ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN RETTEN ZUGÖTTINGEN.: ZWEITER BAND. VON DEN JAHREN 1842 — 1844. MIT ZWEI KUPFERTAFELN. GOTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1845. Mo. Rot. Garden, 1901. — an ___ >VORREDE SY ez EN Dieser zweite Band der Abhandlungen der Königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen enthält die Arbeiten derselben aus den Jahren 1842, 1845 und 1844. Von der Geschichte der Societät in ER gute vg: das Nach- folgende eine gedrängte Übersicht. Das jährlich wechselnde De ee gieng zu Michaelis 1842 von der physicalischen Classe auf die mathematische über, und wurde von dem Herrn Hofrath Gauss übernommen; von Michaelis 1843 an wurde es von dem Herrn Hofrath Ritter, ältestem Mitgliede in der historische philologisch Classe, ge- führt; worauf es im Jahr 1844 ef ‚die inch Classe, und in dieser auf Herrn Obermedicinalrath Langenbeck übergieng. In den bemerkten drei Jahren hat die Societät bedeutende Verluste erlitten. Am Gten März 1842 wurde ihr das älteste hiesige Mitglied, der geheime Justizratli Arnold Hermann Lud- wig Heeren durch den Tod entrissen, der seit 4785 ihr ange- hörte, und in dieser langen Reihe von Jahren grosse und man- nichfaltige Verdienste um dieselbe sich erwarb. Das Andenken an diesen unvergesslichen Collegen wurde durch eine besondere öffentliche Sitzung der Kön. Societät gefeiert, in welcher Herr | a2 IV VORREDE Professor Hoeck die diesem Bande beigefügte Sen ede hielt. Im Jahr 1845 hatte die Societät den Abgang des Herrn Prof. Wilhelm Weber nach Leipzig, der seit 1851 ihrem enge- ren hiesigen Kreise zur besonderen Zierde gereichte, im hohen Grade zu beklagen. Im Jahr 1844 wurde ihr durch den am 21. August erfolgten Tod des Hofraths George Friedrich Benecke, ein ehrwürdiges, seit 4850 mit ihr verbundenes, und um meh- rere Zweige ihrer Geschäftsführung verdientes Mitglied geraubt. Auch der weitere Kreis der Mitglieder und Corresponden- ten der Societät hat in dem bemerkten Zeitabschnitt beklagens- werthe Verluste erlitten. Von auswärtigen: Mitgliedern sind ihr entrissen: im Jahr 1842, der Baron Joseph Maria Degerando, Staatsrath und Mitglied der Academie der Inschriften zu Paris; im Jahr 1843, der kais. russische Staatsrath, Dr. Joseph Frank, der seine letzten Jahre zu Como verlebte; im Jahr 1844, der Chevalier Stephan Geoffroi: St. Hilaire zw Paris und der k. k. Hofrath und erster Custos der Hof bibliothek zu Wien, Barth. Kopitar»: Von ihren Correspondenten hat die Kön. Societät ver- loren: im Jahr 1842, den kön, baierischen Geheimenrath Chr. Fr, von Miebelting und den emeritirten Professor zu Löwen, Johann Buplistu van Mons; im Jahr 1845, den Ritter James Ivory: zu London; im Jalir: 1844, den Professor der Medicin zu Kopenħagen pc Dr. Ludwig: Jacobson und den kurhessischen geheimen Hofrath und Professor der Chemie zu rg Dr. Ferdinand: Nur. smioiya s Auf erfreuliche Weise ist der Mieses engere kreis der Societät in dem erwähnten Zeitraum durch die von dem Kön. Universitäts- Curatorium bestätigte Aufnahme von sechs neuen ordentlichen: Mitgliedern erweitert worden, indem im Jahr 1843, Herr Hofrath Meyer — der bereits seit 1821 als Assessor mit VORREDE y der Societät verbunden war — so wie die Herren Professoren. Bartling, Fuchs und R. Wagner in die physicalische Classe ein- traten, Herr Professor Hermann der historisch - philologischen Classe sich anschloss, und im Jahr 1844 Herr Consistorialrath Dr. Gieseler zum Mitgliede derselben Classe erwählt wurde. Zu auswärtigen Mitgliedern wurden ernannt und vom Kön. Universitäts- Curatorium bestätigt: im Jahr 1845, der Oberme- dieinalrath und Leibmedicus Dr. Georg Lodemann zu Hannover für die physicalische Classe, so wie der Geheimerath und Prof. Dr. Friedrich Creuzer zu Se für die historisch - philolo- gische Classe. : Zu neuen Katrin teg hat die Kön. Societät erwählt: im Jahr 1842, den Doctor der Medicin John Forbes, Leibarzt des Prinzen Albert R. H. zu London, den kaiserl. russischen Staatsrat N. Lobatschewski, Professor zu Kasan, und den Doctor Heinrich Buff, Professor der Physik zu Giessen; im Jahr 1845, den Professor der Physik zu Dublin, Humphrey Lloyd; im Jahr 1844, den Doctor der Medicin, Robert Willis in London, den. Baron von Reiffenberg zu Brüssel und den Professor der Ar- chäologie zu Gent, Dr. Roulez. Folgende Abhandlungen sind in den drei bemerkten Jahren theils in den Versammlungen der Societät yonun „ theils der- selben übergeben worden. Im Jahr 1842. Am 12. Novbr. Hoeck, Gedächtnissrede auf Arnold Hermann Ludwig Hee- a ren. (Gött. gel. Anz. 1842. S. 1961.) Am 26. Novbr. Hausmann, geologische Bemerkungen über die Gegend von Baden bei Rastadt. (Götting. Dr Anzeigen 1842. S. 1985.) VI Am 27. Mai. Am 12. August. Am 23. Octob. Am 18. Novbr. Am 9, Deche. e 45. Januar: Am 24. Febr. Am 11. Mai. Am 24. Junius. Am 16. Novbr. VORREDE Im Jahr 1845. Marx, über die Abnahme der Krankheiten durch die Zu- nahme der Civilisation. (Götting. gelehrte Anzeigen 1845. 8. 921.) ‚Berthold, über seitliche Zwitterbildung (Hermaphroditismus lateralis) beim Menschen beobachtet. (Gött, gel. Anz, 1845. S. 1401.) Gauss, Untersuchungen über Gegenstände der höheren Geodäsie. (Gött. gel. Anz. 1845. S. 1761.) E ‚Ritter, über unsere Kenntniss der arabischen Philosophie und besonders über die Philosophie der orthodoxen arabi- schen Dogmatiker. (Gött. gel. Anz. 1845. S. 1929.) Conradi, über die in des Hippokrates Büchern von epide- mischen Krankheiten geschilderten Fieber. mit besonderer Rücksicht auf die von Littré geäusserte Meinung von den- selben. (Gött. gel. Anz. 1844. S. 41.) ' Im Jahr 1844. Hermann, über griechische Monatskunde und die Ergeb- nisse ihrer neuesten Bereicherungen. (Gött. gel. Anz. 1844. S. 201,) 2 öhler, Untersuchungen über das Narcotin und seine Zer- setzungsproducte. (Gött. gel. Anz. 1844. S. 490.) Berthold, über das Gesetz der Schwangerschaftsdauer. (Gött. gel. Anz. 1844. S.841.) Wöhler, Untersuchungen über das Chinop. (Gött. gel. Anz. 1844. S. 1161.) Hermann, zur Rechtfertigung der Aechtheit des sehalienen ` Briefwechsels zwischen Cicero und M. Brutus. (Gött. gel. Anz. 1844. S. 1921.) Ausserdem sind von Mitgliedern der Kön. Societät folgende kleinere, in den gelehrten Anzeigen abgedruckte Aufsätze mit- getheilt worden: . j Wöhler , Wöhler, Berthold, Wöhler,- Liebig und Möller, VORREDE. VII Im Jahr 1842. Bemerkungen über das Gebirge von Jaen im südlichen Spanien. (Gött. gel. Anz. 1842. S. 637.) über die im lebenden Organismus vor sich gehende Umwandlung der Benzoësäure in Hippursäure. (G. gel. Anz. 1842. S. 1017.) die Resultate von Untersuchungen über zwei neue Platin - Ver- bindungen, welche in dem academ. Laboratorium von den Stu- dierenden Knop, Litton und Schnedermann entdeckt und analy- sirt worden. (G. gel. Anz, 1842. S. 1057.) über den Lagalopex des Martial. (G. gel. Anz, 1842. S. 1097.) die Resultate einer Untersuchung über die Zusammensetzung der menschlichen Knochen, welche in dem academ. Laboratorium von Hrn. Dr. med. Frerichs gege worden. AR gel. Anz. 1842. S. 1564.) Wöhler, vorläufige Notiz uber einen aus dem Narcotin (Opian) entstehenden, neuen organischen Körper, den sie Opiansäure zu nennen vorschlagen. (G. gel. Anz. 1842. S. 1577.) Bericht über zwei in dem academischen Laboratorium angestellte Untersuchungen, nämlich über die Zusammensetzung des Aven- turinglases und über die Einwirkung des Chlors auf das Kohlen- > sulfid. (G. gel. Anz. 1842. S. 1785.) Wöhler , Wöhler, Hausmann, Wöhler, | Im Jahr 1845. Bericht über eine in dem academischen Laboratorium von dem Studierenden Schnedermann ausgeführte Untersuchung der Chi- novasäure. (G. gel. Anz. 1845. S. 505.) Notiz über eine neue Cyansäure - Verbindung. (G. gel. Anz. 1845. S. 521.) l die Resultate von Untersuchungen alter Münzen, welche von Herrn Münzwardein Bruel zu Hannover. unternommen worden, nebst eigenen darauf sich beziehenden Bemerkungen. (G. gel. Anz. 1843. S. 1289.) | über das ätherische Oel von Pinus Abies und über einige Be- Standtheile der Canella alba. (G. gel. Anz. 1845. S. 1561.) VIII Wöhler, 11 71 Lal Wöhler, Wöhler, Wöhler, VORREDE. Nachricht von einer von dem Studierenden V. Knop im academ. Laboratorium angestellten chemisch- physiologischen Untersuchung über die Flechten. (G. gel. Anz. s S. dg Olga ROT u Im Jahr 1644. ib 7: NaN | Nachricht von einer im 'achdem. Laboratoriuti von den Herren eo und Selnedermuun austzeführten e über den Mannit! (G. gel. Anz. 1824. S. 1081.) die Resultate mehrerer in dem academischen STORE vorge- pawr Untersuchungen, namentlich E über das Athamantin von den Herren Winckler und Schnelle dnn; 2. über das Limon, von Herrn Dr. C. Schmidt; 34 Analyse einer thierischen Con- eretion, vom Prof. Mihler. T gel. Anz. 1844. S. 1201.) Beobachtungen über das Asaron, von Herrn Dr. C. Sekmidi aus Kurland. (G. gel. Anz. 1844. S. 1441.) die Resultate einer Untersuchung über einen im academ. Da torium von Hin Bödeker entdeckten neuen me. Stoff, das Idryl. (6. gel. Anz. 1844. S. 4681.) eine Abhandlung von Dr. C. Schmidt aus Kurland unter dem Titel: „Zur Charakteristik der — Thiere vom physiolo- gisch- - chemischen areri aus.” (Gomang: gel. Anz. 4844. S. 2001.) Lee) DN * Was die von der SM Gesellschaft der Wissenschaf- ten’ aufgegebenen Preisfragen und den Erfolg derselben Eeer so ist darüber Nachstehendes zu berichten. Als ‚Hauptpreisaufgabe war von der physicalischen Classe für den November 1842 verlangt: ahn Eine kritische Revision der bisher über den sogenannten "Dimorphis- mus gewisser Substanzen bekannt gewordenen Erfahrungen, nebst einer Ausmittelung der Bedingungen, von welehen diese Erscheinung abhängig ist. 3 (Vorrede zum ersten Bande der Abhandlungen d. Kön. Gesellsch. d. N zu Gött. S. xı.) Leider hat diese Aufgabe keine Lösung SSCECEN VORREDE. x Für den November 1845 hatte die mathematische Classe Beef, Preisfrage bestimmt: | Die meisten akustischen Untersuchungen werden auf die Beobachtung der Tonhöhe, oder auf Messung der Schwingungsdauer der tönenden Körper, gegründet. Mehrere von diesen Untersuchungen würden viel weiter geführt werden können, wenn man Hülfsmittel zur genauen Beobachtung der Tonstärke, oder zur Messung der Schwingungsweiten tönender Kör- per, besässe. Besonders wäre es wichtig, wenn solche Messungen auch auf die durch die Luft fortgepflanzten Schallschwingungen ausgedehnt wer- den könnten. Da nun in neuerer Zeit mancherlei Versuche gemacht wor- den sind, die Schallschwingungen dem Auge sichtbar zu machen, und da hierdurch der Ausführung solcher Intensitätmessungen schon bedeutend vorgearbeitet ist; so wünscht die Kön. Societüt, / dass ein Instrument zur Messung der Tonstärke zweekmässig eingerichtet und Versuche gemacht werden, um die damit zu erreichende BET der Messung kennen zu lernen. Es war nur eine ungenügende Schrift eingegangen, bei welcher gegen die allgemein bekannten Bestimmungen der Name des Verfassers sich befand, daher sie schon aus diesem Grunde keine Ansprüche auf Berücksichtigung haben konnte. Für den November 1844 war von der historisch -philolo- gischen Classe folgende Preisfrage aufgegeben worden: Einen grossen Einfluss auf unsere Literatur hat es ohne Zweifel gehabt, dass zu den Zeiten, als die Wissenschaften der Alten auf die neueren Völker übertragen wurden, unter allen Arten der Philosophie besonders die Aristotelische blühete. Doch scheint bis jetzt noch nicht hinlänglich untersucht worden zu sein, wie, nachdem im dritten Jahrhundert nach Chr. G. die Platonische Philosophie den unbestrittenen Vorrang gehabt hatte, allmählich bei Heiden und Christen die Aristotelische Philosophie zur Herrschaft gelangt sei. Daher wünscht die Kön. Societät der Wissen- schaften, dass durch eine genaue Untersuchung ausgemittelt werde, welche Männer und welche Ursachen besonders gewirkt haben, dass vom dritten Jahrhunderte nach Chr. G. an allmählich die Aristotelische Philosophie der Platonischen den Rang abgelaufen habe. Leider ist auch diese Frage unbeantwortet geblieben. h x VORREDE. Für die nächstfolgenden drei Termine sind von der König- lichen Gesellschaft der Wissenschaften nachstehende Ban preisfragen aufgegeben worden. Für den November 1843 von der physicalischen Classe: Ouinam locus systemati nervi sympathici disquisitionum anatomicarum, microscopicarum et pathologicarum ope assignandus est? Welche Stellung lässt sich dem sympathischen Nervensysteme durch ana- tomische, mikroskopische und durch Raketen Untersuchungen an- weisen? Für den November 1846 von der inatheihatischeit Classe: Tabulae Urani, quibus etiamnum utimur „ superstructae sunt motibus ` planetae inde ab anno 1781 usque ad 1821 observatis, cum quibus satis bene quadrant, quatenus quidem e numeris a tabularum auctore allatis judicare licet. Septemdecim positiones anteriores vero, quas Flamsteed, - Bradley, Tob. Mayer. atque Lemonnier in observationibus suis inscii reli- querant, cum recentioribus tam accurate quam par erat conciliari non ‚ potuerunt, et hanc ipsam ob caussam nulla earum ratio habita est in stabi- liendis tabularum elementis, a patu nonnullae ex illis plus uno minuto primo discrepant. Allumen etiam consensus cum observationibus recentioribus mox turbatus est; deviationes tabularum haud contemnendae mox. subortae sensimque adauclae, nunc jam ad duo propemodum minuta prima excreverunt. Po- stulat itaque Societas Regia ut Theoria motuum Urani modo condigno ab integro relractetur, sin- gulaque laboris capita ambitu satis amplo explicentur. Die Uranustafeln, deren wir uns noch gegenwärtig bedienen, sind allein auf die in dem Zeitraume von 1781 4821 enthaltenen Beobachtungen gegründet, und stellen dieselben sehr gut dar, so weit die von dem Urheber der Tafeln allerdings nur in einem sehr abgekürzten Auszuge beigebrachten Mittheilungen ein Urtheil verstatten. Die siebenzehn aus zufälligen älteren Beobachtungen von Flamsteed, Bradley, Tobias Mayer und Lemonnier, hergeleiteten Ortsbestimmungen hatten sich mit den neueren nicht befrie- digend vereinigen lassen, und waren deshalb von der Begründung der Tafeln ausgeschlossen geblieben, von welchen sie zum Theil etwas über eine Minute abweichen. Allein auch jene Uebereinstimmung der Tafeln mit den neueren Beobach- VORREDE. ES tungen hat sich nicht lange bewährt: die Abweichungen: der Tafeln haben bald angefangen ‚merklich zu werden, und sind, von Jahr zu Jahr sich "` ve ‚grössernd A jetzt bereits auf 1 zwei „Bogenminuten angewachsen. Die Li. Societät verlangt daher: eine den hinlänglich bekannten Anforderungen, welche der gegenwärtige Stand der Wissenschaft an derartige Untersuchungen macht, genügende neue Bearbeitung der Theorie der Uranusbewegungen, und erwartet die Darlegung der dp ef in einer "ee Aus- ‚führlichkeit. i L Für Ter November 1647 von der de E: Inter eos See ënger ‚Imperia, a te vel patrii juris partem reliquit vel GRA beneficia concessit gens vietriæ, insignem locum obtinent Judaei. Multis enim mollis excepti erant e generali provinciarum statu, ita ut Romani Judaeos, in quacunque provincia degerent, maximam partem er suis institutis uti sinerent, insuperque iis insignia privilegia impertirent, Attamen vero non ubicunque eadem erant. Judaeorum com- moda, variogue tempore variabat eorum sub Romanis conditio et status. Quae quum; ita sint, desiderat Serietas Regia: zz Historiam criticam et e fontibus haustam status pii quem conces- serunt Romani Judaeis tum in ipsa Palaestina tum extra patriam de- gentibus, inde a rau m. M. usque ad interitum pe Romani occidentalis.“ Unter denjenigen der Römischen Herrschaft Bee Wölkern, denen ‚Theile ihres vaterländischen Rechtes gelassen wurden oder welche’ die sie- gende Nation auf andere Weise begünstigte, nehmen die Juden eine sehr bemerkbare Stelle ein. Vielfültig bilden ihre Verhältnisse Ausnahmen von der gewöhnlichen: Stellung der Provinzialen, so dass sie, in welcher Pro- vinz sie sich aufhalten, meistens nach eigenen Einrichtungen leben dürfen und ausserdem sich hoher Privilegien erfreuen. Indess ihre günstigen Verhältnisse waren nicht überall gleich und ihre staatsrechtliche Stellung unter den Römern war zu verschiedenen Zeiten verschieden. Die Königl. Societät: der Vissenschaſten wünscht daher: Eine critische und quellenmässige Geschichte der staatsrechtlichen Stel- lung der Juden unter römischer Herrschaft sowohl innerhalb als ausser- halb Palästinas, von Pompejus dem Grossen bis auf den Untergang des weströmischen Reiches.” d. wë 9 28 e 9 b 2 XII VORR E D E. Die Concurrenzschriften müssen vor Ablauf des Septembers der bestimmten Jahre an die Königl. Societät postfrei einge- sandt sein. Der für jede dieser Aufgaben ausgesetzte Preis beträgt funfzig Ducaten. * Als öconomische Preisaufgabe hatte die Königl. Societät für den Julius 1842 bestimmt: ve Eine möglichst vollständige Geschichte, der Einführung des Kartoffel- baues in den europäischen Ländern, nebst einer Darstellung des Einflusses, den die Verbreitung dieses Culturzweiges auf die Landwirthschaft in Europa gehabt hat.” (Gött. gel. Anz. 1840. S. 1107.) Leider ist diese Aufgabe nicht gelöst worden. Für den November 1842 hatte die Kön. Societät folgende öconomische Preisaufgabe gestellt: ‘Eine gründliche und umfassende Beschreibung der Landkwirthschaft einer Provinz oder Gegend des Königreichs Hannover, von welcher bis jetzt eine solche noch nicht geliefert worden.” (G. gel. Anz. 1840. S. 1898.) Zur Lösung waren drei Schriften eingegangen: Nr. 4. mit den Worten „Beatus ille etc.“ bezeichnet. Nr. 2. mit dem Denkspruche: „der Acker des Trägen wird Dornen und Disteln tragen.” Nr. 5. mit dem Motto: An's Vaterland, an's theure schliess dich an, das halte fest mit deinem ganzen Herzen; hier sind die starken Wurzeln deiner Kraft.” Die erste dieser Abhandlungen ist die kürzeste und hat die Landwirthschaft der Gegend zwischen Deister und Leine, die sich durch manche Eigenthümlichkeiten auszeichnet, zum Ge- genstande, enthält aber keine umfassende Beschreibung der ge- sammten Landwirthschaft jenes Districtes, sondern nur eine gedrängte Uebersicht vom Betriebe des dortigen Ackerbaues. Die zweite Abhandlung ist der Landwirthschaft von Reiderland, VORRED%#E. XIII der reichsten und fruchtbarsten Gegend von Ostfriesland ge- widmet, welche zwischen der Ems, dem Dollart und der Grenze von Holland und Meppen belegen ist. Sie giebt eine ziemlich vollständige und ganz gut geordnete Darstellung der Landwirth- schaft in jenem District, die indessen aus dem vortrefflichen Werke von Arends, über die Landwirthschaft von Ostfriesland und Jever, bereits genügend bekannt ist. Die dritte Abhand- lung, welche die Beschreibung der Landwirthschaft im Fürsten- thume Osnabrück liefert, die sich durch viele eigenthümliche Verhältnisse auszeichnet, ist die ausführlichste und umfassendste. Wenn gleich die Anordnung des Vortrages zweckmässiger sein könnte und überhaupt die Form der Darstellung Manches zu wünschen übrig lässt, so giebt diese Schrift doch eine recht an- schauliche Vorstellung von der Landwirthschaft im Osnabrück- schen und erfüllt dadurch den Zweck der Aufgabe. Da sie durch ihren weit umfassenderen Inhalt Vorzüge vor der ersten Abhandlung besitzt und da die zweite aus dem angeführten Grunde keinen Anspruch auf den Preis haben konnte, so hat die Königl. Societät der Wissenschaften der dritten Concurrenz- schrift den ausgesetzten Preis zuerkännt. Als Verfasser der- selben nannte sich: Friedrich Muller, Königlicher Förster auf Sondermühlen im Amte Grönenberg. (Gött. gel. Anz. 1842. S. 1986 — 1990.) * * * > Die für den Julius 1843 bestimmte öconomische Preisauf- gabe verlangte: Eine auf genaue, so viel als möglich im Grossen und mit verschieden- artigen Gewächsen angestellte Versuche gegründete Entscheidung der Frage: ob die mit PFasser versetzte Schwefelsäure mit Vortheil statt des Gypses XIV VOR RE DE. zur Beförderung der Vegetation, zumal bei Futterpflanzen und Hülsen- früchten angewandt werden könne?” (G. gel. Anz. 1841. S. 1083.) Obgleich dieser Gegenstand für die Landwirthschaft vieler Ge- genden von besonderem Interesse sein muss, und die erfor- derlichen Versuche ohne grosse Schwierigkeiten anzustellen A waren, ‚so ist die Preisfrage dennoch leider unbeantwortet ge- blieben. Mit welchem Eifer sich indessen Herr Lincke, König- licher Oeconomie - Commissär zu Weissenfels, dieser Sache angenommen hat, ist von der Societät gebührend anerkannt worden. (G. gel. Anz. 1845. S. 1161.) = Die für den November 1845 gestellte, öconomische dE aufgabe betraf: “Die Untersuchung von Kalkstein LS WEE US ZS Ge- birgsformationen und Gegenden auf einen Gehalt an Far und . = (G. gel. Anz. 1841. S. 1899. 21191 tolls lde Zur Lösung ist keine Arbeit erfolgt. . Nachdem von der Königl. Societät Gem — Eiorich- tung getroffen worden, künftig in jedem Jahre nur eine öcono- mische Preisfrage aufzugeben, den Preis aber zu verdoppeln (G. gel. Anz. 1842. 8. tg so. war für den ‚November 1844 folgende Aufgabe bestimmt: Die grosse Fruchtbarkeit des e an SH Ke der Ströme des nordwestlichen Deutschlands in das Meer, der in manchen Gegenden ohne Düngung der Felder reiche Erndten gewährt, ist eine vielfach be- sprochene, aber noch nicht genügend erklärte Erscheinung. Ohne Zweifel würde aber: die Lösung dieses Rüthsels zugleich für die Lehre von der Fruchtbarkeit des Bodens überhaupt erspriesslich sein können. Die Kön. Societät setzt daher einen Preis auf die beste Beantwortung der Frage: Morin ist die hohe Fruchtbarkeit des Marschbodens an der Mündung der Ströme des nordwestlichen Deutschlands BEGTERAN a Die Societät hat fünf Schriften erhalten, worin die Lösung der Aufgabe versucht worden. Die Schrift Nr. 4.. mit dem Motto: „In a Natur steht UORBRBEBE XV Alles in Wechselwirkung, ist sehr ausführlich. Obgleich der Verfasser auf die Beantwortung der Frage viele Mühe verwandt hat, so ist seine Arbeit doch nicht ohne bedeutende Mängel. Es sind von ihm zwar manche frühere auf den Gegenstand der Aufgabe sich beziehende Untersuchungen benutzt worden; da- gegen ist ihm aber Einiges entgangen, was gerade für den Zweck seiner Arbeit von besonderer Wichtigkeit war. Dahin gehören vor Allem die zahlreichen, von Sprengel gemachten chemischen Analysen von Bodenarten aus den verschiedenen Marschgegenden des nordwestlichen Deutschlands. Diese hätten um so mehr Berücksichtigung verdient, da von dem Verfasser selbst gar keine chemische Untersuchuntzen des Marschbodens angestellt worden. Um zu einem sicheren Resultate hinsichtlich der Ursachen der grossen Fruchtbarkeit des Marschbodens zu gelangen, hätte eine genaue Vergleichung seiner chemischen Zu- sammensetzung mit der anderer Bodenarten vorangehen müssen. Mit Recht pflichtet der Verfasser der Ansicht bei, dass ausser den Bestandtheilen auch die physicalischen Eigenschaften des Bodens von grosser Bedeutung für die Fruchtbarkeit sind. Er führt die allgemein bekannten Resultate der Schüblerschen Un- tersuchungen an, wogegen aber genaue Angaben über die Schwere, Consistenz, wasserfassende und: wasserhaltende Kraft, die Wärmecapacität und wärmeleitende Kraft des Marschbodens und andere physicalische Eigenschaften desselben gänzlich feh- len. Da jene Eigenschaften mit dem Aggregatzustande des Bo- dens im genauen Zusammenhange stehen, so hätten auch hier- über vergleichende Untersuchungen angestellt werden müssen, da wohl angenommen werden darf, dass durch die eigenthüm- liche Bildungsweise dem Marschboden ein Aggregatzustand ver- liehen worden, der auf seine Fruchtbarkeit von besonders gün- XVI YO RRE DE. stigem Einflusse ist. Auch die climatischen Verhältnisse der Marschgegenden, auf welche der Verfasser mit Recht Gewicht legt, hätten bei der Beantwortung der Frage genauer als es ge- schehen, berücksichtigt werden müssen. Die Arbeit befriedigt also, ob sie gleich in mancher Hinsicht lobenswerth ist, im Ganzen doch keinesweges, und lässt für die Beantwortung der Frage viel zu wünschen übrig. Bei der Concurrenzschrift Nr. 2. hat sich der Verfasser gegen die bestehende, allgemein bekannte Ordnung genannt, daher sie nicht berücksichtigt werden konnte. Die Schrift Nr. 5. führt das Motto: Auch der Versuch, die Wahrheit aufzuſinden, ist lobenswerth.“ Sie hat nur einen geringen Umfang, zeichnet sich aber durch eine klare und wohl geordnete Darstellung aus. Der Verfasser bleibt indessen nur bei allgemeinen Betrachtungen stehen, ohne tiefer in den Gegen- stand einzudringen und dasjenige zu berücksichtigen, was von Anderen bereits in Beziehung darauf geleistet worden. Die Schrift Nr. 4. ist mit keinem Motto versehn und füllt nicht einmal einen Bogen aus. Auch liegt in dem Wenigen, was über den Gegenstand der Aufgabe gesagt worden, ein hin- länglicher Beweis, dass der Verfasser durchaus unfähig war, die Frage genügend zu beantworten. Sehr verspätet traf die Concurrenzschrift Nr. 3. mit dem Motto: Felices si sua bona norint” ein, und würde daher der Strenge nach keinen Anspruch auf Berücksichtigung gehabt haben. Indessen ist sie theils wegen der von dem Verfasser beigefügten Entschuldigung, theils in Betracht der von ihm auf die Beantwortung gewandten Mühe, dennoch ausnahmsweise einer Beurtheilung unterworfen worden. Die Abhandlung ist von bedeutendem Umfange. Ihr Verfasser zeigt eine genaue VO RRE D E. XVII Bekanntschaft mit den landwirthschaftlichen Verhältnissen der Marschen des nordwestlichen Deutschlands, und hat in seiner Abhandlung eine Menge schätzbarer öconomischer Erfahrungen nieder gelegt; aber über den eigentlichen Gegenstand der Auf- gabe giebt sie nur wenig Aufschluss. Genaue eigene Unter- suchungen in Beziehung darauf werden vermisst, und das von Anderen Geleistete ist unvollständig mitgetheilt. Auch zeugen die über die Fruchtbarkeit des Marschbodens gegebenen Erklä- rungen nicht von einer genauen Bekanntschaft mit dem gegen- uürtigen Stande der Agronomie. Unter den fünf Concurrenzschriften nähert sich die erste der Lösung der Aufgabe am Mehrsten; wegen ihrer bedeuten- den Mängel hat ihr indessen der Preis leider nicht zuerkannt werden können. Die Wichtigkeit des Gegenstandes hat die Rön. Societät veranlasst, obige, die Fruchtbarkeit des Marsch- bodens an der Mündung der Ströme des nordwestlichen Deutsch- lands betreffende Preisfrage, für den November 1846 von Neuem aufzugeben. (G. gel. Anz. 1844. S. 1925 u. 1954.) Für den November 1845 ist folgende Aufgabe bestimmt: Es ist wohl nicht zu verkennen, dass die verschiedenen Beschaffenheiten des Bodens auf das Leben mancher Würmer und vieler Insecten, zumal vieler Larven der letzteren, einen bestimmien Einfluss haben, und dass Manches von dem, was in Ansehung der Verbreitung jener Thiere und anderer sie betreffenden Erscheinungen wahrgenommen wird, in den Boden- Beschaffenheiten begründet ist. Eine genauere Kenntniss dieses noch nicht genügend erforschten Verhältnisses würde unstreitig in Beziehung auf die in land - und forstwirthschaftlicher Hinsicht schädlichen Würmer und In- secten von besonderem Interesse sein; daher die Nönigl. Societät die Auf- gabe stellt: Eine möglichst umfassende Erörterung des Einflusses, den die ver- schiedenen Beschaffenheiten des Bodens auf das Leben der den Cultur- gewächsen nachtheiligen Insecten und Würmer haben, nebst der Angabe des Nutzens, der aus der genaueren Kenntniss dieses Verhältnisses für c XVIII VO RRE D E. Land- und Forstwirthschaft zw ziehen sein dürfte.” (G. gel Anz. 1843. S. 1927.) Der äusserste Termin, bis zu welchem. die zur Concurrenz zulässigen Schriften ‚bei der Kön. Societät portofrei eingesandt sein müssen, ist der Ausgang des Septembers der bestimmten Jahre. Der für die beste Lösung einer jeden der öeonomischen Aufgaben ausgesetzte Preis beträgt vier und zwanzig Ducaten, ëng im Junius 1845. Joh. Friedr. Ludw. Hausmann. 18. D NAH. A freit Vorrede, von Joh. Friedr. Lud. Ilaus mann Seite III. Abhandlungen der physicalischen Classe. Joh. Friedr. Ludw. Hausmann, EE 5 zeg die Gegend von Baden bei Rastadt x „un. wa Seite 5 ` ©. Friedr. Heinr. Marx, über die Abnahme der ee, dürch O die Zunahme der Civilisation d gaublidıyii743 Arn. Ad. Berthold, seitliche Zwitterbildung erte) late- ralis) beim Menschen beobachtet e Joh. Wilh. Heinr. Conradi, über die in des SE Büchern von epidemischen Krankheiten geschilderten Fieber mit beson- derer Rücksicht auf die von Littré en N von deuselbop <. 113 F. Völler, Untersuchungen über das Narcotin und seine Lang prodot > -~ 149 Arn. Ad. Berthold, über das Gesetz der 0 EE ie F. Wöhler, Untersuchungen über das Chinon . . . 225 Abhandlungen der mathematischen Classe. C. F. Gauss, Untersuchungen über e der höhern Geodäsie. Erste Abhandlung i ; ot XX INHALT. Abhandlungen der historisch-philologischen Classe. H. Ritter, über unsere Renntniss der Arabischen Philosophie und be- sonders über die ze. der orthodoxen Arabischen Dog- matiker 38 R. F. Hermann, über SE Monatskunde und die ie Ergebnisse ihrer neuesten Bereicherungen — — zur Rechtfertigung der Aechtheit des erhaltenen Brief- wechsels zwischen Cicero und M. Brutus. Erste Abtheilung a Geer: zu der Anean über pepes Monats- kunde R. Hoeck, Gedächtnissrede auf Arnold Hermann Los? Heeren. — — 43 169 215 Die bei dicken Bande befindlichen zwei Kupfertafeln ge- hören zur Abhandlung von Arn. Ad. Berthold, über seitliche Zwitterbildung beim Menschen beobachtet. ABHANDLUNGEN DER PHYSICALISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN | ZU GÖTTINGEN. ZWEITER BAND. Phys. Classe. II. A Geologische Bemerkungen über die Gegend von Baden bei Rastadt. Von Johann Friedrich Ludwig Hausmann. Vorgelesen in der Sitzung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am 26sten November 1842. Die grosse Anziehung, welche Baden in jedem Sommer auf Tausende von Fremden, aus den verschiedensten, zum Theil weit entfernten Ländern übt, ist wohl weniger der Heilkraft seiner Thermen, als dem unbeschreiblichen Lauber seiner Natur beizumessen. Wenn man aus der flachen Gegend von Rastadt sich dem Gebirge zuwendet, und in das schnell sich verengende Thal der Oos begiebt, welches den weltberühmten Kurort birgt, so sieht man sich plötzlich in eine gänzlich verschiedene Umgebung versetzt, welche die ziemlich eintönige Stromniederung bald vergessen lässt. Ausgezeichnete Berg- formen, die terrassenförmig aufsteigende Stadt, die darüber an einer Felsen- höhe empor ragenden Reste des alten Schlosses, fesseln zuerst den Blick, der dann mit Wohlbehagen auf der herrlichen, reichen Vegetation ruhet, welcher durch den abgestuften Wechsel des dunklen Nadelwaldes der höheren Gipfel, des lichteren Laubholzes der Vorberge, des freundlichen Rebenkleides der unteren Einhänge, und der frischen, vom klaren Bergstrom durchschlängel- ten Wiesenmatten des Thalgrundes, eine entzückende Mannichfaltigkeit ver- liehen ist. Wenn darauf der Wanderer, von einer milden, mit balsamischen Düften erfüllten Luft angehaucht, weiter in die bezaubernde Gegend ein- dringt, hier einem der Oos über Felsblöcke zueilenden Bache in ein tief ein- geschnittenes Seitenthal folgt, oder dort an einem Abhange bis zum felsge- krönten Gipfel hinan klimmt, der einen freien Blick einer Seits über das A2 4 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN vielfach gegliederte Waldgebirge, anderer Seits auf den fernen Silberspiegel des Rheinstroms gewährt; wenn so jeder Tag neue Reize der dortigen Natur kennen lehrt, und dem Naturfreunde die Wahl gelassen ist, heute an liebli- chen, morgen an grossartigen Eindrücken sich zu erquicken, so wird er bald eine Vorliebe für die Gegend von Baden gewinnen müssen, welche auch in weiter Ferne nicht verlöschen Bu und ihn zur Wiederkehr dringend einladet. | Fragen wir nun, worin der letzte Grund des ganz eigenthümlichen Rei- zes jener Gegend, der ungewöhnlichen Mannichfaltigkeit derselben liegt, wo- durch sie sich von allen anderen Theilen des Gebirges, dem sie angehört, mögen solche in ihrer Art noch so anziehend und ausgezeichnet seyn, unter- scheidet, so werden wir die Antwort nur durch eine genauere Betrachtung des Felsgebäudes erlangen können, in welchem dort eine seltene Verschie- denartigkeit der petrographischen und oreographischen Verhältnisse auf einen beschränkten Raum zusammengedrängt ist. Ja, man wird nicht leicht eine Gegend finden, in der es vernehmlicher als dort ausgesprochen ist, welchen Einfluss die innere Zusammensetzung der Felsmassen auf die äussere Gestal- tung der Berge und Thäler, auf die Qualitäten und Expositionsverhältnisse des Bodens, und dadurch auf die Vegetation wie auf die Culturzweige übt. Wer hieran noch zweifeln könnte, den möchte ich darauf verweisen, nur die Umgegend von Baden mit der des Wildbades zu vergleichen. Beide Orte liegen in demselben Gebirge; beide sind nur wenige Stunden von einander entfernt; in der Höhe der Berge ist kein bedeutender Unterschied; aber welch’ eine Verschiedenheit zwischen dem einförmigen Ernst des Enzthales und dem mannichfaltigen Wechsel von Anmuth, Fülle und Majestät in den Thälern der Oos! Dort schliessen zwei einförmig gewölbte, von Kiefernwaldung be- deckte Sandsteinrücken einen lang gestreckten, engen Wiesengrund ein, in welchem nur an wenigen Stellen krystallinischer Fels die Vegetationsdecke durchbricht. Hier stellt sich dagegen eine mannichfaltig geformte und ge- gliederte Gebirgsgegend dar, in welcher Granit mit krystallinischem Schiefer, Porphyre. mit verschiedenartigen Conglomeraten wechseln. und derselbe Sand- stein, der die Ursache der Einförmigkeit der Natur des Enzthales ist, hier, im Verein mit den übrigen Gebirgsarten, zur Vergrösserung der Mannichfal- GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON! BADEN BEI RASTADT. 3 tigkeit der Gegend beiträgt. Die Oos windet sich bald schäumend; bald ruhiger forigleitend auf kaum zweistündigem Wege durch jene verschieden- artigen Gesteine, und theils auf ihrem Wechsel, theils dieselben durchbre- chend, ziehen zahlreiche Seitenthäler dem Haupithale zu. Darin liegt der Grund, dass nicht allein der Charakter des letzteren in seiner unbedeutenden Längenerstreckung ein mehrfach verschiedener ist, sondern dass auch bei- nahe jedes der Seitenthäler seine eigenthümlichen Reize besitzt, indem in diesem Felsen, Wald und Wiesen, in jenem Feldfrüchte mit Reben wedhsela; und Nuss und Obstbäume freundliche Wohnungen umschatten.“ Wenn gleich eine reiche Vegetationsdeeke die Umgegend von Baden ee so verhüllt sie doch den Felsengrund nicht in dem Grade, dass es besonders schwierig wäre, die Construction desselben zu erforschen. Die vielen Thaleinschnitte erleichtern die Untersuchung der Lagerungsverhältnisse der Gesteine, und beinahe mehr noch als diese haben, zumahl in neuerer Zeit, Werke der Kunst zur Aufschliessung derselben beigetragen. Die grosse Zunahme der Anzahl derer, welche für einige Zeit oder für immer Baden zu ihrem Aufenthalte wählen, hat eine bedeutende Erweiterung der Stadt und die Aufführung neuer Gebäude zur Befriedigung der verschiedenen Bedürf- nisse und Neigungen der Kurgäste nöthig gemacht. Dieses hat nicht allein eine Erweiterung der Steinbrüche zur Folge gehabt, sondern es sind auch hin und wieder durch die Vorrichtung der Bauplätze Felsschichten aufgedeckt worden. Ausserdem hat das Bestreben, einen vollständigeren und bequeme- ren Genuss der mannichfaltigen Schönheiten der Gegend von Baden zu ver- mitteln, zahlreiche, zum Theil grossartig angelegte gebahnte Wege und klei- nere Pfade geschaffen, welche in den verschiedensten Richtungen das Gebirge durchschneiden, in Schlangenlinien bis zu den ‚Gipfeln hinan führen, über Felsenwände und Schluchten sicher geleiten, manche Communicationen er- leichtern und abkürzen, dabei dem Wanderer anmuthige Ruheplätze darbie- ten, und entzückende Aussichten eröffnen. Durch diese Wegeanlagen, die noch immer vermehrt und verbessert werden, sind an vielen Stellen lehrreiche Profile der Gebirgslager aufgeschlossen; so wie auch die zur Unterhaltung der Strassen betriebenen Steinbrüche, die Gebirgsstructur hin und ‚wieder zu Tage legen. Durch manche Pfade, z. B. durch die an und anf dem Felsenkamme 6 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN. des alten Schlosses mit so grosser Sorgfalt vorgerichteten, sind früher ver- borgene geologische Merkwürdigkeiten erst zugänglich geworden; so wie durch den Bau eines 85 Fuss hohen Thurmes auf dem die ganze Umgegend be- herrschenden Gipfel des Mercuriusberges, die freieste Aussicht über das Ge- birge gewonnen ist, welche neben dem Genusse den sie gewährt, zugleich das Verständniss der Gebirgsgliederung ungemein erleichtert. Die geologischen Merkwürdigkeiten von Baden haben die Aufmerksam- keit der Naturforscher vielfach auf sich gezogen. Wie der Schwarzwald überhaupt von mehreren ausgezeichneten Geognosten durchforscht und be- schrieben worden, so fehlt es auch nicht an Nachrichten über jenen nord- westlichen Theil dieses herrlichen Gebirges 1). Diese durch eine vollständige geognostische Schilderung der Gegend von Baden zu vermehren, ist nicht der Zweck nachfolgender Mittheilungen. Nur zu einigen Beiträgen zur Kunde der dortigen Gebirgsnatur, welche die Beschreibungen Anderer vervollständigen, theilweise wohl auch berichtigen, und besonders zu dem Versuche, die genaue Erforschung der geognostischen Verhältnisse der Gegend von Baden für die geologische Theorie des Schwarzwaldes zu benutzen, finde ich mich durch den oft wiederholten Aufenthalt an jenem reizenden Orte, und die von da aus unternommenen Wanderungen in die entfernteren Theile des dortigen Gebirges veranlasst Gem Könnte diese Arbeit dazu ae das Bild von den zusammen- S verdienen folgende, Schrilten.i in didien Beziehung erwähnt zu werden: Beyer’s geognostische und bergmännische Bemerkungen auf einer i. J. 1788 gemachten Reise aus dem Churfürstlich Sächsischen Erzgebirge in die Hochfürstl. Markgräfl. Badenschen Lande; in den Beiträgen zur Bergbaukunde. Dresden 1794. Geognostische Umrisse der Rheinländer zwischen Basel und Mainz. Nach Beob- achtungen entworfen, auf einer Reise i. J. 1823 gesammelt durch C. v. Oey n- hausen, H. v. Dechen und H. v. La Roche. Essen 1825. 2 Bde. Handbuch der Geognosie von Dr. Fr. Aug. Walchner. Carlsruhe 1833. Geognostische Skizze der Umgegend von Baden im Grossherzogthum. Von Dr. C. M. Marx. Carlsrube u. Baden 1835. : Darstellung der geologischen Verhältnisse der am Nordrande des Schwarz- waldes hervortretenden Mineralquellen. Von Fr. A. Walchner. Mannheim 1843. 2) Die in dieser Abhandlung niedergelegten Beobachtungen, wurden in den Jahren 1816, 1818, 1823, 1825, 1829, 1833, 1842 und 1843 von mir gesammelt. 'GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 7 gesetzten Verhältnissen des Felsgebäudes der Gegend von Baden der Vollen- dung näher zu bringen, und die Ansichten von der Bildung des Schwarz- waldes überhaupt sicherer zu begründen, so würde in dieser kleinen Gabe vielleicht der Wunsch erkannt werden, den tief gefühlten Dank für die man- nichfaltigen Genüsse und n welche mir Baden nee zu bethätigen. Dass Schwarzwald und EEE zu einem grossen FREE ge- hören, darüber scheinen die Geologen eben so einverstanden zu seyn, als hinsichtlich der Analogie, welche im Allgemeinen zwischen der Bildung dieses Gebirges und der gegenüber liegenden Vogesenkeite statt findet. Die in dem einen Theil dieser Gebirgsgegenden gewonnenen Resultate, werden daher auch über die Bildung anderer Theile derselben Licht verbreiten können. Im Schwarzwalde wie im Odenwalde sind Gebirgsarten, welche vormals zum Grund- oder Urgebirge gezählt wurden, vorherrschend, wogegen die soge- nannten Ubergangsgebirgsarten, welche das mittelrheinische Schiefergebirge constituiren, in keiner ausgezeichneten Entwiekelung angetroffen werden. Krystallinische Schiefer, unter welchen der Gneus besonders vorwaltet, wech- seln mit sogenannten massigen Felsarten, unter denen Granit am verbreitet- sten ist. Schiefrige und körnige Gesteine sind häufig in einem so innigen Verbande, dass es nicht möglich ist, scharfe Grenzen zwischen ihnen zu ziehen. Damit steht es im Zusammenhange, dass die Richtungen des Strei- chens und Fallens der gewöhnlich steil eingesenkten Schieferschichten überaus schwankend ist, so sehr, dass es hin und wieder, zumal im Schwarzwalde, den Anschein hat, als finde darin überall nichts Gesetzmässiges statt. Zahl- reiche, in den verschiedenen Theilen des Gebirges von Anderen und mir selbst angestellte Beobachtungen führen indessen zu dem allgemeinen Resultate, welches für den eigenthümlichen Charakter des Gebirges von besonderer Be- deutung ist, dass das Hauptstreichen der krystallinischen Schiefer, die Haupt- richtungslinien oder Achsen der üchichtenaufrichtung, im Schwarz- und Mein letzter Aufenthalt zu Baden, der durch die neuesten Wegeanlagen und Steinbrüche mir noch einige früher verhüllte Aufschlüsse darbot, hat verschie- dene Zusätze zu der bereits vollendeten Arbeit veranlasst. i a JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN: Odenwalde der Hauptrichtung des Gebirgszuges von Süden nach ‚Norden nicht‘ entspricht, sondern dieselbe kreuzt. Im Schwarzwalde scheint die vor- herrschende Richtung des Streichens ungefähr von Osten nach Westen, etwa hor. 5—7 zu seyn, so dass dadurch die Hauptrichtung der Gebirgskette beinahe rechtwinkelig geschnitten wird 1). Im Odenwalde dürfte dagegen das Streichen mehr die Richtung von Südwest gegen Nordost beobachten 2), und daher die Längenausdehnung des Gebirges mehr schiefwinkelig schneiden. In dem Gebirgssysteme des Schwarz- und Odenwaldes steht also die Auf- richtung der Schieferschichten nicht wie in manchen anderen Gebirgen, mit der Haupterstreckung der Erhebung der Kette im Zusammenhange, sondern erscheint auf ähnliche Weise unabhängig davon, wie am Harz und in der östlichen Hälfte des Thüringer Waldes. Von den massigen Felsarten jenes Gebirgssystemes wird man dem Granite den Haupteinfluss auf die Verände- rungen zuschreiben dürfen, welche mit den Schiefergesteinen sowohl in der Lage ihrer Schichten, als auch in ihren petrographischen Beschaffenheiten vorgegangen sind. Dazu berechtigt nicht allein die bedeutende Verbreitung des Granites, sondern auch der innige Zusammenhang, welcher zwischen ihm und dem Gneuse statt findet. = Man würde indessen sehr irren, wenn man an diese Annahme die Vorstellung knüpfen wollie, als bilde der Granit gewisse parallele, die Hauptriehtung des Gebirges schneidende Zonen. Seine Verbrei- tung ist vielmehr höchst unregelmässig, und eben damit steht zum Theil gewiss auch das sehr Schwankende in dem Streichen der Schichten des Gneuses in Verbindung. Ausser den in bedeutenderer Ausdehnung zusammenhängenden Massen, bildet der Granit auch einzelne kleinere Stöcke, Keile und Gänge im Gneuse, und häuſig zeigen sich unmerkliche Übergänge von der einen Ge- zen in die andere Le | 1) ben geögnostische Umrisse der Rheinländer von C. v. Oeynhausen, H. v. Dechen und H. v. La Roche S. 320. 2) Diese Richtung ist auf der von Herrn Klipstein entworfenen n Charte des Odenwaldes, die sich bei dessen Ubersicht der Ergebnisse einer geognostischen Erforschung des Odenwaldes v. J. 1829 befindet, angedeutet. 3) Uber die Verbreitung des Granites am Schwarzwalde s. besonders Walchner’s Handbuch der Geognosie, S. 1052 u. 1053. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D, GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 9 Obgleich in der näheren Gegend von Baden das Schiefergebirge nur in geringer Verbreitung erscheint, so sprechen doch die Verhältnisse, unter wel- chen es auftritt, sehr für die Annahme des Einflusses des Granites auf die gegenwärtige Beschaffenheit desselben. Das Vorkommen der Schiefergebirgs- arten ist auf die unteren und mittleren Theile der Stadt bis zum neuen Schlosse und den an der linken Seite der Oos sich erhebenden Friesenberg, nebst der daran grenzenden Anhöhe, an welcher sich die Englischen Anlagen befinden, beschränkt. In der Stadt zeigen sie sich gegenwärtig nur noch an wenigen Stellen entblösst; aber in früherer Zeit bot sich die Gelegenheit dar, etwas mehr davon zu sehen. An der linken Seite des Thalwassers sind da- gegen in neuerer Zeit, durch Anlegung von Wegen, so wie durch den Bau des Conversationshauses, und vor Kurzem durch die Vorrichtung des Platzes für die neue Trinkhalle, die Schichten des Schiefergebirges weit mehr auf- geschlossen worden, als solches vormals der Fall war; daher sich die Gesteine hier auch noch weit frischer zeigen als in der Stadt, wo sie durch Verwilte- rung so verändert worden, dass ihre wahre Natur nur undeutlich zu erkennen ist. In einem unbedeutenden Raume stellen sich mannigfaltige Gesteinarten dar, die so mit einander wechseln und ineinander verlaufen, dass sich nur selten ein bestimmt ausgeprägter Charakter zeigt, und scharfe Grenzen zwi- schen den verschiedenartigen nicht aufgefunden werden können. Dass übri- gens die Gesieine am Fusse des Schlossberges als eine Fortsetzung von denen an der gegenüberliegenden Seite des Thales betrachtet werden dürfen, dafür sprechen Ubereinstimmungen theils in petrographischen 55 theils in der Richtung des Streichens der Schichten. Dasselbe gilt von dem Granite. An der linken Seite de Thalwassers ist eine nicht unbedeutende Masse desselben sichtbar. An der Promenade zwischen dem Badenschen Hofe und der neuen Trinkhalle geht der Granit zu Tage; und folgt man dem Fahrwege, der neben jenem Gasthofe hinan zu einer Ziegelei führt, so sieht man ihn ebenfalls anstehen. Er ist hier stark und scharf abgesondert; die Hauptabsonderungsebene streicht h. 6 und ist etwas gegen Norden geneigt. Jener Weg führt in den Wald und zieht sich am Einhange des Friesenberges fort, wo derselbe Granit noch an mehreren Stellen entblösst worden. Auch am südwestlichen Fusse des Friesenberges, Phys. Classe. II. ° B 10 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN gegen die Frömersberger Höfe steht ein feldspathreicher Granit an. Folgt man dem linken Ufer der Oos unterhalb der Stadt, so findet man auch noch dicht hinter der ersten Sägemühle Granit, der hier gneusartig erscheint. Ein ganz ähnliches Gestein, ohne Zweifel die Fortsetzung von jenem, konnte man vormals an der rechten Seite des Thalwassers, am Fusse der Höhe wahr- nehmen, welche hinter den Häusern des untersten Theiles der Stadt steil an- steigt. In grösserer Höhe, am südlichen Fusse des Badener Berges, war in früherer, Zeit nur an einer beschränkten Stelle ein kleinkörniger, ziemlich ver- witterter Granit sichtbar. Gegenwärtig ist dieses Gestein durch einen neu an- gelegten Fahrweg, der vom Schiessplatze zum Badener Berge führt, in nicht unbedeutender Erstreckung aufgeschlossen. Es ist unregelmässig und stark zerklüftet, und hin und wieder von schmalen Quarzgängen durchsetzt. Unter welchen Verhältnissen auch am oberen Theil des südwestlichen Einhanges des Badener Berges eine bedeutende Granitmasse zu Tage kommt, wird später genauer angegeben werden. Wendet man sich nun von dieser das Bette der Oos schiefwinkelig schneidenden Granitverbreitung thalaufwärts, so trifft man zuerst ein gneus- artiges Gestein an, welches sich zum Theil durch grosse Glimmerblätter aus- zeichnet, ein Streichen der Schichten von Osten nach Westen und ein süd- liches Einfallen zeigt, mithin dem Granite vorliegt. Diess Gestein, welches an beiden Seiten des Thales auf gleiche Weise erscheint, verläuft hin und wie- der in Lagen, die einen mehr glimmerschieferarligen Charakter haben. Es folgt dann an der linken Seite des Thales eine Gruppe von Schichten , welche hinter der neuen Trinkhalle und dem Conversationshause im Zusammenhange aufgeschlossen sind, von welchen sich aber auch am Friesenberge hin und wieder Spuren zeigen, die sich besonders durch das Vorherrschen von dich- tem Feldstein auszeichnen, der bald rein von rothen und weissen Farben, bald mit Quarz gemengt vorkommt, und zuweilen einen weisssteinartigen Cha- rakter annimmt. In der am Weitesten im Hangenden befindlichen Partie stehen diese Gesteine mit einem hor. 3—4 streichenden und südöstlich einfal- lenden, grauen Talkschiefer in unregelmässiger Abwechselung, welcher in Thonschiefer von verworrener Schichtung übergeht. In mehreren dieser La- gen kommt Schwefelkies theils krystallinisch eingesprengt, theils nierenförmig GEOLOGISCHE BEMERK, ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 11 eingewachsen vor, dessen Zersetzung nicht allein einen starken Beschlag von Eisenoxydhydrat, sondern zugleich eine Umwandelung des dichten Feldsteines in eine alaunsteinartige Masse, und auf diese Weise eine allmälige Auflocke- rung und ‘Zerstörung des Gesteines bewirkt. Unter den Gebirgsarten, die an der rechten Seite der Oos in der Stadt anstehen, wird jene Gruppe von Lagern nicht bemerkt. Es zeigt sich hier aber im Hangenden des Gneuses ein dem Hornfels ähnliches Gestein und ein feinkörniges granitartiges Ge- menge, welches reich an Quarz, arm an Glimmer ist und dessen Feldspath im zersetzten Zustande sich befindet. Aus letzterem Gesteine kommt die Quelle des Brühbrunnens zu Tage, wovon ich mich im J. 1823 unterrichten konnte, Das Schiefergestein, welches unter dem Conglomerate und der Porphyr- breccie des Badener Berges sich verbirgt, tritt in der Nähe seines nördlichen Fusses, zwischen Ebersteinburg und dem Oberwalde wieder hervor. Hier stellt es sich als ein ausgezeichneter, schwärzlich- oder grünlich-grauer, sei- denartig schimmernder T’honschiefer dar. Es kommt in ihm, wie bereits von Beyer bemerkt worden ), eine Einlagerung von krystallinischem Kalk vor. Auch finden sich in seinem Bereiche einzelne Blöcke von körnigem Hornblen- degestein, über dessen Verhalten zum Thonschiefer ich keinen Aufschluss er- halten konnte. Nach einiger Unterbrechung erscheint das Schiefergestein in grösserer Verbreitung weiter gegen das Murgthal, zwischen Ebersteinburg und Gaggenau. Der Thonschiefer nimmt hier zum Theil mehr Quarz auf, geht hin und wieder in Glimmerschiefer, auch wohl in (Moritgestellstein mit Einlagerungen von Quarz über; er kommt aber auch, besonders in der Nähe des Murgthales, von derselben Beschaffenheit als in der vorhin bezeichneten Gegend vor, mit hor. 4—6 streichenden und theils auf dem Kopfe stehenden, theils ein wenig gegen Süden geneigten Schichten. In der Nähe von Gagge- nau, tritt am Hummelberge eine Gneusmasse hervor, die durch einen Stein- bruch aufgeschlossen worden. Das Gestein besitzt eine ziemlich unregel- mässige Structur, eine verworrene Schichtung und stellt sich in verschiedenen, doch grösstentheils grobflaserigen Abänderungen, zum Theil als ein granitar- tiger Gneus dar. Von diesem wird ein in wenig geneigter Stellung befindli- 1) A. a. O. S. 16. B2 12 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN ches Lager eines lockeren, körnigen, aus Quarz, Chlorit und Glimmer zu- sammengesetzten Gesteins von grünlicher Farbe eingeschlossen, welchem hin und wieder kleine Granaten eingemengt sind, die auch in dem benachbarten Gneuse vorkommen. Da zwischen dem Gneuse und dem in südwestlicher Richtung zunächst anstehenden Thonschiefer eine bedeutende Erstreckung ist, in welcher das Gestein sich unter einer starken Boden- und Vegetations-Decke verbirgt, so konnte es nicht gelingen, über das Verhältniss, in welchem dort beide Gebirgsarten zu einander stehen, einen sicheren Aufschluss zu erlangen. Folgt man dem Murgthale nach Gernsbach, so sieht man sich jenseit dieses Ortes in die Granitregion versetzt, die von hier an und noch weit über Forbach hinaus, dem Thale einen gänzlich veränderten Charakter ertheilt, indem mit seiner Verengung die Anmuth und der Reichthum der unteren, weiteren Gegend verschwindet, und eine grossartige, wilde Felsen- und Wald- Natur an die Stelle tritt. Aus Granit besteht die Höhe, auf welcher das reizend gelegene Schloss Eberstein thront, und von hier breitet sich diese Ge- birgsart, in welcher die herrliche, in das Oberbeuerner Thal führende Berg- strasse gebahnt worden, in südwestlicher Richtung über den Hummelberg 1) aus, schneidet das Oosthal bei Oberbeuern, und erstreckt sich dann über die Höhen neben Geroldsau, Malschbach, gegen Neuweier am westlichen Rande des Gebirges. In den tieferen Thaleinschnitten, besonders bei Oberbeuern und Geroldsau, bildet der Granit ausgezeichnete Felsenmassen. An diesen, so wie längs der erwähnten Bergstrasse, in einem Steinbruche in der Nähe des Schlosses Eberstein und an den Felsenwänden des Murgthales stellt sich die Structur des Granites oft sehr bestimmt und regelmässig dar. Die darüber angestellten Beobachtungen sind mit den Erfahrungen im Eiuklange, welche ich auch in anderen Gegenden, besonders am Harze, über die Structur des Granites zu sammeln Gelegenheit gehabt habe, und von welchen in einer frü- her vorgelesenen Abhandlung über die Bildung des Harzgebirges die Rede war. Es zeigen sich zwei besonders ausgezeichnete, einander rechtwinkelig schneidende, von der senkrechten Stellung gewöhnlich nicht weit sich entfer- nende Absonderungen, von welchen die eine hor. 6—8, die andere hor. 12—2 1) Nicht zu verwechseln mit dem oben erwähnten Hummelberge bei Gaggenau. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 13 zu streichen pflegt: Die erstere ist gewöhnlich etwas gegen Süden, die zweite gegen Osten geneigt. Ausserdem pflegt eine dritte Absonderung vorhanden zu seyn, welche jene beiden bald rechtwinkelig, bald schiefwinkelig schnei- det, indem sie gewöhnlich ein flaches Fallen, aber nicht in gleich bleibenden Richtungen hat. Sie zeigt sich zuweilen gebogen und tritt, zumal in der Nähe der Gebirgsoberfläche, nicht selten ausgezeichneter als die anderen Ab- sonderungen hervor. Vergleicht man nun die Lage jener Absonderungsebe- nen mit dem vorhin angegebenen Streichen der Schichten der Schiefergebirgs- arten, so ergiebt sich, dass zwischen diesem und der Richtung der einen Hauplabsonderung des Granites eine nahe Uebereinstimmung ist. Es scheint daher in der Gegend von Baden dasselbe Verhältniss zu seyn, welches von mir am Harze nachgewiesen worden, dass nämlich die eine Hauptabsonde- rung des Granites der Hauptrichtung seines Emporsteigens, oder vielmehr den Seitenbegrenzungsflächen seiner Massen entspricht, wogegen die zweite Ab- sonderung rechtwinkelig dagegen steht. Da Granitmassen, die sich nicht ei- gentlich gangförmig darstellen, keine unter einander parallele Seitenbegrenzun- gen zu haben pflegen, indem ihr Horizontaldurchschnitt gewöhnlich krumm- linig, häufig dem Elliptischen mehr und weniger genähert ist, so lässt sich hieraus das Schwankende in den Richtungen der beiden Absonderungen erklä- ren. Die dritte Absonderung, welche eine flache und weniger bestimmte Lage zu haben pflegt, scheint sich nach der Oberfläche zu richten, welche die Gra- nitmassen bei dem Empordringen annahmen, und daher ein Analogon von den schaligen Ablösungen zu seyn, welche man an Lavamassen, und im Kleinen an Schlackenmassen nicht selten bemerkt. Mit dieser der Granit- Oberfläche, in so fern solche keine spätere Veränderung erlitten hat, entsprechenden Ab- sonderung hängt eine andere Erscheinung zusammen, von welcher gleich wei- ter die Rede seyn wird. ; Ä Am Hummelberge liegt auf dem Granite ein kleinkörniges, festes, an Quarz reiches Conglomerat, welches die Gemengtheile der darunter befindli- chen Gebirgsart enthält, worin aber der Quarz mehr und weniger abgerundet, der Feldspath mehr und weniger zersetzt erscheint 1). Es verläuft allmälig 1) Diess Gestein bietet ein gutes Chaussée - Material dar, und wird als solches ge- 14 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN in einen Sandstein, der in bedeutender Ausdehnung die höheren Granitrücken deckt, welche das obere Murgthal begrenzen, und zu der am östlichen Schwarzwalde weit verbreiteten Gebirgsart gehört, welche unter ganz ähnli- chen Verhältnissen in den Vogesen vorkommt, über deren Stelle in der Rei- henfolge der Flötze bekanntlich verschiedene Ansichten unter: den Geologen geherrscht haben. An den nordwestlichen Grenzen des Granites in der vor- hin bezeichneten Erstreckung vom Murgthale oberhalb Gernsbach gegen Neu- weier zeigt sich an diesem Gesteine häufig eine auffallende Veränderung, die man der Verwitterung zuzuschreiben geneigt seyn würde, wenn nicht gewisse Erscheinungen entschieden dagegen sprächen. Der Granit stellt sich gegen die Oberfläche aufgelockert dar und sein Feldspath nähert sich der Kaolin- Natur. Aber er erscheint nicht durchgängig so, sondern Lagen von verwit- tertem Ansehen wechseln mit anderen, von jenen zuweilen scharf getrennten ab, in welchen der Granit eine frischere Beschaffenheit hat. In den lockeren Lagen ist mannigmal Eisenoxyd angehäuft, welches die kaolinartige Masse durchdringt und ihr eine rothbraune, zuweilen in das Violette stechende Farbe ertheilt. Weiter nach oben gewinnt das Gestein allmälig eine conglomerat- artige Natur. Die Quarzkörner erscheinen abgerundet; es mengen sich ein- zelne grössere Quarzgerölle ein, und selbst abgerundete Granitstücke finden sich von einer Masse eingehüllt, welche das Ansehen eines zermalmten Gra- nites hat. Die Gerölle nehmen zu und der Granitgruss spielt nur noch die Rolle eines Bindemittels. Mit solchen Lagen wechseln andere, welche aus einem sandigen und mit Glimmer gemengten Thon bestehen, der bald durch Eisenoxyd rothbraun oder blutroth gefärbt ist, und dann als ein Kisenthon sich darstellt, bald eine grünliche oder graue Farbe hat, und in diesem bun- ten Farbenwechsel dem Mergelthon des bunten Sandsteines und Keupers gleicht. Diese ohne bestimmte Ordnung abwechselnden, auch nicht immer gleichmässig fortsetzenden, sondern hier und da sich auskeilenden Lagen las- sen eine wahre Schichtung nicht verkennen, welche bald horizontal ist, bald diese oder jene Neigung, auch zuweilen Biegungen besitzt und der Abson- — en genwärtig auf der nach dem Schlosse Eberstein führenden Bergstrasse, so wie auf der neuen Strasse nach Gernsbach benutzt. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 15 derung des Granites mehr und weniger entspricht, welche der Oberfläche sei- ner Massen conform zu IR scheint. Die Mächtigkeit dieser Granitdecke ist schr abweichend. Bald ist sie nur wenige Zoll stark, bald erweitert sie sich zu vielen Lachtern. Sie folgt den Unebenheiten der Granitoberfläche, in so fern solche nicht etwa spätere Veränderungen erlitten hat, und senkt sich auf der äusseren Grenze mit ihr in die Tiefe. Auch erscheinen Massen, welche mit denen jener Granitdecke Ähnlichkeit haben, zuweilen als Ausfül- lung von Klüften in dem Granit, Die hier beschriebene Erscheinung ist übri- gens nicht auf die bezeichnete Gegend beschränkt, sondern kommt an vielen anderen Stellen des Schwarzwaldes vor. Dass etwas ganz Ähnliches, nur in weit geringerer Ausdehnung, dem Granite des Harzes eigen ist, wurde in der Abhandlung über die Bildung dieses Gebirges gezeigt. Das Vorkommen von jenem Gebilde im südlichen Schwarzwalde hat besonders Merian tref- fend geschildert. Auch ist von ihm schon bemerkt worden, dass es nicht für ein Product der Verwitterung, sondern für eine bei dem Emportreten des Granites entstandene Hülle desselben zu halten sey, die er mit einer Schlacken- decke vergleicht 1). Man wird das beschriebene Granitconglomerat nebst den mit demselben wechselnden Lagen von feinerem Korne, als eine bei dem Em- porsteigen des Granites hauptsächlich durch Reibung gebildete, durch die Einwirkung von Dämpfen mehr und weniger modifieirte, und unter dem Ein- flusse der Wasserbedeckung abgelagerte Masse betrachten dürfen, welche sich zum Granite verhält, wie das Porphyrconglomerat zum Porphyr, das Basalt- conglomerat zum Basalte. Auf solche Weise wird der zuerst durch Herrn von Buch in das rechte Licht gestellte Zusammenhang zwischen den im geschmolzenen oder durch Fenereinwirkung erweichten Zustande empor ge- stiegenen Gebirgsmassen und den sie begleitenden Conglomeraten, in noch grösserer Allgemeinheit erkannt. Auch auf dem Gneuse des Schwarzwaldes kommt hin und wieder eine Conglomeratdecke vor, die sich zu dem unterliegenden Gestein ganz auf ähnliche Weise verhält, als solches bei der Conglomeratrinde der Fall ist, die 1) Geognostische Uebersicht des südlichen Schwarzwaldes von Peter Merian. 1831. S. 178 u. a. m. a. O. 16 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN auf dem Granite ruhet ). Der oben erwähnte Gneusstock am Gaggenauer Hummelberge im Murgthale ist von einer Conglomeratdecke umhüllt, die mit dem krystallinischen Gestein innig verbunden erscheint. An der östlichen Seite herrscht darin im Ganzen eine eisenthonige Masse vor, welche sowohl einzelne Gemengtheile des Gneuses — den Feldspath gewöhnlich mehr und weniger kaolinartig — als auch Gneusstücke einschliesst.. Die deckende Masse ist in der Nähe des Gneuses zum Theil durch feinschuppigen Chlorit grün- lichgrau gefärbt, und enthält dann kleine Nieren von rothbraunem Eisenoxyd, welches auch auf den Absonderungen vorkommt 2). An der westlichen Seite des Gneusstockes steht in unmittelbarer Berührung mit demselben ein festes, und hartes, kleinkörniges, rothbraunes, weiss gespreukeltes Conglomerat an, worin Quarz vorherrscht, mit welchem kleine Partikeln von Feldspath, Kao- lin und Glimmer gemengt sind. In der Gegend von Baden, so wie an mehreren anderen ‚Punkten des Schwarzwaldes, kommt in bedeutenden Massen ein Conglomerat vor, welches mit einem Porphyrgebilde verknüpft, den Massen jener Granit- und Gneus- decke aber oft so ähnlich ist, dass beide leicht verwechselt werden können. An manchen Stellen stehen die den Granit und den Porphyr begleitenden Conglomeratmassen in unmittelbarer Berührung, in welchem Falle es nicht wohl möglich ist, eine scharfe Grenze zwischen ihnen zu finden. In dieser Hinsicht zeigt sich dort unter den Conglomeraten des Granites und Por- phyrs ein ähnliches Verhältniss, als zwischen dem Rothliegenden und dem Con- glomerate, welches u. a. am Thüringer Walde, in den Nahegegenden, die Trappgebirgsarten (Melaphyre) begleitet, auf deren wesentliche Verschiedenheit Herr von Buch zuerst die Aufmerksamkeit gelenkt hat 3). Dass die Bil- dung des Conglomerates, welches als Decke des Granites erscheint, an diese 1) Vergl. Merian a. a. O. S. 160. 163. 177. , 2) Von einem an der Gneusgrenze sich findenden chloritartigen Körper von licht- schwefelgelber und zeisiggrüner Farbe, hat Walchner eine chemische Analyse in seiner Darstellung der geologischen Verhältnisse der am Nordrande des Schwarzwaldes hervortretenden Mineralquellen S. 14 u. 15. mitgetheilt. 3) S. dessen Abhandlung über den Thüringer Wald, in von Leonhard mine- ralogischem Taschenbuch f. d. J. 1824. II. S. 462. GEOLOGISCHE BEMERK. UBER D. GEGEND VON BADEN BEI: RASTADT. 17 Gebirgsart geknüpft; und von der Ablagerung der Conglomeratmassen, welche mit dem Porphyre im Zusammenhange stehen, unabhängig ist, davon kann man sich in der Gegend von Baden, wie an manchen anderen Punkten des Schwarzwaldes, z. B. zu Wildbad, vollkommen überzeugen. In den Gegen- den des Enzthales ist weit und breit kein Porphyr; aber der Granit hat dort eine ähnliche Conglomeratdecke als an den Bergen, welche sich gegen das Thal von Oberbeuern erstrecken. Erst wenn man von letzteren sich gegen den Fuss der Staufenberge begiebt, kommt man in den einer Seits gegen das Murgthal, anderer Seits in das Thal der Oos verbreiteten Bezirk von Con- glomeraten, welche in genauem Verbande mit dem Porphyr stehen, der in dem ausgezeichneten, in südwestlicher Richtung von Kloster Lichtenthal' gegen den westlichen Rand des Gebirges sich erstreckenden Bergauge aufsteigt. Sieht man sich nach einem petrographischen Kennzeichen zur Unterscheidung jener Conglomerate um, so dürſte der Mangel von Stücken solcher Porphyre, wie sie in der eben bezeichneten Gegend vorkommen, das einzige Merkmal seyn, woran die der Graniterhebung angehörende Conglomeratmasse mit Si- cherheit zu erkennen ist; welches übrigens doch oft im Stiche lässt, indem unter den Massen, welche mit der Erhebung des Porphyrs im Zusammen- hange stehen, nicht selten Lagen vorkommen, in welchen keine He von Porphyrstücken wahrgenommen wird. | Für die Bildungsgeschichte des Beatles ist die Bestimmung der relativen Zeit der mit dem Schiefergebirge durch das Emporsteigen des Gra- nites vorgegangenen Veränderung von besonderer Wichtigkeit. Die geogno- stische Constitution der Gegend von Baden giebt darüber einige Aufklärung. - In der Nähe der Stadt, an der linken Seite des Thales, am Wege nach dem Frömersberge zeigt sich in geringer Ausdehnung eine zum Steinkohlen- gebilde gehörende Ablagerung. Die hinter dem Conversationshause aufge- schlossene Partie des Schielergebirges steht damit in unmittelbarer Be- rührung, and früher konnte man sich noch bestimmter davon überzeugen, als solches gegenwärtig möglich ist, dass die Schichten der Steinkohlenformation mit flachem Einfallen abweichend dem Schiefergebirge aufliegen. Ein Paar andere, isolirte, zur Steinkohlenformation gehörende Massen. finden. sich in dem oberen Theil des Thales von Mühlenbach, welches sich, von dem Gebirgs- Phys. Classe. II. C 18 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG: HAUSMANN rücken, der das Murgtbal vom Oosthale scheidet, gegen letzteres; oberhalb Oberbeuern heräbzieht, und unweit Malschbach gegen Neuweier, zwischen den hier steil sich erhebenden Porphyrbergen und dem sanfter ansteigenden Granitrücken. An beiden Punkten ruhen sie unmittelbar auf Granit, mit ho- rizontalen oder flach geneigten Schichten. In grösserer Mächtigkeit und einige schwache Kohlenflötze einschliessend ist jenes Gebilde am westlichen Rande des Gebirges in der Gegend von Neuweier, Vahrenhalt, Galleuhedh und Um- wegen verbreitet; und auch hier, namentlich unweit Neuweier, kann man sich davon überzeugen, dass die Steinkohlenformation vom Granite unmittelbar unterteuft wird. In jener wechselt feinkörniger Sandstein mit gröberem Con- glomerat ab, welches sich gewöhnlich als Granitconglomerat (Arkose) dar- stellt, und in der Nähe von Baden, Bruchstücke von Thonschiefer einschliesst, der dem oben erwähnten gleicht. Sandstein und Conglomerat nehmen hin und wieder mehr Glimmer auf, und pflegen dann schiefrig zu seyn. Auch sind sie in einzelnen Lagen von Kohle durchdrungen. Schieferthon kommt damit abwechselnd vor, und begleitet, zuweilen Pflanzenabdrücke enthaltend, namenilieh bei Umwegen, schwache Flötze von Schieferkohle, von welcher auch bei Baden sich Spuren gefunden haben. Die ungestörte Lage der Schich- ten des Steinkohlengebildes und das zuvor bemerkte Verhalten desselben ge- gen die Schieferformation, geben die Uberzeugung, dass das Emporsteigen des Granites und die Aufrichtung der Schieferschichten por der Ablagerung des Steinkohlengebildes erfolgt sind , Das hohe relative Alter jener Katastrophe ä 1) Zwischen Offenburg, und Lahr, am lichen Bascht des Schwarzwaldes, kommt ein Steinkohlengebilde unter eigenthümlichen Verhältnissen vor, welche mit die- Ser Ansicht im Widerspruche stehen würden, wenn man annehmen müsste, dass diese Formation mit dem Steinkohlengebilde in der Gegend von Baden von glei- chem Alter sey. An mehreren Punkten jener Gegend, namentlich bei Berghaup- ten, Zunsweier, Diersburg, ist Steinkohlenbergbau im Betriebe. Das Grund- gebirge besteht aus einem grobflaserigen, zum Theil granitartigen Gneus, der ‚bin und wieder in Granit übergeht. Die Schichtung des Gneuses ist sehr un- ‚regelmässig, bald flach fallend, bald, steil aufgerichtet, wobei indessen eine nord- nordwestliche Richtung des Fallens vorherrscht. Das vom Gneuse eingeschlossene Kohlengebirge ist hauptsächlich aus abwechselnden Lagen eines festen, kleinkör- nigen Sahsteihe und eines ebenfalls festen Kieseleonglomerates zusammengesetzt. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 19 wird auch durch das Verhalten der den Porphyr der Gegend von Baden be- gleitenden Conglomerate, zum Granite und zum Schiefergebirge erwiesen. Dass Beide Gesteinarten sind von grauer Farbe und mancher quarzigen Grauwacke ' ähnlich. In dem Conglomerate nimmt man hin und wieder ausser den vor- ` waltenden’ Stücken von Quarz und Hornstein, auch Feldspath, Kalkspath, Stücke Ka von Gneus und Talkschiefer Wahr. Bei Zunsweier findet sich auf der Scheide von dem Gneus- und Kohlengebirge ein quarzfelsartiges Gestein. ` Schieferthon und Brandschiefer begleiten gewöhnlich die Kohle, welche keine anhältende, regelmässige Flötze bildet, sondern mehr nesterweise vorkommt. Es ist eine dem Anthraeite genäherte Glanzkohle, mit häufigen, glatten und stark glänzen- den, krummschaaligen Absonderungen, und Absonderungsstücken von elliptisch- k sphäroidischer Gestalt; auch hin und wieder mit grösseren Spiegelflächen (sog. Rutschflächen). In dem Schieferthon und auch im Sandstein kommen Pflanzen- abdrücke vor, welche in letzterem von Glanzkohle bekleidet zu seyn pflegen, 1117 die auch auf Absönderungen den Sandstein durchzieht. Adolph Bronginart führt in dem Prodrome d'une histoire des végétaux fossiles v. J. 1828 folgende Pllanzen-Species aus der Kohlenformation von Berghaupten und Zunsweier auf: Calamites Voltzii, Sphenopteris dissecta, Cyclopteris flabellata, Pecopteris aspera, Siegillaria tesselata, Sig. Voltzii, mehrere Arten von Lepidodendron. Das Koh- lengebirge hat wie der benachbarte Gneus eine unregelmässige Schichtung, in- dem solche bald schwebend, bald mehr und weniger aufgerichtet ist. Bei Berg- haupten ist es in einem von zwei Gneusrücken eingeschlossenen Thale abgela- gert, indem es selbst zwei Rücken bildet, welche niedriger sind, als das an- grenzende Gneusgebirge. Im Allgemeinen fallen hier die Schichten südlich, ge- gen den im Süden sich erhebenden Gneus ein. Wie übrigens das Lagerungs- verbältniss zwischen dem Kohlengebirge und Gneuse seyn mag, ist au jenem Punkte nicht deutlich wahrzunehmen. Bei Zunsweier erlangt man hierüber theils am Tage, theils durch den Bergbau bestimmteren Aufschluss. Hier hat das Kohlengebirge eine sehr beschränkte Ausdehnung in die Breite, und er- scheint Zwischen zwei höheren Gneus- und Granit-Rücken gleichsam eingeklemmt. Das Streichen der Schichten ist durchschnittlich h. 54, und das Einfallen nörd- lich, ‚gleich dem vorherrschenden. Einfallen des Gneuses, dessen Structur übri- gens sehr verworren und zerrüttet ist. Auf solche Weise erhebt sich Gneus im Liegenden, wie im Hangenden des Kohlengebirges. Im Hangenden ist die Begrenzung am deutlichsten wahrzunehmen. Sie zeigt sich unregelmässig, in- dem der Gneus bald in saigerer Berührung mit dem Kohlengebirge steht, bald über dasselbe sich hinlehnt. Diese merkwürdigen ` Verhältnisse geben wohl die : : | 63 — 20 0111240 BANN FRIEDRICH LUDWIG: HAUSMANN jenes Conglomeratgebilde im Schwarzwalde: die Stelle des eigentlichen Nolfi liegenden einnimmt, ist nicht zu bezweifeln und auch allgemein aner- Yeberzeugung, dass hier die Veränderungen, welche das Grundschiefergebirge, durch Einwirkung der Graniterhebung erlitt, zugleich auch das Steinkohlenge- i birge, betrafen. Man kann sich von der Art und Weise, wie jene Einklem- mung des Steinkohlengebirges zwischen die Gneusmassen bewirkt seyn mag, wohl nur dadurch eine Vorstellung machen, dass man sich das erstere ursprüng- lich in einer Mulde des Schiefergebirges abgelagert, und dieses zu beiden Sei- ten gleichzeitig in parallelen Richtungen gehoben denkt, wodurch die Schichten des Steinkohlengebirges gebrochen und von beiden Seiten zusammengelegt wor- den, wie die Blätter eines Buches, welches aufgeschlagen lag und zugeschlagen wird. Dieser Erklärung ist das Vorkommen des Granites in den beiden, das Steinkohlengebirge bei Zunsweier einschliessenden Gneusrücken, so wie der sehr zerrüttete Zustand der Gebirgsschichten günstig. Im östlichen Fortstreichen der- selben gegen Berghaupten erscheint jene Wirkung geschwächt, indem hier die Lage der Schichten des Steinkohlengebirges sich mehr der ursprünglichen nähert. Wenn man der Graniterhebung die Umwandlung des dem Steinkohlengebilde um Grunde gelegenen Schiefers in Gneus zuschreiben darf, so wird man auch wohl berechtigt seyn, die Dichtung des Sandsteins und Conglomerates,. die Bil- dung quarzfelsartiger W so wie die Antliracit+-Nabun; dB Kohle davon ‚abzuleiten, Aus dem hier e GER dass d gëttt Ante , Gëss, burg und Lahr schon abgelagert war, als das Grundgebirge seine gegenwärtige Beschaffenheit erlangte. Um nun dieses mit dem Resultate reimen zu können, welches aus den Beobachtungen über das Verhalten des Steinkohlengebildes in den Gegenden von Baden zum Schiefer- und Granitgebirge abgeleitet wurde, ist man genöthigt, das zwischen Offenburg und Lahr befindliche Steinkohlengebirge für ein älteres, dem sogenannten Uebergangsgebirge angehöriges zu halten. Dafür dürfte auch die petrographische Verschiedenheit: der Hauptmassen jener beiden Gebilde sprechen. Die Meinung, dass letzteres zum Uebergangsgebirge zu zäh- len sey, ist bereits von einem trefflichen, der Wissenschaft und seinem Berufe leider zu früh entrissenen Geognosten, von dem verewigten Volt z geltend ge- macht. (Vergl. Ad. Brongniart al a. O. P. 164). Auch hat Beudant (Voyage en Hongrie. T. I. p. 155.) sich für ein hohes Alter desselben ausgesprochen. Ohne Zweifel ist dieses Gebilde mit der Anthracit führenden Grauwacke der Gegend von Badenweiler, von welcher Merian genaue Nachrichten mitgetheilt GEOLOOISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT, 21 kannt. Seine unmittelbare Auflagerung auf die Steinkohlenformation wird u. a in der Nähe von Baden an der Strasse die nach Gallenbach führt, in ei- nem instructiven Profile wahrgenommen. An mehreren Punkten ruhen seine Schichten entweder auf Granit, oder auf den früher beschriebenen, seine Decke bildenden Massen. Eben so wenig als an den Schichten der Stein- kohlenformation eine dem Granite zuzuschreibende Störung bemerkt wird, ist solches bei den Conglomeraten der Fall, welche mit der Erhebung des Por- phyres im Zusammenhange stehen. In der Gegend zwischen Ebersteinburg und Gaggenau ruhen diese theils in horizontaler, theils in sanft geneigter Lage, abweichend und übergreifend auf den steil einfallenden Schichten des Thon- schiefers; welches den Beweis liefert, dass die Aufrichtung der letzteren vor der Ablagerung jener Conglomeratschichten erfolgt ist. Es ist schon von Anderen bemerkt worden 1), dass der Porphyr, wel- cher in der Gegend von Baden in ausgezeichneten Bergen sich erhebt, wesent- lich verschieden von dem Gebilde des Euritporphyres (Feldsteinporphyres) „ der an manchen Punkten des Schwarzwaldes in einer sehr innigen Ver- bindung mit dem Granite und Gneuse vorkommt, dessen Verhalten zu diesen Gebirgsarten von Merian treffend geschildert worden 2). Wenn viel dafür zu sprechen scheint, dass dieser Porphyr, der u. a. in der Gegend des Büh- lerthales, in einem Seitenthale, durch welches der Weg nach Malschbach führt, sich findet, mit dem Granite von gleichzeitiger Entstehung ist 3), so leidet es dagegen keinen Zweifel, dass jener in der Gegend von Baden verbreitete Porphyr jünger als der dortige Granit ist. Aus letzterem Porphyre besteht, wie bereits erwähnt worden, eine Reihe von Bergen, welche von Kloster Lichtenthal gegen Neuweier sich ziehen, zu denen namentlich der Ca- pace Leisenberg, 5 Yberst und Yberg gehören, die durch bat a a. O. S. 102. u. f.), gleichzeitig. Auch kommt dieselbe Koblenformation ‚im ‚Elsass vor. (Ad. Brongniart, a. a. O.) Zu welcher Abtheilung des _ Vehergangsgebirges sie zu zählen seyn mag, bleibt künftigen Forschungen zur ` Ausmittelung vorbehalten. 1) Vergl. u. a. geognostische Umrisse der Rheinländer. S. 318. 2) A. a. O. 8. 52. u. f. 3) Vergl. hierüber u. a. Merian, a. a. O. S. 56. 22 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN | ihre kuppigen Formen und steilen Einhänge sich von den Granit - Rücken unterscheiden. Das Gestein jener Berge gehört grösstentheils zum T'honstein- porphyr, der gewöhnlich von keiner bedeutenden Härte und ‚Festigkeit ist. Die Grundmasse hat graue, rothe, braune, nicht selten in das Violette sich ziehende Farben, gegen welche der weisse Feldspath absticht, der darin in kleinen, aber häufigen Prismen und unbestimmt begrenzten Partien liegt, welche letztere sich dann und wann mehr erweitern. Ausserdem findet sich fast überall Quarz beigemengt, der oft auf ähnliche Weise in kleinen Bipyrami- daldodekaedern erscheint, wie in dem Thonporphyr des Auerberges bei Stol- berg, mit welchem der Porphyr von Baden auch den Pinit gemein hat, der in kleinen sechs - und zwöllseiligen Prismen darin liegt, die am gewöhnlich- sten eine rothbraune Farbe haben und an einigen Stellen in grosser Menge eingewachsen sind. Die hie und da entblössten Felsenmassen dieses Porphy- res lassen eine abweichende Structur wahrnehmen, indem das Gestein bald ganz unregelmässig abgesondert, bald säulenförmig, wie am berge, bald in mächtigen Bänken, bald, wie besonders an mehreren Stellen im Geroldsauer Thale, in dünnen Platten erscheint, die bald gerade, bald verschiedenartig gebogen sind, und im letzteren Fall wohl eine Hinneigung zum Concentrisch- Schaaligen zeigen, womit dann eine Anlage zur Kugelbildung verknüpft ist. Kugelige Absonderung kommt auch ganz ausgebildet vor, indem die Porphyr- masse zuweilen, z. B. in der Nähe von Frömersberg, eine e Zusammenbäufung kleiner Kugeln darstellt. Unter diesem Porphyr, auf dessen Färbung Eisenoxyd einen opd oder weniger bedeutenden Einfluss übt, tritt in verschiedener, oft nicht grosser Mächtigkeit, an manchen Stellen ein eisenfreies, feldspathreiches Gestein her- vor, welches sich durch seine helle Farbe auszeichnet und gewöhnlich in einem zersetzten, aufgelockerten Zustande sich befinde. Wo es frischer und fester ist, hat die euritartige Grundmasse eine graue Farbe, in welcher rei- nerer Feldspath von weisser Farbe häufiger in unbestimmt begrenzten Partien als in scharf ausgebildeten Krystallen liegt. Quarz kommt ausserdem einge- mengt vor. Oft erscheint diess Gestein in eine erdige, weisse, dem Kaolin mehr und weniger genäherte Masse umgewandelt. Es ist längs des ganzen nordwestlichen Saumes des vorhin bemerkten Porphyr-Zuges von ihrem nord- GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 23 östlichen Ende an der rechten Seite des Oosthales, durch das Gunzenbacher Thal — wo es sich unter dem Porphyre hervor tretend, ohne von demselben bedeckt zu seyn, weiter ausbreitet — zum Sauersberger Hof und von hier über den Selighof hinaus zu verfolgen. Ein ähnliches Gestein steht in den Weinbergen oberhalb Gallenbach an. Eine besondere Merkwürdigkeit erlangt diese Masse durch das Vorkommen mannigfaltiger, theils krystallinischer, theils amorpher Kieselfossilien, die an mehreren Stellen, vorzüglich! in der Gegend des Gunzenbacher Thales und neben Beuern an der rechten Seite der Oos, darin ausgesondert vorkommen, deren Bildung mit der Zersetzung des Gestei- nes vielleicht im Zusammenhange steht. Bergkrystall, zuweilen als Amethyst, die schönsten Abänderungen als Chalcedon, darunter das seltenere Plasma h), Opale, finden sich entweder getrennt oder unter einander verbunden, theils in Nieren von verschiedener Grösse und Form, theils in Gängen und schma- len Trümmern. Die Nierenbildung geht nicht selten in eine gangſörmige über, und ihre Verästelungen nach aussen lassen auf das deutlichste die Zuleitungs- canäle erkennen. Dass sich die Kieselsäure von aussen nach innen concen- trirt hat, zeigt sich auch daran, dass die in der Nähe der Nieren und Gänge befindliche Masse von Kieselsäure durchdrungen zu seyn pflegt und oft als ein Hornstein- oder Jaspis-Porphyr sich darstellt. Zu den beachtungswerthen 1) Von besonderer Schönheit kommt dieses Plasma am Hauskopf in der Gegend von Oppenau vor. (Vergl. mineralogische Beiträge vorzüglich in Hinsicht auf Würtemberg und den Schwarzwald von H. v. S. (von Struve) 1807. 8. 152.) Das Grundgebirge besteht hier aus Chloritgneus von unregelmässiger knaurig - wellenförmiger Schichtung, mit einem Hauptstreichen hor. 12— 2. und westlichem Einfallen. Es ruhet darauf eine Conglomeratmasse, die am Hauskopf von Eisenthon bedeckt ist. Dieser unterteuft ein Lager einer weissen, kaolinar- tigen Masse, mit Nieren eines kieseligen Porphyrs, und ausserdem mit mannig- faltigen Kieselfossilien, namentlich mit Plasma, Karneol, gemeinem Chalcedon, gemeinem und Halbopal, Kascholong, die darin auf ähnliche Weise vorkommen, als in der Gegend von Baden. Gedeckt wird diese Lage von Thonstein - Por- phyroid, dessen Hauptfarbe ein blasses Pfirsichblüthroth ist, woraus die Kuppe des Hauskopfes besteht. Diese von mir beobachteten Lagerungsverbältnisse sind denen bei Baden völlig analog, und können zur Bestätigung der über letztere von mir dargelegten Ansichten dienen. 24 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN Erscheinungen gehört das Vorkommen von krystallisirtem Eisenglanz und von Braunsteinnadeln in dem Inneren der Kieselnieren. Auch verdient die nicht seltene Anhäufung des Chlorites in ihrer Nähe bemerkt zu werden, aus des- sen inniger Verbindung mit der Kieselsäure vielleicht die Bildung des Plasma abzuleiten ist. | Völlig tape. von de beschriebenen Porphyrverbreitung, aber mit ihr unstreitig von gleichem Alter, geht unterhalb der Stadt, an der rechten Seite des Oosthales, am Fusse des mit Reben bekleideten Pfalzenberges ein ausge- zeichneter Zuritporphyr zu Tage, der gegenwärtig durch einen zur Gewin- nung von Chaussee -Material angelegten Steinbruch aufgeschlossen ist. Der Porphyr hat Ahnlichkeit mit dem, der in der Nähe vom Scharzfelder Zoll am Harze vorkommt, Die splitterige Grundmasse ist von einer schmutzig fleischrothen Farbe, die sich stellenweise in das Blutrothe und Violette zieht. Ausser den nicht besonders gehäuften Feldspathprismen liegen darin viele Körner von Fetiquarz. Er geht in einen Z’honsteinporphyr und durch das Verschwinden der Feldspathkrystalle hin ‚und wieder in einen FSM Eisenoxyd gefärbten T’honstein über. Weiter gegen Dollen verwandelt sich jener Porphyr in eine Porphyr- breccie, die allmälig in ein Porphyrconglomerat verläuft, welches sich von hier zum Fusse des Badener Berges verbreitet. Auf der Höhe desselben tritt aus dem umgebenden Conglomerate eine ausgezeichnete Porphyrbreccie her- vor. Diese bildet einen Felsenkamm, der auf dem lang gestreckten Gipfel des Berges in der Hauptrichtung von Südwest nach, Nordost bis zu mehreren hundert Fuss sich. erhebt, an der südöstlichen Seite einen jähen Absturz hat, an der nordwestlichen allmäliger sich verflächt, und am südwestlichen Ende den ehrwürdigen Resten des alten Badener Schlosses zur Grundlage und zur Stütze dient. Unmittelbar hinter demselben beginnt ein merkwürdiges Felsen- labyrinth, welches aus senkrecht neben einander aufgerichteten Pfeilern und Säulen von verschiedenem, aber zum, Theil bedeutendem Umfange besteht, die theils an einander schliessen, theils von einander abstehen; hier vorspringen, dort zurück treten, und deren Fuss von gewaltigen Trümmermassen bedeckt ist, zwischen welchen ein herrlicher Wald von Edeltannen wurzelt, der, mit Laubholz gemischt, auch die lang gestreckte Gipfellläche und den entgegen GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 25 . gesetzten Abhang bekleidet. Die Pfeiler und Säulen der Porphyrbreccie haben keine ganz regelmässige Gestalten, lassen doch aber eine Hinneigung bald zur sechsscitigen, bald zur vierseitigen Form nicht verkennen. Wo die Anlage zur sechsseitigen Säulenform sich zeigt, findet nicht selten durch Abrundung der Kanten ein Uebergang in das Cylindrische Statt. Fast überall haben die Pfeiler und Säulen Querabsonderungen, meist von horizontaler oder wenig geneigter Lage, welche ihnen das Ansehen geben, als wären sie aus auf ein- ander geschichteten Tafeln von etwa 2“ bis zu ein Paar Fuss Stärke zusam- men gesetzt. In einem ähnlichen, aber etwas weniger ausgedehnten Felsenkamme er- hebt sich die Porphyrbreecie aus dem umgebenden Conglomerate neben Eber- steinburg, wo sie ebenfalls die Reste eines alten Schlosses trägt. Hier sind ihre rechtwinkelig vierseitigen Pfeiler zum Theil regelmässiger, übrigens, wie an den Felsen des Badener Berges, mit vielen horizontalen, wellenförmigen Querabsonderungen, welches ihnen das Ansehen künstlicher Mauern giebt 1). Eine dritte isolierte, weit weniger bedeutende Masse von Porphyrbreccie bil- det die Felsen der Teufelskanzel am westlichen Abhange des grossen Stau- fen- oder Mereuriusberges. Sie ist von den Felsen des Badener Berges durch Conglomerat geschieden, welches in horizontaler Schiehtung den Sattel zwi- schen dem Oos- und Murgthale bildet, über welchen die alte Strasse von Baden nach Gernsbach läuft. Die Porphyrbreecie steht in jeder Hinsicht in der Mitte zwischen dem Porphyr und dem in seiner Begleitung vorkommenden Conglomerate. Eckige und abgerundete Stücke von Eurilporphyr, Thousteinporphyr und Thonstein, deren Grösse sehr abändert, herrschen im Ganzen vor. Zu ihnen gesellen 1) Dieser geologisch merkwürdige und durch die entzückende Aussicht auf das Rheinthal, welche er gewährt, ausgezeichnete Punkt hat ein sehr erhöbetes hi- storisches und antiquarisches Interesse erlangt, durch die scharfsinnigen Untersu- chungen über die dortigen Reste alter Fortificationen , welche von dem Herrn Obristlieutenant Krieg von Hochfelden angestellt und in der von ihm auf Befehl Sr. Königlichen Hoheit des Grossherzogs Leopold von Baden bear- beiteten Geschichte der Grafen von Eberstein in Schwaben 8. 217—233 nieder- gelegt worden. PA Phys. Classe. II. D 26 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN sich kleinere und grössere Stücke von Granit, häufiger aber die Gemengtheile desselben, zumal Feldspath und Quarz, in gesonderten Parlikeln. Diese man- nigfaltigen Trümmer stehen in einer sehr festen, aber nicht durchaus dich- ten, sondern hier und da etwas löcherigen Verbindung, welche hauptsächlich durch Kieselsäure vermittelt wird. Das Cement ist im Ganzen wenig sichtbar und tritt nur da deutlicher hervor, wo es Eisenoxyd aufgenommen hat. Dass bei der Bildung der Breccie Kieselsäure im aufgelösten Zustande das Aggregat durchdrang, wird daran erkannt, dass die Höhlungen nicht selten mit klei- nen Quarzkrysiallen ausgekleidet sind. 3 Dieser Porphyrbreccie zunächst verwandt ist das Gestein, woraus die an der linken Seite der Murg sich erhebende Felsenwand des Amalienberges bei Gaggenau besteht. Die Hauptmasse ist ein festes, grobkörniges Gemenge von eckigen und abgerundeten Stücken von fleischrothem Feldspath, weissem und grauem Quarz, hin und wieder mit Schuppen von silberweissem Glimmer, oder Partikeln von grünlich grauem Talk, durch ein kieseliges, zum Theil eisen- schüssiges Bindemittel verkittet. Es finden sich darin hin und wieder Dru- sen mit klaren Bergkrystallen. Stellenweise gewinnt das Bindemittel die Ober- hand, wodurch das Gestein in splitterigen Quarzfels, oder in einen kastanien- braunen, muscheligen Kieselschiefer übergeht. An anderen Stellen tritt der Conglomeratcharakter pee hervor, wobei der Feldspaih zum Theil röth- lichweiss erscheint, dem Kaolin sich nähert, und die Festigkeit des Gesteins vermindert ist. Die Felsenmasse hat eine besonders ausgezeichnete, horizon- tale Absonderung, welche sie. in Platten theilt, die nach zwei Richtungen rechtwinkelig von Nebenabsonderungen durchsetzt sind. Das mehr erwähnte Conglomerat, welches die Porphyrbreccie sowohl als den Porphyr in der Gegend von Baden begleitet, hat eine weit grössere Verbreitung, als diese beiden Gebirgsarten, ohne jedoch die Höhe derselben zu erreichen. Es bildet die flacher gewölbten Vorhügel der höheren Berge und die Ausfüllungen zwischen, denselben. Auf diese Weise hat es seine grösste Ausdehnung an der rechten Seite der Oos, indem es sich um den Fuss des Badener Berges, der beiden Staufenberge, des Schlossberges und der Teufelskanzel bei Ebersteinburg zieht und sich von hier gegen das Murgthal, wo es in der Erstreckung von Gernsbach. bis gegen die Oeffnung, des Thales, GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 27 mit wenigen Unterbrechungen die Höhen bildet, welche an der linken Seite dasselbe begrenzen. An den Gebirgsabhängen, welche von den beiden Stau- fenbergen gegen Nordost sich hinabsenken, sind durch die beiden nach Gerns- bach führenden Strassen, lehrreiche Durchschnitte des Conglomeratgebildes aufgedeckt. Aus der Gegend von Selbach zieht es sich gegen den Amalien— berg und Hummelberg bei Gaggenau. An ersterem tritt das zuvor beschrie- bene, breccienartige Gestein aus dem Conglomerate hervor. Ob es, wie wohl anzunehmen, das den Gneus des Hummelberges unmittelbar deckende und mit diesem in genauem Zusammenhange stehende Conglomerat berührt, ist nicht deutlich wahrnehmbar. In dem Thale, welches von Ebersteinburg gegen Gaggenau sich hinabzieht, sieht man es, wie oben bereits bemerkt worden, abweichend auf dem darunter hervortretenden Thonschiefer ruhen. An der entgegengeselzten Seite jenes Thales erhebt es sich noch einmal an dem Ro- thenfels gegenüber liegenden Schanzenberge, an dessen Fusse die neuerlich erbohrte Elisabethen - Quelle daraus entspringt. An der linken Seite der Oos bildet das Conglomerat die den Porphyrbergen vorliegenden Hügel und be- gleitet dieselben auch an der entgegen gesetzten Seite in einem ‚schmalen Bande, welches sich von Geroldsau an zwischen dem Porphyre und dem Gra- nite und weiter gegen den westlichen Rand des Gebirges, zwischen jenem Gebilde und der Steinkohlenformation hinzieht. In diesem Conglomerate herrscht im Allgemeinen die dem Rothliegenden gewöhnlich eigene, roth- braune Farbe vor. Im Übrigen weicht es freilich in petrographischer Hin- sicht von dem Rothliegenden mancher anderer Gegenden, namentlich von dem, welches in Thüringen, im Mansfeldischen, am Harzrande verbreitet ist, sehr ab. Das Material zu seiner Bildung hat theils der Granit, theils der Por- phyr dargeboten; im Ganzen ist aber weit mehr von jener als von dieser Ge- birgsart in sein Gemenge übergegangen. Sehr unbedeutend ist das, was seine Masse ausserdem vom Gneuse und Thonschiefer empfangen hat. Diese Ma- terialien befinden sich grösstentheils in einem mehr und weniger zerbröckel- ten oder zermalmten Aggregatzustande. Hin und wieder ist er, vermuthlich durch die schlämmende Wirkung des Wassers, so verfeinert, dass die ver- schiedenartigen Theile kaum zu unterscheiden sind. Dagegen kommen aber auch zuweilen grössere, gewöhnlich abgerundete Stücke, vorzüglich von Quarz, D2 28 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN von Granit, weniger von Porphyr, am wenigsten von Gneus, Thonschieſer, oder auch wohl erhaltene, grössere Krystalle von Feldspath vor. Manche La- gen verhalten sich ganz wie ein regenerirter Granit, worin der Feldspath in einem mehr oder weniger zersetzten Zustande sich befindet. In anderen La- gen, welche weniger dieses Ansehen haben, sind Quarzkörner durch eine haupt- sächlich aus zersetztem Feldspath hervor gegangene Masse verbunden, wodurch das Gestein den Charakter der Arkose Brongniart's erhält. In manchen Lagen ist ziemlich viel Glimmer, in anderen fehlt er fast gänzlich. Eisen- oxyd durchdringt das Conglomerat bald mehr bald weniger. Gröbere Abän- derungen erhalten dadurch gewöhnlich ein geflecktes oder gesprenkeltes An- sehen; feinere werden davon oft gleichmässig gefärbt, und in gewissen Lagen derselben ist das Eisenoxyd so angehäuft, dass die Masse als ein Zisenthon erscheint. Nicht selten. zeigt sich aber eine scharfe Grenze zwischen den durch Eisenoxyd roth oder rothbraun gefärbten und den nicht davon durch- drungenen, grauen Massen. Diese wechseln entweder lagenweise ab, oder die grauen Partien bilden Flammen oder Flecken in den durch Eisenoxyd gefärbten, wodurch das Gestein oft ein sehr buntes Ansehn erlangt. Da, wo der oft mit Glimmerschuppen gemengte Eisenthon für sich auftritt, herrscht zwar die eigenthümliche rothbraune Farbe bei ihm vor; häufig finden sich aber auch in dieser Hauptmasse untergeordnete Lagen oder gestreckte Nieren von einer grauen oder berggrünen Masse, wodurch ihm ebenfalls ein mehr und weniger buntes Ansehn ertheilt wird. Unter den Einschlüssen des Conglomerates verdienen die Porphyrkugeln, welche an einigen Stellen, u. a. an einer Anhöhe in der Nähe der Lichten- thaler Allee, am Wege nach dem Sauersberger Hof, sehr angehäuft darin liegen, besondere Erwähnung. Ihre Entstehung könnte zweifelhaft erscheinen, und man möchte bei ihnen vielleicht zu der Annahme hinneigen, dass sie für Coneretionen zu halten seyen: für ähnliche Gebilde, als die auch oft kugel- förmigen, porphyrarligen Massen, welche die oben angeführten Kieselfossilien in den kaolinartigen Ablagerungen begleiten. Bei genauerer Vergleichung zeigt sich indessen eine wesentliche Verschiedenheit unter diesen porphyrar- tigen Gesteinen. Die Kugeln, von welchen hier die Rede ist, bestehen aus Eu- ritporphyr, der gewissen Abänderungen des älteren, oben näher bezeichneten GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 29 Porphyres des Schwarzwaldes gleicht. Die Grundmasse hat einen bald split- terigen, bald unebenen Bruch; gewöhnlich eine lavendelblaue, oder mit Grau gemischte violette Farbe, und schmilzt vor dem Löthrohre zum weissen Email. Es liegen darin Prismen oder unbestimmt begrenzte Partikeln eines theils frischen, theils mehr und weniger zersetzten Feldspaths (und Albites?), von fleischrother und grünlichweisser Farbe, nebst Körnern von Fetiquarz oder Bergkrystall. Diese mehr und weniger gerundeten, oder völlig sphärischen Porphyrstücke haben bald die Grösse von Bomben, bald die von Kanonenku- geln. Ihre Oberfläche ist niemals glatt, abgerieben; sondern uneben, löcherig, warzig. Sie hat also nicht die Beschaffenheit wie an Geröllen, die im Was- ser abgeschliffen worden. Uebrigens ist doch auch kein zureichender Grund vorhanden, jene Kugeln für später gebildete Coneretionen zu halten. Mehr dürfte dafür sprechen, dass ihre Gestalt eine ursprüngliche ist; dass sie von kugelig abgesonderten Porphyrmassen äbstammen. Anders verhält es sich offenbar mit gewissen kieseligen Einschlüssen, die ebenfalls in dem Conglomerate zuweilen sehr angehäuft vorkommen, und ohne Zweifel für Concretionen angesprochen werden dürfen, die mit der Entste- hung der umgebenden Masse gleichzeitig sind. Sie stellen sich gewöhnlich als ein mehr und weniger von Eisenoxyd durchdrungener, splitteriger Horn- stein dar, der einer Seits in Quarz, anderer Seits in Eisenthonstein über- geht. Wo das Eisenoxyd fehlt, ist die Farbe gewöhnlich rauchgrau; oft er- scheint aber die Masse durch Eisenoxyd blutroth oder rothbraun gefärbt, oder mit Flecken, Adern und Bändern von diesen Farben. Diese Coneretionen kommen in sphäroidischen, ellipsoidischen, knollenförmigen oder ganz unbe- stimmt geformten Stücken von sehr verschiedener Grösse vor, indem sie von Kopfsgrösse bis zu Erbsengrösse abändern. Die Oberfläche hat beständig ge- rundete Erhöhungen und Vertiefungen, niemals aber die Beschaffenheit wie an Geröllen. Diese bald mehr einzeln, bald in grosser Menge beisammen sich findenden Concretionen erinnern an das Vorkommen des so genannten Hornqguarzes in dem Rothliegenden des Mansfeldischen. Selten erscheint der Hornstein als Holzstein, ähnlich dem des Kyffhäusers. In der Lagerfolge des Rothliegenden der Gegend von Baden zeigt sich ein mannigfaltiger Wechsel, aber im Ganzen nichts Geregeltes. Nur das Eine 30 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN findet sich beständig, dass der Eisenthon in so fern er für sich erscheint, in den höheren Lagen vorkommt, in welchen er aber mit dem Conglomerate keine gleiche Ausdehnung zu haben, sondern nur in einzelnen, sich aus- keilenden Massen zu erscheinen pflegt. Auf diese Weise sieht man ihn u. a. in der Nähe des Selighofes an der von Baden nach Gallenbach führen- den Strasse, in der Gegend des Sauersberger Hofes, auf der Höhe des Ge- birgssattels unweit Ebersteinburg, am Fusse des Schanzenberges neben der Elisabethen- Quelle im Murgthal. Als oberstes Glied im Gebilde des Roth- liegenden steht die Eisenthonlage an mehreren Stellen, namentlich zwischen dem Selighofe und Frömersberge, in der Nähe des Sauersberger Hofes, in unmittelbarer, unterteufender Berührung mit der auffallend dagegen abstechen- den, weissen, kaolinartigen, Kieselconcretionen einhüllenden Masse. Dass der reinere Eisenthon als das letzte Resultat des Absatzes aus einer bewegten Wassermasse sich darstellt, ist mit a feineren Beschaffenheit seines Gemen. ges, und mit der bekannten Eigenschaft des thonigen Eisenoxydes, lange im Wasser sich schwebend zu erhalten, im Einklange. Uebrigens geht schon aus jenen Anführungen hervor, wie die besonders den obersten Theilen des Rothliegenden der Gegend von Baden angehörige Eisenthonmasse, in sehr ver- schiedenen Niveaus sich findet. Dieselbe Unregelmässigkeit der Ablagerung ist aber gewiss sämmtlichen Gliedern dieses Conglomeratgebildes eigen; nur macht sie sich, wegen der unbestimmten Abwechselung unter denselben, im Allgemeinen weniger entschieden bemerklich, als bei dem eine festere Stelle einnehmenden, und durch seine petrographische Beschaffenheit bestimmter charakterisirten Eisenthon. Jene Niveauverschiedenheiten dürften nun theils in Unebenheiten der Auflagerungsflächen, theils in den Bewegungen während der Ablagerung, theils aber auch in späteren Hebungen und nn. be- gründet seyn. Die Schichtung, welche überall deutlich, wenn gleich nicht ausgezeich- net bei dem Rothliegenden der Gegend von Baden sich darstellt, ist bald ho- rizontal, bald geneigt, bald mit Wellenbiegungen. Sanfte Neigungen sind vorherrschend; selten gehen sie über 200 bis 300 hinaus; und steile Ein- senkungen kommen nur an wenigen Stellen unter besonderen Verhältnissen vor. Im Ganzen scheinen die — nach der Oberfläche sich GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 31 zu richten, in so fern solche nicht durch spätere Thalbildung verändert wor- den. Jenes Verhalten ist z. B. nicht zu verkennen, wenn man von Baden der alten Strasse nach Gernsbach folgt, oder aus dem Oosthale über den Sattel zwischen den beiden Staufenbergen in das Murgthal sich begiebt, oder das Profil zwischen Baden und dem Frömersberge betrachtet. Doch sieht man an einzelnen Stellen, u. a. am Hässlich, an dem neuen, vom oberen Theil der Stadt zum Schlosse hinan führenden Wege, die Schichten so gegen das Ansteigen einfallen, dass wohl eine partielle Ursache der ungewöhnlichen Neigung angenommen werden darf. Aus der bisherigen Schilderung der Art des Vorkommens des Porphyrs, der Porphyrbreccie und des beide begleitenden Conglomerat-Gebildes in der Gegend von Baden leuchtet schon von selbst ein, dass Porphyr und Porphyr- breccie den Charakter von empor gestiegenen Massen haben, wogegen an dem Conglomerate die deutlichsten Zeichen von dem Einflusse des Wassers auf seine Ablagerung und die Modificirung seiner petrographischen Beschaf- fenheiten sich finden. Dass der Porphyr nicht in einem vollkommen flüssigen, sondern in einem weichen Zustande aus Spalten empor gequollen ist, wird durch das jähe Ansteigen seiner Berge wahrscheinlich. Dass aber die Por- phyrbreccie bei dem Emporsteigen von noch steiferer Beschaffenheit war, als die Porphyrmasse, folgt wohl aus der Art ihrer Zusammensetzung, aber auch aus der noch jäheren, zum Theil senkrechten Erhebung ihrer Felsen. Die Masse, aus welcher die Conglomerate sich bildeten, drang ohne Zweifel als ein Product der Reibung und der Einwirkung von Dämpfen neben den Mas- sen des Porphyres und der Porphyrbreccie empor, und lagerte sich grössten- theils unter dem Einflusse der Wasserbedeckung ab, deren bewegter Zustand auf die Art des Absatzes der Theile, so wie auf ihre Schlämmung einen Ein- fluss übte. Dass die Masse des Conglomerates sich neben dem Porphyre in die Höhe drängte, davon überzeugt das senkrechte Niedersetzen desselben zu den Seiten des Porphyres, wie es u. a. gegenwärtig in einem lehrreichen Durchschnitte an der Strasse aufgeschlossen ist, die vom Frömersberger Gast- hofe nach Gallenbach hinab führt. Wo der Porphyr mit dem Conglomerate in Berührung steht, ist die Masse des ersteren zum Theil über die des letz- teren hinüber gequollen, so dass eine theilweise Bedeckung des Conglomerates 32 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN vom Porphyr Statt findet, wie solches sehr deutlich an jener Stelle, so wie am Cä- cilienberge bei Kloster Lichtenthal und neben Beuern, an der rechten Seite des Oosthales wahrgenommen wird. Dass die feldspathreiche, in einem mehr und we- niger zersetzten Zustande erscheinende Porphyrmasse, in welcher die Kieseleon- eretionen vorkommen, in der Gunzenbacher Gegend und von hier in der Verbrei- tung über den Sauersberger Hof und Selighof hinaus auf dem Conglomerate ruhet, liegt klar am Tage. Bei der Porphyrbreecie wurde diess Verhältniss an keiner Stelle gefunden. Am Badener Berge wie in der Gegend von Ebersteinburg scheint das sie umgebende Conglomerat gegen ihre jäh sich erhebenden Massen ab- zusetzen. Der genaue genetische Zusammenhang, in welchem Porphyr, Por- phyrbreecie und Conglomerat stehen, wird an den früher bemerkten Verhält- nissen unter diesen Gebirgsarten am Pfalzenberge und bei Dollen erkannt. Dass die Reibungsproducte, aus welchen sich die Conglomerate bildeten, bei ibrem Empordringen Eisenoxyd, welches vermuthlich in Dampfform aufstieg, und Kieselsäure aufnahmen, geht aus demjenigen hervor, was über das Vor- kommen dieser beiden Substanzen in den Conglomeraten mitgetheilt worden, und steht mit den Erscheinungen im Einklange, welche auch in der Beglei- tung anderer plutonischer Massen häufig wahrgenommen werden. Porphyr und Porphyrbreccie haben sich in der Gegend von Baden ohn Zweifel hauptsächlich durch den Granit ihre Wege gebrochen. Dieses folgt nicht allein aus der Nachbarschaft des Granites „sondern besonders auch dar- aus, dass die Porphyrbreccie Trümmer dieser Gebirgsart in Menge einschliesst und dass es an den begleitenden Conglomeraten auf das Unzweideutigste zu erkennen ist, dass der grössere Theil ihrer Masse aus der Zertrümmerung und Zermalmung von Granit hervorgegangen. Ich habe indessen in der Ge- gend von Baden keine Stelle auffinden können, wo eine Durchsetzung des Granites vom Porphyr der Beobachtung sich darbietet ). In dieser Beziehung ist es 1) Walchner bemerkt in seiner Darstellung der geologischen Verhältnisse der am Nordrande des Schwarzwaldes hervortretenden Mineralquellen S. 11.: dass Gänge von quarzführendem Thonporphyr in der Gegend von Baden BD am Wasserfall bei Geroldsau, den Granit durchsetzen. Ich muss gestehen, dass es mir nicht gelungen ist, sie aufzufinden ‚ und dass mein besonders auch an der an- GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 33 von besonderem Interesse, dass am Badener Berge, wo vormals nur an einer beschränkten Stelle in der Nähe des alten Schlosses das Ausgehende von Granit sichtbar war, wobei man über die Art des Vorkommens in Zweifel bleiben konnte, neuerlich durch die Erweiterung des Fahrweges, der zum Schlosse hinan führt, etwas unterhalb desselben, ganz in der Nähe der anste- henden Porphyrbreccie eine nicht unbedeutende Masse von Granit aufge- schlossen worden. Dass sich diese Gebirgsart von jener Sielle am westlichen Abhange des Badener Berges weit hinab ziehet, darüber hat die Bahnung eines anderen Weges, der von Baden nach Cuppenheim führt, erwünschten Aufschluss verschafft, indem durch denselben eine früher ganz verborgene Granitmasse in beträchtlicher Breitenausdehnung an den Tag gekommen ist. Der Granit ist hier porphyrartig und zum Theil sehr verwittert. Grosse, noch unveränderte Feldspathkrystalle ragen aus dem lockeren ‘Aggregate hervor. Durchsetzt wird die Masse von einem ausgezeichneten, scharf abgelösten, zwei Spann mächtigen, beinahe saigeren, hor. 12 streichenden, Gange eines fri- schen kleinkörnigen Granites, in welchem röthlichweisser Feldspath (oder Al- bit?) vorwaltet. An einer anderen Stelle, wo im unverwitterten Granite ein Steinbruch angelegt worden, kommen Lager von fleischrothem und weissem dichten Feldstein vor, der dem hinter der neuen Trinkhalle anstehenden ähn- lich ist. Dass diese Granitmasse eine Fortsetzung von der in der Nähe der Stadt aufgeschlossenen ist, und dass der Zusammenhang nur durch das auf- liegende Conglomerat verdeckt wird, ist wohl nicht zu bezweifeln; so wie das Verhältniss zwischen dem Granite und der Porphyrbreccie in der Nähe des alten Schlosses die Annahme noch fester begründen dürfte, dass leiztere aus ersterem emporgestiegen. Zu den merkwürdigen N Erscheinungen des Schwarzwaldes gehört das sehr abweichende Niveau, in welchem der Sandstein abgelagert vorkommt, und seine Isolirung auf bedeutenden Höhen. In der Gegend von Baden stellen sich diese Verhältnisse sehr auffallend dar. Dass der Sand- stein, von welchem hier die Rede ist, zum Gebilde des bunten Sandsteins geführten Stelle, noch bei meinem letzten Aufenthalte zu Baden darauf gerich- tetes Bemühen fruchtlos geblieben. Phys. Classe. II. E 34 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN gehört, leidet nicht den mindesten Zweifel. Aus ihm bestehen zu beiden Seiten des Oosthales die Vorberge, indem er an der linken Seite dem Frömers- berg, an der rechten den Haarberg bildet, und sich von hier längs des westlichen Gebirgsrandes gegen das Murgthal zieht; in welcher Erstreckung, namentlich am Oberwälde, eine Muschelkalk-Masse muldenförmig auf dem Sandsteine ruhet- An der linken Seite des Oosthales kommt ihm zunächst Granit zum Vorschein, daher man wohl annehmen darf, dass von diesem die Sandsteinflötze jener Gegend unmittelbar unterteuft werden. Bei Dollen, an der rechten Seite der Oos, tritt dagegen das oben erwähnte Conglomerat in der Nähe des Sandsteins hervor. Nordwestlich von Ebersteinburg sieht man seine Schichten mit sanfter Neigung unmittelbar auf Thonschiefer ruhen. Wenn man die Ablagerung des Sandsteines an diesen niedrigen Punkten beobachtet hat, so wird man nicht wenig überrascht, dasselbe Flötzgebilde an den beiden Staufenbergen in beträchtlicher Höhe wieder zu finden. Hier ruhet der Sandstein auf dem Conglomerate, aus welchem der Rücken zum Theil besteht, der das Murgthal von dem Oosthale trennt. An dem grossen Staufenberge, dessen Gipfel etwas über 2000 Fuss sich erhebt, wo- gegen die grösste Höhe, welche die Porphyrbreccie auf dem Badener Berge erreicht, nur 1476 Par. Fuss über dem Meere beträgt, überragt der Sand- stein sämmtliche Höhen in der Nähe von Baden. Dabei findet kein Zusam- menhang zwischen dem Sandstein der Staufenberge und der Ablagerung des- selben auf dem hohen Granitrücken Statt, der zwischen Forbach und Baden sich erstreckt, wo die Höhe der Auflagerung des Sandsteines, die Auflage- rungsebene desselben an den Staufenbergen noch übertrifft, indem sie 1990 Par. Fuss hoch über dem Meere liegt 1), also dem Gipfel des grossen Stau- fenberges wenig nachsteht. Uebrigens ist der Sandstein, welcher an diesen hohen Punkten sich findet, in seinen petrographischen Beschaffenheiten von dem der niedrigen Vorberge nicht wesentlich verschieden. Auch verdient es besondere Beachtung, dass seinen hoch gelegenen Massen im Gansen dieselbe horizontale oder sauft geneigte, keine bedeutende Störungen verrathende Lage der Bänke und Schichten eigen ist, als seinen an den Rand des Gebirges 1) Vergl. geognost. Umrisse der Rheinländer. I. S. 64. * GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEN D VON BADEN BEI RASTADT. 35 sich lehnenden Flötzen. Ganz ähnliche Verhältnisse finden am Thüringer Walde zwischen dem am Fusse desselben abgelagerten bunten Sandstein und der völlig isolirten Masse dieses Flötzgebildes auf der Höhe des Schieferge- birges Statt, woraus der merkwürdige Sandberg bei Limbach besteht, der nach Linke zu 2884 Par. Fuss über die Meeresfläche sich erhebt 1). Nur in der Hinsicht zeigt diese Erscheinung am Thüringer Walde eine Verschie- denheit von der am Schwarzwalde, dass dort ein verhältnissmässig unbedeu- tendes Fragment des am Fusse des Gebirges weit verbreiteten Flötzgebildes in die hohe Lage versetzt worden, wogegen hier der bunte Sandstein auf der Höhe des Gebirges eine grosse Ausdehnung hat. Wo in der Gegend von Baden der bunte Sandstein unmittelbar auf Thonschiefer; wie bei Ebersteinburg, oder auf Granit, wie auf den Höhen von Herrenwiese, ruhet, findet sich ein scharfer Abschnitt zwischen ihm und dem Grundgebirge. Nur dann zeigt sich die Grenze weniger bestimmt, wenn, wie an manchen Stellen, der Granit eine lockere, von Eisenoxyd durch- drungene Rinde hat. Aber eine noch genauere Verknüpfung, ein wahrer Ue- bergang wird wahrgenommen, wo, wie zum Theil auf den Höhen zwischen Baden und Forbach, der Sandstein auf dem den Granit deckenden Conglo- merate, oder, wie an den Staufenbergen, auf dem Rothliegenden ruhet. Hier ist durchaus kein scharfer Abschnitt zwischen den gröberen Conglomeraten und dem darauf liegenden Sandstein 2). Ganz allmälig verändert sich das Verhältniss unter den Gemengtheilen. Der Quarz gewinnt in demselben Grade die Oberhand, in welchem sein Korn im Allgemeinen feiner wird, und in demselben Maasse wie die Quantität des Feldspaths sich vermindert, verliert sich auch sein krystallinisches Ansehen, indem er allmälig in den Thon des Bindemittels sich umwandelt. Das Eisenoxyd überträgt zwar seine lingirende Eigenschaft aus den Conglomeraten in den Sandstein; aber die Intensität der Färbung vermindert sich, und beschränkt sich hier mehr als dort auf einzelne 1) Der Thüringer Wald, geschildert von K. E. A. von Hoff und E. W. Jacobs. I. S. 118. — Heim zählte den Sandstein des Sandberges irrig zum Todtliegenden. (Geologische Beschreibung des Thüringer Waldgebirges. Th. II. Abth. 5. S. 68). 2) Dasselbe wird aueh in anderen Theilen des Schwarzwaldes rg Vergl. Merian a. a. O. S. 151. 177. 179. E 2 36 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN Lagen und Partieen; wogegen Mangan- und Eisenoxydhydrate die Darstel- lung dunkler Farbenzeichnungen in den lichteren Sandsteinmassen übernehmen. Dass die Kieselsäure, die in den Conglomeraten ihren früheren aufgelösten Zustand besonders durch Concretionen, nur selten durch die festere Bindung verräth, in solchem auch an der Bildung des Sandsteins Theil nahm, hier aber in mehrerer Vertheilung sich befand, wird an gewissen festeren Abän- derungen erkannt, die zuweilen als wahre Quarzsandsteine erscheinen. Da- neben treten aber, und zwar vorzüglich in den oberen Lagen, die unzwei- deutigsten Zeugen mechanischer Bildung auf, ausgezeichnete Quarzgerölle, mitunter von beträchtlicher Grösse, Wenn man nun erwägt, dass der Sand- stein mit den unter ihm liegenden Conglomeraten hinsichtlich der inneren Natur des Materials im Wesentlichen übereinstimmt, und nur im quanlitativen Verhältnisse, so wie im Aggregatzustande des Gemenges von ihnen abweicht; wenn man dazu die gewöhnlich lockere Beschaffenheit der Conglomerate nimmt, welche eine Verflössung des sich ablagernden Sandsteins mit ihren oberen Lagen begünstigte; so wird man es nicht auffallend finden können, dass Sandstein und Conglomerat so innig verbunden erscheinen. Dieselbe Verflössung zeigt sich auch unter anderen, der Natur nach ähnlichen, aber der Bildungszeit nach verschiedenen, in unmittelbarer Berührung stehenden Gebirgsmassen. Ä s Den grossen Niveauunterschied in dem Vorkommen des bunten Sand- ` steins des Schwarzwaldes, der in anderen Theilen dieses Gebirges noch weit bedeutendere Höhen als in der Gegend von Baden erreicht 1), hat man durch die Annahme zu erklären gesucht, dass der Sandstein durch das Hervorbre- eben plutonischer Gebirgsmassen in die Höhe gehoben worden 2). Wenn aber die im Vorigen aus den gegenseitigen Verhältnissen der verschiedenen 1) So erhebt sich nach Schübler der bunte Sandstein am Dobel zu einer Höhe von 2230, und auf der Hochebene zwischen Wildbad und dem wilden See zu 2505“ Par. über dem Meere. Nach den Messungen von Bohnenberger er- reicht der Sandstein am Rossbühl, dem höchsten Punkte des Kniebis, eine Höhe von 2925 und auf dem Katzenkopf an den Hornisgründen sogar von 3603“ Par. 2) Geognostische Umrisse der Rheinländer. I. S. 65. — Walchner's Darstellung etc, S. 21 u. a. m. a. O 5 GEOLOGISCHE BEMERK, ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 37 Gebirgsmassen der Gegend von Baden abgeleitete Altersfolge ihrer Bildung die richtige ist, so stellt sich jene Hypothese von selbst als unhallbar dar. Nirgends finden sich Spuren, woraus hervorgienge, dass das Grundgebirge, 2. B. der Granit, erst nach der Ablagerung des Sandsteins emporgestiegen; nirgends Verästelungen desselben oder einer anderen plutonischen Gebirgsart in den darauf liegenden Sandstein; nirgends Einschlüsse von Sandstein-Brocken im Granit. Auch steht damit die im Ganzen regelmässige, horizontale Lage des Sandsteins in weiten Erstreckungen der höheren Theile des Gebirges, und seine gleiche Lage auf den steil aufgerichteten Schiefergebirgsarten, wie auf den gestreckten Conglomeratschichten, im Widerspruch, woraus entschie- den hervorgeht, dass die Ablagerung des Sandsteins erst nach der grossen Veränderung erfolgt ist, welche mit dem Schiefergebirge durch das Empor- dringen des Granites vorgegangen, und auch erst nach dem Emporsteigen der jüngeren Porphyre und der damit zusammenhängenden Ablagerung des Rothliegenden. Man wird daher versuchen müssen, auf einem anderen Wege zur Erklärung jenes allerdings auffallenden Phänomenes zu gelangen, Obgleich der bunte Sandstein auf den Höhen des Schwarzwaldes eine grosse Verbreitung hat, so ist doch in manchen Theilen des Gebirges, im Norden wie im Süden, dort u. a. in den Enzihälern, sein Zusammenhang un- terbrochen. Tiefe, zum Theil enge Thaleinschnitte durchsetzen ihn und zu- gleich das unterteufende Granit- und Gneusgebirge. Diese Unterbrechung kann erst nach der Ablagerung des Sandsteins eingetreten seyn; und da sie in einigen Gegenden zugleich den auf dem Sandstein ruhenden Muschelkalk beiroffen hat, so muss sie auch später als die Bildung dieses Flötzgebirgs- gliedes erfolgt seyn 1). Hiernach bin ich geneigt, mit Merian die Thäler des Schwarzwaldes, an denen jenes Verhältniss wahrgenommen wird, ihrem Ursprunge nach für wahre Spalten anzusprechen. Ihre Entstehung wird man der Wirkung einer hebenden Kraft zuschreiben dürfen, welche nicht auf alle Theile des Gebirges gleichmässig wirkte, und wodurch die Masse desselben zerrissen, und zugleich zum Theil in höhere, aber nicht überall gleiche Ni- veau's versetzt worden. Den Erschütterungen, welche die Uebungen beglei- 1) Vergl. Merian a. a. O. S. 193. 38 JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN teten, ist vielleicht die Entstehung der vielen gewaltigen, losen Sandsteinblöcke zuzuschreiben, welche an den Staufenbergen bei Baden gefunden werden }); eine Erscheinung, die in anderen Gegenden des Schwarzwaldes, z. B. an den Sandsteinrücken, welche das Enzthal einschliessen, in noch weit grösserer Aus- dehnung und Auszeichnung sich darstellt. Von derselben Ursache wird auch wohl die Bildung der losen Granittrümmer abzuleiten seyn, die an eini- gen Stellen, z.B. an den Einhängen, welche sich vom Blättig gegen das Büh- lerthal senken, in erstaunlicher Grösse angetroffen werden. Es scheint also die Annahme begründet zu seyn, dass der Seien noch nach der Bildung jüngerer Flötze, und ganz unabhängig von dem Em- porsteigen der plutonischen Gebirgsmassen, welche früher auf die Umwand- lung und Erhebung seines Felsgebäudes den grössten Einfluss hatten, bedeu- tenden Katastrophen unterworfen gewesen, wodurch das Gebirge erst in die Höhe versetzt worden, welche es gegenwärtig besitzt, und wobei zugleich ein Theil der Thäler seinen Ursprung genommen hat. Wenn man die hohe Lage des bunten Sandsteins in den östlichen Theilen des Schwarzwaldes und sein Abfallen gegen Osten einer Erhebung des Gebirges zuzuschreiben berechtigt ist, so wird man die allmälig immer mehr sich vermindernde Neigung der jener Formation nachfolgenden, in grösserer Entfernung abgelagerten Flötze bis zur Oolithformation von derselben Ursache ableiten dürfen; woraus denn hervorgeht, dass das Gebirge noch nach der Bildung der letzteren Hebungen erlitten hat 2). Dass es selbst noch in der jüngsten Tertiärzeit, in der spä- teren Periode der sogenannten Diluvial-Epoche bedeutenden Erschütterungen unterworfen gewesen, welchen die Entstehung von Trümmermassen und See- durchbrüchen zuzuschreiben ist, haben die gründlichen Untersuchungen von Fromherz höchst wahrscheinlich gemacht 3). Diese Resultate, welche sich den aus den Untersuchungen über die Bildung des Harzes und Thüringer Waldes hervorgegangenen anschliessen, eg eg sn die EL e zu - 1) Wera: Weg a. a. O. S. 57—60. 2) Vergl. Eduard Schw ar z, im neuen Jahrbuch für Mineralogie etc. 1833. S. 49 u. È 3) Geognostische m über die Diluvial-Gebilde des Schwarzwaldes. 1842. Besonders S. 49 u. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI ‚RASTADT. 39 festigen, dass mau sich den Act der Erhebung der ‚Gebirgsketten nicht immer als einen einfachen vorstellen darf, und dass man bei ihrer Bildung das Empordringen plutonischer Massen und die; dadurch verursachte Aufrichtung und Metamor- phosirung stralificirter Beete von rn re des Gei birges wohl unterscheiden muss. Zu den Erscheinungen, welche mit SCH ERROR ie u Belini bäude des Schwarzwaldes erlitten, im genauen Zusammenhange stehen, gehört auch das Vorkommen von Gängen. Die Gegend von Baden hat nicht viel davon aufzuweisen. Doch setzen am Ebersteiner Schlossberge und auf der Bermersbacher Höhe bei Forbach im Murgthale im Granit Brauneisenstein- gänge auf, welche am Schwarzwalde über haupt die verbreitetsten sind. Das Eisenoxydhydrat ist in ihnen gewöhnlich von Manganoxydhydraten vergesell- schaftet, und an einigen Orten, 2. B. in den Gegenden des oberen Murgtha- les, kommt, besonders in mehrerer Teufe, auch Eisenspath zugleich vor, aus welchem die Eisen - und Manganosydhydrate ohne Zweifel durch Zersetzung hervorgegangen sind. Der gewöhnlichste Begleiter jener Fossilien ist Schwer- spath, der hin und wieder auch für sich Gänge auf dem Schwarzwalde bil det. Seltener kommt Flussspath zugleich vor. Diese Gänge seizen aus dem Granit zuweilen in den daraufliegenden Sandstein fort, und sind an man- chen Stellen, u. a. in den Gegenden der Enz, Nagold, Würm, der oberen Murg, hier namentlich unweit Freudenstadt, nur in dieser Gebirgsart aufge- schlossen. Es finden sich auch hie und da Bruchstücke von Sandstein im In- nern der Gangmasse. Diese Erscheinungen liefern den Beweis, dass jene Gänge erst nach der Ablagerung und Consolidirung des bunten Sandsteins entstanden sind. Walchner hat darauf aufmerksam gemacht, dass das Ge- neralstreichen der erwähnten Gänge mehr oder weniger mit der Richtung der Hauptzüge der Granitdurchbrüche von Osten nach Westen zusammen zu fal- len pflegt, wogegen ein Streichen von Norden nach Süden nur selten vor- kommt }); ein Verhältniss, welches in analoger Art auch schon in anderen Gebirgsgegenden wahrgenommen worden. 10 Was die jüngsten Formationen betrifft, die mit den nicht ganz passen- 1) Darstellung etc. S. 29. 40 ¿JOHANN FRIEDRICH LUDWIG HAUSMANN den Benennungen der Diluvial - und Aluvialgebilde bezeichnet zu werden pflegen, so ist das Vorkommen derselben in der Gegend von Baden aus den angeführten Schriften von Marx, Walchner und Fromherz hinreichend bekannt; und durch die umfassenden, tief eindringenden Untersuchungen des Letzteren sind namentlich die dortigen Geröll- Ablagerungen nach ihrer Ver- breitung und den Ursachen ihrer Anhäufung so gründlich erforscht, dass ich nicht im Stande bin, hier etwas Neues darüber mitzutheilen. Nur einen Gegenstand erlaube ich mir noch zu berühren, der in neuester Zeit Aufsehen erregt hat: das Vorkommen von Spuren ehemaliger Glätscher, welche Agassiz in der Gegend von Baden entdeckt zu haben glaubt 1). Ich habe die Moräne, welche nach der Angabe dieses ausgezeichneten Naturfor- schers bei Geroldsau vorhanden seyn soll, nicht gefunden, sondern durch sorgfältige Untersuchung der Localität mich von der Richtigkeit der in dem trefflichen Werke des Herrn Prof. Fromherz enthaltenen 2), jenen Gegen- stand betreffenden Bemerkungen überzeugt, so wie ich die Ansicht desselben von den vermeintlichen Glätscherwällen des Schwarzwaldes, nach welcher sie als Gerölldämme zu betrachten, welche durch grosse Strömungen bewirkt wor- den, vollkommen theile. ö Am Schlusse dieser ER wird nun noch eine kurze Zusammen- stellung der geologischen Resultate, welche aus der Untersuchung der Ge- birgsverhältnisse in der Gegend von Baden firi den egene sich .erge- ben, nicht unpassend seyn. bere doien 1. Die Aufrichtung der Schinken Far kitchen Schiefer = mit der Haupterstreckung der Gebirgskette in keinem Zusammenhange, indem das Generalstreichen jener die Hauptrichtung des Sanne von Norden nach Süden beinahe rechtwinkelig schneidet. 2. Dem Granite ist der Haupteinfluss auf die aten pen zuzuschrei- ben, welche mit dem Schiefergebirge sowohl in der Lage der Schichten, als auch in ihren petrographischen Beschaffenheiten vorgegangen sind. Nament- lich erscheint die Bildung des Gneuses und verwandter Gesteine davon abhängig. 1) Neues Jahrbuch für Mineralogie ete. 1841. S. 566. 2) S. a. a. O. 8.396 u. f. GEOLOGISCHE BEMERK. ÜBER D. GEGEND VON BADEN BEI RASTADT. 41 3. Bei dem Emporsteigen des Granites entstand zugleich eine mit ihm genau zusammenhängende Decke von Conglomeraten, die als eine hauptsäch- lich durch Reibung gebildete, durch die Einwirkung von Dämpfen modifi- cirte, und unter dem Einflusse der Wasserbedeckung abgelagerte Masse zu betrachten ist. | 13 d i 4. Das Emporsteigen des Granites, und die dadurch verursachte Auf- richtung der Schichten und Metamorphosirung des Schiefergebirges erfolgte vor der Ablagerung der Steinkohlenformation, die nicht mit einem älteren, ebenfalls am Schwarzwalde vorkommenden, dem Uebergangsgebirge angehöri- gen Steinkohlengebilde verwechselt werden darf. 5. Der in der Gegend von Baden selbstständig auftretende Porphyr, welcher sich besonders als Quarz führender Thonsteinporphyr und als Por- phyrbreccie. darstellt, und von einem älteren Euritporphyr unterschieden wer- den muss, der am Schwarzwalde in einer innigen Verbindung mit dem Granite und Gneuse steht, ist nach der Ablagerung der Steinkohlenformation hervorgedrungen, indem er seinen Weg hauptsächlich durch den Granit ge- nommen. eo ; 6. Mit dem Emporsteigen dieses Porphyres steht die Bildung der am Schwarzwalde die Stelle des Rothliegenden einnehmenden Conglomerate im genauen Zusammenhange, deren Material theils und vorzüglich vom Granit, theils vom Porphyr herrührt, und welches als ein Product der Reibung und der Einwirkung von Dämpfen, neben den Massen des Porphyres und der Porphyrbreccie emporgedrungen ist, und unter dem Einflusse der Wasser- bedeckung sich abgelagert hat. = 7. Die Bildung des bunten Sandsteins ist nach dem Emporsteigen des Porphyres und der Entstehung der damit zusammenhängenden Conglomerate erfolgt, ohne dass, wie in anderen Gegenden von Deutschland, eine Ablage- rung von Gliedern der Kupferschieferformation vorangegangen. | Ä S8. Als die Bildung des bunten Sandsteins vollendet war, sind Eisen- spath, Schwerspath und Flussspath führende Gänge entstanden, welche durch den Granit in den Sandstein sich verbreitet haben, und in welchen später aus der Zersetzung des Eisenspathes, Brauneisenstein und Manganfossilien hervorgegangen. | Phys. Classe II. F 42 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN GEOL. BEMERK. ÜB. D. GEGEND ETC. 9. Nach der Ablagerung des bunten Sandsteins und Muschelkalkes, bis in die jüngste Tertiärzeit, hat das Gebirge noch bedeutende Katastrophen, Hebungen und Erschütterungen erlitten, wodurch es allmälig die gegenwärtige Höhe angenommen. Dadurch ist nicht allein ein Theil des Sandsteins in höhere Niveau’s versetzt, sondern zugleich auch an vielen Stellen sein Zusam- menhang aufgehoben worden. Ein Theil der Thäler hat auf diese Weise seinen Ursprung genommen; so wie die Entstehung von Felsentrümmern, und die von Seedurchbrüchen und Strömungen vermittelten Geröllanhäufungen, Folgen der Gebirgserschütterungen waren. Ueber die Abnahme der Krankheiten durch die Zunahme der Civilisation. Von Carl Friedrich Heinrich Marx. ; ig Vorgelesen in der Sitzung der Königl. Societät der Wissenschaften CES am 27. Mai 1843. Man hört nicht selten die Klagen, dass unsere Zeit, so sehr sie in materiel- ler und geistiger Hinsicht vorwärts schreite, doch in physischer Hinsicht zurück komme, dass das Befinden der Menschen gegen sonst schwächer und schwan- kender geworden, dass es von weit mehr Gefahren bedroht sey, und dass überhaupt die Krankheiten sowohl an Extensität als an Intensität zugenommen hätten. Vieles scheint für diese Klagen zu sprechen, besonders aber die Ueberfeinerung der Sitten und Genüsse, welche die Civilisation mit sich führt, wovon Abspannung und Schwäche als eine nothwendige Folge und die wach- sende Zahl der Krankheitsnamen, so wie der zu ihrer Heilung bestimmten Einrichtungen als hinreichende Beweise gelten. Eine solche Ansicht jedoch, so sehr sie beim ersten Blick sich empfeh- len mag, ergiebt sich, bei näherer Prüfung, als völlig unbegründet. Deshalb möchte es nicht unangemessen seyn, in einer etwas umständlichen Darstellung zu zeigen, dass mit der Zunahme und Ausbreitung der Cultur auch die Ge- sundheitsverhältnisse der Staaten und Völker eine wesentliche Verbesserung erfahren, dass die Krankheiten wirklich stets mehr an Menge und Stärke ab- nehmen, und dass jeder Fortschritt auf der Bahn der Erkenntniss und Gesittung auch wohlthätig auf das ganze leibliche Daseyn des Geschlechtes zurückwirke. Den Bemühungen der Wissenschaft und der Mithülfe einer wahren all- gemeinen Bildung gelingt es nicht nur Krankheitskeime zu tilgen, sondern auch F2 44 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX die zur Entwickelung gelangenden in ihren ersten Grundbedingungen aufzu- heben, oder diese so zu beschränken, dass sie sich nicht zu erhalten und fort- zupflanzen vermögen. Vermittelst der fortschreitenden Cultur nimmt nicht bloss die Population überhaupt zu; sondern rb die Lebensdauer der Individuen wird. länger und die Störung ihres Wohlbefindens durch Krankheiten wird abgekürzt. Verheerende Uebel, welche dem Alterthume und selbst den späteren Jahrhun- derten wie nothwendige Plagen und Prüfungen der Menschheit galten, sind innerhalb der Grenzen civilisirter Nationen nur noch dem Namen nach be- kannt; solche, die als Strafen für die Vermessenheit des menschlichen Geistes und Willens und als von der Natur gebotene Hemmnisse eines glücklichen Daseyns angesehen wurden, finden ihre einfache Erklärung und Hülfe. Meh- rere Uebel, welche das lebende Geschlecht gleichsam decimirten, die Sinnorgane und die Schönheit zerstörten, sind ihrem Erlöschen nahe, und die als uner- lässliche Folgen der körperlichen und geistigen Entwickelung, der bürgerlichen Gewerbe, der Beschäftigung, des Aufenthalts angesehen wurden, werden durch Theorie und Erfahrung als fremdartige Eindringlinge erkannt und bekämpft. Zwar möchte man leicht versucht seyn zu glauben, dass ein freies, na- turgemässes Leben dem Menschen am zuträglichsten sey, dass man dem Acker- baue, dem Fischfange, der Jagd die meisten Stunden widmen müsse, um eines ungestörten Befindens sich zu erfreuen. Scheint ja schon jeder Spazier- gang, ein Landaufenthalt, eine Reise, die so wunderbar schnell Heiterkeit und Wohlgefühl über Geist und Körper ausgiessen, den Beweis zu liefern, dass der Umgang mit der Natur das Geheimniss der Gesundheit, die Panacee des Daseyns enthalte, und dass die Entfernung von ihr Erkrankung und Schwäche nach sich ziehe. So richtig diese Vorstellung in mancher Beziehung seyn mag, so sehr ist der Unterschied zu beachten, welcher zwischen der Beschäf- tigung mit der Natur, die aus Vergnügen für eine kurze Zeit gewählt wird, Statt findet, und zwischen der, welche als nothwendige und beständige For- derung der Existenz, des Lebensunterhaltes erscheint. Der Bauer, der Fischer, der Jäger wissen noch von anderen als von den bloss angenehmen Empfin- dungen und Folgen ihres Berufes zu erzählen. Was die Natur giebt, muss von ihr meistens mit abspannender Geduld abgewartet oder mit ermattender (e ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVIEISAT. 45 Anstrengung ihr abgetrotzt werden. Wer einzig und allein auf sie angewie- sen bleibt, dem ist zwar Uebung der Kräfte, aber auch Last und Ermüdung genug zugetheilt. Beim Mangel an Aufregung der höheren Anlagen träumt nur zu leicht die Seele in einem schlafenden oder halbwachen Zustande hin. Zur vollkom- menen Gesundheit gehört aber durchaus eine Harmonie der körperlichen und geistigen Thätigkeiten. Ein Individuum, das nichts weiter ist als gesund, un- terscheidet sich wenig vom Thiere. f Der einzelne Mensch wie das Menschengeschlecht hat sicherlich nicht bloss zur Aufgabe, auf dem nächsten Wege die Gesundheit zu bewahren. Sie mit Erreichung noch vieler anderer Zwecke zu sichern oder zu stärken, das er- strebt die Civilisation. Die Entwickelung der höheren Kräfte an sich enthält auch keinesweges die gefürchteten Schädlichkeiten. Nur diejenige geistige Ausbildung schadet dem Körper, welche ohne Berücksichtigung der Zeit, des Maasses und der Mittel vor sich geht. Wahre Bildung versteht es aber am besten, das rechte Maass kennen zu lernen und diejenige Richtschnur des Seyns und Handelns vorzdzeichnen, welche allen Anforderungen genügt. Die aus dem Zusammenleben entspringenden, oft widersinnigen Ansprüche der Gesellschaft, die eigenmächtigen Gebote der Convenienz und der Mode, die durch Leidenschaften und Parleiungen in Bewegung gesetzten Triebfedern bewirken zwar häufig, vorübergehend oder andauernd, eine Unterbrechung des Wohlbefindens; allein mit einiger Klugheit, Festigkeit und Consequenz, die durch rechte Bildung errungen werden, lassen sich die nachtheiligen Einflüsse jener Verhältnisse vermindern und vermeiden. In keinem Falle sind derartige Schattenseiten des Culturzustandes erheblich genug, um äber seine Lichtpar— nen Zweifel zu erwecken. Die durch den Reichthum des geselligen Zusam— menwirkens erhöhte innere Regsamkeit, die vielfachen, durch die Kunstgegen— stände veranlassten, die Sinnesorgane treffenden und sie belebenden Impulse, die zahllosen durch Lectüre, Unterricht, Beispiel bewnsst und unbewusst empfangenen Eindrücke, Kenntnisse und Ansichten erregen auch die körper- lichen Verrichtungen, verleihen ihnen Schwung und Energie. Vermöge der Unterstützung der entwickelten intellectuellen Fähigkeiten, der erworbenen Cha- rakterkraft und religiösen Ergebung wird der Mensch fähig, nachtheiligen An- 46 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX griffen von Aussen beharrlich Widerstand zu leisten. Einsicht und morali- sches Gleichgewicht bewähren sich als die geeigneisten Mittel zur Erwerbung einer elastischen Fügsamkeit und Nachgiebigkeit gegen die schwersten körper- lichen Leiden. Der noch so robuste Zögling der Natur, welcher bei bedeuten- dem Krankseyn der Unterstützung aller höheren Hülfsmittel ermangelt, unter- liegt in der Regel demselben Uebel weit früher, als der zarte und schwäch- liche Sohn der gebildeten Stände, dem aus jeder Leistung der Wissenschaft und Kunst, aus geistiger Mittheilung durch Bücher, durch Umgang und Ge- spräch immer frische Lebensquellen zuströmen. Zë Die Berichte der Reisenden, welche längere Zeit unter wilden Völker- schaften sich aufhielten, lauten über deren Gesundheitsbeschaffenheit sehr ver- schieden. Während einige nur von wenigen, dort vorkommenden Krankhei- _ ten reden, behaupten andere, die hauptsächlichsten unserer Uebel daselbst beobachtet zu haben. Aber wenn die Reisenden nur wenige Krankheiten finden, ist damit bewiesen, dass diese wirklich Seltenheiten sind? Liegt nicht vielmehr der Grund in der Inhumanität der Bewohner, welche durch die Noth geboten und durch die Gewohnheit sanctionirt wird, so wie in der Unvoll- kommenheit einer angemessenen Kunsthülfe? Gerade die Krankheiten, welche am meisten in die Augen fallen, die langwierigen, schleichenden, den Körper allmälig verzehrenden, gegen welche bei uns die Kunst mit Macht ankämpft, ihnen nur schrittweise nachgiebt, oder sie endlich ganz besiegt, fallen dort meistens weg, weil, so wie sich die ersten Symptome einstellen , die Kiahken aus Versäumniss oder Vernachlässigung schnell hingerafft werden. Bekanntlich heilen die Beinbrüche an den Füssen der Thiere, wegen Mangels einer ruhigen Lage, nicht leicht vollkommen; das Thier kann nicht hingelegt werden, es steht meistens. Der Eigenthümer will die Mühe und Kosten der noch problematischen völligen Wiederherstellung nicht anwenden, und das Thier wird aus dem Wege geräumt. Ist damit bewiesen, dass bei den Thieren Beinbrüche selten sind? : 5 Stämme und Völkerschaften, welche gegen Feinde sich zu vertheidigen und für ihre Lebensbedürfnisse sich vielfach zu bemühen haben, können auf die ehronisch Kranken nicht die erforderliche Sorgfalt verwenden. Die blosse Gutmüthigkeit wird bald erschöpft; der Selbsterhaltungstrieb überwältigt auf ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 47 die Dauer selbst die natürlichen Empfindungen der nächsten Verwandtschaft, und in stumpfer Gleichgültigkeit überlässt man das Opfer seinem Untergange. In einem Gemeinwesen, wo Jeder, der Nahrung will, auch Speise suchen oder verdienen muss, kann auf die Geisteskranken, die bei keiner Arbeit zu- greifen und für jedes Unternehmen nur als Hemmnisse erscheinen, unmöglich grosse Rücksicht genommen werden. Geisteskranke sind Scheinleichen, deren Wiederbelebung nur bei anhaltender persönlicher Aufopferung gelingt. Wenn sie also ihrem Schicksale und allen Entbehrungen preisgegeben bald erliegen, so werden sie natürlich seltener angetroffen werden, als da, wo man zu ihrer Erhaltung und Pflege Alles aufbietet. Schwerlich also möchte ein Volksleben, welches dem sogenannten Urzu- stande des Menschengeschlechtes nahe kommt, als ein beneidenswerthes ange- sehen werden dürfen, und wenn alte Dichter die Meinung äussern, die ersten Menschen hätten keine Krankheit gekannt 1), so ist das eben so zu verstehen, als wenn behauptet wird, dass vor dem Sündenfall die Erde ohne Giftpflan- zen, die Rose ohne Dornen gewesen wäre 2). Aus viel tieferer Anschauung der Wahrheit lässt ein anderer Dichter des Alterthums 3) unter den Wohlthaten, welche Prometheus den ersten Men- schen ausser der Gabe des leuchtenden und wärmenden Feuers gebracht, ihn Folgendes rühmen: Das Grösste war's, dass wenn sie Krankheit niederwart, Kein Mittel da war, keine Salbe, kein Getränk, Kein Prod der Heilung, sondern aller Kräſtigung Ermangelud sie verkamen, bis sie dann von mir Gelernt die Mischung segensreicher Arzenei. 1) Z. B. Hesiod (Opera et dies. v. 90): Dol, uiv yao Lusorov ini zëen ei ardgunwr Nooyıv dre Te zuxöv, xal Cep yalenoio nóroto, Novo T apyaltor uřt ardgaoı yous Zdusen, (Denn es lebten vordem auf Erden die Stämme der Menschen Frei von Uebeln und frei von harter Mühsal und jeder Argen Krankheit, die schnell den Menschen das Alter herbeiführt.) 2) Ettmüller in Ephem, Nat. Cur. Cent. 7 et 8. App. e 209. 3) Aeschylus im gefesselten Prometheus v. 475—81. 48 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Um indessen die rechte Bedeutung der Civilisation für das physische Wohl der Menschheit in das gehörige Licht zu stellen, reicht es nicht hin zu zeigen, dass die Zunahme der Krankheiten in ihr und durch sie in gewisser Hinsicht eine scheinbare sey; nein, man kann eben so gut zugeben und dar- thun, dass eine grosse von ihr gerade bedingte Zahl von Krankheitsursachen vorhanden sey, die zwar nothwendig an sie geknüpft sind, welche aber wieder durch sie gemildert, neutralisirt, aufgehoben werden können. So erzählt die Griechische Fabel von einer Lanze, deren Spitze verwundete und deren Schaft durch Berührung die geschlagene Wunde zu heilen vermochte 1). Eine dieser Ursachen, die vielleicht nicht sofort als solche erkannt eis, aber nichtsdestoweniger dafür gelten muss, beruht in der bemerkenswerthen Thatsache, dass die Bevölkerung der Länder fortwährend im Zunehmen be- griffen ist, die Sterblichkeit der Menschen selbst aber abnimmt 2). 11) Die Lanze des Achill gab zu dem Orakelspruch und dem Sprüchworte die Ver- anlassung: ô towoeg igoeteı. Man vergl. O. Jahn Bien == und Troilos. Kiel. 1841. 8. S. 6. 23. 2) Gilbert Blane (Select Dissertations on several subjects of medical Science. London. 1822. S. p. 177) bemerkte im J. 1822, dass die Bevölkerung von England um das 7fache gegen das 11te bis 14te Jahrhundert, um das 3fache gegen das Ende des 16ten zugenommen, dass sie sich mehr als verdoppelt habe seit dem letzten Kriege des 17ten Jahrhunderts und fast verdoppelt in den letzten 70 Jahren. Die Mortalität daselbst war nach Hawkins (Elements of medical Statistics. London. 1829. 8. p. 16. Cf. p. 18) 1780 wie 1: 40, 1821 wie 1: 58, also in 40 Jahren beinahe um ½ geringer. Im J. 1697 betrug die Zahl der Gestorbenen in London 21,000 und im J. 1797, trotz der bedeutenden Zunahme der Bevölkerung, nur 17,000. Ein ähnliches Verhältniss zeigt sich auch in andern Ländern, von denen ge- naue statistische Tabellen vorliegen. So hat sich z. B. in Stuttgart, nach den im J. 1834 bekannt gemachten Uebersichten (Stimmel über die Bevölkerung u.s, w. von Stuttgart. Inaug. Diss. Tübingen. 1834. 8. S. 5. 6. 24), die Bevölkerung seit den letzten 200 Jahren um das Afache vermehrt. Die Zahl der Gebornen über- steigt seit lange die der Gestorbenen um ein Bedeutendes. In den letzten 22 Jahren war dieses in noch höherem Grade der Fall als früher. In den letzten Jahren starb im Mittel 1 von 148; in den frükeren vierzig Jahren (1772—1811) 1 von 157. 7 ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 49 Dadurch dass das jetzige Geschlecht länger lebt, als die vorangegange- nen Geschlechter 1), und die gefährliche Epoche der Kindheit und ersten Ju- gend glücklicher als sonst zurückgelegt wird, ist für das Erkranken über- haupt und für das der späteren Lebensalter ein grösserer Spielraum gegeben 2). Eine kaum vermeidliche Folge der steigenden Cultur, der Verbesserung der mechanischen Hülfskräfte, des Fabrikwesens ist die sich vergrössernde Masse der besitzlosen Arbeiter, wodurch die Kluft zwischen behaglichem Wohlstande und rathloser Dürftigkeit nur um so greller hervortritt. Sollte nun der Pauperismus der arbeitenden Klassen, wogegen die Saint- Simonisten, Fourieristen, Socialisten, Communisten vergebens nach Abhülfe sich umsehen, nicht eine fast unversiegbare Krankheitsursache liefern? Sollte der Genuss des Branntweins, der erst im Anfange des 16. Jahrhunderts Volksgetränk wurde, nachdem er sonst zu den Arzneien gehörte, und der so häufig gemissbraucht wird, nicht schon für sich allein die Zahl der Erkrankenden gegen frühere Zeiten ungünslig stellen? So sehr dieses bejaht werden muss, so unbestreit- bar lässt sich auch darthun, dass neben diesen unvermeidlichen Ausflüssen eines ausgebildeten Culturzustandes auch in gleichem Maasse die Mittel sich ent- wickeln und vervielfältigen, ihnen zu begegnen und sie in ein beschränktes Bette zu leiten. 5 Eine Quelle krankmachender Potenzen scheint in der Entwicklung des menschlichen Geistes selbst zu liegen. Je vielfacher und gewaltsamer diese in Anspruch genommen wird, desto mehr häufen sich die Veranlassungen zur 1) Cas per die wahrscheinliche Lebensdauer des Menschen. Berlin. 1835. 8. S. 127. Auch in dessen Vorlesung über die wahrscheinliche Lebensdauer. Berlin. 1843. 8. 31. Hier heisst es: Was Berlin betrifft, so vermögen wir genaue Sterbe- listen aus einem fast 100 jährigen Zeitraume mit einander zu vergleichen und es ergiebt sich hieraus, dass jetzt 48 von Tausend weniger in den Kinder- jahren bei uns sterben als noch vor 80 Jahren, dagegen 27 von 1000 Menschen mehr als damals in die höchsten Lebensalter gelangen. 2) In Stuttgart z. B. erreichen gegenwärtig von 1000 lebendig Gebornen 47 mehr als früher das 15te Jahr (Stemmler über die Aenderungen in den Gesetzen der Sterblichkeit durch Einführung der Kuhpocken. Inaug. Diss. Tübingen. 1827. 8. 8. 12.). Phys. Classe. II. . u Mo. Bot. Garden. Any 14501. 