen worden wäre. Ne1)en I-i., für dessen weitere Analyse Pauler nur Andeutungen gibt, unterscheidet er im Pictum zwei weitere Quellengruppen, als II. und IIL bezeichnet; III. umfasst die nach der Zeit Kezais in den Text der Chroniken eingearbeiteten sagen- und legendenhaften Elemente, während II. aus drei selbständigen Aufzeich- nungen zusammengesetzt ist, u. zw. aus 11.^, einer nur bei Kezai fehlenden Aufzeichnung über die Streitigkeiten im Königshause bis 1087, (was einem Ansätze Hubers ungefähr entsprechen würde), dann aus II.l^, einer Auf- zeichnung über die Jahre 1091 1152, die nur im Pictum erhalten ist und schliesslich aus IF, einer Quelle für die Zeit etwa von 11 50 bis zum Tode Stefans III. (1175), die nur von Mugeln benutzt ist. Aus stilisti- schen und rechtsgeschichtlich-terminologischen Beobachtungen leitet Pauler die Behauptung ab. dass 11^ und IP sicher, IK höchst wahrscheinlich durch einen Schriftsteller zur Zeit Belas III. vereinigt und überarbeitet wurden. IIa nun ist nach der Art, in der die handelnden Personen ein- geführt werden, wohl bald nach den geschilderten Ereignissen entstanden. 11^ ist, wie unverkennbar gleichzeitige Notizen beweisen, in zwei Absätzen aufgezeichnet, deren einer in die Zeit Belas IL. also vor 1143 fallt, der zweite Ereignisse der Eegierung Gezas IL, (t 1161) behandelt. 11'= ist aus dem deutschen Texte Mugelns, dem auch das Pictum vorlag, schwerer zu fassen, stand aber nach der Zuverlässigkeit der Angaben zu urteilen, den erzählten Ereignissen nahe. Keine der drei Aufzeichnungen lässt sich mehr scharf erkennen, weil wir ausser mit der zusammenfassenden Kedaktion noch mit Änderungen rechnen müssen, die bei der Verbindung von I und II und später durch die Einarbeitung von III und von anderen ZutateU; geschehen sein können.

0 A. a. ü. II. S. 769—790. Vgl. dazu die bis auf wenige Vorbehalte zu- stimmende Rezension Hubers in Szäzadok 1894 S. 338 fl'.

J44 Literatur.

Die Lösung Paulers ist grundlegend für die weitere Forschung. Sie weist den, einzig richtigen Weg, indem sie vom Pictum ausgeht, diesem Sammelbecken der gesamten ungarischen Historiographie, in dessen Erwei- terungen gegenüber den anderen Chroniken Wertvolles und Wertloses selt- sam durcheinander gewirrt ist, was auf Grund der Heinemannschen Theorie nicht befriedigend erklärt werden kann. Auch die Scheidung von I, II und III und z, T. die Feststellung der primären Aufzeichnungen scheinen mir definitiv. Im Einzelnen freilich ist die Tabelle Paulers (a. a. 0. S. 786 if), welche die Verteilung von I, II und 111 auf den Text des Pic- tum veranschaulichen soll, ohne andere mit dem Pictum zusammenhängende Fragen berühren zu wollen'), nur für III unbedingt befriedigend. Diese Partien lassen sich wirklich als Einschübe uniformer Art erkennen, womit die Hauptschwierigkeit lür die Kritik des Pictum beseitigt ist. Schon bei II aber habe ich Bedenken ; sie richten sich gegen die Annahme einer Ge- samtredaktion unter Bela III, gegen die Zugehörigkeit von 11° überhaupt, schliesslich gegen die Selbständigkeit von II^^ und IP'. Die auffalleudeü stilistischen Gemeinsamkeiten können ihrer Natur nach nicht Ergebnis einer Überarbeitung sein, sie finden sich ja sowohl in der Ofner Chronik, die nur 11^ benützt, als auch im Pictum, dem IF sicher nicht vorlag. Ferner setzt jede der drei Quellen ungefähr dort ein, wo die andere aufhört und beidemals ist die iSIaht mitten in einer Eegierung ohne sachlich einen Einschnitt zu bilden. Das wäre bei Fortsetzungswerken nicht auffallend; seltsam ist es bei drei Werken, von denen der Ofner Chronik 13 30 das erste. Mugeln drei Jahrzehnte später das letzte in selbständiger Überlieferung, der Bilderchi-onik 1358 die ersten beiden vorgelegen haben sollen, wäh- rend doch seit Bela III. eine Zusammenfassung aller drei Quellen vor- handen war 2).

Auch die Komposition von I.^ bedarf näherer Untersuchung, wie Pauler selbst bemerkt, während die Erweiterung von I." zu I endgültig klargelegt ist. In I.'''' ist zunächst der von Heinemann nachgewiesene älteste Teil bis Ende des ll. Jahrhunderts, der vielleicht in Somogyvar entstand, als ur- sprünglicher Kern festzuhalten. Was die Fortsetzung desselben betrifft, so ist zweierlei zu beachten: den Kern bildet eine Aufzeichnung, die nach einem ziemlich stereotypen Schema Regier ungsdauer, Krönungstag, Todes- tag und Bestattungsort angibt, wobei auffällt, dass die Tagesdaten und die Regierungsdauer fast immer richtig angegeben sind, während die absoluten Jahresangaben öfter irrig anoesetzt werden. Man wird zu der Annahme

1) Z. El. die Frage, ob die Altaicher Annalen im 14. Jahrhundert neuerlich herangezogen wurden.

■■') Eine befriedigende Lösung dieser Schwierigkeiten weiss ich nicht vor- zuschlagen, inöchte aber darauf aufmerksam machen, dass der ^^este Punkt für II iJ die von Marezali (a. a. 0. S. 81 ft'.) betonte Beziehung zu Dömös und die Tendenz Regen Kolomann sind, dass diese Tendenz erst innnrhalb II b durch einten offeukundigen Zusatz zu einer ganz unbefangenen Darstellung auftritt (Florian II. S. 200), dass demnach das AVibrechen von II in der Ofner Chronik vielleicht einen rein äusseren Grund hat und nicht das Knde von 11^ bed utet. II* könnte dann überhaupt weiter gereicht haben, im Kloster Dömös aber nur bis zn dem Punkte übernommen worden sein, an dem man, abrupt und unge- schickt, die eigene tendenziöse Darstellung begann, mit weitgehender stilistischer Anlehnung an das ältere Werk.

Literatur. -^^f^

gedrängt, dass das Material dieser Aufzeichnung einem Zwecke diente, bei dem es auf die Tage mehr als auf die Jahre ankam, etwa dem Zweck, die Tage für die Seelenmessen zu wissen. Da verschiedene Bestattungsorte genannt sind, kann man dabei nicht gut an einen anderen Ort für diese Aufzeichnung denken, als die königliehe Kapelle. Dies würde auch die Aufnahme der Kriinui gsdaten erklären und vor allem das Auftauchen der einzelnen in das chronologische Schema eingereihten historischen No- tizen rechtfertigen, von denen nicht nur die bei Pauler erwähnte sich als zeitgenössische Eintragung in die bis zum Tode des jeweils letzten Herrschers geführte Aufzeichnung erkennen lässt: auch zwischen 1227 und 123G wurden sicherlich zeitgenössische Notizen eingefügt (s. S. 141 A. l). Mit den letzteren könnte die .Abfassung der Gesta Hunorum und die erste rxesamtredaktion gleichzeitig sein'). Die Brauchbarkeit dieser durchaus hypothetisch gemeinten Erklärung wird bei jener Arbeit nachzuprüfen sein, welche die unerlässliche Voraussetzung für die endgültige Lösung all dieser Fragen bildet, nämlich bei einer neuen Edition der gesamten Chroniken, da die Ausgabe Florians trotz der stupenden Erudition des greisen Ge- lehrten sich nicht aller Hilfsmittel der modernen Editionstechnik be- dient hat.

Ich komme nun zu K. zurück, der Paulers Ausführungen leider nicht berücksichtigt hat. Er unternimmt es, das Thema von Grund auf neu zu bearbeiten und wollte ursprünglich gegen frühere Ansichten nicht po- lemisiren (VII. S. 43 fi; ebendort betont er, dass seine Eesultate z. T. schon feststanden, als ihm Heinemanns Studie verspätet bekannt wurde). K. ist im Go.nzen und Grossen zu denselben Ergebnissen und denselben Beweis- gründen gekommen, wie Heineraann, auch dort, wo dieselben einen Rück- schritt gegen frühere Arbeiten liedeuten. Für die durch Pauler z. T. über- holten GiTindanschauungen kann ich daher bei der folgenden Inhaltsangabe auf Heinemanu (s. S. 142) verweisen und verweile nur bei jenen Punkten, an denen K. abweicht, neue Gründe beibringt oder Fragen miteinbezieht, die Heinemann nicht berührt hat. VII. und VIII. sind vornehmlich den Gesta Hungarorum vetera, (wie K. die Benennung Heinemanns ergänzt) gewidmet, die auch nach ihm die bis ans Ende des 11. Jahrhunderts rei- chende Grundlage aller späterer Arbeiten ist. Die versuchte Rekonstruk- tion der G.V., die Bemerkungen über Zeit, Ort, Quellen und Benützung dieser Aufzeichnung bleiben prolilematisch, weil sie mit den von Pauler nachgewiesenen mehrfachen Redaktionen nicht rechnen, die schon von Huber gestreifte Quelle, die in 11.^ vorliegt, nicht erkennen, und viel- fach die Ergebnisse der späteren Studien, (deren Inhalt in VII. und VHI. häufig vorweggenommen ist) zur Voraussetzung haben. Nun sind aber diese Ergebnisse selbst sehr fraglich. In IX. sucht K. die von Heinemann nur konstatirte Benützung der G.V. durch den Anonymus nachzuweisen, ohne jedoch eine entscheidende Stelle anzuführen, die das umgekehrte Ver-

') Wenn Pauler S. 773 Anm. 13 vermutet, dass Dandolo eine mit I. nahe verwandte Quelle benützt hat, so ist zu bemerken, dass dieser (Muratori SS. XII.) col. 73 und 298 dem Teste Kt?zais näher steht als den anderen Caroniken, von 311 an d. h. gerade von Andreas II. an reichliche eigene Nachrichten hat und sich nur 391 sachlich mit den ungarischen Quellen berührt. Es ist also anzu- nehmen, dass er eine Form von I/^ und nicht I vor sich hatte.

llittliciluiigoii XXIV. 10

J^^ß Literatur.

hältnis (Anonymus Vorlage nicht der G.V. aber von 1.^), ausschlösse. 2. den Nachweis Florians, (IL S. 246 ff.) dass der Anonymus, der sich quondam Belae regis notarius nennt, Notar Belas III. gewesen sei, zu Gunsten der von Marczali vertretenen Zuweisung an Bela IV. zu entkräften. Mit Fauler, der Szäzadok 1883 S. 97 ff einige K. unbekannt gebliebene Gründe für die Ansicht Florians beigebracht hat, halte ich diese Fi-age mit all der bei Indizienbeweisen nur möglichen Sicherheit zu Gunsten Belas III. für entschieden. Die ersten vier Gründe Flori:ins sind bei K. sehr unvoll- kommen wiedergegeben und durchaus nicht widerlegt. Wenn er die an- deren für nicht beweisend erklärt, so gilt dies in noch höherem Grade von den Argumenten, die er selbst beisteuert. (Vgl. übrigens unten).

In X. sucht K. die seiner Meinung nach nicht genügend bewiesenen Ansichten Heinemanns über Kezai neu. und besser zu begründen. Sie sind und bleiben aber unhaltbar. Weder die Gesta Hunorum rühren von Kezai her, noch in den Gesta Hungarorum die Fortsetzung der G. V, von ca. 1100 127 2. Begründung: 1. Die Gesta Hunorum sind, wie K. seilet zugibt, ein unter Benützung der G.V. entstandenes selbständiges Werk, das mit dem auch auf den G.V. beruhenden Gesta Hungarorum nur äusser- lich und nicht ohne Belassung sichtlicher Widersprüche verbunden ist. Das kann durch einen Kompilator erfolgt sein, nicht aber durch Kezai, der nach K. der Autor beider Werke wäre. 2. Der Text der Gesta Hu- norum bei Kezai ist sichtlich ein oft recht unklares Exzerpt offenbar aus einer Quelle, aus der die Chroniken den von ihnen zu Grunde gelegten Kezaitext wiederholt verbessern, (die Verbesserungen gibt auch K. zu). 3. Diese Vorlage kann nach den treffenden Bemerkungen Marczalis (s, oben S- 141 f.) nur vor dem Mongolensturm zur Zeit der Dominikanerreisen ver- fasst sein u. zw. von einem Deutschen oder Ungarn, der zur Zeit der heil. Elisabeth am thüringischen Hof geweilt hat. Ganz sicher aber war der Autor nicht Kezai, der als Panegyriker seines Königs und seiner Zeit schrieb u.nd in dessen Munde die biblisch anklingende Einleitung der Gesta Hunorum undenkbar ist^). Ja, aber der Anonymus? Warum weiss er nichts von den Gesta Hunorum? Sehr einfach, weil er eben bald nach Bela III. schrieb, ehe unter Andreas II. die Dominikanerreisen neue ethnographische Anschauungen und die Beziehungen zu Eisenach die Etzelsage nach Ungarn brachten, weil er eben in reiner Form die ein- heimische ungarische Tradition über Attila darstellt, welcher auch die um 1200 verfasste ungarisch-polnische Chronik noch näher steht. Ich sehe hier nur einen Grund mehr, den Anonymus als Notar Belas III. zu betrachten. Und nun prüfe man nochmals die erste These von IX. und die VIII. S. 936 ff. abgedruckten Parallelstellen. Überall steht der Anonymus Ke- gino näher als die Ableitungen der G.V. Es ist durchaus ebenso möglich, dass I.^ unter Andreas II. die G.V. aus Anonymus erweiterte, als dass der Anonymus, ob nun nach Bela III. oder nach Bela IV. aus den G.V. schöpfte. Dass die ältesten Partien von I." ursprünglich nicht zu den G.V. gehören, hat übrigens schon Heinemann angenommen und K. wohl zu Un- recht berichtigt.

') Ego autem in illo tempore illiiis mundi opus istiid inchoavi, quaudo iniquitas abundaverat et omnis caro ad raalum quam ad bonum pronior erat. (Florian IL S. 54).

Literatur.

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XI. bebandelt in Wiederholung von A'II. c. 2 die E]ntstebuuo- der Orundcbronik im Ofner j\Iinoritelikloster unter Karl Kobevt, konform der Ansiebt Heinemanns, dem gegenüber nur mit Eademacber eine neuer- licbe Benützung der Altaieber Annalen angenommen wird, ferner die Heranziebung »irgend einer genauen« Zusammenstellung der Krönungs- und Todesjabre der Könige. Dann wird über die 1 3 Ableitungen der Gruudcbronik und ihre zwischen J301 und 1342 erfolgte Abzweigung vom Grundstocke gebandelt. Während der l. Teil der Studie von den vor- gebrachten Einwendungen gegen die Grundanschauungen K.s mitbetroffen wii-d, ist der 2. Teil durchaus anzuerkennen. Erst K. hat aus den dan- kenswerten Vorarbeiten des Editors Florian richtiger und vollständiger alle Seblussfolgerungen gezogen. Sein Stammbaum der Chroniken bedeutet da- her einen Fortschritt unseres Wissens. JSicht ganz zutreffend ist nur das geringschätzige Urteil über das Chronicon Zagrabiense (s. oben S. 143) und einzelne Bemerkungen über das Pictum.

XIT. behandelt, zumeist in Wiederholung früherer Ausführungen, vier kleinere ungarischen Quellen, die in den Chroniken neben den G. V. be- nutzt erscheinen. Die ersten beiden, ein angeblich von Kezai bei Abfas- sung der Gesta Hungarorum benutztes dürres Königsverzeichnis von Kolo- mann bis Stefan V. und jenes oben erwähnte, vom Verf. der Grundcbronik in den Text Kezais hineingearbeitete genaue Verzeichnis der Krönungs- uud Todesjahre verdanken ihre Existenz als besondere Geschichtsquellen nur der falschen Auffassung Kezais, sie sind beide Elemente von I.''^. An 3. Stelle nennt nennt K. die antiqui libri de gestis Hungarorum, die nach ihm eine um lloo entstandene ziemlich verlässlicbe Quelle waren, deren Bestand aber im Einzelnen schwer festzustellen sei und denen er einige der in der Grundchronik über Kezai hinausgehenden Nachrichten zuweist. In Wirklichkeit gehören dieselben zu 11.^. So wenig, wie diese Quelle hat K. Il.b. II.c und III richtig erkannt. Das Plus der Bilderchronik von 1051 bis auf Ladislaus, welches sich auf 11.'^ und III verteilt, verwirft er als zumeist ganz sagenhaft in Bausch und Bogen. In den Nachrichten, die au.s ll}> und JI.^ herrühren, sieht er dagegen eine um 1175 verfasste einheitliche Quelle, die von Muglen und dem Pictum selbständig benützt wurden u. zw. vom Pictum in unvollendeter oder unvollständiger Gestalt. Die von Marczali für die erste Fixirung der ganzen Chronik nachgewiesene Entstehungszeit gelte nur für diese von ihm nachgewiesene Quelle »und zwar ist diese, wie sie Muglen vorlag, allenfalls noch etwa 1 5 Jahre später anzusetzen -\ Alle diese Ansichten über die neben den G. V. vorhandenen Quellen sind ganz oder halb irrig und durch die Nachweise Paulers gegenstandslos geworden. Was K. schliesslich ülier Wert und Autor der im Chronicon Dubnicense einge- schobenen Aufzeichnungen ülter die Jahre 1345 1355 sagt, hat kürzer vor ihm schon Hui »er (Arch. f. österr. Gesch. ßß. S. v) ausgesprochen. Fassen wir zusammen : K. bat sich durch Heinemanns richtige Entdeckung der G. V. förmlich hypnotisiren lassen. Von den nahezu 3(tO Seiten der 6 Studien sind fast zwei Drittel den G. V. und ihrem Verhältnis zu den überlieferten Werken gewidmet, und doch waren diese G. V. selbst wenn nian ihnen die mit Anonymus gemeinsamen Partien nicht mit mir ali- spricht, auch nach K. eine »ziemlich wertlose Quelle^. Ihre Rekonstruk- iion bleibt problematisch. Was an sonstigen ungleich wortvolleren Quellen,

10'

X48 Literatur.

uamentlicli für das 12. und 13. Jahrhundert vorliegt, hat K. nur flüchtig- behandelt, unklar oder ganz irrig aufgefasst, die Stellung des Anonymus und Kezais, die Überlieferungsgeschichte der CI. V., die Entstehung der ausführlichen Chronikredaktionen schief beurteilt. Nur Studie XI. bedeutet einen wirklichen Foitächritt.

XIII. XVI. (a. a. 0. Bd. 91 (19()2) S. 1 58) greifen auf die in den ersten Studien behandelte Legendenliteratur zurück, wobei Florians Ent- deckung eines ursprünglicheren Textes der Hartvichlegende der Kritik der Emmerichlegende zu statten kommt. Mit Ausnahme der Gerhardlegende sind diese Heiligenleben historisch belanglos. K.s Beliandlung bedeutet gegenüber Marczali, seinem mit Recht als oberflächlich getadelten letzten Vorgänger, einen Fortschritt, indem sie von der Überlieferung in Di-uckeu und in Handschriften ein berichtigtes Bild gibt und auf dieser Grundlage die älteren Wad jüngeren Rezensionen aller dieser Legenden schärfer un- tersclieidet, als man bisher getan. Auch da-s, was über das Verhältnis der verschiedenen Formen zu den Chroniken gesagt wird, ist vielfach richtig; auf die einzelnen Punkte, an denen die oben vorgebrachten Einwände gegen K.s Anschauung über die Chroniken sich auch hier geltend machen, gehe ich in dieser ohnehin unverhältnismässig langen Besprechung nicht mehr ein.

Wenn ich zum Schlüsse die Summe der einzelnen Bemerkungen ziehen soll, muss ich sagen, dass die Ergebnisse der Studien zu ihrem Umfange in vielfach nicht erfreulichem Verhältnisse stehen. Was richtig ist, ist nicht neu und was neu ist, selten richtig. Dabei verkennt K. sein Verhältnis zu den Vorarbeiten stark, er ist über Florian, Rosner, Wattenbach, Heine- mann nur in unwesentlichen Punkten hinausgekommen. Dass dem so ist, bei allem anerkennenswerten Fleisse und dem im Einzelnen bewiesenen Scharfsinne, muss wohl auf das Fehlen einer sti'engmethodischen Arbeits- weise zurückgeführt werden.

Wien. H a r 0 1 d S t e i n a c k e r.

Zur Frage der 1d e i d e n Texte des österreichischen L a n d r e c h t s.

Das Wei'k des Dozenten der böhmischen jurid. Fakultät zu Prag,^ Dr. Miloslav 8 t i e b e r : » K v y v o j i s p r ä v y . Vliv t:esk;^ch >' ivlü na sprävu V Dolnich a Hornich Rakousich a jeji vyzuam pro rakousky exe- kucni process*, d. h. »Zur Ent Wickelung der Gewährleistung. Der Ein flu SS der böhmischen Elemente auf dieselbe in Österreich u. und o. E., sowie deren Bedeutung für den österreichischen Exekutiv-Prozess^^ (Abhandlungen der böhm. K. Franz Joseph's Akademie, T. Kl., 1901, SS. IX und 20G) behandelt obigen Gegenstand in einem besonderen Exkurse, welcher hier näher be- sprochen werden soll. Wir schicken eine kurze Notiz über die Schrift selbst voraus. Der Autor führt aus, dass zwar die Gewährleistung nach dem böli- mischen Landrechte in ihren Grundlagen mit der gleichartigen Institution

Litenitur. ][4()

des deutschen Eecbtes itbereingestimmt hat, aber dennoch einige besondei'e einheimische Elemente und dies- hauptsächlich in negativer Beziehung in Betrefi" der Ungewähr aufwies. Dieselben Eigentümlichkeiten findet er aber auch in Österreich unter Pfemysl Ottokar und nach demselben: es sind dies die besondere Kompetenz des Landmarschalls (ähnlich derjenigen des Oberstburggrafen von Prag in Böhmen), ferner das einfache, beschleunigte Verfahren und die Generalverhaftung des Vermögens des Gevi'ährsmanns wegen Schäden und Unkosten aus der Ungewähr (sogenannter Landschaden- bund). Diese Übereinstimmung zwischen Böhmen und Österreich glaubt er durch die Eegierung Pfemysl Ottokar II. erklären zu können, sodass dessen Reformen hier die Veranlassung des Übergangs oder der Rezeption böhmischer Elemente des Gewährleistungsrechtes in Österreich gewesen wären. (Soweit deren Spuren im österr. Landrecht I sich vorfinden, sucht er weiterhin zu erweisen, dass hier eine jüngere Redaktion vorliege, als das Landrecht II, d, i. die L. 0. Ottokars von 12ßfj)-

Im weiteren verfolgt der Autor die fernere Entwickelung der Ge- währleistung in Österreich nach den Gerichtsordnungen des XVI. Jahr- hunderts unter dem Einflüsse des römischen Rechts und des römisch-ka- nonischen Prozesses, und weist nach, Avie sich das alte Recht trotzdem in der Praxis Konzessionen erzwang (ausserordentliches Verfahren und die Veihaftung von Gütern). Allein beim Mangel einer Landtafel, wie solche in Böhmen entstanden war, zwang später die durch Exekutivurkunden von der Art der generelle hypothecae tacitae begründenden Gewährbriefe verursachte grosse Rechtsun^iicherheit zu Reformen ; dies führte zunächst zu dem Schermungsedikte von 1635 und schliesslich im XVIII. Jahr- hundert zur Einführung der Landtafel wiederum nach böhmischem Vorbild in Kombination mit dem niederösterreichischen Weisbotenamte, beziehungs- weise dessen Inhibitionsprotokolle. Neue Stadien der Entwickelung brachten die einheitlichen österreichischen Kodifizirungen ; im Codex The- resianus und in der Joseph, allgem. Gerichtsoi'dnung von 1781 sind zwar noch Spuren des alten Rechtes vorhanden, allein im allgemeinen bürger- lichen Gesetzl luch vom Jahre 1811 sind selbe schon grösstenteils ausge- merzt durch den Einfluss des römischen Rechts und des preussischen Land- rechts. Die neue Zivilprozessordnung vom Jahre 189.5 ging unter dem Einflu.sse der deutschen Zivilprozessordnung von 1877 und einiger un- garischer Rechtsvorschriften vom Jahre 1881 noch weiter.

Übrigens hatten die Gewährbriefe eine wichtige Bedeutung in den Schicksalen des Exekutivverfahrens. Das österreichische beschleunigte Ver- fahren ülier Schuld- und Gewährbriefe vor dem Landmarschallsgerichte untex'schied sich von dem Exekutivprozesse vor dem Reichskammergerichte, also schon während und nach der Rezeption. Der letztere habe seine Grund- lage nicht im sächsischen Rechte, wie Ortloff behauptet hat, sondern eher im österreichischen gehabt, welches unter den habsburgischen Königen wohl zunächst in das Hofgericlit eingedrungen sein mochte, sodann in das Reichs- kammergericht, woselbst sich die gelehrten Juristen bei diesem Verfahren hauptsächlich durch die italienische Praxis in Betreff der Exekutionsur- kunden zu 1)ehelfen suchten. Der so ausgebildete IJxekutivprozess des Eeichskammergerichts wurde sodann in Österreich durch das Generale von 15 73 vorgeschrieben, wollte aber hier nicht recht Fuss fassen, wie schon

150 Literatur.

Chorinsky gezeigt hat. Von eleu älteren Grundlagen ausgehend, findet nun der Autor die Ursache des Verfalles der Reform von 1573 im Kampfe des älteren heimischen mit dem fremden Rechte und in dem Siege des ersteren (das österreichische beschleunigte mündliche Verfahren verblieb in den Stadt- gerichten und in den Esträjudicialcommissiones, dann in schon geänderter Gestalt in den Wechselordnungen). Noch in der Josephinischen Gerichts- ordnung finden sich Spuren des Kompromisses mit dem älteren österreichi- schen Verfahren, während die gegenwärtige Zivilprozessordnung den Exe- liutivprozess im eigentlichen Sinne nicht aufgenommen hat.

Im Zusammenhange mit der Hauptstudie aus dem Gebiete der Ge- schichte des Zivil-Rechtes und Prozesses gibt nun der Autor auch Bei- träge zur Geschichte der öffentlich-rechtlichen Eiurich- t VI n g e n und R e c li t s q u e 1 1 e n ( )sterreichs u. E. im 13. Jahrhunilert, speziell für die Zeit Pf emysl Ottokars II. Er sah sich hiezu insofern genötigt, als er die besondere Übereinstimmung zwischen der Gewähr- leistung in Osterreich und in Böhmen durch die Rezeption einiger l)öh- mischer Elemente unter der Regierung dieses Herrschers in Österreich er- klären will.

Ottokar IL wirkte wie in Böhmen, so auch in Osterreich organi- satorisch, und es liegt auf der Hand, dass seine Reformen da wie dort zu wechselseitiger Beleuchtung dienen können. Einesteils wurden die Re- foi'men in Osterreich sagt der Autor - Hand in Hand mit denjenigen in Böhmen in's Werk gesetzt, einesteils nach dem Vorbilde der böhmischen Rechtsverhältnisse gestaltet (S. 193); umgekehrt ging gleichzeitig wieder vieles aus dem deutschen Rechte in das böhmische über (S. 44). Es ist demnach allemal besonders zu untersuchen, inwieweit eine Neuerung v<^n ()ttokar da wie dort parallel eingeführt wurde (er hegte auch kompilato- rische Pläne, so in Böhmen 1272 auch nach fremdländischen Mustern) oder, soweit solche aus einem Lande in das andere verpflanzt wurden, welchem von den beiden die Priorität gebührt, l'ber diese, bisher von Niemandem gelöste grosse Frage wurden lediglich verschiedene Mutmas- sungen ausgesprochen. So nahm Luschin nur allgemein den Einfl.uss böh- mischer Verhältnisse auf die österreichischen an (Gerichtswesen 63, C)'.); Anfänge der Landstände 443), ebenso Werunsky (Rechtsgeschichte .")7), wogegen Bachmann ohne nähere Begründung die Reformen (»ttokars in Böhmen als Nachahmungen der österreichischen Verhältnisse hinstellt (^Ge- schichte Böhmens I, 583), Dopsch, welcher der Zeit Ottokars II. viel Aufmerksamkeit zugewendet hat, spricht sich im ganzen über den Einfluss böhmischer Verhältnisse nicht aus, sucht jedoch für die besonders unter Ottokar ausgebildeten österreichischen Einrichtungen zum Teil wenigstens schon die illtei'e Entwickelung in Osterreich zu erforschen (beispielsweise für den geschworenen Landesrat; Datirung des Landfriedens H. Ot. 1G5). Auch unser Autor hat sich zwar auf die Lösung der ganzen grossen Frage nicht eingelassen, aber wenigstens in einigen Richtungen den ernsten Ver- such unternommen, eben Ottokars volles Verdienst, beziehungsweise die Benützung böhmischer Vorbilder aufzuweisen.

I. Den Grund hiezu legt sein Exkurs über das österreichische Landrecht (S. 171 199). Der Autor acceptirt die heute geltende An- sicht von Dopsch, dass die weitere Fassung des L. R. die anfangs 12(56

Literatur. \P)\

erlassene L a n d e s o i* d n u n g 0 1 1 o k a r s IL ist, welche später ausser Gel- tung kam. Diese Ansicht erhärtet er durch neue Gründe (entgegen der ^Meinung Luschin 's, dass dies bloss ein Landrechtsentwurf aus dem Jahre 1298 gewesen sei) ; aber eben deshalb zieht er dann den Schluss, dass die kürzere Fassung des L. E., welche die Siegel folgende herrschende An- sicht als private Rechtsaufzeichnung aus dem Jahre 1237 ansieht, nicht aus der Zeit der Babenberger herrührt, sondern eine jüngere Form sei, die Umarbeitung der L. 0, von 1266 zu einer Aufzeichnung des Ge- wohnheitsrechts, welche darin besteht, dass die in der Derogirung ein- zelner seiner Veroi'duungen und ßegierungsakte im Landfrieden von 12 76 ersichtliche Reaktion gegen Ottokars »Interregnum* alsbald aus der L. 0. einige seiner, vornehmlich aus dem Landfrieden von 1254 entnommenen Vorschriften ausgemerzt hat, während der Rest absichtlich auf die normalen Zeiten Leopold VI. zurückbezogen wurde. Diese Ansicht ist neu ob- zwar schon Hasenöhrl dem Landfrieden von 1254 die Priorität vor dem L. R. I zuerkannt, aber beide seine Texte unterschiedslos in die Jahre 1276 1330 gelegt hatte und unser Autor macht sie durch gewich- tige formelle und materielle Gründe wahrscheinlich, wodurch er die überaus controverse Frage der beiden Texte des österreichischen L. R. in ein ent- schieden neues Stadium bringt. Wenn sich seine Ansicht als richtig er- weisen sollte, würde dieselbe grundlegend werden für die Rechtsentwicke- lung des ganzen 1 3. Jahrhunderts und es raüsste namentlich manches, was auf Grund des L. E. I schon der Babenberger Zeit zugesprochen wurde, dennoch in die spätere Zeit verlegt werden.

1. Vom formalen Standpunkte glaubt der Autor nicht, Ottokar IL habe für sein Gesetz von 1266 Entlehnungen aus einer älteren Rechts- aufzeichnung von 1237 gemacht zwecks Vermehrung und eventueller Ver- sehung derselben mit gebietenden Formeln (Wir setzen und gebieten, etc.). Bei Erlassung des Landfriedens von 1254 (nach Dopsch's Datirung) be- rücksichtigte er das ihm unbekannte L. R. I nicht; hingegen schöpfte er direkt aus der deutschen Übersetzung des Mainzer Landfriedens von 1235. Ebenso schöpfte er bei Erlassung des L. R. II direkt aus den Landfrieden von 1254 und 1235 (nicht etwa durch das Mittel des L. R. I). Dies er- härtet die Tatsache, dass aus dem Mainzer Frieden 10 Kapitel im ganzen nach deren Reihenfolge selbst mit der befehlenden Formel übernommen wurden (nebstdem auch lediglich im Landfrieden von 1254 vorkommende Artikel, als wie § 40 a, § 49) während das L. R. I bloss weniger Kapitel kennt und die Befehlsformel abstreilt (Art. 48 aus § 64, nach den Landfrieden von 1235 und 1254). Das L. R. II besitzt überhaupt Selb- ständigkeit, relativ mehr Systematik, d. h. eine im ganzen zusammenhän- gende Gedankenfolge (vgl. S. 179 ff.) und daher auch die Priorität vor dem L. R. I, das formell als Umarbeitung sieh offenbai't. Der Um- arbeiter liess sogar aus Versehen im Art. 64 L. R. I die Worte »bei unsern hulden« aus dem § 82, L. R. IL und dem Landfrieden von 1254 stehen (im Landfrieden von 1235: by des keysers hulden), welche in einer Pri- vataufzeichnung nicht am Platze sind. Überdies gab er im Art. 48 L. R. I eigentlich nur eine schwerfällige Übersetzung der präzisen lateinischen Vor- schrift des Rudolphinischen Landfriedens vom Jahre 127 6, so dass selbst diesem die Priorität vor dem L. R, I zukömmt (was Hasenöhrl aus Art. 23

152 Literatur.

-= § 19 zu erweisen versucht hat). Hiemit stimmt der Umstand überein. dai^s auch die Überschrift des L. R. I zu Art. I (welche sich auf das Ge- wohnheitsrecht unter Leopold VI. beruft, und, insoweit der fünf Jahre nach Leopolds Tod erlassene Mainzer Landfrieden benützt wurde, ein Falsura ist) stilistisch nicht so passt, wie die Überschrift des L. R. II zu § 1, denn beide diese Artikel sprechen eine Verpflichtung aus, weche eine "Willens- erklärung vorausgesetzt. Das L. R. 1. macht auch zu einem Gewohnheits- recht, was doch offenbar im Jahre 1237 ein solches nicht war, wie na- mentlich die Art. 60, 63, 65, welche ja erst aus den Gesetzen, d. i. Land- frieden von 1235 (u. 1254) stammen, wogegen später die bezüglichen §§ 79, 82, 84 L. R. II bereits von einem Gewohnheitsrechte des Landes sprechen konnten. Übrigens enthält auch Art. GO L. R. I die Worte »unser huld« im Einklänge mit dem Landfrieden von 1235 und 1254, aber mit dem Zusatz von dem Verluste der Vogtei, welcher Zusatz im Landfrieden von 1235 noch fehlt (daher kaum einer Gewohnheitsrechtssammlung vom Jahre 1237 eingefügt werden konnte), wohl aber in demjenigen von 1254. sowie im § 79 L. R. II schon vorkömmt. (Dagegen konnte das L. R. II. nachdem es schon als Gesetz Geltung erlaugt hatte, in einer späteren Um- arbeitung als eine Aufzeichnung des Gewohnheits- beziehungsweise gel- tenden Rechts hingestellt werden).

Zu dieser formellen Begründung des Autors könnte bemerkt werden, üopsch habe (Enstehg. 97 ff.) die Worte »bei unsern hulden« des Art, 63 (ev. GO) dadurch zu erklären versucht, dass bei der Aufzeichnung vom Jahre 1237 bereits Fühlung mit der kaiserlichen Kanzlei genommen worden und der Kaiser wohl schon die Bestätigung zugesagt habe, wovon dann Umgang genommen worden. Allerdings erscheint diese Erklärung gesucht und künstlich. Die Erwähnung Leopolds VI. könnte dadurch erklärt werden, dass Kaiser Friedrich gelegentlich der Bestätigung von Privilegien im Jahre 1237 auf diesen Fürsten als auf die Normalzeit sich bezogen hat, was nach Kaiser Friedrich freilich auch König Rudolf getan hat, weshalb auch die Umarbeitung des L. R. von 1266 zu einer Rechtsaufzeichnung aus der Zeit Leopolds VI. in die Zeit 1276 82 fallen könnte, wo Österreich noch in Reichsverwaltung und die Herrschaft der Habsburger erst in Vorberei- tung stand (zumal Albrecht 1281 gemeinsam mit einem Landesrat das lumd verwaltete), während später die feste Regierung Albrechts den Land- herren schon minder entgegenkommend war (nach Dopsch ist denselben L. R. I günstiger als L. R. II). Die Ansicht unseres Autors, dass die Um- arbeitung sicher vor 1292 entstanden sei, wo der kleine Lucidarius die- selbe bereits voraussetzt, steht nicht ganz fest, nachdem jenes Gedicht erst um das Jahr J299 entstanden ist (Dopsch, Entstehung 34, a contr. 77, wo das Entstehen in die Zeit von 1292 94 verlegt wird). Die steirische Reimchronik spricht ihrerseits wieder zum Jahre 1295 von dem Gesuche der aufständischen Herren um Bestätigung der Rechte und Gewohnheiten des Landes aus der Zeit »Kaiser Friedrichs ^^ (ib, 95; übrigens zu vergl. auch Luschin ad 1298).

2- In materieller Hinsicht stützt sich unseres Autors Hauptbeweis auf die innere Übereinstimmung des böhmischen Landtagsschlusses ca. 1266 mit den Vorschriften des österreichischen L. R. aus dem Anfange des Jahres 1266 in Angelegenheit der sogenannten Land frage gegen

Literatur. 153

die landschädlichen Leute und insbesondere die Falschmünzer, wobei er im Wesen den alten böhmischen Entwickelungsgang voraussetzt, welchen Otto- kar in Österreich nachgeahmt habe. Die summarische Inquisition gegen die landschädlichen Leute kommt auch schon im Mainzer Landfrieden vom Jahre 1235 vor, aber in Österreich gestaltet sich dieselbe dann (nach Zalliuger) eigentümlich, so dass sich dieselbe von der deutschen mannig- fach unterscheidet (Initiative der Exekutive ohne Privatankläger ; kehrt sich nur gegen die landsohädlichen Leute und wegen bestimmter Verbrechen: Anschuldigung durch Ebenbürtige) und diese Eigentümlichkeiten erachtet der Verfasser eben als Folgen der Eeformen Ottokars Spui-en hievon im L. R. I müssten späterer Zeit angehören. Ottokar hat bereits im Landfrieden von 1254 den. neuen vier Landrichtern die Landfrage aufge- tragen nach dem Vorbilde der böhmischen Zupenrichter und hat dieselbe dann im L. ß. von 1266 (§§ 7, 36, 69 71, 73) in der Art reformirt. dass dieselbe mit Bat der Landherren durch den Landesherrn, beziehungs- weise seinen Stellvertreter eingeleitet werden kann, und zwar findet die- selbe Anwendung nur bei bestimmten Verbrechen, wo eine Anklage durch sieben Personen des gleichen oder höheren Standes, soferne diese die Wahr- heit eidlich erklärten, erhoben werden darf. Ahnlich lautete der Beschluss der Landherren (barones) in Böhmen auf dem »Landtage« ca. 1266, durch welchen die Anwendung des ausserordentlichen Verfahrens auf die Falsch- münzerei ausgedehnt und die eidliche Bezeugung von sieben standesgleichen oder höheren Personen erfordert wurde. Ebenso hat erst Ottokar ein Zen- tralorgan für Landfriedensbewahruug geschaffen, insbesondere gegen land- schädliche Leute und zwar parallel in Österreich den Landmarschall (L. E. II. § 57, 61) und in Böhmen den Oberitburggrafen (Schäden bei Expedition der Heeresbereitschaft sollte der Landmarschall richten § 55, während selbe der böhmische Landtagsschluss ca. 1266 den Zupengerichten, eventuell dem Prager Gerichte zuwies, in letzterem Falle wohl vornehmlich dem Oberst- burggrafen); neben diesen wirkten in kleineren Bezirken ähnlich die Land- richter, beziehungsweise Poprawczen.

Den Prioritätsanspruch Böhmens stützt der Autor auf das ausseror- dentliche Inquisitions- o. Frageverfahren der böhmischen Zupenbeamten nach dem Jus Conradi (ll89 resp. 1222), wo der »närok«, d. i. die Anklage wegen geheimer Verbrechen (accusatio furum vel nocturnorum praedonum, ähnlich bei Verwundung und Todtschlag) durch »soci«, d. i. Ankläger aus dem Volke unter Eid, sogenannte accusatores, zugelassen wurde, so dass ein derartiger ausnahmsweiser Schuldbeweis (anstatt des Unschuld- beweises) nur durch eine schwerere Reinigung abgewendet zu werden ver- mochte. An die Stelle der soci-accusatores traten mit der Zeit ständige An- kläger (die Spur davon im Iglauer Rechte 1 249), und Ottokar hat offenbar das alte Verfahren neu geregelt, indem er anstatt jener accusatores öffent- liche Ankläger einsetzte, die Poprawczen, welche, ohne einen Richter über sich zu haben, selbst zugleich Richter wurden (sie übergingen dann unter Wenzel IL nach Polen noch mit der Anklägertradition),

Des Autors Beweisführung ist zwar im Einklang mit seiner formalen Begründung; allein an und iür sich wäre dieselbe nicht ausreichend. Zu- nächst hat sich der Text des böhmischen »Landtagsschlusses* ca. 1266 ledidich in dem Formelbuche des Henricus Italiens erhalten und sein In-

1^^ Literatur.

halt selbst ist zum Teil rätselhaft (nach Art. III ivlagen und richten die »civi- tatum consules« von amtswegeu die Hehler und Förderer von Geächteten, mögen auch die Hehler Herren oder Vladyken sein, was kaum die Deu- tung zulässt, es seien städtische Consules gemeint, sondern lediglich von Kreispoprawczen aus dem Herrenstande gelten könnte, wie denn ja diese im Landfrieden 1300 1301 consules terrae heissen, und sie allein wären auch im Sinne des Art. I desselben »Landtags« 12GG gleichen oder höheren Standes). Was das Datum dieses Landtages oder Landrechts anbelangt, so fiel die Abhaltung um Andräi, also in den November; wird dasselbe in das Jahr ]26ß verlegt, so wäre das österreichische Landrecht II (aus dem Anfange 1206) zeitlich vorausgegangen und der böhmische » Landtagsschluss * wäre erst sein WiderhalL Allein man könnte denselben auch in den No- vember 1265 legen, da er von künftigen militärischen Expeditionen spricht und zugleich die anlässlich der vorausgegangenen Expedition entstandenen Schäden erwähnt, und wir wissen, dass bereits im Jahre 1265 eine starke böhmische Streitmacht nach Baiern gesandt wurde, worauf im folgenden Jahre Ottokar selbst anfangs August eine noch grössere Expedition dahin unternahm (auf diese iveist auch § 56, L. R. II hin); vielleicht standen auch die damaligen umfassenden Verproviantirungsmassnahmen zugleich im Zusammenhang mit den Vorschriften des böhmischen »Landtags-^ 1265 und L. R. II 1266 über die Verproviantierung und die Schäden bei Heeres- expeditionen (die Schäden wurden dadurch trotzdem nicht behindert).

Erwiesen bleibt nur die materielle Übereinstimmung der Vorschriften des böhmischen »Landtages« ca. 1266 und L. R. II, die aber noch an und für sich die Priorität der böhmischen Verhältnisse nicht erweist. Evident ist zwar eine innere Verwandtschaft des »närok« = accusatio nach dem Jus Conradi mit dem Verfahren gegen die Falschmünzer nach dem böh- mischen »Landtag« ca. 1266; aber der beiderseitige formelle Zusammen- hang in Einzelheiten ist nicht erweislich, da hier schon die Hand des Re- formators eingreift. Die Entwickelung der böhmischen Poprawczen aus den ;;Soken« (nicht aber den Kastellanen) ist auch eine noch neue, durchwegs kaum akzeptable These; ebenso lässt sich der Einfiuss des Oberstburg- grafenamtes von Böhmen auf das österreichische Marschallsamt nicht er- weisen, wenngleich die Parallele beider Amter unter der Hand Ottokars offenbar ist.

3. Der Autor nimmt ferner in der oft- veutilirten Frage des Baues von Burgen den Standpunkt ein, dass die Verbote und Schleifungen schädlicher Burgen und Festen im ganzen von Ottokar II, herrühren ; eben deshalb habe der Landfriede von 1276 den Widerruf gebracht, wenn auch teilweise nur vorübergehend, sodass bei der Umarbeitung des Ottokar'schen L. R. auf das L. R. I. daselbst in dieser Richtung doch eine einzelne Vor- schrift geblieben ist. Es hätte nicht zum Schaden gereicht, wenn der Autor die bezüglichen Vorschriften im besonderen systematisch durchgenommen hätte. Es unterliegt zwar keinem Zweifel, dass einzelne Vorschriften nur von Ottokar stammen, so L. R. IL, § 58 über die Schleifung unbefugter Burgen binnen 20 Jahren (von 1246 an), § 49 über die Befestigungen aus Kirchen (schon im Landfrieden 1254), § 40 a, über den Anspruch auf 30 Pfund Einkommen (bereits 1254, nach dem baierisehen Landfrieden von 1244), § 39 über den Umfang einer Rast (zu \ ergleichen mit dem

Literatur. 155

Privilegium von Wiener-Neustadt 1253); allein bes^ser stäche noch das charakteristische Falitum hervor, dass das L. R. I kein Verbot von Bauten ,an der lantleut schaden* enthält, welches doch im Landfrieden von Mainz 1235 enthalten ist (dann im Landfrieden von 1254, L. R. II, § 40), wie nicht minder der Umstand, dass L. R. I in seinem einzigen Artikel (67) von den schädlichen Burgen, entgegen dem § 8ß, L. R. II, wieder einen dem Adel günstigen Zusatz enthält, dass nämlich der Landesherr mit dem Rate der Landherren den Wiedaraufbau einer wegen Landesschädlichkeit geschleiften Burg gestatten dürfe. Übrigens wird nach beiden L. R.-Texten in gleicher Weise die landesfürstliche Zustimmung zum Baue von eine ge- wisse Grösse überschreitenden Festen verlangt (Art. 58, § 7G); aber nach L. R. II, § 41 ist hiezu auch der Rat der Landherren notwendig was gewiss in der gerechten Rücksicht Ottokars gegen die Landleute seine Er- klärung findet, damit sie nicht bei Abgang eines öffentlichen Interesse^ durch Burgfrohnden (Burgwerk) und nachherige Leistungen für den Schutz belastet würden, während nach dem Falle Pfemysl Ottokars der Land- friede 1276 den Herren eher das Recht, die Untertanen nach ireier Willkür, allerdings vernünftig, zu behandeln bestätigte (wie denn auch im L. R. I die Worte ausgelassen »an der landleut schaden^'').

4. Schliesslich hebt der Autor noch besonders hervor, dass ^ 7 2. L. R. II (art. 55, L. R. I), wo vom Kampfe des Landesherren gegen seine Hausgenossen die Rede ist, nicht wohl anders zu erklären sei, als durch die Erinnerung an Ottokars Familienzwiste mit seinem Vater; dass ferner die künstliche Frist zu Erwerbung der rechten Gewere: 30 Jahre. 1 Jahr und 1 Tag, in einer Gewohnheitsi-echtsaufzeichnung aus dem Jahre 1237 nicht am Platze wäre (Art. 27), sondern erst erklärlich sei durch den legislativen Eingriff eines Gesetzgebers, welcher wie eben Ottokar auch ein Compilator fremder Rechte war (es liegt eine Zusammenlegung der römisch- und deutschrechtlichen Frist vor; § 18: 30 Jahre und 1 Tag). Ebenso soll auch die Vorladungsfrist von 6 Wochen (L. R. II, § 24, 23, L. R. I. Art. 29, 28, nach des Autors Meinung auch im § und Art. 1 erkennbar; an die böhmische, aus dem Rechtsbuche des alten Herrn von Rosenberg bekannte, erinnern. Tatsächlich lässt sich hier freilich nichts als die Paral- lele erweisen, wenn auch das Rosenberger Buch zum Teil schon in die Zeit Ottokars verlegt werden kann (dafern irgend eine Partie, das 8. Kap.. nicht schon der 1. Hälfte des 13. Jahrhunderts angehört).

II. Die Ausführungen des Autors in seinem Exkurse schliessen mit dem vorstehend Angeführten. Eigentlich hätte er es dabei nicht bewenden lassen sollen, sondern hätte (nach dem Vorbilde von Dopsch) von seinem Standpunkte aus die allgemeinen Rechtsverhältnisse in Betracht ziehen sollen, insbesondere das Verhältnis Österreichs zum Deutschen Reiche, die Geriehtsorganifation, das Ständewesen mitsamt den politischen Tendenzen des Herrenstandes gegenüber dem Landesherrn. Gegen die herrschende ^leinung, dass sich im L. R. I überhaupt ältere Verhältnisse abspiegeln, im L. R. II die einer jüngeren Phase, kann sich derselbe zwar dadurch ver- teidigen, dass das L. R. I eben nur indirekt als Reaktion gegen die Re- gierung Ottokars zu der Zeit der Babenberger in Beziehung stehe. Allein erst eine detaillirtere Anal3^se des öflfeutlichen Rechtes wäre imstande, seinen -StandpiTnkt zu erhärten, wobei vielleicht zum Vorschein gekommen wäre.

25 ß Literatur.

inwieweit bis zum Eegieruugsantritte der Habsburger bereits unwillkürlich ^'me weitere Entwicklung eingetreten sei, welche die Restauration doch nicht mehr angreifen konnte (unternimmt doch der Autor selbst von einigen Vorschriften des L. E. I den Beweis, dass sie einen Eingriff Ottokars vor- ausgesetzt haben). Indes ist diese Unterlassung mehr ein formeller als ein materieller Mangel, zumal der xiutor wenigstens mit der Gerichtsor- ganisatiou uud namentlich mit dem Marschallamte bereits an einer an- deren Stelle seiner Schrift sich befasst hat (S. 44 56), woselbst die Eezeption der böhmischen Elemente der Gewährleistung in Österreich unter Ottokar in Frage stand, und deshalb wohl Wiederholungen vermeiden wollte ; bloss die Beziehungen zum Deutschen Reiche blieben ausser - Betracht.

1. In letzterwähnter Hinsicht kann dem Autor gewiss entgegenge- halten werden, dfiss die Erklärung der bezüglichen §§1,2 uud 45, L. R. H bisher aus der angeblichen Vorlage =^ L. R. I geschöpft wurde. Wäre aber L. R, II die ursprüngliche Kompilatioi; der Gewohnheiten und Rechte unter Ottokar II., so wäre da ein Widerspruch mit seinem Landfrieden von 1254, nach welchem der Vorbann (die Verfestung) gegen die Mini- sterialen -den vier oberen Landrichtern überlassen, die schliessliche Acht aber dem Herzoge und nicht dem Reiche vorbehalten wurde. Aber eine Autklärung ist möglich. L. R. H, § 45, wonach der Landesherr die Land- herren zur Expedition ausser Landes nicht nötigen dürfe, da das Land » ein recht march ist«, ist offenbar ein Nachhall des Privilegium Fridericianum minus, das eben Ottokar durch Margaretha von Babenberg übergeben worden w'ar (angeblich mit dem Rechte auf das Land selbst) während auffal- lender Weise L. R. I eine derartige Vorschrift überhaupt nicht enthält, fbrigens hinderte dieser § 45 Ottokar nicht, eine Kriegsexpedition nach Baiern zu unternehmen, als ob es die Verteidigung des Landes gälte (§54 bis 56, L. R. II). Als ferner Ottokar während des Reichsinterregnums den Landfrieden 1254 erliess, war er lediglich durch ein Treugelöbnis gegen König Wilhelm gebunden (1253) und konnte zeitweilig etwas anderes an- ordnen, als später, wo er bereits als König von Böhmen (seit Dezember 1261) nach Vertreibung der Gattin Margaretha sein Recht auf Österreich in erster Reihe von der schriftlichen Investitur König Richards 1262 ab- leitete : aus L. R. II ist also zu ersehen, dass er wenigstens formell sein Verhältnis zum Reiche wahren wollte. Deshalb erscheint im § 1 die Appellation der Landherren an das Reich, im § 2 wird dann im Falle der »echt« durch den Landesherrn das letzte üiteil über Ehre und Recht der Ministerialen dem »Kaiser und Reich« vorbehalten, weil sie ein Lehen des Ländesherrn vom Reiche seien. (Warum hier vom Kaiser die Rede ist, in einer Zeit, wo es keinen gab [1250 1312J, hat schon Dopsch, Entstehung 65, 46 aufgeklärt, damit nämlich nicht eine Verwechslung stattfinde mit dem Könige, d. i. Ottokar selbst, welcher uuch in Österreich von seiner königlichen Gewalt zu sprechen pflegte; vgl. S 37, L. R. II). Übrigens verlangt § 1 in Fällen, wo Leben, Ehre und Eigen eines Landherrn in Frage kommen, das Gericht »vor den lantherren«, dann »vor dem landes- herren und vor seinen (d. i. des Landherren) hausgenossen«, was jedoch nicht ausschliesst, dass sicli auch hier der Landesherr durch einen besonders delegirten Richter oder durch den Oberstlandrichter vertreten lasse (vgl.'

Literatur. 1 57

§ 91 und 92, Dopscb, Entst. G9 ffj. Obschou ferner einige Fälle von Appellationen an das Reich unter Ottokar IL bekannt sind, so hat ihn da^ schliesslich doch nicht von der Anwendung von Strafen an Leib und Leben gegenüber dem Adel gehindert.

2. In Bezug auf das Gerichtswesen hat der Autor an der in Rede stehenden Stelle eine eingehendere Analyse für seine Autgabe nicht ge- halten; trotzdem hat er seinen in mancher Richtung von den herrschenden Ansichten abweichenden Standpunkt betont. Es liegen hier also zum Teil unausgeführte Thesen vor; mit einigen Meinungen wird man sich schwe)' befreunden können. Er nimmt an (S. 48, 196), dass unter Ottokar den Landtaidigen bloss der Landesherr oder sein Vertreter präsidirt habe (nicht auch die 4 oberen Landrichter nach dem Landfrieden 1254), dass die Landtaidinge nur dreimal des Jahres (nicht neunmal) abgehalten wurden, so zwar, dass der Landesherr oder sein Vertreter zwischen den drei be- kannten Dingstätten unter welchen statt Korneuburg irrtümlich Kloster- neuburg genannt wird die Wahl hatte (nach L. R. II, § 9 2). Dabei hat sich freilich der böhmische Eiufluss auf die Landtaidinge nicht erstreckt; der Autor wendet die Analogie nur in der Richtung an, dass er die Worte »nur über sechs wochen und nicht darhinder« im § 1 als für die Vor- ladungsfrist, nicht aber dera Wortlaut gemäss für die Abhaltung des Land- taidings geltend erklären will, und dann hätte dieser allerdings nur drei- mal im Jahre stattgefunden (im Einklang mit dem Schw. sp. und mit dem Gedichte Lucidarius; nach dem Vorbilde des ursprünglichen Grafendinges im Unterschied von dem Markgrafengerichte nach dem S. sp.). Weiter nimmt der Autor mit Dopsch den Bestand des Amtes des obersten Land- richters an, welchem er neben den Landtaidingen auch eine Wirksamkeit in den aufkommenden Ho ftai dingen (nach § 44, L. R. II) zuschreibt: in beiden Richtungen macht er gleichzeitig auf die parallele Entwickelung in Böhmen aufmerksam, woselbst sich unter Ottokar die Prager Czuda zu einem neuen Landrechte gegenüber den Kreisczuden (Zupengerichten) ent- wickelte, indem derselben Hofbeamte zugeteilt wurden, demgemäss aller- dings ein Unterschied des kleinen von dem grossen Landrecht aufkam. Demzufolge hält er die von Ottokar im Landfrieden von 1254 eingeführten 4 Landrichter, welche nach Möglichkeit zu zweien unter Mitwir- Avirkung des gesamten Adels (auch der Ritterschaft) richten sollten, ohne in der Wahl der Dingstätte beschränkt zu sein, welche ursprünglich durch den Donaustrom getrennt waien, während nach der formellen Provinziah- sirung Österreichs ob der Enns von Seiten Ottokars die Querscheidung nach der Enns eintrat (nach des Autors Meinung erst später) für be- sondere, von den Landtaidingen unteschiedene Gerichte, sonach iür eme Nachbildung der böhmischen Zupen(-Kreis)gerichte. Auf diese Weise wäre in Österreich ein zweifaches Landrecht entstanden, eines mit einer grösseren, das andere mit einer geringeren Kompetenz, auf beiden habe der höhere wie der niedere Adel erscheinen müssen (auf dem kleineren nur der Adel des »Kreises«) ähnlich wie in Böhmen nach dem Jus Conradi früher zweierlei Zupengerichte bestanden, das der Herren und der Vladyken, deren Zuständigkeit nach der grösseren oder geringeren Bedeutung des Streitgegen- standes gleichviel ob der Herren oder Vladyken sich richtete, und ähnlich wie unter Ottokar auch in Prag selbst ein zweifaches Landrecht bestand.

5^58 Literatur.

Die Neuerung, welche in der Eiufühnng der vier (oberen) Landrichter aus dem Jahre 1254 bestand, ist allerdings bereits als eine Nachbildung des böhmischen Musters anerkannt worden. Was aber das Jus Conrad: anbelangt, so läge eher ein mährisches Vorbild vor (in den böhmischen Zupen ist der Bestand eines zweifachen Gerichts nicht erwiesen) ; die ge- meinsame Mitwirkung von 2 Richtern würde eher auf das Amt der 2 Kreis- poprawczen hindeuten, welche gemäss dem Eosenberger Rechtsbuche ge- meinschaftlich gewirkt haben (ausser es hätte die Mitwirkung des Kastellans mit dem Zupenrichter zum Muster gedient). Schliesslich bliebe da noch <ler Unterschied in der Kompetenz, welchen hervorzuheben der Autor selbst sich genötigt sah. In letzterer Hinsicht gelangt der Autor in Konsequenz seiner Auseinanderhaltung der vier Landrichter von den Landtaidingen zu eigentümlichen Ergebnissen, welche mit den bisherigen Ansichten nicht übereinstimmen (zu dieser Unterscheidung hat den Autor vielleicht Dopsch verleitet, welcher die Worte L. R. II, § 3 »lantrichter in den graifscheften « irrtümlicher Weise auf jene oberen Landrichter anstatt der niederen Land- gerichte gedeutet hat; statt des "Wortes »landgericht« in § 91 ib. ist »land- richter* zu lesen).

Nach der herrschenden Ansicht hält die Landtaidinge der Landesherr öder sein Vertreter ab, oder auch die vier oberen Landrichter, wenn auch in der Art, dass die Kompetenz je nach dem betreffenden Vorsitzenden verschieden ist, wobei immer der Unterschied zwischen dem höheren und niederen Adel ins Gewicht fällt (sowohl nach dem Landfrieden von 1254 wie nach L. R. 1266). Ausserdem üben die oberen Landrichter nach dem Landfrieden 1254 wo immer in den niederen Landgerichten die sogenannte Landfrage (hier läge wirklich die Analogie mit den böhmischen Kreispo- prawczen vor), worauf in dieser Beziehung im Jahre 1266 eine gewisse, bereits erwähnte Änderung eintrat. Hingegen anerkennt zwar der Autor, dass die Kompetenz der vier Landrichter aniänglich bei dem höheren und dem niederen Adel verschieden war (obwohl der gesamte Adel des Kreises zu erscheinen verpflichtet war); allein das L. R. i266 44) habe ihnen die Kompetenz über das Leben der Ritter entzogen und zwar soll dies zu Gunsten des neuen Hoftaidinges geschehen sein (mit Umgehung des ver- fallenden Landtaidinges) ; das Hoftaiding richtete also angeblich über » alle Gewalt, oifner gebalt«, die Nichtbefolgung des Gebots des »Hofrichters« und die bewegliche Habe der adeligen Personen ohne Unterschied des Standes 61 und 91), ähnlich wie in Böhmen. Dagegen kann jedoch eingewendet werden, dass sich die Wirksamkeit der Hoftaidinge zuerst aus der Kon- kurrenz mit den Landtaidingen entwickelt hat, dass die Beziehung der §§ 44 und 9 1 auf die Hoftaidinge fraglich ist, und dass hier der Unter- schied zwischen dem höheren und niederen Adel nicht beachtet wird. Der zit. § 61 verweist allerdings »offene gewalt« überhaupt »ze hof"^'^, allein vielleicht kann diese qualifizirte (notorische) Gewalt von der einfachen Ge- walt untei'schieden werden, welche § 9 1 berührt, der dem (oberen) Land- richter bloss dann den Herrenstand zu richten gestattet, wenn einfache Gewalt, die Nichtbefolgung richterlichen Befehles oder fahrende Habe in Frage kommt (nach dem Landfrieden 1254 waren die oberen Landrichter, soweit es sich um den höheren Adel handelt, zuständig in Angelegenheit der fahrenden Habe und in kleineren Strafsachen ; im übrigen hatte er vor dem

Literatur. ]^5Q

Landesherren zu stehen) dem entgegen verweist § 44 lediglich, wo das Leben der Bitter im Spiel ist;, die Verhandlung vor den obersten Land- richter, belässt das Übrige der Kompetenz jedes Richters, also auch der niederen Landgerichte (der Landfrieden 1254 hat bloss die Kompetenz über Leiien und Gut der Eitter von den niederen Landgerichten vor die oberen T^andrichter verwiesen, mitsamt der schliesslichen Acht).

3. In dem von Ottokar kreirten Landes rat von 12 geschworenen Landherren erblickt der Autor zu mindest eine Parallele mit den 1 2 böh- mischen Kmeten, ohne den Ursprung dieser letzteren näher zu verfolgen (Luschin spricht von deren Priorität, während hier Dopsch eine vorotto- karische Einrichtung annimmt) ; er konnte hinzufügen, dass im L. R. I die Erwähnung dieses Kollegiums bei der Einsetzung des Landrichters und bei dem Baue von Burgen entfallen ist (L. R. II, 91, 4l). Eine ähnliche Parallele erblickt der Autor zwischen dem Amte des Marschalls in Öster- reich und des Obex^stburggrafen in Böhmen, welche die vornehmsten Organe der Exekutivgewalt und Landfriedensbewahrer waren. Diesbezüglich ist es aufl'ällig, dass L. R. I über die Wirksamkeit des Marschalls nichts erwähnt (§?; .55, 57, Gl, L. R. II gehören der ausgelassenen Partie an); soweit En- enkel von derselben schon für die Zeit Leopolds VI. spricht, ist dies nach unserem Autor eine Antizipation: allein in Böhmen finden sich über das Amt des Oberstburggrafen aus der Zeit Ottokars nicht genügende Nach- richten vor (ausgenommen an dasselbe gerichtete tSchirmbriefe, siehe S. 53, dann 23 5, 183, 187) und die Entfaltung desselben fiel offenbar erst mit der Hebung und Neuorganisation des L. E. unter Ottokar IL zusammen (schon die Klerus Privilegien seit Pfemysl Ottokar I. geben Anlass zur He- bung der Prager Gerichtsbarkeit). Ausserdem erblickt der Autor eine ge- wisse Ähnlichkeit zwischen dem Landschreiber in Ö-^terreich und in Böhmen, woselbst die Bezeichnung des » Land ^^ Schreibers schon vor der Zeit Ottokars IL vorkommt; er denkt dabei an den Schreiber der Land- tafel in Böhmen und glaubt, dass sich dieses Amt in Österreich (nach vorausgegangener längerer Entwickelung) erst unter Ottokar von der Kanzlei abgelöst habe und mit dem Kammeramte verschmolzen sei (der Autor fin- det bei demselben im Gegensatz zu Dopsch vor Ottokar keine eigentliche Finauztätigkeit, erst da erlangte sie Bedeutung nach der Zusammenstellung des Rationarium austr. 1262 1265).

4. Endlich erwähnt der Autor noch, dass Ottokars Reformen auch in die Ständeverhältnisse eingegegrift'en haben; er wollte sich aber auf eine Vergleichung der österreichischen Verhältnisse mit den böhmischen nicht einlassen, weil letztere nicht hinlänglich beleuchtet seien. Er hebt ledig- lich hervor, dass Luschin in Betrefi" der österreichischen Ritterschaft das Vorbild der böhmischen Vladyken vorgeschwebt hat. Diesbezüglich hätte er eben doch noch weiter bemerken können, dass im L. R. I sich keine Spur darüber vorfindet, wie Ottokar die Zuständigkeit über das Leben der unfreien Ritter zuerst den überwiegend in den Händen der Herren befindlichen niederen Landgerichten zuhanden seiner oberen Landrichter ent- zogen hat, bis er dieselbe dem obersten Landrichter vorbehielt wa> nach Ottokars Falle zu übernehmen den Herren allerdings nicht passte. Der Einwand, das L. R. I kenne nur die Ausdrücke »rittermässig^- und j.sendmässig«, während das L. R. II daneben noch die späteren »Ritter

160 Literatur.

und Knappen*, beziehungsweise promiscue »Kitter und Knechte ^S besitzt freilich kein grosses Gewicht, nachdem diese Bezeichnungen bereits wieder- holt im Lahdfrieden 1204 und im L. R. II bloss in dem ganz unterdrückten mittleren Teile vorkommen.

Wenn der Autor noch die Verhältnisse des Herrenstandes näher berücksichtigt hätte, wäre demselben eine dankbare Partie nicht entgangen, welche auch zur Beleuchtung beider L. E. Texte beigetragen hätte. Im L. R. II tritt die Übergangsperiode in Rücksicht des Emporkommens der Ministerialen zutage: nach dem Grundsätze des I5 8 konnten bei Rechts- sprechung über Leben, Ehre, Eigen oder Lehen bloss Haus- oder Über- genossen ürteiler sein, allein § 52 lässt die Ministerialen schon als Ur- teiler über Eigen allgemein zu, auch über das Eigen der freien Herren, sodass jene in dieser Hinsicht schon pares ihrer bisherigen Übergenossen wurden. Dies führte wieder weiter dahin, dass durch Urteil vom 2 1 . März 1267 Offemia von Potendorf, deren freie Mutter ihren Stand durch Ver- heiratung mit einem Ministerialen Kuenring erniedrigt hatte, als fähig das Gut Herrnstein zu besitzen erklärt wurde, obgleich der Freisinger Bischof letzteres als , vreizaygen <■= ansah, also bloss dem freien Adel »dinglich eben- bürtig* (cf. Adler, Zur Rechtsgeschichte des adeligen Grundbesitzes in Osterreich, 29 ff., 37). Beide §§ 8 und 52 kommen im L. R. I überhaupt nicht vor; obgleich dort bei anderer Gelegenheit wiederholt von Genossen und Übergenossen die Rede ist, so ist doch keine bestimmte Spur vor- handen, dass die freien Herren eigentlich noch Lbergenossen von Dienst- mannen wären, beziehungsweise dass Nichtfreie ürteiler über Freie nicht sein dürften (so noch nach dem Schw. sp.) und es zeigt sich hierin der weitere Fortschritt der Zeit, in deren Verlaufe vornehmlich unter Ottokar der freie und uichtfreie Adel in den einen Stand der Landherren verschmolz, welche dann gemeinsam Ubergenossen der Ritter wurden (ähulich spricht in Böhmen der Landtag ca. 12ß<) von compares und viri humilioris et altioris conditiouis; aber innerhalb des Herrenstandes war kein Unterschied). Das L. R. I. w^elches im Art. 1 (=; § l) den freien Herren und Dienst- manneu das Recht zur Appellation an das Reich einräumt, verlangt, dass sie nachher wieder vor ihrem Landesherrn und ihren Hausgenossen er- scheinen, ohne weiter einen Unterschied zu machen. Eine charakteristische Beleuchtung gewinnt die Sache dadurch, dass L. R. I in dem dem L. R. II fehlenden Art. 4(> den Gütern der Landherren (wenn sie auch Lehen oder Vogteigüter sind) allgemein die gerichtliche Immunität zuerkennt, so dass hier die Herren nicht bloss die niedere Gerichtsbarkeit besitzen, sondern in Rücksicht der höheren lediglich gebunden erscheinen, ihre Untertanen den niederen Landgerichten auszuliefern : hier liegt gewiss die Frage auf der Hand, ob die Immunitätenentwicklung s.chon unter den Baben- bergern .illgemeiu soweit gedeihen konnte, und weshalb Ottokar II. eine derartige allgemeine Regel im L. R. unterdrückt hätte, zumal er doch erst selbst im Landfrieden 1254 die geringeren Streitsachen der Herren der Kompetenz der niederen Landgerichte entzog, um dieselbe seinen oberen Landrichtern zuzuweisen (Luschin, Gerichtswesen 45) V Haben wir es bei Art. 46, L. R. I nicht eher mit einer neu formulirten Prätension der Herren nach Ottokars Zeit zu tun, im Einklang mit dem bis dahin allgemeinen Fortgange der Entwickelung der ständischen Verhältnisse?

Literatur. KW

Da-s L. K. I in vielen Beziehungen den Herren günstiger ist als L. R. II, passt überhaupt besser zur Reaktion nach dem Falle Ottokars, als zur Zeit Leopold VI. Es möge nur das bereits oben in Sachen des Burgen- und Festenbaues Angeführte in Erinnerung gebracht werden; ebensowenig findet man im b. R. I Strafvorschriften wegen Hehlung Geächteter 57, 6 2), über schädliche Einigung 6.3, der wohl mit der Verschwörung Ottos von Meissau aus dem Jahre 1265 zusammenhängt), und ähnlich über un- rechtmässige Nutzung der Vogtei 51), während das Verbot der Mauten- einhebung abgeschwächt (Art. 57, 75) und über Münzfälschung von drei Artikeln ein einziger angeführt erscheint (Art. ÖG, §§ .36, 73, 74).

Die in der angedeuteten Weise dem Autor zu machenden Einwände betreffen eher die IJeschränkung, welche er seiner Aufgabe gegeben hat, wollen aber nicht besagen, dass er im Wesen auf einem Irrwege sich be- fände. Seine Arbeit zeugt wirklich von Sachkenntnis und Reife des Ur- teils ; und indem dieselbe die Forschung über das L. R. I und II in ein neues Stadium einführt, ist sie ein wertvoller wissenschaftlicher Beitrag iür das Gebiet der Rechtsquellen und auch die Geschichte des öffentlichen Rechtes in Österreich u. E.

Frag. Bob uslav Freiherr V. Riecfer"

C. Eubel. Hierarchia catholica raedii aevi (vol. II.), sive summorum poutificum, s. K. e. cardiualium, ecclesiarum antistituui series ab aiiuu 1431 usque ad anuum 15» D) perducta. ^lo- nasterii 1901. VIT! und 328 S. 4^.

Die Bd. 15), 554 dieser Zeitschrift ausgesprochene Hoffnung, dass Eubel seine treffliche Hierarchia catholica fortsetzen möge, hat sich in erfreu- licher Weise erfüllt; er selber beschenkt uns mit einem zweiten Bande, welcher bis zum J. 150 3 reicht.

Da die Grundsätze, die Einrichtung und die Gliederung im zweiten Bande wesentlich die gleichen sind, wie im ersten, so kann ich in dieser Hinsicht auf meine ausführliche Besprechung, Mitteil. 19, 546 554 hin- weisen und mich begnügen, hier das Neue und Abweichende, das sich zu- gleich als Verbesserung darstellt, hervorzuheben.

In dem überaus knappen Vorwort berichtet der Verfasser abermals über die Quellen seiner Bearbeitung. Sie stammen auch jetzt wieder fast aus- schliesslich aus den päpstlichen Archiven, fliessen aber mit dem Verlauf der Zeit immer reichlicher. Zu den schon im ersten Bande benützten (den päpstlichen Iküleuregistern, den Libri obligationum consistorialium und den Libri obligationum et solutionum) treten nun auch die Schätze des Kon- sistorialarchives, unter welchen Eubel namentlich den Liber promotionum 1489 1503, die Acta consistorialia des Sekretärs Augustinus Favoritiis 1492 1513, das konsistoriale Tagebuch des Kardinals Ascanius Sforza 1498/9 nennt, sowie die Schedae des Garampi. Ausserdem hat Eubel aber für die erste Abteilung dieses Bandes (Summi pontifices et cardinales) noch eine reiche Fülle wertvoller Notizen aus dem vatikanischen und Konsi- storial-Archiv verwertet. Um nur auf besonders Wichtiges hinzuweisen,

Miltlieiliingen XXIV. 11

\Q2 Literatur.

erwähne ich die Zusammenstellung des Itinerars der Päpste Martin V. und Eugen ly., sowie die authentischen Nachrichten über Zeit und Teilnehmer der Konklave von Nicolaus V. bis auf Pius III. Ferner mache ich auf- merksam auf den wichtigen Appendix I. der gleichen Abteilung, der unter dem Titel Annotationes sehr zahlreiche (S. 27 66) chronologisch geord- nete Daten zur Geschichte der einzelnen aufgezählten Kardinäle für die Zeit von 1440 J503 gibt. Sie stammen gleichfalls aus grösstenteils un- edirten Akten derselben Provenienz und werden bei keiner einschlägigen Untersuchung ausseracht gelassen werden dürfen. Ein weiterer Appendix handelt, was man hier weniger erwarten dürfte, de camerariatu s. collegii.

In der zweiten Abteilung, der Series episcoporum, ist ebenfalls ein ganz neuer, d. h. im ersten Band nicht vorhandener und daher auf den Zeitraum beider Bände ausgedehnter Appendix eingeschoben, der beson- ders für die Landes- und Lokal-Geschichte sich sehr nützlich erweisen wird : eine Liste der Diözesen, in welchen im ] 3. bis 1 5. Jahrh. Weih7 bischöfe fungirten, nebst einem chronologischen Nachweis dieser Dignitäre.

Die Auswahl und Anordnung der bei jedem Bischof angegebenen Daten ist dieselbe wie im ersten Bande, »equidem commodiorern (d^spositionem) excogitari non potui^^ sagt der Autor in der Vorrede; wir wollen nicht weiter mit ihm darüber rechten sondern uns des Gebotenen freuen. Als eine Verbesserung ist es zu begrüssen, dass jetzt in jenen Fällen, in welchen das Datum der dritten Kolumne sich nicht auf die päpstliche Provision sondern auf voi angegangene Wahl durch das Kapitel oder auf die Ver- pflichtung oder Bezahlung der Annate in der päpstlichen Kammer bezieht, diese Sachlage deutlicher in der zweiten Kolumne gekennzeichnet wird.

Den Schluss bilden Addenda et emendanda zu dem ersten Band, wo- bei auch die in verschiedenen Besprechungen gebotenen Verbesserungen und Ergänzungen, so weit ich sehe mit einer gewissen Auswahl, berück- sichtigt sind.

Die Zuverlässigkeit und Genauigkeit Eubels hat schon sein erster Band der Hierarchia bewiesen; wie sorgsam er weiter gebessert hat, zeigen etwa die vermehrten Angaben über die von Martin V. promovirten Kardinäle im Vergleich zur Liste des ersten Bandes.

Der Endpunkt (l5ü3) ist durch einen rein äusserlichen Grund gegeben: durch die grössere Lücke, die gerade da in den Aufzeichnungen über die Provisionen der Prälaten gähnt. Hoffentlich findet sich auch dafür eine Ausfüllung. Denn wir möchten der Erwartung nicht entsagen, dass ein Hilfsbuch, welches bald als unentbehrlich angesehen werden wird, noch weiter fortgesetzt werde. Und abermals muss ich betonen, dass ganz be- sonders ein dringendes Bedürfnis nach so verläs'slichen und inhaltsreichen Listen der Kardinäle auch vom 1 6. Jahrh. herab besteht. Es ist ja wohl zu begreifen , dass Eubel seine übrigen wissenschaftlichen Arbeiten nicht durch solche mühevolle Zusammenstellungen aufhalten will, aber nachdem einmal ein so gründliches und praktisches Fundament gelegt ist, dürfte sich wol nicht allzuschwer ein Jünger, etwa unter den in Kom lebenden Geistlichen finden, der im Sinne und unter der Leitung Eubels weiter- arbeitet. Die kleine Unannehmliclikeit, dass man dann die Kardinals- und Bischofslisten von 500 600 Jahren in mehrere Bände verteilt benutzen

Literatur. -[Q^

müsste, wäre ohne allen Belang gegenüber dem Nutzen, welchen dieses ver- dienstliche Werk jetzt schon stiftet und in Zukunft stiften wird.

Innsbruck. E. v. Ottenthai,

Briefwechsel des Herzogs C h r i s t o p li von W i r t e m - berg. Im Auftrage der Kommission für Laudesgeschiehte herausg. von Dr. V. Ernst. I. 1550—1552. Stuttgart 1899. 900 S. II. 1553 - 1554. Stuttgart 1900. 733 S.

Von diesen zwei ersten Teilen der vom Herausgeber selbst auf 5 bis (i Bände veranschlagten Edition . der Korrespondenz Christophs von Würtem- berg enthält der erste, wie Ernst in seinem Vorworte zutreffend ausein- andersetzt, Material, aus welchem die auf freundliches Verhältnis zum Kaiser (gegenüber den würtembergischen Ansprüchen König Ferdinands) ab- zielende, zunächst sehr schwierige und riskirte, nach 1552 wesentlich er- leichterte Vermittlungs- und Neutralitätspolitik des Herzogs hervorgeht. Die an diesem Orte der Ranke'schen entgegengestellte Auffassung über die Tendenzen Karls V. beim zweiten Zusammentreten des Trienter Konzils (s. XVI) leilet an innerer Unwahrscheinlichkeit; das Machtbewusstsein des Kaisers war damals bereits gemindert und der kaiserliche Hof nicht absolut untätig (s. 322 A. 2), sondern in der Stille auf seine Verteidigung bedacht.

Lebhafteren Vfiderspruch musste das Vorwort zum zweiten Bande, nicht nur wegen der darin zu Tage tretenden Überschätzung des gelieferten Mate- riales, sondern auch wegen seiner vernichtenden Kritik eines bisher hoch- nugesehenen Buches, des von K. Brandi herausgegebenen IV. Bandes der Druffel'schen Beiträge zur ßeichsgeschichte hervorrufen. Die von Ernst gesammelten Aktenstücke enthalten ohne Zweifel reichliche und wertvolle Beiträge zur würtembergischen Lokalgeschichte; zur allgemeinen ßeichs- geschichte bietet nur der 1. Band zahlreichere Stücke von einiger Bedeu- tung, während der zweite über das bei Drufifel IV. Gobotene doch kaum hinauskommt. Gleichwohl glaubt der Hei'ausgeber auf Grund seiner Edi- tion die bisherige Auffassung dahin korrigiren zu dürfen, dass, wenn ich ihn recht verstehe, nicht 15.V2 und 1555, sondern 1553 und 1554 die entscheidenden Jahre der Zeit gewesen, dass der Augsburger Reichstag in keinerlei ursächlichem Zusammenhange mit dem Passauer Vertrage stehe und niemand »dem Geiste der Gegenreformation völlig gerecht werde, der seine Geburtsstunde im Jahre 1554 übersehe *= (was freilich bisher noch jedtm Forscher passirt ist), »während sich beim Durcharbeiten der Akten dieser Zeit seine Entstehung (!) fast mit Händen greifen lasse.« Mir hat sich nun diese Empfindung so wenig aufgedrängt wie anderen Rezensenten und wir glauben noch immer im Vertrage von Passau trotz seines transi- torischen Charakters den Ausgangspunkt der religiösen Kompromisspolitik dieser Zeit erblicken und die obangesagtc »Geburtstunde« der Gegen- reformation auf später verschieben zu sollen. Der in seiner raasslosen Form ebenso unberechtigte als unzarte Angriff auf das Druffel-Brandische Buch ist von Brandi selbst (Deutsche Literaturzeitung 1901 n. 13), na- mentlich aber von W. Goetz (Beil. z. Münchener A. Zeitung 1901 n. 12 1

11*

]^ß4: Literatui-.

und Gültiuger Gel. Anzeiger 1902 S. 43 69) in so eingebend begründeter Weise als eine »schwere Verfehlung gegen die wissenschaftliche Gewissenhaftig- keit* zurückgewiesen worden, dass es genügen möge hier die Zustimmung zu diesen Ausführungen auszusprechen, aus denen erhellt, dass Ernst nur ein Sechzehntel des genannten Buches als fehlerhaft brandmarken kann und eine genaue Prüfung die Haltlosigkeit eines grosses Teiles auch dieser Vorwürfe ergibt. Den in den genannten Besprechungen gemachten Aus- stellungen im Einzelnen füge ich bei: Die Bezeichnung des kaiserlichen Reichshofrates Karls V. als deutscher Hofrat oder Reichsrat (I. 6, 27) scheint unpassend; die Deutschen hatten in diesem Rate zuletzt das Wort; Haas (von Laufen), nicht Hass und Tisnac sind kais. Reichshofräte, nicht einfachi» Räte ; die durchgehende Bezeichnung des Vertrages von Kaaden (ce- chisch Cadan) als Kadauervertrag ist ein starkes Stück. Ernst hat in einer seither erschienenen Erwiderung (würtemb. Vierteljahrshefte N. F. XI. 1902, s. 249 256) allerdings manchen der ihm im Einzelnen gemachten Vorwürfe zu entkräften (vgl. besonders s. 250 und 253 ad Di'utfel IV. n. 19 und 456), die Flüchtigkeit der Ausarbeitung zahlreicher Exzerpte Drutfels aber doch hauptsächlich eben nur diese zu erweisen ver- mocht ; einen Beweis der Berechtigung seiner masslosen Kritik aber hat er darin nicht erbracht, obwohl es ihm gefällt, sein Urteil hier womögiicb noch schärfer zu wiederholen.

In der Frage der Editionsmethode bei modernen Veröli'entlichungen hat diese Publikation allerdings eine bedeutende Anregung gegeben. Man kann ohne Übertreibung sagen, dass der hier befolgte Vorgang kein glück- licher ist; indem Ernst gegen die Ungenauigkeiten der Druffel'schen Ex- zerpte auftrat, verfiel er in den entgegengesetzten, viel verhängnisvollei'^n Fehler: er edirte ins Breite. So ist seine Edition .weder übersichtlich noch praktisch, sondern verrinnt ins Uferlose: 5 Jahre Geschichte eines einzigen Tei-ritoriums und fast 2000 Stücke. Geht das so fort, dann scheint die Unmöglichkeit gewissenhafter Literaturbenützung in moderner Geschichte eine Frage der nächsten Zukunft. Es ist recht schön, die Führung durch die so aufgestapelten Aktenmassen auf das Register zu übertragen ; aber was hilft das sorgfältigste Register, wenn der Benutzer etwa für den Hei- delberger Bund gleich hunderte von Verweisen vorfindet, überdies ohne jegliches Erkennungszeichen, ob diese sich auf wichtige oder belanglose Stücke beziehen? Hier hätte der Herausgeber der Korrespondenz Christofs aus der von ihm taigefeindeten Fassung der Auszüge, aus der Brandischen Anlage des Registers mancherlei sich zu Nutze machen können; ich ge- denke im besonderen nur der wirklich musterhalten Edition des Augs- burger Religionsfriedens dortselbst (n. 67 1). In N'erfolgung der Druflel- schen Editionspraxis wird aber die systematische (iruppirung von sachlich verwandten Aktenstücken um einen Kern, ein Hauptdokumi'nt, herum und damit die Entlastung des Registers noch energischer zum Ausdruck ge- bracht werden müss<'n, sollen wii* mit der Publikation moderner Akten- stücke nicht zu jener Büchermacherei des XVII. Jahrhunderts zurück- kommen, die man neuerlich zutretl'end als »holländische Krankheit ^^ lie- zeichnet hat.

Wien. II. Kre t s chm aj'r.

Literatur. X65

V. ß i b 1 , Die E i u f ü lir u u g der katholischen G e g e u - ro Formation in Niederö.sterreicli durch Kaiser Rudolf II. (1576—1580). Innsbruck Wagner 1900. 182 S. Mit einem Ter-sonen- register.

Der VerJadser iÜhrt sein Buch mit dem berechtigten HinwciäL- auf den ungenügenden Stand unserer Kenntnis der Anfangszeit der Gegenreforma- tion in Niederösterreich ein und will mit demselben diese Lücke ausfüllen. Der Kampf der protestantischen Stände dieses Kronlandes mit der katho- lischen Landesregierung, der eigentlichen, von kirchlichen Kreisen zunächst nur ungenügend unterstützten Ti'ägerin der gegenreformatorischen Ten- denzen, und der endliche Sieg der landesherrlichen Gewalt ist hier auf Grund grösstenteils archivalischer Quellen aus Wien und München bis in seine Details verfolgt. Ganz deutlich ergibt sieh, wäe das in Österreich damals und namentlich später pvaktizirte System der Katholisirung in Bayern ausgedacht worden ist und in Niederösterreich zur Geltung kommen konnte, als es im Jahre 1580 der Regierung gelang, die Vereinigung der zwei oberen Stände mit dem vierten zu sprengen. Dieses Jahr, in welchem zugleich mit dem OfFenbarwerden der Zerfahren- heit im protestantischen Lager die katholische Sache in Melchior Khlesl einen gewandten Organisator erhielt , ist für die Geschichte des nieder- österreichischen Protestantismus ein Epochejahr; mit ihm setzt recht eigent- lich die radikale Gegenreformirung des Landes ein.

Bei aller Anerkennung des Wertes einer berichtigenden Xeudarstellung dieser Geschehnisse muss gegen den Verfasser doch der Vorwurf erhoben werden, er habe sich von der Last seines reichlicli beigebrachten Mate- riales nicht zu befreien vermocht: so trägt seine gewiss verdienstliche Arbeit zu ihrem Schaden nur allzudeutlich den Charakter einer wenig ge- gliederten Aneinanderfügung von Aktenauszügen, wobei der Fluss der sonst nicht ungewandten Darstellung im Detail des Materiales ersticken muss.

Wien. H. Kretschm aj^r.

Notizeil.

Ein Mailänder Onomasticum vom J. ]2Gß. Nachdem Stadt und Gebiet von Mailand vier Jahre hindurch unter erlntterten Partei- kämpfen, welche noch durch Verhängung des Interdikts verschärft worden waren, schwer gelitten hatten, wurde 126G vom Papst Clemens IV. ein Frieden diktirt, der durch eine Art Plebiscit gesichert werden sollte. Die Familienhäupfer, so besagt ein damals aufgenommener notarieller Akt, iuraverunt ad s. dei evangelia stare mandatis summi piuitificis et Roma- nae ecclesiae secundum formam expressam in litteris d. papae hostentis et lectis per d. fratrem Galardum ordinis praedicatorum, capellanum, penitentiarium et nuntium etc. Die Namen aller Vereideten sind unter solcher Aufschrift auf 25 Pergamentblättern (24 Centim. breit, so dass Eaum war für drei oder auch vier Kolumnen) verzeichnet worden. Sechs

l(5ß Notizen.

derselben, welche zusammen 5 Meter lang sich in einem Miscellaneenbande des vatikanischen Archivs erhalten haben, sind von dem Geistlichen Achille Eatti, einem der Doktoren der Ambrosiana, aufgefunden und jüngst im vol. XXI der Memorie del R. Istituto Lombardo di scienze e lettere in musterhafter Weise herausgegeben worden. Aus diesen Fragmenten lernen wir von den Angehörigen der drei nach altem Gebrauche als Porta Ver- cellina, P. Nuova und P. Romana bezeichneten Stadtteile, d.h. von 2134 Bürgern je den Vor- und den Familiennamen kennen, vielfach auch die Namen der Ortschaften, aus denen sie stammen ; obgleich sich gewisse Namen oft wiederholen, werden uns so 5 56 Vornamen, 494 Familiennamen und 380 Ortsnamen überliefert. Das ist, abgesehen von den hier gebo- tenen mannigfachen Aufschlüssen zur Lokalgeschichte, ein den Namens- forschern gewiss willkommenes Material. Im Anschluss an diese Notiz sei auch auf eine zweite neue Publikation Ratti's aufmerksam gemacht, betitelt Due 'plante iconografiche di Milano da MSS, Vaticani del secolo XV, welche er dem 4. italienischen Geographen-Kongresse gewidmet hat.

s".

II Monte dei Paschi di Siena e le aziende in esso riu- nite. Note storiche raccolte e pubblicate per ordine della Deputazione. Volume VI. Siena 1900, tipografia Sordomuti di L. Lazzeri. XXI und 782 Folioseiten. II Monte dei Paschi di Siena. Sommario di note storiche e statistiche. Siena 1900, tipografia Sordomuti di L. Lazzeri. VI und 264 Folioseiten. Über den Plan des erstgenannten inhaltsreichen Werkes habe ich in dieser Zeitschrift schon früher einmal (Band 19 S. 734) eine kurze Mitteilung gemacht. Man darf wohl sagen, dass es in seiner Art eine der am breitesten angelegten Veröffentlichungen ist, denn der vorliegende Band behandelt auf 98 Doppelbogen die Geschicke der Anstalt während eines Zeitraums von 25 Jahren! Freilich bietet das Buch auch unvergleichlich mehr, als man nach seinem Titel erwarten würde, nämlich eine eingehende Darstellung der vom Grossherzog Peter Leo- pold, (unserm Kaiser Leopold II.) während seiner Regierung in Toscana zur Hebung der wirtschaftlichen Lage und des geistigen Lebens in Siena getroffenen Massregeln. So er- halten wir denn mit der räumlichen Einschränkung auf das alte Gebiet von Siena, doch nicht ohne Ausblicke auf die Regierungstätigkeit des Herrschers im ganzen Lande, ein anschauliches Bild seines W^irkens. AVir verfolgen seine Bestrebungen zur Urbar'nachung von Sumpfland und zur Hebung der Bevölkerungszahl, zur Beseitigung der Beschränkungen im Handels- und Gewerbebetrieb, zur Herstellung geordneter Münzzustände. | Wir erfahren nicht minder von den Verbesserungen des Gerichtswesens und der Unterrichtszustände, und als notwendiges Gegenstück, von der Besei- tigung yeralteter Einrichtungen und überlebter Privilegien. Die Geschicke fl der Anstalt erscheinen allerdings zuweilen in nur losem Zusammenhang mit der Schilderung der allgemeinen Lage, dies mindert jedoch die Dankesschuld nicht, die wir gegenüber der Direktion für die l'bernahme der bedeutenden Kosten dieser Veröffentlihung, gegenüber ihrem Sekretär. Cav. Narciso Mengozzi für seine objektive und gewissenhafte Darstellung der Wirksamkeit Grossherzog Peter Leopolds hegen.

Notizen. 1(37

Das zweite Werk ist eiue Gelegeuheitsschrift aus Anlass der Pariser Weltausstellung. Es bietet nacli andern Gesichtspunkten geordnet einen Auszug aus der Geschichte der Anstalt nach den bisher erschienenen 6 Bän- den, beansprucht indessen durch Darstellung der Schicksale seit dem Jahre 1790 und durch die Beigabe des statistischen Materials auch selbständigen Wert. Wir verdanken diese Zusammenstellung gleichfalls dem Fleisse de^ Generalsekretärs Cav. Narciso Meugozzi.

Graz. Luschin V. Ebengr euth.

Das bekannte Buch von Ugo Balzaui, Le cronache Italiane nel medio evo ist vor einiger Zeit in zweiter Auflage erschienen, welche die seit der ersten 1884 veröffentlichten Arbeiten und Editionen im Ganzen fleissig verzeichnet und benützt. Die Anlage des Buches und zu allermeist auch der Text sind dieselben geblieben, vgl. die Anzeige der englischen Ausgabe des Buches von Pribram im 5. Bd. dieser Zeit- schrift, S. 655. In halb populärer Weise unter Einfügung von Proben entwirft der Verf. ein Bild der Geschichtsschreibung in Italien vom 6. bis 14. Jahrb., wobei auch einzelne wichtige Akten- und Briefsamralungen wie die Kassiodors, Gregors I. und Gregors VI!, besprochen werden. Nur ausnahmsweise aber werden Ausländer behandelt, die italienische Verhält- nisse berührten, wie Otto von Freising. In Fragen der wissenschaftlichen Kritik und Kontroversen lässt sich der Verf. auch in der zweiten Auflage nicht tiefer ein. Nachdem ein italienischer Waltenbach noch immer aus- steht, wird auch der Forscher in Balzanis Buch manche Aufklärung suchen und linden, und sicher wird es der italienischen geschichtsbeflissenen Jugend gute Dienste leisten, um sich in der vaterländischen Geschichtsliteratur des Mittelalters zurecht zu finden. H. v. V.

In seinem »La cattura e prigionia di Annibale Malvezzi in Germania^'^ (Bologna 1 9 OO) betitelten Aufsatze, der in der Hauptsache für die Lokalgeschichte von Bologna von 1432 1494 belangreich scheint, bietet G. Corrini auch einen kleinen, aber doch beachtenswerten Beitrag zur deutsch-italienischen Handels- und Rechtsgeschichte des Spätraittelalters, im Besonderen zur Übung des Systems der damals so beliebten »Repres- salien^^ und zur Entwicklung des diplomatischen Verkehrs. Die in reicher Auswahl beigeschlossenen Beilagen, sämtlich aus dem Staatarchive zu Bologna, enthalten mehrere Briefe von und an Kaiser Friedrich III., Herzog Sigisraund von Tirol und König Maximilian I. und sind für deren Ge- schichte nicht ohne Wert. H. K.

Julius Fickcr.

Der Tod hat im Jahre 1902 unter den Historikern, namentlich in Osterreich, eine furchtl)are Ernte gehalten: Schetfer-Boichorst, Büdinger, Beer, Ficker, Kaltenbrunner, Dümmler, Krones sind geschieden, darunter Männer, welche die deutsche Geschichtswissenschaft zu ihren besten Namen zählte. Der bedeutendeste unter ihnen und der bedeutendesten einer unter

Ißg Nekrologe.

den deutschen (jescliichtsforschern der Jetztzeit, sowohl durch den Umfang und die Vielseitigkeit des Arbeitsgebietes als durch die Selbständigkeit der Forschung und die von ihr ausgehenden Anregungen, war Ficker^). Julius Ficker wurde am 30. April 1826 zu Paderborn geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters, eines angesehenen Arztes, übersiedelte seine Mutter nach ihrer Vaterstadt Münster. Hier besuchte er das unter Stieves Leitung stehende Gymnasium, schon damals voll Interesses für die heimat- liche Geschichte und nebenbei für Mathematik und Astronomie, für die auch in späten Jahren noch gelegentlich die jugendliche Vorliebe her- vortrat, bezeichnend für sein Wesen, das auch im Wissen und Können der Geschichte die volle Klarheit und Sicherheit des exakten Beweises suchte, für den Keiz, den wissenschaftliche Probleme auf ihn ausübten. Mit ] s Jahren bezog er die Universität Bonn, um die Jura zu studiren, aber schon nach 2 Jahren trat er an die philosophische Fakultät über und widmete sich, 1847 1848 auch an der Akademie in Münster und an der Universität in Berlin, ganz der Geschichtswissenschaft. Konnte d^r iuristisehe Formalismus auch nicht die Anziehungskraft ausüben, ihn fest- zuhalten, so hat er doch, wie ihm Böhmer einmal schrieb^), »nicht ver- gebens zwei Jahre Jurisprudenz studirt*, das historische Kecht, seine Entwicklung und Fortwirkung im Staatsleben wie in seinen Einzel- erscheinungen, zog ihn immer wieder und mehr und zuletzt ganz in seine Bannkreise, nicht nur die Geschichte, auch die Eechtsgeschichte, der hier auch der weite Blick des Historikers und seine sichere Methode zu gute kam, hat ihn unter ihre Werkmeister zu zählen. Im Herbst 1848 weilte er einige Zeit in Frankfurt, als die Nationalversammlung dort tagte, und trat in persönliche Beziehungen zu Böhmer, die in den nächsten Jahren geradezu herzliche wurden waren es doch verwandte Naturen, in beiden die gleiche Selbstlosigkeit für die Wissenschaft,- das gleiche Interesse für die Keichsgeschichte und ihre Auflassung, dieselbe Vornehmheit des Cha- rakters. Böhmers Persönlichkeit und Arbeiten übten auf Ficker bestim- menden Eintluss, im Vorwort zum »Reichsfürstenstand ^'^ (p. XIV) betont er selbst, »was er dem Meister verdankt <■'; standen beide auch den erzählenden Quellen keineswegs fremd gegenüber, so bildeten doch die Urkunden die feste Grundschichte ihrer Arbeiten und lieferten umso reicheres Ergebnis, je weniger damals die Forschung sich mit ihnen zu befassen verstand ; um jene Zeit waren Böhmers Regesten der Staufer zum Abschluss gelaugt, auch Ficker wandte sich bald den Staufern zu und die Stauferzeit blieb der Mittelpunkt seines Arbeitsfeldes,

Schon die selbstverständlich lateinisch geschriebene Dissertation über den Versuch Heinrichs VI., Deutschland zu einem Erbreich zu machen. mit der Ficker 1S4"J promovirte, gehörte dieser Zeit au. Sie ist Aschbach

') Für nähere Daten verweise ich uut' die Nekrologe von Julius Jmig in der Beilage zur y, AUgenieiiien Zeitimg» vom 22., 23. und 24. Dezember 1902 Nr. 293 295, von 1'. Puntschart im 23. Bd. der Zeitschrift der Savigny-Stiftung (Uerman. Abth.) und die von K. v. üttentbal bei der Gedächtnisfeier lür Ficker am 13. Dezemb r 1902 gehaltene Rede (Innsbruck 1902). Ein Nekrolog von 0. Redlich wird in der llist. Vierteljahrschriit erscheinen. Eine ausführliche Biographie auf Grund der hinterlassenen Schriften und ihiefe ist geplant.

-') Janssen, J. Fr. Böhmers Leben und Briefe 3. 230.

Nekrologe. 1(;0

gcwidraet, eiuem der Freunde Böhmers und dem einzigen seiner Bonner Lehrer, der ihm näher getreten war. Auf llruud der.selben habilitirte er sich auch 1851 in Bonn. Es waren Jahre jugend froher Schaffenslust und emsigen Fleisses. Noch Ende ]S4i) wurde das Buch über Rainald von Dassel, den tatkräftigen Kanzler Friedrich Barbarossas und Erzbischof von Köln, dessen antirömische Politik allerdings weniger die IJilligung des Verfassers fand, fertig gestellt, 1S51 erschienen die »Münster'schen Chro- niken^" als erster Band der Geschichtsquellen des Bistums Münster, im Sep- tember 1852 war das Werk über »Engelbert den Heiligen, Erzbischof von Köln und lieichsverweser« vollendet heimische und rheinische Stoffe in naher Verbindung mit der Keichsgeschichte.

Als Graf Leo Thun die Eeform der österreichischen Universitäten die beste Tat jener Reaktionszeit und ihr einziger Fortschritt ins Werk setzte, berief er 1852 auch Ficker als ordentlichen Professor der Geschichte nach Innsbruck. Es war ein bescheidener Wirkungskreis, in ■den der junge Gelehrte eintrat: die Universität Innsbruck hatte damals nur zwei vollständige Fakultäten, die juridische und philosophische, 1853 zählte sie 218 Hörer, von denen nur ein Zehntel auf die mit G Lehr- stühlen ausgestattete philosophische Fakultät entfiel. Hier galt es, und zum Teil unter erschwerten Verhältnissen, den wissenschaftlichen Boden zu roden. In wenigen Jahren gelang es Fickers Lehrtalent an der kleinen Universität eine historische Schule zu schaffen, die erste und beste nicht nur jener Zeit in Österreich, bis ihr erst später in unserem durch Sickels Tatkraft gehobenen Institut, allerdings auf anderem Arbeitsgebiet, eine ebenso ausgezeichnete Schule an die Seite trat. Alfons Huber und Durig gehörten zu seinen ersten Schülern; bald zog sein Ruf auch seine Lands- leute nach Innsbruck, Druffel, Tourtual, Scheffer-Boichorst, dessen fein- sinnige Kritik und Arbeitsfeld am meisten das Gepräge der Ficker'schen Schule wahrte, Stieve, Busson kamen dahin, um ihre wissenschaftliche Ausbildung zu vollenden. Böhmer brachte den Erfolgen dieser Schule das lebhafteste Interesse entgegen, er erklärte sich bereit die Mittel zur Veröffentlichung von Arbeiten derselben zur Verfügung zu stellen. Daneben beteiligte sich Ficker eifrig an den wissenschaftlichen Vorträgen im Fer- dinandeum, in dem die geistigen Interessen der Innstadt ihre Vereinigung fanden; in diesen Vorträgen behandelte er auch Themen der tirolischen Geschichte, zu deren Bearbeitung er seinen einheimischen Schülern stete Anregung bot. Rasch hatte er sich in Tirol eingelebt; das schöne Berg- land, so verschieden von der »roten Erde«, auf der seine Wiege gestanden, wurde ihm zur zweiten Heimat, an der er mit ganzer Seele hing.

Es folgten Jahre rüstigster Arbeit und reicher Ergebnisse. Hatte Ficker geplant, eine Darstellung der Geschichte des Reichs im Zeitalter Ludwigs des Baiern zu geben, und schon 1855 den Entwurf begonnen, so gab ihm die Doppelwahl von 1314 Anlass sich eingehender mit der Frage, Was damals Recht und Herkommen bezüglich der Königswahl gewesen, zu befassen und auch für die ältere Zeit klar zu legen. Dies geschah in dem Werk »Vom Reichsfürstenstande«, dessen erster Band 1861 erschien. Er ist leider der einzige geblieben, der zweite schon fertige Band blieb, als sein Interesse sich anderen Gegenständen zuwandte, liegen, bis alle sich aufdrängenden Fragen zum Alischluss gebracht werden könnten ; erst jetzt

170 Nekrologe.

ist Aussiebt vorhanden, dass er von anderer Hand der Öffentlichkeit über- geben werden wird. Schon dieses Werk kennzeichnet Fickers weitere Arbeitsmethode : nicht die Darstellung, die gerundete Wiedergabe der ge- wonnenen Kesultate führt er voi', sondern die ganze Forschung mit ihrem grossen Material, welche ihre Deduktionen und Beweise wie Bausteine fest in einander fügt, jede Frage nach allen Seiten erwägt und beleuchtet, etwaige Einwendungen und abweichenile Deutungen von vorneherein be- rücksichtigt, mit sti-enger (Tewisseuhafiigkeit das (resicherte vom Unsicheren scheidet. Wie er es überhaupt liebt, in seinen Vorreden über seine Ar- beiten, ihr Werden und Wachsen Rechenschaft zu geben, so weist er auch hier im Vorwort auf seine Eigenart hin, dass er an die Arbeit ohne Vor- bereitung, ohne jede Übersicht über ihre schliessliclie Ausdehnung, über die verschiedenen Gebiete, welche sie berühre, gegangen sei, wie der Aus- gangspunkt sich ungesucht dargeboten, wie die Entwicklung der Forschung selbst ihn erst "auf ihi'e schliessliche Gestaltung und Umgrenzung geleitet habe. Eine andere Frage aus dem Lehenrecht grif das rasch folgende. Buch »Vom Heerschilde« auf (lSß2). Die von Ficker angeregte Durch- forschung der Handschriften in Innsbruck hatte auch ein neues und wich- tiges Rechtsbuch, das einst in der Burg gelegen und dann an die Uni- versitätsbibliothek gelangt war, den »Spiegel deutscher Leute *^S zu Tage gefördert. Nachdem er in der Abhandlung »Über einen Spiegel deutscher Leute und seine Stellung zum Sachsen- und Schwabenspiegel« (l857) den Nachweis geführt hatte, dass der Deutschspiegel das verbindende Mittel- glied zwischen dem nieder- und oberdeutschen Rechtsbuch darstelle, gab er 1859 einen diplomatisch getreuen Textabdruck, vertiefte in einer Schrift »Über die Entstehungszeit des Sachsenspiegels "^■^ gegen die Ein- wendungen von Daniels seine Beweisführung und stellte dann noch 1862 gegen Lubaud »die Genealogie der Handschriften des Schwabenspiegels*, 1874 gegenüber Rockinger die Entstehungszeit desselben fest; Fickers Er- gebnisse sind nun längst Erbgut der deutschen Rechtsgeschichte. Frank- lins »Beiträge zur Geschichte der Recepticn des römischen Rechts* führten ihn auf das Gebiet des italienischen Reichsgerichtswesens. Durch häufigen und längeren Aufenthalt in Italien, der freilich vor allem unermüdlicher Arbeit in den Archiven und Bibliotheken galt, halte er Vorliebe für den klassischen Boden des Rechts und das herrliche Land gewonnen, in den wissenschaftlichen Kreisen Italiens war von den deutschen Namen der seine einer der bekanntesten und angesehensten. Italien als Reichsland gehört auch eines seiner bedeutendsten Werke, die »Forschungen zur Reichs- und Rechtsgeschichte Italiens« (4 Bde. 1868-1874). Wenn auch das Ge- •ricLtswesen, die Fortwirkung und Nachwirkung des röm-schen Rechts, Verwaltung und Verfassung der leitende Faden bleibt, so bietet es nicht minder für den weiten Zeitraum von den Karolingern bis zur nachstauti- schen Zeit der äussei-en Geschichte eine Fülle neuer und wichtiger Er- gebnisse, wie in den grundlegenden Untersuchungen über die Pacta mit der römischen Kirche und ihre Rekuperationen, die mit dem Wust alter Annahmen und Behauptungen aufräumten.

Neben diesen grösseren und grossen Arbeiten waren noch immer kleinere, meist in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie veröffent- lichte Arbeiten gegangen, welche sich mit Fragen der Verfassungsgeschichte

[Nekrologe. i"]]^

oder der Stauferzeit beschäftigten, »über die Echtheit des kleineren öster- reichischen Freiheitsbriefes« (lS57), »die Reichsbeamten der staufischen Periode« (iSHS), »zur Geschichte des Lombardenbundes« (iHßS), »über das Testament Heinrichs VI.« und »das Verfahren gegen Heinrich den Löwen« (l87l), »über das Eigentum des Reichs am Reichskirchengut« (1872) und »die Entstehungsverhältnisse der Constitutio de expeditione Romaiia« (1873). Auf sein ursprüngliches Thema, die Geschichte Ludwigs des Baiern, kam er nur noch flüchtig zurück, die anderen sich ihm von selbst aufdrängenden StoflFe hatten ihn zu weit davon abgezogen, sein Interesse daran war erlahmt; ein Ergebnis seiner ersten italienischen Ai-- chivreie, die namentlich diesem Stoff gegolten hatte, war die Publikation »Die ri)erreste des deutschen Reichsarchives in Pisa« (1855); ausser einer Abhandlung »Zur Geschichte des Kurvereins zu Rense« (lS53) veröffent- lichte er nur noch aus dem gesammelten Material »Urkunden zur Ge- schichte des Römerzugs K. Ludwigs des Baiern« (iSBö).

So klar und festgefugt in Anlage und Durchführung diese Forschungs- arbeiten sind, auf die Form hat Ficker nicht Wert gelegt und selbst Eigen- arten des Stils treten scharf hervor. Dass er aber auch, wenn es ihm der Stoff zu fordern schien, künstlerische Gestaltung und formvollendete Dar- stellung zu handhaben wusste, zeigen die 1801 im Ferdinandeum gehal- tenen Vorlesungen über »das deutsche Kaiserreich in seinen universalen uu'l nationalen Beziehungen« (2. Aufl. 1862). Mag man auch nicht jede ihrer Anschauungen teilen, die geistvolle Originalität der Auffassung, die weiten Ausblicke, die vielseitigen Anregungen sichern ihnen dauernden Wert. Ihr politischer Hintergrund, die »grossdeutsche« Idee, in die sie ausklangen, führten zu der bekannten Kontrover.'e mit Sybel. Sybels Gegenschrift »Die deutsche Nation und das Kaiserreich« hat Ficker mit der Entgegnung »Deutsches Königthum und Kaiseithum« (l8ß2) beant- wortet, einer scharfen Replik, die aber auch in der Polemik durch tiefere und bestimmtere Begründung des Positiven genug bietet und mit dem Satz in die Schranken tritt, dass nicht die Verarbeitung des historischen Stoffes nach politischen Prinzipien die höchste Aufgabe des Historikers, sei, sondern die, sich aus unbefangener Erwägung der geschichtlichen Tatsachen seine politischen Ansichten zu bilden. Sybel hat den Fehde- handschuh nicht mehr aufgehoben und Ficker hat es ihm nie verziehen, dass er den von ihm noch in der Vorrede zu seinen italienischen »For- schungen« (l p. XIX) wiederholten Vorwurf »der Unehrlichkeit der Pole- mik« auf sich sitzen Hess. Ficker lehnte deshalb 1871 seine bereits er- folgte Ernennung zum Mitglied der Münchener historischen Kommission ab, der auch Sybel angehörte. Die wissenschaftliche Kontroverse selbst hat zur Klärung der Auffassung der deutschen Kaiserzeit wesentlich bei- getragen, Ottokar Lorenz nennt sie »eines der bedeutendsten und epoche- machendsten Ereignisse der modei-nen Historiographie«. Der »gross- deutsche« Idealismus, der die Gegenwart nur noch seltsam anmuten mag, aber damals noch in weiten Kreisen lebte und wirkte, ist sehr bald von den Ereignissen desavouirt worden ; eines schwebte aber auch ihm als Leitstern vor, die Macht und Einheit eines deutschen Reichs.

Am 22. Oktober 1863 starb Böhmer. Er hatte Arnold, Ficker, Janssen zu seinen wissenschaftlichen Testamentsvollstreckern bestellt. Noch ein

-j^'j2 Nekrologe.

Jahr Vor seinem Tod hatte er an Ficker geschrieben, class er auf die Ein- sicht und nötigenfalls auf die Einwirkung und Leitung keines anderen so viel Vertrauen habe als auf ibni). Dieses Vertrauen hat Ficker aucli voll und ganz gerechtfertigt. Ein kleiner Zug ist für ihn bezeichnend. Böhmer hatte testamentariscb verfügt, dass die Testamentsvollstrecker aus seiner lübliotbek einzelne Bücher zum Andenken behalten könnten. Ficker nahm für sich, sein Büchlein über Eeinald von Dassel, das er einst Böhmer ge- widmet ' hatte, während ein anderer sich das vollständige Exemplar der Monumenta Germaniae wählte. Über die oft schwierigen und langwierigen Verhandlungen mit seinen j, Kollegen^'' hat Ficker selbst berichtet 2). Das Bedeutendere, was geschah, um die Intentionen Böhmers zur Ausführung zu bringen, ist sein Werk; sein ausschliessliches Verdienst ist es vor allem, dass Böhmers Lebenswerk, die Kegesta imperii, eine materielle Sicher- stellung fanden, dass ihre Fortführung und Neubearbeitung im Geiste Böhmers sich vollzog, dass sie zu einem Böhmers würdigen Denkmal wur- den. Während Alfons Huber die Herausgabe des 4. Bandes der Fontes rerum gemanicarum und der Eegesten Karls IV. besorgte, legte er selbst, sein Versprechen einlösend, mit Hintansetzung eigener Arbeiten die Hand ans Werk und widmete ihm »reichlich die Sorgfalt und Mühe'^'^, welche ihm »Dankbarkeit und Verehrung gegen den geschiedenen Gönner ebenso sehr als die Sache selbst zur Pflicht machten *^^ Schon 180.5 erschien das 3. ErgäBzangsheft zu den Eegesten Ludwigs des Baiern, 1870 die umfang- reiche Publikation der Acta imperii selecta, 1882 wurden der erste Band von Kegesta imperii V (lor)3 Seiten), die Regesten der Herrscher von 1198 1272, die ihn durch anderthalb Jahrzehnte beschäftigt hatten, zugleich Muster und Norm l'ür die anderen Neubearbeitungen, zum Ab- schluss gebracht. Wie vieles eigene Zugabo Fickers ist, nicht nur in der Vervollständigung des Materials, sondern auch in der wissenschaftlichen Verarbeitung, weiss der zu würdigen, der auf diesem Gebiet zu tun hat. Um nur eine aussei'halb der nächsten Fachkreise wenig beachtete Einzelheit her- Yorzuheben, so bietet die Vorrede zu den Acta imperii selecta (p. XXXVI f.) das Beste, was wir über Eegister, ihre Anlage und Anfertigung, besitzen, wie ja Ficker auch für alle praktischen Fragen der Buchmache, Einrich- tung des Druckes, Format, besonderes Verständnis hatte. Ein Abkommen mit Waiiz verschaffte den Eegesten auch die Benützung des bis dahin unter Verschluss gehaltenen urkundlichen Materials der Monumenta Ger- maniae. Ficker hat die Leitung der Eegesten, die ihm als das teuerste Vermächtnis Böhmers galten, bis 1895 geführt, immer bei'eit sie mit Eat und Tat zu fördern, sie sind eine Ehrensache seiner jüngeren Schule ge- ' worden. Ist Scheflfer-Boichorst, der 18(17 als Mitarbeiter eintrat, für die von ihm übernommene Epoche von Lothar Ilf. bis Heinrich VI. auch nicht weit über die Sammlung eines umfassenden Materials gelangt, so wurde doiih die 5. Abteilung grossenteils auf Grundlage des von Ficker aufge- speicherten Stoffes von Winkelmann vollendet, drei andere Abteilungen sind mehr oder minder vorgeschritten, die Weiterführung ist gesichert.

») Janssen 3, 395.

') In den Vorreden zum dritten Ergänzungsbeffc zu den Regesten K. Ludwigs <lcs Baiern p. XVI und zn den Acta imperii selecta p. LXIl.

Nekrologe. 17;^

Eine Freuudespüicht war es auch, die Ficker veranlasste nach dem Tüde Stumpfs (lSS2) die Eegesten in dessen »Reichskanzlern« nach flüch- tigen Xotizen fertig zu stellen und durch verbesserte Register erst voll verwertbar zu machen, eine mühselige Arbeit, vor der jeder andere zurück- geschreckt wäre.

Die Regesteuarbeit hatte Fickers Aufmerksamkeit auf die kritische Beobachtung der Urkunden gelenkt. So häufig musste sie auf die Frage der Echtheit, die Gründe der ünechtheit geraten, namentlich bei der Her- stellung des Itinerars auf das von Böhmer und auch noch von Stumpf festgehaltene Axiom, dass der Urkundenaussteller an dem in der Datirung genannten Tag an dem mitgenannten Ort gewesen sei, dass Tag und Ort nur auf den gleichen Zeitpunkt Bezug nehmen. Ficker w^ar der erste, der St hon 1865 in der Vorrede zum dritten Ergänzungsheft zu den Regesten K. Ludwigs des Baiern (p. IX) unter Hinweis auf eine Reihe ganz un- verdächtiger Urkunden die Scheidung von Datum und Actum, ihre even- tuelle Bezugnahme auf verschiedene Zeitpunkte betonte und damit deu Weg zur Klarlegung einer der wichtigsten Fragen der Diplomatik, zur Rehabilitirung vieler zu den Fälschungen geworfenen Urkunden bahnte es ist schon das Programm seines grossen diplomatischen Werkes. lu ebenso scharfsinniger Argumentation führte er 1871 iu der akademischen. Abhandlung »Über die Datirung einiger Urkunden K. Friedrichs II. ^'^ (Wiener SB. 69) den Naclnveis, dass im Namen Friedrichs II., während dieser in Italien weilte, von der deutschen Reichsregierung unter desseu Sohn Konrad Urkunden mit deutschen und selbst für den Aufenthalt Konrads nicht zutreffenden Ausstellorten ausgefertigt wurden. Weitere Unregelmässigkeiten und grössere Schwierigkeiten, die eine andere Lösung und Erklärung als die durch Fälschung heischten, begegneten Ficker wie wohl schon bei früherer Urkundenverwertung wieder bei der Neubearbeitung der Regesten Friedrichs II. und des Interregnums, es wurde ihm ein wissenschaftliches Bedürfnis, hier Klarheit und möglichste Klarheit zu schaffen. So entstand das zweibändige Werk »Beiträge zur Urkundenlehre« (Innsbruck 187 7 1878).

Hatte Sickel in seiner »Lehre von den Urkunden der ersten Karo- linger« (1867) ein klassisches und in der Methode auch für die allgemeine Diplomatik grundlegendes Werk geboten, so galt es doch einer eng legrenzten Periode. Fickers Werk schlägt, vielfach auch durch dieses angeregt, aber viel weitere Gebiete umspannend, andere Bahnen ein: schon seit etwa einem Menschenleben hatte er sich zumeist mit Urkunden be- schäftigt und auf ilmen seine Arbeiten aufgebaut, er war ebenso vertraut mit den Urkunden Deutschlands wie Italiens, mit jenen des späteren wie des früheren Mittelalters, deu Privaturkunden nicht minder als den Königs- urkunden. Ihm war der Inhalt immer die Hauptsache, die Form nur das Mittel gewesen, die äussere Glaubwürdigkeit zu prüfen oder festzustellen. Wie Kleinlichkeit und Formalismus, welcher der Wissenschaft und auch der Diplomatik so leicht anhaftet, seinem ganzen Wesen wieder^trebten, so sah sein geschärfter Blick auch unscheinbare Dinge, die, so wichtig sie wurden, doch noch keine Beachtung gefunden hatten, sein praktischer Sinn verstand es die kritischen Fragen in ihrem Angelpunkte anzufassen. Auch die äusseren Merkmale, deren Bedeutung Sickels Arbeit in glänzender

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Weise dargelegt hatte, wurden a/i einem, wenn auch gegenüber der un- geheuren Masse beschränkten, doch immerhin ganz beträchtlichen Material in den Kreis der Beobachtung und Erörterung gezogen, aus den gering- fügigsten Einzelheiten wurden wichtige Kriterien gewonnen. Auch die »Beiträge zur Urkundenlehre ^^ gehen von der Frage der Eichtigkeit des aus den Königsurkunden gewonnenen Itinerars aus, von der Untersuchung der anscheinend sich widersprechenden Angaben, der Unzulänglichkeit der Erklärung regelmässig sich wiederholender Unregelmässigkeiten durch Fäl- schung, sie legen, hier neue Grundlagen gestaltend, neue kritische Behelfe zimmernd, unter gleichmässiger Berücksichtigung der Königsurkunden und der Privaturkunden die einzelnen Stadien der Entstehung der Urkunde klar, Handlung und Beurkundung mit ihrer Rückwirkung auf die Faktoren der Datirung und die Zeugen, Vorlagen und Akte doch wozu versuchen die reiche Fülle des hier Gebotenen und hier wissenschaftlich Gesicherten zu skizziren? Die Ergebnisse sind nunmehr Gemeingut der diplomatischen Wissenschaft geworden, das Werk ist als ein bahnbrechendes allgemein anerkannt. Mit vollem Recht widmet Rosenmund in seiner Schrift »Die Fortschritte der Diplomatik seit Mabillon« (l897) Ficker ein eigenes Kapitel (S. 79 96), Bresslau (Handbuch der Urkunrlenlehre 1, 37) und Giry (Manuel de diplomatique 74) wiesen seinem Werk einen Ehrenplatz m der Geschichte der modernen Diplomatik an. Wenn auch nicht alle Er- gebnisse, namentlich ioi überhastenden Verbrauch von anderer Seite, sieh bewährten, manche Annahmen nicht zutrafen, manche Voi-aussetzungen der Detailforschung gegenüber nicht stand hielten, so hat doch Ficker in den »Schlussbenierkuugen« (2, 460) selbst betont, dass niemand weniger als er das Bedürfnis weiterer Prüfung der Ergebnisse verkenne, wie er darauf besonderen Wert lege, dass seine Arbeit diesem oder jenem Anregung biete. Wie fruchtbar diese Anregungen waren, zeigt die diplomatische Literatur seit jener Zeit. Allerdings erschwert die Form dieser Darlegungen, welche in Fickers eigenster Weise die oft verschlungenen und mühseligen Pfade der Forschung, der Möglichkeit der Erklärung oder verschiedener Deutung, der Entwicklung des Beweises und der Festlegung des Resultates führen, die Benutzung und den Überblick dessen, was sicherer Gewinn ist. Ein- zelne diplomatische Fragen, über »Zeugen und Datirung«, »Ungenauigkeiten bei Angabe der Zeugen '^ »das Aufkommen des Titels Romanorum rex«, hat Ficker dann noch in den in unserer Zeitschrift (Bd. 1, 2, 6) erschienenen »Neuen Beiträgen zur Urkundenlehre* erörtert.

Unsere Zeitschrift ist Ficker noch zu besonderem Dank verpflichtet. Als der Plan zur Gründung derselben auftauchte, brachte er ihm um so lebhafteres Interesse entgegen, da er selbst schon 1858 1859 d'.e Schaf- fung einer »Zeitschrift für deutsche Reichsgeschichte und Verwandtes« geplant und mit Böhmer darüber verhandelt halte i). Er ermöglichte ihr Erscheinen, indem er den Verlag in Innsbruck vermittelte. Und dann, als mir nach etj/as verfahrenem Beginn die Redaktion übertragen wurde, fand ich bei Ficker jederzeit erfahrenen Rat und wirksame Förderung, Sogleich erklärte er sich zu tätiger Mitarbeit bereit, ihm schlössen sich

') Vorwort ziun ersten Evgänznngsbaiul unserer Zeitschrift (nach Fickers •eigenen Mitteilungen).

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die Inusbrucker Historiker an. Das solidarische Eintreten des damals nocli engeren Kreises unseres Instituts, aber nicht minder die Unterstützung Fickers half die anfänglichen Schwierigkeiten überwinden. Schon das erste Heft brachte zwei »Kleine Mittheilungen« von Ficker, das zweite Heft be- reits die Abhandlung »Die gesetzliche Einführung der Todesstrafe für Ketzerei«. Ausser zahlreichen kleineren Beiträgen dafür brauchte Ficker aus seinen Sammlungen und weitverzweigten Arbeiten nur aus dem Vollen zu schöpfen konnten die nächsten Bände die Abhandlungen über »Konradins Marsch zum palatiuischen Felde« (mit einer von ihm gezeichneten Karte), »Fürstliche Willebriefe und Mitbesiegelungen «, die »Erörterungen zur Reichsgeschichte des 13. Jahrhunderts« (I X) bringen, die Ergänzungs- bände, als seine Studien sich' wieder ganz der Rechtsgeschichte zugewandt hatten, »über die Entstehungsverhältnisse der Exceptiones legum Roma- noi-um« und »die Usatici Barchinonae«, »über nähere Verwandtschaft zwi- schen gothisch-spanischem und norwegisch-isländischem Recht«, über »die Heimat der Lex Ribuaria«. Auch seine letzte erst vor 2 Jahren in den »Mittheilungen« (Bd. 22) veröffentlichte Abhandlung, »Das langobardische und die scandinavischen Rechte« gehört diesem Studiengebiet an. Fickers Beiträge zählen zu dem Besten, was unsere Zeitschrift bieten konnte, seine Mitarbeiterschaft und seine Mitwirkung haben wesentlich dazu beigetragen, ihr rasch Geltung und Ansehen zu schaffen. Von ihm ging auch, als sich bald das Bedürfnis nach einer Erweiterung derselben fühlbar machte, der Gedanke der »Ergänzungshefte« aus, seinen Bemühungen gelaug es aus dem für wissenschaftliche Zwecke bestimmten Teil des Nachlasses Böhmers einen namhaften Betrag zu erwirken, der seit 18S3 die Beigabe der »Ergänzungsbände« ermöglichte. Zugleich verpflichtete er sich aus eigenen Mitteln, um die Fortführung zu sichern, die gleiche Summe zur Verfügung zu stellen, und sie wurde auch in seinen letztwilligeu Anord- nungen dafür angewiesen. Ficker war nie zu bewegen auch nur ein Frei- e.\emplar unserer »Mittheilungen«, geschweige je ein Honorar, für seine Arbeiten anzunehmen, er hat sich sein Exemplar immer selbst gezahlt. So war es auch ein Ausdruck wahren Dankes, als ihm 1892 der vierte Ergänzungsband als Festgabe »zur Erinnerung an seine vor 40 Jahren begonnene Lehrtätigkeit in Innsbruck« mit den Beiträgen seiner ehemaligen Schüler, denen sich auch Archivar Schönherr, einer seiner besten Freunde und einer der besten Menschen, beigesellt hatte, gewidmet wurde.

Wie früher, so erging es Ficker wieder, als er die Arbeiten für die Regesten und Urkundenlehre abgeschlossen hatte: eine ungelöste Frage, auf die er nebenbei geraten war und die Schwierigkeit ihrer Losung reizte ihn, sein Forschungstrieb führte ihn weiter und zu neuen Problemen und in noch fremde Gebiete, der Stoff wuchs ihm unter den Händen und umrankte mit starken Armen seine ganze Arbeitskraft. Die »Vermälung« Konradins (vgl. Mittheilungeu 4, .5) lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Geschichte der Eheschliessung im Mittelalter und noch 1883 dachte er einen ursprünglich auf einen Bogen berechneten Aufsatz über »Verlobung und Vermälung im 12. und 13. Jahrhundert« in unserer Zeitschrift zu veröffentlichen. Ein weiteres Verfolgen der Frage brachte ihn in das kano- nische Recht und selbst, um auch die kirchliche Theorie vollständig klar zu legen, bis in die handschriftliche Dekretistenliteratur, die zivilrechtliche

\'JQ Nekrologe.

Seite der Ehe in die germanischen Kechte, eine abzweigende Nebeni'rage zu den späteren spanischen Recbtsquellen, die Entdeckung, dass hier älteres über die Lex Wisigothoruni zurückreichendes, also wesentlich altgothisehes Recht vorliege, das noch dem nordischen, dem norwegisch-isländischen Recht nahe stand, auf das eingehendeste Studium des verwandtschaftlichen Zusammenhanges der ostgermanischen Rechte einschliesslich des lango- bardischen.. Hatte die Geschlechtsvormundschaft und Ehe den Ausgangs- punkt dieser Forschungen geboten, so fand er in der Erbenfolge den ge- eignetsten Stoft" zur Prüfung der gewonnenen Ergebnisse, zur Durchführung der Beweise. Daraus wurde Fickers letztes und umfangreichstes Werk j Untersuchungen zur Erbenfolge der ostgermanischen Rechte *^S dessen erster Band 1891, der erste Teil des 5. Bandes 1902 erschien. Selbst diese eine »Hauptabtheilung« über die Erbenfolge, der dann eine zweite über die Eheschliessung im Mittelalter nachfolgen sollte, ist ein Torso geblieben. Manche Aufstellungen haben auch von berufener Seite Widerspuch erfahren, sie sprengten den Schulrahraen der herrschenden Ansicht; Ficker hatte solclie Einsprache erwartet, sah er doch immer im Meinungsaustausch mit einem wissenschaftlichen Gegner nur einen Gewinn der sich dadurch ver- tiefenden Forschung. Aber trotz der schweren Form, die auch diesen Untersttchungen und mehr noch vsie früheren Werken anhaftet, hat die Anerkennung sich Bahn gebrochen und gefestigt, dass dieses Werk, um das Urteil eines Fachmannes anzuführen, »eine Fülle wertvoller Resultate,^ Gedanken und Anregungen enthält, dass es auf einem Gesammtmaterial von so kolossaler Ausdehnung fusst, wie es bisher noch nicht dagewesen, dass es einen epochemachenden Fortschritt in der rechtsgeschichtlichen Methode und in unserer Kenntnis des germanischen Erbrechtes ange- bahnt hat«.

Was über Fickers äusseren Lebensgang noch zu sagen ist, ist bald erzählt. Schon I8r)8 wurde Ficker zum Rektor gewählt, als Rektor machte er sich 1859 besonders um die Ausrüstung der Studeutenkompagnie und durch die Sorge für die Verwundeten, für die auch Böhmer sein Scherfleiu beisteuerte, verdient. 1 8ß3 trat er als Professor der ihm näher liegenden Reichs- und Rechtsgeschichte an die juridische Fakultät über, nicht in letzter Linie auch, um für Alfons Huber seine Lehrkanzel frei zu machen. Ln Kriegsjahr 1866 zog er als Lieutenant mit der Studentenkompagnie ins Feld und hielt mit ihr auf den schrott'en Abhängen des Monte Macao gefährliche und anstrengende Grenzwacht hart den Garibaldianern gegenüber eine Epi- sode seines Lebens, die sein Auge aufleuchten Hess, wenn er einmal darauf zu sprechen kam. 1873 lehnte er einen Ruf nach Wien an Stelle von Phillips ab, wie er schon 185(; einen Ruf nach Bonn abgelehnt hatte. 187 7 trat er an die philosophische Fakultät zurück, teils hatten uner- quickliche Verliältnisse in der juridischen Fakultät ihm hier das Bleilien vorleidet, teils war es die Fürsorge für seine Schüler, welche wieder einem derselben Platz schaffen wollte. Doch er fühlte sich in dem früheren Wirkungskreis nicht mehr behaglich ; die Ausarl)eitung neuer darstellender Kollegien hätte eine starke Beeinträclitigung seiner nun auf anderen Ge- bieten liegenden Arbeiten gefordert, die ihm angebotene Beschränkung der Lehrverpflichtnng genügte seinem strengen Pfiichtgefülil nicht. So m^hm er bereits J878 unter Verzicht auf sein Gehalt UrlauV», im nächsten Jahre

Nekrolof^e. -177

trat er trotz aller Bemübungen, ihn der Universität noch /u erhalten, in den Ruhestand. Fortan lebte er ganz seinen Arbeiten, denen er noch grössere Reisen nach Frankreich und Italien widmete, immer wissenschaft- lich tätig mit seltener Geistesfrische und körperlicher Rüstigkeit, bis das Alter sein unerbittliches Recht geltend machte und langsam die Lebens- kraft aufrieb. Er entschlief am 10. Juli 190 2, am 12. Juli wurde er zu Witten bei Innsbruck, zu Füssen des schlachtenberühmten Berges Isel, zu Grabe gebettet.

Ficker hat ganz der Wissenschaft gelebt, sein Name wird auch in ihr fortleben. Sein Scharfblick, der immer das Wesentliche, die kritische Um- sicht, die auch den Wert des Unscheinbaren erfasste, die Originalität und Tiefe dieser Auffassung, unermüdliche Arbeitskraft, die auch den sprödesten Stoff bewältigte, haben ihn zu einem Bahnbrecher auf mehr als einem Gebiete der Wissenschaft gemacht und eine Fülle nachwirkender Anregungen geboten, seine starke Individualität hat sich auch in seinen Arbeiten ausgeprägt. Aber er war kein Stubengelehrter, er brachte auch dem Leben, den politischen Verhältnissen, der Literatur und Kunst, na- mentlich der Musik, reges Interesse und volles Verständnis entgegen; von den Büchern trieb es ihn hinaus auf die ihm lieben Berge, er war ein kühner Hochtourist, der besonders in der Fernergruppe des Stubai manche Erstbesteigung unternahm, aber auch hier den Forscher nicht zu Hause liess, sondern mit scharfem Auge beobachtete, seine Beobachtungen lite- rarisch verwertete (so in der Zeitschrift des deutschen Alpenvereines 1869 IS 74) oder Berichtigungen zu den Karten des Hochgebirges und seiner Übergänge lieferte, ein tüchtiger Schütze, der bei den deutschen Schützen- festen seinen Mann stellte, ein ausgezeichneter Schwimmer, der einstmals auch zu Bonn von der Brücke in den Rhein sprang, um ein Bad zu nehmen.

Wie er selbst ganz der Wissenschaft gehörte, verstand er auch seine Schüler dafür zu begeistern. Seine von Historikern und Juristen besuchten historischen Übungen waren das anziehendste und lehrreichste Kolleg, bei dem nicht leicht einer fehlte. Diese »Anleitung zur historischen Ki'itik« trug er meist nicht zusammenhängend vor, die sokratische Methode meistei'- haft handhabend liess er in Frage und Antwort, Gegenrede und Erläute- rung an Bei^ipielen einen Lehrsatz aus dem anderen entwickeln und folgern, dieses Lehren und Lernen wurde, wenn er da behaglich auf einem Stuhl vor der ersten Bank sass und oft gemütlicher Humor die Diskussion um- sonnte, zum anregendsten persönlichen Verkehr. Hier behandelte er die Quellenkunde, die Arten der Quellen und die Formen ihrer Überlieferung, ihre Entstehungs- und Verwandtschaftsverhältnisse, die Fragen der Glaub- würdigkeit, Echtheit und Unverfalschtheit, der Emendation und Edition er führte uns in das Innerste der wissenschaftlichen Werkstätte und lehrte uns das Handwerkszeug kritischer Forschung handhaben, seine eigene viel- seitige Arbeit war unsere Schule und unsere Schulung, die ja vor allem dem Historiker auch rechtsgeschichtliche Grundlagen, dem Juristen histo- rische Methode bot. Es ist lebhaft zu bedauern, dass er sich durch for- melle Bedenken abhalten liess diese »Anleitung zur historischen Kritik* gerade in jener Zeit, der es noch an Lehrbüchern der historischen Methode und systematischer Zusammenfassung der Grundsätze der Forschung gebrach,

Mittheiluneen XXIV. l"-i

178 Nekrologe.

zu veröifentlichen, sie würde fruchtbarer gewirkt haben und wirken als als unsere philosophische Geschichtssystematik und philosophirende Metho- dologie. Aber auch ausserhalb des Hörsaales war und blieb er der vor allem auch durch seine Persönlichkeit gewinnende Lehrer, jederzeit in der freund- lichsten Weise bereit selbst dem Anfänger mit Rat und Nachhilfe an die Hand zu gehen, eine Arbeit zu fördern oder ein Thema zu geben, seine reiche Bücherei und sogar seine handschriftlichen Sammlungen freigebig zur Verfügung zu stellen, dem Schüler, wenn er in das Leben trat, seinen Weg zu bahnen, den armen auch materiell zu unterstützen. Er hatte ein ganzes Herz für seine Schüler, sie haben ihm dafür treue Anhänglichkeit gewahrt, die Leistungen nicht weniger derselben haben ihrem Meister und der »Innsbrucker Schule ^^ Ehre gemacht. Und el.euso entsprang es seiner vornehmen Auffassung der Interessen der Wissenschaft, dass er seine grosse und namentlich an italienischen Urkundenwerken reichhaltige Bü- cherei dem gemeinnützigen Dienst der Wissenschaft widmete und, soweit er sie nicht schon bei Lebzeiten dahin abgegeben, der Universitätsbibliothek', den wissenschaftlichen Anstalten und Vereinen in Innsbruck und ausserdem eine bedeutende Summe für wissenschaftliche Zwecke testirte.

Ihre Weihe erhielt seine wissenschaftliche Lebensarbeit durch die Selbstlosigkeit und Wahrhaftigkeit seines Charakters. Die geschichtliche Wahrheit und Klarheit war ihm Selbstzweck, das Ziel seiner Arbeit; nie hat er in ihr anderes gesucht, anderes durch sie erstrebt, nichts konnte ihn tiefer empören, als wenn die Wissenschaft eigennützigen Zwecken Handlangerdienste leistete oder sich unredlichen Gebahrens zeihen lassen musste. Unentwegt hielt er an seiner Überzeugung, treu an seinen An- schauungen fest, er achtete aber ebenso hoch eine andere Überzeugung, die eine ehrliche war, und wahrte sich auch gegenüber abweichender An- schauung Unbefangenheit des Urteils. Seine anspruchslose Bescheidenheit zeigen die Vorreden seiner Werke. Bedürfnislos und einfach war seine Lebensführung, die Arbeit ihm innerstes Bedürfnis. So heiter und liebens- würdig er im geselligen Verkehr war und sein konnte, besonders im Freundeskreise, im ehemaligen »Norikum*, dessen belebender Mittelpunkt er war und das nun auch fast ausgestorben ist, ebenso sträubte er sich gegen den gesellschaftlichen und jeden Zwang. Äussere Ehren und Aus- zeichnungen sind ihm reichlich zuteil geworden, die höchsten für Wissen- schaft, das österreichische Ehrenzeichen, der baierische Maximiliansorden, der Orden pour le merite, die Mitgliedschaft der Akademien in München und Berlin zum wirklichen Mitglied der Wiener Akademie wurde er schon 18G6 gewählt das Ehrendoktorat der Rechte von den Univer- sitäten Breslau, Innsbruck, Bologna, Czernowitz. Er hat nach diesen Ehrungen nie verlangt, nie davon gesprochen, auch seine nächsten Freunde mussten erst anderweitig davon erfahren. Die Auerkennung seiner wissen- schaftlichen Bedeutung hat sich selbst Bahn gebrochen und sie gewann ihren vollen Wert in seinem Charakter war er ja nicht nur einer der bedeutendsten, sondern auch einer der edelsten Männer der Wissenschaft.

E. Mühlbacher.

Nekrologe. j'j'fj

Franz Kroiics lütter von Marcliliuid.

Franz Krones^), in dessen Leben sich ein gutes Stück Geschichte unseres Vaterlandes widerspiegelt, wurde am 19. September 1835 zu Ungarisch-Ostrau geboren, demnach noch in einer Zeit, in der es über den deutschen und einheitlicl\en Charakter des Kaiserstaates keinen Zweifel gab. Seine früheste Jugend verlebte er zu Neureiich, im alten Iglauer Kreise, eine fröhliche Gymnasiastenzeit, in welche die Wirren von ] 848 hinein- helen, und deren er in späteren Jahren gern gedachte, in Brunn (1844 18r)2), dann bezog er die Universität Wien, um sich hier philosophisch- historischen Studien zu widmen. Die Wiener Universität und vor allem das historische Studium war damals unter Umständen und Bedingungen, die einst von berufener Seite in diesen Blättern dargestellt wurden, in grossem Aufnehmen l)egrilfen. Zu den ersten Mitgliedern des Instituts gehörte neben Ferdinand von Zieglauer, Ottokar Lorenz, Eobert Eösler und Kai'l Stögraann auch Franz Krones. Er hat sich der Anregungen geist- und gemütvoller Lehrer in späteren Zeiten gern erinnert, er war auch einer der ersten, der die Hoffnungen, die auf ihn und seinen Kreis gesetzt wurden, durchaus gerechtfertigt hat. Erst 22 Jahre alt, kam er als Lehrer an die Rechtsakademie nach Kaschau. Hier machte er sich mit Land und Leuten und vornehmlich auch mit dem magyarischen Idiom dermassen ver- traut, dass er später einer der besten Kenner der magyarischen Literatur geworden ist. Damals begann er selbst mit seinen umfangreichen Studien zur ungarischen Geschichte. Im Jahre 1858 erhielt er in Wien den aka- demischen Doktorgrad. Dem allgemeinen Umschwung der Dinge in Ungarn im Jahre 1861 fiel auch Krones zum Opfer. Mit Adolf Beer, Josef Zahn und anderen deutschen Gelehrten und Lehrern verliess er Ungarn. Er kam nach Graz, und war hier erst (l86l) am Gymnasium, dann (seit 1865) an der UniA'ersität als Professor der österreichischen Geschichte tätig, nachdem er sich an ihr bereits 18(i3 als Privatdozent niedergelassen hatte. Hier entstanden im Laufe eines Menschenalters jene Werke, die seinem Namen einen Ruf weit über die Grenzen Steiermarks und Österreichs hinaus verschafften. Schon 1863 erschienen seine »Umrisse des Geschichts- lebens der deutsch-österreichischen Ländergruppe in seinen staatlichen Grundlagen vom 10. 1 6. Jahrhundert«, ein Werk, das die Geschichte der vorder- und innerösterreichischen Länder nebst Tirol behandelt und das seinerzeit wegen der mühevollen zum Teil auf eigenen Untersuchungen beruhenden Zusammenstellungen über die Verwaltung und das Gerichts- wesen im 14. und 15. Jahrhundert grossen Beifall fand. Krones selbst hat dies sein erstes grösseres Werk schärfer i-ezensirt. Erst seit 1876 erschien das »Handbuch der Geschichte Österreichs von der ältesten bis auf die neueste Zeit mit besonderer Rücksicht auf Länder- Völkerkunde und Kulturgeschichte« (in fünf Bänden). Wer die Bedeutung dieses Werkes für jene Zeit richtig einschätzen will, muss an die älteren Arbeiten zur österreichischen Geschichte erinnern, von denen Krones selbst einmal mit feiner Ironie bemerkt hat, dass es ihnen weder an Geist noch an Freimut

') S. meinen Nachruf im Giazer Tagblatt vom 18. Oktober 1902. Aus- führlicheres bringt mein oben erwähnter Vortrag, der im nächsten Heft der Zeit- schrift für Geschichte Mährens und Schlesiens erscheinen wird.

12*

ISO Nekrologe.

gebriebt, dass sie über historischer Kritik ebenso abhold erscheinen als nüchterner Gründlichkeit. Das treflfliche Werk Chaberts war leider ein Torso geblieben und seit 1866 gewann es gar den Anschein, als sei es mit derlei Studien zu Ende. Je mehr jene zur böhmischen, polnischen, magyarischen und den Geschichten der übrigen Völkerstämme Österreichs anschwollen, umsomehr trat die österreichische Gesamtgeschichte in den Hintergrund, und selbst das Unternehmen, an dem auch Krones verdienst- voll mitwirkte, die »Österreichische Geschichte für das Volk« (Wien 1865 ff.) hatte unter dem Wandel der Zeiten und der Diuge zu leiden und wurde nur mühsam zu Ende geführt. Um so dankenswerter war es, dass er, über die von ihm selbst (B. 1, S. V) geschilderten Hindernisse kühn hinwegschreitend, ein Werk wissenschaftlichen Gehaltes schuf, das wohl praktische Verwend- bai'keit zum Ziele hatte, al»er nicht zum ausschliesslichen. Wenn man heute dieses -Buch hinter ähnliche Werke späterer Jahre zurückstellt, so ist doch zu bedenken, dass es einzelne Partien hat, in denen, wie in dem Kapitel über den historischen Boden Österreichs, es noch bis zur Stunde unül) ertroffen ist. Erscheint es vielen ungleich geai'beitet, ist manches zu breit ausgedehnt, andei-es über Gebühr zusaramengepresst, so hängt das mit der oben angedeuteten Art des Entstehens zusammen. Ein gutes Handbuch in massigerem Umfang ist der »Grundriss der österreichischen Geschichte mit besonderer Rücksicht auf Quellen- und Literaturkunde* Wien 1882. Es soll ein Hilfsbuch für Mittelschullehrer und alle die sein, die sich für ein tieferes dem gegenwärtigen Stand der Forschung ent- sprechendes Studium der Geschichte Österreichs interessiren. Zweimal unternahm es Krones, die österreichische Geschichte breiteren Volks- schichten zu erzählen: durch seine »Österreichische Geschichte für die reifere Jugend* (1879), und durch seine »Österreichische Geschichtet^ in der Sammlung Göschen (l900), ein Muster lichtvoller Darstellung und kurzer Zusammenfassung des einer einheitlichen Gestaltung widerstrebenden spröden Stoffes.

Seit der Mitte der Achtziger Jahre wandte sich Krones der Geschichte Östen-eichs im ßevolutionszeitalter zu; im Archiv des Grafen Meran fand er die reichhaltigsten Materialien und verfehlte nicht, in Wiener und Grazer Archiven ergänzende Studien zu machen. Ihre Fi'ucht waren vier grössere und eine Reihe kleinerer Arbeiten, zunächst die »Geschichte Österreichs im Zeitalter der französischen Kriege und der Restauration 1792 1816*, mit der stoff'lich die Publikation »Freiherr Anton Baldacci über die inneren Zustände Österreichs. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1816* zusammenhängt. In die Zeit der Freiheitskriege führen uns die Buche)-: Tirol 18 12 1816 und Erzherzog Johann von Österreich. Inns- bruck 1890, und »Aus dem Tagebuch Erzherzog Johanns 181Ü 1815.* (Innsbruck 1891). Beide Werke ergänzen einander; wertvoller ist das zweite, besonders durch die Menge von persönlichen Bemerkungen des Erzherzogs. »Aus Österreichs stillen und bewegten Tagen«, Innsbruck 1892 ist das vierte Buch aus dieser Reihe; in ihm treten die inneren Verhältnisse in den Vordergrund. Daran schlössen sich Arbeiten über den Freiherrn von Simbschen, vor allem die Studie »Joseph Freiherr von Simbschen und die Stellung Österreichs zur serbischen Frage* (Wien 1890). Inzwischen hatte Krones auch der Geschichte der Steiermark und der

Nekrologe. J^gl

benachbarten Alpenländor seine Aufmerksamkeit zugewendet. Es ist kaum möglich, auch nur in groben, Umrissen alle die Fi-agen zu l)esprechen, an die er hier herantrat. Da sind Reiseberichte, Quellenstudien, Editionen, genealogische Untersuchungen, Arbeiten über das Landtagswesen, den innerösterreichischen Adel, über das lUirgertum und den Bauernstand u. s. w. Ich darf hier nur an seine treffliche Arbeit »die Besiedlung der östlichen Alpenländer (Stuttgart 1889) oder an die Markgrafen von Steier (Wien 1897) erinnern. Noch vor wenigen Monaten bescherte er uns seine »Beiträge zur Geschichte der IJaumkircherfehde'^S <^lie ^^' '^^ch sonst gern zum Gegenstand mündlicher und schriftlicher Erörterungen machte. Be- greiflicher Weise können nicht alle diese Werke gleichwertig sein, in den meisten findet man aber doch reiche Belehrung und der historische Verein für Steiermark durfte es als freundliche Schicksalsfügung betrachten, ein Mitglied unter den Seinigen zu zählen, das nie versagte. Auch sonst stellte er sich mit prächtigen Gaben ein, ich erinnere nur an die schöne Zeichnung des steirischen Eeimchronisten ixnd andere fein ausgemeisselte Skizzen in der Allg. deutsch. Biographie, sowie an die Nachrufe, die er Freunden und Kollegen wie Bidermann und Robert Rösler gehalten. Unter den Biographien steht die Moriz von Kaiserfelds (Leipzig 1888) oben an; man darf in ihr einen der wichtigsten Beiträge zur Geschichte Österreichs in den Jahren 1848 1884 erblicken. Geht Kroiies hier politischen Erörterungen nicht aus dem Wege, so veröffentlichte er noch 1893 eine Reihe von Zeitungsartikeln, die unter dem Titel »Das böhmische Staats- recht und die Geschichte. Zeitgemässe Betrachtungen von F. X. K.« in den Spalten der Grazer Tagespost erschienen sind. Erst einer späteren Zeit gehören seine Arbeiten zur Geschichte seines mährischen Heimatlandes an, auch hier finden sich Aufsätze wie »Das Zisterzienserkloster Saar in Mähren und seine Geschichtsforschung« (Wien 1898), »Die erzählenden Quellen zur Geschichte Mährens« (Brunn 1900) von grossem Wert. Un- gleich bedeutender sind freilich jene zur ungarischen Geschichte. Hieher gehören schon »Die deutschen Geschichts- und Rechtsquellen aus Ober- ungarn (Wien 1865), an die sich noch seine Beiträge zur Stadt- und Rechtsgeschichte Oberungarns« (Wien 1894) anschliesseu. Anderer Art sind die beiden gehaltvollen Arbeiten, die mit seinen Studien zur Ge- schichte der Gegenreformation in Ungarn zusammenhängen: »Zur Geschichte des Jesuitenordens in Ungarn« (Wien 1893) und »Zur Geschichte Ungarns 1671 1683«. Sehr gern verweilte Krones bei den Zeiten und Geschicken Franz Rakoczy's; dessen Geschichte in ihrer wahren Gestalt dem deutschen Publikum vorgeführt zu haben, ist das Verdienst seiner »Historischen Studien zur Geschichte Ungarns im Zeitalter Franz Rakoczy's«, die eine förm- liche Geschichte Ungarns von 1702 1730 bieten und deren Wert ein so tüchtiger Kenner dieser Zeit wie Noorden (H. Z. XXVHI) lebhaft betont hat. Auch der ungarischen Angiovinenzeit hat Krones einige Aufsätze gewidmet, (1862 und 1863), die bis in die Zeit herabreichen, die Krones in seinem Buche »Die österreichischen und ungarischen Länder im letzten Jahrzehent vor ihrer dauernden Vereinigung« Wien 1864 geschildert hat. Hatte er sich schon in Kaschau dem Studium der Geschichte der ungar- ländischen Deutschen zugewendet, so hat er einen Teil der Ergebnisse seiner Forschungen niedergelegt in der Schrift »Zur Geschichte des deut-

1^2 Nekrologe.

sehen Volkstums in den Kavpatenlänclern mit besonderer Rücksicht auf die Zips« (Graz 1878) und noch 1896 in drei gehaltvollen Artikeln der Münchner Allgemeinen Zeitung. Dass seine letzten Absichten dahin gingen, eine Geschichte des Deutschturas in Ungarn zu schreiben, hat er mir wiederholt versichert. Anderes kam dazwischen. Zunächst seine Tätigkeit für die historische Landeskommission in Steiermark, deren Ergebnisse in dem Buche »Verfassung und Verwaltung der Mark und des Herzogtums Steier von ihren Anfängen bis zur Herrschaft der Habsburger' *^ (Graz 1897) vorliegen, einem Buche, das niemand übersehen wird, der sich mit der Geschichte der Steiermark beschäftigt, üass aus diesem Buche nicht das geworden ist, was die historische Landeskommission und nicht zuletzt der Verfasser selbst gewünscht hat, dass es eine stofflich schwere Forschung und nicht eine bequem zu lesende Darstellung geworden ist, liegt zum Teil in der Art begründet, wie sich die Arbeiten in der historischen Landeskommission im Wechsel der Zeiten und der Ansichten gestaltet haben. Eine Fortsetzung bot uns Krones in dem Werke »Landesfürst,' Behörden und Stände des Herzogtums Steier von 1283 1411^^ Leider ist er nicht mehr dazu gekommen, jenes Buch zu schreiben, zu dem er nach seiner Vorliebe und seiner ganzen Richtung vor allem berufen war, wie man dies ja noch zuletzt aus seiner gehaltvollen Studie »Leonore von Portugal '=' entnehmen konnte: ich meine eine Geschichte Friedrichs HL, ein Thema, das so viele abstösst, ihn aber von jeher mächtig anzog. Hiefür müssen sich in seinem Nachlass immerhin bedeutendere Vorstudien tinden. Nicht vergessen darf endlich werden, dass er der Historiograph der Grazer Universität war (l88()). Geradezu unvergleichlich war sein Wirken als akademischer Lehrer. Man muss die Begeisterung und Hingabe der aka- demischen Jugend gesehen haben, wenn sie daran war, eines jener » Krones <■=- feste zu feiern, wie sie die letzten Jahre wiederholt gebracht haben. An Ehren und Auszeichnungen hat es dem heimgegangenen Freunde nicht gefehlt, an Ehren, welche die Alma mater, an Auszeichnungen die ihm der Staat gewährte. Ihm selbst galt die Freundschaft seiner Kollegen und die Liebe seiner Schüler als das Höchste. Beides ist ihm in reichlichem Masse zu Teil geworden und durchaus verdient. J. Losertb.

Ferdiiiaiul Kalteiibruniicr.

Am S. August 1902 starb nach langem Siechtum Ferdinand K alten I)ruuner. Er war zu Kirchdorf in Oberösterreich am IG. Sept. 18.11 als Sohn eines angesehenen Advokaten geboren; lieber aber berühmte er sich seiner Vorfahren, welche an den früher so blühenden Eisengewerk- schaften des Krems- und Ennstales beteiligt waren. An diese Abstammung gemahnte wohl auch der hohe W^uchs und die breite Brust, das lange üppige goldblonde Haupt- und Barthaar, wie der selbständige, unabhängig- keitsstolze Sinn des offenen, zuverlässigen Mannes. Sein Gymnasialstudien begann er in dem ehrwürdigen Beneiiiktinerstift Krerasmünster und been- dete sie zu Graz, wo er auch die ilochsthule zuerst betrat. Nachdem er mehrere Semester in Miinchen und Leipzig geweilt, machte er 1873 1875 den Lehrkurs des Inslitutos l'üi' österr. Geschichtsforschuntr in Wien durch

Nekrologe. \ ji^g

und widmete sich unter dem Einfluss Tti. v. Sickels gänzlich den histo- rischen Hilfswissenschaften. In Wien zum Doktor der Philosophie promo- virt, ging er noch nach Berlin, namentlich um bei Wattenbach Pnläographie zu hören, dann habilitirte er sich im Sommer 1877 in Graz für das von ihm erwählte Fach. Er behielt es lebenslänglich als sein eigentliches Arbeitsgebiet; 1881 wurde er zum ausserordentlichen, 1892 zum ordent- lichen Professor der historischen Hilfswissenschaften in Innsbruck ernannt.

Seine gelehrte Tätigkeit erstreckte sich namentlich auf päpstliche Diplomat ik und auf Chronologie. Als Wattenbach die Obsorge für eine neue Ausgabe der Jatfe'schen Eegesten übernahm, betraute er mit der Bearbeitung der ältesten Partie bis zum J. 590 Kaltenbrunner, an dem er lebhaftes Wohlgefallen gefunden hatte. Von einem eigenen Urkunden- wesen der Päpste kann für diese Zeit noch keine Eede sein ; sich in die vorwiegenden theologischen Fragen einzuarbeiten, wird für einen Historiker immer ein schweres und undankltares Stück Arbeit sein. Auf dem Gebiet der päpstlichen Diplomatik wollte er vielmehr mit dem 12. Jahrb. ein- setzen. Nachdem ihm durch die kais. Akademie der Wissenschaften 187 8/9 die Möglichkeit geboten worden war, in italienischen Archiven die noch vorhandenen Originale einzusehen (Reisebericht über den Vorrat an Papst- urkunden in Italien, Sitzungsberichte der bist. phil. Kl. der Akad. Bd. 94)^ veröffentlichte er seine Ergebnisse über die äusseren Merkmahle der Papst- urkunden des 12. Jahrb. im ersten Bd. dieser Zeitschrift. In den Jahren 1881 1883 weilte er als provisorischer Leiter des neu gegründeten Istituto austriaco di studii storici in Rom, um die vatikanischen Schätze für die Geschichte der älteren Habsburger auszubeuten. Bei diesen Arbeiten behielt er auch die formale Seite der durchforschten Quellen im Auge ; seine Aufsätze über die päpstlichen Register des 13. Jahrh. und über die Briefsammlung des Berardus de Neapoli im 5. und 6. Bd. der Mitteilungen müssen trotz mancher Anfechtung, welche sie fanden, doch als eine ver- dienstvolle Bereicherung der Literatur bezeichnet werden. Das Haupt- ergebnis seines römischen Aufenthaltes, der für ihn persönlich höchst freudenvoll begonnen hatte, aber mit Bitternis endete, bildet der erste Band der »Mittheilungen aus dem vatikanischen Archive*, in welchem er die von ihm und seinen Arbeitsgenossen gesammelten Aktenstücke zur Geschichte Deutschlands unter Rudolf I. und Albrecht I. mit eingehenden und sorg- fältigen Erläuterungen und Nacbweisungen herausgab.

Kaltenbrunners besondere Vorliebe aber gehörte der Chronologie, an- geregt durch die unvergleichlichen Vorträge Sickels. Noch als Mitglied des Institutes trat er an die Geschichte der gregorianischen Kalenderreform heran. Seine beiden in den SB. der Wiener Akademie Bd. 82 und 87 erschienenen Aufsätze »die Vorgeschichte der gregorianischen Kalender- reform« und »die Polemik über die gregor. Kalenderreforra ^^ gehören zu seinen besten Leistungen. Wohl damals schon entstand in ihm der Plan eine Geschichte der Einführung dieser Reform in Deutschland zu schreiben. Schon neben den früher besprochenen Arbeiten achtete er auf diesen Stoff; dann sammelte er auf mehrfachen längern Reisen in einem grossen Teile Deutschlands ein weitschichtiges Material hierfür.

Leider kam er nicht mehr zur Ausarbeitung. Früh schon entwickelten sich in ihm die Keime eines bösen Nervenleidens, das allmählig seine Arbeits-

Jg4 Nekrologe.

kraft lähmte, den früher so lebhaften und heiteren Mann einsilbig und verschlossen machte und ihn endlich vollends zu Boden warf, bis nach langem Ringen mit seinem kräftigen Körper der Tod als Erlöser kam.

E. V. 0.

Am 26. August 190'i starb nach längerem schweren Leiden Professor Laurenz Doublier, der gleich Krones zu den ältesten Mitgliedern unseres Institutes zählte. Er war im Jahre 1835 zu Wien geboren, studirte Ende der fünfziger Jahre an der Universität Wien Geschichte und war von 1859 bis 18G1 ordentliches Mitglied des Instituts. Er widmete sich mit voller Hingabe dem Lehrfache, das er an der Kommunal- Realschule auf der Wiedeu, dann als Direktor des Mädchen-Lyceums auf dem Franciskaner-Platze als hochgeschätzter Schulmann von umfassender Bildung ausübte. Dieser Tätig- keit entsprang auch sein Lehi'buch der Geschichte für Handelsschulen nach kulturhistorischen Gesichtspunkten, ein Schulprogramm über Roger Bacon und im Auftrag des Ministeriums ausgearbeitete Instruktionen für den Geschichtsunterricht an den Realschulen.

Personalien.

Sektionschef Theodor R. v. S i c k e 1 wurde durch Verleihung des bayeri- schen Maximiliansordens für Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet.

Ed. Richter wurde zum wirklichen, E. v. Ottenthai und A. Riegl wurden zu korrespondirenden Mitgliedern der k. Akademie der Wissen- schaften in Wien, M. Tan gl zum Mitglied der Zentraldirektion der Monum. Germaniae gewählt. Riegl wui'de zum Mitglied des Kuratoriums des österr. Museums für Kunst und Industrie, A. Dopsch zum oi'd. Mitglied des k. k. Archivrates ernannt.

H. V. Voltelini wurde zum ord. Professor für österr. Geschichte an der Universität Innsbruck, A. Chroust zum ord. Professor für neuere Geschichte und histor. Hilfswissenschaften an der Universität Würzburg ernannt. Es wurden ferner ernannt K. Sehr auf zum wirkl. Sektionsrat und 0, Freih. v. Mitis zum Konzipisten am Haus-, Hof- u. Staatsarchiv, V, V. Hofmann-Wellenhof zum Direktor, L. Witting zum Sekretär und A. Seh acher mayr zum Praktikanten des Archivs und der Bibliothek des Finanzministeriums, W. Engl mann zum Kustos der städtischen Samm- lungen, K. Hönel zum Konzipisten am Statthaltereiarchiv. R. Stritzko zum Konzipisten an der Bibliothek des Ministeriutüs d. Innern, W. John zum wissenschaftl. Hilfsarbeiter am Heeresmuseum und R. v. Kerner zum Praktikanten an der Bibliothek der Akademie der bild. Künste in Wien, L. Krejiik zum Assistenten am fürstl. Schwarzenbergischen Archiv in Wittingau.

Es habilitirten sich J. Lechner für histor. Hilfswissenschaften und Geschichte des Mittelalters und M. Dvofäk für mittlere und neuere Kunstgeschichte an der Universität Wien.

Zu Amarcius und Eupolemiiis.

Von

M. M a n i t i u s.

I.

Die vier ausfülirlicheii Besprechuiigeu, welclie meiue Ausgabe des Amarcius (Leipzig 1888, Teubner) erhalten hat, habeu sehr viel zur Klärung der vier Bücher Sermones beigetragen, und besonders L.Traube (Auz. f. d. Altertum XV, 195 202) leistete hierfür das meiste. Aber auch die liezensioneu von E. Petschenig (Berl. phil. Wocheuschr. 1889 S. 565), von E. Voigt (Wocheuschr. f. klass. Phil. 1889 S. 292) uud von W. Wattenbaeh (Deutsche Literaturzeitung 1889 S. 1382) sind für die Textkritik und die Sacherklärung wichtig. Für alle zweifel- haften Stelleu habe ich nun die Dresdener Hdschr. neu verglichen und dabei gesehen, dass ich früiier manches falsch gelesen habe, was von den Rezensenten meist sclion verbessert ist. In Betracht kommt folgendes aus der Hdschr.: I, 34 hircosum . . flatum. 35 ructactes. 185 dictu. 250 similis. II, 44 dextramque. 202 Hiuc sie. 235 eius. 265 qnod . . quod. 319 Horribilis. 487 vite. 514 cupiens. III, 41 iu- diguis. 110 In poUeute. 171 Dumque. 245 Nee. 307 interncerentve. 416 Nee nego. 516 possiut. 731 solido. 854 quam. 872 sancte . . vite. IV, 70 fertilius. 308 iniquam.

Ausser den sehr zahlreichen Stelleu, welche in den genannten Hezensionen verbessert sind, habe ich folgende Nachträge zur Text- kritik zu machen.

I, 74 Komma nach „regnat". 108 „curtatus" statt „cristatus" (vgl. II, (318 pudibunda in parte miuutus). 160 „conquirere" statt «conscisceie" y 261 Komma nach „arcet". 328 „qui" statt „que". 401 „tiugunt" statt „ciugunt". 412 .movet" statt „vovet^ 441 -uudave-

ilittheilnngen XXIV. 13

Igß M. Manitius.

rit" und 443 „Perstrepat" (vgl. 439 straverit und 441 luserit). II, 293 artato. 309 perimit, nos. 379 Christus solidatis. 395 f- Komma nach salubrera, Semikolon uach angelus. 422 nach sorde Punkt. 555 nach furorem Puukt. 575 nach struma Punkt. 625 Ilicet ohue Anführungs- striche. 638 nach rubere Semikolon. III, 71 insanum. 115 polline (vgl. 116 hordeum avena siligo; gracilis steht für teuer). 342 tumes. 519 nostra. 522 in arta? 575 vinctis? 595 nacli Concidit Semikolon. 608 liest die Hdschr. Delucens ; an Deducens, wie Traube S. 202 richtig verbessert, hatte ich auch schon gedacht. 656 Nach ultra Semikolon, 690 nach ipsa Semikolon, 737 nach etiara Komma. 835 carpat. 836 fuco? 877 prava. 886 pudet edere, IV, 12 nach frontem Komma. 13 Galli? Es handelt sich darum, ob ein hymnus ad galli cantum wie Prudent. Cathem. 1 gemeint ist, oder mit dem Worte ein (viel- leicht westfränkischer) Hymnendiehter bezeichnet werden soll. Da in der mittelalterlichen Poesie sich die dichterische Bescheidenheit hinter dem Wort „crocitare" verbirgt (z. B. Ermold. Nigell. in hon. Hludow. IV, 747 stolida crocitante cicuta, ähnlich Walthar. 1453 stridenti ignosce cicadae), so ist beides möglich; crocitare gehört eigentlich zum Raben, während cautare und cucurrire vom Hahu gebraucht wird. 55 nach od^ Komma. 199 crispi trotz Traube S. 201? 200 gulo (gulo et dives vestitus ostro) trotz Traube S, 201? 252 uach bellorum Komma, 340 nach Christi Semikolon. 344 nach Scarioth Komma. 372 ab orci?

An mehreren Orten verrät Amarcius Abhängigkeit von der zeit- genössischen Poesie, Hierzu kommt als Ergänzung die Kenntnis der Occupatio des Odo von Cluni, dessen Werk erst vor kurzem bekannt wurde (ed. A, Swoboda, Lips. 1900). Odo hat in Buch VII die Sitten seiner Zeit satirisch mitgenommen und VII, 240 257 p, 157 konnten dem Amarcius, der ja mit ganz anderer Ausführlichkeit das gleiche tat, geradezu als Ausgangspunkt für seine Darstellung dienen. Odo wendet sich VII, 272 276 gegen die perfidia Judaica, welcher Amar- cius ein ganzes Kapitel und noch weitere Stellen gewidmet hat, des- gleichen eifert der letztere geo-en die Incontinentia sacerdotum wie Odo VII, 200—218. Außerdem zeigt Am, I, 505—567 große Über- einstimmung mit Odo V, 582 602, wo beide Dichter die Menschheit und die Göttlichkeit Christi zu erweisen suchen. Und sehr häufig erborst Amarcius von Odo Halbverse oder Versteile und Ausdrücke, ja auch ganze Verse, wie hier im einzelnen nachgewiesen werden soll. Ich gebe die Stellen nach ihrer Reihenfolge bei Odo.

Odon. occ. II, 148 suasit agugula stuprum Am. IV, 295 nugaris ugagula. III, 456 obscena foedent se sponte clouca (coacla Swob,)

Zu Amarcius und Eupolemius. 107

II, 557 Obsceni subiere sues et feda cloac(j. 595 vetitis inbiet mens

I, 127 mens Pluribus ecclesiis biscit, 609 Foeda libido = I, 185. 658 Caetera quae servant nee in contraria mutant Solus bic . . demens

II, 452 Naturam servare suam norunt animata Cetera, solus bomo qnis sit non vult raeminisse. 764 Crapula et bebrietas sunt bae mater- que libido III, 210 Crapula et ebrietas lascivi est fomes amoris. 816 privari lumine cordis prol. 10 Cordis luniiuibus perspice. 837 volucres laqueo trahit aesea . . . Glutiue contactas II, 440 volucrem . . capit auceps Glutine . . subpouit et escas. 1226 Icta silex calihi non ipsum lumiuiit igni II, 411 ignes, Seintillatque silex duro calibe icta fre- quenter. IV, 372 surgat quo ab stercore pauper II, 517 de pauperibus sublatis stercore. 803 Föns et origo boni IV, 23 fons est oricho sophie. V praef. 11 quam labrusca botro . . cedit IV, 361 imitantur .... Labrusc^ vites. 299 Frenesis amentes vertigo rotaret III, 70 frenesis colit ille rotatus. 391 Non tamen Etbiopes curant deponere pelles . . . Orbiculis varius sed agit proludia pardus II, 318 Si Horribilis uigram Maurus deponere pellem Aut pardus varios valet immutare colores.

585 Hesurit et . . . qualos bis sex et fragmiua complent I, 505 Esurit €t, 548 fragmiue panum Bissenos pridem qualos. VI, 122 a licito se coniugis abstrabit usu III, 808 dulcique absi^tere coniugis usu. 274 mauzerque propago prol. 22 Maazeribus nobis, 852 üt fornax aurura fiiciat IV, 413 examinat ut focus aurum. 898 Lnstret ut errorum spleudor fidei laberiutum III, 229 Detinet ut Laboriutbus, inextrica- bilis error. VII, 152 quasi virga bonum discat curvata per usum III, 37 per usum. Quam flectis virgam ventis iuvicta fit arbor. 255 Af- iectare viros videas (seil, mulieres) I, 233 mascloriim more puellas. 358 Nemo potest domiuis pariter servire duobus^=IV, 259. 386 f. iiibens castos nobis precingere lumbos . . . manibus rutilas operumque teuere lucernas III, 206 lumbos precingite vestros, 224 ferte lucernas, 226 factorum exempla bonorum. 505 volo non mortem morientis II,

586 non qu^ro desipientis luteritum. 569 Ergo diabolicam certent vitare ruiuam III, 235 Ergo diabolicis nolite locum dare factis. Viele dieser Stelleu geboren der Bibel an, aber die poetiscbe Fassung der- selben bezeugt die Abbängigkeit des Amarcius von Odo.

Eine andere mittelalterliche Quelle ergibt sieb aus den sehr zahl- reichen Stelleu, an deneu Amarcius Tiere erwähnt. Überhaupt ver- weilt der Dichter mit Vorliebe bei Dingen, die der Natur entstammen. Namen der Tiere, Pflanzen und Steine sind ihm sehr geläufig, in vegetabilischen und animalischen Medikamenten weiss er gut Bescheid. Aber auch sonst ist er in mediziuischen Dingen für seine Zeit durch- aus erfahren und ich muss daher bei meiner früheren Annahme bleiben,

13*

j^gg M. Manitius.

dass er Arzt war. Vou Tiereu^) haudelu folgende Verse: I, 38- 126. 322 f. 450 ff. 529. 541 ff. 11, 325 ff. 440 ff. 444 ff 506. III, 47—53. 204. 365 ff. 496 ff'. 639—645. 757. 762. IV, 17. 201. 219. 222 t 376 ff. 427 ff. Kenntnisse von Püauzen verraten: I, 385. 446. II, 48. 531. III, 71. 73 f. 569. 614—625. IV, 69 ff 202. 352. 361 ff., von Steinen (abgesehen von Metallen) IV, 87 ff. Vegetabilische Medika- mente erscheinen II, 528 ff. III, 319. 446 ff. IV, 418 ff. 462 ff., anima- lische III, 79. Sonst werden noch medizinische Kenntnisse vor- gebracht: I, 167. 265. 304ff 329. 337. 363 ff 417. II, 75. 571. III, 71. 73. 79 f. 138 f. 444 ff. 805. IV, 415 ff. 462 ff Man wird kaum behaupten können, dass solche medizinisch -naturwissenschaftliche Kennt- nisse zufällige seien. Sie müssen mit der Lebensrichtung des A. im engsten Zusammenhange stehen und sie sind vor allem auf ihre Quellen zu untersuchen. Traube gab den ersten Fingerzeig, dass physiologische Quellen benützt sind; viele der Angaben des A. beruhen auf dem mittelalterlichen Aberglauben, für den der Physiologus massgebend ist. Dieses Sammelwerk aber, das in mehreren Fassungen herausgegeben ist^), scheint noch weitere Bestandteile enthalten zu haben, als sie durch den Druck zugänglich geworden sind. Nämlich eine physiolo- gische Stelle bei Amarcius findet sich in Cahiers Druck nicht:

IV, 426 Seminecem, iuvenis, tu te inter balnea fingis, Mutus es, ut sumpta fertur canis esse rubeta, Surdus es, ut Marsis se prebet cantibus aspis,' Cecus es, ut non plus videas quam cecula lucem.

Zu Vers 428 kann im Physiologus (a. a. II, 149) verglichen werden „Aspidis hanc habent naturam ut si quando advenerit Marsus ad speluncam ubi habitat aspides et precantatis omnibus carminibus ut exeant de cavernis suis; ille vero ne audiat vocem incantantis ponunt capita sua in terris'^) etc." Vers 426 scheint „balnea" korrupt zu sein, denn wahrscheinlich ist ein gefährliches Tier gemeint; am ehesten wäre an „ballenas" zu denken, was aber ein zu schwerer prosodischer Felller für den Dichter wäre. Vers 429 ändert Traube „cecula" in „cecuba", kaum mit Hecht, da jedenfalls auch ein Tier gemeint ist. Und von der caecula heilit es bei Isidor irig. XII, 4 «Caecula dicta eo quod parva sit et non habet oculos". Benutzt ist der Physiologus

') Auch Tiere als Schimpfwörler: [, 322 f. tV, 17. -) ed. Cahier, Mclanges d' archeologie et d'histoire H. III. JS.Jl. 1S53. •') So sagt auch Odo occii]). III, 325 »Aspidis iiulomituin domuit sollcrtiii rictiau*.

Zu Amarcius und Eupolemius. J^j^Q

III, 49 T) Pantliero ad vocem maculose confluit omnis r)estia, tortus item siib tofis se «Iraco condit. Cum tamen ingentes barros necat et cocodrillura ^).

Im Physiologus (a. a. 0. III, 231)) heilifc es ^pauthera . . cum audierint vocem eins omnes bestiae . . congregant se omnes et se- quimtur . . . Solus draco cum audierit vocem eius timore cöntrahitur et fulcit se iu subterraneis cavernis; vgl. Plin. nat. bist. 8, 33 ff. und Soliu. 25, 10 ff., wo über das Yerbältnis des Elephanten zum Drachen berichtet wird, man jedoch nichts über das Krokodil erfährt. Auch die Worte des Dichters über den Salamander

III, 370 cui nou salamandria^) prevalet, ignis

entstammen dem Physiologus, wo es heißt (a, a. 0. III, 272) „Sala- mandra si casu uudecuuque ceciderit in Camino ignis vel in fornacem ardentem aut in quocumque iucendio statim extinguitur ignis". Und mit

III, 762 Turpe est, quod proprium violas, onocrotale, nidum

stimmt der Physiologus (a. a. 0. II, 137), „Physiologus dicit de pellicano, quoniam amorem filiorum nimis. Quum autem genuerit natos et coeperiut crescerere, percutiunt parentes in faciem. Parentes autem repercutiunt eos occidunt filios suos". Auch eine weitere Stelle könnte dieser Quelle entlehnt sein, nämlich was A. über den Löwen berichtet:

II, 444 Dum leo mausuescit Libicus, sufferre magistri Verbera non reuuit iussisque obtemperat eius: Qui si desueto gustaverit ore cruorem Nee tutus dax ipse raanet.

Auch die eigentümliche Stelle

III, 20 4 Scedula morsa cani docet illum rodere pelles

scheint daher zu stammen, vielleicht verbirot sich ein Tier hinter dem unverständlichen „scedula-, das auch von Traube beanstandet wird (p. 201). Was A. über den Marder und den Basilisken erzählt (II, 505 Inspicit . . ut . . mustela trucem basiliscum) findet sich zwar schon bei Plin. VIII, 79, dürfte aber von dem Dichter gleichfalls aus dem Physiologus genommen sein. Dagegen könnte die Zusammenstellung von .tarmus"'^) und „ricinus" auf Isid. orig. XII. 5, 15. 16 zurück- gehen.

') Diese Form ist vielleiebs als hdschr. beglaubigt vorzuzieben, wie Pet- sthenig meint.

-) Traube ziebt bier »salamandra" vor.

•■') Diese Form wird nacb Traube p. 201 die ricbtige sein.

190 M- Manitius.

Auch die zum Teil recht seltenen Namen von Pflanzen und ihre mittelalterliche Verwendung zu Heilmitteln lassen sich zuweilen auf eine geschriebeae Quelle zurückführen, wie schon Traube p. 199 den Q. Serenus für II, 573 anführte. Sonst haben antike Dichterstellen hauptsächlich die Erwähnung von Pflanzennamen beeinflusst, wenn es sich nicht darum handelte, Heilmittel zu erwähnen. So hat für II, 46 ff", sieher Juveual XV, 9 f. als Vorbild gedient (ausser dem lapha- tum = lapathum erscheinen die hier genannten Pflanzen auch im Ca- pitulare de villis 70) und für II, 531 (mox ut fungas surgit) ist viel- leicht Lactant. inst. div. VII, 4, 3 benutzt, während ich für die Fähig- keit im Schwellen des hibiscus nichts finden konnte. Die Aufzählung der Bäume bei Gelegenheit der Schöpfungsgeschichte lieferten Vergil und Horaz (III, 616 f. Aen. X, 136 und Hör. C. II, 15, 4 ff.; 618— 621 Verg. Georg. 11, 18. 15). Sonst sind mittelalterliche Kräuter- bücher benutzt, doch es war nicht möglich, eine einheitliche Quelle ausfindig zu machen, so dass, wie schon in meiner Ausgabe geschehen ist, nur auf Einzelheiten aufmerksam gemacht werden kann; Pseudo- apulejus de herbarum medieinis und die sog. Dynamidia scheinen be- nutzt zu seiu. Die Hauptstellen sind folgende: II, 528 saxifrice vi. (=vi saxifragae) Elicit urinam mordeutem membra pudenda (Dynaiu. I, 28 ; ed. A. Mai, class. auct. VII, 397) et Marrubio tussim (Apal. N, 46, 1. ed. Ackermann, parabil. medicam. SS. antiqui Nürnb. 1788) scabiemque celidonia aufert (Ap. 73, 1). III, 444 ö- üt tolles i) (Traube p. 201 hält tollas) ebulus fuget (Apul. 91. Dynam. I, 54) utque agri- monia (Ap. 32. cf. Cels. V, 27, 10 und Walahfrid. de cult. hört. XXII) morbum Tres collecta dies et decantata caducum (Apul. 60), Pentafilon dissenteriam (Apul. 3, 2) ceutauria febrem (Apul. 36. Dynam. II, 34). IV, 418 da cardiaco piponellam : Nauseat; ictericus cretam, raphanum peducosus Invitus bibit, os apoplexicus a basilisca Contrahit. IV, 462 Si te Vexat anhela tysis, cacexica sive catarrus, Absiuti gamandre^ (selten genannt, vgl. Sorani Isag. 29 in mense lulii gamandream etc.) tibi bethoniceve Hauritur sucus (Apul. 1, 18). Außerdem III, 79 Ut nee ei fuuebris equi sumpta osse medulla Nee queat elleborus succur- rere. Übrigens kommen zu den von mir in der Ausgabe p. X f. ge- nannten Stellen noch weitere hinzu, an denen der Dichter von seinen medizinischen Kenntnissen Gebrauch macht: I, 167, 2()5. 304 307. 329. 337. 363—366. III, 805. IV, 462. Er hat sich, wie aus diesen Stellen hervorgeht, ganz in die Nomenklatur und in die kurze Aus- drucksweise der ärztlichen Wissenschaft hineingelebt, dass man au

') Die Heilung anders bei (j. Öeienus 287 1".

Zu Amarcius und Eupolemius. 19 1

seiner Beschäftigung als Arzt kaum zweifeln kann. Traube hat p. 198 f. darauf aufmerksam gemacht, daß A. IV, 87 131 für die mystische Auslegung der zwölf Edelsteine dieselbe Quelle benutzt haben muss, welche dem sog. Marbod für sein Gedicht de Xll lapidibus pre- tiosis und für die lapidum pretiosorura mystica seu moralis applicatio vorlag; eine kürzere Zusammenstellung gibt schon Prudent. Psych. 351 3(57, Diese zwei Ableitungen sind gedruckt in Marbodi Lib. lapidum . . illustr. a Joh. Beckmann, Gott. 17U;> p. 136 140, der Rhythmus bei Dressel, Prudentii opera p. 209 aus einem cod. Angelic. saec. X, so dass Marbods Verfasserschaft hinfällig wird. Da nun Amarcius ausser dem dort gebotenen Stofi auch die Worte aus dem Rhythm. 16, 1 agie rex (Dressel falsch agere) entnahm (III, 5 rex agye), so ist es immerhin möglich, dass er den Rhythmus und nicht dessen Quelle vor sich liegen hatte. Indess weichen die Farben- bezeichnungeu des A. von denen des Dichters des Rhythmus insofern ab, als der erstere zuweilen ein Mehr bietet, das aus Plinius und Solin geschöpft sein könnte, und daher wäre vielleicht an eine einheitliche Quelle zu deken.

Dass übrigen Hippokrates von A. erwähnt wird, wie ihn auch Odo occup. III, 909 anführt (Preter enim morbos quos nee numeraret Ypocras), geht wohl auf die quaest. medic. des Pseudo-Soranus zurück (A. II, 75 namque Ypocrate doceute Morbos per paria auf contraria novimus esse =^ Ps. Sor. bei Val. Rose, Anecdota II, 248 f. ib. 41 p. 252).

Es scheint aber neben den schon erwähnten noch eine andere mittelalterliche Quelle benutzt zu sein. In der Ausgabe S. 105 hatte ich schon angemerkt, dass A. eine ziemliche Anzahl von Sprichwörtern und sprichwörtlichen Redensarten gebraucht ; es sind freilich in Wirk- lichkeit bedeutend mehr, alt dort verzeichnet werden i). Nun giebt es eine sanze Menge Verse dieser Art, welche ein abgeschlossenes Ganze bilden und leoninischen Reim zeigen. Der letztere tritt aber bei A. sonst selten genug auf, wenn man andere zeitgenössische Dichtungen in Vergleich brino-t. Diese Sentenzverse heben sich daher scharf aus dem Rahmen des Gedichts ab und ich möchte sie alle einer und der- selben proverbialen Quelle zuweisen, die aus Monosticheu, vielleicht auch aus einigen Distichen bestand. Ich erlaube mir hier, der Kennt- nisnahme halber, diese Verse 2) herauszuheben:

') Es kommt hinzu I, 77. 171. 200. 251. 364. 571. 11, 145. 215. 237. 43G. 447. 476. 531. 578. 606. III, 18. 36 f. 55. 210. 219 f. 359. 560 f. 675. 726. 775 f. IV, 35 f. 44. 47. 183. 189. 201 f. 264. .303-306. 383. 406. 408 ff. 438. 458.

-) Ihnen schliessen sich an: I, 314 Cui passer visco capiturque timallus ab hämo und der allerdings ungereimte Vers IV, 44 Infans Urticas ignenique timet

192

M. Manitius.

I, 77 Quique lupum vivit, cunctos similes sibi credit. 104 Sordent Cliristicol^, nisi quis est copia gaze. n, 237 ülcio currentem capiet claudo pede sontem (Hör. C. III, 2, 3l).

302 At pro doctrina merces dabitur tibi digaa. 437 Quam felix esses, si te cognocere velles. 565 ISIil iguoranti linquamus operta tonanti.

606 Pauper quando sitit, non aurea pocula querit.

III, 18 Limpha domat prunas, occulta elemosina culpas (Eccli. 3, 33), 59 Si terrena damus, caelestia suscipiemus.

212 Ocia mortificant animam, studium educat illam.

456 Reice livorem, fidum qui scindit amorem.

577 Federe nil melius, consistit federe mundus.

675 Plurima scire iuvat, sapiens non exulat usquam.

682 Vera ^alus amor est, amor est perfectio vite.

7 62 Turpe est quod proprium violas, ouocrotale, nidum.

S23 Presbiter ingluviem devitet et ebrietatem.

IV, 98 Lucet non ardens, bona qui loquitur male vivens (Hör. S. I, 4, 109). 264 Felix paupertas, que nee metuis neque speras.

278 Quique liodie vivit, si vivat cras quoque nescit.

303 Earo breves humiles vidi rufosque fideles.

324 Stultus cepta probat bona, prudens ultima spectat.

383 Virtus quique cadit, quam non pacientia fulcit. (Prud. Psych. 177).

405 Paucis est gratus diffundere cuneta paratus.

Ausserdem niuss A. eine Art mythologisclies Handbuch eingesehen haben, denn seine größereu mythologischen Exkurse sind ziemlich umfänglich und inhaltreich: II. 44—51. 129—131. 337—364 und in. 242 257. Aus den Mitologiae des Tulgentius sind diese Dinge nicht geschöpft, eher scheint mir ein Auszug aus den ovidischen Me- tamorphosen mit dem umfäugliehen Material in Verbindung gebracht zu sein, das sich bei Prudentius findet. Sonst sind vom Dichter mehr- fach Meniorialverse benutzt worden, die vielleicht einen Zusammen- hang hatten. So nennt er I, 211 f. die Haupthäretiker, I, 271 die Hauptgestirne, I, 376 Hauptflüsse und II, 471 die ftinf Sinne (vgl. Alcim. Avit. I, 84); und wohl auch die Aufzählung von Verwandt- schaftsuamen IV, 390—397 stammt aus solcher Quelle.

Wichtiger ist die Benutzung von Phaedr. IV, 19, 2 f. in den Versen II, 449 f.:

Phaedr, IV, 19, 2 (lelu rigen- t e m quidam c o 1 u b r u m s u s t u 1 i t

Am. II, 449 Si denique tollas Inque sinu foveas langu entern

semel ustus. Keiner der Verse ist in den Spruchsammlnngen der Praecepta vivendi oder des Otloh zu finden. Mit den Praec. viv. 131 (P. L, I, 279) men- dacia fnrta rapinas stimmt nur Am. 11, 466.

Zu Aiuarcius und Eupolemius. 19o

Sinuque fovit contra se ipse algore colubrum. Mox ubi fit misericors. Namque ut refecta est calidus, cauda te perfidus angit. necuit hominem proiinus.

•Bei Avian uud seinem Gefolge steht die Fabel überhaupt nicht und keine der äusserst zahlreichen mittelalterlichen Ableitungen des Phaedrus (cf. L. Hervieux, les fabulistes latins I IV) besitzt diesen genauen wfJrtlichen Auschluss an Phädrus, wie ihn Amarcius bietet; in den Worten „cuuda te perfidus angit" liegt allerdings eine merk- würdige Abweichung, falls sie richtig überliefert sind.

Natürlich hat der Dichter die Disticha Catouis benutzt, wie ich schon angab. Mit Dist. II, 22, 2 vgl. Am. IL 571; mit Monost. .38 (Baehrens PLM III, 238) Am. III, 185 (cf. Publik Syr. 150 Ex vitio alias sapiens emendat sunm und den mittelalterlichen Vers bei Albert von Stade im Troilus IV 583 Felix quem faciunt aliena pericula cau- tum); mit Dist. IV, 10 vgl. den Gedanken Am. III, 210.

An Petrus Chrysologus (Migne 52, 532) -sed dives adamante ■durior" erinnern die Worte Am. II. 215 Cur adamante tuum cor du- •rius esse videtur?

Zu erinnern ist endlich an eine auffällige Übereinstimmung von Am. II, 500 Ac liuguam morsu commote more licisce Debilitare truci mit Waltharius 1231 Ex quis de more liciscae Dentibus infreudens ra- hidis latrare solebas. Weitere Anklänge an den Waltharius habe ich -allerdings nicht gefunden.

II.

Zu der Messias des Eupolemius. die ich aus Dresdensis De 17 la saec. XIII herausgab (Eoraan. Forsch, VI, 509 556), hat sich inzwischen eine zweite Handschrift aus saec. XII gefunden, nämlich die Handschrift von Besan9on Nr. 536 (vgl. Catal. gen. des mscr. des departem. XXXII, 308). Aus diesem Codex hat L. Traube einige Les- arten zu Buch II mitgetheilt (Neues Archiv XXVI, 174 f.), welche beweisen, daß Dresd. die bessere Überlieferung bietet, vgl. Traube zu II 718 f., 758. 772, während 754 (auch Dresd. hat quod si quid) 756. 762 beide Hdschr. übereinstimmen. Vs. 777 hat Dresd. .tibi refero", Vesont. «tibi refero tibi- ; durch diese Lesart wird meine Ver- besserung p. 556 „refero tibi" bestätigt, da Dresd. einen prosodischen Fehler bietet, während die Messung refero seit der silbernen Latinität ganz gewöhnlich ist. Zum Texte ist ft)lgendes zu bemerken. I, 13 ist „sub" statt ,sus" zu lesen. 31 f. ,namque manet" ist in parenthe- tische Striche einzuschließen. 33 nach „ipse" Komma. 124 ,nego" statt ,ego", ähnlich wie Amarc. III, 416 nach dem Dresd. ,nec nego"

;[94 ^- Manitius.

liest. 224 ist ,ceptriger- als mittelalterliche Form wohl beizubehalteu. 239 ad aures. 429 Vultumo; die Anmerkung ist zu streichen, der Fluss Vulturuus ist gemeint. 498 nach .tibi" Kolon statt Komma. 490 nach .nno" Semikolon. 492 das Komma nach «blaudicia, nicht nach „regem". 495 voluptatis? 553 procul sit. 561 f. ist der pa- renthetische Strich nach tenens zu setzen. 569 nach fateor Semikolon. 570 vor hoc und nach possis parenthetische Striche. 578 formidem, ciii. 579 nach famam Punkt. 592 evacuant. Non. 669 lathomos. 674 nach volentes Semikolon. 675 Flegreis. 679 nach ausis Komma. II, 13 probet, utque. 14 assurgat, eos. 39 das Komma nach Acastus 7A1 streichen. 116 nach vestes Komma. 137 nee ferebat in parenthe- tische Striche einzuschliessen. 143 nach Aucipiti Semikolon. 181 Pa- uotius nach Isid. orig. XI, 3, 19 (vielleicht non me Panotius inspicit orbum). 196 gravantur? 213 ruis, cui. 214 raucro? Que. 228 Fle- botomo? 264 Acheloo oder Acheloi? 344 Trivieque. 349 iubent; tantus. 403 circi. 416 fecerat illic. 417 felicior esset. 441 nach Brachia Kolou, nach petentes Komma. 449 Perrupit, qui. 455 si non ex corde resumit. 554 qua spe, iam credo. 569 geuitum, sibi qui fuit unicus, ire. 575 inimicis. 600 hone Spiritus Agati, darum. 615 viros; hie. 616 opus, nam. 619 idcirco nervös Judeus ab- horret . 622 Mutatos; alter. 648 nach Chananeis Semikolon. 663 viro. Mactatum. 678 Pirtalmumque, cf. I, 563. 691 clipeo, nee. 692 Cedere. Jam.

Über die Heimat des Eupolemias geben zwei Stellen näheren Aufschluss. In dem langen gelehrten Exkurs über die Völker der Welt II, 488—548, der mit den Indern beginnt und mit den West- völkern Afrikas schliesst, erscheinen 534—540 auffällig viel gallische A^ölkernamen (Belga, Alverni, Allobroges, Nervius, ßotomus, Equitaui, Verimandus, Kutheni, Vuascones, Tholosa), während aus Italien, Ger- manien, Spanien und Britannien nur wenige angeführt werden. Schon das könnte den Dichter als Westfrankeu erscheinen lassen und diese Vermutung wird durch eine andere Stelle fast zur Gewissheit erhoben. Es heisst I, 668 „virtus summa (= dei) superbos Confundeus lathoraas, quod nomen huic dedit urbi Ceptum linquere opus per dissoua cora- pulit ora". Ich hatte das Wort lathoraas auf latomia (lautumia) be- zogen, es ist aber natürlich in lathomos (-^ Steinarbeiter) zu emeu- diren. An der Stelle handelt es sich um eine Verquickung des bibli- schen Berichts vom Turmbau zu Babel mit dem Gigantenkampf gegen die Götter, wie Eupolemius überhaupt gern biblische Mythen mit antiken vergleicht (Rom. Forsch. X, 512). Dass er an den Turm- bau gedacht hat, geht aus Vs. 670 „per dissona . . . ora" deutlich

Zu Amareius und Eupolemius. 195

hervor. Wesentlich hei der gauzen Suche wird das Wort lathomos, au welches die Worte geknüpft werden „quod nomeu huic dedit urhi". Die Worte müssen als Parenthese aus dem Sinne des Dichters auf- gefasst werden, da sie sonst keinen Sinn gehen, und Eupolemius sagt daher, dass aus dem Worte lathomos der Name der Stadt herzuleiten sei, in der er lebte. Man könnte an Laudunuin denken, aber jenem Worte entspricht noch mehr der alte iSame von Caudebec, nämlich Latomagus. Bei den ungeheuerlichen Etymologien, die man im Mittel- alter mit Eigennamen verband, hat die Ableitung nichts auffälliges und der Ort Latomagus gewinnt als Aufenthaltsort (oder Heimat?) des Dichters um so mehr Wahrscheinlichkeit, als er in der Nähe von Ronen (Rotomagus) liegt und II, 537 unter den gallischen Völkern anch der „pugnax Rotomus" genannt wird Vielleicht verbirgt sich sogar hinter dem Pseudonym Eupolemius dieses Beiwort pugnax für die Bewohner der Landschaft von Rouen und nicht unmöglich ist, dass bei diesem Pseudonym der Name des Amareius eine Rolle gespielt hat, dessen Sermoues von Eupolemius eifrig studirt worden sind. Denn Amareius (a privativum mit Martins) gibt griechisch ins Gegen- teil verändert Eupolemius: Amareius stellt unkriegerische Dinge dar, das Gedicht des Eupolemius ist voll von Krieg; wenigstens konnte letzterer den Namen des ersteren so auffassen und sein eigenes Pseu- donym danach bilden.

Von Hinweisen auf die Zeit des Dichters ist nicht viel zu bemerken, da das Ganze eine allegorische Einkleidung erhalten hat. Nur II, 110 124 (vgl. 11, 11 ff.) gibt eine deutliche Anspielung, dass man sich in den Zeiten des Rittertums befindet .Rustica nostras Inpugnaufc acies examina; prospice numquem Inter eos videas ortum de sanguine equestri". Darauf werden die Bauern in ihrem Aufzuge den Rittern gegenüber als lächerlich geschildert. Das kehrt II, 667 673 wieder^ wo der ritterliche Hochmut dem Bauern gegenüber sich den stärksten Hohn erlaubt und zugleich die Tracht der Zeit gestreift wird (Rostrati pedes . pelles gulatae . manicae ampUie). Diese Selbstüberhebung des ritterlichen Standes stimmt aber auch eher zu den französischen als deutschen Verhältnissen und wir gewinnen für die Zeit der Abfassung frühestens den Ausgang des 11., vielleicht auch erst den Anfang des 12. Jahrhunderts.

In der Ausgabe (p. 512 und in den Noten) hatte ich schon be- merkt, dass das Gedicht die Kenntnis der Sermoues des Amareius deut- lich verrät. Dies Verhältnis lässt sich aber noch weiter verfolgen, denn vor allem sind die grossprecherischen Worte 11, 488—552 eine Weiter- bildung von Amarc. IV, 186 ff. „Capadocum regio tibi serviat et Ga-

\OiQ M, Manitius.

ramantum (Eup. 11, 506- 547 (zu cum Garamante Galaula vgl. Prud. in Symin. II, 809) 552) Insuper Assirie gens et que potat Hidaspeu (Eup. II, 499) Denique si quicquid sub cell nascitur axe Te tremat" (Eup. II, 551. 543). Die Völkerkarte, die liier entrollt wird, ist höchst wahrscheinlich einer Kosmographie oder einem Orbis pictus im Zu- sammenhang entnommen worden, wenn auch einzelne Dichterstellen aus Horaz, Ovid, Lucan und Statins darein verwebt worden sind. Indess die Grundidee wie auch manche Ausführung hat Amarcius geliefert (so außer den obigen Stellen 488 Am. II, 493 precioso stamine Serum. 501 acres Eniochi Am. III, 387 acria pugnent Eniochi. 505 Am. II, 631 crudis . . Gelonis. 511 Am. III, 409 Sabei. 523 Am. IV, 252 studii tedebit -Athenas. 528 Am. III, 388 trueesque Suevos. 541 Am. II, 11 Extorres . . Britannos. 546 Am. IL 319 nigram Maurus depor nere pellem. 548 Am. II, 12 Eins in aspectu gens procidet Ethiopum). So gab Amarcius auch II, 10 die hauptsächliche Ausdehnung von den Indern zu den Britanniern: II, 10 „et ab Indis Extorres penitus regnabis ad usque Britannos". Aber auch das Anfangsgebet des Eupo- lemius I, 7 ff. ist nach A. gearbeitet, der seinen Satiren ein Schluss- gebet anhing (Eup. I, 9 f. vgl. mit Am. IV, 484 ff.). Und sonst ist im einzelnen zu vergleichen Eup. I, 164 mit Am. 111, 624 Balsama tum et mirre . . . Thus. 260 Am. IV, 41 si vis ad omissa reverti. 284 Am. I, 185 feda libido. 286 Am. IV, 410 sie quisque parem sibi querit. 381 Am. II, 333 Bos asinusque sui domini presepia norunt. 471 Aplestem nach Am. I, 357 aplestia? 474 Am. I, 314 capiturque timallus. 510 Am. I, 65 scripturarumque peritis. 526 ff. Am. III, 120 Lyeum . . . pateris ingentibus hausit Evertitque cados . . pleno. 659 Am. I, 544 ütque fer^ Hyrcanis coeunt in montibus. II, 222 f. Am. I, 343 ut hirudo cruorem. 776 A. III, 79 equi sumpta osse medulla. 779 Am. III, 727 lacte fuit tenerorum more riganda; 731 solido pas- ceuda cibo fuit. Hierdurch ergibt sich, dass Eupolemius genaueste Kenntnis der Satiren des Amarcius gehabt hat.

Außerdem aber scheint der Dichter auch die Occupatio des Odo .gekannt zu haben, worauf vielleicht schon die Gräcisirung vieler Namen und Ausdrucke führen könnte. Mehreres könnte auf ein solches Ver- hältnis hinweisen. Eupol. 1, 10 Odo V, 550 novit quae caelicus ordo. 286 f. V, 52() Vis est naturae similem ad similem sociari^). 349 I, 232 Omne quod est factum non est mutabile mirum. 484 f. II, 263 Servitus est turpis libertas. II, 81 HI, 1006 totus sparsim per climata mundus.

') So ist statt sociare zu schreiben.

Zu Amarcius und Eupolemiuä. ]^t)7

Soust stellt sich noch eine viel bedeuteudere Kenutuis des Horaz bei Eupolemius heraus, als ich in den Noten angab, und gelegentlich ist auch auf anderes aufmerksam zu machen. Eup. I, 1 f. Hör. C. I, 1, 24 f. 108 C. I, 2, 33. 117 Ep. 1, 1, 59. 138 Ep. II, 2, 37. 219 Ep. II, 2, 75. 338 Ep. I, 16, 32. (339 f. C I, 1, 24 f. II, 559 C. I, 7, 26. I, 130 f. Verg. Georg. I, 59 und III, 82. 121. I, 535 Isid. orig. 13, 21, 15. II, 184«?. Isid. 11, 3, 22. 186 Isid. 11, 3, 17.

Aus verlorenen Eegisterbänden der Päpste Innozenz III. und Innozenz IV.

Von

Karl Hampe.

IL Aus dem sechsten und siebenten Jahrffansj der Register Innozenz IV.

Ein eigentümlicher Zufall ist es, dass der Formelsammler, der uns gerade aus drei jetzt verlorenen Registerbänden Innozenz III, i) eine Anzahl von Briefen aufbewahrt hat, als er daran ging, auch aus dem Register Innozenz IV. seine Auszüge zu machen, ebeu den Band zuerst herausgriff, der als der einzige von den zwölf Jahrgängen schon seit langer Zeit völlig in Verlust geraten ist. Es ist der siebente Jahr- gang, der die päpstlichen Briefe vom 28. Juni 1249 bis zum 27. Juni 1250 umfasst. Der Zufall findet nicht etwa darin seine Erklärung, dass diese jetzt verloreneu Bände schon zur Zeit der Anlage unserer Sammlung gemeinsam abhanden gekommen waren und an einem anderen Orte benutzt wurden; die Auszüge sind offenbar im päpst- lichen Archiv selbst gemacht, auch der siebente Jahrgang Innozenz IV. war damals jedenfalls vor Ende des lo. Jahrhunderts dort noch vorhanden, da er im Inventar vom Jahre 1339 aufgezählt wird^), und ausserdem sind ja auch einzelne Briefe aus noch erhaltenen Register- bänden aufgenommen, so wie schon im ersten Teile bemerkt

1) Vgl. Mitt. des Instituts für östevr. Geschichtsf. 23, 545.

2) Denifle, Arch, f. Litt. u. Kirchengesch. II, 77. Denifle bemerkt dazu: X Dieser Band ist in Verlust geraten ; man kann ihm nirgends auf die Spur kommen"^.

Aus verlorenen Registerbändeu der Päpste Innozenz III. etc. ^^99

aus dem 7. und 8. Jahrgang Honorius III., und dann aus zwei wei- teren Jahrgängen Innozenz IV.

Bei den beiden ersten Stücken, die unten abgedruckt sind, Arengen ohne sachlichen Inhalt, da mit dem Beginn der Narratio abgebrochen wird, kann man schwanken, ob sie nicht noch mit den voraufgehenden Auszügen aus der Formelsammlung des Thomas von Capua zusammen- hängen. Die schwülstige Sprache und das für einen Papstbrief immer- hia auffällige Zitat aus Ovids Ars amandi, das freilich als ein all- gemein bekanntes Sprichwort angeführt wird, könnte man für diese Annahme geltend machen. Indessen sind die beiden Briefanfäoge in der bekannten, wenn auch zum grössten Teil noch ungedruckten Summa dictaminis des Thomas 1), die ich in einer Abschrift der Mo- uumenta Germaniae benutzen konnte, nicht vorhanden, und der Befinu der Narratio weicht von der dort üblichen Form ab und entspricht derjenigen der Papstbriefe. Im Grunde kommt nicht viel darauf an, aber der Vollständigkeit halber drucke ich die beiden Stücke mit ab. Der dritte, freilich noch undatirte Brief an den lateinischeu Kaiser Balduin II. ist aber bereits mit höchster Wahrscheinlichkeit dem sie- benten Jahrgange Innozenz IV. entnommen, derselben Quelle, aus der •die Briefe 4 12 unzweifelhaft geflossen sind. Hier hat unser Sammler dem späteren Historiker gegenüber doch wenigstens so viel Kücksicht bewiesen, dass er die Datirungen grösstenteils vollständig abgeschrieben hat. Diejenige von Nr. 4 ist allerdings noch verstümmelt, zeigt indes ■das siebente Pontifikatsjahr. Aus dem „Dat. ut supra*^ iu Nr. 5 ist nur zu entnehmen, dass das Stück demselben Jahre augehört. Nr. 6 scheint zwar nach der Datiruug „Dat. Lugduni, VI. kal. Nov., anno VI." auf den sechsten Jahrgang zu deuten, aber gerade dieser Brief ist anderweitig bekannt und erweist das „anno VI." als einen Schreibfehler statt „anno YII." Die Datirungen der folgenden Stücke lassen nichts zu wünschen übrig. Das Springen vom November zum Juli und wieder zum Dezember macht es nicht wahrscheinlich, dass der Exzerptor hier dem Gange vseiner Vorlage gefolgt ist; doch kann das Schreiben aus dem Juli immerhin auch eines jeuer ausnahmsweise spät eingetragenen Stücke sein, wie sie iu allen Eegisterbäuden vorkommen.

Leider glaubte jener bald genug Briefe aus dem siebenten Jahr- gang in seiner Sammlung zu haben und griff zu einem andern. Von allen übrigen Bänden konnten für uns nur noch Auszüge aus dem sechsten unter Umständen wertvoll sein, da dieser Codex, der jetzt in der Pariser Natioualbibliothek bewahrt Avird, der einzige ist, der iu

*) Die Veranstaltung einer vollständigea Ausgabe ^väre dringend zu ■wünschen.

200 Karl Hampe.

schadhaftem Zustande ist uud bedeutende Lücken aufweist. Wirklich griff unser Sammler eben zu diesem Baude. Die jetzigen Lücken be- finden sich im Anfange desselben, aus dem Anfang machte auch er seine Auszüge. Kein Zweifel, duss die Briefe 13 16 aus der ersten Hälfte des Juli 1248 zu den 22 ersten Nummern des sechsten Register- bandes gehört haben, die jetzt in dem Pariser Codex fehlen i). x\uch hier hat unser Sammler die Liebenswürdigkeit gehabt, die vollständi- ge u Daten hinzuzufügen. Nr. 23 des Jahrganges ist nur verstümmelt erhalten. Die erste ganz überlieferte Nr. 24 ist dann identisch mit Nr. 17 unten. Der Exzerptor folgte hier dem Gauge des Registers, die 9 folgenden Nummern überschlug er und fand erst an der zehnten: Nr. 34 (=^Nr: 18 unten) wieder Wohlgefallen. Machte er noch einmal einen solchen Spruug, so musste er wieder , auf Briefe stossen, die jetzt in der Pariser Hs. vermisst werden, denn von Nr. 42 bis Nr. 134 klafft dort wieder eine gewaltige Lücke. Leider ist ihm inzwischen das Zusetzen des Datums, das für ihn ja in der Tat keine Bedeutung hatte, zu langweilig geworden, so dass wir fortan die Art seiner Arbeit nicht mehr so genau prüfen können. Wenn aber gerade hier 23 un- datirte Schreiben (unten Nr. 19 41) folgen, die in dem Jahrgange des Registers nicht aufzufinden sind, so ist gewiss, dass sie eben aus jener Lücke stammen, zumal da mit dem darauf folgenden Stücke Nr. 42 der Anschluss au einen bekannten Brief (Nr. 288) des Bandes wieder erreicht ist. Da die verlorenen Briefe dieser Lücke den Monaten Juli, August und September augehört haben müssen, so kanu man jene 23 Stücke aunäherud datiren.

Weiter folgen in buntem Wechsel l)ekaunte uud unbekannte Briefe. Der Sammler scheint zunächst wieder dem Gange des Registers gefolgt zu sein, denn Nr. 44 =:= Nr. 291 des Registers schliesst sich euo- au Nr. 42 = Nr. 288 des Registers an. Dazwischen steht freilich eine Formel für Pallienerteilung, die sich in der Pariser Hs. nicht findet. Darauf hat er wiederholt zurückgeblättert und zuerst Nr. 23(> und 238, dann Nr. 224 und 226, hierauf Nr. 203 abgeschrieben, um eudlich mit Nr. 186. 190. 191. 192. 201 sich wieder der Reihenfolge des Registers auzuichliessen. Dann aber schieben sich auf's Neue drei unbekannte Stücke (unten Nr. öS 57) dazwischen, ehe der Sammler mit Nr. 297. 298. 299. 301. 456 wieder dem Gange des Registers freilich etwas sprunghaft folgte. In derselben Richtung ist er auch noch fortgefahren, indem er Nr. 476- 481. 523. 527. 531. 532. 60!^. 628 und 629 abschrieb, aber vorher hat er wieder sechs unbe- kanute Briefe (unten Nr. 64 69) eingefügt.

') Vgl. Berger (— ß.), Le.s registres d' Innocent l\^ Hil. I »S. Vlll.

Aas verloieueii Registerbiiuden der Päpste Innozenz lil. etc. 9Q1

Woher stammen diese zwischen die bekannten Nummern des Ke- gisterbaudes mehrfach eingestreuten Stücke? Dass auch sie päpst- hchen Eegistereintragungen entnommen sind, beweist ihre Form. An die Eegister anderer Päpste ist nach dem Zusammenhang nicht zu denken; zum Überfluss bringt die Formel Nr. 43 den Namen Inno- zenz (IV.). Eintragungen anderer Registerbände dieses Papstes kcJnnten in Unordnung mit solchen des sechsten Bandes vermischt sein. Der Sicherheit halber habe ich mich der undankbaren Mühe unterzogen, die Ausgabe Bergers vollständig daraufhin durchzublättern i): nirgends eine Spar von jenen Briefen! So müsste man seine Zuflucht zu dem verloreneu siebenten Bande nehmen, aber die ganze Voraussetzuno- einer solchen Vermischung ist doch sehr unwahrscheinlich. Dem sechsten Kegisterbande werden auch diese unbekannten Stücke wie die übrigen angehört haben, und da bleiben nur zwei Möglichkeiten: entweder ist der Sammler dreimal unvermittelt auf den jetzt lücken- haften Anfang des Bandes zurückgesprungen und hat dorther jene unbekannten Briefe abgeschrieben-), oder aber er hat ein reicheres Exemplar des sechsten Registerbandes benutzt, das wir dann als einen Teil der Originalregister anzusehen hätten, während uns in dem Pariser Codex nur eine sorgfältige, aber nicht vollständige Reinschrift vorläge. Sollte die Entscheidung in diesem letzteren Sinne ausfallen, so würden wir einen zwar kleineu. aber nicht uninteressanten Beitrao- zur Lösuuo- einer vielerörterten Frage der päpstlichen Registerforschung gewinnen, denn alsdann würde die Nichtoriginalität des sechsten Jahrganges der Register Innozenz' IV. erwiesen sein, über welchen Deuifle sein ge- wichtiges Urteil in dieser Hinsicht nicht abgegeben hat 3), und es würde hier die erste Spur eines reicheren Originalregisters des drei- zehnten Jahrhunderts neben dem unvollständigeren abgeleiteten Bande wenigstens in Gestalt eines dürftigen Auszuges daraus auftauchen.

Leider vermag ich eine Entscheidung dieser Alternative nicht zu geben. So viel ich sah, konnte nur eine genaue Vergleichung der Stücke, welche unsere Sammlung mit dem sechsten Registerjahrgang gemeinsam hat. mit einiger Wahrscheinlichkeit zum Ziele führen, denn

') yehr bedauert habe ich während der Arbeit, dass die Judices zu Bergers Ausgabe noch nicht vorliegen. Dadurch wäre das Nachsuchen sehr erleichtert worden.

-) Bei der sprunghaften Art, mit der die Auszüge sonst gemacht sind, würde das nicht allzu unwahrscheinlich sein. Man vergleiche aucb die stark gestörte Reihenfolge, in der unser Sammler die Stücke aus dem achten Registerbande Honorius III. überliefert hat (in dieser Ztsch. Bd. XXIII S. 54(i).

^) Specimina palaeographica regestorum Rom. pontificura S. XIV.

Mitthciliingcn XXIV. 14

202 K a r 1 H a m p e.

daraus musste sich entweder textliche Abhäugigkeit der Sammluug vom Kegister oder Zurückgehen beider auf eine Originalvorlage er- geben. Da es sich gerade um zwei Pariser Codices handelte, so hoffte ich, diese Arbeit in Bonn erledigen zu können. Meiner Bitte um Übersendung wurde auch von der Verwaltung der Pariser National- bibliothek bereitwilligst entsprochen, doch konnte der Cod. lat. 11,867, der unsere Sammlung enthält, als verliehen nicht mitgeschickt werden. So vermochte ich jene Vergleichung, da ich bei meiner ersten Be- nutzung des Codex die anderweitig überlieferten Stücke natürlich nicht mit abgeschrieben hatte, leider nicht vorzunehmen i). Ein selbständiges Urteil aber über die Originalität des sechsten Kegisterjahrganges wollte ich mir nicht aumassen^). Damit die Übersendung dieser Hs. nicht ganz nutzlos erfolgt sei, trage ich unten in eiueua Anbange einige Berichtigungen und Ergänzungen zu Bergers Ausgabe nach, die mir bei flüchtigem Durchblättern auffielen.

Für die Zwecke meiner Publikation ist indes die Entscheidung der Frage, die ich nun vorderhand offen lassen muss, doch nicht wesentlich genug, um etwa die Veröffentlichung selbst ganz zurück- zustellen. Verschieben würde sich dadurch nur die aunäherLde Da- tirung der Stücke 43, 55 57 und 64 69. Sind sie aus der Lücke im Anfang des Kegisterbandes entnommen, so gehören sie höchst- wahrscheinlich den Monaten Juli bis September 1248 au. Andernfalls würden sie, wenigstens zum Teil, zu etwas späteren Monaten zu setzen sein. Der Unterschied ist also nicht bedeutend. Ich habe statt dessen zu allen die Daten gesetzt, welche das sechste Pontifikatsjahr um- grenzen^).

1) Eine auflfällige Abweichung, die mir schon bei der ersten Benutzung auffiel, möchte ich hier immerhin verzeichnen. In Nr. 54 heisst es in unserer Sammlung: „de presbytero genitus et soluta«, was kaum aus der Stelle des uns bekannten Registers (Cod. Paris, lat. 4039 tbl. 9 v.) : »de soluto genitus et soluta' geflossen sein kann, während die Identität der beiden Stücke bei der sonst völligen Übereinstimmung doch höchst wahrscheinlich ist.

2) Der Band wird durchaus den in Rom befindlichen Jahrgängen 1 5 und 8 10 entsprechen, über die Denifle kein bestimmtea Urteil fällt, wenn er auch zur Annahme der Originalität neigt, während er die .lahrgäuge 11 und 12 un- bedingt für original hält.

") Aus den Briefen selbst habe ich leider keine sicheren Anhaltspunkte für die Datirung gewinnen können, doch ist vielleicht auch auf diesem Wege noch weiter zu kommen. Archambaud X. von Bourbon starb am 15. Jan. 1249 auf Cypern. Im März oder April des Jahres dürfte der Papst Nachricht davon ge- habt haben. Da in Nr. 67 das ,bone memorie* vor seinem Namen fehlt, wird der Brief vor diese Zeit zu setzen sein.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz II[. etc. £03

Als imser Sammler mit der Nr. 629 dem Eode des sechsten Re- gisterbandes, der mit Ausschluss der Kurialbriefe 672 Nummern um- f;isst, einigermasseu nahe gekommen war, legte er ihn aus der Hand und griff zu dem vierten Jahrgange, aus dem er noch 17 Briefe in strengem Anschlüsse an die Eeihenfolge des Registers abschrieb (unten Nr. 79 95), die für uns wertlos sind, da uns ja die Vorlage selbst erhalten ist. Hier finden sich auch keine unbekannten Stücke, denn der einzige Brief, der noch folgt (Nr. 96), kann der Zeit nach nicht mehr dem vierten Jahrgange, der mit dem 27. Juni 1247 endigt, an- gehören. Ich versuche unten in den Anmerkungen zu dem Briefe zu zeigen, dass er etwa im Frühjahr 1248 geschrieben sein muss. In seinem ganzen Tone Aveicht er zwar von den voraufgehenden Reo-ister- stücken erheblich ab, aber darum darf mau an seiner Echtheit doch nicht im allergeringsten zweifeln, denn einmal entspricht der auf- geregte und schwülstige Stil mit seineu Bildern und Wortspielen völlig dem der sonstigen päpstlichen Manifeste jener Zeit, und dann steht er ja in der vertrauenswürdigsten Umgebung und bietet einer negativen Kritik nicht den geringsten Ansatzpunkt. Ob er freilich einem Registerbande entnommen ist, steht dahin. Derartige Schreiben pflegten im allgemeinen nicht unter die „litterae communes" eingereiht zu werden; es ist mir daher von vornherein unwahrscheinlich, dass auch er etwa aus jenen Lücken im Anfange des sechsten Jahrganges stammen sollte, ganz abgesehen davon, dass eine Datirung nach dem 28. Juni 1248 wenig für sich haben würde. Man würde ihn am ersten unter den litterae curiales des fünften, allenfalls unter denen des sechsten Bandes zu suchen haben, aber an beiden Stellen findet er sich nicht. Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass er von unserem Sammler, der ja offenbar im päpstlichen Archive selbst seine Auszüge machte, einer andern dortigen Vorlage, etwa einem Konzept, das ihm in die Hände kam, entnommen worden ist. Sicheres wird sich darüber nicht feststellen lassen. Unmittelbar au dieses Schreiben schliessen sich die Auszüge aus den Registern Innozenz III., die ich im ersten Teile dieser Arbeit verööentlicht habe.

Der Zahl nach ist die Ausbeute an ungedruckteu Briefen für Innozenz IV. erheblich grösser, als für Innozenz III. Dort waren es 24, hier sind es 47, oder wenn man die beiden Arengen im Anfang und die abweichenden Ausfertigungen von Nr. 57 mitzählt, 52 bisher un- bekannte Stücke. Was freilich den historischen Inhalt betrifft, so sind sie jenen nicht gleichwertig. Vereinzelt findet sich zwar ein Brief an den lateinischen Kaiser Balduin II. (Nr. 3) oder au König Hein- rich III. von England (Nr. 57) darunter, ein anderer weist uns auf

14*

.>f)^ Karl H a m p e.

eine Verwandtschaft zwischen Innozenz IV. und den Herren von Bour- bou hin (Nr. 67), aber die Masse besteht aus gewöhnlichen Dispensen, Indulgeu'Zen, Provisionen etc., minderwertigem Zeug, wie es ja um jene Zeit bereits einen grossen Teil der päpstlichen Eegisterbände anfüllt, imd das seine an sich schon nicht erhebliehe historische Brauchbar- keit fast völlig einbüsst, wenn, wie hier leider bei der Mehrzahl der Stücke der Fall ist, die Namen der Persönlichkeiten, Kirchen, Diözesen, Städte etc. ausgelassen sind. Daher kann man bei nahezu der Hälfte der unten veröffentlichten Briefe wohl die Frage aufwerfen, ob sich ein Abdruck im historischen Interesse überhaupt lohnt? Indessen glaubte ich trotzdem von Auslassungen oder Kürzungen absehen zu sollen. Die Sammlung ist am Ende doch eiu Ganzes, dessen Ver- hältnis zu den Registern, aus denen es geschöpft ist, hinreichend nur beurteilt werden kann, wenn man es vollständig kennt. Zudem muss" unser Streben darauf gehen, die Lücken in der Reihe der päpstlichen Registerbände wenigstens des 13. Jahrhunderts möglichst weit aus- zufüllen. Dazu aber tragen auch die historisch uninteressanteren Stücke mit bei; sie mögen vielleicht einmal dazu dienen, weitere Bruchstücke der verlorenen Registerbände in ähnliehen Sammlungen zu erkennen, und mau braucht so jedenfalls nicht mehr auf die Pariser Hs. zurück- zuo-reifen, in der Hoffnung, dass unter den Stücken, die ich etwa aus- hissen würde, doch noch etwas Brauchbares enthalten sei. Überdies bin ich in der Erkenntnis der historischen Beziehungen mancher Briefe, in denen sich ein paar Namen erhalteu haben, schwerlich überall schon an die Grenze des Möglichen, die der spröde Stoff einmal setzt, vorgedrungen. Es giebt bei derartigen Editionen ein gewisses Mass, über das hinaus ein weiteres Suchen und Blättern nicht mehr die darauf gewandte Zeit lohnen würde, und von wo ab der Herausgeber weitere Feststellungen getrost dem Lokalforscher und Spezialisten über- lassen darf.

Hier möchte ich nur noch auf diejenigen Stücke hinweisen, die für den weltgeschichtlichen Kampf der Kurie gegen Friedrich II. In- teresse haben.

Seit der NiederUage des kaiserlichen Belagerungsheeres vor Parma am 18. Februar 1248 nnd ihrer Folge, dem Abfall vieler Städte in der Romagna, der Mark Ancona und dem Herzogtum Spoleto, hatte sich die Sache des Papstes in Mittelitalien soweit gebessert, dass er an einen Ano-riff auf das Königreich Sizilien denken konnte. Vom •U). August 1248 sind die entscheidenden Weisungen an den Kardinal- priester Stephau von S. Maria in Trastevere datirt, in denen ihm die Kreuzpredigt gegen Friedrich in Mittelitalien und die Verhänguug des

Ans verlorenen Kegisterbänden der Päpste Innozenz III. etc. 205

Interdikts über das ganze Königreich Sizilien befohlen wurde. In dieser Zeit wird man eine gesteigerte Tätigkeit des Papstes in Bezug auf Sizilien erwarten, doch fehlen im sechsten Ee»;isterbande infolge der Lücke leider die meisten Briefe aus den Monaten Juli bis Sep- tember. Einige davon haben sich nun in unseren Auszügen erhalten. Wenn etwa Innozenz dem Abte eines Klosters wegen seiner opfer- willigen Treue im Streite gegen die Feinde der Kirche eine Auszeich- nung verleiht (Nr, 21), so bezieht sich das natürlich auf den Kampf gegen die kaiserliche Partei und vielleicht auch auf die mittelitalischen Gegenden. Einen anderen Anhänger der Kirche belohnt der Papst für die Verluste und Entbehrungen, die er in einer vierjährigen Kerkerhaft von den Parteigängern Friedrichs erduldet hat, mit einer Anweisung auf Abgaben von Burgen, deren Kastellane sie der römischen Kirche schon seit langer Zeit vorenthalten haben (Nr. 31), freilich ein Gnadenbeweis, von dem es sehr unsicher scheint, ob er dem Empfänger wirklich nutzbringend werden konnte. Eine Befreiung vom Interdikt (Nr. 39) mag sich auch auf die für Sizilien augeordnete Massregel beziehen. In einem andern Privileg (Nr. 30) nutzt der Papst bei der nach der kurialeu AuflFassung eingetretenen Vakanz des sizilischen Königtums seine oberlehnsherrlichen Rechte, indem er einem Anhänger mehrere Burgen im sizilischen Reiche auf Grund der Erbansprüche seiner Gemahlin überträgt. Eine anderweitige Verleihung von Seiten Friedrichs oder auch des Papstes selbst soll dem nicht entgegenstehen. Der Anfang des Privilegs bezieht sich auf eine im Beginn gleich- lautende Urkunde, die verloren ist. Darum ist auch nicht mehr mit Sicherheit zu erkennen, iji welchem Teile des Königreichs jene Burgen lagen; vielleicht aber weist die Erwähnung des „castrum Cuculi" auf den Prinzipat, insbesondere die Diözese von Capaccio hin, und da sie ein Herd des Aufstandes vom Jahre 1246 war, so hätten wir es mit einer Verleihung an einen flüchtigen Angehörigen der von Friedrichs Strafgericht betroffenen Adelsfamilien zu tun.

Mit dem eigentlichen Angriff auf Sizilien hat Innozenz, auch nachdem der Entschluss dazu gefasst war, noch lange gezögert i). Erst nachdem im April 1249 an den Kardinaldiakon Peter Capoccio, der zum Feldherrn ausersehen war, die Vollmachten erteilt waren, be- gannen die offensiven Massnahmen. Am 22. Mai 1249 hat sich Inno- zenz die als Stützpunkt für den Angriff" wichtige Stadt Spoleto durch ein Privileg verpflichtet, in welchem ihren Bürgern völlige Verkehrs- freiheit im ganzen sizilischen Königreiche zugesichert Avurde. Schon

') Vgl. für alle diese Dinge Rodenberg, Innozenz IV. u. d. Königreich Sizi- lien S. 64 tt'.

206 Karl Hampe.

einer früheren Zeit gehört die ganz ähnliehe Urkunde in unserer Sammhing an (Nr. 68), in der einer andern, leider nicht genannten, aber jedenfalls auch mittelitalischen Stadt das Gleiche in abweichenden Wendungen zugestanden wird.

Unterstützt durch den Eindruck der am 26. Mai 1249 erfolgten Gefangennahme Enzios bei Fossalta, begann der Legat Peter Capoccio seine militärischen Operationen in der Mark Ancona. Wir würden über die ganzen Massnahmen gewiss besser unterrichtet sein, wenn der vollständige siebente Band des päpstlichen Kegisters wieder auftauchte. Von den unten mitgeteilten Briefen daraus kommt hier nur ein einziger in Betracht. Rodenbergi) vermutet, dass parallel mit dem AngrrifFe des Legcaten von der Mark aus auch ein Vorstoss von der Campagna her geplant war. In dieselbe Richtung weist eine Ur- kunde (Nr. 10), in welcher Innozenz am 19. November 1249 einem Anhänger, wohl einem vertriebenen sizilischeu Adligen, die Burg Pettorano südl. von Solmona mit der zugehörigen ßaronie verleiht.

Als der Papst im Frühjahr seinen tüchtigsten Legaten gegen das Königreich aussandte, war wohl der Hauptzweck der gewesen, den Kaiser im Eücken zu beschäftigen, damit er sich nicht von seiner damals noch sicheren Machtstellung in der Lombardei aus über die Alpen gegen Lyon wenden könne 2). Es lässt sich denken, dass es an Versuchen der Kurie, diese gefährliche Machtstellung zu erschüttern, schon seit der kaiserlichen Niederlage vor Parma nicht gefehlt hatte. Diese Bestrebungen mussten sich naturgemäss vor allem auf Cremona richten^), und für diese Stadt scheint mir auch das interessante päpst- liche Schreiben bestimmt gewesen zu sein, das ich unten als letztes Stück (Nr. 96) mitteile. Es ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Einmal verdient überhaupt der Versuch der Kurie Beachtung, auf solche Weise die (cremonesische) Innenpartei zu sich herüberzuziehen. So- dann haben wir hier das früheste Dokument, in dem der Papst sich bemüht, dem Königtum Wilhelms von Holland auch in Italien Anhang zu verschaffen^). Endlich ist der Brief ein kleines Musterstück päpst- licher Atritationskunst. Neben manchen Wenduno-en, die ähnlich auch in andern Schreiben der Kurie wiederkehren : Appell an Einigkeit und Freiheit, nationale Solidarität dem Fremden gegenüber, Schilderung Friedrichs als eines Tyrannen, Unterdrückers der Kirche und jeder

') A. a. 0. S. 80 Anm. 8. 2) Ebda S. 78. a) Vgl. B.-F.-W. 7963.

*) Also ein Seitenstück zu dem ydireiben, das Wilhelm selbst bald nach seiner Wahl an Genua richtet, vgl. B.-F. 4887.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz 111. etc. 207

Selbständigkeit, eines Vorläufers des Antichrist, finden sich einzelne originellere Züge. Namentlich ist das Motiv der Undankbarkeit und Untreue Friedrichs, wie es etwa auch Salimbene betont, hier sehr geschickt, aber auch sehr gewissenlos zur Agitation verwandt. Noch musste damals frisch in aller Erinnerung das furchtbare Strafgericht sein, das der Kaiser im Frühjahr 1246 an Männern hatte üben müssen, die viele Jahre laug eine einflussreiche Stellung in seinem Rate und der sizilischeu Verwaltung eingenommen hatten. Es ist kaum möglich, nicht auf sie die Werte unseres Schreibens zu beziehen: „Wenn Ihr an die Belohnungen denkt., die er seinen Dienern zu erteilen pflegt, so könnt Ihr nur eine traurige Vergeltung von ihm erwarten, denn diejenigen, welche sich selbst völlig und jederzeit seinem Dienste hingegeben hatten, und die eine um so grössere Gunst von ihm zu erlangen berechtigt schienen, die hat er nach vielen und langen Mühen, als sie für ihre Verdienste von ihm einen herrlichen Lohn zu gewinnen hofften, durch eine furchtbare und allzu herbe Vergeltung zerschmettert, weil er noch niemanden zu erheben, sondern jeden nur herabzudrücken und alle in die äusserste Knechtschaft zu brintjeu o-e- strebt hat, auf dass einzig er über dem Erdkreise als Alleinherrscher throne". Also, das ist natürlich die Folgerunor, Vorsicht vor dem Treulosen, der andere trügerisch verlockt, um sie auszubeuten, der „die Schlange aus dem Loche lieber von der Hand eines andern hervor- holen lässt", der zwar Mitleid heuchelt, aber sich selbst in Sicherheit bringt! Das ist unzweifelhaft eine geschickte Agitation, aber in einer Zeit, in der das sittliche Gefühl noch nicht wie damals im verrohenden Kampfe mehr und mehr geschwunden war, hätte doch hinzugefügt werden müssen, dass jene Männer schamlose und von der päpstlichen Partei selbst aufgeistacheite Verräter und Majestätsverbrecher gewesen waren !

So lassen sich denn doch mauche der unten mitgeteilten Briefe auch historisch verwerten. In meiner Edition habe ich der besseren Übersicht halber die Reihenfolge der Hs. beibehalten. Notwendige Ergänzungen sind in eckige Klammern gesetzt, die bekannten Formeln am Schlüsse oder am Anfang jedoch in der Verkürzung belassen, in der sie sich ja auch in den Registerbänden finden. Für die Ver- vollständigung verweise ich auf die Zusammenstellungen Rodenbergs in den Einleitungen zu den drei Bänden der Monumenta Germaniae, Epistolae selectae pontificum Romauorum, auch auf Berger Bd. I S. LIVff.

2()g K a r 1 H a m p e.

Ärenga. Cod. fol. oOh.

Honesta promissio, quam veritas comitatur promittentis, reddit pre- dicabilem honestatem, quia verus precessisse videtur liberalitatis affectus^). quem effectus subsequitur largitatis-), sicut econtra, si spes de promisso concepta^) facili subiectione fraudetur, facile suspicioni subiacet procedeus intentio promissoris. Sane dil[ectus] fil[ius] . .*") exposuit coram nobis, quod cum olim etc.