50 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX krankhaften Verstimmung der höheren Organisation 1). Als Beleg dazu könnte man auch anführen, dass überall die Aufnahmshäuser für solche Unglück- liche, die an Narrheit, fixen Ideen, Raserei leiden, vermehrt oder ver— grössert werden. | Hiermit scheint eine Bemerkung des Stagiriten 2) übereinzustimmen, dass Männer, die durch Talent sich auszeichnen, oder durch Philosophie, oder durch Regierungskunst, Poesie und andere Künste, zur Melancholie geneigt seyen ; so wie nicht minder ein Ausspruch eines neueren Belgischen Statisti- kers 3), dass im Alter von 40 und 50 Jahren, wo doch die gediegensten Werke menschlicher Geisteskraft geschaffen werden, der Mensch dem Irrseyn am häufigsten unterliege. Ein genaueres Eingehen jedoch in diese Verhältnisse lehrt, wie unsicher und einseitig solche Annahmen und wie sehr sie dem Irrthume ausgesetzt sind. Auch auf die Bedeutung der Worte kommt hier viel an. Wenn die Alten einen melancholisch nennen, so ist damit 80 wenig wie in unserem Sprachgebrauche immer die wirkliche Krankheit gemeint, sondern die ernste Zurückgezogenheit in sich selber, zuweilen auch das Getriebenwerden von einer höheren, mächtigen Gewalt. Das Genie, die in irgend einer Richtung ausgezeichnete Geisteskraft wird äusserst selten in sich zum Widerspruche 1) Selbst Esquirol, dem in dieser Angelegenheit gewiss eine Stimme zusteht, sagt (aus den Annales d'Hygiène publ. Dec. 1830. bei Quetelet über den Men- schen. Deutsch von Riecke. Stuttgart. 1838. 8. S. 425), dass die Fortschritte der Civilisation die Häufigkeit des Irrseyns steigern. Der Blödsinn hänge vom Bo- den und von materiellen Einflüssen ab, allein die Narrheit stehe in geradem Verhältnisse zur Civilisation; sie sey ein Erzeugniss der gesellschaftlichen Ver- hältnisse, der intellectuellen und moralischen Einflüsse. — In der Abhandlung, worin er die Frage behandelt, ob vor 40 Jahren mehr Geisteskranke vorgekom- men seyen (Mémoires de PAcadémie roy. de Medecine. 1828. 4. T. 1. p. 32), äussert er sich dahin, dass die Zunahme nur scheinbar sey. Das Interesse für diese Kranken sey grösser als sonst. Arme simulirten öfters Geisteskrankheit und Individuen, welche in der Trunkenheit die öffentliche Ruhe störten, wür- den nicht selten in die psychischen Anstalten gesandt. 2) Aristoteles Problem. XXX. p. 953. 10. ed. Bekker. Vol. II. Berol. 1831. 4. 3) Quetelet a. a. O. S. 649, ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 51 und von Krankheit befallen; geschieht es aber, so wird der Fall so unzählige Male erwähnt, dass er gewissermaassen durch die Erzählung wächst. Ein Mensch, der über seine Zeitgenossen durch Handlungen oder son- stige Äusserungen hinaus ragt, wird gewöhnlich für excentrisch oder gar für einen Narren gehalten. Bei historischen Angaben müsste man auch die Ge- schichte immer um das Einzelne fragen können. Wenn von dem Dichter des befreiten Jerusalem erzählt wird, dass er geisteskrank geworden, so wäre zu untersuchen, ob er es wirklich war, und dann, was ihn dahin gebracht? Ä Reichbegabte-B Naturen können eben so gut wie stumpfsinnige in psychi- sche Krankheiten verfallen; aber bei jenen wird es als ein Ereigniss ängese- hen, bei diesen als etwas Gewöhnliches. Die Ausbildung aller oder einzelner geistiger Panig als Grund ihrer Störung oder Zerstörung ansehen zu wollen, ist sicherlich ein sehr übereil- tes Beginnen. Nicht Bildung, halbe Bildung führt ins Irrenhaus ). Je zahl- reicher und je besser die Unterrichtsanstalten in einem Lande sind, desto ge- ringer ist die Zahl der Verrückten 2). Je mehr alle Kräfte in Anspruch ge- nommen werden, desto erfolgreicher werden die Unvollkommenheiten besei- tigt. Die Unthätigkeit verursacht häufiger Störungen als die Thätigkeit 3). Wie. selten werden Gelehrte, d. h. solche, die mit Ruhe und Maass arbeiten, geisteskrank 4)! Nicht die Anstrengungen der Seelenkräfte und die eifrigen Bemühungen um die edelsten Zwecke des Daseyns verwir- ren die höheren Sinne, sondern Leidenschaften und die Wechselfälle des Glückes, wogegen gerade die Erhebung des Geistes die zuverlässigste Hülfe gewährt. Wenn daher neulich von geachteter Seite 5) versichert wurde, dass 1) L. S. Riecke Beiträge zur med. Topographie Würtembergs. Tübingen. 1833. 4. 8.18. Fuchs Medic. Statistik der Irrenhäuser und des Irrseyns. In Frie- aàreich's Neuem Magazin für Seelenkunde. H. 3. * 1833. S. 131. 2) Fuchs a. a. O. S. 88. 3) Nach Louis Raybaud bei Quetelet a. a. O. S. 452. 4) Fuchs a. a. O. S. 114. 5) Bernoulli Populationistik. Ulm. 1841. S. S. 313. — Schon Diez (der Selbst- mord. Tübingen. 1838. 8. 8. 78) macht darauf aufmerksam, dass die Behaup- G2 52 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX mit den Fortschritten der sogenannten Civilisation der Selbstmord häufiger werde, so ist nur die so genannte zu beschuldigen, nicht die echte. Diese führt frühe zur Erkenntniss, dass die Bestimmung des Lebens nicht bloss ir- discher Genuss sey, und dass jede sehwere Heimsuchung mit Muth ertragen werden müsse. Da sogar von Gemüthskrankheiten der Thiere geredet wird und in der neueren Zeit, der reichlichen Beobachtungen wegen, eine vergleichende Thier- psychiatrie erschienen ist!), so möchte Mancher verleitet werden, die schein- bare Zunahme solcher Zufälle gleichfalls in der Civilisation aufzusuchen. Aber diese hat gewiss keinen Zusammenhang damit, da sie eher darauf hinarbei- tet, die unnützen Quälereien der Thiere zu vermindern und durch Steigerung der rein mechanischen Kräfte die der Thiere weniger in Gebrauch zu nehmen. Ob in Folge der zunehmenden Cultur die Zahl der Geisteskranken ge- gen ältere Zeiten wirklich im Steigen sey, ist nicht zu ermitteln, da früher keine oder nur unvollständige numerische Angaben existirten. Selbst die neue- sten Listen aus Irrenhäusern sind nicht ganz zuverlässig. So wenig sonst die Hofnarren zu den eigentlichen Narren gehörten, so wenig gehören jetzt alle an- geblichen Wahnsinnigen zu dieser Abtheilung. Oxford, der auf die Königin von England geschossen und nun in Bedlam verwahrt wird, ist nicht geisteskrank. Früher verbarg man solche Unglückliche in den Wohnungen, theils um von der Familiencalamität nicht viel reden zu machen, theils um jede Con- trole zu vermeiden; jetzt werden sie in der Regel in die dafür bestimmten Institute abgegeben. Diese dienten sonst zur Bewahrung, jetzt dienen sie zur Heilung. Sonst wurden sie bei dringender Gefahr gegen das Ende der Krank- heit aufgesucht, jetzt im Anfange 2). Schon dadurch werden aber grössere Räume, neue Gebäude nothwendig, und zwar um so mehr, als der Wahn- tung von Charles Dupin: “mit zunehmender Cultur eines Volkes vermindere sich die Zahl der Mordthaten ebenso schnell als die der Selbstmorde sich vermehre” nicht unbedingt richtig sey. 1) Pierguin Traité de la folie des Animaux, de ses rapports avec celle de Phomme et les législations actuelles. T. I et II. Paris. 1839. 8. 2) Mehr als 3 aller Heilungen erfolgen im ersten Jahr. Vergl. Fuchs a. a. O. 8. 132. ` ` ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME.D. CIVILISAT. 53 sinnige, bloss als Object der Heilkunst angesehen, in abgesonderten Zellen oder in weiten Sälen der Wiederherstellung entgegen geführt wird. So wenig nun im Allgemeinen die Civilisation als Pflanzschule der Gei- steskrankheit gelten darf, so sehr ergiebt sie sich in der Behandlung dersel- ben als Beförderin der reinsten Humanität. Schöner als in vielen der jetzt bestehenden Irrenanstalten haben Mitgefühl und aufopfernde Selbstvergessen- heit nie ihre Blüthen entfaltet. Je weiter man in der Erkenntniss dieser Art von Krankheiten gelangt, desto mehr Formen derselben werden unterschieden. Daraus folgt aber nicht, dass sie nicht früher. auch schon vorhanden gewesen. Im Gegentheile, manche Ausbrüche von Geistesverdumpfung, die aus früheren Zeiten berichtet wer- den, sind jetzt verschwunden oder verschwinden immer mehr. Eine Art des Irrseyns, nämlich die Lykanthropie, hat aufgehört. Im dritten und vierten Jahrhunderte sind solche Kranke, welche gleich den Wölfen umherschwei- fend des Nachts an einsamen Orten und auf Gräbern heulten, in mehreren Ländern in nicht geringer Menge vorgekommen 1). Den angeborenen Blödsinn, welcher bisher jeder Verbesserung sich zu entziehen schien, nämlich den Cretinismus, bemüht man sich in unseren Ta- gen durch eine erfolgreiche Vereinigung von ärztlicher Kunst und menschen- freundlicher Mithülfe zu mindern und zu heilen. Die Thiere nannte man die Stummen der Erde, gleichsam aus Bedauern, dass das Organ der Mittheilung ihnen nicht vergönnt sey. Um die unglück- lichsten Menschen, denen die Natur in früher Kindheit den Sinn des Gehöres verweigert und somit die Fähigkeit, die Sprachwerkzeuge zu entwickeln und zu gebrauchen, vorenthalten hat, kümmerte man sich erst in der neuesten Zeit. Menschenfreunde und Pädagogen verbanden sich mit Ärzten, um den Bedin- gungen der Entstehung der Taubstummheit nach Localität und Individualität nachzuforschen, und um deren Lage so erträglich als möglich zu ge- stalten. Sonst waren die Taubstummen eine grosse Last der menschlichen Gesellschaft 2). Abgesehen von den wenigen, die durch glückliche Um- 1) K. Sprengel’s Gesch. der Medicin. 3te Aufl. B. 2. S. 243. 2) Die Zahl ist grösser, als man glaubt. So fanden sich in Würtemberg unter 54 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX stände sich zu einer Art von moralischer und bürgerlicher Selbständigkeit her- aufbildeten, blieb die überwiegende Zahl der übrigen, wenn sie ihrer eige- nen Unfähigkeit und der Rohheit oder Ungeschicklichkeit ihrer Umgebung überlassen waren, in einem Zustande von sittlicher und physischer Erniedri- gung, der sie nicht nur zum Gegenstande des Mitleids, sondern auch der Besorgniss machte. Wie anders jetzt, wo sie in öffentlichen Anstalten erzo- gen und gebildet werden; wo ihnen durch den Unterricht im Lesen und Schreiben das Verständuiss und der Verkehr mit der übrigen Welt geöffnet und den verschlossenen unbehülflichen Organen ein Ersatz des Hörens und Sprechens gewährt wird! Mögen die Ursachen dieses abnormen Zustandes beruhen, worin sie wollen 1); sicher ist, dass die Civilisation daran keinen Theil hat, wohl aber, dass von ihr die einzige Erleichterung desselben ausgeht. , | Dasselbe gilt von allen den Heilanstalten für Blinde, Verwachsene, Ver- krüppelte, wo die zunehmende Einsicht und Erfahrung Leiden, die früher auch bestanden, aber nur zur Last und Sorge der Einzelnen wie des Ge- sammtwesens, zu tilgen und zu lindern lehrt. ; Wie nun zur Abhülfe, so wird auch zur Verhütung der körperlichen Beschwerden durch alle Mittel, welche der menschlichen Gesellschaft zu Ge- bote stehen, so systematisch verfahren, dass es wahrlich nicht an der Gei. lisation liegt, wenn die Urkeime der Krankheiten immer neu wuchern. Die Nachweisung im Einzelnen lässt sich Schritt vor Schritt geben; doch würde sie hier zu weit führen, da zugleich eine genaue Analyse der humanen Zustände und ihrer Ausserungen zur Selbsterhaltung erforderlich wäre. Indessen dürſte schon die Anführung einiger der wesentlichsten, durch die fortschreitende Civilisation in Bewegung geselzten Hülfsanstrengungen ge- gen die Krankheiten genügen, um die Ueberzeugung -zu verschaffen, wie die Abnahme derselben nicht zufälligen epidemischen Einflüssen oder einem pe- den schulpflichtigen Kindern 340 Taubstumme. (Riedle Beitr. zur med. Sta- tistik Würtembergs. Tübingen. 1834. 8. S. 21. 1) Nach Riedle a. a. O. S. 33. haben die an Gyps und salzhaltigen Ouellwassern reichen Gegenden, wo die Kröpfe angetroffen werden, am meisten Taubstumme. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 55 riodischen Cyclus zuzuschreiben sey, sondern den Anstrengungen des Men- schengeistes, und wie ohne Unterlass ein Bestreben sich kund giebt, die Be- dingungen der Krankheiten zu beschränken, aufzuheben und ihnen ihren Bo- den streitig zu machen. | iiss Fassen wir die ersten Stufen ins Auge, in welchen das Individuum sich entwickelt, so finden wir jenen Ausspruch 1) gerechtfertigt, dass jedes neue Jahrhundert, jeder Fortschritt auf dem Wege einer erleuchteten Religion be- zeichnet sey durch eine zunehmende Aufmerksamkeit auf die physische Be- handlung der Kinder und durch eine Verminderung ihrer Sterblichkeit. Diese Sorgfalt beginnt schon, ehe sie und so wie sie das Licht der Welt erblicken. Weit mehr als früher wird das angemessene Verhältniss zwischen der Natur- und Kunstanzeige bei der Entbindung gewürdigt und durch eine zuverlässige, zeilige Hülfe das oft gefährdete Leben des Kindes wie der Mutter erhalten. Im Nothfalle wird für eine gesunde Amme Sorge getragen 2), oder das Auf- füttern auf die förderlichste Weise vorgenommen. Zur Verhütung des absichtlichen 5) oder aus mangelnder Einsicht 4) veran- lassten Kindermordes geschieht viel. Elıernlose oder verlassene Kinder sucht man auf dem Lande bei Kosthaltern unterzubringen, nicht bloss um den Auf- enthalt in Findelhäusern zu vermeiden, sondern weil überhaupt im ersten Le- bensjahre die Sterblichkeit der Kinder in Städten grösser ist, als auf dem Lande 5). 1) Von Hawkins a. a. O. p. 126. 2) Über den Nutzen der Ammencomptoirs als Centralpunkt für die Nachfrage nach Ammen, sowie für die Anmeldung der sich zu diesem Dienste bestimmenden Per- sonen, welche nach genauer Untersuchung als empfehlenswerth erfunden wor- den, s. Frohbeen über die Ursache der grossen Sterblichkeit der Kinder in ihrem ersten Lebensjahre. Dorpat. 1837. 8. $. 73. - , 3) Nach Bernoulli’s neueren Ergebnissen der Bevöfkerungsstatistik. Ulm. 1843, S. 73 scheinen von den ausgesetzten Kindern durch die Findelhäuser 3 einem frühen Tode zu entgehen. 4) Aus eigener Beobachtung sagte Erdmann (Beitr. zur Kenntniss des Innern von Russland. Th. 1. Riga. S. 146) im J. 1822 über die verkehrte physische Erzie- hung im Gouvernement Kasan: “Kräftige Säuglinge fallen als Opfer der Unwis- senheit und viele Mütter werden unbewusst zu Mörderinnen ihrer Kinder”. 5) Quetelet a. a O. 8.155. 54 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX stände sich zu einer Art von moralischer und bürgerlicher Selbständigkeit her- aufbildeten, blieb die überwiegende Zahl der übrigen, wenn sie ihrer eige- nen Unfähigkeit und der Rohheit oder Ungeschicklichkeit ihrer Umgebung überlassen waren, in einem Zustande von sittlicher und physischer Erniedri- gung, der sie nicht nur zum Gegenstande des Mitleids, sondern auch der Besorgniss machte. Wie auders jetat, wo sie in öffentlichen Anstalten erzo- gen und gebildet werden; wo ihnen durch den Unterricht im Lesen und Schreiben das Verständuiss und der Verkehr mit der übrigen Welt geöffnet und den verschlossenen unbehülflichen Organen ein Ersatz des Hörens und Sprechens gewährt wird! Mögen die Ursachen dieses abnormen Zustandes beruhen, worin sie wollen 1); sicher ist, dass die Civilisation daran keinen Theil hat, wohl aber, dass von ihr die einzige Erleichterung desselben ausgeht. e e a Dasselbe gilt von allen den Heilanstalten für Blinde, Verwachsene, Ver- krüppelte, wo die zunehmende Einsicht und Erfahrung Leiden, die früher auch bestanden, aber nur zur Last und Sorge der Einzelnen wie des Ge- sammtwesens, zu tilgen und zu lindern lehrt. ? Wie nun zur Abhülfe, so wird auch zur Verhütung der körperlichen Beschwerden durch alle Mittel, welche der menschlichen Gesellschaft zu Ge- bote stehen, so systematisch verfahren, dass es wahrlich nicht an der Civi- lisation liegt, wenn die Urkeime der Krankheiten immer neu wuchern. Die Nachweisung im Einzelnen lässt sich Schritt vor Schritt geben; doch würde sie hier zu weit führen , da zugleich eine genaue Analyse der humanen Zustände und ihrer Äusserungen zur Selbsterhaltung erforderlich wäre. Indessen dürfte schon die Anführung einiger der wesentlichsten, durch die fortschreitende Civilisation in Bewegung gesetzten Hülfsanstrengungen ge- gen die Krankheiten genügen, um die Ueberzeugung zu verschaffen, wie die Abnahme derselben nicht zufälligen epidemischen Einflüssen oder einem pe- den schulpflichtigen Kindern 340 Taubstumme. (Riedle Beitr. zur med. Sta- tistik Würtembergs. Tübingen. 1834. 8. S. 21. 1) Nach Riedle a. a. O. S. 33. haben die an Gyps und salzhaltigen Ouellwassern reichen Gegenden, wo die Kröpfe angetroffen werden, am meisten Taubstumme. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 55 riodischen Cyelus zuzuschreiben sey, sondern den Anstrengungen des Men— schengeistes, und wie ohne Unterlass ein Bestreben sich kund giebt, die Be- dingungen der Krankheiten zu beschränken, aufzuheben und ihnen ihren Bo— den streitig zu machen. "re Fassen wir die ersten Stufen ins Auge, in welchen das Individuum sich entwickelt, so finden wir jenen Ausspruch 1) gerechtfertigt, dass jedes neue Jahrhundert, jeder Fortschritt auf dem Wege einer erleuchteten Religion be- zeichnet sey durch eine zunehmende Aufmerksamkeit auf die physische Be- handlung der Kinder und durch eine Verminderung ihrer Sterblichkeit. Diese Sorgfalt beginnt schon, ehe sie und so wie sie das Licht der Wel erblicken. Weit mehr als früher wird das angemessene Verhältniss zwischen der Natur- und Kunstanzeige bei der Entbindung gewürdigt und durch eine zuverlässige, zeitige Hülfe das oft gefährdete Leben des Kindes wie der Mutter erhalten. Im Nothfalle wird für eine gesunde Amme Sorge getragen 2), oder das Auf- fültern auf die förderlichste Weise vorgenommen. Zur Verhütung des absichtlichen 5) oder aus mangelnder Einsicht #) veran- lassten Kindermordes geschieht viel. Elıerulose oder verlassene Kinder sucht man auf dem Lande bei Kosthaltern unterzubringen, nicht bloss um den Auf- enthalt in Findelhäusern zu vermeiden, sondern weil überhaupt im ersten Le- bensjahre die Sterblichkeit der Kinder in Städten grösser ist, als auf dem Lande 5). 1) Von Hawkins a. a. O. p. 126. 2) Über den Nutzen der Ammencomptoirs als Centralpunkt für die Nachfrage nach Ammen, sowie für die Anmeldung der sich zu diesem Dienste bestimmenden Per- sonen, welche nach genauer Untersuchung als empfehlenswerth erfunden wor- den, s. Frohbeen über die Ursache der grossen Sterblichkeit der Kinder in ihrem ersten Lebensjahre. Dorpat. 1837. 8. f. 73. i 3) Nach Bernoullis neueren Ergebnissen der Bevöfkerungsstatistik. Ulm. 1843, S. 73 scheinen von den ausgesetzten Kindern durch die Findelhäuser 3 einem frühen Tode zu entgehen. 4) Aus eigener Beobachtung sagte Erdmann (Beitr. zur Kenntniss des Innern von Russland. Th. 1. Riga. S. 146) im J. 1822 über die verkehrte physische Erzie- hung im Gouvernement Kasan: Kräftige Säuglinge fallen als Opfer der Unwis- e senheit und viele Mütter werden unbewusst zu Mörderinnen ihrer Kinder”. 5) Quetelet a. a. O. S. 155. 56 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Bei der Erziehung wird sorgfältiger als sonst eben so die Entwickelung der körperlichen wie der geistigen Anlagen berücksichtigt und im Falle eines vererbten Übels dahin gesehen, dass diesem die Elemente seines Wachsthu— mes durch eine umsichtige Lebensweise entzogen werden. Den verderblichen unsitilichen Vornehmungen sucht man durch Aufsicht und vorsichtige Mah- nung entgegen zu wirken ). Die Kleidungsart ist zweckmässiger als sonst; solche Anzüge, welche durch Druck die freie Thätigkeit der Organe hemmen, kommen immer mehr ausser Gebrauch ; mit den verminderten oder angemessener eingerichteten Schnür- brüsten hat manches Leiden aufgehört. Dasselbe gilt vom kurz und reinlich - gehaltenen Haupthaar. Das Zahnen wird mit deswegen unter den Kinder- krankheiten wenig mehr aufgeführt 2), weil die zu warmen Kopfbedeckungen vermieden werden. Immer mehr nimmt die Überzeugung von der Nothwendigkeit diäteti- scher und gymnastischer Stärkung des Körpers sowohl für die Jugend als auch für das vorgerückte Alter überhand. Die Mittel dazu, welche sonst nur im Besitze einzelner Stände oder besonders begünstigter Völkerstämme waren, werden nach und nach zum Gemeingute der Nationen. Bei dem wichtigen Einflusse, den das Hautorgan auf die bedeutendsten Verrichtungen des Organismus ausübt, trug die zur Sitte gewordene Rein- lichkeit zur Erhaltung der Gesundheit viel bei. Sie wurde erleichtert durch den allgemeinen Gebrauch der Seife 3). Reinlichkeit wird, nicht ohne Grund *), mit zu den köstlichsten Geschenken der Civilisation gezählt. 1) L. W. Sachs (über Wissen und Gewissen. Berlin. 1826. 8. S. 65) sagt: “Es wäre nicht schwer durch eine ärztliche - statistische Berechnung zu erweisen, dass wohl der fünfte Theil aller in der gebildeten Welt, namentlich in grossen Städten, sterbender Erwachsenen als directe oder indirecte Opfer der geschlecht- lichen Ausschweifungen fallen”. Allein sein Eifer für die gute Sache liess ihn das Verhältniss zu gross annehmen. 2) Süssmilch bemerkt Th. 2. Cap. 24. f. 520: “Unter 20 Todten ist allezeit ein Kind, so an den Zähnen gestorben”. 3) Diese wurde in London erst im J. 1554 fabricirt; bis dahin war sie Einfuhr- artikel: Gilbert Blane in seinen Dissertt p. 126. 4) Gilbert Blane ebend. p. 136. + ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 57 Mit der steigenden Einsicht in die Bedingungen der allgemeinen Wohl- fahrt haben die Anstrengungen, jene zu behaupten und durchzuführen, glei- chen Schritt gehalten. Das bedeutsame Wort: “was die Gesundheit erhält, er- hält die Gesellschaft” 1) findet immer mehr seine Erfüllung. Fast überall wird dahin gesehen, durch breite Strassen, Abzugscanäle, Entfernung der Begräb- nissplätze von den Wohnungen der Menschen die Luft rein und geruchlos zu bewahren. Da der Landfriede gesichert ist, so können die hohen Stadt- mauern vor dem freien Luſtzuge zurückweichen und die beengenden Wälle so wie die versumpfenden Schutzgräben in Spaziergänge umgewandelt werden. Die Herbeischaflung guter Nahrungsmittel ist so sehr erleichtert, dass Krankheiten, die sonst über ganze Landstrecken aus Mangel an denselben sich verbreiteten, nun fast unerhört sind. Durch wissenschaftliche Verbesserung des Landbaues werden fast alle Bodenarten nutzbar und der Ertrag der Felder reich- licher gemacht. Der Anbau der Kartoffeln und der Obstarten reicht bei- nahe allein hin, Übertheuerung und Noth zu verhüten. Verfälschung der Nahrungsmittel, eine der Gesundheit nachtheilige Gla- sur, mangelhafte Verzinnung der Kochgeschirre oder sonstiger zum häuslichen Gebrauche dienender Gefässe, werden durch Beaufsichtigung und, wo nöthig, durch Bestrafung mehr und mehr zur Seltenheit. Zufällige Vergiftungen neh- men immer mehr ab, denn die Giftpflanzen werden ausgerottet und ihre Kenn- zeichen in den Schulen und populären Schriften gelehrt. Der Giftverkauf wird streng controlirt; den Olitätenkrämern ist das Handwerk gelegt. Er- eignet sich eine Vergiftung, so sind durch Versuche und Erfahrungen ge- wonnene bewährte Gegengifte vorhanden. Bei der hohen Ausbildung der chemischen Kunst ist die Ermittelung eines in den Körper gebrachten Giftes eine so leichte und sichere Sache, dass jede absichtliche Vergiftung sehr bald erkannt und somit ihre Wiederholung um so eher verhindert wird Eine eben so thätige als zweckmässige Armenpflege kommt überall mehr in Ausübung. Die damit in. Verbindung stehende Darreichung der er- 1) G. Ensor on population of Nations. London. 1818. 8. p. 175: Whatever pre- serves health, serves society; for sickness, besides its vexation, occasions a loss of property, a loss of time, and often it involves both the property and the time of others. Phys. Classe. II. es ` 58 . CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX forderlichen Erwärmungsmittel 1) in der rauhen Jahrszeit, so wie die Gründung der Speisevereine für arme Reconvalescenten und der Kleinkinder-Bewahranstal- ten tragen vieles zur Erhaltung von Leben und Gesundheit! in den untersten Klas- sen bei. In einem weit grösseren Maassstabe scheint die bier und da versuchte Anlegung von Armen-Colonien eine nachhaltige Verbesserung der menschli- chen Gesellschaft zu versprechen 2), theils durch Befreiung derselben von ei- nem lästigen Überflusse an Bevölkerung, theils durch Zufriedenstellung vieler Tausende von Bedürftigen und durch Urbarmachung von Landesstrecken, die sonst eine stete (Quelle nachtheiliger Ellluvien blieben. Die Einrichtung der Gefängnisse, wodurch sie nicht nur Straf-, sondern auch Besserungsanstalten werden, gewinnt immer ‚mehr an Ausbreitung und somit eine grosse Zahl von Menschen die Erhaltung ihres geistigen und leib- lichen Wohles. Noch sind die Verhandlungen über die Vorzüge oder Nach- theile, welche den verschiedenen Behandlungsmethodent eigen sind, nicht ge- schlossen. Die Zeit wird nicht fern seyn, wo die Menschenfreunde , welche darum ER bemühen, sich darüber einigen werden. Wenn, die Erfahrung, dass das amerikanische Pönitentiarsystem häufig WE Seen zur Folge habe 5), sich bestätigen sollte, so dürfte sie seine weitere Anwendung sehr beschrän- ken müssen. Die im Ganzen N ben 11 Es Ihrige zur Bewahrung der Gesundheit derer, die ihnen verfallen sind, bei. Organische Übel und Ver- 4) Nach Moser in der med. Zeiränp für Preussen. 1835. N. 21. Bei Quetelet a. a. O. S. 180 entspricht die höchste Mortalität der niedrigsten ee und die niedrigste Mortalität der höchsten Temperatur. 2) Demidoff (Voyage dans la Russie meridionale. Paris. 1840. T I. p. 321), der sich davon für die südlichen Provinzen Russlands viel verspricht und überhaupt der Ansicht ist, dass die in Holland versuchten Colonien zur Verbesserung der gesellschaftlichen Zustände (pour la guerison des maladies sociales) das Ihrige - beitragen werden, sagt: Je me persuadais que le pauperisme, la mendicité, Pen- fance abandonnée , pourraient peupler ces solitudes avec un grand profit pour la société, pour la morale publique et pour eux-mêmes. ; 3) In Bernoulli’s Populationistik. S. 82 findet sich die Angabe von Coindet, dass von 329 15 (also 2½) verrückt worden. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 59 stümmelungen in Folge roher Misshandlungen lernt man in chien Staaten beinahe nur durch die Tradition kennen. D SEH Beim Militair weicht me Strenge immer mehr einer mensch- lichen Behandlung. Nicht nur Sorge für Reinlichkeit und gute Nahrung, sondern auch ein en Benehmen vermögen bei dem gemeinen Soldaten Krankheiten zu verhüten, so dass nicht mit Unrecht behauptet wird 1): “ein guter commandirender. Officier habe im Allgemeinen ein gesundes Regiment Der Anlegung und Vervollkommnung der Militär- und Feldhospitäler verdan- ken Tausende die Erhaltung ihres Lebens und ihrer Glieder. | Seitdem auf Schiffen dahin gesehen wird, dass nicht zu viele in engem Raume beisammen sind, dass die Mannschaft am Bord mit einem gehörigen Vorrathe von linnenen Hemden versehen ist, und dass statt des Ballastes, der die Luft verpestet, Fisenmassen oder vielmehr eiserne "Tonnen als Wässerbe- hälter mitgenommen werden, hat die Salubrität erstaunliche Fortschritte ge- macht 2). Die specielle wissenschaflliche Bearbeitung ger 5 der EE und anr so wie Mittel und Wege z zu u ihrer Fotoë aufzufinden 5). Indem hier Arste und Naturforscher zusammen Wirken; bleiben die wohlthätigen Fol- gen nicht aus. Wie viele verdanken nicht dem Ziehofen von d'Arcet oder der Sicherheitslampe von H. Davy den Schutz vor Siechthum und Tod! Vor- : nehmungen, welche früher durch unnatürliche SE ae ) oder ine 1) Von M’ Gregor in seinen ı medical Skeiches. London. 1804. 8. P 95. el. p. 92. 2) G. Blane on the comparative Health of the British Navy, from the y. 1779 to the y. 1814 in dessen Dissertt. p. 10. 11. 13. 14. 3) M. vergl. die Bearbeitung des Werks von Ramazzini durch Patissier. Aus dem Französischen mit Zusätzen von Schlegel. Ilmenau. 1823. 8. — Adelmann über die Krankheiten der Künstler und Handwerker. Würzburg: 1803. — Fuchs über den Einfluss der Gewerbe etc. in Hecker's neuen Annalen. B. 2. 1835. S. 385. 4) Brüche z. B. kommen bei der schwer arbeitenden Volksklasse am häufigsten vor. In Würtemberg zählte man etwa 30,000 Bruchkranke: Riecke Beitr. S. 47. H2 60 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Anstrengung der Kräfte die Gesundheit der Arbeiter aufrieben, werden nun durch Maschinen zu Stande gebracht. Sollte die Annahme sich bestätigen, dass in Fabrikländern die Morta- lität beträchtlicher sey I), als bei Völkern, die vom Ackerbaue leben, so würde sie grösstentheils darin begründet seyn, dass dort die Erwerbsquellen nicht gleich- mässig fliessen und nicht selten auf die Fluth des Genusses die anhaltende Ebbe der Entbehrung folgt. Die immer mehr erkannte Wohlthat der Spar- casseninstitute vermag allmälig auch dieses, Missverhältniss auszugleichen. Auch ist nicht zu übersehen, dass die in vielen Fabriken steis bereite ärztliche Hülfe, die nahrhafte Kost, die luftigen Wohn- und Schlafstätten die Arbeiter ge- sunder erhalten, als diess bei den Landbauern der Fall ist 2). Die Krankenpflege in Hospitälern wie in Privathäusern unterstützt und verbürgt dadurch, dass sie als unerlässliche Bedingungen gehörige Tren- nung 5), Lufterneuerung und Reinlichkeit fordert, einen Theil des Heilver- fahrens. Diesem eben sg förderlich und der allgemeinen Wohlfahrt erspriess- lich als wie zur Gewinnung wissenschaftlicher Resultate nothwendig war die Einrichtung abgesonderter Anstalten für kranke Kinder, für Unheil- bare, für Krätzige, Venerische, Epileptische ete. mit besonderen Abtheilun— gen für die Reconvalescenten, namentlich bei ansteckenden und psychischen Krankheiten. S | Die Rettung der plötzlich Verunglückten und Scheintodten blieb nicht bloss dem theilnahmvollen Gefühle und der Kunsterfahrenheit des Einzelnen überlassen; die öffentliche Aufsicht selbst nahm sich ihrer an. Man setzte Preise für die Rettungen und Preisschriften für die dahin schlagenden besten Abhandlungen; man verbreitete allgemein fasslichen Unterricht zur !Behand- 1) Quetelet a. a. O. S. 213. 2) In der Schrift von Legoyt (la France statistique d’après les documents officiels les plus récents.: Paris. 1843) wird nachgewiesen, dass in den 17 Departements Frankreichs, wo die Industrie den höchsten Stand gegen die 17, wo sie den tiefsten hat, die Gesundheitsverhältnisse weit günstiger seyen. 3) G. Blane verlangt für ein Bett zum wenigsten einen Raum von 600 Kubikfuss in seinen Dissertt. p. 139. | ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 61 lung derselben und es bildeten sich Gesellschaften dafür, die sich ausschliess- lich die “menschlichen” nannten, Die ansteckenden Krankheiten verlieren eben so sehr dadurch ihren Bo- den, dass von Seiten der Behörden Abhaltungsmaassregeln mit Consequenz durchgeführt, als dass die verdächtigen Stoffe gelüftet, gewaschen, erhitzt, selbst verbrannt werden. Die Entdeckung der Chlorpräparate hat ein kräf- tiges Mittel an die Hand gegeben, der Fäulniss und Ansteckung eine Grenze zu setzen. Ein sorgfältigeres Studium der Thierheilkunde lehrte, welche thierische Ansteckungsstoffe auf den Menschen übertragen werden können. Ausser der seit den ältesten Zeiten gekannten Wasserscheu wurden als mittheilbare Übel nachgewiesen 1): der Milzbrand und der damit verwandte Zungenkrebs, der Botz und Wurm, die Pferderäude, die Maul- und Klauenseuche, die Bräune der Schweine, wenn sie in Brand übergeht, und die Hunderäude. Schon die Kenntniss dieses Verhaltens macht auf Vorsicht und die etwaigen Mittel der : Sicherung aufmerksam. Die häufige Musterung der Hunde, die schleunige Entfernung aller verdächtigen, die zu ihrer Verminderung eingeführte Taxe haben zur Folge gehabt, dass oft in Jahren kein Fall von wahrer Wasser- scheu sich ereignet 2). | Zur Ausroltung der endemischen Schädlichkeiten trugen sehr viel die medicinischen Topographien bei. Sie weisen an bestimmten Örtlichkeiten den Einfluss nach, welchen Boden und Umgebung auf die Bewohner ausüben, so wie die Forderungen ; welche die allgemeine Wohlfahrt an ihre mögliche Ver- besserung und Umgestaltung stell. Wo der: Mensch mit seinen friedlichen Künsten, seinen freieren Einsichten sich ausbreitet, verschwinden die Sümpfe, die dichten Wälder und die dadurch mit unterhaltene Feuchtigkeit und Kälte. Aber auch umgekehrt, in dem Grade, in welchem die conmercielle und po- 1) M. vergl. k Levin vergleichende Darstellung der von den Hausthieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten. Berlin. 1839. 8. 2) Nach Cless med. Topographie von Stuttgart. St. 1815. S. 84. ist daselbst in 18 Jahren nur ein Beispiel von wahrer Hundswuth vorgekommen. 62 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX litische Wichtigkeit eines Landes abnimmt, Industrie und Bevölkerung sich vermindern, nimmt die Malaria, namentlich das Sumpfmiasma zu 1). Einen beachtungswerthen Antheil an der grösseren Bewahrung der Ge- sundheit hat die allgemein gewordene wissenschaftliche Besprechung und das Erscheinen guter Volksschriften, wie sie in so vielen Europäischen Ländern, namentlich in England, zur Verbreitung der Einsicht von den tüchtigsten Männern verfasst und um den geringsten Preis verkauft werden. Das An- kämpfen gegen Vorurtheile, gleichviel ob vermittelst mündlicher Vorträge oder öffentlicher Blätter und Schriften, gewinnt mit jedem Siege frischen Boden. Je mehr das Gesundheitswohl durch Missbräuche, die in der Unwissenheit oder im Interesse ihre Wurzeln haben, gefährdet wird, desto rastloser muss die bessere Uberzeugung dagegen sich aussprechen. So lange der Wahn herrschte, dass das Begrabenwerden in Kirchen und Kapellen, unter dem unmittelbaren Schutze der Heiligen und Märtyrer, zur Seligwerdung beitrage, mussten die Gläubigen Gräberdunst einathmen. Es bedurfte einer langen Reihe von Jahren, bis mit den helleren Begriffen auchee eine freiere Luft des Bebens die dumpfigen Städte durchwehte. Dass die Verbrennung der Wittwen kein nothwendiger Beweis 3 : hänglichkeit an ihre verstorbenen Männer Ts taben die Engländer in Indien richtig erkannt und jene deshalb aus eben so hl ünſtigen Gründen verboten. Es gab Zeiten, wo entweder alle oder gewisse . als Strafen oder Bestimmungen der Gottheit, denen man ohne Widerstand sich unter- werfen müsse, angesehen wurden 2). Sie sind längst vorüber, und wenn in manchen Ländern ein solcher Prädestinationsglaube noch gilt, so, wird er sicherlich allmälig dem Lichte der Vernunft weichen. Wie hier aus reli- ` giösen, so hat man lange aus so genannten humanen Gründen der wohlthä- tigsten Hülle widerstrebt, indem man es für unpassend hielt, einen thieri- Es Stoff, die Vaccine, in den Menschenleib zu bringen 2 und statt der N M. vgl. J. Macculoch Malaria, an essay on the production a Sa propagation of this poison. London. 1827. 8. 2) AL vergl. meine Origines Contagii p. 121. 3) Marcus Herz über die Brutalimpfung. Berlin. 1801. 1..— Moseley 1 tete, durch die Kulıkrankheit würde ein Minotaurusgeschlecht in das Land ge- ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 63 lebensgefährlichen Menschenpocken die unschädlichen ee men Jetzt lächelt man über solchen Wahn. Aus übel verstandener Delicatesse ward sonst bei schweren Enibindun- gen häufig der rechte Moment zur Rettung versäumt; aber die überwundene Scheu der Frauen gegen männliche Kunsthülfe und deren zeitige Zuziehung !) wird nicht selten durch die Erhaltung des Lebens der Kreissenden und des Kindes belohnt. 6 Viele Gewohnheiten und Gebräuche, die mit Gesundheitsrücksichten zu- sammen hängen, lenken nur nach und nach in die richtige, naturgemässe Bahn ein. Das sonst zu weit getriebene warme Verhalten, zumal bei hitzi- gen Ausschlagskrankheiten, bei Scharlach, Friesel und selbst bei Masern war eine Calamität 2). Die Luftscheu ist überwunden; man ventilirt Kinder- und Kraukenstuben; man steht nicht an, Kinder in die frische Luft zu tragen, Schwächliche kalt zu waschen und zu begiessen, und wenn auch die jüngste Wasserheilkunde hierin des Guten zu viel thut, so liegt doch das Extrem wenigstens auf der Seite, wo der Schaden am geringsten, die Rückkehr zum 3 am Websten ie | bracht werden: J. Baron the life of Edward Jenner. London. 1839. Vol. I. p-. 353. ) Beinahe die Hälfte der bei den künstlichen Geburten vorkommenden todten Kin- der ist schon vor der Anwendung der Kunsthülfe. gestorben: V. A: Riecke Beitr. zur geburtshülflichen Topographie von Würtemberg. Tübingen. 1827. 8. S. 30. Scharlach und Masern „ wenn auch seit Jahrhunderten eine fast unerlässliche Heimsuchung des jugendlichen Alters, mögen, wegen des vorschrifismässigen all- gemeinen Schulbesuchs in civilisirten Staaten jetzt häufiger auftreten, als ander- wärts und vordem; allein durch die fortgeschrittene naturgemässe Behandlung ist ihre Gefahr und Mortalität gegen sonst weit unbedeutender geworden. M. vgl. besonders das beherzigungswerthe Bekenntniss von Stieglitz in seinen pathologischen Untersuchungen. Hannover. 1832. B. 1. S. 238. Nach Süssmilch (göttl. Offenb. Th. I. Cap. 13. f. 264) starben in Folge der hitzigen und treibenden Hausmittel in Berlin innerhalb 14 Jahren 600 Kin- der an den Masern, und in Braunschweig betrug im J. 1751 die Zahl der an den Masern Gestorbenen + der Gestorbenen überhaupt (Süssmilch Gedanken von den epidemischen Krankheiten des 1757ten Jahrs. Berlin. 1758. 4. S. 27). — ka e — 64 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Wie die Ausbreitung wahrer Bildung Krankheiten zu verdrängen ver- mag, sb nicht minder die Zunahme und Beförderung der Sittlichkeit. Das Schliessen der Spielhäuser 2. B. verstopft eine bedeutende Quelle krankmachen- der Potenzen. Die philanthropischen Gesellschaften erzielen durch ihre eee Thätigkeit nicht nur die hohen Güter bürgerlicher und moralischer Vervoll- kommnung, sondern auch die der Gesundheit 1) und Lebensdauer. Wer ver- mag die segensreiche Wirkung der Mässigkeitsvereine, auch wenn ihre Aus- übung an vielen Orten noch so sehr beschränkt ist, zu verkennen? Was der Gebildete durch Grundsätze und Entschluss über sich vermag, muss dem ro- heren Verstande durch Beispiel, ja oft durch eine Art Ordensregel ange- wöhnt werden. Nüchternheit ist die vornehmste Basis alles leiblichen Gedei- hens, die Gründerin und Bewahrerin des menschlichen Glückes. Wenn es der neueren Zeit gelingt, ihr allerwärts Tempel zu erbauen, so hat sie ihren schönsten Beruf erfüllt 2). In Städten ist die Sterblichkeit beim Manne vor- züglich deswegen Geen: weil im Allgemeinen seine Lebensweise unordent- licher ist. Die Lebensversicherungs - Anstalten und alle solehe, wo man das Er- worbene für die Zeit der Noth niederlegen kann, kommen in 'sofern auch dem körperlichen Wohle zu gute, als sie zum Schutze dienen gegen die angreifenden und zerstörenden Wechselfälle des Lebens. Wenn die Thatsache sich bewährt, dass die Wohlhabenheit in den unteren Ständen im Zunehmen begriffen ist 3), so wird 'sie nicht verfehlen, 1) “Ein jeder Bruchkranker, sagt Riecke (in seinen Beitr, zur med. Topogr. Wür- tembergs. Tüb. 1833. 4. S. 47), der ohne Bruchband lebt, ist ein in steter Le- bensgefahr schwebender, zu jeder Anstrengung unfähiger Krüppel; ein gut an- gelegtes macht ihn zu einem arbeitsfähigen gesunden Mann”. Um so dankens- werther ist die menschenfreundliche Sorge, den Armen die Anschaffung SE Bruchbänder zu erleichtern. 2) Quetelet a. a. O. S. 152. 3) Die Lage der Armen in Grossbritannien stellt sich verschieden dar, je nach dem Standpunkte, von dem aus man sie betrachtet. Dem unterrichteten und vorurtheilsfreien Beobachter wird sie jedoch als in wirklicher Verbesserung ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT, 65 auch hinsichtlich des allgemeinen Gesundheitswohles ihren Einfluss geltend zu machen. Viele von Armen geborne Kinder, die zuerst kräftig aussehen, verkümmern allmälig, so dass jenes Wort i) nur zu wahr ist: “in dem Maasse, als Dürftigkeit selten ist, werden Säuglinge am Leben erhalten”, Die geräumigeren, gegen Kälte und Feuchtigkeit geschützteren Woh- nungen, ebenso bessere Kleidung und Nahrung halten manches Körperleiden, zumal bei drohender Ansteckung, ab. Wie viele Krankheiten haben in den Höhlen des Unglücks und der Entbehrung ihren Sitz! Blindheit ist bei der ärmsten Volksklasse am häufigsten 2), weil sie grösstentheils durch Verwahr- losung und Mangel an Schonung entsteht. ` Aufenthalt in freier Luft und Abhärtung des Körpers tragen zwar viel zur Verlängerung seiner Dauer und zu seiner Erhaltung bei; aber wenn jene mit übermässiger Anstrengung verbunden sind, so verlieren sie wieder viel von ihrem wohlthätigen Einflusse. Daher kommt es, dass die sogenannten einfachen Naturzustände sich in diesem Betrachte weniger günstig erweisen, als die des mehr civilisirten Lebens. So hat sich z. B. ergeben, dass Frauen auf dem Lande, während der Zeit ihrer Fortpflanzungsfähigkeit, häufi- ger sterben als Städterinnen 3). Mag zuweilen Mangel an angemessener Hülfe Schuld daran seyn; noch mehr ist es die Nothwendigkeit, schwere Ar- beiten in einer Periode, welche Schonung verlangt, verrichten zu müssen. Im Ganzen ist die Sterblichkeit auf dem Lande geringer als in grossen Städten; auch kommen manche Krankheiten dort weniger vor; der Grund davon ist aber weniger darin zu suchen 4), dass bei dem Zusammengedrängtseyn der begriffen erscheinen, und der Ausspruch von Buret (de la misère des classes laborieuses en Angleterre et en France. Paris. 1841.) “France est pauvre, Angle- terre est misérable” trägt den Stempel doppelter Übertreibung an sich. 4) Von Lichtenstädt über die Ursachen der grossen Sterblichkeit der Kinder des ersten Lebensjahrs. St. Petersburg. 1837. 8. S. 88. vergl. S. 58. - 2) Bernoulli Populat. S. 86. 3) Quetelet a. a. O. S. 147. 4) Wie Farr vermuthete in dem First annual Report of the Registrar-General of Births, Deaths, and Marriages in England. London. 1839. 8. In der trefflichen Beurtheilung dieser Schrift (in Forbes British and ſoreign med. Review. 1840. Phys. Classe. II. 66 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Menschen in den Städten zu viele schädliche Gasarten erzeugt werden, welche die Atmosphäre verunreinigen, als darin, dass die Veranlassungen zu den Störun- gen der Gesundheit und des Lebens häufiger geboten werden. Je mehr aber diese als solche erkannt werden, desto nachdrücklicher wendet sich die Sorge der Unterrichteten und Mildthätigen wie der Behörden auf ihre Verrin- gerung. Die Sterblichkeit bei den höheren Ständen ist nicht nur desswegen ge- ringer als bei dem niederen Volke 1), weil dort Überfluss, hier Entbehrung zu Hause 2) ist, sondern auch, weil die ersteren an Reinlichkeit und Mässig- keit gewöhnt, weniger von Leidenschaften aufgeregt und seltener raschen Ver- änderungen ihrer Lage blossgestellt sind. Bemerkenswerth ist es, dass Eng- land, wo unstreitig die grösste materielle Volkswohlfahrt 5) herrscht, auch die grösste mittlere Lebensdauer darbietet, nämlich 38, Russland da- Vol. IX. sp. 344—59) wird bemerkt, man könnte „ nach obiger Erfahrung, schliessen, dass die Civilisation, neben so vielen Elementen ‚ das Leben zu ver- längern, auch ein sehr mächtiges der Zerstörung in sich enthalte (p. 359: that among many elements of longevity civilization fosters one mighty element of de- struction); aber zugleich wird darauf hingedeutet „dass ein genaueres Eingehen in die Bedingungen, welche die Sterblichkeit in grossen Städten begünstige, dar- thun dürfte, dass die wahre Civilisation daran keinen Theil habe, vielmehr in ihrem Fortschritte sie zu vermindern und aufzuheben vermöchte, 1) Nach Quetelet a. a. O. S. 247. 248. L. Moser (die Gesetze der Lebensdauer. Berlin. 1839. 8. 8. 152) zeigt, dass die Resultate über Mortalität der Wohlhabenden keine völlige Gültigkeit haben, weil ihnen blosse Todtenregister zum Grunde lägen. Auch sagt er (S. 155): “In unsern Tagen schlägt man den Einfluss der Wohlhabenheit ein wenig zu hoch an“. 2) Lombard bewies bereits in den Annales d'Hygiène publ. 1835. Juillet, dass Dürftigkeit mit am meisten das Leben verkürze. 3) Der Ausspruch von Hawkins a. a. O. p. 30 findet immer noch seine Anwen- dung: the man of affluence, the Pauper-patient of the hospital, the sailor and the soldier on active service, the prisoner of war, the inmate of a gaol, all enjoy a better tenue of existence from this country ihan from any other of which we have been able to consult ihe records. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHMED. CIVILISAT. 67 gegen nur 21 Jahre ). Der Wohlhabende lebt nicht bloss besser, sondern auch länger. Aber auch dem minder Wohlhabenden sind jetzt die Mittel, die ge- störte Gesundheit wieder herzustellen, erleichtert. Es ist kein geringes Ver- dienst der auf dem Wege ihrer Ausbildung fortschreitenden Medicin, dass sie wirksamere und wohlfeilere Arzneimittel anwendet als chemals. Wie lange musste vor der Entdeckung der China ein den Unbilden der Witterung und schädlichen Influenzen ausgesetzter Arbeiter am kalten Fieber und dessen Folgen darnieder liegen, und wie rasch und sicher wird er jetzt, zumal durch Erfindung der Alkaloide, seinem Geschäfte zurückgegeben! Ein Handwerksmann, der sonst durch das Einathmen von Bleidämpfen Lähmung der Hände sich zuzog, war sich und seiner Familie zur bleibenden Last und verzehrte durch aufer- legtes Nichtsthun das Ersparte. Mit Hülfe des Strychnins und der Schwe— felbäder sendet ihn nun der Arzt meistens bald wieder mit schmerzlosen Armen und krampffreien Händen zu seinem Berufe, seinen Erwerbsquellen zurück. Die durch den allseitigen Unterricht und durch die Begünstigungen der Civilisation erlangte höhere Geschicklichkeit der Arzte in der Handhabung ein- facher und sicherer Heilmethoden und Mittel ist daher ein wesentliches Mo- ment für die Abnahme der Krankheiten. ; Die Medicinal - Einrichtung hat fast allenthalben eine ehrenvolle Stufe der Ausbildung erreicht. Pfuscher und Quacksalber werden kaum noch geduldet. Bäder und Badeanstalten, natürliche wie künstliche, stehen als Heilmittel den Bedürftigen offen. - Kräftige Arzneimittel werden durch den erleichterten Verkehr aus al- len Weltgegenden um mässige Preise zugeführt uud durch die Bemühungen der Chemiker neu gefunden. Daher wird die Zahl der unheilbaren oder stets nagenden Übel immer mehr beschränkt. 1) Casper Lebensdauer S. 23. §. 26—31. : Ein Bedenken in Betreff Englands äusserte Viller mé bei Quetelet a.a.0. 8.621. In Archangelsk wurden von 1809 bis 1827 15,017 Menschen geboren und es starben 18,323. Demnach wären hier in 18 Jahren 3,306 mehr gestorben als geboren. 8. R. Richter med. Topographie der Stadt Archangelsk. Dor- pat. 1828. 8. S. 106. ; t2 68 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Durch die Fortschritte in der Diagnose wie in der Therapie und Chir- urgie werden in allen Lebensaltern weit mehr Menschen als früher erhalten. Noch im Anfange dieses Jahrhunderts wurden die Entzündungen der Hirn- häute, der Lungen, des Darmcanales bei Kindern grossentheils verkannt und verliefen daher auch unglücklich. Die Behandlung der Syphilis früher 1) war in ihren Folgen oft so nachtheilig für den Patienten wie die Krankheit selbst. Die Pulsadergeschwulst, die sonst gewöhnlich zum Tode führte, wird nun, vermittelst der Unterbindung grosser Arterien, von der gewandten Hand des Meisters beseitigt. Verunstaltungen der Gliedmaassen, die ihren Ge- brauch erschwerten, wie z. B. Klumpfüsse, werden durch eine zeitige und geschickte Operation gehoben. Das Schielen, welches Manchen an seinem Fortkommen hinderte oder doch zu gewissen Verrichtungen untauglich machte 2), wird durch einen leichten Schnitt fast so schmerzlos geheilt als das Stottern durch systematische Sprechübungen. Wie viele Blinde wurden ehemals für unheilbar angesehen, denen jetzt im Nu das Augenlicht gegeben wird! Gegen das bisher Angeführte wende man nicht ein, dass ja täglich neue Namen von Krankheiten auftauchen, als Zeugniss ihrer Zunahme. Na- men sind noch keine Wesen. So wenig ein Botaniker, welcher aus blo- ssen Varietäten neue Arten ‚und Geschlechter bildet, den Pflanzenreich- thum eines Landes mehrt, so wenig wird durch enen Nosologen, welcher Symptome zu Krankheitsformen stempelt, die Wirklichkeit von diesen selbst dargethan. Die Zahl der Krankheiten hat glücklicherweise nicht in der Na- tur, sondern in den Büchern zugenommen; nur die Classificationen der Übel sind zahlreicher geworden, nicht diese selbst. | $ e 1) Äusserungen, wie folgende, sind ebenso walır als erfreulich: Riddled and ho- neycomb skulls, looking as if they had been eaten of worms and gnawed by dogs, are now, fortunately, rarely to be seen, except in the glass- cases and drawers of surgical museums, or in Cheselden’s plates; — venerable relics of a past age, out of date, like the silk coat and full ruffles of the contempora- neous doctor. These were the consequences of a profuse abuse of mercury, which is now rarely attempted (Forbes british and foreign med. Review. 1840. Vol. IX. p. 240). f ; 2) Wegen argen Schielens wurden in Würtemberg innerhalb 5 Jahren für den Mi- litärdienst 67 Individuen untauglich erklärt. Riecke Beitr. 1833. S. 27. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 69 Nicht selten erweisen sich Krankheiten, die der Beschreibung nach als specifisch verschieden erscheinen, bei strengerer Prüfung, bloss dem Grade ach verschieden, durch klimatische und nationelle Einflüsse modificirt, wie 2. B. wahrscheinlich selbst die orientalische Pest und unser Typhus. Dass zuweilen gewisse Krankheiten als herrschend, weithin sich ver- breitend genannt werden, beruht oft auf blossen Schulbegriffen und Modean- sichten der Ärzte. So sehen sie manchmal allenthalben Herzleiden 1), Unter- leibsentzündungen, Rückenmarksaffectionen, und dann scheirt es, als wenn schwere Heimsuchungen die Menschheit betroffen haben. Bald jedoch erweist sich dieses nur als Schein oder von vorübergehenden Ursachen veranlasst und Alles tritt in das gewöhnliche Geleise des Erkrankens und Gesundseyns zurück. Gesetzt aber, eine solche Krankheit wird häufiger als sonst beobachtet, ist damit bewiesen, dass sie in Wahrheit häufiger vorkomme? Bei uncultivirten Völkern stirbt ein grosser Theil der schwächlichen Kin- der in den ersten Lebensjahren; bei eultivirten wird derselbe erhalten und fällt erst im späteren Alter als Opfer eines natürlichen oder zufälligen Todes. Kann man sagen, diese oder jene Krankheit habe zugenommen, wenn eine weit grössere Zahl von Menschen durch das Erreichen eines höheren Alters auch ihr zugeführt wird? Die Civilisation ist bloss im Stande, die Bedingun- gen des Erkrankens zu vermindern und zu verhüten, nicht physische Unsterb- lichkeit zu ertheilen. Gerade bei dem grösseren Vorrathe von Lebensstoff und Lebenserregung in der civilisirten Welt ist der Sieg über die mannigfach sie bedrohenden Störungen um so glorreicher. Als Beweise der voranstehenden Sätze kann die Darleging der histo- rischen und statistischen Verhältnisse fast. aller Krankheiten gelten, Wählen wir zuvörderst nur einige der vornehmsten aus. 1) Von der Herzentzündung, an welcher die Gladiatoren der Römer nicht selten litten, kann man nicht behaupten, dass sie zugenommen habe. Sie, wie auch die der grossen Gefässe, war den Alten hinlänglich bekannt (M. vgl. Spren- gel a. a. O. B. I. 8.508. 509. B. II. S. 117). Die so reichliche Literatur der letzten Jahrzehnte über diesen Gegenstand ist nicht, wie man etwa zu schliessen bewogen seyn könnte, ein Beweis, dass das Herz, wegen der leidenschaftlichen Erregung der Neuzeit, zur Entzündung mehr disponirt sey. ; 70 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Dass die Zungenschwindsucht, diese eigentliche Verzehrungskrankheit des menschlichen Geschlechtes!) und zwar in dem besten Alter, wenn Körper und Geist erwachsen und ausgebildet sind, gegen frühere Zeiten im Zuneh- ` men begriffen sey, wie oft behauptet wird, darf keinesweges zugegeben wer- den. Die comparativen Tabellen, welche bei dieser Frage allein zur Entschei- dung führen könnten, sind lange noch nicht, auch nur in einer annähernden Vollständigkeit und Zuverlässigkeit vorhanden. Einer der neuesten Schriftsteller über diesen Gegenstand 2), welcher die in London von 1700 bis 1821 an dieser Krankheit Gestorbenen übersichtlich zusammenstellt, sagt 3): “Die von einigen Autoren unterhaltene Meinung, dass die Schwindsucht seit dem Jahre 1750 zugenommen habe, entsteht aus dem Irrthume, dass man ihre relative Tödtlichkeit im Vergleiche mit derjenigen an allen Krankheiten, statt ihrer absoluten im Vergleiche zur Gesammtbevölke- rung genommen hat. Diese relative Zunahme entsteht nicht aus der Vermeh- rung der Schwindsucht, sondern aus der Verminderung anderer Krankheits- fälle; die Ursachen, welche einen so wohlthätigen Einfluss auf die Sterblich- keit an anderen Krankheiten geäussert haben, sind an der Schwindsucht un- merklich vorüber gegangen”. Vergleicht man die statistischen a einer Reihe von Jahren aus Ländern, wo jene mit Sorgfalt angefertigt werden, wie z. B. aus Wür- temberg, so ergiebt sich nicht nur keine Zunahme dieser Krankheit, sondern eine Abnahme. Seit 1787 starben in Stuttgart von Jahr zu Jahr weniger 4) 1) Nach Bernoulli’s Populationistik. S. 308 waren in Paris im J. 1828 4 der Todten an der Phthisis Verstorbenen, und zwar ig der männlichen und ꝶ der weiblichen. Dieses ausserordentliche Verhältniss der Sterblichkeit überhaupt und des weiblichen Geschlechts insbesondere findet jedoch aufandere Orte keine Anwendung. M. vgl. Clark S. 162. 2) James Clark über die Lungenschwindsucht. Deutsch von Vetter. Leipzig. 1836. 8. S. 185. 3) Ebend. S. 186. 4) Es starben an der Schwindsucht 1787—91: 772. 1792—96: 675. 1797—1801: 546. 1802—6: 475. 1807—18: 465. Cless med. Topographie von Stuttgart. S. 69. UBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIYILISAT. 71 an der Schwindsucht. In 5 Jahren wurden aus diesem Grunde von der Mi- litärpflicht nur 3 Individuen freigesprochen 1). Mehrere Oberämter hatten nicht einen derartigen Kranken 2), Ä Die Alten reden oft von Phthisis und erwähnen dabei auch ihrer Erb- lichkeit und Ansteckungskraft 3). Wie wir übrigens den Ausdruck Abzeh- rung nicht immer auf die durch das Lungenleiden bedingte beschränken, so haben auch jene den von Phihisis öfter in einer weiteren Ausdehnung ge- braucht. Der Vater der Medicin 4) indessen bestimmte das Lebensalter, wo sie anı häufigsten erscheine, zwischen dem 18. und 35. Jahre, eine Beobach- tung, die auffallend mit den neuesten statistischen Resultaten von Berlin, Pa- ris, Edinburgh, Philadelphia, Nottingham, Chester, Carlisle übereinstimmt 5). Manche Länder sind der Entwickelung dieser Krankheit vermöge ihrer Lage und endemischen Verhältnisse wenig günstig, so z. B. Aegypten 6), wo- von noch in der jüngsten Zeit behauptet wurde 7), dass sie daselbst fast gar nicht angetroffen werde. ; a i In Gegenden, wo Ausdünstungen intermittirende Fieber erzeugen, soll Lungenschwindsucht wenig gekannt seyn 8). Die Länder, woher wir die ersten 1) Riecke Beitr. S. 43. 2) Riedle Beitr. zur med. Statistik Würtembergs. Tübingen. 1834. 8. S. 18. 3) M. vergl. meine Origines Contagii unter Aristoteles, Galenus, Plutarchus, Avi- cenna. À 4) Hippocrates Coac. Praenot, 439. 5) Clark a. a. O. S. 159. 6) Celsus de Medicina L. III. 22. Quod si vera phthisis est, inter initia protinus occurrere necessarium est... aptissime Alexandriam ex Italia itur. 7) Röser über einige Krankheiten des Orients. Augsburg. 1837. 8. in den ange- hängten vermischten Bemerkungen. 8) Wells, Obss. on pulmonary Consumption and intermittent Fever, chiefly as diseases opposed. to each other. In den Transactions of a soc. for the improve- ment of med. Knowledge. Lond. 1812. Vol. 3. p. 471. Auch bei G. Blane Dissertt. p. 172 und nach J. Hennen Sketches of the med. topography of the Mediterranean. Allein in Westindien ist die Sterblichkeit daran am auffallendsten: Clark a. a. O. S. 181. 72 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX wissenschaftlichen Überlieferungen erhielten, waren solche, welche vermöge ihres mehr gleichförmig warmen Klimas und des selten vorkommenden raschen Temperaturwechsels reizbaren Lungen besonders zusagen. Wenn unter gleichen äusseren Bedingungen bei civilisirten und nicht civilisirten Nationen Schwindsucht sich einstellt, so ist die Mortalität bei den letzteren ohne Zweifel weit grösser, denn ohne die vorsichtigste Lebensweise und richtige ärztliche Behandlung ‚wird sich bald Entzündung dazu gesellen und so die floride Schwindsucht sich ausbilden, oder frühe Erweichung ein- treten und alle Erscheinungen der knotigen sich. entwickeln. Seitdem man den nachtheiligen Einfluss der die Lungen feindselig be- rührenden Handthierungen, wie der Schleifer, Bürstenmacher u. S. w., der ver- derblichen Quecksilberdämpfe und der übermässig eingeriebenen Quecksilber- salbe kennen lernte, und anfing Maassregeln dagegen zu treffen, wird Schwind- sucht oft verhütet. Keine Krankheit war seit lange so N Aufgabe der ausge- zeichneisten Arzte, als gerade diese. Die Tuberkelablagerung, welche in den meisten Fällen ihr zum Grunde liegt, ist so allseitig untersucht und so gründ- lich in ihrer Entstehung und Fortwucherung erforscht worden, dass die Hoff- nung noch immer genährt werden darf, es möchte endlich gelingen, diese krankhafte, fast unorganische Masse in ihrer wachsenden Anhäufung rückgän- gig, zur Aufsaugung und Entfernung geschickt zu machen. Die Folgerungen aus den Sterbelisten, obgleich bis jetzt die einzig siche- ren Grundlagen, sind stets mit Vorsicht zu ziehen, weil, wenn es heisst: an der Brustkrankheit, an chronischem Katarrh, an Blutspeien u. s. w. gestorben, es zweifelhaft bleibt, ob es eigentlich Phthisis gewesen oder nicht. Die Scropheln, ein Leiden, wovon haupsächlich das jugendliche Alter schwer betroffen wird ), mögen sicherlich eher im Abnehmen als im Zu- 1) Nach Alison in den Transactions of the med. chir. Soc. of Edinburgh. 1824. Vol. I. p. 390 betragen von der Gesammtzahl der todten Kinder in den unte- ren Klassen zu Edinburgh die an Scrofeln gestorbenen mehr als 4. — Die Ur- sache der grösseren Sterblichkeit Edinburghs und Glasgows gegen die London’s findet derselbe mit in den geringeren oder weniger zweckmässig verwandten Un- terstützungen der Armen von Seiten der höheren Klassen der Gesellschaft. Man _ ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 73 nehmen begriffen seyn, da durch die günstigeren Verhältnisse des Zusammen- lebens der Menschen die Elemente ihrer Bildung geringer werden. Vermittelst der sorgfältigeren Cultur der Haut und der grösseren Rücksicht auf die Schleimhaut des Darmcanales, welche durch die zunehmende Wohlfeilheit leicht verdau- licher Nahrungsmittel erleichtert wird, kommt die Anlage weniger zum Aus- bruche, oder sie wird, ehe sie tiefe Wurzeln geschlagen, durch Beschrän- kung Stärkemehl haltiger Nahrungsmittel, Bewegung im Freien, möglichen Aufenthalt in reiner Luft, EN feuchter Wohnungen und kühle Bä- der erfolgreicher getilgt. Die alten Ärzte beschrieben, e Leiden sehr gut; allein ihre Behand- lung war nicht immer die richtige, indem sie dasselbe mehr als ein äusser- liches ansahen und die Auschwellungen zur Eiterung zu bringen suchten. Un- ter dem mannigfach empfohlenen antiscrophulösen Heilverfahren und den an- geblich specifischen Arzneien hat man, was sicherlich als ein n zu betrachten ist, zuletzt vorzüglich die Diät hervorgehoben. Die Lebensordnung im Grossen und Einzelnen ist es aber, die allein durch die Civilisation auf die passendste und vollkommenste Weise herausge- funden, und, je nach dem individuellen Bedürfnisse, befolgt werden kann. Die Rhachitis, deren. schon die Araber Erwähnung thaten unter der Bezeichnung des Höckers, der aus Fieber entstehe 1), die im 16. Jahrhundert in Holland und in der Schweiz beobachtet 2) und nach Erfahrungen in England im 17. Jahrh. so vortrefflich beschrieben wurde 5), dass sie den Namen Eng- lische Krankheit” erhielt, mindert sich 4), aus gleichen Gründen wie die Scro- vergl. dessen Obss. on the Management of the Poor in Scotland, and its effects on the health of the great towns. Edinb. 1840. 8 1) Serapion der ältere bei Sprengel a a. O. B. 1. 8. 381. 2) Ebend. B. IV. S. 509. i 3) Von Glisson ebend. S. 510. ~ Graunt, welcher die Rickets für eine neue Krankheit hielt, glaubte doch, dass die vor dem Jahre 1634 erwähnte “Liver-grown” jenem Ubel am nächsten gekommen sey: Obss. on the bills of mortality. London. 1662. 4. p- 25. Schnurrer (Chronik der Seuchen. II. 8. 158) ist geneigt zur Rhachitis “stop- page of the stomach” zu zählen. 4) Wie gross übrigens noch die Anzahl ist, geht schon daraus hervor, dass Riecke Phys. Classe II. 74 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX phelkrankheit, von Jahr zu Jahr. Die so genannten doppelten Glieder und Verkrümmungen zeigen sich seltener, und wenn dennoch häufig davon gehan- delt wird und sogar eigene Institute für ihre Heilung bestehen, so ist in Er- wägung zu ziehen, dass bei der wachsenden Menge der Zeitschriften Vieles in aller Ausführlichkeit vorgeführt wird, was sonst mit Stillschweigen über- gangen wurde, und dass die Resultate der älteren Kunsthülfe nicht mehr gel nügen. Nicht bloss Gesundheit, auch Schönheit und Kraft werden verlangt. Zu den schweren Ubeln, welche lange Zeit hindurch das Menschenge- schlecht befielen und es zum Theil noch thun, gehört unstreitig die Syphi- lis. Ohne hier auf die Frage einzugehen, ob sie schon im Alterthume ihre Wirkung!) ausübte, oder ob sie auch an Thieren sich erzeuge 2), so viel können wir mit Sicherheit annehmen, dass als sie vor einer Reihe von Jahr- hunderten in grosser Heftigkeit und Ausdehnung auftrat, sie ein Gefolge von Ubeln mit sich brachte, wie fast keine andere Krankheit, und dass sie mit unaufhaltsamer Gewalt sich allmälig über die ganze bewohnte Erde ausbrei- tete. Der Schuldige wie der Unschuldige ward von ihr ergriffen, das harm- lose Kind, ja der ungeborene Embryo blieb von ihrem Gifte nicht frei. Alle Mittel, welche die erste rohe und finstere Zeit dagegen versuchte, erwiesen sich fruchtlos oder steigerten das Übel, und so schien ein verhängnissvolles Leiden, das die innersten Quellen der Fortpflanzung und Vermehrung infi- cirte, die Existenz der Generation selbst zu bedrohen. Die Krankheit hat sich erhalten, sie dauert noch fort; aber wie hat der Einfluss der Civilisation, der Wissenschaft ihren Umfang, ihre Stärke, ihre Folgen beschränkt 3)! In (Beitr. 8. 44) in Würtemberg gegen 32,000 an Verkrümmungen der Thorax- knochen Leidende annimmt, “eine Zahl, die in allen RE in E bestehenden orthopädischen Instituten nicht unterzubringen wäre”. 1) Über diese Hypothese ist nachzulesen J. Rosenbaum’s Gesch. der Lustseuche, Halle. 1839. 8. S. 451. 2) Sydow der Mensch und die Hausthiere in Kausch’s Memorabilien. B. 3. 1819. 8. 107. 3) Wo, wie in Archangelsk, die Lustseuche unter den endemischen Übeln aufge- führt wird (Richter medic. Topographie von Arch. S. 133), ist für Bildung ana Sittlichkeit noch viel zu thun übrig. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH, DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 75 demselben Maasse als die Einsicht in ihr wesentliches Verhalten gegen die Kräfte des Organismus und der Arzneien wuchs, nahm auch die Sittlichkeit der Staaten und Völker zu, und wie beide Momente vereint dazu beitrugen, dem Umsichgreifen, den Zufällen und Verwickelungen dieser Krankheit nach und nach Schranken zu setzen und sie auf ein möglichst kleines Gebiet ein- zuengen, das liesse sich, wenn es nöthig wäre, genau im Einzelnen nach- weisen. Zwar ist nicht zu leugnen, dass dasjenige Heilmittel, welches lange als das unentbehrliche und unvermeidliche galt, die Gesundheit oft nicht min- der als die Krankheit selbst beeinträchtigte. Aber theils stellt sich heraus, dass die schlimmen Erscheinungen nicht sowohl aus dem Gebrauche, als aus dem Missbrauche des Mittels sich ergeben, theils bricht sich die Ansicht von der völligen Entbehrlichkeit desselben immer mehr Bahn. Da dieses Übel in wärmeren Klimaten milder sich verhält, wie z. B. in Aegypten ), sogar durch die Natur heilt, so schien ein energisches Heilverfahren hauptsächlich in der nördlichen Zone nothwendig. In dem Maasse als die Überzeugung sich be- gründete, dass die Affection der Haut und der Schleimhaut die haupt- sächliche therapeutische Indication enthalte, dass zur gründlichen Heilung Quecksilber keinesweges unerlässlich sey, ist nicht nur die Krankheit ein- facher, sondern auch der Organismus von Nachwehen befreiter geblieben. Die genauere Vertrautheit mit den Syphiloiden, mit der Marschkrank- heit im Holsteinischen, der Radesyge und Spetälska in Scandinavien, den Sibbens in Schottland, dem Scarlievo an den Küsten des Adrialischen, der Krimmschen Krankheit an den Küsten des schwarzen Meeres, selbst mit der Asturischen Rose, der Flechte von Aleppo und sogar mit den Yaws und Pians lässt oft die Verwandtschaft mit dem Aussatze vermuihen, wenigstens das rein Specifische der syphilitischen Krankheit bezweifeln. Es tritt somit diese sonst so furchtbare, im Finstern schleichende Krank- heit in die Reihe der gewöhnlichen, der Kunst zugänglichen und von -ihr überwundenen oder überwindbaren Beschwerden zurück. Mit einigem Ver- trauen kann der Menschenfreund ihr allmäliges Abnehmen und Erlöschen in einer nicht zu fernen Zukunft erwarten, wenn die Behörden, denen die Be- 1) Röser a. a. O. 76 K CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX ` aufsichtigung und Beförderung des allgemeinen Gesundheitswohles so wie die Handhabung der öffentlichen Moral obliegt, in ihren Anstrengungen nicht er- matten, und wenn die wissenschaftliche Forschung ihren von der Macht der Gewohnheit und des Vorurtheiles unabhängigen Standpunkt fest und klar behauptet. i So wie die drei aufgeführten bösartigen und am weitesten verbreiteten Plagen der Menschheit nicht nur nicht auf Rechnung der Civilisation zu setzen sind, sondern vielmehr durch sie mit allem Nachdruck bekämpft wer- den, so ist es mit fast allen anderen Krankheiten der Fall, indem die Re- präsentanten der Civilisation, nämlich Wissenschaft, Kunst und Sitte, einen offenen oder stillen nie auszugleichenden Kampf mit denselben unterhalten. Um diese Behauptung in ein klares Licht zu stellen, möge es genügen, aus den verschiedenen Abtheilungen der Pathologie noch die ausgezeichnetsten Formen in dieser Hinsicht kurz zu betrachten. Die Civilisation der Alten hatte eine so hohe Stufe erreicht, dass wir auf die Überreste ihrer Baukunst und Sculptur, ihrer Dichter und Geschicht- schreiber wie auf Denkmale einer untergegangenen schöneren Welt mit Stau- nen und Bewunderung blicken. Der Organismus ihres öffentlichen und Pri- vatlebens bestand aus einem so bunten Gewebe vielartiger Künste und Ge- nüsse, dass der Vorwurf gegen unsere ee sie sey überfeinert, viel- leicht ungegründet ist. Geselzt aber auch wir hätten in unsere Welt nicht die einfache Grösse ihres Denkens, sondern mehr ihre übertriebenen Bedürfnisse, ihre Neigungen und Leidenschaften mit herüber genommen und nur mit den Begriffen und Zumuthungen einer andern Ordnung der Dinge verbunden, so muss es auf- fallen, dass im Gebiete der Nervenkrankheiten — die gleich den nach ge- waltsam angeschlagenen Accorden nachzitiernden Saiten an die bestandene Überreizung erinnern — keine neuen Formen der Störung sich offenbarten. Der Kreis der nervösen Leiden hat sich gegen ehemals nicht nur nicht erweitert, sondern eher verengert. Dieses erhellet, wenn man die Schriften und Nachrichten aus dem Alterthume in dieser Beziehung mit dem vergleicht, was die Beobachtung der Jetztwelt darbietet. Selbst innerhalb der Beobachtungsperiode der jetzt lebenden Ärzte, einer ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 77 Spanne Zeit, die gegen die Geschichte ‘gehalten, kaum in Anschlag gebracht. werden kann, ist ein gefährliches nervöses Leiden fast Verde wände: nämlich das Heimweh. Wie oft ) stellte sich dieses sonst, namentlich bei Ge- birgssöhnen, mit seinen ergreifenden Zutällen ein, und wie selten wird jetzt nur noch sein Name genannt. In die sonst isolirten Thäler ist ein le- bendigerer Verkehr gedrungen; ihre Bewohner traten mehr mit der Welt in Verbindung. Die rasche Vermittlung durch Eilwagen, Dampfschiffe und Ei- senbahnen hat die niederdrückende Vorstellung der abgeschlossnen Fremde 2), des kalten Alleinseyns aufgehoben; die Briefe aus der Heimath langen zau- berhaft schnell, wie durch eine Taubenpost, an; der Gedanke, dass der Ent- schluss eines Augenblicks die Möglichkeit verschaffe, wie auf den Flügeln des Windes nach dem Orte der Sehnsucht gebracht zu wer den, lässt das Ver- sinken in trostlose Verzweiflung nicht mehr zu. Die erleichterten Reisegelegenheiten und die zur Gewohnheit gewordene Benutzung derselben sind mit Ursache, dass Er ug und Hysterie seltener werden. a Das Reisen ist eines der wirksamsten Heilmittel dagegen, sowohl durch die passive als die miterforderliche active Bewegung; durch eine aufgedrun- gene andere Lebensweise; durch das Eingehenmüssen in fremde Gefühle; durch das nicht abwendbare Zusirömen neuer, zerstreuender Eindrücke. "egen arte weniger Mühe und geringeren Kosten als sonst derjenige Aufenthaltsort gewählt werden kann, welcher den Anforderungen und Be- dürfnissen des Körpers und der Seele entspricht, wird auch die Lebensdauer verlängert. Die Steigerung der Kraft, welche die ganze Constitution durch einen Wechsel des Klimas erfährt, übertrifft zuweilen jede Berechnung >). 4) That longing after home, exerts its painful influence in the remotest regions, and magnifies to danger the most trivial indisposition of either body or mind. when both are already half subdued by the heat and dread of climate: Mos e- ley on tropical diseases. 4 ed. Lond. 1808. p. 142. 2) M. vgl. über das Heimweh der Handwerker Adelmann a. a. CO. S. 60. 3) Benjamin Rush (natural history of medicine among the Indians in den Inquiries. 5 ed. Vol. I. Philadelphia. 1818. p. 87) schlug diesen Einfluss mit Recht hoch an; er sagt: A Frenchman outlives an Englishman in England. A 78 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Die tieferen organischen Missverhältnisse bei der Hypochondrie und Hysterie können um so sicherer ausgeglichen werden, als die Gebilde, welche dabei in Frage kommen, hauptsächlich diejenigen, welche mit dem sympathi- schen Nerven in Verbindung stehen, weit genauer als früher untersucht und die zuverlässigsten Heilmittel dagegen durchprobirt sind. Wer übrigens aus der verhältnissmässig seltenen Auliiiine der Aus- drücke Hypochondrie und Hysterie in den Schriften der Alten auf eine Sel- tenheit der Übel selbst schliessen wollte, der könnte sich sehr i irren, da nach den Erkkirungsversuchen jener Zeit dafür auch ganz andere Benennungen ge- bräuchlich waren, wie z. B. trockne Cholera 1), en der Milz =D und ähnliche 5). Der Veitstanz bezeichnet eine Nervenkrankheit, die gewiss früher auch vorhanden war, jedoch mit anderen unter einer gemeinsamen Benennung be- griffen ward. Da sie meistens in den so genannten Entwickelungsjahren sich einstellt, auf die Metamorphose des Körpers aber von ärztlicher Seite immer mehr Studium verwandt wird, und auch die Erziehungsweise immer. umsich- tiger geschieht, so kann die Verminderung nicht ausbleiben, wie denn auch immer weniger Fälle davon zur ärztlichen 4) Behandlung kommen. Die Tunzwuth war eine Folge der durch die Verheerungen des schwar- zen Todes locker gewordenen und aufgelösten Staats - und Familienbande. Wie eine Seuche bemächtigte sich Vieler eine dämonische ‚Lust, in zügellosen Reigen durch das Land zu ziehen und bis zur Erschöpfung zu tanzen, wo Hollander prolongs his life by removing to ihe Cape of Good Hope. A Por- tuguese gains fifteen or twenty years by removing to Brazil. 1) Sprengel a. a O. I. S. 488. d 2) Ebend. II. S. 292. ` 3) wmonvısıg ebend. 8.53. morbus mirachialis oder whaia ebend. 8.368.396. 431. Unter der Rubrik “Lethargy” begreift Morris (obss. on the past growth and pre- sent state of the City of London. 1751) die Te e und hysterischen Zufälle. 4) Hausbrand, welcher oft Veitstanz beobachtete und als einzig beständiges Symptom die aufgehobene Kraft der willkürlichen Muskeln angibt, steht nicht an zu behaupten, dass die Natur, nicht der Arzt diese Krankheit heile: Pro- vinzial- Bericht des Med. Collegiums zu Königsberg. 1835. 4. S. 66. K ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH.'DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 79 | sich dann vorgebliche oder wirkliche krampfhafte Zufälle hinzu gesellten. Ausser denen, die aus einer Nachahmungssucht mit fortgerissen wurden, waren es meistens solche Personen, die auf :öffehtliche Kosten so lange vom Mitleide zehrten, bis die Behörden ihren eingebüssten Einfluss wieder erlangten und in die Verhältnisse des bürgerlichen Seyns eine vernünftige Ruhe zurückkehrte. Bei einem geordneten Zustande, wie er jetzt herrscht, wird eine solche Epi- demie kaum wiederkehren. Zwar: hat die neuere Zeit etwas Alinliches mit der Predigerwuth in Smäland, einer Provinz Schwedens, erlebt 1); aber wie bald hat sich ‚daselbst diese seltsame zen durch das Zusammenwirken 8 Fee gelegt! E? Die Starrsucht‘ ist, seitdem sich der Zweifel an ihre Realität 2) als einer wirklichen Krankheitsform lestsetzte, statt eines Objeeies der Nosologie beinahe eines der Geschichte geworden. ý Die ‘Kriebelkrankheit, die man ihrer auffallenden Erscheinungen wegen auch mit dem Namen “krampfhafte Tragödie” belegte 3), zeigt sich nur aus- nahmsweise in Districten „ wo gegen das Entstehen des Mutterkornes keine Vorsorge getroffen wird. Die einfachste besteht darin, durch Gräben die Ländereien trocken zu legen. In feuchten Jahren, wo durch diesen giftigen Pilz das Mehl verdorben werden könnte, lassen gewöhnlich die Regierungen Verhaltungsanweisungen öffentlich bekannt machen, 2 Die Lähmung 5 zumal der unteren 4) Extremitäten, ist ein in neueren 1) Einiges über die rufenden Stimmen oder die sogenannte Ten in Smäland in den Jahren 1842 und 1843. Von einem Augenzeugen. Leipzig. 1843. 8 2) Burde Instit. A. 159 und Cullen Nosologia method. ed. P. Frank. Ticini. 1787. 8. p. 138 glauben blos an Verstellung. 3) G. W. Wedel de morbo spasmodico-epidemico maligno in Saxonia adhuc gras- sante. Jenae. 1717. 4. 4) Ich selbst vermuthete in meiner Schrift de Paralysi membrorum Ihferibpie. Got- tingae. 1840. 4. p. 28 oder in der Deutschen Ausgabe. Carlsruhe. 1838. S. S. 46, dass diese Art Lähmung gegen früher häufiger vorkomme. — Baillie (medic. Transact. Vol. VI. p.16) wies hauptsächlich auf das in der neuesten Zeit öl- tere Auftreten der Lähmung der unteren Gliedmaassen hin. 80 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Zeiten 1) so häufig beobachtetes Übel, dass man nicht umhin kann zuzugeben, ihr numerisches Verhältniss stelle sich gegen sonst ungünstiger 2), Da es je- doch sehr wahrscheinlich ist, dass hieran die politischen Umwälzungen, die daran sich knüpfenden Aufregungen und Unfälle Einzelner, so wie auch die Strapazen der Feldzüge einen grossen Antheil- hatten 3), so lässt sich eben so annehmen, dass jenes Verhältniss bei andauerudem Frieden und gesicherter bürgerlicher Lage sich wieder günstiger gestalten werde. Hierzu werden die Resultate der neuesten Entdeckungen über die Functionen der Rückenmarks- nerven so wie über die Wirkung einiger Pflanzenalkaloide das Ihrige beitragen. Neuralgien, vorzüglich der Gesichtsschmerz #) und die Brusibräune, wer- den seit Beginn dieses Jahrhunderts oft beobachtet; doch ist es schon dess- wegen schwer über die vermeintliche Zunahme ‚etwas ‚Zuverlässiges anzuge- ben, als über die etwaigen älteren Bezeichnungen dieser‘ Leiden noch nicht gehörig entschieden ist 5). Die Arabischen Ärzte sprechen oft vom schmerz- 1) Die Ergründung des Wesens dieser sogenannten “kalten” Krankheit beschäftigte die Alten viel, wie schon aus der verschiedenen Betrachtung ihrer. Temperatur hervorgeht. M. vgl. über die Ansicht Avenzoar's zu der von Galen Sprengel a. a. O. B. II. S. 457. i 2) Schon Heberden bemerkte vor mehr als vier Decennien, Sc a Srk Tabellen, dass Lähmung und Apoplexie seit dem Anfange des 18ten Jahrhun- derts zugenommen, und er ist nicht abgeneigt, dem zu häufigen Gebrauche der warmen und geistigen Getränke einen Grund davon zuzuschreiben. Über die Zunahme sagt er (Obss. on the increase and decrease of diseases. London. 1801. 4. p. 37): gradually and constantly i increasing. It is now above double what it was an hundred years ago. 3) M. vgl. in meiner Schrift über Lähmung in der Deutschen Ausgabe die 10te Note. — G. Blane bemerkte (Dissertt. p- 145), dass Lähmung in Hospitälern häufiger angetroffen werde, als in der Privatpraxis. 4) Blane a. a. O. p. 124: the superior frequency since the aginn of this century has been very striking. 5) Ob unter Heterocrania des Aretaeus (Diut. I. c. 2), unter affectio spasmo- dico-convulsiva labiorum von Fr. Hoffman (med. consult. Vol. II. Dec. 2. cas. 8), unter trismus dolorificus von Sau va ges (Nosol. method.) der Fother- gillsche Schmerz verstanden werden dürfe, ist nicht so leicht zu entscheiden. H ÜBER DIE ABNAHME DER KRANK. DURCH D. ZU NAD D. CIVILISAT. 81 haften: Gesichtskrampſe i) und von einem derselben 2) wurde sogar schon der Rath ertheilt, die Ableitungsmittel in der Nähe der Ursprungsstellen der Ner- ven zu appliciren. Mehrere berühmte Männer des Alterihums 3) sollen an der Brustbräune gelitten haben. l Die Wasserschew ist 35333 Orten za noch vom Bëbee 4) bekannt während sie: an anderen zuweilen ihre Opfer fordert 5), Da bei der ausgebrochenen Krankheit die Kunst rathlos dasteht, so muss alle Sorg- falt um so angelegentlicher auf ihre Verhütung sich richten. Der Mittel dazu giebt es verschiedene und sie haben sich so oft wirksam erwiesen, dass man sich der Hoffnung hingeben kann, sie würden, bei allgemeiner Annahme und consequenter Durchführung endlich das Ubel ganz verschwinden machen. Die Erfahrung beachtend, dass meistens Stubenbunde toll werden, haben viele Regierungen eine Steuer eingeführt, um die unnöthigen zu vermindern. Lu Argos wurde in den Hundstagen ein Fest Kynophontis 6) dadurch ge- feiert, dass eine Menge Hunde öffentlich erschlagen wurden. Zu dieser Maass- regel muss man wohl auch jau seine Zuflucht Aueh. wo man a Dën f 14161: FETTE ERST gn LE AM ie 13226 119010 SGE 249931 ahhg- B, Rhazes bei 5 el a. a. 0. H 397, 4093 ee ebend. 434; un, „ casis ebend. 451. a | CH Mesue Il. bei 5 u. AB. 0 3) 2. b. Seneca (dessen ep. 54. vergl. Sprengel V. 602) und der Kaiser Alexius 1 Comnenus, (bei Sprengel II. 3247. . 4) Der vielerfahrene Heberden äusserte ee eg Sosmmmerking, p. 3. 165): hydrophobiam ex morsu animalis rabiosi nunquam vidi, und Stieglitz ver- sichert (über die Homöopathie S. 84) während seiner 30 jährigen Praxis in Han- nover nur von Einem Wasserscheuen gehört zu haben. 5) Nach der Berechnung Ho ffmann’s in Berlin starben in 6 Jahren an der Wasserscheu 266 Menschen; von einer Million eieiei Lebender jährlich im Durchschnitt drei (med. Zeitung für Preussen. 1835. 45. 8, 207). Wenn ‚gleich Ba Verhältniss im Ganzen ein. seltenes. Va der eigentlichen und ausgebildeten Krankheit anzeigt, so ist es immer noch bedeutend, wenn man das Schreckliche ihrer Gesammterscheinung berücksichtigt. e 'Müller Dorier. I. 346. Phys. Classe. II. . L * ” e 82 | CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX nicht. haben, oder wo sie nichts helfen will, wenn dessenungeachte das Hal- ien der Hunde zu sehr überhand nimmt 1). ; Der Säuferwahnsinn mag wohl erst seitdem die Destillation de fäeg, weins sich so sehr vervollkommnet und ausgebildet hat, so dass grosse Quan- tütäten davon um einen sehr geringen Preis zu haben sind, wodurch das Übermaass im Trinken so leicht herbeigeführt wird, zu einer selbstständigen Krankheitsform sich entwickelt haben. Aber schon hat er seine höchste Höhe erreicht 2). Der öffentliche Abscheu, die Mässigkeistvereine, die verbesserte therapeutische Indication, den krankhaft erregten Zustand durch Schlaf zu be- seiligen, wirken vereint dagegen. Das Zittern der Vergolder, welches Viele, die durch ihr Geschäft ge- zwungen sind, ‚Quecksilberdämpfen sich auszusetzen, arbeitsunfähig macht, und das nicht selten in Lähmung endigt, hat für die Arzte durch die Be- kanntschaft mit der hülfreichen Kraft des Eisens innerlich und als Bad an- gewandt Vieles von seiner Hartnäckigkeit verloren. Die neue Entdeckung, wo- nach fast alle Metalle auf einfachem galvanischen Wege stark und dauerhaft sich vergolden lassen, wird endlich dahin führen, die Mee des so gefährlichen Quecksilbers ganz entbehrlich zu machen. Die Malerkolik oder Hüttenkatze legt gleichfalls ein gültiges Zeug- niss für das Fortschreiten der Medicin ab. In der Regel werden die Kran- ken durch eine angemessene ausleerende Methode von diesem Leiden befreit. Im Verfahren der Römer, den Traubensaft in bleiernen Gefässen einzukochen und durch Beimischung von diesem Syrup den anderen Wein haltbar zu 1) In Kertch in der Krimm wird von einem Zigeuner ein Hund, welcher den Tag zuvor erschlagen wurde, durch die Strassen gezogen und die wildesten Bestien, die sich nähern, werden von ihm getödtet. Für jeden abgelieferten Hundskopf erhält er 25 Kopeken (Anatole de e orage gant En Russie méri- dionale. T. I. Paris. 1840. 8. p. 552). 2) Sogar bei den Russen scheint der Hang zu geistigen Geträ änken T oder mit Erd- mann (med. Topographie von Kasan. S. 156) zu reden, ihre Saufsucht schwä- cher zu werden. Unter den höheren Ständen ist (nach Richter med. Topo- graphie von Archangelsk. $. 129) seit mehreren Jahren eine Verminderung un- verkennbar. 4 ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 83 machen, lag eine Hauptursache der so’ oft bei ihnen eintretenden heftigen Ko- likzufälle. Dadurch dass mit Blei in der Haushaltung, bei Glasuren und Ver- zinnungen, in Gewerben, hauptsächlich in Bleiweissfabriken, und in der the- rapeutischen Anwendung vorsichtiger umgegangen wird treten die Leichen und Folgen der Vergiftung weit seltener, als sonst, ein. Bei den Ma- lern würde dieses auch der Fall seyn, wenn sie sich entschliessen könnten, das so dringend empfohlene Zinkweiss statt des Bleiweisses anzuwenden. So wie von den unvermeidlichen Übeln die Rede ist, welche der sich ausbreitende und: verfeinernde Culturzustand in seinem Gefolge habe, wer- den die ausgebildeten Congestionen darunter gezählt, nämlich der über- mässige Andrang des Blutes nach Kopf, Brust und Unterleib, hervorgerufen durch unnatürliche Lagen und Stellungen beim Arbeiten in eingeschlossener Luft, durch unpassende Kleidungsstücke, zu reizende Nahrungs- und Arznei- mittel. Namentlich gelten die Hämorrhoiden für eine solche künstliche Krank- heit. Nun mögen allerdings die Schleimhäute und die Blutgefässe der Dige- stionsorgane in Folge der geselligen Genüsse schwerer, afficirt werden als im Naturzustande; allein auch in diesem kommt dieses Leiden vor und wäre es bloss als Selbsthülfe der Natur, um von wichtigeren Gebilden eine Ableitung zu erzielen. Tödtlich werden sie selten; die Beschwerden sind meistens Fol- gen einer unzweckmässigen Lebensart 1), wenn versäumt wurde auf eine an- gemessene und consequente Weise die Anlage zu ülgen und die Zufälle nie- derzuhalten. Die Hämorrhoiden haben keinen Krankheitssaamen, der noth- wendig im Organismus keimen und aufgehen muss; es liegt grossentheils in der freien Entschliessung und Benehmung des Einzelnen, ob er davon befreit bleiben will oder nicht. : Die entzündlichen Reizungen und wirklichen Entzündungen haben haupt- sächlich dadurch eine grössere Mannigfaltigkeit ihrer Erscheinung und Ent- 1) Hämorrhoiden scheinen (Riecke Beitr. S. 48) im südlichen Deutschland auf- fallend seltener zu seyn, als in den nördlichen Ländern Europas, wohl haupt- sächlich wegen des geringeren Branntweinverbrauchs. In Petersburg (Atte n- hoffer med. Topogr. von St. Petersburg. Zürich. 1817. 8. 222) sollen unter 4 erwachsenen Mannspersonen 3 mit der goldenen Ader behaftet seyn, L2 8% ARL FRIEDRIOH HEIN RIH MARK an wickelung erfahren, dass die Cultur von dem milderen Klima des Asiatischen und Südeuropäischen Himmels nach dem kälteren Norden sich verbreitete. Sobald der Mensch mit erweiterten geselligen und leiblichen Ansprüchen in den Kampf mit, einem rauhen nördlichen Klima eingeht, ist es unmöglich, dass er nicht den vollen Angriff ihrer feindlichen» Elemente erfahre. Wo der Wechsel der Temperatur unerwartet eintritt und schärfere Winde oft und plötzlich die wärmeren verdrängen, wo eine feuchte Luft, dicke, schwere Ne- bel das Durchblicken milder Sonnenstrahlen verhindern, da ist für die Aus- bildung von Rheumatismus, Rothlauf 1), Catärrh 2) mehr Veranlassung gege- ben. Aber auch hier gelingt es einer höheren Civilisation mit dem Auf- gebote ihrer vielen Mittel, zweckmässiger Kleidung und schützender Woh- nung, angemessener Bewegung, Abhärtung und kräftigender geistiger Thätig- keit den äusseren klimatischen Einflüssen die Spitze zu bieten und noch mehr zu erreichen, als das, wodurch der rohe Sohn der Natur in stumpfer Gewöh- nung und Gleichgültigkeit an den äussersten Grenzen der Ee Erde H sich πνẽꝶ erhalten vente̊gg doe Janod maat zunn ish oalaf s? sakwiosao Die in diesem Jobzhandeii so, berücl ee dene: Sd es, grer tische Augenentæundung ist nichts weiter als eine intensive catarrhalische Entzündung, wobei der ausfliessende Schleim fressender Art und in der Höhe der Krankheit ansteckend ist. Die Alten kannten sie bereits 3) und von ihrer Ausdehnung ist nichts zu befürchten, wenn en Fun Charakter berücksichtigt wird. e ' Die — ä l vor wenigen. Na: der Schrecken der 1) Der Rothlauf ergreift nicht a so Viele zu gleichen Zeit „wie eg wo er, unter dem Namen des Antonius- Feuers bekannt war, und wogegen der heilige Auton so heilsam sich erwies, dass eine eigne Brüderschaft, die Antons-Brüder, zum Krankendienst dabei errichtet wurde (Sprengel a. 3. O. B. II. S. 474). 2) In Betreff der Catarrhe bemerkte schon Hippokrat es (Aphor. III. 13 und 23), dass wenn nach einem trocknen Sommer ein feuchter Herbst folge, Schnupfen und Husten sich einzustellen pflege. Auch erwähnt er (Epidem. VI. sect. 7) eines epidemischen Catarrhalfiebers, wobei sogleich das Nervensystem ergriffen wurde, und das mit der Influenza oder GA der neuesten Zeit eine grosse 0u Übereinstimmung. zeigte. 3) M. vgl. meine en Conti: p. 139 unter Eippitudo. ÜBER DIE ABNAHME DER 'KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. $5 Mütter, schien wirklich in ihrer eigenthümlichen: Stärke 1) und Häufigkeit ein Product der neueren Zeit 2), eine böse Mitgift unserer geselligen Zustände und der physischen Erziehung unserer Jugend zu seyn. Die Erfahrungen über den zeitigen Gebrauch des Brechmittels haben bewiesen, wie auch die- sem Übel mit sicherem Erfolge begegnet und dasselbe, wo es auch herstam- men und begründet seyn möge, nicht mehr unter die schlimmen Trabanten der Gegenwart gerechnet werden könne. * | ! Den reinen Entzündungen sind eivilisirte Völker mehr ausgesetzt, weil sie sich besser nähren 3) als uncivilisirte; weil sie vollblütiger und erregter #) sind, so wie im Ganzen auch grösseren Anstrengungen und Gefahren sich unterziehen. AR KEN z Die Fieber, sowohl die entzündlichen als die nervösen, haben: viel von ihrer Gefährlichkeit und Lethalität eingebüsst, seitdem man in ihrer Kennt- niss weiter vorgedrungen, ihre Bildung häufiger zu verhüten, die ausgebro- chenen kunstfertiger zu behandeln und die mit Ansteckung drohenden zu iso- 4) Die bösartige oder brandige Bräune, ein altes Übel, welches aber besonders vor _ zwei Jahrhunderten verheerend wüthete (Sprengel a. a. O. B. IV. S. 486), ist so selten geworden, dass nur ausnahmsweise eine Form des Scharlachs oder der in der neuesten Zeit sehr sparsam beobachtete Rachencroup an jene Zufälle erinnern. SRR H d 2) Die älteren Spuren (z. B. bei Galenus de locis affectis Lib. I gleich vorn. ed. Kühn Vol. VIII. p. 2) sind zu ungenügend, um ihnen ein Gewicht beilegen en können. S 3) G. Blane bemerkte im Jahre 1814, dass die Englischen Matrosen zu Eutzün- dungen geneigter wären als sonst, weil sie besser gehalten würden als früher und nun gesunder wären. Dissertt. p. 24: as the constitutions of seamen are now entirely free from scorbutic taint, and in a great measure from the debi- Utating influence of febrile poison, more sound and vigorous also from impro- = ved diet, cleanliness and ventilation, and at all times breathing a brathing atmosphere, they are more prone to diseases of pure inflammation than for- merl y,. e 4) Benj. Rush fand bei den Nordamerikanischen Wilden bloss 60 Pulsschläge in einer Minute (a. a. O. p. 63): the circulation of the blood is more languid in the Indians, than in persons who are in the constant exercise of the habits of civilized life. - 86 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX liren gelernt. Die schlimmsten Formen erscheinen nicht allerwärts gleich; manche Länder bleiben davon verschont, während andere um so härter da- von betroffen werden. Im letzteren Falle ist das Verdienst ihrer Beschrän- kung um so grösser. Aegypten und Indien sollen weder Typhus erzeugen, noch im Stande seyn denselben fortzupflanzen 1). Wie anders dagegen tritt diese Krankheit in Irland auf! Aber gerade hier liegt es klar vor Augen, was die Anstrengungen der Arzte vermögen, wenn sie von den Behörden und dem Entgegenkommen der Bevölkerung selbst unterstützt werden 2). Es ist schwer zu ermitteln, worin es liege, warum manche Gegenden und Zeiten davon frei bleiben, andere daran sehr leiden. Die Civilisation hat an der Entstehung keine Schuld; zur Tilgung trägt sie nach Kräften bei. Bei den Alten ist fast nur vom bösartigen Nervenfieber die Rede 5), Das schleichende kannten die Araber sehr gut und behandelten es mit kühlenden Mitteln 4). Darauf geschah dieser Form lange keine Erwähnung, und selbst in der neue- 4) M’Gregor, welcher zur Zeit der Occupation Aegyptens durch die Franzosen mit den Englischen Truppen aus Indien dorthin sich begeben musste, beobachtete keinen einzigen ausgeprägten Fall von Typhus in Aegypten, und in Indien sah er nie einen. Wenn auf Transportschiffen Typhus ausbrach und arg wüthete, erreichte die Krankheit doch nicht Indien. Wenn sie ans Land gebracht wurde, fand keine Weiterverbreitung Statt (Medical Sketches p. 169): a second case never appeared on shore. — On inquiry, 1 found that no case had ever been known on the western side of the peninsula, nor have J ever heard of its exi- stence in the eastern. 2) Eine musterhafte Darstellung aller hier in Frage kommenden Beziehungen lie- ferte W. Harty: an historic sketch of the causes, progress, extent and morta- lity of the contagious fever in Ireland. Dublin. 1820. 8. 3) M. vgl. Fr. Ochs artis medicae Principes de curanda febre Fröhode, Lips. 1830. 8. — Wawruch Antiquitates Typhi contagiosi. Vindob. 1812. 4. — Meine Origines Contagii p. 140. — Häser hist. pathol. Untersuchungen. Th. 1. Leip- zig. 1839. S. 50. — W. Falconer versuchte eine Vergleichung zwischen dem morbus cardiacus, »000g »@odıaaog der Alten und dem Nervenfieber der Neuern (Memoirs of the med. Society of London. Vol, VI. p.1. Deutsch in der Samm- lung der Abhandlungen für prakt. Aerzte. B. 23. S. 385. 4) Sprengel a. a. O. B. 2. S. 367. 379. 396. ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 87 sten Zeit behaupteten Ärzte, dass dieselbe erst gegen Ende des vorigen Jahr- hunderts vorgekommen sey }). Der Petechialtyphus, von Typhomanie begleitet, hat gegen die früheren Jahrhunderte sehr abgenommen. Das Englische Schweissfieber, welches im 15. und 16. Jahrhunderte viel Unheil anrichtete, hat seine Wanderungen längst eingestellt. d | | | Das Andenken an das Ungarische Fieber, welches als nervös - putrides, als Lagerfieber, jedoch mit den hefügsten Magenkrämpfen, auftrat und sich durch Ansteckung verbreitete 2), wird nur durch die Geschichte aufbe- wahrt 3). í i 10 il | Die orientalische Pest, welche in 14. Jahrhunderte 4) als sogenannter schwarzer Tod wie ein Würgengel über die bewohnte Erde hinzog, im 17. Jahr- hunderte die furchtbarsten Verheerungen in London 3) und in Wiens) anrich- tete, im 18. Jahrhunderte im Brandenburgischen fast einen Drittheil 7), in Danzig m nn 1) So z.B. zu Philadelphia. Beni, Rush a. a. O. p. 85 sagt: The nervous fever iliar to us, that we look upon it as a natural disease. Sy- has become so fam Dr. Cad- denham, so faithful in his history of fevers, takes no notice of it. Fallader informed mie, that it made its first appearence in this city about five and twenty years ago. 2) In Breslau starben daran im Cap. 9. f. 170. 3) Sprengel a. a. O. B. III. Art Petechialtyphus gewesen zu seyn. 8. 53. | 4) 1348 bis 1350. 5) An der im J. (Th. 1. Cap. 9. f. 177) 70, 594. deerease of diseases. London. 1801. 4. p. 6 chentlich Gestorbenen in den Jahren 1593, verzeichnet sind. 6) Die Pest entvölkerte Wien 1679. — In auf; vorher starb daran beinahe 4 der Einwohner g. 100 e g 7) In den zwei Jahren 1709 und 1710: Süss milch Th. I. Cap. 9. g. 173. J. 1758 über 18000: Süss milch a. a. . 8. 233. — Es scheint der languor pannonicus eine Vergl. Häser hist. path Unters. Th. 2. 1665 zu London grassirenden Pest starben, nach Süssmilch — In Heberden’s Obs. on the increase and 2 ist eine Tabelle, worauf die wö- 1603, 1625, 1625, 1636 und 1665 Augsburg hörte sie erst im J. 1635 (Süssmilch Th. 1. Cap. 9. 88 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX fast die Hälfte 1) der Einwohner hinweg raffte, und immer von Neuem, selbst in unseren Tagen, nach Europa drang 2), sobald die Absperrungs- maassregeln gegen sie nicht strenge gehandhabt wurden, zeigt den Sieg der Civilisation über die Barbarei. Während die Völker, denen der Koran Ge- setzbuch ist, ruhig zusehen, wie fast ununterbrochen diese Seuche unter ihnen wüthet, und dieses verzehrende Feuer kaum erloschen aus denselben Brennstoffen stets von Neuem sich entzündet; während sie es für eine Be- stimmung des unabwendbaren Schicksals erklären, wenn ihre liebsten An- gehörigen in erschreckender Anzahl 3) rasch nach einander hinsterben; wäh- rend sie sorglos die von den Verstorbenen gebrauchten Gegenstände 'hinneh- ` men, und mit eingebildeten Mitteln, mit Mumien, Bezoar, Amuleten die Krankheit behandeln, suchen sich die christlichen Nationen durch Abschliessung, Reinlichkeit, strenge Diät, wissenschaflliche medicinische Hülfe davor zu be- wahren, die Quarantaineanstalten so einzurichten, dass die grösste Rücksicht auf die Gesundheit und das Wohlbehagen der Reisenden mit weiser Strenge verbunden werde, und dass der lebendigste Verkehr zu Wasser und zu Lande Stati linde, ohne nah oder fern ein Menschenleben zu bedrohen 4). Ja ihrer 1) Im J. 1709 ebend. g. 129. — In der Provence tödtete im J. 1720 die Pest gegen 85000 Menschen: Ozanam hist. des Epidémies. T. M. p. 41. an 2) Tully the history of Plague, as it has lately appeared in the Islands of Malta, Gozo, Corfu, Cephalonia etc. London. 1821. 8. Ey Gym 3) Im Jahre 1812 starben nich weniger als 160,000 von der Bevölkerung Constan- tinopels: Bray er Neuf Années à Constantinople. Paris. 1836. 8. T. II. p. 248. 4) Gosse in einer sehr beachtungswerthen Abhandlung (Mémoire sur la Réforme des (Juarantaines. In der Bibliothèque universelle de Genève.. 1842. T. XLII. Nr. 83. p. 46—112), die zu erweisen sucht, dass für die orientalische Pest eine Quarantainezeit von 14 Tagen und für das gelbe Fieber eine von 6 Tagen völ- lig hinreiche, hofft von der zunehmenden Civilisation immer mehr die Abnahme der ansteckenden Krankheiten. Der Aussatz, die Syphilis, die Blattern und die Pest legten für den wohlthätigen Einfluss der Cultur ein sprechendes Zeugniss ab; ihre ehemalige Intensität sey mit ihrer jetzigen nicht mehr zu vergleichen. Frage man, Was es denn bewirke, dass jene Ubel die Tendenz zeigten sich zu vereinfachen und zu verschwinden, so laufe die Antwort: Vinfluence de la civilisation et de la science médicale, les progrès de la raison et de Part de * ÜBER DIE ABNAHME DER KRANK H. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 89 unermüdlichen Rathgebung und Vermittelung scheint es endlich zu gelingen, dass man selbst im Vaterlande der Pest dem Fatalismus nicht mehr huldigt, sondern dem Rathe einer umsichtigen Medicinalpolizei ein williges Ohr leiht. Die Hoffnung der Menschenfreunde, dass die Zeit kommen werde, wo auch jenen Unwissenden der Segen der Civilisation dureh Bewahrung vor der Pest zu Theil werde 1), ist ihrer Erfüllung nahe. Das gelbe Fieber hat schon einige Male auch auf dem Festlande von Europa einen Besuch abgestattet und die heilsame Lehre zurückgelassen, dass strenge Vorsicht und consequente Absperrung gegen seine Wiederkuuft zu schützen vermögend seyen 2). Wenn die Ansicht sich bestätigen sollte, dass der Keim dieser Krankheit hauptsächlich auf den Sclavenschiffen durch die SE der REDE Neger erzeugt würde 3), so müsste de guérir (p. 72). Ein sehr unterrichteter Recensent, welcher selbst Gelegenheit hatte, die Quarantaine - Anstalten am Mittelländischen Meere kennen zu lernen, und mit vieler Umsicht in dem Octoberhefte 1843 von Forbes british and | foreign med. Review die neueren Schriften über diesen Gegenstand von Segur- _ Dupeyron, Robert Williams, Luigi Gravagna, Antoine Pezzoni und John Davy bespricht, theilt die Ansicht (S. 305), dass die latente Periode der Pest nur 40, höchstens 15 Tage dauere, Nicht ganze Länder, sondern einzig die Orte, wo thatsächlich die Krankheit herrsche, dürften als verdächtig angesehen und demgemäss behandelt werden. 1) MG regor (Sketches p. 102): May we not indulge a hope, that, as the inter- course of civilized Europe, with the countries of which the plague is now the source, becomes more regular and intimate, we may be enabled to extend to them our discoveries and improvements, and so direct them to the means of divesting the plague öf its terrors, and reducing the mortality from it to the scale of that of fever and the small-pox in Europe? 2) NM. vgl. Ber the précis historique de la maladie qui a regné dans l’Andalousie en 1800. Paris 1802. — Keraudren notice sur la maladie de Malaga et d' Alicante. Paris 1805. — Palloni med. Beobachtungen über die in Li- vorno herrschende Fieberkrankheit. Aus dem Italien. von Römer. Zürich 1805. S. — Matthäi Untersuchungen über das gelbe Fieber. Hannover 1827. 2 Theile. 8. 3) Audouard (Revue méd. III. 1824. p. 360) Sur Vorigine et les Causes de la Fièvre jaune, considérée comme étant principalement le résultat de Pinfection Phys. Classe II. 90 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX. das, allgemeine Verbot des Sclavenhandels als Angelegenheit der Humanität und der Wissenschaft auch in ärztlicher Hinsicht um so dringender gefor- dert 1), und, wo jenes werkthätig durchgesetzt wird, um so lauter aner- kannt werden. 1011 Das Wechselfieber, von dem man aussagen kann, dass es mehr als jede andere Krankheit seine Macht durch Grundbesitz behaupte, verliert eine Domäne nach der anderen. Bleibt es nicht beim blossen Wunsche, ausge- dehnte Sumpfgegenden der Cultur und dem Menschenbetriebe zu gewinnen; wird mit Ausdauer dahin gewirkt, stagnirende Gewässer abzuleiten und das Zuströmen von neuen zu verhüten, z. B. in der Nähe der See durch Schleussen; wird in Districten, wo Reis- und Hanfbau die Luft verdirbt, für Anpflanzung von Bäumen Sorge getragen; wird auf Reinigung der Ab- zugscanäle, Zuwerfen von alten Stadtgräben gehalten; erstreckt sich zugleich die Vorsicht auf Herbeischaffung von reinem Trinkwasser, von guten Nah- rungsmitteln und Wohnungen, so hören die kalten Fieber, auch wenn sie Indigenatsrecht erlangt zu haben scheinen und e ci is werden, vollkommen auf. Die Geschichte der ökonomischen Verbesserungen der Erdoberfläche lie- fert hierfür die auffallendsten und schlagendsten Beispiele 2). Die Zahl der des bätimens négriers. Besonders p. 381., wo er die Vermuthung äussert, dass das gelbe Fieber, dieser sogenannte typhus nautique, entstehe durch die Aus- wurfsstoffe der Schwarzen verbunden mit den Elementen der Fäulniss in dem unteren Schiffsraume, sobald die Temperatur erhöht würde. Für die Abschaffung des Sclavenhandels zur Verhütung des iba Fiebers sprach sich aus Costa-Sicre (Considérations ae sur promese qui ravagea Barcelone en 1821. Paris. 1827. 8). 1) Audouard a. a. O. p. 377 sagt: les båtimens ER ont été Beie ‚tous les temps et ils sont aujourdhui, plus que jamais, des foyers d'infection. Und | p. 407: Plus de traite, et nous n'aurons peut -être plus de fièvre jaune à com- battre. Ce double bienfait que P’humanite attend de Ia philanthropie du siècle où nous vivons, Afrique le demande à Europe, les peuples aux peuples. 2) So sind manche der anmuthigsten und gesundesten Gegenden Englands vor nicht langer Zeit unwirthbare Moore und Sümpfe gewesen, wie z. B. die von Rom- ney in Kent und die ganze Küste von Essex. Ils sont maintenant desséchés, et ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 91 Erkrankenden und Sterbenden lässt gleich nach und die früher so gefürch- teten, gleichsam von einem Lindwurme der alten Fabelwelt bewohnten Orte können sogar ihrer gesunden Lage wegen aufgesucht werden. Die Ruhr, welche vordem ein viel empfundenes Übel war, das weit- hin in ganzen Landstrecken herrschte, hat allmälig eine höchst bemerkens- werthe Verringerung ihres Vorkommens, ihrer Wirkungen erfahren ). Ohne Zweifel ist dieses günstige progressive Ergebniss nicht sowohl epidemischen Einflüssen, als vielmehr der Verbreitung heilsamer, diätetischer Regeln, dem ‚Anbaue gesunder Nahrungsmittel, der allgemeineren Sorge für angemessene Er- nährung 2), Kleidung, Wohnung, Erwärmung und, beim Verdachte einer Ansteckung, den sogleich getroffenen sichernden Maasregeln zuzuschreiben. rien n’atteste que cette côte soit moins salubre que le reste du comté (Chai x Observations sur le Dénombrement de la Population de la Grande-Bretagne, In der Bibliothèque universelle de Genève. 1842. T, XIII. N. 83. p. 114). Auch das junge Griechenland schreitet auf diesem Wege der Verbesserung vor- wärts: “Nachdem es gelungen, die Sümpfe auszutrocknen, zeigt sich gegenwärtig die Luft des Piräus selbst gesunder als die von Athen” (C. A. Brandis Mitthei- lungen über Griechenland. Th. 1. Leipzig. 1842. 8. S. 109). 1) Schon Heberden (Obss. on the increase and decrease of diseases. p. 34) konnte vor 40 Jahren sagen: kaum ein Factum aus den Mortalitätslisten nehme die Beachtung der Ärzte so sehr in Anspruch als die gradweise Verminderung die- ses Leidens. Im J. 1700 seyen jährlich über 1000 daran gestorben, 1750 etwa 110 und 1800 20. G. Blane (Select Dissertt. p. 118) bestätigte später diese Aussage, nach an- gestellten Vergleichungen, auf das Vollkommenste. Er bemerkt: It appears from the bills of mortality, that the annual deaths from bowel complaints, of Which dysentery was the principal, fluctuated from one thousand to two thou- sand, some years amounting to upwards of four thousand in the seventeenth century; that they fluctuated from one thousand to one hundred in the first part of the eighieenth century, and from one hundred to twenty in the latter half ol it. And I find, from inspecting those bills for the first ten years of the pre- ent century, that the number of annual deaths under this head has been on an average 22. 8. 2) Im J. 1835 herrschte die Ruhr im Regierungsbezirk Königsberg. In einem Dorfe blieben von 26 Erkrankten nur 13 am Leben. Allein “zum Droduch wurde M2 92 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Die Asiatische Cholera, dieses seltsame Erzeugniss klimatischer und na- tioneller Elemente Ostindiens, überfiel als eine neue Krankheit die Europäi- chen Länder. Aber gerade in ihrem plötzlichen Auftauchen und: allmäligen Verschwinden benrkundete sie deutlich die Bedeutung eines höher civilisirten bürgerlichen Zustandes, Nur durch die Begünstigung vorübergehender po- litischer und kriegerischer Unruhen ward es ihr möglich, die Grenzen zu überschreiten, welche ausserdem für sie unübersteiglich gewesen wären. Die Bemühungen, welche eine Deutsche Regierung anwandte, um die heranna- hende Seuche von ihrem Gebiete abzuhalten, werden in der Geschichte ihrer Europäischen VVanderung unvergänglich bleiben. Die Entschliessung, das Vor- dringen der hereinbrechenden Krankheit Schritt für Schritt streitig zu ma- chen, war das Ergebniss der Prüfung umfassender, amtlich ermittelter That- sachen ). Hier, wie anderswo, wo man sich durch Scheingründe nicht irre machen liess, ist es in unzähligen ‚Fällen gelungen, durch eine strenge, voll- ständige und consequente Ausführung der angeordneten sanitätspolizeilichen Maasregeln und hauptsächlich durch Isolirung der Kranken und sorgfältige Reinigung der Wohnungen das bereits ausgebrochene Übel im Keime zu er- sticken und seine weitere Verbreitung zu verhindern. Zur Zeit dieser Ge- fahr beurkundete sich auch eine solche Fülle theilnehmender menschlicher Ge- sinnung, der Pflege, der Unterstützung für Arme und Leidende, des Eifers der Behörden für Reinhaltung der Wohnungen; Wartung der Bedürftigen, Unterbringung der Kranken, so wie auch ein solches angestrengtes Zusam- menwirken der Ärzte, um Alles, was Kunst und Erfahrung zur Bezwingung dieser Krankheit vermag, ins Werk zu setzen, dass es endlich gelang, sie Ort für Ort zu bewältigen und wieder aus Europa zu verdrängen. So wie nun bier ihre Wurzeln und Samen gelilgt scheinen, so werden si- cherlich die gewonnenen Überzeugungen von ihrem wahren Charakter ihre Wiederkunft aus der fernen Geburtsstätte unmöglich machen. aus Armuth der Blüthenstaub der männlichen Kätzchen der Haselnuss ge- braucht”, Provinzial - Sanitäts- Bericht des Medicinal-Collegiums zu Königsberg. Königsb. 1837. 4. S. 19. 8 1) M. vgl. besonders W. Wagner die Verbreitung der Cholera im Preussischen Staate. Nach amtlichen Quellen bearbeitet. Berlin. 1832. 8. | ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKH. DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT. 93 Der Schornsteinfegerkrebs, der vorzüglich in England zu Hause war, ist durch einen Beschluss des Parlaments 1) gewissermaassen aus der Reihe der pathologischen Erzeugnisse verwiesen worden. Die Reinigung der erstaunlich engen Kamine gab Veranlassung zu diesem Übel; der Befehl, jene nur vermittelst Maschinen > zu EE entfernte mit der Ursache die Entstehung desselben. Der Seescorbut kann als unzweidentiger Beweis gelten, dass es der fortschreitenden Zeit möglich wird, durch das Herausfinden des rechten Mit- tels und dessen umsichtige Anwendung auch den schwersten Körperleiden ihre Macht, ja ihre Existenz zu entziehen. Die Anordnung der Englischen Admiralität, alle Schiffe, welche weite Seereisen übernehmen, mit einer hin- reichenden Quantität Citronensaft oder Weinsteinsäure zu versehen, verschaffte ihnen die Möglichkeit, bis zu den erreichbaren Ländern des Nord- und Süd- poles ohne einen einzigen Angriff dieser sonst so furchtbaren Krankheit zu gelangen. Auf den Regierungsfahrzeugen, wo mit Strenge auf die vorge- schriebene Reinlichkeit und guten Proviant gehalten wird, ist seit langer Zeit kein Fall von Scharbock vorgekommen 2), wohl aber auf den Schiffen von Privaten, welche aus Eigennutz es unterlassen, einen Arzt am Bord zu hal- ten und für einen gehörigen Vorrath von Citronen und frischen Nahrungs- mitteln Sorge zu tragen. In den Seehospitälern sieht man sich vergebens nach dieser Form von Cachexie um 3); wer sie kennen lernen will, muss ihr Bild in den Büchern n, oder da, wo die Lehren der Civilisation keinen Ein- gang finden 9). i 1) Die Akte ist vom 1. July 1842. S 2) G. Blane a. a. O. P. 4: In the year 1796 (the first in which the general sup- ply of lemon juice took place) the sickness, instead of decreasing gradually, fell per saltum. Vergl. p. 8 und p. 222. — John Woodall, der im 16ten Jahrh. eine Zeitlang in Stade lebte, wies in seinem Buche: the Surgeon’s Mate dem Citronensafte bei der Heilung des Scorbuts den ersten Platz an. 3) Bei Blane- p. 7: scurvy has almost disappeared from naval hospitals. Wie ich mich selbst vergebens im J. 1841 darnach umgesehen, erwähnte ich in meinen Erinnerungen an England, Braunschweig. 1842. 8. S. 81 und 103. 4) Vor 200 Jahren gehörte der Scorbut in London zu den constanten Übeln. Bei * 94 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX Der Aussatz war die fürchterlichste Volkskrankheit des Alterthums und griff, in vielfache Gestalten sich verlarvend, mit schleichender Bösartigkeit auch in die höheren Stände ein; bei uns ist er fast spurlos verschwunden. Sonst dienten tausende von Leprosenhäusern zur Aufnahme der Siechen, die an den ausgebildetsten Formen dieser ansteckenden Krankheit litten ); jetzt ist es eine Merkwürdigkeit 2), wenn eine schwache Modification derselben ir- gendwo zum Vorscheine kommt. Durch die aus dem Oriente heimkehrenden Kreuzritter geschah es hauptsächlich, dass sich dieses Ubel im Abendlande verbreitete; die Entwickelung der Europäischen Culturverhältnisse trieb es wie- der dahin zurück, wo der stagnirende Zustand der ärztlichen Kunst, die In- dolenz der Bewohner, Aberglaube und Unverstand ihm noch lange Boden und Nahrung gewähren werden. Die Menschenpocken, von denen es noch zweifelhaft ist, ob die Alten sie gekannt, die aber seit vielen Jahrhunderten zu den unvermeidlichen Cala- mitäten der Menschheit gerechnet wurden, haben seit Entdeckung und Ein- J. Graunt (Obss, upon the Bills of mortality. Lond. 1662. 4. p. 18) würd en sb den “Casualties, that bear a constant proportion unto the whole num- ber of Burials” aufgeführt. Jetzt ist daselbst diese Krankheit verschwunden. Auch in Paris ist sie eine solche Seltenheit, dass Andral sagt (Essai d’Hematologie pathologique. Paris. 1843. 8. p. 129: Les scorbuts bien ca- ractérisés sont si rares à Paris, que pendant longtemps Ten avais été réduit H une simple conjecture sur létat du sang dans cette maladie. Hingegen in Ar- changelsk findet sie sich unter der niederen Volksklasse endemisch, bedingt peni die Lebensweise und Nahrungsmittel. Dass sie keine endemische "Kraukheit sey, welche vom Klima und der =. abhänge, beweist R. Richter (med. Topo- graphie der Stadt Archangelsk. $. 121) einfach durch die Jahre 1823, wo 290 Kälte, und 1824, wo 25° herrschten, und in denen weniger derartige Kranke vorkamen als in den Jahren, wo blos 240 beobachtet wurden. Im dortigen Seehospitale waren solcher Kranken im J. 1822 496; 1823 46; 1824 66; 1825 614; 1826 180 und im dortigen eg im J. 1822 561; 1823 575 1824 19; 1825 270; 1826 22, 1) Der Aussatz war im Alterthum so SN dass sogar die a ER Augustus und Tiberius die Spuren perei an sich trugen (Hensler vom abend- ländischen Aussatze. Hambu urg. 1790. 8. S. 254) und dass man späterhin in Eu- ropa noch im 13ten Jahrhundert er: 20,000 Leprosenhäuser zählte (Möbsen 8 ig einer Berlinischen Medaillen - Sammlung. Th. 2. Berlin. 1781. 28 a solche wird erwähnt (Riecke Beitr. S. 22), date innerhalb 12 Jahren auf er c chirurgischen Klinik zu Ae gegen 20 E alle von Elephantiasis beob- achtef wurden, CE — ÜBER DIE ABNAHME DER KRANKER, DURCH D. ZUNAHME D. CIVILISAT, 95 führung der Kuhpockenimpfung beinahe ganz aufgehört 1). Unter allen Wohl- thaten, welche dem Menschengeschlechte je durch Menschen zu Theil gewor- den, hat sieh keine grösser und erfolgreicher bewährt, als sie. Bis dahin wurde ein Zwölftel der Bevölkerung der Erde durch die Pockenseuche theils hinweggerafft 2), theils der Gesundheit und Wohlgestalt beraubt. Solchen Verheerungen setzte dieses unschätzbare Verfahren wie durch einen Zauber- schlag plötzlich Schranken. Das vereinzelte Erscheinen der wirklich echten oder modificirten Pocken seit jener Zeit ist mit dem, was früher sich begab, in keinen Vergleich zu bringen. Selbst in den Jahren, wo man sich durch die Garantie einer einmaligen oder unvollständigen Impfung zu sicher glaubte, und nothwendige Rücksichten ausser Acht liess, stellte sich die Sterblichkeit gegen sonst als eine äusserst geringe heraus 5), In allen Staaten, welche das Impfgeschäft unter ihre Controle 4) gestellt haben, wo für stäten Vor- rath von wirksamem Impfstoff Sorge getragen und der Revaccination mit Eifer das Wort geredet wird, haben die Pocken, als tödliche Krankheit, aufgehört zu existiren. Die Vaccination ist ein glänzender Beweis der Vorzüge der Ci- vilisation, die köstlichste Frucht mensehlichen Nachdenkens und Versuchens, der schönste Lohn für den Verkehr mit den leisen, kaum verständlichen Stim- men und Winken der Natur. Die Gesundheit und das Leben von Millionen wird durch sie, ohne irgend ein Opfer von Schmerz oder Entbehrung, ge- sichert und bewahrt. Diese Entdeckung ging rein und fertig, wie eine ge- harnischte Minerva aus Jupiters Haupt, aus den Studien und Experimenten ihres Urhebers hervor. Auch feierte sie bald ibren Triumphzug über die Erde bis zu den hüflosen Indianern hin, von welchen noch ein Brief an den Entdecker vorhanden ist, worin sie ihm für diese Gabe des grossen Geistes danken 5). So dringen die unleugbaren Segnungen der Cultur auch in das allen Zufällen preisgegebene Leben der Wilden und machen diese in freu- 1) Selbst in Aschangelak zeigten sich innerhalb der Jahre 1822 bis 1826 incl. im Seehospitale bloss 2, im Landhospitale 6 Fälle (s. die Tabellen bei Richter a. a. O. S. 149). 2) Süssmilch Th. 2. Cap. 24. |. 528. 3) So waren 2. B. in Million Gestorbener 8191 Pockenleichen, Pocken nur Einen getödtet, und wahrschei nlich war der wirkliche Verlust noch der med. Zeitung für Preussen. 1835. N. 45. bestowing upon him so much wisdo ward Jenner 96 C. FR. H. MARX UB. D. ABN. D. KRANKH. DURCH D. ZUN.: D. CIVILISAT. digem Erstaunen bereitwilliger zur Annahme auch ihrer anderen weniger in die Sinne fallenden Wohlthaten 1 Bedarf es noch gehäufterer Aufführung von Krankheiten, um die That- sache zu erhärten, dass die Civilisation dieselben nicht nur nicht steigere und vermehre, sondern sie vermindere und theilweise tilge? Beinahe jedes der unzähligen Übel, wovon die Menschheit bedrängt wird, gibt, wenn gründ- lich in seinen Ursachen und Beziehungen erforscht, einen ‚Beleg für diese trostreiche Wahrheit ab. In dem Maasse als Künste, Wissenschaften, Mo- ralität und Sitte sich heben und vervollkomninen, vervielfältigen sich die Mittel, wodurch das menschliche Leben auch abseiten der Gesundheit gestärkt und gegen innere wie äussere Feinde sicher gestellt wird. Wahres Wissen und wahres Wohl gehen Hand in Hand mit einander. Schon nach dem Griechi- schen Mythus ist das Licht auch das Heil. Phöbus Apollo, welcher die Welt erleuchtet, war auch der Helfer; ihm sang man den Päan, das Lied des Heils. Was die Frühzeit in mythischer Ahnung dichtete, ist im Laufe der Jahrtau- sende zur Gewissheit worden. Je mehr die Menschheit zu dem Bewusstseyn und der Entfaltung aller ihrer Thätigkeiten gelangt, desto sicherer wird ihr auch die volle Harmonie des leiblichen Daseyns zu Theil. Mit Recht kann man daher behaupten, Einsicht sey nicht bloss Macht, sondern auch Ge- sundheit. Der Zugang zu ihr ist keinem versagt; durch die Buchdruckerkunst und die Lehranstalten ist die Theilnahme an den höchsten Gütern Jedem ge- stattet. Die Medicin blieb hinter den übrigen Verbreitern der Humanität nicht zurück. Wie sie stets dahin strebte, Krankheit auszurotten, deren Heftigkeit zu lindern, dem Leidenden zu helfen, den Gesunden zu kräftigen, so be- mühte sie sich mehr und mehr ihre Wahrheiten zum Gemeingute und zu unwiderlegbaren Zeugnissen der Civilisation zu machen, 1) H. Halford, der den Vorschlag machte, Ärzte als Missionäre in die Barba- renländer zu schicken (on some of the results of the successful practice of Phy- sic. London. 1838. 8. p. 17) “by ee en to benefit both ihe body and the soul”, wusste wohl, dass das Gefühl der Dankbarkeit für die physischen Wohlthaten — 4 an idera Sinn und — öffne. Wundärzte waren es, un namentlich Gabriel Boughton, welche der ee Compagnie und so der eivilisirten Welt jenes unermessliche Reich Asi (J. Mill the history of British India. Vol. I. Lond. 1820. p. 70): taining great influence, by the cures which they effected, they eniployed ett interest in promoting the views al the Compan Französische Missionäre hatten aus England Lanzetten mit Kuhpocken-Lymphe und eine von Staunton in das Chinesische übertragene Anweisung über das Ver- fahren mit nach Pecking genommen. Bald darauf schrieb John Barrow an Jen- ner (Baron life of Jenner. Vol. II. p. 85), dass diese Schrift in Canton selbst peans, have established their dair; e Do though last, is not the least, on the gratitude of the Chinese. ; Seitliche Zwitterbildung (Hermaphroditismus lateralis) beim Menschen beobachtet. ; Von Arnold Adolph Berthold. Vorgelesen in der Sitzung der Königlichen Societät der Wissenschaften vom 12ten August 1843. — — — — 3 biläungen gbakan ba Thieren getrennten Geschlechts gehören nicht eben zu den Seltenheiten; die bei weitem meisten- Fälle dieser Art sind aber offenbar nur Missbildungen der äusserlichen Geschlechtstheile. Jedoch fehlt es auch nicht an Beispielen, dass die innern wesentlichen Fortpflanzüngsor- gane wirklich zwitterhaft gefunden wurden. Diese wesentlichen Organe sind aber eigentlich nur diejenigen, welche den zur Fortpflanzung nothwendigen Stoff bereiten, d. h. Hoden und Eierstöcke. Die meist mangelhafte und ober- flächliche Untersuchung solcher seltenen Fälle, dann ‚aber auch die alten fabelhaften Erzählungen von Zwittern, welche bald gezeugt, bald empfangen haben sollten 1), waren wohl die Hauptveranlassung, dass von so vielen und guten Schriftstellern der vergangenen Zeit das Wesen des abnormen Hermaphroditismus in Missbildung der Genitalien, entweder bei bloss männlichen 2), oder bloss weiblichen 3) Individuen gesucht wurde. Dem ebenso genauen Beobachter als tiefen Denker J. F. Meckel ) gebührt hauptsächlich das Verdienst, wie 1) H. G. Arnaud, über die Hermaphroditen. Aus dem Franz. übersetzt. Stras- burg 1777. 4. p. 16 f. 2) F. B. Osiander, Neue Denkwürdigkeiten für Geburtshülfe. Bd. 1. p. 254. 3) J Parsons, An Inquiry into the nature of Hermaphrodites. Lond. 1741. 8. 4) Handbuch der pathologischen Anatomie. Bd. 1. 1812. 8. p. 214. — System der vergleichenden Anatomie. Bd. 1. 1821. p. 418 f. Phys. Classe. II. N — 98 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD in die Lehre von den Missgeburten überhaupt, so auch in die von den Zwit- terbildungen, das gehörige Licht gebracht zu haben, indem er nachwies, dass für die abweichenden und regelmässigen Bildungen dieselben Gesetze gelten, dass die meisten abweichenden Bildungen regelmässigen Bildungen genau ent- sprechen, und dass die am häufigsten vorkommenden Bildungsabweichungen in einem Stehenbleiben auf einer frühern, Bildungsstufe begründet sind. Da- durch hat er nicht nur die Kluft zwischen den regelwidrigen und regelmässi- gen Bildungen bedeutend vermindert, sondern auch gerade die Häufigkeit und die Anordnung der Abweichungen erklärt. Eine genauere Beobachtung der Natur im u; und des. Verhal- tens der Organismen in Betracht der Fortpflanzung ergiebt, dass das, was wir Art nennen, überhaupt Hermaphrodite sey. Auch bei sehr unvollkomm- nen Thieren, und namentlich bei solchen, welche, wie z. B. Polypen und manche Infusorien, durch Theilung oder Knospenbildung sich fortzupflanzen vermögen, hat man Eier und Eierstöcke, sowie männlichen Saamen und männliche Organe beobachtet. Tief ist demnach die Geschlechtlichkeit i in der Natur begründet; sie ist ein durchgreifendes Gesetz in der organischen Na- tur, indem sie auch da nicht fehlt, wo sie der äussern Erscheinung nach nicht absolut nothwendig wäre, wo ihr eigentlicher Zweck, nämlich Fort- pflanzung, durch Theilung und Knospenbildung erreicht werden kann, und oft im ausgedehntesten Maasse erreicht wird ). Wenn nun demnach die Art überhaupt als Hermaphrodite, d. i. als männlich und weiblich erscheint, so verhält es sich mit den Individuen doch nicht also: diese können zwar eben so wie die Art überhaupt, und zwar als normal, hermaphroditisch seyn, wie wir es bei den meisten Pflanzen, verhältnissmässig aber nur bei wenigen Thieren, und unter diesen bei den sämmtlichen Anneliden und Rotatorien, bei vielen Mollusken und Eingeweidewürmern und vielen Polypen finden, — je- doch verhalten sich die meisten Thiere, und zwar sämmtliche Wirbelthiere, und unter den wirbellosen das ganze Heer der Insecten im Linneischen Sinne, und ausserdem noch viele Ordnungen und Familien der übrigen Evertebraten 1) Geschlechiseigenthümlichkeiten von A. A. Be rthold; im Handwörterbuch der Physiologie, herausgegeben von R. Wagner. Bd. 1. Heft 4. SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEID MENSCHEN BEOBACHTET 99 hinsichtlich der Geschlechilichkeit so, dass nur die Art hermaphroditisch die Individuen, d. h. Sei — N entweder männlich oder weib- lich sind. i. piine ` Vergleichen wir he Buchel mit der zunächst dek sich knüpfen- den Folge, so kann der Zweck derselben nur auf stärkern Gegensatz, auf schroffere Grenze zwischen dem Begriff der Art überhaupt und dem Begriff der Art in concreter Bedeutung abzielen. Nur niedere, mehr unvollkommene Wesen vermögen sich durch ungeschlechtliche Zeugung fortzupflanzen, wobei das Individuum unmittelbar, d. h. ohne Mitwirkung bestimmter Organe, welche die For tpflanzumgsthätigkeit für das Ganze übernommen haben, zu zweien oder mehreren neuen Individuen wird. Es findet hierbei eine fortwährende un- mittelbare Verjüngung Statt. Dadurch, dass der Steckling einer Pflanze zu einer neuen ganzen Pflanze wird; und dass das in 2 Hälften sich theilende Infusionsthier zu 2 ganzen Infusorien sich umbildet, sind dieselben in den Stand gesetzt, selbst einen bereits durchlaufenen Lebenscyelus noch einmal zu beginnen. Bei höheren Wesen hingegen, wo eine 'schroffere Individualität und eine grössere Mannigfaltigkeitsgestaltung herrschend geworden ist, findet ein solcher unmittelbarer Ubergang eines bestimmten Individuums in andere, der Art nach gleiche, Individuen nicht mehr Statt, sondern nur durch einen Ge- schlechtsact; — hier beruht auf gewissen zur Fortpflanzung bestimmten Or- ganen allein die die Fortpflanzung vermittelnde e — hier giebt es keine unmittelbare Verjüngung. if Das Fortpflanzungsleben selbst KH erscheint, insofern es sich durch besondere Organe, und nicht durch Knospenbildung oder Theilung, bethä- tigt, unter doppelter Form: Belebung eines Eies oder Keimes und Anregung desselben zur Entwickelung, d. h. es erscheint als weibliche und männliche Function, worauf die eigentliche Geschlechtlichkeit oder Sexualität beruht. — Diese ist die Vermittlerin zwischen allgemeinem und concretem Artbegriff, bil- det aber eben dadurch nothwendig auch eine Grenze oder Scheidewand zwi- schen beiden, indem, wenn zwei Umstände zu einem Zweck concurriren die- ser Zweck nieht so leicht erreicht werden kann, als wenn ein einziger genügt. Schwerlich durch geschlechtliche Fortpflanzung, wohl aber durch ungeschlecht- liche, wo ein einziges Individuum durch blosse Theilung sich vermehrt, ist N2 100 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD die ans Unglaubliche grenzende Vervielfachung eines einzigen Infusoriums bis zu einer Million in wenig Stunden zu erklären 1), Wenn solche Thiere durch Theilung sich fortpflanzen, wenn also ihre bestimmte Individualität in die fortbestehende Art unmittelbar übergeht, so ist dieser Process gewiss ein- facher, als wenn das Distoma sich geschlechtlich fortpflanzt, indem dabei nothwendig der Vorgang vorausgesetzt werden muss, dass der Saame zum Ei gelange, und solches zur Entwickelung anrege; dieser Process ist aber wie- der einfacher, als wenn, wie bei Bandwürmern, behuf einer geschlechtlichen Fortpflanzung das eine Glied das andere befruchten muss; dieser wieder ein- facher, als wenn, wie bei hermaphroditischen Mollusken oder Anneliden, zwei gleiche Individuen sich gegenseitig aufsuchen und einander sich nähern müs- sen, um den Begattungsact zu vollziehen, und dieser Process wieder einfacher, als wenn bei vollkommen getrennter Geschlechtlichkeit zwei geschlechtlich ver- schiedene Individuen zur Fortpflanzung sich begatten müssen 2). Überall aber, wo wir in der Natur geschlechtliche Verschiedenheit der Individuen wahrnehmen, erkennen wir bei genauerer Untersuchung doch ein gegenseitiges analogisches Verhalten solcher geschlechtlich verschiedener Indi- viduen. Schon von den Alten ist dieses anerkannt, von vielen Spätern aber gänzlich misskannt worden. Diese Analogie beruht darauf, dass im männli- chen Individuum zwar die männliche Natur die herrschende ist, die weibliche aber doch nicht fehlt, und umgekehrt. Solches zeigt sich sowohl im ganzen Bau, als auch in den Foripflanzungsorganen, von welchen der Hode dem Eier- stock, der Nebenhode nebst Vas deferens, Saamenbläschen und Prostata, als die leitenden Theile des Saamens, der Tuba, Gebärmutter und Vagina als den leitenden Theilen des Eies, der Penis aber offenbar der Clitoris und der Hodensack den grossen Mutterlippen entspricht. 6 Wie nun aber die Fortpflanzungsorgane analogisch sind, und in dem Pflanzenreiche als gewöhnliche Regel, im Thierreich hingegen nur als mehr ausnahmsweise, d. h. nur bei einzelnen niedern Ordnungen und Familien in 1) Ch. G. Ehrenberg, die infusionsthierchen als vollkommne Organismen. Leipz. 1838. Satz 10. 5 2) A. A. Berthold, Geschlechtseigenthümlichkeiten 1:21 2 O. p. 599. SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET. 101 dem einzelnen Individuum normalmässig vereinigt sind, so dass jedes Indivi- duum den vollen Charakter sowohl des männlichen, als auch des weiblichen Geschlechts in sich trägt, so müssen wir auch erkennen, dass in den frühe- sten Peripden der Entwickelung der höhern Thiere noch von keinem Physio- logen ein merklicher Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Em- bryonen erkannt worden ist. Erst mit allmälig fortschreitender Entwickelung, und zwar nicht allein bis zur Geburt, sondern, sogar bis zur Mannbarkeit, stellt sich der Geschlechtsunterschied mehr und mehr charakteristisch her- N b d e e Menn aber der Geschlechtscharakter erst allmälig sich herausstellt, so muss es eine Zeit im Embryonenleben geben, wo Geschlechtslosigkeit, oder Geschlechts- gleichheit herrscht. Und wirklich ist solches so lange anzunehmen, bis die ersten Keime von Geschlechtsorganen sich zu bilden beginnen, Beim Menschen hat dieir Beginn erst mit der 6. Woche Statt, — nachdem schon die wesentlichsten Theile des Thierkörpers: Nerven-, Verdauungs-, Circulations-, ja sogar Re- spirationssystem und verschiedene Absonderungsorgane sich gebildet haben 2). Hat sich um diese Zeit aber das Geschlechtssystem, und namentlich der we- sentliche Theil desselben zu bilden. begonnen, so trägt es doch noch lange sowohl den männlichen als den weiblichen Charakter an sich. Hielt man doch desswegen in frühern Zeiten alle Embryonen für weiblich, bis man später den Grund der ursprünglichen Gleichheit und Ähnlichkeit beiderlei Ge- schlechtsorgane einsah, die sich sogar auf den ursprünglichen Bau der keim- bereitenden Organe, des Ovariums und Hoden, erstreckt. Erst im 3. Monate ist man im Stande durch die bedeutendere Grösse der Hoden und durch das Verschwinden der Spalte unter der Ruthe, zwischen männlichem und weiblichem Embryo zu unterscheiden. Valentin 3) hat auch im Bau des Hoden und Ovariums die ursprüngliche Gleichheit erkannt. Das Blastem beider Arten von inneren keimbereitenden Geschlechtstheilen erscheint zuerst 1) A. A. Berthold, Lehrbuch der Physiologie. 2. Aufl. Bd. 1. Gött. 1837. p 279. 29 J. Müller, Bildungsgeschichte der Genitalien. Düsseldorf 1830. 4. 3) Über die Entwickelung der Follikel in dem Eierstock der Säugethiere. In Mü l- lers Archiv für Anatomie und Physiologie. 1838. p. 530. DH 102 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD als ein langer und schmaler Streif an dem Innenrande der Wolfschen Kör- per, concentrirt sich hierauf zu einem mehr oder minder bohnenförmigen Ge- bilde jederseits und wird mit Leisten und isolirten innern Höhlungen oder Röhren versehen. Der Hauptausführungsgang entsteht getrennt und entfernt von dem durch Leisten bezeichneten Blastem. So weit geht die Bildung voll- kommen gleichmässig in Beiden vor sich. Von nun an bilden sich aber die Röhren in den Leisten verschieden aus; beim Hoden werden sie zu Saamen- kanälen; — beim Ovarium bilden sich in den Röhren reihenweise gelagerte Follikel, welche sich allmälig vergrössern, die Röhren verzerren und so an ein- anderpressen, dass diese letztern fast gänzlich zu verschwinden scheinen, ob- gleich Hr. Valentin die Eierstocksröhren des Foetus nicht nur, sondern auch des Neugeborenen von dem Rinde und Schaf, so wie dem Rehe und dem Kaninchen noch deutlich erkennen und isoliren konnte. | Hat nun so auch die Beobachtung gelehrt, dass ursprünglich Geschlechts- losigkeit und Geschlechtsgleichheit in den Embryonen Statt hat, so wissen wir doch keineswegs, von welchem Umstande es abhängt, dass entweder das eine oder das andere Geschlecht in einem Embryo sich herausbildet. Ein Grund davon ist jedenfalls vorhanden. Aber es ist möglich, dass der Grund nicht hinlänglich ist; es ist alsdann die Natur zu ohnmächtig, ihren ursprünglichen Begriff der Geschlechilichkeit gehörig durchzuführen, und in natürlicher Folge davon er- scheint der abnorme Hermaphroditismus. Derselbe kann, sofern er auf die eigentlichen keimbereitenden Organe sich bezieht, d. h. ein wahrer abnor- mer Hermaphroditismus ist, nur unter folgenden, sowohl dem allgemeinen Entwickelungsgange in der Natur, als auch dem besondern ann gange am Individuum entsprechenden Formen auftreten: 1. Als gänzliche Geschlechtlosigkeit : Sie würde entstehen Gnad? in den ersten 6 Wochen des Embryonenlebens, d. h. vor dem ersten Auftreten der Geschlechtsorgane überhaupt. Mehrere Fälle gänzlichen Mangels der Ge- schlechtstheile werden erzählt, wobei aber ausser den Genitalien meist noch an- dere Organe entweder fehlten, oder gemissbildet waren. Einige Fälle, wo in einem übrigens normal gebildeten Körper bloss die Genitalien oder die keim- bereitenden Theile derselben gänzlich mangelten, sind in neuerer Zeit beob- achtet. Auch ist die Möglichkeit davon nicht abzustreiten, indem ein SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET. 103 solcher abnormer Zustand in dem Normalzustande der Blasenwürmer, bei denen Genitalien noch nicht beobachtet worden sind, und bei welchen nur eine Foripflegaig, durch Kuospaubildung vorkommt, seinen * ten findet. i 2. Als 5 der en AR opra pea Hier sind alle wesentli- chen männlichen und weiblichen Organe doppelt. Die Entstehung dieses Hermaphroditismus kann nur in diejenige Periode des Embryonenlebens fal- len, in welcher die Geschlechtsorgane sich zu bilden beginnen, in ihrer Anlage aber den entschiedenen männlichen oder weiblichen Typus nicht zu gewinnen im Stande sind, sondern vielmehr nach dem doppelten Typus sich entwickeln. Zur Erklärung dieses Hermaphroditismus, welcher in dem nor- malen Hermaphroditismus der Anneliden seinen Repräsentanten hat, ist ein luxuriöser oder excessiver Bildungstrieb hinlänglich, und es ist nicht nöthig dazu die Befruchtung und Verschmelzung zweier Keime oder Embryonen, oder die Hypothese anzunehmen, dass bei jedem Embryo alle männlichen und weiblichen Organe als besondere Keime vorhanden wären, von denen aber hier gewöhnlich entweder nur die männlichen oder nur die weiblichen zur Entwickelung gelangten, abnorm aber beide zur Entwickelung gelangen könn- ten. Wie das nur temporäre Hirschgeweihe durch zu beschränkten oder zu wuchernden Bildungstrieb weniger oder mehr als die gewöhnliche Endenzahl haben kann, ohne dass dabei auch nur möglicherweise an präformirte Zacken zu denken ist ), so können sich auf dieselbe Weise auch bei den eigentlichen Organen des Organismus ähnliche Erscheinungen ereignen. 3. Als seitlicher geschlechtlicher Unterschied der Organe. Die Entste- hung dieses Hermaphroditismus rührt wahrscheinlich aus einer späteren Zeit her, nachdem sich die keimbereitenden Organe schon als einfache angelagert hatten; das anfangs unbestimmte Geschlecht konnte sich in beiden Seiten nicht gleichmässig herausstellen. Dieser abnorme Herniaphroditismus ist in dem normalen Hermaphroditismus vieler Mollusken, wo nur 1 Hode und 1 1) A. A. Berthold, Beiträge zur Anatomie; Zootomie und Tiaia Götting. 1831. “Über das Wachsthum, den Abfall und die Wiedererzeugung der Hirsch- geweihe.” p. 79. D 104 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD Eierstock sich befindet, repräsentirt. In unserm, so wie in dem Falle von Varole und Rudolphi lagen die männlichen Organe rechts, die weibli- chen links, in dem von Suë hingegen verhielt es sich umgekehrt. Ist hiernach nun, sowohl dem Entwickelungsgange in dem Thierreiche überhaupt, als auch im Menschen gemäss, ein normaler und abnormer Her- maphroditismus des Individuums möglich, so beweiset der folgende von mir beobachtete Fall, dass der letztere beim Menschen wirklich vorkommt. — Hr. Prof. Müller D behauptet, “dass vollkommener Hermaphroditismus mit doppelten keimbereitenden Geschlechtsorganen, Hoden und Eierstock, noch nicht sicher beim Menschen beobachtet sey”. Aus dieser Äusserung des Hrn. Prof. Müller noch im J. 1840 schliesse ich, dass der von Rudolphi 2) beschriebene Zwitter entweder ein anderes Resultat lieferte als dieser ver- öffentlicht hat, oder dass bei der Zergliederung dieses Zwitters die Theile so zerschnitten sind, dass dieselben einen genauern Vergleich nicht mehr zu- liessen. Dass das Präparat noch gegenwärtig im Berliner anatomischen Mu- seum vorhanden sey, dürfte kaum bezweifelt werden. Ich habe meinen Her- maphroditen so anatomirt, dass alle Theile ihre gehörige gegenseitige Lage behalten haben, nur konnte der Annulus abdominalis, welcher den Funiculus spermaticus eng umschloss, nicht ganz bleiben. Von einem ehemaligen sehr fleissigen Zuhörer, dessen Namen ich lei- der nicht nennen darf, erhielt ich den Mitteltheil eines reifen, bald nach der Geburt gestorbenen Kindes, vom 3. Lendenwirbel bis zu den Knien. Von den Eingeweiden waren nur noch ein Theil des Mastdarms, die Geschlechts- organe und die Harnblase vorhanden. l | Äusserlich zeigen die Genitalien auf den ersten Blick den weiblichen, bei genauerer Betrachtung aber den gemischten Charakter. Die beiden grossen Schaamlefzen sind verhältnissmässig dicker und wulstiger als sie in diesem Alter zu sein pflegen. Nach vorn stehen dieselben etwas auseinander und lassen. ein Präputium zwischen sich, welches grösser ist als ein Präputium 1) Handbuch der Physiologie. 2. Band, 3. Abtheilung 1840. p. 751. , 2) Beschreibung einer seltenen menschlichen Zwitterbildung. In Abhandl. der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Aus dem J. 1825. Berl. 1828. p-. 63. SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET. 105 der Clitoris, und das eine kurze, nach hinten gegen den Schaameingang ge- richtete Glans fast gänzlich bedeckt. Diese Glans von 4” Länge und 3” Dicke hat mehr das Ansehen einer Glans der Clitoris als eines Penis und sitzt auf einem 14“ langen und 2“ dicken Geschlechtsgliede, welches deutlich aus 2 schwammigen Körpern besteht. Die Glans ist mittelst eines sehr kur- zen Frenulum angeheftet, so dass nur die àusserste Spitze frei erscheint, welche mit einer kleinen trichterförmigen Vertiefung versehen, aber durchaus nicht durchbohrt ist. — Nach hinten gehen die grossen Lippen in einander über und bilden auf dem Perinaeum einen gemeinschaftlichen Wulst; vom After erstreckt sich eine wohl ausgebildete Nath durch das Perinaeum über die hinten zusammenfliessenden Lippen herüber bis an den hintern Winkel der Urogenitalöffnung. Diese Offnung stellt eine sehr schmale Ritze von kaum 14” Länge vor, die fast ganz von der nach hinten gerichteten Glans bedeckt wird. Labia minora fehlen gänzlich. Bei der genaueren Untersuchung zeigten die innern Geschlechtsorgane folgendes Verhalten: — Zwischen Mastdarm und Harnblase liegt, etwas gegen die linke Seite hin gewandt, ein abgeplatteter 5“ breiter Uterus; derselbe ist in seiner linken Hälfte stark entwickelt und in der Richtung von vorn nach hinten 2" dick; nach rechts hin wird er aber dünner und bildet hier einen ziemlich scharfen Rand. An dieser rechten Seite bildet das den Uterus über- ziehende Peritonaeum eine dünne zum unteren Theil der Harnblase sich er- streckende Falte, welche nahe am Uterus ziemlich hoch ist, in ihrem Ver- laufe nach rechts aber immer niedriger und niedriger wird, gegen den rech- ten Annulus abdominalis hin sich erstreckt, hier in das diesen Ring begren- zende Peritonaeum übergeht, und mit demselben den Processus vaginalis bil- den hilft. Offenbar entspricht diese Falte dem breiten Mutterbande der rech- ten Seite, ausser welchem hier nichts weiter am Uterus zu bemerken ist, in- dem sowohl die rechte Tuba Fallopii, als auch der rechte Eierstock und das rechte Ligamentum uteri rotundum gänzlich fehlen. Diese Theile sind aber an der linken Seite, wo auch die Uterushälfte die gehörige Dicke hat, voll- ständig entwickelt. Das Ligamentum rotundum ist verhältnissmässig sehr stark, entspringt vorn und links vom obern Theile des Mittelkörpers und er- streckt sich gegen den Anmulus abdominalis dieser Seite, geht durch densel- Phys. Classe II. 106 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD. ben hindurch und verliert sich im Zellgewebe der Schaamgegend. Uber die- sem Bande entspringt vorn und links vom Gebärmuttergrunde die Mutter- trompete, welche gegen die linke Seite der Bauchhöhle hin sich erstreckt, mit einem gehörigen Ostium abdominale versehen ist und hier von vollkommen entwickelten Fimbrien begrenzt wird. Diese Trompete hat die verhältniss- mässige Grösse und Stärke wie beim neugebornen Kinde, windet sich auf ganz normale Weise, so dass sie von vorne das Ovarium verdeckt. Auf der Abbildung sind jedoch die Windungen etwas auseinander gezogen, so dass das Ovarium durch die breiten Mutterbänder hindurch scheint. Das Liga mentum latum ist wohl gebildet, steht in normalem Verhältnisse zum Ute- rus, zur Tuba, zum Ovarium und zum Ligamentum rotundum, und setzt sich nach unten und links ins Peritonaeum fort, bei welchem Übergange links von dem Masidarme eine Plica Douglasii gebildet wird. — Hinter dem breiten Bande und innig mit diesem verbunden, liegt oben und neben dem -Uterus der Eierstock mit kurzem Ligamentum Ovarii, der erst recht zu Gesichte kommt, wenn man den Uterus etwas nach vorn gegen die Blase hindrückt. Derselbe, von der gewöhnlichen diesem Alter entsprechenden milzförmigen Ge- stalt, hat eine Länge von 4”, eine Hölie von 2”. und eine Dicke von 2”, und im Übrigen ganz die Beschaffenheit dieses Organs beim ERW Von dem Ovarium habe ich ein kleines Stückchen abgeschnitten und dasselbe mikroskopisch untersucht. Dieses Stückchen bestand aus einer körnigen Masse, in welcher einzelne spärliche grössere Körper gelagert waren, die aber nicht vollkommen deutlich den Charakter von Eiern zeigten. Eine eigentliche ge- fässarlige Structur fehlte durchaus. Zwischen den beiden Platten des breiten Bandes, etwas nach aussen vom Ovarium, aber durchaus nicht mit diesem in Verbindung stehend, zeigt sich ein sehr deutliches Rosenmüllersches Organ als Rest des Wolfischen Körpers; es besteht aus feinen röthlichen BER die mittelst Zellgewebes mit einander vereinigt sind. Der Uterus hat die gehörige derbe Wandung, jedoch ist dieselbe links stärker entwickelt als rechts; er ist bis zum Muttermunde 10” lang, bis wo- hin seine innere Fläche glatt und ohne Runzeln erscheint. Der Mutterhals, welcher eine Länge von 11“ hat, ist oben 2” dick, schwillt an seinem un- tern Ende aber bis zu 4“ an, und entspricht hier demjenigen Theile, wel- SEITLICHF ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN "BEOBACHTET. 107 chen Rudolphi für ein Analogon der Prostata und Saamenblase hielt. Der- selbe ist sowohl nach oben gegen das Corpus uteri, als auch nach unten ge- gen die Vagina gehörig geöffnet. Die innere Fläche ist mit sehr deutlicher vorderer und hinterer Arbuseula nebst den Palmae plicatae versehen. Der Uebergang des Muttermundes in die Vagina ist vom Normalzustande beson- ders dadurch abweichend, dass die hintere Lippe kaum zu bemerken ist, die vordere Lippe ragt jedoeh um 1“ tief in die Vagina hinein. Diese Lippe ist nicht wulstig rundlich, sondern ziemlich dünn; hart an ibrem Rande Arten die Arbuscula anterior. | | | Die Vagina ist von . Weite näk wird pidi unten von einem Hymen annularis begrenzt; ihre ganze Länge vom untern Muttermunde bis zum Hymen beträgt 10“, die Weite 3“. Die inwendige Fläche ist gehörig runzelig und mit sehr ausgeprägter Columna rugarum anterior und posterior versehen. Die Vagina mündet aber nicht direct nach aussen, sondern viel- mehr in einen 5“ langen Aditus urogenitalis, welcher mit glatter Schleimhaut bekleidet ist, und mittelst der bei den äussern Genitalien bereits angegebe- nen, von der Glans des ——— zum Theil et ege? ep? spalte nach aussen mündet.“ i So verhält es sich mit den innern weiblichen Geschlechtsorganen ; was nun die männlichen anbetrifft, so sind sie in ihrer Weise ebenso cha- rakteristisch in der rechten a als die weiblichen in der ege aus- gebildet. Der rechte Annulus SAUBER stellte sich als EE ER Ver- tiefung dar; er war aber nicht gänzlich, sondern nur so weit geschlossen, dass eine gewöhnliche Knopfsonde durch ihn und den Leistenkanal bis in das rechte Labium, oder vielmehr in den Processus vaginalis peritonaei bis zum Hoden fortgeschoben werden konnte, Am Grunde dieses Fortsatzes lag i in dem Labium ein sehr entwickelter Hoden nebst Nebenhoden, welche beiden Organe in ihrem natürlichen Zusammenhange 9” Länge, 4“ Breite und 3” Dicke haben. Sie sind mit einem gehörigen Saamenstrange versehen, wel- cher aus den Blutgefässen, Nerven und einem ganz gehörig entwickelten Vas deferens besteht. Unter dem Nebenhoden ist das Gubernaculum Hunteri, ganz so wie bei neugebornen Kindern beschaffen, und befestigt die Saamen- 02 108 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD: organe in dem Fundus der Lippe. Der Hoden ist mit dem Nebenhoden ausser mittelst seines Kopfes noch durch das Ligamentum epididymidis verbunden. Der Nebenhoden hat seinen gehörigen Kopf und Schwanz, welcher letztere in das Vas deferens übergeht. Dieses beginnt mit den deutlichsten geschlängelten Win- dungen, und tritt, nachdem es den inneren Saamenstrang hat bilden helfen, durch den Annulus abdominalis in die Bauchhöhle. Hier wendet es sich gleich nach links und in die Tiefe und stösst an die rechte Seite der Wand des Mutterhal- ses, da wo die oben erwähnte Anschwellung beginnt. Von hier verschmilzt es so mit dieser Wand selbst, dass man dasselbe als besonderes Gefäss nicht weiter darstellen kann. Sein Kanal jedoch lässt sich sehr gut weiter verfol- gen; derselbe verläuft nämlich in der rechten Wand des Uterus nach unten, erstreckt sich in der Wand der Vagina weiter fort, und öffnet sich rechts unter dem Hymen in den Sinus urogenitalis hinein. Vorn unter diesem Hy- men erscheint auch die Mündung der Urethra, welche sich von .da zur Harnblase erstreckt, und nur 4” von der Mündung des Saamenkanales ent- fernt ist. — Von Saamenbläschen ist keine Spur vorhanden, und eben so wenig von einer Prostata. Ein Stückchen des Hoden zeigt bei der mikro- skopischen Untersuchung die ganz normale Hodenbeschaffenheit, namentlich die deutlichsten Saamenkanälchen, von de im Durchmesser. Horkel h), Meckel 2), Klug äi Rudolphi#) und Lefebure 5) ha- ben die bekannt gewordenen Fälle von Hermaphroditismus lateralis gesammelt. Man hat denselben hauptsächlich bei Insecten aber fast nur bei den Lepido- pteren beobachtet. Indess hat man, besonders bei Lepidopterenzwittern : vor Täuschung und Betrug sich in Acht zu nehmen, indem es nicht an Beispie- len fehlt, wo von Iusectentäuschern oft auf kaum merkliche Weise durch Ansetzen fremder Flügel, Antennen und dgl., so genannte interessante Stücke erkünstelt wurden. Lefebure bat 51 Zwilterfalle aufgezählt, von denen 47 1) F. Ja c o b y, Diss. de SE bermaphroditis alterno latere in sexum contra- rium vergentibus, Berl. 1818. 8. 2) System der vergleichenden Anatomie, Bd. 1. p. 448. 3) Dessen Jahrbücher der Insectenkunde. Bd. 1. Berl. 1834. p. 254. 4) A. a. O. p. 49. ; 5) Annales de la Société rer de France. t. 4. Par. 1835. p. 145. — SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET. 109 zu SC "2 Lepidopteren, 2 zu den Hymenopteren und 2 zu den Cileöptezeh gehören. Dann hat man diesen Hermaphroditismus noch beim Krebs, beim Kalbe und beim Menschen beobachtet. In der Mehrzahl der Fälle verhielt sich die rechte Seite männlich, die linke weiblich. Was die Lepidopteren betrifft, so kannie man zwar schon lange Fälle, wo einerseits der männliche, andererseits der weibliche Charakter in einem Individuo mit mehr oder minderer Schärfe in Flügeln , Fühlhörnern u. s. w. ausgeprägt war, aber erst im J. 1824 wurde eine Zergliederung von Klug!) vorgenommen. Derselbe fand bei Melitaea didymus links den Eierstock mit hellgrünen Eiern angefüllt, — eine Gebärmutter fehlte, rechts erschienen die männlichen Geschlechtstheile vollständig und mit dem männlichen Gliede im Zusammenhange. Genauer war die Zergliederung, welche Ferd. Schultz im J. 1825 bei Gastropacha Quercifolia anstellte 2). Rechts befand sich ein einfacher mehr oder weniger nach links hingekrümmter Eierschlauch, in wel- chem 18 grüne, weiss geringelte Eier, von normaler Grösse und Gestalt sich befanden; hinter denselben lagen etwa halb mal so viel unausgebildete Eier; die Spitze des Eierschlauches war leer. Links zeigten sich 2 hintereinander gelegene durch einen Gang verbundene Hoden; von dem hintern ging ein Saa- mengefäss ab, welches sich später erweiterte und den Ausführungsgang des Eierschlauches aufnahm 3). — Bei einem Hummer fand Nicholls 4) an der rechten Seite einen vollkommen ausgebildeten Eierstock nebst Eierleiter, wel- cher in der Hüfte des vorletzten Fusses, an der linken hingegen einen vollkomm- nen Hoden und Saamengang, welcher in der Hüfte des letzten Fusses mün- dete. — Die Angaben über Zwitterfische hat Rudolphi 5) einer sehr ge- 4) Froriep’s Notizen Bd. 10. p. 183. 2) Rudolphi a. a. O. p. 55. 3) Hr. Zeller hat in der entomologischen Zeitung. Leipz. 1843. p. 227 einen Fall bekannt gemacht, wo eine Geometra lichenaria, welche links männlich und rechts weiblich war, nach dem Aufspiessen eine Dem; unbefruchteter Eier legte (spä- terer Zusatz). 4) Account of the hermaphrodite Lobster. In Philos. transact. 1730, p- 290. 5) A. a. O. p. 58. 110 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD nauen Kritik unterworfen, und gefunden, dass kein einziger Fall auch nur leidlich beschrieben ist. Ihm selbst 4) sind 2 mal Zwittergeschlechtstheile von Fischen gebracht worden, aber die Theile waren schon gekocht, und es schien ihm der angebliche Hoden in dem einen Fall ein entleerter Eierstock, im andern Falle aber eine blosse Fettgeschwulst zu sein. In dem hiesigen zoologischen Museum befinden sich die Genitalien eines Zwitterkarpfen ;- die- selben sind zwar auch auf eine gänzlich rohe Weise aus dem Leibe des Thie- res entfernt worden, lassen aber hinsichtlich der Zwitterhaftigkeit keinen Zweifel übrig. Jedoch zeigen sie nicht den Hermaphroditismus lateralis, sondern den duplicatus, indem an jedem Eierstoeke noch ein Hoden anliegt. Bei Amphibien und Vögeln kennt man mit Sicherheit einfache seitliche Zwitterbildungen nicht; wohl aber ist eine solche von Schlumpf?) beim Kalbe beschrieben. Ausserlich war das männliche Geschlecht vorherrschend, jedoch fehlte der Hodensack. Es war weder Schaam noch Mutterscheide vorhanden. Die Gebärmutter verlor sich mit ihrem Halse in das Zellgewebe zwischen Mastdarm und Blase; dieselbe hatte nur ein Horn, eine Trompete mit einem Eierstocke. An der andern Seite befand sich über der Niere ein Hoden, von welchem aus ein mit der Bauchhaut verbundener S ge- gen den Bauchring gieng und hier im Zellgewebe sich verlor. Was den Menschen betrifft, so ist bei demselben bis jetzt nur 3 mal vollkommener Hermaphroditismus lateralis mit Sicherheit beobachtet worden 8). Eine Beobachtung Verdiers, welche nach Lecat von Arnaud 4) mitge- theilt wird, ist, wie auch schon dieser Letzterë vermuthet, wahrscheinlich mit der von Suë identisch, indem Sus die Zergliederung seines Hermaphro- diten unter Verdier's Augen vornahm, und dieser das Präparat in Alaun- wasser aufbewahrte. Der bekannte EEE Derrier, welcher während 1) A. a. O. p. 59. 2) Archiv für Thierheilkunde, Bd. 2. Hft 3. p. 204. Zürch 1824. D 3) Einen ähnlichen Fall hat noch Laumonnier in Wachs nachgebildet, wovon das Originalpräparat (leider nur getrocknet), so wie das Wachspräparat in Rouen aufbewahrt werden. s. Frorieps neue Notizen. Bd. 28. p- 10. (späte- rer Zusatz). 4) A. a. O. p. 61. SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET, 111 seines Lebens von Hufeland und Mursinna für weiblich, von Stark, Martens und F. B. Osiander für männlich, von Steglehwer aber für zweideutig, und sicher mit einer blasigen Gebärmutter versehen , gehalten wurde, und den vor einigen Jahren Hr. Ma yer 1) anatomirt hat, gehört nicht zu den vollkommnen seitlichen Hermaphroditen, indem derselbe entschieden weiblich, mit Gebärmutter und 2 Tuben versehen war; von einem Vas de- ferens und Nebenhoden zeigte sich keine Spur. Jedoch schienen die beiden Eierstöcke etwas verschieden zu seyn. Der Chirurgus Su& 2) zergliederte un— ter Verdier's Augen im J. 1746 ein 13—14 jähriges Kind, welches für männlich gehalten war. Dem äussern Anschein nach war ein gehörig ge- bildetes männliches Geschlechtsglied nebst Scrotum vorhanden. Nach} Öffnung der Bauchhöhle zeigte sich eine Gebärmutter in der gehörigen Lage zwischen Blase und Mastdarm. Rechts (nach der Abbildung links) zeigte sich ein sehr deutliches an die Tuba Fallopii (bei der Erklärung der Abbildung T. Eusta- chii) befestigtes Ovarium. Diese Tuba sass am Muttergrunde und war am Ostium abdominale mit den gehörigen Fimbrien versehen. Ein Ligamentum rotundum gieng von dem hintern (vordern?) Theil der Gebärmutter ab und verlor sich in der Leiste. — Links erschien (statt eines Ovariums, einer Tuba und eines runden Bandes) ein Kanal, welcher sich in einen schmalen läng- lichen, in der Unterleibshöhle liegenden Hoden verlor, welcher über sich einen Nebenhoden hatte. Vom Hoden giengen 2 Röhren ab, welche Suë ſür Saamen ausführende Gefässe hielt und welche sich in den genannten Kanal, nahe an seiner Insertion in den Uterus, verloren. Die Vagina öffnete sich mit einer feinen Öffnung vor dem Scrotum; hier befand sich auch eine besondere Harnsöhrenöflanng. $ beide Öffnungen wurden vom herabhängenden Penis verdeckt. Varole 3) zergliederte im J 1754 einen etwa 18 Jahre alten Schmie- deburschen. Die Brüste waren so gross, als bei einer Weibsperson dieses 1) Caspers med. Wochenschrift 1835. No. 7. 2) Observations sur VHistoire naturelle, sur la Physique et sur la Peinture. Année 1752. t. 1. P. 2. p. 71. 3) Pinel in Mémoires de la Société médicale d'émulation. Pour Yan VIII. qua- trième année. Par. an IX. (1801) p. 342. 112 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD Alters; das Glied bestand aus den schwammigen Körpern mit gespaltener un- durchbohrter Eichel. An der untern Fläche des Gliedes, 4 Zoll vom Ende, befand sich eine Öffnung in der Urethra, die sich von da zur Blase erstreckte. Zwischen Urethra und Glans befand sich eine blinde Öffnung und eine LU. nie tiefe Spalte. — Ein kurzes mit der Raphe verbundenes Praeputium be- festigte den Penis so, dass derselbe der Erection nicht fähig war. Das Sero- tum bestand aus 2 deutlichen Taschen, von denen die rechte einen Hoden mit seinen sämmtlichen Anhängseln enthielt, während in der linken nur Fett und Zellgewebe enthalten war. Das Vas deferens inserirte sich in den mitt- lern Theil des äussern Randes einer Saamenblase, welche einfach war und mehr nach rechts als nach links lag. Von dieser Saamenblase giengen 2 Ka- näle ab, der eine zur Urethra, der andere, etwa 14 Zoll lange, zur Gebär- mutter. Diese letztere war klein, etwas abgeplattet, ohne Hals, aber mit einem Ovarium, einer Muttertrompete mit gefranztem Ende, einem breiten und einem runden Mutterbande (an der linken Seite); das runde Band verlor sich in das Zellgewebe der linken Tasche des Serotums. i Der neueste Fall ist von Rudolphi 1) im J. 1825 beschrieben, und von D’Alton 2) abgebildet. Bei einem etwa 4 Jahr alten an das anatomische Theater in Berlin abgelieferten Kinde fand sich eine unten gespaltene Ruthe, in der rechten Hälfte des Hodensaekes ein völlig ausgebildeter Hoden nebst Neben- hoden, welcher. in einen Saamenleiter von ganz gewöhnlicher Bildung übergieng; die linke kleinere Hälfte des Hodensacks war leer. Inwendig zeigte sich eine Gebärmutter, die links mit einer Trompete, mit dem breiten und runden Mutterbande, welches letztere in den Schaamberg drang, und mit einem Ova- rium versehen war. Rechts endete die Gebärmutter stumpf, und war hier gänzlich ohne den eben genannten Theil. Nach unten stiess die Gebärmutter auf einen ovalen platten harien Körper, der geöffnet eine ringsum geschlossne Höhle mit dicken Wänden zeigte, und die Rudolphi für ein Rudiment der Vorsteherdrüse und Saamenblasen hielt. Da dieser Körper auch gegen die Gebärmutter hin geschlossen war, so fand nur ein Übergang der Wände 1) A. a. O. p. 63. 2) Daselbst tab. I—+III. SEITLICHE ZWITTERBILDUNG BEIM MENSCHEN BEOBACHTET. 113 dieser beiden Theile in einander Statt. Ebenso stösst auf der rechten Seite der Saamenleiter auf die Wand dieses Körpers ohne in seine Höhle hinein zu dringen. Endlich geht unten von diesem ringsum geschlossenen Körper, die Scheide ab, welche durch ihre hintern und vordern Säulen kenntlich ist, und sich nach unten blind endet. Wie es sich mit der äusserlichen Öre. nung der ‚Harnröhre verhielt, davon wird nichts gesagt. Wenn wir nun diese 3 Fälle mit dem von mir beschriebenen verglei— chen, so ergiebt sich, dass in meinem Zwitter der seitliche Hermaphroditis- mus in weit vollkommnerem Grade dargebildet ist, als in denen von Suë, Va- role und Rudolphi. Denn beide Arten von Geschlechtsorganen, sowohl die männlichen als auch die weiblichen, sind gänzlich selbstständig für sich entwickelt, haben unter sich nirgends eine eigentliche Communication, und münden jede Arı für sich, in den Sinus urogenitalis. In Su@'s Fall fand durchaus keine Ausmündung der Saamengänge nach Aussen, sondern nur in den Uterus Statt; in Varole’s Zwitter zeigte sich zwar eine Ausmün- dung der Saamenblase in die Urethra, aber eine zweite in die Gebärmutter, und in dem von Rudolphi beschriebenen Kinde mündete weder der Uterus, noch das Vas deferens nach Aussen, sondern beide waren vollkommen ge- schlossen. Ein Unterschied meines Falles von den 3 andern besteht noch darin, dass hier der Beschaffenheit der äusserlichen Genitalien nach mehr der Cha- rakter des männlichen Geschlechtes ausgeprägt war, dort hingegen, auf den ersten Blick mehr der weibliche, bei der genauern Betrachtung aber der männ- liche und weibliche Charakter ganz gleichmässig dargebildet ist. Auch war in keinem jener Fälle ein Hymen vorhanden. Erklärung der Abbildungen. / Tab. I. Fig. 1. Aussere Genitalien; die Glans verdeckt den Eingang in den Si- nus urogenitalis gänzlich. — Fig. 2. Innere Genitalien in ihrer normalen Lage. Die Bauchhöhle ist geöffnet und die Harnblase nach vorn und abwärts gedrückt; der Bauchring und Leistenkanal so wie die rechte Lefze geöffnet und der Saamenstrang in seine beiden Haupttheile — Phys. Classe. II. 114 ARN. AD. BERTHOLD SEITL. ZWITTERB. BEIM MENSCH. BEOBACHTET. Nerven nebst Gefässen und Vas deferenk — zerlegt. Die äussern Genitalien sind von vorn sichtbar. Tab. II. Fig. 3. Ansicht der äussern und innern von der rechten Seite Trei ge- legten Genitalien, das Vas. deferens jedoch nur von da an dargestellt, wo es im Begriff steht sich an das Collum uteri anzulegen, Für alle Figuren gelten dieselben Bezeichnungen; die entschieden weiblichen Theile sind mit kleinen Lateinischen, die männlichen mit kleinen Griechischen Buchstaben bezeichnet. 1. Fünfter Lendenwirbel. 2. Orificium ani. 3. Mastdarm. 4. Harnblase nebst Urethra und Einmündung dieser in den Sinus urogenitalis, ie die eingeschobene Borste andeutet. 5. Gefässe und Nerven des Saamenstranges. 6. Zurückgeschlagene Bauchdecke. A. Labia majora. B. Raphe. C. Glans. D. Praeputium. E. Sinus urogenitalis. F. Ausserer Eingang in denselben. a. Eingang der Vagina in diesen Sinus. b. Hymen. d. Vagina. e. Vordere Mutterlippe. 8 © i. Mutterhals. k. Mutterkörper. 1. Muttergrund. m. Muttertrompete. n. Eierstock. p. rundes Mutterband. r. breites Mutterband der linken Seite. r’. Spur desselben an der rechten Seite. s. Rosenmüllersches Organ. oe, Einmündung des Vas deferens in den Sinus urogenitalis (mit ee sc Borste). d Vas deferens in der Wand der Vagina. 8 — — — — des Mutterhalses. #. — — an die Wand des Mutterhalses stossend. J. Vas er in der Beckenhöhle. . — — im Processus vaginalis. . Nebenhode. v. Hode. st. Gubernaculum Hunteri, Über die in des RE Büchern von epidemi- E Krankheiten geschilderten Fieber mit besonderer Rücksicht auf die von Littre geäusserte Meinung von denselben. > Von Johann Wilhelm Heinrich Conradi. Vorgelesen in der Sitzung der, Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen am Hien December 1843. —— — : Berühmte Herausgeber und Commentatoren der ächten Bücher des Hippo- krates von epidemischen Krankheiten und andere grosse neuere Ärzte sind der Meinung gewesen, dass die von jenem geschilderten Fieber von in unse- ren Gegenden beobachteten nicht so sehr verschieden seyen. So sagte Freind in den seiner Ausgabe des ersten und dritten Buches von epidemischen Krank- heiten beigefügten Commentarien (I. p. 6—7.): “Febres his, quas delineat „Hippocrates, nequaquam absimiles et ortae sunt omni tempore, et, credo, „orientur: quod ex omnium authorum, praesertim ex Sydenhami scriptis „evincitur. Hie multä cum suä laude, morem Hippocraticum secutus, fe- „bres, quae in quoque annorum statu inerebuerint, diligenter atque enucleat® „descripsit; de quo tamen opere liceat mihi dicere, quod, utcunque, sive loci „positione, sive constitutione abris, ab Anglia longissime discrepet Thasos, „inter febres et ab illo et ab Hippocrate adumbratas minimum intersit discri- „minis”. Auf diese Äusserung von Freind hat sich auch Cope in seiner Demonstratio medico-practica Prognosticorum Hippocratis ea conferendo cum aegrotorum historiis in libro primo et tertio Epidemiorum deseriptis bezo- ES 116 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI gen 1). Besonders haben auch Wintringham (in Prolegom. ad Commen- tar. nosolog.) und Huxham die von Hippokrates über epidemische Fie- ber gemachten Beobachtungen in England bestätigt gefunden, und der Letzte, nächst Sydenham einer der trefflichsten neueren Beobachter der Epidemien, sagt (Op. ed. Reichel, T. I. p- 192—193.): “At enim si quis fortasse hie ob- „jiciat, quod observationes ab Hippocrate, suaque schola per Graeciam „factae, ad nostrates pertinent parum; sciat ille velim, similem esse ubique „hominum naturam, sicco nempe frigore semper et constringuntur corporis „humani solida, et condensantur fluida, hae porro utraque humidus calor „solvit semper; nusquam non minuit perspirationem uda frigidaque tempestas, „hane nusquam non promovet tepida serenitas : adeoque magnae- aëris muta- „tiones, quod ad calorem, aut frigus, siccitatem, aut humiditatem , magnos „pariter ubique terrarum sortiuntur effectus. — Nec profecto multum differre „videntur, facta diligenter comparatione, observationes Hi ppocraticae ab il- »lis, quae captae fuerunt nuperis annis, et in locis a Graecia longe longeque „remotis, inter etiam ` “et penitus toto divisos orbe Britannos”. Dieselbe Ansicht hat Zimmermann in seiner vortrefflichen Schrift von der Erfahrung in der Arzneikunst (Th. 1. B. 2. C. 2. S. 79 fg.) ausgesprochen, indem er unter andern bemerkte, dass fast in allen Ländern von Europa die meisten hitzigen Krankheiten und ‘folglich zwei Drittheile aller Krankheiten die gleichen Zufälle, den gleichen Ausgang, die gleichen Zeichen wie bei dem Hippokrates hätten; dass die Fieber des Hippokrates in seinen Bü- chern von den epidemischen Krankheiten in allen Zeiten entstanden seyen und in allen Zeiten entstehen werden, welches aus den Schriften aller Arzte, die der Natur geireu die Krankheiten mit dem Pinsel der Natur beschrieben, und besonders aus den Schriften des Sydenham erhelle; dass, so sehr Tha- 1) Er hat (Praefat. p. XXIX. Ed. Baldinger.) hinzugefügt: “Si qui vero sint, „qui prae suo ingenio autoritatem summorum licet virorum nihili faciant, hos „moneo, ut Hippocratem legant, ejusque praesagia cum symptomatis et phae- „nomenis febrium nostratium conferant; tum demum, si vanum vel falsum in- „venerint, rejiciant; sin autem divina plenum sapientia repererint, parentem „foveant, et debitas pro acceptis beneficiis laudes tribuant“. , i < ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 117 sus durch die Lage des Ortes und den Zustand der Luft von den Ländern, wo wir leben, verschieden, so unbeträchtlich überhaupt der Unterschied zwi- schen den Fiebern des Hippokrates und unseren ee Dass aber ausserdem viele grosse Arzte dieser Meinung, wenn sie auch von ihnen nicht ausdrücklich ausgesprochen worden, gewesen sind, kann man schon aus der Anwendung, welche sie von Hippokratischen Sätzen über die Fieber und an- dere Krankheiten gemacht haben, schliessen. Eine sehr abweichende Ansicht ist dagegen von E. Littré, dem neuesten Herausgeber und Ubersetzer der Hippokratischen Schriften 1), geäussert worden. Dieser behauptet, dass die von Hippokrates in den libris Epidemior. mit ge- theilten Beobachtungen über die Fieber auf keine Krankheit zu beziehen seyen, die man in Paris zu beobachten Gelegenheit habe, sondern dass sie sich auf die remit- tirenden und anhaltenden Fieber (fiĉvres remittentes et continues, pseudocontinues) heisser Länder bezögen. — Um diese Behauptung näher zu begründen, hat er zuerst eine einzelne Beobachtung aus den Büchern von den Volkskrankhei- ten ausgezogen, und zwar die erste des ersten Buches, welche die Krankheits- geschichte des Philiskus enthält. Er fügt dann der Mittheilung derselben die Bemerkung hinzu, dass, wenn man die Identität dieser besonderen Beobach- tung mit irgend einer der Affectionen, die man in Paris sehe, nachweisen wolle, man nicht seinen Zweck erreichen werde. Es verstehe sich, dass man alle Entzündungen, Pneumonie, Pleuresie, Peritonitis u. s. w. ausschliessen müsse, indem in der von Hippokrates gemachten Schilderung kein Zug sich finde, der uns berechtige, darin eine Entzündung zu sehen. Man müsse sich also auf das Gebiet der Fieber einschränken und auch hier Pocken, Ma- sern, Scharlachfieber ausschliessen, da in der Krankheitsgeschichte des Phi- liskus sich nichts auf ein Ausschlagsfieber beziehen lasse. Es bleibe also, die Wahrheit zu sagen, nur die fièvre typhoide von Paris (die von Manchen so- genannte dothiénenterie, der Abdominaltyphus der Deutschen) übrig, da das Gallenſieber in Paris so selten sey, sich daselbst (und zwar nur in gewis- sen heissen Sommern) mit so wenig abstechenden Charakteren zeige, dass 1) Oeuvres complètes d’Hippocrate, traduct. nouv. avec le texte grec en regard T. I. p. 538 sq. 118 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI es rathsam sey das wahre Bild desselben in Gegenden von höherer Tempe- ratur zu suchen. Aber bei der fievre typhoide zeigten sich, ausserdem dass sie sich selten am sechsten Tage endige, Durchfall, Kopfschmerz über den Augenhöhlen, Zerschlagenheit, Betäubung und ein linsenförmiger Ausschlag, überhaupt Zufälle, von welchen in. der Beobachtung des Hippokrates nicht die Rede sey. In Vergleichung mit diesen negativen Charakteren seyen aber die positiven noch beweisender. In der That stelle diese Beobachtung der Verdoppelung der Anfälle um den dritten Tag, kalte anhaltende Schweisse, Trockenheit der Zunge von dem dritten Tage an, Kälte und bläuliche Farbe der Gliedmassen, also Zufälle, welche der fièvre typhoide fremd seyen. Sodann hat er, um zu beweisen, dass die von Hippokrates beschrie- benen Fieber zu denen der heissen Länder gehörten, eine von Maillot in Africa gemachte Beobachtung mit der Krankheitsgeschichte- des Philiskus verglichen, auch sich auf ähnliche von J. Clark und Twining in heissen Ländern gemachte Beobachtungen bezogen. Er findet eine allgemeine Ähn- lichkeit in Ansehung des schnellen Verlaufes, der baldigen Trockenheit der Zunge, der Remission am dritten oder fünften Tage und dem darauf folgen- den heftigen und tödtlichen Anfalle. Er glaubt sie auch zu finden in ein- zelnen charakteristischen Umständen, als dem Zustande der Hypochondrien, die in Paris sehr selten afficirt seyen () und in Ansehung deren die fièvre ty- - phoide während des Lebens kein Zeichen offenbare, mit Ausnahme der Milz, deren Anschwellung man manchmal während des Lebens erkenne, dagegen in den in den Büchern von den Volkskrankheiten beschriebenen Krankheiten die Hypochondrien oft afficirt seyen und dasselbe in den Krankheitsgeschichten von Twining bemerkt werde; in dem Zustande der Zunge, die auch in den Fiebern heisser Länder nach den Beobachtungen von Maillot, Twi- ning, J. Clark bald, wie in den von Hippokrates beschriebenen, trocken werde, während diess bei der fièvre typhoide von Paris nicht leicht vor dem Ende der ersten Woche geschehe; in den Apyrexien, die in den Beobach- tungen von Maillot wie in mehreren des Hippokrates bemerkt worden, in der fièvre- typhoïde aber sehr selten seyen; sogar in einem Schmerze im hinteren Theile des Halses oder dem Nacken, welcher von Twining im An- fange der remittirenden Fieber heisser Länder beobachtet worden, aber auch d ÜBER DIE VON HIPPOKRATES :GESCHILDERTEN FIEBER. 119 in mehreren Beobachtungen des Hippokrates nicht fehle, und den remit- tirenden und nicht recht anhaltenden Fiebern heisser Länder fast so ange- höre wie der Kopfschmerz über den Augenhöhlen unserer fièvre: typhoide (); endlich in ‚der Kälte der Gliedmassen, den kalten Schweissen und der bläu- lichen Farbe der Gliedmassen, welche bei den Fiebern in heissen Ländern so häufig seyen (worüber er sich auf Maillots Beschreibung der febris al- gida und manche Beobachtungen von Twining bezieht), und welche, wenn auch nicht in so hohem Grade, ebenfalls in den Volkskrankheiten des Hip- pokrates gefunden würden. Hier berührt er dann auch das Erstaunen, was Maillot wiederholt geäussert, dass er in Algier nicht mehr dieselben Krankheiten gefunden habe, die er (nämlich die fièvre typhoide) gewohnt war in Frankreich zu beobachten, und fügt selbst hinzu, dass die Ärzte, die aus dem Klima von Frankreich plötzlich in das von Algier versetzt seyen, nicht mehr die ihnen bekannten pathologischen Erscheinungen erkennten und vor Allem über die ausserordentliche Verschiedenheit der Fieber in beiden Ländern erstaunten, man sich nicht verwundern müsse, wenn Ärzte, die in unseren Städten prak- ticirten und in unseren Schulen lehrten, zum Studium der Epidemien des Hippokrates schreitend, sich, so zu sagen, in ein fremdes Land ver— setzt (depayses) fänden; dass plötzlich aus Frankreich zu gehen und die Me- diein in einem heissen Lande auszuüben, oder die Beobachtungen des Hi p- pokrates zu lesen, ganz dasselbe, der Eindruck derselbe, die Verände- rung der Scene eben so gross sey. Nachdem er so die Fieber bestimmt zu haben glaubt, auf welche die Krankheitsgeschichten in den libris Epidem. zu beziehen seyen, meint er dann sicherer auf die Pyretologie des Hippokrates weiter eingehen zu können, und nimmt besonders auf die in den libris Epidem. vorkommenden Benen- nungen: mwugeroi Euvexkes, Auirpiralos, xi ges, Ppeviris Rücksicht. ` Der Name des anhaltenden Fiebers (Euvexys) sey in der Pyretologie des Hi p- pokrates, oder, richtiger zu sagen, der ältesten griechischen, dem grossen remittirenden oder anhaltenden Fieber gegeben worden, das in heissen Län- dern endemisch sey. Man habe besonders vier Varietäten desselben unter- schieden, den Hemitritaeus, den Causus, die Phrenitis, wie auch den Le- 990 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI thargus. Es unterschieden sich aber die anhaltenden Fieber heisser Länder nicht bloss durch die Symptome und die anatomischen. Verletzungen, son- dern nicht weniger durch die enge Verbindung, in der sie mit den intermit- tirenden Fiebern ständen, indem sie, wie J. Clark, Maillot und Andere be- merkt hätten, von denselben Ursachen abhiengen, die einen in die anderen übergiengen und durch dieselben Mittel geheilt würden. Ubrigens bemerkt er schliesslich, dass die Bücher von den Volkskrank- heiten durch einen besonderen Umstand jetzt wirklich ein Interesse und einen Nutzen hätten, wie er einem modernen Buche zukommen könne. Sie bezögen sich in der That auf einen noch wenig bekannten, noch unvollkommen studir- ten Gegenstand, die Fieber heisser Länder, worüber sie schätzbare Belehrun- gen lieferten. In unseren Tagen hätten die vorzüglichsten medicinischen Schu- len ihren Sitz in gemässigten und selbst kalten Gegenden, dagegen sie in al- ten Zeiten ihn in viel wärmeren gehabt hätten. Daher sey es gekommen, dass die Pyretologie der heissen Länder, die in den Unterricht der ersten nur auf eine sehr unvollkommene Weise und durch die reisenden Ärzte eingegangen, die Grundlage der Lehre der zweiten ausgemacht habe. Das Buch des Hip- pokrates werde immer einen hohen Rang in der medicinischen Literatur behaupten wegen des höheren Geistes, womit dieser Schriftsteller beobachtet und geschrieben; aber die Dürftigkeit der Neueren in Ansehung dieses Ge- genstandes mache dasselbe um so mehr zu einem Buche, das denen unmittel- bar nützlich. sey, welche die Medicin in heissen Ländern auszuüben haben. Die libri Epidem. müssten noch zur Zahl der Werke gerechnet werden, durch welche man sich am besten vertraut machen könne mit dem. Gange, den vor- züglichsten Zufällen und der Prognose dieser so häufigen und oft so schnell verlaufenden und gefährlichen Fieber. In dem Vorberichte zu dem dritten Bande seiner Ausgabe des "eg krates hat Littré diesen Gegenstand nochmals vorgenommen und seine Ansicht gegen die von Fuster !) gemachten Einwendungen zu vertheidigen” 1) Des maladies de la France dans leurs rapports avec les saisons, ou Histoire médicale et météorologique de la France. Paris, 1840. — Dess. Observations critiques sur Pinterprétation des Epidemies d’Hippocrate, à propos de la nou- velle traduction de M. Litiré. In Rev. med. 1840. T. III. ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. GI gesucht, Er sagt, dass, wenn er Fuster recht verstehe, dessen Kritik auf folgende zwei Puncte hinauslaufe: 1) er (Littre) habe Unrecht gehabt zu sa- gen, dass die Krankheiten, um die es sich in den Epidemien handelt, denen unähnlich seyen, welche man hier, zu Paris, beobachte, dass sie denen, welche im mittäglichen Spanien, in Italien, im mittäglichen Frankreich herrsch- ten, gleich und denen, welche zu Paris des Sommers herrschen, ähnlich seyen; 2) dass er Unrecht gehabt habe, jene Krankheiten den von Maillot in Al- gier beobachteten Fiebern gleichzustellen, da diese ein intermittirendes Element hätten, was in den Beobachtungen des Hippokrates fehle. | In Ansehung des ersten Punctes will er sich nicht auf seine eignen Beobachtungen, sondern auf die öffentlich herausgegebenen Schriften über die ‘Klinik beziehen. So finde man in der von Andral neben den fievres typhoides ou dothienenteries eine grosse Zahl von Fiebern, die bald Gallenfie- ber, gastrische Fieber, Schleimfieber, bald anhaltende (synoques), bald ver- längerte Ephemeren genannt würden. Er habe alle diese Fälle aufmerksam wiedergelesen und sie, im Allgemeinen, wesentlich verschieden von denen des Hippokrates gefunden. In den Fiebern von Paris fehlten: der ungestüme Anfall. sehr beunruhigender Symptome, die Trockenheit und Schwärze der Zunge von dem ersten oder zweiten Tage an, die Spannung der Hypochon- drien, die Anschwellung der Milz, die im Allgemeinen dreitägigen Verdoppe- lungen der Anfälle, die dazwischenlaufende und manchmal viel über 24, Stun- den anhaltende Kälte des ganzen Körpers, die länger anhaltende und oft wie- derholte Kälte der äusseren Gliedmassen, die bläuliche Farbe der Glieder, die dazwischenlaufenden Apyrexien. Er gesteht indessen jetzt doch, dass man in der Clinique von Andral einige Fälle finde, die durch ihre Sym- ptome den Schilderungen des Hippokrates nahe kämen; und dass man dagegen auch in dem Hippokrates einige Fälle finde, welche, für sich allein genommen, es schwer seyn würde, von gewissen Fällen Andral’s zu unterscheiden. Ja er fügt selbst hinzu, dass das, was er von einigen Fällen der Klinik von Andral sage, auch anzuwenden sey auf verschie- dene Epidemien, welche hie und da in jährlich mehr oder weniger von intermittirenden Fiebern befallenen Orten beobachtet würden, wo man, un- ter dem Einflusse sehr wenig bekannter Ursachen sehen könne und in der hs. Classe. II. d 122 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI That sehe, dass Gallenfieber entständen, die eine grosse Ähnlichkeit mit denen des Hippokrates hätten! aha Was aber den zweiten Punct betrifft, ob nämlich in den Beobachtun- gen des Hippokrates ein intermittirendes Element enthalten sey, so führt er zuerst zum Verständigen an die Succession der intermittirenden, remitti- renden und anhaltenden Fieber in heissen Ländern, welche Fieber nur in An- sehung des Typus verschieden, sonst von derselben Natur seyen, und fügt hinzu das ähnliche Verhältniss in sumpfigen, kalten oder gemässigten, Ländern, die der Sitz des Wechseltiebers seyen, und wo unier dem Einflusse der Hitze des Sommers und Herbstes remittirende und anhaltende Fieber von derselben Na- tur wie die intermittirenden entständen, die man nur durch einige Varietäten von den Fiebern desselben Namens in heissen Ländern unterscheide. Dann verweist er auf seine frühere Vergleichung der Fieber des Hi ppokrates mit denen der heissen Länder in Ansehung des oft so schnellen Verlaufes, der Verdoppelung der Anfälle, der Apyrexien u. s. w. Da aber die von Hippokrates verzeichneten Krankheitsgeschichten nicht die einzigen Beleh- rungen über diesen Gegenstand enthielten, wolle er andere, die er in dem von Fuster kritisirten Argument vernachlässigt habe, hier geltend machen. Die besonderen Kraukheitsgeschichten enthielten Fälle von remittirenden oder anhaltenden Fiebern und beobachteten ein gänzliches Stillschweigen über die intermittirenden Fieber, so dass man da nicht das Band finden könne, was die einen mit den anderen vereinigt. In heissen Ländern und besonders in denen, wo Maillot und Twining ihre Beobachtungen gemacht hätten, kä- men die remittirenden und anhaltenden Fieber nicht leicht ohne die intermit- tirenden Fieber vor. Wenn man nun aber in dem Hi ppokrate s auch nicht die besonderen Beobachtungen, sondern seine allgemeinen Beschreibungen je- der Krankheits-Constitution untersuche, so erkenne man, dass ein gleiches Verhältuiss Statt finde. Er theilt hierauf Stellen aus den allgemeinen Beschrei- bungen jener Constitutionen mit und bemerkt dann, dass das intermittirende Element sich offenbare, in den vier Constitutionen, durch das Nachlassen des am häufigsten dreitägigen Typus; in hohem Grade auch durch den bösartigen Charakter einiger von diesen remittirenden Fiebern; endlich auch durch das Gefolge von intermittirenden Fiebern, das Hippokrates in zwei Constitu- ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 123 tionen erwähne. Nachdem er noch einige Bemerkungen, die ich später be- rücksichtigen werde, nachgeschickt hat, glaubt er als Hauptresultat diese zwei Sätze aufstellen zu können: 1) die Fieber des Hippokrates entsprechen we- der der fièvre: typhoide, noch den anhaltenden, gallichten, gastrischen u. s. W. unseres Klima's; 2) sie nähern sich, durch ihre wesentlichen Charaktere, den Fiebern, die in heissen Ländern endemisch sind. — Ob Fuster (dessen schon in den angeführten Schriften gemachte Ein- wendungen mir nicht durchaus widerlegt zu seyn scheinen) hierauf noch eine Erwiderung gegeben hat, ist mir bis jetzt nicht bekannt geworden, und hat auch der Verfasser einer erst im Mai dieses Jahres (1843) in der Revue med. erschienenen Anzeige des dritten Bandes von Littr@s Ausgabe der Hippo- kratischen Schriften (Corby) einer solchen nicht gedacht, sondern geäussert, dass Littré darin auf die (früheren) Einwendungen von Fuster geantwor- tet, und seine über diesen Gegenstand geäusserte Meinung mit Ueberlegenheit, wie es ihm (Corby) scheine, behauptet und vorzüglich auch, mit dem grie- chischen Texte in der Hand, die Existenz des intermittirenden Elementes in den epidemischen Constitutionen ‚des Hippokrates, das Fuster darin nicht finden wolle, bewiesen habe. Je mehr ich nick aber gefreut und es mit gebührendem Danke aner- kannt habe, dass Littre in einer Zeit, wo das Studium der alten Aerzte von den Meisten so sehr vernachlässigt wird, seine eifrigen und immer lo- benswerthen Studien @em Hippokrates und einer neuen Ausgabe und Uebersetzung der Hippokratischen Schriften überhaupt gewidmet hat, um so mehr bedauere ich ihm in Ansehung seiner medicinischen Beurtheilung der von Hippokrates geschilderten Fieber nicht beistimmen zu können. Das erste und dritte Buch von epidemischen Krankheiten, welche von den besten alten und neueren Kritikern und auch von Littré zu den ächten Schriften des Hippokrates gerechnet worden, sind auch meiner Ueberzeugung nach wegen des hohen Geistes der Beobachtung, der sich darin ausspricht, der sorgfältigen Rücksicht auf die Jahres- Constitution, der trefflichen Schilderung der allgemeinen Krankheits- Constitutionen, wie wegen der meisterhaft abge- lassten einzelnen Krankheitsgeschichten, und wegen der bedeutenden Bezie- 02 124 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI hung zu den Vorhersagungen in Krankheiten so wichtig 1), dass ihr gegen- wärtiger Nutzen nicht etwa mit Littré vorzüglich auf die darin zu findenden Belehrungen über die Fieber heisser Länder zu beziehen ist, sondern sie auch zur Beurtheilung der Krankheiten in unseren Gegenden und zur libe- raleren Bildung der Aerzte überhaupt benutzt zu werden verdienen 2). Und 1) Selbst Link (Ueber die Theorien in den Hippokratischen Schriften, nebst Be- merkungen über die Aechtheit dieser Schriften, in den Abhandl. d. Königl. Akad. d. Wissensch. in Berlin aus den Jahren 4814—1815. S. 223 fg.), obgleich er so grossen Zweifel über den Verfasser dieser wie anderer Hippokratischer Schriften geäussert, und ihm diese Bücher mehr von einem bloss beobachtenden Naturforscher, als von einem Arzte zu seyn schienen, hat doch die darin ent- haltene vortreffliche Beobachtung und Schilderung der Constitutionen wie ein- zelner Krankheiten anerkannt, indem er S. 233. sagt: „Vortrefflich werden die „Constitutionen mehrerer Jahre in diesen Büchern geschildert, und es folgen „darauf Krankheitsgeschichten, mit einer Genauigkeit erzählt, die noch Muster „ist. Die scharfe, treffliche Beobachtung erhebt diese beiden Bücher zu dem „ersten Range der medicinischen Schriften, nicht des Alterthums allein, sondern „auch der neueren Zeit.“ 2) Nur einer solchen Ansicht gemäss For ein 13 klinischer * der neuesten Zeit, Berends (dessen Ueberzeugung von der Wichtigkeit dieser Bücher auch noch in einem seiner op. posthum., den lect. in Hippocrat. Aphor. p- 375 ausgesprochen worden) in seiner trefflichen Schrift über den Unterricht junger Aerzte vor dem Krankenbette . 15. sagen: „Jener für alle Zeiten grosse „Meister der Kunst, Hippokrat es, hat i in seinen ächten Schriften, grössten- „theils Geschichten hitziger Krankheiten geliefert: auf eben diese simplere Krank- „heiten beziehet sich aucli der schätzbarste Theil seiner Vorhersagungen ; und „warlich, der angehende Arzt, der seinen Cope zur Hand, beide mit einander „vergleicht, wird sich mehr Richtigkeit und Gründlichkeit im Urtheil erwerben, „als wenn er noch so viele seltenere Fälle (in grösseren Krankenhäusern) im „Anfange seiner medicinisch-praktischen Laufbahn angestaunet hatte.“ Und nur in dieser Leberzeugung konnte er (S. 24. 25.) es für rathsam halten, dass der Lehrer zuweilen, vor den Zuhörern, eine meisterhafte Beschreibung einer Krank- heit des Hippokrates oder Aretas lese und erkläre, oder noch besser einen gegenwärtigen Kranken mit einem solchen Krankheitsgemälde vergleiche; dass er den jungen Arzt bemerken lasse, wie scharf, wie genau, wie tief der Blick jener Meister war, und dass er ihn dann selbst die Folgerung ziehen € ÜBER DIE VON HIPPOKRATES !GESCHILDERTEN FIEBER. 125 diese Ueberzeugung von der Wichtigkeit des Gegenstandes hat mich auch besonders bestimmt, meine Bemerkungen über Littrés Ansicht bei aller Ver- ehrung desselben offen mitzutheilen. Bei der Beur iheilung seiner Ansicht werde 2 ebenfalls besonders auf die Beschreibungen der allgemeinen Couslitulionen (aus denen nach dem Obi- gen auch Littré später Stellen zu seiner ‘Vertheidigung gegen Fuster be- nutzt hat) Rücksicht nehmen, In Bezug auf die hier in Betracht kommenden Fieber will ich aber, da Hauplarlen unter den Benennungen bc, rue waugusdess,. Beete hier vorkommen, ein Paar Worte über die Bedeutung derselben vorausschicken, zumal da ich das von Littré wie von Fuster darüber Gesagte weder für hinreichend noch für durchaus richtig halten kann. Littre wari (p. 569 — 571.) über den Cause; dass din falschen Vergleichungen desselben mit den Fiebern unseres Klima’s nicht gefehlt hät- ten, dass aber die Aerzte, welche über die Krankheiten heisser Länder .ge- schrieben, oft bemerkt hätten, dass das Brennfieber der Alten eine Varietät des remittirenden oder anhaltenden Fiebers der heissen Länder sey. So sage J. Clark in seinem Werke p. 122.: „Der Ausdruck brennend (ardent), „wenn er auf die Fieber angewendet werde, behalte den Sinn, in welchem er „von den Alten genommen worden, und sey zu betrachten als ein Fieber, „das nur die Dauer einiger Tage habe, von Ekel, grosser Hitze, Durst und „gallichtem Erbrechen begleitet sey.“ Allein J. Clark sagt diess, wo er von der allgemeinen Eintheilung der Fieber überhaupt handelt, und es ist daraus allein nicht mit Grund zu schliessen, dass er das Brennfieber nur für eine Krankheit heisser Länder halte. — Ferner sagt Littré, er könnte durch eine neue Vergleichung der Symptome zeigen, dass der Causus oder das Brennfieber nichts anderes als ein remittirendes oder nicht recht anhaltendes Fieber der heissen Länder sey, ziehe es aber vor zu zeigen, dass in den be- en, von Ke okrates erzählten. Krankheitsgeschichten Fälle von Cau- E — welcher aus Mangel an Gelehrsamkeit zu diesen durch so 5 viele Jahrhunderte bewährten Lehrern keinen Zutritt bat, betitelt oder unbe- titelt, ewig ein Halbarzt oder Stümper bleibt. .126_ JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI sus vorkämen, indem dadurch bewiesen werde, dass der Causus eine Varietät der remittirenden oder nicht recht anhaltenden Fieber heisser Länder sey, insofern er nämlich vorher bewiesen habe, dass die Geschichten in den libris Epidem. zu dieser Kategorie der Fieber gehörten. Er führt dann eine Stelle aus der Beschreibung der dritten Constitution an, worin auch des Philiskus gedacht wird, macht bemerklich, dass der Philiskus, dessen besondere Krank- heitsgeschichte von Hippokrates erzählt worden, wohl derselbe sey, wovon er in den allgemeinen Bemerkungen über die Krankheiten der dritten Consti- tution rede, dass dessen Krankheit, nach Hippokrates selbst, ein Causus gewesen sey. Und so bleibe es ausgemacht, dass der Causus eine Varietät der nachlassenden und anhaltenden Fieber sey, wovon Hip pokra tes Bei- spiele in seinen Büchern von den Epidemien angeführt habe. Wenn aber die Krankheitsgeschichte des Philiskus auch wirklich hierher gehört, und wenn dem Hippokrates in Griechenland noch so viel andere Fälle, die unter dem Namen xcũcos begriffen wurden, vorgekommen sind, kann man wohl daraus mit Recht schliessen, dass der Causus nur eine Varietät der den heissen Ländern eigenthümlichen Fieber sey, nicht auch anderswo vorkommen könne? — Luletzt sagt er, die Definition des Causus sey nach den Alten: Fieber begleitet von grosser Hitze, das dem Körper gar keine Ruhe lasse, die Zunge trocken und schwarz mache, und das Verlangen nach Kaltem errege. Diese Definition ist aus den unter den Galenischen Schrif- ` ten befindlichen Definit- med., die von den Meisten zu den unächten gerech- net werden, genommen. Sie passt nur auf den ächten Causus, und Gale- nus selbst 1) hat noch eine andere Art von Causus angenommen. Man hat nämlich unter dem .Brennfieber (Causus, febris ardens) im engeren Sinne ein anhaltend dreitägiges oder um den andern Tag Exacerbationen machendes Fieber mit brennender Hitze und unauslöschlichem Durste, gewöhnlich auch trockener, rauher und schwarzer Zunge, oft auch galliehten Ausleerungen, verstanden, von dem ächten (Causus exquisitus, legitimus} aber einen falschen (Causus nothus), wobei die Hitze und der Durst nicht so heftig, auch de Zunge nicht schwarz sey, auch nicht gallichte sondern mehr schleimige Aus- 1) In libr. Hippocrat. de vict. rat. in morb. acut. Comment. IV. S. 13. ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 127 leerungen Statt fänden, unterschieden. Man hat indessen diese Benennung überhaupt auch durch grosse und anhaltende Hitze und Durst sich auszeich- nenden Fiebern beigelegt. Auch kommen in des Hippokrates Büchern von den Volkskrankheiten gar manche Geschichten von Brennfiebern vor, die sich nicht durch die dem ächten Causus zugeschriebenen Symptome auszeich- neten, und es ist zu seiner Zeit wohl das Wort Causus nicht in dem stren- gen Sinne wie von späteren Aerzten genommen worden. Ueber die Phrenitis sagt Littré (p. 571.), man könnte, indem man be- merke, dass Hippokrates beständig dieselbe neben dem Causus nenne, er- kennen, dass diese beiden Affectionen zu derselben pathologischen Kategorie gehört haben müssten. Aber das Argument, was er für den Causus ge- braucht habe, werde hier noch die Frage auf eine sicherere Weise entschei- den. Der vierte Kranke der 2ten Serie des 3ten Buches sey von Hippo- krates als mit einer Phrenitis behaftet bezeichnet worden. Nun seyen aber die besonderen Krankheitsgeschichten in den Büchern von den Epidemien Geschichten von remittirenden und anhaltenden Fiebern heisser Länder. Also sey die Phrenitis eine Varietät dieser Fieber. So wie ich aber den Vorder- satz keinesweges für ausgemacht halten kann, so kann ich desshalb auch den daraus gezogenen Schluss nicht ohne Weiteres gelten lassen. — Uebrigens sey die Definition der Phrenitis nach den Alten: heftiges Delirium mit star- kem Fieber, Flockenlesen, und kleinem und zusammengezogenem Pulse (Caelii Aureliani acut: morb. Lib. I. c. 1.). Allein das Wort Phrenitis ist schon von den Alten in verschiedenem Sinne genommen, insbesondere auch ein anhaltendes mit Fieber verbundenes Delirium, nicht immer ein hef- iges und wildes, darunter verstanden worden. So hat sich auch Galenus nicht bloss in dem Commentar zu den libr. Epidem., sondern besonders auch in dem Comment. I. in Hippoerat. praedict. libr. I. Ed. Kühn, Tom. XVI. p. 492 sq: geäussert, indem er sagt: „Nempe Hippocrates in libris epidemio- „rum, ut in eorum docuimus commentariis, continuam eam, quae cum „acuta febre est, dementiam, phrenitin appellare videtur ; continuam au- „tem dixi, quia nonunquam in vehementium febrium vigoribus desipientiae _ „superveniunt, sed in declinationibus confestim sedantur. Malve ĝar si- „quidem, insanire, omnes homines dicunt eos, qui desipiunt citra febrem, 12 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADE »Doevırigeiv vero, qui cum febre id patiuntur; quod vero in febris vehe- „mentis vigore accidit, appellant et wagaxoıbas et r ce g OH et Gë oÄupioai el me οονν οονt phrenitin vero non appellant, nisi „ febriat aeger et continuo deliret. Continuitate igitur dementiae, quodque si- „mul cum febre bat, phrenitin agnoscemus, nihilo vero minus phreniticos esse „dicimus, quicunque comatosi quum sint, non sapiunt, sed delira loquuntur „atque a praesentibus expergefacti stupefactis similes videntur eic.“ Ebenso haben sich Foës (Oecon. Hippocrat.), Gorräus (Delinit.: med.), Van Swi e- ten (Comment. in Boerh Aph. 700. 771 u. 773.) u. A. geäussert, sowie auch die ehemaligen hiesigen berühmten Lehrer, Brendel (de cognatione ‚phreni- tid. et febr. malign., et de phrenitide) und Schröder (de indole et sede Phrenit. et paraphrenit.), deren classische Abhandlungen über diesen Gegen- stand wohl vor anderen hier berücksichtigt zu werden verdient hätten. Und so hat insbesondere Brendel, dieser cht Hippokratische Arzt, welcher in der zuerst angeführten Abhandlung so schön die Verwandtschaft der soge- nannten Paraphrenitis mit bösartigen Fiebern nachgewiesen und die Krank- heit so meisterhaft geschildert hat, bemerkt ($. II.), dass die Hippokratischen Schriften unter der Phrenitis im weitesten Umfange auch die Paraphrenitis begriffen, und dann hinzugesetzt: „ In praesagiis e phrenitidis, am- „plissimo numero passim occurrentibus, imprimis in historiis phreniticorum ` „(Lib. I et III. Epidem.), non saltem paraphrenitides complures deprehendet, „quisquis observandis aegris paulo. studiosius operam dedit: sed in iisdem, et „alibi locorum, animadvertet innumera, quae malignis, quas vocamus, febri- „bus ita respondent; ut ovum ovo: similius esse nequeat. Ita scilicet deliria vista eum acuta febre taciturna, obscura, deai, nonnihil. soporis habentia, „ quaeque, ut ait, melancholico modo contingunt, et paraphrenitidum „sive febrium malignarum esse solent, non uno loco valde phrenitica di- „eit esse, atque alibi feri na vicissim. ‚appellat:” Übrigens ist die Phrenitis, zumal in dem engeren Sinne, in welehem sie von Littre; genommen wor- den, weder bei dem Causus beständig (wie schon aus mehreren von Fafe in der Oeconẽůom. Hippocrat. unter æcbcos angeführten Stellen und besonders auch aus dem hernach noch aus den libris Epidem. selbst Anzuführenden sich ergiebt), noch hängt der phrenitische Zustand überhaupt: durchaus noth- ÜBER DIE VON HIPPOKRATES 'GESCHILDERTEN FIEBER. 129 wendig mit dem ächten Causus zusammen, sondern er kommt besonders auch in. 3 Fiebern vor, wie wi in unseren Gegenden nicht fehlen. a nun "das Verhältniss des Pl An der Phrenitis i in den vier von Hippoktates "beschriebenen Constitutionen betrifft, so kamen i in der ersten nur bei wenigen Brennfieber s vor, und diese v waren sehr gelind und regel- mässig verlaufend, sie brachten selbst nur bei wenigen Nasenbluten hervor, und es KR 473 Kranken nicht daran. (Von der Phrenitis ist hier gar nicht die Rede.) Dei vielen kamen aber damals Geschwülste der Ohrendrü- sen GER der Sech vor, die ‚aber bei allen ohne Nachtheil ven g 5 zweiten ee Fanen Son 7 5 Wechsel eber, lie nur bei wenigen Brennfieber (rcuoddecs) vor und von letzteren wird bemerkt, dass die Kranken an denselben am wenigsten gelitten ‚hätten, dass nämlich weder Blut aus der Nase, ‚oder nur; sehr weniges und bei ‚wenigen gellossen sey, noch sie delirirt hätten, dass alles Übrige leicht zu ‚ertragen war, dass die Krankheit, sehr regelmässig verlief i] bei, den meisten, mit den Intermissio- nen (die Tage der Intermission mitgerechnet), in siebzehn Tagen entschieden worden sey, und dass er von keinem wisse, der am Causus gestorben oder bei. ‚welchem Phrenitis entstanden. sey. 1 adig 18 ) i e Kg 3 In der dritten Constitution 3 Winter bei vielen Lähmungen vor, die bei manchen schnell tädtlich wurden; hierauf Brennfieber, die vor dem Frühling anfiengen und bis zu dem schr heissen und trockenen Sommer an- hielten. Von denen, welche die Krankheit gleich im Anfange des Frühlinges und Sommers befiel, sollen die meisten durchgekommen, und nur wenige ge- storben seyn. Dagegen wären die Fieber, als der Herbst und Regen einge- treten war, tödilich und richteten viele zu Grunde. Dabei wird noch von den Brennfiebern bemerkt, dass diejenigen, welche wohl und reichlich aus der Nase geblutet hatten, dadurch besonders erhalten worden zu seyn schie- nen, und dass seines Wissens keiner, dem in dieser Zeit das Blut gut geflossen, gestorben sey. Denn. dem Philiskus, wie dem Epaminon und Silenus sey am vierten und fünften Tage nur wenig Blut aus der Nase Phys. Classe. Il. R 130 JOHANN WILHELM HEINRICH! CONRADI getröpfelt, und sie seyen gestorben. Der Fall des Philiskus gehörte also, auch in der Hinsicht zu den Ausnahmen. In diesem Falle ist allerdings auch nicht von dem Durchfalle (den Littré T. II. P- 541. unter den Symptomen der „fièvre typhoide hervorhebt) die Rede; aber i in sehr vielen anderen von Hippokra- tes beschriebenen Fällen ist er allerdings vorgekommen, so wie er auch oft in unseren Fiebern, und auch den nicht zum sogenannten Abdominalty- phus gehörenden, bemerkt wird. — Bei manchen entstand auch am sechsten Tage Gelbsucht, welchen aber durch kritischen Harn, oder Bauchfluss oder reichliches Nasenbluten geholfen wurde. Bei manchen entstanden auch ruhrartige Zufälle. Wenn bei manchen kein Blut aus der Nase floss, aber an den Ohren entstandene Geschwälste "Verschwänden,: äusserie sich S eine Schwere an der linken Seite des Unterleibes und oben an der Hüfte; wenn aber Schmerz nach der Zeit der Krise entstanden war, und dün- ner Harn abgieng, fiengen sie an etwas aus der Nase zu bluten, und es erfolgte dann spät die Entscheidung. Bei Weibern (von denen damals viele krank wurden d schwere Geburten hatten und noch nach der Geburt krank waren) erschien oft in Fiebern die Menstruation, bei manchen auch Nasenbluten, und es war, Soviel ` Hippokrates wusste, "keines gestor- ben, bei dem etwas der Art elt brit er wars eer deier aber sämmtlich zu frühe nieder. Hierauf wird (Ed. Kühn, T. III. Va 401—402) Nk" Aë: von den um die Nachigleiche hind zu dem’ Untergange des Sieb Sti und ge- gen den Winter vorgel Breunfiebern gehandelt det bemerkt, dass da auch die meisten phrenitisch geworden und die meisten von diesen gestor- ben seyen, während im Sommer wenige es geworden waren. In den Brenn- fiebern wurde es schon anfangs angezeigt, bei welchen der schlimme Aus- gang bevorstand. Denn gleich anfangs war das Fieber heftig, doch geringer Schauder vorhanden, sie konnten nicht schlafen, hatten Durst, Ekel, geringen Schweiss an der Stirne und um die Schlüsselbeine, keiner aber am ganzen Körper, sie sprachen viel irre, hatten Furcht, Missmuth, die Extremitäten wur- den etwas kalt, besonders die äussersten Theile der Füsse und am meisten der Hände, die Verschlimmerungen erfolgten an: gleichen Tagen. Die meisten hatten aber die grössten Beschwerden am vierten Tage, der Schweiss wurde UBER DIE VON! HIPPOKRATES EN FIEBER. 131 überhaupt etwas kalt, die äusseren Gliedmassen wurden nicht mehr warm, sondern waren bläulich und kalt, und die Kranken hatten keinen Durst mehr; der Harn wurde schwarz, sparsam und dünne; der Leib verstopft; es floss bei denen, welche diese Zufälle hatten, kein Blut aus der Nase, sondern es tröplelte nur wenig aus; es kam auch bei keinem derselben zu einem Rück- falle, sondern sie starben am sechsten Tage unter Schweiss. Bei den Phre- nitischen kamen zwar nicht alle angeführten Zufälle vor, es erfolgte aber bei ihnen meistens um den eilſten Tag, bei manchen auch um den zwanzigsten, die Entscheidung. Bei welchen aber die Phrenitis nicht gleich um den drit- ten oder vierten Tag angefangen hatte, sondern die sich in der ersten Zeit eee kam die Krankheit um den siebenten Tag zur Heftigkeit. 3 ir es auch Sect tert. p. 409 dass das anhaltende Fieber bei manchen gleich im Anfange sehr kräftig sey und zum Schlimmen führe, um die Zeit der Krise aber und bei der Krise abnehme, bei manchen aber gelind und verborgen anfange, von Tage zu Tage aber zunehme und schlimmer werde, aber gegen die Zeit der Krise und i in derselben, besonders stark sich ä äussere u.s.w. In a Kardoranıs (SECH (Status ER ER bösartige Ro- sen, Beschwerden im Schlunde, Fehler der Stimme, Brennfieber mit phreni- tischen Zufällen (xaðoo, QperiTixoi), Schwämmchen im Munde, Geschwülste an den Geschlechtstheilen (dolle Qúuaæra),; Augenentzündungen, dv pets, Durchfälle, Wassersucht und bei vielen Schwindsucht; miese auch an- dere Fieber; bei vielen Schwämmchen und Geschwüre im. Munde, Flüsse (devnare) auf, die Geschlechtstheile, Geschwüre, Geschwülste an denselben und um die Leistengegend, feuchte, langwierige, schmerzhafte Augenentzündun- gen, mit Auswüchsen auswendig und inwendig an den Augenliedern, wodurch e Gesicht verdorben wurde, die man Feigwarzen Legal) nennt, auch | OG auf anderen Geschwüren und an den Schamtheilen; im Som- A Oganes, und andere Übel, die faulige CAR genannt werden, steln (erg uh fa) und grosse Flechten; ; endlich ruhrartige Zufälle, Wechseifieber vor. Bekanntlich hat man einzelne der angegebenen Zufälle bald auf die Pocken, bald auf die orientalische Pest, ja auch auf die Lust- seuche bezogen, worauf hier näher. einzugehen nicht der Zweck dieser Ab- R2 132 JOHANN WILHELM HEINRICHYCONRADE: ` handlung ist. Was aber die hier in Betracht kommenden Brennfieber be- trifft, so fanden dabei anfangs Schlafsucht, Ekel, Schauder, nicht hitziges Fieber (xugeres ol Gëie ` nach der von Galenus, vorgezogenen, auch von Littré angenommenen Leseart), auch weder heftiger Durst, noch Delirien Statt; ee tröpfelte wenig Blut aus der Nase, die Verschlimmerungen kamen bei den meisten an den gleichen Tagen; in denselben traten Vergessenheit, Lähmung der Glieder und Stimmlosigkeit ein; die äussersten Theile der Füsse und Hände wurden kälter, am meisten um die Verschlimmerungen, und sie wurden nur langsam und nicht gehörig wieder warm, und so erhielten auch die Kranken ihre Besinnung wieder und sprachen; sie hatten entweder be- ständige Schlafsucht, ohne zum Schlafe zu kommen, oder beschwerliche Schlaf. losigkeit; die meisten hatten rohe, dünne und reichliche Durchfälle, der Harn war reichlich, dünn und hatte nichts kritisches oder sonst gutes; auch zeigte sich sonst nichts kritisches bei den 80 Befallenen, indem weder gehöriger Blut- fluss, noch sonst einer der gewöhnlichen kritischen Absätze erfolgte; sie star- ben ein jeder, wie es das Schicksal mit sich brachte, in unbestimmter Ord- nung, meistens um die Zeit der Krisen, manche, die lange stimmlos gewesen, manche in Schweissen. So verhielten sich die Zufälle bei denen, welche auf tödtliche Weise befallen waren. Ahnliche kamen auch bei den Phrenitischen vor. Diese waren aber ganz ohne Durst. Auch hat keiner der Phrenitischen heftig geraset, wie es bei anderen der Fall ist, sondern sie kamen durch eine andere schlimme Schlafsucht und Betäubung gedrückt amazas T as. In diesen bösartigen Fällen wär also der sonst bei heftigen Brennfiebern gleich der brennenden Hitze sich so unauslöschlich zeigende Durst nicht bet. tig; es fehlten auch die gallichten Durchfälle, welche, wenn auch = nicht als pathognomonische Symptome immer, doch e oft dabei vorkommen oder nach Galenus ovpedgevovra (assidentia) derselben sind „ und es waren Schlaf. sucht und Schauder, die sonst selten dabei vorkommen, zugegen. Daher l nee e Jpg BI Sigi wit meinte auch Galenus ), dass Hi Ppokrates den Causus an dem Anhalien des Durstes und der brennenden Hitze, wie die Phrenitis an dem anhaltenden pog f 1 zs * isn D 1) In Hippoecrat. Epidem: III. ‘Commentar, III. ID å 21811 1 XXXIV. p. 690. 333985 1 25752 ÜBER DIE VON HIPPOKRATES DERTEN FIEBER. 133 Delirium, zu erkennen: scheine, dass also, wenn auch die Kranken nicht sehr . wären Ha nicht sehr heftig: brennten, durch die ganze Krankheit aber die g i Symptome Statt fänden, die Krankheit ein Causus genannt werde, dass PS? ër ein anderes Wee Fieber existiren werde, so dass es den Körper s schmelze und gallichte, und eolliquative Ausleerungen bewirke. Es werde aber nicht brenufieber genannt, wenn nicht ‚anhaltender Durst und brennende Hitze ëtt wären. Auch sey es selten, was in diesen Fällen rk: e p dass, sowie das Fieber nicht sehr hitzig gewesen, auch die Kranken nicht. —.— Ta eg daher Hip pokrates diess erg ga = Si er es zu Gd Gu Ereigniscen GR dass die EE tionen hier an den gleichen Tagen Statt fanden, indem die Brennfieber wie alle sehr hitzige Fieber sie an den ungleichen Tagen zu haben ‚pflegen , und hat auch 1) die Kälte der äussersten Theile der Hände und Füsse u. s- w. ‘für eine Varietät der Symptome, welche die schlimmeren Krankheiten jener Zeit hatten, erklärt. Es i ist also hier weder von hitzigen Brennfiebern , noch von bösartigen Wechselfiebern, ` sondern von anhaltenden bösartigen Fiebern die Rede, die durch eine besondere epidemische Constitution veranlasst wurden, und nicht bloss in ra = en eum E sondern auch e E ae s e TT rn Cen HOT Aus allem Diesem erhellet ı nun 7 dass Hippokrates nicht bloss Breunfieber, sondern u, ‚andere ‚anhaltende Fieber wie gularlige Wechsel- 8 e 3 7 zl ah wë Än 7 Ts u * A A. a. 0. eum, ò 20 Dass die becken Kranken, deren Geschichte auf die ed EM Wen Con- Stitution folgt, von Krankheiten anderer Art, als in dieser Constitution ange- führt werden, befallen waren, ist schon von Galenus (Comment. III. in III. „ „Epid, Text. 71. Ed. Kühn, P. XVII. P. I. p. 736.) bemerkt worden, sowie denn überhaupt nicht alle besondere Krankheitsgeschichten, welche in den Büchern von ‚ epidemischen Krankheiten mitgetheilt worden, zu, den hier beschriebenen meinen Constitutionen ‚gehören, zum Theil durch besondere Ursachen be- nadoz gt Fieber und auch andere Krankheiten betreffen. 134 © JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI fieber vor sich gehabt hat, und dass auch unter den Fiebern, welche von ihm als xuöcos oder uerg wavowdees angeführt werden, gar mänche vor- gekommen sind, die nicht die dem von er Ärzten eee n Causus zugeschriebenen * hatten. Hiernach will ich das von Liltre über den age der yon Hippo- PAR: Beobächieien" Fieber Gesagte und das diesen zugeschriebehe intermit- tirende Element berücksichtigen. So. wie Littré meint, * der 2 des anhaltenden Fiebers (Euvexas) in der Pyretologie, des Hippokrates oder der ältesten griechischen überhaupt dem grossen remittirenden oder anhaltenden Fieber gegeben worden, das i in heissen Ländern endemisch sei, so hält er besonders für charakteristisch, was von den in der zweiten Constitution vorgekommenen F jebern, gesagt worden: dass sie nämlich ganz anhaltend und gar nicht aussetzend (Euvextes Aën Tò op sai Od ExAeimovres), aber bei allen auf dreitägige Art heftiger, an einem Tage leichter, an dem ‚anderen ‚schlimmer gewesen seyen (ragogurd le- vor de naci . uu 7g wan v morouꝰigor res xal iav mapou- vu. Dass aber anhaltende Fieber um den dritten. Tag stärkere Exacer- bationen haben, wird nicht blos in Griechenland und heissern Ländern, son- dern auch in anderen gemässigteren bemerkt. | Ebenso bezieht er sich (T. II. p. eis Wande sifa eine ándere’ Stelle Tage und Intermissionen in * We GC Ri dagegen die "Anfälle ı in der Nacht und die Intermissionen am SE hätten, mugEeTol Ewvexkis, "o u Nusonv Exovos, mere deihsigouer, e d vita ExXovaım,. ν dc NE movcw.eic. Im dritten Bande (p. XI XII.), wo die ganze Stelle noch be- sonders hervorgehoben wird, heisst es von ihr, sie beweise, dass Hippo- krates aus den anhaltenden, remittirenden und intermitürenden Fiebern nur eine Classe mache; sie könne selbst elassisch genannt werden, wenn man sich auf die Fieber beschränke, welche entweder heissen oder ‚Sumpfigen Ländern eigen seyen, u. s. w. ‚Es ist indessen hierbei zu bemerken , dass nach der ge- wöhnlichen, auch von Littré i in dem Texte beibehaltenen Leseart, zwischen * a ÜBER DIE VON HIPPOKRATES EN FIEBFR. 135 den Worten ugerol ` Euvexées die: o u stehen, und dass es hiernach heisse: „Manche Fieber sind anhaltend, manche befallen am Tage, setzen die „Nacht aus u. s. W. Welches aber auch die wahre Leseart seyn mag, und wenn auch ms in dieser Stelle eine Analogie der anhaltenden Fieber mit den intermitiirend drückt haben sollte, so sind doch sonst die meisten von ihm in den libris Epiden. geschilderten Fieber wirklich an- haltend nachlassende, die gar nicht aussetzten, gewesen. Allerdings hat H i p- pokrates auch von Wechselfiebern, die er vor sich gehabt, gesprochen, und zwar besonders in der zweiten Constitution, wo gerade nur wenige und leichtere 8 1 ue e (Ed. Kühn, T. III. p. 390.) dreitä- gige Fieber, di nässig verliefen und mit dem siebenten Anfalle EEE EIER wie r visrtägigeund ändere sich zeigten; dessgleichen in der vierten oder sogenannten xardorasıs Aoipwdnys, wo sie schwerer und anhaltender waren. Eigentlich bösartige Wechselfieber gestehe ich aber in den in diesen ächten Büchern von den Volkskrankheiten gegebenen Schil- derungen von den Brennfiebern nicht finden zu können. In dem sieben- ten Buche von epidemischen Krankheiten (Ed. Kühn, T. III. p. 685.), welches allgemein zu den unächten gerechnet wird, heisst es zwar, dass im Sommer mehr die Cholera und intermittirende Fieber vorkämen, und dass diese zuweilen bösartig würden und in hitzige Krankheiten übergien- en. Wenn aber eg Dee? FIA Wechselfieber, die mit Schlaf- ka u. s. w. verbund. d in dem zweiten, dritten oder vierten, ja ersten Anfalle tödten können, dë geg Ärzten nicht so gänzlich unbe- kannt gewesen seyn sollten, wie manche neuere Ärzte glaubten, wenn auch Spuren derselben bei dem Caelius Aurelianus, Galenus, Aëtius u. A. sich ſinden, wie besonders einer der gründlichsten Historiker unter den Arz- len; Ackermann, schen in der Vorrede zu seiner Ubersetzung von Cle g- horu's Schrift über die epidemischen Krankheiten in Minerka, dessgleichen Borsieri (inst. med. pr. V. I. §. LXX.) i) bemerkt hat, so sind sie. doch erst von B N pieren treffliche Tev Arzt selbst zuerst da- dal air ie Dieser hat’ jedoch ah 9. LNT. gendssert, dass sie dem Hippokrates, nach seinen ächten 8 au urteilen, unbekannt gewesen zu seyn schienen. i] 136 JOHANN: HEINRICH WILHELM CONRADI: von gehandelt zu haben glaubte und der wenigstens zuerst diese so höchst gefährlichen Krankheiten durch die China zu bezwingen gelehrt hat), Torti, dann von Werlhof, Sena u. A. deutlich und genauer geschildert worden. Viele anhallende Biennfieber, wie sie Hippokrates geschildert hat, welche durch Nasenbluten, gallichte Ausleerungen u. s. w. entschieden wurden, möch- ten auch wohl die China entweder gar nicht oder nicht so früh wie bösar- tige! Wechselfieber erfodern oder ertragen. Wären sie aber dem Hip po- krates auch vorgekommen, so würde das wieder nichts für die Meinung von Littré beweisen. Dass überhaupt anhaltende Fieber zugleich mit Wech- selfiebern herrschen können, auch in diese übergehen und umgekehrt, ist ja ebenfalls nicht bloss in Griechenland und in heissen Ländern, sondern auch, wie hernach noch näher gezeigt werden soll, in anderen gemässigteren be- merkt und die Verwandtschaft der remittirenden und intermittirenden Fieber in Bezug auf Ursachen und Character wohl anerkannt worden. Wenn nach Littre (T. III. p. XIV—XV.) die anhaltenden gastrischen, gallichten und andere Fieber in dem Klima von Paris sich nicht mit Wechselfiebern verbinden, die Wechselfieber daselbst jetzt wenig gemein seyn und selten ernstliche Compli- eationen haben, und desshalb auch die remittirenden und anhaltenden Fieber, welche sich daran schlössen, seltener seyn sollen, so ist überhaupt zu be- merken, dass es bei diesem Gegenstande auf das Verhältniss von Paris allein gar nicht ankommen kann. Er hält es indessen für möglich, dass in vergan- genen Jahrhunderten Paris viel mehr als jetzt intermittirenden und damit in Verbindung stehenden Fiebern ausgesetzt gewesen sey, und setzt selbst hinzu, dass nach Viller mé ehemals zu Paris Epidemien von Wechselfiebern fast alle Jahre Statt gefunden; dass sie aber aufgehört hätten, so wie das Pflaster der Stras- sen und der Abfluss des Wassers aus den Häusern in die Seine der Gegen- stand einer besonderen Sorgfalt geworden sey. Ähnliches ist aber an vielen anderen Orten und auch hier bemerkt worden. Zimmermann sagt in sei- nem berühmten Werke von der Erfahrung, Th. II., B. IV., C. 5.: „Die Wir- „kungen der Dünste stehender Wasser habe ich auf meinem eigenen Leibe zu „der Zeit schon erfahren, da ich mir dieselben aus Büchern viel lieber bekannt „gemacht hätte. Die beinahe so kleine und beinahe so sehr als der ofi trockene E Ilyssus gepriesene Leine tritt in Göttingen. zuweilen über ihre Ufer heraus, — ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER, 137 bie einen kleinen Theil dieser Stadt sumpfigt, und die Schanzgraben sind „auch mehrentheils voll stehender Wasser. Ich wohnte nicht weit von die- „sem sumpfigten Quartier, und wie Hippokrates von dem kranken Philiskus „zu bemerken nicht unterliess, dichte an den Schanzen; auch ward ich viel- „fällig mit dem Tertianfieber, sowohl als das ganze Haus des Herrn von Hal- „ler, bei dem ich wohnte, damit geplagt. Die von dem Maschgrunde und „dem Schanzgraben entfernten Quartiere der Stadt blieben von diesen Fiebern „gänzlich frei, die bei uns und in den nah gelegenen Häusern nur mit dem Win- „ter aufhörten.” Seitdem die genannten Schanzgraben meistens ausgetrocknet, zur Erweiterung des botanischen Gartens und zu anderen Anlagen benutzt wor- den sind, haben jene Wechselfieber hier zu herrschen aufgehört, und ausser- dem, ST sie nur in manchen Jahren bei besonderer epidemischer Constitution sich zeigen, bekomme ich am Wechselfieber Leidende in das akademische Ho- spital gewöhnlich nur aus der Gegend von Seeburg und anderen benachbar- ten Orten, wo stehende Wasser sich befinden. Aber desshalb fehlen doch auch hier nicht anhaltend-remittirende gastrische, gallichte und andere Fieber, die ja überhaupt ohne alle Verbindung mit Wechselfiebern vorkommen können. Übrigens kommen allerdings, wie längst anerkannt worden, die sogenann- ten Brennfieber öfter und heftiger in heissen Klimaten vor, wiewohl auch darin nicht bloss jene heftigen Fieber, sondern oft auch gelinde gallichte und andere Statt finden. Wenn aber auch die von Hippokrates beobachteten schwe- ren Fälle ächter Brennfieber denen der heissen Länder ähnlich sind, so werden doch auch ähnliche in anderen gemässigten Ländern gefunden ). So wie sie in 1) Fuster (des malad. de la France p. 613 s.) hat zwar zugestanden, dass die Beob- - achtungen des Hippokrates sich auf die Krankheiten heisser Länder beziehen lassen, aber auch geäussert, dass es verschiedene Arten von Fiebern in heissen Ländern gebe, und dass die Beobachtungen des Hippokrates sich auf meh- rere Classen von Krankheiten bezögen. Und wenn er weiter sagt, dass die einzigen regelmässig den Beobachtungen des Hippokrates vergleichbaren Krankheiten die des tropischen Theiles unserer Zone, 2. B. die des südlichen Ita- liens, des Südens von Spanien, der Inseln des mittelländischen Meeres und des Südens von Frankreich seyen, so hat er doch auch (p. 605 s.) bemerkt, dass man ähnliche und manchmal selbst identische selbst in Paris sehen könne, wor- Phys. Classe. II. ` 138 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI den südlichen Theilen unserer Zone häufiger sind, so werden sie manchmal auch in nördlicheren Theilen derselben bemerkt. Schon Forestus (observat. et curat. medic., Lib. II.), Fr. Hoffmann u. A. haben ausser den von Fu- ster angeführten französischen Ärzten interessante Beobachtungen darüber mit- getheilt. Aus diesen ist insbesondere auch zu ersehen, dass sie auch in un- seren Gegenden schnell mit sehr heftigen und beunruhigenden Zufällen eintre- ten können, dass die Zunge schon in den ersten Tagen trocken seyn kann, dass auch um den anderen Tag heftigere Anfälle eintreten u. s. w. 1) Die von Littré auch zu den charakteristischen Umständen der Fieber heisser Gegenden gerechnete Affection der Hypochondrien, die Spannung, V ölle, der Druck, Schmerz in denselben, kommt besonders in E mit gastri- scher Affection in unseren Gegenden so häufig vor, dass ihre angebliche Sel- tenheit in Paris sehr auffallen muss; und in denselben Fiebern ist auch der von ihm der fièvre typhoide zugeschriebene Kopfschmerz über den Augenhöh- len ganz gemein. Der ebenfalls zu den charakteristischen Umständen der Fie- ber heisser Gegenden gerechnete Schmerz im Nacken fehlt ebensowenig in unseren nervösen und anderen Fiebern, und wenn er auch nicht Statt fände, so würde es doch einer umfassenden Ansicht von den Fiebern eben nicht ent- - sprechen oder an die schon von Hippokrates und Galenus getadelten Spitz- findigkeiten der Knidier erinnern, wenn man auf eine solche Modification wie auf-manche graduelle Verhältnisse einen wesentlichen Unterschied jener Fieber gründen wollte. So ist auch zwischen den Gallenfiebern heisser Länder und den heftigeren gallichten gemässigterer Gegenden kein wesentlicher Unterschied anzunehmen. Dass aber auch in Paris Gallenfieber nicht so selten, wie - über er auf die Beobachtungen von Baillou, wie von Geoffroy, Malouin, Pinel, Double, Roux und Cayol verweiset. 1) Dass die Verschlimmerungen auch in unsern Gegenden an den gleichen Tagen eintreten können, hat auch Brendel bemerkt, indem er (Diss. de cognat. para- phrenit. et ſebr. malen, g. V.) sagt: “Translatas namque febres in pares dies, „non immerito cum Hippocrate timemus, vel nostro sub coelo: cui tot alia „respondere videmus Hi ippocratica, etsi nonnulla justos a coeli nn „et victus discrimine limites recipiant.“ ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 139 Littré (T. II. p. 540.) behauptet, sondern gar manchmal, und (wenn sie auch im Allgemeinen gelinder oder weniger hitzig als die in heissen Län- dern waren) darunter auch heftige sind, ist nach den von Pinel und ande- ren älteren, schon von Fus ter angeführten, Ärzten mitgetheilten Beobachtungen nicht zu läugnen, und noch neuerlich ist eine Schilderung der Epidemie der- selben im Jahre 1839 von Gendrin (Traité philos. de Medec. prat. T. II. 679 sq. u. T. III. p. 112 sq.) mitgetheilt worden, worin derselbe übrigens auch nicht bloss den dreitägigen oder doppeltdreitägigen Typus, sondern auch in acht Fällen die Umwandlung des remittirenden Fiebers in ein intermittirendes be- merkt hal. Wenn Littré behauptet, dass sie sich nur in manchen heissen Sommern zu Paris gezeigt hätten, so ist zu bemerken; dass sie auch von Hippokrates in Griechenland wie von anderen grossen Ärzten anderer Län- der besonders für Krankheiten heisser Jahreszeiten, des Sommers und zum Theil auch des Herbstes, erklärt worden sind. | Dass man aber auch in gemässigteren und nördlicheren Ländern in der- selben epidemischen Constitution schwere Wechselfieber und anhaltende, die selbst den Brennfiebern ähnlich waren, beobachtet und auch längst eine Ver- wandtschaft derselben anerkannt hat, davon können wohl schon Sydenham's classische Schriften einen überzeugenden Beweis abgeben. Dieser sagt ins- besondere in der Schilderung der Constitutio epidemia ann. 1661 — 1664 Londini (Op. Ed. Kühn, p. 32), in welcher dreitägige und viertägige Wech- selfieber und anhaltende Fieber theils auf einander folgten, theils zugleich vor- kamen, von einer Tertiana mali moris, dass sie von den intermittirenden Fiebern anderer Jahre sich so unterschieden habe: „Aegri paroxysmus atrocior, lin- „gua magis nigra siccaque, extra paroxysmum c r uge ice obscurior, virium „et appetitus prostratio major, major item ad „ ingeminandum Pro- „elivitas; omnia summatim accidentia i immaniora, ipseque morbus, quam pro „more febrium int ti funestior etc.“ Weiter sagt er: “subsecuta „est febris continua, ab EN autumnalium genio in hoc tantum „abhorrens, quod hae statis. solum temporibus, illa continenter urgebat. „Etenim eodem ferme modo aegrotos adoriebantur; qui utrisque pariter vehe- „menter laborabant, vomituriebant, cum partium externarum siccitate, siti, „linguae Zn et sudoribus, sub morbi finem, materia morbifica in utris- 82 140 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI „que promptissime exterminabatur.” Und p. 34: „At praeter symptomata, quae „ceteras febres stipabant, dicta febris sequentibus insuper urgebatur: aeger „plerumque animam non agebat, vomituriebat, lingua sicca et nigra, ingens „ac subitanea virium consternatio, et partium externarum siccitas. Urina ubi- „que vel crassa, vel tenuis, utraque ex aequo cruditatis indicium. In -morbi „declinatione, diarrhoea, nisi forte medicus principio obstetisset, superjunge- „bat; unde morbus pervicacior redditus, diutius adfligebat.: Sed suopte inge- „nio, ac propria indole, vix ultra diem 14. vel 21. perdurabat; quo primum „tempore, oborto sudore, vel potius leni madore, morbus solvebatur: neque „prius urinae coctionis signa prodibant, quod jam utplurimum eveniebat.” Es kamen auch, besonders bei vernachlässigter oder schlechter Behandlung noch andere Symptome, selbst Phrenitis mit wildem Delirium hinzu. — Ahnliche Bemerkungen hat ein anderer trefflicher englischer Arzt, Pringle in seinen Beobachtungen über die Krankheiten der Armee in Bezug auf sumpfige und zwar auch nördlich gelegene Länder gemacht. So sagt er (S. 7. der deutsch. Übers. von Brande), wo er von der Luft und den Krankheiten der Nieder- lande handelt: “Die Herbstepidemie und herrschende Krankheit dieses und „anderer sumpfigten Länder ist ein Fieber von intermittirender Art, gemeinig- „lich ein dreitägiges, aber von einer schlimmen Gattung, welches in den feuch- „testen Gegenden und schlechtesten Witterungen, als ein doppeltes Tertian-, „ein remittirendes, oder gar als ein brennendes Fieber erscheint. So sehr „aber auch diese Fieber ihren Typum, nach dem Unterschiede in der Beschaf- „fenheit der Körper und anderen Umständen, verändern, so sind sie doch alle „von gleicher Art. Denn ob sie gleich im Anfange der Epidemie, wenn die „Hitze, oder vielmehr die Fäulung der Luft am stärksten ist, eine anhaltende „oder remittirende Gestalt annehmen, so werden sie doch meistentheils gegen. „das Ende des Herbstes ordentliche Wechselfieber.” Ferner sagi er von den Krankheiten im Jahre 1748 (S. 72.) : „Die Epidemie zeigte sich zuerst und „am schlimmsten unter der Gestalt eines brennenden Fiebers. Die Leute wur- „den plötzlich mit einem hefligen Kopfweh und oft mit einem Irrereden befäl- „len. Wenn sie bei Verstande waren, klagten sie auch über starke Schmer- „zen in dem Rücken und den Lenden, heftigen Durst, brennende Hitze, Del. „keit und Beklemmung in dem Magen, Würgen und gallichtes Erbrechen. e ÜBER DIE: VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 141 „Bei andern gieng die Galle unterwärts ab, mit Stuhlzwängen und Schmerzen „im Leibe. Gemeiniglich remiltirte das Fieber gleich vom Anfange, besonders „nach dem Aderlassen und den Ausleerungen der ersten Gänge: wenn aber „diese Mittel versäumt wurden, blieb die Krankheit fast anhaltend” u. s. w. In den Beobachtungen über die Herbstfieber (S. 201 fg.) wird auch neben dem starken Fieber, Durst und grosser Hitze die dürre Zunge nebst anderen schweren Zufällen von Pringle angeführt und S. 212 sagt er ausdrücklich: “In der grössten Hitze des Weiters und Wuth der Krankheit kamen die mei- „sten dieser Fieber mit dem apros oder febris ardens der Alten überein.“ — Solche Beobachtungen sind aber nicht bloss damals von Pringle, sondern in den Niederlanden wie anderen sumpfigen oder Überschwemmungen ausge: setzten Gegenden oft und von vielen Ärzten gemacht worden. Wenn also jene Fieber auch in heissen Ländern beständiger und in den tropischen wohl zu jeder Jahreszeit vorkommen, so sind sie doch in gemässigteren und Kälte- ren eben nicht so zufällig, wie Littré (T. II. p. 582.) behauptet, und we- nigstens den Ärzten oft genug näher bekannt geworden. Und wenn desshalb die nach Algier versetzten französischen Arzte nur nicht bloss die Gedanken an ihre fièvre typhoide im Kopie haben, sondern auch andere Fieber gehörig berücksichtigen und wenigstens mit den classischen Schilderungen derselben von andern grossen Ärzten bekannt geworden sind, so werden sie wohl nicht durch die dortigen Fieber ferner in das oben (S. 119) angeführte grosse Er- staunen gesetzt werden. Nach den noch neuerlich selbst von französischen Ärzten, Gibert und Cayol in der Revue méd. 1842. III. p. 144 fg. unter bitterem Spotte gemachten Bemerkungen scheinen indessen viele Arzte zu Paris in der Annahme der fieyre typhoide sehr weit zu gehen ). Dort hat man ja E Darauf ‚ist kéin wohl daten eine . und Warnung von Gendrin in der oben angeführten Schrift, T. III. p. 147: “Nous ne pouvons d’ailleurs real — „signaler trop tôt et avec trop Steier les differences de maladies que beau- yeoup de médecins confondent comme des degrés d'une même affection sous les „noms de Zderes typhoides et d'entérites folliculeuses. On ne peut assez pré- „munir les jeunes médecins contre ces déplorables erreurs, qui leur réservent de „si eruels meromptes 2 la pratique. Au point de vue de la science, la con- „fusion que nous signalons montre op conduit une W exclusivement fondée 142 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI auch die Fieber aus dem Systeme der Pathologie verbähnen wollen, oder ihnen eine andere Stelle gegeben, sie unter anderen Namen begriffen. Nach Man- chen soll es auch dort keine entzündlichen, gallichten, nervösen Fieber ausser der fièvre typhoide geben. Aber sowohl die von Hippokrates geschilderten Brennfieber, als die in unseren Gegenden vorkommenden einfachen Reizfieber, entzündlichen, gallichten und viele nervöse sind ebensowenig bloss aus örtlicher Entzündung (die auch Littré bei den Fiebern des Hippokrates nicht an- nimmt), der Gastroenterite oder der lésion des plaques elliptiques, oder den Darmgeschwüren, als aus blosser Spinal - Irritation, Dyspepsie u. s. w. abzu- leiten, sondern es sind dabei ausser den allgemeinen sogenannten dynamischen Veränderungen des Nerven- und Blutgefässsystems auch wichtige quantitative und qualitative Fehler der Säfte, des Blutes selbst, der Galle u. s. w. zu be- rücksichtigen, und sie werden bei gehöriger Würdigung dieser Verhältnisse nicht bloss für symptomatisch zu erklären (oder wie das Fieber überhaupt nach der übrigens ganz alten, schon von Diokles von Karystus und Erasi- stratus vorgetragenen Meinung für ein miyeryyæ zu halten), sondern fer- ner mit vollem Rechte als besondere wesentliche, theils einfache, theils zusam: mengeseizte Hauptarten der Fieber zu betrachten seyn wg „sur la consideration des lésions locales qui ne sont dans la ee des cas que „des phénomènes secondaires des maladies.” 1) Gegen die auch in Deutschland von Manchen vorgenommene einseitige Ableitung der Fieber aus Hoeser Entzündung u. s. W. habe ich mich längst umständlicher erklärt sowohl in der Kritik von Broussais, Lehre 34.28 H als in der Re- cension von Meuth’s Schrift üb. das Fieber in den Heidelb. Jahrb. d. Literat., 1823. H. 7. S. 657 fg., der Commentat. de febris, praesertim nervosae, ad in- flammationes et ulcera intestinorum relatione u. s. w. So wie früher schon Selle und. besonders Borsieri das verschiedene Verhältniss der Entzündung zu dem Fieber gründlich nachgewiesen hatten, so haben sich später auch Hufe là n d (in der Lehre von den Heilungsobjecten S. 48 fg. wie a. a. O.) und Andere gegen jene einseitige Ableitung des Fiebers aus Entzündung erklärt. Besonders verdient aber bemerkt zu werden, was Van der Hoe ven (de arte medica. L. I. P. I. p. 1 sq. u. p. 315 sq.) darüber und über die von manchen Neuern beabsichtigte Verbannung der Fieber aus dem Systeme der Krankheiten geäus- sert hat. Neuerlich hat sich auch von Walther (Fragmente üb. das Fieber, — ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHIL DERTEN FIEBER. 143 Es waren aber auch in den Gegenden von Griechenland, wo Hippokra- tes seine Beobachtungen machte, nicht beständig Brennfieber, manchmal auch nur leichte oder unächte vorhanden, was schon aus dem oben aus den Büchern von den Epidemien Angeführten erhellet, so wie sie auch in anderen Stellen der Hippokratischen Schriften besonders heisser Jahreszeit, langen Reisen, dem Missbrauche erhitzender Getränke u. s. w. zugeschrieben werden. Auch sind jene nördlichen Gegenden Griechenlands (die auch von der ungesunden Ebene von Eleusis wie der um den Kopaischen See zu unterscheiden sind), wenn sie auch südlicher als unsere liegen, doch eben nicht den heisseren von Africa, Asien u. a. gleichzustellen. Galenus!) äusserte selbst, dass alle von Hi p- pokrates beschriebenen Constitutionen in gemässigten Gegenden der Welt gewesen seyen, mit Ausnahme der vom Meere entfernteren Orte von Thracien, welche übermässig feucht und kalt seyen. Insbesondere wird auch von ihm 2) in der allg. Zeit. f. Chirurg., innere Heilk. u. s. w. von Rohatzsch, 1843. H. 1.) stark gegen jene Verbannung ausgesprochen; sie selbst für eine destructive Ar- beit erklärt, zu den destructiven Tendenzen ‚gerechnet, und hat er wohl auch nach meiner früher schon ausgesprochenen Überzeugung wenigstens in diesem Hauptpunkte Recht, wenn auch sonst Manches gegen einzelne Sätze dieser Ab- handlung zu erinnern seyn mag. Nach ihm ist auch Frank’s Ausspruch: „Febris „certorum potius morborum umbra, quam ipse morbus est,” der zum Loosungs- worte bei dieser destructiven Arbeit gedient hat, nicht so ernsthaft, wenigstens nicht so folgewichtig gemeint; es kann, wie ich früher schon bemerkt habe, ‘derselbe doch wenigstens noch auf verschiedene dem Fieber zum Grunde lie- gende Affectionen (nicht bloss auf Entzündung) bezogen werden. Übrigens hat Frank desshalb selbst das einfache entzündliche Fieber nicht ausgeschlossen, das- selbe auch keinesweges bloss von der nur in einzelnen, äusserst heftigen Fällen beobachteten Entzündung der Arterien und Venen abgeleitet, sondern in seiner = trefflichen Epitome (Lib. EL 117.) den Unterschied des einfachen und des mit "örtlicher Entzündung verbundenen inflammatorischen Fiebers wohl anerkannt, und jenes (J. 118. u. Lib. II. f. 125.) von allgemeinen über das Blutgefässsystem verbreiteten oder im Blute enthaltenen Reizen, die örtliche Entzündung von an- haltenderer Wirkung der Reize auf einen Theil abgeleitet. 1) Comment, in Hippoerat. Aph. Sect. III. nr. XIV. 2) Comment. I. in libr. Epidem. I. ur. I. -= 144 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI Thasos, wo von Hippokrates die drei ersten Constitutionen und vielleicht auch die vierte beobachtet wurden, als Thracien gegenüber liegend und den kalten Nordwinden ausgesetzt, von Andern aber die Insel als sehr bergig und waldig, sehr cultivirt, Goldbergwerke enthaltend, schönen Marmor und vor- trefllichen Wein liefernd bezeichnet. Von Sümpfen ist hier nicht die Rede Grimm?) meinte, dass die Insel Thasos, welche unter dem 40% Grade der Breite und dem 42 und 43ten Grade der Länge liege, folglich mit Nea- pel gleiche Polhöhe und mit Riga einerlei Meridian habe, der erstern Gegend durch ihre gemässigte Luft nahe komme. Nach Raymond?) aber soll das Klima derselben dem von Marseille ähnlich seyn, doch mehr Regen ? Schnee und Kälte haben. Die Witterung war aber dort, wie auf mehreren Inseln des Archipelagus, sehr veränderlich, was auch neuere Reisebeschreiber bemerkt haben, und von Hippokrates selbst ist, was schon Huxham hervorgehoben hat, in der Beschreibung der Krankheits -Constitutionen angeführt worden: häufiger Regen, Dürre, starker Winter, viel Schnee, stürmischer wolkiger Him- mel u. s. w. (Udara movAAd, auxpol, XeνEĩu-es ueydAoı, Xıoves td ci, ovpavòs Auukamwdys, Emweßekos etc). In der ersten Constitution war im Herbste häufiger, anhaltender, aber milder Regen wie bei Südwind; der Win- ter hatte mehr Südwind, nur schwachen Nordwind, auch mehr Trockenheit, und war im Ganzen dem Frühlinge ähnlich; der Frühling hatte Südwind, war kühl, hatte wenig Regen; der Sommer war meistens wolkig, doch ohne star- ken Regen, die Passatwinde wehten schwach und unterbrochen. In der zwei- ten Constitution fieng schon vor dem Herbste kalte und nasse Witterung unter vielen Nord- und Südwinden an, und dauerte in demselben fort; der Win- ter aber war kalt, hatte vielen, reichlichen, starken Regen und Schnee, da- - zwischen meistens heitere Tage; nach der Winter-Sonnenwende und wo der Westwind zu wehen anfängt, kam starker Nachwinter mit vielen Nordwin- den, Schnee und anhaltend häufigem Regen, der Himmel war stürmisch und wolkig, und so hielt es bis zur Nachtgleiche an; der Frühling war kalt mit 1) Übersetzung d. Hippokrates, B. 1. S. 450. 2) Mémoires sur les Epidémies in Hist. de la soc. royale de Medec. Ann: 1780 — 1781. p. 51. ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILDERTEN FIEBER. 145 Nordwind, regnerisch, wolkig, der Sommer nicht sehr heiss; die Passatwinde wehten ununterbrochen; es kam aber schnell gegen den Aufgang des Arktu- rus unter Nordwind wieder viel Regen; das ganze Jahr war feucht, kalt und reich an Nordwind. In der dritten Constitution war kurz vor dem Aufgange des Arkturus und während des Standes desselben am Horizont häufiger und starker Regen mit Nordwind eingetreten, um die Nachtgleiche aber und bis zum Untergange des Siebengestirnes gab es bei Südwind wenig Regen; der Winter hatte Nordwind, Trockenheit, kalte, starke Winde und Schnee; um die Nachtgleiche aber war die stärkste Kälte; der Frühling hatte Nordwind, Trockenheit, wenigen und kalten Regen; um die Sonnenwende des Sommers war auch wenig Regen da, aber grosse Kälte bis zu den Hundstagen; nach den Hundstagen aber bis zum Aufgange des Arkturus heisser Sommer, grosse, nicht unterbrochene, sondern anhaltende und heftige Hitze, es erfolgte kein Regen und die Passatwinde wehten. Um den Aufgang der Arkturus aber kam Regen mit Südwind bis zur Nachtgleiche. In der vierten Constitution (xardorasıs Aouaidne, bei welcher indessen der Ort, wo sie beobachtet worden, nicht aus- drücklich bemerkt ist) war das Jahr bei Südluft voll Regen, im FE ohne Wind; da aber grössere Trockenkeit in den etwas vorhergehenden Jahreszei- ten Statt gefunden, kam mit dem Südwind gegen den Aufgang des Arkturus viel Regen; der Herbst war trübe, wolkig, voll Regen, der Winter bei Süd- luft nass, gelind, lange nach der Sonnenwende und fast gegen die Nachtgleiche kam Nachwinter und um die Nachtgleiche selbst Nordwind und Schnee, doch nicht auf lange Zeit; der Frühling hatte wieder Südluft ohne Wind, vielen Regen bis zu den Hundstagen; der Sommer war heiter, heiss, die Hitze er- stickend; die Passatwinde wehten schwach und unterbrochen; es erfolgte aber wieder gegen den Aufgang des Arkturus mit Nordwind viel Regen. — Nach diesen von Hippokrates selbst über die Witterung verschiedener Jahre in jener Gegend mitgetheilten Bemerkungen war also das Verhältniss derselben wohl ein ganz anderes, als es in der heissen und sumpfigen Ebene der Mitidja oder in anderen heissen Ländern, wo man keinen Frühling und Herbst kennt, oder wo selbst die Jahreszeiten nicht sowohl in Sommer und Winter als in die trockenen und regnichten sich theilen lassen, oder man nicht die gewöhn- liche Abwechselung von Sommer und Winter bemerkt, Statt findet, und es Phys. Classe. II. TZ 146 JOHANN WILHELM HEINRICH CONRADI mussten darnach natürlich dort sehr verschiedene Krankheiten und oft ganz andere Fieber als Brennfieber entstehen. Hippokrates selbst hat aber die einzelnen dort beobachteten Constitutionen aus den Verhältnissen der Witterung in den verschiedenen Jahreszeiten vortrefflich abzuleiten gewusst; er kann auch in der Hinsicht als ein herrliches Muster für unsere und andere Klimate, mögen sie auch von dem seiner Gegenden verschieden seyn, gelten, und das von ihm darüber Gesagte allerdings auch hier angewendet werden. Er hat auch in den Aphorismen (Sect. III.) und an anderen Orten die Veränderungen der Krankheiten in den Jahreszeiten und die in einzelnen Jahreszeiten bei regel- mässigem Gange derselben herrschenden Krankheiten 80 bestimmt, wie es durch die Erfahrung der grössten Arzte anderer Gegenden bestätigt worden ist, und es kann im Allgemeinen das von ihm in dieser Hinsicht in Griechenland Be- merkte auf unsere Gegenden ebenfalls wohl angewendet werden. Dass er auch auf andere Klimate Rücksicht genommen und die Verhältnisse derselben eben- falls wohl zu würdigen gewusst hat, davon hat er den schönsten Beweis in der classischen Schrift de aere, aquis et locis gegeben. Und so war er dann auch um so mehr berechtigt zu äussern 1); dass die von ihm angegebenen Zei- chen sowohl in Libyen, als in Delos und Scythien (also in heissen, gemässig- ten und kalten Gegenden) wahr befunden würden. Ich glaube hiernach sowohl durch die Betrachtung der von Hippokra- tes beschriebenen allgemeinen Constitutionen, als durch die Vergleichung der von Ärzten in anderen Ländern mitgetheilten Schilderungen von: ähnlichen Fiebern, und selbst durch die Verhältnisse des Klimas, in dem Hi ppokra- tes seine Beobachtungen gemacht hat, dargethan zu haben, dass die von ihm geschilderten Fieber keineswegs bloss auf die intermittirenden und anhaltenden Fieber heisser Länder zu beziehen sind, sondern dass Fieber der Art aller- dings auch in unseren Gegenden vorkommen können. Aber auch aus den einzelnen Krankheitsgeschichten, die in den Büchern von epidemischen Krank- heiten mitgetheilt worden, lässt sich dasselbe abnehmen, worüber ich, da eine umständlichere Betrachtung derselben die Gränzen dieser Vorlesung überschrei- 1) Praenot. 41. BER DIE VON HIPPOKRATES” GESCHILDERTEN FIEBER. 147 ien würde, auch nach dem schon im Vorhergehenden für meine Ansicht Ge- sagten kaum nöthig seyn möchte, und ich in der Hinsicht wohl auf die Krank- heitsgeschichten selhst wie auf das schon von Fuster und Anderen darüber Geäusserte verweisen kann, hier nur Folgendes bemerken will. Dass die Krank- heitsgeschichte des Philiskus, welche Littré besonders zur Begründung sei- ner Meinung angeführt hat, keineswegs die Richtigkeit derselben beweisen könne, der Fall desselben in mehr als einer Hinsicht zu den Ausnahmen ge- höre, und dass auch der in demselben fehlende Durchfall in sehr vielen an- deren Fällen wirklich vorgekommen sey, ist schon oben bei der Betrachtung der allgemeinen Constitulionen geäussert worden. Mit Recht hat auch Fus ter gesagt, dass die Geschichte des Philiskus, als Beispiel oder vielmehr als Muster der zwei und vierzig Beobachtungen des Hippokrates genommen, keine vollständige Idee von dem Ganzen dieser Thatsachen gebe, nur ein besonderer Fall sey, in dem gewisse Erscheinungen fehlten, die ausdrücklich in vielen anderen angeführt seyen, und wo man dagegen Gruppen von Symptomen sehe, die sich nicht in anderen fänden, sowie dass man in den zwei und vierzig Krankheitsgeschichten Beispiele von mehreren Arten der Fieber und von ver— schiedenen örtlichen Affectionen lese. Er hat dann kurze Bemerkungen bei— gefügt, worin er mehrere Fälle für Katarrhalfieber, andere für mit Rheuma- tismus verbundene, einen für dem entzündlichen Fieber ähnlich erklärt, fast allen eine gastrische Complication zuschreibt. Wenn man nun auch in Anse- hung der Bestimmung und Benennung einzelner Fälle eine abweichende An- sicht haben kann, so glaube ich ihm doch in der Hauptsache Recht geben zu müssen. Auch Andere, namentlich unter den Neueren Pinel und Van der Hoeven, haben schon bei der Schilderung der Fieber so manche jener Krankheitsgeschichten auf verschiedene Arten der Fieber bezogen, je nachdem ihnen die einzelnen bald dieser bald jener Art zu entsprechen schienen. Und offenbar sind die in diesen Krankheitsgeschichten geschilderten Fieber nicht bloss heftige Brennfieber, sondern darunter auch andere anhaltend - nachlas- sende, entzündliche, gallichte, mit rheumatischer Affection verbundene, sowie auch bösartige, nervöse u. s. w. Übrigens ist auch zu bemerken, dass diese zwei und vierzig Krankheitsgeschichten, wie Littré selbst anerkannt hat, ausge- wählte sind, die sich auf schwere oder sonst interessante Fälle (von denen * 148 J. W. H. CONRADI ÜBER DIE VON HIPPOKRATES GESCHILD. FIEBER, selbst fünf und zwanzig unglücklich abgelaufene mit ‚rühmlichster Aufrichtig- keit erzählt worden) beziehen, und dass, wie schon durch das oben aus der Beschreibung der allgemeinen Constitutionen Angeführte dargethan worden, dem Hippokrates ausserdem viele gelinde und selbst unter schweren viele weder dem ächten Causus noch der Phrenitis in dem von Littré angenommenen Sinne entsprechende vorgekommen sind. Untersuchungen über das < Narcon und seine Zersetzungsproducte; eee, e ee e | i Der königlichen Societät übergeben am 24. Februar 4844. Zert 8 111 Die Frage, ob vielleicht aus den bis jetzt noch so wenig studirten Zersetzungs- Verhältnissen der vegetabilischen Salzbasen ein Schluss auf ihre eigentliche Con- stitution und ihre Entstehungsweise gezogen werden könne, hat zu der fol- genden Arbeit Veranlassung gegeben. Dieselbe kann schon darum nicht auf Vollständigkeit und Erschöpfung des Gegenstandes Anspruch machen, weil hier die Seltenheit des Materials jeder Untersuchung viel engere Grenzen setzt, als es bei anderen, in jeder Menge zugänglichen Stoffen der Fall ist. Dieser Um- stand möge es entschuldigen, dass in dem Folgenden zuweilen unerklärte Reac- tionen oder blosse Vermuthungen angeführt sind, wo man bestimmte entschie- dene Thatsachen erwarten durfte. Wiewohl aber diese Untersuchung vorläu- fig nur auf eine einzige vegetabilische Base, das Narcotin, beschränkt geblie- ben und die eigentliche Frage nicht gelöst worden ist, so scheinen mir doch die erhaltenen Resultate an und für sich als neue Thatsachen die Aufmerk- samkeit zu verdienen und geeignet zu sein, neue Ausgangspunkte zu künftigen allgemeineren Forschungen über die Natur und das Verhalten der ganzen Classe dieser merkwürdigen Körper anzudeuten. Diese Thatsachen geben uns jeden- falls wieder ein neues Bild von der ausserordentlichen Wandelbarkeit der or- ganischen Zusammensetzung, und zeigen, welche Reihe von neuen Verbin- ‚dungen aus einem einzigen vegetabilischen Alkali hervorgehen kann. 150 F. WOHLER Das Narcolin, bei Gegenwart einer Säure, oxydirenden Einflüssen aus- gesetzt, zerfällt in eine stickstofffreie Säure, in eine organische Base und in Kohlensäure. Diesen Zersetzungsprocess und seine Producte will ich zunächst näher beschreiben, und die letzteren sogleich mit den Namen bezeichnen, die ich dafür gewählt habe. 1. Opiansäure. Dieses Zersetzungsproduct ist bereits vor einigen Jah- ren gemeinschaftlich von Liebig und mir entdeckt und in den Göttinger Gelehrt. Anz. 1842. S. 1377. kurz charakterisirt worden. Man erhält diese Säure auf folgende Weise: Man löst reines Narcotin in verdünnter Schwefelsäure auf, so dass noch ein bedeutender Überschuss von Säure bleibt, mischt sehr fein geriebenes, reines Mangansuperoxyd hinzu und erhitzt bis zum Sieden. Die sogleich eintretende Reaction gibt sich durch eine gelbe Färbung der Flüssigkeit und durch eine, wiewohl nur schwache Entwickelung von Kohlensäuregas zu erkennen. Man erhält die Flüssigkeit so lange im Sieden, als man noch Gas- entwickelung bemerkt, indem man von Zeit zu Zeit neues Braunsteinpulver hinzumischt, so dass auch von diesem ein Uberschuss vorhanden bleibt. Beson- ders aber hat man darauf zu achten, dass ein gewisser Säure-Uberschuss vorhanden sei. Die Flüssigkeit wird alsdann siedendheiss filtrirt. Sie hat eine rothgelbe Farbe und setzt beim Erkalten die Opiansäure als eine gelbliche Masse von feinen Krystallen ab. Man ſiltrirt sie ab, presst sie auf dem Fil- trum möglichst stark zusammen, lässt einige Male kaltes Wasser hindurchlau- fen, presst sie dann stark aus, löst sie nun zur vollständigen Entfärbung in einer Lösung von unterchlorigsaurem Natron auf, erhitzt zum Sieden und ver- setzt die Lösung allmälig mit einem Uberschuss von Salzsäure. Beim Erkal- ten scheidet sich die Opiansäure gewöhnlich vollkommen farblos aus. Nach- dem man sie mit Wasser gewaschen und stark gepresst hat, reinigt man sie durch wiederholtes Auflösen in siedendem Waser. Na Da man sich in der Menge der anzuwendenden ‚Schwefelsäure leicht täuscht, indem man zu wenig nimmt, so ist es rathsam j die erste gelbe Flüs- sigkeit, aus der sich die Opiansäure abgesetzt hat, noch ein Mal mit neuem Zusatz von Säure und Braunstein zn kochen, bevor man sie Zur Abscheidung der darin enthaltenen nenen Base anwendet. Durch Abdampfen concentrirt, setzt sie stets noch eine kleine Menge Opiansäure auf. ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 151 Die Opiansäure krystallisirt in sehr dünnen, schmalen, oft baumförmig verästelten Prismen, die gewöhnlich ein sehr voluminöses Netzwerk bilden. Sie ist vollkommen farblos, wiewohl es nicht immer sogleich gelingt, sie ohne einen Stich ins Gelbliche zu bekommen. Sie hat einen nur schwachen, bit- terlichen Geschmack und reagirt schwach sauer. In kaltem Wasser ist sie wenig löslich, in heissem um so viel mehr, dass eine siedendheiss gesättigte Lösung beim Erkalten fast ganz erstarrt. Auch in Alkobol und in Ather ist sie löslich. Sie schmilzt bei 1400 ohne Wasser zu verlieren. In einer Retorte erhitzt, zieht sie sich an den Wänden hinauf und destillirt über, ohne sich eigentlich verflüchtigt zu haben. An offener Luſt erhitzt, raucht sie und ver— flüchtigt sich unter Verbreitung eines aromatischen, vanilleähnlichen Geruchs, sehr ahnlich. dem, den das Narcotin bei seiner Zerstörung verbreitet. Der Dampf ist entzündlich und verbrennt mit leuchtender rusender Flamme. Durch den Einfluss der Wärme erleidet die Opiansäure eine sehr merk- würdige Veränderung, die noch ein genaueres Studium verdient. Die ge- schmolzene Säure bleibt nach dem Erkalten noch mehrere Stunden lang weich, durchsichtig und fadenziehend, wie Terpenthin. Dann fängt sie an von der Ober- fläche aus milchweiss zu werden und zu erhärten, jedoch nur so langsam, dass man, ähnlich wie bei der arsenigen Säure, in grösseren geschmolzenen Stücken noch nach mehreren Tagen einen durchsichtigen, weichen Kern findet. Unter dem Mikroskop ist in der weiss und hart gewordenen Masse keine deutliche krystallinische Structur zu bemerken. Das Auffallendste hierbei äber ist der Umstand, dass die Säure nun in Wasser und in Alkohol, ja sogar in verdünnten Alkalien unlöslich geworden ist. Übergiesst man sie, wenn sie noch klar ist, mit Wasser und erwärmt sie damit, so wird sie augenblicklich milehweiss. Damit gekocht, verwandelt sie sich in eine weisse erdige Masse, von der sich nur höchst wenig auflöst, das sich beim Erkalten in weissen, amorph aussehenden Flocken wieder ausscheidet. Betrachtet man aber diese Flocken bei etwa 200facher Vergrösserung, so sieht man, dass sie aus zweierlei krystallinischen Körpern bestehen, aus langen fadenförmigen, oft palmzweigartig vereinigten, und aus kleinen vierseitigen Krystallen. Ganz so verhält sich die geschmolzene Opian- säure zu Alkohol. Selbst in heissem kaustischen Ammoniak ist sie unlöslich, und von Kalilauge wird sie erst bei längerem Sieden allmälig aufgelöst. 152 F. WÖHLER Die Analyse hat gezeigt, dass die geschmolzene unlösliche Säure dieselbe quan- titative Zusammensetzung hat, wie die lösliche krystallisirte. Auf die Erklä- rung dieser Isomerie werde ich später zurückkommen. Die Analysen der krystallisirten, bei 1200 vip RE haben folgende Zahlen gegeben (C = 75,12) Y): L 0,2335 Grm. gaben 0,4915 Č und 0,105 H. IL 0,747 — 07937 C. III. 0,3435 — — 0,715 Č und 0,1485 K. IV. 0,781 — — 1.640 C und 0,330 H. Diess giebt auf 100 Theile berechnet: S: II. E EE Kohlenstoff .. 57,47 57,84 56,83 57,32 Wasserstoff.. 4,99 4,80 4.64 Sauerstoff . 37,54 38,37 38, 14 a Analyse IV. verdient in Betreff des Kohlenstoffs das meiste Vertrauen, sowohl weil sie mit der grössten Menge einer vollkommen reinen Säure, als auch mit der grössten Aufmerksamkeit angestellt wurde. Sie geschah mit ge- schmolzener Säure und auf die Weise, dass zuletzt ein langsamer Strom von reinem Sauerstoffgas durch das Verbrennungsrohr hindurchgeleitet wurde. Nur die erhaltene Wassermenge Sec hier fehlerhaft ausgefallen sein, dadurch dass das aus einem Gasbehälter angewandte ae ‚wahrscheinlich nicht voll- kommen genug getrocknet war. estäereraeg, des Atomgewichts we das bis 1800 erhitzte Silhan salz angewendet. 0,2045 Em Salz gben. 0; 070 Siber — — 36 76 -Procent Senat, 0,445 in Isar 0,152 — ‘= 36,63 — — 5 0518. dë 4 04477 — 36,70 — — 0,6155 :. — — 0,210 — = 36,64 — — AR Die meisten riy in dieser Abhandlung En E Analysen sind von Hrn. S chne- 1. der mann angestellt worden, dessen Geschicklichkeit, Sorgfalt und Gewissenhaf- tigkeit in der Ausführung ich hier öffentlich anzuerkennen mich für e halte. ÜBER DAS NARCOTIN UND;SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 153 Diese Data geben En ei der Ana wën 561 — 2503 — 2510 0,6225 Silbersalz e 0,863 CT iy 0,174 Naper, was folgender, Zusammensetzung. entspricht, den E gaeren zu 36,69 als Mit- tel aus den Pas: SE genommen 5 Gefunden. Kone * Së % Kohlenstoff. 37.85 dai. A . 7,99 i e F Sauerstoff . . "29, 36 x x 22 78 Silberoxyd . . . 36,69 aas Gë a Atomgewicht ra ee ist 3 = 2502, 23 = C20 H809, Die krystallisirte Säure enthält 1 Äquivalent basisches Wasser = H. Gen, und sie enthält nach, dieser Formel in 100 Theilen; | E Kohlenstoff ER 57,84 en age A e enk. SH ei Di nie leie eu) ‚Diese 2 am ätigte sich auch durch die Dee d bei 1000 che Bleisalzes, welches: 2 Mome, béi 1500 ausiseibbardh Was- ser enthält., 1, TOOT ind hias i 18610 7035 Bleisalz gaben 0,349 . "rte ie Sa » 62 Proc, Wegen: mo zuëte da: 2 ) Kä Side, eier 0,820 Kohlensäure dn 0816 Wasser. Li . 4 Ies[uby st? e L 13 Berechnet nach TRE — POLE Fb . CO + ai SR ` Ee into: euer 0,5 i J x Sauerstoff. EE 26, 69 5 u Arp EE Bleioxyd. f a „„ 33,83 5 E i Wegen. des überall bekennen Abe chase an Wasserstoff; in den Geste: der Analysen war ich anfangs geneigt, 1 Aarte, Wasserstoff mehr in der Opiansäure anzunehmen, wonach sie 2514,7 Atomgewicht haben würde, Aber abgesehen davon, dass hiermit die, gerade mit Rücksicht auf diesen Zweifel mit grosser Sorgfalt gemachten Analysen des Silbersalzes nicht stim- Phys. Classe. II. U 41 ode f ren WÖRTER rA 240 AAS men, so würde mit der Zusammensetzung = C20 He O9 die weiter unten zu erwähnende were dieser Ge durch nne ne gut im Einklang sein 980 aodeg CO Eine siedendheids gesättigte TPAR RE in Wasser . die kohlensauren Salze von Baryt, Kalk, Bleioxyd und Silberox yd unter Aufbraul sen auf und bildet mit diesen Basen“ in Wasser lösliche, krystallisirbare Salze. Das Barytsalz ist sehr leicht löslich und krystallisirt in strahlig verei- nigten Prismen. Es verwitiert in der Würde nd, CN 5a See oder 2 Atome Wasser. Das Bleisalz bildet sehr glänzende, Ae ziemlich schwer lös- liche Krystalle, wie es sehat von der Form des plens. Es enthält 5,45 Proc. oder 2 Atome Wasser, die Es bei 1300 zu verlieren anfängt. ` Bei un- gefähr 1500 schmilzt es, bei 1800 fangt es an zu riechen. Bei einer gewis! sen Temperatur der Auflösung krystallisirt es wasserfrei in feinen, bündelför- mig vereinigten, seideglänzenden Prismen. Es ist aütht in Alkohol löslich. Das Silbersalz krystallisirt in rn; durchscheinenden Prismen und zeigt stets, in Masse gesehen; einen Stich ins Gelbe, der übrigens erst durch das Licht zu entstehen scheint“ Weiter verändert es sich nicht am Licht. Es enthält Wasser, das es schon unter oder bei 1000 verliert, wobei es un- durchsichtig wird. Bei 2000 schmilzt es und bildet, indem es sich zersetzt, ein sehr schön dunkel grünes, metallisch glänzendes Liquidum, welches’ später eine dunkelrothe Metallfarbè annimmt; und zuletzt blänkes Silber hinterlässt. Wahrscheinlich beruhen diese Farben auf der Bildung eines Oxydulsalzes. 2 Opianäther. Dieser Körper konnte nicht erhalten werden durch Sättigung einer Auflösung vou Opiansäure in Alkohol mit Salksäuregas. Beim Verdunsten der sauren Lösung schoss die Säure unverändert an. Aber er entsteht sehr leicht, wenn man in eine warm gesättigte Lösung von Opian- säure in Alkohol schwefligsaures Gas leitet. Selbst wenn die Säure im Alko- hol bloss suspendirt ist, löst sie sich auf und bildet den Ather. Nachdem man die Flüssigkeit durch Abdampfen cbneentrirt hat; krystallisirt derselbe beim Erkalten heraustt Er bildet feine; farblose; bündel- und kugelförmig vereinigte Prismen. Er: zet obne Geruch, und schmeekt nur schwach’ bitterlich, und diess wahrscheihlieh. tur: in Folge einer vor sich gehenden 'Zersehintrg. j A) ETA A ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ‚ZERSETZUNGSPRODUCTE. 155 In Wasser ist er unlöslich. Damit erhitzt, schmilzt er darin nahe bei 1000 zu einem klaren farblosen Liquidum, das au Boden sinkt. Beim Erkalten erstarrt es zu einer undurchsichtigen, weissen, krystallinischen Masse. Bei dem Er- starren zieht er siib ungewöhnlich stark zusammen, und ohne Wasser auf einer Fläche geschmolzen, erstarrt-er zu weissen, wawellitähnlichen, strahligen Massen. War er aden über Ei Schmelzpunkt erhitzt, so wird er erst nach längerer Zeit wieder fest. Zwischen zwei Schalen lässt er sich sub- limiren. In einem anderen Gefässe erhitzt, zieht er sich an den heissen Wän- den hinauf und destillirt so über, ohne) sich eigentlich verflüchtigt zu haben. Er verträgt überhaupt eine sehr hohe Temperatur ohne, Zersetzung. Sein Dampf riecht nur schwach; er brennt mit leuchtender Flamme. Erhitzt man diesen Ather mit Wasser zum Sieden; so löst er sich nach und nach auf, indem er sich. in Alkohol und Opiansäure verwandelt; welche letztere beim Erkalten heraus Krystallisirt. Mit einer Lösung von Kalihydrat destillirt, bekommt man Alkohol und ee e Alkali. Durch Suë Gë sches Ammoniak wird er nickt zerseitkl ee lee -318 Die- Analysen haben es: bestätigt; dass er e pia sa EPERRA S vi yd OK) ikali werden kann = C20 HO + C . oA | bie A 0368. Lë gaben 0,812 Koblensäure und 0,190 Wasser II. 0,40 — — en — — 0,246 — us datz Io lest ana 3 In nb iin dass bun 1dutal e mert? abuasla at in en "kat 15 11. 15 "Aer Beides. lüinilclu⸗ e > „Kohlenstoff... 60.23 Haag u EZ Sp AOL iini o ee ger 555,705, 84% , Goes 59 bie Sauerstoff. 407 33,30% * 3 3373 3. Opiammon. Mit diesem Namen will ich einen Körper deln de durch die Metamorphose des opiensauren Ammoniaks erzeugt wird. Die- ses Salz erhielt ich ein Mal in grossen taſelförmigen Krystallen, als eine gesättigte Auflösung von Opiansäute in Ammoniak mit Alkohol vermischt, und der freiwilligen Verdunstung überlassen wurde. Die Opiansàure zerfliesst au- genblicklich im kaustischen Ammoniak, und Ammoniakgas wird davon unter Erhitzung absorbirt. Verdunstet man die Lösung bei selbst nur gelinder Wärme, so erhält man kein krystallisirtes Salz, sondern eine durchsichtige amorphe v2 16 T0 0% Ae TAeAAE. MMÖHDER To 2AA Had Masse, die beim Übergiessen mit Wasser mileliweiss wird; und sich, unter Abscheidung eines weissen Körpers, nur partiell wieder auflöst. Dieser Kör- per ist Opiammon. Man bewirkt die Verwandlung vollständig, wenn man die ingetrocknete Mass ter sorgfältigem Umrühren in einer Porcellanschale Hass A so lange nur wenig über 1000 erhitzt, als sie noch nach Ammoniak riecht. Sie wird zuletzt blass citrongelb und ist nun nieht mehr in Wasser löslich. Um die letzten Spuren von etwa unzersetzt gebliebenem Salz zu entfernen, kocht man sie mit Wasser aus und filtrirt sie ab. Sie ist das Opiammon. Das Opiammon ist ein blass gelbliches Pulver; in vollkommen reinem Zustande ist es wahrscheinlich farblos. Bei 200 facher Vergrösserung sieht man, dass es aus durchscheinenden krystallinischen Klumpen besteht. In kal- tem Wasser ist es unlöslich. Bei langem Sieden damit löst sich eine geringe Menge auf, offenbar in Folge einer Zersetzung, indem das Wasser schwach saure Reaction bekommt. Erhitzt man aber das Opiammon mit Wasser bis zu 1500, in einem zugeschmolzenen Rohr, so löst es sich vollständig zu einer klaren, blassgelben Flüssigkeit auf, die beim Erkalten eine Krystallisation von Opiansäure absetzt und opiansaures Ammoniak aufgelöst enthält. — In sie- dendem Alkohol löst sich das Opiammon in ziemlich grosser Menge, jedoch nur sehr langsam auf, und erst beim freiwilligen Verdunsten setzt es sich wieder krystallinisch ab, aber gemengt mit Öpiansäure. Beim Erhitzen schmilzt es leicht und zieht sich an den Wänden des Gefässes hinauf, ohne sich zu sublimiren. An der Luft stärker erhitzt, riecht es wie schmelzende Opian- säure, und entwickelt einen gelben Dampf. Von verdünnten heissen Säuren wird es nicht verändert. Von kalter "eoncentrirter Schwefelsäure wird es mit orangegelber Farbe aufgelöst, die Lösung wird durch Zumischung von Was- ser milchig. Erwärmt man dann, so klärt sie sich wieder, und beim Erkal- ten krystallisirt dann Opiansäure heraus, während zugleich ein Ammoniaksalz gebildet ist. Auf sein Verhalten zu Alkalien komme ich weiter unten zurück. Die Analysen des Opiammon gaben folgende Zahlen. Die Stickstoff- Bestimmung geschah mit Natron- Kalk. D Kant b 7 i I. 0,3035 Grm. Opiammon, bei 1000 getrocknet, gaben 0,666 Kohlen- säure und 0,135 Wasser : „% 11 kee nA II. 0,3525 gaben 0, 772 Kohlensäure und 0,153 Wasser. e ÜBER DAS NARCOTIN UND: SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 157 I. 0,321 gaben 0,189 Platinsalmiak. II. 0,357 — 0,0935 Platin. Die Enistehungsweise und Eigenschaften diees Körpers liessen im Vor- aus mit Wahrscheinlichkeit seine Zusammensetzung vermuthen. Er konnte nur dadurch entstanden sein, dass sich von der Zusammensetzung des opian- sauren Ammoniaks ein Theil des Ammoniaks mit einem Theil der Elemente des Wassers als solches getrennt hat. Die obigen analytischen Data, so wie das Verhalten zu Wasser bei 1500, sind mit keinem anderen Verhältniss in Einklang zu bringen, als dass von der Zusammensetzung von 2 At. opiansaurem Am- moniumoxyd = 2(NH* + C20 HS 09) die Elemente von 4 Atomen Wasser und 1 Äquival. ‘Ammoniak ausgetreten sind, dem zu Folge das Opiammon die em- pirische Formel C40 #170 O16 haben würde.“ Die Analysen gaben: aire? L II. Aquiv. Berechnet. Kohlenstoff . . . 59,92 59,80 40 60,168 Wasserst oft.. 4,94 4,82 17 4,248 Stickstoff.. . 3,74 3,76 1 3,545 Sauerstoff. . 31,40 31,62 16 32,039. Der gefundene Wasserstoffgehalt stimmt freilich schlecht. Wahrschein- lich hat diess in der hygroscopischen Eigenschaft des Opiammons und unvoll- ständigen Austrocknung seinen Grund, zum Theil vielleicht auch darin, dass die angewandte Substanz, wie die gelbliche Farbe anzudeuten scheint, nicht vollkommen frei war von einer Einmengung des folgenden Körpers. Wiewohl es die Eigenschaften der Körper hat, die man als Amid- Ver- bindungen betrachtet, so halte ich es doch nicht für wahrscheinlich, dass seine Zusammensetzung durch NH? 4 C40 815016 ausgedrückt werden kann. Ich werde auf seine Zusammensetzungsweise nachher zurückkommen. . .. Xanthopensäure. Mit diesem Namen will ich eine stickstoffhaltige Säure bezeichnen, die durch Einwirkung der Alkalien; auf das Opiammon ent- steht, und die durch die gelbe Farbe ihrer Salze charakterisirt ist. Ubergiesst man Opiammon mit kaustischem Kali, so findet im ersten Augenblick keine Einwirkung statt, es entwickelt sich kein Ammoniak. Aber gleich darauf löst es sich mit einer schönen urangelben Farbe auf, und zu- gleich tritt eine starke Ammoniak-Entwickelung ein. Eben so verhält sich 158 TOYO eK WÖHLUER) OH 2240 kohlensaures Alkali. Kocht man die Lösung so lange, bis sich kein Ammo- niak mehr entwickelt, so ändert sich ihre Farbe nicht. Sie enthält nun opian- saures und xanthopensaures Alkali. Vermischt man sie noch warm mit Salz- säure, so wird sie milchig gefällt, und es scheidet sich die Xanthopensäure in schön gelben: Flocken ab. Aus der noch warm davon abfıltrirten Flüssig- keit krystallisirt beim Erkalten die Opiansäure. Aber diese Trennung ist mir nur unvollständig gelungen, da auch die Kanthopensäure in Wasser, besonders in der Wärme, löslich ist. Es bleibt stets so viel davon aufgelöst, dass sie mit der nachher krystallisirenden Opiansäure wie verbunden bleibt und die Eigenschaften dieser letzteren so sehr verändert, dass ich sie anfangs für einen dritten neuen Körper zu halten geneigt war. Sie krystallisirt jetzt nicht in den feinen Prismen, sondern, wozu sie überhaupt eine grosse Neigung hat, wenn sie fremde Stoffe einschliesst, in kleinen, rundlichen, warzenförmigen Krystallgruppen von einer sehr schönen urangelben Farbe. Selbst beim wie- derholten Umkrystallisiren änderte sie diese Beschaffenheit nieht. Indessen zeigte es sich bald, besonders aus dem Verhalten zu Basen „ däss sie nichts Anderes war als Opiansäure, gefärbt durch eine so kleine Menge Xanthopen- säure, dass sie auf die Zusammensetzung des Silber- und des Bleisalzes kaum einen Einfluss hatte. Durch Behandlung mit unterchlorigsaurem Natron ist sie Jejeht farblos. zu erhalten zH a tte Bauten Nai, asgibuiie Die Xanihopensäure habe ich aus Mangel an Material nur unvollständig untersucht. Durch eine Säure gefällt, bildet sie schön gelbe Flocken, und nach dem Trocknen ein citrongelbes Pulver, das bei starker Vergrösserung ganz krystallinisch erscheint. Sie ist schmelzbar. Von den Alkalien wird sie mit schön gelber Farbe aufgelöst. Mit Natron- Kalk erhitzt, entwickelt sie Ammoniak. — asie dau 2? : 1361 iN nia Wa ae, 416 is riti #3 . d Ss, tte: e? Dass sie Stickstoff in, ihrer Zusammensetzung enthält, ging ausserdem aus folgendem Versuch hervor: Es wurden 3,39 Gramm Opiammon mit über- schüssiger concentrirter Kalilauge gekocht in einem Apparat, der eine vollstän- dige Condensation und Aufsammlung des gebildeten Ammoniaks in Salzsäure gestattete. Die Destillation wurde so lange fortgesetzt, bis keine Spur von Ammoniak mehr kam. Die erhaltene Salmiaklösung wurde mit Platinchlorid behandelt, wodurch 1,451 Grm. Platinsalmiak erhalten wurden, entsprechend ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 139 27% Procent Stickstoff’ 1). Diess ist sehr nahe 5% vom Stickstoffgehalt des Opiämmons. Hieraus geht also hervor, dass dieses bei der Einwirkung der Alkalien / seines, Stickstoff: pa loniak verliert und sich dabei in Opian- säure und Xanthopensa ri „welche letztere a . pomii stoffs vom zersetzich Be enthalten: maps "on i n kaustischem A iak löst sich das Opiammon enen leicht auf Rer reg Salzsäure, scheidet sich nur farblose Opiansäure aus. Es schbint also durch Ammoniak nur in Opiänsäure RER zu wer- LA den. EECH SE a Idung ` ëmge, d 0 d Lal Hoz ga 5. nn oe Diese 9 dE e Bed kung von 3 Sr auf Opiänsähreus Letztere wird von der heissen Wasserlösung der sch Säure in grosser Menge aufgenommen, ohne beim Erkalten Er Spa, Diess geschieht nur, wenn; man zu viel genommen oder nicht lange genug erwärmt hat. Die Auflösung hat einen ganz eigenthümlichen bitterlichen Geschmack und hinterlässt noch lange Zeit einen eignen süssen Nachgeschmack. Die koblensauren Salze von Bleioxyd und Baryterde ee CN in der e * und — Lee wohl Log stallisirende Salze. Wird die Auflösung der Öpläniekire in der KE Säure bei ge- linder Wärme verdunstet, so bleibt die neue Verbindung als eine fein krystal- nische, durchscheinende Masse zurück, gewöhnlich etwas feucht von anhän- gender Schwefelsäure, die nur zufällig ist, denn in der frisch bereiteten Lë sung findet man sie nicht. Sie ist ganz geruchlos. Übergiesst man sie aber mit Wasser, so wird sie milchweiss und nimmt einen starken Geruch nach schwefliger Säure an. Die sich abscheidende weisse Substanz ist unver- änderte Opiansäure. Im krystallisirten Zustande zerlegt sich also die Verbin- dung mit dem Wasser in Opiansäure und schweflige Saure. Indessen ge- schieht diess nur partiell nog slets findet man in der gege noch viel un- zerseizte Säure. : Die mit dem Blei- und. dem Baryısal n * haben ge- Hise Ti 1) Das aus der Kalilösung gefällte Gemenge von bras und Xanthopensaure wog. 3,15 Grm., was natürlicherweise nur eine Approximation sein kann. 160 doo Jun WÖHLER zeigt, Sg die ne dieses Körpers dureh die Formel 2H . C20 H6 O7 S2 ausgedrückt werden kann. Die Salze wurden hierzu, bei der Loft. temperatur getrocknet, mit ihrem Krystallwasser angewendet, weil sie schon bei gelinder Wärme einen Theil ihres Wassers verlieren, und andrerseits die letz- ten Antheile erst bei einer Temperatur weggehen, wobei die Säure selbst sich zu zersetzen anfängt. Da die Säure in diesen Salzen merkwürdi; durch Salpetersädure gar nicht, und durch Chlor nur langsam und unvollständig zer- stört wird, so geschah die Bestimmung des Schwefelgehaltes durch Glühen des Salzes mit einem SR von kohlensaurem bet und SEKR in einem Ieg ` EF. O, 666 Grm. Bleisakz, zur Bindung. u eben Säure mit Blei- u vermischt, gaben bei der 1 mit S 0,713 Koh- lensäure und 0, 180 Wasser. ; II. 0,615 Bleisalz, mit Schwefelsäure em, ben 0228 schwefel- saures Bleioxyd. III. 0,614 Bleisalz re beim Ft: bis zu 1700 = = 0084 Wasser. IV. 0,802 Bleisalz, mit Salpeter und kohlensaurem Natron geglüht, gaben 0,084 schwefelsaures Bleioxyd und 0,406 Wan Dr ent- sprechend zusammen — 8,10 Proc. Schwefel. A. 0,732 Barytsalz verloren bei 1400 — 0,058 Wasser. Kee B. 0,732 Barytsalz gaben durch Gee der schwefligen. Säure 0,480 schwefelsauren Baryt. C. 0,583 Barytsalz, durch Schwefelsäure zersetzt, ebe. 0 179 schwe- felsauren Baryt. Das Bleisalz enthält hiernach: ; Gefunden. Aquiv. Berechnet. Kohlenstoff . . 29,23 20 29,17 Wasserstoff. 3,00 12 -i Rn Sauerstoff ... : 33,00 17 33.02 Schwefel 8,10 a 7,81 Bleioxyd i.i 26,67 1 27,08 Die Berechnung entspricht der Formel Pb + 020 K He 07 ZE Die 6 Atome Wasser, die bei 1700 weggehen, betragen nach der gege 13,10 Procent. Der Versuch III. gab 13,68. D ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 161 Das Barytsalz ist = Ba + C20 He O? S2 A 3H. Nach der Rechnung enthält es 21,87 Proc. ee FIR Proc, Re und 9,74 Proc. e stalleasser, Jet dën „Die Nersüßkerd} B und e ern dien 2045 RE 0.03 EEN fel und 790 Wasen: bio non eriobis Auf die Betracht BR oi tlichen 3 enset vei e nd Ent stehung der dpianschwefligeh! Suore werde ich nachher e Hier will ich nur die Frage berühren, ob sie H + 020890782 ist, oder H A C20 #5 068 , ob sie also 2 Atome schweflige Snare oder lP Atom Unterschwefel- szure Guia. Schon ihr Verhalten sprieht entschielet dafür, dass sie schwef- lige Säure enthält. Besonders gehört dahin“ ihre Dersetwängsweise‘durch Was- ser, ferner ihr Verhalten au seleniger Säure. Füf sich wird diese "zwar nicht dadurch verändert, selzt man aber Salzsäure hinzu und erwärmt, so beginnt die Reduction von Selen. Vermischt man die Säure mit Goldeherid, sö "schei. den sich, wiewohl erst nach einiger Zeit, Opianszure und reduciries . ib: letzteres in glänzenden, kleinen; 3 - und 6seitigen Tafeln. „ om Das Bleisalz krysuallisirt in farblosen, ausgezeichnet d den viersei- tigen "Prismen ı mit zwei sehr breiten We und zweiflächiger‘ Zuspitzung, so dass die Krystalle gewöhnlich 6seitige Tafeln bilden. Es ist luftbestän- dig. Beim Erhitzen bis zu 1000 wird. es milchweiss, obne zu ‚zerfallen, | wor- auf es am ‚Lichte gelb wird. Bei 1300 hatte es 6,5 Proc. =3 ‚Atome, also die Hilfe w von seinem "Wasser verloren. Erst bei 1700 verlor es seinen gan- zen Wassergehalt, wurde dabei gelb und fing an schwach zu riechen. BAR ter erhilzt, schmilzt es und entwickelt viel schweflige Säure. 4 A, : Das, ‚Baryisalz krystallisirt leicht in farblosen, glänzenden, ae drischen , Tafeln. In Wasser löst es sich nur langsam auf, Beim Erwärmen bis zu 1400 9 es seinen ganzen Wassergehalt, wn nein, und fängt dann an sich zu zersetzen. V 6. Sul fopians iure, eine organische Schwefelverbindung, end Einwirkung von ‚Schwefelwasserstoff auf Apiarsänse, Leitet man gewaschenes Schwefelwasserstoffgas in eine siedende Lösung von Opiansäure, so findet keine sichtbare Einwirkung statt; sobald man aber die Temperatur bis auf 700 sini- Phys. Classe. II. X 162 ITIUGORTEIAYISTI2AFS WÖRLER ATOMALA å ken lässt, entsteht eine allmälig zunehmende Trübung, die wie präcipitirter Schwefel aussieht. Der Körper, der sich hierbei abscheidet, und in den die ganze Opiausäure verwandelt wird, ist die neue Verbindung. Erst nach tage- langem Einleiten des Gases hört seine Bildung auf. In der Flüssigkeit findet man dann kein anderes Product. Die Sulfopiansäure scheidet sich als ein gelb- liches Pulver ab. Erhitzt man dann die Flüssigkeit zum Sieden, so schmilat der Niederschlag su, eineihi hlasspelheny klaren G1. been, das zu Boden sinkt und beim Erkalten erstarrt. In diesem Zustande bildet die S eine 1 Aeg n Masse von schwefelgelber Farbe. Noch unter 1000 erweicht, sie, bei 1000 ist sie völlig flüssig. Stärker erhitzt, zersetzt sie sich, stösst einen starken, schwe- felgelben ‚Rauch, aus, der sich zu feinen, gelben Krystallnadeln condensirt, die in Wasser unlöslich, in Alkohol leicht löslich, sind. Sie verbrennt mit Flamme und dem Geruch nach schwefliger Säure. In Alkohol ist sie mit gelber Farbe vollständig löslich. Selbst beim ‚freiwilligen. Verdunsten bleibt sie, sobald sie geschmolzen war, als ganz amorphe, durchsichtige Masse zurück. War aber bei ihrer Bildung die ‚Temperatur so getroffen, dass die Säure nicht schmel- zen konnte, so. krystallisirt sie aus Alkohol in feinen, durchsichtigen Prismen, die in Masse. gesehen eine blassgelbliche Farbe haben. Sie erleidet also bei ihrem Schmelzpunkt eine ähnliche Veränderung wie die Opiansäure. Von ` concentrirter Schwefelsäure wird sie mit elber Farbe aufgelöst; beim Erwär- men wird die Lösung tief purpurroth. Selbst durch Chlor und unterchlorig- saures Alkali wird der Schwefelgehalt darin nur sehr langsam und unvollstän- dig oxydirt. Von den Alkalien wird sie mit gelber Farbe aufgelöst, und durch Säuren daraus wieder als gelbe Emulsion gefällt, und zwar ohne Entwickelung von Schwefelwasserstoffgas. Bes, einiger Zeit jedoch enthalten diese apna gebildetes Schwefelalkali. Die Analyse der Sulfopiansäure geschah mit Zusatz von rk ib Bleisuperoxyd zur Bindung der schwefligen Säure. Vorne in dem Verbren- nungsrohr lag bloss Superoxyd. Bei der Analyse II. wurde statt desselben frisch ausgeglühtes Manganoxyd - Oxydul angewendet, welches, wie ein beson- derer Versuch gezeigt hatte, die schweflige Säure in der Glühhitze absorbirt. ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 163 Ausserdem wurde zuletzt Sauerstoffgas durch das Rohr geleitet. Die Analyse III. zeigte übrigens, dass selbst bei Anwendung von blossem Kupferoxyd, aber in sehr grossem Uberschuss genommen, keine schweflige Säure frei wurde. Einige Stückchen Bleisuperoxyd, vorne in das Chorcalciumrohr gelegt, blie- ben unverändert, und: hinterliessen nach dem Glühen und Gë Gg in ver- dürmtir- Essigsäure kein schwefelsaures Bleioxyd. ail Die Bestimmung des Schwefels geschah dadurch, dass die Substanz mit einem Gemenge von Salpeter und kohlensaurem Natron vermischt und in einem Glasrohr bis zum Glühen ares 8 Die ee Schwefelsäure wurde = ee gefällt. A ib á I. 0,2995 Grm. säure Ga 6,13 Wasser. I. 0,3925 gaben 0,755 Kohlensäure und 0,145 Wasser. DL 04485 — 08 a= n GER, — IV. 0,344 — 0,357 schwefelsauren Baryt. as mie? Era, gaben 0,583 Kohlen- Diese ‚Datz, geben folgende. Zus sammensetzung: TE TE Le Gë TE m. Aquiv. Berechnet. Kohlenstoff... 53,16 52,52 5251 20 653,33 | Wheel, eer SC PP ‚ Sauerstoff, . SS 28,30 wa = = 8 28.44 Schwefel > „ er re ei. Die Sulfopiansäure kann geg zunächst als e ee Ori nage be- trachtet werden, worin 2 Sauerstoffatome durch 2 Schwefelatome vertreten sind, = H C20 H8 0752, ihre Bildung ist also ganz einfach. Wollte man in der Opiansäure 1 Aquiv. Wasserstoff mehr annehmen, so müsste auch in der Schwefelverbindung 1 Aquix. Wasserstoff mehr enthalten sein. Diess würde 4,4 Procent Die voraussetzen, während alle dër weniger gege- %% 2 al" ber : Es ist mir neh gelungen, das Ae gë Siure dorpb die As- Ae eines Salzes zu controliren, wenigstens gelang es mir nicht das Blei- und das'Silbersalz unverändert und von constanter Zusammensetzung zu erhalten. Der Silbergehalt variirte zwischen 28 und 37 Proc. Ist das Silbersalz analog , A3 164 ITIITOAEIAYSTIEAIE WÖHLER! YITOMAY 2 der wasserhaltigen Säure nach der obigen Formel zusammengesetzt, so muss es 32,5 Proc. Silber geben. ; be II Vermischt man eine Lösung von Sulfopiansäure in Ammoniak mit . tersaurem Silberoxyd, so entsteht ein bräunlich n n der sich nach einiger Zeit unter der Flüssigkeit i in sch 8 felsilber ver: wandelt. Rasch abfiltrirt, lässt er sich im leeren Raum iiber wobei er jedoch donkler wird. Er ist dann schon auf Papier, schmelzbar, ohne Ge- wichtsveränderung. ` Beim Verbrennen stösst er, wie die Säure, einen dicken schwefelgelben Dampf aus und hinterlässt ‚schwarzes S h ` Mit essigsaurem Bleioxyd gibt die ësst der auen ern in Steen, niak einen voluminösen braungelben Niederschlag, der nach 24 Stunden unter der Flüssigkeit braunschwarz wird. Beim Sieden wird er, e? in schwar- zes 8 * verflüchtigt und Gel die Metallsalze zumischt, Diss Verhalten zeigt eben- falls, dass die Sulfopiansäure nicht etwa ein Sulfid ist und sich nicht mit Schwefelbasen, sondern mit Oxyden _ verbindet. Bei Anwendung grösserer Quantitäten, ala mir zu Gebote standen, wird es wahrscheinlich gelingen, Salze von dieser Säure zur Analyse in unverän- dertem Zustand zu erhalten. Das nähere Studium dieses Körpers und s seiner Zersetzungsproducte wird ohne Zweifel zur Entdeckung noch anderer merk- würdiger Verhältnisse führen. Besonders beachtenswerth und charakteristisch ist die gelbe Substanz, die sich in Gestalt eines gelben Dampfs bei der Zer- setzung der Sulfopiansäure verflüchtigt, und deren gl auf einer sehr“ ein- fachen Metamorphose zu beruhen scheint. e Die Existenz und Zusammensetzung dieser aus der Oba ekipi: genden Körper scheinen über die wahre Natur dieser Säure Aufschluss au geben. Durch den Einfluss der schwefligen Säure und des Schwefelwasser- stoffs werden offenbar aus ihrer Zusammensetzung die Elemente von 2 Atomen Wasser ausgeschieden, an deren Stelle äquivalente Mengen von schwefliger Säure oder von Schwefelwasserstoff eintreten. Es scheint mir am einfachsten anzunehmen, dass, ausser dem durch Basen vertretbaren Wasseratom; auch ÜBER DAS NARCOTIN UNDISEINB ZERSETZUNGSPRODUCT E. 165 diese beiden Atome Wasser ala selches i in der Opiansäure enthalten sind, in einer Verbindungsweise, in der sie nicht durch Basen ausgeschieden werden können, so wenig wie der in der Benzobschweſelsäure enthaltene ische Körper sich bei ihrer e mit Basen: von der Schwefelsäufe trennt. Es Stat iansäure eine copulirte, oder „gepaarte Säure zu sein, welche a ed ‚Atome Wasser enthält, an dessen Stelle sc wef- lige ure Gi eg, als Bech ec treten können. Auch 9 95 werd Prien säure a A} 3607 + iin) + (620 We 07 +), Die folgenden ‚ Formeln geben ein Bild von dieser Vorstellungsweise. Das heranggestelltg Wasseratom ist das durch Basen vertretbare Wasser. g Opiansäure „, Kee = 44 (02080 Om Gad a 1 = H + (C208°07 4-32) gg A dal wéi Sulfopiansäure ` I Dr (C208°07 +32). , Opiammon TER = ee ren reno NES), J | i ag wie man leicht findet, auch als ës opian- saures Ammoniumoxyd =, DÉI 4 (208.07) + (E A C20 k. AM: ame werden, aber es ist gewiss, dass es kein Salz is. Ist die obige Ansicht richtig, so wird es in hohem Grade: ebend, dass auch das Narcotin selbst in diese Reihe gehöre, und ein dem Opiammon analog zusammengesetzter Körper sei, in welchem in dem eben angegebenen Sinn Opiansäure brzenistirend angenommen werden kann. Für diese Vermu- hung spricht auch sen der Umstand, dass das Narcotin bei sei. pon dëäpeäetag i in ** Wärme einen ganz ähnlichen Geruch — ie 1 und die Opiansäure und alle ihre Verbindungen. ehr but: Die geschmolzene und dadurch unlöslich gewordene ne ist wahr- scheinlich ein ganz anderer, mit der krystallisirten Opiansäure isomerischer Kör- per, dadurch entstanden, dass sich die Opiansäure unter dem Einfluss der RR die Elemente der 2 gepaarten Wasseratome assimilirt hat. ` Die'zweier- 166 Date Kaen WOHRLERT N A0 n lei Krystalle, die man darin bei starker Vergrösserung sehr bestimmt unter- scheiden kann, scheinen zu zeigen, dass er ein Gemenge von zweierlei Kör- pern ist, die, wie die Analyse beweist, zusammen — die e Pee der krystallisirten en haben ins vͤ%,tͤ ash cé "Hemipinsäure. Sie ist ein Product der Oxydation der GE Ihre Darstellung gelingt nicht ganz leicht, weil 3 Säure unter denselben Um- ständen, unter denen sie sich bildet, selbst leicht wieder zerstört wird. Am besten erhielt ich sie auf folgende Art: Opiansäure und Bleisuperoxyd werden mit Wasser zum Sieden erhitzt und dann ‚tropfenweise verdünnte Schwefelsäure zugemischt, bis e eine Eütsiekelung von Kohlensäure einzutreten an lässt man die Flüssi. gkeit etwas abkühlen, und tropft noch so viel! Schw: area hinzu, dass alles aufgelöste Blei gefällt wird, worauf man leicht, ‚und zur Krystallisation verdunstet. Oft schiesst au noch "ünveränderte“ Opiansäure an, die man abscheidet, während die Teichter lösliche Hemipinsäure noch auf- gelöst bleibt. Durch Umkrystallisiren aus einer ‘siedend gesätlig ten Lösung ist sie leicht zu reinigen. ` Bleisuperonyd allein ist ohne Wirkung g auf Opiansäure, „Die Hemipinsäure krystallisirt. sehr eis in 3 geschoben vierseiligen Prismen mit schief angesetzter Endfläche. Sie schmeckt schwach sauer, etwas zusammenziehend. In kaltetn Wasser ist sie schwer löslich, die Lösung reagirt stark sauer. In Alkohol ist sie leicht löslich. Noch unter 1000 verlieren die Krystalle 13,73 Proc! oder 2 Ces? Wasser, (zwei Versuche gaben 13,33 und 13,60). Die verwitterte Säure schmilzt bei 1800 und er- starrt beim Exkalten sehr kiy tallinisch. Zwischen zwei Schaalen ist sie; wie eee me, in glänzenden Blättern sublimirbar. Sie verbrennt mit leuchten- M SKS a SS" mer e S- wé D ` SS SES. Ca g „ der Flamme. Mit Bleisuperoxyd hwefi erwärmt, scheint sie ganz in Kohlensäure und Wasser zersetzt zu werd Ihr Ammoniaksalz ist kr) zali sirba d SE 3 Se ständi g und foe herke Eohi Ihr: Bkini und ihr Diii ET weisse, mei) unläsliche Niederschläge. Das Bleisalz löst sich in essigsaurem Wee auf, ge nee später in 1 ni warzen ab. 14 b Hin 1 l en: Die über die enn eh Se ee Ana ba ig esche Resultate gegeben ai? 15 ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 167 0,292 Grm. be, 1009 seizonkneig Were sahen. 0,5665 Kohlensäure und 0,123. Wasser, ——— n * ee, Ai, rn 0 wat beet 5204 10 A8 dÄ onoi bag „Wasserstoff... href, Geib ul. Sauerstoff . . 42,4 * e ne p 0198 bei 1500 ` mm mes Silbersalz — 00975 Silber 288 ; Procent, Silberoxyd. 0,130 Silbersalz gaben 0,064 Silber = 52 87 Proc. 3 Diess gibt für die an Basen ene Säure 1293 und 1294 Atom- aeg 2140 O SE 4 KH Silbersalz gaben aen Koblensiure Zog 0,139 Wasser, e Sr Zk "EE ? 2 berechnet. Silberosyd, . „%% „ ze Kohlenstoff. 279 10 Ga Gs Wasserstoff. V Sauerstoff 15 10 sc, A$ 18, 18. dl rg Zu er = Ci0 h. DS 1301, 11. Die verwitterte Säure enthält 1 Atom durch Basen vertreibares Wasser, = H + C10 f O5. Aus 1 Atom Opiansäure, entstehen also ganz einfach, durch den Zutritt von 1 Atom Sauerstoff, 2 Atome Hemipinsäure. Sie enthält als Radical die Hälfte vom Opiansäure- Radical. Hierauf bezieht sich ihr Name. Ich habe diese Säure auch unmittelbar aus Narcotin durch Einwirkung von Bleisuperözyd und Schwefelsäure erhalten. Allein diese Bereitungsweise ist unsicher. Bleisuperoxyd allein wirkt nicht auf Narcotin. Übergiesst man aber ein Gemenge von Narcotin und Bleisuperoxyd mit verdünnter Schwefel- saure, so erwärmt sich die Masse, es tritt eine lebhafte Kohlensäure - Entwicke- lung ein und es entsteht eine gelbe, sehr bitter schmeckende Lösung, die, je nach der Dauer und Art der Einwirkung, Cotarnin, Opiansäure und wahr- scheinlich noch andere Producte enthält. Das sich entwickelnde Kohlenszure- gas roch einige Mal Bu wie Tn ohne dass sich dieses aber sonst nachweisen liess. 168 IFAOIILILISTALAE, WOHLER! R ARG Had. ee ich a in, er als ich ein Gemenge von Narcotin und Braunsteinpulver mit ziemlich concentrirter Salz- säure übergoss. Die Masse erhitzte sich stark unter Entwickelung einer grossen Menge von Kohlensäure, und ohne dass im Mindesten der Geruch von freiem Chlor zn bemerken war. Allein auch diese Bereitungs weise ist ganz unsicher, und zuweilen bekommt man nur Opianszure, und selbst auch diese nicht. Erhitzt man die Flüssigkeit nachher noch zum Sieden, so haben die Wasserdämpfe einen die Augen reizenden Geruch und es condensirt sich mit ihnen ein gelblicher, BEE ‚Körper‘, der 3 wie eine dër Aen ‚Chlotserbin- dung riec t ba 8 LS Coiril So will ich, durch Versetzung des Wortes Närcotin in, eine neue organische Salzbase nennen, die mit der Opiansäure aus dem Nar- cotin gebildet wird. Sie enthält mg Stickstoff des Narcotins, Sie ist in der rothgelben Flüssigkeit enthalten, ‚ aus der „sich die Opiansäure abgesetzt hat. Um sie von dem vielen, schwelelsauren Manganosydul, , welches zugleich in der Flüssigkeit enthalten ist, zu trennen und einen etwa ETS vorhandenen Rückstand von Narcotin zu entfernen, erhitzt man sie zum Sieden, sättigt sie mit kohlensaurem Natron, filtrirt den Mangan Niederschlag ab, neutralisirt die Lösung mit Salzsäure und vermischt sie dann mit Platinchlorid, wodurch die Base als Doppel-Platineblorid gefällt wird, welches man mit kaltem Was- ser auswäscht. War die Auflösung: zu verdünnt, so muss sie vor der Fäl- lung concentrirt werden, weil das Platinsalz eht ganz unlöslich ist), Eine andere; vielleicht Zweckmässigere Abscheidungsweise der Base be- steht darin, dass man sie mit einer warm gesättigten Auflösung von Queck- silberchlorid ausfällt, womit sie éiden ein schr schwer lösliches: Doppel- chlarid. bildet.. %%% los in iu byrossqwaioldl adem Anfangs hatte ich einen Menge wegder ege aber wahrschein- bi en der Base durch den Einfluss der Luft und des überschüssigen Natrons zersetzt wurdk. Ich führe diess an;, weil es vielleicht zur Erklärung der Bildung eines andern Products, von dem nachher die Rede sein wird, dienen kann. Nachdem die sehr saure Flüssigkeit durch Abdampfen concen- trirt worden war und einen grossen Theil des M ydulsalzes abgesetzt D hatte, wurde sie mit überschlagen 5 Natron ver und damit ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE -ZERSETZUNGSPRODUCTE. 169 zur Trockne verdunstet. Diese Masse wurde nun mit Alkohol ausgekocht, die entstandene dunkelbraune, bitter schmeckende Lösung abfiltrirt und der Al- kohol abdestillirt. Der syrupförmige, dunkel rothbraune Rückstand wurde mit Wasser verdünnt, mit etwas Salzsäure versetzt und siedendheiss mit Pla- tinchlorid vermischt. Beim Erkalten setzte sich das Doppelsalz in rothgelben, durchsichtigen së Krusten vereinigten Wärzchen ab. Bei weiterer Concen— tration wurde noch mehr davon erhalten. Das so erhaltene Doppelsalz konnte kein Narcotin ‚enthalten, Braunstein und Schwefelsäure, waren in sehr grossem Überschuss ‚angewandt, das Kochen damit war ‚sehr lange fortgesetzt, und zudem — ep die Flüssigkeit mit Natron ‚behandelt, worden. Auch wurde daraus di b Ammoniak kein 8 ug in et $b dr dass u Sala, fein ee mit — zum Sieden wegen Sg Schwelel- wasserstoffgas hindurch geleitet wurde. Die von dem Schwefelplatin abfiltrirte gelbe Lösung von salzsaurem Cotarnin wurde mit Barythydrat versetzt, zur Trockne verdunstet „und aus dem Gemenge von kohlensaurem Baryt, Chlor- barium und Cotarnin; das eiztere, durch kochenden Alkohol ausgezogen. Ich erhielt das Cotarnin in, Gestalt einer grossstrahligen, tief gelben Masse. Es ist sowohl in Alkohol als in Wasser leicht löslich mit einer in- tensiv: gelben Farbe. Es schmeckt sehr bitter und reagirt schwach alkalisch. Beim Erhitzen schmilzt es und verkohlt sich, unter Verbreitung eines unan- genehmen Geruchs. Die PR war n ee, yer wg taggen ver- brennlich. iiti Mit Salzsäure Besättigt, * es zu einer gelben SE Mässe ein, in der sich jedoch zuweilen Krystallsterne zu zeigen anfingen. Die salzsaure Lösung wird nicht durch Alkalien gefällt, dagegen sowohl durch Gerbsäure, als durch Quecksilber- und durch Platin- Chlorid. Das Quecksilberdoppelsalz scheidet sich als ein dicker ‚blassgelber Nie- derschlag ab, der sehr bald durchaus krystallinisch wird., Mit warmen, etwas verdünnten Lösungen entsteht kein Niederschlag, beim Erkalten aber setzt sich das Doppelsalz als eine voluminöse Masse von feinen blassgelben Prismen ab. Ubrigens scheint es beim wiederholten e ee eine e e in der Zusammensetzung zu erleiden. E n, Phys. Classe. II. ; Y 170 30 F. WOHLER FOMET 220 593 Das Platindoppelsalz, kalt gefällt, bildet einen citrongelben, dem Pla- tinsalmiak sehr ähnlichen, krystallinischen Niederschlag. Aus den heiss ver- mischten Lösungen setzt es sich erst beim Erkalten in kleinen, runden, durch- sichtigen Wärzehen von röthliehgelber Farbe ab“ Auch dieses Salz scheint sich beim wiederholten Auflösen in heissem Wasser in der Zusammensetzung zu verändern und ammoniakhaltig zu werden. Mit Barytwasser 3 ën die Base zersetzt unter Abscheidung von schwarzem Platin. Was die Zusammensetzung des Cotarnins betrifft, so muss ich deren genauere Ausmittelung künftigen weiteren Untersuchungen überlassen. Indes- sen will ieh, als Beitrag dazu, die von mir erhaltenen Zahlen angeben, ohne aber grossen Werth darauf zu legen, da ich von der Reinheit der angetan ten Verbindungen nicht vollkommen überzeugt seyn kann. 1. 