2.

Arenc/a. Cod. fol. 30 h.

Etsi vulgo dicatur »pollicitis dives quilibet esse potest«°), a viro tarnen honesto' absit omnino, quin effieaciter adimpleat, que^) laudabiliter pollicetur; quem ita decet sua moderari promissa, ut, iuxta quod libera- litatis est proprium, solvat plenius'), quam promittat. Sane dilFectus] fil[ius] sua nobis assertione monstravit etc.

3. Papst Innozenz IV. empfiehlt dem lateinischen Kaiser Balduin 11.^) das geschädigte /Aster zienserUoster S. Ängeli (in Pera) hei Konstanti- nopel. Cod. fol. 30 h.

{Lyon 2H. Juni 124!)— 27. Juni 1250).

Potentes seculi eo magis religiosorum indigere suffragiis dignoscuntur, quo magis illos mundus perplexitatis, qui excellentioris gradus eminentia pluribus preferuntur honoris excellentia, et bonorum sarcina incumbit^). Verum quia et otium religiöse quietis turbat frequenter Impetus perver- sorum illos audacius impetentium, quibus^o) religionis propositum igno- scendi gloriam dereliquit 1 1) ac sancta^^) rusticitas contradictionis audaciam interdixit, secularium nequeunt protectione carere, ut inprobis formidato supplicio infirmeturi3) nocendi facultas [ac] simplicitas tuta inter nocen- tium versutias exultet^-i). Unde contemplative vite homines et active mutua sibi debent auxilia, ut illi ab impetu secularium defensi^^l potentiamic) contemplationis effundant, et isti religiosorum orationum clippeo contra spiritualia iacula inimici et adversa mundi protecti implicita salubrius explicent et explicita facilius exequantur. Hinc est, quod cum monaste- rium Sancti Angeli de . J'^) iuxta^^) Constantinopolim constitutum, quod

1. J) effectus Hs. =) lagitatis Hs. •'') In der Hs. folgt htaik ver- derbt: repromissa fraudeatur; vielleicht zu lesen ,a promissore fraudulenter^ V

•>) Wo im folgenden 2 Punkte stehen, ist die Lücke in der Hs. selbst ge- kennzeichnet; andere Auslassungen deute ich dui-ch Gedankenstviche an.

2. ^) üvid, Ars am. [. 444. '"•) et Hs. ') pleni Hs.

3. ■") Am 11. Juni 1249 hatte Innozenz ein anderes Schreiben an Balduin gerichtet, vgl. Potth. {^ P.) 13400. ") incurabente Hs. '") cuius Hs.

") dereliquid Hs. '-) facta Hs. "*) reiormctur Hs. '") exul-

taret Hs. '«) korr. aus defensu Hs. '") potencia Hs. '") Pera,

vgl. etwa Pressutti Honorii III. Regesta Bd. 2 Index. '") ix mit über- geschrieb. a Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz ÜI. etc. 209

olim multa Horuisse dicitur libertate bonorum, aliquorumi) iniuria usur- pantium possessiones ipsius multum in temporalibus^^) sit collapsum, ne Latini Cisterciensis ordinis Deo servientes ibidem sub imperio tuo dete- rioris^) conditionis existant, quam Greci sub imperatoribus Grecis extite- runt, excellentiam tuam rogamus, monemus et hortamur in Domino, qua- tinus ob reverentiam apostolice sedis et nostram monasterium ipsum sub tua specialiter protectiöne suscipiens, fratribus in eo Dei servitio manci- patis satisfieri facias de subtractis, molestatores ipsorum tradita tibi po- testate compescens, quod tuo presidio in temporalibus ipsorum relevato*) defectu, in spiritualibus proficere valeas orationibus eorundem, ab illo retributionem expectans in celis, cuius ministris auxilium inpertieris in terris.

4. Erteilt Disjjens wegen verwandtschaftUclieii Ehehindeniisses. Cod. fol. 30 c.

Lyon .i'(S'. Juni 1249 27. Juni 1250.

Ex parte no[bili3] vi[ri] nobis fuit humiliter supplicatum, ut cum ipse cum no[bili] mu[liere] cum contingente tertio affinitatis et quarto consanguinitatis gradibus matrimonium duxerit contrahendum, pro- videre ipsorum in hac parte saluti, ut in sic^) contracto matrimonio licite remanere valeant, paterna diligentia curaremus. Maudamus, qua- tinus cum eisdem, ut libere ac licite in eodem matrimonio remanere va- leant, gradibus huiusmodi non obstantibus, auctoritate nostra dispenses. Dat. non. ^), anno VIT.

5.

Erteilt Dispens wef/en verwandtschaftliche)^ Ehehindernisses auf Bitten eines Königs. Cod. fol. 30 c.

Lyon 28. Juni 1240 27. Juni 1250.

Attenta sedis apostolice circumspectio congrue temporum^) vices pensans*^) quibusdam interdum concedit aliqua ex plenitudine potestatis, que alias ipsis minime indulgeret, et quedam aliquando denegat, que alüs forsan temporibus largiretur, dispensans oportune iuxta necessitatem tem- poris suarum munera gratiarum, nunc [ea] inpendendo benigne, nunc autem inspecta utrobique ipsius qualitate temporis merito denegando, ut in hiis, quod utile ac salubre fore perspexerit, semper agat. Sane fuit nobis ex parte ca[rissimij in Christo ti[lii nostri ^) supplicatum], ut cum no[bilis] vi[r] i") eiusdem cum dilec[ta] in Christo fil[ia] ipsum

') pro quorum Hs. 2) go wohl statt multum irap(er)abilibus Hs.

2) deuoris Hs. ■») revelato Hs.

4. '"] sie in Hs. f') Nach den folgenden Stücken Nr. 6 und 7 viel- leicht zu ergänzen »Novembris'"'.

5. ') ipsorum Hs. ») pensas Hs. '') Hier ist der Name eines Königs zu ergänzen, wie aus der Bezeichnung: »carissimus in Christo filius* hervorgeht. 'Oj xYusser dem Namen ist hier wohl ein Beamtentitel oder Verwandtschaftsgrad zu ergänzen.

210 Karl Hampe.

quarta consanguinitafcis linea contingente i) matrimonium duxerit contra- hendum, nee possit inter eos absque gravi scandalo divortium celebrari, ipsorum' in hac parte saluti providere paterna diligentia curaremus^). M[andamus], q[uatinusj, si est ita, cum eisdem et ux[ore ipsius], ut in sic^) contracto matrimönio licite remanere valeant, gradu huiusmodi non obstante, auctoritate nostra dispenses. Dat. ut supra.

G.

Ex parte carissimi (Cod. fol. 30 c) = P. 13849.

Lyon 27. Okt. 1249.

Erteilt Dispens betreffs einnähme weiterer Beneßzien durch doi Metzer Kanoniker de Ach. Cod. fol. 30 c.

Lyon 2. Nov. 1249. "

Devotionis affectum circa nos et Romanain ecclesiam in te"*^) augeri confidimus, si nos tibi promptes ad gratiam oportunis temporibus expo- namus. Hinc est, quod nos in dil[ecto] fil[io] de Ach. can[onico] Meten[si] apud nos de honestate morum et vite laudabilis commendato personam [tuam] honorare volentes, presentium tibi auctoritate eonce- dimus"''), ut cum ipso dispensare valeas, quod preter ecclesiastica bene- ficia, que obtinet, etiam curam animarum babentia possit alia cum cura vel sine cura, si ei canonice offerantur in regno , usque ad valoris gummam, que tibi expedire videbitur, licite i-ecipere et cum prioribus licite retinere, non ob[stante] co[nstitutione de duabus dietis edita in] confcilio] ge[nerali], ita tarnen, quod ecclesie debitis usque "^j negligatur.

Dat. Lugduni, IV. non. Novenbris, anno VII.

8.

Erteilt Dispens ivegen verwandtschaftlichen Ehehindernisses an

einen spanischen, (Crossen,. Cod. fol. 30 d.

Lyon 21. Juli 1249.

Pro sincere devotionis et tidei puritate, quibus per divinam splendere gratiam comprobaris, te libenter favove prosequimur speciali, summa cve- dulitate tenentes, quod quanto ampliorem gratiam ab apostolica sede per- ceperis, tanto ei') ferventius super hiis, que ipsius ad usum^) aspiciunt, oportuno tempore complacebis. Cura itaque, sicut tua pe[titio] nobis ex- hi[bita] con[tinebat|, in Hyspania et vicinis partibus alique mulieres no- biles, quibus convenienter matrimönio iungi posses, invenii'i nequiverint, que te proxima consanguinitatis linea non attingant, quamvis ad hoc mul- totiens et a pluribus fuerit laboratum, nuper cum nofbili mulierej ex

') contingente Hs. -) curaiuus Hs. ^) si statt in sie Hs.

7. ■•) Vielleicht an den Bischof Jakob von Metz V •\) concedamus Hs. ") iusqne Hs.

8. ') Bas Abkürzungszeichen für igitur Hs. ^) ad usum od. ähnlich statt des verderbten de cuius der Hs.

Aus verlorenen Registerbäiiden der Päpste Innozenz III. etc. 211

diversis partibus quarta [te] alFinitatis linea contingente de facto matrimo- nium contraxisti, postulans humiliter super hoc per sedem apostolicam dispensari. iSTos igitur attendentesi), quod, sicut a tidedignis accepimus, ex separatione^) huiusraodi matrimonü grave posset scandalum exoriri, et quia devota sinceritas, quam habere diceris ad Ro[manam] •'^) ecc[lesiam] et nos ipsos, te dignum constituat gratia et favore, tecum, quod in huiu3- modi matrimonio sie conti-acto licite remanere valeas, inpedimento non obstante predicto, auctoritate apostolica dispensamus. Nulli ergo etc. nostre dispensationis [etc.].

Dat. Lugduni, XII. kal. Augusti, anno VII.

9. Erteilt Dispens ivegen venvandtschaftUchen Ehehindernisses auf Bitten der Minderhräder von Yperen. Cod. fol. 30 d.

Lyon IS. Dez. 124'J.

Ex parte tua fuit nobis humiliter supplicatum, ut cum . . in cou- speetu ecclesie duxeris in uxorem et nunc pro vero ad tuam pervenerit notitiam, quod eadem mulier quarta affinitatis linea te contingit, dispen- sare tecum et^) cum eadem uxore tua super hoc misericorditer cura- remus. Cum igitur dilecti filii frates minores Iprenses te ac eandem . . constanter asserant erga Romanam^) ecclesiam et ipsorum ordinem devotam gerere voluntatem, nos tuis propter hoc et*') ipsorum fratrum precibus in- clinati tecum et cum predicta uxore tua, ut, inpedimento huiusmodi non obstante, simul in sie contracto matrimonio licite remanere eoque'') uti possitis, auctoritate presentium dispensamus. Xulli ergo etc. nostre di- spen[sationis] etc.

Dat. Lugduni, XV. kal. Jan., anno VII.

10.

Bestätigt die Verleihung von Pettorano mit seiner Baronie durch Papst Gregor IX. an einen Ungenannten. Cod. fol. 30 d.

Lyon 19. Xov. 1249.

Cum a nobis petitur etc. usque eft'ectum. Eapropter, dilecte in Do- mino fili, tuis iustis precibus inclinati, concessionem Pectorani^) cum baronia sua factam tibi, ut asseris, per felicis recordationis Gregorium^)

*) Nos igitur atten ist doppelt geschrieben, einmal getilgt Hs. -) sepacione Hs. ^} ad id, verschrieben statt ad ro. Hs.

9. *} ut Hs. -) Bo, Hs. «) etiam Hs. ') eo quod Hs.

10. ^) Gemeint ist doch wohl die in den Urkunden der Zeit öfter vor- kommende Burg Pettorano, heute Pettorano sul Gizio, südl. von Solmona, nicht das früher auch Pettorano genannte Pettoranello di Molise in der Provinz Molise. Um 1240 war Pettorano im Besitze Friedrichs, eines unehelichen Sohnes Kaiser Friedrichs IL, vgl. B.-F. 2805. 2916. 2937. 2938. B.-F.-W. 13527, Obwohl dieser nach Thomas Tuscus M. G. SS. XXII, 517 in Feindschaft mit seinem Va.ter geriet, dürfte die Verleihung von Seiten der beiden Päpste sich doch auf einen anderen beziehen, «) Ge. Hs.

212 Karl Harnpe.

papam, predecessorem nostrumi), ratam et gratam babentes. eam aucto- ritate apostolica [confirmamus] et pre[sentis] s[criptij pa[trocinio] con- [munimus]. Nulli ergo etc. uostre contirma[tionis] etc. Dat. Lugduni, XIII. kal. Decembris, anno VII.

11.

iherträgt ungenaHnten Geistlichen die Sorge für Einkünfte und Mohiliarbesitz des Bistums Como, da der Bischof (Vhertinus) auf päpst- lichen Befehl an der Kurie weile. Cod. fol. 31 a.

Lyon Nov., Dez. 1249 (?)%

De statu ecclesiarum omnium sedula meditatione solliciti, boc circa eas specialiter afferamus^), ut ipsis cura diligens inpendatur, ut*) eedem provida gubernatione directe laudabilibus proficiant incrementis. Hinc est, quod cum ve[nerabilis] fr[ater]^) n[oster] Cumanus*^) episcopus'^) de spe- cial! mandato nostro apud^) se[dem] ap[ostolicam] commoretur, nos volentes ecclesie Cumane'^), ne interim in fructibus et proventibus et aliis bonis mobilibus suis episcopalibus dispendium patiatur, paterna vigilantia pro- videre, vobis, de quorum sollicitudine ac circumspectione confidimus, cu- ram et custodiam ipsorum omnium duximus tenore presentium committen- dam^). Mandamus, quatinus oranem, quam poteritis, adbibentes vice ipsius episcopi diligentiam circa illa, eidem de ipsis tideliter et integre respondere curetis. Si qui vero in cura et custodia taliter vobis commissa conti'a- clictores fuerint vel rebelles, illos mo[nitioneJ pre[mis3aj per cen[suram] ec[clesiasticam] ap[pellatione] post[posita] compellatis.

Dat. ut supra.

1) Ein derartiges Privileg finde ich nicht unter den Urkunden Gi'egors IX. aus den Jahren 1227 1230 und 1239 1241, in denen allein er sich einen solchen Eingriff in das Königreich Sizilien erlaubt haben kann. Eine ähnliche A^erleihung Gregors IX., die von Friedrich II. nmgestossen, aber von Innozenz IV. bestätigt wurde, ist B.-E.-W. 8143 vom 22. April 1249.

11. ^) Das j,Dat. ut supra« wird sich schwerlich an den voraufgehenden Brief Nr. 10 anschliessen, sondern an einen von unserem Exzerptor übergangenen des Registers. Nach den Daten von Nr. 9, 10 und 12 wird man aber annehmen dürfen, dass auch dies Stück in die letzten Monate des Jahres 1249 fällt.

3) So Hs. Die Konstruktion mit dem zweimaligen ut ist auifällig unge- schickt und vielleicht verderbt. *) folgt ipsis Us. ^) fe. Hs.

*■■) In der Hs. steht zwar beide Male »Criman.*. mit Strich über dem n. Da es ein solches Histum indes nicht gibt, und da überdies Eubel. Hierarchia •catholica S. 225 zum Namen des Bischofs Ubertinus von Como (1226 1259) vermerkt »subdiaconus. summi pontificis*, wodurch der dauernde Aufenthalt an <ler Kurie erklärt wird, so ist an der Lesung »Cumanus* nicht zu zweifeln.

"') eg, mit Strich über dem g Hs. «) appud Hs. ") com-

mittendum Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz III. etc. 213

12.

Gibt einem Geistlichen Erlaubnis, eine Anleihe durch kirchliche Einhänfte sicher zu stellen. Cod. fol. 31 a.

Lijon 1. Dez. 1249.

Devotiouis tue precibus inclinati, contrahendi mutuum pro tuis neces- sitatibus et obligandi propter hoc redditus et proventus tuos ecclesiasticos plenam tibi auctoritate presentium cedimus facultatem.

Dat. Lugduni, kal. Decembris, anno VII.

13.

Erteilt einem lucchesischen Kanoniker auf Verivenduncf eines an- deren lucchesischen Kanonikers, der zugleich Kleriker der päpstlichen Kammer ist, Dispens betreffs Mehrheit von Benefizien. Cod. fol. 31 a.

Lyon S. Juli 1248.

Sedis apostolice benignitas precibus condescendere devotorum et eos favore benivolo prosequi consueviti). Hinc est, quod nos dil[ecti] iil[ii] , camere nostre clerici, can[oniciJ Lucani^) obtentu te provenire^) vo- lentes dono gratie specialis, tecum, ut beneficium, quod in ecclesia sancti . . obtines, possis una cum lieneficio tuo"^) ecclesie sancti [Martini] maioris Lucani libere retinere, ve[nerabilis f[ratris] n[ostri] Lucani episcopi^) constitutione contraria non obstante, auctoritate apostolica dispensamus. Nulli ergo etc. nostre dis[pensationis] etc.

Dat. Lugduni, VIII. idus Julii, anno VI^).

14. Erteilt einem GeistlicJien, der über die ihm anvertrauten Besitz- tümer der römischen Kirche völlige Rechenschaft abgelegt hat, Entlastung und Sicherheit gegen ireitere Anforderungen. Cod. fol. 31 a.

Lgon 14. Juli 124<^.

Cum de universis et singulis bonis et rebus ecclesie Romane a nobis tibi commissis vel alias de illis Omnibus, que quocumque modo vel causa per quascumque personas ad manus tuas pro ipsa ecclesia usque ad hec tempora pervenerunt, plene satisfeceris') nobis et sufficientem led- dideris rationem, volumus et presentium tibi auctoritate concedimus, ut

13. >) Der Rhythmus des Satzschlu.sses ist nach dem damaligen päpstlichen Kanzleibrauch unzulässig. Vielleicht ist die zweite Hälfte der Ärenga: »et ne cuiusquam molestiis agitentur, apcstolico presidio confovere* ausgefallen; vgl. Berger Bd. I S. LV. ») Lucanus Hs. ») pervenire Hs. *) tue Hs.

=) Guercio Tebalducci c. 1236— 1255. "=) In der Hs. folgt noch:

»apostolice etc.% wohl der fälschlich mitgeschriebene Anfang eines neuen Briefes-

14. ') korr, aus satisfaceris Hs.

^X4 Karl Hampe.

cum te ab hiis totaliter duxerimus absolveudum, nullus ulterius super eis- ■dem te impetere^) valeat aut etiam aliquatenus convenire. Nulli ergo etc. Datum-) Lugduni, IL idus Julii, anno VI.

15. Bestätigt den von einem inzwischen verstorbenen Bischof einem Kloster gewährten Erlass von Abgaben. Cod. fol. 31 a.

Lyon 4. Juli 1248.

Cum a nobis petitur etc. usque effectum. Cum igitui', sicut peti- tio vestra nobis exbibita continebat, bona memorie . . [ episcopus], considerata vestri monasterii paupertate, capituli sui accedente consensu, omne ius episcopale monasterio^) vestro duxerit remittendum, unius libre de cera et unius libre de thure annuo censu in ipso sibi tantummodo reservato, pi'out in litteris eiusdem episcopi confectis exinde plenius dicitur contineri, nos vestris supplicationibus inclinati, quod ab eodem episcopo provide factum^) est in hac parte, ratum habentes. auctoritate ap[ostolica] con[firmamus] et-'') pre[sentis] s[cripti] pa[trocinio] con[munimus]. Nulli ergo etc.

Dat. Lugduni *'), lY. non. Julii, anno VI.

16. Gesteht dem Abte eines exemten Klosters und seinen Nachfolgern das Recht zu^ an seine Mönche die niederen Weihen zu erteilen und die ihm noch fehlenden Pontifikalien zu gebrauchen. Cod. fol. 31 ct.

. Lyon 10. Juli 1248.

Cum V03 et monasterium [vestrumj tamquam Eomane ecclesie spe- ciale prerogativa favoris et gratie prosequamur, libenter vos munimus ho- noribus ipsumque monasterium dignitatis titulis insignimus. Eapropter, dil[ecti] in Domino [filii], vestris supplicationibus incli[nati], tibi, fili ab- bas, et tuis successoribus conferendi minores ordines monachis tuis ac utendi mitra et cirothecis, cum alia pontificalia ornamenta ex indulto ap[ostolice] se[dis iam] habeas'), plenam in perpetuum concedimus aucto- ritate presentium facultatem. Nulli ergo etc. nostre conces[sionis] etc.

Dat. Lugduni, VI. idus Julii, anno VI.

17. 18.

17. Ad provisionem (Cod. fol. 31b) = B. 4109 ^ a. VI. n. 24 vom

5. Juli 1248.

18. Ex parte prepositi (Cod. fol. olb)=^B. 4119, a. VI. n. 34

vom 2. Juli 1248.

') impetrare Hs. ^) Hier ausnahmsweise ausgeschrieben Hs.

15. ^) raonahterii Hs. 4) proinde factam Hs. ^) etiam Hs.

'■') Lud. Hs.

IG. '') habebas Hs.

Aus verlorenen Kegisterbändea der Päpste Innozenz III. etc. 915

19.

Bestätigt die Schenkung von zwei Dritteln der Einkünfte einer Kirche des heil. Andreas durch einen inzwischen verstorbenen Bischof H. an eine Ordensniederlassung. Cod. fol. 31 h.

Lyon Juli Sept. 1248.

Petitio diiecti filii . . magistri ord[inis] de . . dioc[e3is] nobis exhi[bita] con[tinebat], quod cum bo[ne] me[morie] H. episcopus duas partes reddituum ecclesie Sancti Andree de . . etc. ut s[upra] in proxima, verbis con [petenter] mu[tatis], usque : de verbo ad verbum in ipsis litteris inseri fecimus. M[andamus], q[uatinus] dictos magistrum^), priorem et con[ventum] non permittatis etc. usque: molestari. Molestatores etc., non obstante, si aliquibus a se[de] ap[ostolica] sit indultum, quod excommu- nicari, [suspendi]^) vel interdici^) non possint per litteras ap[ostolicas], que de indulto huiusmodi plenam et expressam non fecerint mentionem, seu quacumque indulg[entia] alia sedis eiusdem.

20.

Bestätigt die auf Befehl eines Erzbischofs und püi^stlichen Legaten vollzogene Äufnah?ne eines Geistlichen in die Zahl der Kanoniker einer Kirche. Cod. fol. 31b.

Lyon Juli Sept. 1248.

Meritis tue devotionis inducimur, ut petitionibus tuis benignum ac- commodemus-^) auditum, illas ad exauditionis gratiam admittentes, que tuum honorem et commodum specialiter respicere dignoscuntur, Lecta siquidem coram nobis tu[a] pe[titio] con[tinebat], quod ve[nerabilis] f[rater] n[oster] archiepiscopus . . , legationis officio fungens, dil[ecto] fil[io] magistro . ., custodi ecclesie dioc[esis], suis dedit litteris in man- (latis^), ut te in ecclesia . . eiusdem loci in fratrem et canonicum re[ci- peret et] provideri tibi faceret de prebenda, cum ad id oportunitas se oiferret. Contra[dictores] etc. Cum autem, sicut asseris, . . decanus et capi[tulum] eiusdem ecclesie . . in eorum ecclesia 6) ad mandatum . . iam dicti [archiepiscopi] canonice receperint te') in fratrem, tibi stallum in choro et locum in capitulo cum plenitudine iuris canonici assignantes, nobis humiliter supplicasti, ut receptionem et assignationem huiusmodi confirmare de solita se[dis] ap[ostolice] dementia dignaremur. Tuis igitur supp[licatiouibus] incli[nati], quod ab eisdem decano et capitulo provide factum est in premissis, gratum et ratum habentes, id auctoritate aposto- lica concedimus et pre[sentis] s[cripti] pa[trocinio] con[munimus]. Nulli €rgo etc. nostre confirmationis etc.^)

Datus est ei super [hoc] conservator^) decanus etc.

19. ') magistros Hs. -) statt »exe. susp.« in d. Hs. »exeommuni- «f^5•iu8^ 3) iiiterdicti Hs.

20. •*) accommodamus Hs. ^) korr. aus mandatus Hs. ^) cau- sam Hs. 7) et Hs. **) In d. Hs. folgt ein Paragraphenzeichen.

'-') conservatore Hs.

21(5 Karl Hampe. .

21.

Belohnt ein Kloster für seine Opferwilligkeit im Kampfe (jegen die Feinde der Kirche (die Anhänger Kaiser Friedrichs IL), indem er dem Aht lind seinen Naclifolgern das Recht auf Ring, Pontifikalien and Erteilung der feierlichen BenediJäion zugesteht. Cod. fol. 31 h.

Lyon Juli Sept. 1248.

Mater ^) ecclesia, pia benignitiite respiciens merita subiectorum, per- sonas, que ad ipsam habere uoscuutur filialis devotionis affectum, con- suevit propeusius houorare specialium muneribus gratiarum^). Cum igitur, sicut a quibusdam intelleximus lidedignis, ab inimicis ecclesie, cuius parti ex reverentia special! adhesistis in partibus . . viriliter et potenter, in villis et castris vestris multa et gravia dampna tolleraveritis ac pressuras et adhuc parati sitis apostolice sedis obsequiis expouere bona vestra, nos sinceritatis^) tante favorem paterna\) consideratione pensantes, ad vestr-ß supplicationis instantiam tibi, fili'^) abbas, et successoribus tuis anuli et in divinis") officiis mitre ac dalmatice, sandalorum et cyrothecarum usum, quod etiam benedictionem soUempnem clero et populo dare possitis, aucto- ritate preseutium indulgemiis. Nalli ergo etc. nosti-e conces[sionisJ etc.

Befiehlt einem Bischof, dem Dekan und Kapitel seiner Kirche die

Ausgaben, nwlche ihnen die Betreibung der vom Papste kassirten Wahl

des Propstes zum Bischof verursacht hat, aus bischöflichen Mitteln zu

ersetzen. Cod. fol. 31 c.

Lyon Juli Sept. 1248.

Exhibita nobis dil[ectoruin] fil] iorum decani et] eapituli pe[titioJ con[tiuebat|, quod olim ecclesia destituta ipsi dil[ectum] f[iliumj . . pre- positum ipsius ecclesie in suum episcopum eligentes, pro contirmanda elec- tione huiusmodi speciales nuncios ad sedem apostolicam destinarant. Cum autem nos non admissa electione prefata te ipsi ecclesie prefecerimus in pastorem, ac dicti [decanus et] capitulum in prosecutione ipsius electionis se de proprio non in modicum expendisse proponaut, frafternitatem] t[uamj rogamus et hortamur attente, mandantes, quatinus congruentes expensas, quas eos propter hoc fecisse constiterit, sibi de bonis episcopalibus absque difficultate persolvas, ita quod, eis apud te optatam benivolentiam in hac parte invenisse gaudentibus, nos sinceritatem^) tuam dignis laudibus etiam exinde in Domino commendemus**).

21. ') Pater Hs. -) Der Kursus am Öatzschluss ist unzulässig.

3) seine. Hs. ^) paterne Hs. ^) filü Hs.

") induimus statt in div. Hs.

22. '•] seine. Hs. "^J i-Oüimcndamus Hs.

Aus verlorenen Kegisterbänden der Päpste Innozenz 111. etc, 217

23.

Erteilt Dispens betreffs MehrJieit von Benefizien. Cod. fol. 31 c.

Lyon Juli— Sept. 124^.

Etsi^) iDropter ambitiones quorundam etc. usque: honestate. Atten- dentes igitur laudabile testimonium, quod tibi de litterarum scientia, bonis moribus et conversatione laudabili perhibetur ac per hoc 2) intendentes^) te prosequi^) prerogativa favoris et gratie specialis, ut preter obtenta per- sonatum vel dignitatem seu [beneficium] aliud beneficium ecclesiasticum, etiamsi curam habeat animarum, si tibi in regno . . canouice offeratur, recipere libere ac cum obtentis licite retinere valeas, const| itutionej nou üb[stante] prefata, tibi auctoritate presentium indulgemus, proviso quod^) eadem beneficia debitis'') etc. usque : negligatuv. Nulli ergo etc.

24. Entbindet einen Abt (?) auf Bitte eines Konversen von den ihm bisher von der Kurie übeiirayenen gerichtlichen Entscheidungen. Cod. fol. 31c.

Lyon Juli Sept. 1248.

Dilectus filius frater . . mon[asterii ] tui conversus nobis pro te hu- militer supplicavit, ut a te Cognition em'^) causarum. que interdum tibi*^) a se[de] ap| ostolica] committuntur, eximere de beniguitate apostolica cura- remus. Nos eiusdem fratris obtentu quieti persone tue in hac parte pro- videre volentes, tibi^) auctoritate pre[sentium] indulgemus, ut de causis aliquibus tibi de cetero a se[de | ap[ostolica | coramittendis coguoscere ali- quatenus [nonj tenearis, nisi commissioiiis huiusmodi littere'^) de hac in- dulg[entia| plenam feeerint mentionem, presentibus usque ad nostre vo- luntatis beneplacitum valituris. Nulli ergo etc.

25.

Befiehlt einem Geistlichen, einem Zisterzienserkioster geyot die Be- drückungen von Friedensbrechern Schutz zu getvähren. Cod. fol. 31 c.

Lyon Juli— Sept. 124H.

Cum sicut dilectus filius abbas et confv^ntus | mon[asteriiJ de . . Cist| erciensis] ord|inisj . . dioc[esis| nobis significare curarunt, a non- nullis, qui nomen Domini in vacuum recipei-e^") non formidant, multipli- citer molestentur, et bona eorum rapiantur in predam, nos volentes op- pressioni dictorum abbatis et conventus paterna succurrere pietate, man- damus, quatinus eisdem contra predonum, raptorum et invasorum audaciam efficaciter assistens^^), non permittas ipsos a talibus super bonis eorum indebite molestari. ^lolestatores huiusmodi etc.

23. ') üt bi Hs. 2) hec Hs. s) attendentes lis. *) per- tequi Hs. s) ut Hs. <^) debetis Hs.

24. '•) cognicione Hs. »j nisi Hs. ") beere Hs.

25. 10) Vgl. 2. Cor. 6, 1. ") existens Hs.

Mittheilniigen XXVI. 15

218 Karl Hampe.

26. Erteilt einer direkt unter Rom stehenden Kirche Indulgenz betreffs Zidassung von Prälaten zur Visitation. Cod. fol. 31 c.

Lyon Juli Sept. 1248.

Paci et tranquillitati vestre ecclesie, que specialiter beati [Petri] iuris existit, paterna volentes soUicitudine providere, ut aliquem archiepiscopum. vel episcopum aut alios ecclesiarum prelatos pretextu aliquarum litterarum vel indulgentiarum sedis apostolice minime teneamini ad visitandum ad- mittere auctoritate vobis presentium indulgemus, nisi eedem littere vel indulgentie de exemptione ipsius ecclesie specialem fecerint mentionem. Nulli ergo etc. nostre conces[sionis] etc.

27. Erteilt einem Propste Indulgenz, ausser seiner Propstei und seinen Benefizien noch ein anderes kirchliches Amt anzunehmen. Cod. fol. 31 d.

Lyon Juli Sept. 1248.

Apostolice sedis benignitas consueta sie merita personarum provida deliberatione discernit, ut eos, qui litterarum scientia et morum ac generis nobilitate precellunt, favoris gratia eiferat amplioris et maioribus studeat beneficiis honorare. Cum igitur sie dicaris nobilitate generis, honestate morum et scientie meritis adiuvari, quod dignus apostolice sedis gratia merito reputeris, devotioni tue auctoritate presentium indulgemus, ut preter preposituram et alia beneficia, que in regno obtines, unicum persona- tum seu dignitatem vel beneficium, etiamsi curam habeat animarum an- nexam, si^) tibi^) canonice ofFeratur, possis in. eodem regno recipere et cum obtentis libere retinere, con[stitutione] ge[neralis] con[cilii] super hoc edita non obst[ante], pro[viso] quod dignitates, personatus et bene- ficia ipsa debitis^) etc. usque: negligatur. Nulli ergo etc.

28. Gesteht einem (Äbte) auf Verwendung eines anderen, jenem über- geordneten Abtes unter der Bedingung den Gehrauch von Mitra und Bing zu, dass jenes Abhäugigkeitsverhältnis dadurch nicht beeinträchtigt

unrd. Cod. fol. 31 d.

Lyon Juli Sept. 1248.

Föns plenitudinis potestatis Komana ecclesia^), mater ecclesiarum omnium et magistra, ad filiolas suas emittit rivulos graliarum, prout earum-'') locis, dignitatibus congruit et per?onis. Inter quas . . velud filiam pre- dilectam") et alias sibi subiectas ecclesias propter ipsam tanto libentius beneficiis decoris et pulchritudinis'^) honoramus, quanto ipsas sinceriori dilectione complectimur et earum per amplexus''^) ardentior^) flagrantia

2<. ') et Hs. '^) u mit übergeschriebenem i Hs. ^) debetis Hs.

28. *) ecclesie Hs. *) eonim Hs. ^) predictam Hs. ') pulcrit. Hs.

8j amplius Hs. ») ordinis Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz III. etc. 219

no3 delectat. Hinc est, quod nos consideratione dil[ecti] fil[ii] abbatis . . volentes te et tuam ecclesiam bonestatis et gratie bonoribus prevenire, eiasdem abbatis precibus incli[nati], usum mitre et anuli tibi^) tuisque successoribus^) in perpetuum auctoritate presentium duximus conceden- duna, ita tarnen, quod non minus propter hoc abbati mon[asterii] ad obedientiam et reverentiam et subiectionem debitara et subditam tenearis. Nulli ergo etc. nostre conces[sionis] etc.

29. Erteilt Indulgenz betreffs Annahme iveiterer kirchlichen Ämter bis zum Ertrage von 300 Pfund Sterling jährlich. Cod. fol. 31 d.

Lyon Juli Sept. 1248.

Cupientes proni ad gratiam inveniri, libenter ipsam illis inpendimus, qui eam tamquam debitam sibi propriis student^) meritis vendicare. At- tendentes igitur laudabile testimonium, quod tibi*) litterarum scientia, munditia vite bonisque meritis perhibetur, ac obnitentes^) prosequi te prerogativa favoris et gratie specialis, ut personatum vel dignitatem et alia beneficia ecclesiastica, etiamsi curam animarum habeant, preter ea, que obtines, usque ad valorem trecentarura librarum sterlingorum secun- dum communem estimationem patrie annis singalis computatis cum ob- tentis recipere licite, si tibi canonice offerantur, ac retinere libere, non ob[stante] con[stitutione] ge[neralis concilii], valeas, auctoritate tibi pre- sentium indulgemus, proviso quod personatus, dignitates et beneficia eadem debitis etc. Nulli ergo etc. nostre concess[ionis] etc.

30. Belehnt einen Grossen, unbeschadet etwaiger anderweitiger Ver- leihung durch den Papst selbst oder Friedrich IL, mit Burgen im Königreiche Sizilien^ die er als Erbe seiner Gemahlin beansprucht^ die ihm aber von B. vorenthalten iverden. Cod. fol. 31 d.

Lgon Juli Sept. 1248.

Ut'') pro dampnis etc. ut in proxima'^) premissa**) usque: litteris de Marchia^) et de Castro Cuculi^o), castra^') . . dioc[esis] ad dictam uxorem

') u mit übergeschriebenem i Hs. ^) bus fehlt am Ende der Zeile Hs.

29. 3) studeant Hs. *) nisi Hs. s) obmittentes Hs.

30. ") So wohl statt Et Hs. ') proin Hs. «) promissa Hs. ") Wohl die Mark Ancona. Leider ist bei der Beziehung auf den vorher- gehenden, nicht erhaltenen Brief der Sinn nicht mehr zu erkennen.

'*) Im Prinzipat gelegen; es scheint in jenen Jahren seinen Besitzer oft gewechselt zu haben. Am 22. März 1247 gesteht es Innozenz IV. mit anderen Burgen dem Guillelmus Eranciscus, Otto von Laviano und Richard Franciscus nach Erbrecht zu, B. 2901; am 21. Juni 1251 aber dem Grafen Thomas von Aquino, M. G. Ep. sei. III, 96. Am 27. Sept. 1254 erkennt er den Anspruch des Galvano Lancia darauf an, gibt ihm aber zum Tausch dafür eine andere Burg {ebenda 291) und behält am 19. Nov. 1254 die Leute des castrum Cuculi beim Demanium, B. 8216. Vgl. auch Winkelmann, Acta imp. I, 775 1. 22.

'') Vielleicht auch im Prinzipat anzunehmen; das bleibt aber unsicher.

15*

220 Karl Hampe.

tuam hereditario, ut asseritur, iure spectantia, que a dicto E. detineri dicuntur^), vobis vestrisque lieredibus restituimus auctoritate presentium et in feudum perpetuum de novo duximus concedenda, presertim cum ad presens regnum [SicilieJ rege vacet^), dummodo eadem castra ad alios de iure non pertiueant in devotione ipsius ecclesie persistentes 3), non ob[stante], si castra ipsa per nos vel eundem F. aliis sint collata^). Nulli ergo etc.

31. Belohnt einen Anhänger der Kirche für die Entheitrungen ^ die er in vierjähriger Kerkerhaft von den Parteigängern Friedrichs 11. er- diddet hat, durch Überweisung der seit langer Zeit der römischen Kirche vorenthaltenen Ahgahen von einigen Burgen im jährlichen Betrage ron> etwa 400 Pfund Provinsins. Cod. fol. 31 d.

. Lgon Juli Sejjt. 124'S.

Dignum-''), quin potius debitum arbitramur, ut ap[ud ] se[demj ap[o- stolicara] gratiani iuveniant et favorem, qui pro ipsius fide ac devotione et incommoda uoscuntur varia pertulisse. Cum igitur, sicut in nostra proposuisti presentia'') constitutus, olim ab inimicis [fautoribus] ") F. quon- dam*^) iraperatoris in odium ecclesie captus et per'') quatuor fere annos detentus in carcere incommoda innumera pertuleris et iacturas, nos vo- lentes, ut ex hoc a predicta [sede apostolicaj alicuius consolationis gra- tiam consequaris, tue devotionis precibus incli[natij, cens[umj et iura, que ecclesia Eo[mana] in castris et alias ^'*) habere dinoscitur^i), a longis retro temporibus ipsi ecclesie ab eorundem castrorum castellanis subtracta, que quadraginta solidorum Proviniensium [libi-as] annis singulis vix exce- dunt, tibi^^) auctoritate presentium pro retroactis temporibus et tuturis usque ad nostrum beneplacitum de gratia concedimus speciali. non ob[stante], si census et iura predicta per predecessores nostros vel legatos se[dis] ap[ostolice] aliquibus aliis sub modo simili siat concessa. XuUi ergo etc,

32.

Erteilt Dispens betj-effs Mehrheit von kirchliclieti Ämtern. Cod.

fol. 3-<!a.

Lyon Juli Sept. 124S.

Licet ecclesiaru.m et ecclesiasticarum dignitatum pluralitatem sacri concilii constitutio interdicat, voleutes tameu tibi consideratione ve[nera-

•) dicantur Hs. -) Diese Begründung kehrt ja in den Briefen

Innozenz IV. aus diesen Jahren öfter wieder, z. B. in B.-F.-AV. 8032. 8143. 8155 etc. 3-) Häufiger Vorbehalt, vgl. B. 4617 etc. ■♦) Auch

derartige Ungültigkeitserklärungen von Akten Friedrichs 11. .sind in den päpst- lichen Briefen jener Zeit häufig, z. ß. B.-F.-W. 8032, B. 4437. 4487. 4553 etc. Auf etwaige Verleihungen des Papstes selbst ausgedehnt finde ich sie im Augenblick nirht; vgl. aber Nr. 31.

.•Jl. '") .Signum Hs. ''•) presenscia Hs. ') So wohl zu ergänzen.

«) condam Hs. ") pro Hs. '<>) So vielleicht zu verbessern

statt aliam Hs. Wegen der vorhergehenden Auslassung bleibt die Emendatiou unsicher. ") dinoscuntur Hs. '-) nisi Hs.

Aus verlorenen Registerbiinden der Päpste Innozenz 111. etc. 221

bilis] f[ratisj n[ostri] episcopi pro te cum instantia supplicantis facere gratiam specialem, tecum auctoi'itate apostolica dispensamus, ut preter de . . ') ecclesias, quas obtines, curam animarum babentes, adbuc unicum beneficium seu personatum vel dignitatem ecclesiasticam, etiamsi similem •curam habeat, libere possis-) recipere, si tibi canonice offeratur in regno . ., et una cum predictis . . et ecclesia^) licite retinere, conat[itutione] non ob[stanteJ predieta, proviso^) quod eadem beneficia^) etc.") usque: negligatur. Nulli ergo etc. nostre dis[pensationis] etc.

33. Erteilt Indulgenz, ausser 'zwei kirchlichen Beuefizien mit einer jährlichen Einnahme von 20 Mark Sterling noch ein iveiteres anzu- nehmen. Cod. fol. 32 a.

Lijon Jidi Sept. 124S.

Officii nostri officiose prosequimur debitam actionem, cum biis, quos diviue habundantia pietatis adornat meritis proprie bonitatis, gratiam in- pendimus et favorem. Quia igitur de te nobis quantum ad littei'arum scientiam et bonestatem morum laudabile testimonium perhibetur, nos tuis supplicationibus inclinati, ut preter duo beneficia ecclesiastica, que cum animarum cura te') obtinere proponis et secundum communem esti- mationem patrie anuuam viginti marcarum sterlingorum valentiam non excedunt, aliud unicum similem curam babens, si tibi«) canonice offeratur, possis licenter recipeve ac illud cum dictis beneficiis iam ol>tentis libere retinere, const[itutione] contraria generalis concilii non ob[stante], tibi«) auetoritate presentium indulgemus. Nulli ergo etc.

34. Erteilt nach dem Vorhilde der Päpste Honorius III. und Gregor IX. einem kirchlichen Orden die Indulgenz, dass er Forderungen tu Briefen des Papstes oder seiner Legaten ohne ausdrückliche Nennung des Ordens nicht zu entsprechen brauche. Cod. fol. H2 a.

Ltjo)i Juli Sept. 124i^.

Cum ordinis vestri titulus propter precedentium^) exigentiam meri- torum adeo sit illustris, ut ab agentibus contra vos^*^) vix credatur sine malitia subticeri, devotionis v[estre] precibus incli[nati], ad instar fe[licis"| re[cordationis I Honorii i •) et Gregorii pi'e[decessorum] n[ostrorum] Ro[ma- norumji^) pon[tificumJi2) auetoritate presentium indulgemus, ut obtentu litterarum nostrarum vel ap[ostolice] se[dis] legati, que tacito nomine

32. ') So Hs. 2) possit Hs. 3) So Hs. •») pro eo Hs. ^) benefificia Hs. ß) folgt erst hinter negligatur Hs.

33. '') re Hs, «) u mit übergeschriebenem i Hs.

34. ■') precedenciam Hs. ^'-) nos Hs, ") honore Hs. ^-') Bo. Hs. '3) Diese Briefe werden in den Registern der beiden Päpste

enthalten sein, doch lohnte sich eine völlige Durchsicht derselben für mich nicht, zumal bei dem fehlenden Namen des Ordens eine Identifizirung vielleicht doch nur unsicher bliebe.

222 Karl Hampe.

ordinis fuerint impetrate '^), non cogamini alicui respondere. Nulli ergo etc. nostre^) conces[sionis] etc.

35.

Weist einem Bischof zu seiner persönlichen Verwendung eine Kirche seiner Diözese zu, deren jährliche Erträge 20 Pfund Turnosen nicht übersteigen, und bestellt ihm als Konservator den Del-an Pe. Cod. fol. 32 a.

Lyon Juli Sept. 1248.

Cum sicut nobis tua fr[aternitas] intimavit, villam aliquam seu ca- strum aut alium locum ad mensam tuam spectantem a nobis humiliter supplicasti. Tuis itaque precibus benignius annuentes, aliquam ecclesiam lege tibi dioc[esana] subiectam, si qua vacat ad presens vel quam cito vacare contigerit^) et duxeris*) acceptandam''), dummodo proventus ipsiüs viginti librarum Turon[ensium] valentiam annis singulis non excedant, annectendi perpetuo mense tue ac proventus eiusdem in usus proprios con- vertendi, fra[ternitati] t[ue] plenam et liberam auctoritate presentium concedimus facultatem, proviso quod eadem ecclesia debitis") etc. usque: negligatur. Nulli ergo omnino hominum etc.

Datum Et datus est ei super hoc conservator decanus Pe.')

36. Erteilt Indulgenz hinsichtlich der Forderung von Rezeption oder Provision irgend} emandes in kirchlichen Pensionen und Benefizien. Cod. fol. 32 a.

Lyon Juli Sept. 1248.

Meritis vestre devotionis indueimur, ut, qua digne possumus, vobis libenter gratiam faciamus. Hinc est, quod vestre'^) devotionis nos preci- bus inclinati, auctoritate vobis presentium indulgemus, [ut] ad receptio- nem seu provisionem alicuius in pensionibus seu beneficiis ecclesiasticis per litteras sedis apostolice vel legatorum ipsius compelli minime valeatis absque speciali mandato nostro faciente plenam de indulgentia huiusmodi mentionem, etiamsi contineatur in litteris ipsius sedis, quod earum impe- trationibus aliqua sedis^) eiusdem indulgentia ^ö) non obsistat. Nulli ergo etc. nostre conces[sionis] etc.

') impetrare Hs. -') vestre Hs.

35, •') contingerit Hs. ■*) duxerit Hs. '") acceptanduni Hs,

•"') debiti Hs. ') Wenn damit der Dekan der betreffenden ßischofs-

kirche gemeint ist, so hätte man etwa die Auswahl zwischen Perugia (wohin am 11. Mai 1248 der Bischof Frigerius von Cbiusi transferirt war, vgl. B. 4022. 4023), Penne, Pesaro, Bergamo, Pedena und Perigueux.

3)». *) vere Hs. ") sede Hs. 'Oj indulgencie Hs.

Aus verloreueu Registerbänden der Päpste Innozenz HI. etc. 223

37.

Bestätigt eine Verfügung Papst Gregors IX., nach der ein Abt und seine Nachfolger in einem Kloster jährlich eine Visitation vor- zunehmen haben. Cod. fol. 32 h.

Li/on Jidi Sept. 124)i.

Votis, que pietatem sapiunt et continent equitatem, benignum atten- damus^) auditum, ea libenter^) ad exauditionis gratiam admittendo. Saue vestra^) petitio no[bis] exlii[bita] con[tinebat], quod fe[licis] re[corda- tionis] Gregorius papa, pred[ecessor] noster, cupiens mon[asterium] . . or- dinis Sancti etc. dioc[esis] in spiritualibus et temporalibus salubrlter gubernari, bo[ne] me[morie] abbati pre[deces3ori] tuo, tili abbas, dedit litteris*) in mandatis, ut ad mo[nasteriumJ ipsum personaliter annuatim acce- dens, corrigeret et reformaret ibidem tarn in capite quam in membris, que cor- rectionis et reformationis officio nosceret indigere, contra[dictores] etc. usque: compescendo, et voluit huiusmodi mandatum au omnes ipsius ab- batis extendere successores, Nos igitur attendentes animarum profectum, qui^) ex correetione ac visitatione huiusmodi sequi potest, vestris supp[lica- tionibus] incli[nati], quod ab eodem predecessore nostro super hoc factum est, ratum et gratum habentes, id volumus et raandamus sub cuiuslibet app[ellationisj et contradictionis obstaculo firmiter observari. Nulli ergo etc. nostre inhibitionis etc.

38.

Bestätigt die von dem Bischof (Äzzo von Brescia) einem Orden

gewährte Erlaubnis, in dessen Niederlassungen Kirchen zu bauen und

Kirchhöfe anzulegen und, mit Ausnahme von einem Pfund Wachs

jährlich für jede Niederlassung, von Abgaben an das Bistum befreit zu

sein. Cod. fol. H2b.

Lyon Juli— Sept. 1248.

Hiis, que ab ecclesiarum prelatis provide^) peraguntur, et precipue, que videntur in augmentum cultus^) divini nominis redundai'e, libenter inpertimur apostolici muniminis firmitatem, ut intemerata consistant, cum nostro fuerint presidio communita. Sane vestra petitio nobis exhibita con[tinebat], quod ve[nerabilis] f[rater] n[oster] Brixiensis**) epi- scopus, diocesanus vester, sui capituli accedente consensu, vobis constru- endi ecclesias in domibus vestris et habendi cimiteria iuxta illas habita deliberatione pia et provida concessit liberam facultatem, domos easdem

37. ') accedamus Hs. «) eallibenter, ein 1 getilgt Hs. ^) vera Hr. '') Die Urkunde ist im Register Gregors IX. vielleicht zu finden und danach

auch dies Schreiben genauer zu bestimmen. ^) quod Hs.

38. ''•) proinde Hs. ") cultu, mit Strich über dem letzten u Hs. ') In der Hs. steht ßrineu. Brixien. scheint mir paläographisch näher zu

liegen, als das auch mögliche ßrixinen. Überdies war Bischof Egno von Brixen schon seit 1247 seiner Diözese entfremdet und mit der Verwaltung von Trient beauftragt, vgl. B.-F.-W. 7746. 8008. Bischof von Brescia war Azzo de Torbiato (1244—1253).

224 K a r 1 H a m e.

ab omni episcopali honere nichilominus absolveudo, excepto quod cuius- libet clomus fratres unam libram cere censiis nomine in subiectionis Si- gnum in'festo nativitatis gloriose virginis Marie dare^) ipsi episcopo et suis successoribus annuatim in perpetuum teneantur, prout in litteris inde confectis dicitur plenius contineri. Vestris igitur supplicationibus incli- fnati], quod super hoc ab eodem episcopo provide^) factum est et in al- teriu.s preiudicium^) non redundat, ratum et gratum habentes, illud aucto- ritate apostolica con[firmamus] et pre[sentisj s[cripti] paftrocinio] con[mu- nimus]. Nulli ergo etc. nostre confir[mationis] etc.

39. Erteilt Indulgenz betreffs Befreiung vom Interdikt'^). Cod. fol 3'^h.

Lyon Juli Sep. 1248.

Devotionis vestre precibus incli[nati], auct[oritate] vol)is presentium indulgemus, ut, cum generale interdictum terre fuerit, liceat vobis ianuis clausis, non pulsatis campanis, interdictis et excommunicatis exclusis, submissa voce celebrare divina, dummodo causam non dederitis interdicto et id vobis non contingat specialiter^) interdici. Nulli ergo [etc.] nostre conces[ sionis] etc.

40.

Erteilt die Befugnis, die Korporalieii zu segnen. Cod. fol. 32 0.

Lyon Jidi Sept. 1:M8.

Consuevit sedes ap[ostolica] precibus condescendere devotorum eorum- que votis favorem benivolum impertiri. Eapropter, dil[ecte] fil[i] in Do- mino, iustis precibus [tuis] incli[nati], tibi*') et successoribus tuis benedi- cendi corporalia plenam concedimus auctoritate presentium facultatem. Nulli ergo etc.

41.

Bestätigt auf Bitten eines Bischofs einem Kleriker die ihm von einem anderen Bischöfe heim Aufbruch in das heil. Land erteilte Pro- vision auf eine Pfründe oder eifi Kanonikat. Cod. fol. 32 b.

Lyon Juli Sept. 124s,

Exhibita^) uobis ex parte tua pe[titio] con[tinebatJ, quod ve[nerabilis j l[raterj n[ oster | . . episcopus profecturus dudum in subsidium terre sancte, prebendam, quam [in] . . ecclesia, in qua collationem^'^) obtinet'') preben- darum, primo vacare contigerit^"), propria tibi auctoritate concessit teque mandavit, nulla ibidem prebenda vacante, a . . capitulo recipi in can[oni- cum] et in fratrem, prout in ipsius litteris patentibus ^ i) dicitur plenius contineri. Nos igitur obtentu vefnerabilis] f[ratris] u[ostri] episcopi, cuius existis clericus, et qui pro te nobis per suas litteras cum instantia

') dari Hs. '^) proinde Hs. ^) puide, über dem p ein i, Hs.

35). *) Ganz ähnlich, aber im Wortlaut abweichend und daher nicht iden- tisch ist P. 1320!». '■>) spa mit Strich darüber Hs. 40. ") nisi Hs. 41. '') Exibita Hs. *) korr. aus collacionet Hs. -') optinet Hs. '») contingerit Hs. ") p(cr)entibus Hs.

Aus verlorenen Reg-isteibänden der Päpste Innozenz ill. etc. 225

supplicavit, volentes, ut de special! provisionis nostre gratia optatum ex iali facto eiusdem episcopi consequaris efFectum, quod ab eodem episcopo super hiis factum est, ratum et gnitum habentes, illud auctoritate apo- stolica con[tirmamus] et pre[sentis] s[cripti] pa[trocinio] con[munimus]. Nulli ergo etc. nostre confir| niationis] etc.

42.

Quauta et qualia (Cod. fol. 3'^c)r=B. 42^0, a. Vi. n. 28'S vom

2'S. Dez. 124S.

43. Formel für Fallienerteilung. Cod. fol. 32 c.

(Lijon 2,s. Juni 1248—27. Juni 124V).

Ad honorem Dei omnipotentis, beate Marie virginis et beatorum Petri et Pauli [apostolorum] et domini pape Innocentii et Eomane ecclesie nec- non ecclesie tibi commisse tradimus tibi^) pallium de corpore beati Petri sumptum, plenitudinem videlicet pontificalis officii, ut utaris eo infra ecclesiam tuam diebus, qui presentibus [expriniuntur], videlicet in nati- vitate^) Domini, festivitate prothomartiris Stephani. circumcisione Domini, epiphania^), ypapanti'^), dominica in ramis palmarum, cena Domini, sab- bato sancto, pascha, feria secunda post pascha, ascensione, pentecosten, tribus festivitatibus beate Marie, natali beati Johannis Baptiste, sollempni- tatibus omnium apostolorum, commemoratione omnium sanctorum, dedi- cationibus ecclesiarum, anniversario^) tue*^) conaecrationis die, ecclesie ip- sius principalibus festivitatibus, consecrationibus episcoporum et ordinatio- nibus clericorum.

44 54.

44. Non indigne (Cod. fol. 32c)^=B. 4283, a. VI. n. 2'.)1 vom

17. Dez. 124H.

45. In sede (Cod. fol. 32d)---^ß. 4228, a. VI. n. 230 vom.

24. Nov. 124S.

46. Per orbem terre (Cod. fol. 32d)^-B. 4230, a. VI. n. 23S

vom 27. Nov. 1248.

47. Illum a sui (Cod. fol. 32 d) = ß. 4216, a. VI. n. 224 vom

20. Nov. 124s.

48. Accepiraus nuper (Cod. fol. 32d)^=B. 4218, a. VJ. n. 22(>

vom 17. Nov. 124^.

49. Si nos (Cod. fol. 33a)^B. 4105, a. VI. h. 203 vom 29. Sept.

1248.

50. Divina sapientia (Cod. fol. 33 a) = B. 4170, a. 77. n. l86

vom 26. Okt. 1248.

43. ») nisi Hs. -) vanitate Hs. ^) Epb, das h durchstrichen, Hs.

*) ypopanti Hs. ^) anniversarii Hs. ^) sue Hs.

226 Karl Hampe.

51. Futurorum (Mutorum Hs.) de te (Cod. fol. 33a):=B. 4182^

a. VI. n. 190 vom 29. Aug. 1248.

52. Efficax vestre devotionis (Cod. fol. 33b) = B. 4183, a. TT.

n. 191 vom 18. Aug. 1248.

53. Cum per te (Cod. fol. 33b) = B. 4184, a. VI. n. 192 vom

13. Okt. 1248:

54. Solet sedis apostolice (Cod. fol. 33b)=^B. 4193, a. VI. n. 20 1

vom 1. Aug. 1248.

55. Befiehlt dem Kleriker Feter von ein Benefizium zu erteilen. Cod. fol. 33 h.

(Lyon 28. Juni 1248 27. Juni 1249).

Dignum est, ut in sortem Domini evocatis provisionis ecclesiastice gratia inpendatur, per quam ipsi clericatus officium avidius amplectentes, libentius, que Deo placeant, exequantur. Hinc est, quod pro dilecto filio Petro de . ., clerico, de quo laudabile nobis testimonium perhibetur*),. mandamus, quatinus eidem in aliqua ecclesiarum regni . . cathedrali vel alia de beneficio prebendali vel alio, etiarnsi curam habeat animarum an- nexam, quam cito se facultas obtulerit, auctoritate nostra provideas vel facias provideri non obst[ante], si in ecclesia, in qua sibi duxeris provi- dendum, sit certus canonicorum numerus iuramento seu qualibet alia fir- mitate vallatus, vel si pro aliis in ipsa direxerimus scripta nostra, quibus nolumus etc. usque: fieri mentionem, vel quod idem P. alias beneficiatus existit, et co[n]st[itutione] de duabus dietis edi[ta] in con[cilio] ge[nerali]; cont[radictores] etc.

5ß. Befiehlt auf Bitten eines Bischofs, einem den Studien ergebenen Kleriker ein Benefizium mit jährlichem Ertrage von mindestens 2 'i Unzen Goldes zu übertragen. Cod. fol. 33 b.

(Lgon 28. Juni 1248—27. Juni 1249).

Litterarum studio desudantes sunt a nobis favore benivolo confoveudi, ut ad prosecutionem illius fortius animentur et ad thesaurum optate scientie possint facilius pervenire. Cam itaque dilectus filius clericus de . . dioc[esis], huiusmodi studio deditus nullum, prout asseritur, sit eccle- siasticum beneficium assecutus^), nos eum obtentu ve[nerabilis] ffratris] episcopi, qui per affectuosas litteras apostolicam pro ipso gratiam implo- ravit, speciali gratia prosequentes, mandamus, quatinus eidem in tua civi- tate vel dioc[esi] de conpetenti^) beneficio ecclesiastico, quod ad minimum^) duas vel tres auri uncias valeat annuatim, liberaliter providere procures. Contra[dictores] etc.

55. ') peribetur Hs.

56. 2) assecontus, con durch das paläographische Zeichen ausgedrückt. Hs. 3) contempti Hs. ••) a dominis statt ad minimum Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz III. etc. 22'7

57. Schreibt dem erwählten Ahte SA) eines exemten, im englischen Herrschaftsgebiete gelegenen Klosters, dass er seine unkanonisch voll- zogene Wahl zivar auf Rat der Kardinäle kassirt habe, dass er ihn jetzt aber, nachdem dem Rechte genüge geschehen, anerkenne.

Befiehlt in zum Teil gleichlautenden Schreiben 1. dem Prior und Konvente jenes Klosters, dem neuen Abte zu gehorchen, 2. einem Bischof, ihn in sein Amt einzuführen, und empfiehlt ihn 3. dem Könige Hein- rich HI. von England, Cod. fol. 33 c.

(Lyon 28. Juni 1248—27. Juni 1249).

Quod oculus operatur in corpore, hoc pastor in grege, hoc prelatus in ecclesia sibi spiritualiter coniugata. Sed quoniam inpurus oculus ob- scuris membris subiectus sit^), vix a pastore grex augmentum aut ecclesia fecunditatem sobolis^) suscipit a prelato, quem ad opus ministerii legi- time'*) Ordinate assumptionis nuptie^) non adducunt. Pervigilans nostri apostolatus officium in electionibus, que ipsius diiudicantur examine''), tanto subtilius discurrit gestorum seriem, intentionum studia et merita personarum, quanto perniciosius est in domum Domini dispensatores eius aliunde quam per canonicum hostium introire. Cum igitur dil[ectus] fil[ius] prior et [de]canus Sancti . . electionem, quam de te suo vacante monasterio celebrarant, pro confirmationis munere obtinendo^) ad sedem apostolicam transmisissenf^), nos eam examinavimus diligenter, et quia ipsam invenimus, quamvis de persona ydonea, contra statuta canonum attemptatam, exigente iustitia eam de f[ratrum] n[ostrorum] con[silio] duximus irritandam. Verum post redditum iuris debitum plura pro ipso monasterio ac persona tua munus a nobis gratie implorabant: evidens loci utilitas, cum ad Ko[manamJ ecclesiam nu.llo me[dio] pertineat, minime negligenda, vota fratrum, quibus commune fuerat in tua^) assumptione propositum et ideo^*^) confovendum, periculum quoque, quod in talibus ex more dispendio formidatur, necnon et tuorum copia meritorum, quia tibi^^) de vite munditia, i-eligionis zelo, dono scientie, disciplina morum, Provi- dentia spiritualium ac temporalium prudentia laudabile testimonium per- hibetur. Quapropter tam loco, quam persone paterna sollicitudine provi- dentes, de predictorum f[ratrum] n[ostrorum] ccn[silio] eidem mon[asterioj te in nomine Domini preticimus * 2) in abbatem, de quo certam fidutiam obtinemus^^), quod idem monasterium per tuam industriam spiritualibus et temporalibus proficiet incrementis.

57. M Ich habe mich vergeblich bemüht, diesen Abt zu ermitteln. In dem Abte Simon de Seham des exemten englischen Klosters Waltham, dessen Vor- gänger etwa im Herbst 1248 starb, glaubte ich ihn schon zu finden, aber das zweimalige »Sancti" widerspricht dem, da Waltham der Sancta Crux geweiht ist. Natürlich sind auch die französischen Besitzungen des englischen Königs in Betracht zu ziehen. ») obscuva membra subiecta sie Hs. ') folgt a Hs.

••) legitima Hs. ^) uncia Hs. '^) Am Schluss ein e getilgt Hs.

') opt. Hs. «) transmisisset Hs. ^) cuius Hs. 'o) io mit

Strich darüber Hs. i') nisi Hs. '-') prefecimus Hs. '^) opt. Hs.

^•^3 Karl H a m p e.

Tolle igitur super te iugum Domini tarn leve collis bumilibus, quam grave superbis, et in caritate Dei pascendum susc-ipe gregem eius, super quem noctis vigilias diligens sollieitusque custodi, ut liber invadendi adi- tus^) non pateat invasori. Beatus^) siquidem eris, si Dominus in iudi- ciali^) hora venturus te invenerit sie agere''^), quia cursu eonsumato, qui tuo labori proponitur, et horum fide^) servata, que tue soUicitudini com- mittuntui', te inmarcescibili^) Corona iustitie decorabit.

In e[undem] modum] priori et con[ventui] mon[asteriiJ Sancti . . dioc[esis] verbis con[petenter] mu[tatis] usque: incrementis. Ideoque mandamus, quatinus eidem S. tanquam abbati vestro et patri animarum humiliter intendentes, sibi debitam obedientiam et reverentiam ioapendatis. Alioquin sententiam etc.

In e[undem] m[odum] episcopo usque: incrementis. Mandamus, quatinus eidem abbati vice nostra m.unus benedictionis inpendens, faci^s a subditis suis eidem tanquam abbati suo debitam obedientiam et reve- rentiam exbiberi, contra[dictores] etc., recepturus postmodum ab eo pro uobis et Romana ecclesia fidelitatis solite iuramentum iuxia formam, quam tibi sub bulla nostra transmittimus interclusam.

In e[undem] m[odum] regi Anglorum illustri usque: incrementis. Quocirca ce[lsitudinem] re[giam] ro[gamus] attentius^), quatinus dictum abbatem cum monasterio sibi commisso iiabens pro divina et nostra re[ve- rentia] propensius commendatum, in elargiendis eidem et conservandis iuri- bus suis sie te sibi exbibeas liberalem, quod ipse per auxilium gratie tue in commissa eiusdem monasterii cura se exercere possit utilius et tu inde divi- nam misericordiam et apostolice sedis benivolentiain valcas uberius promereri.

58—03.

58. Probate clevotionis (Cod. fol. 33 d) -=3. i^HH, a. VI. n. 2!)6

vom 2. Dez. 124)^.

59. Voluntarium nobis est (Cod. fol. 33d)^=B. 428'.>, a. VI. n. 29 7

vom 11. Jan. 1249. <',ü. Ne si ius (Cod. fol. 33d)^=^B. 42'JO, a. IT. n. 2!)S vom

17. Dez. 124S. 61. Benignitas mater (matris Hs.), (Cod. fol. 33 dj = B. 4201,

a. VI n. 2i)i) vom 1. Sept. 1248. G2. Humilitatis vestre (Cod. fol. 34 a) ^.B. 42i)3, a. VI. n. 301

vom 23. Dez. 124h^. g:! Flos preciosior (Cod. fol. 34 a) ^^ B. 4448, a. VI. u. 456 vom

10. Apr. 1240.

') liabitus Hs. ") So wohl statt boaus Hs. ^) suspicali Hs.

■') Über dem letzten e ein Strich Hs. ^} fides Hs. «) in-

luarcesscibili Hs. ") actus Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz III. etc. 22*}

64. Bestätigt einem Kloster die Zehnten und Güter, die es seit vierzig Jahren rechtmässig besitzt. (Cod. fol. 34 a).

(Lgon 2s, Juni 1248 27. Juni 1249).

Sinceritfitis affeetum, quem dil[ectus] f[ilms] nofbilis] vi[r] ad per- sonas vestras et monasterium fundatum, ut asserit, a progenitoribus suis habere dignoscitur, favore benivolo prosequentes, devotionis sue precibus inclinati, decimas et alia bona vestra, que iusto i) titulo per quadraginta annos continuos pacifice possedistis, vobis et per vos monasterio vestro auctoritate apostolica confirmamus et pre[sentis] s[cripti] pa[trocinio] eon- [firmamus]. Xulli ergo etc. nostre con[firmationisJ etc.

65.

Erteilt (Aht und Mönche)i, eines Klosters'^) Indulgenz, hei Besuch

in ihren auswärtigen Wirtschaftsgebäuden Gottesdienst abzuhalten. Cod.

fol. 34 a.

{Lyon 28. Juni 1248— -^7. Juni 1249).

Devotionis vestre precibus benignum inpertieiites assensum, quod in graugiis vestris, cum eas vos visitare contigerit-) vel trausitum facere per easdem, celebrare valeatis et audire diviua, vobis auctoritate presen- tium indulgemus. Nulli ergo etc. nostre con[ee3sioiiis] etc.

66. Erteilt Dispens betreffs Defekt der Gehurt. Cod. fol. 34 a.

(Lyon 2s. .Juni 1248 27. Juni 1240).

üblata nobis es parte tua petitio con[tinebat], quod cum quidam laicus matrem tuam legitime 3) desponsasset'*) ac diu eidem cohabitans ipsam propter frigiditatem vel maleticium carnaliter cognoscere nequi- visset, diocesanus'^) loci veritate cognita sub ea conditione inter ipsos di- vortium sententialiter celebravit, ut si processu temporis constaret dictum laicum posse cognoscere mulierem, huiusmodi senteutia nulla esset, con- tractu matrimonio in sua [auctoritate]*') durante. Postmodum autem dictus laicus ad remotas partes alterius regni se transferens, post plures annos cum quadam alia muliere rontraxisse dicitur et ex ea filios genuisse. Medio autem tempore cum in tuis partibus de dicto laico') nichil omnino scire- tur, pater tuus solutus ex predieta matre tua te genuit sie soluta. Propter quod nobis humiliter supplicasti, ut super huiusmodi defeetu natalium dispensare teeum misericorditer curaremus. Cum igitur de honestate vite, litterarum scientia et bonis moribus commenderis, nos bonis in omuibus benefacere eupientes, auctoritate tibi'^) presentium indulgemus. ut, memo-

64. >) in isto Hs.

65. *) contingerit H?.

66. 3) legittime Hs. *) disp. Hs. ^) diocesani Hs. *■') So od. ähnlich zu ergänzen. ') laco Hs. *) u mit über- geschriebenem i Hs.

j^30 Karl Hampe.

rato defectu nequaquam obstante, possis ia susceptis ministrare ordinibus •et promoveri ad sacros ac beneficium ecclesiasticum, etiamsi curam ani- marum habeat, obtinere^), ita tarnen, quod si te ad pontificalem vocari ■contigerit dignitatem, illam nequaquam recipias absque nostra licentia special!. NuUi ergo etc. nostre conces[sionis] etc.

67. Befiehlt den Kanonikern einer Kirche (der Diözese von Bourges '^), ■den SimoUj Kleriker des Herrn Ä(rchambaud X.) von Bourlon, eines Verwandten des Papstes^ und Sohn des Connetables der Auvergne, als Kanoniker aufzunehtnen und ihm eine Pfriu/de zu verleihen^ und trägt überdies dem Dekan eitler Kirche in der Diözese von Bourges auf, für Ausführung des Befehls zu sorgen. Cod. fol. 34 b.

(Lyon 28. Juni- 1248—27. Juni 1249)%

Cum vobis honerosum esse non debeat, si quando vestre devotioni pro illorum receptione scribimus, quorum obtentu multum^) posset eccle- sie vestre utilitatis pro venire, universitatem vestram rogandam duximus et monendam, mandantes, quatiaus dil[ectum] f[iiium] Symonem'^), cleri- cum no[bilisJ vi[ri] A. domini de Borbono^), consanguinei nostri*'), natum no[bilis] vi[ri] comestabuli') Alvernie^), recipientes in can[onicum] et ia fratrem, prebendam ei, si qua in ecclesia vestra vacat ad presens vel quam cito se facultas obtuleiit, liberaliter conferatis, non obstan[te] sta[tuto] de certo canonicorum numero iuramento vel alia fir[mitate] val- lato, aut si vobis direxerimus scripta nostra pro aliis, quibus nolumus etc. usque : ge[nerari], seu si vobis vel alicui vestrum a se[de] ap[ostolica] sit indultum, quod non possitis excommunicari, suspendi vel interdici aut ad receptionem alicuius compelli sine speciali mandato nostro, sive qualibet •eiusdem sedis indulgentia, de qua oporteat in presentibus fieri mentionem, •et per quam posset huiusmodi gratia inpediri vel ditferri. Alioquin de-

•) opt. Hs.

67. 2) Vgl. oben S. 202 Anm. 3. ») multa Hs. *) Synionis Hs.

"•>) Archambaud X., seit dem 1242 erfolgten Tode seines Vaters Herr von Bourbon, starb auf dem Kreuzzuge Ludwigs des Heiligen am 15. Jan. 1249 in Cypern (vgl. L' art de verifier les dates X, 331). Der Brief ist also jedenfalls geschrieben, ehe Innozenz von seinem Tode wusste, da sonst das bona memorie nicht fehlen würde. Danach wäre wohl auch die Datirungsfrist etwas einzuengen.

") So Hs. Da das Sehreiben an eine »universitas* gerichtet ist, so ist an ■eine Verwechselung mit »vestri' nicht zu denken. Der Papst bezeichnet also den Herrn von Bourbon als seinen Verwandten. Ich habe über verwandtschaft- liche Beziehungen zwischen den Fieschi und Bourbon nichts zu ermitteln ver- mocht. Auch aus den genealogischen Tafeln von Belgrano in den Atti della societä Ligure di storia patria 2, 1 (1870) über die Fieschi ist nichts zu ersehen, da die weiblichen Familienmitglieder felilen. Die Verwandtschaft der Fieschi aber war bekanntlich sehr weit verzweigt, und der Begriff »consanguineus* ist gewiss nicht zu eng zu fassen. Als andere consanguinei werden z. B. vom Papste genannt: 11. de Bagnaria, Bürger von Tortona (Ep. sei. II, -iOöl und ein »Bruder Petrus* (Ep. sei. 111, 99. 100). Eine Verschwägerung irgendwelcher Art mit den Bourbon kann daher nicht allzu auffällig sein. ') comunestabuli Hs.

^) aluinue, über dem ersten u ein Strich, Hs.

Aus verlorenen Registerbänden der Päpste Innozenz III. etc. 231

•cauo^) ecclesie de . . Bituricensis dioc[esis] litteris nostris iniungimus, ut ipse super hoc mandatum apostolicum exequatur. Contra[dictores] etc.

68.

Belohnt die Treue einer Stadt (Mittelitaliens?) durch Gewährunq

unbehinderten^ abgabenfreien Verkehrs in ganz Apulien und Sizilien'^).

Cod. fol. 34 b.

(Lyon 28. Juni 1248 27. Juni 1249).

Fidei vestre constantia et sincera^) devotic^), quas habetis ad Eo[ma- nam] ecc[lesiam], matrem vestram, merito nos inducunt, ut vestris hone- stis petitionibus, quantum cum Deo possumus, favorabiliter annuamus. Hinc est, quod nos, vestris supplicationibus incli[nati], presentium vobis iiuctoritate concedimus, ut libere possitis per totam Apuliam et regnum Sycilie intrare et exire, portare et extrahere, vendere, emere^), caricare, discaricare*') ac nauliare et omnia singula facere sine alieuius datione rauneris vel datie'). NuUi ergo etc. nostre concess[ionis] etc.

69. Befiehlt einem (Bischof), an den Geistlichen M. aus der Diözese ■von Pamplona, Kleriker des R., Generalpräzeptors des Johanniterordens in partibus transmarinis, eine Pfründe in seiner Stadt oder Diözese zu erteilen. Cod. fol. 34 b.

(Lyon 28. Juni 1248—27. Juni 1240).

Benignitatem sedis apostolice multis in provisionem repperisse gau- •dentibus*^), decens [est] et equitati consonum, ut is^), quem fama lauda- bilis^") dignum favore constituit, letetur^i) nostro subsidio congruam per- cepisse gratiam, quam intendit. Sane dil[ectusj fil[ius M.] clericus Pam- pilon[ensis] dioc[esi3], laudabilis conversationis et vite meritis iuvari dicitur, ut apud nos invenisse fruetum paterne benivolentie gratuletur. Nos ita- que propter hoc ac etiam intuitu (lil|ecti] fil[ii] fratris E. ^"), generalis preceptoris hospitalis Jerosolimitani in partibus transmarinis'-'), cuius dictus M. clericus specialis existit, mandamus, quatinus eidem in tua civitate vel dioc[esi] de prebendali beneficio vel alio competenti, etiamsi curam habeat animarum, quam cito se fa[cultasj ob[tulerit], auctoritate nostra provideas vel facias provideri, non ob[stante], si ecclesia, in qua sibi duxeris pro- videndum, certum habeat canonicorum numerum iuramento seu quacum- que [alia] firmitatei^) vallatum^'^), sive aliqua indulgentia, de qua in litteris

') decanus Hs.

68. 2) Vgl. die ähnlichen Privilegien für Ancona vom 28. Juli 1245 und Spoleto vom 22. Mai 1249 (M. G. Ep. sei. IL n. 125 und 730). ^) scin- cera Hs. <) devocie, das letzte e über der Zeile, Hs. *) Es folgt di Hs. *■>) cartare, discartare Hs. ') dative Hs.

69. «) gaudentes cibus Hs. ") hiis Hs. i") laudabiliter Hs. ..") letentur Hs. ^-] Als Präzeptor der Johanniter in Italien, Ungarn

und Osterreich wird in einer Urkunde Konrads IV. vom August 1252 (15.-F. 4584) Rembald genannt, der mit diesem aber wegen des anderen Titel« kaum iden- tisch ist. 'S) transmatinis Hs. '•*] firma Hs. '^) vallacione Hs.

232 K a V 1 H a m p e.

nostris^) plenam et expressam oporteat fieri mentionem, aut quod idem alias beneficiatus existit, vel si in ecclesia ipsa pro aliis scripta nostra direxeriöau?, quibus nolumus etc. usque: generari"^). Contra[dietoresJ etc.

70—78.

70. Ut eo propensius (Cod. fol. 34c)^=B. 4466, a. Ti. n. 476

vom 2.~), April 124!).

71. Cum dilectus filius (Cod. fol. 34c)^=-B. 4471, a. VI. n. 4SI

vom 2s. April 124!).

72. Afiectu beuivolentie (Cod. fol. 34c) = B. 4513, a. VI. n. 523

vom 16. Mai 1249.

73. Quamvis illegittime (Cod. fol. .'l4c) = B. 4517, a. VI. n. 527

vom 15. Mai 124! K

74. Devotiouis vestre probata (Cod. fol. 34d)=B. 4521, a. I-X

n. 531 vom 2<s. April 124!).

75. Ut . . ecclesia (Cod. fol. 34d) = B. 4522, a. VI. n. 532 vom

16. Mai 124!).

76. Quia iater devotos (Cod. fol. 34d)^^B. 45!)S, a. VI. n. 6()S

vom 5. Juni 124!).

77. Cum a nobis effectum (weiter nichts). (Cod. fol. 34 d) ^=

/>'. 4618, a. 17. //. 62S vom 8. Mai 124!).

78. Quia perversi (Cod. fol. 35a)=^B. 461!), a. VI. n. 62!) vom-

5. Okt. 1248.

7*) 95.

79. Tua uübis frateruitas (Cod. fol. 35 a) ^= B. 27sl, a. IV. u. 783

vom 5. Juni 124/.

80. Sepe dispen.sative (Cod. fol. 35a) = B. 2791, a. IV. n. /!)3

vom 7. Juni 1247.

81. Sepe dispensative (Cod. fol. 35a)^=B. 2792, a. IV. ii. 7!)4

vom 7. Juni 124 7.

82. Paci et tranquillitati (Cod. fol. 35 a) ^= B. 27!>3, a. IV. n. 7!>5

vom 13. Jui/i 1247.

83. Constitutioni canonice (Cod. fol. 351))'= B. 2s42, a. IV. n. 844

vom 10. Jmii 1247.

84. lUius licet {Cod. fol. 35b) = B. 2!) 17, a. IV cur. 1 rom

5. Jidi 1246.

85. Cura nobis (Cod. fol. 35b) = Ji. 2918^ a. IV. cur. 2 vom |

.;. Juli 1246.

') vestris Hs. -) gerari Hs.

Aus verlorenen Regisferbänden der Päpste Innozenz III. etc.

233

86—95. Licet olim (Cod. fol. .'« c). Cum tibi. Cum nonnulli.s. Ex parte nobilis (Cod. fol. 35 d). Discretioni tue. Cum tibi. Cum tibi. Cum tibi. Cum tibi. Ex parte carissimi (Cod. fol. .W a) B 2i)24~ 2933, a. IV. cur. -s— i; vom 5. Juli 1246.

. 96. Ermahnt die Bürger einer kaiserfreundlichen Stadt der Lombardei (Cremonan^) dringend zur Umkehr, zur Versöhnung mit der Kirche und zum Anschluss an den neuen römischen König Wilhelm, erklärt sich bereit, auf ihren Wunsch Unterhändler zu schicken, und erbittet Antwort. Cod. fol. 3<j a.

Lyon etwa Frühjahr 1248.

Utiuam rex pacifitus, qui faciem suam a vobis et quarapluribus aliis de provincia Lonbardie discordiam sectantis^) veluti gravibus provocatus^) offensis diu avertisse videtur, in ira misericordiam non restringat^), sed vestri meraor vestraque pia [compassione]-'') pericula intuens oculos ad vos sue benignitatis inclinet et mentes illuminet, ut declinato prudenter dis- cordie invio per callem salutaris concordie incedatis«). En quippe sie a pace seiuncti^ et disoordie videmini colligati, ut cum illa quasi discordiam et cum ista^) credamini concordiam stabilisse, tanquam hanc amicam et lUam reputantes adversam istamque omnino dome.sticam et illam penitus peregnnam. Sed attendite, quesumus, contra quos obfirmaveritis animos et in quorum moliamini nocumentum, quoniam«) adversus notos patrie- que vestre coincolas et, quod est inliumanius, vos") sanguine attingentes i«) profecto satagitis. Contra hos utique arma bellica sumitis et ad istorum aspiratisi') excidium, cum quibus potius deberetis uuanimes communis i^) religionis existere defensores. 0 quam iniqua et detestabilis pugna, que cum expugnare deberet exteros, indigenas inpugnare probatur! o quam fera et reproba, que in suos furit et ferit, que in conpatriotas exerit^^)

96. ') Von den grösseren Städten standen im Frühjahr 1248 auf Seiten der päpstlichen Partei: Parma, Piacenza, Novara, Bologna. Mantna. Mailand, Brescia und Genua, vgl. B.-F.-W. 7989 vom 22. und 26. April 1248. Über den damaligen Machtbereich von Friedrichs 11. Partei in der Lombardei vgl. Rodenberg Inno- zenz IV. und das Königr. Siz. S. 77. Am 3. Juni befahl Innozenz dem Eiz- Dischote von Mailand, die von Tortona zum Abfall von Friedrich aufzufordern, feie konnten auch hier gemeint sein. Noch wahrscheinlicher ist mir indessen die Beziehung auf Cremona. Im März 1248 setzten ja Bestrebungen der Kurie ein, um möglichst auch dort wie in Parma einen Umschwung zu Gunsten der Kirche Hervorzurufen, vgl. B.-F.-W. 7963. Dann wäre das Schreiben etwa gleichzeitig mit den Erlassen vom 9.-13. März (B.-F.-W. 7955-7964) abgesandt, um auf die cremonesische Innenpartei Eindruck zu machen. Da auf die Erhebung Wilhelms von Holland zum römischen Könige (3. Okt. 1247) noch als auf etwas Neues ümgewiesen wird, so ist auch in der Tat kaum ein späterer Zeitpunkt iür die Uatu-ung anzunehmen. Vgl. auch unten S. 227 Anm. 20. -') So oder

sectantibus zu lesen statt sectantes Hs. 3) provocatis Hs. *) Vgl.

\ \?' ^^ ^'^ ^^^^^ '" ergänzen. «) inceditis Hs. ■) istani Hs.

») Durchstrichenes q mit wagerechtem Strich darüber Hs. ») vobis Hs

'") attinentes Hs. n) aiperitatis Hg. »2) cororaunes Hs.

") exegerit Hs.

Jlittheilungen XXIV. 16

234 Karl Hampe.

gladium, cum esset [in] ficlei uc patrie hostes convenientius extendendus ^) ! Pensate^) attente, recogitate^) discrete, quod dum vestros pvoximos et contribules impetitis, agitis pai'iter in vos ipsos. et muoro, quem in cede^) exercelis illorum, in utroruuique'^) procul dubio casum cedit! Nee enim ipsorum oppressio vestris afferret profeetibus incrementum, neque vestris etiam aecresceret viribus, si forsan eorum decresceret fortitudo, quin immo, si recte pensetur, et vestre derogaretur poteniie ac totiiis demeretur robur") regionis, quod certe, sicut potestis aperte conicere, nisi vestrasitmens totaliter obumbrata, perniciosus ille'^) malorum tantummodo anxius**) quam plurimum affectat'J), qui discordiarum incentor precipuus et nutritor vos contra ipsos pro eo, quod sue nolunt assentire nequitie, tanquam ebulliens ad vindictam fur- tivis^o) et fallacibus suggestionibus commovet et inflammat, vos quidem com- mittendo discrimini, se autem callide subducendo, sicut ille, qui de foramine colubrum manu vult educere aliena, et si vobis exinde sinistrum eveniatii). compati simula't, sed subsannat^^). Ecce igitur ex huiusmodi vestra dis- cordia nonniti vobis dispendium, vexatio proximis et natali solo depopu- latio accidere dinoscuntur. 0 quauta feidem provincie pro sui divisione desolatio supervenit! lam enim priori sua inmutata specie^^) quasi deserta, tanquam subdita et sicut depauperata vertitur aliis in derisum, que cou- suevit multitudine populi, eminentia libertatis et bonorum omnium affiu- entia prepollere. Jamque lugere videtur Liguria lugubris, que olim pro- speris ioeunda successibus exultabat. Porro Eomana ecclesia relique ipsins provincie parti, que fidem catholicam et tarn ecclesiasticam libertatem, quam propriam diligit et defendit, tyrampno illi, qui eos^-^) conprimere vel extinguere verius patenti adversione molituri-''), totis viribus resi<tendo, nee debuit, nee potuit non adesse. Nullumque tamen per hoc vobis, licet forsan aliqui non limpide^^) discernentes contrarium opinentur, cogitavit inferre dispendium, sed vestruin potius comodum procurare, cum et ve- strani et aliorum desideret libertatem communiter et salutera. Unde ni- mio dolore afficitur, quod ei, qui fidei et libertatis durus est^^) et pu- blicusi^) persecutor, tanidiu dampnabiliter adhesistis, cum, si premia, que suis est solitus rependere servitoribus, recolatis, nonnisi tristem ab eo retributionem ' ^) expectare possitis, quia nonnunquam preteritorum experi- entia cerla est significatio futurorum. Illos etenim, qui se ipsos suis-") totaliter et semper exposuerant servitiis, quique maiorem apud eum obti- nere^i) gratiam credebantur, post multa et diuturna obsequia, dum spe- rarent magna pro meritis ab ipso stipendia consequi, horribili et amara nimis remuneratione confudit, quia nullos attollere-^), sed deprimere uni- versos^s) eunctosque nisus est extreme subdere servituti, ut solus in orbe

') extendendis Hs. -\ Pensare Hs. ^) reeogitare-Hs.

*) cedere Hs. ^] inucroruraqvie Hs. *"■) robori Hs.

') Friedrich H. ^) So vielleicht, wie unten »vestre salutis anxia*

statt annexius Hs. Sonst wäre etwa an Worte zu denken wie alumnus, anhe- lator, artifex, assector etc. ß) aft'ectaret Hs. '"j furatis Hs.

") eveniant Hs. '-) susannat Hs. '^) Ähnliche, Wendungen

Ep. sei. H, 435 auf Sizilien bezogen: »quia speciosum regnuiu tanta luutatuni alteratione cornitur, quod oiLnino a se ipso priore discrepare videtur*.

1^) eas Hs. '6) mollitur Hs. "^) lanipide Hs. i') korr.

aus enim Hs. '") pupblicus Hs. "') retribuicionem Hs.

-0) SS mit Strich darüber Hs. -') optinere Hs. --) attolle ]U.

^^) universosque Hs.

Aus verlorenen Registerbiinden der Päpste Innozenz IIL etc. 935

tanquam singularis dominus premineret i), Verumptamen etsi continue hucusque prefato tyrampno astiteritis sedulumque sibi exhibueritis famu- latum, non tarnen ob id eadem ecclesia de vestra reversione desperat, sed firmam in Domino gerit fidutiam, quod ad devotionem ipsius ope- rante illo curabitis sine tarditate redire ipsamque velut-) matrem in Omnibus revereri, que^) tamquam vestre salatis anxia expansis manibus pa- ratoque gremio avide vos expectat, ut de regione cito redeuntes longin- qua-*), benignis pertractet amplexibus, baiulet leni sinu et ubere dulci pascat. Nam si quando^) delinquenti mater filio iiascatur, non tarnen induratur in ira, sed facile inclinatur ad veniam. quin immo penitentem in priorem atfectum, nescia parce^') parcere, mox resumit.

Ideoque uni[versitatem] v[estram] monemus, rogamus et hortamur^) attentius, obsecrantes per sanguinem Jesu Christi, quatinus circumspecte pensantes, quantum dampnum quantumque periculum evenerit actenus et adhuc immineat ex predicta discordia vobis et toti eidem«) regioni. quan- taque utilitas et quanta tranquillitas ex concordia, si proveniat, subse- quatur, considerantes insuper, quantum sit Domino placitum, quamque salutiferum ad devotionem sancte matris ecclesie, extra quam nemo sal- vatur, cum humilitate^) redire, pacem cum vicinis et coindigenisi") vestris ad laudem Dei pro salute animarum et corporum et totius patrie comodo ^ i) confirmetisi2). ut, sicut estis regionis ydemptitate proximi, sie unanimitate sitis coniuncti, et ab illo, qui per devia semper pergens sequaces süos pertiTihit ad ruinam, provide recedentes, ad ipsius matris ecclesie gremi- um, que vos unda regeneravit baptismatis et spiritualibus alimoniis edu- cavit non inmorando diutius redeatis, ut sibi tanquam ingenui et non dege- neres filii eoherentes, ab^^j hereditatis eterne. a qua^*) se ille ruine previus funestis actibas alienat, excludi participatione^^) non possitis. Et cum Romano imperio de j^doneo et catholico principe recte sit divina cohope- rante gratia iam provisura. videlicet de carissimo in Christo filio nostro W[illelmo] rego E[omanorum] illustriiß), ad^') fidelitatem eius, qui provi- dentie. i-istitie ac benignitatis et multarum aliarum virtutum titulis co- ruscare cernitur, sinceris animis properetis. Denique scire vos volumus, quod ad civitatem vestram sollempnes cum uostris litteris nuncios misissemus. sed dubitavimus, ne aliqua ipsi^ irrogaretur iniuria, quam deceret vos nee inferre nee nos deberemus tolerare^^). Attamen si velitisi^), parati sumus, ap[ostolice] se[dis] legatos, qui sunt in eadem prövincia^"), vel alios hono-

1) Vgl. ähnlich Baerwald, Baumgarteub. Formel uuch S. 200: ,ut ipse solus in orbe terrarum tanquam ydolum desolationis abhominabilis adoretur"'.

^j velud Hs. 3) folgt inquara Hs., wohl nur Yerschreibung des

folgenden tamquam. *) longinquequa Hs. Vgl. Baerwald a. a. 0. S. 199:

»in regionem abire longinquam«. ■'•) So vielleicht statt des paläographisch

ja nicht sehr verschiedenen non Hs. ß) parte Hs. ") hortamus Hs.

8) So etwa statt eam Hs. e) humilitatem Hs. lo) So wohl

fitatt incondigenis Hs. H) quomodo Hs. 12) informatis Hs.

'^) ad Hs. n) aliqua Hs. »s) participato Hs. '«) Wilhelm

Von Holland war am 3. Okt. 1247 zum König gewählt. '") ac Hs.

'») tollerare Hs. i») velhtis Hs. '-'O) Neben Gregor von

Montelongo war schon seit März 1247 Üktavian von S. Maria in Via lata als Legat in der Lombardei tätig (M. G. Ep. sei. II, 220). Däss der Papst si<?h bereit erklärt, unter Umständen diese beiden Legaten als Unterhändler zu senden spricht für die Bedeutung der Stadt und passt wieder am besten für Cremona,

16*

236 Karl Ha m p e.

rabiles viros providos et discretos ad eivitatem ipsaiu transmittere, qui

vobiscum tractent de premissis ouinibus diligenter. Super hiis autem res-

cribatis nobis bonam, quam vos inspirante Domiao habere credimus, volun- tatem.

Anhang.

Im Folgenden stelle ich einige Berichtigungen und Ergänzungen zu der Ausgalie des sechsten ßegisterjahrganges Innozenz IV. von Bei'ger zusammen.

Berger 4114. Jedenfalls zu Gunsten des Erzbischofs von Embrun; wie es scheint (das Stück ist stark verderbt), Erlaubnis 5 cappellani per- petui, die aus den erzbischöflichen Einkünften zu unterhalten sind, anzu- stellen. Das Datum nicht XVI., sondern XV. kal. Aug., also 18. Juli 12 48.

B. 4124 V. 1. Juli 1248. Statt »Eidium« zu lesen: »Gidium*. Nur »fautores* ist sichtbar; »Frederici quondam imperatoris* ist freie Er- gänzung.

B. 4174 V. 23. Okt. 1248. Aus dem Regest geht nicht hervor, dass ein Privileg Eugens (III.) erwähnt wird : » a tempore felicis recorda- tionis Eugenii pape predecessoris nostri iuxta concessi ab ipso privilegii tenorem^^.

B. 4180 V. 28- Juli 1248. Der im Regest nicht erwähnte äusatz ist zu beachten : » Alioquin dilecto filio Johanni Sarraceno subdiacono et cappellano nostro, decano Wellensi, damus nostris litteris in mandatis, ut ipse super hiis mandatum apostolicum exequatur«.

B. 4219 V. 22. Sept. 1248. Das Privileg des »G. Tyrasonensis episcopus« vom 14. März 1247 ist wörtlich inserirt, >datum per manum J. iusti (so!) cancellarii nostri ^^

B. 4290 V. 17. Dez. 1248 Matheo Jacobi Perusino: »tam iudicatus quam taljellionatus officia, necnon et mancipandi tutores et curatores dandi, decernendi alimenta, interponendi decreta, adoptandi "ac recipiendi et publicandi testes tibi duximus concedenda* etc.

B, 4311 an die Königin von Kastilien. Das Datum nicht XVIII.,. sondern XVIIII. kal. Febr., also vom 14. Jan. 1241).

B. 4372 V. 17. Febr. 1249. Statt des eigens hervorgehobenen auf- fälligen Wortes »feudanorum* steht deutlich das gebräuchliche »feuda- riorum*.

B. 4373 V. 4. Febr. 1249 beginnt nach der Arenga: Attendentes- igitur devotionem, quam dilectus filius Symon dictus Marchio (nicht »Matthaeus*, wie B. angibt) civis Januensis erga nos et Romanam habet ecclesiam etc.

B. 4374 V. IS. Febr. 1249. Archiepiscopo Mediolaneusi. Nach den gewöhnlichen durch »non obstante« eingeleiteten Klauseln folgt: »vel si dilectus filius . . electus Tripolitanus apostolice sedis legatus direxit in eadeok

das Friedrich selbst wohl: ,in Italia Caput et fundamentuiu iraperii« genannt bat (B.-F. 3410). Auch das obige ,etsi continue hucusque prefato tvrampno astiteritis* stimmt für Cremona.

Aus verlorenen Registorbänden der Päpste Innozenz HI. etc. 237

ecclesia pro aliis scripta sua, quibus eum in assecutione prebende ac di- gnitatis preferri volumus, si de iure fuerit praeferendus«. Ähnlich in B. 4375.

B. 4420 V. 22. März 1249. Statt »Bellarva« in der Rubrik »Bel-

lavia^S

II. 4490 V. 30. März 1249, mit der Klausel: constitutione bona memorie H[onorii] pape predecessoris nostri super hoc edita non obstante«.

B. 4519 V. T. März 1241). Statt »Holcokran.« ist zu lesen »Hol- coktan *.

B. 4523 V. 18. Mai 1249. Inkorporation des Nonnenklosters s 0 im Text des folgenden Stückes) in den Dominikanerorden, mit geringen Abweichungen im Text übereinstimmend mit B. 4335.

B. 4566 V. 9. Mai 1249. Johanni de Abbadia (statt »Abbatia«). Im Regest zu ergänzen: de redditibus Nimphanorum, »que occasione murorum terre sue annuatim apostolice sedi dare tenentur«.

B. 4601 V. 22. Juni 1249. In der inserirten Sentenz des Kardinal- -diakons Wilhelm von St. Eustach in dem Streite inter abbatem et con- ventura Maioris Monasterii Turonensis et episcopum Lincolniensem wird zurückgegriflFen auf die frühere Verhandlung vor »Johannes Astensis, do- mini pape capellanus ac eiusdem palatii causarum generalis auditor«. Der dort von den Mönchen von Tours vorgebrachte libellus ist datirt »Anno Domini MCCXLV mensis Augusti die sexta exeunte«.

B. 4609 V. 16. Juni 1249 für den Abt Wilhelm von St. Trond, ist identisch mit Potth. 13368 nach Baluze Mise. VII, 503, wo fälschlich XVI. kal. Junii statt Julii gelesen, und das Stück daher zum 17. Mai 1249 gesetzt ist.

B. 4635 V. 16. Juni 1249. Praeposito ecclesie S. Donati Mediola- nensis diocesis. Unter den mit »non obstante« eingeleiteten Klauseln auch die folgende: »sive constitutione, quam bone memorie C(oelestinus) papa predecessor noster, tunc tituli sancti Marci presbyter cardinalis in parti- bus Lombardie apostolice sedis legatus fecit, quod nullus clericus possit in una civitate vel diocesi duo ecclesiastica beneficia obtinere«.

B. 4645 V. 22. Juni 1249, beachtenswert wegen Erwähnung einer Reihe älterer Papsturkunden des 1 1 . und 1 2. Jahrh. ; die inserirte Sentenz vollständig gedruckt in Thom. Walsinghams Gesta abbatum monasterii S. Albani ed. Riley I, 355 361, freilich mit starken Entstellungen, die nach dem päpstlichen Register sämtlich zu verbessern sind.

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents vom Jahre 1633').

Von

Johannes Müller.

Zur Verwirklichung des grossen Programms, das die mit Schweden verbündeten evangelischen Stände der vier obern Kreise Deutschlands im April 1633 zu Heilbronn aufgestellt hatten, nämlich mit Aufsetzung von Leib, Leben und Vermögen einen Religions- und Profanfriedeu zu erzwingen, in welchem die Reichsverfassung wiederhergestellt, die evangelischen Stände restituirt und Schweden für seine Opfer nach Gebühr entschädigt würde, hielten die Heilbronner Konföderirteu im Sommer des Jahres noch zwei Tagfahrten, eine zu Heidelberg und eine zu Frankfurt, ab, auf welchen die beim Heilbronner Konvent unerledigt gebliebenen Fragen, wie die von Dänemark angebotene Friedensvermittlung zwischen den Protestanten und dem Kaiser, der von Frankreich .hoch urgirte" Eintritt der deutscheu Protestanten in das schwedisch- französische Bündnis und endlich die Ausführung der- jenigen Massregeln, die zur Befriedigung der über Soldrückstäude unwilligen Armee dienen sollten, iu weitere Beratung genommen

') Diesem Aufsatz liegen vor allem zu Grunde: 1. Ein von dem Augsburger Ratskonsulenten Dr. Hans Ulrich Rehliuger verfasstes D i a r i u m 1 r a n e o - furtense, das auf 197 eng beschriebenen Folioseiten die Hauptmomente des Verlaufs des Frankfurter Konvents v. J. 1633, insbesondere die Verhandlungen des fünfgliedrigen Städtekollegiums (Strassburg, Frankfurt, Nürnberg, Ulm, Augs- burg), zur Darstellung bringt ; 2. die zu dem Diarium gehörigen Bei- lagen mit A Üuuuuu signirt ; 3. d i e während des Konvents (anfangs August bis Ende September 1 633)"z vrischen demRat von Augsburg und seinen Abgesandten, Albrecht Bimml und Dr. Haus Ulrich Rehlinger, geführte Korrespondenz. Sämtliche Aktenstücke befinden sich in der Abteilung Acta Suecanae des A u g s b u r s? e r S t a d t a'r c h i v s.

Reichsstädtischo Politik zur Zeit des Fiaukfurtcr Konvents etc. 239

werdeu sollten. Zu diesen schon in Heilbronn aufgeworfenen Fracken wareu aber im Laufe des Sommers noch weitere Beratunefso-ecreii- stände gekommen, die sieh teils aus dem neuen Verhältnis der süddeutschen protestantischen Reichsstände zu Frankreich, teils aus der besonderen Stellung einzelner Glieder der vier oberdeutschen Kreise zu dem im April 1G33 geschaffenen Heilbrunner Bund ergabeu. Zu den erstgenannten Angelegenheiten gehörte vor allem die end- gültige Stellungnahme der Konföderirten zu zwei westdeutschen Fürsten der katholischen Partei, dem Kurfürsten von Trier, zugleich Bischof von Speyer, und dem Herzog Karl von Lothringen, die durch ihre zweideutige, Avenn nicht gar feindselige Haltung schon lange die Geduld der Schweden uud deutschen Protestanten auf die Probe gestellt hatten, die aber infolge der Protektion, deren sie sich seitens Frankreichs erfreuten, bisher immer mit der grössten Schonung behandelt worden waren. Unter den süddeutschen Fürsten suchten zwei, der Pfalzo-raf Wolfgang Wilhelm von Neuburg-Jülich und der Landsjraf Georar von Hessen-Darm stadt, um Neuti'alität für ihre Gebiete nach, ersterer auf ein vom König Gustav Adolf ihm gegebenes Neutralitätsversprechen für seine Lande sich berufend, letzterer Gewissensbedenkeu vor- schützend, die ihm den Eintritt in das Heilbrunner Bündnis verböten. Wegen „des vorhabenden Friedens Werkes, das, weil es so seltsam geführet ward", gemeint sind damit die eben damals vom sächsi- schen General Arnim mit Wallenstein augeknüpften Friedensunter- handlungeu „dem Reichskanzler wie dem Heilbrunner Bundesrat sehr suspect vorkam und das man ohne das der Sache nach von einer so grossen Wichtigkeit befanden", sodann „wegen der noch an- dauernden Schwierigkeit der Soldateska am Donaustrom, von der eine unausbleibliche Gefahr androhen wollte, wofern dem Werke nicht näher, als wie zu Heilbronn und letztmals zu Heidelberg geschehen, gegangen, auch wie die Soldateska in etwas befriediget, auch zu fer- nerem Dessein mit gutem Willen gebrauchet werden möchte", sollte nach dem Ausschreiben Oxenstiernas vom IG. Juli 1633 der bis Ende Juli nach Frankfurt einberufene Konvent der Heilbrunner Konföderirten zunächst „sich einmütig und beständig resolviren". Aber auch darum, weil „gleicher Gestalt von etlichen Benachbarten, sowohl Freunden als übel aflFektionirten, solche schwere Sachen vorfielen, über welche notwendig dem Heilbronner Schluss gemäss pro re nata die Stände insgesamt einer gewissen Meinung einhellig sich zu vereinigen hätten", sollten die Stände zum allgemeinen und schleunigen Konvent nach Frankfurt sich verfügen i). ') Chemnitz, II. S. 150.

240 J 0 h a n n e s M ü 1 1 e f.

Gemäss diesem Ausschreiben Oxeustiernas enthielt die am 10. August den Ständen des Heilbrouuer Bundes vorgelegte Proposition folgende fünf Punkte:

1. Wie hat sieh der Reichskanzler bezw. das consilium formatum des Heilbrouner Bundes auf den Fall, dass nicht allein die vom König von Dänemark angebotene Interposition, sondern auch die Universal- Friedenshandlung an die Hand genommen werden sollte, ohne fernere Einholung mehrerer Vollmacht zu verhalten, und auf welche Condi- tiones ist die Abhandlung und Schliessung eines sicheren Friedens zu stellen ?

2. Wann die zu Heilbronn und Heidelberg zur Kontentiruug und Proviantirung der Soldateska bedachten und beschlosseneu Mittel nicht erklecklich sein sollten, so hat man auf solche Mittel zu denken, durch welche aller besorgender Mangel bei den Armeen abgewendet und hiedurch die bis dato vorgegangenen verderblichen Exorhitantien ins- künftig ab- und bessere Disziplin augestellt werde.

o. Weil der Herzog von Lothringen wider alles Vermuten, ja fast wider Versprechen und Zusage sich so feindlich erzeigt, hat man auf erspriessliche Mittel zu denken, wie solchen fürbrechenden Be- schwernissen entgegenzutreten und dies aufgehende Feuer gleichsam iu der Asche zu dämpfen sei.

4. Da der von dem Kurfürsten von Trier mit König Gustav Adolf s. Z. abgeschlossene Neutralitätsvertrag von ersterem in Wirklichkeit nicht vollzogen, sondern den konföderirten Ständen von Kurtrier hoher Schaden zugefügt worden ist, so haben sich die evangelischen Stände der vier oberen Kreise mit dem Reichskanzler vertraulich zu besprechen, was dabei zu tun und fürzuwenden oder zu lassen ist.

5. Die Stände möchten dem Reichskanzler ihr ratsam Gutachten darüber eröffnen, welche Antwort dem Landgrafen Georg von Hessen- Darmstadt, der sich geweigert, dem Heilbronner Bündnis beizutreten, aber gegen die Neutralitätserklärung seines Gebietes zur Leistung der in Heilbronn beschlossenen Auflagen der Heilbronner Konföderirten erboten hat, zu erteilen sei.

In der Propositiou war demnach weder der Aufforderung Frank- reichs au die oberdeutschen Protestanten, dem schwedisch-französischen Bündnis beizutreten, noch der Werbung des PfalzgraffU von Neuburg um die Neutralitätserklärung seiner Jülich-Bergischen Lande Erwäh- nung geschehen. Der erstgenannte Punkt war von Oxenstierna jeden- falls deshalb nicht in die Proposition eingesetzt worden, weil ihm bekannt war, dass die französische Regierung auf dem Frankfurter Konvent sich durch eine eigene Gesandtschaft vertreten und durch

Roichsstädtisclie Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 241

dieselbe ihre Anliegen au die Heilbronuer Bundesgenossen bringeu lassen werde. In der Tat übergab denn auch schon am 14. August M. de la Orange aux Ormes, den Richelieu zum ständigen Vertreter Frank- reichs beim Frankfurter Bundesrat der Kouföderirten bestellt hatte, dem Bundeskonvent eine vier Artikel umfassende Proposition, welche ausser dem Anerbieten Frankreichs, zwischen dem Kaiser und den Kouföde- rirten den Frieden zu vermitteln und mit den letzteren auf Grund der Artikel der schwedisch-französischen Allianz ein Bündnis zu schliessen, noch zwei weitere Punkte enthielt, nämlich eine in scharfem Tone o-ehaltene Mahnung an die Konföderirten. von den jüngst in mehreren Keichsstädten vorgenommenen Bedrückungen der Römisch-Katholi sehen abzustehen, und die zum Bistum Speyer gehörige Festang Philippsburg Frankreich als dem Protektor des Erzstiftes Trier und des Bistums Speyer einzuräumen.

Dass das Ansuchen des Pfalzgrafen von Neuburg um Neutralität von Oxeustierna nicht in die Proposition aufgenommen worden war, lag daran, dass dasselbe erst am 12. Juli, also unmittelbar vor der Abfertigung der Einladung an die konföderirten Stände zur Tagfahrt nach Frankfurt, an das Direktorium des Bundesrates gestellt worden war. Im übrigen war diese sogenannte Neuburgische Werbung unter den in Frankfurt zur Beratung gestellten Fragen diejenige von der geringsten Importanz; sie hat deshalb auch die Zeit der Bundestags- gesaudten am wenigsten in Anspruch genommen.

Da die zum Konvent erschienenen Abgesandten der konföderirten Stände über einige Punkte der Proposition, vor allem über die als Friedensvermittler sich anbietenden Mächte, über die zwischen dem Bundesratsdirektor einerseits, dem Herzog von Lothringen und dem Landgrafen von Hessen-Darmstadt anderseits bisher gewechselten Schriftsücke sowie über die Bedingungen des Schwedisch-Trierschen Neutralitätsvertrags nicht genügend informirt waren, so erhielten sie auf ein am 15. August an den schwedischen Reichskanzler und Bundes- direktor gerichtetes diesbezügliches Memorial näheren Bericht bezw. die Abschriften der hiezu einschlägigen Schriftstücke zugestellt, zugleich aber auch die Aufforderung, die Beratungen nicht mit dem 1. Pro- positiouspunkt, den sogenannten Friedenstraktaten, sondern mit dem 2. Punkt, der Herbeischaffung der zur Befriedigung der Soldateska dienenden ]\Iittel, zu beginnen.

Demgemäss begannen am 16. August in den vier Kollegien des Konvents, dem fürstlichen, gräflichen, reichsritterschaftlichen und städtischen Kollegium in letzterem allerdings erst nach mehrfach erhobenem Widerspruch Strassburgs, das die Erörterung des Friedens-

242 Johanne s Müll er.

Werkes deu übrigen Punkten voraugestellt haben wollte die Be- ratungen darüber, „wie die Armeen sowohl mit gebührendem Sold als auch notwendigem Proviant hinfür versorgt und der Notdurft nach unterhalten werden möchten'*. Die Ansicht der Abgesaudten der Stände ging dahin, dass die zu Heilbronn und Heidelberg für deu genannten Zweck vorgesehenen Mittel, nämlich die Antizipation von sechs Monaten eines zwölfltachen Römerzuges und die Erhebung eines Zehnten von allen dieses Jahr wachsenden und anfallenden Früchten, zur Erhaltung der Armeen bei gutem Willen wohl ausreichen würden, wenn die verglichenen Mittel völlig entrichtet, der sogenannte Magazin- Zehnte durch alle vier Kreise richtig eingebracht und durch eigene Diener jedes Standes, die den sämtlichen Kreisstäuden eidlich zu ver- pflichten und unter die Inspektion der betreffenden Kreisräte bezw. der von diesen verordneten Kreisproviaütmeister zu stellen wären, treulich verwaltet werden würden. Daneben wurden von den Ständen dem Reichskanzler als „weitere Mittel, um etwas Namhaftes zu erlangen", empfohlen: 1, die Besteuerung der okkupirten papistischen Orte, die weder Rekruten noch Artilleriepferde hergeben, 2. die Ablieferung der Brandschatzungen und Rauzionen an die Kreiskasseu und 3. die höhere Besteuerung der an die hohen Offiziere verschenkten Güter •).

Soweit waren die vier Kollegien des Konvents vollkommen einig-). Anders verhielt es sich aber, als es sich bei der Aufbringung der Lasten um die Herstellung der sogenannten „billigen Gleichheit" zwischen den höheren Ständen und den Reichsstädten handelte. Da zeigte sich sofort wieder das auch sonst in der deutschen Geschichte oft hervortretende Bestreben der Fürsten und des Adels, den Städten deu Hauptteil der finanziellen Lasten aufzubürden, und anderseits das hieraus ganz erklärliche Gegenstreben der Städte, sich von den schwer drückenden Bundesverptlichtungen durch übertriebene Schilderungen der Grösse ihrer bisherigen Leistungen und des daraus entspringenden jetzigen Unvermögens möglichst wegzuschrauben 3). Den Städten lag vor

ij Resolution der Stand und Abgesnndten auf den 2. Punkten der Propo- sition, dict. a. 22 Aug. 1633. Beil. Aa.

-) Lim, das viele Landgüter besass, hatte gegen die Erhebung des Zehnten von den Peldfrüchten in dei- 1. Sitzung des Städtei-ates allerdings erhebliche Einwände vorgebracht und den Vorschlag gemacht, dass statt des Zehnten eine Ueldsteuer nach dem Verhältnis des Römerzugs auf die einzelnen Stände gelegt werden sollte. Die Vertreter der 4 übrigen Städte lehnten diesen Vorschlag Ulms aber sofort ab und so stimmte denn auch Ulm der ßecimation schliesslich zu.

3) In ihrem Schreiben v. 3. Sept. an den Augsburger Piat berichten die beiden Augsburger Bundestagsgesandten (Alb. Bimmel und H. Ulrich Rehlinger) anlässlich ihrer Bemühungen, für die zur Unterhaltung der Augsburger G?a"nison aufgewendeten Mittel das Recht der Defalkation an den noch fälligen Bundes-

Keiclisstädtisclie Politik zur Zeit des Fraiild'avtcr Konvents etc. 243-

allem darau, dass sie die von ihueu seit dem Abscbluss des Heilbronner Bündnisses gemachten Vorschüsse für Sold, Munition und Proviant an den Bundeskoutributionen wieder abziehen dürften, da sonst besonders diejenigen Städte, die wegen der Kähe des Feindes grössere Garnisonen zu unterhalten gezwungen waren, geradezu doppelt so hoch besteuert wurden wie die übrigen Buudesglieder. Augsburg z. B., das an Bun- deskontributionen monatlich 10.800 fl., an Sold für die Ordinarygarnisou von 1200 Mann 9000 fl., desgleichen für die 1600 an der Befestigung der Stadt arbeitenden Personen aufzubringen hatte, berechnete seine Ausgaben für Bundeszwecke inklusive der sonstigen der Extraordinary- garnison zu gutem geschehenen Aufwendungen und eines Darlehens von 20.0t )0 Taleru, innerhalb eines drittel Jahres zu weit über 200000 fl. ^). Nürnberg, das während des im Jahre 1632 vor seinen Toren sich ab- spielenden Kampfes mehr als eine Million fl. für die schwedische Armee aufgewendet, dazu dem König Gustav Adolf eine Tonne Goldes vorgeliehen, hatte jüngst dem Feldmar^chall Horu, als er Neumarkt belagerte, allerhand Notdurft im Wert von ca. 10.000 fl. gegeben, ausserdem ein Kapital von 100.000 Taleru dargeliehen und verlantrte weuigslens die Defalkation der letzterwähnten Summen bezw. der bis dato fälligen Zinsen von den Bundesbeiträgen-).

beitragen zu erhalten, dass sie mit ihren Schilderungen von der impossibilitas Augsburgs durch die grundverderblichen Pressuren hier in Frankfurt » etliche orten schlechten Glauben finden, dass sie hören müssen, dass sie den Jammer viel grösser machten als er an ihm selber sei und dass in Augsburg noch Gelds genug gefunden werde". Dass übiigens dieses Misstrauen des Bundesdirektors und der höheren Stände in die angebliche impossibilitas Augsburgs einiger- masseu berechtigt war, lässt eine Äusserung Dr. Z. Stenglins erkennen, der zu jener Zeit als Abgesander Augsburgs in Frankfurt zur Betreibung der schwe- dischen Donationsangelegenheit weilte. Diese Bemerkung Stenglins v. 8. Juli 1633 lautet: .ImDiscurs ist von mir (seil, gegenüber dem bei Augsburg um ein Anlehen von 80.000 Thalern nachsuchenden schwedischen Grossschatzmeister, dem Grafen von Brandenburg, vermeldet worden, die Stadt simpliciter habe die Mittel nit, von Partikularen sei auch nichts herauszubringen, es sei denn, dass der Stadt wegen der Donation und Übergebung verfallener Güter völlige Satis- faction geschehe, in welchem Falle vielleicht ein und anderer Bürger eine Summe Gelds herschiessen und sich auf diesen Gütern versichern lassen möchte". Geld war demnach in Augsburg schon noch vorhanden, aber nur gegen genü- gende Sicherheit zu erhalten.

») Vergl. ausser Dr. Stenglins Memorial an den Reichskanzler in den schwe- dischen Donationsakten das Memorial der Augsb-.irger Abgesandten v. 20. Sept. 1633 betr. die Wiedererstattung dessen, was Augsburg für die Bundeskassa ver- schossen.

2) Vergl. hiezu das Nebenmemorial der Reichsstädte in p.>" decimationis vom 20. August 1633. Beilage Bb der Act. Suec. in Augsburg. Stadtarchiv.

^44 J 0 h a n 11 e s M ü 1 1 e V.

Strassburg schloss sich diesen im ganzen billigen Forderungen Augsburgs und Nürnbergs durchaus an, Ulm und Frankfurt dagegen, die durch den Feldmarschall Hörn bezw. durch den Reichskanzler selbst über die Aussichtslosigkeit eiaes solchen Ansuchens belehrt worden waren, verzichteten von vornherein auf die Anrechnung der von ihnen geleisteten Vorschüsse und brachten durch ihre Darlegungen über die trostlose Ebbe in der Bundeskasse in die Kasse der Leg- stadt Frankfurt z. B. waren bisher ausser der von dieser Stadt selbst erlegten Quote nicht über 30.000 Taler an Kontributionen einbezahlt worden; von dieser Summe waren aber sofort wieder 20.000 Taler für die Offiziere in Beschlag genommen worden wenigstens Strassburg und Augsburg ' dahin, dass dieselben die Antizipation der 6 Monate nicht mehr von der Defalkation bisher geleisteter Vorschüsse abhängig' machten 1). Augsburg bemühte sich nach Erkenntnis dieser Sachlage durch seine Gesandten beim Reichskanzler nur noch darum, dass die Extraordinary- Garnison von 1786 Mann, die über die nach dem Heil- bronner Rezess ihm zukommenden 1200 Mann noch eingelegt worden waren, aus der Bundeskasse verpflegt würden.

Auch diese Bemühung war ohne Erfolg, und so griff die in einer wirklich drangsalvollen Lage befindliche Reichsstadt am Lech schliess- lieh bei der Einforderung des Magazin-Zehnten zu einem Akt der Notwehr, indem sie die Ablieferung dieses Zehnten nach Ulm kurz- weg mit der Begründung verweigerte, dass sie die Vorräte für die in ihren Mauern liegende starke Garnison selbst brauch e

') Am Schlüsse des am 21. August au den Reichskanzler gebrachten Be- denkens den Stände über den 2. Propositionspunkt hiess es wohl : Als auch bei •währender Konföderation unterschiedliche Stände bei formirten lägern und stil gelegenen truppen sowohl gelt als proviant beigeschossen, also versehen sich die Stände, J. Excell. werde nicht zuwider sein, wann dasselbe nach anieitung des 12. Punktes des Heilbronnischen Nebenabschiedes defalcirt würde. Bei der am 23. August auf dem Römer stattfindenden Besprechung der Ständeabgesandten mit den Kommissären des Reichskanzlers (Graf Phil. Reinhart von Solms, Kanz- ler Löffler und Rat Ingolt) gingen letztere über diesen heiklen Punkt mit Still- schweigen hinweg, und damit war denn auch das Ansuchen der Stände um die Defalkation der vorgeschossenen üeldsummen endgültig abgetan. Nach einer dem Konvente vorgelegten Bilanz der Frankfurter Kasse waren von den ober- und mittelrheinischen Ständen bis August 1633 an Kontributionen im ganzen 192.136 7:i fl- einbezahlt worden, so dass von der ganzen bis dahin fälligen Summe von 275.776 7.i A- bloss noch 83.639 2/, fl. restirten. Das ergäbe allerdings einen bedeutend günstigeren Barbestand der Frankfurter Kasse, als nach den im Städte- rat gemachten Eröftnungen der Frankfurter Deputirten angenommen werden müsste.

') Vergl. hiezu P. v. Stetten, 11. S. '239. In einem Postskriptum des Schreibens des Rates au seine Abgeordneten in Frankfurt v. 24. August wird

Keiclisstädtiscbe Politik zur Zeit des Fi-ankturtei- Konvents etc. 245

Hatten so die Städte bei der Antizipation der sechs Monate auf die Erfüllung einer wohlbegründeten Hoffnung verzichten müssen, so durften sie bei der Besehlussfassung über die Aufbringung des Maj>-azin -Zehnten zuletzt herzlich froh sein, dass sie durch die Einfügung einer von der Ritterschaft angeregten ßestimniung in den Konventsabschied nicht noch besonders geschröpft wurden. Schon in der dritten Sitzung, am 18. August, erfahren die Städteabgesandten durch die Frankfurter Deputirten, die sich tags zuvor mit den drei übri- gen Kollegien über die Fassung des Bedenkens betreffs des 2. Pro- positionspunktes in Verbindung gesetzt hatten, dass das Reichsritter- kollegium in seinem Bedenken folgende Erwägung angestellt habe : da in den Reichsstädten viele reiche Leute wohnten, die keine Felder und Landgüter hätten, die demnach beim Magazin-Zehnten leer aus- gingen, so sei es notwendig, den Zehnten entweder nach der Propor- tion der Matrikel zu regeln oder die betreffenden Bürger um eben sa viel zu besteuern als die bäuerlichen Untertanen der höheren Stände an Feldfrüchten hergeben müssten. Trotzdem nun die Städteabge- sandten in ihrem Bedenken vom 18. August gegen dieses neue Steuer- projekt eine Reihe schwerwiegender Gründe vorbrachten, so unter anderem, dass ihre Herren und deren Untertanen auch ihre Feldgüter hätten und sonst viele Beschwerden trügen, auch wohl bei den höhe- ren Ständen viele Untertanen lediglich von Gülten, Hantirungen und Handwerken lebten etc., so wurde doch in das Generalbedenken der

die wirtschaftliche Lage Augsburgs folgender Gestalt beschrieben: 1. hat die Stadt und Bürgerschaft an den Bischof, das Domkapitel und andere Geistliche sowie an elie Herren Fugger grosse Schuldforderungen für bar geliehen Geld, wofür sie keinen Kreuzer zu hoflen, daher leicht zu ermessen, wie stark die Bürgerschaft enervirt und das Ärar durch Abgang an Steuer leide. 2. hat die Stadt und Bürgerschaft an ihren ausserhalb der Stadt liegenden ruinirten Gärten und Häusern grossen Schaden, so sich auf etliche Tonnen Goldes erstreckt, er- litten. 3. hat die Kaufmannschaft durch Raub und Plünderung ihrer Güter von Freund und Feind grossen Verlust, so sich ebenfalls auf etliche Tonnen Goldea erstreckt. 4. sind die Viktualien auf einen enormen Preis gestiegen und ist alles 3- und 4-mal theuerer als sonst. 5. Mit Accisen, Servis-, Wachgeldern und anderen Extraordinary-Auflagen, deren man zur Unterhaltung iler Soldateska und anderer unumgänglicher Ausgaben nicht entraten kann, ist die Bürgerschaft dermassen belegt, dass sie nur mit demselbigen genug zu thun hat. 6. der gemeine Hand- werker hat mit täglichen Wachen und anderen oneribus so viel zu thun, dass er kaum das liebe Brot für sich und seine Kinder gewinnen kann.

Wie wollte es dann per rerum naturam möglich sein, dass hiesige Bürger- schaft noch mehrere onera, Beschwerden und Auflagen ertragen sollte, man wolle dann dieselbe gar an den Bettelstab bringen, welches des H. schwedischen Reichs- kanzlers Exzell. verhoftentlich nit begehren wird.

246 Johannes Mülle r.

Stände vom 21. August die Anregung der Kitterschaftkurie mit den Worten aufgenommen: „Da der Magazin-Zeh ute nur derjenigen Stände Untertanen betrifft, welcher Nachrung auf dem Feldbau besteht, hin- gegen aber die übrigen Stände, deren Angehörigen Nahrung und Einkommen auf Hantierungen und Handwerker bewenden, diesfalls unbeschwert bleiben, so will die billigmässige' Gleichheit, welche zwi- schen den Konföderirten in allweg in fleissiger unverbrüchlicher Obacht zu halten, erfordern, dass jetztgedachte Stände, als welche grosse Kommerzien treiben und mit stattlicher Barschaft versehen sind, gegen den Magazin-Zehnten oben gedeutetermasseu etwas an Geldmitteln zu des gemeinen Wesens Bestem beischiessen". Angesichts dieser dro- henden Aussichten auf eine noch stärkere Inanspruchnahme der jetzt schon dein Siechtum verfallenen städtischen Finanzen hatten doch Augsburg und Nürnberg zur Entrichtung der gewöhnlichen Bundes- kontribution bereits von ihren Kaufleuten Darlehen von mehreren hunderttausend Gulden (Nürnberg z. B. 186.U00 fl. zu 67o) ^'^^ grossen Beschwerden aufnehmen müssen ') entschlossen sich die Deputirten der fünf grossen Reichsstädte, die in ihrem ersten Bedenken kurz an- gedeuteten Gründe gegen eine solche „Extraordinary- Anlage" der ßeichsstädte in einem Sondermemorial näher auszufühi-en und dieses Nebenbedenken dem Reichskanzler überreichen zu lassen 2).

1) Vergl. hiezu das Schreiben der Augsburger Konventsabgeordneten an den Rat von Augsburg v, 23. August 1633.

2) Das von dem Strassburger Deputirten Dr. Schmidt verfasste, am 22. Aug. dem Reichskanzler zugestellte Nebenmemorial führte folgende Gegengründe gegen die geplante Städtesteuer an: 1. Es lässt sich bei der Anlage keine eigentliche Proportion finden, was oder wie viel die der Landgüter ermangelnden Stände kontribuiren sollen. 2. Die geplante Steuer läuft gestracks wider die Natur und Beichaffenheit der onerum realium (Zehnten, Laubeeden etc. etc.), bei welchen die uralte Regel gilt: Wer viel Güter liat, liefert viel, wer wenig hat, kann auch nur wenig geben. 3. Die neue Steuer würde die Entrichtung der Ordinary- Kontribution, die von vielen Ständen noch nicht bezahlt worden, gänzlich hemmen. 4. Die mit Landgütern nicht ausgestatteten Reichsstädte empfinden insofern die Wirkung des Magazin-Zehnten, als deren Obere oder Bürger in andern Territorien mancherlei Feldgüter besitzen und dafür ihren Zehnten entrichten müssen. 5. Auch diejenigen Städtebürger, die gar keine Gefälle vom Land haben, werden um dieser Dezimation willen ihr Stück Brot hoch genug bezahlen müssen, da dieser Aufschlag ein weiteres Brachliegen der Felder und damit noch weitete ♦Steigerung der Lebensmittelpreise bewirken wird. G. Nach des Reichskanzlers eigenen Worten hat man beim Magazin-Zehnten, der lediglich zur Stabilisirung des Proviantwesens erhoben werden soll, prinzipaliter auf die von Gott bescher- ten Erdengewäclis zu sehen und deren sich zu bedienen. 7. Die von den höheren Ständen im besonderen angeführten Kommerzien, Gewerbschaften und Hand- werke der Reichsstädte, deren Erträgnisse eine besondere Steuer rechtfertigen

Reichsstädtibche Politik zur Zeit des i'rankfiirtev Konvents etc. 247

Doch alle diese Gründe wollten bei dem Reichskanzler, der auf die Deziraation nun einmal .eiu besonderes Auge geschlagen" hatte und von den Erträgnissen dei-selben sich mehr versprach als von der Kontribution selbst, nicht verfaugeu. Er Hess den städtischen Depu- tirten durch die drei oben erwähnten Kommissäre am 23. August mitteilen: S. Exz. findet es nicht nur billig, sondern auch ganz christ- lich, dass die Städtebürger, welclie keinen Feldbau haben, um Geld angelegt werden. Es sei unbillig, dass der Bauersmann auf dem Laude, der viel mehr ausstehen müsse, als die zwischen den Stadtmauern Sitzenden, dies Orts allein beschwert und die Städtebürger verschont werden sollen. Er habe über die von den städtischen Deputirten in ihrem Nebenbedenken vorgebrachten Gründe nicht nur eine, sondern etliche Stunden mit seiuen Räten diskurrirt, finde die Einwände aber von keiner Erheblichkeit. Alle ratioues pro civil)U3 allegatae könnten gar wohl, ja noch viel besser auf die Landleute applicirt werden und seien auch nicht so stark, dass sie die natürliche Billigkeit, die in der durchgehenden Gleichheit bestünde, überwiegen könnten. Die Propor- tion könne leicht gefunden werden, wenn eine Stadt, die keine Land- schaft hat, so viel an Geld spandire, als eine andere an Früchten hergibt 1).

Li der an diese Eröfi'nungeu tich anschliessenden Beratung des .Städtekollegiums erklärten die Deputirten der fünf Reichsstädte unisono, dass sie in die ihnen zugemutete Steuer nicht einwilligen könnten, und zwar schon aus dem Grunde nicht, weil sie hiefür gar keine Instruktion von ihren Oberen hätten. Die Augsburger Deputirten, die in anbetracht der besonders grossen Opfer ihrer Stadt für die pro- testantische Sache wohl die meiste Ursache zu einer energischen Ver- wahrung gegen neue Auflagen hatten, rekapitulirten kurz die im Me- morial vorgebrachten Gründe und schlössen nach einer beredten Schil-

sollen, liegen infolge des leidigen Kriegswesens und der Beschädigungen durch Rauben und Plündern nunmehr grösstenteils darnieder, 8. Die Städte sind sonst auch mit mehr Lasten als andere Stände beladen, eis da sind kostbare Fortifika- t-ionsgebäude, starke Garnisonen und andere Hilfleistungen, z. B. bei Munitions-, Proviantlieferungeu u. s. w., zu geschweigen, was den Bürgern in den Städten mit Wachen, Fronen und anderen Personalbeschwerden täglich zuwächst.

•) Vergl. hiezu ausser dem Diarium H. U. Rehlingers Fol. 27—30 das •Schreiben der Augsburger Büüdestagsgesandten an den Rat von Augsburg vom 23. August 1633. Zu dem letzten, von Dr. Löffler gesprochenen Satz bemerkt H. U. Kehlinger in seinem Diarium: Jlieraus haben wir gemerkt, dass das städtische Kollegium den ersten Fürtrag nicht recht eingenommen; denn sie denselben dahin verstanden, dass die Dezimation in den Städten zwar auch iürgehen, aber darüber noch ein jeder Bürger, der keinen Feldbau hat, um Geld •augelegt werden soll.

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Johannes ]\I ü 1 1 e r,

deruno- der miseria splendida, in der sich ihre Vaterstadt z. Z. befinde, mit der bitteren Bemerkung^ dass man von Früchten undJWein den Zehnten o-eben könne, weil Gott dieselben habe wachsen lassen; von dem Geld aber, das infolge des gänzlichen Darniederliegens der Kom- nierzia von Tag zu Tag weniger werde, und das nicht so aus der Erde Avüchse wie die Frucht, könne man unmöglich einen Zehnten fordern. Solche flammende Proteste vermochten aber den zähen schwedi- schen Reichskanzler vou seinem einmal gefassten Plane, bei den Städten die Steuerschraube bei dieser Gelegenheit noch stärker anzuziehen, nicht abzubringen. Am 1. September liess er durch seinen Kaczler Dr. Löffler die städti&chen Abgeordneten darau erinnern, dass sie sich, über die au Stelle des Magazin-Zehnten von ihnen begehrte Anlage erklären oder, wo ja die lustruktioneu ihrer Herren noch mangelten, dieselben zur Billigkeit anweisen möchten. Als die städtischen Depu- tirten sich diesem Wink gegenüber absolut teilnahmslos verhielten, liess Oxenstierna in das Konzept des Bundestagsabschieds, das am 16. September im Städtekollegium verlesen wurde, kurzer Hand den Passus einsetzen, dass die Stände, die keine Landgüter besitzen, einen dem Zehnten entsprechenden Geldbeitrag an die Bundeskassa zu ent- richten hätten. Die städtischen Deputirten beschlossen, dieses Vor- , ü-ehen gegen ihre Prärogative sowohl bei dem Reichskanzler selbst wie bei den höheren Ständen zu ahnden, und überreichten zu diesem Zwecke dem fürstlichen Kollegium am 17. September ein Memorial, in welchem die Ausmerzung bezw. Änderung des betreffenden Passus im Abschied mit der Bemerkung gefordert wurde, dass die Städte im Weigerungsfalle den Abschied nicht unterschreiben würden. Auf diese Drohunsf hin liess Oxenstierna einen Ausschuss der städtischen De- putirten je einen Abgeordneten der fünf anwesenden Reichsstädte am 20. September zu sich entbieten und hielt demselben in Anwesen- heit des Consilium formatum, der beiden schwedischen Reichsräte und seines Sohnes Bernhard Folgendes vor^): Der gefährliche Zustand der Armeen sei ihnen sowohl aus seinem Ausschreiben und der Proposition wie auch sonst zur Genüge bekannt. Obwohl nun die unter der Sol- dateska entstandejieu Schwierigkeiten durch seine und des Bundesrats Bemühungen so weit Aviederum gestillt worden seien, so sei doch sehr zweifelhaft, ob das in die Länge so bleiben werde, wenn man nicht zu besseren Geldmitteln gelange. Nun hätten zwar die höheren Stände,

') Vergl. für die Unterredung Oxenstiernas mit den 5 stildtischea Depu- tirten Beilage Kkkkk des Rehling. Diariums : Was von I. Exzell, H. Reichskanzlern den 5 Herrn Deputirten von den Erb. Reichsstädten proponirt und darauf rcspondirt worden. 20. Sept. 1633.

KeichssläcUische Politik /.nv Zeit des Frankfurter Konvents etc. ')M)

die alle, mit Ausnahme des Herzogs von Württemberg und einiger Grafen, ganz erschöpft seien, boni publici causa den Zehnten bewillio-t, der die Städte, deren PJinkünfte zum wenigsten in Früchten und Wein, sondern in Gewerben und in der Kaufmannschaft bestünden, die immer noch nicht gauz zu Boden lägen, nicht treffe. Derohalben erachten es der Reichskanzler uud das Consilium formatum nicht für unbillio- (la«s Bürger und Inwohner derjenigen Handelsstädte, die keine Feld- güter haben, anstatt des Zehnten nach dem Verhältnis ihres Ver- mögens etwas au Geld zur Befriedigung der Soldateska herschiesseu sollten. Er wisse wohl, dass die Städte vordem schon viel für das gemeine Wesen getan und hiedurch ihren Ärar ziemlich erschöpft hätten. Wenn aber auch in den Stadtkassen selb.st seines Erachtens kein grosser Vorrat mehr vorhanden sei, so werde es wohl daran bei Privatleuten nicht mangeln und auch wohl noch viele willige Büro-er gefunden werden, wenn die städtischen Obrigkeiten sie recht dazu er- mahnen wollten.

Wenn die Städte sich jetzt nicht wieder als die autores salatis publicae, die sie schon einmal gewesen, bewährten, so wisse er und der Bundesrat nicht, wie das Defensionswerk fortgeführt werden könne; denn schon jet/.t stehe alles en balance. Würden die evangelischen Stände zu dem Werk nicht alles tun, was sie tun könnten, so möchte da.s Kriegsglück, das sie bisher mit mirakulosen Viktorien gesegnet, aber zur Zeit an einem Wendepunkt stehe, sich leicht auf die andere Seite schlagen. Was die Städte aut diesen Fall zu erwarten, das möchten die Abgeordneten derselben wohl erwägen. Des Feindes Absicht sei vornehmlich darauf gerichtet, sich der Städte zu bemächtigen und von da aus das Land zu bezwingen. Was für ein elender Jammer aber daraus für sie alle entstehen würde, wenn z. ß. Augsburg, das dem Feind der am Zeit nächsten gelegen, oder Nürnberg überstossen werden sollte, das gebe er den städtischen Deputirten zu bedenken. Möchten sie sich erinnern an das Schicksal Magdeburgs, von dem es nun heisse: Et steterant Thebae, jacet hie nunc altera Troja, und möchten sie auch dessen eingedenk sein, dass, wenn man dem Freund zu seiner Erhaltung nicht etwas iu der Güte geben wolle, man hernach dem Feinde alles geben und sich gar ruiniren lassen müsse.

Jetzt sei der Zeitpunkt für die Reichsstädte, dem gemeinen Wesen zu helfen, weil, wie angeregt, alles en balance stehe. Daher »ei des Reichskanzlers Gesinnen, die städtischen Abgeordneten möchten sich in pto decimationis besser, als bisher geschehen, resolviren und es zum wenigsten dahin richten, dass die vermögenderen Bürger der Städte eifrig daran erinnert würden, sich diesfalls anzugreifen und zur Be-

Mittheilmigen XXIV. 17

250 Johannes Müller.

förderung der gemeinen und ihrer eigenen Wohlfahrt „alle Möglich- keit mit Gelddarschiessung" zu leisten. Er zweifle nicht, dass, wenn dergleichen. Kekommendation seitens der städtischen Obrigkeiten ge- schehe, dieselbe ohne gute Wirkung nicht ablaufen werde. Die Herrn Abgeordneten möchten, sein Zusprechen au sie aber nicht dahin auf- nehmen, als ob er den Städten das Geld aus dem Beutel reden wolle, es geschehe dieses seinerseits nur aus äusserster Not, weil eben sonst kein anderes Mittel, die Armeen zu erhalten, dieser Zeit vorhanden sei.

Die städtischen Abgeordneten brachten auf diese eindringlichen Vorstellungen des weitblickenden Leiters des evangelischen Bundes, der wahrlich mit gutem Grund von sich sagen konnte, „dass er rathen und helfen wolle, was immer möglich, keinen Fleiss, Mühe, noch Soro-falt sparen, selbst mitreiten und fahren und dabei alles, auch das Leben zusetzen wolle", dieselben Einwände vor, die sie schon in ihrem Memorial vom 22. August angezogen hatten; sie erklärten uämlich. dass, wie dem Direktor und dem Rat des Bundes bewusst sei, die Städte zur Erhaltung des gemeinen Wesens und der wahren christ- lichen E,elio"ion schon das Äusserste getan hätten, und dass sie auf das beschehene Begehreu als einen im Ausschreiben des Reichskanzlers nicht erwähnten Punkt von ihren Oberen nicht instruirt seien und ihnen deshalb eine Resolution darauf auch nicht gebühren wolle. Im übrio"en erboten sie sich, ihren Herren alles getreulich und ausführlich zu referireu und ihresteils daran zu sein, damit sich dieselben gegen den Reichskanzler ehestens erklären.

Oxenstierna erwiderte darauf, es sei im Ausschreiben ausdrücklich davon die Rede, das über die zur Ausführung des Defeusiouswerkes nötigen Mittel beschlossen werden solle, und dass die Ständeabge- sandttn deshalb mit Vollmacht erscheinen sollen. Da die Deputirten sonst in genere alle Notdurft zu beratschlagen und zu beschliessen instruirt und bevollmächtigt seien, so sollten sie doch auch in dieser wichtigen Sache die Verantwortung auf sich nehmen können und sicii nicht mit dergleichen Formalitäten, als ob es an Instruktion mangelte, entschuldigen. Sie sollten vielmehr die Billigkeit des getanen Be- gehrens und die aus einer Ablehnunfj desselben entstehenden Gefahren erme-sen. Wenn eine Stadt angegriffen werden sollte, würde man Sukkurs! Sukkurs! schreien, solchen aber trotz des besten Willens des Bundesoherhauptes schwerlich erhalten können, wenn die' Soldaten zuvor nicht durch die Bezahlung befriedigt worden seien. Der Mangel an Geldmitteln sei in diesem Jahre die einzige Ursache davon ge- wesen, dass man den Sommer über an der Donau habe still liegen müssen und nicht mehr habe ausrichten können. In solchen Fällen,

Keiclisstädtifche Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 251

da es sich um die Libertät und die Keligion handle, dürfe man nicht darauf sehen, ob vielleicht ein anderer Stand wenig oder nichts tue, sondern allein bei sich selbst überlegen, was mau etwa noch tun könne, um sowohl sich selbst als auch die andern aufrecht zu erhalteu. Am Schlüsse seiner Keplik gab der Kelch skanzler im Vertrauen den städtischen Deputirten auch noch das zu bedenken, dass man sich, falls man die Armee nicht besser in acht nehmen wollte, von Frank- reich nicht das Beste zu versehen habe. Nach all dem bitte er, das Begehren der absonderlichen Dezimation in den Städten weiter nicht zu erschweren.

Von städtischer Seite wurde gegen diese zwingenden Deduktionen Oxenstiernas zunächst wiederum der formale Einwand erhoben, dass von einer besonderen Kontribution, die über die zu Heidelberg be- schlossene Dezimation hinausgehe, in dem Ausschreiben des Reichs- kanzlers nichts erwähnt sei, und dass die Stadtmagistrate ihre Abge- sandten auf dergleichen ganz unvorhergesehene Mittel deshalb auch nicht hätten instruiren können. Doch abgesehen von diesem mehr formalen Standpunkt, von dem die Sache angesehen werden könne, müssteu ihre Herren wegen der grossen Beschwerden, die die Städte bisher schon zu tragen gehabt, auch auf die Erhaltung der Ruhe unter den Bürgern sehen, die durch dergleichen aussergewöhnliche Kontri- liutiouen leicht erschüttert werden könnte i). Nachdem die städtischen Deputirten nochmals darauf hingewiesen, dass die Reichsstädte sich weit über die Schuldigkeit angegriffen, indem etliche derselben die sechs zwülffachen Römermonate nicht nur einmal, sondern wohl doppelt gegeben, während von den anderen Ständen manche bisher keinen Batzen in die Bundeskasse geliefert hätten-), erboten sie sich noch- mals, ihren Herren alles, insbesondere die ansehnlichen Remonstra- tionen des Reichskanzlers, getreulich zu referiren; dieselben würden sich verhoffentlich so erklären, dass man ihre Opferwilligkeit für das

') Dieses Arg-niiient war jedenfalls von Nürnberg auf die Bahn gebraclit worden; denn die Nürnberger Abgesandten hatten schon in der Städteratsitzung vom 23. August darauf hingewiesen, ,dass, wenn man's ihrer Bürgerschaft so grob machen wollte, eine solche Auflage unter derselben wohl ^'chwierig- keiten und Aufstände erwecken dürfte«.

2) Nach den von den Legstädten Frankfurt und Ulm an den Konvent er- statteten Kassabilanzen (Beilagen Ppppp' und Ppppp-) waren es besonders die Markgrafen von Brandenburg und Baden, sodann der Landgraf von Hessen und der Pfalzgraf von Zweibrücken, ausserdem verschiedene Grafen, wie die von Solms-Greifenstein, Löwenstein etc., die im Zahlen so ausserordentlich säumig waren. Von den von Schweden okkupirten Gebieten war auch nicht ein Heller «ingekommen.

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952 Johannes M ü 1 1 e r.

geineiue Weseu noch ferner zu spüren haben solle. Der Reichskanzler bemerkte, gegenüber dem Seitenhieb der städtischen Deputirten auf die Saumseligkeit mehrer konföderirter Stände im Zahlen, dass jetzt keine Zeit zu klagen darüber sei, was der eine mehr als der andere für das Wohl des Ganzen getan, sondern dass die Not von jedem erfordere, getreu zu- sammenzuhalten und sein Möglichstes zu tun. Mit der Aufibrderuug an die fünf Städteabgesandten, ihre Referate an ihre Oberen auch recht „fa- vorabiliter" zu fasseu, und mit dem Appell an die vornehmen Städte selber, ihres hohen Berufes als autores salutis publicae eingedenk sein, da von ihrem Verhalten auch ferner salus et ruina des gemeinen Wesens abhängig sei, schloss Oxenstierna seine denkwürdige Unterredung mit den im Geldbewilligen zäheu Vertretern der fünf grossen süddeutschen Reichsstädte um Vormittag des 20. September.

Dass dieser kräftige Appell des Direktors des Heilbronner Bundes uu" die ganz besondere Opferwilligkeit seiner leistungsfähigsten Mitglieder eine andere Wirkung haben werde als die vorausgegangenen Anwürfe des Bundesrates, stand nach den in der letzten Sitzuug des Städtekollegiums (27. September) kundgegebenen Ansichten Strassburgs über diese An- ureleo'euheit kaum zu erwarten. Auf den Vorschlag Frankfurts in der er- wähnten Sitzung, sich über eine gemeinsame Antwort der Städte auf deru Vorhalt Oxenstiernas vom 20. September zu einigen, äusserte der V^er- treter Strassburgs, Dr. Schmidt, duss dies nicht notwendig sei. Diejenigen Städte, bei welchen der Zehnte wenig oder nichts ertrage, könnten sich bei dem Reichskanzler im besonderen damit entschuldigen, dass sie erstens auf die bisherigen Verdienste der Städte um die allgemeine Wohlfahrt und zugleich auf die trotz aller Bundesbeschlüsse fortgesetzten Be- schwerungen der städtischen Gemeinwesen hinwiesen i). Im übrigen sollten die Städte, so lautete der weitere, sehr bezeichnende Ratschlag Dr. Schmidts für die hier in Frage kommenden Bundesmitglieder, auch daran erinnern, dass sie zu , ihrer selbst eigenen Kouservatiou sich nicht gar entblösseu und von allen Kräften bringen lassen dürften*'.. Der Vertreter Strassburgs fand schon den Passus des Abschiedes, dass die städtischen Obrigkeiten ihren Bürgerschaften das neue Kontribu- tiouswerk besteus empfehlen sollten, recht bedenklich, da eine solche Zumutung ganz wider das Herkommen sei, die vom Reichskanzler bei-

') Gegen Ende der Tagfahit reichten die Städte eine zehn Punkte berüh- rende Beschwerdeschrift (Beilage Ooooo') ein, in der sie sich ausser über die Ausschreitungen der Soldateska, die Aufdrängung von Extraordinary-Garnisonen, die Entziehung geistlicher Güter, die Aufrichtung neuer Zölle und Konvoygelder, besonders darüber beklagten, dass ihnen die für Proviant, Munition u. s. w. vor- geschossenen Gelder nicht an den Buudeskontributionen defalzirt und die von Gustav Adolf s. Zeit versprochenen Donationen nicht ausgehändigt würden.

Keichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etr.

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o-ebrachten Gründe sich nicht öffentlich diskutiren liessen, oder, wenn •dies ja geschehe, die Bürgerschaften hiedurch zu Schwierigkeiten und Ungeduld gereizt würden. Dr. Schmidt schloss seine von den übrigen städtischen Deputirten durchaus zustimmend aufgenommenen Ausführungen mit den Worten : Nunmehr müsse ein jeder reden, wie es ihm ums Herz sei, und die Feder also gebrauchen, dass nichts ver- säumt werde, damit auf das wenigste ins künftig nicht mehr so stark in die Städte gesetzt werde".

Gemäss dieser engherzigen Auffassung Strassburgs, die von den weitschauenden staatsmäunischeu Erwägungen eines Oxenstierna him- melweit entfernt war, fielen denn auch die Voten der grossen Stadt- republiken Süddeutschlands über den Kompensationsantrag des Frank- furter Bundesrates aus. Der Rat von Augsburg erklärte bereits am 18. Oktober auf den von seinen Bundestagsgesandten in der Angele- genheit erstatteten Vortrag, dass eine solche Geldkompensation des Zehnten seitens Augsburgs wegen des elenden Zustandes der Stadt

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und der Bürgerschaft ganz uumöglich sei'). Und so wie seitens Augs- burgs, dessen Regiment von damals gewiss nicht der Kurzsichtigkeit und städtischen luteressenpolitik geziehen werden konnte, lauteten selhstverstäudlich auch die Bescheide der übrigen in Frage kommenden Reichsstädte.

Was war aber die Folge dieser trotz aller Anerkennung des Opfer- sinnes, der von der Mehrzahl der evaugelischen Reichsstädte Süd- deutschlands betätigt wurde, im Grunde genommen doch kurzsichtigen Politik? Genau das, was der staatskluge Schwede den in den klein- lichen Verhältnissen ihrer Gemeinwesen gleichsam erstickenden Ver- tretern der fünf grossen Reichsstädte am 20. September 1633 in Frankfurt vorausgesagt hatte, nämlich Aussaugung wenigstens der schwäbischen und fränkischen Reichsstädte nach der unglücklichen Schlacht bei Nördlingen am 6. September 1634 durch die kaiserlich- ligistische Partei bis aufs Mark und bedingungsloser Anschluss der aus der Sturmflut des Jahres 1634 vor den Krallen des Jesuitismus sich rettenden evangelischen Stände Stiddeutschlands an das schon lange im Hintergrund lauernde Frankreich, das bei seinen politischen Massnahmen gegenüber Deutschland nur von selbstsüchtigen Motiven geleitet wurde. So wollte es aber allem Anschein nach das Geschick

1) Vergl. hiezu die Erklärung des Augsburger Magistrats von 18. Oktober 1633 auf den den städtischen Deputirten auf dem Konvent zu Frankfurt ge- machten Vortrag wegen einer Extraordinary-Anlag in Geld in compensationem deciraationis. (Extractus actorum die k. Schwedische Donation betreff, in ann. 1633 und 1634).

254 Johannes Müller.

Deutschlands, dass von den zwei grossen Ständegruppen, den Fürsten uebst dem Adel und dem städtischen Bürgertum, in der Verteidigung der Glaubens- und Gewissensfreiheit jede einmal den politischen Fehler beging, statt eigener höchster Kraftanstrengung sich der in selbst- süchtiger Absicht gebotenen Mittel des westlichen Nachbars zu bedienen und so dem gemeinsamen Vaterland entehrende Fesseln zu schmieden. Während so die Städte in einer Frage der inneren Politik einen unverbesserlichen politischen Fehler machten, wirkten ihre Anschauun- gen nach einer anderen Kichtung, bei der sog. Friedenstrakta- tion, dem 1. Punkt der Proposition, der aber von Oxenstierna wohl- weislich bis auf das Ende der Beratungen zurückgestellt wurde, mässigend auf die allzu weitgehenden Forderungen der anderen Stände ein^). In den grossen süddeutschen Keichsstädten, Avie in Augsburg, Nürnberg und Frankfurt a. x\I., wo seit einem Jahrhundert eine konfessionell

') Mit welchen übertriebenen Vorstellungen und Prätensionen ein Teil der Protestanten an die in Aussicht genommenen Friedensunterhandlungen heran- trat, das zeigt das von dem gräflichen Kollegium der Konföderirten zu Frankfurt aufgestellte Friedensprogramm, das in 25 Artikeln folgende, z. Teil ganz exor- bitante Forderungen enthielt :

1. Gewährung einer Generalamnestie, 2. Einverleibung der Friedenkondi- tionen in die Wahlkapitulation, 3. Kassirung des Restitutionsedikts, 4. Aus- legung des Religionsfriedens durch die gesamten Reichsstände und Aufhebung der geistlichen Jurisdiktion in den evangelischen Gebieten, 5. Aufhebung des geistlichen Vorbehalts, 6. Freilassung des Exerzitiums der evangelischen Religion in den papistischen Reichsstädten, 7. Konfiszirung des lästerlichen Buches : Compositio pacis, 8. Ausschaffung der Jesuiten und Kapuziner aus dem Reich, 9. Aufhebung der potestas disponendi Archiepiscorum des Papstes und Auswei- sung der päpstlichen Nuntien aus dem Reich, 10. Verzicht der Geistlichen auf alle okkupirten Güter, 11. Bestätigung der von Schweden an die evangelischen Reichsstände verliehenen Donationen, 12. Aufhebung aller Gravamina publica,

13. Restituirung aller den Evangelischen widerrechtlich abgenommenen Güter,

14. Ersetzung des den Evangelischen während des Krieges zugefügten Schadens,

15. Aufhebung der Dominia directa der Ligisten in den evangelischen Gütern,

16. Sperrung des Zugangs zu den Consilia publica für die Geistlichen exclus. der Kurfürsten und Fürsten, 17. Restringirung der Jurisdiktion des kais. Hoi- gerichtes, 18. Besetzung des Kammergerichts mit weltlichen Fürsten und Grafen, 19. Paritätische Besetzung der Richterstellen an den beiden höchsten Gerichts- höfen des Reiches, 20. desgl. der Kammergerichtskanzlerstellen, 21. Wiederein- führung der Revisionen der Kammergerichtsurteile, 22. Restituirung der von Speyer removierten evangelischen Kammergerichtsassessoren, 23. Mitteilung der Friedensbedingungen an Sachsen, 24. Verpflichtung der Kammergerichts- und Hofgerichtsbeisitzer auf alle oben angeführten Bedingungen, 23. Genugsame Assekuration des Friedens seitens der Gegner. Das waren z. T, Forderungen, von denen jeder objektiv Denkende sich von vornherein sagen musste, dass sie für die Katholiken unanhnembar waren.

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 255"

gemischte Bevölkerung lebte, hatte mau sich infolge des im ganzen friedlichen Zusammenlebens von Angehörigen der beiden grossen Kon- fessionen einea etwas freieren religiösen Standpunkt gewahrt, als der Mehrzahl der deutschen Reichsstäude wie deren Untertanen damals eigen war. Die Folge davon war, dass besonders die Vertreter Augs- burgs und Nürnbergs, zum Teil, auch Frankfurts, bei den Frankfurter Verhandlungen über die Friedensbedingungen den Katholiken geo-en- über ein Entgegenkommen zeigten, das eine bessere Würdigung seitens der Gegner vei*dient hätte.

Der Reichskanzler hatte zur rascheren Förderung der Verhand- lungen über das Friedenswerk den Ständeabgesandten, abgesehen von der Hauptfrage, ob es unter den obwaltenden Umständen dem evan- gelischeu Wesen förderlich und nützlich sei, sich mit dem Feind in Friedeustraktationen einzulassen, zehn Fragen verlegen lassen, die in. Kürze etwa folgendermasseu lauteten: 1. Soll man sich der ange- botenen Friedensvermittler, der Könige von Dänemark, Gross- britannien und Frankreich, bedienen? 2. Welcher modus proce- dendi ist bei den Friedens Unterhandlungen einzuhalten? 3. Sollen die angegebenen Interponenten insgesamt oder nur einzelne derselben zu der Traktatiou zugezogen werden? 4. Ist es dem gemeinen Wesen nicht besser, sich gar keiner Friedens ver- mittler zu bedienen? 5. Auf welche Bedingungen ist der Friede zu stellen? 6. Soll dem Feind, falls er nicht selbst die Hand zum Frieden bietet, ein Friedensanerbieten gemacht werden ? 7. Sollten sich einzelne Glieder des Heilbrunner Bundes eventuell in irgend eine Partikularfriedenshandlung mit dem Feind einlassen? 8. Welche Gewalt ist dem Reichskanzler und dem Cönsilium formatum behufs der Eröffnung und Abhandlung der Friedenstraktate einzu- räumen? 9. Mit welchen Instruktionen für die Friedensunter- handlung ist der Reichskanzler zu versehen? 10. Sollen auch andere, ausserhalb des Heilb ronner Bundes stehende evauge- lische Stände von den in Frankfurt verglichenen Friedensbediu- gungen u. s. w, in Kenntnis gesetzt werden?

Bezüglich der Friedens vermittler urteilten die Ständeabgesandten, dass man dieselben, und zwar alle zusammen, mehr aus Not als um des Nutzens Avillen zu den Unterhandlungen zulasseu müsse; denn dann, würden dieselben, wie sich der Vertreter Strassburofs in der Sitzung vom 22. xiugust vernehmeu liess, einander Contrepart halten und ihre eigennützigen Absichten von selbst zurückgedämmt werden. Was die Friedensanerbietungeu von Seiten der evangelischen Stände und das Eingehen derselben auf gesonderte Friedensunterhandlungen betrifft^

25G Johannes Müller.

SO war mau der einstimmigen Ansicht, class weder das eine noch das anderen statt haben dürfe. Dagegen sollten die evangelischen Stände Xorddeutschlands, vor allem Sachsen und Knrbrandenburg, von dem in Frankfurt bezüglich des Friedens Werkes gefassten Beschlüssen ver- ständigt werden. Die heikelsten Punkte unter den zehn aufgeworfeneu Fragen enthielten jedoch die Fragen 5, 7 und 8, die innerlich insofern wieder zusammenhingen, als aus der Formulirung der Friedensbedin- gungen auch die Instrukton des Konvents für den Keichskanzler sich ergab. Da ist es nun seltsam zu beobachten, dass bei diesem ersten während des grossen Krieges gemachten Versuch, die zu Herstellung eines beständigen Friedens erforderlichen Bedingungen festzustellen, die Kontraheuten der einen Partei vor der Grösse und immensen Wichtigkeit der zugewiesenan Aufgabe förmlich zurückschreckten. Sowohl die Vertreter der höheren Stände wie der Städte erklärten zunächst, .dass in so kurzer Zeit von den Friedensbedingungen nicht genugsam geredet und gahandelt werden könne, dass vielmehr die BeratuDg dieser höchst wichtigen Angelengenheit durch eine eigene Deputation erfahrener und der Sachen verständiger Personen vorge- nommen werden müsse". .

Auf das starke Drängen des Reichskanzlers verstanden sich jedoch am 25. August wenigstens die höheren Stände dazu, ihre Ansichten über die Friedensbedingungen zu formuliren und dem Bundesrat zu- zustellen. Die Städteabgesandten aber mussten noch am 1. September durch den Vicekanzler LöfFler eigens dazu ermahnt werden, ihr Gut- achten über die Friedensbedingungen sobald als möglich fertigzustellen und dem Reichskanzler als Material für die vielleicht schon in aller- nächster Zeit beginnenden Unterhandlungen mit dem Feind zu über- liefern. Nach Kenntnisnahme der von dem fürstlichen und dem gräf- lichen Kollegium bereits abgegebenen Bedenken verfasste sodann Dr. Schmidt von Strassburg ein Gutachten, das aber bei seiner Vei-lesung im städtischen Kollegium bezüglich eines wichtigen Punktes seitens der Vertreter Augsburgs, denen auch die Nürnberger und Frankfurter Abgeordneten beifielen, den stärksten Widerspruch fand. Der Ver- treter Strassburgs hatte nämlich in seinem Entwurf den Satz auf- gestellt, dass die Magistrate von Reichsgebieten mit ge- mischt konfessioneller Bevölkerung das unbedigte Dis- positionsrecht über ihre Untertanen ungleicher Religion hätten. Die Augsburger Abgeordneten machten dagegen geltend, dass eine solche Anschauung der Gewissensfreiheit zuwiderlaufe, dass die Ausschaffung andersgläubiger Untertanen aus einem Gebiet nicht aus dem Religionsfrieden hergeleitet werden könne. Ein Beweis für

Pieichsstatltisthe Politik zur Zeit des Frank furter Konvents etc.

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die Richtigkeit dieser Ansicht sei, abgesehen von der bisherigen Ge- pflogenheit der evangelischen Stände, auch die von den höheren Stän- den in ihren Gutachten erhobene Forderung, dass die Exulanten allent- halten restituirt werden sollten, eine Forderung, die doch nur dann eineu Sinn habe, wenn die Auswanderung andersgläubiger Untertanen nicht necessaria, sondern libera sei. Dem Antrag Augsburgs gemäss wurde das Schmidtsche Konzept in dem betreffenden Passus dahin geändert, dass die emigratio nicht der Disposition der Magistrate unter- worfen, sondern in das freie Ermessen der Untertanen gestellt werde.

Wie in der Behandlung der Gewissensfreiheit, so haben die grossen Reichsstädte Schwabens und Frankens auch in anderen wichtigen Fragen mässigend auf die allzu hoch gespannten Forderungen der höheren Stände und zum Teil auch Strassburgs eingewirkt. In den ersten Gutachten der drei höheren Kollegien über die Friedeusbedingungen waren bezüglich der von den Protestanten während des Krieges er- oberten Gebiete und der in evangelischen Gebieten gelegenen mittel- baren Stifter frank und frei die Forderungen aufgestellt worden dass diese okkupirten Territorien nach dem Kriegsrecht samt und sonders im Besitz der Eroberer zu bleiben hätten, ferner, dass die Mediatklöster den evangelischen Obrigkeiten als freies Eigentum zufallen sollten. Der Reichskanzler liess den aus den Vorsitzenden der vier Kollegien bestehenden Ständeausschuss durch seine Kommissarien am 4. September auf das Bedenkliche dieser Forderungen aufmerksam machen, indem er darauf hinwies, dass dadurch nicht bloss der Kaiser und die Ligisten, sondern auch Frankreich und die norddeutschen Protestanten scheu gemacht und sich die Friedensverhandlungen gleich im Anfang zerschlagen möchten. Den Kern der ersten Forderung könne man immerhin den J'riedensbedingungen einverleiben, indem mau das Verlangen stelle, dass die Protestanten die von ihuen okku- pirten Gebiete solange innebehalten dürften, bis sie wegen ihrer er- littenen Schäden genügende Satisfaktion erhalten hätten.

Bei der am 5. September im Städtekollegium stattfindenden Be- ratung über diese von Oxenstierna geltend gemachten Bedenken waren die städtischen Deputirten zunächst der einhelligen Ansicht, dass die von den höheren Stünden erhobene Forderung, die in ev;iugelischen Territorien gelegenen mittelbaren Stifter den betreffenden Obrigkeiten ^Is freies Eigentum zuzuweisen, mit den Reichskonstitutionen nicht zu vereinbaren sei, dass solche Mediatklöster den Magistraten vielmehr bloss zur Administration und ihrer Fundation gemäss zur Verwendung für fromme Zwecke zu überlassen seien. Hin- sichtlich der Geltendmachung des Besitzrechtes der evangelischen

9?,g Johannes Müller.

Stände auf die vou ihnen eroberten Gebiete waren die Ansichten unter den städtischen Deputirten geteilt: der Vertreter Strassburgs verfocht die vou ihm schon zuvor geltend gemachte Meinung, dass die evan- gelischen Stände befugt seien, das Eroberte für sich zu behalten, so- wohl mit theoretischen Gründen, die vor allem Hugo Grotius „De iure belli et pacis" entnommen waren, als auch mit Zvveckmässigkeits- erwäo-uugen, indem er darauf hinwies, dass des Feindes Absicht, wie inännio-lich bekannt, ja auch strack darauf gerichtet sei, all das von. ihm Eroberte zu behaupten, und dass man etwaiger künftiger Über- meisterung durch die Papisten nur dadurch vorbeugen könne, dass mau denselben zu rechter Zeit die Schwingfedern ausziehe. Die Ver- treter Augsburgs, Nürnbergs und Frankfurts dagegen hielten dafür, dass, da der Friede „ein hochnötiges Werk sei, nach dem jedermann schreie, weine, seufze und winsle", mau sich nicht auf den Standpunkt des starreu Rechtes stellen dürfe, sondern die Unterhandlungen nach dem Grundsatz dato uno et retento altero führen müsse. Es sei, wenn die Protestanten bei einem etwaigen Friedensschluss alle von ihnen okkupirten Gebiete im günstigsten Falle innebehalten würden, auf keine lange Dauer eines solchen Friedens zu hoffen, da diejenigen weltlichen Stände, weche so von Land und Leuten kämen, nimmer- mehr sich beruhigen, sondern über kurz oder lang alle Mittel und Wege suchen würden, das Ihrige zu rekuperiren, und hiezu auch stets Gönner und Helfer finden würden i).

Das städtische Gutachten vom 13. September ging also nach dem Vorschlag Oxenstiernas dahin, dass man die okkupirten Gebiete so lange in Händen behalten möge, bis den Konföderirten „genügsame Erstattung aller aufgewendeter Kosten und erlittener Schäden be- schehen. Solcher Gestalt würde das Intent per indirectum erhalten^ sintemal der Kosten und Schäden so viel zu liquidiren, dass die okku- pirten Gebiete dazu nicht sufficient sein würden". In der dem Reichs- kanzler am 22. September erteilten Instruktion waren die drei hier angeführten wichtigen Punkte eines künftigen Friedensprogramms, die Ausdehnung des jus reformaudi in konfessionell gemischten Gebieten, die Verfügung über die mittelbaren Stifter in protestantischen Terri- torien und das Besitzrecht auf die von den Protestanten während des Krieges ^'roberten katholischen Orte und Landschaften nach den Inten- tionen der schwäbischen und tränkischen Reichsstädte, also in ver- söhnlicherem Sinne abgefasst. Wenn diese diplomatischen Erfolge des

') Vergl. ausser Rehlingers Diarium Beilage Yyy: Städtische Relation und Bedenken, was Sonntags den 4. Sept. 1633 des H. Reichskanzlers Exzell. per Deputates proponiren lassen. Dict. 13. Sept. 1633.

Reichs^■tiidtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents ete. 259

zur echt moderneu Toleranz hiuneiofenden städtischen Büro-ertums Schwabens und Frankens zunächst auch nur akademischen Wert be- sassen, so sind sie doch nicht niedrig anzuschlagen ; denn auf der von den Vertretern Augsburgs, Nürnbergs und Frankfurts während der Fraukfarter Konveutsverhandlungeu vorgezeichneteu Linie sollten sich die späteren erfolgreichen Friedensverhandlungen zu Münster und Osnabrück bewegen

Neben den Beratungen über die Aufbringung der zur Befriedigung der Soldateska nötigen Mittel und über das Mass des Entgegenkommens gegenüber dem Feind bei etwaigen Friedensunterhandlungeu bean- spruchten den grössten Zeitaufwand von den in Frankfurt i. J. 1633^ gepflogenen Unterhandlungen diejenigen mit der Krone Frankreich, die, wie in der Einleitung S. 240 bemerkt, beim Frankfurter Bundesrat durch einen eigenen Bevollmächtigten, den Herrn de la Grange aux Ormes, vertreten war, ihre nicht geringe Zahl von Anliegen bei dem Heilbronner Bund aber noch durch zwei besondere Gesandte, den Herrn von Varennes und den Marquis von Feuquieres, betreiben Hess. Zu den vier Anträgen Interpositions- und Bündnisanerbieten, Ab- stellung der Bedrückungen der katholischen Ordensgeistlichen in den Gebieten verschiedener konföderirter Stände und Einräumung Philipps- burgs war im Verlauf des Konvents noch ein fünfter Antrag Frank- reichs gekommen, nämlich ein Hilfs anerbieten gegen den Herzog Karl von Lothringen, dessen offene Feindseligkeiten gegen die Schweden und die deutschen Protestanten bisher nur darum ungestraft geblieben waren, weil man Frankreich, das den Lothringer durch den Vertrag von Liverdun vom Juni 1632 in seinem Schutz genommen, d. h. sich dienstbar gemacht hatte, um sich einen freien Eingang für seine Heere nach Deutschland zu verschaffen, nicht ver- letzen wollte.

Inzwischen war aber in dem Verhältnis Frankreichs zu Lothringen ein vollständiger Umschwung eingetreten. Der unruhvolle, die Fran- zosen wohl nicht minder als die Schweden Jiassende Herzog Karl hatte auf die Kunde von dem Heranrücken eines spanischen Heeres unter dem Kardinalinfanten Ferdinand aus Italien nach Südwestdeutschland den ihm durch den Vertrag von Liverdun aufgezwungenen Verkauf Clermonts an Frankreich für ungültig erklärt und die ihm durch den- selben Vertrag vorgeschriebene Huldigung für das Herzogtum Bar verweigert. Gleichzeitig damit hatte der Lothringer seine Truppen den konföderirten Truppen unter Cüristian von Birkenfeld, die damals Hagenau zu umschliessen begnonnen hatten, entgegengeschickt, um im Verein mit den Kaiserlichen die Schweden von der wichtigen.

260 Johannes Müller.

Elsässer Keiclisstadt wegzutreiben. Diese feindlichen Massnahmen des Herzogs von Lothringen bewogen einerseits Richelieu, demselben die Schutzherrnpflicht Frankreichs aufzukündigen, anderseits veran- la>sten sie Oxenstierna, dem unbequemen Grenznachbarn ein so hartes Ultimatam zu stellen, dass derselbe, ob er wollte oder nicht, seine zweideutige Haltung aufgeben musste. Genau einen Tage nach dem 10. August, da Oxenstierna den Ständeabgesandten in Frankfurt die Bundesratsproposition vortragen liess, war es zwischen den Konföde- rirten und den Lothringern zum ersten ofi'enen Zusammenstoss ge- kommen. Als nämlich Christian von Birkenfeld, eben von dem Ulti- matum Oxenstiernas verständigt, an dem genannten Tage vor Hagenau die Meldung erhalten hatte, dass die Lothringer in einer Stärke von 9000 Mann das hanauische Städtchen Pfaffenhofeu angegriffen hätten, war er denselben noch am 11. August von Hagenau her entgegen mar-' schirt und hatte sie trotz anlänglicher Niederlacje seiner Reiterei durch die lothringischen Kürassiere mit Hilfe seines tapfern Fussvolks gänz- lich auseinandergesprengt 1). Dieser Sieg der Kouföderirteu über den Herzog von Lothringen kam dem französischen Könige sehr gelegen; •denn schon hatte sich Ludwig XIÜ. selbst mit einem Heere aufge- macht, den Lothringer für seine vielfachen offenkundigen Treulosig- keiten durch Besitznahme seines ganzen Landes zu bestrafen. Jetzt, nach der Niederlage bei Pfaffenhofen, konnte die Unterwerfung des Ungehorsamen nur noch geringe Mühe kosten, besonders wenn es der französischen Regierung gelang, den Heilbronner Konföderirten die Hauptarbeit bei der weiteren Aktion zuzuweisen. Um dies zu •erreichen, hatte Herr de la Grange schon am 18. August im Auftrage seiner Regierung an Oxenstierna folgende zwei Anerbieten gemacht: 1. Frankreich verpflichtet sich mit 7000 Mann (GOOO Fussknechte, 1000 Reiter) die Alpenpässe gegen den von Italien heranziehenden Duca de Feria zu bewahren; dagegen sollen die Konföderirten Nancy "belagern, die Belagerung dieser Stadt ohne Zustimmung Ludwigs XIH. nicht aufheben und diese Stadt nach ihrer Einnahme gegen eine Entschädigung von 200.000 fl. an Frankreich überlassen.

2. Sollte dieser Vorschlag den Heilbronner Verbündeten nicht -annehmbar erscheinen, so erbietet sich Frankreich zu einem Heer von etwa 8 10.000 Konföderirten ein Hilfskorps von 4000 Mann stossen zu lassen. Das vereinigte französisch-deutsche Heer, unter schwedi- schem Kommando stehend, soll zunächst gegen die Spanier unter Feria, doch nicht gegen die damit eventuell konjungirten bayerischen Truppen,

•) Vergl. hiezu ausser Chemnitz II, 153 u. 293 Berthold, Gesch. des grossen <Jeutschen Krieges v. Tode Gustav Adolfs ab, I, 86 ets. etc.

Reich sstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. •>(3J

des weiteren in Lotlirmgen zur Belagerung Nancys verwendet werden. Doch hat Frankreich nach Ablauf von 3 4 Monaten für keinen weiteren Sold, höchstens für ein houorarium seiner Truppen Sorge zu trafen i). Im Städterat war die Mehrheit auf die Befürwortung Strassburgs hin anfänglich uicht wenig geneigt, auf einen der beiden Vorschläge, insbesondere auf den in erster Linie propouirten, einzugehen. Ulm und Frankfurt jedoch waren strikte gegen ein in solcher Form ange- botenes Bündnis, das den Konföderirten nichts anderes zumute, als- mitzuhelfen, dass Lothringen dem Keiche entfremdet werde. Die Ver- treter Ulms wiesen mit Nachdruck darauf hin, dass Frankreich, so Avie so schon längst im Besitz von Metz und Toul, mit der allenfallsigen Besitznahme der Festungen Phiiippsburg und Nancy seinem offeukuudioen Ziel, sich zum Meister in Deutschland zu machen, um ein gutes Stück näher rücke. Den Freundschaftsversicherungen Frankreichs sei über- haupt wenig zu trauen, da es doch stets nur das tue, was ihm. beliebe, auch mit Bayern, dem ärgsten Feind der Konföderirten, aufs- engste verbündet sei.

Im Sinne dieser von ebensoviel Klugheit als patriotischer Ge- sinnung zeugenden Ausführungen der Ulmer Abgesandten fiel denn auch das Gutachten der Stände vom 25. August au den Reichskanzler aus^). In diesem ständischen Bedenken wurden vor allem drei Gründe gegen den Abschluss eines Trutzbüuduisses mit Frankreich gegen Lothringen ins Feld geführt; erstens: die Konföderirten können ihr Kriegsvolk und Geschütz, das zur Belagerung eines so starken Platzes wie Nancy nötig wäre, auf anderen Kriegsschauplätzen mit viel mehr Nutzen verwenden; zweiteiis: die von Frankreich in Aussicht gestellte Volks- und Geldhilfe würde, Aveil „etwas gering, wohl auch zweifeu- licheu effects sein", um so mehr, als der Feind stets die Kriegslist gebrauchen könnte, seine Truppen für bayerisch auszugeben; drittens: falls Nancy wirklich erobert werden sollte, so würde als Entschädio-uuo- für die dabei aufgewendeten Unkosten die Summe von 200-000 fl. doch ein zu geringes Stück Geld sein. Auf Grund dieser Erwägungen erklärten die Abgesandten der Stände, dass an ein Bündnis zwischen den Konföderirten und Frankreich gegen Lothringen recht behutsam heranzugehen sei. Der Keichskanzler sollte sich, bevor er sich tiefer in der Sache mit Frankreich einlasse, bei dem französischen Gesandten zunächst darnach erkundigen, wie weit derselbe von seiner Kegierung

0 Vergl. hiezu lleilage Dd des Rehlingerscheii Diariums: Anhang vom 3. Punkt, Lothringen betreffend.

-) Vergl. die Beilage Dd (Anhang zum 3. Propositionspunkt, Loihringisclt Wesen).

262 Johannes Müller.

bezüglich des den Konföderirten zu stellenden Hilfskorps bevollmäch- tigt sei. Daraus werde man dann erkennen, ob man sich von Frank- reich entweder direkter sicherer Hilfe oder indirekter Unterstützung durch eine Diversion gegen Lothringen zu getrosten habe.

Das sogenannte Hilfsanerbieten Frankreichs gegen Lothringen, das eigentlich nichts anderes war als ein ziemlich plumper Versuch, den Heilbrouner Verbündeten für Frankreich die Kastanien aus dem Feuer holen zu lassen, war damit abgetan. Schon wenige Tage nach diesem Misserfolg sollte der geriebenen französischen Diplomatie von den schwerfälligen Deutschen eine zweite nicht minder empfindliche Zurück- weisung zu teil werden. Es ist in der Einleituno- erwähnt worden, dass der französische Bevollmächtigte beim Frankfurter Bundesrat in seiner Generalproposition au die Heilbronner Konföderirten im Namen seines Herrn die ernste Mahnung gerichtet hatte, von den in mehreren Keichsstädten voi'genommenen Bedrückung-en der katholischen Geistlichkeit abzustehen, um sowohl des Königs Ludwig XIIL und des Kardinals Richelieu Eifer für die Wohlfahrt des Heilbronner Bundes zu erhalten als auch den Auschein zu vermeiden, als ob sie die Frei- heit der katholischen Religion unterdrücken wollten. Obwohl nun Herrn de la Orange im Gespräch mit einzelnen Ständen Hoffnung auf Abhilfe des geklagten IJbelstandes gemacht worden war, war doch von Richelieu Ende August zur Betreibung der Angelegenheit noch ein eigener Gesandter in der Person des Herrn von Varennes nach Frankfurt geschickt worden, der denn am 27. August seine Werbung an den Frankfurter Konvent vorbrachte i). Nach Aufzählung der Städte, nämlich Mainz, Spe3'er, Frankfurt, Augsburg und Hameln, aus welchen die katholischen Ordensgeistlicheu (Jesuiten aus Mainz, Ka- puziner aus Speier und Frankfurt, sämtliche Ordensgeistliche aus Augsburg und Hameln) vertrieben worden waren, forderte Varennes die Restitution der Exulanten und die künftige Hintanhaltung solcher Austreibungen, wenn dieselben auf nichts anderes als auf Vergehen einzelner Ordensgeistlicher zurückgeführt werden könnten. Gestützt wurden diese Forderungen erstens damit, dass die Konföderirten schon aus Respekt gegen den König von Frankreich, der ihnen zur Wieder- erlangung ihrer Freiheit schon so grosse Assistenz geleistet, ihre Er- füllung nicht verweigern könnten. Es liefen aber zweitens solche Anordnungen stracks der zwischen Frankreich und Schweden errich- teten Allianz zuwider, kraft welcher in den von den Schweden und den Verbündeten eingfeuommenen Orten die katholische Reliafion un-

1) Siehe Beilage Nv, 3 des Rehl. Diariums (Vortrag des Herrn von Varen- nes v. 27. August 1633).

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 26o

Terändert bleiben und ihre Geistlichen weder an Leib noch an Gut geschädigt werden dürften. Drittens müssten sie sich die Wahrheit vor Augen stellen, dass sie durch Entfesselung eines Keligionskrieges Feinde über Feinde über sich ziehen, ja ihre eigenen Freunde sich zu Feinden machen würden.

Nachdem der Bundestag der Konföderirten in aller Eile von den Obrigkeiten der in Yarennes' Klageschrift angeführten Orte nähere Information eingezogen hatte, erteilte er am 30- August dem franzö- sischen Spezialgesandten folgende Antwort: „Die Stände versichern I. K. Mt.. dass ihnen niemals in den Sinn gekommen, jemand und insonderheit die römisch-katholischen Geistlichen wider die Reichs- freiheiten und Fundameutalgesetze im geringsten zu beschweren oder, wie S. K Mt. vorgekommen sein mag, die Katholischen zu exstirpiren und einen Pieligionskrieg anzufangen, inmasseu sich denn in dem Werk selbst befindet, da.^s den Katholiken in den in specie angeführten Orten, nämlich Frankfurt, Mainz, Augsburg, Speyer, das Exerzitium ihrer Religion funangesehen, was man sonst berichtigt) nicht gesperrt oder gehindert, sondern frei offen gelassen und sie darin uicht^'turbirt worden.

Es haben auch anwesende Stände und Gesandte nicht unterlassen, der von dem Kgl. Herrn Abgesandten angezogenen Spezialfälle wegen! so viel bescheheu köunen, Information einzuziehen i). Was nun^dic Magistrate von Frankfurt und Augsburg wegen der katholischen Ordensgeistlichen, sodann Kurpfalz wegen der Kapuziner zu Speyer darauf für Bericht gegeben, das hat der Herr Kgl. Abgesandte aus den Beilagen AaS, Aa* und Aa^ zu sehen. Daraus dann S. K. M^. unsclnver vernehmen könne, dass es in einem und dem andern weit anders, als es S. K. M*. mag vorgel)racht worden sein, im Grund der Wahrheit beschaffen und die der Orten ausgezogene Ordensleut ein solches niemand als ihnen selbst zuzuschreiben. Und zweifeln die Stand und Gesandten nicht, der K. Herr Abgesandte werde, aus was Ursachen die Jesuiten in Maiuz nicht länger verbleiben können, von dem Herrn Reichskanzler selbst berichtet worden sein.

Die Stände sind nicht weniger als der Herr Reichskanzler seibat geneigt, die Kömisch -Katholischen wider die Gebühr, wo sie sich allein zu schuldigem Gehorsam verstehen, das juramentum fidelitatis leisten,

') bezüglich Hamelns heisst es im Text der Antwort (Beilage Aa^ des Reh- lingerschen Diariums) an einer späteren Stelle: Hameln betr. hat wegen Ent- legenheit des Orts und anderer Inkommodidäten so eilend die Information nicht können gründlich eingezogen werden, wird aber sonder Zweifel des Orts -leiche Bewandtnis haben. °

264 Johannes Mülle r.

getreu verbleiben uud wider die Konföderirten uud L K. M^ selbst hochrühmliche Intention mit dem Gegenteil keine gefährlichen Prak- tiken und Korrespondenzen anstellen wollen, nicht zu beschweren, sondern vielmehr auch I. K. M*. hoher Interposition so viel möglich geniessen zu lassen. Daneben ist hingegen zu S, K. M*. der an- wesenden Stände uud Gesandten bestes Vertrauen gerichtet, sie werden auch inskünftig, wo bei derselben irgend was wider die Konföderirten angebracht wird, demselben nicht völlig Glauben zumesseu, sondern die Konföderirten ebenmässig darüber zu vernehmen geneigt sein".

Das war eine zwar höfliche, aber dabei doch entschiedene und würdevolle Zurückweisung der französischen Gelüste, sich in die Innern Angelegenheiten der deutschen Keichsstädte einzumischen. Etwas ge- pfefferter mochte den Herren an der Seine dies kräftige Deutsch wohl dann vorkommen, wenn sie die von den einzelnen Städten ein- geschickten Spezialberiehte über die AusschafFung ihrer Ordensgeist- lichen sich genauer ansahen. Als ein Beispiel einer zwar kurzen, aber dabei doch das Wesentliche scharf zusammenfassenden Berichterstattung über die Tätigkeit der damaligen katholischen Orden in Reichsstädten mit konfessionell gemischter Bevölkerung mag hier der Bericht des Frankfurter Magistrates vom 9. August 1G33 in extenso Platz finden i): „Es hat die Klerisei zu Frankfurt über die hundert Jahre, ungeachtet sehr wenig Bürger der römisch-katholischen Religion zugetan gewesen, die meisten geistlichen Einkommen behalten, von denselben zur Unter- haltung der evangelischen Kirchen und Schulen nichts folgen lassen, sondern solche guteuteils unnützer Weise in ärgerlichem Leben ver- schwendet, den Magistrat, sonderlich in den nächsten Jahren, wenig oder gar nicht respektirt, sich den Spanischen uud anderen widrigen Parteien zu der Stadt Ruin uud Unterdrückung sehr anhängig gemacht, zu der Liga ohne Wissen und Willen des Magistrats kontribuirt, hingegen ZU der Stadt Defension uud Fortifikatiou nichts getan und sich zu des Königs von Sclnvedeu höohstsel. Andenkens Devotion gleich den Bür- gern und Einwohnern im geringsten nicht akkommodirt.

Aus diesen und anderen Ursachen ist der Magistrat bewogen worden, sich vor ihren gefährlichen Korrespondenzen und anderen

1) Vergl. Beilage Aaa'' des Rehling. Diariums : Kurzer Bericht Avegeii fürgenommener Änderung mit den Rom. : Catholischen Geistlichen alhie, dem französischen Ambassadeur M'" de la Gmnge den 9. August (?) ann. 1633 über- gelien. Dieser Bericht, vom Frankfurter Rat zuei'st in unverhältnismässig grosser Breite gegeben, war auf den Rat üxenstiernas auf die wesentlichsten Punkte eingeschräi entkleidet worden.

Reichsstädtische Politik ziu- Zeit des Frankfurter Konvents etc. 265

Praktiken mehreres zu versichern und zu solchem Ende ein sonderbar Jurament von ihnen zu fordern und zu nehmen. Und demnach die evangelischen Ministeria und Schulen bisher aus dem Ärario und Al- mosen unterhalten werden müssen, das Ararium und Almoseukasten jetzt allerdings erschöpft, so hat der Rat sich um so viel mehr befugt erachtet, nach den Mitteln zu trachten, die ihm de jure magistratus kompetiren und die Reich skonstitutiones selber zulassen und also zu berührter Unterhaltung von den geistlichen Einkommen auch etwas zu ziehen und zu solchem Effekt die Administration derselben Güter und Gefälle an sich zu nehmen, gleichwohl den Stiftern und Kloster- personen ihren notwendigen Unterhalt daraus auch zu verschaffen".

Nach einer kurzen Begründung des Rechtes des Magistrats, die schon früher einmal den Protestanten eingeräumten Kirchen zu St. Bar- tholomae und zu Unserer Frauen wiederum zu den Esercitium der Lutherischen Religion zu benützen, fährt der Frankfurter Bericht fort: -Hingegen sind der Römisch-katholischen weniger Bürgerschaft die Kirchen des Stifts St. Leonhard und des fürnehmsten Klosters „Zum Prediger" gelassen.

Des Karmeliterklosters, welche ohne das ganz arm und etliche Jahr über mit fast unziemlichen Einkommen aus verliehenen Kellern und Gemachen die Klosterpersonen sich hingebracht, ist man zu einem Hospital oder evangelischen Schule gar hoch bedürftig, und hat man sonsten starke Ursachen gehabt, die Klosterpersonen ab- zuschaffen, weil sie gemeiniglich ein sehr böses Leben geführt, gestalt denn der ausgeschaffte Prior mit seiner Schwester iucestum begangen und der Sodomiterei nicht wenig verdächtig, und also unschwer zu erachten, wie die übrigen Brüder beschaffen. Überdies haben sie, Prior und Mönche, verdächtige Personen jederweilen geherbergt, Waffen und Munition im Kloster heimlich aufbewahrt uud nicht allein für sich gefährliche Neuerungen bei kurzer Zeit her angefangen, sondern auch andere von der Klerisei und Bürgerschaft zu sich gezogen, bei deren Koutinuation gar leicht ein Aufstand, wie in gleichen Fällen anderer Orten beschehen, auch dies Orts hätte erfolgen mögen, zu geschweigen, dass diese Mönche ganz hinterwertlich einen E. Rat bei der Kais. M*. mit Ungrund übel angetragen. So hat nun der Rat diese Ordenspersonen mit etlichen 100 Talern, so noch bei Händen gewesen, an einem Morgen früh abgefertigt und zu Wasser bis nach Köln führen lassen, dessen sie sich dann gegen des Rats Deputirte gut- und freundlich bedankt haben.

Dass die Kapuziner abgeschafft worden, wird sich niemand ver- wundern, denn wissend, dass sie ihre Intrusion per sub- et obreptioues

Mitthcilimfcii XXIV. 18

9ßß Johannes Müller.

erprakticirt und unwissend, auch unbegrüsst des Kats in den Antbreiter- Hof durch die Mainzischen Subdelegirten introduzirt, dagegen auch in contiuenti durch den Rat mit gebührender Bescheidenheit beim kaiser- lichen Hof protestirt wordeu. Daher hat man gar keine ürsach, sie in der Stadt zugeduldeu, zumal weil sie sich in ihren Predigten sehr spanisch und hitzig erzeigt, sich z. B. nicht gescheut, als die Holländer vor diesem die spanische Flotte bekommen, dieselben auf offener Kanzel Diebe und Räuber zu schelten, auch den Magistrat und die Bürgerschaft zu Frankfurt selber nicht viel besser zu intituliren.

Und gleichwie sie unversehens eingeschleift worden, also hat man sie auch wieder unversehens ausgeschafft, gestalt sie dann eben zu dem Ende und zwar auf ihr Begehren selber bis ans Wasser von Soldaten begleitet und nach Mainz geführt, auch ihnen mitgelassen worden, was sie mitnehmen wollen".

Die Erklärung, die Herrn de Varennes am 30. August schriftlich zugestellt worden war, wurde neben den anderen drei Entscheidungen über die noch schwebenden Fragen in der Hauptsache *) auch dem Generalbevollmächtigten Frankreichs beim Frankfurter Bundesrat Herrn de la Orange, in feierlicher Audienz am 7. September übergeben. In der sich daran schliessenden Besprechung gab der französische Gesandte zunächst seinen Unwillen über das Verhalten der Stadt Frankfurt lebhaften Ausdruck; er beschuldigte den Rat derselben ge- radezu der Ungerechtigkeit (!), da er einen nach seinen Angaben der Blutschande und Sodomiterei Schuldigen am Leben gelassen und nicht gebührend abgestraft habe. Im übrigen solle man, was einer pecciere, nicht einem ganzen Orden entgelten lassen. Könnte Frankfurt aber auch die Karmeliter wegen der vorgekommenen sittlichen Vergehen nicht mehr aufnehmen, so doch die Kapuziner, die die Stadt schon dem König Ludwig XIII. und Pater Josef zu Gefallen wieder in ihre Mauern lassen sollte. Er wolle dem Rat, damit eine solche Wieder- aufnahme den ihm zustehenden Rechten uupräjudizirlich sei, einen Revers darüber ausstellen, dass sie in die Rückkehr der Kapuziner in die

») Der Passus in der H. de la Orange erteilten Resolution v. 7. September lautetete : »Anlangend die Verscbonung der römisch-katholischen Geistlichen hat es damit diese Gelegenheit, dass den konföderirten Ständen die Gedanken niemals berührt, dieselben wider die Gebühr in einigem Weg zu beschweren. Da auch gegen besseres Verhoffen ein und des anderen Orts irgendwas dergleichen vor- gegangen sein sollte, demselben solcher Gestalt zu remediren, dass man keines Teils mit rechtmässigem Fug sich zu beschweren Ursach haben soll, wie S. K. M'. von dero dieses Punktes halber insonderheit abgeordneten Herrn de Varennes mehrere Information bekommen werden*.

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Fiankfiuter Konvents etc. 267

Stadt nicht aus Schuldigkeit, sondern nur aus liespekt gegen seinen Herrn und König eingewilligt habe.

In gleich zudringlicher Weise wie Herr de la Orange bearbeitete am Abend desselben Tages Marquis de Feuquieres, der mit einer De- putation des Konvents wegen endgültiger Feststellung der Bündnis- artikel unterhandelte, die mit ihm verhandelnden Deputirten. Der Marquis bat die Herren, dass sie ihren Einfluss bei der Stadt Frank- furt doch zum wenigsten dahin geltend machen möchten, dass nur etliche der ausgesch äfften Kapuziner König Ludwig XIII. und Pater Josef zu Liebe wieder aufgenommen würden. Die Vertreter der hö- heren Stände Hessen sich durch dieses starke Drängen wirklich dazu bereden, Frankfurt den Kat zu geben, den Franzosen in der heiklen Frage irgend ein Zugeständnis zn macheu.

Ein solcher Rat hatte aber bei der Stimmung der Städte nur geringe Aussicht, angenommen und befolgt zu werden. Als Frankfurt am 8. September in dem St'idtekollegium die Umfrage stellte, was seinem Eate auf das von den beiden französischen Gesandten ge- vschehene Zumuten zu tun ratsam wäre, erklärten sich die Vertreter der vier Schwesterstädte einmütig dahin, dass Frankfurt um seiner Ehre und Reputation willen in dieser Sache keinen Schritt rückwärts gehen dürfe, auch auf die Gefahr hin, Frankreich aus einem Freund zum Feind der Kouföderirten zu machen. Denn, so begründeten die Vertreter Augsburgs ihr Votum, wenn der König von Frankreich die Wiederaufnahme der Kapuziner in Frankfurt auch für eine geringfügige Sache achte, so müsse mau ihm eben zu erkennen geben, dass es sich dabei um das Gewissen und um die Rechte der Stände handle^ und dass man in diesen wichtig-en Dingen weder von ihm noch einem grösseren Herrn sich etwas abhandeln lasse. Schliesslich einigte man sich auf den Vorschlag Strassburgs dahin, die peinvolle Lage Frank- furts in einem Memorial sowohl dem Reichskanzler als den höheren Ständen vorzustellen und beide um Assistenz gegen die Zumutungen des Gesandten Frankreichs anzurufen.

Einige Tage nach dieser ziemlich erregten Sitzung des Städte- kollegiums, am Abend des 11. September, wurde demselben eine von Herrn de la Grange verfasste Replik auf die Resolution der Kouföde- rirten vom 7. September zugestellt. Diese Schrift, die ausser der erst- «rhobenen Forderung, sämtliche ausgeschaflfte Geistlichen zu restituiren, vor allem die drohende Weissagung enthielt, dass den Konföderirten, <lie durch ihr in den fünf angeführten Städten beliebtes Vorgehen gegen die katholische Geistlichkeit dem Krieg wirklich den Stempel des Re- ligionskrieges aufdrückten, solche Prozeduren zum endlichen Untergang

18*

2ßg Johannes Müller.

^usschlaseu müssteu, wurde, als sie eben iui Städterat verlesen wor- den war, seltsamer Weise von M. de la Grange wieder zurückverlangt '). Ja, am folgenden Tag erzeigte sich der Gesandte gegenüber dem Frankfurter Deputirten Dr. Erasmus bei der Besprechung der Ange- legenheit so entgegenkommend, dass die Vermutung, Oxenstierna selbst habe inzwischen dem religiösen Übereifer des französischen Gesandten einen Dämpfer aufgesetzt, sich wohl als zutreffend erweisen dürfte. Nachdem M. de la Grange zunächst noch einmal, aber „gar höflich", gebeten, dass man den Kapuziuern doch wenigstens einen Ort vor den Toren Frankfurts einräumen möchte, erklärte derselbe, dass er die Rechte der Reichsstädte nie habe disputiren wollen, und dass auch sein Gebieter voUkomiuen von der Gesetzlichkeit der Massregeln Frank- furts und der anderu hier in Frage kommenden Städte überzeugt sei. Er und seine Regierung zweifelten nur, ob das von den Städten ein- 2e=chlasfene Verfahren gegen die katholischen Ordensgeistlichen zur Zeit opportun sei; es würde seinem Gebieter gewiss leid tun, wenn die Konföderirten durch solches unzeitiges Reformiren in Ungelegen- heiten kämen. Was er bisher erinnert, sei alles guter Meinung ge- schehen.

Die Hohlheit dieser Tiraden war zu durchsichtig, als dass sie einen in diplomatischen Geschäften einigermassen erfahrenen Manu, "vvie es jedeujalls Dr. Erasmus war, über die Absicht der französischen Re- gierung, nunmehr zur Retraite zu blasen, hätten täuschen können. Vielleicht im Gefühl der nicht allzugrossen Geschicklichkeit, die er bei seinen verdeckten Rückwärtsbewegungen bewiesen, griff der Gesandte zu guterletzt noch zu einer recht krassen Lüge, indem er dem Frank- furter Deputirten weiss machen wollte, dass andere Stände, sonderlich Augsburg, sich erboten hätten, die ausgetriebenen Geistlichen wieder einzunehmen, wenn sie das juramentura fidelitatis leisten Avürden. Auf jeden Fall möchten die Frankfurter, so schloss La Grange seine ge- schraubten Erklärungen, wenn sie ja auf ihrer Meinung beharren wollten, ehe sie eine Erklärung von sich geben, dieselbe dem Reichs- kanzler mitteilen. Das würde bei seinem Könige um so viel mehr Ansehen haben, l.

') Die Augsburger Abgesandten an den Hat ven Augsburg, 13. September : M'". de la Grange hat aberiualen ein memorial in p" religionis übei'geben, welches über alle massen scharf ist und nachdenkliche Erinnerungen in sich hält; darin ist die plenaria restitutio der zu Augsburg, Frankfurt, Mainz und Hameln ab- geschafften Pfaffen und Ordensleute praecise begehrt worden. Als er aber ver- nommen, dass solche von Ständen und Abgesandten übel aufgenommen wurde, hat er selbige wiederum abgefordert mit fürgeben, dass er was darin zu ändern hätte.

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 269

Trotz dieser nicht sehr ermunternden Erfahrungen richtete M, de la Grauge an die Bundesversammlung schliessHch doch noch das Ersuchen, die Stadt Frankfurt dahin zu vermögen, dass sie ihm wegen seiner für die ausgeschafften Kapuziner getanen Interzession eine förderliche Resolution widerfahren lassen wollte. Auf das hin reichte Frankfurt am 19. September bei den höhereu Ständen ein Memorial ein, worin die Gründe ausgeführt waren, um derentwillen der Fürbitte des fran- zösischen Gesandten nicht stattgegeben werden könnte^). Diesen Darlegungen war dann noch die Bitte angefügt, dass die Stände einen E. Rat von Frankfurt gegen den erwähnten Gesandten entschuldigen und ihn dieses Punktes halber begütigen und zur Ruhe weisen wollten.

Ob das letztere geschehen, ist aus den vorliegenden Akten nicht zu ersehen. Auf jedem Fall aber wurde die Stadt Frankfurt von Mons. de la Grange in der vorwürfigen Frage nicht mehr belästigt, und so endigte denn die von Richelieu bezw. dem Pater Josef in Szene gesetzte grosse Haupt- und Staatsaktion für ein so mächtiges Staats- wesen, wie es damals Frankreich gegenüber den Heilbrunner Verbün- deten war, auf eine recht klägliche Weise. Den Hauptanteil an diesem diplomatischen Sieg des Heilbrunner Bundes über das ihm in jeder

') Frankfurtisch Memorial an die anwesenden Hoch- und Wohllöblichen Stände und deren Abgesandte, 19. September (Beilage liiii des Rebling. Diariums): Der Rat von Frankfurt kann die Willfahrung des Ansinnens aus nachfolgenden Considerationibus nicht für tunlich, noch ratsam und verantwortlich befinden : 1. Der Rat würde sich dadurch primo gleichsam selber einer injustitia ver- dächtig machen oder beschuldigen. 2. Dem Rat würde es, da die Ausschaflfung allenthalben erschollen, sehr schimpflich sein und bei den Papisten ein grosses Frohlocken machen. 3. Die Bürgerschaft möchte es sehr ungleich vermerken, und die Kapuziner selber ausjagen, inmassen solche Intention schon bei dem jüngsten Auszug der Kapuziner zu vermerken gewesen. 4. Diese Besorgnis sei um so mehr zu hegen, da die Kapuziner wegen ihrer Scheinheiligkeit und Heuchelei gleich den Jesuiten bei dem gemeinen Mann sehr verhasst sind. 5. Die Wieder- einnahme der Kapuziner wäre nicht bloss den Reichsstädten, sondern auch den höheren Ständen präjudizirlich. 6. Der^Krone Frankreichs würde dadurch allzu- viel Recht eingeräumt und Gelüste nach weiteren Zugeständnisse auf religiösem Gebiet erweckt. 7. Die Wiedereinnahme würde den Kapuzinern entgegen dem früheren, feierlichen Protest des Rates gegen die Intrusion derselben eine legi- timum titulum in die Hand geben. 8. Der vom König von Frankreich angebotene Revers würde dem Rat von' Frankfurt gegen eine solche Inkonsequenz seiner selbst nichts nützen. 9. Sollten anfangs bloss 5 oder 6 Kapuziner hereinkommen, so würde es gewiss bei solcher Anzahl nicht bleiben. 10. Die Karmeliter, die wegen eines längeren Aufenthalts in der Stadt eigentlich mehr Recht hätten, würden ebenfalls wieder herein wollen. 11. Was vordem dem Kaiser, dem ordent- lichen Oberhaupt et legitimo principi, nicht concedirt werden können, das kann j etzt noch viel weniger in gratiam principis extcrni geschehen.

270

Johannes Müller.

Beziehung überlegene Frankreich hatte neben der klugen Zurück- haltung Oxenstiernas die feste Haltung der Stadt Frankfurt, die des Rückhaltes der vier übrigen grossen Reichsstädte Süddeutschlauds sich bewusst, sich weder durch die Drohungen Frankreichs noch durch die ängstlichen Erwägungen der höheren Stände aus der durch das Ge- wissen und die Rechtsnormen ihr klar vorgezeichneten Stellung her- austreiben liess. Ein Beweis dafür, dass auch kleine Staatswesen bei richtio-er Leitung gegenüber mächtigen Staaten ihre Prärogative zu wahren vermögen.

Die beiden übrigen Anliegen, die Frankreich bei den Heilbronner Verbündeten noch anzubringen hatte, waren der Bündnisantrag und das Vergangen nach Einräumung der Kurtrier sehen Festung Philippsburg. Der erste Antrag war ein Vermächtnis des Heilbronner Konvents, auf welchem sich dem schon damals voii Feuquieres betriebenen Beitritt der vier süddeutschen Kreise zu dem schwedisch-französischen Bündnis verschiedene Hindernisse, vor allem die Abneigung des Kanzlers, den Bundesgenossen in der Allianz die gleichen Rechte wie Schweden einzuräumen, und Bedenken der Kon- föderirten hinsichtlich des 6. und 7. Artikels (Aufrechthaltung der römisch-katholischen Kirche in ihren Eroberungen und Neutralität des Kurfürsten von Baiern), entgegengestellt hatten. Zu Heilbronn im April war Feuquieres, als er den Widerstand sowohl Oxenstiernas wie der süddeutschen Protestanten gegen das Büuduisprojekt bemerkte, von der weiteren Verfolgung desselben alsbald abgestanden ; in Frankfurt im September dagegen setzten sowohl M. de la Grauge wie Feuquieres alle Sesfel auf, um die vier oberen deutschen Kreise in das schwedisch- französische Bündnis hereinzulotsen. Das Werben und Drängen der beiden Gesandten nach Abschluss des Bündnisses erschien den städti- schen Deputirten so überaus heftig, dass diesselben auf die Vermutung kamen, es müsse etwas ganz Besonderes dahinter stecken i).

M. de la Grauge hatte in seiner am 14. August abgelegten Proposi- tion neben kaum mehr verfangenden allgemeinen Anpreisungen der fran- zösischen Bundesgenossenschaft, wie dem Hinweis auf den von Frank- reich jeder Zeit geübten Schutz der Freiheit seiner Nachbarn etc , vor allem zwei Lockmittel ausgeworfen zum Fange der guten Deutschen, auf deren unerschütterliche Treue, wie Feuquieres später bemerkte,

') Vergl. hiezu die Äusserungen der Augsburger Deputirten in der Städtc- ratsitzung v. 8. September: Es sei für die Konföderirten fast schimpflich, dass die französischen Ambassadores sie so importuniren, habe das Ansehen, als wenn man die Stände ad foedus forziren wollte: müsse etwas dahinter stecken, dass mau a parte Frankreich das Geschi'ft so sehr urgir.

Reichsstäcltische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 271

Kichelieu mehr gab als auf die bestformulirten Verträge mit auderrt Nationen. Der eine dieser Köder war die Mitteilung, dass Kurbranden- burg und die Fürsten von Anhalt in das schwedisch-französische Bündnis eingetreten seien, der andere der Hinweis auf die Vorteile, welche die Holländer, der Herzog von Mantua und die Stadt Genf aus ihren Allianzen mit Frankreich gezogen hätten. Beide Mittel verfingen je- doch bei den Kouförderirten nicht; diese, die gegen Frankreich da- mals besonders wegen der Beschwerden über die Ausschaffung der Ordensgeistlichen in den Reichsstädten aufgebracht wareu, wollten nach ihrem ersten, am 29. August entworfenen Gutachten über den Bündnis- antrag diesen gleich dem Interpositionsanerbieten König Ludwigs Xlll- auf die lange Bank schieben, indem sie die Entscheidung über beide Anträge bis zu der von den Ständen nach Paris abzuordnenden Ge- sandtschaft auszusetzen vorschlugen. Mit einer solchen dilatorischen Behandlung der Angelegenheit war aber wieder der Reichskanzler nicht einverstanden. Er Hess den Ständen am 4. September durch seine Deputirten, den Obersten Pöblitz und den Kanzler Lr)ffler, mitteilen, dass er es für notwendig halte, das Interpositionsanerbieten des fran- zösischen Königs ohne alle Umschweife anzunehmen, also keinesfalls auf die bevorstehende Ambassada aufzuschieben. Soviel aber die Kon- föderation belange, so wäre dieser Schritt zwar reiflich zu überlegen, müsse aber doch dahin gerichtet werden, dass die jetzigen Beschlüsse mit der Heilbrunner Erklärung übereinstimmten, damit dem französi- schen König nicht ungleiche Gedanken erweckt würden. Zu Heil- bronn hätten die Stände nur an der Fassung des 6- Artikels wegen der Religion Anstand genommen; da aber die jetzigen Gesandten die begehrte Erklärung darüber zu geben erbietig wären, so müsste man dieselben wohl zu einer Konferenz, am füglichsten mit einer Depu- tation der Stände, zulassen, um insbesondere des Marquis Feuquieres weitere Anerbietungen zu vernehmen i).

Diesen Erinnerungen des Kanzlers entsprechend, erklärten die Kouförderirten in ihrer am 7. September dem Herrn de la Grange zu- gestellten Resolution, dass sie den König von Frankreich zu einem

') M. de Feuquieres hatte sein Beglaubigungsschreiben am 1. September durch M'". de la Grange dem Generaldirektorium des Konvents überreichen und dabei zugleich um eine öffentliche Audienz bezw. Konferenz mit einer ständischen Deputation ersuchen lassen. Die Stände hatten dem Gesandten an demselben Tag aber nur eine V^isite durch fürstliche und gräfliche Deputirte gegeben und dabei von ihm vernommen, dass er von seiner Regierung beauftragt sei, den 6. Artikel des Bündnisses nach dem Verlangen der Konföderirten von Heilbronn ausführ- licher zu erläutern.

272 Johannes Müller.

Interponenteu herzlich gerne sehen und leiden mögen. ,Die

übrigen zwei Punkte, die nochmals angesonnene Konförderation und des Erzbischofs zu Trier gesuchte Neutralität, da wissen anwesende Stände und Gesandte die konföderirten Stand nicht weniger gegen S. M*. zu aller Mriglichkeit geneiy:t, neben dem nun der KoufiJderation halber anwesende Stäud und Gesandte mit S. K. M*. hochansehnlichem Extraordinary-Gesandten Herrn von Peuquieres weitere Konferenz zu pflegen entschlossen. So finden sie auch beide Punkte also bewandt, dass in allwegen nötig sein will, derentswegen S. K. M*. durch eine sonderbare Ambassada umständlich iuformiren zu lassen, nicht zwei- felnd, es werden vermittelst solcher Ambassada auch solche beide e ihr abhilf lich Mass also erlangen, dass S. K. M^ Ursache haben werden, darob sattsam Genügen zu haben''.

Diese Erklärung konnte die französische Kegierung zwar nicht völlig befriedigen, war aber doch immer noch viel freundlicher als die vom Städtekollegium als Antwort auf die Proposition Peuquieres beab- sichtigte, die einer indirekten Abweisung der französischen Büudnis- anträge gleichkam. In der kurz vor der Audienz stattfindenden Sitzung der Städtedeputirten einigten sich dieselben nämlich auf folgendes Be- denken; Dem französischen Gesandten ist durch die Deputation der Stände anzudeuten, dass die Stände mit seiner heilbronnischen Erklä- rung des 6. Artikels, die in des Königs Autwortschreiben auf den Brief der Konföderirten vom 26- April 1633 gebilligt werde, nicht können zufrieden sein. Im Fall er aber eine mehrere Deklaration hätte, wolle man nach Vernehmung derselben solche in Deliberation ziehen und sich weiters erklären, und da ja hier aus Mangel, dass von diesem Punkte nichts ins Ausschreiben kommen und die Abgeordneten nicht alle genugsam darauf instruirt und bevollmächtigt, kein völliger Schluss zu machen, werde alles in kurzem durch die vorhabende Am- bassade können richtig gemacht werden.

Dieser Meinung muss man ex parte der Städte um so viel mehr sein und bleiben, weil die französischen letzteren actiones et facta der Stände Intention und juribus sehr zuwider laufen und also die Sach nicht mehr in dem Stand, wie sie zu Heilbronn gewesen oder doch dafür angesehen worden i).

') Bedenken der Erb. Stadt auf des französischen Ambassadeurs Monsieur de Feuquieres Proposition (Beilage Zzz) v. 7. September 1633. Bei der Bera- tung über dieses Bedenken stellten sich nur Nürnberg und Frankfurt etwas freundlicher zu den französischen Anerbietungen, indem beide den Abschluss des Bündnisses bloss von einer befriedigenden Erläuterung des 6. Artikels abhängig machen wollten. Nürnberg setzte dieser einen Bedingung allerdings noch die

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 273

Dieses abweisende städtische Bedenken war eben fertig eestellt und im Gesamtrat der Konföderirteu verlesen worden, als der kur- pfälziscbe Hofmarschall Dr. Plarrer erschien und Bericht darüber er- stattete, was heute morgen von M. de la Grange auf die ihm mitgeteilte Eesolution der Konföderirteu vorgebracht worden war. Der franzö- sische Gesandte hatte zunächst seine Verwunderung darüber ausge- sprochen, dass die Stände dem Abschluss des Bündnisses noch solche Hindernisse in den Weg legten, nachdem ihnen doch bewusst sei, dass die Sache zwischen ihnen und dem Gegner eu balance stehe, in den Niederlanden es auf einen Streich gestellt sei, der vielleicht nicht zum besten abgehen dürfte. Wenn nun auch noch Sachsen, wie es den Anschein habe, sich zu einem Sonderfrieden mit dem Kaiser bewegen lasse, so werde die Gefahr für die Konföderirteu keine geringe sein, wohin dann der König von Frankreich neige, derselbe Teil würde wohl dem andern überlegen sein. Bisher hätten die Stände betreffs des Bündnisses viele schöne Worte geführt, aber wenig realia sehen lassen. Er begehre nunmehr eine kategorische Erklärung, sonderlich wegen des M''. de Feuquieres, der auf den von dem Kurfürsten von Brandenburg nach Lüneburg ausgeschriebenen Konvent ehestens reisen müsste. Man solle es ja nicht dahin kommen lassen, dass sein König auf die andere Seite trete : wenn man ihm in his tribus : confoederatione, neutralitate Trevirensi et religione entgegenkommen (.gratificiren") werde, so werde er alles jusqu' ä perdre sa couronne bei den Ständen aussetzen. Sowohl er als auch M^. de Feuquieres hätten Pienipotenz vom König, die Deklaration des 6. Artikels des Bündnisses so zu geben, wie sie von den Ständen in dem Schreiben von Heilbronu aus gesucht worden wäre.

Nachdem Dr. Plarrer seinen Bericht erstattet hatte, erschienen Oberst Pöblitz und Kanzler Löffler in der Plenerversammlung der Konföderirten, um im Namen des Kanzlers die Staude um beschleunigte Abfertigung des Marquis de Feuquieres zu ersuchen und dieselben zugleich darauf aufmerksam zu machen, dass sie nunmehr, nachdem die von ihnen begehrte Deklaration des 6. Artikels seitens Frankreichs gegeben würde, sich des Bündnisses weiter nicht erwehren könnten.

Dieser Wunsch des Reichskanzler sowie die am Vormittag des 7. September abgegebene Erklärung bezüglich des 6. Artikels ebneten nun den beiden französischen Gesandten die Wege in der noch am

weitere bei, dass man auch wissen müsse, zu welcher Geldhilfe Frankreich bereit sei. Von den drei übrigen Städten~nahm Ulm, wie immer, wenn es sich um Frankreich handelte, die schroffste Haltung gegenüber dem Bündnisantrag ein.

274 J 0 h a n n e s M ü 1 1 e r.

Abend desselben Tages stattfindenden Konferenz mit der ständischen Deputation ganz bedeutend. Auf die Frage der Deputation, ob die Gesandten auf eine solche Deklaration des vielumstrittenen Artikels iustruirt seien, wie sie in dem von den Konföderirten an König Lud- wig XIII. gerichteten Schreiben begehrt worden sei, erklärten sich beide nach anfänglichem Stutzen bereit, folgende Deklaration schrift- lich von sich zu geben : Der französische König will den Evangelischeu in denjenigen Gebieten, die sie bereits eingenommen haben, weder Mass noch Ordnung geben ; in den Orten aber, die sie noch erobern möchten und in denen die katholische Religion allezeit geherrscht habe, soll dieselbe auch also bleiben und die Geistlichen bei ihrer Hab und Gütern gelassen werden, doch so, dass daneben die evangelische Religion auch eingeführt werden möge.

Als die Deputirten des weiteren auf die von Frankreich in Aus-' sieht gestellten Geklsubsidien zu sprechen kamen, entschuldigten die Gesandten ihren König deshalb gar hoch damit, dass er den General- staaten viele Millionen und der Krone Schweden etliche Tonnen her- gea;eben, sodann eine merkliche Summe zu dem lothringischen Krieg: verwende und darüber in die 20.000 Mann den Evangelischen zu gut auf seine Kosten halte. Zu einer bestimmten Summe werde ihr König sich nicht obligiren lassen, aber freiwillig werde er vermutlich ein Stück Geld gern herschiesseu.

Als hierauf die vier Kollegien zur Beratung über die eben ver- nommenen französischen Anerbietungen zusammentraten, da ergab es sich, dass die höheren Stände mit der Erklärung der Gesandten über den 6. Artikel sieh begnügten, dass die Städte dagegen daran noch manches auszusetzen hatten'). Am entgegenkommendsten gegen Frank- reich und zugleich am liberalsten in seinen Ansprüchen gegenüber der katholischen Kirche zeigten sich wiederum die Vertreter Nürnbergs, die, die schlimmen Folgen eines etwaigen Parteiwechsels Frank- reichs fürchtend, sich in Bezug auf die Fassung des 6. Artikels ganz mit den höheren Ständen konformirten, ja nach der Begründung ihres Votums wohl noch zu weiteren Zugeständnissen in p». religionis bereit

') Vergl. hiezii den Passus in dem Schreiben der Augsburger Deputirten an den Rat von Augsburg vom 10. September 1633: So viel wir gemerkt, sind etliche der Abgesandten der höheren Stände willens gewesen, mehrgedachte Konföderation 'auf vorhergehende solche Erläuterung auf Ratifikation zu unter- schreiben, welches aber in dem Städtekollegio per maiora nicht für tunlich gefunden.

Reichsstädtisclie Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 275

gewesen wären ^). Diesen für jene kampferfüllte Zeit doch wohl gar zu milden Anschauungen der Deputirten iSürnbergs traten aber die Vertreter der vier übrigen Reichsstädte, vor allem diejenigen Strassburgs und Ulms, mit aller Schärfe entgegen, und in dem von dem Städte- kollegium an den Reichskanzler erstatteten Gutachten vom 8- Sep- tember war deshalb als weitere Bedingung der Annahme des 6. Ar- tikels die Forderung aufgestellt, dass in denjenigen Gebieten, wie z. B. Memmingen, Kempten, Regensburg, Lindau, welche vordem der evan- gelischen Religion zugetan gewesen, die aber anjetzt in Feindes Hand seien oder noch darein kommen möchten, der Religion halber, wenn sie rekuperirt würden, es in allem so zu halten sei, wie mit den Ge- bieten der Konföderirten selber, uämlich dass die evangelische Religion allein darinnen anzustellen und die andere abzuschaffen sei. Ausserdem erklärten die städtischen Deputirten in ihrem Bedenken, dass sie infolge mangelnder Instruktion zur Zeit weder absolut noch auf Ratifikation das Bündnis eiogehen, sondern allein versprechen könnten, bei ihren Oberen es dahin richten zu helfen, dass innerhalb 3 bis 4 Wochen nach ihrer Heimkunft eine endliche Resolution erfolgen werde-). Das städtische Bedenken nebst der Formel für die Deklaration des G. und 7. Artikels wurde den hohem Ständen am 9. September zur weiteren Mitteilung an die beiden franzö.'^ischeu Gesandten überlassen, und

') Das nicht uninteressante Votum Dr. Richters in der Sitzung vom 8. Sep- tember lautete : Man solle die conditiones nicht gar zu hoch spannen ; denn wenn Frankreich einen Absprang nehmen sollte, so dürften wir nicht allein nichts erobern, sondern auch wohl, was wir jetzt haben, verlieren: wäre genug, wenn die Evangelischen an einem papistischen Orth, als exempli gratia München, eine Kirch sampt den Gefällen hätten : in eine Kirche können viel Leuth gehen, wenn sie Lust haben, gloria dei sei genug gefördert, wenn man das Evangelium schon nur an einem Orth oder in einer Kii-che, aber recht predige. I. K. M'. selbst habe nicht alles über einen Haufen geworfen, Herzog Bernhart Hesse sich mit einer Kirchen zu Würtzburg genügen und lasse die papistische Religion im gan- zen Bistum frei. Die Holländer täten auch desgleichen ; rex Galliae habe vor diesem die Gnade von Gott gehabt, dass er den Deutschen habe den Religions. frieden erwerben helfen : vielleiiht möchte es jetzund, wenn man ihn zum Freund behalte, wiederum beschehen. Hingegen, wenn er abalienirt würde, dürfte es uns allen zum höchsten Schaden gereichen. Die Religion Hesse sich doch nicht zwingen und mit dem Schwert propagiren.

-) Vergl. hiezu Beilage Cccc': Der E. Städte Bedenken über die angesonnene Konföderation mit der Krone Frankreich, diktirt 28. September 1633. Diesem Bedenken war noch eine von dem Vertreter Strassburgs entworfene, in latei- nischer Sprache verfasste Deklaration der Punkte 6" und 7 (Beilage Cccc^) bei- gegeben; nach dem Wortlaut derselben sollte der französische Gesandte die ge- nannten Artikel formuliren.

276 Johannas Mülle r.

hierauf von letzteren mit Dr. Eichter von Nürnbero- und Dr. Fröhlich von Ulm am 11. September über die Sache weiter unterhandelt. Die Franzosen schlugen vor, für das Wörtlein et in dem Satz: ut illis in locis, quae a statibus confoederatis in posterum occupari contigerit et ubi religio Catholico-Komana semper viguit die Partikel vel zu setzen und das omnino in dem Satz: ueque omnino tollatur vel aboleatur ganz herauszulasseu. Die städtischen Deputirten erklärten jedoch in die Abänderung der Partikel et in das disjunktive vel nicht einwilligen z-u können, und wollten, wenn das Wort omnino ausgelassen werden sollte, nach dem aboleatur den Satz: in tan tum, ut minus Statibus confoederatis liberum sit, suaequoque Keligionis exercitium introducere et ecclesiarum , scholarumque ministris ex reditibus ecelesiasticis sti- pendia et salaria sustinere eingerückt wissen. Den letztgenannten Beisatz erklärten diö höheren Stände für überflüssig, sogar präjudi- cirlich für die Evangelischen, das Bedenken wegen des Ersatzes der Partikel et durch die Partikel vel dagegen machten sie sich selbst zw eigen und trugen dasselbe am 13. September dem Reichskanzler in einem besonderen Memorial vor^). Oxenstierna entschied noch am gleichen Tage dahin, dass man dem städtischen Vorschlag gemäss auf dem kopulativen et statt des disjunktiven vel gegenüber den Franzosen bestehen müsse; letztere erklärten nun am 14. September, nachdem die Städte nochmals in einem Memorial den Gebrauch der Partikel vel im 6. Artikel als für sie unannehmbar erklärt und zugleich noch- mals die Einfügung des oben angeführten Zusatzes circa jus reformandi et disponendi de ecclesiasticia bonis in locis occupandis gefordert hatten 2), dass sie die Partikel vel fallen lassen wollten, doch auf den verlangten Zusatz wegen des Dispositiousrechtes über die geistlichen Güter sich nicht einlassen könnten, da ihr König solches Avegen des Papstes nicht in den Bundes vertrag einrücken lassen dürfe.

Obwohl nun die städtischen Deputirten in den mit den höheren Ständen über den letzten Punkt geführten Unterhandlungen nach- drücklichst dai-auf hinwiesen, dass die etwaigen Schädigungen, die den .Evangelischeu aus dem Auslassen des Wörtleins omnino später er- wachsen möchten, nur durch das Einrücken der von ihnen vorge- schlageneu Klausel paralysirt werden könnten, obwohl sie mit gutem

>) Vergl. Beilage Gggg: Der anwesenden Stände Herrn Reichskanzlers ExzU. eingereichtes Memorial vom 13. September 1633.

2) Vergl. Beilage Qqqq: Der Erb. Reichsstädte fernere notwendige Erinne- rimg, die Deklaration der Konföderation mit EVankreich betreffend vorn 14. Sep- tember 1633.

Reichsstädtische Politik zur Zeit des Frankturter Konvents etc.

Gruud deu plötzlicheu Siuneswechsel der Franzosen bezüglich dieser Klausel, die sich dieselbe noch vor wenig Tagen nicht hatten miss- fallen lassen, während sie sie jetzt perhorrescirten, als einen gewich- tigen Faktor für die Notwendigkeit dieser Klausel anführen konnten, mussten sie doch, nachdem selbst der Vertreter Nürnbergs zuletzt noch wankte und den Zusatz „für eben nicht so hochnotwendig halten wollte", auf diesen wohlgegründeten Beisatz verzichten und der von den höheren Ständen, ja sogar von einem Teil der Städte selbst se- kundirten französischen Diplomatie das heissumstrittene Schlachtfeld räumen. Auf jeden Fall aber konnten die Vertreter der vier grossen schwäbischen und rheinischen Städte für sich den Ruhm beanspruchen, dass sie ihren mit Überlegung und kluger Voraussicht gewählten Standpunkt mit einer Zähigkeit ohne Gleichen verteidigt hatten.

Am 15. September wurde der Bündnisvertrag Frankreichs mit den Heilbronuer Kouföderirten von den letzteren unterschrieben, und zwar ad ratificationem principaliuui et superiorum, also in einer Form, die wiederum gegen den Willen der Mehrheit der Städte war^). Be- kanntlich hat auch der französische König die Ratifikation des Ver- trages aus Unwillen über die weitere Vorenthaltung Philippsburgs sowie die ihm nicht zusagende Fassung des (3. Artikels solange ver- weigert, bis wenigstens in bezug auf letztgenannten Punkt die Ende September nach Paris geschickten Gesandten der Kouföderirten das Zugeständnis machten, dass derselbe nach deu Intentionen Frankreichs bezw. dessen Erklärung von Heilbronn' abgeändert werde. Die von den Städten mit so harter Mühe gewonnene sfLmstiu'e Position war damit wieder verloren, der Liebe Mühe um die Propaganda des pro- testantischen Glaubens in künftig zu erobernden Orten vergeblich gewesen.

Das letzte und vielleicht wichtigste Anliegen, das die Franzosen bei dem Bundestag der Kouföderirten in Frankfurt vorzubringen hatten, war das Verlangen nach der Einräumung der Speyerischen

') In Rehlingers Bericht über die hier geschiklertsn Vorgänge vom 14. Sep- tember heisät es: Mit solcher Verrichtung (Annahme der Konföderation ad prin- cipalium etc.) der beiden Deputirten (Richter und Fröhlich) sind die übrigen Abgeordneten gar nicht zufrieden gewesen und gegen die H. Deputirten stark

geandet, dass sie zu weit gegangen, indem sie sich Und obwohl sich

die H. Deputirten entschuldigen wollen, sind doch ihnen alle ihre excusationes con- tradicirt, gleichwohl aber nicht für gut gehalten worden, dass man solches öffent- lich ande oder sich von den anderen Ständen trenne, in betrachtung sonsten nicht allein die H. Deputirten verunglimpft, sondern auch fürnehmlich d sich doch endlich nach den höheren Ständen dies orts richten mussten) grosse offension causirt werden möchte.

278 JohaniiesMüller.

Festung Philippsburg, auf die die frauzösiscbe Regierung laut des zwi- schen Trier und Frankreich im Dezember 1G31 geschlossenen Schutz- vertrages, sodann des zwischen Trier einerseits und Frankreich und Schweden anderseits im April 1632 geschlossenen Neutralitätsvertrages wohlbegründete Ansprüche zu haben glaubte. Diese Ansprüche wurden von den Konföderirten nach der Verletzung der Neutralität durch den Trierer Erzbischof jedoch nicht mehr als begründet anerkannt. Nach dem 3. Artikel des Trierisch-Französisch-Schwedischen Neutralitätsver- trages vom 9. April 1632 war nämlich der Kurfürst verpflichtet, die der Krone Schweden alliirten evau gelischen Stände in seinem Gebiete zu restituiren, nach dem 10. Artikel, innerhalb sechs Wochen vom 20. Mai 1632 ab die Trier'sche Besatzung aus Philippsburg abzuführen. Weder die eine noch die andere Bedingung war von dem Erzbischof von Trier erfüllt worden; von Philippsburg aus hatte vielmehr der Kommandant, Oberst Bamberger, der dem Kurfürsten den Gehorsam verweigerte und nur den Kaiser als seineu Herrn anerkannte, sowohl durch Verwüstung der umliegenden Gebiete, Plünderung von Schiffen, Niederwerfen von Reisenden und sonstige Gewalttaten den angren- zenden Konföderirten unermesslichen Schaden zugefügt, so dass die- selben dadurch verursacht wurden, die Festung vom August 1632 an zu blockireni).

Dass die Franzosen nicht selbst die Blockade von Philippsburg unternommen hatten, war nach der Angabe M'', de la Grange's in seiner Proposition vom 14. August 1633 darum geschehen, weil Gustav Adolf zur Zeit seines Renkontres mit Wallenstein bei Fürth die Eroberung der Stadt Trier durch eine französische Truppenabteiluug für vordring- licher erklärt hatte als die Einschliessung Philippsburgs. Diese Be- hauptung des französischen Gesandten war aber eine von den Fran- zosen selbst nicht geglaubte Fiktion ; denn in Wirklichkeit waren die- selben nur darum nicht zur Einschliessung Philippsburgs geschritten, Aveil sie, wenigstens solange Gustav Adolf lebte, es vermeiden wollten, die Eifersucht der Schweden durch ein solches Vordringen in deren Interessensphäre zu reizen. Jetzt aber, nach dem Tode des Schwedeu- königs und dem Wachsen des französischen Einflusses in den deut- schen Angelegenheiten, schien Richelieu eine solche Rücksicht auf den schwedischen Bundesgenossen wenigstens in dem Masse wie bisher nicht mehr geboten, und M'", de la Grange hatte deshalb bei der Über- gabe seiner Proposition vom 14. August sich ungeuirt verlauten lassen,

') Vcrgl. hiezu Chemnitz I[, 46.

Keicbsstädtische Politik zur Zeit des Frankfurter Konvents etc. 279

dass, wenn mau seinem Könige in diesem Punkte nicht zu willen sein werde, derselbe zur Trennung von den deutschen Protestanten verursacht würde i).

Trotz dieser Drohung des französischen Gesandten hielten die städtischen Deputirten in ihrem am 17. August über den 4. Proposi- tionspunkt verfassten Bedenken dafür, dass die Konföderirten alle Ur- sache haben, omnibus modis zu laboriren, dass Philippsburg dem König von Frankreich nicht eingeräumt, sondern von den Konföde- rirten selber okkupirt und, da es ünkostens halber nit wohl zu er- halten, rasirt oder in den alten Stand gesetzt werde^). In Überein- stimmung damit erklärten die Konföderirten in ihrer Resolution vom 25. August über den 4. Propositionspunkt, Kur-Trier betrefPend : Wegen der von der Besatzung Philippsburgs ihnen zugefugten Schäden er- achten sich die Stände für ganz befugt, sich an solchem ()rt zu erholen, auch sind sie der Meinung, dass zu solchem Ende die angefangene Blockirung bis zu erhoffter glücklichen Eroberung zu kontinuiren und auf Mass, wie bereits zu Heidelberg wohl bedächtlich verglichen, effektuirt werde. Zur Begründung ihres Anspruchs, die Speierische Festung selbst zu okkupiren, fügten die Abgesandten ihrem Bedenken folgende Erwägung bei: Es verhoffeu die konföderirten Stände, S. K. M*. werde der hohen Kg!, prudenz nach nicht unbillig befinden, wann sämtliche Konföderirte sich ihrer diesfalls hoch beschwerten Mitstände annehmen und ihnen zu obberUhrtem Zweck notwendige Assistenz leisten, weil gleichwohl Odenheim (d. i. Philippsburg) nicht in S. Kurf. Gnaden, sondern des Feindes Händen und Gewalt stehet und durch -dero Occupation S. K. M*. Schutz über dasjenige, so mehrhochgedachte

•) Vergl. hiezu die Bemerkungen des Strassburger Deputirten in der Städte- ratsitzung vom 17. August : Wenn man davon (von dem Trierisch Schwed. Neu- tralitätsvertrag) weichen wollte, würde es nicht allein viel seltsamen Discurs geben, sondern wohl gar abalienationes causiren, wie de la üi'ange sich dann verlauten lassen, wenn man hierin seinem König nicht gratificire, würde er zu thun verursacht, was die Konföderirten nicht würden verhindern können (H. Ulrich Rehliugers Diarium Francofurtense).

2) Auf den Vorschlag Frankfurts wurde dem städtischen Bedenken noch folgender Schlusspassus beigefügt: Da die Beisorg zu tragen, dass Frankreich sich durch alle noch so wohl fundamentirte remonstrationes schv/erlich von seinem proposito dimoviren lasse, so wäre es vielleicht angezeigt, dem König von Eng- land und den Generalstaaten, jenem wegen der Interessen nepotura, diesen wegen ihres eigenen Interesses zu Gemüt zu tühren, dass sie sich zu Gunsten der Kon- föderirten bei Frankreich interponiren oder zum wenigsten Frankreich, wenn es Philippsburg ja occupire, dahin vermögen, dass es in seinen Stand v. J. 1620 gesetzt werde. (Beilage X).

280 Johannes Müller.

S. Kurf. Gnaden in Händen haben, nichts abgehet. Im übrigen hielten die Abgeordneten dafür, dass dem Trierer Kurfürsten die nachgesuchte Neutralität dem friinzösischen Könige zu Ehren und Gefallen zu be- willigen, dass aber der Festung Philippsburg wegen eine Gesandtschaft nach Paris zu schicken sei, welche dem König Ludwig XIIL der Blockirung und beabsichtigten Okkupation dieser Festung halber gründ- lichen Bericht erstatte i).