0,111 Grm. Platinsalz gaben 0,0255 Platin 22,97 Procent. II. 0,5785, von einer anderen Bereitung, gaben 0, 131 Platin S 22,64 rot- I. 0,593 Platinsalz gaben 0,761 Kohlensäure und 0,171 VERT Ster II. 0,3276 gaben 0,412 Kohlensäure und 0,102 Wasser. 1. 0,532, mit Kalk-Natron geglüht, gaben 0,283’ Platinsalmiak. 11. 0,643, mit kohlensaurem Natron geglüht en das Chlor durch Silber- salz gefällt, gaben 0,628 Chlorsilber. ` I. 0,623 Quecksilbersalz, in salzsäurehaltigem Wasser aufgelöst und durch Schwefelwasserstoff gefällt, gaben 0,274 Schwefelquecksilber. II. 0,433 desselben; mit kohlensaurem Natron geglüht und ze =i durch Silbersalz gefällt, gaben 0,363 Chlorsilber. III. 0,600, mit Kalk-Natron geglüht, gaben 0,238 Rlatinsalmiäk; Diese Data ‚geben i in Procenten folgende Zahlen: Platin- Doppelsalz. dn ind Äquiv. Berechnet. GE ET e weng * 229 "in err. 24,09 dau big ig? Kohlenstoff. . . 35,04 34,35 26 36,3 Wasserstoff. 3,20 3,46 14 3,2 Stickstoff. . 2. . ENER? l Kä 3,3 Sauerstoff. . . 10,26 5 9,6. ÜBER DAS NARCOTIN UND ‚SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 171 Quecksilber - Doppelsalz.. Gefunden. Aquiv. Berechnet. — Suter 2 37,9 % „Chlor ib Aen 20,68 ½% % 19,9 2 E SE T hr ah ge to: "Kohlenstoff. SET" en "SS STEE Wasserstoff. Eh. enen ER „au Zusammensetzung Pë Sauen wäre eee ze C6 HN Os. E die des Platinsalzes = Pt €12 + H€ -+ Cotarnin, die des Quecksilbersalzes = 2 Hg CI + BO A Cotarnin. ® In dem letzteren wäre also 1 Atom Metalichlorid mehr ER rw in dem Platinsalz. Mollte man nun auch Fe ‚Eormel für es nn Fade, ‚den Zu- sammensetzung ‚des Cotarnins nehmen, so herrschen doch bekanntlich auf der andern Seite noch Zweifel über die eigentliche Zusammensetzung des Narco- tins; es muss also vorläufig jede Erklärung der Zersetzung des Narcotins durch Einwirkung von Braunstein und Schwefelsäure nur ein ungewisser Versuch bleiben. Nimmt man Regnault's Formel für das. Narcotin an = C48 HN 015, so würde dasselbe bei der hier beschriebenen Zersetzung mit WI Atomen Sauerstoff aus dem Braunstein bilden: 8 1 Atom Cotarni n Ces ö O üii 1 Atom wasserhaltige Opiansäure = C20 H? 010 2 Atome Kohlensäure ` 62.5, 2 Atome Wasser H? C48 HANOL. j 9, Humopinsäure. Mit diesem Namen will ich eine eg Säure ; bezeichnen, die ein Product von der Zersetzung des Narcotins in der Wärme ist. Erhitzt man Narcotin in einer Platinschaale im Ölbad nur wenige Grade über seinen Schmelzpunkt, so fängt es an sich zu färben, und wird zuletzt tief rothgelb. Bei ungefähr 2200 bläht es sich dann auf einmahl ausseror- dentlich auf, indem sich eine grosse Menge fast reines Ammoniakgas ent- wickelt. Der Rückstand erstarrt dabei zu einer höchst blasigen Masse. Beim 12 ö IER a D WW AER F. WÖHLER Zerreiben gibt dieselbe ein rein braunes Pulver. Sie besteht im Wesentlichen aus Humopinsäure. Zur Reinigung mia sie als- feines Pulver mit verdünnter Salzsäure di- gerirt, ausgewaschen, in kaustischem Kali gelöst und die filtrirte, tief roth- gelbe Lösung mit verdünnter Salzsäure übersättigt, wodurch die Humopinsäure als ein sehr voluminöser, gelatinöser, ganz wie Eisenoxydhydrat aussehender Niederschlag gefällt wurde. Sie wurde ausgewaschen, getrocknet und in sie- dendem Alkohol gelöst, wobei eine kleine Menge einer schwarzbraunen Sub- stanz zurückblieb. Die filtrirte, tief gelbrothe Flüssigkeit wurde tropfenweise in Wasser fallen gelassen, wodurch eine tief fleischrothe Emulsion entstand, die beim Erhitzen, zur Abdunstung des 3 mi eege, zc als eine dunkelbraune Masse absetzte. - Die Humopinsäure ist eine dunkelbraune a Substanz. Sie sehmilzt beim Erhitzen und verbrennt mit leuchtender Flamme, unter Verbreitung eines | narcolinartigen Geruchs. Sie ist sowohl in verdünnten Säuren als in Wasser ganz unlöslich. Ihre Lösung in Alkohol ist tief gelbroth. Von den Alkalien wird sie mit tief safrangelber Farbe aufgelöst. Diese Lösungen geben mit Baryt- und Bleisalzen dunkelbraune, gelatinöse Niederschläge. Lässt man die Humopinsäure längere Zeit mit Wasser sieden, so wird sie in Ammoniak un- löslich, und selbst von Kali und von Alkohol wird sie dann nur schwierig und unter Zurücklassung eines schwarzbraunen Körpers aufgelöst, der ganz wie Humin aussieht und, wahrscheinlich auch nichts Anderes ist. I. 0,311 Grm. aus Alkohol gefällte und bei 1200 getrocknete Säure, mit Ku- pferoxyd i in Sauerstoffgas verbrannt, gaben 0,729 Kohlensäure und 0,148 Wasser. II. 9,341 nicht mit Alkohol gereinigte Säure e 0,807 Kohlensäure und 0,154 Wasser. L II. Kohlenstoff 64,00 64,62 Wasserstoff 5,28 5,01 Sauerstoff 30,72 30,37. d Nimmt man das Narcotin = C48 HN 0O15 an und nimmt an, dass es sich in der Wärme gerade auf zersetze in 1 Aeq. Ammoniak und in den braunen Körper, welcher bei der Behandlung mit Alkali 2 Atome Wasser bindet und dadurch zu Humopinsäure wird so könnte die Zusammensetzung ÜBER DAS NARCOTIN UND EISE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 173 derselben durch die Formel C48 N28 NON mann werden. Diem gibt in u Theilen: 18e dla e LO? 8 Kohlenstoff; rá HA 644: Dk. SL 111 ehr ihne Wasserstoff! 511. Zreis ide magic? OI BER wine N Sauerstoff. 141 2 80,5. or: islox Allein die gefundene Z. 9 ist Sg W gut mit Liebigs Formel für das Naktolin ; (040 HelN Ole, in Einklang zu bringen. Ange- nommen das Narcotin zerlege sich gerade auf in den braunen Körper und dieser assimilire sich bei der Behandlung mit bei 2 Atome run: so wäre die nenn = (403% O01, oder | sb 29 obris 24 Lohlenstoff 411 — BETEN GH Wasserstoff.. 5,36 ia, Sauerstoffl. 31.12 ö Diese s Zusammensetzung würde sie in die Reihe der Huminkörper stellen, mit denen sie auch grosse Ähnlichkeit hat, wiewohl auf der andern Seite auch ihre harzähnliche Natur nicht zu verkennen ist. Ausserdem spricht dafür der gefundene Barytgehalt ihres Barytsalzes, welches 18,0 Proc. Baryterde gab. Nach der obigen Formel müsste es, in der Voraussetzung, dass 1 Atom Was- ser durch 1 At. Baryt vertreten sey, 17,4 Baryt enthalten. Ubrigens muss ich noch eines Umstandes erwähnen, der es in Zweifel setzen kann, ob die Zersetzung des Narcotins wirklich so einfach ist. Behan- delt man nämlich die dureh Erhitzen des Narcotins gebildete braune Masse mit Wasser, so färbt sich dieses gelb und enthält, durch Salzsäure fällbare Humopinsäure, verbunden mit einem Körper, der offenbar eine in Wasser lös- liche neue organische Base ist, bestimmt verschieden sowohl vom Narcotin als vom Cotarnin. Man kann sie auch aus der rohen Humopinsäure durch Salzsäure ausziehen. Sie lässt sich dann dureh Quecksilber- oder durch Pla- unchlorid ausfallen, allein verunreinigt durch ein anderes, wahrscheinlich se- cundäres Zerseizungsproduct, welches die Flüssigkeiten und Niederschläge blau oder blaugrün färbt, und mit Eisenchlorid eine unbestimmte blaulich schwarze Farbe 3 D. Indessen we es niaig die beiden ene Te 1) edia in einer z zugeschmolznen Röhre mit Wasser bisli zu: 2000 erhitzt löste 114 ATIVAOAISDAUSTEE HE WAR iTO wenigstens so rein zu erhalten, um ihre Eigenthümlichkeit zu erkennen. Beide sind in heissem Wasser löslich. Das Quecksilbersalz setzt sich in kleinen weissen, das Platinsalz in rothgelben Krystallwärzchen ab. Letzteres bläht sich beim Erhitzen sehr stark auf und hinterlässt ein ausserordentlich voluminöses, sehr zartes Skelet von Platin. 0, 052 Grm. gaben 0,007 Platin = 13,4 Pro- cent. Näher habe ich diese Base nicht untersucht. Es ist möglich, dass sie nur ein secundäres, zu dem eigentlichen Vorgange hebt: ‚gehörendes Zerset- zungsproduct ist. 10, Apophyllensdure. Es ist mir nicht en guer Körper will- kürlich hervorzubringen, und ich erhielt davon nur so wenig, dass eine Un- tersuchung seiner Zusammensetzung unmöglich war; ich würde es daher nicht wagen, ihn als einen eigenthümlichen aufzustellen und zu benennen, wenn er sich nicht durch seine Eigenschaften als einen solchen ganz A aus- gewiesen hätte. Die Apophyllensäure ist eine stickstoffhaltige Säure, Sie emgeet je nach dem sie wasserfrei oder wasserhaltig ist, in zweierlei Gestalten. Mit Krystallwasser bildet sie farblose, sehr scharfe Rhombenoctaëder, welche sich nach den Messungen meines Freundes Hausmann der Form eines Quadrat- octabders näheren, mit Kantenwinkeln von ungefähr 1060 287 1030, 24, 119°, und mit Winkeln der Basis von Sep 920 und 880. Die Kryaalie sind zum Theil an den Endecken durch eine horizontale Fläche abgest t, oder auch zu- gleich zugeschärft, die Zuschärfnifgsflächen, gegen die. Seb von 1030 24 gesetzt. Die Krystalle sind parallel mit der Basis sehr leicht und mit perlmutter- glänzender Fläche spaltbar, ganz ähnlich den Krystallen des Apophyllits, denen sie überhaupt in ihrem ganzen Habitus sehr gleichen, was zu dem Namen Veran- lassung gab, Ihren Wassergehalt verlieren sie äusserst leicht und werden dabei milchweiss, ohne ihre Form zu verlieren. Diess geschieht schon beim Erhitzen in Wasser weit unter 1000. Sie verlieren dabei ungefähr 9 Procent Wasser. Ina Wasser ist die Apophyliensäure nur schwer und langsam löslich. Nur aus einer nicht siedend gesättigten Lösung scheidet sie sich wieder in den sich darin vollständig auf zu einer rothgelben, neutralen „ bitteren Flüssigkeit, die mit Eisenchlorid dieselbe schwarz blauliche Färbung gab. - ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 175 octa&drischen Krystallen ab,; und zwar nur nach langem Stehen. Lässt man eine siedend gesättigte Lösung erkalten; 80 krystallisirt die Säure ohne Was- ser heraus in vereinigten länglichen Prismen, deren Form nicht näher bestimmt werden konnte, und die be der Wärme, micht verwittern. In Alkohol und Äther, ist sie sunlösliühsssdtsiid 1556 orasi n arot van Sie schmeckt schwach: sauer und ENN Auf ads Se sie stark sauer. Beim Erhitzen schmilzt sie und verkohlt sich dabei unter Entwickelung eines ölartigen Körpers, der, seinem Geruch nach zu schlie- ssen, nichts Anderes als Chinolin sein kann und der stark alkalisch reagirt. Sie scheint mit allen Basen lösliche Salze zu geben. Ihr Ammoniaksalz Ef in Tafeln, und ist sehr leicht löslich. Seine Lösung gibt weder mit Baryts noch mit Bleisalzen einen Niederschlag. Mit Silbersalz entsteht sogleich keine Reaction, aber nach wenigen Minuten bilden sich in der Flüssigkeit kleine Krystallsterne, die sehr rasch zu zeolithartigen Gruppen von feinen, weissen Krystallnadeln anwachsen. Dieses Silbersalz verpufft bei sehr gelinder Hitze eben so lebhaft wie oxalsaures Silber. Das Wenige, was davon zurückbleibt, ist eine sehr lockere kohlschivarze Masse, die nach dem Verbrennen einen sehr feinen Schwamm von weissem Silber hinterlässt. Diess ist Alles, was ich über diese Säure anführen kann, was gas, wie ich glaube, hinreichen wird; isie wieder zu erkennen, wenn man ihre Bildung einmal wieder beobachtet. Ich erhielt sie bei der Darstellung des Cotarnins. Ich habe erwähnt, dass ich dasselbe auf die Weise isolirte, dass ich das aus der Mutterlauge von der Bereitung der Opiansäure gefällte rohe, unreine Pla- tindoppelsalz durch Schwefelwasserstoffgas zersetzte, die erhaltene Lösung des salzsauren Cotarnins mit Barythydrat im Überschuss versetzte, damit eindampfte und aus dem Rückstand das Cotarnin durch Alkohol auszog. Dieser Baryt- Rückstand, obgleich mit Alkohol ausgewaschen, verrieth beim Erhitzen einen Gehalt an organischer Materie, was veranlasste, ihn längere Zeit mit verdünn- ter Schwefelsäure zu kochen. Es entstand eine tief gelbe Lösung, die nach einiger Zeit gelbe Krystalle von Apophyllensäure absetzte, die durch Umkry- . stalliren farblos erhalten wurden. Die Vermuthung, dass die Säure ein Ter- setsungsproduct des Cotamins sei, entstanden durch zu lange Einwirkung des Braunsteins und der Schwefelsäure bei der Darstellung der Opiansäure, hat 176 ATTERT EH CES WÖBLER ZITO JAE bRO als sich nicht durch den Versuch bestätigt.“ Wahrscheinlich ist sie ein Sex selzungsproduet des Cotarnin-Platindoppelsales. 11. Einwirkung‘ oon Ralihydrat Auf Narootin. Das gema atidi: beim Erhitzen mit einer sehr concentrirten Kalilauge, ohne. dabei, wie es scheint, in irgend einer Form Kohlenstoff oder Stickstoff zu verlieren, eine merkwürdige Veränderung, die offenbar darin besteht, dass es in einen elek- tronegativen, mit Basen verbindbaren Körper verwandelt wird, der aber mit so grosser Leichtigkeit in Narcotin zurückgeht, dass kein Versuch zu seiner Isolirung bis jetzt glücken wollte. Höchst wahrscheinlich beruht diese Ver- wandlung auf dem Austritt der n e geg deren Wieder- aufnahme wieder: Närtotim entsteht. Mailen Eine verdünnte siedende Kalilösung ist wk See" at auf Nareotin; er- hitzt man dasselbe aber mit zu sehr concentrirten bis zu deren Steck punkt so schmilzt es zu untersinker * e ne er Ein- "EA. 1 1 ET $ i Aa r wirkung, unter $ häufigem 1 lange 6 KA behält es auch nach dem Erkalten diese Form.“ Hierbef entwickelt siehe Lehel pr Am: moniak. Es bildet nun eine an dem Brenn "m liche Masse. 2 fit Dale ei f ji Gap Nachdem man die Tiin Aesch abgegossen hat; ist es nun in Wasser sehr leicht und mit gelber Farbe löslich. Die Lösung schmeckt sehr bitter. Erhitzt man sie, so trübt sie sich und beim Sieden erfüllt sie sich mit einem voluminösen Niederschlag von feinen Krystallnadeln, die, wie auch die Ana- lyse zeigte, un verändertes Narcotin sind:“ Aber erst nach längerem Köchen und starker Verdünnung wird auf diese Weise alles Narcotin wieder herge- stellt. In der Flüssigkeit findet man dann freies Kali und eine geringe Menge einer sie gelb färbenden Substanz, die ohne Zweifel ein un wesentliches, viel“ leicht durch gleichzeitige Einwirkung der Luſt gebildetes Product ist. Zur Vermeidung von — will ich pe en lichen Körper nafcotinsaures Kali nennen.. Lässt man das nareotinsaure Kali, von der ER befreit, für sich nh so wird es nach einigen Tagen undurchsichtig und krystallinisch, und ist dann, unter 1 von eee nur noch -re in Wasser löslich. ) b ban 4 Ka? EE en E RL eko EN E ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 177 In Alkohol ist das narcotinsaure Kali sehr leicht Tel; ch, ebenfalls mit gelber Farbe. Beim Verdunsten bleibt eine weiche, amorphe, durchsichtige Masse zurück, die wieder leicht und vollständig in Wasser löslich ist. Ver- mischt man die Alkohollösung mit vielem Wasser, so bleibt sie anfangs klar; nach einiger Zeit fängt: sie aber an, feine Krystalle von Narcotin abzusetzen. Beim Erhitzen geschieht diess sogleich. Am einfachsten erhält man diese Auflösung, wenn man Närcotin unmittelbar in einer Lösung von Kalihydrat in Alkohol auflöst. Mit Hülfe von Wärme wird es in sehr grosser Menge davon aufgenommen und bildet eine e ee ane aus der beim Erkalten nichts herauskrystallisirt. In Aether ist das nareotinsaure Kali unlöslich. In einem Gemische von Alkohol und Ather löst es sich jedoch leicht auf. In ex . erhielt es sich mehrere Monate lang unverändert. Mischt man zu der Alkohollösung concentrirte Salzsäure, so scheidet sich: Chlorkalium als Krystallpulver ab. Aus der davon abfiltrirten Flüssig- keit, vermischt mit Wasser, fällt Ammoniak Narcotin. Überhaupt sobald man eine Lösung des narcotinsauren Kalis mit einer Säure vermischt hat, enthält sie sogleich ein Narcotinsalz. Wendet man dazu Essigsäure an, selbst im Überschuss, so bewirkt Ammoniak unmittelbar hernach keine Fällung von Narcotin; lässt man aber die vermischte Flüssigkeit stehen oder erhitzt sie, so scheidet sich durch Ammoniak Narcotin ab. Vermischt man die Alkohol- lösung des narcotinsauren Kali's vorsichtig nur mit so viel Essigsäure, däss sie noch schwach alkalisch bleibt, so fängt sie dennoch nach einiger Zeit an, Sch zu trüben und Närcotin abzusetzen. Ge Als durch eine Lösung von narcotinsaurem Kali in Alkohol Kohlen- säuregas' geleitet wurde, so gestand sie allmälig zu einer durchscheinenden gallertärtigen Masse, in der sich bald viele Krystallprismen bildeten. Sie wurde abfiltrirt, mit kaltem Alkohol gewaschen und daun mit Wasser über- gossen. Dieses löste Kali-Bicarbonat auf und hinterliess eine grosse Menge Narcotinkrystalle. Die abfiltrirte Alkohollösung enthielt indessen noch viel narcotinsaures Kali, und setzte allmälig eine Krystallisation ab, die deutlich aus zweierlei Krystallen bestand. Die meisten waren Narcotinkrystalle; die feineren, zu weissen Wärzchen vereinigten, waren in Ather weniger löslich. Phys. Classe II. 178 rs E WÖHLER, Arros Aber bei den Versuchen sie zu isoliren wurde am Ende nichts Anderes erhalten, als Narcotin, 8 und Kalk- Salze werden em en dë des, narcoiinsauren Kalis nicht, gefällt. . ‚Mit Salmiak. vermischt wird Ammoniak frei, und nach kur- zer Leit. beginnt Nareotin. ‚sich. abzusetzen. ‚Mit, ‚salpetersaurem, Silberoxyd bil- det das narcolinsaure Kali einen, blassgelben (wahrscheinlich eigentlich weissen) Niederschlag. Er ist in Wasser so: löslich, dass er in verdünnten Lösungen nicht zum Vorschein kommt und dass er nicht ausgewaschen werden kaun. Auch in Ammoniak ist er vollständig löslich. Seine Lösung in Wasser wird bald dunkel, zuletzt schwarz. Beim Erhitzen tritt diess sogleich ein und das Glas belegt sich mit einem glänzenden Melallspiegel, der im reflecürten Licht eine schwärzliche kupferrothe Farbe hat, im Durchsehen blaugrün erscheint U). Zugleich hat sich ein schwarzer, krystallinischer Niederschlag gebildet. Er ist ein Gemenge von Silberoxydul (?) mit sehr viel Narcotin, das sich mit Alko- hol ausziehen lässt. Die von diesem Niederschlag abfiltrirte Flüssigkeit ist gelb. Jedenfalls muss sie Zersetzungsproducte vom Narcotin, namentlich Opiansäure | enthalten, wiewohl offenbar der Silberoxydgehalt der Verbindung lange nicht hinreicht, um alles Narcolin zu zerstören. Vermischt man eine Lösung von narcolinsaurem Kali mit essigsaurem Bleioxyd, so entsteht ein sehr voluminöser Niederschlag von einer blassen gelb- lichen Fleischfarbe. Im reinen Zustande ist er wahrscheinlich farblos. Er ist leicht löslich in überschüssigem Bleisalz. Mit Wasser aber lässt er sich voll- ständig auswaschen. Ubergiesst man ihn noch feucht mit verdünnter Schwe- felsäure und filtrirt das schwefelsaure Blei ab, so hat man in der Lösung schwefelsaures Narcotin, sogleich fällbar durch Ammoniak, Eben so verhält er sich mit Essigsäure. Nach dem Trocknen ist er in Alkohol löslich, jedoch nicht vollständig, der Rückstand. enthält. elwas koblensaures Blei. Aus der fil- trirten Alkohollösung, die ‚ebenfalls, gelb war, wurde das Blei durch Schwe- felwasserstoff gefällt. Die abfiltrirte gelbe Lösung, durch Verdunsten i in sehr gelinder Wärme concentrirt, setzte zwei bestimmt verschiedene Krystallisationen 1) Er ist ent weder Silberoxydul oder ein Kohlenstoffsilber. Durch verdünnte ‚Salpetersäure wird er sogleich in weisse glänzende Silberschuppen en die sich später vollständig auflösen. L ÜBER DAS NARCOTIN UND SEINE ZERSETZUNGSPRODUCTE. 179 ab, wohl ausgebildete durchsichtige Prismen und undeutlichere weisse Kry- stallwärzchen. Die ersteren Waren Narcotin, aber alle Versuche zur Trennung misslangen. Wurde die Ganze Krystallisation mit einer Säure oder einem Al- kali behandelt; so liess sich nachher nichts Anderes aufſinden als Narcotin. Die Mutterlauge von den abgeseizien Krystallen schmeckte bitter und wurde durch Ammoniak gefällt. Wurde sie aber zuerst mit Schwefelsäure und dann mit Ammoniak versetzt, so wurde der Niederschlag doppelt so stark. Alle diese Verhältnisse scheinen die oben angedeutete Ansicht zu recht- fertigen, dass das Narcotin durch den Einfluss des Kalis in einen elektrone- gativen, auf andere Basen übertragbaren Körper verwandelt wórden ist, der aber, sobald man ihn von der ER zu trennen versucht, in -e wieder zurückgeht. Wiewohl die Blei - Verbindung nicht rein war, so inii ich doch eine ‘approximative Bestimmung ihres Bleigehaltes. 1,755 Grm., bei 1000 getrocknet und durch Schwefelsäure zersetzt, gaben 0,905 schwefelsaures Blei- oxyd, entsprechend = 37,9 Proc. Bleioxyd in der Verbindung. Diess gibt für die Nareotinsäure = 2284 Atomgewicht. Diess ist ungefähr die Hälfte vom Atomgewicht des Narcotins nach Liebig’s Formel = 4673. Es wäre also denkbar, dass sich das Atom des Narcotins durch die Einwirkung der Base in 2 Atome 'Narcotinsäure theilte. Nimmt man an, dass dabei zugleich die Elemente von 2 "Atomen Wasser austreten, so wäre das Atomgewicht der Narcotinsäure = 2224, was sich der gefundenen Zahl ziemlich nähert. 12. ‚Einwirkung von Chlor au, Na rcotin md anf Opiansäure. Ich will zum Schluss hier noch einige nieht näher i m e Erscheinungen an- geben, die vielleicht bei künftigen weiteren gl Adr über das Narcotin und die vegetabilischen Salzbasen benutzt werden können. Narcotin wird in trocknem Chlorgas schon bei gewöhnlicher enpera gelb, noch rascher geschieht diess bei 1000, wobei es rein pomeranzengelb wird. Eine Abscheidung von Wasser ist hierbei nicht zu bemerken, wohl aber die Bildung von Chlorwasserstoffsäuregas. Ubergiesst man die gelbe Masse mit Wasser, so quillt sie darin stark auf, wie wenn sich ein Hydrat bildete. Ein Theil löst sich auf, ein anderer bleibt ungelöst. Die bräunlich gelbe, sehr bitter schmeckende Lösung wird beim Abdampfen an der Luft 2 * 180 sr WÖHLER. TOO AAV 2AA aa immer aites, zuletzt grünbraun, es entweieht Salzsäure, und endlich schei- det sich in der sehr sauer gewordenen Flüssigkeit ein schwarz grüner, harz- ähnlicher Körper ab. In reinem Wasser ist er löslich.“ Ammoniak fällt aus der Lösung einen voluminösen graulichen Niederschlag, der im Wesentlichen aus Narcolin besteht. Die davon abfiltrirte Flüssigkeit ist rothbraun. Was von dem mit Chlor behandelten Narcotin in Wasser unläslich war, löste sich mit dunkelrothgelber Farbe in Alkohol. Beim Verdunsten verhielt sich diese Lösung im Ganzen wie die Wasserlösung, nur war der hier sich abscheidende, schwarzbraune harzähnliche Körper in Wasser unlöslich. Am- moniak fällte aus der darüber stehenden sauren Lösung ein fleischrothes Narcotin. Auf Opiansäure hat Chlorgas bei gewöhnlicher Temperatur keine Wir- kung; beim Schmelzen darin entwickelt sie unter Kochen Wasser und Chlor- wasserstoffsäure, indem sie sich gelb und zuletzt tief gelbroth färbt. Es scheint, dass bei ungleichen Temperaturen auf diese Weise ungleiche Quantitäten von Wasserstoff aus der Opiansäure ausgeschieden werden, es scheint aber sehr schwer zu sein, hierbei die Grenzen zu treffen und die einzelnen Producte unvermengt zu erhalten. Die so behandelte Opiansäure erstarrte amorph, war in Wasser unlöslich, wurde aber von heissem Alkohol mit tief rothgelber Farbe aufgelöst. Beim Erkalten setzte die Lösung eine hellbraune, ganz amorphe Substanz ab. Giesst man ihre Alkohollösung in Wasser, so entsteht eine Emulsion und beim Erhitzen sammelt sich eine braune, halbgeschmolzne, harz- ähnliche Masse an. Zugleich bildet sich im Wasser viel freie Salzsäure. Der braune Körper schmilzt leicht, riecht dabei vollkommen wie Myrrhe, entflammt sich und verbrennt unter Entwickelung starker salzsaurer Dämpfe. In Alkalien ist er mit rothgelber Farbe löslich, durch Säuren wird er wieder milchig ge- fällt. Vielleicht ist er die gepaarte Chlorwasserstoff ne der ne s säure = C20 Hs 07 Dë, 2HEI, à + e a í} ® e ` d H ER e 13% E satie nge Sat j BT d j ZE? E ene SCHT e ps gs su * T Chen V0 oa daste Hats nor Haun Aa 5 3 S | CES = das Gesetz der Schwangers« ier. Kach s Boni ` KEE Cer SS, Gen ha Hirt H dr 4 n 7 1 * ks FE e Z O * > = d 117 D H # U „ 1 * H 3 s TS. D * 4 Le) Von o Arnold Adolph Berthold. x Vorgelesen in der Sitzung der Königl. Societät der Wissenschaften il gail 1b Aia am 11. Mai 1844. a | Die Schwangerschaftsdauer wird bekanntlich entweder vom Tage der Schwän- gerung 1), oder vom Tage des Eintritts der letzten Menstruation 2), oder, wie namentlich auch von Hippokrates, Merriman 5) u. A., vom Tage nach dem Aufhören derselben berechnet. Dabei ist es aber sehr ‘merkwürdig, dass die Schriftsteller, von welchem Tage sie auch die Berechnung anfangen mö- gen, 280 Tage als die Normaldauer betrachten. Diese 280 Tage werden wohl gar, aber sehr mit Unrecht, 9 Sonnenmonaten oder 10 Mondsmonaten gleichgestellt; denn da der Sonnenmonat im Allgemeinen 30 Tage 10%, Stunde beträgt, so sind 9 Sonnenmonate nur 274 Tage, während hingegen 10 Monds- 1) A. Henke, Lehrbuch der gerichtl. Medicin. 10. Aufl. Berl. 1841. p. 71. Der erfahrungsmässig erkannte regelmässige Vorgang bei der Schwangerschaft ist der, dass von dem Moment der Empfängniss an, die erzeugte Leibesfrucht zu derje- nigen Vollkommenheit und Reife, welche sie nöthig hat um ausser Mutterleibe und getrennt von der Mutter, ein selbstständiges Leben zu führen, in einem Zeitraum von 10 Mondsmonaten „ 40 Wochen, oder 280 Tagen gelangt.” — F. W. Montgomery die menschl. Schwangerschaft. Aus dem Engl. übers. von F. J. Sch wann. Bonn. 1839, p. 302. (M. führt mehrere Fälle an, wo am 280. oder 281. Tage nach der Schwängerung die Geburt eintrat). 2) F. B. Osiander, Handbuch der Entbindungskunst. Tüb. 18 19. Bd. 1. T. 1. p. 338. 3) Calculations respecting the period of parturition in women. In Medico- chi- rurgical transactions. Lond. 1825. Vol. XIII. P. 2. p. 338. ; 1. > ARNOLD ADOLPH BERTHOLD. monate, den synodischen Mondsmonat im Allgemeinen zu 29 zo 121% Stunde gerechnet, etwa 295 Tage betragen. Von welchem der genannten Termine an man nun geit rechnen möge, so kann allerdings am 280. Tage eine gewisse Anzahl von Geburten sich er- eignen, allein jene Tagezahl kann weder als normale, noch als gewöhnliche Schwangerschaftsdauer betrachtet werden, indem unter 114 Geburten, welche Merriman aufgezeichnet hat, nur 9 an dem 280. Tage sich ereigneten. Merriman rechnete als ersten Tag den Tag nach dem Authören der Men- struation; würde man nun als normale Dauer eines Menstruationsflusses 4—5 Tage annehmen, so wäre Merriman’s 275. Tag dem 280. Tage Derjenigen entsprechend, welche ihre Zählung vom Tage des Eintritts der letzten Men- struation beginnen, und an diesem Tage ereigneten sich in 114 Fällen nur 2 Geburten. Wollte man hingegen den Tag der Schwängerung als terminus a quo annehmen, so würde auch kein günstigeres Verhältniss herauskommen, indem in den 114 Fällen die höchsten Zahlen der Geburten an irgend einem Tage, 6, 8 oder 9 nicht überschritten. Von den 114 Geburten ereigneten sich 3 in der 37., 13 in der 38., 14 in der 39., 33 in der 40., 22 in der 41., 15 in der 42sten, 10 in der 43. und 4 in der 44. Woche. In der 40, und 41. Woche, offenbar den beiden Hauptwochen, waren die Geburten folgendermassen vertheilt: am 274. Tage — 275. — 4 2 4 — 277. — 8 3 3 9 Ge — 3 3 = = w La CG . p — D Oo ® S 88 8 * F KSE (ee un — B 5 = Le) Léi ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 183 Dass nach den bis jetzt bekannten Berechnungsarten von einem Normal- tage, an welchem die Schwangerschaft zu Ende geht, nicht die Rede sein könne, geht aber auch noch aus andern Beobachtungen hervor. Wir wissen, dass die bebrüteten Eier der Hühner am 21., der Enten am 28., der Gänse am 29, der Schwäne am 35. Tage en wir wissen aber auch, dass dabei, und sogar hinsichtlich der in demselben Neste befindlichen Eier, eine Verfrühung oder Verspätung um den einen oder andern Tag sich zu ereignen pflegt. Eben so wird die gewöhnliche Trächtigkeitsdäuer bei Kühen zu 41, bei Pferden zu 49 Wochen angenommen, und dennoch e von 575 Kühen 21 am 240. bis zum 270. Tage 544 E 2909 : 10 — 299. — — 321. — ). Bei 5 Eselstuten war die kürzeste Tragiek 348, die längste 377 Tage 2). Auf den Königl. Gestüten zu Neuhaus und Memsen kamen Fälle vor, dass Pferde am. 316., am 351. Tage warfen, ja sogar trug ein Pferd in Memsen 366 und eins im Sennergestüte 367 Tage 3). Auch bei Schafen ist die Schwan- gerschaftszeit gewissen Schwankungen unterworfen, sie dauert nach anlie- gender Tabelle im Durchschnitt 148 ½ Tag, und ereignete sich in 43 Fällen nur einmal am 143., 1 mal am 144., 4 mal am 146, 9 mal am 147, 8 mal am 148., 6 mal am 149., 5 mal am 150., 6 mal am 151., 2 mal am 152., und 1 mal am 153 Tage. Diesen Thatsachen zu Folge erscheint, auch wenn man beim Menschen die von Merriman angegebenen frühesten und spätesten Schwangerschafts- termine, nemlich die der 37. und 38., so wie der 43. und 44. Woche, ja sogar auch die der 39. und 42. Woche nicht in Anschlag bringen wollte, das Schwangerschaftsende sehr schwankend, schwankend sogar in den regel- mässigen Fällen, als welche man wenigstens die Geburten in der 40. und 41. Woche betrachten müsste. 1) Tessier in Diet. des Sc. med. Bd. XXXV. p. 154. 2) U. F. Hausmann, über die Zeugung und Entstehung des wahren weiblichen Eies bei den Säugethieren und Menschen. Hann. 1838 p. 120. 3) Daselbst. 184 . ARNOLD ADOLPH BERTHOLD. Was den Grund der allgemeinen Dauer der Schwangerschaft betrifft, so ist von Kleefeld 1) zuerst, und dann von vielen spätern Geburtshelfern. und Physiologen — Stark2),Osiander3), Mende, Carus 5), Bur dach 6) (des- sen elassisches Werk nicht minder durch Benutzung bekannter Thatsachen und eigener Beobachtungen, als durch die philosophische Verarbeitung derselben au einem harmonischen physiologischen Ganzen, grosses Licht über die Lehre von der Zeugung verbreitet hat), mir selbst?) und vielen Andern die zum 10. mal wieder eintretende Menstruation, nach 9maligem Ausbleiben der- selben, als solcher mit Recht betrachtet worden. Theils nach ungefährer An- gabe der Weiber hinsichtlich ihrer Menstruationszeit, theils weil durch die Zahl 10 die von Hippokrates angegebenen 280 Schwangerschaftstage 28 mal sich auflösten, hat man die regelmässige Menstruationsperiode, aber mit Un- recht, auf 28 Tage gesetzt und so eine Ubereinstimmung zwischen 280 Tagen und 10 Menstruationsperioden herausgefunden. Wie ich jedoch bereits in meiner Physiologie 8) durch eine mitgetheilte Tabelle erwiesen, sind die Menstruationsperioden auch in den regelmässigen Fällen merklichen Schwan- kungen unterworfen. Die folgenden Beobachtungen beweisen: doat Dass nach der Verschiedenheit der Menstruationsperioden die Schwangerschaftsdauer. verschieden ist, und dass in den regelmässigen Fällen die Geburt eintritt, wenn sich der Eierstock zur zum 10. male wiederkehrenden Menstruation vorbereitet: dass demnach. die 1) Journal der Erfindungen, Theorien und Widersprüche in der Natur- und Arz- neiwissenschaft. Bd. 16. p. 39. 2) Archiv für die Geburtshülfe, Frauenzimmer- und neugeborner Kinder- Krank- heiten. Bd. 2. St. 3. p. weg b 3) A. a. O. p. 398. 4) Ausführliches Handbuch der gerichtlichen Medicin Thl. 2. p. 303. 5) Zur Lehre von Schwangerschaft und Geburt, physiologische, pathologische und therapeutische Abhandlungen, mit besonderer Hinsicht auf vergleichende Beob- achtungen an Thieren. Bd. 2. p. 13. AEN 6) Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. Bd. 3. p. . 6. 7) Lehrbuch der Physiologie des Menschen und der Thiere 2. Aufl. Bd. 2. = 590. 8) Das. p. 574. UBER DAS GESETZ DER SCHW TSDAUER. 185 Geburt früher eintritt, als die 10. Menstruationsperiode einireten würde. Beobachtung L Eine Frau von 28 Jahren, welche sehr regelmässig menstruirt war, kam am 3. Juni Abends 11 Uhr nieder, die Menstruation hatte sich bei ihr im vorhergehenden Jahre eingestellt: Zum letzten Male am 17. August Zwischenzeit 2 "ap | iiu vorher — 16. Juli "i o rein Japi e 2 a — — 17. Mai per ` ze — — 17. April dën, ` PS — — 18. Februar ge S — — 19. Januar — . 29 — — — 21. Decemb. — T E — — 20. Novemb. — gi u — — 20. Octob. Summa 303 Tage. Dieser 10malige Menstruationscyelus pfita also 303 Tage; wäre ihm die Schwangerschaftszeit entsprechend gewesen, so hätte die Geburt am 15. Juni eintreffen müssen; dieselbe erfolgte aber am 3. Juni, d. i. am 291. Tage, also 12 Tage früher, als die vorhergehende 10malige Menstruationszeit betrug. Beobachtung II. Dieselbe Frau kam nach 3 Jahren am 1. Juli Abends 3 Uhr nieder; die Menstruation hatte Beh bei ihr im vorhergehenden Jahre eingestellt: zum letzten Male am 26. "oe Zwischenzeit 29 Tage vorher — ei August — 27 — a a gë Gë "ee — — 5 Juli — 29 — — — 3. Juni — 31 — „ J. Mai — 28 — — — 5. April — 0. — $ — — 6. März — 28 — — — 6. Februar — 29 — — — 8. Januar — 30 — — — H. December Summa 291 Tage. Phys. Classe II, Aa 186 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD. ` In diesem Falle umfasste also eine 10mal wiederkehrende Menstruationszeit 291 Tage; wäre ihr die Schwangerschaftszeit entsprechend gewesen, so hätte die Geburt am 13. Juli eintreffen müssen, vielmehr ereignete sich selbige am 1. Juli, d. i. am 279. Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation, also um 12 Tage früher als der 10malige Menstruationscyelus bei derselben be- trug. — Diese Tabelle habe ich schon in meiner Physiologie , wo ich die Menstruation als Analogon der Brunst geschildert habe; mit Rücksicht auf das Verhältniss des Menstruationseintritis zu bestimmten Mondphasen, mitgetheilt. Beobachtung III. Dieselbe Frau kam nach 2½ Jahren am 30. Januar Morgens 6 Uhr nieder; die Menstruation hatte sich bei ihr im vorhergehen- den Jahre eingestellt: eg ? zum letzten Male am 20. April. Zwischenzeit 26 Tage j vorher — 25. März — 28 — 25. Februar — 31 — 25. Januar — 33: w — — 23, Decemb. — 31 — — — 22, Novemb. — 31 — — — 22. Oectob. — — 28 — — — 24. Sept. — 32 — — — 23. August — Kl EErEE — — 23. Juli * 2J ipsa — — 26. Juni ; i at deeg Summa 298 Tage. Es umfasste also eine 10malige Menstruationszeit 298 Tage; wäre ihr die darauf folgende Schwangerschafiszeit entsprechend gewesen, so hätte die Geburt am 11. Februar eintreffen müssen; vielmehr ereignete sich selbige am 30. Januar, d. i. am 286. Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation, also um 12 Tage früher, als der 10monatliche Menstruationscyelus beträgt. Beobachtung IV. Dieselbe Frau kam nach 3 Jahren am 19. April Morgens 4 Uhr nieder; ihre Menstruation hatte sich zum letzten Male am 7. Juli des vorhergehenden Jahres eingestellt, der 10te Menstruationseintritt davor war der 9. September (des Jahres davor), also ihre 10malige Men- struationszeit = 301 Tage; wäre ihr die darauf folgende Schwangerschaftszeit entsprechend gewesen, so hätte die Geburt am 3. Mai erfolgen müssen, viel- 1) A. a. O. T. 2. p. 574. ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 187 mehr ereignete sich diese am 19. April, d. i. am 287. Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation, also 14 Tage früher, als ihr vorhergehender 10mali- ger Menstruationscyelus beträgt. Beobachitung V. Eine andere Frau kam am 17. Juli Abends 5 Uhr nieder; die Menstruation hatte sich bei ihr im vorhergehenden Jahre eingestellt: zum letzten Male am 18. Octob. Zwischenzeit 28 Tage vorher — 20. ‚Sept. SCH a SS — — 21. August — 28 — „„ — 28 — é — 26. . er . SE — — 26. Mai — 28 — — — 28. April — 27 — — — 1. April — 28 — — — 4. März — 29 — — — 3. Febr. — 28 — — — 6. Januar Summa 285 Tage. ` Wäre in diesem Falle die Schwangerschaftszeit einer 10maligen Menstruations- zeit entsprechend gewesen, so hätte die Geburt am 29. Juli eintreffen müssen, vielmehr ereignete sich selbige am 17. Juli, d.i. am 273. Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation, also um 12 Tage früher, als der 10malige Menstruationseyelus. betrug. Beobachtung VI. Dieselbe Frau kam nach 3 EE am 25. November Abends 9 Uhr nieder, die Menstruation hatte sich bei ihr eingestellt: zum letzten Male am 15. Febr. Zwischenzeit 29 Tage vorher — 17. Januar — 32 — — — 16. Decemb. — 28 — — — 18. Novemb. — 29 — 5 rn Veoh: — 30 — — — 20. Sept. — 23 — — — 23. August — 30 — — — 24. Juli — 31 — — — 23. Juni — 29 — — — 25. Mai — 29 — — — 26. April : Summa 295 Tage. Aa 2 188 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD Die 10malige Menstruationszeit entsprach hier dem 6. December, die Geburt ereignete sich hingegen am 25. November, d. i. am 284. Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation, mithin um 11 Tage früher, als die 10malige Menstruationszeit. * 0 . Beobachtung VII. Eine Frau kam am 21. Mai Morgens 5 Uhr nieder, die Menstruation hatte sich bei ihr im vorhergehenden Jahre eingestellt: zum letzten Male am 5. August. Zwischenzeit 29 Tage vorher — 7. Juli — 31 — — — 6. Juni — 30 — — — 7. Ma — 32 — — — 5. April — 28 — ee 5 ae 5 — — 7. Februar — 30 — — — 8. Januar — 32 — . Decemtbb.— 30 — — — 7. Novemb. les 32 — — — 6. Octob. | Summa 303 Tage. In diesem Falle betrug also eine 10malige Menstruationszeit 303 Tage; wäre ihr die darauf folgende Schwangerschaftszeit entsprechend gewesen, so hätte müssen die Geburt am 3. Juni erfolgen, vielmehr erfolgte sie am 21. Mai, also am 290. Tage nach dem letzten Eintritt der Menstruation, d. i. 13 Tage früher, als der 10malige Menstruationscyelus bei derselben betrug. Ist nun hiernach an der Richtigkeit des obigen Satzes nicht zu zweifeln, so muss ich doch bedauern, dass ich darüber fremde Beobachtungen nirgends habe auffinden können, und also auf die obigen eigenen beschränkt bin, wesshalb ich noch anderweitige Beweise für den Gegenstand aufsuchen muss. Als solche betrachte ich: 1. Ein analoges Verhalten bei mehreren Thieren. — Die Natur der wilden Thiere ist uns hinsichtlich der Wiederkehr ihrer Brunst sehr un- bekannt, und von gezähmten wissen wir nur einiges Allgemeine. Einige ÜBER DAS GESETZ DER SC TSDAUER 189 derselben verhalten sich bei der Bruust auch auf eine so eigenthümliche Weise, dass sie bei gegenwärtiger Untersuchung kaum in Betracht kommen können. Namentlich gilt das von den Pferden, deren Rossigkeit, mögen die Thiere bedeckt werden oder nicht, sehr continuirlich ist, so dass dieselben, im Falle sie nicht empfangen,; in einzelnen unbestimmten Absätzen, bald den Hengst zulassen, bald aber abschlagen. Bei solchen Thieren kann sich die Rossigkeit 12 Monate und darüber hinziehen. — Die Katzen können in ihrem Brunstverhältnisse zu wenig beobachtet werden, als dass wir über die einzelnen Momente derselben die gehörige Aufklärung bekommen könnten. Hündinnen sind nur 2 mal im Jahre brünstig, die Brunstzeit dauert 9-14 Tage. Mögen diese Thiere schwanger geworden sein oder nicht, so wieder- holt sich ihre Brunstzeit nicht, sondern kehrt erst nach etwa ½ Jahre zu- rück: also können wir auch ihnen keinen Massstab für unsere Beobachtung und Berechnungsweise am Menschen entlehnen. — Schweine sind 6-8 Tage brünstig; werden sie nicht befruchtet, so stellt sich die Brunst nach 15-18 Tagen von neuem wieder ein. Ihre Tragzeit ist im Allgemeinen 4 Monate, oder etwa 120 Tage. Bei diesen Thieren steht nun offenbar die Schwanger- schäfisdauer mit den Zwischenzeiträumen der Brunstperioden nicht in einem solchen Verhältniss, als beim Menschen. Denn rechnen wir vom Eintritt einer Brunst bis zum Eintritt einer nächst folgenden, so kommen, da die Brunst selbst 6-8 Tage dauert, statt der 15-18 Tage 21-26 Tage heraus, und diese in 120 dividirt gibt im ersten Fall 51⁄5, im letzten aber 4% (genauer 484 ;z).— Kühe sind 1-2 Tage brünstig, und im Falle sie nicht befruchtet werden, kehrt die Brunst etwa alle Monate wieder. Ihre Trächtigkeitsdauer ist aber im Allgemeinen 41 Wochen oder 287 Tage. Hier ist nun allerdings ähnlich wie beim Menschen ein allgemeines Verhältniss der Schwangerschafts- dauer zu einer 10maligen Brunstzeit unverkennbar, — und zwar auch in der Art, dass die Geburt vor dem Ende einer 10maligen Brunstzeit beendigt ist, indem eine 10malige Brunstperiode bei der Kuh etwa 300 Tage beträgt. Was die Schafe betrifft, welche nur 1 Tag brünstig sind, so geht aus der von mir mitgetheilten Tabelle hervor, dass bei ihnen die Trächtigkeitsdauer im Durchschnitt 148 ½ Tag beträgt, und dass der Wiedereintritt der Brunst bei nicht ‚aufgenommen: habenden Schafen meist am 17. Tage eintritt, so dass 190 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD jii) also von dem Tage des Pöckischseins bis zum Tage vor dem nächsten Böckisch- sein 16 Tage verſliessen. Diese 16 Tage 10 mal sind S 160; so lange hat aber kein einziges Schaf getragen, vielmehr tragen die meisten 147 Tage, so dass also auch hier, ähnlich wie bei Menschen, die Geburtzeit mit einem 10maligen Brunsteyclus im Verhältniss steht, aber auch früher eintritt, als derselbe vollendet ist. Um jedoch das Gesetz der Schwangerschaftsdauer, wie beim Menschen, so auch hier, nach den speciellen individuellen Brunst- perioden durchzuführen, dazu fehlt es an hinlänglichen Beobachtungen, — zumal der Schafzüchter ein Schaf, welches zu oft verböckt, in der Heerde nicht duldet. Der von mir mitgetheilten Tabelle lässt sich aber nur mit Bestimmtheit entnehmen, dass auch bei Schafen die Wiederkehr der Brunst zeiten variirt, namentlich kehrte sie bei dem Schaf Nr. 12 am 16. und 17. Tage, bei den Schafen Nr. 6 und 22 am 17. und 18., bei dem Schaf Nr. 17 aber am 26. und 95. Tage wieder. 2. Das analoge Verhalten anderer Der Processe im thieri- schen Organismus. — Betrachten wir den TZahnwechsel, so ergiebt sich, dass das Absterben und der Ausfall der einzelnen Milchzähne nicht mit der Periode des Ausbruchs der einzelnen bleibenden Zähne zusammenfällt, sondern früher sich ereignet. Fallen aber beide Momente zusammen, so ist solches ungewöhnlich und krankhaft. Hingegen nimmt die Ernährung der Milchzähne ab, so wie ein vermehrter Ernährungstrieb in den bleibenden Zähnen sich ereignet; in demselben Verhältniss wie die bleibenden Zähne mehr Blutzufuhr erhalten, stirbt nach und nach der Bluttrieb zu den Wechselzähnen ab, die Gefässe obliteriren zum Theil, die Wurzeln werden absorbirt und ein solcher Zahn fällt als Scherbe ab, — aber nicht mit, sondern vielmehr gewöhnlich Y, Jahr vor dem Ausbruch des ihm folgenden neuen. Auf dieselbe Weise trifft der Abfall des alten Hirschgeweihes nicht mit dem Erscheinen des neuen zusammen, sondern derselbe ereignet sich mit der Einleitung zur Bildung des neuen. Die Kopf- und namentlich die Schläfengefässe erweitern sich gegen die Zeit des Abfalls des alten Geweihes beträchtlich und in Folge einer da- durch vermehrten Resorption wird dieses Geweihe trocken und fällt ab. Gleich nach dem Abfall erscheint das Ende des Rosenstockes fleischig, blutig, es bildet sich ein Schorf, unter welchem eine wahre * vor sich geht; ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 191 der Schorf fällt ab und nun erst beginnt in der darüber sich gebildet haben- den Haut die Entstehung des neuen Geweihes 1), Ahnlich trifft der Ausfall der einzelnen Haare und CT das Häuten der Krebse nicht mit der vollendeten Bildung neuer Haare, Federn und Scha- ëch sondern mit dem Beginn der Bildung derselben zusammen. 3. Die Conceptionsfähigkeit bald nach beendigter Schwangerschaft. — Auf zahlreichen Beobachtungen beruht die sehr alte Ansicht, dass die Men. struation Analogon der Brunst sei; beide haben zunächst in einem gesteiger- ten Leben der Eierstöcke ihren Grund. Das gewöhnliche normale Eierstock- leben zielt aber auf Bildung, Reifung und Ausstossung der Eichen ab. Diese Vorgänge ereignen sich jedoch nicht ununterbrochen, sondern vielmehr perio- disch, und die Zeit der Menstruation und der Brunst ist die Zeit, wo diese ffe ihren Höhepunkt erreicht hat, und die Eichen selbst nach aussen gestossen werden. Wenn nun aber das Schwangerschaftsende mit der zum 10ten male wiederkehrenden Menstruation im Verhältniss steht, so heisst das so viel, es steht mit dem nach gmaligem Schlummer wieder erwachenden, auf neue Reifung von Eichen abzweckenden, Eierstockleben im Verhäliniss, und wenn es mit der Vorbereitung zur 10ten Menstruation coincidirt, so coineidire es auch, nicht mit dem vollkommen erwachten, sondern mit dem erwachenden Eierstocklel Wenn solches richtig ist, so muss Schwan- gerschaft bald nach der Geburt wieder erfolgen können. Beim Menschen sind, aus leicht einzusehenden Gründen, Fälle dieser Art sehr selten, jedoch kommen sie vor; bei einigen Thieren hingegen sind sie sehr gewöhnlich. Mir ist ein Fall bekannt, wo eine Frau 285 Tage nach überstandener Geburt ein vollkommen ausgetragenes Kind zur Welt brachte; der Mann hatte 8 T age nach jener Geburt den Beischlaf mit ihr vollzogen. Hanius 2) giebt ein Gutachten über einen Fall, wo eine Zuchthäuslerin vom 18. October 1830 bis zum 6. Mai 1832 zwei mal pacangan; und zwei mal zum Normal- E T E es über * RER ER Abfall et: die Wiedererzeugung der Hirschgeweihe; in seinen Beiträgen zur Anatomie, Zootomie und Physiologie. Gött. 1831. p. 62. 2) A. L. und E. C. J. v.Siebold, Journal für Geburtshülfe, Frauenzimmer- und Kinderkrankheiten. Bd. 14. p. 217. 192 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD.: : termine geboren hat. F. B. Osiander i) und Wildberg?) behaupten, dass Fälle der Art nicht selten sind, und Letzterer sagt: „Es ist schon oft vorge- kommen, dass Personen bald nach der Niederkunft und selbst während des noch bestehenden Abflusses der Lochien in blutiger Gestalt eben so gut als "während der Menstruation coneipirt haben.“ Es würde jedoch für unsern Zweck hauptsächlich auf das ie bald nach der Niederkunft” ankommen, und da muss ich gestehen, dass ich darüber keine sichern Beobachtungen in Büchern habe finden können. Da nun aber auch meine ‚Beobachtung nicht sicher erweisend ist, dass das Kind von dem Coitus 8 Tage nach, der Nieder- kunft herrührte, und auch der von Hanius erzählte Fall einen Zweifel über die genaue Zeit der Schwängerung nach der Niederkunft zulässt, so müssen die bestätigenden Beobachtungen an Thieren in Betracht gezogen werden. Stuten und Eselinnen sind nicht unmittelbar nachdem sie geworfen haben, sondern erst einige Zeit darauf‘ rossig; gewöhnlich lassen Stuten 8 Tage nach dem Wurf den Hengst zu, und werden alsdanu sicherer trächtig, als in später eintretenden Brunstzeiten. Bei Kühen tritt die Brunst später ein, und zwar, wenn ihnen das Kalb weggenommen wird, etwa 3 Wochen nach dem Abkälbern; auch sie kommen in dieser Zeit am sichersten zu, und der Landwirth nennt dieses “sie. bleiben trächtig“ Schafe und Ziegen werden aber erst geraume Zeit nach dem Lammen böckisch; werden jedoch die Läm- mer gleich von ihnen entfernt, so lassen sie oft schon nach 4 Wochen den Bock zu. Nicht so verhält es sich mit Hunden und Kaninchen; bei erstern stellt sich die Brunst erst einige Monate nach dem Wurf wieder ein, während letztere hingegen, so wie auch Hasen, Ratten, Meerschweinchen, an demsel- ben Tage, an welchem sie geworfen haben, sich schon wieder fruchtbar be- springen lassen. Hieraus leuchtet nun hervor, dass nicht alle Thiere denselben Lebensgesetzen unterworfen sind, wovon der Grund in den allgemeinen und besondern Lebensverhältnissen der verschiedenen Thiere zu suchen sein möchte. So viel ist aber sicher, dass das Pferd, der Esel, die Kuh, Thiere, welche im Allgemeinen mit dem Menschen dieselbe Schwangerschaftsdauer haben, 1) A. a. O. rt ® 2) v. Siebolds Journal. Bd. 14. p. 219. ÜBER DAS GESETZ DER AUER 193 auch in Bezug auf das Verhältniss des Endes einer Schwangerschaft mit der Einleitung zu einer neuen Schwangerschaft, übereinstimmen. Nur da finden wir Abweichungen, wo bei Thieren die Schwangerschaft 2 mal jahrlich in miei Absätzen: een REN im Frühjahr und Herbst), oder wo sie in einer bestimmten Zeit des Jahres zu wiederholten Malen und zwar ohne bestimmte Absätze (wie bei Kaninchen, Hasen, Meerschweinchen, Ratten u. s. w.), statt findet. Bei diesen Thieren ist, ähnlich wie bei den Vögeln, das Ge- schlechtsorgan nur in bestimmten Jahreszeiten thätig. Bei denen, wo dieses der Fall ist, und welche in dieser Zeit zu wiederholten Malen hinter einant der gebären, wird das Eierstockleben durch die Schwangerschaft nur tem- porär beschränkt, erwacht aber in dem Momente, in welchem eine sölche Be- schränkung aufhört, oder vielmehr umgekehrt: die Schwangerschaft wird be- endet, so wie das Eierstockleben eine solche Beschränkung nicht mehr duldet, — es ist also unmittelbar mit der Geburt vollkommen wieder erwacht. Bei denen hingegen, welche in bestimmten Absätzen 2 mal im Jahre sich fortpflanzen, ist mit dem Schwangerschaftsende auch ein ganzer Cyclus des Geschlechts- lebens abgestorben, welcher erst nach Verlauf geraumer Zeit von Neuem wieder seinen Lauf beginnt, — hier hat also die Geburt mit neuer Schwan- gerschaft keinen Zusammenhang, sondern folgt anderweitigen Gesetzen der thierischen Natur; hier, namentlich bei Hündinnen, finden wir, dass wenn auch keine Befruchtung stattgefunden hat, zur Zeit wann dieselben werfen müssten, ähnliche Vorgänge sich ereignen, als wären Befruchtung und Schwan- gerschaft wirklich gewesen, — es erzeugt sich Milch in den Brüsten, und solche Hündinnen nehmen fremde ihnen beigegebene junge Hündchen an und ER und säugen diese SET als wenn sie mn dieselben e eg hätten: > aer ID le mh mi D EI Bee analoge — des Bierstocks‘ ind der Eichen zu Ende der Geburtszeit und beim Eintritt der Brunst. — Die Eierstöcke erleiden gegen den Anfang der Menstruation und bei Thieren gegen den Anſang der Brunst eine merkliche veränderung; sie schwellen an, werden strotzend und die graafschen Bläschen mehr hervorragend, wie schon Cruiksbhank sehr naturgetreu geschildert hat. Auch erleiden die Eichen selbst, so lange sie noch unbefruchtet sind, eine allmähliche Umänderung, — sie reifen allmäh- Phys. Classe II. \ Bb 194 rr ARNOLD ADOLPH BERTHOLD; #38 lich. So waren Prevost und Dumas i) wohl im Stande, bereits aus den Geschlechtsorganen ausgetretene Eier bei Fischen künstlich zu befruchten, aber an Eiern, welche sie aus dem Eierstock nahmen, scheiterten ihre, dess- ſallsigen Versuche. Haus mam n) fand bei Sauen, bei, denen der Geschlechts- trieb sich zu äussern anfängt, eine Anzahl, graafscher Bläschen, welche mit der Zahl der zu werſenden Jungen in ungefährem Verhältniss stand, auffal- lend an Grösse hervorstehen und mit vielen Gefässen, wie entzündet, umge- ben. So habe ich auch bei Hunden gegen die Zeit der Brunst den Eierstock blut- und.’ gefässreicher, und einzelne graafsche Eichen mehr hervorragend gesehen. Aber ganz verschieden hiervon ist die Beschaffenheit der Eierstöcke und Bläschen bei der wirklichen vollendeten Brunst; d. h. in der Zeit, wann das Weibchen die Begattung zulässt. In dieser Zeit sind die Bläschen stärker vorstehend und zum Platzen reif und Corpora lutea schon in Bildung be- griffen. Diese Corpora bilden sich aber, wie in neuester Zeit erwiesen, jedesmal wenn Brunst oder Menstruation statt hat. Wäre nun das Ende: der Schwangerschaft mit dem Eintritt einer Menstruation identisch, use müssten solche, in Bildung begriffene Corpora lut. an jedem Eierstocke unmittelbar nach der Geburt sich finden, Das ist jedoch nicht der Fall. Aber wohl findet man den Eierstock so beschaffen, wie wir ihn gegen den Anfang der Brunst und der Menstruation geschildert haben. Der Eierstock des schwän- gern Weibes erleidet gegen Ende der Schwa haft eine merkliche Umän- derung. Dieses zeigt am auffallendsten due sehi» genau Glen Meed desjenigen Corpus luteum, welches mit * gegen Schwangerschaft im Verhältniss steht. Einer der g U Böhbachies über die Metamor phose des Corpus luteum während der ee ist Montgomery 5). Seine zahlreichen Beobachtungen an in den verschiedensten Schwangerschafts- monaten Gestorbenen liefern das Resultat, dass dieser Körpern der frü- hern Zeit der Schwangerschaſt am grössten ist, später allmählich abnimmt, besonders aber zur Zeit der Wieden nagt kleiner e eee ëss 1) Annales des Sciences naturelles: 4. 1.2. 3. Hi qisar a = I nasse SEH 2): A, a. O. p. 85. ad? ib mbiai An? il risl Hd wa 1 1 g lun 3) A. a. O. * Säi but des sata bat Ho nitadan ison 1 #7 ÜBER DAS GESETZ DER Ss 195 es sei denn; dass die Frau etwa bei. ihrem Tode an einer 3 des Uterinsystems ‚gelitten habe; in welehem. e Wer ce Turgescenz desi andern Thei le, und d | V in rn Theil nimmt. een es verte, dass — lutea E in dei Brunst und M ni Ei sich bilden, so wollen doch Mehrere — —— X cb A i n haben) je nachdem sie ohne den Act des Coitus, oder durch — eines en entstanden seien; hiernach hat man denn diese Corpora in falsche und wahre eingetheilt. Ein e ist aber in dieser Hinsicht bei den sich bildenden Körpern nicht 1 E denn 4 r „dies . F eursprüng tung r Körper ist in der Leit Lë D .n’ "SS Ss 2 r 2.08 4 *. der Eierreifung, also zur Zeit der M und Brunst, durch Neubil— dungs und Wüch ‚sprocesse' die d-Bichen« mehr an die Oberfläche des Eierstocks zu wiki und dieser Process ereignet sich in den genannten Perioden der mme ganz auf gleiche Weise, — mag das weibliche j oder mit einem männlichen in Verbindung gekommen Be h. er iin oe bloss: des ang gesteigerten Eierstocklebens. Kar. ER aech, im: a ae SES EK a Corpus luteum aber 1 prünglichen Bildung pus luteum aubgei 13 TEL ac ës esch LL Gm) A ERE S T a ` 1 3 er j at Ay ` 11111711 as; EEE FLUT Uaa 1 %% EE * ss nicht weiter fort, es verschwindet sogar bald wieder, nimmt das Babes des enen weiter für sich in Anspruch, sondern dieses kehrt in seinen Aline mee um n allmählich wieder eine nächste Periode d eschlecl Findet hingegen Befruchtung und in Folge davon fernere Entwickel palis Eichen im Uterus oder auch ausser- halb een so erreicht der Corpus luteum ein bedeutendes Wachs- thum, es entwickelt: sich allmählich fort; übertrifft wohl gar den Eierstock an Grösse, und nimmt erst gegen des Ende der Schwangerschaft merklich wie- - als aiiai muss nun wohl das Corpus luteum eine noch andere Be- mung haben; als das Eichen zur Reife — aaa expulsiren: — Fast alle erlührueh B logen und Geburtshelfer stimmen darin überein, dass die Geburt beim LE mit der zum 10ten Male wieder erscheinenden Menstruation im Verhältniss stelit, «und dass Fehl- und Frühgeburten sich gern zu solchen Zeiten ereignen, welche im Allgemeinen den Menstruations- terminen entsprechen. Die Menstruation an sich ist aber nicht das Wesent- d Bb* 196 ARNOLD ADOEPHHBERTHOLD Db liche der ile Geschlechtsreife, sondern nur eine der merklichsten Erscheinungen derselben. Das Wesentliche der periodischen. Geschlechtsreife besteht vielmehr in einer periodischen Aufregung der Ovarien um Eier zur Reife zu bringen und zu expulsiren, und von diesem Zustande der Eierstöcke ist die Menstruation die Folge. Es muss also durch einen bestimmten Zustand der Eierstöcke während der Schwangerschaft deren periodisches Leben unter- drückt, oder unterbrochen sein, und diese Unterbrechung zu bewirken ist die zweite wesentliche Bedeutung der Corpora lutea. Dieselben unterhalten während. der Schwangerschaft einen Lebenszustand im Ovarium, welcher ein ganz ‚eigenthümlieher und besonderer und- von dem gewöhnlichen, auf Rei- {ung der Eichen abzweckenden, ganz verschiedener, ja sogar ein demselben enigegengesetzler ist. Die fernere Ausbildung der Corpora dut? in dem Falle, dass Schwangerschaft eingetreten ist, zielt also auf Unterbrechung der Eier- stockthätigkeit, als periodisch Eier zur Reiſe bringenden Process, ab; — sie ist also Grund wesshalb während der Schwangerschaft die Periodicität im Eierstock unterbrochen ist, d. h. sie ist Ursache der während dieser Zeit ‚feh- lenden Brunst und Menstruation. Da aber die ursprüngliche auf Bildung, Reifung und Expulsion der Eichen abzweckende Lebensäusserung des Ovariums, durch die während der Schwangerschaft bestehende und in der Vergrösse- rung und Weiterbildung des Corpus luteum sich aussprechende nur beschränkt wird, so wird diese leiziere selbst wieder und zwar alsdann beschränkt wer- den müssen, wenn im. Verlaufe der Zeit jene erstere ursprüngliche die Ober- hand gewinnt. Als damit in Übereinstimmung nimmt in den späteren Schwan- gerschaftszeiten das Corpus luteum allmählich ab, dasselbe verkleinert sich, ist am Eude der Schwangerschaft verbältnissmässig am dieter Das Eier- sei stockleben schickt sich zu seiner hnlichen Normalthätigkeit an und es folgt nun normalmässig die,!Gebueta ege, ist die W die Ex- pulsion- des fetteg. aus dem Mutterkörper, aus der Gebärmutter, ähnlich vom Eierstocke: ‚abhängig, als die n der Eichen ‚dureh * be- wirkt wird. At ud ah Diese Abhängigkeit. der Geburt ! vom 3 See SCH en aus anderweitigen Erscheinungen hervor. Allen Schweineverschneidern ist es be- : kannt, dass bei trächtigen Thieren die Zerstörung der Eierstöcke ganz un- ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 107 19 fehlbar: Abortus bewirkt, während hingegen bedeutende V erletzung und Zer- störung der Muttertrompeten eine solche Folge nicht nach sich zieht. So zog Haus mann ) einer seit kurzer Zeit befruchteten Sau, auf die Weise, wie beim Verschneiden der Schweine zu geschehen pflegt, die Eierstöcke hervor, schlug die Hülle, welehe die Fimbriae und weite Mündung der fallopischen, Röhren bilden, zurück, und schob die Eierstöcke ganz unbe- schädigt wieder in die Bauchhöhle. Die Trächtigkeit der Sau wurde dadurch nicht gestört, vielmehr warf dieselbe zur gehörigen Zeit Junge. Wenn nun ech die Reifung neuer Eier zur Zeit der Geburt ein- geleitet oder vorbereitet wird, so ist es wahrscheinlich, dass dieselbe im Verlauf des Afocheilieneii wirklich ihre Vollendung erreicht. Einen Fall dieser Art theilt Wepfer ?) von einer Weibsperson mit, welche beim Kin- desmord ertappt, und nach überstandenem Wochenbett hingerichtet wurde: In iesticulo dextro rimam longitudine unguis parvi digiti, latitudine dorsi cultri mediocris, in ambitu rubentem inveni; labris diductis, scrobiculo fere pisi- capace praeditam, -intus quoque rubentem; similem neque in hoc, neque in sinistro testiculo.” Dieses war wahrscheinlich ein frisches im Wochenbett ausgebildetes orpus luteum, denn die alten Corpora lutea sind ohne Öffnung, und im Innern geschlossen. Montgomery s) fand die Offnung nie mehr nach dem Dien Schwangerschaftsmonat. Zwar behauptete E. Home 4), dass die Reste des alten Corpus luteum mit Ende der Schwangerschaft fast ge- schwunden seien, und dass gewöhnlich in dem Ovarium der entgegengesetzten Seite ein weit vorgeschrittenes und von Neuem ein Ei zur Reife bringendes Corpus luteum gefunden werde, so wie, dass alle Präparate von diesen Kör- pern aus Personen, welche im Wochenbeit gestorben sind, dem neuen sich ausbildenden Ei angehören. Indess streitet diese Annahme zu sehr gegen alle genauere Beobachjung, als dass derselben ein weiteres Gewicht beige- legt werden könnte, und alish bm Home das alte Corpus luteum für ein neues e , KS wi 0. p. 91. 2) Cicutae aquaticae historia. Basil. 1679. p. 124. 3) A. a., O. p. 269. 4) Philosophical transactions 1810. P. 63. 108 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD: 5. Das periodische, mit der Menstruation und der Brunst sioh ereignende, von der Begattung und Befruchtung‘ unabhängige Reifen und Austreten der Eier aus dem Eierstock des Menschen und der Thiere.— Ein solches periodisches Reifen und Austreten der Eier ist dureh die genauesten Beobachtungen und Experimente erwiesen. Beim Menschen ereignet sich dasselbe zur Zeit der Menstruation, bei Thieren in der Brunst; bei ersteren aber auch, und bei mehrern der letztern bald nach stattgehabter Geburt. Dass ein solches Reifen bald nach der Geburt sich ereigne, geht schon aus dem Umstande hervor, dass bei Menschen und mehreren Thieren eine Schwangerschaft zu dieser Zeit möglich ist, die Möglichkeit einer Schwän= gerung aber das Vorhandensein gereifter Eier nothwendig voraussetzt. Diese Reifung der Eier ereignet sich jedoch nicht plötzlich, sondern allmählich, und der Eierstock wird dazu schon einige Zeit vor der Geburt vorbereitet und eingeleitet. Zu einer solchen Vorbereitung steht die bereits angegebene Veränderung der Eierstöcke in der letzten Zeit der Schwangerschaft in Be- ziehung, indem der Eierstock aus seinem Verhältniss, worin er zur Schwanz gerschaft sich befand, heraustritt. Dadureh wird dann dem Fruchtleben ein Ziel gesetzt, während hingegen der Eierstock zur Reifung neuer Eier allmäh- lich befähigt wird. Dass aber zur Zeit der Brunst die Eichen selbst eine mehrfache Veränderung, wodurch sich ihre Reifung beurkundet, erleiden, ist hinsichtlich der Vogeleier von Purkinje ) und von Bär 2), hinsichtlich der Säugethiereier aber von Barry 21 erwiesen, und von Bischoff 4) bestätigt. Die Paarung zerfällt nach v. Bär 5) in die 2 Momente Begattung und Befruchtung, von denen erstere dazu bestimmt sei, die Frucht der Herrschaft des weiblichen Eierstocks zu entziehen, letztere aber, der Frucht ein selbst- ständiges individuelles Leben zu gewähren. Jedoch bedingen sich beide Mo- mente nicht in der 3 uin * e on zen] ve 1) Symbolae =p ovi avium gran ante reg pse 1830. EN e 2) a. a. O. | 3) Philos. transact. 1838. 39. 4) Entwickelungsgeschichte der Säugethiere und des Menschen. RE 1842. 5 5) Über Entwickelungsgeschichte der Thiere. Heft 1. Königsb. 1828. FERIEN über die Begattung. € d ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSOMA AUER 199 Weh auch ohne irgend eine Einwirkung eines münaliehen Individuums die Eier nicht nur aus dem Eierstocke, sondern sogar aus dem Körper entleert werden. Bei den Knochenſischen, wie bei den nackten Amphibien, wo die Eier ausserhalb des weiblich geg befruchtet werden; kommt das Eier- legen ohne eigentliche B ganz evident vor; bei Insecten hat man nicht eee ee der Eier er solchen Weibchen beobachtet, welche selbst noch nicht lange die Puppenhülle verlassen, und nicht mit einem Männchen , sich begattet haben; man pflegt solche Fälle gewöhnlich als seltene Erschei- nungen zu betrachten, obgleich man sie fast bei allen Weibchen wahrnehmen kann, wenn man sie nur bis zu dem Zeitpunkte am Leben lässt, wo sie ihre Begattung vollziehen würden. Ähnliche Beobachtungen sind hinlänglich be- kannt von Schildkröten und Schlangen; ich selbst besass eine Testudo graeca, welche mehrere Jahre hinter einander im Frühling regelmässig 2-4 Eier legte. Die Vögel leeren unabhängig vom Männchen ihre Eier aus und zwar im Allgemeinen in derselben Anzahl, als wenn sie vom Männchen befruchtet werden. Es ist bekannt, dass isolirt gehaltene Canarienvogelweibehen nieht nur ihre mann ga? De sondern dass solches zu wiederholten, den einzelnen Brü Malen geschieht; sie bauen sogar ihre Nester und: bebrüten die! gehörige Zeit ihre unbefruchteten Eier. Mir ist ein Fall bekannt, wo ein durchaus nie mit einem Hahn zusammengekommenes Haushuhn in einem 2 von eeng Monaten! 85 Eier‘ und später kluckig wurde. Wenn ee b hindichtlich, den Insecten, Fische 1 und Vögel eine solche Expulsion der Eier, als in Folge eines innern, vom männlichen Individuum gänzlich unabhängigen periodischen Processes schon von ältern Physiologen erkannt war, so blieb doch in Bezug auf den Menschen und die Säugethiere bis in die neuesten Leiten die Vorstellung die herrschende, dass nur in Folge eines Actes der Begattung die Eier vom Eierstock gelöst würden, und zwar nach der gewöhnlichsten Ansicht erst, nachdem sie in oder auf dem Eietstock befruchtet worden seien. , Zwar liegen ‚schon längst Beobachtungen vor, welche auf eine andere Ansicht von der Sache hätten leiten sollen: die Alten betrachteten bereits als Hauptursache der Brunst oder des weiblichen Begattungstriebes das periodi- $ 200 | ARNOLD ADOLPH BERTHOLD sche Anschwellen der graafschen Bläschen im Eierstock; durch den Mangel der Brunst bei castririen Weibchen, sowie durch pathologische Zustände des Eierstocks bei der Mutterwuth wurden sie zu solcher Ansicht bestimmt. Die Corpora lutea waren denselben ihrem Wesen nach bekannt, und unter Andern behauptete Buffon 1), dass selbige bei allen mannbaren Frauenspersonen vorkommen. Haller 2) hat alles in dieser Hinsicht Wichtige zusammenge- stellt; allein seine Widerlegung früherer richtiger Beobachtungen, wobei er sich auf sehr zahlreiche Untersuchungen an Schafen, Hündinnen, Ziegen, Kühen, Schweinen, Ratten, Kaninchen, an Jungfern, Schwangern und Kind- betterinnen stützt, war wohl die Veranlassung, dass seine Ansicht bis in unsere Zeiten die allgemein geltende blieb, ungeachtet schon vor fast 50 Jahren Haighton: 3) durch die überzeugendsten Versuche die Hallersche Ansicht gründlich widerlegte. Derselbe durchschnitt bei noch nicht trächtig gewesenen Kaninchen die eine Mutterirompete, und liess diese Thiere nach geschehener Heilung, von Rammlern bespringen. Bei der darauf unternommenen Section fand er dann auf der verletzten Seite, wo keinenfalls Samen zu dem Eierstock hatte gelangen können, eben so gut als auf der entgegengesetzten unverletzten Seite, den Eierstock mit gelben Körpern versehen, während hingegen Embryo- nen nur in demjenigen Horn N dessen ërem unverletzt erbia ben war. Oken 4) war der Erste, leber diese getekatgzebte Versuche‘ ESCH , ganzen Bedeutsamkeit nach auffasste. Derselbe stellte zwar die Möglichkeit einer wirklichen Befruchtung im Eierstock nicht in Abrede, aber sie sei abnorm, die Befruchtung ausserhalb des Eierstocks hingegen die normale; das Ei komme dem Samen entgegen. “Ich führe diese Nachweisungen, sagt Oken, (dass Ruysch in der Trompete eines unmittelbar nach dem Beischlafe von ihrem Liebhaber ermordeten ee mid eines von ihrem Ehemann ermor- 1) Histoire naturelle generale et erstelle 2 ës, 1720. p · 208. 203. «Oh trouve ces corps glanduleux dans toutes les femelles, qui ont atteint la puberté. E 2) Elementa Physiologiae. t. VIII. L. 29. Sect. 1. f. 15—24. 3) Philosophical transactions. 1797. p. 159. Reil's Archiv e Physiologie. 1 pa f pag. 46. 4) Die Zeugung. Bamb. 1805. p. 73. 1 l ab Mipro u — = d ÜBER DAS GESETZ, DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. - 201 deten Weibes Samen fand, dass Fallopia dasselbe gesehen, dass Trompeten- und Bläschenstocksch erschaft 1): statt finde) nicht an, als behauptete ich dadurch, der geng beer w; der Befruchtung nothwendig zu den Bläschen- stöcken selbst: Ieh halte diese ‚Erscheinung, vielmehr ihrer Seltenheit und der Tödlichkeit der extrauterinen Schwangerschaft wegen entweder für Folgen des Mangels der ‚Trompetenklappe (welche ‚bekanntlich früher angenommen wurde) oder einer krankhaften Zusammenziehung der Trompeten, und sie sind nur Belege, dass der Samen ungezweifelt in die Höhle der Gebärmutter, und folglich hier in Verbindung mit den Bläschen, die durch die peristaltische Bewegung aus den Trompeten kommen, gebracht werde.” — “Wie im Säuge- thiere der Samen nur in den Uterus kommt, heisst es p. 79, und das Bläs- chen ihm durch die Trompeten entgegengetrieben werden muss, wie die Eier des Frosches, des Salamanders und der Schuppenſische dem Samen nicht nur durch die, bei den Fröschen 2 Fuss langen Eiergänge, sondern durch den Reiz der Brunst, und n Theil auch dureh. die Bagepmeg des Männchens a müssen und die Bier Br vögel, oder; he ihre rue Bläschen; die der Knorpelfische, Schnecken, Insecten, Würmer, kurz alles, was sich thierisch. begattet, dem männlichen Samen entgegen kommen.” — Hatten. Haightons Versuche die von der Sameneinwirkung unabhängige e enn (geen so führten nach —— die 335 Er 1) Die Re ist in neuesten Zeilen von mehreren Physiologen 2 GBR Geburtshelfern geleugnet, z.B. von Vel peau, Pouchet u.A. Man habe die in dieser Hinsicht angegebenen Fälle nicht mit der gehörigen Genauigkeit untersucht. Letzterer giebt jedoch die Möglichkeit derselben in so fern zu, als sie nicht im Innern des Eierstocks oder der graafschen Bläschen, sondern auf dem Eierstock entstehe, nachdem das Bläschen bereits eine Öffnung erhalten habe, wodurch der unmittelbare Zutritt des Samens zum Eichen möglich werde. Dass der Samen nicht durch die geschlossenen Häute des Eierstocks und der graaf- schen Bläschen hindurch befruchtend wirken könne, gehe aus den Versuchen Spallanzani is hervor, welcher nicht mittelst filtrirter Samenflüssigkeit, aber wohl mittelst des das Filtrum nicht durchdringenden consistenteren Samentheils künstliche ER des Froschlaich bewirken konnte, Phys. Classe II. Ce 202 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD sorgfälüigsten Versuche Blundells h) einen bedeutenden Schritt weiter, idbh sie den von der Sameneinwirkung unabhängigen Übertritt der Eier in die Trompeten beurkundeten. Derselbe liess Kaninchen begatten, welchen er früher das eine Mutterhorn unterbunden hatte. Es entstanden jedesmal nach der Begattung Corpora lutea beider n DH Lait ` Emibtyonen nur in tige Auftreibu in dem durch- dem nicht durehschnittenen, aber geschw ulsta schnittenen Horn. Solche wulstförmige Aättelbungzen ſanden sich in beiden Hörnern, wenn der Grund der Vagina unterbunden worden war; dieselben rührten von einer Substanz her, welche an Farbe und Organisation verschie- den, aber gewöhnlich flüssig, blass und trübe war, und bei einer Temperatur unter dem Siedepunkte eiweissartige Concremente' bildete. Blundell schloss aus seinen Versuchen, dass ohne Einfluss des Samens die Ovarien alle Ver- änderungen als bei der Empfängniss erleiden, dass die Eichen bersten, der Uterus anschwillt, und sich mit einer Flüssigkeit füllt. Die angegebene An- schwellung durch die eiweissartige Materie leitet er vom Eintritt unbefruch- teter Eier ab; er meint, dass die Bläschen ihren Inhalt nnn; ee: was dem Legen der Windeier bei Vögeln analog sei. Auf diese Experimente gestützt erklärte E. F. Weber zm “In omnibus animalibus sejunctio ovulorum ab ovario materni corporis actio est, nusquam foecundationis effectus. In omnibus animalibus ovulum post sejunctionem demum foecundatur. Certis quibusdam temporibus quibus vitales genitalium acliones auctae sunt major sanguinis copia his affluit et omnes illae partes turgent (quae in genitali bestiarum ardore et in feminarum menstruis evenire solent) vesiculae quoque graaſianae in ovariis- admodum augentur.” Aber Weber glaubt, dass das Platzen selbst nur durch, den Coitus bewirkt werde, und die Befruchtung en im u — also von einem Austritt ohne Coitus sei nicht die ReddeGQ. h i iii Dass aber jedesmal zur Zeit der Br unst, mag Coins statt Haben oder 1) Medico - chirurgieal transactions. 1819. Vol. 10. p. 264. Meckel's Archiv für Physiologie. Bd. 5. p. 122. — Blundell Researches physiological and patholo- gical. Lond. 1824. Froriep's Notizen. 1825. Nr. 240. p. 305. 2) Disquisitio anatomica uteri et ovariorum puellae u. a conceptione nie de- functae. Hal. 1830. p. 14. dat, * ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 203 nicht, die Bildung gelber Körper erfolge, hat U. F. Haus mann D durch mehrfache Beobachtungen und Experimente in seinem schon im J. 1824 von der hiesigen Königl. Societät der Wissenschaften gekrönten, und noch als Manuscript von Bur dach 2) sub Nr. 82 citirten, aber erst im J. 1840 mit Zusätzen und Nachträgen gedruckten Werke ausser ‘Zweifel gesetzt. „Die Veränderung an den Eierstöcken i ist während der Periode der Hitzigkeit bei Hündinnen sehr. ‚auffallend, indem die früher, kaum zu unterscheidenden ‚graaf- schen Bläschen, in Blasen wie erbsengross hervortreten und einen grössern Umfang gewinnen, als der ganze Eierstock zu anderer Leit hat. Die Zahl der heraustretenden graafschen Bläschen ist in der Regel gleich mit den zu wre nee , Pag. 86; bei einer jungen Sau, die den höchsten Grad wüischkeit erreicht hatte, fanden sich “an beiden Eierstöcken gelbe Kör- gës in Fa die noch offene Wunden halten, und auch Bläschen, die in Begriff zu platzen standen. Am rechten Eierstock waren 7 gelbe Körper, bei denen auch die ‚Öffnung, der, geborstenen Stelle der graafschen Bläschen schon geschlossen und. wie eine Warze vorstand. Die gelben Körper waren Ep rund; 3 hatten noch Ollnungen, und auch Fasern coagulabler Lymphe und etwas Blut in der , Öffnung. Diese angehenden 3, gelben Körper waren schlaff und wie ein leerer Balg zusammen gefallen, batten jedoch schon das eigenthümliche drüsigte Ansehen wie gelbe Körper und waren nicht bloss häutig.“— Pag. 125; bei gut genährien, aber nicht bedeckten (rossigen) Stuten pflegen. ` gewöhnlich 12 graalsche Bläschen zu platzen und gelbe Körper zu bilden” — Hausmann folgert sodann aus seinen "Beobachtungen und Versuchen, & dass, wenn der Verbindungscaual zwischen der Gebärmutter und den Eierstöcken unterbrochen ist, dennoch die gelben Körper gebildet werden.“ ES hat sich zwar bei andern Versuchen schon ergeben, doch ist es nicht bemerkt worden, dass das Platzen der Bläschen nach jedem Rüischsein, bei, Schweinen ‚erfolgt, wenn sie auch, nicht besprungem sind, und sich dann auch die gelben Körper ebenso bilden, jedoch nicht zu der Stärke gelangen, als wenn Befruchtung statt gefunden hat. — Hat hiernach Hausmann, Br eigene Beobachtungen und Versuche gestützt, das 1) K. 8, 0. p. 70. 2) Die Physiologie 2 3 Bd. 1. 1. Aufl. Leipzig-1826. p. xvır. Le? d 204 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD Plätzen der Bläschen nach jedem Brünstigsein erwiesen, so hat er auch die- selbe Erscheinung hinsichtlich des Menschen ausgesprochen (pag. 104): “Wenn auch Agence in Beziehung der Zeugung beim Menschen sich finden, so zeigt sich doch auch rücksichtlich der Entwickelung selbst sowohl in den Ovarien, als der Gebärmutter eine allgemeine Ubereinstimmung mit den übrigen Geschöpfen derselben Classe. Die Ovarien entwiekeln sich gegen das mannbare Alter, der Geschlechtstrieb wird rege, die graafschen Bläschen brechen auf und es bilden sich gelbe Körper, wenn auch keine Geschlechts- verbindung statigefunden hat; solche gelbe Körper une aber nie die Vollkommenheit, wie nach stattfindender ` Schwängerung“ eee War hierdurch nun eine periodische und von der Begttänge gänzlich unabhängige Bildung der Corpora lutea, und, wie deren Öffnungen bewei⸗ sen, die damit nothwendig verbundene Expulsion der Eichen bei den Säuge- thieren erwiesen und beim Menschen der Analogie nach angenommen, so fehlte es noch an genauen Beobachtungen darüber, ob beim Menschen denn wirklich zur Zeit der Menstruation dasselbe statt finde, was beim Thier zur Zeit der Brunst. Solche Beobachtungen lieferten zuerst Lee D und Jones 2). Ersterer machte 2 Beobachtungen bekannt, wo bei während der Menstruation gestorbenen Personen Corpora lutea gefunden wurden; Letzterer behauptete aber, auf Beobachtungen gestützt, dass bei jeder Menstruation ein graafsches Bläschen anschwelle und platze, und dass die Menstruation selbst von einem solchen Zustände des Eierstocks und seines Erzeugnisses abhänge. Bestätigt wurden diese Beobachtungen an Menschen von Paterson 3); auch er leitete die Menstruation und Brunst von einer periodischen stärkeren Entwickelung einzelner graafschen Bläschen ab; er nennt aber die dabei dhe Schwängerung sich bildenden Corpora lutea falsche, welche von den wahren in mehrfacher Hinsicht verschieden seien, wie auch Hausmann eine solche Verschiedenheit ne ‘hatte. Allein diesen Unterschied verwart Né rier? und beträch- | 1) 88056 medic. chir. transactions. 1839. p. 329. 2) Practical observations on diseases of Women. Lond. 1839. p. 226. 3) Edinburgh med. and surg. Journal. 1840. Nr. 142 u. 145. — 1841. Nr. 157. 4) Recherches anatomiques e et ve sur ani ovaires rA Euer 0 humaine. Par. 1840. ÜBER DAŞ GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 205 tele, gestützt auf 42jtlirige Erfahrung und Beobachtung, als die Grundursache der Menstruation eine periodische Aufregung der Ovarien mit Anschwellung — Platzen eines gräafschen Bläschens und Bildung eines gelben Körpers. Lwar konnte es G wol so übereinstimmender Erscheinungen englischer, deutscher und fran: er nicht an Widersprüchen fehlen, wie denn namentlich in Deutschland Th. L. W. Bischoff ), als er über die nz von 2 Jones, — wn gong * Jahresbericht des ner "Keen — Bei ode über — Wlatmtebegt äusserte er schon: „Sollte man wirklich bei dem heftigen Streite über Corpora lutea und den vielen Sectionen bisher so unaufmerksam auf die Eierstöcke gewesen sein?“, in dem Berichte 3) über Patersons fernere Untersuchungen aber: Dass auch bei Säugethieren sich während der Brunst falsche Corpora lutea erzeugen, wenn keine Begattung statt findet, sah Hausmann bei Schweinen; Paterson versichert, "dasselbe bei mehrer andern gefunden zu haben, und Ref. (Bischoff) kaun dasselbe von Kaninchen angeben. Des- gleichen sah Ref. Corpora lutea bei Kaninchen, denen der Uterus ausge- schnitten war, sich nach vorausgegangener Begattung, aber nicht erfolgter Befruchtung eege — pi Frankreich sprach Duvernoy ®) die von der he Reifung und Ausstossung der Eichen des Mensehün aus, während Bac) bórsky%) i in einer Abhandlung über die Men- struation behauptete, dass dieselbe eine Folge der vollendeten Entwickelung der Eierstöcke sei; dass es aber nicht bewiesen sei, dass die Ovula allmählich in jeder Menstruationsperiode zur Reiſe kommen, oder dass die reifsten Ovula sich alsdann der Oberfläche des Ovariums "keet: am dort zu zer- reissen Paud” einem ee a zu Seier, un Kaen per Müllers Archiv für Physiologiev ps? 1840. p. cam, : 2) Das. Jahrg. 184. p. Il. d 3) Das. Jahrg. 1842. p. exıx. SCH 4) L’Experience. 1842. Nr. 319. ae 5) v. Froriep's Notizen. 1842. Nr. 465. 20 JIJACTARNOLD/ADODE BER TRA, A14 „Ein, Bees ausführliches Werk hat Dog cher A: über, diesen. ‚Gegen- e geschrieben. Derselbe stellt (p. 14) folgende 10 Grundgesetze der Zeu- gung auf: 1. der Mensch ist von den gewöhnlichen Gesetzen nicht ausge- nommen; die Erscheinungen seiner. Erzeugung folgen Gesetzen, die denen analog sind, welche bei den. verschiedenen Thieren gelten; aber vollkommen übereinstimmen mit denen der Säugethiere. 2. Die Fortpflanzung, geschieht bei allen Thieren durch Eier; nur ri de Thiere machen davon eine Ausnahme. 3. In dem gesammten Thierreiche bestehen die Eier vor der Be- fruchtung. 4. Physische Verhältnisse verhindern, dass bei den Säugethieren der Samen mit den ‚Eichen in. Berührung kommen könne, so. lange, diese noch in. den graafschen Bläschen enthalten sind. 5. In dem gesammten Thierreiche meh Ze rie ganz wh nis NAPE der Reiruehtung-, beine Eichen aus. ep reg Rp „ Pe — 8 dëi Bei den Säugethieren kann Befruchtung. nur statt finden, wenn der Austritt der Eichen mit der Gegenwart, des Samens zusammen trifft. 8. Die Men- struation entspricht den Phaenomenen der Brunst, der Thiere und besonders der Säugelbhierweibehen. 9. Die Schwängerung steht in einem bestimmten Verhältniss züm Menstrualfluss; auch ist es leicht, beim Menschengeschlecht genau denjenigen Zeitraum zwischen 2 Menstruationsperioden zu bestimmen, wann Schwängerung physisch unmöglich De ne sie anch wahrschein- lich ist. 10. Es giebt keine eigentliche Eie b Sieg 10 Grundgesetzen fügt Do uchet ‚noch. D 3 — yen 1281 - Die Befruchtung geschieht þei den Säugethieren, normal im, Uterus. b. Die Bauch- und Trompetenschwangerschaft beweist weder, dass die Befruchtung normal im Eierstocke statt hat, noch dass der Austritt der Eier aus dem Eierstock Folge der Befruchtung sei. c. Die normalen Contractionen der Trompeten äussern sich nur in der Richtung von dem Abdominalende zum Uterinende, und zwar um die Eichen gegen den Uterus hin zu leiten. — Alle diese Gesetze sind die Uberschriften von eben so viel Abschnitten, welehe in dem Werke des Verfs. erörtert werden, von denen seg Eer nament- 1) Théorie- positive de la fécondation des mammifères „ basée sur I observation de toute la série animale. Par. 1842. ik u St Leite sirenieest e Të | ÜBER DAs GESETZ DER | SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 207 lich Nr. a und c nicht dafür aa dat sind, gien Diva Aë sie ausgiebt. dae Aet eee gaii bun gun nile! ʻi Noch in demselben Jahre kae Reöthorikg: nu. von — Köber vidersprechenden Ausicht zurück, und Am 13. Dec. las derselbe eine Abhand- lung in v der Pariser Academie vor, worin eribeliauptet dass die Menstruation und die graafschen Bläschen in genauer Beziehung zu einander stehen, und dass, sobald die Bläschen fast völlig entwickelt sind, der Monatsfluss eihtritt und mit der Zerstörung der Bläschen aufhört, dass aber, so wie bei der Frau Ze këng Bläschen in doh Zwischenraume zwischen 2 Menstrua- perioden sich ` entwickeln und dann eine Ruptur erleiden, eben so bei 1111 Thiere die Bläschen ies hen den meren nach und nach wachsen nns Ane ick Hi ERL T A i 1 immer VTI GTI UGG IL Gier ZALIL enn uco platzen. Raciborsky beruft sich dabei auf eigene Besbaehtühgen über die Entwiekelung und Ruptur der Bläschen in der Menstruationsperiode bei reinen ene die‘ tete n n gewöhnlich erer dar Ende der Men- TEHE] 1. trgam ag. Je 1843 Ungefähr derselbe am Zi. UUL - in der Academie vor 2) ano sadis di 228 ‚Hal Moin gol 110 il ` Ren fehlte nur noch das Auffinden der zur Zeit der Brunst wé Men- struation wirklich ausgetrelenen Eichen , wie man sie seit v. Bärs Entdeckung derselben kennen gelernt hal, in den Trompeten, da Blundell's Beobach- tungen in dieser Hinsicht bestätigt und ausser Zweifel gesetzt werden muss- ten. Solches ist nun in Bezug auf die Thiere von Th. L. W. Bischoff, zuerst in einem Briefe 3) welchen derselbe am 29. Juni Hrn. Brechet ge- schrieben hatte, um ihn der Pariser Academie mitzutheilen, dann aber in einer besondern eee pue „%% worin dieser nene een weiter ver- — — datz anon F- alle ICE GHILLE BLEN fen pis Mën Nin 150. ES Froriep's ‚Notiz. 1832. N. 528, 5 o pe Comptes Enles hebd. des Séances de LAeada des Be, 1843. 7, Juli- Erosion VNoliz. 1843. Nr. 576. — Darüber auch Nr, 582, i „„ 3), de rendus etc. 17. Juli 1843. P. aut; ebe Bea: CR ‚Notizen, 1843, r. 603. i 4) Th. T W. Bischoff, Beweis a von Ce eee . periodi- schen Reifung und Lösung der Eier der Säugethiere und des Menschen als der ersten Bedingung ihrer Fortpflanzung. Giessen’ En 208 2102.02: ARNOLD ADOBE H BERTOLD G ua) folgt und durch sehr zahlreiche eigene Experimente über die Bildung der Corpora lutea ohne Befruchtung und Begattung erläutert ist. Ohne Begattung und Befruchtung beobachtete, Bischof! Eier im Eileiter des Kaninchen, Hundes, Schafes, Schweines; ja er hat, sogar erwiesen, dass in den Eichen ohne den Einfluss des Samens auf kurze Zeit einige Erscheinungen in der Entwickelung sich ereignen. Sodann bat Bischoff ‚gezeigt, dass bei stattfin- dender Begattung zwar der Samen hinlängliche Zeit haben könne, um bis auf den Eierstock zu gelangen, ebe das Ei austritt, dass aber auch das Ei schon ausgetreten sein könne, und der Samen dasselbe bereits in dem Eileiter erreiche; dass aber immer in diesem noch (also nicht erst, im, Uterus). die Einwirkung des Samens erfolgen. müsse, wenn das Ei sich entwickeln Soll, indem dieses seine En schon im Eileiter beginn. — Nach Pou- chets Di 6-9tem Gesetz, Ae bei ‚Menschen und Säugeihieren ; der Coitus nur zur Leit der periodi 6 chtsaufregung und Ausstossung der Eier, d. h. zur Zeit der 3 und Bees Sohwarigerschafi bewirken. Diese Ansicht scheint zwar in Bezug auf die Menstruation nurichlig da es an Beispielen nicht fehlt, dass Weiber ohne Menstruation gehabt zu haben, schwanger geworden sind. Allein diese Unrichtigkeit ist nur scheinbar, indem der Blulausfluss nicht das Wesentliche der periodischen Geschlechtsreife, son- dern nur ein begleitendes Phaenomen derselben isti Es kinn damen ‚eine solche periodische Ausstossung der Eichen im Eierstock sich ereignen, der Blutausfluss selbst aber mangeln. So haben wir Beispiele, dass nie menstruirt gewesene Weiber empfangen haben; dasselbe kann sich bei sehr unregel- mässig menstruirten Weibern ereignen, wie die 2 folgenden von mir beob- achteten Fälle beweisen. Eine übrigens gesunde Frau, bei der die Men- struation unregelmässig alle 2-3-4 Monate sich einstellte, hatte ihre Reini- gung zum letzten Male am 18. October bekommen; am 5. September des fol- genden Jahres kam sie nieder; es war also eine Zeit von 325 Tagen zwischen Menstruation und Niederkunft verstrichen. Es ist in diesem Falle nicht un- wahrscheinlich, dass bei der Frau 30 Tobe nach dem 18. October Reifung der Eier ohne Menstruation sich ereignete, und würde man demgemäss vom * 1) A. a. O. p. 75. 79. 87, . ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. . 209 18. November an rechnen, so wäre die Geburt am 293. Tage, also zu einer im Allgemeinen normalen Zeit eingetroffen. Dieselbe Frau, mit derselben Unregelmässigkeit in der Menstruation, kam nach einigen Jahren am 12. Juni nieder; ihre Reinigung batte sich zum letzten male am 27. Juli des vorher- gehenden Jahres eingestellt, — die zwischenliegende Zeit betrug also 320 Tage; wollte man aber statt vom 12. Juli, einen Monat später, d. i. vom 12. August rechnen, so würde ihre‘ Schwangerschaft 290 Tage gedauert haben, also auch im Allgemeinen rechtzeitig gewesen sein. — Auch der Umstand, dass Menschen und Thiere in einer äusserst frühen Zeit des Lebens schwanger geworden sind, vermag nicht dagegen zu sprechen, indem periodische Vor- günge im Leben, und zwar im gesunden wie im kranken Zustande, im All- gemeinen verfrühet und verspätet werden können. Ich erinnere in dieser Hin- sicht nur an die tägliche und jährliche Periodicität des Schlafes, an die Periodicität einzelner Organe und Systeme, z. B. der Dentition, Menstruation, Schwangerschafts verlauf, an die Störung der Periodicität in Nervenkrank- heiten und Fiebern, besonders im intermittirenden. Wie nun durch Ein- wirkung ausserer oder innerer Momente der ganze Lebenslauf eines Organis- mus, — am evidentesten der Pflanze im Treibhause, aber auch des Thiers und des Menschen, — des letztern beim sogenannten Zufrühgelebihaben, wie es den Arzten bei jungen Schwelgern und Wollüstlingen zu beobachten leider nicht ganz selten an Gelegenheit fehlt —, beschleunigt, also in seiner Nor- malperiodicität gestört werden kann; so kann auch durch unverhältnissmässige Erregung eines einzelnen Organs oder Systems, dessen periodischer Lebens- typus gestört und verfrühet werden. Auf einer solchen nicht periodischen- oder Früh - Reifung beruht es nun auch, wenn Schwangerschaft bei Kindern, oder bei zu jugendlichen Thieren eintritt. Fälle dieser Art bei Menschen sind bekannt. Blumenbach 1) führt einen Fall an, wo ein Mädchen von 9 Jahren, welches indess seit ihrem 2ien Lebensjahre schon menstruirt war, schwanger geworden ist; Fahner 2) erzählt von der Schwangerschaft eines 10jahrigen Mädchens. Gewöhnlich waren zwar solche schwangere Kinder 1) Medicinische Bibliothek. Bd. 1. p. 558. 2) System der gerichtlichen Arzneikunde. Bd. 1. p. 116. Phys. Classe II. Dd 210 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD schon vorher menstruirt, allein wir haben auch Beispiele der Art, Wo Men- struation nicht vorherging; so in einem Falle von La Motte ), welcher ein noch nicht völlig 13 jähriges Mädchen entband, bei dem, die Menstruation sich niemals eingestellt hatte. — Folgenden Fall habe ich an einem Ziegenlamm zu beobachten Gelegenheit ee Anfangs October warf eine Liege 2 Läm- mer, von denen eines, aufgezogen wurde. Als dieses Lamm etwa 14. Tage alt war, wurde es in einen Kuhstall. gesperrt, worin sich ein Ziegenbock (der gewöhnliche hiesige Springbock) befand. Das Lamm hielt sich in der Nähe des Bocks auf,. Als es gegen Ende des Winters ungewöhnlich dick wurde, hielt man es für wassersüchtig, liess es aber leben, weil es sich im Ubrigen wohl befand. In der 2ten Woche des April warf das Lamm 1 Junges. Nun sah ich. das Thier; es war klein, kaum so gross als ein gewöhnliches Lamm von diesem Alter. Das Junge war reif ausgetragen, aber sehr schwach; es sog an dem alten und wurde der Merkwürdigkeit wegen aufgezogen. Dieses Junge lebt noch gegenwärtig in einem Alter von 3 Jahren und ist eine mäch- tige, viel Milch gebende Ziege geworden. Die Mutter (das früh- trächtige Thier) hatte hinlänglich Milch, nicht allein um ihr Junges zu ernähren, son- | dern auch zum Hausgebrauch; sie wuchs nach dem Wurf bedeutend, bis zur gewöhnlichen Liegeutzrösse, ‚brachte später noch 2 mal ein Lamm — und ist vor BEE, 155 wegen Winhenchs eee Moppa: e 1 war in dima Falle, eee pers a Nähe, — Sieg Anregung von Seiten des Bocks herbeigeführt, wie denn die Schäfer meist schon die vierteljährigen Lämmer nach den Geschlechtern zu ‚sondern. ‚pfle- gen, weil die Böckchen bereits um diese Zeit anfangen die weiblichen: Lämmer, wenn auch vergeblich, zu bespringen. Auch wissen erfahrene Schafmeister, dass die Brunst der Schafer durch. en Wear mit Hören im Allgemeinen chen wird. E ste Wie degt Fa pinedes ag pi eege von, Nee Ver: gängen im Eierstock abhängen, — so auch die Geburt selbst. Pathologische Zustände der Eierstöcke zeigen zuweilen eine bestimmte, mit der Schwanger- schaftsdauer übereinstimmende Periodieität. Einen solchen. A Fall 1) Traité des Accouchemens. p. 52. sılofliilnigeg lab mate? d WE e ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER 211 erzühlt Waters 1), Eine Frau, bei der wahrscheinlich in Folge von See- bädern die Menstruation gestört worden war, litt viel an krampfhaften Zu- fällen, welche zu der Zeit, wann die monatliche Reinigung hätte eintreten sollen, von bedeutenden Congestionen zum Kopfe begleitet waren, — wess- halb seit 2 Jahren alle Monat ein Aderlass vorgenommen wurde. Allmählich entspann sich eine Geschwulst in der linken Regio iliaca und nahm zuletzt fast die Hälfte der Bauchhöhle ein. Die Brüste waren geschwollen und schmerzhaft, und hatten das Ansehen wie bei einer Frau, welche schon weit in der Schwangerschaft vorgerückt ist. Zu Ende des Jahres 1840 trat eine plötzliche‘ Entleerung einer gelblichen klebrigen Flüssigkeit per vaginam ein, welche etwa 2 gewöhnliche Nachtgeschirre füllte. Die Geschwulst war ver- schwunden und man konnte das linke Ovarium an seiner gewöhnlichen Stelle, von der Grösse einer Wallnuss, deutlich fühlen. Im Sept. 1841, also nach etwa 3⁄4 Jahren, hatte die Geschwulst fast wieder ihren frühern Umfang erreicht, die Brüste waren geschwollen und schmerzhaft, und von Neuem erfolgte eine Entleerung durch Vagina und Rectum. Aber auch zum 3ten Male erneuerte sich die Geschwulst; sie war von denselben Anschwellungen der Brüste begleitet, und entleerte sich am 15. Juni, also wieder nach etwa % Jahren auf denselben Wegen wie im September vorher. Hier war also eine vom Eierstock abhängige Periodieität, welche mit der normalen Schwan- gerschaftsdauer ungefähr gleiche Termine hielt. — Es ist bekannt und durch Beobachtungen erwiesen, dass, wenn auch der Foetus ausserhalb der Gebär- mutter liegt, dennoch zur gehörigen Zeit alle Veränderungen in der Gebär- mutter ünd Geburtsanstrengungen ähnlich einzutreten pflegen, als wenn das Kind im Uterus selbst sich befände 2), — und nicht minder ist es Thatsache, dass das Verwerfen jedesmal erfolgt, wenn Thiere im Schwangerschaflszustande castrirt werden. Wenn hieraus nun hervorgeht, dass auch die Geburt von einem bestimmten Zustande der Eierstöcke abhängt, und wenn, wie bereits bemerkt worden, schon gegen das Ende der "Schwangerschaft wesentliche Veränderungen in den Eierstöcken sich ereignen, indem namentlich gegen diese Zeit das alte Corpus luleum merklich an Umfang abzunehmen beginnt, 4) London Medical Gazette Jan, 1843. v. Froriep’s Notizen 1843. Nr. 553. 2) Gallus in Comment. Institut. Bonon. T. 2. P. 3. p. 251. Dd'“ 212 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD. so geht auch aus diesen Betrachtungen als wahrscheinlich hervor, dass der Eintritt der Geburt alsdann sich ereignet, wenn die Eierstöcke zur Reifung neuer Eier, d. i. zur neuen Menstruation, sich vorbereiten. 6. Die ungefähre Sicherheit, womit sich nach dem von mir. öl gestellten Princip die Schwangerschaftsdauer in einer grössern Anzahl bekannter Fälle berechnen lässt. — Ein durchschnittlicher Menstruations-: cyelus von 29 bis 30 Tagen ist nach meinen Beobachtungen der bei weitem gewöhnlichste, — viel gewöhnlicher als der von den Meisten angenommene 2Blägige, een nun die Zeit der Geburt mit der Zeit der zum -10ten: Male h t zusammen, so müssten bei weitem die meisten Geburten in dem Zeitraum vom 290 bis 300. Tage nach dem Eintritt der zuletzt dagewesenen Menstruation sich einstellen. Ist aber das von mir auf- gestellte Gesetz richtig, so müssten bei dem angegebenen Menstruationscyclus die meisten Geburten am 280—290., d. i. zur Zeit der Vorbereitung zur 10ten Menstruation, eintreffen. Und so verhält sich denn auch die Sache in der Wirklichkeit. Nach Merriman fallen nämlich von 114 Geburten 47 in den Zeitraum vom 275-285. Tage, welches, da derselbe von dem Tage an zählt, der auf denjenigen folgt, an welchem die Menstruation zuletzt geflossen hat — bei einer Normaldauer des Menstruationsflusses von 5 Tagen —, der Zeit vom 280-290. Tage (von dem Eintritt der letzten Menstruation), ent- sprechend ist; während hingegen in dem Zeitraum vom 290-300. Tage (nach Merriman vom 285-295. Tage) nur 24 Geburten sich ereigneten. — Ein | Menstruationscyelus von 27 Tagen ist selten, jedoch würde er schon aus- reichen, eine Geburt am 260. Tage, d. i. mit dem Anfange der 37. Schwan- gerschaftswoche zu erklären; um aber eine Geburt aus dem Ende der 43. Schwangerschaftswoche zu erklären, würde ein regelmässiger Menstruations- cyclus von nicht vollen 32 Tagen genügen. Ich muss übrigens gestehen, dass ein so später und dabei regelmässiger Menstruationscyclus mir nie vorge- kommen ist, obgleich bei unregelmässiger Menstruation gar nicht selten, und ausnahmsweise oder zu einzelnen Malen auch bei regelmässiger, wie aus mei- nen obigen Beobachtungen ersichtlich ist. Dass er übrigens regelmässig nicht vorkommen könne, will ich nicht behaupten, da man ja ein Beispiel von alle 5 Wochen regelmässig wiederkehrender Reinigung erzählt. — Da meine ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 213 Berechnungsweise aber ‚nur, ‚auf, die, normale regelmässige, übrigens nach Individualität, Alter u. dgl. verschiedene, Menstruation sich bezieht, so müssen noch fernere günstige, Beobachtungen entscheiden, wie es sich bei Menschen verhält, deren Menstruation alle 14 oder 2; Bet: wr age wiederkehrt. Wahr- scheinlich, wird, in, solchen Fällen währendi der! Schwangerschaft die Periodi- cität des Geschlechtslebens auf ber eine re „ w. entspre- chende Normalzeit regulirt, wie die Beobachtung VIII. erweiset; — oder es tritt die Geburt nicht mit der zum 10ten, sondern vielmehr, mit der zum (lien oder 12ten Male wiederkehrenden Menstruation in Verhältniss, — wie bei Weibern mit zu sehr verlangsamtem „Menstruationseyelus die Geburt, statt zur 10ten, zur gien Menstruation in ‚Harmonie, kommen kann.“ Übrigens be- trachtet man einen 14lägigen Menstruationseyelus, als krankhaft; ich beobachtete ihn oft bei Unverheiratheten, und er regulirte sich naeh der Verheirathung ; ich beobachtete ihn oft bei verheiratheten unfruchtbaren Weibern oder bei fruchtbaren gegen die Zeit der Involution; selten. bei verheiratheten frucht- baren in der Blüthezeit des Lebens. In den Fällen, in welchen mir ange- geben wurde; dass die Menstruation zu früh wiedergekommen, und zwar alle 3 Wochen, ergab sich meist, dass die Weiber vom letzten Tage einer Periode bis zum ersten der folgenden zählten, die Flusstage also in Abrech- nung ‚brachten, — bei einigen, verhielt sich aber die Sache wirklich so. -> Beobachtung VIII. Eine Frau kam am 12. Juni, Abends 10 Uhr, nie- vs die Menstruation hatte sich bei ihr im vorhergehenden Jahre eingestellt: zum letzten Male am 4. Sept. Zwischenzeit, 27 Tage vorher — 8, August, — 25 — 192198 18 775 SD- A ET War 333 en aha ee a April ee Wy EE: ab mb FIS 14114 H 42 KN] 12¹ - d GA m HETT See 25. März 5 28 — er 7 1 f ES f l TTT a E og Pebr ML -i apti mese reag dk reg — 2 27. Decemb. — 30 — be re n b — p Summa 281 Tage. 214 ARNOLD nnn 3 10 Der der Schwangerschaft vorhergehende 10malige Menstruationscyclus betrug also 281 Tage, die Schwangerschaftsdauer selbst ‘aber vom 4. tege bis zum 12. Juni 282 Tager In diesem Falle waren also ‚Menstruations- und Schwangerschaftsdauer gleieh; ja sogar wurde erstere von letzterer um 1 Tag übertroffen. Ein Blick auf die Mi forista sage ergiebt aber, dass in der letzten Hälfte des NMenstrüationseycküs due s merkliche Unregelmässigkeit statt fand, namentlich im Juli und August, wo die Reinigung a am 25. ige! wie- derkehrte. Lassen wir nun die Menstruationszeiten vom 19. Juni bis zum 4. September mit 77 Tagen weg, und setzen dahin 3 frühere dem 27. No- vember vorhergehende Perioden, welche am 1. November, am 2. October und am 1. September sich ereigneten und vom 1. Sept. bis zum 27. ‚November 87 Tage geben, so ‘wäre die Geburt um 9 Tage früher eingetreten als ein 10maliger normaler Menstruationseyelüs betrug; — oder lassen wir die un- regelmässige Hälfte des 10maligen Menstrualionscyelus, nämlich vom 23. April bis zum 4. Sepiember weg, und verdoppeln dafür die regelmässige Hälfte, nämlich vom 27. November bis zum 23. April, so würden wir einen 10maligen Menstruationseyelus von 294 Tagen haben, und die Geburt wäre somit 12 Tage früher eingetreten als dieser Menstruationscyelus beträgt. ` Dass abers die letzte Hälfte als die unregelmässige, die erste als die regelmässige betrachtet werden müsse, seht offenbar daraus hervor, dass jene mit 134 Tagen für | jede einzelne Menstruation eine Durchschnittsdauer von 1 S want 1 nüt 147 Tagen eine solche von 29% Tagen giebt. d olg une Dieser Fall beweist nun“ offenbar, dass ein der en vor- - hergehender unregelmässiger Menstrüationseyclüs Aerch die Schwängerschaft selbst auf ihr Normalverhältniss regulirt wurde. 7 Die Unsicherheit in der Cen eee, man 280 Tage aki der Tapanga Tia Tie mam den Empfängnisstag vielleicht in 1000 Fällen nicht ein einziges Mal mit Gewissheit; die Thiere aber, deren Empfängniss- und Niederkunftstag man sehr genau verzeichnet hat, beweisen, wie bereits erörtert, dass diese Berechnungsart unzuverlässig sei. Nach dem Carus'schen D Schwangerschaftskalender werden vom Tage 1) Carus Gynaecölogie. 2te Aufl. 1828. p. 86. em ÜBER DAS GESETZ DER SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 215 des Eintritts der letzten Menstruation 280 Tage gezählt, am 281. Tage er- eigne sich die Geburt (wir wollen diesen Kalender mit C. bezeichnen); der Flemming'sche 1) nimmt das Megbleiben des Monatsflusses als ersten An- haltspunkt, setzt aber 14 Tage früher — als mitilere Zeit zwischen gewesenem und weggebliebenem Monatsflusse — die- Empfängniss an (er werde mit F. bezeichnet). Nägele) rechnet von dem Tage an, wo die Frau ihre Reini- gung zum letzten Male gehabt hat, 3 ganze Monate ab und zählt dann 7 Tage zu (diese Berechnungsart möge durch N. ausgedrückt werden). Menn wir nun diese Berechnungsweisen auf die von mir mitgetheilten 7 Fälle anwenden, so würde die Geburt eingetreten sein: | obs. e eier Tag dee Ci os [Präsumptiver Eintritt der ä Bei Eintritt der letz- Menstruations- Erfolgte Geburt, {Geburt nach dem Schwan- | Nr. ten Menstruation.) fllusses. i : gerschaftskalender. LL 17. August 24. August 3. Juni 24. Mai C: en Se Š EE E) 10. Juni F. o EEN 30 31. Mai N. — — SEE REET, FTP ei ze el e ‘ ER f F II. „ 26. Septemb. e S LC Juli ? T 3. Juli i ©: Bar are 41 cb, ‚ehr Lei 18. — F. * — N. I. ı U: Aus 26. April 30. Januar 25. Januar C. Hi: eee 11 9. Februar F. „ o 3 REN ak 7 At N. C SE TI . April, ES April S Fëte ERR chen N; d i j 20. — N. V. 18. October er Gries 157. Juli 25. Juli . *** E g i 11. August F. VI. 15. Februar 1. "ges? 25. Novemb. f 2 Novemb, 2 2 1 = ka 6. Decemb. F. a TIP. BEE Un eu Pisa í ji i - 4 28 Novemb. N í "Ir * H mg E TO August Ru 12. Mai C. 1 ST siig 20. — e „ AE 7 geg i 1) Flemming, der Accoucheur. 1830. p. 4. 2) E. C. J. v. Siebold, Lehrbuch der Geburtshülfe. 1841. p. 157. 216 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD ` ` Alle drei Berechnungsarten zusammengenommen geben in den VII Fällen eine äusserste Differenz von 35 Tagen; die Flemming’sche eine solche von 25 und zwar zu viel; die Nägele’sche eine solche von 15 Tagen zu viel und 5 Tagen zu wenig = 20 Tage, und die Ca nn eine solche von 10 Tagen zu wenig und 8 Tagen zu viel = 18 Tage, — während hingegen nach meiner Berechnungsart in den Fällen I. II. III. V. Sanz an denselben Tagen, in den Fällen IV und VII. hingegen 1-2 Tage nn im gung VI. wg 1 Tag früher die Schwangerschaft beendet war. 8. Die Unsicherheit in der Lehre von. der Friis und iniia — Die Frage über den äussersten Termin der Spätgeburt beim Menschen ist zwar oft erörtert, aber nie genügend beantwortet; solche Arzte, welche man ihrer Erfahrung gemäss zu Untersuchungen über diesen Punkt für besonders befähigt hielt, wurden vom höchsten Tribunal in London veranlasst die Frage zu entscheiden; aber ihre widersprechenden Angaben haben den Gegenstand vielmehr verdunkelt als aufgeklärt. Zwölf englische Geburtshelfer gestan- den die Möglichkeit der Spätgeburt zu. Fünf leugneten sie: die Zeit der Schwangerschaft sei eine bestimmte uud feststehende, — wobei das sonderbare Ereigniss vorkam, dass jeder dieser letztern 5 Herrn einen verschiedenen als von der Natur in dieser Hinsicht angeordneten Zeitraum bezeichnete. Spät- geburten nennt man aber in der gerichtlichen Medicin solche Geburtsfälle, wo die Leibesfrucht über die regelmässige Zeit von 40 Wochen oder 280 Tagen im Mutterleibe geblieben sein soll 1). Indess ist es ja durchaus nicht ausgemacht, dass die Normaldauer Cer Schwanger schaft, vom Tage des fruchtbaren Beischlafes an, 280 Tage sei; Merriman fand zwar unter 114 Geburten 9 am 280. Tage eintreffen, indess rechnete er ja nicht von jenem Termine. an, sondern Tage, an welchem zum letzten male die Menstrua- tion geflossen hatte. Die oben mitgetheilten Beobachtungen an Pferden, Kühen u. s. w. aber zeigen vollends das Unhaltbare einer solchen Ansicht, nach welcher von Merriman’s 114 Fällen 51 als Spätgeburten zu betrachten sein würden. Aus den von mir mitgetheilten Beobachtungen leuchtet aber hervor, dass der Begriff von Früh- und din e sehr relativ ist. Die Niederkunft igsi 1) A. Henke a. a, O. p. T0 de ob Handel wer ÜBER DAS GESETZ DER SC FTSDAUER. 47 der Frau, welche einen Menstruationscyelus von 285 Tagen hatte, iraf am 273. Tage ein, und diese Niederkunſt war eine vollkommen rechtzeitige. Wäre die Geburt an diesem Tage bei den Frauen eingetreten, deren Menstruations- cyclus: 303 Tage betrug, so wäre das eine Frühgeburt gewesen, während umgekehrt die rechtzeitige Niederkunft dieser Frauen, respective am 290 und 291. Tage, für jene eine Spätgeburt gewesen sein würde. Soll hinfüro von Früh- und Spätgeburten die Rede sein, so ist zuvor der Menstruationscyclus einer in Frage‘ stehenden Frau auszumitteln. Wäre in dem von Burns D mitgetheilten Falle von regelmässiger 35tägiger Menstruationszeit Schwanger- schaſt eingetreten, so hätte sich nach meiner Rechnungsweise die Geburt, wenn sie nicht etwa mit einer frühern Menstruationsperiode, vielleicht mit der gien oder Sten in Verhältniss getreten wäre, am 330-335. Tage ereignen können, und sie wäre eine rechtzeitige, aber keine Spätgeburt gewesen, — und dennoch würde dieser Fall, wenn er gerichtlich geworden wäre, nicht allein zu den grössten Zweifeln, sondern wohl gar zu den härtesten Anwen- dungen der bürgerlichen Gesetze haben die Veranlassung geben können. Mende 2), welcher den zum 10ten Male erfolgenden Eintritt des Men- strualreizes als die wahrscheinliche Ursache der Geburt betrachtet, nimmt zur Erklärung der Spätgeburt entweder einen gänzlichen Mangel dieses Menstrual- reizes, oder eine nicht hinlängliche Wirksamkeit desselben an. Wenn nun derselbe zum 10ten Male gänzlich mangelt, so würde der von Neuem eintre- tende, also der 11te Menstrualreiz, die wirkliche Geburt dann mit Gewissheit herbeiführen. müssen. Hiernach nimmt er denn, da sich bei gesunden Frauen die Wiederkehr des Menstrualreizes nicht wohl über 28 Tage hinauserstrecke, was jedoch eine irrige Meinung ist, 28 Tage als den längsten Zeitraum der Verspätung einer ordentlichen Schwangerschaft, d. h. einer solchen an, ‚wo sich die Frucht im Uterus befindet. Dass nun aber auch in solchen Fällen, wo zum 101en Male der Menstrualcyelus sich nicht einstellte, sondern erst zum I Iten Male sich ereignete, die Geburt nieht mit dem Zeitpunkt des Ein- tritts wm 11ten Menstruation, nach 10maligem Ausbleiben, sondern vielmehr 1) Principles of Midwifery. Edit. 7. p. 168. 2) A. a. O. p. 305. g Phys. Classe II, Ee 218 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD ` vor dieser Zeit, also zu einer Zeit, in weleher im Eierstock ein neues Be- streben zur Reifung eines Eichen e ee sich . leuchtet aus dem folgenden Falle hervor. TET | pe IX. Eine Frau von 32 Jahren ih am 27. een Mittags, nieder. Die ee ae hatte sich bei ihr im e- wee eingestellt: Erle . * zum letzten Male am 4, Neeb ‚Hrikchengeih 28 re ‘i vorher — 7. Detebh > "HI — | inan asig! aech 26 105 d eee. August ui h „ boten. Jun 301 - VER um . Jun — 28 — % 20. Ma: —òkZ 30 I 20, April 26 "os — — 25. März — 26 — a aeg B= Ee — 26 — Summa 276 Tage Der Mëtte loan lone, betrug also 276, die Schrangeschan hingegen 297 Tage. | Wäre hier die Geburt einer 10 Wë Menstruationsperiod 3 gewesen, so hätte sie am 6. August sich ereignen müssen, nach meiner Be- rechnungsart aber um etwa 12 Tage früher, also am 25. Juli, d. i. am 264. Tage. Nehmen wir aber an, dass, wie es wirklich geschah, die Einleitung zur 10ten Menstruation nicht stattfand, dass also mit der nächsten, d. i. der Den Menstruation die Geburt in Verhältniss kam, so zeigt sich auch hier, dass sie nach dem von mir aufgestellten Gesetze nicht zu der Zeit eintraf, wo die Menstruation, nachdem sie 10 mal ausgeblieben war, zum (iren Male hätte eintreffen müssen, sondern vielmehr zu der Zeit, wo die Eierstöcke zur 11ten Menstruation sich vorbereiten. Der 11te Eintritt hätte sich nämlich in diesem Falle, wo ein 27 -28tägiger Menstruationseyelus stattfand, am 3. Sep- tember ereignen müssen, während hingegen die Geburt am 27. August, d. i. am 8. Tage vor jenem Eintritt erfolgte. — Dass hier die Geburt, statt der + ÜBER DAS GESETZ DER ‘SCHWANGERSCHAFTSDAUER. 219 obigen Mittelzabl von 12 Tagen, nur 8 Tage früher eintrat, mag wohl in dem verzögerten Erwachen des Geschlechtslebens in solchen Fällen überhaupt seinen Grund haben, und hätte sich ein solches Erwachen noch einige Zeit hingezögert, so wäre wahrscheinlich die Geburt zur 12ten Menstruation in Verhältniss gekommen, und also erst nach etwa 4 Wochen erfolgt, — wie denn auch mehrere erfahrne Geburtshelfer, namentlich F, B. Osiander 1), die Möglichkeit der Fortdauer der Schwangerschaft auf “1-3 Mondsmonate über die gewöhnlichen 40 Wochen” zugestanden haben, — und auch Mende 2) eine solche Möglichkeit nicht allein bis zu dem von ihm zuvor bestimmten 308., sondern über diesen hinaus, bis zum 322, Tage zugiebt, Merriman aber unter 114 Geburten 2 am 306ten Tage nach der letzten Menstruation, d. i. etwa 311 Tage nach dem Eintritt der letzten Menstruation beobáchtete, welches‘ 31 Tage über 280 Tage beträgt. Hiernach würden denn die Begriffe Früh-, IRRE und Spät- Geburt eine andere als die bisherige Bedeutung -bekommen: zeitige Geburt wäre diejenige, welche mit der 10ten, Frühgeburt diejenige, welche mit der 9ten oder einer frühern, Spätgeburt aber diejenige, welche mit der 11ten oder einer spätern Menstruationsperiode im Verhältniss steht. Wie aber die Men- struationsperioden in den verschiedenen Individuen verschieden lang oder kurz sind, so muss, als hiernach sich richtend, auch die Schwangerschaft, möge sie recht-, r oder re sein, eine verschiedene ze oder kürzere pes haben. agi Aus e „ Allen hs ER nun aber folgende Schlüsse: 31 Der Eintritt der Geburt steht, wie bereits von Andern angenommen, mit der nach 9maligem Ausbleiben, zum aden Male wiederkehrenden Men- struationszeit im Verhältniss. II. Die Geburt tritt nicht ein, wenn die während der ‚Schwangerschaft ausgebliebene Menstruation zum 10ten Male eintreten und sich wh äussern müsste, sondern vielmehr HL tritt, die Geburt ein, wenn Lëck 2 ët zu du zum. 10ten 75 be Ba. The. p. 340. 2) A. a. O. Bd. 2. p. 316. 220 ARNOLD ADOLPH BERTHOLD Male wiederkehrenden Menstruation vorbereitet, — sie tritt also früher als die 10te Menstruationsperiode ein. IV. Wie die Menstruationsperioden nicht nur bei den versien Weibern überhaupt, sondern auch in den verschiedenen Lebensaltern, oder nach sonstigen Umständen derselben Individuen sich richtend, merklichen Schwankungen unterworfen sind, so schwankt auch, denselben Verhältnissen entsprechend, die Dauer der Schwangerschaft; jedoch i immer nach dem Men- struationscyelus sich richtend. V. Es kann demgemäss nach dem Menstruationseyclus i im speciellen Falle die Schwangerschaftsdauer berechnet werden. VI. Zu dieser Berechnung ist aber die Kenntniss der Dauer eines ein- zelnen Menstruationscyelus nicht ausreichend, sondern vielmehr muss dazu ein 10maliger der Schwangerschaft vorhergehender Menstruationseyclus bekannt sein, weil bei sehr regelmässig menstruirten Weibern monatliche Schwankun- gen um einen oder einige Tage sehr häufig sind. VII. Wie aber die einzelnen monatlichen Menstruationszeiten 3 so kann auch ein solches schwaches Schwanken um einige Tage in den Ver- hältnissen zweier auf einander folgender 10maliger Menstruationscyclen statt haben, und dadurch ein Unterschied von einigen Tagen zwischen dem der Schwangerschaft vorhergehenden 10maligen Menstruationscyclus und dem während der Schwangerschaft angenommenen 10maligen Menstruationseyclus sich ereignen, wodurch die og eee um er -a min oder verkürzt werden kann. - VIII. Um bei regelmässig menstruirten Weibern mit grösster Wahr- scheinlichkeit im Voraus zu bestimmen, wann die rechtzeitige Geburt eintreten wird, sind eben so viele Tage für die Schwangerschaft zu rechnen, als für den vorhergehenden 10maligen Menstruationscyelus bekannt sind; werden nun von dieser Tagezahl, je nachdem sie kleiner oder grösser ist, 10-14 Tage, oder im Durchschnitt 12 Tage abgezogen, so ist in den regelmässigen Fällen die Geburtszeit gefunden, mag diese Zeit hinter den eingebildeten sogenannten 280 Schwangerschafistagen bedeutend zurückbleiben, oder über dieselben be- deutend sich verlängern. * É ÜBER Das GESETZ ‘DER! SC iRSCHAFTSDAUER. 21 IX. Nach meinen bisherigen Beobachtungen schwankt nach meiner Be- rechnungsart bei einem 10maligen Menstruationscyclus von 285 bis 303 Tagen, und bei einer Schwangerschaftsdauer von 273 bis 291 Tagen der gesetz- mässige Termin der Geburt nicht oder nur höchstens um 4 Tage, während hingegen für eine solche Schwangerschafisdauer nach den bisherigen gewöhn- lichen Rechnungsweisen überhaupt ein Schwanken um 35 Tage, nach jeder einzelnen aber um 25 oder 20 oder 18 Tage statt hat. X. Die vorstehenden 9 Sätze finden nur bei regelmässig Menstruirten Anwendung. XI. Die Begriffe Früh-, zeitige- und Spät-Geburt sind sehr relativ und bekommen in den speciellen Fällen nur nach Massgabe der en Men- — strualionscyclen ihre Bedeutung. XII. Bei den Säugethieren und auch hei Menschen wird das normale periodisch sich steigernde Eierstockleben während der Schwangerschaft durch einen besondern Bildungsprocess am Eierstock, d. h. durch die Metamorphose des Corpus Zeen beschränkt, und dadurch die Thätigkeit des Fruchthälters von den gewö lischen Vorgängen im Eierstock unabhängig, und dadurch We Föridsner ST Schwangerschaft, nebst allen Vorgängen, welche ‘während derselben am Foetus und dessen Nest, d. i. am Uterus sich ereignen müssen, gesichert. 'ARNOLD/ADOLPH/BERTHOEDI SiG. 222 d (it TC SUN HIIR r rü, ip int (rte em 8 = v — : — Si — + E Das 30 oo eee ti dg. Bal 5 Schaf 2 BER 2 E 12:1... 8 Rer ` ER J Ke Blend ien, e e ar 8 Ki S 2 8 g eb. ei KZ i RE vi ER i K : Sri l S ug 11 KÉ 13 ice! ëm Sri Nr. Like. need de ibi bsh ed el saia Ap) le 1. 18344 % % 41 19041 ma? 442 942 [dma] o: 2 42. 2/8 43 146 | d igen TE e e "© tr, 1% 41 [7504119 147 R * RS 207% 41 20% 41 147 % 42 42 J ° 4. 1835] 1% SG 41 0 410K 151 5. 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A, el asb 1911 + ine 6 SE 1211 J. 2 Dez: SS 2 St Ltr x if R 7 j" + 1 * HIR ARD „14g Ng POD SMAUG MPD IHSA -JM 103994 De SIE KS * Í f r le 2 F; rito Yy 5 her e G dE „ I Senn I BIERURETEEIST yilyildiaer 9 29115 La 285 E rklärung zur Tabelle. Die Tabelle über die Schwangerschaftsdauer der Schafe, welche ich der Güte des Herrn F. Ernst auf dem Klosteramt Wiebrechishausen verdanke, und in die nur solche Schafe aufgenommen sind, welche wiederholt trächtig waren, giebt folgende interessante Aufschlüsse. 1. Die meisten Geburten fielen am 147. Tage (s. oben p. 100% 2. Die Schafe, welche nicht aufgenommen haben, wurden meist nach 16 Tagen (also am 17ten Tage) wieder böckisch, — genauer aber 2 (Nr. 7 und 12) am 16ten, — 8 (Nr. 4. 6. 6. 6. 10. 10. 12 u. 22) am 17ten, — 2 (Nr. 6 u. 22) am 18ten, — 1 (Fr. 13) am 19ten,— 1 (Fr. 17) am 26sten, — 1 (Nr. 20) am 30sten, — 1 (Nr. 1) am 35sten, — und 1 (Fr. 17) am 9östen Tage. 3. Ein trächliges Schaf kann wieder böckisch werden (Nr. 20 am 30sten Tage). 4. Die ee, eg richtet sich nicht nach dem Alter des Schafes. - 5. Die Schwangerschaftsdauer richtet sich auch nicht darnach, ob die Thiere schon mehrere Male trächtig gewesen sind oder nicht. Aber 6. manche Schafe (Nr. 1. 3. 11. 12. 19. 20. 22) haben es in ihrer Natur, im Allgemeinen kurz, — andere (Nr. 13. 14. 15. 17. 18), im Allgemeinen lange zu tragen, noch andere (Nr. 9. 10. 16) variiren in dieser Hinsicht merklich. + 224 ARN. AD. BERTHOLD) ÜBER D. GESETZ! D. SCHWANGERSCHAFTSDAUER. Anmerkung. In der 3. 4. 6. 7. 9. und 10. Rubrik bedeutet die Zahl vor dem Strich das Datum, die hinter demselben den Monat, die letzte aber das Jahr (z.B. 1%, 41 heisst am 19ten Mai 1841); in der 5. 8. und 11. Rubrik bedeutet die Zahl die Summe der Trächtigkeitstage, das Zeichen d das männliche, 2 das weibliche Geschlecht, m Zwillinge. "Untersuchungen, über das, Chinon 8 Hils oe das IdKid big F. Wöhler: r 50 fy UA asarda no 11 ) DI G sustina „Der Königl. Societät — — SW Junius 1844. OG u mob ler d ob 136 K bn Hisierıd %u Dat Usher das Verhalten der Chinasäure in hoher Temperatur sind nur durch Pelletier und Caventou einige Beobachtungen bekannt geworden 1), Diese Chemiker erhielten bei der trocknen Destillation der Chinasäure einen dente sauren Körpers dem der Name. taking eme der mn ei N Natur zum ee eines in San ame zu machen versuchte, wurde ich auf die Entdeckung einer Reihe von sehr merk- würdigen Verwandlungs.- Verhältnissen. geführt, die, wie es sich sogleich zeigte, zu dem von Moskresensky beschriebenen Chinon 2) f in so naher Beziehung standen, dass dieses sich zum eigentlichen Ausgangspunkt der Untersuchung gestaltete. Die Resultate derselben habe ich die Ehre >in sm e, der Königlichen Societät vorzulegen. 1. ‚Destillationsproducte der Chinasäure. Erhitzt ee ` Chinasäure in einer Retorte, so schmilzt sie und fängt bei ‚ungefähr 2800 an u und braun zu werden, unter beständigem Fa Ianührend theils SCH di TE Jiii 1 an 137 S Br Annales de Chimie, et, Fh Pes T. 15. p. 341. 2) Annalen der Chemie u. Pharm. 27. p-268. Der von W. für —— Körper BE. TAN Name Chinoyl kann nicht beibehalten werden, da mit der Endi- ‚gung D ‚allgemein ein, organisches Radical. bezeichnet wird, was das Chinon ncht ist. Leh gebe daher dem letzteren, von Berzelius vorgeschlagenen "9225 Bang" den Vorzug Phys. Classe IT. Ff 296 F. WÖHLER von Wasser, theils von der Entwickelung eines blassblau brennenden Gases. Bei weiterer Erhöhung der Temperatur erscheint im Halse der Retorte ein gelbliches Sublimat, bestehend aus einer Verwebung von ziemlich langen, durchsichtigen Prismen, die allmälig wieder schmelzen 1478 öligen Streifen TE als ein Liquidum BP däs in der Vorlage zu einer blassgelben, undurchsichtigen, körnigen, sehr leicht schmelzbaren Masse erstarrt. Der Rückstand in der Retorte wird, zuletzt braunschwarz und bläht sich so stark auf, dass die Operation nicht ganz bis zu Ende getrieben werden kann. Das so erhaltene Destillat ist ein Gemenge von mehreren Körpern; es enthält, ausser einer nicht näher untersuchten theerarligen Substanz, Benzoe- Bäure, Carbolsäure, salicylige Säure, Benzol und als Havptbestandtheil einen neuen, krystallisirenden Körper, den ich unter dem Namea 1 Hydrochinon weiter unten näher beschreiben werde. za! ` Die Trennung dieser Stoffe wurde auf folgende Weise bewirkt: das Destilat wurde mit Hülfe von Wärme in wenigem Wasser gelöst, wobei sich ein unangenehm riechender, dunkelbrauner Theer abschied, der abfiltrirt wurde. Beim Erkalten setzte sich aus der Lösung eine krystallinische, un- durchsichtige Substauz in Menge ab, die abfiltrirt, ausgepresst und dureh wiederholtes Auflösen und Behandeln mit Thierkohle in farblosen, dünnen Blättchen und Nadeln krystallisirt erhalten werden konnte. Es war Benzos- Kane wie noch zum Ueberfluss durch die Analyse bestätigt wurde. Die von del Benzůoksäure abfiltrirte Flüssigkeit roch stark empyreumatisch nl schmeckte süss. Sie wurde der Destillation unterworfen, so lange als noch ein Oel überging und das Destillat noch: sauer reagirte und brennend süsslich schmeckte. Das übergangene Oel war gelb und schwerer als Wasser. Das ganze Destillat wurde mit Kalilauge versetzt, worin sich das Oel fast ganz löste, und die ganze Flüssigkeit abermals der Destillation unterworfen, bis das Wasser nicht mehr milchig überging. Das Destillat war nun neu- tral; das darin in kleiner We enthaltene od ne air "Eigenschaften vom Benzöl. = HERE Die zurückgeblieben Kalılösung war braun. Sie Wurde mit DE Schwefelsäure gesättigt, wobei sie milchig wurde, und. so lange desfillirt, als noch ein mit Oel beladenes . Wasser überging. 7 W e Wasser M sasoi. X i UNTERSUCHUNGEN’ ge DAS CHINON. 227 reagirte stark auer, schmeckte wpiabin- brennend und roch wie Carbolsäure ind zugleich etwas bittermandelartig- Es enthielt in der That Carbolsäure vermischt mit etwas sclicyliger Säure. Durch Erwärmen löste sich die in Oelform abgeschiedene Portion dieser Säuren wieder klar auf. Diese Auf- lösung wurde mit basisch essigsaurem Bleioxyd versetzt, wodurch ein sehr dicker; wie geronnener, blassgelblicher Niederschlag entstand, der beim Trocknen nach jenen Säuren zu riechen anfing. Die davon abfiltrirte Flüssig- keit gab nun auf Zusatz von Ammoniak abermals einen starken, schweren, aber ganz weissen Niederschlag, der beim Trocknen stark nach Carbolsäure roch. Er war büsisches carbolsaures Bleioxyd und gab bei der Analyse 71,3 Prob. Bleioxyd (statt 72,4, wie die Formel Pb2 + C128 0 voraussetzt). Der erste Bleiniederschlag dagegen musste offenbar salicyligsaures Bleioxyd beigemengt enthalten, wie eine Elementar- Analyse, seine gelbe Farbe und auch der mehr bittermandelarlige Geruch der daraus abgeschiedenen Säure zu beweisen schien. Mit Eisenchlorid gab sie eine schön schwarzblaue Reaction: Das weisse Bleisalz dagegen bildete mit Schwefelsäure eine purpurrothe, bald smäragdgrün werdende Flüssigkeit, und die mit verdünnter Schwefelsäure daraus abgeschiedene ‚Carbolsäure hatte vollkommen den eigenen, castoreum- arligen Geruch, sie färbte ein mit Salzsäure benetztes Tannenholz sehr schön blau, mit Chromsäure wurde sie schwarz, und sowohl beim raschen Ver- dünsten ihrer Aetherlösung als auch bei Behandlung mit en bee, konnte * in farblosen Prismen krystallisirt erhalten werden. : Die braune Flüssigkeit, aus der ursprünglich diese öligen Säuren abde- Lem worden’ waren, gab bei weiterer Concentration noch mehr Benzo&säure in braunen Krystallwarzen. Die letzte Mutterlauge davon wurde beim Ver- mischen mit Wasser milchig und setzte eine braune, schmierige, empyreuma- tische Substanz ab, die abfiltrirt wurde. Nun gab die Lösung nach aber- mäligem Verdunsten eine beträchtliche Menge eines in langen Prismen kry- stallisirenden Körpers, der durch Umkrystallisiren gereinigt wurde. Diess war das farblose Hydrochinon. Bevor ich es näher beschreibe, ist es ge von der Zusammensetzung des Chinons zu reden. 2. Chinon. Für das Gelingen seiner Darstellung müssen die von Wo shared *7 vorgeschriebenen Gewichtsverhältnisse von Chinasäure, Ff2 228 O. SE WH be erter) Braunstein und Schwefelsäure genau beobachtet werden. Die Masse dach keine dünne Consistenz haben, sie steigt sonst unvermeidlich über. Mehr als 100 Gramm Chinasäure oder deren Kalksalz auf ein Mal zu nehmen, ist nicht rathsam, weil sich die Masse sonst zu stark erhitzt und trotz der besten Ab- kühlung viel Chinon von dem starken heissen Kohlensäurestrom fortgeführt wird. Die Bereitung gelang auch ganz gut mit einem aus einer Chininfabrik erhaltenen syrupförmigen chinasauren Kalk, aus dem auf keine Weise weder das Salz noch die Säure krystallisirt zu erhalten war. Man nimmt am besten einen sehr geräumigen Kolben in Verbindung mit einem weiten, 6-8 Fuss langen Glasrohr, an dessen unteres Ende ein Glaskolben angelegt wird. Dieser und das Rohr müssen möglichst gut abgekühlt erhalten werden. So- bald durch einige untergelegte Kohlen die Reaction einzutreten anfängt, nimmt man das Feuer sogleich wieder weg, weil nun die Masse sich hinreichend von selbst erhitzt. Das Chinon setzt sich grossentheils im Rohr in prächtigen gelben Krystallnadeln; sublimirt ab. In die Vorlage geht eine gesättigte Lösung desselben über, stark sauer von Ameisensäure. Mit dieser Flüssigkeit spült man die Krystalle aus dem Rohr heraus, bringt sie auf ein Filtrum, lässt noch einige Mal Kaltes Wasser hindurchlaufen, presst die Masse und Vest sie über Chlorcalcium unter einer Glocke trocknen. In Betreff der allgemeinen Eigenschaften dieses — Körpers habe ich dem, was Woskresensky darüber angegeben hat, nichts Wesent- liches hinzuzufügen. Es gibt wohl wenige Stoffe, die eine so grosse Kry- stallisations-Fähigkeit haben, wie das Chinon. Bei der Sublimation erhält man selbst mit kleinen Mengen zolllange Krystalle. Nach dem Schmelzen erstarrt es höchst krystallinisch. In siedendem Wasser ist es sehr löslich mit gelbrother Farbe und krystallisirt dann beim Erkalten in sehr langen, aber undurchsichtigen Prismen, die auch etwas dunkler und weniger schön gelb sind, als die durch Sublimation gebildeten. Diess hängt wahrscheinlich mit einer Veränderung zusammen, welche es allmälig in Auflösung erleidet, wobei diese immer dunkler wird und zuletzt eine schwarzbraune, huminartige Sub- stanz absetzt. Seine Auflösung färbt die Haut unabwaschbar braun. Es ist so flüchtig, dass es sich schon bei gewöhnlicher Temperatur von einer Seite des Gefässes zur andern sublimirt. Es hat einen sehr starken, Nase und UNTERSUCHUNGEN: UBER Das CHINON. 229 ) Augen reizenden Geruch, der noch lange eine ähnliche eee wie Jod . Chlor hinterlässt. (iss Motzi TY vm ai nam nor, nah etd Aus den Resultaten dreier sehr gut übereinslimmender ber be- Be Woskresensky diestelatiye — — des Chinons ee meda nach späterem Untersuchungen ) scheint er als den Ausdruck des ab ichts dio Bormel; CRO anzunehmen: Allein der geſundug — in allen Analysen grösser, als der nach jener Formel berechnete. Dieser Umstand, so wie die mit, dieser Formel weniger gut in Einklang zu bringende — der folgenden Verbindungen, machte es mir- wahrscheinlich, dass ri däs Chinon einen andere Formel be- rechnet werden müsse. Zunächst machte ich selbst noch eine Analyse davon, und zwar, um die durch seine Flüchtigkeit möglicherweise e rene zu vermeiden, auf die Art, dass Chinon, in einem schifflörmi geschmolzen, mit Hülfe von bech heiss; sinpefällttm: Kipferonyd in einem Strom von wasser- ‚und: ‚I rei gas verbrannt wurde. Diese Methode habe Sch, auch benden olg ud en KG pern angewendet, und für fücht . Körg > der Art iistisie gewiss W d sicherste. re 0,5155 Grm. Chinon gaben 1,272 Kohlensäure und 0,172 Wasser-. Die hieraus berechneten Zahle iin iiit den aus Wobkresenskyss bëssen ‚berechneten: “Miuelzahlen. Gch G = 75,12 umgerechnet) sehr nahe überein, geben indessen noch, 0,28 Procent ‚Kohlenstoff mehr. Diess ent- spricht am besten der Formel ‚0254308, die, wie ich glaube, als der rich- tigere Ausdruck für ‚die ‚Zusammensetzung des Chinous ängenommen werden muss, muss. ur- Uebersicht negen und die meer Zahlen benden ene Bii A Hi Iai e e HE fisile besser iti us 23 nin Mios kees We — 1 HD ben Koblenst NO! ri! L gag wem däi bel nung gelt A0 ii He 28 N 1 id dur de aba, alaeo fle: 20 1 n , 98. 48, 8 nn nM ‚Hy 'ydröchi inom Dieser Körper ist, wie bereits erwähnt, das Hauptpraduet wen der anpas * weg mg an me? der — Dréi Sack nl sdra tiso ach? EI CH ker res —— i zA dra oo BET 230 C SLOFAMÖHHRETHOVEAAT/ U grössten Leichtigkeit’ kann es aber auch unmittelbar aus Chinon hervorge- bracht werden, wenn man diesem Wasserstoff zuführt. TED Es entsteht, wenn man eine gesättigte Chinonlösung mit Jod wasserstoff. säure vermischt, wobei sich die Flüssigkeit durch Abscheidung von Jod 80 gleich braun färbt. Beim Verdunsten bleibt es in färhlosen n Mari Ess entsteht ferner; wenn man in eine Chinotiläsung Tellur leitet, wobei sogleich reines Tellur als graue schwammige atish gefällt e Aus der abfiltrirten farblosem en Be Nerden ag Hydrochinon. % ob gunsten, HH sci An Beste bereitet mut; 6b iiai man in’ Wie Warm gesäitigtes Ohiko lösung, worin noch ungelöstes Chinon suspendirt sein kann; schwefligsäures Gas leitet, bis die Lösung enifärbi oder alles Chinon aufgelöst ist- Nach dem Verdunsten in ge Wut ee das Hydrochinon, ohne dass die schwefelszureb ge zersetzend darauf einwirkt. Uebrigens kann man auch des Schwefelsäure durch feingeriebenen kohlensauren Baryt wegnehmen. Man bringt! die Krystalle auf eh Filtrum, lässt sie auf Lösch- papier trocknen und reinigt sie durch Sieg mai — Troeknes rn saures Gas ist ohne Wirkung auf Chinon Das Hydrochinon krystallisirt in farblosen, 3 regel mässigeh: sechsseitigen Prismen mit schief angesetzter Endflache; es ist ohne Geruch, es schmeckt süsslich, reagirt nicht sauer, ist in Wasser und Alkohol leicht löslich, und bedeutend mehr in der Wärme. Seine ene meng sich allmälig an der Luft braun, daher es auch nieht leicht gelingt, ganz farb- lose Krystalle zu Erhalten. Es ist leicht schmelzbar und erstarrt sehr kry- stallinisch. In einem Rohr erhitzt, zieht es sich an den Wänden hinauf, aber zwischen zwei Schalen geschmolzen, sublimirt es sich in glänzenden Krystallblättern ganz wie Benzo&säure. Plötzlich: über seinen Verflüchtigungs- punkt erhitzt, zersetzt es sich partiell in Chinon und in grünes Hydrochinon. 3 Mit Ammoniak färbt sich die Lösung des Hydröchinons an der Ober- fläche sogleich braunroth, was sich dann rasch dureh ie gaze Flüssigkeit fortsetzt. Beim Verdunsten bleibt eine bräutte, "Huminähniliche" Masse} die ich nicht näher untersucht habe. Essigsaures Bleioxyd wird von der Hydro- chinonlösung nicht gefällt. Mischt man aber allmälig verdünntes Ammoniak UNTERSUCHUNGEN | ÜBER DAS CHINON. 229 hinzu, so entsteht eins sehr volaminöser, blassgelber, Niederschlag, der nach kurzer, Leit unter der Flüssigkeit sehr zusammensi ba, sielen ein gelb- .gehassischwsres, Paper verwandelt E besteht, nicht, aus Krystallen, sondern aus jmikroskopisc Kügelchen. Es war nicht, ohne Ver- änderung zu ‚erhalten ` Aen T roçknen, wurde en, Get. braun und roch: nach Chinon. Bei der Auflösung in verdünnter Salpetersäure hinterliess es eine huminähnliche, Substanz. Mit salpetersaurem Silberoxyd. übergossen, bedeckte es sich mit Krystallblättchen von reducirtem Silber, „ein Umstand, der zu beweisen, 3 Zog es weg ‚einen Antheil „unyerändertes Hydrochinon enthält mib fuk m deiner s7 (ad ea tsho bosch ı „ Eine Lösung. von, essigsaurem Kapferer lacht sich; mit Hydrochinon- Lösung sogleich, ‚tief, safrangelb. Beim Erhitzen scheiden. sich. daraus, rothes n ab, unter Verſlüchtigung von Chinon. Die Analysen poni Tagen, ‚gaben, folgende 3 — un Sung, nasty or go Ebi tus rëm 5 i „1. 2,0,4625 Grm., Ale mit Zune verbrannt, vin 1105 6 ge 02285 l. I "daag era ̃/ĩè sib tenoa Horr rg insehiff geschmolzen und eng. mie t Anwendung von Sapoti TEEN en n. und eg H. CCC en Em IF | U. 1025208 Hai er + Kakilenstoft; „65,80 66,02 em lid Wasserstoff, 5,55 e BO bene, Gade sure vie: 28.65 238.47 = 20.29. ee Körper ist also — 4 Aequiv. Wasserstoff. D arina tree Diese mee Substanz entsteht, wenn man der vorhergehend ässerstofftsentzieht oder dem Chinon Wasserstoff im Ausscheidungszustand rührt, aber nicht so viel, dass sich das farblose Hydroghindn — In allen Fällen, wo das grüne entsteht, scheidet indem sich die Flüssigkeit momentan schwärzlichroth karbrs und auf e ein Mal mit den —. zen ae mg Pris: 3 ; Ä Baur zuge een 7 — fiene L I — ind von Hini er nie 232 OH AA. MHD men BR die selbst bei kleinen Mengen wicht selten zolllang werden. Sind die auf einander wirkenden Flüssigkeiten zu verdünnt, so scheidet es sich nicht ab, es zersetzt sich dann und man bemerkt den Geruch des Chinons“ Man Ehe die Krystalle ab, wäscht sie aus und Beat sie an der Luft oder über Schwefelsäure — lch Habe Mes Arten seiner m 1 d anäsataglk A, 4% nnübser ui Zuusöllu zb til -no Aus dem Surbhoskii nen entsteht dien, leichtesten ünd sieher wenn man in diese — oder sie mit r Sapadia sal- pelersaurem Silberoxyd oder chromsaurem Kali vermischt. Aus dem Silber- salz wird dabei Silber metallisch gefällts aus dem chronisauren Salz grünes Chromoxyd abgeschieden. ` Es entsteht sogar; wenn man mit jener ze nee oder Thierköhle beitetzt und der Luft atissetz t. Aus dem Chinon erhält man es, wenn tan seine gesättigte Lösung mit * Säure vermischt, die man zur Bildung von grösseren Krystallen auf ein Mal, jedoch nur in solcher Menge zusetzen miss, dass noch etwas Chinon unverändert bleibt, weil sonst die Wirkung weiter geht bis zur Bil. dung des farblosen Hydrochinons. Die ameisenszurehaltige Chinonlösung, die man bei der Bereitung des Chinons erhält, verwendet man sehr zweck- mässig zu dieser Darstellung des grünen Hydrochinons; das farblose ist damit weniger leicht zu bekommen. il GE Es bildet sich! ferner, wen man die Chinenlösung allmälig mit Zinn- chlorür vermischt, oder wenn män Krystalle von schwefelsaurein Eisenoxydul hineinlegt, oder wenn man, nachdem man sie mit Schwefelsäure schwach sauer und leitend gemacht pg Zink‘ hineinstellt oder den galvanischen Strom hindupghletet.i., ad: wo Jri 5110 2 32 1H GUN NI Bart 3 1 D W be dg ee Ai weise. fen -grüinen Huilrüchämems igt dleoduneb EE Le REIN ALLAN Seene ‚Einwirkung des n u Aesiifßhindnssieu Vermibcbf aan die Lösungen beider, so vereinigen sie sich abgenhlicklich; TETA grünen Krystallen, ohne Bildung eines andern Products. Aehnlich wirkt n welches dabei in Alloxan nge wsaddelt, Wind. ob iim 1 I nis dus bau tiii Das grüne Hydrochinon ist einer der schönsten Stoffe, welehe die organische Chemie aufauweisen hat.“ Es ist dem Murexid' sehr ähnlich, über- UNTERSUCHUNGEN UBER DAS CHINON. 233 trillt es aber wohl noch an Glanz und Schönheit der Farbe. dë, ähnlichsten ist es hierin dem metallischen Goldgrün der Goldkäfer oder der Colibrifedern. Die Krystalle sind stets sehr dünn, aber oft sehr lang. Bei starker Ver- grösserung zeigen sich die feineren mit einer rothbraunen Farbe durchsichtig. Es hat einen stechenden Geschmack und einen schwachen Geruch nach Chinon. Es ist leicht schmelzbar zu einem braunen Liquidum und sublimirt sich dabei partiell in grünen Blätichen, zum Theil aber zersetzt es sich und entwickelt Chinon, welches sich in gelben Krystallen sublimirt. In kaltem Wasser ist es wenig löslich, in heissem in bedeutender Menge und mit braunrother Farbe; beim Erkalten krystallisirt es wieder heraus. Kocht man aber diese Lösung, so wird es ganz zersetzt, es destillirt Chinon über und es bleibt eine dunkelrothbraune Flüssigkeit zurück, die als Haupibestandiheil farbloses Hydrochinon enthält. Zugleich enthält sie aber noch, ohne Zweifel als secun- däres Zersetzungsproduct, eine braune, theerarlige Substanz, die sich theils beim Erkalten, theils beim Vermischen mit Wasser abscheidet und die mit derjenigen identisch zu sein scheint, die man in dem rohen Destillations- product von der Chinasäure findet. — In Alkohol und Aether ist das grüne Hydrochinon mit gelber Farbe leicht löslich; beim Verdunsten bleibt es mit seinem grünen Metallglanz unverändert und krystallinisch zurück, was be- sonders auf weissem Porzellan eine sehr auffallende und schöne e darbietet. Inn Ammoniak löst es sich mit lief grüner 3 die es an der Luft sogleich in eine dunkelrothbraune überzugehen anfängt. Beim Verdunsten bleibt dann eine braune, ganz amorphe Masse. Seine Alkohollösung wird nicht durch essigsaures Blei gefällt. Aut Zusatz von Ammoniak entstebt ein lebhaft grüngelber Niederschlag, der aber rasch schmutziggrau wird. Von Silbersalz wird die Lösung nicht gefällt, aber bei Zusatz vou Ammoniak wird sogleich das Silber reducirt.“ Von schweſliger Säure wird das grüne Hydrochinon leicht Hen eg in: rn verwandelt. Dieselbe Verwandlung erleidet es unter, allen den Umständen, unter denen aus dem Chinon das farblose Hydrochinon gebildet werden kann. Hiervon machen nur Jod- und Tellur- Wasserstoff eine Aus- nahme, die das Chinon unmittelbar in farbloses Hydrochinon überführen. Phys. Classe II, Gg 234 . WÖHLER Die Analysen dieses Körpers gaben folgende Zahlen: Lan 0,276 Grm. im leeren Raum getrocknet, bloss mit eka ver- brannt, gaben 0, 6645 C und 0,115 H. II. 0,340, über Chlorcaleium * und in Sarg v verbrannt, gaben o 0,826. d und 0,1425 1 d Berechnet 9 1.40 "TS C25 #10 08 Kohlenstoff 66,20 66,32 67,00 Wasserstoff ... 4.62 4,64 4,45 | Sauerstoff 29,18 29,04 28, 55 Wiewohl der gefundene Kohlenstoffgehalt nicht ganz gut stimmt, 80 geht doch aus dem ganzen Verhalten und der Bildungsweise dieses Körpers wohl mit Sicherheit hervor, dass seine Zusammensetzung durch die obige Formel ausgedrückt werden muss. 11 Aequiv. Wasserstoff würden 4,87 Pro- cent ausmachen. Er ist also Chinon plus 2 Aequiv. Wasserstoff. Man könnte ihn auch, wie man leicht findet, als eine Verbindung von Chinon mit farb- losem Hydrochinon betrachten, == C50 420 016. 5. Chlorhydrochinon. Chinon, mit concentrirter Chlorwasserstoffsäure übergossen, wird sogleich grünlichschwarz und löst sich dann auf zu einer anfangs röthliechbraunen, nachher farblos werdenden Flüssigkeit. Es ent- wickelt sich hierbei kein Gas, man bemerkt keinen besonderen Geruch. Beim Verdunsten in gelinder Wärme bleibt eine farblose, strahlig krystallinische Masse zurück. Diese ist das Chlorhydrochinon. Es ist schwer, dasselbe vollkommen farblos zu erhalten, gewöhnlich bekommt es einen Stich ins Braune, denn schon während des nee pflegt sich die Plädigkeit bräunlich zu färben. Das Chlorhydrochinon bildet strahlig vereinigte Prismen, es dein schwach, eigenthümlich und schmeckt süsslich und zugleich brennend. Es ist sehr leicht schmelzbar und erstarrt sehr krystallinisch. Etwas weiter erhitzt, verflüchtigt es sich und sublimirt sich in farblosen, glänzenden Blät- tern, jedoch stets unter partieller Zersetzung und Verkohlung, selbst in einem Strom von Kohlensäuregas. In Wasser, Alkohol und Aether ist es sehr leicht löslich, in letzterem so leicht, dass es schon in seinem Gass: zerfliesst. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DAS CHINON. 235 Seine Lösung in Wasser, mit salpetersaurem Silberoxyd vermischt, reducirt. sogleich metallisches Silber, welches sich theils als Spiegel, theils in Krystall- - flittern abscheidet; zugleich bemerkt man den Geruch des Chinons. Mit Eisenchlorid färbt sich die Lösung dunkel braunroth, wird dann milchig und setzt dunkelbraune Oeltropfen ab, die sich nach kurzer Zeit in schwarz- grüne Krystallprismen verwandeln und wahrscheinlich mit dem Körper iden- tisch sind, in den sich das Chinon bei der Einwirkung von Chlorwasser- stoffsäure. verwandelt. In kaustischem Ammoniak löst es sich mit tiefblauer Farbe, die jedoch egen in Grün, Gelb und zuletzt in Braunroth übergeht. Die Analysen‘ des geg H folgende Resultate: ` Lan 0,274 Grm., nach eg Schmelzen mit Bl eee ws 0,506 C und 0,089 H. II. 0,472 im Platinschiff e. zuletzt mit mer ver- brannt, gaben 0,868 Ü und 0,1535 H. I. 0,175 in einem Rohr durch eee oo zersetzt, E 0,169 Chlorsilber. Ke II. 0,628 one Af dieselbe Art 0,619 Chlorsilber. | Berechnet nach e gie b L. H. Cas Os 1 r Kohlenstoff. 50,42 50,21 50,92 Wasserstoff 3,60 Da genge 3,88 usb reageiert në e 24,31 24.00 e Sauerstoff- 22,6 21,87 21.70. en Es ist also grünes Hydosckinch — 2 botze Chlor. Ich habe bereits angeführt, dass eine analoge Ss mit Jod nicht hervorgebracht TE en ur EN ist oline: ot auf Chinon. | 6. bete Mit digis did en will ich einige Körper bezeichnen, deren merkwürdige Bildungsweise deutlich zeigt, dass sie zu den vorhergehenden in einer sehr einfachen Beziehung stehen, die aber so leicht in einander übergehen; dass es mir nicht gelang, sie völlig unvermengt und unverändert zu erhalten. Diess halte ich für den Grund der schlechten Gg 2 236 20 F. WOHLER n pe Aere mit der berechneten t Zemmmmegteng dieser Körper. d Braunes Siltfohjdrdchinbn. Es ern man in eine Seszuigte Lösung von Chinon in Wasser bei gewöhnlicher Temperatur Schwelelwasser- stoffgas leitet. Durch die ersten Blasen färbt sich die- Flüssigkeit schön roth, dann tritt eine bräunliche Trübung ein, die bald bis zum starken, flöckigen, rein braunen Niederschlag zunimmt. Man filtrirt ihn sogleich ab, wäscht ihn aus und trocknet ihn. Durch weitere Einwirkung des Gases würde er in die folgende Verbindung überzugehen anfangen. — Trocknes Chinon wird durch trocknes Schwefelwasserstoffgas nicht verändert. E s ist eine dunkelbraune, pulverige, ganz amorphe Substanz, be Ge. schmack und Geruch. Es ist sehr leicht schmelzbar, es verbrennt unter Bil- dung von schwefliger Säure. In Alkohol ist es sehr leicht löslich mit einer tief gelbrothen Farbe; beim Verdunsten bleibt es ene glänzend und durchscheinend zurück. Der Schwefelgehalt in diesen Körpern. e? dureh „ein «Verfahren be- stimmt, das wohl im Allgemeinen für die Analyse ähnlicher organischer Schwe- felverbindungen empfohlen werden kann. Die Substanz wurde zuerst mit ihrem etwa 12fachen. Gewicht reinem gebrannten Marmor, und diese Masse alsdann mit ungefähr ½ ihres Gewichts reinem Salpeter sehr innig vermischt, das Gemenge in einen Platintiegel geschüttet, noch mit einer Lage Kalkpulver bedeckt und über der Spirituslampe allmälig bis zum schwachen Glühen er- hitzt. Die Anwendung von Kalk hat vor der von kohlensaurem Natron den Vorzug, dass die Masse nicht schmilzt und daher weniger Neigung zum Explodiren hat. Man schüttet sie nachher in eine grössere Masse Wassers, dem man allmälig Chlorwasserstoffsäure zumischt, bis sie sich klar aufgelöst hat, giesst die Auflösung von den feinen Quarzkrystallen, die der cararische Marmor . Gegen r klar ab, und fällt sie siedendheiss durch Chlorbariumn. 0,213 Grm. — — bei 1000 — saben 0 0, 330 vier | felsauren Baryt, entsprechend 21,12 Proc. Schwefel, I. 0,393, mit n und eee. egen vie? 07640 und 0, * Ban UNTERSUCHUNGEN UBER DAS CHINON. 237 II. 0, 447 von anderer Bereitung gaben 0,860 C und 0,163 H. III. 0,3475, aus Chinon und dem gelben Schwefelkörper bereitet und im Platinschiſſ en mit Sauerstoffgas verbrannt, gaben 0,692 C und 0,104H. Berechnet nach eb mih ee III. C25 11078“ Kohlenstoff 53,08 52,55 54,37 53,35 Wasserstoff . 3,39 4,05 3,32 3,89 Schwefel . 21,12 22,86 Sauerstoff. 22,41 f 19,90. Ist diese Zusammensetzung, wie man aus der Bildungsweise dieses Körpers vermuthen kann, die richtige, so entsteht er dadurch, dass zu 1 Aeq. Chinon 4 Aeg. Schwefelwasserstoff hinzutreten und 1 Aeq. Wasserstoff mit 1 Aeq: Sauerstoff als Wasser ausgeschieden werden. Er ist so zusammen- geselzt, als wäre er eine Verbindung von 3 Aeq. Schwefelwasserstoff mit einem Chinon, worin dé des Sauerstoffs durch Schwefel vertreten ist = (25885075 + 38S. Gelbes Sulfohydrochinon. Es entsteht; wenn man das braune in Wasser suspendirt, dieses bis etwa 600 erhitzt und Schwefelwasserstoffgas hineinleitet. Es verwandelt sich dann rasch in ein unbestimmt blassgelbliches Pulver, indem die ganze Flüssigkeit das Ansehen von Schwefelmilch annimmt. Eine partielle Verwandlung beginnt selbst schon bei gewöhnlicher Temperatur, daher es so schwer ist, die braune Schwefelverbindung frei von der gelben zu erhalten. Leitet man das Gas in eine fast siedende Chinonlösung, so tritt im ersten Augenblick eine braune Trübung ein, die dann rasch in die gelblichweisse übergeht, während sich zugleich ein Theil der hellen Schwe- felverbindung in Gestalt einer 1 e ene klebenden Masse absetzt. Diese milchige Flüssigkeit lässt sich nicht filtriren, sie läuft milchig Fees Filtrum. Unter starker Vergrösserung sieht man, dass der gefällte Körper aus Kügelchen besteht, die in ungewöhnlich hohem Grade die soge- nannte Molecularbewegung zeigen. Mischt man aber zu der Flüssigkeit einige Tropfen Salzsäure, so gerinnt sie gleichsam und lässt sich nun vollkommen klar filtriren, Die Molecular- Bewegung hat nun ganz aufgehört und man 238 F. WÖHLER sieht, dass die kleinen Theilchen sich nun gruppenweise aneinander gelegt haben. Es sieht also fast aus, als ob der Zustand von Bewegung die Ur- sache sein könne, warum die kleinsten Theilchen gewisser Substanzen durch die Poren von Papier dringen. Die so dargestellte Schwefelverbindung ist nach dem Trocknen ein un— bestimmt gelbliches Pulver, das an der Luft gewöhnlich einen Stich in's Grau- grüne annimmt. Sie ist bei ungefähr 1000 schmelzbar und erstarrt zu einer braunen, amorphen Masse. Beim Verbrennen riecht sie nach schwefliger Säure. In Alkohol, Aether und Essigsäure ist sie ohne Rückstand mit röth- lichgelber Farbe löslich; beim Verdunsten bleibt sie amorph zurück. Auch in Wasser ist sie löslich, besonders in siedendem; beim Erkalten trübt sich diese Lösung milchig, indem sich der grösste Theil der Verbindung wieder abscheidet. Beim Verdunsten dieser Lösung erleidet sie aber bald eine Zer- setzung, es scheidet sich ein grünlicher schwefelhaltiger Körper ab und man bekommt zuletzt farbloses Hydrochinon. Aufgelöst in Wasser ist dieser Körper jipen durch die Eigen- schaft, sich mit einer Chinonlösung in das braune Sulfohydrochinon zu ver- wandeln, welches sich beim Vermischen der beiden Auflösungen in Gestalt eines voluminösen, flockigen Niederschlags von rein brauner Farbe abscheidet. Das gelbe Sulfohydrochinon wird auch gebildet, wenn man Chinon mit gesättigtem farblosem Ammonium -Sulfhydrat übergiesst, womit es sich, unter Erhitzung, in eine gelbe Masse verwandelt, die sich in ausgekochtem sieden- dem Wasser mit tief rothgelber Farbe klar auflöst. Aus dieser Auflösung wird es durch Salzsäure als gelblichweisser flockiger Niederschlag gefällt. Es entsteht ferner, wenn man in grünes Hydrochinon, in Wasser suspendirt, Schwefelwasserstoffgas leitet. Die Analysen dieses Körpers gaben folgende Resultate: ~ I. 0,210 Grm. gaben 0,428 schwefelsauren Baryt 28,09 Schwefel. II. 0,556, von einer anderen: Bereitung, gaben 1,029 schwefelsauren Baryt = 25,52 Schwefel. I. 0,302, mit Kupferoxyd und Mini — Se? 0,5446 und 0,119 Wasser. II. 0,310, von einer andern Bereitung gaben 0566 U und 0,1005 H. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DAS CHINON. 239 | ' »: Berechnet nach K- II. C25 120785 Kohlenstoff . . 49,18 49,85 50,30 Wasserstoft. 4,37 3,60 4.01 Sochwelel ... 28,09 25,52 26,94 ` Sageralt < cer a 18,36 21,08 138,75. Die Annahme dieser Formel gründet sich auf die Bildungsweise dieses Körpers aus dem braunen durch Einwirkung von Schwefelwasserstoffgas in der Wärme, wobei der letztere die Elemente von noch 1 Aeq. Schwefelwas- serstoff aufnehmen würde. Auch ist mit keiner anderen Formel die Bildung des braunen Körpers aus dem gelben und Chinon in Einklang zu bringen. Es vereinigen sich hierbei die Elemente von 4 Aeq. des gelben Körpers mit denen von 1 Aeg. Chinon, und bilden, unter Ausscheidung von 1 Aeg. Was- ser, 5 Aequiv. der braunen Verbindung. Die gelbe kann also betrachtet wer- den als eine Verbindung von 4 Aeq. Schwefelwasserstoft mit dem Chinon, worin ½ Sauerstoff durch Schwefel vertreten ist = C258 07S + 4HS. 7. Chlorsulfochinon.. Es gibt zweet Verbindungen dieser Art, Körper also, die, ausser den Elementen des Chinons, noch Schwefel und Chlor ent- halten. Die eine ist braun, die andere orangeroth. ‚Das braune, Chlorsulfochinon entsteht als brauner, flockiger Niederschlag, wenn man die Auflösung, des gelben Pulfohydrochinous, oder a Fluspigkeit, chlorid A — 5 wenn man bis zu einem gewissen Bar Chlorgas hineinleitet. Nach dem Trocknen. ist es ein hellhrannes Pulver, leicht schmelz- bar und. mit rothgelber Farbe löslich in Alkohol, nach dessen Verdunstung es amorph zurückbleibt. Eine Schwefelbestimmung gab 20,0 Proc. Schwefel. Das orangeroiſie Chlorsulfochinon sieht ganz wie gefälltes Schwefel- antimon aus. Es entsteht aus dem vorigen, wenn man Chlorgas im Ueber- schuss in die Flüssigkeit hineinleitet, wobei sich die braune Farbe des Nie- derschlags allmälig in eine orangerothe umändert, ohne dass es nachher durch. überschüssiges Chlor eine weitere Veränderung erleidet. In Wasser ist es mit bräunlichgelber Farbe elwas löslich, die Lösung reagirt sauer, ohne Schwefelsäure zu enthalten. In Alkohol löst es sich mit gelber Farbe 240 F. WÖHLER und bleibt amorph zurück. Beim Erhitzen schmilzt es und verkohlt sich unter Entwickelung eines starken Geruchs, der an den gewisser flüchtiger organischer Chlorverbindungen erinnert. Der Chlor- und der Schwefelgehalt in dieser Verbindung wurden durch Glühen derselben mit Kalk und Salpeter bestimmt, indem nach Ausfällung des Chlors durch Silbersalz die ern dee Chlorbarium . gefällt wurde. 0,246 Grm., bei 1000 ine, gaben 0,089 Chlorsilber und 0,326 schwefelsauren Baryt. 0,316, im Platinschiff mit Kupferoxyd und Sauerstoffgas verbrannt, gaben :0,547 © und 0,052 H Berechnet nach 62545 OS 8401 ‘Kohlenstoff . 47,26 46,94 Wasserstoff . . 1,83 ‚1,87 Schwefel . 1828 20,11 Chlor a law 892 11,06 Sauerstoff. . . 23, 71 22,02. Schwefel- und Chlorgehalt stimmen freilich sehr schlecht mit dieser Fare; es kann diess aber in einem bei der Analyse statt gehabten Verlust seinen Grund haben, denn die Masse verbrannte zu rasch, weil zu wenig Kalk genommen war. Indessen sieht man deutlich, dass die Verbindung nach dieser oder einer ähnlichen Formel zusammengesetzt sein muss. Ihre Entstehung ist dann leicht erklärbar, wenn man berücksichtigt, dass sich dabei, wie der Versuch zeigte, etwas Schwefelsäure bildet. Ich, habe bereits angeführt, dass Tellurwasserstoffgas. z mit Chinon keine .Ț ähnliche Verbindungen hervorbringt, sondern dass es dasselbe, unter Ab- scheidung von Tellur, in farbloses Hydrochinon verwandelt. _Arsenik- und Phosphor - Wasserstoffgas sind ohne alle Wirkung auf Chinon. Zur Uebersicht der Zusammensetzung der in dem Vorhergehenden ab- gehandelten Gruppe von Körpern will ich zum Schluss ihre Formeln unter /NONTERSUCHUNGEN UBER DAS/CHINON. V = 241 einander aufstellen und auch das von Woskresensky entitete: ebenfalls in diese Reihe gehörende Chlorehinon i) mit aufnehmen. (eat) ozis 2erb ‚„Chihomul ibi „ohne do, Geb OB augeri un jet Grünes Hydrochinon His zarbu@23H 10:08 OO éi asi 400 f Poarbloses Hydrochinon St EE EEN oidish Chlorhydrochinoen (251008 j, ie Chlorchinon . 028 f2 08 016 Braunes Sulgen C28 H11 0784 n Gelbes ` Aas zgadi] O 4 Cy E Braunes Oblorsulkochtnon es 8 OSS j, on er Orangerotles » in, 17717 626 f 08 84% “, ioys sdate In dieser Reihe von Verbindungen ist unstreitig das e Verhältniss zwischen Chinon und dem grünen und farblosen Hydrochinon am ungewöhnlichsten und merkwürdigsten. Alle drei Körper enthalten Koh- lenstoff und Sauerstoff in demselben relativen Verhältniss, nur das des Was- serstoffs ändert sich. Von diesem kann ein Theil aus der Zusammensetzung weggenommen oder er kann hinzugefügt, und dadurch der eine Körper in den andern vor- und rückwärts verwandelt werden, ein Verhalten, das voll- kommen analog ist dem des Alloxans und Alloxantins, von denen wir, Liebig und ich, nachgewiesen haben, dass sie in ihrer Zusammensetzung nur um 1 Aequiv. Wasserstoff verschieden sind und dass sie, durch einfache Hinzu- fügung oder Wegnahme dieses Wasserstoffs, in einander umgewandelt wer- den können. Dennoch halte ich es nicht für wahrscheinlich, dass der auf solche Weise entstehende Körper als die Wasserstoff- Verbindung, als das Hydretum, des andern, aus dem er sich bildet, zu betrachten sei, dass also das grüne Hydrochinon die Verbindung von Chinon mit 2 Aeq. Wasserstoff sei, in dem Sinne, wie wir uns z.B. in dem Cyanwasserstoff die Elemente 1) Journ. für pract. Chemie, 18. p. 419. Nach seiner Analyse gibt W. dafür die Formel C12 HO Cls; allein eben so gut stimmt damit die obige Formel. Was die Analyse, nach C = 75,12 berechnet, an Kohlenstoff zu wenig gibt, hat gewiss auch hier in einer unvollständigen Verbrennung dieser nicht leicht ver- brennbaren Körper ihren Grund. Phys. Classe II. Hh 242 F. WÖHLER UNTERSUCHUNGEN ÜBER- Das cHINON. zusammengepaart denken; sondern ich halte es für wahrscheinlicher, dass dieser hinzukommende Wasserstoff sich in derselben Bedeutung ih dieselbe Atom-Gruppirung, wie der schon vorhandene diesem hinzufügt, dass also ein jeder dieser Körper eine Verbindung sui generis ist, dass: sie nicht un- gleiche Wasserstoff -Verbindungsstufen von einem und demselhen zusammen- gesetzten Körper sind. Chinon und die beiden Hydrochinone wären demnach, um mich einer anderen Ausdrucksweise zu bedienen, die Oxyde von drei verschiedenen Radicalen, Chinon = (25 43 + 80, grünes Hydrochinon = C25 EI + 80, farbloses Hydrochinon = C?5#1? + 80. Mit dieser An- sicht stehen freilich die gewählten Namen nicht im Einklang, allein ich ge- stehe auch, dass ich; keinen promen Werth auf sie Ges und sie nur als provisorische ansehe. H D 138 721 Hi M af H i 8 2 d i i S i y 3 5 sb Nr Seci was 2 2 i f à ł 1 i 4 : 3 bk: d It [j í t OER S 4 d i i 793 * i — — en f sÄ DH, „FEST. ` ii i D 2 1 * 7 1 Lé P } 107 okiki HE AO E D fi i inen N 1811 8 503 ad na; au DOS IE DI SEI aße SC D D * i g z f Gel TE k > H Ka ch * on 1 Er í ` eg e Lage e AË / rer HEN D äis sach bau palie nahs id 52197 311012 17922. 73 imo Í 1 * z rt \ Pr Wi i Lë Si à 2 11 Wi + « 23289 s rreg 8 $ CRkég GE when i Kiirrlstasac 17 292318: OI GH €? bu zung! = $ i d S 1881 arlnadsardewr tui FU 27 Ai Han ddonng Inte 9 e ene, $ KÉ: f E - ve 2 ü ) 3g 21 t po abhngig a YN r Ain! D P E ch Sup sahre äh 1 DER E ) POG HS bit DA HO RISH Sui i At 239 KEIN an ? | d 5 0 SA e id \ th 3 r * E * I fon) DOF ansbai 197 9 Dot" S 1 S e K 7 $ y 7 af St fe ur Rss A P nah yr i b AS enn ui S „seid MID m A = bn 3 i 19:45 EE r RÈ 7 1111 eg t ner 1 e es en e Sei D min Ae eh 1211 12 H~ DI? f, 1 d E H 3 18 i 1 $ d 7181 j buster j ji EMS Za itj d i Ser ABHANDLUNGEN DER MATHEMATISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ‚ZWEITER BAND. Mathem. Classe. II. A Untersuchungen E über x Gegenstände der höhern Geodaesie. d MT Carl Friedrich Gauss. Erste Abhandlung der Königl. Societät überreicht, 1843, Oct. 23. — — Bei den, zum Theil von mir selbst, zum Theil unter meiner Leitung, ausge- führten über das ganze Königreich Hannover sich erstreckenden trigonometri- schen Vermessungen sind, sowohl in Beziehung auf die Art, wie die Messun- gen angestellt wurden, als noch mehr in Beziehung auf ihre nachherige ma- thematische Behandlung und ihre Verarbeitung zu Resultaten, Wege einge- schlagen, die von den sonst gewöhnlichen abweichen. Mein früher gehegter Vorsatz, nach völliger Beendigung der Messungen diese nebst allen von mir angewandten Verfahrungsarten in einem besondern Werke darzulegen, hat, aus Ursachen, deren Auseinandersetzung nicht hieher gehört, bisher nicht zur Ausführung kommen können, und ich wähle daher das Auskunftsmittel, das im theoretischen Theile mir eigenthümliche in ener Reihe von Abhandlungen bekannt zu machen, um so lieber, weil ich auf diese Weise die Freiheit be- halte, mit, Ausführlichkeit manche Untersuchungen zu entwickeln, welche ein selbstständiges Interesse darbieten und mit den übrigen in enger Verwandt- schaft stehen, auch wenn von denselben bei meinen Messungen keine unmit- telbare Anwendung gemacht ist. Dies gilt namentlich von dem grössten Theile des Inhalts der gegenwärtigen ersten Abhandlung. A2 4 CARL FRIEDRICH GAUSS 1. Von der Aufgabe: die Theile einer gegebenen Fläche auf einer andern gegebenen Fläche so abzubilden, dass die Abbildung dem abgebildeten in den kleinsten Theilen ähnlich wird habe ich im Jahre 1822 eine allgemeine Auflösung gegeben, welche Hr. Con- ferenzrath Schumacher im 3. Heft der Astronomischen Abhandlungen hat abdrucken lassen. Bei der Aegis dieser Aufgabe auf die höhere Geo- däsie, für welche sie eine vorzüglich ergiebige Hülfsquelle wird, macht sich das Bedürfniss fühlbar, Abbildungen, welche unter der angegebenen Bedin- gung stehen, durch eine besondere Benennung auszuzeichnen, und ich werde daher dieselben conforme Abbildungen oder Übertragungen nennen, indem ich diesem sonst vagen Beiworte eine mathematisch scharf bestimmte Be- deutung beilege. In der E Schrift ist die dieser Auflösung; welche eine willkürliche Function einschliesst, auch auf mehrere bestimmte Flächen ange- wandt; das letzte dort, behandelte Beispiel betrifft die conforme Übertragung _ der Oberfläche, des Umdrehungsellipsoids auf die Kugelfläche, und es ist 8. 21 zugleich eine solehe Bestimmung der arbiträren Function angegeben, die zu einer sehr brauchbaren Anwendung auf die höhere Geodäsie benutzt werden kann. Diese Benutzung war a. a. O. nur kurz angedeutet, und eine ausführlichere Entwickelung vorbehalten. Ich werde jedoch anstatt dieser speciellen Auflösung eine etwas abgeänderte und für die geodätischen Anwen- dungen noch viel mehr geeignete Methode zur conformen Übertragung der ellipsoidischen Fläche auf die Kugelfläche in der gegenwärtigen Abhandlung entwickeln, und damit zugleich alles zu einer solchen Benutzung erforderliche verbinden. | Fam Die allgemeine Auflösung der Aufgabe, angewandt auf die ellipsoidische und sphärische Fläche, gibt folgende alle conformen Übertragungen der einen auf die andere umfassende Formel (1): T + i log out = 0 + i log fcotg sw. zeig“ . UNTERSUCHUNGEN ÜBER (GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 5 Es bezeichnen hier bag S die Excentricität der Ellipse, "SC deg Undrehung u um ihre! kleine: Achse die ellipsoidische Fläche erzeugt wird € und 900 — ½ die Länge und Breite eines unbestimmten Punkts auß dieser Fläche, mithin ep den Winkel einer in euer re: gegen die Fläche gezogenen Normale init der kleinen Achse; und 909: — U die Se See Breite des erispiechenden Punkts auf gé Kader | i die imaginäre Einheit S — 25 aaa F die Charakteristik für eine willkürlich : zu 1 DR Die Logarithmen sind immer die hyperbolischen. Durch n wird das e sen EUR so ver- ? Se dass jedes Linearelement auf der: ellipsoidischen Fläche sich zu dem entsprechenden Linearelement auf der Kugelfläche verhält wie 1 zu m: ‚dieses Verhältniss ist an jeder Stelle der einen und der andern Fläche ein bestimmtes, für verschiedene Stellen veränderlich. Die einfachste Auflösung erhält man, indem man die willkürliche F unction schlechthin ihrem Argumente gleich, oder J =» selzt, und diese Ukeni ag ist in der That auch. die geeignetste, wenn die ganze Oberfläche des, Ellipsoids auf die Kugelfläche übertragen werden soll. Für die Anwendung auf geodätische Rechnungen, wo immer nur ein vergleichungsweise sehr kleiner Theil der Erdfläche in Betracht kommt, ist es aber, wie schon a. a. O. bemerkt ist, viel vortheilhafter, der Function noch einen constanten und zwar imaginären Theil beizuſügen, oder , ss - i log & zu selzen ei. Es lassen sich dann der Halbmesser der Kübel und die Con- stante E so bestimmen, dass die das Vergrösserungsverhältniss ausdrückende Grösse m, von deren geringer Ungleichheit innerhalb der Grenzen der darge- stellten Fläche die Bequemlichkeit der Anwendung auf geodätische Rechnun- Durch einen Druckfehler ist a. a. O. S. 22. Z. 7. das Minuszeichen ausgelassen, auch ist ebendaselbst Z. 12 auf den Art. 6 anstatt auf Art. 7 zurückgewiesen. a DB. a > ZN GARLUFRIEDRICH!GAUSS gen vornehmlich abhängt, für den mittlern Parallelkreis 1, und bis zu einigen Graden Entfernung nach Norden und Süden kaum merklich von 1 verschieden wird; die Abweichung von dem Werthe 1 ist nemlich von der zweiten Ordnung in Beziehung auf den Abständ vom imitilern Parallelkreise, und enthält ausserdem noch die Abplattung oder das Quadrat von e als Factor. Allein dieser Vortheil lässt sich noch sehr vergrössern, wenn man an- statt jener Bestimmung der willkürlichen Function eine etwas abgeänderte, für die Rechnung fast eben so bequeme wählt, indem man nemlich unter Zuziehung einer zweiten Constante œ, Fo av — i log $ setzt. Man hat 7 in seiner Gewalt, durch zweckmässige Bestimmung der beiden Constanten zu bewirken, dass die Abweichung des Vergrösserungsver- hältnisses mn von dem Werthe 1, in Beziehung auf den Abstand vom mitt- lern Parallelkreise eine Grösse der drilen ens wird, ungerechnet den auch hier bleibenden Factor ee. 3. | Die Formel 1 gibt, bei Cam ong der Function f, T = — at. a . å D „Es . 2 2 K S 4 = H D . (2) 1. + e DOS w Ass SC: t T = k t — — ea un... ang } ang zw 0 IB eg S Se (3) und für m findet man leicht, aus den in der mehrerwähnten Schrift baini ter Grundsätzen, den: Ausdruck œ A sin U y (1 — ee cos o? = ech e eee msn wenn durch à die halbe grosse Achse des Ellipsoids und durch 4 der Halbmesser der Kugel bezeichnet w ird, Die Differentiation der logarithmisch. ansgedrügkten Gleichung 3 seit du a d "eege sin ydo l iU ae FR sage 3 T oder x d L œ (1 — ee) sin U 77ͤ ee E ea se Ce (5) d (1 — ee cos w?) sin UNTERSUCHUNGEN UBER \GEGENSTÄNDE! DER HÖHERN GEODAESIE. 7 Eben so ergibt die Differentiation der Gleichung 4 ee cos . sin w dw d MR = cotg UdU — cotgw dw sg PE WS cos œk ' (1 — ee) opge dw... =; (1 — ee cos w?) sin w SC coig UdU — folglich, wenn man mit Hülfe von 5 entweder d V oder dw eliminirt, dlgm (1 — ee) ( cos U — cos ) e Ei en E RB: Se GER cos w?) ein e „ D 8 . . e . a a u D - (6) d logm cos w „„ e a2 cot ES — — ` — o e . . D D D a d Fa Case œ sin U d | Durch eine e nochmalige Differentiation der Gleichung 7 erhält man dd Gë: SS? 1 A cos U cos w sin w dw dOS = sin U? e sin U? e e sinU d 1 cos U. cos w (1 — ee cos ) sin w? = — r Hg ( d sin U? > œ sin U? ® u a, (1 — ee) sin U? (9 Soll nun für eine bestimmte Breite (Normalbreite) der Werth von m der Einheit gleich werden, für andere Breiten hingegen nur um Grössen der drit- ten Ordnung von 1 abweichen, die Breitenunterschiede als Grössen: "erster Ordnung betrachtet, so muss, wenn die Normalbreite auf dem PIG a mit Gi die entsprechende auf der Kugel mit Q bezeichnet wird, für w= 90° — = 900 — Q in Gemässheit der Gleichungen 4, 7, 8 sein: CA) a cos P u Gegen , (9) wn Q=snP. „5 a ai! 10) o 1 — inf ein _ 5 cos P2 | o ee — ee) oder, wenn man in letzterer Gleichung für sin EN seinen Werth‘ aus 10 substituirt, e ß 1 — ee ; Durch diese Gleichung ist demnach a gegeben, sobald für D ein be- ümmter Werth gewählt ist; C kann sodann durch Gleichung 10, und 4 durch Gleichung 9 bestimmt werden; endlich ergibt sich & dureh die Sub- 8 a GO vaındaaREkıERIEDKICHIGAUSE 1 I9YUHIU2SAITAU stitution von w = 900 — P, N Ss ‚909: — in der allgemeinen Glei- chung 3, nemlich ’ d | tang (450 + + Apr" kuchen pae Tin +10 Bei Fe n vo = Ml j on itt! l hord aam 4. 8 nor SHH i nem omg „Hoilslol Die Berechnung der Constanten A, cr, Fund der Normalbreite: auf er Kugel Q aus P und e wird man, da alle diese Grössen wie Grundlagen für die Anwendung auf eine gewisse Zone zu betrachten sind, gern mit beson- derer Sorgfalt und Schärfe auszuführen wünschen, und, es verdienen daher einige dazu dienliche Umformungen hier einen Platz: eine Um ormung wird ohnehin nothwendig, wenn man von einer bestimmten Normalbreite- nicht Lët dem Ellipsoid sondern auf der Kugel, also von einem gegebenen Werthe von Q ausgehen, und daraus die übrigen Grössen berechnen will, Führt man drei Hälfswinkel t n en, so dass 5 sin G . JJ 8 tang & = tang p cos spe‘ EE tang a = sin € tang t : LR FC E . (15) so wird e 5 pen e= e 2a Eben ach ob Hadena ti O = $ oe (16) sin Q = cos £ sin F E ex. vk SU P SE (17) J a aa el o apr, H x Lë D se l v Dam 2-18) a e tag g n A „Jan e tang x (P — Q) = tang į . tang g n (20) sin (28 — O) = e cos 202 fo e = = (21) Die Gleichung 18 folgt leicht aus Té EN von 15 ae, 17; $0- dann 19 aus der Verbindung von 15, 17, 18; ferner 20 aus 17; 18, 19; endlich 21 aus 14 und 17. Am schärfsten wird man rechnen, wenn man, in 8 Falle * ep geben ist, sich der Formeln 14, 13, 20 bedient, um der Reihe nach 8 „ Q zu bestimmen; für den Fall hingegen, wo Q gegeben ist, vermittelst der Gleichungen 21, 19, 20 die Werthe von g, u, P ableitet: zur Controlle mag UNTERSUCHUNGEN UBER GEGENSTÄNDE DER! HÖHERN GEODAESIE. 9 man dann noch eine oder einige der übrigen Gleichungen benutzen. Führt man noch einen vierten HERDER d ein, nach der Formel sn H = i P a, ATTANS ONON aala y ah (22) so wird Hookeg 5, EDI En „ er VVV und die Formeln 9 und 12 erhalten folgende Gent a cos ꝙ d cos 0 cos Q d c dos be 1 — ee sin ? tang (450 + 4 P)“ | Ting (450 + 4 ®, 8 = = A" | 5. Ich begleite die Vorschriften dieser ganzen Abhandlung mit einer auf das schärfste durchgeführten numerischen Anwendung, welche andern, die zur Verarbeitung ihrer Messungen die hier vorgetragene Methode benutzen wollen, entweder als Rechnungsmuster zur Construction der erforderlichen Hülfstafeln , oder auch schon unmittelbar als Hülfsapparat für einen grossen Theil der gemässigten Zone dienen kann. In den meisten Fällen wird man übrigens sich mit einer viel geringern Schärfe begnügen können. | Als Normalbreite wähle ich 520 40°, welche ungefähr dem mittlern Pa- rallelkreise des Königreichs Hannover entspricht; da es jedoch in einigen Be- ziehungen vortheilhafter ist; wenn für die Normalbreite auf der Kugel, als wenn für die auf dem Ellipsoid eine runde Zahl gewählt wird, so setze ich "hG 522.409" ; Die Rechnung“ führe ich nach den neuesten von TER aus den Grad- messungen abgeleiteten Erddimensionen (Astronomische Nachrichten 19 Band 8. 116), wonach, die Toise zur Einheit angenommen, log a = 6,5148235337 log eos O = 9,9985458202 Es folgt hieraus, mit Hülfe der zehnzifrigen Logarithmen, 9. =. 4041'9” 98262 lege = _8,9122052079 e = 1043’ 26” 80402 Mathem. Classe. II. B 10 ne CARL FRIEDRICH GAUSS: 0 ui 2045142434083 P. 2 52 42 253251 log o = C0, 0001966553 9 = 3 0 43’ 34” 24669 log 7 00016708804 log 4 65152074703 Nimmt man das französische gesetzliche Meter als Einheit an, so wird log 4 = 6, 8050274003 Wählte man hingegen den zehnmillionsten Theil des Erdquadranten selbst, nach obigen Dimensionen, zur Einheit, so würde sein log 4 = 6,8049902365 Die Berechnung, der Breite ‚auf der Kugel aus der Breite auf dem El- lipsoid kann füglich nach der Formel 3 geführt werden, wenn sie nur für wenige Fälle gefordert wird; für ausgedehntere Anwendungen hingegen wird der Gebrauch einer Reihe vortheilhaft sein, zu deren Entwicklung bier die nöthigen Formeln gegeben werden sollen. ; Ich bezeichne eine unbestimmte Breite auf dem Ellipsoid, oder einen unbestimmten Werth von 90%. — %, durch P.+ p, und die entsprechende Breite auf der Kugel, oder den Werth von N — eDi a Së + 4. Nach dem Taylorschen ER wirds shar | | ee | Eé zs 8 EIER Si ota ren Sr Ser wo für die Differentialquotienten deenen: Regimen Ze? zu substitui- ren sind, welche zu p = 0, oder zu w = 900 — P, U: — 900 — Q gehören. Die successive Entwicklung der ib stimmten Differentialqu Gen ergibt dU 4 (1 — ee) ein 7 d (1 — ee cos ꝙ 2) sin dd U (1 — ee) sin U ds ri — ee c zeg e D e CH ST (cos w5 — 2 cos ꝙ sin w2) _ UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 11 ds 0 « (1 — ee) sin U vn j det (1 — ee cos w?)5 sin w3 d e — 3a (1 — ee) eos U (eos — ee (cos w5— 2 cos sin w2)) + 2 cos e . sin w? — ee (4 cos . — 2 sin w4) + e“ (2 cos a? Se cos EA sin w? + 6 cos sin ꝙ ) Die beiden folgenden, welche ich Det entwickelt habe, setze ich um den Raum zu schonen in ihrer unbestimmten Form nicht hieher. Die Substitution von w= * — , U= 900 — Q ergibt dann, wenn aug anstatt A sin Q der "Werth | sin e (nach Gleichung 10) und anstatt o cos Q f 0 der Werth ge SEH (dach Gleichung. 18, 16, 23) e cos g cos Y „ und zur Abkürzung cos P =c, ge s geschrieben wird, A à e * dU cos dd 3 ee cos i . dio atis tl — = —— „ Fe dw? cos 05 Fein re TOE Gob sp 3 : = = "ed 2 (3 cc — e +3 ee a2 cs + 350%) GO 4 | | 1 == Fe . s ‚(16 = ce — 3 or > + 2959) ds U — 2 e (= 1660 + 1255 + ee (49 ci — 378 60 + 9509 + cos 0 e* ER ss + 174 ccst — 545°) + eù (268 c + 220 ccs + 335®)) Bei dieser Entwicklung von q in eine Reihe nach p ist stillschweigend vorausgesetzt, dass beide Grössen in Theilen des dem Halbmesser gleichen Bogens ausgedrückt sind: soll dagegen -g Secunden und -p Grade bedeuten, so muss dem ersten Gliede der Reihe der Factor 3600, dem zweiten der Piao — S0 a, dem ritten da Factor 3600 (=) = $ nn u. s. f. beigefügt werden, Unter dieser Voraussetzung gibt die Anwendung der For- meln auf unser Beispiel folgende Zablenwerthe, welche ich in eine solche Form setze, dass weitgestreckte Decimalbrüche vermieden werden: at B2 12 CAB FRIEDRICH GAUSS q- = 359556” 69447 100 + 3044.386324 (%) 9946.260563. (%); + 227, 04342 CEJ welche Reihe, da p in der Anwendung nur wenige Einheiten betragen soll, immer sehr schnell convergirt. Um für die Richtigkeit dieser Zahlen eine Bestätigung zu erhalten, habe ich die Rechnung für p= — 6 und für p= + 6, d. i. für P + p= 460 42’ 2” 53251 und für P+p=58 42 2, 53251 sowohl nach der Reihe, als nach der endlichen Formel 3 ausgeführt. Die Reihe gibt Q + q = 460 40“ 37” 69794 Q@+g=58 39 44, 09285 die endliche Formel hingegen Q + q = 46° 40“ 37“ 69794 Q@+g=58 39 44, 09283 also so genau übereinstimmend, wie zehnzifrige Logarithmen hin” Persiautch, p ST f Auf ähnliche Weise lässt. sich. der Logarithm von 29 in eine Reihe ent- wickeln, deren erste Glieder folgende sind: sin 2 p? sin 20 2 Ex E — — DA B a e a 4 | ha log m 6 co 07% ESP 2 o ei + 11.eess) p W is mai din 2 % a das 120 00868: 22 ge = Sen ‚ee (10.0 — a Vi — etss (104. e? + 22 ccss * 350) p5 Auch das olga Shed habe ich (auf einem andern Wege) entwickelt, jedoch nur nach dem Hauptbestandtheile des e e welcher von der Ordnung ee ist, und dafür gefunden: UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 13 sin 2 y? £ 720 cos 010 Der durch diese Reihe ausgedrückte Logarithm ist der hyperbolische, und p wird, wie oben, in Theilen des Halbmessers ausgedrückt verstanden: verlangt man den briggischen Logarithmen, indem man p Grade bedeuten ti | Gs Och — 18 css — 15584) p® lässt, so muss noch der Modulus als Factor hinzukommen und 780 für p ge- schrieben werden. In dieser Gestalt wird für unser Beispiel log m = — 0,0049612433 GE 7 — 0,0017329876 Ce a = 0002393772 CE) — 0,0124746 -S Die Anwendung dieser Reihe auf die oben betrachteten einzelnen Fälle gibt für p = — 6, log m = + 0,000001050448 für p = + 6, log m = — 0,000001096531 Die endliche Formel 4, welche man auch so schreiben kann ` aA cos (Q + Ii — ee sin (P + p)?) E a cos (P + p) cos z cos (Q + q) V — ee ein (P + m?) | 285 ; cos cos (P + p) | gibt, mit zehnzifrigen Logarithmen berechnet, bis auf die zehnte Zifer ge- nau dasselbe. e 8. Für die umgekehrte Aufgabe, wo q gegeben und p gesucht wird, ist die Entwicklung in eine Reihe noch wesentlicher, da die endliche Formel 3 in diesem Falle nur auf indirectem Wege zum Ziele führen könnte. Der Taylorsche Lehrsatz gibt e o Ni w ~ ddw r Un wo für die Differentialquotienten diejenigen bestimmten Werthe zu setzen 99 + SE 95 — u. 8. f. 14 | CARL FRIEDRICH GAUSS sind, welche zug = O oder Us 909° — Q, 1 DO P gehören. Für die unbestimmten Werthe der drei ersten . ergeben sich folgende Ausdrücke dw (1 — ee cos w?) sinw à du T g (1 — ee) sin U ddw 1 — ee cos w?) sin w è in e T (œ. (1 — ee) cos U — cos w + > E ee cos w (cos w? — 2 sin w?) ) dõw (1 — ee cos w?) sin w ; ` ads E egent. gn 55 J (1 — ee)? (cos U2 + 2 sin U?) — 34 (1 — ee) cos U cosw (1 — ee (cos w? — 2 sinw?)) + cos e — sinw? — ee (?cosw* — 12 cos »? sinw? + 2 sin w) + e“ (cos wf — 11 cos o sin w2 + 6 cosw? sin wt) l Die beiden folgenden gleichfalls vollständig entwickelten Coëfficienten setze. ich um den Raum zu ‚schonen, nicht hieher, da sie doch nur Zwischen- grössen sind, um zu den Endresultaten zu gelangen. Diese finden sich nach der Substitution von 90%. — P, 90 — Q anstatt w, U, und nach Anwen- dung der im 6 Art. angegebenen Umformung von o cos U und q sin U, in- dem zugleich ‚zur Abkürzung c, s anstatt cos E» sin P geschrieben wird, wie folgt: sa - dos 8 re e 3 ee 2 cos p? $ DEES + ee e eet s H ee C cc — s*)) 95 ee | — — e SCH 4 4 ep 24 cos S cos #2 er Gë + ee Ei? CC 77 ss) e (101 CCS 615 0 9 = — 4) + m Joes cos 03. {ie ee — 12 ss 4 ee (41 ct 522 CC + 81 s*) — e* (538 055 — 1536c cst- 126 s5) Hess etat — 1030 cos 657s") 9 95 + u. s. f. : Die numerischen Werthe für unser Beispiel finden sich derans: in ähnlicher Form wie oben, d. i. wenn P in Secunden, g in Graden aus- gedrückt wird, oc UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 15 p = 360443” 852122 (4%) — 3052, 649780 (4) + 1002, 642506 (4600 ar 4119, 589282 (100) — 431, 181623 CAFE: Auf ähnliche Weise ist ar hyperbolische Logarithm von m in fol- gende nach Potenzen von g fortschreitende Reihe entwickelt, wobei der Coëf- ficient von g6 nur nach seinem Haupttheile auf anderm Wege abgeleitet ist: 2 E 56895 1 = — Se z 3 cos ꝙ cos 0 ee = SC 4 „ ec ( eess) q ee s — — S ie . e ; 30 cos ps 00008 o face 3 ss -++ ee (20 c RE = — et (59 47 ss — 8 ccst +3 sà) | e EEN ER E 6 180 cosp* cos 0 cc ( ) 9 — Die Zahlenweribe in unserm Beispiele (für den briggischen beem und o in Graden ausgedrückt), sind log m = — 0,0049796163 94 Gt ak — 00016150307 6 (140) 5 — 0,0023973954 bech . 00125671 Kë 16 CARL FRIEDRICH GAUSS 10. — E Bei einer weitumfassenden Vermessung, wo die Ubertragung vom Sphä— roid auf die Kugel oder umgekehrt für sehr viele Punkte vorkommt; wird man, anstatt jedesmal auf die Formeln zurückzukommen, lieber ein für alle- mahl eine ausgedehnte Tafel berechnen. Der Gebrauch einer solchen Tafel wird aber bequemer sein, wenn man ihr die Breite auf der Kugel Q + q zum Argument gibt, als wenn man die Breite auf dem Sphäroid dazu wäh- len wollte, indem der Übergang von ersterer auf die andere viel häufiger er- fordert wird, als der umgekehrte, Für jeden Rechnungserfahrnen wird übri- gens die Bemerkung überflüssig sein, dass man behuf Construction einer sol- chen Tafel nur eine mässige Anzahl von Gliedern direct berechnet, aus denen die übrigen mit eben so grosser Schärfe und sehr geringer Mühe durch ein angemessenes Interpolationsverfahren bestimmt werden. Es werden also dafür die im 8 und 9 Artikel mitgetheilten Reihen zur Anwendung kommen, und gerade deswegen ist es vortheilhaft, dass nicht P, sondern O eine runde Zahl sei. Ich füge am Schlusse dieser Abhandlung eine solche Tafel bei, welcher der Normalwerth Q = 520 40° (wie dem bisher betrachteten Beispiele) zum Grunde liegt, und die durch zwölf Grade, von 460 40“ bis 580 40’, für alle Werthe des Arguments Q + g von Minute zu Minute fortschreitet. Sie gibt den zugehörigen Werth von P + p auf fünf Decimalen der Secunde genau; ferner den briggischen Logarithmen von m auf zehn Stellen, nemlich in Einheiten der zehnten Decimale; endlich auch noch, in Secunden ausge- drückt, den Werth von — — 2 m dq weiter unten erklärt werden. Ich habe die Tafel deshalb mit so vielen De- ; der Gebrauch dieser letzten Columne wird cimalen gegeben, damit sie auch für die allerschärfste Berechnung einer tri- gonometrischen Vermessung, nemlich für eine Durchführung derselben mit zehn- zifrigen Logarithmen, vollkommen zureiche. Jeder, der diese Tafel zur Be- rechnung von Messungen innerhalb dieser Zone benutzen will, wird, wenn eine geringere Schärfe ihm genügt (und diess ist allerdings der gewöhnlichste Fall) nach Gefallen einige der letzten Decimalen weglassen. In welcher Form man übrigens auch die Resultate einer Messung darstellen mag, so sollte diess, consequenter Weise, immer in einer Schärfe geschehen, die der Schärfe t UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 17 der Messungen selbst entsprechend ist, so dass man aus den Zahlen der Re- sultate immer rückwärts die beobachteten Grössen eben so scharf wieder finden kann, wie sie gemessen waren. Wählt man also dazu ausschliesslich die Längen und Breiten, so würde trigonometrischen Messungen selbst von nur mässiger Schärfe, durchaus nicht ihr Recht widerfahren, wenn man die Re- sultate nur in solcher Schärfe ansetzen wollte, wie Längen und Breiten sich auf astronomischem Wege bestimmen lassen: man würde dadurch nur einen falschen Maassstab für die Güte der Arbeit erhalten, und sich oft gerade der durchgreifendsten Prüfungen dieser Güte entäussern. | : D 11. | Die Benutzung der hier betrachteten conformen Übertragung der Ellip- soidfläche auf die Kugelfläche zur Berechnung trigonometrischer Messungen kann auf mehr als Eine Art geschehen: in der gegenwärtigen Abhandlung wird nur von der unmittelbaren Benutzung die Rede sein; andere abgeleitete Arten, sie zu jenem Zwecke zu Dë ee sollen einer zweiten — vorbe- halten bleiben. Die 8 Benutzung ist im Wesentlichen schon in dér bhen an- geführten Schrift kurz angedeutet. Ein auf der Oberfläche des Ellipsoids durch kürzeste oder sogenannte geodätische Linien gebildetes System von Dreiecken wird auf der Oberfläche der Kugel durch ein Dreieckssystem dar- gestellt, worin die Winkel den entsprechenden auf dem Sphäroid genau gleich sind, die Seiten hingegen, wenn sie nicht Meridianbögen sind, zwar nicht in aller Strenge Bögen grösster Kreise werden, aber doch von solchen so wenig abweichen, dass sie in den meisten Fällen als damit ganz zusammenfallend betrachtet werden dürfen, oder dass wenigstens die Abweichung, da, wo die grösste Genauigkeit gefordert wird, mit aller nöthigen Schärfe St berech- net werden kann, immer vorausgesetzt, dass erstens die Dreiecke sich nicht gar au weit von den Normal- Paral- lelkreise entfernen, und zweitens, dass sie WICH? nemlich nach dem Verhältnisse der Seiten zu einem ganzen Erdquadranten, klein sind, wie bei wirklich messbaren Dreiecken immer der Fall ist. Mathem. Classe. II. 5 C mm „On MAIUCABUCFRIEDRICHIGAUSS Aıioyımıdın Dieses genaue Anschmiegen der auf die Kugelfläche übertragenen Dreiecks- seiten an Grösstekreisbögen findet nun bei der in Obigem betrachteten con- formen Darstellung in noch viel höherm Grade Statt, als bei der a. a. O. vorgeschlagenen. Wo diese nach S. 24 bei einem Abstande von 24 Grad von dem Normal- Parallelkreise eine linearische Vergrösserung von ygyyy ergab, würde die neue Methode nur eine Aenderung von —sghsee geben. Man kann daher das ganze System, nachdem man zuvörderst eine Dreiecksseite auf die Kugelfläche gehörig übertragen hat, ganz so, als wenn es auf dieser selbst läge, vermittelst der Winkel berechnen, nöthigenfalls mit der eben angedeuteten Modification, sodann für alle Punkte die Werthe der Breiten und Längen bestimmen, und von diesen vermittelst der oben gegebe- nen Formeln, oder vielmehr was die Breiten betrifft, vermittelst einer solchen Hülfstafel, wie hier en ist, auf die Breiten und Längen auf der Ellip- soidfläche übergehen. RE alla de he eden ur n Es bleibt demnach hier noch übrig, die Bestimmung der Abweichung einer auf die Kugelfläche übertragenen geodätischen Linie von dem zwischen denselben Endpunkten enthaltenen Grössten Kreisbogen zu entwickeln, wonach sich zugleich in jedem Falle beurtheilen lässt, ob die Berücksichtigung dieser Abweichung nöthig werde. Man kann diese Aufgabe auf mehr als eine Art behandeln: für den gegenwärtigen Zweck, wo die Reduction immer nur eine sehr kleine Grösse Zen kann, scheint folgende Methode die angemes- senste zu sein. Es sei L die in Rede stehende geodaetische Linie auf dem Ellipsoid in unbestimmter Ausdehnung betrachtet, M ihre conforme Darstellung auf der Kugelfläche, F und G die Endpunkte eines bestimmten Stückes von M, end- lich N ein durch diese beiden Punkte geführter Grösster Kreis. Jeder Punkt in N werde bestimmt durch seinen Abstand æ von einem zunächst willkürlich auf N gewählten Anfangspunkte; jeder Punkt von durch seinen senkrech- ten Abstand y von N und durch das dem Fusspunkte dieses Perpendikels zukommende æ. Diese Coordinaten sind als in Theilen des Halbmessers aus- gedrückt verstanden, und müssen demnach noch ä werden mit A, UNTERSUCHUNGEN ÜBER | Ä DER HÖHERN GEODAESIE. 19 wenn man sie nach ihrer Lineargrösse, oder mit 206265” „ wenn man sie in Bogentheilen ausgedrückt verlangt. Ein Element von M wird durch V (cos 2 dæ2 + d 2) cos y oder durch š d ausgedrückt, wenn man cos = tang y% setzt, wo mithin Ah die Neigung des Elements gegen die Parallele mit N be- deutet. Um die Vorstellung zu fixiren, mag man sich die x von der Rechten nach der Linken, die y von unten nach oben geg Zeen wodurch also der Sinn positiver von selbst bestimmt ist. i Das wie oben mit m bezeichnete Ver RE beim Über tragen der ellipsoidischen Fläche auf die Kugelfläche kann hier wie eine Function von x und y betrachtet werden: die Grösse des Elements von L, dem jenes Element von M entspricht, wird A cos y Sg da m co sein, und wenn zur Abkürzung log tang (45° +4 Gë er cosy _ m gesetzt wird, wWo mithin z gleichfalls Function von x und y, oder was auf Eines hinausläuft, von x und zu sein wird, so hat man du | tang d S f und das Element E gA | An cos au Die Natur der Linie M wird Zu durch die Bedingung bestimmt, dass „ da en e. en bestimmten Grenzen das Integral GEB d x oder Soti 20 RGO CARL FRIEDRICH GAUSS ein Minimum werden soll, wofür nach den Regeln der Variationsrechnung sich die Gleichung ergibt z n du dz du? dr Se et + 55) de sz d du daj? ( SCH N | Ei de EH oder , ) 7 dn dæ ` — g —— — d „ H sin du cos ui Unter = ist hier der partielle Differentialquotient verstanden. Diese u * | Formel ist strenge und allgemeingültig. Für unsern Zweck aber, wo bloss das zwischen F und G liegende Stück der Curve M in Betracht kommt, in deren sämmtlichen Punkten z und A) nur sehr kleine Werthe haben können, dürfen wir 1 anstatt cos Y und tang I anstatt sin a) schreiben, mithin er „da = d . ntang y du oder ri + Const n tangy = f A * ae setzen, zugleich aber auch in dieser Formel anstatt der Werthe, welche z und 128 in der Linie M haben, diejenigen anwenden, welche in den correspondi- renden Punkten der Linie s (für u = O oder y = 0) Statt finden, und folg- dm lich mit den Werthen von — 1 und — — — dm übereinstimmen. m mm du mm dy Zur bequemern Ausführung der weitern Entwicklungen sollen jetzt die Abseissen von dem Punkte F an gezählt, oder in diesem Punkte æ = 0, in G hingegen x = M gesetzt werden; ich setze ferner = = l, welches im Allgemeinen zwar Function von x und y ist, hier aber bloss nach seinem in der Linie N oder für y=0 geltenden Werthe, also als Function von x allein betrachtet wird; endlich seien eo, „, 19; die bestimmten Werthe von , m, I in dem Punkte F, und * m’, d gw in dem Punkte G. Die obige Formel wird hienach UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 21 0 up Berner =m f Ce wo die Integration von w = O anfängt. Nehmen wir nun an, dass Z und m i in folgende nach Potenzen von œ fortschreitende: Reihen (zs % + NM + Nx usw. m= m? (1 4 px tu's + u. s. w.) entwickelt sind, so ergibt die Rechnung Weg (1+ ust p as + usw.) tangy? — 1% % 2 — (CEA - hll un + gi %% * — us W. und hieraus, weil u= / tàng . dx u= ( + $ uss + 4p u. s. w.) tangy’ _ f 5 f — 21% — 4 (A4 Lu) — (A + Ar- Hl h 1% ) 41 — u. s. w. wo keine Constante hinzuzufügen ist, weil für x = O auch u = 0 wird. Da nun auch für x = , u = 0 wird, so folgt aus dieser Gleichung tang dt = en (zA - ) h ? (z - hu) h3 + u. s. w. Wird in der Gleichung für auch anstatt x der Werth h, und stalt tang d'A der eben gefundene substituirt, so ergibt sich tang o = — 37% (da TI AR + u + Liter ji u. s. w. Da r CUPS O CARTA m = m? (1 + uh + w hh 4 u. s. w.) so wird | art my = 11 + 64 — GN van (di — weng Finl re 21 % ) hb u. e n E NE S A e 12275 ÿ1 + 121%) k u. s. ge? in den beiden ersten Gliedern oder bis auf die WEE Bh mit obigen Werthen von tang ab, tang J übereinstimmend: diese bequemen Ausdrücke können daher als hinreichend scharfe Werthe dieser Tangenten, oder unter Hinzufügung des Factors 206265” als die Werthe der Winkel e, ' selbst angenommen werden. Die Länge der Linie L selbst, zwischen den Punkten auf dem Ellipsoid. denen auf der Kugel die Punkte F, G entsprechen, ist das Integral o 2 o CARL FRIEDRICH GAUSS cos ; m cosy von x = O bis x= A ausgedehnt; es wird aber immer ‚erlaubt sein, darin sowohl cosy als cos ab = L zu setzen, und ‚für, m denjenigen Werth, wel- cher in der Linie M oder für y = 0 dei wodurch also das Integral a Jan (1 + ua = D Sc — Se = Ei — 4 uhh T Han — +) z — u. un) j wird. Es ist immer zureichend, den bis auf die Ordnung nn damit über⸗ Ammann Werth t (e are M Fade e Lä in mg ai dafür anzunehmen. 13. | Die ee der Grössen LAG $ SE auf 2 Gar Es sei x der Winkel, welchen an irgend einer Stelle des Grössten Kreisbogens N dieser in dem Sinne wachsender x mit dem Meridian in dem Sinne von Norden nach Süden genommen macht, den Winkel von diesem zu jenem in dem Sinne von der Linken nach der Rechten gezählt; es ‚sei ferner 8 die Breite an jener Stelle, 7 die Länge von einem beliebigen Meridian an ost- wäris gerechnet. Man hat dann daselbst 8 BE r 1 nn dx er — 8 e Ar; und folglich den bende ëtt, SZ dm ; dm ST s dm, = 178 i — sin 3 . H Ir A CN mdy n d& cos S “maT Da nun 15 unserer conformen Übertragung m von der Länge unab- hängig oder — = 0 ist, so wird + q e Gg, LA Sin J RE nds UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 23 Bezeichnet man die Werthe von in den Punkten F und G mit 70 und 1800 +7” «(so dass nach gewöhnlichem Sprachgebrauche Vo das Azimuth des Grössten Kreisbogens HG in F, und V das Azimuth des Gröss- ten Kreisbogens GH in G bedeutet); eg seg die (immer negativen) Werthe gop FE m in denselben Punkten mit — 40, — E, so wird 2m d& ite: 8 206265”, 70 = — 2405 sin yo 206265“ 7“ — + 27% sin Die im rb benden Artikel gegebenen Ausdrücke für vo, ab’, in Secunden verwandelt, werden daher, wenn man die von der Einheit hier nur 0 Werke abweichenden Factoren Vans ZS * K weglässt, nl — 4h (24 sin 150 — E sin V) = - 3 (2 k’ sin Z’ — k? sin Vo) Die ese Abhandlung beigefügte Tafel gibt in der letzten Columne un- ter der Überschrift% die Werthe von 5, &“ für die entsprechenden Werthe von &, die in der ersten Columne unter der Überschrift Q 9 aufzusuchen sind; da & immer positiv ist, und sin Yo, sin 7’ immer entgegengesetzte Zei- chen haben, so wird Je negativ, ab’ positiv, wenn G westlich von F liegt und umgekehrt: bei der Berechnung erinnere man sich, dass in diesen For- meln A als in Theilen des Halbmessers ausgedrückt verstanden wird, also der in irgend einem Längenmaasse gegebene Abstand der Punkte F, & zuvor mit dem in gleichem Maasse ausgedrückten Werthe von 4 zu dividiren ist. Da in unserer conformen Übertragung der Ellipsoidfläche auf die Kugel- fläche ein Meridian auf jener wiederum durch einen Meridian auf dieser dar- gestellt wird, so ist klar, dass jedes Element von Z dieselbe Neigung gegen den Meridian hat wie das entsprechende Element von M, und dass folglich die Azimuthe der geodätischen Linie in ihren beiden Endpunkten resp. 70 + 1/0 und I sein werden: sind aber umgekehrt diese gegeben, so werden sie auf die Kugelfläche reducirt durch Anbringung von — e, — ab’, und für die Berechnung dieser stets fast ganz verschwindenden Reductionen ist es offenbar ganz gleichgültig, wenn man in den obigen Formeln anstatt 70, 7 die Azimuthe auf dem Ellipsoid anwendet. E i | CARL FRIEDRICH GAUSS 14 Um nach den gegebenen Vorschriften die Reductionen der Richtungen, behuf der Übertragung vom Ellipsoid auf die Kugel oder umgekehrt, berechnen zu können, ist zwar eine genäherte Kenntniss der Grösse der Linien, der orientirten Azimuthe, und der Breiten der Endpunkte erforderlich, was nur durch eine vorläufige Berechnung der Dreiecke zu erhalten ist: allein dieser Umstand ist durchaus unerheblich, da eine vorläufige schon die Ausführung der Mes- sungen Schritt für Schritt begleitende Berechnung ohnehin in vielen Beziehun- gen räthlich, und zur Centrirung der excentrisch gemessenen Winkel, so wie zur Bestimmung des sphärischen oder sphäroidischen Excesses der Winkel- summe jedes Dreiecks sogar nothwendig ist: ja für den ersten Zweck wird, bei der Geringfügigkeit jener Reductionen, schon eine ganz rohe Annäherung immer zureichen, während das scharfe Centriren zuweilen, bei etwas beträcht- licher Excentricität der Standpunkte eine viel weiter getriebene Annäherung erfordern kann. Ich habe die Vorschriften deshalb. entwickelt, damit man, wenn man jene Reductionen berücksichtigen will, alles zu ihrer schärfsten Berechnung nöthige bereit finde, oder wenn man sie nicht berücksichtigen will, leicht und bestimmt übersehen könne, wie wenig man dadurch aufopfert. Bei dem ganzen Hannoverschen Dreieckssystem sind die Reductionen durchge- hends so äusserst gering, dass ihre Berücksichtigung als gänzlich überflüssig erscheint, und in der ganzen Ausdehnung der Zone von zwölf Breitengraden, für welche ich den Hülfsapparat beifüge, bleiben sie noch unterhalb derjeni- gen Bogensecundentheile, auf welche man sich bei den meisten Messungen in der Rechnung zu beschränken pflegt. Um diess recht evident hervortreten zu lassen, füge ich hier noch die numerische Rein Ge ein Paar Bei- spiele bei. | iii 0 In dem Hannoverschen 3 EEE Ce arten gëtt vor bei den Richtungen der Seiten des Dreiecks Brocken -Holiehagen -In- selsberg, welches Dreieck zugleich das: grösste und das, von dem Normal Ba. rallelkreise am entferntesten liegende ist; bei allen übrigen Dreiecksseiten über- schreiten die Reductionen nirgends zwei Tausendtheile der ae we die meisten erreichen nicht einmahl den Werth e Sue io Es ist für diese Punkte 10 o E Jor olism kan UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN CEODAESIE. 25 Breite auf dem Ellipsoid] auf der Kugel | 4 Brocken 23510 48 TC er 3707164 Hohehagen 51 28 3151 26 35 0, 303 Inselsberg 60-31 >99 50 49 16 0, 687 Die Logarithmen der Seiten des Dreiecks in Toisen sind Hohehagen -Inselsberg 4, 6393865 Inselsberg- Brocken 4,7353929 Brocken-Hohehagen 4,5502669 Die Azimuthe sind Standpunkt Brocken Inselsberg 50 42“ 22” Hohehagen 58 49 8 Standpunkt Hohehagen Brocken 238 9 2 Inselsberg 324 23 1 Standpunkt Inselsberg Hohehagen 144 55 51 Brocken 185 35 21 ` Man braucht hiebei zwischen Werthen auf dem Sphaeroid und denen auf der Kugel nicht zu unterscheiden, da für die Logarithmen der Abstände erst in der achten oder neunten Decimale, für die Azimuthe erst in den Tausendtheilen der Secunde Ungleichheit eintritt, und für unsern Zweck Lo- garithmen mit vier Decimalen und Azimuthe in Minuten schon überflüssig genau sind. Die Rechnung nach obigen Formeln gibt hiermit folgende Re- ductionen, wie sie mit ihren Zeichen zu den Azimuthen auf dem Sphaeroid addirt werden müssen, um die Azimuthe auf der Kugel zu erhalten: Brocken - Inselsberg- + 0”00055 Brocken- Hohehagen + ;0, 00196 | ° Hohehagen-Brocken — 0, 00238 Hohehagen - Inselsberg — 0, 00332 Inselsberg-Hohehagen + O, 00428 Inselsberg-Brocken — 0, 00083 ~ Mathem. Classe. II. D 26 Te CARL FRIEDRICH GAUSS Die Winkel des Dreiecks auf dem ‚Sphaeroid (zwischen den geodätischen Linien) empfangen also zur Reduction auf die Winkel des Kugeldreiecks (zwi- schen Grösstenkreisbögen) die Aenderungen Brocken -+ 0700141 Hohehagen — 0, 00094 Inselsberg — 0, 00511 Ein zweites Beispiel entlehne ich aus der trigonometrischen Vermessung der Schweiz“), wo das grösste Hauptdreieck zwischen den Punkten Chasseral, Suchet, Berra eben an die Grenze der Ausdehnung unserer Hülfstafel fällt. Wir haben für diese Punkte | | Breite auf dem Ellipsoid auf der Kugel | k Chasseral] 470 :8° 4° Les, 6 5 137 Suchet 46 46 23 46 44 57 6, 948 Berra 46 40 36 46 39 11 7, 173 Die Logarithmen der Dreiecksseiten in Metern sind Suchet- Berra 4,7474503 Berra- Chasseral 4, 7133766 Chasseral-Suchet 4,7808768 Die Azimuthe l : Standpunkt Chasseral Suchet 480 36“ 44” Berra 349 21 54 Standpunkt Suchet Chasseral 228 10 40 Berra 280 47 19 Standpunkt Berra Suchet 101 18 40 Chasseral 169 27 22 Hieraus ergeben sich die Reductionen der 8 Azimuthe auf die Kugel-Azimuthe ) Ergebnisse der trigonometrischen Vermessungen in der Schweiz à wee von J. Eschmann. Zürich 1840. S. 79. 99. 189. 190. 196. UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 27 Chasseral-Suchet + 0” 04536 Chasseral- Berra — 0, 00966 Suchet-Chasseral + O, 06221 Suchet-Berra + O, 01014 Berra - Suchet — O, 04717 Berra- Chasseral — 0, 06039 also auch hier ohne Einfluss auf die Rechnung, die in dem angeführten Werbe auf Zehntel der Secunde geführt ist. a 15. Die in den Artt. 12 und 13 behandelte Aufgabe ist zwar durch die gegebenen Vorschriften mit einer für die Anwendung überflüssig. ausreichen- den Genauigkeit aufgelöset; indessen ist es doch der Mühe werth, und zur gleichmässigen Vollendung einer in der Folge mitzutheilenden Untersuchung sogar nothwendig, für einen speciellen Fall die Genauigkeit noch um eine Ordnung weiter zu treiben: dieser specielle Fall steht unter der Bedingung, dass die Linie N in einem zwischen und G liegenden Punkte + den Nor- malparallelkreis treffe. Es ist in diesem Falle vortheilhafter, den Anfangs- punkt der x, nicht wie oben in F, sondern in V zu setzen, wodurch be- wirkt wird, dass bei der Entwicklung von 1 und m in nach Potenzen von x fortschreitende Reihen in der erstern das erste und zweite Glied, in der anderm das zweite und dritte ausfallen, oder dass sie folgende Form haben: res how + 18 u. s. W: om IT EM + u. s. W. i Für unsern Zweck wird von den Coëfficienten in diesen Reihen nur der eine A erforderlich sein, wofür sich aus der im 9 Art. für log m gegebe- nen Formel verbunden mit den en des 13 Art. leicht folgender Ausdruck ableiten lässt: 3 2 ee cos sin P sin y cos y? Eoo e 3 cos p cos 0 in welcher e, P, g. 9 ihre oben erklärten Bedeutungen behalten, und für * das in dem Punkte 77 Statt findende Azimuth des Bogens N zu setzen ist. Werden gg Reihen bei der Integration der Gleichungen D2 28 CARL FRIEDRICH GAUSS tangy Id du = tang w. da angewandt, so ergibt sich tangy—=A(litnad + ut + usw) — 4 4 — 44% “/ — usw. u=B+Ulc+ bustu si + usw) — z A — 2% — usw. Die durch die Integration eingeführten Constanten, A, B, lassen sich durch die Bedingung bestimmen, dass u = 0 werden muss für die beiden Werthe von x, welche den Punkten F, G entsprechen. Es seien diese Werthe * = — 2 (h— ò) und x = + 4 (h d), wo d den Werth von 2x in dem mitten zwischen Y und G liegenden Punkte ausdrückt, und allgemein zu reden eine Grösse von derselben Ordnung wie % ist, oder von einer höhern, wenn H dieser Mitte sehr nahe liegt. Man leitet hieraus leicht folgenden auf die Ordnung A3 495 genauen Ausdruck für A ab + cog gt | — = + 1587 s — meer th Substituirt man diesen in der Reihe für tangy, und legt dann der Veränderlichen x die bestimmten Werthe — 4 ( -d), + 4 (A +2) bei, so ergibt sich, gleichfalls auf die dritte Ordnung genau, | tang % = de (hh— 2hö + 306) tang ) = — AMI (hh — 20 + 3 0 0) 8 In dem speciellen Fall der in der Folge zu entwickelnden Web kommt übrigens zu der oben bezeichneten Bedingung noch der Umstand hinzu, dass der Normalparallelkreis mitten inne liegt zwischen den beiden Parallel- kreisen, auf welchen sich die Punkte F, G befinden, und in Folge dieses Umstandes werden schon die abgekürzten Ausdrücke ` tang Lag = An tang wu sc e An auf die dritte Ordnung genau sein, wie sich leicht aüf folgende Art zei- gen lässt. Bezeichnet man die Breite von V mit Q + q, die von G mit Q — q, so geben die 3 Dreiecke F, 7, Pol und G, E, Pol die Gleichungen sin (Q + g) = sin G cos 5 ( — 0) K. es Q aing D 0) cosy sin (Q — q) = sin Q cos (1 + d) — * an (h di enen sg UNTERSUCHUNGEN ÜBER ‚GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 29 und ihre Summe mit 2 cos Q dividirt E tang Q (cos g. — cos 3 .. cos 3 0) = — cos 4h sin 4 0 cos y Da nun offenbar cosg — cos Zb. cos 20 eine Grösse zweiter Ordnung ist, so wird auch sin Ed cos x, und d cos von dieser Ordnung sein, mit- hin, da À den Factor, cos x? implicirt, A hn von der vierten, und A dd von der fünften Ordnung; hiedurch ist also die e dieser Glieder gerechtfertigt. Das Endresultat "ig Entwickelung ist 1 56 5 unter der angegebe- nen Voraussetzung, in folgenden Formeln enthalten, wo anstatt der Tangenten von e, “ die Bögen selbst geschrieben sind: | "a cos P sin P sin y cosy?h3 12 cos ꝙ cos 0 * — ee cos P sin P sin y cos 3 2 5 o =+ 12 cos ꝙ cos® 16. Die Berechnung des ierten auf der Kugel zerfällt in die drei Hauptstücke: 1) die Ausgleichung der Winkel nach allen den ee eee dae welche die Beschaffenheit des Systems darbietet. 2) die Berechnung der sämmtlichen Dreiecksseiten. 3) die Bestimmung der Längen und Breiten der Dreieckspunkte, in. Verbin- dung mit der Orientirung der von jedem derselben ausgehenden Dreiecksseiten. Die Verwandlung der Längen und Breiten auf der Kugel in die wahren Längen und Breiten auf dem Sphaeroid geschieht dann für die Längen durch die Division mit dem constanten Divisor c, für die Breiten vermittelst der hier beigefügten Hülfstafel, oder einer andern auf ähnliche Weise besonders con- struirten, wenn man einen andern Normal-Parallelkreis zu wählen Ursache hat. Mit Übergehung der beiden ersten auf bekannten Gründen beruhenden Geschäfte füge ich hier noch einiges in Beziehung auf das dritte bei, welches sich auf die Auflösung der Aufgabe reducirt*): aus der in Bogentheilen 9 Da diese Aufgabe hier wie eine für sich bestehende — wird, so können ohne Nachtheil einige Buchstaben hier in anderer Bedeutung als oben gebraucht werden. 30 844a040 / CARL FRIEDRICH GAUSS ausgedrückten Grösse einer Dreiecksseite r, ihrem Azimuthe 7 an dem An- fangspunkte, und der Breite dieses Anfangspunkts S, abzuleiten das Azimuth der Seite an dem andern Endpunkte 7’ = 180°, die Breite desselben &! und den Längenunterschied beider Punkte A. Da dies nichts weiter ist als die Auflösung eines sphärischen Dreiecks, so verdient diese Aufgabe nur des- halb hier einen Platz, weil die gewöhnlich gebrauchten Formeln hier einiger Umformung bedürfen, wenn man in den Resultaten (nach der Bemerkung i im 10 Art.) dieselbe Genauigkeit erreichen will, in welcher 7 gegeben ist, ohne mehrzifrige Logarithmen zu Hülfe zu nehmen. Um unter den verschiedenen Auflösungsarten nach jedesmaligem Bedürfniss wählen zu können, setze ich zuvörderst diejenigen hieher, die auf den bekannten elementaren Formeln der sphärischen Trigonometrie beruhen. 8 Erste Methode k x tang s = cos T tangr tang T sin s cos (S — s) tang S’ => cos } tang (S — s) tang 41 = BE? sin T cos & i sin 7’ = ——— cos S Zweite Methode ting R = —— — EEE EEE ER 3 = ang Säi eos (R — r) k tang 8 — cos T” , tang (R — r) Së sin r sin T sin r sin T’ sind J — = SHER ` ‚As cos S cos $ a er 5 Dritte Methode e ü — din (450 + Lë sin} Wéi +3) = sin (450 + eng‘ sin } u (450 + 15°) er + 2) S sin (45 + 3 (S — r)) cos} e cos (45 + 45°) sin$ (J“ — ) = cos (45% + ı 2 (S rn) sin} u. cos (450 + 3 S) cos 5 (7 — ) = cos (45° +4 (S — di cos} T In Beziehung auf die Kürze Ae Rechnung. hat die dritte Methode eini- gen Vorzug vor den beiden andern, während diese im Allgemeinen die Re- UNTERSUCHUNGEN ÜBER ‚GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 31 sultate ein wenig schärfer geben können, namentlich A immer mit völlig ge- nügender Schärfe: 7” wird aber, wenn es einem rechten Winkel nahe kommt, durch die erste Methode vergleichungsweise nür ungenau bestimmt. Verlangt man aber alle drei Resultate mit gleichmässiger und, aus dem Gesichtspunkte des 10 Art. betrachtet, zureichender Schärfe, so ist zu einer directen strengen Auflösung folgende Umformung am vortheilbaftesten, wobei die beiden ersten Formeln dieselben bleiben, wie in der ersien Methode. % Vierte Methode ` ; 5 =. ços T tangr : SR tang 7 Sins Ka | when d een tang t = sin J sin v7 tang (S ) sine = sin T tang zr eine iioii sin o = tang f tang 4 J cos Gë S - — d T . ' Diese vierte Methode lässt für die ‚Schärfe: nichts zu wünschen übrig; aber die unmittelbar in dieser Form geſührte Rechnung erfordert ein etwas beschwerliches Interpoliren bei Bestimmung der kleinen Bögen durch die Lo- garithmen der Tangenten oder Sinus: man kann jedoch diesem Ubelstande leicht ausweichen, indem man die trigonometrischen Functionen in Reihen entwickelt, wodurch man in den Stand gesetzt wird, ohne Nachtheil für die Schärfe, die Rechnungen vermittelst der Logarithmen der Zahlen zu führen. Es wird zu- reichend sein, von dieser Verwandlung nur die 6 hieher zu setzen. Es sei D: Gr: Es Sex zeg wenn zur Abkürzung d die Grösse des ES von ‚einer 600 durch e bezeich- Secunde i in à Theilen des Halbmessers oder der Bruch — net und r wie eine "Grösse erster Ordnung e EA Zë bis auf Grössen fünfter Ordnung (ausschliesslich) genau 2 2 (14 „ (1+4 eee Setzt man dann ferner 32 ca RL FRIEDRICH GAUSS o tang (S — s) = ° v LEE EH 23 ep cos (S — s) $ so wird s t= t? (1 — eorr — $ 001°19) * A Ber, re Le E o 30019 (1 — eerr — ess’ — 4091910) PPP für € und X auf die fünfte, für e und r auf die sechste Ordnung (ausschl.) genau. Noch bequemer und eben so genau ist es, hiebei sogleich die Loga- rithmen zu gebrauchen, wodurch die Formeln, wenn man zur Abkürzung das Product der Grösse pg in den Modulus: der — Logarithmen mit u bezeichnet, folgende Gestalt erhalten: logs = logs? + 4% rr — 4% 00 logt = logt? — 2 urr — 4% 00 log 1 = log 40 — 2 e — 4% % log c D log beet — rr — 3% — 3 11010 log e = log Loost + 5urr — 6778080 Diese fünf Formeln in Verbindung mit den — für so, 10 AN bilden eine fünfte Auflösungsärt, deren eigenthümliches es ist, dass genäherte Werthe der Grössen s, 2, A, o, r durch kleine sehr leicht zu berechnende an den Logarithmen anzubringende Correctionen zu scharfen erhoben werden. Die hiebei vorkommenden . constanten Logarithmen sind 9 log e = 46855748668 LG 10) log 40 = 4,3845448712 (— 10) log % = 7, 9297527989 ( 20) oder wenn jene Correctionen Pan ais Einheiten der siebenten Base er- scheinen sollen * 919 log a r == ER | von , welchen Logarithmen 5 hie nur die e ersten Ziffern, zur ` Anwendung kommen. 17. Viel einfacher lassen sich aber die Relationen zwischen den Grössen LA D .. i UNTERSUCHUNGEN UBER GEGENSTÄNDE DER HOHERN GEODAESIE, 33 „, &., 1, 1 X ausdrücken, wenn man von dem Mittel der beiden Brei- ten und der beiden Azimuthe ausgeht. Schreiben wir 2 6 + S) = + 7+T)= 4 T—-T za so haben wir zuvörderst die Formeln sin Ar sin A = sin 3 J cos B sin 2 r cos A = cos $ À sin 4 b cos 2 r sin ġa = sin 4 1 sin B - cos $. r cos $a = cos 4 À cos 4 b wonach man also, wenn A, B, r als gegeben betrachtet werden, a und À durch die Formeln sin A tang B tang gr = sin}a sin A sin 4 r cos B * und sodann 5 aus cos A tangir smi ospa ` ` oder GC cos A sin Är E ER cos 4 A bestimmt. Anstatt dieser Formeln wird man aber, wegen der Kleinheit von r, a, X, b, lieber die folgenden anwenden, welche viel bequemer, und bis auf die fünfte Ordnung (ausschl.) genau sind: 40 = r sin A tang B r sin A cos B 50 Gr cos 4 log a = loga? + urr + Tua log à = log 40 — 4 urr + 2% log ö = log b0 + 4 uaa? + 13030 wo, wie man sieht, die dritte Correction der Summe der ersten und der dop- 4 ‚pelten zweiten gleich ist. Mathem. Classe. II. E 34 CARL FRIEDRICH GAUSS UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE etc. Für unsere Aufgabe geben zwar diese Formeln keine directe Auflösung: indessen kann man sie als Controlle oder als concentrirte übersichtliche Inhalts- wiederhohlung der directen Auflösung gebrauchen. Wer aber in numerischen Rechnungen einige Gewandtheit besitzt, wird sie auch leicht zu einer indirecten Auflösung benutzen können, und dieser, zumahl wo anderer Zwecke wegen eine grob genäherte schon vorangegangen ist, wegen ihrer Bequemlichkeit und Schärfe vor allen andern Auflösungen den Vorzug geben. e n. UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 37 log m Q+4 P 4p y k ke PFP he 63 46° 40'460 4124/74900 10559 | 7’141 f 470 20˙%70 21’ 30”05872 | 7431 ] 5657 41 42 24, 88515 10472 7, 101 21 22 30,18788 | 7362 | 5,622 42 43 25, 02112 | 10385 | 7,062 22 23 30, 31687 | 7293 | 5,587 43 44 25, 15692 10299 | 7, 024 23 24 30, 44569 7225 |5,553 44 45 25, 29255 10213 | 6,985 24 25 30, 57433 7157 5,518 45 46 25, 4279910128 6, 946 25 26 30, 70279 70905, 483 46 47 25, 56327 10043 | 6, 907 26 27 30, 83108 70235, 449 47 48 25, 69837 9959 6, 869 27 28 30, 95920 69565, 415 48 49 25, 83330 9875 6, 830 28 29 31,08714 | 6890 | 5,381 49 50 25,96805 | 9792 | 6,792 29 30 31,21491 | 6825 5, 346 50 51 26, 10262 9709| 6,754 30 31 31,34250 | 6759 | 5,313 514 | 32 26,23702| 9626| 6,716 31 32 31,46992 | 6694 | 5,279 52| 33 26, 37125 9544 | 6,678 32 33 31,59717 6630 | 5,245 53 54 26, 50530 | 9462| 6, 640 33 34 31,72424 | 6566 5,211 54 55 26, 63918 9381 | 6,602 34 35 31,85113 | 6502 | 5,178. 55 56 26, 77288 9301 | 6,565 35 36 31,97785 | 6439 |5,144 56 57 26, 90641] 9221 | 6,527 36 37 32, 10440 6376 |5,111 57 58 27,03977| 9141 | 6,490 37 38 32,23077 | 6314 | 5,078 58 59 27,17295 | 9062 6, 452 38 39 32, 35696 6252 5,045 59 47 0 27, 30595 8983 6, 415 39 40 32, 48299 6190 | 5,012 47 0 1 27, 43878 8904 | 6,378 40 41 32, 60883 6129 4, 979 1 2 27,57144| 8826 6, 341 41 42 32,73451 | 6068 4, 946 2 3 27,70392| 8749 | 6,304 42 43 32,86001 | 6008 |4,913 3 4 27,83622 8672 6, 267 43 44 32, 98533 5948 4, 880 44 5 27, 96836 8595 | 6,230 441 435 33, 11048 5888 4, 848 5 6 28, 10031 8519 | 6, 194 45 46 33,23546 | 5829 4, 816 NG 7 28,23210| 8444 | 6,157 46 47 33,36026 | 5770 |4,783 7 8 28,36370 | 8369 | 6,121 47 48 33,48488 | 5712 |4,751 8 9 28,49514 | 8294 6, 084 48 49 33, 60934 5654 4, 719 9 10 28, 62640 8219 6, 048 49 50 33, 73361 55964, 687 10 11 28, 75748 8146 | 6,012 50 51 33, 85772 55394, 655 11 12 28, 88839 8072 5, 976 51 52 33, 98165 54824, 624 12 13 29,01913 7999 5, 940 52 53 34, 10540 5426 4, 592 13 14 29, 14969 7927 5, 904 53 54 34, 22898 5370 4, 560 14 15 29, 28007 78555, 869 54 55 34,35239 | 5314 |4,529 15 16 29,41028 7783 5,8334 35 56 34, 47562 5259 | 4,498 16 17 29, 54032 7712 | 5,798 56 57 34, 59867 5204 | 4,466 17 18 29, 67018 7641 | 5,762 57 58 34, 72156 5149 4,435 18 19 29, 79987 7570 5,727 58 59 34, 84426 5095 4, 404 19 20 29, 92938 7501 | 5,692 59 a8 0 34,96680 | 5042 4,373 20 21 30,05872 7431'5,6578480 o 1 35,08916 | 4988 |4, 343 CARL FRIEDRICH GAUSS 38 log m log m P ok P k Q +g R 4 Q-+4 a, $ 480 0'|480 1735/08916 4988 | 4”343 f 480 40'|480 413984061 | 3148 | 3’199 1 2 35,21134 | 4935 4, 31 41 42 39,95583 | 3109 3,173 2 3 35, 33335 4883 | 4,281 42 43 40,07087 | 3070 | 3,146 3 4 35, 45519 4830 4, 251 43 44 40, 18574 3031 3, 120 4 5 35,57685 | 4778 4, 221 44 45 40, 30043 2993 | 3,094 5 6 35, 69834 4727 4, 190 45 46 40,41495 | 2956 | 3,068 6 7 35,81965 | 4676 4, 160 46 47 40,52929 2918 | 3,042 7 8 35, 94079 4625 4, 130 47 48 40, 64347 2881 | 3,017 8 9 36,06175 4575 4, 100 48 49 40, 75746 2844 2, 991 9 10 36, 18254 4525 4, 070 49 50 40, 87129 2808 | 2,965 10 11 36, 30316 | 4475 4, 041 50 51 40, 98494 2772 2, 940 11 12 36,42360 | 4426 | 4,011 51 52 41,09841| 2736 | 2,915 12 13 36, 54387 4377 3,982 52 53 41,21171 | 2700 2, 889 13 14 36,66396 | 4328 | 3, 952 53 54 41,32484 | 2665 | 2,864 14 15 36,78388 | 4280 | 3,923 54 55 41,43780 | 2630 | 2,839 15 16 36, 90362 4232 | 3,894 55 56 41,55058 | 2595 | 2,814 16 17 37,02319 4184 3, 865 56 57 41,66318 | 2561 2, 790 17 18 37,4259 | 4137 3, 836 57 58 41, 77561 2527 | 2,765 18 19 37, 26181 4090 3, 807 58 59 41, 88787 2493 2, 740 19 20 37, 38086 4044 3, 778 5949 0 41,99996 | 2460 2, 716 20 21 37, 49973] 3998 3, 74949 0 1 42,11187 | 2427 2, 692 21 22 37,61843 3952 | 3,721 1 2 42, 22360 | 2394 | 2,667 22 23 37,73695| 3907 | 3, 692 2 3 42, 33517 2362 2, 643 23 24 37, 85530 3862 3, 664 3 4 42, 44655 | 2329 2, 619 24 25 37, 97348 3817 3, 636 4 5 42,55777 2297 2, 595 25 26 38,09148 | 3773 | 3, 608 5 6 42,66881 | 2266 | 2,572 26, 27 38, 20931 3729 3, 580 6 7 42, 77968 | 2234 2, 548 27 28 38, 32696 3685 3, 552 7 8 42, 89037 | 2203 2, 524 28 29 38, 44444 3641 3, 524 8 9 43, 00089 | 2172 | 2,501 29 30 38, 56175 3598 | 3,496 9 10 43,11124 | 2142 | 2,477 30 31 38,67888 | 3556 | 3,469 10 11 43,22141 2112 | 2,454 31 32 38,79583 | 3514 | 3,441 11 12 43, 33141 | 2082 2, 431 32 33 38, 91262 3472 | 3,414 12 13 43, 44123 2052 2, 408 33 34 39, 02923 3430 | 3,387 13 14 43, 55088 2023 | 2,385 34 35 39, 14566 3389 | 3,360 14 15 43, 66036 1994 2, 362 35 36 39, 26192 3348 3, 333 15 16 43, 76967 1965 2, 339 36 37 39, 37801 3307 | 3,306 16 17 43, 87880 | 1937 2,317 37 38 39, 493920 3267 | 3,279 17 18 43, 98775 1908 2, 294 38 39 39,60966 | 3227 | 3,252 18 19 44,09653 | 1880 | 2,272 39 40 39,72522| 3187 | 3,226 19 20 44, 20514 1853 2, 250 40 41 39, 84061 3148 3, 199 20 21 44, 31358 1825 | 2,227 UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 39 log m 1 gail Fix lz Kaal Re bt a + 49° 20/49 214431358 18252227500 olson 1’48”50876 | 936 |1”429 21 22 44,42184 | 1798 | 2,205 1 2 48,61009| 919 |1,412 22 23 44, 52993 1771 2, 183 2 3 48, 71124] 902 1,394 23 24 44, 63784 1745 2, 162 3 4 48, 81222] 885 1, 377 24 25 44, 74558 1718 2, 140 4 5 48, 91303] 868 1, 359 25 26 44, 85315 | 1692 |2, 118 5 6 49,01367| 852 | 1,342 26 27 44, 96054 1666 | 2,097 6 7 49,11413| 835 |1,325 27 28 45,06777| 1641 | 2,075 7 8 49, 21442 819 | 1,308 28 29 45, 17481 | 1615 | 2,054 8 9 49,31454 | 803 1,291 29 30 45,28169 15902, 033 9 10 49, 41448 787 1, 274 30 31 45, 38838 15662, 012 10 11 49, 51425 772 1, 257 31 32 45, 49491 15411, 991 11 12 49, 61385 757 1,241 32 33 45, 60126 | 1517 [4,970 12 13 49, 71327 742 1,224 33 34 45, 70744 14931, 949 13 14 49, 81253] 727 1, 208 34 35 45, 81345 1469 4, 928 14 15 49, 91161| 712 1,191 35 36 45, 91928 14461, 908 15 16 50,01051 | 697 1,175 36 37 46, 02494 | 1422 | 1,887 16 17 50,10925 | 683 1,159 37 38 46, 13043 1399 1, 867 17 18 50,20781| 669 |1,143 38 39 46, 23574 1377 11,847 18 19 50, 30619 655 1, 127 39 40 46, 34088 13541, 827 19 20 50, 40441] 641 1,112 40 41 46, 44584 1332 1, 807 20 21 50, 50245 628 1, 096 41 42 46, 55063 1310 | 1,787 21 22 50,60032| 615 |1,080 42 43 46,65525 | 1288 | 1,767 22 23 50,69802| 601 |1,065 43 44 46,75970 | 1267 1, 747 23 24 50,79554 | 589 1,050 44 45 46,86397 | 1245 |1,728 24 25 50, 89290] 576 | 1,034 45 46 46, 96807 | 1224 | 1,708 25 26 50,99007| 563 | 1,019 ER. 47 47,07199| 1203 | 1,689 26 27 51,08708| 551 | 1,004 47 48 47, 17574 1183 | 1,670 27 28 51,18391 | 539 | 0,990 48 49 47, 27932 1163 | 1,651 28 29 51,28058| 527 |0,975 49 50 47, 38273 1142 1, 632 29 30 51, 37706 515 0,960 50 51 47, 48596 1123 | 1,613 30 31 51, 47338 503 0, 946 51 52 47, 58902 1103 | 1,594 31 32 51,56952| 492 | 0,931 52 53 47,69191 | 1084 | 1,575 32 33 51,66549| 480 | 0,917 53 54 47,79462| 1064 | 1,556 33 34 51,76129| 469 | 0,903 54 55 47,89716| 1045 | 1,538 34 35 51, 85692 458 |0,889 55 56 47,99952 | 1027 | 1,520 35 36 51,95237| 447 0, 875 56 57 48, 10172 1008 | 1,504 36 37 52,04765! 437 0, 861 57 58 48, 20374 990 | 1,483 37 38 52, 14276 426 0, 847 58 59 48, 30559 972 | 1,465 38 39 52, 23770 416 [0,833 59150 0 48, 40726 954 1, 447 39 40 52, 33246 406 0, 820 50 0 1 48, 50876 936 1,429 40 41 52, 42705 396 0, 806 40 CARL FRIEDRICH GAUSS- | log m log m 0 + 7 P+p o k Oo PFP | SE 500 40˙%/500 415242705 396 | 0”806 [510 20'|510 2175606955 | 118 0359 41 42 52,52147 | 386 0, 793 210 22 56,15709 | 113 |0,350 42 43 52,61572| 376 |0,780 22 23 56, 24445 109 0, 342 43 44 52,70979 | 367 | 0,767 23 24 56,33165 | 105 |0,333 44 45 52,80369 | 358 | 0,754 24 25 56, 41867 101 0, 324 45 46 52, 89742 348 0, 741 25 26 56, 50553 97 0, 316 46 47 52, 99098] 339 0, 728 26 27 56, 59221 93 0, 308 47 48 53, 08436 331 0, 715 27 28 56,67872 89 (0, 299 48 49 53,17757| 322 0, 703 28 29 56, 76506 86 0, 291 49 50 53,27062| 313 | 0,690 29 30 56, 85123 82 0,283 50 51. 53, 36348 305 0, 678 30 31 56,93722 79 0, 275 51 52 53, 45618 297 0, 666 31 32 57,02305 75 0, 267 52 53 53, 54870 289 0,6544 32 33 57, 10870 72 0, 260 53 54 53, 64105] 281 0,642 33 34 57, 19418 69 0, 252 54 55 53,73323 | 273 |0,630 34 35 57,27950| 66 10,245 55 56 53,82524| 265 |0,618 35 36 57,36464| 63 0, 237 56 57 53,91708 | 258 0, 606 36 37 57,44960 | 60 0, 230 57 58 54,00874| 251 0, 595 37 38 57, 53440 57 0, 223 58 59 54, 10023] 243 0,583 38 39 57,61903 55 0, 216 59 51 0 54, 19155 236 0,572 39 40 57, 70348 52 0, 209 51 0 1 54, 28270 229 0, 561 40 41 57, 78777 50 0, 202 1 2 54, 37367 223 0, 550 41 42 57,87188| 47 10,196 2 3 54, 46447 216 |0,539 42 43 57, 955828 45 0, 189 3 4 54, 555110 209 0, 528 43 44 58,03959 43 0, 183 4 5 54, 64556 203 0,517 44 45 58,12319| 40 0, 176 5 6 54, 73585 197 0, 506 45 46 58,20662| 38 0, 170 6 7 54,82597| 191 | 0,496 46 47 58, 289888 36 0, 164 7 8 54,91591 185 0, 485 47 48 58, 37296 34 0, 158 5 9 55,00568 |. 179 |0,475 48 49 58,45588 32 |0,152 9 10 55,09528 | 173 0,465 49 50 58, 53862] 31 0, 146 10 11 55, 18471 167 0, 4544 50 51 58,62120| 29 0, 141 11 12 55,27397 | 162 |0,444 51 52 58,70360| 27 |0,135 12 13 55,36305 | 156 0, 435 52 53 58, 78583] 25 0, 130 13 14 55, 45196 151 0,425 53 54 58, 86789 24 0, 124 14 15 55, 54070 146 0, 415 54 55 58,94978| 22 |0,119 15 16 55,62927 141 0,405 55 56 59,03150 21 [0,114 16 17 55, 71767 136 0, 396 56 57 59,1305] 20 0, 109 17 18 55, 80590 131 0,387 57 58 59, 19443 18 0, 104 18 19 55, 89395 | 127 0, 377 58 59 59, 27563 17 0, 099 19 20 55,98183 122 0, 36 5952 0 59, 35667 16 0,095 ée 21 56,06955 118 0, 35952 0 1 59, 43754 15 0, 090 . UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 41 Hafens. Classe. II. log m Q-+4 Pn ri k Oo P+p än k 520 0˙%520 1'59’43754| 15 |0090 J 520 Anlaag 42’2’53251| o 0000 1 2 59,51823 14 0, 08 41 43 2,60640 0, 000 2 3 59, 59876 13 [0,081 42 44 2, 68013 3 4 59,67911| 12 0, 077 43 45 2, 75368 0,001 4 5 59, 75929 11 (0, 073 44 46 2, 82706 0,001 5 6 59, 839310 10 0, 069 45 47 2, 90027 0,001 6 7 59,9915 9 0, 065 46 48 2, 97331 0,002 7 8 59, 99882 8 [0,061 47 49 3,04619 0, 003 8 10 0, 07832 8 0, 058 48 50 3,11889 „004 9 11 0, 15765 7 (0, 054 49 51 3, 19143 0,005 ar 0 12 0, 23681 6 0, 051 50 52 3, 26379 0, 006 11 13 0, 31580 6 (0, 047 51 53 3,33599 0,007 12 14 0, 39462 5 10,044 52 54 3, 40802 0 0, 008 13 15 0, 47327 5 0, 041 53 55 3, 47987 1 0, 010 14 16 0, 55175 4 0, 038 54 56 3,55156 1 10,011 15 17 0, 63006 4 0, 035 55 57 3,62308| 1 [0,013 16 18 0, 70820 3 0, 032 56 58 3,69443| 1 (0,014 17 19 0,7861770 3 0, 030 57 59 3, 76561 1 (0,016 18 20 0,86397} 2 10,027 58.153 0 3, 83662 1 10,018 19 21 0, 94159 2 0, 025 59 1 3, 90747 2 0, 020 20 22 1,01905 2 0, 02353 0 2 3, 978144 2 (0, 023 21 23 1,09634| 2 10,020 1 3 4,04864! 2 [0,025 22 24 1,17346| 1 (0,018 2 4 4,11898 2 0, 027 23 25 1, 25040 1 (0, 016 3 5 4, 18915 3 0, 030 24 26 1, 327188 1 (0,014 4 6 4, 25914 3 10,033 25 27 1, 40379 1 0,013 5 7 4, 32897 4 10,036 26 28 1, 48023] 1 0, 011 6 8 4, 39863 4 0, 038 27 29 1, 55649 1 0,010 7 9 4, 468134 5 10,041 28 30 1, 632599 o 0, 008 8 10 4, 53745 5 0, 044 29 31 1, 70852 0,007 9 11 4, 60660 6 0, 048 30 32 1,78428 0,006 10 12 4,7559 6 [0,051 31 33 1,85986 0, 005 11 13 4,74440| 7 0,054 32 34 1, 93528 0, 004 12 14 4, 81305 8 0, 058 33 35 2,01053 0, 003 13 15 4, 88153 8 0,062 34 36 2,08561 0,002 14 16 4,9984 9 0, 065 5 37 2, 16052 0,001 15 17 5,01798| 10 0,069 36 38 2, 23526 0,001 16 18 5,08595 11 {0,073 37 39 2, 30982 0,001 17 19 5, 15376 12 0,078 e 3 38 40 2, 38422 0,000 18 20 5,22139 14 0,082 39 41 2,45845 0,000 19 21 5, 28886 14 0,086 40 42 2, 53251 0 10,000 20 22 5, 356161 15 10,091 F 42 CARL FRIEDRICH GAUSS logm log m Q+4| Ft „ „ er PH» | ka 530 20˙%530 22’5”35616 | 15 0091540 0˙%4 2“ 791036 119 |0”363 21 23 5342929 16 0, 095 1 3 7, 97078 123 0, 373 22 24 5, 49025 17 0, 100 2 4 8,03103 128 0,382 23 25 5, 55705 18 0, 105 3 5 Soot) 132 0, 391 24 26 5, 62367 20 0, 110 4 6 8, 15103 137 0,401 25 27 5,69013 | 21 |0,115 5 7 8, 21079 142 0, 411 26 28 5, 75642] 22 0, 120 6 8 8, 27037 147 0, 420 27 29 5, 82254 24 0, 125 7 9 8, 32979 153 0, 430 28 30 5, 88849 26 0, 131 8 10 8, 38904 158 0, 440 29 31 5, 95428 27 0, 136 9 11 8, 44812 163 0, 450 30 32 6,01989 | 29 0, 142 10 12 8, 50704 169 0, 460 31 33 6, 08534 31 0, 147 11 13 8,56579 175 10,471 32 34 6, 15062 33 0, 153 12 14 8, 62438 180 0,481 33 35 6, 21573 34 0, 159 13 15 8, 68279 186 0, 492 34 36 6, 28068 36 0, 165 14 16 8,74104| 192 0, 502 35 37 6,34545 | 38 0, 171 15 17 8,79913 199 0, 513 36 38 6, 41006 41 0,178 16 18 8,85705 205 0, 524 37 39 6, 47450 43 0,184 17 19 8, 91480 212 0,535 38 40 6, 53877 45 0, 191 18 20 8, 97238 218 0, 546 39 41 6, 60288 47 0, 197 19 21 9,02980| 225 0, 557 40 42 6,66681 | 50 0, 204 20 22 9,08705 232 0, 569 41 43 6,73058 | 53 0,211 21 23 9, 14413 239 0, 580 42 44 6, 79418 55 0,218 22 24 9, 20105 | 246 0, 592 43 45 6,85762 | 58 0, 225 23 25 9, 25781 253 0, 604 44 46 6, 92088 61 0,232 24 26 9, 31439 261 0, 615 45 47 6,98398 | 64 |0,240 25 27 9, 37081] 268 0, 627 46 48 7, 04691 67 0, 247 26 28 9, 42706 276 0, 639 47 9 7, 10967 70 0, 255 27 29 9, 48315 284 0, 652 48 50 7, 17227 73 0, 262 28 30 9, 53907 292 0, 664 49 51 7, 23470 76 0, 270 29 31 9,59483 300 0, 676 50 52 7, 29696 79 0, 278 30 32 9, 65042 309 0, 689 51 53 7,35905 | 83 0, 286 31| 33 9, 70584 317 0, 701 52 54 7, 42098 86 0, 294 32 34 9, 76110 326 0,714 53 55 7, 48273 90 0, 303 33 35 9, 81619 335 0, 727 54 56 7,54432 94 0,311 34 36 9, 87111 0, 740 55 57 7,60575 | 98 0, 319 35 37 9,92587| 353 | 0,753, 56 58 7,66700 | 102 10,328 36 38 9,98046 | 362 0, 766 57 59 7,72809 | 106 [0,337 37 39 10,03489| 372 |0,780 5854 0 7,78901 | 110 |0,345 38 40 10,08915 | 381 0,793 59 1 7,84977 | 114 0, 354 39 41 10,14325 | 391 0, 807 54 0 2 7, 91036 119 10,363 40 42 10, 19718 401 0, 820 , UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 43 | lo m ; g 540 40“ 540 421019718 401 [0820] 550 201550 221221889 953 1 403 41 43 10, 25094 411 0, 83 21 23 12, 26605] 971 1,481 42 44 10, 30454 421 0, 848 22 24 12, 31306 9891, 500 43 45 10, 35797 432 0, 862 23 25 12, 35990 1008 | 1,519 44 46 10, 41124 443 0, 876 24 26 12, 40657 1026 1,538 45 47 10,46434| 453 0, 890 25 27 12, 45308 1045 1,557 46 48 10,51727 464 0, 905 26 28 12, 49943 1064 1,576 47 49 10, 57004 476 0,919 27 29 12,54561 | 1084 1, 595 48 50 10, 62265 487 0,934 28 30 12,59163 1104 1,614 49 51 10, 67509 498 0, 949 29 31 12, 63749 1123 1,633 50 52 10, 72736 510 0, 964 30 32 12,68318 1144 1,653 51 53 10, 77947 522 0, 978 31 33 12,72870| 1164 | 1,673 52 54 10,83142| 534 | 0,994 32 34 12,77407 | 1185 1,692 53 55 10,88320| 5461, 009 33 35 12,81927 | 1205 1,712 54 56 10,93481| 559 1,024 34 36 12, 86430 1226 | 1,732 55 57 10,98626 | 571 1,039 35 37 12,90918 | 1248 1,752 56 58 11,03754 584 4, 055 36 38 12,95389 | 1269 1,773 57 59 11,08866| 597 1,071 37 39 12,99843 12911, 793 5855 0 11,13961] 611 1,086 38 40 1304282 | 1313 | 1,813 59 4 11,19040 624 | 1,102 39 41 13, 08703 1336 1,834 55 0 2 11, 24102] 638 1,118 40 42 13, 13109 1358 1,855 1 3 11,2948] 651 1, 134 41 43 13, 17498 1381 | 1,875 2 4 11,34177| 665 1,151 42 ‚44 13,21871 1404 | 1,896 E$ 5 11,39190| 680 1,167 43 45 13,26228 | 1428 1,917 ZA 6 11,44186| 694 1,184 44 46 13,30568} 1451 1, 939 5 7 11, 49166 709 1, 200 45 47 13, 34892 1475 1, 960 6 8 11,5429 723 1,217 46 48 13, 39199 1499 1,981 7 9 11,59076 738 1,234 47 49 13,3491 1524 2, 003 8 10 1164007 754 1,251 48 50 13, 47766 1548 2, 024 9 11 11, 68921 769 1, 268 49 51 13, 52024 1573 2, 046 10 12 11,73818 785 1, 285 50 52 13, 56267 1598 2, 068 44 | 13 11, 78699 800 1,302 51 53 13, 60493 1624 2, 090 12 14 11,83564 | 817 1, 320 52 54 13, 64703 1650 2, 112 13 15 11, 88412 833 1, 337 53 55 13, 68896 1676 2, 134 14 16 11, 93244 849 1,355 54 50 13, 73074] 1702 2, 157 15 17 11, 98059 866 1,372 55 57 13,77235| 1728 2, 179 16 18 12,02858 | 883 1, 390 56 58 13,81379| 1755 2, 202 17 19 12, 07640 900 1, 408 57 59 13, 85508 1782 | 2,225 18 | 20 12, 12406 917 1,426] 58 56 0 13,9620 1810 | 2,247 19 21 12, 17156 935 1, 445 59 1 13,93716 1837 2, 270 20 22 12, 21889 953 4, 463156 0 2 13,97795 1865 2, 293 CARL FRIEDRICH GAUSS 44 log m N Q+) P+p wl ko fora] Fei lr 56° be 2˙13 97795 1865 2 293560 40,0560 42 1547703 | 3231 3˙314 3 14,01859 1894 2,317 41 43 15,51120 3272 3,342 2 4 14,05906 1922 2,340 42 44 15,54521 3313 3,370 3 5 14, 09937 | 1951 2,363 43 45 15, 57906 3355 3, 398 4 6 14, 13952 1980 2,387 44 446 15,61275 | 3396 3,426 5 7 14.17950 2009 2,411 25 47 15,64627 3439 3,455 ô 8 14,21932 2039 |2,434 46 | 48 15.67964 3481 | 3,483 ; 69 | 2,458 47 49 15,71285 | 35 3 8 10 14, 29848 2099 } 2,482 48 50 15.74589 3567 ` or 33782 2130 2,500 49 51 15,77878 3611 3,570 10| 22 14,37699 2161 2,531 50 52 15,81 11 13 14.41600 | 2192 | 2,555 51 53 8 sec E 12 14 14,45485 | 2223 2,579 V7 13 15 14,49354 2255 2,604 53 55 15, 90872 3788 So ul 16 14,53206 2287 2,629 54 36 15, 94080 3834 575 15 17 14,57043 2319 2,654 56 374897274 3879 3,746 16 18 14,6080 2352 2,079 „ 17 19 14,64667 | 2385 | 2,704 FF 15 20 14,68455 | 2418 5757 5857 0 16, 06754 4019 3,835 j 52 2,754 59 1:16,09883 | 4066 | 3,865 201: 2214,75982 2486 2, 78057 0 $ | 21 23 14.79721 2520 2, 805 1 ee — — SCH 22 24 14,83444 2555 | 2,331 2 4 16:19172| 4210 Er | j 9 2,857 ) 24 26 14, 90842 2625 2,883 ` — . 430 la SE ‚94517 | 2660 2, 909 5 $ ; 26 28 14,98175 | 2696 2,935 6 ba ne er) ege: 27 20 15,01818 | 2732 2,961 7 9 16, 34336 4457 a >$ e 10, 08244 EN 2,988 8 10 46,37320 4507 éi 3,014 9 | 11 16,40289 4558 | 4,173) 30 32 15,12648 | 2842 | 3,041 2 10 % 33.15,10226| 2880 0% 11 F 33 1524734 | 2917 13,008 V ol 35 192680 2955 [1] oi 15 . 3 | 7 153077 2994 3,148] 14 1 16,54895 4818 4,332 35| ga 3033 |3,176 15 17 16.57768 4872 4,364 36 15,33874 3072 | 3,203 16 18 16,60625 | 4925 4, „ 0 15,37356| 3111 | 3,230 17 19 16763467 | 4 >72 zl 40 45,40821 | 3151 13,250 | 4 20 16,60293 5034 4.40 39 a 15,44270 3191 3,286 19 21 16,69102 5089 . 15,47703 3231 3,314 20 22 16, ` 71896 5144 4, 526 UNTERSUCHUNGEN ÜBER GEGENSTÄNDE DER HÖHERN GEODAESIE. 45 log m l hel Pin 5 P+p CS k 570 20'|570 22°16’71896 | 5144 [4526580 0% 580 2'17”70678| 7698 | 5933 21 23 16,74674 | 5200 | 4,55 SC 3 17,72825| 7771 5, 970 22 24 16, 77436 5256 4, 592 2 4 17, 74956 7844 6, 008 23 25 16, 80182 53124, 625 3 5 17, 77072] 7918 6, 046 24 26 16, 829130 5369 4, 658 4 6 17, 79171] 7993 6, 084 25 27 16,85627 | 5426 |4,691 5 7 17,81255 | 8067 6, 122 26 28 16,88326 | 5484 |4,724 6 8 17,83324| 8143 6, 160 27 29 16,91008 | 5542 |4,758 7 9 17,85376 8218 6, 199 28 30 16, 93675 56004, 792 8 10 17, 87414] 8294 6, 237 29 31 16, 96326 56594, 825 9 11 17, 89435] 8371 | 6,276 30 32 16, 98962 57194, 859 10 12 17, 91441 8448 | 6,315 31 33 17, 01581 57784, 893 11 13 17, 93431 8526 | 6,354 32 34 17,04185 | 5839 4,927 12 14 17, 95406 8604 6, 393 33 35 17,06772 | 5899 4, 962 13 15 17, 97365 8682 6,432 34 36 17,09344 | 5960 4, 996 14 16 17, 99308] 8761 | 6,471 35 37 17, 11900 6021 | 5,030 15 17 18,01236 | 8841 | 6,511 36 38 17,14441 | 6083 | 5,065 16 18 18, 03148] 8921 | 6,550 37 39 17,16965 | 6146 | 5,100 17 19 18,05045 | 9001 | 6,590 38 40 17,19474 | 6208 | 5,135 18 20 18,06925 | 9082 | 6,630 39 41 17,21967 | 6271 | 5,170 19 21 18, 08791 9164 | 6,670 40 42 17,24444 | 6335 5, 205 20 22 18,10641 | 9246 | 6,710 41 43 17,26905 | 6399 | 5,240 21 23 18,12475| 9328 | 6,750 42 44 17,29351 | 6463 | 5,275 22 24 18,14293 | 9411 | 6,790 43 45 17,31780 | 6528 | 5,311 23 25 18,16097| 9495 | 6,830 44 46 17,34194 | 6593 | 5, 346 24 26 18, 17884 9578 | 6,871 45 47 17,36593 | 6659 | 5, 382 25 27 18,19656 | 9663 | 6,912 46 48 17,38975 | 6725 |5,418 26 28 18,21412| 9784 | 6,952 47 49 17,41342 | 6792 | 5,454 27 29 18,23153| 9833 | 6,993 48 50 17, 43693 6859 5, 490 28 30 18, 24879 9919 | 7,034 49 51 17, 46028 69265, 526 29 31 18, 265881 7,075 50 52 17, 48348 69945, 563 30 32 18, 28283 10092 | 7,117 51 53 17, 50652 70635, 599 31 33 18, 29962 | 10180 | 7,158 52 54 17,52940 | 7131 | 5, 636 32 34 18,31625 | 10268 | 7,200 53 55 17,55212 | 7201 | 5,672 33 35 18, 33272 | 10356 | 7,241 54 56 17,57468 7270 | 5,709 34 36 18, 34905 10445 | 7,283 55 57 17,59709 | 7341 5, 746 35 37 18,36521 | 10535 | 7,325 56 58 17,61935 | 7411 | 5,783 36 38 18,38123 ! 10625 | 7,367 57 59 17,64144 74825, 8201 37 39 18, 39708 10715 | 7,409 58 |58 0 17, 66338 7554 5, 858 38 40 18, 41279 | 10806 | 7,451 59 4 17,68516 | 7626 5, 895 39 41 18,42833 | 10898 | 7,484 58 0 2 17, 70678 7698 5, 933 40 42 18, 44373 10990 | 7, 536 ABHANDLUNGEN DER HISTORISCH-PHILOLOGISCHEN CLASSE - DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ZWEITER BAND. Histor.- Philol. Classe. II. A Über unsere Kenntniss der Arabischen Philosophie und besonders über die Philosophie der orthodoxen Arabischen Dogmatiker. Von Heinrich Ritter. Vorgelesen in der Sitzung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu go — am 18. November 4843. D I. fühle wohl, dass ich einer Entschuldigung bedarf wegen des Gegenstan- des, welchen ich für meine Vorlesung gewählt habe. Nicht weil er den ent- legenen Gebieten angehört, in welche die Forschungen der Gelehrten selten eindringen; denn es darf zu den Pflichten gelehrter Gesellschaften gezählt werden, eben solche Gebiete aufzusuchen und Forschungen über sie anzu- stellen oder zu veranlassen; sondern weil ich der Arabischen Sprache unkun- dig bin und mir daher das wichtigste Mittel abgeht, durch welches dieser Gegenstand beleuchtet werden müsste. Meine Entschuldigung aber liegt darin, dass ich die, welche Arabisch verstehen, theils um die Arabische Philosophie sich wenig kümmern sehe, theils bemerke, dass sie den alten Hülfsmitteln, welche wir für die Kenntniss der Arabischen ene haben, zu geringen Werth beilegen. Zu dieser Bemerkung veranlasst: mich besonders eine im vorigen Jahre erschienene Schrift von A. Schmölders essai sur les écoles philosophiques chez les Arabes (Paris 1824). Der Verfasser hat sich schon früher durch Herausgabe und Übersetzung einiger philosophischen Werke der Araber, na- mentlich des Abu Nasr El Farabi und des Abu Ali Ibn Sina D Verdienste 1) Documenta philosophiae Arabum ex codd. Mss. primus edidit, latine vertit, commentario illustravit Dr. August. Schmölders. Bonn. 1836. A2 4 HEINRICH RITTER um unsern Gegenstand erworben. Auch die Verdienste, welche seine neueste Schrift hat, bin ich weit entfernt zu verkennen. Sie enthält ein Werk des Gazali in Text und Übersetzung, welches erst rechtes Licht über das Leben und die Bestrebungen dieses sonst schon bekannten Philosophen verbreitet, sie erhellt manche uns sonst unbekannte Punkte der Arabischen Sekten und giebt besonders ausführliche Auszüge aus den Schriften der Motakhallim, der Arabischen Dogmatiker, deren Lehren in ihrem Zusammenhang bisher ver- borgen lagen. Aber die Punkte, über welche wir hauptsächlich Auskunft zu erhalten wünschen müssen, weil sie in die Entwicklung unserer Wissenschaf- ten sehr stark eingegriffen haben, werden in ihr fast ganz übergangen. Es ist eine bekannte Thatsache, dass wir die Kenntniss der Aristoteli- schen Physik und Metaphysik zu Aufange des 13. Jahrhunderts zunächst den Arabern verdanken. Schon früher war man in dem Romanisch - Deutschen Europa mit der Arabischen Medicin bekannt geworden, und andere Kennt- nisse der Naturwissenschaften, der Astronomie, der Mathematik, die Anfänge der Chemie haben sich mit diesen von den Arabern überlieferten Wissen- schaften vergesellschaftet. Lange Zeit. haben diese Überlieferungen das Nach- denken beschäftigt bis in die Zeiten der sogenannten Wiederherstellung der Wissenschaften hinein. Noch einmal erhoben sich da die Streitigkeiten zwi- schen den Auslegern des Aristoteles nach der Weise des Averroes und nach der Weise des Alexander unter den Philosophen, während unter den Ärzten nicht weniger eifrig gestritten wurde, ob man auf den Avicenna oder auf den Hippokrates und den Galen zurückgehen oder auch nur die eigene Erfahrung und die Beobachtung der Natur zur Führerin wählen sollte. Wenn eine Literatur so lange und so tief in die Geschichte unserer Wissenschaften eingegriffen hat, so verlohnt es sich wohl der Mühe sie in ihren Werken aufzusuchen. Der Verfasser der angeführten Schrift, wie ich bemerkte, hat es vernachlässigt. Es ist dies die Literatur der Aristoteliker unter den Ara- bern. Von ihr erfahren wir bei ihm nür wenig und dies Wenige Geier? nicht unbedeutende Irrthümer. Und nicht allein vernachlässigt hat er diesen Theil seiner Aike sondern es kommen in seiner Schrift auch Ausserungen vor, welche Andere davon abhalten möchten den Arabischen Aristotelikern sorgfältiger nachzufor- x ÜBER UNSERE KENNINISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE ei. 5 schen. Er meint sie könnten keinen Anspruch darauf machen: unsere: Auf: merksamkeit festzuhalten; bei allen zeigten sich dieselben Grundsätze, dieselben Ergebnisse, dieselbe Methode; sie wären Nachbeter des Aristoteles, welchen sie mit Hülfe Neu- Platonischer Erklärer verstehen gelernt hätten, und wenn Verschieden leiten der Meinung bei ihnen stattfanden, so liefen dieselben nur darauf hinaus, ob sie mehr oder weniger dem Aristoteles oder seinen Neu- Platonischen Auslegern gefolgt wären 1). Diese Verachtung der Arabischen Aristoteliker erstreckt sich sogar über die ganze Arabische Philosophie; er spricht ihr alle originelle Gedanken ab 2). Wenn die Philosophen unter den Arabern so reine Kanäle gewesen wären, durch welche die Gedanken der Griechen ihren Durchgang zu uns genommen hätten, so würden sie freilich in der Geschichte der Menschheit keine grössere Aufmerksamkeit verdienen, als andere Mittel, welche nicht Menschen, sondern nur menschliche Werk- zeuge sind. y , Aber es hat die grösste Unwahrscheinlichkeit, dass es so sich verhalıe, Ich wüsste in der Geschichte keine reine Aristoteliker, keine reine Platoniker nachzuweisen. Sollte es deren gegeben haben, so wären sie vergessen wor- den, wie ein reiner Nachhall wohl für die Physik, aber nicht für die Ge- schichte der Menschen ein Interesse hat. Wenn es von einer Wissenschaft gilt, dass sie die Eigenthümlichkeit der Menschen und der Zeiten abspiegelt, welche sie pflegen, so ist es gewiss die Philosophie. Nicht mit Unrecht hat man von ihr gesagt, dass sie die allgemeine »wissenschaflliche Denkweise des Volkes und der Zeit, welcher sie angehört, darzustellen strebe; wie sollte es unter dieser Voraussetzung möglich sein, dass die Philosophie eines Griechen ohne Abänderung auf die Araber übergegangen wäre? Doch dieser Beweis gehört einem andern Gebiete als der Geschichte an; er muss solchen Beweisen 'zugezählt werden, zu welchen wir wohl zuweilen unsere Zuflucht nehmen müssen, aber nur ungern. Für unsern Fall haben wir glücklicher Weise andere Gründe. Es liegt uns eine ziemliche Zahl von Schriften der Arabischen Aristoteliker vor, welche zeigen, dass die Meinung 1) Schmölders essai p. 132. 2) Ib. p. 4. 6 % 31H9020.199 THEN NMEA Schmölders’s irrig ist. Was er dagegen einzuwenden haben möchte, kann nicht von grossem Belange sein, da er eingesteht, dass er nur wenige Schrif- ten der Arabischen Aristoteliker kenne, wie denn auch nur wenige auf der Pariser Bibliothek, deren Schätze ihm für sein Werk zu Gebote 1 vorhanden wären. Aber warum hat er sich der Lateinischen BEER nicht indiesk welche gedruckt sind? Es mag wohl für einen des Arabischen Kundigen eine verdriessliche Arbeit sein, wenn er über Arabische Literatur Übersetzungen zu Rathe ziehen soll. Aber auch dem, welcher Griechisch versteht, wird es nicht angenehm sein, wenn er dus. Lateinischen Ubersetzungen seine Kennt- nisse über manche Theile der Griechischen Literatur entnehmen muss; den- noch hat die classische Philologie solche Hülfsmittel nicht verschmäht. Wir werden es eben so halten müssen mit unsern Untersuchungen über die Ara- bischen Aristoteliker, so lange uns andere Quellen fehlen. Dass Schmöl- ders es nicht gethan hat, könnte nur durch die n Unzuverlässigkeit jener Ubersetzungen entschuldigt werden. Nun will ich keinesweges die Weise, wie die Schriften der Araber im Mittelalter übersetzt worden sind, in Schutz nehmen. Wir wissen, dass dabei Juden als Mittelspersonen dienten, denen die rechte Liebe zu diesem Werke, auch die Kenntniss der Lateinischen Sprache fehlen mochte. Sie sind in ei- nem Latein geschrieben, welches an Barbarei kaum zu übertreffen ist. Dass dennoch der Sinn der Originale immer getroffen wäre, würde zu den kühn- sten Voraussetzungen gehören. Man pflegt eine Stelle des Casiri anzuführen, in weleher er urtheilt, diese Versionen wären vielmehr Perversionen zu nen— nen 1). Ich kenne zwei Ubersetzungen eines berühmten Buches des Averroes, seiner Vertheidigung der Philosophie gegen die Angriffe des Algazel 2); wenn man beide vergleicht, möchte man in den einzelnen ‘Stellen’ kaum dieselbe Wiere als ihre rn ee ; ehren so ist es mit andern Schriften 1) Bibl. Arab. Hisp. l, p- 190. 2) Die eine in den Werken des Aristoteles Venet. 1552, die andere mit der Aus- legung des Angustinus Niphus und einigen kleinern Schriften desselben ese Venet. 1497. ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic, 7 desselben Philosophen, von welchen man doppelte Übersetzungen hat. Aber sind darum alle Übersetzungen der Arabischen Aristoteliker: für «unbrauchbar zu halten? Kann man nicht durch Vergleichung ‚der verschiedenen Übersetzun- gen hoffen» auf die richtige Spur zu kommen? Um ` den Werth derselben genau zu prüfen, würde eine Vergleichung mit dem Text nöthig sein, und das wäre für den gegenwärtigen Standpunkt unserer Literatur ein verdienst- liches Werk. Um jedoch eine im Allgemeinen genügende Schätzung zu ge- winnen, dazu giebt es noch andere Mittel; Ohne Zweifel sind nicht alle Übersetzungen der Arabischen Aristoteliker mit dem äussersten Mistrauen an- zusehen. Wir haben von Werken Alfarabi's Übersetzungen von Schmöl- ders selbst, der auch eine kleine, freilich nicht sehr bedeutende Schrift des Avicenna übersetzt hat. Bedeutendere philosophische Schriften desselben Man- nes hat zu Anfang des 16. Jahrh. Andreas Alpayus oder Mongayus übersetzt, der auch die Ubersetzung des Kanon verbesserte, ein philosophischer Arat, welcher das Studium der Araber besonders sich zur Aufgabe gemacht und deswegen grosse Reisen in den Orient unternommen hatte. Um unsere Kennt- niss des Algazel haben sich in neuerer Zeit mehrere Gelehrte, wie Tholuck, von Hammer- Purgstall, jetzt Schmölders selbst Verdienste erworben. Das Hauptwerk des Abu Bekr (Dschafar) Ibn Tofail, der Philosoph als Autodidakt, ist von dem jüngern Pococke unter Aufsicht seines Vaters in's Lateinische, von Joh. Gottfr. Eichhorn in's Deutsche übersetzt worden. Wir haben allen Grund die Reihe dieser Ubersetzungen, wenn auch nicht mit völliger Zuversicht, doch mit einem gewissen Vertrauen anzusehn. Es sind aber die angeführten Männer, Alfarabi, Avicenna, Algazel, Ibn Tofail, die bedeutend- sten Philosophen unter den Arabischen Aristotelikern. Von denen, welche auf das Mittelalter einen bedeutenden Einfluss ausübten, fehlt fast nur Aver- roes. Mit den Übersetzungen seiner Werke scheinen wir freilich schlimmer daran zu sein. Kein Neuerer seit dem 16. Jahrh. bat sich mit diesen Wer- ken wieder beschäftigen mögen, so sehr es auch der Mühe verlohnen würde, wenn auch nicht seine weitläufigen Commentare, so doch seine kurzen Aus- nüge, etwa aus der Metaphysik, einer neuen Durchsicht zu unterwerfen. Im 16. Jahrh. jedoch sind die Schriften des Averroes fleissig gelesen und über- ‚setzt worden. Da die alten Ubersetzungen dunkel waren und unzuverlässig 8 „ Ante VÜHEINRICHIRELTER. schienen, wurden sie zu Anfange und in der Mitte des Jahrh. wiederholt | durchgesehen, verbessert oder mit neuen Übersetzungen vertauscht. Es sind besonders zwei Jüdische Arzte, Abraham de Balmis und Mantinus, auch ein Philosoph Joh. Franz Burana, welche sich diesem Geschäfte unterzogen. i Man sieht, dass es ‚wenigstens an dem Bestreben nicht gefehlt hat rich- dee Übersetzungen von den Werken des Averroes zu erhalten. Nehmen wir nun auch an, dass jene ältern Übersetzer keine genaue Kenntniss der Arabi- schen Sprache hatten, so kann man ihnen doch nicht absprechen, dass sie etwas zu Stande gebracht haben, was noch immer unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen verdient, so lange wir ihre Ubersetzungen nicht mit bessern Ubersetzungen oder mit der Einsicht in die Originale selbst vertauschen können. Namentlich die Übersetzungen des Averroes, welche am wenigsten beglaubigt sind, dienen mir als Beweis. Wie häufig wir auch auf Dunkelheiten in ihnen stossen, so überraschen sie doch auch wieder nicht selten durch ein kaum gehofftes richtiges Verständniss der Aristotelischen Lehre, durch Scharfsinn, durch eine klare Auseinandersetzung der Grundsätze, welehe durch einen lan- gen Zusammenhang wissenschaftlicher Lehren durchgeführt werden. Wenn Schmölders Originalität in der Arabischen Philosophie vermisst, so hätte er sie hier finden können. Ich meine, sie ist auch der beste Beweis, dass diese Übersetzungen nicht unbrauchbar, nicht in allen ihren Theilen unzu- verlässig sind. Denn die originellen Gedanken werden die Ubersetzer nicht in ihre Urschrift inen. lebens Averroes verbürgt uns alsdann auch vieles Andere in der Arabi losophie, indem er auf seine Vorgänger verweist. Der gute Jusammienhang aber, in welchem wir seine Philosophie mit der Philosophie der frühern Arabischen Aristoteliker finden, wird uns als ein neues Kennzeichen für die Richtigkeit des Uberlieferten dienen können. Dabei wollen wir uns aber nicht verbergen, dass die Kenntniss, welche wir aus allen. Übersetzungen der Arabischen Aristoleliker schöpfen können, nur ein Bruchslück der Arabischen Philosophie sist. Es kommt daher darauf an, so genau als möglich zu ermitteln, in wie weit diese fragmentarischen Über- lieferungen uns eine Übersicht über das Wissenswerthe aus der Geschichte der Arabischen Philosophie gewähren können. Dies kann nur dadurch geschehen, dass man den ganzen Verlauf derselben in einem allgemeinen Umrisse aufzufassen strebt. ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARAEIScHEN PHILOSOPHIE ete- 9 Menn es allein darauf aukäme die Geschichte der Arabischen Aristote: liker zu übersehn, so Würden uns unsere Übersetzungen doch ziemlich genü- gen. Zwar ihre ersten“ Anfänge) werden uns aus denselben nicht bekannt, El Kindi (Alkindus), welcher am Ende des 2. und zu Anfange des 3. Jahrh. der Hedschra lebte, pflegt als der erste bedeutende Aristoteliker unter den Arabern angeführt zu werden. Von ihm haben wir Leine Übersetzungen phi- losophischer Werke. Er scheint aber aueh vorzugsweise mit Mathematik und Medicin sich beschäftigt und in der Philosophie mit Übersetzungen und Aus- zügen sich begnügt zu haben 1). Von andern Aristotelikern, welche ihm folg- ten, wissen wir fast nur die Namen bis auf den El Farabi (Alpharabius) herab, welcher dem Ende des 3. und dem Anfange des 4. Jahrh. der Hedschra angehört! Es ist also ein völles Jahrbe, welches uns völlig dunkel bleibt, so wie die Anfänge eines Zweiges der Literatur in der Regel dunkel sind. Die- ser Zeitraum scheint uns jedoch nicht zu lang, um nicht annehmen zu dürfen, dass i in ihm nichts anderes zu finden’ sein möchte, als das Bestreben der Ara- ber eine so" dunkle Sache, wie ihnen die Aristotelische Philosophie erscheinen musste, erst einigermassen! veisteben zu lernen. Erst El Farabi wird von den Arabern selbst als der eigentliche Begründer ihrer Philosophie angesehn und bei ihm finden wir auch eine Lehre, welche sich eben erst von der Uberlieferung zu weitern Aussichten zu erheben strebt. Wir haben nun eine Übersicht der Aristotelischen Philosophie bei den Arabern von einem Manne, welcher selbst in dieser Philosophie einen bedentenden Namen hat, dem Ibn Tofail in seiner Vorrede zum Philosophen als Autodidakten. Er gehört zu den spätern Arabischen Arlstotelkern; er ist ein Zeitgenosse des Ibn Roschd (Averroes), wie es scheint, etwas älter als dieser. Indem er nun seine Vor- gänger aufzählt, bei denen man Unterricht über die Philosophie suchen könnte, sind es eben die oben genannten, welche er nahmhaft macht, ein El Farabi, Ibn Sina” eeng, EI Gazali (Asateh), deren Übersetzungen wir vorher erwähnt, haben. Iu ihnen fügt e er nur noch den Abu Bekr Ibn Sajeh (Ibn El Srig), sonst Ibn Badscheh We Avempas) E von welchem 1) Man sehe über ihn WEI Gesch. der Arab, Ärzte dei Naturforscher S. 21 f.; Schmölders ess. p. 131. Histor. _ Philol. Classe. II. B > ad „ yo HEINRICH DUITEER CH Ade, uns nur aus zahlreichen Anführungen ‚etwas bekannt ist. Nach der Zeit des Ibn Tofail hat nur noch Ibn Roschd einen ausgebreiteten Ruf unter den Ara- bischen Aristotelikern gewonnen und man darf als wahrscheinlich annehmen, dass um diese Leit die lebendige Entwicklung der Aristotelischen Philosophie bei den Arabern ihre Endschaft erreichte ). Fügen wir nun noch hinzu, dass auch die Scholastiker, denen es nicht; an Fleiss und Gelegenheit fehlte die Arabischen Aristoteliker durch ihre Dolmetscher kennen zu lernen, nur wenige andere Araber anführen, welche uns bedeutend für die Philosophie scheinen könnten 2), und dass unter den Lehren der angeführten, Philosophen bei genauerer Untersuchung ein sehr ‚guter Zusammenhang und Fortschritt de, ‚Entwicklung sich herausstellt 3), so werden wir aus allen diesen Punkten einen hinlänglichen Beweis für den oben ausgesprochenen Satz ziehen können, dass wir über die Geschichte der Arabischen Wen ‚sicht eben Sar zu schlecht unterrichtet sind. Allein die Philosophie . 1 ist nur ein Theil der Arabi- ulm Philosophie. Die Arabischen Aristoteliker, EI Gazali namentlich und Ibn Roschd, ee nicht selten andere philosophische Sekten ihrer Lands- leute und finden es nöthig gegen die Lehren derselben nicht allein im Allge- meinen, sondern auch sehr in das Einzelne eingehend zu streiten. Die Phi- losophie EI Gazali’s besonders lässt sich nur als ein Versuch begreifen, den Gegensatz zwischen den Aristotelikern „und,. ‚den Motakhallim - dadurch zu über- winden, dass er zu einem höhern ‚Standpunkte, der Erkenniniss sich erheben will, so wenn Zeil aueh: diesen, Seer Wieder, zu yüberbieten sucht. "eg Sites von pat Ånen, "og ergin länge, im D Deck kann dagegen, der Sec sten werden, ob Sr KS Nasireidin * Tusi (gest. 672) zu den bedeutenden Ari otelikern | ‚gehöre, „ Nach der Probe, welche Schier (Dresd. 1841) von seiner Ethik gegeben t, möchte man ihn für einen Aristoteliker halten. ` Desen seine Metaphysik. (Baji Khalfa lex. 1, 194 ed. Flügel) scheint sich näher an die orthodoxe Dogmatik anzuschliessen. 2) Doch will ich den Avicebron e über dessen Namen und Person das , tiefste Dunkel verbreitet ist. ur 3) Dies zu beweisen muss einem under Orte vorbehalten sr ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 11 so werden wir uns gestehen müssen, dass wir die Arabische Philosophie noch nicht begriffen haben, wenn wir nur ihre Aristoteliker kennen. Die Araber selbst nennen zwar die Aristoteliker vorzugsweise und aus- schliesslich Dmlesdpken; aber das entscheidet nichts; auch unter den übrigen Sekten der Araber — sie pflegen deren 73 aufzuzühlen 9) — kann sich Phi- losophie verbergen, wenn sie auch nicht mit diesem,; den Arabern fremden Namen bezeichnet wird. Hierauf führen in der That auch alle Überlieferungen. Sc⸗chliessen wir einiges Minderbedeutende und nur auf unsichern Über- lieferungen: Bernhende aus, 80 pflegt man vier Sekten zu unterscheiden, welche für die Arabische Philosophie‘ von Wichtigkeit Sind, die eigentlichen Philo- sophen oder Aristoleliker, die Motakhalkim, die“ Moatärile 2) und die Sufi. Die letztern jedoch kommen nicht in Betracht, denn sie zeichnen sich nur durch eine eigenthümliche ascetische Lebensweise aus, mil welcher die verschieden- sten Lehren sich verbinden liessen, so wie denn El Farabi und EI Gazali Sufi waren und Ibn Tofail das Leben der Sufi wenigstens empfahl. Die Mua- tazile dagegen und die Motakhallim sind die Dogwatiker des Islam und mit ihrer’ Religionslehre’ verbanden sie eine zum Theil sehr eigenthümlich ausge- bildete Philosophie. Die Araber sind nie zu dem Versuche gelangt, welchen unsere protestantische Dogmatik gemacht hat, aus den Aussprüchen der hei- ligen Schrift allein ihr System der Theologie zu ziehen. Auf diese Lehren der Motakhallim und der Muatazile beziehen sich nun auch die Arabischen Aristoteliker sehr häufig; auch die Scholästiker haben von ihnen Kenntniss, doch nur durch die Aristoteliker. Beide Sekten werden in der lateinischen Sprache mit dem ne 12 er bezeichnet, den Juden heissen sie Medabberim. sg, i Was diesen Namen betrifft, so ist er freilich wohl nicht immer in der- selben Bedeutung gebraucht * . um „beide Classen der ‚Dogmatiker zu 107 Es ist dies eine willkürliche Feststellung der EI? nach einer Stelle des Koran. ‚Man giebt an, die Sabier hätten 70, die Juden 71, die Christen 72, die Beken- ner des Islam 73 Secten. Marraeci prodr. ad refit, Akor. III, 24 p. 73 b. Man sieht, die Muhammedäner legen weniger Werth auf die Einigkeit der Kirchlichen Lehre, als die Christen, 2) Über den Namen s. Delitzsch im Literaturblatt des Orients. 1840 8,700 Anm. 6. B2 12 . 7080.07 MEIN RCH AI EA, umfassen; vielmehr wird der Name Motakhallim auch in einem ausschliessenden Sinn nur von den orthodoxen; von den herrschenden Dogmatibern des Islam gebraucht 1), die Muatazile dagegen werden als Abtrünnige, als Ketzer be- trachtet, was auch die Bedeutung des Namens ist. Medabberim aber und loquentes ist nur wörtliche Übersetzung. von Motakhallim. Aus der ursprüng- lichen ‚Bedeutung des Wortes ist es nun schon sehr Wahrscheinlich, dass ur- sprünglich Muatazile und orthodoxe Dogmatiker mit demselben Namen, be- zeichnet wurden. Motakhallim heisst nichts anderes als Lehrer des Kelam, des Wortes, worunter das Wort Gottes, die offenbarte Lehre verstanden wird. Daher gebrauchten auch Ibn Roschd und ‚Moses Maimonides. dies ‚Wort, in einem so weiten Sinne, dass sie selbst die christlichen Dogmatiker, darunter befassen und ohne Bedenken ‚Muatazile und orthodoxe Dogmatiker unter die- selbe Bedeutung bringen 2). Auch EI Gazali spricht, so wie Ibn Roschd von vier Sekten der Redenden, von welchen die eine die Muatazile sind, eine an- dere zu den orthodoxen Dogmatikern gehört 5). Diese Bemerkung ist nicht unbedeutend für das Verständniss mancher ‘Überlieferungen... Es scheint je- doch der gewöhnliche, Sprachgebrauch zu sein, nachdem die Muatazile unter- drückt worden waren, nur die orthodoxen Dogmatiker mit dem Namen der Motakhallim zu bezeichnen nd die Muatazile davon abzusondern. r Desp Sprachgebrauche werden wir folgen: | Unsere Kenntniss von diesen Sekten Ken Dogmatiker ist bis jetzt sehr unvollständig. Man könnte fragen, ob es der Mühe verlohne nach einer ge- naueren Kenntniss. derselben zu streben. Bei dem, relativen, Wertbe, welchen wir allen unsern Untersuchungen beizulegen haben, darf man eine solche Frage wohl vor dem Eingehen in die Sache sich vorlegen. Wenn es aber > überhaupt Ger Mühe werth sein sollte: sich Meahangchäft über das ehe ; SN So bedient sich PEN Nä dE 8 Nan immer. Es ist We ‚wahrscheinlich der Sprachgebrauch der neuern ‚Quellen, aus welchen Schmöl- ders 1 iir = 3) Averr. destr. gege II. fol, 19, * UBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 13 Wesen zu geben, sa muss ach bekennen, dass die Erforschung der Philo- sopheme, welche ihrer Glaubenslehre zum Grunde liegen, mir vom äussersten Belange zu sein scheint. Ich will es versuchen die Wichtigkeit dieses Punk- tes zu beweisen, theils durch allgemeine Betrachtungen über die Arabische Philosophie überhaupt, theils durch eine Untersuchung des /Theils der Ara- bischen Dogmatik, welche uns am gete bekannt em e h. der ment schen Lehren. der Motakhallim» ` ` o Man hat gewöhnlich die Lebren der ae Arinek für * Wich- ügste in der Arabischen Philosophie gehalten und unstreitig sind sie es, wenn die Erſolge für uns, für die Romanisch-Deutschen Völker Europa's, zum Maassstabe genommen werden. Aber man wird eingestehen, dass dieser Maassstab nicht der einzig richtige, nicht der ist, welcher die letzte Entscheidung bringt. Sollte man auch zugeben, dass in der Entwicklung unserer Wissenschaft der Zweck aller frühern Wissenschaft zu suchen sei, — ein Zugeständniss, wel- ches mir schon sehr gefährlich scheint — so würde man doch sagen müssen, dass es unmöglich sei die wissenschaſtlichen Anregungen, welche von dem einen Volke auf das andere übergegangen sind, im richtigen Lichte zu er- blicken, wenn man nicht zuvor die Wissenschaft jenes Volkes in ihrem in- nersten Leben und im Zusammenhange mit dem ganzen Volkswesen erkannt habe. Wenn man nun aber frägt, was in der Arabischen Philosophie aus der innersten Natur des Arabischen Wesens hervorgegangen sei, so zweille ich nicht daran, dass wir dies in der Lehre der Motakhallim zu suchen haben. Zunächst will ich mich darüber erklären, was jeh unter Arabischem Wesen verstehe. Die Araber haben über den Orient eine ähnliche Bewegung verbreitet, wie die Deutschen über den Occident. Eine eigene Art des gesitte- ten Lebens hat sich an dieselbe angeknüpft, welche noch bis jetzt besteht, wenn gleich die Araber aufgehört haben der herschende Stamm im Abend- lande zu sein. So wie die Deutschen nach ihrer Völkerwanderung nicht um- hingekonnt haben in und ausser ihrem Vaterlande mit andern Volksstämmen sich zu versetzen, SO hat etwas Ähnliches auch mit den Arabern sich bege- ben. Unter dem Arabischen Wesen verstehe ich nun die ganze Weise des gesitteten Lebens hervorgegangen aus jener weltgeschichtlichen Bewegung, welche den Orient umgestaltet hat, nachdem die Araber im 7. Jahrh. als ero- 14 31 414080 III ZIHMEINRICHTAIEDERNAA Aë berudes Volk aus ihrer Heimat hervorgebröchen waren.“ Uustreitig hat sich dabei den Arabern viel Fremdartiges angesetzt, die Richtungen jener ersten Bewegung werden sich an der Verschiedenheit der Umstände in den verschie- densten Weisen gebrochen haben; aber in den entlerntesten Wirkungen wird man noch die Natúr des ersten Anstosses aufzusuchen nicht umhin können. Vergleiche ich nun die Philosophie der Arabischen Aristoteliker und ihrer orthodoxen Dogmatiker, so finde ich, dass jene untergegangen ist bis auf ein schwaches Andenken, welches sie bei den Gelehrten des Orients zurück- gelassen hat, dass dagegen diese sich erhalten Rat bis auf den heutigen Tag. Sie bildet die Grundlage des Religionssystems, welches bei allen Völkern des Islam herscht. Noch im Jahre 1823 ist die Dogmatik des Adhadeddin El Idschi zu Constantinopel gedruckt- worden, welches die Grundsätze der ortho- doxen Dogmatiker darstellt, ein Werk des 8. Jahrh. der Hedschra, seit seiner Entstehung durch viele Commentare in beständig frischem Andenken erhal- ten ). Man wird, glaube ich, jene Aristotelische Philosophie, was die Ara- bische Bildung betrifft, nur als ein Mitteb ansehn können, welches auf die Ausbildung ihrer Dogmatik und ihrer religiösen Lebensansicht eingewirkt hat. Betrachten wir nun das ganze Arabische Wesen; wie es in seiner Ge- schichte unverkennbar sich verkündet. Von einer religiösen Begeisterung ge- trieben stürzten sich die Araber aus ihrem Vaterlande den Islam zu verkün- den und ihn zur Herschaft zu bringen über die weiten Raume, welche sie ihren Waffen unterwarfen. Ihre Religion übertrugen sie zum Theil auf die Bevölkerung der eroberten Länder und wir sehen, wie sie zu verschiedenen Malen auch in dieser einen fanatischen Eifer, in Hass gegen die Abgötterei, im Glauben an das neue Gesetz zu entflammen im Stande gewesen ist. Wo nun die Araber Herren wurden, da wurde die Lebensweise nach diesem Ge- setze geordnet; ihr Staat ist auf ihm gegründet, der Besitz irdischer Güter wurde nicht minder an dasselbe geknüpft, als die Hoffnungen auf ein künfti- ges Leben. G Bee wih: nicht erwarten, dass die ER welche an die 1) X; Han ne det? eine Inhaltsanzeige HR Wer a Jei Lit, Z 1826 Nr. 161 k. In der Angabe der Zeit, in welcher der Verl. lebte „folge ich Delitzsch Lit. Bl. d. Orients 1840 S. 699. Ein ganz anderes Dees, giebt „ Hammer gleich zu Anfang seiner Anzeige u. S. 1283 an. ` ÜBER UNSERE KENNTNIS$S DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE ec. 15 Lehre des Islam sich anschloss, auch das Arabische Wesen » am: ‚treuesten ausdrücken werde? Dagegen die Aristotelische Philosophie ist von den Ara, bern immer für halb ketzerisch gehalten worden; mit Medicin, Mathematik und Naturwissenschaften zusammenhängend, hatte sie von jeher nur mit, sol- chen Dingen zu thun, welche der religiösen Begeisterung, den ethischen Ber weggründen des Arabischen Staats sehr fern standen. Es wird hieraus sehr wahrscheinlich, dass die Aristotelische Philosophie bei den Arabern nur als etwas anzusehn ist, was ihnen in ihren äussern Berührungen ankam, ohne tief in ihr inneres Wesen einzudringen. Sie werden sich in ähnlicher Weise zu ihr verhalten haben, wie die Römer zur Griechischen Philosophie, nur dass man ihnen vielleicht doch elwas mehr wissenschaſilichen Sinn als den Römern zu- trauen darf. Nicht hervorgegangen aus der innern Entwicklung ibrer Litera- tur, wie das bei der Griechischen Philosophie der Fall war, hat sie wahr- scheinlich niemals tief in ihr Inneres eindringen können. Auch sind die Ara- ber in ihrem Verhältniss zu der Griechischen Literatur nicht mit uns zu ver- gleichen, welche wir diese Erbschaft des Alterthums ganz anders, viel voll- ständiger zu verarbeiten gewusst haben, als sie. Wenn wir daher auch weit davon entfernt sind, sie für blosse Canäle anzusehn, durch welche die Ari- stotelische Philosophie. hindurchgegangen, ohne dass sie dadurch zu origi- neller Thätigkeit erregt worden wären, so können wir uns doch der Meinung nicht entschlagen, dass sie vorherschend, was die Aristotelische Philosophie und die Naturwissenschaften betrifft, dazu bestimmt waren, sie eine Zeit lang zu bewahren, um ihre Pflege alsdann an andere Völker abzugeben. Nachdem sie auf diese gekommen, hat auch die Fortbildung derselben unter ihnen ihr Ende erreicht. Sollte es zufällig. sein, Son auch die geographischen Verhältnisse; in welchen die Aristotelische Philosophie bei den Arabern uns erscheint, darauf Mangen, dass sie nur den äussersten Enden des Arabischen Lebens ange- hört? Gewiss ist es, dass alle bedeutende Arabische Aristoteliker, ich will dem Stammlande Arabien selbst, denn das wäre in keiner Weise anders zu erwarten, sondern dem eigentlichen Mittelpunkt der Arabischen Her- ' schaft Syrien, Mesopotamien und den angrenzenden Ländern fremd sind, da- äussersten Grenzen pach Osten und nach Westen angehören. EI nicht sagen gegen den ä 16 Jin ALL HEINRICH. RITTER Farabi hat seinen Namen von seiner Vaterstadt Farabi im Turkistan; als er nach Bagdad kam, musste er erst Arabisch lernen; Ibn Sina stammt aus“ Bochara, El Gazali aus Chiwa, alle die Folgenden, Ibn Badscheh, Ibn To- fail, Ibn Roschd sind Spanier. Das ist der Gang der Arabisch-Aristotelischen Philosophie; am östlichen Pol hat sie sich entwickelt, am westlichen Pol hat sie sieh gegen unsere Europäischen Völker entladen. Durch die grossen Schu: len der Arabischen Literatur, durch Bagdad, Basra, Damaskus, ist sie nur hindurchgegangen; hier aber finden wir die Sitze der Dogmatik, die Schulen der Muatazile und Motakhallim, hier im Herzen des Arabischen Lebens ent- laden sich diese in den heftigsten Streitigkeiten. eee, Hierbei muss ich noch einen sehr verbreiteten Irrthum erwähnen! e hat gewöhnlich angenommen, die Lehren der Arabischen Dogmatiker hätten sich ` erst vermittelst der Aristotelischen Philosophie entwickelt. Namentlich werden von den Arabern selbst gewisse Lehren der Muatazile auf die Griechische Phi- losophie zurückgebracht D. Bei ihnen, wie bei uns ist der Philosophie vieles zur Schuld angerechnet worden, woran ganz andere Dinge Schuld waren. Wir können nicht leugnen, dass auf die spätere Entwicklung der Arabischen Dogmatik die Aristotelische Philosophie einen Einſluss gehabt hat; davon fin- den sich durchaus unzweideutige Beweise; aber eine andere Frage ist es, ob auch die erste Gestalt der Arabischen Dogmatik aus der Bekanntschaft der Araber mit dem Aristoteles hervorgegangen ist. Noch in Scholien zu einer Schrift des 15 Jahrh. wird die ältere Dogmatik von der spätern unterschieden; jene habe sich nur mit der Bestreitung der islamitischen Sekten beschäftigt; diese dagegen auch die Philosophen berücksichtigt und Physik, Metaphysik und Mathematik in ihre Untersuchungen eingemischt 2). Wenn man die Über- lieferungen der Araber untersucht, so findet man sie hiermit in’Übereinstim- mung. Zwar ist die Geschichte der Arabischen Übersetzungen aus dem Grie- chischen noch nicht völlig aufgeklärt; aber so viel ist allgemein anerkannt, dass erst unter deg Abasiden sblche: Übersetzungen N u. einigen — — Aii Eo Poil GRAJ Arre ri O SE 1) Abul Firash STEEN hist. Arab. p- 19. ed. Po co ck. nach der Ausg. „ White. ki 2) Delitsch Anekdota zur Geschichte der mittelalterlichen Scholastik unter Juden und Moslemen S. 294, ` Le ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 17 schon unter dem Chalifen El Mansur, nach andern wahrscheinlichern Anga- ben erst unter El Mamun, also erst um die Mitte, wahrscheinlich aber erst gegen das Ende des 2. Jahrh. der Hedschra 1). EI Kindi, der erste haupt- sächlichste Verbreiter der Aristotelischen Philosophie unter den Arabern, lebte, wie schon erwähnt, zu Ende des 2. und zu Anfang des 3. Jahrh. Um ein Bedeutendes früher hatten die dogmatischen Streitigkeiten begonnen. Schon zu den Zeiten der letzten Ommajadischen Chalifen hatten die Dschabariten, welche ein unbedingtes Verhängniss Gottes behaupten, ihre Sekten 2). Es wird erzühlt, dass kaum die letzten Gefährten des Propheten dahin waren, als sich drei Männer, deren Namen man noch kennt, erhoben und Zweifel gegen den unbeding- ten Rathschluss Gottes, und ob ihm Gutes und Böses als Urheber zuzuschreiben sei, erregt hätten. Es wird ein Lehrer der Theologie erwähnt, ein Haupt der Dschabariten, El Hasan aus Basra, in dessen Schule habe Wasil Ibn Ata abweichende Meinungen ausgesprochen und Hasan habe nicht gezögert ihn für einen Abtrünnigen zu erklären. Eben jener Wasil ist der Stifter der Muata- zile. Sein Lehrer Hasan aber starb schon im J. 1103). Gleichzeitig mit der Entstehung der Muatazile sollen auch mehrere andere Hauptsekten der Arabi- schen Dogmatiker entstanden sein ). Zu diesen Überlieferungen welehe für sich sprechen, will ich nur noch hinzufügen, dass auch die berühmtesten Dogmatiker der ältern Zeit, welche die Dogmatik schon ganz als System ent- wickelten und auf welche die spätern Dogmatiker ihre Lehren zurückführten, wenn nicht vor der Bekanntschaft der Araber mit der Aristotelischen Philo- sophie lebten, doch gleichzeitig sind mit dem Beginn der selbständigen Phi- losophie der Araber, welche von der Aristotelischen Lehre ausging, d. h. mit El Farabi. Von ihnen werden besonders erwähnt Abu Mansur EI Ma- ei welcher gegen die Muatazile schrieb 5), und El ee der Stifter ; 1) Wenrich de auctorum Graecorum versionibus et coninientariia RER Arabicis, Argmenicis Persicisque p. 13 sqq.; 25 sqq. 2) Pococke spec. p. 243. 3) Ib. p. 199; 213 sqg.; 370; Schmölders ess. p. 192 sqq.; v. Hammer Leipz. Lit. Z. 1826 S. 1282. 4) Pococke Spec. p. 254. 5) Haji Khalfa lex. ed. — II P 80. Histor.- Phil. Classe II. C * 18 HEINRICH RITTER der Sekte der Aschariten, welche für die eigentlichen Orthodoxen des Islam gelten. Sie gehören dem Ende des 3. und dem Anfange des 4. Jahrh. an 4). Man sieht hieraus, dass man die selbständige Entwicklung der Arabisch - Ari- stotelischen Philosophie eher aus der Arabischen Dogmatik ableiten könnte, als umgekehrt. Auch finden sich in der That Angaben, aus welchen hervor- geht, dass Abu Nasr El Farabi gegen die Lehren der Dogmatiker zu! strei- ten hatte 2). Es wird sich aus diesen Untersuchungen schon ergeben haben, dass die Arabische Dogmatik sogleich den Mittelpunkt der Denkweise ergriff, in wel- cher das Arabische Gemeinwesen sich gebildet hatte, ich meine die Lehre vom unbedingten Verhängniss Gottes. Im Koran ist dieselbe keinesweges so ent- schieden enthalten, als man nicht selten gemeint hat. Als aber die Araber in ihrem fanatischen Glauben über ihre benachbarten Völker sich stürzten, im Glauben, dass es ihnen verhängt sei die Gräuel der Abgötterei zu vertil- gen im Namen Gottes und seines Propheten, da erzeugte sich unter ihnen und denen, welche sich ihnen zugesellten, der Glaube an das unbedingte Ver- hängniss, als dessen Werkzeuge sie stritten. Das war der Glaube, in wel- chem sie von ihren Heerführern begeistert wurden, in welchem sie ihren Staat gründeten. Daher ist auch die Lehre der Dschabariten ihre erste Dogmatik. Als nun die Muatazile dagegen den Zweifel geltend machten, ob es auch mit der Gerechtigkeit Gottes, welche er durch das ewige Wort des Koran ver- künden und üben liesse, sich vertrage, dass er das Böse mit ewiger Verdam- mung bestrafe, welches er selbst verhängt habe, als sie dagegen die Freiheit des Menschen im Guten und im Bösen zu behaupten wagten, da erhoben sich unter den Bekennern des Islam Streitigkeiten der gefährlichsten Art, weil sie die Gesinnung und die Grundsätze in Zweifel stellten, in welchen das Ara- bische Reich gegründet worden war. Es waren dies die Zeiten, in welchen die Arabische Herschaft zuerst auf immer gespalten wurde, als die Abasiden 1) EI Materidi st. 333; El Aschari st. 324 od. 330. Pockocke spec. p. 371. Vergl. über beide Delitzsch Anekd. 8. III; 297 fl. Über die Orthodoxie der Aschariten s. Pococke spec. p. 246; Delitsch Anekd. 8. UI; XI; Casiri bibl. Arab. Hisp. II p. 338 a; Leo Afric. c. 2. ' 2) Mos. Mai m. doct. perpl. I, 73 p. 159; 74 p. 172. — ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 19 des Reiches sich bemächtigten und die entthronten Ommajaden eine neue Her- schaft von Spanien aus begründeten. Wir wissen auch, dass von dem neuen Herscherstamme der Abasiden mehrere der ausgezeichnetsten Fürsten der Lehre der Muatazile anhingen 1); aber sie sahen doch später sich genöthigt dem Volksglauben zu weichen, in welchem die Macht der Araber ihre Wurzel hatte. Doch hat sich die Lehre der Muatazile neben der orthodoxen Dogma- tik lange erhalten. Noch zu Anfange des 7. Jahrh. der Hedschra finde ich einen berühmten Lehrer jener Separatisten 2). Auch darf man nicht sagen, dass die Lehre der Dschabariten einen unbedingten Sieg in der Meinung der Orthodoxen davon getragen hätte. Vielmehr die Lehre der Aschariten, welche die allgemeinste Billigung erhielt, ist nur ein Vermittlungsversuch zwischen den Muataziliten und den Dschabariten. El Aschari selbst ging aus der Schule der Muatazile hervor 5); seine Lehre neigt sich zwar bei Weitem mehr zu der Ansicht der Dschabariten hin, sucht aber doch den Haupteinwurf der Muatazile zu entkräften, dass es ungerecht sein würde, wenn Gott das Gute in dem Guten belohnen, das Böse in dem Bösen bestrafen wollte, weil er beiden beides beigelegt habe, indem sie annimmt, dass die Menschen das ih- nen von Gott verhängte Gute oder Böse sich aneignen 9). Unser stärkster Beweis jedoch für die Bedeutsamkeit dieser doginsfischin Untersuchungen liegt in dem orthodoxen System, welches aus ihnen hervor- ging. Wir wollen es daher genauer untersuchen. Die Lehre der Muatazile übergehen wir, nicht weil wir dieselbe für weniger wichtig in ihrem wis— senschaftlichen Zusammenhange hielten, sondern weil uns keine sichere Kennt- niss derselben zugekommen ist, welche ihren Zusammenhang deutlich darlegte. Die Schriften der Muatazile, von den Orthodoxen unterdrückt, sollen selten 1) Die Verlolgungen, welche sie über Andersgläubige 8 „ waren sehr ge- Wialtsam. Man giebt an, dass 700 Gelehrte der entgegengesetzten Partei von den Muatazile getödtet wurden. Delitzsch Anekd. S. 293. 2) Pococke Spec. p. 346. Es sollen noch bis in die neuern Zeiten Reste der MNuatazile sich erhalten haben. Maraccii prodr, in Alcor, III p.85. 3) Pococke spec. p. 232. 4) Ib. p. 240; 244 sqq. E2 20 | HEINRICH RITTER sein 1); ihre Lehren lernen wir fast nur aus den Widerlegungen ihrer Geg- ner kennen. Das System der Motakhallım dagegen können wir ziemlich gut übersehn. Wir werden nicht erwarten, dass in ihm eine Wissenschaft ent- halten sei, welche ohne alle willkürliche Annahme ihre Grundsätze durch- führte, wir werden zufrieden sein in ihm Aufgaben der Wissenschaft in das Licht gestellt zu sehn und selbst in seinen auffallenden Hypothesen nichts so willkürliches zu finden, dass es nicht als Versuch solchen Anfgaben zu genü- gen gerechtfertigt werden könnte. Ehe ich diese Lehren auseinandersetze, muss ich noch etwas über die Quellen sagen, aus welchen ich sie schöpfe. Unsere Kenntniss der dogmati- schen Systeme der Araber ist überhaupt noch sehr unvollständig und verwor- ren. Am reichlichsten fliessen über sie die Angaben Pocoeke's in seinen Anmerkungen zum Abu’ l Faradsch; daran schliessen sich die Angaben Mar- racci's zu seiner Ausgabe des Koran an 2), welche jedoch weniger in die Beweggründe der Lehre eingehn und daher zu meinem Zwecke nur selten haben benutzt werden können. Pococke's Angaben sind jedoch, wie es bei einem Commentar zu gehen pflegt, sehr zerstreut. George Sale hat es daher unternommen, zu seiner Ubersetzung des Koran 8) das, was Pococke mitgetheilt hat, zu besserer Übersicht zusammenzustellen. Neues finde ich bei ihm nicht; auch habe ich seine Arbeit nicht gebrauchen können, weil seine Zwecke andere sind, als die meinen, und weil er seine Quellen nicht nach- weist. Noch an andern Orten findet sich manches zerstreut, besonders in zahlreichen Anführungen des Averroes und des Moses Maimonides. Aber eine allgemeine Übersicht über den Zusammenhang des Systems zu gewinnen ist uns erst durch die vorher angeführte Schrift Sehmölders's möglich gewor- den. Je mehr wir ihm dafür dankbar sein müssen, um so aufrichtiger thut es uns Leid die Schwächen auch dieses Theiles seiner Arbeit nicht verschwei- gen zu dürfen. Auch in ihm hat er alle Hülfe der ältern Angaben, der La- teinischen Übersetzungen des Averroes und des Moses Fame? verschmäht. 1) Schmölders ess. p. 201. 2) Prodromus ad refut. Alcor. III e. 24. 3) Preliminary discourse Sect. VII. "ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE ee. 21 Und doch müssen wir sagen, dass die Darstellung, welche Schmölders giebt, nicht allein durch jene Übersetzungen bestätigt wird, sondern in den wesentlichsten Punkten durch sie erst ihr volles Licht erhält. Vieles, was Schmölders nur andeutet und als einen Nebenpunkt flüchtig berührt, steht hier deutlich ausgeprägt und macht sich als ein leitender Gesichtspunkt für das ganze System geltend. Uberdies ist aber der neueste Geschichtschreiber der Arabischen Philosophie noch weiter gegangen. Er hat gegen die Angaben des Moses Maimonides über die Lehren der Motakhallim Verdacht erregt Y, wie es mir scheint, mit demselben Unrecht, wie gegen die Ubersetzungen der Arabischen Aristoteliker. Die Sätze, welche er für Irrthümer des Moses Maimonides ansieht, mögen allerdings nicht mit denselben Worten von den Motakhallim ausgesprochen worden sein, aber sie konnten leicht als Folge- rungen aus ihren Lehren gezogen werden und geben den Sinn derselben ganz richtig wieder, wenn man sie in der Beschränkung versteht, welche sie durch andere Sätze erleiden. Überhaupt aber müssen wir Schmölders das Recht absprechen ausgehend von seinen Quellen irgend einen wohl begründeten Wi- derspruch gegen die Angaben des Moses Maimonides zu erheben. Denn alle die Männer, aus deren Schriften er die Lehre der Motakhallim geschöpft e? sind jünger und meistens bedeutend jünger als Moses Maimonides eu ist nicht wahrscheinlich, dass dieser seine Darstellung der orthodoxen og matik aus irgend einer dieser Schriften entnahm, vielmehr folgte er wohl den ältern Werken, welche als die Grundlage der spätern Dogmatik anzusehn sind, dureh neuere Werke aber, wie es scheint, aus dem gewöhnlichen Ge- brauche verdrängt wurden 8). Hieraus mag es auch hervorgehn, dass solche 1) Ess. p. 135 not.; 144 not. | 2) Seine Hauptquellen sind Schriften des berühmten Gelehrten Fachr Eddin EI Rai (gest. 606, vergl. üb. ihn Wüstenfeld Gesch. d. Arab. Ärzte S. 111 ff.) und des berühmten Erklärers des Koran Baidawi ` "(gest 685 od. 692. 8. Po- cocke spec. p. 354.) 3) Es ist eine sehr un wahrscheinliche Annahme scbRölder“ s S. 135, dass Mos. Maim. die Schriften der Motakhallim nicht aus eigener Ansicht gekannt habe. Dabei wird Mos. Maim. als getreuer Schüler des Averroes betrachtet, was in allen Punkten falsch ist. Denn Moses Maimonides hängt weder dem ‚Systeme des * an, noch ist er dessen Schüler. 22 HEINRICH RITTER Punkte, welche nach dem Moses Maimonides und dem Averroes als leitende Gedanken in der Lehre der Motakhallim erscheinen, in den Angaben Schmöl- ders’s nur eine untergeordnete Bedeutung haben. Die ältesten Werke, aus welchen Schmölders's schöpft, sind ungefähr 3 Jahrhunderte jünger als die Entstehung der orthodoxen Dogmatik, als deren Gründer El Aschari anzu- sehn ist. Nun mag es allerdings bedenklich erscheinen Lehren, welche der Zeit nach von einander so weit abstehen, als einem Systeme angehörig zu betrachten, doch haben wir auch keinen Grund anzunehmen, dass die spä- tern mit den frühern Motakhallim in den wesentlichsten Punkten nicht über- eingestimmt haben sollten. Was die Arabischen und Jüdischen Philosophen des 12. Jahrhunderts und was Schmölders nach seinen Quellen für Lehre der Motakhallim ausgeben, stimmt in den Hauptpunkten gut zusammen; auch geben die Uberlieferungen alle diese Lehren für das System einer und dersel- ben Sekte aus. Wie schon oben bemerkt wurde, sind die Aschariten die Theologen unter den Arabern, welche vorherschend in dem Rufe der Ortho- doxie stehen. Schon von Averroes und von Moses Maimonides werden sie vor den übrigen Theologen ausgezeichnet und am häufigsten bestritten. Es sind aber auch dieselben Aschariten, welche in der spätern Zeit schon vom 12. Jahrh. an, überall in den Schulen des Islam das Ubergewicht hatten und deren Schriften nun auch von Schmölders zur Darstellung der Lehre der Motakhallım benutzt worden sind 1), Es wird uns erzählt, dass nachdem eine Zeit lang diese Sekte die Oberhand gehabt habe, ihr Ansehn durch Schisma- tiker untergraben worden sei; sie habe aber später sich erneut und nun ei- nen völligen Sieg über alle andere Meinungen davon getragen 2). Ich erlaube 1) Sehr auffallend ist es, dass Schmölders dies selbst nicht weiss. S. 196 be- trachtet er die Lehre der Aschariten über die Freiheit des Willens und sieht Së we als die Mitte haltend zwischen der orthodoxen Lehre und der Lehre der dë ` Muatazile : an. Meine Behauptung beruht nicht allein darauf, dass die Aschariten überhaupt für die Orthodoxen gelten, sondern auch auf ausdrücklichen Zeug- nissen, welche den Baidawi und dem Adhadeddin EL Idschi zu den Aschariten zählen. S. Schmölders ess. p- 138; Delitzsch im Lit. Bl. d. Orients 1840 8. 700; Anekd. 8. 273. 2) Leo Afric. c. 2. Confudit (sc. Esciari) etiam omnes alias rationes, 3 opi- _ ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eie. 23 mir die Meinung auszusprechen, dass die Ausbildung der Aristotelischen Phi- losophie bei den Arabern ein Haupigrund gewesen sei, durch welchen das Ansehn der Aschariten eine Zeit lang verdunkelt wurde. Wenigstens fällt die Zeit jener Verdunkelung mit der Blüthe der Aristotelisch- Arabischen Philoso- phie zusammen. Es ist mir auch wahrscheinlich, dass Fachr Eddin El Razi, dessen Werk Schmölders gebraucht hat, dadurch den grossen Ruf orthodoxer Lehre gewonnen hat, dass er vorzügliche Verdienste um die Wiederherstel- lung der Ascharitischen Lehre hatte. Nach dieser Annahme würde diese Wie. derherstellung gegen das Ende des 12. Jahrh. fallen, also in das Alter des Averroes, welcher die Arabische Philosophie in Spanien zu ihrer höchsten Blüthe erhoben hatte. Harn ian | "omg Die Dogmatik der Araber geht nicht, wie dies unsere Dogmatik zu thun pflegt, vom Glauben und von der Lehre von Gott aus um auf diesem Wege zuletzt zu den weltlichen Dingen zu gelangen, söndern sie verfährt in einem fast entgegengesetzten Sinne. In ihrem ersten Theile beginnt sie mit der Un- tersuchung der Dinge der Welt; im zweiten Theile geht sie dazu über das Dasein Gottes zu beweisen, untersucht dessen Wesen und Eigenschaften und erst im dritten Theile kommt sie auf die Lehren der Offenbarung, thut die Möglichkeit und Nothwendigkeit einer solchen dar und leitet die Folgerungen ab, welche aus ihr fliessen ). Es leuchtet ein, dass diese Anordnung eine durchaus philosophische Haltung ihrer Lehren anstrebt. Doch scheint die Ausführung der Absicht nicht in allen Theilen zu entsprechen. Dies ist wahr- scheinlich die Folge davon, dass sie in ihren einzelnen Untersuchungen durch polemische Rücksichten nicht selten bestimmt wird. Die Untersuchung der weltlichen Dinge beginnt mit der Logik. Die Motakhallim geben in ihr die gewöhnlichen Lehren des Aristoteles. Wir ha- ben daraus nur anzuführen, dass sie auf der einen Seite die Wahrheit der niones et sectas eo usque, ut omnes opiniones sua excepta usque nunc haereticae vocarentur, quibusdam temporibus exceptis, quibus prostrata fuit ob schismata existentia in Aegypto et in Asia. Postea omnes opiniones depressae sunt, sua vero innovata est et adhuc floret — — et ad hoc venit, quia si quis dixerit opinionem Esciari non esse veram, damnabatur ad mortem secundum Maumedanos, 1) Schmölders ess. p. 139. 24 er HEINRICH RITTER Sinneneindrücke, auf der andern Seite die Nothwendigkeit allgemeiner Grund- sätze des Verstandes vertheidigen. Die Sinne täuschen nicht, nur unsere Weise ihre Eindrücke zur Beurtheilung der Dinge anzuwenden und dabei Vorstellungen unserer Einbildungskraft einzumischen führt das herbei, was wir gewöhnlich Sinnentäuschungen zu nennen pflegen ). Allgemeine Grund- sätze des Verstandes müssen wir aber ausserdem annehmen, weil die Sinnen- eindrücke nur eine Erkenntniss des Besondern und Zufälligen gewähren, wir also nichts Allgemeines und Nothwendiges zu erkennen vermöchten, wenn un- ser Verstand nicht zur Beurtheilung der sinnlichen Eindrücke uns allgemeine Regeln darböte. Die Erkenntniss solcher Regeln oder Begriffe wird als eine unmittelbare angesehn, weil wir sonst keine vermittelte Erkenntniss durch den Schluss aus allgemeinen Grundsätzen und kein letztes Kennzeichen der Wahr- heit haben würden. Die Motakhallim stützen sich hierbei besonders auf den Grundsatz des Aristoteles, welcher in der Arabischen Philosophie eine sehr ausgezeichnete Stelle einnimmt, dass die Erklärungen und die Aufsuchung der Gründe nicht in das Unendliche gehen dürfen 2). In diesem Theile ihrer Philosophie findet sich nichts Eigenthümliches, es müsste denn in der Weise bestehn, wie die unmittelbaren Grundsätze und ‚Begriffe des Verstandes von ihnen, wie es scheint, in einem sehr weiten Kreise gesucht werden, und auch dies würde doch nur in einer Anwendung ihrer Logik bestehn. Das gu thümliche ihrer Philosophie liegt aber hauptsächlich in ibrer Onlologie. Hier gehen sie von einer Eintheilung aus, welche unbestreitbar- emeng scheint. Alles, was wir soken können; ist entweder oder ist nicht Su 1) Ib. p. 142sqgq. Den Aschariten besonders wird dies zugeschrieben. V. Hammer Leipz. Lit. Z. 1826 S. 1292. Dagegen schreibt Mos. Maim. doct. perpl. I, 73 p. 148; 164. den Redenden die Lehre zu, dass die Sinne nicht genau erkennen ‚und irren. Über die Ursachen dieser verschiedenen Lehrweise kann man ver- + schieden denken. Ihre Atomenlehre. musste zu der Behauptung führen, dass die Sinne nicht das Richtige erkennen; aber dabei konnten doch die spätern Mo- takhallim ungefähr wie Epikur, die frühern EEN wie Demokrit über die sinnliche Erkenntniss denken. 2) Schmölders ess. p. 141 sqq. 3) Ib. p. 146 sqq. ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE etc. 25 ist unstreitig wegen der Folgerungen, welehe sie aus dieser Eintheilung zu ziehen wussten, dass ihre Gegner dennoch sie anzugreifen suchten. Unter anderen warf man ein, alles, was ist, sei etwas oder habe eine Qualität; das Sein aber, welchem die Qualitäten zugeschrieben werden, sei nicht etwas, weil alle Qualitäten, welche ihm zugeschrieben würden, von ihm zu unter- scheiden wären; da nun das Sein doch gedacht werden könne, so könne etwas gedacht a was weder etwas, noch nicht etwas sei, also ein Mitt- leres, welches weder sei, noch nicht sei 1). Dem enigegneten aber die Mo- takhallim, dass nicht alles, was ist, etwas sei, dass man vielmehr das Sein als Grund des Etwas oder der Qualität zu betrachten habe. Einen solchen Grund der Qualität müsse man annehmen, um nicht für jede Qualität eine neue Qualität als Grund zu setzen und so in das Unendliche geführt zu wer- den; aber er sei deswegen nicht als nicht seiend zu betrachten, weil er nicht etwas sei 2). Dieser Gegenbeweis beruht auf der Unterscheidung zwischen Subject und Prädicat in unsern Urtheilen. Dies ist ein zweiter Gegensatz, welchen sie mit dem zuerst angegebenen zwischen Seiendem und Nicht-Seien- dem verbinden. Sie unterscheiden bei allem, was Gegenstand unseres Den- kens sein kann, das Sein desselben, welches es überhaupt erst zum Gegen- stande unseres Denkens und zum Subjecte unserer Aussage macht, und die Qualität, welche wir von ihm prädiciren, um esals einen bestimmten Gegen- stand unseres Denkens zu bezeichnen 3). Das Subject wird von ihnen auch Substanz, das Prädicat Accidens genannt. Indem sie den Begriff des Acci- dens im- weitesten Sinne nehmen, so dass es auch etwas Negatives bezeichnen kann, die Abweserheit des Accidens, werden sie berechtigt nicht allein zu setzen, dass keine Substanz ohne Accidens, sondern auch dass keine Substanz Ki 1) Ib. p. 151. ; | 2) Ib. p. 152. 2 3) Ib. p. 150. Notre conscience immédiate nous informe dejà, que tout ce qui a rapport avec notre raison, possède ou non une existence effective et des qualités particulières quelles qu'elles soient, en sorte qu'il n'y a pour nous que réalité et non-réalité, étre et non-être. Hier sind die beiden obersten Gegensätze, aber freilich nicht in der besten Ordnung zusammengestellt. . Histor.- Phil, Classe II. SS, D 26 HEINRICH RITTER ohne viele Accidenzen sein könne 1); denn natürlich werden einer jeden Sub- stanz viele verneinende Prädicate beigelegt werden können. Wenn sie aber das Nicht-Seiende unter den Gegenständen unseres Den- kens aufzählen, so setzen sie dabei nicht allein voraus, dass wir verneinende Prädicate mit einem Subjecte verbinden können, sondern sie denken dabei auch daran, dass es einen Schein giebt, welcher unsern Verstand täuschen kann. Es giebt einiges in unserm Verstande, was kein Dasein ausser dem- selben hat; dergleichen ist uns wohl bekannt und wir sind beständig genö- thigt hierauf wieder zurückzukommen; was so nur in unserm Verstande ist, haben wir zum Nicht-Seienden zu zählen 2). Es geht nun das Bestreben der Motakhallim darauf aus das Seiende von dem Schein zu entkleiden, welcher mit ıhm in unserm Denken sich verbindet. Dies ist der indirecte Weg der Untersuchung, welcher ihrer Lehre vorherrschend einen polemischen Cha- rakter aufgedrückt hat. Ich erlaube mir dabei die Bemerkung, dass es der- selbe Weg ist, welchen die orientalische Philosophie fast beständig einge- schlagen hat. Auch die Inder, auch Philon der Jude sind ihn gegangen. Die Polemik der neuern Motakhallim zeigt nun offenbar, dass die aus- gebildete Gestalt ihres Systems durch die Kenntniss der Aristotelischen Philo- sophie bestimmt worden ist. Sie untersuchen hauptsächlich die zehn Katego- rien des Aristoteles, um zu ermitteln, was von ihnen dem Schein, und was dagegen der Wahrheit der Dinge angehöre. Dabei dient es ihnen als lei- tender Gedanke, dass ein jedes Verhältniss nur im Verstande, also nur Schein sei. Denn wäre ein Verhältniss ausser dem Verstande, so würde es in einem Subjecte sein müssen; nun ist aber iedes Verhältniss nur zwischen wenigstens zwei Dingen, welche in Verhältniss gesetzt werden; also ist es in keinem von diesen beiden Dingen. Man würde ein drittes Ding erfinden müssen, um ih- nen ein Subject zu geben; aber auch ein solches drittes Ding würde nur da- durch die beiden ersten in Verhältniss zu einander setzen, dass es selbst ein 1) Mos. Malm. D. P. I, 73 p. 148 pr. accidentibus. Ib. p. 152. contrariorum. 2) Schmölders ess. p. 171. IV. Substantiam non posse esse sine multis Omni subjecto necessario inesse alterutrum duorum e A * H ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE etc. 27 Verhältniss zu ihnen einginge und man würde daher von neuem ein Subject für dieses zweite Verhältniss suchen müssen; so würde man durch die An- nahme, dass ein Verhältniss in den Dingen gegründet sei, in das Unendliche geführt werden 1). Wenn aber das Verhältniss nur Schein an den Dingen ist und ihr wahres Sein an sich nicht ausdrückt, so fallen damit die meisten der Aristotelischen Kategorien als solche aus, welche sich nur mit dem schein- baren Sein der Dinge beschäftigen, nemlich alle sieben letzte Kategorien, nicht allein das Verhältniss selbst, sondern auch wo und wann, leiden und thun, haben und liegen. Die Motakhallim haben sehr wohl begriffen, dass die sechs zuletzt angeführten Kategorien nur Arten der ersten allgemeinen Katego- rie des Verhältnisses bezeichnen. Es bleiben nur noch die drei ersten Kate- gorien übrig, die Substanz, die Quantität und die Qualität. Aber auch die Quantität lassen die Motakhallim nur auf einen Augenblick in ihren Ansprü- chen etwas Wahres darzustellen bestehn. Es ist natürlich, dass sie in das Schicksal der räumlichen und der zeitlichen Verhältnisse, das Wo und das Wann, verflochten wird. Was von den Dingen in Beziehung auf ihren Ort bejaht werden kann, lässt sich eben so gut von ihnen verneinen. Wir sa- gen von einem Dinge, es sei oben, eben so gut können wir von demselben Dinge sagen, es sei unten. Dies beweist ohne Zweifel, dass weder das eine, noch das andere sein wahres Sein ausdrückt. Genauer erklären sich die Motakhallim über die Bestimmungen der Zeit. Sie lassen sich eben so in das Entgegengesetzte verwandeln, wie die Aussagen über den Ort. Sie die- nen nur dazu eine Erscheinung, deren Eintreten an und für sich unbestimmt sein würde, durch ihre Beziehung zu einer andern bekannten Erscheinung zu 1) Schmölders hat den Beweis nur angedeutet. Ess. p. 161. On ien, que les accidents relatifs sont des êtres réels. — — Selon les Dogmatiques, ces catégories ne sont que des abstractions de l’esprit, . aucune réalité, — — Si, disent-ils, la catégorie du rapport, par ex., embrassait des êtres réels, on les trouverait nécessairement dans un objet quelconque; car le rapport n’existe pas» comme tel, par lui - même, Or, s'il se trouvait réellement dans un objet, son existence dans cet objet constituerait un autre rapport qui à son tour exigerait pour fond un autre sujet, et ainsi jusqu’à l'infini, D2 28 HEINRICH RITTER bestimmen ). Wenn nun hiernach Zeit und Raum dem zufallen, was allein im Verstande ist, so gilt das nicht minder von den Zahlen. Die Zahl beruht auf Einheit; Einheit aber gehört nicht zum Wesen irgend eines Dinges; sie ist eine blosse Abstraction, welche weder Art, noch Eigenthümlichkeit des Gegenstandes verräth. Eben so müssen wir über die Zahl urtheilen, welche aus der Einheit hervorgeht 2). Wir werden sehen, dass von den Motakhal- lim in ähnlicher Weise auch die räumliche Ausdehnung angegriffen wurde, obwohl dies nicht in der Reihe der hier berührten Untersuchungen geschah. Schon das Angeführte, welches die Grundbegriffe der Quantität beseitigt, konnte zu genügen scheinen um die gegenständliche Wahrheit der Quanti- tät zu bestreiten. So bleibt also den Motakhallim von den zehn Eet des Aristoteles für das wahre Sein nichts weiter übrig als Substanz und Qualität, das Seiende und das, was es ist. Diese beiden Kategorien bezeichnen aber in ihrem Sinne genau denselben Unterschied, welchen wir schon oben bei ihnen fan- den, zwischen dem Sübjecte der Aussage und dem, was von ihm ausgesagt wird. Es fordert daher diese Lehre von uns, dass wir jeden Gegenstand ohne alle Verbindung mit etwas ihm Fremden, ohne alles Verhältniss zu einem Andern denken und nichts von ihm aussagen sollen, als was er ist. Offen- bar hat sie dieselbe Aufgabe im Auge, welche so viele andere Philosophen, noch neuerdings auch Kant verfolgt haben, jedes Ding an sich zu erkennen. Dabei muss noch ein Punkt besonders bemerkt werden, welcher für die Polemik der Motakhallim das grösseste Interesse hat. Ein grosser Theil derselben richtet sich gegen den Aristotelischen Begriff der Materie. Die Ma- terie soll das Subject des Leidens sein und also ein Vermögen haben zu lei- den und von der Form bestimmt zu werden. Nun ist aber das Leiden selbst nur als ein Verhältniss zu denken. Noch weniger lässt sich ein Vermögen zu leiden denken. Denn alles Vermögen ist ein Unding, weil es weder ist, noch nicht ist. Das Mögliche ist nur im Gedanken; nur das Wirkliche ist und 1) Ib. p. 163 sqq. Le temps est la conjonction d'une chose determinde avec une autre qui ne le serait pas, prise isol&ment, ou, si Pon veut, la liaison d'un phénomène quelconque avec un phénomène connu. ; > 2) Ib. p. 166. ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 29 kann als wahrer Gegenstand der Wissenschaft -angesehn werden ). Hier- durch wird nun nicht allein die Materie, sondern auch jedes Vermögen zu ihun, mithin auch die thätige Form geleugnet, wie es denn natürlich ist, dass mit der leidenden Materie auch zugleich ihr Gegensatz, die thätige Form, verschwinden muss. Auch Ursach und Wirkung werden dadurch aufgeho- ben; sie gehören nur zu den Verhältnissen, welche allein in unserm Verstande sind. Daher stammen die Beweise, welche El Gazali von der Motakhallim entnahm um darzuthun, dass die Begriffe der Ursach und der Wirkung nur auf Widersprüche führten 2). Man sieht, dass die Dogmatik des Islam zwar Aristotelische Begriffe benutzte, aber nur um die ersten Grundlagen der Ari- stotelischen Philosophie anzugreifen. Sehen wir nun auf die Wahrheit der Dinge und der Qualitäten, welche den Motakhallim übrig bleibt nach Ausscheidung alles Scheinbaren, so muss es uns allerdings scheinen, als wären ihre Vorstellungen hierüber ziemlich verworren gewesen. Sie legen den Dingen sinnliche Qualitäten bei ohne zu untersuchen, ob dergleichen nicht vielleicht nur Verhältnisse zwischen dem Wahrnehmenden und dem Wahrgenommenen bezeichnen möchten 5). Sie sprechen von Geistern und von Körpern, ohne zu fragen, wie ein Körper ohne Ort gedacht werden könne. Aber bei Beurtheilung solcher Aussagen haben wir a Manier dieser Männer nicht zu vergessen, welche in der Sr 1) Ib. p. 155. La possibilité n'est ni reelle, ni non reelle, mais e une no- tion de notre esprit. Ahron Ben Elia bei Delitzsch Anekd. S. XXXVII. „„Es giebt ein Reich der Möglichkeiten, was die Ascharija zu Gunsten der gött- lichen Präscienz negiren.“ Das Genaueste hierüber scheint Averroes epit. in Metaph. fol. 177 col. 2 zu haben, der jedoch hier die Motakhallim nicht nennt: Negabant possibilitatem praecedentem rem possibilem et ponebant posse cum ipso actu. Wir werden nemlich sehn, dass sie die Möglichkeit der zufälligen Dinge nicht schlechthin leugneten, aber wohl ihr Vermögen etwas zu leiden oder zu thun. ; e 2) Schmölders ess. p. 161 sq.; Averr. destr. destr. fol. 56 col. 2; 4. 3) Nach Ahron Ben Elia a. a. O. Kap. 4 $.19 ist die Empfindung eine Qualität des Lebenden; es empfindet durch Empfindung aus keiner andern darüber hinaus- liegenden Ursache. Dies möchte auf die Aschariten zu beziehen sein, obwohl in diesem Kap. sehr verschiedene Lehren zusammengemischt sind. 30 j l HEINRICH RITTER mischen‘ Haltung ihrer Lehre vieles anfangs zuliess, was später durch ihre weitern Folgerungen wieder aufgehoben wurde. Hieran erinnert uns beson- ders die Annahme von Körpern, welche, wie das Folgende zeigen wird, nur vorläufig ihnen gelten konnte. Wir haben ja auch schon gesehn, dass sie . jede Quantität als etwas Scheinbares betrachteten, und wenn ein Körper nicht ohne Quantität gedacht werden kann, so musste ihnen auch im Begriffe des Körpers etwas Scheinbares liegen. Doch darf man auch von der andern Seite wohl geltend machen, dass sie durch die Ausscheidung aller Verhältnisse den Weg sich abgeschnitten haben, welchen die wissenschaftliche Untersuchung zu gehen nicht umhin kann, und dass daher Voraussetzungen, welche mit ihren Grundsätzen nicht in voller Ubereinstimmung stehen, von ihnen nicht vermieden werden konnten. ä Eben deswegen sehen wir sie nun auch in beben verfallen. Von der körperlichen Erscheinung ausgehend erregte die Theilbarkeit derselben ihr Nachdenken. Dass aber dieselbe in das Unendliche gehe, konnten sie bei ihrer Scheu vor dem Unendlichen 1) nicht annehmen; sie setzten deswegen untheilbare Theile der Körperwelt 2). Dies sind nicht Atome im Sinne der Griechischen Atomisten, d. h. untheilbare Körperchen; sondern die Motakhal- lim bleiben ihrem Grundsatze getreu, dass die wahren Substanzen keine Quan- tität haben, und schreiben daher auch den einfachen Dingen, welche der kör- perlichen Erscheinung zum Grunde liegen sollen, keine Quantität zu 3). Al- les Untheilbare ist unkörperlich N Sie denken Reb die untheilbaren und un- körperlichen Bestandtheile des Körperlichen als Punkte, welche erst in ihrem Zusammenhang, in der sinnlichen Erscheinung, in welcher wir ihre Theile nicht zu unterscheiden vermögen, als räumlicher Ausdehnung theilhaftig sich ) Moses Maim. D. P. I, 73 p. 148 prop. x, neque in accidenti, neque in potentia. 2) Averr. epit. in Metaph. fol. 169 col. 3. Inſinitum nullum dari neque in actu, 3) Mos. Maim. I. I. p. 149. Totum hunc mundum, h. e, omnia illius corpora: con- flata esse ex perexiguis quibusdam particulis, quae ob summam exiguitatem nullam neque divisionem: admittant (Atomos vocant), neque quantitatem habeant. 4) Schmöldèrs ess. p. 183. Toute chose indivisible est incorporelle. * ÜBER UNSERE KENNTNISS; DER: ARABISCHEN PHILOSOPHIE etc. 31 uns darstellen ). Diese Vorstellungsweise soll zwar nicht allen Molakhallim angehören, aber doch der grössern Zahl derselben 2); sie liegt ihrem Systeme zum Grunde und die, welche seinen Grundsätzen folgerichtig sich anschlossen, konnten sich ihr nicht entziehen. Mit den „Annahmen der Französischen Ma- terialisten hat sie darin eine Abnlichkeit, dass sie den untheilbaren Wesen eine bestimmte Qualität zuschreibt; mit den Annahmen der Pythagoreer stimmt sie überein, indem sie das Untheilbare als Punkt setzt; noch viel grösser aber ist ihre Verwandtschaft mit der Lehre, welche Leibnitz von den Monaden ausbildete. Š Doch auch von ihr unterscheidet sie ich in manchen eee. Nur eine geringere Bedeutung können wir unter diesen Punkten dem beilegen, — dass sie mit ihrer Annahme von Monaden auch die Lehre verbanden, es gebe ein Leeres 5). Denn sie erklärten das Leere auch nur für eine Nopsellung unseres Verstandes, welche kein wirkliches Sein darstelle 4). Wenn man nun in der Lehre von den Monaden doch noch das Be- streben einer wissenschaftlichen Aufgabe zu genügen vertreten. finden. kann, nemlich der Aufgabe in der Analyse des Zusammengesetzten auf ein Letztes, Einfaches zu kommen, so wird man zugestehen müssen, dass die Motakhal- lim in jenem Bestreben folgerichtiger verfahren, als die Griechen und die neuern Philosophen, indem jene unternehmen, was diese vernachlässigen, die zeitliche Erscheinung ebenso, wie die räumliche in ihre untheilbaren Bestand- theile aufzulösen. Sie nehmen also auch untheilbare Zeitmomente an. Die Zeit in ihre Atome aufgelöst lässt sich zurückführen auf die verschiedenen 1) Ib. p. 176; Mos. Maim. I. I. p. 149. compositum fieri quantum et ipsum (d ro- mo» sc.) corpus, ita ut, si duo tantum ejusmodi atomi conjungantur, unum- quodque illorum (post conjunctionem) ſiat corpus ac per consequens deinde duo sint corpora, juxta quosdam ipsorum. 2 2 Schmölders ess. p. 175. La plupart des De supposent, que les corps simples consistent en des petites parcelles, qui ne subissent aucune divi- sion ultérieure de manière, que ces parcelles sont en nombre fini. 3) Mos. Maim. 1.1. p. 148. prop. II. Dari vacuum. 4 Schmölders ess. p. 148; 180. ee HEINRICH RITTER Jetzt, aus deren Zusammenfassung in unseren Gedanken erst der Verlauf der Zeit entsteht 1). Sie gründen diese Lehre nicht allein auf die Nothwendigkeit ein Un- theilbares in der Zeit anzunehmen, sondern auch auf den Begriff des Acci- dens. Unter diesem verstehen sie die Qualität, weil sie alle andern Acciden- zen der Substanz aufgehoben hatten ausser der Qualität. Ein Accidens, be- merken, sie kann nur einen Augenblick sein; es entsteht im Augenblick und verschwindet auch eben so wieder; das Zufällige hat keine Dauer 2). Es ist also die Flüchtigkeit der Erscheinungen, welche ihnen beweisen soll, dass jede Qualität eines Dinges nur ein Moment der Dauer haben könne. Dass die Bemerkung derselben von den Molakhallim zu einem allgemeinen Grundsatze gesteigert wurde, liegt wohl hauptsächlich darin, dass sie das Dasein eines jeden Atoms nur für ein zufälliges ansehn konnten, welches eben so gut in jedem Augenblicke sein als nicht sein könnte. Deswegen setzten sie auch jede Qualität als ein Accidens ohne alle Dauer und leugneten das Vorhandensein wesentlicher oder bleibender und der Natur eines Dinges eingepflanzter Ei- genschaften 5): ; Wir haben aber wiën oben gesehn, dass ihnen Substanz und da untrennbar mit einander verbunden sind, keine Substanz also ohne Accidens ` sein kann. So wie daher die Qualität oder das Accidens verschwindet, so fällt auch zugleich die Substanz weg und jede Substanz ist also eben so wie iter Aceidens nur in einem untheilbaren n 31. Doch ollen hier- 7 Mis. Mai. 1. l. P 148. prop. III. Tempus est compositum ex instantibus. Ib. p. 149. Quod (sc. tempus) dicunt componi ex multis nunc, h.e. ex multis tem- poribus, quae ob brevitatem durationis suae non possunt dividi. 2) Averr. destr. destr. In Phys. IV. fol. 63 col. 4. Accidentia non permanent per duo tempora. Mos. Naim. I. I. p. 148 prop. VI. Accidens nullum durare duo tempora, h. e. instantia vel momenta. Ib. p. 153. Accidentis autem hanc esse ra- tionem, quod ne quidem per duo momenta durare et superstes esse possit. Schmölders ess. p. 173; v. Hammer Leipz. Lit. Zeit. S. 1291; Delitzsch Anekd. S. 306. 3) Mos. Maim. I. I. p. 148 prop. 8. Formas naturales quoque esse accidentia. Ib. p. 154. Negant, quod natura aliqua existat. I p. 157 sq- 4) = Maim. I. I. p. 152; 167. — ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE eic. 33 über unter den Aschariten verschiedene Meinungen geherscht haben, indem einige von ihnen die Substanzen fortdauern liessen, jedoch wahrscheinlich unter der Voraussetzung, dass andere oder dieselben Accidenzen an ihnen von neuem sich ergeben würden, während andere den Substanzen ein eben so augenblickliches Sein beilegten, wie den Qualitäten ).“ Wenn wir den all- gemeinen Grundsätzen ihrer Lehre ſolgen, so können wir nicht anders, als der letztern Lehrweise den Vorzug vor der erstern geben. Wir übersehen nun die allgemeine Ansicht, welche die Motakhallim ih- ren Grundsätzen gemäss von den weltlichen Dingen sich ausgebildet hatten. Allen den sinnlichen Erscheinungen der geistigen und der körperlichen Welt in Raum und Zeit legen sie eine Menge von Monaden zum Grunde, welche eine jede gewisse Qualitäten haben, welche aber auch eine jede schlechthin für sich und einfach sind ohne alle Ausdehnung im Raum, ohne alle Aus- dehnung in der Zeit, eine jede nur eines augenblicklichen Seins“ theilhaftig. Keiner von ihnen kommt ein Vermögen! zu auch nur zur Selbsterhaltung, keiner ein Trieb oder ein Princip auch nur des innern, viel weniger des äussern fortdauernden Lebens. Es ist nur eine Täuschung unserer Einbil- dungskraft, wenn wir ihnen Ausdehnung oder Dauer beilegen, weil wir meh- rere von ihnen zu einer Vorstellung zusammenfliessen und sie dadurch über Raum und Zeit sich ausbreiten lassen. Diese Monaden sind das allein Wahre in der Welt. Dadurch vornehmlich, dass ihnen jedes Vermögen sich selbst zu erhalten oder sich selbst zu 'entwick ln und jede zeitliche Dauer abgespro- chen wird, unterscheiden sich diese Monaden der Motakhallim von den Mo- naden des Leibnitz, von den Dingen an sich, welche Kant annahm, wenn wir allein auf die Folgeriehtigkeit der Lehre sehen, sehr zum Vortheil der Motakhallim; denn diesen ist es in der That damit Ernst das zeitliche Dasein der wahren Dinge zu leugnen, was doch den andern Lehren; obgleich sie dazu Anstalt: machen, nicht bis zu Ende gelingen will, weil die Dinge, wel- chen sie ein inneres Leben, ein Vermögen zu freier Entwicklung beilegen, wieder in das zeitliche Dasein hineingerathen. A Aber treilich. wenn diese Folgerichtigkeit den Motakhallim zum Lobe ` 12419 i „u T94 d $ „Tuhu ? 8 i i 33 1) Averr. destr. destr. fol. 19 col. 3 S 9829 tun 101 4 i Histor.- Philol. Classe. TI. E 34 ob AI 4060 NG KEHBSNRICHLRITRER/U.NA TAIVU A gereichen mag, so dürfen wir dagegen auch nieht verschweigen, eine wie wenig befriedigende Ansicht von den Dingen der Welt ihre Grundsätze ihnen an die Hand geben. Man darf wohl darüber erstaunen, wie dürftig sie das Weltliche ausstatten. Ein jedes Ding: dieser Welt ist noch bei Weitem ge- ringer als eine Tagsgeburt, als eine der nackten Mouaden, welche Leibnitz doch noch mit Trieb und Empfindung und Dauer ausstattete, wiewohl er ih- nen kein Bewusstsein zugestand. Wenn das System der Motakhallim beleh- rend ist, so mag es nicht allein wegen seiner Folgerichligkeit, sondern auch wegen des abschreckenden Beispiels, welches eine von solchen Grundsätzen ausgehende Folgerichtigkeit gewährt, auf dieses Lob Anspruch haben. Man muss wohl erwarten, dass sie das Weltliche nicht ohne die Ab- sicht herabgesetzt haben werden, um dagegen das Göttliche um so mehr er- höhen zu können. Man muss auch erwarten, dass sie vermittelst ihrer Theo- logie einlenken werden, um das dürftige Dasein ihrer Monaden etwas reich- licher auszustatten. Wenn schon Leibnitz sich genöthigt sah, vermittelst seiner Annahme einer prästabilirten Harmonie in der Schöpfung eine Verbin- dung unter den Monaden herzustellen und den nackten Monaden dadurch Ge- legenheit zu geben zu Seelen zu werden, so war das Bedürfniss hierzu für die Motakhallim noch in einem grössern Maasse vorhanden. In der That finden wir einen ganz ähnlichen Gedanken über den Zusammenhang der Mo- naden bei den Motakhallim, wie bei Leibnitz, so dass man jene für die Vorläufer dieses in der Lehre von der prästabilirten Harmonie ansehn Könnte. Unter ihren Beweisen für die Annahme eines Schöpfers findet sich einer, welcher sich darauf beruft, dass die Verbindung und die Trennung der Atome einen Grund voraussetzen, welcher sie trenne oder verbinde; da sie einen solchen Grund aber unter den Substanzen der Welt, den Atomen, nicht: fin- den können, so nehmen sie zu der Annahme: eines Gottes ihre Zuflucht, wel- cher e- Atome in der ee in ee setze vn es? halte: äi * 1) Mon. Maim. D. P. , 74 p. 166 sq. 8 e deu 2 gien. (sc. SCH stantias) congregari, quasdam vero separari et „quasdam alternatim nunc congre- gari, nunc segregari, argumento bos est, suhstantias -istas opus habere aliquo, qui congregat illas, quae congregantur, et qui separet illas, quae separantur. Atque istud dicunt certissimam esse probationem, mundum esse de novo creatum. t ; Ahaa oh ÜBER UNSERE KENNTNISSDER' ARABISCHEN PHILOSOPHIE ete 33 Sie werden etwas: Ahnliches auch von der Erhaltung der Atome in der Zeit gelehrt haben. Ihre Lehre von der Bewegung, welche sehr seltsam klingt, aber doch in ihren Grundsätzen hinreichend begründet ist, scheint uns darauf zu führen. Sie behaupteten nemlich, dass eine Bewegung nicht schneller oder langsamer sei als die andere. Denn es gche überbaupt keine stetige Bewe- gung in der zeit, sondern ein jedes Atom entstände au dem Orte, wo es sich fände und man setze nur eine längere Bewegung da voraus, wo mehrere, eine kürzere, wo weniger Ruhepunkte wären 1). Unstreitig werden sie ange⸗ nommen haben, dass auch hier der Grund aller dieser Eutslehungen eines und desselben Atoms an re er Orten ng DEREN in TS woe pfung Gottes zu suchen sei. 3 loan I ut. 3 hi | Bei diesen Beweisen für die eer? eines Gottes möchte uns nun aber schon ein Bedenken entstehen, ob sie mit ihren ontologischen Grundsätzen übereinstimmen, Denn wird nicht hierdurch den Monaden ein Verhältniss zugeschrieben, sei es der Trennung oder der Verbindung, welches in Gott gegründet sein soll? Wir enthalten uns dies weiter zu ‚entwickeln, denn ähn- liche Zweifel erregt uns auf jedem Schritte die ganze Theologie der Motak- hallim. Sie verräth wenig von der Consequenz, welche wir an ihrer Ontolo- gie zu rühmen gehabt haben. Wir wollen uns daher auch in der Auseinan- dersetzung ihrer Lehren kürzer fassen. Es ist sogleich sehr auffallend, wie die Motakhallim aus ihrer Ontologie sich den W. zur Theologie bahnen. Von der Zufälligkeit der Monaden schliessen sie auf eine nothwendige Ursache derselben, weil wir eine letzte Ursache annehmen müssen, um nicht in das Unendliche geführt zu werden. Diese Ursache ist schlechthin frei, weil sie keine andere Ursache hat; welche sie zwingen könnte. Sie setzt daher einen Willen voraus, welcher durch nichts bestimmt wird, keine Materie neben sich hat, welche ihn zu seiner 3 Thätigkeit 1 — wert: or e ege $ ist 2). raii Spatz i ” í R i 40 6 D Ib. 7³ 7. 450, SS S GE Schmölders ess. D (ee $ 1583 1723 186. Die Kae . Mos. Maim.. D. P. I, 74 angiebt, weichen zwar in der Form ab, asho; aber meistens von denselben Grundsätzen aus, besonders der vierte. E2 36 as 11114070 HEINRICH RITTER So vertheidigen sie den Begriff der Schöpfung in strengem Sinne gegen die Lehren der Aristoteliker nicht gerade ungeschickt, aber doch in einer Weise, welche den Grundsätzen ihrer Ontologie zu widersprechen scheint. Denn wir ‚erinnern uns, dass sie dem Begriffe der ursachlichen Wirk- aiki alle Bedeutung für das wahre Sein der, Dinge abgesprochen hatten. Nun könnte man zwar sagen, das Verhältniss zwischen Schöpfer und Ge- schöpf sei nicht ein rein ursächliches Verhältniss, aber ein Verhältniss ist es doch, und die Motakhallim halten in ihrer Ontologie auch alle Verhältnisse als etwas bezeichnet, was nur in unserm Verstande wäre. Wir stossen hier auf denselben Widerspruch, den wir oben schon bemerken mussten, wo wir fanden, dass Gott ein Verhältniss unter den verbundenen und nn Mo- naden in der Zeit und im Raume begründen sollte. Fach den Uberlieferungen, welche wir hierüber haben, können wir nicht genau sagen, wie sie über diesen scheinbaren Widerspruch der Grundsätze ihrer Ontologie und ‚ihrer Theologie sich erklärt haben mögen. Doch als völlig unauflösbar mochte er ihnen nicht erscheinen. Es wird uns gesagt, dass sie den Satz aufstellten, das nothwendige Wesen hätte sein Sein nicht in demselben Sinne mit dem zufälligen Wesen gemein 1). Auf diesen Satz konnten sie ihre Behauptung gründen, dass wir den Begriff Gottes nicht den- selben Beschränkungen unterwerfen dürften, welchen die Begriffe der weltli- chen Dinge unterliegen. Wenn sie die letztern ohne Kraft ein ursächliches Verhältniss zu begründen denken zu müssen glaubten, so konnten sie dagegen annehmen, dass dem unerforschlichen ‚Wesen Gottes eine solche Kraft doch beiwohne. Bei den Arabischen Philosophen ist es sehr gewöhnlich, dass sie das Unaussprechliche, Uberschwengliche im Begriff Gottes mit starken Farben nalen; auch die Motakhallim werden es nicht neleh haben, diesen: e | Ke r ess. p. Kr Ma avons SEN que la réalité n'est point un attribut commun aux êtres, mais qu'ils en participent seulement litteralement; doù il résulte, qu'on a tort de dire que Petre nécessaire de lui-même égale, quant à sa réalité, les autres êtres et qu'il ne s'en distingue que par sa néces- site. Mos. Maim. D. P. I, 76 p. 177. Ouod deus benedictus nulli creaturae assimilari possit. Dieser Satz wurde besonders gegen die e S von a Kör- perlichkeit Gottes von ihnen gebraucht. b ` ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE etc. 37 zu nehmen, wenn man ihnen die Unvereinbarkeit ihrer ontologischen Grund- sätze mit der schöpferischen Macht, welche sie Gott beilegten, vorgehalten haben sollte. Wir finden daher auch ausdrücklich bemerkt, dass sie ihren Streit gegen den Begriff der Ursache auf die weltlichen, sinnlich erscheinen- den Dinge beschränkten, dagegen aber das Vorhandensein einer Ursache, welche der sinnlichen Erscheinung nicht angehört, keinesweges leugnen woll- ten ). Diesen Unterschied scheinen sie noch weiter verfolgt zu haben, in- dem sie nicht wollten, dass man Gott eine Ursache im strengen Sinne des Wortes nenne; er sei vielmehr nur der Thätige oder Bewirkende zu nennen. - Zwischen der Ursache und dem Bewirkenden aber sei der Unterschied, dass jene ihre Wirkung nothwendig hervorbringe und in dem Augenblicke wirke, in welchem sie sei, während der Bewirkende nicht nothwendig wirke und sei- nem Werke vorhergehe. Man wird bemerken, dass hierin derselbe Unter- schied ausgedrückt ist, welchen man zwischen den natürlichen und freien Ur- sachen gemacht hat. Daher sahen sie Gott als freie Ursache der Welt an, welche durch ihren Willen ihre Geschöpfe hervorbringe, und bestritten von dieser er aus din, Lehre dab Arabischen Aristoteliker von der ee W WN = zer Sin Sa Averr. destr. destr. m fol. 27 col. 1. Et removerunt causas, quae sunt hic. — Et negaverunt operationes - provenientes ex rebus naturalibus et negaverunt , —. eum hoc, ut sint operationes in rebus vivis, quae apparent. Ib. X fol. 45 col. 4. Sed secta Assaria negavit causas sensibiles — — et posuit causam, entitatis sen- sibilis ens non sensibile specie generationis non apparentis et non sensibilis in causis et causatis. Dasselbe schreibt Ahron Ben Elia den Atomisten zu, wenn er sie die Mittelursachen leugnen lässt. Delitzsch Anekd. 4 S. 19. 2) Mos. Maim. D. P. I, 69 in. Philosophi — — vocant deum opt. max. causam primam, a qua appellatione celebres et famosi- scriptores e Loquentium secta be g abhorruerunt eumque agens vel efficientem vocitare maluerunt, existiman- tes magnam inter causam et agens esse differentiam. Dixerunt enim si dicamus 4 sequitur necessario esse aliquod ipsius causatum et effectum atque ita 10 „ aeternum et a deo necessario creatum. Si vero dicamus efficiens vel agens, non statim sequitur necessaria alicujus operis vel effeeti existentia, quis efficiens potest esse ante opus et effectum suum, immo non potest cogitari obefficiens, nisi cogitetur praecedere opus et effectum suum. Es scheint, dass sie 38 A HEINRICH RITTER Auf das Uberschwengliche im Begriff Gottes weist auch ihre Lehre von der Ewigkeit Gottes hin, welche sie sehr entschieden der endlichen Zeit entge- gensetzen, denn eine unendliche Zeit erscheint ihnen als undenkbar 1). Sie werden es nicht versäumt haben diesen Begriff der Ewigkeit auch auf die schöpferische Thätigkeit Gottes anzuwenden; denn wir haben schon früher ge- sehn, dass einer der Haupipunkte, welchen die orthodoxen Theologen des Islam verfolgten, der ewige Rathschluss Gottes ist, in welchem alles Welt- liche seinen Grund hat. Es hat darin seinen Grund als ein Erscheinendes, welches, wenn auch ohne Dauer in der Zeit, doch ein Bestandtheil der Zeit bildet. Der Rathschluss Gottes geht darauf, dass die weltlichen Dinge und ihre Qualitäten in einer gewissen Ordnung erscheinen und wieder verschwin- den. Von den Dingen der Welt hängt dabei nichts ab. Sie sind im stren- gen Sinne des Wortes Geschöpfe, Producte; in jedem Augenblicke werden sie von neuem gemacht, sie mit ihren Qualitäten. In einem jeden Subjecte kann ein jedes Prädicat gemacht werden, weil kein Subjeet eine bleibende Natur, ein beständiges Wesen hat. Die Welt hätte auch ganz anders ge- macht werden können, als sie gemächt worden ist, und weil: sie nun einmal vorhanden ist, wie sie ist, darum ist Gottes Rathschluss für die folgende Zeit nicht etwa abhängig von der vorhandenen Welt; denn die eine Qualität kann ihn nicht bestimmen, dass er ihretwegen die andern schaffen müsste, vielmehr sind alle diese Qualitäten ohne Verhältniss, also auch ohne nothwendigen Zu- Arie unter Se nn Man ug 2. * den 8 1 auch Ge sok Verhältniss Gottes zu seinen Werken 5 5 Delitzsch Anekd. S. 304 legt ihnen die Lehre bei, der wies Wille Gottes cgalegeire in der Zeit mit welchem Object immer er wolle. 1) Schmölders ess. p. 178 sq. 2) Averr, destr. destr. XIV fol. 51 col, A. Hic Re est ex ‚sermone ejus, qui non ponit attributis ipsis subjectum. proprinm; sed potest: evenire omne attribu- tum cuilibet, ei, cui attribuitur — — et hae positio. est ex radicibus sectae Assariae. Daraus zieht Averroes die schärfsten en gegen die Aschari- 3 p. 150. Principale enim funda- mentum. omnium (se. Loquentium) est, nullam certam cognitionem rerum (d. h. keine nothwendige Erkenntuiss) haberi posse, quod sc. hoc vel illo modo se ÜBER UNSERE KENNTNISS: DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE etc. 39 den Vordersätzen und den Folgerungen für nothwendig; aber die Erlahrung zeige es anders; wir könnten die Vordersätze denken ohne daraus die Folge- rungen zu ziehen 1). So machte diese Lehre das Dasein der Dinge und ihre Qualitäten von einer, continuirlichen, beständig neuen Schöpfung abhängig. Alles steht denz e e n ihm ist nichts > als was sich widerspricht 2) Man wird die — zg der Motakhallim i in om Ben Beziehung mit der Lehre = Occasionalisten vergleichen können, welche aus der Lehre vòn der conti- nuirlichen Schöpfung die Folgerung zogen, dass die ganze Welt ein bestän- diges Wunder sei. Auch die Motakhallim scheinen ihre Grundsätze nach die- sem Ziele hingeleitet zu haben. Um das Wunder zu rechtfertigen, dazu sind sie besonders deswegen bequem, weil sie kein allgemeines Gesetz der Natur, kein unverletzliches Wesen der Dinge, keinen Zusammenhang weder des Grundes mit der Folge, noch der Ursache mit der Wirkung unter den Mo- menten der Erscheinung anerkennen. Die Aschariten behaupteten, wenn ein Mensch die Schreibfeder bewege, se schaffe Gott vier Accidenzen, den Willen ar Menschen, seine Macht zu bewegen, die Bewegung der Hand und die g der Schreibfeder, keins von diesen Accidenzen sei aber die Ur- sach:e eines 2 Ta e So sahen sie auch die Wissenschaft, welche jemand heute von demselben hat, was er gestern wusste, nicht als eine Folge dieser Wissenschaft oder als dieselbe Wissenschaft, sondern als eine neue Schöpfung DEE eo quod in GE E contrarium semper esse et cogitari possit Ib. p. 159. Contemnentes totam rerum naturam. Ib. e. 74 p. 168. 1) Schmölders ess. p. 170 sq. Doch sollen El Aschari und El Razi das Gegen- . theil behauptet haben. Ich halte dies für ein Misverständniss der Spätern, viel- leicht daraus, dass sie behaupteten die Folgerungen könnten nicht ohne die Vordersätze sein, was mit ihren Grundsätzen wohl zu vereinigen ist. 2) Mos Maim. D. P. I, 73 p: 148. prop. 10. Possibile non probari per convenien- iam illius imaginationis cum hoc universos Buxtorf erklärt dies richtig: Pos- sibile non esse illud, quod cum naturae ordine convenit, sed quicquid in in- tellectu concipi potest. Ib. p. 158 sg. Consentiunt in hoc, falsum esse duo con- traria simul esse posse in eodem subjecto et instanti uno, nulloque modo intel- fectum hoc admittere. 40 HEINRICH RITTER im Menschen an, welcher selbst in jedem Augenblicke neu geschaffen werde I). Zwar gestanden sie zu, dass es einen gewöhnlichen Lauf der Natur gebe; vermöge dessen eine gewisse Ordnung in der Verbindung der Accidenzen unter einander beobachtet zu werden pflege 2); zu dieser Ordnung zählen sie auch, dass dieselben Dinge durch wiederholte Schöpfung erhalten würden, eine Annahme, welche ihnen nöthig war, um die Gerechtigkeit Gottes in Beloh- nung und Bestrafung zu retten; aber diese Ordnung machten sie im streng- sten Sinne allein von dem Willen Gottes abhängig und behaupteten, dass es kein Widerspruch sei, wenn etwas gegen die Natur eines Dinges mit ihm ge- schehe, weil das, was wir die Natur der Dinge zu nennen pflegten, nichts weiter als der gewöhnliche Lauf der Dinge wäre, von welchem nach Gottes Willen abgewichen werden könnte. Es sei nicht unmöglich, dass Feuer kalt mache, dass der Erdkreis in die Himmelssphäre verwandelt werde; ein Floh könnte so gross sein, wie ein Elefant, ein Elefant klein, wie ein Floh 8). Dabei muss ich jedoch bemerken, dass sie diese Beispiele nur zur Erläuterung ihres Satzes beibringen, dass es Gott habe gefallen können eine andere Welt und mithin eine andere Ordnung der Natur zu schaffen. ia Nach diesen Grundsätzen werden wir nun auch beurtheilen EE in- wieweit die Aschariten eine Freiheit der menschlichen Handlungen annehmen konnten. Eine in stetiger Folge fortgehende Entwicklung seines Geistes und seines Lebens konnten sie dem Menschen freilich nicht zuschreiben, vielmehr mussten sie annehmen, Gott schaffe den Menschen und seine Handlung in jedem Augenblicke seines Lebens neu. Für die Freiheit einer jeden einzelnen Handlung Sg man Sech möglicher Weise zwei . in 1) Mos. Maim. I. I. p. 155. Die Lehre von 2 4 Bags wird auch einer Sekte der Dschabariten, den El i een geed ga p. XXXV c. 86. 2) Es ist nur eine F Zeie: aus den Wett der niatie wenn Averroes behauptet, sie hätten alle Ordnung i in der Welt aufgehoben. Destr. destr. III fol. 27 col. 1. dÄ ez 3) Mos. Maim. I. I. p. 158 DS Averr. destr. en III fol. 27 ob 1. Crediderunt, quod omne ens est possibile, ut sit aliter, quam est. Ib. in sr I. fol. 57 col. 3; fol. 58 col. 3 sqq. 5 A ÜBER UNSERE KENNTNISS DER ARABISCHEN PHILOSOPHIE kü. 41 der Lehre der Aschariten finden, entweder im Begriffe des Widerspruchs oder im Begriffe der Ordnung der Natur. Da sie den Widerspruch für unmög- lich hielten, so hätten sie auch behaupten können, es sei unmöglich, dass Gott eine Handlung im Menschen schaffe und dass diese Handlung nicht seine eigene Handlung sei, welche ihm zugerechnet werden, welche daher frei sein müsste. Welche Bedenklichkeiten die Aschariten auch abhalten mochten die- sen Weg einzuschlagen, genug sie haben es vorgezogen den andern An— knüpfungspunkt zu benutzen. Man sieht dies schon aus jenem Beispiele von der Bewegung der Schreibfeder. Sie sondern da die Macht des Menschen und seinen Willen als zwei Schöpfungen Gottes, welche nur durch die Ord- nung der Natur mit einander verbunden werden können. Es wird aber von ihnen nachgegeben, um die "Gerechtigkeit Gottes zu rechtfertigen, dass er seine Wege so geordnet habe, dass er immer zuvor eine menschliche Macht und nachher unter oder mit ihr eine Handlung schaffe, welche der Mensch ergreifen und sich aneignen könne. Dies sei es, wodurch dem Menschen die Handlung zufalle und wodureh er der Re Drin ei 5 3 haftig werde 2). 915 Doch auch in diesem 7 Wees weichen sie von den Sendic ab, von welehen sie in der Beurtheilung der weltlichen Dinge ausgegangen waren. Indem Gott eine gewisse Ordnung der Dinge feststellt, setzt er eben dadurch, dass eine wechselseitige Abhängigkeit des einen von dem andern Dinge oder ein Verhältniss unter ihnen nicht bloss im Verstande, sondern im wirklichen Sein der Dinge besteht. Den Träger für dieses Verhältniss, wel- chen die Motakhallim vergeblich zu suchen behaupteten, haben sie nun im Willen Gottes gefunden. So haben wir schon oben gesehn, dass sie den Schöpfer für den Grund der Verbindung und der Trennung ihrer Monaden ansahen. Nach manchen ihrer einzelnen Ausserungen 2) und nach dem Sinne 1) Pococke spec. p.244sqg. Nulla vis in rebus de novo producendis. Nisi quod deus ita vias suas ordinaverit, ut creet post potentiam crealam aut sub ea et cum ea actionem, quae in promptu sit, quandocunque illam voluerit homo et illi se accinxerit, quae actio vocatur acquisitio; et est respectu creationis a deo, respectu productionis, qua in medium profertur, et acquisitionis ab homine, cadens sub potentia ejus. Vergl. Delitsch Anekd. S. XXXV c. 86. S. 305. 2) Schmölders ess. p. 146 59. Averr. epit. in Metaph. fol, 174 col. 2. Hlistor.- Phil. Classe II. i F 42 HEINRICH RITTER: UR. UNSERE, KENNTNISS,D. ARAB. PHILOSOPHIE etc. ihrer Monadenlehre verwerfen sie die Realität des Allgemeinen; aber hier fin- det sich doch ein Allgemeines, welches sie zugeben, der allgemeine Wille Gottes, welcher alles bestimmt und die einzelnen Schöpfungen zu einem wohl- geordneten Ganzen vereinigt. Auf eine solche allgemeine Ordnung in den Hervorbringungen Gottes waren die Motakhallim unstreitig genöthigt vieles zu- rückzuſühren, was sie für die ethische Grundlage ihrer Theologie nicht von der Hand weisen durften. Wie sie aber bemüht gewesen sein mögen den Gedanken eines überweltlichen Bandes unter den Monaden weiter zu benutzen, darüber fehlen uns die Nachrichten. Ein ähnliches Bekenntniss müssen wir auf viele Fragen ähnlicher ge ablegen. Auch ist vieles in den Überlieferungen nur unsicher und in, vager Weise beglaubigt, wie es nicht anders sein kann, so lange wir die einzelnen Lehren in der Schule der Motakhallim nicht genauer unterscheiden können. Nur der Kern ihrer Lehre scheint sicher zu stehn und deswegen hat sich auch diese Abhandlung fast nur auf ihn beschränkt, viele Einzelheiten der Überlieferung aber übergangen. Wir müssen hoffen, dass die Naivität, mit welcher die Lehre der Motakhallim die Richtungen ihres Nachdenkens aufdeckt, ihr eine grössere Aufmerksamkeit gewinnen werde, als sie bisher genossen hat, damit die über sie verbreitete Dunkelheit den vereinigten Anstrengungen der Gelehrten weiche. ö Über griechische Monatskunde und die Ergebnisse ihrer neuesten Eeer | Dr. Karl Friedrich eee vorgelesen in der Sitzung der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am 15. Januar 1844. KÉ, I. einigen andern Gesellschaften, die gleiche oder ähnliche Zwecke mit der unsrigen verfolgen, ist es Sitte, dass der erste Vortrag des neueintretenden Mitgliedes dem Gedächtnisse dessjenigen gewidmet werde, dessen Stelle. jenes zunächst einzunehmen berufen. ist; und ‚wenn ich mich auch bescheide, dass um in ähnlicher Art das Andenken Otfried Müllers zu ehren, ‚sowohl ein beredterer Mund als eine nähere Bekanntschaft mit seinem persönlichen Wirken, als deren ich mich rühmen kann, erfodert werde, so war es doch meine Absicht, meine Thätigkeit in diesem so grosse Erinnerungen weckenden Vereine mit einem Berichte über die Ergebnisse der delphischen Ausgrabun- gen zu beginnen, welche mein unvergesslicher Vorgänger mit seinem Leben bezahlt hat, und deren von seinem ‚Begleiter Dr. Curtius herausgegebene Bestandtheile neben anderem Stoffe zu. weiterer Erörterung namentlich auch für die delphische Zeitrechnung interessante Aufschlüsse darboten 1), Unvor- hergesehene Umstände haben mich nun zwar genöthigt,. das zu diesem Zwecke bereits gesammelte Material zu einem ‚akademischen Programme zu verwen- den ?), zu welchem ich jetzt nur noch einzelne Berichtigungen beibringen kann; durch eben diese Beschäftigung bin ich inzwischen auf das weitere Gebiet der griechischen Monatskunde überhaupt ‚geführt worden, dessen in 1) Anecdota Delphica, edidit Ernestus Curtius. Berol. 1843. 4. 2) Disputatio de anno Delphico; typis expressit officina Dieterichiana. 1844. 4. F2 — KARL FRIEDRICH HERMANN der jüngsten Zeit Ser Bireicheraigen es auch abgesehn von jenen Be- ziehungen der Pietät zu einem würdigen Stoffe erneuerter Betrachtung zu. machen schienen, und wenn ich es daher wage, statt jenes beschränkten Gegenstandes. gegenwärligen Vortrag einer übersichtlichen Zusammenstellung aller über die Monate griechischer Völker und Städte erhaltenen Nachrichten zu widmen, so hoffe ich diesen Tausch eben so wohl durch das allgemeinere _ Interesse der Sache als durch die Igeepverbindung , welche mich darauf ge- leitet hat, gerechtfertigt zu sehn. An der Spitze, muss hier nun freilich sogleich die Bemerkung stehen, dass jene Bereicherungen wie der delphischen so aller sonstigen griechischen Monatskunde fast lediglich den Inschriften verdankt werden, welche die zahl- reichen Reisen und Ausgrabungen der letzten Jahre auf griechischem oder vor- derasiatischem Boden in überraschender Menge zu Tage gefördert haben; die Entdeckungen im Fache der gelehrten Literatur des Alterthums, so ergiebig auch sie in den letzten Decennien gleichfalls gewesen sind, haben doch auch für die Monatskunde nur aufs Neue die Erfahrung bestätigt, dass die ge- lehrten Grammatiker, höchstens Hesychius und die Quellen des Etymol. M. ausgenommen, den Kreis ihrer Belehrung so ziemlich in die Gränzen ein- schlossen, die durch das Bedürfniss der Erklärung der gangbaren Classiker gegeben waren; und wie wenige Veranlassung gerade auch diese hatten, der Einzelheiten bürgerlicher Zeitrechnung bei ihren Zeitgenossen zu gedenken, geht eben so wohl aus, der Natur der Sache, als aus der Kärglichkeit der Beispiele hervor, die sie von solchen darbieten. Der einzige wirklich be- klagenswerthe Verlust ist Kallimachus von Suidas p. 232 erwähnte Schrift un argosnogler. XATO E Oros PEN Nes, die allerdings nicht blosse Glossen aus bekannten Schriftstellern enthalten haben muss, wie die Erwähnung des Monats Asos$vos aus ihm im Etymol. M. p. 278 beweist; die Meisten dagegen, wie der von Harpokration p. 191. 197. 270 angeführte Lysimachides, be- schränkten sich auf die athenischen Monate, wie Andere über den verwandten Gegenstand negi rav A Nm ¹ẽð Log ro schrieben, vgl. dens. p. 259, und diese nebst den macedonischen sind daher auch so ziemlich die einzigen, über welche man bei Lexikographen und andern Compilatoren der späteren Zeit Auskunft suchen darf. Selbst in solchen Schriften, wie die Plutarchische ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. 45 mepi nuegõv, aus welcher ihr Verfasser selbst V. Camill. c. 19 Proben mit- theilt, können vergleichende Monatsbezeichnungen nur eben so beiläufig vor- ausgesetzt werden, wie sie Plutarch auch in seinen andern Schriften gelegent- lich gibt; und wenn gleich schon diese uns um so dankenswerther sind, als sie fast die Hälfte von dem ausmachen, was wir überhaupt aus Schriftstellern über diesen Gegenstand lernen, so kann doch eben dieses nur die Kärglich- keit jener Quelle überhaupt beweisen; eigentlich wissenschaftliche Schriftsteller sahen sich, wie dieses Galen ausdrücklich von Hippokrates bemerkt 1), gerade durch die örtliche Verschiedenheit der Zeitrechnungen genöthigt, ihre Zeitbe- stimmungen nach natürlichen Gränzpuncten oder wie spätere Astronomen nach ägyptischen oder selbstgeschaffenen 2) Monatsnamen zu machen, und was sonstige Erwähnungen in Schriften des Alterthums betrifft, so musste deren Zahl um so geringer ausfallen, je weniger wir sehn, dass die amtliche Chro- nologie des öffentlichen Lebens im gemeinen Verkehre beachtet zu werden pflegte 5). Lalamantus de tempore ejusque partibus (1570) in Gronov. Thes. Antiqu. Gr. T. IX, p. 1056 kennt ausser den attischen und macedonischen Monaten im Ganzen nur noch zehn von andern griechischen Völkern; was die umfassendern Bemühungen eines Scaliger, Petavius, Usserius u. s. w. in dieser Hinsicht ausgemittelt hatten, stellt Fabricius in seinem Menologium, Hamburg 1713. 8., mit den Zeitrechnungen anderer alter und neuer Völker aller Welttheile mit gewohntem Sammelfleisse zusammen 4); von griechischer 1) Ad Hippocr. Epidem. I, p. 21 ed. Kühn: wg el nüvreg elyov goe avtovg (ujvas) o dv "Agurovgov sei Meridos nat Kuvög lonnsgıwv Ts sei zeg Zuvmwövevosv 6 “Innongdung, GAX Zosegep ën asf ere nata Munxsdövag, ef org Zeen, Övonaßover Tod Alov h L νο vordvde gud Zetdg Zeg . xut&otaoiv èv tT) rot negiéyovtos wodosı“ ugi dè el ö tò Mov Mauedöcı nv póvois dapis, "Adwaioıs db xal vois i avdugnog ou oapèe, Inno- noatye Ò Aëodierg toùs ef unuvınv tüv Zëngn dysliv, Zuse = avta yd was póvyv Tv doypepiay, ren zeg Arëngrefger tivos fie ij mèy yd loņpsgiu xoomxóyv loti ngayu, ol d wiveg Zug na?’ Euaorov 290 2) Vgl. Scaliger emend. tempp. p- 268; Ideler Handb. d. Chronologie B. I. 8. 356. 3) Demosth. Mid. f. 86. 4) Sehr ungerecht ist das Urtheil von Sainte-Croix in der Hist. de PAcad. d. ER KARL FRIEDRICH HERMANN Zeitrechnung aber begegnen uns hier selbst mit Einschluss dessen, was der hellenistisch-römischen Zeit angehört, kaum die Monate von zwölf Staaten 1), und auch diese noch grösstentheils in sehr geringer Anzahl, wie z. B. von ` Delphi, wo wir jetzt zehn Monatsnamen kennen, dort erst zwei verzeichnet sind, während andere, wie die phrygischen, sogar nur auf Missverständniss beruhen 2); -und mit einem so mangelhaften Material hätte daher selbst eine umsichtigere und besonnenere Thätigkeit, als die um dieselbe Zeit Dodwell Inscr. T. XLVII, p. 66: Zunique moyen de parvenir à quelque résultat utile aux progrès de la science, étoit d’abord de rassembler les renseignemens épars qwon trouve dans les écrits des anciens et sur leurs monumens, concernant les diverses nomenclatures de mois. C'est ce qua exécuté avec plus de zéie que de succès, le savant et laborieux Fabricius ... mais Vauteur paroit n’avoir consulte ni les medailles ni les inscriptions; et son recueil west qu'une compilation pleine de lacunes et erreurs „ au point qu'on pourroit soupçonner Fabricius. d’avoir peu connu la science des temps. Das letzte mag wahr sein; aber chronologische Untersuchungen lagen gar nicht in Fabricius Absicht, und eben desshalb brauchte er auch von. Münzen, die nur Jahresrechnungen, keine Monatsnamen bieten „ keine Kenntniss zu nehmen; was dagegen von Inschriften damals schon vorlag „ Spon, die Mar- mora Arundeliana, Reinesius u. s. W., hat er allerdings benutzt. 1) Es sind p. 42 Macedonier, P- 49 Kreter, p. 50 Athener, p. 57 Lacedämonier, p. 58 Böotier, p. 59 Delphier, p. 60 Korinthier „ P-61 Bithynier, p. 63 Cyprier, p- 65 Koer und Aegineten, p. 66 Korcyräer; blosse Variationen des macedoni- schen Kalenders können dabei natürlich nicht in Anschlag kommen. 2) Hier schreibt Fabricius 5 49: Mensis Analog memoratur a Strabone lib. XII, p. 557 et 577, qui Lunam sub illo nomine cultam et templum ipsi atque sacerdotium consecratum testatur. Idem Strabo ejusdem libri XII extremo p. 580 inter Laodiceam et Carurorum ditionem testatur fuisse templum Eegen mensis magna cultum veneratione; eine nähere Ansicht jener Stellen ergibt aber leicht, dass dieses keine Monatsnamen, sondern Be- zeichnungen des männlichen Mondgottes sind, dessen Cultus in den vorder- asiatischen Religionen eine grosse Stelle einnimmt „ vgl. Böckh C. Inscr: t. II, p. 809. Ähnliches gilt von dem Pagsdane, welchen Fabricius p. 59 aus Strabo XII, p. 557 anführt und der in keinem anderen Sinne nii heisst, als auch 2. B. der Agiortirdę im C. Inser. n. 3442 und 3448, oder der "Aouhmvög bei Hamilton Researches t. II, P. 470. ee ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 47. diesen Gegenständen zuwandte 1), kaum zu einem befriedigenderen Ergebnisse gelangen können. Erst als im Laufe des 18ten Jahrhunderts namentlich durch englische Reisende, wie Chishull, Pococke, Chandler u. A., die Schätze des classischen Bodens genauer durchsucht zu werden anfingen, klangen aus den unmittelbaren Zeugen des alterthümlichen Lebens, den auf Stein oder Erz geschriebenen Urkunden, auch eine Anzahl menologischer Thatsachen herüber, so dass schon im Jahr 1775 in der leider jetzt; ziemlich vergessenen, für ihre Leit höchst ausgezeichneten Göttinger philologischen Bibliothek B. III, S. 184 der Wunsch geäussert werden konnte, “dass einer von unsern Landsleuten, die so oſt nicht wissen was sie schreiben sollen, den Einfall bekäme, alles, was nach des Fabricius Tode über Berechnung der alten Monate geschrieben worden ist, zu sammeln und aus den neuesten Sammlungen von Inschriften zu vermehren und zu berichtigen“; doch blieb dieser Wunsch selbst für den damaligen Massstab in sofern unerfüllt, als auch die grössten chronologischen Forscher, die seitdem aufgestanden sind, es auf keine grössere Vollständigkeit der Sammlung abgesehn haben, als sie schon damals durch Corsini und dessen "Nachfolger Audrichius 2) erreicht war; und was gar erst nach dem Erschei- 1) De veteribus Graecorum Romanorumque cyclis, Oxonii 1701. 4. Den Mann selbst hat Niebuhr kl. histor. Schriften B. I. S. 113 scharf aber keineswegs un- wahr so charakterisirt: “Ich kann aber überhaupt nicht darüber schweigen, dass die Auctorität dieses absprechenden chronologischen Kleinkrämers durch- gehends viel zu hoch gehalten wird, und eine Menge Irrthümer festgestellt hat. Wenige werden Lust haben, seine in der allerermüdendsten Manier abgefassten Abhandlungen prüfend durchzugehen; um so mehr verführt die scheinbare ängstlich gewissenhafte Genauigkeit seiner Festsetzungen, ihm mit Respect auf das Wort zu glauben. Aber wenn man den Verdruss überwindet und seine langen Argumente zergliedert, so wird man allenthalben ungerechtfertigte Folge- rungen und die unnatürlichste Verbindung der Facta, um Schlüsse zu erzwin- gen, dabei eine völlige Entblössung von Sinn entdecken und in seinen weit- läufigen Arbeiten nur Materialien suchen.” 20 Corsini Fasti Attici, Flor. 1744. 4., insbesondere t. II, p. 285 fgg. Audrichii Institutiones antiquariae, Flor. 1756. 4. Eine ähnliche Schrift von Jeremias a Bennettis: Chronologia et critica historiae sacrae et profanae, Rom. 1767, die Vol. III gleichfalls menologischen Stoff enthalten soll, kenne ich nur aus An- lührungen. 46 KARL FRIEDRICH HERMANN Zeitrechnung aber begegnen uns hier selbst mit Einschluss dessen, was der hellenistisch-römischen Zeit angehört, kaum die Monate von zwölf Staaten }), und auch diese noch grösstentheils in sehr geringer Anzahl, wie z.B. von Delphi, wo wir jelzt zehn Monatsnamen kennen, dort erst zwei verzeichnet sind, während andere, wie die phrygischen, sogar nur auf Missverständniss beruhen 2); und mit einem so mangelhaften Material hätte daher selbst eine umsichtigere und besonnenere Thätigkeit, als die um dieselbe Zeit Dodwell Inscr. T. XLVII, p. 66: Zunique moyen de parvenir à quelque résultat utile aux progrès de la science, étoit d'abord de rassembler les renseignemens épars du on trouve dans les écrits des anciens et sur leurs monumens, concernant les diverses nomenclatures de mois. C'est ce qua exécuté avec plus de zele que de succès, le savant et laborieux Fabricius ... mais Vauteur paroit n'avoir consulté ni les médailles ni les inscriptions; et son recueil west qwune compilation pleine de lacunes et d'erreurs, aw point qu'on pourroit soupçonner Fabricius: d'avoir peu connu la science des temps. Das letzte mag wahr sein; ; aber chronologische Untersuchungen lagen gar nicht in Fabricius Absicht, und eben desshalb brauchte er auch von Münzen, die nur Jahresrechnungen, keine Monatsnamen bieten, keine Kenntniss zu nehmen; was dagegen von Inschriften damals schon vorlag , Spon, die Mar- mora Arundeliana, Reinesius u. s. w., hat er allerdings benutzt, 1) Es sind p. 42 Macedonier, p. 49 Kreter, p. 50 Athener, p. 57 Lacedämonier, p. 58 Böotier, p. 59 Delphier, p. 60 Korinthier, p. 61 Bithynier, p. 63 Cyprier, p- 65 Koer und Aegineten, p. 66 Korcyräer; blosse Variationen des macedoni- schen Kalenders können dabei natürlich nicht in Anschlag kommen. 2) Hier schreibt Fabricius p-: 49: Mensis Analog memoratur a Strabone lib. XII, p. 557 et 577, qui Lunam sub illo nomine cultam et templum ipsi atque sacerdotium consecratum testatur. Idem Strabo ejusdem libri XII extremo p.580 inter Laodiceam et Carurorum ditionem testatur fuisse templum K&gov mensis magna cultum veneratione; eine nähere Ansicht jener Stellen ergibt aber leicht, dass dieses keine Monatsnamen, sondern Be- zeichnungen des männlichen Mondgottes sind, dessen Cultus in den vorder- asiatischen Religionen eine grosse Stelle einnimmt, vgl. Böckh C. Inscr: t. II, p. 809. Ähnliches gilt von dem update, welchen Fabricius p. 59 aus Strabo XII, p. 557 anführt und der in keinem anderen Sinne nv heisst, als auch 2. B. der A stottyvog im C. Inscr. n. 3442 und 3448, oder der Aouluvdg bei Hamilton Researches t. II, p. 470. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 47. diesen Gegenständen zuwandte 1), kaum zu einem befriedigenderen Ergebnisse gelangen können. Erst als im Laufe des 18ten Jahrhunderts namentlich durch englische Reisende, wie Chishull, Pococke, Chandler u. A., die Schätze des elassischen ‚Bodens genauer durchsucht zu werden anfıngen, klangen aus .den unmittelbaren Zeugen des alterthümlichen Lebens, den auf Stein oder Erz geschriebenen Urkunden, auch eine Anzahl menologischer Thatsachen herüber, so dass schon im Jahr 1775 in der leider jetzt.ziemlich vergessenen, für ihre Zeit höchst ausgezeichneten Göttinger philologischen Bibliothek B. III, S. 184 der Wunsch geäussert werden konnte, “dass einer von unsern Landsleuten, die so oſt nicht wissen was sie schreiben sollen, den Einfall bekäme, alles, was nach des Fabricius Tode über Berechnung der alten Monate geschrieben worden ist, zu sammeln und aus den neuesten Sammlungen von Inschriften zu vermehren und zu berichtigen“; doch blieb dieser Wunsch selbst für den damaligen Massstab in sofern unerfüllt, als auch die grössten chronologischen Forscher, die seitdem aufgestanden sind, es auf keine grössere Vollständigkeit der Sammlung abgesehn haben, als sie schon damals durch Corsini und dessen Nachfolger Audrichius 2 erreicht war; und was gar erst nach dem Erschei- 1) De veteribus Graecorum Romanorumque cyelis, Oxonii 1701. I De Mann selbst hat Niebuhr kl. histor. Schriften B. I. S. 113 scharf aber keineswegs un- wahr so charakterisirt: “Ich kann aber überhaupt nicht darüber schweigen, dass die Auctorität dieses absprechenden chronologischen Kleinkrämers durch- gehends viel zu hoch gehalten wird, und eine Menge Irrthümer festgestellt hat. Wenige werden Lust haben, seine in der allerermüdendsten Manier abgefassten Abhandlungen prüfend durchzugehen; um so mehr verführt die scheinbare ängstlich gewissenhafte Genauigkeit seiner Festsetzungen, ihm mit Respect auf das Wort zu glauben. Aber wenn man den Verdruss überwindet und seine langen Argumente zergliedert, so wird man allenthalben ungerechtfertigte Folge- rungen und die unnatürlichste Verbindung der Facta, um Schlüsse zu erzwin- gen, dabei eine völlige Entblössung von Sinn entdecken und in seinen weit- .. läufigen Arbeiten nur Materialien suchen.” 2) Corsini Fasti Attici, Flor. 1744. 4., insbesondere t. II, p. 285 fgg. Audrichii Institutiones antiquariae, Flor. 1756. 4. Eine ähnliche Schrift von Jeremias a Bennettis: Chronologia et eritica historiae sacrae et profanae, Rom. 1767, die Vol. III gleichfalls menologischen Stoff enthalten soll, kenne ich nur aus An- führungen.. d 48 KARL FRIEDRICH HERMANN nen von Idelers Handbuch, Berlin 1825. 8. gefunden worden ist, lässt sich, was Monate der classischen Zeit betrifft, leicht auf das Doppelte des früher bekannten anschlagen. Ausser der reichen Ausbeute, welche bereits in den beiden erschienenen Bänden des Corpus Inscriptionum verarbeitet vor uns liegt, und den schon erwähnten Delphicis von Curtius, nenne ich in dieser Beziehung vor Allem die von Franz herausgegebenen tauromenitanischen In- schriften und den fast vollständigen Kalender, der sich aus den neuentdeck- ten Urkunden von Lamia zusammenstellen lässt; ausserdem verdienen die Reisenden Leake 1), Ross 2), und Hamilton 3), so wie die in dieser Hinsicht namentlich von Lebas vertretene Expedition de Morde ), auch für einzelne menologische Entdeckungen dankbare Anerkennung, und wenn auch man- ches, was eben dahin gehört, schon seit längerer Zeit gedruckt war, wie die sicilischen Inschriften von Torremuzza 5), so ist es doch nur in so engem Kreise bekannt geworden, dass es fortwährend als unbenutzt gelten kann. Nur eine Classe von Quellen hat Ideler fleissiger als seine Vorgänger und dergestalt ausgebeutet, dass selbst der Zuwachs, dessen allerdings auch sie noch fähig ist 6), im Wesentlichen keine weiteren Aufschlüsse hoffen lässt: 1) Travels in Northern Greece, London 1834. 8. 2) Namentlich dessen Inscriptiones Graecae ineditae, Fasc. I, Naupliae 1834; II, Athenis 1842. 4. e 3) Researches in Asia minor, Pontus and Armenia, London 1842. 8. 4) Vgl. Lebas Inscriptions grecques et latines recueillies en Grèce , Paris 1835 fgg. 5) Siciliae et objacentium insularum veterum inscriptionum nova collectio, Panormi 1784. fol. Uber andere ähnliche Inschriften desselben Fundorts vgl. Raoul- Rochette in Welckers Rhein. Museum B. IV, S. 85. 6) Was Ideler benutzt hat, sind a) die Excerpte aus Pselli aliorumque libris bei Lilius Gyraldus de annis et mensibus in dessen Opp. ed. Jensii t. H, p. 785; b) dergleichen bei Stephanus Appendix Thesauri linguae Graecae p.225; c) der- gleichen bei Usserius de Macedonum et Asianorum anno solari c. 4; d) ein Me- nologium bei Iriarte Codd. Gr. Bibl. Matrit. p. 380; e) das Hemerologium Flo- rentinum, dessen Geschichte er B. I, 8.410 gibt, und f) das Hemerologium Leidense, welche beiden letzten Sainte - Croix in Hist. de Acad. d. Inser. t. XLVII, p. 66 fgg. zusammengestellt hat; damit sind jedoch weiter zu verbin- den g) ein Monats verzeichniss aus Wiener Handschriften in Hermann Treschow's UBER GRIECHISCHE: MONAT SKUNDE. eic. 49 5 die sogenannten Menologien und Hemerologien, die dem Chronologen aller- dings am willkommensten sind, zumal wenn sie nicht nur das vollständige Monatsverzeichniss eines Volkes, sondern auch seine Vergleichung mit anderen bekannten, die Zahl der Tage, und den Anfang der einzelnen Monate enthal- ten; für den eigentlichen Forscher des hellenischen Alterthums dagegen sind gerade diese minder bedeutend, da sie es vorzugsweise mit vorderasiatischen und ähnlichen Völkern zu thun haben, deren Kalender entweder dem mace- donischen nachgebildet ist, oder doch sonstige Spuren späten, ja römischen Einflusses an sich trägt, während wir für ältere Staaten der classischen Zeit, in solern eg sich um Sammlung und Übersicht des erhaltenen Stoffes handelt, noch lediglich auf Corsini angewiesen sind, und zum deutlichen Zeichen, dass auch Ideler diesen nicht überflüssig machen wollte, von ihm selbst darauf ver- migen werden 1), Wie vieles nun aber seit Corsinis EN das heisst seit Ientamen descriptionis an veterum. re graecorum, Eegen 1773. 8., P. 130 Lee: h) ein ähnliches in Matthaei Glossar. gr. ainor zZ 1, P. 86, abge- druckt i in der englischen Ausgabe von Stephani Thesaurus’ d e VIII, 7113 i) ein "ähnliches in Cramers Aneécdolis graecis "e codd. nh öthecarum. RE I. III, p. 403; K) die menses pariarüm nationum, e RUN" Gaza, Calonymo, et reliquis non poenitendis auctoribus, bei Noviomagtis zu Beda de temporum ratione e. 9, p. 76. Ein eilftes, dessen Montfaucon Bibl. Coislin. p-· 275 gedenkt, scheint noch nirgends vollständig abgedruckt zu sein; Halma Hypotheses de Ptolemee, Paris. 1820. 4, p. 12 gibt jedenfalls nur einen Theil davon. Freilich sind alle diese mit alleiniger Ausnahme der beiden Hemerolo- gien ‚offenbar aus der nämlichen Urquelle geflossen, insofern sich durchgehends $i dieselben Völker: Römer, Agyptier, Macedonier, Kappadocier S Hellenen (d. h. i Syrömacedonier), Hebräer, Athener, Bithynier, Cyprier, oder doch der grössere Theil von diesen wiederholen; für die Einzelkritik En Ween ist GE sup keines derselben zu übersehen. : 324192. si abs 19) 1) Ideler B. I, S. 368: “wegen der noch zu unserer Kaes gelangten Monats- namen der Aegineten, Argiver, Coer, Delier und Teer verweise ich auf Cor- sini.“ Vorausgehn Lacedämonier, Böotier „ Heer, Delphier, Korcyräer und z E oo faiai wie gross also seitdem- der Zuwachs gewesen und in welchem Grade die eben daselbst ausgesprochene Hoffnung: “vermuthlich wird die grosse „Sammlung ‚erisehischen; Inschriften, die jetzt H. Böckh veranstaltet, manche hieher gehörige Ausbeute geben,” in Erfüllung gegangen ist, liegt am Tage; Histor.- Phil. Classe II. G 50 KARL FRIEDRICH HERMANN 1747, neu entdeckt worden ist, weiss jeder Philologe, und je weniger zu- gleich, namentlich durch Böckhs unvergängliche Verdienste, dieser Stoff als ein roher vor uns liegt, desto mehr scheint es an der Zeit, das bisher Ge- wonnene einmal zu überblicken und in den aus solcher Vergleichung gewon- nenen Resultaten auch späteren Forschungen und Entdeckungen, die nicht ausbleiben werden, ein bestimmteres Ziel und einen Massstab zur Beurtheilung des Einzelnen an die Hand zu geben. Dabei treten übrigens drei wesentlich verschiedene und doch gleich wich- tige Gesichtspuncte hervor, auf deren Unterschied und wechselseitiges Ver- hältniss um so mehr aufmerksam gemacht werden muss, als eben nur die vorherrschende Berücksichtigung eines einzelnen derselben die Schuld trägt, wenn selbst in dem Werke, das sonst als ein fast untrügliches Repertorium chronologischer Aufschlüsse für den Philologen gelten kann, diese Partie nicht allen Wünschen entspricht. Für den Chronologen freilich entbehrt ein ver- einzelter Monatsname oder auch eine grössere Anzahl solcher ohne Bestim- mung ihrer Zeitlage aller Bedeutung; seine Thätigkeit beginnt erst, wenn ihm ein volles System von Monaten vorliegt, dessen positive Bestimmungen mit andern ähnlichen oder mit dem natürlichen Jahre in Einklang und Verhältniss zu bringen sind; CH den Philologen dagegen tritt ausserdem noch die etymo- logische Bedeutung ein, die jeder Monatsname schon als sprachlicher Rest für ihn hat, und drittens ist jede Nachricht, die wir über Monatsbezeich- nungen alter Völker besitzen, jedenfalls ein um so willkommenerer Beitrag zur Kenntniss ihres ehemaligen Lebens, als die meisten dieser Bezeichnungen von Gottheiten oder gottesdienstlichen Festen entnommen sind Erst wenn alle diese drei Rücksichten gleichmässig beachtet und befriedigt sind, kann der Stoff, den die antike Monaiskunde dem Forscher darbietet, als erschöpft betrachtet werden; ja selbst auf die chronologischen Bestimmungen kann aus doch ist nicht zu verhehlen, dass eine genauere Quellenbenutzung auch schon vor dem Erscheinen des Corpus Inscriptionum sowohl die Monate der angege- benen Völker (Lacedämonier — Hedotog: Böotier — Oo: Eleer — Aog- vos) als auch die Zahl dieser Völker selbst noch wesentlich hätte vermehren können. — UBER GRIECHISCHE MONAT SKUNDE eic. . 54 der Vergleichung der beiden andern Kategorien em Lichtstrahl fallen; und wenn nicht einmal Dodwell und Corsini sich durch ihren ungenügenden Stoff von dergleichen Versuchen haben abschrecken lassen, so liegt in unserem ungleich grösseren Reichthume von Thatsachen nur eine Auffoderung mehr, auf ihrem Wege fortzugehen. Tu diesem Ende habe ich drei Zusammen- stellungen entworfen, welche diesem Vortrage als Beilagen angefügt sind: erstens ein alphabetisches Verzeichniss sämmtlicher aus dem Alterthume er- haltenen griechischen Monatsnamen, mit Angabe der Städte und Völker, bei welchen sie vorkommen; zweitens eine ethnologische Übersicht derselben nach den betreffenden Völkern und Städten selbst; und drittens eine chronologische Synopse der correspondirenden Monate, so weit eine solche Ubereinstimmung bei verschiedenen Völkern mit Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit ermittelt werden kann; mein nächster Zweck beschränkt sich jedoch hier auf die all- gemeinen Beobachtungen und Resultate, die sich aus jenen Zusammenstellun- gen ergeben und dann selbst wieder zur Entscheidung einzelner Fragen auf diesem Gebiete dienen können. l Zuvörderst kann schon ein oberflächlicher Blick unter den sprachlichen Formen, die in diesen Monatsnamen vorliegen, verschiedene scharf getrennte Gruppen unterscheiden, und die Vergleichung dieser mit den Volkstämmen, welchen jene Namen angebören, lässt mit geringen Ausnahmen die Mehrzahl dieser Unterschiede auf die unter den Griechen selbst obwaltenden nationalen Verschiedenheiten zurückführen, Die allererste Classification ist freilich die, dass wir die Völker, welche ihre Monate bloss zählen, von denjenigen schei— den, welche denselben eigene von Gottheiten und Festen entlehnte Namen beilegen: sodann aber zerfallen letztere wieder in solche, die sich auf wy und die sich auf os endigen 1), und dieser sprachliche Gegensatz stellt sich 1) Dass ich hierunter auch die wenigen Beispiele der Endung eve (Euatro⁵ ,, Mace, ’Aeyıegevg) begreife, wird um so unanstössiger sein, als wenig- stens neben "Exeroußeis wirklich die Form “Exaröjfuros besteht, und die Verwandtschaft beider auch sonstiger Analogien nicht ermangelt; vgl. Lobeck Paralip. gramm. gr. p. 234. Der ganz apokryphische und! kritisch unsichere Eur im kretischen Kalender kann dagegen begreiflicherweise in gar keine Betrachtung kommen-. vis 67? 52 KARL FRIEDRICH HERMANN dann sofort auch als ein ethnischer heraus, indem die erstere Endung vor- zugsweise ionischen Städten, die andere aber entweder Völkern dorischen oder äolischen Ursprungs oder aber den oben erwähnten vorderasiatischen Staaten angehört, deren Chronologie erst aus macedonischer, wo nicht: römi- scher Zeit stammt. Ja auch die ionische Gruppe zerfällt wieder in solche Namen, die dem ganzen Stamme gemein sind, und die nur bei einzelnen Gliedern desselben vorkommen, wo insbesondere der athenische Kalender den übrigen Niederlassungen entgegensteht, die theilweise wenigstens die älteren Namensformen treuer als die Mutterstadt selbst erhalten haben; und eben 80 lässt sich auch in der äolisch- dorischen Gruppe eine dreifache Abtheilung machen, deren erste Seite die eigentlich dorischen Staaten, die zweite die äolischen ‚die dritte Macedonien nebst den Städten und Ländern umfasst, die seinen Kalender später annahmen; eine eigene dritte Gruppe endlich bilden diejenigen hellenistischen Staaten, die theils Macedonisches und Vorderasiati- sches vermischen, theils ganz oder theilweise römischen Einfluss verrathen. So entsteht folgendes Schema, worunter der ganze erhaltene Vorrath griechi- scher oder solchen nachgebildeter Monatsnamen begriffen werden kann: A. Gezählte Monate, wohin vor allen die phocischen gehören; doch bezeugt Plutarch de Mulier.: Virt. c. 4 auch von den Argivern, dass sie den Monat, der früher Egucecos hiess, später re rœgros genannt hätten; und eben so begegnen uns in ri und r e ee Kleinasiens in e md * Ordinalzahlen als M ed ; j E funds war 5 e Te art ze i R Ionische Gruppe, wohin ` B 1. der athenische Kalender, nebst 1 b $ Städten. be ER in deren Zeitrechnung bis jetzt: wenigstens noch keine Abweichung von jenem bekannt ist, wie Ceos, Cios, Gambreum in Mysien, Paros, Priene, Teos, ob- gleich es wohl möglich wäre, dass neue ge weng eine and: die andere von desen ; | el? 1) Vgl. „Wees de Maced. et Asia, anno wë Norisius rn anno et epocha Syro- macedonum p. 14— 21, Corsini Fast. Attici T. II, p. 465, Ideler B. I, S. 423. Auch für Phrygien hat es Böckh' C. Inscr. T. II, p. 587 bemerkt ; für Salamis auf Cypern war es längst aus Epiphan. adv. Haeres. LI. 24, p. 446 bekannt. UBER GRIECHISCHE: MONATSKUNDE. eic. 53 2. zu den selbständigen ionischen Orten würfen, die zwar einige Mo- nate, wie Boedromion, Pyanepsion, Posideon, Anthesterion, Thargelion mit Athen gemein haben, in andern aber von diesem abweichen: Chios, Cyxikus, Delus, Ephesus, Eretria auf Euböa, Iasus, Lampsakus, Naxus, Neapel, Olbia, die Tochterstadt von Milet und folglich ee e 8 dieses selbst; dann Smyrna f in älterer Zeit und Tenus. | II. Aolisch- dorische Gruppe, und zwar 1. dorische Abtheilung, die namentlich die WM Baier (Aęra- virge) und Karneus gemein gehabt zu haben scheint, wenn auch andere nach den einzelnen Staaten abweichen: Aegina, Argos, Astypaläa, Chalcedon, Halikarnass, Heraklea in ‚Italien, Koreyra, Korinth, Kos, Nisyrus, Rhodus, Sicyon, Sparla, Thera, Träözen, und eine Reihe einzelner Städte auf Sicilien und Kreta; vielleicht auch Elis; 2. äolische Abtheilung, worunter Cyme Phrikonis, Lesbos, und der Rest der mutterländischen Völker fällt, die freilich auch unter sich nur sehr wenig übereinstimmen: Atolien mit Naupaktus, ‚Akafnahieh, Amphissa und Chaleum in Lokris, Ee, 2 endlich Lamia, Cie ierium und Thessalien überhaupt ; SE 3. der etliche Kalender, der sich aber später e in manchen ionischen Städten, wie namentlich Ephesus, sodann in Lycien, Mäonien, My- lasa, Nysa, Sardes, Laodicea, Pergamum, Skamandrea, Thyatira, Tralles, weiter in Tomi, Tanais, Pantikapäum und dem sonstigen eimmerischen Bos- porus, endlich über Phönicien und Syrien bis nach Arabien und Mesopota- mien verbreitet findet, so weit nicht hier örtliche Modificationen eigene Zeit- rechnungen erzeugen, die dann bereits u III. der hellenistischen Gruppe gehören. Auch diese zerfällt übrigens wieder in zwei Abtheilungen, je nachdem ihre Monatsnanien bereits auch römischen Einfluss verrathen oder nicht: I. zu letzteren gehört der bithynische Kalender, der spätere kretische, und der von Seleucia i in Pierien; d 25 zu ersteren der gemeinhin sogenannte asianische, sodann der beson- dere von Aphrodisias, der nicht bloss einen JovAinos und Tiߣgios, sondern auch einen Toc«iavos Dear enthält; ein anderer kleinasiatischer in dem 54 KARL FRIEDRICH HERMANN Katalog der Choiseulschen Sammlung 1); vielleicht auch der perinthische, wenn die Lesart der einzigen trüben Quelle richtig ist; und endlich der eyprische, dessen zwölf Monate aus der Formel: Veneris sobolis ex Aenea Julius Caesar Augustus Imperator Tribunicia potestate Consul saepissime Pon- tifex maximus Vesta (?) Romanus gebildet sind. Doch solche Schmarotzergewächse auf dem Baume der Saabsesl and Me- nologie sind für den Zweck dieser Darstellung eben so wenig erheblich, als die rein astronomischen Monatsnamen Koss, Tavgos u. s. w., die nur der wissenschaftlichen Sprache angehören, im bürgerlichen Leben aber nie ge- braucht worden sind 2); nur das ist selbst bei den letzteren bemerkenswerth, 1) Dubois Catalogue d’antiquites de la collection de feu M. Choiseul-Gouffier, Paris 1818. 8., p. 85. Da die Ungewissheit des Fundorts diesem interessanten Bruch- stücke in dem ethnographischen Monatsverzeichnisse keine bestimmte Stelle ge- stattet, so mag es gleich hier seinen Platz finden: . os Aelov ð 9 avaßacıg Ts Bee ti Cem vagen od umvog 'lovAaiov voyunvig‘ € 1ͤ—jũn èx even 10 venuaze umvos "Anokkwviav ae" ý doe rie He unde “Hoyaıoriov d I serdénirog té Tlooiðsiov oe" nata ace 2778 eov Agiorinnoe Aiotinnov ENTEYOR ue. Auf römischen Einfluss deutet der Name ’Joviciog, der sich als ’Joviiyog auch in Aphrodisias findet; wenn Osann Auctar. lex. graec. p. 84 sagt: Romanorum esse Julium editor me haud assentiente contendit, so beziehe ich diesen Widerspruch nur darauf, dass es nicht gerade der römische Juli zu sein brauche. 2) Bemerkenswerth ist es allerdings, dass nicht allein bei Stephanus und 3 wie Ideler B. I, S. 425 sagt, sondern auch in andern der oben erwähnten ' Menologien, namentlich bei Noviomagus, Halma, Treschow diese Himmels- zeichen als macedonische Monate aufgeführt und nach Usserius c.5 in einem Bruchstücke des Johannes Damascenus sogar mit dem Zusatze en UNS eundHota- ou &rdooemg bezeichnet werden; aber wenn man sieht, mit welcher Nach- d lässigkeit diese Überschriften in jenen Menologien behandelt sind, wie 2. B. bei Treschow Aaxsdarnoviov statt Maxedorwr, bei Matthäi Maxedovwr statt ' Kannaedöxwv steht, kaun man auch, an jener, irre werden; und was den er- wähnten Zusatz betrifft, den Ideler so versteht, dass “man bei der Berechnung des Osterfestes in den ersten Jahrhunderten der Christenheit dergleichen allge- mein gültige Benennungen gebraucht habe,“ 80 kann er eben so wohl auch ganz äusserlich die Ausgabe 5 aus welcher ein Abschreiber su Menolo- gium entlehnte. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eie. 55 dass Andere sie vielmehr mit der Endung de aufführen, als Reeg, Tavowr, Ardvasr, Kagrırav u. s. w., zum deutlichen Zeichen, wie schon das gelehrte Alterthum in dieser Duplicität der Endungsformen keinen Zufall, sondern zwei scharf getrennte Reihen erblickte, deren einzelne Glieder möglichst gleich gebildet sein müssten; und das findet sich dann auch in den oben geschie- denen Gruppen bis ins Einzelnste bestätigt. Ausserst wenige Ausnahmen stören die aufgestellte Regel, die, wo sie nicht gar nur auf falscher Lesart beruhen 1), in örtlichen Umständen ihren Grund haben mögen, wie wenn in Cyzikus neben acht ionischen Monaten zur Römerzeit der äolisch- dorische Tlavnos erscheint, und umgekehrt im lokrischen Amphissa ein Algaorvwv, in Kreta neben zehn Monaten auf os ein OsaroPogiwv vorkommt; ungleich häufiger ist dagegen gerade der Fall, dass der nämliche Name, je nachdem er einem Kalender der einen oder der anderen Gruppe angehört, wenigstens die Endung wechselt; und die gegenseitige Bestätigung, welche das sprachliche und histo- rische Element von einander empfangen, wird daher auch in zweifelhaften Fällen zur Bithischnus der nne, dienen könen; So gibt dieselbe a) Wenn 2. B. Plutarch KZ Thes. e 12 sagt: Kooviov unde, ov vor Endur o- : Zeng seier, so gibt die richtigere Form Koovınv das Etymol. M. p. 321 und die ungedruckte Abhandlung bei Iriarte Codd. Matrit. p. 378; neben dem mit eilf anderen Monaten auf os seltsam contrastirenden JJooıdawv des asiani- schen Kalenders steht in dem vorhin erwähnten Bruchstücke derselben] Gegend Hoosdeios; und wie wir sehen, dass bei Pausan. V. 13. 5 und VI. 20.1 für den elischen Monat Eine in einzelnen Hdschr, die schlechtere Lesart Ela- s ist, 80 werden wir auch bei Josephus Antiqu. Jud. XIV. 10. 23 und 25 die Formen Ard eorνj in dem dorischen Halikarnass und Joremorge in dem ionischen Ephesus für blosse durch die bekannteren attischen und macedoni- schen Namen veranlasste Schreibſehler halten dürfen, um so mehr, da in Seleucia "wirklich ein ”Avseorrjerog wie im ionischen Kalender ein "degen vor- kommt, und Ephesus in einer Urkunde bei Böckh C. Inscr. n. 2954 ausdrück- lich sagt, dass dieser Monat anderswo ‚deotssiorog, dort aber dotempor heisse, Schwieriger ist die Entscheidung in Trözen, wo bei Athen. XIV. 44 die Lesart zwischen Tegaterie und Tegatorιιανανον schwankt; so wenig jedoch auch die letztere Form in diesem altionischen Sitze befremden würde, so sehr gestattet andererseits seine Dorisirung mit den besseren Hdschr. die erstere vor- zuziehn. 56 KARL FRIEDRICH HERMANN Gottheit in Bithynien einem AOgodio los, in lasus einem "A feed dt den Namen; dem dorisch-macedonischen Are Aces entspricht in Tenus ein Aren Aaudp, eben so dem "Aprapirios in den ionischen Colonien ein Agęrelu- eudp, und umgekehrt dem ionischen Ar Hegr ut in Seleucia ein Ar- Sec rijgios, dem IIoceadeche bei Choiseul ein Iocsdeies: der Monat, der in Alben Excrongatidv, heisst in Sparta Exa rongebs, in Kleinasien Ex- reugcο,—?? Was dort Boydponieiv, in Lampsakus Badoopuev; ist in» Sicilien Badpowuos, was dort EiaPnßoAwr; in Elis EAdQsos: dem delphischen, kretischen, ‚bithynischen "FAoesos steht in Tenus ein Hęcidv, dem ionischen Arc rouge und Aura im asianischen Kalender ein Araroupios und Aivcios gegenüber; selbst der anomale Bseuefeeuip wird in Sicilien rich- tiger Geo e geschrieben, und wie wir den böotischen und delphischen Bovxdrios in Delus und Tenus: als ‚BovPorıwv wieder finden, so kann auch der böotische Ge Aen Dune heben dem attischen EE nur dei ee meinen Satz bestätigen. Schwieriger ist die teg = windi: e" nie in allen Stücken bie, | digend gelöst werden können, wie nun alle diese Monatsnamen entstanden seien, und woher einerseits diese Übereinstimmung derselben auch bei ganz verschiedenen Stämmen, ‚andererseits gleichwohl jene Mannichfalligkeit der- selben rühre, die sich selbst bei unserer unvollkommenen Kenntniss auf eine Anzahl von mehr als hundert belauft; doch auch ohne mich hier auf einzelne etymologische und antiquarische Erörterungen einzulassen, die ihren Platz besser in den Beilagen finden, slaube ich wenigstens einige allgemeine Winke zur Orienürung in diesem Ena geben zu können. Einen Hauptpunct bildet begreiflicherweise das Alter derselben , und ‚bier ist es mindestens wahr- scheinlich, dass einige darunter, weit früheren, Ursprungs. sind, als die regel- mässige Eintheilung des Jahres i in zwöll Monate, von der bekanntlich Homer noch nichts weiss; gedenkt auch der nämliche Hesiodus, bei welehem wir den ersten — Agraryo aden, * in e Gedichte ber eits 1) Opp. v. 504. Eine schlechte Aushälfe wäre es,“ e ‚Böckh Abhh. A Berl. Akad. 1816, 8. 50, “wenn wir mit Twesten Comm. erit. de Hesiod. Opp. p. 62, um den Lenäon zw beseitigen, den Vers strichen; denn er bliebe doch ein Zeugniss für ein grosses Alter dieses Monats, wenn er auch nicht für hesiodisch ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 57 der dreissig Monatstage, so fehlt es doch auch später nicht an Spuren, dass einigen dieser Monate noch eine ganz andere und gewiss ältere Bedeutung als die einer bloss kalendarischen Eintheilung anklebte. Ohne diese Annahme läge es sehr nahe, die gezählten Monate als die früheren zu betrachten, wie es ja auch bei den ältesten Hebräern urkundlich nachgewiesen ist 1), und für die Römer sich noch an den Namen der letzten Monate bewährt; müssen wir also gleichwohl nach dem was Plutarch a. a. O. über den argivi- schen Hermäus sagt, annehmen, dass bei den Griechen die Zahlbezeichnung im Ganzen die jüngere war, so-lässt sich das nur so erklären, dass schon ehe man die Monde zwischen zwei Sonnenwenden zu zählen anfıng, einzelne derselben bereits zu anderen als chronologischen Zwecken mit bestimmten und zwar gottesdienstlichen Namen versehen waren, deren Analogie man dann nachmals auch zur Bezeichnung der übrigen Glieder der Zwölftheilung anwandte. Gerade dieses aber bestätigt sich vollkommen durch die Wechsel- beziehung, die auch später zwischen gewissen Monaten und den Festen, welchen sie ihren Namen dankten, statt fand, und die wenigstens ursprüng- lich auch in dem Worte legounνi ausgedrückt zu sein scheint; bedeutet dieses auch häufig nur Festtage, ferias, überhaupt 2), so ist doch sein eigent- gälte.” Auffallend bleibt zwar der ionische Monatsname bei dem böotischen Dichter; will man aber auch, um diese Schwierigkeit zu vermindern, die ganze Stelle mit Göttling ausscheiden, so bleibt immer noch die Tagwählerei v. 766 fgg., die schon Heraklit bei Plutarch V. Camill. c. 19 als hesiodisch kennt und der das Gedicht selbst die zweite Hälfte seines Namens verdankt. 1) Fabric. Menol. p. 13; Ideler B. I, S. 486. 2) Vgl. Harpocrat. p. 151: oi Lo rde Zudgnt iegonmviear #ulodvrer, und Hesych. T. II, p. 26: iegoumvie so reo Ip, obgleich dieser selbst so- gleich hinzufügt: Legd dogrn xata pive, Was auch Etymol. M. p. 469 mit der andern Erklärung: ý du të furl isọ ite, verbindet, so dass man deut- lich sieht, wie die Grammatiker fühlten, dass der Sprachgebrauch ihrer Zeit die etymologische Bedeutung nicht erschöpfe, ohne jedoch letztere scharf bestimmen zu können. Am nächsten kommt noch Schol. Pind. Nem. III. 2: oi dë iegov uv nadchov héyovor neukyoduı, èv d ed Ninsa Gregor, doch verdirbt er die Sache sogleich selbst wieder durch den Zusatz: ie,: di Aeyovraı so sehr ihn auch 2 7 Lé - ? 7 ai ey tü pyri ege) Zniger oigiðýnote Zeie CVEMEVEL, Histor.- Phil. Classe II. 58 KARL FRIEDRICH HERMANN licher Sinn die heilige befriedete Zeit, die nicht nur während der Gottes- verehrung selbst, sondern auch vor und nach derselben, so lange es dessen theils zur Vorbereitung auf jene, theils zur gänzlichen Erledigung aller damit verbundenen Gebräuche bedurfte, unter die besondere Obhut der Ge- setze gestellt und der profanen Ausübung und Anwendung sonst gewöhn- licher Rechte und Geschäfte ganz oder theilweise entzogen war 1); und dass diese heilige Zeit, ganz der Eiymologie des Wortes entsprechend, fortwährend gerade bei den ältesten oder heiligsten Festen mit dem bürgerlichen Monate zusammenfiel, zeigen höchst charakteristische Beispiele, die keineswegs als blosser Zufall betrachtet werden können 2). Wenn bei Pindar Nem. V. 44 sein eigenes Beispiel von dem athenischen Ayunreıwv aus Philochorus auf die rechte Spur leiten konnte. 1) Thucyd. Il. 56: ai yao avtovs 779 Cuerdëen naralaußdvovres èv onov- dais nal mMoogerı isgouyvių dgäue ètıumpyoauev, was gewiss mit höchstem Unrechte auf den allerdings schon im Alterthume mit der lego ini verwech- selten Neumond bezogen wird, während nur an eine Festzeit von grösserer Bedeutung, wenigstens für Böotien, gedacht werden kann. Vgl. auch Demosth. Mid. f. 35: Ee isçov vóuov avta To eğ megl Tg iegoumvieg, und Timocr. $.29: verte dun dréngen iegoumviav nal vonov senden e big re own find d ẽỹ adi Zu totp zu y00v9 d yenuaritev ö, 1. QV um negt ere Lore Y, welche Stelle, beiläufig bemerkt, auch der pindarische Scholiast bei den Worten andvrwv Zugx déngen fepoumviev im Auge hat, nicht, wie Böckh p. 441 sagt, verba plebisciti Attici ex Phi- lochoro ducta; ganz besonders aber die neuentdeckte Inschrift von Lampsakus C. Inscr. T. II. p. 1131: uù civar d umdevı un9v èveyvodoar èv taig GI pais get Aoννν—uio .. uy ngivitwoay d adi oi Zsuyvouoves èv taig Zndgerg tuútais, pyè oi eisaywyeis ovhdeyitwoav dixaotýorov èv To yyri töv AoννHLp sion. 2) Wie z. B. Dorville ad Chariton. p. 514 sagt: Aic casu festorum dierum numerus mensis dies aequat! Auch Buttmanns Versuch im Index Graec. zu Demosth. Midiana p. 175, eine andere Etymologie aufzustellen, ist durchaus missglückt: vocabulum autem non a voce un» arcessendum, sed a voce unvn, luna, cujus composita certam lunae phasin indicant atque hinc diem quoque mensis certum; als ob einerseits wie und Grp an sich ver- schiedene Wurzeln wären, andererseits Bezeichnungen von Mondphasen, wie ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 59 der Monat Ae Olvios in Agina uels ôv &OiMacev ’AmoAAwv genannt wird, wenn C. I. n. 2954 der ephesische "Apremio ò ämwvupos tis Deot uiv heisst, in welchem &xexespia und riiseg in derselben Art eintritt, wie den Reisenden zu den grossen Nationalspielen sicheres Geleit gewährt ward; wenn die athenischen Eleusinien, welche gleichfalls mit solchem Gottesfrieden verbunden waren 1), dem Monate Bondoowiev, in welchen sie fielen, selbst den Namen vuezgorg mittheilten 2), so ist das gewiss nicht anders zu fassen, als wenn Thucydides V. 52 geradezu sagt: Kagveios Zeëougrie gr napa Awgıeücı, wozu der Scholiast bemerkt: ro ydo Kagveiov moAAds Exorros iepais I ulgas, ij nal dear legs ud, o Eorgarevovro: und mögen auch die Ephesier selbst in dem erwähnten Decrete die Worte iegounvias und ravyyugeis gleichbedeutend setzen, so ist doch der Sinn des Beschlusses: Zen rv wäre Tv ènwvvpov Tod Delov vondTos eivas legòv nal de . ri Dez, ganz derselbe, wie wenn nach Philochorus bei Schol. Pind. Nem. III. 2 die Athener beschlossen röv Ayuyrgiwva piva Zen iegounviay AE- e vor oAov Eoprav. An sich ist zwar die monatliche Zeit für ein solches Fest gleichgültig; indem man aber, wie es scheint, frühzeitig zur festeren Abgränzung und Bestimmung der Vor- und Nachfeier die beiden Neumonde wählte, mochte dieses Beispiel der Hauptfeste nach und nach auch zur Beobachtung und analogen Benennung der übrigen Jahrestheile führen; und je weniger wir gleichwohl annehmen, können, dass jede Stadt zwölf solcher Feste gehabt habe, deren jedem der seinen Namen tragende Monat zugleich als iegouyviæ gedient hätte, desto sicherer werden wir daraus den Schluss ziehn, dass die Bezeichnung der Monate mit den Namen gottesdienst- ` licher Feste, die allerdings als Regel gelten kann, erst nach dem Vorgange vovunvia, dıyoumvia, indem sie den Begriff Mond mit einem Attribut neu oder halb versehen, hierbei den Tag und nicht vielmehr gerade den Monat im Auge hätten, dessen Anfang oder Hälfte jene Phasen bestimmen! Besser hat Ebert Zei, P. 23 fg. die monatliche Bedeutung der ie, aufgefasst. 1) Lehrbuch d. griech. Staatsalterth. f. 10, n. 10; Nitzsch de Eleusiniorum ratione publica, Kiel 1842. 4, p- 13. , 2) Galen. valet. tuenda IV.8: erg nargòs èv Poi pèv 6 nalovpevos Zenten- Borög Zeen, èv Tiegyáno de nag Znfy “Tnegfesgsraios, "Aëiagrer d pvotýora. H2 60 KARL FRIEDRICH HERMANN der bereits existirenden wirklichen Hieromenien der eigentlichen Haupifeste geschehen sei. Nur sehr wenige der jetzt vorliegenden Monatsnamen lassen sich auch auf profane Beschäftigungen oder natürliche Zustände der ent- sprechenden Jahreszeit deuten 1), wie der IIoxsos oder Schurmonat zu Am- phissa, und auch diese können zugleich gottesdienstlichen Charakter besessen haben, wie der athenische Maspaxrngısv oder Sturmmonat doch zunächst von einem Feste des Zeus Mauuaxzge, der ionische Aude oder Kelter- monat von dem Feste des Keltergottes Asövvoos Ayvaıos seinen Namen trägt 2); doch folgt auch daraus keine besondere Heiligkeit des Monats als 1) So ist es eine ganz der Natur griechischer Monatsnamen widerstreitende Ablei- tung, wenn Passow zu dem macedonischen ` Anel ieioe hinzufügt: vielleicht von della, Windmonat; oder Francke zu Richters Inschriften S. 184 den Sar On als Ähren-, den Togatatog als Schneitelmonat bezeichnet. Das nämliche gilt von Alberti ad Hesych. T.I. p. 1650, der den lacedämonischen "Hoccıog als mensis vernus auffasst; von Fickert zum Glossar. Portense p- 3, der zu dem vermeinten byzantischen Eidios bemerkt: apte dici potuit eudıog, quia tum coelum est serenum; von Curtius Anecdd. Delph. p. 30, gegen dessen Erklärung des delphischen FZoswgonıog als Boiroönıog schon de anno Delphico p. 8 das Nöthige bemerkt ist. Die falsche Erklärung des Dee als Pvorog ist bereits bei Plutarch Qu. gr. 9, die des Bovzútroc aus der ungünsti- gen Winterwitterung von Böckh C. Inscr. T. I, p. 733 gebührend zurückge- wiesen. 2) Sehr richtig sagt Buttmann Mythol, B. II, S. 68: “die Sache muss „ wie mir scheint, so angesehen werden. Der Lenäon hatte unstreitig, wie die Analogie aller ähnlichen Monatsnamen lehrt, und auch Spalding, so viel ich ersehe, an- nimmt, seinen Namen von den Lenäen, welches also der alte ursprüngliche Name dieses ländlichen Festes war. Mag also immerhin keines dieser dem Dionysos geweihten Feste ein eigentliches Kelterfest gewesen sein, es hatte seinen Namen von Lenäo 8, welches einer der Namen oder Beinamen des Gottes war; so wie ja auch andere Feste (z. B. die Maimakterien, die Muny- chien, die Gerästien) von ganz eigentlichen Beinamen ihrer Gottheit benannt waren; der Gott Lenäos aber hatte zuverlässig seinen Namen von Amvos.” Ähnliches gilt von dem "Aydsoınowv, Oaynlidv, Kalencamv, Ilvaveınv, wobei nur das allerdings bemerkenswerth ist, wie gerade die ionisch -attischen Monatsnamen sich vorzugsweise an ländliche Feste anschliessen; doch könnte möglicherweise auch der kretische OspuoAcıog und der lamische OE ÜBER GRIECHISCHE: MONATSKUNDE, eie. 61 solchen, sondern als es sich um Bezeichnung der zwölf Jahrestheile handelte, traf man nach den erwähnten Analogien aus dem Vorrathe von Goltheiten und Festen je nach örtlichen Rüeksichten und Umständen eine Auswahl, deren Gründe wir eben so wenig mit Sicherheit verfolgen können, als die Ursachen, aus welchen Klisthenes seine zehn attischen Phylen gerade nach den Heroen, deren Namen sie tragen, benannte, oder, um ein näher liegendes Beispiel zu gebrauchen, das Verhältniss eines jeden Tages in unserem Kalender zu dem Heiligen, mit dessen Namen er bezeichnet wird, und wo gleichfalls offenbar nur die Analogie einiger wenigen wirklichen Festtage zur ebenmässigen Glie- derung des ganzen Jahres ausgedehnt worden ist. Hieraus erklärt sich nun aber auch weiter die Mannichfaltigkeit der Namen auf der einen und ihre Durchkreuzung auf der andern Seite, beides Erscheinungen, die auf eine Entstehungszeit hindeuten, wo sich die Stämme einerseits schon örtlich genug gespalten hatten, um neben den gemeinschaft- lichen Hauptgegenständen der Verehrung zahlreiche Localeulte anzunehmen, andererseits aber auch die verschiedenen Stämme wieder in hinlängliche Be- rührung mit einander getreten waren, um sich nicht wenigere Götter und Feste wechselseitig mitzutheilen. Die Verschiedenheit örtlicher Culte und Sagen erstreckt sich bekanntlich selbst auf die einzelnen Demen von Attika 1); und darnach kann es auch nicht auffallen, wenn selbst Nachbarstädte, wie Ska- mandria und Ilium 2), oder Bruderstaaten, wie Paros und Naxos 3), in ihrer (von olew = Helges?) und Tevorög in diese Kategorie gehören. Dass der spartanische PAıdorog, Ev © tovs týs ye zagnovg agin ovußeßnne (Steph. Byzant. p. 299: von glio = yAvo, vgl. Lobeck Pathol, serm, graeci p. 432), gleichwohl mit einem Beinamen des Hermes płvýoroc (Hesych. T. II, p. 1514) zusammenhängt, ist schon de anno Delph. p. 8 erinnert. 4) Pausan. I. 14. 6: Joe dd éd tovs ðýuouç sel čia ovdiv atio nal oi % ol Eyovuss. 2) Leider sehen wir nicht mehr als dass diese verschiedene Monate gehabt haben müssen; der Name selbst ist wenigstens für Ilion unlesbar, C. I. n. 3597: önoloyie "Diane èni ieging’ Agiorovunov toù ? [nmvög...... ani] óvtog, de dè Zeg uezdnstz a[yovow t . %%% TMavýjuov Teroddı QTLOVTOG. 3) C. I. n. 2265: nduntys anióvtos toù ‘Inniwvog née èm NOVTEVENV TWV 62 KARL FRIEDRICH HERMANN Zeitrechnung abweichen, wenn in Kreta jede Stadt ihre eigenen Monate hat, und selbst auf Lesbos die einzelnen Orte auch in diesem Stücke ihre Unab- hängigkeit gewahrt zu haben scheinen D: um so leichter aber machte es eben diese Unabhängigkeit, dass bei einem stammverwandten Volke auch fremde Culte Platz griffen, von welchen das andere nichts wusste. Wohl zeichnen sich fortwährend einige Namen aus, die so vielen Gliedern des nämlichen Stammes eigen sind, dass sie selbst oder wenigstens die Feste, welchen sie entsprechen, noch aus der gemeinschafilichen Wurzel herrühren müssen; in jeder Gruppe aber finden wir auch andere, deren particularistische Ent- stehung auf's Klarste einleuchtet, wie wenn Eretria einen ‘Imray, Cyzikus einen Tavgesv, Lampsakus einen Aeævze: Hv, lasus einen Aꝙęodicidv, Neapel einen Dan Der, Delphi einen AgdaQópios und Oeottos, Böotien einen Oh, Thessalien einen ’Irwvsos, Seleucia einen ’Adwv/sios dar- bietet; und selbst Haupt- und Mutterstädte geben Beispiele von örtlichem Namenstausche, wo die Colonien offenbar die älteren Namen reiner erhalten nerd Aoyeßiov, wg Bosreräis, we Ò Aerer ènt isgews Tod Aıovvoov Pilo- HOITOV TOV seses... %%, wç d Ilagıoı En’ apyovuog Oo luxròs IDvvrrgiov. 1) Ich sage scheinen, insofern die lesbische Inschrift bei Lebas Inser. gr. T. II, p. 110 wenigstens für Mytilene und Eresos zweierlei Monatsrechnungen an- zunehmen gestattet: dyadd gue en noorevuog èv Mlvrilave .... pınwöe] Deiere. Ev d Mu en sgor[ávios d . èv] Avrioog d èni od vios Kisoyelvo ....2v Esch d èni neordvıos] "Aysnooto Melavtaw stade Je .... Lebas warnt nur p. 124 mit Recht, dass man bei OsAwiorog nicht an den böotischen OssAouguog = OuAvoıog denke; doch trägt er kein Bedenken, ihn als mytilenäischen Monat im Gegensatze des mit Au anfangenden eresischen zu nehmen, und wenn Ahrens de dial. T. IT, p. 496 an beiden Stellen Actoiw verbessert, so geschieht diess nur in der Voraussetzung, dass die beiden da- zwischen liegenden Städte Methymna und Antissa andere Monatsnamen hatten. Anders hat dagegen allerdings Böckh in Add. C. Inscr. T. II, p. 1038 die Er- gänzung ausgeführt, indem er bloss ng0oT&viog èp Mvrilúvas deivog u Osharoiw liest und folglich Oeguloios nicht als mytilenäischen Monat, sondern als Manns- namen auffasst, den er auch n. 2183b wiedererkennen will; und unter dieser . Voraussetzung würde freilich der mit An anfangende Monatsname für die ganze Insel ausreichen. * ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 63 haben. So findet sich in Thera, Rhodus, Sieilien ein ‘Yaæxivĝos, während in Sparta der Monat, in welchem die Hyacinthien gefeiert wurden, "Exarop- Bevs hiess; eben so nennt Athen den Monat, der in allen ionischen Städten Anvariy heisst, Taundıwv,. dessgleichen ’EAa@nßoAıcv den, der dort fast durchgehends den Namen ’Agrepsoswv führt; und nicht einmal das Fest, das nach Herodot I. 147 das gemeinschaftliche Erkennungszeichen aller ionischen Zweigvölker war, die Apaturien, gibt dort seinem Monate den Namen, den derselbe in Tenus, Olbia, und Cyzikus trägt. Wie aber solche Besonderhei- ten selbst nachträglich noch in einem Kalender Platz greiſen konnten, zeigt gleichfalls Athens Beispiel, dessen Excrohgeidv ausdrücklicher Angabe zu- folge früher Kgövios oder Koi geheissen haben soll; und wenn wir sehen, wie mindestens sieben athenische Monate 1) von Festen Apolls oder seiner Schwester benannt sind, so drängt sich von selbst die Vermuthung auf, dass jene Veränderungen unter demselben dorischen Einflusse geschehen seien, den auch die Verwandelung der Theseusheiligthümer in Herakleen voraus- setzt 2), während andererseits auch dorische Colonien Monate zeigen, die wie der ’EAsvoivios in Thera und Kreta, der AdAsos (AYAsos) in Sicilien, der Anvawßdrxıos in Astypaläa, der Asovvcios in Chalcedon und Tauromenium, offenbar aus der Fremde angenommen sind. Allenthalben freilich lässt sich der Weg der Mittheilung nicht nachweisen; die Thatsache steht jedoch nichts desto minder fest, dass schon in früher Zeit sich bei den stammverschieden- sten Völkern ähnliche oder synonyme Monatsnamen finden, deren Bedeutung zu speciell ist, als dass sie nicht auf die angedeutete Art von dem einen auf das andere übergegangen sein müssten. Von dem dorischen 'Aprauirsos, der sich als ’Aprewsowv bei einer nicht geringen Anzahl ionischer Städte findet, war schon die Rede; eben so von der Übereinstimmung des. äolischen Bovxarios mit dem ionischen BovPoriwv und des böotischen Oe Au mit dem attischen OagyyAswv: dieselbe Verwandtschaft aber herrscht unverkenn- bar auch zwischen dem attischen Bondęoniççi⁰ oder wie er in Sicilien heisst Badeshios und dem delphischen Bom He, und der macedonische Aaloios, 1) Hekatombäon, Metagitnion, Boedromion, Pyanepsion, Elaphebolion, Munychion, Thargelion, von welchen wenigstens 1.2. 5. 6 dem ionischen Kalender fremd sind. ö 2) Lehrbuch d. griech. Staatsalterth. f. 96 n. 12. f 64 KARL FRIEDRICH HERMANN für dessen weitere Verbreitung schon sein gleichzeitiges Vorkommen in Sicyon zeugt, steht unstreilig zu dem sicilischen und kretischen @evdðægios in glei- chem Verhältnisse, wie es zwischen dem thessalischen Ouos und dem rhodisch- theräischen Asös$vos oder dem macedonischen Agos und dem böotischen Oui obwaltet; vor Allem endlich nimmt der IIdnuos unsere Aufmerk- samkeit in Anspruch, der, so dunkel auch sein Ursprung ist, eben so wesent- lich dem dorischen als dem äolischen Kalender angehört und sein Gebiet von Sicilien an über den Peloponnes, Böotien, Ätolien, Macedonien, bis nach Cyzikus und Seleucia in Pierien ausdehnt. Mit diesen Vergleichungen sind wir nun aber bereits an der Schwelle der dritten und letzten Haupifrage angelangt, die es mit den Mitteln zu thun hat, um die menologischen Angaben des Alterthums kalendarisch festzustellen, und namentlich auch den Monaten derjenigen Staaten, von welchen wir kei- nen vollständigen Kalender besitzen, durch innere Wahrscheinlichkeit oder Vergleichung mit anderen ihre approximative Stelle anzuweisen. Denn wo wir alle zwölf Monate vollständig kennen, da steht in der Regel auch die Reihefolge dieser und der Jahresanfang dergestalt fest, dass die chronologische Bestimmung der einzelnen Monate nur der Unsicherheit unterliegt, die aus der Incongruenz des griechischen Mondjahres mit dem Laufe der Sonne und unserer mangelhaften Bekanntschaft mit den Schalteyklen der einzelnen Völker entspringt; bei den meisten aber kennen wir ausserdem weder alle Monate des Jahres noch von vielen der bekannten selbst die Reihefolge urkundlich; und hier verbindet sich dann mit jener Schwierigkeit noch die weitere, dass wir nicht wissen, ob und wie weit selbst in dem Falle, wo der Monat eines Volkes seinem Namen oder dessen Bedeutung nach dem Monate eines anderen entspricht, beide auch derselben Jahreszeit zugewiesen werden dürfen. Was den erstern Punct betrifft, so ist es freilich zu bedauern, dass wir ausser Athen das Schaltsystem anderer griechischer Völker so gut wie gar nicht kennen; selbst von Namen der Schaltmonate 1) wissen wir ausser dem atheni- 1) Die Mehrzahl derselben erkennen wir an dem Zusatze dsvrsoog, wie TToosıdsur, Havnpos, "Ansikeiog: den vermeinten Kapveiog dinmvog zu Agrigent hat bereits Maffei glücklich beseitigt, und wenn ich auch für Curtius Vermuthung ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. 65 schen IIogesdece nur noch den IIcdynuos in Syrakus und Katana, den ’AreX- sn in Tauromenium, und wenn Curtius: den Zusatz &vdus richtig gedeutet „ den delphischen IIorębwpios, und andererseits sehen wir schon aus die- sen wenigen, dass die Einschaltung selbst bei den einzelnen Völkern sehr verschieden bald in die erste bald in die zweite Jahreshälfte fiel; für den jedoch; dem es nur um die wirkliche Jahreszeit einer Thatsache, nicht um den Monatsnamen und das bürgerliche Datum zu thun ist, wird diese Schwie- rigkeit minder erheblich, sobald er sich nur das nicht irren lässt, dass in Folge abweichender Schalteyklen der nämliche Monat des einen Volkes in verschiedenen Jahren mit verschfedehen Monaten eines Anderen verglichen werden kann e Kannte doch Griechenland selbst bewegliche Feste, wie die olympischen Spiele, von welehen der pindarische Scholiast zu Olymp. III. 35 berichtet, dass sie bald in den Monat IIe EN, bald in den "AnoAAwvios gefallen seien, offenbar weil sie auf den ersten ‚Vollmond nach der Sommer- sonnenwende gefeiert wurden 2), und da nun der athenische Eraroußawv der erste Monat nach der Sommersonnenwende war, so musste dieser, wenn Athen nicht ganz denselben Kalender wie Elis hatte, gleichfalls bald dem einen bald dem andern jener "Zeg entsprechen- Dazu kommt die mehrfach hinsichtlich geg Abbe Ei Dlortoonıog nichts Besseres zu bieten weiss, 50 Will ich dagegen die meinige, dass C. I. n. 2554 hide ério: Osguolain eine ähnliche Beziehung enthalte, keineswegs verbürgen. Aus macedonischer Zeit begegnet uns in Mylasa C. I. n. 2693 geradezu ein '2ußolınog: um so weniger aber kann ich an den Jrögzovgog glauben, den man aus II Maccab. XI. 21 dem macedonischen Kalender selbst es Schaltmonat aufdrängen will; s. Ideler B. I, S. 399. b 1) Böckh C. Inscr. T. I, p. 734: Variorum poplita menses; qui echt secun- dum legitimos annorum cardines respondent; non n cönverliunt anno, nisi eyclus intercalationum utrigque populo idem si — sed ubi differunt = $ Se altero populo prius intercalante mensem, dum non. intercalat alter, eorum qui non dntercalarunt mensis certus cedit jam in eum mensem alterorum, qui praecedit illum, cui vulgo res hondet certus iste mensis 5 quod tamen gg solent chronologi: vgl: dens. in Abhh. d. Berl. Akad. 18165 8. 54 fe, | | a Vgl. de anno Delphico p 27 Histor.-Phil. Classe II. 1 66 KARL FRIEDRICH HERMANN bezeugte Nachlässigkeit des früheren Alterthums in Beobachtung der Monats- anfänge, deren Folge war, dass selbst, wo zwei Monate als solche congruir- ten, gleichwohl die Zahlen der einzelnen Tage nicht auf einander trafen 1); und wo sich daher gar diese beiden Unregelmässigkeiten vereinigen, können Erscheinungen zu Tage kommen, die aller regelmässigen Chronologie zu spot. ten scheinen, ohne dass jedoch darin ein Grund läge, die Angaben des Alter- thums selbst zu bezweifeln oder sie zum menologischen Gebrauche überhaupt für unnütz zu halten 2). Jedenfalls aber wird sich Me Differenz aus diesem 1) Plutarch. Aristid, 49: rad 25 e paires 277 ee zou Boy- Oed iorausvov xat "Adnvalovs, nata d Bowrovg ver toù Iovi- \ uov pFivovrog s... 779 d zy Cusggn dvwualiav ov Havımordor, rot el viv, diiorpouivuv tüv èv vorgoinie malkov, dien hlor vrade aoyyv nal televryy &povor. Freilich wendet Fréret in Mém. de PAċad. de Inscr. T. XVIII, p. 140 (s. unten) hierauf sehr scharfsinnig ein, dass gerade in der Kaiserzeit nach Annahme des julianischen Kalenders eine solche Abweichung der Monatsanfänge viel erklärlicher sei als früher, wo dieselben an die Neu- monde gebunden waren; aber ganz dasselbe bestätigt auch Alexanders N nosse Aristoxenus Harmon. II, p. 30: olov Gren Koi ur dendınv Groo, "Adyvaioı CS neunzyv vi, und wie wenig selbst jener physische Anfangs- punct im bürgerlichen Leben so selbstverstanden feststand, wie z. B. auch Ideler B. I, S. 257 und 365 annimmt, lehrt ausser der allerdings verschiedener Aus- legung empfänglichen Stelle bei aer une IV. 4: wl e goto zata- Beivor. &gwinoaı . . e gë v (av éier, die bekannte Ge- schichte von dem Citharöden Sostonikts) in Abiera; bei Athen. VIII. 41 und die Erklärung des Sprüchworts ër Ke tig he bei Leutsch erb. p. 405: odei yap older dv Kin tic Zndge, Ze ovy Zeréga «i Ve d de Euaoroı Hekovow dree: Zëen Àéyetar’ gito vovunviav Strëdogerg, mm Das auftallendete Beispiel dieser Art ist in dem 16ten der nnen. des Themistokles zu Anfang: ue nos ide en ⁰νv agg nage gon wennde, eis "Eegen we egen Aorkkansge: Bondgoruvos. E sol ve, ge d Vue > Dlevnnov d,, 7 d huiga 7 eet: aber so apokryphisch und verdächtig dieses auch an sich ist (vgl. Corsini T. I, p. 145), so erhält es doch einige Möglichkeit durch die bekannten Angaben Plutarchs über die Schlachten von Marathon und Platäa, die zwar von Böckh im Ind. lectt. Berol. 1816 und Abhh. d. Berl. Akad. 1818, 8. 98 nach dem Vorgange Frerets gleichfalls für missver- ständlich erklärt worden sind, für die sich jedoch auch noch ein Gesichtspunct ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE: etc. 67 Grunde nicht leicht über die Dauer eines Monats belaufen; und in anderer Hinsicht kann sie sogar der chronologischen Combination förderlich werden, wenn 2. B. der athenische Gamelion in einem Jahre dem böotischen Bovxd- Tios, in einem andern dem Eęncios entspricht oder der Elaphebolion 423 a. Chr. dem ee N 421 dem — eee. steht, der Rechtferützüͤg finden lässt. Das scharfsinnige Argument, welches Böckh für die marathonische Schlacht aus der Vergleichung der Prytanie des Volks- beschlusses bei Plutarch Qu. Sympos. I. 10. 3 mit der Reihefolge der Phylen in der Schlachtordnung entnommen hat, beweist nur, dass zur Zeit der Schlacht die äantische Phyle die Prytanie bekleidete a desshalb auch auf dem äussersten Flügel stand, nicht dass ihre Prytanie die erste jenes Jahres über- haupt gewesen wäre; und was die athenische Chronologie im Ganzen betrifft, so zeigen Aristoph. Nubb. 611 und Demosth. Mid. $. 53 jedenfalls so viel, dass es damit keineswegs ganz regelrecht bestellt war. Hätten die Griechen mit der einfachen Oktaeäteris von 99 Monaten oder 2922 Tagen, wie sie. Macrobius Saturn. I. 12 beschreibt, ordentlich umgehen können, so hätten sie des metoni- schen Parapegma kaum bedurft, dessen complicirte Einrichtung eben nur darauf berechnet scheint, die Aufmerksamkeit und Sorge für die positive Zeitrechnung in ununterbrochener Spannung zu erhalten; während als gewiss angenommen werden darf, dass, gleichwie auch später nach Demosth. Mid. g. 86 der ge- meine Mann nicht wusste, ob der letzte Monatstag zu diesem oder dem fol- genden Monate gehörte, früher der Staat selbst den Wechsel der vollen und hohlen Monate nicht scharf beobachtet haben mag, woraus dann begreiflicher- weise bald längere bald kürzere Jahre hervorgingen. Auch die Ungleichheit der Prytanien musste dazu beitragen, wie es denn selbst in späterer Zeit noch ungewiss ist, wie die vier überschüssigen Tage des Mondjahres unter diese vertheilt wurden, vgl. Böckh Staatshaush. B. II, S. 196, Schömann de Comit. p. 34; und in den bewegten Zeiten, die der Schlacht von Marathon voraus- gingen, brauchte man nur vier- oder fünfmal das Jahr zu 350 statt 354 Tagen geꝛühlt zu haben, um es vollkommen erklärlich zu machen, wie die Schlacht, die nach natürlicher Zeitrechnung allerdings nach dem Vollmonde des Meta- gitnion zu setzen war, gleichwohl nach bürgerlicher auf das erste Viertel des Boedromion fallen konnte. Dass der Ansatz der Schlacht von Platäa noch ge- ringere Schwierigkeit darbietet, habe ich de anno Delphico p. 19 bemerkt; jedenfalls aber wird vor Meton auf keine Ubereinstimmung des e e Jahres mit dem natürlichen in Athen zu rechnen sein. 12 68 KARL FRIEDRICH HERMANN woraus mit Sicherheit hervorgeht, was wir sonst nicht wissen würden, dass diese beiden unmittelbar auf einander folgten. Nur in dem Falle, dass das eine Volk inzwischen auch seinen Jahresanfang geändert oder eine sonstige selbst- ständige Neuerung mit seinem Kalender vorgenommen hätte, liesse sich noch eine weitere Vergrösserung dieser Differenz denken; diess hängt aber schon mit dem zweiten der oben angedeuteten Puncte zusammen, wo das, was hier jedenfalls nur Ausnahme sein würde, wenigstens unter anderen Regeln erscheint, und bleibt also nur dieser noch zu betrachten übrig. So natürlich es nämlich auch zu sein scheint, dass Monate, die entweder dem Namen oder doch der Bedeutung nach synonym sind, auch in der Zeit mindestens eben so sehr übereinstimmen als die vorhin erwähnten, deren an- genommene Congruenz nur auf positiver Vergleichung beruht, so begegnen uns doch gerade hier solche Abweichungen, die sich unmöglich aus zeitwei- liger Differenz der Schalteyklen allein erklären lassen, und jedenfalls zur vorsichtigen Anwendung jener Synonymie mahnen. Derselbe Havapos, der in Macedonien um die Sommersonnenwende fällt und auch in Cyzikus dem athenischen Oc oder ZxipoPopscv enispricht, wird in Böotien dem Merayermvıv, in Korinth dem Bondgopiwv, in Ätolien dem delphischen Bovxdrios verglichen, der auf keinen Fäll früher als die beiden letztgenann- ten fallen kann, und steht in Sicilien als Schaltmonat aller Wahrscheinlich- keit nach hart vor der Herbstnachtgleiche, während er in Seleucia gar bis zum November herabsinkt; eben so begegnet uns der "AmoAAwvios in Elis als Sommermonat, während der macedonische Asch Nals die Stelle des Novembers oder Decembers einnimmt, und in Tauromenium gar beide Namen aber um mehre Monate getrennt vorkommen; oder wenn diese Beispiele nicht schlagend genug erscheinen sollten, so wird der Acissos in Sicyon mit dem athenischen ArHegragiddv verglichen, wogegen der macedonische Monat des- selben Namens ein Vierteljahr später mit dem OaoyrAucv zusammen fällt; der kretische Treggege ros entspricht nicht, wie der macedonische Trreggegeralds, dem September, sondern dem Juni und Juli, und der böotische Boba Tos correspondirt, wie oben bereits bemerkt, dem athenischen Tun oder December und Januar, während derselbe in Delphi der Monat der pythischen Spiele ist, die nicht später als September gesetzt werden dürfen. Ja dass ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE! eic. - nicht einmal die Feste, von welchen ein Monat seinen Namen hat, einen sicheren Rückschluss auf seine Zeit gestatten, zeigen die Apaturien, die zu Athen im IIcve uad gefeiert wurden und folglich erwarten liessen, dass der ionische Aaron diesem eben so entspräche, wie wir annehmen, dass der athenische eee der Monat der Lenäen, dem ionischen Aurcidòy, der -sparta ones, der Monat der Hyacinthien, dem rhodischen Tanis entspreche; statt dessen aber finden wir in Cyzikus neben dem Arœrovglde noch einen Kue i, der mit geringer dialekti- scher Abweichung offenbar der attische IIuave iv ist und folglich nur die Alternative lässt, dass entweder die Apaturien zu Cyzikus nicht in demselben Monate wie zu Athen begangen wurden, oder wenn dieses gleichwohl der Fall gewesen wäre, der Tvesla der einen Stadt nicht derselbe mit dem gleichnamigen der anderen sein konnte; und die ähnliche Erscheinung wiederholt sich hinsichtlich der Buphonien, deren Monat zu Athen der TrigoOopicv ist, während sie in Delos und Tenos einem eigenen Monate BovPoriwv den Namen gaben, der wenigstens auf ersterer Insel ausdrücklich dem Merayesırviwv : verglichen ward. Wie endlich schon im späteren Alterthume die unkritische Beziehung eines gleichlautenden Monats auf die nämliche Jahreszeit störend auf die chronologische Bestimmung und Vergleichung desselben mit anderen einwirken konnte, beweist Tzetzes, der in den Scholien zu seinen Posthome- ricis. v. 770 den delphischen Hędx Nelas mit dem attischen Oetgnν,A, im Gedichte selbst aber diesen, der allen sonstigen Nachrichten zufolge in den Mai oder Juni fiel, mit dem römischen Januar vergleicht, was sich kaum anders erklären lässt, als dass er oder sein Gewährsmann 1) einen anderen ne Denn Tzetzes selbst scheint seinem Scholion zu Hesiod. Opp. 502 zufolge den Thhargelion nicht einmal als attischen Monat gekannt zu haben, worüber er ‚schon, von Gaza de Mensibus c. 5 zurechtge wiesen ist (Xenos ist Tzetzes; vgl. «Bade ad Marm. Oxon. p. 166; Weleker Rhein. Mus. B. IV, S. 232; Schnei- dewin in G. G. A. 1840, 8. 955; Ross Reisen und Reiserouten in Griechenland B. I, S. 167); dagegen kennt allerdings auch Gaza c. 1 eine Ansicht, nach Wees der Hekatombäon März sein sollte (ovd? do ovvwdd ye dA, yaoıv, dx é pèn Meer Ärer toy "Exeronëorgae, 6 dè Loi h und folglich der Thargelion mit dem Januar zusamınentraf. 70 KARL FRIEDRICH HERMANN. dem Januar entsprechenden "Ho«xAsıos, vielleicht aus dem in vielen Hand- schriften verbreiteten bithynischen Kalender, kannte und von diesem dann auf den dem delphischen "HoaxAsıos entsprechenden OxpyaAıwv schloss; und auf ähnliche Art dürfen wir vielleicht die vielbesprochene Vergleichung des macedonischen Acos oder Juli mit dem attischen DBoadoatoaip und korinthi- schen Idvnnos in dem Briefe Philipps von Macedonien bei Demosth. pro Cor. §. 157 auffassen, dass nämlich der Fälscher, dem jene Urkunde unstreitig ihren Ursprung dankt h), durch eine spätere Zeitrechnung, die, wie in den Städten Phöniciens, den Asos bis zum September, ja October herunterdrück- te, irre geleitet worden sei. Unter solchen Umständen kann es mithin nur gewagt erscheinen, wenn Francke zu Richters Inschriften S. 188 aus der Lage des kretischen und bithynischen Eęhatos auf den argivrischen schliesst, und weil dieser der vierte des dortigen Jahres war, und jener auf den November fiel, den Anfang des argivischen Jahres auf den August bestimmt, oder Böh- necke Forschungen auf d. Gebiete d. attischen Redner S. 318 seinen Ansatz der pythischen Spiele auf den Meraysırviov durch die Synonymie des del. phischen Bouzd ros mit dem delischen Bous unterstützt; ja selbst Böckh Abhh. d. Berl. Akad. 1818, S. 95 Gi die angenommene Ubereinstim- mung des donisch - böotisch - korinthi hen Il&vsuos mit dem astischen Peine die Annahme begründet, deg dig artec Spiele, den, auf ‚den. Aën vienna, gefallen. Seng e EEN E allerdingi "D Dieses 5 stehe Ich SE — Vömels ie gegen — im — — gramme des Frankfurter Gymnasiums 1842, S. 6 nicht an mit voller Uberzeugung zu behaupten. Dass eine Anderung der macedonischen Zeitrechnung zwischen Philipp und Alexander, wie man sie aus diesem Briefe abgeleitet hat; undenk- bar ist, habe ich Beil. II näher erörtert; für die Unächtheit des Ganzen aber spricht schon die mangelnde Beziehung auf den Beschluss der Amphiktyonen, der Philipp doch erst das Recht ein Bundesbeer gegen Amphissa zu sammeln gegeben hatte, so wie die pedantisch gelehrte Umschreibung: Aongol o siet, uevor Ogo νναο,i e èv Aupiooy, und selbst die Erwähnung des athenischen Monats neben dem korinthischen in einem Schreiben an Peloponne- sier, für welche jene 3 doch un um 1 hat etwas sehr Anstössiges. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE: etc. 71 wenigstens in früheren Zeiten die allgemeine Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass bei dem engen Zusammenhange, der zwischen den Festen und Jahres- zeiten Statt hatte, auch die von jenen benannten Monate wenigstens in die gleiche Jahreszeit gefallen seien, desto weniger dürfen wir auch in solchen Abweichungen blossen Zufall erblicken, sondern müssen sie selbst möglichst auf gewisse Classen von Ursachen zurückzuführen suchen, in deren Erman- gelung die Präsumtion immer für Übereinstimmung bleibt. S Zuvörderst versteht es sich hier von selbst, dass nur solche Monate zu dieser Präsumtion berechtigt sind, deren Namensähnlichkeit wirklich auf einer gemeinschäftlichen Quelle und inneren Verwandtschaft des Namens oder Cultus beruht, und die nicht wohl gar aus: letzterem; selbst die Möglichkeit einer Abweichung der Jahreszeiten: erhalten. Von solchen Namen, die nicht einmal in dem gottesdienstlichen Leben eines Volkes wurzeln, sondern rein äusser- licher Entstehung sind, wie die ’IovAsos oder Kascagios der römischen Kaiserzeit, soll hier gar nicht die Rede sein; aber selbst die Annahme eines Cultus kann auf 80 mgchanischem Wege geschehen, dass eine bestimmte Jah- reszeit dafür gleichgültig, ist, wie 2. B. die athenischen Bendidien in den Juni fallen „ während der bithynische Monat Berdidios dem April entspricht; und wiederum kann ein Cultus selbst so mannichfacher Art sein, dass die zugehörigen Monate durch keine einwohnende Notbwendigkeit an eine be- stimmte Zeit des Jahres gebunden sind. Dass 2. B. der eretrische Imi wie der böotische.“Immodgöusos auf den Sommer fiel, ist möglich, aber eben so wenig nothwendig, als wenn man daraus, dass “Irmos Poseidons Bei- name ist, auf seine Übereinstimmung mit dem attischen Iloredesv oder mit dem trözenischen Tegaisrios schliessen: wollte, der gleichfalls von einem Bei- namen dieses Gottes benannt zu sein scheint; und wenn der Agodloios in Bithynien vom 24sten Juli bis 22sten August, in Cypern vom 23sten Septem- ber bis 23sten October dauert, so wird sich darauf für. den iasischen Apo- ioc kein sichererer Schluss gründen lassen, als wenn man um des bithyni- schen Agelos willen den lamischen ”Apeos auf den Juni setzen oder die Lage des dortigen Ayyargios auf den böotischen übertragen wollte, der nicht ein- mal den Thesmophorien seiner eigenen Heimath entsprach. Auch der EN eu- eine zu Thera und Kreta hat offenbar seinen, Namen von der Verehrung 12 KARL FRIEDRICH HERMANN der eleusischen Demeter, wollte man aber daraus schliessen, dass er dem allischen Bond eo] entspreche, weil in diesem die grossen Mysterien gefeiert wurden, so wäre dieses auch ohne anderweite Gründe schon um desswillen voreilig, weil Attika selbst noch andere kleine Eleusinien im "Avgeorypiov kennt; derselbe Fall ist mit dem Asovvosos, der mit den attischen Dionysien verglichen eben so wohl auf den ENAHONBGONαο als auf den IIoceidecv zu- rückgeführt werden kann; und wenn der attische "Exaropnßav früher Kort geheissen haben soll, so steht dem nicht entgegen, dass in Elis das Fest des Kronos um die Frühlingsnachtgleiche in den Monat "EA Zug fiel. Es liegt im Charakter des ganzen griechischen Lebens, dass in jedem Staate an bestimmten Tagen ein Fest begangen ward, wo die einzelnen Stämme gleichsam die Idee ihrer Verwandtschaft feierten und ihre inneren Angele- genheiten ordneten; wenn aber nicht einmal die ionischen Colonien diese ihre Apaturien gleichzeitig mit Athen begangen zu haben scheinen, so werden wir noch weniger aus ihrem "Amarovgio)v auf den cymäischen Sęargies schliessen dürfen; und ähnlich verhält es sich mit den jährlichen Reinigungs- und Todtenfesten, ohne dass desshalb aus dem athenischen Ocegyn ide auf den macedonischen Zy ds oder aus dem kretischen Nexvosos auf den sicilisch- koischen Ayęidvios ein Schluss erlaubt wäre. Dagegen fehlt es übrigens gewiss auch nicht an Festen und daher ent- lehnten Monatsnamen, deren ursprüngliche Identität schon um der blossen Ähnlichkeit willen mit derselben Sicherheit vorausgesetzt werden kann, als wenn sie durch ein ausdrückliches Zeugniss überliefert wäre, worunter ich namentlich: solche begreife, die entweder dem nämlichen Volkstamme H oder einer SS bestimmt ragen Cultusform ee Cu us wenn sich - | Z HAERE 25110 29231b nom 7 au Hierher rechne ich für dei onie due: — teme, u u Boydoorar, O H K wv; Tloosıdeov, DBV dq, für die Dorier gen eee F paea merbes daii egg „Hodtos, Kapreiog, Nunivöòtos, für die Aoler wenigstens theilweise den Bouadriog, Inerodobſiios und Hevapıog, ohne jedoch damit die Zahl zu schliessen „ da neue Entdeckungen auch solche, ZS og vereinzelt dastehen, zu übereinstim- menden machen können. 2) In diese Kategorie gehören die Feste der Artemisien j Thesmophorien „ Heka- UBER GRIECHISCHE! MONATSKUNDE etc. 73 also auch ‚unter solchen mitunter Abweichungen finden, die grösser sind, als dass sie sich durch die oben erwähnte Verschiedenheit der laufenden Schalt- eyklen erklären liessen, so können solche nur in organischen Anderungen be- gründet liegen, die einzelne Staaten im Laufe der Leit mit ihren Zeitrechnun- gen vornahmen. Dass solche im Alterthume keineswegs unerhört sind, zeigt das Beispiel des römischen Kalenders, der sowohl seinen Jahresanfang als sein Schaltsystem mehrmals Fia kat und auf diese beiden Gesichtspuncte werden sich dann auch in Griechenland alle nicht bloss zeitweiligen, sondern constanten Abweichungen ursprünglich identischer Monate zurückführen lassen. las: Gen n ç Bann. so stört diese allerdings nicht nothwendig die! en „zweier Monte, wie z. B. der attische Ex- rougd,V der erste, der asiatische "Exaroußeasos der zehnte seines Jahres sein konnte, ohne dass desshalb beide aufhörten unserem Juli zu entsprechen, oder der dem November entsprechende "Aach Rae s im macedonischen Jahre die zweite, im lamischen die eilfte Stelle einnimmt; eben so wohl aber kann anderswo die Rangordnung der Monate dieselbe bleiben und nur die Jahres- zeit: verändert werden, wie 2. B. der Havanos im macedonischen wie im böotischen und lamischen eb deri wennt ist, obgleich er dort in den Früh- hier in den Spätsommer fällt, und so können mithin auch Monate desselben Namens um ganze Viertel- oder halbe Jahre aus einander kommen. Sehr charakteristisch für beide Arten sind die Anderungen des athenischen Jahres- in der Kaiserzeit KÉ wo zuerst der 2 oder dritte Monat, tombäen, Elaphebolien, deep entsprechende . wir ä bei einzel- nen stammverschiedenen Völkern in die gleiche Jahreszeit fallen sehn. Auch hinsichtlich der Delphinien hat Dissens Vermuthung ad Pindar. Nem. V. 44, * von ihnen benannte . auch der Zeit e ` dem athenischen 1. E ES ERLI F EA bs re en Zeen? polnischen geen Bee: sich; Bu. Müller zu ert Eumen. let die ihre Feste dienen; gleichzeitig Visite werden, wovon der böotische Oeidob dog mit dem attischen Öaoyyhiwy , der trözenische Tegnioriog mit dem attischen 'Avdsorygıwv verglichen interessante Beispiele darbietet.. 1) Ideler Bd. I, S. 361. Ob die zweite Anderung, wie derselbe in den Nachträgen B. II, S. 609 will, sich auf die asiatischen Griechen n habe,; bezweifle Histor. Phil, Classe II, 74 KARL FRIEDRICH HERMANN: der unserem September oder October entspricht, zum ersten gemacht, dann aber die alte Ordnung mit dem Exce ro,” an der Spitze hergestellt und nunmehr dieser selbst, der früher der erste nach der Sommersonnenwende war, mit dem September gleich gesetzt wird; dass aber ähnliche Operationen auch in früherer Zeit vorgekommen sein müssen, zeigt der oben erwähnte Anjos, dessen Differenz in dem sicyonischen und macedonischen Kalender auf eine Zeit deutet, wo der erste Monat des letzteren auf den vierten des ersteren fiel; und wenn wir sehn, dass der delphische Bovxarıos mit dem ätolischen IIcvce nes verglichen wird, während in Lamia diese beiden Namen um ein volles Vierteljahr aus einander liegen, so berechtigt uns dieses unbe- denklich zu der Unterstellung, dass das Jahr, welches hier mit dem Winter begann, dort von der Herbstzeit an gezählt worden sei. Leider sind wir nur 123 Ca L abi °ı auch hinsichtlich der auf Combinationen beschränkt, die selbst wieder oft die Gëfter gleichlauiender Monate voraussetzen müs- sen, wie z. B. eben die Annahme, dass das lamische Jahr im Winter be- gonnen habe, wesentlich darauf beruht, dass sein neunter Monat, der IIclyc- pos, in andern Zeitrechnungen auf den September, sein zwölfter, der Bov- wäre, in Böotien auf den December oder Januar gesetzt wird; eben so bleibt es nur Vermuthung, wenn wir das argivische Jahr mit dem Herbste, das koreyräische mit dem Frühling anfangen lassen, weil der vierte Monat des ersteren, Epuaios; in Böotien Januar oder Februar, der erste Monat des andern, Aprenicios, in Sparta und sonst März oder April ist; — doch gibt es mitunter auch noch andere wenigstens approximative Haltpuncte, wie wenn in Delphi, Rhodus, Tenus, und Gela einzelne Monate wieder nach Halbjah- ren 1), in Erythrä nach Drittel- 2, in denien! gar nach Sechsteljahren ge- ich wegen Macrob. rege L 12: sicut Së Athenienses deei idem mensis (Aprilis) vocatur; nur das bleibt zu bemerken „ dass Simplicius ad ä Aristot. Phys. V, p. 205 wieder den alten Jahresanfang mit der Sommersonnen- wende kennt, und diesem entspricht auch, dass in Marini V. Procl. c. 36 der 17te Munychion dem 17ten April verglichen wird. 1) Vgl. de anno Delphico P. 2, not. 8. ; ’ 2) Monate. kennen wir hier freilich alitas ae als Jahrestheil ee eine tt eo Terodumvog in der Inschrift bei- Hamilton N. 226 vor. ÜBER GRIECHISCHE: MONATSKUNDE etc. 75 schieden werden 1), in welcher letzteren Stadt z. B. der.Kagvsios, nach be- stimmten Zeugnissen in das sechste Sechstel fällt; und gewinnen wir dann nur noch ein oder das andere Datum zur Vergleichung, wie dass der Kag- vetos in Belleg: dem GE entspricht, oder dass Bucios und E att 4 4 Hives im zweiten delphi Semester Frühlingsmonate sind, so lässt sich der Wahrheit um 80 . — als es lein bei dieser Frage nicht sowohl um Monate als um Vierteljahre handelt. Denn das scheint allerdings festzustehn, dass in Griechenlands classischer Zeit der Jahresanfang in der Regel mit einem der vier astronomischen Jahrespuncie zusammen hängt 2), obgleich er je nach dem Schalteyklus bald auf den Neumond nach dem Solstiium oder Aquinoctium, bald auf den vorhergehenden fallen kann, so dass 2z. B. derselbe Bovxdrios, der in Lamia das Jahr schliesst, in Böotien das neue anfängt; und so werden wir denn namentlich solche Abweichungen gleichlautender Monate, die ein volles Viertel- oder halbes Jahr betragen, auf Rechnung des veränderten Jahresanfangs setzen können, während bei ge- ringeren Discrepanzen der zweite der Ke r die Anderung des e e ollen steht. e ee Von diesen ist nun die bedeutendste e die Umwändelung des er in ein Sonnenjahr, die in ck der een Kalender- o 1 1 FE 712419 ri FELG erh Hisieagtsdt-skztzd zip Tab Arash matter) ssp omitir erobol nl ) Vgl. die Inschrift bei Gruter p. 401 und Rose Inscr. antiqu.. P. 290: diingne eur q, Kagveiov Zëusgougtog narta, WO Scaliger de emend. tempp. p- 57 und Dodwell de Cyclis p. 289 fälschlich Zuse Kogveiov verbunden und daraus einen Schaltmonat gemacht haben. Die richtige Construction hat nach Maffei’s Vorgange bereits Corsini Fast. Att. I. II, p. 421 erkannt und err diumvog als sextum bimestre erklärt; n«vre wird, wenn es richtig gelesen ist, als dialektische Form für nπανm˖ y zu fassen erlaubt sein. nA Böckh E Inser. J. I... 734: sane undecimo Boeotico mensi 88 se- , „ cundum primitivam normam non potest primus Phocicus; qui si sibi respondissent, Phociceus annus debuisset a -secundo post aequinoctium auctumnale novilunio incipere, quod r Seen ‚est. Doch ist zu, bemerken, dass allerdings hin und wieder auch andere astronomisch bedeutende Puncte, Wie der Aufgang der Plejaden bei den Achäeru See IVV. 373 V. 1), als Jah- resanfang gebraucht werden mochten. e TAN K? 76 KARL FRIEDRICH HERMANN reform nach und uach sich auch den griechischen Städten mittheilte D: und wenn auch mit dieser von nun an grössere Consequenz in die verschiedenen Zeitrechnungen kam, so wurden doch durch eben diese die zeitweiligen Ab- weichungen, die aus der bisherigen Verschiedenheit der Schalteyklen hervor- gegangen. waren, fixirt und die Übereinstimmung eorrespondirender Monate für immer aufgehoben 2). Dass jene Abweichungen aber in den Verwirrungen und Willkürlichkeiten, welchen jene Zeitrechnungen vor der Reform gewiss nicht minder als die römische selbst unterlegen waren, sich auch wohl über das obige Maximum eines Monats ausgedehnt haben konnten, leuchtet ein, und so wird es nicht befremden, gerade in den solarischen Kalendern, welche uns namentlich in den früher erwähnten Hemerologien enthalten sind, die- selben Namen bei dem einen Volke oft um wei und mehr Monate später -afs 1) Über die Zeit, wann dieses geschehen, kënnen wir freilich noch immer nur mit Belley in Mém. de PAcad. des Inser. T. XXXV, p. 631 sagen: nous ig no- rons le temps précis, oi les autres prouinces de Lempire, la ‚Grece, la Bithynie, la Pproconsulaire de l Asie, la Cilicie, la Syrie etc. admirent une forme. d'année correspondante A la Julienne; doch könnte Hadrians Einfluss auf Griechenland und den Orient grossen Antheil. daran gehabt haben. Idelers Vermuthung B. I, S. 359, dass erst mit dem Übergange zur christlichen Religion die Griechen das julianische Jahr erhalten zu haben schienen, hat das gegen sich, dass ‚ wenn das Christenthum den Kalender nicht bereits festgestellt gefunden hätte, schwerlich die heidnischen Monatsnamen geblieben sein wür- den; und wenn Plutarch, ‘Pollux u. A. fortwährend den Anfang des Monats durch aouazeie , die Mitte durch dıyoumia bezeichnen, 80 lassen diese stehend gewordenen Ausdrücke um 80 weniger auf ein Mondjahr schliessen, als dieselben geradezu den römischen Kalenden und Iden gleichgestellt werden; s. unten Seite 77, Note 2. 8 i sn 2) Fréret in Mém. de Acad. des Inscr. T. XVIII, p. 140: Les peuples de la Greece et de P Asie mineure, en adoptant la forme du calendrier Romain, avoient conservé les noms de leurs anciens mots, substitues & ceux des mois de anne Julienne.‘ Or ce changement ne se fit pas en meme temps partout ; et comme dune annee A l'autre, le rapport de ces mois lunaires employés par les Grecs; avec les mois Juliens „ n’etoit‘ Plus le meme; les premiers jours de Pannëe Grecaue ; devenue Romaine, se trou- voient répondre à differens jours des mois Juliens! be ÜBER GRIECHISCHE: MONATSKUNDE eic. 77 bei anderen gesetzt zu sehen. Manche von diesen, wie namentlich der von Seleucia in Pierien, erscheinen allerdings so zufällig zusammengewürfelt, dass man an einem bestimmten Systeme ihrer Vergleichung mit den älteren ver- zweifelt; bei anderen dagegen sind die Spuren eines solchen unverkennbar, und wie dieses hinsichtlich der vorderasiatischen und syrischen Nachbildun- gen des macedonischen Kalenders von Ideler "ausgeführt: worden ist, so hat es Böckh für das Verhältniss des asianischen zum athenischen auf eine Weise gethan, welche die tiefste Einsicht in diese chronologische Werkstätte ge- stattet 1). Nur der Exarëν αjðẽ,qo fällt hier mit der Lage des alten atheni- schen Exarouß&iwv im Juli zusammen, wahrscheinlich, weil dieser Monat, der sich auch bis jetzt noch in keinem ionischen Kalender gefunden hat, und in Attika selbst nicht ursprünglich war, nicht aus dieser, sondern aus irgend einer anderen Quelle in das asianische Jahr übergegangen ist; diejenigen Monate aber, welche unverkennbares ionisches Gepräge tragen, wie Ae. routes, IIocesderd v, Avas, fallen durchgehends um die Differenz eines Schaltmonats später als die entsprechenden ionisch - attischen ursprünglich gelegen haben, und müssen also zu einer Zeit angenommen sein, wo die Monate dieses letzteren Jahres selbst durch vorausgegangene Einschaltung auf eine spätere Lage heruntergedrückt waren. Freilich erscheint uns auch der ionische Kalender der Kaiserzeit in Cyzikus dergestalt mit dieser Lage der asianischen Monate übereinstimmend, dass seine Abweichung von dem Normal- stande des athenischen keiner bloss zeitweiligen Schaltverschiedenheit beige- messen werden kann; ja die athenischen Monate selbst, wie sie Plutarch mit den römischen vergleicht, setzen jene spätere Lage als stehende voraus 2); * C. Inscr. T. U, „p. 925: in Asiano igitur anno tum, opinor, quum ex "unari in solarem mutaretur, Posideon delatus est in Atticum Gamelio- nem et Lenaeus in Atticum Anthesterionem — quocum consentit, quod in tabula mensium Atticorum apud Henr. Stephanum Lenaeon et Posi- deon idem mensis vocatur, quippe quod Posideon in illa tabula ad sola- rem Atheniensium annum ven gab vetusto Atheniensium An- f tiesterioni. 2) V. Publ. c. 14: sidoig Tenteug h,, 6 ovvevyyavsı negl rg mavoeiyvov ndÄugge tow Mesayerivınvog. V. Caes. c. 37: ioraudvov Tavovagiov Age" od os d dy sie Dogerdsein ".Aëraeiog, V. Sull. c. 14: &eiv d tde Adv 78 KARL FRIEDRICH HERMANN sind wir aber einmal berechtigt, diese Erscheinungen mit der Einführung eines solarischen Kalenders in Verbindung zu seizen, so lag es sehr nahe, dass man gerade dieser noch einmal ein Schaltjahr vorausgehn liess, um die frühern Störungen zu einem ausgleichenden Abschlusse zu bringen. Ähnliche Wirkungen konnten übrigens aus ähnlichen Ursachen auch schon früher her- vorgehn 1), wenn ein Volk den Monatsnamen eines andern gerade zu der Zeit erborgte, wo derselbe durch Einschaltung von seiner eigentlichen Stelle verrückt war, und ihn seinem eignen Schaltsysteme einverleibte, das ihn zu Zeiten um noch einen Monat weiter vorrücken konnte; und ganz besonders trifft die Analogie der obigen Umwandelung gerade diejenige Zeit, in welcher überhaupt erst Schalteyklen eingeführt wurden, um das Mondjahr vou Zeit zu ‚Zeit mit dem Sonnenjahre durch einen dreizehnten Monat auszugleichen. Denken wir uns hier zwei Staaten, deren gleichlautende Monate ursprünglich auch gleichzeitig fallen, von welchen aber der eine bereits von Zeit zu Leit einschaltet, der andere dagegen nicht, so werden mit jedem neuen, Schalt- monate des ersten die entsprechenden Namen um eben so viele Tage als dieser beträgt aus einander fallen; fängt nun auch der zweite zu intercaliren an, und holt das Versäumte nicht nach, so verewigt er gerade dadurch die ent- standene Differenz, und wird den Vorsprung, den der erste genommen hat, nie wieder erreichen. Ja selbst die Anderung des Jahresanfanges lässt sich auf dieselbe Weise erklären, wenn ein Volk, das 2. B. früher im Winter seinen Cyklus von zwölf Monaten begonnen hat, nach einer Reihe von (acht) Jahren denselben schon mit der Herbstnachtgleiche vollendet sieht und nun atos yow èv tois Uοννν⁰,Z¾G Megricıg ,t og is, jue ýuipa pohota ovuninte t} vovunvie toù ’Avdsoryguwvog trade" vgl. auch Appian, B. Civ. II. 149: oùto uèv dé Tube Kuiouo ètelevryosv èv ýpičpars wis xalovow siðois Marias, Avĝeornorivoe hakıora učoov, Plutarch selbst bleibt sich freilich hierin nicht gleich; doch muss die Erörterung. dieser ganzen Erschei- nung auf eine andere Gelegenheit verschoben werden. 1) So ist es eine sehr richtige Bemerkung von Francke zu Richters Inschriften S. 185, dass die Differenz der syro-macedonischen Monate von der gewöhnlich angenommenen Lage derselben nicht erst, wie Norisius wollte, mit der juliani- schen Zeitrechnung entstanden sein könne, weil schon die Mondmonate bei Josephus in derselben Art abweichen; vgl. auch Ideler B. I, S. 432. BER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. 79 von dieser eine neue Ara mit Schaltmonaten beginnt; und da sich Ahnliches bei jedem Ubergange aus einem unvollkommenen Schaltsysteme in ein voll- kommeneres wiederholen kann, so fehlt es nicht an genügenden Ursachen, um die ganze Mannichfalügkeit abweichender Monatszeiten mit der fortwäh- renden Präsumtion ihrer ursprünglichen Übereinstimmung zu vereinigen. Im Einzelnen wird man freilich nicht vorsichtig genug sein können, um keinen der drei erwähnten. Gesichtspuncte zu vernachlässigen, unter welchen die Ab- weichung gerechtfertigt und selbst nothwendig gemacht werden kann; im Ganzen jedoch sind wir allerdings berechtigt, bis zum concreten Beweise des Gegentheils die ähnliche Lage synonymer Monate anzunehmen, deren Grund- satz selbst durch constante Abweichungen aus den entwickelten Gründen nicht erschüttert wird. Rach diesen Principien ist daher die dritte der vorgelegten Tabellen dergestalt entworfen, dass, wie in der ganzen vorstehenden Abhand- lung, zum Grundmasse der Jahreszeiten, auf deren Vergleichung es hier allein ankommen kann, unsere zwölf Monate gewählt und nur die erwähnten Stammgruppen in eben so vielen Ubersichten getrennt sind; und gleichwie diese dann wenigstens theilweise auch wieder mit den oben geschiedenen Anfangspuncten zusammenfallen ), 80 wird es überhaupt bei gehöriger An- wendung der aufgestellten Massstäbe nicht allzu schwer sein, in das schein- bare Chaos der griechischen Monatsnamen wenigstens für die dorische und ionische Gruppe eine solche Übereinstimmung und Vereinfachung zu bringen, dass verhältnissmässig nur sehr weuige Namen, welche unter jene fallen, ohne nähere Bestimmung bleiben. Ja selbst für solche, die an sich betrachtet 1) Wer zu schematisiren liebt, kann die vier Jahreszeiten auf die vier hellenischen gt e ee dergestalt vertheilen, dass das ionische Jahr (Athen) mit der on nen wende, das dörische (Sparta) mit der Herbstnachtgleiche, das äolische (Böotien) mit dem Winter, das achäische wenigstens mit dem Vor- sommer (Seite 75, Note 2) angefangen habe; doch erleidet alles dieses nach Ort und Zeit Vresäntliche Modificationen. Dass freilich der argivische und delphi- sche E nicht mit Dodwell und Corsini in den Frühling zu setzen ist, gla h de anno Delphico p. 21 fgg. genügend dargethan zu haben; dagegen 5 scheint e (mit dem e ee, dét m ge und Tauromenlum allerdings angenommen werden zu müssen, wå d der achäische Amtsantritt um 01.1 140 auf den Herbst verlegt ward, vgl. Clinton Fast. Hell. T. III, p. 102 - und Schorn Gesch. Griechenlands S. 214; nur zeigt eben dieses Beispiel anderer- seits auch wieder, dass man sich häten muss, aus s me he Sitte, die w scheinlich nach macedonischem Vorbilde sich immer me 4 Berbstüschtglessbe hinneigt, einen Rückschluss auf ältere Zeitrechnung zu er 80 KARL FRIEDRICH HERMANN ÜBER 'GRIECHJMONATSKUNDE eie. weder durch äussere Gründe noch mittelst Analogie mit andern bestimmt werden können, verengert sich gleichwohl der Kreis der Zeit, in welche sie fallen können, in demselben Masse, als andere Monate der nämlichen Stadt oder Gruppe ihre Bestimmung erhalten, und wenn es dann ohnehin gewiss verstattet ist, die Zahl der letzteren mittelst analoger Übertragungen’ von stammverwandten Orten mit der nöthigen Vorsicht selbst noch durch Ver- muthung zu vermehren, so wird jenes negative Kriterium in manchen Fällen kaum der positivsten Angabe an mathematischer Gewissheit nachstehen. m cyzicenischen Kalender z. B. entbehrt der Tævgec an sich jeder näheren Be? stimmung; da jedoch diejenigen Namen, deren Lage bekannt ist, den ganzen Zeitraum vom Lluaverbıwv bis OapyyAscv einnehmen, ‚so, muss er jedenfalls innerhalb der übrigen vier Monate fallen, und erwägen wir, dazu ferner, dass der BondeoHh⁊i allen ionischen Zeitrechnungen gemein ist und vor die- sem wenigstens in mehren anderen der "AreXAav und BovQoviisy derge- stalt hergehen, dass sie die Stelle des attischen Exaroußasav und: Mira- yarvıwv einnehmen, so bleibt für den Tage am Ende nur noch der Platz des Txigo og übrig. Auf ähnliche Art fällt der sicilische ‚Aygıcvios, nachdem allen Monaten, die wir einigermassen durch äussere Gründe be- stimmen können, ihre Plätze angewiesen sind, mit überwiegender Wahr- scheinlichkeit dem Winter zu; und so schwer, ja unmöglich es begreitlicher- weise in den meisten Fällen dieser Art ist, einen unumstösslichen Beweis zu führen, so ist doch gewiss schon viel gewonnen, wenn man sieht, wie im Allgemeinen in der dorischen Gruppe Frühling, Sommer und Herbst, in der ionischen Herbst, Winter und Frühling dergestalt besetzt sind, dass wenn uns ein vereinzelter Name, der einer von beiden angehört, irgendwo. begegnei, wenigstens die Präsumtion vorhanden ist, dass er in die noch. fehlende Jah- reszeit fallen werde. Wie sehr man sich dabei freilich vorsehen muss, um örtliche Namen von solchen, die ganzen Stämmen oder dem grössern Theile derselben eigen sind, zu unterscheiden, ist oben bereits erinnert und geht aus der Vergleichung des athenischen Kalenders mit dem ionischen, ja selbst. des spartanischen mit denjenigen anderer dorischer Staaten zur Genüge hervor; doch werden auch dazu gerade vorliegende Tabellen in so fern nützlich. sein, als sie bei Vermuthungen und Ergänzungen vor Vermischung der verschiedenen Orte oder Gruppen warnen und 2. B. verhüten können, dass man nicht einem äolischen Orte einen Acricuds, einem ionischen einen Als Hues durch Con- jectur aufdränge oder selbst innerhalb letzterer Gruppe in einer kleinasiatischen Colonie ohne höchste Sicherheit einen der speciell attischen Monate Ex- roußewv, Meraysırvidv, Maspaxrnpıov, Dau sin, "EAaQnßoAicv, Mov- Fe, ZxıpoPopiwv voraussetze; und wenn auch darin fortwährend leider noch allzu vieles lückenhaft oder problematisch bleibt, so wird doch dieser erste umfassende Versuch einer vergleichenden Menologie weiteren ‚Forschungen zum Fundamente dienen. = ; ti D t Beilage I. Alphabetisches Verzeichniss der bekannten griechischen Monatsnamen. Histor.- Phil. Classe II. L Ave gidvlos in Stellen, Argan in Säi wahrscheinlich geckeg Beier Monat. Hesychius T. I, p. 67: ëng vervoie map Apyelos xai ` ` ayaves èv Oyßaıs: vgl. p. 64: aygavın Zog év Age Zei nid rav Iloofrov Jvyartpwv, unstreitig dasselbe Fest, das in Orchomenus unter dem Namen ’Aygıwvia als Sühnfest begangen ward. Die Verfolgung einer Jungfrau durch den bewaffneten Priester bei Plut. Qu. Gr. 38 hat die sprechendste Analogie in der Flucht der Prötiden vor Melampus bei Apollod; II. 23 wie aber das Sühnfest 1 egenen werden * konnte, ist von Së klar. * r bai im solarischen Kalender von Sege wohl | nach Den Aral i vgl. Müller Dor. B. I, S. 299. i et SÉ ( "Algier in Sicilien bei Torremuzza p. LXXV, Ader ihn von ES Kaiser Hadrian ableitet; aber gewiss muss auch dort Aꝙęidvios gelesen wer- den, wie auch Sestini Opusce. p. 284 und Raoul- Rochette in Welckers Rhein. Mus. B. IV, S. 84 richtig gesehen haben). an »Adploies im solarischen Kalender von Seleucia in Niere, dem KZ entsprechend, in welchem folglich dort das Adonisfest gefeiert sein muss, um die Zeit der Obstlese, vgl. Movers Untersuchungen über die Religion und die Gottheiten der Phönicier S. 206. Anderswo scheint freilich dasselbe vielmehr in den Junius zu fallen, wofür, wenn auch die Gründe von Sauppe in der Zeitschr. f. d. Altertb. 1835, S. 318 und Becker Charikles B. I, S. 228 nicht ausreichen, jedenfalls Hieronymus zu Ezechiel e. VIII, p. 750 edit. Mare. spricht: 9m nos Adonidem interpretati sumus, et Hebraeus et Syrus sermo Thamuz vocat, unde quia juxta gentilem fabulam in mense Junio amasius Veneris et pulcherrimus juvenis: occisus esse et deinceps revixisse narratur, eundem Junium 84 KARL FRIEDRICH HERMANN mensem eodem appellant nomine et anniversariam ei celebrant so- lemnitatem, in qua plangitur a mulieribus quasi mortuus et postea reviviscens canitur atque laudatur, vgl. Jo. Laur. Lydus de Mens. IV. 44; dass jedoch darum der Juni selbst irgendwo "Adwvss genannt worden sei, ist schon von Corsini Fast. Att. II, p.300 durch die richtige Be- merkung widerlegt, dass Hieronymus nur von dem Namen Thamuz spreche. Aivyıxos in Cypern, der dritte Monat des Sonnenjahres vom 23sten Novem- ber bis 23sten. December. Bei Noviomagus ist er verschrieben Aluicus, bei St. Croix Avvios; so gewiss er aber auch von Aneas benannt ist, so dürfte doch Butimanns Vermuthung Alvesos bei Ideler B. I, S. 428 nicht so sicher sein, wie Engel Kypros B. I, S. 547 glaubt; vgl. auch Lobeck Pathol. serm. gr. p. 324. 18 A tal Algarve in Amphissa, dem Kogsios in Chaleum entsprechend, sonst unbekannt und von unsicherer Ableitung, es müsste denn die Glosse bei Hesychius T. I, p. 168: aipagral tiès di dgxovres mit seiner Bedeu- tung verwandt sein. H dez ur ho. Ale N S. ES,] . | | A AA@Axou£vıos in Böotien, dem athenischen Masuaxerngiov verglichen bei Plutarch V. Aristid. c. 21, s. Böckh. Staatshaush. B. II, S. 376, der bereits an die "AAuAxoperyis A Nen erinnert hat. Vgl. Iliad. IV. 8; V. 908, und mehr bei Müller Orchom. S. 213 und Rückert Dienst der Athena S. 61. det he LI A ef Ar Hec rigid zu Athen, Cius, Cyzikus, Delus, Olbia, Parus, Smyrna, überhaupt Ionien, ja nach Josephus Antiqu. XIV. 10. 23 auch zu Hali- karnass, obgleich mau in dieser dorischen Stadt vielmehr die Form As- Hecrigios, wie sie uns auch in Seleucia begegnet, erwartet. Als Früh- lingsmonat kündigt ihn schon sein Name an (quod hoc tempore cuncta Jlorescant Macrob. Saturn. I. 12), dessen entgegengesetzte Beziehung auf den Herbst bei Gaza de Mens. c. 5 extr. (Ir eriosg Da Tore ep 9 éw ovußaiveı Tiv wgav) bereits Scaliger de emend. tempp. p. 30 gebührend beseitigt hat; doch stammt derselbe zunächst allerdings von dem diony- sischen Feste der Anthesterien, wenn auch dieses selbst eben nur den Blumen seine Benennung verdankt; vgl. Etymol. M. p. 109: an FeoTNgc ÜBER /GRIECHISCHE' MONATSKUNDE etc. „„ PR) Auepderg" era ee AN tv Eoprnv Akyovdı, xal A Her- tin piva roy piva” rag öv gata Emerekeiro, meidn j YI rere deser mod dye, d rag Tò Ta avy & ri opri er und mehr bei Böckh in Ahhh, d. Berl. Akad. 1816. d'H 9 Sonnenjahre vom 25sten Juli bis 24sten August. Wal "ZE P. dd D3 Baa g sind unsicher; man müsste denn aus den 2 Ari Plc oder Arete naih Exary bei Etymol. M. P. 111 und Hesych. T. I, p. 391 eine ee Karre oder "Avrasos a! baii goitesdiensilicher Beziehung herleiten. e ern in Tenus, Ancrovgpece in Cyzikus und Olbia, Weien im asianischen Kalender, ein altionischer Name, nach dem Stammſeste, en Herodot I. 147 sagt: el d mavres Toves, Zoo dm ’Adyvar ` o yeyóvasi nal ’Amwrovgia: dZoeug or, und über dessen Etymologie « (ôpomaróvpia) mein Lehrbuch d. Staatsalterth. S. 100, n. 10 Nachweisung gibt. Athen selbst hat jedoch nur das Fest, nicht den Monat behalten, und auch jenes, wie es scheint, in einem andern Monate als seine Toch- ſterstädte gefeiert; denn die athenischen Apaturien fallen nach überein- i stinnmender Angabe in den IIuare H ο oder October, der von denselben benannte Monat dagegen entspricht in Cyzikus und bei den Asianern, was Fritzsche de Lenaeis p. 16 übersehen hat, dem December, und kann daher selbst unter Berücksichtigung der durchgängigen Differenz dieser Kalender von dem früheren attischen (Boeckh C. Inser. T. II, p. 924) nur mit dem Maspererygwöv verglichen werden, wie er denn auch in Cyzikus ` zwischen dem Kudve Lis und IIoceidecv in der Mitte steht; vgl. Böckh in Abhh. d. Berl. Akad. 1816, S. 54. | ! ’AmeAAuios (Are Mzios) in Delphi, Lamia, Heraklea in Italien, Tau- romenium, und dem macedonischen Kalender mit seinen Absenkern, sH zeng in Tenus als Axe, so befremdlich auch die ionische En- dung der dorischen Wortform angefügt ist. Denn dorisch ist sie jeden- „sifiliss man mag nun das Wort mit Mazocchi ad Tabb. Heracl. p. 147 und Francke zu Richters Inschriften S. 191. 332 von dd MN, Volks- versammlung, oder mit Böckh C. Inser. T. I, p. 814 und Ahrens dial. T. II, p. 122 von ’Ar&iAXwv für AróAAwv (Müller Dor. B. I, S. 301: 86 KARL FRIEDRICH HERMANN Pott etymol. Forsch. B. I, S. 5; Döderlein Reden und Aufsätze S. 363) ableiten; doch ist die letztere Ableitung sowohl wegen der Analogie mit Ilocid ii und Ilocsldetos neben Iloresdwvios, als auch desshalb annehm- licher, weil selbst dorische Volksversammlungen mehrmals jährlich (“ges ec gas, Plut. V. Lycurg. c. 6) gehalten worden zu sein scheinen; und dass in Tauromenium, wo er Schaltmonat ist, daneben noch ein beson- derer Arc AG, vorkommt, kann bei der jungen und aus mancherlei Quellen zusammengeleiteten Entstehung dieses Kalenders nicht irren. Ja wenn ich das tauromenitanische Jahr richtig eonstituirt habe, so fiele gerade der "AroAAwvsos dort wie, der macedonische AneAA wos auf den November, während der tauromenitanische Are Aces der Sommerzeit des elischen Aro Adv entspräche; mit Sicherheit kennen wir jedoch seine Lage nur in Macedonien, obgleich nichts im Wege steht, die ähn- liche auch in Delphi, Lamia, Heraklea, ja vielleicht in allen dorischen Staaten anzunehmen. Erst in der späteren Zeit unterliegt sie denselben durch abweichende Schalteylite und Verwandelung in ein Sonnenjahr verursachten Modificationen, wie sie auch den jonisch attischen Kalender trafen, und rückt bis zum December, Januar, Februar herunter; in der ganz anomalen mene von Seleucia begegnen wir ihm sogar als "lee, "Aroyovıxods der zweite Minat des. e — vom 22 sten October bis 22sten November, nach der durch die Mehrzahl unserer Menologien bestätigten Lesart bei Epiphan. adv. haeres: p. 446, wogegen "Aroyövsos. bei Treschow oder gar Aro Ns) bei St. Croix nicht in Betracht kommen kann. AroAAwvsos in Elis, wo er E Monat der olympischen Spiele um die Sommersonnenwende fallen muss; in Tauromenium, wo er, wie vorher bemerkt ist, dem macedonischen ArexAdtos zu! entsprechen scheint; und in dem unbestimmten Kalenderbruchstücke aus Kleinasien bei Dubois. Ob er aber schon in dem sicilischen Naxus gewesen und von diesem auf Tauromenium übergegangen sei, wie Franz in Ann. dell’ Inst. archeol. 1838, p. 76 aus dem Umstande folgert, dass dort der Apollocultus sehr geblüht habe (Eckhel: T. I, p. 248), hängt zu sehr von der Frage ab, ob D ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. WS jene Stadt als chaleidische Colonie nicht vielmehr ionische Monate gehabt babe, als dass man jene Folgerung ohne Weiteres zulassen könnte. (Arorębrios . 