Da in der vom 7. September dem M''. de la Grange erteilten Hauptresolution der Konföderirten die Bewilligung der Neutralität nicht erwähnt war, sondern alles Weitere der Gesandtschaft anheimgestellt war, so Hess sich de la Grange in der sich daran schliessenden Konferenz mit der ständischen Deputation dahin vernehmen, dass, wenn man den Kurfürsten von Trier nicht dabei lassen wolle, sein König ge- halten wäre, ihn wider Gewalt zu schützen. La Grange sagte dabei- den Deputirteu auch voraus, dass sein Herr die beabsichtigte Gesandt- schaft gar schlecht empfangen werde, wenn mau nicht zuvor das Bündnis abgeschlossen uud ihm in betreif der Bedrückungen der ka- tholischen Ordeusgeistlichen in den Reichsstädten und der Festung Philippsburg Genüge getan habe. Die Konföderirten Hessen sich jedoch durch diese Drohungen nicht von ihrem Standpunkt abdrängen, son- dern gaben ihren nach Frankreich bestimmten Gesandten Vizekanzler Löffler uud Phil. Streiflf von Lövvenstein betreffs Philippsburgs am 16. September 1633 folgende Instruktion mit: Der König von Frank- reich ist dahin zu bearbeiten, dass er die Einräumung und Überlassung Philippsburgs nicht weiter prätendire und zwar aus folgenden Gründen r

1. Dieselbe ist contra pacta et privilegia Statuum mit spanischem Geld erbaut und nach des Königs von Spanien Namen genannt worden.

2. Die mit dem König von Schweden aufgerichtete Neutralität ist von dem Kurfürsten von Trier nicht gehalten, sondern den Kon- föderirten aus der Festung Philippsburg grosser Schaden zugefügt worden.

3. Die angeregte Neutralität ist bei den konföderirten Ständen niemals gesucht worden.

4. Die Festuug ist bereits eine lange Zeit von den Schweden und den Konföderirten mit sehr grossen Unkosten blockirt worden.

Diese Rationes fanden in Paris bei Ludwig XTll. bezw. Richelieu selbstverständlich nicht die Beachtung, die sich die Konföderirten er- wartet haben mochten, und so bildete denn Philippsburg, das erst

') Vergl. hiezu der Konföderirten tJtiind Kesolutiou über den 4. Hauptpunkt. Chur-Trier betretf., Beilage Ee.

Reichsstädtiscbe Politik zur Zeit des Frankfurter Konveats etc. 281

am o. Januar 1()34 vou dem tapferen Bamberger infolge gänzlichen Maugels an Lebensmitteln au die Konföderirten ausgeliefert wurde, zwischen Frankreich und den Heilbrunner Verbündeten einen nimmer zu Ruhe kommenden Gegenstand diplomatischer Unterhandlungen, bis die entscheidungsvolle Schlacht von Nördlingen auch hierin eine Wendung herbeiführte und die Franzosen an das Ziel ihrer lang ge- hegten Wünsche brachte. In den beiden übrigen Fragen, die der Frankfurter Konvent ausser den hier angeführten uoch zu entscheiden hatte, dem Ansuchen des Landgrafen Georg von Hessen-Darmstadt und des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg-Jülich um Neu- tralitätserklärung ihrer Gebiete, nahmen die städtischen Deputirteu eine so zurückhaltende Stellung eiu, dass von einem Einfluss auf die Ent- scheidung dieser Fragen Gewährung der Neutralität an den Land- grafen von Hessen, Versagung derselben gegenüber dem Pfalzgrafen von Neuburg absolut keine Rede seiu kann. Die Städte folgten hierin wie in so manchem anderen den höheren Ständen bezw. dem Reichskanzler selbst.

Den Eindruck gewinnt man überhaupt, wenn man die entschei- denden Momente der zum Teil sehr wichtigen Verhandlungen des Frankfurter Konvents vom Jahre 1633 noch einmal rasch an sicli vorüberziehen lässt, dass die Stände bezw. deren Abgesandte in den Fällen, wo es sich um folgenschwere Entschlüsse handelt, mehr oder weniger als Statisten erscheinen, während Oxenstierna als der alles leitende Geist hervortritt, von dem nicht nur die fruchtbaren staats- männischen Ideen ausgeheu, sondern durch den dieselben auch fast ganz nach freiem Ermessen in die ihm notwendig scheinenden Bahnen geleitet werden. Nur in einer Frage, der Kompensation des Magazin- Zehnten durch eine besondere städtische Steuer, vermochte der scharf- blickende schwedische Staatsmann trotz aller Bemühungen seineu Willen gegen den der Städtevertreter nicht durchzusetzten ; gerade diese eine diplomatische Niederlage Oxenstiernas auf dem Frankfurter Konvent sollte der Ausgangspunkt der späteren Niederlage und end- lichen Auflösung der Heilbronuer Konföderation werden. Mit welchen Gefühlen mochten aber die kleinlichen Oppositionsgeister, die sich im September 1633 der Erkenntnis dessen so hartnäckig verschlossen hatten, was ilineu ein erleuchteter staatsmänuischer Geist mit haar- scharfer Deutlichkeit als Folgen ihres Starrsinnes vorausgesagt hatte, genau eiu Jahr nach dem denkwürdigen 20. September 1()33 die schmachvollen Vertragsartikel unterzeichnen, die ihnen La Orange als Bedingung für die nun unbedingt nötige französische Hilfe vorschrieb '■! Der Erkenntnis, dass gerade durch das an falscher Stelle einsetzende

MiUhciliiiisoii XXIV. 19

Johannes Müller.

■282

damaUgeu deufecheu ^f^^" bedeutendes Stück uäher

gerückt war, wd sich m^deu t ^^^.^^ü^.r Städtebürger Süddeutsch- tembertagen des Jahres 1634 kern einbicniig l.mds mehr haben entziehen können.

Österreich iiiul der doutsclie Bundesstaat.

Ein Beitrag zur deutschen Verfassungsgeschichte (1848 1849).

Von

Hans V. Zwiedineck.

Zu den interessantesteu Problemen der neuesten deutschen und österreichischen Geschichte zählt die Frage, ob die Gründung eines deutschen Bundesstaates durch die deutsche Nationalversammlung im Einvernehmen mit den deutschen Fürsten und Regierungen möglich gewesen wäre, Sie hängt innig mit anderen Fragen zusammen, die sich schwer beantworten lassen, ohne zu Mutmassuugen Zuflucht zu uehmen oder sich ganz von individuellen Anschauungen leiten zu liissen. Dazu gehört die Frage nach der inneren Entwicklung des Frankfurter Parlamentes, die Frage, ob es anzunehmen sei, dass die Opposition und Obstruktion der demokratischen und republikanischen Linken von der monarchischen und konstitutionellen Mehrheit hätte überwunden werden können? Sehen wir aber von einem Zweifel in dieser Richtung ab und nehmen wir an, dass eine bejahende Antwort völlig berechtigt sei, so tritt uns sofort das österreichische Problem Lösunf:^ heischend eutgegfen, das Verlangen nach einer Eutscheiduncr darüber, ob eine freiwillige Zustimmung Österreichs zum Gageru'schen oder kleindeutscheu Programm denkbar und möglich gewesen wäre?

Hiezu einige Beiträge von Zeitgenosses des ersten deutschen Par- lamentes zu geben, ist die Bestimmung dieses Aufsatzes. Sie stammen aus dem gräflich Meran'schen Archiv zu Graz, in das auch das Archiv des Reichs verwesers Erzherzog Johann übergegangen ist. Der gegen - Avärtige Besitzer desselben Se. Exzellenz Herr Dr. Johann Graf von Meran hat mir gütigst gestattet, von dem Inhalte seines Archives für meine Darstellung der Geschichte des Deutschen Bundes und des

19*

284 H a n s V. Z w i e d i 11 e c k.

Franfurter Parlamentes Kenntnis zu nehmen; der Reichtum an Nach- richten, den es bietet, ist jedoch so gross, dass ich dort nur auf den kleinsten Teil davon hinweisen konnte. Es wird jedenfalls in nicht zu ferner Zeit zu einer umfassenden und systematischen Veröflfent- lichuuo- dieser hervorragende Quelle für die Geschichte des 19. Jahr- hunderts kommen müssen ; bis dahin möchte ich jedoch einzelne Par- tien selbständig behandeln, durch die manche bis jetzt feststehende Ansicht von der IS ot wendigkeit " der tatsächlich gewordenen gewalt- samen nationalen Staatenbildungen erschüttert werden kanu.

Unmittelbar nach dem Frankfurter Septeraberaufstande, der durch Anton von Schmerlings, des Ministerpräsidenten der deutschen Zentral- gewalt, Umsicht, Energie und militärisches Geschick innerhalb 24 Stun- den unterdrückt worden war, sah sich die deutsche Nationalversamm- lun"" in die Notwendigkeit versetzt von der bequemen und zu dou schönsten oratorischen Leistungen Aulass bietenden Beratung theore- tischer „Grundrechte" zu der Kodifizirung des Wesens des künftigen deutschen Staates, zur Aufzählung der Bestandteile des zu schaffenden , Deutschen Reiches" überzugehen. Nun hiess es aus dem Nebel pa- triotischer Wünsche und Hoffnungen in die helle Wirklichkeit prak- tischer Entscheidung herauszutreten und die bisher bestandenen Ver- hältnisse in neue Formen hiuüberzuleiten. Die ersten drei Paragraphe des Verfassungsentwurfes, die der dazu berufene Ausschuss ausgear- beitet hatte, enthielten bereits Bestimmungen, die mit dem Fortbestände einer einheitlichen österreichischen Monarchie unvereinbar waren ; man konnte sich nicht darüber täuacheu, dass das Parlament sie entweder abändern oder dass man davon abstehen musste, auch die deutschen Krouländer des Kaisertums Österreich in den deut&chen Bundesstaat aufzunehmen. Es wird allgemein angenommen, dass der Präsident der deutbcheu Nationalversammlung, Heinrich v. Gagern, der erste unter den deutschen Staatsmännern gewesen sei, der sich für die Trennung Österreichs von Deutschland entschied und das sogenannte ,kleiudeutsche Programm" entwickelte, dem sich später die Mehrheit des Parlamentes auschloss.

In einer formlosen Versammlung von etwa '.)() Abgeordneten, die er abends zu sich geladen hatte, trat Gagern zum erstenmal offen der von Schmerling und den Österreichern vertretenen Ansicht entgegen, dass sich durch , Modifikationen" der vorgeschlagenen Paragraphe ,Vom Reich" der Eintritt Österreichs in einen deutschen Bundesstaat mit einer Volksvertretung ermöglichen lassen Averde. „Es ist unserer grossen Aufgabe nicht angemessen" sagte er. „der Hauptschwierigkeit

Österreich und der deutsche Bundesstaat. 935

«iuer deutscheu Verfassung unschlüssig aus dem Wege zu' gehen. Wir wollen und sollen nicht eine verschiebende und ausweichende Diplo- luateu-A'ersaramlung sein, wir wollen und sollen eine konstituirenda Versammlung sein. Konstituireu wir also!" Und nun zeichnete er, wie ein Teilnehmer jener Versammlung, Heinrich Laube, berichtet, mit wenig Strichen die zwei Notwendigkeiten für Deutschland, welche vor- lägen. Der Bundesstaat sei für Deutschland eine Notwendigkeit und die Erhaltung Österreichs sei ebenfalls eine Notwendigkeit für Deutschland. Es sei falsch, falsch unter allen Gesichtspunkten . auf die Zertrümmerung Österreichs zu spekuliren. Aus alledem folge denn : i>sterreich könne nicht in den deutschen Bundesstaat gezogen werden, und es müsse ein weiterer Bund mit Österreich gegründet werden.

Gagerns Worte machten damals keinen tiefen Eindruck, man wollte durchaus nicht glauben, dass man zu so schroffer Parteinahme genötigt sein werde ; jedenfalls schien es während Fürst Windisch- grätz sich erst anschickte das rebellische Wien zu unterwerfen ver- früht, das deutsche Verfassungsproblem so scharf zuzuspitzen, fast alle seine Freunde rieten Gagern ab. seine Ansicht weiter zu entwickeln. ,Sein Bruder Max in erster Linie. Später auch sein alter Vater, welchem er eine Skitze nach Hornau hinausgeschickt hatte. Dieser achtzigjährige Staatsmann kam zuweilen herein und sprach sich aus- führlich über die Idee seines Sohnes Heinrich aus. Er teilte, sie nicht uud behandelte sie ganz unbefangen tadelnd als die eines Fremden. Dieser Sohn Heinrich aber, das energische Element in der Familie, hörte Dies uud Anderes ruhig; an und blieb bei seiner Meinung". (Laube).

Zu derselben Zeit, als man in Frankfurt die Gründung eines deutschen Staatswesens noch für gewiss hielt, in das auch die deutsch- österreichischen Länder aufgenommen werden würden, als man das Gagern'sche Programm noch gar nicht ernst zu nehmen geneigt war, hatte sich ein österreichischer Diplomat bereits amtlich dahin aus- gesprochen, dass es den österreichischen Staatsinteressen entsprechen werde, die engere Verbindung mit Deutschland aufzugeben und sich mit einem Bündnisse zwischen beiden Staaten zu begnügen. Vom 4. Oktober 1848 ist die Staatsschrift datirt, die der österreichische Bevollmächtigte bei der deutschen Zentralgewalt, Ferdinand Frei- herr von Mensshengen 1), au den Leiter des Ministeriums des

'1 Die Mensshengeu gehören seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts jenen österreichischen Beamtenf'amilien an, die vorzugsweise im auswärtigen Dienste und in der Staatskanzlei verwendet wurden. Franz Martin wurde am 10. Dezember 1668 als k. Reichs-Referendar in der »deutschen Expedition« an-

286 Hans V. Z w i e d i n e c k.

Äussern uud des kaiserlichen Hauses, Johann Philipp Freiherrn von Wessenberg, gerichtet hat. Ihr Inhalt soll im Nachfolgenden grössten- teils deili Wortlaute nach mitgeteilt werden i).

M e m 0 r a ]i d u m über die Stellung Österreichs zu der neuen Gestaltung eines deutschen Bundesstaates.

In der deutschen koustitutirendeu Nationalversammlung und von der Journalistik wird immer nachdrücklicher darauf gedrungen, dass Osterreich seine Stellung zu Deutschland ins Klare setze. Die hierauf bezüglichen Anträge wurden zuerst durch die bekannte Erklärung des k. k, Ministe- riums in der Wiener Zeitung v. 21. April d. J. hervorgerufen, worin die besondere Zustimmung zu jedem Beschlüsse der Bundesversammlung un- bedingt vorbehalten uud gleichzeitig bemerkt wurde, dass insofern Letzteres mit der Wesenheit eines Bundesstaates nicht vereinbarlich er- kannt würde, Österreich nicht in der Lage wäre, einem solchen beizutreten. Dieser wohlbegründete Vorbehalt fand sogleich Widerspruch im Vor-Par- lament zu Frankfurt am 2C^. April; jedoch ohne weitere Folge.

Als später am LS. Mai die deutsche konstituirende Nationalversamm- lung zu Frankfurt eröffnet wurde, und aus Böhmen kaum der achte Teil der Abgeordneten erschien, auch die k. k. Regierung die Vornahme der rückständigen Wahlen nicht betrieb, erhielt der Zweifel an Österreichs kräftiger Verschmelzung mit Deutschland frische Nahrung; mit gleichem Nachdruck wurde gegen dieses Versäumniss und gegen das fortdauernde österreichische Geld-Ausfuhrverbot Seitens der Nationalversammlung im Wege förmlicher Beschlüsse vorgegangen. Aus demselben Gesichtspunkte wurde von einer Fraktion die Feier der dem Reiclisverweser darzubrin- genden und von dem Eeichskriegsmhiister auf den 6. August anberaumten Huldigung der zum Bundes-Kontingent gehörigen kais. österr. Truppen als ungenügend und als ein Zeichen mangelhafter Anerkennung der prov. Zentralgewalt für Deutschland dargestellt.

Der Gedanke eines Aufgehens des b und es Pflichtigen Teils des Kaisertums Österreich in Deutschand suchte nicht nur in der Nationalversammlung als eine politische Notwendigkeit bei jedem An- lasse volle Geltung zu erlangen, sondern er trat auch als ein zur Kontro- verse gar nicht mehr zugelassener Grundsatz aus der Verordnung der Zentralgewalt vom 30. August über die von den Eegierungs-Bevollmäch- tigten ihr gegenüber einzunehmenden Stellung deutlich hervor. Diese

gestellt, sein Sohn Franz Wilhelm, der die Herrschaft Thernberg erwarb und Mitglied der deutschen Reichsritterschaft am Rhein ward, bekleidete die Stelle eines Reichshofrats-Sekretärs. Franz Xnver (geb. 1798) war k. k. Hof- und Ministerialrat im Ministerium des Äussern. Ferdinand (gel). 1801) k. k. Kämmerer und a. 0. Gesandter.

1) Das k. u. k. Staatsarchiv in Wien besitzt die Originale dieses sowie des i<päter noch zu erwähnenden Aktenstückes nicht. Einer Mitteilung des Herrn Sektionsrates Joh. Paukert zufolge weisen die Bestände von Oktober bis Dezember 1848, sowie im ganzen Jahr 1849 in den deutschen und Bundes-Angelegenheiteu grosse Lücken auf.

Österreich und der deutsche Bundesstaat. 28T

einseitige Vefügung stand in offenbarem Widerspruche mit der oben er- wähnten üsteiTeichisch. Ministerial-Erklärung v. 21. April; ja sie kann als ein faktischer öflentlicher Protest gegen dieselbe betrachtet werden. Aller- dino'S wird billiger Weise anerkannt werden, dass die Zentralgewalt den Zweck ihrer Einsetzung am sichersten durch ein solches imperatives von der öffentlichen Meinung begünstigtes Vorschreiten gegen die Einzel- Regierungen zu erreichen hoffen durfte und dass somit das Reichsministe- i-ium hiedureh den Erzherzog Reichsverweser auf den in die Zeitverhält- nisse passenden Standpunkt führte. Auf der anderen Seite konnte das kaiserliche Kabinet stillschweigend sich bei seiner vorausgegangenen Ver- wahrung des bisherigen Bestandes der Oesterreichischen Souverainitäts Rechte umsomehr beruhigen, als die Central Gewalt ein provisorisches Institut ist und der Vorbehalt in der k.' k. Ministerial Ei'klärung sich auf die definitive Konstituirung Deutschlands bezieht. Erst wenn diese Letztere sich in einer Weise gestalten sollte, welche im Voraus mit aller Loyalität von dem k. k. Ministerium als die notwendige Veranlassung zum unvermeid- lichen Austritte Österreichs aus dem deutschen Föderativverbande bezeichnet worden ist; erst dann ist es an der Zeit, der eventuell erteilten Mahnung eine praktische Folge zugeben.

Die jüngsten Ereignisse in dem österr. Kaiserstaate setzen die k. k. Regierung in den Fall, die von ihr um keinen Preis aufzugebenden Lebens- bedingungen des Gesammtreiches öffentlich darzulegen. Im vollsten Ein- klänge mit dem § 1 der Konstitutionsurkunde vom 25. April d. J.. welcher wörtlich also lautet: »Sämmtliche zum österr. Kaiserstaate gehörige Länder bilden eine untrennbare konstitutionelle Monarchie*, steht die offi- zielle Erklärung, welche der k. k. Ministerpräsident Freiherr von Wessen- berg am 19. September auf dem Reichstag zu Wien unter dem Beifall der Mehrheit dahin abgegeben hat, dass es die Absicht der k. k. Regierung sei, unter gleicher Berechtigung aller Nationalifäten die Bande zwischen Ungarn und dem Gesammtreiche immer fester zu schlingen. Gleichzeitig wurde die von dem k. k. Ministerium über diese Angelegenheit unterm 31. August gefertigte Staatsschrift veröffentlicht. Es wird darin, unter Festhaltung der pragmatischen Sanktion, die Einheit der obersten Staats- leitung für alle Teile der Gesammtmonarchie als unverbrüchlicher Grund- satz bestätigt und der Bestand eines von dem österr. Kaisertume ge- trennten Königreiches Ungarn als politisch unmöglich bezeichnet.

Ungeachtet dieser freimütigen zur rechten Zeit erfolgten Kundgebung des kais. Ministeriums wurde von dem Verfassungsausschusse der d. konst. Nationalversammlung soeben ein Entwurf für die künftige poli- tische Gestaltung Deutschlands gefertigt, welcher im ersten Ab- schnitte über das Reich und auch im zweiten Abschnitte, der von der ReichsgeAvalt handelt, mehrere fundamentate Bestimmungen enthält, nach deren Annahme von Seiten der Nationalversammlung ein Verbleiben Öster- reichs im Föderativ-Verbande mit Deutschland unausführbar ist, ohne die Österreich. Gesammt-Monarchie in Trümmer fallen zu lassen. So heisst es z. B. im § 2 des Entwurfes: »Kein Theil des deutschen Reichs darf mit nicht-deutschen Ländern zu einem Staate ver- einigt seyn« und der § 3 lautet wie folgt: »Hat ein deutsches Land mit einem nicht-deutschen Lande dasselbe Staatsoberhaupt, so ist das

288 Hans V. Z \vi ecli n eck.

Verhältnis zwischen beiden Ländern nach den Grundsätzen der reinen Personal-Union zu ordnen^*^. Schon allein wegen dieser zwei Sätze müssten die bisher zum deutscheu Bunde gehörigen österrei- chischen Provinzen aus demselben ausscheiden ; denn sie sind in geradem Widerspruche mit der pragmatischen Sanction vom 19. April 1713, so wie mit der österreichischen Constitutions Urkunde vom 25. April d. J. und mit der Zusammensetzung des dermaligen Reichstages zu Wien ; ab- gesehen davon, dass der österreichische Kaiserstaat aufhören würde, eine Europäische Grossmacht zu seyn, wenn er auf solche W^eise gespalten iind die eine Hälfte desselben der deutschen Reichs Gewalt so unterworfen wäre, wie es der zAveite Abschnitt des Entwurfs vorschreibt.

Sehr wahrscheinlich wird aber die National Versammlung diesem Ver- fassungs Entwurf ohne wesentliche Abänderungen ihre Zustimmung ertheilen. Es entsteht nun die Frage, ob das Ergebnis der hierüber ehenstens be- ginnenden Berathungen ganz ruhig abzuwarten oder ob es angemessen sei, dass Oesterreichischer Seits, sogleich von der blossen Vorlage des Entwurfes Veranlassung genommen werde, und eventuell für den Fall seiner Erhe- bung zum Reichsgrundgesetze den Austritt Oesterreichs aus dem Bunde anzukündigen? Dieser letztere Schritt könnte wohl nicht einseitig von dem k. k. Ministerium, sondern nur im Einverständnisse mit dem oester- reichischen Reichstage geschehen, dessen Majorität sich ohne Zweifel lieber für eine Lostrennung Oesterreichs vom reorganisirten deutschen Bunde als für den Anschluss unter den Bedingungen des Entwurfs entscheiden wird. Es ist zu vermuthen, dass in diesem Sinne die Initiative von dem oesterreichischen Reichstage selbst ergriffen werde. Wenn diess aber nicht geschieht, so scheint es räthlich, dass das k. k. Ministerium sich vorerst passiv verhält; denn seine ErkUirung vom 21. April steht fest und die deutsche konstituirende National Versammlung kennt somit alle Wechsel- fälle. Nimmt sie den Entwurf an, so liegt es am Tage, dass ihre Majo- rität, ebenso wie die Majorität ihres Verfassungs Ausschusses den Aus- tritt Oesterreichs will. Diese Frage wird zii Frankfurt und zu Wien einen heftigen Partheikampf her\orrufen; doch sind zum Theil die Ge- müther auf den Ausgang vorbereitet, den die Einsichtsvollem seit längerer Zeit als die wünschenswertheste Lösung der Verwickelungen betrachtet haben; nämlich auf eine innige politische Allianz der öster- reichischen Gesammtmonarchie mit dem neuen deutschen Bundesstaat; alsdann wird die frühere Eifersucht Preussens gegen Oesterreich wegfallen und im Interesse Beider ein aufrichtiges freund- schaftliches Verhältniss zwischen ihnen herzustellen sein. Preussen würde . zwar von manchen Volksstämmen sehr ungern an der Spitze des Föderativ Staates gesehen sein; doch wird es früher oder später dahin zu gelangen und sich dort zu behaupten wissen.

Die Nachtheile, welche für Oesterreich aus seiner Lossagung vom deutschen Föderativ-Staate hervorgehen, lassen sich in nachstehende Punkte zusammenfassen.

a) Die Verringerung, wenn nicht der gänzliche Verlust seines Ein- flusses auch die Geschicke Deutschlands: um jedoch hiebei das Maass nicht zu überschätzen, wird man sich gestehen müssen, dass seit dem Bestehen des deutschen Bundes die Einwirkune- des kaiserlichen Cabinets von Jahr

Österreich und der deutsche Buiidesstaiit. 289

2,u Jahr abgenommen hat: dass daher die Einbusse des Inne gehabten nicht hoch anzuschlagen ist.

Und was den Entgang dfes bei der neuen Organisation Deutsehlands zu hoffenden Gewinnes an moralischem und materiellem Gewichte der Con- currenz Oesterreichs im Staatenhause und im Volkshause des deutschen Eeiches betrifft, so ist zu erwägen, dass zwar das Letztere beinahe zu einem ürittheile aus österreichischen Abgeordneten bestehen werde, dass aber von diesen in ihren Abstimmungen in keiner Frage von Wichtigkeit eine kompakte Masse mit Zuversicht erwartet werden kann ; ja dass bei der Entscheidung nach bloss nummerischem Verhältnisse auf einen Aus- schlag der oestei reichischen Stiromen über die künftigen deutschen Reichs- angelegenheiten weniger zu rechnen sein dürfte, als in sonstiger Zeit auf das Übergewicht eines Votvims des kais: oesterreichischen Präsidial- Hofes in erheblichen Eundes-Angelegenheiten. Es scheint, dass früherhin, wo über dergleichen die Gesammtheit betreffende Fragen fast ausschliessend die Regierungen die Beschlussnahme in der Hand hatten, es leichter ge- wesen sein müsste, nach vorbereitender Cabinets Verhandlung das, was man im Ministerium zu Wien, als Oesterreichisches Interesse erkannt haben würde, in der Bundesversammlung durchzusetzen, als es in Zukunft den oesterreichischen Mitgliedern des deutschen Reichstages zu Frankfurt ge- lingen werde, sich vorerst über das, was das Beste der österreichisch- deutschen Provinzen erheischt, selbst zu einigen und es dann auf dem Reichstage mit Erfolg durchzuführen.

b) Mit dem Austritte Oesterreichs aus dem Bunde wird besorgt, dass €5 allmählich den übrigen deutschen Volkssiämmen entfremdet werde und dass sich die gegenseitigen Sympathien mindern müssen. Wenn es nicht zu leugnen ist, dass diese Gefühls-Beziehungen in der neuesten Zeit, aus Anlass des in Oesterreich stattgehabten politischen Umschwunges, leben- diger geworden sind, so dürfte gerade in diesem Umstände eine Bürg- schaft liegen, dass eine Lockerung dieser Bande Aveniger zu befürchten stehe, als Manche glauben. Es wird nämlich die Gleichheit der volks- ihümlichen Institutionen, unter der Erwartung der Segnungen eines völker- rechtlichen engen Bündnisses die Freundschaft, welche aus der Namens- verwandschaft und aus den geschichtlichen Traditionen hervorgegangen ist, erhalten und zur frischen Blüthe bringen.

c) Als eine Folge der Ausscheidung Oesterreichs aus dem deutschen Föderativ- Verbände, wird die Ueberhandnehmung des slavischen Elements und die Unterdrückung der Deutschen durch die Slaven in dem Kaiser- staate vorhergesagt. Es ist schwer vorauszusehen, wie in dem Falle, dass Oesterreich in dem deutschen Bunde verbleibt, und also den deutschen Reicbstag zu Frankfurt beschickt, die Reichsgewalt solchen Übergriffen der Slaven in Oesterreich Einhalt zu thun im Stande sein würde. Wenn aus den vorhandenen Erfahrungen ein Urtheil entnommen werden darf, so kann daran erinnert werden, dass wiederholte Beschlüsse der deutschen konstituirenden Nationalversammlung und wiederholte Aufforderungen der provisorischen Certralgewalt für Deutschland nicht einmal die Vornahme der rückständigen Wahlen in Böhmen zu bewerkstelligen vermochten. Wenn man von Reichswegen nicht im Stande war, einem nur negativen den Deutschen trotzenden Verhalten der Slaven in Böhmen abzuhelfen, wie

290 (Hans V. Zwiedineck.

lässt sich von dorther ein wirklicher Schutz der Deutschen gegen positive- Handlungen der Slaven ausüben? Die Gewalt der Waffen lässt sich nicht anwenden, ohne den schi'ecklichsten Bürgerkrieg herbeizuführen. Die ver- trauensvolle Anrufung des Gerechtigkeitsgefühles der slavischen Stämme zur Geltendmachung des Grundsatzes der vollkommenen Gleichstellung aller Nationalitäten würde einen besseren Erfolg gehabt haben, wenn die nicht genug zu beklagende Di-ohung mit der Schärfe des Schwerdten unterlassen worden wäre, die eine unselige Erbitterung erzeugte und ein Verständniss erschweren musste. Der blutige Zusamraenstoss zwischen Ungarn und Kroatien liefert den Beweis, dass der Slave für und nicht gegen das Recht der Nationalität kämpft.

Es wird gesagt, dass ein deutsches Reich ohne die bisher zum deut- sches Bunde gehörigen Oesterreichischen Provinzen nicht schwer genug im Europäischen Staatensysteme wiege, um allen fremden Regierungen gegen- über eine Achtung gebietende Sprache führen zu können. Indessen zählt ein Föderativ Staat von mehr als dreissig Millionen Seelen und mit einer kräftigen Centralgewalt jedenfalls zu den Grossmächten; und was ihm durch' den Mangel einer organischen Verbindung mit dem halben Kaiserstaate Oesterreich in der Stellung zum Auslande entgeht, kann es durch eine accessorische Vereinigung mit dem ganzen Oestei'reich wieder gewinnen. Zudem ist nicht zu vergessen, dass ein Dualismus der österreichischen Monarchie sich in der neuen zur lebenskräftigen Entwickelung berufenen Organisation Deutschlands viel hemmender äussern würde, als es bei dem alten deutschen Bunde, der seine Wirksamkeit in engern Grenzen eiu- schloss, der Fall gewesen ist. Als eine der bedenklichsten Folgen des Austrittes Oesterreichs aus dem deutschen Föderativ Staate, wird mit Recht die darüber entstehende und von Deutschland aus genährte Unzufriedenheit eines T heiles der Bevvohner der bisher zum deutschen Bundesgebiete gehörigen österreichischen Provinzen zur Erwä- gung vorgehalten. Hiegecren sfibt es nur ein Mittel, nämlich das konse- quente Bemühen, ihnen eine grössere materielle und politische Wohlfahrt im österreichischen Bundesstaate zu verschaffen, als sie im deutscheu Bundesstaate geniessen würden. Eine Aufnahme der österreichischen Ge- sammtmonarchie in die deutsche Föderation, welche dann als mitteleuro- päischer Bund bezeichnet werden müsste, ist aus Gründen der Innern und äussern Politik unmöglich ausführbar.

Die berührten Nachtheile, Avelche der Austritt der österreichischen deut- schen Provinzen aus dem deutschen Bundesstaate mit sich brächte, würden aber auch durch mancherlei damit verknüpfte Vortheile ersetzt; nämlich :

a) Enthebung von den sehr beträchtlichen Bundeslasten, als jährliche Geldmatrikular Beiträge zu dem Bau der Bundesfestungen, ihrer Unter- haltung, Approvisionirung, Stellung der Garnison' und dergleichen. Diese Ausgaben sind von Oestreich liekanntlich mit einem Drittheil zu decken. Bei der künltigen Centralregierung Deutschlands werden die Reichslasten bedeutend erhölit werden; die liereits beschlossene sehr starke Vermehrung des Reichsheeres, die Bildung einer deutschen Kriegsmarine, die Dotirung des Reichsoberhauptes, die Vertretung des Reiches nach aussen, die Er- richtung eines Reichsministeriuras, die in Aussicht genommene Anlegung neuer Reichsfestungen, Eisenbahnen, Häfen, Canäle, u. d. gl., die Auf-

Östen-eich und der deutsche Bundesstaat. 291

Stellungen und Dislocationen mehrerer Reichstruppencorps, die unausbleib- liche Nothwendigkeit eines Keichsanlehens, die Zinsenzahlung und noch mancher andere Aufwand würden bei ihrer Repai'tirung umso härter auf Oesterreich drücken, als es nebenbei alle seine bisherigen Erfordernisse des Innern und äussern Dienstes befriedigen müsste, indem es dem Bei- spiele der kleinern Staaten in Aufhebung dieser oder jener, durch Reichs- behörden und Reichsaustalten entbehrlich werdender Institutionen nicht folgen könnte.

b) Legt sich Oesterreich nicht die Fesseln an, in welche um der wahren deutschen Einheit willen, jeder Einzelstaat sich fügen soll, dann erlangt es seine vollkommene Selbstständigkeit, freie Bewegung im innern und nach aussen unter den durch ein Allianz-Verhältniss mit Deutschland gegebenen Modifikationen, Autonomie in allen volkswirthschaft- lichen Fragen, einen festeren Verband aller Erblande, eine sichere Clewähr für die Ausgleichung innerer Zerwürfnisse im Wege unmittelbarer Ver- ständigung der Volksrepresentanten aus den verschiedenen Stämmen am Centralpunkt der Regierung, ohne störende Einflüsse von anderwärts und endlich die Möglichkeit einer administrativen Entwickelung der Gesammt- monarchie in ungehemmter Bahn nach ihren eigenen Bedürfnissen und Interessen, wie sie das gesetzliche heimische Volksorgan erkennt, ohne die lästige Bevormundung einer deutschen Reichsversammlung, welche sich über dasselbe stellen will und doch nur zu einem Drittheil mit ihm einerlei Ursprungs und zu ähnlicher Erkenntniss berufen ist.

In Anbetracht des eben Vorgetragenen dürfte der Entschluss für Oesterreich nicht schwer werden, dem im Entwürfe des Verfassungsaus- schusses dargelegten Föderativ Verhältnisse mit Deutschland d. i. einem

wirklichen Bundesstaate zu entsagen [Folgt eine Erörterung

über die Form, in der diese Austrittserklärung abgegeben werden könnte].

Ein Protest der deutschen Nationalversammlung gegen einen ihr in solcher Weise notifizirten Austritt Oesterreichs ist nicht zu gewärtigen, und wenn er wirklich erfolgte, ist er gegen eine solche Macht von keiner praktischen Consequenz. Wird er erhoben, so liegt ihm vielleicht das Motiv zum Grunde, die volle Freiheit des Austritts nicht anerkennen zu wollen, und zwar aus der Ursache, um der zu schaffenden deutschen Reichs- gewalt von vorneherein das Recht zu vindiciren, die minder mächtigen Regierungen namentlich die königlich Niederländische und die königlich Dänische, wenn sie den Verband von Luxemburg, Limburg und Holstein mit Deutschland, nach Oesterreichs Beispiel und unter Berufung auf dessen Zulassung, lösen wollten.

Würde die deutsche Nationalversammlung unter Bezugnahme auf den Artikel V. der Wiener-Schlussacte vom 15. Mai 1820, welcher sagt: »Der deutsche Bund ist als eiu unauflöslicher Verein gegründet und es kann daher der Austritt aus diesem Vereine keinem Mitgliede desselben frei- stehen«, den Austritt Oesterreichs nicht gestatten, so wäre dagegen zu erwiedern, dass der alte Bund thatsächlich aufgehoben ist und dass es sich nicht sowohl um den Austritt aus demselben, als vielmehr um die Weigerung handelt, in ein neues Bundesverhältniss einzutreten.

Was die auswärtigen Mächte betrifft, so werden sie, als Mitcontra- beuten der Wiener-Congressacte und als Garanten der deutschen Bundes-

292 H ans V. Z wi edi 11 eck.

^cte, kaum Eiiiwenduiigen gegen Oesterreichs Austritt vorbringen; sie könnten es gegen ihr Interesse finden, wenn das Gebiet des neuen o.en- tralisirten deutschen Reichs im Vergleiche mit jenem des alten deutschen Hundes an Ausdehnung gewänne, nicht aber, wenn es verkleinert wird. Und wenn sie den Austritt Oesterreichs nicht stillschweigend hinnehmen, so geschieht es sicher weniger der Sache wegen, als vielmehr wegen der Form, um nämlich das von ihnen behauptete Recht der Mitsprache bei allen Änderungen des europäischen Staaten Systems auch bei dieser Ge- legenheit in Anregung zu bringen.

Endlich das oben empfohlene Anerbieten Oesterreichs zum Abschluss einer politischen Allianz mit Deutschland anlangend, so dürften die we- .sentlichsten Bestimmungen eines solchen besser mit der provisorischen Centralgewalt im Einverständnisse mit der konstituirenden Nationalver- sammlung, als erst mit der künftigen Reichsgewalt durch besondere Be- vollmächtigte zii verhandelnden Traktats, sich auf folgende Punkte er- strecken.

Erstens. Ein Schutz und Trutzbündniss für alle Kriege, mit Aus- nahme eines Eroberungskrieges.

Zweitens. Gegenseitige Garantirung des Teri'itorialbestandes.

Drittens. Zusage militärischer Hülfeleistungen bei Ruhestörungen in den Gränzbezirken auf Requisition der Kaiserlichen Regierung bei der •deutschen Eeichsgewalt und umgekehrt.

Viertens. Auslieferung der beiderseitigen Verbrecher, sowohl der gemeinen, wie der politischen, auf vorausgängiges Begehren.

Fünftens. Fortbestand des Militärcartells, welches unter sämmt- lichen Bundesstaaten wegen Auslieferung der Deserteurs vereinbart worden ist.

Sechsten s. Vollzugskraft aller civil- und criminalgerichtlichen Urtheile der Justizbehörden des andern Theiles.

Siebentens. Aufrechthaltuug der Fbereinkunft, welche von Oestcr- Teich mit den übrigen deutschen Regierungen gegen den Nachdruck, mit- telst eines Bundesbeschlusses getroffen worden ist.

Achtens. Das Recht der vollen Freizügigkeit der beiderseitigen Staatsangehörigen aus einem ehemaligen oesterreichisch-deutschen Theile des frühern Bundesgebiets in das deutsche Reichsgebiet und umgekehrt nach erfüllter Militärpflicht.

Neuntens. Fortbestand der Postconventiou, welche Oester- reich gemeinschaftlich mit den meisten übrigen deutschen Regierungen abgeschlossen hat und insofern das neue Reichspostinstitut eine Modifica- tion derselben erheischt, eine entsprechende Verständigung.

Zehntens. Fortdauernde Gültigkeit aller von Oesterreich mit den "deutschen Regierungen eingegangenen Schitftahrtsverträge, und gegenseitige Zusage einer Gleichstellung dar öesterreichischen und der Reichsflagge auf <len Flüssen in den beiderseitigen Gebieten, namentlich auf der Donau, desgleichen auf den Canälen und in den Häfen.

Elftens. Anerbieten zur Unterhandlung eines Handels und Zoll- traktats nach dem. Grundsatze der möglichsten Gleichstellung der beider- seitigen Tarife, insbesondere einstweilige Erleichterung des Gränzverkehrs und sorgfältigste Beaufsichtigung und Verhinderung des Schmuggels nach <lem Gebiete des anderen Theiles.

Österreich und der deutücbe Bundesstaat. 295

Zwölftens. EinräumuDg der von der deutschen konstituivenden Nationalversammlung allen Deutscheu verbürgten Grundrechte an alle österreichischen Staatsangehörigen, in den bisher im deutschen -Bunde be- griffen gewesenen Provinzen unter der Voraussetzung, dass diese Grund- rechte mit den von der kaiserlichen Regierung unter legislativer Mitwir- kung des österreichischen Reichstages erlassenen Bestimmungen nicht im Widerspruche stehen.

Ausser diesen Stipulationen könnten noch einige Andere in den Traktat über die künftige Stellung (Österreichs zu Deutschland aufgenommen, werden, je nachdem sich die gegenseitige Bereitwilligkeit hiezu ermesaen Hesse.

Die Frage, ob Oesterreich bei seinem Austritte aus dem deutschen FöderativeVerbande eine Liquidation und Rückforderung seiner für ,den Bau der Bundesfestungen Ulm und Rastadt eingezahlten Matrikular-Geld- beiträge, wovon der eben jetzt fällige und bereits angekündigte eine halbe Million Gulden übersteigt, versuchen sollte, würde einer besonderen Er- wägung unterzogen wei'den müssen. Sie wird hier nur der Vollständigkeit wegen nicht unerwähnt gelassen.

Nachtrag.

In dem soeben im Druck erschienenen Entwürfe der zwei ersten Ab- schnitte der deutschen Reichsverfassuog ist ein von der Minorität des Verfassungs- Ausschusses zu § 2 vorgeschlagener Zusatz enthalten, welcher also lautet :

»Insofern die eigenthümlichen Verhältnisse Oesterreichs die Ausfüh- rung des § 2 und der daraus abgeleiteten Paragraphen hinsichtlich des- selben nicht zulassen, soll die angestrebte Einheit und Macht Deutschlands im grösstmöglichen Maasse durch den innigsten Anschluss Oesterreichs an Deutschland im Wege des Völkerrechtlichen Bündnisses zwi- schen der Reichsgewalt und der oester reichischen Regie- rung erzielt wei-den^^ (Mühlfeld, Detmold, Rotenhahn, Lasaulx).

Durch dieses Amendement ist die Erörterung und Erledigung dei' Frage über das fernere Verbleiben der österreichisch-deutschen Provinzen in dem deutschen Föderativ- Verbände oder deren Austritt aus demselben sehr erleichtert.

Frankfurt a.|M. am 4. October 1 848.

Ferd. Mensshengen m. p.

Minister Wesseuberg hat sich, soviel ich aus seiner Korrespoudenzi mit dem Erzherzocj Eeichsverweser beurteilen kauu, mit dem Menss- hengeu'scbeu Memorandum nicht sehr eingehend beschäftigt. Er ver- sprach sich überhaupt sehr wenig von der deutscheu Nationalver- sammlung und erwartete als Ergebnis der deutscheu Bewegung nur eine Keform der alten Bundes- Verfassung, also das Fortbestehen des Staatenbundes unter österreichischer Führung. Anders schien sich das Ministerum Felix Seh warzenbero- zur Lösuncf der deutscheu

294 Hans V. Zwiedineck.

VerfassuDgsfrage stellen zu wollen. Der darauf Bezug nehmende Teil <les sogenannten Kremsierer Programmes, d. h, der am 18. November vor dem Reichstage in Kre msier vom Fürsten Schwarzenberg abge- gebenen Erklärung lautet: ^ Nicht in dem Zerreissen der Monarchie, nicht in ihrer Schwächung liegt die Kräftigung Deutschlands. Oesterreichs Fortbestand in staatlicher Einheit ist ein deutsches wie ein europäi- sches Bedürfnis. Von dieser Überzeugung durchdrungen, gedenken wir der natürlichen Entwickelung des noch nicht vollendeten Umge- staltungsprozesses entgegenzusehen: Erst wenn das verjüngte Oester- reich und das verjüngte Deutschland zu neuen und festen Formen gelaiigt sind, wird es möglich sein, ihre gegenseitigen Beziehungen staatlich zu bestimmen. Bis dahiu wird Osterreich fortfahren, seine Bundespflichten treulich zu erfüllen".

Es kann wohl kaum behauptet werden, dass in diesen Sätzen " eine Zurückweisung des Gagern'schen Programmes lieg"t, man war vielmehr durchaus berechtigt, darin eine Zustimmung zu der Bildung eines deutschen Bundesstaates ohne Mitwirkung Österreich zu finden. Worin hätte denn sonst die natürliche Entwickelung bestehen sollen, aus der ein „verjüngtes Deutschland", dem ein , verjüngtes Osterreich gegenüberstünde, hervorgehen würde? Die „Allgemeine Zeitung" vom o. Dezember hat Schwarzenberg daraus einen Vorwurf gemacht, dass seine Rede die Annahme gestatte. Osterreich wolle auf jede Teil- nahme an dem Wiederaufbau Deutschlands verzichten. Schwarzenbergs Note an Menssbengen vom 28. November konnte nur dazu beitragen, diese Auslegung des Programmes von Kremsier zu bekräftigen. „AVeit entfert" heisst es darin, „Oesterreich Deutschland entfremden zu wollen, sind wir vielmehr bereit mit der Reichs-Zentral-Gewalt Hand in Hand zu gehen und, was das künftige staatliche Verhältnis zu Deutschland anbelangt, der Entwickelung der beiderseitigen inneren Zustände in keiner Weise vorzugreifen".

Es kann daher nicht auffallen, dass man auch im Auslande und selbst an fi'emden Höfen sich mit dem Gedanken vertraut gemacht hat, Österreich als aus dem engeren Verbände der reindeutschen Staaten geschieden zu betrachten, und dass die Note der österreichi- schen Regierung vom 28. Dezember, mit der gerade die entgegen- gesetzte Politik eingeleitet wurde, gerechtes Erstaunen und lebhaftes Bedauern hervorgerufen hat. Dies äussert sich auch in einem Schreiben, (las der Prinzgemahl von England, Herzog: Albert von Coburg aus diesem Aulasse an den Erzherzog Reichsverweser gerichtet hat. Die beiden Fürsten standen seit Langem in freundschaftlichem, brief- lichen Verkehr, es war daher gar nicht auffallend, dass Prinz Albert

Österreich und der deutsche Bundesstaat. 295

sich gedräugt fühlte, seine Ansicht in der deutschen Verfassungsfrage dem Erzherzog mitzuteilen. Es war ja schon wiederholt durch Ver- mittelung des Fürsten Karl von Leiningen, des Schwagers und Vetters <les Prinzen geschehen, der als Präsident an der Spitze des ersten Reichs- ministeriums gestanden war. Prinz Albert beschäftigte sich seit dem März 1848 eifrig mit den Vorschlägen zur deutschen Verfassung und hatte selbst den sogenannten Leiningen'schen Entwurf beeinflusst. Er tritt nun sehr entschieden für die „Kleiudeutsche'' Richtung ein und sucht dem Erzherzog in einer längereu Auseinandersetzung klar zu machen, dass Österreich sich zu seinem eigenen Vorteil auf demselben Standpunkt stellen könne.

(eigenhändig) Prinz Albert an Erzh. Jobann. Wiudsor Castle. Januar 7. LS 49. Gnädigster Erzherzog und Reichsverweser! Ich erlaube mir Eurer Kaiserlichen Hoheit ein kleines Memorandun^ zu übersenden, in welchem ich meine Ansichten über die Stellung Oester- reichs zu Deutschland ausgesprochen habe. Diese Frage ist so überaus wichtig und ihre glückliche Lösung so unumgängliche Vorbedingung zu der glücklichen Vollendung des grossen vaterländischen Gebäudes, welches unter Ihrer Leitung errichtet wird, dass Sie es begreiflich finden werden, dass auch ich den regsten Antheil an derselben nehme und gerade Höchst Ihnen meine mir gebildeten Ansichten vorlege.

Von Herzen lassen Sie mich Ihnen Glück zu dem glänzenden Um- schwünge wünschen, welcher in den Oesterreichischen Verhältnissen in der letzten Zeit slattgefundcn hat. Möge unter dem jungen Kaiser, einem thatkräftigen Ministerium und bei den herrlichen Eigenschaften und der Treue der Armee nun auch Ungarn schnell beschwichtigt werden und die Armee bald als ein starkes Ganze dastehen. Mit meinen besten Wünschen für Ihr persönliches Wohl bei dem Wechsel des Jahres verbleibe ich gnädigster Keichsverweser

Eurer Kaiserlichen Hoheit

treu ergebener

Vetter

Albert.

Beilage.

Oesterreich und Deutschland befinden sich gegenwärtig in einem Ubergangszuätand, in welchem es von der äussersten Wichtigkeit ist, den neuen Formen, die sich bilden sollen, von vorneherein ihr Verhältnis an- zuweisen und ihre freie Gestaltung zu sichern.

Dass Oesterreich an der Bewegung, durch die Deutschland nach einer neuen Einheit ringt, nicht Theil nehmen kann, ohne zu Grunde zu gehen, hat es, nach blutiger Erfahrung, selbst erkannt, und das Schwarzenberg'sche Programm, das sich die Aufgabe stellt, Oesterreich ausschliesslich nach oesterreichischen Interessen und auf ausschliesslich oesterreichische Weise zu regeneriren. ist der erste offene Act dieser Er-

29(3 Hans V. Z wiedi neck.

kenntnis geworden. Diese LVkliirung bat dann, alrf Echo, eine in Frankfurt hervorgerufen, üach der auch Deutschland auf ausschliesslich deutsche- Weise neuhergestellt, und es sodann den beiden veijüngtön Reichen vor- behalten sein soll, eine fest aneinanderlehnende Stellung einzunehmen.

Soweit handelten beide Theile vollkommen recht; nun aber begann das Unrechte, nähmlich eine gewisse Uusicherheit in dem Benehmeü Oester- reichs, das, wie es scheint, sich nicht überwinden kann, das bereits auf- gegebene Deutschland wirklich fahren zu lassen, und, um es auch ferner an sich gekettet zu halten, , es auf dem Wege seiner Verjüngung aufzu- halten trachtet.

Es fragt sich nun: handelt Oesterreich weise bei einem solchen Be- streben? Ist es für dasselbe vorteilhafter, mit dem ehemaligen an seiner Wiedergeburt gewaltsam gehinderten Deutschland das alte Ver- hältnis fortzusetzen oder mit dem verjüngten in ein neues zu treten?

Ich bin entschieden den Meinung, dass das letztere der Fall ist, und zwar aus folgenden Gründen:

1. Das Fortbestehen Oesterr-eichs in Deutschland würde den Eege- nerationsprozess beider Reiche verderben, und durch das Unbefriedigende der erlangten Erfolge den Grund zu neuen Revolutionen legen. Diese aber würden jedenfalls viel gefährlicher für Oesterreich als für Deutschland sein, weil sie hier, dem vorherrschenden und volkstüm- lichen Triebe nach Einheit gemäss, bloss gegen einzelne Institutionen, in Oesterreich aber, dem vorherrschenden .Triebe der National Verschiedenheit zufolge, gegen den Fortbestand des Gesammtreiches selbst gerichtet seyn würden. Dort würden sie einigen, hier aber auflösen.

2. Um so schneller Deutschland Luft gewinnt, seine neue Einheit zu vollenden, um so rascher und mächtiger wird auch die Rückwirkung auf die Einigung der oesterreichischen Monarchie sein und um so rascher wird zugleich für diese in dem Nachbarreiche ein kräftiger Bundesgenosse oreffen äussere Feinde ei wachsen.

3. Der Mangel eines solchen natürlichen Bundesgenossen gerade in dem gegenwärtigen critischen Augenblicke würde Oesterreich höchst wahr- scheinlich zwingen, sich auf Russland zu stützen und somit dasselbe zu einer Politik zu weisen, die den wesentlichsten Zwecken seiner geschicht- lichen Stellung und Bestimmung geradezu entgegen gesetzt ist.

4. Oesterreich, wenn es ein ungebrochenes Ganze V)leibt und als solches zu Deutschland in ein freies Bundesverhältnis tritt, wird auf das- selbe mit seinen vollen sechsunddreissig Millionen einen viel stärkeren Einfluss ausüben können, als wenn es nur mit einem Theile seines Länder-

•bestandes und mit nicht mehr als zwölf Millionen seiner Bevölkerung (von denen übrigens beinahe die Hälfte undeutsch ist) an Deutschland ge- bunden bleibt.

Aus diesen Gründen glaube ich, ist es Oesterreichs dringende Pflicht durch ein rasches Entgegenkommen auf dem von Deutschland vorgeschla- genen Weo-e dieses von sich, wie sich von Deutschland frei zu machen, und sich entschlossen zu zeigen, von der in dem Schwarzenberg sehen Programme gegebenen Erklärung nun auch sämmtliche Consequenzen aut sich zu nehmen. Jeder Tag, den Oesterreich die von ihm in dieser Frage gegenwärtig beobachtete Halbheitspolitik verlängert und fortfährt zwischen

Österreich und der deutsche Bundesstaat. 297

seinen wirklichen oesterreichischen und seinen eingebildeten deutschen Interessen auf beiden Schultern zu tragen, ist ein neues Hinderniss in die Entwickelung beider Reiche geworfen. Nach der Pflicht, sich selbst neu herzustellen, giebt es sowohl für Oesterreich als für Deutschland keine dringendere und näher liegende als die, mit dem Nachbarreiche ein kräftiges Bundesverhältnis einzugehen.

W. C. 1./I. 49. A.

Als der in Kremsier tagende erste österreichische Reichstaof noch vor dem Abschlüsse der von ihm beratenen Verfassung aufgelöst und am 4. März 1849 die Seh warzenberj^-Stadion'sche Verfassunor durch ein kaiserliches Patent eingeführt worden war, die mit Ausser- achtlassung aller zurechtbestehenden Landesverfassungen und staats- rechtlichen Verträge ein einheitliches Kaisertum Osterreich mit einem auch von Ungarn und seinen Nebenläudern zu beschickenden Ge- sammtreichsrat schuf, war der Eintritt der deutsch-österreichischen Länder in einen deutscheu Bundesstaat unbedingt ausgeschlossen. Die Folge davon war, dass die Gagern'sche Partei sowohl aus dem konser- vativen, wie aus dem liberalen Lager neuen Zuwachs erhielt, dass Schmerling seine Entlassung als erster österreichischer Bevollmäch- tigter einreichte und dass der Abgeordnete Professor Welcker von Freiburg, der bis dahin der Führer der Grossdeutschen gewesen war, in die Worte ausbrach: „Jetzt ist Österreichs Ausschluss fertig, jetzt muss jeder Patriot in der Übertragung der erblichen Kaiservvürde an die Krone Preussen die Kettung des Vaterlandes suchen". Tags darauf, am 12. März brachte er die Anträge ein, von denen die Beendigung des deutschen Verfassungswerkes ausging. Punkt 2 verlangte die Annahme der gesamten deutscheu Keichsverfassung, sowie sie nach der ersten Lesung mit Berücksichtigung der Wünsche der Regierungeu vorliege, durch einen einzigen Gesamtbeschluss der National- Versamm- lung, Punkt 3 übertrug die erbliche Kaiserwürde dem Könige von Preussen, Punkt (3 lautete: Se. Majestät der Kaiser von Österreich als Fürst der deutsch-österreichischen Lande und die sämtlichen Bruder- stämme in diesen Landen, einzeln und vereint, sind zum Eintritt iu den deutschen Bundesstaat jetzt und zu aller Zeit eingeladen und auf- gefordert. Punkt 7 : Die deutsche Nationalversammlung legt gegen ein etwa von der Regierung der deutsch-österreichischen Lande oder von diesem Lande selbst beanspruchtes Recht, von dem deutschen Vaterlande und aus der von seinem Gesamtwillen beschlossenen Ver- fassung auszuscheiden, für alle Zeiten feierlichen Protest ein. Punkt 8. Sie ist aber bereit, so lange einer definitiven Verwirklichung des völ- ligen Eintritts der deutsch-österreichischen Lande iu die deutsche Mittheilungen XXIV. 20

298 Hans V, Zwiedineck.

Reichsverfassung noch Schwierigkeiten im Wege stehen sollten, die bestehenden nationalen brüderlichen Verhältnisse, jedoch unbeschadet der Selbständigkeit der deutschen Reichsverfassung, zu erhalten. Einen praktischen Staatsmann musste es reizen, für diese Gesinnungen, die von Welcker völlig gestaltlos in die Diskussion geworfen wurden, eine diplomatische Form zu suchen, also die „weitere Verbindung" auszubauen, die das verjüngte Österreich mit dem nun konstituirten Deutschland staatsrechtlich vereinigen würde. Dieser Aufgabe hat sich Freiherr v. Menssh engen unterzogen, der den „Entwurf eines Planes für einen Föderativ-Verband Österreichs mit einem deutschen Reichskörper" am 14. März an den Fürsten Schwarzenberg einsandte. Er bildet einen Staatsvertrag, der zwischen dem Kaiser -von Österreich und dem Erzherzog Reichsverweser abzu- schliessen wäre. Darin wird zuerst erklärt, dass der Kaiser von Österreich dem „Deutschen Reiche* vorläufig nicht beitrete. „Ein späterer Eintritt wird jedoch einer gegenseitigen Übereinkunft vor- behalten, insofern derselbe durch Abänderungen in der Reichsverfassung oder in der Organisation der österreichischen Gesamtmonarchie aus- führbar werden sollte". Die Bundesakte vom 8. Juni 1815 und die Schlussakte vom 15. Mai 1820 erlöschen. Nur wenn die neuen Bundesgesetze nicht für alle vorkommenden Fälle ausreichen würden, könnte „in den sie ergänzenden alten Bundesbeschlüssen subsidiarisch das Mittel zur Verständigung zu suchen sein. Der Kaiser von Öster- reich wird Garant der Verfassung des deutschen Reichs. Die gemein- schaftlichen Angelegenheiten werden in einem Bundesrat verhandelt, in diesen entsendet Österreich 15 Vertreter (den vom Kaiser zu er- nennenden Präsidenten, 4 Regierungsbevollmächtigte, je 5 Vertreter der beiden Kammern des Reichstages) das deutsche Reich 16 Ver- treter (6 Bevollmächtigte des Reichsrats, darunter den Vizepräsidenten, 1 preusischen, 1 bairischen Virilisten, 5 Abgeordnete des Staaten- hauses, 5 des Volkshauses) Dänemark 2, Niederlande 2 Vertreter, so dass der Bundesrat aus 35 Stimmenden bestünde. Sein Sitz ist Wieu. Gegenstände der Verhandlung des Bundesrates sind : Ausbildung der Bundesverfassung, Ergänzung der Bundesgesetzgebung, Erledigung der Militärangelegenheiteu, Ausschreibung der Bundesmatrikularbeiträge, Richtigstellung des Bundeskassenweseus, gemeinnützige Anordnungen, wozu jedes Mitglied einen Vorschlag zu macheu befugt ist, alln.ählige Beseitisuns der Zollschranken zwischen dem deutschen Reiche und den deutschen sowohl als auch nichtdeutschen Ländern seiner Bundes- genossen ; Einleitung zu einem gemeinschaftlichen Münz-, Maass- und Gewichtsysteni ; Gleichstellung der Post- und Eisenbahneinrichtungen ;

Österreich und der deutsche Bundesstaat. oqq

Erleichterungen des Verkehrs; Vorsorge für Auswanderungen und Kolonisation. „Das Präsidium und Vizepräsidium nebst einem aus fünf Mitgliedern bestehenden Ausschusse des Bundesrates sind per- manent, um die unaufschiebbaren Geschäfte zu erledigen und proviso- rische Beschlüsse zu fassen nach Analogie des in der deutschen Bundes- veraammlung üblich geweiiCnen Verfahrens".

Die ßuudesmitglieder garantiren sich gegenseitig ihre Besitzungen, schützen sich gemeinsam gegen Angriffe und dürfen sich selbst unter keinem Vorwande bekriegen. Das Kecht des Krieges und Friedens wird nicht vom Bundesrate sondern nur von jenen Souveränen oder deren Bevollmächtigten ausgeübt, die es besitzen, also hinsichtlich des deutschen Reiches vom Direktorium; sie bilden die Bundes-, Kriegs- uud Friedenskonferenz. Wenn das Bundesgebiet von einer auswärtigen Macht feindlich überfallen wird, tritt sofort der Stand des Krieges ein. Die vom Bundesrate in Gemässheit der Beschlüsse der Bundes-. Kriegs- und Friedenskonferenz ausgesprochenen Kriegserkläruno- ver- pflichtet sämtliche Bundesglieder zur unmittelbaren Teilnahme an dem gemeinschaftlichen Kriege. Österreich, Dänemark und die Niederlande werden ihre Kontingente in demselben Maasse erhöhen, als es im deutschen Reiche nach den Bestimmungen seiner Wehrverfassung der Fall sein wird.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Bundesstaat, der zugleich Be- sitzungen ausserhalb des Bundes hat, für sich allein, als europäische Macht einen Krieg führt, der nicht als Bundeskrieg erklärt wird. Der würde auch den übrigen Bundesgliedern ganz fremd bleiben, nur wenn das lombardisch-venetianische Königreich von einem auswärtigen Feinde augegriffen werden sollte, verpflichtet sich die deutsche Reichsregierung, .in Anbetracht der aus einem solchen Einfalle auch für die Südgrenze Deutschlands entspringenden Gefahr und in Übereinstimmung mit der im Jahr 1840 unter allen deutschen Bundesfürsten erfolgten eventuellen Vereinbaruugen'-, ein Hilfskorps von 50.000 Mann zur Verfügung des Kaisers von Österreich zu stellen, ohne dass dafür irgendeine Ver- gütung angesprochen werden kann.

Der leitende Grundgedanke des Bundes ist die Aufrechthal- t u n g d e s e u r o p ä i s c h e n F r i e d e n s , der durch Beitrittserklärungen anderer Mächte uud die dann ermöglichte allgemeine Entwaffnung gesichert werden soll. Für die Austragung von Streitigkeiten unter den Bundesgliedern wird ein Buudesschiedsgericht eingesetzt, dessen Zusammensetzung zwischen dem Kaiser von Österreich, den Königen von Dänemark und Niederland und der deutschen Reichs- regierung auf Grundlage einer angemessenen Stimmenverteilung in der

20*

300 Hans V. Zw ie d ineck.

Weise zu geschehen hat, dass dem deutsehen Reichsgerichte eine be- stimmte Anzahl von Richtern seitens der ausser dem deutschen Reichs- verbande stehenden Bundesmitglieder beigeordnet wird. „Über die Kompetenz und das Verfahren dieses Bundesschiedsgerichtes und über die Vollziehung seiner Urteile wird durch den Bundesrat bei seinem »Tsten Zusammentritt ein Beschluss gefasst vrerden.

„Die Anbahnung eines stufenweisen allmähligen Übergangs des deutschen Bundes in einen mitteleuropäischen Staatenbund, in welchem auch die ausserdeutscheu Landesteile der österreichischen Gesamtmonarchie Platz greifen würden, bleibt der Erwägung anheim- gegeben und wenn zur Ausführung dieses Gedankens der schickliche Zeitpunkt eintritt, wird hiebei von dem Grundsatze auszugehen sein, dass in diesem Falle der Bundesrat aus den ausserdeutschen Elementen des österreichischen Reichstages und mit einem oder mehreren öster- reichischen Regierungsorganen zu verstärken sein werde".

Der Vertrag, der im Ganzen 29 Paragraphe enthält, verbreitet sich ausserdem über das Verhältnis der Bundesgesandtschaften und der Gesandten der Einzelstaaten, auf das Konsularwesen, die Einrich- tung der Matrikelanlagen und der Bundeskassen, die ebenfalls nach Wien \erlegt werden sollten, auf die Bildung einer gemeinsamen Kriegsmarine und den formellen Ausgleich zwischen den in Kraft stehenden Bundesbeschlüssen des alten und den aufzustellenden Be- stimmungen des neuen deutschen Bundes,

Es mag im Einzelnen au diesem Entwürfe manches auszustellen sein, im Ganzen macht er nicht den Eindruck einer Utopie, denn er knüpft überall an die bestehenden, realen Verhältnisse an und legt keiner der Mächte, die sich damit zu beschäftigen gehabt hatten, un- erschwingliche Opfer auf, Dass namentlich für Osterreich ausser- ordentliche Vorteile aus der Aktivirung des weiteren deutschen Bundes entstanden wären, wird sich kaum bestreiten lassen. Hat Mensshengen dabei auch ein einheitliches, konstitutionell regiertes Kaisertum im Auge gehabt, wie es durch die Kremsierer oder die Schwarzenberg- Stadion'sche Verfassung hätte geschaffen werden sollen, so war die zentralistische Staatsform doch durchaus keine unbedingt notwendige Vorbedingung für das ganze Abkommen, dieses Hesse sich auch den Verhältnissen anpassen, die später tatsächlich erwachsen sind.

Die Annahme und Durchführung des Buudesgedankeus, dem Mensshengen eine sehr deutliche und bestimmte Verkörperung verliehen hat, hing ausschliesslich von der österreichischen Regierung ab. Der zweite Hauptpaziszent, der König Friedrich Wilhelm IV. von

Österreich und der deutsche Bundesstaat. 30]^

Preussen hätte nach den genügend bekannten Dispositionen eine in diesem Sinne ausgearbeitete und von Österreich eingebrachte Vorlage mit Begeisterung angenommen. Auch die deutsche Nationalversamm- lung würde sich, wenn auch nach unendlichen Eedeschlachten, dem einmütigen Autrage der Grossmächte, denen alle Kleinstaaten unbe- dingt Folge geleistet hätten, endlich unterworfen haben. Die ganze , Weidenbusch-Partei ", verstärkt durch die Österreicher und die kon- servativen Preussen (Radowitz u. A.) hätte eine imposante Mehrheit ergeben, gegen welche die demokratisch-republikanische Linke auf parlamentarischem Wege keine Erfolge erzielen konnte. Sie hätte ohne Zweifel ihre Revolution gemacht; diese würde aber keinen we- sentlich audereu Verlauf genommen haben, als ihn der Sommer 1849 ohnehin dargethan hat. Die vier Königreiche (Baiern, Württemberg, Hannover, Sachsen) konnten selbstverständlich von dieser Lösung der deutschen Frage nicht sonderlich erbaut sein, es würde ihnen jedoch kaum gelungen sein, aus ihrer Misstimmung ein unüberwindliches diplomatisches Hindernis des angebahnten preussisch-österreichischen Abkommens zu gestalten, das die deutschen Patrioten aller Stämme als ein Werk der Weisheit und Selbstbeschränkung begrüsst haben würden.

Kleine Mitteilungen.

Jaliresaiifaiii? .am 1. Januar in der meissuisch-thüringisdien Kanzlei um die Mitte des li. Jalirliunderts. Zu den Fragen der mittelalterlichen Chronologie, deren Beantwortung grosse Schwierig- keiten bietet, gehört die des Jahresanfangs in den verschiedenen Zeiten, Ländern und Kanzleien. Allgemeine Regeln lassen sich da nur mit Vorsicht und unter Vorbehalt aufstellen, da sich bei ein- gehenden Spezialuntersuchungen mehrfach ergibt, dass, wie überall, so auch hier der Grundsatz gilt „keine Regel ohne Ausnahme",

Nach Grotefends neuesten Augaben im kleinen „Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit (1898) S. 11 und desgleichen in der zweiten Auflage seines grösseren Werkes, der „Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit" (1891) I, 205 gilt für die Erzbistümer Mainz und Magdeburg mit ihren Suf- fraganen also auch mit für die Gebiete, die politisch den Macht- bereich der Wettiner bilden, die Landgrafschaft Thüringen, die Mark- grafschaften Meissen, Osterland und Landsberg und das Pleissnerland der 25. Dezember als Jahresbeginu. 0. Posse in seiner „Lehre von den Privaturkunden" (1885), die sich vorwiegend auf dem Ur- kundenmaterial der wettinischen Lande aufbaut, erklärt es S. 102 als erforderlich, den in jeder Kanzlei üblichen Brauch zu kennen, zunächst aber erst auch festzustellen, ob eine Urkunde wirklich in der Kanzlei des Ausstellers angefertigt sei und nicht etwa von Empfängerhand herrühre, da z. B. die oft ihre Urkunden selbst schreibenden Klöster einer anderen Datirungsart folgen, als die Kanzlei dessen, der als Urkundeuaussteller auftritt. Unter Berufung auf die Einträge des Kopiais 25, des ältesten, gleichzeitig geführten Originalregisters der wettinischen Kanzlei erklärt er für das 14. Jahrhundert den

Jahresanfang am 1. Januar etc. 303

25. Dezember als Jahr es beginn. Jedoch auch hier gilt die Eegel nicht uneingeschränkt, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Das Nonnenkloster zu Hayn (Grossenhain nördlich von Dresden) erhielt vom Markgrafen Friedrich III., dem Strengen, von Meissen eine Bestätigung des von seinem Grossvater Friedrich L, dem Freidigeu, unter dem Datum des XVI. Kalendas Augusti (17. Juli) 1309 erteilten und wörtlich der neuen Urkunde inserirten Privilegs i). Der Schluss der Urkunde Friedrichs III. lautet: .Testes huius sunt nobiles Thimo de Koldicz marschalcus noster et capitaneus, Botho de Turgow domi- nus in Eichene, Johannes de Koldicz, Botho de Ilburg iunior, Alberus de Malticz, Jan de Schonenvelt senior, dominus Ticzmannus de Limpach noster prothonotarius, fideles nostri dilecti et quamplures alii fide digui. Datum Dresden anno domini millesimo trecentesimo quinquagesimo in die Innocentum''^) Sie ist also, wörtlich übersetzt, am 28. Dezember 1350 ausgestellt. Das Stück ist eine über jeden, auch den leisesten Zweifel erhabene Originalausfertigung der markgräflichen Kanzlei: denn die Hand, die es herstellte, ist eine der Haupthände der Kanzlei jener Jahre, die zahlreiche Originale und viele Einträge in den gleich- zeitigen Eegisterbänden 24 (dem Lehnbuch) und 25 (dem Kegistrum perpetuum) geschrieben hat 3). Die meisten Zeugen, wie auch der Auf- enthalt in Dresden passen zum 28. Dezember 1349 und 28. Dezember 1350*); der eine Zeugenname aber ist nur in dem einem von beiden Jahren zulässig, und dieses Zeugnis ist zugleich so bestimmt, dass es jede andere Möglichkeit ausschliesst. Im Jahre 1349 und bis zum Sep- tember 1350 waltete als Protonotar des Markgrafen der Pleban von Wallhauseu und Meissner Domherr Konrad von Kirchberg (meist nach seiner Pfarrpfründe Konrad von Wallhauseu genannt); zahlreiche Er- wähnungen in den Zeugenreihen der Urkunden aus dem Ende des Jahres 1349 und den ersten acht Monaten von 1350 zeigen ihn iu

'^ Dasselbe ist auch im Originale selbst erhalter, Hauptstaatsarchiv Dresden Crig. Nr. 1869.

2) H.-St.-A. Dresden Orig. Nr. 3196, Pergament, mit dem an blauen und roten Seidenfaden hängenden Reitersiegel Friedrichs. Ausserdem ist die Urkunde auch noch erhalten durch ihre vollständige Buchung in Kopial 25 fol. 41, ü^ , nur ist hierbei die Zeugenreihe gekürzt.

") Es ist die in der bevorstehenden Ausgabe des Lehnbuches Friedrichs des Strengen (von W. Lippert und H. Beschorner) als Hand A bezeichnete Schreiber- hand, von welcher Proben auf den beizugebenden Faksimilientafeln I und 11 enthalten sind,

•*) Vgl. das Itinerar bei H. B. Meyer, Hof- und Zentralverwaltung der Wettiner in der Zeit einheitlicher Herrschaft über die meissnisch-thüringiseben Lande 1248—1379 (Leipzig 1902) S. 134, 135.

304 Kleine Mitteilungen.

dieser Stellung'). Aui 17. September 1350 aber folgte ihm in der Leitung der Kanzlei der Pleban von Mügeln und Wurzner Domherr Titzmann oder Dietrich von Limbach, wie dies ein Vermerk im Register 25 fol. 43^ dartut: „Anno domni M'^CCCoLo sexta feria ante festum Mathei apostoli et ewaugeliste successit Theodericus de Lyropach do- minum Conradum de Walhuzin in prothouotaria, post cuius succes- sionem liec acta sunt" 2). Da nun aber in der Zeugenreihe der obigen Urkunde vom 28. Dezember Titzmann schon als Protonotar genannt ist, so liegt der unanfechtbai'e Beweis für die Ausstellung der Urkunde am 28. Dezember 1350 (nicht schon 1349) vor^).

Im Kopial 25 sind fol. 44 also hinter dem oben erwähnten Vermerk über Dietrichs von Limbach Antritt als Protonotar am 17. Sep- tember 1350 verschiedene Urkunden aus dem Ende von 1350 ein- getragen; so 1. ein Leibgedinge für Agnes, Gattin Strenphils von Limpach „Datum Drezsdeu anno L" feria VI-^ ante Lucie virginis" = 1(1. Dezember 1350; 2. Verschreibung für Henczko de Praga über das Geleit zu Oschatz „Datum Drezsden anno quiuquagesimo dominica proxima ante Thome apostoli" =^ 19. Dezember 1350 ; 3. Leibgedinge für Katherina, Gattin des Dresdner Bürgers Jenchin Grozse „Datum Drezsdeu anno L in die l)eati Johanuis ewaugeliste" =27. Dezember 1350; 4. Belehuung des Heinrich de Wurbuz „Datum Lipczk auuo L" feria V^ ante Elizabet" = 18, November*) 1350; 5. die Urkunde für das Kloster Hayn vom 28. Dezember 1350, die oben nach dem Original besprochen ist ; dann fol. 44 ^ : 6. Anwartschaft für Ritter Henzslin de Meckow „Datum Dresden anno LI" in die eipipanie (!) domini" = 6. Januar 1351; daun fol. 45: 7. Belehnung der Edlen von Ueburg^), ,der gegeben ist zcü Dresden nach Cristi gebürt drizcen hundert jar in dem funfzcigisten jare an dem dourestage nach deme heiigen Crist tage" = 30. Dezember 1350; 8. Leibgedinge für Anna, Gattin Sifrids de Schonenfeit „Datum Dresden anno LI" sabbato post epiphaniam

•) Vgl. über ihn als Vorstand der wettinischeu Kanzlei meinen Aufsatz im 2\euen Archiv für Sachs. Geschichte XXIV.

2j Vgl, auch Posse a. a, 0, S. 180.

3) Vgl. auch Meyer a. a. 0. S. 135. Unter den Zettelregesten des Haupt- staatsarchivs war die Urkunde bisher zum Jahre 1349 eingeordnet. Auch G. A. von Mülverstedt, Diplomatarium Ileburgense (Magdeburg 1877) 1, 201 Nr. 289, der von ihr ein kurzes Regest gibt, reiht sie zum Jahre 1349 ein.

*) Wie in fast allen mittelalterlichen Registern ist die Zeitfolge nicht tage- ■we'xse genau eingehalten, sondern die Daten springen gelegentlich wieder zurück, <la nicht jeder einzelne Eintrag für sich gebucht wurde, sondern man oft meh- rere zusammenkommen Hess und dann auf einmal registrirte.

^) Vgl. Mülverstedt, Diplomatarium Ileburgense I 210 Nr. 297.

Jahresanfang am 1. Januar etc. 3Q5

domini" = 8. Jauuar 1351; 9. Leibgedinge für Katheriua, Gattin Friczkos de ßeckenicz, vom selben Datum =^8, Januar 1351; dann fol, 45^^ u, s. f. weitere Urkunden aus dem Januar und Februar 1351. Ausser der Grosseuhaiuer Urkunde vom 28. Dezember 1350 sind hier also noch zwei weitere Urkunden der letzten Tage des Jahres, eine vom 27. und eine vom 30. Dezember vorhanden, und bei beiden sichert ihre Einreihung inmitten von Urkunden des Dezembers 1350 und des Januars 1351, sowie ihre wie wenigstens bei der vom 27. Dezember Schrift und Tinte zeigen gleichzeitig mit den vorhergehenden und nachfolgenden Stücken erfolgte Buchung ihre Zugehörigkeit zum 27. und 30. Dezember 1350 (nicht 1349).

Auch bei dem Jahreswechsel 1353 1354 bietet uns Kopial 25 einige Fälle für den Beginn mit dem Neujahr. Auf fol. 60^ ist der am 3. August 1353 eingetretene neue Vorstandswechsel gebucht: .Anno domini ]M"CCC"Lin" sabbato ante Donati successit dominus Henricus de Kotewicz dominum ThfeodericumJ de Lirapach*. Auf den folgenden Blättern sind nun auch die Urkunden aus der zweiten Hälfte von 1353 gebucht, zuerst fol, 60^ 62^ die lange Vertrags- urkunde über die Kiederlausitz vom 8. August 1353^), dann fol. 62, 63 und 64 zahlreiche Urkunden und Regesteu der letzten Monate dieses Jahres vom August an, darunter fol. 64 und 64 '^ auch solche, welche die neuerworbenen koburgischen Laude betrafen, die Friedrich im November besuchte. Fol. 64^ folgen dann unter anderen auch drei Einträge mit Daten der letzten Tage des Dezembers: 1. das kurze Kegest einer Urkunde für den Vogt Heinrich den Alteren von Plauen-) .Datum Dresden die nativitatis" ^^25. Dezember; 2. eine Verschreibung für „Katherina relicta Apelonis de Zcedelicz in suo (des Markgrafen) servicio interfecti . . . Datum Dresden in die beati Johannis ewan- geliste" =- 27. Dezember ; 3. eine Vergünstigung für die Dresdner Wollenweber und Weber „Datum in Missena in die Stephani" = 26. Dezember 3). Ihre Stellung im Kopial in der Reihe von Urkunden ausschliesslich der letzten Monate von 1353, die sich nicht bloss durch die Einreihung unter die nach dem Amtsautritt Heinrichs von Kottwitz gebuchten Einträge, sondern zum Teil (wie die für die koburgischen

') Vgl. Lippert, Wettiner und Wittelsbacber sowie die Xiederlausitz im XIV. Jahrhundert (Dresden 1894) S. 246—251.

2) Vgl. B. Schmidt, Urkundenbuch der Vögte von Weida, Gera und Plauen (Jena 1883) I 489 Nr. 944.

') Dieses letztere Regest ist gedruckt im Urkundenbuch der Stadt Dresden (Cod. diplom. Saxon. reg. II, V) S. 42 Nr. 55, aber mit der falschen Ansetzung zum 26. Dezember 1352.

306 Kleine Mittheilungen.

Gebiete) auch aus sachlicheu Gründen i) als zu 1353 gehörig erweisen, bezeugt durchschlagend, dass sie in den Dezember 1353 gehören. Dass aber auch die Kanzlei selbst diese Dezembertage noch dem Jahre 1353, nicht schon dem Jahre 1354, zurechnete, ergibt auf dem folgenden Blatt, fol. 65 ^ die ausdrückliche Überschrift „Anuus quinquagesimus quartus". Erst mit den hierunter stehenden Einträgen (es folgen Urkunden aus dem Januar, Februar des Jahres 1354 und so fort^), d. h. also mit Neujahr 1354 begann die Kanzlei offiziell ihr Jahr 1354.

Einen weiteren Beleg liefert das Lehnbuch Friedrichs des Strengeu von 1349 1350, das, wie erwähnt, in dem gleichfalls zu jener Zeit angelegten Registerband Kopial 24 erhalten ist. Am 18. November 1349 war Friedrich 11., der Ernste, gestorben; seines Sohnes neue Lehnreichuogen beginnen also mit dem November 1349, und in der Tat sind schon einzelne Belehnunoren gleich aus diesen ersten Wochen im Lehnregister mitgebucht. Zu Beginn des ersten i\.bschnittes, der die Belehnungen von Mitgliedern des Edlen- und Herreustandes ent- hält, steht nun zugleich mit als eine Art Überschrift: „Anno do- mini M"CCC°XLIX*5 in die sancti Silvestri dominus Heiuricus de Plawe recepit a domino marchione bona iufrascripta, presentibus Thimoue de Coldicz marschalco, Albero de Malticz iudice curie, domino Conrado de Walhusen prothouotario, Arnoldo Judeman ..." Zählte nun die Kanzlei das Jahr 1349 vom 25- Dezember 1348 bis 24. Dezember 1349, so müsste dieser 31. Dezember 1349 der 31- Dezember 1348 nach moderner Ausdrucksweise sein. Da aber erst seit dem 18. No- vember 1349 die Verleihungen seitens des neuen Markgrafen beginnen können, ist dieser 31. Dezember 1349 des Lehnbuchtextes auch tat- sächlich der 31. Dezember des Kalenderjahres 1349, d. h. auch der Schreiber dieses Lehnbucheintrages rechnete das Jahr von Neujahr bis Silvester.

Die Zahl der Urkunden aus den entscheidenden Tagen vom 25. Dezember ist ja naturgemäss nicht allzugross, und selbst unter 'diesen nicht zahlreichen Datiruugen ist nur in den seltenen Fällen. wo ein bestimmtes, im Laufe des Jahres eingetretenes und auch in der Urkunde selbst mit zum Ausdruck gelangendes Ereignis oder zeitlich

') Denn im November 1352 standen diese Gebiete noch nicht imter Fried- richs Herrschaft ; er erlangte sie erst nach dem Tode seiner Schwiegermutter, der Gräfin Jutta von Henneberg, im Februar 1353, wie ich in der Einleitung zu seinem Lehnbuche S. CLIX dargelegt habe.

2) Vgl. zwei von diesen Urkunden bei Lippert. Wettiner und Witteisbacher y. 252, 253 Nr. 44, 45.

Jahresanfang am 1. Januar etc. 307

genau uragreuzbare Zeugenuennuugen oder dergl. ein bestimmtes Kriterium abgeben, eine feste Entscheidung möglich. Die obigen 7 Belege für 1349, 1350, 1353, die verschiedenen Überlieferungs- formen entstammen (einer Originalurkunde und zwei gleichzeitigen Kanzleiregistern), liefei'n solche Handhaben und zeigen, dass der Circumcisionsstil beim Jahresbeginn der wettinischen Kanzlei um die Mitte des 14. Jahrhunderts nicht fremd war. Dies erscheint auch umso weniger auifällig, wenn wir die lang- jährigen, engen Beziehungen der Wettiner zu Kaiser Ludwig dem Baiern in Betracht ziehen . Friedrich der Ernste war des Kaisers Schwiegersohn und ständiger Bundesgenosse ; in Ludwigs Kanzlei aber herrscht der Jahresanfang mit dem 1. Januar neben dem Weih- uachtsbeginu i).

Dass es sich übrigens bei diesen Ermittelungen nicht um rein theoretische Fragen handelt, lehrt gleich noch ein naheliegender Fall derselben Zeit im Urkuudenbuch des Hochstiftes Meissen I 388 Nr. 467, worin Markgraf Friedrich der Strenge erklärt, dass der Streit zwischen dem Domkapitel von Meissen und dem Ritter Fritzold von Polenz. genannt von der Nazzowe, wegen des Dorfes Gröbern (bei Meissen) beendet sein soll, da Fritzold das Dorf mit allem Zubehör dem Mark- grafen aufgelassen und dieser es dem Kapitel verliehen habe ; kein Teil soll dem andern die bisherige Feindschaft nachtragen; Fritzolds Söhne Fritzold und Karl sollen nach ihrer Heimkehr ins Land diese Verabredung auch halten; über Scheltworte Karls soll noch ein Schieds- spruch erfolgen. Die Urkunde trägt das Datum , . . . zcu Myszne nach Cristi gebürt drizcenhundert jar in dem dri und funfzcigisteu jare an dinstage nach dem heiigen Cristtage", Der herrschenden Ansicht gemäss lässt der Herausgeber Gersdorf das Jahr 1353 zu Weihnachten 1352 beginnen und setzt deshalb die Urkunde auf den 31. Dezember 1352 an^). Nun stellt aber Markgraf Friedrich ,zcii Mysne nach Cristi gebürt dryzcenhundert jar darnach in dem fier und funfczigisten jare an sente Pauls tage des zcwelfpoten, als er bekart wart", d, h. am 25. Januar 1354, eine weitere Urkunde aus (a. a. 0.

') Nacli Grotefend, Zeitrechnung I, 23 »überwiegt in Ludwigs Kanzlei der 1. Januar, wenn er auch nicht geradezu als Regel gelten kann«; in dem Taschen- buch der Zeitrechnung S. 11 ist der Ausdruck dahin abgeschwächt, dass in der kaiserlichen Kanzlei »vom Ende des 13, Jahrhunderts bis zum Tode Karls IV. manchmal der 1. Januar als Anfang erscheint'.

2) Er hat sich dabei auch noch um einen Tag verrechnet ; denn 1352 war der 25. Dezember selbst ein Dienstag, der Dienstag darnach hätte also wenigstens der 1. Januar 1353 sein müssen. Dafür würde übrigens ein mittelalterlicher Schreiber wohl eher »in die circumcisionis' gesagt haben.

308 Kleine Mittheilungen.

I 410 Nr. 475), wodurch er dem Domkapitel von Meissen allen Be- sitz und alle Gerechtsame, die Ritter Fritzold von der Nazzow^e lehen- weise vom Markgrafen in Grobem gehabt, die das Kapitel von ihm erkauft und die er dem Markgrafen aufgelassen habe, ewiglich zu eio-en sfibt. Beide Urkunden beziehen sich also nicht nur auf den- selben Vorgang, sondern gehören ganz unmittelbar zusammen: die erstere ist die Beurkundung des Vertrags zwischen den Parteien mit seinen verschiedenen Punkten, wobei die Überlassung des Dorfes an das Kapitel nur im Zusammeuhange mit erwähnt Avird; die zweite Urkunde dagegen ist die erforderliche eigentliche Vereignungsurkunde des Fürsten. In Anbetracht dieser Sachlage ergab es sich an und für sich als naheliegend, die -beiden eng zusammengehörenden Urkunden nicht durch den Zeitraum von über einem Jahre zu trennen, sondern nur durch den von wenigen Wochen. Auch das Itinerar Friedrichs spricht dafür. "Nach Meyer, Hof- und Zentralverwaltung S. 136, war Friedrich am 12. Dezember 1352 zu Dresden, am 3. Januar 1353 zu Eisenach, dazwischen müsste er also am 1. Januar 1353 in Meissen o-eweseu sein. Die letzteren zwei Daten, am 1. in Meissen, am 3. schon in Eiseuach, würden aber bei der grossen Entfernung, im Vergleich mit dem, was wir sonst über Reisen des wettinischeu Hofes im 14. Jahr- hundert wissen, nicht vereinbar sein. Im Dezember 1353 fällt auch diese Schwierigkeit weg, denn am 26. und 31, Dezember 1353 ist Friedrich in Meissen selbst nachweisbar. Schliesslich kommt als Be- weis noch die Eintragung der Urkunde in das Kopial 25 hinzu, denn hier steht sie fol. 64 ^ 65 hinter den oben besprochenen drei Regesten eingetragen, worauf fol. 65'' die Aufschrift „annus quinquagesimus quartus- folgt. Es vereinigen sich hier also drei Argumente innerer Sachverhalt, Itinerar des Fürsten, Eintragung in das gleichzeitige Kanzleiregister , um die Jahreswende 1352 1353 auszuschliessen. Nachdem nun auch noch durch die obigen Nachweise die etwaigen Bedenken gegen die Anwendbarkeit des Circumcisionsstiles beseitigt sind, ist auch für dieses Stück die Autlösung der urkundlichen Dati- rung „Dienstag nach dem Christtage 1353" mit dem 31. Dezember 1353 in unanfechtbarer Weise gesichert. Ein nicht unwichtiges Moment bei dem für die Jahre 1349 1353 erbrachten Nachweise ist dabei noch der Umstand, dass in diesen Jahren drei verschiedene Personen als Protonotare bez. Kauzler an der Spitze der wettinischeu Kanzlei standen: bis zum 17. September 1350 Konrad von Wallhausen, dann bis zum 3. August 1353 Titzmann von Limbach, dann Heinrich von Kottwitz ; wir haben es also bei dieser Neujahrsberechnung nicht mit der zufälligen Laune eines einzelnen Kanzleileiters zu tun, sondern

Kleinere Beiträge zu den Regesten etc. 3QC)

mit einem als zulässig eingebürgerten Kanzleigebrauche, der vom Wechsel der leitenden Personen nicht berührt wurde.

Dresden. Woldemar Lippert.

Kleinere Beiträge zu den Regesteii der Könige Kudolf bis Karl IV. I. Die Zerstörung der Burgen Eeiclienstein und Saneck durch K. Eudolf im August 1282. Mitte August 1282 belagerte und zerstörte Rudolf ßeichensteiu und Saneck i), zwei Burgen auf dem linken Rheinufer nicht sehr weit unterhalb Bingens. Was gab ihm Veranlassung, diese Schlösser, welche die Herrn von Hohenfels innehatten, zu brechen? v. d. Ropp, Erzb. Werner S. 137 Anm. 3 sagt: Am 17. August hatte die Aussöhnung (Rudolfs und Siegfrieds von Köln) bereits stattgefunden (reg. 1696), und scheint die Zerstörung von Saneck und Reichenstein nachher nur indirekt mit Köln in Zusammenhang zu stehen" ; des weiteren weist er darauf hin, dass diese Burgen nicht den Kölner Erzb. gehörten, sondern mainzische Lehen waren. Angesichts dieser Tatsache dürfte es wohl kaum mög- lich sein, einen wenn auch nur indirekten Zusammenhang zwischen dem Vorgehen Rudolfs gegen Erzb. Siegfried und der Berennung be- sagter Burgen ausfindig zu machen.

Zu Beginn des 13. Jahrhunderts kam Reichensteiu^) nach vor-

») Annal. Mogunt. M. G. S. XV^I 2 ad. a. 1282: Ryehenstein et Saenecke sunt destructa mense Augusto. Ann. Worm. hvev. ib. 77 ad a. 1282: Rudolfus rex Richensteiu et Sehonecke cooperantibus civitatibus sibi destruxit. Ellen- hardi chronic, ibidem 125 mit Ereignissen des Jahres 1282 ... et radicitus evulsit castrum Rienecke, quod erat domini de Hohenvels. Zu dieser Stelle haben die Mon. Germ, die Anm. (Nr. 61): Rheineck inter Andernach et Remagen. Die Burg Rheineck, welche im Jahre 1164 auf Befehl Erzb. Rainalds wiederhergestellt wurde (Mittelrhein. Reg. II 227), gehörte den Kölner Erzbischöfen und war ein Erblehen der Burggrafen von Rheineck (Lac. II 628 und III 1). Wie die Stellen der angezogenen Annalenwerke zeigen, ist Rienecke ein Fehler für Reichenstoin ; ausserdem wäre eine Beziehung der Hohenfelser zu Rheineck noch nachzuweisen. Eme ebenfalls unzutreffende Anmerkung (Nr. 5) macht der Herausgeber der Ann. Mogunt.: Reichenstein, castrum destructum in comitatu Wied ad dextram Rheni. Über die oben angegebene Lage von Burg Reichenstein kann kein Zweifel sein; denn sie kommt, wie meine Ausführungen dartun, stets in Verbindung mit Saneck, Trechtingshausen und Ober- und Nieder-Heimbach vor.

Die Zeit der Belagerung wird genau festgelegt durch die Urkunden, die Rudolf am 17.— 20. August ausstellt (reg. VI 1696, 1697, 1698): sie haben nämlich das Datum in castris ante Sanegge.

2) Über die Zeit der Erbauung und die früheren Vögte und Besitzer von Reichenstein vergj. Hennes in Picks Monatsschrift Jahrg. [I. S. 188 ff., in den

3IQ Kleine Mittheilungen.

übergehender Verpfändung wieder in Besitz Philipps III. von Bolanden (Mittelrhein. Reg. II Nr. 1318). Nach seinem Tode ging diese Burg auf seinen Sohn Werner über, der sich W. v. Eeichenstein nannte (ibid. 2141). Im Jahre 1241 ist Philipp aus dem Geschlechte Hohen- fels, das einen Zweig der Bolanden bildete, Herr von Eeichenstein (ibid. III Nr. 233). Zugleich ist Philipp Vogt von Trechtingshausen, Ober- und Nieder-Heimbach (ib. III 597; 2304; I 1868); in diesen Orten, welche in der Nähe der genannten hohenfelsischen Schlösser lao-en, hatte die Abtei Kornelimüuster ausgedehnte Rechte und Be- sitzungen (ib. I 1868; II 1158: III 2396; 2440; 2445; 2533). So kam es, dass die Interessen der Schlossherrn und des Klosters vielfach dieselben waren (ib. III 2311); deshalb nahmen wohl auch die Hohen- felser ihre Burgen Saneck und Reichenstein von Kornelimünster zu Lehen (ib. 2533; 2611) und erhielten dafür die Vogtei über die Güter des Klosters in den genannten Dörfern (ib. 24711; 2611). In den Jahren 1268 1270 verkaufte die Abtei Reichenstein und Saueck sowie Trechtingshausen, Ober- und Nieder-Heimbach nebst allen Rechten daselbst an das Dom- und Mariagradenstift zu Mainz (ib. III 2396; 2439—2440; 2444—2445; 2449; 2463; 2533—2534; 2538; 2546; 2550; 2563; 2573; 2708; IV 106; 202)'); Philipp v. Hohenfels ver- sagte diesen Veräusserungen seine Zustimmung nicht-) und versprach zu den Käufern in das gleiche Lebensverhältnis zu treten, in dem er bis dahin zu Kornelimünster gestanden hatte (ib. 2471; 2611 und Hennes a. a. 0. S. 193 Anm. 1). Indem dann 1274 Werner von Mainz in den Kauf dieser Güter eintrat (ib. IV 106), wurde Philipp auch sein Lehensmann. Da jedoch Rudolf im Jahre 1282, als er die genannten Burgen belagerte, mit diesem Erzbischof keinerlei Streitig- keiten hatte (v. d. Ropp S. 138), so kann er unmöglich gegen den Hohenfelser als Lehensmann der Mainzer Kirche vorge- gangen sein; vielmehr muss dieser durch sein eignes Tun den Zorn des Königs heraufbeschworen haben.

Bereits 1249 hat Philipp v, Hohenfels einen eignen Rheinzoll (ibid. III 703 ; er unterscheidet hier ausdrücklich zwischen seinen und

Anmerkungen teilt Hennes einige bis dahin ungeclruckte Urknnden mit, über die Frage aber, warum Reichenstein mit Saneck 1282 zerstört wurde, geht er kurz (S. 193) hinweg.

') Vergl. auch den Bericht dos Kölner Offizials an Speyer über den Land- friedensbruch, dessen sich der Erzb. von Mainz schuldig gemacht habe durch die gewaltsame Besetzung der angeblich gekauften Güter des Klost. Korneli- münster Neu. Arch. 23 S. 28 Dat. 1. Dec. 1270 und Pfalz. Reg. 6566.

2) Die Vermutung von Hennes a. a. ü. S. 192, Philipp habe gegen den Verkauf Opposition gemacht, ist unrichtig; vergl. Mittelrh. Reg. III 2471.

Kleinere Beiträge zu den Regesten etc. 3I1

des Eeiclies Zöllneru). Da nuu der rheinische Städtebuud im Jahre 1253 Reichensteiu wegen der von da aus verübten Räubereien schleifte (siehe die Zusammenstellung der Quellen Mittelrh. Reg. III 1131 1132 und Mon. Germ. XVII. S. 54), so ist anzunehmen, dass diese Burg den Hohenfelseru bei der Erhebung ihres unberechtigten Zolles als Stützpunkt gedient hatte. Doch schon nach kurzer Zeit war der Zoll wieder aufgerichtet; 126U befiehlt Philipp v. Hohenfels seinen Beamten in Trechtingshausen, Wesel und Boppard keinen Zoll von den SchiflFeu des deutschen Hauses in Koblenz zu erheben (ib. III 1621); die Zölle zu Boppard und Wesel verwaltete Philipp für das Reicht), zu Trech- tingshausen dagegen, in unmittelbarer Nähe von Reichenstein und Saneck, arbeitete er auf eigene Rechnung und Gefahr. 1278 verspricht Theoderich v. Hohenfels, der Bruder Philipps (Guden II 199, Mittelrh. Reg. III 1095), dem Kl. Rupertsberg bei Bingen, keinen Zoll von den Gefällen des Klosters, welche auf dem Rheine befördert würden, zu erheben (Mittelrh. Reg. IV 510). Somit waren auch damals noch die Hoheufelser Herrn eines Zolles; denn nur als solche konnten sie Ab- gabenfreiheit gewähren. Einen Rechtstitel jedoch für diese Einnahms- quelle nachzuweisen, waren sie nicht imstande. Aus diesem Grunde hielten sie sich auch wohl dem Landfrieden fern, den Rudolf im Dezember 1281 am Rheine aufrichtete (reg. VI. 1423); denn dann hätten sie ihren Zoll aufgeben müssen. Diese Widersetzlich- keiten, die unmöglich ungestraft bleiben durften, be- stimmten wohl König Rudolf zu seinem Feldzuge gegen die Hoheufelser. Dass er nun nicht sofort, also etwa zu Be- ginn des Jahres 1282, die Hoheufelser zur Anerkennung des Land- friedens und zur Ausführung seiner Festsetzungen zwang, hat seine besonderen Ursachen. Reichsgeschäfte führten nämlich Rudolf vom Rheine weg. Alsbald nach seiner Rückkehr jedoch begann er die Belagerung der Hohenfelsischen Burgen (reg. VI 1690 1698). Zwi- schen dem 19. und 25. August fielen Reichenstein und Saneck (reg. VI 1098—1699).

Auch die weitere Geschichte der beiden Schlösser beweist, dass es Rudolf nur auf Abstellung des Zolles und auf Beseitigung desseu ankam, was die Erhebung desselben erleichtern konnte. Er zerstörte nämlich Reichenstein und Saneck von Grund aus, Hess aber die Hoheufelser im Besitze ihres Burgbercres und ihrer Vogtei; denn 1290 März 6 verkauft Theoderich von Hohenfels an den Pfalzgrafen Ludwisr

') Mittelrh. Reg. III 66G ; 703; 763; Hintze Wilh. v. Holland S. 30, 33 und 39 inbetr. Wesels Mittelrh. Reg. III 1055. reg. Wilh. Nr. 5159 und Mon. Germ. Script. XVII 60.

312 Kleine Mittheilungen.

den Burgberg zu Reiehensteiu mit 6 Burgmaunen uud die Vogtei zu Trechtingshausen, Ober- und Nieder-Heimbacli, die er von dem Mainzer Stuhl zu, Lehen und an Genannte ausgetan hat (Pfalz. Reg. 1213; Mittelrh. Reg. IV 1743). Dieser Besitz Wechsel gab sofort zu neuen Besorgnissen Anlass. Wenn die Städte Mainz und Bingen am 23. April 1290 sich versprechen mit Hülfe des Grafen Johann von Spanheim und des Raugrafen Heinrich sich zu widersetzen, wofern jemand am Rhein ufer zwischen Heimbach und Bingen oder auf der Landstrasse innerhalb vier Meilen von Mainz oder Bingen eine Veste erbauen oder wiederherstellen oder einen neuen Zoll errichten wolle (Mittelrh. Reg. IV 1768), so können sie damit nur den Wiederaufbau von Reichen- im Auge haben. Dass man diesen tatsächlich befürchtete, beweist der Entscheid, def- am 1. Juni 1290 vor dem Könige in Erfurt herbei- geführt wurde; dieser lautet: Burgen und Befestigungen, welche infolge eines Rechtsspruches zerstört worden seien, wie namentlich Saneck und Reiehensteiu, dürften nicht wieder aufgebaut werden (reg. VI 2318). Wer auf diese Entscheidung hinwirkte, wird nicht gesagt. Da sich die Städte Mainz uud Bingen (Mittelrh. Reg. IV 1768) verbunden hatten, um einen Wiederaufbau von Reichenstein zu verhindern, so wird auch auf ihr Nachsuchen die Entscheidung gefällt worden sein. Darum müssen jene Städte, die 1282 K. Rudolf bei der Zerstörung der beiden Burgen behülflich waren (siehe S. 309, Anm. 1), Mainz und Bingen gewesen sein; jenes Interesse, welches sie 1290 daran hatten, dass Reichenstein und Saneck zerstört blieben, es hatte sie bereits 1282 zu Bundesgenossen des Königs gemacht.

Beusheim. H. Seh rohe.

Literatur.

Aloy s Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Han- dels uud Verkehrs zwischen Westdeutschland und Italien mit Ausschluss von Venedig. Leipzig Duncker und Humblot. 1900 2 Bände XXXII, 742 und 358 mit 2 Karten. Preis 30 Mark.

Der Verf. dieser bedeutenden, schön geschriebenen und ungemein anregenden Arbeit bietet inhaltUch weit mehr, als man nach dem Titel seines Werkes vermuten würde. Er beginnt mit einer ins Gebiet der Geographie einschlagenden Würdigung der gewaltigen Mittelgruppe des grossen Alpenzugs, der Italien vom Mittelmeer bis zur Donau als trennen- der Wall umgibt und nur bei einigen Wasserscheiden, dort wo die gegen Süd und Nord verlaufenden Wasserläufe gegen eine Scharte des Gebirgs- zugs allmälig hinaufführen, schmale Passübergänge als natürliche Pforten dem Menschen freilässt. An diese anschauliche, vielfach ins Einzelne ge- hende, Schilderung der geographischen Beschaifenheit des Durchzugslandes knüpft Schulte die geschichtliche Betrachtung, wie sich auf diesem Gebiet der Verkehr der Menschen vom Norden und Westen gegen Süden und umgekehrt im Lauf der Jahrhunderte vollzogen hat, beschränkt sich aber keineswegs auf die Geschichte des Handels und Verkehrs im engern Sinne, sondern geht auch den Beweggründen mittelalterlicher Staatenpolitik nach, soweit diese auf Erwerbung und Beherrschung der wichtigsten Passüber- gänge und Verkehrswege zwischen Italien, Deutschland und Frankreich abzielten. Nach der Begrenzung, die der Verf. selbst (I, 2) seiner Aufgabe gibt, sollte man blos eine Geschichte des Handels und Verkehrs erwarten, der die Alpen auf der Strecke vom grossen s. Bernhard bis zum Julier überschritt, im Norden also auf den Bodensee und die schweizerische Hoch- ebene, im Süden auf die piemontesische und lombardische Ebene mündete; tatsächlich ist Schuhes Arbeit viel umfassender, sie ist eben ein räumlich und zeitlich begrenzter Ausschnitt sowohl aus der Geschichte des euro- päischen Verkehrs mit Italien überhaupt, als auch der auf dessen Beherr- schung abzielenden Staatenpolitik und wirft neues Licht auf den Ursprung der Eidgenossenschaft.

Mittheilungen XXIV. 21

niA Literatur.

Diese Erweiterungen waren durch die Gründlichkeit bedingt, mit welcher der Verf. bei »einen Forschungen zu Werke ging. Das einleitende erste Buch behandelt die geographischen Vorbedingungen des Verkehrs, indem es die Passübergänge und die im Süden und Norden anschliessen- den Strassenzüge nach ihren Verzweigungen beschreibt und die Bedeutoing der Alpennässe im Altertum schildert. Schon hier zeigt sich, was über- haupt den Angelpunkt der Untersuchungen bildet, dass die Erschliessung des Gotthardpasses durch Menschenkunst eine förmliche Umwälzung im Verkehr und nach Ansicht des Verf. auch in der Politik hervorbrachte; dem entsprechend werden die geographischen Bedingungen des Verkehrs vor und nach der Einrichtung des Gotthardweges getrennt besprochen. Das zweite Buch knüpft an Abschnitte im 4. Kapitel an: was überlieferte das Altertum dem Mittelalter, was ging' verloren? und behandelt den Verkehr und Handel im Frühmittelalter bis zum Jahre 1032, das auf dem läge zu Peterlingen die VereinicruncT von Hochburgund mit dem deutschen Keithe brachte. Sehr umfänglich" (S. 80-231) ist das dritte Buch geraten, das dem Verkehr und Warenhandel im Hochmittelalter gewidmet ist. Es hat darum eine Unterteilung in drei Abschnitte erfahren, von denen der erste und dritte der Geschichte des Verkehrs von der Vereinigung des burgundischen mit dem deutschen Eeiche bis zur Öffnung des s. Gotthards (1032—1230) und von da ab bis zur Doppelwahl des Jahres 1314, der mittlere aber der Geschichte des Handels in gleicher Zeit zugewiesen ist.

Das vierte Buch bringt in 9 Kapiteln (S. 231-343) die Geschichte des Geldhandels vom 13.-15. Jahrhundert und zwar m 4 Abschnitte gegliedert, von welchen der erste in Italien domizilirte Geldhändler als Gläubiger des deutschen hohen Klerus, der zweite Italiener bei Erhebung päpstlicher Steuern in Deutschland, der dritte in Deutschland angesiedelte italienische Kaufleute, Zollpächter und Münzer, der letzte endlich die Be- ziehun<^en italienischer Banken zu Deutschland im 15. Jahrhundert be- trifft °Der Verf geht hierauf im 5. Buch auf die grundlegenden Erschei- nuncren des Handelslebens in der Nachbarschaft ein, bespricht zunächst den Niedergang der Messen in der Champagne nach seinen Ursachen sowie dessen Rückwirkungen auf Deutschland, sodann im 31. Kapitel die Ein- richtungen zu Venedig. Kurz aber treff.nd wird (S. 355) hervorgehoben wie verschiedene Bedeutung Genua und Venedig für den deutschen Kauf- mann hatten. Venedig war die hohe Schule der deutschen Kaufmann- schaff, an der die meisten Söhne der grossen süddeutschen Kaufmanns- geschlechter die Handlung lernten, aber dem Kaufmannsstande, der s.ch aufs Meer hinaus wagen wollte, lag hier eine Schranke. Genua hingegen war der Platz, wo die grossen oberdeutschen Handelsgesellschaften die Brücke besassen, die nach Spanien, Portugal ja schliesslich über den Ocean in die

neue Welt hinüber führte. ■, tt i u

Das 6 und 7 Buch behandeln getrennt die Geschichte des Verkehrs und des Handels im Spätmittelalter. Nach den Richtungen, die der Ver- kehr einschlug, zerfällt das 6- Buch in vier Teile: die Zugänge zu den ßündnerpässen, zum s. Gotthard, die Walliser Pässe und der Verkehr von der Rhonemündung zum B.densee. Das 7. Buch verzeichnet zuna. hst die Versuche einer Reichshandelspolitik im 14. und 15. Jah.h. ferner die Bedeutung der oberdeutschen Kaufhäuser für den internal lonalen Handel

Literatur. gj^

und hierauf nach einzelnen Orten die Stellung der deutschen Kauf- leute in Italien wie in Deutschland, endlich die wichtigsten Industrien. Das 8. Buch behan-Ielt die Zolltarife des 14. und 15. Jahrhunderts sowie <3ie darin erwähnten Waren, das 66. und Schlusskapitel ist der Verkehrs- höhe gewidmet. Der Verf. lässt sich hier die Gelegenheit nicht entgehen, die Wirkungen, welche mit der Einführung neuer Verkehrsmittel und der Eröffnung neuer Verkehrswege verbunden sind, durch eia Beispiel aus unseren Tagen zu veranschaulichen. Sein ganzes Buch ist, wie schon er- wähnt, vor allem dem Erweis gewidmet, welche Tragweite die Eröffnung des Gotthardweges im Mittelalter für die deutsche Reichspolitik wie für den Handel nach Italien hatte. Vor unseren Augen hat sich eine zweite Erschliessung des Gotthards durch Eröffnung des bekannten Tunnels voll- zogen, und heute allerdings im Zeitalter eines allgemein ins Riesige angewachsenen Güterverkehrs passiren den Gotthard sicherlich in einer Woche soviele Gütermassen als noch vor zwei Menschenaltern in einem ganzen Jahre. Vermutlich würden heute zwei Güterzüge fast die ganze Summe des mittelalterlichen Jahresverkehrs dieses Passes befördern können. Der zweite Band enthält vom urkundlichen Rüstzeug, das für die Dar- stellung im ersten Bande verwendet wurde, nach den Aufbewahrungsorten geordnet eine Auswahl von bisher meist ungedruckten Urkunden und Akten, teils vollständig teils im Auszuge. Schulte rechtfertigt dies durch die Erwägungen, dass die Sammlung des Stoffes noch zu wenig abge- schlossen sei, um ein chronolcgischt^s Urkumlenbuch zu liefern, und dass die wahie Sachlage in der gewählten Anordnung nach Fundstätten, die zu weiterem Sammeln anreizen soll, deutlich hervortrete. Dagegen lässt sich wenig einwenden. Wer je bei knapper Zeit in italienischen Archiven ge- forscht und den Eindruck des schier unglaublichen Reichtums an schrift- lichen Aufzeichnungen für die Zeit vom 1 3. Jahrhundert herwärts hier erfahren hat, dem sind die Worte des Verf.s (Vorwort S. VII) von der fieberhaften Erregung, in der man da Band auf Band, Heft auf Heft durch- jagt, um endlich ermattet vielleicht gerade im Augenblicke abzustehen, wo das Wild zum Schusse steht, aus der Seele gesprochen. Nachfolgende Ergänzungen sind unter solchen Verhältnissen gar nicht zu vermeiden und darum eine Einrichtung zu loben, die späteren Forschern die Feststellung solcher Nachträge erleichtert. In der Tat hat seither Sieveking bei seinen Nachforschungen nach italienischen Handelsbüchern durch General U. Asse- reto, der in jahrelanger Arbeit fast alle Akten der Genueser Notare des 14. und 15. Jahrhunderts für eine Geschichte von Corsica durchgesehen hatte, mancherlei neue Nachrichten über die Deutschen in Genua erlangt, die einer zweiten Auflage des Schulte'sehen Buches zu Statten kommen würden. (Vgl. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse der k. Aka- demie der Wissenschaften in Wien vom 3. Dez. 1902, Anzeiger N. XXV, S. 168) Sehr bedauerlich ist, duss Rücksichten auf den Umfang des Buches Schulte genötigt haben ein chronologisches Verzeichnis der aus mehr als 4ii Archiven herbeigeschafften Stücke fortzulassen; um so dankbarer müssen wir sein, dnss dieser ökonomischen Erwägung nicht die Register geopfert wurden, auf welchen die rasche Benützbarkeit eines so ausge- dehnten Werkes vor allem beruht. Auf nahezu vier Druckbogen erhalten

21*

316 Literatur.

wir auf beide Bände ausgedehnte Orts- und Personen Verzeichnisse sowie ein Glossar, das zugleich die Stelle eines Sachregisters vertritt.

Einer so gross angelegten und so vielseitigen Arbeit gegenüber sind in Einzelheiten Ergänzungen oder Berichtigungen immer möglich, ohne dass dadurch der Wert des Buches als Ganzes verliert. Ich würde es auch gern unterlassen haben hier mein Schärflein beizutragen, wenn mich nicht die Erwägung geleitet hätte, dass manche der von mir ausgesprochenen Be- merkungen und Wünsche dem Verf. als Anregungen für eine bald zu hoffende zweite Auflage seines Baches willkommen sein könnten.

Als Ergänzungen zu der vom Verf. mit staunenswertem Fleisse zu- sammengetragenen Literatur das Verzeichnis der mehrfach zitirten Werke füllt bei knappem Satz gei-ade einen Druckbogen möchte ich zunächst verschiedene Arbeiten anführen, die Dr. Alfred Nagl in der Wiener Numismatischen Zeitschrift veröffentlicht hat. Hervorheben würde ich: Die Kechenpfennige und die operative Arithmetik Bd. XIX namentlich aber »Die Goldwährung und die handelsmässige Geldrechnung im Mittelalter? (Bd. XXVI, XXX, 1895, 1899) mit eingehender Berücksichtigung der Florentiner- sowie der sizilianischen Münzverhältnisse. Ein zweites, aller- dings schwierig zu beschaffendes Werk wäre »II monte dei Paschi di Siena e le aziende in esso riunite. Note storiche pubblicate a cura del presidente Conte Nicolö Piccolomini* (durch N. Mengozzi). Siena 1891 ff. Der erste Band dieses prächtig ausgestatteten aber kaum in Handel gekommenen Werkes bietet auf 168 Folio Seiten unter dem Titel II presto ad usura in Siena nei secoli XIII, XIV e XV eine ausführliche Schilderung des Sieneser Geldhandels. Endlich möchte ich noch auf meine Arbeit über Wiener Münzwesen Handel und Verkehr bis 1282 hinweisen, die 1897 im 1. Bande der Geschichte Wiens erschienen ist, und 190 2 im 2. Bande ihre Fort- setzung bis 1522 gefunden hat. Leider ist dies vom Wiener Altertums- verein herausgegebene Prachtwerk für die Verhältnisse einer bürgerlichen Geldbörse nicht erschwinglich, daher der Inhalt der hier prächtig be- statteten Abhandlungen nur den oberen Zehntausend, nicht aber Forschern zugänglich ist. Andere Ergänzungen möchte ich zum vierten Buch, das die Geschichte des Geldhandels enthält, bieten, weil der Verf. gerade diesen Abschnitt mit sichtlicher Liebe behandelt hat. S. 267 wird ein merk- würdiger Brief Albert Behams an den Erzbischof Eberhard von Salzburg, angeführt, der die Auffoi'derung enthält dem Salzburger Domherrn Friedrich von Leibniz noch den Abt von Kaitenhaslach nach Kom nachzusenden, um durch den Kredit der Zisterzienseräbte ein Darlehen bei Kaufleuten aus Rom und Siena aufzunehmen. Zu berücksichtigen wäre indessen auch der in der gleichen Sammlung unter Nr. 28 vorkommende frühere Brief Behams, weil er für die Art und Weise, wie solche Darlehen aufgenommen wurden die bezeichnende Voi'schrift enthält, der Erzbischof solle seinen Vertrauensmann Friedrich von Leibniz nach Rom schicken »cum vestro- sigillo sive bulla, cum pergamena teutonica atque cera ut ibidem juxta negotii qualitatem tarn ad mutuum contrahendum, quam etiam Domino Papae et ejus fratribus Dominis meis Cardinalibus literae ordinentur«. Man ersieht daraus, die Schuldurkunde sollte in Italien auf deutschem Perga- ment, offenbar von einem deutschen Schreiber geschrieben und unter Ver-r Wendung deutschen Siegelwachses mit dem mitgebrachten Typar besiegelt

Literatur. ß i y

werden, so dass der Anschein erzeugt wurde, als sei sie in Deutschland und nicht in Italien ausgestellt worden. Zu Kapitel 27, das die Tätigkeit ■der Kawerschen in Westdeutschland behandelt, möchte ich bemerken, dass <la3 s. g. Privilegium Majus die Stelle potest »in terris suis omnibus teuere Judeos et usurarios publicos quos vulgus vocat Gawertschin« enthält, die von Hzg. Rudolf IV. vielleicht gerade mit Bezug auf seine Besitzungen in Schwaben und Elsass aufgenommen wurde, da mir andere Spuren von Gawertschen in Österreich nicht bekannt sind. Wohl aber sind solche in Tirol nachweisbar, wo Ende des 1 3. Jahrhunderts öffentliche Leihbänke zu Trient, Bozen (Gries) und Innsbruck bestanden und die Grafen von deren Inhabern, den praestatores, usurarii, cazavae eine pensio cazavae bezogen. Genannt werden beispielsweise im Cod. 278 des Innsbrucker Statthalt erei- archivs zum J. 1300 ein Z'ono praestator in Inspruck und ein Nicolaus praestator in Gries leider ohne nähere Bezeichnung.

Mehr lässt sich zu Kapitel 28, Italiener an deutschen Zöllen und Münzstätten aus Tirol beibringen, wo die Verpachtung der Münze bis gegen die Mitte des 1 5. Jahrhunderts häufig vorkam. Einmal, (vor 1312) werden Paganus de Bergamo et ejus consocii als Münzpächter genannt, einige Male sind es Deutsche meist jedoch sind es Florentiner.

1272 pachtete Beliotus de Bubofadis de Florentia die Münze zu Trient vom Bischof. (Ladurner im Archiv f. Tiroler Geschichte V. S. 14).

1292 auch 1297 Tengon auch Tenga von Florenz et Bono Münzer zu Meran. Ladurner 24, 25.

1293 empfangen Cursius et Vanni socii Friscobaldiorum de Florentia 10 Mark geschmolzenes Gold (Innsbruck, a. a, 0. Cod. 278).

1319, 18. Jänner Gwido von Florenz Zollpächter am Lueg. K. k. Staatsarchiv zu Wien Cod. 389 f. 40.

1319 1. März überlässt König Heinrich dem Lappus Sohn weiland des Vannus de Amydeis und andern genannten Florentinern den Münz- wechsel zu Bozen a. a. 0. f. 44.

1361 verpachtet Petermann von Schenna als Pfandinhaber der Münze zu Meran dieselbe dem Charo Sohn des Franz von Casanekel von Florenz auf 3 Jahre. Ladurner S. 33.

Am merkwürdigsten ist der Pachtvertrag, den Kg. Heinrich am 1 0. Juli 1312 mit Zustimmung des Jacobus de Florentia und der deutschen Mit- glieder jenes Consortiums »quibus totum comitatum Tyrolensem commisi- mus locavimus et dimisimus«, mit einer Gesellschaft von Münzpächtern abschloss, in welcher Nicolaus de Florentia, dessen Brüder Dantus und beider Oheim Lottus endlich als Vorgänger Paganus de Pagamo genannt werden. Chmel, österr. Geschichtsforscher II, 354.

Der Behauptung auf S. 329, dass die zu Anfang des 14. Jahrh. in Oberschwaben als einziges Geldstück geprägten Pfenninge Scheidemünze gewesen seien, kann ich nicht zustimmen. So lange in Deutschland keine Pfenningvielfache gescLlagen wurden, waren die Pfenninge in ihren Wäh- Tungsbezirken der Pfenning gilt bekanntlich nur dort, wo er geschlagen 5st die Landesmünze schlechtweg, d. h. sie waren trotz ihrer uns ge- ring ei-scheinenden Grösse das einzige mit gesetzlicher Zahlungskraft ausgestattete Geld, mit dem man Zahlung in unbegrenzter Höhe leisten konnte. Wenn es auch sicher ist. dass man Pfenninefe vor allem zur Be-

3 18 Literatur.

gleichung kleinerer Beiträge verwendete, was eben Schulte verführt hat, den Pfenning eine Scheidemünze zu nennen, so schloss das nicht aus, dass auch Zahlungen grosser Posten in Pfenningen stattfanden. Wie man dabei vorging um Zeitverlust zu vermeiden, lehren die von Steinherz in dieser Zeitschrift (Mitt. XIV, S. 20 und 6 8) veröffentlichten Aktenstücke über die Einhebung des Lyoner Zehenten im Erzbistum Salzburg 12S2 1285 ersehen. Man zählte von diesen durchwegs al marco ausgeprägten Pfen- ningen nur eine gewisse Menge z. B. 2400= \0 ii /^ heraus, wog diese und bestimmte dann nach deren Gewicht mit der Wage den übrigen Betrag in kürzester Zeit. Dass es neben den Pfenningen auch eine Barrenwährung gab, die als internationales Geld, wie noch heutzutuge i'tir den Handels- verkehr vor allem wichtig war, ist unbestreitbar. Nur die unsäglich elemlea Münzzustände im Reiche haben dazu geführt, dass man sich ihrer un- geachtet der Verbote seitens der Münzherren auch im Inlandsverkehr häufig bediente. Für sehr zutreffend halte ich dagegen die Bemerkung auf S. 331, dass die Münze von Hall ihre grosse Beliebtheit der grossen Geschicklich- keit sich dem Münzfuss benachbarter Münzsysteme anzubequemen, verdanke. Die Rechnungen der päpstlichen Steuereinsammler in Deutschland, von welchen ich in meinem Aufsatz über das Wertverhältnis der Edelmetalle in Deutschland während des Mittelalters (Brüssel 1892) Auszüge ver- öffentlichte, zeigen, dass man in den Jahren 1317 1320 in Westdeutsch- land die Heller mit den petits tournois gleich wertete und ihrer je 14 Stück auf die Turnose rechnete.

Zu S. 334 sei erwähnt, dass die Priorität der Goldprägung den Flo- rentinern neuestens dui'ch Genua mit Erfolg streitig gemacht wird, wor- über die Einleitung zu den »Tavole descrittive delle monete della zecca di Genova« 1891, S. XXXVI zu vergleichen ist.

Noch einiges zum Schluss ülier die trefflichen Karten, deren Beigabe für den Gebrauch des Werkes geradazu unerlässlich ist. Auf der Haupt- karte hat Schulte ausser den Wegen durch besonder Zeichen bei den ein- zelnen Orten ausgedrückt, ob hier den Kaufmann ein Hospiz, ein Kauf- oder Zollhaus, eine Fähre u. s. w. erwartete. Die Verkehrswege und Fluss- läufe in rot und blau treten klar hervor, während die Farbe für das Gebirgsgelände etwas zu dunkel ausgefallen ist, so dass in den Hoeh- gebirgsgegenden, z. B. um den s. Gotthard die schwarzen Ortsbezeichnungen undeutlich werden. Auf der Übersichtskarte der nordsüdlichen Handels- wege, wäre da Schulte im äussersten Osten noch den Weg über den Radstädter Tauern aufgenommen hat, die Fortsetzung desselben durch den Predilpass über den Isonzo hinaus zu verfolgen gewesen, da jetzt der 'Anschein ei weckt ist, als sei etwa von Tolmein abwärts der Isonzo als Wasserstrasse benützt worden, was nicht der Fall war. Der Weg führte vielmehr von Tolmein über Karfreit (Caporetto) entweder nach Görz, wo er in die vom Karst kommende Strasse mündete, die in der Richtung der heutigen Bahn Gervignano-Mestre über Latisana und Portogruaro ging, oder er wandte sich bei Karfreit westwärts nach Gividale und über Udme und Pordenone nach Conegliano, wo er an die bei Schulte eingezeichnete Verkehrsstrasse anschloss. Der Weg über den Plökenpass hingegen führte über Tolmezzo ins Fellatal.

Graz. Luschin V. Eb engreu th.

Literatur. 3 1 9

Fritz Vi*(ener, Bezeichnungen für Volk und Land der Deutschen vom 10. bis zum 13. Jahrhundert (Heidelberg, Winter 1901. X + 272 S.).

Eine gute Erstlingsarbeit, die das hält, was sie verspricht: eine Zu- sammenstellung zu geben der deutschen Volks- und Landesnamen, die innerhalb dieser drei Jahrhunderte im In- und Auslande gebräuchlich waren. In vier Abschnitten (Bezeichnungen für das deutsche Volk, für das deutsche Land, für das deutsche Reich, für die deutschen Könige) werden die aus Schriitstellern und Urkunden gesammelten Notizen in &ach- gemässer Gruppirung, aller. lings so ziemlich im Rohzustände vorgeführt; der Schluss enihält eine brauchbare Übersicht der Ergebnisse. Die ein- schlägige Literatur ist verwertet. Vigeners Schrift ist von Wert als Ma- terialiensammlung für einen Späteren, der sich die höhere Aufgabe stellt, den Anlangen in der Ausbildung der deutschen Nation und des deutschen Nationalgefühles nachzugehen und wird auch für kritische Zwecke Dienste leisten können. Hinzugefügt sei hier der Hinweis auf die beiden berühmten, wohl zu einander in Beziehung stehenden Fälschungen aus der 2. Hälfte des 12. Jahrh. auf Karls d. Gr. Namen, Mühlbacher Reg. 482, 493 (469, 478), von denen die eine das Kloster St. Denis zum caput omnium eccle- siarum regni nostri Franciae, die andere Aachen mit Zustimmung der principe^ regni nostri tarn Italie quam Saxonie, tarn Bmvarie quam Äle- manniae et utriusque Francie, tarn orientalis quam occidentalis zur sedes regni trans Alpes und zum caput omnium civlfatum et provinciarum Gallie erheben will. Die Aachener Urkunde ist nicht nur für den Gebrauch des Ausdruckes GalUa in der Ausdehnung auch auf das rechtsrheinische Gebiet von Interesse (in diesem Sinne hatte sie schon Scheffer-Boichorst in dieser Zeitschrift 13, 109 verwertet), sondern auch, weil in ihr das deutsche Reich durch Aufzählung der einzelnen Stammesgebiete bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang venlient noch eine gleichfalls im 12. Jahrhundert gefälschte' Urkunde angeblich Karls d. Gr. iür die zur Beerdigung der Fremden de ultra »lontanis partibus erbaute Kirche S. Salvatore in Civitate Nova (Rom), Mühlbacher I.e. 34o (33 1), Erwähnung, in ihr wird als Sammel- stelle des Zinses in Gallien Aachen genannt: de GalUa colligant in A-iie (verderbt aus Aquis, diese Zeitschrift, Erg.-Band 4, 89) palatio.

Wien. J. Lechuer.

Inama-Steruegg, Deutsche Wirtschaftsgeschichte Band III, Teil II (D. W. in den letzten Jahrhunderten des Mittel- alters. Zweiter Teil) Leipzig, Duncker und Humblot, 1901, XVIII + 559 S.

Mit dem vorliegenden, selbständig paginirten, in der Zählung der Abschnitte (5 s) sich aber an den vorausgehenden ersten Teil an- schliessenden Bande gelangte das Werk zu einem vorläufigen Abschlüsse.

Analog der Disposition in den vorhergehenden Büchern enthält in diesem Bande der fünfte AVischnitt Die gewerbliche Produktion, der

320 Literatur.

sechste Bergbau, Hüttenwesen, Salinen, der siebente Handel und Verkehr und der achte Mass und Gewicht, Geld und Kredit. Schlussbetrachtungen über die wirtschaftliche Entwickelung während der letzten drei Jahrhun- derte des Mittelalters schliessen den erzählenden Teil, ein gemeinsamer Sach-Index dient allen drei (vier) Bänden.

Ist der erste Teil des dritten Bandes in seinem dem Besonderen gewidmeten Inhalte den wirtschaftlichen Erscheinungen des flachen Landes, der Landwirtschaft vorbehalten, so findet im vorliegenden zweiten Teile das städtische Leben mit seinen ihm eigentümlichen Wirtschaftserscheinungen seine Behandlung.

Die beiden ersten Abschnitte sind der Güterproduktion gewidmet und es wird die für den städtischen Charakter eines Gemeinwesens zunächst mass- gebende Produktionsform des Gewerbebetriebes im Rahmen des Zunftwesens in eingehender Weise dargestellt.

Anknüpfend an den im ersten Teile behandelten Gegenstand geht den Ausführungen über den städtischen Gewerbebetrieb eine kürzere Eröi-terung über den nicht zünftigen Gewerbebetrieb am Lande voraus.

Das Zunftwesen wird als wesentlich dem ureigenen Boden städtischen Lebens entsprossen hingestellt, und die Innung als eine Schutzgemeinschaft, in welcher jeder Handwerker seine persönliche und soziale Stellung ge- sichert sah, aber auch als eine Einrichtung zur gemeinschaft- lichen Förderung ihrer Klasseninteressen erklärt.

Eeferent hält diese Charakteristik für dem Tatsächlichen durchaus entsprechend und erlaubt sich nur zu konstatiren, welch bedeutenden Ein- fluss Karl Marx und seine Sohule dui-ch die von denselben angeregte scharfe Beobachtung der Erscheinungen des modernen sozialen Lebens auf die wirtschaftsgeschichtliche Forschung ausgeübt haben, ein Einfluss, der sich zeitlich umgrenzen lässt, wenn man die erste zusammenfassende kri- tische, im Jahre 1868 erschienene Untersuchung über das deutsche Zunft- wesen, Sc^hönberg, Zur wirtschaftlichen Bedeutung des deutschen Zunft- wesens im Mittelalter, S. A. aus Hiklebrands (heute Konrads) Jahrbüchern für Nationalökonomie, Bd. IX mit dem betreffenden Abschnitte im Werke Inamas vergleicht.

Einer äusseren Geschichte des Zunftwesens namentlich in seinem Verhältnisse zur Stadtgewalt und zu den Landesherren, deren wichtigste spezieller behandelt werden, folgt eine Schilderung des inneren Lebens der Zünfte und ihrer Bedeutung für die Entwickelung der privatwirtschaft- lichen und technischen Momente des Gewerbebetriebes, wobei der Verf auf die Nahrungsmittelgewerbe, die Metallindustrie und die Eisenindustrie •insbesondere, die Weberei und das Kunstgewerbe des Näheren eingeht.

Dem Abschnitte über den Bergbau ist besonders die neueste Lite- ratur über diesen Gegenstand zugute gekommen.

In dem einen breiten Raum im Buche einnehmenden Abschnitte über Handel geht ^wieder die Darstellung der äusseren Geschichte, die die Handelspolitik des Reiches, der Landesherren und der Städte anfasst, der inneren Geschichte einzelner Zweige des Handels voraus.

Die Geschichte der Hansa, die zunächst aus Handelsgesell- schaften der Kauf leute einzelner Städte um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstehend, zu einem Bunde der Städte selbst sich entwickelte, der in der

Literatur.

321

Mitte des 1 4. Jahrhunderts fertig dasteht und in der Kölner Konföderation 1367 seinen Ausbau erhalten hat, aber um die Mitte des 15. Jahrhun- derts einzelne Bundesglieder zu verlieren beginnt, und dessen ausschliess- liche Herrschaft auf der Ostsee am Ende des Jahrhunderts gebrochen ist, nimmt den Platz zwischen äusserer und innerer Handelsgeschichte ein.

In der inneren Handel sgeschichte werden die einzelnen Zweige des Handels, der Getreidehandel, der Handel mit Holz und Wein und der Tuchhandel des Näheren besprochen. Erörterungen über die Landstrassen und Wasserwege wie über die Einrichtung der Schiffahrt auf letzteren beschliessen den Abschnitt.

Mass und Gewicht werden kurz nach der äusseren Seite, der Hoheit auf diesem Gebiete, und nach der inneren, der Masse selbst behandelt. Auf die Grössenverhältnisse einzelner wichtigerer Masse einzugehen ver- hinderte wohl der Mangel brauchbarer Vorarbeiten.

In weitem Umfange ist eine Darstellung des Münz-, und Geld- wesens geboten. Eine Vorarbeit des Verf.s, die in der Zeitschr. f. Sozial- und Wirtschaftsg. Band III erschienene Abhandlung, Die Goldwährung im Deutschen Reiche während des Mittelalters hat in der Wien. Numismat. Zeitschr. Band XXVI S. 371 von berufenster Seite, dem in der Numis- matik wie in der Eechts- und Verwaltungsgeschichte in gleicher Weise hervorragenden Prof. Luschin eine überaus günstige Beurteilung er- fahren, der sich Referent bezüglich des ganzen vorliegenden Abschnittes nur anschliessen kann. Namentlich hält derselbe die Auswahl der Silber- münzen, deren Verbreitungsbezirk ein relativ bedeutenderer war, aus der so grossen Zahl lokaler mittelalterlicher Prägungen für eine selir glück- liche, in dem Wüste numismatischen Details, wie die Spezialforschung solches zu Tage fördert. Orientirung schaffende. Leider erlaubt die heutige Summe unserer Kenntnisse noch nicht, den wechselnden Münzfuss der wichtigeren Landeswährungen zusammenfassend darzustellen.

Der Verf. beklagt den ungünstigen Stand der mittelalterlichen Preis- geschichte. Bezüglich des gemeinen Taglohns glaubt der Verf. im Elsass wie an der Mosel und in Franken eine sinkende Tendenz im 1 5. Jahrhundert konstatiren zu können. Eine solche lässt sich auch für Wien nachweisen (Wiener Communal-Kalender Jahrg. 1888 S. 231 ff.). Wir konstatiren hier für Maurer, Zimmerer und Steinmetzknechte drei Lohnperioden mit zwar steigendem Nominallohn, der aber in Folge steter Münzfussverschlechterung und noch mehr in Folge der Diskreditirung der Landessilbermünze, das dem Misstrauen des Volkes in dieselbe ent- sprang, fallenden Reallohn bedeutet.

Die drei Lohnperioden umfassen die Jahre 1424 bis 1440 mit Tag- löhnen von 16 Pf. in der Wintersaison und 20 Pf. in der Sommersaison, -die Jahre 1444 bis 1481 mit analog 20 Pf. und 24 Pf., und die Jahre 1488 bis 1534 mit analog 24 Pf. und 28 Pfenn. Nun war die kur- sirende Münze in der Zeit von 1424 (resp. von 1399 an) bis 1430 7 lötig (Num. Zeitschr. Bd. XXII S. 97); in J. 1436 wurde 6 lötiges Geld ein- geführt, das bis 1447 in Umlauf blieb.

Nach dem Münzfuss von 1436 (Num. Zeitschr. Bd. XII S. 226) waren im Sommersaisonlohn von 16 Pfenn. (lOX 0-2157 Gramm) 349 Cgm. ^nd im Wintersaisonlohn von 20 Pfenn. (20 X 0-2157 Gramm) 437 Cgm.

322 Literatur.

Silber enthalten. Nach völlig anarchischen Zuständen auf dem Gebiete des Münzwesens in der Zeit der sogenannten »Schinderlinge* in den Jahren 1457 bis 1460, kam es im Jahre 14ß0 wieder zu normaleren Verhält- nissen mit 5 lötigen Pfenningen (Num, Zeitschr. Bd. XII S. 272). Die 20 Pfenninge der Soramersaison enthielten nach diesem Münzfusse (20 X 0-182) 364 Cgm. und die 24 der Wintersaison (24 X 0'182) 437 Cgm. Silber. Darnach ergäbe sich für die zweite Lohnperiode in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts gegenüber der ei'sten, in die erste Hälfte des 15. Jahr- hunders fallenden, also eine reale Lohnerhöhung.

Da aber der Ungarische Goldgulden, der nach der damaligen Wert- relation der Edelmetalle nur 8 sol. 6 den. gelten sollte, schon im J. 1462 auf 8 sol. 15 den. und 9 sol. den. stieg, eine Steigerung die im J. 1481 10 sol. 10 den. erreichte, so ergibt sich, dass der Reallohn in diesem sich stetig entwertenden Gelde auch in Wien im Laufe des Jahrhunderts eine sinkende Tendenz hatte.

Der Verf. spricht in dem Voi'wort die Hoffnung aus in einem fol- genden Bande die deutsche Wirtschaftspolitik der neueren Zeit darstellen zu können. Im Interesse der Wissenschaft ist zu wünschen, dass sich diese Hoffnung erfüllen möge.

Mödling. KarlSchalk.

B i b 1 Victor, Die Restauration der nieder österreichi- schen Landesverfassung unter K, Leopold IL Lmsbruck, Waguer 1902, 8'\ IV und 86 S.

Die fleissige und flott geschriebene Arbeit Bibls behandelt einen der interessantesten Abschnitte der neueren österreichischen Verftissungs- geschichte. Kaiser Joseph II, hatte sowohl die uhnehin tief gesunkene politische Bedeutung der Landstände fast ganz beseitigt, ihre Verwaltung verstaatlicht, als auch in die feudale Gutsverfassung, auf der Reichtum und Ansehen des landständischen Adels beruhte, eine tiefe Bresche gelegt. Gross war das Missvergnügen der Stände namentlich über die agrai'ischen Reformen des Kaisers, wenn es auch an die Bewegung in Belgien und Ungarn nicht heranreichte. Daher riet sogar der strengste Vertreter des absoluten Systems, Kaunitz, nach dem Tode des Kaisers die Stände zu berufen und ihre Beschwerden entgegen zu nehmen. Leopold war dazu von allem Anfang entschlossen, um so mehr, als er selber mehr konstitu- tionellen Anschauungen huldigte. Nur dai'auf war die Regierung bedacht, dass die Bewegung eine provinzielle bleibe, dass die österreichischen Stände sich nicht zu Generalständen vereinigen würden. Sie hat den Landständen ein genaues Programm voi'geschrieben, an das sie sich zu halten hatten. Darnach sollten sich ihre Beratungen um die Wiederherstellung der land- ständischen Verfassung, welche die Regierung beabsichtigte, um die Ord- nung der gutsherrlichen Verhältnisse und um die Beschwerden drehen, welche die Stände sonst gegen die Gesetze und Verfügungen K. Josephs vorzubringen hatten. Ihre Absicht hat die Regierung erreicht. Die Be^

Literatur. 225

wegung blieb eine rein provinzielle. Allerdings decken sich die Be- schwerden der einzelnen Länder vielfach. Aber es war die Ähnlichkeit der Verhältnisse, welche in den einzelnen Ländern ähnliche Beschwerden her- vorrief, kaum aber ein direktes Einverständnis der verschiedenen Stände untereinander. In krassester Weise trat vielmehr das Provinzialgefühl überall an den Tag, nirgends fast zeigte sich die Spur von einem ein- heitlichen Staatsbewusstsein, wie sich denn im allgemeinen ein gänzlicher Mangel jedes politischen Verständnisses auf Seiten der Stände offenbarte und der Regierung den Sieg leicht machte. Deshalb ist die Bewegung auch bisher leJigiich für einzelne Länder geschildert worden, obwohl dabei die Übersicht über den gesamten Verlauf der Bewegung leidet.

Auch Bibl beschränkte sich auf Niederösterreich, wobei er namentlich die Akten des Staatsraths ausgebeutet hat, welche einen vollkommenen Einblick in die Anschauungen und Haltung der Regierungsbehörden und leitenden Staatsmänner gewähren. Das Schwergewicht der Bewegung in Niederösterreich lag durchaus auf der agrarischen Seite. In politischer Beziehung war der niederösterr. Adel, der vielfach dem Hofe näher stand, als der anderer Länder, ungemein gemässigt. Daher erreichen die Ver- handlungen im niederösterr. Landhaus in keiner Weise an politischer Be- deutung und Interesse die des böhmischen Landtags, selbst die der steiri- schen und tirolischen Stände. Weil aber die Niederösterreicher die ersten waren, deren Landesverfassung wieder hergestellt wurde, so war das Ver- halten der Regierung ihnen gegenüber auch für die andern Länder vielfach massgebend. Selbst das Normaljahr 1764, das die Regierung ihrer Restau- ration zu Grunde legte, wurde nur deswegen aufgegriffen, weil man für Niederösterreich die Instruktion für das Kolleg der Verordneten von diesem Jahre der neuen Instruktion zu Grunde legte. Für die anderen Länder passte dieses Jahr so wenig, dass man in Böhmen zuerst an einen Schreib- fehler im königlichen Reskripte dachte. Das Hauptinteresse beanspruchen die Verhandlungen über die Neuordnung der agrarischen Verhältnisse. Zwar die Fi-eizügigkeit der Bauern wieder zu beschränken wagte man nicht, aber von den verlorenen feudalen Rechten suchte man doch soviel als möglich zu retten. Vor allem erlangte man die wenn auch nur provi- sorische Aufhebung des Grundsteuerpatentes %on 1789 und damit die Wiedereinführung der Roboten. Die Behörden stehen den Forderungen der Stände verschieden gegenüber. W^ährend die Hof kanzlei sich zumeist den Ständen anschloss, trat die Mehrzahl der Staatsräthe, vor allem der durch und durch antifeudale Eger, aber auch der Kronprinz Franz, von dem man übeiraschende demokratische Äusserungen zu hören bekommt, den Forde- rungen der Stände entschieden entgegen; der Kaiser entschied zumeist, wenn auch nicht ohne Schwanken, gegen die Aspirationen der Feudalherren. In politischer Beziehung hat die Bewegung nur die Restauration der theresianischen Zustände herbeigeführt. Die Regierung erkannte wohl, dass die verrotteten Zustände der Landesverfassungen durchgreifende Re- formen benötigten, aber man scheute tiefere Eingriffe mit Rücksicht auf die Ereignisse, die sich in Frankreich abrollten; denn die grosse franzö- sische Revolution hat auch auf die kleinere Verfassungskrise Österreichs ihren Schatten geworfen. In agrarischer Beziehung kam es zu einem Flickwerk, dem nur die Stürme der Revolutionskriege und die unglaub-

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liehe politische Versumpfung der Franziseeischen Zeit eine fast aehtund- fünf zigjährige Dauer verschafften.

Innsbruck. V o 1 1 e 1 i n i.

Felix Salomon. William Pitt. Erster Band: Bis zum Aus- gang der Friedensperiode. Erster Teil: Die Grundlageu. Leipzig, B. G. Teubuer, 1901. XII und 208 S.

Bei wenigen Büchern darf man die Bedürfnisfrage so entschieden be- jahen wie bei einer deutschen Biographie des jüngeren Pitt. Gerade heute, wo das britische Reich für uns im Vordergrund des Interesses, noch dazu leider eines feindlichen Interesses steht, ist es dringend notwendig, sich mit einem Mann zu beschäftigen, der gleich wenig anderen die Grundlagen des modernen England hat legen helfen. Ich habe deshalb selbst ivürzlich (August 1902) in den Preussischen Jahrbüchern ein kleines Lebensbild des Ministers veröffentlicht, das, eigentlich schon im Api'il 1901 abge- schlossen, nur durch ungünstige Zufälligkeiten so lange zurückgehalten wurde, und begrüsse es doppelt freudig, dass inzwischen der erste Halb- band eines Werkes erschienen ist, das die Aufgabe in ungleich grösserem Stil, nicht nur populär zusammenfassend, sondern wissenschaftlich vertiefend zu lösen sucht.

Es gibt verschiedene Arten, Geschichte zu schreiben. Hier überwiegt ■die wissenschaftliche Kritik als Selbstzweck, dort die Poetenfreude an der Mannigfaltigkeit der Erscheinungen, andere suchen darüber hinaus politische Beziehungen auf die Gegenwart; wieder andei'e kommen mit dem Auge und Eüstzeug des Philosophen. S. gehört zu den letzten. Er liebt zu abstra- hiren und reflektiren. Schon im Stil bevorzugt er bis zur Manie das unpersönlich-kalte Passivum vor dem persönlich-lebhaften Aktivum. Die Aufgabe des Historikers ist ihm, »über die Feststellung des Einzelnen, Zufälligen hinaus zur Förderung wissenschaftlicher und allgemeiner Er- kenntnis zu dienen "^S die des Biographen im besondern, nicht nur das Tun des Helden aus seinem Wesen zu begreifen, sondern über das Verhältnis von Mann und Zeit die beiden Fragen zu beantworten: 5, wie vieles hat die grosse Persönlichkeit als Ergebnis der Geschichte ihres Landes, ihr den Weg weisend und ihr Handeln bestimmend vorgefunden, und wie weit haben ihr die Zeitverhältnisse Raum gegeben, ihr eigenstes Wesen zur Geltung zu bringen, in schöpferischem Gestalton der Entwicklung ihren Stempel aufzudrücken *^^

Von diesen Fragen behandelt der vorliegende Halbband ausschliesslich die erste. Er schildert »die Grundlagen*, auf denen der Mensch Pitt und auf denen der Staatsmann erwuchs. Ein kürzeres einleitendes Kapitel betrifft »Familie, Elternhaus, Jugend und Lehrzeit«. Dabei interessirt den Verf. vor allem das Problem, was der jüngere Pitt dem ältei'en verdankte. Wer den Vater nicht kenne, könne den Sohn nicht begreifen (S. 9). Denn Chatham habe mit Bewusstsein und Erfolg gestrebt, den »neuen Typus eines englischen Mannes«, den er »zur Darstellung brachte*, im Sohne fortzupflanzen. Mir scheint das nicht glücklich formulirt; warum soll

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Chatham durchaus zum Typus gestempelt werden? Jedenfalls leidet die Charakteristik unter dieser Vorstellung. Indem sie das allgemein Vorbild- liche betont, verwischt sie einigermassen die individuellen Kontm-en. Wie bei Klopstock wird das Körperliche ausgezogen und alles zu Geist gemacht. Recht gut dagegen veranschaulicht S. die Entwicklung des Sohnes. Soweit das nicht sehr reiche Material erlaubt, erzählt er von der wohltemperirten Athmosphäre des Elternhauses, der sorgfältigen, fast zu absichtsvollen Er- ziehung und der erstaunlichen geistigen und sittlichen Frühreife, um schliesslich all diese Faktoren in ihrer Wirkung namentlich auf die politische Ausbildung verständnisvoll abzuwägen. Sein Resultat ist: der Einund- zwanzigjährige war beim Eintritt ins öffentliche Leben »wohl vorbei'eitet für einen hohen Posten'*^. Nur eines würde an und für sich eine gross- artige Wirksamkeit erschwert haben : der notwendige Mangel längerer eigner Erfahrung. Hier aber war für Ersatz gesorgt. Der Verf. meint, Avenn schon die Aufgaben im Staats- und Wirtschaftsleben sich ebenso schwer wie drängend darstellten, so hatten doch andere bereits die Mittel zu ihrer Lösung gezeigt, und es bedurfte nur der zusammenfassenden Energie, sie anzuwenden.

Damit gewinnt er den Übergang zu den beiden Hauptkapiteln: »Die politischen Lehren des älteren Pitt im Zusammenhang der politischen Ent- wicklung Englands ^^ und »Die wirtschaftlichen Lehren von Adam Smith im Zusammenhange der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung Eng- lands*. Gründliche Detailkenntnis verbindet sich hier mit ernstester Ge- dankenarbeit. Die ganze englische Geschichte seit der Eroberung zieht im Überblick an uns vorüber. Die Organisation von Staat und Gesell- schaft, das Verhältnis von Königtum und Parlament, die Stellung der Parteien werden eingehend erörtert. Albert von Ruville in einer sehr beachtenswerten Besprechung in den Göttingischeu Gelehrten Anzeigen 1902, S. 62 (i^ 644 hat die Auffassung des Verf. dabei sozusagen als zu eng- lisch angegriffen. Ich streite ungern über Auffassungen, aber mir scheint überhaupt bedenklich, dass S. gar so stark aus einem bestimmten Gesichts- punkt heraus systematisirt und konstruirt. Gerade die englische Geschichte verträgt das nicht: denn Prinzipien und logische Konsequenz sind nun einmal nicht Sache des britischen Volks. Es ist opportunistisch; ohne sonderliche Rücksichtnahme auf Abstraktionen und Theorien entscheidet es von Fall zu Fall, lässt höchstens das als Regel gelten, was sich früher in ähnlicher Lage als praktisch ei-wies. Sein Recht, seine Verfassung stellen sich dar als eine Summe von oft widerspruchsvollen Präzedenzfällen. Und es ist kein Zufall, dass die beiden bedeutendsten politischen Denker des Pittschen England: Burke und Adam Smith für deutsche Begriffe so er- schrecklich unsystematisch sind. Deshalb kommt man mit geschichts- philosophischen Konstruktionen gar zu leicht in die Brüche.

Das zeigt schon die berühmte crux der englischen Verfassungs- geschichte, die Frage nach der richtigen Definition von Whig und Tory. Auch S. versucht sich natürlich an ihrer Beantwortung: »Die eine Partei, meint er, (nämlich die Whigs) wurde im Prinzip für die Differenzirung der überkommenen Organisation tätig, sie ging von den Ansprüchen der Indi- viduen aus und vertrat die Selbständigkeit der Gesellschaft, wenn auch zunächst nur Einzelgebiete und einzelne Schichten der Gesellschaft in

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Betracht kommen. Sie legte mehr Gewicht auf die Freiheit, als auf die Gemeinschaft, mehr auf die Selbständigkeit als auf die Einheit. Die andere Partei (die Tories) meinte für die Einzelnen am besten gesorgt zu sehen durch Unterordnung ihrer Ansprüche unter die Zwecke des Ganzen; sie sah mehr auf die Macht und Autorität der zentralen Organe und war anfangs sogar jedem Bruche mit der überlieferten Ordnung feindlich, welche sie als unter einer höheren Sanktion stehend betrachtete. Der Autonomie des Individuums stellte sie die Autorität gegenüber, der Freiheit die Ordnung*. Das ist sehr schön gesagt, aber der hinkende Boto kommt nach: »Keine beider Parteien verfocht je das Grundprinzip ihrer Politik uneingeschränkt in allen seinen Konsequenzen_, jede vielmehr nur innerhalb gewisser veränderlicher, durch die jeweilige politische Lage und die jewei- ligen Bedürfnisse bestimmter Grenzen mit besonderer Rücksichtnahme auf die Sonderinteressen der vertretenen Bevölkerungsklassen')«. D h. also doch Torismus und Wbiggismus in diesem Sinn sind künstliche Präparate, ■die sich mit der wiiklichen Politik der jeweiligen Tories und Whigs so wenig decken, dass vielmehr die Whigs als Tories und die Tories als Whigs handeln. S. ist unbefangen genug, das Wort Chathams zu zitiren: »Es gibt einen Unterschied zwischen Recht und Unrecht, zwischen Whig und Tory* (S. 78). Aber nichts desto weniger nimmt er den grossen Minister durchaus als Tory in Anspruch.

Und von seinem Standpunkt ja ttuch ganz mit Recht; denn allerdings liegt Chathams Bedeutung in dem Gegensatz zu jenem engherzigen krämer- ha'ten Whiggismus, der seit der Thronbesteigung des Hauses Hannover die Regierung in Händen einiger weniger grossen Familien monopolisirte und zu gunsten der coalirten Interessen von Grosskapital und Gros-giundbesitz (S. 56) ausbeutete. Dem Privatvorteil einer bevorzugten Minderheit setzte er Wohl und Willen der Gesamtheit entgegen. Die Verfassung r-ollte wieder eine Wahrheit werden, das Parlament nicht länger eine blosse Klassen- vertretung bleiben, das Königtum, aus seiner Ohnmacht befreit, neuerdings über statt unter den Parteien seinen Platz nehmen. Das war ein Pro- gramm, bei dessen Aufstellung (was S. vielleicht nicht genügend hervor- hebt) neben den sachlichen sehr stark auch persönliche Motive einwirkten. Das überwiegend nach Familieninteressen gruppirte Unterhaus bot einem ehrgeizigen und unabhängigen Outsider nicht den genügenden Rückhalt. Deshalb suchte Chutham diesen anderswo: in der Nation draussen, und da doch das Volk tür fortlaufende praktische Regierung nicht zu brauchen ist, so betonte er gleichzeitig die Rechte des Königs, unter der selbst- verständlichen Voraussetzung natürlich, dass er, Chatham, sie ausübe. Den patriotischen d. h. unparteiisch selbständigen König, den schon Bolingbroke ersehnt hatte, wollte er als patriotischer Minister sozusageo vertreten.

Mit der Thronbesteigung Georgs 11. schien die Zeit der Erfüllung solcher Träume gekommen. Der junge Herr, der sich ungleich den Iteiden Vorgängern als Engländer fühlte und gab, erweckte übeiall Hoffnungen und Sympathieen. Ein Bund zwischen ihm und Chatham wäre wahr- scheinlich unwiderstehlich gewesen. Er hätte zu einer dauernden Restaura-

') Was für die Tories bei der Un*^erordnung ihrer Ansprüche unter die Zwecke des Ganzen eigrentlich ausjjescblo-sen sein sollte.

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"tion der englischen KönigsmacM führen können. Aber Georg versclimähte <3ie societas leonina mit, dem, überlegenen Minister. Wie er »eine enge Natur« war (S. 102), konnte er sich nicht entschliessen, die Verfassungs- frage in grossem Stil aufzurollen, mit Unterstützung des Volks das König- tum als solches zu einem Macbtfaktor zu machen. Es dünkte ihn sicherer und bequemer, die allerdings erstrebte Herrschaft »auf dem Verwaltungs- wege* zu erreichen. Statt als wii'klicher König trat er als . Parteihaupt auf. Die Bestechung von Wählern und Gewählten, die vordem die Minister geülit hatten, geschah jetzt direkt vom Thron aus. Das war der ganze Unterschied. Das alte Unwesen gewann sogar nur hässlichere Formen. Die Politik wurde zum job. Chatham starb vom Hofe geächtet als ein Wortführer der Opposition. , Sein Wirken, nach aussen seiner Zeit so er- folgreich, war im Innern zunächst ohne sichtliches Ergebnis.

Dabei wirkte dann freilich noch etwas anderes mit, wie S. richtig hervorhebt. Ohne nationalökonoraische Interessen und im merkantilistischen Dogma befangen, war Chatham nicht der Mann, die wirtschaftlichen Auf- gaben der Zeit zu lösen, die von vielen für wichtiger als die politischen gehalten wurden. England be'and sich damals mitten in einer stetig rascher werdemlen wirtschaltlichen Bewegung, deren Gründe und Plia-^en unser Buch ausführlii-h und mit vielen interessanten Aufschlüssen erörtert. Alle ökonomischen Verhältnisse wandelten sich aus dem vergleichsweise Kleinen Uebersichtlichen, Primitiven ins Ausgedehnte, Komplizirte und Künstliche. Auf dem Lande nahm der Wirtschaftsbetrieb schon wegen der Kornprämie mehr und mehr grosskapitalistische Formen an: der unabhängige Klein- besitzer verschwand so sehr neben dem Zeitpächter, dass man die Be- zeichnung lür letzteren (farmer) für den Landmann überhaupt gebrauchte. Vor allen Dingen aber Handel und Industrie wuchsen in allen Richtungen. Der glückliche siebenjährige Krieg führte geradezu eine Überproduktion herbei; und als nun die amerikanischen W^irren, in sich selbst nicht ohne Zusammenhang mit dem herrschenden Merkantilsystem, eins der haupt- sächlichsten Absatzgebiete zeitweilig sperrten, kam es zu Stockungen, die die Frage nahelegten, ob nicht eine wirtschaftlich-^ Eeform not tue. Die künstlic-he Regulirung des Hamlels und der Pi'oduktion bewährte sich offenbar nicht mehr, freier Verkehr musste an die Stelle treten. Die Forderung war an sich nicht neu, wie S. an der Hand der älteren For- schungen von Ashley und Hasbach nachweist. Schon 17 52 schreibt Townshend an Tucker, wenn dessen freihändlerische Ideen ausgeführt würden, so würde Geld und alles in Hülle und Fülle und billig sein, die Nation reich und mächtig. Es würde ihn dann nicht allarmiren zu hören, dass der König von Frankreich zum römischen König gewählt wäre: »Ganz Europa muss sich vor England beugen, wenn in solch einer Lage^'' (S. 184).

AV)er das Verdienst, die grosse Sache zuerst mit wahrhaft grossen durchschlagemlen Gründen verfochten zu haben, bleibt trotz allem un- bestritten Adam Smith. Deshalb gipfelt das dritte Kapitel in einer aus- führlichen Analyse der Untersuchungnn über den Reichtum der Nationen. Die Bedingtheit durch die besonderen Verhältnisse von Ort und Zeit, andererseits der enge Zusammenhang mit der älteren »Theorie der mora- iisrhen Empfindungen'^^ werden verständnisvoll erörtert. Wir erkennen, dass Adam Smith' Lehren den Bedürfnissen des damaligen England aufs

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glücklichste entsprachen. Nur leider lag eben im System selbst ein ge- wisser Verzicht, das Eichtige nun auch mit Energie durchzusetzen. Smith meinte bekanntlich resignirt, die Einführung völliger Handelsfreiheit in England sei ebenso unmöglich wie eine Republik Oceana oder Utopia. Als Feind jeder staatlichen Einmischung ins Wirtschaftsleben und fest über- zeugt, dass sich schliesslich ohne besonderes menschliches Zutun alles in prästabilirter Harmonie auflöse, machte er sich keine Sorge, welche Schritte, namentlich welche politischen Reformen der Bruch mit der herrschenden ökonomischen Praxis voraussetze. Hatte also, das ist das Resultat, dem der Verf. zusteuert wie früher gezeigt, Chatham bei vollem Ver- ständnis und Willen für politische Reformen der nötigen volkswirtschaft- lichen Einsicht entbehrt, so bot nun Adam Smith diese volkswirtschaft- liche Einsicht, aber auch wieder als etwas Unvollkommenes, das zur Er- gänzung einer Staatsauffassung ä la Chatham bedurfte. Erst eine Ver- einigung beider Programme ergab den Weg, auf dem eine gedeihliche Weiterentwicklung des englischen Lebens möglich war.

Damit schliesst der vorliegende Halbband. Die Fortsetzung wird zeigen müssen, in wie weit der jüngere Pitt die Erbschaft antrat, und warum es nicht ganz geschah. Man darf ihr mit hohen Erwartungen entgegensehen. Denn bei des Verf. gründlicher Kenntnis englischer Ver- hältnisse, seiner umsichtigen Quellenfoi-schung und geschichtsphilosophischen. Schulung kann es nicht fehlen, dass die Biographie im ganzen ihrem grossen Gegenstand voll gerecht werden wird.

Bonn. FriedrichLuckwaldt.

Die historische periodische Literatur Böhmens, IVlährens und Oesterr.-Schlesiens. 1900—1901.

Mit Nachträgen zum Berichte für das Jahr 1899^). Böhmen.

L Die Publikationen der köuigl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften.

1. Sitzungsberichte der königl. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften. Klasse für Philosophie, Geschichte und Philologie,. (Vestnik knil. ceske spolecnosti uäuk. Tfida filosoficko-historicko-jaz}- kozpytnä).

Jahrgang 1899. Nr. VI. V. Schulz, Historicke zprävy v nejstarsi knize mesta Brodu Ceskeho z 1. 1421 1490. (Historische Nachrichten im ältesten Buche der Stadt Böhmisch-Brod aus den J. 1421 1496.) 45 S. Der »Über memorialis, iudicialis et civilis* oder schlechtweg »Autenticum'^ genannt, wurde 1448 angelegt, wobei aber »de veteri et antecedenti registro* Verträge und sonstige Denkwürdigkeiten seit 1421 übertragen wurden. Der erste Schreiber Nicolaus führte das Buch bis 1496 (Fol. 160), die folgenden zehn Blätter

<) Vergl. Mitteil, des Instituts 22, 152 ti'., 342 tf.

Literatur.

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enthalten Notizen und Stritte aus dem 16. Jahrhundert, von Fol. 171 309 reicht ein zweiter Teil, der mit dem J. 1554 beginnt. Von den teils lateinischen teils cechischen Eintragungen des 1. Teils werden die Ratslisten, verschiedene ßechtsurkunden und geschichtliche Notizen zum Abdruck gebracht, darunter die Schilderung der Einnahme und Plünderuno- der Stadt durch die Prager 1421, des Besuches K. Sigmunds in B.-Brod 1436, K. Ladislaus' 1453 und K. Georgs 1405, Notizen über ßohäc und Pardus 1437, sowie das auf dem iTmschlagblatt vorfindliche Verizeichnis der Städte und Städtchen (732), Schlüsser (30ü), Burgen und Dörfer (34.700) in Böhmen auf Grund der Landtafeleintragungen vom J. 1558. Nr. VII. F. Meneik, Kaiserin Maria Theresia und Friedrich Graf Harrach. 18 S. Der Aufsatz behandelt nach Archivalien des Harrach'schen Archivs in Wien die Stellungnahme des obengenannten letzten böhmischen Oberst- kanzlers zu den Reformplänen der Kaiserin, insbesondere zur Finanzreform. Nr. VIII. F. Kamenicek, Süatek arciknizete Ferdinanda Rakouskeho s Annou Jagielovnou v Inspruku 11. prosince 1520. (Über die am 11. Dezember 1520 in Innsbruck vorgenommene Trauung des Erzherzogs Ferdinand von Österreich mit der Prin° zessin Anna von Böhmen und Ungarn.) 7 S. Ein Notariats- instrumeut im mähr. Landesarchiv schildert im einzelnen den Verlauf der Eheschliessung per procurationem am l l. Dezember 1520 zu Innsbruck. Die Nichtanwesenheit böhmischer Vertreter sucht K., fraglich ob mit Recht, als eine absichtliche Zurücksetzung Böhmens durch K. Ludwig zu erklären.' die später im J. 1526 für K. Ferdinand nicht ohne Wirkung bleiben konnte. Das Aktenstück ist gedruckt in desselben Verfassers »Snemy a sjezdy Moravske« I, p. 331. Nr. IX. F. Meneik, Die Hofratssitzungen im J. 16 25. 24 S. Abdruck der von Karl Freiherrn von Harrach, dem Schwiegervater des Herzogs von Friedland, geführten eigenen Protokolle über einige Sitzungen des Hofrats (25. April— 30. Juni 1625), in denen hauptsächlich Vorschläge gegen die von Dänemark und Mannsfeld dem Kaiser drohende Gefahr beraten wurden. Die Protokolle befinden sich im Harrach'schen Archiv in Wien. Nr. XI. K. V. Adämek, Cechovni zfizeni na Hlinecku v XVH. a XVIII. veku. (Über das Zunftwesen im Hlinsko'er Kreis im 17. und 18. Jahrhundert.) 79 S. Schöne abgerundete Darstellung auf Grund der reichhaltig vorhandenen Zunft- ordnungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert, in denen auch viele ältere enthalten sind; die älteste ist jene der Töpfer von 1488. Eine Anzahl dieser Ordnungen wird abgedruckt und mit sehr fleissig gearbeitetem Sachenindex versehen. Nr. XII. M. Dvofäk, 0 listine pape2e Jana XIII. v kronice Kosmove. (Über die in Cosmas' Chronik ent- haltene Urkunde des Papstes Johann XIII.) 5 S. Der wesent- liche Inhalt des Briefes könne einem alten Privileg der St. Georgskirche entnommen sein, im ganzen aber sei es eine Fälschung von Cosmas selbst, und zwar, was die unzeitgemässe Arenga beweisen soll, unter Zugrunde- legung irgend einer Urkunde P. Urbans II., Paschais II. oder Calixts IL; die Stelle über die slawische Liturgie erkläre sich aus der polemischen Tendenz der Cosmaschronik überhaupt. Nr. XIIL J. Salaba, Vyse- brodskd kronika Rozmberskä Väclavem Bfezanem zcestenä a prodlou^enä. (Die Rosenberger Chronik von Hohenfurt, ins cechische Mittheilungen XXIV. -jo

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übersetzt und fortgeführt von Wenzel Bfezan.) 19 S. Die erste Phase in der historiographischen Tätigkeit dieses Klosters, das 1259 von den ,Eosenbergern gegründet wurde, bildet die Abfassung eines Anni- versars sowie eines Nekrologs auf Grund der Originalurkunden, Brief- schaften und fremder Nekrologien. Die weitere Entwicklung brachte so- dann die Eosenbergische Chronik, die in mehreren Redaktionen sich er- halten hat. Die erste entstand um 1369, Jakob von Gratzen ist aber nicht ihr Verfasser, sondern bloss ihr Abschreiber (um 1479). Die zweite Redaktion gehört ins Jahr 1412. Pangerl edirte (FF. rer, Austr. 11, 23 p. 38 1) eine bis 1505 reichende Ausgabe, S. publizirt eine Fassung, die von 1259 1592 reicht und sich als eine böhmii^che Übersetzung der älteren Redaktionen darstellt, an der neben Bfezan auch die Hohenfurter Mönche gearbeitet haben. Nr. XIV. J. V. Simäk, Pfispevek k selske boufi r. IfiSO a k poddanskym pomefum na Frydlantsku. (Beiträge zu den Bau'ernaufs fänden des Jahres 1680 und zu den Un- tertansverhältnissen auf der Herrschaft Friedland.) 23 S. Auf eine Einleitung, in der eine Übersicht über die Literatur betreffend dieses Ereignis geboten und diese, besonders Josef Sväteks Schritten kri- tisch beleuchtet werden, folgt eine Schilderung des Aufstandes auf den Herrschaften Lemberg und Friedland unter Anführung einer Anzahl neuer Aktenstücke aus den Jahren 1681 1687, die dem Prager Statthalterei- Archiv entnommen sind.

Jahrgang 1900. Nr. IL V. Schulz, Dve kroniky jesuitske kolleje v Litomeficich z let 1629 1662. (Zwei Chroniken des Je- suiten-Kollegiums in Leitmeritz aus den Jahren 1629 1662). 1 8 S Eine wichtige Ergänzung zu dem von demselben Verf. im » Histo- ricky Archiv * Nr. 1 6 herausgegebenen » Urkundenbuch des Jesuiten- Kollegiums zu St. Klemens in der Altstadt Prag von 1628 1632* und zu der unten anzuführenden Publikation »Die Korrespondenz der böhmi- schen Jesuitenprovinz von 1584 1770* bilden diese beiden Chroniken. Die erste, eine »Historia coUegii Litomericensis S. J. *, beziehungsweise »Extractus vel Synopsis historiae de primordiis collegii Litomericensis ab a. 1629 manu propria ven. domini Stredonii* ist allerdings nur als spär- liches Fragment erhalten. Die zweite führt auch den Titel: »Historia coli. Litom. S. J.« und reicht von der Gi'üudung des Kollegs 1629 bis c. 1662. Beide werden abgedruckt. Nr. III. Theodor Antl, Seznam ürokü z mesta Loun a ze vsi k nemu nale^it^ch v letech 1450 a 1451- (Ver- zeichnis der Zinse von der Stadt Laun und den zugehöri- gen Dörfern in den Jahren 1450 51. Das wegen seines Alters und seiner Anlage in unseren Ländern wichtige Urbar wird vollinhaltlich abgedruckt und bildet eine wichtige Quelle für die Verwaltungs- und Fi- nanzgeschichte der böhmischen Städte. Nr. IV. Frantisek Pastrnek, Chrvatsko-hlaholsk^ rukopis Siensky. (Eine kroatisch-glagolitische Handschrift in Siena.) 39 S. Die Hs. stammt aus der ersten Hälfte des 15. Jahrh. und ist liturgischen Inhalts. Der Aufsatz beschränkt sich nicht auf die blosse Wiedergabe, sondern gibt in einer Einleitung eine historische Übersicht der Entwicklung und der Quellen der slawischen Kirchenbücher und erweist in einem Scblusswort als Quellen der Siener Hs. einen »Tractatus simplicium sacerdotum de officio saceniotali* und

Literatur, 33 1

Ouidos »Manipulus curatorum«, Nr. VII. August vonDoerr, Genea- logische Daten über einige böhmische Exulanten in Sach- sen aus dem 17. Jahrhundert. 30 S. Dr. Richard Schmertosch, Oberlehrer in Pirna, hat zum Teil auf Anregung v. Ds. »aus protokollarisch eingetragenen mündlichen, teils aus Originaltestamenten, aus Vermögens- übertragungen unter Lebenden und aus Vergleichen« in den Archiven der kön. Sachs. Amtsgerichte in Pirna und in Dresden 97 ßegesten von 1622 bis 1701 zusammengestellt. Ein Namenregister erleichtert die Übersicht. Nr. VIII. Franti.sek Miloslav Kouba, Querela stavü cesk;ffh r. 1611. (E ine Be sc hwerdeschrift der böhmischen Stände vomJ. 1611.) 24 S. Ein Copiarium in der Prager Univ.-Bibliothek (Sig. XVII. D. 20) enthält 93 Urkunden, von denen eine Reihe historisch beachtenswerte Stücke sind ; z. B. das Gespräch eines jungen Ritters mit einem alten Böhmen über die Wandlungen in der Geschichte Böhmens und Mährens , . . von 1348 bis jetzt (i. e. 1604); die Prophezeiung des Dr. Kamp, eines böh- mischen Feldpredigers , geschrieben 1472; die Prophezeiung des Jakob Hartmann von Durlach 15 28; v^^ahrhafter und kurzer Bericht über den Prozess des obersten Feldhauptmanns in Oberungarn Grafen Jacobus Bel- giojoso vFegen der Einnahme der Kirche in Kaschau . . . (l604); Con- •ditiones pacis inter Romanorum et Turcicum imperatorem, Rudolphum II. et Mehomatem I. sultanum, ut illae anno superiori 1606 . . . conclusae sunt; Exemplar reconciliationis cum Hungaris vom 23. VI. 1606; ver- schiedene auf die Ereignisse von 1608 bezügliche Urkunden und schliess- lich 4 sogenannte Querelae, eine ungai'ische von 1604 0. 1605, eine mäh- rische von 1605, eine österreichische von 1608 und die im Titel ange- führte von 1611. Nach einer kurzen Inhaltsangabe der Handschrift, deren Besitzer 1608 der Prager Bürger und Ratsherr Simeon Simonides Susicky T. Sonnenstein war, dessen Lebensgeschichte eingefügt wird, und einem kurzen Hinweis auf die Zeitverhältnisse im Abfassungsjahre der Querela folgt der volle Wortlaut; sie ist in cechischer Sprache geschrieben und an den Kaiser gerichtet. - Nr. IX. Josef Sal ab a, Korrespondence kneze br. Mateje Cyra s Väulavem Bfezanem a Petrem Vokem z Ro2tnberka. 1603 1610. (Korrespondenz des Bruderpriesters Mathias Cyrus mit Wenzel Bfezan und Peter Wok vonRosenberg. 1603 I6I0). 36 S. Dem Abdruck der 28 Briefe geht eine kurze Darstellung der Be- ziehungen Peter Woks zu den böhmischen Brüdern voraus, für deren Beur- teilung eben erst diese dem Wittingauer Archiv entstammenden Orijinal- briefe wichtiges neues Material bieten. Nr. X. J. V. Simak, Chote- sovske zprävy 0 selske boufi r. 1680- (Chotieschauer Nachrichten über den Bauernaufstand des Jahres 1680.) 29 S. Die Nach- richten stammen von dem Propst Michael Kastl des böhmischen Prämon- stratenserklosters Chotieschau, der in den Jahren 1666 1682 eine Chro- nik führte, die heute in der Prager Univ.-Bibl, Sign. VI. C. 1 3 liegt. Sie beginnt mit einer Autobiographie , deren wesentlichste Angaben wieder- gegeben werden ; über den weiteren Inhalt gibt eine Inhaltsübersicht un- gefähren Aufschluss; der Bericht über das Jahr 1680 wird vollinhaltlich abgedruckt. Nr. XIV. J. Strnad, Rejstfik kraje plzenskeho z r. 1600. (Ein Register aus dem Pilsener Kreis vom Jahre 1600.) S. 14 Ein sogenanntes Botenregister, aus dessen 86 Vidirungen oder Unter-

332; Literatur.

feriigungeu St, Folgerangen bezüglich der Nationalitätsverhältnisse der Standesherren, Ritter, Städte und Geistlichkeit des dortigen Kreises in jener Zeit zu ziehen sucht, Nr. XVill. Ant, Podlaha, Missie P. Kaspara Diriga v iiorach Krkononsskych vykonanä r. 1679 1680. (Über eine von P. Kaspar Dir ig S. J. im J. 1679 im Riesengebirge vor- genommene Bekehrungsmission.) 18 S. Dirig beschreibt selbst seine Tätigkeit für die katholische Reformation vornehmlich im Gebiete- von Rochlitz, ein Bericht, der sich in einem der Folianten der Jahrbücher des Prager Jesuiten - Kollegiums, die sich in der Lobkowitzer Bibliothek erhalten haben, vorfindet. Der lateinisch abgefasste Bericht, der hier voll- ständig abgedruckt wird, zeichnet sich darch lebhafte Sprache und sehr interessante Detailnachrichten aus, die man in den sonst meist schematisck abgefassten Missionsberichten vermisst. Das Gebirge war damals eine Zu- fluchtsstätte für die verschiedenartigsten Sekten und Bekenntnisse, di& anderwärts nicht geduldet oder vertrieben worden waren. Alle schon seit dem Jahre 1650 gemachten Missionsversuche hatten wenig Erfolg, P. Dirig hatte anfangs auch schweren Stand, allein die mächtige Unterstützung der Gräfin Anna Franziska Harant, der Grundherrin von Rochlitz (Bauer- hütten), dem Hauptort des Gebietes, welche ihren Untertanen für einen Betrug, den sie mit schwerer Strafe hätten büssen müssen, auf Dirigs. Bitten Verzeihung gewährte, falls sie sich bekehrten, förderte das Missions- werk, das dann auch in den benachbarten Gemeinden mit Erfolg durch- geführt wurde.

Jahrgang 1901. Nr. I, V. E, Mourek, Zum Prag er Deutsch des XIV. Jahrhunderts. S4 S. Die Textproben entstammen dem ältesten Prager Stadtbuch und umfassen die Zeit von 1324 1419; sie werden im vollen Wortlaut palaeographisch genau abgedruckt und daran eine die Lautverhältnisse sehr detaillirt behandelnde gründliche Zusammen- stellung geknüpft. In einem Schlusskapitel »Folgerungen* w^erden die Er- gebnisse kurz zusamoiengefasst, deren wichtigstes wohl ist, dass auch diese Quelle nur eine » Bestätigung der längst bekannten Tatsache bietet , dass- in Prag , wo der oberdeutsche, bairisch - österreichische und der mittel- deutsche (meissnische) Dialekt sich berührten, ganz natürlich diejenige Mischung beiderartiger Elemente sich entwickelte, wie sie auch in der neuhochdeutschen Schriftsprache vorliegt.« Die Untersuchung der Sprache in dem Buche der Prager Malerzeche vom J. 1348 und in der Wenzels- bibel hatten zu demselben Resultat geführt. Unsere Quelle aber ist inso- fern von besonderem Jnteresse, weil sie die Entwicklung durch ein ganzes Jahrhundert vor Augen führt und das charakteristische in dieser Ent- wicklung möchte der Verfasser in einer deutlichen Hinneigung des Laut- standes zum mitteldeutschen Dialekt sehen ; der Lautstand wird immer » vermitteldeutscht (wenn nicht direkt » verneuhochdeutscht*)*^^ Nr. IL Theodor Antl, Zpriivy o meste Tfeboni z let 1620 1623. (Nach- richten über die Stadt W i 1 1 i n g a u aus den Jahren 1620 1623). 12 S. Mitteilung von 8 teils Urkunden teils Aktenstücken aus dem- im Wittingauer Stadtarchiv vorfindlichen »Liber memorabilium unaque mu- tricularium Trebonensium* aus den genannten Jahren, der Zeit der Be- lagerung und Kapitulation der Stadt. Nr. IV. C. Pinsker, Bitva u Jankova 6. bfezna 1645. (Die Schlacht bei Jankau am 6- März

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-i645.) 44 S. Der Aufsatz gibt eine genaue Schilderung des Ortes, der Gegend, des Kampfverlaufes und bietet in den Beilagen einige Auszüge aus dem Tbeatrum Europaeum. sowie einen Bericht über die Schlacht aus dem Wiener Kriegsarchiv ddo. Prag 11. März 1645: ferner zwei Karten, die Stellung der Heere im vormittägigen und nachmittägigen Kampf darstellend. Nr. AI. K. V, Adämek, Urbäf panstvi richmburskeho z r. 1731. Pfispevek k dejinäm a statistice v;fchodoceskeho rolnictva. (Das Urbar der Herrschaft Kichenburg vom J. 1731. Ein Beitrag zur Geschichte und Statistik des ostböhmischen Bauernstandes.) 28 S. Den Anlass zur Xeuanlage des Urbars in diesem Jahre bildete das Bestreben der Herrschaft, die schweren und zum Teil ungleichen Lasten der Untertanen auszugleichen und zu mildern auf Grand einer Neuaus- messung der Gründe. Die Darstellung behandelt sodann im Einzelnen die verschiedenen Abgaben a) der Städte und Märkte, b) der Dorfbewohner- schaft; die Ergebnisse der 1731 vorgenommenen Vermessung, die Anzahl -der Ansässigkeiten und ihren Wert. Urkundliche Beilagen und genaue Ee- gister folgen der Darstellung. Nr. VIII. A. Podlaha, Ein deut- sches Theaterspiel aus dem Jahre 1662. 23 S. Ein wahrschein- lich von dem Strahover Prämonstratenser P. Bruno Lindtner verfasstes und im Kloster 1662 aufgeführtes Lustspiel in Nacliahmung von »Pyramus und Thisbe« von Shakespeare. Es wird abgedruckt. Nr.X. Jaroslav Goll, Zur Geschichte des Husitenkrieges. 15 S. Eine Kritik des 1. Teiles von P. Simon Binders ,. Die Hegemonie der Prager im Husiten- kriege« (Prager Studien aus dem Gebiete der Geschichtswissenschaft, hrg. von Dr. A. Bachmann VIII), die im wesentlichen zeigt, dass B. in seiner Darstellung bis auf einzelne Ergänzungen und Verbesserungen nicht über Tomeks Darstellung im 4. Bande der (nur böhmisch erschienenen) Ge- schichte der Stadt Prag hinauskommt, ohne dass jedoch das Verhältnis zu seinem Vorgänger gehörig kenntlich gemacht würde.

2. Archiv Cesky cili Stare pisemne pamätky eeske i mo- ravske, sebrane z archivü domacich i cizich. (Böhmisches Archiv oder Alte böhmische und mährische Schrift denkmale, gesam- melt in einheimischen und fremden Archiven). Kedakteur: Josef Kalo usek

Band XVIII. (l90<'). Sehr erwünscht kommt zu Beginn des Bandes eine Inhaltsübersicht über sämtliche bisher erschienene Bände. Darauf folgen: ]. Josef Teige, Eegistra krale Viadislava IL z let 1498 1502. (Die Register K. Wladislaws IL aus den Jahren 1498 1502). S. 1 289. Aus der Eegierungszeit dieses Königs hat sich nur ein Ee- gisterband erhalten , der im Wiener Staatsarchiv aufbewahrt wird und dessen reicher Urkundeninhalt (490 Nummern) hier vollständig zum Ab- druck gebracht wird, nachdem schon in einem früheren Jahrgang dieses •»Archivs« (VI) kurze Urkundenregesten mitgeteilt worden waren. Bezüglich ■des Inhalts und Wesens dieser Quelle auf Celakovskys böhmische Abhand- lung ^Über einheimische und fremde Eegister . . .* vom J. 1890 ver- weisend, bringt der Verf. in der Einleitung wichtige Zusammenstellungen und Nachrichten über das Kanzleipersonal K. Wladislaws, unter dem wir so bedeutende Personen, wie Johann von Schellenberg, Augustin Käsen- brot, Schlechta von Wschehrd u. a. vorfinden. Weiters wird in der Ein-

334 Literatur.

leitung noch die Frage nacli dem Verhältnis zwischen Kegister und Ori- ginalurkunden besprochen, wobei der Verf. es wahrscheinlich macht, dass die Registrirung nach den Konzepten erlolgte, somit das Register uns keinen vollkommenen und verlässlichen Ersatz für die verlorenen Original- urkunden bieten kann. Die Urkunden mannigfachsten Inhalts bieten be- sonders reiches Material für die böhmisch-mährische Ortsgeschichte, für rechtliche und kulturelle Verhältnisse. 2. Theodor Antl, Listiny k\ä- stera Staro-Celskeho o dr^ebnostech jeho v Cechäch. (Urkunden des Klosters Altzelle über dessen Besitzungen in Böhmen.) S. 290 308. Das genannte sächsische Zisterzienserkloster besass von 1251 bis 1545 in Böhmen das Gut Lobositz; die darauf bezüglichen Urkunden, 32 Stück aus den Jahren 1272 1545, befinden sich dermalen im Schwar- zenbergischen Archiv in Lobositz teils in Originalen teils in Kopien. Ihre Publizirung bildet eine wichtige Ergänzung zu der in Eduard Beyers Mono- graphie über Allzelle gebotenen Übersicht der im Dresdener Archive be- findlichen Urkundenmasse. Unter den hier mitgeteilten Stücken finden sich auch 3 Urkunden von K. Karl IV. (dd^. 1348, XII, 7, Dresden), 4 von K. Wenzel (ddo.1395, IV, 29, Karlstein; 1395, V, 6, ibid.; 1395, V, 11, ibid.; 1897, XI, 24, Nürnberg), 7 von K. Wladislaw (l477, X, 25, Prag; 1479, IV, 21, ibid.; 1487, H, 2, o. 0.; 1509, VII, 15 Prag; 1509, X, 16, ibid.; 1511, XII, 29, Ung. Brod; 1513, IX, 23, Ofen), 2 von K. Ferdinand I (1537, VIII, 30, Prag; 1542, X, 17, Wien). Auch für genealo- gische und örtliche Verhältnisse Böhmens und des Lobositzer Gebietes kommen die Urkunden in Betracht. 3. H. K oll mann, Listiny Bro^anske z let 1482 1515. (Brozaner Urkunden aus den J. 1482 1515.) S. 309 321. Die neun Urkunden, entnommen dem böhmischen Landes- archiv, bezieben sich auf die Geschichte und die Besitzverhältnisse der Burg Brozan an der Eger. 4. V. J. Noväcek, Vypisy z knih vinnic- n^ch z let 1358 157ß. (Auszüge aus den Weinbergbüchern vom J. 1358 1576.) S. 322 400. Fortsetzung aus Band XV. mit den Nummern 51 vom 25. V. 1461 bis 149 vom 23. III. 1576 und einem Nachtrag Nr. 150 vom 24. VI. 1583. Aus den Urkunden, die Beiträge zur Geschichte des Wein- und Hopfenbaues in Böhmen bilden, heben wir u. a. heraus nr. 62, 74, 75 (1463, 1465) über die Aussetzung von Wein- bergen und Hopfengärten durch die Verwalter der Prager Bethlehems- kapelle; nr. 131 (150 8) die vom Schreiber Nicolaus de Lacu geschriebene Einleitung zum 5. Weiubergsbuch ; nr. 135 (l516) die Weinbergsordnung für Prag vom Bergmeister Martin Holec; nr. 136 (l52l) den Beschluss der Stadt Prag über den Ausschank fremder Weine; nr. 142 (l549) K. Ferdinands I. Instruktion für den Bergmeister Georg von Gele. 5. Vac- lav Schulz, Listy do Koufime zaslane z let 1422 1525. (Brief- schaften an die Stadt Kourim aus den J. 1422 1525.) S. 401 bis 580. Der hier vorliegende erste Teil der Publikation umfasst 325 Briefe, die bis zum J. 1513 reichen. Mit wenigen Ausnahmen sind sie nach den im Archiv des böhmischen Museums befindlichen Originalen ver- öffentlicht. Die Einleitung zu dieser Publikation gibt eine Übersicht des sonst noch im Koufimer Archiv befindlichen archivalischen Materials, das nur einen bescheidenen Best des einstmals sehr ansehnlichen Bestandes bildet, verzeichnet ferner die Adressaten der noch erhaltenen 643 Briefe,.

Literatur. 335

die aber, da sie noch die bis zu 6722 hinaufreichenden alten ße- gestennummern tragen, erkennen lassen, dass auch sie nur einen kleinen Bruchteil der ursprünglichen Menge darstellen, und unterrichtet schliesslich im allgemeinen über den Inhalt der Urkunden, der naturgemäss sehr man- nigfach i?t.

Den Beschluss des Bandes bildet wie gewöhnlich ein Register, in dem Stück für Stück alle in diesem Bande vorkommenden Urkunden ganz kurz verzeichnet werden (S. 561 580), ein Personen- und Ortsindex (S. 581 bis 608) und ein Sachenindex (S. 609 614).

Band XIX. (190 1). 1. Jaromir Celakovsk^, Registra soudu ko- morniho. (Die Register des Eammergerichts.) S. 1 475- Die Portsetzung dieser Publikation aus Bd. XIII. bringt das Material für die Jahre 1511 1519, mit Nachträgen von Urteilen für die Jahre 1502 bis 1508 und Zeugenaussagen für 1488 1494. Vorsitzender des Kammer- gerichts war bis 1513 der Oberste Hofmeister Wilhelm von Bernstein, nach seinem Rücktritt sein Sohn Adalbert. Der Inhalt dieser Klagen und Ur- teile betrifft grossenteils private Händel uud Streitigkeiten, in denen sich bis zu einem gewissen Grade auch der heftige Ständekampf jenes Zeit- abschnittes wiederspiegelt. Die Einleitung zur Publikation pag. I VIII unterrichtet über die Zusammensetzung, Wirksamkeit und Bedeutung des Kammergerichtes auf andere Ausführungen des Verf verweisend hauptsächlich über die einzelnen Sessionsperioden und die Handschriften, die sich in der Bibliothek und im Archiv des böhmischen Museums in Prag befinden. 2. Jaromir Celakovsk^, Knizky nalezü soudu zemskeho a komorniho z prvni polovice XVI. stoleti. (Die Urteilsbücher des Landrechts und Kamme rgerichts aus der 1. Hälfte des XVI. Jahrh.) S. 47 H 651. Es ist eine Sammlung wichtigerer Urteile und Landtafeleintragungen aus der Zeit K. Ferdinands I., die von den Land- tafelbeamten aus den Originalregistern als Behelfe für den Dienst herge- stellt wurden und die sich als dritte jenen des Albrecht Ojif von Ocedelitz und der 1536 in Di'uck gelegten »Sammlung von Notizen des Landrechts* anreiht. Die vorliegende Sammlung, erst vor kurzem gefunden und im Archiv des j,Böhm. Museums« aufbewahrt, ordnet die einzelnen Urteils- sprüche in 31 sachliche Gruppen, die in alphabetischer Ordnung aufein- anderfolgen. Ausführliche Register beschliessen diesen für die böhmische Rechtsgeschichte inhaltsreichen Band.

IL Die Publikationen der k. böhra. Akademie der Wissenschaften.

1 . Vestnik ceske akademie. (Sitzungsberichte der böhmischen Akademie). Red. Josef Solin.

Jahrgang IX. (l900). Jos. Truhläf, 0 novem katalogu, düle^i- tosti a pramenech rukopisne sbirky Klementinske. (Über den neuen Katalog, den Wert und die Quellen der handschriftlichen Sammlung des Clementinum). S. 46 51. Der erste Abschnitt schildert die Anlage des neuen in Ausarbeitung begriffenen Katalogs der Prager Universitätsbibliothek, dessen erster Teil, welcher die lateinischen Handschriften behandelt, zur Hälfte fertiggestellt ist. Im zweiten Ab- schnitt erhalten wir eine kurze Darstellung dieser Handschriftensammlung.

336 Literatur.

Die Mehrzahl der Handschriften stammt aus den Bibliotheken der auf- gehobenen Klöster Böhmens. Zu den ältesten gehören: Evangelienaus- legung saec. IX X., Gregors Homilien s. XL, Varia theologica s, XI XIII.. Vita s. Gregorii s. XII., Opera s. Ambrosii s. XII., das Oppatowitzer Ho- miliar s. XII., auf dessen Deckeln dermalen abgelöste und gesondert auf- bewahrte Psalmfragmente s. VIII IX., schliesslich ein Fragment Evangelii Lucae in Unciale s. VII VIII. auf Pergament, geschenkt 1838 von Franz Grafen v. Kolowrat. Zugleich verzeichnet T. die Handschriften, auf deren Deckeln sich bedeutendere Miniaturen, Holzschnitte und Kupferstiche vor- finden. — Jos. TruhLaf, Paberky z rukopisü Klemeutinsk^ch. (Nach- lese aus den Handschriften des Clementinum). S. 148 152, 243 246, 293 295, 353 354, 413 416, 470—474, 566—570, 624 627. Fortsetzung aus den früheren Jahrgängen. Nr. XXXIII. In Cod. VII. G. II findet sich ein Vermerkbuch des Olmützer Domherrn Johann Ernst Platteis von Plattenstein aus den J. 1619 1624 mit be- langreichen Notizen zn seiner Lebensgeschichte. XXXIV. Cod. VIII. B. 8 ist wichtig wegen eines »Census ecclesie in Gistebuicz ^'^ um 1414, und wegen zweier Lobgedichte auf Johann von Rokyczan. XXXV. In Cod. VIII. C. 3 mit Wicliff's »De veritate s. scripturae ^'= eine Initiale R mit Wicliff's Porträt. Aus zwei Versen erhellt überdies als Eutstehungs- zeit dieses Werkes das Jahr 1378. XXXVI. Cod. VIIL C. 11 enthält u. a. das Lied »Jezu Kriste, stedry kne2e* und ein lateinisches Lobgedicht auf den Herbst. XXXVII. Im Cod. VIIL C. 1 3 ein Akrostichon » Georgio rege Boemie* auf die Einnahme der Burg Korstein im J. 1465. XXXVIII. Cod. VIIL E. 5 enthält u. a. eine lateinische Rede anlässlich der Promotion Johanns von Rokyczan. XXXIX. Im Cod. VIIL F. 20 latei- nische und böhmische Verse über die Prager Judenverfolgung im J. 1389 ohne historischen Wert. XL. Im Cod. IX. B. l Deckel ein wichtiger Bi'ief an den Prager Magister Johannes Hubner den eifrigen Wicliffgegner, vielleicht von Hus verfasst. ^ XLI. Im Cod. IX. E. 1 (s. XV.) ist der Traktat, den K. Krofta (vgl. Cas. Mus. 1899, S. 209 flP.) dem. Magister Johann von Pfibram zuschrieb, als Werk Johanns von Rokyczan bezeichnet. XLII. Die von Nikolaus von Pelhfimov in der Taboritenchronik er- wähnte Schrift Johanns von Pfibram mit dem Incipit »Exsurge domine* steht im Cod. IX. E. 5. XLIII. Aus mehreren handschriftlichen Notizen stellt T. eine kleine Biographie des Magisters Petrus de Dvekaczovicz dictus Bibat, eines Lehrers und fleissigen Handschriftenkopisten zusammen. 1449 war er Dekan der Artistenfakultät in Prag. XLIV. In Cod. VIIL F. 7 . (s. XV.) vermutet T. eine bisher nicht bekannte Ergänzung zu der in der Nürnberger Ausgabe der lateinischen Schriften Husens (l558) enthaltenen Enarratio zu Ps. 109 118. XLV. Verzeichnis von Hss. mit Schriften Husens als Ergänzung zu Flajshans' Schrift »Die literarische Tätigkeit des Magisters Johannes Hus'^'^ aus der Bibliothek des Clementinum. XLVI. In Cod. X. A. 23 interessante Notizen über das Collegium Caroli und dessen Bibliothek vom J. 1434. XLVII. Biographische Notizen über den Prager Astronomen Magister Johannes Andrei Schindel und dessen astronomische Tabellen aus Cod. X. B. 3. XLVIII. Cod. I. F. 33 ent- hält u. a. einen »husitischen Pranger*, d. h. ein Verzeichnis jener Personen, »que in dominum et proximos peccaverunt* aus dem J. 1416 1417.

Literatur. 337

XLIX. Lateinisclie Weihnachtslieder, sog. Koledy, aus der Schule in Bene- «chau aus dem Anfang s. XV. enthält Cod. X. E. 13. L. Im Cod. X. E. 24 tragen die letzten fünf Blätter die Aufschrift »Hec sunt nova Scocie anno 1410 Pragam portata« und enthalten vier Briefe eines Eitters (ar- miger) »Quintinus Folkhyrde i. e, pastor populi« oder »Quintini armigeri Scocie fidelis «, wohl in den Namen erdichtet, aber in ihrem Inhalt nicht ohne Interesse für die religiöse Bewegung. LI. Cod. X. F. 23 mit »Sermones de sanctis« von einem husitischen Geistlichen enthält auf dem Deckel Fragmente eines Eechenbuches des Burggrafen von Eotstein aus den Jahren 1403 und 1404, böhmisch. Frant. Cerny, Paberky z moravskeho zemskeho archivu. (Nachlese aus dem mährischen Landes- archiv.) S. 246—248, 29:)— 299, 355—357, 474—477, 570—573, ^27 629. Diese »Nachle&e« bezieht sich hauptsächlich auf Stücke, die ür böhmische Literatur und Sprache Belang haben, weniger jedoch auf historische Themen sich beziehen. Besprochen werden u. a das Herbarium ■des Magisters Christian von Prachatitz in einer Abschrift vom J. 1416, •eine Predigt des Priesters Mathias mit böhmischen Glossen s. XV., ein 1641 von Jesuiten Schülern aufgeführtes Schauspiel »Athanasius seu drama de timore mortis«, die böhmischen Hinzufügungen zum lateinischen Wörter- buch des Guarinus, das Leben Josefs und des Tobias in böhmischer Sprache. Vaclav Flajshans, K literarni cinnosti M. Jana Husi. (Zur literarischen Tätigkeit des Magisters Johann Hus.) S. 544 556, 619 622. Der Aufsatz beschäftigt sich 1. mit den in der Nürnberger Ausgabe der lateinischen Werke Husens edirten sog. Synodal- predigten, 2. mit dem Traktat »Jädro« (Kern), 3. mit einer Hs, der Prager Kapitelbibliothek F. XX., die a) eine in dieser Fassung unbekannte ^Confessio«. b) einige neue Predigten enthält.

Jahrgang X. (l90l). Vaclav Flajshans, K literarni cinnosti M. Jana Husi (Zur literarischen Tätigkeit des Magisters Johann Hus.) S. 39—43, 337—344. In diesen Fortsetzungen aus dem vorigen Jhg. handelt F. 1. über die Hss. von Husens »Appellatio ad -Jesum Christum«, deren Text bisher unvollständig und nach minder guten Bss. bekannt geworden sei und veröffentlicht 2. den Text einer bisher un- bekannten Apologie aus Hs. D. 50 der Prager Kapitelbibliothek, 3. han- •delt er über die Hss. von Husens » Devet kusü zlatych «, dessen Text neu mitgeteilt wird, 4. über Husens Traktat »De corpore Christi« und schliess- lich 5. über einen Brief oder kleinen Traktat Husens gegen das Tanzen, ■auf den schon Zibrt 1895 aufmerksam gemacht hatte. Jos. Truhläf, Paberky z rukopisu Klementinskych. (Nachlese aus den Hand- schriften des Clementiaum.) S. 46 48, 99—101, 197 200. Diese Fortsetzungen behandeln : Nr. LH. Mitteilungen über den in ColI. XI. A. 3 vorfindlichen Entwurf einer Entgegnung, die ein nicht genannter •Grossprior des Johanniterordens (Graf Eudolf Colloredo-Wallsee) auf ver- schiedene Vorwürfe eines Erzbischofs (Kardinal Harrach von Prag) c. 1640 verfasste; LIII. eine neue Quaestio Husens aus Cod. X. H. 18 (auch X. 'E. 24); LIV. die Bemühungen um die Nachfolge in der erzbischöflichen Würde nach Eokyczan auf Grund einer Notiz im Cod. XI. D. 2 ; LV. über ■die Quaestio oder Positio des Jakubek über das Thema des Antichrists. •deren Text samt Autornennung sich in Codex XI. D. 5 findet und

338 Literatur.

Nr. LVI. über eine in Cod. XI. E. 7 fol. 120' enthaltene Definition der Ausdrücke omagium, feodus, vazallium, angaria, precaria, exaccio und collecta^). Frant. Cern;^, Paberky z moravskeho zemskeho archivu. (Nachlese aus dem mährischen Landesarchiv.) S. 48 51, 101 103, 274 278. Bespricht ein Passional in böhmischer Sprache vom Jahre 1453 aus der Propstei der Kreuzherren von Pöltenberg bei Znaim stammend. Ferner Boczeks Ergänzungen zu Jungmanns böhmi- schem Wörterbuch und seine sonstigen philologischen Arbeiten, die leider ganz unvollständig sind und kaum mehr ganz ausgenützt werden können. Karel Chytil, 0 otazce Parlefovske. (Über die Parierfrage.) S. 121 139. Übersicht der neuesten Forschungen über diese für die Kunstgeschichte Böhmens im 14. Jahrh. so wichtige Familie. Josef Truhläf, Pfehled rukopisn;fch cimelii bibliotheky Klementinske nove spofadan;fch. (Übersicht der neu geordneten Cimelienhand- schriften der Klementinischen Bibliothek.) S. 345 356. Ein kurzgefasstes Verzeichnis von 64 als Cimelien gesondert aufbewahrten Hss. saec. VII/VlII XIX. Vincenc Prasek, Zpräva o cestäch po archivech knizetstvi Teäinskeho. (Reisebericht aus den Archiven des Fürstentums Teschen.) S. 547 560. Der erste Abschnitt gibt kurze Übersichten über den Inhalt der Archive in Teschen (Kreisgericht, Tschertschnik-Museum, erzherzogliche Kammer), Oderberg, Friedek, Frei- stadt, Skolschau, ein zweiter handelt über die im Teschnischen reich auf- tretenden Dorf-Grundregister, ein dritterbietet ein Verzeichnis von Rechts- ausdrücken und anderen selteneren lateinischen und böhmischen Worten aus Teschner Urkunden und Schriftdenkmälern. V. Flajshans, Pa- berky z rukopisü. (Nachlese aus Handschriften.) S. 596 598. V. Flajshans, Klasobrani po rukopisech. (Ährenlese aus Hand- schriften.) S. 598 603- Verzeichnis einiger wichtigerer altböhmischer Hss. im Prager Kapitelarchiv saec. XIV XVI.

2. Rozpravy ceske akademie. (Abhandlungen der böhmi- schen Akademie.) I. Klasse.

Jahrgang VII. (1899) Nr. 2. Josef Smolik, Denary Boleslava I., Boleslava IL, Boleslava III. a Vladivoje. (Die Denare Boleslaws L, Boleslaws IL, Boleslaws IIL und Wladiwoy's.) 122 S., 8 Tafeln. In der Einleitung (S. 1 8) wird u. a. ausgeführt, dass für die früheste Zeit des böhmischen Herzogtums der Bestand eines herzoglichen »Wechsel- amtes, cambium^'^ anzunehmen sei; daneben besassen die Herzoge wohl

') Die Stelle lautet: »Nota differentiam inter omagium ... et collectam. Nam omagium est, quando duces seu principes grate se subiciunt imperatori sibi subdentes vexillum suum, viilgariter vocatur manstwye, inde omagialis. Sed feodus dicitur, quando vex seu princeps appropriat aliqua bona alicui railiti seu militari sub tali condicione, ut sibi serviat tpmpore oportuno et vocatur viilga- riter naprawa ; inde veait feodalis, qui vulgariter dicitur naprawnyk. Sed vazal- lium dicitur, quando aliqua civitas seu aliquis inferior potenciori se subiciat (sie) causa proteccionis vel ob spem mercedis ; inde venit vazallus, qui vulgariter vocatur gessto znaprawy sluzy. Sed angaria dicitur, quando aliquis dominus iubet subditis (sie) agere minus iuste. Sed precana . . . aliquis dominus porigit precamina subditis pro labore aliquo . . . vero vocatur collecta, que fit inter cives per modum . . . exaccionis pecuniarum. Contribucio vero est collecta inter spirituales.

Literatur. ^^Q

auch vou Anfang an ein selbständiges Prägungsrecht »iure proprio terri- torii«, doch erfolgten die ersten Prägungen nicht vor H. Boleslaw I. und

selbst unter ihm erst in den letzten Regierungsjahren, nach 955. Die

Denare der oben genannten Herzoge teilt er vornehmlich nach ihrem Prägungsbild in drei Gruppen: l. die böhmische (charakterisirt durch Schwert auf der Avers-, Giebel später Kapelle auf der Eeversseite), 2. die bairisch- schwäbische (Kreuz-Kapelle), 3. die angelsächsische Gruppe (Brust- bild mit Kreuz nebst Hand). Die Annäherung einmal an den bairischen, dann an den angelsächsischen Typus wurde durch Handelsbeziehungen veranlasst. (Abschnitt A). Im Abschnitt B gibt der Verf. eine »allgemeine Beschreibung der böhmischen Denare« (S. 11—17), der folgende C (S. 17 21) handelt über die Münzeinheit, als welche damals nicht die kölnische, sondern die alte böhmische Mark gegolten habe. Abschnitt D (S. 21 35) unterrichtet über die Denarfunde in und ausserhalb Böhmens aus der Zeit der genannten Herzoge. Im Abschnitt E »Versuch über die Aufhellung einiger Rätsel« wird auf Grund der Münzlegende BIAGOTA CONIVX der recht ansprechende Nachweis geführt, dass Boleslaw II. vor seiner uns bekannten Gemalin Emma eine erste Gemalin obigen Namens gehabt hat, von der die beiden älteren Söhne Wenzel und Boleslaw III. stammen, während aus der zweiten Ehe Jaromir und Udalrich entsprossen sein sollen. (S. 35—38). Der Schlussabschnitt F »Die Denare« (S. 38 —117) bietet sodann die detaillirte Beschreibung aller Typen unter den einzelnen Fürsten. In einem Nachtrag wird noch über die bisher be- kannten 16 Stück verwandter Münzen, die aber die unverständliche Na- menszeichnung ZOBEZLAV tragen, und über eine fälschlich als böhmi- scher Denar ausgegebene Münze mit der Aufschrift: HIC DENARIVS EST EPIS gesprochen.

Jahrgang VIII. (l900). Nr. j. Alfons Zak 0. Praem. Listy Oldficha probosta Steinfeldskeho do Cech a na Moravu zaslane. (Die Briefe des Propstes Ulrich von Steinfeld nach Böhmen und Mähren.) S. 1—49. Bildet eine freie Bearbeitung des in der »Zeit- schrift des Aachener Geschichtsvereines« Bd. XVIII (l896) S. 242 311

erschienenen Aufsatzes von F. W. E. Roth »Eine Briefs ammlung des Propstes Ulrich von Steinfeld aus dem 12. Jahrhun- dert« mit Wiederabdruck derjenigen (19) Urkunden, die auf Böhmen- Mähren Bezug haben und beachtenswerten selbständigen Bemerkungen zum Inhalt der einzelnen Briefe. Nr. 2. Frant. Marcs, Prokopa pisafe Novomestskeho ceskä » ars dictandi «. (Die eechische »ars dictandi« Prokops des Schreibers von Prag-Neustadt.) S. 1—42. Prokop von Prag (c. 1390—1482) war nicht nur durch seinen Beruf, sondern auch durch seine grosse Gelehrsamkeit und seine literarische Tätigkeit eine der bedeutendsten Persönlichkeiten Prags in seiner Zeit. Der Verf. gibt zuerst eine kurze biographische Skizze, handelt gesondert über dessen literarische Tätigkeit Prokop verfasste 1. eine (bisher nicht edirte) lateinische Rhetorik, 2. eine böhmisch geschriebene Rhetorik 0. Ars dic- tandi, 3. eine neue Chronik, von der sich aber bloss zwei kurze Frag- mente erhalten haben (s. Sitzungsber. der Wien. Ak. d. Wiss. 39, 636 637), 4. das von Höfler, Geschichtsschreiber der husit. Bewegung I, 6 7

340 Literatur.

edirte Cronicon Procopii uotarii Pragensis und edirt (S. 18 41) die sub 2. angeführte Ehetorik.

Jahrgang IX. 1900). Nr. 1. Miloslav Stieb er, K v;fvoji sprävy (Zur Entwicklung der Gewere.) Vgl. oben S, 148. Nr. 2. Gustav Friedrich, 0 zaklädaci listine kapituly Litomeficke, Prolegomena k eeske diplomatice I. (Über die Grüudungsur künde des Leit- meritzer Kapitels. Prolegomena zur böhmischen Diplomatik. I.) S. 1 26. Mit 1 Fase. Die Neuherausgabe eines böhmisch-mährischen Diplo- matars, das Friedrich bearbeitet, zwingt zu einer Anzahl kritischer Unter- suchungen über Echtheit, Überlieferung, Inhalt der ältesten Urkunden der genannten Gebiete. Eine solche Studie liegt hier vor, mit einer Gründ- lichkeit und Sachkenntnis durchgeführt, wie sie für eine derartige Arbeit gefordert werden muss und von F. auch zu erwarten war. Die Grün- dungsurkunde liegt in 3 Überlieferungen vor, davon zwei sich als Originale geben, die dritte in einer königlichen Bestätigung von 1218. Nach einer Beschreibung der äusseren Merkmale der drei Stücke erfolgt eine Gegen- überstellung der Texte und dann die Beweisführung, dass Fassung A aus der Zeit bald nach der Gründung des Klosters, jedenfalls noch aus dem XI. Jahrh. stammt, aber keine eigentliche Urkunde darstellt, sondern einen blossen Akt über die ursprüngliche Begabung, dem auf dem unten leer gebliebenen Räume im 12. und 13. Jahrh. Nachträge zugefügt wurden. Auf Grundlage dieses Aktes und ähnlicher verlorener Akte über andere Gütererwerbungen soll die zweite Gründungsurkunde entstanden sein, die sich aber nicht im Original, sondern in der Bestätigung von 1218 erhalten hat; an ihrer Glaubwürdigkeit möchte daher nach F. nicht zu zweifeln sein. Die dritte Fassung im Anfang des 1 3., vielleicht aber auch später entstanden F. lässt die Möglichkeit ihrer Entstehung bis zum Beginn des 14. Jahrh. offen ist ein Versuch, die beiden früheren Texte zu vereinigen und in die Form einer wirklichen Urkunde zu bringen. Dieses Stück ist somit als eine Fälschung anzusehen, hergestellt zum Behufe des Nachweises des ursprünglichen Eigentumsrechtes des Klosters auf damals bereits entfremdete Güter. Zu Beginn seiner Ausführungen führt der Verf. die älteren Erklärungen über die in Rede stehenden Urkunden, insbeson- dere Dobners und Palacky's vor, welch letzterer der richtigen Deutung bereits ziemlich nahe kam.

3. Historicky Archiv. (Historisches Archiv). Band 17 (l900). Vaclav Schulz, Korrespondence Jesuitü provincie ceske z let 1.584 1770. (Die Korrespondenz der Jesuiten der böhmi- schen Provinz aus den J. 1584 1770.) 286 S. Ergänzend zudem im Bd. 16 (vgl. Mitt. 22, S. 160) herausgegebenen » Urkundenbuch des Jesuitenkollegs bei S. Clemens in Prag* tritt hier eine Sammlung von 260 (l72 lateinisch, 5 5 deutsch, 33 cechisch geschrieben) Briefen teils von den Jesuiten der böhmischen Provinz verfasst, teils an sie gerichtet, die sich sämtlich im Archiv des böhmischen Museums befinden. Wie sie sich auf einen Zeitraum von fast 200 Jahren verteilen, so beziehen sie sich einerseits auf die verschiedenen Klöster dieser Provinz (Böhmen, Mähren, Glatz und Ober- und Niederschlesien) in den mannigfachsten Angelegen- heiten bald religiöser, bald wirtschaftlicher, bald politischer, bald recht-

Literatur. 341

lieber Natur etc. Die zumeist aus Originalen stammenden Abdrücke er- folgen voUinbaltlicb.

Band 18 (l900). Ferdinand Tadra, Soudni akta kousistofe Pra^ske. (Acta iudiciaria consistorii Pragensis). Nach den Haiidscbriften des Kapitelarchivs in Prag. Pars VI. 1407 1408. XII -j- 390 S. Dieser Band entspricbt dem Manuale XVII und umfasst für einen Zeitraum von nicht ganz anderthalb Jahren mehr als 1,300 Nummern, Mit diesem 17. Bande schliesst die Reihe aus der vorhusitischen Zeit, von 1409 1420 ist eine Lücke. In der Einleitung gibt T. in der üblichen Weise die Be- schreibung der Handschrift, kurze Inhaltsübersicht unter Hervorhebung der wichtigeren Stücke und eine übersichtliche Zusammenstellung der einzelnen Nummern nach dem Inhalt in 22 Abteilungen. Den Schluss bildet wiederum der eingehende Index.

Nr. 19 (l90l). Vaclav Novotny, luquisitio domorum hos- pitalis S. Johannis Hierosolimitani per Pragensem archi- dioecesim facta anno 1373. 77 S. Von der durch P. Gregor XL im J. 1373 beschlossenen allgemeinen Visitation der Johanniterklöster wurde auch die böhmische Provinz betroffen. Das Ergebnis derselben ist niedergelegt worden in einem Notariatsinstrument, dessen Original sich im Vatic, Archiv Instrum. Miscell. erhalten hat, das hier vollinhaltlich abge- druckt wird. In einer Einleitung prüft N. zuerst das Verhältnis dieser Überlieferung zu einer zweiten ganz modernen, die Emier 187 7 im Prager Maltheserarchiv fand und über die er kurz in den Sitzungsberichten der k. böhm. Gesellschaft der Wissenschaften u. d. T. »Über den Stand des Johanniterordens in Böhmen im J, 1373^^ berichtete; sodann bietet N. in einer historischen Skizze die Erklärung der Ursachen und Gründe dieser Visitation und bespricht in Kürze die Art und den Inhalt des für die Ge- schichte des Johanniterordens in Böhmen ungemein wichtigen Aktenstückes.

Band 20 (l90l). Ferdinand Tadra, Soudni akta konsistofe Pra2ske. (Acta iudiciaria consistorii Pragensis). Pars VII. 1420 1424 und Nachträge. XVI + 26 3 S. Die Manuale XVIII— XX über die Jahre 1409 1420 sind verloren gegangen. Das XXI. umfasst hauptsächlich Eintragungen für die Jahre 1421 1423, die bereits in Zittau geschrieben sind, wohin sich das Konsistorium nach seiner Flucht aus Prag und kurzem Aufenthalt in Altbunzlau und Leitmeritz begab. Die Nachträge betreffen 1. das Fragment von Gerichtsakten von 1394, bestehend aus 14 Blättern, die wohl zu Manuale X gehört haben dürften; 2. das Fragment von Akten des Offizialgerichtes vom J. 1377; 3. verschiedene Fragmente von Proto- kollen und Notariatsurkunden. Mit diesem Bande schliesst diese über- aus wichtige in sieben umfangreichen Bänden niedergelegte für die Kir- chengeschichte Böhmens und auch Mährens sehr belangreiche Publikation.

Notizen.

Anlässlich des 40. Gründungstages des Vereins für Gesch. der Deut- schen in Böhmen erschien eine »Festschrift des Vereines f. Ge- schichte der Deutschen in Böhmen seinen Mitgliedern gewidmet

342 Notizen.

zur Feier des 4üjährigen Bestandes 27. Mai 1902'^'= (Prag, Calve), Sie ent- hält folgende Aufsätze: Laube, Rückblick auf die Geschichte des Vereines in den Jahren 1887 -1902; B retholz, Das Schlussblatt des »Granum catalogi praesulum Moraviae« ; Hall wich, Wallensteins (»Dame«; Hauffen, Kleine Beiträge zur Biographie Egon Eberts; Horcieka, Über eine im Besitze des Vereines befindliche Handschrift Kants; Knott, Über Ein- quartirung und Verpflegung der Truppen in der Teplitzer Gegend im drei ssigj ährigen Kriege; Köpl, Der Bericht der zur Sperrung der pro- testantischen Kirche nach Braunau abgeordneten kaiserl. Kommissäre; Lambel, Einige Bemerkungen zu Clemens Stefanis Satyra; Neuwirth, Eine Abschrift der Prager Malerordnung aus d. J. 1515; Sauer, Adal- bert Stifter als Stilkünstler; Schmidt, Das Krummaucr Heiltumsfest; Siegl, Geschichte der Egerer Münze; Uhlirz, Die Kriegszüge K. Otto H. nach Böhmen in den J. 976 und 977; Vielhaber, Der »Libellus de bono mortis* des Erzbischofs Johann von Jenstein; Weber, Die Prager Revolution von 1848 und das Frankfurter Parlament; Wolkan, Matthias Schuffenhauer S. J. Ein Beitrag z. Gesch. der deutschen Literatur Böh- mens im 17. Jahrh.

Die vom Verein für Landeskunde von Niederösterreich schon im Jahre 1871 ins Leben gerufene »Topographie von Niederöster- reich* (bisher 5 Bände, in alphabetischer Reihenfolge der Örtlichkeiten bis einschliesslich L) ist seit kurzem in ein neues Stadium getreten. Das vor drei Dezennien aufgestellte Programm für das Werk war in manchen Punkten ungenügend geworden, sind doch gerade seitdem alle landeskund- lichen Arbeiten, durch die Entwicklung der allgemeinen Geschichtswissen- schaft mächtig und fruchtbar beeinflusst, mannigfach vertieft und erweitert worden. In Erkenntnis der Notwendigkeit diesen Anforderungen Rechnung zu tragen, hat der Verein für Landeskunde Dr. Max Vancsa, der im Jahre 1901 die Redaktion der Topographie übernahm, vollständig freie Hand zur Neugestaltung des Werkes in seinen weiteren Teilen gegeben. Vancsa ging mit umfassender Vorbereitung an diese Aufgabe. In einem Artikel »Historische Topographie mit besonderer Berück- sichtigung Niederösterreichs'^'^ (Deutsche Geschichtsblätter 3, 97 109, 129 \M) gab er eine instruktive Übersicht über die Entwickelung der historischen Topographie überhaupt und dann der älteren österreichi- schen Werke und Versuche, bespricht die heutigen Forderungen nach dieser Richtung und entwickelt die Grundsätze, nach denen von nun an die To- pographie von Niederösterreich durchgeführt werden soll. Sie soll den Charakter eines lexikalischen Handbuches tragen und bewahren, welches »in knappster Form den Niederschlag der bisherigen Forschung« geben will ; der Inhalt aber soll Ortsgeschichte und Ortschaftsgeographie im ganzen Umfang umfassen, namentlich auch die siedlungs- und wirtschafts- geschichtlichen Tatsachen. Um die dringend nötige Einheit und Konse- quenz in der Bearbeitung des Werkes zu erzielen, zu welchem natürlich viele Kräfte herangezogen werden müssen, verfasste Vancsa eine Instruk- tion für die Mitarbeiter am historischen Teil, Prof. R. Sieger für den geographischen Teil und Vancsa stellte ausserdem eine sehr dankenswerte »Übersicht über die allgemeine Literatur, sowie die gedruckten und un-

Notizen. 3^3

gedruckten Quellen für den historisclien Teil* der Topographie zusammen. In gehaltvollen Vorträgen über »Landes- und Ortsgeschichte, ihren Wert und ihre Aufgaben« (Wien 1902, Selbstverlag des akad. Vereins ■deutscher Historiker in Vv'^ien) und »Über topographische An- sichten mit besonderer Berücksichtigung Niederösterreichs« (Jahrbuch f. Landeskunde v. Niederösterr. 1902) verstand es Vansca die vertieften Auf- gaben der Spezialgeschichte im Rahmen der allgemeinen Entwickelung der Geschichtsvpissenschaft und eine besonders interessante Quelle der Orts- geschichte anregend zu besprechen. All dies zeigt, dass die Topographie Niederösterreichs einer umsichtigen, zielbevrussten Leitung anvertraut ist. "Wenn auch das gesteckte Ziel nicht mit einem Ruck erreicht v^^erden kann, so darf doch eine allmäliche, aber durchgreifende Regenerirung des Werkes mit Zuversicht erwartet werden. 0. R.

Die Allgemeine Staatengeschichte ist bekanntlich von Pro- fessor Lamp recht dahin erweitert worden, dass neben die Geschichte der europäischen Staaten die Bearbeitung der aussereuropäischen Staatengeschichte sowie die Einrichtung einer besonderen Gruppe der Deutschen Landesgeschichten für das Reich und Österreich getreten ist. Dabei ist die ReJaktion der landesgeschichtlichen Gruppe von Dr. Armin Tille übernommen worden.

I. Im Berichte der europäischen Abteilung sind 1901—1902 erschienen: Der 1. Band der Geschichte der Niederlande von Blök, der 2. Band der Geschichte Belgiens von Pirenne, der .5. Band der Geschichte Dänemarks von Schäfer und der 7. Band der Ge- schichte Spaniens von Schirrmacher. Im Druck sind ein 5. und 6. Band der Geschichte Bayerns von Riezler, welche die politische ■Geschichte Bayerns von 1597 1651, sowie Verfassung, Verwaltung, Kultur, Literatur und Kunst von 1508 1651 bebandeln. Für Belgien hat Prof. Pirenne in Gent die Fortsetzung seines mittlerweile in das Fran- -zösische übersetzten Werkes bis zum Ausgange des ancien regime über- nommen. Von der böhmischen Geschichte stellt Prof. Bachmann in Prag das Manuskript eines 2. Bandes (bis 1618) für Herbst 1904 in Aussicht. Eine Geschichte des Byzantinischen Kaiserreichs hat Prof. Geiz er in Jena übernommen. Die Geschichte der Balkan- staaten ist nunmehr derart gefördert worden, dass Prof. Jorga in ]Bukarest die rumänische, Prof. Jirecek in Wien die serbische Ge- schichte schreiben wird, und dass auch für die Bearbeitung der bul- garischen Geschichte bestimmte Aussichten eröffnet werden können. Prof. Jirecek hofft dabei, im Laufe des Jahres 1903 wenigstens die mittelalterliche Geschichte Serbiens fertig zu stellen. Die Geschichte Rumäniens von Prof. Jorga wird wohl noch im Laufe des Jahres 1903 im Druck erscheinen. Für eine Geschichte Hamburgs sind in diesem Jahre Dr. Nirrnheim und Prof. Wohlwill in Hamburg beschäftigt gewesen, nicht minder für die Geschichte der Hansa Prof. Stieda in Leipzig. Von der Geschichte Hollands von Prof. Blök in Leiden ist die Ausgabe einer Übersetzung des 2. Bandes binnen Jahresfrist zu erwarten. Von der Geschichte Italiens im Mittelalter, die Dr. L. M. Hartmann in Wien bearbeitet, nähert sich der 2. Band (bis 8OO) im

344 Xotizen.

Manuskripte der Vollendung. Die Bearbeitung der österreichischen. Geschichte ist nach dem Tode Hubers von Prof. Redlich in Wien übernommen worden. Die Vollendung der Übersicht der Geschichte Russlands von 1725 1790, die als Einleitung einer eingehenden Ge- schichte Russlauds von 17!)0 ab dienen soll und von Prof. Brückner übernommen worden war, ist nach Brückners Tode an den Dozenten von HedenstrÖm in Riga übergegangen. Für die schwedische Geschichte hat Prof. Stavenow in Gothenburg das Manuskript des 7. Bandes (1718 bis 1771) fertiggestellt; es bedarf nur noch der Übersetzung desselben ins Deutsche und der Druck kann beginnen. Der Fortsetzung der Ge schichte Spaniens wird sich Prof. H ä b 1 e r in Dresden widmen. Eine Ge- schichte Venedigs bereitet Dr. K r e t s c h m a y r in Wien vor. Von dem 2. Bande der Geschichte Württembergs hat Archivdirektor Stalin in Stuttgart das Manuskript nahezu ferrtiggestellt.

IL A u s s e r e u r 0 p ä i s c h e Abteilung. Die Geschichte Ar- meniens wircl Dr. Nalbandiau in Tiflis bearbeiten, die Geschichte Chinas Prof. Conrad}' in Leipzig. Eine Geschichte Japans hat Dr. Nachod in Klein- Zschachwitz bei Dresden übernommen; er hofft das Manuskript des 1. Bandes bis 1904 fertigstellen zu können. Von den mittelamerikanischen Kulturen ist die Geschichte des alten Mexikos durch Prof. Sapper in Tübingen übernommen worden. Auch für das Erscheinen einer Geschichte der Vereinigten Staaten ist gegründete Aus- sicht vorhanden.

TU. Landesgeschichtliche Abteilung. Bisher erschienen: Geschichte von Ost- und Westpreussen. Von C. Lohmeyer. Band 1. 2. Aufl. 1881. Geschichte von Braunschweig und Hannover. Von G. v. Heinemann. 3 Bände. (1882 1892). Ge- schichte der in der preussischen Provinz Sachsen ver- einigten Gebiete. Von E. Jacobs. 1883.- Geschichte Schle- siens. Von C. Grünhagen. 2 Bände. 1884. 188G. Für diese Ab- teilung hat Archivar Redlich in Düsseldorf die Bearljeitung der Ge- schichte von Jülich-Berg vom Ausgange des Mittelalters bis zur Ver- einigung unter preussischer Herrschaft übernommen. Eine Geschichte Pommerns bearbeitet Prof. Wehrmann in Stettin, der den 1. Band (bis 1523) vor Ende 1903 zu vollenden hofft. Von den österreichischen Kronländern wird Steiermark von Direktor Mayer in Graz, Kärnten von Landesarchivar v. Jak seh in Klpgenturt, Salzburg von Prof. Wid- mann in Salzburg und Ober- und Kiederöster reich von Dr. M. Vancsa in Wien bearbeitet; letzterer hoff't im Frühjahr 1903 das Ma- nuskript des 1. Bandes abzuschliessen. Die Geschichte Tirols, die ProL V. Ottenthai in Innsbruck übernommen hatte, hat sich Prof. v. Vol- telini in Innsbruck zu bearbeiten bereit erklärt, da v. Ottenthai auf Jahre hinaus anderweitig allzusehr in Anspruch genommen ist. Dr. E. Seraphim in Riga bearbeitet die Geschichte von Liv-, Esth- und Kurland, das Manuskript wird im nächsten Jahre zum Druck kommen. Schliesslich schreibt für diese Abteilung Prof. Raimund Kaindl in Czernowitz eine zweibändige Geschichte der Deutschen in den Karpathenländern von den ältesten Zeiten bis zur Gegen- w a r t.

Zwei Original-Briefe Yon c. 1188.

(Mit einer Tafel Abbildungen.)

Mitgeteilt von

L. Schmitz.

Originale geschlossener Briefe liaijen sich bekanutlich ans dem früheren Mittelalter nur wenige erhalten. Aus dem 12. Jahrhundert sind bisher nur zwei Stück bekannt geworden, die der Zeit Friedrichs 1. angehören; und hier ist es noch nicht endgültig entschieden, ob mau es tatsächlich mit Originalen zu tun hat^). Infolgedessen ist denn auch unsere Kenntnis über die äussere Form der Briefe, zumal über die Art ihres Verschlusses bis zum 13. Jahrhundert, wo ihre Zahl allmählich zunimmt, im Ganzen noch sehr gering. Ob sie überhaupt jemals all- seitig werden wird, ist wohl kaum anzunehmen, da schwerlich noch grössere Funde in dieser Hinsicht zu erwarten sind. Denn die Briefe hatten ja meist, wenn der Adressat von ihnen Kenntnis genommen hatte, ihre Bedeutung verloren ; sie aufzubewahren, lag in der Eegel wenigstens kein weiteres Interesse vor. Hierzu kam auch noch die äussere Form: waren es doch durchweg, wie wir aus dem wenigen Erhaltenen schliessen können und wie es auch in der Natur der Sache liegt, weil es sich nicht um Urkunden handelte, die einen Rechtstitel begründeten, sondern um kurze einfache Mitteilungen, kleine Perga- mentstücke, ein paar Zentimeter hoch und breit, die deshalb schon nicht des Aufhebens wert erschienen und auch aus Unachtsamkeit

') Vergl. Bresslau Urkundenlehre I, S. 955 Anmerk. 4. Bei dem von Philippi, üii-nabrücker Urkundenbucb I, Nr. 76 gedruckten Stück aus dem 10. Jahrb., das sich gleich wie die beiden von uns mitgeteilten Stücke als Siegel- unterlage erhalten hat, ist es zweifelhaft, ob es Original oder aber Kopie bezw. Entwurf ist.

Mittheiluugen XXIV. 23

346 L. Schmitz.

leicht verloren gehen konnten. Jedenfalls beweist der Fund, den ich im Nachstehenden veröffentliche, wie gering man damals derartige Korrespondenzen schätzte, ein Umstand, dem wir freilich ausschliesslich die Erhaltung der Stücke zu verdanken haben.

Das fürstlich Salm-Horstmar'sche Archiv in Coesfeld, zu dem mir Se. Durchlaucht Fürst Otto zu Salm-Horstmar, Wild- und Kheingraf auf Schloss Varlar, in liberalster Weise Zutritt gewährte, birgt unter seinen reichhaltigen Beständen auch das Archiv des ehemaligen Damen- stifts Asbeck. Die älteren Urkunden bis zum Jahre 1200 sind bereits gedruckt bei Erhard, liegesta hist. Westfaliae, Codex diplomat. 11. Bei Vergleichuug der Originale stiess ich auch auf die von Erhard a. a. 0. S. 198 Nr. 483 gedruckte Urkunde des Bischofs Hermann 11. von Münster vom Jahre 1188. Das auf der Vorderseite des Pergaments aufgedrückte Siegel war ursprünglich befestigt gewesen mit zwei Per- ganientstreifen, die auf der Rückseite der Urkunde in Kreuzform über- einander gelegt waren: d\-

-Hä 1, 2 die Pergamentstreifen; a, b, ■^ c, d die Einschnitte im Urkuuden- pergameut. Durch die vier Einschnitte (a, b, c, d) sind die Enden dieser Streifen durch das Pergament auf die Vorderseite gezogen und in diese Enden dann das Wachs, bevor das Siegel aufgedrückt wurde, befestigt worden. Die beiden Streifen, die nach der Besiegelung also nur noch auf der Rückseite der Urkunde sichtbar sind, gingen nun nicht nur durch das ürkundenpergament, sondern auch noch, wie ich dies in der bischöflich-münsterischen Kanzlei häufio-er habe beobachten können, durch ein auf die ürkundenrückseite an der betr. Stelle auf- gelegtes, doppeltes, ungefähr quadratisch gefaltetes (und dazu beschrie- benes) Pergamentblatt 1). Der Zweck dieses untergelegten Pergaraent- stückes ist offenbar darin zu suchen, dass es das Urkundenpergament vor dem Einreissen durch die Siegelstreifen schützen und zugleich dem aufzudrückenden Wachssiegel eine festere Unterlage geben sollte. Das Siegel ist nun im Laufe der Zeit teilweise abgebröckelt, so dass der eine Pergamentstreifen mit einem Ende auf der Vorderseite der Ur- kunde freiliegt. Ohne m Siegel irgend welchen Schaden zuzufügen, liess sich dieser Streifen nach rückwärts ziehen. Nach dieser Manipu- lation war das untergelegte Pergamentstück nur noch mit dem zweiten Streifen festgehalten. Nachdem dieser Streifen durchgeschnitten war, was auch ohne jegliche Beschädigung des fest an der Urkunde au-

') An der Stelle, wo das Siegel aufliegt, sind also drei Lagen Pergament: nämlich das Ürkundenpergament und die doppelte Unterlage.

Zwei Original- Briefe von c. 1188. 347

Idebendeu Siegels möglich war, konnte man das Pergameutstück ab- nehmen.

Bei näherer Betrachtung stellte sich dieses als ein Original- schreiben au den Bischof Hermann von Münster heraus. Durch diesen Fund aufmerksam gemacht, untersuchte ich auch die übrigen in gleicher Weise mit Zuhilfenahme untergelegten Pergaments besiegelten Urkunden. Bei der Mehrzahl Hess sich auch, da man das Pergament trotz der kreuzweise durchgezogenen schmalen Streifen an zwei Ecken immerhin weit genug umbiegen konnte, mit völliger Sicherheit fest- stellen, dass in der Regel unbeschriebene Pergamentstücke als Unter- lage für die Besiegelung verwandt waren. Nur die bei Erhard a. a. 0. S. 198 Nr. 482 gedruckte Urkunde von 1188, deren Siegel schon zur Zeit, als Erhard diese Urkunde benutzte, nach dessen Angabe ganz zerstöit war, hatte noch ein beschriebenes Pergamentstück als Unterlage; dieses Hess sich ohne weiteres leicht herausnehmen, weil von dem Siegel überhaupt nichts mehr erhalten war. Zum Vorschein kam ein Sehreiben des Propsts des Stifts St. Severiu in Köln an den Papst.

Bevor ich auf die beiden Schreiben näher eingehe, lasse ich deren Text im Wortlaut folgen, u, zw. zunächst das Schreiben an den Bischof Hermann von Münster, dann au zweiter Stelle das Bittschreiben au den Papst; das erstehe befindet sich an der Urkunde Repert. Asbeck Tit. III. Fach 2 Packet ö Nr. 31, das zweite ebenda Tit. IV, Fach 3 Packet 20 Nr. 89^.

L

Dilecto consanguineo et precordiali amico suo .H.[ermanno] Mo- uasteriensi episcopo .C.[onradus] Dei gratia Sabinensis episcopus, Ma- guntine sedis archiepiscopus et apostolice sedis legatus salutem et sin- cere dilectionis uberrimum affectum. Gratum habemus et grates im- mensas vestre dilectioni referimus pro eo, quod de amicis nostris letos rumores nuper per vos audivimus. Dominus enim Traiectensis episco- pus, cum novissime a curia domini uostri imperatoris recederet, amice satis a domino iiuperatore et nobis super gwerra, que inter ip.^iUm et amicos nostros versatur, commonitus et rogatus, tantuni elationis verba pretendens durum se nobis exhibuit et difficilem, et nullum pacis aut concordie responsum ab eo recepimus. Rogamus itaque familiär itatis vestre dilectionem, ut sicut bene cepistis, ita etiam ulterius dilecto nostro comiti de Gelren cousilium vestrum et auxilium, cum uecesse fuerit, libenter impendatis. Preterea diligenter petimus, ut si vos ad partes nostras contigerit accedere, premisso nuncio vestro nobis illud

23*

348 L. Schmitz.

significetis. Nos enim, sive in Tliuringia sive circa Renum tunc simus, libeuter vobis occuremus. Nova, que super colloquio inter uos et dominum Coloniensem archiepiscopum habito apud uos sunt, presentium lator viva voce vobis exprimet. Hoc tamen sciatur a vobis, quod do- minus Colouiensis totam sui gruvamiuis causam nobis impouit. [Adresse auf der Rückseite] Doraiuo Mouasterieusi episcopo.

IL

Reverendo patri et domino suo, summo poutifici .C.[onradus] Dei gratia ecclesie beati Severiui in Colouia humilis provisor uuiver- susque eiusdem ecclesie conventus debitam subiectionem et devotas in Christo orationes. Conquereudo paternitati vestre uotum facimus, quod coüsilio et precepto F.[riderici] comitis de Alceua (!) ipsius lui- nisteriales, videlicet Everardus Cop et duo eins fratres Herimannus et Udo, Everardus gogravius, Aruoldus Clericus et eins frater Eugelbertus, Huboldus, Godefridus Scunde, Everardus, Herimannus, Wenierus Snephart, Eilardus curtem quandam nostram et eius familiam spolia- verunt et dampnum XL marcarum ecclesie nostre intulerunt. Quoniam igilur intolerabile nobis dampnum, cum de bis vivere, que rapuerunt, debereraus, intuleruut, sanctitatis vestre discretionem supliciter depre- camur, ut datis nobis iudicibus magistro .R.[udolfo] maioris ecclesie in Colouia scolastico et G.[odefrido] beati Gereouis decano eis scribere uon dedigneiuiui, quatinus raptores ipsos et eoruiu dominum monitis aut ecclesiastica districtione vestra auctoritate ad satisfactionem con- dignam compellant.

Bei dem ersten Schreiben haben wir es also mit einem Briefe des Mainzer Erzbischofs Konrad an den Bischof Hermann von Münster (1174 1202) zu tun. Versuchen wir ihn zu datireu. Spätestens in das Jahr 1188, da in diesem Jahre die Urkunde Erhard a. a. 0. Nr. 483 ausgestellt ist, kann das Schreiben fallen. Ein terminus post quem ergibt sich sofort aus dem Titel des Schreibers: Konrad, seit 11G5 Bischof von Sabina, wird November 1183 zum zweiten Mal Erzbischof von Mainz i). Damit hätten wir die Zeit von 1184 1188, in der das Schreiben . ab- gesandt sein muss. Eine nähere Bestimmung der Abfassuugszeit er- möglicht dann der sonstige Inhalt des Briefes, der in der Hauptsache von dem Bischof (Balduiu) von Utrecht und dessen Fehde mit Geldern

') BiUimer- Wille: Kegesia arcliiep. Magunt. II, 8. 10, 59 11'.

Zwii Original-Briefe von c. 1188. ;-J49

handelt. GeineiDt ist die Fehde, die 1187 begann und 1188 März 27 auf dem Mainzer Tage beigelegt wurde. Hiernach kann also auch unser Brief nicht vor 1187 und nicht nach März 1188 geschrieben sein^). Es käme nun noch darauf an, die novissima . . . curia . . . iniperatoris zu bestimmen. Bei der grossen Zahl der 1187 bis Anfang 1188 von Kaiser Friedrich abgehaltenen Tage (Nürnberg 15. Febr. 1187; Regensburg 5. März 1187; Worms Mitte August 1187; Strass- burg Dez. 1187; Nürnberg 2. Febr 1188)^) möchte man wohl vor allem an den Wormser Tag vom August 1187 denken, da auf diesem neben dem Mainzer Erzbischof der Bischof von Utrecht nachweisbar ist^), während Bischof Hermann von Münster anscheinend nicht zu- gegen war'^). Leider wissen wir nun nichts über ein Kolloquium, das im J. 1187 oder Anfang 1188 zwischen Erzbischof Konrad von Mainz und dem Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg stattgefunden hat. Dieses etwa Ende 1187, nach dem Wormser Tage anzusetzen, hindert aber nichts, da nach dem Schlusssatze des Briefes offenbar der Zwist zwischen dem Kaiser und dem Kölner Erzbischof noch iu vollem Gange ist. Da weiterhin die Beileguncr dieses Streites auf dem Nürnberger Tage vom 2. Febr. 1188 so weit angebahnt wird, dass Philipp sich hier zu einer Aussöhnung mit Friedrich bereit erklärte^), so kann man wohl mit einiger Wahrscheinlichkeit die Abfassungszeit

») M. G. H. S. S. XXIU, 406 : Et nota, quod Baldewinus episcopus ter ha- buit guerram cum illia de Gelre. Prima vice, quando Veluam pro sibi vacante occupavit n. s. w. (1178 1181) . . . Secunda vice, Gerardo comite mortuo (stirbt nach den Annal. Egmund. öS. XVI, 475 im J. 1181) frater suus Otto coraes epi- scopiim in tantum in suis bonis infestavit, quod tanta orta fuit discordia, ut Florencius comes HoUandie omnia pecora lotius Velue in Daventriam communi- caret et gravia dampna comiti inferret, et ab alia parte Thidericus Clevensia comes . . . omnem terram Gelrie potenter inceuderet et devastaret. Sed dux Brabantie et archiepiscopus Coloniensis et dominus Hermannus Mouasteriensis episcopus et Adolfus comes de Monte partem comitis sie coadiuvabant, ut col- lectis duobus milibus militum et quingentis in Daventria tribus septimanis octin- gentos milites episcopi obsiderent. Ista vero guerra composita fuit (27. März 1188 in curia apud Maguntiam celebrata; vergl. Annal. Col. max. S. S. XVII, 7Ö4), quando dictus comes Gekensis cum imperatore Frederico mare transivit. Post reditum suum .... 3. Fehde 1195/96. Der Anfang der 2. Fehde fällt nach den Annal. Col. max. S. S. XVII, 792 in das Jahr 1187.

2) Scheffer-Boichorst : Friedv. I. Streit mit der Curie S. 140, 144, 154, 157, 240—243.

3) Ebenda S. 145.

4) Er würde sonst sicher unter den Zeugen in dem Privileg Friedrichs I. für das Kloster Kappenberg erscheinen; Erhard II, S. 191 Nr. 472.

5) Die dann in Mainz im März zu stände kam; Scheffer-Boichorst a. a. ü. S. 157.

350 ^^- Schmitz.

uoch enger begrenzen auf die Zeit vom 15. August 1187 bis 2. Februar 1188. Möglicherweise ist ferner mit den Worten: „si vos ad partes nostras contigerit accedere" bereits auf eine Reise des münsterischen Bischofs zu dem Aussicht genommeneu grossen Tage von Mainz (27. März 1188) angespielt, der im Dezember 1187 zwischen dem Kaiser und dem Kardinal von Albano verabredet wurde i), und würde mau dann die Abfassungszeit auf Ende 1187 oder Anfang 1188 an- setzen können. Jedoch lässt sich für diese engere Zeitbestimmung (Ende 1187 Anfang 1188) kein zwingender Beweis beibriugen; wir werden uns damit bescheiden müssen, dass der Brief in der Zeit von Mitte August 1187 bis Anfang Febr. 1188 abgefasst sein muss.

Die Abfassungszeit des zweiten, an den Papst gerichteten Schrei- bens, die aus demselben Grunde wie bei dem ersten Schreiben spä- testens in das Jahr 1188 fallen kann, ergibt sich aus den erwähnten Persönlichkeiten, von denen nachweisbar sind

Propst Konrad von St. Severin in Köln für die Jahre 1165 1196.

Graf Friedrich von Altena 1173 1199.

Der Kölner Domscholaster Rudolf 1157 1201.

Der Dechant Gottfried von St. Gereon 1176 11 94 2).

Da der Vorgänger des letztgenannten Dechauten von St. Gereon, namens Hugo, bis zum Jahre 1176 erscheint 3), so ist also offenbar Gottfried auch erst in diesem Jahre zu dieser Dignität gekommen und dieses Jahr bezeichnet demnach den frühsten Termin für die Ab- fassung des Schreibens. Da weiter keine Anhaltspunkte für eine genauere Datirung gegeben sind, vor allem sich anscheinend kein päpstliches Mandat erbalten hat, das auf Grund des Bittschreibens er- lassen wäre, so müssen mir uns damit begnügen, als Abfassungszeit die Jahre 1176 1188 anzunehmen.

Auf den Wert der beiden Schreiben als neuer historischen Quellen gehe ich weiter nicht ein^); ich betrachte sie nur nach ihrer formalen Seite.

•) Ebenda S. 156, 243.

2) Knipping: Regesten der l'^rzb. von Köln, IL Register an den betr. Stel- len; der Dechant von Gereon, der bei Knipping a. a. 0. Nr. 1628 zum Jahre 1186 zuletzt erwähnt wird, erscheint für die Jahre 1188 1194 bei Erhard a. a. 0. Cod. dip. II, 476, 495. 535.

3) Knipping a. a. 0. Nr. 1052.

'') Aus der Inscriptio des ersten Schreibens ergibt sich wohl nicht eine Verwandtschaft des Erzbischofs Konrad mit dem Bischof H. von Münster; die Anrede consanguineus in Vorlnndung mit amicus w^eist v7ohl nur auf ein freund- schaftliches Verhältnis hin. K, war Sohn des Pfalzgrafen Otto IV. von Witteis-

Zwei Original-Briefe von c. 1188. 35 j

Zweifellos ist das erste Sehreiben ein Original. Es beweist dies die auf der Kückseite befindliche Adresse, die noch genau erkennbare Faltung und endlich die Einschnitte in dem Pergament, durch die der Pergamentstreifen für den Verschluss und die Besiegelung gezogen war. Auf der Abbildung sind die Stellen dieser Einschnitte durch durchgezogene Papierstreifen kenntlich gemacht 1). In welcher Weise der Brief gefaltet war, ist auch noch deutlich sichtbar: zunächst einmal in der Länge u. zw. genau in der Mitte der Höhe, sodann zweimal in der Höhe, so dass also drei ziemlich gleiche Teile ent- stehen; von diesen ist darauf der linke in den rechten geschoben. Dann sind in der Mitte, oben und unten etwa 1/2 cm vom Rande die Einschnitte gemacht und durch diese ein Pergameintstreifen durch- gezogen, auf dessen Enden schliesslich das Siegel aufgedrückt wurde ^). So war der Brief völlig verschlossen: sein Inhalt war nur lesbar, indem entweder das Siegel zerstört und der Pergamentstreifeu heraus- gezogen wurde oder unter Schonung des Siegels der Pergamentsstreifen gleich neben dem Siegel beiderseits durchgeschnitten und dann her- ausgezogen wurde 3). Da weder von dem Siegel noch von dem Pergamentstreifen sich eine Spur erhalten hat, scheint man die erste Öffnungsweise beliebt zu haben.

bach, H. ein üraf von Katzenellenbogen. In dem zweiten Schreiben ist be- sonders bemerkenswert das Vorkommen des Everardns gogravius.

») Die sonst noch auf der Abbildung erkennbaren Einschnitte in dem Per- gament rühren von dessen späterer Verwendung als Unterlage für die Besiege- lung der bischöflichen Urkunde her; siehe oben S. 346.

2) Auf dreifache Art konnte das Siegel angebracht werden. Wurde das Siegel, wie nach Analogie der späteren Zeit anzunehmen ist, aufgedrückt, so konnte dies auf der Vorderseite, unter der Adresse, oder aber auf der Rückseite geschehen; im ersteven Falle wurden also die beiden Enden des Pergament- streifens von der Rückseite nach der Vorderseite gezogen, im zweiten natürlich nmgekehit. Bei dem zusammengefalteten Briefe auf der Abbildung ist ange- nommen, dass die Besiegelung auf der Rückseite stattgefunden hat, was sich für das spätere Mittelalter mehrfach belegen lässt. Möglicherweise ist aber unser Brief dennoch auf der Vorderseite besiegelt gewesen, weil die Adresse ganz oben am Rande steht und weil die Vorderseite gegenüber der gleichmässig be- schmutzten Rückseite gerade in der Mitte, wo das Siegel gewesen sein müsste, eine hellere Färbung zeigt, dort also vor Schmutz geschützt gewesen zu sein scheint. Die dritte, aber wenig wahrscheinliche Möglichkeit ist die, dass ein Hängesiegel an dem Pergamentstreifen angebracht wurde; vergl. Kaiserurk. in Abbild. Lief. X Tafel 16 f., dazu Text S. 415 ff., wo in gleichem Falle ein Hängesiegel angenommen wird.

^) Wenn das Siegel den Pergamentstreifen völlig bedeckte, so konnte man den Streifen auch noch auf der entgegengesetzten Seite, wo er unter allen Um- ständen ganz frei lag, durchschneiden und dann den Brief öffnen.

352 L. S 0 h m i t z.

Ob wir es bei dem zweiten Schreiben auch mit einem Original zu tun liabeu, lässt sich mit Sicherheit wohl nicht mehr entscheiden. FJs liesse sich dafür vielleicht die noch erkennbare ursprüngliche Faltung anführen, indem das Stück zuerst oben und unten nach der Mitte hin umgelegt und dann noch einmal in der Mitte iu der Längsrichtung gefaltet worden zu sein scheint. Von einer Faltung in der Höhe ist aber nichts sichtbar und ebenso wenig ist irgend eine Spur des Ver- schlusses und der Besiegelung erkennbar. Die vorhandenen Einschnitte rühren von der oben angegebenen Verwendung des Pergaments in der bischöflich-münsterischen Kanzlei her. Ich möchte mich dafür ent- scheiden, duss dieses Stück eine gleichzeitige Kopie ist. Wie sollte auch das Original einer aus Köln an den Papst gerichteten Beschwerde, wenn diese ihren Weg an die Kurie gefunden hatte, in die münstcrische Kanzlei gekommen seien')? Eine Kopie dieses Schreibens mag aber immerhin direkt von Köln aus an den münsterischen Bischof geschickt sein oder auch, was ebenfalls sehr gut denkbar wäre, als Einschluss einer päpstlichen Bulle, die an den Bischof vou Münster gerichtet war, ihn etwa mit der Untersuchun«? und Erleditrunff des Streitfalles be- auftragte, in die bischöfliche Kanzlei gelaugt sein. Denn das Per- gament scheint in der Tat italienisches zu sein.

Doch sei dem, wie ihm wolle jedenfalls haben wir in dem Schreiben des Erzbischofs Konrad vou Mainz au den Bischof Hermann von Münster einen der ältesten, wenn nicht sogar den ältesten bisher bekannt gewordenen im Original erhaltenen geschlossenen Brief vor uns, und darin beruht in erster Liuie seine Wichtigkeit. Wenn sein Inhalt daneben auch interessant und von Bedeutung ist, so kommt dies doch erst au zweiter Stelle in Betracht; ihn in dieser Hinsicht zu würdigen, liegt meinem nächsten Zwecke fern.

') Dass sonst wohl die Originale derartiger Eingaben an den Papst später an die Absender zurückgekommen sind, dafür fehlt es nicht an Beispielen.

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Mittheilnnoen des Inst, für Oesterroich. Ges'.-liiohtsfoi-scliung. B.l. XXIV.

Zu Jordaiuis von Osnabrück.

Von

Franz Wilhelm.

Ungefähr zur selben Zeit, da ich mich mit den Schriften des Osua- brücker Kanonikus Jordanus beschäftigte, stellte auch H. Grauert Untersuchungen über diesen Autor an. Im August 1897, als meine Aus- führuuoren bis auf die Erörterungen zum Pavo in derselben Gestalt, wie ich sie im folgenden Jahre veröffentlichte '), fertig vorlagen, hielt Grauert über diesen Gegenstand einen Vortrag vor dem vierten inter- nationalen Kougress katholischer Gelehrter zu Freiburg in der Schweiz. Dieser Vortrag liegt nuu auch gedruckt vor in den Melanges Paul Fahre, Paris 1902, S. 330 ff. Die Überschrift (Jourdain d' Osnabrück et la Noticia saeculi) deckt sich nicht ganz mit dem Inhalt des Ge- botenen, da Grauert sich auch ausführlich mit dem Traktat, zum Teil auch mit dem Pavo befasst. Gerade bezüglich des Traktats konnte er konstatiren, dass wir beide vollständig unabhängig von einander zu dem Ergebnis gelangten, die Schrift kehre sich gegen das Vierstaaten- projekt Nikolaus in.2) Nicht ebenso gleicher Anschauung sind wh- jedoch hinsichtlich einer Keihe anderer Fragen. Bedeuten die Aus- führungen Grauerts, eines der gewiegtesten Kenner der kirclieupohti- schen Verhältnisse dieser Zeit und ihrer Quellen, gewiss in manchen Punkten, wie ich gerne anerkenne, einen Fortschritt der Erkenntnis gegenüber den Resultaten der Erstlingsarbeit eines Anfängers, so ver- mochte ich nach eingehender Prüfung seiner Darlegungen doch nicht allen Ergebnissen beizustimmen.

') In dieser Zeitschrift 19, 615 flf. 2) A. a. 0. S. 345 Anm. 1.

354 Franz Wilhelm.

Grauert gibt zunächst einen kurzen Auszug der interessanten Aus- führungen des Traktats und geht dann, um die Zeit der Abfassung und den Zweck dieser Schrift mit Sicherheit feststellen zu können, über auf die Noticia seculi. Dabei betont er die Gedankenverwandt- schaft und die zahlreichen textlichen Anlehnungen in den beiden Schriften. Es unterliegt für ihn keinem Zweifel, dass der Verfasser der Noticia gleich jenem des Traktats ein Deutscher ist. Keinesfalls aber kann, so meint Grauert, Jordanus auch die Noticia geschrieben haben, wie zuerst nach einer Äusserung von W. Meyer i) Waitz in der allgemeinen deutschen Biographie aussprach 2) und wie ich dies dann weiter auszuführen versuchte 3). Die Ähnlichkeit in Gedanken und Aus- druck erklärt sich nach seiner Ansicht daraus, dass zwischen den Autoreu der beiden Schriften rege Beziehungen bestanden, dass der Verfasser der Noticia dem Jordanus sein Material zur Verfügung stellte. Denn trotz aller Übereinstimmung zeige sich auch eine wesent- liche Verschiedenheit in den Ansichten. Jordanus bezeichne die kaiser- liche Gewalt durchwegs und mit Recht als Imperium Romanum, die Noticia spreche zwar hie und da auch vom Imperium, in der Regel aber, und was auffallend sei gerade an den entscheidenden Stellen, vom regnum Romanum oder Romanorum. Abgesehen davon, dass, wenn dieses Argument zu Recht bestände, ich es nicht für aus- reichend halten möchte, verschiedene Verfasser anzunehmen, will ich nachweisen, dass die beiden Schriften auch hierin eine bezeichnende Übereinstimmung zeigen.

Das Verhältnis stellt sich in dieser Hinsicht so, dass im Traktat allerdings bei weitem öfter, aber keineswegs durchgehends, vom Im- perium die Rede ist, die Noticia die kaiserliche Autorität etwas häu- figer Imperium als regnum nennt (17 : 12). Verhältniszahlen haben aber bei solchen Dingen naturgemäss wenig Beweiskraft. Sieht man näher zu, so stellt sich sich heraus, dass der Traktat an zwei Stellen das Imperium gleichsetzt dem regnum ecclesie^). Dem entsprechend

1) Bei dieser Gelegenheit kann ich ein Versehen verbesssern, das mir in der Abhandlung über Jordanus unterlief; nicht Waitz, sondern Wilhelm Meyer wurde zuerst auf die nahe Verwandtschaft dieser drei Schriften (Traktat, Noticia und Pavo) aufmerksam und schloss daraus auf Identität des Verfassers.

2) 16, 500.

3) S. 655 ff.

*) Ausgabe von Waitz in den Abhandlungen der k. Gesellschaft d. Wissen- schaften zu Göttingen 14, 53 : Sunt quidam . . . qui . . . faciant questionem, qiiare summus pontifex imperium de Grecis transtulit in Germanos, . . . qui cum se ipsos neque in ornatu vestinm neque in morum compositione regere sciant, quomodo regnum totius ecclesie gubernabunt, und noch deutlicher

Zu JordanuB von Osnabrück. 355

nennt er die kaiserliche Gewalt dort, wo von derselben im Gegensatz zur kirchlichen die Rede ist, in der Regel regnumi). Nicht anders steht die Sache bei der Noticia seculi. Auch sie nennt das imperium regnum ecclesie-) und spricht daher gewöhnlich von sacerdotium oder ecclesia einerseits, von regnum anderseits 3). Fünf von den zwölf Fällen, in denen die Noticia die kaiserliche Gewalt als regnum bezeichnet, lassen sich ganz analoge Fassungen im Traktat gegenüberstellen. Da übrigens die Noticia ebenso wie der Traktat auf die reinliche Schei- dung zwischen imperium und regnum kein Gewicht legt dies zeigt

S. 69: Karl d. Gr. befahl, dass das imperium Romanorum bei der kano- nischen Wahl der deutschen Fürsten bleibe. Non enim convenit, sanctuariuni dei, id est regnum ecclesie, iure hereditario possideri.

') S. 51: debitus ordo requirebat, ut sicut Romani tamquam raaiores sa- cerdotium, sie Germani tamquam minores regnum optinerent; S. 78: Ex quo non est dubium, tandem regnum Romano r um et sacerdotium tib invicem dividendum esse; S. 83: sicut ecclesia Romana est ecclesia dei, sie utique regnum est similiter regnum dei; S. 90: regnum et sacerdotium. Seltener wird das Reich im Gegensatz zur Kirche imperium genannt. Mir fielen im Traktat die folgenden Stellen auf: S. 71 : necessarius ordo requirebat, ut sicut Romani tamquam seniores sacerdotio, sie Germani vel Franci tam- quam iuniores imperio . . . dotarentur und S. 81: reformabit ecclesiam et Imperium. Hält man die beiden fast wörtlich gleichlautenden Stellen S. 51 und 71 gegen einander, so sieht man, dass es Jordanus mit der klaren Scheidung zwischen regnum und imperium nicht allzu streng nahm. Er selbst verwahrt sich ja an anderer Stelle nicht etwa gegen die Bezeichnung des Imperiums iils regnum Romanorum, sondern gegen die als regnum Almanie. S. 78 sagt er von den Herrschern aus schwäbischem Geschlecht; per Suevos et Bavaros ac ulle- riores Almanos imperium gub^rnare laborabant, ita ut deinceps non regnum Germanie vel Theutonie seu Romanorum, sed regnum Almanie vulgariter nun- cupetur.

2) Mitteil, des Instituts 19, 665: Wenn die Bosheit der Menschen das Reich nicht wieder erstehen lässt, dann werden an dessen Stelle zehn Gewalthevr- schaften treten. Dignum est enim, ut qui regnum ecclesie studiose de- struunt, iugum paciantur tyrannorum; S. 671 : videtur expedire, quod ad saccr- docium et ad regnum ecclesie catholice (das ist das imperium), q'.e utraque tamquam dei sanctuarium iure hereditario possideri non convenit, eligo- retur etc.

»)S. 668: Res publica ecclesie Romane residet in Europa, priuci- paliter tamen in Romano r um regno; ebenda: deus ita disposuit, ut sacer- docium, regnum et studium una esset ecclesia. S. 671: videtur expedne, quod . . . eligeretur ad sacerdocium quidem Romanus vel Italiens et a.l regnum Germanus. Non enim ociose, ut credo, spiritus sanctus ordmavit, quod apud Romanos sacerdocium et apud Germanos esset regnum; S. 672 : Sufficit igitur, ut eligatur ad papatura Romanus vel Italiens clericns . . . et ad reg- num Germanus miles. Imperium im Gegensatz zu sacerdocium finde ich dreuual genannt S. 665.

Sr)fi Franz Wilhelm.

die Ausdrucksweise unitas imperii sive regui auf S. ß65 köuueu die übrigeu Stelleu, au deneu regnum statt imperium steht, nicht viel besageu, zumal sie sich aus der Beeinflussung durch die vorher- (jeheude Nennuno- eines regnum leicht erklären: Sicut Christus uon venit, uisi prius destructum esset regnum Judeorum, ita Anti- christus non veniet, nisi prius destruatur regnum Komanorum*). In dieser Inkonsequenz der beiden Schriften liegt so viel Ähnlichkeit, dass man sie getrost einem Verfasser zuschreiben mag, wenn nicht schwerwiegendere Gründe dagegen sprechen; denn nur solche das soll gleich hier betont werden können die Annahme verschiedener Verfasser rechtfertigen. Mau muss sich doch immer vor Augen halten, dass die Ideenverwandscliaft in diesen beiden Schriften trotz der darin vorgetragenen von der landläufigen Lehre völlig abweichenden Auf- fassungen über das Verhältnis zwischen Sacerdotium, Imperium und Studium eine so auffallende ist, dass es Wunder nehmen müsste, wenn zwei Männer selbst den gleichen Studiengang^) und den regsten Gedankenaustausch vorausgesetzt über diese Sache sich so völlig gleiche Ansichten gebildet hätten. Nimmt man die naheu textlichen Anlehnungen, die auch Grauert zugesteht, hinzu, so muss man sagen, dass nur ganz zwingende Gründe von der Stichhältigkeit der Annahme zweier verschiedener Autoren zu überzeugen vermögen,

Dass die Noticia und der Pavo von einem Verfasser herrühren, bezweifelt auch Grauert nicht. Er findet aber eine weitere bezeich- nende Differenz der Ansichten zwischen dem Autor dieser beiden Schriften und Jordanus als Verfasser des Traktats darin, dass Jorda- nus, obwohl ein Freund des Imperiums und Bewunderer Rudolfs von Habsburg, dennoch oder vielleicht gerade aus diesem Grunde sich als entschiedener Gegner der Staufer zeigt, während von dieser staufen- feiudlichen Tendenz in der Noticia und noch weniger im Pavo eine Spur vorhanden sei. Meines Erachtens wird man in dieser Hinsiclit den Pavo kaum in's Treffen führen dürfen. Derselbe ist ohne Zweifel geschrieben während oder bald nach dem Pontifikat Martins \YJ). Die franzosenfreundliche Politik dieses Papstes brachte nach der Über- zeugung des Verfassers der Noticia die gesamte kirchliche Ordnung in's Wanken: qui ob amorem gentis sue turbavit ecclesiam dei totam

') S. 674. Auf dieselbe Weise erklärt sich die Stelle auf S. 672 und die drei Stellen auf S. 666.

2j Grauert scheint vorauszusetzen, dass sowohl Jordanus als auch Alexander von Roes, den er für den Verfasser der Noticia hält, an der Pariser Universität studirten.

ä) Den Nachweis hiefiir gegen E. Michiel vgl. S. 362 ff.

Zu Jordanus von Osnabrück. 357

volens totura munduin more Gallicorum regere. Wenn nicht eine Umkehr erfolgt, wird die Kirche das Reich, das sie schon zum Teil zerstörte, mit Hilfe der Franzosen ganz zerstören i). Für den deut- schen Publizisten, dem die Vernachlässigung Deutschlands und die Bevorzugung Frankreichs durch diesen Papst zu Herzen ging, mochte es damals nahe liegen, das Zerwürfnis zwischen Kaisertum und Papst- tum und die daraus entstandene Verwirrung der kirchlichen Ordnuns; der gleichen Ursache zuzuschreiben. Deshalb griff der Verfasser der Noticia zurück und behandelte die Absetzung Friedrichs II. durch den Papst im angeblichen Bunde mit Frankreich. Diese Parabel fügte er der Noticia au, weil sie causas perturbacionum universalis ecclesie nachweise. Nicht Friedrich IL, sondern das römische Kaisertum deutscher Nation nimmt der Verfasser in Schutz gegen die Vergewal- tigung durch das Papsttum und Frankreich 2). Nicht Friedrich II. ist Unrecht geschehen, sondern das Reich wurde gespalten und dieser Spaltung wird die völlige Auflösung folgen: Regni scissuram sequitur destructio regni, sagt der Verfasser des Pavo.

Das keineswegs schmeichelhafte Urteil des Jordanus über die Staufer erklärt sich, wie Grauert mit Recht betont und wie auch ich schon hervorhob-^), aus der Abneigung des Norddeutschen gegen die schwäbische Dynastie von Oberdeutschland, Noch schärfere Worte des Tadels als für die frühereu Staufer findet er für Friedrich II. Allein auch das Urteil des Verfassers der Noticia über Friedrich 11. auf dessen Vorgänger kommt er nicht zu sprechen ist nicht viel gün- stiger. Nach Friedrichs Kaiserkrönung, bis zu welcher er die Macht des Reiches aufrecht erhielt, begaun der Verfall des Imperiums: adeo Romauum decreverat Imperium, quod eins vix habebatur memoria. Zum mindesten geht das Urteil der beiden Schriften in dieser Hinsicht nicht so weit auseinander, dass es zur Annahme zweier Autoren zwin- gen würde. Doch vielleicht finden wir positive Anhaltspunkte für die Identität des Verfassers.

Zur Annahme von zwei verschiedenen Verfassern für diese drei Schriften wurde Grauert wohl dadurch geführt, dass er die Vorrede des Traktats in anderer Beleuchtung sah als bisher. Diese Annahme

') S. 673: Et forte Romana ecclesia imperinm Romanum, quod nunc pro parte destruxit, auxilio Gallicorum tunc in totum destruet.

2) So urteilte auch Waitz in der allg. deutschen Biographie 16, 500, wenn er von diesem Gedicht sagt: .Anschliessend an jenes Konzil, aber ohne sich an die historischen Verhältnisse zu binden, bekämpft es, ebenso wie die Noticia, die Übergritfe des Papsttums, tritt für die Ehre und Rechte des Kaisertums ein«.

3) A. a. 0. S. 646.

358 Franz Wilhelm.

steht und fällt, je uachdem die Zuweisung dieser Vorrede durch Grauert sich als richtig oder irrig erweist. Waitz gelaugte zu dem Schluss, dass die Vorrede in zwei Teile zerfalle, von denen der erste von Jor- danus selbst geschrieben wurde, während der zweite Teil von einem anderen Verfasser herrührt. Von der Ansicht ausgehend, der Traktat sei iür den Papst berechnet und weil eiuige Haudsciiriften in der dem Proloff vorau stehenden Überschrift den Namen des Kardinals Jakob Colonna nennen, hielt er diesen für den Verfasser des zweiten Teiles der Vorrede. Darin folgte ich dann Waitz, indem ich seine Anuahme näher auszuführen und gegen die widersprechenden Ansichten von Lorenz und Zisterer zu begründen versuchte. Dagegen hat nun Grauert auf ein Moment hingewiesen, das bisher allen entgangen war und das den Kardinal als Verfasser des zweiten Teiles der Vorrede ausschliesst. Die Begebenheit mit dem Messbuch zu Viterbo, welche der Schreiber dieses Teiles erwähnt, konnte unra(jglich Jakob Colonna passirt sein, denn er war und bliel) zeitlebens Kardinaldiakon. Als solcher kann er aber nie eine Messe gelesen haben. Grauert schliesst nun deshalb, weil der Vorredner des ersten Teiles sagt, er habe in der Überschrift, aber nicht aus Eitelkeit, seinen Namen genannt und eine Hundschrift (n. 595 der Wiener Hofbibliothek) in der an der Spitze der Vorrede stehenden Überschrift den Kölner Kanonikus Alexander von Roes als deujenigeu nennt, der den Traktat dem Kardinal Colonna überreichte dass dieser Familiäre des Kardinals (omnium clericorum suoruni mi- nimus et humillimus) der Verfasser der ganzen Vorrede sei. Die so- genannten beiden Teile der Vorrede seien aus einem Guss, eine Unter- scheidung der Vorrede in zwei Partien sei unzulässig, weil die Devo- tionsfornieln (humilis et penitus inexpertus hier und penitus inscius et inexpertus dort) dieselben sind und auch die Person, an welche die Vorrede sich wendet, in beiden Teilen die gleiche ist. Nach einge- hender Prüfung stimme ich der Ansicht Grauerts bei, dass den zweiten Teil unmöglich der Kardinal Jakob geschrieben haben kann, dass er wohl ohne Zweifel von Alexander von Roes herrührt und an den Kardinal gerichtet ist. Da in der ersten Überschrift, welcher das Verbum fehlt, wahrscheinlich ,obtalit' oder ,tradidit' zu ergänzen sein dürfte, sich hier also Kanonikus Alexander als denjenigen nennt, welcher den Traktat des Jordanus dem Kardinal als ,Merkbuch' (me- moriale) ^) übermittelte, und der Vorredner des zweiten Teiles von sich sagt: cum verecundia et tremore offerre presumo dominationi vestre, pater sancte, quoddam scriptum . . . magistri Jordani canonici Osna-

•) Grauert a. a. 0. S. 351.

Zu Jordanus von Osnabrück. qkq

burgensis, wird an der Identität der beiden kaum mehr zu zweifeln sein. Auch der erste Teil der Vorrede wendet sich, wie ich schon früher annahm, an den Kardinal.

Dennoch muss ich die Unterscheidung der Vorrede in zwei Teile aufrecht erhalten. Die Gleichheit der Devotionsformeln beweist nicht das Gegenteil. Dieselbe erklärt sich vollständig, wenn zwei in der gleichen sozialen Stellung befindliche Personen an einen und den- selben Adressaten schreiben. Ohne weiters wird man zugestehen, dass Jordanus und Alexander^ beide Kanoniker, sich dem Kardinal o-eo-eu- über so nennen konnten. Ebenso wenig liefert die Entschuldigung wegen Vorsetzung des Namens einen zwingenden Beweis dafiii-, dass Alexander von Roes auch den ersten Teil der Vorrede geschrieben haben muss. Die Stelle ist zweifellos authentisch; sie fehlt nur in den Haudschriftengruppen D und E. Muss sie sich aber auf den Namen Alexanders beziehen? Ich bemerkte schon seinerzeit, was Grauert entgangen zu sein scheint, dass gerade jener Handschrift, welche allein den Namen Alexanders überliefert, der Passus von der Vorsetzung des Namens fehlt. Diese Handschrift ist eine der ältesten, wenn nicht überhaupt die älteste (geschrieben vor 1354). Wenn auch nachlässig geschrieben i), wird ihr eine gute Vorlage nicht abzu- sprechen sein. Der Schreiber derselben hat also die Stelle von der Vor- setzung des Namens nicht in Zusammenhang gebracht mit dem Namen Alexanders, weil er diesen Satz weglässt und doch als einziger den Namen des Kölner Kanonikus bringt. Aber vielleicht mit einem an- deren Namen? Der Traktat hat ja noch eine andere Überschrift (rubrica), die wichtigere, weil sie Autor und Inhalt der Schrift nennt: Tractatus niagistri Jordani de prerogativa Romani imperii. Merkwür- diger Weise fehlt nun diese Überschrift, welche alle Handschriften in mehr oder minder veränderter Form bringen, gerade in der Hand- schrift Nr. ,595. Man kann daraus scb Hessen, dass der Schreiber dieser Handschrift jene Stelle auf den Namen des Jordanus bezog. Liess er diese Überschrift weg, dann konnte er auch die Entschuldigung wegen Vorsetzung des Namens fallen lassen. Volle Sicherheit für die Rich- tigkeit dieser Beziehung ist dadurch allerdings nicht gegeben. Immer- hin wird man aber bei diesem Sachverhalt die Stelle von der Vor- setzung des Namens mit mehr Recht auf den Namen des Jordanus als auf den Alexanders von Roes beziehen dürfen, wie ich dies auch getan habe. Für Jordanus als Verfasser der ersten Teiles der Vorrede

') Vgl. Waitz a. a. 0. S. 34

ggQ Franz Wilhelm.

sprechen aber noch gewichtigere Gründe, die zum Teil anzuführen ich bereits Gelegenheit hatte, die Grauert jedoch nicht berücksichtigte.

Der Verfasser der Noticia seculi nennt in der Einleitung seine Schrift ,scriptum' (quod ego ... scriptum tale quäle trausraittere nou verecundor). Ebenso nennt der Vorredner des zweiten Teiles den Traktat des Jordanus (quoddam scriptum . . . magistri Jordani cano- nici Osnaburgensis). Auch der Vorredner des ersten Teiles spricht von einem ,scriptum', das seiner Feder entstammt. Um den Fehler der Anmassung zu vermeiden, wollte er iu dieser Schrift (in hoc scripto) sich nicht mit schönen Worten befassen, sondern begnüge sich mit der einfachen Erzählung. Damit auch der Makel der Schmei- chelei nicht auf ihn falle, unterlasse er in dieser Vorrede (iu hoc prohemio) die übliche captatio benivolentie. Rühren beide Teile der Vorrede von einem Verfasser her, so sind ,scriptum' und ,prohemium' blos verschiedeue Ausdrücke für eine und dieselbe Sache, eben für diese Vorrede. Dann muss aber doch auffallen, dass der Vorredner seine Einleitung mit demselben Namen belegt wie den weit umfang- . reicheren Traktat des Jordanus; es muss weiter auffallen, dass in diesem Falle der Vorredner die schhchte Darstellung seiner nur wenige Zeilen umfassenden Ausführungen, die überdies grösstenteils nur Ge- danken des Traktats wiederholen, mit fast ebenso vielen Worten ent- schuldigt. Denn der ganze erste Teil der Vorrede, die Entschuldigung weo-en Vorsetzung des Namens abgerechnet, variirt dieses Thema.

Gerade die Stelle von der Vorsetzung des Namens, die wir schon früher mit mehr Wahrscheinlichkeit dem Jordanus als Alexander von Eoes zuschreiben durften, bietet meines Erachtens einen sicheren Beleg dafür, dass Jordanus der Verfasser des ersten Teiles der Vorrede ist. , Ferner habe ich" sagt hier der Schreiber „oben in der Über- schrift meinen Namen genannt, aber nicht aus Eitelkeit oder Prahlerei, wie manche pflegen, sondern damit bei der bekannten Unwissenheit des Schreibers der Schrift wenigstens insoweit Glauben beigemessen werde, als sie sich aus der Evidenz der Sache selbst und den authen- tischen Schriften au derer zuverlässig erweist". Das sagt entweder Alexander von Roes von seinen Ausführungen im zweiten Teil der Vorrede oder Jordauus von seinem Traktat. Nur diese beiden Mög- lichkeiten kommen in Betracht; eine dritte, dass Alexander von Roes dies vom Traktat des Jordanus sage, ist ausgeschlossen, weil er dann in einem Athem mit der Beteuerung, er habe seinen Namen nicht aus Eitelkeit vorgesetzt, behaupten würde, es sei dies geschehen, damit dem Traktat bei der bekannten Unwissenheit des Jordauus mehr Glauben beigemessen werde. Er nennt übrigeus im zweiten Teil der

Zu Jordanus von Osnabrück.

361

Vorrede deu Jordanus ,vir doctissimus' und wendet bezüglich des Traktats auf den Kardinal und auf sich das Wort des Psalmisten an: Jocundum sit ei eloquium meum. Auch bei der Annahme, Alexander von ßoes habe diese Stelle im Hinblick auf den zweiten Teil der Vorrede geschrieben, ergeben sich Schwierigkeiten. Die Angaben der hier genannten Schrift (scriptum) sollen wenigstens insoweit Glauben finden, als sie sich aus deu authentischen Schriften anderer bestätio-en Das kann sich nicht beziehen auf Zitate aus den hl. Schriften; es Aväre sonst anstatt ,ex scriptis auctenticis aliorum' ein Ausdruck wie ex sanctis scripturis oder ähnlich verwendet worden. Die Wendung kann sich nur beziehen auf Auszüge oder Zitate aus Profan o-eschichts- Schreibern. Solche finden wir aber im zweiten Teil der Vorrede nicht ein eiüzigesmal verwendet.

Alle diese Schwierigkeiten fallen von selbst weg. wenn Jordanus den ersten Teil der Vorrede geschrieben hat. Spricht er hier selbst zu Kardinal Colonna, auf den der Traktat berechnet ist, dann musste er scheiden zwischen .scriptum', dem Traktat, für welchen er auf schöne Worte verzichtend die einfache Erzählung wählte und zwischen ,pvohemium', der Vorrede, in welcher er es unterlässt Stellung und Verdienste desjenigen, au den sie sich richtet, zu rühmen, um dem Vorwurf der Schmeichelei zu entgehen. Schrieb Jordanus die Stelle von der Vorsetzung des Namens in der Überschrift des Traktats, so konnte er sich sehr wohl für die Glaubhaftigkeit seiner Schrift auf die Schriften anderer berufen, da solche darin ausgiebig Verwendung finden i).

Kein Zweifel also, der erste Teil der Vorrede stammt aus der Feder des Jordanus. Mit dieser versehen übermittelte er sein Buch über das römische ßeich dem Alexander von Roes, der eine kurze Einleitung hinzufügte, in der er ein persönliches Erlebnis zu Viterbo erzählt, daran einige allgemeine Bemerkungen über Kaisertum und Papsttum knüpfte und das Ganze dem Kardinal als ,Merkbuch' über- reichte.

Danu ist Jordanus aber sicher auch der Verfasser der Noticia seculi und des Pavo. Grauert selbst gesteht zu. dass bei der Ahulich- keit des Stiles in der Vorrede des Traktats und in der Noticia kein Zweifel bestehen kann, dass beide einem Verfasser angehören^). Ich brauche blos darauf hinzuweisen, dass die Vorrede der Noticia sich im Gedankensran^ fast vollständio- deckt mit dem ersten Teil der Vorrede

i| Der Nachweis bei Waitz a. a. 0. ^^. 12 ff. und Mitteil, des Instituts IM, b'28 Anm. 10.

-I A. a. 0. S. 350.

ilittheilunaeii XXIV

24

362

F ra n z Wi 1 h e 1 ra.

zum Traktat; hier wie dort sucht der Verfasser vor allem den Vor- wurf der Aumassung von sich abzuwenden. Im Traktat betont der Vorredner, dass ihn die ,amoris impacientia, id est zelus domus dei' nicht schweigen lasse, und der Verfasser der Noticia sagt mit Bezug auf sich, es sei derjenige von Aumassung freizusprechen, der ,inductus zelo domus dei' Notwendiges in einfacher Form vor- bringe. Dass der Vergleich mit dem „stummen Hund" in der Vor- rede zum Traktat und in der Einleitung zum Pavo wiederkehrt, hob ich bereits seinerzeit hervor i).

Dies wollte ich gegenüber den Ausführungen Grauerts feststellen'^). Seine anderen wertvollen Darlegungen werden dadurch nicht l)erührt. Ich stimme ihm vollständig darin bei, dass die Noticia an einen Herrn . des römischen Adels 3) gerichtet ist und dass sie ohne Zweifel das Konklave, aus welchem Nikolaus IV. hervorging, beeinflussen sollte*). Eine Kouklaveschrift im ähnlichen Sinne ist auch der Traktat. Damit wird die von mir vermutete Abfassungszeit dieser Schrift beiläufig um ein Jahr heraufgerückt. Der Traktat ist nach dem Tode Nikolaus III. und vor der Wahl :Martins IV., also August 1280 bis Februar 1281, geschrieben.

Auch die von mir versuchte Bestimmung der Entstehungszeit des Pavo ist in Zweifel gezogen worden. Mit dieser Frage beschäftigte sich Emil Michael in der Zeitschrift für katholische Theologie (1900) 24, 751 ff- und gelangte abweichend von dem von mir versuchten Nachweis, dieses Gedicht sei in den Jahren 1282 bis 1288 geschrieben^'-) zu dem Ergebnis, dasselbe müsse bald nach dem 22. Mai 124G (Wahl des Heinrich Raspe) verfasst worden sein. Da Michael mit mir darin einer Meinung ist, 'dass die Parabel für die Erkenntnis der Vorgänge auf dem ersten Lyoner Konzil fast wertlos ist, handelt es sich mehr

1) A. a. 0. S. 659.

^) Zu ganz gleichen Ergebnissen bezüglicli der Zweiteilung der Vorrede und der Zuweisung dieser Teile sowie bezüglich der Identität des Verfassers des Traktats und der Noticia gelangte gleichzeitig und unabhängig von mir Oswald Redlich in seinem soeben erschienenen Buche Rudolf von Habsburg S. 42^ Anm. 1 und 424 Anm. 1. Für mich liegt darin nicht blos eine erfreuliche Bestätigung, sondern auch eine gewichtige Verstärkung meiner Annahme.

3) Grauert stellt fest, dass die ursprüngliche Lesart spectabilis Romani no- minis nobilitas lautet, während ich früher der Darmstädter Handschrift, die imperii anstatt nominis liest, den Vorzug gab und demgemäss au die Reichs- fürsten dachte,

••) Vgl. dazu meine Bemerkung a. a. 0. S. 644.

6) A. a. 0. S. 651.

Zu Jordanus von Osnabrück.

363

um eine methodische Frage, wenngleich es für die Beurteilung des Verfassers und der publizistischen Literatur überhaupt gewiss nicht gleichgiltig ist, ob dasselbe mit dem Traktat und der Noticia seculi in eine Reihe gehört, oder ob es ungefähr 40 Jahre früher entstand.

Die von meiner Auffassung abweichende Ansicht Michaels gründet sich darauf, dass , derartige Schriften in der Kegel nicht lange nach den Ereignissen verfasst werden, welche die Veranlassung ihrer Ent- stehung sind". Jordanus habe denn auch dieses Gedicht blos der im Jahre 12(S8 entstandenen Noticia seculi eingefügt i). Dasselbe finde mit Vers 262 seinen „passenden Abschluss", die Schlussverse (263 272) „tragen ein von dem ganzen übrigen Gedicht völlig verschiedenes Gepräge, der Verfasser lüfte den Schleier, falle gänzlich aus der Rolle der figürlichen Darstellung" und habe diese letzten 10 Verse, die einen Gedanken der Noticia wiederholen und auf denen meine Zeitbestim- mung basirt (Anspielung auf die sizilianische Vesper) erst gelegentlich der Redaktion dieses Gedichtes mit der Noticia hinzugefügt, als er sah, dass seine Prophezeiung sich erfüllt habe.

Soweit Michael zur Begründung seiner Annahme.

Diesen Argumenten habe ich folgendes entgegenzusetzen. Die Annahme, Jordanus habe den Pavo der Noticia eingefügt, lässt sich nicht halten. In keiner der uns bekannten Handschriften folgt auf den Pavo noch ein Teil der in Prosa geschriebenen Noticia seculi, sondern alle Handschriften schliessen nach Vers 272 mit den Worten: Explicit pavo. Dass die letzten 10 Verse einen Gedanken der Noticia seculi wiedergeben, darf nicht als Gegenbeweis angeführt werden; solche Wiederholungeu finden sich in allen drei Schriften des Jorda- nus so zahlreich-), dass man zu den wunderlichsten Resultaten käme, wollte man daraus derartige Schlüsse ziehen. Es handelt sich hier also um eine Anfügung und nicht um eine Einfügung. Dem wider- spricht nicht der Ausdruck .iuterserere', welchen Jordanus für die gleichzeitige Redaktion des Gedichtes mit der Noticia gebraucht. Nach <lem lateinischen Spracbgebrauche heisst iuterserere, - serui, - sertum eben so gut anfügen wie einfügen.

Es ist cranz richtig-, wenn Michael betont, dass die Schlussverse blos eine weitere Ausführung des .maluni manifestum' sind, weiches nach der Ansicht des Jordanus aus dem Vorgehen der Kirche und Frankreichs gegen Kaiser und Reich entspringen wird. .In diesem unglückseligen Kampf wird zuerst die kaiserliche Gewalt unterliegen ;

') S. 751. 755. 756.

■^) Eine Anzahl derselben sind von mir a. n. 0. S. 656 tf. zusammengestellt

■worden.

2 4*

364

Franz Wilb el in.

an Stelle derselben wird eine Reihe von Gewaltherrschaften entstehen, welche den Urhebern des Streites [der Kirche und den Franzosen] die gebührende Strafe erteilen und dieselben in die ihnen von der Natur o-ezoo-enen Schranken zurückweisen werden". Mit anderen Worten, aus diesem Kampfe wird schliesslich die Kirche und Frankreich ge- demütigt hervorgehen.

Diesen Gedankengang des Dichters hatte ich im Sinne, weun ich schrieb, diese Verse besagten nichts weiteres, als dass nach seiner Überzeugung das Kaisertum wieder zu jener Macht gelangen wird, die ihm gebührt. Die Ausdrucksweise mag vielleicht nicht ganz adäquat sein, es lässt sich aber dieser Gedanke den Worten des Jordanus sehr wohl unterlegen. Die Demütigung der beiden Gewalten, welche den Sturz des Kaisertums veranlassten, musste naturgemäss ein Steigen des Ansehens und des Einflusses des erstereu zur Folge habend).

Ebenso bin ich mit der Auffassung Michaels, dass derartige sati- rische Gedichte in der Regel nicht lange nach den darin behandelten Ereignissen verfasst werden, dass daher nur sehr triftige Gründe die Behauptung rechtfertigen können, der Pavo sei erst 40 Jahre nach dem ersten Lyoner Konzil entstanden, im Grunde ganz einverstanden. Ich glaube aber auch mindestens einen sehr triftigen Grund dafür ano-eführt zu haben ^). Im Pavo wird neben dem Papst in erster Linie auch der König von Frankreich als Feind des Kaisers und des Kaiser- reichs hingestellt. Jordanus lässt ihn sogar auf den Konzil erscheinen und au der Absetzung Friedrichs II. hervorragenden Anteil nehmen. Wie lässt sich diese Animosität des Verfassers gegen Frankreich er- klären, wenn das Gedicht ziemlich gleichzeitig mit den darin behan- delten Ereignissen entstand? Friedrich II. und Ludwig d. H. standen ja auch nach dem Konzil von Lyon noch im besten Einvernehmen^); der Kaiser erhoffte soger eine Intervention Frankreichs beim Papste zu seinen Gunsten. Eine Erklärung aus den historischen Tatsachen ist also unmöglich. Man könnte diese Abneigung daher lediglich auf eine persönliche Voreingenommenheit des Verfassers gegen die Fran- zosen zurückführen. Doch auch das geht nicht- an, denn in dem zu Becrinn der Achtziger Jahre verfassten Traktat, in welchem Jorda-

') In der Noticia seculi sagt Jordanus selbst : Et re vera. si advertimus, quautum a prefati conciUi (des zweiten Lyoner Konzils) tempore usque modo spiritualis et temporalis potestas ecclesie decreverit et quantum imperii crevit subliraitas, ex utriusque progressu perpenditur, quod unnm minui et a'.terum crescere oportebit.

2) A. a. 0. S. 653.

3) Yergl. namentlich Böhmer-Ficker, Heg. imp. V Xr. 3617. 3633. 3766.

Zu Jordamis von Osnabrück. oß;^

nus sich ausführlich auch mit den Franzosen beschäftigt, tritt dieselbe noch nicht hervor i). Erst in der 1288 geschriebenen Noticia sehen wir dieses Moment mit aller Deutlichkeit zu Tage treten und hier lässt sich unschwer auch der Grund erkennen, welcher den Verfasser dazu veranlasste. Es ist der deutschfeindliche und franzoseufreund- liche Pontifikat Martins IV. (1281—1285)-). Nur während oder nach dieser Zeit kann auch der Pavo verfasst sein.

Es wurde ferner von mir die Klage des Königs von Frankreich gegen die Sizilier (Vers 71 72) entgegen Karajan als wahrschein- licher ebenfalls mit der sizilianischen Vesper in Zusammenhang ge- bracht-^). Würde es sich dabei um die Gefangennahme der im J. 1241 zum Konzil reisenden französischen Bischöfe und Prälaten handelu, dann hätte der Verfasser wohl einen der französischen Bischöfe, welche in seiner Parabel als Kapaune auftreten, diese Klage vorbringen lassen. Michael hat diese beiden Gründe, welche ganz klar für die Abfassung des Gedichtes in den Achtziger Jahren sprechen, nicht beachtet oder wenigstens nicht widerlegt.

Bei dieser Gelegenheit soll nun noch auf eine Stelle aufmerksam gemacht werden, welche auch für die Entstehung des Gedichtes in jener Zeit spricht, in welche ich dieselbe setzte. Es sind die Verse 251—258:

Nee reticere volo, quod irundo sueta volando Ore cibos capere terraque sedere recusans Sacra nichil metuens ferventer et anxia querit Nidum subripere pullosque fovere columbe Invida desidie lascivantis genitricis. Sed quia raro cubat et non discurrere cessat, Putreseunt ova, pereunt quoque frigore pulli Cura neglecte matris dubieque noverce.

In diesen Versen spiegelt sich deutlich die Abneigung des Welt- geistlichen gegen die Bettelorden wegen der denselben von den Päpsten erteilten Privilegien betreffs des ßeichthörens, der Predigt und des Begräbnisses^). Der Weltklerus wird vom Verfasser zwar keineswegs in Schutz genommen, aber er billigt doch nicht das Eindringen der Bettelmönche in die Auitsobliegenheiten desselben. .Sie drängen sich

M Vergl. meine Ausführungen a.- a. 0. S. 632.

2) Ebenda S. 670.

») Ebenda S. 654- Anm. 2.

") In der Handschr. 595 der Wiener Hofbibl. bemerkt zu dieser Stelle am Rande eine Hand saec. XIY. : Propter des[idiam] clericorum [et] luxuriam [ne] •cesse est, quod alii supp[leant] defectus e[oruro].

366

Franz Wilhelm.

iu das Nest der Taube (das heisst der Bisehöfe) eiu, um deren Junge zu pflegen, die Untätigkeit der fahrlässigen Mutter verabscheuend. Aber weil sie selten lange verweilen und nicht aufhören von Ort zu Ort zu wandern, gehen die Eier in Fäulnis über und die Jungen kommen durch die Sorglosigkeit der nachlässigen Mutter und der zweifelhaften Stiefmutter um".

Zeio-te sich vorher schon deutlich, dass die im Pavo vorgetragenen Anschauungen den Pontifikat Martins IV. zur Voraussetzung haben, so lässt sich dies mit Grund auch bei dieser Stelle vermuten. Die Streitigkeiten zwischen Säkular- und Kegalarklerus sind allerdings älteren Datums. Sie wurden aber mehr und mehr gefördert durch die steigende Begünstigung, deren die Mendikanten sich bei der Kurie zu erfreuen hatten. Auch in dieser Hinsicht ist die Regierung Mar- tins IV. charakteristisch ; er war ein besonderer Gönner der neuen Orden, besonders der Minoriteni). Schon in den Siebziger Jahren des 13. Jahrb. mehren sich die Klagen des Weltklerus gegen die Bettel- orden, in den Achtziger Jahren treten sie allenthalben hervor. 1277 bis 1282 herrschte ein grosser Streit in Lübeck^), 1280 und 1284 in Oflfenburgä), i282 wandte sich das Domkapitel in Regensburg gegen die dortigen Dominikaner*), 1283 entstanden Feindseligkeiten ebenfalls gegen die Dominikaner im Curischen^), 1287 und 1288 vernehmen wir von Unruhen wegen der Mendikanten im Halberstädtischen <^). Gerade aus dieser Zeit wissen wir nun auch von solchen Feindselig- keiten aus der Heimat des Jordanus von Osnabrück. Besonders gegen den Dominikanerorden kehrte sich der Hass unter dessen kraftvollen Provinzial Hermann von Minden (1286—1290). In Warburg waren schon bei der Niederlassung des Ordens (1282) Anfeindungen vor- gekommen, 1286 entbrannte der Streit neu und heftiger 7) und um dieselbe Zeit entstanden auch iu Soest Unruhen gegen die dortigen Dominikaner»). Um diese Zeit ist meines Erachtens auch jene Stelle des Pavo sreschrieben.

1) Vergl. Eubel, Geschichte der oberdeutschen (Strassburger) Minoriten- provinz S. 24.

2) Urkundenbuch d. Bisth. Lübeck 1, 250 fit". 320; Urkundenbuch d. Stadt Lübeck I, 4. 6.

s) Zeitschr. f. Gesch. d. Oberrhein 5, 243.

*) Ried, Cod. dipl. Ratisbon. 1, 580.

5) Mohr, Cod. dipl. Rhaetiae 2, 23.

^) Urkundenbuch der Stadt Halberstadt 1, 16 L

') Finke, Ungedruckte Dominikanerbriefe des 13. Jahrh. S. 29.

9) Ebenda S. 30 Anm. 1.

Zu Jordanus von Osnabrück. 3ß7

Wir haben es also beim Pavo des Jordanus von Osnabrück zwei- fellos mit einem einbeitliehen Werke zu tuni). Nicht nur die letzten 10 Verse, sondern auch eine Reihe anderer Stellen, besonders die Animosität des Verfassers gegen den König von Frankreich, können nur in den Achtziger Jahren des 13. Jahrh. geschrieben sein. Und tragen denn die Schlussverse wirklich, wie Michael meint, ein von dem ganzen Übrigen so verschiedenes Gepräge? Ich vermag das nicht zu finden. Die Tierparabel endigt allerdings bereits mit Vers 252. Aber nicht nur in früherer Zeit, sondern bis tief ins 18. Jahrb. hinein war es allgemein üblich, bei Tierfabeln es nicht dem mehr oder minder auf- merksamen Leser zu überlassen, die gute Moral daraus zu zieheu, sondern der Dichter sagte am Schlüsse selbst, was er mit seiner Ge- schichte wollte. Bei Bühnenstücken trat dann auch wohl der Autor oder der Hauptdarsteller vor das Publicum und verkündete die daraus zu ziehende Lehre. Ein Ahnliches sollen beim Pavo die letzten 10 Verse besorgen. Der Verfasser (verax auctor) ergreift nun selbst das Wort, um dem Leser zu sagen, was das von ihm prophezeite ,malum mani- festum' ist. Diese Verse gehören also organisch zum Ganzen und Jordanus fällt keineswegs aus der Rolle, wenn er am Schluss selbst zum Wortführer wird.

Damit löst sich auch eine andere Schwierigkeit. Es wäre doch eine sehr auffallende Erscheinung, dass Jordanus, der in den Vierziger Jahren den Pavo geschrieben haben soll, darauf durch mehr als 30 Jahre mit seinen literarischen Tätigkeit pausirt hätte, um dann ziemlich rasch nach einander wieder zwei grössere Werke zu voUendeu. Die Sache erklärt sich eben einfach so. dass erst die angeblichen oder wirk- lich vorhandenen Pläne Nikolaus 111. bezüglich einer Teilung des Kaiser- reichs dem Verfasser die Feder in die Hand drückten (Traktat von 1280

1281). Er wendet sich in dieser Schrift au den Kardinal Jakob von

Colonna, den wir uns wohl als den Vertreter der dem Imperium freundlichen Ideen im Kardinalkolleg zu denken haben 2). Mit dem geistigen Urheber des Vierstaatenprojektes wurde zwar vorläufig dieses Projekt selbst zu Grabe getragen, aber die päpstliche Politik wandte

') Das Gedicht zerfällt allerdings in zwei Teile. Der erste Teil endet mit Vers 228: Sic transit gloria mundi. Damit schliesst der Verfasser die Dar- stellung des Lyoner Konzils und wendet sich nun mit sechs Cbergangsversen (V. 229—235) der Schilderung der Ereignisse zu, welche nach seiner Meinung die Absetzung Friedrichs II. zur Folge hatten. Die schon erwähnte Hand des 14. Jahrh. fügte daher mit Recht in der Handschrift 595 zu Vers 236 die Be- merkung hinzu: Incipit secunda pavticula. Dass aber dieser zweite Teil zum Ganzen gehört, wird wohl niemand bezweifeln wollen.

2) Grauert a. a. 0. S. 350.

368 Fra nz Wilhelm.

sich nicht zum Bessern. Es kam zur Wahl eines Franzosen (Martin IV. im J. 1281), in dessen deutschfeindlicher Politik Jordanus nun den Grund alles Übels sieht. Durch den Verlust Siziliens (1282) wurde nach seiner Ansicht zwar dem Papst und dem König von Frankreich die gerechte Strafe zu Teil, aber ein freundschaftliches Zusammen- wirken von Staat und Kirche, von dem Jordanus allein eine dauernde Gesunduug der gegenwärtigen Zustände erhoflPt, war dadurch nicht er- reicht. Der Einfluss der Kirche ist im steten Abnehmen begriffen, die Griechen sind von der Union zurückgetreten und die alte Ordnung in der Kirche droht durch das auf päpstliche Privilegien fussende Ein- dringen der Bettelordeu in die dem Weltklerus zustehende Seelsorge in Verwirrung zu geraten. Da fasste Jordanus den Plan, die Ursachen der Verwirrungen in der allgemeinen Kirche (causas perturbacionum universalis ecclesie) in einem satirischen Gedicht darzulegen (Pavo). Er fand den Grund in der Erniedrigung des Kaisertums auf dem ersten Lyoner Konzil. Entsprechend den zur Zeit der Abfassung gegebenen politischen Verhältnissen erscheint bei dieser Aktion der König von Frankreich in engem Bunde mit dem Papsttum uud auch die in den Achtziger Jahren immer häufiger hervortretenden Feindseligkeiten des Weltklerus gegen die Bettelorden werden zum Beweis des Verfalles der inneren Ordnung der Kirche herangezogen. In seiner letzten Schrift, in der nach dem Tode Honorius IV. und vor der Wahl Niko- laus IV. (1287 1288) verfassten Noticia seculi^ wendet sich Jordanus an einen Römer von hoher Geburt, hält diesem die letzten Zeitereig- nisse mit einem Kommentar vor Auo-en und sucht den Nachweis zu führen, dass auf den päpstlichen Stuhl ein Römer oder wenigstens ein Italiener gehört. Er will mit seinen Ausführungen einen Einfluss auf die Entscheidung des Konklaves nehmen und vor allem vielleicht war dies zu befürchten die Wahl eines Franzosen hintanhalten.

Auch diese allgemeine Überlegung lässt den Pavo nur in den Jahren i282 bis 1288 Raum finden.

Nachtrag-. Vorstehende Zeilen waren bereits gesetzt, als mir die Festgabe K. Th. von Heigel gewidmet (München 1903) in die Harid kam, in der F. Kam- pers S. 105 ff', einen wertvollen Beitrag zur Noticia seculi liefert. Kampers, der durch Grauerts Ausführungen die Autorschaft Alexanders de Roes für erwiesen hält, beschäftigt sich mit der in der Noticia zitirten Schrift : De semine scriptu- rarum, die wahrscheinlich von einem in Italien lebenden Deutschen verfasst wurde und später unter dem Namen Joachims von Fiore gieng. Da Jakob Colonna selbst eifriger Anhänger der Joachimiten war, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Noticia ebenso wie der Traktat des Jordanus an ihn oder ihm nahe- stehende joachimitische Kreise gerichtet ist. Der Verfasser durfte hoffen, im Gewände der hier geläufigen Anschauungen den in diesen Kreisen gepflegten »joachimitischen und häufig antideutschen Zukunftserwartungen* desto erfolg- reicher entgegentreten zu können.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia vor Papst Urban VI. im Jahre 1385.

Von

Gustav Sommerfeldt,

InPertz's „Archiv'' 10, S.681 hat W. Wattenbach bei Beschreibung verschiedener Olmützer Handschriften auch auf 2, VIII, 11 (membr. 4°) der Ohnützer k. k. Studienbibliothek hingewiesen, die u. a. eine un- datirte Rede des Prager Theologen, späteren Wormser Bischofs, Mat- thäus de Cracovia mit dem Incipit „Quomodo facta est meretrix" ent- hält. Diese Handschrift, die ich einsehen durfte, stammt aus der bei Olmütz befindlichen ehemaligen Doleiner Karthäuserklause und gehört noch dem 14. Jahrhundert an; die Rede ist fol. 84—93 des Codex •enthalten, und es folgt fol. 94—104 mit der Überschrift „Sermo eius- dem magistri Mathei de novo sacerdote, prelatis nota" eine Synodal- rede, die Matthäus zu Prag am 18. Oktober 1384 hielt, und die das Incipit hat „Quid est, quod dilectus mens in domo mea facit scelera multa''.

Es gelang mir nun, die erstgenannte Rede noch in drei anderen Handschriften nachzuweisen, zunächst Jagelionische Bibliothek zu Krakau Codex 2244 (4^ chart. saec. 14) fol. 149—156. Dieser Codex ist in Prag entstanden und wurde 1387 niedergeschrieben, wie eine Eintragung fol. 68 desselben beweist, wo der Schreiber als Datum ■den 5. Januar 1387 angibt i). Von derselben Hand, der die Advents- rede in dem Codex verdankt wird, finden sich daselbst noch mehrere Abhandlungen des Matthäus von Krakau, darunter ausser der Synodal- rede von 1384 auch zwei andere die Kirchenzucht betreffende Reden, durch die Matthäus auf Geheiss des Erzbischofs Johann von

') Näheies hierüber: Zeitschrift für Kirchengeschichte 23,

S. 59c

370 G u s t a V S 0 m m e r f e 1 d t.

Jenstein den in Prag versammelten Diözesanklerus zu verschiedenen Zeiten in ernstlicher Weise vermahnte (Zeitschrift für Kirchengeschichte 22, S. 465—484 und 23, S. 593—615). Eine Hand des 15. Jahr- hunderts und eine spätere des 16. Jahrhunderts haben in der Advents- rede sowohl, als auch in den drei Synodalreden des Codex zahlreiche Kand- und Zwischenbemerkungen angebracht.

Ebenfalls aus dem 14. Jahrhundert stammt die Niederschrift in Bibliothek der St. Marienkirche zu Danzig Codex 268 (Polio, membr. et chart., ohne Seitenzählung) an der Spitze der zweiten Hälfte dieser Handschrift. Pelplin, Klerikalseminarbibliothek Codex 40 (Folio, Chart.), dessen Text fol. 101 105 meist mit demjenigen des Danziger Codex übereinstimmt, gehört dagegen dem 15. Jahrhundert an.

Bei der Herstellung des im Nachstehenden zum Abdruck gelan- genden Textes habe ich mich meist des Olmützer und des Danziger Codex bedient 1), um beiden Handschriftengruppeu so gerecht zu werden. Die abweichenden Lesarten habe ich selten angemerkt, nur am Anfang der Rede in einiger Vollständigkeit wiedergegeben.

Zur Beschreibung des Danziger Codex sei im einzelnen Folgendes bemerkt. Die Niederschrift der zweiten Hälfte des Codex stammt von einem Geistlichen Namens Thomas Glogau her, der den Codex mit den Worten endigt „0 regina poli, scriptorem linquere noli. Finitus est Über iste per mauus Thome Glogaw in vigilia purificacionis sancte Marie". Die erste Hälfte des Codex enthält von anderer Hand des 14. Jahrhunderts den sehr ausführlichen Kommentar eines Ungenannten „super psalmo beati inmaculati in via" mit dem Incipit ,Tria sunt, que hominis mentem reddere possunt affectam ad desiderandam noti- ciam huius psalmi", der Schluss lautet ,ad gaudium de nobis, cum. quibus et nos gaudeamus leticia sempiterna, que erit in Christo Jhesu,. domino nostro vivente et regnante per eterna secula seculorum, amen". Hinter dem Kommentar sind einige Blätter offen gelassen. Der Schreiber hat hier ein Inhaltsverzeichnis des Codex geben wollen. Es folgen aber nur die am Schluss des Kommentars mit roter Tinte ge- schriebenen Worte „Registrum super [psalmo] 2) beati inmaculati in via, magistri Mathei etc." Es darf daraus kaum geschlossen werden, dass dieser Kommentar zu Psalm 118 ein Werk des Matthäus von Krakau sei. Denn in Codex Krakau 1312 (Folio, chart. saec. 14) findet sich dieselbe Auslegung dieses Psalms vorerst anonym 3). Ferner

') Die Lesarten der Rede in dem Olmützer und dem Krakauer Codex, stimmen bis auf Flüchtigkeitsversehen übrigens fast durchgehende überein. -) psalmo ist von Thomas Glogau vi^ieder ausradirt. ■^) ^S^- Wislocki, Catalogus codicum manuscriptorum S. 331.

Die Adventsrede des Matthäus de Cvacovia etc. 371

enthält Codex C. 178 der Universitätsbibliothek zu üpsalai) (Folio, chart. saec. 15) fol. 2 88 den gleichen Kommentar mit der Über- schrift „Incipit lectura magistri Mathei de Caracovia super beati inma- culati", indessen scheint diese Handschrift aus dem üanziger Codex 268 abo-eleitet zu sein, und die Überschrift wohl auf einem Missverständnis jener in dem Danziger Codex enthaltenen Registernotiz zu. beruhen. In der Notiz beziehen sich die Worte „magistri Mathei" nämlich auf die nach den freigelassenen Blättern in dem Codex unmittelbar sich anschUessende Rede „Quoraodo facta est meretrix".

Dieser Rede wiederum sind später von der Hand des Thomas Glogau ohne Autornennung zwei Sermone ,de nativitate do- mini" nebst ergäozenden Notabiiien noch beigegeben, und darauf drei Sermone „de assumptione beate Marie virginis gloriose", ebenfalls mit Notabiiien-), Dass dem Matthäus etwas von diesen Stücken zu- komme, ist wegen des sich darin kundgebenden schwerfälligen Stiles und der ungeschickten Argumentation, die sich in den Pfaden der landläuBgsten Scholastik bewegt, wenig wahrscheinlich. Zum Teil dürften es Auszüge aus den Schriften des Bernhard von Clairvaux sein, denn am Beginn des dritten der .Sermones de assumptione Marie" heisst es von der Hand des Thomas Ologau : „Materiam istam scribit beatus Bernhardus in sermone de assumpcione, qui incipit : filie Jherusälem, nuncciate etc." Der erste Sermon ,de nativitate domini" beginnt mit den Worten ,Quis te huc adduxit, quid hie agis, quam- obrem venire voluisti? Judicura 23. Naturale est, quod novitas ef- fectus", der zweite Sermon beginnt .Queramus domino nostro regi ado- lescentulam virginem, ut stet coram eo et foveat eiim, ?>. Regum, 1; duo sunt genera horainum". Der erste Sermon de assump- tione Marie3): ,Ascendisti in altum. Psal. Quandoque ahquis vult

1) Bei K. Burdach, Vom Mittelalter zur Reformation; Forschungen zur Geschichte der deutschen Bildung. Heft 1. Halle 1893. S. 134 wird die Hand- schrift nach B. Dudik, Forschungen in Schweden für Mährens Geschichte. Brunn 1852. S. 319 noch mit der alten Signatur als Codex theol. 23 zitirt. Eine abweichende, jedoch gleichfalls recht ausführliche »Lectura super Psalmum 118* bietet der Krakauer Codex 1428 (Folio, saec. 15, 652 Blatt). Als Schreiber oder Überarbeiter nennt sich darin der Krakauer Theologieprofessor Paul von Pisz-

kowitz.

2) Den Rest des Codex nehmen verschiedene Schriften des bekannten hi-

chard von St. Viktor ein.

3) In einer Predigtsammlung, die in Codex Pelplin 142, ^ol. 161-245 mit der Überschrift , Postille magistri Mathie de Cracovia de sauctis* vorliegt, ist fol. 199b-202b eine Predigt ,De assumpcione Marie^ mit dem Incipit .Um- nibus requiem quesivi, Ecclesiastici 24^ enthalten. Zwar ist es nicht sicher test- gestellt, ob diese Sammlung von Matthäus von Krakau herstammt, und nicht

^72 Gustav Sommerfeld t.

honorare, pouit ipsum in alciorem locum iuxta parabolam ewangelii", iler zweite: „Te assumam et regnabis super omnia, que desiderat anima tua, 4. ßegum capitulo 11; revolvendo saere scripture histo- rias**, der dritte Sermou: , Maria migratura a corpore decumbebat, ut €st infirmitatis humane".

Th. Sommer lad, Matthäus von Krakau, Inauguraldissertation Halle 1891. S. 72 indentifizirt die Kede „Quomodo facta est meretrix" mit einer anderen Kede des Matthäus, die im Krakauer Codex 2244, fol. 74 79 enthalten ist und die Überschrift hat „Sermo magistri Mathei de Cracovia de sanctis apostolis Petro et Paulo, quem fecit in presencia domini ürbani sexti". Es ist das unzulässig, da der Wort- laut schon äusserlich ein ganz abweichender ist^). Aus dem Inhalt- der letzteren Rede ergibt sich zudem, dass Matthäus sie an einem Peter-Pauls-Tage (29. Juni) in Rom selbst vor dem Papste gehalten hat, während für die Rede „Quomodo facta est meretrix" ein ent- sprechender Anhaltspunkt nicht vorliegt, die folgende Erwägung uns vielmehr auf Genua statt auf Rom verweisen wird. In dem Pelpliner Codex 273 (4°. chart., saec. 15) finden sich fol. 205a— 210 a „Revela- ciones beate Brigitte de Swecia de passione Christi". Das Incipit lautet: ^Inminente tempore Jhesu Christi lacrirae erant in oculis eius et sudor in corpore per timorem passionis, bene autem sudor ille sa- guineus erat", und der Schluss „venit ille bonus Johannes et duxit eam in domum suam ; tu autem, domine, miserere nobis". Daran schliesst sich dann von der Hand des Schreibers dieses Stückes 2) der Zusatz „Passio Jhesu Christi collecta per magistrum Mathiam de Cra- covia, in Sacra theologia magistrum, in civitate Januensi tunc Romana curia ibidem versante, ex divinis^) revelacionibus factis beate Brigide

vielmehr von Matthias von Liegnitz (vgl. Zeitschrift für Kirchengeschichte 23, S. 601) : wäre aber Matthäus der Verfasser, so würde das nur einen Beweis mehr dafür abgeben, dass jene im Danziger Codex enthaltenen Sermone, deren Wort- Jaut ein abweichender eben ist, nicht von unserem Matthäus herstammen können. 1) Das Incipit lautet: ,Quia, sicud ayt Gregorius 6. moralium: qua talibus doctrina«, der Schluss , sanctis apostolis contulit et nobis conferre dignetur do- minus Jhesus Christus amen; explicit^ Inhaltlich bietet die Rede wenig von historischen Anspielungen. Sie ist aber konkreter gehalten als eine gleichfalls »de s. Petro et Paulo« betitelte Rede, die des Matthäus Zeitgenossen, den Pariser Kanzler Johannes Gerson zum Verfasser hat. Vgl. über diese J. B. Schwab, Johannes Gerson; eine Monographie. Würzburg 1858. S. 391.

-) Die Überschrift von anderer Hand und in etwas blasserer Tinte. Ein sich fol. 210 unmittelbar anschliessender Traktat ,de ieiunio'^ wird anonym gegeben.

3) Wislocki, Catalogus, in Beschreibung der Handschrift: »collecta ex diversis revelacionibus«, doch ist diversis zweifellos verlesen. Birgittas Visionen

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 373

per dominum Jhesum Christum et per Mariam virginem gloriosara et partim per augelum in sermone augelico etc.*

Handschriftlich ist dieselbe ^Passio" auch enthalten in Codex 171 des Krakauer Kapitelsarchivs i) und in Codex 1399, fol. 184 a 187 b der Jagellonischen Bibliothek zu Krakau. an letzterer Stelle mit der Über- schrift „Collectum de libris Brigitte, que habuit de passione domini per revelacionem etc." In diesem Codex kommt zwar der Name des Matthäus von Krakau bei der Passio nicht unmittelbar vor, es schliesst sich aber die Passio an des Matthäus ebenda fol. 145a 184a vor- ausgehenden Traktat „de passione domini* an, der das Incipit hat ,Feria quarta post festum palmarum", und endigt ,singulariter diligit^ Johannis 15, qui diligit etc.* Dieselbe Passio nun liegt ferner in einem Antwerpeuer Druck vom Jahre 1489 vor, wie G. E. Klem- ming, Heliga Birgittas uppenbarelser (in: Samlingar utg. af Svenska fornskrift-sällskapet). Bd. V. Stockholm 1883. S. 2<»3 näher dar- getan hat-).

Es hat im Pelpliner Codex nicht etwa Verwechselung mit Mat- thias, Domherrn von Liuköpiug, dem Beichtvater Birgittas, statt- gefunden, sondern es handelt sich um den Prager Professor Mat- thäus von Krakau, dessen Beziehungen zum Birgittenkult auch sonst genügend bekannt sind (So mm er lad S. 16). Und ferner wird bei Kleramiug V, S. 202, was erst recht entscheidend ins Gewicht fällt, Matthäus von Krakau als Verfasser eines auf Birgitta bezüglichen Sermons genannt, der mit anderen verwandten Stücken zu Rom im Jahre 1485 durch Magister Eucharius Franck im Druck herausgegeben wurde^).

Da Papst ürban VI. nur in der Zeit vom 23. September 1385 bis 16. Dezember 1386 seine Hofhaltung in Genua hatte, ergibt sich genannter Stelle des Pelpliner Codex zufolge, dass ein Aufenthalt des. Matthäus von Krakau bei der päpstlichen Kurie in eben jene Jahre

schieden sich in solche, die ihre .\nhänger als divinae oder divinitiis factae be- zeichneten und zweitens in visiones diabolicae. Vgl. H. Lundstrüm in Real- encyklopädie für protestantische Kirche und Theologie III (Leipzig 1897), S. 239 •244 und J. Fijalek, Mistrz Jakob z Paradyza Bd. 11. Krakau 1900. S. 1Ü--

') Ign. Polkowski, Katalog rfkopisdw kapitulnych katedry krakowskiej. Teil I. Krakau 1884. S. 114.

-') Der Drucker ist Gerhard Leeu. Eine Neuauflage ohne Angabe des Druckorts erschien 1491, und eine Neubearbeitung: Köln 1517 (Klemm mg \, S. 205); ferner Holländische Übersetzungen der Passio gedruckt zu Antwerpen 1491 und Amsterdam 1506 (Klemming Y, S. 227-229).

3) Francks bezügliche Publikation führte den Titel .Onus mundi, alique revelationes quarte libri celestium revelationum sancte Birgitte iKlemming a. a. 0. V, S. 200—202).

2Y4 Gustav So m m er t el d t.

zu setzen ist. Und da Matthäus die Rede „Quomodo facta est mere- trix" nach Ausweis des Wortlautes derselben als Adventsrede gehalten hat, so folgt weiter, dass dieselbe in den Dezember 1385 zu setzen ist. Denn 1386 kann nicht in Frage kommen, da Matthäus nachweis- lich am 18. Oktober 1386 aus Anlass der Prager Proviuzialsynode sich noch in Böhmen befand, und ferner eine im Dezember 1386 gehaltene Rede nicht mehr in dem Krakauer Codex 2244 hätte Aufnahme finden können, von dem oben nachgewiesen ist, dass er Anfang Januar 1387 niederffeschrieben wurde.

Nicht der geringste Grund aber liegt vor, sie mit Sommerlad S. 22 23 in die Zeit „zwischen 1382 und 1384" zu verlegen i), oder mit Finke-') in die Zeit ,um 1382".

Dagegen kann die oben erwähnte Rede de Petro et Paulo, die Mat- thäus vor dem Papste in Rom au einem Peter-Paulstage hielt, zu zirka 1382 angesetzt werden. Der Zweck der Entsendung des Matthäus im Jahre 1385 wird nicht derjenige gewesen sein, den Papst der Er- gebenheit der Prager Universität zu versichern solches hatte Mat- thäus schon früher getan, als er vor demselben Papst die Rede „de sanctis Petro et Paulo" hielt , sondern er wird einen „Rotulus" der Universität Prag überbrachte^) und zugleich dem Papste über die im Jahre 1384 an der Prager Universität unter dem. Rektorat des Konrad von Soltau vorgefallenen antideutschen Unruhen berichtet haben^).

Einen Mito-esandteu des Matthäus bei seiner Mission vom Jahre 1385 haben wir wahrscheinlich in dem Heinrich von Hannover zu sehen, der als .magister in artibus studii prefamosi Pragensis" zu Oenua im Jahre 1386 auftritt in Handschrift 5 der Bibliothek des Marienstiftsgymnasiums zu Stettin (fol. 369 a— 394 a) &). Leider ist die

') Vgl. J. Loserth, Hus und Wiclif; zur Genesis der Husitischen Lehre. Prag 1884 S. 68, Anm. 5, wo einige Auszüge aus unserer Rede gegeben werden.

•■') H. Finke in Wetzer und Weite's Kirchenlexikon VIII, S. 1039 (Frei- barg 1893).

»t Über die Bedeutung dieses Gebrauchs siehe L. Schmitz, Kourad von Soltau. Jena. Dissertation. 1891. S. 18.

•») Schmitz a. a. 0. S. 11-13.

•') Tb, Lindner, Geschichte des deutschen Reiches vom Ende des 14. Jahr- hunderts bis zur Reformation. Bd. L Braunschweig 1875. S, 253, Anm. 1 sagt, dass König Wenzel [im Jahre 1386] mehrfach Gesandte nach Italien geschickt habe, nennt aber keine Quelle, aus der die Namen dieser Gesandten ersichtlich wären (vgl. auch G. Erler, Theodenci de Nyem de scismate libri 3. Lipsiae 1890. S. 128). Heinrich von Hannover beendigte zu Genua am 3. Dezember 1386 ein im Stettiner Codex 5 (siehe fol. 394a) enthaltenes grammatisches Werk ,Quae- stiones et sophismata circa Donatum* (H, Lemcke, Die Handschriften und alten Drucke der Bibliothek des Marienstiftsgymnasiums zu Stettin. Teil 1. Stettin,

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 3^5

Persönlichkeit dieses Heinrich von Hannover nicht sicher festzustellen. Denn wenn Lemcke^) ihn mit Heinrich von Einbeck (auch Embeck und von Nanexen genannt), Domherrn zu Mainz, identifiziren möchte, der als Professor der Prager Universität wiederholt genannt wird"^), so ist hiergegen einzuwenden, dass Einbeck im „Liber decanorum fa- cultatis philosophicae universitatis Pragensis" von Ende März 1372^) ab nicht mehr genannt wird. An Heinrich von Oyta, den berühmten Kechtsgelehrten, kann er.st recht nicht gedacht werden. Dieser siedelte, nachdem er 1378 Prag verlassen und seinen Aufenthalt in Paris ge- nommen hatte, 1383 nach Wien über^).

Nicht ganz unwahrscheinlich will es mir unter diesen Umständen vorkommen, dass mit Heinrich von Hannover etwa der Prager Ma- gister Heuricus de Bremis gemeint sein könnte, der in den 80er Jahren in Prag oft genannt wird, und 1392 zum Rektor der Prager Uni- versität gewählt wurde ^).

Gymn.-Prograram. 1879. S. 7). Neues Material über die Beziehungen der Kurie zu Deutschland in diesen Jahren brachten bei H. V. Sauerland im »Histori- schen Jahrbuch* 14, S. 820— 832 und J, Kaufmann in »Quellen und Forschun- gen aus Italienischen Archiven und Bibliotheken« Bd. II, S. 285 306 und III, g. 69 81, indessen wird auch bei ihnen der Name des Heinrich von Hannover nicht genannt. Vgl. noch L. Zanutto, 11 cardinale Pileo di Prata e la sua prima legazione in Germania, 1378 1382. Idine 1901. ') Lem ke a. a. 0. S. 7, Anm. 21.

2) W. Tomek, Geschichte der Proger Universität. Prag 1849. S. 14 und 354. In Codex Krakau 2214 ist fol. 98—104 unter Einbecks Namen eine unda- tirte »Collatio»^ (Gelegeuheitsrede bei Kirchein weihung) überliefert mit dem Incipit »Pax huic domui«. Die Meinung bei J. A. tabricius, Bibliotheca Latina mediae et infimae aetatis. Bd. III. Hamburg 1735. S. 638, dass Heinrich von Einbeck auch den Namen »Engelus' geführt und 1430 zu Herdegessen bei Güt- tingen gestorben sei, scheint willkürlich zu sein und allein auf unsichern Notizen Tritheims zu beruhen

3) Monumenta historica universitatis Oarolo-Ferdinandeae Pragensis. Bd. 1. Prag 1830. S. 151.

") J. Aschbach, Geschichte der Prager Universität. Bd. 1. Wien 18(J5. S. 403, Fijalek a. a. 0. I, 8.38' u. II, S. 65, H. Deniflc, Die Universitäten des Mittelalters. Bd. 1. Berlin 1885. S. 592, H. Y. Sa u er 1 and, Rede der Ge- sandtschaft des Herzogs Albrecht III. von Österreich an Papst Urban VI., circa 1387 (Mitteilungen des Instituts für österreichische Geschichtsforschung 9, S. 448|. Der Heimatsort ist Oyta in Ostfriesland.

^) Monumenta bist. univ. Prag. I, S. 104.

3Y6 Gustav Sommer fe 1 d t.

» S e r m 0 m a g i s t r i M a t h e i de C r a c o v i a c o r a ui p a p a et Cardin alibuö in curia predicatus« i).

»Quomodo facta est^j meretrix civitas fidelis? Ysaie 1. In venerabili ac^) venerabiliter forinidanda culminis apostolici et sancte Romane curie pre- dicare presencia*) res est difficilis et pregrandis^). Nam cum omnis Sacra scriptura divinitus inspirata utilis sit ad doceudum, arguendum, erudien- dum et increpandum*^), Thimot. 2, quis est, qui vel cogitare audeat se velle docere tocius mundi magistrum, arguere vel docere') universorum*^) correctores simul et iudices, vel presumere, quod sint'-') in aliquo cor- rigendi. Eursum si^**) in ecclesia dei aliquid mali esse vel periculi in- minere perpenditur, ubi, queso, periculosius ^ ^) dici poterit, quam coram eis, quorum interest^^) fidelium obviare periculis et providere saluti^^). Aut quis iustius annuneciabit ^^) quam is, qui summa et apostolica aucto- ritate datus esse videtur in speculatorera domui Israhel. Unde et timere habet, qui in hoc loco pretlicat, ut^'') vel se ostentare vel placere cupiens, mala ecclesie et pericula fidelium non annuncciat^''), et mix'um est, si non timet, ne de manibus suis requiratur sagwis non solum audiencium, qui de tauto exeusari videntur^'j, quanto arduis occupatio •'^), nee singulis"^) potentes intendere. volunt habere et procurant habere- °) viros litteratos, qui eos hortentur, prenunecient-^) et instigent^ä) , sed eciam sagwis eorum, de quorum salute procuranda^^j jpsos sollicitare debuerat^-i). Quod si quis animaui suam liberai-e volens annuncciare voluit, o quanta opus habet discrecione et providencia''^''^) coram mundi luminaribus, ne de errore arguatur, quanta reverencia, humilitate et decencia verborum, ne ostenta- cionem querere et presumptuosus ac temerarius videatur, quanto pondere et maturitate verborum, ne velle placere, et per hoc Christi servus non esse probetur. Qaanta talium auditorum benignitate et clemencia, ut, quod dictum fuerit, benigne 2*^) recipiant^^) et ad benigniorem partem in- terpretentur, quia^^) iupossibile est aliquando^^) in multa et ardua dicendo esse tam providum, qui possit effugere instancias et obiecciones-^*^), si

') Im Krakauer Codex (K) lautet die Überschrift: »Sermo magistri Matbei de Cracovia curiensis coram papa« im Olmützer Codex (0): »Sermo, quem fecit magister Matheus s. de Cracovia, sacre theologie doctor, coram Urbano papa sexto, cum esset ambasiator studii Pratensis* [Wattenbach a. a. 0. un- richtig: »cum ceteris ambasiatoribus']. Ob das in 0 hinter Matheus folgende s. als eine Verkürzung für jstadtschreiber*, den Familiennamen des Matthäus (vgl. Sommer lad a. a. 0. S. 13 15), anzusehen wäre, möchte ich nicht für gewiss ausgeben.

-) D (Danzig) imd P (Pelplin): es; K Strich über e.

3) K : formidabili etc. *) K am Rande von wenig späterer Hand :

coram venerabili et formidabili culmine sedis apostolice et sancte Romane curie predicare etc. =1 p . et eciam ; K am Rande : excusacio predicatoris.

f^) KO : corripiendum. ') KO : corripere, P: informare.

^) 0: universis. '■') sint fehlt in P. "') K: cum.

") KO hinter periculosius : tacebitur vel fructuosius. '-J K: est.

'3) K überschrieben de salutiferis. '•'1 KO: annunctiabit. '*) 0: et.

'") KO : annunctiat. '■) DP: videtur. 0: excusati videntur.

'") DP: occnpari. 'o) K: simul. -'") habere fehlt KO.

2 ') K : premuuiant. -"-) K : instigant. -'.sj j{ : procurando.

-*) DP: debuerant. -=) DP; prudencia. -'6) ^q . pie.

-') P; accipiant. -^} K: quasi enim, 0: quasi non inpossibile.

-sj 0: aliquem. ^O) n- obiectns.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 37-7

remota pietate fuerit iudicatus. Ego igitur videns tot hinc inde pericula, necessarium habeo orare dominum, ut det sermonem rectum et bene sonantem in os meura, Hester 14. Rectum 1) quidem, ut non nisi dicenda loquar. bene sonantem, ut dicta benignius acceptentur. Ut autem hoc multipliciter intercessoribus ^) facilius inpetretur, omnes, queso, mecum orare dignemini et matrem gracie salutare salutacione angelica, dicentes ave Maria. Quomodo facta est meretrix etc. Adventum domini^) omnes adesse novimus secundum tempus et ecclesie institucionem ; sed secundum maliciam temporis, que hactenus fuit-^), et ecclesie, si dicere licet, desti- tucionem magiä videtur esse tempus recessus dominici quam adventus. Vel si dici debet, adventus. conveniencius dicetur antichristi quam Christi. Vel si omnino contenditur^>), ut Christi dicatur adventus, pociusß) dicetur ad vindictam venire, quam ad graciam. Etenim si discessio") signum est adventus antichristi, vel dei ad iudicium»), que evidencior discessio quam que nostris diebus facta est, in qua tam multi antichristi facti sunt, ut, si quis infidelium converti velit^) ad Christum, non de facili sciat, quo diverti, aliis dicentibus: ecce hie est Christus, aliisi^'): ecce illic, ut do- minus Math. 12 futurum esse predixifH). Licet autem deus nunquam derelinquit sperantes in se, sed cum ipsis sit eciam in tribulacione, et quanto minus ecclesiam sponsam suam electam vel dilectami^), tarnen quia tam multi eam deserunt, et nos tam in multis derelinquit ^ 3) in die tri- bulacionis et in tempore superborum sine adiutorio, quid aliud convinci potest, nisi quod dominus ipse, qui sibi appropinquantibus appropinquat, Jacobi 4: appropinquate deo, et appropinquabit vobis, et ut ait beatus Augustinus, neminem deserit, nisi deseratur, desertus a nobis eciam nos deserat et derehnquat. Unde verbum assumptum quandam nostri separa- cionem a deo et spirituale divorcium innuens, et si non esset ad pro- positum tempore currenti, secundum nomen convenit tamen malicie tem- poris nunc presenti. Verumptumen et tempori et nominii^) congruit^^), quia omnium'*') contrariorum eadem est disciplina. Dum de adventu agitur, de recessu non incongrue disputatur. Pro aliquali igitur assumpti thematis applicacione ad propositum et eins introduccione considerandum, quod superaraabilis et excellentissima divine bonitatis inmensitas, quamvis illam caritatem perpetuam, qua nos dilexit et attraxit miserans, et flag- rantissime 1 '') sue mirifice caritatis ardorem multipharie multisque modis exhibex'e dignata sit, pariter et monstrare^"*), nunquam tamen tam evi- denter apparuit ille superfervidus ac Intimus dulcissimi amoris affectus, sicud quando sponsus esse et sibi sponsam assumere dignatus est, digna- bitur et 19) dignatur, quod in tribus demonstratur adventibus^o), videlicet

*) 0: Tercium. -) P: multiplicibus intercessionibus. ^) iu K am

Rand wiederholt de adventu. *) K versatur überschrieben, 0: actenus

fuerit. s) K: extenditur. «) KU: melius. ') DP: Etenim

hec discessio; die Worte signum est discessio quam fehlen in DP.

8) in K überschrieben: extremi iudicii. ^) KO: wult. *") P: alius.

1') K am Rande: eo, quod quidam dicunt, hec est fides, alii autem asserunt contraria. 1-) vel dilectam fehlt in 0. '») 0: dereliquerit.

") P: tempore et nomine. 's) 0: convenit. '") KO: enim.

"') KP: flagrantissimam. »s) K am Rande: quod divina bonitas et

dileccio maxime ostenditur in triplici adventu Christi. '®) 0 : vel.

^°) K: communiter descriptura atque adventibus, 0: convincitur adventibus.

Mitthcilun?en XXIV. 25

378 Gustav Sommerfeldt.

in cavnem, in animam et ad iudicium. Saue in primo adventu^), quando pater fecit nupcias filio, Math. 23^), quibus in cubili^) virginalis uteri mii-ifice celebratur, in assumpta natura egressus est tanquam spousus pro- cedens de thalamo suo, Psalmo 1 8. Quantam ibi caritatem monstraverit, ex eo constat, quöd, ut ait beatus Augustinus in libro de predestinacione sanctorum, non erat, quo alcius eveheretur humana natura, quam quod deus homo fieret. Unde Wilhelmus de fide et legibus: sicud gutta^) aque ad mare magnum et una^) scintilla ad ignem occupantem totum mundum, sie omnia dei beneficia prius exhibita ad hoc*') lumen, nee in hoc con- tentus illam caritatem, qua, ut dicit Johannes 14, maiorem caritatem nemo habet, exhibuit ponens animam suam pro amicis^) suis. Inde et de latere**) morientis in eruce per aquam mundam et saguine^) decorata sponsa for- maretur ecclesia, sicut de latere Ade dormientis formata est Eva mater nostra. In secundo adventu^^) per graciam in animam, quo conpletur- illa desponsacio Ozee 2 promissa: sponsabo le mihi in eternum, sponsabo te mihi in iudicio et iusticia, in miseria et miseracionibus, et sponsabo te mihi in fide. Magnitudo caritatis inde colligiturii), quia tunc homo adoptatur in lilium, stohi pi'ima indaitur, annulus in manu^^^) et calciaiuenta inpedibusdantur^^). Accipit anima racione utens primicias spiritus, gustatet videt, quam suavis est dominus, fruitur ipso et fruendo delectatur, unitur sibi et in ipsum transibrmatur, et sie adherens deo unus spiritus fit cum eo, 1 . ad Corinth. 6. Unde beatus Bernard us super cantica sermone 7 : non sunt inventa eque dulcia nomina, quibus verbi animeque dulces adinvicem"^^) exprimerentur affectus, quemadmodum sponsus et sponsa, quippe quibus omnia communia sunt, nil proprium, nil a se divisum habentibus. Una utriusque hereditas, una dosi^»), una mensa, unus thorus^*'), una caro. Porro in tercio ^ ^) adventu ad iudicium, quando iu^^) media nocte clamor fiet : ecce sponsus venit, exite obviam ei, et que parate erant, intraverunt cum eo ad nupcias, Math. 25- Illas inquam'^) nupeia-s, de quibus Apocal. 19: venerunt nupcie spoase et agni, qui- bus assumit sibi-'') sponsam ecclesiam gloriosam non habentem maculam neque rugam, nee aliquid huiusmodi, Ephes. 5^^). In hoc, inquam, adventu seu nupciis, nedum exhibicio sed tocius caritatis eonsummacio plena fiet a deo, ut bsati dicautur, qui ad cenam nupciarum agni vocati sunt, Apocal. 19. Ecce quantum nos secum unum adinvicem esse voluit, quos in se, et quibus tam salubriter per assumptam naturam, tarn dulciter per infusam graciam, tarn feliciter per promissam gloriam uniri proposuit, ut satis appareat, quantum'"^ 2) delicie sue sint esse cum filiis hominum, Sicut autem tanti äponsi sponsam esse vel fieri^s) magnam dei dignacionem et summam

') K am Rande: de primo adventu: tunc humana natura est deo despon- sata in perpetuum, et salus nostra est inchoata. -) in DP: ofi'ener Raum

für die Zahl. ^) KO : cubiculo. *) f : gutte. '") KO : minima.

6) K: adhuc. ') KO : ovibus. ^} K: ut inde latere.

») PO: sagwinem. ^°) K am Rande: de secundo : tunc homo adop-

tatur in filium dei et heredem, nostra salus innovata. •') P: toUitur.

'2) 0: manus. 'S) K: induantur. •') ü: et ad idem.

'5) K : unus deus. '") K : unum corpus ; am Rande zugefügt : unus

thorus. ") K am Rande: de tercio, in quo plena salus nostra consu-

matur. »«) in fehlt in KO. '») P: namque. sO) Dp ; in

quibus sibi. -') KO unrichtig: Ephes. 1. '^) KO : quod.

23) K am Rande: quod, sicud bonum est, desponsacio et iunccio hominis cum deo, sie pessima est eins separacio et adulterio ab eo.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 3-79

creature dignitatem ac exaltacionem explicat, sie econtra in maximam redundat iniuriam, iramque indignacionis sue vehementissime provocat, turpissimam quoque reddit creaturam, ut ad extremum vilescat, si tarn airiabili sponso contempto alteri nupserit et^) fraugendo fidem se prosti- tuerit meretricem, ita quod tarn turpis mutacio digna omnino videatur magna ammiracione, dura exprobracione, dira lamentacione. Quis enim non ammiretur^) potenciam discretivam illustratam superno lamine sie in- fatuari, ut dieat bonum maium, malum bonum, ponens tenebras lucem et lucem tenebras, Ysaie 1. Quis non detestatur potenciam nobilissime pre- ditam^) divino munere tantum depravari, ut derelinquat deum creatorem suum. Quis non^) lamentetur poteneiam^) memorativam recreatam"^) in- terna dulcedine sie amarieari, ut experimento cognoscat, quam malum et amarum est dereliquisse dominum deum suum, Jerem. 2. Sed audiamus venerabilem Anshelmum') in deplanctu virginitatis amissa, animam suara alloquentera^) in bec verba: tu, inquit, 0 anima mea, que quondam des- ponsata deo in baptismo virgo") fuisti, tu, inquit, perfida deo, periura deo, adultera Christi, tu illi prior libellum repudii obtulisti, tu te sponte ad dyabolum convertisti ? 0 quam pium, quam amabilem dereliquisti, quam impio et quam horribili te coniunxisti! Dereliquisti in celo castum ama- torem tuum et amplexata es horridum corruptorem et crudilissimum tor- torem tuum. 0 quam de sublimi eecidisti, quam in profundum te diruisti, o quid fecisti, 0 quantum perdidisti. 0 miserrimum perdere illum, illud bonum, deum perdere irreeuperabiliter, quem servare debueras intermina- biliter; hec ille. Cum igitur hoc interrogatum, quomodo hec tria sigui- ficari reperiatur in scripturis, ammiraeionem, ut Johannis 12: mirabantur Judei dicentes, quomodo hie litteras seit, cum non didicerit; exprobra- cionem, ut Ysaie 1 4 : quomodo eecidisti luciler, qui mane oriebaris ; lamen- tacionem, ut in Trenis 1 : quomodo sedet sola civitas. Hine est, quod propheta ammirando racionis sie decepte demenciam, detestando voluntatis sie alleete maliciam, deplorando memorie sie infecte miseriam, de qualibet anima peccatrice^^), que et civitas dlci potest, Jeremie 1 : dedi te in civi- tatem munitam. Querit exprobrative^^), quomodo facta est meretrix civitas fidelis. - Si autem unius anime malieia tam mirabilis, tarn exprobrabilis, tam lamentabilis esse decernitur, quanto magis lapsus innumerose multi- tudinis vel pote^-) parate et integre civitatis, quia et ipsa sponsa est, Apocal. 21^^): vidi civitatem sanctam Jherusalem deseendentem a deo, pa- ratam sieut sponsam, ornatam viro suo, presertim ubi tot sunt circum- ^tancie aggravantes, videlieet tam firmi et seeuri Status amissio, quia ci- vitas, Proverbiis 18: frater fratrem adiuvans quasi civitas firma, tam radicate et quasi murate'^) fidei violaeio, quia fidelis, 1. Corinth. 2: dampnacionem habentes, quia primam fidem irritam fecerunt, tam vilis Status acceptacio, quia meretrix, Jeremie 2 : quam vilis facta es nimis, iterans vias tuas, et tante pravitatis consummacio, quia facta est meretrix.

') 0: id est. 2) P: ammiracione. ^) KO: volitivam predo-

iatam. *) creatorem non fehlt in KO. ^) K : vim.

«) 0: recreata. ^) KO : sed in venerabili Anshelmo in planctn.

8) KO: alloquitur. ») KO : et virgo. "') P: meretrice.

") K: obprobriosa querela, 0: oprobriosum querelis. '-) KO; ut pute.

'3) DP: unrichtig: 5. '*; DP: murate unitatis,

25*

380 G usta V So miner feld t.

non quod primo incipiat vel in conplendo sit, sed in esse conpleto, Trenis 4 ; conpleta est malicia tua, tilia Syou, propter quod dicit ipse deus, cui nomen est zelotes, Exod. 34. Zelo zelans pro sponsa filii sui pater, inquit, noster, qui est in celo, merito exprobrando querit et obicit: quomodo facta est meretrix etc. In quibus quidem verbis duo considerari possunt: mocio viciosa et questio dubiosa. Tangitar enim mocio viciosa, qua dei sponsa tam^) graviter ceciderit, quia facta est meretrix etc. Queritur quoque-) facti forma, et qualiter acciderit, cum dicitur: quomodo. Casus nimis^) stultus atque reprobandus, et ob hoc ignominiose proponitur, modus multis occaltus et investigandus, et ideo studio^e inquiritur. Casus pro- ponitur ignominiose, ut pre confusione moneatur ad resipiscendum. Modus inquiritur studiose, ut ex monicione inducatar ad se cognoscendum. Dico primo, quod tangitar mocio viciosa, qua dei sponsa tarn graviter cecidit^), pro quo notandum, quod humane .salutis amator et auctor volens digni- tatem hominis existentis in gracia describere et nos ad puritatis virfcutem^) ac castuiu sui amorem allicere, omnem creaturam racionalem, hie in via, aut") animam tide per dileccionem operantem preditam nobilissime puri- tatis nomine virginem ac delicatissimi amoris vocabulo sponsam voluit appeUari, dicente apostolo Corinth. 11: despondi') vos uni viro virginem castam exhibente Christo, et ex adversa parte volens vilitatem peccatoris^) exprimere et nos ad detestacionem peccati et fugam inducere, omnem crea- turam racionalem, ut'') animam illa öde et dileccionis puritate carentem nomine horribili et despectissimo meretricem appellare decrevit. Unde Jeremie 2 dicitur: in omni colle sublimi, videlicet per superbiam et am- bicionem honoris, et sub omni ligno frondoso per delectacionem, scilicet inordinatam, tu prosternebaris*'') meretrix. Et que gravior mutacio, quam de tante dignitatis honore, de tante decore mundicie, de statu sponse, de tarn desiderabilium amenitate deliciarum, al tante feditatis horrorem, vi- litatis opprobrium, ad statum tam abhominabilem et despectum cadere et mutari^i). Xon est hec^^) mutacio dextre excelsi, sed casus luciferi dampnabiliter esecrandus, Apocal. 17: veni. ostendam tibi dampnacio- nem meretricis magne, et IMi^): cecidit Babilon illa magna, et facta est habitacio ^^) demoniorum. Sicut autem sponsam illa tria substan- cialia^ö) faciunt: matrimonii fidei promissio, boni prolis intencio et in- separabilis unio, sie revera meretricem reddit cuiuseunque eoram, maxime si pro pecunia hat, transgressio. Quamvis autem tante nomen tarpitudinis- 'omni homini conveniat, si plus quam deum temporalia querat, diligat vel intendat, iuxta illud beati Gregorii^f'): cave, o anima mea, ne non sponsa sed meretrix dicaris, si raunera dantem^^) plus quam amantis affec-

•) KO : Tangitur enim dei sponsa,, quam graviter. ^) 0 : quomodo.

3) K : minus. ■*) K am Rande : Sicud anima existens in gracia

propter dileccionem dicitur virgo et sponsa Christi, sie propter peccatum dicitur meretrix et adultera. *) 0 : puritatem vh-tutum. ") DP : ut.

^) P : desponsavi. *) KO : peccatorum. -'i KO : aut.

'oj K: prostevnaberis. '•) 0: imitari. '2) K: hie.

'') DP unrichtig: 1. '*) D unrichtig abhominacio. i^) K am

Rande : que faciunt hominem sponsam et meretricem spiritualiter respectu Christi.

>«) KO: Augustini. '^ P: dantis.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 3g i

tum diligiä, clericos tarnen principaliter temporalia querentes 1) aravius concernit. Qui sicut se spiritualiter et pre aliis deo desnonsant et dedi- cant, SIC ainplms bonum prolis intendere, et ut multos 'filios per ewan- gelium in Christo gignant, continue debent parturiendo laboraie. Sed, queso, quis status in ecclesia, que dignitas, quis gradus scienciarum ad sacromm^) ordinum assumitur officium 3), quis actus exercetur, in quo non, ni couvincitur, magis lucrum^) pecuniarum et sustentacionem^) corporumi ■quam ad dei gloriam et salutem animarum intendatur. Nonne hoc con- queritur dominus Malach. ]: quis est, inquit, in vobis, qui claudat hostia ai incendat altare meum. gratuito? Quid aliud sentit propheta dieens Psalmo 78: posuerunt, inquit, Jherusalem in pomorum custodiam, id est in desertum^') coUocatis pomis. An non idem testatur apostolus Ephes. 2'), ■dieens: omnia, que sua sunt, querunt, non que Jhesu Christi. Unde beatus, ut quidam volunt, Bernardus, sed secundum alios Gilbertus Pore- tanus in seimone ] «), can. 3: quesivi et non inveni illum. Querunt, inquit, multi, et si non ipsum Jliesum, siquidem de nomine Jhesu tractatur in consiliis''), disceptatur in iudiciis, cantatur in ecclesiis, disputatur in scolis. Sed vade ad exitus viarum et vide, quis horum generaliter est finis operum, vide, si non in omnibus hiis quedam exerceantur mercimonia. De Christo questuosa est res, nomine Christi nil preciosius, quia nil optacius, et de bene- ficiis, utverbis beatiBernaidi utario), quis ea intencione querit, nee, utdebet, ymmo queriturV Queri enim et non querere deberet. Unde cuilibet talium Ezechiel 16 ^1) dicitur: ad omne caputvie edificasti signum prostitucionis tue. Quid enim vie, nisi illud"-), quod est inicium accionum nostrarum. Primum in intencione signüm ergo prostitucionis ad omne Caput edificat qui hoc ■verbis vel factis dat intelligere, quod in omnibus, que agit, plus querat lucrum temporale, quam ad aliud quippiam intendat. Quod si apostolus illos adulterantes iudicat, qui verbum dei non sincera intencione pre- dicanti-^), dieens 2. ad Corinth. 2: non sumus sicut plurimi adulterantes verbum dei, sed ex sinceritate loquimuri*). Cur non et illos adulterare dicemus, qui beneficia recipiunt et fructum facere non intendunt, qui non solum peccare se sciunt, sed sponsam dei decipiunt. Sed eciam timeant se ad omnium reddituum, quos isto modo percipiunt, restitucionem obli- ^arii5)_ Sicut enim, qui in desponsacione carnali in bonum prolis vel ad aliud, quod est de substancia matrimonii, sx proposito non consentiret, non sponsus sed adulter vel fornicarius per copulam carnalem fieret, bonis femine uteretur iniuste et ad restitucionem eorum, que in hoc proposito perdurans perciperet, teneretur. Sic et multo magis in matrimonio spiri- tuali videtur, si essenciales condiciones eiusdem excluduntur, que sunt deurn diligere, Johannis ultimo. Si diligis me plus hiis, et fructum facere,

') K am Kande : quod clerici spiritualiter dicuntur transgressores. meretiices et adulteri. 2^ P: sacerdotum. s) KO : quod officium.

^) P: lucrorum. s) P: sustentacioni. ") K: desercionera.

P: in desertis coUectis pomis. ') in D otf'en gelassen. *) K: illo

statt 1, 0: superi, 1 can. 3. «) P: conciliis. '«) D: hec ille statt

beati Bernardi utar. n) pp unrichtig: Exodus 16. >0 K statt Quid

illud : Si enim vie, ut ait Gregorius, sunt acciones nostre, quid est capud vie nisi id. «3) K am Rande : de beneficiatis. **) 0 : loquamur.

'5) P: obligare.

332 Gustav Sommerfeld t.

Johannis 15^): ego vos elegi, ut eatis et fructum afteratis etc., presertim quia hü, qui non intendunt Christum, non intrant per hostium, et per con- sequens fures sunt et latrones, Johannis 1 0 : fures quidem per occultam maliciam intrando, latrones bona ecclesie aperte tollendo. Sed quis dubitet fures et latrones ad restitucionem tenei'i^), cum peccatum non dimittatur, nisi i-estituatur ablatum^). Sed quid miri, si alie acciones nostre pi'ostituuntur, cum et ipsa lides, que signaculum est spiritualis virginitatis, proch dolor sit venalis. 0 quot et quante*) fuere civitates fideles, que illam prostituerunt, quot ecclesie kathedrales, quot coliegia, quot monasteria religiosorum, quot civitates et castella domino nostro pro vero papa et vieario Jhesu Christi tenendo fidem debitam denegant et adherent antipape ob hoc maxime, ne temporalia bona perdant. Si hie cum propheta deberem fodere parle - tem, abhominabilia viderentur, quod principes et prelati seculares et viri ecclesiastici, expresso eciam, ut dicitur, pacto precedente, precio conducti sunt, ut antipape adhererent^) ad maximam adversariorum confusionem, qui fidem hominum pecunia estimant possideri. Numquid non in eis conple- tum est illud propheticum Ezechiel IG*'): tu autem dedisti mercedes eunctis amatoribus tuis et donabas eis, ut intrarent ad te ad fornicandum tecum ; factumque est in te contra consuetudinem mulierum : in eo, quod dedisti mercedes, non accepisti, et o utinam illi solum''), et non aliqui eciam de nostris, venderent fidem suam. Vereor, omnino vereor, quod non omnis, qui dicit ,domine, domine' fidelis est domino nostro 8), quodque nonnulli sunt, qui secum tenent verbo, sed animo tenent partem opposi- tam, et^) aperte foverent, si non sperarent, huic^'') vivendo vel inhereudo lucrai'i, vel timerent, illuc^^) recedendo privari. Hü, si meretrices dici non debent, dicantur eis peiores, utpote a regno dei remociores. Sic enim ait dominus quibusdam simulantibus veritatem et non amantibus, Math. 2 1 : meretrices et publicani precedent vos in regno dei. Nee mirum, quia simulata equitas est duplex iniquitas. Unde tales, qui vel spe lucri vel damni timore domino nostro vel parti adherent adverse, pulchre figurati videntur per illas mulieres, que ut due meretrices ^ 2), ut dicitur 3. Regum .3, venerunt ad regem Salomonem. Ille enim in domo una habitabant, et isti in diversis^^^ divisa unitate ecclesie permanent i"^). Illarum^^) una filium suum opprimens, alteri vivum furtim abstulit et apposito illi mortuo sibi vivum fallaciter usurpavit. Ista una pars, scilicet nobis adversa, ve- ritatem et iusticiam derelinquens, et per hoc Christum ^^), qui datus est nobis filius, in cordibus suis per peccatum opprimens i'), nobis errorem inponit, et sie filium in nobis esse mortuum et in eis vivere mendaciter asserit et contendit. Sed eam novercam et non veram matrem^*^) de- monstrat illa vox maligna, novercitatis signum, testis invidie : nee mihi nee tibi, sed dividatur, dum hinc invidia, illinc avaricia stimulante magis

') P: 16. -) DP: non teneri, ^) K am Rande: de Hnssitis.

*) DP: quanti. ^) K am Rande: ab obediencia ecclesie Romane

recederent et Hussitis [adhererent]. ") DP unrichtig Ozee 6, 0 : Ozee 16.

^) P : soli. 8) K überschrieben : verum et pontifici. ") 0 : ut.

'0) K: hie, 0: hinc. >') : illud. 's) K überschrieben: duas

mulieres aut duas meretrices, 0 fehlt ut due meretrices. '3) fehlt in 0.

•*) 0 : permanebant, K : in diversa unitate ecclesie propinabant.

'») DP: Illa. '6) P: exemplum. ") KO: interimen?.

'8J 0: matrem esse.

Die Adveiitsrede des Matthäus de Cracovia etc. ßgg

elegerint, quöd tunica Christi incönsutilis, ymmo Christus ipse divisus esset, per hoc quod nedum de baptisnio, sed eciam omnium sacramentorutn et sacrorum percepcione zelus et contencio est, alio dicente: ego sum Urbani, alio ego Clementis, vel yerius dicendo dementis, quam quod ele- gissent unionem in vinculo caritatis et pacis in omnibus i) salvativam, quia deus Caritas est, et qui manet in caritate, in deo manet, et deus in eo, 1. Johannis 4. 0 ubi fuit tunc et ubi adhuc hodie est illa vox pia, vox magis eos decens^) et toti mundo congruens, vox materne fidei, pie- tatis vox materne, vox viscerose conmocionis et dileccionis uterine^): date illi infantem vivum, et noh dividatur vel moriatur. Vox, inquam, consi- deracione digna, qua alteri pia mater*) magis elegit honore materno et cordis sui carere solacio, de hiis favere alteri et quasi negare naturam, quam divisionem filii videre vel mortem. Discant prelati, qui sponse Christi et fidelium matres esse volunt et debent, nee pudeat eos eciam a tali matre discere, quanta agere debeant pro vitanda morte filiorum et Salute obtinenda^). 0 quis mihi det videre diem istum, ut omnes mere- trices convertantur in matres, hoc est, ut omnes, qui querunt honorem temporalem aut consolacionem aut lucrum, principaliter et maxime vitam et salutem desiderent animarura. Credo enim, propter quod et loquor, quia statim esset finis scismatis^), si extinctum esset desiderium tempo- ralis comodi'') vel honoris'^). 0 dolor, o plus quam dolor et miseria, o pudor et ignominia, horror et insania, quod propter miserabile bonum temporale tam diu durare debet aut sinitur tam dampnabile malum et periculum spirituale. Et hoc de primo.

Dixi secundo, quod in verbis premissis notari potest questio du- biosa, qua queritur facti forma, et qualiter acciderit, cum dicitur: quomodo^). Quia enim tantumi*^) malum est in ecclesia dei, cuius vix aliqua pars tacta est, et cui modis omnibus remedium esset ad- hibendum, merito studiose inquiritur et studiosissime inquirenda est causa morbi, qui nunquam bene curabitur, nisi radicitus ipsa radix pre- cidatur, quia, ut ait Gregorius in 2. pastoralium: Incassum foris^i) ne- quicia ex ramis inciditur, si surrectura multiplicius in radice servetur. Constat autem clerum presenciumi-) malorum precipuam esse causam, tam ex evidencia facti, quam scriptura. Quis enim fecit scismai'') ^isi sacer- dotes, quis sie persecutus est dominum nostrum, ut clerici, per quod tarnen principumi-i) excusacionem non pretereundoi^), quorum nonnulli sunt infideles, socii furum, diligentes munera etc., que dicuntur Ysaie 1. Con- stat eciam ex testimonio scripturarum in eis, ut pote morbi radice ^6), adhibendam esse medelam exemplo salvatoris, qui, postquam deplorasset maliciam Jherasalem et miseriam predixisset, intravit in templum et cor- ripuit sacerdotes, ut patet Luce 19 et Math. 21. Unde Crisostomus super Matheum hoc idem tractans sie ait : hoc erat boni medici, ut ingressus ad

•) KO: filii in hominibus. '') 0: docens. ») 0 : umtive.

*) 0 : quam alteri mater. ') 0 : tenenda, K : radicahter cogmto.

«) K überschrieben : male, dei perfidie. ') K überschneben in

nostris. «} K überschrieben : in Bohemis. ') K am Rande : quod

multa mala sunt in ecclesia. quorum clerus est causa precipua. '») tehlt in ü.

11) P- fore. <^) 0: principalem. iS) K überschrieben : in diversorum

heresim. i^) Küberschrieben: et aliomm. »^) P: pretermittendo. "■) K: radici.

384 Gustav So mm er fei dt.

infirmam civitatem sanandam ') primo ad originem passionis sue mente''^) tenderet. Nam sicut de templo omne bonum, sie et omne malum pro- cedit. quemadmoduin medicus quando primum ingreditur ad infirmum, statim de stomacbo eius inteiTOgat et eum conponere festinat. Qui si sanus fuerit, totum corpus validum est, si autem disparatus^), totum cor- pus*) infirmum. Ita si sacerdocium integrum fuerit, tota ecclesia floret, si autem corruptum fuerit, omnium^) fides est marcida; et paulo post: vere, inquit, quemadmodum si videris arborem pallentem foliis, marcidam intelligis, quia aliquam culpam habet circa radicem, ita cum videris po- pulum indisciplinatum et iiTeligiosum, sine dubio cognosce, .quod sacerdo- cium non est*^) sanum. Hec ille. Huic concordat illud Ysaie 4: venerunt structores tui dfestruentes te et dissipantes te. Sed cum quasi innumera- biles sint defectus et mala clericorum, ob hoc incurabilis esse videatur . morbus, nisi radix eius spiritualius ostendatur. Quo, queso, alio modo deficere videatur ecclesia, nisi recedendo a viis^) patrum, qui eam planta- verunt, et modum deserendo*^), quo crevit. Quis enim dubitet facilius eam conservari per illa media inter tot amicos et fideles ei assistentes, per que crevit inter tot tyrannos et infideles undique persequentes. Quia vero fuerunt in primitiva ecclesia multa protunc utilia, que pro nunc vel non sunt, vel non congruunt, ut miracula, gracia^) ligwarum, pau- pertas et similia, sufficerent ad reformandum ecclesie statum hec tria essencia ^ •'), si rectores ei lucerent doctrina salutari, eminerent vita exem- plari, ferverent zelo regulari. Hec enim tria data fuerunt apostolis et signis exterioribus designata: ligwe loquentis ^ i), ignis lucentis pariter et ardentis. Unde hec tria defecisse in ecclesia deplangere videtur Jeremias in Trenis 4, velut^^) si questioni nostre respondere volens dicat: queris, quomodo facta est meretrix, et quasi respondens dicit: eo scilicet modo, quo obscuratum est aurum, mutatus est color optimus, dispersi sunt lapides sanctuarii in capite omnium platearum. Obscuratum est enim aurum sa- piencie radiantis, qua deberet doceri veritas et intellectus illustrari ad recti congregacionem. Mutatus est color optimus vite edificantis, qua de- beret moveri voluntas et aflFectus inclinari ad boni imitacionem. Dispersi sunt lapides sanctuarii a fervore zeli regulantis, quo deberet coherceri pravitas et defectus emendari ad mali repressionem. Primum ergo, per quod deficit ecclesia, est, quod obscuratum est aurum sapiencie^^), preser- tim in rectoribus et presidentibus, ex quo provenit defectus doctrina salu- taris. Dum enim semen subtrahitur, procul dubio omnis fructus impedi- tm-i*). Semen autem est verbum dei, Luce 8. Semen, inquam, eciam ipsius fidei'5), que fundamenlum est tocius edificii spiritualis, dicente Jo- hanne in Apocal. : fides ex auditu, auditus autem per verbum Christi. Quod

>) KU: salvandam. '') fehlt in K. ^) KO : dissipatus.

4) fehlt in 0, K extat statt corpus. ^) fuerit omnium fehlt in KO.

6) DP: habet. ') DP : ab hiis. ») OP: modus deserendi,

9) 0 : genera. 'o) K : tamen ad reformandam ecclesiam hec tria

ewangelica,''und am Kande: tria sufficerent ad reformacionem ecclesie, que aperte in eadem deficiuut, quia prelati non lucent doctrina salutari. •') 0: lucentis.

'2) K überschrieben: de quo. ^^) K am Rande: de primo, quod

prelati non lucent doctrina salutari. »^) DP: ipso dicente statt impeditur.

IS) K überschrieben: predicacio.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc. 335

autem ex defectu sapiencie deficit ecclesia'), testatur beatus Bernardus pulchre dictum appi'obans in libro de amore dei: 0 felices, inquit, res humanas^), dicit quidara philosoplius, si aut^) soli sapientes regnant aut pbilosopbentur, qui regnant. Sed cum sapienter fugiunt sapientes regnai-e, et insipienter fugiunt insipientes erudiri^), omnia dissipantur^), omnia confunduntur et conturbantur. Sapientes latent et delitescunf^), pueri^) regnant et principantur, et fiunt prineipes, qui mane conmedunt, sed ve ieri-e illi! Hec ille. In magno ergo et faciliter provideretur ecclesie, si in conferendis dignitatibus et beneficiis, in officiis et potestate conmit- iendis^) sapientes^), dum aliud canonicum non obsisteret vel obstaret, Omnibus aliis preferrentur, sicut et de iure deberent preferri. Tunc enim quilibit sive nobilis sive plebeius anhelaret ad Studium, et fieret multitudo sapientum ^ '^) sanitas orbis terrarum, Sapiencie 6. Subtraheretur eciam occasio multis malis, ne scilicet iuvenes tempus ' ^) iuventutis studio aptum in lascivia et vanitate consumerent, qui iam videntes plures promoveri per servicia et promociones principum, quam pericia^-) litterarum, occa- sionem habent aut sumunt libencius adherendi curiis quam studiis, vel magis proficiendi in baratra quam in theologia, et sie dies suos consu- mendi, quod eis iustius beneficia negarentur quam donentur. Etenim non habens scienciam sit nobilis, sit in obsequio fidelissimus, sit in tempora- libus summe providus, habeat omnium promociones principum, inhalibis tarnen est et secundum deum a sacerdocio vel saltem animarum cura est repellendus, dicente domino per Ozeam prophetam 4: quia repulisti scien- ciam, repellam et ego te, ne sacerdocio fungaris mihi. Maxime cum ille sollempnis doctor Henricus de Gandano^^) 13- canone, questione 14 dicat, illos curatos esse in statu 'dampnacionis, qui predicare nesciunt, aut si sciunt predicare, non tarnen predicant secundum indigenciam populi tem- pore oportuno'^). Cui quidem doctorii^), et si plus assenciendum quam dissenciendum estimo, magis tamen eorum, quorum interest, determinacioni relinquo, quam assero. Sed est, quod quis sciat docere^ß) et preesse va- leat, adhuc, sicut idem solempnis doctor nonnullis interpositis subdit, minus ydoneus ad curam animarum, quando^') videt, quod magis ydoneus haberi potest, fugere debet, si potest, ut magis ydoneus'^) preferatur: eciam ceite racionale videtur, alioquin deo gloriam et populo profectum subtrahit, quem magis ydoneus elficere poterit super ipsum. Quantam igitur diligenciam collatores beneficiorum et provisores debent habere, ne alios in statu dampnacionis ponant, et pereant simul cum eis et ipsi. Sed quia, dum male vivitar, deturpatur sciencia et doctrina contempnitur.

') KO: ex defectu sapientum mundus pereat. -) O: si ubique

sapientibus servierint insipientes, sed et felices res bumanas. 3) DOP : autem.

*) KO: mh gapicntibus esse. ") 0: desipiunt. '"•) K: delus-

ceacunt propter impedimentum. ') K übuischnebeu : puen veio.

8) DP: conmittentes. ») Codd. : vel sapiencie vacant es.

10) K überschrieben: quibus consistit. ") KOMempore.

'2) K: sine pericia, P: per periciam. ") P: Gandawo.

>^) KO: pro tempore oportuno. '*) 0: dicto. «) DP: doceat.

1') KO: animarum existens, cum. 1^) Die ^\ orte haben - ydoneus

•fehlen in K; am Rande jedoch: debet cedeve.

3gß Gustav S 0 m m e r f e 1 d t.

ideo secundum, quo^) deficit 2) ecclesia, quod^) mutatus est color optimus vite exemplaris*). In quo licet magis difficulter posset provideii quam in, primo, turpe tarnen est et inexcusabile, si tali conmittatur cura animarum et^) ecclesia, cui non conmitteretur pauca^) pecunia, aut si minor dili- gencia habeatur de bono pastore animarum, quam de fideli procuratore- expensarum. Quis enim sponsam dilectam capitali suo et sponse inimico, aut oves suas lupo conmitteret? Omnis autem malus sacerdos est inimi- cus dei et lupus in oves testante beato Dyonysio in epistula ad Demo- philum: profecto cecidit a sacerdotali ordine, qui non est illuminatu& sciencia, et magis, qui non est illustratus gracia. Non est enim sacerdos,. sed inimicus dolosus, delusor sui ipsius et lupus super dominicum popu- lum pelle ovina* armatus''). Sed quia eciam sapientes, saltem quo ad scienciam agendam^), negligunt et propter impedimenta malorum boni a bonitate deficiunt, et ob hoc similiter correccione indigent, ideo terciuni malum est^), per quod defectus in ecclesia fiunt, quia dispersi sunt lapides sanctuarii et tepent a fervore zeli regularis. Quis enim non videat, quanta essent in ecclesia dei exterminanda, corrigenda et reformandaio). Exter- minande forent hereses et secte, corrigendi mali et quasi omnes status reformandi^^), ordines scilicet et monasteria, universitates et studia, ecclesie kathedrales et collegia, civitates et oppida, principes et prelati, rectores et subditi, iudices et advocati, sacerdotes et laici, qui omnes declinaverunt,. et tam inutiles facti sunt, ut non sit, qui faciat debitum et servet statum suum. Et nos dispersi propter temporalia hiis omnibus obraissis totura tempus impendimus circa lites et iurgia, redditus et beneficia, boni pro- visores, qui de summe necessariis nullam et de superfluis vel minimis maximam gerimus curam. De illorum quidem sumus disposicione, conser- vacione et mulliplicacione solliciti, quorum sollicitudinem dominus prohi- buit, Math, fi: nolite solliciti esse dicente etc. i^), sed omnium talium sol- licitudinem in ipsum proiciendam esse voluit. Quantum ipsi est cura de nobis, et illorum sollicitudinem postponimus, quam requirit a nobis et precipue ad Ephes. 4^^): solliciti servare unitatem spii'itus in vinculo pacis, et Michee 6: indicabo tibi, 0 homo, quid sit bonura, et quid deus requiret a te, facere iudicium et iusticiam et sollicitum ambulare cum domino deo tuoi*). 0 quanta boui servi facimus, que prohibet; et que iubet, non curamus. Dum autem sie servimus, ut volumus, ipse eciam pro velle suo retribuit, dimittit si quidem nos ire^^) in adinvencionibus nostris. Et quia contra doctrinam apostoli prudentes fuimus^^) apud nosmetipsos, ipsam stultam faciet sapienciam nostram, ut illa via perdamus bona temporalia, qua ea conservare et acquirere nitebamur. Accidetque nobis conformitanter, ut Judeis, qui timentes, ne locum et gentem per- derent, principem Christum occiderunt et per eandem occasionem omnia

1) 0: ideo in quo. ^) DP: in ecclesia. ^) K: est quia.

*) K am Rande : constare poterit ex predictis, de secundo periculi, quia prelati non eminent \ita exeraplari, que vita valde viluit in clericis et licet im isto. ^) KO: vel. ") 0: parva. ') K überschrieben:

hec ille. *) K am Rande: interdum, ») K am Rande: de tercio

periculi, quod prelati non fervent zelo regulari, quo multa fieri deberent in ecclesia.

•0) 0: refrenanda, '«) 0: refrenandi. '=) K überschrieben::

ijui conmederi habebimus. *^) P unrichtig: 3. >4) 0: sollicitum.

amicum. '^) KO: ire et perire. >*') KO : sumus.

Die Adventsrede des Matthäus de Cracovia etc.

387

perdiderunt. Sic et nos, dum pacem cum malis, quam Christus non venit mittere in terram, querentes, ac^) principum et dominorum^), ne tempo- ralia nobis auferrent vel auferant, favorem conservare volentes, iusticiam obmittimus, multa mala et iniusta dissimulamus, et per hoc Christum, qui est veritas, Johannis 14, et qui factus est nobis iusticia, i Corinth. ], in cordibus multorum per negligenciam nostram mori facimus, quod accidit certe in eis Christo mortuo. Nee sentencias excommunicacionis timent nee clerum advertunt, sed audacter invadunt, thelonea et alias exacciones ab eis recipiendo, libertates infringunt ac in miserabilem^) redigunt servitutem,. bona eorum tenendo et de' illis pro suo beneplacito disponendo^). Et qui sunt dyocesani, qui sentencias excommunicacionum aut interdicti ferre vel sentencias exequi audeant contra tales! Si autem Christum et eius glo- riam intenderemus, et verbo, exemplo aut zelo ferventi filios spirituales iterum et iterum parturiremus, donec formaretur in eis Christus, tunc ipsi Christo habito et dilecto^), Christianos suos tatgere et in prophetis ma- lignari timerent ipso Christo in eis hoc prohibente. Quod enim preter Christum habemus, non bene^) per ipsum poterimus conservare, quoniam, qui contempnit deum, vicarium non curabit. Hec omnia per prophetam Psalmo 88 confirmantur brevi verbo. Et non audivit, inquit, populus- meus vocem meam, et Israhel non intendit mihi. Ecce servicium, en meritum nostrum, et sequitur statim premium. Et dimisi eos secundum desideria cordis eorum"). Quod autem, si sibi intenderemus, et ipse nos defenderet, mox ostendit, cum dicit: si populus me audisset, Israhel si in viis meis ambulasset, pro nichilo forte inimicos eorum humiliassem, et super bona eorum misissem manum meam. Qua propter, reverendissimi et metuendissimi domini mei, det no.bis saltem ipsa vexacio demum nostri^) intellectum, ut intendamus dilecto nostro, ut et ipse nobis intendat iuxta illud Cantici 6 : ego dilecto meo et dilectus meus mihi, et assuma- mus zelum pro nomine sancto eius ac sponsa dilecta, ne habeat conqueri de nobis illud 1. Eegum 20^): non est, qui doleat vicem meam ex vobis. Quis enim nostrum est, qui videns sponsam fratris sui debere stuprari, non prohiberet, si posset, vel saltem contradiceret et doleret. Et ecce Christus, qui non confunditur fratres nos vocare, et plus esse quam frater, ipse dominus, ipse pater, ipse creator^*') et consultor, ipse cibus refeccionis et redempcionis precium, retribucionis premium, ipse totum bonum nostrum, qui, ne frustra et solo nomine celebremus adventum suum, nobis advenire dignetur per graciam et tandem nos sumere secum ad gloriam, quam nobis concedat ' ^) deus pater et dominus filius et Spiritus sanctus. Dens tinus in secula benedictus, amen.

Die persönlichen und literarischen Beziehungen des Matthäus von Krakau dürften trotz der bisher gemachten Versuche noch nicht in hinreichender Weise aufgeklärt sein. Meine Erwartung war, hierüber

') P: actis, 2) K überschrieben: seculaiium. ^) 0: miserias.

*) KO: dando. *) K: dileccione. ") K: nisi, 0: enim.

') KO: ibunt in adinvencionibus suis. ^) demum nostn fehlt KO.

9) K: 21, 0: 22. '") KO: creator, conservator, redemptor et con-

solator. ' ") 0: concedat etc. Die Woiie deus amen fehlen in 0.

3gg Gustav S 0 m m e r f e 1 d t.

Näheres aus einem „Epistolarum liber 1 ad diversos" zu ersehen, den Sommer lad S. 75 unter den Schriften des Matthäus von Krakau nennt. Der betreffende Codex der Breslauer Universitätsbibliothek I r 272 (Folio, Chart, saec. 15) hat aber überhaupt nichts von Matthäus von Krakau i), sondern enthält fol. 1 39 des Kardinal Bonaventura „Liber interne consolationis" und fol. 40 105 „Mathei Vegii Laudensis" 7 Bücher ,de perseverantia religionis ad Elizabeth et Monicara sorores" von Ende des 15. Jahrhunderts. Dagegen bieten, was weder bei Loserth noch bei Sommerlad angemerkt ist, Codex Breslau I F 273, fol. 100—101 und Codex Breslau 1 F 286 fol. 139— 140 eine undatirte Epistel dar, in der Matthäus von Krakau „quamvis valde invitus" aus Anlass eines bestimmten ihm zur Beantwortung unterbreiteten Falls die Stellung erörtert, die der Christ im geschäft- lichen wie im allgemeinen Leben dem Judentum gegenüber einzu- nehmen hat. Die Überschrift iu Cod. I F 273 lautet: „Incipit epi- stola scripta per magistrum Matheum de Cracovia sacre theologie doctorem, episcopum Wormaciensem, et directa archiepiscopo Pragensi contra carnifices, quod non debeant participare Judeis". Adressat des Briefes ist Zbynek von Hasenburg, der 1403 1411 das Erzbistum Prag hatte, wenn es richtig ist, dass Matthäus zur Zeit, als er den Brief verfasste, schon Bischof von Worms war. Da indessen Codex I F 273, der ursprünglich aus Neisse stammt, im Jahre 1406 geschrieben ist, wie eine Notiz in demselben fol. 186 b ergibt, und da ferner Matthäus im Jahre 1405 erst Bischof geworden ist, dürfte der Brief einer älteren Zeit zuzuweisen seiu und auf Matthäus' Gönner, den schon genannten Prager Erzbischof Johann von Jenstein gehen.

•) Veranlasst sind die Ausfülirungen Sommeiiads durch eine irrige Notiz Ijei J. Loserth, Hus und Wiclif S. 69, Anm. 1, der in jenem Breslauer Codex »Epistolae* des Matthäus von Krakau enthalten glaubte.

Zu den Yerhandliingen

Kaiser Maximilians IL mit Pliilipp II.

(1568—1569).

Von

Robert Frettensattel.

Die ßeise, die Erzherzog Karl II. im Jahre 1568 als Stellvertreter seines Bruders, des Kaisers Maximilian II. nach Madrid unternahm und die jüngstens noch nach ihrer Genesis, ihrem Verlauf und ihren Ergebnissen eine ausführliche Darstellung auf Grundlage der inter- essanten Reiseberichte Haus Khobeuzls gefunden hat'), verfehlte nicht,, allerorten das grösste Aufsehen zu macheu; hiezu trug die hohe Per- sönlichkeit des kaiserlichen Abgesandten ebensosehr bei wie die grosse Zahl seiner Begrleiter und die sonstigen umstände, unter denen diese Keise noch unter dem Eindrucke des Todes von Don Carlos erfolgte. Man weiss heute auch genau, das^ aus der Katastrophe dieses unglücklichen Prinzen und dem, was auf sie unmittelbar folgte, der grosse Wandel in den kirchenpolitischen Anschauungen und der Politik des Kaisers im allgemeinen zu erklären ist. Handelte es sich bei der ursprünglichen Festsetzung der Fahrt für den Erzherzog in erster Linie darum, in den Angelegenheiten des spanischen Prinzen selbst nach dem Rechten zu sehen und dem Kaiser jene Aufklärungen zu

') S. hierüber Loserth, Die Keise Erzherzog Karls IL nach Spanien 15(>8— 1569. (Mittheilungen des Historischen Vereines für Steiermark 41. Heft). Ich will an dieser Stelle nicht unterlassen, meinem verehrten Lehrer Herrn Prof. Loserth, der mich nicht bloss auf das im Statthalterei- Archiv zu Innsbruck be- findliche Responsum gewiesen und mir damit die Anregung zu eingehenden ar- ehivalischen Studien für diese Zeit gegeben, endlich mir auch sonstige Förderung zu teil werden liess, meinen ergebensten Dank auszusprechen.

^QQ Robert Frettensattel.

verschaffen, die er aus Madrid nicht einmal von seinem eigenen Ge- sandten hatte erhalten können, so trat nimmehr nach dem Tode des Prinzen die zweite wichtige Frage in den Vordergrund, die Erzherzog Karl an den spanischen König zu stellen hatte: , Weichermassen der Duca de Alba in den Niederlanden für einen process fueren tuet . . . ." Erzherzog Karl sollte den König zu einem milderen Verhalten in den niederländischen Angelegenheiten bewegen. Es ist begreiflich, dass der spanische König die Einmischung der Kurfürsten und des Kaisers in die Angelegenheiten seiner Länder bitter empfand und sich weigerte, das Memorandum des Kaisers auch nur zu öffnen. Bekannt ist dann auch die Antwort, die der Erzherzog auf dieses allerdings nach langem- Warten vom König erhielt; gleichwohl gibt es eine Reihe von Mo- menten, die einer näheren Untersuchung wert sind. Ist die Sendung des Erzherzogs nach Madrid, wie sich Droysen ausdrückt, eine Komödie gewesen oder nicht? Darf man die Änderungen, die der Kaiser an der ursprünglichen Antwort des Königs machte, als eine Fälschung bezeichnen? Auch sonst tauchen Fragen auf, die eine Erörterung verdienen. Die nachfolgende Untersuchung wird ergeben, dass Maxi- milian II. Philipps Antwort Mitte Mai 15(39 erhalten hat. Da meh- rere Stellen des Responsums ihm zu scharf schienen, wollte er sie entfernen, Avobei er sich aber an die betreffenden Bestimmungen Philipps II. hielt. Auch in der Frage, wann er die Antwort den Kurfürsten zusenden wollte und ob dies wirklich geschehen, lassen sich genauere Anhaltspunkte gewinnen, die auf den folgenden Blättern dargelegt werden sollen^).

I. Über den Zeitpunkt, wann Kaiser Maximilian II. die Autwort Philipps II. erhalten hat.

Am Nachmittage des 10. Dezember 1568 kam Erzherzog Karl IL in Madrid an. Die Audienz am folgenden Tage war dem Ausdrucke der Teilnahme anlässlich der Todesfälle im königlichen Hause ge- widmet. In einer zweiten Audienz, nämlich am 13. Dezember 2), kam der Erzherzog auf die niederländischen Angelegenheiten zu sprechen.

') Einige Punkte, die auch noch in Betracht kommen, aber nicht von Be- deutung sind, wurden hier übergangen.

2) Dass dies nicht am 11. Dezember der Fall gewesen ist, erhellt aus M. Gachard, Correspondance de Philippe II. Tome II., Nr. 835 und aus Coleccion <le documentos ineditos para la historia de Espaüa (hier abgekürzt DJE.) Tomo €111. p. 57.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maxinulians IL mit Philipp K. etc. 391

Er übergab dem Könige seine Instruktion 0 und machte ihn mit den \\unsehen der deutschen Kurfürsten und Fürsten^) bekannt

Aber erst am 20. Jänner 1569 erhielt er mündlich und schriftlich Antwort. Das eine Antwortschreiben, Recuerdo (Erinnerun..) war einzig und allein für den Kaisers) bestimmt, während das ''andere Respuesta (Antwort) für die Mitteilung an die Kurfürsten berechnet war. Da aber beide Schriftstücke in spanischer Sprache ab^^efasst waren liess der vorsichtige König die Respuesta in die latei^nische Sprache übertragen und dieses Schriftstück (Responsum) wurde dem Erzherzoge emige Tage nach dem 20. Jänner übergeben.

Die Antwortschreiben entsprachen jedoch nicht" den Erwartungen des Kaisers, weshalb am 23. Jänner der Erzherzog dem Könio-e eine Replik auf die ersten beiden Schriftstücke überreichte, freilich ohne den geringsten Erfolg zu haben. In der Replik aut die Respuesta versicherte der Erzherzog, er werde die Antwort des Königs samt dem, was mündlich vereinbart worden war. dem Kaiser schleimigst und genauest mitteilen.

In den DJE. finden sich sehr brauchbare Angaben über die Zahl der Tage, die in dieser Zeit (1568—1569) eine Nachricht von Madrid nach Wien gebraucht hat^). Der Durchschnitt aus den einzelnen Daten ergibt etwa 29 Tage. Hätte also Erzherzog Karl sein Versprechen gehalten und die königliche Antwort gleich abgeschickt, so würde sie der Kaiser ungefähr um die Zeit erhalten haben, da Philipp II. sich einverstanden erklärte, die Prinzessin Anna zu heiraten (27. Februar 1569). Der Erzherzog hat jedoch sein Versprechen nicht gehalten. Der Grund dieses im ersten Augenblicke befremdenden Verhaltens leuchtet bald ein. Allen Einwendungen gegen die einmal gegebene Antwort blieb König Philipp absolut unzugänglich und so musste der Erzherzog die Überzeugung gewinnen, dass sein kaiserlicher Bruder in der niederländischen Frage eine Niederlage erlitten habe. Deshall) beeilte er sich auch gar nicht mit der Zusendung der Antwortschreiben an Maximilian. Und so erklärt es sich, dass der Kaiser in der Pro- position für den Frankfurter Deputatioustag, der am 14. April 1569

*J Im Auszuge bei Gachard, Correspondance etc. U. Nr. 797.

-) Gachard, Correspondance II. Xr. 79).

5) Wir werden bald sehen, dass diese Bestimmung (para con solo el empe- i-ador) von Philipp IL selbst nicht eingehalten worden ist.

*) DJE. cm. p. 38 : 34 Tage CHI. p. : 29 Tage

, 39 : 34 , , , 179 : 20 , (:)

, 66 :31 , , , 186 :29 ,

, 76 : 28 ,

392

Kobert Frettensattel.

eröffnet wurde 1), in dieser Sache folgendes verkünden Hess: Also were daneben auch den churfürsten, deputirten fursten und stenden und numehr vasst allermenigclichen nicht verporgen, wassmassen hernach- malss Ir Kay. M*. auf beschehne pitliche erinnerung ir, der löblichen sechs churfürsten, auch etlichen vornehmer fursten Dero M*. freundt- lichen geliebten bruedern und fursten, die F. D*. zw osterreich, ertz- hertzog Carln, vergangeus winters aigen personlich zw hochgedachter Hispanischen Kn". W". selbst abgefertigt, in Irer Kay°. M*. namen sowoU und insunderhait gedachts printzen^) reconciliation alss sonst der haubtsachlichen Niderlendischen gemainen unrichtigkaitten halben dieselben zu gemilderten guetteu richtigkait zu befurdern, embsige und höchst vleyssige handlung zu phlegeu und alle mögliche woUerschiess- liche verbittliche vorwandung zw thueu, wie dan auch zum treulich- sten von S"". Dl beschehen, und ob aber gleichwoll Irer Kay. M*. des hochbemelten kunigs resolutiou und der ehehochgedachteu F. Dl ent- liehen aussrichtung relation noch biss auf heutigen tag nicht einkommen^).

Erst von Savona aus, wo der Erzherzog am 19. April nachmittags ankam und bis 21.-22. April blieb*), schickte er Hans Khevenhüller, der ihn als , Assistenzrat" begleitete-^), voraus, damit er dem Kaiser über die Reise und über die grossartige Aufnahme des Erzherzogs am spanischen Hofe genauen Bericht erstatte *5).

Am 27. April meldete Hans Trautson nach Innsbruck, dass an diesem Tage „ein curier" des Erzherzogs in Wien angekommen sei mit Schreiben an den Kaiser, „wie es mit T. F. Dl raiss und heraus- kunft ein gestallt hat"'). Es liegt die Vermutung nahe, dass damit der von Savona aus abgesandte Khevenhüller gemeint sei. Dem stehen jedoch mehrere Bedenken gegenüber. Khevenhüllers Name wäre höchst wahrscheinlich genannt worden ; weil das nicht geschehen ist, handelte es sich offenbar um einen gewöhnlichen Kurier u. zw, um denjenigen, der nach einer langen Pause wieder einmal ein Lebenszeichen seitens des Erzherzogs noch aus Spanien gebracht hat. Trautson sagt

1) Lünig-, Deutsches Reicbsarchiv III. Band, p. 180 und DJE. CHI. p. 181.

2) Wilhelms von Oranien, von dem kurz vorher in der Proposition ge- sprochen wird.

s) K. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien. Kaiserl. Reichstagsakten 1569. Fase. 51. Frankfurter Deputationstag. Proposition auft' den Fr(anc)kfortischen Tag, Fol. 7 a und 7 b.

*) DJE. cm. 192.

5) Czerwenka Bernhard, Die Khevenhüller. S. 78. Wien 1867.

6) DJE. CHI. 211.

') Loserth, Die Heise Erzh. Karls IL, Beilage Nr. 23, p. 191.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp 11. etc. 393

nämlich in demselben Briefe weiter: „. . . und bin gueter hoffnuuo-, wan I. F. DK (Erzh. Karl) gueten windt gehabt, 1. F. D*. werdeu uunmer schon über das meer und in Italia ankörnen . , . . sein". Wäre KheveuhüUer der Kurier des Erzherzogs Ge- wesen, so würde in diesem Briefe an Stelle des Wunsches sicherlich die Mitteilung von der bereits erfolgten Landung in Italien getreten sein. Auch wäre Khevenhüller in der kurzen Zeit von 6 8 Tao-en kaum von Savona bis Wien gekommen. Hält man sich vor Augen, dass Savoua so ungefähr in der Mitte zwischen Madrid und Wien liegt, so wird man auch ungefähr 14—15 Tage für die Linie Savona Wien ansetzen kcinnen. Das stimmt auch so ziemlich überein mit der Zeit von 17 Tagen, die Erzherzog Karl für die Reise von Graz nach Genua gebraucht hat. Mit Rücksicht auf das eben Gesagte dürfte Khevenhüller ungefähr am 10. Mai nach Wien gekommen sein und die Antwortschreiben überbracht haben. Tatsächlich berichtete erst am 28. Mai Vanegas an seinen König über die Ankunft Khevenhüllers in Wieni) ^j^d am 26. und 28. Mai schrieb Kaiser Maximilian zwei Briefe an König Philipp. In dem vom 26. Mai, von dem noch weiter unten die Rede sein wird, sagt der Kaiser ausdrücklich, er habe durch einen Kurier einen besonderen Bericht und die Abschriften von allem dem erhalten, was zwischen dem Könige und dem Erzherzoge ver- handelt wurde in den Angelegenheiten, derentwegen er den Erzherzog nach Spanien geschickt habe 2).

Und in dem Briefe vom 28. Mai heisst es, der Kaiser habe aus einem Schreiben des Erzherzogs ersehen, wie gut der König mit Erz- herzog Karl gewesen, und fühle sich sowohl als auch den Erzherzog sein Leben lang zum tiefsten Danke verpflichtet^).

Hält man die angeführten Sttellen der beiden Briefe zusammen mit dem, was oben (S. 392, Z. 19—20) über die Sendung Khevenhüllers gesagt worden ist, so rauss man zu dem Schlüsse kommen, dass da ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dass der Kaiser erst einige Zeit nach Khevenhüllers Ankunft an den König geschrieben hat, ist dadurch zu erklären, dass Maximilian am 17. April 1569 von einem Herzleiden befallen wurde*), das mehr als 30 Tage, also über den 17. Mai hinaus andauerte^).

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass der Kaiser die Autwort Philipps erst im Mai u. zw. zwischen (ungefähr) dem 10. und (sicher) dem 2ß. erhalten hat.

') DJE. cm. 211. 2) DJE. Cllf. 202. «) DJE. CHI. 207.

*) Losevth, a. a. ü , Beil. Nr. 21, S. 190. ') DJE. CHI. 2U).

Mittheilunscn XXIV.

26

394

Robert F r e 1 1 e n s a 1 1 e ].

In dieser Zeit muss aber der Inhalt der königlichen Antwort- schreiben in der nächsten Umgebung des Kaisers schon läno-ere Zeit bekannt gewesen sein, ohne dass dieser eine Ahnung davon hatte. Am 22. März 15ö9 schickte nämlich Phi- lipp IL vom Escurial aus den beiden Gesandten in Wien, Chantonay und Vanegas, folgende Schriftstücke in Abschrift: eine spanische Über- setzung der kaiserlichen Instruktion, die Erzh. Karl am 13. Dezember überreicht hatte, die Respuesta, den ßecuerdo^) und die Replik des Erzherzogs darauf. Diese Schriftstücke sollten sie mit Ausnahme des letzten der Kaiserin zeigen und im Falle eines geäusserten Wun- sches zum Durchlesen überlassen. Doch sollte sie sich dem Kaiser gegenüber nicht verraten, dass der König sie habe benachrichtigen lassen ; sie sollte vielmehr tun, als ob sie eine Neuigkeit erführe, wenn der Kaiser ihr von der Sache Mitteilung machen würde ^).

Nimmt man an, dass diese Sendung auch ungefähr einen Monat nach Wien gebraucht hat, so ergibt sich, dass schon vor Ende April die beiden spanischen Gesandten und sehr wahrscheinlich auch die Kaiserin die königliche Antwort bereits genau gekannt haben, während der Kaiser noch auf die Antwort wai-tete, die ihm so viel Sorgen bereiten sollte.

11. Über die Berechtigung des Kaisers, an dem R e s p o u s u m Änderungen vorzunehmen.

Von ßezold^) und nach ihm Droysen^) erheben gegen Maximi- lian II. den schweren Vorwurf, der Kaiser habe den Text des Respon- sums gefälscht. Es soll nun untersucht werden, ob diese Beschul- digung berechtigt ist oder nicht.

Zunächst darf nicht übersehen werden, dass das Responsum jenen Wünschen nicht entsprach, die der Kaiser in seinem Briefe vom 17. Jänner 1569 dem Könige von Spanien gegenüber zum Ausdrucke .gebracht hatte. Die Antwort sollte nämlich so beschaffen sein, dass die Kurfürsten keinen Grund hätten, scheu und unruhig zu werden re- celarse ni de revolver algo) '">).

Ferner war, wie es sich bei der Betrachtung des Kapitels , Reli- (^ion" zeio-en wird, die Übersetzung noch schärfer als das spanische Original ausgefallen. Nun hatte aber Maximilian freiere religiöse An-

1) Vergleiche oben die Fussuote 3 auf S. 391. '•') DJE. cm. 177 und 178.

3) Briefe des Pfalzgrafen Johann Casimir I. p. 40. München 1882.

4) Geschichte der Gegenreformation (Oncken), p. 99. Berlin 1893. s) DJE. cm. 75.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians IL mit Philipp IL etc. 395

sichten als der streng katholische Philipp; es lag daher nahe, dass der Kaiser manche schärfere Wendung schon aus dem Grunde ent- fernen werde, weil sie in der ursprünglichen Fassung der könio-Uchen Antwort nicht enthalten war.

Aber es kommt noch ein ganz besonders schwer wiegendes Mo- ment hinzu. Schon am 20. Jänner 1569, nämlich gleich bei der Über- gabe der beiden ersten Antwortschreiben, sagte der König ausdrück- lich, das Schriftstück (Respuesta) könne ganz oder teilweise den Fürsten mitgeteilt werden 1). Denselben Standpunkt nahm der Könio- auch noch am 22. März 1569 ein, als er seine Wiener Gesandten mit den Schriftstücken bekannt machte, die zwischen ihm und dem Erz- herzoge gewechselt worden waren. In der „Relacion", die den Schrift- stücken beigegeben wurde-), heisst es: ,0b diese mündliche und schrift- liche Antwort teilweise oder ganz oder als Bericht den Kurfürsten und Fürsten zugeschickt werden soll und auf welche Weise, das bleibt dem Kaiser überlassen, je nachdem er es für notwendig erachten wird, um sie zu befriedigen und zu beruhigen. Sollte er sich aber eut- schliessen, das zu tun, so wird es recht und billig sein und man wird darnach streben müssen, dass S^ Kais. M^. die an ihrem Hofe weilenden Gesandten S'. Kath, M*. davou verständige und ihnen Mitteilung mache, besonders dann, wenn die schriftliche Antwort nicht ganz, sondern teilweise oder in Form eines Berichtes zugeschickt werden soU^). Und das hat der Kaiser genau getan. Er liess Chantonay rufen und vereinbarte nach dessen Rat und Meinung (con su consejo y parescer) den Wortlaut jener Stelleu, die aus dem Responsum^) ausgeschieden werden sollten. Zasius trat besonders eifrig für die Weglassung dieser Stellen ein, weil sie die Kurfürsten und Fürsten unwillig machen könnten. Daraufhin wurde der König von den beschlossenen An- derunoeu in Kenntnis g-esetzt, indem man ihm auch ein Exemplar des Respousums zuschickte, in welchem die auszulassenden Stellen unter- strichen waren ^).

') DJE. CHI. 382. Die Auffassung Philipps ist auch so denkbar: er wollte wohl Auslassungen z-ulassen, aber nicht in dem Sinne, wie es Maximilian getan hat.

2) DJt;. cm. p. 374—881.

3) A. a. O. p. 377.

^) Darnach ist zu korrigiren Kluckhohn, Friedrich der Fromme p. 332, wo es heisst, dass in dem sp anisch en Aktenstücke einige allzu anstössige «teilen unterdrückt werden sollten. 1. i

^) DJE. cm. -204 und 213. Das zuletzt erwähnte Exemplar befindet sich gegenwärtig im Archivo general zu Simancas, lega,jo [FascikelJ 662.

26*

396 Robert Frettensattel.

Darauf kam freilich jenes Schreiben Philipps, das der Kaiser durchaus nicht begreifen konnte. Er äusserte sich auch den beiden spanischen Gesandten gegenüber mit vollem Rechte, mau habe ihm nie geschrieben, dass er in der Antwort des Königs gar nichts strei- chen dürfe. Man habe es ihm überlassen, die Antwort ganz oder im Auszuge mitzuteilen. Es sei nicht einzusehen, warum die Antwort ganz abgeschickt werden solle, umsomehr als darin manclies, was sich auf die Religion bezieht, so oft wiederholt werde i).

Aus dem Gesagten geht zweierlei hervor: 1. Maximilian 11. hat sein Vorgehen für durchaus korrekt gehalten. 2. Wer die Sachlage objektiv prüft, der muss zugeben, dass der Kaiser sich genau nach den betreftenden Bestimmungen Philipps IT. gehalten hat. Maxi- milian II. hat vollkommen loyal gehandelt und von einer Textfälschung kann keine Rede sein. Hätte er sie begehen wollen, so würde er nicht so lange mit Philipp verhandelt haben, um ihn zur Anerkennuny; der Änderunjjen zu bewegen.

o o o

111. Wortlaut der Stellen, die im Responsum gestrichen

werden sollten.

Es lag der Gedanke nahe, dass sich durch einen genauen Ver- gleich der Respuestii mit dem gekürzten Responsum, das sich iiu Innsbrucker Statthaltereiarchive befindet^), der Wortlaut der dem Kaiser bedenklichen und daher wegzulassenden Sätze und Wendungen fest- stellen Hesse. Es zeigte sich jedoch sehr bald, dass diese Methode nicht zum Ziele führen kann. Es stimmen nämlich selbst solche Stellen nicht übereiu, die ganz harmlosen Inhaltes siud und seitens des Kaisers sicherlich keine Änderung erfahren sollten. Die Übersetzung ist eben nicht ganz genau^).

Der Versuch, den Wortlaut des in Simancas befindlichen Respon- sums mit den unterstrichenen Stellen kennen zu lernen, führte da- gegen zum Ziele. Der Vorstand des dortigeu Archivs, Don Claudio Perez y Gredilla. unterzog sich der Mühe einer längeren Korrespondenz,, die damit endete, dass ich mein Ziel vollkommen erreichte*).

') DJE. CHI. 275, Brief Chantonays und Vanegas an den Köni<r.

-) Vergl. weiter unten S. 402. Fussnoto 2.

3) Verg], oben S. 394.

•') Bei dieser Gelegenheit kann ich es nicht unterhisson, den löblichen Direktionen und den Herren Beamten aller in dieser Abhandlung ge = nannten Archive für die Bereitwilligkeit, diese Studie zu fördern, meinen besten Dank auszusprechen.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians IL mit Philipp II. etc. 397

Bevor ich auf den Wortlaut der betreflFendeu Stellen eingehe, glaube ich einige Worte über die Gliederung des ßespousums und über dessen Verhältnis zur Respuesta sagen zu sollen, da sonst leicht einiges von dem Folgenden unverständlich bleiben könnte.

Der ganze Titel des Responsums 1) lautet also : Responsum ex parte catholicae M*'*. ad ea, quae Ser"'"^ Princeps Carolus Archidux Austriae patruelis eins char'""*. nomine Ser"'i. ac potentissimi Principis Maximiliani Romanorum Imperatoris fratris eins chiirissimi exposuit.

Das Schriftstück zerfällt wie die Respuesta in 19 Absätze, aus deren Anfängen oft gleich der Inhalt des ganzen Absatzes ersichtlich ist; doch stimmen die Absätze des Responsums und der Respuesta gegenseitig nicht übereiu, wie das die folgende Übersicht näher zeigt.

') DJE. CHI. p. 88—108. Einen Auszug daraus bringt Holzwarth, Der Abfall der Niederlande. II. Band. 1. Abteilung S. 323—329. Ein sehr kurzer Auszug findet sich bei Gachard, Corresp. II. Nr. 818 (p. 55—57).

J98

Robert Frettensattel.

Ab- satz

Responsum.

1.

Intellexit ac mature consideravit . . .

Einleitung.

2.

Nunquam sane putarat . . .

3.

Hallet praeterea . . . gvatias . . . pro e.a cura

4.

Primum quidein quod ad religionem atti-

net . . .

I. Teil.

5.

Quod autem . . . nimis severe . . .

Reagirt auf die

6.

7.

Quod vero perhibetur . . . gubernationis for-

mam . . . mutasse . , . Cum igitur III.""^ Parmae ac Placentiae Du-

kaiserliche In- struktion und ganz besonders auf die Wünsche

cissa , . .

der deutschen

8.

Quod autem ad Hispanos milites attinet . . .

Kurfürsten und

9.

Quod vero ad ipsum Urangiae Principem atti- net . . .

Fürsten.

10.

Exposuit Regia Cath.-^ M.^^s ^ . .

Übergang.

11.

Et primum quidem ea . . . pacis coutur- batio . . .

12.

Quod vero eius consilii ...

13.

Quod autem Caes.=^ M.t^s . . .

^ 14.

In ea vero parte . . .

II. Teil.

15.

In eo vero quod de odio ac diftidentia . . .

16.

Quod autem Cath.'^^ ^iß interdicendum sit . , .

17.

Nee vero Cath.'> M.^^s ambigit aut ignorat . . .

18.

Quae vero damna, mala et incommoda . . .

19.

Cumque per ea dicta . . .

(Ohne Datum.)

Schluss.

Ab- satz

1.

(2- \3.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp IL etc. 399

Eespuesta

Por lo que el Serenisimo Archiduque ha dado por scripto y refe-

rido de palabra . . . Nun Ca penso S. M. Catölica ... Mas este cuidado le quita en gran parte . . . Este oficio que el Emperador ha querido hacer . . .

/6. \f,.

8.

9. 10.

Y tomando principio por el de la religion . . .

No se ha persuadido ni se podrä jamäs persuadir S. M. Catölica

En lo de la justicia y castigo de los rebeldes . . . En lo de la mudanza del gobierno ...

En cuanto ä la genta de guerra y de la nacion espaiiola . ; .

Y en cuanto toca al Principe de Oranjes . . .

11. Y como quiera que por lo que esta dicho .

,13.

\u.

15. 16. 17. 18.

19.

Primeramente . . . S. M. J. considera . . . la perturbacion de la

paz publica . . . En lo que toca ä la Majestad del Eraperator ... Empero en los presentes y de que agora se trata . . .

Y en cuanto a los daäos e inconvenientes . . .

Y otrosi, cuanto al odio, ditidencia y mala satisfaciou . . .

Y en cuanto a lo que S. M. Cesärea demäs desto dice . . .

Y en cuanto a los males y daiios ...

Esto es lo que ä S. M. Catölica ha parescido re<ponder (Datum: Madrid 20 de Enero de 156'J.)

400 ' R 0 b e r t F r e 1 1 e 11 s a 1 1 e 1.

Auslassungen waren beabsichtigt im 4., 11., 12. und 15. Absätze, die meisten und bedeutendsten freilich im 4., der sich, wie man aus der Übersicht ersehen kann, mit der Religion befasst. Hier gab es aus naheliegenden Gründen die meisten Stellen, die nach der Meinung Maximilians II. den protestantischen Kurfürsten und Fürsten „zu hart" erscheinen konnten. Dieser Teil des Respousums kann jedenfalls auf allgemeines Interesse rechnen und darum folgt hier der zusammen- hängende Text des 4. Absatzes i).

Primum quidem quod ad religionem attinet, ex quo Eex Catbolicus Belgicas suas provincias, ut verus et legitimus in eis successor regere et gubernare coepit, omne Studium omnemque curam eo direxit et in hoc constituit, ut in dictis dominus ac reliquis suis regnis veram antiquam et catholicam fidem, quam ipse profitetur et in qua et vita est sibi appetenda et mors subeunda, et retineret et conservaret, onmesque sibi in eis reliquisque regnis subiectos in sacrosanctae ßomanae ecclesiae obedientia contineret. Et hac quidem constanti et perpetua deliberatione nee permisit nee permissurus est unquam in dictis suis j^^ovinciis ac do- minus, quod ab ea alienum aut diversum sit, nee vero in ea fidei ma- teria, fulciendaque ac retinenda vera religione novis mediis, nova forma, aut inusitatis usus est remediis. Sed neque ab bis recedendum existi- mavit, quae sancta Ecclesia Eomana instituit et hoc imperatorum ac regum orthodoxorum legibus est sancitum et earundem provinciarum legibus pragmaticis et placartibus est statutum : secutus nimirum in hac re tarn Ecclesiae et sacrorum canonum auctoritaiem et legum atque sanctionum iustissima decreta, quam maiorum suorum cathoiicorum principum vetustis- sima exempla. Neque quod Cath.^ ac Eegia M '^^ hac authoritate et his praeclarissimis ejcemplis, in religionis ac fidei negotio ita processerit, eius- dem vasalli et subditi, quasi secum durius aut iniquius actum sit, iuste conqueri possunt, nee exteris, praesertim principibus materia aut occasio praebita est, quicquam in hoc incusandi aut culpandi, nisi qui velint Sanctam Ecclesiam Catholicam, quae sie instituit, iniusti- tiae; vires sacros, qui ita docuerunt, erroris; christianos principes, qui communi ac perpetuo consensu ita serva- runt, iniquitatis, abusus et ignorantiae arguere. Nee vero Cth.'i ac Regia M/''^ in hoc fidei ac religionis negotio admisit, nee admis- sura est unquam ulla arbitria, pacta, conditiones, aliasque leges, seu quic- quam aliud praeter id, quod sancta Eccl.''^ Cath.^ Romana instituit, san- civit et ordinavit, ad cuius verum, unicum et sacrosanctum iudicium id pertinet: et cuius est decernere et constituere, quid terendum^), quid amplectendum, quid denique ordinandum sit: illudque taut um esse ac semper futurum rat um verum, iustum ac sanctum nee

1) .Die Stellen, die ausgelassen werden sollten, sind hier gesperrt gedruckt : das in Kursivschrift Gedruckte ist in der Respuesta noch nicht vorhanden und kommt als ein Plus erst im Responsum vor'.

-) Offenbar ein Schreibfehler für »tenendum* ; in der Respnebta steht; ». . . io que habemos de tener 3' guardar"'.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians 11. mit Philipp IL etc. 4()X

ea, quae ad religionem attinent, nostro pendere arbitrio, aut nostris esse metiendacommoditatibusaututilitatibus, neque quod ah eo quoqu.omodo deflexerit aut deviaverit, ulla quidem humana auctoritate, consideratione aut con- templatione iustum reddi, sed neque defendi aut excusari posse. Nee similiter Regia Cath.'^' M.^^ potuit unquam m a'nimum indu- cere, aut sibi persuadere in hac sacrae fidei materia, exterminandis erro- rihus, cohihendis maus, iustum aut conveniens nUa ratione esse posse, aut difFerre, protrahere, intermittere aut dissimulare, salva ea, quae perpetuo servanda est, fidei ratione. Quae quidem eis 2)raecipue, qui publico munere funqwitur^ nou tantum corde ad credendum et ore ad confitendum, sed in ipsis prope manibus habenda est, ut qiiatenus sui muneris et sanctorum patrum decretis continetur, alios in religione contineant et desciscentes ah eo coerceant. Cum praesertim et ratione constet et exemplis doceamur, quamruinam, quamdeniquecalamitatem etper- turbationem hisce temporibus haec differendi et dissimu- landi ratio in Christi an am Rempuhlicam invexerit, proin- deque quam sit exitiosa et periculosa in eo negotio tole- rantia et jjertn issio , cum hoc pestilentissimum malum, nisi ei summa vi ohsistatur i p s o g m e p r i n c i p i o r e p r i m a t u r , lat e serpat, vir es ac incrementum accifiat ac \Q\w.i'i i g u i s hrevis- simo tempore omnia conficiat ac devastet , ut difficillime ei postea recurri aut remedium adhiberi possit: satisque id et vetustis et novis exemplis magno quidem et communi damno ac dolore didicimus. Ea vero temporum iniquitas et con- ditio, quae ab imperatore repraesentatur, quasi ei sit interdum cedendum, tantum abest, ut M.®'" Suam Cath.=^"i a proposito dimoveant, aut ab in- siituto deflectant, ut ea potissimum ratione iisdem de causis in eo persisten- dum existimet, quod ea temporum inclinatio et iniuria nos admoneat et exempla quae referuntur edoceant, quanta cura et solicitudine, quae reliquae sunt provinciae, servandae sint et tuendae, ne hoc e x i t i o - sum malum in eas obrepat, crescat, latiusque disseminetur et has quasi religionis reliquiasdefendereetintaminatas servareopor- teat: acerhissimaque mala, quae nostra hac tempe State in multis provinciis et regionihus haec in religionis causa licentia et libertas pepererit, satis documento sunt, qua via i n c e d e n d u m e t a q u a d e f 1 e c t e n d u m s i t , ni velimus omnia funditus everti ac in summa m perniciem tra h i. Praeter id vero, quod ad pietatem pertinet, atque ad Dei gloriam et honorem ac religio- nis respicit, cuius ratio (posthabitis omnibus humanis rebus) et habenda et anteponenda est, quando ea essent dirigenda humana prudentia et fine constituendarum et stabiliendarum rerum, est id adeo religioni coniunctum, ut neque dominatus, neque summa rerum, neque principum autontas, sive pax aut concordia subditorum, aut publicae quietis ratio stabiliri possit, neque contineri, si in decretis sacrae religionis sit dissidium, aut ulla discrepantia, aut in ea permissa sit quaecumque occasio libertatis atque licentiae, est haec adeo constans atque perpetua ratio omnibus explicata atque recepta temporibus et nationum firmata communi consensu, ut non tantum catholici principes, qui verae atque catholicae fidei causa religionem

402 Robert Frettensattel.

tuendam atque firmissime conservandatn constituerunt, sed et gentes ac barbari humana ratione ac consüio eimdem tenorem in ficta atque falsa sua religione communi conr.ordia observarint.

Was sonst noch wegbleiben sollte, war nicht von Belaug; der Wortlaut dieser Stellen ist folgender:

a) Im 11. Absätze nach den Worten ,conturbatio, tumultus, ar- morum motus': „tractatus, pactiones ac foedera" . .

b) Im 12. Absätze nach ,nou videt Regia M.*^''% cur': „hoc tauti sit faciendum- curque" . . . .

c) Im 15. Absätze nach ,habita colloquia, interveuisse tractatus' : „initas pactiones, coustituta foedera" ... und nach , Impres- sum facile evellenduni ac diraittendum': „colloquia tractatus, pactiones ac foedera nou magno quidem negotio dissol- venda" . . .

iV. Über die Absicht des Kaisers, die Antwort den Kur- fürsten und Fürsten zuzuschicken.

Der Kaiser hatte den Kurfürsten und Fürsten versprochen, er werde ihnen das Ergebnis der Gesaudtschaftsreise mitteilen, in der Tat entsprang ja die ganze Reihe von Änderungen nur dem Bestreben des Kaisers, das Antwortschreiben des spanischen Königs auch den protestandischen Kurfürsten mitteilbar zu machen. Am 26. Mai 1569 schrieb er an Philipp II. jenen Brief, in welchem er von den beab- sichtigten Auslassungen Mitteilung machte und dem er eine genaue Abschrift des gekürzten Responsums beilegte mit der Bemerkung, er habe beschlossen, den Kurfürsten und Fürsten ehestens (con tanta major brevedad) i) die Autwort zuzusenden.

Am 7. Juni schickte Maximilian 11, an seinen Bruder Ferdinand von Tirol ebenfalls eine Abschrift des gekürzten Responsums mit der V'crsicherung, er sei entschlossen, die Antwort des Königs „den sechs; ch urfttrsteu in k u i- z e m zu c o m m u n i c i e r e u " 2^_

Auch Chantouay und Vanegas meldeten am 29. Mai au den König, die Absenduug des gekürzten Responsums werde nach der Ankunft des Erzherzogs Karl erfolgen^). Dieser kam in Wien an.

1) DJE. cm. p. 204.

-) Loserth a. a. 0. p. "200, Beilage Nr. 28. Daher erklärt sich das Vor- handensein dieses Schriftstückes im Statthalterei-Archive zu Innsbruck, wo es sich beim Briefe Kaiser Maximilians II. (7. Juni 1569) an Erzh. Ferdinand be- findet. Es hat auf der ersten Seite den Vermerk: Ad Ferd. fol. 105. Nr. 112; Erzh. Karls Reise nach Spanien.

■'j DJE. ein. 214.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp II. etc. 405

Dienstag, den 14. Juni^) und so konnte man überzeugt sein, dass die Antwort an die Kurfürsten etwa Mitte Juni abgegangen ist.

Dieser Meinung war auch König Philipp, als er am 19. Juli 1569 au Alba 2), am 21. Juli an Maximiliau II. 3) und am 28. Juli an Chantouay und Vanegas^) schrieb. Letzteren gab er den Auftrag, sie sollen trachten, sich eine geuaue Abscln-ift der veröffentlichten Antwort zu verschaffen.

Aber schon am 9. August 1569 schrieb Philipp II. au Chantonay, er (der Köuig) habe bemerkt, dass in keinem Briefe Chautonays er- wähnt wurde, der Kaiser habe den Kurfürsten und Fürsten die Antwort mitgeteilt; er würde sich freuen, wenn der Kaiser die Mitteiluug hin- ausgeschoben hätte, bis des Königs Kurier kommt ^).

Darauf erhielt er von den beiden Gesandten einen vom 12. Sep- tember 1569 datirten Brief, in welchem ihm berichtet wurde, ver- schiedene Umstände haben den Kaiser daran gehindert, den Eutschluss der Mitteilunof auszuführen ; als endlich alles zur Absendnug des Schriftstücke.s bereit war, sei der Kurier des Königs orekommen. Da habe sich der Kaiser entschlossen, mit der Mitteilung zu warten, bis Philipp II. seine Absicht neuerdings kundgegeben habe*^). Damit war also die Sache vorläufig aufgeschoben.

Am 25. September 1569 schrieb Alba an den König, er sei nicht der Meinung, dass die königliche Antwort den Kurfürsten mitgeteilt werden solle 7).

Deu 5. Oktober 1560 meldete Chantouay an Philipp 11., dass die Antwort bis jetzt noch nicht zugeschickt worden sei"^).

Inzwischen hatte der Kaiser alle Vorbereitungen getroffen, damit das Responsum übermittelt werde. Es wurde am 20. Oktober 1569 in Pressburg der Wortlaut eines Begleitschreibens entworfen, das die Abgesandteji bei der Überreichung der spanischen Antwort deu Kur- fürsten übero-eben sollten. Im k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchive zu Wien habe ich 3 Konzepte und 1 Reinschrift dieses Schriftstückes gefunden. Von ganz besonderem Interesse ist das Konzept, das für das Schreiben an deu Erzkanzler entworfen worden ist. Es enthält

') Loserth a. a. 0. p. 201, Beilage Nr. 29.

'') Gachard, Corresp. II. 102, Nr. 891.

3) DJE. C[ll. 242—243.

*) DJE. cm. 245.

^) DJE. cm. 261.

«) DJE. cm. 275.

') Gachard, Corresp. II. Nr. 904.

») DJE. cm. 299.

404 Robert Frettensa 1 1 el.

nämlich eine Iii struktiou , die vou zweiter Hand auf die frei ge- bliebenen Stellen des Konzeptes geschrieben ist und für die Über- bringer des Kespousums bestimmt war. Das Konzept lautet folgender- niasisen ^) :

Maximilian der annder, vou gottes genaden erwölter römischer kaiser, zu allen zeitten merer des reiclis u. s. w.

Neben insducüon und heueich, was unsere ziv den Rheinischen chur- fursten abgeordnete gesanten neben ierer haujHsachlichen tverbung einen iden derselben insonderhait weiters anpringen sollen. Und nemlich tvollen uir, das bemelte unsre gesanten, nach deine sie uff' ire Werbung des khunff'tigen reichstags halben resolution und antiwort empfange, alsgleich daruff icol- gedachten churfursten in hewuster ordnurig anzaigen. Sein Lib. wise sich freundtlich zu erinnern, wölchermassen unnd aus was guethertzigem vätter- lichem gemueth, lieb unnd zAinaigung, so wir zu yeder zeit mit allem kaiserlichen waren eyfer das gemain besste und ruesambe wolfart, in unnserm furgeliebtem gemainen vatterlanndt des heiligen reichs Teutscher nation erspriesslich zu befurdern, sowol auch bey den anrainenden ge- nachbarten lannden unnd gebietten den gewünschten friden zu stuften, besondere hertzliche naigung unnd begier tragen auch vornemblich auf das erinnerlich hochvleissig vnnd embsig vermanen, anlanngen vnnd bitt, so bey vnns in neckst abgeloffnem herbst verschines acht vnnd sechtzi- gisten iars durch S. L. mit und neben der anndern churfursten unnd etlicher namh äfften fursten Lß^'^ zu unns abgefertigten stattlichen abge- sanndten und pottschafften so mundtlich, so schrifftlich furkomen, betref- fenndt die Nideidenndische, damals vast weittleuffig empörunge und ge- achwebbte unrichtigkhait unns genedigclichen erclärt, auch freundtlich, genedig unnd wolmainlich anerbotten, darzue den durchleuchtigen hoch- gebornnen Carln, ertzhertzogen zu Österreich etc., unnsern freundtlichen lieben bruedern unnd fursten, alssbaldt durch schickhung, auch volgenndts in aigner person dahin vermocht, das S. L. -unns zu bruederlichen unnd gehorsamen ehren unnd dann der churfursten unnd mitschickhennden fursten L.^^" zu freundtlichem wolgefallen, auch gemainem weesen zum bössten, unverhindert aller S.®'' L. merckhlichen ungelegenhait bewilligt, sich aigner person zu des auch durchleuchtigsten fursten, herrn Philippsen, kunigs zu Hispanien etc., unnsers freundtlichen lieben vetters, schwager unnd brueders L., gar hinein inn Hispanien geprauchen zu lassen unnd an unnser statt, auch in unnserm namen die jhenige hanndlung trewlich unnd embsigclich mit 8.^^' L. zu pflegen, so zum taill damaln, durch an- geregte chur unnd fürstliche gesanndten bey unns vorzunemen stattlich geworben unnd dann von unns S.*^'", unnsers lieben bruedern lieb im gar aussfuerlicher, wolbedächtiger unnser instruction nach allerlenngs befolhen worden. Seitemal dann nun solliche unnsere so ansehnliche lega- tion durch mittl wolermelts unnsers freundtlichen lieben bruedern nit allain getrewlich unnd geschickhlich fortgesetzt und S. L, sich daran weder die ungelegenhait der zeit noch auch die gefärlichait dess hin unnd her- widerschiffens über meer (so doch dieselbe gefärnuss baydemal mit wiss-

*) Das von zweiter Hand Geschriebene ist hier in Kursivschrift gedruckt.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maxiunlians 11. mit Pliilipp I[. etc. 40^

lichem merckhlichem grossen schaden unnd verderben annderer derwevls angestelten nauigationen sich zum beschwärlichisten erzaict) noch auch ichtes annders verhindern oder abwenndig machen lassen, sonnder vermöff von unns empfanngnen bevelchs und angeregter instructiön mit allem getrewem, autfrechtem unnd dapferm vleiss vernünfftig unnd weisslich nach- gesetzt, darunder auch nicht unndterlassen, auff die haubtsäehlich S '• L widerfame kunigcliche beanntworttung stattlich zu replicieren unnd" ge' dachter unnser zu allem fürfall gegebnen nachrichtung ebenmässio- zu erzaigen unnd zu uerhalten, auch allerletzlich widerumb den abschiedt zu, nemen unnd herauswertz so erst dero möglich geivest, zio uns sich zu uer- fügen, wie dan S. L. hernachmals mich hej uns gott loh glücklich und trol widerumb ankommen. Wir unns aber auch zu berichten wissten, das unns nicht allain unnserm liieuor gethonem freundtlichem unnd genedigen er- bietten nach, sonnder auch sonnst an sich selbst wol gezimen "wollte" S.i' L. zugleich wie auch der anndern churfürsten unnd als obsteet verganngens iars mitschickhennden fürsten L.den lennger mit nichten zu uerhaften, was, entlich mehr wolgedachts unnsers lieben bruedern L. für schlissliche annt- wortt in Hispanien begegnet 1).

So heften sie unsere gesanten deswegen von uns sondern austrücklichen bevelch empfangen, Seiner Lib von solcher erclerung und anttivort gleich- lautende abschrifft (trie sie den als gleich thun sollen) zu übergeben mid zu- zustellen.

Wollten auch S.r L. freundtlich nit verhalten, das dieselbe beannt- worttung zumal gleich anfanngs von des kunigs L. vil wolgedachtem unnserm freundlichen lieben bruedern als für die haubtsächliche annt- wortt also gegeben, unnd obwol darüber durch S.e L. mehrfältigs repli- ciert^) unnd S/ des kunigs L. allerhanndt erinnerliche persuasionen weitter zu gemuet gezogen worden, das doch S. L. yedesmals auf sollicher haubbt- sächlichen mit erst gegebnen anntwortt genntzlich unnd steiflf verharret, sich auch entlich, schliesslich und bestenndigclich darauf referiert, also das vil wolermelter unnser freundtlicher lieber brueder vnnd fürst, ertzhertzog Carll, allerletztens es auch darbey lassen unnd also von dannen abschaiden muessen.

Doch mit diser letzten des kunigs lautrem unnd aussfuerlichen er- clärung, das S. L. sich zu unns, den churfürsten, fürsten unnd stenuden des reichs freundtlich getrössten unnd genntzlich versehen thätten, es solt unnd würde S. L. weder bey unns, noch Ihren L.<^6n ^j^fj jeder menigc- lichen in ainich verdennckhen genommen werden, das S. L. ire lanndt unnd leuth nach angebung S."" L. gewissen unnd bessten wolmainens inu religion unnd prophansachen also zu regiern gesinnet, wie sy des gegen gott dem almechtigen am letzten tag wol zu veranntwortten gedächten, unnd aber darneben ganntz unnd gar nit gemaint wären, weder unns, noch jemandt anndern von churfürsten, fürsten unnd stennden des reichs in iren regimenten, es beträfife gleichwol das ewig oder zeitlich, ainichen eintrag, noch hindernuss zu thun, noch auch sonnst wider den gemainen geliebten friden yemandt zu beschwüren, oder on merckhliche zugenöttigte-

') In der Reinschrift steht hier noch : 80 übersenden "wir Deiner Lieb hieniit. abschrifft von derselben ganz freundlichen und genedigclich.

2) Schriftlich geschah dies am 31. Jänner und 26. Februar 1569.

406 Robert F ro tte n satt el.

yerursachung zu belöstigen, ausser des ainigeu faals gepurennder unud niemandts verbottner unvermeidenlicher natürlichen defension.

Das wir auch S. L. in dem das iren von vilen unguettlich ainicherlay pundtnuss wider die augspurgische coufession vnnd die stennde des reichs sich zu dei'selben bekennend one grundt ain zeit her zugemessen werden wollen entschuldigen, sonnder vilmehr churtursten, fürsten unnd stennde des reichs warhafftig unnd bestenndigclich vei-gwüssen wollen, das S. L. kaines anndern gesinnet, als in fridlicher, ruesamer nachparschafft unnd allem freundtlichen gueten willen mit den wol unnd eegenanndten chur- fürsten, fürsten unnd stennden des reichs, als auch nicht ain geringes, sonnder ansehen^ich mitglidt desselben sowol als mit unns selbst alle zeit freundtlich unnd guethertzig zu leben unnd zu billicher beschwärnus niemandt ursach zu geben, ja vielmehr sich alles freundtlichen unnd wol- ^enaigten guetten willens unnd lieb, auch genad unnd alles guetten gegen menigclichen im reich zu betieissen unnd dasselbe ebenmessig bey S/ L. geordneten gubernamenten unnd regennten in den nachgesetzten obrig- kaiten, was nationen die auch jmmer seyen, zu verschaffen unnd also zu kainem andern als herwiderumb aller gewartenden freundtschafft liebs unnd guets ursach zu geben.

Auf wüllich S.'" L. so stattliche erclärung unnd erbietten unnd an unns gelanngtes freundtlich unnd embsig ersuechen unnd begern, dasselbe S.'' L. so wol auch aller andern churfürsten LL. und sonst den fürsten unnd stennden des reichs anzufuegen wir unns freundtlich unnd brueder- lich getrössten, auch unzweifflich versehen fhetten^ es uürde S. L. demselben also würckliche unnd steifte nachsetzung thuen unnd dardurch pflantzung Killerseitts guetten willens unnd vertrawens nichzit erwindeu lassen.

Was wir dann inn sollichem unnd sonnst überal zu füi'derung guetes Dachparlichen verstandts unnd hinnemung des jhenigen, so demselben ver- hioderlich, inner unnd ausserhalV) des reichs thun unnd vorwen^len könfen, wollen wir fürbasshin nichts weniger als biss daheer jederzeit gnuegsamb- lich erspürt worden, ganntz kainen manngl sein lassen, unns auch in dem unnd anndern hochwichtigen fällen, wie dann ebenmessig biss daher ge- schehen, S.'' L und der andern churfürsten LL.*^*^" guetliei'zigen vernünff- tigen rätlichen wolmainens pflegen unnd gebrauchen. Unnd weren darmit S*. L. zu freundtschafft, gnalen und allem gueten vorder wolgewogen.

Wan nuhr unsere gesanten solche anzaiy gelhan und die hispanische erclerung als ohsteht übergeben haben, ob dan S. L. dagegen elticas in antt- wort fürpringen niirden, das sollen sie von denselben anhören und uns zu referirn benemen, aber sich sonsten in ainig replick oder disputation weiters mit nichten einlassen. Und an deme erstatten sie unsern gnädigen uillen und mainung, denen tvir mit gnaden gewogen.

Datum Presburg den 20. octobris A. 7569.

Auf der ersten Seite des Entwurfes, der den Vermerk hat: Anu «hurf. zu Meintz, ist liuks unten ein kleiner Zettel aufgeklebt, auf <lem von zweiter Hand geschrieben steht:

1. Freissleben, Colin. 4. Säller, Trier.

2. Prosanagkh, Pfaltz. 5. Fleischmann, Maintz.

3. Plaw, Brandenbg. fi. Vogl, Saxen.

Zu den Verbandlungen Kaiser Maximilians K. mit Pliilipp II. etc. 407

Offenbar sind das die Namen der Personen, denen die Besorgung der Reinschrift anvertraut war.

Am unteren Rande liuks ist „In simili. An churfürsteu vou Sachsen" durchstrichen.

Im Konzepte stand als Anredeform ursprünglich D. L. ; das ist von zweiter Hand durchstrichen und so geändert, dass indirekte Rede entsteht. Ferner ist auch das ursprüngliche Datum durchstrichen, das so gelautet hat : Geben auf unserem königclichen schloss Pressburg den zwaintzigsten octobris, Anno etc. im neunundsechtzigsten, unserer reiche des römischen und hungrischen im sibeuden, und des behaimischen im ainundzvvaintzijjsten.

Der zweite Entwurf beginnt: Ehrwürdiger lieber Neve und Chur- fürst. Es weisst D. L. sich . . . Wahrscheinlich war dies für die Kur- fürsten von Köln und Trier bestimmt.

Das dritte Konzept fängt so an : Hochgeboruer lieber öheim unud

churfurst. Es weist Auf der vorletzten Seite, wo der Text

aufhört, steht liuks unten: In simili: An churfursten von Sachsen. Das dürfte für die weltlichen Kurfürsten bestimmt grewesen sein

Die Reinschrift trägt keine Unterschrift, ist gefaltet wie Briefe der damaligen Zeit und hat aussen die Adresse: Dem hochgebornen Friederichen Phaltzgraven bey Rhein Hertzogen in Bairn und Graven zu Spanhaim des hailigen Römischen Reichs Ertz- truchsesseu unserm Lieben Ohaim und Churfursten.

Am unteren Rande steht: An churf. phaltzgraven mit über- schickung der Ku. M} zu Hispanien autworti).

Es kann nicht im gferiuffsteu bezweifelt werden, dass Maximilian II. in der zweiten Hälfte des Oktober 1569 allen Ernstes daran gedacht hat, das Responsum endlich den Kurfürsten zukommen zu lassen ; nur verhandelte er noch immer mit Philipp IL. damit dieser das Respon- sum in seiner gekürzten Form gutheisse. Dass auch jetzt noch die Verhandlungen fortdauerten, ersieht mau aus einem Briefe des kaiser- lichen Gesandten Adam von Dietrichstein vom 23. November 156'.', dem folgende Stellen entnommen sind : Ich hab den khünig abermalss aller erst gestern frue underthenigist ersuecht unnd gebetten, . . . sovil ... die comunication der F. D.^ ertzhertzog Carlss gegebner antwort betrifft, sich zu rcaolvieren und Eur Khay. M.* fürderlichen und gutten beschaid hierauf zu geben, mit der vermeldung, daß Eur Khay. M.'^ vil unnd hoch an solchen gelegen unnd mit grossen verlangen dessen

1) K. k. Geheimes Haus-, Hof- und Ötaatsarcbiv in Wien, lieicbsakten in ,^enere 1569—1570. Fase. 53.

408 Robert F r o 1 1 e n s a 1 1 e 1.

erwartteu. (Der König ist überhäuft mit Geschäften) . . . unnd woltten mir gar in khürtz hierauf antwort geben. Madrill den 23. tag novembris im 1569teu. (K. k. Geh. Haus-, Hof- und Staatsarchiv zu Wien. Span. Korr. 8).

Der König hat sich freilich nicht „in khürtz resolviert" ; denn es dauerte noch einen ganzen Monat, bis er die gewünschte (aber nicht die erwünschte) Antwort gab. Das geschah kurz vor dem 26. Dezember 1569. Unter diesem Datum schrieb der König an Ohantonay, dass „dieser Tage" mit Dietrichstein verhandelt wurde i). Aus dem Briefe Chantonuys vom 11. Februar 1570 geht hervor, dass es sich dabei um die Entscheidung wegen des Responsums ge- handelt hat2). Und aus der „Relacion que el cardenal de Sigüeuza dijo ä Diatristän etc.''^] ergibt sich, wie die Entscheidung gelautet hat. Mau antwortete Dietrichstein, der Könijr überlasse die Entscheidung darüber ganz dem Kaiser. Sollte er sich aber entschliessen, den Kur- fürsten die Antwort mitzuteilen, so müsste sie ganz o^egeben werden, ohne die geringste Änderung (enteramente ä la letra, sin mudar, alterar, quitar ni poner palabra alguna . . .').

xlus einem Schreiben Philipps II. an Chantonay, Tahivera, den 22. Jänner 1570, erhellt, dass der König fest bei seinem Entschlüsse wie vor einem Monate blieb''). Und am 11. Pebruar 1570 schrieb Chantonay an seinen König in dieser Angelegenheit, ohne zu berichten, dass die Mitteiluna; an die Kurfürsten hinausgecrangeu sei. Damit endet auch die letzte Spur in dieser Sache.

Emanuel von Meteren erwähnt wohl, dass die Antwort des Königs von Spanien später in die hochdeutsche Sprache übersetzt und ge- druckt worden ist"), meldet aber nichts von einer Zusendung an die Kurfürsten.

0 DJE. ein. p. 347.

2) DJE. ein. p. 343.

•■') DJE. cm. p. 3.53-354.

*) Folgende Übersicht möge verdeutlichen, wie Philipp II. seine Bedin- gungen allmählich immer strenger gefasst hat :

20. Jänner 1569: Das Responsum kann den Kurfürsten ganz oder teilweise mitgeteilt werden.

22. März 1569: ganz, teilweise oder als Bericht, doch nach erfolgter Ver- einbarung mit den beiden Gesandten des Königs.

28. Juli 1569 (nach dem Änderungsvorschläge des Kaisers): ganz oder teil- weise, aber ohne Änderung.

Vor dem 26. Dezember 1569: nur ganz, ohne die geringste Änderung.

-) DJE. cm. 424.

") Em. V. Meteren, Rjgentliche und vollkommene historische Beschreibung dess Niderländischen Kriegs .... 4 Bde. Ambsterdam 1627 I. Bd. S. 127.

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp II. etc. AQQ

Wäre diese erfolgt, so müssten sich sowohl das Kesponsum als auch das Begleitschreiben vom 20- Oktober 1569 iu jenen Archiven vorfinden, iu denen die kurfürstlichen Akten aufbewahrt werden. Darum habe ich mich unter ausführlicher Darlegung des Sachverhaltes an die Direktionen folgender Archive gewendet: Staatsarchiv zu München; Staatsarchiv zu Berlin; Staatsarchive zu Düsseldorf, Koblenz, Münster und Wiesbaden, Hauptstaatsarchiv zu D r e s d e n 1).

Von Seite der genannten Direktionen ist man mir mit einer ausserordentlichen Bereitwilligkeit entgegengekommen; man hat in einigen Fällen Aufklärungen gewünscht^ so dass die Möglichkeit eines Missverständuisses als ausgeschlossen angesehen werden kann. Und doch lautet der offizielle Bescheid aller sieben Archiv-Direktionen übereinstimmend dahin, dass weder das Responsum noch das Be- gleitschreiben vom 20. Oktober 1569 in den Beständen dieser Archive vorhanden ist.

Es wäre aber immerhin denkbar, dass aus irgend einem Grunde beide Schriftstücke in den geuannteu Archiven sich nicht befinden würden, obwohl sie Maximilian IL den Kurfürsten zugeschickt haben könnte, Erwägungen allgemeiner Art werden uns jedoch die Überzeugung aufdrängen, dass der Kaiser auch nach dem 11. Februar 1570 die beabsichtigte Mitteilung unterlassen hat.

Man bedenke doch, dass Philipp II. seit dem 27. Februar 1569 mit Anna, der ältesten Tochter des Kaisers, vorlobt war. Am 14. Jänner 1570 wurde der Ehevertrag geschlossen ^j und am 8. Februar 1570 die Vollmacht für den Erzh. Karl ausgefertigt 3), der den König bei der Vermählung am 4. Mai 1570 (Christi Himmelfahrt) vertreten hat^).

') An Düsseldorf, Koblenz und Wiesbaden wandte ich mich deshalb, weil zufolge gütiger Mitteilung des Kgl. Preuss. Geh. St.-Arch. zu Berlin in diesen Archiven die Akten von Kur-Köln und Kur-Trier liegen. Münster wurde be- fragt mtt Rücksicht auf eine Stelle bei Gachard (Corresp. II. p. 102). König Philipp schreibt nämlich am 19. Juli 1569 an Alba und sagt, es wäre gut, wenn Herzog Alba wie aus eigenem Antriebe eine Kopie der ganzen Antwort dem Kurfürsten von Trier und dem Bischöfe von Münster zusenden würde. Jannsen setzt (in der Geschichte des Deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters iV. Bd., S. 266) statt Münster .Mainz«, was mir richtiger scheint.

'^) DJE. cm. 435.

■■') DJE. eilt. 436. Wenn man dieses Datum vergleicht mit dem Datum S. 4US, Z. 21, so wird man um so leichter verstehen, warum die letzte Spur bezüglich der Verhandlungen Maximilians II. mit Philipp IL gerade um diese Zeit aufhört.

M DJE. CHI. 499.

Mitthciluriteri XXIV. -~

410 Robert Fret t ens a ttel.

Der Kaiser wollte seiuem Schwiegersohue durch fruchtlose Verhaud- luncren bejjcreflicherweise keine weitereu Unauuehmlichkeiteu bereiten.

Es darf auch nicht übersehen werden, dass sich bei Maximilian II. eine bedeutungsvolle Schwenkung vollzogen hatte. Wann diese Wendung eingetreten ist, darüber gehen die Meinungen auseinander. Es liegt nahe, die Zustimmung Philipps zur Vermählung mit der Prinzessin Anna (27. Februar 1569) als das erregende Moment anzu- sehen. Diesen Standpunkt vertritt Moriz Ritter i). Seine Ansicht findet auch eine Stütze in dem Berichte der sächsischen Gesandten vom 24. September 1568'^), der besagt, dass am Kaiserhofe fast alles „böse Spannisch ", ja sogar der Kaiser selbst seit dem Tode des Don Carlos „allerhant nachdengken" hat. Diese Meinung steht aber iu direktem Widerspruche mit der Behauptung des venezianischen Botschafters Johann Michele^), er habe seit dem Tode des Don Carlos an Kaiser Maximilian II. eine grosse Änderung bemerkt: bis dahin habe der Kaiser mit Vertrauten von Philipp II. fast mit Geringschätzung, von da au nur mit der grössten Achtung gesprochen. Das stimmt auch überein mit dem, was Vanegas am 11. Oktober 1568 an den König über seine Unterredung mit dem Kaiser berichtet hat*), der sich schon iu diesem Zeitpunkte vollständig im Fahrwasser Philipps IL befand, während man in Wien nur vom Ableben des Don Carlos Kenntnis hatte.

Und die Kurfürsten? Mehr als ein Jahr war dabingegaugen. Aufaugs, z. B. auf dem Tage zu Frankfurt, wurde lebhaft gefragt, was der Erzb. Karl ausgerichtet habe, ja man wandte sieht um Auskunft sogar an den kranken, iu Frankfurt nicht anwesenden Kaiser^). Nach einem Jahre war aber das Interesse schon bedeuteud, wenn nicht ganz geschwunden. Die katholischen Kurfürsten hatten den Inhalt des ungekürzten Responsums jedenfalls von Rom aus erfahren, wohin es Philipp IL geschickt hatte^). Die anderen Kurfürsten und Fürsten konnten sich denken, dass die Reise des Erzherzogs wenigstens mit Rücksicht auf die niederländische Frage keinen Erfolg aufzuweisen hatte. Überdies erfolgte in den Niederlanden bald (14. Juli 1570)

*) August von Sach&eu und Friedlich III. von der Pfalz. Archiv für die Sachs. Geschichte, herausgeg. v. Dr. K. von Weber. Neue Folge. V. Bd. Leipzit;' 1879, p. 346 und 347.

2) Vgl. ebenda S. 343, Fussnote 133).

s) F. R. A. II. Abth. XXX. Bd. Relationen veuetianischer Botschafter über Deutschland und Österreich S. 302,

') DjE. cm. 7.

5) DJE. cm. 275. «) DJE. cm. 243.

i

Zu den Verhandlungen Kaiser Maximilians II. mit Philipp 11. etc. 4^1

die Verkündigung des Generalpardons, wenn auch die Protestanten durch diesen gar nichts gewannen.

Alle diese Gründe zwingen zu dem Schlüsse, dass Kaiser Maxi- milian II. das Responsura höchst wahrscheinlich niemals den Kurfürsten zugesandt hat. Nun hatte er aber den Kurfürsten ver- sprochen, er werde ihnen von den Ergebnissen der Madrider Reise Mitteilung machen ; es lässt sich also nicht leugnen, dass er somit sein kaiserliches Wort nicht eingelöst hat. um jedoch Maximilian II. richtig zu beurteilen, darf man nicht übersehen, dass er sich in einem argen Dilemma befand, in das ihn einerseits seine nachgiebige Haltung gegenüber Philipp IL, anderseits seine religiöse und politische Über- zeugfunff orebracht hatten. Mehr als ein halbes Jahr bemühte sich der Kaiser, eine allseits befriedigende Lösung dieser Zwangslage zu finden ; und als er schliesslich keinen bessern Ausweg fand, weil alle Versuche an der entschlossenen und festen Haltung Philipps IL schei- terten, da gab er nach und opferte seine religiöse und politische Über- zeugung der Nachgiebigkeit gegenüber seinem zukünftigen Schwieger- .sohne.

27*

Drei Briefe Aug. Willi. Schlegels au Geutz.

]^Iitgetcilt von

Ludwig Schmidt.

Die im Nachstehenden abgedruckten Briete Schlegels an Geutz. stammen wie das iu dieser Zeitschritt 23, 490 veröffentlichte Schreiben an ]\Ietternich aus der im Besitz der Kgl. öff. Bibliothek ^u Dresden befiüdlichen Schlegel'schen Korrespondenz. (Bd. IX). Nr. 1 und 2 sind Kouzepte, Nr. 3 ist Abschrift von der eigeuen Hand des Briefschreibers. Schlegel hat dieselben iu seiner Eigenschaft als Geh. Kabinetsrat im Dienste Bernadottes geschrieben, es kommt ihuen daher der Charakter von offiziösen Schriftstücken zu. Es wird hier der Zweck verfolgt, die schwedische Politik Österreich gegenüber nochmals zu rechtfertigeu, nachdem die Verhandlungen mit dem Grafen Neipperg, der im Auf- trage Metternichs den Kronprinzen von der Schädlichkeit seiner An- sprüche auf den Besitz Norwegens überzeugen sollte, resultatlos ver- laufen waren.

1.

. St eck ho Im, Mai 1813.

Je vous ecris encore d' ici, mon ober Gentz, au momeut de me rap- procher de vous. Je m'en vais partir un de ces jours, je m' embarquevai pour r Allemagne et je saluerai mon sol natal avec une joye inexprimable sous des auspices bien dififerents de la sombre perspective de l'ete passe. J' aurai le bonheur d' accompagner S. A. R. le prince Royal de Sueile,. ainsi vous saurez toujours me trouver^).

1) Der Kronprinz von Schweden landete am 18 Mai in Stralsund.

Drei Briefe Aug. Wilh. Schlegels an Gentz. 413

II y a pres de. deux mois, qae je vous ai ecrit une longue lettre^) sur tout ce que j' ai eu occasion d' observer dans ee demi-tour de r Europe que nous avons fait, mes reflexions sur les evenemens, mes con- jectures sur l'avenir. Je vous ai peint ]a noble fermete, que le Pr. R. a mise dans la marche et les difficultes, qu'il a eu ä vaincre. Vous connaissez aussi bien que moi les Services, que la Suede a rendus ä la cause generale, par tout ce qu'elle a fait et par tout ce qu' eile s'est ab- stenue de faire. Mais tout en embrassant d' un vaste coup d' oeil les combinaisons de la politique europeenne, le Pr. R. n' a jamais perdu un seul instant de vue les interets de la nation, qui l'a appele ;i la succes- sion. 11 veut signaler son avenement en assurant aux Suedois un avan- tage vraiment national et durable. Des possessions transmarines ne peu- vent nuUement convenir ä la feuede, comme T histoire 1' a prouve : elles ont ete acquises par des guerres longues et sanglantes, elles ont ete perdues de meme. De tout cela presque rien n' est reste que les conquetes faites dans la Scandinavie meme, des provinces si essentielles ä la Suede, qu' on a de la peine aujourdhui ä se figurer, qu elles ayent jamais appartenues ä Danemarc. La Suede ne peut pas reprendre son influeuce en Europe, eile ne peut jamais agir avec energie au dehors aussi long-temps, que pendant chaque guerre eile a une immense frontiere ii garder contre un voisin suspect-).

L' Union des deux royaumes procurerait ä la Scandinavie l'avantage inappreciable d' une existence ä-peu-pres insulaire : hors de contact d' un cöte avec la ßussie, de l'autre avec le Danemarc, inattaquable dans l'in- terieur eile pourrait s'adonner tout entiere ä cultiver ses avantages ma- ritimes; delivree de toute l'inquietude sur son integrite eile n'aurait jamais plus de motif pour des guerres au dehors que celui de maintenir la liberte de la Baltique et la stabilite de Vetat des choses dans le Nord.

Le Pr. R. veut donc la Norvege, il la veut absolument, rien ne pourra Ten detourner. II a commence par le premier entretien que j' eus r honneur d' avoir avec lui, et hier encore il me parla dans le meine sens. L' energie de sa volonte marche d"un pas egal avec la superiorite de son esprit. II aura la Norvege de gre ou de force.

La premiere voye a ete tentee inutilemeut des le commencement de r hyver. Le cabinet de Copenhague n' a rien fait qui vaille. S' il s' etait prete ä donner une garantie süffisante de son adhesion ä la cause des allies, le reste aurait ete ajourne jusqu'ä la pacification generale, et Ton n'aurait rien exige de definitif, avant que les indemnites du Danemarc n'eussent ete assurees par des echanges. II y aurait eu du merite a quitter le parti de Napoleon, lorsque la scene de la guerre etait encore en Pologne, et nous serions bien plus avances aujourd' hui que nous ne sommes, si pendant 1' hyver un corps suedois eüt pu passer par les isles et la Jutlande pour agir conjointement avec des troupes danoises sur les dernieres de Y ennemi. Le Danemarc a repousse d' abord toute negociation, les forces de Napoleon ayant ete refoulees de plus en plus: lorsqu'a Co-

1) Dieser Brief scheint nicht mehr erhalten zu sein. ^ o \ ft.

2) Über das Verhältnis Schwedens zu Dänemark vgl. Schlegels ^clintf Consideratious sur la politique du gouvernement Danois. 1813 (Juni).

414 Ludwig Schmidt.

penhague on s' est vu ä-peu-pres cerni, on a fait quelques propositions touchees ä droite et a gauche uniquement dans 1' Intention de gagner du temps, de susciter une Opposition au ministere anglais et de desunir s'il etait possible les allies. Heureusement 1' on a tenu ferme, et rien de tout cela n' a reussi. Ces demarches semblaient meme dictees par Alquier^) dans l'esperance de conserver le Danemarc intact jusqu' cV ce qua les armes de Napoleon reprendraient le dessus dans le nord de l'Allemagne pour enployer alors toutes les forces danoises contre les allies soit en Allemague soit en Suede,

Nous allons voir, si les Norvegiens montreront un devouement sans bornes ä un roi; qu'ils n'ont jamais vu, et ä un cabinet, dont la poli- tique depuis six ans les a exposes ä la destruqtion de leur commerce et ä la plus affreuse disette. Le Prince Royal a eu soin de preparer les esprits en Norvege. On ne pense pas ä changer le cours (?) du monde, les lois et les coutumes de ce pays ni ä le gouverner autrement que par ses propres magistrats. II n' est pas question d' une reunion, mais de deux royaumes unis ä droits egaux. On ofFrira merae aux Norvegiens des sou- lagements considerables de leurs charges actuelles, outre la liberte du commerce et 1' abondance des grains qui s' ensuivraient immediatement.

Voici un apper^u des forces suedoises. Vingt cinq mille hommes d'anciennes troupes observeront la Norvege. Deux classes de la con- scription seront appellees aux armes, ce qui portera cette armee ä 40.000 hommes. Deux autres classes de conscrits restent en reserve. L' armee suedoise destinee ä agir sur le continent est de 30.000 hommes; avec les troupes, que les allies mettront ä la disposition du Pr. B., il commandera 7 0.000 hommes: c'est tout ce qu' il laut ä un general aussi actif et aussi experimente, pour faire des Operations decisives.

Vous sentez bien qu' il n' est pas necessaire de conquerir la Norvege en Norvege meme. Peut-etre le cabinet de Copenhague changera-t-il de pensees, quand il verra grossir le danger. On ne doit pas trop regretter, que cet episode dans la guerre universelle distraira momentanement une partie des forces, qui pourraient etre employees contre 1' ennemi principal. II ne serait pas prudent de laisser le Daneraarc en arriere dans sa position actuelle. On est porte dans ce momeut de fermer des esperances exage- rees : cependant je ne crois pas qu' on puisse se flatter de voir cette ter- i'ible guerre terminee de si tot. Lorsque la Suede aura obtenue son but, le seul, pour lequel on puisse engager dans une guerre trans marine une nation, qui peut constitutiouellement faire valoir ses interets, eile sera ä meme d'agir d'autant plus librement au dehors. N'ayant plus ä garder sa frontiere, avec les enrölemens volontaires en Norvöge ses foi'ces dispo- nibles pour la guerre d'Allemagne monteront ä 50.000 hommes. Le Prince R. est trop penetre des vues d' une politique liberale, pour ne pas persister jusqu'.au bout dans le noble entreprise de contribuer a rendre une tranquillite stable ä l'Europe. Ce n'est pas une haine personnelle, qui r anime contre Napoleon, c' est une Opposition de principes. Si 1' em- pereur de France voulait preter 1' oreille ä des propositions moderees, s' il

') Charles Jean Marie baren d' AI qui er 1810 1814 franzö^-. Gesandter in Schweden vgl. Nouvelle biographie generale 11, 215.

Drei Briefe Aug. Wilh. Schlegels an Gentz. 4X5

voulait renoncer ä son Systeme de reunions et de vasselage universel, s' il voulait se renfermer dans les bornes naturelles de 1' empire IVanrais entre le Rbin, les Alpes et les Pyrenees, s'il prouvait a l'Europe, tju'il veut une paix reelle et non pas une treve perpetuelle (?), il faudrait bien accorder ä la France la paix et lui laisser les agrandissemens deja reconnus par les traites de Luneville et d'Amiens. Ces agrandissemens seraient balances par ceux de plusieurs puis^ances et par les changemens de Con- stitution, que la lutte actuelle amenera dans d' autres etats.

Le discours de Bonaparte au corps legislatif et les notes du Moniteur fönt evanouir toutes ces esperances. II est clair, qu' il recuse la mediation de TAutricbe, qui ne peut reposer que par des bases pareilles. Elle se verra donc obligee d'agir par d' autres voyes, et d' apres la grande con- sistance de cette monarcbie et ses ressources inepuisables meme apres tant de revers je ne doute pas, qu'elle n' entre diguement en scene. Le Pr. E. est convaincu, qu'il est necessaire pour l'equilibre de l'Europe, que rAutriche reprenne son ancien ascendant, soit en AUemagne soit en Italie. II soubaite ä l'Autricbe non seulement des avantages reels mais tout ce qui peut contribuer ä la splendeur de la maison imperiale. U serait cbarmi, m'a-t-il dit, de voir rArcbiduc Cbarles porter une couronn© en Italie. Jamals il ne rencontre le Cte. de Neipperg cbez lui ou ailleurs Sans engager avec lui des conversations particulieres et lui temoigner une confiance marquee. Les qualites personnelles du Comte sont faites pour l'inspirer, mais le Pr. R. attacbe ä ces Communications francbes des vues ulterieures. Si l'Autricbe se decide bientöt de la fa(jon dont a lieu de s'y attendre, si en accedant ä la grande alliance eile veut_ seconder les interets de la Suede dans le Nord, il requera (sie) une intimite parfaite entre les deux puissances. La Prusse en a dejä fait autant, eile a ete la premiere se cbercher la Suede. Mr. de Jacobi vient de nous quitter pour FAngleterre, apres avoir conclu une alliance defensive entre la Suede et la Prusse 1), celle-ci par une clause particuliere adberee ii tout ce qui ä l'egard de la Norvege a ete convenu ä xVbo^) et confini par le traite dernierement satifiee ä Londres.

Je me felicite de revenir en AUemagne sous de tels auspices. Le Pr. E. y est attendu avec une impatience extreme et son arrivee produira un grand eflFet moral. On sent bitn qu'on a besoin d'une lete comme la sienne pour donner de l'uoite et de la consistance a tous les plans. De tous les cötes on s'adresse ä lui. Le Pr. Eegeut d'Angleterre met en Im une confiance illimitee, il nous a particuUerement renvoyes a sa direction. uous autres Hanovriens. La position du Pr. R. de Suede et son ascendant per- sonnel se reunissent pour faire de la Suede la clef de la voute dans la

coalition du Nord. i -i. +

Mes opinions individuelles, mon cber Genlz, ont peu de droit a votre attention. Mais tout ce que je vous ai mande ci-dessus, vient de l.onne source, et vous pouvez bardiment le communiquer eomme tel. ou bon vous semblera. Je vous ai developpe les veritables intentions du cubinet

.) Vertvag vom 22. Apnl 1813, Quistorp, Ue.cbichte der Nordarmee IlT ^'''V^^^ von Abo vom 18. (30.) Aug. 18.2 vgl. Quistorp III, 220 f^

416 ' L ud w ig Schmidt.

de Stockholm, lesquelles dirigeront sa Cooperation dans cette guerre eu- ropeenne. Soyez sür, que rien ne changera la resolution pi'ise ä cet egard. Mille amities.

Stralsund, Anfang Juni 1813.

Me voici depuis 15 jours en Allemagne, m. eh. G. J'y suis arrive sous de bons et de grands auspices, sous ceux du Pr. R. de Suede, mais quoiqu'il y eüt dejä des Images avant notre depart, l'horizon s'est furi- eusement obscurci apres notre arrivee. L' armee des allies est repoussee depuis la Saale jusqu' ä 1' Oder ; 1' on ne pourra pas empöcher que les forteresses ne soyent debloquees. Hambourg est pris et occupe par ces Danois, que le Ciel confonde, sous un commandant franQais et au nom de Napoleon. C est un evönement affreux et dont les suites sont incalculables aussi sous le rapport des moyens pecuniaires pour continuer la guerre. Tant de boune volonte, de zele, de devouement meme est non seulement perdu, mais a ete sacrifie, pour ainsi dire, de gaite de coeur. Une infinite de personnes sont compromises et doivent risquer leur liberte et leur vie en restant ou en retournant chez eux, ou perdre leurs proprietes en emi- grant, si toute fois ils ont pu le faire. Le monstre a une nouvelle occa- sion d'exercer sa tyrannie sanguinaire. C'est un exemple funeste rien de pire que d' offrir ä un peuple, impatient de secouer le joug, des secours prematures et qui ne sont pas solides ; une autrefois il est ä craindre que personne ne bougera. D'ailleurs, les Fran9ais, chasses pour quelques in- stants par une gueiTe vagabonde d'une partie du pays entre l'Elbe et le Weser, y prennent des mesures de precaution, ils enlevent toute la jeunesse qui aurait voulu servir contre eux.

D'un autre cöte vous voyez, comment va la coalition. Les Busses, apres avoir montre de la perseverance dans les revers n'a (!) pas su echapper aux ecueils des succes, ä la legerite et ä la presomption. Ls ont rallenti leurs efforts, ils ont en l'air pendant c{uelques mois d' avoir entierement oublie les Services, que la Suede leur avait rendus, et de ne plus de soucier de sa Cooperation. J' ai trouve P(ozzo) d(i) B(orgo) ä Carlscronai) dans les premiers jours de Mai et j'ai passe la mer avec lui. II a beaucoup d'esprit et de caractere, mais sa mission etait difücile: comment suppleer par de nouvelles promesses aux engagemens manques, lorsc|u' aucun effet ne iait preuve d'une intention serieuse?

Outre ce defaut de moyens, on s' est mis en desaccord sur les me- sures ä prendre dans les affaires Germaniques. J' attribue cela unique- ment ä Mr. de Stein. C'est lui qui a bacle le traite de Breslau du 19. Mars-) ce traite s'accorde parfaitement avec ce qu'il m'a dit et ecrit px'ecidemment. 11 veut conduire 1' Allemagne ä la liberte par une voye plus despotique c|ue cela de Napoleon, c'est ä dire qu'il voudrait accabler de coups un cheval qui avait envie de courir. Le but, dont Mr. de Stein depuis long temps ne s'est pas cache, est de jeter tous les princes

<) Vgl. Quistorp I, U.

2) Vgl. Gucken, Öäterreich und Preussen im Befreiungskriege II (1879) S. 120.

Drei Briefe Au,sr. Wilh. Schlegels an Gentz.

417

allemands par la f-enetre et de transformer le . nord de 1' AUemagne en une seule monarebie. Le midi deviendra ensuite ce qu' il pourra, ou se trans- formera de la meme maniere. ,.11 faut de l'unite et de la force ä T AUe- magne, m' ecrivit-il au mois de Novembre dernier, tout cet echaffaudage de Princes doit etre abandonne; lenr conduite abjectee les a rendus odieux et meprisables aux yeux de la nation*. Eu consequence le traite de Breslau ne fait aucune differeüce entre les Princes de la Coniederation Ehenane dans le nord, qui n'ont fait aucune acquirfition et ont cede ä une force irresistible Sans vouloir profiter des malheurs de notre patrie pour s' agran- dir, et les premiers membres de la Confederation, qui ont ete au devant de la corruption. Ensuite Mr. de Stein connait mal les Allemands leur faible est precisement un trop grand attachement ä la personne et ä la famille de leurs souverains s'entend leurs anciens souverains car les nouveaux sujets des nouveaux roisj.et grands ducs sont on ne peut pas plus mecontens , et surtout les cidevant sujet? Autricbiens regret-

tent amerement leur ancien etat. Je m' en suis (?) convaincu

dans mes voyages. Un ministre d'etat de cette partie, que je ne veux pas nommer, me dit ä Paris: Nos peuples detestent leurs princes, ils sentent 1' oppression qu' ils en eprouvent, ils ne conQoivent pas, que ees princes ne sont que les Instruments de Bonapai-te.

Les allies trouveront donc partout beaucoup de bonne volonte dans le nord cbez les Princes et les peuples en meme temps, dans le midi au moins cbez une grande partie du peuple pourvu que le but du re- tablissement de 1' ancien etat et de 1' independance nationale soit annonce d'une maniere non equivoque. Quel besoin y-a-t-il de ce corset de force que Mr. de Stein veut mettre ü toute 1" AUemagne? Son projet est iu- praticable, egalement contraire a la politique Europeenne et aux voeux de la nation. Quoiqu'il arrive et quelqu' eloignees qne soyent ä present ees esperances, il me semble que 1' AUemagne ne peut jamais etre retablie que sous une forme federative quelconque. Et qui peut donner de l'unite a cette federation si ce n'est 1' Antriebe, dont les vues se trouveront tou- jours d'accord avec Celles de l'Angleterre et de la Suede? Je concois. que la dignite imperiale teile qu'elle etait dans les derniers temps n'est pas un objet ä convoiter; 1' Empire ne peut recevoir une nouvelle Con- stitution qu' apres la paix generale: tout doit donc etre provisoire et la seule forme en meme temps constitutionelle et populaire d'agir et celle d' une ligue Germanique opposee ä la Confederation Rbenane.

Vous connaissez sans doute les observations du Comte de M(ünster) sur le traite de Breslau, lesquelles ont ete communiquees ä la cour de Suede 1). Elles 1' auront ete egalement ä celle d' Antriebe. Cependaut je vous envoye la copie d'une lettre que je viens de recevoir de ce mmi- stre, eile pourra encore vous interesser.

') »Mein Memoire über Teutschlands künftige Ycifassung und über die Behandlung der Angelegenheiten wärend des Krieges, einige Bemerkungen über den Breslauer Tractat und deigl. sind dem sch^veclischcn Hofe mitgeteilt worden" schrieb Münster an Schlegel d. d. 13. Mai 1813 (Schlegels Korrespondenz \V . 109). Ebenda ein Brief S.'s an Münster d. d. Stralsund 5. Juni 1813 und em solcher M.'s an S. d. d. London 2. Juli 1813.

418 L u d w i g S c h m i d t.

Le Cte. de Neipperg vous portera cette lettre. II connalt ;i fond la Position du Pr. R. de Suede et les principes qui le guident dans sa con- duite. II yous les expliquera mieux que je ne pourrai le faire. Seule- ment je pui^ vous dire qu'en ne voyant cela que de loin, on serait ex- pose ä porter un jugement precipite. C est un malheur, que le Pr. R. r automne passe dans la conduite envers la Russie ait ete trop confiant et trop gencreux: la Situation etait teile, que s' il eüt insiste sur la pos- sessioü provisoiie des iles d' Aland pour avoir un gage entre les mains^ je ne doute pas qu'elle n'eüt ete accordee. Alors la Russie aurait eu un motif puissant de presser le Danemarc, et 40000 h. sur les frontieres du Holstein au lieu de la mission du Pr.(ince) D(olgoruki), au mois de mars lorsque toutes les forces du Napoleon etaient ä bas^), 1' affaire serait arrangee depuis longtemps. A present la grande ambassade qui s'est embarquee dimanche, est bien tardive ; on la compare ä la procession des trois rois mages, qui apportent de 1' or, de 1' encens et des myrrbes plante aromatique mais amere. Je crains que le gouvernement danois ne se soit dejä livre irrevocablement au demon corps et ame. C est d' autant plus dommage, que l'esprit des provinces allemands etait excellent.

II ne sert ä rien de rabacher les erreurs passees. Mais en jugeant les rapports entre la Suede et le Danemarc (sur lesquels je vous ai ecrit dernierement une longue lettre) -) je vous prie de ne pas oublier les Ser- vices que la Suede a rendue depuis 1' ete dernier ä la bonne cause, tandis que le Danemarc depuis vingt ans a toujours agi d' apres les calculs de l'egoisme le plus etroit.

Pesez aussi la Situation du Pr. R. de Suede vis ä vis de la nation. Vous ne pouvez vous faire aucune idee de l'etat, il y a trouve l'opi- niou publique. II a ete un vrai missionaire, il les a convertis pas a pas, si tant est qu'ils soyent coraplettement convertis de leurs anciens pre- juges et leurs nouveaux engouements. On attribuait les malbeurs et les pertes que la Suede a effreyee ä ce que sous le dernier regne on s' etait braille mal ä propos avec Xapoleon, tandis que ces malbeurs furent causes par une conduite impolitique incoherente, en meme temps temeraire et Sans energie .... (?) Quel moyen d'engager les Suedois dans une guerre transmarine dont ils sont fort eloignes de coneevoir l'urgence comme du temps du grand Gustave Adolpbe, qu' en leur presentant la perspective d'un avantage national? Et le Pr. R. peut-il souifrir, que cette per- spective qui lui a ete formellement assuree, s'eyapore en vaines espe- rances? Quoiqu'il en soit, il ne faut pas desesperer. On s'est bien battu jusqu'ici. Bonapaite a ramasse encore de grandes forces, mais cette-fois-ci je pense, qu'il a puise dans le fond du sac. Rien n'est perdu, pourvu qu'un parfait accord soit promptement retabli entre les allies. L'acces- sion de 1' Antriebe porterait un coup decisif; eile doit etre la basse fon- damentale dans ce concert Europeen. Que l'aigle ä double tete deploye de nouveau ses alles, qu'il reprenne le sceptre et le globe et le vautour, qui a usurpe son nom et sa gloire, qui s'est arroge de lancer la foudre,. bientöt cbasse au delä il ne battra plus que d" une alle.

') Vgl. Quistorp I, 7.

^) Vgl. den vorhergehenden Br^ef.

Drei Briefe Aug. Wilh. Schlegels an Gentz. 4^c>

Je vois partir le Cte. de Xeipperg avec. un regret extreme i). Sans doute il sera toujours ä sa place dans un commandement militaire, mais je voudrais qu'il füt des nötres, qu' il füt charge d' une mission au Quar- tier general Suedois, sa puissance serait infiniment utile. Le Pr. K. l'aime et Festime singulierement et lui a donne toute sa confiance. Lors- que Mad. de Stael un jour lui fit 1' eloge de cette noblesse innee, de cette loyaute chevaleresque, de cette vailiance si modeste qui cavacterise le Cte, le Pr, E. repondit; »c'est absolument Bayard«. Avec les manieres les plus prevenantes Mr. de Xeipperg maintient toujours son franc parier; sa yivacite spirituelle et naturellement eloquente et pleine d'äme, avec la- quelle il s'exprime, fait Impression sur l'esprit d' un Pr(inee) penetre de l'amour de la vraie gloire et qui est accoutume ä voir les choses en grand. Enfin dans le cas de votre Cooperation dont je ne puis me resou- dre ä douter, on ne saurait choisir un meilleur organe pour entretenir une intelligence parfaite.

Jo voudrais que vous connaissiez 1' ascendant personnel du Pr. K. comme moi. On ne peut briser la puissance de Bonaparte, qu'en faisant valoir contre lui la haine des nations qu'il s'est suscitee: c'est bien plus encore un problöuie moral, qu'une difficulte physique ä resoudre. Le Pr. R. par son caractere et sa position est eUiinement appelle ä rallier autour de lui toutes les esperances magnanimes, soit ä l'etranger soit en France meme.

Adieu mon eher Gentz, ecrivez moi et annoncez moi l'Evangile de la nouvelle alliance. Oesterreieh über alles wenn es nur will ! Milles amities.

3.

Stralsund ce ß. Juin 1813.

Je vous ai ecrlt plusieurs fois, mon eher Gentz, et ces derniers jours ci longuement par le Comte de Xeipperg. Mais dans l'epo-iue. nous sommes, chaque heure amene quelque chose de nouveau; d'ailleurs les Communications etaut au moins entravees, on ne sait jaraais au juste, quand un voyageur ou une lettre anivera. Vous me pardonnerez donc, si vous trouvez quelques redites dans celle- ci; je voudrais vous tenir toujours an cöurant de notre Situation politique et militaire, afin que vous en fassiez tel usage pour la bonne cause, que vous jugerez convenable.

Vous serez peut-etre etoune de me voir dater encore d'iei. etant arrive ä la suite du Prince Royal de Suede il-y-a pres de trois semaines. Les causes de cette inadion desolante mais forcee pour le moment sont cependant faciles ä expliquer.

Le Prince Royal, pour accomplir strictemet sa promesse, est venu ä l'epoque marquee, quoiqu' il füt bien informe d' avance, que les Corps

/35 27 . + '*^

auxiliaires, qui lui etaient promis 1— Russes et Prussiens outre ^ '■ \m m öl

hommes de la legion allemande qui devait etre mise a la solde d'Angle-

terre), non seulement ne se trouvaient pas sur les lieux, mais qu il n'y

') Vgl. dazu Quistorp I, 6.

420 L n d w i g Schmidt.

avait point cVarrangemens faits pour les fournir de si tot. J' aime a croir, qu' on a eu sincerement la volonte de remplir ses engagemens Mais le fait est, que veis la fin de 1' hy ver la Russie a relache ses pre- paratifs, qu'elle s'est endormie dans une trompeuse securite. On n' a pas voulu croire, que Napoleon, avec ses ressources incalculables, serait en «tat de creer si proraptement une armee formidable. Un colonel russe, Fran9ais de naissance, m' a assure, que le Cte. de Wittgenstein se raoquait des renseignemens. qu' il etsaya de lui donner ä cet egard. Les enormes distances dans 1' Empire de Russie (qui ont ete d' une grande utilite pour sa defense, mais qui sont une cause d' af^aiblissement dans toute guerre au dehors) ont fait le reste.

Depuis quelque jours seulement le Roi de Prusse a annonce, qu' il allait mettre le corps du general Bülow sous les ordi'es du Prince Royal. Les generaux russes Wallmoden et Woronzof ont ecrit aussi, que leurs Instructions portaient la meme cboae. Mais le Prince Royal veut s'assurer, que cela soit entendu de la maniere la plus formelle. En eöet, un offi- cier peut encore raoins qu' aucun autre servir deux maitres ä la fois ; point de succes militaire sans l'unite la plus stricte. Le Prince Royal a donc exige, que si le Roi voulait dans la suite donner une autre desti- nation au corps de Bülow, il en tut averti dix jours d'avance, et que pendant ce temps le general continuät d' agir sous ses ordres.

Ceci est quelque chose. Cependant c'est encore bien audessous de promesses, et bien audessous des forces ä la tete desquelles un capi- taine tel que le Prince Royal doit elre place pour deployer avec avantage son experience et son talent militaire. Je ne vois pas tvop, d' oü. viendra de si t(3t le reste du corps auxiliaire des Russes, ä moins qu'ils ne soyent embarquis sur la Baltique. Comme les AUies se sont battus jusqu'ici glorieusement mais avec une grande inferiorite en nombre, il est ä pre- sUmer que la grande armee absorbera pour le moment tous les renforts, qui peuvent arriver.

Le Prince Royal s' est donc vu reduit d" abord u ses seules forces Suedoises: troupes süperbes en effet, mais qu'il ne doit pas aventurer legerement, parce qu' elles doivent en tout cas former le noyau de son armee. Encore n'etaient elles pas toutes rassemblees. Vous savez ce que c'est que le transport maritime d'une force considerable, surtout dans une mer du Kord. Les debarquemens ont continue depuis notre arrivee, et ce n'est que dans cette quinzaine que 1' armee Suedoise forte de 30000 est au moment de se trouver ensemble.

Placez vous ä present en Idee sur cette pointe septentrionale de l'Allemagne, tirez un demi-circle autour depuis Hambourg jusqu'a Stettin: sur toute cette ligne il n'y a presque pas un seul port, vers lequel on n'eüt pas desire que le Prince Royal envoyät des secours; s'il eüt prete r oreille ä toutes ces demandes, dans un instant il aurait vu ses forces eparpillees dans ses directions divergentes, et il n' aurait plus ete le maitre de suivre un plan de campagne. Stettin n'etait que bloque, Berlin sem- blait menace, et on y etait doublement allarme ayant cette forteresse sur les derrieres. D'un autre cöte Hambourg etait deja aux abois, car l'Elbe est sa veritable defense et les lies etaient prises. Pour soutenir efticace- ment Hambourg et lever le siege, il fallait non seulement y jeter une

Drei Briefe Aug. Wilh. Schlegels an Gentz. 421

forte garnison, niais mettre le Cte. de Wallmoden en etat par un renforl d' Infanterie de repasser l'Elbe en force, et de chasser i'ennenä de la rive gauche. De plus on ne pouvait pas se fier aux Danois, comme le fait l'a prouve : il fallait donc garnir toute la ligne depuis Hambourg jusqu' ä Lübeck pour tenir en echec les troupes rassemblees dans le Holstein. Cette Operation aurait exige une grande partie des forces Suedoises. En meme temps Tarmee alliee etait en pleine retraite vers la Silesi.e: on devait craindre de voir les fortei-esses de V Oder successivement debloquees par un Corps detacbe de la gaucbe de Napoleon, lequel aurait pu ensuite pren- dre la Pomeranie suedoise, degarnie de troupes, ;i revers. Le Prince Royal a donc suivi les regles de la prudence en tenant pour le moment ses ti-oupes concentrees et en foriifiant Stralsund pour s'assui-er ä tout hasard un point d' appui. Aussitöt qu'il se sera mis en etat d'agir, nous pouvons etre siirs, que cela se fera d' une nianiere energique et bien combinee.

Voilä pour la partie militaire: pour ce qui est des rapports politiques, vous n' ignorez pas le mecontentement, que le traite de Breslau du 19. mars a cause aux cours d'Angleterre et de Suede. Celle- ci y est passee entlerement sous silence; on fait une place ä 1' Angleterre comnie par grace, mais on semble vouloir la borner ä la simple possession du Ha- novre sans influence ulterieure. Dans le Co n seil central et dieta- torial la Russie et la Prusse doivent avoir une voix chacune, 1' Angle- terre une troisieme, tous les autres princes de 1' Allemagne collectivement une seule. II n'est pas dit, comment la majorite serait decidee, si les deux dernieres voix se trouvaient en Opposition avec les premieres. La Suede est mise dans la cohue de la voix coUective. Cepeudaut la part qu'elle prend aux affaires d' Allemagne est la plus desinteressee, eile ne peut ni ne veut penser a y faire des acquisitions. La Russie defend en Allemagne ses possessions Polonaises, la Prusse veut conquerir ses anciens etats et peut-etre de nouvelles provinces. Le regime Prussien est-il assez aime en Allemagne, pour qu'il ne faille pas rassurer les peuples qu'un appelle ä combattre pour leur libeite, sur la crainie d' etre assujetis ä ce regime? La Prusse. a laquelle la chute de 1' Empire est devenue si funeste, n' aurait- eile pas quelque motif de convaincre l' Allemagne, quelle veut enfin y etre une puissance vraiment constitutionelle? Tout le monde sait que les indemnites apres la paix de Luneville ont ete infiniment favo- rables ä la Prusse. et personne ne les lui contestera. Voilä donc bien de quoi la contenter. Je ne parle pas ici de l'esprit de la nation qui est excellent, je ne parle que des vues du ministere, dont les clauses seeretes du traite de Breslau douneraient sans doute la cle. Je souhaite de tout mon coeur, que l'esprit public l' iraporte et que le patriotisnie prussien se transforme en un patriotisme plus liberalement germamque.

Du reste je me refere ä ma lettre precidente, ou je vous ai tait part de mes reflexions avec celles du Comte de Münster. Toutes ces mesures dictatoriales d' administrations provisoires, de sequestrations de revenus adoptees indistinctement et non -pas contre les seuls refractoires me semblent etre l'oeuvre de Mr. de Stein, dont le caractere passionne brouiUe souvent les idees et lui fait oublier les regles de la prudence aussi bien que Celles de requite. Sa presenee a ete fort utile eu Russie pour ex-

422 Ludwig Schmidt.

hortei' ä la perseverance: eile peut Tetre encore, parce qu'il y en Russie un parti nombreux, qui se prononce contre la continuation de la gueiTe. Mais je souhaite fort, ou qu' il ait change d' avis, en voyant la föcheuse impression que son plan a produite, ou qua son iafluence soit ecartee des affaires d' Allemagne. Mr. de Stein juge mal le caractere des AUemands, qui ont en aversion tous les changemens subits, toutes les mesures vio- lentes et revolutionnaires. II les veut et pour nous mener ä quel but? Je vois bien, ce que le traite de Breslau öte aux princes, ce qu'il exige des peuples ; je ne vois pas, quel avenir il garantit ä la nation.

Le Priuce Royal de Suede a sur V Allemagne les idees les plus libe- rales et j'ose dire les plus salutaires. Etre le protecteur de la liberte germanique lui semble la plus belle gloire : il tient avant toute autre chose a cet heritage de 1' immortel Gustave Adolphe. II pense qu' oa ne saurait assez hautement proclamer le retablissement de 1' ancien etat, s' entera autant que le permettront les bouleversemens passes, les circonstanees Äctuelles et l'equilibre de 1' Europe change. II pense qu'il faut proceder autant que possible par des formes constitutionelles et qu' il faudrait meme revetir les actes de rigueur, s' il est necessaire d' en venir lä, d' un appareil de legalile.

Sans doute 1' Allemagne doit etre constituee plus fortuuement pour se defendre au dehors : mais eile ne peut recevoir une Constitution stable qu'ä la suite de la paix generale; jusque la tout ne saurait etre que provisoire. »L'autorite imperiale«, m' a dit hier le Prince Royal, »peut seule donner de l'unite au Corps Germanique ; je crois meme quelle dev- rait etre plus etendue qu' eile n' a ete dans les derniers temps. Puisque r Empereur FranQois n'a ete porte que par une suite de violences et d'infractions aux lois de 1' Empire ä resigner sa dignite elective en Alle- magne, je le consiclere des ä present comme Empereur germanique, et je me propose d'agir en consequence, jusqu'a ce que rAutriche ait positi- vement declare, qu' eile ne veut pas reprendre les renes de son ancienne autorite dans 1' Empire. Si 1' Empereur d'Autriche jugeait ä propos de deleguer a Tun des Archiducs ses ireres, nommement ä rAi-chiduc Charles, ses pouvoirs, j'aurais pour ce prince toute espece de deference, qui lui serait due en sa qualite de Lieutenant imperial <^. Le Prince Royal a parle dans le meme sens aux depule^ Hambourgebis ; il leur a dit, que r autorite imperiale, reprise pa la maison d' Autriche, serait le plus ferme ^ppui de leur independance future.

Si en eflfet le monarque Autrichien, a qui 1' Allemagne a eu tant d' obligations, qui a fait pour eile tant de sacrifices avant ces derniöres sept annees desastreuses, pouvait etre engage a ressaisir son autorite dans ce moment, la partie saine du Corps Germanique est sans doute prete a la reconnaitre d' apres 1' exemple de la Suede et de 1' Angleterre : cela vaudrait mieux pour dissoudre efficacement la Confederation Rhenane, que toutes les Confederations partielles que 1' on pourrait former. Ce nom imposant d' Empereur d' Allemagne, soutenu par la puissance Autrichienne, ferait ta're les pretentions particulieres et donnerait une direction simple et süre au patriotisrae national qui se reveille partout. Je vous ai ecrit une lettre detaillee, encore de Stockholm, sur la relation entre la Suöde et le Danemarc; je puis d' autant plus rae dispenser de revenir ä ce sujet,

Drei Briefe Aug. Willi. Schlegels an Gentz. 423

que je pense que le Comte de Xeipperg aura fait dessus un rapport tres satisfaisant ä sa cour. J' ajoutera seulement ceci. Le coup perfide de s'emparer d' Hambourg au nom de Napoleon a demasque la politique du gouvernement Danois. Depuis vingt ans il s'etait retranche dans le principe de la neutralite. Encore dans ces derniers temps il avait declare: je demande la paix avec l'Angleterre, du reste je veux rester neutre; si r on me garantit mes anciens etats, je pourrais peut-etre meme etre en- gage ä fournir un contingent aux allies. Voilä cependant que le Dane- marc s'est mis le premier en hostilite ouverte contre la ßussie et conti-e tous les Allies; il s'est (jharge du röle le plus odieux en opprimant la liberte des villes anseatiques, ä la quelle toute l'Europe s' Interesse. Les commandans Danois, qui ont paru vouloir proteger Hambourg pendant quel- ques jom'S, ont ete hauteraent desavoues par le gouvernement.

La delivrance prematuree d' Hambourg, dont nous nous rejouissions dans le temps, a ete d' abord un pur hasard, ensuite ua veritable malheur. Le commandant fran(,'.ais de Hambourg a evacue la ville gratuitement : s' il füt reste, le general Morand se serait reuni ä lui et il aurait fallu un Corps considerable pour les en deloger. ßien de plus funeste que d' in- Titer trop tot par des esperances trompeuses les habitans d' un pays op- prime ä secouer d'une main encore debile le joug etranger.

Cela decourage pour 1' avenir, provoque des vengeances et fait pren- dre a V ennemi des mesures de precaution qui affermissent sa domination. Le Prince Koyal a donc bien raison, s'il ne donne pas dans le genre de ces excursions, s' il ne veut avancer que lorsqu' il sera sür de pouvoir se maintenir dans les provinces occupees et d'avoir le temps d' exploiter leurs ressources d' une maniere solide pour la cause commune. A 1' epoque meme, l'occupation d' Hambourg remplissait tout le monde d' esperances exa- gerees, il ecrivit au ministre d'etat Hannovrien, Mr. de Decken, par Mr. de Wangenheim, qui etait venu ä Steckholm de sa part, qu'il fallait "bien se garder d' agiter le Hanovre, que le temps du soulevemeut n' etait pas encore venu.

J' ai termine ma derniere lettre par des hymnes de joye, pavce qu on nous avait annonce comme süre et prochaine la Cooperation de 1' Antriebe. Mais helas! la confirmation officielle de cette nouvelle n' est pas encore arrivee. Jusqu'ä quand tardera cette declaration, cette accession ä la grande alliance, dont depend aujourd'hui le sort de l'Europe? Elle me parait cependant infaillible; car comment laisser echapper uu moment, qui une fois perdu ne reviendrait jamais V

Kleine Mitteilungen.

ZAvei weitere Passauer Fälseliuugeu. Seit Dümmler iu seinem „Piligriiu von Passau" die Eutsteluiugszeit der Passau-Lorcher Fäl- schuuo-eu feststellte und Uhlirz den im Dieust Piligrims arbeitenden Fälscher, einen Beamten der Kauzlei Ottos I. und IT. (WC), der auch eine Anzahl echter Urkunden lür Passau schrieb, entlarvte '), haben diese Ergebnisse in den Avissenschaftlichen Kreisen trotz mancherlei Anfechtungen und tendenziöser Rettungsversuche-) als durchaus ge- sichert gesolten Und sie sind auch für die Zukunft durchaus ge- sichert. Zu diesen Fälschungen zählen aus karolingischer Zeit das Diplom Karls des Grossen von 789 März für Kremsmünster =>), die länurere Fassunii der Besitzbestätiguug Ludwigs des Frommen von 823 Juni 28^) und das vielbesprochene Privileg Arnolfs von 898 Sept. 9'^). Sie sind noch in den Urschriften erhalten ; sie gestatten daher den bestimmten Nachweis, dass sie von jenem Beamten der ottonischen Kanzlei, der unter dem Pseudonym WC geht, geschrieben sind, wie der stilistische Vergleich der anderen von ihm diktirten echten Urkunden den weiteren Nachweis, dass sie von ihm auch verfasst sind.

In weniofer günstiger Lage sind wir zwei Urkunden Ludwigs IV. "(des Kindes) gegenüber, da sie nur mehr in Abschriften in den Passauer

') Mittbeilungen des Instituts f. öst. GF. 3, 177' vgl. Sickel in Kaiseruik. in Abbild. Text 199.

-) Vgl. darüber Dümmler, Über die Entstehung der Lorcher Fälschungen in Sitzungsberichten der Berliner Akademie 47 (1898), 758.

31 Regesten der Karolinger 299 (290), jetzt auch gedr. M. G. DD. Karol. 1, 349;

*) Reg. 778 (753). Seither hat Sirnadt auch die bisher für echt gehaltene kürzere Fassung zu den Fälschungen gestellt, Arehival. Zeitschr. N. F. 8, 77; 9, 280.

=) Res. 1912 (1891).

Zwei weitere Passauer Fälschungen. aok

Chartularen vorliegen. Die Beweisführung kann hier nicht mehr den Schreiber, welcher dieselben anfertigte, feststellen, sie kann sich nur auf die inneren Merkmale, für die Personenfrage auf das Diktat stützen. Die eine ist die Urkunde Ludwigs IV., datirt aus Regensburg 901 Januar 19, welche die zum Schutz gegen die Ungarneinfälle an der Eus erbaute Stadt dem Kloster St. Florian schenkt i), die andere, datirt ans St. Florian 907 Juni 17, welche den Ort Ötting au Passau vergabt 2). Die erste Urkunde war bis in die neueste Zeit unbean- standet; ich selbst habe i5ie mit Rücksicht auf das Diplom Ottos II. von 977 Okt. 5, die Vergabung der Ensburg an Lorch-Passau^), in der ersten Auflage meiner Regesten in meiner diplomatischen Gut- mütigkeit als „durchaus unverdächtig" bezeichnet und erst vor 4 Jahren hat Strnadt sie als „verunechtet" zu erweisen versucht-^), ohne aber, wie ich glaube, gerade in einem der entscheidendsten Punkte den Be- weis zur Evidenz zu führen. Eine minder günstige Meinung war von jeher der zweiten dieser Urkunden beschieden. Schon Dümmler hatte sie wiederholt 5) als unecht oder mindestens interpolirt erklärt, weuio-er bestimmt hatte sich Uhlirz geäussert'^), aber zugleich gegen einen wissenschaftlich ganz harmlosen Rettungsversuch Braunmüllers 7) Stel- lung genommen. Ich selbst es war ja die Zeit des diplomatischen Konservativismus nacli Ficker, in der man an der Echtheit einer Ur- kunde möglichst lange festzuhalten versuchte kam damals zu dem Schluss, dass „die Gründe der Echtheit mir durchaus überwiegend zu sein scheinen ^ Sepp«) schloss sich diesem Urteil an und kennzeich- nete im Abdruck der Urkunde die „arg interpolirten" Stellen. Strnadt erwähnt dieselbe nur nebenbei«) mit dem Vermerk, dass ihre Echtheit „höchst bedenklich" sei.

Diese Sachlage forderte zu erneuter Untersuchung auf. Ihr Er- gebnis bietet insofern allgemeineres Interesse, als es eine Ergänzung

1) Reg. 1994 (1942), überliefert im ältesten Passauer Chartular des 12. Jahrb. (Cod. antiquissimus) f. 9', aus diesem stammen die Abschriften im zweiten Char- tular aus dem Anfang des 13. Jahrb. f. 40' und im Cod. Lonstorf. (aus der Mitte des 13. Jahrb.) f. 82, zweifelsohne auch jene in einem Chartular des 13. Jahrb. im Stiftsarchiv zu St. Florian.

2) Reg. 2044 (1988), nur überliefert im Cod. Lonstorf. f. 67'.

3) M. G. DD. 2, 189 Nr. 167.

*) Archival. Zeitschr. N. F. 8, 83, 101.

6) De Arnulfo 188, Archiv f. öst. Gesch. 10, 77, Piligriai von Pas.sau 65, 181, Ostfränk. Reich (1. Aufl.) 2, 544 N. 3. ") Mitthcil. des Instituts 3, 222. ') Histor. Jahrbuch 1, 287.

") Älteste Gesch. von Altötting (als Manuskript gedruckt UiOl) 21, 41. »J Archival. Zeitschr. N. F. 8, 74 N. 163. Mittheilungon XXIV. 28

.^c Kleine Mitteilungen.

zu dem liefert, was bisher über die Passäuer Fälschungeu feststand. Es ist, wie ich meine, auch 7a\v Genüge gesichert.

Die beiden Urkunden \on 901 und 907 stehen einander nicht nur inhaltlich nahe, sie zeigen auch in der Art und Weise der Be- gründung der immerhin bedeutenden Schenkungen sowie in der stili- stischen Fassung unverkennbare Verwandtschaft:

907 (Reg. 2044): qaaliter .. . luctuosa vocife- ratione celsitudinem nosti-e pote- statis adierunt flagitantes, ut Pur-

cbardo fideli episcopo nostro, cuius episcopatum paganorum ferocitate. maxima ex parte devastatum acrnovimus . . concedendo affirma- remus. Nos vero ob amorem domini nostri Jesu Christi et sancti Stephani prothomartiris domini pe- titionibus eorum libeuti animo assensum prebuimus et conces- simus . .

901 (Reg. 1994): qualiter vir vit^ venerabilis no- mine Rihharius Pataviensis scilicet

presul . . . regalitatis nostr^ eminen-

tiam merore confectus episcopii sui

damnum lamentando inter-

pellavit, 60 quod seviente prob

dolor paganorum inpugnatione

qu^dam pars diocesis su^ . . ex

inproviso devastata est, deprecans

ut . . . largiendo firmaremus.

At nos divino conpuncti amore

beatiqui Floriani confisi intercessione gratanter satisfacientes necnon . . libenti animo annuentes de- crevimus ita fieri , .

Die Übereinstimmung ist umso bezeichnender, als diese Aus- drucksweise dem Urkundenstil zu Beginn des 10. Jahrhunderts voll- kommen fremd ist. Erneu Beleg dafür bietet die Urkunde Ludwigs IV. von 9o3 Nov. 30 für Freising, die zum Wiederaufbau der abgebrannten Kirche den Hof Föhring schenkt und mit der Passauer Urkunde von 901 auch dadurch in nähere Beziehung tritt, dass sie dieselbe Arenga trägt 1). Und der nüchterne Urkundenstil pflegt überhaupt nicht solche bewegliche Jammerklagen zu bringen, wie die Urkunden von 901 und 907, °sie verraten dadurch selbst ihre Absicht, ihre Mache. Auch sonst zeigen sich Ähnlichkeiten der Diktion, welche den gleichen Verfasser bekunden: regalitatis uostre eminentiam gegenüber celsitudinem nostre potestatis, die Verbindung des Zeitwortes mit dem Particip und Ge-

>) Reg. 2015 (1961) Original. Die betreffende Stelle lautet hier: quoniam Waldo reverendus sanctae Frigisingensis ecclesiae pvaesul no.stram adiit man- suetudinem damnum combustionis, quod ecclesiae suae pro dolor culpis exigeu- tibus noviter acciderat, conquirendo obnixe supplicans, ut aliquod consolatioma supplementum ad reclamationem eiusdem ecclesiae sibi largiremur. At nos gra- tuita beuignitate quaerimoniae ilbus prLo Christi] honore et sanctae genitncis suae semper virginis Mariae veneratione compatientes et . . pie annuentes . . ui proprium delegavimus. Eine ganz ähnliche Arenga wie in Reg. 2015 (1961) auch in Reg. 2017, 2027 (1963, 1973).

Zwei weitere Passauer Fälschungen. 407

rundium: lanientaiido interpellavit . . deprecans gegenüber adierunt flagitantes, largiendo firmaremus gegenüber concedendo affirmaremus.

Die letztere stilistische Eigentümlichkeit hat bereits Uhlirz an den Erzeugnissen des Handlangers Piligrims, des WC, beobachtet 1). So begegnet in der Fälschung auf den iSIamen Karls des Grossen die Wendung: adiit celsitudinem nostram rogando, uuter den von WC verfassten Urkunden Ottos IL in der einen-) : sereuitatis nostrae mao-- nificentiam adiit intimando, in einer anderen^): intimavit nobis rogando et omnimodis flagitaudo, oder in der Fälschung auf den Namen Arnolfs: iure perenni tenenda tradiderunt, in einer Urkunde Ottos II.*): perpetualiter teneudum tradidimus.

Beweiskräftiger als dieser Wortgebrauch und dieses Wortgefüge sind andere Stellen. Bei mehrfacher Gegelegenheit tischt WC als Beweggrund angeblicher und wirklicher Verleihungen die argeu .Ver- wüstuugen" der Passauer Kirche auf, die Schädigung, welche sie da- durch erlitten. So in der Fälschung auf den Namen Ludwigs des Frommen: dei iussu super devastationem et inopiam Pataviensis episcopatus misericordia motus, in jener Arnolfs: post excidium et miserabilem barbaricam devastationem eiusdem praescript^ Lauria- censis ecclesiae, dann in Urkunden Ottos IL: interfectione familiae ac devastatione non parvam episcopii sui perpessus est iacturam^) oder: barrochiam exorta regni perturbatione incursu hostili invasam et non solum ab inimicis oranino de vastatara ''), in einer Urkunde Ottos III. von 985 Sept. 30, für die, wie es heisst, „die einst von WC für Passau gelieferten Diplome benutzt wurden", die aber doch noch dessen eigenes Diktat sein dürfte 7): qualiter Piligrimus . . episcopatus sui pertinentiam in orientali plaga barbarorum limiti adiacentis creber- rima eorum devastatione iufestari nostrae conquestus est pietati. Diesem Leitmotiv entspricht auch wie in der Urkunde von 901 die jämmerliche Klage und ihr reichlicher Erfolg: quapropter lameuta- bili miseratione ])erLulsi super iufortuuio et iactura depredationis rerum

1) Mittlieilungen des Instituts 3, 210.

2) M. G. DD. 2, 155 Nr, J38 (Originiil) vgl. ib. 125 Xr. 111 ■■: obtulit . . obsecrans pietatis nostrae munificentiaru.

3) Ib. 154 Nr. 137, nur abschriftlich in den Passaucr Chartuhuen über-

liffevt. Auch in Nr. 138: omnimodis iraploravit.

*] Ib. 189 Nr. 167.

5) Ib. 153 Nr. 136 b vgl. ib. 155 Nr. 138: ob rostaurationem destructae

ecclesiae.

'■) Ib. 189 Nr. 167a. In Nr. 167'' (Original, von WC geschrieben): locis . . aliorum inimieorum damnosa insectatione miserabiliter desolatis.

'j Ib. 420 Nr. 21. '

28*

428

Kleine Mitteilungen.

ecclesiasticarum episcopii i) ; querulosa reclamatione adiit . . cuius itaque miserandis moti querelis=^) oder nur: eius non solum moti querelis^), ein andermal: miserabili lamentatione adiecit.

Noch ein anderer Ausdruck ist WC geläufig. Wie wieder in der Urkunde von 901 heisst es in der Fälscimng auf den Namen Arnolfs: Nos autem .. divino amore compuncti, fast mit gleichem Wort- laut in einer Urkunde Ottos IL: unde divino amore succensi^) mit dem in den beiden Ludwigurkunden siungleichen Nachsatz: aurera pietatis nostre libenti animo accomodantes.

Reichen diese Belege hin, um den Beweis zu erbringen, dass der Fälscher WC auch an der Herstellung der beiden Ludwigurkunden ia der uns vorliegenden Form tätig wai-, so wird dieser Beweis doch erst rechtskräftig, wenn auch der Inhalt keinen Anspruch auf Glaub- würdigkeit erheben kann.

Auf den schwersten Verdachtsgrund, die Übereinstimmung des Berichtes der Urkunde von 901 mit der Erzählung der Fuldaer Annalen über den üngarneinfall von 900 und die Erbauung der Ensburg, hat bereits Strnadt hingewiesen''). Ich gebe hier nochmal beide Texte:

Ann. Fuld.'O Quod pro dolor primum malum et cunctis retro transactis diebus invisum damnum Baiowarici regni coutulit. Igitur ex improviso cum manu valida et maximo exercitu ultra Anesum fluvium regnum Bai- owaricum ostiliter invaserunt, ita ut per quinguaginta miliaria in longum et in traversum igne et gladio cuncta caedendo et devastando in una die prostraverint . . . Tandem laeti post tantam victoriam ad socios . . regressi sunt et citissime in id ipsum tempus pro tuitione illorum regni validissimam urbem in littore Anesi fluminis muro obposuerunt.

Urk. von 901. . . episcopii sui damnum lamen- tando interpellavit, eo quod seviente proh dolor') paganorum inpugna- tione qu^dam pars diocesis su^ . . ex inproviso devastata est, deprecans, ut civitatem illam, quam fideles nostri regni pro tuitione patri^ unanimiter contra eorundem christiani nominis persecutorum in- sidias noviter in ripa Anesi flu- minis . . construxerunt . . .

1) Ib. 189 Nr. 167».

2) Ib. Nr. 1671^.

s) Ib. 153 Nr. 136 b.

4) Ib. 155 Nr. 138 vgl. 190 Nr. 167»: desiderio remuneratioins vite ^teni^

succensi.

0) Arcbival. Zeitschr. N. F. 8, 102.

<■■) ed. Kurze (Schulausg. der M. G.) 134.

' Der Ausruf »pro dolor* übrigens auch in der Urkunde für Freising vgl.

S. 426 Anm. 1.

Zwei weitere Paßsauer Fälschungen. 49b

Nicht nur die sacliliche Übereinstimmung^, aucli die wörtlichen Anklänge, die keine zufälligen sein können, denen wohl auch ,civitas" als gleichbedeutend mit „urbs", aus dem weiteren Text der Urkunde vielleicht auch „cum omni apparatu munitionis" und allerdings unter anderer Bezugnahme „in aquilonali parte Danubii" gegenüber „in ap- paratu belli" und „de aquilouali parte Danuvii fluminis" desselben Be- richtes beizuzählen sind, erhärten die Benützung der Fuldaer Annalen. Bekanntlich ist deren letzter Teil 882—901 ^) in Baiern entstanden, Kurze scheidet aus ihnen der ältesten aus Niederaltaich stammenden Handschrift zu Ehren die Jahre 897 901 sogar als Contiuuationes Altahenses aus. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass man in der zweiten Hälfte des 10. Jahrh. auch in Passau dieses heimische Ge- schichtswerk kannte, wenn auch nicht schon zur Zeit der angeblichen Ausstellung der Urkunde, am 19. Jan. 901, an dem jener Bericht vielleicht noch gar nicht niedergeschrieben war.

Geradezu entscheidend für die innere Unglaubwürdigkeit scheint es mir aber zu seiu. dass die Reichsregierung die soeben zum Schutz der immer mehr gefährdeten Grenze erbaute „Stadt" an ein nahes Klösterlein St. Florian wird noch in der Urkunde Ottos II. 976 Juli 22-) nur „cella" genannt - mit ihrer Schutzwehr (cum omni apparatu munitionis seu utilitatis) verschenkte. Damit wäre, abgesehen davon, dass die Yerschenkung einer ganzen „Stadt" odei" auch nur Grenzveste für diese Zeit als Unding gelten müsste, der Verteidigungs- zweck illusorisch gemacht worden. Eine Erklärung der Fälschung ist in späteren Verhältnissen zu sucheu. Otto II. schenkt 977 Okt. 5 an Passau wieder in Anbetracht der Verwüstungen, welche das Bistum erlitten, das „Gut" Ensburg (praedium Anesapurch), wie es sein Oheim Heinrich von Bischof Adalbert (946 970) eingetauscht hatte^). In einer erweiterten und nur in den Passauer Chartularen überlieferten Fassung der Urkunde, die ebenfalls die charakteristischen Merkmale des Diktats von WC trägt und „als ein von WC vorbereitetes, aber von dem Kaiser nicht genehmigtes und von der Kanzlei nicht voll- zogenes Diplom" erklärt wird, in der ich aber nur eine Verunechtuug des echten Diploms sehen zu dürfen glaube, wird das „Gut" Ensburg als „ex massa saucte Lauriacensis ecclesit^ patrimouii" stammend be-

') In M. G. SS. 1, 395 als Pars qiiinta, in der übrigens keineswegs muster- giltigen Ausgabe Kurzes p. 107 als Continuatio Ratisbonensis.

2j M. G. DD. 2, 151 Nr. 135 (Original), von WC verfasst und geschrieben. 3) Ib. 189 Nr. 167 b (Original), ebenfalls von WC verfasst und geschrieben.

430 Kleine Mitteilungen.

zeichnet 1). Es dürfte in Passau ein Kechtstitel für diesen Besitz ge- fehlt haben, man schuf ihn in der Urkunde von 901. Allerdings nur in indirekter Weise, da die Schenkung St. Florian galt. Aber St. Florian war ebenso Besitz von Passau. In ähnlicher Weise hat man auch in Passau die Urkunde Karls des Grossen für Kremsmüuster gefälscht^).

Wie dies WC auch sonst liebte, hat er auch hier für sein Mach- werk eine echte Vorlage benützt. Ihr ist das Protokoll, der Beginn des Textes mit den Intervenienten^) und die Korroboration entnommen. AVohl auch der mit ,Insuper etiam"^) eingeleitete zweite Teil der Schenkung, wjelcher das vom königlichen Hörigen Perahart nördlich der Donau innegehabte Gut beifügt, dann allerdings nicht ohne Inter- polation der „Stadt" in die Übereignungsformel^). Ebenso wahr- scheinlich ist es, dass die echte Urkunde eine Schenkung an St. Florian war, das ja auch schon von Arnolf reichlich bedacht worden war^), nicht dass erst WC diesen Namen erfand.

Noch ein Ausdruck verdient Erwähnung, die „prefectura termi- nalis". Diese Bezeichnung für die Greuzgrafschaft an und über der Ens begegnet anderweitig nicht, auch nicht bei den Geschieht- Schreibern 7), ebenso wenig in Diplomen. Dagegen ist der Titel „ter- minalis comes" durch eine Urkunde Aruolfs bezeugt^).

Einfacher liegt die Sache betreffs der Urkunde von 907. Schon Dümmler und Strnadt haben darauf hingewiesen, dass Otting noch nicht in der Bestätigung Ottos IL von 976 Juli 22% sondern erst in ■jener Ottos III. 993 Jan. 21^^) (capellam quoque Otinga nominatam) als Besitz Passaus genannt ist. Die „Kapelle" in Otting war 901 noch selbständig, sie unterstand mit ihrer geistlichen Genossenschaft einem Abt Purchardii); dass Otting, wie in der Urkunde von 907 gemeldet wird, dem Bischof Purchard von Passau, sicherlich dem

') Ib. Xr. 167»: es ist hier auch von einer Rückgabe (id ip um . . red- dimus) die Rede.

2) Reg. 299 (290), M. G. DD. Karol. 1, 349.

3) Nur wird mau das Prädikat »vir vite venerabilis« und walirscheinlich auch, da es sonst nirgends sich findet, ,studiosissimi* für Adalbero auf seine Rechnung zu setzen haben.

*) Insuper etiam übrigens ein Diplomen geläufiger Ausdruck auch in dem „nicht vollzogenen Diplom* Ottos II. Nr. 167».

=) Ut . . tarn de civitate quamque ex ipso i^roprio . . .

«) Reg. 1869 (1818).

') Dümmler, Die südöstlichen Marken im Arch. f. öst. Gesch. 10, 12.

s) Für Heimo Reg. 1799 (1751) Original.

») M. G. DD. 2, 151 Nr. 135 Original.

»0) Ib. 524 Nr. 112.

»') Reg. 1995 1^1943).

Zwei weitere Passauer Fälschungen. 43;J^

früheren Abt, durch königliche Schenkung zu eigen gegeben worden, dass es durch diesen an Passau gekommen sei^), dafür fehlt jeder Beleg, Ötting ist von 901 bis 993 überhaupt verschollen. Wieder ist es nur eiue unechte Urkunde Arnolfs, welche mit der gleichen Tendenz wie die Urkunde von 907 angeblich schon 898 Ötting als zu Passau gehörig bezeichnet^).

Auch für die Anfertigung der Urkunde von 907 hat WC nach einer echten Vorlage gearbeitet, nach der Urkunde Arnolfs von 890 April 14 für Passau 3). Ihr entlehnte er Invokation, Titel und Signum- zeile — beide selbstvei*ständlich mit Änderung des IS'amens die Publikationsformel, ihr entnahm er wortwörtlich den Schluss des Textes, den Beurkundungsbefehl mit der Korroboration samt einem eigen- artigen Einschub*). Die Entlehnung auch der Protokoll teile wird da- durch ausser Zweifel gestellt, dass in der Signumzeile und sogar in der Datirung das Prädikat „invictissimi regis" übernommen wird; selbst der Kanzleistil beging nicht die Geschmacklosigkeit Ludwig dem Kind den zuerst von Karlmann und Ludwig III., häufig und wenigstens mit Recht von Arnolf gebmuchten Titel „iuvictissimus rex" zu geben ^), er begnügte sich mit „Serenissimus, piissimus, gloriosissimus", gelegentlich sogar mit dem bescheidenen ,gloriosus, pius". Dadurch dass „invictissimi regis" auch in die Datirung sich einschmuggelt, büsst diese auch das Vertrauen auf Glaubwürdigkeit ein. Ich glaube daher, dass „actum ad sanctum Florianum" kaum, jedenfalls nicht mit auch nur einiger Sicherheit für das Itinerar verwertet werden kaun, ist es doch an sich wenig wahrscheinlich, dass man das königliche Kind auf dem Feldzug gegen die Ungarn mitführte, der 18 Tage nach dem angeblichen Ausstellungstag der Urkunde (17. Juni), schon am 5. Juli mit einer furchtbaren Niederlage endete. Die Namen der RekognitionG) finden sich nicht nur in der Fälschung von 901 oder deren Vorlage, sondern auch in zwei anderen Urkunden Ludwigs IV. für Passau'); in der Urkunde von 907 wurde aber der Erzkaplan und

») Ötting wird hier zwar nur .locus Otinga* genannt, aber die folgende Bestimmung: pro . . regimine clericorum . . lumina necnon tecta procuranda zeigt, dass es sich nur um die ,capella« handeln könne.

2) Reg. 1939 (1888).

3) Reg. 1845 (1796).

*) Et ut . . diligentius observetur ad dei servitium sanctique protomartins

Stephani, manu propria . .

■0 Die einzige Ausnahme ist die nur in verderbter Abschrift überlieferte

Urkunde für Toul Reg. 2038 (1983).

«) In den Chartulaien verderbt Engelpero notarius ad vicem Theot:lmari. ■') Reg. 2010, 2011 (1956, 1957). .-

432 Kleine Mitteilungen.

Erzkanzler noch mit dem Titel „summus cappellanus" (statt „archi- cappellauus") ausgestattet, welcher der deutschen Kanzlei Ludwigs IV. vollkommen fremd ist, der ganz vereinzelt erst unter Konrad I. auf- tritt *) und auch ganz vereinzelt bleibt 2).

Der gesamte in die benützte Vorlage eingeschobene Text, der gesamte sachliche Inhalt ist Eigenbau von WC. Ausser den bereits berührten stilistischen Eigentümlichkeiten, die dessen Urheberschaft bekunden, drängen sich noch einige für die angebliche Ausstellungs- zeit kanzleiwidrige Stilblüten ein, wie: illustres dominationis nostre comites, conscriptionis roboratione, nostre auctoritatis apicibus, pro . . consolatione familie utriusque sexus. Auf eine Einschiebung in die Pertinenzformel hat bereits Sepp aufmerksam gemacht^). Das einzige, was noch die Benützung auch einer echten Urkunde Lud- wigs IV. voraussetzen lässt, sind die Intervenienten Erzbischof Theotmar von Salzburg, die Grafen Liutpold und Isangrim. Zusammen treten alle drei neben anderen nur in einem einzigen Diplom von 903 als Fürsprecher auf'*), in den aus Passau überlieferten Urkunden wird Isangrim, Graf des Mattiggaus, zweimal unter Arnolf (898 und 899) als Intervenient namhaft gemacht^), Liutpold, der sonst nur gelegent- lich 898 bei Erwähnung seiner Grafschaft, der böhmischen Mark, ge- nannt wird^), auch in der Fälschung von 90L Theotmar und Liutpold fielen am 5. Juli 907 „in Oriente", also wohl östlich der Ens, in der Ungaruschiacht'). Dies hat, da sie am 17. Juni zweifelsohne schon auf der Heerfahrt waren und an diesem Tage bereits nahe der Ens, also in der Gegend von St. Florian, stehen konnten, zumeist dazu bei- getragen der Urkunde von 9u7 einen Rest besserer Meinung zu retten.

Auf Grund dieses Sachbefundes glaube ich nun auch die beiden Urkunden von 901 und 907 den Fälschungen zuweisen und auch sie dem Handlanger Piligrims, dem sattsam bekannten WC. zusprechen zu müssen.

Wien. E. Mühlbacher.

'J M. G. DD. 1, 2 Kr. ] (ausuahmfeweise Rekognition des Mainzer Erz- bischofs), 28 Nr. 30.

2) Unter Heinrich I. ib. 43. 45 Xr. 5, 7, unter Otto I. il>. 505 Nr. 368.

3) Älteste Gesch. von Altötting 47 Nr. 34. ••) Für Freising, Reg. 2015 (1961).

5) Reg. 1943 (1892), 1951 (1900) für Ranshofen. Über Isangrim Dümmler. östfränk. Reich 2. A. 3, 486 N. 5. «) Reg. 1950 (1819). ") Dümmler, üstfränk. Reich 2. A. 3, 518.

Beiträge für den historischen Athia der österr. Alpenländer. 433

Beiträge für den historischen Atlas der österr. Alpenländer.

III. Das Ein der holz. Am 6. Juli 1211 (Meiller Regesteu zur Ge- schichte der Salzburger Erzbischöfe S. 200 Nr. 134) beurkundet Erz- bischof Eberhard IL, dass er nach Rat seines Kapitels und seiner ]ili- nisterialen von dem Freien Goteschalk von Haunsberg das Schloss Huonsperch „cum horainibus suis propriis militaribus, sexus videlicet utriusque, quoscunique habuit citra locum ßinderholz dictum" auf ■den Todfall des Verkäufers an sich gebracht habe.

Das zweite Mal wird das Rinderholz erwähnt in dem Landbuche von Osterreich und Steier (Monum. Germaniae bist. Deutsche Chroniken III./II. 720)'. »Der Gotschalch von Hunsperch gab dem herzogen Liupolt Lintz unt alles da/, aeigen daz dar zu gehört her ze tal von clem Rinderholz".

Die Versleichuucr dieser beiden Kachrichten zeigt, dass der Haunsbero-er das Rinderholz als die Grenzmarke seiner Transaktionen mit dem Herzoge Liupold YI. und dem Erzbischofe von Salzburg- angesehen wissen wollte: abwärts vom Rinderholze fiel sein Besitz an den Babenberger, aufwärts von demselben au das Erzstift.

Das veranlasste mich, in der „Geburt des Landes ob der Eus" S. lOn Anmerkung 264 das Rinderholz an die Grenze zwischen den heutigen Ländern Salzburg und Oberösterreich zu setzen und die Ver- mutung Meillers, welcher in seinen Regesten der Babenberger Nr. 252 Note 356 au Rii) gelholz bei Esternberg im Innviertel dachte, zu ver- werfen.

Die Durchforschung vieler Urbarien und Akten zum Zwecke des historischeu Atlas der österreichischen Alpenländer setzt mich nunmehr in die Lao-e, die Ortlichkeit genau zu bestimmen. Zuerst wurde ich aufmerksam gemacht bei Durchgehung eines Verzeichnisses der Güter des Gerichtes Friedburg aus dem Jahre 1532 im allg. Reichs- archive zu München (Güter- und Grenzbeschreibungen: Burghausen: Friedburg Band 1), dass dasselbe ein „Rindeiholz Ambt" unter dem Amtmann Hanns Stadler kannte. Dasselbe bestand aus den Ob- jnannschaften Pöndorf in der Pfarre Pöndorf mit weiteren 4 ürbar- leuten in der Pfarre Strasswalcheu und aus der Obmannschaft Lengau mit dem „Marckht" Friedburg.

Sonach ging ich auf das „Saalpuech der Curfrtl. Pfleg: Vuud Herr- schafl^ Friedburg aufgericht anno 1363" (Post Nr. CO Urkunden- Sammlung der o.-ö. Fiuanzdirektion, derzeit im Archive des Linzer Museums) zurück. Dasselbe enthält 101 Pergamentblätter, wovon 100 mit Bleistift pagiuirt sind; schon der Schriftcharakter zeigt, dass das Urbar erst dem 15. Jahrhundert angehört, also die Errichtung des Urbars

434 Kleine Mitteilungen.

nicht iu das J. 1363 fällt, wie die Aufschrift auf dem Vorsetzblatte von einer Hand des 17. Jahrhundertes schlankweg behauptet. Es wurde im Gegenteile erst zAvi scheu den Jahren 1439 (deai Jahre des Verkaufes der Herrschaft von Seite der Kuchler'schen Erben an den Herzog von Bayern, der wiederholt erwähnt wird) und 1441 au- gelegt, wie folgende ursprüngliche Einträge dartun: Bl. 1 „Itern die tafern zu heuhartt ...das ist also vormalls beyden kuchlern gewesen"; Bl. 70 .die huet zu Mundolling . . Aber die küch- le r i n spricht das 1 r die z u g e h ö r und die e r b n haben i r dieanainer gullt geben darum bseyEr hart Czennger ain spruchman gewesen" und ein Nachtrag (schwarz) noch aus dem 15. Jahrhundert sagt: ,Vermerckt die hernach geschriben Newgerewt gehören in das Ambt Im lliuderholz und die kristof pernpeck [her- zoglicher] Räntmaister zue dienst gelegt hat an Suntag vor saud Margreten tag Anno dmi millesimo quadringen*^ Quadrage^- primo".

Auf Blatt 41 beginnt „das Ambt Im Rinderholltz". Zu demselben gehörten damals Tantzenrewt, ein Hof zu Kirchheim,. 3 Holden in Pating (Paldiug), das ganze Dorf Forstern, 4 Holden iu Gaysstayg, 3 iu Gerhartseckg, 3 in Schachen, 4 in Nesseltal, Hin Haberpewnt, 5 in Nydern S wannt, 3 in Oberuswanut, 3 in Prayten Rewt, S in Waytzenperg, 4 in Wätzenperg, 5 in Vtzwey, (3 in Viseltal, 2 in Igelsperg, 4 in Oberholltz, l in Winttpassing, 5 in Nydern Er- negkg, 33 in Erib, darunter „Item der Ober Chünzl von vnnderrewt dint vom Rinderholltz seins tayls 75 phening, Item der Nyder Chünzl und liendl sein bruder von vnnderrewt dienut Irs tayls vom Rinder holt z 75 pheniug. Item Chüntzl und Gängl sein bruder von voglhub dint vom Rinderholltz 20 phening. Item Chünczel da- selbs und Michel sein Swager dintt auch 20 phening vom Riuder- holltz;" dann das ganze Dorf Lengau, Newreyt zu Lengau 6, die Newgereitt zu der heyligen Statt 21 (darunter die Taferue), der Marckt Friedburg, G Neugereute, endlich 12 Holden zu Aygelsprun.

Die Ortschaften Erb, Friedburg, Heiligenstätt, IgeLberg, Lengau, Uzwei, Windpassing liegen in der Pfarre Friedburg, die Dörfer Breiten- reut, Forstern, Gasteig, Geretseck, Haberpoint, Nessltal, Palding, Schachen, Schwant, Tanzeröd und Ünterreut, sowie Kirchheim in der Pfarre Pöndorf. Die einzelnen Höfe weist die Josefinische Karte von. Schütz aus.

Eine Mappe, welche ans Anlass des vom Landgerichte Friedburg^ auf das Messnerhaus zu Pöndorf erhobenen Anspruches im J. 1748 von dem Ingenieur Josef Antonj Pernlähuer verfasst wurde, (im Archive

Zu Ansbert II.

435

des Linzer Museums) verzeichnet das ^kleine Rünuholz" auf der linken, das , grosse Rünnholz" auf der rechten Seite der über Ober-Mülheim Pfan-e Pöndorf von Salzburg nach Fraukenmarkt füh- renden Landstrasse, westlich von dem vom Mülheimer Bach über den obern und untern Postgattern längs der Forstern Leiten zum Radel- berg führenden Landgraben. Das grosse Rinnholz reichte, südlich bis zur sogenannten „Plaselraühle".

Nach den von Seite meines Kollegen, Herrn Landesgerichtsrates Josef Wieser in Frankenmarkt, eingezogenen Erkundigungen befindet sich das Rinderholz, beim Volke ,Riunerholz", meistens aber schon „Haid- feld" genannt, rechts von der Reichsstrasse in der Nähe von Haberpoiut in den Katastralgemeinden Oberschwand Gerichtsbezirk Frankenmarkt Oberösterreich und Brunn Gerichtsbezirk Neumarkt Land Salzburg. Der grösste Teil ist jetzt urbar gemacht, was noch Waldgrund ist,^ gehört zu dem Rinnthalergut zu Voglhub. Nach Aussage alter Leute war der Wald einmal eine „Frei", welche zum Blumbesuche der um- liegenden Gemeinden diente; der Einfang des schlechten Grundes ist schon vor Jahrhunderten erfolgt. Der alte Name ist im Verschwinden begriffen, die neuere Benennung von der jetzigen Kultur hergeholt.

K r e m s m ü n s t e r. J u 1 i u s S t r n a d t.

Zu Alisbert II. Ausbert und die Continuatio Zwetlen- sis altera. In seinem ersten Exkurse S, 185 ff. hat Chroust darzu- legen gesucht, dass einige wörtliche Anklänge der Cont. Zwetl. altera, SS. IX. 543 f., an entsprechende Stellen Ansberts (Strahover Codex) dadurch zu erklären seien, dass der ümarbeiter von A. 's Bericht die Cont. benütze, während vor Chroust Osw. Redlich in der Arbeit „Die österreichische Annalistik bis zum Ausgange des dreizehnten Jahr- hunderts", Mitt. d. Instituts Ili, S. 506 ff., das umgekehrte Verhältnis angenommen hatte. Dass wirklich Beziehungen zwischen den beiden Quellen bestehen, darüber gibt es keinen Zweifel mehr: nehmen wir mit Chroust an, dass diese Verwandtschaft nur dort besteht, wo beide Quellen sich darüber äussern, dass die Könige von Frankreich und England ihr Kreuzzugsgelübde nicht erfüllten und auch Herzog Leo- pold von Österreich trotz sehnsüchtigen Verlangens von der Teilnahme absehen musste (Cont. 543^0 ff-. 544i, ff. u. A. 76; ff u. 76^5 ff-> Ch. S. 188 f. meint nun, dass eine Benützung A.'s durch die Cont. deshalb zu verwerfen sei, weil der Anhang der „historia de expedi- tione", in der jene Stellen A. 's vorkommen, nicht vor 1190 entstanden

^3g Kleine Mitteilungen.

ist, die Cout. aber schou mit dem Einrücken Friedrichs 1. in Bul- garien (Juui 1189) abbricht; dass um diese Zeit die Zwettler Fort- setzung abgeschlossen worden sei, schliesst Ch. aus dem Schweigen derselben über die wirklich unternommenen Kreuzfahrten des Herzogs und jener Könige, während A. im Auschluss an jene Stellen gleich der Ausführung der Kreuzfahrten gedenkt. Ja, wenn es nach meinen Ausführungen in EA. III. S. 592 f. feststeht, dass der erste Teil des Anhangs wie aus einem Guss frühestens erst im J. 1193 entstanden ist, so wäre die Ansicht Cli.'s nur noch mehr gerechtfertigt.

Dacresen lässt sich aber schon im allgemeinen einwenden, dass «in Autor wie A., der selbst als Augen- und Ohrenzeuge über eine so reiche Erfahrung verfügt und was noch wichtiger ist, sich stilistisch gewandt zeigt i), aus dem so dürftigen Berichte der Cont. einige wenige Stellen für seine „historia" entlehnt haben soll. Er hätte ja im Anhang, wenn er schon so bequem sein wollte, einfach nur jene Redewendungen wiederholen brauchen, die er schon S. 17 über jene Könige gebraucht hatte. Im besonderen kann man sagen, dass mau wohl nicht be- haupten kann, das Schweigen der Cont. zwinge zur Annahme, dass der Autor nicht nach dem J. 1189 die Ereignisse dieses Jahres auf- gezeichnet haben könne. Der Fall ist doch nicht auszuschliessen^), dass er erst im J. 1190 die Ereignisse des J. 1189 zu demselben J. der Chronik verzeichnete uiid dass er. trotzdem er damals, im J. 1190, schon von deu Kreuzfahrten jener Fürsten wiisste, davon schwieg, weil er als Annalist diese erst zum J. 1190 erwähnen wollte, wozu er freilich aus irgend einem Grund nicht mein- kam. Wenn er S, 544^ ff. von Pressburg aus die deutscheu Gesandten nach Byzauz abgehen lässt und hier schon (im Mai 1189) von ihrer späteren Gefangennahme erzählt, so zeigt dies, dass er frühestens erst nach Neujahr 1190 die Ereignisse des J. 1189 geschrieben haben kann, da aller Wahrschein- lichkeit nach erst um diese Zeit die Nachricht von dieser Gefaugen- i^ahrae durch kaiserliche Briefe in die Heimat gelaugt ist; vgl. A. 4O5 ff. Auch scheint gerade die Stelle über den Herzog in der Fassung der Cont. 3) anzudeuten, dass der Autor, als er diese Worte

') Dass der Anhang von demselben Autor wie die vorausgehende ,historia' herrührt, glaube ich in EA. III. S. 590 ff. bewiesen zu haben; auch Redlich S. 510 scheint von der , einheitlichen Entstehung der historia« überzeugt ge- wesen zu sein.

-) Auch A. I7i4ff. klagt über die beiden Könige, ohne der späteren Er- füllung ihrer Gelübde zu gedenken, obwohl er, als er diese Stelle schrieb, von ■dieser Erfüllung bereits Kenntnis haben musste; vgl. EA. S. 572 al. 2 ff .

3) .erat etiam illustris dux Austrie ardentissimo desiderio, ut in hac mi-

Zu Ansbert IL j^o j

schrieb, schon von der Kreuzfahrt des Herzogs, also auch jener Könige, wusste.

Damit wäre nun aber nur soviel bewiesen, dass neben der An- sicht Ch. 's ebenso gut auch die Redlichs bestehen kann, oder vielmehr, dass der Beweis aus dem Schweigen der Cont. irrelevant ist. Aber allerdings, der Einwand, dass der Zwettler Fortsetzer nicht den An- hang A. 's benützt haben könne, besteht noch immer, um die Ab- hängigkeit der Cont. von A. als unwahrscheinlich hinstellen zu können. Und kann man im Ernste glauben, dass ein Annalist, wenn er die Ereignisse des J. 1189 verzeichnen wollte, Material dafür in jenem Anhang gesucht hätte, der die Zeit nach dem Kreuzzuge behandelt, und nicht vielmehr in der Partie A.'s, die 'den Vorbereitungen des Kreuzzugs und diesem selbst gilt? Erscheint demnach eine Benützung des dürftigen Berichtes der Cont. durch A. als unwahrscheinlich, sa scheint die entgegengesetzte Annahme unmöglich zu sein.

Aber die Sachlage ändert sich sofort, wenn mau annimmt, dass die betreffenden Stellen A.'s, die ja von Ereignissen des J. 1189 handeln, nicht im Anhange standen, sondern dort, wo sie hingehörten, in das J. li8J. Das könnte aber nach meinen Ausführungen in EA.. II. S. 574 ff. und 111. S. 594 al. 1 in keiner anderen Form A.'s gewesen sein, als in seinem ersten, den Ereignissen parallel laufenden Berichte A''., den ich aus der H. P. erschlossen zu haben glaube. Welche Verschiebungen dann A. bei seiner Umarbei- tung des A.'' im Sommer 1 190 im Stoffe dieses ersten Berichtes vor- genommen hat, hatte ich in EA. S. 576 587 und Nachträgen S. 598 Gelegenheit zu zeigen; vgl. noch „Zu Ansbert" 1. S. 115 ff*.

Insbesondere wurde dort gezeigt, wie A. bei der Umarbeitung mehrmals Nachrichten, die er in seinem ursprünglichen Berichte zu einem bestimmten Zeitpunkte notirt haben muss, an Stellen verzeich- net, die mehrere Monate spätere Ereignisse berühren. Folglich ist es auch möglich, dass er jene Stellen über die beiden Könige und den Herzog in den Anhang verschoben hat, während A^' sie, wie natür- lich, am ßegiune des Kreuzzuges vermerkt hatte ; so könnte dann der Zwettler Fortsetzer sie vorgefunden habeu, unter der Voraussetzung, dass er eben Ai^ benützte. So würde sich auch sein Schweigen über die späteren Kreuzzüge jener Fürsten erklären, da ja auch A'' nichts davon wissen und schreiben konnte. Indessen i.st darauf, wie oben bemerkt, nicht soviel Gewicht zulegen, namentlich wenn, wie

litia doniini arma contra inimicos crucis Christi cum ceteris prineipibus- ferret. cum tarnen recenter inde reversus fuerit'.

438

Kleine Mittheilunpren.

dies wahrscheinlich ist, der Fortsetzer erst nach der Heimkehr A.'s in den Besitz von A^' kam; denu wie hätte er das früher können, wenn der erste Bericht A.'s während dessen Kreuzfahrt entstand, die ■Cüut. aber die Ereignisse noch bis zum Einrücken Friedrichs I. in Bulgarien führt? Erwähnt die Cont. ja erst während des Zuges durch Ungarn des Herzogs Leopold.

Aber einen andern Einwurf könnte man diesen Ausführungen machen, den, dass ja A. ad a. 1189 weder der Gastlichkeit des Her- zogs dem Kreuzheer gegenüber, noch der Nichtteilnahme demselben am Kreuzzuge gedenkt, folglich köuute auch A.'' dessen nicht gedacht haben, folglich auch die Cont. A> nicht benützt haben! Man köunte diesen Einwurf noch dadurch verstärken, dass man auf jene Stelle A.'s (15i7) verweist, wo er unter den Fürsten, die dem Kaiser bis au die ungarische Grenze das Geleite geben und nicht zu den mit dem Kreuz Bezeichneten gehören, den Herzog von Osterreich nennt (preter signatos); mehr hätte A.'' auch nicht sagen brauchen, um die Nicht- teilnahme des Herzogs zu begründen.

Indessen habe ich schon in EA. S. 588 al. :3 betont, dass be- sonders das Schweigen A.'s von der gastlichen Aufnahme der Pilger zu Wien bei den notorisch .starken Beziehungen dieses österreichischen Klerikers so nennt ihn Gerlach zu österreichischen Persönlich- keiten und Dingen, wie sie besonders im Anhange hervortreten, eigen- tümlich berühren muss. Auch muss es auffallen, dass die Contin. einerseits des brennenden Wunsches des Her/-ogs, die Fahrt zu unter- nehmen, gedenkt und die Gründe für die Nichtbeteiligung anführt, anderseits die HP. bTiü-^o besonders stark die Gastlichkeit des Herzogs hervorhebt, also gerade die beiden Quellen, die so enge Beziehungen zu A. verraten. Kann man da wirklich noch glauben, A.^^ wäre so wie später A. mit einer ganz kurzen, beiläufigen Bemerkung über den Herzog zum Weiteren übergegangen ? Warum hüllt sich aber dann A. in ein .solches Schweigen? In EA. hatte ich es als ein Zeichen von Unmut angesehen, das hier der für die Kreuzzugssache begeisterte österreichische Autor kundgibt, wenn er schon aus Zartgefühl den Herzog nicht so tadeln mag, wie andere Fürsten i). Die Sache wird sich wohl so verhalten: A. schrieb seine Umarbeitung etwa im Sommer 1190; er mochte vielleicht bis dahin gehoff"t haben, doch noch von dem Kntschlusse des Herzogs, gleichfalls eine Kreuzfahrt anzutreten, zu vernehmen; sagt er ja im Anhange, wo er von der Fahrt des

') Dass der Herzog nicht das Kreuz genommen hatte, kommt nicht gosehr in Betracht, als dass gerade deshalb hätte die GaBtlicbteit desselben hervor- lieben können und es dennoch nicht getan hat.

Zu Ansbert II.

439

Herzogs im August 1190 spricht, dieser habe schou lange den Wunsch darnach gehabt (,diu accensus eiusdem peregriuationis" ; das diu fehlt bezeichnender Weise in der entsprechenden Stelle der Cont.). So mag es gekommen sein, dass A. sich so kühl verhielt, da er bis zu den Sommermonaten des J. 1190 kaum eine Nachricht von dem wirklich begonnenen Unternehmen Herzog Leopolds bekommen haben dürfte ; in eben dieser Zeit muss er aber mit der Umarbeitung jeuer ersten Teile der historia beschäftigt gewesen sein, u. z. höchst wahr- scheinlich zu Tripolis in Syrien; vgl. EA. IIL S. 588 f. So könnte sich also auch der Ausfall jener Bemerkungen erklären, die ich als Bestand des A'' und Quelle der Cont. sowohl wie der HP. angesprochen habe; so auch die spätere Wiedereinstellung wenigstens der einen Be- merkung in den Anhang des A.

Das Bisherige würde nun allerdings genügen, um neben der Auf- fassung Chrousts die Redlichs als ebenso begründet erscheinen zu lassen. Dass aber die letztere, d. h. Abhängigkeit der Cont. von A.^^, allein in Betracht kommen müsse, zeigt jene von Chroust als uobrauchbar be- zeichnete Parallele über den Kardinallegaten und den Mainzer Hoftag (SS., IX, 54332-:i,s =- A. ISe-io + A. 93 10^ ; vgl. Ch. S. 186 ff.) Dazu muss aber meines Erachteus noch HP. 52.^6 f- bezüglich des Datums des Hoftages herangezogen werden.

Das Datum lautet dann in den 3 Quellen:

Cont. : ,. . . . in media quadragesima dominica letare Jerusalem . . . . curia . . . est celebrata'.

HP.: ,. . iii media quadragesima, quae tunc eveuit VI. Lal. aprilis, curiam iudixit'.

A. : .anno iucarnationis 11<S8 indiclione VI. in media quadragesima do- miaica letare Jerusalem, que tunc VI. kal. aprilis evenit, curia Christi . . . est celebrata'.

Wenn nun Ch, die Parallele der beiden ersten Quellen als un- brauchbar bezeichnet, weil auch eine grosse Reihe anderer Quellen ebenfalls dieses Ereignis in ähnlicher Weise datiren, so vergisst er, dass, wie er ja auch selbst zugibt, alle jene Quellen den Hoftag nur einfach, A. und die Cont. aber dreifkcli datiren: durch die ,feriaS den Introitus der Messe, An media quadragesima- A. hat allerdings noch zwei Angaben mehr. Bei der einmal schon festgestellten Verwaudt- schaft der beiden Quellen muss man daher auch hier eine solche an- nehmen; von vornherein wird mau aber vermuten dürfen, dass der jenige Autor die Quelle der beiden andern ist, der das ausführlichste Datum liefert, d. h. A.; diese Vermutung wird aber zur Gewissheit, wenn mau das Verhältnis der HP. zu A. erwägt.

440 Kleine Mitteilungen.

Dass die HP. auch hier deu A.'' benutzt, lehrt der Gleichlaut der Stellen, wenn sie auch nur 2 Bestandteile des Datums wiedergibt. Es ist also bewiesen, dass mindestens eine der verwandten Stellen A.'s und der Cont. auch schon in A^^ gestanden sein muss. Würde, man nun an der Abhängigkeit A. 's von der Cont. festhalten, so müsste man annehmen, dass eine Stelle, die über den Hoftag, von A.^^ vor Beginn des Kreuzzugs, jene aber über den Herzog Leopold erst nach dem Kreuzzuge und der Kückkehr A.'s von diesem aus der Cont. ent- nommen worden sei, da ja bekanntlich letztere Stelle bei der Cont. schon mitten unter den Ereignissen des Kreuzzugs selbst erscheint, A. aber damals schon beim Kreuzheere weilte. Eine derart doppelte Benützung der Cont. durch A., mit einem Zwischenraum von mehr als einem Jahre und der Beschränkung auf 3 kurze Stellen, annehmen zu wollen^), geht denn doch nicht au. Anderseits bietet die Annahme gar keiue Schwierigkeit, dass ebenso wie die Stelle über den Hoftag auch jene über die beiden Könige der Schilderung des Kreuzzuges durch A^ vorausgegangen, jene über den Herzog aber zu Beginn des Kreuzzuges verzeichnet gewesen sein muss. Bei der Umarbeitung A.^^s muss daun A. die beiden Stellen in der ,historia' haben ausfallen lassen, während sie 1193 wieder in den Anhang eingestellt wurden. Damit halte ich den Beweis für die Abhängigkeit der Cont. von A.'' für erbracht, ob- wohl es noch möglich wäre, auch einige audere Differenzen A.'s und der Cont, von geringfügiger Art (über den Kardinallegaten-), die Ver- Ipbung des Herzogs von Schwaben, das Aufbruchsdatum zu Regens- burg) auf Grund des Verhältnisses von HP., Cont. und A.'' zu A. lösen zu können.

Die Benützung A.i^s durch den Z wettler Fortsetzer erfolgt selbst- verständlich erst nach der Rückkehr Ansberts vom Kreuzzuge. Wichtig scheint ihre Beziehung, weil es nunmehr Momente genug gibt, die zur Ermittlung der Persönlichkeit des sogenannten Ansbert führen könnten: österreichischer Kleriker (nach Gerlach), Verhältnis zum Vogte Friedrich von Berg, zu Passau, zu Reichersberg, zu Zwettl, zu Abt Eiseureich von Adniont, zur kaiserlichen Kanzlei Friedrichs 1., zu

') Diese Annahme wäre noch zulässig, wenn Cb.'s Hypothese von der Ent- stehung der ,historia' durch einen ümarbeiter in der Heimat (etwa in Zwettl selbst) Wahrscheinlichkeit hätte ; man vergleiche aber gegen diese Hypothese EA. I. S. 569 al. 5-573.

2) Es sei nur auf folgende Parallele verwiesen, wo sich zeigt, dass der Text der HP. (A.h) der Cont. näher kommt als beide dem A. :

Cont. Zw. : ,vir religione et scientia perspicuus'.

HP. 52.31) f. : ,vir quidam religiosus, litterarum sci- entia praeclaruä'.

A. : ,virum sapientem et discretum ac religiosura'.

Zu Ansbert II.

441

Böhmen und Ungarn; vgl. übrigens Ch. S. 74 fP. und EA. III. S. 591 f. Oder sollte sich wirklich bestätigen, dass Ansbert und der ZweUler Chronist ein und dieselbe Persönlichkeit sind? vgl. Tauschiuski und Pangerl, Fontes, XXIV; Redlich hingegen S. 510; so würde sich auch die oben besprochene doppelte Benützung von Stellen Ä.'s erklären. Auch ist es auffallend, dass die Cont. Zwetl. IL (1170—1189), gerade dort abbricht, wo ungefähr die ,historia' A.'s beginnt, und es möchte scheinen, wie wenn A. (= Fortsetzer), nachdem er einige kurze Notizen aus dem Beginn der ,historia' noch in die Chronik eingetragen hatte, zunächst auf die weitere Fortsetzung der Chronik verzichtet und sich der Fortsetzung der ,historia' durch den Anhang (1190—1196) ge- widmet hätte, so dass dieser eigentlich die Fortsetzung der Chronik darstellen würde. Dazu würde wohl auch der sowohl für Ansberts ,historia', wie für die zweite Zwettler Fortsetzung konstatirte Charakter stimmen; siehe Redlich S. 506. Indessen bleiben diese Schlussbemer- knngen zunächst doch nur Vermutungen. Vgl. den Nachtrao- S. 442. Als vorläufigen') Abschluss der bisherigen Forschungen 2) füge ich ein Schema der verwandtschaftlichen Beziehungen Ansberts und Tagenos bei (die uns erhaltenen Formen sind unterstrichen).

Tatr. it.

A™ HI' Cont. Z\v(-tK n.

/ A^ (Jr. X

Sicard IL

.Salinihcnc

') Manches, z. B, tler verlorene Teil A.''s über die Vorgeschichte des Krenz- zuges und die Beziehung A.^s zur chron. Venetum, (.M. G. SS. XIV. p. 67) harrt noch der Aufklärung; vgl. die .Ent&tehung der historia . . . Ansberts«, S. 587 unten, bez. 576.

-) Über meine in der Ansbertfrage erschienenen Aufsäfze vgl. ,Zu Ansbt-rt* I. Mitteil, des Inst. f. österr. Geschichtsf. XXIV, S. 115 ftl, über die einzelnen Re- zensionen Ansberts und Tagenos die »Entstehung . . . Ansberts* S. 594 al. 1 und 595, »Tageno ...'S. 1.3, ,Zu Ansbert« l. S. 118 al. 1.

Mitthoilungon XXIV. 29

, , ^ Kleine Mittheilungen.

442

AI' = Ansberts erste Rezension (1189 bis Juni 1190);

Am= zweite (Sommer 1190);

A3= , dritte . (U93_ii94nndl5.VI.-28.1X.

1197);

A = Strahover Hs., Abschrift Gerlachs (nach 1214); Gr ^ Grazer Fragment (nach 1190), Hs. XUI. s.; Cont. Zwetl. IL = zweite Zwetler Fortsetzung (Ende 1190), stammt vielleicht von Ansbert selbst; ,.,,otMT YilT .

HP = Historia Peregrinorum (nach 1 190 und vor 1 213 ^ Hs. Älll. >. , Tag. it. = Itinerar Tagenos. reichte bis zur Ankunft in Phihppopel; D^-^ Konzept des Dietpoldbriefes ; Do =^ Original n ?

T°i = Erste Form Tagenos (ll89 bis Juli 1190); T= Zweite , , (Aventin-Freher), Sommer 1190;

M = Chronik des Magnus von Reichersberg (Ende 1190 bis 1193).

AT-i 11. K. Zimmert.

Nikolsburg.

n Nach eingebenden Mitteilungen Herrn Professors Dr. 0 Holder-Eggers ro9 XII 190) wofür ihm Verf. wärmsten Dank schuldet, wurden die Bezie- hungen ' der HP. zu Sicards von Cremona zweiter Rezension (1213-121a) und Salimbene in obigem Schema skizzirt.

\aclitra- zu S. 441. Für die Identität des Fortsetzers und A.'s möchte noch Iprechen': Es ist wahrscheinlicher, dass jener 1190 nicht A^ sondern A- benützt haben möchte und dass er schon vor dem Kreuzzuge den M-zer Hoftag a a. 1188 vermerkt haben wird, jene Stellen müsste der gemeinsame Autoi der historia und Chronik al«o schon vor dem Kreuzzug m beide Werke eingetragen haben, mit Ausnahme jener über den Herzog (s. S 438, ^-^^^'^^^ der oben S 442, Z. 7 angegebene Termin zu berichtigen. Wie dem auch sem m^c. ob die Autoren der beiden Werke ein und dieselbe Person sind oder nicht, das'eine mindestens scheint mir festzustehen, dass keinesfalls A. von der Cont., sondern vielmehr die Cont. von Ai' abhängig sei.

Literatur.

1. Schrift tafeln zur Erlernung der lateinischen Pa- iäographie, herausgegeben von W. Arndt. Dritte erweiterte Auf- lage besorgt von Michael Tangl. Berlin, erstes Heft 1897, zweites Heft 1898 {10 Tafeln, 9 und 34 S. Text).

2. Monumenta Palaeographica. Denkmäler der Schreib- kunst des Mittelalters, erste Abteilung: Schrifttafeln in lateini- scher und deutscher Sprache. In Verbindung mit Fachgenossen her- ausgegeben von Anton Chroust. München, Lieferung 1 9 ä 10 Tafeln Grossfolio, 1900—1902.

1. Mit dem Motto »Lieber spät als gar nicht *^ möchte ich hier zu- nächst einige Worte der von Tangl besorgten dritten Auflage von Arndt's Schrift tafeln widmen^ einem Werke an welchem diese Zeit- schrift unmöglich schweigend vorübergehen darf. Auf die Gründe dieser unliebsamen Verzögerung einzugehen, hätte kein Interesse ; dass ein Teil •der Schuld auch auf mich fällt, will ich gerne reumütig eingestehen.

Bei einem Buche, welches ein so verbreitetes und unentbehrliches Hilfsmittel des paläographischen Schul- und Selbstunterrichtes geworden ist wie das vorliegende, braucht im gegebenen Fall umsomehr nur auf die Abweichungen von der frühern Auflage hingewiesen zu werden, als die Neubearbeitung schon seit Jahren vorliegt. Da es sich um Neuauflage eines altbestehenden Werkes handelt, so musste, um den bisherigen ver- hältnismässig niedrigen Preis beibehalten zu können, nach Tunlichkeit der bisherige technische Apparat, also auch die Photolitographie wieder verwendet werden. Man muss sich wohl, so oft man den »Arndt« be- nutzt, die grossen Verdienste, welche diese Publikation seit ihrem ersten Erscheinen bis heute erworben hat und noch immer erwirbt und an welchen wegen des billigen Preises auch die Verlagshandlung ihren Anteil hat, vor Augen halten, um sich heute noch mit dieser veralteten und unvollkom- menen Reproduktionsart zu befreunden, ganz besonders wenn man etwa Tafeln von Handschriften, welche auch in die unten zu besprechenden Mon. Palaeographica aufgenommen sind (z. B. Arndt-Tangi T. ]9=-Mon. Pal. III. 8) vergleicht. Es kann daher auch nur gelobt werden, dass Tangl für die neuhinzugekommenen Tafeln den Lichtdruck gewählt hat.

29'

^^_j. Literatur.

Über das Verhältnis der dritten zur vorausgegangenen Auflage gibt Tangl in der Vorrede kurzen Aufschluss. Aus praktischen wie aus Pietäts- crründen wurde die seinerzeit von Arndt getroffene Auswahl nach Möglich- keit beibehalten, was auch der Verwendung des Werkes bei dem Unter- richt zugute kommt; nur in dringenden Fällen wurden Tafeln ausge- schieden, der Fortschritt liegt vielmehr in der Vermehrung der Tafeln von 64 auf 70. Da einige Tafeln der zweiten Autlage entfielen, enthält die dritte im ganzen neun neue, nämlich Nr. 2fi: Missivbucb des Albert von Beham, Nr. 27 Reinschrift des »Liber certarum historiarum« Johanns von Viktriug (mit eigenhändigen Zusätzen des Autors), Nr. 2S Abschrift der goldenen Bulle aus dem J. 14()(» (kalligraphische Minuskel), Nr. 2U Autograph der Kaiserchronik des Thomas Ebendorffer vom J. 1450 (goti- sche Kursive), Nr. 30 Ronaissance-Minuskel eines Corvinus- Codex, Nr. 32- römische Majuskelkursive (Papyrus vom J. 166), Nr. 42 spitze irische Kursive des U. Jahrb., Nr. (J l Nekrologium von Müllenbeck von 125(1 (?) mit vielen Nachträgen, Nr. 67 Konzept der Reichskanzlei von 1450.

Dieser Zuwachs bildet nach jeder Richtung eine willkommene Er- gänzung des alten Bestandes, indem früher fehlende oder ungenügend ver- tretene Schriftgattungen der altern Zeit (Nr. 32 und 42), namentlich aber solche des spätem Mittelalters aufgenommen wui'den. Unter den Schrift- proben der Jüngern Zeit solche, welche nicht bloss paUiographisch lehr- reich, sondern auch durch ihren Inhalt oder durch die Person des Schrei- bers interessant sind. Besonderes Gewicht hat Tangl mit Recht auf die Einfügung genau datirbarer Schriftproben gelegt. Nicht überzeugend er- scheint da nur die Annahme, dass das sicher nach 1242 angelegte Toten- buch von Möllenbeck aus dem Grund im Jahre 1250 entstanden sein soll, weil in dem Kalender Ostern auf den 27. März gesetzt ist. Dieser ' Ansatz des Ostersonntags entspricht nämlich der alten schematischen, in Kaiendaren öfter beibehaltenen Anschauung, dass die Passio auf den 25. März falle. Hätte man in dem MöUenbecker Kalendar das Osterdatum des Ent- stehungsjahres angeben wollen was aber bei einem immerwährenden Kalender ja keine Bedeutung hatte , so würde man folgerichtiger Weise den 27. März wol auch in anderer Weise noch als Sonntag gekennzeichnet haben, nämlich durch roten AVochenbuchstaben (Littera dominicalis); wie aber Tangl anführt, ist vielmehr der ständige Wochenbuchstabe des 1 . Januar in solcher Weise hervorgehoben.

Bezeichnet sich die vorliegende Auflage auf dem Titelblatt als eine erweiterte, so hätte sie sich mit gleichem Fug auch eine vermehrte und verbesserte nennen dürfen. T. hat die vorzügliche Leistung seines Vorgängers durchaus revidirt und, im ersten Heft nur sparsam, im zweiten, dagegen reichlich ergänzt. Das triff't sowohl Angaben über die benutzten Handschriften und über paläographische Ciiarakteristika und Besonderheiten. der einzelnen Schriftgattungen, als auch die Transskription der Texte. Schon im ersten Hefte wurde den schwerer lesbaren neu aufgenommenen Tafeln Nr. 27 und 29 der volle Text in paläographisch getreuem Abdruck beigefügt, im- zweiten Heft sind mit Ausnahme der ganz leicht lesbaren Tafeln in Ma- juskel und älterer Minuskel (Nr. 33, 34, 36, 37, 39 41, 43—51, 54, 55) sämtliche Stücke transkribirt. Off"enbar ist T. durch seine praktischen Erfahrungen hierzu veranlasst worden und ich kann seinem Verfahren

Literatur.

445

nur beistimmen. War es auch früher eine recht gute Übung durch gar;z selbständiges Kopfzerbrechen die Schriftprobe zu entziflPern, so ist doch für den Lernenden und besonders für den Anfänger noch höher anzuschlagen, <3ass ihm eine vollständig sichere bis ins kleinste Detail genaue Lesung geboten wird. Tatsächlich sind auch die Transskriptionen sehr sorgfältig, wie bei Tangl nicht anders zu erwarten war. Nur weniges ist mir auf- gefallen, was bei einer neuen Auflage zu verbessern wäre. So ist anzu- merken: T. 29. Z. 10 duce(m) statt ducem, Z. 14 das überflüssige Abkür- zungszeichen über p(er)pessor(um), Z. 25 te(m)pestate statt tempestate, Z. 28 p(i-)ude(n)tem statt p(ru)ile(n)tem; Tafel 53, Spalte a, Z. 32 int(er)- cepl(us) st. int(er)ceptus, Sp. b. Z. 2 0 wohl fetore statt fecore (Reproduk- tion undeutlich), Z. 23 quib(us) st. quibus. Z. 26 palatin(us) st. palatinus; T. 60, Sp. b. Z. 7 mund(us) st. mundus. Z. 12 Punkt vor und nicht nach vivida, Z. 19 H(ec) st. Hec, Z. 20 p(ro)brosum st. probosum, Z. 21 di- cit(ur) st. dicitur; T. 64, Sp. a, Z. 6 ist wenigstens nach dem Faksimile deutlich lenibus und nicht levibus zu lesen. In ein oder anderm Fall wird es sich auch um blosse Druckfehler handeln. Um Tangls Arbeitsweise richtig zu charakterisiren, bemerke ich, dass mir in den verglichenen Trans- skriptionen schwer lesbarer Stücke keine Fehler aufstiessen.

Wie nach der wissenschaftlichen so hat sich Tangl auch nach der mehr praktischen Seite um diese Schrifttafeln verdient gemacht, indem er Übersichtstabellen der aufgenommenen Reproduktionen nach den Schriftarten und nach dem Alter der Handschriften, sowie eine Konkordanz der Tafeln aller drei Auflagen beifügte. Wie wir vernehmen, steht bereits eine vierte Auflage, sowie die Zugabe einer dritten Lieferung in Aussicht.

2. In der den ersten Lieferungen der Monumenta Palaeogra- phica beigegebenen Ankündigung wird als der larsprüngliche Zweck des Unternehmens die Schaffung eines für den paläographis hen Unterricht an der Universität München ausreichenden, aus den berühmten grossen Sammlungen dieser Stadt geschöpften Apparates angegeben. Als der Plan zur Tat wurde, hatte sich der Herausgeber Anton Chroust (nur der Umschlag der ersten Lieferung trägt auch noch den Namen des Dr. Hans Schnorr von Carolsfeld) sein Ziel schon viel weiter gesteckt: »ein eini- germassen vollständiges Bild von der Entwicklung der lateinischen Schrift vom V. bis zum Ausgang des XV. Jahrh. zu bieten«; vornehmlich sollte ein Bild der Geschichte der Schrift in Deutschland gewährt werden, aber »natürlich unter steter Berücksichtigung der entsprechenden Ent- wicklung in Italien, Frankreich und England, sowie des mannigfach sich äussernden Einflusses der französischen und italienischen Minuskel auf die Schrift der verschiedenen Landschaften Deutschlands«. Damit fiel auch von selber die Beschränkung nur auf die münchnerischen oder bairischen Samm- lungen. — Um eine gesicherte Grundlage für die Altersbestimmung un- datirter Hss. zu bieten, sollte nicht nur auf zeitlich, sondern ebenso auf örtlich bestimmt datirbare Schriftproben Gewicht gelegt, es sollte die Schriftentwicklung einzelner hervorragender Kulturzentren, wenigstens auf bairischem Boden dargestellt werden. Und zwar ebenso auf dem Gebiet der eigentlichen Bücherschrift, als auf jenem der Privaturkunde, oder sagen wir vielleicht der lokalen Geschäftsschrift. Das wurde Ziel für die ältere Zeit. Für das XIV. und XV. Jahrh. dagegen sollte die Entwicklung der

443 Literatur.

gotischen Kursive oder Kurrentschrift illustrirt werden, wie sie ausgehend von ihren Mittelpunkten : den Universitäten, den Bettelorden sowie andern Kongregationen und namentlich den Kanzleien des Reiches und der grossen Fürstenhäuser, beeinfiusst von den Schreibstuben der Kurie, Burgunds und anderer ausländischer Mächte, bis in alle Winkel Deutschlands ausstrahlt. Die Schrift des spätem Mittelalters soll jener des frühern ebenbürtig zur Seite gestellt und daher auch die Humanistenschrift dem entsprechend berücksichtigt werden. Zum Frommen der Germanistik sollen in deutscher Sprache geschriebene Stücke in erkleklicher Zahl aufgenommen werden. Für die Beilagen und Erläuterungen wird auf die trefflichen englischen Publi- kationen als nachzuahmendes Vorbild hingewiesen. Die Abteilung der lateinisch- deutschen Paläographie (die uns hier allein interessirt und welche bisher allein in Erscheinung getreten ist) wird auf 480 Tafeln oder 6 Bände veranschlagt.

Wie man sieht, ein Entwurf der auf voller Kenntnis der Bedürfnisse beruht, der eine Reihe der wichtigsten desideria palaeographica zu erfüllen, der die so nötige Spezialforschung: deutsche, ja süddeutsche Paläographie, immer in vollem Zusammenhang mit der gemein abendländischen Ent- wicklung der » Schreibkunst ^^ des Mittelalters verfolgen und bildlich dar- stellen will.

Ich weiss nicht, ob ich der Einzige war, den diese an sich ja sehr erfreuliche Weite des Planes doch auch mit der Befürchtung erfüllte, dass bei der Ausführung jeder einengende Rahmen gesprengt, dann aber auch die volle Verwirklichung in Frage gestellt werden könnte ! Insbesondere erschien mir die Absicht, den Zusammenhang der deutschen Schriften und Schreib- schulen mit den verschiedensten auswärtigen Einflüssen zu veranschau- lichen, eine verlockende aber gefährliche Ablenkung von dem eigentlichen Kernpunkt, von der so dringend wünschenswerten Fixirung wichtiger ■deutscher Schreibschulen in sich zu bergen.

Nun sind bis jetzt neun Lieferungen (= 90 Tafeln) dieses Werkes erschienen, es ist also bereits möglich ein wenigstens voi'läufiges Urteil über die Ausführung zu gewinnen. Da konstatire ich vor allem mit auf- richtigstem Vergnügen, dass meine Befürchtungen sich nicht bestätigten, dass vielmehr das bisher publizirte in gutem Sinne hielt, was die An- kündigung versprach.

Das gilt einmal von der Auswahl der Schriftproben. Es sind hier ver- treten namentlich die Sammlungen von München (Staatsbibliothek und 'Reichsarchiv), Würzburg und Wien; vereinzelt sind auch Frankfurt a. M., Nördlingen, Strassburg, Trier und Salzburg herangezogen. Ich kenne die handschriftlichen Schätze keiner dieser Anstalten so genau um beurteilen zu können, ob nicht in einzelnen Fällen noch lehrreichere Stücke hätten benutzt werden können ; aber das kann ich sagen, dass die getroffene Aus- wahl eine durchaus zweckmässige und interessante ist. Um nur ein Paar Beispiele zu erwähnen, nenne ich Lieferung II, Tafel 6 mit Bücher- und Urkundenschrift aus dem Traditionscodex des Bischofs Tuto von Regens- burg, beide von c. 900, T. III 7 und 8 Autograph des Otloh und Schrift von dessen Schülern, IV. (i und 1 0 und wieder IX. 2 und .3 sehr lehrsam für die Frage, ob Schriftidentität oder Schulverwandtschaft, ähnlich V. 2 und 3 für Wechsel der Hände in einer Hs., V. 8 (aus den J. 832 842)

Literatur. 447

mit eigenartigen Ansätzen der Schäfte mit Mittellänge, die fast an die beginnende Brechung beim Autkommen der gotischen Minuskel gemahnt, IX. 8 Originalurkunde mit der Jahreszahl MCXVIIII während die Schrift unbedingt 1219 erfordert und vieles andere i).

Wie schon bemerkt, wird in der Ankündigung mit vollem Kecht für die Darstellung der Schriftentwicklung im spätem Mittelalter ein anderer Ausgangspunkt als für jene der früheren Jahrhunderte in Aussicht ge- nommen. Aus den vorliegenden Lieferungen des Taielwerkes ersieht man bereits die Eichtlinien des künftigen Baues. Von den Schriftzentren des XIV. und XV. Jahrh. sind bis jetzt nur die Kanzleien mit einer grösseren Anzahl von Proben vertreten; es ist ganz begreiflich, wenn Chroust von der bairischen Kanzlei ausging, und zwar von K. Ludwig dem Baiern an (L 8, IL 9; vgl. auch IL 10, HL j 0, VL 6, L 9 und lO). Doch steht auf diesem Gebiet der interessantere und wichtigere Teil sowohl für Ur- kunden- wie für Bücherschrift, oder wenn man lieber will für Geschäfts- und für Zierschrift, noch aus : die vorliegenden neun Lieferungen gehören überwiegend der älteren Epoche an.

Für diese ist nun zum erstenmal systematisch und in grösserem Um- fange der Versuch gemacht die Entwicklung der Schrift in einzelnen auch kulturell hervorragenden grösseren Stiften bildlich festzulegen. Und zwar sind dafür ausgewählt : Eegensburg (Domstift und S. Emmeramm), Salzburg (Domstift und S. Peter) und Würzburg. An die Spitze dieser Entwick- lungsreihen sind jedesmal Handschriften gestellt, welche erweislich alter Besitzstand des betreffenden Stiftes sind, bei denen daher, auch wenn sie nicht an Ort und Stelle entstanden sind, doch Einfluss auf die lokale Schreibschule wahrscheinlich ist (IL 2—5 aus Corbie und III. 1 aus Fulda für Regensburg, V. 1—5 für Würzburg, VII. 1, das Evangeliar Cutberchts, für Salzburg u. s. w.) und es wird so in geschickter Weise der Zusammen- hang mit der allgemeinen Schriftentwicklung hergestellt. Daran schliesst sich dann eine Auswahl sicher oder doch sehr wahrscheinlich aus der zu behandelnden Schreibschule hervorgegangener, zeitlich genügend genau zu datirender Schriften. Für Regensburg und Salzburg ist das m einer im allgemeinen einwandfreien Weise seit Anfang des 9. Jahrh. möglich, während Chroust sicher in Würzburg geschriebene Codices erst seit Beginn des n . Jahrh. nachzuweisen vermag ; in der vorausgehenden Zeit scheint Fulda den ostfränkischen Bischöfen die nötigen Handschriften geliefert zu haben, man vgl. den Canonescodex V. G, den Bibelcodex V. 8, Adalhelms Schrift de laude virginitatis V. 9 und die Augustinushandschr. VI. 3.

Um zeitlich und örtlich genau datirbare, nicht zu weite Zeiträume von einander abstehende Schriftproben bieten zu können, hat Chroust tur Salzburg und Regensburg die in der Urschrift erhaltenen Traditionscodices dieser Hochstifte herangezogen. Mit vollem Recht und grossem Lrtolg. In S. Emmeramm setzen sie noch in der ersten Hälfte des 9. Jahrü. ein, der älteste Salzburger ist von 935, in beiden Orten reichen sie bis in das 13. Jahrh., und da es hier wie dort nicht an Handschntten fehlt um die bei den Traditionscodices vorhandenen Lücken auszufüllen, es .ei nur

.) Als Tiroler vermag ich an der Stelle II, 7 in Pa-a.m jalle, que lin- teutisca Pozana numcupatm-, nicht schweigend vorubei zugehen.

qua(!)teutisca Pozana numcu

448

Literatur.

etwa für Salzburg an die Schüler Arns, für Kegensburg an Otloli erinnert, so ist durch je über zwanzig Proben die Schriltentwickiung dieser beiden baiovarischen Stifte durch gut vier Jahrhunderte in einer Vollständigkeit und Übersichtlichkeit geboten, wie sie uns bisher wol für keine einzelne lokale deutsche Schreibschule zu Verfügung stand, denn die Expeditionen der deutschen Reichskauzlei, lür die wir ja das Prachtwerk der »Kaisei- urkunden in Abbildungen« besitzen, können nicht hierher gezählt werden.

Die Traditionscodices sind für den Paläographen umso interessanter, als ihre Schrift mannigfache Abstufungen von der gewöhnlichen Bücher- zur rrkundenschrift aufweist, und last durchaus Proben von Geschäfts- schrift bietet, die ja für die Entwicklung des Schriftchaiakters vielfach bedeutsamer ist als die kunstvolle Schön- und Prunkschrift. Je mehr aller- dings die Schreiber dieser Traditionscodices sich der Urkundenschrift nähern, umso weniger eignen sich ihnen entnommene Proben wenigstens nach manchen Gesichtspunkten (z. B. Ansätze der Oberlängen, Auslauf der Unterläntren) zum Vergleich mit geAVöhnlicher Bücherschrilt ; in diesem Punkte würde noch eine gewisse Ergänzung des dargebotenen wünschens- wert sein und darf wohl von der Fortsetzung erwartet werden. Diese Schriftproben aus Traditionscodices eignen sich auch deshalb sogut für die Schriftvergleichung, weil wenigstens zum Teil die gleiche eintragende Hand durch Jahre zu verfolgen, und damit das Alter des Schreibers enger ein- zugrenzen ist, während wir bei sehr vielen andern, auch genau datirten, Handschriften nur eine Zeitbestimmung für das Alter des Schreibers besitzen, daher offen lassen müssen, ob er etwa als 2 5 jähriger die modische Schrift seiner Zeit schrieb, oder aber vielleicht als 65 jähriger die alter- tümlichen in seiner Jugend erlernten Buchstabenformen beibehielt, ein Umstand, der für vergleichende Altersbestimmung weite, nicht immer genug berücksichtigte Grenzen zu ziehen zwingt.

Mit der glücklichen Auswahl der Tafeln hält die gründliche wissen- schaftliche Durcharbeitung der einzelnen Handschriften Schritt. Zeuge dafür sind die jeder Probe voraugeschickten Erläuterungen, welche unter sorc^fältiger Benutzung der vorhandenen Literatur und zum Teil auf Grund selbständiger Forschung die Geschichte der benutzten Codices darlegen, ihre Entstehungsverhältnisse nachweisen und namentlich die paläographische Bedeutung einer jeden (Buchsfabenbildung, Buchstabenverbindung. Ab- kürzungen etc.) beleuchten. Die Bestimmung des Alters, der Identität oder Verwandtschaft von Schriften ist durchaus umsichtig und vorsichtig, zumeist auch überzeugend. Zweifel sind mir namentlich geblieben bei den Erörterungen über das Autograph Otlohs (III. S und 9) gegenüber den Ausführungen Tangls zu Arndt Tafel 19. Zu IX. 2 und 3 bemerke ich, dass in der Frage, ob Original oder Kopie, doch beide gleich zu be- handeln sind, denn auch in IX. 2 ist wi^ in IX. 3 ein Siegel nicht ange- kündigt und zu IX. 3 bemerkt Chroust mit vollem Recht, dass eine solche Urkunde aus Anfang des 12. Jahrh., wenn auch unbesiegelt, doch Original gewesen sein könnte. Die Erläuterungen zu den spätmittelalterlichen Tafeln werden Herre und Beickmann verdankt.

Jeder Tafel ist vollständige Transskription in paläogiaphisch getreuem Abdruck beigegeben. Die abgekürzten Buchstaben sind wie schon in Sickels Mon. graphica mit kleineren Lettern wiedergegeben, was mir für

Literatur.

449

den Benutzer angenehmer erscheint als die Einklammerung in Arndt's Schrifttafeln. Durch zahlreiche Stichproben habe ich mich von der Zu- verlässigkeit dieser Texte überzeugen können. An etwas stärkeren Ver- sehen fielen mir nur auf IL 6, Z. 13 uinercm statt uineam (der erste Schaft des offenen a ist aus ursprünglich gesetztem anderem Buchstaben korrigirt) und IV. 9 Z. 14 corianos, während doch coriarios zu lesen ist (gleiches ri Z. 16 in Caterine). Sonst bemerkte ich nur ab und zu un- richtige Angabe der abgekürzten Buchstaben wie IL 5, Z. 58 tempore statt tempore, II. 8, Z. 7 apropinquat statt appiopinquat (in der gleichen Tafel ist das als Abkürzung überschriebene a stets mit la, in späteren z. B. III. 8 richtiger mit i-a aufgelöst); HL 6, Z. 5 steht pepessi statt perpessi; III. 8, Z. 32 propheiarum statt prophetarum und Z. 43 inuitus statt inuitus; IV. 5, Z. 55 igitur statt igitur; ein gewisses Schwanken finde ich VI. 7 (Z. 57 und 59) in der Auflösung des Abkürzungszeichens, welches r und er bedeuten kann. I. 4-5, Z. (i wäre anzugeben, dass s in sed aus anderem Buchstaben korrigirt ist, IL i^, Z. 2, dass nach carolum Kasur steht; solche Rasuren wären auch IV, 3^, Z. 13 und VII. 3, Z. 16 anzuführen. Man sieht, es sind kleine Ausstellungen, welche ich zu machen habe, da und dort kann auch ein blosser Druckfehler vorliegen; ich er- wähne diese Bemängelungen auch nur als einen Beweis für die Sorgfalt, welche auf die Transskription verwendet wurde und bemerke ausdrücklich, dass mir in den späteren Lieferungen weniger solcher Versehen auffielen als in den ersten.

Bei einem Tafelwerk spielt eine nicht geringe Rolle die Art und die Oüte der Reproduktionen: die Lichtdrucke machen der rühmlichst bekannten Verlagsanstalt B ruckmann A.-G. durch Schärfe der Wiedergabe und angenehmen Ton alle Ehi'e. Die Monumenta palaeographica bedeuten nach der wissenschaftlichen wie nach der technischen Seite eine Bereicherung unserer Wissenschaft, es ist ihnen der beste Fortgang zu wünschen.

Innsbruck. E. v. Ottenthai.

Neuere Literatur über deutsches Städtewesen.

IX.

91. Karl Hegel, Die Entstehung des deutschen Städte- •wesens. Leipzig 1898 S. Hirzel. 8°, IV + 192 SS.

92. Friedrieh Keutgen, Der Ursprung der deutschen Studtverfassung. Überblick über den Stand der Frage. (Neue Jahrb. für das klass. Alterturo, Gesch. und deutsche Literatur. V. Bd. (IIL Jahrgg. 1900), 275-299).

93. G. V. Below, Das ältere deutsche Städtewesen und Bürgertum. Mit 6 Kunstbeilagen und 134 authentischen Abbil- dungen. Bielefeld und Leipzig 1898 Yelhagen und Klasiug. 8^ 135 SS. .(Monographien zur Weltgesch. hrsgg. von Eduard Heyck \ I).

450 Literatur.

94. G. Des Marez, Les villes Fl am an des. Leur origine et leur de'veloppement. Bruxelles 1 900 J. H. Moreau. 8°, 23 SS. (Extension de l'üniversite libre de Bruxelles).

95. Kurt Käser, Politische und soziale Bewegungen im deutschen Bürgertume zu Beginn des IG. Jahrhunderts, mit besonderer Rücksicht auf den Speyerer Aufstand im Jahre 1512. Stuttgart 1899 Kolhammer. 8", VIII -j- 271 SS.

96. F. Keutgen, Urkunden zur städtischen Verfas- sungsgeschichte. Berlin 1901 E. Felber. 8", XXXVIIl+671 SS. (Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte von G. V. Below und F. Keutgen. Baud 1).

97. G. V. Below, Über Theorien der wirtschaftlichen Ent Wickelung der Völker mit besonderer Rücksicht auf die Stadtwirtschaft des deutschen Mittelalters. (Hist. Zeitschr. LXXXVI (1900), 1 77).

98. G. V. Below, Der Untergaug der mittelalterlichen Stadt Wirtschaft. (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 111. Folge XXL (1901), 449—473 und 593—631).

99. Wilhelm Stieda, Städtische Finanzen im ]\Iittel- alter (ebenda III. Folge, XVII (1899), 1—54).

100. Paul Huber, Der Haushalt der Stadt Hildesheim am Ende des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahr- hundert.s. Leipzig 1901 Jäh und Schunke. 8", VI -f 148 SS.

101. Paul Sander, Die reichsstädtische Haushaltung Nürnbergs. Dargestellt auf Grund ihres Zustandes von 1431 1440. Leipzig 1902 B. G. Teubner. 8", XXX -|- 938 SS.

1U2. Regist res du conseil de Geneve. Tome premier. Du 26 fevrier 1409 au 6 fevrier 1461 (volumes 1 ä 4) public par Emile Rivoire. Geneve 1900 Henry Kündig. S'\ IX -f 558 SS.

103. Richard Schröder, Weichbild. (In der Festgabe für E. J. Bekker. 1899).

104. Siegfried Rietschel, Die Entstehung der freien Erbleihe. (Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. German. Abt. XXII (1901), 181—244).

105. Konrad Beyer le, Grundeigentumsverhältnisse und Bürgerrecht im mittelalterlichen Konstanz. Erster Band^

Literatur.

4Ö1

erster Teil. Das Salmanneurecht, Heidelberg 1900 Carl Winter. 8'\

169 SS.

106. G. V. Below, Gross h an d 1er und Kleinhändler im deutschen Mittelalter. (Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik 111. Folge XX (1900), 1—51).

107. Max Foltz, Beiträge zur Geschichte des Patriziats in den deutschen Städten vor dem Ausbruch der Zunft- kämpfe. Marburg 1899. 8", 92 SS.

108. Max Georg Schmidt, Die Pfalbürger. (Zeitschrift für Kulturgeschichte 1902, 241—321).

109. Thoraas Stolze, Die Entstehung des Gästerechts in den deutschen Städten des Mittelalters. Marburger Dissertation. Marburg 1901 J. A. Koch. 8^ 94 SS.

110. Gustav Croon, Zur Entstehung des Zunftwesens. Marburger Dissertation. Marburg 1901. 8", VI + 89 SS.

111. Rudolph Eber Stadt, Der Ursprung des Zunftwesens und die älteren Handwerker verbände des Mittelalters. Leipzig 1900 Duncker und Humblot. 8", 201 SS.

112. Georg Sello, Der Eoland zu Bremen. Mit 1 Helio- gravüre und 11 Abbild, im Text. Herausgg. von der historischen Ge- sellschaft des Künstlervereins zu Bremen. Bremen 1901 M. Nössler. 8", XII + 69 SS.

113. Paul Platin, Zur Frage nach dem Ursprung der Rolandsäulen. (XXXYIII. Jahresbericht des Vitzthumschen Gym- nasiums. Dresden 1899, S. 1 44, 4").

114. Karl Heldmann, Der Kölngau und die civitas Köln. Historisch-geographische Untersuchungen über den Ursprung des deut- schen Städtewesens. Mit geographischem Index und einer Karte. Halle a. S. 1900 M. Niemeyr. 8", VHI, 136 SS.

115. Hermann Keussen, Untersuchungen zur älteren Topographie und Verfassuugsgeschichte von Köln. (West- deutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst XX (190l), 14—85).

116. Andreas Hund, Colmar vor und während seiner Entwickeln ng zur Reichsstadt. Mit einer Karte. Strassburg 1899 Schlesier und Schweikhardt 8", VIII + 85 St.

452 Literatur.

117. Heinrich Hoff 1er, Eu t wickelung der komniuualeu Verfassung und Verwaltung der Stadt Aachen bis zum Jahre 1450. Marburger Dissertation. Marburg 1901, 8", 121 SS.

118. Die Stadtrechte der Grafschaft Mark. I. Lippstadt. Bearbeitet von A. Overmann. Münster i. W. 1901 Aschendorif. 8", 111 +147 SS. Mit einem Faksimile, einem Plane und einer Karte. {Veröffentlichungen der bist. Kommission für Westfalen. Reehtsquellen. Westfälische Stadtrechte. Abteil. I. Heft I).

119. H, Bergner, Urkunden zur Geschichte der Stadt Kahla. Hr^o-g. vom altertumsforschenden Verein von Kahla. Mit einer Siegeltafel. Kahla 1899 J. Beck. 8", H H- 219 SS.

120. Eduard Hey den reich, Aus der Geschichte der Reichsstadt Mühlhausen in Thüringen. Mit 11 Holzschnitten und 6 Lichtdrucktafeln. Halle a. S. 1900 0. Hendel. 8", XIX + 60 SS.

121. Ferdinand Bromberger, Bevölkerungs- und Ver- mögensstatistik in der Stadt und Landschaft Freiburg im Ü c h 1 1 a n d um die Mitte des 15. Jahrhunderts. Frei- burger Dissertation. Bern 1900. 8", XV +147 SS. mit einer Karte.

In den vier Jahren, welche seit meinem letzten Berichte (Mitteil. XX, 113 ff.) verflossen sind, hat sich ein Fortschritt in der städtege- schichtlichen Literatur ergeben, der nicht gerade offen zu Tage liegt, a,her doch sehr wichtig und erfreulich ist. Hat man in dieser Zeit von erregtem Streite abgesehen, so war man dafür in schönem Einverständnisse bemüht, an der Vertiefung der Probleme, an der Erweiterung der For- schung zu arbeiten. Nicht minder erfreulich ist die Warnehmung des allerdings langsamen aber nachhaltigen Eindringens wissenschaftlicher Me- thodik in die ortsgeschichtliche Forschung, deren Ergebnisse dadurch reich- haltiger und für die allgemeine Betrachtung leichter verwertbar wurden. Es ist von allen Seiten anerkannt und darf auch hier hervorgehoben werden, dass ein wesentliches Verdienst an all dem der unermüdlichen Tätigkeit G. v. Belows zukommt, der auch sein Lehramt zielbewusst in dieser Richtung verwertet hat.

Nachdem in zahlreichen Einzeluntersuchungen die grundlegenden Fragen über die Entstehung und Entwickelung des deutschen Städtewesens erörtert worden waren, schien es an der Zeit, den Ertrag der Forschung zusammenzufassen und im Zusammenhange zu überprüfen. Mit dankbarer Freude musste es begrüsst werden, dass Karl Hegel selbst, der die ge- samte Entwickelung der städtegeschichtlichen Forschung sei der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht allein miterlebt sondern auch durch wichtige Werke gefördert hattet), sich der schwierigen Aufgabe unterzog (9l). Sein Buch

'j Vgl, die Gedenkrede FrensdorfFs iu den Hansischeu Geschichtsb]. XXIX (1901), 141 ff.

Literatur.

453-

weist alle Vorzüge auf, die den Arljeiten des verstorbenen Meisters eignen, klare, einfache Darstellung, sichere trotz des hohen Alters von fast jugend- licher Kraft getriebene Kritik, die in langjähriger Erfahrung erworbene Umsicht in der Benützung der Quellen. Schon um dieser Eigenschaften willen wird man es als ein teures Vermächtnis ehren und jedem, der an die städtegeschichtlichen Fragen herantritt, aufs wärmste empfehlen dürfen. Doch muss man sich gegenwärtig halten, dass Richtung und Ergebnis vorwiegend negativer Art sind. Mit scharfem Blicke deckt er die Mängel der einzelnen Theorien auf und in dieser Hinsicht ist das Studium seines Buches wohl geeignet, vor Einseitigkeit und voreiligem Anschluss an eine Lehrmeinung zu bewahren. Volle Beachtung verdienen auch manche Aus- fühi'ungen über Einzelheiten, in denen sich seine eindringende Sach- kenntnis bekundet. Aber wichtigen Dingen, wie z. B. der Erbleihe (S. 138) hat er nur geringe Aufmerksamkeit zugewendet und die Hauptfrage,, deren Lösung der Titel zu verheissen scheint, ist nicht beantwortet worden. Mit Recht wurde vor allem bemängelt, dass H. keine genaue, befriedigende Bestimmung des Begriffes Stadt gibt. Mit dem Satze aber, dass allein das Stadtrecht einen Ort zur Stadt macht (S. 34), kann man sich nicht zufrieden geben, da das Stadtrecht schon die Stadt voraussetzt, er also, wie Hegel selbst betont, nur für die spätere Zeit, für die durch Gründung oder Privilegirung entstandenen Städte Geltung hat.

Ebenso könnte die Entstehung eine Stadt aus einem Markte nur als ein späterer Voi'gang gedacht werden, der ein gesteigertes wirtschaftliches Leben und die Ausbildung städtischen Wesens zur Voraussetzung haben müsste. Auch die von Keutgen in seiner sofort zu erwähnenden Ab- handlung neuerdings vertretene Ansicht, dass in dem Burgfrieden »das lokale Rechtselement«, welches allein den Ausgangspunkt für die Ent- stehung der Stadtgerichtsbezirke abgegeben haben soll, zu erblicken sei, vermag eine ausreichende Erklärung für die Entstehung der Stadt nicht zu bieten. Der Burgfrieden kann nicht von vorneherein an dem von den Stadtbürgern bewohnten Gebiete gehaftet haben oder er kam der ganzen Altstadt zu und dann ist er wiederum nicht das entscheidende, denn weder in der Burg selbst noch im Hofrechte hätte er städtisches Wesen her- vorgerufen. Ja der angenommene Vorgang wird noch unerklärlicher, wenn man mit Keutgen den von Sohm aufgestellten Zusammenhang mit dem Markte anfgibt, die Stadt nicht erst im übertragenen Sinne, weil in ihr Markt gehalten wird und auf diesem der König als im Bilde anwesend^ Frieden gebietend gedacht wird, sondern unmittelbar für eine Burg des Königs erklärt. Denn die Stadt ist neben der Burg und neben dem Hof- rechte, aber nicht im Anschlüsse an die erstere sondern an das zweite ent- standen, der Gemeindeherr ist auch Herr des Hofrechtes, nur durch seme- Vermittelung könnte das Burgrecht, der Burgfriede auf die städtische An- siedelung übertragen worden sein. Die Stadt soll des Königs Burg sein, ist aber nicht auf Burgland i) sondern auf einem von dem Hoi'rechte ab- gesonderten Gebiete entstanden.

1) Oder Volkland, wie in England. Die englischen Verbältnisse, welche K. heranzieht, geben allerdings Auf.chluss für die Kntbtehung der ^Li^^gst^^^e Heinrichs 1. imd der Burgwarde, kommen aber für die rheinischen und suddeat- schen Städte nicht in Betracht. - Ich nehme die Gelegenheit wahi, um m

454 Literatur.

Wenn die gegenwärtig übliche Behandlung dieser Frage zu keinem Ergebnisse geführt hat, so liegt die Schuld nicht allein an dem Mangel ausreichender quellenraässiger Überlieferung sondern vielmehr daran, dass sie über die Grenzen, welche sich die historische Forschung gesteckt hat. hinausreicht. Diese hatte in der letzten Zeit vorwiegend die Gestaltung und Wandlung städtischen AVeseus beachtet, sich mit Vorliebe den kleineren, erst später aufkommenden Städten zugewendet, in denen sich alle Vorgänge aus den Quellen erkennen und beleuchten lassen. So fruchtbringend und nützlich diese Arbeit auch war, da sie viele unklaren und unrichtigen Vorstellungen beseitigte und klar legte, worauf es eigentlich ankomme, über die bewegende Ursache vermochte sie zu keiner Sicherheit zu ge- langen, da sie den Begriff der Freiheit ausgeschaltet und sich selbst damit •die Tür verschlossen hatte. Gerade in dem Bedürfnisse persönlicher Frei- heit und Sicherheit, welche nicht mehr nur durch kriegerische Tätigkeit gewonnen und geschützt werden sollte, liegt die Richtung und Form ge- bende Kraft, welche eine neue gesellschaftliche Einrichtung erforderte und schuf, liäumt man diesem Standpunkte Berechtigung ein, dann wird die Gewinnung von Haus- und Grundbesitz ohne Beeinträchtigung der persön- lichen Freiheit und ohne Übernahme kriegerischer oiler höfischer Verpflich- tungen als die erste und wichtigste Voraussetzung für die Entstehung städtischen Wesens zu betrachten sein.

Können wir über das Streben nach persönlicher Freiheit auch nicht unmittelbare Kenntnis aus den Quellen gewinnen, so vermögen wir doch sein Dasein daraus zu erschliessen, dass Grund- und Gemeindeherren sich veranlasst sahen, ihm Rechnung zu tragen, und dass es in der gesamten späteren Entwickelung der Städte wirksam ist. Wie diese Tendenz ent- standen ist und sich Geltung verschafft hat, lässt sich heute noch nicht genau erkennen. Hier wird man von einer erneuten Erforschung der ältesten Besitz- und Niederlassungsverhältnisse in den Römerstädten unter Beachtung des Zusammenhanges mit der Umbildung der alten Stände, Lebens- und Verkehrsformen dankenswerte Aufklärung zu erhoffen haben. Man v^ird davon ausgehen können, dass die Germanen, worauf Flach und jetzt auch Heldmann hingewiesen haben, nach dem Einbrüche in die rö- mischen Provinzen die wohlbefestigten Städte, die sie erobert hatten, keines- wegs mieden sondern gerne aufsuchten, dass die Bischöfe in Anknüpfung au die aus römischer Zeit überkommenen Anschauungen die Ansammlung- feiner grösseren Bevölkerungsmenge an ihren Sitzen als vorteilhaft und wünschenswert erachteten, dass sie nicht so wie die ländlichen Klöster, welche für eine grössere Zahl von Konventaalen zu sorgen hatten, sich veranlasst sahen, für die Beschaffung der notwendigen Lebensmittel, Kleider und Geräte mit eigenen Arbeitskräften im eigenen Hause aufzukommen, dass es also in ihrem eigenen Interesse lag, Handel und Gewerbe, welche die Stürme der Eroberung überdauert haben, zu schützen. Hatten sich nun allem Anscheine nach in den Kömerstädten freiere Leiheformen für Haus- und Grundbesitz forterhalteu, standen Tore, Türme und Mauern bis auf

xliesern Zusammenhange auf die Ausführung S. Adlers über die Entwickelunff des Burgfriedens auf österreichischem Gebiete hinzuweisen, welche in dessen Buch »Zur Rechtsgesehicbte des adeligen Grundbesitzes in Österreich* enthalten ist (S. 115 ff.).

Literatur.

455

die eine und andere Bresche noch aufrecht, so trafen die wesentlichen Bedingungen für die Entstehung und gedeihKche Entwickelung städtischen Wesens zusammen.

Die ersten vier Abschnitte, der sehr beachtenswerten, unterrichtenden Abhandlung Keutgens (92) sind einer Widerlegung der von Rietschel in seinem Buche »Markt und Stadt« durchgeführten Umformung der Markt- rechtstheorie gewidmet. Im Anschlüsse an Hegel weist K. das Marktregal ;>als ein im fränkischen Staate schlechthin gegebenes« nach (Vgl. auch Hist. Vierteljahrschrift II (l899), 103), wobei die Hauptsache die Ver- leihung des königlichen Schutzes ist, zu dem erst das Privileg der Zoll- erhebung hmzutritt (S. 27 8). Er hebt hervor, dass das Marktgericht kein grundherrliches sondern ein dem Marktherrn vom Könige übertragenes öffentliches Gericht ist (Abschnitt II), handelt im dritten Abschnitte von den verschiedenen Arten der Märkte und weist im vierten auf den von vorneherein öffentlichen Charakter der Städte hin. In glücklicher Weise verwertet er die von Maitland (Domesday Book and Beyond) gewonnenen Ergebnisse zur Erkläx'ung der Nachrichten über Heinrichs I. Burgen- bau. (Abschnitt V. VI). Zum Schlüsse betont er neuerdings gegen Pirenne die Unterschiede zwischen den französischen und deutschen Städten, tritt er für die Berechtigung, ja Notwendigkeit ein, die nationalen Grenzen wohl zu beachten, da die wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse, der Volkscharakter entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Städtewesens bei den einzelnen Nationen geübt haben. Erst nach Feststellung der unterscheidenden Merkmale, unter sorgfältiger Beachtung derselben könnte man zu einer vergleichenden Darstellung fortschreiten.

Es war ein glücklicher Gedanke, in die Monographien zur Welt- geschichte eine Darstellung des älteren deutschen Stärltevvesens aufzu- nehmen, die nicht leicht einem Berufeneren als G. v. B e 1 o w anvertraut werden konnte. (93). Er hat uns ein kraftvoll und lebhaft geschriebenes Buch beschert, das man immer wieder gerne zur Hand nimmt und das wohl geeignet ist, auch einem weiteren Kreise eine richtige Anschauung von der Bedeutung und geschichtlichen Stellung des deutschen Bürgerturas zu vermitteln. In vier Abschnitten schildert der Verf. die allgemeine Entwickelung, das äussere Stadtbild, die Befestigung, die bürgerlichen Bauten, die Verfassung und die Bevölkerung, in jedem Betracht aus reicher, selbständiger Kenntnis schöpfend. Bei der Beurteilung des Buches wird man vor allem dem knappen Räume Rechnung tragen müssen, der einen überreichen Stoff in einen allzu engen Rahmen einzupressen zwang. Dass V. Bblow in dieser notgedrungenen Beschränkung für die von ihm be- handelten Seiten des städtischen Wesens alles wesentliche mitzuteilen ver- suchte, trotz aller Knappheit niemals undeutlich geworden ist, verdient allein schon volle Anerkennung und man wird am besten tun, von Hm- weisen auf diese oder jene Einzelheit, die mau gerne berücksichtigt ge- funden hätte und deren jede Stadt eine oder mehrere beizubringen ver- möchte, abzusehen. Doch muss gesagt werden, dass auch manche Haupt- sache etwas zu kurz gekommen ist. Der Einfluss, den das deutsche Bür- gertum auf künstlerischem, literarischem und wissenschaftlichem Gebiete geübt hat, wird nur flüchtig gestreift, neben den profanen und Nut/.- bnuten hätten doch auch die zumeist unter bürgerlicher Aufsicht entstau-

45G Literatur.

cienen Dome und anderen städtischen Kirchen berücksichtigt werden sollen. In ganz besonderm Masse wird der Wert des Buches durch die guten, mit Umsicht und Geschick ausgewählten Abbildungen erhöht, unter denen ich namentlich auf die von Mauern, Toren und Türmen hinweise. Sie lassen eine zusammenfassende vergleichende Darstellung mittelalterlicher städti-r scher Befestigungsbauten als eine lohnende Aufgabe erscheinen, bei deren Lösung insbesondere die Nachahmung orientalischer Baulichkeiten zu be- achten wäre.

In einem lebhaften, stimmungsvollen Vortrage hat Des Marez die Entstehung und Entwickelung der flämischen Städte behandelt ('J4).

Das Buch Käsers (95) hat vornehmlich darunter zu leiden, dass Titel und Inhalt "nicht übereinstimmen, der erste mehr verspricht als der letztere hält. Denn eigentlich bietet uns der Verf. eine gefällig ge- schriebene Darstellung des Speyi-er Aufstandes von 1512, welche mit einem Überblicke über gleichartige Bewegungen in den deutschen Städten ver- brämt ist, Dass diese Übersicht weder vollständig ist noch das Wesent- liche des Gegestandes trifft, hat K. selbst erkannt, indem er den Mangel der Anlage seines Buches in der Vorrede entschuldigte, in einem beson- deren Aufsatze seine erste Zusammenstellung zu ergänzen und die Auf- gaben zu bezeichnen suchte, welche von der ortsgeschichtlichen Forschung zu lösen wären, bevor man Anlass und Wesen der im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts in den deutschen Städten wirksamen Bewegungen genauer bestimmen könnte (Deutsche Geschichtsblätter IIL 1 18 und 49 60). Aber schon bei dem gegenwärtigen Stande der Forschung hätte manches etwas schärfer gefasst werden können. Der Verf. .spricht gerne von dem »gemeinen Manne '^', ohne dass man erfährt, welche Teile der städtischen Bevölkerung unter dieser Bezeichnung zu verstehen seien. Geradezu irre- fuhren muss aber der Gebrauch des Wortes Bürger für Stadtbewohner schlechthin (vgl. z. B. S. 231, 259). Es wäre auch geraten gewesen, die Vorgänge in Frankreich, Flandern ') und England während der zweiten Hälfte des 14. und während des 15. Jahrhunderts zu beachten. Was K. als »das alte Verwaltungsprinzip der Städte* bezeichnet, dass nämlich, »alle Beamten aus dem Rate hervorgehen sollten«, war für Wien schon im 14. Jahrhunderte durchbrochen. Überhaupt bietet der im Mittelpunkte von Käsers Buch stehende Speyerer Aufstand nichts, was man nicht in anderen Städten schon um vieles früher nachweisen könnte, erklärlich bei den etwas kümmerlichen Verhältnissen der kleinen Bischofstadt, auf der die Macht der zahlreichen, wohlbegüterten und anspruchsvollen Geistlichkeit schwer lastete.

Der erfreuliche Aufschwung, den die rechts- und verfassungsgeschicht- lichen Studien allerorten genommen haben, hat auch schon die Zusammen- stellung einschlägiger Urkunden für den gelehrten Unterricht veranlasst. Den von Stubbs herausgegebenen Select Charters sind die von Lorsch und Schröder veröffentlichten Urkunden zur Geschichte des deutschen Privatrechts, die von Altmanu und Bernheim ausgewählten Urkunden zur

') Vgl. Des Marez, Les lüttes sociales en Flandre au raoyen age. Bruxelles 1900 (Extrait de la Revue de 1' üniversite de Bruxelles).

Literat im

457

-Erläuterung der Verfassung.?gescliichte DeutscblandSj die in der bei Alph. Picard erscheinenden Collection des textes enthaltenen Sammlungen von Beraont, Thevenin und Fagnicz, die von Dopsch und v. Schwind heraus- gegebenen Ausgewählten Urkunden zur Verfassungsgeschichte der deutsch- österreichischen Erblande gefolgt. Mit wie grossem Danke man auch die Auswahl Altmann-Bernheims als ersten Anfang hinnehmen mochte, so konnte sie doch sti-engeren Anforderungen nicht genügen und es war mit Freude zu begrüssen, dass v. Below den Entschluss fasste, eine nach sach- lichen Gesichtspunkten, welche schon die Anordnung in dem französischen Unternehmen beeinflusst hatten, geordnete, umfassende und im einzelnen viel reichhaltigere Sammlung zu veranstalten. Nach seinem Plane soll diese in drei Abteilungen Urkunden zur G-eschichte des städtischen Wesens, zur Territorial- und zur Eeichsgeschichte darbieten. Die erste Abteilung liegt in einem stattlichen, von F. Keutgen zusammengestellten und be- arbeiteten Bande vor (96). Wie das bei der eindringenden und um- fassenden Kenntnis städtischen Lebens, über die K. verfügt, nicht anders zu erwarten war, erhalten wir ein Werk von ganz hervorragendem Werte, das in jeder Weise geeignet ist, nicht allein dem nächsten Unterrichts- zwecke zu dienen, sondern auch der Foi'schung neue und sichere Grund- lagen zu gewähren.

Die für das Gesamtwerk als oberster Einteilungsgrund angenommene Gliederung nach sachlichen Gesichtspunkten ist in dem vorliegenden Bande bis ins einzelne durchgeführt und man wird sich den Vorteilen, welche sie gegenüber der allein zeitlichen Ordnung gewährt, nicht verschliessen können. Selbstverständlich stellen aber die Urkunden der sachlichen Ein- reihung oft starken Widerstand entgegen und es bedurfte vieler Umsicht. um der Schwieri.trkeiten wenigstens in der Hauptsache Herr zu werden. Dass sie nicht vollständig zu beseitigen waren, darüber ist sich der Her- ausgeber selbst klar geworden und er macht darauf aufmerksam (S. XI), dass er» Stücke mit mehrfachem Bezüge da eingereiht habe, wo ihr Inhalt am prägnantesten, wo sie am lehrreichsten schienen«. Wenn er dann noch auf Inhaltsverzeichnis und Register verweist, so wird der Sachkundige sich mit diesen Hilfsmitteln wohl zurechtfinden können. Ob aber der An- fänger? Ich glaube, dass es gerade für den Lehrzweck erspriesslich ge- wesen wäre, wenn K. in wichtigeren Fällen mit einem Verweise nach- geholfen hätte. Nur an einem Beispiele will ich suchen das klar zu machen. Die höchst wichtige Urkunde, mit der Bischof Kadaloh im Jahre 1033 die Übersiedelung der mercatores von Jena a. d. Unstrut nach Kaumburg veranlasste, ist in dem Abschnitte »Kaufleute und Handel« eingereiht (Nr. 7 6), wohin sie gewiss in erster Linie gehört. Nicht ge- ringe Bedeutung hat sie aber auch liir die Kenntnis der Niederlassungs- verhältnisse, wo sie allerdings der mit der Sache vertraute, kaum aber der Studierende einschalten wird, den nur ein kurzer Verweis an der ent- sprechenden Stelle auf die Spur führen könnte. Bedenken hat mir auch die Abteilung des gesamten Stoffes in zwei grosse zeitliche Gruppen: Der Ursprung der Stadtverfassung und Das städtische Wesen zur Zeit seiner Blüte erregt. Dadurch werden sachlich zusammengehörige Abschnitte wie z. B. Markt und Kaufleute (Nr. 35-90, Nr. 218-251), Leihe nach Stadtrecht (Nr. 91—98. Nr. 316—330) zerrissen, andere wie z. B. Hand-

30 Xlittheiliiiigcn XXIV.

458 Literatur.

werk und Zünfte (Nr. 252 fF.), die Geistlichkeit (Nr. 362 ff.) greifen in die erste Periode zurück, in der sie fehlen. Darf man noch einen Wunsch in Betreff der äusseren Einrichtung äussern, so ginge er auf die Beigabe eines Verzeichnisses der Urkunden nach der zeitlichen Folge. Das alpha- betische Verzeichnis der Städte, in dem bei jedem Orte die auf ihn bezüglichen Urkunden nach ihren Daten zusammengestellt sind und das K. deshalb »chronologisches Städteverzeichnis* nennt, ermöglicht zwar die Auffindung einer bestimmten Urkunde nach dem Datum, aber ein chronologisches Ver- zeichnis, das ja nur wenige Seiten beanspruchen könnte, hätte nicht allein dies Geschäft wesentlich erleichtert, sondern auch eine gute Übersicht der zeitlichen Entwickelung, die neben der sachlichen Betrachtung nicht ver- nachlässigt wer(Jen darf, geboten.

Schon die grosse Zahl der mitgeteilten Urkunden, es sind ihrer 437, ist ein Beweis für die Vollständigkeit, welche der Herausgeber angestrebt und erreicht hat. Man wird die Grundsätze, von denen er sich bei der Auswahl leiten Hess (S. IX XI), billigen und anerkennen dürfen, dass namentlich in der dritten Abteilung alle Seiten der städtischen Verfassung und Verwaltung mit der erforderlichen Deutlichkeit beleuchtet sind. Da- gegen hätte in der ersten Abteilung das 8. und 9. Jahrhundert etwas eingehendere Berücksichtigung verdient, namentlich wäre eine Auswahl der ältesten Urkunden über städtische Besitzverhältnisse von grossem Nutzen gewesen.

In der Art seines Vorhabens ist es begründet, dass K. sich bei der Widergabe nur auf die ihm zugänglichen Urkundendrucke oder Faksimiles stützen konnte und zur Erzielung notwendiger Raumersparnis entspi'echende Kürzungen vornehmen musste. Für die meisten Stücke konnte er über vertrauenswürdige Vorlagen verfügen, nur bei einzelnen Wiener Urkunden tat er Unrecht daran, den schlechten Abdruck in Tomascheks Rechten und Freiheiten zu wiederholen. Zu S. 325 Nr. 230 habe ich in den Blättern des Vereins für Landeskunde von N.-Ö. 1895, 27 Anm. 2 die notwendigen Verbesserungen beigebracht, die »tanatores* durch cenatores (Fütterer) zu ersetzen vorgeschlagen (vgl. auch Gesch. Wiens hrsgg. vom Altertumsvereine II, 603 und 735), bei Nr. 236 war neben Tomaschek auch der Abdruck bei Rauch SS. III, 68 zu vergleichen, für Nr. 329 hat Tomaschek allerdings das Original (Stadtarchiv Urkunde Nr. 549=^Privil. Nr. 12) benützt, aber im Abdrucke die Rechtschreibung willkürlich ver- ändert und einzelne Worte ausgelassen; dass Nr. 330 bei Tomaschek nicht aus dem Originale abgedruckt ist und einen fehlerhaften Text bietet, habe ich früher nachgewiesen (Mitteil. XV, 514 Anm. 3); zu Nr. 353 ist jetzt auch Gesch. Wiens II, 707 zu vergleichen.

Die grosse Zahl deutscher Stücke hat dem Herausgeber die wichtige Frage nahe gelegt, wie deren Rechtschreibung zu behandeln sei, und ihn veranlasst, sich darüber Rechenschaft zu geben, ob Weizsäckers für die deutschen Reichstagsakten aufgestellte Grundsätze ohneweiters für seinen Zweck zu übernehmen und anzuwenden seien. Er hat das verneinende Ergebnis seiner Erwägung durch eine Anzahl kritischer Bemerkungen zu rechtfertigen gesucht, welche dem gegenwärtigen Herausgeber der Reichs- tagsakten, Professor Quidde, Anlass zu einer scharfen Entgegnung gaben, die in dem Vorworte zu dem XII. Bande der Reichstagsakten erschienen

Liteiatur. ^^g

ist, worauf dann K. in der Hist. Vierteljahrsschrift lY (l90]), 504 er- widert hat. Wie das bei einer so schwierigen und verwickelten Frage nicht anders möglieh ist, wird man Kichtiges und Unrichtiges auf beiden Seiten finden und ich beschränke mich daher an dieser Stelle, ohne mich auf Einzelheiten einzulassen, darauf, die beachtenswertesten Ergebnisse dieser Erörterung herauszuheben. Ohne Zweifel ist, was Quidde neuerdincrs in vortrefflicher Weise begründet hat (S. XIII), in Veröffentlichungen, welche in erster Linie nicht philologischen sondern historischen Zwecken dienen sollen, eine Vereinfachung der Eechtschreibung durchaus am Platze. Aber vollständig ist K. im Kechte, wenn er hoi-vorhebt, dass man dabei mehrfach von anderen Gesichtspunken auszugehen habe als Weizsäcker. Denn die Häufung der Konsonanten, um die es sich vornehmlich handelt, ist keineswegs in so rein äusserlicher Weise, wie dies Weizsäcker getan hat, durch Laune, Zufall und Mode zu erklären, es liegt auch da eine Entwickelung vor, deren Wesen allerdings noch zu erforschen ist, die aber nicht geläugnet werden kann und nicht leichthin verwischt werden darf. Die Forderung Keutgens, dass die Herausgeber auch historischer Veröffent- lichungen »philologischen Einsichten« gebührende Beachtung schenken sollen, halte ich daher für durchaus berechtigt und es kann jedem, der sich mit solchen Arbeiten zu beschäftigen hat, ans Herz gelegt werden, was K. in diesem Betracht zu sagen hat (S. XIV). So sorgfältig durch- dacht Weizsäckers Regeln auch sind und so vortrefflich sie sich bei der Herausgabe dec Reichstagsakten bewährt haben, bei denen sie selbstver- ständlich auch beizubehalten sind, vor einer mechanischen Übertragung auf andersgeartete Sammlungen muss entschieden gewarnt werden. Wenn überhaupt auf diesem Gebiete, auf dem die dialektischen Verschiedenheiten, Anlage, Zweck und Inhalt der einzelnen Veröffentlichung eingehende Wür- <3igung verlangen, Regeln von allgemeiner Geltung aufgestellt werden können, so wäre für diese Aufgabe die erste Vorbedingung, dass die Philologen sieh eingehender als es bisher geschehen ist, mit der spät- mittelalterlichen Rechtschreibung beschäftigten und dadurch auch dem Historiker es ermöglichten, zu sichererer, wohlbegründeter Entscheidung 7.U gelangen. Im allgemeinen wird man Keutgen darin beistimmen dürfen, dass im 14. und 1 5. Jahrhunderte noch ein enger Zusammenhang mit der alten mittelhochdeutschen Schreibweise besteht; doch wird man daraus nicht •eine Archaisirung der Rechtschreibung, für welche Keutgen allem Anschein nach einzutreten geneigt ist (S. XVIII und Hist. Vierteljahrsschr. S. 50«), ableiten dürfen. Erst im 1 6. Jahrhundert hört jeder Zusammenhang mit •der älteren Schreibweise, aber auch mit der Sprachenentwickelung auf und es tritt jene allgemeine Verwilderung ein, welche mit Ausnahme gewisser, von Quidde angeführter Fälle eine radikale Behandlung im Anschlüsse an die Rechtschreibung der Gegenwart verlangt und gestattet.

Aus V. Belows Mitteilung über »Theorien der wirtschaftlichen Ent- wickelung der Völker« (97) sind hier nur die der Stadtwirtschaft gewid- meten Ausführungen zu berücksichtigen, in denen er eine eingehende Kritik der Darstellung in Büchers berühmtem Buche über die Entstehung der Volkswirtschaft liefert. Das Wesen der Stadtwirtschalt erblickt er im Anschlüsse an die, worauf er in verdienstlicher Weise aufmerksam gemacht hat, schon von Perthes und Hildebrand vertretene Ansicht in der mit

3,)*

460 Literatur.

strengster Folgerichtigkeit bis ins einzelne durchgeführten Tendenz der Abschliessung, dach vermag er über die Ursache dieser Erscheinung eineii befriedigenden Aufschluss nicht zu geben und begnügt er sich mit einem kurzen Hinweise auf dos Vorhandensein der gleichen Richtung in der Landgemeinde und in der kanonistischen Wirt Schaftstheorie. Fruchtbarer schiene mir in diesem Punkte der Vergleich mit den hofrechtlichen Ver- bänden zu sein.

Auch in der als Fortsetzung dieser gedachten Abhandlung über den »Untergang der mittelalterlichen Stadt Wirtschaft« geht v. Below (9S) von polemischer Erörterung aus, indem er vornehmlich gegen Schmollers Annahme der Territorialwirtschaft und gegen dessen Überschätzung der politischen Vorgänge Stellung nimmt, doch führt sie ihn zu ungleich wertvolleren Ergebnissen. Er ei weist die Fortdauer der stadtwirtschaft- lichen Grundsätze auch in der Zeit des Merkantilismus, über dessen all- mähliche Entstehung und Ausbildung in Frankreich unter der Regierung Heinrichs IV. uns jetzt eine Studie Henri Hausers (Revue hist. LXXX, 257 if.) unterrichtet, und findet den Unterschied gegenüber dem Mittelalter darin, dass man dieses als eine Periode der Stadtwirtschaft unter städtischer, die folgende Zeit als die Periode der Stadtwirtschaft unter landesherrlicher Leitung bezeichnen könne (S. (i'27). Erst im 18- Jahrhundert beginne eine von selbständigen neuen Gedanken erfüllte Tätigkeit der Landes- fürsten auf wirtschaftlichem Gebiete und vom 1 9. an könne von einer ausgebildeten Volks- beziehungsweise Weltwirtschaft die Rede sein.

Nur in aller Kürze sei auf mehrere der Geschichte der städtischen Verwaltung gewidmete Arbeiten hingewiesen. In einem Vortrage über »den öffentlichen Haushalt der Stadt Frankfurt ini Mittelalter* (Schaff les Ztschr. für die gesammte Staatswissenschaft LII (1896), 1 19) hat K. Bücher der Forschung auf diesem Gebiete die Richtung gewiesen, wenn auch die Verallgemeinerung der dem Frankfurter Rechnungswesen anhaf- tenden Besonderheiten als nicht zulässig erkannt worden ist. Mit grossem Eifer hat sich dann die Forschung namentlich der Finanzverwaltung der Städte zugewendet. Den älteren Veröffentlichungen der Stadtrechnungen von Breslau, Hamburg und Hildesheim ist die schöne von Knipping besorgte Ausgabe der Kölner Rechnungen gefolgt (Bd. L 1897, IL 1898)^). Noch vor deren Erscheinen hatte W. Stieda in sehr unterrichtender Weise die Hauptergebnisse der bisherigen Arbeiten zusammengefasst (99). Die .Forderungen, welche er am Schlüsse seiner Abhandlung aufstellt, werden wohl zu beachten sein; wenn er aber die Veröffentlichung aller mittel- alterlichen Rechnungen im W^ortlaute verlangt, so. wird man das nur mit einiger Einschränkung annehmen dürfen. Vollständige Wiedergabe im Anschlüsse an die Vorlage empfiehlt sich doch nur bei Rechnungen aus der Zeit vor der Mitte des 15. Jahrhunderts, bei vereinzelten Jahrgängen oder sehr lückenhaften Reihen, endlich bei alten Sonderrechnungen über einen bestimmten Verwaltungszweig. Nach der Mitte des 15. Jahrhundeits wird sich aber, da die Anlage der Rechnungen von da ab sehr gleich- massig wird, der Inhalt sich vielfach wiederholt, zum mindesten die Be-

') Vgl. A. Tille, Stadtrechnungen in den Deutschen Geschichtsblättera I (1900), 65 ff.

Literatur.

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scliränkung auf die Rubrikensummen als notwendig erweisen. Die in den einzelnen Abteilungen enthaltenen sachlichen, . topographischen, personalen Angaben können in anderer Weise, sei es als Erläuterung der Eubriken- summen, sei es in besonderer Zusammenstellung bekannt gemacht worden. Die im V, und VI. Bande des Hildesheimer Urkundenbuches von R. Döb- ner veröffentlichten Stadtrechnungen hat P. Hub er für seine Darstellung des Haushaltes der' Stadt Hildesheim (lOü) verwertet. Vber das gross angelegte und sorgfältig ausgeführte Werk Paul Sanders (lOl) habe ich an anderer Stelle berichtet (Deutsche Literaturzeitung 1902; li224).

Sehr wichtige Materialien, deren voller Wert allerdings erst auf Grund einer systematischen Bearbeitung gewürdigt werden könnte, bietet Rivoire in dem ersten, die Jahre 1409 -14 01 umfassenden Bande der in lateini- scher Sprache abgefassten Ratsprotokolle der Stadt Genf (l02). Wir ent- nehmen ihnen vor allem zahlreiche, für die Kenntnis der Stadtverwaltung aufschlussreiche Einzelheiten, darüber hinaus streifen manche Verhand- lungen und Beschlüsse die politische Lage, die Beziehungen der Stadt zu den Herzögen von Savoyen, zu den Päpsten und den adeligen Herrn der Umgebung, welche gerne mit unbilligen Forderungen auftraten und den Rat zu steter Vorsicht nötigten (vgl. z. B. S. 330). Für den zeitlichen Ansatz der Berichte ist anfangs die Festdatirung, neben ihr die durch- laufende Zählung des Monatstages verwendet, welche dann seit 1417 allein gebraucht wird.

Wenden wir uns den Untersuchungen zu, welche sich mit einzelnen Seiten und Einrichtungen des städtischen Lebens beschäftigen, so ist zu- erst die Abhandlung Richard Schröders über das Weichbild zu nennen (10 3), in welcher dieser die schon von Philippi (Hansische Geschichts- blätter XXHI, 1 55) gesammelten Belegstellen systematisch geordnet hat. Das Wort kommt im östlichen Mitteldeutschland auf, verbreitet sich nach Norddeutschland, Holland, Livland und Esthland. Gebraucht wird es für Stadtrecht, für das Stadt (Markt-) gebiet, die städtische Leihe, den städti- schen Grundbesitz, den vom Weichbildgute zu entrichtenden Wortzins und überhaupt lür die Rente von städtischen Grundstücken. Die früher von ihm vertretene Erklärung: Ortsbild-Stadtkreuz-Marktkreuz hat Schröder nunmehr aufgegeben, er nimmt ebenfalls die schon von Wigand und Gaupp vorgeschlagene Deutung als Ortsrecht. Stadtrecht an. Meine Ausführungen -über diese Frage (Mitteil. XV, 500 und XVH, 335) hat er übergangen.

Bei der grossen Bedeutung, welche den Grundbesitzverhältnissen für die Entstehung und Entwickelung städtischen Lebens zukommt, ist es er- freulich, dass gerade sie in letzter Zeit zum Gegenstande ergebnisreicher Forschung gemacht worden sind. In einer sehr ansprechenden Unter- suchung handelt Rietschel über die Entstehung der freien Erbleihe (104). Der einleitende Abschnitt bringt eine dankenswerte Übersicht über <lie bisherigen Erklärungsversuche, in der namentlich an den Darstellungen v. Schwinds (S. 210) und Des-Marez' (S. 185) scharfe Kritik geübt wird. Den Ausgang für seine eigene Darlegung nimmt R. von der Unterschei- dung zwischen Gründerleihe und privater Erbleihe. Die erstere bringt ■den Beliehenen in eine neue Gemeinde, unter eine neue Gerichtsbarkeit, hat daher nicht blos vermögensrechtliche Folgen und steht darin, wie man hinzufügen kann, der Leihe nach Hofrecht nahe, von der sie sich aber

462 Literatur.

dadurch unterscheidet, dass bei ihr das Verhältnis, in das der Beliehene tritt, ein öffentlich-rechtliches, bei der Leihe nach Hofrecht ein privat- rechtliches ist (S. 188, 201). Die Gründerleihe kennt als Gegenstand nur den Grund und Boden selbst, der Zins muss keineswegs immer dem Werte des geliehenen Gutes entsprechen. Gegenstand der privaten Erbleihe, welche nur vermögensrechtliche Wirkung übt, können alle möglichen Immobilien sein, bei ihr ist der Zins in der Regel dem Werte des geliehenen Gutes angemessen. Nur sie kann nach Rietschels Ansicht für die Frage nach der Entstehung der freien Erbleihe in Betracht kommen (S. 19l), da er die Gründei-leihe für eine von ihr abgeleitete Form hält. Ich glaube, dass an diesem Punkte die Forschung noch nicht zu sicherem Abschluss ge- diehen ist. Es wäre doch nicht ausgeschlossen, dass die Gründerleihe in die frühesten Zeiten zurückreiche und eine gleichzeitige Entwickelung beider Leihearten angenommen werden könnte. Die Scheidung zwischen länd- licher und städtischer Erbleihe hält R. für ebenso unberechtigt wie die zwischen der Leihe von geistlichem und der von weltlichem Gute. Die eingehende Untersuchung der bisher nicht ausreichend beachteten ältesten Würzburger Privaturkunden führt ihn zu dem Schlüsse, dass die private freie Erbleihe ihren Ursprung nicht in der Leihe nach Hofrecht habe, sondern eine Weiterbildung älterer freier Leiheformen, insbesondere der Prekarie sei. Im Anschlüsse an diese Untersuchung hat G. Caro (Hist. Viertel- jahrschrift V (1902), 38 ff.) darauf hingewiesen, dass zu einer vollstän- digen Erledigung der wichtigen Frage noch andere, ältere Quellenzeugnisse herangezogen werden können und müssen. Er macht auf eine in den formulae Turonenses überlieferte, schon von H. Brunner behandelte Formel, auf Mainzer Urkunden des 8. Jahrhunderts, aus denen sich getrenntes Besitzrecht an dem Boden und dem darauf erbauten Hause ergibt, auf die Lorscher Urkunden aufmerksam, weist auf die Ähnlichkeit zwischen der Erbpacht in der Formel von Tours und dem späteren Burg- und Weich- bildrecht hin und spricht die Vermutung aus, dass »in den Römerstädten Deutschlands ein besonderes Leiherecht für Grundstücke sich erhalten hat, welches später wegen seiner Eignung für städtische Verhältnisse auf die neugegründeten Städte übertragen wurde«, Anregungen, denen, wie ich schon vorher angedeutet habe, alles Ernstes nachgegangen werden sollte.. Von grossem Werte für die Kenntnis der einschlägigen Verhältnisse ist das Buch Beyerles über die Grundeigentums Verhältnisse und das "Büi-gerrecht in Konstanz (l05), von dem der zweite, Urkunden aus den Jahren 1152 1374 enthaltende Band und der erste Teil des ersten Bandes erschienen sind. In diesem behandelt der Verf. in mustergiltiger Weise das Salmannenrecht. Die Einleitung enthält eine übersichtliche Zusammenfassung der im allgemeinen wichtigen Ergebnisse seiner Arbeit, welche die von Keutgen übernommene Darstellung Gotheins in wesentlichen Punkten berichtigt. Vor allem kommt der Nachweis in Betracht, dass keineswegs aller Grund und Boden zu Konstanz in dinglicher Abhängig- keit von dem Bischöfe und den geistlichen Stiften stand, »sich in der eigentlichen Bürgerniederlassung geistlicher Leihebesitz aus alter Zeit über- haupt nicht befand, dass vielmehr hier freies Grundeigentum gilt« (S. 5). Es steht also in Konstanz nicht das zu Zinseigen und dem eine strengere dingliche Abhängigkeit herstellenden Zinslehen ausgethane Land »an der

Literatur, ^ßg

Spitze der geschichtlichen Entwickelung somlern vollfreies, völlig unbe- lastetes und in alter Zeit unbelastbares Grundeigentum*. Der geistliche Grundbesitz findet sich in der Altstadt und dem frühmittelalterlichen suburbium Niederburg, er wird aber nur ausnahmsweise zur Leihe cre- geben und nur vereinzelt findet sich da freier Grundbesitz einzelner Alt- geschlechter, während in der dritten Niederlassung, der Kreuzlinger Vor- stadt (Kelnhof und Stadelhofen) mit landwirtschaftlichem Betriebe die ländliche Erbleihe vorherrscht. Zwischen beiden Bezirken liegt aber die Bürgerniederlassung, in der die Leiherechte das spätere, nachträglich ein- dringende sind, für die sich also ein Aufsteigen von strenger zu leichter abhängigem, endlich freiem Grundbesitz nicht nachweisen lässt. In diesem Zusammenhange gewinnt die Einrichtung der Salmannen (Treuhänder) über die privatrechtliche hinaus verfassungsgeschichtliche Bedeutung, weshalb sie auch unter diesem Gesichtspunkte zu behandeln war, ferner ergibt sich, dass in Konstanz der freie Grundbesitz die erste und älteste Bedingung der Vollbürgerschaft war (S. 8), woraus es sich erklärt, dass, als mit dem Siege der demokratischen Zünfte im Jahre 1370 diese Forderung des freien Grundbesitzes fallen gelassen wurde, die Salmannen an Bedeutung verloren. Es wird sich Gelegenheit bieten, nach Absehluss des ersten Bandes auf Beyerles Untersuchung im einzelnen zurückzukommen, schon jetzt darf aber ihre hohe Bedeutung für die Erkenntnis der Besitz- und Niederlassungsverhältnisse nicht allein in den deutschen Römerstädten sondern auch in später gegründeten und entstandenen Städten, vor allem in Wien, hervorgehoben werden.

Mit dem sozial und wirtschaftlich hervorragendsten Teile der Bürger- schaft beschäftigt sich eine Abhandlung v. Belows (l06), in welcher er das Verhältnis des Kleinhandels zum Grosshandel, die Handelsgesellschaften, Kaufmanns- und KaufiFahrergilden, den SchifFsbesitz der Bürger bespricht. Auch bei diesem Aufsatze wird man den Hauptwert in der Hervorhebung der leitenden Gesichtspunkte und in einzelnen methodischen Mahnungen zu suchen haben. Es war z. B. gut daran zu erinnern, dass man das Mittelalter nicht immer wieder als einen abgeschlossenen Zeitabschnitt von ganz einheitlichem Charakter betrachten, sondern die unzweifelhalt vor- handene Entwickelung erforschen, dabei neben den zeitlichen auch die örtlichen Unterschiede beachten solle. Im einzelnen aber werden die Aus- führungen V. Belows manche Berichtigung und Ergänzung zu erfahren haben 1). Zwar dass der Kaufmann des frühen Mittelalters nicht von vor- neherein als Grosshändler aufzufassen ist, dass es anfangs keinen eigenen Stand der Grosshändler gegeben hat, dass der Grosshandel oft in V^er- bindung mit dem Kleinhandel betrieben wurde, kann man zugeben. Aber V. B. geht zu weit, wenn er das Vorhandensein freiwilligen Grosshandels vor dem 14. Jahrhunderte bestreitet, die Gewandschneider (Lauben-, Kammerherren) als Kleinhändler bezeichnet (vgl. auch Heldmann in den Jahresber. für Geschichtsw. XXHI, II, 345). Es ist ja richtig, dass in den früheren Zeiten keine scharfe Scheidung zwischen Gewandschneidern, Kaut- leuten im engern Sinne und Krämern bestanden hat, dass namentlich die letzteren einen viel umfassenderen und ansehnlicheren Geschättsbetneb

') Vgl. auch Keut^ens Vortrag über den Grosshandel im Mittelalter (Han- nsche Geschichtsbl. XXIX (1901), S. 73 ff. und fc^. 181 If.).

4G4 Literutur.

gehabt haben als spater, dass erst im 14. Jahrhundert eine bestimmtere Abgrenzung vorgenommen wurde, die Krämer auf eine niedere Stufe sanken, die Gewandschneider ihr altes Ansehen bewahrten, die Kaufleute sich hoben, wie ich das im einzelnen für Wien nachzuweisen vermochte (Gesch. Wien, hrsgg. vom Altertumsvereine II, 731 ff".)- Aber das berechtigt noch nicht, die Laubenherrn als Kleinhändler schlechthin aufzufassen und ebenso wenig kann man den Bestand eines reinen Grosshandels ohneweiters ver- neinen. Um in diesen Fragen klar zu sehen, müsste vor allem eine ein- gehende Untersuchung der Erwerbsverhältnisse in der ältesten Bürgerschaft durchgeführt werden, ferner wäre, worauf Luschin (Gesch. Wiens II, S43) aufmerksam gemacht hat, zwischen dem Aussenhandel und dem Ein- und Verkauf im Grössen, welche nicht notwendiger Weise zusammenfallen müssen, zu scheiden, endlich müssen die Handelsgeschäfte der Hausgenossen, welche v. B. ganz übergangen hat, sowie der Geistlichkeit beachtet werden.-

Über die Entstehung und Ausbildung des Patriziats in Strassburg, Basel, Worms, Freiburg im Br. handelt M. Foltz (l0 7) in etwas schema- tischer Weise. Neuerdings führt er den Nachweis, dass der Rat weder an das SchöfFenkoUeg anknüpft, noch aus dem »bischöflichen Rate* ent- standen, sondern eine völlig neue Schöpfung ist, aber schon vor seiner Entstehung der Bürgerschalt ein Einfluss auf die Leitung der städtischen Angelegenheiten eingeräumt war. Er nimmt ferner an, dass ursprünglich die Ministerialen mit den Bürgern vereinigt waren, nach dem Aufkommen des ßates sich von diesen trennten, erst nach dieser Trennung von einem Patriziate die Rede sein kann, welches aus den vor dem Rate in den Ur- kunden erwähnten cives maiores, meliores entstanden ist. Gegen jene anfängliche Vereinigung hat sich Oppermann (Westd. Zeitschr. XIX (l900), Anzeigebl. S. 86) mit triftigen Gründen ausgesprochen, auf dessen Be- sprechung auch wegen der Darstellung der Freiburger Verhältnisse zu ver- ■weisen ist.

Die Pfalbürger erklärt M. G. Schmidt (108) im Anschluss an Zeumer und H. Brunner als cives falsi von palo, balo = schlecht ^) und bestimmt sie als »Leute, welche ausserhalb der Stadt auf dem Lande in landes- oder grundheniicher Abhängigkeit leben und nach Erlangung des siädtischen Bürgerrechtes unter Berufung auf die städtischen Privilegien ihre früheren Pflichten und Lasten verweigern <^'= . Sie sind also nicht Aus- bürger schlechthin, obwohl man sie später, als ihr rechter Name schlechten Beigeschmack erhielt, auch mit diesem Worte bezeichnete. Die Einrichtung erklärt sich aus dem Bestreben der Dorfbewohner, der bürgerlichen Frei- heiten teilhaftig zu werden, ohne ihren ländlichen Beruf aufzugeben, worin ihnen die Städte, deren Einfluss dadurch wünschenswerte Ausdehnung erfuhr, entgegenkamen. Der Vorgang musste die landesherrliche Gewalt durch- löchern, die grundherrlichen Rechte und Einkünfte verringern und endlich zu einem Kampfe politischen und wirtschaftlichen Inhaltes zwischen den

') Die etymologische Frage scheint mir etwas zu flüchtig behandelt zu sein (S. 290). Wie lautet das Stammwort: palo oder balo? Mit Rücksicht auf goth. balos, mhd. bale halte ich das zweite für das richtige, daraus konnte aber ebenso- wenig wie in den sicher anzunehmenden Zusammensetzungen phal (pfali werden, wie das Wort Pfalbürger bei seinem ersten Vorkommen im Jahre 1231 und regel- mässig auch später geschrieben wird.

Literatur.

4G5

Städten und den Grundherren führen. Mit dem Erstarken der landes- herrlichen Macht verschwindet das Pfalbürgertum alter Art, die Hörif^en, welche das Bürgerrecht erwerben, übersiedeln in die Stadt, werden aber zumeist in den Vorstädten ansässig. Jetzt erhält ihr alter Name eine Beziehung auf die Pfähle der vorstädtischen Wehramzäunung, der Pfalbürger wird zum Vorstädter, zum Pfahlbürger im späteren Sinne ^l.

Durch die Untersuchung aller Beziehungen, in welchen .die Gäste, d. h. die nicht am Orte ihres Betriebes ansässigen Handelsleute, zu der mittelalterlichen Stadtwirtschaft stehen, bemüht sich Stolze (l09), die Zeit und die Gründe der Entstehung des Gästerechtes zu erforschen. Die ältesten Märkte kannten keinen Unterschied zwischen Bürgern und Gästen, der sich erst durch die Verbindung des Marktes mit der Stadt, also im 12. und 13. Jahrhundert ausbil len konnte. Auf den Jahrmärkten ge- nossen die fremden Händler der Gleichstellung mit den einheimischen, ja unter besonderen Umständen gewisser Freiheiten und Vorrechte, es hat sich hier also in gewissem Sinne der ältere Zustand forterhalten. Doch macht sich auch da das Bestreben geltend, ihren Mitbewerb einzuschränken uud zu verdrängen, welches in verstärktem Masse bei den Wochenmärkten zu bemerken ist. Das Verbot des Kleinverkaufs durch die Gäste will St. aus der kanonistischen Theorie des pretium iustum und aus der Sorge für die Konsumenten erklären, welche vor Benachteiligung durch schlechte Ware geschützt werden sollen. Meines Erachtens könnte jene Theorie besten Falles in der Begünstisunsr der Bürger gegenüber den Gästen zur Geltung gelangt sein, da jene die städtischen Lasten zu tragen hatten, von denen die Gäste wenigstens in gewöhnlichen Zeiten befreit waren. Denn das Verbot des Kleinverkaufes beschränkt sich nicht auf die schwerer zu überwachenden Lebensmittel sondern trifft auch Waren, welche der Be- schau unterzogen wurden. In dem Abschnitte über das Verhältnis der Gäste zum Zunftrechte (S. 39 ff.) weist St. nach, dass die von G. Schönberg aufgestellte Unterscheidung eines schon vor der Entstehung der Zünfte ausgebildeten Zunftzwanges im allgemeinen, der den Bürgern im Gegen- satze zu den Fremden den ausschliesslichen Gewerbebetrieb in der Stadt und der Bannmeile sicherte, und eines besonderen Zunftzwanges, durch den dieses Recht auf die einzelnen Gewerbegenossenschaften übertragen wurde, in den urkundlichen Zeugnissen nich*^ begründet sei, ferner dass auch in frühester Zeit die Verleihung des Zunftzwanges über Einschreiten der Gewerbegenossen durch die Obrigkeit erfolgte. Zur vollständigen und klaren Beantwortung der von St. richtig gestellten Fragen hätte es aber der Heranziehung reicheren urkundlichen Stoffes aus späterer Zeit bedurft. Was St. über die Anfänge einer territorialen Handelspolitik, insbesondere der Habsburger bemerkt (S. 84), wäre jetzt nach den Darlegungen Luschins (Gesch. Wiens II, 829, 845) und v. Belows (Untergang 8.457) zu berichtigen.

Dass aus einer Schule mehrere Dissertationen über ein und dasselbe Forschungsgebiet hervorgehen, bringt es mit sich, dass sie sich zum Teile wiederholen, die eine manchmal nur eingehender begründet, was in der andern kürzer ausgesprochen wurde. Dies ist der Fall bei der Unter- suchung Croons über das Zunftwesen (llO), welche das schon \on

') Zu vergleichen ist jetzt auch die Abhandlung Zemuers in der Zts. für Kecbtsgesch. Germ. Abt. XXIII, 87 ff.

466 Literatur.

Stolze gesagte näher ausführt. Croon bespricht die ältesten Nachrichten: über Handwerkerverbände in deutschen Städten bis etwa zur Mitte des 13. Jahrhunderts und bringt manches dem besseren Verständnisse der betrefienden Urkunden dienliche bei, wenn auch die Anordnung nicht sehr übersichtlich ist. Die allgemeinen Ergebnisse stimmen mit den aus dessen Schriften bekannten Ansichten v. Belows überein. Dass die Annahme selb- ständig entstandener Genossenschaften oder Innungen, welche den Zunft- zwang tatsächlich, jedoch ohne behördliche Bewilligung übten, ganz aus- zuschliessen sei, möchte ich nicht so bestimmt behaupten, wenn wir auch- schriftliche Zeugnisse über ihren Bestand und ihr Wirken nicht besitzen.- Es scheint mir dies wahrscheinlicher als die Vermutung Croons, dass die Initiative »vielfeicht von einzelnen klar sehenden Handwerkern aus- gegangen sei, die die Gesamtheit ihrer Genossen durch den Hin- weis auf gemeinsame Ziele zu einem Ganzen zusammenschlössen« (S. 88);

In seinem Buche über den Ursprung des Zunftwesens (lll) trägt Eber Stadt seine schon früher besprochenen Ansichten (vgl. Mitteil. XIX, 185) neuerdings vor. Die Vermengung deutscher und französischer Ver- hältnisse, die wiederum vorgebrachten hofrechtlichen Anschauungen tragen sicher nicht zur klaren Erkenntnis bei und ich bin auch jetzt noch der nach- träglich auch von Keutgen (Neue Jahrb. für das klass. Altertum III (1900), 297) ausgesprochenen Ansicht, dass E. einen an sich richtigen, aber nicht neuen Gedanken, die Scheidung des autonomen Verbandes von der be- hördlich durchgeführten Handwerksorganisation (vgl. auch Gesch. Wiens II,. 611, 640) in einer der richtigen Erkenntnis nicht förderlichen Weise weiter geführt hat. Erstaunlich ist, dass der Verf. ein volles Viertel seines Buches einer vielfach rein persönlichen und kleinlichen Auseinandersetzung mit seinen »Gegnern*, v. Below. Rietschel, Keutgen, Pirenne und meiner Wenigkeit, gefüllt hat. Nach dem was v. Below (Litt. Zentralbl. 1900, 1085) und Rietschel ^) erwidert haben, halte ich es für überflüssig, auf die mir zugemessenen fünf Seiten näher einzugehen.

Von geringerem Belange für die städtegeschichtliche Forschung, aber- doch von Bedeutung im Hinblicke auf die allgemeine Teilnahme, die dem Gegenstande immer von neuem entgegengebracht wird, sind die Unter- suchungen, welche sich mit der Entstehung und Erklärung der Rolands- bilder beschäftigen. Die wertvollsten Gaben verdanken wir auch diesmal dem Fleisse G. Seilos, vor allem eine mit erstaunlichem Aufwände an Zeit und Mühe zusammengestellte Übersicht über die »Literatur der Eolandsbildsäulen «, welche im 2. und 3. Baude der »Deutschen Geschiehts- blätter* erschienen ist. Sello hat darin nicht allein die Literatur syste- matisch geordnet, die Mängel und Fehler kritisch beleuchtet, sondern auch die Punkte bezeichnet, an denen die weitere Forschung einzusetzen hätte. Über dies nächste Ergebnis hinaus liefert die Zusammenstellung höchst wirksame Belege für die krankhafte, zu allen Zeiten lebendige, auch heute noch in weiten Kreisen und allen Schichten verbreitete Sucht, sich unter Geringschätzung des mit vernünftigen Mitteln festzustellenden in haltlose Phantastereien zu verrennen und mit allem Eifer einem »archäologischen Spiritismus*, wie S. dies Treiben zutreffend nennt, zu ergeben.

0 Bist. Vierteljahrsschrift IV (1901), 99 und 133 ff". Nachrichten und Notizen. dazu I, ]34tt'. und 425 ff".

Literatur. ^aj

Eine besondere Abhandlung bat S. dem Bremer Koland gewidmet (112), in der er die Ergebnisse seiner bisherigen Forschungen zusammen- fasst. Auf Grund der von ihm vorgenommenen kritischen Säuberuno- ist erst die Vergleiehung der echten Eolandbilder unter einander und mit anderen Bildwerken gleichen Charakters, sowie eine genaue Abgrenzung des Gebietes, in dem Rolandstatuen vorkommen, möglich geworden. Es- ist vor allem daran festzuhalten, dass »alle Rolande, welche westlich und südlich einer im wesentlichen durch Weser, Thüringerwald, Erzgebirge,. Riesengebirge markirten Grenzlinie genannt werden, jeder historischen Legitimation baar'^^ sind. Überraschend sind die Mitteilungen über den Roland zu Halle a. S., der zwar aus dem Jahre 1718 stammt, aber deut- lich als Nachbildung eines Standbildes aus dem 13. Jahrhundert, zu er- kennen ist und eine merkwürdige Ähnlichkeit mit der aus diesem Jahr- hunderte stammenden Statue Heinrichs des Löwen im Dome zu Braun- schweig aufweist. Als eine wertvolle Anregung darf man auch den Hin- weis auf Italien betrachten (S. 2l), es ist nicht unwahrscheinlich, dass von dort der Name für die norddeutschen Standbilder geholt worden ist. Als die Orte, in denen zuerst eine Rolandstatue, allerdings vorerst ohne- diese Benennung, errichtet worden war, nimmt S. Magdeburg und Bremen an. Dass aber der Bremner Roland eine Nachahmung der Mauritiusstatue im Chorumgang des Magdeburger Domes (Fig. l) sein soll, vermöchte man nur durch die Ausserachtlassung wesentlicher Unterschiede und die Her- vorhebung nebensächlicher Ähnlichkeiten zu rechtfertigen. Auch die Ver- mutung, dass das Bremer Bild zu Ehren Karls des Gr., das Magdeburger zur Erinnerung an Otto den Gr. errichtet worden sei, entbehrt der sicheren Begründung ebenso wie die andere, dass das Magdeburger schon um das Jahr 1100 bestanden habe. Das bringt uns auf die Frage nach der Be- deutung der Standbilder, Ihre Beantwortung wird dadurch erschwert, ja vielleicht unmöglich gemacht, dass es an einem quellenmässigen Aufschlüsse darüber fehlt, was man sich zur Zeit ihrer Errichtung unter ihnen vor- stellte. Sello hält sie für Bilder, welche den Verleihern der städtischen Freiheiten, als welche man Karl den Gr. und Otto den Gr. betrachtete, zu Ehren aufgestellt worden waren. Dagegen spricht aber, wie Rietschel (Hist. Zeitschr. LXXXIX, 4Cr2) hervorgehoben hat, der Mangel kaiserlicher oder königlicher Abzeichen. Wird man dieses Bedenken trotz aller Mühe, die sich S. gegeben hat, nicht los, so kann mau sich auch mit der neuer- dings wieder von Rietschel vertretenen und von Below angenommenen Ansicht, dass die Rolandstatuen »die dauernde Gerichtsbarkeit des fürst- lichen Stadtherrn über die Stadt« veranschaulichen sollten, also als » Ge- richtsbilder« aufzufassen seien, nicht recht befreunden. Allerdings ist das- Schwert ohne Scheide, dessen bloss symbolische Bedeutung Sello selbst zugibt (S. 25), ein gewichtiges Beweisstück für diese Auffassung, ander- seits erklärt sie nicht die grosse Wertschätzung, deren sich diese Stand- bilder bei der Bürgerschaft erfreuten, wie überhaupt die Errichtung eines. »Fürstenbildes« in diesem Sinne in Städten wie Magdeburg, Bremen, Halle- nicht recht begreiflich wärei). Da auch, so viel ich sehe, eine unmittel-

') Ich darf darauf hinweisen, dass jetzt auch Keutgen meinen von S. abge- lehnten Hinweis auf die Kreuze von Beaumont gebilligt hat (Deutsche Literatiu- zeitung XXIV (1903), 92).

408 Litenitur.

bare, ständige Verbindung des Gerichtes mit den ßolanden nicht nach- zuweisen ist, so bleiben wir vorläufig in dieser Kernfrage der Koland- ibrschung noch im Unklaren.

Einer Anregung Jakob Grimms folgend hat Platen den Versuch gemacht, die Kolandfrage »aus der Stickluft der teilweise doch recht schwülstigen Rechtssymbolik* hinauszuführen (ll3), indem er sie »mytho- logischer Behandlung* unterzog und die Kolandbilder als eine Fortsetzung und Umbildung altgerraanischer Donarbilder zu erklären versuchte. Fleiss und Geschick lassen sich seiner Abhandlung zuerkennen, aber wie so oft bei mythologischen Untersuchungen ähnlicher Art ist auch diesmal die Anknüpfung an die Vergangenheit, die Feststellung des Überganges nicht gelungen. Eine Kluft von Jahrhunderten, welche die nur anzunehmenden ä,ber nicht nachgewiesenen germanischen Götterbilder von den nachweis- baren Kolandstatuen trennt, soll durch eine Häufung kunstvoll erdachter Hypothesen ausgefüllt 'werden, ein Verfahren, das infolge der zahlreichen Irrtümer, die es hervorgebracht, nur mehr geringes Vertrauen finden kann. So vermag auch Platen Neues und Sicheres zur Ei-klärung der uns be- kannten Rolande nicht beizubringen. Eine zweite Abhandlung, welche in dem Programme des Vitztumschen Gymnasiums für das Jahr 190 1 erschienen ist, war mir nicht zugänglich (vgl. Sello in den Deutschen Gesehiehts- blättern II, 78 ff., III, 4S).

Aus der grossen Zahl von Stadtgeschichten, Quellensammlungen und Untersuchungen zur Geschichte einzelner Städte hebe ich hier nur etliche hervor. An erster Stelle ist das Buch Heldmanns über den Kölngau und die civitas Köln zu nennen (114). Der scharfe, in manchen Fällen berechtigte, oft aber auch ungerechte und in wenig ansprechender Form vorgebrachte Tadel, mit dem der Verf. über die Leistungen todter und lebender Forscher aburteilt, war nicht geeignet, die Stellungnahme zu "seinen gewiss bedeutsamen Arbeit zu erleichtern. Da es sich vorwiegend um ortsgeschichtliche und topographische Fragen handelt, in welchen dem feinerstehenden sichere Erkenntnis nicht leicht möglich ist, verweise ich auf die Besprechungen Keussens (Deutsche Literaturzeitung 1900, 1773) und Oppermanns (Westdeutsche Zeitschr. XIX (l9no), 196 ff.) und be- schränke mich auf eine kurze Hervorhebung der wichtigeren Ei'gebnisse. Es bleibt Heldmanns Verdienst, die historisch-topographische Forschung scharfsinnig für verfassungsgeschichtliche Zwecke verwertet zu haben. An einem guten Beispiele weist er nach, dass die Abgrenzung der alten Gaue im Anschlüsse an die natürlichen Verhältnisse, an Waldbestände und Fluss- läufe erfolgt ist, dass die späteren Dekanatsgrenzen nicht ohneweiters zur Feststellung der alten Gaugrenzen verwendet werden dürfen. Allerdings mögen beide anfangs zusammengefallen sein, aber im weiteren Verlaufe erfuhren die Dekanatsgrenzen manche Veränderung (S. 78, 87). Als Haupt- ergebnis seines Buches stellt H. fest, dass der ripuarische Gau, in dem Köln lag, nicht »Kölngau sondern Gilgau geheissen habe und die drei G-aue Eölngau, Nievenheimer Gau und Kutzgau nur seine Untergaue wären* (S. loo). Wenn er aber aus seiner Untersuchung die Folgerung zieht, dass die civitas Köln niemals aus dem sie umgehenden Kölngau eximirt worden sei, dass sie von der römischen Zeit an eine von der Römer- mauer umschlossene Einheit in kirchlicher, militärischer, gerichtlicher und

Literatur. ^q^

kommunaler Beziehung gebildet habe, so wird man wohl die kirchliche und kommunale Einheit zugeben, mit Heldmann und Rietschel die Sonder- gemeinden nicht als ursprüngliche selbständige Gemeinden, aus deren Zu- sammenschluss erst die Stadt entstanden sein soll, sondern als spätere Bildungen ansehen dürfen, gegen die Aufstellung aber, dass. die Eömer- mauer die Grenze des städtischen Rechtes gebildet, dass bei Köln eine Exemtion nicht stattgefunden habe, sind von Oppermann und Keussen wohl begründete Einwendungen erhoben worden.

Der Letztere hat wichtige Fragen der Topographie und Verfassungs- geschichte Kölns zum Gegenstande einer sorgfältigen Untersuchung ge- macht (115), in der er vor allem den Bestand einer Almende zu erweisen sucht, den noch Heldmann auf das bestimmteste verneint hatte. Dadurch soll »der ursprünglichen Kölner Gemeinde der Charakter einer Mark- gemeinde ^'= aufgedrückt und »die Entwickelung der deutschen Stadt- gemeinde aus der Landgemeinde auch bei derjenigen Stadt erwiesen werden, bei der diese Erklärung bisher immer als eine künstliche Konstruktion erscheinen musste, weil ihr das wesentliche Kennzeichen der Landgemeinde abging*. Eingehend beschäftigt sich K. mit mehreren Einzelfragen, so der Lage des ältesten Domes (S. 42), der Königspfalz (S. 44), des Rat- hauses (S. 55), mit der Stellung der Juden, die keine Grundbesitzer son- dern Handelsleute und schon zu Anfang des 1 2. Jahrhunderts in einer Sondergemeinde abgeschlossen waren (S. .54). Das wichtigste ist aber die eindringende Untersuchung über die Art und Entstehung der Sonder- gemeinden, welche in der Hauptsache die soeben erwähnte Auffassung Rietschels mit neuen Gründen stützt. Nach K. sind die Sondergemeinden zur Erleichterung der Verwaltung künstlich geschaffene Stadtbezirke, bei deren Einrichtung man sich an die Pfarreinteilung hielt (S. 84, 85), in ihnen vollzog sich »die Ausbildung des kommunalen und spezitisch städti- schen Wesen.«? zu engem politischem Zusammenhange im Gegensatze zu dem rein agrarwirt&chaftlichen Interesse der ursprünglichen altstädtischen Markgemeinde« (S. 83). Von Interesse ist auch der Nachweis, dass das Schreinswesen im Jahre 11 OB noch nicht eingeführt war, man aber seine Einrichtung ohne Bedenken hinter das Jahr 113.5 zurückversetzen darf (S. 82). Die Beigabe eines kleinen Übersichtsplanes hätte das Verständnis und den Gebrauch der dankenswerten Abhandlung wesentlich erleichtert.

Sehr belehrende topographische und wirtschaftsgescbichtliche For- schungen über Colmar und die den gleichen Herrschaftsverbänden ange- hörigen Ortschaften seiner Umgebung bietet uns A. H u n d ( 1 1 6). Ur- sprünglich bestand in Colmar ein königlicher Fronhof, neben dem auch freier Grundbesitz nachzuweisen ist, im 10. Jahrhundert findet sich Wei- fischer Besitz (Niederhof), der durch Bischof Konrad I. an Konstanz kam, während der Oberhof durch König Rudolf von Burgund dem Kloster Peter- hngen zugeeignet wurde. Unter die beiden Höfe waren die gemeinde- herrlichen Rechte geteilt, wahrscheinlich um die Mitte des ] 2. Jahrhundert* muss die Vogtei über sie an den König gefallen sein, da im 13, Jahr- hundert sein Schultheiss an der Spitze des Gemeinwesens steht. ^ Durch die geographische Lage begünstigt entwickelten sich Handel und Verkehr, zu Anfang des 13. Jahrhundert machen sich die Anfänge städtischen Lebens bemerkbar, Wölfiin, des Kaisers Schultheiss von Hagenau, führte die Be-

470 Literatur.

festigung der aufblühenden Stall durch. Im Jahre 1225 wird der ßat «rwähnt und im folgenden Jahre gelang dul-ch einen Vergleich mit dem Kloster Peterlingen die Befreiung von der gemeindeherrlichen Gewalt. Dies die Grundlagen, auf denen Colmars reichsstädtische Entwickelung, sein politischer Einfluss in der Zeit des Interregnums ruht.

Recht vorsichtig handelt Hoff 1er über die Entstehung der kommu- nalen Verfassung und Verwaltung Aachens (ll7) in einer Dissertation, •die an manchen Stellen der stilistischen Überarbeitung bedurft hätte. Der geschichtlichen Stellung Aachens, seiner Bedeutung als Handelsplatz und Badeort entspricht das städtische Leben, in dem sich nur matte Triebe regen, nicht zum besten. Spätestens im letzten Viertel des 12. Jahr- hunderts ist es zur Stadt geworden, 1166 wurden ihm zwei Jahrmärkte verliehen, zehn" Jahre später wurde es ummauert, Gemeindeherr war der König, Obervogt und Schutzherr der Stadt der Herzog von Lothringen; Vogt und Schultheiss, welche neben ihren richterlichen Befugnissen auch der Verwaltung dienten, ein Maier, der ausschliesslich richterlichen Amtes waltete, waren anfangs königliche Beamte, im weitern Verlaufe gingen aber diese Ämter an Jülich über. Neben dem Schöffengerichte, welches als Oberhof sich guten Ansehens erfreute, und dem Sendgerichte bestand in der städtischen Zeit auch das vom Rate besetzte Kurgericht. Als erste Kommunalbehörde diente das SchötfenkoUeg, durch den Anschluss von Bürgern, welche sich an der richterlichen Tätigkeit nicht beteiligten, ent- stand der Rat, dem anfangs die ge-neindeherrlichen Beamten, dann die beiden Bürgermeister vorstanden. Nach dem ersten Vorstoss der Zünfte im Jahre 1428 gelangte der alte patrizische Rat wieder zur Stadtregierung, erst im Jahre 1450 gelang die vollständige Ura.gestaltung der Stadtver- fassuug im Sinne der Zünfte. Die Bürgerschaft war in gesellschaftliche und gewerbliche Genossenschaften gegliedert (Gaffel und Ambacht), Als .eine örtliche Besonderheit sind die neun Grafschaften zu erwähnen (S. 72), in welche die Stadt eingeteilt war und deren Vorsteher comestabuli, seit dem 14. Jahrhundert Kastoiveltz oder Christoffel hiessen. Es waren ihnen polizeiliche und finanzielle Befugnisse eingeräumt, wodurch sie sich von den ihnen sonst vielfach entsprechenden Nachbarschaften unterschieden. Wenig bemerkenswertes bieten die Mitteilungen über die Verwaltung der Stadt.

Dem Lieblingsgedanken Philippis, die Entwickelung der Stadtver- fassung innerhalb eines grösseren örtlichen Verbandes im Zusammenhange zu behandeln, entspricht die Veröffentlichung westfälischer Stadtrechte, welche mit der von Overmann in mustergiltiger Weise besorgten Aus- gabe des Stadtrechtes von Lippstadt eröffnet wird (118). Die Einleitung gibt ein Bild der Verfassungsentwickelung in der kleinen Gründung eines westfälischen Dynasten, jenes Herrn Bernhard zur Lippe, dessen Wirken kein Geringerer als Scheöer-Boichorst zum Gegenstande einer eigenen Dar- stellung gewählt hat. Die alte Stadtanlage, welche die im Faksimile bei- gegebene Ansicht aus Merlans Topographie gut veranschaulicht, hat sich bis heute erhalten. Die Ansiedelung war in vier »Höfen* geteilt und ■erhielt eine ziemlich ausgedehnte Feldmark, deren Erweiterung sich die Stadt immer angelegen sein Hess (vgl. Tafel III). Die Zuwanderung er- folgte vorwiegend aus der nächsten Umgebung und sollte durch die sehr

Literatur.

471

freie Auffassung, die man wenigstens Anfangs bei der Aufnahme der neuen Bürger walten Hess, begünstigt werden. Der Stadtherr übte als Landes- und Gemeindeherr grosse Macht aus, der die Stadt nach einem kümmer- lichen Anlaufe zu besserer Selbständigkeit im Jahre 1535 unterlag. In •der Ratsverfassung machte sich auch hier das aristokratische Prinzip in voller Strenge geltend, erst im Jahre 1531 erfolgte der Sturz der Ge- schlechterherrschaft. Neben den Rat und den sich von ihm allmählich loslösenden Magistrat, welcher aus den zwei Bürgermeistern, den beiden mit der Finanzverwaltung betrauten Katsherrn (späteren Amtleuten) und •dem Syndikus bestand, trat als Vertretung der Zünfte und der Gemeinde das Tribunium. Die Leistungen dieses für das kleine Gemeinwesen recht verwickelten Organismus waren aber wenig befriedigend, namentlich die Finanzverwaltung liess alles zu wünschen übrig. Die Entwickelung des Gerichtswesens, dessen Einzelheiten in Overmanns Darstellung wohl zu beachten sind, wird durchaus von dem Verhältnisse der Stadt zu dem Landesheirn beeinflusst (S. 69). In dem Urkundenbunche sind mitgeteilt: Privilegien und Rezesse vom Ende des 12. Jahrhunderts bis 1701, Sta- tuten und Willküren vom 14. Jahrhundert bis 1681, Zunftsachen 1253 1707, Ratslisten 1230 1560. Beigegeben sind Verzeichnisse der landes- herrlichen Richter und der Gografen.

Als Vorarbeit für die geplante Geschiclite der Stadt Kahla wertvoll, aber im allgemeinen von geringem Belange sind die von Bergner ver- öffentlichten Urkunden ( 1 1 9).

Hey den reich hat einen im Mühlhauser Altertumsvereine gehaltenen Vortrag zu einem ansprechenden Überblicke über die mittelalterliche Ge- schichte der thüringischen Reichsstadt erweitert (120), in dem es an allerlei Ausblicken und Anregungen für die ortsgeschichtliche Forschung nicht fehlt und dem mehrere Lichtdrucktafeln, darunter zwei Tafeln mit Siegelabbil- dungen sowie etliche Skizzen der städtischen Kirchen zur Zierde gereichen. Der lebhafte Eifer, mit dem sich IL auf die Förderung der Geschichte Mühlhausens verlegt hat, äussert sich auch in der Herausgabe der »Mühl- hauser Geschichtblätler«, von denen drei Jahrgänge mit sehr mannigfal- tigem Inhalt erschienen sind. Es wäre zu wünschen, dass der Übergang des rührigen Gelehrten in eine neue amtliche Stellung nicht das Ende der von ihm eingeleiteten wissenschaftlichen Unternehmungen bedeuten möge. Ein höchst wichtiges Materiale zur historischen Statistik in sorgfältiger und klarer Verarbeitung bietet das Buch Buombergers (121). Die Be- fehdung durch Bern, die Misstimmung gegen den habsburgischen Landes- herrn, welcher sich der von den Zinsherrn, zumeist einflussreichen, savoyisch gesinnten Bürgern, bedrückten Bauern annahm, hatten die Stadt Freiburg im Üchtlande in eine gefährliche Lage gebracht. Die Vorbereitungen zu einem drohenden Kriege veranlassten Massnahmen zur Verproviantirung und eine Steuerausschreibung, für welche Zwecke in den Jahren 1444 und 1447 allgemeine Bevölkerungsaufnahmen stattfanden, von denen uns aller- dings nur die über zwei Stadtviertel (Banner) und eine Aufnahme über ein Banner aus dem Jahre 1448 erhalten sind. Von grösstem Werte, ja geradezu einzig in ihrer Art ist ferner die dem Jahre 1447 zuzuweisende Aufnahme eines Viertels der Landschaft. Die geschickt durchgeführte Ver- bindung dieser Quellen unter einander und mit der Steuerrodel vom Jahre

472 Literatur.

14-45 führte zu Ergebnissen, welche in roanchem von den bisher auf diesem Gebiete gewonnenen abweichen und in jedem Falle schon deshalb, weil uns hier die bis jetzt ältesten bekannten Bevölkerungsaufnahmen vorliegen, von allgemeiner Wichtigkeit sind. Die Gesamtbevölkerung der Stadt berechnet B. für das Jahr 1444 auf rund 5200, für 1447 auf 5800 Einwohner, für den einzelnen Haushalt ergibt sich in der Stadt ein Durchschuitt von 4, auf dem Lande von 5 Personen. Die Stadt hatte 1500 Häuser, von denen jedes in der Eegel nur mit einem Haushalte besetzt war. Unter den männlichen Steuerpflichtigen sind 35'2 *"o Bürger, 64*8 % Nichtbürger zu zählen, es stellt sich also eine sehr bedeutende Überzahl der nicht- bürgerlichen Bevölkerung heraus. Dies Verhältnis musste die politische Gestaltung im demokratischen Sinne beeinflussen, während die Bürger ihr Übergewicht in wirtschaftlicher Beziehung beibehielten, denn sie besassen siebzehnmal mehr Vermögen als die nichtbürgerlichen Gemeindeangehörigen und vereinigten in ihren Händen namentlich die grossen Vermögen. Dieser Gegensatz zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht scheint mir um so beachtenswerter iür die Erforschung der politischen und sozialen Be- wegungen in den Städten zu sein, als er sich gleichartig, wenn auch in viel grösserem Masstabe, in der Geschichte der französischen Revolution und in der politischen Gestaltung des 1 9. Jahrhunderts nachweisen lässt. Blieb trotz des Sieges der Demokratie in politischer Beziehung eine Minder- heit in wirtschaftlichen Angelegenheiten herrschend, so erklärt sich das Streben, die in jener Hinsicht errungene Macht auch auf das ökonomische Gebiet zu übertragen.

Graz. K a r 1 U h 1 i r z.

Deutsche und französische Verfassuugsgeschichte vom 9. bis zum 14. Jahrhundert von Erust Mayer. 2 Bde. Leipzig, A. Deichert'sche Verlagsbuchhandlung Nachf. (Georg Böhme). 1899 I. XXII, 554 SS.; II. XII, 438 SS.i).

Wer die Strömungen verfolgt, welche in unseren Tagen die Wissen- schaft vom deutschen Recht bewegen, der gewahrt auch hier jenen starken Zug nach dem Originellen, der überhaupt durchs Geistesleben der Gegen- wart geht. Dieser Zug findet eine typische Verkörperung in den beiden stattlichen Bänden, deren Anzeige mir im Folgenden obliegt. Es ist aus- nehmend viel revolutionärer Geist gegenüber herrschenden Lehrmeinungen und heute eingehaltenen Wegen, der aus dem an eigenartigen Ideen reichen Werke Ms. zu uns redet. Zuvörderst ist dem Hrn. Verf. zu danken sowohl für die langjährige, mühevolle Forschung, die er aufwenden musste, um uns diese mit einem imposanten Quellenmateriale gearbeitete Verfassungsgeschichte zu schenken, als auch für die vielfache Anregung, welche von seiner Leistung ausgeht. In den anerkennenden Dank dafür werden sicherlich auch diejenigen gerne einstimmen, welche über Vorgehen und Ergebnisse des Werkes den Kopf

') Weo-en Raummano;els kann die Anzeige erst jetzt gebracht werden. '^ D. R.

Literatur. An 0

schütteln. Und zweifellos sind die Fachmänner zahlreich, die mit dem Autor sachlich auf dem Kriegsfusse stehen. Schon sind in der Literatur nicht wenige Bedenken und Ablehnungen laut geworden ; und auch ich vermochte die Ein- wendungen nicht zu unterdrücken, die Zweifel nicht zu besiegen, die sich mir oft aufdrängten. Indessen, schwer und tief sind die vielfach mit einander verknüpften Probleme, ein Lösungsversuch führt häufig zu noch schwieri- geren Vorfragen, zurück in dunkle Zeiten, wo die Hypothese immer mehr in ihr Recht tritt, wo nur ein universaler Beweisapparat Licht -verbreiten kann, und insbesondere die so ausgedehnte Studien voraussetzende Rechts- vergleichung ein Hauptmittel der Erkenntnis wird. Und diese Probleme wollen auch als ein Ganzes erfasst und begriffen werden. Eine Unsumme von geistiger Arbeit ist nötig, um hier ein begründetes Urteil zu gewinnen. Blickt man dazu auf die Lückenhaftigkeit des Quellenmateriales, sowie auf den heutigen Stand unserer Wissenschaft, wo trotz aller Fortschritte noch in wichtigen Grundfragen alles eher als Sicherheit und Einigkeit herrschen, und bedenkt man, wie manches wissenschaftliche Evangelium schon in den Staub gesunken : so wird man U. Stutz ') recht geben, wenn er im all- gemeinen grosse Vorsicht im Urteil empfiehlt. Die Zeit für eine sicher fundii'te Kritik der entworfenen Entwickelung scheint auch mir noch nicht gekommen. Jedenfalls hat die Sache am meisten Förderung von den Er- gebnissen und von der Kritik einer gründlichen Spezialfor^chung zu er- warten.

Über die für das Vorgehen leitenden Grundsätze lässt sich das »Vor- wort* folgendermassen vernehmen. Im Gegensätze zum gewöhnlichen Gange recbtsgeschichtlicher Forschung, welche die Entwickelung der beiden aus dem karolingischen Grossreiche hervorgegangenen Länderkomplexe in der nachfränkischen Pei'iode isolirt auf Grundlage des deutschen bez. französi- schen Quellenkreises untersucht, soll der Weg der Rechtsvergleichung be- schritten werden. Dass für das mittelalterliche Deutschland Frankreich das naturgemässe Feld der Vergleichung ist, liegt auf der Hand. Diese Vergleichung wird unser Wissen erweitern, wird jene geschärfte Einsicht in die rechtsgeschichtlichen Gesetze der Zeit, jenes tiefere Verständnis der Rechtsgrundlagen anbahnen, welches allenthalben die Frucht solchen Vor- gehens zu sein pflegt. Darum ist Ms. Gedanke ein glücklicher zu nennen, und bei der steigenden Wertschätzung, deren sich heute die Rechtsver- gleichung erfreut, darf er wohl auf die Zustimmung weiter Kreise rechnen. Dabei wird man freilich nicht übersehen dürfen, dass das Vorgehen auch Gefahren in sich birgt. Hingegen möchte ich gleich Stutz-), v. Schwind 3), ühlirz-i) nicht unterschreiben, was M. über Wert und Bedeutung der Quellen sagt. Die Geschichtsquellen, die Chroniken besitzen für den Juristen einen geringeren Wert, weil sie das tatsächlich Bewegende schil- dern, nicht das rechtliche Werden als solches. Die Urkunden sind ein sehr einseitiges Erkenntnismittel. Bedeutungslos für jene Verhältnisse der staatlichen Gesellschaft, welche sich mit Vergabungen der Grossen an die Kirche nicht berühren, und für das Recht der geringeren Freien, sind sie

•) Ztschr. f. KG. XXL S. 116.

2) s. 117 fr.

3) Deutsche Lit.-Ztg. 1900 Nr. 10 Sp. 692 ff. *) Histor. Vierteljahrschrift H. S. 253 f.

Mittheilungen XXIV. 31

474 Literatur.

in der letzten Zeit überschätzt worden. Ein »unendlich wertvolleres* Erkenntnismittel sind die Rechtsbücher vermöge der Heranziehung von in den Urkunden nicht behandelten Punkten, vermöge der generellen Rede- weise und juristischen Auffassung der Verhältnisse, sowie vermöge der grösseren Sachkenntnis ihrer Verfasser. Das jüngere Alter der Rechts- bücher wird durch die Zähigkeit der Rechtsformen wettgemacht. So Mayer. Wenn der Beweiswert der alten Geschichtschreibung nicht hoch veran- schlagt wird, so ist das vielfach begründet. Entscheidender aber als die Tendenz, nur das tatsächlich Bewegende zu schildern, ist der Umstand, dass die Forschung mit der alten Geschichtschreibung, und nicht bloss mit der tieferstehenden, auch hinsichtlich der vorgebrachten Tatsachen schlechte Erfahrungen gemacht hat. Dürften wir uns nur da verlassen : es wäre ein Gewinn, mit dem bei der hohen Bedeutung des Tatsächlichen für die alte Rechtsordnung der Rechtshistoriker sehr zufrieden sein könnte ; oft wäre er dann in die Lage versetzt, die juristische Arbeit nachzuholen, welche" die alte Chronik vermissen lässt. Höchst überraschend ist Ms. Urteil über die Urkunde, zumal heute, wo unsere Wissenschaft z. B. in der Stände - geschichte so schöne Ergebnisse gerade mit Hilfe der Urkunden ernten konnte, und wo die antike Rechtsgeschichte auf Grund des Urkunden- Materiales der Papyri in einem neuen Aufschwünge begriffen ist. Gewiss sind die Urkunden nicht für alle Teile der Rechtsordnung gleich ergiebig. Im Privatrecht gibt es einerseits Gebiete, bezüglich welcher die Urkunden- schätze sich spröder erweisen, während sie andererseits ein prächtiges Material z. B. für das Verkehrsrecht enthalten, wo sie bei der Zerstörung des Märchens von der dürftigen Ausbildung des altdeutschen Schuld- und Haftungsrechtes noch ein gewichtig Wort sprechen werden. Geradeso gibt es im öffentlichen Recht neben Teilen, in denen Urkunden in Masse her- angezogen werden können, solche Teile, deren Bearbeitung nur spärlich Urkunden verwerten kann oder auf Förderung von dieser Seite wohl ganz verzichten muss. Was jedoch speziell jene Verhältnisse betrifft, bezüglich welcher M. die Urkunde für bedeutungslos erklärt, so haben mich auch eigene Studien, obschon sie einem enger begrenzten Untersuchungsfelde galten, zu einer anderen Erkenntnis geführt. Das Pfalzgrafenrecht steht sicherlich nicht mit Vergabungen der Grossen an die Kirche in Berührung, und doch ist es gerade eine Urkunde, die auf die Rechtsstellung des Kärntner Pfalzgrafen ein interessantes Licht wirft. Die »Edlinger'^^ Inner- österreichs sind gewiss geringere Freie, und doch sind die Urkunden hier durchaus nicht bedeutungslos. Wenn M. sagt, über Geschäfte, welche die Kirche nicht berührten, seien deshalb keine Urkunden erhalten (I. S. 400 N. 65), so muss mit Stutz S. 118 auf die vielen staatlichen Placita und auf jene Privaturkurden hingewiesen werden, »die zwar in die kirchlichen Archive gewandert und durch sie uns erhalten worden sind, aber nur als Rechtstitel, als instrumenta antiqua, nicht zum Zwecke der Vergabung selbst ^^ Vorsicht und kritische Betrachtung in allen Ehren: Urkunden brauchen nicht überschätzt zu werden. Aber noch weniger sollten sie unterschätzt werden, Lücken unseres Wissens füllen diese Quellen in willkommener Weise aus. In ihnen spiegelt sich regelmässig geti-eu das wirkliche Leben. Angesichts des gewohnheitsreehtlichen Zuges der ger- manischen Rechtsentwickeluncr wird deshalb für immer der Satz als ein

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41b

Grundpfeiler reclitsgeschiclitlich'er Methode aufrecht bleiben: wo es möcrlich i.^t, Urkunden zu benützen, rüüssen sie sorgfältig im ausgedeluilcsten Masse verwertet und zur Kontrolle der anderen Quollen, zumal der Kechtsbücher verwendet werden. Noch vieles hat die Forschung hier zu leisten, und wer weiss, welchen Umfang der. Neuaul bau der germanischen Rechts- geschichte mit diesem Baumateriale noch nehmen wird. Hingegen ist Ms. Urteil über die Kechtsbücher entschieden um ein Erkleckliches herabzu- stimmen. Kein Kundiger wird ja ihre Wichtigkeit verkennen. Alles, was M. ihnen nachrühmt, hat im einzelnen Falle seine Richtigkeit. Auch der konservative Charakter unserer ßechtsentwickelung ist o-ar sehr in Eück- sicht zu ziehen, und ich möchte M. Recht geben, wenn er glaubt, dass zuweilen noch in Nachrichten später Jahrhunderte alte Zeiten uacbklincren. Späte Quellen dürfen beileibe nicht unterschätzt werden, was mir auch einmal Julius Ficker gesprächsweise ans Herz gelegt hat. Aber wie fehler- haft ist oft die Darstellung der Rechtsbücher, wie naiv das Denken ihrer Verfasser! Und wenn M. die Notwendigkeit, generell zu reden, zu Gunsten des höheren Wertes der Rechtsbücher ins Treffen führt, so taucht unwill- kürlich das Kleine Kaiserrecht auf, dessen Autor, mit einer ins Uferlose schweifenden Phantasie generalisirend, sich bekanntlich die ungeheuerliche Aufgabe stellte, das Recht der ganzen Christenheit zu schreiben. Gerade die Verallgemeinerungen und Abstraktionen sind das Bedenkliche und Gefährliche, weil sie ungleich mehr Sachkentnis und Schulung voraussetzen, als diesen Männern eigen war. Sogar der Sachsenspiegel ist aus dem Stahlbade der Kritik nicht unverletzt hervorgegangen. Ebenso geben fran- zösische Rechtsbücher wegen Mangels an praktischem Sinn oder wegen irreführender Darstellung Anlass zu Bedenken, trotzdem hinwiederum z. B. die Assises de Jerusalem oder Beaumanoirs Coutumes du Beauvoisis zu den wertvollsten Rechtsdenkmälern Frankreichs zählen. Alles spricht dafür, die mittelalterlichen Rechtsbücher sehr vorsichtig zu benutzen. Überhaupt aber tut man hier gut, allgemeine Urteile möglichst zu vermeirlen, sowohl was die Arten der Quellen anbelangt, als im Hinblicke auch die zu lö- senden Fragen^). Die von M. proklamii'ten Grundsätze dürfen indessen nicht die Meinung erwecken, bestimmte Quellen seien in der Publikation einseitig oder kritiklos benutzt. Die Lektüre beweist, dass die Chroniken herangezogen sind, wo M. glaubt, sie mit Nutzen verwenden zu können : zahlreiche Urkunden dienen als Erkenntnismittel, eiue Urkunde aus Overyssel V. 1133 rechnet M. »zu den wichtigsten verfassuugsgeschichtlichen Nach- richten, die wir überhaupt besitzen« (L S. 412); und den Rechtsbüchern vertraut er wohl zumeist, lässt es aber doch an kritischen Bemerkungen nicht fehlen"^). Zu der vornehmlich an der Hand der Rechtsbücher durch- gefübrten Vergleichung, die dem Werke einen modernen Stempel aufdrückt, gesellt sich als weiterer moderner Zug die philologische Betrachtung der Rechtssprache, wobei es allerdings ohne gewagte Erklärungen nicht abgeht. So sucht M. durch Rückschluss in die gemeinsamen Wurzeln deutsch- französischer Rechtsentwickeluno- hineinzuleuchten. Nirgends will er die

') Vgl. Uhlirz S. 253 f.

2) S. [. S. 187 N. 94, 3G9 N. 4, -100 N. 05, 414 N. 16; [i. S. 80 N. 14.

158 N. 151, 174 N. 33.

31*

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Möglichkeit blosser Pavallelentwickelung ausser Acht lassen, aber eine solche werde doch da fast nicht in Betracht kommen, wo eine individuell ge- formte Einrichtung sich gleichmässig in beiden Ländern vorfindet. Hier ergebe sich regelmässig der zwingende Schluss auf eine gemeinsame frän- kische oder vielleicht gar römische Grundlage. Das ist in der Fassung einwandfrei. Allein die Feststellung, wann eine Parallelentwickelung aus- geschlossen, wann wir es wirklich mit einer individuell geformten Ein- richtung zu tun haben, bereitet im einzelnen Falle zumeist so grosse Schwierigkeiten, dass das Gefühl der Sicherheit nicht aufkommen will. Mit sorgfältiger Detailarbeit und unter genauer Berücksichtigung des ört- lichen und zeitlichen Momentes ist da das einzelne ßechtsphänomen zu prüfen. Dies setzt freilich vielfach eine monographische Behandlung vor- aus, die das -vorliegende zusammenfassende Werk nicht enthalten kann. Deshalb aber kommt der Leser oft aus den Bedenken und Zweifeln nicht heraus, die eine bisweilen sehr kühne Zusammenstellung von nach Zeit und Ort verschiedenen Quellen und nicht ungefährliche Verallgemeine- rungen in ihm wachrufen. Nicht genug sind die Faktoren der Parallel- entwickelung zu beachten. Hier entscheidet das sachliche Moment, welches neben dem persönlichen mehr Aufmerksamkeit erheischt, als ihm bisher zu teil geworden. Aus den Beispielen, die mir meine Spezialstudien an die Hand gaben, sei herausgegriifen, dass das Stabsymbol, welches die germanische Welt unter Anderem zur Versinnlichung der Unterwerfung verwendete, auch bei den Kaffern mit dem gleichen Zwecke eine Kolle spielt. Um einen interessanten Fall scheint es sich auch zu handeln, wenn die Tatsache, dass die ältesten Burgen in Polen von Ortschaften umgeben sind, deren bis heute erhaltene Namen verschiedene Berufe (Bäcker, Fischer, Schweinezüchter, Töpfer u. s. w.) bezeichnen, im alten Ägypten ihren Vorläufer hat i). In der Fülle der Erscheinungen schimmern gewisser- massen rechtsgeschichtliche Naturgesetze durch. Das höhere Wesen des Menschen darf nicht verkannt werden. Allein er ist auch Fleisch und Blut. Und je weiter wir in der Zeit zurückgehen, je jugendlicher der Mensch ist, desto mehr steht er im Banne seiner materiell-physischen Natur und unter deren Gesetzen. Um die Eechtsentwickelung tiefer zu verstehen, will der Mensch daher auch vom naturwissenschaftlichen Stand- punkte angesehen werden. Wer sich mit ihr beschäftigt, muss auch die Lehre von den allgemeinen Naturgesetzen des Lebens und die natur- wissenschaftliche Lehre vom Menschen und seinen Lebensbeziehungen zu Eate ziehen. Das Rüstzeug der historischen Quellenkritik führt nicht ge- nügend weit. Auch Jurisprudenz (besonders Rechtsvergleichung), Wirt-

•) S. Gumplowiczs Aufsatz »Die ältesten Herrschaftsf brmen "^ in der ,> Politisch- anthropologischen Revue» I (1902) S. 37 ff. An diese Tatsache klingen merk- würdig Erscheinungen in üntersteiermark au, deren Kenntnis ich Herrn Gewerbe- überinspektor V. Pogatschuigg in Graz verdanke. Unmittelbar neben der alten Gauburg Negau (Bzk. Oberradkersburg) liegt das Dorf Negaudorf, urkundlich Negoineselo genannt; im letzteren wohnten die zum Gau- und Herrensitze ge- hörigen Wirtschaftleute und Handwerker. Nicht weit davon liegt die Ortschaft Kanadorf, urkundlich Chonobe. Da hausten im 13. Jahrh. noch sagittarii und scutarii. Vielleicht hat das andere nicht weit davon befindliche Dorf Wranga slov. Brengowa seinen Namen von solchen Waffensclimieden, welche Schwert und Schild verfertigten. Schild heisst slov. bran, branba, branilo.

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scbaftswissenscbaft und Philologie im Bunde mit der Geschichtswissenschaft werden nicht immer ausreichen, um die gesellschaftlichen Zustände der Vergangenheit aufzuhellen. Jede Einseitigkeit in der Benutzung der Er- kenntnismittel kann im einzelnen Falle den Forschungserfolg nachteilig beeinflussen. Nur eine Forschung auf universaler Erkenntnisgrundlage, in der auch die organische Naturgeschichte, Biologie und Anthropologie, zu Worte kommt, eine Forschung, bei der nichts mehr an die »legale Be- weistheorie« gemahnt, wird, soweit es überhaupt möglich ist, den Schleier lüften können, der die rechtsgeschichtlichen Grundprobleme alter Epochen verhüllt.

Für die allerdings nicht mechanisch eingehaltenen, zeitlichen Grenzen war die Gestaltung der Überlieferung massgebend. In dem Umstände, dass ein Quellenmaterial gedruckt oder ungedruckt ist, liegt zwar kein sach- licher Grund für die Wahl der Zeitgrenzen. Doch muss man begreiflich finden, dass M. das ungedruckte Material nicht verwertete.

Territorial umfasst die Darstellung das westfränkische Reich, Deutsch- land und Burgund. Italien soll selbständig behandelt werden. Wenn M. die baskischen, bretonischen und slavischen Landschaften ausschloss, weil eine derartige Untersuchung die Kenntnis der Nationalsprache voraussetze, so ist diese Begründung triftig. Immerhin aber bleibt die Ausschliessung zu bedauern, weil das bunte Bild des Rechtslebens jener Staaten an Eigen- art einbüsst. Hingegen darf es wohl eine Unterlassungssünde genannt werden, dass auch das Staatskirchenrecht, das Kaisertum und die kirch- lichen Privatherrschaften übergangen wurden. In der Verfassung sind die realen Machtverhältnisse einer Gesellschaft rechtlich fixirt, alle Verfassung wird durch die gesellschaftlichen Machtfaktoren gestaltet und ist nur durch sie und in ihnen verständlich. Die Kirche nun ist der Machtfaktor xai' e^oyjT^v im Mittelalter. Durch zahllose Fäden mit ihr verknüpft und ver- woben, steht das ganze Volks- und Staatsleben unter ihrem Banne. Wer mittelalterliche Staatsgeschichte studirt, fühlt sich immer wieder versucht, ein bekanntes Wort in Cherchez 1' eglise zu variiren. Der Staat liegt nach der Anschauung jener Zeit in der Kirche, die sich des römischen Kaisers als des weltlichen Armes bedient, um die kirchlichen Grundsätze in ihrem Reich auf Erden zu verwirklichen. Von diesem Gesichtspunkte aus können Kirche und Kaiser aus dem Verfassungsbaue nicht ausgeschaltet werden, soll noch ein organisches Ganzes übrig bleiben.

Die Arbeit bezielt eine juristische Darstellung des Gegenstandes ; das Objekt soll von der rechtlichen Seite erfasst werden (II. S. 2). Dieses Beginnen ist des regsten Interesses der juristischen Kreise sicher, die auf dem Gebiete der Staatsrechtsgeschichte noch eine ausgedehnte Aufgabe zu bewältigen haben. Das germanische Recht bedarf überhaupt noch einer tiefen begriflflichen Durcharbeitung seitens der Fachjuristen. Nicht recht verständlich ist mir der Satz: »Zu allen Zeiten hat das Recht dieselbe Art, ist allgemeingültig und ausnahmslos«. Hat M. hier in Anwandlung naturrechtlicher Ideen ein abstraktes Vernunft- und ätherisches Idealrecht im Auge? Schwebt ihm die ewige Gerechtigkeit vor? Dann ist dem entgegenzuhalten, dass die Menschheit das »Recht« seit je viel realistischer und konkret gedacht, dass es, wie die Rechtsgeschichte lehrt, leider we- niger, nämlich nur Ordnung ist, die als solche auch »ungerecht« sein

478 Literatur.

kann^). Die UnvoUkommenheit der menschlichen Natur, der ungeheure Einfluss des Strebens nach Macht bewirkte, dass die im Ethos des inneren Menschen wurzelnde Gerechtigkeit nur langsam und allmählich si'jh in der ßechtsordnung Boden erobert. M. sucht überall das Tatsächliche, Poli- tische vom Juristischen loszuschälen. Dieser Leitstern bestiminte die cha- rakteristische Gliederung des Stoffes, die scharfe Scheidung von »öffent- lichem Recht* d. h. »jede Form der Untertänigkeit oder Herrschaft, welche von einem privaten Recht an der Person und dem Haus des Be- herrschten unabhängig ist^< (L S. X), »die im Reich und den einzelnen Gerichtssprengeln lokalisirte öffentliche Hoheit, der alle Bewohner des Staats- gebietes unterliegen« (H. S. l); und von »Herrschaft« d. h. »die Ge- walt privatrechtlichen Ur.sprunges, die sich im Hof und den Gütern der Herren lokalisirt, das Recht des Herren über seine Unfreien und über dje freien Genossen seines Hauses und seiner Wirtschaft« (H. S. ]). Vom juristischen Standpunkte kommt der Einteilung zweifellos fundamentale Bedeutung zu. Der juristische Gehalt der Verfassungsgeschichte tritt plastischer zu Tage. Trotzdem dürfte sich in anderer Richtung mehreres einwenden lassen. Schon die Bezeichnungen wollen nicht völlig befrie- digen. »Öffentliches Recht« scheint mir fürs Staatsrecht nicht charak- teristisch genug. Und »Herr« (Komp. von »helir*, ahd. her = alt, ehr- würdig), entstammt zwar vermutlich dem Verhältnisse der Untergebenen zu ihrem Brotherrn''^), dem patriarchalen Leben; aucli ist der Gebrauch von »Herr«, »Herrschaft« im M. 'sehen Sinne bekanntlich der alten und neuen Rechtssprache geläufig. Allein die »Herrschafts «-Terminologie spielt einst und jetzt ebenso im öffentlichen Recht eine Rolle, weshalb der Aus- druck gleichfalls nicht deutlich das charakterisirt, was M. sagen will. Klarer ist das in der Literatur verwendete, auch von M. vereinzelt (z. B. Vorwort S. IX) gebrauchte Wort »Privatherrschaft«, weil es den Gedanken auf Rechtsverhältnisse lenkt, bei welchen eine an und lür sich öffentliche Herrschaft privatrechtlich behandelt wird. Echtes Privatrecht (vom Stand- punkte der Jurisprudenz aus) gehört überhaupt nicht in die Verfassung, sondern nur RechtsbiLlungen, die ihi'er Natur nach staatsrechtlich sind, diese allerdings auch dann, wenn sie in einer Geschichtsepoche im privat- rechtlichen Kleide und gestaltet durch die Zwecke und Interessen Ein- zelner erscheinen, wie das in so ausgedehntem Masse in der alten Zeit der Fall war. Darum dürfte es sich empfehlen, statt »Herrschaft« sich des Wortes »Hoheit« zu bedienen, welches speziell der Sprache dos öffentlichen Rechtes angehört. Somit ist vielleicht der Vorschlag gerechtfertigt, die von M. gewählten Ausdrücke durch »staatsrechtliche Gewalt« und »Privat- hoheit« zu ersetzen. Doch bedeutsamer ist, dass eine solche Gliederung, wenn sie der Darstellung zu Gru.nde gelegt wird, Zusammengehöriges aus- einanderreisst. So musste z. B. das Recht der Stände, der Städte, der Gerichtsverfassung zerteilt werden. Das habe ich wenigstens als einen misslichen Umstand empfunden. Ferner mangelte dem fraglichen Zeit- alter sicherlich eine hinreichend genaue Vorstellung jener Scheidung, so

M Die Unfreiheit war ein Rechtsinstitut und kam doch von »unrechter walt. die man von aldere in unrechte wonheit getogen hevet, unde nu vore recht hebben wel* (Ssp. Ldr. Ilf. 42, § 6).

^) Kluge, Etymol. Wörterbuch d. deutschen Sprache'' s. v.

Literatur. 4.7Q

das« das Verfassungsbild durch letztere im Hinblick auf die Zeitanschau- ungen an Treue verlieren muss. Endlich bereitet die Zuteilung zur einen oder anderen Eechtsmasse bisweilen Schwierigkeiten und kann streitig sein. Aus diesen Gründen möchte ich mich lieber für eine andere Ein- teilung entscheiden. Auch eine Anordnung ohne solche Zweiteilung be- stattet ja die scharfe Prägung der juristischen Begriffe, die Herausarbei- tung der juristischen Gedanken, kurz die Entfaltung alles dessen, was die spezifische Tätigkeit des Fachjuristen ausmacht. Dessen ungeachtet ist Ms. interessanter Versuch verdienstlich und ist nur zu wünschen, dass durch diese wertvolle Anregung das Problem des streng juristischen Auf- baues der deutschen Verfaasungsgeschichte auf die Tagesordnung gesetzt würde.

Die Literatur verzeichnet M. relativ spärlich. Er ist auf die vor- handenen Publikationen nur da eingegangen, wo er sich mit ihnen aus- einanderzusetzen hatte oder wo ausführlichere Zitate dadurch zu ersparen waren. Die Behandlung der Literatur ist in der Kritik nicht unange- fochten geblieben. Doch wird ein ähnlich kürzendes Verfahren i) vielleicht später einmal eine freundlichere Beurteilung finden, wenn die immer stärker anschwellende literarische Produktion zu Beschränkungen im Zitiren drängen wird. Wichtiger als bei diesem Punkte zu verweilen, erscheint mir die Konstatirung, dass M. in löblicher Weise tunlichst bemüht war, seine Verfassungsgeschichte unmittelbar aus den Quellen^) aufzubauen. Da ist es nun freilich ein bedenklicher Umstand, dass noch so überaus viel Material ungedruckt ist und nicht benutzt werden konnte. Dazu gesellen sich naturgemäss zahlreiche Schwierigkeiten bei der Material- und Literaturbeschaffung, in Folge dessen die Erkenntnisgrundlage sich lücken- haft gestaltete. Das Werk erschöpft nicht seinen Gegenstand ; eine Eeihe von Fragen wird nur berührt oder bleibt unerörtert. Die Schwierigkeiten, die einer Publikation mit Thema und Tendenz der vorliegenden entgegen- stehen, sind heute überhaupt noch so gross, dass füglich behauptet werden kann, es sei etwas früh, an eine solche heranzutreten. Erst nachdem gründliche monographische Arbeit den Stoff im wesentlichen erschöpft hat, ist jene sichere Grundlage hergestellt, auf welcher der Zusammenfassung des Ganzen in befriedigender Weise näher getreten werden kann. Grösse und Hindernisse der Aufgabe wollen angesichts der Mängel des M.'schen Euches gut im Auge behalten sein. Zugleich fühlt man sich von hier aus veranlasst, den Mut und die Arbeitsenergie des Hrn. Vfs. nur um so mehr zu würdigen.

Im Hinblicke darauf, dass das literarische Leben von verletzender Überhebung und persönlicher Feindseligkeit leider nicht frei ist, verdient der vornehme Ton des Buches hervorgehoben zu werden, in welches jene hässlichen Erscheinungen keinen Eingang gefunden haben.

Ich werde nun in einer Skizze den eigenartigen Aufbau und Ge- dankeninhalt der M.'schen Verfassungsgeschichte vorführen. Der Stoff zer- fällt in drei »Teile«. Der erste beschäftigt sich mit dem »öffentlichen

») Bei der ersten Untersuchung eines Gegenstandes wird es nie am Platze sein.

2) Bei deren Zitirung aber oft genauere Angaben wünschenswert wären.

480 Literatur.

Recht* (erster Band), der zweite mit der »Herrschaft*, der dritte mit der »höchsten Gewalt«, worin öffentliches Kecht und Herrschaft zur Geltung kommen (zweiter Band).

I.

Der Staat ist eine Machtorganisatiun und wer ihn kennen lei'nen will, muss sich erst mit seinen Machtmitteln vertraut machen. Dieser Gedanke hat M. oft'enbar geleitet, da er im ersten Buche (S. l 138) »die Macht- mittel des Staates* schildert. Entsprechend ihrer ethisch-mystischen, wirt- schaftlich-sachlichen und militärischen Art unterscheidet M. den Untertanen- eid, die Abgaben und Regalien sowie die Militärhoheit des Landrechts. Durch die Verquickung staatlicher und kirchlicher Interessen, durch das Prinzip der Staatsreligion sind ausserdem noch spezifische Machtmittel der römischen Kirche in den Dienst des Staates gestellt. Der nur von den höheren Klassen dem König oder in Frankreich dem Grafen persönlich geschworene Untertaneneid ist die Grundlage des Gehorsams gegen den König und verpflichtet zur Unterstützung des Schwurherrn gegen alle. Auch letzterer leistet bei Erwerbung der Würde einen Eid. Von der ur- sprünglichen Heerbannnatur des Königsbannes schliesst M. auf eine mili- tärische Wurzel des Untertaneneides, der zuerst vielleicht der Treueid einer erweiterten Gefolgschaft war (I. S. 398), an die Eidgenossenschaften der volksrechtlichen Verbän le anschliesst und ihnen gegenübersteht und nicht aus dem römischen Rechte stammt. Im Kernpunkte bin ich zur gleichen Anschauung gelangt. Weil die altgermanischen Könige, soweit wir sehen, nicht Herrscher 1), sondern nur Zentralbeamte des in der Staatsversamm- lung organisirten souveränen Körpers sind, hat die älteste Verfassung für einen Untertaneneid keinen Raum. Doch ein Kriegereid spielte in jenen Staaten, die Kriegergenossenschaften 2) waren, wohl eine Rolle^). Ein solcher Eid entsprach auch du'chaus der Stärke der genossenschaftlichen Beistands- pflicht. Bemerkenswert ist die Bedeutung der Waffe als Berührungsgegenstand beim germanischen Eide. Alles spricht dafür, dass das älteste Königtum Heer- königtum war. Als solchem muss ihm eine gewisse Befehlsgewalt zugestanden haben^). Das Bedürfnis nach Unterordnung wird natürlich zuerst für das Kriegswesen empfunden. Der Königsbann hat vorzüglich eine militärische Wurzel. Schon sprachlich steckt in »Bann* vermutlich die Beziehung zum heiligen Zeichen des Kriegsgottes, Und was die gerichtliche Beziehung des Königsbannes anbelangt, so verstärkt sich für diejenigen, welche im

') Doch verdient Beachtung, dass nach Germ. c. 25 Freigelassene als könig- liche Günstlinge sich schon sogar über den Gebm-tsadel erheben konnten.

'■') Der genossenschaftliche Charakter dieser Verbände ist z. B. in dem be- rühmten Satze der Germ. c. 11 treflend gekennzeichnet: mox rex vel princeps, prout aetas cuique, prout nobilitas, prout decus beliorura, pvout faeundia est, audiuntur, anctoritate suadendi magis quam iubendi potestate. Der Sinn der Stelle ist bekanntlich sehr streitig. Allein in »prout aetas cuique* liegt nach der Eigentümlichkeit des Sprachgebrauches des Tacitus ein Fall des sog. Asyn- deton vor, und ist die Stelle so zu verstehen: mox rex vel princeps et prout etc (»und dann überhaupt jeder*); auctoritas und potestas beziehen sich wieder nur auf rex vel princeps.

■■'j Bei einigen Stämmen, z. B. bei den Goten ist er quellenmässig bezeugt,

"*) Germ. c. 43 : et erga reges obsequium.

Literatur. ,q^

Ziu Thingsus eine Gorichtsgottheit erblicken, der militäriscbe Zwr no.-li der auch dem gerichtlichen Friedensbanne anhaftet. Aus einem Heerschwur durfte der spätere Untertaneneid hervorgegangen sein. Im Treugedanken der beide verbindet, ist das herrschaftliche Moment an Stelle des genossen- schaftlichen entscheidend geworden. Das letztere klingt aber in° der Ge- genseitigkeit des Eides, im Eide auch des Schwurherrn, immer noch nach. Das Gepräge des Gefulgschaftseides beim späteren Untertaneneide möchte ich aus seiner militärischen Wurzel erklären. Damit will jedoch nicht für ausgeschlossen hingestellt werden, dass dem römischen Rechte, welches einen vielleicht auf gleicher Grundlage erwachsenen allgemeinen Unter- taneneid gekannt hat»), gar kein Einfluss auf die germanische Entwickelung beizumessen sei. Als direkte .Abgaben erörtert M. den Königszins, die AbgaVien unterworfener Völker, römische Steuerreste, öffentliche'' Frohnden und Bede, Creditio und Gewerbesteuer. Dazu tritt ein Kapitel »Umsatz- steuern« (Zoll). Einer originellen Mee, die mit Ms. Anschauungen über die alten Wirtschafts- und Standesverhältnisse zusammenhängt, begegnen wir über den König.^/.ins. Der ordentlichen Jahresbede, verschieden nach Zeit und Ort und gleichbedeutend unter anderem mit der Gerichtsteuer, steht eine festbegrenzte, öffentlichrechtliche Abgabe gegenüber, in fränki- scher Zeit als Königszins, später entweder gleichfalls als Steuer an den König oder als Schatz, Vogtrecht, Grafenschuld u. ä. bezeichnet. Sie ist ein Kopfzins der gemeiafreien Leute und wurzelt in einer uralten Abgabe an den Häuptling der herrschenden Sippen, der in ihrem Namen Ansiede- lung und Rodung erlaubt (s. auch I. S. 424). Die herrschende Klasse der Ethelinge, Franci, Erfexen, Schöffenbarfreien ist steuerfrei. Des Problema- tischen der Idee ist sich M. wohl bewusst, indem er einen direkten Beweis für unmöglich erklärt. Einerseits bestehen Schwierigkeiten. Eine solche liegt darin, dass die Deutung von »frei« als :^ steuerfrei « im einzelnen Falle anfechtbar ist. Auch möchte ich Tatsachen, wie der, dass in Deutsch- land und Frankreich, die Bezeichnung »Königszins« anzutreffen ist, keinen Beweiswert beilegen, weil leicht Abgaben verschiedener Wurzel diesen wenig individuellen Namen führen können. Der bretonische Königszins z. B. kann ganz gut der Tribut sein, von dem die Ann. Einh. 7S6 reden. Entscheidend ist nicht, dass ein Königszins im Finanzrecht des fränkischen Zeitalters vorkommt, sondern dass sich Haltpunkte ergeben, welche dessen Entstehung aus einer vorfränkischen Freienabgabe an die Vertreter der herrschenden Klassen wahrscheinlich machen. Hier aber ist doch zu be- denken, dass Tacitus (Germ. c. 15) die Freiwilligkeit der Gaben betont und in c. 43 daraus, dass Völker »tributa patiuntur«, auf deren nicht- germanische Abstammung schliesst. Freilich wird man mit der Verschie- denheit der Verhältnisse rechnen müssen. Andererseits gabs nämlich z. B. in Norwegen eine Kopfsteuer nefgild, deren Einführung die Sage gar Odin zuschreibt. Doch ist wieder sehr zweifelhaft, ob diese Abgabe für Ms. Annahme von Belang ist. Allerdings ist für die älteste Zeit die Frage nach den gesellschaftlichen Machtverhältnissen, wobei das ökonomische

'j Einen neuen sehr interessanten Beleg bildet die in Paphhigonien auf- gefundene, von CuiQont veröffentlichte griechische Inschrift betreffend den Hul- digungseid, welchen die einheimische und römische Bevölkerung im J. 3 v. Chr. dem Kaiser Augustus leistete.

482 Litenitnr.

Moment stets eine bedeutsame Rolle spielt, eine offene, und das wirt- schaftliche Übergewicht herrschender Klassen tritt auch in Abgaben der wirtschaftlich Schwachen zu Tage. Tatsächlich steht M. mit seinem Wider- spruche gegen die landläufige Meinung, dass den Germanen oflFent liehe Abgaben unbekannt gewesen wären, nicht allein, obschon man sonst eine Kopfsteuer in Abrede stellt. Die "Wissenschaft tut jedenfalls gut. Ms. Gedanken einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Allmählich bildete sich die Eechtsüberzeugung heraus, dass durch Schenkung des Königszinses auch die steuerpflichtige Person veräussert werde. Und letztere konnte das steuerbelastete Grundstück nur gegen Handlohu übertragen, so dass dieses als Eigentum des Steuerempfängers angesehen wurde. Indem der Königszins in lefzter Instanz vielfach durch den Grafen erhoben ward, erreichte gewöhnlich der Inhaber der Grafengewalt »Laudesherrlichkeit«, und machte er den Grund und Bo<len zur »terra comitalis*; in der Graf- schaft gab es grundsätzlich für den GemeinfVeien kein AUod: nulle terre Sans seigneur. Mit AUod wurde jetzt unter Beschränkung der Anwend- barkeit des Begriffes der steuerfreie Besitz bezeichnet. Das Handgemal heisst praedium libertatis und umgekehrt erscheint das steuerfreie Besitz- tum als Handgemal. Unter »Abgaben unterworfener Völker« spricht M. von den bairischen Barschalken und den Liten, woraus schon seine Auffassung dieser Klassen erhellt. Die Barschalken sind ihm die älteren Einwohner des eroberten Landes '), ebenso die Liten der anderen deutschen Kechte, Inhaber selbständiger Bauernwirtschaften, welche, vielleicht neben einer Staatssteuer, Zins an den privaten Herrn zahlen. Später (II. S. 29) erklärt M., dass vielleicht nicht überall das Gleiche unter Liten verstanden wurde: hier alle auf selbständigen Höfen angesiedelten, abhängigen Per- sonen, auch die gänzlich unfreien, dort vielleicht nur die ehemals freien Bauern aus unterjochten Völkern, die Herren zugewiesen wurden, a))er auf ihrer Hufe blieben. Das Litenproblem, welches ich zu den bedeutsamstem der Ständegeschichte zähle, bedarf einer eingehenden .Untersuchung, beson- ders der hervorragend interessanten sächsischen Verhältnisse. So ver- schieden sich die Lage der Liten im einzelnen Falle gestalten mochte: jedenfalls waren sie nicht Leibeigene und insoferne Freie. Man streitet über das juristische Wesen der Unfreiheit^), dessen Klarstellung gerade hier von entscheidender Wichtigkeit ist. Solange man von der subjektiven Rechtsstellung ausgeht, wird man indessen nie einig werden. Der ger- manische Unfreiheitsbegriff verlangt vielmehr gebieterisch die Berücksich- tigung jenes der Theorie der subjektiven Rechte unbekannten Zweckver- hältnisses, welches die Grundlage der subjektiven Rechte bildet. Dieses

') In der Begründung verwertet M. auch die alten Rechtsdeukmäler Salz- burgs, wie den Indiculus Arnonis, worin sich die Bevölkerung von Tittiiioning in exercitales und barsealci gliedert. Der exercitalis ist nach M. nicht der hil- tiscbalk, sondern der Freie überhaupt. Der Begriff umfasst aber auch bloss die nobiles, worunter bald alle Steuerfreien, bald nur eine höhere Klasse derselben verstanden wurde (s. auch S. 414). Ich mache aufmerksam, dass für die Deutung von nobilis und seine Beziehung zu Waftenrecht und kriegerischem Wesen mit Nutzen das Recht der .Edlinger« -Bauern Karantaniens herangezogen werden kann, welche m. E. waftenberechtigte Freibauern waren. Die älteste mir bekannte Urkunde über Edlingergut (i. 1015) spricht von »hobae nobiles*.

2) S. Brunuer, Deu+sche Rechtsgeschichte i. S. 103.

Literatur.

483

sich als Anwendung des objektiven Rechtes darstellende Reelitsverhältnis wird in der dogmatischen Literatur vereinzeint vertreten und ist heute (legenstand erhöhter Aufmerksamkeit. Von hier aus ist die Unfreiheit begrifflich Zugehörigkeit zu einem Herrn nach Art des Eigentums im Sachenrecht; sie macht den Menschen zum Rechtsobjekt, daher der Unfreie ursprünglich nicht lechtsfähig, nicht Rechtssubjekt ist. Das rechtliche Aufsteigen der Unfreien besteht in der Erlangung und Mehrung der sub- jektiven Rechte unter Beibehaltung jenes Gx'undverhältnisses^), wogegen der rechtliche Niedei-gang der Freien eine Abbröckelung ihrer Rechts- subjektivität ohne Begründung der Leibeigenschaft bedeutet^). Treflend betont M. die bäuerliche Lebensweise des Liten. Ebenso ist der Gedanke einer verschiedenen Wurzel des Standes erwägenswert. Ich glaube, dass insbesondere die Meinung, wonach in einem Teile der Liten nicht un- wahrscheinlich verarmte freie Volksgenossen zu sehen sind, diskutirt zu werden verdient. Dass Teile des Volkes der Verarmung anheimfielen, d ese Annahme kann für ein Zeitalter, dem Hang zu Gewalttat und Mangel an Gemeinsinn 3) den Stempel aufdrücken, keinen Bedenken begegnen. Viel- leicht handelt es sich Germ. c. 2.5 auch um solche Leute. Denn man darf zweifeln, ob die Kolonen dieses allgemein sprechenden Kapitels aus- schliesslich Unfreie waren. Manche Erscheinungen, wie der Terminus »Schalk <<•*), sprechen nämlich dagegen, dass es letzteren ganz gewöhnlich so ausnehmend gut gegangen sei, während das hier geschilderte begrenzte'') Abhiingigkeitsverhidtnis auch auf freie Kolonen vortrefflich passt. Der Stand ist zunächst noch nichts Rechtliches, sondern etwas Tatsächliches, zum guten Teile bedingt durch die wirtschaftlichen Kräfte, welche wieder die Lebensweise beeinflussen. Dieselbe hat nicht nur später, sondern wohl schon irn Taciteischen Zeitalter eine nicht untergeordnete Rolle in der Standesentwickelung gespielt. Höhere, nicht bäuerliche Lebensweise lässt emporsteigen. Das hat neuestens R. Sohm in seinem geistreichen Aufsatze über die liberti des c. 25 der Germania gezeigt*^). Geht man den Weg, den Sohm nach oben gegangen, nach unten, so ergibt sich der Satz: nie- dere, der Feldarbeit gewidmete Lebensweise lässt herabsteigen. Vielleicht ist der Gesichtspunkt der Lebensweise für die Untersuchung der Liten- Frage nicht ohne Wert.

Das Kapitel »Regalien « beschäftigt sich mit den Bannrechten auf Hochjagd 7),

') Es bewirkt, dass der Unfreie noch immer wie eine Sache veräussevt werden kann.

2) lusofcrne sind die StanLJesverhältnisse auch für die Dogniatik des Sachen- rechtes lehrreich.

"] Das ist die Jibertas* der Germanen, wie deutlich z. B. Genn. c. 11 beweist.

^) Er kennzeichnet den Knecht als von böser Art. Der brutalisn-te Mensch neigt zu Hinterlist und Verbrechen.

6) .et servus hactenus paret«. ") Ztschr. f. RG. XXI. S. 20 ti.

') Sie liegt nach M. S. 86 N. 2 im Worte forestis. , Forst- hänge vielleicht mit dem nord forad (= Ungeheuer, grosses Tier) zusammen. Ich konnte Belege für diese Bedeutung im Skandinavischen nicht finden. Forestis begegnet schon in einer fränkischen Königsnrkunde 556. Aus dem Nordischen kann es da wolil nicht übernommen sein, und im Ahd. fehlen Zeugnisse für Ms. Annahme. Die Ableitung aus dem lat. foris , ausserhalb «■ ist gut denkbar, wenn man die be- deutung des Latein in joner Zeit erwägt und gewahrt, wie toris m der lat. Rechtssnrache der Germanen auch sonst oft begegnet. Vgl. tonsbannire,

^Q^ Literatur.

Rodung und Fossilien'), mit dem Münzregal 2), dem Kecbt an herrenlosem Gut und dem Fremdlingsrecht. Die den militäris('hen ■Machtmitteln gewidmeten Ausführungen hringen einiges über die allgemeine Kriegs- pflicht^) und das Befestigungsrecht.

Das Ziel der mit diesen Machtmitteln arbeitenden Herrschaft ist die Kechtsprechung, eine vielgestaltige Unterwürfigkeit der Beherrschten be- wirkend. Von ihr handelt das zweite Buch (S. i;}8— 284), ohne das Objekt vollständig schildern zu wollen-*). Wenn M. die Strafgerichtsbar- keit in den Vordergrund rückt, so ist das berechtigt. Aber die Ausbildung eines strengen Strafrechts möchte ich doch nicht als »die« staatliche Ar- beit des MA. bezeichnen, weil der Staatszweck ein weiterer ist. vVuch vermag ich die Rechtsprechung nicht als Kechtschöpfung anzusehen. Theore- tisch ist m. E. der objektive Rechtssatz und dessen Anwendung aus-, einanderzuhalten. Die Urteilsfindung ist Rechtsanwendung, obzwar dies in Zeiten ungeschriebenen Gewohnheitsrechtes iiusserlich oft nicht hervor- tritt. Der Begriff der Rechtsanvvendung ist für die Rechtskonstruktion zu wichtig, als dass man ihn missen könnte. M. verbreitet sich hier aus- schliesslich über das Strafverfahren. Er erörtert den Betrag des Bannes und seine rechtliche Natur^). Daran schliesst sich ein Kapitel über die Blutstrafen. Wie der Handfriede, so fussen Land- und Gottesfriede auf dem eidlichen Gelöbnis. Der Friedenseid knüpft wahrscheinlich, wie an den Handfrieden, so auch an den Untertaneneid an. Das Neue des Gottes- friedens liegt in der Erzwingung des allgemeinen Eides durch die Kirche, welche das königliche Recht auf den Untertanen- und Friedenseid an sich

forisfacere, forisfactura, forisjurare, forismittere. Lehnt man trotzdem den lat. Ursprung ab, so würde ich der Erklärung in Grimms Wörterbuch s. v. vor der Ms. jedenfalls den Vorzug geben.

1) Das französische Recht bringt Edelmetallfunde unter den Gesichtspunkt des Schatzes. In Deutschland (Harz) hängt das Bergregal mit dem Wildbann zusammen.

-') Seine Rechtsform wird durch die ausschliessliche Befugnis zur Münz- prägung und durch die Kontrolle der umlaufenden Münzen seitens der öflPent- lichen Gewalt bestimmt.

3) Konstruktion: Der mit der allgeiiieinen Wehrpflicht zusammenfallende und auf einem Besitzmass radizirte Panzerreiterdienst ist zeitlich begrenzt, was in den beschränkten Verhältnissen germanischer Kleinstaaten wurzelt. Daneben steht der nicht beschränkte Vasallendienst. Der Gegensatz verliert sich mit der "Ausdehnung der Koramendivung der grösseren Besitzer.

*) Eine solche Schilderung wäre in einem verfassungsgeschichtlichen Werke auch nicht am Platze, weil nur die leitenden Grundsätze dieser Materie zur \'erfassung gehören. JSonst kann m. E. einer möglichst erschöpfenden Behandlung nicht genug das Wort geredet werden, weil sie viele Irrtümer verhüten kann.

5) Die kleinere Emenda (Wette) T'/o, 7 sol. fasst M. jetzt nicht mehr als Komposition, sondern als Unterliegensstrafe, d. h. sie ist die Normalstrafe an die öffentliche Gewalt, die aber nur verwirkt wird, wenn der Beklagte es zur Beweisführung kommen Hess. M. kommt in diesem Zusammenhange auch auf das arramire, wadiare zu sprechen. Das ist der Bürgschaftsakt der Person, worin das älteste Stadium der Personenhuftung, die Geiselschaft, symbolisch zum Ausdrucke gelangt. Es ist nicht eine .Verpflichtung* (S. 155) im heutigen Sinne, sondern Haftung im Sinne des Einstehens. Wenn M. von emer »Verpflichtung durch Pfandbestellung' spricht, so beruht dies auf dem nicht-deutschen Ge- danken, dass die zwangsweise Durchsetzung durch Vollstreckung zum Wesen der rechtlichen Schuld gehöre.

Literatur. ._„

485

urgun- wecjen

gezogen Wegen der geringeren Gewalt des französischen und h dischen Königtums, wegen der höheren französischen Kultur und we^ei des Aufschwunges des rehgiös-sittlichen Bewusstseins in Fol^e des Auf- ü-etens der Clumazenser ist der Gottesfriede gerade in Frankreich und Burgund entstanden. Um die Frage zu beantworten, wie die schwereren Gewalt.atigkeitsverbrechen unter den Königsbannn kommen, zieht M nun auc-h die ubngen Kriminalverbrechen heran. Königsbann und Todes'strafe sind schon vollkommen differenzirte Strafen. Das ursprünglichste und allgemeinste Straf- und Vollstreckungsmittel aber bildet die Fried losi^keit deren negative Seite die Entziehung des Rechtsschutzes und erlaubten Verkehres ist, während die positive Wirkung in dem Angriffe auf Person und V^^ögen des Friedlosen seitens der Obrigkeit oder der Gesamtheit besteht 1). Im Strafverfahren richtet M. das Augenmerk auf die Beein- flussung der Privatklage durch den Offizialprozess, auf das amtliche Ein- schreiten bei notorischem Delikt und Emendae, auf Inquisition und Rüo-e2) sowie auf das Verfahren gegen schädliche Leute. Für letzteres ist m" zu Ergebnissen gelangt, welche die Sätze der grundlegenden Untersuchung V. Zallingers im wesentlichen bestätigen 3). °

Sehr eigentümlich sind Ms. Anschauungen über die öffentlichen Ver- bände, die uns das reichhaltige dritte Buch vermittelt (S. 284—554) Die Darstellung scheidet die römischen und germanischen Elemente Im Recht der öffentlichen Verbände sieht M. noch ein bedeutsames Stück römischen Rechtes erhalten. Ihm ergibt sich ^mit voller Sicherheit« (S. 80 4) die Fortdauer der römischen Kommunal Verfassung. Das heute herrschende »Dogma* wurzle in der einseitigen Berücksichtigung der deutschen Römerstädte und in der Ignorirung des Westens. Erhalten geblieben sei die Konsulatsverfassung mit dem Viererkolleg*), der defensor, curator, magister militum, capitulum und capitularii (Stadtvorstand), der Satz über die Te.lung der Gefälle zwischen comes civitatis und Zentral- verwaltung. Ich muss mich den Bedenken anschliessen, die Uhlirz^) gegen-

1) Zu sermo regis S. 211 N. 47 ?. jetzt Sohm (Sievers) in den Ber. d ko-1 Ges. d. W. zu Leipzig, April 1901. Die hier gegebene Erklärung halte ich Für unantechtbar. , Vervesten« bringt M. S. 211 N. 48 mit dem Veste-Gericbt zu- sammen. Ob aber nicht beide auf vestea == iestnebmen (Schiller-Lübben, Mittel- niederd. WB. s. v. v. vestenen, vesteii, vorvesten ; auch Lexer, Mittelhochd. WB. s. V. V. vesten, vervesten, vestenen) zurückgehen? Vielleicht hat aber das »festigen« hier den Sinn von »geloben«, weil z.B. Richtsteig Ldr. 41, § 4 »vor- vesten« und »vorloven^ im selben Sinne gebraucht und dafür die Form »mit vmgeren unde mit tungen« vorschreibt (s. auch Rechtsb. nach Dist. IV. 20. 21). Der Sinn wäre dann: jemanden preisgeben durch das Gelöbnis, ihn nicht zu schützen. Zu S. 214 N. 60 (Stabbrechen) s. jetzt v. Moeller in der Ztschr f. RG. XXL S. 27 ff.

2) Hier ergaben sich M. drei Typen : Geltendmachung des Königsbaunes durch den Grafen und daher eventuell Vornahme einer Inquisition durch ihn; Geltendmachung durch den Grafen, allein Abnahme der Rüge durch das Unter- organ ; Unterorgan Richter über die vor ihm gerügten Bannfälle. So erlangt das Unterorgan eine neue Stellung in der Gerichtsverfassung.

^) In Einzelheiten finden sich Abweichungen. So wendet sich M. gegen die Unterscheidung zwischen der stillen Frage des deutschen und der stillen Wahr- heit des flandrischen Rechtes.

*) Es stammt aus der römischen Munizipalverfassuug, auch da, wo ihm deutsche Namen, wie scabini, Heimbürger, Rat gegeben werden. S. 297.

^) S. 255 ff. S. auch Stutz S. 151 ff.

^Qg Literatur.

über dem Vorgehen und den Ergebnissen Ms. ausgesprochen. Hier muss jede einzelne Erscheinung genau nach Ort und Zeit geprült werden, und ich halte es für höchst gefährlich, aus üusserlichen Dingen weittragende Schlüsse zu ziehen. jVuch ist sehr zu berücksichtigen, dass gleiche Be- dürfnisse leicht zu gleichen Gestaltungen führen. Speziell betreffend das Viererkolleg dürfte zu beachten sein, dass die Vierzahl im deutschen ßechtsleben von Haus aus eiae gewisse Rolle spielt i). Werke, wie Kieners Verfassuugsgeschichte der Provence, können die Bedenken nur verstärken. Die römische civitas hat nach M. auch rechtlich die Grundlage für die mittelalterliche Kommune gebildet. Komische!! Kecht lebt fort in den mittelalterlichen » Senatoren«, in den Amtsleuten, »die ihr Amt verdient haben «^), im Rat der Hundert (oder einer ähnlichen Zahl), in der öflFent- lichen Beurkundung, in den Schöffen als den Nachfolgern der honorati sedentes, im Konsultitel, in der mittleren Gerichtsbarkeit und in der Ver- waltung der Munizipalbehörden, in dem ursprünglich stets zweifach be- " setzten Bürgermeisteramte, welches auf die Aedilen zurückzuführen sei, in dem aus dem defensor hervorgegangenen Stadtvikare, vielleicht auch im clavarius oder claviger des südfranzösischen Rechtes, der möglicher Weise auf den curator (pater) zurückgeht, im Notar und Advokaten des roma- nischen Westens, im bischöflichen Einfluss auf die Kommune, in der Ge- richtsbarkeit mit Ausschluss der Blutgerichtsbarkeit, in der Stadtherrschaft des Bischofs. Zum besseren Verständnisse des Späteren folgt nun eine Skizzirung der Stände in den Städten der spätrömischen Zeit (posses- sores, Kautleute, Handwerker) und anschliessend eine Schilderung der mittelalterlichen Handwerkerverhältnisäe, zunächst Südfrankreichs (öffent- liche confratriae, usatici), dann des Nordens (Handwerkerverbände öflent- lichrechtlich, Handwerkerabgaben). Das Handwerkerrecht des Nordens und Ostens ist im wesentlichen gleich dem im Süden (Gliederung in Zwangs- verbände, Unterstellung unter die Behörden der römischen Stadtverfassung, besondere Gewerbeabgaben und Frohnden an die öffentliche Gewalt, eid- genossenschaltlicher Charakter und Autonomie der Verbände). Hingegen gelangten Kaufleute und Grossgrundbesitzer in neue Verhältnisse: erstere traten in die Hanse, das Königsgesinde ein; letztere wurden Ritter. Der fränkische Comes ist der direkte Nachfolger des militärischen comes civi- tatis. Ihm untersteht für die einzelne Civitas der iudex mit Prozess- leitung und Entscheidung^). Den Schluss der »römischen Elemente« bilden

1) Vier Gerichte (vier Stunden, Pflichttage, Jabrdinge), vier Gericbtsbäake, Viertelgericht in Fiiesland, »Viertel' = Bezirk (Stadtviertel!), vier Stände, vier Hofämter, vier legislatores bei der 1. Sab, vier Orte, W?nde, Mauern, Ecken, Wege, Pfahle, Steine, Stäbe, Pfennige (häufige Abgabe), vier in der Fvistbestimuiung, im Ausmass der Prügelstrafe, vierteilen. S. das Betreffende in Grimms Deutschen Rechtsaltertümern.

2) Der Gedanke, dass Personen, die ein Amt bereits bekleidet, eine ent- scheidende Stimme haben, liegt sachlich so nahe, dass er sich leicht auch ohne fremde Beeinflussung gebildet haben kann.

3) Der Grafschaftsiudex ist identisch mit dem Ende des 14. Jahrb. begeg- nenden iudex Ordinarius, dem iudex der Seneschallie, dem aragonischen insticia major, den vicarii oder iudices für einen ganzen Komitat oder eine ganze civitas (Languedoc), den potestates der usatici, dem gotischen iudex, praepositus, vica- rius civitatis, dem Vertreter des civilen rector provinciae für die civitas, dem iudex

Literatur. iQt,

Ausführungen über Vicarius, Vicecomes und Castellanusi). Den römischen stehen che germanischen Elemente gegenül)er. Hier spricht M. von der Gerichts- und Schöfienverfassung, von Adel und Gemeinfreien von der Hundertschaft, von den höhereu Verbänden, von der Ortsgemeinde und der Bruderschaft. Unter den Verhandlungsgegenständen der Volksver- sammlung steht zuerst die Gerichtsbarkeit. Über Blut und Eigen richteten nicht die Schöffen, sondern die Vollgemeinde. Zum Blutgericht wurde die Gemeinde ausserordentlich zusammenberufen. Daneben bestanden von jeher ein für allemale angesetzte Versammlungen-^). Die ursprüngliche Gestaltung: Unterscheidung von ständigen und wegen eines Einzeffalles ausdrücklich zusammenberufenen Gerichten, ist im fränkischen Reichsrecht überwunden. Das Recht des Verletzten, die Genossen gegen den Ver- brecher aufzubieten, schwand, die Zahl der Vollgerichte ward beschränkt, der Hundertschaftsrichter von der Blutgerichtsbarkeit ausgeschlossen. Alle anderen Vollgerichte sollten zu Gunsten der Grafengerichte beseitigt werden. M. betont die zweifellos sehr massgebende Tendenz des fränkischen König- tums, die gräfliche Stellung in der Gerichtsverfassung zu stärken (S. 378). Auch die Gesetzgebung knüpfte sich ursprünglich überall an die Volksge- raeinde. Das Märzfeld war die Versammlung der Franci der civitas oder Grafschaft. Daneben stand das vom Adel, den alten Hundertschaftsfamilieu besuchte königliche März- und Maifeld, wo die hofrechtlichen Gesichts- punkte entscheidend wurden. Die Gesetzgebung ist juristisch noch immer an die Grafschaftsversammlung geknüpft. Wenn in nachfränkischer Zeit eine Gesetzgebung für die Grafschaft begegnet (Veibindung mit den As- sisses, deutsche Territorialgesetzgebung), so ist das nichts Neues. Das Urteil der Vollgemeinde wurde mit der Zeit durch das Schöffentum er- setzt. — Die bereits S. 307 vorgenommenen Ergebnisse über das Schöffen- tum sind folgende: Es ist zwischen Grafschafts-, Hundertschafts- ^) und Gemeindeschöflen zu unterscheiden. Im Worte liegt bloss der ständige Urteilsfinder gegenüber dem im konkreten Falle aus der ganzen Gerichts- gemeinde genommenen Urteilsfinder. Weder Lebenslänglichkeit noch obrig- keitliehe Ernennung entscheiden für den Begriff, das Amt kann auch vor- übergehend auf Grund einer Wahl bekleidet werden (Hundertschafts-, Gemeindeschöffen). Möglicherweise sind die Schöffen begrifl'lich und sprachUch die »stulfesten«, die »sitzenden« (rachinburgi sedentes)^). Nach M. fehlt

deputatus des BurgundeiTechte>?. S. gegen dieses Vorgehen mit »Gleichungen* Uhlirz S. 260.

') In Deutschland und Frankreich treten besondere Burgbauverbilnde hervor, die dem öffentlichen Recht angehören. Für da.s Verständnis des mittehilterlichen Burgenwesens ist m. E. der Uesichtspunkt wichtig, dass die Burg auch ein ge- waltiger Machtfaktor nach innen war.

2) Die Fristen von sechs Wochen und vierzehn Tagen stammen nach M. aus der Jäger- und Hirtenzeit der Germanen, »nicht die einzige Spur, welche diese Periode im deutschen Recht hinterliess^ (S. 373). Hieher gehört m. E. z. ß. auch, dass das Zug- um -Zuggeschäft im Vordergrunde des alten Geschäfts- lebens steht.

') Zur Erkundigung über die Gerichte des Herzogtums Berg (S. 393) s. v. Below in der Histor. Ztschr. N. F. LEI. S. 93.

*) M. S. 404 N. 89 will das Wort nicht mit dem Verb, scapan, sondern eher mit dem Subst. scap (erhalten in »schatt«) zusammenbringen. Schöffe wäre dann die Parallelbildung zum nord. domari. Es könne aber auch die Verwandt-

488 Literatur.

jeder Anhaltspunkt für eine »Einführung* der Schöffen durch Karl den Gr. Sie entstammen den Ethelingen des Volksrechtes, den Hundertschafts- familien. Zunächst sind die Schoflen für die, auch Familien- und Erb- rechtssachen befassende, Imraobiliargerichtsbarkeit in die Vollgerichte ein- gerückt; später begegnet die Hochgerichtsbarkeit. Was speziell die säch- sischen »Schüff"enbarfreien« betrifl"t, so ist M. seinen früheren Ansichten ^) nicht durchaus treu geblieben. So versteht er jetzt gleich v. Zallinger den Schüöenstuhl als Schölfenamt-), nicht mehr als ein Minimalmass (3 Hufen) freien Eigens, was angesichts der klaren Sprache des Ssp. (Ldr. II. 12, § 13; I. 51, § 4 N. 22) und der bildlichen Darstellung des Schöff"enstuhles (s. zu Ldr. III, 2(), § 3) unhaltbar war. Hingegen hält M. auch für diese Partie an der unbedingten Zuverlässigkeit Eykes fest. Der Spiegier n'ennt die Schötfenbaren, in denen der alte Volksadel steckt, »Freie*, weil das Gut des Schüff"en steuerfrei ist ^). Der nach agnatischem Erstgeburtsrecht vererbende Schüftenstuhl weist auf ein dauernd überti'a- genes Amt als Familienbesitz. Nur derjenige kann Urteil finden, der auf dem Schöffenstuhl sitzt, aber nicht nur der kann auf ihn gesetzt werden, der ihn ererbt hat. Auch in Sachsen ist, wie in Franken und Baiern, der Prozess eingetreten: dauernde Ernennung der Schoflen, dann erbliche Verknüpfung mit bestimmten Familien, schliesslich Besetzung der durcli Aussterben der Familien vielfach vakanten Schöftenstühle von Fall zu Fall. Für den einzelnen Fall wurden die Schöffen aus den Schöffenbarfreien genommen. Aber bei" der Besetzung von Fall zu Fall hat man sich auch in Sachsen nicht mehr an bestimmte Familien, sondern an die Ritter über- haupt gehalten (S. 399 fi".). M. E. hat »frei« im fraglichen Terminus ^) nicht den Sinn »steuerfrei*, sondern bildet wie im Lehnr 24, § 8 den Gegensatz zum Eigeumann. Darum werden Ldr. I. 2, § 1 unter dem- selben Begriff" der vriheit auch die Landfassen subsumirt^). Das wird durch die Kennzeichnung der Schöffenbaren als eines freien Geburtsstandes in IL 3, § 2 bestätigt. S. auch III. 54, §1. Wäre dem nicht so, dann würde übrigens Eyke doch wohl zuweilen klar ersehen lassen, dass er hier an die Steuerfreiheit des Gutes denkt. Die von M. zum Beweise

sebaft mit scaranum nicht von der Hand gewiesen werden, welcher Stamm in Schaft' (oder Schaftj-Gestell wiederkehre. Die Bildung scabio oder scabino vom Staruaie scap wäre vollkommen korrekt und würde den Beisitzer bedeuten. Dass der Stuhl das Amt charakterisirt, ist zweifellos. Das Sitzen soll wohl den Über- legenden kennzeichnen. Bedenken erweckt jedoch der Umstand, dass die Worte, welche auf die von M. angenommene Wurzel zurückgehen, für den SchöfFenstuhl nicht passen. Auch »Schemel* kann er nicht genannt werden. Ich glaube, dass das Wort doch am besten mit germ. skapj an = »schaffen, ordnen, be- stimmen*, zusammengebracht wird. »Schöffe* wäre dann vielleicht nicht so sehr der »Verordnete* (Kluge), als der »Ordnungsmann* (Recht ^= Ordnung).

•) Münchener Krit. Vjschr. XXXI. S. 162 ft".

'■') Die Schött'enwürde verkörpert sich im Stuhle, weshalb auch eine künst- lerische Ausführung desselben begegnet. Reichgeschnitztes Schöff'engestühl z. B. in niederländischen » Vierschaaren*.

3) Darum ist das »Handgcmal* bezeichnend für den Schöffenbarfreien.

■*) Denselben Sinn hat das einfache »schöß'enbar* : Ldr. I. 2, § 1 ; III. 45, § 1.

^) S. 479 N. 27 macht M. die richtige textkritische Bemerkung, dass wegen des Zusammenhanges mit diesem § in § 2 die Leseart die zutreffende ist, welche von der Dingpflicht der »scepenbare* spricht, nicht die in den Text aufgenom- mene Variante »scepenen*.

Literatur. Anq

herangezogene bekannte Walkenrieder Urkunde v. 1214, welche v. Zal- linger, S. 222 ff. Note, ausführlich besprochen hat, besagt, wie ich glaube, nur, dass es Personen von höherer gesellschaftlicher Stellung mit steuer- freiem Grundbesitz gab und dass ein solcher, Eckehard von Livenrode, ständiger Schöffe im öffentlichen Landgericht war. Hinsichtlich der Worte j,qui insigni gaudebat libertatis titulo et qui in foro iuris unus erat sca- binorum« aber scheint mir folgende Deutung gut denkbar: dieser E. war schon damals Ministeriale •) ; der erste Teil des Satzes geht auf den Vorbe- halt der Schöffenbarkeit, die ja von Haus aus ein hervorragendes Freiheits- kennzeichen war 2), und die Worte »et qui« etc. geben nur an, worin dieses Freiheitskennzeichen bestand. Sonach wäre E. hier als ein »Schöffen- barfreier« deklarirt in dem Sinne, dass er in der Richtung der Schöffen- barkeit noch Freier blieb, während er sonst Dienstmann geworden war. Ebensowenig vermag ich M. in seinem Urteile über Ldr. III. 81 zu folgen (S. 40Ü N. 65). Eykes Angabe widerstreitet der bewiesenen Tatsache, dass schon damals Ministerialen als Schöffen dienten. Für die Interpretation von Ldr. II. 12, § 13 ist zu beachten, dass nach diesem §in erster Linie nur »der zu den Bänken Geborene", der Erbschöffe zum Urteilfinden berufen ist, der Schötfenbarfreie, der zu den Bänken nicht geboren, zunächst einen Sitz auf der Bank sich erringen muss, um ein besseres Urteil finden zu können 3]. Auch ich meine, dass Eyke sich bei seinen > Schöffenbarfreien « auf die Seite dessen stellen will, was er für älteres Recht im kriegerischen Teile des Volkes hielt. Diese Annahme bereitet wenigstens die geringsten Schwierigkeiten. Eyke war ja im Gegensatz zu seinem französischen Kollegen Beaumanoir ein konservativer Mann, was auch in seiner Vorliebe für archaische Worte zum Ausdruck kommt*). Aber für seine Zeit ist das Rechtsbuch hier kein » Spiegel <^ Die Bewegung des Übertrittes in die Ministerialität, die Eyke selbst mitgemacht, so zu ignoriren-''): dahinter müssen besondere Absichten stecken. Hiezu stimmt die Verwendung des Ausdruckes im verschiedenen Sinne, sodass er zuweilen auch die Fürsten in sich begreift^). Schliesslich passt er auch für die in die Ministerialität übergetretenen Altfreien. Im Interesse der Hebung dieses Standes hat wohl Eyke seine Darstellung eingerichtet. Eine interessante Fortsetzung erfährt das ständegeschichtliche Problem im § über Adel und Gemeinfreie. Den bevorrechteten, den wirtschaftlich starken Vornehmen stehen die abhän- gigen, belasteten unteren Freien gegenüber. Die Merkmale der urspüng- lichen ständischen Bevorrechtung sind wirtschaftlicher imd kriegerischer Art : Steuerfreiheit des Besitzes, woraus sich die die ritterliche Steuerfrei- heit in der deutschen und französischen Verfassung gebildet hat ; Kriegertum ; Bevorrechtung in der Mark. Vollberechtigung in den mit dem Hundert-

') Über seine Ministerialeneigenschaft ausführlich v. Zallinger, a, a. 0.

2) Man denke an die bekannte, auch von M. S. 399 N. 59 herangezogene L'rk. V. 1233: homo libere conditionis quod in vulgari scepenbere vocatur.

3) IS. Planck, D. Deutsche Geiichtsverfabren I. S. 277.

'} S. Roethe. D. Reimvorreden des Ssp., in den Abhh. d. döttmger bes. d.

W. X. F. n Nr. 8 (1899) S. 89 f. , r u •, i f

5) M. beurteilt die Bewegung juristisch allerdings nicht als ireiheitsveriu^t

(H. S. 202), was ich indessen für unrichtig halte. . ,, , ^ j i i,.

«) Die Schwierigkeiten aus Ldr. I. 6, § 2 lassen sich vie leicht durch die

Annahme beseitigen, dass Eyke nur die obere und untere Grenzklasse nennen will.

Mittheil iingen XXIV. ^-

490 Literatur.

schaftsvetbande zusammenfallenden grossen Wald- und Moorgenossenschaften mit Jagd- und Fossilienrecbt^). Neben dieses der Urzeit entstammende Waldrecbt ist später ein besonderes Bodenrecbt getreten'-^). Von hier aus klärt sich der ursprüngliche Sinn des Handgemais, worunter zuerst die Familienmarke zur Bezeichnung des Bifangs (sundere) verstanden wurde. Die Vornehmeren, weil die lleicheren, gingen vor den Gemeinfreien, die länger nach Mutterrecht unter dem Avunculus in Vermögensgemeinschaft zusammen lebten, zu Vaterrecht ^) und Individualsuccession (gewöhnlich Primogenitur) über, wodurch die ursprüngliche Zahl der Berechtigungen erstarrte. Mit der Zeit kamen die auf gewisse Höfe radizirten Berechti- gungen auf dem Wege des Ebenbürtigkeitsprinzips in die Hände einer geringeren Zahl von Adelsfamilien. Diese Bevorrechteten sind die sächsi- schen Schöffenbarfreien, die Erfexen, die Schöffen und homines exercitales in Baiern, die Franci im Westen. Die Rechtler schlössen sich dann nach oben und unten ab. Unter dem Adel standen die geringeren Freien ohne volles Eigentum, steuerbelastet gegenüber den herrschenden Geschlechtern, nach Mutterrecht zusammenlebend"*). An die Stelle des alten Adels ist in nachfränkischer Zeit der Kitterstand getreten. Die Klassen mit höherem W^ergeld (600, 400 sol.) sind die Steuerfreien, die Steuerpflichtigen haben ein solches von 200 sol.^). Im Wesen des Adels ist, wie ich mit v. Amii-a meine, das legendarische Moment, die Entstehung aus dem Totenkult von hoher Wichtigkeit. Die Adeligen sind die Heldengeschlechter, welche dem Volke das Eingreifen überirdischer Kräfte vermitteln. Die Volksvorstel- lungen über den Adel klingen an das an, was Goethe über den dämoni- schen Menschen sagt"). Die verschiedenen Verhältnisse bedingen Abstu- fungen im Adel, und in bestimmter Beziehung können auch Klassen, die

*) Hier zieht M. die oben erwähnte Urk. aus Overyssel heran, welche für jeden Gau der Grafschaft FuUenho hundert warscaph nennt. M. schliesst daraus auf hundert Familienhäupter der Hundertschaft als Rechtler an der Waldmark. Das Stück ist jedenfalls merkwürdig und im Auge zu behalten, mindestens vorderhand aber mit Vorsicht zu benutzen. Man müsste die Geschichte dieser hundert Anteile näher kennen und auch untersuchen, ob die Erscheinung öfter anzutreft'en ist.

2) Den exercitus ßajovariorum in der bekannten Urk. Meichelbeck, Hist. Fris. I. 2. nr. 629 (a. 843) versteht M. als Hundertschaft, als den mit Holz- berechtigung ausgestatteten Besitz in der Hundertschaft. Im Norden trifft aller- dings Heer und Hundertschaft zusammen (herad). In der fraglichen Stelle ist an ein Gebiet gedacht (»proprietas in exercitu* ; früher: »in finibus Baiowariorum«) ; und in Baiern ist ein örtlicher Hundertschaftsbezirk nicht nachzuweisen. Hin- gegen beisst, weil der souveräne Körper einst aus den Heermännern bestand, her noch im Mittelalter auch soviel als Volk. Vgl. z. B. heri im Heliand und Schröder, deutsche RG.'* S. 16 N. 2. Exercitus ist hier wohl die wörtliche Über- setzung^ von her in diesem Sinne und besagt: Volksgebiet.

8) Vgl. neuestens P. Wilutzky, Vorgeschichte des Rechts I. (1903) S. 121. Dazu passt vortrefflich der sprachliche Sinn von »Adel* (ßegriffskern : Das Väter- liche, Angestammte). Das verwandte got. atta ^= Vater. S. Kluge s. v.

■*) Gegenüberstellung des Vicinenbesitzes und der sundere in Chilperichs Edikt, Scheidung der vilenage vom Ritterbesitz im französischen Recht, Dorf- hachteigen in Sachsen. Treffend zieht M. für die unteren Freien die Grund- bedeutung von jKerl'^ heran, worüber Kluge s. v.

s) Mit M. S. 426 bin ich der Ansicht, dass das Wergeid in seiner Bedeutung für die Stäudegeschichte nicht überschätzt werden darf.

6) Wahrheit und Dichtung, 20. Buch.

Literatur. aq i

nicht zum Adel im eigentlichen Wortsinn zählen, adelig heissen, wofür es an Beispielen nicht fehlt. Die wirtschafts- und ständegeschichtlichen Grundanschauungen Ms. weichen, wie man sieht, fundamental von der herrschenden Lehre ab und nähern sich der Theorie moderner Soziologen und Wirtschaftshistoriker. M. hält die alten Germanen nicht für ein Volk, dem der Gegensatz von Reich und Arm unbekannt gewesen, dessen er- drückende Masse aus vollfreien Bauern mit ungefähr gleichen wirtschaft- lichen Kräften bestand. M. vertritt nicht die Theorie von den »Gemein- freien « in diesem Sinne ^). Ich gestehe, dass sich auch mir Bedenken gegen die Richtigkeit der herrschenden Theorie aufdrängten, welche ich bis zur Stunde nicht zu beseitigen vermochte. Die Vermögensungleichheit scheint eine gewichtigere Rolle gespielt zu haben, als gemeiniglich ange- nommen wird. Von grösserem Reichtum wird man angesichts der ge- ringen Kultur nicht reden dürfen. Aber Tacitus berichtet von Verschie- denheit des Vermögens-'). Sollte diese, einmal vorhanden, gar nicht die Tendenz in sich getragen haben, sich zu vergrössern; in einer Zeit, wo das Streben nach Besitz vorhanden war, Faustrecht und Beutelust von Gewaltmenschen^) auf der Tagesordnung standen; und bei einem Volke, dessen Glieder möglichst auf sich gestellt sein, sich nicht unterordnen wollten, dessen Gemeinwesen in den ersten Anfängen der Entwickelung begriffen war, dessen Mangel an Gesamtgefühl soviele traurige Kapitel seiner Geschichte geschrieben hat? Es ist schwer denkbar, dass damals bei den Germanen die Idee der ausgleichenden Gerechtigkeit eine Heim- stätte gefunden. Dazu gesellen sich weitere Bedenken, so hinsichtlich der Agrarordnung, insbesondere der Lehre von der bäuerlichen Lebensweise der grossen Masse der Freien. Mit dem Begriffe des Bauers ist Gering- schätzung der Arbeit und des Feldbaues unvereinbar, weil der Bauer sich dadurch selbst verachten würde. Die Germania aber schildert das Land trostlos in seiner Bebauung (c. 2), im allgemeinen als Urwald und Sumpf (c. 5), das Volk als nicht ausdauernd in Mühseligkeiten (c. 4). dem Müssig- gang ergeben, die Arbeit verachtend (c. 14, 15, 17, 26, 45), den Acker- bau in der Hand von Kolonen (c. 25), das Vieh nicht Felder! als »solae et gratissimae opes« (c. 5). Ich vermag solche Züge, welche im einzelnen auch sonst ihre Bestätigung finden^), mit einem Bauernvolk nicht in Einklang zu bringen. Nicht der Sinn für den augenscheinlich wenig bedeutenden Ackerbau^), sondern kriegerisches Heldentum lag dem voll- freien Germanen des Taciteischen Zeitalters im Blute. Nicht als Bauer, ah Krieger wollte man leben. Das tritt im ältesten Gesellschafts- und

') Weil der Ausdruck heute diese technische Bedeatang erlangt hat, so wird er vielleicht besser nicht gewählt, wenn man die herrschende Grundanschauung nicht teilt. Allerdings kann er auch in anderem Sinne gebraucht werden.

2) Germ. c. 17 : locupletissimi. c. l9 : non opibus maritum mvenent. c. 2b' : massgebend für die Grösse des Grundbesitzes die diguatio.

3) Dahin zielt das Waffenrecht: es stempelt zum Gewaltmenschen gegen- Üb Gl' d.Giii ^WclirlosGn.

") Die niedere Bewertung der Arbeit in der alten Gesellschaft z. B. wird durch die Etymologie von »Arbeit« bestätigt. S. Kluge s. v.

5) Er nahm folglich nicht sonderlich viele Arbeitskräfte in Anspruch, wes- halb der Einwand entfällt, dass man auf diesem Wege zu ausgedehnten feklaven- wirtschaften gelange.

32*

492 Literatur.

Rechtsleben hundertfältig zu Tage. Gerade darum auch die Verachtung der niederen produktiven Arbeit: fortissimus quisque ac hellicosissimus nihil agens (c. 15). Nur von einem Kriegervolk kann der Kernsatz gelten: Nee arare terram aut exspectare annum tarn facile persuaseris quam vocare hostem et vulnera mereri. pigrum quin immo et iners videtur sudore ad- quirere quod possis sanguine parare (c. 14). Nicht nur im Mittelalter, sondern schon damals hob kriegerische Lebensführnng empor. Sohm hat schön dargetan, wie gerade das Verlassen der niederen arbeitenden Lebens- weise den Grund des Aui'steigens der liberti in königlichen Staaten (c. 25) bildete. Indessen kann es sich bei einem derartigen Bilde nur um die Verhältnisse im Grossen und Ganzen handeln. Nun fussen solche An- schauungen allerdings guten Teils auf der Wertschätzung des Tacitus, dessen Zeugnis heute von abstossend fanatischer Seite einfach über Bord geworfen werden will, ein Beginnen, welches aber erfolglos bleiben wird und auch von Vertretern der herrschenden Lehre die gebührende Zurückweisung erfuhr. Meine Bedenken konnten sich nur vertiefen, als ich die Frage der Herzoghuldigung in Kärnten untersuchte, zu welcher ich später nach Vollendung mehrerer mir sehr am Herzen liegender Publika- tionen wieder das Wort ergreifen will. Ich dachte damals alle mög- lichen Erklärungen der merkwürdigen Institution durch und bin an der Hand der auch für slavische Völker vertretenen herrschenden Lehre auf grosse Scbwierigkeiten gestossen. Erst Ausgangspunkte im Anschlüsse an Peisker schienen mir eine befriedigende Erklärung zu ermöglichen, in welche sich dann die verschiedenen Erscheinungen unschwer einfügten, eine Harmonie, die nicht leicht zufällig sein kann und darum einen nicht zu unterschätzenden Wahrscheinlicbkeitsbeweis als Surrogat des grössten Teils leider nicht zu erbringenden exakten Quellenbeweises schafft. Gewiss ist bei diesen dornigen Problemen, wo die Herstellung einer sicheren Er- kenntnisgrundlage mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft ist, Vorsicht im endgiltigen Urteil geboten. Aber gerade deshalb erschiene es mir auch ungerechtfertigt und gefährlich, wollte man die neuen Wege, die nun auch M. betreten, mit Geringschätzung ansehen und voreilig aburteilen. Für die neuen Ideen spricht nicht wenig; sie passen zur Natur des primitiven Menschen, zur germanischen Eigenart, zu unentwickelten staatlichen Zu- tänden und nicht zuletzt zu einer Reihe von Stellen in den Quellen, bei deren Interpretation sich der komplizirt denkende moderne Mensch oft mehr Scbwierigkeiten macht als nötig. Die ursprünglich eine Heeres- abteilung bezeichnende, aus der Wanderzeit stammende Hundertschaft^ in deren Verband die Vornehmen entschieden, fungirte als Wirtschafts- ^) und Hochgerichtsverbaud. Der autonomen Stellung der Hundertschaft stand das Reich gegenüber, trachtend, durch Beseitigung der selbständigen Hoch- gerchtsbarkeit imd durch Schaffung eines abhängigen Beamtentums in der Hundertschaft dieselbe der königlichen Gewalt zu unterwerfen. Als höhere Verbände erörtert M. die Völkerschaftsverbände im Norden, die für die nobiles kompetenten Grafschafts-Assissen im Hauptlande der fränkischen Monarchie, die missatischen und allgemeine autonome Versammlungen,.

') Vielleicht auch als Brückenbau-, Burgbau-, Deich- und Sielverband.

Literatur.

493

analog dem logthiug des Kordens. Die Ortsgemeinde lässt M. aber- mals ein tiefer Gegensatz zur herrschenden Meinung schon dem ältesten öffentlichen Recht angehören. Ursprünglich der Terband von zehn Familien der kleinen Freien, ist sie (wenigstens im fränkischen und oberdeutschen Recht) mit der Dekanie (Zechend, Zeche) identisch i). Die Gemeinde, deren Bildung schon in frühfränkischer Zeit auf die Grundherrschaft übertragen wurde, übte eine wirtschaftliche Tätigkeit, niedere Gerichtsbarkeit, Ge- samt- und Friedensbürgschaft (gegenüber Privatkläger und Staatsgewalt), die Kontrolle der Ansässigmacliung, und tritt nicht nur auf dem Lande, sondern überall auch in den deutsch-fränkischen und nordfranzösischen Städten entgeggn. Schliesslich verfolgt M. die nordfranzösische und deutsche Bruderschaft, welche, auf dem Eide beruhend-), nicht ausschliesslich ger- manischen Ursprunges war. Bruderschaften sind die Gemeinden und die Verbände der städtischen Gewerbetreibenden gewesen. Die Funktionen des Friedensverbandes unter den Genossen bildeten Schiedsgerichtsbarkeit des Verbandvorstandes und gegenseitige Unterstützung der Mitglieder. Die Communio besass das Racherecht. Mit der Gilde, einer ursprünglich heid- nischen Feier der Bauerngemeinde, verknüpfte sich die Bruderschaft, deren Kern im Racherecht bestand. Die Landesgemeinde ward vorbildlich für alle anderen Bruderschaften. Weitere Ausführungen beschäftigen sich mit der Beziehung der Communio zum Königtum in Frankreich, mit dem Ge- gensatz des Stadt- und Marktrechts und des Kommunalrechts, der Ent- wickelung der Stadt zur eidlichen Kommune, mit den einzelnen Erschei- nungen in Nordfrankreich und im Osten, mit der Ausbildung einer selb- ständigen kommunalen Gerichtsbarkeit auf Grund des Racherechts und ihrem Verhältnis zur Hochgerichtsbarkeit, mit der Führung der Kommune (Rat, scabini), und endlieh mit den Eidgenossenschaften grösserer Verbände (Flandern, Friesland, Drenthe, Ditmarschen, alamanisches Hochgebirgsland).

IL

Der die »Herrschaft« betreffende Teil schildert die Elemente der Herrengewalt, das Gesinderecht und die herrschaftliche Organisation, Das vierte Buch (S. 1 lll) verbreitet sich nach einigen einleitenden Worten (örtliche Begrenzung der Herrschaft) über Umfang und rechtliche Aus-, gestaltung der Herrschaft. Ihr Umfang war verschieden. Das Herrenrecht äusserte sich am stärksten gegenüber dem Unfreien, in Befugnissen an seiner Person (Verhaftungs-, Verheiratungsrecht 3) u. s. w.) und am Ver- mögen. Verfassungsgeschichtlich besonders wichtig ist die Verantwortung des Unfreien durch "den Herrn auch gegenüber der öffentlichen Gewalt. Andere Herrschaftsverbältnisse waren Hausherrschaft und Vogtei. Der Hausvater handelte prozessual im eigenen Namen für die Hausinsassen. Weil in der Verantwortung durch einen starken Herrn für ungeordnete

') Zur Anschauung S. 509, dass die bairischen und österreichischen Zechen mit der Dekanie identisch seien, s. Uhlirz S. 258. tt i

2) Dadurch wurde sie Friedensverband, pax; kora weist auf die 1-rieclens- setzung. . , -i i\T

«) Zu dem S. 7—9 abgehandelten ius primae noctis, welches ich mit M. für gar kein Märchen halte, s. jetzt Wilutzky S. 34 ff.

494 Literatur.

Zeiten ein mächtiger Schutz liegt (S. 30), verwendete das mittelalterliche Recht den Eintritt unter die herrschaftliche Gewalt, damit der Schützling durch einen mächtigen Herrn verantwortet werden kann (homines de in- framitico i^nd de forasmitico, forenses). Freie ergaben sich so gegen Zins bez. Tagfrohnden in das mitium (sachlich -= Familie), tutela, garda eines Herrn i). Im südfranzüsischen Recht bedeutete im Gegensatz zum germanischen Ein- tritt in das mundium Unfreiheit. Von hier aus trat auch die Unter- tänigkeit des öffentlichen Rechtes so früh unter den Gesichtspunkt der Vogtei. Die Frage, wie weit sich eine Herrschaft über Leute gebildet hat, die dem Heirn nicht leibeigen und hausangehörig sind, ist für die Geschichte der grundhen-lichen Gewalt entscheidend. In Deutsch- land war der .freie Pächter Zeitpächter (Landsasse, Landsiedel^), ohne persönliche Gewalt und Verantwortung des Herrn. Der Pächter musste ausdrücklich in die Unfreiheit eintreten, wenn eine persönliche Gewalt des- Herrn entstehen sollte. Die Entstehung von Herrnrecht gründete sich auf die Umsetzung der Zeitpacht in ein erbliches Verhältnis. In Frankreicli begegnet im 9. Jahrhundert die Unterscheidung von unfreien Fiskalinen und freien Kolonen, später neben dem erblichen Hintersassenverhältnis die Zeitpacht (hospitium). Dann verschwand der Unterschied zwischen grundhürigem Bauer und hospes. Über letztere besass der Grundherr anscheinend keine Gerichtsbarkeit, über die Kolonen judizirte er im Ganzen in niederen Rechtssachen. In der Entwickelung der Herrschaft ist der. Herrenhof mit dem grossen Eigenbetrieb, der Regiebau der Grundherrn das römische Element, während der Betrieb durch abhängige Bauern ger- manisch ist. Die Herrschaft empfing ihre rechtliche Ausgestaltung. Das von Haus aus absolute Gewaltrecht des Herrn frind allmählich in einem hofrechtlichen Zustimmungsrecht der abhängigen Leute (Bauern, Ministe- rialen, Vassallen) seine Grenze. Hinter der Zustimmung der Barone und Dienstmannen stand in Deutschland und Frankreich die Zustimmung der Bürger bestimmter Städte. Marktrecht bedeutete eben Ministerialität gegen- über dem Marktherrn, und so ist auch die städtische Landstandschaft ur- sprünglich aus der Ministerialität der herrschenden Klassen abzuleiten. Die überall sich ergebende faktische Unabhängigkeit der Unterworfenen wurde durch den Eid an den Herrn beschränkt. Die Grundherrschaft berührte nicht das öffentliche Recht (Steuer-, Heerrecht, Gerichtsbarkeit). Bloss das Gesinde war von den Untertanenlasten ausgenommen. Die selb- ständigen Hintersassen der Immunitätsherren mussten das echte Ding be- suchen. Die letzteren erwarben Mittelgerichtsbarkeit, hatten an sich keine Hochgerichtsbarkeit, was sich besonders unter den Ottonen für die kirch- lichen Immunitäten änderte. Die Immunität beseitigte an sich auch nicht die Heer- und staatliche Steuerpfiicht. Immun waren der Fiskus und die ausdrücklich damit ausgestatteten Güter. Die Krongutsimmunität ist rö- mischen Ursprungs. Die herrschaftliche Gewalt war im Mittelalter dem gesamten Rechtsverbande eingeordnet. Vom herrschaftlichen wurde an das öffentliche Gericht rekurrirt. Aus dem § über königliches und fürst-

1) Die berühmte Kommendationsfonuel von Tours ist nach M. nur der erbte Beleg der ganzen Reihe. Ob die Sache dem Kern nach nicht schon uralt ist?

2) S. hiezu V. Below S. 93.

Litei-atur.

495

liebes Mudnium hebe ich hervor: Eine besondere Immunität genoss in der Frankenzeit das Schloss des Königs und der Barone. Später hat sich eine an den Herrnhof gebundene besondere Gerichtsbarkeit (franchisia) i) gebildet (salvamentum). Die Ausgangspunkte sind das arbiträre Strafrecht des Herrn bei ihm zugefügten Beleidigungen, was auf die fränkische Zeit zurückführt, und die Unterworfenheit der Ritter und Beamten unter die Hausgewalt des Herrn als Wurzel der Strafen gegen die Ritter. Die Königsgerichtsbarkeit erster und höherer Instanz entstand durch Aufnahme in das Mundium des Königs, dem als solchem ursprünglich Gerichtsbarkeit nicht zukam.

Das Gesinde (fünftes Buch S. 111—290) begreift in sich die freie Gefolg- schaft, die unfreien Gesindeleute und die Schutzgenossen 2). Im öffentlichen Recht hebt es sich von den grundhörigen Bauern dadurch ab, dass es von keiner Untertanenpflicht direkt berührt wird. Für die grundherrliche Verwal- tung prägt sich der Gegensatz in der Verpflegung des Gesindes durch die Herr- schaft aus. Der Abschnitt von der freien Gefolgschaft betrifft die Barone (Vassallen), die Waffenreichung und das Lehen. Für die Begriffsbestimmung des Barons geht M. vom anglonormannischen Recht aus, erörtert dann die V^erhält- nisse im übrigen Westen und in Deutschland-^), die Optimaten und ligii, die rechtlichen Beziehungen des Barons zum Herrn (Siegelrecht, Zustimmungs- recht, Gerichtsbarkeit, Freiheitsbeschränkung in Frankreich, ursprünglich ausschliessliche Kommendation). Eine rechtliche Verbindung der Einzel- heiten ergibt, dass ursprünglich nur ein dem Herrn ausschliesslich zu- gehöriger Mann oder Baron Mannschaft leistete. Das Zustimmungsrecht der Fürsten des Königs in Deutschland muss selbst aus der Zeit stammen, wo die Vassallen noch der königlichen Umgebung angehörten. So ergibt sich die Lösung der Frage nach der Urspünglichkeit des deutschen Fürsten begriffes. Der Grundsatz verlor Anfangs des 1 3. Jahrhunderts seine Kraft. Im Königsgefolge befanden sich auch die »freien Herren*, die in Deutsch- land Barone hiessen, weil sie die geringsten königlichen Barone waren^).

•) Befassend die Delikte des Hofgesindes und die Angritie auf den Herrn und seine Leute.

2) Es handelt sich um das dem Herrn und seiner eigenen Wirtschaft un- mittelbar dienende Personal. Die Gedankenveihe der Terminologie (S. lUfi'.l ist bezeichnet einerseits durch die AVorte ledig (t^ligius; ist der persönliche und darum der bessere Diener), Hagestolz (-= der geschickte Angestellte), degen, junior etc. (Auffassung als junger Mann), anderseits durch Worte, welche der Begleitung des Heirn auf der Reise entstammen. Hiezu S. 119 die vortretfliche Bemerkung: Man wird die ganze Gedankenbildung in die Nomadenzeit verlegen müssen.

3) Die Ausführungen über den Reichsfürstenstand widerstreiten den Unter- suchungen Fickers. Zu S. 130 N. 34 a erhebt sich die Frage, wie es mit Baierii stehe, wo wir nach Ficker S. 84 allen Grund zur Annahme haben, dass nicht allein Grafschaften, sondern auch Markgrafschaften, Pfalz- und Landgrafschait vom Herzog geliehen wurden, ohne dass der FürätenranD- der ßeliehenen zu be- zweifeln wäre. Selbst für die Erklärung der Stellen, in welchen nur einzelne Grafen als Fürsten, andere mit mehr oder weniger Bestimmtheit als Nu htiursten bezeichnet werden, erweist sich der Gesichtspunkt der Reichsunmittelbarkeit nicht als durchgreifend; der Widerspruch in der Stellung der Graten von Urla- münde und Lenzburg bleibt ungelöst. Ficker S. 8i. ,, ,• +

") Nach M. S. 147 gilt tür Standesbezeichnungeu das allgeiueine l.esetz, dass die unterste Schicht einer Klasse, die sich eben nur mehr durch die Zuge-

496

Literatur.

Die Barone oder Fürsten sind mit den fränkischen Antrustionen, den Königsvassallen und die viri illustres der Quellen mit den Fürsten, Ba- ronen identisch 1). In der Königsvassallität standen auch die Bischöfe und Äbte, Der Unterschied des französischen vom deutschen Recht liegt nicht in der Leistung von Hulde und Mannschaft, sondern darin, dass später keine Verlehnung des geistlichen Amtes durch den weltlichen Herrn statt- fand. Dann aber kommendirten sich im Gegensatz zu Deutschland Bischöfe auch an die Grafen; oft aber hat sich jede Kommendation verloren. Das französische Königtum war da schwächer als das deutsche. Gefolgsherren waren in fränkischer Zeit der König und dessen Vassalien, in der folgen- den auch die Vassallen königlicher Vassalien. Bei der vassallitischen Dienst- pflicht betont -M. die Unbeschränktheit. Er sieht im Gegensatz zur herr- schenden Lehre die Wurzel der Vassallität nicht in dem königlichen Be- streben, die schwere Rüstung der Reicheren durchzusetzen, sondern die Beseitigung der zeitlichen Schranken der Heerpflicht sei das Treibende gewesen. Unter den Gaben des Herrn an den Gefolgsmann sind die Waffen- reichung-) und das Lehen 3) verfassungsgeschichtlich ausserordentlich wich- tig. — Zum unfreien Gesinde*) zählen die unfreien Handwerker und Kauf- leute, sowie die unfreien Reisigen. Das unfreie Handwerk ist nicht Er- gebnis einer jüngeren Entwickelung. Die Unfreiheit des Kaufmannes war etwas Gewöhnliches ein Gedanke, bei dem sich M. auf den oft vorkom- menden Besitz der grossen Grundherrschaften an den Flussschiffen stützt, deren Führer eben die unfreien Kaufleute gewesen seien &). Für die Ein- ordnung der Handwerker und Kaufleute unter allgemeinere Kategorien kommt vor allem der Begriff des scacarius in Betracht, der die als Kauf- leute verwendeten besseren Freien (schon nach Nitzsch von den Dienst- mannen nicht mehr zu unterscheiden), bisweilen auch die unfreien Hand- werker in sich fasst. Der Kaufmann scheidet nach oben nicht gegen den Ministerialen ab. Dem gegenüber steht ein Sprachgebrauch, der unter den Ministerialen, aber über den gewöhnlichen Unfreien die Kämmerlinge unter-

hörigkeit zur Klasse von andern abhebt, als besonderen Namen den Titel der ganz°en Klasse führt. Beispiele bei den Optimalen, Baronen, Lords und den sendmässigen Leuten. Von hier aus würde sich auch ergeben, das» der Termi- nus ,schöffenbarfrei* gerade an den Ministerialen haften blieb, welche mit Vor- behalt der Schöffenbarkeit unfrei wurden. Vgl. die bekannte Glossenstelle zu

Ssp. Ldr. III. 19. .,.,-,• 1

«) NaiLe und Recht der römischen illustres sind hier aut die königlichen

Barone übertragen.

2) Hier bespricht M. unter anderem die Erhebung in den Ritterstand. iJen Ritterschlag erklärt er aus der Freilassungsform. Der Romane wurde durch ihn zum Francus gemacht und bekam die Waften des Franken. Die Waffenreichung des Königs und zwar gemäss dem Worte , Heerschild« zunächst die Schild- reichung "griff ^'^^^^ das Gefolge hinaus. Es wurden Waften an die homines franci überhaupt" gegeben, was beibehalten worden ist, nachdem man den Panzer an-

ffonomraen hatte. , , ,,

3) Es wird an Nicht-Casati verliehen. M. behandelt die Rechtsstellung von Mann und Herr, das casamentum des buvgundischen und vielleicht südfranzösi- schen Rechts, schliesslich die Frage der Königsscheukungen an Franci, die keine ■Gefolgsleute des Königs waren.

*) Seine Verhältnisse sind in Frankreich weniger klar als an Deutschland. ^) S. dagegen v. Below S. 92. Auch hier scheinen auf M. die römischen Verhältnisse eingewirkt zu haben (s. S. 182).

Literatur. Aq-,

scheidet, worunter nach deutschen und nordfranzösischen Belegen auch die Kauf leute verstanden werden müssen i). Was die unfreien ^Reisigen an- belangt, so begegnen überall hinter den Panzerreitern die leicht bewaffneten Reiter (servientes, vavassores, ministeriales). Nitzschs Ergebnisse bewähren sich. Es handelt sich um die Geschichte der unfreien Ritter (milites, ministeriales) und ihr Aufsteigen in die Freiheit, Den wichtigsten Unter- schied zwischen freien und unfreien Rittern sieht M. darin, däss gewisse, gewöhnlich von unfreien Rittern bekleidete Ämter nie allgemein erblich wurden. Aus dem Aufsteigen der Ministerialen folgt verfassungsgeschicht- lich vor allem die Besetzung auch von Ämtern der öffentlichen Verfassung mit Ministerialen und umgekehrt die Übernahme niinisterialischer Ämter durch Freie. In Frankreich hob sich bei den schwerbewaffneten Reitern, anders als bei den leicht Bewaffneten, Frei und Unfrei kaum von einander ab. Aus Ms. Darstellung seien insbesondere zwei Punkte herausgegriffen. Erstlich sollen in der Heerschildordnung des Ssp. nur Freie, nicht auch Dienstmannen stehen (S. 155, 194 X. 48). M, verweist gegen Ficker, dessen Gründe und Interpretation von Ldr. I. 3, § 2 mich überzeugt haben, auf die Nichterwähnung der Reichsministerialen, die früher als die fraglichen Dienstmannen im Heerschilde stehen müssten. Aber warum :s, früher«? Es können alle Ministerialen auf der gleichen Heerschildstufe gedacht werden, und diese ist doch wohl mit Ficker die fünfte 2). Aller- dings sind die Reichsministerialen nicht ausdrücklieh genannt. Aber zu den ebenfalls im fünften Heerschilde stehenden Schöffenbarfreien zählt Eyke solche Reichsministerialen, die nach erfolgter Freilassung ein Schöffen- amt und den erforderlichen Grundbesitz bekommen haben (Ldr. III. 81, § 1 ). Eyke denkt somit für diesen HeerschiLl einerseits auch an ehemalige Reichsministerialen und andererseits an niederere Ministerialen als diese. Deshalb darf unbedenklich angenommen werden, dass der Spiegier die Reichsministerialen hier stillschweigend mitdenkt. Dazu kommt, dass die schöffenbaren Leute tatsächlich Ministerialen in sich begreifen, was Eyke allerdings irreführend unterdrückt. Zweitens: Den Prozess um die Wende des Früh- und Spätmittelalters, den v. Zallinger und Schröder unzweideutig als Ergebung Altfreier in die Ministerialität auffassen, ver- steht M. nicht als Heruntersinken in die Unfreiheit, sondern, weil umge- kehrt der Ministerialadel allmählich zum freien Adel aufgestiegen ist, habe der Freie auch ministeriale Dienstverrichtungen übernommen (S. 202). Ich glaube, dass diese Anschauung den Quellen widerspricht, welche hier nicht ein Amt, sondern einen Geburtsstand im Auge haben 3). Einer Reihe charakteristischer Meinungen begegnen wir in dem Abschnitt über die dritte Schicht des Gesindes, die Schutzgenossen, Er betrifft Geleitsgeld und Hansa, Wegerecht, Marktrecht, Bürgertum und Stadtrecht (Grundlage,

') Zu S. 183, wo M. den Kammervorstand mit den zur Kammer dienst- pflichtigen Leuten zusammenbringt, und zu S. 184 N. 19 (Unterstellung der Kaut- leute unter die Kämmerer auf der Grundlao'e des Heerfriedens v. 1158) s. Uhlirz S. 260.

2) Vgl. ßrunner, Grundzüge d. deutschen Rechtsgeschichte ^^ iS. 88.

3) Z. ß. Schwabenspiegel (Lassberg) 69. Glosse zu Ssp. Ldr. IlL 19 und die sechs für Eyke in Betracht kommenden Urkunden, die v. Zalhnger in über- zeugender Weise besprochen bat.

498 Literatur.

Konstruktion, Einzelheiten), Münzer i) und Wechsler, und Juden. Ms, Hanse-Theorie 2), mit Abweichungen schon früher und später noch einmal in »Hansa und Hasbannus im nordt'ranzösischen Recht* (1900) vorge- tragen, operirt mit der Schutzabgabe, conductus, welche im Betrage von vier Denaren als eine Gebühr für die Aufnahme in ein herrschaftliches Gefolge, in das Geleite bei der Anfahrt zum Markt und bei der Durch- fahrt an den König oder Grafen entrichtet wurde ^). Der conductus war Ausgangspunkt einer eigenartigen Wegegerichtsbarkeit, die zur hohen Juris- diktion gehörte. In Fi-ankreich bildeten conductus und Wegegerichtsbar- keit einen Teil der Hechte des Barons, Das Marktrecht**) ist durch fol- gende Momente bestimmt : Dem zollfreien Jahrmarkt steht der gewöhnliche Wofhenmarkt mit Zollpflicht gegenüber, Marktzoll und Marktzwang sind römisch, der Jahrmarktschutz ist germanisch. Die besondere Stellung des Marktes kommt in der selbständigen Marktgerichtsbarkeit'') und in einem- besonderen materiellen Schutz zum Ausdruck. Durch die Bezahlung des Schutzgeldes tritt der Kaufmann unter die Mundialgerichtsbarkeit des Königs oder Fürsten; er wird deren Muntmann''), Der Jahrmarkt ist räum- lich von der engen Römerstadt getrennt. Die Marktprivilegien delmten den Schutz für Jahrmärkte auch auf Wochen- und tägliche Märkte aus. In der Stadt schlössen sich die burgenses (cives) als Grosskaufleute und Grossindustrielle (mercatores) gegen die bäuerliche »Gemeinde* und viel- leicht gegen die Handwerker ab^), während sie sich nach oben mit den Ministerialen berührten. Das Bürgertum, zum Königsgesinde gehörig, hat eine herrschaftsrechtliche Grundlage*^). Dem herschaftlichen Hanseverbande steht die autonome Kaufmannsbruderschaft (Gilde, amicitia) gegenüber, für welche M. römischen Ursprung behauptet 9), Ms, Konstruktion i") knüpft an Nitzsch an: Der Bürger gehört auf Grund eines Kommendations- geschäftes oder dauernder Beziehung des Marktes unter Königsschutz ^i) "zur Königshanse, Der »Schlüssel des Ganzen* ist die königliche Hof-

') Streng genommen nicht zu den Schutzgenossen zählend, werden sie wegen ihres Zusammenhanges mit dem Stadtrecht hier V)ehandelt.

2) S. dagegen z. ß. Uhlirz S. 258 ft. und v. Below S. 92 f.

^) Zu S. 207 N. 11 : salagium klingt an das französ. salage = Salzzoll, an. Zu der S. 210 N. 26 herangezogenen Radolfszeller Urkunde s. Uhlirz S, 260.

*) S. dazu Uhlirz S. 260 f.

■'•) Über der Zivilgerichtsbarkeit (zwei verschiedene Wurzeln: die aus der Adilität hervorgegangene Kompetenz der Bürgermeister und die aus der Herr- schaft erwachsene Gerichtslarkeit des praepositus) steht eine eigene Kriminal- gerichtsbarkeit,

^) Für sonstige Marktbesucher bleibt es beim Königsbannschutz.

') S. hiezu Uhlirz S. 261.

'*) Verleihung des Bürgerrechtes vom Herrn, besondere Hochgerichtsbarkeit über Kaufleute, dreifaches Wergeid des Gemeinfreien und gewöhnlichen Mini- sterialen, Zollfreiheit der Bürger am Ort.

'') Römisch seien das Teilrecht und im gewissen Masse die autonome Zunlt- geriehtsbarkeit. Das Amt des Hansgrafen oder vicecomes könne wenigstens eine römische Wurzel in der Stellung des katifmännischen teleonarius (got. Recht) haben.

'") S. dazu Uhlirz S. 2Ü9, 261.

") Zu S. 249 f. über Arealzins und Marktabgabe s, die Bemerkungen von Rietschel, Ztschr. f. RG. XXII. S. 189 ff.

Literatur.

499

gerichtsbarkeiti). Sohms Gedanke, dass die Stadt Königsburg ist, ist so zu formulieren : in der Stadt, die eine Burg schon von der Könierzeit her ist 2), gilt durch Kommendation und das Marktrecht dasselbe Hofrecht, wie in der Königsburg. Die Theorie gilt für Deutschland, Nord- und Mittel- frankreich. Für Südfrankreich ist nicht sicher festzustellen, ob die ganze Kaufmannschaft unter Marktrecht getreten. Markt- oder Burgrecht ist nur ein Faktor in der Stadtentwickelung, die anderen sind das römische und deutsche Gemeinderecht. Im einzelnen ergab sich M. folgendes : Die Or- ganisation der Gerichtsverfassung (Hoch- und Niedergerichtsbezivk) ist von Haus aus autokratisch. Daneben fungiren in den deutschen Gemeinden die Ortsschöfifen, in den Römerstädten die kommunalen Kollegien weiter. Ausserdem wirkt ein herrschaftlicher Rat (consilium, consules, consiliares)^). Der Sonderstellung im Behördenwesen entspricht ein besonderes bürger- liches Straf-, Prozess- und Zivilrecht. Die Bürger leisten ferner Gewerbe- dienste. Hasbannus ist das Verbot an alle, die nicht zur Hanse gehören, in der Stadt zu verkaufen, bedeutet also die periodische Schaffung eines Bannrechtes für die Hanse, welches die Landleute im Absätze hin- derte. Von hier aus sieht M. in der »Bannmeile* ein dauerndes Bann- recht zu Gunsten der Kaufmannschaft der Marktstadt. Der Königskauf- mann ist zollfrei. Die königlichen Pfalzstädte bleiben zollfrei, während allmählich auch die zollfreien Orte Zoll entrichten müssen. Zur städ- tischen Aristokratie zählt ausser dem Grossbürgertum auch die unter der technischen Leitung des Münzmeisters* (mit niederer Gerichtsbarkeit) stehende Körperschaft der Münzer mit Beamtencharakter. Sie sind im

M Im Roland sieht M. den Blutrichter der besonderen königlichen Gerichts- barkeit, den königlichen Hofbeamten. Im Austragen der sog. »Freiung' in Steiermark hat sich die Verwendung des Arm- und Schwertsymbols zur Ver- sinnlichung der Marktgerechtigkeit bis heute erhalten.

2) Ein hervorragend schönes Beispiel zur (Jeschichte der Stadtmauer bietet Imst in Tirol (Priv. v. 1282i. Das betreffende Stück bei Kegler, Das landes- fürstliche Steucrwesen in Tirol I. 1901 Anh. Nr. 4 (a. 1312). Etymologisch sieht M. S. 256 N. 41 in Weichbild die zusammenhängende Ansiedelung. Es weist auf den kaupangr des Nordens. Wik gehe auf das Zusammenhängende, .Städtische« im Gegensatz zum System der Einzelhöfe. Und zur Erklärung von bild hält sich M. an das ags. und fries. bold = Gebäude, Ansiedelung. Das ist sachlich ansprechend. S. auch böl = holt (domus). bolborch, boldsket, holen, bolschat, boltve bei Schiller-Lübben, Mittelniederd. WB. Gegen die Ableitung aus "bilida = Recht erhebt sich das Bedenken, dass das Wort, w^elches sich sonst nur m spärlichen Überresten, wie unbilde (dagegen I.exer), billig u. ä., asw. biltugher, behauptet hat. gerade bei einem Recht in Verwendung kommen soll, welches nicht ur- sprünglich, sondern ent verhältnismässig spät entstanden ist. Im übrigen spricht nichts gegen bild = Recht. Beachtenswert z. B., dass büken n. = Weichbud ibilk, büken Adj. und Adv. gerecht) ; s. Schiller-Lübben s. v. Ich möchte neben der heute herrschenden und Ms. Erklärung auch den Sinn »betestigte Ansiedelung^ für diskutirbar halten. Wik würde dann auf das Kriegerische gehen, wie i" wik- hüs ^ Kriegshaus, wikspel =- Kriegsspiel, Scharmützel. Viele bezügliche Worte in den Wörterbüchern. Wikbelde heisst speziell auch Befestigung: ,Ok sca ea eie Wille wesen, dat we vor dat hus en wicbelde buwen " (1320 bei bcliiuei- Lübben s. V. Und bild würde auf bold = Gebäude zurückgehen (z. B. im Ags. bold-getalu). S. Schiller-Lübben s. v. wikbelde, wo für möghch erkhirt wirci. dass das Wort ursprünglich »Kriegsbauwerk, Befestigung' bedeutete

3) S. hiezu Lhlirz S. 262. In den consules nostri der Medebacher UK. (S. 272 N. 16) kann sehr wohl, wie (Jhlirz bemerkt, nicht die hofrecht iche Zu- gehörigkeit, sondern das politische Untertanenverhältnis zum Ausdruck kommen.

500 Literatur.

Osten grundsätzlich die Wechsler, welche im Westen einen besonderen Verband bilden. Hinsichtlich der Juden gibt M. der Ansicht den Vorzug, wonach man auch im Frankenreiche die Juden als Freie behandelte (Zah- lung von Königsbann, Grundeigentum u. a.). Nur als Händler und Ver- folgte seien sie in das Königsgesinde eingetreten^). In Frankreich und Deutschland hat sich der Judenschutz im Besitze des Königs nicht be- hauptet.

Das sechste Buch (S. 290 349) schildert die Organisation der Herr- schaft: die Vogtei^) und die inneren Behörden. Von der Rechtsstellung der letzteren, welche die Geschäfte ausserhalb des oifentlichen Gerichtes, die eigentliche positive Verwaltung besorgen, zeichnet M. »ein ungefähres Durchschnittsbild ^^ Demselben liegt die Gliederung in Lokal Verwaltung und Mittelinstanz, sowie in das Hofbeamtentum zu Grunde. Erstere an- langend, spricht M. von den Lokalbeamten (maior, Schultheiss u. s. w.); den in grösseren Herrschaften über ihnen stehenden höheren Behörden (praepositus, ministeriales, Pfleger, Schaffner, Amtmann) und von der Kellereiverwaltung: ferner von der Einrichtung der Reichsdomäne (kaiser- liche Landgerichte Landvogteien^), von der Verschmelzung domanialer und öffentlicher Behörden'*), von der Amterverpachtung als Verwaltungsprinzip in Deutschland und Frankreich. Der § über die Hofbeamten beschäftigt sich mit den vier alten Hofämtern, Hofmeister und Kanzler und mit den niederen Hofbeamten (comites^), rois, magistri), mit der peschichte der Erzämter, der Pfalzgrafschaft *^'), den Erbämtern und den Hofämtern in der öffentlichen Verwaltung und mit den Eatskollegien in Deutschland und Frankreich (consilium, französische Parlamente, normannisches scaccarium, deutsche Hofräte). Die letzte Wurzel des Unterschiedes in der westlichen und östlichen Entwickelung liegt nach M. darin, dass im Westen (und Süden) die Laienbildung von der Römerzeit her sich nie ganz verlor, während

M S. gegen die Kechtstäbigkeit neuest ens auch Scherer, D. Rechtsverhält- nisse der Juden in den deutsch-östen-eichischen Ländern. 1901 S. 62 ff. Ich meine ebenfalls, dass die ausdrückliche Gewährleistung des Schutzes eher auf eine von Haus aus bestandene Schutzlosigkeit der Juden schliessen lässt.

-) Sie lässt sich nur für Deutschland und einigermassen für Nordfrankreich verfolgen. M. erörtert sehr kurz die Scheidung der Vogtei in weltliche und kirchliche, die Vertretung im öffentlichen Gericht, die Gerichtsbarkeit und Do- mänenverwaltung.

3) Hinsichtlich ihrer Wurzeln vermutet M. S. 304: zunächst in den un- mittelbaren königlichen Grafschaften des inneren Deutschland ist die Advokatie des Pfalzgrafen an denjenigen freien Herrn oder Grafen übergegangen, der den Könicp in der Verwaltung der reichsunraittelbaren Grafschaft vertritt, ein Prozess, der ähnlich an der Nordseeküste und in Frankreich sich viel früher vollzogen haben kann. Danach mochte nun auch für den Bezirk eines rein domanialen Landgerichts aus den Fürsten oder Magnaten ein Vogt bestellt worden sein, während der Pfalzgraf für ein ganzes Herzogtum die Vogtei hatte.

4) Zent- und kaiserliche Landgerichte, bairische Pfleger, praepositus und vicarius in Nordfrankreich, ballivi u. ä. als Hochrichter des öffentlichen Rechtes.

s) Zum Gebrauch des Wortes Graf für solche Beamte, der sich aus der Etj'mologie leicht erklärt, s auch Kluge s. v.. wo weitere Beispiele.

^) Zur Pfalzgrafenfrage in der Ottonenzeit, für welche M. von der land- läufigen Ansicht abweicht (S. 336), dürften auch die kärntnerischen Verhältnisse mit Nutzen herangezogen werden. Ich glaube, dass sie die Richtigkeit dieser Ansicht bestätigren.

Literatur. cq<

im Osten sich erst im Spätmittelalter eine weltliche Bürokratie aus- bildete.

III.

Äusserst knapp geraten ist, was uns M. im siebenten Buche (S. 35o 415) über die höchste Gewalt bietet. Er führt die Kapitel: Bannleihe, Herzog und Graf, Königtum, Fürstentum und Volksrecht, Provinzialgewalt und königliche Gewalt vor. Die Bannleihe ist die Übertragung .des Grafen- amtes durch den König. Die Übertragung des Amtes ist von dessen Ver- lehnung unterschieden. Die Übertragung geschieht prinzipiell seitens des Königs auf Lebenszeit an den Beamten. Beim Thronfall muss im Gegen- satz zum Lehen das Amt nicht neu nachgesucht werden. Vielfach verlor sich die staatsrechtliche Vorstellung, dass das Amt vom König stammt, daher in Gegenden mit schwacher Königsgewalt (Südfrankreich) der Ge- sichtspunkt des Allods hervortritt. Das Amt wird erblich. Der durch den Goldreif ausgezeichnete Herzog besitzt staatsrechtlich das Kecht an den Gefällen, die Stellvertretung in der königlichen Gerichtsbarkeit (missatische Gewalt) und im germanischen Osten die Heerführung. Aber nicht jeder, der die Grafschaftsei nkünfte und missatische Gewalt erhalten, wurde Herzog (Landgraf von Thüringen, Graf der Champagne). Zur staatsrechtlichen Gewalt tritt im Westen und vielleicht auch im Osten Titel und Eeif des dux. Das Herzogtum hat im Ganzen einschneidend die gräfliche Stellung beeinflusst. Bezüglich der Frage der »Auflösung des Grafschaftsverbandes« wendet sich M. gegen die Vorstellung, als ob in der nachfränkischen Zeit die Zahl der Grafschaften durch Teilung stark vergrössert worden wäre. Das Ebenbürtigkeitsprinzip hätte das Gegenteil bewirkt. M. erörtert dann die Grafschaft als Gerichtsbezirk, Teilbarkeit und Unteilbarkeit, die Ver- schmelzung grosser Territorien, Land^) und Markgrafschaft. Die grösste Veränderung erfuhr die deutsche und burgamdische Provinzialverfassung durch die Übertragung von Grafschaften als Allod an die bischöflichen Kirchen und an grosse Klöster-). Schon sehr früh ist der Titel kein sicherer Beweis für den Besitz eines Amtes gewesen. Am wichtigsten sind die Ausführungen über den König und zwar über das Königswahl- recht^), eine Partie, welche in der Literatur schon mehrfach besprochen wurde und zu welcher M. neuestens wieder das Wort ergriffen hat*). Seine Lehre ist im wesentlichen folgende: Die kirchliche Wahl form hat die weltliche beeinflusst. Bei der Bischofswahl tritt die

') Der Graf der ursprünglichen Grafschaft ist der »Landgraf«; er ist der gewöhnliche Gaugraf.

-) Z. B. hier zeigt sich gut, wie wenig eine Darstellung der mittelalter- lichen Verfassungsgeschichte des Eingehens auf kirchliche Verhältnisse ent- raten kann.

3j Ausserdem findet man hier einiges über die Handlungsfähigkeit des minderjährigen Königs, über die freie Stellvertretung, die Vertretung im Vorsitze des Hofgerichtes und über gesetzliche Vertretungsrechte. Die Reichsverwesung ist nach M. (S. 381j eine Kombination des Pfalzgrafenrechtes mit der Herzogs- gewalt,

*) Ztschr. f. KG. XXIII. S. 1 ff. M. ändert hier teilweise seine Ansichten ; insbesondere lässt er sich weniger durch die Analogie des kirchlichen Rechtes bestimmen. Sehr verdienstlich ist die Heranziehung des nordgermanischeii Rechtes.

502 Literatur.

Unterscheidung von Wahlberechtigung und rechtlich gleichgiltiger Akkla- mation (consensus, laudare) hervor. Die eigentliche Wahl erfolgte, wenn nicht einstimmig quasi per inspirationem, so entweder per scrutinium oder per compvomissum. Im ersteren Falle gaben die Wahlberechtigten der Reihe nach ihre Stimmen auf Befragen der Skrutatoren ab, welche das Ergebnis vor dem Wahlkörper feststellten, und endlich wurde die Wahl durch einen bezw. drei Skrutatoren verkündigt (electio). Bernardus von Pavia unterscheidet die Wahl ohne und mit electores^). An die Stelle der in Frankreich üblichen Form, die noch Bernardus im Auge hat, wonach die Wähler ihren entscheidenden Willen auf Befragen eines Einzelnen erklären und ein Wahldekret überprüfen, übertragen die Dekretalen die Wahlverkündigung an einen Ausschuss zwecks Stimmensammlung, Ver- gleichung und feierlicher Wahl, In der Skrutinialwahl der päpstlichen Gesetzgebung treten einzelne, bezw. ein Skrutator als elector auf. Der Sachsens])iegel klingt an Bernardus an. Die sechs zuerst stimmen- den Fürsten (die mächtigsten Kirchenfürsten und vielleicht die Erz- beamten) sind die Skrutatoren ihres Kollegs, Und ganz nach Analogie des kirchlichen Rechtes verkündet seit der zweiten Hälfte des 13. Jahrhundei'ts ein Kurfürft das Wahlergebnis. Die rechtlich relevante Wahlerklärung, vor der Verkündigung durch die Skrutatoren liegend, ist scharf von letzterer zu scheiden. Die Königs wähl hat ihren ordo. Die in den Quellen erwähnte prima vox ist die erste Stimme in der ma- teriellen Wahl, nicht in der Wahlverkündigung. Auf nominatio und electio folgt das laudare, consentire im Sinne der Zustimmung, Billigung der Person, Der feierlichen Wahlverkündigung folgt die rechtlich irrelevante Akklamation durch die Fürsten und übrigen vornehmen Leute und der Untertanen- und Mannenschwur. Ich muss mich begnügen, zu diesem vielerörterten Problem, dem ich anlässlich der Durcharbeitung des zweiten Bandes von J. Fickers » Reichsfürstenstand ^- nähertrat, nur einiges wenige zu bemerken. Es bezieht sich auf die Wahl und das »Kiesen bei Namen '''' in Ssp, Ldr. III. 57, § 2, sowie auf das Loben des Königs. M. hat voll- kommen recht, für die Wahl den Ausdruck »Vorwahl« abzulehnen und sie als einen wichtigen juristischen Akt zu erklären. Das »irwelen* des Ssp, ist die eigentliche materielle Wahl, deren Begriff von der Freiheit der Willenserklärung nicht trennbar ist, es ist nichts bloss Tatsächliches, sondern etwas streng Rechtliches von hoher Bedeutung. Darum hat Ms, Annahme einer festeren Wahlordnung sehr viel für sich und liegt gerade hier die Wichtigkeit der ersten Stimme auf der Hand. Als »rechtliche Hauptsache '=■' (S. 390) aber möchte ich die Wahl doch nicht bezeichnen, weil sie noch nicht zum König macht. Diese Rechtswirkung knüpft sich erst an das »Kiesen bei Namen*. Weil dasselbe ein konstitutiver Akt ist, ziehe ich vor, nicht von »Verkündigung* zu reden, was den Gedanken an einen deklarativen Akt rege macht. Die »Kur bei Namen«, welche ma- teriell keine Wahl ist, weil nach dem Ssp, der »mutwille<'= fehlt, ist viel- mehr im Anschlüsse an v, Amira und Lindner als staatsrechtliche Namen- gebung, Namensfestigung zu chavakterisiren^). Dieser Akt, nicht die Wahl

') kSo heissen technisch die Skrutatoren und Kompromissare. *) S, auch M., Ztschr. f. RG. XXIII. S, 47 N. 1.

Literatur. ervo

ist in Sinu und Geist des Ss'p. die nominatioi). Er ist keine importirte, sondern eine germanische Kechtsbildung. v. Amira verweist vielsat^end auf das norwegische gefa konungs nafn^). Die Namengebung bedeutet juristisch die Erhebung zum königlichen Rechtssubjekt, analog wie einst das Kind durch die Namengebung erst zur Person im kechtssinne wurde 3). Sie verleiht dem Gewählten Titel und Carakter des Königs. Sie schafft jenes oben erwähnte juristische Grund- und Zweckverhältnis, aus dem die sub- jektiven Eechte entspringen. In der Zeit, in welcher die Krönung staats- rechtliche Bedeutung besitzt, gibt erst diese die subjektiven Eechte. Ausserdem macht die Xamengeburg den Gewählten zum fränkischen Mann (Ssp. Ldr. III. 54, § 4). In der Auffassung des Lobens kann ich dem Hrn. Verf. nicht folgen. Ich bleibe bei meinen Ergebnissen über den Sinn des Gelobens, die sich mit denen Lindners begegnen. Was seither gegen Lindner vorgebracht wurde, hat meine Überzeugung nicht erschüttert. Das laudare der deutschen Quellen in lateinischer Sprache ist die wört- liche Übersetzung von »loben« ^). Das ist angesichts der Tatsache, dass man deutsche Termini wörtlich zu übersetzen pflegte, und angesichts der quellenmässig beweisbaren deutschen Wendung »zum König loben "^^ zweifello^. »Loben« ist aber hier soviel als »geloben« mit dem Grundgedanken des obligatorischen Versprechens^). Beweis dessen die analoge Wendung »zum König schwören«; die Tatsache, dass in Wendungen wie »zum Manne

1) Andere Handschriften, Homeyer N. 24, haben auch, merkwürdig an- klingend an das ,nominare et eligere* der Quellen (z. B. bei der Wahl Rudolfs von Schwaben): nennen, nomen u. kesen.

2) Vielleicht gehört bereits Cassiodors Chron. ad a. 476 hieher : nomen regia Odoaker adsumpsit. M., a. a. 0. S. 47 N. 1, vermutet mit Recht das gleiche für die bekannte Stelle in Widukind : et dextris in coelum levatis nomen novi regis cum clamore valido salutantes frequentabant. S. z. B. auch

Kudrun (E. Martin) 569 ff. : er trüge sinen namen lobelichen. Bit. 20911

bei Lexer II. S. 55: du wirst ze künege hie genant.

3) Das Wort j>name* diente im Mittelalter häufig zur Umschreibung, wo wir jetzt »Person'' gebrauchen; z. B. Schiller Lübben s. v. Die Namengebung spielte auch im Prozess eine Rolle.

■*) M., S. 393, Ztschr. f. RG. XXIII. S. 45 f., stützt seine Meinung auch auf- deu Gebrauch von laudare in nicht-deutschen Gebieten. Ich halte das für un- zulässig. Für die deutschen Quellen in lateinischer Fassung gilt eine besondere Interpretation, weil sie regelmässig deutsch denken.

^•) Der Hr. Verf. bestreitet, dass ich einen stringenten Beweis für laudare = geloben geliefert habe (S. 393 f. N. 67). Ich glaube, dass bei gleichmässiger Beachtung aller Erscheinungen das Ergebnis für mich doch günstiger ist. Ins- besondere ist die ausdrückliche Erwähnung eines V er spr e chen^^ beweis- kräftig (S. 35 f.). Das Erbenlob halte ich nach wie vor für em Treugelöbnis. Im Handsymbol tritt dabei nicht der Verzichtsgedanke zu Tage. S. Homeyer zu Ssp. Ldr. I. 52, § 1. Aber auch beim Verzicht ist meine Deutung nicht aus- geschlossen. S. z. B. V. Voltelini, Acta tirol. 11. S. LIX ff. Vielleicht ist be- merkenswert, das Ej'ke, der sonst für ^Erlaubnis* regelmässig »Urlaub* ge- braucht, in der festen Verbindung »mit erven gelove« davon abweicht. S. Roethe, Reimvorreden S. 90. Sollte damit nicht das Treugelöbnis gekennzeichnet werden? Ich mache aufmerksam, dass im einzelnen Falle laudare auch von solcher Seite instinktiv richtig als Gelöbnis verstanden wird, welche an die vor- liegende Streitfrage gewiss noch nicht dachte. Z. B. Helmolds Chron. Slavorum ed. Lappenberg (MG. SS. XXI.) L c. 27 N. 29; c. 50, 83, 91; II. c. 13. Dazu Laurents Übersetzung in den Geschichtschreibern d. deutschen ^ orzeit. 12. Jalirh. 7. Bd. L c. 50, 91; II. c. 13

504 Literatur.

(den Mann) loben, geloben«, »zum Weibe loben« (vgl. »zum Weibe schwüren*)^) der Sinn des obligatorischen Versprechens unbestreitbar und von sprachwissenschaftlicher Seite (z. B. Lexer, Bartsch, Holtzmann) an- erkannt ist^j; die »Festigung« als Rechtswirkung des »Lobens«^); das Handsymbol als sinnenfälliger Ausdruck der Laudatio^). Das Loben des Königs ist nach meiner Meinung weder ein Abstimmen, Wählen, noch ein farbloses Zustimmen, Billigen, sondern das Treuversprechen, zum erwählten und mit dem Königsnamen ausgestatteten Herrscher zu halten, der form- bestimmt mit Hand und Mund bekundete Wille treuer Ergebenheit, hin- gebungsvollen Eintretens für den König und seine Interessen. Das Loben als Unterwerfung ist gleichsam das Echo der Erhöhung zum königlichen Rechtssubjekt bei den Untertanen. Insoferne ist es mittelbar natürlich ein Zustimmen: die Uberordnung wird durch einen Unterwerfungsakt an- erkannt, sanktionirt. Das Loben ist eine Zustimmung in Verpflichtungs- form, wie sie auch sonst im Recht begegnet^). Die scharfe Erfassung der" juristischen Gedanken ist auch für das Vei'ständnis der Entwickelung von hoher Wichtigkeit. Ich behalte mir vor, auf das interessante Problem des juristischen Aufbaues des deutschen Königswahlrechtes, insonderheit auf die Wahl, die staatsrechtliche Namensfestigung und das Loben des Königs zurückzukommen. Im weiteren Verlaufe der Ausführungen bringt M. die Umbildung des Wahlbureaus zum ausschliesslichen Wählerkolleg mit der Verringerung in der Zahl der weltlichen Fürsten in Zusammenhang; bei den oreistlichen Fürsten habe die er/.bischöfliche Stellun^jf entschieden.

') Andere Wendungen mit dem Akkusativ der Person: »jemanden zum Freunde 1.*, »einander 1.", »jemanden zum Herrn, Hauptherrn 1.*, »sich geloben in das Band*. Vgl. gelobte Gesellen (= die das Handgelöbnis geleistet haben).

-) Hier liegt einfach eine Prp.egnanz im Ausdruck vor, wie sie oft vor- kommt. Vgl. auch afloven = geloben, etwas abzustellen (Schiller-Lübben s. v. ). .»Eine Person zum Mimne i den Mann) loben* = geloben, diese Person zum Manne nehmen zu wollen. Die Schwierigkeiten, welche M. in seiner neuesten Abhand- lung S. 44 N. 1 in giammatikalischer Hinsicht betont, bestehen nicht. Aller- dings leistet man dem Thronkandidaten etwas durch das Loben : die Treue ; aber diese Person braucht deshalb gar nicht im Dativ zu stehen. Vielmehr besagt •die Wendung »den König loben* (= eine Person »zum König loben*): geloben, den Gewählten als König anzunehmen, zu halten. Das aber ist das Versprechen der Treue an den Gewählten.

3) S. z. B. Kudrun 770: Dem bin ich bevestent: ich lobete in ze einem man. Dazu die Wendung: ^ eine Frau zum Weibe befesten*. »Festigung* gehört zur Übligations-Terminologie der Germanen. Und so wird die Rechtswirkung 'des laudare als des übligirenden mit firmare oder confirmare gekennzeichnet.

•*) Hiezu neuestes M. S. 45. Er fasst die Handerhebung als feierliche Ver- stärkung auf und legt dem Unterschiede in der Symbolisivung: Handerhebung, nicht Handreichung, Bedeutung bei. Es sei für einzelne Stellen wahrschein- licher, dass das Handerheben als Abstimmungsform mit dem Versprechen nur zusammenwächst, weil die Handerhebung zur Bestärkung des Versprechens spe- zifisch sächsisch ist. Allein auch hier bekundet das Handsj-mbol den Trcu- willen, der das Wesen des Gelobens ausmacht. Wenn eine Volksmasse laudiren soll, so ist zu bedenken, dass speziell die Form der Handerhebung sich aus Gründen der praktischen Notwendigkeit geradezu aufdrängt. In Erwägung der Grussformen der Völker, die regelmässig eine Ergebung ausdrücken, wird man auch »salutantes* in Widukind oben S. 504 N. 2 zu Gunsten dieser Deutung der Handerhebnng in Anschlags bringen dürfen.

■') Auch M. redet I. S. 380 von einem »eidlichen Konsens*. S. z. B. auch v. Voltelini, a. a. 0. S. XCIX N. 2 Nr. 152, 214, 281.

Literatur. ^^^

Die Fürsten sind stillschweigend unter den Konsentirenden aufgeaancen und der zeremoniöse Vorrang der Kurfürsten verwandelte sich von° selbst in em ausschliessliches Recht, wobei vielleicht der Doppelsinn von elec^or und scrutator eine Rolle spielte. Der König ist Volksgenosse geblieben rechtlich verantwortlich und Rheinfranke. Trotzdem war seine Rechts' macht weit über die blosse Häuptlingsgewalt hinausgewachsen. Die Zu- rückhaltung des Königtums in der Gesetzgebung knüpft an die ursprüna- hehe Anschauung an, wonach eine selbständige Regelung durch König und Hof nicht als Rechtschöpfung angesehen wurde. Der Fortschritt in der Rechtsbildung durch das Königtum vollzog sich, abgesehen vom Land- frieden, im Ganzen durch die Aufnahme einzelner Personen in die könW- liche Schutzgewalt. Auch in der Rechtssprechung tritt das ursprüngliche Fehlen eines königlichen Gesetzgebungsreehtes und die Beschränkung des Königs auf den Bann (Aufgebot gegen den Friedlosen) zu Tage.° Die Staatsgewalt entbehrte der heutigen Fülle. Der Streit um sie, d. h. um die Rechtssprechung, wurde zwischen dem König und seinen Beamten ge- kämpft. An des Volkes Stelle sind die Hofleute getreten (Reichstage, spätere Landtage mit privatherrschaftlicher Grundlage). Unter »Provfn- zialgewalt « beschäftigt sich M. mit deren Erwerbung durch die Provinzial- beamten, mit der Landesherrschaft, der königlichen Domanialgewalt und ihrem Untergange. Eine Skizze der königlichen Gewalt (Amtsbesetzung, Amtskontrolle, Finanzrecht, Militärhoheit, Allgemeines) beschliesst das Werk, welches in den Gedanken ausklingt, dass, während das von Haus aus mächtigere deutsche Königtum seine Hausmacht vernachlässigte, auf die Hofkleriker angewiesen war, die deutsche Zentralmacht durch den Zug zum Imperium und das Fehlen staatlicher Zentralbehörden immer mehr zerstört wurde, Frankreich früher ein Einheitsstaat geworden ist vermöge seiner älteren Kultur, der gebildeten weltlichen Bürokratie an des Königs Seite und wegen des Jahrhunderte langen Bestandes seiner Dynastie.

An das Bild der geistreichen Arbeit knüpfe ich den Wunsch, dass ihr hiedurch neue Leser zugeführt werden mögen. Wer in Fragen ver- fassungsrechtlichen Werdens eine vielseitige Anregung empfangen will, ver- absäume nicht, auch diese Bände zu studiren, Ihr Inhalt reizt oft zum Widerspruch, entbehrt aber nicht auch einer werbenden Kraft, indem er Zweifel an der Richtigkeit bisheriger Anschauungen wachruft oder ver- stärkt, zu erneuter Prüfung und Überlegung anspornt. Vorderhand dürfte im grossen und ganzen Vorsicht im Annehmen, aber auch im Ablehnen M.'scher Ansichten zu empfehlen sein. Weil diesen gegenüber noch Zu- rückhaltung im Urteil geboten ist, habe ich, dessen Hauptstudien noch überdies auf anderem Gebiete liegen, die Orientirung über den Aufbau und wesentlichen Inhalt des Werkes als meine vorzügliche Aufgabe be- trachtet. Dessen ungeachtet wollte ich bei einer Reibe von Ergebnissen den Eindruck wiedergeben, den sie auf mich machten, zu mehreren aus jenen Partien, mit denen ich mich neben meinen privatrechtlichen Unter- suchungen eingehender beschäftigte, Bemerkungen fügen, soweit es der Raum nur überhaupt gestattete. Ein tieferes Eingehen auf einzelne Fragen hätte freilich viel Verlockendes gehabt, war aber, ganz abgesehen von den

Mitthcilnnfcn XXIV. 33

506 Literatur.

eingangs erwähnten Schwierigkeiten, schon durch die ßaumgrenze aus- geschlossen, die ohnehin bereits beträchtlich überschritten ist.

Graz. PaulPuntschart.

Die historische periodische Literatur Böhmens, Mährens und Oesterr.-Schlesiens. 1900—1901.

Mit Nachträo-eu zum Berichte für das Jahr 1899^). Bölilucii.

III. Mitleilungen des Vereines für Geschichte der Deutscheu in Böhmen. Redigirt von A. Horcicka und 0. Weber.

Jahrgang XXXVIII. (l900). Julius Jung, Alfons Huber. S. 1 6. Ein Nachruf. Valentin Schmidt, Beiträge zur Wirt- schaftsgeshichte der Deutschen in Südböhmen. S. 6 52, 162 197, 287 336- Diese Fortsetzung behandelt die Entwicklung des Brauwesens in Südböhmen. Ein allgemeiner Teil gibt einen Überblick über alle hiemit zusammenhängenden Fragen, Brau- und Mälzrecht, Meilen- recht und die hieraus, entstandenen Streitigkeiten zwischen Adel und Städten im allgemeinen, den Rosenbergern und der Stadt Budweis im beson- deren, Ausübung des Braurechtes, Masse und Preise, Braupersonal und Löhne, Biertaxen, Poenale, Abgaben an die Obrigkeit, Schenken u. a. Im speziellen Teil wird die Geschichte der einzelnen südböhmischen Braustätteu (J53 an der Zahl) gegeben. Josef Neuwirth, Zur Geschichte einiger Prager Kirchen aus einem Testamente v. J. 1392. S. 52 56. In dem Testament eines Bürgers der Prager Neustadt, des Bräuers Maresch (Deckblatt der Hs. 4208 der Wiener Hofbibl.) finden sich Geldlegate für die Stephans-, für die Maria-Schneekirche und für Karls- hof, woraus geschlossen werden kann, dass diese Bauten damals noch nicht vollendet waren. A. N. Harzen- Müller, » Wallenstein '=^- Dramen und -Aufführungen vor Schiller. S. 57 68. Dem Verf. sind über 20 vorschillerische Wallenstein-Dramen bekannt, das erste verfasste der Stettiner Schulrektor Johann Lütkeschwager (Micraelius) im J. 1631: »Tragicocomoedia nova de Pomeride, a Lastlevio (d. h. Valstenius) afflicta et ab Agathandro (d. i. K. Gustav IL) liberata. * Derselbe Micraelius gab 1632 und 1633 zwei Fortsetzungen, also im ganzen eigentlich eine Tri- logie heraus. Die wichtigeren dieser Dramen werden hier des Näheren besprochen. J. Hrdy, Pfarrer, Blankenstein. S. 69 84. Histo- rische Skizze dieser im Elbetal gelegenen Ruine, die mit dem J. 1401 be- ginnt und bis 1527 reicht. A. Mörath, Deutsche Grabdenk- mäler am ehemaligen Friedhofe bei der St. Veitskirche in Krummau. S. 84 87. Aus dem 16- Jahrhundert und für die lokale Zunltgeschichte von Belang. A'alentin Schmidt, Bausteine zur böhmischen Kunstgeschichte. S. 88 91. Urkundliche Notizen

>) Vergl. Mitteil, des Instituts 22, 152 ff., 342 ff.. 24, 328 ft'.

Literatur. -«-.y

zumeist saec. XV., die sich auf die Ortschaften Goldenkron, Krems Schwei- nitz, Deutsch-Reichenau b. Gratzen und Tisch und deren Kirchen oder Klöster beziehen. F. Mencik, Zwei Leitmeritzer Urkunden S. 91—95. Die eine von K. Karl IV. 137 2, 19. September, Pracr die zweite von K. Wladislaw 1506, 12. März, Ofen, beide auf Heimfaüsrecht bezüglich. Joh. Haudeck, Die Johanniskapelle am Eisbercr bei Kameik. S. 95—98. Julius Jung, Heinrich von Zeiss° berg. S. 105—109. Ein Nachruf. Adolf Hauff en, Zur Geschichte der deutschen Universität in Prag. Mit einem bibliographischen Anhang. S. 110—127. Ein Bericht über die anlässlich des Regierungs- jubiläums erschienene Festschrift ^Die deutsche Karl Ferdinands-Univei^si- tät in Prag unter der Regierung Seiner Majestät des Kaisers Franz Josef I. « Josef Neuwirth, Die Wandgemälde in der Wenzelskapelle des Prager Domes und ihr Meister. S. 128 154. Die Aus- schmückung mit Edelsteinen (nach dem Karlsteiner Vorbild) geschah laut den Wochenrechnungen des Dombaues und Benesch' von W°eitmül, der damals Dombaudirektor war, 1.372 und 1373, man kennt auch die Namen der Steinmetze, die das Einsetzen der Steine besorgten, und die Art der Ausführung bis ins Einzelnste. Die Gemälde führt N. auf den gleichfalls in den Dombaurechnungen in den genannten Jahren erwähnten Maler Meister Oswald zurück, der aus Passau oder Regensbui-g stammen dürfte. B. Knott, Ein Bericht über Prag und seine Bewohner aus dem Jahre 1531. S. 155 162. Stammt von dem mantuanisehen Ge- sandten Abbadino, ist in religiöser und kulturhistorischer Hinsicht inter- essant. — Ad. Horcicka, Zur Geschieh te des Nürnberger Han- dels nach Böhmen. (l512). S. 197 199. Auf Grund einer Urkunde im Aussiger Stadtbuch dd» 28. Mai 1512, durch welche die Eheleute Hebenstreit sich verpflichten, die dem Nürnberger Bürger Hans Amelreicb für Kaufmannswaren schuldigen 115 fl. rhein. ratenweise zu bezahlen und sie ihm auf ihrem Aussiger Wohnhause verschreiben. Splitter. S. 200 201. Josef Neuwirth, Der vorkarolinische St, Veits- dom in Prag. S. 210 234. Auf Grund verschiedener Quellennach- richten gibt der Verf. eine sehr instruktive Darstellung über die Anlage und Ausschmückung der l)eiden vorkarolinischen Prager Veitskirchen. H. Spangenberg, Die Bofiwoj legende. Ein Beitrag zur Kritik des Cosmas von Prag. S. 234 249. Nach S.' Ansicht hat Bofiwoj als erster unter den pfemjslidischen Fürsten die Taufe erhalten, aber nicht von Method was als im 11. Jahrhundert entstandene Legende anzu-' sehen ist sondern von der bairischen Geistlichkeit und nicht sicher im Jahre 894, weil diese Jahreszahl nur durch Cosmas überliefert ist und zwar im Zusammenhang mit vielen anderen falschen Zeitangaben. Her- mann Hall wich. Die Glatz von Althof und ihr Stammhaus. S. 250 273. Die Geschichte des Althofes bei der Bergstadt Graupen lässt sich bis zu Beginn des 14. Jahrhunderts zurückverfolgen. Nach den schicksalsreichen Jahren der Husitenkriege ist zuerst der Althof im Besitze der Graupener Familie Hengst, die ihn von dem Besitzer der Stadt Al- brecht von Kolditz als Grundpacht innehat. Aber noch im 15. Jhd. ging er an die Graupener Patrizierfamilie » Glatzen ^'^ über, deren Geschichte hier zum ersten Male bis zum Aussterben im J. 1593 auf Grund reichen

508; Literatur.

Quellenmateriales verfolgt wird, ebenso die der späteren Besitzer des Alt- hofs bis auf die neueste Zeit. Adolf Lud. Krejcik, Beiträge zur Biographie des M. Zacharias Theobai d. S. 274 286. Vorläufig nur eine Anzahl Urkunden und Eegesten aus in- und ausländischen Ar- chiven als Vorarbeit zu einer hier bereits angekündigten grösseren Studie über dasselbe Thema, s. unten. A. Bachmann, Ludwig Schle- singer. S. 345 352. Ein Nachruf. Alois Bernt, Eine neue Bibelübersetzung des 14. Jahrhunderts. S. 353 393. Findet sich in einer Hs. des Minoritenklosters in Krummau. die die im J. 1380 entstandene Abschrift einer noch älteren deutschen Bibelübersetzung des alten Testaments darstellt. B. behandelt 1. die Handschrift und ihren Inhalt, gibt 2. Proben des Textes, beschäftigt sich im folgenden 3. Ab- schnitt mit der Ubersetzungstechnik, die sehr zu Gunsten des Übersetzers- spricht, 4. bestimmt er ihre Stellung zu den bekannten mhd. Übersetzungen und handelt 5. von der Sprache, darnach er »mit einiger Gewissheit* diese Übersetzung auf den nordwestlichen Teil Schlesiens lokalisiren möchte. Heinrich Sperl, Die Grenzen zwischen Böhmen und dem Mühl- lande im Mittelalter und die Heimat der Witigonen. S. 394 bis 404. Nach urkundlichen Belegen aus vier Jahrhunderten lag die alte Grenze im Vergleich zur heutigen weiter nördlich und wurde von der Moldau gebildet. Im Gegensatz zu cechischen Forschern (Do- mecka u. a.) wird im Zusammenhange damit weiter erwiesen, dass der AhnheiT der böhmischen Witigonen sich schon im J. 1209 nach der deut- schen Burg Plankenberg im Mühlviertel schi-ieb und dass dieses durch ein altes Siegel bezeugte Plankenberg nicht eine heute verfallene Burg in Mähren westlich von Olmütz bedeute ; demnach auch die Rosenberge nicht aus Mähren nach Böhmen kamen, sondern ein deutsches Dynastengeschlecht waren, dem der ganze Landstrich von der Moldau bis zur Donau gehörte, ursprünglich als freies Eigentum, später als passauisches Lehen. Rudolf Wolkan, Ein Pas q u ill auf Georg und Ladislaw Popel von Lobkowitz vom J. 1594. S. 404 412. Es fand sich in einer Hs. der Stadtbibliothek in Siena saec. XVI. und bildet einen nicht unwichtigen Beitrag zur Geschichte dieses berühmten Prozesses K, Rudolfs II. gegen den übei'mächtigen böhmischen Landhofmeister, der ausführlich in den böhmischen Landtagsvei-handlungen Band VIII auf urkundlicher Basis dar- gestellt erscheint. Eine deutsche » Tragedia von zweyen böhmischen Land- herren« hat W. schon früher einmal mitgeteilt, ein cechisches Spottlied findet sich in den Landtagsverhandlungen. Jos. Fischer, Blutige Exzesse bei einer Prager Fr ohnleichnamsprozession imJahre 1605. S. 413 416. Berichte der beiden bairischen Agenten Boden und Manhart (München Reichsarchiv, Fürstensachen Tom. 39) an den Herzog Maximilian von Baiern. Der bedeutendste war der zwischen zwei Genuesen Doria und Spinola wegen des Himmeltragens. Hier war persönliche Eifer- sucht die Ursache, sonst Zufälle und Rohheit, gelegentlich auch Deutschen- hass, nach dem Berichte Manharts. Ad. Horcicka, Ein Brief des Meissnischen Geschichtsforschers Joh, F. Ursinus an Franz M. Pelzel. S. 416 423. Das Schreiben im Besitze des Verf, eines Urenkels Pelzels, ddo. Boricz am 31. Januar 1787 ist ein beachtenswerter Beitrag für die Biographien der beiden Gelehrten, die darnach in regem

Literatur.

509

Briefwechsel und Gedankenaustausch mit einander gestanden haben dürften.

J. Simon, Aus der Geschichte der Egerer Lateinschule! 1595 1629. S. 424 441. Die noch vorhandenen Schulakten geben einigermassen Aufschluss über die Rektoren, ihre Berufung, ihr Verhältnis zur Behörde, der sie unterstehen, den Scholarchen, über Gehälter und sonstige Einnahmen ; über Schuleinrichtung, Lehrplan und die ineren Ver- hältnisse der Schule ist nur wenig zu entnehmen. W. Mayer, Ad. Stifter in Karlsbad. 441^444. Rudolf Knott, Das Raub- schloss, das heilige Brünnel und das Pfaffengrab bei Grau- pen im Erzgebirge. S. 445— 448. Splitter. °S. 448—449.

Jahrgang XXXIX. (1900, 1901). Karl Uhlirz, Die Errichtung des Prager Bistums. S. 1 lo. Nach U, kommt für diese Frage nur Othloh's Bericht in Betracht, Cosmas ist voller Widersprüche und Unrich- tigkeiten. Aus der von Cosmas überlieferten Urkunde Heinrichs IV. (1086, IV. 29), in welcher es heisst, dass das Prager Bistum »tarn a Benedicto papa quam a primo Ottone imperatore« bestätigt worden ist, will U. die Beziehung auf den Papst (Benedikt VII.) gelten lassen, die auf Otto I. dahin berichtigen, dass eine Verwechslung mit Otto II, vorliege. Adolf Zycha, Über die Echtheit der Iglauer Stadthandfeste von 1249. S. 10 22. Es wird hier der Beweis zu erbringen versucht, dass die vielfach angezweifelte und sehr verschieden gedeutete Urkunde voll- kommen zuverlässig ist und zwischen 15. 24. August 1249 während der Anwesenheit K. Wenzels und seines Sohnes Pfemysl in Iglau entstanden ist. Alois Bernt, Ein neuer deutscher Psalter vom J. 1373. S. 23 52. Befindet sich im Minoritenkloster in Krummau, stellt sich als eine Abschrift nach einer Interlinearübertragung dar und gehört nach , seiner Sprache Prag oder einem nördlich von Prag gelegenen Orte an. C. Jahnel, Noch einige Nachrichten über dieGlatz von Alt- hof und ihrGutKleische. S. 53 62. Eine Ergänzung zu dem oben verzeichneten Aufsatz von Hallwich. Kleische gehörte einst den Johannitern.

Adolf Lud. Krejcik, Zacharias Theobai d. Eine biographische Skizze. S. 63. Am bekanntesten ist Theobald (geb. 1584, gest. 1629) durch seinen »Hussitenkriege. Er war aber auch auf dem Gebiete der Philosophie, Naturlehre, Gelegenheitspoesie und Publizistik literarisch tätig. Zuerst Schulrektor in seiner Vaterstadt Schlaggenwald, dann in Chotnor und Heiligenkreuz Prediger, musste er sich wegen Teilnahme an der Opposition gegen K. Ferdinand II. später nach Nürnberg flüchten, voii wo aus er eine Pfarre in Kraftshof erhielt, die er bis 1626 besass. In der Beilage werden Theobalds Werke aufgezählt, Rudolf Knott, Ein Beitrag zur Geschichte der Ermordung Wallensteins. S. 7 7 80. Zwei Berichte des mantuanischen Gesandten aus Wien aus dem Archive zu Mantua, der erste vom 18. Februar, der zweite vom 22. Fe- bruar 1634, mit Schilderungen der Stimmung des kais. Hofes und der Wiener Bevölkerung unmittelbar vor dem Ereignis. Anton Mörath, Die deutsche Zunftordnung der Krummauer Müller aus der 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts. S. 81— 90. Der Aufsatz greift zu- rück bis auf die erste Erwähnung der Mühleu in Krummau in einem Pri- vileg Peters v. Rosenberg vom 14. August 1347; die Erneuerung der Zunft- ordnung durch Wilhelm von Rosenberg wahrscheinlich wie allen übrigen

510 Literatur.

Zünften 1574 erteilt und in einer Bestätigung K. Mathias' vom 30. April 1614 erhalten, wird eingehend bespi'ochen. F. Jifik, Ein Brief Adalbert Stifters an August Piepenhagen (Prager Maler). S. 91 100. Heinrich Ankert, Das Pestkirchlein in Liebe- schitz. S. 101 103. Errichtet 1686/1687 zur Erinnerung an die Pest vom J. 1680 durch die Jesuiten, auch als Bau und wegen einiger Kunst- werke (Holzaltar, Altarbild von Hainsch) nicht uninteressant. Johann Haudeck, Dorfrecht in alter Zeit. S. 104 108. Der Verf. er- innert an die Art der Beilegung von Sti'eitigkeiten auf dem Lande durch Abhaltung sogenannter »Tauschk'n oder »Dauschken* und bringt Beispiele solcher Stritte aus dem Grundbuch der Gemeinde Libochowan. Splitter, S. 109. A'. Marian, Das bürgerliche Bräuhaus in Aussig. S. 115 154. Behandelt l. die Geschichte des alten Bräuhauses und der Winkelmühle, 2. die geschichtliche Entwicklung des Brauwesens in Aussig, und bringt im mehreren Beilagen 1. die Artikel der Aussiger Mälzerzunft vom J. 1583, 2. die Vormeister der Mälzerzunft von 1589 an, 3. eine Übersicht der bräuberechtigten Häuser in Aussig in den J. 1660 1791, 4., 5. eine Übersicht der Betriebsführung im bürg. Bräuhaus in Aussig und der Bräuschaftsverwaltung, 6. eine Berechnung des Nutzens von 1 Ge- bräu Bier am 28. Februar 1791 und 7. einen Vergleich der Bierproduktion von 1859 1899. Alois Bernt, Der Hohenfurter deutsche Psalter des 14. Jahrhunderts. S. 155 170. Dieser Psalter gehört jener Gruppe an, die von Walter als der 10. deutsche Psalter bezeichnet wird und bisher durch 9 Handschriften repräsentirt war, die alle jünger sind als die Hohenfurter. Als Übersetzer sieht B. nicht mit Walter Hein- ^ricus de Hassia d. J., sondern d. A., auch Heinrich von Langenstein ge- nannt (l325 1397), an. De»- Hohenfurter Kodex gibt gegenüber den übrigen Handschriften einen in allen Punkten besseren Text, dazu gehört sie »unter die besten Übersetzungen des Mittelalters* überhaupt, was an diesem Kodex im einzelnen bewiesen wird. Die Untersuchung der Mund- art ergibt, dass es ein bairischer Schreiber gewesen, der »nicht weitab von der Zeit der ersten Übertragung diese Handschrift nach einem Diktate des Übersetzers schi'ieb«. R. Batka, Studien zur Musikgeschichte Böhmens. S. 171 185, 275 287. Der erste Abschnitt behandelt die Einführung des Kirchengesanges und führt aus, dass unter K. Wenzel d. H. der regelmässige Gottesdienst und der ihn begleitende Gesang von den deutschen Geistlichen überall in Böhmen bereits eingerichtet war. Der Verf. bespricht dann die Nachricht des Cosmas über den Einzug des ersten Bi- schofs Thietmar in Prag, ^^die allerhand musikgeschichtliche Ausblicke nach vor- und rückwärts eröflPnet*. Der zweite Abschnitt behandelt »das St. Adal- bertslied* mit dem Anfangsvers »Hospodine pomiluj ny* und sucht nach- zuweisen, dass die Autorschaft des h. Adalbert 5>mit gutem Grunde zu be- zweifeln ist«, dass es aber im Zusammenhange steht mit dem allmählich im 12. Jhd. in Schwung kommenden Adalbertkult, und als eigentliches Nationallied erst um die Mitte des 12. Jahrh. in Geltung gewesen ist. In der Zeit bis auf König Wenzel finden sich nur »kümmerliche fast zu- sammenhanglose Nachrichten für die Kenntnis der musikalischen Ent- wicklung des Landes ^^ Eine Hauptquelle für die Pflege des liturgischen Gesanges während der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts bildet das Prager

Literatur.

511

(Oppatowitzer) Homiliar. Alle Andeutungen in den Quellen beziehen sich aber nur auf »gesungene Messen«. In der St. Veitskirche ist erst seit Anfang des 1.3. Jhd's. eine Orgel bezeugt; andere Instrumente werden erst in der zweiten Hälfte dieses Jhdls. erwähnt. Geistlicher Volksgesano- hat sich sehr langsam ausgebildet. Von der weltlichen Volksmusik °haben wir nur einige Nachrichten aber leider keine einzige echte Volksmelodie aus jener Zeit. Bezüglich der Instrumente verweist der Verf auf eine spätere Arbeit. Rudolf Knott, Die Bücherei eines utraquistischen Pfarrers in Luditz. S. 186—187. Das Verzeichnis dieser 31 meist theologischen Werke, das sich im Luditzer Stadtbuch (angelegt 143.5) vor- findet, wird abgedruckt, Nikolaus S c h e i d , Ein Beitrag zur Schul- geschichte Böhmens. S. 188 194. Behandelt die auf die Scbul- verhältnisse Böhmens Bezug habenden Nachrichten in dem Memoriale des Jesuitenpaters Nikolaus Avancini aus dem J. 1675, der damals j, Visitator der böhmischen Urdensprovinz« war. Das Ms. befindet sich im Wiener H. H. und Staatsarchiv (Geistl. Archiv, Fase. 423). Er spricht u. a. über die Notwendigkeit der Kenntnis beider Landessprachen, über die Wichtig- keit der Bibliotheken, sehr ausführlich s) über die »studia humaniora«, über die Schuldeklamation und Dramenaufführung. Franz Wilhelm, Zur Geschichte der alten Steinkreuze. S, 195 209. Bringt nach einer kurzen Einleitung einige kurze Verträge saec. XV. aus einem alten Rechtsbuch der Bergstadt Graupen, aus deren Inhalt sich von neuem ergibt, dass diese Kreuze als »Sühnzeichen« zu betrachten und auf einen alten deutschen Rechtsbrauch zurückzuführen sind. Karl Siegl, Ein auf Götz von Berlichingen bezügliches Schriftstück im Egerer Stadtarchiv. S. 210 212. Es ist das Ansuchen der Nürnberger an ihre Egerer Freunde, ihren Boten zu gestatten, die Achterklärung gegen Götz in Eger anschlagen zu dürfen. Querfolio Pergament, dd" 1512, August 11. Job. Haudeck, DerHradekvonLibochowan. S. 212 bis 222. Eine kurze Zusammenfassung alles dessen, was Sage und Ge- schichte über diese Ringwälle, über die Burg auf dem Dreikreuzberge, über den Teufelstein, den Dreihutberg und die Waldkapelle berichten. Karl Siegl, Das Egerer Achtbuch aus der Zeit von 1310 1390- S. 227—271, 375 427. S. Mitt. des Inst. 23, 198. Rudolf K not t. Ein Beitrag zur Geschichte der Beziehungen der Luxemburger in Böhmen zu den Gonzaga in Mantua. S. 272 274. Drei kurze Urkunden aus dem Archivio Gonzaga in Mantua, ein Schreiben von Karl IV. an die drei Brüder Guido, Filippino und Feltrino von Gonzaga, dass er ihren Notar Angelo von Arezzo mit mündlichem Berichte zurücksende (l349, Juni 24), ein Brief der K. Elisabeth an Ludwig von Gonzaga mit der Nach- richt von der Geburt eines Sohnes (Sigismund) dd« 1368, Februar 16 und ein Schreiben Karls IV. vom 17. Juli 1368 wegen Bezahlung von 4000 Gulden Sold für die Hilfstruppen Ludwigs von Mantua. Julius H e 1 b ig, 'Geschichte der Gegenreformation und der gleichzeitigen Kriegsereignisse in der Herrschaft Friedland. S. 287 312, 453 474. Die Ächtung des bisherigen Grundherren Christoph II. von. Rädern (l4. Juli 1622) und der Übergang des zu Böhmen gehörigen Teiles der Herrschaft an Albrecht von Waldstein hatten grosse Veränderungen in religiöser und wirtschaftlicher Hinsicht zur Folge. Zuerst wird die

5 12 Literatur,

Handhabung der konfessionellen Reform und die damit verknüpfte Ver- schlechterung der wirtschaftlichen Verhältnisse dargelegt, dann die Bedräng- nisse durch den schwedischen Feind und die kaiserlichen Truppen in den Kriegsjahren bis 1650, wobei der Eückkehr Räderns unter schwedischem Schutze im J. 1640 gedacht wird. Das nach Abzug der Schweden (7. Okt. 1649) neu beginnende Regime Gallas brachte wiederum energische Mass- regeln gegen die Lutheraner. 1650 wurde behufs systematischer Durch- führung der kirchlichen Reform ein Status der Bewohnerschaft Friedlands angelegt und 1651 dem Oberhauptmann eine strenge Instruktion behufs Re- katholisirung gegeben, worauf die Emigration aller Orten platzgrifF. 1662 in Friedland, 1662 1695 in den Dörfern der Herrschaft fanden dann die zwangsweisen Vex'äusserungen verlassener Besitzstände statt, von deren Erlös ein Teil der Kirche, ein anderer dem Staate für allerhand Schuldig- keiten (Kirchengelder, Steuern, Ranzionen) abgeliefert wurde, der Rest der Obrigkeit zufiel. Alfred Raschek, Die Zunftordnung der Schlosser in Kr um mau v. J. 1593. S. 312 320. Wird mit einer kurzen Einleitung vollinhaltlich abgedruckt, sie ist deutsch abgefasst. Alois Bernt, Ein deutsches Husitenpaternoster aus dem Stifte Hohen fürt. S. 320 322. Eine Parodie des Vaterunsers an- geblich in Prag c. 1416 entstanden, aber dass deren Verfasser ein Ceche gewesen und das Stück erst später ins deutsche übersetzt worden, ist eine durch nichts begründete Annahme. A. R. Hein, Ad albert Stifter, sein Leben und seine Werke. S. 323 356. W. Mayer, Die Aufhebung des Benediktine rstift es Kladrau. S. 356 366. Das j, Prothocolum über die Besitznehmung . . .*. aus dem Statth.- Archiv in Prag nebst Beilagen ergibt ein Barvermögen von über 631.787 Gulden ohne Schätzung der Bücher, der Priesterbestand bei der Aufhebung war: ,50 Priester und 2 Kleriker, die Mehrzahl trat in den Weltpriesterstand ein. Bis zum 7. April 1786 musste das Kloster geräumt sein. Zuerst wurden die Güter für den Religionsfond verwaltet, aber schon 1789 wurde Tschemin verpachtet, 1791 Przestitz und 1825 endlich auch die Herrschaft Kladrau verkauft. L. Chevalier, Gottlieb Bier mann. S. 367 374. Nachruf. August Sauer, Graf Kaspar Sternberg und sein Einfluss auf das geistige Leben in Böhmen. S. 427 452. Ein Festvortrag gehalten bei der lojährigen Stiftungsfeier der Gesellf^chaft zur Förderung deutscher Wissenschaft, Kunst und Literatur in Böhmen. Splitter. S. 475 476.

IV. Casopis musea krälovstvi Ceskeho, (Zeitschrift des Mu- seums des Königreichs Böhmen.) Redakt.: Antonm Truhlaf; jMitredakt. : Frant. Kvapil, Cenek Zibrt.

Jahrgang LXXIV. (l900). Zikmund Winter, Platy a düchody ucitelske v XVI. veku. (Gehalte und Einkünfte der Lehrer im XVI. Jahrh.) S. 1 17, 119 134. Die regelmässige Bezahlung bestand in den von den Schülern behobenen Schulgeldern, die nach den Orten verschieden waren; allgemeinere Geltung hatte nur das pretium, die pre- tiales zu den 4 Quatembern, und die wöchentlichen sabbatales. Daneben kann man an die zwanzig verschiedene Geldleistungen nachweisen, hier •die eine, dort die andere, welche die Schüler dem Lehrer brachten: in-

Literatur. gjg

troitales beim Schulbeginn, jarmarkales und nundinales an Markttagen, cretales für Kreide, kalefaktur fürs Heizen u. a. Belege bieten Eger (schon 1350), Nachod (1495), Bidschow, Neuhaus, Deutschbrod, Tabor u. a. Alle diese Schulgelder »iura scholarium<< heissen sie lassen sich in Schlan etwa am Ende des XVI. Jahrh. für den Schulrektor auf ungefähr 10 Schock Groschen berechnen. Die weiteren Einkünfte bezeichnet der Verf. nicht mit Unrecht als teils regelmässige teils aussei-gewöhnliche Betteleien, die wieder örtlich sehr verschieden waren. Die Lehrer bekamen Entlohnungen für die von ihnen für die Schüler geschriel)enen Gesang- oder Leseblätter (nach bestimmten Taxen), für Kalender, die sie den Eltern ausarbeiteten, für Neujahrsbriefe und ähnl. An diesen Bettelgeldern haben auch die armen Schüler einen bescheidenen Anteil. Die älteste Nachricht über einen festen Lehrergehalt stammt für Böhmen aus dem J. 1.370 und betriiFt den von Jost von Rosenberg in Rosenberg angestellten Schulrektor: dann aus Jaroraef vom J. 1374. Erst in der 2. Hälfte des 15. Jahrh. treten dann wieder Nachrichten über feste Gehalte (salarium) auf; der Verf. vergleicht den Gehalt des Schulrektors in Neuhaus an der Grenze des XV. und XVI. Jahrh. mit den Einkünften von Handwerkern und Be- amten, gibt reiche Nachrichten über Lehrergehalte in den einzelnen Städten Böhmens und schliesst mit einem Vergleich des 16. 17. Jahrhunderts mit heute. , Vaclav Vondräk, Z oboru slavistiky. (Aus dem Gebiet der Slawistik). S. 18 37. Nach einigen einleitenden Worten des Sinnes, dass in dieser Disziplin sowohl bei anderen slawischen Völkern wie auch in Böhmen zu wenig gearbeitet werde, werden einige wichtige Spezialfragen dieses Gebietes behandelt, z. B. über das Verhältnis des sla- wischen zu den germanischen Sprachen, wobei der Verf. die Ansicht vertritt, dass einen grösseren Einfluss das Germanische auf das Slawische hatte, als umgekehrt, obwohl auch der Einfluss des letzteren auf jenes nicht ganz geleugnet werden dürfe. Eduard Öebesta, Zprävy Arabüv o stfedoveku slovanskem. (Nachrichten der Araber über das slawische Mittelalter). S. 37 56. Der Aufsatz beschäftigt sich mit Friedrich Westbergs in den Schriften der k. russ. Akademie der Wissenschaften er- schienenem Werke: >Jbrahim's ibn Ja' küb's Reisebericht über die Slawen- lau'ie aus dem Jahre 995* und konstatirt im einzelnen dessen Abwei- chungen von Rosens russischer und de Goeje s holländischer Übersetzung. Zdenek Nejedl^, Ceskä missie Jana Kapistrana. (Die böhmische Mission Johann Kapistrans.) S. 57—72, 220—242, 334—352, 447 464, j^ach einer übersichtlichen Zusammenstellung der Quellen und Literatur, wobei G. Voigt's »Johann von Capistrano« (Hist. Zs. X) als die bisher beste Arbeit über dieses Thema anerkannt wird, teilt der Verf. den reichen Stoff in folgende vier Abschnitte: 1. Darstellung der äusseren Ge- schicke Kapistrans 'während seiner Wanderschaft in Österreich, Mähren, Böhmen, Deutschland und Polen (1451 1454), seiner Verhandlungen mit den Böhmen, seiner Klostergründungen und persönlichen Beziehungen: 2. Charakteristik seiner Missionstätigkeit, seiner Lebensweise, seiner Pre- digtkunst; 3. seine Lehre, der Grundgedanke und die Disposition seiner Schriften gegen das böhmische Husitentum; 4. die von ihm oder bald nach ihm gegründeten Minoritenklöstcr in Böhmen und Mähren, seine Schüler. Heiligsprechung (l690 unter P. Alexander VIH.). Gesamtwur-

r)\4: Literatur.

digung seiner missionarischen Tätigkeit, Erklärung seiner Misserfolge in Böhmen. Josef K a l o u s e k , Anglicka piseü o sv. Vaclave. (Ein eng- lisches Gedieht über den h. Wenzel.) S. 114 ll.S. Ein angeblich in England bekanntes Christmas Carol beginnt »Good king Wenceslas looked out«, womit nur der heilige Wenzel gemeint sein kann. K. erinnert an die englisch-böhmischen Beziehungen, als Kai'ls IV. Tochter Anna König Richards II. Gemalin war und an Anklänge dieses Liedes an die von Karl IV. verfasste Legende Wenzels, möchte also dessen Ent- stehung etv^ra ins Ende des 14. Jahrb. verlegen. Historischen Inhalt oder Wert besit-'.t das Poem nicht. In einem Nachtrag (S. 481—483) teilt K. die ihm von Prof. Morfill in Oxford zugekommene Ansicht mit, dass diesem Lied von Rev. John Mason Neale (1818 1866) stamme; auch ein anderer englischer Forscher Baring-Gould bestätigte diese Ansicht. In einem zweiten Nachtrag (S. 557—559) weist schliesslich K. selbst die Quelle oder Vorlage für Neale nach: es ist ein 1847 in Prag gedrucktes Büchlein: »S. Wenceslaw und Podiwin. Legende . . . Von W. A. Swoboda«. Jaroslav Kamp er, Ladislav Stroupeznicky, jeho 2ivot a dilo. (L. S., sein Leben und sein Werk). S. 135 164, 512 557. Stroupeznicky, ein böhmischer Dramatiker, lebte 1850—1892. Vladimir Francev, K historii vydäni Reraeskeho Evangelia. (Zur Geschichte der Her- ausgabe der Reimser Evangeliars.) S. 164 179. Anlässlich der neuen Ausgabe dieses glänzenden Denkmals altslawischen Schriftwesens durch L. Leger wird hier daran erinnert, unter welch eigentümlichen Um- ständen die erste Hanka'sche Ausgabe in russischer Sprache im J. 1846 erschien, während die Versuche Jastrz^bski's, Sylvester's, Kopitar's u. a. eine Ausgabe zu veranstalten, misslangen. Aber auch die Hoffnungen des »praktischen Hanka« gingen nicht in Erfüllung; das Werk ging in Russ- land schlecht ab, in Prag wurde es von Palacky u. a. totgeschwiegen, die deutsche Kritik lehnte es ab, und Hanka büsste die Kosten, die es ihm verursacht hatte, ein. V. Flajshans, Novj^ rukopis Husüv. (Eine neue Handschrift Husens.) S. 179 190. Die Hs. im Strahover Klosterarchiv besteht aus drei von verschiedenen Händen geschriebenen Teilen (Predigten, Auslegung der Schrift und Husens Postilla), als deren Autor nach Fl. Hus anzusehen ist, wofür allerdings nur innere Gründe und nicht bei allen Teilen in gleicher Stärke als massgebend angeführt werden. Kamil Krofta, Knez Jan Piotiva z Nove Vsi a Chelcickeho »mistr Protiva«. (Der Priester Johann Protiva von Neudorf und Chelcicky's ^Meister Protiva-^.) S. 190 220. Der Verf. stellt zunächst die wenigen Lebensnachrichten zusammen, die über J. P. bekannt sind und bespricht zwei Hss. mit Predigten, die ihm zuzuschreiben sind und eine, die nur sein Eigentum war, um dessen Geistesart zu cha- rakterisiren. Indem er sodann zu der im Titel angegebenen Identitätsfrage übergeht, gibt er eine Übersicht über die bisherigen Ansichten und führt dann Anregungen und Andeutungen Golls im C. C. H. I, p. 47 fol- gend — den Beweis, dass die von Chelcicky dem »Meister Protiva« zu- gesprochenen Zitate wörtlich aus Wicliff herübergenommen sind. Da der historische Protiva aber keinesfalls ein Wicliffist gewesen, so scheint es, dass bei Chelcicky der Name Protiva rein fingirt ist für Wicliff, ob- wohl er in anderen Werken ihn auch direct nennt und zitirt. Isidor

Literatur.

515

Th. Zahradnik, Z knihovny Strahovske. (Aus der Strahov er Bi- bliothek.) S. 242—253. 1. Über eine Hs. saec. XVII. von Wenzel Porcius von Vodnian »Mesto duchovni«. 2. Über eine Hs. saec. XVII. betitelt : Reisebesehreibung Peters von Kican, identisch mit der des böhm, Museums, die genannt ist »Reise des Graien Ignaz von Sternberg 1664 1665*, dessen Begleiter jener Peter von R. war. 3. Über zwei Hand- schriften mit Predigten des Johannes Mystopolis. Hanus' Kuffner, Bitva u Lipan. (Die Schlacht bei Lipan.) S. 28i» 315. Der Aufsatz bezweckt eine nochmalige genaue Analyse der Quellen vom taktischen Ge- sichtspunkte, um jene Gegner zu widerlegen, welche gegen ihn, der schon öfters dieses Thema behandelte, den Vorwurf erhoben, als ob er die Quellen allzu frei und auf Kosten der historischen Y/ahrheit bloss vom taktischen Standpunkt interpretirte. Mit Zuhilfenahme reicher graphischer Darstellungen, wobei insbesondere die Formation der Wagenburg eine wichtige Rolle spielt, werden einige der wichtigsten Punkte in den gegen- sätzlichen Anschauungen über den Verlauf des Kampfes erörtert. Otakar Zachar, Z dejin alchymie v Cechäch. (Aus der Geschichte der Alchemie in Böhmen.) S, 316 325, 422 435. V. Flajshans, Z knihovny Strahovske. (Aus der Strahover Bibliothek.) S. 325 333. Bespricht in dieser Bibliothek erhaltene Fragmente cechischer Texte aus dem 14. 16. Jahrb., zumeist theologischen oder biblischen Inhalts. J. Vrchliickf , Giuseppe Parini a satiricka jeho bäsen »Den^'^. (G. P. und dessen satirisches Gedicht »Der Tag"^.) S. 385 404, 483 503. A. Patera, Nove nalezene zbytky staroceskeko evange- listäfe, Anselma a umueenisv. Jifi z XIV. stol. (Fragmente eines altböhmischen Evangeliars, Anselms und des Martyriums des h. Georg aus dem 14. Jahr h.) S. 504 512. Die Fragmente fanden sich als Pergamentblätter auf dem Einband eines Urbars, befinden sich jetzt im böhm. Museum in Prag, werden hier abgedruckt.

In den »Kleinen Beiträgen* (Drobne pfispevky) macht V. Noväeek aufmerksam auf eine unbekannte Schrift des Grafen Johann Viktorin von Waldstein (tl676) »De cultura rerum hortensium^« (S. 73); L. Böhm-Romanovsky gibt Nachricht über das in seinem Besitz befindliche seltene Exemplar von Jakob Johann Dukats »Phoe- nix moravicus«, gedruckt 1725 in Leitmeritz bei Franz Skrochovsky (S. 74); J. Nemec über einige Schriften des in Gr. Hermersdorf in der ersten Hälfte s. XVIII. wirkenden Johann Liberda (S. 7 7); V. Schulz bringt einen Beitrag zur Geschichte der Böhmischen Brüder, indem er das Verhältnis Johann Augustin' s zu dem ihm feindlich gesinnten Georg Sadovsky, einem Amtmann Johanns von Bernstein klarlegt (S. 80); V. J. Xoväeek druckt das Testament des Pfarrers Wenzel Melissaeus in Böhm. Dub (t 1578) ab (S. 253); F. Pätek gibt einen kleinen Bei- trag zur Geschichte des böhmischen Buchdrucks durch Mitteilung eines Vertrages zwischen dem Dnicker Johann Jicinsky und dem Pfarrer Johann Stelcar wegen Bezahlung der Druckkosten für ein Buch des letzteren »0 pokutäch Bozskych« vom J. 1588 (S. 254); K. Zamastil bietet Beiträge zur Biographie des oben genannten J. J. Dukat aus Melniker Stadtbüchern (S. 255); V. J. Noväeek druckt einen Brief des Priesters Wenzel Turnovsky aus Hradisch i. B. an den Rat in Biela mit Wid-

PylQ Literatur.

rnung einer Schrift vom J. 1586 ab (S. 257); Z. Winter einige Ijemer- kungen über den Almauach (Kalender) des Magisters Nikolaus Suda, gedruckt durch Sebastian Ox nach dem Tode Nikolaus' (t 1557), worüber es zu Streitigkeiten kam (S. 257); B. V. Spiess bringt biographische Notizen über Wenzel Heinrich d. Ä. Patocka, kön. llichter in Königinhof aus einer diesem gehörigen Bibel vom J. 1549, in die P. auch Verse über den unerträglichen Druck durch das Kriegsvolk, insbe- sondere das feindliche, in Böhmen bis 1634 in böhmischer Sprache ein- geschrieben hat (370 374); F. Snopek berichtet über die schriftstelle- rische Tätigkeit des zuletzt als Pfarrer in Datschitz in Mähren gestorbenen Toraas Bern. Ign. Je linek (1640 1687); M Rehofovsk^ bringt einige Daten über Jakob Srnec von Varva^ov auch Jakob Philetus Rokycansk^ genannt (1562 von K. Ferdinand I. zum Rat beim Präger. Appellationshof »S. C. M. consiliarius ad appellationes« ernannt (t 1586) und dessen Familie (S. 559 563); ö. Zibrt endlich referirt unter dem Titel »Tadeus Häjek von Hajek und die Lehre des Coper- nicus« über ein in polnischer Sprache erschienenes Buch von Ant. Birkenmajer über Nikolaus Copernicus, in welchem auf die Korrespondenz des kgl. Protomedicus Hajek mit verschiedenen Gelehrten in der Breslauer Stadtbibliothek hingewiesen und auf die Tatsache aufmerksam gemacht wird, dass Hajek im Besitze zweier Traktate des Copernicus war: wieso er zu denselben gelangte, bleibt vorläufig noch fraglich.

Jahrgang LXXV (l90l). J. V. Simäk, Poznstalost Dobnerova. (Der literarische Nachlass Dobners.) S. 1—20, 113 137. Über- sicht von 63 Faszikeln, die sich im Prager Piaristenkolleg als von Dobner gesammeltes, zumeist in Abschriften, teilweise in Originalen erhaltenes Material vorfinden, von zweifellos ausserordentlichem Wert, da sich dar- unter ziemlich viel ungedruckte oder auch ganz unbekannte Quellen be- finden. Das Verzeichnis ist mit grosser Genauigkeit und recht übersicht- lich hergestellt. J. Vajs, Hlaholsky zlomek nalezeny v Augustianskem klastefe v Praze. (Ein glagolitisches Fragment gefunden im Prag er Augustiner k loste r.) S. 21 35. Zwei Folio-Pergament- blätter enthaltend Teile der Offizien nach dem Reimser Breviar; angeblich saec. XIV ; der Text wird abgedruckt, nach der sprachlichen und paläogra- phischen Seite besprochen und gewürdigt. Jaroslav Kamper, Julius Zeyer. S. 36—48, 204—235, 333—348. Nachruf und Biographie dieses jüngst verstorbenen böhmischen Dichters (l841 -1901). ^• Flajshans, Nove nalezene zbytky t. zv. »zlomkü epickych«. (Neu auf- gefundene Reste der sog. »epischen (Legenden-) Frag- mente«.) S. 48 54. J. Kamp er, Ladislav Stroupei^nicky, jeho ^ivot a dilo. (L, S., sein Leben und seine Werke). S. 55 71, 159 178, 451 477. Fortsetzung aus dem vorigen Jahrgang. H. Kuffner, Bojiste välek husitskj^ch od r. 1419 1434. (Die Schlachtfelder in den husitischen Kriegen von 1419 1439.) S. 71 72. Eine ori- ginelle Arbeit! Ein alphabetisches Verzeichnis aller Städte und Ort- schaften, in welchen eine Schlacht, ein Gefecht, ein Scharmützel oder sonst ein kriegerisches Ereignis vorgefallen u. zw. 1. in Böhmen, 2. um Prag, 3. in Prag, 4. in Mähren, 5. in der Lausitz, 6. in Oberschlesien, 7. m Niederschlesien, 8. in Österreich, 9. in Brandenburg, 10. in den baltischen

Literatur. ~ir-

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Provinzen, n. in Meissen nnd Sachsen, 12. in der Oberpfalz, im Bam- bergischen und in Bayern, 13. in Ungarn. K. Adämek, Z kulturnich dejin kräl. venneho mesta Policky. (Aus der Kulturgeschichte der k. Leibgedingstadt Policka.) S. 138 158, 360—381, 477 —-489. Handelt über religiöse, dann besonders über Schulverhältnisse, die Streitigkeiten zwischen Geistlichkeit einerseits, Gemeinde und Schul- rektor anderseits in der 2. Hälfte des 16. Jahrh. -— Frant. Dvorskv, Zalozeni klästera Valdickeho Albrechtem z Waldsteina. (Die Gründuno- des Klosters Walditz durch Albrecht von Waldstein.) S. 17°) 204. Gemäss dem Wunsche seiner 1614 verstorbenen Gemalin Lukrezia beschloss W., nachdem sich Verhandlungen mit den Jesuiten und Fran- ziskanern zerschlagen hatten, die Gründung einer Karthause. Zuerst wurde hiefür der mährische Ort Stipy auserwählt, als aber das Sturmjahr 161V) die kaum noch recht vollendete Gründung vernichtete, berief W. die von dort vertriebenen Mönche nach Prag und überwies ihnen nach ihrer Wahl W. nördlich von Jitschin zur Niederlassung (l624). Die Schwierigkeiten der Gründung, die öfteren Differenzen zwischen W. und den Mönchen werden theils aus urkundlichen Quellen, teils nach dem »Syntagma histo- ricum Cartusiarum regni Bohemiae« (Hs. im mähr. Landesarchiv) ausführ- lich geschildert, B, Prusik, Maxim Gorkij. S. 235 241. B. V. Spie SS, K ziwotopisu Jana Kocina z Kocinetu. (Zur Biogra- phie des Johann Kocin von Kocinet.) S. 241 249, 348 359. J. K., geboren zu Pisek im J. 1543, ein vielseitiger Schriftsteller aus der Zeit Weleslawins. Der Verf, der schon des öfteren über diesen Schrift- steller und seine wichtigen Werke philosophischen und juridischen Inhalts gehandelt hat, gibt hier Nachträge und Berichtigungen auf Grund der neueren Forschungen. Zd. Nejedly, Alois Jirasek. S. 305 325, 489 511. Biographie und Charakteristik eines noch lebenden hervor- ragenden böhmischen Romanschriftstellers, Novellisten und Dichters. Frant. Dvorsky, Nove zprävy o Tychonu Brahovi a jeho rodine. (Neue Nachrichten über Tycho Brahe und dessen Familie.) S. 325 332. Erstens wird hier aus dem böhm. Landesarchiv (Ms. sub Oecono- mica 18, fol. 22) ein von David Chytraeus an T. B. gerichtetes lateini- sches Begrüssungsschreiben vom 7. Oktober 1598 mitgeteilt. Zweitens handelt D. über die Bezahlung der 20.000 Taler, die K. Rudolf für die Instrumente und Bücher T. B.'s dessen Erben bewilligt hatte und zitirt eine Beschwerdeschrift der Waisen an den Kaiser vom Juli 1609 aus dem Wiener Finanzarchiv. Der dritte Abschnitt ist betitelt: »T. B. und der Löwe Rudolfs II.« In Cod. 491 H. P, K. des Wr, Staatsarchivs findet sich eine Vorhersagung T. B., dass des Kaisers Schicksal von dem seines Löwi'n abhängig sei und tatsächlich sei ^j^ Jahr nach dem Eingehen des Tieres der Kaiser gestorben. Schliesslich bringt D. aus dem böhm. Landesarchiv ein von Erzb. Ernst Harrach, Wenzel v. Lobkowitz u. a, am 29. Juli J626 ausgestelltes Zeugnis über die Abstammung des Rudolf Gansueb Tengnagel von Kamp von T. B.'s Tochter Elisabeth. Z. Winter, Remesla die närodnosti v Starem Meste Pra2skem od r. 1526 1622. (Das Hand- werk in der Altstadt Prag in den J. 1526 1622 nach der Nationalität.) S. 401—45 0. Auf Grund der Bürgerbücher constatirt der Verf., dass das Anwachsen der deutschen Handwerker in Prag erst in

518 Literatuv.

die angegebene Epoche fällt, wobei den Auhaltcipunkt für die Berechnung der Name und soweit sich dies feststellen lässt die Herkunft bieten, ^'och im Jahrzehnt 1516 ir)26 sollen von 686 neu aufgenommenen Bürgern höchstens 27, also kaum 4 7o' deutsche gewesen sein. In den folgenden Jahrzehnten steigt das deutsche Element fort und erreicht im Jahrzehnt 1091 1001 die grösste Zuwachsziffer: 52 ''|o, fällt aber 1602 1611 auf 50 und 1612 1621 auf 46 "|o. Daneben wird auch zu- sammengestellt, in welchem Verhältnis die anderen Nationalitäten, ins- besondere Italiener und Polen, unter den neu aufgenommenen Bürgern vertreten waren und wie sich die einzelnen Nationalitäten auf die ver- schiedenen Handwerke verteilen. 1615 wurde im Landtag über dieses auffallende Erstarken des Deutschtums verhandelt. F. V. Vykoukal, Staroveke bajky z fise rostlinne. (Alte Fabeln aus dem Pflanzen- reiche.) S. 51 1—523.

In den »Kleinen Beiträge n^^ berichtet V. Flaj.shans 1. ül)er cechische Glossen saec. XIII. im Cod. Nr. 526 der Wr. Hofbibliothek, 2. über eine Hs. im böhm. Museum XVI. C. 35. saec. XV, nach einer Notiz am Umschlag als Traktatus Johannis Hus de anno 1413 bezeichnet, was aber zweifelhaft scheint, 3. über eine Hs. im Prager Ka- pitelarchiv C. XXXIV. mit dem alteechischen Liede: Od cisafe nebes- keho und 4. eine zweite Hs. 0. XXXIX mit dem Gedicht »Na poczatcze slowa meho*. (S. 24'.) 253-) V. Schulz druckt 1. den Loslassungs- brief ab, durch den Magister Martin Bachäcek von Naumeric am 24. Februar 159») von seinem Grundherrn Hertwik Zeidlitz von Schönfeld aus dem Untertansverhältnis befreit wurde, worauf er dann schon am 5. Dezember 1590 von K. Rudolf IL in den Adelsstand erhoben wurde, und 2. einen Bericht des Paul Griemiller Landesprobirer über die Münze in Böhmen vom J. 1574 (S. 253 264). A. Polaha bringt Nach- träge und Berichtigungen zur Biographie älterer böhmisch-mährischer Schriftsteller: Martin Jäckl, Marian Gelinek, Ant. Jir. Gezek, Matej Krätk^', Angel Stepänek und Pavel Zateck^. Vaclav Schulz teilt Urkunden mit aus der Zeit 1580 1639, die .sich auf Bücherdedikation von ver- schiedenen Schriftstellern an Stadträte und Privatpersonen beziehen. (S. 523 529.) Karel Zamastil bringt Nachrichten über Jakub Hofcicky von Tepenec, 1605 Hauptmann des Kloster St. Georg, später bis 1618 der kais. Herrschaft Melnik, dann aber von den Ständen gefangen genommen und erst nach der Schlacht am Weissen Berge wieder eingesetzt; 1622 starb er.

V. Cesky casopis historicky. (Böhmische historische Zeit- schrift). Herausgegeben von Jar. Goll und Jos. Pekaf.

Jahrgang VI. (l900). L. Niederle, 0 pocätcich dejin zemi ces- kych. (Über die Anfänge der Geschichte der böhmischen Länder.) S. 1 14, 103 117, 201 222. Der erste Abschnitt behan- delt »Die Gallier in Böhmen und Mähren*. Jeder Versuch die gallischen Bojer aus Böhmen auszuschliessen führt der Verf. aus muss den historischen Nachrichten Gewalt antun. Dass die bojische Ansiedlung sich über Böhmen hinaus auch auf Bayern ausdehnte, dafür gibt es zwar keinen bestimmten Beweis, doch spricht die Wahrscheinlichkeit dafür. Auch für

Literatur. riq

ihre Ausbreitung über Mähren fehlen historische Quellen und auch die neueste archäologische Forschung bietet keinen Anhaltspunkt. Von der Nomenklatur darf man noch Aufschlüsse erwarten. Ankunft und Abzu^' der Kelten in Böhmen bilden noch immer Streitfragen. Die gallischen Kotiner sassen in Mähren und Oberungarn, die Tektosagen weder in Böh- men noch in Mähren, sondern westlich vom böhmischen Gebirgskranz. Im

2. § »Über die Germanen in Böhmen und Mähren« handelt N. zunächst über die Lage und Ausdehnung der Markomannen- und Quadensitze. Seit dem 2. Jahrh. n. Chr. lag das Zentrum ihrer Siedelung nicht mehr wie bisher in Böhmen und Mähren, sondern südlicher an der Donau, von Bayern bis nach Ungarn hinein. Die Urheimat der Markomannen war Norddeutschland, an der Elbe; nach Böhmen kamen sie über die Ehein- gegend, wo sie sich nur kurz aufhielten. Dann werden die kleineren ger- manischen Stämme besprochen, die im Umkreis der böhmisch -mährischen Grenze gesiedelt haben dürften: Sudiner, Bateiner, Korkonter etc. Der

3. § betitelt sich: »Die Einwanderung der Slawen«. N. wiederholt den schon im vorigen § geführten Nachweis, dass für die Fortexistenz der Markomannen und Quaden oder sonstiger germanischer Stämme in Böhmen und Mähren über das 2. Jahrh. n. Chr. kein quellengemässer Beleg zu erbringen ist und sucht hiedurch zu erweisen, dass seit dieser Zeit der slawischen Einwanderung in dieses Gebiet kein Hindernis entgegenstand. Allein er gibt zu, dass »allerdings die historischen Quellen die Slawen bei uns vor dem 6. Jahrhundert überhaupt nicht kennen« ; nur möchte er aus allgemein historischen Gründen die slawische Einwanderung eben doch viel früher und selbst bis ins 2. Jahrh. zurück verlegen. Der letzte 4. § dieser Studie, welcher sich »Geschichtsschreibung und Archäologie« betitelt, gipfelt in dem Satze, der unsere volle Billigung erhält, dass vorläufig noch die Ergebnisse der historischen Forschung geschieden werden müssen von denen der archäologischen. Er weist auf den Gegen- satz der beiden Archäologen Pic und Buchtela hin und fasst dann die Er- gebnisse der bisherigen archäologischen Forschungen in Böhmen kurz zu- sammen. — Jar. Vlcek, Z doby josefinske. (Aus der josefinischen Zeit.) S. 15 29, 97 102, 313 319. Der Aufsatz zeigt, in welcher Weise und in welchen literarischen Persönlichkeiten die josefinischen Ideen »der freien wissenschaftlichen Forschung* und »der religiösen Duldsam- keit« in Böhmen zum Ausdrucke gelangen: Graf Franz Josef Kinsky, Otto Steinbach von Kranichstein, Ungar und Prochazka, Dobrovsky sind einige der Hauptvertreter im allgemeinen; Kinsky, Hanke, Tham u. a. zugleich die Verteidiger und Wiederbeleber der böhmischen Sprache und Nationali- tät. — J. Machal, XI. sjezd archaeologicky v Kijeve. (Der XL ar- chäologische Kongress in Kiew.) S. 30 39. K. Kadlec, 0 potfebe vydati zprävy byzanckych spisovateiüv o Slovanech. (über die Notwendigkeit der Herausgabe der Nachrichten byzantini- scher Schriftsteller über die Slawen.) S. 39 42. Ein auf dem Kiewer Kongress gehaltener Vortrag, bezieh, daselbst gestellter Antrag. J. Susta, Macchiavelli a Boccaccio .na koncilu Tridentskem. (M. und B. auf dem Tridentiner Konzil.) S. 42 47. Da die beiden Autoren, der erstere mit allen Werken, der letztere nur mit »Decamerone«, schon auf dem l, Index librorum prohibitorum von 1559 standen, bemühten sich

520 Literatur.

der urbinatische und florentinische Hof bei der Kommission, die am Konzil die Indexausarbeitung besorgte, um die Freigebung der genannten Werke. Der Antrag bezüglich M.'s wurde entschieden abgelehnt, Decamerone nach einer , Reinigung ^^ durch die Florentiner Philologen zugelassen. Die Nach- richten entnimmt S. drei Briefen, die zwischen Cosimo I. und seinem Ge- sandten beim Konzil Giovanni Strozzi Sept. und Oktober 1562 gewechselt wurden. Max Dvofak, Knihovna Augustiniänskeho klästera v Roud- nici. (Die Bibliothek des Augustinerklosters in Raudnitz.) S. 118 131. Die wertvollen Miniaturhandschriften dieser Bibliothek, heute im böhmischen Museum in Prag, lassen sich zum grossen Teil nach ihrer Provenienz bestimmen. Eine Gruppe, davon mehrere der Gründer des Klosters Bischof Johann von Drazitz aus Avignon selbst mitbrachte, zeigt deutlich den Charakter der nordfranzüsischen Miniatur- und Schreibkunst, die auch bis in die Mitte des 14. Jhd.'s die in Südfrankreich entstandenen Werke beherrschte. Eine zweite Gruppe bilden die in Böhmen selbst her-- gestellten Codices. Hiezu gehört als ältester Repräsentant eine 1296 von Johann von Leitmeritz, genannt Sampson, geschriebene und illuminirte Handschrift, enthaltend Werke Bernhards von Clairvaux. Hier und in einer Reihe weiterer Hss. konstatirt der Verf. den immer deutlicher hervor- tretenden Einfluss der französischen Filigran-Ornamentik. In der Zeit \>. Ernst's von Pardubitz (l343 1364) lässt sich sodann ganz sicher in der malerischen Ausschmückung der böhmischen Handschriften ein einheimi- scher Stil konstatiren. Allein in den folgenden Jahrzehnten treten in Böhmen illuminirte Werke in einem ganz neuen Stil und Charakter zu Tage, der ganz unabhängig ist von jenen ersten bescheidenen Anfängen eines lokalen böhmischen Stils aus der 1. Hälfte des 14. Jahrh., über dessen Entstehungsursachen der Verf. auf spätere Arbeiten hinweist. G. Friedrich, Ceskf diplomatäf a jeho programm. (Das böhmische Diplomat ar und dessen Programm.) S. 223 243. Der Aufsatz gibt eine Übersicht über die älteren Versuche seit Baibin das ürkunden- material Böhmens zu bearbeiten und im Anschlüsse daran eine eingehende Erörterung der Grundsätze, nach denen die Friedrichs bewährter Arbeits- kraft anvertraute neue Bearbeitung dieses monumentalen Werkes durch- geführt werden wird. Jos. Pekaf , K sporu o z;idruha staroslovanskou. (Zum Streite über die altslawische »Zadruha«.) S. 243 267. Mehr als ein halbes Jahrhundert stand die Schilderung des altslawischen Gesellschaftslebens unter dem Einfluss der gefälschten Grüneberger Handschrilt, bei deren »Bearbeitung« auch die modernen südslawischen Rechtsinstitu- tionen oberflächliche Berücksichtigung fanden. Maciejowski, Lelewel, Pa- lacky, Vocel, Jirecek bauen sämtlich ihre Darstellung der sozialen Organi- sation Böhmens auf dieser Grundlage auf. Die südslawische Zadruha oder Hauskommunion wurde zuerst von Palacky herangezogen zum Vergleiche mit ähnlichen Zuständen in Böhmen, wie sie in der Grüneberger Hs. ge- schildert werden, Jirecek vermutet darin bereits eine altböhmische Insti- tution, seit 1886 (Masaryk) galt sie als eine unzweifelhaft altslawische, allen slawischen Stämmen ursprünglich eigentümliche Einrichtung Der Nachweis dass die Grün. Hs. eine Fälschung sei, hatte nur die Bedeutung für diese Frage, dass man aus der ungenauen Schilderung der Zadruha in derselben ein weiteres Moment für die Unechtheit der Hs. gewinnen zu

Literatur

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können meinte^ Aus der auf falscher Basis beruhenden Schilderun. der Zadruha m böhmischen und slawischen Werken ging dieselbe über selbst m die modernsten deutschen Werke, wie Eoschers System der Vn^t!wT Schaft, Miler die Hauskommunion (l897), G. Cohn, Gei:iLderschafIf hT^ kommunion (l899) u a. Eingehend auf Grund agrarischer Forschungen beschäftigten sich mit dem Wesen der Z. J. Peisker und A Meitzen IpfT terer m seinem Werke ,Siedelung und Agrarwesen^ ferner J. Lippert' Sozialgesch>chte Böhmens und F. Yäcek. Die Hauptarbeit jedoch bildet K Kadlec Eodmnf nedil cili zadruha y prävu slovanskem« (1898) fFami' heneinheit oder Hauskommunion im slawischen Rechte). Der Besprechung dieses Buches ist der Hauptteil des Aufsatzes gewidmet. Die Arbeit wird anerkannt, insoweit sie sich mit modernen Verhältnissen beschäftigt- die Darstellung der historischen Entwicklung sei aber unzureichendf keine Beweise für die Existenz und den der Zadruha bei den einzelnen Stämmen zugeschriebenen Charakter, sondern nur Behauptungen. P erachtet die Frage der altslawischen und speziell altböhmischen Zadruha für noch nicht gelost. J. Bidlo, Tfeti sjezd historikü polskych v Krakove TD er

3. polnische Historikertag in Krakau.) S. 268— '>77 Er fand statt am 4._6. Juni 1900 im Anschluss an das 5 OOJ ährige" Jubiläum der Krakauer Iniversität und teilte sich in 4 Sektionen (l. Politische und Rechtsgeschichte, 2. Literaturgeschichte, 3. Archäologie und Kunstgeschichte

4. Ethnographie). In der i. Sektion bildete einen Hauptgegenstand der Verhandlung die Lamprecht'sche Methode und die Frage nach der Bpar- beitung einer allgemeinen Geschichte Polens.— K. Krofta, Z Vatikanu (Aus dem Vatikan.) S. 320—340. Ein sehr eingehender und über- sichtlicher Bericht über die historischen Arbeiten der verschiedenen Insti- tute in den Jahren 1895—1900 im Zusammenhang und Anschluss an eine Übersicht der Bestände des vatikanischen Archivs bez. der päpstlichen Archive. J. Pekaf, 0 t. zv. mapäch zäkladnich. (Über die sog. Grundkarten.) S. 341—348. Enthält einen umsichtigen Bericht über die Entwicklung dieser Angelegenheit in Deutschland (Polemik Seeliger- Thudichum) und erörtert sodann die Frage, ob man sich auch in Böhmen damit beschäftigen sollte. Die Antwort P.s lautet: es wäre wünschens- wert, allein vorderhand ist wohl auf keinen wirklichen Erfolg dabei zu rechnen. B. Matejka, Pfispevky k dejinäm stfedoveke architektury V Cechäch. (Beiträge zur Geschichte der m. a. Architektur in Böhmen.) S. 349 355. Eiui kritische Anzeige der 1898/9 erschiene- nen bedeutenderen Arbeiten auf diesem Gebiete mit eigenen Bemerkungen und Hinzufügungen. Unter den Kleineren Aufsätzen (Drobnljsi clanky) finden sich nachfolgende: l) V. Kratochvil, Der Bau des H.-H.- und Staatsarchivs in Wien (S. 47— 50). 2. F. Mares, Das Photogra- phiren von Palimpsesten mit Hinweis auf Verh. der phys. Gesellschaft zu Berlin 1894 (XHI) p. 58/60. 3) Zd. Nejedlf sucht aus dem Verhält- nis der Boczek "sehen Fälschungen im Codex dipl. Moraviae zu Jelineks Hi- storia der Stadt Leitomischl nicht nur das Verhältnis beider zu einander sondern auch wohl mit Unrecht eine Mitschuld des letzteren an den Fälschungen zu erweisen, (S. 132). 4) K. Krofta handelt über den Priester Jakob, den Anhänger Mathias" von Janov, über den eine Urkunde P. Boni- faz' IX. ddo, 13. Dez. 1390 aus dem 12. Bande der Lateran. Register fol.

llittheiluDeen XXIV. 34

522 Literatur.

116' 118' einige neue Nachrichten bringt. (S. 278 280). 5) Jar. Goll über Cosmas IL 8. (S. 355 357). 6) A. L. Krejcik über die Be- deutung der Röntgenstrahlen für die Paläographie nach der bekannten Studie des Dr. Romolo Brigiuti. (S. 357 359). Reiche Literaturberichte, Zeitschriftenschau und wissenschaftliche Nachrichten beschliessen jede Nummer des Bandes (S. 51 96, 135—200, 281 312, 359—404).

Jahrgang VIL (l90l). Ladislav Hofmann, Husite a concilium Basilejske v letech 1431 a 1432. (Die Husiten und das Baseler Konzil in den J. 1431 u. 1432). S. 1—13, 142 162, 293 309, 408 415. Nach einer recht übersichtlichen Einleitung über die ein- schlägige Literatur wird in mehreren Kapiteln »Der letzte Kreuzzug 1431*, »Die Anfänge' des Konzils in Basel*, »Die husitische Frage beim ersten Konflikt zwischen Konzil und Papst*, »Die. Husiten und das Konzil im Jahre 1432*, »K. Sigmund und die Verhandlungen der Husiten mit dem Konzil im J. 143 2*, »Die öffentliche Meinung* eine umfassende Dar- stellung der Ereignisse dieser beiden Jahre mit dem Hauptaugenmerk auf die »böhmische Frage* gegeben. Zum Schluss wird betont, dass die Dar- stellung dieser Frage in den folgenden Jahren noch behindert ist durch die mangelhafte Kenntnis der geistigen Richtungen, die unter den Husiten in der Schlussperiode ihres Kampfes obwalteten und die nur aus einem eingehenden Studium der grossen Traktatenliteratur jener Zeit zu erkennen sind, Max Dvof äk, Anticke pocatky stfedoveke illustrace. (Die an- tiken Anfänge der mittelalterlichen Illustration). S. 13 30. Der Aufsatz erweist die Continuität der Buchillustration aus der Antike ins Mittelalter an Kalender, Bibel, den übrigen liturgischen Werken. Zur vollen Erkenntnis dieser Entwicklung stellt der Verf. die Forderung nach einem Corpus der ältesten, hauptsächlich der biblischen Illustrationen. Erst dann und auf solcher Grundlage wird es möglich sein, die einzelnen Phasen in der Entwicklung der m. a. Illustration und bis zu einem gewissen Grade auch der m. a. Malerei festzustellen. Frant. Pastrnek, Pape2skä ap- probace liturgickeho jazyka slovanskeho r. 869 a 880. (Die päpstliche Approbation der slawischen liturgischen Sprache in den J. 869 u. 880). S. 30 40. Verteidigung der Echtheit der beiden Papst- urkunden gegenüber ihren letzten Anfechtern: Goetz, Gesch. der Slawen- apostel, und V. Vondräk, der den ersten Papstbrief für unecht erklärt hat. J. Pekaf, Nova kniha o ceskem hornim prävu a ceskem doloväni stfedovekem. (Neue Bücher über das böhmische Bergrecht und den böhmischen mittelalterlichen Bergbau.) S. 40 56. Eine günstige Anzeige des Werkes von A. Zycha, Das böhmische Berg- recht, das wir in dieser Zs. (Bd. 23, S. 329 ff. 718) auf Grund ge- nauer Nachprüfung allerdings in ganz anderem Lichte zu zeigen uns ver- pflichtet fühlten. N. Karejev, Rusky dejepisec italskeho humanismu. (Ein russischer Geschichtsschreiber des italienischen Hu- manismus.) S. 129 141. Es handelt sich um ein Werk des 1899 verstor- benen Professors der Moskauer Universität Michal Sergejevic Korelin, betitelt: »Die Anfänge des ital. Humanismus und dessen Historiographie*, erschienen 1892. Th. Antl u. J. Pekaf, Kojakovice. Materialy k dejinäm ceske vesnice. (K. Materialien zur Geschichte des böhmischen Dorfes.) S. 163 187. Über dieses in der Nähe von Wittingau liegende

Literatur. 523

Dorf haben sich in der Urbaren der Herrschaft Wittingau urd in Einzel- urkunden eine solche. Zahl von Nachrichten vom J. 1371 angefangen er- halten, dass sich daraus ein ungemein detaillirtes Bild der wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnisse der dortigen Dorfeinwohnerschaft herstellen Hess. T. Kaiina, Z dejin katolicke i-eformace v Oechäch. (Aus der Geschichte der k atholischen Reformation in Böhmen.) S. 187 bis 195. Der Aufsatz weist hin auf die Bedeutung der Studienstiftungen für die Geschichte des Schulwesens im Anschluss an die von der böhm. Statthalterei herausgegebene Publikation »Studien- Stiftungen im Königreich Böhmen« I VI (1894—1899). G.Friedrich, Nova fada modernich padelku v moravskem diplomatiifi. (Eine neue Gruppe moderner Fälschungen im mährischen Diplomatar.) S. 195 203- Es handelt sich um die angeblich aus einem »Liber benefactorum eccl. Olom.* saec. XIII. gewonnenen Urkunden Cod. dipl. Morav. I. nr. 158, 161, 211 und drei weitere für die Olmützer Kirche ibid. nr. 159, 2 24, 232. J. Kvacala, Pocatky Berlinske akademie. (Die Anfänge der Ber- liner Akademie.) S. 265 293. Eine Kritik der Harnack'schen »Ge- schichte der kön. preuss. Akademie der Wissenschaften zu Berlin« haupt- sächlich nach der Richtung, dass Harnack den Einfluss älterer ähnlicher Institute auf die Berliner Akademie nicht genügend berücksichtigt, die Verdienste Leibniz' im allgemeinen und um die Akademie im besonderen überschätzt, dagegen die Bedeutung der anderen Berliner Gelehrten und vor allem Jablonsk;f' s unterschätzt habe. Bei aller Anerkennung der Vor- züge der Arbeit erachtet er eine Neubearbeitung dieses Themas keines- wegs für überflüssig und zwar aus dem Grunde, weil, wie der Schlusssatz des Aufsatzes lautet, »für den künftigen Historiographen der Akademie, der in diesem Geiste« nämlich dem »des Herder'schen christlichen Hu- manismus« und nicht dem »des Mommsen'schen brutalen römisch-heidni- schen Chauvinismus« schreiben wird, auch wenn er nicht Theologe wäre, noch weniger als für den jetzigen nötig sein wird, wie ein Advokat

den grossen Philosophen Leibniz zu verteidigen« und dieser künt-

tige Historiograph »die Palme für die fruchtbare und uneigennützige Ar- beit bei der Gründung, Eröffnung, Führung und Erhaltung der Akademie in den schwierigsten Zeiten dem slawischen »Kleriker« D. E. Jablonsky- wird reichen müssen . . .«. J. V. §imak. Bartos pisaf. (Der Chro- nist Bartholomäus.) S. 310—326,393—407. Eine Biographie dieses durch seine Prager Chronik von 1524—1530 bekannten Schriftstellers und eine Kritik seines Werkes. Jos. Pekaf, K cask^-m dejimim agrar- nim ve sti-edoveku. (Zur böhmischen Agrargeschichte im Mittel- alter.) S 32 6—363. Bespricht zwei Arbeiten des russischen Professors A. N. Jasinsky: l) »Der Verfall der Landesverfassung im böhmischen Staate (X.— XIII. Jhd.) «, deren Grundgedanke ist, dass die Entwicklung der sozialen und staatlichen Organisation im böhmischen Staate ganz se b- ständig erfolgte und der Übergang von der »Landes «-Verfassung zu dev ständisch privilegirten keinesfalls unter dem Einfluss des deutschen Kechtes sich vollzog, sondern selbständig aus Bedürfnissen heraus, die sich im sla- wischen böhmischen Staate unmittelbar entwickelten. Dieser »ie^^«^^" und Kampf«- Gedanke wird nun in einem weit umfangreicheren Werke das auf 3 Bände berechnet ist. von neuem ausgeführt, dessen 1. Bd. 1901

34*

524 Literatur.

erschien u. d. T. »Osnovy socialnago stroja cesskago naroda v epochu gospodstva obycnago prava«. (Grundzüge der sozialen Entwicklung des böhmischen Volkes in der Epoche der Herrschaft des Gewohnheitsrechts.) Ich niuss mich begnügen, die Kapitel nach ihrem Inhalt kurz zu verzeich- nen. 1. Kap. Entstehung, Zusammenstellung und Quellen der alten böh- mischen Urbare, das sich hauptsächlich gegen Sustas Arbeit »Zur Ge- schichte und Kritik der Urbarialaufzeichnungen« wendet, der die Ver- wandtschaft der böhmischen Urbare mit den deutschen nachwies. 2. Kap. Die selbständige Ausbildung der sozialen und agrarischen Verfassung des böhmischen Dorfes. 3. Kap. Entwicklung der Untertanenschaft Nicht nur J.'s Grundgedanke sondern seine Beweisführung im einzelnen wird von P. entschieden abgelehnt. - Boh. Matejka, 0 püvodu cesk^ch ro- tund romän^kych. (Über den Ursprung der böhmischen roma- nischen Rundbauten.) S. 410 426. Nicht unter byzantinischem, sondern im dekorativen und construktiven Teil unter deutlichem italieni- schen Einfluss. A. Kraus, Slovane a Dänove pfed Valdemärem Velkym. (Slawen und Dänen vor Waldemar d. Gr.) S. 426 438. Genaue Inhaltsangabe von dem Werke »Venderne (Wenden) og de Danske för Valdemar den Stores Tid* des Johannes C. H. R. Steenstrup. Jos. Pekaf, K dr-jinäm stavovskeho statu. (Zur Geschichte des stän- dischen Staates.) S. 439 448. Besprechung von Fr. Tezners »Tech- nik und Geist des ständisch - monarchischen Staatsrechts*', in der betont wird, dass Tezner einerseits unhistorisch die Institution des ständischen Staates an denen des modernen konstitutionellen Staates messe und an- dererseits nur dessen Schattenseiten hervorkehre. Das Urteil deckt sich stellenweise mit jenem Rachfahls in Schmollers Jahrbuch 1899. Die ge- ringe Kemitnis der Quellen und Literatur für die Geschichte des böhmi- schen Ständestaates wird gelegentlich besonders betont und nachgewiesen. M. Dvofak, Versus de passione s. Adalberti a Kosmovy zprävy o ceskem pohanstvi. (Die Versus de passione s. Adalberti und Kos- mas' Nachrichten über das böhmische Heidentum.) S. 448 451. Sucht nachzuweisen, dass die Stelle Kosmas I. 4 nicht selbständige Darstellung ist, sondern aus den Adalbertlegenden stammt und mit Phra- senwerk aus Regino, Boetius, Sedulius verbrämt ist.

Kleinere Aufsätze (Drobnojsi clanky): l) J. Kalousek, Zavr'i& Kochanova (S. 203). In der Hs. der Hradisch-Opatowitzer Annalen (Hof- bibl. nr. 395) findet sich fol. 83 ein »Testamentum Cohan«, in welchem K, dem Kloster Opatowitz ein Dorf Cernozicih schenkt ; das Testament wird abge- druckt und erläutert. 2) M. Dvofäk, Mariale Arnesti. (S. 451.) Klärt einen alten IiTtum auf, dass nämlich die M. A. benannte Hs. im Prager Museum, die Konrad von Heimburgs »laus Mariae« enthält, mit dem Prager Erzb. Ernest von Pardubitz gar keine Beziehungen hat und sich inhaltlich voll- kommen unterscheidet von der Wr. Handschrift der Hotbibl. nr. 1389, einem Psalterium Marianum, als dessen prachtvolle Kopie die Prager Hs. ange- nommen wurde. Die Wiener Hs. ist nach D. Bologneser Ursprungs, aber wohl für Erzb. Ernest angefertigt. 3) K. Krofta, K pape^ske appro- baci volby Väclava IV. (Zur päpstlichen Approbation der Wahl Wenzels IV.) S. 453. Handelt über drei Abschriften der Bulle P. Ur- Lans VI. ddo. 137 8 26/VII in der Bibliothek und im Archiv des Vatikans

Berichte.

525

(vgl. hiezu D. ßeichtagsakten I. nr. 92 und Tadra, Summa Cancellariae, nr. 363), wodurch Pelzel's bezüglicher Abdruck dieser Urkunde sich einiger- massen aufklärt. 4) N. A. Kheil, Krätke popsäni ceske fise z r. 1595. (Eine kurze Beschreibung des böhmischen Reiches vom J, 1595,) S. 456. Stammt aus des Jesuiten Giovanni Botero Benisius (1540 1617) »Relazioni universali«; die Stellen über Böhmen, Mähren und Schlesien werden in böhm. Übersetzung gegeben; sie sind ohne ^rossen Belang. Jan Nedoma, Ze zäpisni knihy opata Zbraslavskeho. (Aus dem Registerbuch des Abtes von Königsaal.) S. 458. Bietet einige interessantere Beispiele aus dem c. 300 Eintragungen umfassenden Buch aus den letzten 30 Jahren des 17. Jhd's., das allerlei Verträge, Verzeichnisse, Inventare u. a. enthält.

Brunn. B. Bretholz.

MonumeDta Germaniae historica 1902 1903.

Ira Jahre 1902 1903 erschienen folgende Bände: In der Abteilung Scriptores: Scriptores rerum Merovingicarum t. IV. Passiones Vitaeque sanctorum aevi Merovingici. Edidit Bruno Krusch. Scriptorum t. XXXI pars prior. Vita Bennonis II. episcopi Osnabrugensis auct. Nortberto abbate Iburgensi reo. Henr. Bresslau. In der Abteilung Leges: Sectio I, t. I. Leges Visigothorum. Ed. Karolus Zeumer. In der Abteilung Diplomata: Diplomatum regum et imperatorum Germaniae tomi III pars posterior. Heinrici II et Arduini Diplomata. In der Abteilung Epi- stel a e : Tomi VI pars prior (Karolini aevi IV).

In der Abteilung Auetores antiquissimi wird die erste Hälfte des 1 4. Bandes (Gedichte des Merobaudes, Dracontius und Eugenius von Toledo) von Prof. Vollmer bearbeitet, bald ausgegeben werden können. Der zweite Teil des 14. Bandes wird die Vandalische Gedichtsammlung des Codex Salmasianus, von Prof. Traube bearbeitet, enthalten. Die Ausgabe der Gedichte Aldhelm's hat Prof. Ehwald, nicht sehr viel weiter führen können.

In der Abteilung Scriptores hat Archivrat Krusch die Vorarbeiten für den 5. Band^ welcher ebenfalls Vitae der Merowingerzeit von etwa 060 an enthalten wird, so weit gefördert, dass 191^4 wohl der Druck beginnen kann. Für die geplante Oktavausgabe der Vitae sanctorum auctore Jona Bobbiensi verglich er mehrere Handschriften der Vita Columbani. Dr. Le- vison, der den grössten Teil der letzten Heiligenleben der Merowingerzeit für den 6. Band herausgeben wird, hofft die Vorarbeiten bald abschliessen zu können. Daneben hat er das Register zum 4. Bande angefertigt und die Bearbeitung der Vitae Bonifatii für die Scriptores rerum Germauicarum gefördert. Nach Abschluss dieser Arbeiten wird Dr. Levison an die Be- arbeitung der Fortsetzung des Liber pontificalis gehen, deren Ausgabe ihm übertragen wurde.

In der Hauptserie der Scriptores hat der Druck der zweiten Hälfte des 31. Bandes, (Doppelchronik von Reggio nebst drei Berichten über die Belagerung und Einnahme von Damiette 1218—1219) begonnen. Der Band wird im Herbste 1903 erscheinen. Dann soll sogleich der Druck des

590 Berichte.

22. Bandes beginnen, welcher die Chronik des Salimbene enthalten wiid. Dr. Cartellieri hat an den Gesta Friederici II, Conradi, Manfredi des sogen. Kikolaus de Jamsüla gearbeitet, nachdem er die Bearbeitung des Saba Malaspina nahazu vollendet hat. Dr. Kehr war mit den Annales des To- lomeus von Lucca beschäftigt. Daneben arbeitete er für <lie dritte Auflage von Widukind für die Scriptores rerum Gerraanicarum. Eia sehr glück- licher Zufall war es, der Prof. Bresslau eine moderne Abschrift der echten Vita Bennonis in die Hände führte und es ihm ermöglichte, dieses schone Denkmal in originaler Gestalt in den Scriptores rerum Germanicarum zu veröffentlichen. Für diese Serie wird Prof. v. Simson die Annales Mettenses bearbeiten, Landesarchivar Dr. Bretholz zu Brunn hat die Bearbeitung des Cosmas von Prag, und seiner Fortsetzer gefördert. Prof. Bloch zu Strass- burg hat eine Neuausgabe der Annales Marbacenses übernommen, Prof. Uhlirz in Graz gedenkt die Vorarbeiten für die Oktavausgabe der Annales Austriae im Herbst dieses Jahres zu beginnen. Die Ausgabe des Johann von Victring ist durch Dr. Schneider dem Abschluss nahe gebracht.

Für die Deutschen Chroniken hat Prof. Seemüller zu Innsbruck die Arbeiten an der Hagen'schen Chronik fortgesetzt. Im Frühjahr 1904 ge- denkt er das Manuscript für den 6. Band zum Druck zu geben.

In der Abteilung Leges hat Prof. Freiherr v. Schwind zu Wien die Textherstellung der Lex Baiuwariorum begonnen, Prof. Seckel setzte seine Untersuchungen über die Quellen des Benedictus levita fort. Für den Band der Placita hat Prof. Tangl noch nötiges Material in Süddeutsch- land und der Schweiz gesammelt und wird dieses auf einer Heise in die französischen Departements vermehren. Im Sommer 1904 hofft er mit dem Druck beginnen zu können. In den unter Leitung des Prof. Zeumer stehenden Serien hat dieser selbst die Leges Visigothorum zu Ende geführt. Das Register dazu hat Dr. Werminghoff geliefert, bei dessen Schluss- redaktion er durch Prof Zeumer und Dr. Krammer unterstützt wurde. Dieser, der am 1. Oktober 1902 als Mitarbeiter eingetreten war, wurde mit Vorarbeiten für die Lex Salica beschäftigt.

Der Druck des ,3. Bandes der Constitutiones et Acta publica wurde von Dr. Schwalm eifrig gefördert. Die erste Bandhälfte (Rudolf von Habs- burg) wird bald erscheinen können. Der zweite Halbband wird die Kon- stitutionen Adolfs von Nassau bringen. Doch ist das Material auch für Albrecht I. und Ludwig d. Bayer ziemlich vollständig gesammelt und von Dr. Schwalm für die Ausgabe vorbereitet.

Dr. Werminghoff wird den Druck des 2. Bandes der Concilia dem- nächst beginnen.

In der Abteilung Diplom ata hat Prof. Mühlbacher mit Hülfe der Prof. Dopsch und Tangl und seines Mitarbeiters Dr. Lechner trotz mancher Schwierigkeiten den Druck des 1. Bandes der Karolingerurkunden so weit gefördert, dass der Text der Urkunden, das Gruppenregister und eine diesem Bande zuerst beigegebene »Übersicht der Urkunden ihrem Inhalte nach« fertig gestellt sind. Die Register hat Prof. Tangl im Manuscript vollendet. Von ihm ist auch die Auflösung sämtlicher tironischer Noten des Bandes gegeben. Den Druck des 2. Bandes, (Urkunden Ludwig's d. Fr.) hofft Prof. Mühlbacher noch im Laufe dieses Jahres aufnehmen zu können. Die Weiterführung der von ihm bearbeiteten 2. Auflage der Karolinger-

Berichte.

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regesten, deren zweite Hälfte seit Neujalir im Druck ist, wird für den Band von wesentlichem Nutzen sein.

Von dem 3. Bande der Diplomata regum et imperatorum (Urkunden Heinrich's II. und Arduin's) ist das Schlussheft vor Kurzem ausgegeben. Für die Diplome Konrad's IL, die den 4. Band der Kaiserurkanden füllen werden, ist die Sammlung des Materials durch Prof. Bresslau unter Mit- Avirkung der Dr. Sessel und Wibel abgeschlossen und die Bearbeitung ziemlich weit Vorgeschritten. Für die Diplome Heinrich's III. sind die Bestände der auswärtigen Archive gleichfalls gesammelt, nur eine kurze Eeise zum Besuche einiger österreichischer und schweizerischer Archive wird noch erforderlich sein.

Die Verhandlungen mit Oberregierungsrat Dr. Posse zu Dresden über die Publikation der von ihm gesammelten Kaisersiegel, welche jetzt dem Gei'manischen Museum zu Nürnberg gehören, haben zu keinem Ergebnis geführt. Es werden jetzt den Schlussbänden der einzelnen Serien der Diplomata Siegeltafelu beigegeben werden.

In der Abteilung Epistolae wurde nach Dümmler's Tode die Lei- tung Prof. Tangl übertragen; am 1. Sept. 1902 war Dr. Schneider als Mitarbeiter eingetreten und ihm die Bearbeitung der Briefe des Papstes Nikolaus I. zugewiesen. Er wird die Bearbeitung im Laufe dieses Rech- nungsjahres zu Ende führen können. Mit zwei weiteren Bänden (Eegister Johanu's VIII. und die übrigen Papstbriefe, Briefe Hincmar's und Varia) werden die Briefe des 9. Jahrhunderts abgeschlossen werden können.

Für die Abteilung Antiquitates, die Prof. Traube leitet, hat Dr. V. Winterfeld die zweite Hälfte des 4. Bandes der Poetae zum grossen Teil druckfertig gestellt. Für die Ergänzung von Kollationen und namentlich für die grosse Sequenzensammlung, welche der 5. Band enthalten soll, ist noch eine Reise erforderlich.

Von den Necrologia wird das Register, bearbeitet von Prof. Herzberg- Fränkel demnächst erscheinen. Die erste Hälfte des 3. Bandes (Nekrolo- gien der Diözesen Brixen, Freisiug und Regensburg) hat der Direktor des Bayer. Reichsarchivs Dr. Baumann, so weit gefördert, dass der Druck noch in diesem Jahre beginnen wird. Die Nekrologien der Diözese Passau nahm Dr. Fastlinger in AngriiF.

Historische Kommission für die Provinz Sachsen uud das Herzogtum Anhalt 1902—1903.

Über den Stand der von der Kommission in Angriff genommenen Publikationen wurde folgendes berichtet: Geschichtsquellen: Der 4. Band des Urkundenbuchs der Stadt Goslar ist nach der Mitteilung Landgerichtsdirektors Bode in Braunschweig nahezu druckfertig. Die Vollendung des Urkundenbuches des Klosters Unser Lieben Frauen in Halberstadt steht in Aussicht. Das Urkundenbuch der Stadt Halle hat leider nicht gefördert werden können. Von dem Urkundenbuche des Klosters Pforta, bearbeitet von Prof. Böhme daselbst, ist auch die zweite Hälfte des ersten Bandes gedruckt und ^vird in einiger Zeit ausgegeben werden. Über das Urkundenbuch des Hochstiffs Zeitz sind die eingeleiteten

528

Berichte.

Verliandlungen noch nicht abgeschlossen. Die Arbeiten für die Herausgabe des Erfurter varietatum variloquus und der Quedlinburger Paurgedinge, Eats- und Kirchenordnungen sind weiter gefördert worden. Der 1. Band des Urkundenbuchs des Erzstifts Magdeburg, bearbeitet von Prof. Hertel- Magdeburg, wird voraussichtlich im Herbst d. J. druckfertig werden. Auch die Herausgabe der Kirchenvisitationsprotokolle des Kurkreises von 1528 bis 1592 durch Archidiak onus Pallas in Herzberg steht in naher Aussicht. Prof. Dr. Jäger in Osnabrück hat die Bearbeitung des Eichsfeldschen Ur- kundenbuches wieder aufgenommen. Als neue Publikation ist das Ur- kundeubuch von Neuhaldensleben in Angritt" genommen.

Zu der Verüttentlichung des auch für unsere Provinz und Thüringen hochwichtigen Mi^nzfundes (Bracteaten) von Seega (Schwarzburg- Kudolstadt), welche die Historische Kommission von Hessen-Waldeck ver- anlasst, wird von der hiesigen ein Beitrag geleistet.

Als Neujahrsblatt ist eine Abhandlung des Archivrats Dr. Wäschke- Zerbst »Die Dessauer Eibbrücke« erschienen; als nächstes wird Prof. Dr. Höfer in Wernigerode eine Darstellung der prähistorischen Verhältnisse unseres Landes geben.

Von den Bau- und Kunstdenkmälerbeschreibungen ist das Heft Halberstadt, verfasst von Dr. Döring-Magdeburg, erschienen; der Stadtkreis Naumburg von Dr. Bergner-Nischwitz ist im Druck, und der Stadtkreis Aschersleben von Dr. Brinkmann-Zeitz wird demnächst druck- fertig. Mit Wernigerode sind die Herren Archivrat Dr. Jacobs und Dr. Döring beschäftigt.

Das Provinzialmuseum hat sich im verflossenen Jahre einer günstigen Weiterentwickelung zu erfreuen gehabt. Der 1. Band der »Jahresschrift für die Vorgeschichte der sächsisch-thü- ringischen Länder« ist erschienen, der 2. Band wird bereits zur Aus- gabe vorbereitet. Von den s. g. vorgeschichtlichen Wandtafeln sind bis jetzt 3983 Stück abgesetzt worden.

An den geschichtlichen und vorgeschichtlichen Karten sowie den Grundkarten ist rüstig weiter gearbeitet worden; desgleichen sind die Arbeiten zur Flurkartenforschung fortgefühi't.

Das von dem verstorbenen Freiherrn von W^intzingeroda-Knorr bear- beitete Wüstungsverzeichnis des Kreise Heiligenstadt, Worbis, Mühlhausen, (Stadt und Land) und Duderstadt ist erschienen.

Studien zur Quellenkunde Bölimens.

Von

Vaclav Novotny.

Zu den bedeuteudsteu Leistungen Franz Palackys gehört zweifellos seine „Würdigung der alten böhmisclien Geschichtschreiber". Von der gleichzeitigen gelehrten Welt auf das Wcärmste begrüsst, nahm das Buch in der historischen Forschung sofort eine hervorragende Stellung ein, die es zum Teil auch heute noch inue hat. Auch heute noch bildet die „Würdigung" in vielen Fragen den einzigen Ausgangspunkt für jede weitere Fortsetzung auf dem Gebiete der böhmischen Quellenkunde, und nicht selten sind auch die Fälle, wo es einer neuen Arbeit aus diesem Gebiete nicht zum Vorwurfe gereicht, wenn ihre Resultate über Palacky nicht weit hinaus kommen.

Das hängt mit der ganzen Bedeutung dieses Werkes zusammen, die aber von zwei voneinander gänzlich verschiedenen Seiten beurteilt werden darf. Es würde zu weit führen, wenn ich an dieser Stelle von allen Früchten der gesegneten Wirkung dieser Arbeit auf die heimi- sche Geschichtsschreibung in verschiedensten Richtungen berichten wollte. Jedoch dürfte es andererseits nicht unberechtigt erscheinen, auch von ihrem nachteiligen EinÜuss zu sprechen. So oft und häufig sie auch in vielen Fällen die Forschung angeregt und gefördert hat, in mancher Beziehuno- hat sie doch auch unwillkürlich, eben durch ihre Bedeutung den Fortschritt gehemmt. Seitdem die „Würdigung" erschienen, ist auf diesem Gebiete keine systematische Forschung vor- genommen worden. Besonders was die älteste Gruppe der böhmischen Geschichtsquellen anbelangt, könnte man sogar sagen, dass die hei- mische Forschung, von den bedeutenden Erfolgen Palackys berauscht,

ilittiieilnn?en XXIV. -^^

^30 Vaclav N 0 V 0 1 n y.

diese Arbeit last aufgegebeu hatte. Was mau da zu verzeichnen ver- mag, sind einzelne zersplitterte Versuche, deren Bedeutung ich natür- lich keineswegs in Abrede stellen will, die abor trotzdem nicht im Stande sind, die oben erwähnte Tatsache zu widerlegen, dass die For- schuno- im grossen ganzen auf dem Standpunkte Palackys stehen ge- blieben ist.

Zum Teil (und unwillkürlich) trägt, wie gesagt, Palacky die Schuld, die „Würdigung" ist zum Teil die Ursache davon, doch wäre es ungerecht auf ihre Rechnung alles zu setzen. In gewisser Hin- sicht könnte man auch von nachteiligem Einflüsse der Ausgabe der Monumenta auf die böhmische Quellenforschung sprechen.

Unlängst hat Bachmann i) nicht mit Unrecht gerügt, dass die Neuausgabe der böhmischen Geschichtsquellen nicht den Anlass zur Überprüfung der betreffenden quelleukritischen Fragen geboten hat. Ich wiederhole : nicht mit Unrecht, dies jedoch nur mit einer gewissen Einschränkung. Die Rüge kann nur in einem gewissen Sinne in welchem sie offenbar auch Bachmann versteht zugelassen werden: auf die späteren Bände der erwähnten Publikation trifft sie nicht genau zu. Es sei mir gestattet an dieser Stelle einige Momente hervorzu- heben, die eine solche Einschränkung des Tadels begründen.

Die späteren Bände der Fontes Rerum Bohemicarum (FRB.) siud 7. B. die Stelle, wo Emier zum erstenmale seine, seinerzeit mit supe- riorem Lächeln und unbegründeter Skepsis empfangene, jetzt aber . allgemein anerkannte^) Ansicht über die Identität des Verfassers des Chronicon domus Sarensis mit Heinrich von Heinburg durchgeführt und bewiesen hat (FRB. II, III). Man darf weiter nicht vergessen, dass Enilers Edition der Königsaaler Chronik (Bd. IV), wenn sie auch einige Fehler Loserths beibehält, doch verhältnismässig viel korrekter und wissenschaftlich viel besser ausgerüstet ist. Die Werke eines Beuesch von Weitmühl, eines Neplach, eines Marignola sind in den FRB. (III, IV) sozusagen zum erstenmale wissenschaftlich zugänglich gemacht worden, vor allem ist die Edition Pulkawas (Bd. V), wenn auch nicht ganz befriedigend, doch die einzige brauchbare, und es ist nur zu bedauern, dass sie in der gelehrten Welt noch so wenig bekannt blieb. In demselben (V) Bande verdienen aber auch die sorgfältigen, allen Forderungen der modernen Quellenkritik entsprechenden Editionen J. Golls hervorgehoben zu werden. Es smd dies die Editionen des Laurentius V. Brezowa, der sog. Universitätschronik, des Bartoschek u. a. Quellen

») Vgl. MtÖlT. XX, S. 39 ff.

2) Vgl. die belobende Erwähnung Dietrichs in der neuen Ausgabe MG. SS. XXX.

Studien zur Quellenkunde Böhmens.

531

aus der husitischen Periode und auch hier da.-f man von der ersten wissenschaftlichen Edition sprechen. Man könnte vielleicht sacren, dass die p]dition der FRB. im umgekehrten Verhältnisse zu der Zahl der anderwärtigen Vorarbeiten und Editionen steht. Sie ist umso besser, je weniger sie sich auf die fremden Arbeiten und Ausgaben stützen kann.

Die Rüge Bachmanns ist besonders bei den ersten zwei Bänden (auf die sie sich auch bezieht) berechtigt, und hier ist auch der Ort, wo man vom nachteiligen Eiufluss der Monumeuta sprechen könnte. Besonders im zweiten, teilweise auch im ersten Bande der FRB. hat mau sich leider nur zu oft mit der engsten Auschliessung an die Edition der M. G. begnügt, die allerdings als mustergiltig angesehen werden kann, jedoch nicht über jede Kritik erhaben ist und in man- chen Fällen keineswegs die endgilticre Lösung der einschläo-isfen Fracen bieten kann. Diesem Vorgang gegenüber (für den übrigens vielleicht eine Erklärung in der Entstehungsgeschichte der beiden ersten Bände zu finden wäre), muss man der ablehnenden Kritik Bachmanns völlio- beipflichten.

Bachmann war auch nach Jahren der erste, der die Arbeit syste- matisch in Angriff genommen hat. Seine Versuche tragen daher guten Teils ohne sein Verschulden sämtliche Merkmale einer auf einem lange vernachlässigten Gebiete unternommenen Arbeit an sich. Sie bringen natürlich viel Neues, lassen aber auch Manches unberück- sichtigt, was zur Lösuno- einzelner Fragen wirksam beitragen könnte.

Fast gleichzeitig mit Bachmanu wurde ich, mit Vorbereitung meiner Vorlesungen für das Wintersemester 1899 1900 beschäftigt, genötigt, mich in einzelne Fragen eingehender einzulassen, war aber durch meine vielfache anderweitige Beschäftigung gehindert nicht so glücklich, die Ergebnisse meiner Forschung, die sich zwar teilweise mit denjenigen Bachmanns decken, teilweise aber von ihnen nicht unwesentlich abweichen, zu veröffentlichen. Dass ich die seit der Zeit erschienenen Beiträge Bachmauns mit den Resultaten meiner Forschung verglichen habe, ist sicher überflüssig zu bemerken, und der Umstand, dass ich auch Bachmann gegenüber an ihnen festhalten kann, wird es hoflentlich erklärlich machen, warum ich einzelne Frageu, die neulich von Bachmann behandelt worden sind, einer neuen Prü- fung unterziehe.

I. Der erste Fortsetzer des Kosmas. Seit Palackys Würdigung ist die Ansicht, dass der erste Fortsetzer des Cosmas ein Wyschehrader Domherr gewesen, herrschend geblieben

35'

532 Vaclav N 0 V o t n y.

Meinert hat darnach seiue frühere Aunahme korrigirt^), Wattenbach hat sie in allen Ausgaben seiner Geschichtsquellen beibehalten, und auch Teige, der sich vor Bachmann zuletzt mit der Person und mit dem Werke des ersten Kontinuators befasste-), hat keinen Grund gefunden, an den Ausführungen Palacky.s zu zweifeln. Man kann sagen^ die Sache galt als erwiesen.

Erst Bachmann ist vor kurzer Zeit 3) gegen diese Ansicht auf- getreten, und hat die ältere, seit Palacky verlassene, Avieder aufge- nommen. Seine Ausführungen gipfeln in der Behauptung: der erste Fortsetzer des Kosmas ist ein Prager Domherr gewesen.

Allerdings ist die Beweisführung Palackys nicht derart, dass sie jeden Zweifel beheben könnte, und Bachmann hat gegen Palacky ver- schiedene Einwände geltend gemacht, die vollkommen genügen, einige von den augeblichen Gründen Palackys zu eutkräften. Aber trotzdem kann ich mich im Allgemeinen der Beweisführung Bachmauns nicht anschliessen, ja gerade im Gegenteil glaube ich im Nachfolgenden den Beweis erbringen zu können, dass die Anschauung Palackys die allein richtige ist, uud dass es Bachmanu nicht gelungen ist, dieselbe zu widerlegen.

Was Bachmanu im Allgemeinem hervorhebt, dass nämlich die Bevorzugung Wyschehrads durch den Chronisten sich dadurch erklären lasse, dass einerseits Wyschehrad zur Zeit der Regierung Sobeslaws 1. eine bedeutendere Rolle zu spielen anfing, und dass andererseits der , Chronist dadurch die Lücken in der Erzählung seines Vorgängers, des Kosmas (der bekanntlich aus parteiischen Gründen sell)st die Errich- tung des Wyschehrader Kapitels verschweigt, uud natürlich auch sonst der Wyschehrader Domherren mit keinem einzigen Worte gedenkt) auszufüllen bestrebt war, ist zwar im grossen ganzen richtig, trotzdem aber scheint mir diese Erklärung nicht zu genügen. Ich weiss nicht, ob ich hier nicht etwa der Suggestion der Palackyschen Forschung unterliege, aber selbst bei steter Berücksichtigung der Einwände Bach- manns kann ich des Eindruckes nicht los werden, dass in der Art, wie es der erste Fortsetzer tut, über Wyschehrad nur ein Mitglied der Wyschehrader Geistlichkeit habe schreiben köuuen . . . Doch mit subjektiven Eindrücken hat die Geschichtsforschung nichts zu schaffen. W^oUen wir daher lieber die einzelnen Gründe Bachmanns prüfen.

1) Wiener Jahrb. 1829 ßd. 49 Anzeigeblatt S. 18 ff.

-) Teige, 0 prvnim pokracovateli Kosmy Sitz.-Ber. der k. böhm. Ges. der Wiss. 1889.

3) Bachmann, Beiträge zu Böhmens Geschichte und Geschichtsquellen II. Der erste Fortsetzer der Kosmas MIÜG. XXI, S, 220 ff.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 533

Bachraanu wendet sich zuerst gegen die Annahme Palackys, dass der Bericht über den feierlichen Empfang Sobeslaws auf dem AVyschehrad (1130) ein Beweis der Zugehörigkeit des Berichterstatters zum Wyschehrader Kapitel wäre, und macht dagegen darauf auf- merksam, dass der Empfang Sobeslaws auf der Prager Burg noch feierlicher gieschildert wird. Bachmann hebt hervor, dass man bei der Ankunft in der Prager Burg gesungen und geläutet habe und bemerkt danui): , Davon wird offenbar nach der Weise jener Zeit und kirch- lichem Gebrauche manches, wie Gruss, Gesang und Glockenklang auch bei dem Empfange auf dem Wj^schehrad geschehen sein, und doch ist darüber bei der Prager, nicht bei der Wyschehrader Kirche erzählt, was ein Wyschehrader Berichterstatter wohl nicht getan haben würde".

Das trifft nicht genau zu. Bachmann übersieht dabei einen sehr wichtigen Umstand, dass nämlich die Fahrt Sobeslaws auf die Prager Burg einen rein relicfiösen Charakter hatte, dass es eine Art von Pilgerfahrt zum Dank für die Rettung seines Lebens war, wie aus der Schilderung des ersten Fortsetzers deutlich hervorgeht^). Zu einer solchen religiösen Feier konnte und musste natürlich der Fürst nur die Metropolitaukircbe wählen, bei so einer Gelegenheit konnte auch Gesang und Glockenklang nicht unterlassen werden, während die Fahrt nach Wyscliehrad keine Veranlassung dazu bot. Nach Wysche- hrad, wo Sobeslaw wie Bachmann selbst richtig bemerkt öfters residirte, ging der Fürst nicht , causa orationis", sondern zu längerem Aufenthalte, und unter solchen Umständen ist wohl kein Grund mit Bachmann anzunehmen, dass man den Herzog mit Gesang und Glockenklaug empfangen hätte, und dass der Chronist versäumt hätte, es zu erwähnen.

Behält man diesen Unterschied im Auge, so muss es weiter sehr auffallen, dass bei einem so eminent religiösen Ereignis, wie es die Prager Pilgerfahrt Sobeslaws war, von den Prager Domherren, ja von der Prager Geistlichkeit überhaupt, die doch zweifellos daran teil- nehmen musste, mit keinem einzigen Worte Erwähnung geschieht, während bei dem Empfange auf dem Wyschehrad ausdrückhch bemerkt wird, dass es die Domherren seines Vaters waren, die den Herzog

') A. a. 0. S. 224.

2) Zum J. 1130 (FRB. II, 209) Sobieslaus proficiscilur in uibem Pragam metropolitanam causa orationis discalciatis pedibus et vestibus rautatib . . et ingredientem ibi omnes laetanter cum ingenti tripudio et honore eum suscipumt, de eius salute quidem ut merito gaudentes, hymnumque angehcum cantantes uec non et campanis sonantes. Über den Gebrauch der Worte causa orationis vgl. ib. S. 207, (Pilgerfahrt Meiuharts nach Jerusalem).

534 Väcla V No V ot ny.

freundlichst begrüssten •). Das scheint gewiss eher für ein Mitglied der Wyschehrader als der Prager Geistlichkeit zu sprechen.

Am anderen Tage nach der Ankunft wurde auf dem Wyschehrad das Gericht über die Verschwörer gehalten, die, wie man vorgab, nach dem Leben des Fürsten getrachtet hatten. Unter den zahlreichen Anwesenden zählt der Chronist auch die „Pragenses canonicos atque nos (ibidem fuimus)* auf. Für Palacky waren diese Worte ein Beweis, dass der Chronist an dieser Stelle sich selbst uud die Seinigen von den Prager Domherren scharf unterscheidet. Das „atque nos ibidem fuimus" darf nach Palacky nicht etwa mit „auch ich war dabei" übersetzt werden, sondern muss sich, da sich der Chronist sonst des Pluralis majestaticus nicht bedient, im Gegensätze zu den Pragenses canonici auf eine andere geistliche Korporation beziehen, der auch der Chronist augehörte.

Dagegen hat aber Bachmann nachgewiesen, dass die Behauptung Palacky's über den Gebrauch des Plurals von Seiten des Chronisten nicht zutreffe, und hat mehrere Stelleji angeführt, wo der Chronist von sich selbst in der Mehrzahl spricht, so dass er sich zur Behaup- tung berechtigt glaubte, dass der Chronist „von sich siebenmal in der Einzahl, siebenmal in der Mehrzahl spricht" 2). Die Zählung ist aller- dings nicht richtig. Bachmann hat zwar alle Stellen sorgfältig ge- sammelt, wo der Chronist in der Mehrzahl spricht, dagegen aber viele übersehen, wo er nur als „ich" auftritt. Eichtiger wäre das Verhält- nis ausgedrückt, wenn man sagen würde, dass in der Chronik neuu- zehumal der einfache Singular, und nur achtmal der Plural vorkommt. Daran ist aber nicht viel gelegen, die Hauptsache ist, dass es Bach- mann gelungen ist, die Behauptung Palackys, der Chronist spreche von sich immer im Sino-ular, zu widerlegen. Damit fällt nun auch die Hauptstütze der Annahme, dass die oben angeführte Stelle nicht mit „ich war dabei", übersetzt werden darf. Natürlich ist aber damit nicht erwiesen, dass sie auf diese Weise übersetzt werden muss, und am allerwenigsten ist es erlaubt sie so zu übersetzen, wie es Bach- mann tut, „auch die Prager Kanoniker darunter wir waren dort" 3). Das kann nur mit den Worten bezeichnet werden, deren sich Bach- mann Palacky gegenüber selbst bedient: es ist ein Versuch, in die Stelle das hiueinzuinterpretiren, was man beweisen will. Doch es ist notwendig, die Beweisführung Bachmanns näher zu betrachten.

') Ib. 209 Factaque ibi oratione discessit in Wissegrad ibique a canonicis patris sui scilicet regis Wratizlai cum inenarrabili gaudio receptus est.

2) MlÖG. XXI, 225.

3) Ebd. 225.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 535

Mit Hinweis auf Palacky, der selbst nachgewiesen hat, dass in älteren Zeiten zu den Colloquien der böhmischen Fürsten mit ihren Grossen die Geistlichkeit regelmässig nicht berufen wurde, erklärt Bachmann die Zusammenkunft auf dem Wyschehrad 1130 für ein solches Colloquium. Die Anwesenheit der Prager Domherren ist nach Bachmann etwas Ausserordentliches gewesen, deshalb erwähnt sie unser Chronist, dagegen seien die Wyschehrader Domherren allem Herkoramen gemäss dazu nicht eingeladen gewesen, darum könne der Chronist von ihrer Anwesenheit nicht berichten.

Vor allem muss man sich wohl die Frage vorlegen, ob es sich hier wirklich um ein solches Colloquium handelt und was es über- haupt für eine Versammlung war. Unser Chronist erzählt: Altera vero die ... Bohemienses primates rescientes suum priucipem evasisse tanta pericula, conveuerunt in altiorem urbeiu Wissegrad, ibique iu- venientes eum, gaudent de eius salute . . . Sequenti vero die dux Sobieslaus congregavit nobiles et ignobiles ia palatium Wisse- gradense, etiam Pragenses canonicos, atque nos ibidem fuimus. Fuit multitudo magna virorum in concilio illo, pene tria milia^). Von zwei Versammlungen wird hier also erzählt. Bei der ersten versammelten sich die Vornehmen um ihren Herzog, an der zweiten nahmen fast 3000 Leute teil. Die zweite bezeichnet der Chronist als „couciliam". Über die Bedeutung des Wortes bei dem Chronisten belehren uns andere Stellen seines Werkes 2), die dafür zu sprechen scheineu, dass damit etwas ähnliches gemeint wird, was wir mit Bachuiann (dem Beispiel Lipperts folgend) ein Colloquium nennen wollen.

Dabei darf aber ein wichtiges Detail nicht ausser Acht gelassen werden. Sobeslaw hat zu der zweiten Versammlung nach den Angaben des Chronisten nobiles et ignobiles einberufen. Für Palacky^) war

') FRB. II, 209.

2) Vgl. FRB. II, 214; ad concilium regis Lotharii profectus est . . ., ebd. 215 Lotharius causa concilii in Castro PJysn cum multis Theutouicis convenit . ; ,. Goslarii concilium a rege factum est . . .; 223 . . . cumque in concilio sessum fuisset . . . 228 curiam et concilium Bamberk in civitate facerent . , 229 habito igitur concilio . . . Ähnlich heisst es von Sobeslaw (ebd. 221) in sua metropoli Praga concilium facit . . . Dagegen wird aber das Wort von der VerFammluiig der Primaten in Sadska 1138 nicht gebraucht; der Chronist sagt nur (229) primi et secundi ordinis militibus suis edicet, ut quantocius Saczka ad se conveuiant. Ebenso wird die Versammlung der böhmischen Grossen zur Beratung über den Kandidaten des Throns nach dem Tode Sobeslaws (die aber ohne Einberufung von Seite des Fürsten zu stände kam) auch nur (S. 232) conventus genannt. Vgl. damit das obige con vener unt,

3) Palacky Dejiny. I, 2, 237.

436 Vaclav Novo tuy.

diese Stelle ein Beweis dafür, dass auf dem böhmischen Landtage (wie er sich ausdrückt) Edle wie Unedle ihren Platz fanden. Ich weiss nicht, oh Bachmauu auch darin den Ansichten Palackys beipflichtet er drückt sich nicht deutlich genug aus , aber aus dem Um- stände zu schliessen, dass ihm die Anwesenheit der Ignobiles nicht entgangen ist, scheint es, dass er auch diese Anschauung Palackys ausnahmslos teilt.

Indessen halte ich die Frage für nicht so einfach. Meiner An- sicht nach hat Lippert^) mit Recht an der Richtigkeit dieser Annahme Palackys gezweifelt und dagegen nachdrücklichst betont, dass die Colloquien nur Versammlungen der Vornehmen bei ihrem Herzoge waren, an welchen die Geistlichkeit nur ausnahmsweise teilnahm. Auch- ist es Biichmann nicht gelungen, ein Beispiel anzuführen, dass sich auch Unedle an den Colloquien beteiligt hätten, obwohl er mehrere Stellen angibt, an welchen sich unser Chronist über die Einberufung der Colloquien äussert^).

Allerdings gab es auch Fälle, wo bei einer derartigen Versammlung auch Unedle erschienen. Wir wissen wenigstens von der frag- lichen Versammlung auf dem Wyschehrad 1130 ganz abgesehen ' von einer solchen, es ist die bekannte Versammlung bei Dobenin 1068 während des Zuges gegen Polen, wo auf Wunsch Herzog Wratislaw II. die neue Bischofswahl vorgenommen werden sollte. Aus der ausführ- liehen Schilderung des Cosmas geht, wenn auch vieles der rhetorischen Stilistik des Cosmas zuzuschreiben und daher nicht wörtlich zu glauben ist, deutlich hervor, dass auch das Heer (folglich auch Unedle) in die Beratungen eingriff. Aber eben diese Zusammenkunft bei Dobenin kann bei Feststellung der Normen, unter welchen die Einberufung der Colloquien stattfand, nicht als massgebend angesehen werden, Sie ist eben kein eigentliches Colloquium, sondern eine ganz unregelmässige Versammlung, die in ausserordentlichen Verhältnissen während der Heerfahrt zu stände kam, eine Versammlung, bei der unter solchen Verhältnissen natürlich jeder erscheinen durfte, der anwesend war . . . Ist aber die Versammlung auf dem Wyschehrad 1130 nicht auch als ausserordentlich anzusehen? Jene 3000 Leute, die Sobeslaw berufen liess, sind doch nicht gekommen, um mit dem Herzoge auf dem Richterstuhl zu sitzen, sondern nur um das Urteil über die Verschwörer mit anzuhören. Von einem Colloquium kann da wohl keine Rede sein, es war dies eben eine Zusammenkunft sämtlicher Bewohner

») Socialg. Böhmens I. 307 u. 410—411, vgl. auch 331. 2) MIÖG. XXI, 225.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 537

Prags zu einem uussergewÖhnlicheu Schauspiele, eine Versammlung, bei welcher jederaiann erscheinen durfte, bei welcher die Meno-e durch ihre tausendköpfige Assistenz dem Urteilsspruche ein feierliches Aus- sehen verleihen sollte. Wenn aber diese für einen jeden offene Ver- sammlung auf dem Wyschehrad stattfand und dabei die Prager Dom- herren ausdrücklich als anwesend angeführt werden, müsste es doch um so mehr befremden, wenn auch die Wyschehrader Domherren dazu nicht eingeladen worden wären. In diesem Zusammenhange wächst, meines Erachtens. da die Wyschehrader Domherren sonst nicht er- w^ähnt werden, die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Worte .atque nos ibidem fuimus" nicht anders als auf die Wyschehrader Geistlich- keit gedeutet werden dürfen, und dass die Beweisführung ßachmanns, obwohl sie die Behauptungen Palackys korrigirt. zur Widerlegung seiner Ansicht nicht genügt.

Auch die nachfolgende Polemik gegen Palacky reicht nicht hin, jeden Zweifel über ihre Berechtigung zu beheben und die Notwendig- keit der Interpretation Bachmanns zu beweisen. Freilich würde der Umstand, dass der erste Fortsetzer zweimal die Mitglieder des Prager Domkapitels tadelt, an sich als Beweis nicht genügen, dass solche Worte von einem Prager Domherren nicht herrühren könnten. Aber derjenige, der sich gegen die betreffende Stelle bei Palacky 1) wenden will, darf sich nicht nur darauf beschränken, was Palacky ausdrücklich sagt, sondern muss vielmehr auch das mit in Rechnung ziehen, was Palacky nur typographisch (durch gesperrten Druck) andeutet.

Bachmann bemüht sich 2) den Bericht des ersten Fortsetzers über die Spaltung des Domkapitels 1131 so zu erklären, dass es sich hier um persönliche Gehässigkeit handle, wie solche öfters unter Mitgliedern derselben geistlichen Korporation vorzukommen pflegen, und ist geradezu geneigt, eben darin einen Beweis für die Zugehörigkeit des Bericht- erstatterts zum Prager Domkapitel zu erblicken. Aber so einfach ver- hält sich die Sache denn doch nicht.

Sind auch die Gründe Bachmanus zur Ehrenrettung des Dom- herren Heroldus, den unser Berichterstatter einen Jdiota'^ nennt, beachtenswert (er war Kaplan und Vikar des Bischofs Otto von Bam- berg), und kann daher vielleicht die Charakteristik des Heroldus als ein°Produkt der Gehässigkeit des Autors gegen denselben gelten, so sehe ich doch nicht ein, warum diese Gehässigkeit ,am ehesten aus der Zugehörigkeit beider, des Herold und des Chronisten, zum

') Würdigung 38. 2) A. a. Ö. 228.

538 Vaclav N 0 V 0 1 n y.

Gremium des sich zerfalleüeu Prager Kapitels zu erklüreu wäre". Das ist aber aucli Nebensache. Wichtiger ist die Frage, ob ein Mit- glied des Prager Domkapitels im Berichte über die Ereignisse des J. 1133 hätte schreiben können: „quidam ex ejus [des Bischofs] monasterio perversi fratres (es sind dies eben die Worte, die Palacky gesperrt abdrucken liess), hätte er demselben monasterium angehört. Für noch unberechtigter halte ich aber die Polemik gegen die Schlüsse, die Palacky aus dem Berichte des ersten Fortsetzers über die Belagerung Prags 1 142 gezogen hat, da aus Bachmanns Worten der Leser nicht einmal ersehen kann, was Palacky für Gründe anführt. Palacky drückt sich folgendermassen aus'): „Bei der Belagerung des Prager Schlosses durch den mährischen Konrad im J. 1142, beschäftigt ihn nur das Schicksal des Nonnenklosters bei St. Georg, auf das mo- nasterium s. Viti wirft er nicht einmal im Vorbeigehen einen Blick". Bei Bachmann ■^) ist daraus Folgendes entstanden: „Während nämlich dem Domherrenstifte nichts geschah, wurde das Frauenkloster von den feindlichen Brandgeschossen zerstört. Daher war es nur eine natürliche Sache, dass der Chronist von den Domherren nichts berichtet: sie Sassen eben ruhig in ihrem Hause, während es über die Flucht und Wiedereinführung der verscheuchten Nonnen zu melden gab. Warum übrigens der Freund der Stiftsfrauen ein Wyschehrader und nicht etwa ein Prager Domherr gewesen sein müsste, ist nicht einzusehen" (!). Abgesehen von dem letzten Satze, der jedermann auf das unange- nehmste berühren muss, da er in die Beweisführung Palackys etwas „hin- einzuinterpretiren" versucht, was Palacky niemals behauptet hat, sind die Ausführungen Bachmanus auch sachlich nicht richtig. Ein anderer Chronist des 12. Jyhrh. (Mon. Sazaw.) berichtet ausdrücklich: ,mo- nasteria sanctorum Viti, Wencezlai atque Adalberti sanctique Georgii vastaverunt" 3), und diese Worte sind noch von niemandem angezweifelt worden, Bachmann selbst hat sie in seiner Geschichte Böhmens^) glaubwürdig gefunden und es ändert nichts an der Sache, ob er mo- "nasterium als Kirche oder Stilt deuten will, denn Palacky hat nur von monasterium gesprochen! Die Erklärung Bachmauns passt also auch an dieser Stelle nicht, die übrioens für die Frage nach der Zu- gehörigkeit des Chronisten irrelevant erscheinen darf, da es zuerst er- wiesen werden muss, ob die Stelle überhaupt noch vom ersten Fort-

') Würdigung 59.

2) MlÖG. XXI, 227.

3) Auch die ebenfalls im 12. Jahrb. entstandenen Annales Gradic. et Opat. melden zu 1142 Monasteria canonicorum et monialium Präge exusta sunt.

*) Bachmann, Geschichte Böhmens 313.

Studiea zur Quellenkunt^e Böhmens. 539

Setzer des Kosmas herrührt, worauf ich jedoch später zu sprechen kommet).

Mit all dem Gesagten hoffe ich wenigstens so viel erwiesen zu haben, dass-, wenn auch die yon Palacky augeführten Gründe zur zweifellosen Bejahung der Frage, ob der erste Fortsetzer des Cosmas ein Wyschehrader Domherr gewesen ist, nicht genügen, auch der Widerlegungöversuch Bachmanns nicht hinreicht, um den Chronisten für einen Prager Domherren erklären zu können.

Es kommt aber noch ein Umstand in Betracht, der meines Er- achtens im stände ist, die Wahrscheinlichkeit der Annahme Palacky s zu erhöhen, ein Umstand, der sowohl von Palacky als auch von Bach- mann übersehen wurde, cbzwar Bachmann schon durch Meinert-) darauf aufmerksam gemacht werden konnte. Zum J. 1127 lesen wir in der Chronik: „VIl Kai. Martii caput s. Adalberti ... in civitate Gnezden repertum est eo quidem loco, ubi martyr idem martyrio fuit coronatus et tumulatus".

Hätte so etwas ein Prager Domherr schreiben können? Die Sage von der Auffindung des echten Körpers des h. Adalberts in Gnesen (wo ihn die Geistlichkeit vor ßfetislaw versteckt haben soll) taucht in den dreissiger Jahren des 12. Jahrh. in Polen auf. Selbst angenommen, dass unser Chronist von dieser Sage eine Kunde ver- nehmend sie seinen Pflichten getreu als unparteiischer Referent (was er aber sonst nicht zu sein pflegt) in seine Erzählung aufgenommen hätte, ist es einem Prager Domherren zuzumuten, dass er dies ohne das geringste Wort des Widerspruches getan hätte, zumal es auch nicht möglich ist, anzunehmen, dass er au ein Wunder gedacht, da er dies in diesem Falle sicher erwähnt hätte? Und wenn man auch diese Erklärung annehmen wollte, der Chronist scheint sich selbst dagegen zu sträuben.

Zum J. 1134 erzählt er von einer Heerfahrt gegen Polen, die mit einer Plünderung des Landes endete. Das böhmische Heer kehrte mit reicher Beute beladen zurück. Der Chronist drückt sich darüber in folgender Weise aus: ,Et licet Bohemi sine duce Sobieslao terram hostilem introisseut, praedam tamen inde tantam reduxerunt, quae omnium Bohemiae du cum praedas, quas m Polonia fecerunt, ex-

.) Die Angaben des Chronisten über die Wahl des Wyschehrader Dom- herren Johann zmn Prager Bischof und die daran sich knüpfenden Ausführungen Palackys und Bachmanns können übergangen werden, da sie für die ^^^S^^'^^^ Wyschehrader Zugehörigkeit des Chronisten nichts Entscheidendes zu bieten

vermögen. a An la

2) Meinert in den Wiener Jahrb. 48 Anzeigeblatt S. 40- 4 J.

ff^Q \' ä c 1 a V N 0 V 0 1 n y.

superat"; Unser Chronist ist als Parteimanu des Herzog Sobeslaw bekannt, doch scheint mir seine Parteilichkeit zur Erklärung dieses Lobes nicht zu genügen. In der gauzen Stilisation lässt sich etwas Absichtliches nicht verkennen. Obwohl die Böhmen ohne Herzog Sobeslaw den feindlichen Einfall unternahmen, kehrten sie mit einer Beute zurück, welche alle von böhmischen Herzogen in Polen ge- machten Beuten überragt. Das scheint doch deutlich auf frühere Zeiten, besonders auf die Heerfahrt Bfetislaws hinzuweisen. Bfetislaw brachte aus Polen den Leib des h. Adalbert mit. Für einen mittelalterlichen Menschen und besonders für einen Geistlichen waren doch zweifellos heilige Keliquien die bedeutendste und schätzbarste Habe. Ein mittel- alterlicher Geistlicher rausste doch die Beute Bfetislaws, wenn sie die ecliten Reliquien Adalberts enthielt, viel höher schätzen, als jede andere. Dass unser Chronist von dem Zuge Bfetislaws gut unter- richtet gewesen sein konnte, dürfte keinen Zweifel unterliegen, er ist ja eben ein Fortsetzer des Cosmas, der in seiner Chronik ausführlich darüber berichtet. Sollte mau da den Zusammenhang der beiden Be- richte, von der Auffindung des Kopfes Adalberts in Gnesen und vom Zuge 1134 übersehen? Und ist es möglich, in diesem Zusammenhange die Stelle vom h. Adalbert anders zu deuten, als dass der Chronist, wenn er nicht an der Echtheit des Prager Adalbertkörpers zweifelt, so wenigstens die Möglichkeit der Existenz eines echten Kopfes in Gnesen zugibt? Ist dem so, so kann auch über die Zugehörigkeit des Bericht- erstatters kein Zweifel mehr bestehen. So weit ging die mittelalter- liche Objektivität nicht, so etvv'as kann ein Prager Domherr unmöglich geschrieben haben ^j.

Wenn also die früheren Untersuchungen zu dem Resultat geführt haben, dass die von Palackj für die Wyschehrader Zugehörigkeit des Chronisten, und die von Bachmann dagegen angeführten Gründe zur Entscheidung der Frage nicht hinreichend sind, obwohl für Palacky mehr Wahrscheinlichkeit vorhanden ist, so hat sich durch das zuletzt "Erwähnte die Wahrscheinlichkeit der Annahme Palackvs gesteigert, und man wird meiner Ansicht jetzt Avie früher der Palackys beipflichten dürfen, dass der erste Fortsetzer des Kosmas ein Wj^schehrader Dom- herr gewesen ist.

') Dass der Chronist an anderen Orten vom h. Adalbert als Beschützer der Prager Kirche spricht (zum .J. 1132 FRB. II, 232), oder von der Renovation des Adalbertgrabes berichtet (1127 ib. 207), kann an der Sache nichts ändern. Adalbert blieb Patron der Prager Kirche und sein Grab konnte restaurirt werden selbst wenn sein Körper (oder sein Kopfj in Gnesen lag.

Studien zur Quellenkunde Böhmens 54j

Wollten wir aber all das, was bisher gesao-t wurde, für un<>-e- üügend ansehen, so könnte für die Prager Herkunft der ersten Conti- nuation des Cosmas noch ein Grund angeführt werden, nämlich der dass die Weiterführung des Cosmas'schen Geschichtsbuches am ehesten wieder ein Mitglied derselben Anstalt übernommen haben dürfte i).

Entscheidend ist dieser Grund natürlich nicht, immerhin verdient er aber näher beachtet zu werden. Bach mann hat meines Erachtens diesen Grund (der freilich früher er^t begründet werden müsste, um Grund werden zu können) überschätzt. In seiner Abhandlung lesen wir zwar die aus seiner Geschichte-) bekannte übertriebene Behauptung nicht, dass einem von den jüngeren literarisch tätigen Jlännern die Fortsetzung des Cosmas übertragen worden wäre, aber auch damit, was von dieser unnachweisbaren Vermutung in der vorliegenden Arbeit Bachmanns übrig blieb, ist zu viel gesagt. Es heisst hier (S. 228): „Anderseits ist auch den Mitgliedern des Prager Kapitels nicht wohl zuzutrauen, dass sie, so lange eine andere Möglichkeit bestand, was nach Cosmas (III, 19) wohl der Fall war, die Fortsetzung der Chronik ihrer Kirche anderen Klerikern überliessen".

So einfach lässt sich die Frage doch nicht erledigen. Es kann ein wohl begründeter Zweifel entstehen, ob man Cosmas' Werk eine Chronik der Prager Kirche nennen darf. Cosmas selbst hat es anders benannt, auch anders gedacht . . . Auch müsste dann erst gezeigt werden, dass Cosmas' Chronik damals für etwas mehr gehalten wurde als für ein Werk eines Privatgelehrteu, dass sie wirklich als quasi offiziell galt, so dass man daran gedacht hätte sie weiter führen zu lassen. Zu allen diesen Vermutungen haben wir keinen, ja selbst nicht den geringsten Grund. Cosmas selbst sprach in der Vorrede den Wunsch aus, man möge seine Arbeit der Ufl'entlichkeit nicht vor- legen, und wenn auch dieser Wunsch vielleicht nicht ganz aufrichtig gemeint war, so bezeugt das wenigstens, dass er selbst sie nicht für ein offizielles Zeitbuch der Prager Kirche ausgab. Und i.,t sie es auch später geworden, hat man sie später für ein Kanon der böhmischen Geschichte gehalten, für diese Zeit ist das noch nicht zu bemerken, gerade im Gegenteil das, was wir von der Sazawer und Opatowicer Klosterhistoriographie wissen, spricht direkt dagegen. Auch ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen (worauf wir noch später zurück- kommen), dass damals die Prager Kirche ein anderes Quellenwerk besass, welchem die ältere Tradition zu dieser Zeit noch den Vorrang zu sichern im stände war.

1) Vgl. Goll im CCH. (Ces. Casop. bist.) VllI, 91.

'') Geschichte Böhmens. ''^. 4Ut.

542 ^ li c 1 a V X 0 V 0 1 n 3'.

ßachmann bemüht sich seine Behauptungen durch eine neue Deutung einer Stelle aus dem ersten Fortsetzer zu begründen. Die Stelle ist allerdings nicht klar, dass sie aber auch anders gedeutet werden kann, als Bachmann will, werde ich in Folirendem zu be- weisen versuchen. Die Sache erfordert es aber, früher noch 'einige Aufmerksamkeit der Frage, wann die erste Kontinuation entstanden ist, zu schenken.

Bachmaun hat sich mit dieser Frage überhaupt nicht befasst, ob- wohl gerade hier die Ansichten Palackys gewissermassen für veraltet gelten dürfen, und Teige in der von Bachraann öfters zitirteu Arbeit mehrere Gründe gegen sie vorgebracht hat.

Palacky sprach die Meinung aus^), dass der erste Fortsetzer fast gleichzeitig mit den Ereignissen geschrieben hat, und es ist abgesehen von einer Stelle, die wir gleich näher betrachten werden wirklich sehr schwer bei unserem Chronisten Anspielungen auf spätere Ereig- nisse oder sonstige Merkmale einer späteren Niederschrift zu finden. Wenn der Chronist über das Versprechen Lothars, binnen 3 Monaten nach Rom zu kommen, berichtend bemerkt: „Sed illa res ad nichilum redacta quasi pulvis a vento raptus deperiit" man wird wohl diese Worte auf das Versprechen Lothars beziehen dürfen so ist es zwar kein Beweis dafür, dass dieser Satz vor dem Römerzuge Lothars (1131) geschrieben worden sein müsste, aber auch kein Beweis, dass es nicht im J. 1131 geschehen sein könnte.

Die Schilderung des sonderbaren Winters 1134 weist zwar deut- lich auch auf den Winter des künftigen Jahres hin, aber deswegen kann mau doch nicht den Ausdruck ,fast gleichzeitig" verwerfen. Auch die Bemerkung zum J. 1141 „Bela, qui tunc regnabat in üngaria" führt uns nur um ein Jahr später (die Regierung Belas endet 1141), was auch von der Erzählung von der Wahl und dem Rücktritte Syl- vesters (1140) und von der preussischen Expedition Heinrich Zdiks gilt. Wichtiger wäre eine andere Bemerkung, wenn wir sie mit voller Sicherheit so erklären dürften, wie sie augenscheinlich zu erklären ist. Zum J. 1133 erwälmt nämlich der Chronist des Petrus Leonis (Anaklet II,), qui tunc Romanae ecclesiae praesidebat (ähnlich schon zum J. 1131). Das Papsttum Auaklets endete 1138, und es wären daher diese Worte ein Beweis, dass die Stelle vor 1138 nicht ge- schrieben wurde. Obwohl ich aber geneigt wäre, die Stelle so zu interpretiren, kann ich doch nicht verhehlen, dass diese Deutung nicht notwendig ist, dass die Stelle auch anders erklärt werden könnte

') Würdigung 39.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 543

(etwa: Anaklet war zur Zeit im Besitze der Peterskirclie u. do-j.). Und so bleibt nur der viel umstrittene Berieht über die zwei Sterue des J. 1131 übrig. Er lautet: „De duabus stellis vobis o Bohemi aute XI annos memoratis, de ipsis postea nuUo modo sermoue meo aliquid explicare potui, quia diverse ibant, Sed Interim dum ab aliis negotiis penitus otior quantum spiritus saucti gratia sensui meo admiuistraverit, et qualiter vidi, explanabo". Palackj hat diese Stelle für einen Beweis der gleichzeitigen Niederschrift gehalten. „Ich glaube nähmlich" so drückt er sich aus - „wenn er [der Chronist] mehrere Jahre später geschrieben hätte, so würden ihm die späteren Ereignisse, die noch zu erzählen waren, kein so sichtbares Übermass der Müsse übrig gelassen haben". Bachmanu schliesst sich da der Ansicht Palackys vollständig an, glaubt aber aus dieser Stelle einen Beweis herauszulesen, dass sich der Chronist schon vor 11 Jahren (also 1120) verschiedene Ereignisse aufgezeichnet hat (die er später seiner neuen Pflicht als Fortsetzer des Cosmas geopfert haben soll) und ist geneigt eben darin den Beweis der Prager Zugehörigkeit des Kontintiators zu erblicken.

Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass diese Stelle eine solche Anuahme nicht erlaubt. Aus den Worten des Chronisten lässt sich nicht ermitteln, dass er sich Aufzeichnungen gemacht hätte, sollte man aber wirklich etwas Ähnliches aus diesen Worten herauslesen wollen, so müssten es nur Aufzeichnungen gewesen sein, die sich der Chronist im J. 1131 gemacht und erst um 11 Jahre später benützt hat. Die Ausführungen Teiges 1) behalten immer noch ihre volle Geltung. Teige hat mehr als wahrscheinlich gemacht, dass dieser Bericht nur zum J. 1131 gehören kann-). Der Chronist unterbricht nie die chronologische Reihenfolge der Ereignisse, es würde seiner ganzen stilistischen Individualität widersprechen, wenn man annehmen wollte, dass er hier von einer HimmeLerscheinung des J. 1120 berichte. Und wie sollte man dann die Worte „ab aliis negotiis otior" erklären? Ich halte den Versuch Bachmanns für misslungen, und glaube die Stelle nicht anders deuten zu dürfen, als dass hier der Chronist von einer Begebenheit des J. 1131 um elf Jahre später erzählt, wofür sich auch andere Belege im Werke des ersten Fortsetzers finden lassen.

Abgesehen von dem richtigen Hinweise auf die Einheit und Gleichmässiskeit der Erzählung und des Stiles, die eher auf eine in

1) Teige. 0 prvnim potracovateli Kosray. Sitz. böhm. Ges. 1889 S. 313.

2) Dev einzig mögliche Einwand, dass der Chronist, nach einer Unter- brechung seine Arbeit wieder aufnehmend, sich zweier Sterne erinnert hätte, die er vor U Jahren gesehen hat, wird dadurch widerlegt, dass uns ein ähnliches Ereiguis sonst nicht bezeugt wird; vgl. auch weiter unten.

544

Vaclav N 0 V 0 1 n v.

einem Zuge als ein Ganzes verlasste, als auf eine nach uud uach gleichzeitig mit den Ereignissen entstandene Arbeit schliessen lassen, kommen auch andere Merkmale in Betracht,

Es ist schon von fast allen jenen, die sich mit dem Werke des ersten Fortsetzers befasst haben, bemerkt worden, dass der Chronist entschieden für den Herzog Sobeslaw Partei nimmt uud dabei natür- lich eifrig bemüht ist, die Geschichte des Herzogs möglichst voll- ständig zu liefern, kein Ereignis, an welchem der Fürst teilnahm, zu übersehen. Trotzdem ist ihm eine Begebenheit aus dem Leben des Herzogs entgangen. Zum J. 1131 berichten die Anuales Gradicenses: Gloriosissima et famosissima dedicatio scilicet s. Wencezlai martyris a reverentissimo provisore suo Heurico episcopo 11. Kai. Julii facta est presente serenissirao principe Sobezlao et coniuge sua nee non et plurimis proceribus ac inequiparabili raultitudine cleri et populi. An der Glaubwürdigkeit dieser ^'achricht ist nicht zu zweifeln, auch ist kein Grund zur Vermutung vorhanden, da<s der Chronist diese Be<Tebenheit hätte verschweigen wollen, da er sonst über Olmütz gerne und ausführlich berichtet'). Bei der Stellung, die der Chronist aller Wahrscheinlichkeit nach bei dem fürstl. Hofe eingenommen haben musste, ist auch nicht glaublich, dass er davon nichts erfahren haben sollte, hätte er gleichzeitig geschrieben. Es erübrigt also nur die einzige Erklärung, dass der Chronist nicht gleichzeitig geschrieben hat, sondern erst später, wc die Erinnerung an die Anwesenheit Sobeslaws in Olmütz vergessen (oder etwa durch den späteren Besuch in Olmütz 1137 verdrängt) wurde. Damit aber wächst auch die Wahrscheinlich- keit für die Richtigkeit der Annahme, dass jener Bericht über die zwei Sterne 1131 die spätere Niederschrift der Chronik bezeugt.

Wenn aber dieser Beweis der späteren Niederschrift erst etwas später und nicht gleich beim Anfang der Erzählung auftaucht, so könnte leicht die Frage entstehen, ob der Chronist an die Verfassung seines Werkes etwa nicht früher getreten ist, sie dann aber unter- brechen musste, um vom J. 1131 an erst nach elf Jahren weiter- schreiben zu können? Der erste Teil seiner Arbeit scheint Verschie- denes zu bieteu, was zu dieser Vermutung verlocken könnte. Abge- sehen vom völligen Maugel an Anspielungen auf spätere Ereignisse, der ja für die ganze Chronik charakteristisch ist, kommt vor allem der Umstand in Betracht, dass sich der Chronist im ersten Teile seines Werkes öfters auf einige Urkunden beruft 2), während im zweiten Teile

') Man vgl. die Berichte in den FRB. 213, 227—228, 2. '9 etc. 2) Teige fübrt (S. 316) diese Stellen an : Die Erzählung 1 128 = Reg. Boh. I. S. 93 X. 210, die" Erzählung 1129=:falsum der Wyschehrader Urkunde Alexander IL

Studien zur yuelleakuude Böhmens. k^r

die Spuren der Urkundenbenützung völlig verschwinden, was durch persönliche Verhältnisse des Chronisten, auf die wir gleich zurück- kommen werden, sich leicht erklären Hesse. Doch ist an dieser Fracre nicht viel gelegen, da ja absolute Sicherheit kaum jemals zu erreichen ist. Für unsere Zwecke genügt die Erkenntnis, dass der Chronist (sei es vom Anfang oder von einem gewissen Zeitpunkte an) nicht gleich- zeitig, sondern etwas später schrieb, dass er erst um das Jahr 1142 anfing, sein Werk in der jetzigen Gestalt zu vollenden i).

Damit lässt sich auch sehr gut in Einklang bringen, dass der Chronist in der Zeit, wo er sich mit seiner Arbeit eingehender zu beschäftigen begann, seinem eigenen Geständnisse nach die dazu nötige Müsse genoss. Teige hat in seiner ofterwähnten Abhandlung sehr wahrscheinlich gemacht, dass der Verfasser zu Herzog Sobesla^v, und vielleicht besonders zu seiner Kanzlei im engeren Verhältnisse o-e- standen haben müsse; und sind auch die Beziehungen zu der Kauzlei nicht unerschütterlich erwiesen, das nahe Verhältnis zu Herzog So- beslaw ist nicht zu leugnen. Wenn nun ein solcher Chronist merken lässt, dass er um das J. 1142, von allen anderen Pflichten enthoben, sich nur der historischen Arbeit habe widmen können, so ist wohl die Vermutung nicht zu gewagt, dass er bei dem bedeutenden Per- sonenwechsel, der den Kegierungsantritt Wladislaw II. begleitete, seine bisherige Stellung aufgeben musste und dadurch auch mehr Zeit zu anderen Arbeiten fand (wofür auch der Mangel an Urkundenbenützung in späterer Zeit sprechen würde).

Kann somit der astronomische Bericht des J. 1131 kein Beweis der Pracjer Zugehörigkeit des Chronisten sein, und beweist er vielmehr die etwas spätere Niederschrift des Werkes, wird uns nun noch die Frage beschäftigen, wann der Chronist man wird ihn jetzt wohl wieder einen Wyschehrader Domherren nennen dürfen seine Arbeit beschlossen hat. Teige nimmt an, dass dies zwischen den J. 1142 1145 geschehen ist, bemerkt aber selbst, dass sein terminus ad quem auf dem letzten Absätze der Chronik basirt, von welchem erst fest-

1129 und die Urkunde Sobeslaws (1135 •-), Reg. I, 99 N.220; dagegen ist es mir nicht gelungen zu konstatiren, oder durch die Stilsonderheiten zur Überzeugung zu kommen, dass auch die Erzählung über die Einlösung einiger Burgen durch Wiprecht (z. J. 1139) auf einer Urkunde beruhen würde.

') Was dagegen angeführt werden könnte, nämlich dass sich der Chronist zum J. 1132 des Ausdrucks .rex, qui vocatur Bela' bedient (was also vor 1141 als Abfassungstermin zeigen würde) lässt sich auch anders erklären (praesens infinitum). Andererseits muss wieder beachtet werden, dass der Chronist bei 1136 (Erzählung von neuen zwei Sternen) auf den neuen Lucifer des J. 1141 an- zuspielen scheint.

.Mittheilungen XXIV. '^*'

PyAQ V i'i c l a V N 0 V 0 1 11 y .

o-estellt werden muss, dass er wirklich uocli vom Wyächehradei Dom- herrn herrührt. Und darüber kann ein wohlbegründeter Zweifel entstehen.

Teige hat darüber einiges Bedenken gehabt, hat sich aber nicht eutschlossen, die Sache näher zu prüfen, und sich nur mit Hinweis auf Emier damit begnügt, den letzten Satz des Berichtes für einen späteren Zusatz zu erklären i). Es ist aber ein Grund vorhanden, der uns zwino-t nicht nur den letzten Satz als ein Einschiebsel anzusehen, sondern den ganzen Bericht später anzusetzen, als Teige getan. Gleich in den ersten Zeilen begegnen wir den Worten . . . Zdicouis veue- rabilis et sanctae menioriae viri, was uns zum J. 1151 dem Todesjahre Zdiks führt

Der Chronist hat, seitdem er im J. 1142 die Feder ergriffen, an seinem Werke sehr fleissig gearbeitet, so dass er noch in demselben Jahre die ganze Chronik (bis 1141) niedergeschrieben zu haben scheint. Nichts verrät, dass ihm die Kenntnis von viel späteren Ereignissen zugekommen wäre, im Gegenteil scheint die Reserve, mit welcher er über die Ereignisse bei dem Tode Sobeslaws berichtet, dafür zu sprechen, dass er gerade mitten im Kampfe schrieb. Auch der Umfang seines Werkes kann dieser Annahme nicht widersprechen. Hat Kosmas (zumal als TOjähriger Greis) seine Chronik (in der Ausgabe des FRB. 9G Blatt) in 4 Jahren verfassen können, so konnte gewiss auch der Wysche- hrader Domherr seine Geschichte der Jahre 1126—1141 (16 Blatt in derselben Ausgabe) im Laufe eines Jahres niederschreiben ....

Nun folgt auf einmal eine Erzählung, die auf den ersten Blick erkennen lässt, dass sie erst später, frühestens 1151 geschrieben sein kann. Es geht zwar nicht an, nur auf diesen Grund hin die Mög- lichkeit auszuschliessen, dass die Stelle von demselben Verfasser her- rühren könnte, doch hat man einmal Verdacht geschöpft, so ist man

1) Es sei mir gegönnt an dieser Stelle auch auf ein sehr lehrreiches Bei- spiel zu verweisen. In der Z. G. M. Schi. V, 213 N. 1 äussert sich Bachmann über diesen Abschnitt der Chronik folgendermassen : , Nur. nebenbei sei hier bemerkt, dass sich bei genauerem Zusehen für die letzten Aufzeichnungen des I. Con- tinuators des Costnas (. . . 1142) eine genauere Zeitbestimmung geben lässt, als dies bisher geschehen ist. Da nämlich darin bereits Propst Gervas als Kanzler Wladislaws erscheint, so kann jener Endabschnitt . . . nicht vor 1149 verfasst sein*. Sollten sich die Worte ,als dies bisher geschehen ist« auf die Arbeiten Bachmanns beziehen, so sind sie allerdings richtig. Bachmann hat selbst bei der eingehenden Behandlung des ersten Fortsetzers nicht bemerkt, dass Teige in seiner (von Bachmann öfters zitirten) Abhandlung auf Grund der Arbeiten Emiers darauf hingewiesen hat. Dass Bachmann auch nun mit seiner Zeitbe- stimmung nicht das Richtige getroffen hat, belehrt das oben Gesagte.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. p^A^

le muss.

gezwungen die Sache genauer zu untersuchen, wobei sich aber d Untersuchung auf den ganzen Bericht über 1U2 erstrecken mus. Denn dass die beiden Abschnitte der Erzählung zu 114^ zueinander gehören, daran, meine ich, ist nicht zu zweifeln. Den Mittelpunkt der Erzählung bildet in beiden das Georgskloster auf dem Hradschin Im ersten Teile gedenkt wie schon von anderen bemerkt ~ der Verfasser anderer Gräuel der Belagerung Prags nur ganz flüchtig, um dann erst von der Vernichtung des Georgsklosters ausführlicher zu berichten. Im zweiten Teile ist ihm wieder besonders daran gelegen, die Scliicksale der Klosterfrauen und das Wunder am Grabe Ludmllas zu verzeichnen. Wenn aber der zweite Teil nicht vor 1151 entstanden sein kann, so kanu auch die anfängliche Schilderung der Belagerung Prags nicht älter sein, wofür übrigens auch der Umstand zu sprechen scheint, dass es liior von König Kourad ,necdum imperatore Eoraano^ heisst.

Was für Gründe sind bis jetzt für die Zugehörigkeit dieses Be- richtes zur Arbeit des ersten Fortsetzers angeführt worden? Man hat sie sozusagen stillschweigend angenommen, ohne sich nach iro-end welchen Gründen umzusehen. Denn wenn wir in der Vorrede zu einer Ausgabe dieser Quelle') die Bemerkung finden, dass in einer Hand- schrift nach den Worten ... in saecula saeculorum Amen eine Zeile leer belassen wurde, so kann das (ebenso wie auch das Amen selbst) doch nicht als ein Grund augesehen werden. Die Handschrift ist nicht gleichzeitig, sondern eine Abschrift, in welche der Abschreiber auch andere zum ursprünglichen Werke nicht gehörige Nachrichten hätte miteinverieibeu können. Es heisst daher sich nach anderen Gründen umzusehen. Was für die Autorschaft des Wyschehrader Domherren sprechen würde, ist seine Abneigung gegen Herzog Wladislaw IT. Aus dem in Frage .stehenden Abschnitte sind die betreffenden Belege schon so ott aufgezählt worden, dass es überflüssig erscheinen dürfte sie noch einmal zu wiederholen. Es ist jedoch dieser Grund keineswegs ent- scheidend, die gleichzeitigen Quellenwerke bieten Belege genug, dass die Kegierung Wladislaws o-leich am Anfang bei vielen nicht beliebt war.

Vermag daher dieser Grund die Autorschaft des Wyschehrader Domherren nicht zweifellos zu erweisen, so lassen sich andererseits Gründe vorführen, die sie zu erschüttern im stände sind. Ich verzichte auf Gründe, welche die Stilvergleichungen bieten könnten, da bei solchen Vercfleichuncfeu sehr oft Verschiedenheiten gefunden werden die in der Tat nicht bestehen, und da auch sonst das wenig umfang-

') Dobvovskv et Pelzel Scriptores L, p. XXXVI.

36=*

cjQ Vaclav Novotny.

reiche Material deu Beweis nicht überzeugend durchzuführen erlaubt. Aber etwas darf man nicht vergessen: In seiner ganzen Arbeit inter- essiren den Wyschehrader Domherren am meisten, fast mehr als ölfent- liche Ereignisse die Himmelserscheinungen, so dass ihm diese Vor- liebe in älterer Zeit den Beinamen „Astronomus" verschaffte. Wäre von seiner Arbeit nichts anderes übrig geblieben, als der Bericht über 1142, ^o wäre dieser Titel sicher nicht verdient. In der ganzen Er- zählung, die doch verhältnismässig umfangreich ist, wird einer solchen Erscheinung mit keinem einzigen Worte gedacht. Und doch war die damalige Zeit au solchen sonderbaren Ereignissen nicht arm. Der Sazawer Mönch berichtet zum J. 1142 „Visus est serpens volare«, den Hradischer Annalisten i) hat eine sonderbare Mondesrtnsternis des J. 1 142 . so überrascht, dass er kein Bedenken trägt, sie mit späteren traurigen Beo-ebenheiten in Verbindung zu bringen . . . Wäre der Wyschehrader Domherr auch Autor dieser Erzählung gewesen, so würde man sicher von ihm eine Erwähnung dieser Dinge erwarten dürfen. Dass ihn die daraalip-en Ereignisse gehindert hätten, darauf acht zu hdben, ist nicht anzunehmen, da sie deu Hradischer Mönch auch nicht gehindert haben, und da ja die Niederschrift des Berichtes um mehrere Jahre später erfoh'-t ist, wobei wieder seine gleichzeitig gemachten astronomischen Aufzeichnungen, die ja bei ihm für jeden Fall vorauszusetzen sind, sein Gedächtuiss unterstützt hätten.

Nehmen wir all das zusammen und bedenken wir weiter, dass den Verfasser des Berichtes zu 1142 vor allem das Georgskloster be- schäftigt, so dürfte vielleicht die Annahme als berechtigt erscheinen, dass der Verfasser des Berichtes über 1142 mit dem Wyschehrader Domherren nicht zu identifiziren ist, dass dies vielmehr ein zu dem Georgskloster in irgendwelchen Beziehungen stehender Geistliche war, der erst um das J. 1151 schrieb, während der Wyschehrader Dom- herr sein nur bis zu 1141 reichendes Werk im J. 1142 begann und beschloss.

Wenden wir uns jetzt der letzten Frage zu, der Frage nach der :Nationalität des Verfassers. Seine Person ist uns überhaupt nicht bekannt, Palacky hat die Hypothese ausgesprochen, dass der in der Chronik erwähnte herzogliche Kaplan Vincentius der Autor sein könnte. Um aber dieser Annahme (der sich zuletzt hypothetisch auch Goll an- schliesst) beipflichten zu können, besitzen wir zu wenig Anhaltspunkte. Die Frage nach der Nationalität des Autors wäre natürlich auch dann nicht beantwortet, wenn diese Vermutung begründet wäre ; der Herzog kann ebenso gut deutsche wie böhmische Kapläne gehabt haben. ') Mon. Saz. in FRB. II, 261, Ann. Grad.-Opat. ebd. 397.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 549

Palacky selbst Hess die Frage, ob der Chronist eiu Böhme oder ein Deutscher war, offen, obwohl ihm seine böhmische Herkuuft Avahr- scheinlicher schien. Teige hat nachher versucht die für die böhmische Herkunft sprechenden Gründe zu kräftigen, aber auch seine Gründe sind wie wir noch sehen werden nicht derart, uin jeden Zweifel entfernen zu können. Bei Bachmann verscliwindet nun jeder Zweifel: der Chronist ist ein Böhme, der in seinem Deutschenhasse seinem Vorgänger gleicht 1).

War einmal eine Behauptung Bachmanns weniger begründet, so ist dies sicher die zuletzt erwähnte. "Wenn wir auch bei Kosmas von einem Deutschenhasse reden wollen (mir erscheint selbst bei Kosmas dieser Ausdruck für die Antipathien des Chronisten zu stark), bei dem ersten Fortsetzer findet sich kein einziger Satz, keine einzige Wendung, ja kein einziges Wort, welches nur eine Antipathie des Chronisten gegen die Deutschen merken Hesse, und Bachmaun würde es schwer fallen, wenn er diese seine Behauptung belegen sollte . . .

Denn, wenn es von den Beweggründen Lothars zum Einfalle in Böhmen 1126 heisst „inflatus magna superbia et avaritia pecuniae atque malitia et iniquitate", so kann niemand diese Worte als deutsch- feindlich bezeichnen, da sie nicht gegen die Deutschen überhaupt, sondern nur "regen die feindlich in das Land einfallenden und dazu noch dem Herzog Sobeslaw, dem LiebHng des Chronisten, feindlich gesinnten Deutschen gerichtet sind, ebenso wie es kein Beweis eines Deutschenhasses sein kann, wenn der Chronist 1127 über die Wahl Kourads berichtet: Bawari et Suevi furore et indignatione acceusi . . ., da er sich mit diesen Worten nur gegen die Feinde Lothars und Schädiger des Reiches wendet, wie aus dem unmittelbar Nachfolgenden klar hervorgeht. Oder sollte der „deutschfeindliche" Zufall, der 1132 den Fussboden des königlichen Palastes in Bamberg unter den Füssen der anwesenden Deutschen herabstürzen Hess, ein Beweis des Deut- schenhasses des Chronisten sein? Auch in diesem Falle würde das gleich Nachfolgende diese Annahme korrigiren.

Und wie wenig diese Annahme überhaupt begründet ist, erhellt daraus, dass die böhmische Herkunft des Chronisten keineswegs für erwiesen gelten kann. Wenn sie Teige durch die Bemerkung zum J. 1126 belegen will, wo der Chronist den h. Wenzel als uoster pro- tector bezeichnet, so muss dagegen darauf aufmerksam gemacht werden, dass nach der Schilderung unseres Chronisten der h. Wenzel tatsächlich als Protektor des böhm. Heeres auftritt und dass auch die sonst vor- kommende Bezeichnung des böhmischen Volkes als familia sancti

1) Gösch. Böhmens 419, ähnlich MIOG. XXI.

550 Vaclav Novotny.

Venceslai im Munde eines Geistlichen nicht überraschen kann untl seinen böhmischen Ursprung keineswegs zu beweisen vermag. Auch der Umstand, dass der Chronist König Lothar und das sächsiche Heer als nostri hostes bezeichnet, kann gar nichts beweisen. Im Heere Lothars war auch Otto von Olmütz mit seinem Gefolge, die daher auch unter den nostri hostes inbegriffen sind, uud doch keine Deut- schen waren. Nostri hostes sind eben nur die Feinde Herzog Sobeslaws, mit dessen Interessen sich hier der Chronist ideutifizirt. Übrigens hätte der Chronist, wenn er auch deutscher Herkunft gewesen wäre, das feindlich in das Land einfallende Heer nicht anders als nostri hostes bezeichnen können,

AVichtiger wäre der Umstand, dass der Chronist öfters böhmische Benennungen einzelner Orte anführt i) ich verzichte darauf, aus der Tatsache, dass der Chronist dem ott vorkommenden „vos Bohemi'* gegenüber diese Bezeichnungen als „slaviftcli" (sclavonice) darstellt, Folgerungen zu ziehen, denn das würde bedeuten, von einem mittel- alterlichen Chronisten zu viel zu verlangen. Dabei könnte aber etwas befremdend einwirken, dass er eiumal den Namen November mit „sclavonice Prosinec" übersetzt. November heisst böhmisch Listopad, und das könnte den Verdacht erwecken, dass der Chronist des Böh- mischen nicht ganz kundig war. Da es mir aber nicht gelungen ist zu konstatiren, dass in einer anderen slavischen Sprache November- Prosinec heissen würde, und da in der altböhmischen Literatur diese Übersetzung noch eiumal vorkommt 2), so kann auch daraus nichts Positives geschlossen werden.

Genügen alle die bis jetzt erwäliuten Gründe nicht, die böhmische Nationalität des Wyschehrader Domherren zu erweisen, so können andrerseits einige Stellen aufgezählt werden, die dagegen zu sprechen scheinen. Teige verweist unter anderem auch auf die Stelle zu 1134, wo der Chronist den verstorbenen Bischof Meiuhart von Heinrich Zdik einen „miser alienigena" nennen lässt, und ist geneigt auch darin einen Beweis der böhmischen Nationalität des Chronisten zu erblicken. Ich weiss sehr wohl, dass die damals (und teilweise schon in älterer Zeit) in Böhmen auftauchende Antipathie gegen die Deutschen sich fast ausschliesslich darauf beschränkt, dass sie nicht einheimisch waren, trotzdem kann ich aber in dieser Stelle kein Zeichen einer derartigen Antipathie bemerken. Die Stelle klingt vielmehr als ein

') Die wichtigsten hat Bachmann a. a. 0. 228 zusammengestellt. 2) In der Stockholmer Katharinalegende. Die gütige Mitteilung verdanke ich der Liebenswürdigkeit des Herrn Hofiats Gebauer.

Stadion zur Quellenkunde Böhmen?. r - j

Ausdruck des Mitleids mit' dem armen Fremden uud mit seinem Schicksale (Bischof Meiuhard war bekanntlich der Teilnahme an der Verschwörung gegen das Leben Sobeslaws beschuhligt), wie ja etwas solches eher bei einem vorkommen kann, dem ein ähnliches Schicksal zu teil geworden.

Und damit ist noch eine Eigentümlichkeit des Chronisten zu vergleichen. Es ist schon öfters bemerkt worden, dass der Chronist mit einer gewissen Vorliebe auch Ereignisse im Keiche oder im Aus- lande überhaupt streift, besonders wenn es sich um etwas Ausser- gewöhnliches handelt. Dabei aber ist es immerhin auffallend, dass er besonders auf Polen seine Aufmerksamkeit richtet. Natürlich lässt er keinen Krieg zwischen Böhmen und Polen unberücksichtigt, ja einmal weiss er sogar von einem polnischen Einfall nach Ungarn zu berichten (was allerdings zur Motivirung der ungarischen Gesandtschaft nach Böhmen dient). Dero Polenkönig Boleshiw ist er nicht geneigt, was ja nicht zu verwundern ist, da Boleslaw ein Feind seines Lieblings Sobeslaws war. Dagegen können aber gewisse Sympathien, die er für das Land Polen und seine Bewohner hegt, nicht verborgen bleiben. Zum J. 1134 bemerkt er: Polonia male fortunata, improvidi ducis Bolezlai sub munimine constituta . . ., und beschhesst den Bericht über den böhmischen Einfall mit den Worten: 0 miserabilis recjio duci subiecta fatuo ! Quidquid enini delirant reges, plectuutur Achivi. (Auch der Bericht über die Auffindung des Adalbertkopfes in Gnesen verträgt sich gut mit all diesem).

Natürlich kann man auf Grund dieser Nachrichten den Chro- nisten nicht für einen Polen erklären, sie sind aber doch beachtens- wert, zumal ein überzeugender Grund für die böhmische Herkunft nicht angeführt werden kann. Die Möglichkeit, dass der Chronist ein Fremdling gewesen ist, kann somit nicht ausgeschlossen werden i).

») Es sei mir gestattet an dieser Stelle nur nebenbei noch auf etwas auf- merksam zu machen. Der Chronist hat seine Arbeit im J, 1142 begonnen und sie wahrscheinlich noch in demselben (oder spätestens am Anfang des folgenden Jahres) bis zum J. IUI gebracht. Weiter reicht sie nicht. Dass er nicht die Absicht gehabt hätte sie weiter zu führen, ist nicht anzunehmen, denn in diesem Falle wäre es viel natürlicher, wenn er sie mit dein Tode Sobeslaws beschlossen hätte. Entweder muss ihn daher der Tod oder ein anderer Zufall daran ver- hindert haben. Der Chronist muss ein ziemlich gelehrter Mann gewesen sein und trotz seiner nahen Beziehungen zum Hofe Sobeslaws ist die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass er ein Fremder gewesen sein kann. Im J. 1143 hören wir bei der Visitation des Kardinals Guido von einem Wyschehrader Domherren M. Henricus, der aus Böhmen verbannt wurde »ciuia presbyter erat et uxorem ibi duxerat. et insuper etiam monacbus in terra sua fuisse dicebatur et sine for-

P.M ^' '• ••' 1 a V N 0 V 0 t n y.

Um schliesslich zur Frage über den Wert der AVyschehrader Kontiuuation überzugehen, kann ich mich auch hier der Meinung JJachmanns nicht anschliessen. Dem Wyschehrader Domherren darf zwar nicht der Ruhm eines ausgezeichneten Historikers nachgepriesen werden, zur Höhe eines Kosmas erhebt er sich nie, doch dürfen wir nicht vergessen, dass Kosmas unter den mittelalterlichen Schriftstellern sewissermassen eine Ausnahme ist. Und die Höhe, zu welcher die guten mittelalterlichen Chronisten gelangten, erreicht der Wyschehrader Domherr auch; es gibt nicht viele Chronisten, denen man die Be- nützuno- von Urkunden nachrühmen könnte. Das Urteil Wattenbachs kann daher sicher seine Geltung behalten: der Wyschehrader Domherr ist ein guter und verlässlicher (wenn auch parteiischer) Fortsetzer des- Kosmas. Wir werden uns daran gewissermassen auch im Vergleiche mit dem Schriftsteller zu überzeugen die Möglichkeit haben, welchem wir jetzt unsere Aufmerksamkeit zuwenden wollen. Es ist

II. Der Mönch von Sazawa. Auch über die Sazawer Chronik hat die Geschichtsforschung bis jetzt noch nicht ihr letztes Wort gesprochen. Es stehen da ver- schiedene Ansichten einander gegenüber, die zwar teilweise als abgetan gelten dürfen, deren aber bei einer Revision der Frage doch gedacht werden muss. Meinerfi) sprach zuerst die Meinung aus, dass die Sazawer Chronik von zwei Verfassern herrühre, deren einer nur den ersten Teil (bis 1140) verfasst habe, während der zweite Teil einem ändern Autor angehöre. Palacky^) hat aber diese Ansicht mit einigen noch heutzutage stichhältigen Gründen widerlegt und dagegen zu be- weisen versucht, dass die Chronik als ein Werk eines einzigen Ver- fassers anzusehen ist, obwohl auch er nicht abgeneigt war zuzugeben, dass dem Verfasser ältere schriftliche Aufzeichnungen zur Verfügung gestanden haben. An dieser Meinung Palackys hielt auch Emier fest^), der auch zum erstenmale nachdrücklicher betont hat, dass die Chrouik ziemlich spät beendet worden sein muss. Eingehender hat sich seit-

mata in Boemiam venerat'. Wir lernen da einen Fremden kennen, der Wysche- hrader Domherr war, als Magister dieser Kirche eine grössere Bildung gehabt haben muss, als Wyschehrader Domherr zum Hofe in näheren Beziehungen ge- standen haben kann und 1143 plötzlich seine Tätigkeit in Böhmen unterbrechen musste . . . Doch eine bestimmte Vermutung will ich damit nicht ausgesprochen haben.

') Wiener Jahrbücher XY, Anzeigeblatt S. 33.

2) Würdigung 46 fF.

3) In seiner Ausgabe der Quelle in den FRB. II, 23?.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 553

dem Valeki) mit der Chronik beschäftigt, dessen Forschung zu dem Resultat führte, dass die Chronik als ein einheitliches Werk eines Ver- fassers, der aber auch ältere schriftliche Aufzeichnungen seines Klosters benützt hatte, erst zu Ende der siebziger Jahre des 12. Jahrh. ent- standen ist.

„Ungeachtet dieser Ergebnisse" (um seine Worte zu gebrauchen) ist Bachmann-^) neuerdings an die Frage über den Ursprung der Sazawer Chronik heran getreten und hat sich Mühe gegeben zu be- weisen, dass die Chronik ein Werk vier verschiedener Autoren ist, von denen der erste, ein slavischer Mönch, circa 1100 die Geschichte von der Gründung des Klosters bis circa 1063, der zweite, ein deutscher Mönch, die letzten Jahre des slavischen Ritus (und die Zeit des ersten lateinischen Abtes Diethard?) beschrieben, und seine Arbeit (von circa 1063 bis 1134) erst in den dreissiger Jahren des 12. Jahrh, vollendet haben soll. Dem dritten, vielleicht auch deutscher Herkunft, verdanken wir die Erzählung von 1134 1161, die in den letzten Partien ziem- lich gleichzeitig sein soll (Gründe werden nicht angeführt); diesem dritten Autor gehört auch das Verdienst, die Aufzeichnungen seiner Vorgänger mit der Chronik des Kosmas uud Exzerpten aus anderen Geschieh ts werken vereint uud so die eigentliche Sazawer Chronik se- schuflfen zu haben. Die letzten Xachrichteu stammen von einem vierten Geschichtsschreiber des Klosters her, der vielleicht auch ein Deutscher, in den 70er Jahren geschrieben haben soll.

Wenn ich gleich von vornherein meine Ansicht äussern soll, so muss ich gestehen, dass mich die Ausführungen Bachmanns nicht überzeugen. Aber bei eiuer so grossen Meinungsverschiedenheit bleibt nichts anderes übrig als die Sache noch einmal von Anfaug au zu untersuchen.

Was vor Allem in Betracht kommt, uud was schon Palacky mit Recht hervorgehoben hat, ist die Stilgleichheit ia der ganzen Chronik. Bei ähnlichen Stilprüfuugen muss man allerdings, wie schon oben bemerkt, sehr vorsichtio- vorgehen, um nicht etwa Stilverschiedenheiteu oder Ähnlichkeiteo dort zu entdecken, wo sie tatsächlich nicht vor- hauden sind. Aber solchen Erscheiuuugen gegenüber, wie sie in der Sazawer Chronik auftauchen, muss man doch die Einheit des Stiles im ganzen Werke bedingungslos anerkennen.

Im ganzen muss bemerkt werden, dass die Chronik über eine ziemlich reiche copia verborum und ziemlich bunte Fraseologie ver- fügt. Mit Recht scheint daher Vcilek dieser Umstaud dafür zu sprechen,

»j Välek, Kronika Sazawskii a zpräva jeji k r. 1126 Casopis Mat. Mor. XV 11.

2) MlÖG. XXI. 229 ff.

554

Vaclav N 0 V 0 1 n y.

dass die Chronik auf einmal, in kurzer Zeit entstanden ist, da sieh der Chronist, hätte er nach iiud nach gesehrieben, stilistisch öfters Aviederholt hätte.

Natürlich kommen hier auch Wiederholungen vor, die aber das eben Gesagte nicht zu widerlegen, sondern gerade im Gegenteil nur zu bestätigen vermögen. Öfters kommt die Bezeichnung des Zweckes einer Pilgerfahrt „causa orationis" vor^)^ öfters das Wort decenter^), besonders in den Charakteristiken, wo wir auch fast jedesmal das Wort „affabilis" treffen, dreimal kehrt die Wendung „ut omnibus plus amori quam timori haberetur" wieder 3). Der Verfasser liebt auch die Parallele von der Henne und deii Hühnern, vom guten Hirten und seiner Herde, ver- steht sie aber fast jedesmal in ein anderes Phrasengewand zu kleiden^).- Auch die oft vorkommenden Charakteristiken einzelner Personen scheinen eine Vorliebe eines und desselben Autors zu sein; natürlich kommen darin auch ähnliche stilistische Drollerien vor^).

In vielen Fällen können wir da auch das Muster, an welchem sich der Verfasser herangebildet hat, erkennen. Es ist Kosmas, wel- chem der Chronist auch sonst oft die stilistische Ausschmückung seiner Erzählung entnimmt*'), was ja nicht zu verwundern ist, da die Sazawer Chronik bekanntlich das ganze Werk des Kosmas abgeschrieben, inter- polirt und weitergeführt hat.

Obwohl alle diese Stellen siclierlich zur Bestätigung der Annahme genügen, dass die Sazawer Chronik in ihrer jetzigen Gestalt als ein Werk eines einzio-en Verfassers anzusthen ist, so kann doch nicht auch

«) FRB. n, 260 (zweimal), 261 etc.; kommt übrigens auch in anderen gleich- zeitigen Quellen vor.

2) FRB. II, 247, 253, 267.

3) Die Mehrzahl der Stellen führt schon Yälek an (S. 241) und es genügt daher auf seine Arbeit zu verweisen.

•*) Yälek a. a. 0. Note 1 und 2.

s) Välek Note 3, 1; 2.

6) Einige Charakteristiken erinnern, wie schon Välek bemerkt, an Kosmas Charakteristik des Bischofs Herrmann, die Charakteristik Spytihnews zu 1137 erinnert wieder an Kosraas' Charakteristik Boleslav H. (I, 22). Das beliebte Wort affabilis stammt auch aus Kosmas, ebenso wie auch das öfters wieder- kehrende tripudium. Die Parallele von der leuchtenden und der unter den Kessel gestellten Kerze 241, 248 = Kosm. III, 49 ist aber auch sonst in der mittelalter- lichen und kirchlichen Literatur überhaupt sehr häufig. Auf Cosmas I, 21 lässt sich auch die Bezeichnung ad 1127 nulli pietate secunda und viele andere Stellen zurückführen, so dass es überflüssig erscheinen kann, die Belege noch zu ver- mehren. Übrigens scheint es aber, dass auch andere Quellen, die der Chronist benützte, auf ihn in ähnlicher Weise eingewirkt haben, worauf ich noch später zu sprechen komme.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 555

vergessen werden, dass die stilistische Eiuheit von einem Redakteur der vereinzeinten chronikalischen Aufzeichnungen herrühren könnte der sich bei der letzten Redaktion nicht mit passender Eiureihun«»- der älteren Nachrichten begnügte, . sondern dieselben auch stilistisch be- arbeitete. Würde sich der Sachverhalt so erweisen, so müsste die Ansicht Bachmanus wenigstens in dem Sinne korrigirt werden, dass die letzte Redaktion da sich die stilistischen Sonderheiten bis zum letzten Absätze der Chronik verfolgen lassen nicht dem dritten, sondern erst dem vierten Chronisten zuzuschreiben wäre.

Sind wir aber überhaupt berechtigt die Chronik in dieser Weise zu zergliedern, ist es vielmehr nicht nötig, die vermutlichen Teile sämtlich oder wenigstens grösstenteils für das Eigentum eines ein- zigen Chronisten zu erklären? Zur Beantwortung dieser Frage ist es erforderlich, noch einmal alles, was sieh darüber der Chronik selbst entnehmen lässt, zu untersuchen, wobei natürlich die Anlage der ganzen Chronik nicht unberücksichtigt bleiben darf.

Die Chronik ist eine Interpolation (vom 4. Buche an eine Fortsetzung) der Chronik des Kosmas, was auch für die Beurteilung des letzten (vierten) Buches von Wichtigkeit ist. Dem ersten Buche des Kosmas sind einige anualistischen Aufzeichnungen, deren Ursprung uns noch später beschäftigen wird, und die Erzählung von der Gründung des Klosters hinzugefügt, im zweiten Buche beschränken sieh die Zusätze auf 5 annalistische Notizen (zwei beziehen sich auf Bfewnow, zwei auf Sazawa, die letzte betrifft eine sonderbare Naturerscheinung des J. 1091) und auf eine Korrektur der Erzähluug des Kosmas über den Tod Benedas. Im dritten Buche finden wir zunächst einen längeren Be- richt über die Einweihung der neuen Kirche in Sazawa (1095), und dann die Erzählung von der Einführung des Abtes Diethard 1097. Diese Erzählung kann, wie selbst Bachmann zugibt, nicht vor 1134 niedergeschrieben worden sein (es werden die Jahre, Monate und Tage der Regierung Diethards, die 1134 endet, angegeben). Zum J. 11 IG folgt dann die Nachricht von der Priesterweihe Sylvesters, zu 1123 die von seinem Eintritt in das Kloster. Bachmann bemerkt dazu, dass diese Notizen ,erst dann für die Chronik Bedeutung erlangten, als Sylvester im Kloster eine hervorragende Stellung erlangt hatte, also kaum vor dessen Erhebung zum Abte«. Das sagt aber ziemlich deut- lich bereits der Chronist selbst, indem er bei dem Klostereintritt Syl- vesters Abt Diethard ausdrücklich als tot anführt, und über Sylvester bemerkt: cuius quauta fuerit diligentia in divinis et ecclesiasticis rebus amplificandis, loco suo dicetur. Dieses Versprechen wird dann zum J. 1134 erfüllt, wo wir bei der Abtwahl Sylvesters seine treffliche

f)5G Vaclav N 0 V 0 1 n y.

€harakteristik findeu. Es steht somit fest, dass der Chronist, als er die Notizen zu 1116 und 1123 schrieb, von der künftigen Wahl Syl- vesters wusste und daher die Notizen vor 1134 nicht schreiben konnte.

Es kann aber auch keinem Zweifel unterliegen, dass diese Stelle über Sylvester (die vor 1134 nicht entstanden sein kann) und die sicher nach 1134 niedergeschriebene Stelle über Abt Diethard einem und demselben Verfasser angehören. Liest man unvoreingenommen die beiden Stelleu, so muss man doch unbedingt zur Überzeugung gelangen, dass kein einziger Grund vorliegt, an der Identität des Ver- fassers der beiden Stellen zu zweifeln. Und hätte Bachmaun nicht den Versuch gemacht, jede dieser Stellen einem anderen Autor zuzu- schreiben, so würde es sicher niemand einfallen, eine solche Möglich- keit zuzugeben. Die Unsicherheit aber, mit der sich Bachmann dar- über äussert 1), lässt deutlich erkennen, dass auch Bachmann keinen hinreichenden Grund zu seiner Annahme gehabt hat, und dass daher wie früher auch weiterhin noch dafür gehalten werden kann, dass sowohl die Erzählung über Diethard als auch die über Sylvester aus einer und derselben Feder geflossen ist.

Gleich am Anfang des 4. Buches, in der Erzählung von der Nie- derlage Lothars bei Kulm 112G verrät die Chronik durch die Bemer- kung „Sobezlaus ... ad dulcem suam metropolim redieus annis XVI (soll heissen XIV) optato potitus est solio", dass diese Partie nicht vor 1140 geschrieben worden sein kann. Der Terminus a quo für diese Schilderung verschiebt sich daher bis 1140. Bachmann ist diese Be- merkung nicht entgangeu, er will aber darin, so Avie auch in den beiden bereits erwähnten Notizen über Sylvester, nicht den Beweis des späteren Ursprungs der Chronik erblicken. Er drückt sich sogar (S. 232) folgendermassen aus: „Eben daraus aber einen Schluss auf die Art der Anlage der Chronik zu ziehen, etwa zu meinen, dass sie gleichfalls als ein Ganzes und auf einmal niedergeschrieben wurde, er- scheint immerhin gewagt". Ich finde aber einen solchen Schluss keineswegs gewagt, ja ich meine sogar, dass er unumgänglich ist. Man wird sogar gezwungen sein, den Terminus a quo noch weiter zu verschieben.

Die Gründe, welche Bachmann anführt, sind durchaus nicht stich- hältig. Einen Grand, wie etwa „so schliesst doch die ganze anna-

') S. 232 sagt er »Doch eignet ihm (dem 2. Chronisten) kaum die Darstellung der Regierung Abt Diethards, die erst nach 1133 in eiiiem Zuge geschrieben ist«, während es auf S. 233 heisst: »dann fügte er (der dritte Chronist) die Vita Diethardi abbatis zu 1097 bei (die übrigens auch von dem zweiten Autor stammen könnte) . . .

Studien zur Quellenkunde Böbmens. --7-

listische Anlage dieses Teiles der Chronik eine ähnliche Entstehuno- wie bei den beiden früheren Abschnitten (eine später nachgetragen^'J Erzählung) aus", kann man doch entschieden nicht gelten lassen.'' Bei Kosmas ist ja doch die Anlage auch überwiegend annalistisch (von der Anlage der Sazawer Chronik ist sie durchaus nicht verschieden) und trotzdem wird doch niemand bezweifeln wollen, dass die Chronik des Kosmas nicht gleichzeitig mit den Ereignissen, sondern erst später auf einmal verfasst wurde. Für den Sazawer Chronisten war ja auch in dieser Hinsicht Kosmas ein Muster. Auch muss einerseits das Lob, dieser Chronist (der dritte in der Reihe Bachmanns) sei ,ein politischer Kopf, ein Mann von wirklichem Interesse für die Geschichte" gewesen, beschränkt und andererseits wieder hervorgehoben werden, dass die erwähnten Eigenschaften, so weit sie berechtigt sind, auch den früheren Teilen der Chronik zuerkannt werden müssen.

Wenn aber Bachmann sagt: „Die Erzählung wird bunter uud ziemlich gleichzeitig mit 1156—1157, wie deutlich aus den Angaben über Bischof Heinrich Zdik erhellt", so ist es nur zu bedauern, dass er es unterlassen hat die Belege für diese Angabe anzuführen, da es ungemein schwer ist, selbst das geringste Merkmal zu finden, das für die Gleichzeitigkeit sprechen würde 1). Denn die Worte zu llöu „sub- trahitur de hoc mundo" kann Bachmann doch unmöglich für einen solchen Beweis halten.

Dagegen lassen sich aber mehrere Gründe gegen diese Annahme anführen. Abgesehen davon, dass der durchaus panegyrische und lobende Nekrolog Spytihnews (zum J, 1157) schwerlich noch während der Regierung des ihm feindlich gesinnten Wladislav II. entstanden sein könnte, zeigt sich der Verfasser eben iu dieser Partie (nur um zwei Jahre später) als sehr ungenau unterrichtet.

Nachdem der Chronist 1158 vom Zuge Wladislaws gegen Mailand berichtet, fährt er folgendermassen fort: A. d. 1159 Daniel episcopus Mediolanum ad caesarem Fridericum profectus est ... " Bischof Daniel ist aber gegen Mailand nicht erst im J. 1159, sondern gleichzeitig mit Wladislaw bereits im J. 1158 gezogen. Einen solchen Fehler hätte doch ein gleichzeitiger Berichterstatter unmöglich begehen können 2).

') Vgl. die Bemerkungen Golls im Cesky Casopis Hist. Vlll. 101.

2) Dass der Chronist nicht etwa eine Fahrt Daniels aus dem Lager Wla- dislaws zum Kaiser meint, erhellt deutlich aus den unmittelbar nachfolgenden Worten »quem in obsequio suo [caesaris] suis et regni negotiis biennio implica- tum retinuit. Die ganze damalige Abwesenheit Daniels von Böhmen dauerte zwei Jahre (vom Mai 1158 bis circa Mai 1160, am 16. Juni llßO ist er schon in

^58 Vaclav N 0 V 0 1 n y.

Es dürften sich wohl auch andere Stellen finden lassen, die die Annahme von der Gleichzeitigkeit der Erzählung stark erschüttern würden, es ist aber nicht notwendig sich nach denselben umzusehen, da uns die Erzählung selbst einen entscheidenden Beweis dafür liefert, dass sie später entstanden sein muss.

Wir haben oben gesehen, dass der Verfasser sein zum J. 1123 gemachtes Versprechen, etwas über die Persönlichkeit Sylvesters mit- zuteilen, bei Gelegenheit dessen Abtwahl 1134 erfüllt. Dass diese Charakteristik wirklich für diejenige anzusehen ist, die der Verfasser versprochen hat, sagt er selbst in den Eingangsworten : Hie locus sese tulit, quod superius prouiisimus, absolvere. Und dass sie nicht etwa später nach der Beendigung des Werkes nachgetragen worden, sondern im Laufe der Erzählung entstanden ist, verraten die Worte zu 1161, mit welchen der Chronist, nach dem Tode Sylvesters dem alten Lobe ein neues beifügend, sich einmal auf diese Weise unterbricht: De cuius vitue laudabili qualitate multa quidem . . . dici posseut, sed quia iam inde me ex parte dixisse memini, et maxime quomodo operum eins in eodem monasterio magnalia, quanta fueriut eius erga divini cultus honorem studia, evidenter extant testimonia perhibentia, hoc in loco ista sufficiant. Die Charakteristik Sylvesters zum J. 1134 ist daher früher als die Erzählung von seinem Tode niedergeschrieben worden. Dass sie aber nicht vor dem Tode Sylvesters rerfasst wurde, lässt sich ganz deutlich beweisen. Abgesehen davon, dass die Erzählung 1134 einen Überblick über die ganze Regierung Sylvesters bietet, wie man es von einem lebenden Abte kaum hätte schreiben können, die Worte , tempore sui regiminis" bezeugen doch klar, dass zu der Zeit, wo sie geschrieben wurden, die Regierung Sylvesters bereits zu Ende war^). Und sollten selbst diese Worte nicht überzeugend genug sein, so sagen doch die bald nachfolgenden „tempore vitae suae" ausdrücklich, dass der Abt zu der Zeit nicht mehr lebte.

Es erscheint daher über Jeden Zweifel erhaben, dass die Partie •der Sazawer Chronik von 1097 1161 nicht vor diesem Jahre verfasst worden sein kann, dass sie nicht ziemlich gleichzeitig, dass sie nicht anualistisch nach und nach entstanden, sondern erst später, nach 1161 auf einmal nachgetragen worden ist.

Böhmen (Rg. 1, 134). Die<e lange Abwesenheit des Obeihirten wird wohl auch später im guten Gedächtnisse geblieben sein.

') Auf dieselben Worte zum J. 1095 stützt Bachmann (wohl mit Recht) die Annahme, dass der Berichterstatter damals schon von der Absetzung Bozetechs wissen musste.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 559

Stellt aber somit fest, dass für diese Partie des Buches ein so später terminus a quo zu setzen ist, so muss mau sich doch auch die Frage vorlegen, ob dem Verfasser dieses so spät entstaudenen Teiles nicht vielleicht auch der als letzter vermutete Abschnitt der Sazawer Chronik gehört. Die Lösung dieser Frage ist auch für Beurteilung der Entstehung der Chronik überhaupt entscheidend. Zuerst heisst es aber erwägen, ob man mit Bachmann für diese letzte Partie unbediucrt einen neuen (vierten) Autor annehmen muss.

Ich will vorderhand' die früher erörterten stilistischen Gründe unberücksichtigt lassen. Bachmann hat und hier hat ihm schon Emier den richtigen Weg gezeigt wohl erkannt, dass die Worte über Sobeslaw IL laugjähriges Gefängnis auf das J. 1173 hinweisen, dass aber die Bemerkung über den Wortbruch Wadislaw 11 eher auf eine spätere Zeit schliessen lässt, dass daher diese Partie wahrschein- lich 1173 1171» entstanden ist. Das ist aber auch alles, worin man Bachmann, der da Emier folgt, beipflichten kann, den übrigen Aus- führungen fehlt es an Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die Worte über die Wahl Bczatas: „per Wladislai regis et epi;Copi Danielis electiouem in abini- tiam successit" sehr kühl klingoi. Nicht viel wärmer klingen doch auch die Worte über die Bestätigung Sylvesters durch Sobeslaw'), wogegen der Bericht über die Ernennung Regiuards doch ziemlich günstig für den Herzog gefärbt ist 2). Die Stellen beweisen deutlich, dass, wenn die Erwähnung des Königs und des Bischofs zu 1161 jemandem kühl vorkommen kann, der Grund nur in dem Umstände zu suchen ist, dass ihre Wahl einen nach der Ansicht des Chronistes unfähigen getroffen hat. Der Standpunkt der Chronik dem König Wadislaw II. gegenüber ändert sich in dieser Partie nicht. Wenn wir auch früher ein Kapitel De probitate Wladizlai ducis gelesen haben, so ist das Lol) nicht so unbeschränkt und gilt dem kriegerischen Kuhme des Königs, den ja sicherlich jederman bewundert hat, wogegen auch nur um paar Zeilen höher das Lob des dem König feindlichen Spytihnev bestehen bleibt, welches sich vielmehr gegen König Wladislaw wendet. Und hört man im letzten Abschnitte bei der Gefangennnhme Sobeslaws etwas härtere Worte, so lässt sich dies durch die Wortbrüchigkeit des Königs leicht erklären.

1) FRß. II, 259. Per manus Sobezlai ducis abbatili suscepto baeulo a Jobanne venerabili episcopo ordinatus est.

2j FRB. II, 268: Anuo d.i. 11G2 divina annnente pietate regisque Vladizlai ac etiam domini Danielis industria procuraute Kegnardus abbas . . guberuacula suscepit.

560 ^' '^ c ' i^i ■^ N 0 V 0 1 n y.

Es ist somit kein Gruud zur Annahme vorhanden, dass sich die Gesinnung über den König geändert hätte, und somit auch kein ent- scheidender Grund gegen die Anuahuie, dass die beiden letzten Teile von einem Verfasser herrühren könnten, zumal sich die Einheitlichkeit des Stiles der ganzen Chronik auch in dieser letzten Partie nachweisen lässt. Ist dem aber so, so müsste der terminus a quo auch für die frühere Partie später gesetzt werden, welcher Ansicht natürlich die Beschaffenheit dieser Partie nicht widerspricht und was vielmehr durch die Lobrede auf Spytihuew 1137, die auf spätere Zeit hinzuweisen scheint, bestätigt wird.

Die beiden Partien scheinen demnach erst in den TOger Jahren entstanden zu sein. Zur Erlangung grösserer Sicherheit ist aber die Be-- antwortung der Frage am wichtigsten, ob sich Spuren späterer Ent- stehung auch in den älteren Partien der Chronik entdecken lasseu.

Hätte Bachmann die Arbeit Väleks^) näherer Beachtung gewürdigt, so wäre es vielleicht nicht notwendig gewesen, nachfolgende Erörte- rungen beizufügen. Sie basiren zum grossen Teil auf den Ausführun- gen Yäleks, dessen meines Erachtens überzeugenden Beweis über die Entstehungszeit der Chronik ick zum Teil wiederholen muss.

Am ausführlichsten in der ganzen Sazawer Chronik ist (abge- sehen von der Gründuugsgeschichte) der Bericht über die Ereignisse des J. 1126. Das eben ist die Stelle, die dem Sazawer Chronisten nach Meinerts Muster auch die belobende Anerkennung Palack3's ver- schaffte, der sich Bachmann bedingungslos anschliesst. Allein es gibt Gründe genug, dieses Lob in mancher Hinsicht einzuschränken.

Zuerst sei bemerkt, dass die Erzählung des Wyschehrader Dom- herren, wenn sie auch im Vergleich mit der Schilderung der Sazawer Chronik stark in den Hintergrund tritt, doch einen viel günstigeren Eindruck bewirken muss; sie ist mit ihrem naiven Wunderglauben unmittelbarer, ungekünstelter und in jeder Hinsicht viel aufrichtiger als die gesprächige, mit dem ganzen Apparate rhetorisch-schwülstiger 'Stilistik ausgeschmückte Schilderung der Sazawer Chronik. Doch all das wäre nicht entscheidend, es heisst jetzt die Mitteilungen unserer beiden Berichterstatter auf ihre sachliche Richtigkeit zu prüfen.

Kosmas beendet seine politische Geschichte Böhmens mit dem Ausdrucke des Dankes gegen Gott, dass es zwischen Sobeslaw und Otto zu keinen Streitigkeiten gekommen ist. Kosmas konnte so

CT O

schreiben, da er bereits am 21. Oktober 1125 starb. Die Sazawer

') Sie stammt was sie selbst angibt, und was hier besonders erwähnt zu werden verdient aus dem bist. Seminar Golls (Prager böhm. Universität).

Studien zur Quellonkundo Böhmens -/.i

Chronik wiederholt natürlich diese Worte des Kosmas, da sie bekannt- lich seine ganze Chronik wiedergibt, konstruirt darnach die Nachricht von der Freude im Volke, ist aber gleich darnach genötigt sich zu korrigireu und zu berichten, dass sich Otto zu König Lotha^r um Hilfe begeben habe.

Was für Otto die eigentliche Ursache zu diesem Schritte war, er- fahren wir ans der Melduug des Wyschehrader Domherrn. Sobe'slaw hatte Otto den Anteil Ulrichs (das Brünner Land) abgenommen, worauf sich Otto zu Lothar nach Regensburg (November 1125) begab. Die Antwort Sobeslaws war der Einfall nach Mähren und die Verwüstuno- des Olmützer Anteils Ottos i). An dieser Meldung zu zweifeln besteht kein Grund, die Chronik von Sazawa weiss aber gar nichts davon. Der Sazawer Chronist tritt tatsächhch sehr oft als Schriftsteller von feinem historischen Takte auf. Wenn er dieses für das Verständnis des ganzen Streites so wichtigen Um stand es nicht gedenkt, kann mau nicht anders als annehmen, dass er davon nichts wusste, dass er nicht gut unterrichtet war.

Aber eben deshalb, weil er ein denkender Kopf war, musste er sich nach anderen Umständen umsehen, die (]ie Feindschaft der beiden Herzoge erklären würden. Dass er nicht genügend unterrichtet war, kann nicht befremden, wenu man bedenkt, dass er wenigstens um 14 Jahre später schrieb und in seinem Kloster sicher nicht so viel Gelegenheit finden konnte, Geuaueres zu erfahren als der Wyschehra- der Domherr, welcher, wenn auch später schreibend (was übrio-ens, wie wir sahen, für diese Partie seiner Chronik nicht gerade der Fall sein muss), doch zum herzoglichen Hofe in nahen Beziehungen stand. Wenn aber ein Chronist, welcher verhältnismässig spät schreibt, sich als nicht genau unterrichtet zeigt und dabei sehr ausführlich berichtet, so muss das immer verdächtig scheinen.

Wie sonst viele andere mittelalterlichen Geschichtschreiber liebt es auch unser Chronist, seinen handelnden Personen Keden in den Mund zu legen, die in der Wirklichkeit nie gehalten wurden. Unser Chronist hat das das können wir mit Bestimmtheit sagen von Kosmas erlernt, und verrät sein Muster mit jeder Zeile. Die Reden Ottos in Regensburo- und vor der Schlacht, die Reden Sobeslaws vor und nach der Schlacht erinnern ziemlich stark au Kosmas-). Natür-

1) Ich stütze raich da, so wie im Nachfolgenden, öfters auf die Arbeit Väleks, wo das Nötige kritisch zusammengestellt ist (in diesem Falle die Chronologie des Berichtes des Wyschehrader Domherren».

2) Man vgl. die Rede Ottos (FRB. II, 252) mit Kosmas III, 5<J ebd. P. 88

MittheiluDgen XXIV. ■^'^

562 Vaclav N 0 V 0 1 n y.

lieh wird niemand glauben, dass die Reden so gesprochen wurden, wie sie der Chronist wiedergibt. Sind sie aber inhaltlieh zuverlässig, ist es damals zu dergleiehen staatsrechtlichen Erörterungen gekommen?

Nach der Sazawer Chronik hätte Otto in ßegensburg verlangt „trouum sibi hereditario jure debitum et ab oranibus Bohemiae prima- tibus designatum et sucramento eonfirmatum". Ist diese Meldung richtig? An sich wäre sie nicht unmöglich, keine einzige Quelle weiss aber davon. Bachmauui) nimmt an, dass dies im Jahre 1123 ge- schehen ist. In diesem Falle wäre aber so ein Ereignis der geschärften Aufmerksamkeit des Kosmas sicher nicht entgangen, und doch finden wir bei Kosmas keine solche Nachricht. Dagegen ist es aber nicht unmöglich, dass die Worte „sacraniento eonfirmatum" nach der Meldung des Kosmas über den Schwur Ottos (III, 60) konstruirt sind^). Der Verdacht wird dadurch noch gesteigert.

Wenn wir das, was die Chronik Otto in Regeusburg vorbringen lässt, für richtig annehmen dürften, so hätte Otto eigentlich nichts Neues verlangt. Er ersucht den Kaiser, ihm zum böhmischen Trone zu verhelfen, der ihm rechtmässig gehört und auf den er einst von allen böhmischen Grossen berufen wurde. So war bis zu der Zeit immer der Vorgang bei der Besetzuno; des böhmischen Trones. Der deutsehe König verlieh in der Regel demjenigen das böhmische Lehen, welcher von den Grossen Böhmens als Herzog anerkannt wurde. Das Verlangen Ottos würde daher nichts Ungewöhnliches enthalten haben, uud die Nachricht der Chronik wäre nicht unglaubwürdig, wenn ihr der Umstand nicht entgegen wäre, dass sie vereinzeint da steht, dass keine andere, auch zeitlich nähere Quelle darüber etwas zu berichten weiss3). Dabei zwingt uns aber auch die Nachbarschaft, in welcher die Meldung erscheint, noch vorsichtiger vorzugehen.

seine Prahlerei 256 mit Kosiu. I. 10 S. 20, die Reden Sobeslaw» p. 255 und 256 mit Kosmas II, 8 S. 80.

') Geschichte Böhmens S. 293.

2) Man vgl. Kosmas III, 60 (FRB. II, 195) . . -. dominus Otto quorundam instinctus consilio, tali se obligavevat sacramento, quod non prius ab urbe Wisse- grad cederet, quam aut victus plecteretur capite, aut victor potiretur principalis sedis culmine.

=*) Der Einwand, dass der Wyschehrader Domherr bei seiner Voreingenom- menheit für Sobeslaw absichtlich unterlassen hätte in dieser Hinsicht wenn er von der angeblichen Anerkennung Ottos gewusst hätte die Erzählung des Kosmas zu vervollständigen, ist haltlos. Wenn der Chronist Sobeslaw zuerst den Einfall nach Mähren unternehmen lässt und die Flucht Ottos nach Regens- ais eine Folge desselben darstellt, so hätte er es sicher auch nicht notwendig; die Nachricht von der früheren Anerkennung Ottos zu verschweigen.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 5^3

Darnach liätte zwar Otto in Regensburg nichts Neues verlangt aber das, was ihm. Lothar zur Antwort gab,. war neu, und widersprach allen bisherigen Üblichkeiten. Nach der Sazawer Chronik soll Lothar die Ansicht geäussert haben, die Vergebung des böhm. Lehens stehe dem deutschen Könige allein zu, von seinem Willen sei es abhängig, wem er den böhmischen Tron zusprechen wolle.

Ist diese Ansicht in dieser Zeit möglich? Es ist freilich nicht zu leugnen, dass die wiederholten Tron Streitigkeiten der Pfemysliden, bei welchen man den Kaiser sehr oft um Hilfe anrief, und ihm so die Entscheidung in die Hände legte, zu derartigen Prätensionen führen konnten, aber bis zu dieser Zeit (1126) hat man noch nie von ihnen gehört und noch ein halbes Jahrhundert nach Lothar hört man davon wieder nichts.

Beachten wir die Umstände näher, unter welchen der Streit zwischen Sobeslaw und Lothar entstand. Bis zu seiner Tronbesteiguuo- ist Sobeslaw zu Lothar in engen freundschaftlichen Beziehungen ge- standen, noch 1124 suchte und fand er Hilfe bei ihm. Nach Kosmas hat sich damals Lothar bei Kaiser Heinrich Sobeslaws angenommen und seine Abgesaudten sollen damals vor dem Kaiser eine Rede fe- halten haben, an welche die Worte, welche die Sazawer Chronik So- bjslaw sprechen lässt, häufig erinnern 1). Warum sollten sich die bisher so freundschaftlichen Verhältnisse so bedeutend geändert haben? Einen Grund dafür hätte der Umstand bieten können, wenn sich Sobeslaw geweigert hätte, den neuerwählten Lothar als König anzuerkennen und aus seiner Hand die Belehnung zu empfangen. Aber zu einer solchen Vermutung liegt kein Grund vor, und niemand hat es noch gewagt, etwas solches zu behaupten. Sobeslaw hat zwar an dem Reichs- tage zu Regensburg persönlich nicht teil genommen wahrscheinlich hat ihn sein mährisches Unternehmen daran gehindert aber das bedeutet noch nicht, dass er sich vom Reiche hätte losreissen wollen. Schon sein Verhalten nach der Schlacht bei Kuhn würde in der Hin- sicht als Beweis genügen, wir sird aber im Stande auch positive Belege anzuführen, da wir von einer gut unterrichteten Seite erfahren, dass Sobeslaw zu König Lothar seine Bevollmächtigten verordnet hat, denen es aber nicht o-elunffen ist, Lothar von seinem Entschlüsse, Otto zu unterstützen, abz abringen-).

Was aber war die Ursache dieser Weigerung Lothars einem alten Freund gegenüber? Vielleicht könnte man da mit der Vermutung antworten, dass Lothar mehr beansprucht hat, als Sobeslaw zu bieten

') Man vgl. Kosm. III, 56 (FRB. 11, S. 188) mit FKB. II, 256. 2) Otto Fris. (Schulausgabe) 26—27.

37*

ry^^ Vaclav Novotny.

o-eneio-t war, imd darin eine Bestätigung des Sazawer Berichtes sehen. Dao-eo-en kann aber bemerkt werden, dass es um so mehr auffallen müsste, wenn etwas so Wichtiges der Aufmerksamkeit gleichzeitiger C hrcnisteneutgangen -wäre. Bei dem Wyschehrader Domherrn, den die bis jetzt fast allgemein herrschende Meinung für einen politisch wenig bedeutenden Kopf hält, könnte das nicht überraschen. Wir haben aber auch einen gut unterrichteten und im Politischen sehr wohl bewanderten Gewährsmann es ist Otto von Freising. Wenn er auch Herzog Sübeslaw den falschen Namen üdalricus beilegt, so verrät doch seine Erzählung, dass er von der ganzen Angelegenheit genaue Kenntnis hatte.

Und einem Chronisten von der Bedeutung eines Otto von Freising ist es Wühl nicht zuzumuten, dass er einen staat^rechtlich so wichtigen Umstand zu verzeichnen versäumt hätte. Aber eben derselbe Otto von Freisiuo-, der manches unzweifelhaft glaubwürdige Detail anzuführen vermag 1), weiss von den erhöhten Ansprüchen Lothars gar nichts, ja seinen Worten lässt sich geradezu das Gegenteil entnehmen. Quidam enim Otto Moraviae comes so berichtet er-) ducatum Boemiae attectans. principeni adiit, eique magna m pecuniam promittens, ad hoc, ut Boemiam secum intraret, ibique eum ducem crearet, in- clinavit.

Also nur um eine Hilfe zur Erlangung des Troues, nicht um eine prinzipielle Lösung der Frage, wem die Ernennung der böhmi- . sehen Herzoge zustehe, hat es sich da gehandelt^). Als Grund der Gesinnungsänderung Lothars führt Otto von Freising ausdrücklich Geld an. Eben denselben Beweggrund gibt aber auch der Wy- schehrader Domherr an, und auch die Sazawer Chronik, so sehr sie auch bemüht ist andere Gründe zu entdecken, muss schliesslich doch

•) Man vgl. die Erwähnung der Verhandlangen Sobeslaws mit Lothar, von welchen weder der Wyschehrader Domherr, noch die Sazawer Chronik berichtet, dann die ziemlich genaue Schilderung der Schlacht b i Kulm etc.

2) Otto Fris. a. a. 0. 27.

3) Damit lässt sich auch sehr gut die Erzählung der Sazawer Chronik vom Ausgang des Krieges in Einklang bringen, wo Lothar auf einmal alle seine an- geblich hochgespannten Ansprüche aufgibt und aufrichtig gesteht, ohne Otto Mtte er nichts gegen Sobeslaw unternommen. Es müsste aber auch sehr be- fremden, wenn Sobeslaw, der in der Sazawer Chronik auf die Ansprüche Lothars so antwortet, als wäre er in Regensburg anwesend gewesen, sich nach den Siege mit der einfachen Belehnung begnügt hätt% ohne sich eine Bürgschaft gegen die Prätensionen zu verschaffen, die ja später immer erneuert werden konnten. Auch der umstand, dass die Sazawer Chronik von einer solchen Bürgschaft nichts zu berichten weiss, kann nur sehr unvorteilhaft für die Richtigkeit ihrer Dar- stellung zeugen.

Studien zur Quellenkmule Böhmens. 565

auch gestehen, dass Otto dem König vie] Geld versprochen habe. Dieser Grund genügt aber auch vollständig, zur Erklärung der Ände- rung in der Gesinnung Lothars. Hätte die Sazawer Chrouik nicht versucht eine andere Veranlassung zu finden, so hätte sie wohl nie- mand vermisst. Der neuerwählte Lothar hat sicher Geld gebraucht, und um es zu erlangen, war er auch bereit die bisherige Freundschaft mit Sobeslaw zu opfern i).

Betrachtet man jetzt die Quellenangaben näher, so ergibt sich, dass als die eigentliche Ursache des Streites der Umstand zu betrachten ist, dass Sobeslaw dem Olmützer Otto seinen Brünner Besitz abge- nommen hat. Ohne dieses Ereignis wäre Otto wahrscheinlich nicht nach Kegensburg gegangen. Sobeslaw hat sodann auch seinen Olmützer Anteil verwüstet und vergeblich versucht, Lothar für sich zu gewinnen. Die Hoffnung auf eine reiche Geldentschädigung hatte schon Lothar zum Bundesgenossen seiues Gegners Otto gemacht. Die Mehrzahl dieser Details ist der Sazawer Chronik entgangen, was darauf schhessen lässt, dass die Chronik nicht genau unterrichtet war. Wenn sie aber trotzdem sehr ausführlich berichtet, eine andere Erklärung sucht, und dieselbe in staatsrechtlichen Motiven findet, von welchen keine andere Quelle Er- wähnung tut, so muss dies natürlich die Frage ins Leben rufen, ob hier die Chronik etwa nicht unter dem Einfluss der Verhältnisse ihrer eigenen, späteren Zeit steht.

Wann treten solche Theorien, wie sie die Sazawer Chronik König Lothar äussern lässt, zum erstenmale auf? Es ist schon früher bemerkt worden, dass die Tronstreitigkeiten der Pfemysliden, bei welchen man die deutschen Könige als Schiedsrichter anrief, zu ähnlichen Folgen führen konnten, dass aber in der frühereu Zeit solche Ansprüche seitens des Reiches niemals erhoben wurden, und auch 1142 ist es König Konrad nicht eingefallen - (allerdings war damals das Ver- hältnis ein anderes; der regierende Herzog war es, der damals Konrad um Hilfe bat) über den Tron Böhmens nach eigenem Willen entscheiden zu wollen. Zum erstenmal begegnen wir solchen Prae- tensionen des Kelches unter dem mächtigen Stauten Friedrich L

König Wladislaw II. hat, um den Tron seiner Familie zu er- halten, noch zu Lebzeiten die Regierung seinem Sohne Friedrich ab- getreten. An dem Hofe Barbarossas arbeitete aber eine mächtige Partei Herzog Ulrichs für seinen Bruder Sobeslaw. Am Hoftage zu Ehrendorf 1173 wurde Herzog Friedrich des Trones, den er ,non legitime, sicut dicebant, sed tantum tradente patre sine consensu

T^T^ dürfte Otto, wenn der Sazawer Chronik in dieser Hinsicht Glauben geschenkt werden darf, den Kampf als sehr leicht geschildert haben.

506 Vaclav Novotny.

Boemorum et non de manu iraperatoris" ^) erhalten hatte, für verlustif,' erklärt. An seiner Stelle wurde dann Sobeslaw II. zum Herzog ernaont. Als aber 1177 Sobeslaw dem Kaiser unbequem geworden war und Palaeky hat mit feinem historischeu Takte gezeigt, was für äussere Verhältnisse zum Falle Sobeslaw beigetragen haben ist am Hof- tage zu Venedig Sobeslaw II. enttront und durch Friedrich ersetzt worden, wobei wir von einer Mitwirkung der böhmischen Grossen nichts erfahren und alles nur dem Willen des Kaisers zuschreiben müssen. Diese Willkür wurde später auf dem Hoftage zu Kegensburg 1182 noch gesteigert.

Wenn wir "nun wieder in Erinnerung bringen, dass sich die ganze Sazawer Chronik durch die Gleichheit des Stiles, die sich in der Nach- ahmung des Kosmas uud auch sonst kundgibt, als das Werk emes einzigen Schriftstellers praeseutirt, und wenn wir weiter beachten, dass der grösste Teil der Chronik sicher nicht vor 1161 eatstehen konnte, und die letzte kleine Partie erst nach 117;> entstanden sein muss, und wenn wir schliesslich noch in Betracht ziehen, dass unsere Sazawer Chronik zum J. 1126 staatsrechtliche Theorien vorbringt, von welchen wir in keiner anderen Quelle hören und die in jener Zeit kaum möglich waren, oder wenigstens zur Erklärung des Streites nicht notwendig sind, so ist wohl auch die Annahme nicht zu gewagt, dass sich auch in der Erzählung vom J. 1126 der Eintluss der Verhältnisse der siebziger Jahre kund gibt.

In dieser Beleuchtung wird auch alles andere, was wir früher als unverbürgt ansehen mussten, geklärt. So können wir verstehen, warum der Chronist Otto von Olmütz so nachdrücklich das betonen lässt, was wir sonst aus keiner anderen Quelle erfahren. Es klingt beinahe wie eine Anspielung auf die Ereignisse des J. 1173, von welchen Gerlach berichtet, wenn in der Sazawer Chronik Otto den böhmischen Tron als „sibi hereditario iure debitum et ab omnibus Boemiae pri- matibus designatum" bezeichnet. Und die Worte, dass der römische König nur denjenigen zu belehnen habe, der in Böhmen anerkannt worden, jene Worte, mit welchen Sobeslaw I. die Ansprüche Lothars widerlegt, als hätte er seine Kegensburger Kede gehört, sind zweifellos nur ein Ausdruck persönlicher Gesinnung des Sazawer Chronisten über den willkürlichen Vorgang Barbarossas in Venedig 1177, sind ein Protest gegen diese den alten Üblichkeiten widersprechende Neuerung, den wir um so besser verstehen können, wenn wir bedenken, dass es sich damals um die Entsetzung Sobeslaws II. handelte, mit welchem die Sazawer Chronik offenbar sympatisirt.

') Gerlacb (FRB. II) 466.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 5gY

Haben also die früheren Untersuchungen zu dem Resultat geführt, dass es keinen Gruad gibt mit Baclimann die letzte Partie des Saza- wer Zeitbuches unter zwei Autoren zu verteileu, dass sie vielmehr als das Werk eines Einzigen anzusehen sind, so kann die kritische Unter- suchung der Erzählung von 1126 dieses Resultat nur bestätigen. Die augenscheinlich genauen Meldungen der Sazawer Chronik rühren nicht davon her, dass sie besser uuterrichtet war, sondern sie beweisen, da sich daran der Einfluss späterer Verhältnisse klar bemerkbar macht, dass sie erst nach 1173 (etwa zwischen 1173 1178) eutstanden sein müssen. Dass aber somit auch die ganze Sazawer Chronik erst in dieser Zeit als einheitliches Werk eines einzigen Verfassers entstanden sein muss, dafür ist meines Erachtens, nach dem vorher gesagten kein weiterer Beweis nötig.

Wenn dadurch die Glaubwürdigkeit ihrer Meldungen in etwas leidet, so dürfte doch die bisher einstimmig anerkannte historische Gewandtheit ihres Verfassers nicht viel beeinträchtigt werden. Die Er- zählung von 1126 ist mit einem unleugbaren Geschick zusammenge- stellt und in den Eahmen des ganzen Werkes trefflich eingepasst. Wenn der Chronist gegen die gefährlichen Neuerungen Barbarossas, die ihm um so unsympatischer sein mussten, als dadurch auch sein Liebling Sobeslaw 11. verkürzt wurde, protestiren wollte, so hat er keine passendere Stelle wählen können, als die Ereignisse vor und nach der Schlacht bei Kulmi). Und auch sonst, wenn auch diese Nachricht nicht wörtlich zu nehmen ist, kann man das Lob, welches dem Chronisten (nach Palackys Vorbilde) Bachmann spendet, ohne Weigerung unterschreiben. Ein günstiges Zeugnis für unseren Chro- nisten kann sicher auch der Umstand gewähren, dass er aller Wahr- scheinlichheit nach auch Urkunden als Quellen benützt hat. Ich ver- weise nur auf die allerdings schon früher bekannten Stellen zu 1097 (F.R.B. II, 255), 1132 (ib. 258, die Schenkung Pfibislawas), dann auf die Erzählung von Bfetislaws Schenkung ib. 244.

Schliesslich wird man aber seine historische Begabung auch darin suchen dürfen, dass auch der Gedanke, die Chronik in ihrer jetzigen Gestalt der Nachwelt zu hinterlassen, ihm allein eignet. Es ist m der letzten Zeit öfters die Meinung geäussert worden, dass dieser Ge- danke unter dem Abte Sylvester auftauchte, ja Bachmaun^) hat sogar die Vermutung ausgesprochen, die Verfassung der Chronik sei mit Förde- rung von Seiten des Abtes unternommen worden. Obwohl nun alles, was wir von diesem trefflichen Abte wissen, besonders seine Bemühungeu,

') V^l. Välek a. a. 0. 317. -) Geschichte Böhmens 420.

568 Väcla V N 0 vo tn y.

das seiner OUiiit anvertraute Kloster sowohl in materieller als auch in moralischer Hinsicht zu heben, ihn als einen hervorragenden Mann erscheinen lässt, so genügt doch all das nicht zum Beweise, dass die Chronik seinem Auftrage oder nur seiner Aufforderung ihre Entstehung verdanke, da dieser Annahme der ganze Charakter der Chronik wider- spricht.

Der eigenen Arbeit des MSaz so will ich von nun an den Autor der Chronik bezeichnen geht der grössere Teil der ganzen Sazawer Chronik voraus es ist der iuterpolirte Kosmas. Sicher hat auch diese Arbeit (die Interpolirung des Kosmas) längere Zeit in An- spruch genommen, doch ist es nicht wahrscheinlich, dass sie schon unter Sylvester begonnen worden wäre. Selbst wenn Sylvester in seinem letzten Lebensjahre (1160) auf den Gedanken gekommen wäre, seinem Kloster ein grösseres Geschichtswerk zu verschaffen, hätte der Interpolator, da er erst um 1173 seine eigene Fortsetzung des Cosmas zu schreiben anfing, 12 Jahre zur Vollendung der Interpolation ge- braucht. Der MSaz ist aber ein zu guter Schriftsteller, um von ihm annehmen zu können, dass er eine solche Arbeit nicht früher hätte zustande bringen können. Und so bleibt auch der Gedanke, seinen Klosterbrüdern eine Belehrung über die Vergangenheit ihres Sitzes und ihres Vaterlandes zu gewähren, das Eigentum des MSaz, und ist zugleich ein Beweis seines erhöhten historischen Interesses.

So bedeutend aber der MSaz gewesen sein muss, über sein Leben sind wir nur sehr ungenau unterrichtet. Daran ist freilich nicht zu zweifeln, dass er im Sazawer Kloster gelebt und geschrieben hat, und auch das ist wohl ganz klar, dass er sich hier zur Zeit der Abte Diethard, Sylvester, Bo2ata und Reginhard aufhielt. Sein Werk muss er erst in hohem Alter begonnen haben. Denn darf man bei der Erzählung 1126 aus den Worten „guudia nöstra contrarius excepit successus " schliessen, dass der Verfasser damals schon lebte, und steht es andrerseits fest, dass er lange vor 1173 nicht zu schreiben anfing, "so muss er erst als ein bejahrter Mann seine Arbeit in Angriff ge- nommen haben. Wenn wir überdies noch beifügen, dass er ein Ver- ehrer des Abtes Sylvester und Parteimann Sobeslaw II. war, so ist das wohl alles, was man über seine Person mit Bestimmtheit sagen kann.

Welcher Nationalität er angehörte, wissen wir nicht, und jedes „wahrscheinlich* oder „vielleicht" ist da überflüssig. Wenn auch seine Unparteilichkeit dem slavischen Ritus gegenüber (und man darf von einer Unparteilichkeit sprechen, wenn auch die entschei- dendste Stelle wir kommen gleich darauf zu sprechen nicht

Studien zur Quelleukuncle Böhmens. 5ß9

direkt aus seiner Feder geflossen ist) anerkannt werden muss, wenn ilim auch der nach Böhmen einfallende Lothar keineswegs sympatisch ist, so genügt das nicht, um ihn mit Bestimmtheit für einen Böhmen erklären zu dürfen. Unter dem damaligen Klerus gab es mehrere Böhmen, denen die slavische Liturgie nicht sympatisch war, und über ein feindliches Heer hätte selbst ein Deutscher von Gebart sich nicht sympatisch äussern können.

Als der Chronist sich entschloss, das Saza^Yer Zeitbuch anzulegen, hatte er schon eine reiche' Lebenserfahrung hinter sich, und es kann nicht bezweifelt werden, dass er Verschiedenes, worüber er berichtet, wenn auch nicht als Augenzeuge, so doch gewiss als Zeitgenosse mit- erlebte. Allerdings standen ihm auch verschiedene Hilfsmittel zur Verfügung. So werden z. B. die Angaben über die Priesterweihe Syl- vesters, über seinen Eintritt ins Kloster auf klösterliche Aufzeich- nungen zurückzuführen sein; ebenso dürften verschiedene Angaben über Absterben einzelner Personen den Nekrologien des Sazawer, Bfevnover u. a. Klöster entnommen worden sein.

Damit aber streifen wir schon die Frage, welche Quellen der MSaz benützt hat. Vorläufig will ich sie nur soweit berücksichtigen, als sie die von Bachmann beantragte Unter.seheidnng von zwei Verfassern, unter welche die Erzählung von der Gründung des Klosters zu teilen wäre, berührt.

Die Erzählung von der Gründung des Klosters und von seineu slavischen Anfängen (bis ca. 1098) weist Bachmann zwei Autoren zu. Der erste soll ca. 1080 das Leben Prokops und die Geschichte seiner zwei ersten Nachfolger beschrieben haben; er war ein slavischer Mönch. Die Regierung Bozetechs und die Zwistigkeiten im Kloster zu dieser Zeit, die mit der Ausweisung der slavischen Mönche endeten, soll einem anderen Autor, der im zweiten oder dritten Jaiirzehnt des 12. Jhrh. schrieb und ein aus Bfewnow gekommener deutscher Mönch war o-ehören Wollen wir die Gründe näher betrachten, auf die Bach- mann seine Annahme stützt.

In dem angeblich ersten Teile der Erzählung lesen wir die Weis- sagung des sterbenden Prokop, in welcher dieser erste Abt seinem Neffen und seinem Sohne eröffnet, dass sechs Jahre nach der Ver- bannung „Wratislaus reducet vos de exilio et dabit vobis Jesus Chri- stus dominus noster in loco isto pacem et securitatem omnibus diebus vitae vestrae." Das kann nach Bachmann nicht zur Zeit der Zwistigkeiten unter Boietech, wo das Kloster keinen Frieden und keine Sicherheit genoss, geschrieben worden sein. Warum dies nicht der Fall sein konnte, ist nicht einzusehen. Eben weil hier der Friede

rjYO Viiclav Novotny.

und die Sicherheit, deren sich das Kloster unter den Äbten Vitus und Emeram erfreute, so nachdrücklich betont wird, könnte mau eher auf den Gedanken kommen, dass die Stelle erst dann geschrieben wurde, als der Terlasser die Zeit kannte, in welcher sich die Verhältnisse verschlimmert hatten.

„Xoch weniger aber", fährt Bachmaun fort, „hat vor der Nieder- schrift die zweite Ausweisung der slavischeu Mönche stattgefunden, da sie die Weissagung St. Prokops Lügen strafen würde." Allerdings könnte mau da einwenden, dass auch einen viel späteren Autor die Pietät gegeü den Gründer und ersten Abt des Klosters hätte hindern müssen, die Prophezeiung Prokops in sein Werk eiuzuverleibeu, wenn sie so zu verstehen wäre, wie Bachmann dafürhält i). Das ist aber uicht der Fall. Prokop hat sich dabei sehr vorsichtig benommen, und seine Weissagung nicht auf eiue aUzu weite Zukunft erstreckt. Xur ein flüchtiger Blick kanu die Worte Prokops so deuten, wie es Bach- mann tut, bei genauerer Untersuchung kann es keinem Zweifel unter- lieo-en, dass sich die Worte auf niemand auderen, als nur auf Prokops Neffen und Sohn beziehen können. Diesen hat also Prokop ver- sprochen, dass sie aus dem Exil zurückkehren und bis zu ihrem Tode ruhig und ungestört im Kloster walten werden. Dass die sla- vische Liturgie sich auf immerwährende Zeiten im Kloster erhalten und dass die liuhe und Sicherheit niemals werde gestört werden, hat Prokop nicht gesagt, und wir haben kein Recht, dies in die Worte des Chronisten hineinzuinterpretiren.

Damit aber fällt auch jeder Grund, warum die Erzählung nicht später entstanden sein könnte, und warum überhaupt die ganze Partie von der Gründung des Klosters bis 1195 zwei Autoren zuzuweisen wäre. Bachmann iührt besonders die Worte an, deren sich die Er- zählung über die Anschwärzung des Abtes Vitus vor dem Herzog be- dient, und will aus denselben schliessen, dass solche Worte nur ein slavischer Mönch hätte gebrauchen können. Die Worte sind jedoch nicht so bezeichnend, wie es Bachmann vorkommt. Der Verfasser drückt sich zwar sympatisch über die Jav. Liturgie aus, aber die Zu- o-ehörio-keit der Sazawer Mönche zu diesem Ritus ist für ihn nicht entscheidend, er zürnt den Feinden des Abtes nicht deswegen, weil sie den slavischen Ritus durch den lateinischen ersetzen wollten, sondern weil sie die slavischen Mönche beneideten und sie aus ihrem Kloster vertreiben wollten. Derjenige, der diese Worte ^) geschrieben hat,

1) Vgl. CCH. Yin, 100.

'') Sie lauten (FRB. 11, 246): »multi aemuli . . . Vitum et fratres . . publi- cabant . . . per sclavonicas litteras heresis secta ypochrisisque esse aperte irre-

Studien zi;r Quellenkunde Böhmens. 57 1

muss kein Freund der slavisclien Liturgie gewesen sein, war aber ein Verehrer der drei ersten hochverdienten Äbte, was doch alle Sazawer Mönche auch nach der Änderung des Kitus ohne Ausnahme o-ewesen sein mussten.

Auch die Erzählung von dem Konflikt Prokops mit dem an Stelle des vertriebenen Yitus eingesetzten Abte beweist nicht, dass sie von einem späteren lateinischen Mönche nicht herrühren könnte. Eben ein solcher hatte ja ein vorzügliches Interesse daran, diese Episode anzuführen. Hatte einst Prokop den ersten fremden Abt aus dem Kloster mit Schlägen verjagt, weil er ihn in seinem Kloster nicht dulden wollte, und blieben dann die nachher angesiedelten luteinischeu Mönche von solchen Ergüssen seines Unwillens unbehelligt, so war das sicher ein Zeichen ihrer Legitimität, ein Beweis, dass s i e dem h. Prokop nicht unangenehm waren, dass er sie hier gerne duldete, wenn sie auch nicht dem slavischen, sondern dem lateinischen Kitus zugetan waren. Die ersten Jünger Prokops durften zurückkehren, weil sie in Eintracht und brüderlicher Liebe lebten 1), ihre Nachfolger mus&ten wegen Streitigkeiten verjagt werden, um neuen Ansiedlern, die wieder in Eintracht zu leben verstanden, Platz zu machen.

Ebenso können die Worte über Boietech kein Zeugnis dafür bieten, dass der Chronist diesem Abte nicht freundlich gesinnt ge- wesen wäre, wenn er auch unparteiisch über ihn berichtet und seine schwachen Seiten nicht verhehlt. Am allerwenigsten ist aber einzu- sehen, warum der Verfasser des zweiten Teiles dieser Erzählung (nach Bachmann) ein deutscher Mönch des lateinischen Ritus sein sollte. Wenn es auch gestattet wäre, diese Erzählung in der Weise, wie Bachmann beantragt, in zwei Teile zu teilen, warum müsste der Ver- fasser des zweiten Teiles ein Deutscher sein? ,Xur ein solcher" so versucht Bachmann seine Behauptung zu begründen „konnte am Schlüsse seiner Darstellung über die zweite Vertreibnng der sla- vischen Mönche aus Sazawa sagen : Et libri linguae eorum deleti om- nino et disperditi nequaquam ulterius in eodem loco cautabuntur.- Man muss von neuem fragen: Warum? Selbst wenn diese Worte den Sinn hätten, in welchem sie Bachmann zu verstehen scheint, würden sie keinen Beweis dafür enthalten, dass der Verfasser ein Deutscher

titos ac omnino perverses; quamobreiu eiectis eis, in loco eorum latinae aucto- ritatis abbatem et fratres constituere omnino esse honestum constanter affirmabant. 0 invidia, inextricabilis maliciae zelus : 0 invidia detestanda, omnnnoda ma- litia conglobata, ignis inextinguibilis ....

0 Vgl. die Bemerkung Golls in OCH- VIII, HlO.

ff'J2 V ti c 1 a V ils 0 V 0 t n y.

gewesen seiu müsstei). Die Worte sind aber nicht höhnisch gedacht, sie sind vielmehr ein Ausdruck des aufrichtigen Mitleids mit den Schicksalen der slavischen Liturgie in Sazawa und könnten daher viel eher von einem slavischen Mönch herrühren, der später in Sazawa Zuflucht gefunden, wie uns die Chronik davon erzählt. Mag es sich aber mit ihnen verhalten wie es will, sicher kann behauptet werden, dass kein Grund vorhanden ist, warum sie nicht auch von dem Ver- fasser herrühren könnten, der die Worte über die Verleumdungen gegen Vitus geschrieben hat. Kurz es gibt keinen entscheidenden Grund, die Ei:zählung von der Gründung des Sazawer Klosters bis ca. 1095 unter zwei Autoren zu verteilen, vielmehr scheint alles dafür zu sprechen, dass die ganze Erzählung aus einer Feder geflossen ist.

Schwieriger ist aber die Frage zu beantworten, wann dieser Autor, dem die ganze Erzählung von der Gründung des Klosters gehört, ge- schrieben hat. Wie gezeigt, können die Worte über die Weissagung Prokops nicht beweisen, dass die Erzählung vor der zweiten Aus- weisung der slavischen Mönche entstanden wäre, auf die Schluss- bemerkunij über die slavischen Bücher werde ich demnächst zurück- kommen und auch die Stelle über BoZetech, der „locum illum iaudabiliter omni ornatu sicut hodierno die apparet decoravit", kann nicht beweisen, dass sie vor dem Antritte Diethards niedergeschrieben sein müsste. Denn Diethard hat nur das Oratorium (Kirche) renovirt, während von Bozetech berichtet wird, dass er das ganze Kloster um- . gebaut hat, und wir wissen überhaupt nicht, wann etwa so grosse Änderungen vorgenommen worden wären, dass die oben zitirten Worte nicht passend erscheinen dürften.

Ja man könnte sogar auf den Gedanken kommen, ob nicht auch diese ganze Erzählung dem Verfasser der ganzen Chronik zuzuschreiben wäre. Manches könnte zur Begründung dieser Annahme angeführt werden. Einerseits die Einheit des Stiles, die sich nicht nur in einigen Phrasen und Wendungen, sondern auch durch die schon oben er- wähnten stilistischen Eigentümlichkeiten des Autors (Charakterschilde- rungen einzelner Personen u. dgl.) kundgibt, andrerseits die allgemein anerkannte Unparteilichkeit, mit der die Erzählung von der slavischen Liturgie berichtet, und die bei einem später schreibenden Mönche leichter zu erklären wäre, als bei einem, der die bewegten Zeiten der Änderung des Ritus miterlebt hat. Die Gründe sind jedoch nicht entscheidend. Die Ähnlichkeit des Stiles dürfte sich auch dadurch er- klären lassen, dass der MSaz diese Erzählung, wenn er sie schon fertig

1) Goll a. a. 0.

Stadien zur Quellenkunde Böhmens. bl'd'

vorfand, stilistisch umarbeitete, die üuparteiliehkeit der slavischeu Li- turgie gegenüber wird man wohl nicht anders als durch die in den mittelalterlichen Klöstern überall traditionelle, stark entwickelte und tief einwirkende Pietät für den Gründer des Klosters erklären dürfen.

Und dazu kommt noch, dass einige Umstände doch datür /.u sprechen scheinen, dass die Geschichte der slavischeu Periode dem Verfasser wenigstens im grossen gauzen fertig vorlag, und dass er sie nur mit gewissen stilistischen Änderungen in sein Werk einverleibt hat. Allerdings kann man sagen: wenn für diese Annahme nur die Gründe vorhanden wären, welche Bachmann anführt, so müsste die- selbe von vornherein für unmöglich erklärt werden. Die Gründe Bachmanns sind durchaus nicht stichhältig, wie sich aus der nach- folgenden Prüfung ergeben dürfte:

Vor allem muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Angaben Bachmanns über die Stelle, an welcher die in Frage stehende Erzählung eingeschoben ist, nicht genau sind. Xach der Ausgabe der F.K.B. (oder M. G.) könnte man vielleicht dafür halten, dass die Er- zählung- tjleich nach den Meldungen zum J. 1001 folgt i), man darf aber nicht vergessen, dass diese beiden Ausgaben an dieser Stelle nur das bieten, was die Handschrift der Sazawer Chronik mehr enthält als Kosmas, und dass die Zusätze zu Kosmas in der betreffenden Partie der Handschrift mit 1001 enden. Es genügt aber, will man sich die Einsicht der Handschrift selbst ersparen, ein einfaches Nach- schlagen der Ausgabe Pelzel-Dobrowskys, um sich zu überzeugen, dass. die Erzählung am Ende des I. Buches des Kosmas steht, al.<o nicht zwischen den Jahren 1001—1016, sondern zwischen den Jahren 1038—1039 eingeschoben ist ein Umstand, der für die Beurtei- lung der weiteren Ausführungen Bachmanns nicht unwichtig ist.

° An dieser Stelle also, wo Kosmas mit dem Tode Ulrichs sein erstes Buch beschliesst, um das zweite mit dem Regierungsantritt Bfe- tislaws anzufangen, ist die Gründungsgeschichte des Klosters mit den Worten: Hoc in loco congraum videtur non debere praetermitti, quahter coenobium Zazauense . . . originem sumpserit eingefügt. Die Ansicht Bachmanns, dass diese Worte nur ein Bindeglied zwischen den voran- gehenden Einzelndaten und der nachfolgenden Gründungsgeschichte bilden, kann ihre Berechtigung haben, reicht aber nicht zum Beweis hin, dass das Nachfolgende nicht vou> MSaz selbst herrühre, sondern von ihm nur aus älteren oeschichtlichen Autzeichnungen des Klosters herübero-enommen wordtn sei. Mit diesen Worten konnte ja aucH

Woher Bachmann das Jahr lOlG hat. ist nur unbekannt geblieben.

574

Vaclav N 0 V 0 t n V.

derjenige, die Erzählung des Kosmas unterbrechen, der dann seine eigene Arbeit über die Gründung des Klosters folgen lassen wollte

Und noch weniger kann diesen Beweis der zweite Beleg Bach- manns erbringen, dass nämlich in dem Satze „Tempore siquidem prae- fati ducis Oudalrici" die Worte , siquidem praefati" auch nur ein Bindeglied zwischen beiden Teilen seien, wobei der Kompilator über- sehen hat, dass Ulrich bisher noch gar nicht genannt sei. Nicht der Kompilator, sondern Bachmann hat übersehen, dass Herzog Ulrich im ersten Buche der Chronik des Kosmas, an dessen Ende sich die Er- zählung befindet, sehr oft genannt wird. Auch das ist also kein Be- weis, dass die Gründungsgeschichte nicht von MSaz herrühren könnte.

Obwolil es also Bachmann nicht gelungen ist, passende und hin- reichende Gründe für seine Annahme anzuführen, scheint sie doch nicht ganz fehlgegriffen zu sein. Einige Details sprechen für sie.

Der MSaz wir wissen schon, wie spät er schreibt hat die Eigentümlichkeit, einzelne Abschnitte der Klostergeschichte auf einmal zu besprechen (die Erzählung von Diethard, die Charakteristik Syl- vesters u. a. m.), doch wird dadurch das annalistische Schema nicht gestört, und wenn Ereignisse aus dem Leben einer Person, deren Cha- rakteristik schon früher gegeben wurde, geschildert werden, so kommen darunter keine vor, deren schon in der allgemeinen Charakteristik ge- dacht wäre. Anders in diesem Fall. Die Gründuugsgeschichte ist zum J. 1038 einverleibt, erstreckt sich aber weit in die Zukunft hin- aus, bis zum J. 1095, also fast über das Ende des II. Buches (die Einteilung deckt sich bekanntlich mit Kosmas). Dabei wird darin aus- führlich über den Tod des h. Prokop berichtet, trotzdem begegnen wir aber im II. Buche zu 1053 von neuem einer Meldung über seinen Tod. und zwar so, dass diese Meldung wieder als eine Interpolation des Kosmas erscheint und also nicht aus Kosmas abgeschrieben ist.

Dann kommt aber in Betracht, dass die Berichte über die slavi- schen Bücher nicht übereinstimmen. Während es in der Gründuugs- geschichte heisst: libri linguae eorum deieti omuino et disperditi . . ., so weiss die Meldung über die Anfänge des Abtes Diethard zu be- richten: libros, quos non iuvenit in loco ipso praeter sclavo- n i c o s . . . Die slavischen Bücher müssen daher erst nach 1097 ver- nichtet und verstreut worden sein und der MSaz hätte sicher nicht versäumt es zu erwähnen, hätte er Kunde davon erhalten, wann das geschehen ist. Dies scheint daher die Annahme glaubwürdig zu machen, dass MSaz in der Gründuugsgeschichte fremde Arbeit wie- dergibt.

Studien zur Qiiellenkunde Böbraens. 575

Damit will ich jedoch nicht gesagt haben, dass all das, was wir über die slavische Periode des Klosters in der Chronik lesen, in der jetzigen Gestalt fremdes Eigentum wäre; wie aber die Vorlage, welche der Chronist reproduzirt, ausgesehen haben mag, ist beim jetzigen Stande der Forschung sehr schwer, ja geradezu unmöglich zu ermit- teln. Bei Beurteilung der Frage werden wohl auch die Worte eine Wichtigkeit beanspruchen, mit welchen der Chronist die Erzählung über die Vertreibung des ersten deutschen Abtes durch Prokop ein- leitet: ,Kunc opere pretium duximns unum ex multis beati viri mira- culis compeudio stili ac veridica relatione fidelium memoriae carita- tivae tradere . ." Der Verfasser spricht da von einer veridica relatio (vielleicht gehört auch noch das , fidelium" dazu); ob sie mündlich oder schriftlich war, gibt er nicht au (das erstere erscheint aber wahr- scheinlicher). Sicher kann man jedoch aus dieser Stelle schliesseu, dass dem Verfasser mehr Wunder des h. Prokop bekannt waren, als er anzuführen für nötig hielt. Sollte etwa eine Legende bestanden haben, die nebst den von MSaz erwähnten Tatsachen auch von mehre- ren Wundern zu erzählen wusste?

Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es eiuer neuen eingehen- den Prüfung des ganzen legendären Materials, eine Arbeit, auf die ich aus sehr vielen Gründen, welche ich hier nicht näher zu bezeichnen brauche, an dieser Stelle verzichten muss. Der Umstand, dass auch diese Partie der Chronik dieselben stilistischen Eigentümlichkeiten und individuellen Züge der Erzählung auszuweisen vermag, wie sie auch sonsst in der ganzen Chronik vorkommen, der Umstand, dass sich in dieser Partie auch die für den Chronisten so bezeichnende Eigenschaft Benützung der Urkunden, bemerken lässt, fordert zur Annahme auf, dass der Chronist die legendäre Erzählung, die er vorfand und seinem Berichte zugrunde legte, stilistisch bedeutend umgearbeitet haben muss, was natürUch ein gewisses Bedenken zu erwecken im- stande ist, da wir Derartiges in seiner Benützung der sonstigen Quellen, zu welchen ich jetzt übergehen will, nicht bemerken i).

^E^^i mir gestattet einige Aamerkungen bei/.uschliessen. die natürlich ni.ht den Anspruch erheben können, die Frage zu erschöpfen. In den AA. SS. ord. s. Ben. saec VI pars II, p. 47-48 ist eine kurze Legende (aus einem Kodex des Karthäuserklosters in Trier) abgedruckt, die sich als ein etwa, gekürzter, aber sonst wörtlich mit MSaz übereinstimmender Auszug prasentirt. Die, wie bemerkt, sehr abgekürzte Erzählung ist im Vergleich mit MSaz an zwei Wunder- Richte reicher, die sich wieder wörtlich an die grössere Legende vom h. Prokop (gedruckt in der AA. SS. BoU. Juli pars II, 139 rt,, FHB. I. 360 rt) anlehnen, da- gegen fehlt aber in der kurzen Legende das vom MSaz ermähnte Wunder von der Vertreibung des deutschen Abtes. Ob diese kurze Legende ein einfachei

57(3 Vaclav N 0 V 0 1 n y.

Mit der Frage nach den Quellen des MSaz. hängt auch die Frage, wie er sie benützt, zusammen. Unter seinen Quellen ist natürlich an erster Stelle Kosmas zu nennen. Seine Chronik schreibt der MSaz. wörtlich, ja sozusagen buchstäblich ab, nur an zwei Stellen erlaubt er sich Korrekturen. Es ist dies die Nachricht zu 1070 über die Einweihung der Kirche in Zircinaves, die er durch eine andere, ihm näher liegende (über die Einweihung der Kirche in Sazawa), und der Bericht über den Tod Bozetechas, Kosmas' Gemahlin, zu 1117, den er durch die Erwähnung der Priesterweihe Sylvesters 1116 ersetzt, also Änderungen geringen ümfanges und minderer Bedeutung, die durch den Ort wo, durch die Zeit Wcinn er schrieb und durch seine Über- zeuguno' zu erklären sind. Sonst wird an der Chronik des Kosmas nichts geändert, das ganze Werk fand Platz in der neuen Arbeit, die auch, nachdem sie von Kosmas III., 52 an das vierte Buch anfängt (was übrigens sehr berechtigt zu sein scheint und auch in den neueren Ausgaben befolgt werden sollte), vom J. 1126 an bestrebt ist, in ähnlichem Geiste die Erzählung über die böhm. Geschichte weiter zu führen.

Die unveränderte Wiedergabe dieser Chronik zeugt von einem besonderen Ansehen, dessen sich das Werk bei MSaz erfreut, von einer Pietät, die er und natürlich mit Recht gegen Kosmas hegt.

Auszug aus dem MSaz und der grösseren Legende ist, oder ob sie etwa einen Teil der Voi'lage des MSaz erhalten hat (denn auch die grössere Legende weist wörtliche Kntlehnungen aus MSaz vor), muss vorläufig dahingestellt bleiben; aber auch die dritte, in der AA. SS. ord. s. Ben. saec, VI pars II, p. 41 abgedruckte Legende scheint auf eine gemeinschaftliche Quelle hinzuweisen. Die böhmische gereimte Legende ist nach der lateinischen, und zwar daran muss ich mit Emier gegen Feifalik festhalten nach der grösseren lateinischen Legende v^r- fasst (die Leugnung der Tatsache, dass Prokop früher verheiratet war und Kinder hatte, ist hier vollkommen durchgeführt, während die lateinische Vorlage, frei- lich, nur aus Versehen, doch einmal den Sohn Prokops erwähnt, vgl. AA. SS. Boll. Juli pars II, 143, 144, 145). Diese lateinische Legende gibt aber ausdrück- lieb an, dass sie aus dem slavischen übersetzt worden ist. Diese Behauptung ist zwar nicht wörtlich zu nehmen, da man wenigstens (mit Feifalik) annehmen muss. dass der Autor an sehr vielen Stellen seine slavische Vorlage mit den Worten des MSaz wiedergibt; zieht man aber in Betracht, dass die Einzahlung in der Sazawer Chronik sich stilistisch dem ganzen Werke enge anschliesst, dabei aber eine ältere Vorlage zu reproduziren scheint, so könnte man leicht zur Frage gelangen, ob auch dem MSaz etwa nicht eine slavische (oder böhmische) Erzäh- lung vorlag. Die Beantwortung ist, wie bemei"kt, vor einer neuen gründlichen Prüfung der Legenden nicht möglich, die ich aber an dieser Stelle nicht unter- nehmen kann, da mir abgesehen von allen anderen Gründen die Hand- schriften der von Feifalik in Allbrünn und von Bocek in Trübau aufgefundenen Legende zur Zeit nicht zur Verfügung stehen.

Stutlieu zur guellenkuiule Böhmens. ' 5'7'7

Wir werden aber bald Gelegenheit haben, uns zu überzeugen, dass er seine sonstigen Quellen auf dieselbe Art behandelt. Die Pietät (reo-en Kosnias geht nämlich nicht so weit, dass sie sein Werk für o-anz voll- ständig und über die Möglichkeit jeder Erweiterung erhaben halten würde. Vielmehr hat es der Msaz nicht unterlassen, die Lücken in der Erzählung des Kosmas nach Möglichkeit auszufüllen. Die Quellen, die er dabei benutzt, werden wieder wie wir gleich sehen werden

so weit sie benützt werden, wörtlich reproduzirt, aber die Pietät zu Kosmas lässt sich auch hier bemerken. Der Chronist ist in der ßegel vor allem bestrebt, die leeren Jahre in der Erzähluno- des Kosmas mit Nachrichten zu versehen, fügt auch einigen stehen o-e- bliebenen Berichten des Kosmas sachliche Zusätze an, hütet sich aber, aus seinen Quellen etwas zu übernehmen, was er schon bei Kosmas genügend erwähnt fand. So kommt es, dass wir in der Sazawer Chronik nicht den in den mittelalterlichen Quellen, sobald sie aus mehreren Quellen geschöpft haben, sehr häufigen Wiederholungen einer und derselben Xachricht bei verschiedenen Jahresdaten begegnen (und wir werden später sehen, dass auch dem MSaz Quellen vorge- legen haben mögen, die ähnliche Nachrichten wie Kosmas enthielten)

ein Beweis, dass der Chronist, wenn ihn auch wörtliche Ent- lehnungen aus anderen Quellen als einen mechanischen Abschreiber darstellen wolUeo, keineswegs mechanisch und kopflos vorgegan- gen ist.

Was ist das aber, was sind das für Quellen, die in der Sazawer Interpolation des Kosmas wiederklingeu? Öfters schon (zuletzt auch von Bachmann) wurde die Frage in dem Sinne beantwortet, dass es die Annales Quedlinburgeuses sind, und auch die letzte Ausgabe Em- iers weiss (nach Köpkes Muster) eine ganze Keihe von Stellen zu ver- zeichnen, die mit den Quedlinburger Annalen wirklich wörtlich über- einstimmen. Dagegen hat man aber in der letzten Zeit vergessen, dass auch mit den Hildesheimer Annalen wörtliche Übereinstimmun- gen vorhanden sind. So sind zum Beispiel einige in der letzten Aus- gabe typographisch als selbstständig (oder aus unbekannter Quelle stammend) bezeichneten Stellen mit den Hildesheimer Annalen fast gleichlautend. Mau vgl.

MSaz ad 963. Magnum syno- dale concilium factum est Eomae in ecclesia s. Petri apostoli, ibique praesidebat Otto imperatoraugustuscum magna multitadine episcopo-

Mitthcilnnfon XXIV.

Ann. Hildes. 963. Hoc anno mag- num sinodale concilium factum estRomaeiu ecclesia s. Petri; ibique praesidebat Otto Im- perator augustus cum magna multitudinö episcorum, ab- 38

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Vaclav N 0 V 0 1 a V.

rum, abbatum, monachoi-um, praepositorum clericorum, illic- que deiectus est Benedictus papa ab apostolica sede et Adaldago episcopo commis- sus, in Saxoniamque est de- ductus, illicque vitam fini- vit. Et ipso in anno morta- litas invasit exercitum Otto- nis imperatoris.

MSaz 973.- Otto imperator Theutonicorum pius heu proh dolor Non Maii obiit, cui Otto filius eius successit.

MSaz 978. Hyems durissimaetim- portune longa. Et Idus Maii nix magna noviter lapsa terram operiebat. Eodem anno Kud- bertus archiepiscopus obiit cui Willigisus successit.

batum, monachorum ac cleri- corum; illicque Benedictus papa ab apostolica sede dei- ectus est eo quod iniuste vindi- cavit sublimitatem ßomani imperii, et Adaldago arcbiepiscopo com- missus in Saxoniamque de ductus, illicque vitam fini- vit. Et in ipso anno seva mor- talitas invasit exercitum im- peratoris, et in ea Henricus.

Ann. Hild. 973 . . . ac non longe post Otto senior pius impera- tor Non. Maii obiit, cui domnus Otto successit.

Ann. Hild. 975. Hibernus fuit longus, durus et siccus et Id. Maii nix cecidit; ac in eodem anno ßuodbertus archiepis- copus obiit, cui Willigisus successit.

Dabei kommen auch andere Nachrichten in Betracht, die sowohl in den Hildesheimer als auch in den Quedlinburger Jahrbüchern ent- halten, teilweise gleichlautend oder stilistisch sehr verwandt sind, die auch der MSaz wiedergibt, sich manchmal diesem, manchmal jenem Zeitbache enger anschliessend, wenn auch an derartigen Stellen die , Quedlinburger die Oberhand gewinnen. Mau hat daher versucht, diese Übereinstimmungen des MSaz mit den beiden Quellen auf eine vierte, allen drei gemeinschaftliche Quelle zu reduziren auf die verlorenen Annales Hersfeldensesi), die bekanntlich sowohl den Quedlinburger als auch den Hildesheimer Aunalen als Vorlage gedient haben. Die ver- lorenen Ann. Hersf. reichten aber nur bis 984, wogegen zu bemerken ist, dass sich die Erzählung des MSaz zu 985 und 986, wenn sie auch über Dinge handelt, die iii beiden Quellen enthalten sind, doch deu Hil- desheimer enger anschliesst. Ausserdem reicht dann die Übereinstim- mung mit den Ann. Quedl. bis zum J. 1000. Mau müsste daher an- nehmen, dass der MSaz ausser den Hersfelder (oder doch Hildesheimer) Annalen auch die Quedlinburger benützt hat.

Die Annahme an sich wäre nicht von vornhereiu zu verwerfen, uud es ist vielleicht, wie wir später sehen werden, doch möglich, dass der MSaz auch die Quedlinburger Annalen gekannt hat, jedoch lässt die so komplizirte Benützung der Quellen die Frage entstehen, ob jeue

') Emier FRB. II, 238.

Studien zur Quellenkunde Böhmens.

579

nicht anders zu erklären wäre, ob wir nicht etwa eine andere ver- lorene Quelle voraussetzen sollten, die auf den A. Hild. oder Hersf. und Quedl. basirend sie in der Weise bearbeitet hat, wie wir sie bei MSaz treffen.

Manche Gründe dürften für diese Annahme sprechen. Zuerst muss mau bei einem Schriftsteller von der Bedeutung des MSaz fragen, warum er sich beim Excerpiren der Ann. Hild. und Quedl. mit so wenig Stelleu begnügt und so viele unberücksichtigt gelassen hat. Das könnte aber dadurch erklärt werden, dass die übrigen Nachrichten für seine Zwecke (für die böhm. Geschichte) ohne Belang waren (was natürlich nicht ganz zutreffen würde, da er auch mehrere Stellen übernahm, die mit der böhm. Geschichte nichts zu tun haben).

Wichtiger wäre der Umstand, dass sich der Abschreiber der Ann. Hild. an einer Stelle ein Versehen zu Schulden kommen Hess, welches etwas störend wirkt. Es ist dies die Stelle zu 986.

Anu. Hild. 986. Otto lex ad- MSaz 987. Otto rex adhuc huc puerulus cum magno exer- puerulus cum magno exercitu citu Saxonum venit in Sola- Saxonum venit in Sclaviam, vi am, ibique venit ad eum Misaco et multisincendiis et caedibus cum multitudine nimia, obtulitque devastarunt. ei unum camelum et alia xenia multa, et se ipsum etiam subdidit potestati illius; qui simul pergentes devasta- V e r u n t totam terram illam i n c e n - d i i s et depopulationibus magnis.

Kaun man eine so mechanische Excerpirung der Quelle dem vor- sichtigen, nachdenkenden MSaz zumuten? Doch auch das Hesse sich vielleicht durch tinen Fehler des Abschreibens erklären.

SchwieriiTer fällt es, dass wir bei MSaz Nachrichten finden, die weder in den Hildesheimer noch in den Quedliuburger Annalen vor- kommen, denen wir aber in anderen heimischen Quellen begegnen. Ausserdem ist noch zu erwähnen, dass der MSaz Übereinstimmungen mit heimischen Quellen ausweist, die sich bis 1140 verfolgen lassen und auch auf eine gemeinsame Quelle hinzuweisen scheinen. Wäre da nicht möglich, dass eine jetzt verlorene Quelle existirt hätte, auf die sowohl die mit Ann. Hild. und Quedl. übereiustimme)ideu . als auch die bis 1140 reichenden Übereinstimmungen zu reduziren wären? Zur Beantwortung dieser Frage ist es unumgänglich nötig, einer an- deren heimischen Quelle nähere Aufmerksamkeit zu schenken, die ja an sich durch ihre Entstehungsgeschichte interessant ist. Es sind

das die

38*

530 ^ ä c 1 a V N 0 V 0 t n y.

IIJ. Auuales Gradiceuses et Opato vvicen ses. Auch die Auu. Gr. Op. sind schon öfters Gegenstand der histori- schen Forschung gewesen. Nachdem sie der ehrwürdige Bonaventura Piter entdeckt und Gehisius Dobner im TU. Bande seiner Monum. hist. Boh. leider nach einer unvollständigen und schlechten Abschrift /aim ersten Male veröffentlicht, hat sie zuerst Meinert eingehender be- sprocheni). Meinert hielt damals, gleich Piter und Dobner, das Werk für eine Chronik des Klosters Hradisch in Mähreu, obwohl schon im Jahre 1778 Pubitschka^) die Ansicht aussprach, daß eine Anzahl von Stellen sich auf das Kloster Opatowic in Böhmen beziehen müsse, eine Ansicht, deren Berechtigung nachträglich auch Dobner (Mon. IV, 106) anerkannt hatte. Diesen Spuren weiterfolgend, vermochte Palacky in seiner Würdigung (S. 52 64, vgl. auch 305 308), wo er auch zahlreiche Korrekturen und Zusätze zur Dobner'schen Ausgabe lieferte, die Ansicht vorzulegen, dass die Chronik erst in Opatowic von einem dortigen Mönche vollendet wurde, dem einige Hradischer (und auch Trebicer) Klosternachrichten, so wie sie in seinem Werke mit der Chronik des Kosmas und seiner beiden ersten Fortsetzer des Wyschehrader und des Sazawer Chronisten verbunden erscheinen, zur Verfüo'ung standen.

Fast gleichzeitig mit der „Würdigung"- erschien auch die von Meinert bereits 1821 versprochene „Durchsicht" des Auszuges aus dem Hradischer Zeitbuche in Dobners M. h. B. 17 21 etc.^), die fast als eine neue Ausgabe der Annalen angesehen werden darf und die auch trotz Palackys abschlägiger Kritik (Würdigung 308) und trotz einiger unbegründeter Hypothesen für eine gewissenhafte und gelun- gene Arbeit erklärt w^erden muss, und manches auch heutzutage noch Brauchbare bietet. Meinert hat den Versuch gemacht, genauer zu erforschen, was in Hradisch und was erst in Opatowic entstanden ist, und es ist nicht alles so wertlos, wie es nach der Äusserung Palackys scheinen würde. Bei Gelegenheit der Ausgabe dieser Quelle in den M. G. SS. XVII unternahm Wattenbach eine neue Durchsicht der Hand- schrift und sprach die Ansicht aus, die Chronik sei im Kloster Hradisch entstanden. Der Verfasser habe zu ihrer Begründung Kosuias mit seineu Fortsetzern. Ekkehard (bis 999) und auch andere Annalen (bis 1095) benützt, dann auf Grund Hradischer Nachrichten und eigener

•) Meinert, Die böhm. Geschichtsclireiber des ersten Zeitraumes. Wiener Jahrbücher XV. Bd. (1821) Anzeigeblatt S. 33—34.

') Pubitschka, Chrono!. Geschichte von Böhmen IV, 315. 8) Wiener Jahrbücher XLVIII. Bd. (1829) Anzeigeblatt 35 ff. *) Vgl. Wattenbach GQ. II, 319.

Studien zur Quelleukunde Böhmens. 53^

Erfahrung die Erzählung bis 1145 weitergeführt. Dieses Werk sei dann in. Opatowic durch- die letzten Nachrichten (unter Beifügung einiger älteren heimischen Nachrichten) um ' das Jahr 1163 vollendet •worden. Da die Handschrift nicht die Originalhandschritt, sondern eine Abschrift ist, hielt es Wattenbach für unmöglich zu erforschen, ob die Kompilation in der jetzigen Gestalt schon in Hradisch oder erst in Opatowic entstand. An der Ansicht Wattenbachs hielt auch Emier in seiner Ausgabe der Annalen fest^). .

Dagegen hat Teige 2) aus dem Umstände, dass die Annalen bis zum Jahre 1146 von einer Hand geschrieben sind, schliessen wollen, daß die Annalen bis zu diesem Zeitpunkte in Hradisch entstanden sind, da die auf Opatowic bezüglichen Nachrichten auch in Hradisch bekannt gewesen sein dürften, und die späteren Nachrichten, die von einer anderen Hand herrühren, erst in Opatowic nachgetragen wurden.

Zuletzt hat Bachmann unserer Quelle eine eingehende Studie ge- widmet 3). Die Eingangsnote seines Artikels (S. 107, 108) und auch die hie und da auftauchenden ausserordentlich scharf polemischen Ausfälle gegen Palacky (vgl. 109) würden zwar darauf schliessen lassen, dass Bachmann zu wesentlich verschiedenen Resultaten ge- kommen ist. Das ist aber nicht der Fall, auf S. 112 hören wir sogar: „Die Vorstellung, die sich einst PalaCky über die Art und Zeit der Entstehung der Kompilation gemacht hat, erlangt ... gegen Watten- bachs und Teiges Annahmen eine neue und durchaus verlässliche Stütze" ein Satz, bei dem überraschen miiss, wie ihn Bacbmann nach der vorangehenden scharfen Polemik gegen Palacky schreiben konnte.

Bei solchen Meinungsverschiedenheiten dürfte wohl eine neue Prüfung der Frage nicht überflüssig erscheinen. Ich will daher die Resultate meiner unabhängig von Bachmann begonnenen Forschung im nachfolgenden näher begründen.

Das Kloster Hradisch in Mähren im Jahre 1077 gegründet und durch die Gunst der mährischen Fürsten unterstützt, begann rasch aufzublühen. In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist hier ein Annalenwerk entstanden, welches sich in älteren Partien auf einige heimische nekrologische Aufzeichnungen und auch auf andere Quellen stützt, auf die wir später zurückkommen. Bei der Beurteilung der

1) FRB. II, 385 ft'. " . -

2) Teige, Zpräva 0 pramenech dejin klästera Hvadistskeho u Olomouce. SB. böhm. Ges. Wiss. 1893.

«) Bachmann, Über ältere böbm. GQ. IV. Die Hradisch - Opatcwitzer

Annalen Z. G. M. Schi. V. (1900) S. 107 ff. . ' "

5g2 Vaclav Novotny.

Fracke, wann dieses Werk entstanden, wurde schon öfters bemerkt, dass es den Bischof Heinrich Zdik immer als lebend anführt, und daher vor 1150 verfasst sein muss. Diese Grenze kann aber noch verengt werden. Der Verfasser weiss auch nichts vom zweiten Zug Zdiks ffegen Preussen 1147 zu berichteu, was er sicher nicht unter- lassen haben würde, weun er nach diesem Ereignisse geschrieben hätte. Dieser Terminus ad quem wird aber auch durch andere Umstände bestätigt. Fragen wir, wann der Hradischer Annalist an die Ver- fassung seines Werkes geschritten ist, so kanu die Frage nicht direkt und auch nicht ganz bestimmt beantwortet werden. Vor allem kommt da eine Stelle in Betracht. Zum Jahre 1138 berichtet der Chronist von einem Neubau, den der Abt Deocarus unternommen, und begleitet seinen Bericht mit dem Wunsche: quam ut perficiat, vitam et sani- tatem ac omnem prosperitatem concedat ei omnipotens dominus. Folgt aus diesen Worten, dass der Bericht gleichzeitig, noch im Jahre 1138 verfasst worden sein müsse? Keineswegs. Vielmehr könnte man daraus schliessen, dass der Bau, während der Chronist davon berichtet, schon etwas fortgeschritten ist. Und sicher können die Worte nur so viel beweisen, dass zur Zeit der Abfassung dieser Stelle der Bau noch nicht beendet war. Darf man der Angabe eines späten Chronisten, auf welchen Teige i) aufmerksam macht, Glauben scheuken, so hätte der Bau 8 Jahre gedauert, die Niederschrift dieser Stelle wäre daher vor 1146 zu setzen. Dass aber der Chronist sein Werk auch nicht viel früher begonnen haben kann, ist aus folgenden Gründen ersichtlich. Der Verfasser ist nicht einmal von Schicksalen seines eigenen Klosters geuau unterrichtet. So weiss er nicht einmal von der Wahl des Abtes Deocarus zu berichten. Und selbst angenommeu, dass diese Abtwahl von ihm absichtlich verschwiegen wurde, da bei ihr, wie Teige auf Grund der Nachrichten des Tetzelius annimmt, nicht in allem ordnungsgemäss vorgegangen wurde und der Wille des Bischofs Heinrich mehr gegolten haben soll, als die Wahl der Ordensmitglieder, ' wie ist das zu erklären, dass ein mährischer Chronist vom Absterben des mährischen Fürsten Wacezlaus so kaltblütig berichtet hätte, wenn die Stelle gleichzeitig geschrieben, und nicht eher aus einer anderen Quelle her übergenommen wäre (man vergleiche den warmen Nachruf, den dem Verstorbenen der MSaz schenkt). Wie ist das zu erklären, dass die (unzweifelhaft in Mähren entstandenen) Nachrichten über die Heerfahrten gegen Polen 1133, wenn auch an Inhalt wesentlich reicher, doch nicht ganz korrekt sind?

') Teige a. a. 0. ?. 8.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 583

Es könnte noch ein vielleicht der entscheidendste Grund angeführt werden, dessen ich mich aber vorläufig nicht bedienen will. Es ist bekannt, dass die Annaleu Reminiszenzen an andere bekannte (Quellen (bis 1140) ausweisen. Ein gleichzeitig schreibender Chronist braucht sich doch für die Zeit, über welche er gleichzeitig berichtet, nicht nach anderen Quellen umzusehen. Aber darauf will ich vor- läufig kein Gewicht legen, da es zuerst erwiesen werden muss, dass dies iu unseren Annalen wirklich Reminiszenzen sind und ob nicht um- gekehrt für die ähnlich klingenden Stellen etwa unsere Annalen anderen Chronisten als Vorlage gedient haben.

Immerhin kann man vorläufig annehmen, dass in Hradiach circa 1146 ein Annalenwerk verfasst wurde; wie dieses Werk aussah, mag vorläufig dahingestellt bleiben. An dieser Stelle dürfte angezeigt seiu. auch die weiteren äusseren Schicksale der Chrouik weiter zu verfolgeu. Um 1150 mussten die Benediktiner aus Hradisch dem neuen Prämon- stratenserorden weichen und fanden Zuflucht in Opatowic, wohin sie auch ihr Geschichtswerk mitgebracht haben. Ob erst da das ursprüng- liche Werk umgearbeitet und in eine allerdings sehr dürftige Welt- chrouik umgeändert worden ist, oder ob es schon in der jetzigen Gestalt nach Opatowic gebracht wurde i), sind Fragen, deren Lösung uns erst später iuteressiren wird. An dieser Stelle wollen wir nur der Frage Aufmerksamkeit widmen, wann die an das ursprüngliche Hradischer Werk sich anschliessende historische Tätigkeit in Opatowic beschlossen wurde.

Unzweifelhaft stammen aus Opatowic die letzten fünf Nachrichten. Schon die zweite verrät, da sie des Abtes Mizlochs als verstorben ge- denkt, dass sie vor llßO (damals wird der Abt in einer Urkunde Reg. I 134 Kr. 304 als Zeuge angeführt) unmöglich geschrieben sem kann, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass diese, so wie auch die nachfolgende Nachricht zu 1163 eben erst m diesem Jahre 1163 ent- standen ist. Auch die unmittelbar nachfolgenden Notizen zu 1157 und 1158 dürften um diese Zeit oder nicht viel später nachgetragen worden sein (sicher vor 1167, da Bischof Daniel immer als lebend auftritt).

1) Teiche, der diese Meinung vertritt, stützt sich auf die Stelle -;' '143- ^l'^ bis jetzt auf Opatowic bezogen wurde, und will sie auf Hradisch verstehen doch seine Beweisführung, und sem Verweis -^ Tetzelius vermögen nnchm^^^^^^^^ überzeugen. Es ist Ja leicht möglich, dass TetzeHus die Stelle ^^^^ ^T^ hat, doch muss zuerst die Frage beantwortet werden, was für eine Quelle e. wai. welche Tetzelius benützte. - .

584 Va cla v.iS'o vo t n y.

Somit ist aber auch der Zeitpunkt ermittelt, vor welchem die vorangehende Kompilation verfasst worden sein muss. Denn steht es fest, dass diese letzten fünf Nachrichten von anderen Händen herrülu-en, während die ganze vorangehende Partie von einer ebenfalls anderen ganz yerschiedenen Hand geschrieben ist^), so kann es wohl keinem Zweifel uuterliegeu, dass die Annalen in ihrer jetzigen Gestalt früher fertig gewesen sein mussteu, bevor diese letzten Nachrichten beige- schlossen wurden, dass daher die Kompilation in ihrer jetzigen Gestalt vor 1163 entstanden sein muss 2).

Wo ist das aber geschehen? Teige hat zuletzt die Ansicht ver- treten, dass aus Opatowic eben nur die letzten fünf Nachrichten her- rühren, alles übrige sei in Hradisch entstanden, und hat diese seine" Annahme durch die Einheitlichkeit der Schrift der Annalea bis, 1146 zu begründen versucht. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass die Annalen eine Abschrift sind. Es ist dies an vielen Schreibfehlern und an zahlreichen Korrekturen zu erkennen, es macht sich dies be-

') Schon ein einfacher Blick auf das den MG. SS. XVII ad 442 beige- schlossene, nicht allzugelungene Facsimile des letzten Blattes liisst das mit Sicherheit erkennen.

^) Anders natürlich würde sich das Verhältnis gestalten, wenn sich die Annahme Bachmanns (a. a. 0. 1I1\ in den AnGO sei bereits auch die Chronik des Vincencius benützt, als richtig erweisen würde. Bachmann hat neuerdings (Z. G. M. Seh. IV, 207) den Versuch gemacht, das Geschichtswerk Vincentius' in zwei Teile zu zerlegen, deren ersterer 1164 1166 entstanden sein soll. Es ist an dieser Stelle nicht möglich genauer darzutun, dass ich diese Annahme Bach- manns nicht teilen kann. Wäre sie richtig, so uiüsste die Beendigung der AnGO nach 1166 zu setzen sein, was zwar (mit Rücksicht auf die letzten 5 Berichte), sehr unwahrscheinlich erscheint, was jedoch angenommen werden müsste, sollte es sich wirklich herausstellen, dass die AnGO die Arbeit des Vincencius kennen. Der Beweis ist jedoch Bachmann nicht gelungen. Bachmann ist nicht der erste, welcher einige Ähnlichkeiten zwischen Vincencius und den AnGO entdeckt hat. Schon Meinert hat (was Bachmann entgangen ist) auf einige aufmerksam ge- macht. Bachmann führt zwar mehrere Stellen an, aber nicht mit Recht. Von den von ihm S. 1] 1 erwähnten Stellen sind die erste und die letzte (AGO 1125 •= Vinc. II, 410; AGO 1145 = Vinc. 416) unbedingt zu streichen, weil sie über- haupt keine Ähnlichkeit auszuweisen vermögen. Die zweite (AGO 1142 = Vinc. 411) bemerkte zwar schon Meinert, es ist ihm aber nicht entgangen, dass die betreffende Stelle sowohl bei Vincencius als auch bei den AGO aus Lukan stammt. Und dasselbe gilt auch von der dritten (AGO 1145^=: Vinc. 414), die zwar Meinert auch erkannt, aber auch mit Recht darauf hingewiesen hat, dass sich die Über- einstimmung auf eine einzige stilistische Wendung beschränkt, während die Berichte sachlich ganz verschieden sind. Die Phrase relinquens temeritatem fratrum (relicta temeritate fratris bei Vincencius) ist im mittelalterlichen Latein nicht so selten, class man daraus an eine gegenseitige Benützung beider Quellen schliessen könnte, besondeis wenn sie sonst einander widersprechen.

Studien zur Quellenlvunilo Böhmen!'. 5,^55

sonders bei der Niichricht zu 1059 bemerkbar, die in beiden letzten Ausgaben durch Konjekturen verbessert werden sollte, welche aber kaum ibre Berechtigung finden.

In der Handschrift heisst.es: Anno Mil. LVIIII dux Zpitigueu de rptunda sancti ^cclesia est sepulta et de altera quasi per ul)i corpus beati Adalberti iacebat, nuam majorem fecit. Die beiden Aus- gaben lesen: Anno 1059 dux Zpitigueu de rotunda sancti [Vitij ecclesia [ubi sanctus Wenceslaus] est sepultus, et de altera quasi [inj por[ticu sita], ubi corpus' beati Adalberti etc.

Die Verbesserung Yiti und porticu (die schon Meiuert beantragt) wird wohl in Übereinstimmung mit Kosmas anzunehmen sein, anders verhält es sich mit der Konjektur [ubi sanctus WenceslausJ est se- pultus. Die Handschrift hat eben ganz deutlich est sepulta, was aber vom Schreiber selbst durchgestrichen ist. Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, dass wir es hier nui* n?it einem Schreibfehler zu tun haben, dass der Schreiber die letzten Worte der vorangehenden Nach- richt (über den Tod Juditas) irrtümlicher Weise hieher gesetzt, sie aber nachher selbst gestrichen hat.

Noch wichtiger ist eine andere Stelle, die in den Ausgaben über- haupt nicht als verderbt bezeichnet wird. Die Handschrift hat zu 1035 diese Meldung: . . . Bulezlaus obiit, quem Mesko dux Polonie cecaverat, frater eius et V fratres Bolezlavenses. Die Ausgaben schliessen die Worte , frater eius Boleslavenses" erst bei der fol- genden Nachricht au das Wort „Radim" an, wohl mit Recht. Doch sollte wenigstens darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Hand- schrift mit keinem einzigen Zeichen verrät, dass sich der Abschreiber seines Irrtums bewusst gewesen wäre. Für die Frage, ob die Kompi- lation in Hradisch oder in Opatowic entstanden ist. können freilich diese Stellen nichts Entscheidendes bieten, doch erscheint besonders die letzte nicht unwichtig für die Vorstellung, wie die einzige uns erhaltene Abschrift der Annalen entstanden ist, da es leicht möglich wäre, dass ihre Vorlage (die ursprünglichen Annalen) mit Zusätzeu und Marginaluoten versehen waren, die der kopflose Abschreiber ein- fach kopirt hat, ohne sich darum zu kümmern, ob alle die Notizen zu passenden Stellen eingereiht worden sind. Diese Frage wird uns übrigens noch später beschäftigen.

Wenn aber somit die Handschrift jede sichere Auskuntt üb.r die Entstehung der Kompilation versagt, so bleibt nur die innere Kritik nach dem Inhalt einzelner Nachrichten übrig. Viele vor nur (/.uletzt auch Bachmann) haben es versucht, die ursprünglichen Hrad.scher Nachrichten von den Opatowicer Zusätzen zu scheiden. In manchem

58G V ä c 1 a V N 0 V 0 1 n y.

stimmt das Ergebnis meiner Forschung mit dem der ihrigen überein, jedoch muss immer noch die Arbeit von neuem angefangen werdeu.

Der Verfasser der anfänglichea mageren Weltchronik hat bei seiner Arbeit insbesondere zwei grössere Geschichtswerke benützt, die Chronik Ekkehards und die des Kosmas. Die Hoffnung, dass aus den der Chronik Ekkehards entlehnten Stellen sich ergeben dürfte, wo sie entlehnt wurden, geht durchaus fehl. Es ist wirklich nicht möglich zu erweisen, was für Grundsätze den Kompilator bei der Benützung Ekkehards geführt habeu, und wären doch nicht einige Stellen weg- gelassen, so würde nur die Anuahme übrig bleiben, dass er das Werk ganz gedankenlos und mechanisch abschrieb. Dies kann aber ebensogut in Hradisch wie in Opatowic geschehen sein, und nur der Umstand, dass die Chronik Ekkehards erst im ersten Viertel des 12. Jahrhunderts beendigt wurde, Hesse darauf schliessen, dass ihre Benützung eher erst später erfolgte, doch reicht diese Tatsache nicht hin, ihre Benützung in Hradisch als unmöglich zu erweisen.

Auch der Umstand, dass dem Compilator der AGO entgangen ist, wenn er aus der einen grösseren Quelle eine Nachricht zu einem gewissen Jahre übernahm und dasselbe Ereignis nach der anderen Quelle bei einem anderen Jahre erzählt, so dass in den AGO öfters dieselben Begebenheiten zu verschiedenen Daten zweimal augeführt werdeu, führt uns nicht zum Ziele. Wir wissen zwar, dass an der Vollendung der AGO wenigstens zwei Schriftsteller tätig waren, aber aus diesen Wiederholungen ist es nicht möglich den Schluss zu ziehen, dass die aus einer Quelle entnommenen Nachrichten von einem Schrift- steller, die aus der anderen vom anderen herrühren würden. Es ist ja keine Seltenheit, dass auch ein und dtrselbe Verfasser so mechanisch vorging, dass er seinen Quellen folgend dieselben Nachrichten bei verschiedenen Daten abschrieb, ohne zu bemerken, dass er sich wiederholt.

Anders als bei Ekkehard ist der Fall bei der Benützung des Kosraas. Es muss sicherlich ganz besonders auffallen, dass beim Exzerpiren des Kosraas Mähren im vollsten Sinne des Wortes vernach- lässigt wird. Mähren wird in den Exzerpten aus Kosmas nur dann erwähnt, wenn die Erwähnung unumgänglich ist, ja an sehr vielen Stellen ist die Geringschätzung der mährischen Ereignisse auffallend bemerkbar. So vermissen wir um nur die bedeutendsten Beispiele anzuführen zu 1055 den Bericht über die Teilung Mährens unter die Söhne Bfetislaws (der sich in der Chronik des Kosmas bei dem Eegierungsantritte Spytihnews findet) und über die ganze Heerfahrt Spytihnews nach Mähren, und weiter über die Wiedereinsetzung Wratis-

Studien zur Quellenkunde Böhmens.

587

laws, zu 1067 fehlt die für Mähren hochwichtige Erwähnung des Bischofs Wracen, zu 1073 jene über die schlechte Behandlung Bischof Johannes von Olmütz durch Bischof Gebhavd, zu 1074 jene über die Feindseligkeiten zwischen den mährischen und österreichischen Fürsten. Vergeblich suchen wir auch bei dem Jahre 1093 die Berichte über den Feldzug Wratislaws nach Mähren, über die Belagerung Brunns und den Tod Zdeiads. Zu 1099 ist der Feldzug Bretisluw 11. ver- schwiegen, zu 1 100 die Nachricht von der Hochzeit Borivojs in Znaira, zu 1108 der Zug Svatopluks gegen Mähren.

Mau merkt, dass dabei sowohl der Brüuner als auch der Olmützer Anteil glcichmässig vernachlässigt werden, dass den Verfasser der Exzerpte uicht einmal die Schicksale des Olmützer Bistums inter- essiren (Wracen, Johaun. Gebhart), ja dass er selbst für die Familie der Begründer des Klosters Hradisch kein besonderes Interesse zeigt (vgl. 1091).

Zu all dem kommen noch Stellen in Betracht, die sozusagen auf eine absichtliche Ignorirung der mährischen Verhältnisse schliessen lassen. Zum Jahre 1091 lesen wir

bei Kosmas (FRB. IL 124). \ in den AGO.

Post cuius (Jaromiri)obitum anno I Anno 1091 Cosmas electus d. i. 1091, IV Nonas Martii Cos-jest in episcopum. maselectusestinepiscopum. 1

Etwas weiter unten (a. a. 0. 131) erzählt Kosmas, dass der neu- erwählte Prao-er Bischof und mit ihm der neuerwählte Bischof Andreas von Olmütz sich nach Mantua begaben, um vom Kaiser die Investitur zu empfangen. Dem Kompilator der AGO ist diese Nachricht ent- gangen, was bei einem in Mähren schreibenden Schriftsteller sicher überraschen würde. Doch angenommen, dass der mechanisch kompi- lirende Mönch, der den ganzen ausführlicher Bericht über die mährische Expedition Wratislaws nicht bemerkt hat, auch diese kleine Notiz übersah, wie ist dann der Unterschied zu erklären, den man an fol- genden parallelen Stellen wahrnimmt?

AGO. Anno 1 094 Cosmas ordinatus est episcopus octavus Pragensis ec- clesie.

Cosm. S. 1.38 ... ordinati sunt Cosmas et Andreas episcopi IV Idus Martii ab archiepiscopo Magantino nomine Eaotardo.

So ein Versehen hätte doch einem in Mähren schreibenden Schrift- steller nicht passiren können, selbst wenn er noch mechanischer ge- arbeitet hätte, besonders wenn er den Bischof Andreas kennt und zu 1096 sein Absterben verzeichnet. Die Exzerpte aus Kosmas

Rgg . V äcla V N 0 votny.

müssen daher erst iu Opatowic hinzugefügt worden sein ^).

Damit ist aber auch die Frage beantwortet, wo die in den An- ualen vorkommenden Exzerpte aus dem Wjschehrader Domherrn eut- ötauden sind. Abgesehen davon, dass die Wyschehrader Chronik erst 1142—1143 vollendet wurde und dass daher ihre Benützung durch den circa 1146 schreibenden Hradischer Mönch weniger wahrscheinlich erscheint, als die durch einen später schreibenden Schriftsteller: es erhellt auch aus der ganzen Anlage der Wyschehrader Fortsetzung. Sie will eben nichts anderes sein, als nur eine Fortsetzung der Chronik des Kosmas, der sie sich unmittelbar anschliesst, und die sie weiter führt. Es ist überhaupt ganz unmöglich anzunehmen, dass eine Hand- " Schrift bestanden haben würde, die nur die Wyschehrader Fortsetzung allein und nicht auch die ganze Chronik des Kosmas enthalten hätte. Wer die Arbeit des Wyschehrader Domherren benützt hat, dem muss auch die ganze Chronik des Kosmas vorgelegen haben, oder in unserem Falle umgekehrt, wer nicht die Arbeit des Kosmas gekannt, konnte auch die seines ersten Fortsetzers nicht kennen. Steht es fe&t, dass die Exzerpte aus Kosmas in Opatowic verfasst worden sind, so müssen auch die Exzerpte aus dem Wyschehrader Domherrn aus Opatowic stammen, war in Hradisch die Arbeit des Kosmas nicht bekannt, so kann dortselbst auch die Arbeit seines ersten Fortsetzers nicht bekannt gewesen sein. Ausserdem können aber auch die Exzerpte aus dem Wyschehrader Domherrn ihren böhmischen Ursprung nicht leugnen. Die Abhängigkeit der AGO von dem Wyschehrader Domherrn war bereits früher bekannt, Bachmaun hat die Zahl der Stellen, welche stilistische Ähnlichkeiten ausweisen, zu vermehren versucht, jedoch ist es nicht möglich, seinen Behauptungen iu allen Punkten beizupflichten. Ausser den bereits von Wattenbach und Emier als wörtliche Ent- lehnungen erkannten Nachrichten zu 112G (teilweise), 1128 und 1129 können noch folgende Stellen als Auszüge aus dem Wyschehrader Domherrn bezeichnet werden: 1127 (obwohl der Anfang in den AGO unabhängio- und wesentlich verschieden ist und die Übereinstimmung

1) Darauf hat schon Meinert (a. a. 0. 50) hingewiesen. Wir kommen weiter unten darauf näher zu sprechen, dass den AGO ausser Kosmas noch eine andere (auch Kosmas bekannte) Quelle vorgelegen haben kann, aus der etwa auch diese Nachrichten herrühren könnten. Da aber einige Nachrichten (894, 999, 1002, 1050, 1156) die Benützung des Kosmas direkt bezeugen, so erhält die oben geäusserte Annahme vollkommen ihre Berechtigung, wenn auch die eben zitirten Angaben aus einer anderen Quelle stammen würden. Ein Hradischer Benutzer des Kosmas hätte sie ja sicher korrigirt.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 5gg

sich uur auf einige Schlussworte beschviiukt), 1130 (den ersten Sata ausgenommen), 1132, 1141 (bei 1142 ist das Verhältnis sehr fraglich, da die Ähnlichkeit nur ganz unl^edeutend), wie das auch Bachmann hervorhebt 1), wozu noch hinzuzufügen wäre, dass der Anfancr des Jahres 1133, und vielleicht auch der Schlusssatz des Berichtes zu 1131 (die Rückkehr Meinhards) auf dem Wyschehrader Domherrn basiren. Dagegen belehrt aber eine einfache Yergleichung der betreffenden Stellen, dass die von Bachmann angenommene Ähnlichkeit der Berichte zu den Jahren 1134, 1135 und 1137 in Wirklichkeit nicht vorhanden ist, dass dieselben Berichte unmöglich auf der Wyschehrader Fort- setzung basiren können, sondern viel mehr eine andere Quelle ver- raten.

Betrachtet man die Stellen, in welchen sich eine gewisse Ver- wandtschaft der AGO mit dem Wvschehrader Domherrn kundjjibt, näher, so findet man sicher keinen Anlass zur Annahme, dass sie in Mähreu entstanden wären. Selbst wenn sie bei Daten erscheinen, wo auch über mährische Angelegenheiten berichtet wird, ist es leicht zu erkennen, dass die Exzerpte der ursprünglichen Nachricht angeschlossen oder vorangestellt wurden. So u ag z. B. 1130 der erste Satz „Wen- cezlaus dux Morauie obiit" wahrscheinlich älteren Ursprungs sein, und dieser Bericht wurde erst später durch die Exzerpte aus dem Wysche- hrader Domherrn erweitert. Umgekehrt dürfte es wieder keinem Zweifel unterliegen, dass zu 1133 die Erzählung von der Einnahme der Burg Kosel (Kosli) durch die Mährer bereits in Mähren entstanden ist, da sie von allen übrigen bekannten Quellen ganz unabhängig von einer Heldentat der Mährer berichtet, währeud die Anfangsworte (über die Sonnenfinsternis und über die vier Einfälle nach Polen) dem Wyschehrader Domherrn entlehnt zu sein scheinen-). Auch der Schlusssatz des Berichtes zu 1131 über die Rückkehr des Bischofs Meinard, der an den Wyschehrader Domherren erinnert^), dürfte dem- jenigen Kompilator augehören, der zu 1130 aus der Wyschehrader Chronik die Nachricht über die Pilgerfuhrt Meinards ausgeschrieben

') Einige von diesen Stellen sind teilweise auch schon von Wattenbach uls Eigentum des Wyschehrader Domherren erkannt und bezeichnet, worden.

2) Auf den Wyschehrader Domherren wird auch das sonst nicht beglaubigte quater der AGÜ zu reduziren sein, was vielleicht dadurch entstanden sein dürfte, dass der Kompilator die zwei Einfalle des Jahres 1134 mit den .secundo Poloniam intravit^ (FRB. 216) verbunden hat.

3) AnGO . . . Eodem anno dominus Can. Vy^. 213. llic dominus Meyn-. episcopüs Meinardus Hierosolyma rediit. I hardus episcopus sanus et mcolumis ad

sedem episcopatus sui remeavit.

590 Vaclav Novotny.

hat. Bestimmt kann man dies allerdings nicht behaupten, da das Versrleichunscsraaterial etwas beschränkt ist.

Viel schwieriger gestaltet sich das Verhältnis der AGO zu der Sazawer Chronik. Palacky hat schon die Übereinstimmungen zwischen den beiden Quellen bemerkt und die Ansicht geäussert, dass der Ver- fasser der Kompilation, die wir AGO nennen, die Chronik des Kosmas in der Sazawer Bearbeitung, dann die Fortsetzung des Sazawer Mönchs, aber auch die des Wyschehrade Domherren benützt hat. Diese An- sicht ist aber sehr unwahrscheinlich, denn der Korapilator müsste dann zwei Exemplare der Kosmas'schen Chronik vor sich gehabt haben, das eine gewöhnliche mit der Wyschehrader Fortsetzung, das andere in der Sazawer Bearbeitung. Wie die Arbeit des Wyschehrader " Domherren immer eine Chronik des Kosmas voraussetzt und es un- mösrlich ist anzunehmen, dass eine Handschrift existirt hätte, in welcher diese Arbeit ohne Kosmas vorhanden wäre, so ist es auch unmöglich anzunehmen, dass in einer Kosmas-Handschrift die beiden ersten Fortsetzungen, sowohl die Wyschehrader als auch die Sazawer nebeneinander enthalten wären. Es sind eben zwei unabhängige Fort- setzungen, die sich miteinander nicht vertragen. Auch wäre sollte die Sazawer Chronik (also die Sazawer Bearbeitung des Kosmas) dem Kompilator der AGO vorgelegen haben die Entstehung der Kompi- lation erst nach die Achtziger Jahre des 12. Jahrhunderts zu setzen, was ja nicht gut möglich ist (die letzten aus Opatowic stammenden Zusätze sprechen entschieden für die Sechzigerjahre, 1167 ist terrainus ad quem), und wogegen sich auch die Schriftzüge der Handschrift sträuben, die eher für die Mitte als für das Ende des 12. Jahrh. zu sprechen scheineu.

Diesen Folgerungen suchte Bachniann dadurch auszuweichen, dass er den Opatowicer Kompilator die Sazawer Chronik nur bis 1160 be- nützen lässt (ohne die letzten Partien, die er bekanntlich einem vierten Verfasser zuweist), also iu der Gestalt, wie sie nach Bachmann in d. J. 1150 1161 entstand. Aber abgesehen davon, dass selbst diese Partie nicht vor 1161 entstanden sein kann, wurde auch nachge- wiesen, dass die Sazawer Chronik ein einheitliches Werk ist, welches in der jetzigen Gestalt einen einzigen Verfasser bat (mag er auch ältere schriftliche Klosternotizen benützt haben) und welches erst Ende der siebziger oder in den achtziger Jahren des 12. Jhrh. ver- fasst worden sein kann, wie sich das schon bei der Erzählung 1126 deutlich kundgibt. Wollte man aber au nehmen, dass der Sazawer Chronist, als er (in den 70. Jahren) die Chronik zu verfassen anfing, auch schriftliche Notizen vor sich hatte, die von einem seiner Vorgänger

Studien zur Quellenkunde Böhmens. 59J^

herrührend, die von Bachmann dem dritten Chronisten zugewieseue Periode von 1030—1160 besprochen haben würden, und die nachher auch dem Opatowicer Kompilator zu Gesicht gekommen sein könuten, so raüsste doch zuerst die Frage beantwortet werden, warum der Kom- pilator diese Berichte nur bis 1 140 und nicht weiter benützte, und es könnte dann auch ein zweiter entscheidender Einwand beisrefüc-t werden, dass die AnGO auch in den älteren Partien mit der Sazawer Chronik übereinstimmen i).

Etwa von ähnlichen Erwägungen geleitet hat Meinert den Versuch gemacht, die Sache so erklären, dass dem Kompilator die Sazawer Bearbeitung und Fortsetzung des Kosraas nur bis 1140 vorlag. Au sich wäre das nicht unmöglich, allerdings nicht in der Weise, wie sich es Meinert vorgestellt hat (denu es wurde oben gezeigt, dass das Jahr 1140 keineswegs als ein Abschnitt in der Sazawer Chronik angesehen werden darf), aber etwa so, dass dem Kompilator eine unvollständige nur bis 1 140 reichende Handschrift der Sazawer Chronik zur Ver- fügung stand. Jedoch scheint mir diese Annahme zu wenig begrüudet, und würde auch nicht im Stande sein, jeden Zweifel zu beheben.

So lange die Sazawer Fortsetzung als gleichzeitig galt, konnte gegen die so einseitig geführte Prüfung ihres Verhältnisses zu den AnGO, wie sie bei Meinert, Palackj uud Bachmann vorkommt, metho- disch kein Einwand erhoben werden. Da aber bereits Eraler darauf aufmerksam gemacht hat, dass die Chronik Spuren späteren Ursprungs verrät, und da unsere Forschung die Richtigkeit dieser Annahme Emiers bestätigt hat, wird man sich wohl auch die Frage vorlegen müssen, ob das Verhäitniss etwa nicht umgekehrt ist, ob vielleicht nicht die AnGO als die Quelle des MSaz auzusehen sind.

Bei der späten Entstehung der Sazawer Chronik wäre diese Sache an sich nicht unmöglich, ja vielleicht sogar nicht unwahrscheinlich. Selbst wenn mau die Einteilung ßachmauns aufrecht halteu würde, wäre die Möglichkeit der Benützung der AnGO in Sazawa nicht aus- geschlossen. Die Hradischer Benediktiner sind circa 1150 aus ihrem Kloster vertrieben worden; was würde da die Vermutung hindern können, dass einer von den Vertriebenen die Annalen nach Sazawa gebracht uud dass sie dort von einem Geschichtschreiber des Klosters (in diesem Falle wäre das derjenige, den Bachmann iu den J. 1 15(;— 1161 schreiben lässt) benützt worden wären? Denn dass die überein- stimmenden Stellen nicht in Mähreu niedergeschrieben sein könuten, hat noch niemand bewiesen. Um so mehr könnte diese Annahme für

M Die betreö'endeu Belegstellen werden weiter unten augeführt.

592 " '-'■-'^•^iJcl ii V Novotny.

möglich g'ehalten werden, weiiu es für ausgemacht gelten kann, dass die Sazawer Chronik erst viel später entstanden ist, so dass selbst die BenützAing der ganzen Kompilation durch den MSaz nicht ausge- schlossen werden kann. Es ist auch nicht zu leugnen, dass diese Er- klärung des gegenseitigen Verhältnisses der beiden Quellen ziemlich einfach wäre, dass sie manche Schwierigkeit beseitigen könnte.

Und doch kann ich auch diese Erklärung nicht für hinreichend uud allseitig befriedigend halten. Verschiedene Gründe verursachen das, Gründe, die ich für einer genaueren Beachtung würdig erachte, und die ich deshalb näher erörtern muss.

Vor Allem würde sollten die AnGO als Quelle des MSaz anzu- sehen sein der Umstand befremdend erscheinen, dass dieser Quelle verhältnismässig so wenig entlehnt ist. Bei keinem anderen Geschieht- Schreiber Böhmens dürfte dieser Umstand so in Betracht gezogen werden, wie bei dem MSaz. Alle übrigen sind bei ihrer Arbeit nach der mittelalterlichen Art vorgegangen, ohne sich darum zu kümmern, ob das, was sie aus einer Quelle abschreiben, mit dem, was einer anderen Quelle entlehnt wurde, im Einklang ist, ohne viel Gewicht darauf zu legen, ob &ie von einer uud derselben Begebenheit, ver- schiedenen Quellen folgend, bei verschiedenen Daten berichten. Ganz anders benimmt sich da, wie wir sahen, der MSaz. Bei der Zu- sammenstellung seiner Chronik lässt sich eine feste Hand und ein aufmerksames Auge bemerken. Abgesehen von der einzigen Nachricht über den Tod Prokops (was ja oben hinreichend erklärt wurde), kommen in seinem Zeitbuche keine Wiederholungen vor. Er hat die Chronik des Komas seinem Geschichtswerke zu Grunde gelegt. So hoch er aber dieselbe geschätzt haben mag, so hat er es doch nicht unterlassen, ihre Lücken sorgfältig aus anderen Quellen auszufüllen. Diese Sorgfalt wächst noch von dem Augenblicke an, als er Kosmas verlässt und selbstständig; zu arbeiten anfängt. Hat er auch in der Chronik des Kosmas ganze ßeihen von Jahreszahlen leer und ohne jede Bemer- kung stehen gelassen, so bemüht er sich in den späteren Partien, offenbar ähnlich wie Kosmas nach einem Jahresschema arbeitend, ein jedes Datum mit einer Nachricht zu versehen. Es findeu sich bei ihm nach 1126 nur folgende sechs Jahresdaten, die mit keiner Nach- richt versehen sind: 1128, 1129, 113(3, 1138, 1145, 1152.

Zu allen diesen Daten das letzte ausgenommen, haben aber die AuGO gehörige, mitunter ziemlich ausführliche Nachrichten. Wieso konnten dieselben dem scharfen Blicke des MSaz entganjren sein? Die Daten zu 1128, 1129, 1136 und 1152 sind aller Wahrscheinlichkeit nach erst in Opatowic entstanden, was eine hinreichende Erklärung bieten würde,

Studien zur Quellenkiuule Bühraens. r,o-j

da dem MSaz nur die eigentlichen, ursprünglichen H radischer Aunalen vorgelegen haben können i). Warum sollte. aber der Sazawer Chronist die Berichte seiner Vorlage zu 1138 und 1145 ignorirt haben? Im ersten hätte ihn wenigstens die Nachricht von der Rückkehr Heinrich Zdiks, dessen Pilgerfahrt er zu 1137 erwähnt, interessiren müssen; der Bericht zu 1145 über die Versöhnung Ottos mit Wladislaus und über den Überlall Heinrich Zdiks war doch von so allgemeinem Inte- resse, dass kein Grund zu finden wäre, warum es der MSaz o-erade au dieser Stelle vorgezogen hätte lieber das leere Jahresdatum stehen zu lassen, als diese wichtigen Begebenheiten, von welchen er eine ziemlich ausführliche Erwähnung vorfand, anzuführen-'). Die beiden Berichte sind zweifellos mährischen Ursprungs, der MSaz musste sie schon in seiner Vorlage gefunden haben, es wäre einfach unerklärlich, warum er sie fortgelassen hätte. Und wenn es auch möglich wäre anzunehmen, dass ihm die mährischen Angelegenheiten zu fern lao-en (was aber bei ihm sonst nicht der Fall ist), warum sollte er dann aber zu 1137 die Worte „Wladizlaus filius Sobezlai ducis intronizatus est. In Boeraia monasterium s. Johannis baptiste inceudio ruit" übersehen haben, da doch die erste Nachricht von allgemeiner Wichtigkeit war, und die zweite für den Sazawer Chronisten ein besonderes Interesse gehabt haben muss, indem sie ein Kloster des Benediktinerordens, dem er selbst angehörte, betriflFt. Die Erklärung ist um so schwierio-er, wenn mau beachtet, dass der MSaz die vorangehenden und die nach- folgenden Berichte buchstäblich reproduzirt, und wenn dabei die Worte „in Bohemia" jeden Zweifel, dass der Bericht noch in Hradisch ge- schrieben wurde, zu beheben scheinen.

') Die Nachrichten zu 1128 und 1129 sind Entlehnungen aus dem Wj-sche- hrader Domherrn, über die Opatowicer Herkunft des Berichtes für 1130 vgl. Bach- mann a. a. 0. S. 113.

2) Dabei kommt noch in Betracht, dass der MSaz in der Zählung der mäh- rischen Bischöfe von den AnGO abweicht. Die AnGü geben zu 112b' an: »obiit Johannes VII. episcopus", während es bei MSaz ,sextus' heisst; vgl. über diese Stelle Bachmann in Z. GM. Schi. V, S, 10.9—110, wo bemerkt wird, dass das Tages- datum der AnGO durch ein Necrologium bestätigt wird. Dabei ist aber auch ein Irrtum Bachmanns zu korrigiren. Bachmann meint, dass die AnGü in die Reihe der mährischen Bischöfe Method und Sylvester nicht zählen, was Sylvester anbelangt, mit Recht, nicht so aber in Betreu' Methods. Aus der Reihe der mährischen Bischöfe ist dem Hradischer Kompilator nebst Sylvester oftenbar noch Wracen entgangen (den auch das Granum catalogi nicht kennt). Bei Kosmas kommt er zwar vor, Kosmas war aber eben in Hradisch nicht bekannt. Das »sextus* des MSaz dürfte entweder durch einen Schreibfehler, oder dadurch zu erklären sein, dass der MSaz diese Angabe bereits seiner Quelle entnommen hat.

Mittlieilungen XXIV. 29

594

A^ ä c 1 a V N 0 V 0 t n V.

Es ist aber auch anderes zu erwägen. Sämtliche Stellen, die in den AnGO mit dem MSaz übereinstimmen, verraten zwar durch keine einzige Silbe, dass sie in Mähren nicht geschrieben, beweisen aber durch keinen einzigen Buchstaben, dass sie dortselbst auch verfasst worden wären. Nichts deutet auf Hradisch und auf Mähren hin (einzelne auo-enscheiulich mährische Nachrichten betreffen die fürstliche Familie und hatten daher allgemeines Interesse), vielmehr sind die betreffen- den Stellen im stau de den Verdacht zu erwecken, dass sie schwerlich in einem abseits gelegeneu Kloster entstanden sein können. Dazu ist aber eine genauere Yergleichung der parallelen Stellen unumgäng- lich notwendig 1).

Die Übereinstimmung erstreckt sich, wie gesagt, auf alle Partien der Sazawer Chronik. Ich führe auch diejenigen paar Stellen an, die in den AnGO aus Ekkehard herrühren können, jedoch auch an den MSaz erinnern.

AnGO ad 894. Hac ipsa tem- pestate Cyrillus et Methodus in- ventis Bulffarorum uteri s.

MSaz FRB. II, 241. Procopius . . , sclavonicis litteris a sanctis- simo QuiriUo episcopo quondam inventis et statutis canonice ad- modum imbutus.

Die ganze Nachricht von der Taufe Bofivojs in den AnGO scheint in ihrer jetzigen Form aus Kosmas zu stammen, von Kosmas unter- scheidet sich der Bericht durch diesen Zusatz, der auf Sazawa hin- weisen, wohl aber auch auderswo entstanden sein könnte.

AnGO ad 958. Cruces in ves- tibus hominum apparuerunt.

MSaz 239. Signum crucis in vestimentis hominum appa- ruit illis autem, qui derisui illud habebant, mortem inferrens, illis autem, qui pie et religiöse illud venerabantur, nil mali intulit.

Die AnGO lehnen sich hier stilistisch au Ekkehard, der MSaz an die An. Hild. Quedl. an; es ist wohl möglich, dass die Stellen unab- hängig voneinander in beide Quellen geraten' sind. Ahnlich ist das Verhältnis bei folgender Stelle:

AnGO: A. d. 974 Otto impe- rator obiit Non. Mali. Eodem anno sanctus Oudalricus mi- g r a V i t anno episcopatus sui 50....

973. Otto imperator primus Theutonicorum plus prob dolor ! N o n. Mail obiit, cui Otto filius eius, successit: Vorangeht MSaz 239: 972.

') Es ist auch nach Bachnianns Arbeit nicht überflüssig, da Bachmann den Stoff niclt erschöpft und sieh nur mit Hinweis auf die bereits von Wattenbach und Emier bemerkten Stellen begnügt.

Studien zur Quellenkunde Bölmiens.

51t5

Sanctus Oudalricus episcopus Augustensis ecclesiae migravit ab hoc saeculo IV Xon. Julü. cuius cor- pus sepelivit s. Wolfgangus episcopus Ratisponensis.

Die Stelle in den AnGO rührt unzweifelhaft aus Ekkehard her (auch der nachfolgende, hier nicht angeführte Bericht bezeugt das deutlich), der MSaz muss den Bericht über s. Ulrich aus einer anderen Quelle geschöpft haben (derjenige über den Tod Ottos dürfte sich auf die An. Hersf. reduziren lassen), wobei die Erwähnung des h. Wolf- gang auf Prager Tradition hinweisen könnte.

Dagegen ist aber in den nachfolgenden Stellen die Übereinstim- mung in der Weise vorhanden, dass sie jeden Zweifel über eine nähere Verwandtschaft der beiden Quellen beseitigt.

AGO: A. d. 990 S. Adalbertus Eome ad s. Alexium ignotus quis esset monachus efficitur.

AnGO ad 1091. Cosmas electus est in episcopura. Eodem anno mona- sleriura s. Wenceslai combustum est. In illa hieme necnixn'ecplu- via fuit.

AnGO. Anno 1130; d u X M 0 r a u i e o b ii t qua tempestate Visu

Wacezlau . . Ea uti- p r i V a t u s

bonus here-i est B r a c i z 1 a u s.

MSaz 240. Eodem anno s. Adal- bertus episcopus Pragensis ecclesie sancte Rome ad s. Alexium con- fessorem et ad s. Bonifatium inscio abbate, quis esset, factusest monachus..

MSaz 251 (mitten im 43 Kapitel des II. Buches des Kosmas nach den Worten combustum est monasterium s. Viti Wenceslai atque Adalberti in urbe Praga) Et in hieme n e q u e nix neque pluvia fuit.

MSaz 257 8. Item hoc anno Kai. Martii obiit Wacezlaus dux Moraviensis, totius christianitatis pater et clericorum amator . . . So- bezlaus . . . quosdam pedibus ac ma- nibus ac l'nguis et visu privavit. Bracizlaus filius Bracizlai ducis privatus est oculis.

Diese Stelle verdient nähere Aufmerksamkeit. Auf den ersten Blick muss sie unbedingt überraschen. Das genaue Datum und das Lob, welches dem mährischen Fürsten Wenzel gespendet wird, würde vielmehr in eine mährische Quelle als in die Sazawer Chronik passen. Man könnte versucht werden darin einen Beweis zu erblicken, dass der MSaz noch die ursprünglichen AnGO vor sich gehabt hat, aus welchen er die Nachricht ausschrieb, während der Opatowicer Bear- beiter dieser ursprünglichen Quelle das Lob (und auch das Datum), da es sich um eine Nachricht handelte, die für ihn wenig Interesse gehabt, weggelassen hatte. Bedenkt man aber, dass das genaue Datum

3.''*

596

Vaclav N 0 V 0 1 n v.

aus einem Nekrolog stammen kann und dass der MSaz Nekrologien vor sich gehabt haben miiss, steht fest , bedenkt mau weiter, dass es sich hier um ein Mitglied des fürsthchen Hauses handelt, und dass schliesslich solche lobeude Charakteristikeu zu den Merkmalen gehören, in welchen sich die stilistische Individualität des MSaz am meisten äussert, wird wohl auch dieser Einwand uicht schwer ins Gewicht fallen.

AnGO 1132. Hoc eciam anno ele- vate sunt reliquie s. Gotheardi mire sanctitatis episcopi.

AnGO ad 1134. Hoc eodem anno Meinardus X^^^ Pragensis ec- clesie episcopus.

Vita privatus et celi sede locatus. Cui Johannes successit

Inclitus atque probus virtutum matre repletus.

AnGO 1135. Johannes XI"« Pragensis ecclesi^ episcopus deo annuente feliciter tercio de- cimo Kai. Mar. consecratus est. Lupoldus dux intronizatus e^t in Moraviam.

AnGO 1137 . . . Ea vero tem- pestate Lupoldus dux pulsus est de Moravia. Wladizlaus filius Sobezlai ducis intronizatus est. In Boemia monasterium s. Johannis baptiste incendio ruit, Eodem anno Lotarius Romanorum Impe- rator, pauperum et peregri- norum pius consolator II Nonas Dec. migravit ab hoc mundo ....

Anno 1138 ... Rex Conradus electus est . . .

Anno 11 39 Johannes XI"s Pra- gensis ^cclesi^ episcopus, clericorum et monachorum verus amator, pauperum et peregrinorum pius consola- tor VI Idus Augusti migravit ab hoc seculo. Cui eodem anno Silvester Zazavensis ^c- clesi^ abbas, vir vere Israe- lita, in episcopatum succes-

MSaz 258. 1131. Elevatae sunt reliquiae s. Godehardi episcopi et confessoris mire sanctitatis viri.

MSaz 26 0. Eodem anno obiit do- minus Megnhardus decimus episcopus sanctae Pragensis ecclesiae, V Non. Julii, monacho- rum et clericorum verus amator, paupe- rum et peregrinorum pius consolator. Cui successit Johannes.

MSaz 260 1 135, XUI Kai. Marti i facta est ordinacio domni Jo- hannis undecimi episcopi Pragensis.

MSaz 260 261. Eodem anno II Non. Decemb. Lothar ius Romanorum imperator, pau- perum et peregrinorum pius consolator, migravit ab hoc mundo, cui successit Conradus. Lupoldus dux pulsus est de Moravia.

1138 (leer).

1139 . . . Eodem anno domnus Johannes episcopus undeci- m u s sanctae Pragensis eccle- siae, clericorum et monacho- rum verus amator, pauperum et peregrinorum pius conso- lator, VI Idus Aug. migravit ab hoc saeculo, cui eodem anno Silvester Zazovensis ec- clesiae abbas, vir verelsrae-

fctudien zur (^ieUsnkimde I^öhmens.

5^'7

sit, sedinsequentianno deo, [a quo] omnia bona procedunt, inspirante, eundem episcopa- tum cum bona voluntate di- misit, suamque abbatiam re- c e p i t.

Anno 1140 Sobezlaus dux Boemicus XVI Kai. Mai*, mor- talibus exutusviamuniverse carnis est ingressus. Cuieo- dem anno Wladizlaus filius Wladizlai, successit. Qui eodem anno annuente deo revocavit fratrem suum, Ottonis principis Morauie filium, nomine Dethleb, de Ruzia, et intronizavit eum in patria sua, scilicet in Morauia. Eademque tempestate renuente Silvestro episcopatu Boemico, Otto XIl"^ Pragensis ecclesie canonicus et prepositus, electus est in episcopatum et consecratus.

Uta, successit in episcopa- tum. Sed sequenti anno deo. a quo omnia bona procedunt, inspirante, sano usus consilio. secum saepius retractans semetipsum minus sufficere posse ad tarn grande pondus episcopalis regiminis et illud apostolicum : Nemo militans deo im- plicat se negotiis secularibus etc. eundem episcopatum cum bona voluntate dimisit, suamque abbatiam recepit.

1140 Sobezlaus dux Bohe- m i c u 3 XVI Kai. Martii mortalibus e X a t u 3 artubus viam universae carnis ingressus, cui eodem anno XIII Kai. Martii Wladiz- laus filius Wladizlai ducis successit in principatu. Eadem- que tempestate renuente domno abbate Sylvestro episco- patum Boemicum, Otto Pra- gensis ecclesiae canonicus et praepositus electus est in episcopum et eodem anno o r d i - natus est VII Kai. Julii.

Die Übereinstimmung au diesen Stellen ist derart, dass sie jeden Zweifel ausscbliesst und dadurch indirekt auch die Annahme bekräftigt, dass auch an anderen Stelleu, wo sie nicht so deutlich ins Auge tritt, eine Verwandtschaft zwischen beiden Quellen anzunehmen ist. Die zuletzt augeführten Stellen sind aber für die Bestimmung ihres gegenseitigen Verhältnisses sehr lehrreich.

Auf den ersteu Blick scheinen auch hier die AuGO ursprünglicher zu sein. Vor allem verdient der Bericht über den Tod Lothars und die Wahl Kourads eine besondere Beachtung. Meines Erachtens ist es unmöglich anzunehmen, dass ein Schriftsteller, der die Worte des MSaz „Lotharius obiit, cui successit Conradus- vor Augen gehabt hätte, ihn auf so eine Weise in zwei Jahresdateu hätte zerteilen können, wie wir es in den AnGO finden. Viel wahrscheiulicher dürfte da er- scheinen, dass ein denkender Schriftsteller und als solcheu haben wir den MSaz kennen gelernt die bei zwei Jahresdaten vorkom- menden Notizen der Kürze halber zu einem Datum vereint habeu würde. Xur zwei Fälle sind daher möglich : entweder mu^s der MSaz

598 Vaclav Novotny.

die AüGO (vielleicht nur in der Hradischer Fassung) gekannt haben, oder haben beide Chronisten eine dritte Quelle benützt, die die AnGO wörtlicher reproduziren.

Bei ErwiigUDg der ersten Eventualität verdient vorerst die Nach- richt zu 1137 und besonders das, was über Wladislaw gesagt wird, eine grössere Beachtung i). Mau hat sie bisher, soviel ich sehe, für einen Fehler erklären wollen (für 1140, wobei natürlich filius Wla- dizlai statt Sobezlai zu lesen wäre), für einen Fehler, den der MSaz, natürlich hätte vermeiden können. Die Erklärung Meinerts wurde gänzlich vergqssen, und doch scheint sie nicht ganz unbeachtenswert zu sein. Meinert^) war der Meinung, dass da wirklich Wladislaw, der neunjährige Sohn Sobeslaws gemeint ist, dem der Vater damals ein Teilgebiet in Mähren zug-ewieseu hatte. Für diese Annahme scheint auch der unmittelbar vorangehende Satz über die Vertreibung Lapolds zu sprechen. Bei einem mährischen Chronisten kann es natürlich auch nicht überraschen, wenn er auf diese Weise von der Einsetzung eines mährischen Teilfürsten berichtet, da er auch sonst den Eegierungs- antritt einzelner mährischen Fürsten zu erwähnen nicht versäumt^). Ist diese Deutuug des Berichtes über die Intronisatiou Wladislaws richtig, so wächst auch die Wahrscheinlichkeit für die bereits durch die nachfolgende Notiz ,Iu Bohemia monasterium s. Johannis iucendio ruit" erweckte Ansicht, dass diese Stelle in Mähren geschrieben ist. Damit wäre zwar noch nicht bewiesen, dass auch die mit dem MSaz .übereinstimmenden Sätze in Mähren geschrieben worden seiu müssen, erinnert man sich aber, dass die Art, in welcher über den Tod Lothars und die Wahl Konrads berichtet wird, eine Ausnützung des MSaz durch durch die AnGO anzunehmen verbietet, und dass andererseits einem Geschichtsschreiber von den persönlichen Erigenschaften des MSaz eine absichtliche Weglassung dieser allgemein wichtigen Berichte, wenn er sie in seiner Vorlage gefunden hätte, geradezu unmöglich zuzumuten ist, so gewinnen auch die Gründe für die Annahme einer dritten, jetzt unbekannten gemeinschaftlichen Quelle an Wahrschein- lichkeit.

Eine weitere Bekräftigung dieser Annahme scheint aus anderen Erwäffunguno-en zu fliessen. W^ir haben schon oben bemerkt, dass eine der ausgezeichneten Eigenschaften, die man au dem MSaz preisen kann, darin besteht, dass er über eine ziemlich bunte copia verborum

1) AnGO ad a. 1137: Ea vero tempestate Lupoldus dux pulsus est de Mo- ravia. Wladizlaus filius Sobeslai intronisatus est.

2) Wiener Jahrbücher XLVIII, Anzeigeblatt Nr. 42 S. 52.

s) Mau beachte z. B. 1135 Lupoldus dux intronizatus est in Moravia.

.'^tudiell zur Quellenkunde Böhmen«. 50)9

und über einen verhältnismässig reichen Phrasenschatz verfügt, so dass wenn bei ihm auch besonders bei ähnlichen Gelegenheiten, Wiederholungen vorkommen, dies eben nur bei gewissen Gelegenheiten, und nicht in einer engen Nachbarschaft geschieht. Es war dies auch ein Reweis für die Annahme, dass die Sazawer Chronik auf einmal, als ein einheitliches Werk eines und desselben Verfassers - entstanden ist. Die zuletzt angeführten Parallelstellen scheinen dabei eine Aus- nahme zu machen. Eine und dieselbe stilistische Wendung: ,mona- chorum et clericorum verus amator (pauperum et peregrinorum pius consolator) " kehrt auf drei bezw. zwei einander sehr nahe liegenden Stellen, von welchen wir zwei auch in den AnGO treffen, wiederholt zurück. Bei dem MSaz muss eine solche Erscheinung überraschen, und besinnt man sich einer anderen Eigenschaft des Chronisten der wörtlichen Wiedergabe seiner Vorlagen, so wäre sie im Stande die Vermutung ins Leben zu rufen, dass diese drei so nahe beiein- ander auftauchenden Wiederholungen nicht das geistige Eigentum des MSaz, sondern einer anderen Quelle entlehnt sind, welche die AuGO an zwei Stellen ebenso wortgetreu reproduzirt haben.

Für einen Beweis will ich natürlich diese Betrachtungen nicht ausgeben 1), in Gesellschaft von anderen Gründen, die für meine An- nahme einer dritten gemeinschaftlichen Quelle sprechen dürften, scheinen sie mir aber doch eine gewisse Beachtung zu verdienen.

Wichtiger dürfte ein anderer, auch bereits oben gestreifter Grund erscheinen. AVie bemerkt, ist es nicht wahrscheinlich, dass diese Nachrichten (über den Tod Lothars, über die Tronbesteigung Kou- rads, über die Wahl und Resignation Sylvesters), wenn auch in Mähren geschrieben, in einem abseits gelegenen mährischen Kloster entstanden wären. Selbst für das in der Nähe von Prag liegende und in gewissen Beziehungen zum herzoglichen Hofe stehende Kloster Sazawa scheinen die Nachrichten nur allzugenau zu sein. Für ihre Sazawer Herkunft würde auf den ersten Blick vielleicht die warme Er- wähnung der Wahl Sylvesters sprechen. Betrachtet man aber diese Stelle näher, so gelangt man leicht zur Überzeugung dass das dem Abte Sylvester gespendete Lob einerseits überflüssig (da die Chronik viel Wichtigeres zu seiner Belobung angeführt hat), andrerseits nicht der Art ist, dass es nicht von einem anderen Verehrer Sylvesters und dass er solche besass, bezeugt seine Wahl zum Bischof her-

•) Sie könnten ja auch die Annahme bestärken, dass der MSaz die AnGO benützt hat, in welchem Falle er natürlich ihre zweimal vorkommende bt.lweu- duntf auch zum drittenmal nachgeahmt hätte.

600

Vaclav N 0 V 0 1 n y.

rühren könnte, lu dieser Beziehung ist aber eine Vergleichung des MSaz und der AnGO mit Vincencius' Bericht zu 1140 sehr lehrreich:

MSaz p. -ifiO 261 Silvester Zazoven- sis ecclesiae abbas, vir vere Israelita, successä in episco2)atum. Sed se- quenti anno deo, a quo omnia bona procedunt, inspirante, sano usus con- silio, secwm saepius re- tractans semetipsum mi- nus sufficere posse ad tarn gründe pondiis episcopahs regiminis et illud apostolicum: Nemo militans deo, implicat se negotiis secularibus etc. eundem episcopatum cum bona voluntate dimisit suarnque abhatiam re- cepit.

1140 Sobezlaus dux Boemicus XVI Kai. Martii mortalibus exutus artubus, vi am univer sae carnis ingr essus cui eodem anno XIII Kai Martii Wl adizlaus fi- lius Wladizlai suc- cessit in principatu. Ea demque tempestate re- II u ente domno abbate Silvestro episcopatum Boemicum Otto Pragen- sis ecclesiae canonicus et praepositus electus est in episcopum et eodem anno ordinatus est VII Kai. Julii.

Meiner Ansicht nach kann an dieser Stelle das Verhältnis aller drei Quellen nicht anders erklärt werden, als dass sie alle drei aus einer gemeinschaftlichen Quelle geschöpft haben, der natürlich Vin- cencius am wenigsten gefolgt ist. Au sich wäre allerdings nicht un- möglich, dass dem Domherrn Viucencius die AnGO (nicht umgekehrt, da sein Werk später ist), und dem MSaz die Arbeit des Vincencius

AnGO ad a 1139 . . . Silvester , Zazaven- sis ecclesie abbas, vir vere Israelita, in epis- copatum siiccessit y sed in sequenti anno, deo [a quo] omnia bona procedunt , inspirante, eundem episcopatiim cum bona voluntate dimisit, suarnque abbaiiam re- cepit.

Anno Mil. C. XL So- bezlaus dux Boemi- cus y XVI Kai. Mar. mortalibus exutus, viam univer se carnis est ingr essus. Cui eodem anno Wladizlaus fi- lius Wl adizlai , suc- cessit .... Eademque tempestate renuenfe Sil vestro episcopatu Boe mico, Otto XII"s Pra g,ensis ^cclesie canoni cus et pr ep 0 Situs , electus est in episcopa- tum et consecratus.

Vincencius FRB. II, 409 A. d i. MCXL Sobez- laus dux Boeniie , pater patrie, XVI Kai. Martii viam univer- sae carnis ingredi- tur, pro quo consensu totius Boemie nobilium Waladizlaus filius Uvaladizlai ducis pa- terna sede intronizatus col- locatur. Silvester ab- bas de Zazaua, qui fuit vivente duce Zobezlao in Pragensem episcopum II Non. Octobris electus tanto labori et oneri se non posse sufficere con- siderans et coram Omni- bus renuntians, ad prior a r e vertitur, pro quo eodem anno Otto Pr agensis prepo Situs VII Kai. Martii eligitur.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. ßQj

bekannt gewesen sein könnte, doch scheint mir die Übereinstimmung an dieser Stelle nicht für diese Annahme zu sprechen, da meines Er- achtens im Vergleich mit den beiden übrigen Berichten die Worte des Vincencius deutlieh zu erkennen gestatten, dass sie nicht die Vor- lage der anderen Berichte (die Vincencius nur ausgeführt hätten) sein können, sondern vielmehr den ursprünglichen Bericht der Vorlage in kürzerer Fassung,.^ reproduziren.

Der Einwand, dass durch diese Übereinstimmung; die Parallel- stellen des Vincencius und der AnGO vermehrt werden, ist, wie ich glaube, nicht schwer zu widerlegen. Es ist oben gezeigt worden, dass sich die Überstimmuno- auf zwei stilistische Wendunoreu beschränkt, deren eine zum mittelalterlichen Inventar der Zitate aus der klassischen Literatur gehört und die andere in der mittelalterlichen Phraseologie nicht selten ist, so dass keine von beiden eine Abhängigkeit der betreffenden Quellen voneinder zu beweisen vermag. ■':

Dagegen sprechen aber noch andere Gründe für die Annahme einer gemeinsamen Quelle. .Aus der einfachen Benützung der AnGO wäre die Stelle bei Vincencius nicht gut möglich zu erklären. Andrer- seits ist es aber sehr gut möglich, dass die gemeinsame Quelle etwas derartiges enthalten hat, was bei Vincencius leise wiederklingt (se non posse sufficere) was der Verfasser der AnGO weggelassen, der MSaz aber weiter ausgeführt hat; denn dass die mit Zitaten aus der h. Schrift ausgeschmückten Betrachtungen der Sazawer Chronik (die in den AnGO, überhaupt nicht, bei Vincencius nur im Keime vorkommen) das Eigen- tum des MSaz sind, darüber dürfte wohl kein Zweifel obwalten.

Auf diese gemeinsame Quelle wäre auch das grösste Lob, dass hier dem Abte Sylvester zuteil wird, die Bezeichnung vir vere Israe- lita, die wir sowohl bei dem MSaz als auch in den AnGO wiederfinden, zu reduziren sein. Dass sie bei Vincencius uicht vorkommt, darf nicht befremden. Sylvester hat nach dem Kegierungungsantritte Wladislaws offenbar aus politischen Gründen resignirt, Vincencius hat daher sicher keinen Grund gehabt, ihn besonders zu loben und seine Tugenden überaus zu preisen. Wenn er sich aber trotzdem über ihn nicht uu- sympatisch ausdrückt, so hindert wohl nichts auch die Annahme, dass die lobende Art, in welcher hier der MSaz und die AnGO über Syl- vester sprechen, nicht gerade aus Sazawa stammen muss, sondern auch von einem anderswo lebenden Parteigänger Sylvester vertasst worden sein kann. Und zieht man alles in Iktracht, was über die Beschaffenheit der in Frage stehenden Nachrichten, die eher für ein Zentrum als für ein einsames Kloster als Ort ihres Urspruugs zu

602 Vaclav Novotuy.

sprechen scheinen, gesagt wurde, wird man doch die Vermutung wagen dürfen, dass die mutmassliche Quelle auf Prag hinweisen würde.

All das wäre freilich nicht eutscheindend, wir bewegen uns ja fortwährend auf dem heisseu und unsicheren Boden der Hypothesen es gewinnt aber an Wahrscheinlichkeit, wenn man erwägt, was Teige gelungen ist zu konstatiren, dass die Handschrift der AnGO die in allen ihren Partien eine Abschrift ist, aus Prag zu stammen scheint, was besonders das in ihr enthaltene Mart3'rologium bezeugt. Allerdings ist auch das Martyrologium selbst nicht in Prag entstanden, scheint vielmehr ursprünglich aus Halberstadt herzurühren; aber es kann daran nicht gezweifelt werden, dass die Vorlage der gegen-, wärtigeu Handschrift in Prag bearbeitet wurde. In der Handschrift der Annaleu kommen Fehler vor, die, wie wir sahen, direckt als solche bezeichnet werden müssen, die beim Abschreiben der Marjjinalnoten und Einverleiben derselben in einen neuen Text entstehen können; die hypothetisch Vorausgesetze jetzt unbekannte Quelle weist auf Prag hin man befindet sich auf einmal, unj^ferhoft't und überrascht auf den Spuren eines nicht mehr erhaltenen Annalenwerkes.

IV. Die verloreneu Annales Pragenses.

Sollten wirklich bei der Prager Kirche offizielle oder quasi offi- zielle Annalen geführt worden sein? Man hat das öfters schon be- hauptet und die in einer jetzt ßamberger Handschrift erhaltenen An- nales Pragenses für solche gehalten. Zwar haben nach Palacky auch Tomek, Emier und andere, denen sich auch ßachmann anschliesst, an- genommen, diese Anuales Pragenses seien nur ein Auszug aus Kos- mas und anderen Quellen; dagegen kann man aber andere, nicht minder hervorragende Namen (eines Pertz, Wattenbach und anderer) anführen, welche die gerade entgegengesetze Meinung vertreten.

Die historische Kritik ist natürlich kein Kultus grosser Namen, lind darf selbst den bedeutendsten gegenüber auf das ihr eigene Recht nicht verzichten. Die Frage ist eine offene ; es erübrigt nichts Anderes als eine neue Forschung von Anfang an zu unternehmen.

Gewisstrmassen könnte zu ihrer Lösung eine nähere Betrachtung der in den AnGO mit Kosmas übereinstimmenden Stellen manches bei- tragen. Es ist nämlich nicht zu verkennen, dass eine grosse Anzahl von Stelleu, die mit Kosmas teilweise wörtlich übereinstimmen, rein annalistischen Charakters ist. Es gibt natürlich auch Stellen, die nichts anderes, als ein Auszug aus Kosmas sein können; denen stehen aber auch eine Zahl solcher gegenüber, die, wenn auch stark au Kosmas erinnernd, doch nicht einfach als Entlehnungen am Kosmas bezeichnet

Studien zur Quellenkunde Böhmens.

603

werden, sondern vielmelir ein Zeugnis für ein anderes Verhältnis der beiden Quellen abgeben können. Es genügt z. B. nachfolgende Stellen zu vergleichen 929, 930 (im Sachlichen von Ivosmas ^veseut- lich verschieden), 932, 969, 990, 1017, 1023, 1029 (?)i), 1045, 1052, 1067, 1068, 1074, 1082, 1090, 1091, 1092, 1094, 1095, 1098, 1101, 1104, 1109, 1122, 1123.

All das sind kurze annalistische Notizen, die sich teilweise wörtlich an Kosmas anlehnen, die aber trotzdem nicht direkt dem Werke des Kosmas entlehnt sein müssen. Es wäre auch ganz gut möglich, darin eine andere Quelle zu erblicken, die auch Kosmas benützt haben würde. In diesem Falle brauchten es nur Anualen gewesen zu sein, die au der Prasrer Kirche geführt wurden. Dann aber muss vor allem der Gedanke auftauchen, ob Spuren dieser Quelle etwa nicht in den wirklich erhal- tenen Prager Annalen zu entdecken seien. Ziehen wir auch hier die AnüO zu Hilfe, so sehen wir bald, dass die Reihe der übereinstimmenden Stellen viel grösser ist, als es den Anschein hat, und es ist nicht ohne Wichtigkeit, dass besonders bei solchen Begebenheiten, die in den Anuales Pragenses bei verschiedenen Daten zweimal erzählt werden, gewöhnlich eine stilistisch den AnGO sehr nahe verwandt ist. Ich werde im Nachfolgenden diese ganze Reihe zusammenstellen, auch die Fälle, in welchen die Übereinstimmung nicht allzu gross ist, da man sich nur auf diese Weise eine richtige Vorstellung vom gegen- seitigen Verhältnisse beider Quellen macheu kann:

AnGO.

A. 894 Boriuoi est baptiza- tus primus dux Boemie catho- licus.

A. d. 900. Arnolfus impera- tor obiit ....

A. d. 929 sanctus Wencez- laus martirizatus est . . .

A. d. 932 translatum est cor- pus beati W[encezlaij de castello Bolezlau in Pragam.

An Frag.

894 Hoc anno baptizatuset Borivoi primus ehristianus in B 0 e m i a cum uxore sua Ludmila . . .

901. Alfonsus (!) Imperator obiit.

929 Sanctus Wenceslaus martirizatus est . . .

931 T r a n 3 1 a t i 0 sancti W e n - ceslai de Boleszau in Pragam.

.) Es ist dies der Bericht über die Weihe der Bischöfe Kosmas von Prag und Andreas von Olmütz. Wir haben in ihm oben einen Besveis daiür erkannt, dass Kosmas in Mähren nicht exzerpivt wurde; vielleicht würde es jemand für wahrscheinlicher halten, dass der Hradischer Annalist in seiner ^ f^^'^^'^'^'l Nachricht vom Bischof Kosmas gefunden hat. Natürlich würde aber die btelle selbst in diesem Falle beweisen, dass Kosmas in Hradisch nicht bekannt gewesen sein kann, da doch ein Hradischer Mönch, der in Kosmas diese Nachricht gefunden, darnach die ursprüngliche, nach einer anderen Quelle gemachte hintragung kor- rigirt hätte.

604

V il c 1 u V N 0 V 0 t u y.

A. tl. U73 Otto imperator obiit Non. Maii^).

A. d. 998 s. Adalbertus est martirizatus feria sexta quo (!).

A. d. 1017 Teddagus Pragensis episcopus IV Id. Junii obiit, cui Heceardus successit . . .

A.d. 1023 Heccardus presul obiit VI Idus August!, tui Izo succes- sit, qui est ordiuatus eod. an. Uli Kai. Jan.

A. d. 1029 . . . Izo episcopus obiit III Kai. Febr. cui Severus successit et in festo ap. Petri et Pauli est ordinatus . . .

A. d. 1035 Oldiicus dux Boe- mie obiit et dux Jaromir, quem frater Oldricus excecaverat, elegit nepotem suum Bracezlaum ducem Boemie.

Bolezlaus obiit, quem Mesko dux Po[lonie] cecaverat.

A. d. 1039 Hie de Polonia tansfertur b. Adalbei'tus et Kadim frater eins et V fratres Bo- lezlavenses'^).

A. d. 1041 Henricus imperator bostiliter invadit B o e m i a m et igne V a s t a t eam . . . (?)

A. d. 1055 dux Braciziaus obiit IUI Idus Jan., cui Zpitig- n e u s filius eius successit .. .

Anno 1060 dux Zpitigneu obiit VP principatus sui anno, cui Uratizlaus frater eius successit, qui mox inter fratres suos . . . terram Moravicam dividit . . .

Anno 1067 Seuerus episco- pus V Id. Dec. obiit . . .

Anno 10 74 Gebeardus epis- copus liomam adiit pulsus a sede sua, sed restituitur a Gregorio papa.

973. Otto primus imperator obiit.

997.Sanctus Adalbertus mar- tirizatus est.

1017 Tyadagus episcopus obiit, cui successit Heccar- dus.

1024. Heccardus quartus epis- copus obiit. Cui Izo successit quintus.

1030 Izo episcopus obiit. Seyerus sextus successit.

1036 0 d a 1 r i c u s dux obiit, cui Bretizslaus tilius eius successit.

1037 Boleszaus dux cecus obiit.

1039 Sanctus Adalbertus translatus est de Polonia in Boemiam per Brecizlaum ducem.

1042 Teutonici vastaverunt Boemiam.

1054 Brecizlaus dux obiit, cui Spitigneus successit.

1060 Spitigneus dux obiit. cui Wratizlaus successit.

1066 Severus episcopus obiit, cui Gebehardus septimus successit.

1074 Gebehardus episcopus Eomam adiit pulsus a sede sua; set restituitur a Grego- rio papa.

') Die Stelle stammt allerdings aus Ekkebard.

-) Es ist nicht schwer, nach dem, was oben über den Schreibfehler der Hds. gesagt wurde, zu erkennen, dass die Zusätze über Radim und die 5 Brüder aus Kosmas exzerpirt, und schlecht angeschlossen wurden.

Studien zur Quellenkunde Bölimens.

605

A. lOSG obiit Otto .lux Mo-1 ravie. Rex Wratizlaus factus est.

A. 1087 bic (lux Boemie unctus est in regem Wratizlaus et uxor eius Zuataua in reginam. Eodem anno V Idus Junii pater Morauie dux Otto migravit ab hoc mundo i).

A. 1(»90. VI Kai. Jul. obiit Ge- beardus VII episcopus- Pragen- sis ecelesie, qui fuit pater elericorum et consolator pupillorum.

A. 1091 Cosraas electus est in episcopum. Eodem anno monaste- rium s. Wencezlai combustum est . . .

A. 1093 obiit Wratizlaus rex. Cui Chonradus suecessit sed eodem post menses VII mortuo Chuonrado Bracizlaus suocessit. Eclipsis solis fuit.

A. 1094 Cosmas ordinatus est episcopus VIII"^ Pragensis ^cclesie et eodem anno Bi-acizlaus dux Boemie . , .

A. 1095 in Boemia et ubique mortalitas hominum facta est . . .

A. 1096 Dedicatio ^eclesi^ s. Viti. Et ludei christianismum per- c e p e r u n t.

A. 1098 IUI Id. Dec. Cosmas episcopus VlII"^ Pragensis ^cclesi^ obiit.

A. 1099 Hermannus episco- pus VIIII'is ordinatus est . , .

A. 1106 cometa apparuit. Hen- ricus cesar obiit.

A. 1107 Hie diabolo suadente ex- p u 1 BUS est Borivoy de seda sua et Zuatopluc intronizatus ■^).

A. 1116 Borivoy re-

cepit ducatum.

A. 1117 terre motus factus est.

1087 Otto dux Moravie obiit.

1088 Wratizlaus unctus est in resem.

1090 Grebeha r d US episcopus- obiit, cui Cosmas successit.

1091 Monasterium Pragense s. Viti i n c e n d i 0 corruit.

1094 Wratizlaus rex obiit cui Conrad US successit et obiit. Bretizlaus intronizatus.

1095 Cosmas ordinatur.

1096 Mortalitas hominum facta est. Judei baptizati sunt.

1097 Cosmas episcopus obiit,, cui Hermannus nonus successit.

1100 Hermannus episcopus ordinatusest...

1106 Henricus cesar obiit.

1107 Boryuoi dux de solio pellitur, Zuatopluk introni- z a t u r.

1117 Terre motus fuit per multa loca.

1) Auf das Verhältnis dieser beiden Stellen zu Kosmas und den An Prag ^«-- S' S S (^r'S.naann a. a. 0. 113) u. Opatow.c geschrieben (oder umgearbeitet) worden.

606

Vaclav X 0 V 0 t n y.

1118 Borivoy dux recepit ducatum (vgl. AnGO ad 1116).

1122 Hermannus episcopus obiit Meinnardus successit de- cimus.

1124 Borivoy dux obiit.

1125 Wladizlaus dux obiit, Zobezlaus successit.

1134 Meinnardus episcopus obiit, Johannes XI successit et hoc anno ordinatus est IX Kai. Maii.

A. 1118' Hoc anno d u c i B o r i - uoy regnum restitutum est domino adjuvante ...

A. 1122 Hermannus VIIII"s episcopus Pragensis ^cclesi^ obiit. Et Meginardus electus est . . .

A. 1124 III Non. Feb. dux Bo- riuoy in Ungaria obiit. Wla- dizlaus cepit infirmari.

A. 1125 II Id. Ap. obiit dux Wladizlaus, pius et misericors ac humilis. Cui successit dux So- bezlaus vir strenuus, iunior etate, senior autem moribus et omnimoda probitate.

A. 1126 (die Stelle wird weiter unten angeführt).

A. 1134 ... Meinardus X^ Pragensis ecclesie episcopus. vita privatus et celi sede locatus. Cui Johannes successit inclitus atque probus virtutum matre repletus.

Anno 1135 Johannes XI"^ Pra- gensis ecclesi^ episcopus deo an- nuente feliciter XIII Kai. Mar. c o n secratus est . . .

Zuletzt ist auch die Stelle zu 1139. wo die An. Prag, und AGO einige Älmlichkeiten ausweisen, zu vergleichen.

Wie sind diese Übereinstimmungen zu erklären?

Die erhaltenen AnPrag sind in ihrer jetzigen Gestalt sicher erst im'lo- Jahrh, entstanden, ihre Benützung durch die AnGO ist daher völliff auscreschlosi-en. Aber auch das umgekehrte Verhältnis ist nicht wahrscheinlich. An sich könnte es nicht a priori verworfen werden, obwohl die Tatsache allgemein anerkannt wird, dass die AnGO unseres Wissens den älteren Geschichtschreibern Böhmens unbekannt blieben. Die historische Kritik darf allerdings mit solchen aprioristischen Sätzen nicht operiren, dass aber die AnPrag in dieser Hinsicht wirk- lich keine Ausnahme unter den übrigen Geschichtsquellen Böhmens sind und ihnen die AnGO ebenfalls unbekannt blieben, dürfte durch Erwäofuno- aller einschlägigen Fragen doch als wahrscheinlich erwiesen werden. Wenn mau bedenkt, dass sich die Übereinstimmung nicht über das J. 1139 hin erstreckt, dass weiter die Möglichkeit einer ge- meinsamen Quelle (aus welcher die AnGO, der MSaz und teilweise auch Vmcencius geschöpft hätten) vorläufig wenigstens nicht ausgeschlossen werden darf, und dass auch diese supponirte Quelle bis 1140 reichte,

Studien zur Quellenkunde Böhmens. ßQ7

SO scheint es sich doch der Mühe zu lohnen, die Frage näher zu er- örtern, ob nicht auch die AnPrag aus derselben verlorenen Quelle Ge- schöpft haben könnten.

Dass die erlialtenen AnPrag nicht diejenigen sein können, von denen man annimmt, dass sie etwa vom 11. Jahrh. an an der Prao-er Kirche geführt wurden, bedarf meines Erachtens keines weiteren Beweises. Würde auch ihre Handschrift nicht aus dem 13. Jh. stammen (sie könnte *ja auch eine Abschritt sein), ihr Charakter als der einer Kom- pilation gibt sich besonders bei der Nachricht zu 1189 kund: Ro- mauus imperator contra paganos puguaturus ultra mare viam tenuit, et ibi naufragio vitam finivit, et in Anthyochia quiescit. Quem etiam multi nobiles Boemi cum duce Theobaldo secuti, inopinata morte sunt preventi. Fridericus dux obiit, Conradus, Moravie laudabilis dux, suc- cessit. Teobaldus recepit proviucias. Hoc anno Fridericus imperator in Saretico fluvio submersus est.

Ein und dasselbe Ereignis wird bei demselben Datum zweimal erzählt. So gering mau auch die mittelalterliche Geschichtschreiber- kunst schätzen mag. Derartiges ist doch einem Schriftsteller, der über gleichzeiticre oder nicht viel frühere Begebenheiten erzählt, nicht zu- zumuten ; vielmehr muss ein gedankenloser Abschreiber diese Erzählung aus zwei verschiedenen Quellen mechanisch abgeschrieben haben.

Für uns ist natürlich die Frage am interessantesten, was für Quellen es waren, auf die -ich die AnPrag in ihren älteren Partien stützen. Die Frage wäre vielleicht leichter zu beantworten, wenn wir den Zweck näher bestimmen könnten, der zur Zusammenstellung der AnPrag Veranlassung bot. Das ist aber ganz unmöglich. Mag auch die Vermutung von Pertz etwas für sich haben, dass die Annaleu in die Handschrift, in welcher sie sich jetzt befinden, vom Prager Bischof Andreas oder von einem seiner Gefährten während des Streites mit Pfemysl I. eingeschrieben wurden, so muss man doch immerhin fragen, zu Avelchem Ende das geschehen sein sollte? Denn die ÄnPrag sind sicher eher alles andere als ein nach einem bestimmten Plane ver- fasstes Zeitbuch und scheinen ihre Entstehung viel mehr einem Zu- fall als einem festen Plane zu verdanken. Wenn sie auch manches enthahen, was nicht eben zur böhm. Geschichte gehört, so weisen sie andrerseits, besonders in der böhmischen Geschichte, beträchtliche Lücken aus. Sie wissen nicht einmal vom Tode oder liegieruugs- antritte vieler böhmischer Herrscher zu erzählen, so dass es kemem Zweifel unterliegen dürfte, dass ihre Vorlage viel mehr enthalten haben mnss, als das, was dem Geschmacke oder der Willkür des Kompiiutors gefiel und was er herübernahm.

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Daher muss es um so mehr überraschen, wenn in einem solchen Zeitbuche Übereinstimmungen mit den Hildesheimer, Quedlinburger u. a. Aunalen vorkommen i). Was sollte den Kompilator veranlasst haben, in so vielen (Quellen Bereicherungen für sein Werk zu suchen, dem er doch keine besondere Sorgfalt gewidmet zu haben scheint V Viel wahrscheinlicher wäre dies zu erklären, wenn man annehmen würde, dass der Kompilator nicht alle diese Werke nachgeschlagen hat, sondern die betreffenden Stelleu einer Quelle entnahm, wo sie bereits vereinigt waren. An die Hersfelder Annalen ist daliei nicht zu denken, da, sich die Übereinstimmungen über ihre Schlussgrenze erstrecken. Schien es schon bei dem MSaz wahrscheinlicher, dass er die mit den Hildesheimer und Quedlinburger Annalen übereinstim- menden Nachrichten eher aus einer dritten, auf denselben Annalen basirenden Quelle übernommen habe, so muss es bei diesen AnPrag, die keineswegs mit solcher Sorgfalt gearbeitet sind wie die Sazawer Chronik, noch als viel wahrscheinlicher gelten.

Was war das aber für eine Quelle, auf die offenbar auch andere^ iu den Hildesheimer und Quedlinburger Annalen nicht vorkommende Xachrichten zu reduziren wären? Von einer Seite wird behauptet, Kosmas sei die Quelle, an die sicli die AnPrag anlehnen. Aber ab- «•esehen davon, dass damit die Übereinstimmungen der AnPrag mit den An. Hild. und Quedl. nicht erklärt sind denn iu den An Prao- kommen wörtliche Entlehnungen aus denselben auch an solchen Stellen vor, wo au Kosmas gar nichts erinnert^) , so ist sicher noch nicht einmal der Beweis erbracht worden, dass Kosmas die Quelle sein müsste, die in den AnPrag wiederklingt. Am allerwenigsten kann ich mit Emier einsehen, warum chronologische Fehler der An Prag, die bei Kosmas nicht vorkommen, ein Beweis der Abhängigkeit von Kosmas sein sollten.

Die Übereinstimmung der Ann. Prag, mit Kosmas lässt sich na- türlich nicht leugnen, immer beschränkt sie sich aber auf kurze an- nalistische Notizen, die ebenso gut aus einer anderen, auch von Kos- mas wörtlich ausgeschriebenen Quelle herrühren könnten, wie wir etwas ähnliches bereits bei den AnGO bemerkt haben. Eine An- zahl der in den Ann. Prag, an Kosmas erinnernden Nachrichten kommt auch in den AnGO vor. Es sind allerdings Übereinstimmungen, die gewöhnlich über ein „obiit" oder „successit" nicht weiter hinaus- gehen, immerhin aber ist ihre grosse Zahl sehr auffallend. Und damit

^) Die Stellen sind bei Emier FRß, II, 376 angegeben. 2) Man kann sich davon durch einen einfachen Blick auf die Ausgabe Emlers oder der MG. überzeugen.

Studien zur Quellenkunde Böhmens. nr^q

streifen wir schon die Gründe, welche die Annahme einer jetzt ver- loreneu, für Kosmas, die AnPrag, die AnGO und andere Chroniken gemeinschaftlichen Quelle berechtigt erscheinen lassen.

Sollten sowohl die AnGO, als auch die AnPrag aus Kosmas geschöpft habeu, so wäre doch kaum möglich, dass zwei selbständige Ausschreiber des Kosmas seine ausführliche Erzählung in- o-ekürzter Form an so vielen Stellen mit fast denselben Worten wiedero-ecreben hätten. Und wenn auch die grosse Anzahl dieser Stellen den Glauben an die Möglichkeit eines Zufalls uicht zu erschüttern imstande wäre, wenn auch alle die Berichte vom Absterben und Neuwahlen der Bischöfe durch Zufall zu erklären wären, so wäre es doch sicher nicht möglich, auf diese Weise z. B. auch die Nachricht zu 1074 zu er- klären, die in den AnGO und den AnPrag buchstäblich gleich ist, während sie sich an Kosmas stilistisch nur sehr schwach anlehnt . . .

Meines Erachtens könnte schon diese Tatsache allein die Annahme einer für alle diese Geschichtsbücher gemeinschaftlichen Quelle recht- fertigen, es sprechen aber noch weitere Gründe dafür. Um sie kennen zu lernen, ist es erforderlich, noch einmal zum Verhältnisse der AnGO zu Kosmas zurückzukehren.

Es ist oben gezeigt worden, dass Kosmas aller Wahrscheinlichkeit nach in Hradisch nicht bekannt war, dass die Exzerpte aus seiner Chronik, so weit es überhaupt Exzerpte aus seiner Chronik sind, erst in Opatowic hinzugefügt worden sein müssen. Ausser anderen Grün- den wird das besonders auch durch die starke, mau könnte viel- leicht sogar sagen absichtliche Vernachlässigung Mährens bezeugt, die sich in den Exzerpten unzweifelhaft bemerken lässt. Von den Nachrichten, die sich in den AnGO mit den Au Prag decken, lässt sich zwar nicht behaupten, dass sie Mähreu eine besondere Aufmerk- samkeit schenken würden, das wird aber wohl auf die Eechnung der Vorlage zu setzen sein. So viel steht fest, dass wenigstens von solchen Mähren Ijetreffenden Nachrichten, die in den erhaltenen An Prag vorkommen, nur eine einzige (die zu 1059) weggelassen ist, was übrigens auch so erklärt werden dürfte, dass sie erst in Opatowic durch eine andere ersetzt wurde, da die Nachricht der jetzigen AnGO zu 1059 sehr wahrscheinlich ein Exzerpt aus Kosmas zu sein ^scheint") Dagegen verdient aber eine andere Nachricht der AnGO eine nähere Vergleichnng mit Kosmas:

Cosmas I 41 ... H)30 Hocl AnGO: Anno 1029. Hoc anno anno dux Bracizlaus mao-na|dux Bracizlaus magna cede

») Vgl. oben die Bemerkungen über die Schreibfehler derAnGU bei dieser Nachricht.

MittheiluDgcu XXIV. ^^

Q\() Vaclav Novotuj'.

Ungar OS stravit proredens de Mo- ravia, et usque ad Strigoniam terram illorum vastavit. Eodem anno Izo episcopus obiit III Kai. Febr. cui Seuerus successit, et in festo apostolorum Petri et Pauli episcopus est ordinatus. Et eodem anno Zpitigneus filius ducis Bra- c i z 1 a i in Morauia natus est.

caede pro stravit Ungaros et terram eorum usque ad urbem Strigoniam de vastavit. Eodem anno III Kai. Febr. Izzo quintus episcopus Pragensis ecclesiae

Transit ab hoc mundo bravio frui- turque iocundo . . . 1031 sanctorum apostolorum Petri et Pauli in natalicio ordinatus est Se- verus episcopus a Maguntino archiepiscopo. Eodem anno natus estSpitigneu filius Bracizlai ducis.

Die Übereiustimmuug mit Kosmas lässt sich nicht verkennen, ja auf den ersten Blick wäre mau sicher geneigt, diese Stelle in den An GO für ein Exzerpt aus Kosmas zu halten. Dabei scheinen aber die Zusätze „procedeus de Morauia" und „in Morauia", die bei Kosmas nicht vorkommen und sich aus dem Zusammenhange seiner Erzählung unmöglich herausbringen lassen, direkt auf Mähren hinzudeuten, Aller- dino-s sind auch diese Nachrichten nicht derart, dass sie direkt als das geistige Eigentum des Kosmas bezeichuet werden müssten. Auch sie sind mehr annalistischen Charakters, auch sie könnten ursprünglich einer anderen Quelle angehört haben, aus welcher sie in die Chronik des Kosmas übernommen wurden. Am allerschwierigsten gestaltet sich das Verhältnis in Betreff des Todes Izzos und der Ordination Severs; denn dieser Bericht scheint in den AnGO am ehesten als durch ein Verseheu bei der Abkürzung des Berichtes, wie wir ihu bei Kosmas finden, entstanden, zu erklären sein. Doch kann auch diese Erklärung nicht für die einzig mögliche gehalten werden, denn immer- hin kann doch ein solches Versehen auch bei kürzerer Fassung des Berichtes einer anderen Quelle, die sowohl Kosmas als auch den An GO vorgelegen, geschehen sein, welche Annahme durch den mähri- ,schen Charakter der Zusätze befürwortet wird.

Und der für unsere Ansicht ungünstige Eindruck des Ijerichtes über Izzo und Sever wird durch andere Umstände gemildert, welche eine weitere Vergleichung der AnGO mit Kosmas hervortreten lässt. Wie schon öfters erwähnt, kommen in den An GO ziemlich viele Nachrichten vor, bei welchen es keinem Zweifel unterliegen kann, dass sie Ex- zerpte aus Kosmas sind. Einige dieser Stellen weisen auch Überein- stimmungen mit den An. Prag, aus, die sich auf einige Worte, wie bereits erwähnt, beschränken, während die Keminiszenzen an Kosmas noch weiter reichen. An einigen dieser Stellen lässt sich ziemlich gut erkennen, dass nur dasjenige, was mit den AnPrag überein-

Studien zur Quellenkunde Böhmens. gjj^

stimmt, wörtlich aus Kosmas entlehnt ist, dagegen aber das Xach- folgende nur ein hie und da stark gekürzter Auszug aus Kosmas ist. Man vergl. z. B. die Berichte zu 894, 1017, 1055, 1066, 1067 u. a. Das könnte zur Vermutung führen, dass die Exzerpte aus Kosmas erst später den ursprünglichen (aus einer anderen, auch Kosmas bekannten Quelle stammenden) aunalistischen Notizen angeschlossen wurden, was übrigens auch darin eine Bestätigung finden dürfte, dass die Exzerpte, wenn auch zum Teil ziemlich gewandt mit der vorangehenden Erzählung verbunden, zum Teil wieder gerade im Gegenteil nicht mit besonderem Geschicke in den Rahmen der Erzählung einverleibt sind. So heisst es z. B. ad 1068: Lanco autem ab Omnibus Boemicis solo eum duce predicto eligente repudiatur. Das ist zweifellos ein Versehen, denn in diesem Berichte werden früher nur die duces Konrad und Otto genannt, nicht aber Wratislaw, der allein hier gemeint werden kann, und bei Kosmas, dessen Exzerpt die Stelle darstellt, auch gemeint ist. Der Kompilator hat also nicht bemerkt, dass er hier Kosmas nicht ganz verständlich wiedergibt 1). Zum J. 1035 sind^ wie schon oben bemerkt, aus Ver- sehen des Abschreibers, die Schlussworte des Berichtes zu 1039 an den vorangehenden augeknüpft worden, wodurch ein Unsinn entstanden ist, den der Abschreiber selbst nicht bemerkt hatte. Die ganze An- lage des Berichtes zu 1039 (vergl, die Notiz der AnPrag zu diesem Jahre) lässt es nicht unwahrscheinlich erscheinen, dass dieser Fehler dadurch eutstauden sein könnte, dass der Abschreiber die später nach- getragenen und in margine angemerkten Exzerpte aus Kosmas an einen falschen Ort gestellt hat.

Besondere Beachtung verdienen aber auch die in den AuGO zweimal (bei verschiedenen Daten) erscheinenden Berichte. Hierher gehört zuerst der Bericht über den Tod Adalberts, den ich bei dieser Gelegenheit berühren will, obwohl er mit der Frage der Abhängigkeit der AnGO von Kosmas nicht direkt zusammenhängt. Über den Tod Adalberts wird in den AnGO zweimal berichtet, zu 994 und zu 998. Der erste Berieht ist der Chronik Ekkehards entlehnt, der andere lehnt sich stilistisch enge an die Au. Prag. an. Die Erklärung ist allerdings nicht leicht, aber immerhin kann man es wenigstens für möglich halten, dass der (an die An. Prag, erinnernde) Bericht zu 998 bereits im ursprünglichen Annalenwerke stand, als die Chronik Ekke- hards dem Kompilator erst zu Gesicht kam, welcher er den zweiten

1) In ihrer jetziger Fassung ist die ganze Stelle der AnGO ad 1068 ein Exzerpt aus Kosmas; aus der Vergleichung mit der An Prag (s. o.) und aus diesem Versehen scheint es nicht unwahrscheinlich zu sein, dass durch dieses Exzerpt die ursprüngliche Nachricht erst später ersetzt wurde.

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Bericht eütnahm. Das kann uatürlich sowohl in Hradisch als auch ia Opatowic geschehen sein, da es sich nicht leststellen lässt, wo die Exzerpte aus Ekkehard gemacht worden sind, wenn auch für Opatowic mehr Wahrscheinlichkeit vorhanden ist. Die übrigen Doppelberichte der AuGO gewinnen für uus dadurch an Interesse, dass sich ge- wöhnlich in einem die Sprache der An. Prag, im anderen der Einfluss des Kosmas bemerken lässt. So ist es z. B. schon bei dem Doppel- berichte über Wratislaws Erlangung der Königswürde der Fall. Die AnGO berichten:

Anno 1086 obiit Otto dux Morauie. Rex Wratizlaus factus est.

Anno 1087 hie dux Boemie uuctus est in regem Wratizlaus et uxor eins Zuataua in reginam. Eodera anno V Idus Junii pater Mo-" rauie dux Otto migravit ab hoc mundo.

Der Wortlaut des zweiten Berichtes stimmt (im Anfang) voll- kommen mit den An. Prag, übereio. Im ersten finden wir zwar auch eine Übereinstimmung mit denselben (obiit Morauie), diese Worte befinden sich aber auch l)ei Kosmas, dessen Erzählung 11, 38 hier (auch durch die Zusammenstellung der Ereignisse) in Kürze wieder- gegeben worden zu sein scheint. Allerdings könnte der Einwand ge- macht werden, class auch die Worte „Wratizlaus et uxor eius Zuataue in reginam" im zweiten Berichte eine gekürzte Reproduktion des Kosmas sein dürften. Dagegen darf aber nicht unberücksichtigt bleiben, dass der Bericht zu 1087 den Eindruck des ursprünglichen erweckt, dass die Worte „dux Boemie unctus est in regem" so zu klingen seheinen, wie die Worte eines gleichzeitig schreibenden Be- richterstatters gelautet haben mögen. Auch die warme Erwähnung- Ottos dürfte eher dafür sprechen, dass der zweite Bericht älter, noch in Mähren entstanden, der erste erst später nachgetragen ist, worauf allerdings nicht viel Gewicht zu legen ist, da (nebst Kosmas) auch die An. Prag, die Kenntnis der Nachricht vom Tode Ottos in Böhmen bezeucjen. Allerdings sind auch durch diese Darstellung alle Schwie- rigkeiten nicht beseitigt. Sollten die An. Prag, ihre Vorlage getreu reproduziren, so müsste sich schon die in den AnGO zu 1086 er- scheinende Erwähnung des Todes Ottos in der Vorlage, welche der Hradischer Mönch bearbeitete, befunden haben, und es wäre nur der Schluss dieses Berichtes als ein Exzerpt aus Kosmas anzusehen, ausser welchem der Opatowicer Kompilator auch noch im zweiten Berichte die Erwähnung Swatawas beigeschlossen hätte. Für unmöglich glaube ich das nicht halten zu dürfen, da es der Erzählung des Ko?mas (Ernen- nung zum König in Mainz, Königskrönung im folgenden Jahre) voll- kommen entsprechen würde.

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Ü13

Etwa ähulicli dürfte es sich auch mit dem Doppelberichte über den Tod Bfetislaws II, und die Tronbesteigung Bofiwojs zu 1099, 1100 verhalten, wo aber selbst die Vermutungen versagen, da die An. Prag, keine Parallelstellen ausweisen. Aber auch bei dem Doppel- berichte 1116 und 1118 (über die Rückkehr Bofiwojs) vermag ihr Vorhandensein zur Erkläruug- des geQ-enseitigen Verhältnisses dieser Berichte nichts beizutragen, da zwar das Datum 1118 in den AnGO mit der Chronologie der An. Prag, übereinstimmt, stilistische Remi- niszenzen sich aber dagegen im Berichte zu 1116 bemerken lassen, der ganz auf Kosmas basirt. Unter solchen Verhältnissen lässt sich natürlich nicht feststellen, welchem von den beiden Berichten die Priorität gebührt, und wie das Vorhandensein der stilist. Reminiszenzen an die An. Prag, in dem Exzerpte aus Kosmas zu erklären ist. Selbst die scharfsiuni erste Vermutung könnte uns hier nicht näher ans Ziel bringen.

Allerdings haben wir schon früher den heissen Boden der Hypo- thesen betreten. Mit all dem Gesagten kann doch nichts Positives bewiesen werden ; all das kaun nur den Xamen einer Vermutung be- anspruchen, die zwar möglich, ja vielleicht sogar wahrscheinlich sein, nicht aber jeden Zweifel entfernen kann, und bei Lösung der Frage mit Bestimmtheit und Genauigkeit nicht zuverlässHch verwendbar ist.

Doch den Anspruch auf ein positives Resultat dürfen diese Ver- mutungen, oder besser gesagt das, was Veranlassung zu denselben gab, doch erheben. Wenigstens so viel kann als erwiesen angesehen werden, dass in den AnGO ausser Kosmas auch noch eine andere Quelle wiederklingt, dass die aus ihr stammenden Berichte mit den Exzerpten aus Kosmas durcheinandergemeugt wurden. Und wenn das bisher Gesagte nicht zur Überzeuguug genügen sollte, dass die Exzerpte aus Kosmas später, die übrigen Berichte ursprünglicher sind, so kommt noch eine Stelle in Betracht, welche die Wahrsclieinlichkeit dieser Ansicht bedeutend zu heben imstande ist. Es ist dies die Er- zählung zu 1126. Man vergleiche

Can. Wyssegr. 1126 ... in-[ AnGO. Anno 1126 ... In- undatio aquae; glacies undacio aque et gU(;ies multis rebus nocuit. Hicimultis rebus nocuit. IIic

Lutterus rex venit cum exercitu contra Boemi- enses iuxta oppidum no- mine Hlumec ubi Sobe- zlausdux cum suo comi- tatu dei adiutorio partem prima tum interfecit, inter

An. Prag,

Luderius rex Saxonum se- ductus ab Ottone duce Mora- viae .... cum suo exer- citu venit contra Bohe- mos iuxta oppidum no- raine Chlumecz ubi So- bieslaus dux cum dei

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Y ci c 1 a V N 0 V 0 1 n V.

1126. Otto dux Mora- vie int er - fecius est.

adiutorio et suo comi- tatu XU Kai. Martii pro- stravit quingentos primates illorum, exceptis scutiferis ; i n t e r q u o s r u i t Otto dux memoratus.

quos ruit Otto dux Mora- viensis p r i nceps inter- fectiis est XIIII Kai. Martii.

Es ist nicht schwer zu erkeuueu, dass hier zwei selbständige Be- richte nicht besonders geschickt vereinigt erscheinen, nnd die so un- mittelbar wirkende Einfachheit der Worte „Otto dux (Moraviensis princeps) interfectus est XIIII. Kai. Martii" bezeichnet sich als die ursprüngliche Eintragung der Hradischer Annaleu, was übrigens auch dadurch bezeugt werden dürfte, dass das Tagesdatum (welches von der Anp-abe des Can. Wyss. verschieden ist) auch durch das Necrologicum bohemicum bestätigt wird. Der grösste Teil des gegenwärtigen Be- richtes der xVnGÜ ist dem Werke des Wyschehrader Domherrn ent- nommen, welches, wie wir sahen, aller Wahrsclieinlichkeit nach erst in Opatowic exzerpirt worden sein kann. Dabei hat aber der Ab- schreiber, dem offenbar die Worte „inter quos ruit" gefielen, uicht bemerkt, dass er damit etwas beifügt, was sein Vorgänger schon er- zählt hat. Dieser offenbar ältere Teil des Berichtes lehnt sich völlig an die An. Prag au, und diese Übereinstimmung wird durch die Inter- punktion Wattenbachs, die nur die klar auftretende Wiederholung zu erschwächen versucht, nicht beseitigt.

Die Wahrscheinlichkeit der Annahme, dass in Hradisch eine Quelle benützt wurde, die in den An. Prag, wiederklingt, wird da- durch fast unerschütterlich verstärkt. Der Einwand, dass diese mut- massliche Quelle über ein solches Ereignis, wie die Schlacht bei Kulm war, wohl etwas mehr enthalten haben würde, als uus die An. Prag, und AnGO bieten, ist nicht zu hoch zu schätzen. Ich will nicht mit der Vermutung operiren, dass die An. Gradicenses ursprünglich mehr ihrer Vorlage entlehnt haben dürften, was der Opatowicer Kompilator durch die Exzerpte aus dem Wyschehrader Domherrn ersetzt hätte, oder dass die An. Prag, ein Beweis dafür wären, dass die gemein- schaftliche Vorlage über diese Vorgänge nichts mehr zu erzählen wusste. Aber das ist wohl leicht einzusehen, dass einen mährischen Chronisten vor allem der Tod des mährischen Otto interessirt hat, der auch dem Verfasser der AnPrag, am wichtigsten erschienen sein mag.

In Verbindung mit diesem Erkenntnisse scheint sich mir auch die Beweiskraft aller bisher angeführten Gründe zu steigern, wie sie auch gegenseiticr diese Erkenntnis befestigen. Und in dieser Verbindung genügen sie auch meines Erachtens zur Begründung der Annahme,

Studien zur Quellenkunde Böhmens. ^ik

dass es Prager Auualeu gegeben hat, welche Kosmas, MSaz, An. Gra- dicenses und An. Prag, gekannt und benützt haben.

Wie diese verlorenen Präger Annalen beschaffen waren, was für Quellen sie benützt haben mögen, wie man sich ihr Verhältnis zu den übrigen oben erwähnten Quellen näher vorstellen soll, das alles sind Fragen, die an sich komplizirt durch die Verwandschaft der An. Prag, mit den altpolnischen und anderen Annalen sieh noch schwieriger gestalten und in neuerer Zeit öfters Gegenstand der ge- lehrten Forschung waren, so dass eine Untersuchung der einschlägigen Fragen unumgänglich notwendig erscheint, mit der ich mich demnächst in einer besonderen Arbeit zu beschäftigen beabsichtige.

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjon.

Von

R. Sternfeld und O. Schultz-Gora.

A. Jeanroy (Toulouse) bat vor kurzem in den „Anuales du Midi" 1093, 145 f. ein Sirventes abgedruckt und erläutert, das die Aufmerksam- keit auch des deutschen Historikers erregen wird, handelt es sich doch darin um den Zug Konradins nach Italien. Da Jeanroy auf eine französische Übersetzung verzichtet hat, dürfte eine genaue Übertragung ins Deutsche um so nützlicher sein. Ebenso wird auch neben der a,usfährlichen und verdienstlichen historischen Erläuterung Jeanroys noch eine zweite angebracht erscheinen; hat er doch selbst in der Einleitung gewünscht, dass ein Geschichtsforscher nach ihm versuche, einige Anspielungen des Gedichtes, die ihm dunkel geblieben, zu er- klären.

Dass der Verfasser des vorliegenden Sirventes Caliga Panzä ein Genuese gewesen sei, hat zuerst Bertoni (Giorn. stör, della letter. ital. XXXVI, 23 Anm. 2) vermutet. Sichergestellt ist dieses jetzt durch G. Elecchia (ib. XXXIX, 180), und durch A. Ferreto (Studj di filologia romanza 1903, IX, 595 ff.)- Flecchia hat den Dichter mehrfach zum Jahr 1259 nachgewiesen, aus Notizen, die sämtlich in handschriftlichen auf der Universitätsbibliothek oder im Staatsarchiv zu Genua befindlichen Werken stehen; Ferreto bringt zahlreiche weitere Aktenstücke aus genuesischen Notariatsregister u bei und ver- folgt den Autor von 1248 bis 1313.

Calega Panzä oder Caleca Panzan ist aus einer ghibellinischen Familie Genuas, die zwar nicht zu den vornehmsten und oft genannten

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. my

gehört, aber doch im 13. und 14. Jahrhundert mehrfach erwähnt wird und au Bedeutung wächst. Wir finden ihre Mitglieder ab Be- amte der Kommune, als SchifiVInhaber und -Vermieter, dann soo-ar in höheren Stellungen auf den Inseln und Meeren i).

Unser Dichter mit dem ungewöhnlichen Vornamen Caleca war 1259 Anziane der Stadt Genua und Sehiffskapitän, 1268 mit seinem Bruder Konradus Panzanus unter den Consiliarii der Kommune: also höherer Beamter gerade. in der Zeit, wo er das nachstehende Streit- gedicht verfasste. Sein Dichterberuf hiuderte ihn nicht, dem Tuch- handel obzuliegen und an kaufmännischen Operationen sich zu be- teiligen.

I. Jetzt ist es Zeit, dass man sich freuen muss und dass falsche Geistliche ihren Verrat 2) und ihren üebermut, welcher lange gedauert hat, und ihren Trug und ihr falsches Predigen beklagen. Ach, ihr Unredlichen ! Ihr machet, dass Toscana und die Lombardei zerrissen werden und nicht grämt^) ihr euch um Syrien: Waffenstillstand habt ihr dort mit Türken und Persern, um hier Franzosen und Deutsche zu töten.

II. Wer lügen oder unlauter reden kann, oder von Trug und List etwas versteht, der wird sofort zum Legaten gemacht; und ob ich die Wahrheit sage, wird an den Cremonesen recht offenbar. Aber ihr Schacher und ihi-e grosse Betrügerei halben gemäss der Prophezeiung ihr Ende er- reicht (eig. ihren Lauf vollbracht), denn Gott will nicht länger ihre Gau- nereien dulden und den prahlerischen Üebermut der Franzosen will er dämpfen.

III. Wer töten will oder wer vom Kauben lebt, kann bald und leicht zum Heile gelangen, wenn er nur von Christen ein Hundert zu töten kommt, und wer sich bemühen wollte, ihrer tausend •*) zu töten, würde im Paradies den obersten Platz erhalten (eig. an der obersten Stelle sein). Wehe, ihr falschen Geistlichen! Verlassen habt ihr den Weg (sc. Gottes) und die Weisungen, welche Gott als heilige und reine erliess und Moses (sc. erliess), als er die Gebote aufzeichnete.

IV. Wäre der heilige Bernhard am Leben, so würde er sich bald freuen und seinen Wunsch erfüllen können, und würde die Kirche in dem ersten Stande von Armut erblicken und sehen können, wie sie die Eitel-

1) S. die einzelnen Persönlichkeiten bei Caro, Genua und die Mächte am Mittelmeer (im Register unter »Panzanus^). , ., , . . 1 +. ^o- ,^v^

2) Jeanroy behält das caimen der Handschrift bei; ein so lautende, pio- venzalisches Wort kenne ich nicht und schreibe daher unbedenklKh traimeu

3) Für das del der Handschrift setzt J. cal, doch durfte sich die leiseie Änderung in dol mehr empfehlen, s. Zs. f. roiu. Phil XX\ iL, 471.

^) Bei J. liest man nul, so dass darnach zu übersetzen ^^'^e-- '"^f JJ sich bemühen wollte, irgend einen zu töten, der würde . •'• '^'tf '^ ff, '/; ^^f[' dass so die durchaus zu erwartende Steigerung fehlt. Man schreibe daher mil. das vollkommen in den Zusammenhang passt.

618 R. Sternfeld und 0. Scli u 1 1 z -G or a.

keiten zurückweist, so wie sie dieselben zurückwies zur Zeit des heiligen Petrus, der die Krüppel heilte, und Seelen, nicht Goldmünzen fischte, und Lust verschmähte und Mühsale auf sich nahm.

V. Der König Karl sollte sich allezeit daran erinnern wie er in gleicher Weise wie sein Ih-uder von den Sarazenen gefangen genommen wurde und viel grösseres Erbarmen fand, als zu Sankt Ellero die Christen finden konnten i), welche 2) sich nicht vergangen hatten 3); wehe! an einem einzigen Tage nämlich hieben die Franzosen Kleine und Grosse in Stücke, und nicht rettete die Mutter ihre Kinder,

VI. Er hat es zugelassen, dass sein Gevatter, der Erzbischof, mein- eidig wurde mit Bezug auf einen hohen Schwur und dass der Seneschall bei der Seele des Königs falsch schwur, dass den Grafen kein Leid an- gethan werden sollte, welche (nun) zu Unrecht und auf treulose Weise vernichtet sind. Ach, wie töricht ist der, welcher sich in seine Gewalt begibt! Deswegen bitte ich Gott, dass er einen solchen König nicht fördere, der (übrigens) schon von Kindheit an (eig. nachdem er sieben Jahre überschritten hatte) nicht Treue hielt.

Vn. Wenn Herr Heinrich das Seinige vom König Karl erlangen will, so möge er ihm das leihen, was ihm noch übrig geblieben ist (eig. das Uebrige), und dann würde er mit einem schönen Nichts bezahlt werden, denn, als er (sc. Karl) gesiegt hatte, fand er den Grafen von Flandern mit Uebermut und Trug ab, denn ich weiss, dass er mit anderer Habe nicht bezahlen würde; denn als Graf war er karg und als- König zweimal so hab- süchtig, und er macht sich aus der ganzen AVeit nicht so viel wie nur zwei Handschuhe wert sind.

Vin, Weder Grieche noch Lateiner kann bei ihm WaflFenstillstand oder Frieden finden, aber den ungläubigen Hunden von Nucheira will- fahrte er (eig. die u. H. v. N. hatten ihn nach ihrem Wunsche), und sie können wohl laut ,Bafumet' rufen, denn eine Kirche Gottes oder der heiligen Maria gibt es da nicht, denn nicht würde es der Pabst leiden, der den Gottesglauben in grosse Gefahr gebracht hat, worüber ich mich wundere.

IX. Den erhabenen König Konrad. Avelcher naht, um die falschen Hirten zu züchtigen und der Qual zu überliefern, die Gott für Gold und Silber verlassen haben und die aus Unrecht Eecht machen, wenn sie Jemand bezahlen \vill, den schütze Gott, und er (sc. Gott) möge in kurzem ihren grossen Stellenbandel zu Schanden machen, so dass er die unredlichen

' J. fügt dem handschriftlichen pogra ein n an, aber da ein Imperfekt Futuri hier nicht passt und eine Endung an in der 3. P. Perf. mir nicht bekannt ist, so schreibe ich pogro oder pogro[n].

2) Zu einer Änderung des handschrifdichen qi in quil, wie sie J. vor- nimmt, scheint mir keine ausreichende Veranlassung vorzuliegen.

3) Im Texte steht hier der Singular, indessen lässt sich die provenzalische Konstruktion nicht nachbilden, wenn man nicht undeutsch werden will. Der Sinn wird auch bo nicht treändert.

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kiicbe und Karl von Anjou. ß^g

Betrüger in die Gewalt des Königs bringe und dass sie, überwunden, allen seinen Befehlen nachkommen.

X. Wenn Herr Heinrich von der Geistlichkeit verraten und von den Franzosen verspottet wurde, so' sollte er sich an beiden rächen und sich nicht scheuen, sie und ihr schlimmes Thun kleiner zu machen.

XL Gott schütze den König Konrad und die Schaar seiner Barone und die Ghibellinen und Verona und Pavia, und die Franzosen und Normannen werfe er nieder und ebenso die übel verfahrenden Geistlichen!

Selteji ist uus ein Sirveutes überliefert worden, das eine solche Fülle positiver und erkennbarer historischer Angaben enthält, wie das hier in deutscher Übersetzung wiedergegebene des Genuesen Caleca Panzan ; selten auch eines, das so leicht und fast bis auf Woche und Tag zeitlich festzustellen ist.

Karl von Anjou, der König von Sizilien, wird beschuldigt, den ungläubigen Hunden von Lucera die Ausübuug ihrer Yerehroug des Baphumet^) nicht verwehrt zu haben. Einst hatten die Gegner Fried- richs II, und Manfreds, des , Sultans von Lucera", denselben Vorwurf als wirksame Anklao-e wider die Staufer erhoben; nun aber, da Karl wie anderswo, so auch hier in die Fussstapfen seiner norman- nischen und schwäbischen Vorgänger getreten w^ar, verschmähte die gehässige politische Opposition nicht, den Spiess umzukehren: schon Konradin hatte in seinem Manifeste gegen den französischen Usurpator dieselbe Waife gebraucht. Der genuesische Troubadour aber würde doch diese Beschuldigung nicht so stark haben ausnützen können, wenn er schon gewusst hätte, dass Lucera gegen Karl sich empört und die französische Besatzung getödtet hatte. Dies war am 2. Februar 1266 gescheheu. Am 12. Februar hatte der Papst in Viterbo davon schon Kunde2); wenig danach wird man es in Genua erfahren habeu. Somit dürfte die Abfassung des Gedichts nicht später, als Mitte Februar 1268 anzusetzen sein.

Es waren die Tage, wo Konradin nach vierteljährigem Aufenthalt in V'erona im Januar 1268 nach Pavia aufgebrochen war und diese alte Stauferfreundm nach gefahrvollem Marsche am 20. Januar erreicht hattet). Gegen Ende des Monats wird die Nachricht von seinem fest-

«) Gebräuchliche Verstümmelang von Mohammed, auch aus dem Templer- prozess bekannt.

2) BFW. Reg. 9875.

3) Ich möchte ein für allemal auf Hampe's Konradin hinweisen, ^-o man nach dem Register, die einschlägigen Stellen leicht finden wird.

(520 ^- Sternfeld und O. Seh u Itz-G ora.

Hellen Empfang nach Genua gelangt sein. In einem jubelnden Zuruf an die beiden treuen Städte Verona und Pavia gipfelt aber unser Streitgedicht ; es ist nicht anzunehmen, dass es vor Konradins Ankunft in Pavia verfasst sei. So weist auch diese Erwägung auf seine Ent- stehung Anfang Februar 1268 hiu^).

Damit ist auch der Zweck des Sirventes erklärt. Konradin war in überraschend glücklichem Zuge von Augsburg nach Verona nnd Pavia gelangt, er bereitete sich vor, nach Toscana zu kommen. Aber würde er es erreichen gegen die vereinten Anstrengungen der Kirche und ihres kriegerischen Vasallen Karl von Sizilien? Da galt €s nun für einen glühenden Ghibelliuen, wie es der Genuese Panzau war, mit allen Mitteln politischer Leidenschaft, des Zornes, des Spottes, der Übertreibung und Verdächtigung, die verhasste Gegenpartei der Ouelfen und ihre Führer zu schmähen und zu verkleinern, um Alle, die in Italien noch unschlüssig waren, zu Konradin mit fortzureissen vor allem die eigene Vaterstadt Genua,

Nur aus der eigentümlichen Stellung Genuas heraus können Avir dieses Sirventes verstehen^). Wie hier die Parteien kräftig sich gegenüberstanden, die Guelfen zwar am Ruder, die Ghibellinen aber nicht unterlegen oder gar vertrieben so bemühten sich Karl und Kouradin gleich eifrig um die Gunst des mächtigen Emporiums. Die Wahl war schwer; politische und merkantile Rücksichten durch- kreuzten sich hier. Lauge schon unterhandelte die Stadt mit Karl, aber noch war kein Abschluss erreicht, da der König den Genuesen die alten Handelsrechte in seinem Reiche versagte. Grollend bestand Jeder auf seinem Vorteil, und gerne wohl hätte die Stadt mit Kon- radin sich verbündet, der gewiss mit reichen Konzessionen die Allianz vergolten hätte; aber da stund als unüberwindliches Hindernis die alte Todfeindschaft mit Pisa dazwischen, und Pisa bot ohne Wanken, getreu seiner Tradition, dem Stauferjüngliug die Hand.

Es ist sehr bezeichnend, dass der genuesische Troubadour mit keinem Worte die Nachbarstadt am- Arno erwähnt; es wäre unklug gewesen, hätte er mit Verona und Pavia auch die dritte Hochburg der Ghibellinen genannt oder gar seiner Vaterstadt als Beispiel vor- gehalten. Gerade in diesen Tagen war Karl mit Heeresmacht in's Pisanische Gebiet gezogen, um es zu verheeren. Vorher hatte er Genua ein Bündnis gegen Pisa angeboten; aber auf die Gewährung der sizi- lischeu Handelsvorteile wollte sich der König, der auch mit der Rivalin

*) Jeanroy setzt die Abfassung nach März 1268, Ferreto (1. c. 599) Ende 1267.

2) Vgl. Caro 1. c. 1., Sternfeld Kreuzzug 1270 S. 60, 142, 293 tf.

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. ß21

Genuas, Venedig, im Bunde stand, nicht einlassen. So wies Genua immer noch eine Allianz mit ihm zurück, aber viel schärfer noch ein Zusammengehen mit Pisa, das eben jetzt von dort unter glänzenden Anerbietungen vorgeschlagen wurde ^).

Mit gemischten Gefühlen und unschlüssig sah mau in Genua den Dingen zu; es schien das Klügste zu sein, abzuwarten-). Da kam die Nachricht, dass Konradin nach Pavia gelangt sei und Karl das Pisanische Gebiet verlassen habe, um ihm entgegenzugehen. Noch einmal musste die starke ghibellinische Partei in Genua versuchen, alles aufzubieten, um die guelfischen Gegner von der Kichtigkeit einer aktiven Politik zu überzeugen: wenn man jetzt Konradin die Hand bot, ihm zum Siege verhalf, konnte man es zu gleicher Zeit über den gefährlichen Anjou und das verhasste Pisa davontragen.

Dies die Grund-Tendenz des Gedichts; auf sie ist alles Politische darin berechnet. Da musste zunächst der Anjou im schlechtesten Lichte dargestellt, seine Grausamkeit, Treulosigkeit, Unchristlichkeit einerseits, seine Kargheit und Habsucht andererseits so schwarz wie möglich gemalt werden.

Schon in frühester Jugend hat er nicht Treue gehalten^). Das Erbarmen, das er selbst einst bei den Sarazenen gefunden, als er mit seinem Bruder Ludwig IX. 1250 in ihre Gefangenschaft geraten war, ist ihm fremd: sie haben die Andersgläubigen geschont, er aber hat die Christen in S. Ellero^) erbarmungslos niedergemetzelt. Das bezieht sich auf eine Greueltat, die Karls Marschall Johann von Brajselve im Sommer 1267 begangen hatte, als er nach Erstürmung der Bergfeste S. EUero bei Florenz die ghibellinischen Adeligen der Besatzung hatte tödten lassen. Man sieht, welch" ein Hass dadurch bei den Ghibellinen erregt war; er wirkte bis zum Tage von Taglia- cozzo nach, wo Konradin vor der Schlacht jenen Marschall, der in seine Gefangenschaft gerateu war, ,auf den Rat der Lombardischen Grafen" hinrichten liess.

') BFW. Reg. 14344 <\ 14379».

-'j Ann. Gen. M. G. 18, 262: »cumque multa verba multaque consilia proinde fierent, alii composicionem cum rege Karolo contra Conradinuni atque Pisanos volebant . . . alii Conradino faventes in contrariutn senciebant.

3) Wenn hierbei überhaupt etwas Bestimmtes gemeint ist, so könnte man es auf die Art beziehen, in der Karl in den Besitz der Provence gekommen war; er war damals noch nicht 20 Jahro, was vielleicht zu der Übertreibung (.sieben Jahre*) Anlass giebt.

4) Die Erklärung dieser Stelle ist dem Scharfsinne von .1 e a n r o y zu ver- danken, der für S. der im Texte S. Eier vorschlug.

^22 ri. Sternfeld und 0. Seh vi It z- G or a.

Ein \yeiterer Beweis der Treulosigkeit Karls ist, dass seiu ^Ge- vatter", der Erzbiseliof, -imd sein Seueschall ihre Eide gebrochen hätten; und zwar hätten sie ,den Grafen" geschworen, dass ihnen nichts geschehen solle, und doch sind jene treulos abgetan (desfaits) -worden. Diese Anspielung ist von allen am schwierigsten zu erklären. Es scheint zunächst sehr annehmbar, dass mit dem Erzbischof der päpstliche Legat in der Lombardei, Philipp von Ravenna, mit dem Seneschall Wilhelm Estendard, der Seueschall der Proveuce, gemeint ist. Beide hatten in der Lombardei gerade in den letzten Monaten eine wichtige Tätigkeit entwickelt: Estendard hielt mit 400 Rittern Piacenza für Karl besetzt, Philipp hatte in Cremona seinen Aufenthalt genommen, um gegen Konradiu zu agitireni). Dann läge es nahe, die „Grafen" auf die bedeutendsten Parteigänger der Staufer in der Lombardei, Hubert Pallavicini, seinen Neffen Ubertin von Lando und den Cremonesen Boso von Doiira zu beziehen: alle drei waren zuletzt durch die Künste der päpstlichen Diplomatie uneiuig unter sich und so unschädlich geworden.

Aber manches erregt doch Bedenken gegen diese Annahme. Von den drei Genannten führt nur Ubertin den Titel „Graf, Pallavicini heisst dagegen „Markgraf, Boso nur „Herr". Ferner kann man doch von ihnen nicht sagen, sie seien „desfaits", da ihre wichtige Stelluno- wohl zeitweise geschwächt, aber doch niemals ganz verloren war. Endlich passt es nicht recht, dass der Erzbischof von Ravenna, der zu Karl keine engeren Beziehungen hatte, als sein „Gevatter" bezeichnet wird.

Da bietet sich eine befriedigendere Erklärung dar. In der Schlacht bei Benevent hatte Karl auch die beiden piemontesischen Grafen Bar- tolomeus und Jordan von Anglona gefangen genommen, von denen der zweite unter Manfred besonders als Podesta von Siena hervor- getreten war. Sie schmachteten daun in der proven^alischen Alpen- feste Castellaue. Soeben hatten sie einen raissluugenen Versuch ge- macht, durch Bestechung der Wächter die Freiheit zu erlangen; da Hess Karl sie nach Aix schaffen und Jedem eine Hand und einen Fuss abschneiden-). Dies war gerade damals Ende 1267 ge-

1) Jeanroy irrt, wenn er S. 158 meint, dass der Legat nicht Erzbischof gewesen sei, und da?s andererseits Philipp von Ravenna sich nicht in die Vt~- handhingen gemischt habe; vgl. Hampe 212.

2) Jeanroy (S. 159.Anm.) hat schon richtig auch an sie gedacht, aber sich nicht für sie entschieden, da er nicht sah, dass die Verstümmelung gerade in die letzte Zeit fiel. Die Ann. Plac. (M. G. 18, 524^ stellen es so hin, als -wenn Karl gerade im Zorn über den Bund Heinrichs von Castilien mit den Gliibellinen die Verstümmelung anbefohlen hätte.

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. Q23

schelieu; am 7 Februar 1268 befahl Karl dem Castellau von le Luc in der Provence, die Grafen Jordan und Bartolomeo nebst andern in Aix Gefangenen von dem Seneschall der Provence zu übernehmen i). Diese Beiden nun das ist das Entscheidende werden immer sozusagen als ,die Grafen '• xat' iioyr.v bezeichnet^), so dass, wenn der Troubadour von den „comtes*" sprach, Jedermann wusste, von wem die Eede sei. Auf sie passt der Ausdruck desfaits; mit gutem Vorbedacht erwähnt sie Panzan, denn ihre grausame Verstümmelung wird überall Zorn und Wut erregt haben, waren es doch in ehrlichem Kampfe Gefangene. Mit dem Erzbischof ist dann Vicedomini von Aix o-e- meint, der sich zu jener Untat hergegeben hatte. Ihn konnte mau wohl Karl's „Gevatter" neunen. denn seit langen Jahren war er in der Provence, wo er mit Karl zusammen in Aix residirte, einer der eifrigsten Helfer des Grafen gewesen, auch als diplomatischer Agent in Oberitalien 3). Der Seneschall ist der schon genannte Estendard, der in den nächsten Jahren auf der Insel Sizilien durch seine Grau- samkeit sich hervortun sollte. Aus unserem Gedicht erfahren wir nun oder wenigstens erzählten dies in Italien die Feinde Karls dass Beide sich durch ihren Eid in die Seele des Köuigc^ nuf die üuver- letzlichkeit der beiden Grafen verpflichtet hatteu, ohne dass dieser Schwur vor dem Befehle Karls standgehalten hätte.

Keben der Grausamkeit ist es dann der Mangel an christlichem Eifer, der dem Anjou vorgeworfen wird. Dass Panzan ihm die Dul- dung der Sarazenen in Lucera zur Last legt, erwähnten wir schon: dasfegen aber könnten von ihm^) weder Lateiner noch Griechen Frieden erlangen. Hier und anderswo zeigt sich der meerbefahreue Genuese, der in den orientalischen Angelegenheiten wohlbewandert ist. Er hat vermutlich etwas von dem Geheimvertrag erfahren, den Karl 1267 in Viterbo mit dem Titularkaiser Balduin von Konstantinopel gegen den griechischen Kaiser Michael den Palaeologeu geschlossen hatte. Panzans Partei- Auffassung ist charakteristisch und nicht ganz unrichtig: dem Anjou war wirklich nichts daran gelegen, zwischen den Christen ^ Lateinern und Griechen Frieden zu vermitteln und dann den

') BFW. Reg. 143/3. Del Giudice, Cod. diplom. II a 111.

2) BFW. Reg. 14285/7: die ;, sogenannten« Grafen. Wenn Primat sie nach Tagliacozzo unter den Hingerichteten nennt, so braucht das keine Verwechselung zu sein, wie Hampe (320, Anm.) meint; sondern es ist schon möglich, dass Karl die nach Neapel Geschafften nun mit der Todesstrafe belegt liatte. Allerdings widerspricht dem das ,adhuc detinet apud Asiam (Aix)* der Ann. Plac. S. 524, wenn nach 1268 geschrieben.

3) Sternfeld, Karl v. Anjou, s. Register.

*) Nicht vom Papste, wie Jeauroy S. 151 sagt.

624

K. Sternfeld und 0. S oh u 1 1 z - Gor a.

Kampf für das heilige Grab zu erneuern, sondern er musste dem Lateiner Balduin Hoffnung machen, den Räuber seines Trones, den Palaeologen, zu besiegen, um selbst seine kühnen Entwürfe auf Ostrom in's Werk zu setzen. Diese Absichten werden aber in Genua als be- sonders gefährlich empfunden wurden sein, hatte doch gerade jetzt (1267) die Stadt ihr altes Bündnis mit dem Palaeologen erneuert').

Wenn der Troubadour solchen Vorwürfen idealer Art andere an- reiht, die Karls Geiz und Habsucht verdammen, so waren diese wirksam auf ein Kaufmannsvolk berechnet, das seit lauge mit dem Könige einen Handelsvertrag beriet. Wie die provenralischen Troubadours von jeher, so warf auch der genuesische dem Anjou Mangel an Freigebigkeit vor; in der Tat hat Karls Geldnot, schon bei seiner Ankunft in Italien von Clemens IV. aufs peinlichste empfunden, in diesen Tagen seine politische Bedrängnis noch bedeutend gesteigert. Als viel besprochenes Beispiel dafür aber galt allen das finanzielle Verhältnis zwischen Karl und dem castilischen Königssohn Heinrich, der gerade jetzt als rö- mischer Senator sein Schwert zwischen Karl und Konradin in die Wagschale zu legen hatte.

In den Tagen von Benevent hatte Heinrich den König mit einer grösseren Summe unterstützt, die Karl noch nicht zurückgezahlt hatte; statt dessen hatte er den stolzen Castilianer immer mit anderen Ver- sprechungen vertröstet. Schon waren triftigere Gründe zu der unheil- vollen Entfremdung beider hinzugekommen; aber der Papst dachte diese noch jetzt mit der leidigen Geldsache aus der Welt zu schaffen und dadurch eine kaum mehr mögliche Versöhnung anzubahnen: No- vember 1267 befahl er, die Schuld Karls an Heinrich aus den Fonds der Kirche abzuzahlen. Aus den Worten des Sirveutes kann man vielleicht scliliessen, dass Karl neuerdings versucht hatte, noch mehr von Heinrich zu borgen, mit dem Versprechen, nach dem Siege über Konradin die ganze Schuld zurückzuerstatten; mit Hohn meint Panza, dann würde Heinrich „mit einem schönen Nichts" bezahlt werden, ebenso wie der Graf von Flandern, der ebenfalls nach dem Siege von Karl mit übermütiger Perfidie abgefunden worden sei.

Wir wissen nicht, worauf Panza hier anspielt. Robert von Be'thune, der Sohn des Grafen von Flandern, w^ar Karls Schwiegersohn. Er hatte 1265 das französische Landheer nach Italien geführt und bei Beneveut o-ekämpft'^). Sehr wahrscheinlich, dass der reiche Plauderer seinen

') Ann. Gen. M. G. 18, 262.

2) Auf ihn, und nicht auf seiaen Vater Guido v. Dampierre (wie Jeanroy S. 160 meint) wird sich diese Stelle beziehen, da doch von einer Abzahlung nach

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. ß2b

Schwiegervater, dem sein Haus vor zehn Jahren die Rettung ver- dankte, in seiner argen Verlegenheit mit Geld unterstützt hatte wie denn auch jetzt im Februar 1268 wieder einige Grosse aus der Umgebung Karls mit ihrem Kredit für ihn einstanden und dass die Rückzahlung auch nach Beneveat unterblieben war; dass es mit hühnischer Weigerung geschehen, erzählten wohl die Feinde Karls. Ein halbes Jahr später ist Robert übrigens für den gefangenen Konradin gegen die Rechtsgelehrten seines Schwiegervaters aufgetreten.

Noch einmal in unserem Sirventes kommt der Troubadour auf Heinrich von Castilien zu sprechen, der ja überhaupt ein Held und Sänger war, wie er den Troubadours imponirte : am Schluss, wo er ihn zur Rache an der Kirche und an den Franzosen aufruft, die beide ihn verraten und verspottet hätten. Nicht besser kann er den leiden - schafthchen Castilianer entflammen zu dem rettenden Entschluss: zur Unterstützung Konradius i). Auch dies weist genau auf den Anfang des Jahres 1268 hin. Schon hatte Heinrich sich von Karl völlio- zurückgezogen und mit den Gesandten Konradins verhandelt; aber den Papst hatte noch nicht die Verbindung mit ihm abgebrochen, da er ihn immer noch von dem Schlimmsten zurückzuhalten hoffte. Mau zweifelte bei den Ghibellinen Toscanas nicht an der Feindschaft des Castilianers gegen Karl und an seiner Geneigtheit, sich Konradin au- zuschliesseu ; aber das war ihnen zu wenig: er sollte sofort von Rom aus Karl in den Rücken fallen oder sein Königreich angreifen. Dazu will ihn der Genuese durch seine Stachelverse antreiben. Dies aber passt nur für die ersten Monate des Jahres 1268, wo der Papst in der Tat den Einfall Heinrichs in das Königreich erwartete. Am 5. April hat Clemens ihn bereits exkommunizirt.

Prägt sich an den angeführten Stellen überall der Hass des ge- nuesischen Ghibellinen gegen Karl von Anjou in giftigen Anklagen aus, so äussert sich sein glühender Zorn noch kräftiger gegen die Kirche uud alle ihre Diener. Schon die Disposition des Sirventes, nach welcher Anfang und Ende der kirchenfeindlichen Apostrophe geweiht ist, zeigt, dass dieses Gefühl das A und 0 des Troubadours ist.

Auch hier ausser den allgemeinen einklagen knapp präzisirte Ein- zelheiten aus der jüngsten Vergangenheit als Beispiele für die Treu- losigkeit und Tücke der Geistlichkeit.

dem Siege die Rede ist und Panza niclit auf so alte Dinge, wie den Krieg von Hennegau 1254, zurückgreifen konnte.

') Man denke an Heinrichs Racheschwur gegen Karl: ^ Einer muss fallen, er oder ich:* Hampe 150.

llitthoihiiigeu XXI V. -il

626

R. Sternfeld und 0. S ch u Itz-G o va.

,Wer am besten lügen und trügou kann, wird zum Leguten ge- macht* d. h. doch vom Papste wie die Cremoneser bezeugen

können. In der Tat hatten sich nirgends in diesen Tagen die diplo- matischen Künste der Kurie stärker erwiesen, als in Cremona. Im Juli 1266 waren hier im lombardischen Zentrum zwei Legaten Bernhard von Castanet bei Toulouse uud Bartolomeo, Abt von 'Irebis

erschienen; und im Laufe eines Jahres gelang es ihnen, „mit der

Geschicklichkeit eines Taschenspielers" i) eine Partei gegen die andere auszuspielen und mit Benatzung der starken kirchlichen Friedens- strömungen einen völligen Umschwung zu Gunsten der Guelfen her- beizuführen. ]\Iit tiefem Schmerze mussteu die Ghibellinen in Toscaua sehen, wie die ghibellinischen Führer in der Lombardei der alte Markgraf Pallavicini und der kräftige Cremonese Boso von Doara durch die klugen Verhandlungen der päpstlichen Diplomaten dahin o-ebracht wurden, sich gegenseitig matt zu setzen, in einer Zeit, wo der nahende Konradin ihre Hilfe so nötig brauchte. Mit Genugtuung konnten ,die Legaten" im Juli 1267 Cremona verlassen, wo nun ein neuer Legat, der schon erwähnte Philipp von Eavenna, einzog, der noch vor dem Papste im Oktober 1267 die Exkommunikation Konra- dins aussprach.

Das waren die Ränke der Legaten bei den Cremonesen=^). Aber frohlockend konute wohl der Troubadour ausrufen, dass ihre „Gaune- reien" und der Übermut der Franzosen vor Gott zu Schanden ge- worden, wenn er auf den kühnen Zug Konradins blickte, der soeben wunderbar durch das feindliche Gebiet jeuer von den Legaten um- garnten Lombarden von Verona an Cremona vorbei nach Pavia ge- laugt war.

Auch bei den Vorwürfen gegen die Kirche schaut der Genuese auf die Lage des Orients, wo der falsche Klerus die Zerrissenheit der Christenheit ebenso fördere, wie in Italien. Die Kirche kümmere sich nicht um Syrien, wo sie Friede mit den Türken und Persern ^^j mache, während sie daheim Franzosen und Deutsche tödte.

Ein Waifenstillstaud der Christen in Palästina mit den üugläu- bio-en war in Genua gerade damals bekannt geworden. lui Sommer 1267 hatten nämlich Philipp von Montfort, der Herr von Tyrus. und

') BFW. Reg. 143411^ und 14351 1, Hampe 90, s. a. 158—166.

2) Andere ausführliche Bemerkungen hat Jeanroy über diese Verhältnisse.

3) Ob Panzan dies als dasselbe gebraucht oder ob etwa mit den Türken die alten Feinde gemeint sind, mit den Persern die neuen, die Mongolen die. von den Päpsten immer der gehofften Bekehrung wegen sehr wohlwollend be- handelt wurden bleibe dahingestellt.

Ein Sirventes von 1268 gegen die Kirche und Karl von Anjou. (327

die Johanniter von Markab mit dem Sultan Bibars nach seinen bkitio-en Siegen über die syrischen Christen eine Waffenruhe auf 10 Jahre sehliessen müssen. Kurz darauf, Ende August, landete eine genuesi- sche Flotte in Tyrus, musste aber nach einer Niederlage durch die Schiffe der Venetianer wieder heimkehren i). Durch sie empfino- man wohl gegen Ende 1267 in Genua die neuesten Nachrichten von dem Wüten des Sultans gegen die Kreuzfahrerstaaten und von ihrer Un- einigkeit untereinander, die sie zum Frieden mit den Türken zwang. Klüghch aber verschweigt der Troubadour, dass dieser Zustand auch durch die Rivalität zwischen Genuesen und Venetianern herbeigeführt war, die dort vor Tyrus und Akkon ihre Seeschlachten gegeneinander schlugen, aber im Interesse ihres Handels sich wohl hüteten, mit den syrischen Christen sich zur Abwehr zu verbünden und Bibars dadurch zu reizen.

Die Kirche traf hier kein Vorwurf im Besonderen, denn was ver- mochte sie gegen die unhaltbaren Zustände der Kreuzfahrer-Eeiche ? Wohl aber konnte ihr der Troubadour die allgemeinen Anklagen zu- schleudern, dass sie die alte Kreuzzugsidee, die Befreiung des heiligen Grabes und den dazu erforderlichen Frieden der gesamten Christenheit, vernachlässige über der neuen Kreuzzugspredigt wider die Staufer in Italien: fochten doch die Franzosen Karls ebenfalls mit dem Kreuze o-eschmückt segen die Deutschen und die Ghibellinen. An die Indul- genzen und Vergün:-tiguno-en für diese crucesignati denkt Panzan, wenn er sich zu den Worten hinreissen lässt, dass zum Heile gelange, wer hundert Christen, und in's Paradies komme, wer tausend getödtet hätte. Ja, er scheut sich nicht, dem Papste absichtliche Gefährdung des Gottesglaubeus unterzuschieben, da er nicht dulden wolle, dass in Lucera die Verehrung der heiligen Jungfrau an die Stelle des moham- medanischen Kultus trete.

Aber schon ist die Zeit der Vergeltung nahe und die alte Pro- phezeiung2) erfüllt sich: das heisst doch die berühmteste des Jahr- hunderts, das „ewige Evangelium" des Abtes Joachim von Fiore in Calabrien, wonach das tausendjährige Eeich und der Antichrist kom- men sollten, um die entartete Kirche zu zerschmettern und die wahre herbeizuführen. Dann könnte der heilige Bernhard von Clairvaux. wäre er noch am Leben, sich freuen, weil dann sein Wunsch in Er-

») Röhricht Gesch. des Reiches Jerusalem 937 f.

2) Wie in jener erregten Zeit Weissagungen eine Rolle spielen, zeigt sich auch sonst: Clemens soll Konradin seinen Untergang vorhergesagt, Karl am Morgen von Tagliacozzo an einer siegverheissenden Prophezeiung eines alten Franziskaners sich aufgerichtet haben. Hampe, 25 1. 284.

41*

Q2S ß« S t e r n fe 1 d und 0. S c h u 1 1 z - G o r a.

füllung gehend) und die Kirche wieder, allen Eitelkeiten abgeneigt, in den urspünglichen Stand der Armut zurückkehren wird 2), wie zur Zeit des heiligen Petrus, der Seelen fischte, aber keine Geldstücke („besants").

Diesen ganzen Umschwung 3) aber wird der Eine, der Ersehnte herbeiführen: der erhabene König Konrad, der schon herannaht, um die falschen, habsüchtigen und bestechlichen Hirten zu züchtigen und die schlauen „Trafiken" des Klerus zu vereiteln. Man sieht, wie Un- geheures dem Troubadour von Konradins Sieg abhängt; daher zweimal gegen das Ende sein ergreifender Zuruf: Mantengua Dieus „schütze ihn Gott, ihn und sein stolzes Eittergefolge, und alle, die ihm bisher iu Italien so treulich geholfen haben, Verona, Pavia und die Ghibel- linen". Dann zum Schluss noch einmal der nationale Fluch gegen die verhassten Franzosen und Normannen, die Gott vernichten möge, ebeuso wie die verderbliche Kirche!

Gingen die Hoffnungen des Panzanus in Erfüllung? Die Vater- stadt konnte er nicht mit fortreissen, Genua blieb neutral. Aber es war doch schon etwas erreicht, wenn die herrschenden Guelfen die Überfahrt Konradins von Savona nach Pisa nicht hinderten. Als der Staufer nach seiner glücklichen Apenninen-Uberschreitung Ende März 126<S von dem Hafen Vado nach Pisa segelte und durch ungünstigen Wind nach dem genuesischen Portofiuo getrieben wurde, empfingen ihn hier ungehindert die Ghibellinen von Genua, die Doria und Spinola und Andere, um sich mit ihm zu beraten'*); vielleicht waren die Panzani unter ihnen. Siegte Konradin, dann war auch in Genua der Sturz der Guelfen entschieden^).

') Panzau denkt hier wohl an ^de moribus et officio episcoporum* s. Va- c a n d a r d La vie de S. Bernard I, 203.

-) »La gleiza el primier estamen de paupertat*, also wörtlich wieder die alte Mahnung an den ^status primitivae ecclesiae", wie z. B. 1246 in den Auf- rufen Friedrichs IL und des französischen Adels (Sternfeld, Karl v. Anjou 37).

3) Ich lasse dahingestellt, ob die Strophe IV wirklich wie in einer Vision die Hoffnung auf ein besseres Zeitalter ausdrückt, oder ob wir es mit einer grossartig durchgeführten Ironie zu tun haben. Nach 11 (Ende) könnte man das erste annehmen, nach KI (Anfang) das zweite. Immerhin scheint doch die iro- nische Auslegung vorzuziehen, denn selbst für den Fall des Sieges Konradins konnte der Genuese sich wohl kaum der Illusion einer völligen Regeneration der Kirche hingeben.

■*) Es ist interessant, dass der Chronist von Genua dies nicht berichtet, sondern der ghibellinische von Piacenza (M. G. 18, 526).

5) Er erfolgte ohnehin 1270, als nach kurzem Frieden mit Karl die Oppo- sition gegen ihn sich stärker regte, die dann 1273 den offenen Krieg herbei- führte.

Ein Sirventes von 1268, gegen die Kirche und Karl von Anjou. 629

Zunächst konnte sich der Troubadour an dem Einzüge Konradins in Pisa, an dem Anschlüsse Heinrichs von CastiHen und an dem o-län- zenden Empfang erfreuen, den der Senator dem Staufer in Korn be- reitete. Aber der Tag von Tagliacozzo vernichtete alle HofFnuno-en Furchtbar ertönte die Klage der Troubadours über Konradins Unter- gang und den Sieg seines unbarmherzigen Gegners. Ein Bartolomeo Zorgi von Venedig ergoss seinen Schmerz in rührende Verse; in Pe- rugia wurde Ende 1268 ein Statut gemacht, das Jeden zu Geldstrafe verurteilte, der ein Lied gegen König Karl dichte oder singet). Auch Panzan wird nicht geschwiegen haben, da es galt, den grausamen Schicksalsspruch zu beklagen und die Rache des Himmels herbeizu- rufen, die er dann noch erleben sollte.

1) Über Komadin und die politische Dichtung vgl. Schirr mach er, Die letzten Hohenstaufen, Anhang; Hampe 252 f., 323 f.

Beziehuiigeii des böhmisclien Humanisten Joliann von ßabenstein

zu Bayern.

Vou

Heinrich Waltzer,

Der böhmische Ritter Johann Pflug von Rabenstein zählt zu den hervorragendsten Erscheinungen des , älteren" Humanismus nörd- lich der Alpen; in ihm reifte die Saat, die p]nea Silvio in Österreich ausgestreut und die gerade in Böhmen auch sonst fruchtbaren Boden gefunden hatte. Schon durch seine Schicksale erregt Johann von Rabenstein rein menschliches Interesse; leider ist man über seine Lebensverhältnisse nicht ganz so genau unterrichtet, wie es zu wün- schen wäre.

Um 1425 geboren, war er bereits im Jahre 1454 Kanonikus des Kollegiatkapitels auf dem Wyschehrad bei Prag. Wie angenommen wird, zog er um eben diese Zeit zu Studienzwecken nach Italien; sicher ist, dass sein Name im Jahre 1454 in die Matrikel der Uni- versität Bologna eingetragen wurde. Erst 1458 taucht er wieder in der Heimat auf und zwar als Inhaber der ihm von König Ladislaus verliehenen Propstei am Wyschehrad, einer Würde, die er mit der eines päpstlichen Protonotars vereinigte, womit ihn wohl bei seinem Scheiden von Rom sein Gönner und Freund, der spätere Papst Pins IL, ausgezeichnet hatte. In bewegter Zeit kehrte er heim : eben in jenem Jahre errang Georg von Podiebrad die böhmische Königs- krone. Seiner Getreuesten einer wurde nun der päpstliche Protonotar Rabenstein, der in der Tüchtigkeit des „aufgerückten" Königs ein Unterpfand für des Vaterlandes Wohlfahrt erkannte. Wie voraus-

Beziehungen des böhmischen Humanisten Johann von Rabenstein etc. Q-p,l

zusehen, begann eine schwere Kampfeszeit für ihn, als Georg von Podiebrad mit der Erfülhmg der Versprechungen zögerte, die er dem päpstlichen Stuhle als Preis seiner Anerkennung hatte machen müssen. Schmerzlich bewegt eilte Eabeiistein innerhalb weniger Jahre zweimal nach Rom, um die Gegensätze, soweit dies möglich, auszugleichea, sein Land vor dem Schlimmsten zu wahren: umsonst; er konnte den Lauf der Dinge nicht hemmen. Durch Paul IL wurden gleich im Anfange seiner Regierung (1464) die kirchlichen Prozesse gegen den wortbrüchigen König eröffnet, Ende 1466 traf ihn der Bann; den katholischen Bewohnern Böhmens und der umliegenden Länder wurde der Glaubenskrieg zur Pflicht gemacht. Schon bevor es zum Äussersten gekommen war, hatte man offenbar in Rom das Ziel verfolgt, Podie- brad von seinen zahlreichen katholischen Anhängern zu trennen. Viel- leicht ist in diesem Lichte eine Urkunde Pauls IL vom 1. April 146.") zu betrachten, worin er Johann von Rabeustein die Anwartschaft auf eine oder zwei Pfründen in den Diözesen Freising und Passau verleiht, die je nach ihrem Charakter bis zu 25 oder 18 Mark Silber abwerfen dürften 1). Doch durch solche Mittel ward dem Edlen der Gehorsam nicht erleichtert ; heimgekehrt schrieb er in der Einsamkeit von Pra- chatitz, während die böhmischen Ebenen vom Waffenlärm klirrteu, seinen „Dialog", ein fingirtes Gespräch mit drei Freunden: als Ganzes betrachtet, kaum anders denn als eine erschütternde Anklage «regen die Kurie zu verstehen, Wohl beteuert der Verfasser als treuer Ka- tholik wieder und wieder seinen unerschütterlichen Gehorsam gegen den römischen Stuhl, von dem er auch eine „iuiusta sentencia" in Demut annehme; aber als glühendem Vaterlandsfreunde in herr- lichen Worten spricht sich im Dialog sein Patriotismus aus graut ihm vor dem Vernichtungskriege, den der Papst über Böhmen herauf- beschworen und legt er auch die schärfsten Ausdrücke seinem Freunde Wilhelm von Rabie in den Mund, er lässt doch sich selbst ebenfalls aufs nachdrücklichste seine Überzeugung aussprechen, die böhmischeji Verhältnisse hätten auf anderem Wege, nicht nur auf dem des Krieges, geordnet werden können, wobei er die ünhaltbarkeit des bisherigen Zustandes unumwunden anerkennt. Wie kann aber der päpstliche Stuhl neutrale Katholiken zum Kriege gegen die ihm Ungehorsamen

1) ürig. Instrument des Münchner Notars 0.>termaier vom S. Febr. 1471 im Münchner Reichsarchiv, Personenselekt Rabenstein. Als päpstliche Exekuto- rea erscheinen da Simon, Primas von Serbien, der Propst zu St. Andre in Frei- sing und der ,deeanus Augustensium ecclesiarum«, als Rabensteins Prokurator der Freisinger Kleriker S. Tömlinger.

032 Heinrich Waltzer.

zwingen wollen, fragt er. Er weist bin auf den Urheber all' des gegenwärtigen Übels, der einst vor Gott Rechenschaft ablegen müsse, und damit meint er unzweideutig, wenn auch indirekt, den Nachfolger Petri; ja schliesslich lässt er seinen Wilhelm von Rabie den „ver- nünftigen Gehorsam", den Gott verlange, der „Fessel" des Gehorsams gegen die kirchliche Obrigkeit gegenüberstellen.

Doch es war von vorn herein kaum zweifelhaft, dass Rabenstein als treuer Sohn seiner Kirche sich schliesslich doch dem päpstlichen Befehle fügen würde: vom Jahre 1469 an weilte er im Lager des Ungarnkönigs; nun brauchte er nicht mehr zu befürchten, unerlaubter Beo-ünstitruucr der Ketzer geziehen zu werden, wie es ihm bereits widerfahren. Man glaubt ihn für seine politische Haltung belohnt zu sehen, wenn man die Bulle des Papstes Sixtus IV. vom 1. Januar

1472 (1471 calc. Flor.) liest, die ihm die Anwartschaft auf zwei Pfründen in den Diözesen Freising und Regensburg sichert i). Aus dieser Urkunde ist auch zu entnehmen, dass Rabensteiu damals Bres- lauer Kanonikus geworden war, während seiner Eigenschaft als Prager Clericus nicht mehr gedacht wird. Auf einer der Reisen, die er im Dienste Mathias' unternahm, geriet Johann 1473 in polnische Ge- fangenschaft ; vielleicht' hat die harte Haft seinen Tod, der im Herbste

1473 erfolgte, mit herbeigeführt.

In des üngarnkönigs Auftrage hatte Rabenstein im Jahre 1472 eine Sendung übernommeu, die bis jetzt wenig bekannt war: er wohnte als Vertreter seines Herrn der Eröfinung der bayrischen Uni- versität zu Ingolstadt bei. Schon im Jahre 1469 hatte der Lands- huter Herzog Ludwig der Reiche, nach langem Zögern und Vermitteln endlich, gehorsam dem päpstlichen Befehle, mit Georg von Podiebrad brechend, ein Bündnis mit Mathias geschlossen. So kann es nicht befremden, dass dieser in richtiger Erkenntnis der Bedeutung von Ludwigs Stiftung zu dessen Ehrentage einen Gesandten abordnete. In Ingolstadt nun lernte Rabenstein einen jungen Niederaltaicher Mönch Namens Hauer kennen, dem wir die Überlieferung einer bisher un-

') Transsumpt in einer Urkunde des Johann Breyde »canonicus ecclesie Slesvicensis, (Orig. Instrument, verstümmelt, im Münchner Reichsarchive, Perso- nenselekt Kabenstein), der mit dem Erzbischofe von Bologna als Exekutor der Bulle bestellt war. Deren Einzelbestimmungen stimmen mit jenen der oben er- wähnten Urkunde vom 1. April 1465 überein. In das Instrument Breydes ist auch eine Bulle vom 20. März 1473 transsumirt, wonach Johann von Rabenstein bei der Bewerbung um die Pfründen denselben Vorzug geniessen soll wie .non- uuUi familiäres nostri continui conmensales''.

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bekannten Kede des böhmischen Humanisten danken Es mao- mir also gestattet sein, dieses Hauer mit einigen Worten zu gedenken i).

Zu Schwanenkircheu, einer Ortschaft in der ^Siähe des Klosters Niederaltaich, geboren, legte Georg Hauer im Jahre 1458 die Gelübde im genannten Stifte ab. Am Tage der feierlichen Eröffnung wurde sein Name 1472 in das Matrikelbuch der neuen Landesuuiversität ein- getragen, an der er sich später das Magisterbarett erwarb. Ins Kloster zurückgekehrt, entfaltete er in Niederaltaich wie bei den Schotten zu S. Ägidi in Nürnberg als Prior eine erspriessliche Wirlcsamkeit, bis er im Jahre 1485 dem Altaicher Abte Friedrich als Administrator mit ausgedehnten Kechten zur Seite trat. In dieser Stellung findet man Hauer 1489 1490 als Vermittler in dem zwischen Herzog Albrecht dem Weisen und seinen niederländischen „Löwen "-Rittern ausgebro- chenen Zwiste. Nicht viel später traf ihn das Unglück: im Herbste des Jahres 1490, als er eben wieder einmal eine Reise nach den Besitzungen seines Klosters in Österreich und Ungarn antreten wollte, wurde der Administrator durch einen Passauer Domherrn, in dessen Begleitung ein herzoglicher Beamter sich befand, in den Räumen seines Stiftes gefangen gesetzt. Vergebens waren Hauers Vorstellungen bei Bischof Christof, ohne Erfolg blieben seine Bittschriften an Herzog Georg: so weit wir sein Leben verfolgen können, wurde er trotz dem Eingreifen des päpstlichen Legaten Peraudi kaum der Haft entledigt, seine Ehre ihm nicht in vollem Umfange zurückgegeben. Über den Grund jener Gefangennahme lassen sich nur Vermutungen aufstelleu; vielleicht erblickte der Herzog in ihm einen Unterhändler zwischen den Löwlern und König Ladislaus von Ungarn.

Dieser Altaicher Mönch nun vollendete im Jahre 1479 eine dem Herzoge Georg dem Reichen von Landshut gewidmete bayerische Chro- nik, die in der lat. Hs. 1214 der Münchener Hof- und Staatsbibliothek vollständig, in den Hs. 582 und 882 des k. k. Haus-, Hof- und Staats- archives zu Wien teilweise erhalten ist. Als Geschichtsquelle entbehrt die eigentliche Chronik fast jeglicher Bedeutung; der Verfasser selbst wollte sie nur als eine Zusammenstellung von Nachrichten aus den besten Quellen über die Geschichte, der Bayernherzoge bis auf die jüngste Zeit herab betrachtet wissen. Interessanter ist ein in das Werk aufgenommener Fürstenspiegel, bei dessen Ausarbeitung Hauer den Ägidius Romanus und Johann von Salisbury zu Rate zog: inter- essant''auch dadurch, dass er mit löblichem Freimute offenbar in der Absicht geschrieben wurde, dem stark zu sinnlichen Ausschweifungen ^TTI^ueres über ihn und seine Chronik ist in der .Archivalischen Zeit- schrift % Neue Folge, Band X, Seite 18i ff. zu finden.

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neigenden Laudesherru Vorbilder sittlichen Lebenswandels vorzuhalten. In diesem Teile der Chronik zeigt sich ausserdem Hauer, wie in der an den Herzog gerichteten Vorrede, als ein Mann, der sich und zwar als einer der ersten Bayern eifrig mit humanistischen Studien beschäftigt hat. Wahrscheinlich sind die Ingolstädter Professoren Sa- muel Karoch von Lichtenberg und Johann Tolhopf aus Kemuat in dieser Beziehung als seine Bildner zu betrachten; vielleicht hat auch Johann von Kabensteiu während seines Aufenthaltes in Bayern anlässlich der Hochschuleröffnuug in dem damals etwa Dreissigjährigen die Lust an den klassischen Studien geweckt. Denn mit Kabenstein muss Hauer wohl in Ingolstadt in näheren Verkehr getreten sein.

Unter den einzelnen Briefen, Berichten und ähnlichen Stücken, die Hauer in seine Chronik aufgenommen hat, befindet sich nämlich neben anderem Interessanten und Wertvollen es seien hier nur die zum Teile auch anderweitig überlieferten Korrespondenzen zur Türkeu- frage aus dem Jahre 1470 genannt, die dem Altaicher wahrscheinlich zur Zeit des Regensburger Christentages 1471 bekannt wurden eine ,Oracio Johanuis de Rabenstaiu in erectione achademie lugolstatensis aliis orantibus tacite composita" ; eine Rede, die dem Schüler Eneas, dem Verfasser des Dialogus Ehre macht. Wie ihr Titel besagt, hat sie den Zweck, zu dem sie eigentlich geschrieben wurde, nicht erfüllt: Martin Mair, der humanistisch gebildete Rat Ludwigs des Reichen, hielt bei der feierlichen Eröffnung der Hochschule die Festrede, mit der sich Rabensteins Leistung wohl hätte messen können, obgleich auch sie in manchen Stücken nach der Schablone aller Humanistenreden gearbeitet ibt. So schon ihr Eingang: wie etwa Albrecht von Eyb in einer Abendmahlspredigt vor seinen guten Bambergern sich für zu unbe- deutend erklärt, vor so berühmten und weisen Leuten zu sprechen, so klopft dem böhmischen Kanzler nach seiner Versicheruug das Herz, da er vor einer Versammlung ,tantorum dominorum" das Wort er- crreift Obwohl Ausländer, lässt er es sich dann nicht nehmen, den Gründer der jungen Universität zu feiern, einer Stiftung, die dem Lande reichen Segen bringen werde. Mit beredten Worten schildert er die Früchte der einzelnen Wissenschaften, und da zeigt sich denn, dass er wie die meisten Humanisten nicht nur die Astrologie hoch- schätzt, sondern auch der Pyromantie, Hydromantie und andern ge- heimen Künsten ehrenvolle Plätze einräumt, wenn sie nur den Boden der Natur nicht verlassen. Besonders begeistert preist er natürlich .poetarum iocundissimum genus", dem er bezeichnend die Vertreter der Geschichtswissenschaft anreiht, die ausser anderen den Zweck hat, den , Gelehrten" Stoff für ihre Reden zu liefern. Schliesslich wendet

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Rabenstein sich an die anwesenden Professoren, deren ioo-enia. wie- wohl prestautissima, doch die Übung der Arbeit erheischen, und nennt ihnen die Werke, die er den Vertretern der einzelnen Wissenschafts- zweige für unbedingt nötig hält. Mit panegyrischem Schwünge preist er endlich nochmals den Herzog. Alles in allem ein typisches Bei- spiel einer Humanistenrede, deren Thema dem Verfasser reichlich Ge- legenheit gab, seine staunenswerte Gelehrsamkeit an den Tag zu leo-en.

In der Tat war die immerhin nicht zu den alltäglichen Ereisrnissen zählende Eröffnung einer neuen Universität ein Anlass, der einen be- geisterten Verehrer klassischer Redekunst wie Rabenstein förmlich herausforderte, seine rhetorischen Talente an dem Vorwurfe zu üben. Kein Wunder, dass er die vorliegende Rede verfasste, ehe er noch WLisste, ob er auch in die Lage kommen werde, mit einer oratorischen Leistung hervorzutreten.

Der Text der Rede ist unten in den Fassuns; abgedruckt, wie sie Hauer, allerdings au einzelnen Stellen vielleicht nicht ganz fehlerfrei, überliefert. Offenbare Schreibversehen habe ich natürlich ohne beson- deren Hinweis verbessert.

Fast könnte man auf den Gedanken kommen, der Altaicher Kompilator habe eine besondere Vorliebe für Reden besessen, die nicht gehalten wurden; denn eine solche ist auch die ,ad sauctissimum dominum nostrum Nicolaum papam quintum per serenissimum domi- num Ladislaum üngarie regem etc. oracio", die er ebenfalls in sein Werk aufnahm. Mit dem in der Überschrift genannten üngarnkönig kann nur der Sohn König Albrechts II., Posthumus genannt, geraeint sein, der ein einzigesmal in seinem Leben mit Papst Nikolaus V. in so nahe Berührung kam, dass die Gelegenheit zu einer Ansprache an den Nachfolger Petri gegeben war: anlässlich des Zuges Friedrichs 111. zur Kaiserkrönuug nach Rom, wohin ihn sein Mündel Ladislaus aus politischen Gründen begleiten musste. Über diese letzte Kaiserkröuung in Rom sind verhältnismässig sehr zahlreiche, eingehende Berichte auf uns gekommen ; nirgends aber findet mau auch nur eine Andeutung über eine Rede des jungen Böhmenkönigs an den Papst. Sicher ist also, dass auch die „oracio Ladislai" nicht gehalten wurden. Wer aber ist ihr Urheber?

Ladislaus selbst kann die Rede nicht verfasst haben; wenn er auch so aussergewöhuliche Geistesgaben besass, wie sie die Quellen an ihm zu rühmen wissen, eine Leistung wie die vorliegende übersteigt die Fähigkeiten eines kaum Zwölfjährigen denn doch zu sehr.

Aus^der Rede selbst ergibt sich zunächst nur, dass ein humani- stisch gebildeter Mann sie verfasst haben muss; das beweisen Einzel-

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Leiten des Inhalts, das zeigt auch der eiceronianische Stil, in dem sie geschrieben ist. Nach der gleichen Richtung weist ihr Eingang: der König drückt seine Befangenheit aus, da er vor dem Stellvertreter <jlottes und einem so erhabenen Kreis von Zuhörern reden soll. Der übrige Inhalt der Rede begeistertes Lob des Papstes und ebenso begeisterte Versicherungen unwandelbarer Treue und bedingungsloser Erjrebenheit erscheint zu wenig charakteristisch, um einen Schluss auf einen bestimmten Verfasser zuzulassen. Auch die Erkenntnis, dass für die zweite Hälfte der „oracio" der Traktat des Euea Silvio über Fürstenerziehung, den er 1450 dem jungen Ladislaus widmete, benützt ist, hilft da nicht weiter.

Fragt man sich nun, wie Georg Hauer in den Besitz der Rede kam, so kann die Antwort kaum zweifelhaft sein: er muss sie von seinem Ingolstädter Freunde Johann von Rabenstein bekommen haben. So wird man zu der Vermutung hingeleitet, dass dieser vielleicht auch der Abfassung der Rede nicht ferne stand. Im Jahre 1454 lebte Rabensteiu als Student in Bologna; ungewiss ist aber, ob er nicht damals schon länger in Italien geweilt hatte. (Ich bemerke hier, dass mir die Schrift von* Truhlar über J. v. R. ebenso wie Bachmanns Be- merkungen zu ,Joh. Rabensteinensis Dialogus" unzugänglich ist). In den uns erhaltenen Verzeichnissen von Teilnehmern am Krönungs- zusre Friedrichs steht sein Name allerdings nicht; es ist indes nicht undenkbar, dass er bei der Ankunft der deutschen Reisigen schon iu Rom weilte, wo er dann die Möglichkeit einer Huldigungsansprache seines Königs an den Papst ins Auge fasste und so ähnlich wie zwanzig Jahre später in Ingolstadt die Anregung zu einer rheto- rischen Stilübung empfing. Meine Vermutung wird zum mindesten nicht widerlegt durch einige Stellen der Rede selbst. So spricht ein- mal Ladislaus von der allumfassendem Macht des Papstes, deren gött- lichen Ursprung er anerkennt, „obwohl ich recht gut weiss, dass einige das bezweifeln, indem sie dem Papste nur eine Gewalt in geistlichen Dingen zuerkennen, von der weltlichen Herrschaft aber behaupten, dass sie dem römischen Kaiser gegeben sei." Unwillkürlich erinnert man sich hiehei an gar manche Stelle des „Dialogus", vor allem an jene, da Rabenstein, das Verhältnis der päpstlichen zur kaiserlichen Gewalt besprechend, das Vorgehen Pauls II. gegen Podiebrad mit dem der alten Päpste gegen den ersten und zweiten Friedrich und Ludwig den Bayern vergleicht; er zitirt hiebei ein Wort des Sigebert von Gembloux: „der Papst habe sich jene Machtbefugnis angemasst, woraus uncreheure Krieo;e, Niederlagen und schreckliche Entzweiung in der Kirche Gottes entstanden". Man braucht nicht nach weiteren Be-

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weisen dafür zu sueheu, dass Rabenstein nicht zu den Verfechtprn grenzenloser päpstlicher Allmacht gehörte; und ein solcher hätte eben die fraghche Stelle der „oracio ad Nicolaum" wohl überhaupt nicht geschrieben.

Noch eine andere Stelle der Rede ragt durch ihr persönlicheres Gepräge aus dem sonstigen Inhalt hervor: jene, an welcher der junge König die Reiche erwähnt, ,que mihi hereditario iure debentur\ Die'^e Äusserung, aus der unschwer Unwille über das Verhalten des könig- lichen Vormundes herauszulesen ist, entspricht sehr gut der damaligen Stimmung des kleinen Ladislaus und seiner Anhänger; man erinnere sich nur an den Fluchtversuch, der eben in Rom nicht viel später ins Werk gesetzt wurde. Über Rabensteins Gesinnung in dieser Fratze ist kaum ein Zweifel möglich. Jn Betreffs König" Ladislaws ist es unsere Absicht, und unser Wille, auf dem nächsten allgemeinen Land- tage sowohl unsere Freunde als andere Personen dahin zu vermögen, dass an den römischen König eine Gesandtschaft des gesamten Landes abgeschickt werde, damit er uns ihn im Verlaufe eines Jahres als unseren König und Herrn überliefere, sodass er nicht blos dem Namen und Worte nach, sondern in der Tat unser allgemein angenommener und gekrönter König sei": so lautete ein Beschluss des Pilgramer Landtages von 1446, uud unter denen, die ihn formulirten, war Johann von Rabensteiu.

Der Inhalt der „oracio Ladislai" spricht also eher für als gegen die Annahme von Rabensteins Urheberschaft. Nur der bereits be- rührte Umstand, dass Johann vor 1454 in Italien nicht nachzuweisen ist, erregt Bedenken. Anders sein Bruder Prokop, Friedrichs IIL Kanzler und nach Ladislaus' Befreiung Vorstand der böhmischen Reichskanzlei; wie Johann den klassischen Studien ergeben und ein Freund Eneas, der ihn in einem Briefe an Schlick einen „iusignis literarum miles" nennt: Prokop von Rabenstein war im Gelbige Fried- richs auf der Romfahrt. Man kann also recht wohl in ihm den Ver- fasser der Rede vermuteu, wenn man sie nicht seinem Bruder zu- teilen will.

Oracio Johanuis de Rabenstain in erectione achademie Ingelstatensis aliis orantibus tacite composita. (Chn. 12 14. fol. 40 ff.).

Ginnasium Sophie, hoc est exercicium sapiencie, illustrissiine princeps,. reverendissimi domini, magniüci, nobiles, venerabiles ceterique viri pre- stantissimi, constituturi fauste feliciterque (uti spe certa tenemur) adestis

ß38 Heinrich Waltzer.

hodie auspiciis bonis cluce inmortali deo. Qua de re tantorum domino- rum et patrum in presencia locuturus stupet aniinus, racio formidat, in- tellectus (ut ita dicam) ebescendo fatigatur. De summis enim et maximis rebus ad viros prestantissime auctoritatis concionari non mee parvitati, sed Demostenis, Ysocratis aut Tulliane eloquencie convenire ar- bitror; conmuni proverbio affirmante summa summis, yma ymis, infima infimis bene convenire iudicamus. Attamen illustrissimi principis, reve- rendissimorum dominorum, vestrum omnium animi inelinacione, arcium bonarum tociusque sapiencie amore devictus lianc provinciam hodierna die perorandi subire non recusavi. Eas ob res convenire existimo, ut de tanti

fol.40'principis laude, ipsius actus preeminencia, vestraque, doctissimi doctores, ingeniosi scolares^ in percipiendo doctrina, in studendo diligencia exacta ut brevibus pauca perstringam. Adest igitur noster illustrissimus Norice nobilissime dominus princeps hid coram, Ludovicus, cuius maiorum aboi-igines, eius antiquissimam progeniem dicere inpresenciarum omitto. Non enim convenit nee racioni consentaneum est Bohemo, veiuti arbi- tror, viris dissertissimis Bawaris etNoricis hystorias et annales prin- cipum dicere Noricorum, ne stolida presumpeione argai possim; omitto insuper sua egregia tum domi tum milicie gesta, que aput Suevos, Francones, Elveceos ceterasque exteras gessit gentes, cuius sempiter- nam et inmortalem gloriam, rei militaris felicem experienciam mutuo con- ferant nati natorum et qui nascentur ab eis. Taceo insuper sue indolis benivolam et humanam maiestatem, taceo eiusdem fortitudinem, pruden- ciam, magnificenciam, clemenciam, liberalitatem, cetei'as Ludovici nostri omnes virtutes, que inmense sunt, omitto. Extat virtus actuque probatur inter ceteras prestantissima, que modo peragitur: qüi laboribus et impen- sis non parcens hanc achademiam pro bono patrie sue publice erigit erec- tamque manu teuere, protegere, diligere et amare li'eris suis signo prin- cipis obsignatis una cum illustri filio suo Georgio omnique posteritate sua fide bona promittit. Videte rogo virtutis amorem et intuemini dili- genter, qua benivolencia, quo humano aspectu, quali voltu presenti actui iocundus assidere cernitur. Agis hodie certe, agis, princeps illustris Lu- dovice, rem glorie tue inmortalem, amicis et sociis acceptissiniam; bo-

fbl.41.stibus et qui te invidia persecuntur, stimulum consciencie, qui adurat, consumat et enervet invidos, perpetuo infligis. Antiquorum illustrium virorum, principum, regum, imperatorum vestigia laudabilia sequeris, qui studia, qui exercicia literarum diversis in loeis fundarunt. Colit K 1 o d o - veum Tbeobaldum scolaLucecie (!) Parisiensis. Veneratur prin- cipem, qui fundamenta studiorum iecit docte Bononie insignis doctorum cetus; bonorat comites Palatinos Reni, maiores tuos, achademia Haidel- bergensis. Dicuntur in dies Austrasiorum ducum laudes in civitate Wiennensi, nee pretereundus est illustrrs locus Oxoniensis, Tolose, Toleto, Romanus, Pudavinus Ticmensis, Regie Taurinus, Aureliani, Senensis, Reni Coloniensis, Erdf ordensis, Cra- coviensis, Posoniensis, Ferr ariensis, Parmensis; Praga nunc flens aduc pristinam felicitatem achademie suspirat. Quorum locorum principes omni stimulo virtutis permoti exercicia literarum fundarunt, fundata honore et precio alunt. Vetus est, quod dicere volo, attamen quia darum dlcendum arbitror: Athenarum civitas mater sapiencie, alumpnia sciencia-

Beziehungen des böhmischen Humanisten Johann von Rabenstein etc. G30

rum, cum Lacedemoniis et Spartanis longissimo tempore bella gessit; sepe frequenterque pungnas et prelia contulerunt Athenienses in sapiencia, Lacedemonii et Spartani in exercicio belli preclari. Xon semel tamen toga Atheniensium arma et exercitatissimum Ingenium militare Sparta- norum vicit, fudit et in errores reddidit. Tantum potest, dux Ludo- vice, cetus doctorum virorum. Quapropter hoc manifestum est Piatone asserente felices urbes, quas aut docti gubernant aut gubernatores per doctos reguntur. Inte, princeps illustris, nobiiitas generis consauguineo- rum et affinium, sociorum et subditorum magna potencia, experiencia re- rum agendarum, rei militaris, rei familiaris exercicium, copia bene quesitifol 41' census, omnia summopere Yigent babita achademia doetissima. Quis est, cuius potenciam iure formidare debeas, quis est, cuius marcialem voltum pertimescas? Nemo certissime, nemo. Est igitur tuum, quemadmodum virtuosissime inchoasti tempore tuo, temporibus illustrissimi nati tui om- niumque tuorum pronepotum semper in dies augmentare et prosequi, quod te illustremque filium tuum Georgium facturos quovis dubio semoto speramus. Nam res (ut ad naturam actus accedam) tantis principibus veneratione digna extat. Quid enim, deus optime inmortalis, viro sapienti prestancius? quid pulchrius, quid veneracione dignius? Nil est magis sapiencia, que nos a bestiis segregat, deo et angelis pares reddit et ad celestem et divinam licet mortales deducit [vitam]. Ipsa duce et guber- natrice celestia post hanc mortem possidemus. Hec est ipsa sapiencia humanaque supergrediens methaphisica divinarum humanarumque co- gnicio rerum; quanta nobiiitas, excellentissime domine, sapiencie, ut astra universa, errantes et fixas Stellas, naturam orbium, influxus, motus et re- cursus, motores, inteliigencias, kakodemonas, kalodemonas, angelos et Spi- ritus universos et quod maximum est, saiictorum loca uecnon ipsum pri- mum ens, deum omnipotentem, cuncta quoque inferiora sola sciat, sola intelligat, sola gubenet, tueatur et protegat. Per eara principes regnant et legum conditores iusta decernunt, Divinarum enim rerum sapiencia possidet cognicionem; quam cognicionem divinam antiqui tanquam per nobilissimum menbrum universalis sapiencie, per metaphisicam, iura pon-i'o].42 titicum, augurum, et per plerasque constituciones Egipciorum et Cal- deorum, veluti Diodoro placet, in quantum intellectus naturalis sine- bat, intelligere conabantur. Venit nutu di'üno Moyses ceterorumque coUeglum prophetarum, aigiographorum et sacre historie scriptorum, qui nobis illuminati divinitus, in quantum umbra legis veteris permittebat, divinarum rerum veritatem aperuerunt. Ex bac traditione auctoritäte Augustini legens aput Egipcios Plato aliqua divinitati congruencia pre aliis dixit velud mundi creacionem et cetera in Thimeo, Ex hac et Hermes Trismegistus suam edixit proposicionem : monas gignit mo- nadem et in se reflectit ardorem. Nihilominus propter umbre obscurita- tem et intellectus humani in quantum humani incapacitatem, qui veram divinam theologiam tradere posset, non erat usque ad unum. Unus autem angularis lapis Christus Jhesus, qui deus et homo in unitate persone veram et summam theologie veritatem nobis tradidit et conscripsit. Quid enim divinitatis absconsum ab eo erat, qui verus et perfectus deus est?. Quem apostoli quatuor ewangelici doctores, quatuor colurapne ecclesiastice, uua cum aliis sanctis secuti summam veram et inexistimabilem ac indu-

(340 Heinrich W a 1 1 z e r.

biam divinam sapienciam conscripserunt, cuius ductu celestem anhelamus et post labores pervenimus ad patriam. Quam veluti principale membrum universalis sapiencie, princeps illustris, hoc in ginnasio obsevvare et ei

fol. 42' adherere manda; ei adherentes et eam sequentes finem optimum deum consecuntur. Grramatica literarum sciencia veluti ostium •) omnium aliarum nonne summa ex sapiencia originem sumpsit? Ex sapiencia sem- per intelligb veluti generali ad omnia, non in quantum distinguitur a sciencia. Maxima enim subtilitate racionis deventum est, ut viginti tribus aut viginti quatuor in aliquibus ydiomatibus literis Latinum, Ytali- cum, Gallum, Hyspanum, Grecum, Caldeum, Hebreum, Si- riacum, Slavum, Indianum, Allemanum, Germanum et non- nullum barbarum ydioma in omni diversitate silbarum et probacionis con- tineatur ; ex quo absens absenti literis veluti presens presenti coram loqui potest. Que sciencia ex literis accipiens incrementa mira subtilitate suos alumpnos ad congruam perducit locucionem. Sapiencia igitur non in quantum distincta a sciencia, sed veluti generalis sophon (!) et do- mina tantarum iam dictarum et sequencium genetrix est tiliarum. Presto constat rethorica, sine cuius naturali vel artificiali usu nulla locucio ornate perfici potest. Intueamur ineruditorum sermones; licet congrua proferantur, gramatica si ornatu rethoris non politur, nauseantes reddunt auditores. Intueamur Q u i n t i 1 i a n i , T i t i L i v i i , Crispi Salustii, Julii Cesaris et aliorum eruditorum verba, (deus bone) quanto ornatu rethorico sunt perpolita; quantam ex illis le- gentes iocunditatem, quantum racionis acumen accipiunt. Quantum sub- tilibus locis, quam dissertissimis argumentorum persuasionibus, delicatis et siibtilissimis coloribus hec sciencia utatur, nemo est credo vestrum, qui ignoret, prudentissima exordia, brevissimas divisiones, luculentissimas nar- raciones, exquisitas confirmaciones, confutaciones fortissimas, conclusiones et cetera artis sue more in medium afferendo, veluti Quintiliani,

tol.43Ari3totelis et summi oratoris Ciceronis libri doctissime demonstrant. A.dest dyalectica, loyca (!) et sciencia dissertiva alas suas in omnes extendens, si cuius argumentacione exquisita in omni sciencia he- bescit intellectus; quin ymo et rusticorum illiteratum durum genus natu- rali quadam loyce dissercione utatur, necessarium est, consequens ex ante- cedente trahendo. Quas ob res omnes adolescentes, quorum ad liberalia studia prosequenda stat animus, consilio maiorum in hac dyalectice scien- cia insudare debent. Astrorum insuper nobilis astronomie sciencia mirabili permota racione subtilitatem motuum astrorum, stellarum influxus eciam usque ad momentum considerat. Nee geo.metria est reicienda cum suis geometricis deiuracionibus (?), proporcionibus et raciouibus quan- titatem linealem subtiliter dimeciens. Adesse debet et a r i s m e t r i c a numero suo hiis duabus veluti soror germana. Musica eciam in pro- porcionibus et concentibus suis hiis tribus in quadruvio summa necessi- tadine coniuncta id operatur, ut ex ea modulacio proporcionata eveniens una cum corde devoto hominibus sanctis, deo summo placeat^), demonibus displicenciam generet^), moniacos et demoniacos ad veram vitara morumque

•) Hs. hostium.

■■') Hs. summe placet, generat.

Beziebungea des böhmischen Humanisten Johann von Rabenstein etc. (34^

limen reducati), quod David sua lira, suo psalterio probavit, in dies omnium deo dicatorum ostendit professio. Summum enim et maximum honorem parte hominis racionali et intellectiva deo per accionem gracia- rum tribuere debemus, quod sagax natura et religionis nostre patrum statuta musica modulacione perfici voluerunt. Et non solum Christiane sacrosancte nostre religioni plaeuit, sed Hebrea, sed Caldea, sed Sira illud idem tenet secta, et antequam Ciiristi illuxit felix beätaque nati- fol. 43' vitas, ymni Apollinis, ymni seculares et alii in scena et tragediis con- cinebantur, quod nobis Carmen Horacianum seculare et chori trao-e- diarum Senece plane manifestant. Medici tarn phisici quam cir°o- gici (!) nostris in scolis summa veneracione sunt habendi. sua uti- lissima et naturalissima arte Corpora humana variis lanquoribus obnoxia sanitati restituunt et ad veram humorum concordiam reducunt, ex quo virtuti querende apta reddantur; archana philosophie, experimenta pbisice ipsi sunt qui scrutantur; ipsi sunt, qui nobis pro utilitate sanitatis ape- riunt et dieunt. Nigromancie, alchimie, memorative artis, notorie et notatorie, artis specularis. perspective, ponderis, geomancie, ciromau- cie et Juliane ydromancie et piromancie, aliarum quoque arcium subtilissime inventarum ingenia non sunt respuenda, dummodo in tantum procedant, ut in natural! effectu sistentes supersticiones et dyabolica deli- tamenta non admittant. Humanum tarnen versipelle Ingenium in hiis ex- cedendo ipsas suis supersticionibus abhominabiles et prohibitas reddidit-); nee mirum: nitimur in vetitum, cupimus semper negata. Doctus tarnen et sapiencie deditus vir ingeniosus ecclesiasticas normas et mandata ob- servando omnia mecietur, quibus mandatis omnes colla nostra subicere debemus. Poetarum iocundissimum genus ex gramatica et rethorica originem sumens in achademia universal! deesse non debet, sine quo or- bum, marcum, mutilum doctorum virorum redditur Studium. Poete et prosunt moribus et delectant morali sua ficcione et iocunda simul et ydonea dieunt vite. Ad hoc, ut seeundum Augustinum in libro civitatis dei,t'ol. 44 adolescentes Virgilium [et] ceteros perlegant poetas, ut tantorum viro- rum sentencie et verba a teneris epoca annis in senectam usque perducant. Xec michi videtur necessaria ad refellendum illorum fatua sentencia poetas indifierenter legi prohibencium, cum iam dudum et canonum auctoritate et aliorum arguta racione ex mentibus doctorum evulsa est, Hystorio- graphorum nomen landabile, virtus venerabilior doctis viris ad manus esse debet. In annalibus enim tocius condicionis homines presentem vitam ex preteritis exemplis veluti in speculo intuentur. Doctas, autenticas ac- ceptasque legamus hystorias: mala presencia exemplo preteritorum malo- rum refellemus; que lectio pre aliis omnil)us principibus viris summani prebet et delectacionem et rerum agendariim racionem, et doctorum eru- ditorumque virorum ac hominum locupletes reddit^) oraciones. Quas hi- storias et philosophi amplecti debent, quoniam moralitati appositive conve- uiunt et omnis philosophia natural!, disertiva et morali coucluditur. Quid? trivium qui consequitur, eum beatam et felicom ducere vitam iure merito

') Hs. reducit.

-) Hs. reddiderunt.

3) Hs. reddunt.

Mittheilunpen XXIV.

642 Heinrich Wal tz er.

dicemus. Nam moralem pbilosophiam, ut de duabus partibus aliis supe- riora sufficiant, hominum vite pernecessariam esse scimus. Quo enim modo virtus ipsa acquiri debeat, ali et perfici possit, nisi Socratis, Ciceronis, Aristotelis, Senece, aliorum quoque plurimorutn nobis precepta tum in morali et monastica, tum pollitica data sint. A quorum doctissima sciencia confirmanda [ad] moralem scienciam augmentandam et manu te- nendam, ad humanos mores corrigendum omnibusque scienciis superius

lol. 44' traditis metas, fines et terminos statuendum ad hoc ut non supei'grediatur plus quam sapere oportet, sed sobrietas servetur, ut bonum civile, bonum publicum, Salus ecclesiastica, salus anime intelligatur, districtissimo iuris- consultorum et patrum nostrum pastorumque anime iudicio prudentissima legum et canonum precepta emanarunt tocius nostre vite actus dirigencia, sine quibus omne regnum destruitur, omnis congregacio et pollicies dissi- patur; omne collegium absque iure conmuni vel municipali non hominum, sed magis bestiarum esse censetur. Quos enim timor dei et virtus a crimine non revocat, saltim pena plebiscitorum, legum et canonum cum sua temporali pena a scelere cohercet, et ut plane dicam, hec sunt utrius- que iuris precepta, que nobis formam vite, modum bene vivendi, virtutem et salutem perpetuam tribuunt, de quibus idcirco post alias sciencias dicere volui, ut finem res dignissima concludat. Eas ob res exurgite, doctissimi viri, Ingenium in labore acuite, sudate, algete, uti Persio placet, qua- tenus vester labor vobis honorem, reipublice utilitatem, principi vestro summam gloriam afferre possit. Ingenia vestra, uti certo sum edoctus, prestantissima sunt; attamen exercicium laboris requirunt. Et quia de summa re, hoc est de virtute ingenii certatur, date operam, rogo, rogat et iure materno, mandat respublica et ipsa achademia, ut omni diligencia, omni cura et opera virtutis documenta salutis anime et regiminis vite doceantur. Adest principis vestri favor, adest pontificis summi, quod pri- vilegia et fundamentum vestri ginnasli ostendunt, omnium bonorum homi- num tam sancto actui favor aderit. Vestrum superest, quod vos facturos

lol.45spero; currentes quoque pungo: adeo in re tam sancta, tam beata, tam utili, tam excellenti ingenia vestra desudare debent, ut raro de manibus vestris, doctissimi theologie professores, uovi veterisque exeat testamenti pagina: Gregorium, Jeronimum, Augustinum, Ambrosium magistros accipite. Petrus non desit Lambardus, sentenciarum ma- gister Thomas Scotus, Franciscus Maro et eDrum sequaces studia vestra exornent. Vos, acutissimi philosophi, grammatici, oratores, historio- graphi, poete M. Varronem, pristinura (!) Johannem Cortellum, Platonem, Aristotilem, Averroem, Ciceronem, Demostenera, Ysocratem, Quintillianum, Homerum, Virgilium, Euclidem, lacteo fönte manantem Titum Livium, optime videntem Strabonem, naturalis hystorie Plinium, Alber tum Alemannum et ceteros, quos scole auctoritas aut ingenium et virtus insignes reddit. Legite medici Avicennam, Yppocratem, Rasim, aliique suos amplectantur. luris- consultis, urbium, hominum et animarum rectoribus semper libri iuris utriusque corporis adsint ; Johannes A n[d reae], Hostiensis, Inno- cencius, Johannes Theutonicus, Bernhardus,Bartholomeus Brixinensis, Butonis, Panormitanus, Azo, Accursius, Bar- tholus. Bald US, Fulsonis ingenia vestra una cum exactissima me-

Beziehungen des böhmischen Humanisten Johann von Rabenstein etc. ^43

moria semper perpolita reddere curabunt; quibus ducibus opera et labore vestro comite magna [et] exactissima irjgenia. facile conficietis. Presto est enim gracia divina hiis qui invocant deum, et hiis qui laborant in opere sancto adiutorio et auxilio absque dubio extabit. Bonus est et pius in- vocantibus, cum et ubi unus vel duo conveniunt in nomine ipsius, medius eorum est Christus. Caritatem igitur diligite, paternum amorem ad vestros scolares habete. Scolares et adolescentes magistros suos velud patres venerentur, et quid dico? patres, ymo plus quam patres. Pater fol. 45' enim dedit esse, magister, preceptor et doctor fidelis dat nobis bene, docte, virtuose et prudenter esse! Sic vestros actus, vitam et studia dirigite, ut merito scolares et acbademie amatores dici et esse possitis. Kam Scolaris litteris non deditus nomen Scolaris et studentis perdere meretur; Scolari autem convenit lecciones frequentare, disputacionibus interesse, de dubiis interrogare, audita et lecta in memoriam tenacissimam diligenter ponere, suppellectilem librorum pro suppetencia rei familiaris colligere, collectos omni exactissima cura servare, velati nostri fulget iurisconsulti subtilissimi proverbium; extat: bonus diligensque Scolaris cum primam togam accipit scolasticam, tanquam regularis professor vitam suam omnibus bonis mori- bus exornatam reddere debet, in habitu, in incessu gravitatem ostendendo, ita ut omnis suus gestus literali et philosophice gravitati correspondeat. Omnes enim nos sive theologi sive arcium liberalium cultores sive viri boni oratores, poete, medici, historiographi, iuris utriusque consulti sive cuiusvis artis überaus cultores philosophiam profitemur et sacras litteras nee non sacrosanctam doctrinam suscipientes bene merito, veluti iuris placet consulto, sacerdotes et sacrorum possessores appellamur. Quelibet igitur levitas morum, vestium, verborum, incessus, tocius quoque gestus a pro- fessoribus sacrarum cesset litterarum ; sed veluti sapiencie sponsi, mariti et possessores sumus et pbilosophorum nomen amplectimur, ita sapiencie et scienciarum optimarumque arcium cultores et amatores verbis et factis existamus, ad hoc, ut ommbus nobis laus, gloria et corona in regno celestilbl.4ü detur perpetua. Docti enim veluti stelle fulgebunt, tanquam scintille in arundineto discurrent, iudicabunt populos et regnabunt in eternum. Que cum ita sint, macte animo virtuose princeps, bene vale et felix diu sis letus, triumphis inceptum opus omni cura pro virtute tua et diligencia prosequere. Dignissimum, sanctissimum est, tue glorie utilissimum est scolares professores sub alis tue excellencie protegere, Ipsi te patrem venerentur, tuam purpuram adorent, te dominum et patronum colant: tibi principi obedire debent. Ex quo tibi gloria sempiterna, subditis honor et utilitas semper crescent, sicque virtutibus operam dantes in pace bona et sancta ocio literali protecti tecum una ad eternam et sempiteruam perveniemus deo altissimo adiuvante hereditatem. Quam nobis prestare dignetur, qui in secula vivit et regnat. Amen.

M'^CCCCoLXXIP die Veneria post Johannis Waptiste.

42*

ß44 Heinrich Waltzer.

Ad sanctissimum dominum nostrum Nicolaum papam quin tum per serenissimum dominum Ladislaum Ungar ie regem etc. oracio (Clm. 1214, fol. 23 ff.).

Cum animadverto, beatissime maximeque pontifex, me apud inclitos pedes sanciitatis tue constitutum, que inter mortales dei omaipotentis vicem gerit, coram hoc sacratissimo senatu, ad quem illustrissima tocius mundi sidera atque homines doctrina et sanctitate lectissimi convenerunt, non iniuria equidem in tanta rei magnitudine subsistens, unde inicium oracionis sumam et quibus verbis te unicum Christianorum principem, te regum regem atque in terris deum adorem, non facile constituere possum. Hec enim tanti numinis presencia, hie tam celsus audiencium cetus erudi- tissimum quoddam elegansque dicendi genus exquirit, cui me et ingenio et eloquencia longe imparem esse cognosco. Quare tacere existimarem, ne tantara provinciam aggrederer, in qua ipsius eciam Ciceronis aut Hortensii robur exsudaret, nisi admirabilis tue sanctitatis clemeneia collapsas ingenii vires et succumbentes humeros sublevaret, que cum Om- nibus ad se integra mente conversis incredibili benignitate patere non desinat, mihi quoque (ut confido) consuete mansuetudinis aditum non pre- cludet. Te namque, beatissime pater, non sine racione beatissimum ap- pellamus, quem admiranda probitatis omniumque virtutum merita, incor- rupta vite integritas ad hanc eminentissimam sedem iure optimo extule- runt. Quis enim dignius in ea potuit collocari quam ille, quem a primis

tol,23'annis celestem in terris vitam egisse semper constat, qui pro Christiana religione per innumeros casus, per varia itinera per diversas mundi provin- cias omnem etatem in maximis laboribus, in omnium rerum difficultate contrivit, in cuius pectore omnes liberales artes, omnes sciencie et pre- stantissima inprimis sacrarum literarum doctrina patrios (ut ita dixerim) penates sibi a tenera eins etate consecrarunt ? Tu inquam, dignissime, militantis ecclesie es Caput, que non sine racione ad triumphautis exemplar dicitur ordinata. Nam ut in iUa unus deus Creator omnium sceptrum tenet, ita et in hac tibi uni tantura dei vicario tocius orbis Imperium delegatum esse constat. Ut enim sancta fatetur ecclesia, constituit dominus pontificem super gentes et regna, ut evellat, dissipet et plantet. Quamquam igitur non ignorem complures hoc in dubium revocare disserentes solam spiritualium rerum pontifici datam esse [potestatem], terrestre autem imperium Romano datum imperatori affirmantes quid enim aliud credendum est Christum significare voluisse, dum ad se Petrum solum supra mare vocavit, dum ei supre- mam ligandi atque solvendi facultatem concessit, dum sibi carissimi gregis euram demandavit? Unum certe in terris principem constituere voluit, qui summi dei vice ac potestate inter homines fungeretur, a quo una vera sapi- encia, vera fides ad reliquum genas humanum perveniret. Consistit enim in hoc uno Christiane fidei sacramentum, cui scilicet dominus dixit: Ego autem rogavi pro te, ut non deficiat fides tua, et tu aliquando conversus confirma fratres tuos. Tuam igitur sanctitatem tanquam domini nostri locum tenentem

fol. 24 in terris ac magistram et ducem universalis ecclesie recognoscimus omnes, te certum et indubitatum beati Petri successorem, te pastorem dominici gregis, te sanctorum evangeliorura verum interpretem, te doctorem salutaris vite, te denique clavigerum regni celeslis profitemur, quo fit, beatissime patei', ut mihi quidem lectissimam omnium hodiernam diem illuxisse sencio (!), in

Beziehungen des böhmischen Humanisten Johann von Rabeustein etc. (345

qua divinitus datuoi est et tantum et tarn presens numen intueri, colere et saltem integra, mente ac vera fide venerari. Cum enim sanctitatem tuam inter hos felicissimos et celestibus persitniles astancium ordines in hac sublimi sede apostolica collocatam suspicio, nichil aliud profecto quam supernam illam in terris maiestatem videor admirari. Maiöre eciam mei, qui vel Ungarie\ Bohemie vel Austrie prefuerunt, huius divinissime sedis precipui semper amatores et cultores fuerunt. Eorundem progeni- torum meorum vestigiis inherendo te eterne vite clavigerum summa, quoad vixero, reverencia prosequar. Et^) cum omnes sacre littere deum colen- dum clamitent, huic me primum dabo conmendaboque, hie meus est autor, meus dominus, huic omnia debeo; cumque omnes homines deo referre gracias debeant, ego illi maxime regraciari et servire teneor, cuius munere factum est, ut ego rex nascerer; poteram ego unus ex plebe aut unus ex rure nasci, sed inscrutabile dei iudicium me collocavit in sublimi solio; non efferri debeo, non tumescere, non superbive; quod michi datum est, alteri dare potuit; quanto maior sum natus, tanto me debeo humilius gerere, subiicere collum religioni, interesse divinis officiis. Nam cui divi- nus cultus est cordi, reliqua facile famulantur. Primum querite regnumfol.24' dei, scriptura dicit, post hec omnia adicientur vobis. Rom an i quamvis gentiles erant, omnia tarnen post religionem duxerunt; in quibus eciam summe maiestatis decus conspici voluerunt nee dubitaverunt sacris imperia servire, ita se humanarum rerum futura regimen existencia, si divine po- tencie bene ac constanter fuissent famulata. Quid nos, veri dei noticiam habentes, facere decebit? Cavebo igitur, ne michi religionem putem esse subiectam ; quamvis magni principis nomine gaudeam, non dominus, sed filius ecclesie sacerdotis imperio in his, que dei sunt, subiectus sum. Theodosius Cesar quamvis potentissimus esset et Roman um guber- naret Imperium, Ambrosio tamen Mediolanensis ecclesie presulatum tenenti collum subiecit, imperatamque penitenciam peregit humiliter. Constantinus autem maximam sacerdocio reverenciam prebuit nee iudi- cium super episcopis in Concilio Niceno ferre voluit asseverans deos ab hominibus non esse iudicandos. Eorundem Christianissimorum princi- pum vestigiis inherendo sacerdocium summa reverencia prosequi non post- ponam, ad quod et natura et ipse deus omnipotens gressus meos ab ineunte etate direxit, ad quod omnes conatu;., omnia desideria, omnes co- gitaciones animi mei semper prospexerunt. Ego tandem me ipsum, do- minia et ]-egna, que mihi hereditario iure debentur, tue clemencie, tue fidei tueque protection! conmendo, pro cuius tue sanctitatis felicissimo statu nihil unquam arduum, nuUum periculi, nulluni laboris aut difficultatis genus recusabo.

') Vgl, Aeneae Sjlvii Opeia omnia. Bas. Iö71. p. 973.

Kleine Mitteihiiigeii.

Bi'itriiüC zum liistoriscliiMi Atlas der östcrr. Alpi'nHliidcr.

IV. Die befreiten Ämter der Herrschaft Steyr: Neustift, Pfuurnreitb, Ebersegg und Wiuuhag. üuter dieser Rubrik verzeichnet das „Urbarium über der Kbay: Herrschafft Steyr Urbars Uutfrthanen, Yoggtheyen und audt-re Herrachafftliche Gerechtigkliaiteu" vom Jahre 1658 (Steyr Schlossarchiv M. S. III. 268) jene Untertanen in den Pfarren Neustift O.-O., Weistrach, Neustadt, Kürnberg, S. Peter in der Au N.-Ö., Garsten und Ternberg O.-Ö., welche als Freigeld von je zehn Gulden (statt einen Gulden) 24 Kreuzer, demnach von 100 fl. nicht lü"!o, sondern nur ö% zu entrichten hatten.

Das älteste Urbar des Herrschaftsarchives, welches die Ausst-n- aufschrift Anno 1424 hat, in Wirklichkeit aber erst aus dem J. 1532 stammt, kennt diese Bezeichnung i.icht, erwähnt auch weder in der ^Ordnung eines Jeden Inhaber der Herrschafft Steyr" (Bl. 423— -128), noch im Kontexte der Freiheiten der vier Ämter (Neiistift mit 99, Ebers- eckh mit 35, Windhag mit 19, Pfnurrnreyt mit 77 Untertanen, wozu in letzterem Amte noch 15 Inwertzaigner kamen), obwohl über die Beschwerden der Untertanen im J. 1524 eine kaiserliche Untersuchuugs- k'ommission abgeordnet und verschiedene Missbräuche des Pfand herrn Wilhelm Freiherrn von Rogendorf, des Landrichters zu Hall uud der Förster abgestellt und Nachlässe der Giebigkeiten bewilligt worden waren.

Auch das allerälteste Urbar der Herrschaft Steyr aus den ersten Jahren des 14. Jahrhundertes (Rauch rer. austr, script. I, 391 462) macht bei den Rubriken „datz Ebersekke", „Nevstift", „datz ist Phnvrren Revtte" keinerlei Bemerkung.

Dessen ung-eachtet hatten wenigstens die beiden letzteren Am' er verbriefte Rechte, worüber allerdings die Original-Urkundeu nicht auf

Beiträge zum liistorisclien Atlas der österr. Alpenländer. (547

uns gekommen siud, da dieselben wahrscheialicli bei der Vereinbarung zwischen Herrschaft und Untertanen nach dem zweiten Bauernauf- stände im J. 1598 eingezogen und wohl auch vernichtet worden sind.

Wie anderwärts fühlten aucli die Holden der kaiserlichen Herr- schaft Steyr sieh durch den Pfaudinhaber (Freiherrn Adam Hofmaun) beschwert und richteten eine Supplikation an die n.-ö. .Kegierung, welche bei derselben am 23. Juli 1574 einlief. Derselben lagen Ab- schriften zweier Urkunden des römischen Königs Rudolf I, und det" Herzogin Elisabeth, Gemahlin des nachmaligen Königes Albrecht 1. bei, aus welchen zu entnehmen ist, dass König Rudolf die alten Rechte und Gewohnheiten der beiden Ämter bestätiget und Herzogin Elisabeth die von ihrem Diener Chunrad Eysenpeutel (um das J. 1290) miss- bräuchlich erfolgte Einhebung des Todhauptes abgestellt hat.

Die Supplikation samt Beilagen in einfacher Abschrift erliegen im Archive des k. u. k. gemeinsamen Finanzministeriums in Wien Faszikel S. 24/1. Der Freiheitsbrief K. Rudolfs wird mit der Ur- kunde der Herzogin Elisabeth, welche undatirt ist, nach ihrem Titel aber in die Zeit vor dem 5. Juli 1298 gehört, im Folgenden ab- gedruckt. .

1.

Nos Rudolfus dei gratia Romanorura rex seniper augustus. Ad universorum tam presentium quum futurorum noticiam volumus per- venire, quod nos prudentibus viris omuibus et singulis colonis resideu- tibus in Nuvenstifft et Pfurrenreit, qui ad cameram nostram et prin- cipis terrae solum spect.ire noscuntur, ins suum autiquum et consue- tudinem recognoscentes libere nolumus, quod ipsi cuiquam homiuum cuiuscunque conditionis existat, in aliquo servitii genere serviant, nisi nobis vel illi qui pro tempore princeps fuerit loco uostri. Pro- mittimus etiam colonis predictis, quod ipsos nuUo tempore volunius obligare presentium testimonio literarum. Datum Wienne kl. aprihs indiccione IX, anno domini MCCLXXX prirao, regni vero uostri anno octavo.

II. (vor 5 Juli 1298) s. anno, 8. September. Wien. Elisabeth dei gratia ducissa Austriae, domina Carniolae, Marchiae ac Portus naonis, viro discreto D. iudici in Styra fideli suo gratiara suam et omue bonum Cum ins mortarium quod todhaubt dicitur m officio Xeu- stifft et Pfenurenreut per Chunradum Eysenpeutel ahquando in- debite institutum ob remedium salutis nostrae relaxavimus et statmmus amodo non requiri praecipue propter deum, quocirca provulentiac tuae

(348 Kleine Mitteilungen.

committimus tibi iiihilominus seuerius iniungentes, quod idem ius ab hominibus duorum officiorum amodo uou repetas nee requiras, sed oosdem de tanto dimittas pro huiusmodi liberos et quietos.

Datum Vieuuae in die annuutiationis beatae Mariae Virginis.

Auf der Rückseite der Abschrift: viro discreto D. iudici in Styra tideli nostro.

Im Faszikel S 24/2 des gemeinsamen Reichsfinunzministeriums findet sich aufbewahrt das Original-Rügbüchlein der 4 Ämter mit dem Titel auf dem rückwärtigen Blatte des Umschlages aussen: ,die vier ämbter Neustifft, Phnurreith, Eberseckh und Windthag in die herr- schaftt Steyr gehörig altes ruegbüechl davon herzog Alb rechten brieff sag-t, den sy in iren ehehatiten tädinge verlesen oder rüegen". Das Büchlein stammt aus dem 16. Jahrhunderte, von dem- selben wurden am 10. Jänner 1565 und am 21. Juli 1570 kollatio- nirte Abschriften augefertigt (Vgl, Lambel, Bericht über Weistümer Forschungen in S.-B. 73, 24).

Im Eingange wird ausgeführt, dass „die rechten auch freyheit yruette <rewonhait und sitten" deu armen Leuten der 4 Amter zuerst im J. 1280 König Rudolf, dann jeder seiner Nachfolger bestätiget habe. Im ersten Punkte heisst es, dass dieselbigen vier ambtleüth ehehaittsthäting . . auf die alten dingstat in der Räming (Klein- ramingtal) vorzugebieten haben. „Item sein wier auch khain sterb- haubt (vermug und juhalt aines alten pergamenscheins von der durchleichtigeu hochgeborneu frauen frauen Elisabeth herzogin zu Ossterreich hochlöblichsten gedechtnus) zu geben schuldig".

Der im Titel angezogene Brief Herzog Albrechts ist nicht er- halten.

Kremsmünster. JuliusStrnadt.

Eine Summa dictaminis in einem 3Ierse1)iirger Codex.

Der Cod. Dresdeusis De 17 H ist ein Sammeiband und stammt, wie die Notiz auf der Rückseite des Einbanddeckels ausweist, aus Merse- burg. Ein Eintrag auf fol. 42^ besagt „sanctorum apostolorum Petri et Pauli in Merseburg", ein zvTeiter fol. 56'"^ „saucto Petro (darüber- geschrieben von der Hand auf fol. 42^'^ in Merseburg) Alexander monachus". Diese letztere Hand ist, wie ich schon (Rom. Forsch. VI, 510 n.) bemerkte, dieselbe Hand, die im Codex des Amarcius den gleichen Eintrag gemacht hat. Die zwei ersten Quateruionen der Handschrift bestehen aus Prospers Epigrammen, die drei nächsten Lagen (die dritte ist ein um ein Blatt verkürzter Quinio) enthalten

Eine Summa dictaminis in einem Merseburger Codex. G49

die Messias des Eupolemius. In diesen beiden Teilen fehlt jede Her- kunftsangabe und sie sind von gänzlich verschiedeneu Händen ge- schrieben. Die beiden nächsten Quaternionen (die zweite ist zum Ternio verkürzt) enthalten in sehr kleiner und stark abgekürzter Schrift des ausgehenden 13. Jahrhunderts als Hauptwerke Scholien zur Ars poetica des Horaz und zu den Remedia amoris Ovids; vor beiden aber stehen zwei kleinere Stücke ohne Aufschrift, eiue kleine Urkundenlehre und eine philosophische Abhandlung beginnend: „Hu- mana natura quatuor rüolestam (?) augariatur incommodis, iguorancia, silencio, vicio, indigencia^ sie enthält Zitate aus Cicero, Marcianus Capeila und aus Werken Gregors des Grossen u. a.

Mit Übergehung dieser letzteren Schrift wende ich mich zu dem mit fol. 42'^ beginnenden und auf f. 42^ schliessenden Werke, das ohne Inskription uud Subskription eingetragen ist und von dem phi- losophischen Werkeheu durch Zwischenraum zweier Zeilen getrennt ist. Das Blatt ist fast bis zum Oberraude beschrieben und hat daher, als der Sammelband gebunden wurde, eiu wenig durch Beschneideji eingebüsst, so dass die erste Zeile von Spalte 2 auf fol. 42'"^ und die erste Zeile der ersten Spalte von fol. 42^ teilweise schwer zu lesen sind. Die Abschrift selbst weist viele Fehler auf, sie gibt sich dadurch als solche zu erkennen. Manche Teile erscheinen fast fehlerfrei, wäh- rend anderwärts der Sinn entstellt ist. Es handelt sich beim Inhalt um einen Teil einer Summa dictaminis, nämlich um das Auferiigen von Urkunden; uud zwar kommt erst als Aussteller der Papst, dann der Erzbischof und Bischof, ferner der Kaiser und endlich der Herzog von Sachsen. Es ist also dasselbe Grundschema, wie in dem betref- fenden Teil der Ars dictandi Aureliauensisi); und es finden sich auch gewisse Ähnlichkeiten, aber ohne dass eine Abhängigkeit möglich wäre. Auch die übrigen von Rockinger a. a. 0. veröfi"entlichten Artes und Summae haben eine Verwandtschaft mit der Dresdner nicht er- geben. Da die Handschrift aus Merseburg stammt und zuletzt der Herzog von Sachsen eine Rolle spielt, so wäre es immerhin möglich, dass das Werk in Merseburg oder wenigstens in Sachsen entstanden ist.

Die Erhaltung ist derartig, dass der Urkundeutext gewöhnlich ohne Lücken wiedergegeben wird; dagegen scheint in den Worteu, welche den Text verbinden und die Anleitung enthalten, manches aus- gefallen zu sein, denn so wie sie in der Handschrift überliefert sind, o-eben sie zuweilen gar keinen Siun. Der Wortlaut heisst folgender- massen :

1) Hrsg. von L. Rockinger, Quellen und Erörterungen z.ur bnyr. u. deutsch. Gesch. IX, 111 tf.

(550 Kleine Mittheilungen.

A. servixs servorum dei dileclis heremitis de Stella in pevpetuum. Ex apostolici officii culmine tenemur sacrosanctis ^) locis providere^) et eorum iura integra conservare, presentis enim etatis ciipiditas ad rapien- dum ins alterius nimium estuat maiori cautela cohibenda. Et quoniam fatna loquitui- et opera testantur^) monachos de Stella qvii iam crucem suam sustulerunt abrenunciantes secularibus apostolicaui ducere vitam, quare nequiuius eos non diligeve et eis aOectamus precavere. Vobis igitur dilectissimi monachi de Stella presentis auctoritato privilegii quaiucumque donacionem bonorum possidetis vel iure legitime-^) emendo vel labore bo- norum aquirere poteritis confirmamas . et irapressione^) sigilli nostri et nostri^) subscriptione nominis roboraraus. Si quis autem nefario ausu vel artificiosa calumnia piesentem paginam infringere vel violare temptaverit tarn ecclesiastica 'quam laica persona vel secularis et bis terciove com- monita nisi atquieverit ipsam satane et angelis' suis anateraatis vinculo innodamus et cum Juda et Nerone in inferno submersa perpetuis teme- ritatem') suam luat supliciis. Con5ervatoribus veio et pi-otectoribus pre- sentis pagine sit benedictio et pax domini nostri Christi ut cum apostolis Petro et Paulo faciem dei videntes eterne vite beata gaudia percipiant.

Vel (!) ego A. ecclesie catholice episcopus. Etiam deinceps per om- nes cardirmles. Datum Parisius per manus N. sancte ecclesie Romane, diaconi. N. cancellario. anno illo incarnationis Domini indictione tali pon- tificatus anno prirao nona (!) tali. Ego P. arcbiepiscopus decietum manu mea tirmavi. Seeularium vero nobilium. Hoc solum videtur (?) habere preceptum qtiod de eo solo qualiter loco vel persone concesserint paginam facere possunt firmatis, in fine vero se suosque heredes aliqua pena tempo- raliiim rerum obligare debenf.

Exordia vero qiiibus comede (?) idimtiir, hec sunt vel huiusmodi. Sancte operacionis propositum festinanter ad effectum debet perduci ne pereunte prgposito optata retribucio subtrahatur, Que divine pietatis aftectu sanctis locis obsequia tribuuntur, Eomana autem (?) debent**) stabilitate constitui et nulla in posterum temeritate revocari.

Archiepiscoporum et episcoporum decreta eodem pene ordine quo et apostoloruni privilegia statiiuntur. In hoc solummodo diff'eriint quia ab his decreta facere prohibentur nisi sub ipsoriim regimine constitutis, etiam in confirmatione decretali et in anatemate quia in fine debet proponere sub auctoritate dei omnipotentis et illius cuiiis nomine epistolis eins notabitur ecclesia et domini A. pape et suorum fratrum et feua-*). In reliquo auteln ordine no)i differiint vel modo scripture. Exordiis autem his et similibus convenienter utimur'^^). Decet universos quos ad^^) .pontificalis officii be- nignitatem divina giatia voluit promovere sanctis iustisque precaoionibus clementer anniiere et a votis divina inspiracione conceptis animum non revocare pietatis. lamque fratres H. karissimi vestris patere precibus an- nuente.s sub auctoritate dei omnipotentis et beati Petri apostolorum prin- cipis et domini A. pape et nostrorum fratrum sanccimus et stabilimus et presentis pagine munimine roboramus ut videlicet ecclesia sancti Laurencii

') cod. socrosanctis. -) cod. puidere. ^) cod. testatur.

*) cod. legitime. ■'■) cod. iuipressioni. '^) cod. vestri.

') cod. temeritate. «) cod. debet. ^) cod. sno.

"") cod. atemur. ") cod ad quos.

Eine Smmna dictaminis in eir.eni Mersebnrger Codex. ß5J^

quam ab abate sancti N. emphiteutico i) iure aquisivistis ut in posteium vobis vestrisque successoribus^) liceat habere et possidere quieto iure quietoque dominio vobis vestrisque successoribus in perpetuum profuturam usibus idoneis. Si quis autem pertinax et indevotus lianc nostre confir- macionis paginam scienter infringere voluerit vel violare vel- contraire pre- sumserit, ex parte dei omnipotentis et beate Marie semper virginis et beati Petri et A. pape et nostrorum fratrum et nostra sit .anathema ut cum Juda et Nerone habeat porcionem. Qui autem eins decretum serva- verit, instinctu divino benedictionis presidio pociatur ac beatitudinis eterne merita inter iustorum collegia consequatur et cetera^).

F. dei gratia Eomanorum imperätor et semper Augustus N. filio suo in perpetuum. Imperatorie semper contingit potencie, malefactorum errata corrigere atque iusiis peticionibus merito consentire. Vel quia Romani imperii dignitas ex fönte nascitur pietatis, ideo et conveniens est, ut piis ac devotis precibus sue dignitatis animum clementer inclinet. Vel Regie magestatis dignitas iure malefactorum plectet audaciam non immerito tarn devotis precibus aures sue potestatis inclinat. Deinde suh domhii impera- toris persona tota consequens oratio procedat atque ut superius dictum est^) que tamquam sit suo privilegio confirmaturus tiominatim exprimat, ad tU- timum vero non anathema quia suiim non est. Sed temporalium verum penam [penam] quam voJuerit vel offensarum personarum convenire vide'Ht facultati constantissime ohlifiet, medietatem quo camere^) sue^ reliqua tero eoruni quorum prioilegia facta sunt usibus profutura. Completa vero litte- rarum privilegii serie fiat in medio quedam figura quam in subsequenti exemplo privlleyii inveniei quam crismon^) appellant. Ut quidam volunt describitur hie nomen'') Christi vel hoc totum pax Christi. In eins cir- cuitu sit littera iuxta scriptoris arbitrium. Frequenter tarnen fieri solet ut in subsequenti est ut sequentia serpentibus ciicumdata paxque dei circuitu scribatur, extrinsecus signum domini C. Romani imperatoris invictissimi Augusti. In extremo vero margine circa sigiUum scribatur sie: Ex can- celiarii nomine (?) h. et h. sancte Marie ecclesie^) archiepiscopus et im- perialis eiusdem curie cancellarius Factum anno dominice incarnacioais illo imperante domino C. imperatore invictissimo anno eins imperii feli- citer. Tunc similiter cum inicio ab effectu verum sumi debet exordium quo conti neatur : Quia debet iniusta plectere et iustum libenter proficere C. dei gratia Romanorum imperätor et semper Augustus Pa.^)^ canouice fratribus in perpetuum. Ut quemadmodum imperatorie dignitati dignum atque conveniens est, pravorum scelera plectere. ita nichilominus congruit debitis iustisque precationibus benigne favere, prout postulacionibus vestns clementer annuere disponentes statuimus sanccimus ac presentis privilegu muniraine roboramus ut nullus vestre canonice pos^essiones^ terra manque continuas quas nunc pos^idetis sive in postero iure ac legaliter vos vestri- que successores acquisituri estis nulla ecclesiastica secularisve persona

n cod emphitectico. 2) successoribus fehlt im cod.

3. V-1. Rockinger a. a. 0. S. 113. ') Hieraus ergibt sich, dass dti

Verfasser seine Vorlage stark gekürzt hat. ^) cod. comecie ,

«^ cod csmon Vgl. Rockinger a. a. 0, S. 112, sowie auch luv das lolgen le.

^) cod. n ^) cod. l ^') l^^t jeder.falls Abkürzung des

Namens, vielleicht ist Passau gemeint.

052 Kleine Mitteilungen.

prefata invadere (et) in aliquo^) diminuere presumat qualicumque occa- sione sed presentis privilegii firmitudine roborata integra semper et illa- befacta permaneant vobis vestrisque successoribus congrue profutura. Si qua igitur cuiuslibet ordinis vel dignitatis persona presentis privilegii decretum sciens temerario ausu contniire temptaverit neque postquam aperte^) noverit nisi vobis congrue satisfecerit, sciat utique se tamquam ream magestatis imperatorie distinctione plectendara, nicbilominus ergo XX libras in integrum persolviturara medietatem mee caraere reliquam vero medietatem predictorum canonicorum commodo^). Quod equum*) ut cercius credatur, manu propria roboravimus proprioque sigillo insignivimus. Data sunt hoc anno et cetera ut supra.

Ego C. Eomanorum Imperator et semper Augustus P. et eins here- dibus in perpetuum. Divina movemur pagina beneficia vivorum mortuos sentire et animabus defunctorum erogata suplicia mitigare. Hahemus ita et profectu orationis : Ego C. imperator Romanus presentibus et posteris notum faciens ratum habeo et incomrautabiliter servari in posterum volo libertatis donacionem quam pro anima def'uncti filii^) H. et heredibus eins facio et concedo. Si quis ergo presentem manumissionis confirmationem infringere vel subvertere temptaverit medietatem bonorum eius mobilium infiscamus nobis, alterara vero partem appropriamus H. vel cuilibet eius heredi calumniosam litem pacienti. Actum est puplice in palacio nostro C. anno et cetera per manus nostri cancellarü C. sexto Kalendas May. Einem sancte (?) *>). Amen.

Universis sancte Marie cenobii fratribus B. dux Saxonie. Divine in- spiracionis votum difFere non debet effectus, ne sancto proposito quando speiatum subtrahatur meritum. Vestre ergo ammonicionis frequentia divina inspiracione commonitus pro remedio anime mee meorumque defunctorum parentum ut presentis vite statum cum incolumitate') mihi meisque here- dibus perfrui gratia divina concedat, quoddam castrum integrum cum Om- nibus pertinenciis nomine videlicet N. vestro cenobio in perpetuum con- cedimus ut ipsius proprietatem vobis vestris successoribus donamus et irrevocabiliter confirraamus hoc scilicet tenoris interposito vinculo, ut si alienacionem vos vestrique successores in toto vel in parte presumserint et ad me meosque heredes in integrum memorati castri pertinencia rever- tatur. Ceterum si ad usum mensamque vestram servaveritis vestrae com- moditati^) ex integro semper 3) et quieto et irrevocabili vite vestre esse profnturum consistat. Quod si ego vel mei^*^) heredes diabolice inspira- cionis instinctu contra hanc nostre donationis paginam ire vel aliquam molestiam inferre temptaverimus, me meosque heredes maledictione obli- gabo perpetua et prefate ecclesie integrum persolviturum solidos IIIC et sub imperatorie discrecionis examine staturum et cetera.

Diese Beispiele der kleinen Sammlung gehen wohl gewiss nicht auf wirkliche Urkunden zurück. Hätte der Kompilator wirkliche Papst- und Kaiserurkimdeu als Vorlage benützt, so würde er unmög-

1) cod. 1 ä (et fehlt). -) cod. apte. ^) cod. comodo.

4) cod. eq. *) cod. filiis. ®) fine sce.

') cod. ccolüitate. ^) cod. commoditi. **) cod. sp.

'f») cod. mä.

Eine Summa dictaminis in einem Merseburcrer Codex.

6ö-

hch so krasse ünkorrektheiten hineingebracht haben, wie in die Pap.t- urkunde eine Ankündigung von Siegel und Unterschrift, oder in die Kaiserurkunden das Ego und den Singular oder die sonderbaren An- gaben über die ünterfertigung. Der Verfasser schrieb seine An^^'ei- sungen und Muster vielmehr offenbar bloss nach seiner allgemeinen und recht unbestimmten Kenntnis und Erinnerung. Daran° können uns auch die einzelnen Namen und Siglen nicht irre machen, welche sicherlich nur ganz willkürlich gewählt sind. Diese Summa dictaminis bietet so ein besonders deutliches Beispiel für die auch an anderen Werken dieser Art zu beobachtende Erscheinung, dass man bei der Herstellung solcher Urkundenmuster mit einer auffallenden Gleich- giltigkeit gegen die tatsächlichen Kanzleigebräuche vorging. Man kann dies schon bei Alberich von Montecassino konstatiren^), ebenso wie bis zu gewissem Grade selbst bei Konrad von Mure.

Radebeul bei Dresden. M. Manitius.

') Vgl. Bresslau, Urkundenlehre 1, 625.

Literatur.

Die Dresdener Bilderliandschrift des Sachsenspiegels auf Veranlassung und mit Unterstützung der kgl Sächsischen Kommis- sion für Geschichte sowie mit Unterstützung der Savigny-Stiltung her- ausgegeben von Karl von Amira. Erster Band. Leipzig. Verlag von Karl W. Hiersemann 1902.

Unter den zahlreichen Handschriften des Sachsenspiegels verdienen mehrere wegen ihrer eigentümlichen Ausstattung mit Bildern ein erhöhtes Interesse. Es handelt sich nicht um Miniaturen bloss zur Dekoration der Handschrift, wie solche auch sonst und bei ähnlichen Werken den Rechts - text schmücken, sondern um eine durchlaufende, obschon keineswegs voll- ständige Verbildlichung des Inhaltes. Derartige »Codices picturati« man kann sie passend »Rechtsbilderbücher« nennen bewahren die Uni- versitätsbibliothek zu Heidelberg, die grossh. Privatbibliothek zu Oldenburg, die k. ö, Bibliothek zu Dresden und die herzogt. Bibliothek zu Wolfen- büttel i). Diesen vier Bilderhandschriften gesellten sich noch andere bei, die aber verloren sind. Wie eine überaus genau durchgeführte Unter- suchung V. Amiras-) festgestellt hat, gehen die erhaltenen Codices unter Vermittelung verlorener Handschriften^) auf eine verlorene Urhandschrift^) zurück; D ist in W kopirt, während H, D und 0 Seitenverwandtschaft aufweisen^). Die Bilder der Codices haben schon seit der Mitte des

1) Bezeichnungen; H, 0, D. W.

2) ^Die Genealogie der Bilderhandscliriften des Sachsenspiegels*, in den Abhandlungen der k. bayer. Akademie der Wiss. I. Kl, XXLI. Bd. II. Abteil. (München 1902i S. 327—385.

3) y Anfang des 14. Jahrb., obersächsischen Ursprungs; N bald nach 1313 und vor 1323, niedersächsisch. Magdeburgischen oder Halbcrstädtischen Ursprungs.

*) X 1291 1295, Meissen'schen Ursprungs. ^) Stammtafel: X

H

N

!

w

Literatur.

655

18. 'Jahrhunderts einzelne Männer der Wissenschaft beschäftigt: so Chr. U. Grupen, der als Erster eine Beschreibung lieferte, die Herausgabe plante und Proben veröffentlichte, J. C. H. Dreyer, C. F. Hommel; dann ins- besondere Goethe, dessen weits.chauender Genius in Betätigung des Sinnes für das Wesentliche die Betrachtung auf eine höhere Warte erhob, die einzunehmen bis dahin verwehrt war, weil man den rechtsantiquarischen Standpunkt massgebend sein liess; ferner J. G. Büsching, K. Fr. Ei chhorn, V. d. Hagen, U. Fr. Kopp, C. G. Homeyer u. A. Eine völlige Hebung des Schatzes konnte indessen trotz der fortschreitenden Erkenntnis der Sache nicht gelingen, solange der fe.^te kritische Unterbau fehlte. Dieses Ziel wird nun in Verbindung mit v. Amiras Abhandlung über die Ge- nealogie der Bilderhandsclariften durch das Werk erreicht, dessen erster Band Gegenstand des vorliegenden Berichtes ist.

Unter den vier Handschriften ragt die zu Dresden, wenngleich sie nicht die älteste ist, an Vollständigkeit und anderer Vorzüge halber her- vor. Besitz und Geschichte des Codex legten die Herausgabe gerade dem sächsischen Staate nahe. Und so beschloss 1898 die Königlich sächsische Kommission für Geschichte eine solche in Doppellichtdruck nach ortho- chromatischen Aufnahmen zu unternehmen, damit ein getreues Bild der Handschrift geschaffen werde. Beilagen in Farbendruck sollten an aus- gewählten Beispielen die Malerei veranschaulichen und Ergänzungstafeln in Autotypie durch Wiedergabe der betreffenden Partien des Wolfenbütteler Codex bezw. der Grupen'schen Bleistiftbausen die Lücken der Dresdener Handschrift ausfüllen. Es war eine glückliche Fügung, dass für die wissen- schaftliche Besprechung des Faksimiles in Herin v. Amira eine Persönlich- keit gewonnen werden konnte, welche über die hiezu erforderliche viel- seitige Sachkenntnis verfügt, mit der rechtsgeschichtlichen, insbesondere auch rechtsarchäologischen Bildung die kunstgeschichtliche vereinigend. Auf diesem Gelehrten lastete auch die Leitung und Aufsicht der Her- stellung des Faksimiles, was mit ein Grund dafür war, dieselbe Kunst- anstalten Münchens anzuvertrauen.

So liegt das ehrwürdige Eechts- und Kunstdenkmal vor uns: 184 Lichtdrucktafeln nebst 6 Tafeln in Farbendruck und 3 Ergänzungstafeln in Autotypie, eine Pieproduktion, so herrlich, wie sie m. W. bisher keinem Eechtstexte zu Teil geworden ist und welche an Schönheit und Treue der Wiedergabe wohl kaum mehr überboten werden kann ; ein Werk von ausserordentlichem Werte für das Verständnis deutscher Kultur- und Eechtsentwickelung im Spätmittelalter; ein glänzendes Zeugnis für den hohen Stand, den die vervielfältigende Kunst in Deutschland heute erreicht hat. Wer es liebt, sich pietätvoll in das Altertum des deutschen Lebens zu versenken, und Gelegenheit hat, in die prächtige Publikation Einsicht zu nehmen, der versäume daher nicht, es zu tun. Obschon man sich aus Gründen der Kostspieligkeit nicht für die Heliogravüre entschieden hatte, ist freilich dessen ungeachtet die Anschaffung naturgemäss so teuer, dass die Ausgabe leider mehr ein Bibliothekswerk bleiben muss.

Dem Faksimile hat der Herr Herausgeber eine fesselnd geschriebene »Einleitung« vorangeschickt, welche die Codices beschreibt und sich über die geschiditliche, speziell auch kunstgeschichtliche Stellung der Dresdener Handschrift verbreitet. Es ist nunmehr meine Aufgabe darüber zu orieutiren.

656

Literatur.

Das edirte Stück') ist zeitlich schwerlich über 135Ü hinauf und nicht nach 1375 zu setzen 2), wie aus der Form des päpstlichen Triregnum, der bischöflichen Mitra und der heraldischen Schilde, sowie aus dem allge- meinen Gebrauche des Kragenherseniers zu schliessen ist. Es ist wahr- scheinlich im Meissen'schen, vielleicht in Meissen selbst entstanden 3). Die Handschrift besteht aus 92 Pergamentblättern in 12 Bogenlagen, mit Kolumnen rechts für die Bilder, links für den Text^) und ist in gotischer Minuskel geschrieben. Sie enthält Anweisungen an den Miniator und eine Keihe von Korrekturen. Die Schreibregeln sind nur zum Teile richtig beobachtet. Den Textinhalt machen ein Bruchstück des Reichslandfriedens von 1235, der Schluss eines Kapitelverzeichnisses und eine Art von un- vollendetem Sachregister, sowie der Text des Sachsenspiegels aus. Die Sprache ist durchwegs ostmitteldeutsch. Die Bilder in Gestalt von reihen- weise über einander entworfenen und durch Horizontallinien von einander geschiedenen Federzeichnungen gehen neben dem Texte einher. Wort und Bild, deren Zusammengehörigkeit regelmässig durch Einsetzung des An- fangsbuchstabens des betreffenden Textes in die Bildfläche ersichtlich ge- macht ist-''), befinden sich ganz gewöhnlich auf derselben Seite. Die Zeichnung bietet dem heutigen Auge natürlich des Mangelhaften genug. Die Figuren erscheinen im Allgemeinen von gedrungenem Körperbau; doch geht derselbe, speziell im unteren Teile des Körpers, mit dem Vorschreiten der niustrirung in eine mehr längliche Form über. Die Tracht erfährt eine schematische Behandlung. Unter den Nebensachen gebührt der Dar- stellung der Innenräume (Seitenwände) wegen ihrer Sorgfalt und der Per- spektive besondere Aufmerksamkeit. Die Illumination verwendet Lasur- farben«^) und Gold. Durch Verdünnung ist eine verschiedene Tönung erzielt. Man denke jedoch nicht an eine vollständige Bemalung der Zeich- nungen. Kennzeichnet auch der Maler Wangen und Lippen durch rote Tupfen und sucht er bisweilen den Fleischton des nackten Körpers an- nähernd zu versinnlichen: so werden doch sonst regelmässig Gesicht und Hände nicht bemalt ; desgleichen der Hintergrund, sowie vielfach die Schilde u. A. Hingegen weisen die Gebäude eine bunte Illumination auf. Golden

1) Der Codex zählte vor 1574 zu deu Beständen der Bibliothek des säch- sischen Kurfürsten August I,, befand sich um 1750 bei Grupen zwecks Erzänzung- der Lücken im Wolfenbütteler Bildercyklus durch Bansen und war gegen 1820 in der Hand von F. Krepp in Heidelberg. Hier wurden von den Herausgebern der Deutschen Denkmäler mehrere Umrissbausen gemacht, die in Steindruck veröffentlicht sind.

-') Es gehört also demselben Jahrhundert an, in dessen Kunst, »obwohl die Stoffe biblisA sind, doch schon die ganze Profanmalerei späterer Jahrhunderte beschlossen liegt% in dessen Werken. ^ obwohl sie nur Heilige darstellen, doch die ganze Zeit mit ihren Menschen und Trachten, ihren Waffen und Geräten, ihren Zimmereinrichtungen und Bauwerken wie in einem grossen kulturgeschicht- lichen Bilderbuch fortlebt'. (Richard Muther.^

3) W, dessen Heimat schwer zu bestimmen, gehört derselben Zeit an- H ist schwerlich weit entfernt von der Heimat von D im ersten Viertel des 14. Jahr- hvmderts und kaum später als 1315 und 0 1336 im Kloster Rastede entstanden.

4) »Rechts* und »links* sind im Werke stets heraldisch verstanden. 4 Diese ßildbuchstaben sind aber häufig unrichtig.

«) Es sind Mennige (vielleicht mit Zinnober gemischt), brauner und violetter üker, Chromgrün (dem Saftgrün ähnlich), Permanentgrün. Smalte, Sepia und Schwarz aufs^etr.nfren.

Literatur,

657

werden z. B. die Krone, das Szepter, der Bischofstab und Wappen gemalt, welch' letztere in grosser Zahl vorkommen und teilweise bestimmt werden können. Die Wahl der Farben geht auf Anweisungen des Zeichners zurück, die indessen nicht immer befolgt wurden. In dem Schreiber, Zeichner, Miniator und Illuminator haben wir verschiedene Personen zu sehend).

Eine Hauptfrage betrifft den Zweck der Bilder, welcher die geschicht- liche Stellung der Sachsenspiegel-Illustration bestimmt. Man kann Ver- schiedenes ins Auge fassen. Einmal an und für sich den Gesichtspunkt des künstlerischen Schmuckes einer Handschrift. Dass der Codex stellen- weise dekorativ wirkt, ist unmöglich zu leugnen. Ich halte auch nicht für ausgeschlossen, dass bei seiner Herstellung derlei ab und zu geradezu mitbeabsichtigt ward. Dieser Gedanke lässt sich sogar schwer abweisen, wenn wir z. B. gewahren, wie zur Goldfarbe gegriffen ist nicht nur für die königliche Gewandung wo es schon sachlich naheliegt, den Ein- druck des Prunkvollen erwecken zu wollen , sondern auch für ver- schiedene Metallgeräte und für die Hirtenkeule. Allein solche Absichten können nicht die vorzüglichen und durchaus leitenden gewesen sein. V. Amira führt dagegen treffend die Gesamtanlage des Bilderwerkes ins^ Feld »mit ihrer schlichten Aufreihung der Bildstreifen in Kolumnen, ihrem Übergreifen unter die Textkolumnen, je nach sachlichem Bedarf, ihrem Verzicht auf zeichnerische und illuministische Durcharbeitung^^ (S. 20). Ferner könnte man an einen lehrhaften Zweck denken, an eine Bilder- schrift. Diese Theorie war bisher die herrschende, sei es, dass man davon ausging, die Bilder sollten dem Lesensunkundigen den Inhalt des Sachsen- spiegels vermitteln (Büsching, Mone, Lamprecht), sei es, dass man in ihnen einen juristischen Kommentar erblickte (Homeyer, Stobbe). Diese Gesichts- punkte sind nun allerdings im Einzelnen nicht völlig bedeutungslos. Dennoch triff't die Bilderschrift-Theorie im Allgemeinen nicht zu. v. Amira begründet dies in so überzeugender Weise, dass diese Theorie für abgetan gelten darf. Die Bilder sollen nicht das Lesen des Textes überflüssig machen. Denn einmal kann keine Eede davon sein, dass die Bilder und Kechtsbestimmungen der Zahl nach mit einander im Einklang stehen. Doch könnte man da vielleicht immer noch geltend machen, dass dasjenige über- gangen werden sollte, was man für minder wichtig hielt, und dass die beschränkten ßaumverhältnisse erwogen werden wollen. Viel beweis- kräftiger sind andere Momente. Vor allem die Tatsache, dass das ein- zelne Bild keineswegs die Tendenz zeigt, den ganzen Text zu versinnlichen, dass hier häutig gerade das Wesentliche vergeblich gesucht werden kann. So ist beispielsweise aus II 49 § 2 (Taf. (i;? Xr. 2) bloss der Satz: ,>:\ranlik sal ok bewerken sinen del des hoves« durch eine Darstellung des pflicht-

1) Aus der Beschreibung der übrigen Bilderhandschriften greife ich heraus: W, woraus Bilder von Grupen, Spangenberg und Kopp verütleuthcht sind ist weder vom Schreiber von D geschrieben noch vom Illustrator dieser Handschritt illustrirt. H (Reproduktionen in den Publikationen von Batt, v. Babo, Eitenbeu/ Mone und Weber, von Kopp, Hefner, Posse und Fürst Hohenlohe- Waidenburg) ist textlich mehrfach anders eingeteilt als D, in der Zeichnung roher und auch minderwerticrer in der Benmiung. 0 (Reproduktionen in den Publikationen von Spangenberu^, Grupen, Büsching, Lübben und Henne am Rhyn) ist abweicheuct und fehlerhaft in fünf Bücher eingeteilt, auf der äusseren Kolumne nur teilweise und vielfach unordentlich illustrirt, ferner anders illummirt als die übrigen todices.

Mittheiluiigen XXIV. "^"^

658

Literatur.

gemässen Einzäunens des Hofes illustrirt; die Eechtsfolgen der Vernach- lässigang dieser Pflieht, worauf es in der Stelle hauptsächlich ankommt, sind nicht verbildlicht. Eine lange Reihe von Bildern begnügt sich ferner mit einer oberflächlichen Darstellung des Tatbestandes, ohne dessen Eechts- folgen zu illustriren. Wir sehen z. B. die Tatsache der Notzucht (III 46 § 1, Taf. 87 Nr. 8), der Viehboschädigung (III 48 § 1, 2, Taf. 88 Nr. 3 ff.), der Eheschliessung (III 73 § 1, Taf. 100 Nr. 4) gezeichnet; aber die juristischen Folgen, von denen der Rechtssatz spricht, erfahren keine Ver- sinnlichung. Und doch wäre es im einzelnen Falle ein Leichtes gewesen, durch das Bild wirklich eine Erläuterung zu geben. Hätte man z. B. bei den Sätzen über die Tötung und Lähmung von Tieren (III 48 § 1, 2) der Zeichnung des Tatbestandes die Ziffer der zu leistenden Geldsumme hinzugefügt, so wäre dieser Zweck erreicht worden. Es ist klar: ge- wöhnlich können die Bilder ohne den Text nicht verstanden werden. Dafür erbringt die »Einleitung« einen überwältigenden Beweis an der Hand von Beispielen, welche darüber belehren können, »dass die Illustra- tion sich auf die subjektivsten Teile des Textes erstreckt, wo sie in den Zeitgenossen keinerlei Kenntnisse voraussetzen durfte, als welche sie eben aus dem Text schöpfen konnten« (S. 2l). Schliesslich tun sowohl die Bildbuchstaben, wie die Zahlen dar, welche sich zur Bezeichnung einer Zeitdauer oder Geldsumme in die Illustration aufgenommen finden, dass man den Text herangezogen wissen wollte; sie setzen »Leser« voraus. Die Richtigkeit des Ergebnisses v. Amiras, dass die Bilderschrift-Theorie ab- zulehnen sei, scheint mir durch folgende Erwägung bestätigt zu werden: Wäre der Zweck der Bilder in Wahrheit ein überwiegend lehrhafter ge- wesen, dann würde das Unternehmen viel mehr als es tatsächlich der Fall war, populär geworden sein, eine Popularität, die sich wohl in einer grösseren Zahl von Handschriften geäussert hätte, soweit das Fehlen einer m'echanischen Vervielfältigung hier nicht eine Grenze setzte. Was wurde nun durch diese Illustration bezweckt? Schon Goethe hat mit dem In- stinkte des Genies für das Richtige die Sache mit dem Anschauungstriebe in Zusammenhang gebracht. Der Satz ist zu merkwürdig, als dass er iu einer Anzeige des vorliegenden Werkes fehlen könnte. Goethe schreibt unterm 10. Juli 1817 an Büsching: »Mir scheint es auf alle Fälle sehr bedeutend, dasjenige, was in Bezug auf geistliche Bücher und Bilder schon getan ist, auch für das Rechtliche, Bürgerliche und Politische zu leisten. Es wird dabei zur Sprache kommen, dass nicht allein der ungebildete, sondern auch der durchaus rein gebildete, natürliche Mensch, dasjenige mit Augen sehen will, was ihm durchs Ohr zukommt, deshalb denn auch die bilderreichen so wie bilderlosen Religionen ihren Charakter im ent- schiedenen Gegensatz betätigen«. Wer, wie ich, davon überzeugt ist, dass der Mensch im Recht auch vom naturwissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet werden muss; wer einmal das sinnliche Element in der Rechts- geschichte alter Völker, ihren Rechtsformalismus mit dem Gesichtspunkte des Hörens und Sehens gründlich durchgedacht hat: dem wird dieser Zweck einleuchten. Der Herr Herausgeber sieht denn auch mit Goethe in der Befriedigung des Anschauungstriebes den Zweck der Sachsenspiegel- Illustration. »Die Besteller wollten und sollten, wenn auch nicht alles, so doch einiges von dem mit Augen sehen, was sie lasen. Es ist der-

Literatur. 659

selbe Zweck, dem noch heute die Bilder in Jngendschriften dienen. Auf Leibhaftiges soll der Finger deuten können, sobald das Wort eine Vor- stellung erweckt hat, wobei denn der verfügbare Kaum des Buches der Menge des Leibhaftigen ihre Grenzen zieht« (S, 2l). Ich halte dafür, dass dieses Streben nach Veranschaulichung auch einen besonderen prak- tischen Zweck in sich barg, der auch in der Erklärung des .Rechtsforma- lismus eine gewichtige Rolle spielt. Ich habe ihn an mir selbst erfahren. Als mir die Ausgabe der Dresdener Bilderhandschrift zu Gesicht kam, drängte es mich, unverzüglich die Tafeln zu durchblättern, um die Eepro- duktion vorerst unvermittelt dui'ch die wissenschaftliche Erörterung auf mich wirken zu lassen. Und da überkam mich immer mehr die Empfin- dung, als ob ich durch das Anschauen der Bilder unseren Sachsenspiegel noch einmal so gut inne bekommen würde, obwohl ich denselben bereits wiederholt durchstudirt hatte. Inhalt und Anordnung, die Rechtssätze und ihre Auteinanderfolge, alles prägte sich, unterstützt durch die zahlreichen Bilder, viel besser ein. Ich denke, in noch höherem Grade musste die Veranschaulichung einem mittelalterlichen Beschauer willkommen sein, der nicht leicht sonderlich gewöhnt war, Lektüre zu betreiben, ganz anders als wir Kinder einer schreibseligen Zeit. So meine ich, dass die Unterstützung des Gedächtnisses ein bedeutungsvolles Moment im Zweck der Bilderhand- schriften ausmachte. Wer eine solche bestellte, der wollte sich auch ein Mittel zur leichten Vergegenwärtigung des Textes verschaffen, vielleicht auch sich die Auffindung von Stellen erleichtern, das Lokalgedächtnis unter- stützen, also in einer Richtung etwas Ähnliches erzielen, wie es vermutlich vom Kampener Digestum gilt, von welchem v. Amira (S. 33) sagt: »Viel- leicht gedachte man mit Hilfe der Zeichnungen den gesuchten Emtrag leichter aufzufinden«. Dass die Bilder vielfach mangelhaft sind, tut der Erreichung dieses Zweckes keinen nennenswerten Eintrag. Die Illustration leistet hie^r das Gleiche, wie heutzutage die Bilder bei der Sprachmethode

Berlitz. j- o i

In der allgemeinen Geschichte der Buchillustration haben die bachsen- spiecrel-Bilder ihre Vorläufer bis in die Karolingerzeit hinein i). Aber dem Objekte nach sind sie etwas völlig Neues und Eigenartiges und das musste sich auch auf die Komposition übertragen. Wohl konnte bei letzterer hie nnd da auch die Überlieferung zur Geltung gelangen. Traditione le Bilder- tvpen standen zur Verfügung, wenn es sich darum handelte, die an die Bibel anknüpfenden Partien des Textes zu iUustriren, einige Heiligen- Figuren des Abgabenkalenders (II 58 § 2) oder sehr populäre juristische Tatsachen, wie die Eheschliessung, darzustellen, deren Komposition dei ganzen Kunst geläufig war. Im Grossen und Ganzen aber konnt^ nich nach der Schablone gearbeitet werden. Die Sachsensp.egel- llustratin.tde zu viele neue Aufgaben, als da enthielten: die Verbildlichung ^J^^^ liehen zahlreicher Begebenheiten und Verhältnisse^^ woran d.K-^^^^ nicht Ihr Augenmerk gelenkt, und weiter sehr oft das ^ ^"^^^^^^^^^^^ von nicht-sinnlichen Dingen, z. B. einer rechtlichen Q^'^lj^^f'^^ , "^^ letztere Punkt führt zur Frage der Behandlung der Allegorie und de. Symbols. ^li^orzuheben die 18 Wessobrunner ^eichnu.gen von der Kreuzauffandung

(vor 814). ^^,

(3(30 Literatur.

Abgesehen von einer originellen Allegorie auf Fol. 'Jl a Nr. l (Taf. 18 l), wo der Hass der Feinde Eykes gegen ihn und sein Werk sich drastisch durch Treten und Speien Luft macht, spielt das Allegorische keine Rolle in den Bildern, zeigen sie doch nicht einmal einen Versuch, den Kern der Sache: das Recht selbst, zu veranschaulichen. Soll das Nicht-Sinnliche sinnenfällig gemacht werden, dann geschieht es nm', wenn dessen Beziehung zum Sinnlichen so verständlich ist, dass eine Vertretung möglich erscheint. Dann wird die künstlerische Tätigkeit symbolisirend. Von fundamentaler Wichtigkeit für das Verständnis der Illustration ist die Unterscheidung V. Amiras zwischen Symbolik des Rechts und Symbolik des Künstlers, objektiver und subjektiver Symbolik. Nicht die bereits im Recht existirende, sondern die durch den Künstler hervorgebrachte Symbolik ist Gegenstand der Erörterung in der »Einleitung«. Die Mittel des Künstlers sind sehr einfach. In die subjektive Symbolik spielt die objektive insoferne hinein, als sie vom Künstler bei der Gestaltung der ersteren verwertet werden kann. Er konnte .sich der Abbreviatur bedienen. Wenn der Schauplatz der Begebenheit bedeutungslos ist, bleibt er prinzipiell unbeachtet. Unter den repräsentirenden Gegenständen ragt die Ähre (für den Grundbesitz) hervor 1). Aus ihnen seien ferner namhaft gemacht: Scholle (für die Hufe), Haus (eingezäunt für das Dorf, ummauert für die Stadt), Stützen mit Balken oder Dach darüber (für das Haus- oder Burg-Innere), Schwert (für das Heergewäte), Schere (für die Gerade), Schapel (für die Morgen- gabe), Viehstücke und Metzen mit Getreidekörnern (für die Fahrhabe), Doppelbecher (für das gleich zu teilende Erbe). Bei der Symbolisirung von Menschenmengen steht der Teil für das Ganze.. Angesichts der Be- deutung des Schöffentums in der Gerichtsverfassung ist merkwürdig, dass zumeist die Person des Richters genügt, um das Gericht zu repräsentiren^).

') Sie symboli-sirt Eigen- und Lehencrut. Vielleicht ergeben etwas Ähn- liches schon die Steindenkmäler des alten ßabylou, dessen Rechtsleben für den Germanisten, der sich zum Prinzip der Kecbtsvergleichung bekennt, in mehr als einer Hinsicht von ausserordentlichem Interesse __ ist. Auch das babylonische Recht kannte ein Lehenwesen. Falls Wincklers Übersetzung der Gesetze Hani- murabis zutriti't, waren Leheusgegenstand Grund und Boden und Vieh, was merkwürdig an »feudum* anklingt, vorausgesetzt, dass das Wort auf leoh (pecus) zurückgeht. Die kgl. Museen in Berlin enthalten nun einen ürkundenstem aus schwarzem Marmor, dessen Relief die Belehnung eines Vasallen mit Ländereien seitens des Königs Marduk-baliddin (des Merodachbaladan der Bibel) zeigt, wäh- rend auf der Rückseite der Text der Belehnungsurkunde ddo. 714 v. Chr. steht. S. Taf. 71 der , Ägyptischen und Vorderasiatischen Altertümer aus den kgl. Museen zu Berlin''; dazu der erklärende Text der Direktion (1895) S. 26 f. Eine Abbildung auch in C. Bezolds »Ninive und Babylon« (Monographien zur Welt- geschichte hg. von Ed. Heyck XVIIl. 1903) S. 63. Der König hält in der Linken einen Speer, in der erhobenen Rechten einen Gegenstand, dessen die »Erklärung« nicht gedenkt. Anderwärts lese ich, dass er noch nicht sicher gedeutet sei und an seiner Stelle sonst eine Blume erscheine. Es läge sachlich nahe, diesen Gegenstand als Pflanzenfrucht, etwa Feldfrucht zur Versinnlichung des Grund- stücks als des Lehensobjektes zu deuten. Diese Ansicht scheint mir sowohl durch die Form des Gegenstandes wie durch die Gestikulation der Figuren unter- stützt zu werden, die den Eindruck macht, als ob der König den Gegenstand übergeben, der Vasall ihn mit der erhobenen Rechten empfangen wolle.

^) v. Amira bemerkt S. 24, dass in 0 eher der Richterstuhl umständlich geziert wird, als dass dem Richter Dingleute beigegeben werden.

Literatur. ßßl

Wenn der einzelne Mensch durch die Hand vertreten wird, so entspricht das auch der Eechtssprache. Falls indessen die Zahl der Teile eines Ganzen massgebend ist, wird ihr Eechnung getragen, z. B. beim Gelde.

Die Wort verbildlichung der altdeutschen Malerei wurde der Per- spektive verhängnisvoll. Die realistische Auffassung erscheint in unserem Werke vielfach nach Art altägyptischer Darstellungen verletzt. Es fehlt sogar noch immer nicht an Beispielen sie sind allerdingB Ausnahmen , dass Figuren, die sich hinter einander befinden sollen, über einander zu sehen sind. Charakteristisch ist in dieser Hinsicht die lllustrirung von Lehenrecht 20 § 1 (Taf. 125 Nr. 2), wo über der Mutter das Kind in der Wiege gezeichnet ist.

Zur Repräsentation gesellt sich die ihr nahe stehende Exemplifikation, vorwiegend zur Verbildlichung von Abstraktem verwendet. Lehrreich ist die Illustration zu III 0 § 3 (Taf. 74 Nr. 2), wo der »schuldlose« Knecht, dem das Pferd entwendet wird, schlafend dargestellt ist. Das besagt jedoch zu wenig, weil es auch Nachtzeit sein muss, soll den Knecht kein Ver- schulden treffen. Daher lässt 0 noch Mond und Sterne sehen.

Eine dritte Art von Symbolen entsteht durch Setzung des Mittels für den Zweck (Symholisirung z. B. des Lehens überhaupt durch das In- vestitursymbol des Zweiges, des Reiehslehens des weltlichen Fürsten durch das spezielle Investitursymbol der Fahne). Unter den Strafwerkzeugen nimmt das Schwert einen besonderen Platz ein^).

Ein grosser Teil der Symbole entstammt Attributen. Eine Reihe solcher ist hergebracht, z. B. die Krone zur Charakterisirung des Königs. Die überlieferten Attribute sind entnommen den Wahrzeichen der Würde oder des Amtes, der Tracht, Geräten. Desgleichen wurden Eigenschaften des menschlichen Körpers als Attribute symbolisch verwertet (Körper- dimensions), Bart, Haar, Kopfbildung, Nase, Stirne, Höcker) und ebenso Leibesglieder (z. B. Zweiköpfigkeit zur Kennzeichnung vollbürtiger Ver- wandts'chaft ; Versinnlichung der Vornahme mehrerer Handlungen nach einander seitens einer Person durch Zeichnung von mehr als zwei Armen und Händen). Auf diesem Wege kann eine Person auch für eine Sache attributive Bedeutung erhalten (Kennzeichnung der Königspfalz durch den aus dem Fenster herausschauenden König, z. B. Taf. 9 5 Nr. 1 ). Wir stossen aber auch auf selbständige Erfindung von .Attributen seitens des Kunst- lers Liefern sie ihm bisweilen die Beschäftigung oder Tracht des be- treffenden Menschen (z. B. der Hammer Attribut des Münzers; em ka- rirter oder quer gestreifter Rock zusammen mit einer Fidel Attribut des Spielmannes), so hat sie in einer Reihe von Fällen augenschembch aus- schliesslich die Phantasie des Illustrators von X geschaffen (z. B. : der Teufel Be.:^leiter des Gebannten; der Nicht-Ritterliche mit emem _ Paar spornloser ^Stiefel in der Hand). Manchmal treibt der Kün.^ler bei dc-i- Zeichnung der Attribute etymologische Spielerei, so wenn z^b fl^^^^"^ der » Biero-elden« durch einen Schopf kübel symboHsn-t wird (z. B. J at. h . IN. 1 ).

weil d

1) In den Hals eines lebenden Menschen gebobrt. symbohsut es che Acht, 1er Geächtete der Tötung P^-eisgegeben ist Z. B. ia 'b iNu o. ) Die weit verbreitete Gepflogenheit des Altertums. ^^^;,^^«;P''7 "r^öl^e,^ ^Stellung zu gestalten, wird jedoch mebt mehr enigehalten. Dk Ivo.pe.

länee steht nur noch zum Alter in Beziehung

662 Literatur.

Die Bemalung mit Farben soll im allgemeinen verdeutlichen. Ab- gesehen davon erhebt sich die Farbe jedoch auch im Kahmen der Sym- bolik zu Bedeutung, sei es an der Kleidung gewisser Figuren oder bei der Kennzeichnung einer in verschiedenen Szenen auftretenden Person als der nämlichen (Farbensymbolik) i).

Besonderes gilt für den attributiven Gebrauch der Schilde und Wappen. Erwähnt sei, dass Farbe und Stellung des Schildes Verhältnisse der Heer- schildordnung symbolisiren. Zahlreiche Wappen haben keinen realen Hin- tergrund und wo sie einen solchen haben, ist die Unterscheidung beab- sichtigt. Wenn zuweilen Wappenfigux'en in bestimmten Farben ausgefühit sind, so soll einer Verwechslung mit wirklich geführten Wappen vorge- beugt werden; sonst griff der Hlustrator absichtlich gerade zu wirklich geführten Wappen.

Attribute sind auch in repräsentirender Stellung anzutreffen. Es ver- tritt z. B. die Krone König und Reich; oder örtlich: das Marktkreuz mit oder ohne königlichen Handschuh vertritt Markt oder Weichbild.

Schwer musste die Symbolisirung der Zeit fallen. Hier interessirt speziell die Darstellung der Frist von »Jahr und Tag^'^: einer Sonne ist die Zahl von 52 Wochen in einem Kreise und die Zahl der 6 Zusatz- wochen beigeschrieben (Taf. 94 Nr. l). Zur Hlustrirung der Zeitart hielt man sich entweder an die Bauernkalender oder ersann neue Symbole.

Unter den überliefei-ten Sinnbildern für einige andere Abstraktionen ragt die heraldische Lilie für den Rechtsfrieden hervor.

Was nun die rechtlichen Vorgänge anbelangt, so' stellt der Künstler bloss ausnahmsweise einen solchen in dessen Folge oder Zweck dar. Regel- mässig hält er sich in der Hlustration an die rechtliche Begebenheit selbst und an die Personen, welche dabei auftreten. Hiedurch ward er veran- lasst, die Zeichnung der Gebärde zu entwickeln. Konnte er dabei auch teilweise an das wirkliche Rechtsleben anknüpfen, so hat schon J. Grimm richtig hervorgehoben, dass zum andern Teile die subjektive Symbolik des Künstlers eingriff. Vorzüglich kommen hier die hinweisenden Hand- und Fingerbewegungen in Betracht. So hat es selbstverständlich mit der Wirk- lichkeit nichts zu tun, wenn z. B. derjenige, welcher die Stimme des neu- geborenen Kindes hörte, mit der einen Hand auf sein Ohr, mit der andern auf das Kind weist (Taf. 125 Nr. 2). Und ähnlich noch olt^).

Gewöhnlich lässt die Hlustration nicht nur eine einzige Hand gesti- kuliren. Im lebendigen Recht wurde die Gebärde häufig nicht mit der leeren Hand vollzogen, sondern letztere ergreift ein Objekt, Avird darge- reicht u. s. w. Diese Symbolik des Lebens erfährt durch den Künstler nach der subjektiven Seite hin mittels Analogie wieder eine Weiterentwicke- lung. Z. B. Besitz, Erwerb und Behalten eines Grundstückes, welches wachsende Ähren symbolisiren, werden durch Anfassen oder Ergreifen von Ähren versinnlicht (Taf. 13 Nr. 4), oder das Forttragen einer Schere veranschaulicht das Erben der Gerade (Taf. 18 Nr. 2). Nötigen- falls erfindet der Künstler selber Wahrzeichen. Unter ihnen fällt am meisten eine Holzgabel zur Hlustrirung lehenrechtlicher Verhältnisse ins

*) In Beil. zu Taf. 38 (Nr. 1) besagt die gleiche Farbe bei verschiedenen Personen derselben Szene nicht Identität, sondern Zusammengehörigkeit. 2) Siehe S. 28.

Literatur.

663

Auge. Gewöhnlich handhabt sie der Herr, wenn dem Lehensmann das Lehengut »verteilt« wird. Die Gabel erhält auch wieder attributive Be- deutung. Weiter führen plastische Rechtstermini, wie »ausziehen«, »brechen« zu entsprechender Symbolisirung: das » Brechen <^= einer Belehnung z. B. wird durch Brechen eines Astes oder Stabes versinnUcht (Tat. 134 Nr. 2; Taf. 136 Nr. 3). In der Illustration kommt wieder jenes Moment zur Geltung, welches die Redeweise geschaffen hat.

Zur Handbewegung tritt regelmässig eine Körperbewegung, welche im einzelnen Falle ein Wahrzeichen für sich bilden kann (Beispiele: haupt- sächlich die Geste des Sichabwendens, oder eilende Körperbewegung des Boten mit Nachrichten). Das Gleiche gilt im Gegensatz dazu auch für den ruhenden Körper (z. B. Taf. 144 Nr. 4: Darstellung des schlafenden Körpers zur Bezeichnung dessen, dass jemand von einem Vorgange nichts erfährt). Diesem Zwecke kann auch die Örtlichkeit dienen; so erscheint die Holschuld des Zinsmannes buchstäblich als »Gatterzins«, indem ihre Leistung über das Gatter der Haustüre weg erfolgt (Taf. 156 Nr. 6).

Die Sinnbilder finden sich natürlich mannigfach zusammen und mit einander angewendet. Für die künstlerischen Qualitäten war der Ge- brauchszweck entscheidend. Indem dieser Umstand Verzicht auf Natur- treue bedingt, sobald der Zweck es erfordert, leiden darunter die Dar- stellung der Gestikulation und der Dimensionen der Körperglieder, die Perspektive und die Erfassung der Szene in ihrem Zusammenhang.

Einer sorgfältigen Behandlung erfreuen sich die Beweguugsmotive, worin sich vorzugsweise der künstlerische Fortschritt verkörpert, sowohl was die Systematik der Gebärdensprache als was die mannigfaltige Dar- stellung der Gebärden betrifft. Nur die Gesichts -Mimik ist rückständig und macht den Eindruck summarischer Ausführung i). Letzteres gilt auch von der Zeichnung der Körperglieder, Gewänder und Waffen. Die Trachten- Kunde lernt weniger aus der Sachsenspiegel -Illustration, als man von vorneherein vermuten möchte. Den Bildern haftet in Komposition, Zeich- nung und Illumination etwas Mechanisch-Handwerksmässiges an. In ge- wissen Motiven lebt die ältere Kunst fort. Es fehlt nicht an Entlehnun- gen für das Biblische und Profane. Kann im allgemeinen nicht bewiesen werden, woher sie gerade stammen, so vermutet doch v. Amira für eme Gruppe von Motiven aus dem Bereiche der subjektiv-symbolischen Gebär- den, dass der Zeichner von X vorzüglich aus einem Psalterium geschöpft habe, welches, wie der Albani-Psalter (l 119 1 146), hauptsächlich das Wort verbildlichte.

Die Eilderhandschriften unterscheiden sich nicht nur sachlich, sondern

auch technisch von einander.

Die Individualität von D gegenüber Y und X lässt sich an der Hand von H nicht vollständig herausstellen. Doch vermag v. Amira eine Reilie von neuen Zügen nachzuweisen. Die Neuerungen betreffen die gebroche- nen Farbentöne der Illumination und das dekorative Moment in der Aus- führung der Initialen, die Tracht (Männerröcke, Bauerntracht u. a. m.), die

.) Das Strecken der Zunge in Taf. 174 Nr. 1 will den l^^j^^f-^ i^fübtr ' Form .mit Fmger und Zunge^ illustriren, wovon der Text hinsichtlich dei Über- nähme der Gewährschaft redet.

ßß4 Literatur.

Bewaffnung (Kragen-Halsberge, Beckenhaube, Stachel am Faustschild), Ge- räte (Thronsitz), die Architektur (buden- oder thronartiges Innere) und die Komposition (Umarbeitung von Einzelszenen; Tendenz, Mehrköpfigkeit und Mehraniiigkeit bei menscliliclieu Figuren zu beseitigen; bisweilen Unterlassen der Symbolisirung des Altersunterschiedes durch den Grössen- unterschied ; u. A., insbesondere summarische Zeichnung der Gesichter). Dass das Bilderwerk Erzeugnis einer bestimmten Schule, ist nicht erweis- bar. V. Amira vermutet indessen mit gutem Grunde böhmische Einflüsse^), die auf die Buchmalerei in Meissen angesichts der damaligen kirchlichen Verhältnisse leicht eingewirkt haben mögen. Der Stil dürfte im allge- meinen dem in den Armenbibeln zu Konstanz und Wolfenbüttel verwandt sein^).

Die Bilderhandschi-iften stellen sich als Glieder einer Entwickelung dar, deren jedes einen selbständigen Wert in der Geschichte der Buch- Illustration repräsentirt. Nicht ein einziges Werk, sondern eine Geschichte von, Werken liegt vor, beginnend zu Ende des hohen .Mittelalters und drei Viertel eines Jahrhunderts andauernd.

Auch in der Folgezeit fehlt es nicht ganz an Beispielen einer lUu- strirung von Kechsstexten. v. Amira unterscheidet diesbezüglich zwei Klassen : eine erste, worin der ganze Text oder dessen Hauptabschnitte zum Schmucke der Handschrift mit Bildern eingeleitet werden, regel- mässig, ohne dass eine rechtliche Charakteristik beabsichtigt wäre^); und .eine zweite Klasse, welche von der ersten darin abweicht, dass Bilder den Text nicht bloss eröffnen, sondern auch unterbrechen, wobei die Ten- denz der Venmschaulichung eine KoUe zu spielen .scheint-^). Eigenartig ist die Stellung des Kampener Digestums, dessen Zeichnungen teils der Veranschaulichung der Gegenstände des Textes gelten, teils den Text in äusserster Abbreviatur symbolisiren, vielleicht zur Unterstützung des Lokal- gedächtnisses. In der ersten Zeit nach der Erfindung der Buchdrucker- kunst zeigen die Holzschnitte die zwei übei'kommenen Hauptrichtungen lebendig^).

1) Die Innenarchitekturen leiten auf böhmische Darstellungen aus der Zeit Karls IV. und weiter auf ein italienisches Thronscheiria.

2) Was die Individualität der übrigen Bilderhandschriften anbelangt, so Aveicht W von D im Trachtenwesen und im Kolorit ab, während H vorzüglich durch die rohen Formen hingegen auch durch eine gewisse sachliche luid kolo- ristischo Treue individuabsirt ist; 0 geht in der Zeichnung im wesentlichen auf N'zurück (ausgenommen die Formvergröberung in Folge des Bausens), hat jedoch in der Farbe ursprünglichen Charakter. Für die Illustration in N ist grösseres Format, Zerlegung vieler Bilder u. A. m. charakteristisch; den Si^hattenseiten gegenüber vertritt hier den Fortschritt die Behandlung des Gesichtsausdruckes, der zum Teil besser erfasst ist als in der Y-Gruppe und in X.

3) Beispiele: die Miniaturen in den Sammlungen des römischen und kano- nischen Rechtes und im Rechtsbuch Beaumanoirs, die Titelbilder in den Pracht- exemplaren des Grand Coutumier de Xormandie und der Hamburger Statuten von 1497.

•») Die »Einleitung"^ verbreitet sich über folgende hierher gehörige Stücke: die Wiener Goldene Bulle, das sog. »Kequam-Bach« von Soest, Schlesische Rechts- sammlungen, Handschriften des Schwabenspiegels, ein Bilderwerk zu Jac. de The- ramos »Belial*.

^) Herangezogen sind speziell die: Illustrationen zur Goldenen Bulle, zum Belial, zu ü. Teuglers Laienspiegel, zur Bambergensis, die Burgkmair"schen Holz- schnitte, sowie solche in den Schriften des Jo. Millaeus und des Jod. Damhouder.

Literatur.

665

Wohl ermangelt die Buch-Illustnition der späteren Zeit niclit der Gedankeu, welche sie mit den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels ver- binden. Allein dessen ungeachtet sind letztere merkwürdiger Weise etwas einzig Dastehendes geblieben, sie haben keine Nachfolge erhalten. Warum? V. Amira betont, dass der Schwerpunkt der Sachsenspiegel-Illustration nicht in der Symbolik des Eechts. sondern in der Symbolik des Künstlers zu suchen sei. Und so liege auch die Erklärung der fraglichen Erscheinung nicht in einem Erlöschen des Sinnes für die Rechtssymbolik, sondern im Cha- rakter der spätmittelalterlichen Kunst, »die in der figürlichen Komposition den Realismus begünstigte, während sie den Symbolismus, wenigstens den profanen, in die Randzeichnung verwies.*

ilit dieser Skizze ist der wesentliche Inhalt der lehrreichen »Ein- leitung* dem Leser vermittelt. Deren Gedanken in sich aufgenommen zu haben, ist zum tieferen Verständnis der Bilder unumgänglich nötig. Der kundige Beschauer wird bald fühlen, wie sehr die Illustration die Er- kenntnis deutscher Kulturentwickelung zu fördern imstande ist. Weil es sich um ein Rechtsdenkmal handelt, wird jedoch zuerst das Interesse der juristischen Welt in Frage kommen, die erfahren will, welcher Gewinn speziell der Rechtswissenschaft aus diesen Bildern ersteht. Darauf gibt die »Einleitung* Hoch nicht Antwort. Dieselbe bleibt vielmehr dem zweiten Bande vorbehalten, der den Gegenstand rechtsarchäologisch beleuchten wird. So wird es diesem juristischen Erläuterungsbande unter anderem vor- nehmlich obliegen, die rechtssymbolischen Gesten zusammenzustellen und zu ordnen. Damit wird uns wenigstens zum Teile der reiche Schatz rechts- archäologischen Wissens eröfihet, worüber v. Amira gebietet, der mit jenem geschärften Blicke, wie ihn nur jahrelanges Sammeln von rechtsarchäolo- gischem Material verleiht, hier zum Urteile berufen ist, wie kein Zweiter. Allerdings wird eine gewissenhafte Forschung, die es mit den Problemen des Sachsenspiegel-Rechtes zu tun hat, die Illustration des Rechtsbuches sofort in vollem Umfange heranziehen müssen, ohne den zweiten Band erst abzuwa-rten. Sogleich ein Bild zum Prologe »Des heiligen geistes minne—« (Taf. (3 Xr. 1) illustrirt Eykes Gelöbnis, mit Hilfe des heiligen Geistes das heimische Recht richtig abzuspiegeln, als formbestimmten Akt durch die Fingergeste ; um den fünften Heerschild de scepenbare lüde unde der vrienherren man«) zu versinnlichen, ist das Wappen der dienstmännischen Familie von Colditzi) gewählt (Taf. 8 Nr. .5); der Gesichtstypus des nie- deren Arbeitsmenschen, der nicht zur ritterlichen Gesellschaft zählt: ge- krümmte oder gestülpte Nase, vorgebaute Stirn (Taf. 15 Nr. 1: Bauer: Taf 19 Nr 5: Tacrlöhner: Taf. '2:3 Nr. l: Unritterlicher: Taf. 32 Nr. ;}— 5 : Zinsmann; Taf. (U Nr. 5: Hirt; u. s. f.), kehrt in gleicher Weise beim

Nr. 3), beim Verbrecher (Taf. 49 Nr. 4), beim^Bös-

weltUchen "Kuifüi"sten^ erscheinen bei des Königs Kur mit den Geräten der

i) Siebe V. Zallinger, Die Schöftenbarfreien des Sachsenspiegels S^ 209 £ 2) Wer erinnert sich da uieht an den alten 'lenumus .Schalk tin den Knecht?

6(^5 Liteiatur.

Erzämter und alle kiesenden Fürsten machen dieselbe Fingergeste, wie sie das Gelöbnis siebtbar macht, die weltlichen mit einem, die geistlichen mit zwei Fingern (Taf. 93 Nr. 1 3); der Wende ist mit roherer Kopf- bildung und kurz geschnittenem Haare gezeichnet (Taf. 99 Nr. 4, 5), während ihm H rote Beinriemen gibt, was an die roten Riemenschuhe in der Einsetzungstracht des Kärntner Herzogs gemahnt. Das sind einige wenige gerade an die Hand gegebene Beispiele, welche zeigen, wie die Bilder in rechtsgeschichtliche Probleme eingreifen. Ich gestehe, dass es auch für mich viel Reiz hätte, schon in vorliegender Anzeige auf manches in der juristischen Seite der Bilder einzugehen, da eigene Studien hier einschlagen. Ich hielte es jedoch nicht für korrekt, derart dem Inhalte des zweiten Bandes hier vorzugreifen. Nach dem, was die Wissenschaft am ersten Bande besitzt, hat sie allen Grund, sich auf die Fortsetzung des Werkes mit hochgespannten Erwartungen zu freuen.

Graz. P a u 1 P u n t s c h a r t.

Dr. Haus v. Voltelini, Die ältesten Statuten vonTrieut und ihre Überlieferung. Wien Gerold 1902. (Archiv für österr. Geschichte Bd. 92, Seite 83 ff.).

Seitdem Tomaschek im Jahre 1861 die im Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchiv in deutscher Sprache vorliegenden Statuten von Trient her- ausgegeben und für dieselben den Charakter eines Originaltextes in An- spruch genommen hat, ist die Frage nach der ursprünglichen Fassung der Trienter Statuten nie recht zu Ruhe gekommen, und zwar waren es fast ausschliesslich Italiener, welche sich mit derselben wissenschaftlich be- schäftigten. Namentlich die Untersuchungen von Bartolomeo Malfatti und üesiderio Reich haben, wie V. bereitwilligst anerkennt, zur Klärung we- sentlich beigetragen und insbesondere, wenigstens für Unbefangene, über- zeugend dargetan, dass der deutsche Text keine Originalaufzeichnung, sondern nur eine Übersetzung aus dem Lateinischen sein könne. Die Er- gebnisse der italienischen Forschung haben jedoch wenig Beachtung ge- funden (Vgl. z. B. Luschin Österr. Reichsgesch. 1896 S. 145), und die »deutschen Statuten von Trient« gehören auch heute noch zum Haupt- rüstzeug tendenziöser Zeitungspolemik in und ausserhalb Tirols. Unserem Autor gebührt nun das hohe Verdienst, das verwickelte Problem der ältesten Statutargesetzgebung von Trient in den Bereich reiner wissenschaftlicher Forschung emporgehoben und mit streng kritischer Methode und der ihm eigenen Gründlichkeit in endgiltiger Weise gelöst zu haben.

Dem Verf. kam die Heranziehung einer zweiten deutschen Hand- schrift der Trienter Statuten sehr zu statten, welche sich im Schlossarchive Thun-Belvesino im Nonsberge befindet und bisher von Niemandem näher untersucht worden war, obwohl sie in dem von Tomaso Gar 1857 im Drucke herausgegebenen Kataloge jenes Archivs angezeigt erscheint. Dieselbe stammt, ebenso wie die von Tomaschek irrtümlich mit dem Datum 1363, statt 1463, versehene Wiener Handschrift, aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. Aus deren Vergleichung geht nun unzweifelhaft hervor, dass

Literatur. „.,_

667

sie Abschriften einer gemeinsamen älteren Vorlacre sind mit tIpv .;o i u n,cht unmittelbar sondern durch Vermittlung ^LwerZwth^ii "er zusammenhangen. Diese Vorlage aber war auf keinen Fall d OH !,! m ?'^ ':; ^^''^''^' ^^^^^^^ ^«^ «i^« -^-^ Privatgebrauch ° he '

1" n't% ; ^^''-'.^'^^^^ tr ^^'^^^^"^^^ ^"°--l^- 2u lesem Ergebt gelangt \. durch eme geschlossene Kette von sieghaften Argumenten von denen die wichtigsten hier angeführt werden mö^en -'^°^^^^«°' ^on

Gegen die Annahme, dass die ältesten Statuten von Trient in deut- sher Sprache ausgefertigt worden seien, spricht schon der äussere Um- s and, dass nach dem unwiderleglichen Zeugnis der Trientiner Urkunden die Volkssprache m Tri.nt und dem heutigen Trentino, ja sogar im Eozner Unterlande fast ausschliesslich romanisch war und auch in der Fol.e .elbst zur Zeit der grössten Verbreitung des deutschen Elements, das itaUenische Idiom m der Bischofsstadt stets vorherrschend blieb. Daraus folgt freilich nicht, dass die Statuten italienisch abgefasst worden seien, denn die Vulgarsprache hat im M. A. für Urkunden und Gesetze nur äusserst selten Verwendung gefunden; sie können vielmehr nur in lateinischer Sprache redigirt worden sein, deren man sich in den romanischen Ländern während des ganzen Mittelalters und bis ins 16. Jahrh. hinein fast ausschliesslich bediente.

Ferner liefert eine auf Form und Inhalt sich erstreckende eingehende Untersuchung der deutschen Eezension, unter Heranziehung der Eoveredaner Statuten, welche, wie wir gleich sehen werden, den älteren lateinischen Text der Trienter Statuten reproduziren, auch positiv den untrüglichen Beweis für obige Behauptung: die äusserst schwerfällige, undeutseh°e Dik- tion und die vielen Missverständnisse, Irrtümer und Widersprüche schliessen die Möglichkeit, dass die deutsche Aufzeichnung die Originalfassung der Statuten sei, völlig aus, und die Gegenüberstellung der lateinischen Ke- daction zeigt deutlich die Ableitung des deutschen Textes von einer latei- nischen Vorlage. Es ergibt sich auch, dass der Übersetzer jedesfalls nur über sehr beschränkte sprachliche und juridische Kenntnisse verfügte und mit den Verhältnissen des Landes wenig vertraut war. Bei der Verbrei- tung der deutschen Sprache im Hochstifte Trient im 14. und besonders im 15. Jahrh. und bei der grossen Zahl deutscher Beamten, welche von den Bischöfen eingeführt worden, kann es, wie V. hervorhebt, nicht auf- fällig erscheinen, dass sich das Bedürfniss noch einer deutschen Über- setzung geltend machte ; und umso begreiflicher wäre es, wenn die Trien- tiner Statuten dazumal auch in Bozen Geltung gehabt hätten, wie aus der im Anhange (9) abgedruckten »Beschwerde der Trienter Untertanen über einzelne Bestimmungen der Statuten und Übergriffe der Bürger 1488 1491'='= hervorzugehen scheint.

Aus mancherlei Indicien folgert V., die deutsche Übersetzung sei Ende des 14. oder Anfang des 15- Jahrh. entstanden; derselben lag jedenfalls nicht die Alexandrinische d. J. 142 5, sondern eine ältere Kedaktion der Statuten zu Grunde, welche im wesentlichen eben in den Statuten von Eoveredo aus dem Jahre 1425 erhalten ist. Die weitgehende Überein- stimmung dieser Roveredaner Statuten mit denen von Trient war eine bereits bekannte Tatsache (Vgl. meine Schritt über die Tal- und Gerichts- gemeinde Fleims und ihr Statutarrecht. Innsbruck 1891 S. 10 N. l);

668 Litenituv.

neu ist aber hier der interessante Nachweis, dass der »liber originalis statutorum veterum comunitatis et hominum Eoveredi^S welcher 1425 einer durch den Übergang der Stadt unter die Herrschaft Venedigs ver- anlassten Neui'edaktion unterzogen wurde, eben nichts anderes war, als der Codex der Trienter Statuten, welche bis dahin auch für Roveredo Geltung gehabt hatten. Es stellt sich nun weiter heraus, d^ss die deutsche Re- zension und die genannten Roveredaner Statuten, von den bei der Neu- bearbeitung der letzteren durch den Wechsel der Herrschaft bedingten Änderungen abgesehen, fast durchwegs übereinstimmen und auf einen ver- lorenen gemeinsamen Archetypus hinweisen, von welchem sie, ebenso wie die Alexandrinischen Statuten, durch Vermittlung von einer Anzahl Zwi- schenglieder abstammen. Als nächste Schlussfolgerung ergibt sich natur- gemäss, dass dieser Urtext der Trienter Statuten sich durch eine Ver- gleichung der drei von demselben abgeleiteten Quellen, unter Heranziehung der sonst erhaltenen Fragmente der ältesten Statuten, in seinem wesent- lichen Bestände rekonstruiren lassen kann ; man gelangt dabei zum Resul- tate, dass im 14- Jahrh. in Trient kein anderer Text von Statuten sich vorfand, als der, den wir noch im wesentlichen in der Roveredaner Sta- tutenredaktion des Jahres 1425 vor uns haben.

V. widmet auch der Frage nach der Entstehungszeit der ältesten Statutenkompilation eine eingehende Untersuchung, wobei er von der als echt ei-wiesenen Einteilung in sog. »alte« und »neue Statuten« ausgeht. Die »alten Statuten« sind jedenfalls vor 1307 entstanden; schwieriger ist der terminus a quo zu ermitteln, und in dieser Beziehung scheint mir die Arcrumeniirunor des Verf. nicht durchaus einwandfrei zu sein. Ins- besondere kann m. E. der Umstand, dass in einzelnen Stiftsgebieten noch gegen Ende des 13. Jh., so in Judikarien 1290, Lokalstatuten in Zivil- und Strafsachen abgefasst wurden, für die Datirung der Trienter Statuten nickt als ausschlaggebendes Argument benützt werden. V. meint nämlich, die Aufzeichnung von Partikularsfcatuten hätte nicht erfolgen können, wenn die Trienter Statuten, welche ja in civilibus und criminalibus für das ganze bischöfliche Territorium Geltung beanspruchten, bereits, früher erlassen worden wären. Allein es ist wohl die Annahme begründet (Vgl. meine bezüglichen Ausführungen in der oben erwähnten Schrift über Fleims), dass die Statuten von Trient nicht von vorne herein territoriale Geltung im ganzen Stiftsgebiete erlangt haben, sondern erst nach und nach den auch hier wuchernden Partikularismus zu überwinden vermochten ; für' einzelne Orte lässt sich ja eine solche Entwicklung direkt nachweisen. Es wäre dabei auch wohl denkbar, dass die Abfassung von konkurrirenden Lokalstatnten geradezu durch die Promulgirung der Trienter Statuten ver- anlasst worden sei, indem man dadurch eben die partikuläre Eechts- gewohnheit gegenüber dem bischöflichen Gesetze aufrechtzuhalten suchte. Zudem hat diese Zeitbestimmung bezüglich der »alten Statuten« einen nur relativen Wert, denn, wie V. selbst mit Recht hervorhebt, erweisen sich auch diese als kein einheitliches Werk, aus einem Gusse entstanden, sie sind vielmehr, wie die grosse Mehrzahl der ältesten italienischen Statuten- kompilationen, erst nach und nach zu einem corpus statutorum erwachsen, in welchem die historische Entwicklung noch deutlich erkennbar ist. Die »neuen Statuten« hingegen stellen sich als eine umfangreiche Novelle dar.

Literatur. -^.,^

welche von Bischof Nicolaus von Altheim zwischen 134.) und r^j er- lassen wurde; der Verf. weist auf die bedeutenden Vorzüge diese Gesetz s hin, welches eine Reform des zivilgerichtlichen Verfahrend .m Sinne et Kürzung und Vereinfachung desselben mit Erfola anstrebte

Im n Teile seiner Schrift beschäftigt sich V. mit den beiden Sta- tuten.edaktionen des lö. J., der Alexandrinischen d. a. 1425 und der Udalncianischen d. a. 1491, welche bisher noch keine eingehende Würdi- gung erfahren hatten, wobei ihre Beweggründe auseinandergesetzt und durch Vergleichung mit den älteren Statuten die Entwickluncr der Trienter Gesetzgebung illustrirt wird.

Während die nach Bischof Alexander von Mazovien benannten Sta- tuten, welche noch im Originaltexte in einem Pergamentcodex des Inns- brucker Statth.-Archivs aus der Zeit zwischen 1433 und 14.30 vorlie-en dem Bestreben der Bürgerschaft von Trient, die 1407 von Bischof Geor^^ erwirkten und durch Herzog Friedrich von Tirol erweiterten bedeutungs- vollen Privilegien zu behaupten, ihre Entstehung verdanken, ist dao-e-en die Neuredaktion d. J 1491 auf die Initiative des Bisehofs, Ulrichs III von Freundsberg, zurückzuführen, welcher damit den Zweck verfol^rte, den vielen Beschwerden der unteren Klassen und namentlich auch der deut- schen Handwerker gegen die in der Stadt herrschenden Geschlechter ein Ende zu bereiten. Infolge des Widerstandes von Seite der damit unzu- friedenen Bürgerkreise konnten diese Statuten jedoch >3rst irj04 im Drucke veröffentlicht werden.

Auch darin unterscheiden sich die beiden Redaktionen von einander, dass die ältere sich als eine tiefgehende Reformirung und bedeutende Er- weiterung der älteren Statuten darstellt, während die jüngere nur einzelne neue Kapitel und Zusätze aufweist. Auf der Alexandrinischen lieruht in Anlage und Inhalt zum grossen Teile auch noch die letzte Statutenauf- zeichnung, die sog. Cles'sche d. J. 1.528, welche allerdings beträchtlich erweitert erscheint.

Bei Besprechung der verschiedenen Redaktionen der Trienter Statuten berührt V. auch die Frage nach dem inneren und äusseren Zusammen- hange derselben mit den Statuten oberitalienischer Städte. Es ist sehr zu bedauern, dass sich der Verf. auf dieses so interessante Problem nicht tiefer eingelassen hat, es mag aber zugegeben werden, dass durch die dazu notwendigen weit ausgreifenden Untersuchungen die vorliegende Arbeit vielleicht eine ungemessene Erweiterung erfahren hätte. Immerhin bietet uns V. auch in dieser Beziehung manche bemerkenswerte Hinweise und anregende Ausblicke. Bereits Rapp hatte in seiner Darstellung des vater- ländischen Statutenwesens von Tirol (Beiträge zur Geschichte, Statistik etc. von Tirol VIII, 3) auf die grosse Ähnlichkeit und teilweise Identität iler Trienter Statuten in der Cles'schen Rezension mit ileuen von Verona »und anderer oberitalienischer Städte <^< hingewiesen. V. stellt nun fest, dass schon die »alten Statuten <■= mit denen von Verona und Vicenza eine weitgehende Übereinstimmung aufweisen, welche einen sicheren Schluss auf ihre nahe Verwandtschaft zulassen, und dass die »neuen Statuten« mit den Vizentinern teilweise sogar wörtlich übereinstimmen. Die Alexandrinische Redaktion verrät ebenfalls direkte Beziehungen zum Statut von Vicenza d. J. 1425 oder zu einem ihm verwandten; daneben finden sich aber darin

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Literatur.

auch vielfach Bestimmungen, welche dem Veroneser und Vizentiner Rechte fremd sind und, nach Ansicht des Verf.s, auf den lorabardischen, vielleicht auch toskanischen Rechtskreis hindeuten. Bei der Cles'schen Redaktion hinwiederum wurden aus den Veroneser Statuten d. a. 1450 viele Stellen wörtlich übei-nommen.

Zum Schlüsse soll noch des Anhangs gedacht werden, in welchem einige interessante Trienter Urkunden aus den Archiven von Wien und Innsbruck zum erstenmal abgedruckt, und ausserdem das I. Kapitel der Thun'schen Handschrift und zwei synoptische Tabellen sich finden, welch letztere der Vergleichung zwischen den verschiedenen Rezensionen der Trienter Statuten, den Statuten von Roveredo d. a. 1425 und den sog. »Statuten der Syndiker« dienen.

S a V 1 0 r i - M 0 n t e c r 0 c e.

Monumenta ecclesiastica tempora inuovataeinHun- g'aria religionis illustran tia. Digesseruut V. Buuyitay, E.3Rapaics, J. Karacsonyi. Tomus primus 1520—1529. Buda- pestiui, edidit Sectio Scieut et Litt. Societ. S. Stephaui, 1902. (Egyhaztörtenelmi emlekek a magyarorszägi hitujitas koräbol. I. kötet).

Über die Geschichte der Reformation in Ungarn wurde in den letzten Jahren vieles veröifentlicht. Quellen und Urkundenpublikationen und Bearbeitungen mehr oder minder grösseren Umfanges erblickten das Tages- licht. Trotzdem blieb gar manches in den Tiefen der Archive verborgen, an ' eine systematische Durcharbeitung der verschiedenen Archive und Bibliotheken dachte man lange nicht, und somit konnte man auch an eine grundlegende Pablikation über dieses Zeitalter kaum denken.

Die historischen Zeitschriften Ungarns brachten in ihren Jahrgängen, besonders in den früheren, ein nicht unbeträchtliches Material zusammen. Damit ging auch eine planmässigere Forschung nach archivalischem Ma- terial Hand in Hand. Die wissenschaftliche und literarische Sektion der St. Stefansgesellschaft fasste alsbald nach ihrer Gründung die Edition der Reformationsurkunden ins Auge, und wurden vorläufig die Jahre 1520 1570 als Arbeitsfeld bestimmt. Die hervorragendsten Kirchenhistoriker Ungarns Vincenz Bunyitay, Raymund Rapaics und Johann Karacsonyi wairden mit dieser Arbeit betraut, letzterer an Stelle des inzAvischen zurück- getretenen Akusius Timon's. Nach jahrelangen Vorarbeiten konnte man endlich an die Publikation schreiten, und als Frucht der Arbeit ist vor kurzem der erste Band des Werkes erschienen.

Der Band umfasst die Jahre 1520 1529 und enthält insgesamt 5 1 4 Urkunden. Als Anhang wird gebracht je ein Verzeichnis der Sieben- bürger Dominikaner aus den Jahren 1520 1525, aus den Jahren 1524, 1525 und 1529, ein Auszug aus der Bursa Hungarorum Cracoviensis nach der Ausgabe Karl Schrauf's, je ein Auszug aus dem Matrikelbuch der Wiener und der Wittenberger Universität und endlich eine Studie Karä-

Literatur. r«-i

b< 1

csonyi's^ kritische Bemerkungen zu den auf die ersten Zeiten der un^^ari- schen Reformation sich beziehenden Berichten.

Wenn wir zunächst das historische Ergebnis des Bandes betrachten, so geht aus dem Inhalt unleugbar hervor, dass das hier gebotene Material für d.e eigentliche Reformation wenig, fast gar nichts bietet. Das hier veröffentlichte Urkundenmaterial lässt konstatiren, dass in den Jahren 1520—1529 die Reformation in Ungarn noch keineswegs durchgedrungen ist und dass von einer eigentlichen Reformation nicht die Rede sein kann Selbstverständlich will das nicht bedeuten, dass in Ungarn in diesem Zeit- abschnitt sich keine Spuren der Reformation fänden. Die lutherische Lehre fand im Gegenteil schon damals Anklang in Ungarn, und neigten sich aar manche dem lutherischen Glauben zu, man würde ja sonst nicht AnstaUen dazu finden, die neue Lehre auch auf schriftlichen Wege zu bekämpfen- doch im allgemeinen ist eine durchgreifende reformatorische Beweo-uno- noch nicht bemerkbar. Denn auch unter jenen, die sich der neuen Lehre zu- neigen, gibt es nicht wenige, die die katholische Kirche nicht verlassen, die Messe hören, zur Beichte gehen etc., so dass man sie ihrem Wesen nach eigentlich als Anhänger der neuen Lehre nicht betrachten kann.

Aus diesem Umstand folgt auch, dass das urkundliche Material des Bandes sich mehr auf die äusseren und mneren Verhältnisse der katho- lischen Kirche in Ungarn bezieht. Dafär bietet das Buch ein schätzbares Material. Die verschiedenen Testamente, Briefe, Inventare, Prozessschriften etc. beleuchten in eingehender Weise die kirchlichen Verhältnisse Ungarns, und geben insbesonders in vermögensrechtlicher Beziehung über einzelne Diöcesen und Pfründen schätzbaren Aufschluss. Der Kirchenhistoriker wird das Werk gewiss mit Befriedigung durchblättern, auch die Kultur- geschichte wird ihre Rechnung finden, während die Reformationsgeschichte sich mit einzelnen, an sich wenig zusammenhängenden Daten begnügen muss. Besonders hingewiesen sei auf die Studie Karäcsonyi's, eine kri- tische Abhandlung über die ersten Verbreiter der protestantischen Lehre in Ungarn, worin er von einer Reihe Männer, die laut älteren Aufzeich- nungen die neue Lehre in Ungarn verbreitet hätten, das Unhaltbare dieser Auffassung nachweist.

Die Edition ist nach den neuesten Piinzipien durcligeführt und ist auch den fremden wissenschaftlichen Interessen Rechnung getragen. Die Einleitung wird nicht bloss in ungarischer, sondern auch in lateinischer Sprache gegeben, den ungarischen Urkunden ist das Regest auch in latei- nischer Sprache beigefügt, währen bei lateinischen Urkunden das Regest bloss ungarisch gegeben ist. Dadurch ist auch den des Ungarischen nicht mächtigen Forschern die Benützung des Werkes erleichtert. Ein in latei- nischer Sprache abgefasstes Personal und Sachregister erhülit die Brauch- barkeit des Werkes. Bloss eine Bemerkung wollen wir noch machen. Das Werk umfasst nicht nur Inedita, sondern druckt auch bereits edirte Stücke ab, und zwar mit vollem Text. Wiewohl dieser Umstand für dem For- scher bequem ist, weil ihm dadurch zeitraubendes Nachsuchen erspart wird, glauben wir, dass es genügt hätte, die schon edirten Stücke in Regestenform zu bringen. Jedenfalls wird durch die befolgte Methode der Wert und die Brauchbarkeit des Werkes nur erhöht.

672 Literatur.

Aus Jen Jahren 152() 15 70 liegt naoli ilein Vorwort der Heraus- geber zu schliessen ein Material für mehrere Bände bereit. Es wäre zu wünschen, dass die folgenden Jxinde in rascher Keihenfolge erscheinen. Der Stefansgesellschaft aber wird ein jeder, der das Werk durchblättert, für die materiellen Opfer, die sie brachte, aufrichtigen Dank zollen.

Budapest. A. Alddsy.

0. Waltz, Die Denkwürdigkeiten Kaiser Karls V. Bonu, E. Strauss 1901. 8«. 46 S.

In dieser kurzen aber gehaltvollen Studie . wird die Frage der Echt- heit der 1862 herausgegebenen commentaires de Charles V. neuerlich überprüft; Ranke hat sich dafür, der spanische Gelehrte Pascual de Oayangos dagegen ausgesprochen. Waltz führt in m. E. völlig zutreÖender Weise aus, wie diese im Jahre 1550 entstandenen (aber nur in einer portugiesischen Übersetzung des Jahres 1620 auf uns gekommenen) Denk- würdigkeiten in der Tat vom Kaiser unter literarischer Beihilfe seines niederländischen Sekretärs Wilhelm van Male verfasst worden sind. Sie sind keine auf Öffentlichkeit berechnete historische Darstellung, sondern eine Art , Erläuterungsschrift für die habsburgische Famihe* im Sinne der gerade damals von Karl Y. mit allem Nachdrucke vertretenen universali- stischen Successionspolitik ; darum auch der historisch erweisliche Auftrag, dass die Schrift durch den voi'nehrasten ministeriellen Vertreter dieser Politik, den älteren Granvelle und dessen Sohn ') revidh't und dann geheim gehalten werden solle. Mit ihrer woliläbgewogenen Darstellung der Gegen- sätzlichkeit der Politik der habsburgischen Brüder - der katholischen Weltpolitik des Kaisers, der österreichisch-landesfürstlichen des Königs mit ihren wertvollen Beiträgen zur persönlichen Charakteristik der Königin Maria, des »Orakels der österreichischen Familie* und namentlich Nicolaus Granvelles wird diese Studie über ihr nächstes Ergebnis hinaus interessiren und befriedigen.

Wien. H. Kretschmayr.

Turba G., Beiträge zur Geschichte der Habsburger. II. und III. Zur Reichs- und Hauspolitik der Jahre 1548 bis 1558. Wien C. Gerold 1901. 7(3 und 87 S. Archiv f. österr. Geschichte 90. Bd. mit Beilagen.

Der Verf. will im Einzelnen darlegen, wie es seit dem Jahre 1548 keine gemeinsame Politik der Habsburger mehr gegeben und die beiden Brüder Kaiser Karl V. und König Ferdinand in einem niemals völlig über- brückten Gegensatze zu einander verharrt haben. In der Tat »rundet sich

^) S. S. 26, A. 2; auch ich möchte mich hier gegen Ranke entscheiden. 2) Dessen Verhandlungen dauerten nicht neun Monate (Turba IIL 17. 19), sondern sechs : 7. März 25. September.

Literatur.

673

auf die sorgfältige auf mülievolleu archivalischen Stadien beruhende Aus- einandersetzung dieser gegensätzlichen Haltung der zwei Herrscher das Verdienst dieser Studie, die in guter Darstellung manchen bemerkenswerten Beitrag zur Geschichte jener Zeit beibringt und im besonderen den trans- itorischen Charakter des Passauer Vertrages deutlicher als es bisher ge- schehen herausarbeitet. Hingegen dürfte der Verf. mit seiner neuen Aut- fassung des Augsburger Re]igionsfi-iedens=^) wenig Beifall finden. Wenn er denselben Avegen der dagegen gerichteten Protestationen des Kaisers und der angeblieh ungenügenden Vollmachten König Ferdinands als für die Zeit bis zu Ferdinands Kaiserproclamation (l4. März 1558) formell rechts- ungiltig erklärt, so lässt sich dies nicht vöUig bestreiten, aber immerhin dagegen anfuhren, dass Karls V. Vollmacht von 1554 den Bruder be- rechtigt »abzuhandeln und zu beschliessen, absolute, ohne jegliches Hinter- sichbringen« (Ranke D. G. V. 253), dass die an König Ferdinand persön- lich gerichteten Verwahrungen nur dem Streben des Kaisers entspringen, sein Gewissen von der Verantwortung für die Augsburger Beschlüsse zu entlasten (vgl. Turba selbst II. 33. III. 22) und die faktische Ausfertigung einer öffentlichen Revokation noch nicht zweifellos ist; sie hat sich bisher nicht finden lassen. Doch auch den Formfehler zugestanden, scheint es eine gewaltsame Konstruktion, den von Ferdinand I. als Kaiser und allen seinen Nachfolgern feierlich anerkannten Frieden auch dann noch anfechtbar zu finden (III 2l); es scheint, als verfaEe Turba hier in dieselbe Casuistik, die er an Karl V. nicht recht zugestehen will, wie er denn überhaupt die Bedeutung des Buchstaben gegenüber der Macht der Tatsachen überschätzt. Sind denn nicht alle die kaiserlichen Revokationen und Verwahrungen jener Tage viel mehr ein Beitrag zur psychologischen Erkenntnis des innersten Wesens Karls V. als zur Geschichte des Reiches? Nicht zum Vorteil möchte der Arbeit ein gewisser apologetischer Ton und die deutlich ob- waltende Tendenz gereichen, Karl V. auf Kosten König Ferdinands moralisch wenn man so sagen darf herauszustreichen. Man tut dem Andenken des grossen Kaisers keinen Gefallen, wenn man, wie es hier wieder ver- sucht wird (s. besonders II 20) seine Politik der gewundenen Vieldeutig- keit entkleiden will, die nicht übel als die bewährte habsburgische Praxis jener Zeit bezeichnet wurde und die den unübertroffenen Schilderer L. V. Ranke veranlasst, ihn zweideutig und berechnend durch und durch zu nennen.

Wien. H. K r e t s c h m a y r.

Haake, Faul, König August der Starke. Eine Cliarakter- studie. München und Berlin, R. Oldenbourg, 1902. 27 S. 8''.

Der ausserhalb Sachsens bekannteste sächsische Kurfürst Friedrich August L, bekannter als Polenkönig unter dem Namen August IL, meist mit seinem Beinamen August der Starke bezeichnet, hat bisher wenig Glück in der Geschichtsschreibung gehabt. Seine Zeitgenossen haben ihn, wie so oft bei tÜrstHchen Häuptern üblich, mit einem Weilirauchnebel umhüllt, andere haben ihn verlästert, und auch die späteren Historiker sind ihm wenig gerecht geworden. Es ist bemerkenswert, dass die beiden

Mittheilungen XXIV. '^^

574 Literatur.

berühmtesten Wettiner, deren Bedeutung weit über die sächsischen Grenz- pfähle hinausging, Moritz und August, ihre neuesten, wirklich wissen- schat'tlichen Biographen, die bestrebt sind, auf Grund umfassendster archi- valischer Stadien ihren Stoff zu bewältigen, nicht innerhalb Sachsens aus dem Kreise wettinischer Untertanen gefunden haben, sondern dass es zwei Preussen sind, die ihnen ihren Fleiss zuwenden. Haakes Schriftchen ist nur der Vorläufer eines grosseren darstellenden Werkes, dessen erster Teil in nicht ferner Zeit bevorsteht, da H. schon seit mehreren Jahren besonders im Dresdner Hauptstaatsarchiv mit der Sammlung des Stoffes sowohl für die Biographie, wie für eine Publikation der eigenhändigen Entwürfe und Briefe Augusts beschäftigt ist. Wie schon der Titel besagt, ist die Schrift kein Abriss der Lebensgeschichte, sondern eine knappe Skizze der Eigenart dieses Fürsten, ein Versuch, sein Wesen zu erkennen und aus ihm die Gi'undzüge seines Tuns und Lassens zu entwickeln. Es bedarf keiner be- sonderen Betonung, dass die erste quellenmässige Erforschung dieses Menschenlebens (die sich nicht, wie bisher meist üblich, auf die Memoii'en- literatur als Hauptquelle stützt) uns auch durchaus keine strahlende Licht- gestalt vor Augen stellt, aber trotz vieler Flecken und Mängel ist der Gesamteindruck doch entschieden günstiger, als er bisher war. Augusts militärische Begabung, die Vielseitigkeit seiner geistigen, künstlerischen und wirtschaftlichen Interessen wird hervorgehoben. In der Darstellung seiner äusseren Politik ist besonders zu erwähnen die Hei'leitung der pol- nischen Pläne von literarisch-prophetischen Anregungen (eine ansprechende Darlegung, obwohl diesen Anregungen vielleicht nur der Wert zuerkannt werden kann, neben andern Gründen auch beigetragen zu haben, den für solche Ideen nicht unempfänglichen Kurfürsten mit zu beeinflussen), sowie der Hinweis auf den antihabsburgischen Charakter seiner Bestrebungen, der August den Starken von den ersten Jahren seiner Regierung an bis in' seine letzten Jahre nie verlassen hat, wenn er auch manchmal durch die Macht der Verhältnisse zurückgedrängt und August selbst zur Förde- rung seiner Pläne sich zeitweise an Osterreich anzuschliessen genötigt wurde. Auf kritische Untersuchungen und quellenmässige Belege hat Haake, der Anlage seiner Schritt gemäss, verzichtet, doch verschiedene Verhältnisse und Ereignisse ausführlich in Aufsätzen (in mehreren Bänden des Neuen Archivs für Sachs. Gesch., in der Historischen Zeitschrift u. a.) erörtert, von denen hier nur auf den für die österreichisch-ungarische Geschichte beachtenswerten Aufsatz »Die Türkenfeldzüge Augusts des Starken 1695 und 1696« (im N. Arch. f. Sachs. Gesch. XXIV 134 f.) hingewiesen sei; Haakes Ergebnisse weichen von der bisherigen Auffassung Erdmannsdörfers, Arneths u. a. nicht unwesentlich ab und verteilen Licht und Schatten zwischen August und Caprara gerechter.

Dresden. W. Lippe rt.

-Literatur.

Pierre BoyeLettres inedites du roi Stauislas, duc de Lorra.ne et de Bar, a Marie Leszczynska 1754-1766 pubLees avec une «ude, des notes et „n faedmile. Paris, Nancy Berger-Levrault et Cie. 1901. 178 SS. 8".

i^otmingens m der letzten Penode seiner nominellen Selbständi<xkeit unter der Herrschaft des zweimal entthronten Polenkönigs Stanislaus Le czvnski und zugleich der Geschichte dieses Letzteren selbst. Wii verdanken ihm bereits mehrere Arbeiten zur lothringischen WirtschaftsgescWc te o l" budge de a provmce de Lorraine et Barrois sous le regne nominal de Stamslas 737-1706« (lS96), .La Lorraine commer^ant°e sous le r gne nommal de Stamsas^ ,899), .La Lorraine industrielle sous le W nominal de Stamslas« (i900), »Les travaux publics et le reo^Le de corvees an Lorraine au XVIIIe siecle« (i900), ferner Darstellungen\leiner Abschnitte aus dem Leben Stanislaus Leszczynskis, wie .La cour de LuneviUe en 1748 et 1749, ou Voltaire chez le roi Stanislas^^ (i89l) .Les derniers moments du roi Stanislas« (i898) und besonders das grüßei^ verdienstliche von der Academie fran^aise preisgekrönte Werk .Stanislas Leszczynski et le troisieme traite de Vienne« (l89S, vgl. darüber Mitth. d. Instituts XX 678 f., und Neues Archiv für Sachs. Geseh XX I79f)

Die Studien für das letztere Buch hatten ihn auf die Briefe Stanislaus' an seine Tochter Marie, die Gemahlin Ludwigs XV., als wertvolle Quelle hingewiesen. Von diesen Briefen, die Marie Leszczynska sorgsam aufbe- wahrte, die aber später zum Teil zerstreut worden waren, sind zwei Gruppen erhalten: die erste umfasst die Briefe der dreissiger Jahre aus der Zeit der Not während der zweiten polnischen Thronkandidatur Leszczynskis, die zweite die aus den letzten Jahren seines Stillebens als Herzog von Loth- ringen 1754—1766. Sachlich gehaltvoller sind zweifellos die Briefe der ersten Periode. In ihnen spiegelt sich das bewegte Schicksal des Königs, die Unsicherheit seiner Gegenwart und Zukunft deutlich wieder; In schlechtem Französisch sind sie oft flüchtig hingeworfen, durchsetzt von polnischen Worten und Sätzen, einzelnen lateinischen Phrasen, zum Teil chiftrirt. Leider hat Boye darauf verzichtet, diese Briefe mit in seine Sammlung aufzunehmen. Wohl hat er sie in seinem Werke über Stanis- laus und deu Wiener Vertrag ausgiebig verwertet ; trotzdem wäre es von entschiedenem Interesse gewesen, sie zur besseren Erkenntnis des Charakters ihres Schreibers in ihrer Gesamtheit mit dargeboten zu erhalten, zumal Boye bei seiner vollständigen Beherrschung dieses Stoffes, seiner genauen Vertrautheit mit den persönlichen und lokalen Einzelheiten, die zur Erläuterung der berührten Vorgänge u. s. w. dienen, bei seiner Kenntnis der pol- nischen Sprache ein Vorzug, dessen sich von deutschen und franzö- sischen Geschichtsforschern auf dem Gebiete des 18. Jahrhunderts nur sehr wenige rühmen dürfen besser als ein anderer für diese Arbeit geeignet erscheint. Doch so nahe auch dieses Bedauern liegt, kann es doch nicht die Anerkennung beeinträchtigen, welche der Publikation des zweiten Teiles der Briefe zu zollen ist.

Die politische Geschichte freilich erfährt durch diese 131 Brief« kaum eine bemerkenswerte Bereicherung^ interessantes Material aber liefern sie

44*

(576 Literatur.

für die Geschichte «ler beiden Hauptpersonen selbst, ihrer beiderseitigen llül'e, ferner Lothringens und zahlreicher Personen, mit denen der Exkönig in Beziehungen kam. Meist handelt es sich neben den Ergüssen väter- licher Liebe sachlich nur um kurze Bemerkungen, oft nur Andeutungen; in seinem reichhaltigen Kommentar hat B. aber alle wünschenswerten Auf- schlüsse über die einschlägigen Verhältnisse gegeben und darin schätzbare Beiträge zur Zeitgescliichte geliefert. Die Vorgänge des siebenjährigen Krieges werden mehrfach berührt, wie auch die Personalfragen bei dem Wechsel des Oberbefehls; ferner I7fj2 das Vorgehen des Staates gegen die Jesuiten (Leszczynski und die Königin sind beide eifrige Jesuiten- freunde) und die -Kämpfe mit den Parlamenten, ferner die Anerkennung Stanislaus Poniatowskis durch Frankreich, die ti'klliche Erkrankunor des Dauphins u. a.

Mit Geschick und unterstützt von seiner umfassenden Belesenheit hat B. in der Einleitung ein anschauliches Bild von den Beziehungen zwischen Vater und Tochter gezeichnet, das interessante Streitlichter auf die un- glückliche Lage der Gemahlin Ludwigs XV. und auf die klägliche Stellung des königlichen Schwiegervaters fallen lässt. In dem sonst wenig sym- pathischen Charakter des Exkönigs von Polen erscheint die herzliche Zu- neigung zu seiner Tochter, die zärtliche Fürsorge für ihr Wohl und das ihrer Kinder als einer der wenigen lichten Punkte. Ein Faksimile des letzten Briefes Stanislaus' an Marie vom :i. Februar 1766 (also drei Wochen vor seinem Tode) ist beigegeben, das wohl geeignet ist, einen Begrilf von der schweren Lesbarkeit der Schriftzüge des damals im 8'.». Jahre stehen- den Königs zu geben.

Dresden. W. Lipper t.

Die historische periodische Literatur Böhmens, Mährens und Oesterr.-Schlesiens. 1900—1901.

Mit Nachträgen zum Berichte für das Jahr 1899^). MäliiTii uiul Schlesien.

1. Zeitschrift des deutscheu Vereines für die Ge- schichte Mährens und Schlesien. s. Redigirt von Dr. Karl S c h 0 b e r.

Jahrgang IV. (l'JOü). F. v. Krones, Die erzählenden Quel- len der Geschichte Mährens im fünfzehnten Jahrhundert. S. 1 105. Der I. Abschnitt gibt einen »tberblick des gesammten Be- standes der erzählenden Geschichtsquellen* in 1. Mähren, 2. Böhmen, 3. Schlesien, 4. Polen, 5. Habsburg-Östeinreich, 6. Ungarn, 7. in Gebieten ausserhalb dieses Länderkreises. Der II. Abschnitt behandelt j^Die er- zählenden Geschichtsquellen in ihrem Gehalte« u. zw. A) Schilderungen des Mähren-Landes, B) Die Angaben der erzählenden Geschichtsquellen nach der Jahresfolge der Ereignisse in zehn Zeitabschnitten von 1400 1500.

1) Vergl Mitteil, des Instituts 22, 152 ft'., 342 ff.. 2-1, 328 ff., 506 ff'.

Literatur. /•-'t

Die ganze mühsame und sehr verdienstvolle Arbeit erinnert nn des Verf/s , Geschichtsleben in Osterreich« und bildet eine ebenso brauchbare als willkommene Stütze Ittr die allgemeine Darstellung. A. Bachmann Über ältere böhmische Geschichtsquelleii. S. 106—120, '^OT —225. I. Abt Gerlach von Mühlhausen und sein Werk. Im ersten Para- graphen «Zur Biographie Gerlachs« stellt der Verf. die Gründe zusammen, die für Gerlachs cechische Abstammung sprechen, bestreitet ferner die von Palacky vermutete Verwandtschaft Gerlachs mit Georg von Mühlhausen Paragraph 2 beschäftigt sich mit »Entstehung und Gliederung des Ge- schichtswerkes Gerlachs«, und sucht zu erweisen, dass dieses Geschichts- werk nur erst das Konzept, stellenweise sogar bloss einen Entwurf oder auch nur eine Materialiensammlung für eine nicht zur Ausführung ge- kommene Darstellung bilde. Der :i. § befasst sich mit der ,, Abfassungs- zeit der Chronik und ihrer Theile«. B. will sechs Bestandteile sondern, für welche innerhalb der äussersten Grenzjahre 1187 und 1213 ganz ver- schiedene Entstehungszeiten anzunehmen seien. Im 4. § »Zur Kritik der Darstellung Gerlachs« hebt B. folgende Eigenschaften hervor: Unbefangen- heit des Urteils, Wahrheitsliebe, historischen Sinn, Gewandtheit des Stils und Lebhaftigkeit der Darstellung. IL Die II. (Strahover) Fortsetzung des Kosmas von 1140 1196. B. will diesen Namen dem bisherigen »Continuatio Pragensis« vorziehen und sucht ihre Quellen bis 1187 nachzu- weisen, da erst mit diesem Jahre selbständige Angaben beginnen. III. Der Geschichtsschreiber Vincenz, Domherr zu Prag. Im 1. § »Über Vincenz' Lebenslauf« wird darauf hingewiesen, wie schwierig es ist, die Nationalität dieses Schriitstellers, den Palacky und Emier für einen Cechen erklären. sicherstellen zu wollen, ebenso wie sein Verhältnis zum Prager Bischof Daniel. Aus dem in dem Werke zu Tage tretenden Interesse des Schrift- stellers für Mähren und die Olmützer Kirche möchte B. auf eine Ab- stammung V.'s aus Mähren schlie>sen, A^on wo er zwischen 1149 und 1151 nach Prag in die böhmische königliche Kanzlei kam. Die Entstehungszeit der dem Könige Wladislaw gewidmeten Chronik (1140 1167) bestimmt B. im ,3. § »Die Abfassungszeit des Buches von König Wladislaw«, auf die Jahre nach 1164. Der 2. § behandelt »Zweck und Inhalt des Werkes« und im § 4 »Vincenz als Schriftsteller« wird eine Charakteristik geboten, die zu dem Ergebnis kommt, dass, obwohl das Buch eine Huldi- gungsschrilt darstellt, an der Verlässiichkeit der Nachrichten nicht zu zweifeln sei. J. Wisnar, Beiträge zur geographischen. Na- menkunde. S. 121 131. Es werden hier in einem I. Teil die Namen von 2 7 Orten des Nikolsburger Bezirkes sprachlich untersucht. Das Er- gebnis wäre, dass »die Orte des Nikolsburger Bezirkes zwar anfangs viel- fach slawisch waren, dass sie aber neben den anderen ursprünglich deut- schen Ansiedlungen in späterer Zeit deutsch geworden sind und sich auch bis auf den heutigen Tag deutsch erhalten haben«. K. Lechner, Nachträge zum Codex diplomaticus et epist olaris Mora viae. S. 132 164. Bringt 29 Urkunden (l 253(?)— 1389) aus dem Kremsierer fürsterzbischöflichen Archive, zu deren Abdruck aber (s. u.) Snopek Kor- rekturen zu bieten notwendig fand. J. Loserth, Die Stände Mährens und die protestantischen Stände Österreichs ob und unter der Enns in der zweiten Hälfte des Jahres 1608-

(378 Literatur.

Mit einigen noch ungedruckten Briefen Karls von Zierotin. S. 226 278. Auf Grundlage von 1 5 Aktenstücken und Briefen des Steiermärkischen Landesarchivs aus dem Jahre 16()S (April November) wird das Verhältnis der mährischen Stände zu den Hörnern während ihres Streites mit Erz- herzog Maximilian dargelegt. Durch den Eibenschitzer Vertrag vom 19. April waren die Mährer zur Unterstützung der Österreicher verpflichtet, allein durch die kluge Politik Mathias' kühlte sich diese Konföderation immer mehr ab, die Mührer rieten stets, von Zierotin beraten und geführt, zur Moderation. J. Leisching, Johann Tscherte, königlicher Baumeister der niederösterreichischen Lande (t 1552). S. 279 302, 331 347. Gibt ein Gesamtbild seines Lebens und seiner Thätigkeit auf Grupd gedruckten und handschriftlichen Materials aus Wien und Brunn (Stadtarchiv). A. Raab, Die Vergangenheit des Kirchspieles St. Laurenz in Rzeczkowitz. S. 317 330. Ver- folgt die Geschichte und Besitzverhältnisse dieses mit der Geschichte Brunns so vielfach verknüpften Ortes von den ältesten Zeiten bis in die neueste Zeit. 0. Schier, Der Zug der ungarischen Legion durch Schlesien und Mähren im J. 1866. (S. 347—309). Eine auf direkten Mitteilungen »von aktiv Beteiligten und Augenzeugen nebst eingehenden Erhebungen an Ort und Stelle* beruhende Darstellung dieses »unblutigen Anhangs zu dem denkwürdigen Kriegsjahre 1800*. Die Konstituirung der Legion begann erst, nachdem der Plan, von Italien her unter Garibaldi eine Expedition zu unternehmen, durch Kaiser Napo- leon gescheitert war, im Juli 1866 unter preussischer Patronanz durch den zum Generalmajor ernannten Anton Vetter Edlen von Doggenfeld von Neisse aus, das Oberkommando übernahm Klapka. Am 26- Juli wurde die neue Truppe in der Zahl von etwa 2(»00 Mann von Klapka beeidet und militärisch organisirt; sie führte den Namen: »Königlich preussisch- ungarische Legion*. Im Gegensatz zu den Absichten Preussens begann Klapka in der Nacht vom l. auf den 2. August seinen Marsch gegen Ungarn und alle Versuche ihn zur Umkehr zu bestimmen scheiterten. Am 3. August stand die Legion an der ungarischen Grenze. Nach einej genauen Darlegung des Marsches der Legion sowie der sie verfolgenden Abteilungen des österreichischen Heeres spricht der Verf. seine Ansicht dahin aus, dass es nichts mehr und nichts weniger als eine schwächliche Demonstration war, gegen die eine kriegerische Abwehr überflüssig erschien, da schon »das blosse Erscheinen der österreichischen Truppen sie völlig unwirksam machte*'. E. Söffe, Peter Ritter von Chlumecky als Geschichtschreiber. S. 370 383. Eine Lebensskizze und Würdigung seiner historischen Arbeiten i).

Aus den Miscellen: A. Rzehak, Das sogenannte »Idol von Buch lau«. S. 165 16 7. Eine 1844 in der mährischen Burg Buchlau gefundene kleine Messingfigur, die früher der heidnischen Zeit zuge- schrieben wurde, erweist sich als Armleuchter frühestens aus dem 14. Jahr- hundert. — Dsl., Reste einer alten Erzgiesserwerkstätte in Brunn. S. 167 168. Fundgegenstände etwa aus der zweiten Hälfte des

') Von demselben Vei-f. erschien als selbständige : Schrift : , Peter Ritter V. Chlllmeckv^ Brunn 1903. 8°. 50 S. Druck und A^erlacr R. Rohrer in Brunn.

Literatur. pm^

Jahrhunderts führen zu dieser Annahme. - D sL, Reste einer Bein- arbeit er Werkstatt. S. 168-169. Gleichfalls nach Ausgrabungen in der Nahe der früheren lundstelle und aus derselben Zeit sTammend - 0. Stoklaska, Alte Brünner Testamente. S. 169—173 Bei spiele aus dem ältesten Brünner Testamentenbuch, ancrelegt 1391 "— H Welzl, Zur Geschichte der mährischen Theat'ercensur.'s 173 180. Auf Grund der Akten der mährischen Theaterzensurbehörde für die Jahre 1818—1848 werden Beispiele von dem Vorgehen derselben aus dem Dezennium 1818—1828 gebracht und im Aahang ein Verzeichnis der in dieser Zeit zur Aufführung nicht zugelassenen Stücke gecreben- darunter finden sich Körner'sche Dramen, Grillparzers König Ottokar' Uhlands Ludwig der Baier, Kotzebue, Schiller u. s. w. J. Spilhacek,' Die »spanische Kapelle« in Neutitschein. S. 180—185. Es ist eine Stiftung aus dem J. 1621 über den Gräbern der spanischen Be- satzung, die im Kampfe gegen den Markgrafen von Brandenburg am 24. Juli d. J. vor den Thoren der Stadt Neutitschein gefallen war. Die Kapelle wurde 1724 renovirt beziehungsweise von neuem erbaut, 1742 vom 01- mützer Bischof konsekrirt. H. Preisenham raer, Luxus verböte. S. 186 187. Eine Verordnung des Neutitscheiner Eats gegen »das Kuchenbacken und andere Missbräuche bei denen Kirchgängen der Sechs- wöchnerin« vom Jahre 1654. A. Rzehak, Ein Menschenschädel im Baugrunde der Zderadsäule. S. 303—305. Spricht die Ver- mutung aus, ob dieses Vorkommen eines Schädels unter einem an sich gewiss bedeutungsvollen alten Baudenkmal, dessen ursprüngliche Bestim- mung die eines Merkzeichens der Stapelgerechtigkeit oder wie ich an- nehmen möchte : eines blossen Grenzsteines sein dürfte, nicht mit der alten Sitte der j. Bauopfer« in Zusammenhang zu bringen sei. Dsl., Neuere Schatzfunde der Bronzezeit aus dem Marchtale. S. 305 307. Bespricht die Funde von Göding (I886, 1890, 1900), Syrovin (l89l) und Przestawlk (l899). K. Buchberger, Zur Stadtgeschichte von Olmütz. S. 307 311. Zwei Urkunden, 1667 Mai 11 und 1755 Juli 22, die über wichtigere Veränderung in einzelnen Stadtteilen in diesen Zeiten Aufschluss geben. J. Kux, Der Erbschaf tsprozess nach dem Littauer Fürstenrichter Stephan Minnich. S. 384 401. Minnich, ein eingewanderter Westphale, wurde 1632 Stadtschreiber in Littau, 1637 durch Hauskauf Stadtpatrizier, 1640 Ratsherr und war 1643 Bürgermeister zur Zeit des schwedischen Einfalls. 1647 wurde er fürstlicher Richter und blieb es bis zu seinem Tode (I66I). An seinen Tod knüpfte sich ein langer Streit um die Verlassenschaft, der eingehend dar- gestellt wird und allgemeineres Interesse gewinnt, weil in demselben das in Littau bislang geltende Magdeburger Recht mit gemeinem Landrecht im Kampfe steht. H. Welzl, Zur Geschichte der mährischen Theaterzensur. S. 402 406. Fortsetzung aus dem vorigen Hefte, behandelt die Zeit von 1828—1838. B. Bretholz, Einige Brünner Rechtssprüche für Heinrichs-Bitesch aus dem 15. Jahrhundert. 1419—1464. S. 406—411. Stammen aus dem 1414 angelegten Stadtbuch.

Jahrgang V. (]90l). B. Bretholz, Neue Aktenstücke zur Geschichte des Schwedenkrieges in Mähreu und Schlesien.

()^5() Literatur.

S. 1 92. Der i. Abschnitt: »Miniati und die Übergabe vun Olmütz nn die Schweden. ]r)42* behandelt die schwierige Frage der Schuld des; Kriegskommissärs und Proviantmeisters Antonio Miniati. Die neuen Akteu- .stücke sind zum mindesten geeignet, Miniati stark zu entlasten. Der 2. Altschnitt bringt einige »Berichte über das Treffen bei Jankau am ♦). März 1()45*. Der 3. Abschnitt schliesslich »Die Befestigung und Ver- teidigung lies Jablunkauer Passes gegen Georg Räköczy durch das Herzog- tum Teschen in den Jaliren 1(542 1045* schildert eingehend eine für den Verlauf des Krieges belangreiche Episode an der schlesischen Grenze und zeigt die furchtbaren Leiden und Drangsale, die in jenen Jahren Herzog- tum und Stadt Teschen zu erdulden hatten. Die Aktenstücke für alle drei Partien stammen " aus dem mährischen Landesarchiv. K. L e c h n e r . Nachträge zum »Codex diplomaticus et epistolaris Mora- viae«. S. 93 loii, 254 284. Foi-tsetzung aus dem früheren Jahrgang über die Zeit von 139(» 14()7. A. Bachmann, Über ältere böhmische Geschichtsquellen. S. 107 13S. In Fortführung der Studien aus den früheren Jahrgängen handelt Kap. IV. über »Die Hra- disch-Opatowitzer Annalen*, Kap. V. über »Die böhmischen Annalen des 13. Jahrhunderts*. Betreff der ersteren Quelle untersucht B. genauer ilir Verhältnis zu Kosmas. zum Mönch von Sazawa und zu Vincenz. Er kommt zu dem Ergebnis, dass dieses Werk aus der Vereinigung von historischen Notizen, die in den beiden Benediktinerklöstern Hradisch und Opatowitz entstanden waren, nicht vor 1165 in Opatowitz verfasst- wurde, »indem man die Lücken zwischen ihnen aus Kosmas, dessen ersten Fortsetzer und Vincenz ergänzte und aus Ekkehard und Kosmas einen ersten Teil kom- pilirte, der bis auf die Tage der Geburt des Herrn und Julius Cäsar hin- aufreicht'^^ »Die beabsichtigte zeitgenössische Fortsetzung* sei »über Meldungen zu den Jahren 1157 und 115S nicht hinausgediehen*. Was die »böhm. Annalen des 13. Jhd.'s« anlangt, so kommt B. zu einer ganz neuen Scheidung dieser von 1142 -1283 reichenden Quelle, die sich bald an Palacky, bald an Koepke anzuschliessen scheint, schliesslich aber doch eine ganz neue Ansicht über ihre Entstehung darstellt. . W. Müller, Geschichte der k. k. Studienbibliothek in Olmütz. S. 139 211, 321 331. Die Bibliothek entstand aus jener des Jesuiten- kollegs in Olmütz, das bei seiner Aufhebung mindestens 8090 Bände zählte, und hiess zunächst »öffentliche Universitätsbibliothek*. Gleich die Schick- sale in den ersten zwei Jahrzehnten ( 1790), die schwierige Organisi- rung und Katalogisirung, die Überführung nach Brunn (l778) und Zurück- führung nach Olmütz (l782), die Persönlichkeit des' Bibliothekars Johann Alois Hanke, seine Zänkereien mit dem Gustos Johann Expedit Hanke sind interessant. Auch die Revision der Bibliotheken der aufgehobenen Klöster Mährens, die 1786 J. A. Hanke übertragen w'urde, wird hier eingehend mit Belegen des Bücherbestandes der einzelnen Klöster behandelt. Auf Grund der Akten werden dann die weitere Geschichte der Bibliothek, die zahl- reichen Reform- und Organisationsvorschläge der Beamten, die Persönlich- keit der Bibliothekare Karmaschek, Voigt, F. X. Richter, Ssylhavi »der bedeutendste Fachmann, der an der Bibliothek tätig war«, Skyba »mit dem die Jahrzehnte lange Periode handwerksmässiger Bibliotheksleitung beginnt«, Dr. Alois Müller. Hausmann dargestellt. Nach Aufhebung

Literatur. nn-t

der Universität in Olmütz wurde 1860 die »Universitäts-Bibliotliek« in eine Studienbibliothek umgewandelt. Der verdienstvolle Aufsatz schliesst mit einer kurzer Schilderung der Verwaltung unter dem Amte des Autors selbst, der seit 1892 demselben vorsteht, mit Daten über den Aufwand,

die Büchervermehrung, und den Entlehnungsverkehr von 1773 1900.

A. Eolleder, Die mährischen Herren von Sternberg. S. 212

237, 332 373. Die Arbeit »bezweckt nur die Sicherstellung der Ge- nealogie« dieses nach den Krawaren bedeutendsten älteren mährischen Herrengeschlechtes »unter genauer Konstatirung der einstigen Besitzungen«. Hauptquelle sind die bekannten gedruckten Quellenwerke : Landtafel, Codex diplomaticus Moraviae, Kegesta Bohemiae et Moraviae, Wolny u. a. m. Eine Stammtafel liegt bei. J. Leisching, Die Vorläufer des ständigen Schauspiels in Brunn. S. 23S 253. Behandelt etwa die Zeit von 1669 an, zählt auf Grund der Akten des Stadtarchivs über »Glückshafen« die bedeutenderen Truppen auf, die regelmässig oder vor- übergehend in Brunn spielten Felix Kurtz. einer der am häufigsten wiederkehrenden »Prinzipale«, Angelo Miügotti brachte 1732 die erste Operntruppe spricht über das Lokale der Spielhäuser, über die meist sehr traurigen Verhältnisse der Truppen, über Theaterzettel und andere damit zusammenhängende Dinge. B. Bretholz, Mo er an et Mo er an. Zur Kritik der goldenen Bulle König Friedrichs IL für Mähren vom Jahre 1212. S. 305 320. Wiederabdruck aus den »Mitth. des Instituts « Erg.-Bd. (J, S. 235 ff. F. TvaruZek, Marsch der polnischen Hilfsarmee unter König Johann III. Sobieski durch Schlesien und Mähren im Jahre 1683. (Aus dem Nach- lasse des Dr. H. Preisenhammer, Bürgermeisters der Stadt Neutitschein). S. 374 392. Der Aufsatz beschäftigt sich hauptsächlich mit der Fest- stellung der Marschroute, welche die polnische Avantgarde unter Sieniawski verfolgte, die den Zweck hatte, die auf der Strecke Tarnowitz, Troppau, Olmütz, Brunn unter Sobieski's Führung zum Entsätze Wiens heran- rückende polnische Ost- und Hauptarmee gegen allfällige Überfälle und Angriffe zu sichern. Der Verf. berichtigt dabei eine Reihe von allgemein angenommenen Irrtümern und kommt zu den Ergebnis, dass der mit sol- chem Erfolg ohne jedwede Störung und ungemein schnell durchgeführte Marsch aus den östlichsten und südlichsten Gegenden Polens bis an die Donau ein glänzendes Zeugnis für Sobieski's grosse strategische Tüchtig- Iveit abgebe. Aus den Miscellen: W. Teltschik, Die Gründung von idein-Kunewald. S. 285—288. Der Aufsatz gibt ein anschau- liches Bild von der Kolonisation des Gebietes der Herrschaft Kunewald nach dem dreissigj ährigen Kriege durch den neuen Besitzer Grafen Sereny. Quelle hiefür sind die alten Grundbücher der Zauchteler Erbrichterei, die mit 1642 beginnen. A. Eaab, Archivalien in Mauerspinden. S. 289—294° Beispiele aus Schloss Osterburg in ]S. -Österreich, aus dem Hussowitzer Stiftshof (bei Brunn) und dem Brünner Rathaus. A. Rzehak, Die Chronologie in der Vorgeschichte. S. 294—295. Macht mit der von Prof. Dr. G. Kossinna, kgl. Bibliothekar in Berlin, aufgestellten »Chronologie der vorgeschichtlichen Metallzeit« bekannt, da man sie »ohne- weiters auch für die Vorgeschichte unserer Heimat akzeptiren könne«. Darnach umfasst die Kupferzeit oder Bronzezeit die Periode von

(5^2 Literatur.

200Ü bis 95U v. Chr. und zerfällt in 4 Abschnitte: 1. 200(1 1500, 2. 1500 1300, 3. 1300 1100, Beginn des Leichenbrandes, 4. 1100 950, früheste Hallstattzeit. Die Eisenzeit von 950 v. Chr. angefangen teilt Kossinna in sechs weitere Abschnitte: 5- 950 750, die ältere, 6. 750 550, die mittlere, 7. 550 400 die jüngere Hallstattzeit, 8. 400 250, Früh- 9. 250 150 Mittel- und 10. 150 v. Chr. bis n. Chr. Spät-Latenezeit. A. Rzehak, Ein Schatz f und der Bronzezeit aus der Umgebung von Ungarisch- Hradisch. S. 296. Die Bronzen dieses Fundes, die dermalen im böhmischen Museum in Prag ver- wahrt werden, gehören zu den schönsten, die je in Mähren gemacht wurden ; hervorzuheben sind zwei grosse schöne Brillenspinalen, ein Beil, Arm- spangen, Ringe. 0. Stoklaska, Die Brünner Familie Tschertte

(Teufel). S. 297 298. Bringt über diese Brünner Familie, aus der auch Johannn T-ch., der königliche Baumeister der niederösterreichischen Lande stammte, Ergänzungen zu Loischings Aufsatz in dieser Zeitschrift IV (s. 0.) aus dem ältesten Brünner Testamentenbuch. F. Schenner, Zierotins Bibliothek in Jireslau. S. 393 398. Neben all- gemeinen Bemerkungen über diesen Bestandteil iler Breslauer Stadt- bibliothek, sowie über die Porträts Karls von Ziorotin, bespricht Seh. einen Bellarrain von KHO (Sign. K. 138) und einen Bami mit Zierotin'schen Reden von 1580. K. Leehner, Zeugnis 1. für die Grafen Karl und Rudolf von Liechtenstein-Kastelkorn über ihre Studien an dem erzherzoglichen Jesuitengymnasium zu Innsbruck (1635 März 29 Innsbruck). 2. für Karl Graf von Liechtenstei n- Kastelkorn über seine an der Universität zu Ingolstatlt zurückgelegten Studien (1644 Ok- tober 27 Ingolstadt). S. 398 400. Abdiaick zweier Originalurkunden aus dem fürsterzbischöf liehen Archive in Kremsier.

Casopis Matice Moravske. (Zeitschrift der Mährischeu Matice). Hauptredakteure: Vincenc Brandl, Frant. Bartos. Veraut- wortl. Redakteur: Fraut. Kamenicek. Hauptraitarbeiter: Frant. A. Slavik. Fraut. Jar. Rypaeek.

Jahrgang XXIV (1900). J. Bartocha, Jak za starych dob cestina znenähla stala se jazykem jednacim (urednim, diplomatickym) v zemich koruny Oeske. (Wie in alter Zeit die cechische Sprache allmählig Geschäftssprache (Amts- und Urkundensprache) in .den Ländern der böhmischen Krone geworden ist). S. 1 13, 124 137, 220 237. Eine an sich belangreiche Studie, die leider durch gelegentliche national gestimmte AperQu's, wie »das schlechte Beispiel*, »die üble Gewohnheit ^'= des cechischen Adels die deutsche Sprache an- zuwenden, das ^sich berauschen an fremdem Gewand, fremder Sitte und Sprache*, an wissenschaftlichem Wert einbüsst. Sachlich beachtenswert ist, dass B. das aus mehreren älteren Abhandlungen bekannte Verzeichnis der ältesten cechischen Urkunden, die von böhmischen Adligen ausgingen und mit einem Revers Peter Neumburgers für Boczek von Kunstadt d69 1370 Dezember 27 beginnen, ergänzt. Die bisher bekannte älteste könig- liche Urkunde in cechischer Sprache ist von K. Wenzel dd*' 1394 August 25; vom Markgrafen Jodok existirt eine ältere, vom 17. März 1389. Fl. Koudelka, Krasove potoky na Moravö. (Karstbäche in

Literatur. f'R^

Mähren). S. 13-22. Beschreibt die bald ober- bald unterirdisch laufendenWasser.desmabrischenKarstgebiet.es von SIoup und die zum Teil von ihm selber durchgeführten Experimente wegen Feststellung de3 Zusammenhangs dieser Wässer mit farbigem Fluorescein V Houdek Krahcky kostelicek a pamätnosti jeho. (Die Kirche in Kralitz und ihre Denkwürdigkeiten). S. 23-30. Gemeint ist jenes Kralitz bei Irebitsch, das durch die Druckerei der mährischen Brüder berühmt ist (Krahtzer Bibel). Die dortige Pfarrkirche zum h. Martin wurde 1899 renovirt, wobei neben einer Anzahl von Grabsteinen auch Inschriften und Malereien zum Vorschein kamen, die teilweise auf die Brüdergemeinde zurückzuführen sind. F. J. Eypäcek, K näbozenskym dr.jinäm mo- ravskym za I. polovice 18. stoleti. (Zur mährischen Eeligions- geschichte in der I.Hälfte des 18. Jahrhunderts). S. 30—39. Einige auf das Urteil des Prager Appellationsgerichtes gegen Paul Taticek wegen Ketzerei (7. Februar 1732) bezügliche Aktenstücke aus dem Lom- nitzer Archiv. J. Cvrcek, Z poslednich dnü sboru bratrskeho v Ky- jov.'.. (Aus den letzten Tagen der Brüderunität in Gaya). S. 39 50. Nachrichten aus dem Herrenhuter Archiv über die Streitig- keiten, die mit dem Eintritt des Priesters Johannes Albicius als Pfarrer in Gaja (l577) ausbrachen, teils im vollen Wortlaut teils in Auszügen mitgeteilt. F. Xosek, Präva horskä na panstvi Hodoninsko-Pavlovskem. (Weinbergrecht auf der Herrschaft Göding- Pawlowitz). S. 50 62. Im J. 1692 ging die Herrschalt vom Grafen Friedrich von Oppersdorf auf den Fürsten Johann Adam von Liechtenstein über, bei welcher Gelegenheit unter anderen Veränderungen in der Gutsverwaltung auch die Bergrechtsbücher erneuert wurden. Erhalten haben sich von diesen das Weinbergrecht des Dorfes Bofetilz unter dem Namen »Folgen- steinisches Kecht« und das interessantere und ausführlichere von Piakwilz in 66 §§. J. Malovany, Skladba näreci cisafovskeho. (Die Dekli- nation des Kaiserswerther Dialekts). S, 62 69, 137 151, 260 274, 336 348. Fortsetzung aus dem früheren Jahrgang. K. V. Adämek, Delikty nävrhove die osnov noveho trestniho ziikona rakou.-.- keho. (Antragsdelikte nach dem Entwurf des neuen öster- reichischen Strafgesetzes). S. 69 79, 158 172, 237 250, 358 372. Mit kurzer historischer Einleitung. R. Dvorak, Kdy asi Keltove zabrali sidla v Cechäch a na Moravi'. (Wann sich etwa die Kelten in Böhmen und Mähren niedergelassen haben?), S. 117 124. Die Ergebnisse lauten: 1. Die Boier kamen nach Böhmen nicht aus Gallien, sondern aus ihrer asiatischen Urheimat; 2. die Tecto- sagen waren nie in Mähren ansässig gewesen ; 3. über die Einwanderung der Kotiner nach Mähren lässt sich nichts bestimmtes sagen. M. Väclavek, Panstvi Vsackt§ 1. P. 1776. (Die Herrschaft Vsacko im J. 1776). S. 151—157, 280—288, 372 376. Diese Herrschaft umfasst das Gebiet von Wsetin und kam nach dem Tode des Grafen Georg lUyeshazy (1689), der keine männlichen Erben hinterliess, an seinen Neffen Nikolaus. 1700 kam es infolge der Klagen seiner Untertanen vor dem mährischen Landrecht zu einer kommissioneilen Untersuchung und zu einem j> Ausgleich (Transakt)« zwischen Graf Nikolaus und seinen Unter- tanen, dessen Kobotbestimmungen im wesentlichen bis 1848 in Giltigkeit

684 Literatur

standen. Kikolaus' Nachfolger war sein Sohn Josef (1724 176(j), dann kam dessen Sohn Johann Christoph (- 1799). Im Zusammenhang mit der Einführung des Robotpatentes vom J. 177 5 verfasste der dortige Oberamtmann Josef Georg Beyer eine Beschreibung der Herrschaft in deutscher Sprache, die aber in diesem Aufsatz nur in Oechiscber l'ber- setzung nicht einmal der Originaltitel wird in einer Note .ingefülirt mitgeteilt wird, wobei überdies weder richtige noch einer wissenschaft- lichen Forschung entsprechende Randglossen über die (lermanisirung von damals und jetzt unterlaufen. M. Kri/e, Drjiny literatury o propasti Macose (Geschichte der Literatur über die Felsschlucht ^la- cocha). S. 172— 1S4, 274 2s(», 348 357. Gibt eine Übersicht jener Schriften, die tatsächlich neue Kunde über diese geologisch und hydro- graphisch so interessante Schlucht gebracht haben, beginnend mit der Beschreibung, die P. Martin Alex. Vigsius von Obrowitz im J. 1063 in seinem Buche »Vallis baplismi* geboten hat. F. Hujan, Pocatky Brna a jeho jmeno. (Die Anfänge Brunns und sein Name). S. 213 220. In dem 1. Kapitel »Die vorhistorische Zeit« betitelt und bis 1031 reichend tritt S. wiederum für die Identität des Ptoloraüischen >Eburo- dunum''^ mit der Lage des heutigen Brunn ein. Der Gedanke, den ita- lienischen Namen einer Bastei auf dem Spielberg »Bastione Peroni«, der im J. ir)45 vorkommt, mit der altslawischen Gottheit »Perun« oder die lokale Bezeichnung jPurzenbühel« für den Abhang des Franzensberges mit »Parzen«, unter denen die Genossinnen der altslawischen Göttin Vesna gemeint sein sollen, in Zusammenhang bringen zu wollen, ist selbstredend irrig. Im zweiten Kapitel ,Die historische Zeit« überrascht es, die längst als Fälschung erwiesene Urkunde Cod. dipl. Morav. I. p. 112 nr, 127 »E fragmento Monseano« historisch verwertet zu sehen. Neben der Dar- s-tellung der Einrichtung der Provinz »Brunn« unter Herzog Bi-etislaw, kommt der Verf. nochmals auf die etymologische Ableitung des Namens »Brunn« zu sprechen und glaubt es als »feste Stadt« (misto pevne) von dem slawischen Stammwort »brn« im Gegensatz zu anderen slawischen Ableitungen herleiten zu können ^). J, Klvaüa, Krevni kniha mestecka Bojkovic. (Das Blutbucb des Städtchens Bojkowitz). S. 250 260, 376 387. Der genaue Titel dieses aus dem 17. Jahrhundert stammenden für die Gerichtspraxis und Kulturgeschichte interessanten Buches, das sich im Archiv des genannten Städtchens befindet, lautet in deutscher Übersetzung: »Blutbuch d. St. B., in welches eingetragen werden alle Ursachen, Erkenntnisse und Urteile über jedwede Leute, die durch den Henker aus diesem Leben geschafft wurden, sowie andere Strafen, die sie für ihre bösen Taten erduldeten«. Die einzelnen Urteile sind bald kürzer bald ausführlicher eingetragen. Der Aufsatz bietet eine Auslese aus den verschiedenen Straffällen: Verurteilung wegen Zauberei, Mord und Totschlag, Ehebruch und Unzucht. (S. später). V. Prasek, Jroeno Velehrad. (Der Name Welle hrad). S. 313 321. Ursprünglich führte diesen Namen der heute »Altstadt« genannte Ort und darauf beziehen sich die Nachrichten von 1130—1315, die der Verf. zusammenstellt und

') Der Verf. hat mittlerweile eine vollständige Geschichte Brunns n. d. T. »Dejepis Erna*. 8^ 355 S. (1902) herausgegeben.

Literatur. ,-,^~

kut3.ch untersucht; mindestens von 1258-1297 hat das spätere Hradiscb den^amen: .Neu-Wellehrad«. Die heute Wellehrad genannte Ortschaft m der sich auch das Kloster gleichen Namens befindet, ist etwa eine btunde von jenem alten W. entfernt und nach des Verf. Ansicht

wäre

etwa 1253 das Kloster von hier dahin übertragen worden F V Pefinka, Opat Sebastian Freytag z Oepiroh. (Der Abt . Sebastian ireitag von Czöppern). S. 321-336. Eine kurze Lebensskizze dieses bekannten Klosterbrucker Abtes (i572— 1585) auf Grundlage der gedruckten Literatur unter Berücksichtigung der kirchlichen Verhältnisse

und Zustände im Znaimer . Gebiet in jener Periode. F. Slavik

Pi-isp.-vky k nerostopisu moravskemu. (Beiträge zur mährischen 0 r y k t o g r a p h i e). S. 387—392. Fortsetzung aus dem vorigen Jahrgang.

Aus den Miscellen: V. Houdek bespricht in seiner Fortsetzung der »Beschreibungen historischer und Kunstdenkmäler in Mähren« LSchloss"^, Stadt und besonders die Schlosskirche St. Prokop in Trebitsch (S. 7 9— 87); 2. Tischnowitz und Vorkloster (S. 184—189); 3. Auspitz, Gurdau und Lautschitz (S. 288—294). J. Cvrcek bringt aus dem Herren- huter Archiv Ndcbrichteu über einen Streit wegen der Kirche und dem

Priester in Eibenschitz aus dem J. 1581 (S. 294—296). F. Käme -

niOek (?) bespricht Johann Hübners »Vollständige Geographie. Dritter Teil . . . 1758« mit Rücksicht auf die Frage, »wie dieser Geograph über Böhmen geurteilt hat« (S. 392—398). F. Rypäcek beschreibt das Loranitzer Kancional aus der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts, geschrieben von Johann Klabik aus Zlin. (S. 398 403).

Jahrgang XXV (l90l). Th. Vodicka, Fr. Palackeho reo spisovnä. (Franz Palacky's Schriftsprache. S. 1 14, 151 171, 250 267, 369 381. Eine eingehende detaillirte grammatikalische Studie. V. Prasek, Eburodunum-Brno (Eburodunum-Brünn). S. 14 33. Eine, wie der Nebentitel lautet, kritische Studie über die Erklärung der Orts- namen im allgemeinen und Brunns im besonderen, hervorgerufen wie es scheint durch die im vorigen Jahrgang angeführte Arbeit Sujans über Brunn, dessen etymologische Versuche zurückgewiesen werden, und ähnliche Arbeiten über Namensforschungen (Zeiner, Keltsch etc.). Prasek widerlegt die Ableitung des Namens Brunn von Eburodunum mit guten Gründen, der Beweis aber, dass es ein altcechischer Name sei (brno ^= Koth, Lehm) bleibt auch nur hypothetisch. K. Absolon, Kriticke üvahy 0 moravske zvireni"" jeskynni. (Kritische Studien zur mährischen Höhlen fauna). S. 33 45- F. Silhavy, Mistni näzvy Brtnice, Dlouhä Brutnice a Brtnicka. (Die Ortsbezeichnungen Pirnitz, Lang-Pirnitz und Kle in-Pirnitz). S. 45 51, 171 178. Wie auch schon früher angenommen wurde, erklärt S. den Ortsnamen als »Siedlung der Bienenzüchter* (brtnik), während er die Ableitung von »brdo« (Anhöhe) ablehnt. Ein sicherer Beweis, dass hier auch wirklich Bienenzucht getrieben wurde, ist nicht zu erbringen, nur der Reichtum an Wäldern lässt darauf scbliessen. In diesem Zusammenhang handelt der Verf. auch über das Bienenrecht in Mähren. F. Snopek, Lechnerovy dodatky k moravskemu diplomatäfi. (Lechners Ergänzungen zum mährischen Diplomatar). S. 51—61. Bringt eine ansehnliche Zahl zum Teil belangreicher Korrekturen, durch die Lechners Texte (s. o.)

686 LitL-ratur.

verbessert werden. F. Tisoher, üopisy Ziktnuiula llelta z Kementu p. Jächymovi z Hradoe od r. 1553 1558. (Briefe des Sigmund Helt von Kement an Joachim von Neu haus aus denJ. 1553 1558). S. 61~6ß, 185—190, 295 303, 405 409. J. v. N. war Oberster Kanzler von Böhmen, S. H. v. K. sein Stellvertreter und Ver- trauensmann K. Ferdinands I. Die Briefe berühren zum Teil lokale und private Angelegenheiten, gelegentlich wird auf wichtigere politische Vor- kommnisse angespielt, Reisen des Königs werden erwähnt, Kirchen- und wichtigere Landesangelegenheiten linden sich fast in jedem derselben berührt. Die Briefe an Joachim sind böhmisch, zwei an den Kaiser und einer an Schenauer deutsch; sie liegen im Neuhauser Archiv. J. Klvana, Kfevni kniha möstecka Bojkovic. (Das Blutbuch von Boikowitz). S. r,6— 72, 178 184, 292 295, 402—405. Foi-fsetzung aus dem vorigen Jahrgang (s. oben), wobei für nachfolgende Verbrechen Beispiele angeführt werden: Diebstahl und Hehlerei, Bienenschaden, Verrat jeder Art. B. Navriitil, Listy l'alackelio BoOkovi. (Briefe Palacky's an Boczek). S. 97 132. Es sind 15 Briefe aus den J. 1832 1838, die sich zufällig im mährischen Landesarehiv gefunden haben und die, wie der Verf. in einer kurzen Vorrede richtig charakterisirt, einigermassen das schliesslich so unfreundliclie Verhältnis dieser beiden für die Geschichts- forschung in unseren Län'lern bedeutenden Gelehrten im Entstehen und Wachsen zeigen, für deren volle Beurteilung aber noch die Boczek'schen Antworten an Palacky notwendig wären. Reichliche Anmerkungen erleichtern das Verständnis des Inhalts und der in den Briefen vorkommenden Personen und Werke. F. V. Pefinka, N<'ktere zanikle osady na Znojemsku. (Einige untergegangene Ortschaften im Znaimer Kreis). S. 132 l.")l, 207 276, 384 394. Eine ebenso willkommene als not- wendige grümlliche topographische Lokalstudie. K. Kadlec, Ro'linny nedil ve svi'tle dat srovnavacich di-jin pravnich. (Der I'amilienunteil im Lichte der Daten der vergleichenden Rechtsgeschichte). S. 217 245, 333 369. Wie K. sich früher gegen Peisker's cechisch geschriebene Abhandlung »Ein Wort über die Zadruga* (Slovo o zadruze) gewendet, welche Einwände er auch gegen die deutsch geschriebene Ab- handlung Peiskers »Die serbische Zadruga* aufrecht hält, so gilt dieser Aufsatz vornehmlich der Abwehr gegenüber der oben zitirten Arbeit Pekaf' s>Zum Streit über die altslavische Zadruha*. Auf Pekar' Bemerkung, dass Kadlec ohne Beweis die Existenz der Zadruha bei den Slawen annehme, sie einfach voraussetze, antwortet dieser mit dem Hinweis auf die von zahl- reichen Autoren, deren Werke und Belegstellen er ausführlich zitirt Fustel de Coulanges, Ihering, Mommsen, Mitteis, Leist, Caq, Post, Giddings u. a. vertretene Theorie, dass einstmals die Menschheit in viel grösse- ren und breiteren Verbänden lebte, als es die heutige Familie darstellt; und eben diese Theorie erkläre genügend seinen Satz in seinem von Pekaf kritisirten Werke ^ Rodinny nedil . . . « » Gründe für den Bestand der süd- slawischen Zadruga seit alter Zeit anzuführen, wäre eigentlich unnötig, da niemandem mit Grund beifallen könnte zu behaupten, dass die Zadruga- einrichtung erst ein Gebilde späterer Zeit sei^. K. sieht in der Zadruga nur eine Form des allgemein geltenden ursprünglichen kollektivistischen Prinzips, das für das südslawische Recht anzunehmen uad vorauszusetzen

Literatur. po-»

um so begründeter sein müsse, als sich Spuren davon noch im heutio-en Kechte dieser Völker erhalten haben. Im weiteren Verlauf sucht Z die schon früher angeführten Belege für die Zadruga aus den südslawischen und russischen Quellen, die Pekaf in. ihrem Werte und ihrer Bedeutuncr zu entkräften versucht hatte: das Vinodolskj sehe Gesetz von 1288, da's Statut von Polic vom Jahre 1440, das Gesetzbuch Stephan Dusan's' und das Dabrovnicki'sche Recht, ferner die russischen Rechtsquellen z. B. die Euska Pravda (Das russische Recht) etc. Schliesslich hält Kadlec sowohl Peisker als Pekar vor, dass ihnen überhaupt das Wesen der Zadruga- organisation unklar ist, ebenso wie der Unterschied zwischen der Familie des altslawischen Rechts und jener des römischen Rechts. Deren Funda- mentalunterschied sieht Kadlec darin, dass das Wesen der slawischen Fa- milie in der Existenz eines kollektiven Familieneigentums beruhe, während die römische Familie begründet ist auf dem individualen Eigentum des Familienoberhauptes. Mit diesen Fragen beschäftigt sich sodann der Autor ausführlich und kommt zu dem Schlüsse, dass die von ihm im »Rodinny nedil« aufgestellten Behauptungen l. dass die südslawische Zat druha und der tschechische »rodinnj nedil« ein und dasselbe Reehtsinstitu- darstellen und 2. dass die Zadruhaorganisation bei den alten Slawen tat- sächlich existirte, trotz der Pekaf'schen Kritik zu Recht bestehen. J. Kabelik, Z literärni pozüstalosti J. H. Galase. (Aus dem literari- schen Xachlass des J. H. Galas). S. 245 250. Bespricht eine Handschrift des Prerauer Gymnasiums »Josefa Hermana Agapita Gallase »Quodlibet Moravicum« geographischen, topographischen, statistischen, künstlerischen Inhalts des von 1756 1840 in Weisskirchen lebenden un- gemein fruchtbaren Schriftstellers. Register des Inhalts und einzelne Proben werden abgedruckt. A. Bervid, Pfedbo^ne vysledky scitäni lidu z 31. prosinec 1900. (Die vorläufigen Ergebnisse der Volkszählung vom 31. Dezember 1900). S. 276 292. K. V. Adämek, 0 Janovi z Rusinova a o Janovi Hertvikovi z Rusinova. (Über Johann von Rausinow und Johann Hertwik von Rausinow). S. 394 401. Scheidet zwischen diesen beiden mit einander verwandten Personen, von denen der letztere 1487 oder 1488 starb, während der erstere zwischen 139S und 145 5 nachweisbar ist, und bringt für beide die urkundlichen Daten bei. Aus den Miscellen: V. Houdek bespricht in der Fortsetzung seiner »Beschreibung historischer und Kunstdenkmäler in Mähren« Raigern, Saitz, Prikluk, Prossnitz (S. 73 82), Littau, Mähr.-Neustadt, Konitz (S. 190—199). R. bespricht: »Y/ie der alte Geograph Johann Hübner im J. 17 58 über Mähren geurteilt hat« (S. 82 84). J. Klvaüa beschreibt kurz einen Münzlund bei Ung. Hra- disch, zum grössten Teil Silbergeld 16. Jahrhundert (S. 84 85). F. Janovsky berichtet über einen Band mit Predigten Anfang saec. XVIII. im Museum von Teltsch, herstammend von dem aus Teltsch gebürtigen Georg Franz Prochazka de Lauro, Dekan in Beraun in Böhmen (S. 303 308). J. Klvaüa beschreibt einen Bracteatenfund bei Göding (S. 308 3Q9)_ J. Beringer teilt eine Begabungsurkunde des Tas Mezei-icky von Lomnitz für die Kirche des h. Stanislaus in Jamnitz mit (S. 410— 41 1).' Brunn. B- Bretholz.

i)S>^ Nekrolog.

IjiüollxMt Miihlbaclicr.

i- 17. Juli i;to:i.

Als Mühlbacher gegen Ende Juui für dieses Heft der ,Mittt'i- liiDgen" die Dispositionen traf, wer hätte ahnen mögen, dass es seine letzte Fürsorge sei, diis.s unsere Zeitschrift so furchtbar schnell der festen leitenden Hund beraubt würde, diese Zeitschrift, die ^lühlbacher luitbegründet hat, die er durch seine Umsicht, rastlose Energie und aufopfernde Hingabe über die schwierigen ersten Zeiten zur gesicherten Existenz führte, zu Ansehen und Blüte brachte, die er durch vieruud- zwanzig Jahre geleitet hat. Neben seineu eigenen grossen Werken werden die dreissig Bände der „Mitteilungen", welche Mühlbachers Namen als ihres Redakteurs an der Spitze tragen, ein dauerndes Denkmal seiuer unermüdlichen Tätigkeit im Dienste der historischeu Wissenschaft sein und bleiben. Wir wollen au dieser Stelle vor allem dem Gefühle schmerzlichster Trauer über den Verlust Mühlbachers .Vusdruek verleihen, das nächste Heft der Zeitschrift winl ihm und seinem Wirken eine ausführliche Würdiiiuns; zu Teil werden lassen.

Die Redaktion der Zeitschrift übernimmt Prof. Dr. Oswald Redlieh.

DB 1 V5 Bd.. 24

Vienna. Institut für Osterreichische Geschichtsforschung Mitteilungen . Bd. 24

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