8. Iorręômios ). As | e bei St. Croix Aggcigios geschrieben; dagegen begegnet uns eine andere Form Agęos in der lamischen Inschrift bei Stephani S. 45, deren Be- eros in Bithynien, fälschlich bei Gyraldus, Iriarte und Treschow Agios, do? ziehung auf Ares unstreitig dieselbe ist, wenn auch jener Monat dort einer frühern Zeit des Jahres anzugehören scheint. Freilich ist auch die Zeit des bithynischen Aperos insofern ungewiss, als das Hemerolo- uu gium bei St. Croix, das ihn vom 23sten Juni bis 23sten Juli setzt, die Ordnung der übrigen Menologien umkehrt; jedenfalls aber kann er nicht über den 24sten Mai zurückgehn. Apre píovros oder in dorischer Form ’Agrapirios (vgl. Ahrens T. II, p. 61 und 114), auch "Agrapiows, Aęrehirios, Aezeu dies, ja einmal > "Apreuvrios geschrieben (Torremuzza p. LXIX), und derselbe in jonischer Namensform Agrehuicidv, der heilige Monat der Artemis, vgl. die ephe- sische Inschrift C. I. n. 2954: x zez dé péyiotov To reęl UTAV D ER KI 1 De ZS Ze KS > — 7 om -i geßarmod Lori Tenmigiov TÒ dmwvunov atis Sai piva xadovpevov mag Zur ev "Apremowve, ng ds Maxedoow soi rors Apres Zëvecu zo" 'EAAyvımois nal reis év aurois N Agreulciov, êv S Hi marnyugeis Te x jegoumias ETITEAODVTA: x. T. X. Wenigen griechischen Staaten scheint er gefehlt zu haben, wie Athen, und auch da ist dieselbe Jahreszeit durch die Monate ’EAaPrßoAi@v und Mov- -~ yuyun derselben Goitheit geheiligt; ihn selbst aber finden wir als "Aoreuciwv ausser Ephesus in Chius, Cyzikus, Lampsakus, Naxus, Tenus, als Aęreulcios in Kos, Koreyra, Kreta, Rhodus, Sparta, Thera, DE? dien sicilischen Colonien, Asien, und dem ganzen Bereiche des macedo- nischen Kalenders; nur wenn Ahrens T. II, p. 555 ihn auch auf einer von Lebas herausgegebenen Inschrift von Kalaurea zu finden glaubt, hat er übersehn, dass dort vielmehr von einem Tempel der Artemis, "Apre- CTIE die Rede ist. Auch was die Lage betrifft, so vereinigt sich sowohl: die ionische Zeitrechnung (Cyzikus), als die dorische (Sparta), macbdonische und asianische darin, ihn um die Frühlingsnachigleiche 88 KARL FRIEDRICH HERMANN zu setzen und dem römischen März oder April zu vergleichen; wie denn auch der dies festus Diande per triduum bei Livius XXV. 23 und Plutarch V. Marcell. e. 18, unter dessen Begünstigung Syrakus von Marcellus erobert ward, durch die Gleichzeitigkeit mit der Belagerung von Capua, die nach Livius XXV. 22 gleich nach den Iden des März begann, derselben Zeit zugewiesen wird. Erst in Syrien rückt er bis zum Mai (Seleucia), Juni (Tyrus), Juli (Sidon) herunter; in Korcyra und Tauromenium dagegen liegt in dem allerdings besonderen Umstande, dass er der erste Monat des Jahres ist, kein Grund, wesshalb man ihn lieber von der Frühlingsnachtgleiche entfernen‘, als däs dortige Jahr mit diesem Zeitpuncte anfangen sollte. dn 1b wine] Avdvvazos oder Aud rates, auch Audurcetos (Suidas); Arte (Treschow), Avdıdaios (St. Croix), "Aduveios (Matthäi), Audariros (Tzetzes), Avdo- vatos (Stephanus), ja Asduuverios (Noviomagus) und selbst auf Inschriften (Hamilton p. 468) Ayyavaios verschrieben, der dritte Monat des mace- donischen Jahres, der also ursprünglich dem December entspricht und erst allmälig zum Januar oder noch tiefer herabrückt. Die Ableitung des Namens ist völlig dunkel und wird durch F ranckes improvisirte Aus- legung (zu Richters Inschriften S. 191) als Oduꝛcios, Trauermonat, nicht aufgeklärt; sollte an eine dialektische Abwandelung für "Auge zu denken erlaubt sein? 5 | wert Lë Auer Avroxgarogıxds im cyprischen Sonnenjahre vom 23sten März bis 22sten April, aus dem Imperator des römischen Kaisertitels gebildet. AYpodicsos in Bithynien und Cypern (vgl. Porphyr. de abstin. II. 54), AOęodiote in lIasus. Im bithynischen Kalender dauert er vom 24sten Juli bis 22sten August, im eyprischen vom 23sten September bis 23sten October; wenn Engel Kypros B. II, S. 547 sagt, dass er in einem älteren dortigen Kalender ein Frühlingsmonat gewesen zu sein scheine, so hat er sich wahrscheinlich (vgl. S. 583) durch Jo. Laur: Lydus de Mens. IV. 44 irre führen lassen, der nur die Beziehung des römischen April auf Venus ausspricht. : Badpörıos zu Katana, Badooueip zu Lampsakus, unstreitig der attische Bond ou, wenn gleich die Lautumwandelung selbst im dorischen # ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 89 Dialekte, geschweige im ionischen, nicht so leicht zu erklären ist, wie Raoul- Rochette in Welckers Rhein. Mus. B. IV, S. 84 glaubt. Bac Mies im späteren kretischen Kalender vom 23sten August bis 22sten September; wahrscheinlich von einem Feste des Zevs Gage, wie es 2. B. in Lebadea vorkommt; vgl. Böckh ad Pind. Schol. Olymp. VII. 153 und: © losen L. I, 7d. | Bey did ros oder Bevdıdaios, entstellt Bendigaeos, am Richtigsten vielleicht Berdidios zu schreiben, in Bithynien vom 24sten März bis 22sten April, so dass er, ganz der Bedeutung der thracischen Mondgöttinn Bendis gemäss, dieselbe Jahreszeit einnimmt, welcher in griechischen Staaten der Aęrehicios entspricht; vgl. Jablonski Opuscc. T. III, p. 112 und über die attische Verehrung dieser Gottheit die Erkl. zu Plat. Republ. I, 1 und Bergk Com. Att. reliqu. p. 90; dass ihr Fest hier auf den 19ten Thar- gelion fiel (Proclus ad Plat. Timaeum p. 9), hat für den bithynischen Cultus, der unstreitig direct und vielleicht seit ältester Zeit mit Thracien zusammenhing, keine Bedeutung. Boa Oos in Delphi, wie ich wahrscheinlich gemacht zu haben glaube, dem Juni oder attischen BxigoPogsav entsprechend, obgleich der Name selbst unstreitig mit Bondęohid gleichbedeutend ist; vgl. Suidas p. 439: Boy- dooueiv Käges (?) avri roð Bonger. Bond 90 wy, der dritte Monat des athenischen Jahres um die Herbstnacht- gleiche, und gleichzeitig wohl auch in den Colonien, wo wir ihn noch zu Priene und Olbia, und (als Badge) zu Lampsakus finden, nur dass er hier nach macedonischem Vorbilde wie auch eine Zeitlang im späteren Athen selbst (Ideler B. I, S. 361) an die Spitze des Jahres ge- treten zu sein scheint. Die Entstehung des apollinischen Festes, woher der Name rührt, erzählen Plut. V. Thes. c. 26 und Etymol. M. p. 204, aber abweichend (vgl. Spanheim ad Callim. H. Apoll. v. 69) und um so verdächtiger, als die Verbreitung des Beinamens (Paus. IX. 17. 2) wie des entsprechenden Monats in sinnverwandten Formen (s. Badoöpios und Bea Oos) an einen so örtlichen Ursprung, wie beide annehmen, zu denken verbietet. $ Bovxdrıos, der erste Monat des böotischen (Plut. V: Pelop. c. 25), und wie Histor.- Phil. Classe II. M 90 KARL FRIEDRICH HERMANN ich bewiesen zu haben glaube, auch des delphischen Jahres, obgleich er hier mit der Feier der Pythien im-Herbste (de anno Delph. p. 16 fgg.), in Böotien dagegen mit der Wintersonnenwende zusammen fiel; vgl. Proclus ad -Hesiodi Opp. v. 502 nach Böckh in Abhh, d. Berl. Akad. 1816, S. 54: IAovragxos od dao: märz Bowrovs Ayvawve N umonrevsı dè d rov Bovxdriov avtov A „ os Ze Alov ro alyoreoor duövros, xai ro Bovdopa zë BovxaTiw auvddovros, Ad rò ANS ër avt dic Neige Gi. I roy Rouer, Ze ¿cri merd rov Bovxdrioy xal eis Taurov Eoxouevos TG Daat, *. fr Ta Arai mag Anis. Wenn übrigens der "Epuaios als der folgende Monat dem Causa entsprach, so ist der Bovxdrios mit dem Tloosıdesv oder dem Monate vor der Bruma zu vergleichen, was keineswegs so schwer ist, dass man darum mit Fritzsche de Lenaeis p- 23 fgg. die ganze Stelle für verdorben und interpolirt zu halten brauchte; und so konnte es denn auch kommen, dass derselbe in Lamia trotz ähnlichen Jahresanfangs an die zwölfte Stelle trat; vgl. de anno Delphico p- 28. Über den Namen s. Böckh C. Inser. T. I, p. 733: Bou H haud dubie est dm roù zalweogaı Boüs, non aeris intemperie, quod putare veteres interpretes ad Hesiod. Oper. 502 videntur, sed im- molandis hostiis, ut Athenis EndrouBei: ut ibidem celebrantur Bovpönse. p | BovPov:wrv in Delus, wo er dem athenischen Meraysırvıwv gleich gesetzt wird, und in Tenus, wo er wenigslens nicht weit von dem Anfange des bürgerlichen Jahres liegen kann, obgleich die athenischen BovỌóriæ als Theil der Arm sz (Schol. Aristoph. Nubb. 984) vielmehr in die Mitte des letzten Monats DxsgoPogswv fallen; vgl. Bekk. Anecdd. p. 238 und mehr bei Corsini IT. II, p. 316, Müller sacr. Minerv. Pol. p. 16; Hoeck. Kreta B. II, S. 82; Bossler fam. sacerd. Att. p- 14. Bugs emen in Delphi; vgl. Plutarch. Qu. gr. c. 9: d dè RES piv, ws Mët oi H vonigovas, dee Aerm: Šopot ydo apxeı xal "Ta TAAR Sien vrata zal daßhasravei 70 Ò des ovx Ever ours. . Sori ouy dee Z Bucios, èv 0 rh . xc. 1 rod geo. fr zë Leni ydg TOUTE Eer dere èyiyveTo ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 91 xai 8806 Tovrov vonigovos Tod HE ospifion M. Nach der letzteren Angabe könnte man ihn dem attischen Oapynàiwy vergleichen (Diog. L. III. 2); da diesem aber schon der 'HodxAssos entspricht, so wird es auch der übrigen Beschreibung angemessener sein, ihn näher mit der Frühlingsnachtgleiche zu verbinden, wie ich ihn denn de anno Delphico p.26 mit Böckh C. Inser. T. II, p.814 dem Ea] gleich- gesetzt habe. Hinsichtlich der Etymologie wird übrigens mit F. G. Schwartz de antiquissima Apollinis natura, Berol. 1843. 8. p. 25 der Stamm rug mit langer Penultima der Ableitung von wuv$aves$as vorzuziehen sein. Bwuiros der erste Monat des lamischen Jahres, sonst nicht bekannt, so klar auch die gottesdienstliche Beziehung vorliegt; er müsste sich denn viel- leicht in Tauromenium wiederfinden; s. Beil. II. Ta uu Xe der siebente Monat des attischen Jahres, der bei den übrigen loniern Ayvaswy heisst und ausser Athen nur noch in Delus zu der Zeit vorkommt, wo diese Insel selbst unter athenischer Botmässigkeit stand. Hochzeitfeste, og ug A1, kannte natürlich jeder Staat; hier scheint aber an ein besonderes Fest der Hera als Ehegöttinn gedacht werden zu müssen, wesshalb auch Hesychius T. I, p. 798: Taunàiov ò ray und as Hgces iegós: vgl. Plut. praec. conj. c. 27. r epdorıos zu Sparta, dem athenischen "EA afale) air entsprechend, doch, wie aus der Vergleichung von Thucyd. IV. 119 mit V. 19 hervorgeht, nicht immer, so dass seine eigentliche Lage mehr dem Ar Nec rungον parallel zu stehn scheint, zumal da Athen. XIV. 44 dem Monate Tepai- grios in Trözen ein ähnliches Sclavenfest beilegt, wie es in Athen mit den Anthesterien verbunden war; vgl. Welckers Nachtrag zur Trilogie S.196. Die Namensform ist dieselbe, wie denn auch das bekannte Vor- gebirge auf Euböa bald Tegacrôs bald Tregassros geschrieben wird, vgl. Poppo ad Thucyd. T.1, P.2, p.270; für den vorliegenden Monatsnamen aber wird zunächst an das Fest der Peggiore zu denken sein, von welchem Schol: Pind. Olymp. XIII. 159: Ze Evßoie Tepaiorie dd dvr Tepaieriov ayeraı Tlorsidavı diè TV ovußarre yeipava ër Tegaiorö, namentlich wenn hier für Tegcie rie vielleicht Tease rie zu lesen ist, so dass Fest und Ort von einem Beinamen des Gottes M2 92 KARL FRIEDRICH HERMANN selbst benannt wäre. Uber Poseidons Verehrung in Trözen s. Müllers Aeginet. p. 35. \ | Tevoros in Lamia, wahrscheinlich von dem Kosten des jungen Weines benannt, wie die II. So, der attischen Anthesterien, mit welchen er leicht auch die zweite oder wenigstens dritte Stelle nach der Winter- sonnenwende theilen könnte. Tuo g in Jasus nach C. Inscr. n. 2679, wofern dort nicht mit Böckh Dxigo Pop oder ein sonstiger Name zu corrigiren ist, da allerdings weder jenes Wort selbst, noch ein Gebrauch, worauf es sich beziehen könnte, anderwärts vorkommt. | Togrsatos, der vorletzte Monat des macedonischen Jahres, also zunächst August, obschon er später in Syrien bis zum September (Suidas), ja October (Seleucia) und weiter fortgeschoben wird und dadurch selbst an die Spitze des Jahres gelangt; vgl. Ideler B. I, S. 453. Den Namen leitet Francke zu Richters Inschriften S. 189 von doma) für deg, zwar nicht, wie er sagt, als Sichel- oder Obst, sondern als Kapp- oder Schneitelmonat; doch auch abgesehn davon, dass er hierbei von der irrigen Ansicht einer früheren Verschiebung der macedonischen Monate ausgeht, wornach der Toęmicios ursprünglich October gewesen wäre, ist überall die Erklärung der Monatsnamen aus ländlichen Verrichtungen ohne gottesdienstliche Bedeutung zweifelhaft, und es liegt näher an die Acorsıx zu denken, die wir bei Suidas p. 619 und sonst als ersten Tag der attischen Apaturien kennen lernen, die aber der ursprünglichen Bedeutung eines Abendmahls zufolge auch sonstige Festbeziehung tragen konnten. ; i Aadef/iouse in Delphi für dadoPogsos nach den Beispielen bei Lobeck ad Phrynich. p. 689; wahrscheinlich von den Fackeltänzen bacchischer Schwärme in den Schluchten des Parnass (vgl. Aristoph. Nubb. 600, Eurip. Phoen. 225, und mehr bei Schöne de personarum in Euripidis Bacchabus habitu scenico, Lips. 1831. 8, p. 118) und demzufolge einer der drei Wintermonate, in welchen nach Plutarch de Ei apud Delphos c. 9 Dionysos im delphischen Cultus vorherrschte. Asicıosin Sicyon dem "Avgeoragicv (Plui. V. Arat. c. 53), in Macedonien ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 93 dagegen (v. Alex. c. 16; Camill. c. 19) dem OagyndifH der Athener entsprechend, später in Folge der mehrerwähnten Verschiebung gewöhn- lich dem römischen Junius verglichen; s. Clintons Fast. Hell. T. III, p. 358. Die der gemeinen Aussprache nach gebildete Schreibung Ais ist häufig, aber falsch und hätte von Osann Auct. lex. Gr. p. XIII nicht in Schutz genommen werden sollen; vgl. Böckh. C. Inser. T. II, p. 819 und Francke zu Richters Inschriften S. 332, der unstreitig die einzig richtige Erklä- rung gegeben hat: „Ich glaube nämlich, dass der Agiss ursprünglich ein Epularis war und mit Theodäsien in Verbindung gestanden hatte, wie der kretensische ©eodaisios: — daisıov èdwdipov, sagt der Eyb, M. p. 252. 30, und fährt fort, nach Sylburgs Emendation: Agics pny maga Maxedooıv Zouneerer ciToyóvos, nicht so gut, glaube ich, aber doch so weit übereinstimmend, dass die Schreibart und die Beziehung auf das Essen anerkannt wird.” Die Parallele mit dem @evdægios hat schon Sestini Opuscc. p. 283 gezogen. à AdAsos in Sicilien, nicht bloss in Tauromenium, sondern auch mehrfach bei Torremuzza: p. LXXIII, wahrscheinlich ein Herbstmonat. Der Name erinnert an Delus, mit welchem wenigstens Syrakus in alter Verbindung stand (déuviov `Aprépidos, AdAov xacıyyyra Pindar. Nem. I. 4; vgl. Schwenck Deliac. partic. I, p. 12), wenn auch ein Delienfest, wie das athenische, dort nicht bekannt ist. Aapdrosos in Böotien, Auuiręios in Bithynien, hier der Schluss des Jahres vom 23sten August bis 22sten September, dort dem athenischen Ivcve i entsprechend, vgl. Plutarch de Isid. et Osir. c. 69: xa? yap AN. vrorevovow ai yvvaTees Ev OsonoPogiois Kaya x EN, xal Bowroi Te rs A xauẽs péyapa Kıwovow, SN n TAV r Eneivnv baader res, ws die gn Tis Kögns ci Bodo Ev axe. Tis Aijunręos gege" ¿ori dè A piy oo ros reg! mAzıdda omöginos, OV Aue Alyurrıus, Ivavaıöva Z'"Aäaein, Bowroi ] Aaudrërer xaAoüeı, In sofern entspricht die Zeit. den attischen Thesmophorien, wie denn diese selbst bisweilen Aaugres heissen, vgl. Cleomed. doctr. ere, II. 1, p. 112: due rois Aeyopévois èv Tois Anunrgios dai TOV Heruodogsagovciv yvvaimav: doch sehn wir aus Xenoph. Hellen. V. 2. 29, i 94 KARL FRIEDRICH HERMANN dass die thebanischen Thesmophorien vielmehr auf den Sommer fielen (s. auch Sievers Gesch. Griechenlands S. 159), während es sich hier um einen Herbstmonat handelt, der wenigstens zu Plutarchs Zeit noch später, als man gewöhnlich annimmt, gefallen sein muss. Denn der Frühunter- gang der Plejaden trifft auf den 26sten October (Ideler B. H, S. 242), und der Anfang des ägyptischen Athyr auf den 28sten desselben Monats, so dass, wenn anders das Jahr auch damals noch mit der Bruma be- gann, der Aguarpios vielmehr der eilfte, als, wie Corsini und Böckh rechnen, der zehnte Monat des Jahres sein müsste. AseAQiviıos in Aegina und Thera, nach dem Feste des AroAAwv A Olvios, zu dessen Ehre, wie Plutarch Solert. anim. c. 36 sagt, fe xa) Baue! maga moAAois EN zeap, und in Aegina ausdrücklich (Pind. Pyth. VII. 68) gymnische Spiele erwähnt werden; nicht aber in Knossus, was Müller Dor. B.I, S. 329 wahrscheinlich aus der falschen Bestimmung Scaligers, der das Testament der Epikteta nach Kreta ver- legte, beibehalten hat. Dagegen ist desselben Vermuthung, dass er dem athenischen Munychion entsprochen habe, an dessen 6tem Tage dort ein Sühnfest ASN Cl, begangen ward, jedenfalls der Sache angemessener, als wenn Dodwell de Cyclis VII. 11 und Corsini Diss. Agon. p. 103 sich durch das Missverständniss des pindarischen Scholiasten zu Pindar. Nem. V. 44 haben verleiten lassen, die Lage dieses Monats von den nemeischen Spielen abhängig zu machen. Hierüber genügt Müllers Urtheil- Aeginet. p. 152: Attamen fallax et mendax omnis haec et Dodwelli et Cor- sini disputatio est. Nihil, puto, dixit Pindarus, nisi Pythia et Nemea et patrium Delphiniorum certamen gloriosum fuisse; hine Jutilissime architectatur scholiastes: AsAQivios weis, èv w laws (ag arergpéäo Zo: ze Neusa. Qualibus 3 icws nemo velim tantillum tribuerit. Zur Sache vgl. dens. zu Aesch. Eumen. S. 141. Akais ... s. Awiosos. 24 ọx%os (Hemerol. Florent.) oder richtiger Annagxefuions, verschrieben Anuapxebccros oder Ayuaokacrs (Treschow), ja Diamarpsexosios bei Noviomagus, nach der kaiserlichen Tribunicia potestas genannt, der achte Monat des eyprischen Sonnenjahres vom 23sten April bis 23sten Mai. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 95 Annirgsos. s. Acæſaci rios. Ayunrgıov eri i Name des attischen Movrvxiwy, aus der schmeichlerischen Vergötterung des Demetrius Poliorcetes hervorgegangen: Plutarch. V. Demetr. c. 12: r&Aos dè ron Te uyyy Tov Mou, nur padre Kal TOV drepch. 77 ëvyy nai veav Ayuyrpiddae . pevoav, Kal TAV Sopran Ta Ader doi lie ron d hacas Anuiręic: vgl. Schol. Pindar. Nem. III. 4: rov ov» Euan ona uñv Ono. DiAöxogos d ioc Dat Tavs "Adnvalous legounvicr Akyerdas oiov 0Aov sog rijv. Asovvosos in Naupaktus, Chalcedon und Tauromenium, in welcher letzteren Stadt er als der zweite des Jahres auf den "Aprepicsos folgt und also dem April oder Mai zu entsprechen scheint; anderwärts fallen jedoch die Dionysosfeste mehr in den Winter; und so finden wir jenen Monat auch selbst noch in Bithynien vom 24sten December bis 23sten Januar, in Seleucia dem März entsprechend angesetzt. Aros der erste Monat des macedonischen Jahres nach der Herbstnachtgleiche; erst in Syrien zum November und theilweise noch tiefer (in Sidon und Lycien bi zum Januar) heruntergerückt; ausserdem jedoch auch unab- hängig von dem macedonisehen Kalender in der Inschrift bei Dubois, wo Ae/ov unstreitig nur falsche Orthographie ist, und in Bithynien, wo er vom 21sten Februar bis 23sten März reicht, und desshalb von dem Glossarium Portense bei Fickert im Jubelprogramme der Schulpforte 1843, p.3 geradezu mit dem März verglichen wird. Nur in Sicilien (Centuripa) glaube ich in dem Monatsnamen AlOT vielmehr die End- silben von AxA/ov erkennen zu müssen; in Kleinasien dagegen finden wir das Fest der Alia oder Ara, selbst auch Ada geschrieben, so häufig, dass die Bezeichnung eines Monats nach ihm nieht auffällt; vgl. Böckh C. Inscr. T. II. p. 631. d (AsosaAAöocıos höchst unwahrscheinliche Lesart eines Monatsnamens der Stadt Latus auf Kreta; vgl. unten Gehais) Ats O vos in Rhodus, Thera, und gewiss in mehren dorischen Orten des Mutterlandes, vielleicht auch in Elis, nicht aber in Tenus, wo seine Annahme nur auf einer höchst unsicheren Conjeetur im C. Inser. T. II. 96 KARL FRIEDRICH HERMANN p. 273 beruht. Den Namen, der wohl auf Zeusopfer deutet, kennt auch Etymol. M. p. 278: de? oyuswoacda, To Ae Zoe napa Baies ër ouräiogr yao wv E rò o Zeri dè ovouæ uu, seine Lage würde, wenn die Böckhische Emendation für Elis gegründet ist, um die Wintersonnenwende gesetzt werden müssen. (aAlosxogiv es zweifelhafte Lesart II Maccab. XI. 21; s. Beilage II Macedonien.) Asosxovgos in Kreta vom 21sten Febr. bis 23sten März; die Verehrung der Dioskuren scheint entweder aus alten Verbindungen mit Sparta oder auch von Cyrene angenommen zu sein, wo Schol. Pind. Pyth. V. 6 sagt: mavas ayoveı oi Kupavaioı Ta Asoszovpeie. (Aowos von Corsini fälschlich unter die delphischen Monate gezählt, da es doch nur die Schlusssilben des phocischen "Eßdopos sind.) Apoumnios zu Priansus auf Kreta, dem Id von Hierapytna . und in sofern wohl ein Sommermonat. Der Name rührt unstreitig von dem nach Plutarch Qu. Symp. VIII. 4. 4 auf Kreta verehrten ANA doouwios als Vorsteher der Gymnasien, die dort selbst dọopos hiessen, vgl. Suidas p. 629; dagegen ist der Monat Açopanwaiðns, welchen Raoul- Rochette Antiqu. du Bosp. Cimm. p. 24 für Olbia angenommen hat, von Böckh C. Inscr. T. H, p. 137 mit Recht zurückgewiesen. Aborgos der fünfte Monat des macedonischen Jahres, später in Syrien dem März u. s. w. entsprechend; vgl. Alberti ad Hesych. T.I, p. 1052 und Clinton T. III, p. 357. Über den Ursprung des Namens lässt sich nichts weiter sagen, als dass er mit duguos, Niedergang, verwandt scheint. (Eidos? Bizantinorum lingua mensis Martius dicitur, sagt das Glossar. Portense p. 3, worin der Herausgeber Fickert einen byzantischen Monat Eüdios vermuthet hat; aller Wahrscheinlichkeit nach ist es aber nichts als eine missverstandene Wiederholung des vorausgegangenen bithyni- schen Dios.) EiAabos . . s. Dans, Euav in Kreta vom 23sten November bis 23sten December; höchst wahr- scheinlich verdorbener Name, obschon eine sichere Verbesserung fehlt. Exaroußasav in Athen, Exaroußeis in Sparta, Exaroußaios im asianischen Kalender; der nächste Monat nach der Sommersonnenwende ÜBER /GRIRCHISCHE 'MONATSKUNDE! eie. 97 (( Aristot. Hist. Anim. V. 11) und demzufolge der erste des atiiesh br Jahres überhaupt (Bekk. Aneedd. p. 247), obgleich er gerade hier nieht ursprüng- lich gewesen sein soll; vgl. Etymol. M. p. 331: ‘Eraroußawv' Ui Eorı ce gc A nvc%— Koi r α 'wakovnevos mo Tas’ syerop&uns‘ 705 Koövw Hvolas Euren g dè G ανẽꝑuννν˖ die ras Tod’ ANOA Awos - Bugiag" Yuovoı yap avrg Exraronßeig rob Lr o I und . nachher: arena, Give te rt, ESd¼ i iegós sor Ta NN 6 dë Aios Tour T u péyav moi röv dọópov. Dass auch der eweg) Monat dieser Jahreszeit angehöre, hat schon Dodwell de Cyelis p. 338 mit Recht angenommen, und Corsinis Zweifel daran werden unten bei dem Taxlrgios erledigt werden; wie sich dagegen die spartanischen’ Hekatombäen, die wir bei Strabo VIII, p. 362 kennen lernen (vgl. auch Lebas Inser. T. II, p. 161 fgg.), zu den Aginetischen und argivischen verhalten, welche die Scholiasten des Pindar Olymp. VII. 152, Pyth: VIII. 113, Nem. X. A den Heräen n ee wollen wir nicht entscheiden. $ EN Är, der neunte Monat des athenischen Alke E aber 2S par noch in Delus und Iasus, während in den andern ionischen’ Colo- nien der Aren dieselbe Stelle eingenommen zu haben scheint. In Sparta entspricht ihm bei Thucyd. V. 19 geradezu der "Agrepiois, und wenn dieser auch in Macedonien, wie der "Agrenıoiov selbst in Cyzikus;, mehr dem April zufällt, so thut dieses der Ähnlichkeit der Jahres- zeit keinen Abtrag; das Fest aber, welchem der athenische Name entlehnt ist, ward eben Artemis zu Ehren gefeiert; vgl. für Phocis Plutareh. Virt. Mull. c. 2: Sor d E macan peyiorny Ta "EAapnBedz HEXQ rn 7 Agrepdı täs vinns Enelvns Taunorsı reAovos: auch Qu. Symp. it. 1.1 und für Athen selbst Bekk. Anecdd. p. 249: EAA RATE dro zët Adar, rue To 1 rour e9vovro TA N- OB" "Agr£pidi. el eg in Elis um die Pn ben Nele unstreitig ganz dem vor- stehenden entsprechend, obgleich desshalb nicht nöthig ist, bei Pausanias die leicht erklärbare Variante ES οαν ον in den Text zu nehmen. Was übrigens Fréret in Mem. de l'Acad. d. Inser. T. XVIII, p. 146 be- Histor.- Phil. Classe II. N 98 KARL FRIEDRICH HERMANN rechtigt zu sagen: dans le calendrier d'Olympie le mois Elaphius ou celui de Pequinoxe,\ devoit tre le mois intercalaire, weiss ich e en Yun EZ EAsvoivsos.in Olus auf Kreta und in Thera, von dem Feste der _eleusi- schen Demeter, das nicht nur in Athen, sondern auch an vielen andern Orten Griechenlands gefeiert wurde, namentlich in Sparta nach Hesych. I. I. p. 1173: dyor , Guα,, dyopevos Ayuyrgı sac Axa, woher auch unstreitig jener Monatsname nach Thera verpflanzt ist; eben desshalb aber wird auch aus den attischen Eleusinien im Boydeouiev kein Schluss auf seine Lage zu machen sein. In Thera scheint er zwi— schen Ass O vos und Ae Divos zu fallen; hätten wir also diese oben richtig bestimmt, so bliebe für ihn etwa Januar oder Februar übrig. Ee patos oder Eęucios (Göltling vom Accent S. 235) in Böotien der nächste Monat nach dem Bovxdrios, also wenigstens mitunter‘ noch dem atheni- schen TπννI entsprechend, vgl. Proclus: ad Hesiodi Opp. 502 und Hesych. T. II, p. 466, woraus es sich zugleich erklärt, wie derselbe in Argos, den Jahresanfang mit der Herbstnachigleiche vorausgesetzt, der vierte des Jahres sein konnte; vgl. de anno Delphico p. 22 und 28. Corsinis Annahme T. II, p. 401, dass der argivische Egudios dem allischen "Exaroußaisv entsprochen habe, fällt trotz der Beistimmung O. Müllers Aeginet. p. 152 mit Dodwells irriger Bestimmung der Nemeen und Isthmien, die durch Corsini selbst längst beseitigt ist;, und Ähnliches gilt von Francke zu Richters Inschriften S. 188, der ihn auf den Mas- PARTAOIWY setzt, weil ein gleichnamiger Monat im bithynischen wie im kretischen Sonnenjahre den Zeitraum vom 24sten October bis 22sten November einnehme. Hierauf kann man mit seinen eigenen Worten entgegnen, durch welehe er die Vergleichung des argivischen Monats mit dem böotischen ablehnt: “warum können denn nicht auch beide Hermäen, ungeachtet sie nach Einer Gottheit benannt wurden, sich doch auf zweierlei an verschiedene Jahreszeiten geknüpfte Feste bezogen ha- ben?“ — und so scharfsinnig er auch nicht nur den kretischen, son- dern selbst den bithynischen Kalender (durch Heraklea Pontika) mit je D = D y e 4 £ a de dorischen Einflüssen in Verbindung setzt, ja eben nur hieraus die Über- ÜBER GRIECHISCHE 'MONATSKUNDE etc. 99 einstimmung des kretischen und bithynischen Jahres in diesem Monate herleitet, so dürften doch die Gründe, welche für den Jahresanfang zu Argos mit der Hezbetnaghtgleiche: sprechen, die Auctorität jener späten cherl unterlegenen Zeitrechnungen überwie- und sói gen. Ja wenn es erlaubt ist, ähnliche Festgebräuche ähnlichen Jahres- neiten beizulegen, so kann die Zusammenstellung der kretischen "Baue" bei Athenäus XIV. 44 mit der trözenischen Sclavenbewirthung i im Monate Tegclorios geradezu auf die Vermuthung führen, dass auch jene früher in den Februar gefallen seien, wo wir ausserdem in Athen gleichfalls an den Anthesterien dieselbe Sitte finden, vgl. Proclus ad Hesiodi Opp. 366 und Zenobii Prov. Cent. IV. 33; was dagegen den bithynischen Monat betrifft, so wird dieser in der Mehrzahl der Ee eps? gar nicht Egucĩos, sondern vielmehr "Epupos genannt, wofür sich nur bei Siphona und Tinn die Bine ‘Eppos oder Hęuios findet. Die Schreibung "Eguaios: beruht lediglich auf dem Hemerol. Florent. bei St. Croix, dessen Lesarten durchschnittlich als die schlechteren erscheinen; und wenn wir daher auch einräumen, dass der Name jedenfalls mit Hermes zusammenhängen mag, so wird doch die Verschiedenheit der Form einer unmittelbaren Ableitung aus Argos, wie sie Francke annimmt, stark im Wege stehn. „Eo los in Cypern voni 24sten Juli bis 22sten August, Habrscheinlich ver- dorhener Name, obschon auch die Schreibung Ales bei Treschow die Lesart der überwiegenden Mehrheit der Menologien bestätigt. Nur das Hemerol. Florent. hat Eorleos, wodurch die alte Vermuthung (Har- duins bei Fabric. p. 63) einer Beziehung auf Ecrlæ unterstützt zu wer- den scheint; bei der geringen Zuverlässigkeit dieser Quelle aber liegt es näher an Ee Ads als schmeichlerisches e eines hen Kaisers als mit Ideler an Eœriebs zu denken. i * im asıanischen Kalender vom Alster, Deg bis 23sten Mai, unstreitig zum Andenken einer frohen Botschaft, um derentwillen ein Dankfeati e CA, angeordnet worden war; an Hermes evdyyeios (Hesycb. T. J. p. 1489) ist nicht unmittelbar zu denken. Ev Se in Koreyra und Tauromenium, jedenfalls an beiden Orten der N2 KARL. FRIEDRICH HERMANN lelzte Monat des Jahres, dessen nähere Bestimmung folglich von der Lage des ersten, Agreuicios, abhängt. Der Name stammt unstreitig aus dem weitverzweigten Cultus der Agrenis Exe (Pausan: I. 14; 8 IX; 17; Plutarch. V. Aristid. 20), welcher auch in Korinth EvrAsız gefeiert wurden (vgl. Xenoph. Hellen. IV. 4. 2), so dass Osann Auctar. lex. Gr. p. 72 nicht mit Unrecht vermuthet, es möge dieser Name aus der Mutterstadt auf die Colonie übergegangen sein. Für Korcyra selbst erinnert Böckh C. Inser. T. II, p. 23 áussbrdem eng an er deren Legende jener Etxera gedenkt. : WER in Olus auf Kreta, Bithynien und Delphi, wei PER 3 lich auch als Hpclcios in Sparta (vgl. Lobeek Pathol. serm. Gr. p. 426), worauf auch die Variante Hoamios in Delphi zurückgeführt werden zu müssen scheint: der Monat der Hera, deren Feier von Argos aus über einen grossen Theil des übrigen Griechenlands verbreitet war (vgl. de anno Delphico p. 5), obgleich die Zeit derselben nirgends so feststeht, dass daraus auf die Lage des entsprechenden Monats geschlossen werden - könnte. Bloss für Bithynien steht der Zeitraum vom 23sten Sept. bis 23 sten October durch des Hemerol. Florent. fest, dessen verdorbene Schreibung IIeciens eben so wenig als Egos bei Cramer die auch in den Entstellungen "Hoews (Iriarte), Zrios (Noviomagus), oder Hgeos un- verkennbare Namensform "Hoas erschüttern kann; wenn ich aber de anno Delph. p. 10 dieselbe Zeit auch für den gleichnamigen Monat des Mutterlandes in Anspruch genommen habe, so hängt diess ganz von der Bestimmung des phocischen Jahres ab, mit dessen erstem Monate der delphische "Haag in einer Inschrift bei Curtius n. 27 verglichen wird, obgleich er als Monat der ersten Jahreshälfte jedenfalls dem Herbste oder Winter angehört. Noch schwieriger ist übrigens die Frage, ob auch in Tenus ein ähnlicher Monat nur mit jonischer Form “Hoary anzunehmen sei, wie dieses Böckh C. Inser. T. II, p. 273 auf den Grund der höchst verdorbenen und unleserlichen ‘Inschrift n. 2338 gethan hat, deren 3 noch namhaften Zweifeln Raum gibt. Er liest Z. 21 und 22: agvyros ®eoriedov: ee Tiv olxian tiv èv [Aóvaxi.. pitat e] Aovaxevs lei... dëaggieg dean uén i. aii. PA Aa ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. 101 "Hocsövos:,.dem.steht aber der constante Gebrauch jener Inschriſt ent- gegen, dass die geringes erst nach dem Kaufpreise genannt werden; und gleichwie der Aovaxevs'Z 21 vielmehr der Nachbar zu sein scheint, Go durch welchen die Lage des verkauften Hauses bezeichnet wird, wie 15 BE yerray Mopvxiwn Aovttxevs, so könnte in der ersten Silbe des vermeinten "Head der Schluss von garng und in den folgenden Buchstaben dessen Name bien sein. Die ganz ien We Z. 28 beweist gar nichts. mec in Bithynien vom Ade 3 bis 20 len Eabioar; in Delphi dem attischen Oagynduαον entsprechend, in Halikarnass ohne nähere Bestimmung; je mannicbfacher "HocdxAsia vorkommen (in Theben, Schol. Pind. Olymp. VII. 152; in Sicyon, Pausan. II. 10; in Teos, C. I. n. 3044; in Athen sogar mehre, ‘Harpocrat. p. 139), desto weniger lässt sich aus dem einen Orte auf den anderen schliessen. upe los! in dem kleinasiatischen Kalender unbekannten Fundorts bei Dubois Catalogue de Ghoiseul - Gouffier p. 85. Ep ren der vorletzte Monat des attischen Jahres, nahe der . er (Dionys. Hal. I. 63; Plutarch. V. Timol. c. 27), den wir auch in Delus und Gambreum wiederfinden und gewiss in vielen andern ionischen ‘Städten voraussetzen dürfen, da das entsprechende Fest der Thargelien z.B. in Milet ausdrücklich erwähnt wird; vgl. Parthen. Narrat. 9 und Welcker hinter Schwencks etymol- mythol. Andeut. S. 341, obgleich dessen Ableitung von Hege Ile noch manchen Bedenken unterliegt. Bei den Grammatikern heisst es nur: Oc Lor AOνE¶& ovond- Sera gd Tüv Nagy Japynkıa d ciri mavres o amo yis Kagmoi' ayeraı dë An Gappa "Agrépiidos zai AmóAAwrvos’ Oahu d o évdéxaros pny voud gerdi, Erel Tore 6 os rufe ns Sor sai ev, sera Ta weie Ta TIS age 4 n Enba pero d n 0 ëäsem obe T yiv TÒ Deppov siga? BETON Etymol. M. p. 443, vgl. Bekk. Anecdd. p. 263. n in Böotien, von Böckh C. Inser. T. I, p. 733 geg attischen — verglichen, weil $aAvoios; wovon jenes nur dialektische Form ist, dem attischen S αν synonym war, vgl. Athen. III. 80: 102 KARL FRIEDRICH HERMANN dsr eg Moi zër QapyyAov; ov rives ’waAovcı Baihdeep, und die Be- schreibung des Festes der OaAvos@ bei Etymol: M. p. 442: res dei euvgadias ai Suffogioag rv wapmav didoukvas Hues pèrd Tyv ` ougeeuidég Tran agny rie re ANo Deos na) zë Aaugrge, mit Hesychius L. I, p. 1679: dd goe Goeoahiog Tas satt T Pawopkvan wowo: na megmonifovc: . A d Hapyakössorigurgos cvamAsws amegucdrwy. Auch der kretische AvosaAAcoos, von welchem jedoch auf der Inschrift selbst nur die vier letzten Silben sicher sind, könnte vielleicht ein GaäA/Zeuge = QaxAovesos sein; mil Recht: aber warnt Lebas: Inser. T. II, p. 124 den lesbischen Namen Oecioes hierher zu ziehen, der am Besten wohl ganz aus der Reihe der Monate verschwindet. Oeeddolds in Kreta nach dem Hemerol. Florent. vom 24sten März bis 23sten April; übrigens wohl richtiger von Hoeck Kreta B. III, S. 178 und Welcker ad Philostr. Imagg. p. 356 in Oeodericies verändert, wie auch in Sicilien bei Torremuzza p. LXXI ein Oevdccios vorkommt, nach dem Feste der Oeod cin, das wir im C. I. n. 2554 namentlich als e E gl. Hesych.. T. I. p. 1656 und 1693: Oeod ej, AAudtuege, o: iey 8 oder Oeuctuos in Delphi, ein Monat des zweiten Halbjahres und nach meiner Vermuthung de anno Delphico p. 13 fggi der letzte des ganzen Jahres, zunächst vor den Pythien, dem attischen Mera- velrvidy entsprechend, um welche Zeit auch in Agrigent nach Schol, Pind. Olymp. III ein Fest der Theoxenien gefeiert worden zu sein scheint. Andere Oeots vic finden wir zu Tenus (C. L n. 2338) und Pallene (Pausan. VII. 27. 1; Schol. Pind.. Olymp. VII. 156; Nem; V. S2); in Delphi selbst erwähnt sie Plutarch de S. N. V. C. 13 und Athenäus IX, p. 372 A vgl. Thiersch in Abhh. d. Münchner Akad. 1834, S. 622 und Preller ad Polemon.. p. 67. In Pallene freilich, setzt sie Schal, Pind. Olymp. IX. 146 in den Winter; doch hat schon. Böckh Expl. p. 194 richtig be- : merkt, dass dieses wohl nur ein Wach geck lte aus. Sg greng Ger welche als Siegspreis gegeben wurde. r DesezA aros Au Latus auf Kreta, dem hiia Mens . wäre dieser, wie der gleichnamige, delphische und bithynische, ein Herbst oder Wintermonat, so dürfte au eine Ableitung von Heguôs kaum zu denken sein. ÜBER 6 0 E. MONA SEN etc. 103 Bernopögsas in Sicilien bei Torremuzza p. LXXI, wie uns denn auch bei Athenäus XIV. 56 in Syrakus, bei Polyän. V. 1. 1 in Agrigent Oec - Gäen begegnen, vgl. Ebert Taxen. p. 19-33; unstreitig dasselbe Fest, von welchem Binder ue 4 sagt: riS d balett gp. Sach TIS Ouoles gol ua, Ze & zën gear s oi ro ole Auußcvei: sa also W e Zeit, wo auch die attischen Thesmophorien im II „begangen wurden; und dieser entspricht auch. der kretische „Mobis vom 23sten September bis 23sten October, bei welchem. nur die Jamensform Gezuetfogieip im Hemerol. Florent. auffällt. | Wie weit | überhaupt dieser Cultus sich erstreckte, lehrt die Ubersicht bei du Theil in Mém, de Acad. d. Inser. IT. XXXIX, p. 210 fgg. und Preller Demeter und Persephone S. 847 (gg.; in kalendarischer Beziehung finden wir ihn jedoch nirgends weiter; mau müsste denn in Tenus C. I. n. 2338, lin. 113 an der Stelle, wo Böckh gewiss mit Unrecht einen Ae vos erkennen will, aus den Buchstaben: OZMTOYM. NOÈ, einen Oespopopiay Sai emendiren, der zwischen Wee und Arar rug zus an seinem laue wäre asb Rin COSS 0 r rd nos SDa a . unge sanfang in ee . Ln 2817. ue i in ëmge inet von Yorke für Hegicmt, vgl. Schol, Aesch. Agam. 544, obgleich das Verhältniss seiner Lage zu den. Een zer es schwer macht; ihn in die eigentliche Ärndtezeit zu setzen. Quos au Cierium in Thessalien, wahrscheinlich Opfermonat, wie V Vë (Ove zu Rëraark Schol. Pind; Olymp T III. 33, von Böckh in Auge vos verbesserl.) le ere im Sat GN Kolonie vom; ane, ban, bis, 23sten März, ‚offenbar römischen Ursprungs. (KEE ros oder EiAusos, auch Lunzme, in Delphi, Géi er e. das und desshalb wahrscheinlich; dem attischen Exaroπανe· ente SS ‚ -aprechend;; vgl. de anno Delphico, p: 15. Den Namen leitet Böckh C user. I. I, p. 814 von Dem oder, iNe, festlichen; Schaaren, wie bei Pindar Nem. V. 353 Lr uw eb ores Me eu arte He Hi Hey : ge or Ta und so wenig mich diese Erklärung ganz befriedigt, so kann ich doch eine bessere misket mehr als Curtius Anecdd. Delph. p. 29 aufstellen. 2104 >» KARL FRIEDRICH HERMANN | LAM zu Hierapytna auf Kreta, nach- der Aaugzag Ius, die wir bei Athenaeus III, p. 109 und X, p. 416 zunächst in Syrakus kennen lernen, die uns aber auch in Rhodus bei Diodor. Sic. V. 56 als Nymphe IA, begegnet; vgl. Heffters Götterdienste auf Rhodus H. III, S. 26 und Preller ad Polemon. p. 71. IAdAH NL erklärt: Hesyehius‘ T. H, p. 44 rox vo po y, vc, vorriuov, und ri eme räv dAevdav es wird also wohl an einen Arndtemonat zu denken sein. ; TovA/nos in Aphrodisias, Tor Aae in dem kleinasiatischen Kalenderbruch- stücke bei Dubois, und gewiss auch als.’JouAsos in Cypern, obgleich die Mehrzahl der Menologien hier Lob, Epiphanius de Häeres! LI. 24 Jovxos schreibt; alle drei unter römischem Einflusse entstanden, darum | étt: nicht mit dem römischen Juli zu vergleichen, wie denn der eypri- sche ausdrücklich d ka vom 228ten December bis Lssten Januar umlasst. t de n zu Eretria, unstreitig von einem Pete des Tloseidav n be- nannt, dessen Cultus dem pferdereichen Eilande Euböa Aus doppeltem Grunde zukam. Da er C. I. n. 2265 mit dem Monate der IAvyrijgie in Parus verglichen wird, so scheint er, vorausgesetzt, dass diese dort gë nämlichen Zeit wie in Athen (am 25sten Thargelion, Plut. V. Alcib. el! 34) ‚gefeiert‘ wurden, etwa dem Juni entsprochen zu haben. Immod pouts in Böotien, Lamia, und dem Atolischen Kallipolis. Den böoti- Br a Monat vergleicht Pidtarch We Camill. c. 19 mit dem attischen rarougalv; was auch durch V. Ages. c. 28 bestätigt wird; dass er in Lamia in ar achten Stelle erscheint, begründet keinen wesentlichen Unterschied, atlich wenn wir uns erinnern, dass der erste böotische Monat mitunter schon dem Iloresdewv entsprach. Im übrigen ist Joce- da in mods Hes s. v. a. Deeg, vgl. Pindar. Isthm. I. 54. ER in Thessalien, nach der Lands Trivia, welche als uralte böo- tische Gottheit auch in den früheren Sitzen dieses Stammes zurückge- blieben und hier von den Thessalern angenommen war; vgl. Müller in d. Hall. Eneyklop. Sect. III, B. S. 103 0b der rs in der In- schrift von Tauromenium N. u, col. t, lin. 20 auch hierher gehört, will ich nicht entscheiden: s. Beil. II. ee "29 | G i ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE! eic. Se ‘105 Rad gos im asianischen Kalender vom 24sten September bis 23sten Octo- ber, im eyprischen''vom 24sten Januar bis 20sten Februar, beide unab- hängig von einander, wie auch der en in e „aus der Schmeichelei gegen Rom hervorgegangen. Karapiıay in Cyrikus und Olbia, ielleiche: suchi in Eaei ken Hohl ursprünglich ionischer Monat, dem in Attika der rein örtliche Movvuxior entspricht, ` Über den Namen s. Böckh C. Inser, T. II, p. 139 und 920, der aber selbst keine bestimmte Ableitung gibt, sondern nur die Rechtschreibung gegen die ältere Lesart K Again vertheidigt; auch Marquardis (Cyzikus und sein Gebiet, S. 138) Erinnerung an den gos NN bei emen por Cor. f. 129 fruchtet nur so viel, dass man nicht geradezu an eine na hichiliche Ableitung von xci Ace- weg zu denken braucht, obgleich es an A ein ganz richtiger Gedanke von Belley ist, dass Kakanaia ein ee de Fest wie ees: sie u. dgl. gewesen sein könne. | Kagesos zu Chaleum in Lokris, also kein ZS kai wie Böckh E Juge, T. I, p. 733 annimmt; übrigens sehr unklar, so wenig auch gerade in jener ur an den dorisch- Geer Bomen zu: denken sein wird. Kaęveros oder anne (Sthal Aa v. 83), der — KE Ge V. 54) des Karneischen Apoll, dessen ursprünglich amyklzische Feier (Pausan. III. 13. 3) von den dorischen Eroberern zu einem Hauptfeste erhoben und auch über ihre Colonien verbreitet worden war; vgl. Müllers Orchom. S. 327, Dorier B. I, S. 355, und Welcker in Heckers medic, Annalen Mai 1832, 8. 28 fg. So finden wir dann auch den entspre- chenden Monat ausser Sparta in Nisyrus und dürfen ihn gewiss auch in Thera, Cyrene u. s. W. voraussetzen, vgl. Spanheim ad Callim. P 126 fgg.; ala aber begegnet er uns in Sieilien zu Syrakus, Gela, Agrigent, Tauromenium; und bestätigt hier auch die Zeitbestimmung, welche wir für das Mutterland nur annäherungsweise aus der Lage seines Festes bei Herato VIII. 72 zwischen den Olympien (Hekatombäon) und der Schlacht bei Salamis (Boedromion) entnehmen könnten. Für Tauromenium freilich hängt die Construction des Kalenders theilweise selbst erst von der Stel- Histor.- Phil. Classe II. 106 KARL FRIEDRICH HERMANN lung ab, welche der Kgretos erhalten soll; in Syrakus dagegen setzt ihn Plutarch V. Nic. 28 geradezu dem athenischen Merayssrrıwr. gleich, und insofern‘ wir annehmen dürfen, dass in den älteren dorischen Colo- nien wie in Sparta das Jahr mit der Herbstnachigleiche anfing, so ent- spricht es jener Besumminig auch nur vollkommen, wenn der Kapvezos Au Gela in das zweite Semester, in Agrigent gar in das sechste Sechstheil des Jahres gesetzt wird. Die einzige Frage bleibt also, ob er der eilfte oder zwölfte Monat des Jahres gewesen sei, und hier entscheidet sich allerdings Corsini Fast. Ait. T. II, p. 421 aus dem Grunde für das letz- tere, weil das im KiægpeTos erlassene Decret von Gela einen Gymuasiarchen am Schlusse seiner Amisführung belobe; doch konnte dieses ebensowohl wie die Rechnungsablage der delphischen Amphiktyonen im Thargelion (C. L n. 158) durch einen besondern Festeyklus auch schon im eilften Monate möglich werden, während überwiegende Gründe die zwölfte Stelle für den Ildvanos in Anspruch nehmen. Dass die Glosse des Schol. Zeng? V. 54 bel van Dale Diss. ahligten illustr. p. 772: o r wvoucgero,.ini keinerlei Betracht kommen kann, versteht sich von selbst. Kovugowos in Akarnanien; vgl. Böckh C. Inscr. T. II, p. 3: Apollineum vero mensem,- qualem Aotii exspecies, recte habet Viscoutius, memor Apollinis Kogoncio apud :Nicándrüm; Theriac.,614, ut nunc legitur ; olim Reeugage, ` Hun probabilèe est esse d Thessaliae oppido ne denominatuim, ut testalur \scholiasies Nicandri, accedente Stepliano Byzant. s. v. Kogan: quanquamı de eg loco ita dubitar unt Sg ut.aliam lectionem inferre. in Nicundrum voluerint. Koövsos bei Plutarch V. Thes. c. 12 oder der allgemeinen Analogie zufolge wohl richtiger mit Eiymol. M. p. 321 und der ungedruckten Abhandlung bei Iriarte Codd. Matr, p- 378 Reopep, der alte Name des alhenischen Exc roꝶ ,h, von dem Feste der Koövie, das auch später noph am {2ten dieses Monats gefeiert ward; vgl. Demosth. adv. Timocr. .$. 26 und mehr bei Bergk Com. Au. reliqu. p. 195 und an Myihol. B. II, S. 52 und 65. Seltsam ist es freilich, dass nach Philochorus bei Macrob. Saturn. I. 10 Cekrops, indem er den Cultus des Saturnus und ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDR' etc. 107 der Ops einführte,; verordnet haben sollte, t patres familiarum et frugibus et fructibus jam coactis passiin cum servis vesce- rentur , 'cum-quibus patientiam laboris in colendo rure toleraverant, wodurch die Kronien mehr als ein Winterfest nach Art der römischen Saturnalien erscheinen; ob aber daraus eine Stütze für eeh Ansicht (Comm. de Dionysiis in Abhh. d. Berl. Akad. 1804-11, 8. 78 fgg.) er- wachse, dass auch der Jahresanfang ursprünglich in jene Zeil gefallen sei, ist um so unwahrscheinlicher, als die Erwähnung der Ops jene ganze Nachricht selbst verdächtig macht. Tzetzes lächerlicher Irrthum Bac Hesiodi Opp. 502), der den Kronion als besonderen Monat an der. dritten Stelle des attischen 3 aufführt, ist bereite‘ von Gaza en | (aerer Kdt ve id in clue offenbar der SEH ET dessen Lage er auch so weit entspricht, als die allgemeine Verschiebung in späterer Zeit es zulässt; die dialektische Anderung des Anlautes kann um so weniger auffallen, als der attische Name er von uv statt Gen abgeleitet wird; vgl. Phot. Lex. p. 471. P d e mob Jud Jed Aer im asianischen Sonnenjahre vom re Sg bis 23sten tember; ob noch aus der 2 1 eee m über Kleinasien stammend? a ( Bone in Sicilien bei Tor orremuzza, ER REN nur IH Käsch für ` Badpauios, wie se H Raoul - eenig in Ween Rhein. "Mus. B. IV, S. 84 vermuthel.) , mai? A4 pre in e Ae v daft 2 tele die Som- mermonat. Der Name erinnert an Artemis, die wir als Nc gl bei Pausan. IV. 31 und VIE 18 in Kalydon, bei Anton. Liber. c. 50 in Ce- Phallenia finden; und welcher entsprechend auch ein "Amok A aus dem Nd O gie oder Afesuge der Hdsch. bei Strabo X, p. 459 für Kalydon hergestellt werden zu müssen scheint, vgl. Gött. philol Bibl. B. III, S. 439; und wenn auch derselbe Beiname von Lykophron: v. 356 für Athene, v. 835 für Hermes gebraucht wird, so liegt es doch am näch- sten, den Monat von Erineos für einen ätolischen zu halten, welchen der mächtige Nachbarstaat der dorischen Metropolis mitgetheilt habe. 02 1 E 108 KARL FRIEDRICH HERMANN: | _ Aux Oi in Lampsakus, wahrscheinlich nach demselben Feste, das wir C. I. n. 3066 in Teos finden: za) dvayyeAaı utran Tov eréfaror Tos Asuxd Oos PET Tas omovdas, wo Böckh p. 654 nicht ganz richtig geschrieben haben dürfte: Zeucathea gentilicia Echinadarum vbollemnia esse apertum est; ob aber dieses von Leukothea benannt? Dass diese mehrfach göttlich vera ward, sehn wir aus Aristot. Rhetor. II. 23.27 und Hesych.. T. II, p. 52: 'Ivaxız ogr) Asvrodas &v Kirn: auch Strabo XI, p. 498; die Beate aher wäre immerhin eigen- thümlich. BE in Astypaläa, BAER FE en dei wir als Aura in den ionischen Colonien Kleinasiens, Ephesus, Smyrna, Cyzikus, Lampsakus, auch in Neapel, und als Ayvasos noch in dem asianischen Kalender finden, wo selbst seine Lage vom 24sten Januar bis 21sten Februar derjenigen, die uns für den Aapaudp überliefert ist, so weit entspricht, als die mehrerwähnte Verschiebung der ionischen Monate in späterer Zeit es mit sich bringt. Denn dass der ionische Aucidvy zu- nächst auf den IIocesdece folgte und insofern dem attischen TauyAıwv gleich stand, geht aus den von Böeckh in Abhh. d. Berl. Akad. 1816, S. 50 fgg. angeführten | Zeugnissen, namenllich Proclus ad Hesiodi Opp. 502 und Aristid. Serm. Sacr. I unwiderleglich hervor und wird durch den Widerspruch von Fritzsche de ‚Lenaeis, Rostock 1837. 4 eben. so Wenig erschüttert, als durch die seltsamen Gründe, mit welchen Halma Hypotheses de Ptolemee, Paris 1820, p. 3 ihn auf den aitischen Moura. Ni verlegt hat. Selbst wenn Fritzsche Recht haben sollte, was hier nicht weiter untersucht werden kann, dass die Lenäen in Athen auf den ` Hoceidewv: fielen, würde darum der ionische Aurcid eben so wenig zum Hossidesv werden, als der Ara rouge mit dem IIucve Widv, der ; u mit dem Txigo pop verglichen werden kann; und wenn derselbe gar p. 14 einen attischen Auvcv, der dem IIcceidedv, und einen ionischen, der dem Ar ecru entsprochen habe, unterscheidet, so: hat ihn lediglich die obige Verschiebung irre geleitet, derzufolge allerdings später der Auci dem Februar, aber eg neben. ıhm der Ar Neοr 06 dem März entspricht. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. | 109 Avapos in Sicilien (Exyx) bei Torremuzza p. LXXIII; sonst unbekannt, und nach Hrn. Prof. Franz brieflicher Vermuthung vielleicht nur falsch ER gelesen ‚fü Henn, obgleich derselbe andererseits in den Spuren einer menitanischen Inschrift aueh die e gg eines Avasos Be h Avweos.in..Lamia,, wahrscheinlich ES dea wie ech goen) M. p. 571 die römischen Lupercalien Avxex nennt. Griechenland freilich kennt ‚Alina zunächst nur in Arkadien (Sehol. Pind. Olymp. VII. 152); doch steht nichts im Wege, wo nicht den Zeus Axas, doch den Apollo Auxeids auch in Thessalien verehrt zu denken. ©00 Ados in Macedonien der zehnte Monat, also SCH nb, obgleich er KE? die mehrbesprocbene Verschiebung später zum August (Suidas) oller Sepiember (Tyrus), ja October (Sidon) wurde. Wenn das Hemerol. Florent. auch in Cypern den Zeitraum vom 23sten: August bis 22sten Sept. Acos statt des anderswo aufgeführten Popeios nennt, so ist das wahrscheinlich nur Verwechselung, um so weniger aber Ursache vorhan- den, mit Engel Kypros B. I, S. 548 statt dessen Awos zu schreiben. Was den Namen betrifft, so schwankt er zwischen der Schreibung Acos und Adios oder Agos: erstere steht durch Inschriften (C. I. n. 21324) fest; letztere aber erkennen die Grammatiker, wie z. B. Arcadius de accent. p- 38 und 40, ausdrücklich an; und wofern die Analogie mit Oc nicht täuscht, dürfte sie leicht die ursprüngliche gewesen sein. NEEN der fünfte Monat des athenischen Jahres, nicht wie seit Gaza vielfach gelehrt worden, der vierte; vgl. Lehrb. der griech. Staats- alterıh. §. 127, n. 6; also zunächst November: wenn Epiphan. de Haeres. LI. 24, p. 446 ihn dem römischen Januar vergleicht, so beruht dieses auf der von Ideler B. I, S. 360 und 418 besprochenen späteren Modifi- cation des Sonnenjahres, die den Hekatombäon an die Stelle des Boedro- mion gerückt hatte. Über den Namen s. wi ee P 191: de dcr. d cn Ad maınderov’ paiidnrys Ò Eoriv ò èvĝovoiwdys zu) rege riss, ds Ono. Avsınaxidns ër ra wepi tav Ars umwär' gear d Ni res rod xi es EY rer TE Ane d ang regdr- TETAI Kai nere H : übrigens ſinden wir ihn ausser Athen nur 110 KARL FRIEDRICH HERMANN noch in Ceos; in den übrigen ionischen Städten scheint: seine Belle der Ara robęidv eingenommen zu haben: , Maxavevus, der vorletzte Monat des korcyräischen Abr, ob von Machaon oder von piy%evy oder woher sonst benannt, wage ich eben so’ wenig wie meine Vorgänger zu entscheiden, hn Meraysirviov, der zweite Monat des athenischen Jahres, ausser Athen aber nicht nachweisbar, wie denn auch der Name selbst auf eine ganz örtliche Ursache zurückgeführt wird. Die Angabe des Schol. Thucyd. II. 15 scheint zwar nur auf Verwechselung mit den Synökien oder Metökien am 16ten Hekatombäon zu beruhen; s. m. Lehrbuch d. Staats- alterth. §. 97, n. 8; dagegen vgl. Plularch. de Exilio e. 6: & ovv EE vo. sai dmoAides. el "Aäaraiag oi neraorävres èx MeXitys eis Au. uide, Zou ai piva Meraysrriove nal Hug er ,' dyovcs ro ueruxıcpod Ta Merayetryi, mit Meursius Lectt. Att. I. 10; auch der A An perayeitvios, welchen Suidas als nn e Festes bezeichnet, ist sonst unbekannt. Merd 0x.40s in Kreta vom 24sten Detenbes bis 23sten N vielleicht den Beamtenwechsel bezeichnend. Ma rowos. in Bithynien, vom 23sten November bis 23sten Dedahbii, dem vorderasiatischen Cultus der grossen Göttermutter entsprechend. ` Mino, ugoe Monatsname bei Lucian Vera Hist. II. 13. Movruo xt, der zehnte Monat des attischen Jahres, der aber ausser Delus in keinem weiteren ionischen Kalender gefunden wird, wahrscheinlich weil der Beiname der Artemis, welchem er entspricht, zum örtlichen Cultus von Atlika gehörte; vgl. Curtius de portubus Alhenarum p. 26 und über das Fest der Munychien (am Vollmondstage; vgl. Plutarch. glor. Athen. c. 7; Suidas T. I, p. 182) mehr we — S Menandr. p. 377 und Lobeck Aglaoph. p. 1062, Nexvcsos in Kreta vom 24sten Juli bis Osten) ee der Monat der Todtenfeier, wie sie allerwärts in Griechenland vorkam (Meursii Graecia ferıata in Opp. p. 926; Schömann ad Isaeum p. 222; Nitzsch erklär. Anmerk. z.. Odyssee B. III, S. 164), obne jedoch ec an eine: be- stimmte Zeit amp zu sein. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 111 (Nogay falsche Lesart für Movvvxiav bei Beda de tempp. rat. c. H vgl. Selden ad Marm. Oxon: p. 116.) i Za vis, auch Zaævdixos (Francke zu Richter. So: 197) und Eavdixos ge- schrieben, obgleich die letztere Schreibart bei Böckh C. Inser: T. H, p. 809 durch die Copien derselben Inschriften bei Hamilton nicht be- stätigt wird: der sechste Monat des macedonischen Jahres, der sich aber auch in gemischten Kalendern wie in Aphrodisias und Seleucia, hier als December, ſindet; nur in den kappadocischen, der ganz aus barbarischen Namen besteht, scheint er in einigen Menologien bloss irr- c -thümlicb durch zufällige Ähnlichkeit der ersten Silbe gekommen zu sein; vn vgl. Rente und Stern über die Monatsnamen einiger alter Völker, Berlin 1836. 8, S. 100. Den Namen erklärt. Hesychius T. II, p. 700: Zavgıxc Zeerg — Zavdıroö nde dogtsfra" dor) dè en Boun zit ora rei rον: wenn ihn aber darum Francke S. 184 mit dem attischen Oc zusammenstellt, so ist dieses eben so unhaltbar als die Aus- legung «/luvescius, der Monat, in welchem die Ahren gelb oder reif Verden als ob das Fest dem Monate und nicht dieser dem Feste seinen Namen dankte. Sali, wie allerdings am Nächsten liegt, an Ear$os ge- dacht werden, so ist dieses in der Bedeutung hel] oder rein zu neh- men, wie es auch Müller Dor. B. I, S. 302 als Beinamen ur deutet, ‚und ‚geht dann unmittelbar auf das Sühnfest selbst. Zë oAwios in Bäotien, von unge wisser Lage, aber in . Zusam- menhange mit dem Feste der ‘Opowia (Müller Orchom. S. 233) und dem homoloischen Thore in Theben, so unsicher auch wieder dessen ‚Ableitung ist, vgl. Unger Paradoxa Thebana p. 324 fgg. Die meisten Zeugen knüpfen das Wort an ein thessalisches Gebirg Oulu: die Vergleichung des macedonischen Agos aber empfiehlt den Gedanken, dass hierin der wahre Kern des Wortes liege und der Zeus Zuch Ae etwa wie ein öpdyvgsos zu betrachten sei; sollte es erlaubt sein, an den Stamm Aclos, Ans zu denken? Ilavy epos, dorisch TIlávapos, und also wohl dich in der ben ben Sprache richtiger. Tlernuos, wie es durch zahlreiche Inschriften und bier und da selbst noch Codd.: geboten wird. Das dorische Tlavauos 112 KARL FRIEDRICH HERMANN haben zwar Mazocchi ad Tabb. Herael.: p. 208 und Kaoul-Rochette in Welckers Rhein. Mus. B. IV, S. 86 durch Analogien wie japös für iepos, Aęrauis für Aęreuis u. dgl. auf die gewohnte Form zurück zu füh- ren gesucht; die Länge der Penultima bestätigt aber selbst ein metrisches Zeugniss in Callim. Epigr. 48: N wegipeuye Mevkxgares, eima Tlavguov ` eixcadı wai Aaen TA Tivi; zë dexdry erh, und damit verschwindet dann auch die von Böckh in Abhh. der Berl. Akad. 1818, S. 93 aufgestellte Etymologie des Namens von way und Nene, so schwer es auch sein wird, dieselbe durch eine andere be- friedigende zu ersetzen. Überhaupt gehört dieser Monat bei seiner wei- ten Verbreitung durch alle Zweige der dorisch- äolischen Gruppe zu den schwierigsten Aufgaben der griechischen Menologie; und so entschieden auch Böckhs Behauptung S. 95: «dass der lonisch - böotisch-korin N 1111 thisch-argolische Panemos dem attischen Metageitnion schlechthin und ohne Rücksicht auf die Schaltperiode entsprochen habe, „ von Francke zu Richter S. 180, Schömann im Index lect. Gryph. 1832-33, Böhnecke Forschungen S. 312 gebilligt worden ist, so möchte ich sie doch viel- mehr dahin modificiren, dass im classischen Griechenland der neunte Monat nach der Wintersonnenwende als seine Normalzeit gelten dürfe, bis der Einfluss Macedoniens, das ihn als den neunten seines mit der Herbstnachtgleiche anfangenden Kalenders um drei Monate rückwärts verlegt hatte, Ursache ward, ihn je nach den späteren Modificationen dieses Kalenders als Juni, Juli, oder August zu zählen. Dass er in ‚Cyzikus dem TxigoPogiov entsprach, steht fest; und in ähnlicher Art äussert sich der macedonische Einfluss über ganz Vorderasien, wo nur Seleucia mit seinem II&venos als November völlig anomal erscheint; ge- setzt aber auch, was wenigstens durch den unächten Brief bei Demosthe- nes pro Cor. $. 157 nicht bewahrheitet werden kann, das macedonische Jahr habe ursprünglich anders angefangen, so würde dieser Anfang doch aller Wahrscheinlichkeit nach auf die Wintersonnenwende und damit der Panemus selbst vielmehr auf den Bondooumwv gefallen sein, mit welchem ihn auch jener Brief für Korinth geradezu vergleicht, und der ÜBER ‘GRIECHISCHE 'MONATSKUNDE eic. 113 jedenfalls grössere Wahrscheinlichkeit als der Meraysırvıdv in sich vereinigt. Sogar in Böotien,; dessen IIdvenos Plutarch V. Camill. e. 19 wirklich dem Mercelff ,, gleich setzt, sind wir nicht gehindert, ihn aus den bei dem “Immodeopios [ld TIgooraritgios entwickelten Gründen für den neunten Monat des mit der Bruma beginnenden Jahres zu hal- ten, wie er denn auch in Lamia eben diese Stelle einnimmt; und wenn er in Aetolien mit dem delphischen Bovx& verglichen wird,; so kann er auch dort auf keinen Fall früher als September gefallen sein. Was ſerner die dorischen Staaten betrifft, so habe ich schon de anno Delphico Pp. 20 bemerkt, dass hier die Stelle: des Merayerrviwv bereits durch den Kagveios oceüpirt ist, den wir 2. B. in Korinth gewiss eben so wohl wie in der Tochterstadt Syrakus voraussetzen dürfen; und wenn wir nun hier wahrnehmen, wie Kagveios und IIldvauos neben einander be- stehen und letzterer noch dazu als Schaltmonat dient, so wird derselbe auch hier vielmehr als der letzte vor dem Jahresschlusse oder der Herbst- nachtgleiche gelten dürfen. Aueh die Nemeen, welche nach dem pindari- schen Scholiasten S. 426 am 12ten Tage des Panemus gefeiert wurden, stehen dieser Bestimmung nicht im Wege: Corsinis Hekatombäon, den er nur durch Cirkelschlüsse und gewaltsame Textesänderung begründen konnte, ist von Böckh selbst S. 92 fgg. dergestalt beseitigt, dass man sich wundern muss, wie er bei Böhneke S. 46 und Krause Hellenika B. II, S. 129 auch nur noch einigen Glauben finden konnte; und das andere Scholion zu Olymp. VII. 147, wo es von den Tlepolemien zu Rhodus heisst: eiser d& mée Tegmietlou einoorz Teragrn Zuieo: aisen d zou Neuf Nu α EE, zeugt direct für den September, dem der Togriceios eben nach dem Sprachgebrauche der Grammatiker U (vgl. Suidas) entspricht. Mazocchis Versuch dagegen ad Tabb. Heracl. I. I, p. 208, die syromacedonische Bestimmung des Panemus als Juli bei Suidas auch auf das dorischitalische Heraklea: überzutragen, ist eben so unstatthaft nach Ort und Zeit, als sein eigener Beweis: cum in Panemi initium. tritura frugum et pensitatio praesoribatur, er eo luce mera clarius est Panemum non alium fuisse quam Julium, auf gänzlichem Missverstand der Stelle beruht: wenn die Entrichtung des Histor.- Phil, Classe II. P 114 KARL FRIEDRICH HERMANN Zinses auf den Panemus bestimmt, zugleich aber verordnet wird, wohin das Getreide W Eee es etwa früher ausgedroschen sein sollte (xalx Zumgos Ba dmodwwvri, ‚dnakorrı.&s tòn: dH Zeep rA), so muss een oh. wohl, N 8 . als die zritura fallen. Das zu ei gen: von einem Ka E Eiern obschon eben daraus sein relativ jüngerer Ursprung hervorgeht. d IIc p9 blos, einer der beiden Sommermonate, in welchen zu Elis die olympischen Spiele gefeiert wurden, vielleicht nach der “Hog IIc evi, unter welchem Namen diese mehrfach im Peloponnes aach, BR vgl. Schol. Pind. Olymp. VI. 150 und Apollon. Rhod. I. 187. eni ese mies oder Iegiémesos- in Bithynien, auch IIęismios (Cramer), en (Gyraldus), Ilego&mıos (Usserius), ja Ilpferios (St. Croix) geschrieben, jeden- falls aber der nämliche Monat, wenn auch das Hemerol. Florent. ihn vor den Apeios vom ‚24sien Mai bis 22sten Juni setzt und dadurch allerdings die gewöhnliche Ordnung, nach welcher er dem Juli entsprechen müsste, verkehrt. Schwieriger ist die Frage nach der richtigen- Namensform, die schwerlich ohne Conjectur getroffen werden kann: einerseits liegt der macedonische Hegirias nahe, andererseits dürfte jedoch vielleicht besser nach dem Gotte von Lampsakus IIęsierios ein Seitenstück zu den übri- gen fast durchgehends von ‚Ganheiten, —— Aer dieses Kalenders darbieien. 10 Ueęirios, der vierte Monat des pse a Anan ER Name un- streitig in der verdorbenen Glosse bei Hesychius T. II, p. 938 enthalten ist: Hegamk rei sai Ilegi res“ IIegai res ud o QuAaxes, Hegmersia dè Maxedovsen sogrij. Schon die Reihefolge der Buchstaben lehrt hier, wie auch Vossius- bereits, gesehn hat, dass IIegiria zu lesen ist; und \ stecke auch in IIegiñres was da wolle, 80 führt schon die Bedeutung yon, Wächtern auf ggubvcl, circumire, was wir dann auch in den Peritien als Ambarvalien wieder erkennen können; vgl. re godos für wegiodos. bei Pindar Nem. XI. 40 und mehr bei Ahrens T. II, p. 357. Die falsche Schreibart Iegeirios in e der Fine kann be- greiflicherweise nicht im Wege stehn: en > ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDEN etc. 115 MAI ún aros in: Cypern: vom 24sten Mai bis 22sten Juni; fälschlich bei andern IIAngurros, ja Tang umares (Matthäi) und Ian u T8 (St. Croix) BRENNT die richtige Lesart, die eine multitudo Shula- tuum ausdrückt, bestätigen auch Acta Sanct. T. II, p. 451. Horrgömsos in Delphi nach Curtius, nach C. I. n. 1709 ee Br eigent- lich Arer rens, woraus ich de anno Delphico GA) die richtige Lesart Iorrębmios, d. h. %, supplicatorius, ermittelt zu haben glaube. Nach Etym. M. p. 678 würden wir freilich schon in der über- ee Form die Präposition erkennen dürfen: re? mag‘ "Apelis" dvr oe nori, dPaıpkoei ro 1 gra od, wo selbst H. Ahrens nach brieflicher Mittheilung auf die de dial. p. 364 empfohlene Emendation "694 jetzt verzichten will; inzwischen kann ich mich von so unorgani- scher Ausstossung einer wurzelhaften zenuis noch nicht überzeugen. Er gehört der ersten Jahreshälfte und er als Sen (Gring dem Ende derselben (Februar) an. Ze in Amphissa; dem. delphischen Hęcdx Ne, ns eie also Mai, was zu einem Monate der Schafschur Geisel gut passt, vgl. Voss zu Virg. , Ste S. 645. Denselben Namen auch in Tauromenium zu 1 ergänzen, hat H. Prof. Franz jetzt selbst verzichtet; s. Beil. II. Ildvros in Kreta vom 23sten April bis 23sten Mai; der Name an sich Sank aber ohne ersichtliche kalendarische Beziehung. Iloosıdewv, der verbreitetste ionische Monatsname; bag neben ve noch Delus, Cyzikus;, Ephesus, Tenus, Teos; vielleicht auch Andros darbieten, und der selbst im asianischen Kalender neben den übrigen Formen auf cos mit ionischer Bildung vorliegt. Nur in dem Bruchstücke bei Dubois begegnet uns die andere Form IIocideios; wenn dagegen Corsini Fast. Alt. T. II, p. 427 auch in Sicilien bei Strabo VI, p. 269 einen Monat > Torsidesiv erblicken will, so hat darauf schon ‘Torremuzza p. Lxvin er- ` widertz viri clarissimi in hujusmodi ` argumento ingenium laudo; dententiam vero non tum Facile amplectendam duco, antequam de mens is hujus nomine apud Siculos veterum monumentorum ‘auxilio © aliunde constet; und wirklich besagen Strabos Worte eege das Gewünschte: rau! ra Moedor Qaivnrar a negl TÒ Zeg, c- P2 116 KARL FRIEDRICH HERMANN ` u. Teppir m Bel Ne. zë ron Karavasem NI. Erst Xylander hat hier durch Conjeetur IIocesdeci eingeführt; Casaubonus aber be- merkt mit Recht, cui vero. persuadebit Xylander rò reg TO) gos semper mense; Decembri contingere? und wenn die Stelle doch emendirt werden muss, 80 vertauscht man besser das auch bei Xylanders Lesart lästige alynra⸗ mit Kan wodurch der einzig passende Sinn ent- steht: wenn Poseidon (durch Erdbeben) die Umgegend des Berges er- schüttert“ u. s. w. Ubrigens kann über die Lage des Monats eben so wenig Zweifel obwalten als über seine Herleitung von dem angestammten Cultus des Poseidon von Helice (Herod. I. 148), für dessen Fest wir neben Tlosadavıc (wie in, Tenus, vgl. Strabo X, p. 487) auch die Form Ioceldem oder IIocidi (Hesych. T. II, p. 1010) voraussetzen dürfen: die Zeit ist der stürmische Winter zunächst vor der Sonnenwende (Schol. Iliad. XV. 192), wo er dann auch wenigstens in Athen als Schluss der ersten Jahreshälfte zum Schaltmonate diente. Erst mit der späteren Verschiebung tritt er um eine Stelle weiter, so dass er im asianischen Jahre vom 25slen December bis 23sten' Januar dauert und von Plutarch V. Caes. c. 37 schlechthin mit dem Januar verglichen wird; und als zu- letzt der Anthesterion dem April entsprach (s. oben S. 73, Note 1), so konnte er selbst auf den Februar rücken, woher es dann bei Stephanus Append. Thes. T. VIII, p. 710 heisst: Aapaedp ò ai Ilorsideöv ó De- Bpovdpios, ohne dass jedoch darin ein Grund läge, mit Fritzsche de Lenaeis D Bt: Jenes eine Mats anheben en undi dem er vorauszusetzen. 5 A Dese dange? Auf. den Henkeln Inden Gefässe, die in der Nähe von Olbia gefunden zu werden pflegen, aber nach dem Berichterstatter in der N. Jen. Lit. Z. 1842, N. 180 aus Rhodus und anderen dorischen d Colonien dorch Tausch dorthin gekommen zu sein scheinen, findet sich neben andern Monatsnamen Axgid vios, Agrenirios, Aci los, die wir namentlich auch aus Sicilien kennen, zwei oder dreimal ein IIocesdubvios, der, wenn er auch an sich eben so gut Name eines Mannes sein könnte, doch namentlich an der einen Stelle N. 10 unverkennbar als Monat da- steht. Die Abschriſt gibt zwar dorvyoueu(vros). Igavunov: roi Ipwpunov ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 117 qot Ilocsıdoviov “Ioriætos: da es aber unerhört ist, dass der Name einer Magistratsperson nicht allein durch ihren Vater, sondern auch durch den Grossvater bezeichnet werde, so wird das zweite rop nur auf Versehen beruhen, und der Sika vielmehr so zu fassen sein, dass zuerst der Name des Eponymus, dann der Monat, und zuletzt der Verfertiger stehe, woraus dann auch auf N. 19: "Rauen Tlorsidwviov ’Idaxov, ein Licht fällt. Wohin übrigens diese Monate zunächst gehören, wird sich schwer entscheiden lassen; direct an Sicilien zu denken verbietet die hohe Wahrscheinlichkeit, dass die sicilischen Monate selbst grossentheils nur die gemeinschaftlichen des älteren dorischen Kalenders waren, die sich gewiss auch in den östlichen Colonien im Gebrauche erhalten hatten. Moosraryosos in Böotien, von Plutarch Qu. Symp. III. 7. 1 dem attischen Ar eg rns verglichen: rop veov olvov AEG. Evdexary unves xatdoxovræi, mıdoylar Tiv jpégav nadoüyres... mag uw ds ô vir unn zaheirer Igosrarhpios, Exry Ò iotapévov v e , Qu- vavres dt Ye O daimovi . vEov oivou: denn dass dort nur der Ay Herne gemeint ist, beweist die andere Stelle VIII. 10. 3: zu une olvöv ye rey ov oi mowiairare mivovres Aräsozapein mivovas un perd xemava, nal tiv pépa Exeivyv Zug ër dd o do, ` “povos, "Aaen de mıYosyiav moosayogevovos. Corsini T. I, p. 412 hat sich zwar durch Dodwell verleiten lassen, ihn vielmehr dem ’EA«- Ongo Y gleichzusetzen, weil allerdings Bovxdrios und 'Eppaios schon die beiden ersten Stellen des mit der Wintersonnenwende beginnenden Jahres einnehmen; wenn man aber sieht, wie Plutarch einerseits den Ioceisdec mit dem Januar, andererseits den "Eoyerios mit dem Taunııwv vergleicht, so wird es auch keine Schwierigkeit haben, den IIgosrarxgios "als den dritten mit dem ’Av$eoragsov gleichzusetzen, obgleich er dann ebensowohl März als Februar sein kann. Auch der Name kommt un- streitig von einem Feste des 'AróAAwy meoordrys (Soph. Trach. 208) oder moosrarnoios, vgl. Soph. Electra 637, Demosth. Mid. §. 52, Böckh C. Inser. T. I, p. 466, obgleich auch eine wgoorarngia "Aprepis bei Aesch. Sept. 434 vorkommt, und jenes Epitheton von jedem schützenden Gotte gebraucht werden konnte. 118 KARL FRIEDRICH HERMANN Ivaverbiıwv, der vierte Monat des attischen Jahres, von dem Feste der Pyanepsien, fälschlich von manchen II ua Wie genannt, vgl. Harpocrat. p. 259 und über die Etymologie Pollux VI. 61 und Eustath. ad Iliad. II. 552; XIII. 589; XXII. 495: Ao zu) ue lie, Akyeodgai oiov xvapépiæ di TO mvauovs (ud vous) arg rege zoue zvduovs NO. PaßivSsos in Kreta vom 24sten Mai bis 22sten Juni; vielleicht s. v. a. EgeßivYuos, so dass. er dem vorstehenden Ilvavaı)ıov wenigstens der Bedeutung nach entspräche? Pwnatos in Cypern. vom 23sten August bis 22sten September, fälschlich im Hemerol. Florent. Awos genannt. Degœc ros ebendaselbst vom 21sten Februar bis 22sten März; x nicht etwa der römische August, dem er dem Namen nach entspricht. Nur wenn wir im Gloss. Portense p. 8 lesen dürften: Sebastus perintorum lingua Augustus (die Hdschr. hat 4G) mensis dicitur, läge ein. Bei- spiel wörtlicher Übertragung der römischen Zeitrechnung vor; doch ist jene Glosse eben so apokryphisch, wie die darüber geschriebene: Saba- stos elenorum lingua januarius mensis; und jedenfalls ist schon bei Jop lasos und Ragdege bemerkt, wie solche unter römischem Einflusse entstandene Namen keineswegs chronologische Ubereinstimmung voraus- setzen. Ganz vereinzelt, sowohl was. Zeitlage als Grtlichkeit betrifft, steht endlich der Segacrés einer bithynischen Inschrift bei Hamilton n. 5: Zrovs TBI Anras Zeßacros (l. Teggac rob); der bitliypigehe, Lan- deskalender kennt ihn wenigstens nicht. Txigo og (nicht Tris go Poi ν), der zwölfte Monat des * Jahres, nach dem Feste der And Exipas am Iten jenes Monats; vgl. Schal, Aristoph. Eccl. 18 und mehr bei Christie inquiry into the ancient game Greek, London 1801. 4, p- 98 fgg.; Müller in der Hall. Encykl. Sect. III, B. X, S. 87; Gerhard Vasenbilder B. SC? 137 und über die Minervenidole Athens in Abhh. d. Berl; Akad. 1842. Zrgaryyıos oder vielleicht richtiger Zroxreios (Stephanus; Sep Treschow und Matthäi) in Bithynien vom 23sten April bis 23sten Mai. Die Etymologie ist nicht völlig klar; doch wird man nicht sowohl an militärische Beamte als an den Beinamen eines Gottes denken dürfen, ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 119 wie der Zeus Zirpdrios in Labranda, vgl. Creuzers Symbolik B. IV, S. 62; auch Ares, s. Phot. Lex. p. 542. ZTgatovsmos. im asianischen Kalender vom 24sten Mai bis 23sten Juni. Er steht zu den Namen Stratonice und Stratonicea in demselben Ver- hältniss, wie der Auodixios zu Laodice und Laodicea; wird aber eben so wenig wie dieser auf eine bestimmte Beziehung zurückzuführen sein. (Tur Naos fälschlich von Corsini T. II, p. 443 unter die delphischen Monate gezählt; vgl. Müller Orchom. S. 473 und über die Confusion, woraus dieser Irrthum hervorgegangen ist, Böckh C. Inscr. T. I, p. 784.) Tavęede in Cyzikus von unbestimmter Lage, ausser dass er zwischen Juli und October fallen muss. Dass er mit dem astronomischen Tavgav nichts zu thun hat, versteht sich von selbst; die Benennung kommt, wie schon in der Recension von Villoisons Apollonius in der Göttinger 2 Bibl. B. II, S. 457 richtig bemerkt ist, von dem Feste Toaderg, Logrij qis dyopévy Togeidavos, bei Hearen. T. II, p. 1352; und da nach Athenäus X. 25 regel Eeclois oi olvoxcouvres I e Y rod Moce dvs ogri zeien EnaAovvro, 5O- Könnte dieses Fest und der ihm entsprechende Monat auch dort einheimisch gewesen sein. Tı 829 g405 im asianischen Kalender vom 24sten October bis 23sten nber zunächst auf den Kids folgend, und ähnlich vielleicht auch in Apbradieias, obgleich hier kaum der Name feststeht. Toxiavos Beßacris in Aphrodisias. | Ta ies in Thera, Rhodus und Sicilien, und gewiss auch noch in manchem dorischen Staate des Peloponnes, wo das Hyacinthienfest ein- heimisch war (in Amyklä, Müller Dorier B. I, S. 354, Welcker in Allg. Schulz. 1830, S. 21, Schwenck im Rhein. Mus. B. VI, S. 539), obgleich gerade in Sparta der Monat dieses Festes vielmehr Exarouge genannt wird. Was seine Lage betrifft, so ist dafür insbesondere die Nachricht z d bei Herodot IX. 5 entscheidend, dass, als die Athener im J. 479 zum zweiten Male hatten ihre Stadt vor den Persern räumen müssen, ihr nach Sparta gesandtes Hülfgesuch dort gerade zur Zeit der Hyacinthien ankam; denn wenn nach demselben IX. 3 zwischen der ersten und zwei- ten Einnahme Athens zehn Monate verstrichen waren, die erstere aber 10 KARL FRIEDRICH HERMANN ÜBER GRIECH. MONATSKUNDE etc. wegen der Gleichzeitigkeit der Schlacht an den Thermopylen mit den olympischen Spielen (VII. 206) nicht wohl vor den Meraysırviav gesetzt werden kann, so fällt die zweite in den ZxıpoPogiwv, und ergibt sich also auch ganz abgesehn von der Namensähnlichkeit des Exaroußevs der attische "Exaroußaiwv als die Zeit, welcher die Hyacinthien und folg- lich auch der von ihnen benannte Monat angehören; vgl. Sievers Gesch. Griechenlands S. 386. Anders rechnet freilich Corsini- Fast. Ait. T. II, p. 452 und Diss. agon. p. 123, und stützt sich dabei namentlich auf Xenoph. Hellen. IV. 5, wo die Hyacinihien kurz nach den isthmischen Spielen folgen, so dass, wenn wir mit ihm jene Begebenheit Ol. XCVI. 3 und die Isthmien in den Movvuyray setzten, für jene vielmehr der OœgDνν,ͤÜpj sich ergäbe; dagegen hat inzwischen schon Sievers richtig bemerkt, dass wegen Xenoph. Agesil. II. 17 die Ereignisse des fraglichen Capitels mit Dodwell in den Sommer des Jahres 392, also Ol. XCVII. 1 zu verlegen sind, wo Corsini selbst die Isthmien auf den "Exaroußawv setzt, und urtheile man also auch von dieser letzteren Bestimmung wie man wolle, so kann daraus wenigstens kein Grund gegen die Lage der Hyacinthien und ihres Monats hervorgehn. rat tn Treggegerafos, der zwölfte Monat des macedonischen Jahres, also zu- nächst September (Galen), dann October u. s. Ww. In Kreta, wo wir den ähnlichen Namen Treggégeros vom 23sten Juni bis 23sten Juli finden, scheint er unabhängig von jenem nur nach einem ähnlichen Feste des hyperboräischen Apoll benannt zu sein; als Wintermonat dagegen, was er nach der Auffassung von F. G. Schwartz de Apollinis natura p. 58 gewesen sein müsste, ist er nirgends nachweisbar. f uus SML oαο in Sparta; richtiger vielleicht nach Hesychius .&Avdesos,- was dieser zugleich als einen Beinamen des Hermes aufführt; doch sieht darum nichts im Wege, die Ableitung von der Fruchtreife, welche: Stephanus Byz. für ioios gibt, auch auf jene andere Form überzu- tragen; vgl. Lobeck Pathol. serm. gr. p. 432. ®odrpsos im äolischen Cyme, unstreitig von einem Feste der Geschlechts- genossen, wie die attischen Apaturien, bei welchen ja selbst Zeus Qod- Tios. Hauptgegenstand der Verehrung war; vgl. Platners Beiträge zur Kenntniss des attischen Rechis S. 102. a 3e Xourraios in Lamia, nach Curtius Anecdd. Delph. p. 16 fortasse pro Xvrowios, was mit dem attischen Feste der Xürgo verglichen werden könnte; doch liegt er jedenfalls um einige Monate später als die attischen Anthesterien, von welehen jenes, Fest ein Theil: war. | t * Beilage II. Alphabetisches Verzeichniss der griechischen Städte und Völker, von welchen wir Monatsnamen kennen. D Histor. Phil. Classe II. A BES — eee! KE rng A ER N 19 Zorn Axe - sung 88411 zott VAA G ` Vputpwe oit 8 ji enget SR: Sot?) KE ’ Aa GN. Schol. Pind, geet ai: Lë d Abit dé: Gin Ae AYET Oed uoiov AmöAAuvos , gie, Er o e , Zoe re? bo e % al Ser, Dass die e e und wë 3401 Ka SA Havanos. ae, gea: c 1. E GC dearzeg Kax Neha reos pavos Bovary, êv H Arnd ergaben ki unvos Iavapov. Immodpönios?... s. Kallipolis. Asovvasos?... s. Naupaktus. ër ; Ss Er ic s. Erineos. Bu bu EIS. hy Jahresanfang uerd 11 Sen ö ionuepiav, "I IV. 37 Akarnanien. Kovpomos. C. I. n. 1793. Rose Inscr. gr. vetust. p. 283 vermuthet zwar: ypaupatéws dè tå Bovig Tlgoirov Tod Aloe los i Acer, P Kopru, so dass der Sinn wäre: scriba Prbeto Dio- Gr pithis lib e matrice urbe Corintho; ` Böckh SERIEN jedoch, dass Natropolis selbst eine akarnanische Stadt ist. Akrae s. Sicilien- ee a Raten Anschrift bei u p. 401 EC? Se P- 290 ` d'Aaeug teras dipnvov Kabveisv eEynonros warte: s- oben S. 75, Note 1 und Weiteres unten bei Sicilie n Age Dieser Stadt schreibt Böckh C. Inscr. T. II, p. 1019 ein Decret zu, wo er den Monat Ilogerdewy zu erkennen glaubt; wenn aber schon diese Namensform vielmehr auf eine ionische Stadt deutet, so wird die Endung ANAPON um so eher auf die Insel Andros führen, als das Decret einen Karystier betrifft.‘ 02 124 KARL FRIEDRICH HERMANN Amphissa. Aipaorvwr. C. I. n. 1607: &gxovros än èy XN Axel Hes Kapelu, èv dë Appice dgxovros .. oxov unvòs Alpacrvwvos. II xis. C. I. n. 1707: ever Zrgarayov nds IIoxiov, ws Au- Gees d you, &v AsAQors dè doxovros IIvęęla une, ‘Hoaxheiov : vgl. Curtius Anecdd. Delph. n. 3. Andros? IIoS elde? s. Alexandria. Antiochia. Macedonischer Kalender mit der syrisch - hellenistischen Ver- eg schiebung um einen Monat, wo der Treggegerats dem October, der Januar folglich dem Aas entspricht. Vgl: Noris de anno“ et epocha Syromacedonum III. 2 und Ideler B. I, 8. 430; über den ‚Jahresanfang auch Clintons Fast. Hell. T. III, P- 364 for, Aphrodisias. 1.82 910s, 3 2817 nach Böckhs Ergänzung. % An- fangsbuchstaben Ice 7.8... Unsicherer ist der folgende Anfang unvos On. TovAiyos c. I. n. 2827. 2836. Za v dies C. I. n. 2829 und Add. 28505. Tęalfavòs Zeßacros C. I. n. 2834. Tom“ C. I. n. 2840. 2843 und Add. 28375. Ä Kara Kee e Araber (Bostra im peträischen Arabien) echt e Monate. mit syrischer Verschiebung, und ägyptischer Eintheilung, s. Ideler B. I, S. 437; ihr Jahr fing nach Simplicius ad Aristot. Phys. V, p. 205 im Frühling an. 2018 760 t Argos. 'Eọppa?os. Plutarch. Mull. virt. c. 4: 27 dè payar oi Ain Sëädiug ~ Aéyovow ioranEvov uge, o dè vovunviæ yarkadın Todi viv pèn: rei ragrou mai dè- Epuaæio mag- Agyelassı ad I EXA ra "TB reAovcı: vgl. Polyaen.. Strateg: VIII. 33: Türe 78 orgari- Pià av Bue ` aExgı viv zen Tipas zn uiros: Eę- Hoi *. 7. X. Aude fuer und "Taxie werden. von Böckh C. Inser. T. II, p. „392° als Monate bezeichnet, die wahrscheinlich aus Argos nach Rhodus verpflanzt seien, ÜBER’ GRIECHISCHE: MONATSKUNDE' etc. 125 und verdienen Err e hier 3 zu werden; eben so scheint Hg 70s an dem pap des Heracultus 15 1 zu dürfen; ob dagegen auch IIdvenos mit Dodwell Aë vc p- 306 und Böckh ` in: Ak d. Berl. Akad. 1818, S. 93 für Argos anzunehmen sei, geht wenigstens aus den Worten des pindarischen Scholiasten Nem. p. 426: woo&oryoav dè v ddvos i τ%ν, Air KNeοοννν,ẽł era Kopiri, sai k Tiers, „> TeAoduevos u Tiavgmw, nicht mit Sicherheit hervor. Der Wortsinn führt vielmehr mit Corsini Diss. agon. p. 99 auf Korinth, wo wir jenen Monat auch sonst finden, und dass später Argos die Vorstandschaft der nemeischen Spiele behauptete (Krause Hellenika II. 2, S. 140), reicht nicht hin, um ihm die gleiche Zeitrechnung zu vindiciren, geschweige denn dass man mit Francke zu Richters Inschriften S. 186 aus dem Monate der Nemeen auf den Anfang des argivischen Jahres schliessen dürfte, der gewiss längst feststand, als jene Spiele in die Hände der Argiver übergingen. Auch was Dodwell p. 311 über diesen Jahresanfang gesagt hat, den er auf einen Frühlingsmonat zwischen ’EAaPyßoA.scv und ZxigoPogicv setzt, wird troiz Corsinis Billigung schon durch die Beseitigung seiner Ansicht. über die Nemeen widerlegt; und jedenfalls ist es viel wahrscheinlicher, auch hier wie in Sparta die * gleiche anzunehmen; s. de anno Delphico p. 22. Arkader auf Kreta. ee C. I. n. 3052: vapde Agrahuriov | vevuivig: i Asianer. Unter En eenia da; wie Ideler B. I, S. 416 richtig be- merki, Städte im Bereiche der weiland pergamenischen Monarchie be- zeichnet, gibt das Hemerol. Florent. ‚en e GEN Kalender aus römischer Kaiserzeit: Ilosıdawv fängt an den 25slen he. Ayvasos _— ` Alien Januar Jegocsgaο (ros) — — — 22sten Februar. Agreulcios — — — Asasten März. Evayysısos — Aas April: 126; KARL FRIEDRICH HERMANN Drearovixos fängt an Exaroußasos "Arrteos Auodixsos Kassagiosi bos ag T8 ⁰s Axa rob lios) mit der, Herbstnachtgleiche, also dem Ragdoeg eintrat. — — —— — — — — — den 24sten Mai. — Aasten Juni. — 25sten Juli. — 2östen August. i — Aasten September. — 24sten October... — — — Asten November. er Bt nur zu bemerken ist, dass der Jahreswechsel nach SE Get HHR V eg 34511 Neben dieser Leitrechnung erscheint übrigens bei christlichen Schriftstellern: noch eine andere za? "Acuevovs, welche die Monate bless zählt: vgl. Usserius de Macedonum et Asianorum anno solari, e 1648. xa c. II und Corsini Fast. Att. T. II, p. 465. | Askalon. Macedonische Monate mit ägyptiächer Eintheilung eh am:21sten vgl. Ideler B. 1. = 438 nach dem Hemerol. Leidense und Iriarte Codd. Matr. p. 379. Astypalaaa. Ayvasvß&xxsos. October. mit dem Treggeperatos anhebend; vor dem Mämakterion zur Gewissheit erhoben entspricht ungef: ähr — | Eraroußaıov Meraysirvian Boadegureip Ig ve iG Waiuaxraguenr Ioc erde Tau Ardeorygiar Ea OBO , C. I. n. 2484: ro? mourdviss Tol mov- Tavëvovtès AnvaioßBdzyiov rn d cd rον Tas Auurdeicis &v To dyayı TOV Toayadav er. Athen. Seine Monate und der ae Gg Wahres we zu sakii als | dass sie weiterer Nachweisung bedürſten; vgl. Clintons Fasti Hell. T. II. P. 324 fgg. und mein Lehrbuch d. Staatsalterth. 8. 127, u. 6; ihre Lage und: Reihefolge stelit} nachdem insbesondere die Stellung des Pyauepsion — | | — — — ist, folgendermassen Test: dem —— . Julius. August. December. Januar. ES 3 März. J = G September. >- October. November. i IA Wu jiii ÜBER /GRIECHISCHE IMONATSKUNDE eic. 127 Mou pu entspricht ungefähr dem April. SEET N WWW—W— — — Mai. Dig -r Y — — — Juni. In ‚Schaltjahren wird ein zweiter IIocesde dv eingefügt (C. I. n. 270); daraus folgt jedoch nicht, dass früher der Jahresanfang auf die Winter- sonnenwende gefallen sei, wie dieses noch Spalding in Abbh. d. Berl. „Akad. 1804, S. 78 fgg..‚vermuthet und auch den älteren Namen des Hekatombäon, Raster, damit in Beziehung gebracht hat; nachweislich sind Änderungen des Jahresanfangs erst in der Kaiserzeit; vgl. oben 8. 73, Note 1 und 8.77, Note 2. | Bithynien. Die in zahlreichen Menologien (s. 8.48, „Note 6) erhaltenen Ileus Monatsnamen dieses Landes werden in dem Hemerol. Florent. ſolgender- gestalt chronologisch bestimmt: „ H vos fängt an den 23sten September. Eęuos (Eęhelos) — — . 24sten October. Maroeag — — ‚23stem November. Asovuscsos — — 24sten- December. Hodxkesös ar —— 24stem: Januar. A 708. A y i — — 2tsten Februar. Ber dias — 24sten März. X Ergarnyros (irgaraos) — == '33sten April. a Nael E — — O Asten: Mai. Ages —— — 23sten Juni. Agde —— — 24sten Juli. :Ayumrouos. | — — 23sten August. A Nur die beiden Monate Iegismies und Apeics folgen sich in den übri- | gen ‚Quellen in umgekehrter Ordnung, die um so eher als die riehtige e betrachlet werden darf, je entstellter auch sonst die einzelnen Namen in jenem Hemerologium erscheinen; im Ubrigen aber finden dessen Bestim- mungen ihre Bestätigung zuch in der astronomischen Berechnung bei Ptolemäus Almagest. VII. 3, wo der 7te Metrous dem 29sten November entspricht, in der Angabe des Glossarium Portense p. 3: Dios Bitinien- sium lingua martius mensis dicitur, und in der Vergleichung des 128 KARL. FRIEDRICH HERMANN Dionysius mit dem Januar in dem Fragm. Savil. bei Usserius de anno solari c. IV. Wenn das Oxforder Menologium bei Cramer den Anfang des Jahres auf den März setzt und den ersten Monat, den es Egos schreibt, mit dem hebräischen Nisan vergleicht, so hat dazu vielleicht eine Con- fusion des bithynischen Abs mit dem macedonischen mitgewirkt. Boeotien. Hier genügt es auf Böckhs Abh. de anno Boeotico im C. Inser. T. I, p. 732 zu verweisen, wo folgende Vergleichungstabelle der bekann- ten Monate aufgestellt ist? | EL 1. Boris entspricht dem attischen Tune, 2. Eęuανe — — — Areora 3. Heogra rige — — EA n BANi E Ra ab ai dbl sobre ah. diesein. 5. Oe. AU oss — ile! Oct,, 6, ungewiss — Se eins 7. Immodoonsos mm — eeror, Brain re ern ac Meraysırvaav , 9. ungewiss, s — dnn 10. Aupdrgios —— — Have av, A ae een ap. wi Mauuaegageän, 12. ungewiss, bag ET | : ‘O uo os allein bleibt ohne bestimmte Stelle, während der Monat Kd gelos C. I. n. 1607 nach Chaleum in Lokris zu gehören scheint, s. unten. Der Jahresanfang mit der Wintersonnenwende geht aus Plu- tarch V. Pelop. e. 24 mit derselben Gewissheit hervor, wie das Verhältniss der meisten Monate — nur den Gee ausgenommen — zu den attischen durch sein Zeugniss feststeht; insofern er jedoch allerdings den f Eg uc cos vielmehr mit; dem Tecun id, den Dëeczargene mit dem Ar dec ru vergleicht, scheint der Bouxd rios auch wohl noch in den Ieceadecv hereingereicht zu haben, und demgemäss wenigstens die Rang- ordnung der späteren Monate um eine Stelle tiefer (8. Immodoonios, 9. Fava juos u. s. w. gesetzt werden zu müssen, wie denn auch die astro- nomische Bestimmung des Acer ud v ios de Isid; et Osir. c. 69 auf den November führt. ` Ke eo; ÜBER GRIECHISCHE: MONATSKUNDE etc. 129 Bosporus. Macedonische Monate; vgl. C. Inser. T. II, p. 91 und 1005 fog, Byzanz ? In dem mehrerwähnten Glossarium Portense heisst es p. 3: Eidios bizantinorum lingua martius mensis dicitur, wou der Her- ausgeber Fickert bemerkt: nec apud Idelerum nee alibi reperio sua Byzantinis fuisse mensium nomina; sed Martius mensis apte dici potuit Eùdios, quod tum serenum solet esse ‘coelum. Solche physische Namensbezeichnungen sind aber bei den griechischen Monaten ganz un- gewöhnlich, wesshalb ich G. G. A. 1844, S. 453 die wie ich glaube sichere Vermuthung aufgestellt habe, dass die ganze Glosse nur eine ungeschickte und entstellte Wiederholung des vorher über den bithyni- schen Atos gesagten sei. Centuripa in Sicilien. Meinem werthen Freunde Schubart in Cassel ver- danke ich die Mitiheilung zweier Inschriften ähnlicher Art, wie sie Torremuzza von den Stempeln zahlreicher in Sicilien gefundener Thon- gefässe zusammengestellt hat; jene rühren aus der Gegend des heutigen Centorbi und bieten auf der einen Handhabe EMI OEZTOPOE IANAM OT, auf der andern AIO T, worin vielleicht die ien des anderswo vorkommenden Adios enthalten sind. Ceos. Masuarrygıav. C. I. n. 2360. Chalcedon. Alo vb es. C. I. n. 3794: æicvuvõvres pive Asovüciov sc rec aysuova BovAds xTÀ: a Chalcidice. Macedonische Monate, s. C. Inscr. T. II, p. 934 aus späterer Kaiserzeit. Chaleum. Kapesos? C. I. n. 1607, vgl. Amphissa. Böckh dachte an die böotische Stadt Chalia bei Stephanus von Byzanz; richtiger, wie es scheint, Ahrens de dial. T. I, p. 235 und T. II, p. 11 an die Stadt der ozolischen Lokrer, die gewöhnlich XæAgov, bei Theognostus in Cramers Anecdd. Oxon. IT. II, p. 121 aber XaAsov geschrieben wird. Chius. Arent. C. I. n. 2220: ersëercgeäa nar Eviavrov xo oreDdrw ti Evveaxasdexdirn ro "Apremoiivos al év Tais Abr Tais Emirekovutvaıss Yuciaıs x. | Cierium in Thessalien. Ouos. Inschrift in Transactions of the royal society Histor.- Phil. Classe II, R 130 KARL FRIEDRICH HERMANN of literature 1827, T. I, p. 155: moogeivası zg ngicw iv Ta cuvedgiw Ta ër ro Ode uni erh, Cius. Ar ecru. C. I. n. 3723; vgl. Böckh in Abhh. d. Berl. Akad. 1816, S. 52. Come in Aeolis. &odrpsos. C. I. n. 3524 nävos Oger dene r dior ros Em) legt rds Pupas nai aurongarogos Kaioadgos Ob viw ge Zeßdotw SrÄ, Cypern. Einheimische Monate aus classischer Zeit sind nicht bekannt; selbst auf den Gebrauch macedonischer Zeitrechnung lässt nur mittelbar ein Citat aus Päon von Amathus bei Plutarch V. Thes. c. 20 schliessen: ër dè rå vol got Topmiaiov us iorapévou deurt : vgl. Corsini Fast. Att. T. II, p. 434. Erst aus der römischen Kaiserzeit finden wir in den S. 48, Note 6 erwähnten Menologien einen solarischen Kalender, dessen Monatsnamen grösstentheils aus den stehenden Formen des Kaiser- titels entnommen sind und lan den ähnlichen Kalender des Commodus bei Dio Cass. LXXII. 15 und Lampridius c. 11 erinnern; auch in Alvixds und Aęodicros möchte ‚wohl weniger mit Engel (Kypros B. I, S. 547) ein Rest alteyprischen Goitesdiensts als eine Anspielung auf die mythi- sche Abstammung des julischen Geschlechts zu erkennen sein; und aus demselben Grunde bezweifle ich jenes Gelehrten allerdings scharfsinnige Vermuthung, dass statt des Ades, der in dem Hemerol. Florent. die Stelle des in den übrigen Quellen Ponies genannten September ein- nimmt, der cyprische Ortsname "Aas zu substituiren sei. Dass ohne- hin gerade diese Quelle für die Rechtschreibung der einzelnen Namen die unzuverlässigste sei, ist schon bei Bithynien bemerkt; abgesehn hier- von ergibt sie für die auch sonst bekannten Monate folgende Chronologie: A Qgodicios fängt an den 23sten September, "Aroyovırös — — — 24sten October, Alvınos — — — 23sten November, TovAsos — — — 24sten December, Kassapıos — — — 24sten Januar, Sega rds — — — 2fsten Februar, Avuroxpgaropınöos — — — 23sten März, ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 131 Anuaoxe&ovcıos fängt an den 23sten April, IAA SG UTaTros — — — Aasten Mai, "Aoxıspeus — — ` 23sten’ Juni, "Rares? — — — ` 24sten Juli, "Datoiog — — — 23sten August, die auch durch die Vergleichung des 14ten Iulos mit dem 6ten Januar und des ”Amoyovırds mit dem November bei Epiphanius adv. Haeres. LI. 24 bestätigt wird. Die veränderte Reihefolge, in welcher sie bei Cramer erscheinen, beruht nur auf einem Versehen des Abschreibers, der in seinem Original diese Stellung gefunden hatte: Aęodicios "Amoyovınöis ` Aide Jou K cxiocigeios Zeßäoris ; Avroxgaropwös Amnagxekovcsos HAngvraros "Apxıegeis "Eogios Pwouedos und solche in falscher Ordnung las; dagegen bestätigt uns dieselbe, dass der Jahresanfang mit dem AS ęodloros und demgemäss mit der Herbstnachtgleiche geschah. Alles dieses gilt übrigens, wie wir gleichfalls aus Epiphanius ersehen, nur von den Paphiern; den Salaminiern legt derselbe vielmehr einen gezählten Kalender bei, wo der Die Januar der Ste Tag des Sien Monats, der Ste November der Die des 3ten Monats war, und der Jahresanfang folglich etwa drei Wochen früher als in Paphus bel, Cyzikus. Aus den jetzt im C. I. T. II, p. 914-924 abgedruckten Inschriften hat schon Belley in Caylus Recueil d'antiquités T. II, p. 235-241 fol- gendes Bruchstück eines Kalenders zusammengestellt: ungewiss (wahrscheinlich Boydeowwr) , 2. Kvaverbiav entspricht ungefähr dem November, 3. ’Ararovgewv — — E December, 4. Tlocsıdewv — — — Aaauar, 5. Ayvaıwv — — — Februar, 6. A Her — RW 7. ’Aprenıcıwv — — — April, 8. Raeieugigp — — — Mai, 9. Havnpos — — — Juni, 10-12 ungewiss, doch muss einer derselben Tavgesiv gewesen sein, R2 132 KARL FRIEDRICH HERMANN dessen Stelle sich nur nicht näher ausmitteln lässt. Das Verhältniss der ähnlich lautenden Monate zu den attischen ist dasselbe wie im asiani- schen Kalender, von welchem auch der Anfang mit der Herbstnacht- gleiche entlehnt scheint; dagegen ist es blosse Hypothese, wenn Belley, dem Marquardt (Cyzikus und sein Gebiet, Berlin 1836. 8.) S. 137 allzu schnell gefolgt ist, auch die Zeiträume der asianischen Monate auf die cyzicenischen überträgt. Daulis s. Phocis. Delphi. Der menologische Stoff * Kilenders ist zuerst von Böckh C. Inscr. T. I, p. 812 fgg- kritisch gesichtet worden; durch die weiteren Entdeekungen aber, die insbesondere Thiersch in Abhh. d. Münchner Akad. 1840, S. 63 und Curtius Anecdd. Delphica darbieten, sind auch dessen Resultate manchen Modificationen unterlegen, die ich in der Abh. de anno Delphico weiter verfolgt habe. Hieraus hat sich folgende Ta- belle ergeben, in welcher alle bis jetzt bekannten delphischen Monate ihren Platz eben de haben: 1. Bovxarıos entspricht Sen ahr dem September. 2. H g — TEN — October. 3. Are AAS | — — — November. 4. 5. Agadapögsos und] December. ein noch ungewisser =: SE I Januar. 6. Ilosrgomsos (Iorrgorios?) — — — Februar. 7. Boeresg ` — — — März. 8. ungewiss (rielleicht Aren ö ; gios oder Ach Olvios) — — — April. 9. HedxNE¹,õ, — — — Mai. 10. Boa O = ii ee 11. IAaroS oder EIXa Ts — — — Juli. 12. Oso&&vios — — — August. Nur die Bestimmung des "Doze scheint mir Br selbst noch Zweifeln Raum zu lassen, insofern sie lediglich von dem Anfange des phocischen Jahres abhängt, mit dessen erstem Monate jener in Delphi verglichen wird; dagegen kann ich in dem verstümmelten Namen nee èva... . 134 KARL FRIEDRICH HERMANN i nach Elis gehören, und Corsini Diss. agon. p. 11 selbst, so richtig er auch Dodwells Einfall de Cyclis IV. 13, sie nach Delus zu setzen, ab- gewiesen hat, theilt sie lieber dem Vaterlande des Scholiasten zu, weil er meint, dass jene Spiele zu Elis immer hätten in den ersten Monat fallen müssen; dagegen ist jedoch von Böckh expl. Pind. und in Abhh. d. Berl. Akad. 1818, S. 97 das Nöthige bemerkt, und wie schon früher von Scaliger de emend. tempp. p. 36, so werden auch jetzt wieder von allen Neueren jene Monate als elische: De, vgl. Krauses Olympia S. 67. Asöc$vos?. Schol. Pind: Olymp. III. 33: meglador couvé S e, év TN $ duieg (vielleicht 79 dusgcn, is) dën vovuhviav unvòs, Ze Daer Bue év "HAsdı ovoudgeras, meg) Ze Tgomai Alen Yivoyras xe ict xal moara OAvunse dyerdı 4 avi. Offenbar also ein Monat, der un- serem December entspricht; ob aber Böckhs Emendation A,cs$uos für Owou dis das Richtige getroffen habe, ist um so schwerer zu entschei- den, als eine sonstige Verwandtschaft des elischen Kalenders mit dem theräischen oder rhodischen, aus welchen jener Monat bekannt ist, nicht vorliegt. END. Paus. V. 13. 5: xar ëros dè Exaorov pindha oi ucivreis 1 ev èn? dixa T0 EAuDlov nde seinen èn To mguraveiov zg zën sch. Ders. VI. 20. 1: Yovow oi BaciAcı nahoupevos TO Baitrag xc T ionpepiav en ën ze ger EħaQiw U; xara HAsiovs. Ephesus. Auvcidv. Rescript von Dolabella an die Ephesier bei Joseph. e Antiqu. XIV. 10. 12: Em mourdveus Aerfuaugze, Ayvasövos v. Agreuio tv. C. I. n. 2954, wo diese Namensform ausdrücklich der bei den Macedoniern und sonstigen Griechen üblichen auf os entgegen- gesetzt wird, so dass auch bei Josephus $. 25 im) movravews Mao, Ae mie "Apremioisvos statt Agrenıiov zu lesen ist. Kaiapaıov? C. I. n. 2953: Annes Ta. les, wobei man zu- nächst an TreuyAsövos denken könnte; da aber dessen Stelle der Aura einnimmt, und. Seldenus ad Marm. Oxon. p. 191 ausdrücklich sagt: TaunAssvos plane nequit esse, so ist Böckh auf den aus Cyzikus be- ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc, 135 kannten Namen verfallen, gleichwie in derselben Inschrift Z. 18 vielleicht auch der dortige ’Amarovgesiv enthalten ist. Doch könnte eben so wohl auch Taue eintreten, der nach Athen. X. 25 jedenfalls auch in Ephesus vorausgeseizt werden darf. 4 Ilogeidewy? C. I. n. 3028. Die Inschrift ist freilich nicht ganz in der Nähe von Ephesus gefunden, bezieht sich aber auf Bürger dieser Stadt und ist daher auch von Corsini T. II, p. 448 und Ideler B. I. 8. 420 für deren Kalender gebraucht worden. Nur hätte letzterer bei dieser Gelegenheit S. 421 nicht sagen sollen: «die Ephesier scheinen von Alexander bis zur Annahme des Sonnenjahrs unter den römischen Kai- sern, weder die rein ionischen, noch die rein macedonischen Monats- namen, sondern ein Gemisch von beiden gehabt zu haben», wozu jhn lediglich der Artemisius des Josephus veranlasst hat; im Gegentheil dürf- ten sie den ionischen Kalender früher eben so rein bewahrt haben, als nach der Annahme des julianischen Jahres den macedonischen, dessen Monate nach dem Hemerol. Florent. nirgends so sehr als gerade hier ihrer ursprünglichen Lage treu geblieben sind. Ee Ee Eretria. Irriav. C. L n. 2265: sung dree rod Irmidvcs nde Em meurdvewv È) zët perad Age, ws Egergieis. Erineus. A deeg, Anecdd. Delph. n. 28: agxovros ép pèv Eowes Kiluvos roð Zwocvdeov, év AN dè doxovros Bevongirov Agce Oerterlov #TA. Erineus gehört zu Doris; doch scheint es diesen Monat von seinen ätolischen Nachbarn angenommen zu haben; s. Beil. I. Eryx s. Sicilien. 5 Euboea. Ix rid, s. Eretria. Gambreum in Mysien. Bapynkıwr. C. I. n. 3562; vgl. Franz fünf Inschriften und fünf Städte in Kleinasien, Berlin 1840. 4, S. 14 fgg. Gaza. Macedonische Monate mit ägyptischer Eintheilung und am 28sten October aufangend; s. Noris p. 480 und die Belege aus dem Leben des heil. Porphyrius in der Gött. philol. Bibl. B. III, S. 180; insbesondere aber jetzt nach dem Hemerol. Leidense Ideler B. I, S. 438. 136 KARL FRIEDRICH HERMANN Gela. K e,. Inschrift bei Dorville Sicula p. 501 und Torremuzza p. 84: BovAds dàidopara devrigas EE“ Kapveiov zëaxddh #TÀ. Weiteres s. unten bei Sicilien. Halicarnasus. Hd Nis. C. I. n. 2656: Zei vehοπ ²ũð¾iỹüꝝ Kapuvdav rod Arayopov ν , Hg, e, und mehrmals im Texte deutlich aus- geschrieben; vgl. auch Böckhs Index lectt. Berol. 1830. Ar geri? Decret bei rg Antiqu. XIV. 10. 23: em} iegtws Méuvovos rev Opnoreidov, nard dè moinew Erd. As- ec rug HTA. Hellenen. Mit diesem Namen bezeichnen Schriftsteller der späteren Kaiser- zeit, wie Epiphanius Haeres. LI. 24 und de mens. et pond. p. 177, dess- gleichen die oben S. 48, Note 6 erwähnten Menologien und Tzetzes ad Hesiod. Opp. 502 den svyrisch- hellenistischen Kalender (s. Antiochia), dessen Namen den entsprechenden macedonischen immer um einen Monat nachfolgen. Den Jahresanfang setzt Tzetzes übereinstimmend mit dem Wiener Menologium bei Treschow auf den Abd urceios oder Januar, andere (s. Ideler B. I, S. 453) vielleicht richtiger auf die Herbstnacht- gleiche; pa ie ist es 1 wenn Oxon. bei Cramer unter der Überschrift obe- apxovras A Mapriov die Ae8 "EAA rap mit dem Avduvaios anfangen lässt. Heraklea in Grossgriechenland. "ArsAAuados. Inschrift bei Mazocchi Tabb. Heracl. T.I, p. 147 und 205. Idvanos. Das. p. 207: ro) dè need XAQMWTOVTAL Toy gei xgövor ds ve Moayyuws motáywvti xal TÒ Miau adanodidwrTi mag Eros dei Tlavanov Garde mooregeie HTA. Hierapytna auf Kreta. IAd Nos. C. I. n. 2556: èm) Hocumv ÈV e Ieganurvg .. unvos I,, ër dè Ipice dn unvös Aeeusgiag xrA. Se d C. I. n. 2562; vielleicht der Oeoderloios, der mit Wahr- scheinlichkeit in dem späteren Kalender jener Insel hergestellt worden ist (s. Kreta) und hier um so eher vorausgesetzt werden kann, als gegen- wärtige Inschrift von Böckh in das vierte Jahrhundert u. Chr. ge- setzt wird. d ÜBER /GRIECHISCHE /'MONATSKUNDE etc. 137 Iasus. A OO. C. I. n. 2673. 74. ENO BGON GY. C. J. n. 2675. 77. S Taupo gDον e C. J. n. 2679. Böckh p. 465 ere EA doch -scheint dazu der 2 kaum gross 2 und ‚der Wen Wan auch zu speciell attisch. enskrid 4 H 20 Kallipolis. Tanedgiun 08. Anecdd. oan n. 21: AEXOVTOS' èy Achs AsEwvda, unvòs Eav, év dè RH d % Audirov unvos _ Immodgonion.. Dass hier nicht die thracische Stadt dieses Namens, son- dern die bei 'Livius XXXVI. 30 am Fusse des Koraxgebirges erwähnte dàtolische zu verstehen ist, hat Curtius S. 66 aus dem Zusammenhange mit Delphi und den Wolke Namensfortien jener Inschrift richtig fest- gestellt. Í 1021 810 agi Katana s. Sicilien. Korcyra. ‚Aus einer ; ‚längst bekannten und zuletzt wieder C. I. n. 1845 abgedrueklen Inschrift ergeben sich drei E von ‚welchen schon Corsini N. HA pd = rt e500 Arel als den ersten, ` dé Maxavsvs und a Eüx Xelos als die beiden Ebenen. des Jahres erkannt. bat. Der Jahres- anfang wird, der Stellung des Artemisius nach, auf den Frühling zu setzen sein; doch ge Frage erst bei Tauromenium näher erörtert Korinth. . Men an $ Brief Philipps von 8 hei Demosth. pro Cor. 8.157: r Zrroréreg Hö ³ Awov, ws Mues doouep, ws de AIawaroı Bondpomvos, ae 0è Rog Ne IIavih⁰:. Brief des The- mistokles an den Korinther“ Philostephanus in Themistoclis Epist. ed. Schöttgen, Läps. 1722, p. 81: July por: rds Emiorokas: mage cot rug eis Epos. bs Amen Aoyigevran, Bordgewiivos der xal ve, e d& & vues, Tlavywov. dsxdry; 1 dé ul pci a duty. Auch die Korecyräischen Monate und der syrakusische Kapveios werden in der gemeinschaftlichen Mutterstadt vorausgesetzt werden e vgl. Dodwell de Cyelis p. 289 und Osanni Auetar. lexic. graec. p. 72? Histor.- Phil, Classe II. 8 138 -ob KARL/FRIEDRICH HERMANN!) Kos. A yolavos. Vita Hippocratis''ber Fabric. Bibl. gr. T. XII, p. 676; eeng Beie, ws Zwpavos ó Kwos égeuviẽ,, ze ën K Ypawikiropv- Ac weostignerihovapxaünros "Aßdıada, And. Aypıcivov ` Zen za Keck rug d. anf Spee An kuri next TO Immöngere, Ono! "oe Kwovs. un 1 vielleicht gz wie in eee te 211 ’Aogranlirios. Kost as gr. ec T. N. P S Zä Kreta. Die älteren Monate dieser Insel sind ‚unter den Bar Städten Hierapytna, Latus, „Olus, und Priansus ‚aufgeführt; deren jede ihre be- sondere Zeitrechnung gehabt zu haben scheint; vgl. im Allg. Neumann Creticoram spec. p. 93 und Hoecks Kreta B. III, S. 443; aus ‚späterer . Zeit aber gibt das Hemerol. Florent. folgenden solarischen Kalender als kretischen: Meragxltes fängt an dee 24sten December. Au ws e Lasten Januar. Arösaödbos m isb dyis . , 215ten Februar: Osodöcsos (I. in — — — Aasten März. Ilovros = uri sog Fffen: ach T Paßivgios — 24 Mai. ir Tmegßegeros — — — 238(en Jui. Nef e e sten JR -- — Bac (Ae ns od tars — enge August. 119x497 er — — — 23sten September. Eęαενν — — — 24s8ten Oeidher. wer Espey? ous z — — — 33sten November. « Wesshalb dedet) BI 8.426 den Jahresanfang fer: dem; — macht, sehe ich nicht ein, da das kleinasiatisch rs} auf das er sich bezieht „ nicht einmal in der — der Mdnätstage durchgehends eingehalten ist; eher scheint der Me rag ids mit dem Wechsel der Beamten auch IS des Jahres zu bezeichnen- Lamia. Die Monate dieser thessalischen Stadt l sich aus den; Inschrif- ien, welche zuerst in der athenischen EO eos vom August und Sep- tember 1838 und daraus von Curtius Antedd. 1 P un = u. ÜBER /GRIECHISCHE ' MONATSKUNDE etc. 139 aber vollständiger von Ludolf Stephani Reise durch einige Gegenden des nördlichen Griechenlands, Lpz. 1843. 8, S. 40 gg. herausgegeben sind, fast ganz wieder in ihrer urkundlichen Reihefolge herstellen. Den An- s~ ; fang macht woll ` Gegner asb vil? s e in. Bou, der bei Stephani n. 20 zunächst auf die Jahresangabe folgt; — dann werden wir i ion! í bei ball: mu "Apeos folgen lassen können, der n. 22 zwischen jenem und XT T A5 steht, obgleich diesem allerdings noch | ch O EAN S aus n. 24 und ee "EE? Pe vors aus n. 25 den Rang streitig machen dürften; zumal da auf n. 28 nach Detezog die Endungen lou und aiou ‚folgen; später dagegen ist ebendaselbst jedenfalls der leider verstümmelte f 11010 E dk SC f Ninas HN AIEI. a? ex o für den man nur höchst unsicher Koövos ergänzen kann, und Avxeos auf n. 25, an welchen sich dann zs er Immo Zeiss und an diesen auf n. 22 Ilavapos und auf n. 26 PAAR Birds ànschliesst; doch möchte diesem allerdings noch ein au- ii derer vorzusetzen sein, damit er nach Analogie des macedonischen Ka- K lenders“ als November, und hiernächst der in der Endung. xatos auf n. 26 nicht zu verkennende ; ai 7 102 u Bovrdrios wie im böotischen Kalender als December stehen könne. Pen dass das lanische Jahr mit der Wintersonnenwende anfing; lässt ssb sick ebensewohl aus der Vergleichung des Immodgspos und Tl&vanos mit der Stellung der gleichnamigen böotischen Monate, als aus dem er zuletzt genannten Bed Trios mit Sicherheit schliessen; wenn dieser hier ls der Tetite in Böolien als der erste des Jahres erscheint, so ist das nur dieselbe Verschiebung, wie wenn der Hyperberetzus des macedoni- egen: Jahres in einzelnen syrischen Teitrechnungee“ vor dem Dius an die Spitze des Jahres tritt; nnd auch dass zwischen dem Iéræjós und B obvseci res in Böotien wäbrscheinlich drei, hier, nur. zwei Monate in der Mitte liegen; findet an. dem Verhältniss des IIoc elde zum Excroh- Baiv im attischen und asianischen Kalender eine Analogie, wenn auch db die Ursachen verschieden sein können. EE Se bh 1 LES Ge SÉ 82 140 KARL FRIEDRICH HERMANN Lampsakus. Budeouswr. C. Inser. T. II, p. 1130: amodsıkatwocv Too &xouevov ereus Ev TA TgiTy Tëexhaoiol zeg unvòs Tod ö Badpomuvos: wahrscheinlich also der erste des Jahres, wie solches auch in andern ionischen Colonien für den gleichnamigen Boydeozuv gilt, ohne dass er desshalb von dem attischen mehr als um die gewöhnliche Differenz eines Monats abgewichen zu sein braucht. Dem ionischen Kalender ge- hören auch in derselben Urkunde 5 Ayvasay . 17 und "Aorepscswv J. 41 an; ganz eigenthümlich ist dagegen Aera Oi Z. 17, von dem nur so viel klar ist, dass er nach dem Aura SE wi een dem Asklepios a: gewesen sein muss. d Laodicea in Phrygien. IId ynαν,E⸗s. Hamilton T. II, p. 444. Laodicea am Meere (Syrien). ZAR Gs. Richters Inschriften von Francke S. 169. Gë ee Latus auf Kreta. Asos#AAocsos?:. C. I. u. 2554 nach Chishull, der jedoch, wie Böckh bemerkt, anderswo die beiden ersten Silben selbst weglässt, so dass die Lesart eben so ungewiss als der Name unerhört und sonderbar ist. OeguoNaTos. Ebendas. Z. 206: Em góopwy ër ray. ovy Mawais Ta Kasgvnrada uyvös réw Oe νẽiꝛ dend r, iv d OR. . Anvès Hęcꝛſ dex ar‘. Ist st richtig, so könnte dieser Zusatz den ächten Thermoläus im Gegensatze eines zweiten als Schaltmonats be- deuten; doch vermissen wir allerdings die Bezeichnung åp Adru im Gegensatze von ép: ORG, und so, vermuihet Böckh, dass diese Worte in jenen Zügen enthalten sein können, obgleich andererseits, eine solche Bemerkung, wenn sie nöthig r. schan, zu den Namimi em Kosmen gehörte, ö Lesbus. gehae ienet 8. oben D 62, Pie wo die “ee ob dieser mit Lebas als Monatsname zu nehmen sei, en erörtert un mit Sicherheit bleibt uns hier nur der mit Ag... anfangende, wo aber gleichfalls Ahrens de dial. 1 U. p- 496 ÜBER -GRIECHISCHE MONATSKUNDE eie. 141 zu vorschnell Adiosos ergänzt hat. Der Tasros oder Ilavros, welchen Francke zu Richters Inschriften $.279 in Mytilene gefunden zu haben glaubte, ist von Böckh C. Inser. T. II, p. 186 völlig beseitigt. Lycien. Macedonische Monate, die jedoch auf den römischen Kalender mit Atos als Januar zurückgeführt sind. Macedonien. Die Reihefolge der allgemein bekannten Monate, wie sie noch neuerdings wieder von Clinton Fast. Hell. T. II, p. 347 fgg. nach- gewiesen und mit on Ee attischen verglichen worden sind, ist diese: ros , entspricht dem Ilvaralıwr, NAnmeAAudos — — Mature, Avdvvados — — Tloveidewv, Ilegirios — — Tapn, è Adergeg — — Av Herring, Zu v s — — EAανον,, Aęre ulis — — Mowy, Ac loo — — OapyrAwr, Drees ` — — Txiępo opc, Ados — — "Exaroußav, Toorıaros — — Meravyervidv, Treggegeraros — Bondęo h. Auch der Jahresanfang steht durch Galen ad Hippocr. Epidem. I, p. 21 ed. Kühn fest, wo die vier Jahrespuncte auf die Monate Afos, IIegirios, "Aprenisios und Ados so vertheilt werden, dass den ersten die Herbst- nachtgleiche trifft; und 'nur bei dem Übergange in den Gebrauch der asiatischen Länder scheint Abweichung der Schalteyklen sowohl in die- sem Anfangspunete als auch in der Bestimmung des ersten Monats die Modiſicalionen herbeigeführt zu haben, welche wir theils bei späteren, namentlich kirchlichen Schriftstellern, theils in den S. 48, Note 6 er- wähnten Menologien finden, hier aber um so weniger zu verfolgen brauchen, als dieser Gegenstand schon von Noris (Annus et epochae Syro- Macedonum, Lips. 1696. 4.) und jetzt von Ideler B. I, S. 409 fgg. erschöpft ist. Nur zwei Fragen werden auch hier nicht unberührt blei- 142 KARL FRIEDRICH HERMANN ben dürfen: die erste über den Schaltmonat des macedonischen Jahres, die andere über die bereits von Usserius de Macedonum anno solari c. 1 aufgestellte und nach Dodwell u. A. neuerdings wieder von Ideler in Abhh. d. Berl. Akad. 1821, S. 278 Lee und Francke zu Richters In- schriften S. 183 fgg. angenommene Änderung: des macedonischen Jahres im Laufe von Philipps oder Alexanders Regierung; und wenn auch in ersterer der Knoten nur zerhauen werden kann, so wird doch für letztere vielleicht eine Lösung zu gewinnen sein. Was den Schaltmonat betrifft, so versteht es sich von selbst, dass hier, wo von dem macedonischen Mondjahre die Rede ist, die fünf Ergänzungstage (Smet) des ägyptischen Sonnenjahres, die später von einigen Völkern mit den ma- cedonischen Monatsnamen verbunden wurden (Ideler Handbuch B. I, S. 437), nicht in Betracht kommen; dagegen hat schon: Scaliger aus dem Datum eines Briefs II Maccab. XI. 21: Alosxogiv Bien Ser TETAETY, wofür die Vulgata Dioscori hat, auf einen Schaltmonat dieses Namens geschlossen, und Ideler B. I, S. 399 nebst vielen andern stimmt ihm _ darin bei, obgleich kein griechischer Schaltmonat einen. besondern Eigen- namen führt, und in Mylasa, das im Übrigen selbst macedonische Zeit- rechnung hat, vielmehr das Appellativum ErßoAsuos: gebraucht wird. Am Kürzesten wäre es Aciolov zu emendiren, da der Brief des Lysias, welchem dieses Datum angehört, nicht früher, sondern später als die beiden folgenden vom Zap $ixds datirten Schreiben des Königs ist, die dem ersteren wahrscheinlich als Beilagen dienten; wollte man inzwischen auch den Schaltmonat beibehalten, so würde man ihn aus demselben Grunde jedenfalls nicht mit Ideler vor den Savas; sondern nach demselben in die Mitte des Jahres setzen müssen. Noch ‚weniger kann ich übrigens hinsichtlich des anderen Punctes die herrschende Meinung theilen, da, wie ich schon oben 8. 70, Note 1 ausgeführt habe, der bereits bei Korinth erwähnte. Brief Philipps, nach welehem der- Acos damals zwei Monate später als nachmals (auf dem attischen Bondeo v gefallen wäre, ohne alle Beweiskraft ist, und auch Idelers zweites aus Alexanders Geburts- und Lebenszeit geschöpfies Argument nicht Stich hält: Da nämlich Alexander nach Plutarch e. 3 im Monate Ados 356 ÜBER: GRIECHISCHE ‚MONATSKUNDE ete. 143 a. Chr. geboren und nach der übereinstimmenden Angabe aller Schrift- steller im OapynAuwv. gestorben ist, seine Lebenszeit aber von Aristo- bulus bei Arrian VII. 28 auf 32 Jahre und acht Monate angegeben ; wird, Während, der "Exaropßaswv, welchem Plutarch selbst den Acos vergleicht, und der Gaga um, zehn Monate auseinander liegen, so schliesst Ideler, dass noch zur Zeit seiner Geburt der Aces dem Bondoouswv entsprochen habe und erst im Laufe. seines Lebens die oben angedeutete Anderung erfolgt sei. Dieser Annahme steht aber der ent- e schiedene: Umstand entgegen, dass Alexanders Geburt kurz nach den olympischen Spielen erfolgte (Justin. XII. 16. 6), die wir zunächst nach dem Sommersolstitium, mithin Ol. CVI. 1, wo ein athenisches Schalt- er jahr vorausging, PoR noch in den Txigo Pop setzen müssen; und wenn also Plutarch in seinen Quellen den Awos als den Monat jener Begebenheit verzeichnet gefunden hat, so war der schon damals dem Exc ro gleich, so dass für jene Angabe des Aristobulus nichts übrig bleibt, als die bereits von Droysen in Zeitschr, f. d. Alterth. 1839, ? EI 595. aufgestellte. Vermuthung, dass — sei es von Arrian selbst oder S seinen Ne A eg — die Zahlzeichen H und T verwechselt. worden e seien. Nur darin hat auch Droysen sich irre leiten lassen, dass er den : Cyklus der athenischen und macedonischen Jahre für denselben nimmt, ; wogegen schon Clinton T. II, S. 230 erinnert hat, dass nach Aelian V. Hist. II. 25 r am nämlichen Monaistage, an welchem er geboren war, auch starb, und wenn daher sein Todestag nach Plutarch der 28ste des macedonischen Acticios war, sein Geburtstag, den derselbe auf den sechsten "Exaroußaswsv setzt, vielmehr dem 28sten Ados Gg haben muss; vgl. auch Böhneckes Forschungen S. 609. "Zeep Macedonische Monate; vgl. C. I. n. 3438 fgg. und Add. p. 1126 a Me? In der N. Jen. Lit Z. 1842, N. 180 werden irdene Gefässe er- wühnt, die in der Gegend von Olbia gefunden zu werden pflegten, aber wahrscheinlich nur durch Tauschhandel dorthin: gekommen seien, und auf ihren Henkeln neben dem Zeichen einer Weintraube oder Gra- nate ähnliche Namen und chronologische Bezeichnungen trügen, wie wir sie auch in Sicilien (vgl. oben-Centüripa) kennen lernen. Der Verfasser Ceci 144 BARIL FRIEDRICH HERMANN jener Notiz selzt sie nach Rhodus; ist aber das Zeichen ein Granatapfel, und nicht eine Granatblüthe, so würde uns jener vielleicht eher nach Melus verweisen, das auf seinen Münzen mit diesem mitunter selbst die Traube verbindet; obgleich sich nicht läugnen lässt, dass Monatsnamen, wie Agrahfrios, "Aypıcvios, Ad, Tloceidwrios, allen dorischen Colonien gemein sein konnten. Milet s. Olbia. Mylasa. Macedonische Monate; vgl. C. I. n. 2693 fgg. Und zwar ist es noch kein solarischer Kalender, wie aus Z. 11 e eco dd xai EußoAspov u d mos den TÀ. a | Mytilene s. Lesbus. | Nakrasa in Lydien. Treggegerafos. C. I. n. 3521: BassAevovros Arrad ov mowrov Erovs, pyvos Treggegeralev TeooapesnaidendTy. Naupaktus. Asovvosos. C. I. n. 1756 aus einer Zeit, wo jene Stadt. zum ätolischen Bunde gehört, so dass Böckh p. 857 mit Recht vermithet: mensis Aetolicus haberi debet, quod Naupactii Aetoli sunt. Naxus. 'AọrTtepisiwv, Inschrift in Ritschls Rhein. Mus. B. II, 5.95; vgl. C. Inser. T. II. p. 1079. Die Urkunde scheint zwar unter rhodischer Oberhoheit verfasst, doch ist die ionische Namensform geblieben. _ Neapel. IHav$ewv. Inschrift bei Gruter p. 125: rous dè N ois oi dedaveic évo rc reg. r ÈBdoun Tod TIav$eövos Uunres: vgl. Ignarra de phratriis Neapol. 1797. 4, D 133. Ayvaıwy. Inschrift bei Ignarra p. 121. Nemea. Ilzvepos? s. Argos, Ninive? In Transactions of the royal Society of literature 1837, T, un, AR p. 153 wird eine dort gefundene Inschrift mitgetheilt, welche die mace- donischen Monate in folgender entstellter und am Schlusse versetzter Gestalt enthält: Avdwews, IIegrios, Arstews, Bavzınas, Agre hies, Aecics, Iorenus, Accs, Togmizzews, AmıA News; Alus: der zwölfte Hireoßeg Beger geschrieben, steht quer über am Rande. Nisyrus. Ka pes. Inschrift bei Ross T: u, Be: em. nne deri e νον u s Kapveiov Add r. Sch ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE. etc. 145 Nysa in Karien. Ac. C. I. n. 2943. Hd vues. C. I. n. 2950. Toęriatos. C. I. n. 2943: pyvòs Topmiaiov ey peceectid EHC Too uis eidöv Aνẽ h, also nach dem ephesischen Sonnenjahre, wo dieser Monat mit dem 25sten Juli anfängt; vgl. Ideler B. I, S. 419. Olbia. Bondeorisv. C. I. n. 2059. | K N N Hd C. I. n. 2082. ’Ararovpgewv. C. I. n. 2083. Ar Her C. I. n. 2083; vgl. Böckh p. 1000, der auch S. 87 und 139 gewiss mit Recht bemerkt, dass diese Monatsnamen aus der Mutterstadt Milet nach der seythischen Küste gewandert sein mögen. Den Apouamaidns, welchen Raoul-Rochette Antiqu. grecques du Bosphore Cimmerien, Paris 1822. 8, p. 24 m Olbia finden wollte, hat Böckh p. 137 als irrthümlich beseitigt; über dorische Monate, die hier gefun- den sind, vgl. Melus u. Rhodus. Olus in Kreta. ’EAevoivsos und "Hoasos, C. I. n. 2554; s. oben Latus. Olynthus s. Chaleidice. Palmyra. Ie gr is. Gruter p. 86. 8. Panormus s. Sicilien. Pantikapaeum 8. Bosporus. Paphus s. Cypern. 1 8 Parus. Ar gecragldv. C. Inscr. I. II, p. 1072; ¿rav Evdena al : Tgidwovræ Muegav Eis Ardęoo nv agxovre xal piva ’AvYeotngiwva. OQagpynhiwy? Nach der parischen Chronik Z, 40 kann man mit Cor- ` sini p. 466 auch diesen Monat im Gebrauche der Insel voraussetzen, ohne jedoch darum alle attische Monaten auf sie überzutragen. Pergamum. Macedonische Monate; vgl. Joseph. Antiqu. XIV. 10. 22 und Galen Valet. tuenda IV. 8: Goris waigös êv “Popy ër 6 #aAovuevos Berreußgiös ecru, èv Hepydp de nag vum Treggege ral, "Ayr- ver dë uerge (d. h. Boedromion). Perinthus? Degacrés? Glossarinm Portense bei Eckert in dem Jubel- programme der Schulpforte 1843, p. 8: Sebastus pintorum lingua AG Histor.- Phil. Classe IT. T 146 KARL FRIEDRICH HERMANN mensis dicitur. Dass Perinth einen eigenen unter römischem Einflusse gebildeten Kalender gehabt hätte, wäre bei der Bedeutung und Begün- stigung dieser Stadt in der Kaiserzeit immerhin möglich; vgl. Menn Meletemata historica; Bonn 1839. 8, p. 166 gg.; da jedoch jenes Glos- sarium seine übrigen menologischen Angaben nur aus Quellen von der oben S. 48, Note 6 erwähnten Art zu haben scheint, so dürfte vielleicht doch eher an den cyprischen (paphischen) Sebastos zu denken sein, wenn dieser auch freilich dem römischen Augustus nicht entsprach. Phocis zählte seine Monate, wie dieses schon von Böckh C. Inser. T. kk p. 754 bemerkt und seitdem durch mehrfache Beispiele bestätigt worden ist, die Raoul-Rochettes Vermuthungen (Antiqu. du Bosph. Cimm. p. 23) hinlänglich widerlegen. So erscheint He A mowrTos in Elatea C. I. n. 1569 mit dem böotischen 'AàgÀxouéyios und Anecdd. Delph. n. 27 mit dem delphischen Hęgcios verglichen; 1elros zu Tithora in Ritschls Rhein. Mus. B. II, S. 554; reragros zu Steiris bei Ross Inscr: ined: T. I, p. 30 mépumTos gleichfalls zu Tithora a. a. O. S. 553; : Eßdopos zu Daulis nach Böckhs unzweifelhafter Verbesserung im C. I. n. 1725 für uyvòs .. Zen, woraus Corsini einen delphischen Monat Abhos gemacht hatte; SE, &varos bei Thiersch Abhh. d. Münchner Akad. 1840, S. 67: aoxovros “u dpov unvòs Eva ..., wo weder mit dem Herausgeber &ßdouov zu ver- bessern, noch mit Curtius in Jen. L. Z. 1842, S. 1014 an einen unbe- kannten delphischen Monat zu denken sein wird; : dwdéxaros zu Tithora a. a. O. S. 555 und zu Davulis C. I. u. 1732; vgl. auch Franz Elem. epigr. p. 285 und Leakes Travels in northern Greece T. M. p. 628; und namentlich zeigt das letztgedachte Citat, dass diese Bezeichnungsart anch in der römischen Zeit fortwährte. Den Jah- resanfang hat Böckh auf die Herbstnachtgleiche gesetzt, weil der ’AAaA- xopévios, mit welchem der erste Monat verglichen wird, dem attischen Meapaxtnoiwv oder November entspricht: jam quoniam Phociei anni Primus mensis non potest Boeatici anni mensi undecimo coneinuisse secundum legitimos annorum cardines, quod hi certe trimestri spatio ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE eie. n, \ distent necesse est, patet hanc utriusque illius mensis comparationem ex cyclorum esse diversitate explicandam, ita quidem ut Phocensis annus coeptus sit a novilunio post aequinoctium auctumnale proximo, et primus Phocensium mensis em e decimo Boeotico ; sed quum Phocenses nuperrin ila t mensem, necdum inter- calassent Boeoti, Boeoticus mensis undecimus non incidit in secun- dum Phocicum, sed rediit in primum; doch stehen dieser Berechnung allerdings noch die Bedenken im Wege, die oben vielmehr den Agud- -tios als eilften, den ’AAaAxouerios als zwölften Monat des böotischen Jahres erscheinen liessen. Wenn Plutarch, auf dessen alleiniger Aucto- rität die Vergleichung des ’AAaAxouevıos mit dem Masmnarrngwv be- ruht, an andern Stellen den Aæhndrpios als November und den auf den Massagen folgenden IIogeded als Januar bezeichnet (S. 76, Note 2), so dürfte die obige Zusammenstellung den phocischen meWros mit glei- chem Rechte auf den December verweisen, wo es dann nur einer Um- kehrung des von Böckh angenommenen Schaltverhältnisses bedarf, um vielmehr die Wintersonnenwende als Anfangspunct zu gewinnen; und nur unter der Voraussetzung, dass das böotische Jahr späterhin dieselbe Verschiebung wie das athenische erlitten hätte, würde die Böckhische Parallele für die ältere Zeit aufrecht bleiben. Phrygien. Was Fabricius p. 49 als phrygische Monate aufführt,, ist bereits oben S. 46, Note 2 beseitigt und dagegen S. 52, Note 1 bemerkt, dass auch hier die Monate gezählt wurden; bis der dritte Band des C. I. hierüber Näheres bringt, genügt es auf Hamilton n. 23 und 354 zu verweisen. Priansus auf Kreta. Agpoumios. C. I. n. 2556; s. oben Hierapytna. Priene. Boydgopiwv. C. I. n. 2906: ri dè vouumvie rot Bondgouswvss, iv 7 za T d N av&Aaßer: also zugleich Jahresanfang, wie Ähn- liches bereits oben bei Cyzikus und Lampsakus beobachtet ist. Rhodus. 3 Aldo O vos. C. I. n. 2525 C, lin. 1: &m’ legł us Aupawerov Aioo Dien duderdrz rA. Taxiv$sos. Ebendas. lin. 68 und 85: Umaoxew dè br tar drae yópevoiw na? oredavwcıwy na? Em Tav zf Zu wi Tam äus... Tò dè ¿éaigovuevov aurö Ze TG un zë Tax eis zë dei xoi- 148 KARL FRIEDRICH HERMANN. vov auraxpeioguv ro apxorres zo Exaorov Evinvrov ri, Dazu bemerkt Böckh p. 392°: Utrumque Argis allatum in Rhodum, priorem Sparta in Iheram judieo. Gorpiaeum Rhodiis tribuere videtur Schol: Pind. Olymp. VII. 147; Boëdromionem Theognis apud Athen. VIII, p. 360 B; Metagitnionem Porphyrius de abstin. II. 54; sed haec ex comparatione potius Macedonici et Alticorum mensium dicta sunt. Dagegen nimmt Ahrens dials T. II, p. 554 noch einen A pra ulrios in testis nonnullis Olbiae repertis an, welchen er mit dem Urheber der Notiz in der N. Jen. Lit. Zeit. 1842 N. 180 rhodischen Ursprung zuschreibt; und ist diese Annahme che, so gewinnen wir aus derselben Quelle noch weiter. die Namen | Aypıdrıos, Ad Ae²s und IHocsıdwvsos (s. Beil. L unter diesem Worte), obgleich dikselben eben sowohl auch nach einer andern dorischen Colonie bop: Melus) oder selbst nach Sicilien gehören können. ` Salamis s. Cypern. o Sardes. Aci, s. C. I. n. 3467: g Ar nardvdav Maiwv Ev TA Auumgoreirz * dis veuroguv Zagdıarcy nuroomoAsi ivd. 8 etv- ec rci rs oi uyvòs Asciov rerdorn, also wieder nach ephesischem Kalender, s. oben Nysa. Seleucia in Pierien. Der aus macedonischen und vorderasiatischen Elemen- ten eigenthümlich zusammengewürfelte Kalender dieser Stadt Mich in dem Hemerologium Leidense bei St. Croix so: 1. Ades (mac. December) Januar; 2. fehlt; St. Croix vermuthet IIeglrios; 3. Atolos (bith. Januar) März; 4. Av Herr igis (eyz. März) April; 5. Agreulcios (mac. April) Mai; 6 und 7 fehlen; 8. "Adwvicsos (syr. Juni?) August; 9. "AmsAAuTos (mac. November) September; 10. Tomi ο (mac. August) October; ÜBER. GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 149 11. Dareueg (mac Juni) November; 12. Saeräusce (mac. März) December. Den Anfang des Jahres setzt Ideler auch hier B. I, S. 433 auf den October und folglich mit dem Topmsaios: doch spricht dafür nur die Analogie der sonsligen syrischen Zeitrechnung, und wenn wir mit Movers häönicier S. 206) annehmen dürften, dass das Adonisfest immer am Ende des Jahres (annuo cursu completo, Ammian. Marc. XXII. 9) be- gangen worden sei, so würde vielmehr der ’AmeAAaios an die Spitze treten. F | Sicilien. ` Hierunter begreife ich alle die Monate, welche Dorville (Sicula p. 579. 80), Torremuzza p. Lt fgg., Sestini (Viaggi ed opuscoli diversi, Berl. 1807, 8, p. 277), Judica (Antichita di Aere, Messina 1819, fol.), Avolio (delle antiche fatture di argilla, Palermo 1829) u. A. aus den schon bei Centuripa erwähnten Henkeln von Thongefässen gesammelt haben, da es zu misslich scheint, dieselben mit Ausnahme der wenigen, die durch Teugnisse von Schriftstellern oder grössere Urkunden be- slimmten Städten zugewiesen werden, bloss nach den zufälligen Fund- orten zu vertheilen; zumal wenn wir sie grossentheils nur als die gemein- schaftlichen dorischen betrachten dürfen, die uns theilweise auch in Rhodus und andern östlichen Colonien begegnen. Nur auf den ganz eigenthüm- 2 lichen Kalender von Tauromenium ist keine Rücksicht genommen; da- gegen finden selbst die anderweit bekannten einzelnen’ Monate von Akra- gas, Gela und Syrakus hier um so eher ihren Platz, als durch sie wenigstens Endpuncte für das sicilische Jahr gewonnen werden. Denn die Stelle Plut: V. Dion. e.38: &xxAyaidgovos d aureis Zei véis GEO Ol govs necoüyros, von welcher Dodwell de Cyclis p 289 zu diesem Ende Gebrauch gemacht hat, beweist nichts, da sie dem ganzen Zusam- menhange zufolge nur von ausserordentlichen und revolutionären Wahlen handelt; wenn dagegen der Kurpvesos, der in Syrakus mit dem attischen Meraysırvıay verglichen wird, in Gela der zweiten Hälfte, in Akragas gar dem letzten Sechstheil des Jahres angehört, so werden wir den Jahres- anfang mit Sicherheit auf die Herbstnachtgleiche setzen und den Ila vce os oder September, der zugleich durch die mehrfach vorkommende Bezeich- > KARL FRIEDRICH HERMANN nung Tlavauos devregos (s. auch Fridi Münteri Epist, de monumentis aliquot veteribus scriptis et figuratis, Hafniae 1822, 4, p. 10) als Schalt- monat erscheint, nicht mit Dodwell an die Spitze, sondern vielmehr an den Schluss des Jahres verlegen müssen. Im Ganzen wird es jedoch schwer sein, die ohnehin mitunter noch zweifelhaften Namen in eine bestimmte Reihefolge zu bringen, und wenn auch einzelne derselben in anderen Kalendern wiederkehren, so vermehrt dieses doch nur die Schwierigkeit dadurch, dass die entsprechenden Namen in den verschiedenen Zeitrech- nungen mehrmals auf dieselben Monate fallen, wie denn z.B. auf den April der kretische ©evdassos und der macedonische Agreuicios, auf den September der korinthische IIdesaos und der athenische Bondęoſhiαο durch ihre synonymen Monate gleichen Anspruch erheben; am besten mögen dieselben daher hier in alphabetischer Ordnung mit ihren Fund- orten stehn: rg Ay gl vos in Akragas, Eryx, Gela, Panormus; derselbe ist unstreitig auch der von Torremuzza p. LXXV besonders aufgeführte Adęicivios. Aprapirtios in Akrä, Eryx, Gela, Katana, Panormus. Bad E] in Katana, und wahrscheinlich auch in Eryx unter der Corruptel Agæpóuos verborgen. AdKN i in Eryx, Gela, Katana, Panormus; vielleicht auch in Centuripa für Aos anzunehmen. | == Oec hh h in Eryx. Oevddc tos ebendaselbst. | - Kagveros auf Inschriften von Akragas, Gela, Syrakus; und nach gütiger Mittheilung des Hrn. Prof, Franz auch auf zwei Gefässhenkeln ex schedis Mülleri. | | Aua ue! in Eryx; s. Beil. I. i Së Hævapos in Akrä, Centuripa, Eryx, Katana, Panormus, Syrakus. Taxiv$ios in Akrä, Eryx, Gela. SE - Über den Hóceidwvios s. Beil. I. Weiteres werden wir nur von künf. tigen Entdeckungen erwarten können, die aber hier grössere Wahrschein- lichkeit als irgendwo sonst darbieten; vgl. Raoul-Rochette in Welckers Rhein. Mus. B. IV, S. 85: il existe un grand nombre de ces anses ÜBER (GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 151 d’amphores avec des noms de mois et de magistrats Syra- cusains dans la collection du baron Judica à Palazzolo; et je regrette bien de wavoir pu, faute de tems, profiter de la permis- sion, qui me fut donnée de rechercher. et de copier les noms de mois nouveaux qui vy troùvent, afin avoir la liste compléte et authen- tique des douze- mois Syracusains. yi Sicyon. Acces. Plut. V. Arat. c. 53: i Arn Aale Ans % "A Baren αν“eαν, Avec rug ⁰,. Also nicht macedonischer Ka- lender, in welchem der Acces vielmehr dem OxpynAswv entspricht. Sidon. Macedonische Monate, jedoch so, dass Aos dem Januar entspricht; s. Hemerol. Florent. und Ideler B. I, S. 434. Skamandra. IId YH? C. I. n. 3597 nach Böckhs Ergänzung zu. . MOU reroads amiovros. Dass die Monate überhaupt macedonische gewesen, liegt nahe; insofern jedoch die Spuren der vorhergehenden Zeile bei den lliensern auf andere Zeitrechnung schliessen lassen, könnte hier auch ein Localkalender anzunehmen sein. ` nn Smyrna. Av C. J. n.3137: End legs Hynciov, oredarnpögov 92 Iv Noddgov, nde Ayvanivos dd rin èni Torse cu Deo iu Ọihlav Zero re soi ot ër Mayvyoig xaromos: vgl. Böckh in Abhh. d. Berl. Akad. 1816, S. 51. A Her. Philostr. V. Sophist. I. 25: afueren ydo TiS Anu! Ar Beran lere, Zn eis dyopdv zÄ. Diese Beispiele, wozu wahrscheinlich auch - Horsıdesv aus Aristid. Serm. Sacr. I geſügt werden kann, beurkun- den, dass bis auf Saec. II p. Chr. in Smyrna der alte ionische Kalender im Gebrauche gewesen ist; und die macedonischen Monatsnamen, welche Usserius de anno solari c. 1, Noris p. 14 und Corsini T. II. p. 465 auch hier finden wollen, gehören wohl mehr der Ausdrucksweise des Schrift- stellers an, welchem sie dieselben entlehnt haben. Dagegen scheint später allerdings auch hier, wie überhaupt bei den Asianern der christlichen Zeit, ein gezählter Kalender üblich geworden zu sein, vgl. C. I. n. 3386: dminsıtar Tò avriygaßır zis TO dëng dre v en oredarnpogev d 152 KARL FRIEDRICH HERMANN Aiklov Biwvos vagde Teirov: obgleich diese Inschrift selbst durch die Erwähnung der unrug Dear Dirvxiyn noch als heidnische erscheint. Sparta. In dem Wiener Menologium bei Treschow p. 171 ist ein voll- ane Monatskalender unter der Uberschrift: näves Aaxzedasnoviov c anro Nosußgiov aufgeführt; es sind dieses aber nur die be- kannten macedonischen, und wird daher jener Überschrift wohl eine Verwechselung zu. Grunde liegen, wie denn eine ähnliche auch in dem von Montfaucon Bibl. Coislin. p. 275 unter der Bezeichnung: nomina mensium Romanorum, Graecorum, Hebraeorum, Aegyptiorum, Cap- padocum, Lacedaemoniorum, Bithynorum,. Macedonum erwähnten Verzeichnisse vorausgesetzt werden darf. Von ächtspartanischen Monaten hat Meursius Miscell. Laconic. III. 8 fünf Namen zusammengestellt, welche die folgenden Chronologen wiederholt haben, ohne inne zu werden, dass ausserdem noch | en G do, s als uyy maot Adxag bei TE T. E p. 1650 erwähnt die fünf übrigen sind: o e 2 bei Zeen, IV. 119: rara bend Aa zai snuoAöyysav nal oi Evumaxcı "Adels wal ros Evupdxois, pc ër Auxsdainovi Tegaoriov dwderdry, welchem Tage vorher c. 118 der 14te athenische EH dnliprach; "Agrepicsos bei ege V. 19: dN D Tüv cod &Dogos TAs- oröAas, "Apreuiciov unvòs rerägrn Ogwovros, èv di AO⁊ci Gen "Axas EAaffasfioihuaiueg Aude Zen DI lvovros: d'A deeg bei Steph. Byz. s. v. PAdovs: Aaxggdouuiger dé Trav Gran Eva DAsdoıov Sehotoum, ÈV & TOUS TÄS ns wagmovs deudëen cupßé- Baxe; vgl. Hesych. T. II, p. 1514: ©Avyouos 6 Rouge xa? nv TIS: Exaroußevs bei Hesych. T. Zi p. 1126: piv mag rn, ër ù zé Tarivdıa: Kapreros bei Thucyd. V: 54: e Aups, X Böckh im Index lectt. Berol. 1816. Dass der Jahresanfang mit der Herbstnachtgleiche eintrat, geht aus dem Amtswechsel der Ephoren bei: Thucyd. V. 36 und anderen Gründen mit Sicherheit hervor, vgl. Dodwell de ‚Cyclis: VIII. 5; von den nächstfolgen- ÜBER "MON 18 a etc. - 153 den Monaten aber, wenn nicht etwa der "Bees (d. i "Haase, vgl. Lobeck Pathol. serm. gr. p. 426) dazu gehört, ist nichts bekannt, so an- sprechend auch die Vermuthungen sind, mit welchen Mazocchi ad Tabb. Heracl. p. 147 den "AreAAwios, und Böckh C. Inser, T. II, p. 392° den Aibo vos anderer dorischer Staaten auch für Sparta annehmen. Erst mit dem zweiten Jahresdrittheile begegnen uns Tegdo e und Agęreulcies als Frühlingsmonate, welchen mit Wahrscheinlichkeit auch die theräischen nn und AsAPivios werden beigesellt. werden kännen; und eben so stehen die drei übrigen für Juni, Juli und August fest, worauf dann zum Schlusse vielleicht noch tt ST sein wird Steiris s. Phocis. ii , Stratonicea. Die einzelnen CN sind SCH Ban, 5 Böckhs Vermuthung im C. Iuser- T. II, p. 488, dass es die asianischen sein mögen, weil sich unter diesen ein Ergaróvixos befindet, bedarf noch urkund- licher Bestätigung; dagegen ergibt sich aus der von ihm selbst aus der Inschrift n. 2722 ermittelten Tabelle über die Zahl der einzelnen Monats- tage eine grössere Übereinstimmung‘ mt dem bithynischen und kretischen Kalender, die nur in den vm letzten Monaten die umgekehrte Folge o darbhäeten, ` Syrakus. KT Plot. V. Niciae c. 28: fie d' d Terpas DI. yorros Tod Kapveiov νtͥs, iv "A Datei Meraysırvısva nposayo- ‘gevovoi. Die Vergleichung wird durch die etwa 10 Tage vorher statt- gehabte Mondfinsterniss (e. 24) bestätigt, die nach astronomischen Be- rechnungen auf den 27sten August 413 fiel; vgl. Part de verifier les dates avant Tre chrétienne T. I, p. 255. | Id vc us u. s. w., vgl. oben Sicilien. Suden s. Antiochia und Hellenen. Tanais. Macedonische Monate wie der Bosporus; s. C. Inser. T. II, p. 1009. Tauromenium. Diesen Kalender hat Frauz aus den von ihm zuerst her- ausgegebenen Inschriſten in Ann, dell Instit di Corrisp. archeol. 1838, p- 75 Bar zusamniengesetat: Aprenitıos, ` d Asovvosos, ; Histor.- Phil. Classe IT. U KARL FRIEDRICH HERMANN inssi A 3.) ungewiss: 1% svao fl mew stode soisnoM 6. ArexNATS, h (oe Et C he Fass 05,3 Was "ER: 2 ed hat; 8. K'z pretos; d'an RRA web TR] 19194 ungewiss, vielleicht Trans, = ae a, 10. h Ad xe, Cal j À ; 11. AN AMNẽ,s, 12. Ex NES, bun so viel ist jedenfalls gewiss, dass "ES Aretas der auf Tab. I zunächst hinter dem Eponymus des Jahres folgt, der erste Monat sein muss, welchem dann, wie in Korcyra, EvxAsıos als der letzte voraus- gegangen sein wird; muss man aber darnach den Jahresanfang auf die Frühlingsnachigleiche setzen, welcher der Agreuicios in allen bekannten Zeitrechnungen der classischen Zeit angehört, so kann die übrige An- ordnung insofern nicht richtig sein, als sie den Kagveios auf den No- vember verweist, während er sowohl urkundlicher Angabe als auch der Natur seines Festes selbst nach wesentlich Somniermonat ist. Des Her- ausgebers Anordnung ward wahrscheinlich durch den Wunsch veran- lasst, dem Are Achtes, der sich durch den Zusatz devregos auf Tab. III als Schaltmonat kund gibt, nach der Analogie des attischen Tloc&idewv die sechste Stelle anzuweisen; diese Rücksicht muss aber weit hinter ‚derjenigen zurückstehn, die wir gerade solchen Monaten schuldig sind, deren Feste mit der Jahreszeit in so engem Verbande stehn, wie es gerade bei den apollinischen und arlemisischen der Fall ist; und da aus den Inschriften nur so viel feststeht, dass "Apreuirios und Asvvcsos, und dann wieder Arex Acts bis ’AmoAAwwsos. in der angegebenen Reihe auf einander folgen müssen, so wird es weit gerathener sein, die Lücke von drei Monaten, welche Franz vor dem ’AmsAAdlos annimmt, hinter den "AmoAAwvios zu. verlegen, als entweder den Regress zum ‚November herunter, oder den Agreutrios zum Januar ‚hinaufzurücken. Auch hat zu meiner Freude Hr. Prof. Franz selbst dieser meiner Modifi- cation brieflich seine Zustimmung gegeben, und mich. ausserdem er- mächtigt, folgende Nachträge zu seinem Aufsatze hier mitzuteilen: 1) was UBER GRIECHISCHE 'MONATSKUNDE eic. 155 den Tléxos betrifft, so sei es sowohl aus der römischen Publication der Inschriften selbst als auch aus dem ‚Fragezeichen i in den Elem. epigr. gr. P. 228 fgg: ersichtlich, dass dieser Monatsname ihm selbst zweifelhaft gewesen sei; dieselben Züge, unter einem andern Lichte betrachtet, er- wiesen sich so, dass man mit Bestimmitheit nur sagen dürfe, der Name eendige auf 108, mit Wahrscheinlichkeit, er endige auf aros, wer weiter conjiciren wolle, könne Aboerlov herauslesen. 2) Marm. II, col. 1, lin. 18 der römischen Publication sei für AuA/ov vièlmehr Sang zu lesen; dagegen scheine ihm lin. 10 in den Buchstaben tapon ein neuer Monat uu liegen, den er jetzt aber lieber Boulov lese und der vielleicht mit dem vorhin gesuchten identisch sei. Festere Grundlagen wird uns erst der dritte Band des C. Inser: bringen; für jent bemerke ich nur, dass in Tplov eben so wohl der 'thessalische Irvios als der lamische Baue liegen könnte, sollte aber letzterer vorzuziehn sein, auch an die Stelle des IIdxios vielleicht Auxios treten dürfte, denn wesshalb letzterer gerade esb 2 mit dem r, sein ee. SE aus Los * ee nicht . H — hervor. Di il Tenus. Aus er leider nur alle sehr edle: a unleserhehln In- schrift C. I. n. 2338 bat Böckh folgende Monatsnamen mit Sicherheit ermittelt: Gu Säi AeA A aian lin. 15; iad e al a voli n BoD lin. 35 und 109 Ad ru lin. 38 und 101; "NMoesidewv lin. 43 und A8: i SR va Agreniciwv Se | 25 | Oaαανν,ja lin. 69; e dagegen sein Hęcic Bes 22 und 28 nicht über alle Zweifel er- ben ist, habe ich Beil. I bereits bemerkt; und wenn er lin. 113 sogar den dorischen Aude ves einschieben will, so hat er nicht einmal die Schriftzüge auf seiner Seite. Er emendirt A. los Bou vele aus OEMYOTM. NOS: aber auf der ganzen Inschrift hat kein anderer Name das Wort unves hinter sich, und so wird es ungleich angemessener sein, auch hier die Endung vos zu erkennen und einen der Stellung 12 156 KARL. FRIEDRICH HERMANN nach dem Bouoridv enisprechenden Namen, vielleicht. Oes io Pop, oder, die zwei ersten Buchstaben zum vorhergehenden Worte schlagend, e zu substituiren. Auch hinsichtlich der Reiheſolge kann man sich nur daran halten, dus Z. 109 auf die neue Jahresbezeichnung Zar agxovros. "AuswoAa sofort uyvos Beufopietreeg folgt, wornach also dieser Monat, der auf Delus dem attischen Merayerrvisv entspricht, ziemlich nahe am Anfange zu stehn und mithin das Jahr selbst wohl wie in Athen mit dem Sommersolstitium zu beginnen scheint; eben daraus aber ergibt sieh, dass nicht, wie Böckh auch in Abhh. d. Berl. Akad. 1834, S. 36 wiederholt hat, ausser dem Areale auch noch ein Hę aiv vor dem Deoufogueit hergehen kann. Freilich ist die Lage des "A zeihen überhaupt ganz unsicher, da man, wie Böckh selbst bemerkt, nicht wissen kann, wie die hier verzeichneten Monate einem . oder mehren Jahren angehören; insofern jedoch die Stelle des macedonischen Aren Aatos. (November) bereits durch den "Ararovpesv | occupirt ist — der Anfang mit dem Solstitium erlaubt noch nicht an die Verschiebung des eyzicenischen Jahres zu denken — kann man jenem immerhin; den Eraroußausv, einräumen, für den. wir im ionischen Jahre noch keinen sonstigen, Ausdruck kennen; und der auch ungefähr dem eleischen Aro Awvios entspricht. Teos. IIoceid edv. Anakreon bei Eustath. ad Wad, XV. 192: peis Aën an Mocidniov Zrzaxer: effet dar Bapvrovras, oder wie sonst gelesen werden müsse; vgl. Bergk ad Anaer, fragm.. p- 89; Schneide win Delectus p. 348; Sauppe Epist. crit. p. 137. Dass aber der Dichter hier nicht einen Monat seiner Vaterstadt oder des ionischen- Kalenders über- haupt, sondern speciell den athenischen meine, wie, Fritzsche de Lenaeis P. 20 will, ist völlig unerweislich und beruht nur auf der unhaltbaren Gleichstellung des, IIe. deus und Ge? worüber Bei I. Ze Nähere gesagt ist. Ar äeozaeieri Auf diesen ie ied el p. 465 aus ga Erwähnung der Anthesterien in der teischen Urkunde C. IL. n. 3044 nicht ohne Grund; nur wird daraus noch kein Beweis für den Gebrauch des Seiren Kalenders in allen seinen Theilen hervorgehn, da gerade e UBER GRIECHISCHE; MONATSKUNDE eic. Ab: 157 dieser Monat, wie der Elossidewv, dem ionischen Jahre mit der Mutterstadt gemein ist. Eher dürfte, man aus der Inschrift: n. 3070 auf späteren Gebrauch macedouischer Monate schliessen; „da. dieselbe jedoch keine amtliche: Urkunde der Stadt Teos, sondern auf das Collegium der Atta- listen bezüglich und mit den Regierungsjabren des Königs Attalus be- „zeichnet: ist, so, mag auch der as ett dem ` pergamenischen Kalender anheim hallen K Thera. In dem Testamente der pie G L n 2448. dab von Böckh wenigstens mit grosser Wahrscheinlichkeit dieser Dé zugetheilt wird, finden sich die Monate 0 o Ai. sc) | | Alo vos IV, lin. 1; VIII, lin. 19; EAeugivres-H, lin. 8; III, lin. 4; AsAPivsos II, lin. 33; IV, lin. 26; und zwar in solcher Bogis, dass der ’EAevs/vios vor dem Ach fin hergehen, der Ale Sue aber einer der ersten Monate des Jahres sein muss. Corsini T. II, p. 456 und Böckh T. II, p. 370 Wollen sogar, dass mit diesem, also mit der Bruma, das Jahr begonnen: habe; dieser Annahme steht aber kein genügender Grund zur Seite, und die Prä- sumlion der Herbstoächtgleiche für alle dorischen Staaten geradezu ent- gegen. Denn wenn die Wahl des ersten ZmiccoPos VIII, lin. 19 auf den zehnten Tag des ‚Monats Ado vos bestimmt wird, so geschieht dieses nur desshalb, weil die Bestätigung des Vermächtnisses und Regu- lirung seines Vollzugs nach IV, lin. 1 in diesem Monate beschlossen ist; mit der Verordnung VI, lin. 25 aber, dass der erwählte &riccoßos. all- jährlich am zweiten Tage des ‚Jahres eine Versammlung halten soll, hat jene Bestimmung ı nur insofern, z zu schaffen , als- sie. den im Aude Bee zu wählenden en loco Dos bereits voraussetzt; und wenn Böckh sagt: -nonne „probabile, primum, congenium, in quo lata lex est, eodem secundo anni die habitum esse? so wäre doch ‚seradeyeine solche Übereinstim- mung wohl bestimmter durch ¿y ade Ta i oder dgl. ausgedrückt worden, während die Wahl des zweiten Tags im Jahre für eine Ver- sammlung, welche die Geschäftsführung des ganzen Jahres ordnen soll, keines solchen äusserlichen Grundes bedarf. Es wird also genügen an- rd 158 KARL FRIEDRICH HERMANN ÜBER GRIECH. MONATSKUNDE etc. zunehmen, dass die Genehmigung der Stiftung, welche èri &Peowr tæv cvv Dusßoreiss gemacht war, in einem der ersten Monate des folgenden Jahres I ¿Qopuy rav op IAEE⁰ hre erfolgt sei, ohne dass sie gerade eins der allerersten Geschäfte dieses Jahres gewesen zu sein brauchte: nachdem sie aber erfolgt ist, wird allerdings noch auf den zehnten Tag desselben Monats -Azo vos die Wahl des Elgg Oos anberaumt, damit die Gelder dann stiftungsgemäss im EXævclvios eingezahlt und im Ach. Olvios die Feier begangen werden könne. Ausser diesen drei Monaten lernen wir übrigens jetzt aus einer Inschrift in * een Inst: archeol. T. XIII, p. 22 und C. ass T. II, E 1086 noch doe mar Aorepirtsos und ri ml E 200 ea € Taxiv9sos kennen, an dient neunte soranivon det Göttermutter aus dem Ertrage eines Grundstücks geopfert werden soll; die Stelle des erstern wird nach Beil. I. vor diem ën, anat des ändern im Juni oder Juli anzunehmen seines i ib %% 0 ' Ties de Ovos s. Gerin! bun ö E.T Irwvsbs.bei Leake Travels in northern Greece Pl. XLII "ergaryyourros zap Dezcachap "Ayabiuov'. so un Ir Zeur ee bee ATÀ.. Thyatira. - Macedonische- Bihan Se * aer? T. II, 2 Gen a Tithora s. Phocis. Tomi Arete. C. I. at: hehe aus dem mäbdoni- 1 schen Kalender. 255 arena sib base del Tralles: nete, pw Orle T. H, 5 ee yon Troezen. Tegalarios. Athe’ XIV. a: kad Ké agëengt. D avi F paisti waäviyugis Ile ra- mohurus, f E ër Wé bi SEN MET "rä m Bes ` Ze Ar véi gei d SCH TOUS, Geb hors "Boun A Du ;ixtgesusior alisiod 2 Codein obus Tyras. Macedonische Monate, die aber bach Hemerol. Florent. am 191en October mit — T. megBigeräiis auflagen; . Heer È, I, 8 435. i 11276. j t 8 e $ £ sr d: 1 "TS R ni eg o LC D DIJIGE „bio H $ 8 SÉ ës ` 1 vu (ei r H Eog i 3 ea MIAD CC QONE t — k i H s K d E? . j DI H PAE 1194 Geis briv l übe obne asien fee 299194 ` Beilage III. Synchronistische Übersicht der bekannten griechischen Monate. 3 2 ANE er NENNE d TE Vorerinnerung. Da diese Tabellen nach den in der Vorlesung dargelegten Grundsätzen allerdings auch theilweise nur auf Vermuthungen beruhen, so ist, um Miss- verständniss zu verhüten, zu bemerken: f 1. Eine Zahl vor dem Namen deutet an, dass ein Monat mit Sicherheit oder hoher Wahrscheinlichkeit die entsprechende Stelle in der bürgerlichen Reihefolge einnimmt, was namentlich auch da bemerkt ist, wo die Zeitrech- nung eines einzelnen Ortes erweislich von der präsumtiven seiner Gruppe ab- weicht. 2. Ein Fragezeichen vor dem Namen . dass der Name sicher, seine Stelle aber problematisch; dagegen ` 3. ein Fragezeichen hinter dem Namen, dass die Lesart selbst un- sicher; und A. eine Parenthese, dass der Monat nur auf Vermuthung dem betref- fenden Orte beigelegt ist. Gleichwie es sich ferner | 5. bei den Mondmonaten von selbst versteht, dass sie weder der Länge noch den Anfangstagen nach den unsrigen völlig gleich sind, so ist 6. noch besonders zu bemerken, dass jeder derselben nach Umständen zwischen dem ihm angewiesenen Platze und dem nächst vorhergehenden oder nachfolgenden schwanken kann. Histor.- Phil. Classe II. A | 162 KARL FRIEDRICH HERMANN I. Ionische Präsumtiver Jah- a. Ceos. Sen mit der Athen. b. Naxos. a. Delos. a. Chios. Sommersonnen- ES T c. Paros. b. Tenos. b. Teos. Julius 1. Exc ro, Are AN,. b. August 2. Merayeıtviov BovPoriwv a. b. ` September 3. Bodo, October | 4. Ilvaver) iv (Hvcye i b) ne November 5. Masnaxragiov |Masnarrygwv a. e b. =. December 6. Ileoeıdewv ocsdyiov a. b. Ilosıdyiwv b. SE Januar f: Be m. Februar 8. Ar Secrn,ↄ Avdeotngwv c. (Ar gecrnpidr b) März 9. Ecαο e Agrehe⁴u b. |Apremowv b. | Aprepisiwy a. April 110 Movie > Mai 11. Gazoahuwäp ` lagen c) EL 4. b. Junius 12. ui Ungewiss an b? Gruppe, ÜBER‘ GRIECHISCHE MONATSKUNDE eic. 163 a. Ephesus. b. Olbia (Milet). c. Smyrna. a. lasus. b. Priene. Cyzikus. E a. Cius. b. Gambreum. c. Lampsakus. a. Eretria. b. Neapel. | ? Tavgewv ? Asvaxadgıaw c. Bondoouuwv b. "Ararovgewv (a) b. 1. BondgoHhν b. i (Bondeouswr) | 1. Badpopiwv c. La . Kuavernbıwv Tlorsıdewv a. e. Ayvawv a. c. "Avgsorngwv b. e. ’ Aęreuigiv a. Kadaueaıwv (a) b. w . "Anarovgiwrv EiadnBoAwv a. Ayvawv b. Gegeffiegraip a ? IKSËEI a? "AYpodiowv a. 4. Tloosıdewv 5. Aurcticy 5. Ayvamwv c. 6. ’Avdeorngiwv |? Avgeoragiwv a. 7. Agrehiο,⏑jp 7. Aęprehioi e. 8. Kakayawv 9. Tlavnpos ? OapyrAwv b. le 7 lyric a. | Ila He b. 104 KARL FRIEDRICH HERMANN II. Doris che — Präsumtiver Jah- a. Aegina. n Sparta. b. Argos. a. Korinth. Elis. Herbstnacht- | gleiche. c. Troezen. b. Sieyon. October Hd November (Are NM) December (Air O vos) (Aldo Q uos b) Alo Q vos? Januar |a. Fous b. Februar (EAevoivios) | Aclotos b. März Teęcio rios ?Tegaioriose. \(EvxAsıos a) EA dios April "Aprexicios | (Apreuicıos a) | Mai (Ae Olvios) Ae Olxios a. Junius uc ios 1. d STE Julius | Exartoußsvs (Taxiv$os b) i % SET August Kappvecos (Kagveios a) | September (Tlavanos) (Idvenos b) Il&vnuos a. ug Ungewiss (Hęatos a) r Deeg, dë €" Adieu. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 165 Gruppe. | a. Kos. a. Astypalaea. A b. Rhodus. b. Chaleedon. Sicilien. Tauromenium. a. Korcyra. c Thera. c. Halicatnasus. b. Heraklea. 7 OcopoPogios 7. Adios (Adios b) Adios 8. ’AnoAAwvoos | AmeAAuios b. Aldo Duce b. c. ? Asovvovos b. ` Aygiavos a(b) |? Anvaroßdrxıos a. AD ? EAeuoivoos c. | Avĝeorngiav e. 11. Maxaveus a. ? Geer 12. EvrAeıos 12. ExREbHs a. 1. "Aprepirios Aoraeuireg a. b. c. Agrœ i ios 1. Aereuiree a. ? AeAQiyios c. ? Hodadsos c 2. Asovuosos Bee RBadęduios 3. Are —ͤꝛ—ä—̃ — — Taxiv Nos b. c. Taxly Oos 4. 10 r ⁵———A::. eem | Kapvesos 5. Kœgrecos SEITE Ildvanos- (6. IIa vc os IIdvc os b. a (Horedupıos b) Avapos ? | | 166 ‚KARL FRIEDRICH HERMANN : III. Aeolische Gruppe. Präsumtiver Jah- a. Aetolien. n Böotien. Delphi. b. Amphissa. Lamia. Wintersonnen- wende. c. Erineos. Januar 1. Bovxarios ? Aadafäege ` 17 Asorvouos a. 1. Bäume Februar 2. Eęuci 6. Ilosrgomuos ? 2. Ageos März 3. IIgooraruguos |7. Bucios ?Tevorös April ( Agrepioros) OE Mai 7 Deh odëimee 9. "HodxAsıos Tlöxıos b. ? Xovrraios Junius Bo Die 6. . goyos Julius ? Ae i Irrrodędhος̃ h. 7. Auxeos August 8. Ir rodgb⁰ s 12. @eo&erios Adios c. 8. Immodogwsos September 9. IIclyce os 1. Bovzaærios 12. IIdvc n a. |9. Hevanos October ? Heoine November 11. Ace r õ,οSe 3. Are AH? 11. AreN AM December 12. Ax αονναν 12. Bovxdrios Ungewiss Oui Algac rudy b. ÜBER GRIECHISCHE |MONATSKUNDE eie. 167 IV. Hellenistische Gruppe. Asianer. Bithynien. Cypern. Kreta. Seleucia. 4. Torie 4. Asowvcıos ö 4. JovAsos |Meraoxıos Avduverios 5. Ana 5: siche 5. Rauggeeg ` A 6. Tepos Basros 6. Ae 6. Tego rs Auösxovpos Aloys 7. Aerstwieueg ` 7. Berdidios 7. Auroxgaropıös| Oeoder los Ar geg rigios i | 8. Evayyfisos 8. Zepdreeg ` S. Aynagxe&ovosos Morros "Agreninios 9. Ergäróvxos 9. ” Aperos 9. IIxꝝn Hund ros Pash es 10. Exar He 10. Dees? 10. Agxıegeus Treggége ros E Av rec 14:7 Arete 11. EO Nexusuos "Adwvicsos A TE 12 . $ 12 * BaoiA.uos "ArsAAuios 1. Kœ 1. Hoars sc. "Appodions Oec poopy E 2. T. 869108 2. "Eppos? 2. Aro Egucibs IIarenos — — 3. Ararovpıos 3. Alvieos Espar? E —— 3. Marowos 168 KARL FRIEDRICH HERMANN V. Macedonische Gruppe Präsumtiver Jah- Be Macedonien. Antiochia. Araber, Askalon. fe (Anfang Zavgırös)| (Anfang Treę- 3 Begeraios) Atos October November 18. Oct. —16. Nov. 27. Nov. 26. Dec. ' Fre November è December 17. Nov.— 16. Dec. |27. Dec. 25. Jan. Avduratos December Januar 17. Dec.- 15. Jan. 26. Jan. - 24. Febr. Ilsgirios Januar Februar 16. Jan. 14. Febr. |25. Febr. 26. März RER Februar [März 15. Febr. 16. März|27. März. - 25. Apr. Savgıros März April 22. Marz 20. Apr. 26. Apr. 25. Mai Ag reuicios April Mai 21. Apr. - 20. Mai 26. Mai- 24. Juni Acæicios Mai Juni 21. Mai- 19. Juni 25. Sak Juli Harne Toni Juli 20 bunt 10, Juli 25, Juli 23. Aug. Ass Juli August 20 Juli - 18. Aug. 29. Aug. - 27. Sept. Toęricĩos August September 19. Aug. - 17. Sept. 28. Sept. 27. Oct. Treggege rats | September October 18. Sept. 17. Oct. 28. Oci. - 26. Nov. ÜBER GRIECHISCHE MONATSKUNDE etc. 169 nach der Verschiebung ihrer Monate verglichen. Ephesus. Gaza. Lycien. Sidon. | Tyrus. i (Anfang Treg- , Begeraios) A. Sept. - 23. Oct. 28. Oct.-26. Nov. Januar Januar 18. Noe, 17. Dee. 24. Oct. 23. Nov. 27. Nov.- 26. Dec. Februar Februar 18. Dec. - 16. Jan. | 24. Nov.- 24. Dec. 27. Dec. 25: Jan. März (vom 2ten) März 17. Jan.-15. Febr. 25. Dec. 23. Jan. 26. Jan.- 24. Febr. April April 16. Febr. - 17. März 24. Jan, 21. Febr. 25. Febr. - 26. März Mai Mai 18. März - 17. Apr. 22. Febr. - 23. März 27. März - 25. Apr. Juni Juni 18. Apr.- 18. Mai 24. März- 23. Apr. |26. Apr.- 25. Mai Juli (vom 2ten) Juli 19. Mai - 18. Juni EE 26. Mai - 24. Juni August August 19. Juni - 19. Juli | Be Ian 25. Juni - 24. Juli September September 20. Juli - 19. Aug. TERN Juli 25. Juli - 23. Aug. October October 20. Aug. - 18. Sept. 25. Juli 23. Aug. 29. Aug. 27. Sept. November November 19. Sept. - 18. Oct. Bean. Sept.|28. Sept, 27. Oct. December December 19. Oct. 17. Nov. 5„— — a 2 D ; | | | | | | ig er — — - er —— | D e : | | 1 ss = "Er | J * Eë nk EE . Zur Rechtfertigung der Achtheit des erhaltenen Briefwechsels zwischen Cicero und M. Brutus. a A WE, Karl Friedrich Hermann. Erste Abtheilung. Vorgelesen in der Sitzung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften ; am 16ten November 1844. Di Untersuchung, welche ich der verehrten Versammlung an dem heutigen festlichen Tage vorzulegen mich beehre, ist gewissermassen ein Vermächtnis unseres grossen Johann Matthias Gesner, der vor beinahe hundert Jah- ren mehre Sitzungen der Societät mit der Rechtfertigung der vier ciceroniani- schen Reden beschäftigt hat, deren Verdächtigung sowohl ihrer Zeit und Quelle, als ihrem Geiste und Charakter nach auf’s Innigste mit dem Angriffe auf die Briefe an Brutus zusammenhing, deren Ehrenrettung ich mir zur Aufgabe gemacht habe. Wenn Gesner nicht auch diese zugleich in den Kreis seiner Vertheidigung gezogen hat, so lag der Grund seiner eigenen Andeu- tung 1) nach theils darin, dass diese mehr historische Untersuchung seiner zunächst auf grammatische und rhetorische Interessen gerichteten Thätigkeit zu fremdartig war, theils schien ihm auch schon die Entgegnung Middle- tons auf Tunstalls ersten Angriff zu genügen 2); hätte er aber voraus- 1) Comm. Soc. Gott. T. III. (1753) p. 226: de epistolis ad Brutum longior fabula, disputatio impeditior est, a me quidem nondum ita excussa et exquisita, ut abscisse pronunciare audeam; nisi quod sufficere hactenus mihi videbatur Middletoniana defensio, ut nova opera ne valde quidem opus S . S 2) Der erste Angriff erfolgte unter dem Titel: Epistola ad virum eruditum ia Middleton, vitae M. T. Ciceronis scriptorem, in qua ex locis ejus operis quam Histor.- Phil. Classe II. 170 KARL FRIEDRICH HERMANN sehen können, dass die Auctorität der Gegner dergestalt überwiegen würde, dass bis auf diesen Tag sich noch so gut wie keine Stimme für die Achtheit jener Briefe erhoben hat 5), und mancher Gelehrte, ja mancher Philologe plurimis- recensionem Ciceronis "spigtolarum ad Atticum et 0. Fratrem desiderari ostenditur, de illarum vero, quae Ciceronis ad Marcum Brutum Brutique ad Ciceronem vulgo feruntur epistolarum «useyrig nonnulla disseruntur, Cantabrig. 1741. 8. Darauf antwortete Middleton mit seiner Ausgabe: The epistles of M. T. Cicero to M. Brutus and of Brutus to Cicero.... together with a pre- fatory dissertation, in which the authority of the said Epistles is vindicated, and all the objections of M. Tunstall particularly considered and confuted, London 1743. 8, die unmittelbar nachher auch zu Paris 1744 ins Französische übersetzt erschien. Gegen diese trat dann zuerst wieder Tunstall auf mit Ob- servations on the present collection of epistles between Cicero and M. Brutus, representing several evident marks of forgery in those epistles u. s. w., London 1744. 8, und im folgenden Jahre Jeremias Markland mit seinen Remarks on the epistles of Cicero to Brutus and of Brutus to Cicero ... with a dissertation upon four orations ascribed to M. Tullius Cicero u. s. W., London 1745. 8, deren ersten Abschnitt Wilhelm Ferdinand Wensch in Wittenberg 1841 auch in einer, freilich nur in sehr engem Kreise bekannt gewordenen, lateinischen Über- setzung herausgegeben hat. Zwei andere Schriftchen, welche dieser Streit her- vorgerufen hat, beziehen sich allerdings mehr auf die verdächtigen Reden, mögen jedoch um der Vollständigkeit willen auch hier erwähnt sein: A dissertation, in which the defence of P. Sulla ascribed to M. T. Cicero is clearly proved to be spurious, in the manner of Mr. Markland, with some introductory remarks on other writings of the ancients never before suspected, London 8, und: A dissertation, in which the observations of a late Pamphlet to the writings of the ancients are clearly answered ... with amendments of a few pieces of criticism in Mr. Marklands epistola critica, London 1746. 8; vgl. auch F. A. Wolf ad M. Tulli Ciceronis quae vulgo feruntur orationes quatuor, Berol. 1801. 8, pag. x fgg. 3) Der einzige, den Bähr Gesch. d. röm. Literatur S. 590 als Vertheidiger aufführt, Weiske (Anmerk. zu Ciceros ausgewählten Briefen, Braunschw. 1813. 8, 8. Lyn) hat seiner eignen Erklärung zufolge die Schriften der englischen Gelehrten nicht gelesen, und konnte sich also nur im Allgemeinen dahin äussern, dass “der ver- meintliche Falsarius ein bewunderungswürdiger Mann und ein allzugrosser Kopf gewesen sein müsste, der auf dem geraden Wege wohl mehr Ehre und Ruhm gefunden, und sich wahrscheinlich durch sonst etwas bekannt gemacht haben würde.” ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 171 kaum von ihrer Existenz wissen, geschweige denn sie gelesen und ihrer Be- deutung nach gewürdigt haben mag, so würde er gewiss auch diese Mühe nicht gescheut und einem späten Nachfolger die Aufgabe erspart haben, seinen Faden mit viel geringeren Kräften und unter viel ungünstigeren Umstän- den wieder aufzunehmen. Freilich hat es auch ihm nicht an Widerspruch gefehlt, und eine Zeit lang war seine sanfte Warnungstimme von dem rollen- den Donner der Polemik Friedrich August Wolfs so gut wie über- täubt, aber die Sonne der Wahrheit hat doch die Weiterwolken durch- brochen, und während einerseits der strengste Kritiker der römischen Ge- schichte, Drumann, die Achtheit der vier angefochtenen Reden unbedenklich in Anspruch nimmt ), hat neuerdings auch die sprachliche Seite wieder an einem der gediegensten Kenner ciceronianischer Latinität, Reinhold Klotz, ihren Schutzredner gefunden 5); — nach solchen Vorgängen gebe dann auch ich die Hoffnung nicht auf, es werde jetzt, wo man doch die Kritik nach andern Grundsätzen übt als vor hundert Jahren, auch hinsichtlich der schwer beschuldigten Briefe an Brutus genügen, das Zünglein der Wage überhaupt gelöst zu haben, um bald wieder das Ubergewicht auf die Seite derÄ chiheit fallen zu sehen; und obgleich es sich hier um ein viel tiefer eingewurzeltes Vorurtheil handelt, dem sogar Drumann sich nicht hat entziehen können 6), so fühle ich mich doch selbst durch diesen insofern ermuthigt, als er an mehr als einer Stelle nachgewiesen hat, wie Tunstall wenigstens nicht auf Unfehlbarkeit Anspruch machen kann 7). Denn mit diesem Gegner und sei- nen historisch- chronologischen Einwürfen habe ich es hier vorzugsweise zu thun, und werde die Versammlung mit grammatisch- exegetischen Einzelheiten so wenig als möglich belästigen; diese Seite, die insbesondere von Markland in’s Auge gefasst worden ist, glaube ich in meinem neulichen Programme 4) Geschichte Roms B. II, S. 167. 224. 240. 259. 296. 300. 304. 331; B. V, S. 264 und insbesondere S. 471 fgg. i e 5) Neue Jahrbb. für Philologie B. XL (1844) S. 251. 6) Gesch. Roms B. I, S. 57.1238. 263. 312. 321. 323. 331. 526; B. II. S. 105; B. III, 8. 723; B. IV, 8.9.40; B. V, 8. 199. i 7) Das. B. I, S. 331; B. II, 8. 28. 213. 326. 522; B. III, S. 5. 55. 58. 422. 681; B. IV, 8. 21: 25. 555; B. V, 8. 44. 87. 213, 443; Bd. VI, 8. 181. 291. 32% 409, d 172 KARL FRIEDRICH HERMANN zur Beglückwünschung der Universität Königsberg dergestalt erledigt zu haben 8), dass ich seine aus gespreizter Pedanterie und windiger Sophistik hervorgegangenen mit unfruchtbarer Gelehrsamkeit schlecht verbrämten Calum- nien oder groben Übereilungen als überwiesen voraussetzen darf, und brauche also auf ihn nur noch in soweit Rücksicht zu nehmen, als er gleichtalls das historische oder literärgeschichtliche Gebiet berührt hat. Hier bietet sich uns nun aber allerdings sogleich der grosse Vortheil dar, dass, sobald wir auf die literärisch-kritischen Fragen, die bei einer solchen Untersuchung natürlich immer die ersten sein müssen, etwas näher eingehen, unsere Gegner selbst sich von einander trennen, und mitunter in so offenbaren Widerspruch mit einander gerathen, dass man recht deutlich sieht, wie das subjective Urtheil, dem namentlich Tunstall in dieser Frage ein so grosses Gewicht beleet, ein höchst zweideutiger Wegweiser ist, und eine verneinende Kritik oft schon durch ihr eigenes Bedürfniss, positiv zu werden, wie der Basilisk durch sein Spiegelbild geschlagen wird. Hören wir Tunstall, so fühlte er sich sogleich bei dem Ubergange von den übri- gen Brielen Cicero's zu diesen von einem fremden Geiste angeweht 9), während Markland gerade den ersten Brief der Sammlung für einen ächten erklärt, den der Fälscher absichtlich an die Spitze gestellt habe, um die Leser über den Ursprung des Ganzen zu täuschen 10); überhaupt nimmt dieser verschie- denartige Bestandtheile und verschiedene Urheber der einzelnen Briefe der Sammlung an 1), während jener das Ganze in Bausch und Bogen zu ver- 8) Vindiciae Latinitatis epistolarum Ciceronis ad M. Brutum et Bruti ad Ciceronem, Gott. 1844. 4. 9) Epist. ad Middl. p. 193; Observ. p. 106. 10) Remarks p. 16 und 22: it is possible, that the for ger of these letters might in some manuscript or other pick up this stragling genuine epistle, and might place it as a frontispiece to his own work, being willing to set out right, whatever might befall him afterwards. 11) Das. p. 9: hy some person or rather persons; und specieller p. 20: there are likewise two or three more of these epistles, to which, tho I am very well satisfied, for my own part, that they are not genuine, yet I can find but little that can be objected in order Fully and effectually Bei: ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 173 dammen scheint; ja auch wo beide in ihren Verdammungsurtheilen ahiré stimmen, sieht der Eine Nachlässigkeit, wo der Andere allzugrosse Peinlich- keit, der Eine Ignoranz, wo der Andere Belesenheit und Absicht erblickt 12); und während Markland wenigstens noch einiges Lob für einzelne Partien behält 13), lässt sich Tunstall von seinem Eifer zu solchen Schmähungen to convince an other, to whom perhaps they may not appear in the same light. Of all of them, except the first and VIIth (nach gewöhnlicher Zählung I. 8), the XVth (gewöhnlich I. 17) seems to me to bid the fairest for antiquity, For tho there are some objections to the language of it, and more to the matter and contents, yet I think it comes nearer to the style and manner of the age of the declaimers, which succeeded that of Cicero, than any other of them; tho’ in reality the mistakes are such as could scarce have been made by one of that age. i 42) Vgl. Tunstall Observ. p. 365: such a laboured and precise punctuality, both in diction and sentiment, as plainly betray their scolastic. origine, oder p. 382: the instances of labour, trivial exactness, and heavy, but unmeaning periods, are almost innumerable; und dagegen Markland Re- marks p. 4: such traces and marks of ignorance in language, unskill- fullness in history and antiquity, want of accuracy in reasoning or in short mistakes of one kind or other; p. 35: but is it possible, that a persons memory should be so very unfaithfull as to forsake him in the compass of one short sentence? it is very possible, where a man either writes hastily, or where... the ideas rise in the mind only at second hand and do not necessarily go along with the language: p. 43: the whole sentence looks like the crude conception of a young or unjudicious writer, who not understanding tlie language in which he wrote aimed at something which he was not able to express, and had left it to us to make what we can of it; p. 73: i our author is so unskillfull in matters that are common and obvious, we. ought not to expect that he should be more knowing and accurate in those which require a more diligent observation; p. 131: the truth is, this author ought to have read all the works of the real Cicero more carefully, or at least to have confined his pen and imagination to those parts which he hadıread u. s. w. 13) Remarks p. 9: notwithstanding- his vivacity and ingenuity, which in some places I readily allow him. P. 21: tho it must be confest that. the 174 KARL FRIEDRICH HERMANN und Herabwürdigungen fortreissen, dass, wenn er Recht hätte, nicht zu be- greifen wäre, wie in einer Zeit eiceronianischer Studien, wo geschicktere Fälschungen 14), wie die untergeschobene Consolatio, alsbald entlarvt wur- den, auch nicht der leiseste Verdacht gegen ein solches Machwerk habe rege werden können 15). Nur in einem Puncte stimmen beide Gegner wenigstens im Wesentlichen überein, in der Zeit, welcher sie den Ursprung der ver- meinten Fälschung zuweisen; aber gerade hier müssen sie von vorn herein ein sehr ungünstiges Vorurtheil gegen sieh erregen, wenn wir sehen, wie sie die Entstehung dieser Briefe, an welchen, wie gesagt, keiner der berühm- ten oder berüchtigten Ciceronianer des sechzehnten Jahrhunderts Anstoss ge- nommen hatte, wiederholt in die Zeit der mittelalterlichen Barbarei — Tun- stalls eigener Ausdruck 16) — setzen, und es wenigstens nicht für un- denkbar halten, dass sie erst kurz vor Petrarca, der sie bereits als cicero- sentiments are great and generous and worthy of an ancient Roman; it seems to have been the essay of some lively, highspirited, ingenious young man. P.23: as to the character of the author of the letters, he seems to have been a person of quick parts and ingenuity, and of a share of learning not very common in the nge in which he lived. Auch p. 197 erklärt er den Verfasser der Rede pro domo zwar für einen Brother- sophist, doch upon the whole, of a genius much inferior to our letter- writer, . 14) Nach Tunstalls eigenem Bekenntniss Observ. p. 38. 15) Denn dass die Äusserung von Erasmus in seinem Briefe an Beatus Rhenanus Opp. T. III, P. 1, p. 554: porro quas nobis reliquit nescio quis Bruti nomine, nomine Phalaridis, nomine Senecae et Pauli, quid aliud censeri possunt nisi declamatiunculae? nicht, wie sogar Middleton Pref. diss. p- ıx glaubte, gegen die unsrigen, sondern gegen die griechischen Briefe gerichtet ist, als deren Sammler sich ein gewisser Mithridates ausgibt (Fabric, Bibl. gr. T. 1, 8 p- 414; Bentl. Opuscc. p. 3), hat Tunstall: selbst Observ. p. 53 richtig einge- sehen; und wenn Drumann B. IV, S. 40 davon auf's Neue Gebrauch gemacht hat, um die unsrigen zu verdächtigen, so erklärt sich uns dieses nur daraus, dass derselbe überhaupt nur die Epistola ad Middletonum, nicht die Observa- tions von Tunstall gelesen zu haben scheint. 16) Observ. p. xvin, 10. 35: in the ages of barbarism down to the age of Petrarch. ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 175 nianisch kennt, geschmiedet worden seien 17). In letzter Instanz weist zwar Tunstall die höchst billige Foderung Middletons, anzugeben, wann denn und von wem diese Briefe geschrieben sein sollen, wenn sie nicht aus der überlieferten Zeit und Quelle herrühren, als unvernünftig zurück 18), und lässt der Fälschung den ganzen Zeitraum zwischen Plutarch und Petrarca offen 19); doch hat er sich mit nicht, geringem Aufwande von Belesenheit ab- gemüht, es möglich, ja wahrscheinlich zu machen, dass sie in des letzteren eigener Zeit oder nicht lange vorher verfertigt worden seien, um der erwach- ten Sammellust nach classischen Texten zu entsprechen 20); und Markland hat dieses noch genauer dahin bestimmt, dass er zwar zwischen dem Vlten und der Mitte des XIVien Jahrhunderts jede Zeit für geeignet zu . Verfertigung erachtet 20, so viel aber festhält, dass der oder die Verfasser, obgleich ausser Cicero selbst auch in andern lateinischen und griechischen Classikern wohl belesen 22), doch das Lateinische nicht zur Muttersprache ` 17) Tunstall Observ. P. 21 fgg. Markland Remarks p. 10 fgg. 18) Observ. p. xu und p. 8 ggg. : 19) Das. p. 407: we maintain the possibility of a forgery in any age what- soever from. Plutarch to Petrarch, wobei er jedoch sogleich hinzufügt: as long as the purity of the latin tongue subsisted, the letters were not in being! Vgl. auch p. 300. a 20) Das. p. 40: it was the character of learning in Petrarch’s age to be in- quisitive after the rare or the lost books of the antients and particularly of Cicero; vgl. p. 37: the Sophist's end might be either fame or money us. however I am apt to think that money might be the prevailing motive for publishing a new work under Ciceros name. Man sieht übri- gens leicht ein, wie auch diese Vermuthung gleich der Bezeichnung des Fälscliers selbst als Sophisten (s. Note 27) nur eine ungeschickte und gedankenlose Über- tragung aus Bentley's Opuscc. p. 155 fgg. auf ganz heterogene Zeiten und Ge- genden ist. 21) Remarks p. 10: if now it should be asked, who, from the end of the VIth century to the middle of the XIVth, that is to the time of Petrarch, was able to write such letters as these, and at what time, I answer, any body at any time might do it eie. 22) Remarks p.23: he certainly had read part of Pl utarch in the original, which in those times was no vulgar attainment for an inhabitant of 176 KARL FRIEDRICH HERMANN gehabt23) und manche Redensart geradezu aus der lateinischen Bibelvulgata entnommen hätten 24). Um solche Briefe zu schreiben, sagt er wörtlich 25), the western parts; he quotes Plautus, takes an incident out of Cornelius Nepos, another out of Suetonius, and from some ex- pressions one might very probably conjecture, that he had read Livy and Tacitus; vgl. p. 39. 43 u. s. w. 23) Remarks p. 9. 35. 63. 24) Das. p. 113: from these parts of the latin vulgate it is likely our. author took his use of the verb tardare; vgl. p. 155 und Tunstalls Vor- rede p.xıy, wo die Redensart zn diem ex die dilata im ersten Briefe des zweiten Buchs ein Hebraismus genannt wird: the Latins used in dies or in dies singulos to express day after day; but the phrase de die in diem, which is nearest akin to in diem ex die, is referred by the best judges to the ages of depraved Latinity, and observed to be taken into common use from the latin vul gate! Da ich diese Stelle in den Vindiciis zu behandeln übersehen habe, so bemerke ich, dass Tunstall hier allerdings die Auctorität von Cellarius für sich hat, dem auch Hand Tur- sell. III, S. 341 zu folgen scheint; gleichwohl lesen wir bei Cicero Att. VII, 25: diem ex die exspectabam, ut statuerem quid esset faciendum, bei Cäsar Bell. Gall. I, 16: diem ex die ducere Aedui, bei Livius V, 48: diem ex die prospectare; und mit doppelter Präposition Cie, Tusc. V, 24: ex alio in aliud vicissitudo atque mutatio, und Virgil. Aen. V, 494: alia ex aliis in fata vocamur; ja sollte sich wirklich, was jedenfalls reiner Zufall wäre, kein weiteres Beispiel für dies mit doppelter Präposition finden, so brauchte man wenigstens nicht zum Hebräischen zurückzukehren, sondern fände schon bei Herodot IX, 8: es niet de ýuégyv avaßarkouevor, dessen Nachahmung man auch bei Cicero unbedenklich voraussetzen dürfte. Dass Livius XXV, 25 einfach diem ex die differre sagt, beruht auf der doppelten Construction dieses Verbums differre tempus (Cic. Philipp. VIII, 8; Prov. Cons. 11) und rem in tempus (Brut. 87; Fam. V, 12); eben desshalb ist aber in diem ex die völlig gleich berechtigt. 25) Remarks p. 10 fgg.; vgl. auch Tunstall Observ. p. 35 und 403: in the age of barbarism ... neither were the liberal arts so wholly oppressed, nor the purity of the latin tongue so utterly lost, nor the writings of Cicero so dispersed ... as to render it incredible, that a Sophist should be found so Targel y furnished with Cicero’s writings and so perfect a master of his style, as to execute the forgery of the suspected epistles and to impose it upon the ablest critics. Wie ver- ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE, DES CICERO AN BRUTUS. 177 bedurfte es nur dreierlei, hinlängliche Kenntniss des Irbeiniechen, um Cicero, keinen schweren Schriftsteller, zu lesen und zu verstehen, zweitens gesundes Urtheil, und drittens Industrie; die erstere ‚Eigenschaft, aber fand sich i immer bei einzelnen ‚Personen an den, Höfen der, Päpste und aller oder der meisten christlichen Fürsten, auch in, manchen Klöstern und. auderwärts, die beiden andern hat kein Zeitalter und kein Land vor dem andern voraus; und wenn es also nie an Leuten gefehlt bat, welche die dazu erforderlichen Eigenschaf- ten besassen, so wird ‚andererseits jeder Mangel der einen oder, andern dieser Eigenschaften einen der Fehler mit sich führen, durch. "welche. sich der Fäl- scher dieser Briefe selbst verrathen hat BEL gewiss, ein GT bündiges Rai- sonnement, womit, letzteren.. gerade die Voraussetzungen wieder. abgesprochen werden, durch deren ‚Nachweis, der Gegner die Möglichkeit ihrer Entstehung im Mittelalter nachzuweisen versucht hat! Nicht besser steht es übrigens mit Tunstall, der sich aus der Frage, zu welcher Classe von Menschen er ‚eigentlich seinen Fälscher rechne, sehr klüglich dadurch herausgezogen hat, dass er ihn immer ahnen Sophisten nennt. nn offenbar Wi Bentleys Ca e 8 . + * s d * 1 eu ar Fils Zilk 1110199161 tragen SS ir Gs ee i wie Se ge wat $ 394: 3 or ambiguous construction, low, and almost barbarous expression, affected ambiguity and mistaken imitation? : 26) Remarks A .13: „ now view this matter ı on the d ‚side, andi in 1 as any of the three former. quali ifications were, wanting, you ‘would find “him ei her barbarous or „we, Hi en i the language, False or incertäin‘i in 2 "oi facts „ b iin bie: "org u- ments, and in those Fespects like the writer ES" these lettera ! at Observ. p. 35fgg- und p. 62; raus man zwar deutlich sieht, dass ihm Sopbist eben nur 80 viel als Falschen ist: gege I must confess that generally í the. charitable: end da Sophist. is, to repair the loss A the monuments of, antiquity, í or to. continue and supply them S when they do not precisely 1192261 j answer to his f ideas d EC and, inte epris, and therefore F poned Histor.- Phil. Classe II. 178 Und AA KARL FRIEDRICH HERMANN TROTA HIN Vo gange, der die Untergeschobetien Briefe des Phalaris und anderer Griechen als Machwerke von Sophisten, e d. h. Lehrern oder Schülern der "Rhetorik in der römischen Kdisetzeit nachgewiesen hatte; wo aber im Mittelalter und 20 Petrarcas Zeit Sophisten Kerkötiinen’ zollen, ist schwer einzusehen; utid selbst wenn man ‘den Lehrern an Kloster- . bder Domschulen solche Gelehrsämkeit zutrauen will, Aersleichen Eiizelue darunter allerdings besessen haben mögen, so darf doch "auch der Charakter ` jener Zeit, der die Auctorität des Bestehen- den über Alles ging, und die sich desshalb auch an den ererbten und über- lieferieh E TE liess‘, nicht mit der Eitelkeit und Leicht- lertigkeit griechischer Halbgelehrten verwechselt werden, d die zugleich an den Mitteln reicher Sammler eine weit grössere Lockspeise fand, als sie hier von Spe. oder Klosterbibliotheken dem Betruge dargeboten Ward. Erst nachdem durcli Petrarcas und seiner Nachfolger Eifer das Interesse für die classischen Studien auch in weiteren und weltlichen Kreisen auf's Neue zu erwachen an- fing, begegnen uns m XVien und XVIten Jahrhundert wieder Fälschungen, in welchen sich der Wetteifer nit den Alten bis zum Missbrauche ihrer Namen, und die freiere Geistesrichtung bis zur Gewissenlosigkeit steigerte; aus der Zeit aber, um die es sich hier handelt, kann Tunstall selbst kein Beispiel von Betrug auf den Namen eines lateinischen Classikers anführen, sondern seine „Beispiele, durch die er zeigen will, wie leicht eine solche Täuschung gewesen sei Gë sind alle, hinwiederum aus den ersten Jabrhun- derten ‚er, Kaiserzeit, ja dem Ende der Republik entnommen, "wohin er doch seinen e Prämissen, al die 1 diener Briefe nicht ver- legen kann⸗ 8 5 Doch nur zu lange babe ich bei Bedii ENTER Streite: ER dessen Entschuldigung nur die sein kann, dass er uns die Stimmberechtigung der Männer zeigt, von welchen sich das philologische Publicum hundert Jahre lang hat imponiren lassen; aber selbst wenn wir die volle Möglichkeit der Entstehung dieser Briefe i in der angenommenen zeit zugäben , so bliebe doch zu E (äer eecht? Markland p. 14: if it be further enquired, to what eld any man shotta Forge such letters, Ga es be answered, to the same end that any other Forgery was eber made ete. 28) Observ. p. 44 gg. 7 ZUR RECHTFERTIGUNG ‚DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 179 immer die Hauptfrage nach der äussern und i innern Beglaubigung, ihres elas- sischen Ursprungs übrig, deren Mangel erst uns veranlassen könnte, eine andere mögliche Zeit ihrer Abſassung aufzusuchen; und zu dieser Frage will ich nun auch sofort in der Art, übergehn, dass ich der Gegner nur in soweit gedenke, als sie gegen jene Beg! aubigung bestimmte Zweifel. oder Einwen- dungen erhoben haben. Als bekannt setze ich dabei Voraus, was seit Orellis gründlicher Beweisführung von der ‚überwiegenden « Mehrzahl der „heutigen Philologen als ausgemacht betrachtet wird, dass sämmtliche erhaltene und bekannte Handschriften der east Briefsammlungen, mit ‚alleiniger Ausnahme eines, Palimpsesis. von einer Seite, aus den beiden von Petrarca besessenen, Bünden ‚geflossen sind, deren einer noch im Original, beide in des grossen Dichters, eigenhändige Abschrift in der ‚mediceischen ‚Bibliothek aufbewahrt werden 29); und wende mich, ‚sogleich zu unseren Briefen an Brutus insbesondere, welche von dieser allgemeinen Bemerkung nur in ween eine Ausnahme ‚machen, als: allerdings das eine der beiden Bücher, in welche sie zerfallen, aus einer, jetzt verlornen deutschen Handschrift stammt, und nur das andere, oder nach der gewöhnlichen Zählung das erste, gleichfalls jener gemeinschaftlichen Quelle seine Erhaltung verdankt. Doch auf diese Ausnahme, die jedenfalls nur das zweite Buch verdächtigen könnte, komme ich nachher zurück; hier erinnere ich nur, wie gerade diese Trennung der erhaltenen Sammlung in zwei Theile, die unabhängig von einander an ganz verschiedenen Orten gefunden worden sind, jeden Gedanken an einen mit dem Ganzen beabsichtigten Betrug in Tunstalls Sinne von vorn herein ausschliesst, da es an Wunder gränzen würde, wenn von einer Fälschung, die doch immer nur für einen bestimmten Kreis berechnet sein konnte, ein Theil 80 weil, verschlagen worden. wäre, dass er sich erst nach Erfindung der Buchdrucherkunst. wieder mit, dem. andern vereinigte, oder gar zwei Be- e eine in Deutschland, der andere. in Ji, auf denselben Ge- E vi, Orelli. ir Cie. Des T. l, P. 1, pe Se DÉI P e? 75 sch Schneider im Prooem. lectt. Vratislav- hib. 1832-33 und Mommsen in Zeitschr. f. d. Alterth. 1844, 8. 603. Mit. welchem Rechte Tunstall. Observ: p. 29 Petrarcas Ent- deckung auf die Briefe au n und Octavius allein beschränkt, ist hiernach leicht zu ermessen. 22 H * 10 KARL FRIEDRICH HERMANN wir nachher sehen ët so scharf zusammen Niesen, Ee diese beta Präsumtion wird für das erste Buch noch insbesondere: durch die Beschaffen- heit der Urhandschrift selbst bestätt: gt 50). Während nämlich sonst als Regel betrachtet werden kann, dass unächle Schriften, insofern wicht‘ ein besonderer Grund für das Gegentheil vorhanden“ ist, anderen ächten desselben Verfassers angehängt oder am Schlusse einer Handschrift beigeschrieben sind, wird jene Handschrift gerade mit den Briefen an Brutus eröffnet; dann folgen die drei Bücher der Briefe au Ciceros Bruder Ouintus, hierauf der Brief an Octavius, über den gleich mehr, und zuletzt die sechzehn Bücher an Atticus, wogegen die andern sechzehn Bücher vermischter Briefe in dem andern der oben ge- nannten Bände der mediceischen Bibliöthek erhalten sind- Hier ist nun zu- vörderst darauf aufmerksam zu machen wie jener vereinzelte Brief au Octa- vius, der mit höchster Wahrscheitliehkeit als ein unächtes Product, wenn auch vielleicht schon aus der ersten Zeit des Kaiserreichs betrachtet werden darf, mit den Briefen an Brutus gar nichts zu than hat, TRETEN 30) Bandini Cat. Codd, Lat. Bibl. Med, T. U „ p. 474 (Plut. XLIX, cod. 18): J. M. Tullii Ciceronis epistolarum ad M. Brutum liber singu- laris. Epist. I i inc. Cicero Bruto salutem. L. Clodius tribunus - etc. Epist. XVIII et ultima des. qua eq ue ad te pertinere arbitrer. Tum subjtcttur: Ad Brutum epistölarum liber Jeplicit. In- cipit ad C. Frat rem. — II. pag. 14 ejusdem ad Quintum fratrem Epi- stolarum libri III... Primus inc. Marcus Q.Fratri salutem Etsi non dubitabam etc.. Tertius des. mi suavissime et optime Frater ut in edd. — III. pag. 47 ejusdem epistola ad Octavianum. Inc. si ‚per tuas leg jones etc. Des. simul Jug ere decrevi, ut in editionibus. Haec tamen Epistola non est Ciceronis, sed declamatoris alichjus.- — 7 pag. 49 ejusdem epistolärum ad kun Hbri XVI ul s. w. Hieraus ergibt sich von selbst, wie wenig Malaspina ad Epist. ad Brut. I. 1 sagen konnte, die Stellung der Briefe an Brutus nach denen an Attieus, welche zuerst in der venetianischen Ausgabe von 1470 und dann von Aldus eingeführt worden ist, finde sich auch in der Handschrift von Petrarca, oder Tunstall p. 35: where it is observable, that the ‘Epistles ad Bratum et Octawium are con- tinued together as they were found by Petrarch? | ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 181 wie es gegenwärtig in allen Ausgaben geschieht, als der achte des zweiten Buchs abgedruckt werden durfte, mit welchem letztern er nicht einmal in der nämlichen Handschrift steht, und also durch seine unverkennbaren Mängel in Stil und Haltung schlechterdings kein Präjudiz gegen unsere Briefe an Brutus abgeben oder zum Beweise ihrer Unächtheit gebraucht werden kann, da er in der urkundlichen Quelle vielmehr auf die Briefe an Quintus Cicero folgt. Dass freilich auch er von Männern, wie Erasmus und Victorius, ohne Argwohn als ächt betrachtet worden ist 3), beweist allerdings, dass deren Auctorität allein zur Vertheidigung unserer Briefe nicht ausreicht; doch ist man darum begreiflicherweise auch nicht ohne Weiteres berechtigt, alles was jene für acht gehalten haben zu verdächtigen, und eben so wenig kann die Gleichzeitigkeit seiner Entdeckung durch Petrarca mit der unseres ersten Buches an Brutus ein nachtheiliges Licht auf letzteres werfen 32), da damit zugleich auch die übrigen Bestandtheile jener Handschrift verdächtigt sein würden; ausserdem ist seine Achtheit jedenfalls schon weit früher, als die der Briefe an Brutus angefochten 35) und namentlich aueh von Middleton selbst eben so heftig bestritten, als die der letzteren vertheidigt worden 3#), 31) Tunstall Observ. p. 11 fgg. 2 32) Das. p. 32: but I must advance further, that in company with these Epistles to Brutus, Petrarch likewise found the Epistle to Octavius etc. Dabei ist aber ganz ausser Acht gelassen, dass, wo in früheren Zeiten die Briefe an Brutus erwähnt werden, der an Octavius nie dazu gerechnet wird, wie in den von Orelli T. III, P. 2, p. vin angeführten Stellen, und eben so sind jene auch in der Wolfenbütteler Handschrift (Ebert zur Handschriftenkunde B. II, S. 53) ohne den Brief an Octavius erhalten, obgleich die Unterschrift: ‚explieiunt quot potuerunt inveniri epistolae Tuli, zeigt, dass nichts fehlt. 33) So schon Malaspina und andere vor Victorius, gegen welche dieser selbst nur zögernd ankämpft: zune suum quisque judicium consulat et quod ei rectum ‚videtur id sequatur; dann Casaubonus ad Sueton. Oct. c. 3: describitur in ` epistola all Octavium, non Ciceronis quidem, sed Petere tamen u.s. w. 34) Pref. p. cxxi: In this pretended Epistle, he would be puzzled to ‚find a single sentiment or a single word, I'may say, that chines. It is a stiff and forced performance, void of all beauty either of stile or sense, ever flat and spiritless, where it labors the most to move; in short, it is no i 182 KARL FRIEDRICH HERMANN wogegen Tunstall vergebens sich abmüht, dem Briefe an Octavius eine ähnliche, ja noch zierlichere Latinität und Stilisirung zu vindiciren 55). Diese seine Unächtheit vorausgesetat führt aber eben jene Stellung hinter den Briefen an Quintus, verbunden mit der obigen Bemerkung über die Stellung unächter Schriften überhaupt am Ende der Handschriften, zu einer weiteren Vermuthung, die zugleich auf unsere Briefe an Brutus ein sehr willkommenes Licht zu werfen geeignet ist. Wenn nämlich dem Briefe an Octavius sein Platz- eigentlich am Ende gebührte, so liegt es sehr nahe, dass die Handschrift, wo er in der Mitte zwischen den Briefen an Quintus und, an Atticus steht, aus zwei ursprünglichen Bänden vereinigt, oder was dasselbe ist, aus einer früheren Vereinigung zweier soleher Bände abgeschrieben war, deren einer die Briefe an Atticus allein, der andere die an Brutus und Quintus Cicero. mit jenem Machwerke als Anhang enthielt; und da allerdings unsere jetzige Sammlung an Brutus nicht stark genug ist, um mit den drei Büchern an Quintus einen eigenen Band von verhältnissmässiger Stärke zu bilden, ‚so würde daraus nur weiter folgen, dass sie ursprünglich stärker gewesen und das Erhaltene nur das letzte Stück davon sein müsse, das nach der Zerstö-— rung der ersten und grössern Hälfte des Bandes allein mit den Briefen an Quintus übrig geblieben und in dieser Gestalt dann mit dem andern Bande, den Briefen an Atticus, zusammengeheftet worden wäre. Damit stimmt zugleich auch ve ` wi bon überein n was wir sonst von der t Sammlung des EES but the declamation of some 5 venting his freet, and trying under the person of Cicero, how well he could harangue etc. 35) Epist. ad Middl. p. 221: quae ob multa similitudinis vestigia ab eadem manu profecta esse: videtur ; vgl. p- 232 und Observ. p. 454: and as Octa- vius’s Ciceronian correspondent is not inferior to Brutus in the chasteness of his expression, so as far as I am able to judge, ¶ tate him to be like him in complexion of. sentiment, and eren to exceed bim in figurative imbellishment and the. beauties of antithesis; aber gerade diese grössere Zierlichkeit verräth den Declamator, und was ja zwischen beiden Ähnliches‘ sein sollte, wird als Nachahmung der Briefe an Brutus letztere nur noch mehr zu rechtfertigen dienen. Dass ausserdem in dem Briefe an Octavius wirklich unciceronianische Latinität vorkommt, habe ich Vindic. p. 6 bemerkt. » ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 183 Briefwechsels mit Brutus aus dem Alterthume wissen 36) nicht nur dass es eine solche Sammlung unter besonderem Titel gab, sondern auch dass sie eine grössere Anzahl von Büchern als wir jetzt noch besitzen, und zwar nicht; wie in früheren Werken und noch bei Bähr S. 591 zu lesen ist, acht, sondern mindestens neun Bücher umfasste; und wenn wir dazu noch schen, wie eine Stelle, die der Lexikograph Nonius eben aus dem neunten Buche dieser Briefsammlung virt 57), gleich in dem ersten der erhaltenen Briefe vorkommt, so wird wohl kein Zweifel obwälten können, dass die Sammlung der mediceischen Handschrift den Schluss jenes Ganzen gebildet habe, und unser in ihr erhaltenes erstes Buch eigentlich das neunte nach dem Ver- luste der vorhergehenden allein noch übrig gebliebene sei. Doch wie verhält sich nunmehr zu diesem Resultate das sogenannte zweite Buch oder die Epistolae a Germanis repertae, wie die gewöhnliche Uberschriſt in den älteren Ausgaben ist, weil diese sieben theilweise verstümmelten Briefe zuerst in der Ausgabe von Cratander zu Basel 1528 an's Licht traten und daraus erst von den italiänischen Herausgebern aufgenommen worden sind? So erwünscht als es sich nur denken lässt. Denn das wird auch von den Gegnern nicht geläugnet, und kann überhaupt keinem denkenden Leser verborgen bleiben, dass die Briefe dieser letzteren Sammlung der Zeit nach den Briefen des so— genannten ersten Buches, welches aber nach unserer Vermuthung vielmehr das letzte Ze ganzen arten war, vorausgehn 38); nehmen wir also auf das . 36) Orelli Opp. Cic. T. V. p. 2, . 405 PR 37) Non. p. 421: inter amare et PC eng ine; giga amare vım abet majorem, diligere aulem est levius amare. Cicero ad Brutum: sie igitur facies et me aut amabis aut, quod contentus sum, diliges. Et lib. VIIII: Lucius Clodius tribunus plebis designatus valde me diligit, vel ut enfaticoteron dicam, valde me amat. 38) Middleton lässt sie in chronologischer Ordnung also auf einander folgen: I. 1. II. 5. 3. 2. 4. 6. 7. I. 11. 8. II. 1. I. 3. 4. 5. 7. 6. 2. 17. 9. 12. 13. 10. 14. 15. 16. 18; dass aber der Grund, aus welchem ersten des ersten Buchs ‚su allein vor alle übrigen verlegt-und noch dem Jahre 709 zugetheilt hat, während alle übrigen in die vier Monate. April bis Juli 710 fallen, nicht Stich halte, hat Tunstall Observ. p. 360 bereits dargethan, und bleibt folglich das Natür- lichste, auch ihn mit den übrigen des ersten ‚Buchs auf das zweite folgen 184 KARL FRIEDRICH HERMANN Zeugniss des Nonius an, dass dieses das neunte gewesen sei, so steht nichts im Wege, jene sieben Briefe als ein Bruchstück des achten Buches zu be- trachten 39), welches Buch in Petrarcas Handschrift sammt den vorherge- henden zu Grunde gegangen war, in irgend einer deutschen Bibliothek aber sich durch einen ähnlichen glücklichen Zufall erhalten hatte, wie solches mit den sechs ersten Büchern der Annalen des Tacitus, den zwölf letzten Stücken des Plautus, und so manchen andern kostbaren Uberresten des Alterthums der Fall gewesen ist. Und in dieser Vergleichung liegt dann zugleich auch noch eine weitere Gewähr gegen die Verdachtsgründe, welche aus der Unbe- kanntheit der Handschrift, der jene sieben Briefe entstammen, geschöpft wer— den könnten. Allerdings kann es unter Umständen ein vorgebliches Erzeugniss des Alterthums verdächtig machen, wenn sich die Quelle, woraus es geflossen sein soll, nicht mehr urkundlich nachweisen lässt, wie solches von den Heroi- den des Sabinus, der Elegie des Gallus, den Oden des Vestricius Spurinna gelten mag; aber eben so leicht kann auch ein solcher Verdacht zu weit getrieben werden, wie dieses noch kürzlich an dem Beispiele des Phaedrus klar geworden ist; und nehmen wir dazu noch den besonderen Umstand, dass diese Briefe gerade aus Deutschland herstammen, so wird jeder Argwohn für uns eben so wohl wegfallen müssen, wie die grossen Herausgeber des XVIten Jahrhunderts keinen Gedanken daran gehegt haben #0). zu lassen. Für manche ist es zwar gleichgültig, in welche Zeit sie verlegt werden; im Ganzen aber herrscht zwischen beiden Büchern offenbar der we- sentliche Unterschied, dass die Briefe des zweiten vor, die des ersten nach dem Siege bei Mutina geschrieben sind. ’ 39) Allerdings nur ein Bruchstück; denn die Stelle, die Nonius Pp- 527 aus diesem Buche citirt, findet sich hier Nie da es aber auch nur sieben Briefe ebd, so kann dieses nicht auffallen. 40) Victorius: sex has epistolas, ut a Germanis accepimus, ita weien quam- vis enim in nullo veteri exemplari invenerimus, tamen nee Germanorum fidem improbare, qui se in vetusto codice eas reperisse testati sunt, nec nostrum ullam * judicium interponere voluimus; und eben so Lambinus mit dem Zusatze: si quis tamen sententiam nostram requirat, vi- dentur nobis germanae Bruti et Ciceronis esse. Heisst das, wie sich Tun- stall Observ. p. 408 ausdrückt: the last did not meet with general appro- bation, and had little respect paid them in the more antient- editions? ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 185 Hören wir freilich Tunstall, so wäre dieses zweite Buch eine noch jüngere Fälschung als er das erste sein lässt, und wohl gar erst durch die Erschei- nung dieser hervorgerufen 4%); wenn aber ein solcher potenziirter Betrug schon an sich einer der ausserordentlichsten Zufälle in der Literaturgeschichte sein würde; ‚iso wird er geradezu unglaublich, wenn man erwägt, dass ja das in Italien entdeckte Buch als das erste galt, ein fälschender Nachahmer also vielmehr es fortzusetzen als die vorhergehende Zeit zu behandeln versucht ge- wesen wäre; und wie einerseits die Widersprüche zwischen beiden, aus welchen er auf zweierlei Verfasser schliesst, in dieser Zeitverschiedenheit: ivett gulen Grund haben #2), so bietet andererseits der Ursprung und die Art und Wies wie Ge Fa Zeit: vam nn ee ans Lich KS die — Gini orq T SR Are P Ae stellt er es zwar alterhativ : either u the same 5 or his younger, brother and imitator ; doch 8. schon p. 203 und ganz entschieden . 268; we, , proceed to some instances f contradiction, not only to true history „ but even between themselves; and to spent my mind freely, the letters of the, two books, as they are distinguished in the Latin editions, e could hardly come from the same hand; TS the letters § f: ‚the seco nd book being more mean in composition, trifling | in conception, qnd faulty in — their: matter; di und in ähnlicher Weise spricht er auch p. 273. von superior prudence i in the author of i the first, book, während . er das andere, p. 281 the e ‚second. and more recent book nennt. * e "ei Näheres wird die, historische, Abtheilung, ett 1 — Kabes * eine einfache Zusammenstellung, die Geringfügigkeit dieser vermeinten Widersprüche 2 beweisen: Epist. II. 5 verlangt Brutus Geld und Verstärkung, während Cicero I. 2 die Stärke seines Heeres rühmt; II. 2 schreibt dieser, er habe von Ientulus Berichte über Cassius und seine Legionen erhalten, und klagt doch einen Monat später I. 5 von Cassius nichts zu wissen; II. 4 räth er C. Antonius bis zur Entscheidung gefangen zu halten, und dringt L 3 auf seinen, Tod; end- lich drückt er II. 1 Zuversicht auf den Stand der Dinge aus, während er I. 2 e PS? Vorsicht mahnt; aber wie manches hatte sich nicht in dieser Zwischenzeit ereignet, was Cicero unruhiger, strenger, bedenklicher machen konnte? Hin- sichtlich des letzten Punctes gibt Tunstall p. 350 selbst zu, dass der ächte Cicero Ursache zu Besorgnissen gebabt habe, nur der Fälscher babe sich durch jenen Widerspruch nee wie ëng dann aber das eine Buch eine Nachahmung des andern sein? Ansonig eee t Histor.- Phil. Classe II. Aa eg AA 186 KARL FRIEDRICH HERMANN geifs Bürgschaft für seine Achtheit dar. Denn wenn es auch schon im XVien Jahrhundert, wie oben bemerkt, nicht an Gelehrten fehlte, deren Wissen auf der einen und Charakter auf der anderen Seite sie zu solchen Täuschungen befähigte, so war in Deutschland bis in das XVIte hinein keine dieser beiden Voraussetzungen in der Art vorhanden, dass eine solche An- nahme für die Briefe, um die es sich hier handelt, zulässig wäre; dagegen ist es notorisch, welche beträchtliche Anzahl sowohl anderer als auch nament- lich ciceronianischer Schriften, nachdem sie in Italien längst verschwunden und vergessen waren, in deutschen Klöstern erhalten und dort von italiäni- schen Gelehrten wieder aufgefunden worden ist 45), so dass es gar nichts Auffallendes hat, wenn eben so gut wie die Reden pro Caecina, de lege agraria, in Pisonem, pro Rabirio Postumo u. s. w. 4% auch ein Buch ciceronianischer Briefe nur noch in Deutschland übrig geblieben ist, wo es auch sonst nicht an Spuren fehle, dass dergleichen bereits vor Petrarca Ni! und belesen waren * ‚Dass über die Handschrift, aus welcher 43) Vergl. He eeren Geschichte des Studiums der class. Liter. B. T, 8. 40 und 79 ' Orelli Ind. lectt. Turic. 1835; Weidmann Gesch. d. Bibliothek von St. Gallen 1841; Massmann in Berl, Jahrbb. 1841 Bd. II, S. 692 fgg. ia Ernesti Groe, philol. et crit. P. 159. Auch hier zeigt sich Tunstalls voreilige Keckleit, wenn er Observ. p. 22 sagt: nay with regard to the whole col- lection of Cicero's writings which were in practice among the learned of Petrarell's age, I can er WESEN it was as en we intire to the Full as it is at this da?? d Der Mittheilung meines verehrten cng Hrn. Prof. Havemann verdanke ich ein noch, wie ich glaube; unberücksichtigtes Zeuguiss für diesen Umstand in dem Briefe eines Probsts zu Hildesheim an Abt Wilibald von Corvey aus dem J. 1150 in Martene et Durand Ampl. Coll. T. II, p. 392: Quamvis Tullii libros habere desideres, scio tamen te Christianum esse, non Ciceronianum. Transit enim et in aliena” castra non tanquam transfuga sed tanquam eæplorator. Libros“ igitur qui apud nos sunt, ‘Tullii de re agräria et Puhilippica et Epistolas ejus vobis transmisissemus, sed non est con- suetudinis apud nos, ut sine bonis monimentis aliqui alicui concedantur. Mittite igitur nobis Agellium Noctium Atticarum et Origenem super Cantica cantieorum. Nostros autem, Ss nunc W W Be si qui vobis * vobis mittemus. 2 es m 7 ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 187 Cratander oder sein Herausgeber Bentinus jene Vermehrung schöpfen, nicht mehr nachweislich ist, findet gleichfalls in den Schicksalen der meisten jener deutschen Handschriften seine Erklärung, die zu Haufen nach Italien entführt und in den dortigen grossen Sammlungen begraben wurden 46 ) und wenn auch damals das Zeitalter der Poggio und Enoch von Ascoli vor- über war, so war doch die colossalste von allen diesen Plünderungen, die Entführung der Heidelberger Bibliothek, noch nicht erfolgt; man brauch, also nur zu wissen, dass Bentinus auch palatinische Handschriften be- nutzte 47), um es nicht unwahrscheinlich zu finden, dass auch dieser Fund mit allen übrigen Schätzen jener Bibliothek in die Vaticana gewandert ist, wo er um so leichter verborgen liegen kann, als er jedenfalls nur ein Paar Blätter beträgt, die wer weiss mit welcher Handschrift verbunden Hunderten von Besuchern und Aufsehern entgehen können, bis ein Zufall sie: wieder, wie z. B. neuerdings den für verloren en zweiten Codex von Tacitus Agricola #8), ans Licht bringt. Wenn, aber demnach einerseits binsiehllch der urkundlichen Beglau- bigung kein grösserer Verdachtsgrund gegen diese Briefe übrig bleibt, als er sich mit gleichem Rechte gegen Dutzende von andern Resten des classischen Alterthums erheben liesse, so ergibt auch das zweite Beweismittel, das Ver- hör von Zeugen aus dem Alterthume selbst, kein ungünstigeres Resultat, das die Gegner auch durch die gewaltsamsten Anstrengungen nicht zu erschüt- tern vermocht haben. Dass das Alterthum wirklich eine Sammlung des Brief- wechsels zwischen Cicero und Brutus kannte, ist bereits bemerkt; fragen wir also, warum die unserigen kein Stück von dieser sein können, so antwortet Tunstall#9), diese sei frühzeitig verloren gegangen, und der einzige Rest dayan seien ‚die fünf Be W an — pg: Sé m der 1 er i nicht ein Stück mehr dort F habe lich i in Naumanns dee B. III, 8. 97 urkundlich nachgewiesen. 47) Ernesti- a. a. O. S. 140 fg. no! i ni 48) Vergl. Dronke Annotatio critica in Takt Aën, Fuld. ven 4. 49) Observ. p. 73 — 86, vergl. Markland b. 21. Aa 2 ~ 188 OKARL BRIEDRICH HERMANN IIA ad Familiares XIII. 10-14 befinden, indem nicht zu begreifen sei, wie diese hätten in eine solche Sammlung kommen können, wenn daneben noch eine eigene, der sie zunächst angehörten, bestanden hätte, und folglich im Gegentheil geschlossen werden müsse, dass zu der Leit, wo die Sammlung der, Briefe ad Familiares: ihre jetzige Gestalt erhalten habe, diese fünf die einzigen gewesen seien, welche man als ächte Briefe Ciceros an Brutus ge- kannt habe. Hierauf aber lässt sich mit leichter Mühe nicht nur dieses er- wiedern, dass gar wohl auch derselbe Brief in zwei Sammlungen vorkommen konnte, wie denn noch jetzt ein Brief an Dolabella einmal selbständig Fam. IX. 14 und ein andermal als Anlage zu einem Briefe an Atticus XIV. 17 erhalten ist, sondern bei näherer ‚Betrachtung sieht man sogleich, dass eine gute Ursache "vorhanden war, jene fünf Briefe der Sammlung ad Fainiliares einzuverleiben, ohne dass darum die übrigen Bücher der Briefe an Brutus verloren zu sein brauchten, um dieses zu rechtfertigen; ja dass es höchst auffallend sein müsste, wenn man annehmen wollte, dass gerade diese fünf aus einem so grossen . Schiffbrüche gereliet wären und nicht welmehr von Anfang an gar nicht unter den eigentlichen Briefen an Brutus gestanden hätten. Es sind nämlich fünf höchst gleichgüllige Empfehlungsbriefe aus einer Zeit, wo kaum anzunehmen ist, dass Cicero und Brutus bereits in so leb- haftem Briefwechsel gestanden hätten 50), wie er sich später nach Cäsars Er- mordung zwischen den beiden Männern entspann, in deren Händen eine Zeillang das Schicksal der ganzen Republik zu liegen schien; und gesetzt aueh, jene besondere Sammlung hätte einzelne Briefe aus früheren Jahren enthalten 5), so fani sich doch EM fin die fünf pip ER ein Ae Drumann BVI 8. 167: M. SS eech ihm noch dée fern ... und zeigte sich in dem Schreiben an ihn anmassend und kalt ... ein scheinbar innigeres Verhältniss bemerkte man ‚erst kurz vor und nach Cäsars na ;” vergl. 51) Nas so, viel ae man ep wa a p- 87 Ssi einräumen, * daraus, dass Cicero und Brutus früher Briefe wechselten, noch nicht folgt, dass diese alle auch in jener Sammlung standen. Das erste Buch scheint jedoch allerdings noch in Pompejus Lebzeiten gefallen zu sein; vergl. Serv. ad Aeneid. VIII, 395: si Pompejus non ex alto peteret. et multis verbis me jam ‚hortaretur, ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 189 besserer Platz in dem dreizehnten Buche der vermischten Briefe, das fast ganz aus solchen officiösen Schreiben besteht, und worin sich eben desshalb auch Briefe an Cäsar finden, dessen übriger Briefwechsel mit Cicero gleichfalls wie der mit Brutus in eigenen Büchern aufbewahrt war 52). Uberhaupt ist es eine sehr sonderbare Hypothese, dass die Bücher ad Familiares aus den Trümmern verlorener grösserer Sammlungen entstanden seien, wo es sehr befremden müsste, nicht eben so gut wie Briefe an Brutus und Cäsar, auch solche an Calvus, Nepos, Axius, Hirtius, Pansa darunter zu finden, für welche gleichfalls besondere Sammlungen existirt hatten; viel einfacher ist jedenfalls die Vorstellung, dass neben diesen und unabhängig von ihnen für andere speciellere Kategorien, seien es persönliche oder sachliche, kleinere Sammlungen zusammengehöriger Briefe angelegt wurden, die man dann später unter dem Titel vermischter oder vertrauter Briefe vereinigte 55), ohne darum die gleichzeitige Existenz grösserer Sammlungen an bestimmte einzelne Per- sonen auszuschliessen. Was aber unsere erhaltenen Briefe an Brutus insbe- sondere betrifft, so fehlt es auch nicht an ECH Spuren, dass sie dem Alterthume bereits als Hinterlassenschaft von Cicero bekannt waren. Den ersten derselben, wie schon früher bemerkt ist ent Nonius geradezu aus dem neunten Buche ad Brutum, und indem unsere Gegner dieses Zeugniss ent- kräften wollen, treten sie selbst unter einander in den bereits erwähnten Widerspruch: Tunstall will, dass Nonius selbst getäuscht worden sei 5+), was Tunstall mit Recht auf die auch bei Quintil. IX. 3.41 aus diesen Briefen erwühnte Aussöhnung mit Appius Claudius zu ziehen scheint. 52) Orelli P. V, T. 2, P. 402 fg. 53) Dass die einzelnen Bücher ad Fumiliares ursprünglich mit ihren besonderen Titeln citirt werden, wie Gell. XII, 13 das vierte in libro M. Tullii episto- larum ad Ser. Sulpicium, oder das dritte bei Servius ad Aen. XII, 844: Cicero ad Appium Pulehrum; ist bekannt; dass aber auch in diesen einzelnen Büchern schon mehrerlei Briefe vereinigt sein konnten, zeigt das Citat für IX, 20 bei Nonius p. 83: Cicero ad Varronem epistola Paeti; und wenn also derselbe p. 278 aus dem ersten Buche ad Cassium eine Stelle citirt, die wir jetzt gleichfalls: Fam. XV, 16 lesen, so wird man auch hier annehmen müssen, dass dieser Brief in zwei Sammlungen gleichzeitig einen Platz gefunden hatte. 54) Vergl. insbes. p. 37: nay, to aber the vindicator, that Nonius Marcellus’s 190 KARL FRIEDRICH HERMANN und um dieses mit seiner oben angegebenen Ansicht über die Entstehungszeit der ‚Briefe zu vereinbaren, benutzt er die Ungewissheit von Nonius Lebens- alter, um dieses so weit herunterzudrücken, als es für seine Absichten bequem ist 55); Markland dagegen hilft sich so, dass er ausnahmsweise die Achtheit des ersten Briefs anerkennt und vermuthet, der Fälscher möge diesen an die Spitze gestellt haben, um die Leser gleichsam unmerklich zu dem Nachge- machten hinüberzuleiten — beides überdiess Annahmen, deren eine eben so schwer als die andere zu beweisen sein möchte, und die bei näherer Betrach- tung nicht nur mit den eigenen Hypothesen der Gegner über die Entstehung dieser Brieſe streiten, sondern auch sonst mit Leichtigkeit zu widerlegen sind. Nonius Lebenszeit kann selbst Tunstall mit aller Mühe nicht später als das Vte Jahrhundert n. Chr. setzen, wo schwer abzusehn ist, wie ein Schrift- steller, der die Vulgata nachahmen konnte, mithin ein Christ, zu einer sol- chen Fälschung Anlass gehabt hätte; nach den sichersten Forschungen aber scheint jener sogar schon in's Illte Jahrhundert zu gehören 56), und wenn es auch richtig ist, dass damals schon Täuschungen möglich waren, ja Nonius selbst nicht vor solchen bewahrt geblieben ist, so bedarf es doch, um eine solche auch hier vorauszusetzen, ganz anderer Gründe, als die Tunstall dafür beibringt. Den sprachlichen Anstoss, den er an der Unterscheidung citing a letter of the, suspected collection, is not a circumstance sufficient of itself to vindicate its authority, Nonius by misciting two verses in Cicero as from the Prometheus of old Accius, has made Cicero guilty of a forgery u. s. w. Aber dieses ist ein Irrthum des Lexikographen selbst, hier handelt es sich dagegen darum, ob derselbe durch eine äussere Überlieferung getäuscht worden sei; denn dass die Bezeichnung des Briefs mit den Worten ad Brutum von Nonius selbst herrühre, wird Niemand behaupten. 55) Tiefer als 450 p. Chr. kann er übrigens selbst nicht gehn, und hilft sich daher p-5 durch die Annahme, dass dieser Brief zuerst allein gefälscht sei: as all the rest of the letters may still be of later origin than the age of No- nius; obgleich er später (s. Note 54) wieder das ganze Buch zusammenwirft. 56) Wohl setzt ihn auch Osann Beitr. z. griech. u. röm. Lit. Gesch. B. II, S. 386 noch in das fünfte Jahrhundert; dagegen aber s. Gerlach in seiner Ausgabe p. x fgg. und dessen Beurtlieiler Schneide win in G. G. A. 1843, S. 696 und Klotz in Jen. Lit. Z. 1844, St. 25; auch Lachmann ad Terent. Maur. p. xn. ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 191 a suis vel per suos potius inimicos genommen hat, habe ich bereits in der lateinischen Abhandlung durch ähnliche Beispiele beseitigt; nicht besser steht es auch mit der entgegengesetzten Insinuation, dass die Phraseologie dieses Briefs aus einem andern Fam. XL 22 entlehnt sei 57), wo man bei näherer Prüfung keine weitere Ähnlichkeit finden wird, als dass die beiden Männer, auf welche sich jene Briefe beziehen, Wohlthaten von Antonius erhalten hatten; und wenn sich Tunstall gar darauf beruft, dass der ächten Briefe an Brutus nur acht Bücher gewesen seien, das von Nonius eitirte neunte also ein nachgeahmter Zusatz sein müsse 58), so hat er ganz vergessen, dass die gewöhnliche Annahme von acht Büchern eben nur auf Nonius beruht, bei dem man in der Stelle, wo er das neunte eitirt, früher fälschlich das erste las und demnach nicht mehr als acht Bücher bei ihm citirt zu finden glaubte. Dass aber die Beglaubigung des ersten Briefs auch für die folgen- den ein günstiges Vorurtheil erweckt, ist klar, und keine Ausflucht verkehrter, als wenn Markland den Schluss von einem Briefe auf die Achtheit aller eben so wenig gelten lassen will, als die Vertheidiger dieser aus der Unächt- heit des vorhin erwähnten Briefs an Octavian einen Grund gegen die übrigen zu entnehmen erlaubten 59). Denn auch abgesehn davon, dass, wie bereits erwähnt, ein solcher Grund vielmehr gegen die Briefe an Quintus gelten würde, 57) Observ. P. 362. | 58) Das. p. 64 fgg. mit dem Schlusse p. 66: we may form a very probable con- ;f;ecture from. these different readings ef Nonius’s eitation, {f it be really genuine, that Nonius made it from o collection, which went under the name of aninth.book.:of Ciceros epistles to Brutus; and that the same col- lection, being found in many copies separate from the ori ginal eight books, might likewise go under the name of a first book; auch p. 103 fg. Rührt aber nicht diese letztere Bezeichnung erst aus der Zeit her, wo dieses Buch das einzige war? und beruht die Achtheit der verlorenen acht Bücher auf einer andern Auctorität als der des Nonius, dem sie Tunstall für dieses neunte abspricht ? 59) Remarks p. 16: now if one Forged letter, which no body can tell whence or how it come hither, may be found among twenty three which are genuine; I would ask, on the other hand, why one that is genuine, may not be found among twenty three forged ones ? 192 KARL FRIEDRICH HERMANN au welche sich. jener Brief in den Handschriften zunächst anschliesst (s. oben 8.18), ist erstens die Beiſügung eines unächten Stückes zu ächten am Schlusse, ja selbst am Anfange eben so häufig, als die umgekehrte Erscheinung selten, ja unerhört sein dürfte 60); zweitens würde ein solcher Fälscher doch; gewiss einen Brief gewählt haben, dessen Inhalt mit seinen unächten Machwerken auf's Nächste verwandt, nicht wie dieser erste gegen den organischen Tu- sammenhang der folgenden Stücke ziemlich gleichgültig gewesen wäre; und endlich drittens muss Markland bei jener seiner Hypothese nothwendig unterstellen, dass zur Zeit der Fälschung auch ausser jenen fünf Briefen, in der Sammlung ad Familiares nach andere ächte Brieſe Ciceros an Brutus existirten, deren Vergleichung folglich seinen Betrug, namentlich wenn er so grob angelegt war, wie die Gegner ihn auf jeder Seite schildern, sofort hätte entlarven müssen 61). Ubrigens ist auch nicht einmal dieser erste Brief der einzige, der durch ein Teuguiss aus dem Allerthume unterstützt. wird; aus dem z weiten wird die Stelle: sed salutaris severitas vincit inanem Spe- ciem clementiae „ mit einer ganz unwesentlichen Anderung von Ammianus Marcellinus XXIX. 5 als Ciceronianisch angeführt: agebat autem haec Tullianum illud animadvertens, quod salutaris: rigor vincit inanem spe- ciem clementiae; und, was auch Middleton bereits. gebührend hervor- 60) Fälle, wie der Anfang von Plutarch de placitis philosophorum, oder Cornelius Nepos Praefatio ad Atticum, sind ganz anderer Art, da dort das Folgende nicht sowohl gefälscht als epitomirt zu sein scheint; man müsste also, um eine Analogie zu Marklands Annahme zu finden, bis zu dem Hesiodischen Scutum ‘Herculis zurückgehn, dessen Anfang aber dennoch zu der folgenden Naehdich- tung in einem viel organischeren Verhältnisse steht. a Wirklich nimmt Tunstall Observ. p. 43 fgg. an, flat there wéiee be room Jor a forgery: of. the letters,; while those of the original correspondence "between: Cicero and Brutus were in being y weiter unten aber p. 300 sagt er J ausdrücklich, dass der Fälscher die Briefe ad Familiares in ihrer jetzigen Gestalt gekannt habe, die doch nach seiner Ansicht (s. Note 45) erst aus der Zertrümmerung jener grösseren Sammlung entstanden wäre: the Sophist. enables us to make a discovery af huis living some time after these Epistles were reduced to the 9 àmi E in Me? nr appear at this day ! ‚us eis 3 ZUR RECHTE ERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 193 gehoben hat 62), sowohl der dritte als der sechzehnte und siebenzehnte Brief des ersten Buchs muss Plutarch vorgelegen haben, der an mehr als einer Stelle auf den Inhalt und selbst einzelne Gedanken dieser Briefe eine Rücksicht nimmt, wie sie nur aus Autopsie der auf uns gekommenen Samm- lung erklärt werden kann. “Geraume Zeit,” sagt derselbe im Leben des Brutus Cap. 26, “hielt Brutus seinen Gefangenen Cajus Antonius in Ehren, obgleich sowohl viele Andere, wie erzählt wird, als auch Cicero aus Rom ihm schrieben und ihn auffoderten, jenen zu tödten;” und gerade so lesen wir hier, dass Cicero an Brutus schreibt: “keim Feind sei jemals des härtesten Schicksals würdiger gewesen, als die Bürger, die in diesem Kriege die Waffen gegen ihr Vaterland geführt hätten‘, und in dieser Hinsicht sei zwischen den drei Antoniern kein Unterschied; auch -treffe der desshalb gefasste Senatsbe- schluss eben sowobl die Gefangenen des Brutus;“ worauf dieser dann im fol- genden vierten Briefe sich rechtfertigt, wesshalb er seinen Gefangenen nicht tödten lassen wollte. Eben so heisst es kurz vorher bei Plutarch Cap. 21: Kals Cicero aus Hass gegen Antonius den jungen Cäsar begünstigte, tadelte ihn Brutus heftig, indem er schrieb, was ihn (Cicero) bestimme, sei nicht sowohl Abscheu gegen eine neue Zwingherrschaft, als Furcht vor einem Zwing- herrn, der ihn hasse, und seine Politik laufe auf die Wahl einer milderen Sclaverei hinaus, indem er in Wort und Schrift rühme, wie gut der junge Cäsar sei; unsere Vorfahren aber, sagt er, ertrugen nicht einmal milde Zwing- herrn; und sein Entschluss sei bis jetzt weder für Krieg, noch für Ruhe entschieden, sondern. nur Eins stehe ihm fest, nicht zu dienen; dagegen wun- dere er sich über Cicero, der einen gefahrvollen Bürgerkrieg fürchte, einen unrühmlichen und schmählichen Frieden aber nicht fürchte, und als Preis für Antonius Vertreibung Cäsars Einsetzung als Herrscher fodere;” und ganz dieselben Gedanken finden wir theils in dem sechzehnten Briefe von Brutus gegen Cicero selbst, theils noch mehr mit denselben Worten im sieben- zehnten von demselben an Alticus ausgedrückt: commendas nostram salu- tem illi, quae morte qua non perniciosior? ut prorsus prae te feras, non sublatam dominationem, sed dominum commutatum esse .... an hoc pro 62) Pref. diss. p. xur. ; Histor,- Phil. Classe II. Bb 194 KARL FRIEDRICH HERMANN beneficio est habendum, quod se quam Antonium esse mauluerit, ad quo ista petenda essent? ..... quodsi Romanos nos esse meminissemus, non audacius \dominari cuperent postremi homines, quam id nos prohibere- mus. «Scilicet ut illo: prohibito rogaremus alteruin, qui se in ejus locum reponi pateretur dee nulla cura ab aliis adhibeatur; sed mihi prius omnia dii deaeque eripuerint, quam illud judicium; quo non modo heredi illius, quem occidi, non concesserim, quod in illo non tuli, sed ne patri quidem meo, si reviviscat, ut patiente me plus senatu ac legibus. possit .... valde care aestimas tot annos, quot ista aetas: recipit, si propter eam causam isti puero supplicaturus es; deinde quod pulcherrime fecisti et facis in Antonio, vide ne convertatur: d laude maximi animi in opi- nionem formidinis; nam si Octavius tibi placet, a quo de nostra salute petendum sit, non dominum fugisse, sed amiciorem dominum. quaesisse videberis ... ego is sum, qui non modo non supplicem, sed etiam coer- cerem Daa ien ut sibi supplieelun; aut ën a ‚aervientähus “abera Atticus: quid hoc mihi 8 si merces een popar pene in Antonii locum successió, et si vindex illius mali auctor exstitit alterius, fundamentum et radices habiturus altiores, si patiemur? .... ego autem gratiam non habeo, si quis, dum ne irato serviat, rem ipsam non de- precatur .... nimium timemus mortem et exilium et paupertatem; haec videntur Ciceroni ultima esse in malis, et dum habeat a quibus impetret quae velit et a quibus colatur et laudetur, seruitutem, honorificam. modo, non aspernatur .. ego vero, quin cum ns re bellum geram, hoc est cum regno et imperiis extraordinariis et dominatione et potentia, quae supra:leges se esse velit, nulla erit tam bona condicio serviendi qua deterrear .... sed dominum ne. parentem quidem majores nostri voluerunt esse u. s. Ww. Auch im Leben des Cicero zieht Plutarch geradezu Briefe des Brutus an Atticus an 63), so dass wir noch die Worte des unserigen ` 63) C. 45: èp 65 opóðoa N eyavanıav ev taig TOOS ’ drtınov Zmıorokais aper gon LCE öte did goßov Avrwoviov Heounsvor Aoigegn os doten 00% Elsudegtav r natoiði nodttwv, alla ea yılav- FQONOV ere PVØUEVOC: ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 105 darin erkennen: ut jam ista, quae facit, non dominationem; nom domirurf, sed Antonium timentis sint; und: «tqui eo tendit, id agiti ad eum exitum properat vir optimus, ut sit illi Octavius propitius; und noch an einer vierten Stelle, in der Vergleichung des Cicero und Demosthenes] sieht man die offenbare Rücksicht auf die oben bereits angeführten Vorwürfe dieses Briefs, dass Cicero durch seine Begünstigung des jungen Cäsar eine stärkere und ärgere Zwingherrschaft als die von ihm gestürzte begründe und nähre 64), Wie glauben nun aber unsere Gegner diese augenscheinlichsten Beweise antiker Existenz dieser Briefsammlung zu beseitigen? Auf die wohlfeilste Weise von der Welt, gerade wie auch schon Ges ner a à. O. S. 232 über Marklands Behandlung der vier eiceronianischen Reden geurtheilt hat: % cipiti gladio utitur in os libros'Marklandus: ubi convenientia og Tillio invenit, accusat furtum et imitationem puerilem: ubi aliquantum diversa, peregrinum se putat tenere! So auch hier: würden diese Brieſe nirgends im Alterthume erwähnt, keine Stelle daraus irgendwo eitirt, so wäre däs natürlich ein sehr triftiger Verdachtsgrund, den Tunstall geltend zu machen nicht versäumen würde; nun aber dieser wegfällt, so hilft er sich auf die umgekehrte Art, indem er den Fälscher: beschuldige] die Motive seiner Briefe und die Gedanken, in welchen wir gesehen haben, dass diese mit Anfühl rungen des Alterthums übereinstimmen, aus diesen Anführungen selbst ge- rn u zur been ‚seines E ere zu haben f — 64) ER gege d SÉ: Soine 8 we Sie Set Miesen Bugs zgßmuorı Tugavrida týs vun’ erg nurahvdeiong. a Tunstall Observ. p. xıx: that the two famous . letters to Cicero and Atticus were forged upon the plan, which Plutarch has given us of Brutliss original letters to these two persons; vergl. p- 107 fgg. „ auch 297 und Markland p. 15 und 192: that Plutarch erer saw these very Epistles ` will be a most difficult point at prove; on the other hand, it will be an easy matter to show, that the writer of these‘ Epistles had. seen Plutarch ` .. who, I do not doubt, had been many hundred years in his grave before these Epistles were ever thought af; hinsichtlich der Stelle aus Ammian aber Tunstall p. 383: this is a little varied from a noted pas- sage. of the true Cicero, mentioned by Marcellinus — schade nur, dass dieser true: Cicero eben der Verfasser unserer Briefe ist! * a Bb 2 196 rr: KARL FRIEDRICH HERMANN C wahrlich ein merkwürdiger Zufall, wenn ein mittelalterlicher Sophist Plu- tarch und Ammianus Marcellinus nicht nur gekannt, sondern auch gleichzeitig für betrügerische Zwecke benutzt hätte, und dabei vom Schicksal dergestalt begünstigt worden wäre, dass unter so vielen ächten Schriften Ciceros gerade die, auf welche jene Schriftsteller sich bezogen, verloren ge gangen wären, um seinen Fälschungen Platz zu machen! Nur ein Argument besseren Schlags hat Tunstall in dieser Beziehung beigebracht, das aber auch bereits von Schütz, so sehr dieser sich sonst selbst von den englischen Kritikern hat imponiren lassen, genügend beseitigt worden ist 66). Nach ; Plutarehs Darstellung nämlich hätte Brutus in jenem Sinne bereits vor seinem Abzuge aus Italien an Cicero geschrieben 67), während unsere Briefe ‚offenbar, nach diesem Zeitpuncte aus Macedonien nach Italien geschrieben zu denken sind; hierin will also Tunstall. einen Beweis erblicken, dass die unserigen doch nicht dieselben seien, die Plutarch vor Augen hatte, son- dern der Fälscher nur die een aus diesem entlchnt habe, um ihnen eine andere seinen Absichten ang Jeitbeziehung zu geben, während die Schten um mehre Monate früher gefallen wären. Dipig aber hat, wie gesagt, Schütz mit Recht erinnert, dass auch nach unseren sonstigen Quellen, insbesondere den Briefen Ciceros an Atticus und den philippischen Reden, vor Brutus Abreise aus Italien das Verhältniss des Redners zu Cäsar und Octavian überall noch kein solches war, wie es jene Vorwürfe bei Plu- tarch voraussetzen würden: bereits im September des Jahres 44 a. Chr. segelte Brutus von Velia nach Griechenland ab, und erst im October begann ; jenes Ringen zwischen Antonius und Octavian um die Gunst der Truppen und der theilweise Abfall dieser zu dem letzteren, der ihn überhaupt zum Gegenstande von Ciceros Hoffnungen machen konnte; auch ist in den beiden ersten ` Philippischen Reden, die mit Brutus Abreise gue gleichzeitig 66) Opp. Cic. T. VIII, A3. re ER à 67} Plut. V. Brut. c. 23: èy pèv 0 tar Beeren a SST 0 er on o sen in ée Kaloape, töv Ò de Avcuvıov Öuorenivun, riny q en grëoroaddun: WETTER Uno Seu nooctidepivuv t niov dıdovre, navranaoı ‚BETEYVOUS Toy noaypatov čyvo naralıneiv 'Irakiav ze) net? Ärd Aevnavias eis "Elta èni ëäileggen Fuer: vergl. Tünsfall-S. 114 fgg. ZUR RECHTFERTIGUNG!DER‘BRIEFE'DES CICERO AN BRUTUS. 197 sind, von einer Berücksichtigung oder Begünstigung Octavians noch mit keiner Silbe die Rede; und folglich ist vielmehr Plutarichs ganze chronologische Bestimmung irrig oder: schief ausgedrückt, und kann der Würdigung dieser Briefe zu keinem Maassstabe dienen 68). Im Gegentheil, wären unsere Briefe aus sonstigen inneren Gründen wirklich für falsch zu hallen, so würde doch jedenfalls so viel sicher sein, dass sie bereits zu Plutarchs, geschweige denn zu Noius und Ammians Zeit vorhanden Waren; und damit fällt dann von selbst auch wenigstens ein grosser Theil der Vorwürfe, mittelst deren Tunstall und Markland. die Unächtheit überhaupt zu beweisen geglaubt haben, in das Gebiet der Unmöglichkeit: ein Schriftsteller des ersten Jahrhunderts, und wenn er auch ein Fälscher und Sophist war, kann doch sicherlich keine Hebraismen begangen oder die Sprache der Vulgata nach- geahmt haben; Latein war doch seine Muttersprache, ja seine Ausdrücke können keine solche sein, für die sich erst bei Tacitus, Sueton oder den Scriptoribus historiae Augustae Belege fänden; eben so kann auch keine zo grobe Ignoranz römischer Zustände und Begebenheiten bei ibm me werden, wie die Gegner nicht müde werden sie diesen Briefen und mit einem Worte, wenn irgendwo, so kann schon aus diesem Grunde gegen Tunstall wie gegen Markland der alte Spruch geltend gemacht werden, dass wer zu viel beweise, eben desshalb gar nichts bewiesen habe. Hiermit ist jedoch allerdings die gauze Untersuchung, die uns hier be- schäftigt, noch bei Weitem nicht geschlossen, da nicht nur die Möglichkeit, sondern die Wirklichkeit vorliegt, dass selbst grosse und völlig stimmberechtigte Kenner der eiceronianischen Sprache und römischen Geschichte, wie W yt- tenbach 69), Schütz 70075 und namentlich noch in unseren Tagen. Dru- mann und Orelli die Unächtheit dieser Brieſe eben in der vorhin ange- deuteten Art behaupten, dass sie zwar antik; ni dochi: nicht nee 68) S. Drumann B. I, 8. 144 und 2033 B. Iv, 8.30 ud! im 3 über Plu- tarchs “Willkür, mit welcher, er zum Behuf der Charakteristik oft zusam- menwirft, was der Zeit und em Orte nach weit auseinander! pan 8. 355. 69) Vit. Ruhnken. p. 219. 70) A. a. O. p. ur: quare Plutarchus . en en Ach ipsa EEE licet adulterina, in errorem inductus est, ee genuinam esse credidit, 198 KARL FRIEDRICH HERMANN und Brulus selbst, wenn auch bald nach ihrem Tode auf ihren Namen ge- schrieben seien; zu welchem Ende auch diese sich wenigstens einen Theil der früheren Einwürfe aneignen müssen, obgleich sehr zu beklagen ist, dass ausser Schütz, der jedoch selhst nur die englischen Kritiken excerpirt, keiner derselben auch nur mit einem Worte näher angegeben hat, auf welche Argumente dieser Vorgänger er denn eigentlich sein fortwährendes Verdam- mungsurtheil stütze. Nur ganz allgemein sagt Drumann B. IV, S. 40: “in dem Namen, der verhängnissvollen That, den Schicksalen und der Persön- lichkeit des Brutus lag eine Versuchung, ihm solche Urkunden unterzuschie- ben; es geschah schon sehr früh; dadurch entstand eine Sammlung; welche unter der Aufschrift Epistolae ad Brutum zu: den Briefen Ciceros binzuge- ſügt ist, und grobe Verstösse gegen die Geschichte und besonders gegen die Zeitfolge: enthält;“ im» Einzelnen dagegen sind der Fälle, in welchen er ge- legentlich seine Zustimmung zu einem Zweifelsgrunde Tunstalls zu erkennen gibt, zwei 7); und dazu kommt dann noch bei Gelegenheit des Todes der Porcia das Urtheil über die beiden Briefe, in welchen man Beziehungen auf diese Gemahlin des Brutus findet, und die er kurzweg für eben so erdichtet erklärt, wie den griechischen Brief, in welchem Brutus nach Plutarchs mm gabe ihre Vernachlässigung durch seine Freunde beklagt haben sollte 72). Sei * aber Lene ich überall nur 2wei 1 ee die es Sg P? ag g azb-- alle En Bag Bees, B. 1 8. 308: ie gë pen von,, ge Auslalle 2 D. Gage ol ‚wodurch ‚dieser ‚angeblich das schwankende Gefecht entschied .. findet sich zuerst in einem der unächten Briefe an Brutus; und S. 526: “welche Verstösse gegen Wi Geschichte sich auch i in Beziehung auf C. Antonius in den untergeschobenen Briefen ad Brutum finden, hat Tunstall nachgewiesen, in Epist. ad Middl. P. 215.” Wo er dagegen sonst unsere Briefe erwähnt, geschieht es wenigstens mit der Anerkennung, dass wenn sie ächt wären, ein geschichtlicher Zug in ihnen liegen könnte, z.B. S. 238. 263. 323 u.s. w. CZ B. V, 8.499: “in einem untergeschobenen Briefe des Brutus, dessen Ächtheit Plutarch selbst bezweifelt, starb sie vor ihrem Gemahl, welcher sich darüber beklagt, dass sie in der Krankheit von den Freunden vernachlässigt sei; in einem ebenfalls erdichteten Schreiben dankt er dagegen Atticus für die Theil- nahme, mit welcher er für ihre Sen sorge; es gibt ferner ein Trostschreiben an ihn unter Ciceros Namen.” —. ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 199 fertigen könnten, dass er diese Briefsammlung in seiner grossen Ausgabe * den übrigen drei getrennt und mit den seiner ae kon, gleichfalls un- ächten Reden als Anhang des ersten Bandes llt hat: die eine in der Sammlung von Ciceros Bruchstücken S. 466, wo er zu einer Stelle des Fronto, die zwei Bücher Briefe an Brutus und eines an Axius er- wähnt 75), folgende Bemerkung macht: inest igitur error in Nonii numeris, aut alia divisione utebatur, aut denique Fronto significat epistolas ad Brutum 'subditicias, quarum duo libri, veteres et quas Cratander edidit, etiam tunc fortasse exstabant;. die andere in einer brieflichen Mittheilung an Bähr, in dessen Geschichte der lateinischen Literatur S. 595, nach wel- cher er wenigstens in sofern den englischen Kritikern direct entgegen tritt, dass er sie vielleicht selbst noch vor Christi Geburt unter Augusts Regierung verfasst glaubt; nur, meint er, “könnten sie schwerlich älter als 740 n. C. sein und rührten vielleicht von demselben Redner her, der auch die erwähn- ten von Markland und Wolf verurtheilten Reden verfertigt habe.” Doch sehn wir allerdings auch schon aus diesen wenigen Worten, dass auch ihm wie Drumann;, wenn auch nicht kland.: ıchliche, doch Tunstalls historische Gründe hinreichend erschienen sein oben um diese Briefe nicht von Cicero und Brutus selbst herzuleiten 7%), und so leicht sich auch die zuerst angeführte Stelle aus Fronto dahin beseitigen lässt, dass dort eben nur von zweien der neun Bücher an Brutus, woraus Fronto gerade die Excerpte zur Hand hatte, die Rede sei, so verdienen doch jene historischen und Riesen ‚Anstösse um so mehr noch eine tiefere rg als m Epist. ad Anton. Imper. II. 5, p. 160 ed. Rom.: memini me excerpsisse ex Ciceronis epistulis ea duntaxat, quibus inesset aliqua de eloquentia vel philosophia vel de re publica disputatio; praeterea si quid eleganti aut notabili verbo dictum videretur excerpsi. Quae in usu: meo ad manum . erant excerpta, misi tibi. Tres libros , duos ad Brutum, unum ad Ge Axium describi jubebis, si quid rei esse videbitur, et remittes mihi; nam __ exemplares eorum excerptorum nullos feci. 74) Wenigstens nehmen wir dieses lieber an „ als dass wir ihm mit Drumann B. V, S. 580 alles selbständige Urtheil in der höheren Kritik absprächen, das er hier mindestens eben so sehr wie Drumann selbst bewährt hat. 200 e 72 (KARL FRIEDRICH HERMANN bei einem» Ursprunge, wie ihn Orelli annimmt, weder der Nachweis tadel- losester Latinität, noch das redendste Zeugenverhör aus der Kaiserzeit aus- reicht, die volle und ganze Achtheit, wie wir sie hier vertheidigen wollen, aufrecht zu halten. Nur wird freilich eben desshalb auch die geringe Zeit, die mir heute noch zu Gebote steht, nicht genügen, um diese weitschichtigen und spinösen Untersuchungen in allen ihren Schlupſwinkeln zu verſolgen; ich will daher die umfassende Behandlung dieses Gegenstandes auf eine zweite Vorlesung verschieben, und mich heute gleichsam zur Probe auf die wenigen Puncte beschränken, über welche Drumann ein bestimmtes Urtheil ausge- sprochen hat, obgleich diese besondere Erwähnung an sich gar keinen wei- teren Grund hat, und jede andere Partie eben so gut aus der Mitte heraus- gegriffen werden könnte. Höchstens kann man sagen, dass der neunte Brief, der bei der Frage wegen Porcias Tod vorzugsweise in Betrachtung kommt, eine eigene Kategorie für sich ausmache, und in sofern ist es mir allerdings erwünscht, ihn hier schon vor der übrigen Untersuchung erledigen zu können; was dagegen die Geschichte des Cajus Antonius und den Ausbruch des Decimus Brutus aus Mutina betrifft, so gehören die Verstösse, welche hier Tunstall nachgewiesen haben soll, im schlimmsten Falle doch nur zu der grossen Classe derer, von welchen keine Schrift des Alterthums frei ist, und die uns höchstens befugen, eine einzelne Äusserung für verdor- ben oder irrig zu erklären und aus diesem Gesichtspuncte zu berichtigen, ohne dass desshalb der ganze Brief, ja das ganze Buch oder die ganze Samm- lung verdächtig würde. Bekanntlich war der Bruder des nachmaligen Triumvir Antonius, Cajus, als er die ihm vom Volke überwiesene Statthalterschaft in Macedonien antreten wollte, von M. Brutus, der ältere Ansprüche darauf machte und sie früher in Besitz genommen hatte, entwaffnet und in eine übrigens anständige und gelinde Haſt genommen worden; diesen Rest von Freiheit hatte derselbe aber benutzt, um unter dem Heere seines Siegers Meutereien zu stiften; und als Brutus Klugheit und Vorsicht diese vereitelt hatte, wandte sich, wie oft, der Zorn der getäuschten oder gereizten Soldaten gegen die Rädelsführer selbst, die sie wider den eigenen Willen des Feld- herrn erschlugen, und nachdem Antonius für seine Person von Brutus heim- lich entfernt worden war, dessen Quästor und Legaten ausgeliefert haben ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 201 wollten #5) Darauf benicht sich nun Cicdrooin dec zweiten Briefe unserer Sammlung, und zwar so, dass er, wie es Auch Plutarch an der oben erwähnten" Stelle bezeugt 76), seinem Freunde wegen der unzeitigen Milde Vorwürfe maeht; die er gegen Cajus Antonius bewiesen habt und fortwäh- rend beweise: dass dhzu seine Worte: magis mihi probutur militum |seve: ritas quam ti, des Beisatzes elementid nicht bedürfen, habe ich bereits in den I idiciis p.41 n. rkland bewiesen, und es handelt sich also nur noch um die vorh len Worte: quoct seribis de seditione quae facta' est in legibne: dankt con Antoniis, in weleben Tunstall den «offen- baren und schmüählichen Verstobs- gegen die Geschichte“ rügt, dass hier dem Brutus eine vierte Legion beigelegt werde; während es doch weltkundig sei, dass die vierte Legion gerade damals in Italien zu Octavian übergegangen war und mit bm: vor Mutina an dem Kriege gegen M. Antonius’ Theil nabm 72), Gegen dieses Sachverbäliniss, lässt sich allerdings nichts einwenden; aber, fragen wir billig, ist dieses gerade ein Fehler, den ein Fälscher begehen konnte, welchem die En ei auf der einen, solche Schlauheit im. Verhällen Seiter. hen trett deridderi Sele! beimesben $ 250 f Dio prei St: ES 20 mere o — DN RN re Unayayöuevog ue Va Mäe ‚zur nue vie un Horta, Tons dd ne èn vis =. 54 A EE gi ov A dis nnen, diere 0 ZE rg o ggg, pong e ‚ug nat ane wg alciu d ros oe za” enn we A xai 10% Seier org Ve vno- * Kk 20 Auron Barjoan Er 700 Piot, V. Brut. * 26. 1g0v0» iv od» Ae 25 IA 2070 Te wron ie "al ta room be dote ous d ber, nee be gegtn" dien 1 Er. = Kut ano Poune yoaipbrrün: wel ehevorenm dνx⸗t y. glo m Observ. p. 236: a manifest and indeed shamefull blunder t a auch eee auf welche Einwürfe jedoch schon Schü t p. us fgg. geantwortet hat, so dass wir es hier nur noch mit den erstern zu thun haben. ré Das. p. 382: there are likewise numerous of Cicero genuine works, espe- t cially the Philippic orations and familiar Epistles” Vgl. auch Markland p. 23 und 164: because the Philippics are one of his chief magazines, from whence he draws the materials and supplies of his forgeries. ` Histor.- Phil. Classe II. | Ce 202 u YA RARD ERIEDRICH: HERMANN selbst wenn er kein Sophist, sondern nur ein Schulknabe gewesen wäre, die nämliche vierte Legion, deren ganze Geschichte dort wiederholt erzählt wird, gleichzeitig auf einen ganz fremden Schauplatz verlegen; und auch wenn die Fälschung als solche anderweit erwiesen wäre, würde doch hier nur die Wahl übrig bleiben, dass entweder eine andere vierte- Legion zu verstehen oder die Stelle verdorben sei und einer Emendation bedürfe. Ersteren Weg hat Middleton eingeschlagen, indem er annimmt, Brutus habe seine neu ausgehobenen Legionen wieder von vorn numerirt, ohne auf die Zahlen derer, die bereits unter andern Fahnen dienten, Rücksicht zu nehmen 79); und obgleich dafür ein eigentlicher Beweis schwerlich wird erbracht werden können, so glaube ich doch nicht, dass diese Möglichkeit von den Gegnern genügend widerlegt sei, obgleich Tunstall sich für diesen besondern Punct noch einen Gehülfen Chapman zur Seite gestellt hat, der in einem eigenen Excurs zu seinen Observations darzulhun sucht, dass in den Zeiten der Re- publik die Reihefolge der Zahlen durch alle Legionen hindurchgegangen sei, und selbst in der Kaiserzeit die Verdoppelung derselben Liffer unter ver- schiedenen Beinamen vielleicht erst mit Galba angefangen habe 80). Der letztere Punct kann uns hier gleichgültig sein; was aber die republikanisclie Zeit be- trifft, so kann jener Satz begreiflicherweise nur für die in ruhigen Zeiten unter der Auctorität des Senats ausgehobenen Legionen gelten, nicht für die Bürgerkriege, wo die Parteien gegen einander oder wenigstens unabbängig von einander sich rüsteten; und wenn Tunstall auch unter dieser Voraus- setzung bezweifelt, dass Brutus eine Legion habe als vierte! bezeichnen kön- nen, weil er unter den fünfen; deren unser Brief gedenke, vier alte bereits numerirte und folglich nur eine einzige neue besessen habe 81), so ist auch dieser Schluss. bei näherer Prüfung mehr scheinbar als bündig. Erstens brauchen die fünf 5 n unser Brief gedankt, nicht Brutus ganze 70) Pret, diss. p. em: ‚that, Wës ir Ce pra Pete emen to raise new legions in distant parts of tie Empire, used to name Gem according to the order, in uich they themselves: raised ës without regard to ot ier legions whatsoeper: er 80) Observ. p. 413 fgg. ` 81) Das, p. 229. $ ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 203 Macht, sondern nur ein Theil derselben zu sein, den er da, wo Dolabella den Ubergang versuchen konnte, zusammengezogen hatte; Tunstall selbst bemerkt, dass Vellejus Paterculus ihm deren sieben beilegt 82), und zu seiner Vereinigung mit Cassius brachte er nach Appian acht mit 85), so dass auch nach Abzug der vier alten für eben so viele neu gebildete Platz bleibt; zweitens aber konnte er selbst die alten Legionen anders numerirt haben, wie sich kurz vorher Ahnliches bei Pompejus findet, der die von Cäsar erhaltene funfzehnte Legion bei Pharsalus als dritte in's Feld ge- führt zu haben scheint 84); oder endlich er hatte von den Ziffern seiner alten Legionen weiter gezählt, sei es vorwärts oder rückwärts, wie z. B. Cäsar in Gallien zu seinen ursprünglichen vier Legionen VII. VIII. IX. X noch V. VI. XI. XII. XIII. XIV. XV hinzufügte; — kurz es zeigen sich so viele Mittel und Wege, um diese legio quarta unseres Briefes zu retten, dass an eine Ver— dächtigung desselben aus diesem Grunde eben so wenig zu denken ist, als Lucans Pharsalia dadurch unächt wird, dass sie VII. 219 einer vierten Legion an einer Stelle gedenkt, wo diese Erwähnung or sonstigen Geschichte wider- strebt. Doch auch wenn alle Erklärun scheitern sollten, so wäre es doch immer noch nicht 3 Zeile zu emendiren, als den ganzen Brief in die Verdammniss zu werfen, zumal da gleich die nächsten Worte de Antoniis in dieser ihrer gegenwärtigen Gestalt schwerlich richtig sind, und wenige Zeilen später uns die offenbare Corruptel maximo otio für animo begegnet, die dadurch um kein Haar besser wird, dass Petrarch selbst sie in einer seiner Schriften 8 zu haben scheint 85). Bei einem Werke, Ä 88) vel. Patere; 11.69: eratque re legionibus validus, Auch Philipp. XI. 10 werden zovae Bruti legiones erwähnt. 83) Appian. B. C. IV. 75: séodaga d èni sovrois die ovvayayıy KTW Ta erte ede u. b. J. Vgl. Drumann B. II, S. 141. 84) Vgl. Drumann B. III, 8. 236, und insbesondere Grotefends Geschichte der römischen Legionen in der Zeitschr. f. d. Alterth. 1840, N. 79, durch welche überhaupt Tunstalls und e oberflächliche Machtsprüche vollständig widerlegt werden. 85) Tunstall Observ. p. 31, was übrigens selbst noch Zweifeln Raum lässt. Jeden- falls ist Manutius Emendation sicher; vgl. auch Fam. X. 11: quod si nihil Ce 2 $ 204 TUAJ va WARD RRIEDRIGHMERMANNTITIDAA AJS das uns nur in einer einzigen Urhandschrift ‚erhalten ist, darf die Kritik schon etwas kühner ‚verfahren ` ich lese also für de Antoniis oder, wie Cratan der an seinem Rande bemerkt hat, Catoniis, nicht wie Middleton de C. An- tonio oder wie Tunstall degue Antoniis, sondern fraude C. Anlonii 85), und wenn die legio quarta ja nicht gelten soll, so würde auch hier in legione quadam oder quadam tua den Sinn völlig herstellen und nichts übrig lassen, was gegen die Geschichte des Cajus Antonius irgendwie verstiesse. Der zweite Punct, welchen Drumann nach Tunstalls, Vorgange 87) angreift, betrifft den Ausbruch (eruptid) des Decimus Brutus aus Mutina, den Cicero in demselben Briefe mit der ‚Flucht, des Antonius und dem Siege des römischen Volkes verbindet, und der auch noch zu wiederholten Malen von heiden Briefstellern als, ein itliches- Moment zur Niederlage des An: tonius- hervorgehoben wird, während die. Geschiehischreiber einer solchen thä- ügen Theilnahme des Belagerten nicht gedenken, und zwei derselben ihn geradezu als müssigen Zuschauer seiner Befreiung schildern 88). Ja Decimus selbst, sagt Drumann, gedenke in seinen Briefen an Cicero (Fam. XI. 9-13) nie einer Mitwirkung zum Entsatze und eines dabei unvermeidlichen Verlustes an Mannschaft, obgleich er Alles hervorsuche, um sich wegen der verspäteten Verfolgung zu entschuldigen; und so möge denn die ganze Annahme unserer Briefe aus einem Missverständnisse der Stelle ad Famil. XI. 14 entstanden sein, wo allerdings auch der ächte Cicero von dem ruhmvollen Hervorbrechen des A. aus Bnp welt darunter . nur seinen Aufbruch zur Verfol- E * e Ei H 4 "— Sc a egf Hanos Fia- BN Fit E Aaffintlo 1311145 re nihilo minus maximo sum animo et majore fortasse cum paa vobis satisfaciam, obgleich ich hier noch lieber maximö! cum animo lesen möchte, {ai Jar Spion. gabe; 86) Eben so glaube ich, dass Fama K 23 für: d si logatös. Fi de. Læpidi missos ad me in conspectum venirei vetueram, zu lesen ist ffadde.‘ Zum folgenden quadam vgl. Fam. VII. 3: isi quadam ex Bug in ‚goepisset Ste eg confidere; Att, VIII. 3: god idem ipse. mae, lege quadami sf — 87) Epist. p. 2193 Observ. p. 262 fg. sd ban allstzau F- aid 88) Vell. Paterc. II. 62: D. Bruto, SE alieno benefieio wiveretj?'decretus triumphus; und noch deutlicher Dio Cassius XLVI 40: kiside and aids tijv vizyv: noocßahorievorg, a: d a ét gees uveru A ο⏑ẽẽů,u elis ZUR RECHTFERT 2 DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 205 gung des Feindes am zweiten Tage nach der Schlächt verstehe „ an welcher letzteren er selbst: keinen Antheil genommen habe. Hierauf ist aher zuvörderst zu erwidern, dass, man urtheile von der geschichtlichen Thatsache wie man wolle, jedenfalls Ciceros Worte in dem unbezweifelten Briefe an Decimus nichts Anderes bedenten können, als was auch die unserigen unter eruptio verstehen, sund»fölglich ‚selbst, wenn dar n Irrthum oder eine Entstellung enthalten ‚wäre, ihre Achtheit darunter eben so wenig als die jenes Briefes leiden würde. Die Spannung, in welche ich die Gemüther in Rom versetzt hatte, schreibt Cicero, ist verschwunden, weil nach den vor- Mutina: errun- genen Erfolgen Niemand mehr an dem sicheren Siege zweifelt, und diese Erfolge bezeichnet er dann mit den Worten: Ae praeclara Mutina eruptio, fuga Antonii ‚coheiso! ewetcitu palio völlig wie, im zehnten’ Briefe an Marcus: eraf vielrix' res publica; caesis: re geg wee; expulso a Bruto, wie das schon aus der ganzen Co wo gewiss die eruptio weder der fuga: Antonii voranstehen, noch gd dt Beiworte praeclara versehen sein würde, wenn Cicero nicht eme De — unterstellte, dass an durch. n e Ausfall aus Mutina ch zu Antonius Flucht und der Niederlage seines itgewirkt hätte. Uberhaupt — worin immer der Begriff‘ einer goe mg Kraftäusserung liegt, wohl kaum den blossen Abzug aus einem enisetzten Platze bedeuten; und wenn sich also Cicero in einem ächten Briefe dieses Ausdrucks von Decimus Verhalten zu dem Siege bei Mutina bedient hat, so kann es auch kein Verdachtsgrund sein, wenn Marcus Brutus im vierten unserer ‚Briefe sich freut: quod Bruti eruptio non solum ipsi. salutaris uit, sed etiam maximo ad victoriam adjumento. Deun geselzt auch, dass letzteres nur eine falsche Voraussetzung wäre, so bliebe doch immer noch nicht nur die Möglichkeit, sondern mit jener Ausserung Ciceros verglichen sogar die Gewissheit, dass seine Freunde es glaubten oder doch diesen Glauben zu verbreiten und geltend zu machen bemüht waren, wie denn auch der Triumph, dessen Vellejus, und Dio selbst gedenken , für Deeimus nicht würde haben deeretirt werden "können, wenn nicht diese Ansicht damals vorgeberrscht hätte 89); und je mehr die 89) Tori: Drumann selbst B. I, S. 319: “aus anderen Gründen, aus Hass und Misstrauen gegen die Cäsarianer und Octavian, wurde Brutus auch jetzt ausge- 206 KARL FRIEDRICH HERMANN Geschichte aller Jahrhunderte lehrt, wie leicht in Kriegszeiten falsche Ge- rüchte und Vorstellungen über bestimmte Thatsachen entstehen, ja in dem Glauben einer Partei zur unaustilgbaren Tradition werden können, desto we— niger Grund wäre vorhanden unsere Briefe, die doch den Stempel offenbarer Parteischriften an sich tragen, selbst wegen erwiesener Unrichtigkeiten sofort für unächt zu erklären. Dazu kommt inzwischen noch weiter, dass bei ge- nauerer Betrachtung gerade die gegentheilige Behauptung als eine parteiische und in der Schroffheit, wie sie Hr. Drumann auffasst, jedenfalls übertrie- bene erscheint, deren Auctorität durch unbefangene Erwägung der Zeitumstände vielmehr erschüttert als befestigt wird. Dass Decimus in seinen eigenen Briefen keines Ausfalls gedenkt, kann bei einer Sache; die sich eigentlich von selbst verstand, eher für als gegen einen solchen beweisen, indem er ja sonst diese Versäumniss eben so wohl wie die Zögerung nach dem Siege hätte rechtfertigen müssen; und wie es einerseits falsch ist, dass er keiner Verringerung seiner Truppen gedenke — extenuatissimas nennt er sie Fam. XI. 13 —, so erklärt es sich auf der andern Seite leicht, dass er von Hirtius Tode auf dem Schlachtfelde nichts erfahren hatte, weil sein gespanntes Ver- hältniss zu Octavian ihn von dem entsetzenden Heere fern hielt; eben dieses Verhältniss aber, das alsbald in offene Feindschaft umschlug 90), erklärt es leicht, wie die Schriftsteller der Kaiserzeit, die mit unverhohlener Vorliebe für den Begründer der Monarchie schrieben; der Sache eine solche Wendung geben konnten, dass die Ehre des Tags ganz und allein Octavian zufiel. Wir lesen bei Sueton c. 10, wie letzterem selbst bestimmte Züge von Tapfer- keit in jener Schlacht beigelegt wurden, die dem, was Cicero von Hirtius rühmt, zu ähnlich sind, um nicht den Verdacht schmeichlerischer Übertra- gung aufkeimen zu lassen 91); andererseits sehn wir aus der nämlichen Stelle, zeichnet: in ihm war der Staat gerettet, eine Wendung, welche ihm schmei- chelte und zugleich Octavian in den Hintergrund brachte .. um ihn also zu umgehn, dankte man den Göttern für den Entsatz, für die Wirkung des Sieges, nicht für den Sieg, und in dem Beschlusse glänzte der Name des Brutus.“ 90) Appian B. C. 111.73: ang d dnallayevrı ang o lions ó polos eis 205 Koioaga Zrrildogerg n. x. 4 , 91) Philipp. XIV. 10: Hirtius ıpse aquilam quartae legionis quum inferret, ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. 207 wie Antonius Octavians Benehmen bei derselben Gelegenheit dergestalt ver- unglimpfte, dass er ihm vorwarf, zwei Tage lang ohne Pferd und Feldherrn- mantel flüchtig umhergeirrt zu sein; werden wir es un wahrscheinlicher finden dass August in dem tödtlichen Hasse gegen die Mörder seines ene und der eifersüchtigen Sorge für seinen eigenen Ruhm fähig gewesen sei, De- cimus Antheil an dem gemeinschaftlichen Siege eben so sehr herunterzusetzen und geradezu abzuläugnen, als es vorher im Interesse der republikanischen Partei gelegen hatte, diesen als Hauptperson und alleinigen Sieger erscheinen zu lassen? Vellejus Parteilichkeit, wo es die Ehre des kaiserlichen Hauses gilt, unterliegt keinem Zweifel; aber auch von Dio ist so viel gewiss, dass er für Augusts frühere Geschichte insbesondere dessen selbstverfasste Denk- würdigkeiten benutzt hatte 92); und wenn Hr. Drumann selbst ihm an anderen Stellen keineswegs unbedingtes Vertrauen schenkt, so wird er ihn hier um so weniger zum Richter über Leben und Tod gleichzeitiger Urkunden machen können, als der Nachweis seiner Ubertreibung in seinen eigenen Angaben klar vorliegt. Denn nennt er nicht kurz vorher Pontius Aquila als Unterfeldherrn des Decimus, für welchen er mehre glückliche Gefechte mit den Truppen des Antonius bestanden habe 93)? Dieser nämliche Pontius aber fand in der Schlacht vor Mutina zugleich mit Hirtius seinen Tod 94); offenbar muss also wenigstens ein Theil von Decimus Heere auch bei dieser Gelegenheit thätig gewesen sein und kann nicht bloss, wie der rhetorisirende Geschichtschreiber will, unthätig von den Mauern: herab dem Kampfe een haben. Höch- qua nullius 5 speciem imperatoris eee, Für Octavian ist es zwar auf die zweite Schlacht übergetragen, und variirt, namentlich. bei Florus IV. 4. 5: nam cruentus et saucius aquilam a moriente signifero © traditam suis humeris in castra referebat; inzwischen haben schon die Erklärer zu Sueton auf die Unwahrscheinlichkeiten aufmerksam gemacht. 92) Wilmans de Dionis Cassii fontibus et auctoritate, Berl. 1836. 8, p. 22. 93) Dio Cass. XLVI. 38: Diere Axblug, en (I. eis) te töv opayiwv öy xut qü Aenipw VRoOTrgaTyyÜV u. T. J. 94) Vgl. Pollio bei Cicero Fam. X. 33 und mehr bei Drüse B. III, S. 711, der sich bei seinen wiederholten Ausfällen auf Decimus angebliche Unthätigkeit (B. I, S. 343; B. IV, S. 259) nie der Thätigkeit seines Unterbefehlshabers erin- nert hat. 208 rI KARL FRIEDRICH HERMANN A Hus stens können wir so viel einräumen, dass Decimus! persönlich in der Stadt zurückgeblieben war, was ihm dann später von den Gegnern als Feigheit aus- gelegt werden mochte; seine Freunde aber durften eben so wohl, nach be- kannter Kriegssprache, was seine Truppen gethan hatten, als sein eigenes Verdienst preisen, zumal wo solche Parteirücksichten, wie wir sie so eben dargelegt haben, dabei ins Spiel kamen; und je mehr wir sehen, dass sich die spätere Zeit bemüht hatte, jede Erinnerung daran auszulöschen, desto unbegreiflicher wäre es, wie ein so plumper Fälscher, wie Tunstall den Verfasser unserer Briefe immer hinstellt, auf einen so ne Zu einseitiger Parteiansicht hätte verfallen sollen: main Misslicher ist allerdings die Untersuchung des neunten n Briefes in ne als hier nicht ein einzelner Ausdruck oder eine bestimmte Stelle, sondern die Beziehung und Bedeutung des ganzen Schreibens in Frage gestellt ist. Von einzelnen Anstössen hat sich nur eine einzige Schwierigkeit i in der Construction tanto viro ut es tu gefunden, die ich in meinen Vindlioiis gleichfalls ge- hoben zu haben glaube 95); aber hinsichtlich des Ganzen ist eben die grosse Frage, ob der Schmerz, in welchem es Brutus zu trösten bestimmt ist, auf irgend einen andern Verlust, als den seiner Gattinn Barca gehe, oder, wenn es diesen beträfe, wie sich ein Trostbrief an den überlebenden Gatten mit der bekannten Sage vertrage, nach welcher Porcia sich erst auf die Nachricht von Brutus Niederlage mittelst glühender Kohlen den Tod gegeben haben soll? Middleton bezieht ihn auf Porcia 96), und Tunstall stimmt ihm darin bei 97), da es allerdings für uns eben so schwer wie für M anutius sein möchte, in der Familie des Brutus, von dem wir nicht wissen, dass er irgend Kinder gehabt habe, und dessen Mutter Seryilia ihn überlebte, um diese Zeit einen Todesfall zu finden, auf welchen. die Worte des Schreibens passten: id; enim amisisti, cui simile in lerris nihil En gie ER hier . 95) Yind, p. 39: tanto viro. e es tu Sell. Sahtus. vir; wie Bebe hintar Alt Ax. y: hominum humilium, ut nos sumus, oder ibid. VIL 2: adolescentem ut:nosti, d. h. gualem, so dass hier nur die Grösse selbst als eine 3 d 96) Life of Cicero T. II, p. 441; Pref. Diss. p. xcıx. 97) Observ. p. 311 fgg: 98) Dass Brutus Ehe kinderlos war, 8. 5 B. IV, S. 44; geg seine Mutter ZUR RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES ‘CICERO AN BRUTUS. 209 uns dann eben die ‚Auctorität von Schriftstellern der ersten Kaiserzeit, wie Nikolaos von Damaskos und Valerius Maximus 99), um Martials und anderer Späterer nicht zu gedenken, welche den Tod der Porcia auf die angegebene ganz verschiedene Art berichten, und ohne diese zu entkräften, würde uns jedenfalls dieser Brief ein unerklärliches Räthsel bleiben, obschon ich auch so ihn nicht geradezu als eine Fälschung betrachten möchte. Denn darauf hat bereits Middleton mit grossem Rechte auſmerksam gemacht, dass weder der einfache schlichte Ton dieses Briefs, noch der Umstand, der eigent- lich die ganze Schwierigkeit mit sich bringt, das Fehlen des Namens, auf welchen die Tröstung sich bezieht, ein sophistisches Machwerk verrathe; und wenn Tunstall dagegen Ciceros gewohnten Redefluss, Citatenreichthum u. s. W. vermisst, so findet dieses in der Bedrängniss der Zeitumstände, der Cicero nicht minder als Brutus unterlag, volle Entschuldigung; dazu kommt, dass der Brief sich gleichwohl nichts weniger als in Gemeinplätzen bewegt, son- dern mit dem speciellsten Hinblicke auf Brutus augenblickliche Lage und die Anfoderungen des Staats geschrieben ist, welchen jener eben seinen persön- lichen Schmerz hintansetzen: soll; und ganz besonders noch die Rücksicht, welche er auf Brutus eigenen früheren Trostbrief an Cicero beim Tode seiner Tochter Tullia nimmt, und die mit demjenigen, was wir aus den Briefen an Atticus über jenen Trostbrief des Brutus wissen, dergestalt übereinstimmt, dass schon darin eine bedeutende Gewähr für die Ächtheit des unserigen lie- gen dürfte 1000. Doch auch was die Beziehung auf Porcia betrifft, so werden ihn überlebte, B. II, S. 149. Wenn aber Manutius gleichwohl erinnert, dass es auch auf Porcia nicht gehen könne, weil diese unten L 17 noch als lebend vorausgesetzt sei, und jener Brief Antonius bereits als geschlagen kenne, was von dem unsrigen noch nicht gelte, so beruht letztere Unterstellung bloss dar- auf, dass Cicero schreibt: nos te tuumque exercitum exspectamus, sine quo ut reliqua ex sententia succedant, vix satis liberi videmur fore, was bei näherer Betrachtung gerade auf die Zeit gehn dürfte, wo nach Antonius Nie- derlage Lepidus Abfall neue Besorgniss erregte, N Famil; IX; 25; XII. 10. 99) Plutarch. V. Brut. c. 53. Val. Max. IV. 6. 100) Att. XII. 13: Bruti literae, scriptae et prudenter et amice, multas mihi tamen lacrimas attulerunt; vergl. 14: de Hruti ad me literis seripsi ad te antea; prudenter seriptae, sed nihil quod me MER" und XIII. 6: Histor.- Phil. Classe II. 210 KARL FRIEDRICH HERMANN uns die erwähnten Auctoritäten nicht abschrecken dürfen, eine solche für möglich, ja für wahrscheinlicher zu halten, als die hergebrachte Erzählung selbst ist, und wenn schon Drumann kein Bedenken getragen hat, letztere dahin zu modificiren, dass Porcia die glühenden Kohlen nicht verschlungen, sondern sich im Kohlendunste erstickt habe, so wird auch ein Zweifel an ihrer chronologischen Richtigkeit um so zulässiger sein, als im Alterthume selbst die Angaben in dieser Hinsicht keineswegs einstimmig waren. Auch die überlieferte Anekdote erzählt Plutarch lediglich mit Anführung seiner genannten Gewährsmänner, zum deutlichen Zeichen, dass er sie keineswegs als allgemeine kannte; fährt aber dann fort: „gleichwohl existirt ein Briefchen des Brutus an seine Freunde, worin er ihnen Vorwürfe macht und jammert wegen Porcia, dass sie von ihnen vernachlässigt worden sei, und es vorge- zogen habe, bei ihrem kränklichen Zustande das Leben zu verlassen; so muss also,” sagt er, Nikolaos die Zeit verwechselt haben; denn das Leiden und die Liebe des Weibes und die Art ihres Todes wird auch durch das Brief- chen unterstützt;“ und wenn er diesen Schluss noch mit den Worten be- gleitet: “wofern es — das Briefchen — anders ächt ist,“ so darf man daraus noch nicht sofort mit Drumann schliessen, dass er persönliche Zweifel dagegen gehegt, oder gar dass zu seiner Zeit schon griechische 101), geschweige denn lateinische Briefe auf Brutus Namen gefälscht worden seien, sondern es ist nur der einfache Ausdruck der Alternative, in welche sich der Ge- schichtschreiber durch diese widersprechenden Angaben versetzt sah: entweder hat die erste Nachricht einen falschen Zeitpunct angegeben, oder die zweite beruht auf einer falschen Quelle, wo nun erst die Kritik zu entscheiden hat, cum illius objurgatoria, worauf eben die Worte unseres Briefes gehen: velim facilius quam tune mihi nunc tibi tute medeare, und: accusasti me per literas gravioribus verbis, quam tua consuetudo ferebat. Auch Tunstall p- 380 weiss nichts dagegen zu erinnern, als dass es überhaupt Brutus Gewohn- heit gewesen sei, gravioribus verbis an Cicero zu schreiben, und folglich die letzten Worte eine Unwahrheit enthielten; aber sollte das Cicero seinem Freunde bei solcher Gelegenheit ins Gesicht sagen ? 101) Sollten die, welche Marcianus (vergl. Phrynichus bei Photius Cod. 158) und Philostratus: (Epist. 1) so loben; schon unücht gewesen sein? ZUR /RECHTFERTIGUNG DER BRIEFE DES CICERO’ AN BRUTUS. - 211 welche von beiden Möglichkeiten: die meiste Wahrscheinlichkeit für sich habe. Plutarch selbst hat freilich sein Urtheil in der Schwebe gehalten; für uns aber kann es meines Erachtens keinem Zweifel unterliegen, dass die grössere Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass Porcias Tod von einem späteren Schrift- steller auf einen irrigen Zeitpunet verlegt, als dass ein gleichzeitiges Docu- ment erlogen und gefälscht worden sei, zumal wenn wir dazu nehmen, dass der Grund, der zu den meisten Fälschungen dieser Art Anlass gegeben hat, hier gerade wegfällt, da die Erzählung von ihrem Effecte und ihrer rhetori- schen Brauchbarkeit viel verliert, ‘wenn, wir Porcia schon zu Brutus Leb- zeiten in Folge körperlicher Kränklichkeit aus Lebensüberdruss sterben sehn 102); und sollte auch so noch das Zünglein mitten inne zu stehen scheinen, 80 werden wir wenigstens nicht mehr den Schein eines Cirkelschlusses zu fürch- ten haben, wenn wir zum Ausschlage auch unsere Briefe in die Wagschale werfen, wo Brutus auch im 17ten an Attieus den Gesundheitzustand seiner Frau namentlich berührt: valetudinem Porciae meae tibi cordi esse non miror. Wie leicht es im Alterthume möglich war, dass schon wenige De- cennien nach dem Tode einer historischen Person falsche und abenteuerliche Nachrichten über ihr Ende allgemein geglaubt wurden, lehrt das Beispiel des Themistokles, den die gemeine Rede an getrunkenem Stierblute sterben liess; was Cicero Brut. e. 11 in Beziehung auf diesen sagt, lässt sich wörtlich auf die überlieferte Anekdote von Porcia anwenden: hanc enim mortem rheto- rice et tragice ornare potuerunt, illa mors vulgaris nullam praebebat materiam ad ornatum; und wenn wir auch die Art ihres Todes mit oder ohne die von Drumann vorgeschlagene Modification fortwährend bestehen lassen, so glaube ich doch gezeigt zu haben, dass nach der Lage der Acten “er war nun einmal der herrschen- 102) Drumann meint zwar gerade umgekehrt: Rhetoren und Sophisten be- den Ansicht nach der Erste unter den Befreiern; schäftigten sich mit ihm, und liessen ihn auch noch den Harm empfinden, dass fern von ihm, vergessen und verlassen, die Gattinn starb;” dass aber die Sache von dieser sentimentalen Seite aufgefasst worden wäre, liegt nicht eine Spur während Porcias Kränklichkeit doch etwas Wahres gewesen sein muss, vor, ahrscheinliche annehmen will, dass unser 17ter wenn man nicht das ganz Unw i Brief und jenes ¿n:oróñroy bei Plutarch von demselben Fälscher herrührten. d2 212 KARL FR HERMANN ZUR RECHTE. DER BRIEFE DES CICERO AN BRUTUS. aus der überlieferten Anekdote kein Beweis mehr gegen die Achtheit unserer Briefe entnommen werden kann. Von derselben Art sind nun aber auch die meisten übrigen Verdachtsgründe, um deren willen diese Briefe hundert Jahre lang unter Acht und Bann der philologischen Welt geschmachtet haben, 80 dass man für den Verdruss, den diese Arbeit gewährt, nur durch den Ge- danken entschädigt werden kann, ein so langjähriges Unrecht wieder gut machen zu helfen; ohne die Folgen, welche Tunstalls und Marklands Angriffe gehabt haben, würden sie oft nicht einmal einer ernsten Widerlegung bedürfen; und wenn ich also gleichwohl es auch bei dieser langen Auseinan- dersetzung nicht bewenden lassen darf, sondern die Geduld meiner verehrten Zuhörer noch einmal für den Rest der Untersuchung werde in Anspruch nehmen müssen, so tröste ich mich doch gerade dorch die Hoffnung, dass der Uberdruss, den dieselbe vielleicht verursacht, nicht auf meine, sondern allein auf Rechnung meiner Gegner N und nn meinen e se Zwecken nur förderlich sein könne. | mr} J ER du der Abhandlung über griechische Monatskunde. eile In der Zeit, welche zwischen der Vorlesung über die griechische Monats- kunde und der Beendigung des vorliegenden Bandes verflossen ist, haben sich mir zwar wenige, aber doch einige Zusätze dargeboten, die ich meinen Le— sern nicht vorenthalten zu dürfen glaube. Insbesondere muss ich zwei Monats- namen nachtragen, deren ersten, den ‚argivischen "Agveios bei Photius Cod. 186, p. 134 Bekki- mir allerdings nicht erst Hr. Schöll in der Jen. Lit. Zeit. 1845, N. 74 hätte ins Gedächtniss ruſen sollen; der andere jedoch, Ilerayeirvvos auf Kos, erst jetzt durch das dritte Heft der Rossischen Inscriptiones graecae ineditae, Berlin 1845. A S. 52 zu unserer Kenntniss gelangt. Was den Aęvelbs betriſſt, so hängt er mit der Linosklage zusam- men, die in Argos die eigenthümliche Form angenommen hatte, dass der Knabe, dessen vorzeiligem Tode die Trauer galt, von Hunden zerrissen wor- den sein sollte; an diese Sage, deren natursymbolische Beziehung auf die verderbliche Glut der Hundstage sich nicht verkennen lässt, knüpfte sich zu- gleich die polizeiliche Massregel des Hundetodtschlags (zuvoforris, Athen. III. p. 99 C) in jenen Tagen, und den Unglücklichen zu sühnen, wurden Lämmer geopfert; Ze dovdos Alros auvavergdißn, sagt Konon bei Photius, der allein jenen Monatsnamen erhalten hat, während andere Zeugen nur von Lämmer- tagen (MAE dne; sprechen, vergl. Aelian. Hist. Anim. XII. 34 und mehr bei Welcker Kl. Schriften, Bonn 1844. 8, S. 16. Doch setze ich darum auch in die Richtigkeit des Monatsnamens selbst um so weniger Zweifel, als derselbe nach Zeit und Bedeutung seines Festes zu offenbar mit dem Kupveios der ‚übrigen Dorier zusammen fällt; um nicht auch zwischen beiden Namen selbst gegen Potts Kanon ;(Eiymol. Forschungen B. I. S. 206: die H 214 KARL FRIEDRICH HERMANN Sprache setzt zur blossen Langenweile keinen Buchstaben vor) irgend welchen Zusammenhang erwarten zu lassen; ein Theil der Beispiele, welche Welcker Aeschyl. Tril. S. 130 für die Prothesis der Gutturalen gesammelt hat, passt gewiss auch hierher, und so wenig ich für den ’Agveios Larchers Auslegung de la naissance des agneaux anerkennen kann, (Mém. de Acad. d. Inscr. T. XLVII, p. 292), so scheint mir doch auch für. den Kogvsios Welckers eigene Eiymologie von xeigeıw zu problematisch. Viel einfacher ist freilich der Ileraysirvvos, der schon der Namensform nach nur eine dialektische Variation des attischen Merayeırvınv ist, und damit zugleich zwei meiner obigen Bemerkungen aufs willkommenste bestätigt: die erste von dem Unter- schiede der Endungen dy und os je nach dem Volkstamme, dem der Monat dient, die andere von dem dorischen Ursprunge derjenigen Monate des atti- schen Kalenders, welche sich bei den übrigen ionischen Staaten nicht wie- derfinden; beiläufig ist auch der Wechsel von pund w als Analogie zu Ap- Dix rio und "Aupmruwv u. dergl. zu bemerken. Ausserdem aber. bietet das Rossische Heft S. 30 noch einen andern; wenn auch indirecten, doch nicht minder interessanten Beitrag zur Monatskunde dar, indem wir hier zum ersten Male auf eine nähere Spur der gottesdienstlichen Bedeutung des Monats Mæ- vnuos geführt werden: in:Rhodus finden. wir ein Fest Arad hie, das offen- bar auf ähnliche Art wie die Attréntid in Athen einen Zevs IloA.evs, dort einen Zeus IIdvce hes anzunehmen berechtigt; wäre das derselbe, der zu Stratonicea in Karien im C. I. n. 2715 fgg. als II pci ic ges oder TIavypégros vorkommt? Andere unbedeutendere Zusätze mögen hier nur noch um der Vollstän- digkeit willen ihren Platz finden. S. 52 ist jetzt C. Inser. T. III, p. 22 zu vergleichen, wo auch wegen anderer gezählter Monate auf Letronne im Journal des Savants 1829, S. 690 verwiesen, übrigens nichts Neues zur Sache selbst beigebracht ist. — S. 55 über die astronomischen Monatsnamen Kir u. s. W. handelt auch Matter Histoire de l'école d’Alexandrie, T. II, Paris 1844. 8, p. 275 fgg. — S. 98 fehlt Eogrov unv Arrixds aus Eustath. ad Odyss. XI. 538, der freilich eine ganz apokryphische Erscheinung ist. — S. 101 kann mit der Stellung des delphischen Hedxxeios im Vorsommer vielleicht auch das verbunden werden, was Roulez Melanges de philologie et d'an- tiquites T. IV, Brüssel 1843. 8, p. 3 über Herakles Bedeutung zu Delphi — NACHTRAG ZUR GRIECHISCHEN MONATSKUNDE. | 215 als Sommersonne bemerkt. — S. 115 behauptet jetzt auch Hr. Schöll, wie früher Hr. Curtius, die Richtigkeit der Lesart TIosrgömsos auf den Inschriften aus Autopsie, wonach dann freilich, da die Deutung MOOSTOOTMIOS unzwei- felhaft scheint, nichts übrig bleiben wird, als die von Hrn. Ahrens darge- botene dialektische Singularität dankbar anzunehmen. — S. 119 erinnert der- selbe auch an den Zeus Zrpargyos von Amastris in Paphlagonien, vergl. Abeken in Ann. dell’ Inst. arch. 1839, T. XI, p. 64.— S. 120 zum Rouge OAvdoıos vergl. auch rov PAvysiwy 'Epufv aus Hipponax bei Tzetzes in Iliad. p. 83. 28.— S. 124 sind zu den Monaten von Aphrodisias aus den neuen Transactions of the R. Society of literature 1843, p. 240 fg. noch "Tase: Beveraios, Zardırcs und Asios hinzuzufügen. — S. 129. Die hier erwähnten Inschriften aus Centuripa sind jetzt auch in der Zeitschr. f. d. Alterth. 1844, S. 992 abgedruckt. — S. 147 kann noch Pisidien eingeschaltet werden, woher das C. Inser. T. III, p. 193 jetzt zwei verschieden datirte Inschriften aus später Zeit bringt, die eine uyvos Aaen, die andere vagde Bi, also gezählt, vielleicht nach der Gegend, welcher der Gefeierte angehörte. Sonst bietet das neueste Heft des C. Inscr. in menologischer Hinsicht nur die bekannten macedonischen Namen in Lycien, Syrien u. s. w.; dagegen kann ich diesen Nachtrag nicht schliessen, ohne einer höchst interessanten Notiz zu gedenken, die ich so eben von meinem verehrten Freunde Hrn. Prof. Panofka empfangen habe. Dieser verdankt nämlich einer Mittheilung des italiänischen Gelehrten Orioli vom Jahr 1831 die Entdeckung von acht etruskischen Monatsnamen in einem lateinischen Glossarium der Bibliothek in der Rue de Richelieu zu Paris, welche folgendermassen lauten: Velitanus, Caprius, Amphelios, Aclus, Hermius, Tranius, Celius, Xupher, und von Orioli auf den Zeitraum von März bis October vertheilt werden; und da wir damit einmal in das Nachbargebiet der italischen Menologie hinübergeführt sind, so möge auch der sabellische Flusar nicht unerwähnt bleiben, der auf der Furfoni- schen Weihetafel bei Muratori 587. 1 dem römischen Quintilis entspricht, und auch, wenn gleich von dem Herausgeber verkannt, in einer sabinischen Inschrift bei Lanzi Saggio T. III, p. 532 vorkommt. K. Fr. Hermann. Arnold Hermann Ludwig Heeren. Eine Gedächtnissrede, gehalten in der öffentlichen Sitzung der Königlichen Societät der Wissenschaften am 12. November 1842 | Kari Hoeck. Göttingen, in der Dieterichschen Buchhandlung. 1845. Sie haben mich aufgefordert, M. H., in unserer Mitte das Andenken eines Mannes zu feiern, der durch eine lange Reihe von Jahren zu den glän- zendsten Zierden dieses literärischen Vereins gehörte. Wäre mir der Auftrag geworden, die Bedeutung des grossen Historikers in ihrem ganzen Umfange darzustellen, so würde ich mich ihm entzogen haben, wohl wissend, dass dazu diese Stunde nicht ausreicht, und einer solchen Aufgabe meine Kräfte nicht gewachsen sind. Ich kann nur die allgemeinsten Züge der grossen Ver- dienste des Verewigten auflassen, nur erinnern an das, was er der Wissen- schaft, unserer Lehranstalt und unserer Societät war, also nur aussprechen, was wir alle wissen und fühlen. Arnold Hermann Ludwig Heeren ward zu Arbergen, einem Dorfe unweit Bremen, am 25 October 1760 geboren, und zwar in demsel- ben Hause, in welchem zwei Jahre früher der Entdecker der Pallas und Vesta, der Astronom Olbers, das Licht erblickt hatte 1). Von seinem Valer, dem höchst würdigen Prediger jenes Ortes, welcher eine mehrseitige Bildung besass, empfing der Knabe den ersten Unterricht in der Religion, im Latein und in der Mathematik. Einen sehr heilsamen Einfluss äusserte auf ihn auch - der religiöse Sinn seiner Mutter, einer vortrefflichen, durch Gellerts 1) Ueber seine Lebensumstände und den Gang seiner Studien hat der Verewigte sich selber ausgesprochen in dem Schreiben an einen Freund, welches sich im ersten Theile seiner historischen Werke findet. Jene biographischen Nachrichten bilden die Grundlage für das ‚Folgende. Das vollständigste Ver- zeichniss von Heerens Schriften findet sich in der Geschichte der Universität Göttingen von Pütter, Saalfeld und Oesterley, Th. II, S. 194. III, S. 344. IV, S. 442. 1 * A Schriften gebildeten Frau ). Seine weitere Bildung bis zum sechszehnten Jahre ward Hauslehrern anvertraut. Jetzt folgte der Vater einem Rufe als Prediger an die Domkirche in Bremen, und der Sohn ward, zu seiner Vor- bereitung auf die Akademie, der Domschule daselbst übergeben. Unter den Lehrgegenständen dieses Gymnasiums zogen ihn vor allen die lateinischen Dis- putirübungen an, welche er jetzt, wie auch später, mit Eifer trieb, und die schon früh bei dem Jüngling förderten, was ein so herrliches Eigenthum des Mannes wurde, — Klarheit der Ideen und Fluss der Rede. Uebrigens scheint der Unterricht in der Schule weniger anregend auf ihn gewirkt zu haben, als manche Verhältnisse ausserhalb derselben. Das Leben in einer freien, gerade damals aufblühenden Handelsstadt, der Umgang in mehrern Häusern verwandter oder befreundeter Familien aus dem gebildeten höheren Handelsstande gewährte dem offenen und regen Geist des Jünglings mannich- fache Vortheile. Vom Staat und Leben seiner Vaterstadt empfing er An- schauungen, Eindrücke und Belehrungen, welche für den künftigen Historiker nicht wieder verloren gingen. Man halte diese Förderungsmittel seines künf- tigen Berufs, auf welche uns der Verewigte selber hingewiesen hat, nicht für zu weit gesucht: allerdings empfingen Tausende mit ihm gleiche Ein- drücke, und sie waren für sie verloren, oder äusserten auf sie ganz ver- schiedene Wirkungen; jedoch diese Thatsache ist kein Einwurf gegen den an- gedeuteten Causalnexus, sondern beweist nur, dass der Brennstoff da vorhanden seyn muss, wo der Funke zünden soll. Nicht selten wünschen die Väter, ihre Söhne in eine Lebensbahn zu leiten, auf der sie selber mit Ruhm einherwandern. So ward auch der neunzehnjährige Heeren, Michaelis 1779, auf unsere Universität gesandt, um sich der Theologie zu widmen. Jedoch ein Collegium Heyne’s, in welches er zufällig gerieth, gab seinen Studien eine philologische Richtung; ein er- munterndes Wort dieses grossen Lehrers war für ihn entscheidend, und bald lebte er ganz im Gebiet der classischen Literatur. Neue Anregungen 1) Sie nahm einen regen und selbst thätigen Antheil an den religiösen Liedern ihres Mannes, welche in das Bremensche Gesangbuch aufgenommen wurden, und aus diesem in viele auswärtige übergingen. 3 indess, welche von den Vorlesungen Spittlers und dessen näherer persön- licher Bekanntschaft ausgingen, lehrten ihn zuerst seinen wahren Beruf ahnen. Die Ansichten dieses Historikers über Geschichte im Grossen, über histori— sches Raisonnement und historischen Vortrag schlugen tiefe Wurzeln in dem empfänglichen Gemüth des zweiundzwanzigjährigen Jünglings. Seit dieser Zeit irieben zwei belebende Elemente in ihm, das rein philologische und das historische; und es erklärt sich sehr natürlich, dass seine humanistischen Stu— dien eine historische Richtung annahmen: die Sprachen zogen ihn weniger an, als die Sachen, und schon jetzt begann er, die alte Geschichte aus den Quellen zu studiren. Mehrere der Heyneschen Vorlesungen, namentlich die über griechische und römische Antiquitäten, mussten ihm auch für die Ge- schichte unmittelbar förderlich sein. Jedoch das reinphilologische Element machte sich bei ihm wieder für einige Jahre geltend: die poetische Welt von Hellas übte auch über ihn ihren allgewaltigen Zauber; Pindar und die Tra- giker fesselten ihn auf eine Weise, dass es schien, als werde er in der antiken Dichterwelt und in dem Kreise der eigentlichen Philologie seine gei- stige Wohnstätte sich bereiten. Heyne rechnete darauf; er veranlasste ihn zu einer Sammlung der Bruchstücke griechischer Lyriker, (welche jedoch nicht erschienen ist,) und bewog ihn, für das Fach der Philologie sich hier als Privatdocent zu habilitiren. Die Schrift, welche der angehende Lehrer zum Behuf seiner Promotion schrieb 1), die bald darauf erfolgte Be- arbeitung eines griechischen Rhetors 2), und der noch in demselben Jahre gefasste Entschluss zur Herausgabe der Eklogen des Stobäus liefern den Be- weis, dass Heeren mit dem Plan seines ihm befreundeten Lehrers, der ihn auf der philologischen Laufbahn halten wollte, anfangs einverstanden war. Indess scheint doch dieser Entschluss weniger aus seinem Innern hervor- gegangen, als von aussen ihm gekommen zu seyn: es ist sehr erklärlich, wie der Einfluss des grossen Heyne, und dessen geistige Allgewalt über die von 1) Heeren erlangte hier die philosophische Doctorwürde am 29 Mai 1784. Seine Disputation führt den Titel: de chori Graecorum tragici natura et indole, ratione argumenti habita. 2) Menander rhetor de encomiis, ex recens. A. H. L. Heeren. Gotting. 1785. 6 ihm geliebten Schüler, auch bei Heeren die Wirkung hatte, dass er sich sel- ber eine Zeitlang über seinen innern Beruf täuschte. Schon bei dem, zum Behuf seiner Fragmentensammlung der Lyriker, erforderlichen Durchlesen der griechischen Grammatiker, Scholiasten und Rhetoren empfand er das Gefühl, welches bei der Bearbeitung des Stobäus 1) noch deutlicher hervortrat, dass diese Studien sich nicht für ihn eigneten. Die Vermuthung liegt nahe, dass jene geistige Verstimmung und jenes körperliche Unwohlsein, über welches Heeren in den ersten Jahren seiner Lehrerthätigkeit klagt, eine Folge des immer deutlicher. hervortretenden Widerspruchs war, in welchem die einge- schlagene Laufbahn mit seinem geistigen Bedürfniss und Beruf stand. Ein Glück für ihn, dass ihm seine Verhältnisse gestatteten, ie je- nem Zustande einer stillen Schwermuth heraus zu reissen. Es geschah durch eine Reise, deren Ziel Italien, vor allem Rom, war. Den Plan dieser Reise bestimmte zum Theil die übernommene Herausgabe des Stobäus, indem vor- nehmlich diejenigen Städte berührt wurden, wo sich Codices dieses Schrift- stellers befanden. Indess mit dem Zweck, die besten Handschriften des Sto- bäus zu vergleichen, liessen sich sehr gut andere Studien verbinden, und der Gewinn seines längern oder kürzern Aufenthalts in den Hauptstädten Italiens, Deutschlands und Frankreichs, war sowohl für den Reisenden, als für die Welt, ein viel höherer als der, dass die Literatur mit der ersten eigentlich les- baren Ausgabe der Eklogen jenes Auctors bereichert wurde: denn so hoch wir auch jedes Verdienst dieser Art anschlagen, so konnte doch der Stobäus von vielen andern Gelehrten eben so gut bearbeitet werden, aber die Zahl der historischen Werke, welche man den Heerenschen an die Seite stellen darf, ist wahrlich nicht sehr gross. Von unschätzbarem Werth war es für den künftigen Historiker, dass er den classischen Grund und Bo- den sah, auf welchen sich ein so bedeutender Theil seiner Studien- bezog. Er lernte die Welt in andern und grössern Kreisen kennen; die Eindrücke einer reichern Natur, eines schönern Himmels, die nähere Berührung, ja die 1) Welche gleichfalls durch den äussern Umstand bei ihm veranlasst wurde, dass ihm sein Freund Tychsen die Vergleichung einer Handschrift, die er im Es- eurial veranstaltet hatte, überliess. SR Freundschaft mit so vielen ausgezeichneten Männern 1) erweiterten die Sphäre seiner Anschauungen und Kenntnisse. . Die neuen Anregungen trieben rasch und kräftig seine Talente zu reicherer Entfaltung, — Fast zwei Jahre dauerte diese Reise; im Junius 1787 kehrte Heeren nach Göttingen zurück, und im August desselben Jahres erfolgte seine Ernennung zum ausserordentli— chen Professor in der philosophischen Facultät. So hatte also Göttingen den jungen siebenundzwanzigjährigen Gelehrten sich angeeignet, — einen Baum, geschmückt mit den vollsten Blüthen; die Georgia sah voraus, welche Früchte reifen würden! ; Wenn die bisher betrachteten Jahre des Verewigten ohne eigentlich überraschende Ereignisse waren, so verfloss sein folgendes Leben noch ein- facher, aber unter Verhältnissen, welche in Bezug auf wissenschaftliches Wir- ken für seine Natur kaum’ günstiger sein konnten. Von seiner Wiege bis zum Grabe geleitete ihn ein wohlwollender Genius und reichte ihm der Gü- ter viele. Von wohlhabenden Aeltern geboren kannte Heeren nie den Druck des Mangels, und entbehrtie keiner Förderungsmittel seiner Ausbildung und seines Strebens. Nie war er genöthigt, für eine leidige Existenz sich abzumü- hen, und im geisttödtenden Geschäft die besten Kräfte zu verzehren; früh ward ihm ein freies Leben im reinen Dienste der Wissenschaft verliehen. Und damit desto heiterer seine geistigen Gebilde emporwachsen möchten, schützte ihn sein Glück vor körperlichem Ungemach und harten Schlägen des Schicksals, denen vielleicht sein weiches reizbares Wesen erlegen wäre, oder welche doch die Blüthen seines Geistes verkümmert hätten. Alles was dage- gen das Gemüth erwärmt und das Herz erfreut ward ihm in reichem Masse zu Theil: die Gunst der Höchstgestellten, die Freundschaft der wissenschaftlich Ausgezeichneten, und endlich das reinste Familien - Glück: denn freundlich. stand ihm eine edle Lebensgefährtin zur Seite 2), die seine Herzensvorzüge, 4) Wir gedenken hier nur unter den Männern, mit welchen er in Italien in nä- here Berührung trat, eines Zoega, eines Filangieri, der schon damals, noch nicht dreissig Jahre alt, sein Werk über die Gesetzgeburig geschrieben; und vor allen des ihm innig befreundeten Borgia (nachherigen Cardinals), in wel- chem Heeren ein Ideal der reinsten Humanität ſand. 2) Eine Tochter Heyne’s, mit der sich der Verewigte am 22 April 1796 vermählte, 8 wie seine Studien kannte, und die des Gelehrten Art und Sein, das einfach stille Geistesleben, zu würdigen wusste, ja ihren Stolz darin fand, seine Liebe zwischen ihr und der Wissenschaft getheilt zu sehen. Also des Lebens schönste Güter wurden dem Verewigten gewährt, und hartes Unglück blieb von ihm abgewandt. Mit Recht nennen wir ihn einen Günstling des Geschicks. Aber wem viel verliehen, von dem wird viel gefordert, — wie dankte der Ve ige seinem Genius? Er weihete der Wissenschaft sein ganzes Leben mit einer Rasche deren Beharrlichkeit die Treue seines Genius noch überbot. Schon in den näch- sten Jahren nach seiner Anstellung entfaltete er eine wissenschaftliche Thätig- keit, welche in Erstaunen setzt. Die Pflichten, welche die Anstellung einem Professor auferlegt, und die Anforderungen, welche die gelehrte Welt an ihn ‘macht, sind der Art, dass sie, bei einem jungen Mann, der seine Lauf- bahn beginnt, kein geringes Mass von Kraft erfordern: er soll sich als Leh- rer ein Auditorium gründen, und zugleich als Schriftsteller einen Namen er- werben. Wem das eine gelingt, dem misslingt vor der Hand nicht selten das andere, und es erfolgt nun häufig im Leben des jungen Lehrers eine Pe- riode, im welcher der Schriftsteller mit dem Docenten über die Verwendung der Zeit capitulirt. Eine solche Periode trat auch für Heeren ein. Die Siel- lung, in welcher er sich hier als angehender Lehrer befand, war eine schwie- rige. Er hatte sich bisher für das humanistische Fach und für Geschichte, namentlich der alten Welt, ausgebildet. Allein in der Philologie stand da- mals Heyne, der erste seiner Zeit, im Zenith seines Ruhmes und akademischen Applauses. Die geschichtlichen Fächer waren gleichfalls glänzend besetzt mit dem tiefgelehrten Gatterer, dem genialen Schlözer, und dem geistreichen Spitt- ler, dessen feine politische und psychologische Blicke verbunden mit dem Zauber seiner Beredtsamkeit alle Hörer hinrissen, Mit diesen Heroen der Wissenschaft zu concurriren, konnte der angehende Lehrer nicht wagen; er musste also suchen, durch solche Collegia sich geltend zu machen, welche von jenen Männern entweder gar nicht oder nur selten gelesen wurden. Vorträge und die ihm während der ganzen Dauer dieser Verbindung dieselbe Innigkeit und Zartheit bewies, mit welcher sie sein Andenken bewahrt. 9 über die Geschichte der schönen Wissenschaften, über römische Alterthümer, über Tacitus und Sallust füllten die ersten Jahre seiner akademischen Thä- ligkeit aus. Der Kreis der Zuhörer war anfangs beschränkt. Zuerst gestal- teten sich seine Vorlesungen über alte Geschichte verbunden mit alter Geo— graphie zu einem Collegium, welches regelmässig in jedem Semester wieder— holt wurde. Nicht auf gleiche Weise gelang es ihm mit seinen übrigen Vor— trägen; die Musse, welche ihm daher blieb, ward zu schrifistellerischen Ar- beiten benutzt. Mit seinem Freunde Tychsen verband er sich zur Herausgabe der Bibliothek der alten Literatur und Kunst. Im Jahre 1792 erschien der erste Theil seines Stobäuss: 1794 der zweite, welchem 1801 der dritte Theil folgte. 1793 trat er mit dem ersten Bande seiner Ideen hervor, 1796 mit dem zweiten Bande dieses Werkes. Ein Jahr später folgte der erste Theil seiner ‚Geschichte der classischen Literatur im Mittelalter, 1801 der zweite Theil. Im Jahre 1799 erschien die erste Ausgabe seines Hand- buchs der Geschichte der Staaten des Alterthums. Nimmt man hinzu, dass der Verfasser, neben diesen Werken gleichzeitig mehrere Abhandlungen für die 'Socjelät der Wissenschaften lieferte, und auch in Zeitschriften ver- schiedene kleinere Aufsätze drucken liess, so müssen wir einen hohen Begriff von seiner geisligen Kraft und Thätigkeit fassen. Wenn wir bedenken, dass jene grössern Werke, welche sich in dieser Periode Schlag auf Schlag folg- ten, gerade die waren, welche den Ruhm ihres Verfassers auf immer be- gründeten, so selzt uns die Grösse seines vielseitigen Talents in gerechte Be- wunderung. Erhöht wird diese aber vorzüglich durch den Umstand, dass in denselben Jahren, sein reichbegabter Geist auch die Geschichte des Mittel- alters und der neuern Zeit in den Kreis seiner Studien und Vorlesungen zog. Es erfolgte sein Uebergang vom Philologen zum Historiker. Heerens Collegia hatten vom Anfang an, noch bevor sie der eigentlichen Historie galten, eine historische Richtung genommen; als er aber einmal für die alte Geschichte eine, wenn auch nur beschränktere Zahl von Zuhörern gefunden, so ward ihm bald diese Vorlesung unter allen die liebste. Schon jetzt sich gänzlich der Geschichte hinzugeben, verhinderte ihn die übernom- mene Bearbeitung des Stobäus; er setzte fort, was er eifrig begonnen, und wofür er so vortreffliche Hülfsmitiel gesammelt hatte. Jedoch schon bei der | 2 — 10 Herausgabe des ersten Theils gelangte er immer mehr zu der Ueberzeugung, dass es ihm unmöglich sein würde, der Wortkritik sein Leben zu widmen, und dass diese Arbeit die letzte in diesem Fach sein müsse. Der zweite und dritte Band dieses Werkes hat ihn wahrhaft gemartert. Sein innerer Beruf machte sich zu lebhaft geltend; er fühlte das Bedürfniss einer Beschäftigung, welche nicht bloss seinen Kopf, sondern auch sein Gemüth in Anspruch nähme ). Der Wunsch, in seinen Vorlesungen bei dem Abschnitt über Karthago sich selber mehr zu genügen, führte ihn auf genauere Untersuchun- gen über diese erste grosse handelnde und erobernde Republik. Mit der Arbeit wuchs das Interesse am Stoff, der Gesichtskreis erweiterte sich, und die alte Welt überhaupt zeigte sich ihm von einer neuen Seite, von der Seite des Handels, des Verkehrs, des Ursprungs, der Bildung und der Verfassung der alten Staaten. Es stand bald bei ihm fest, sie von dieser Seite darzustellen. So entsprang, nach des Verewigten eigener Schilderung, bei ihm der Plan für sein grosses Werk: Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt. Eine Hauptaufgabe fir sein Leben war gefunden. | Die Bearbeitung des ersten und besonders des zweiten Theils der Ideen 2) bildete den bedeutendsten Wendepunkt in dem wissenschafilichen Le- ben Heerens. Seine historischen Studien waren durch universalhistorische Tendenzen bereichert und erweitert. Dies wirkte zurück auf seine Vorträge über alte Geschichte und verlieh diesen einen höheren Reiz. Die Bearbeitung der Ideen hatte ihm die Benutzung mehrerer Quellen des Mittelalters zur Pllicht gemacht; noch tiefer wurde er in diese Zeit geführt durch seine Ge- schichte der elassischen Literatur im Mittelalter. Er dehnte’nun auch seine | Vorlesungen über mittlere und neuere Geschichte aus und erfreute sich bald eines ausgedehnteren Beifalls. Sein Entschluss stand jetzt fest, sich ganz der politischen Universalgeschichte und deren nothwendigsten Hülfswis- 1) M. s. die biographischen Nachrichten, S. 53. 2) Jener erschien zuerst 1793, dieser, welcher in der ersten Ausgabe Asien um- fasste, 1796. Die Abtheilung über Griechenland erschien zuerst 1812; A Indien, 1815. 11 senschaften zu widmen. Heerens vollendete Ausbildung in diesen Fächern traf zusammen mit Umständen, welche seine erweiterte Lehrerthätigkeit als ein Bedürfniss für die Universität erscheinen liessen. Gatterer wurde bei vor- rückendem Alter kränklich; Schlözer zog sich vom Katheder immer mehr zu- rück, und Spittler verliess Göttingen im Jahre 1797 ). Es war daher ein Glück für Göttingen, dass es einen Mann besass, der gerade jetzt in der Kraft seiner Jahre stand, der sich bereits durch mehrere ausgezeichnete hi- storische Werke berühmt gemacht hatte, und der schon seit einigen Jahren seine Vorträge über alle Theile der Weltgeschichte mit immer steigendem Bei- fall ausgedehnt hatte. Nach Gatterers Tode, 1799, ward Heeren die Profes- sur der Geschichte ausdrücklich übertragen. So hatte der Verewigte das Ziel erreicht, wo sein innerer Beruf mit dem äusseren in vollkommenster Harmo- nie stand. Es begann die Periode seines grössten literärischen Ruhms und seiner ausgedehntesten Lehrerwirksamkeit; die Georgia erfreute sich fortan der grossen Erndte einer reichen Saat, welche ihr Zögling mit emsiger Hand gestreut. i : Von jetzt an stand die schrifistellerische Thätigkeit Heerens im engsten Bunde mit dem Kreise seiner Vorlesungen. Um daher die Bedeutung des Lehrers zu erkennen, sind zunächst einige Bemerkungen über seine grössern historischen Werke unerlässlich. Heeren schlug den naturgemässen Gang bei seinen Studien der Geschichte ein: er ging vom Besondern zum Allgemeinen über und begann mit der Geschichte des Alterthums. Zu dieser kam er als ausgebildeter Philologe, ausgerüstet nicht bloss mit einer genauen Kenntniss der alten Sprachen, sondern auch vertraut mit dem äussern und innern Leben der Völker. Die philologische Gründlichkeit ist das erste charakteristische Zei- chen, welches uns bei seinem Handbuch der Staaten des Alterthums entge- gentritt. Es ist überall aus den Quellen geschöpft, und diese sind mit schar- fer Kritik im Ganzen wie im Einzelnen gegen einander abgewogen. Wenn das Werk diesen Vorzug vor den meisten Handbüchern der alten Geschichte voraus hat, so übertrifft es alle durch eine zweckmässigere Oekonomie des geschichtlichen Stoffs und durch eine bessere Behandlung desselben; es hat 1) Vgl. biographische Nachrichten S. 58. 12 in dieser Hinsicht Epoche gemacht. Zweckmässig erscheint zunächst, dass von einer Geschichte ausgeschlossen bleibt, was keine Geschichte ist, jene, aus einer frühern Periode ihrer Behandlung in die Handbücher übergegangene breite Darstellung der vormosaischen, ja vornoachischen Zustände des Menschen- geschlechts. Mit richigem Tact hat Heeren sowohl diese theologischen Elemente, wie auch sonst, soviel als möglich, alle Historie vor der Historie sich fern ge- halten. Das Handbuch sollie Staatengeschichte sein, und es beginnt mithin da, wo urkundlich beglaubigte Staaten hervortreten. Hier nun eröffnet es ein viel reicheres Feld, als alle ähnlichen Bücher früherer Zeit. Der Ge- sichtskreis über die Völker ist erweitert: nicht bloss ihren kriegerischen Ver- _ hältnissen ist Bedeutung gegeben, sondern auch ihren friedlichen Beziehungen zu einander durch Handel und Verkehr. Vor allem aber hat das staatliche Leben eine grössere Berücksichtigung gefunden als früher. Ueberall sind die bedeutsamen Momente des Staats und der Politik hervorgehoben, und die Gestaltungen des erstern wie der Gang der letztern mit sicherer Hand ge- zeichnet. Das Heerensche Handbuch ist das erste der alten Geschichte, in welchem uns politischer Geist mit philologischem vereinigt enigegentritt. Bei der Masse des zum Theil dunklen und vieldeutigen Stoffs, bei so vielen ehrenwerthen und mehrern höchst bedeutenden Kräften, welche sich in den letzten drei Decennien den Realstudien des Alterthums zugewandt haben, würde es ein Wunder sein, wenn in diesem Buche jetzt noch alles nach Aller Sinn wäre. Es findet sich in ihm mehreres, was im Widerspruch mit den Resultaten anderer gelehrten Forschungen sieht. Ueber manche Zustände der ältern hellenischen Geschichte, wie auch der römischen Verfassung theilte Heeren nicht die Ansichten anderer Männer von gleichfalls grossem Gewicht. — Wäre auch die Entscheidung leichter, als sie ist, auf wessen Seite das Recht oder Unrecht sich befindet, sie würde nicht dieses Ortes sein; ich stehe hier nicht als Richter zwischen den wissenschaftlichen Heroen jüngst vergan- gener Zeiten. Aber das darf ich bemerken: der Werth des Heerenschen Werkes hängt nicht von bestrittenen Einzelnheiten ab; kein Handbuch hat mehr gewirkt, zu einer bessern Behandlung der alten Geschichte im Grossen, und noch jetzt, wie vor vierzig Jahren, steht es im Ganzen wnübertrof- fen da. | | we, N EE ee ge a EE 15 Diese hohe Bedeutung verdankt das Buch vorzüglich der Rückwirkung, welche es von dem Hauptwerke unseres Historikers erfuhr; oder vielmehr, sie war eine Folge derselben geistreichen Auffassung der Geschichte, aus welcher auch die Ideen über die Politik, den Verkehr und den Handel der vornehmsten Völker der alten Welt hervorgegangen waren. Die gewöhn- liche Behandlungsart der ältern wie der neuern Geschichte verwandte, vor- nehmlich nach dem Beispiel älterer französischer Historiker, einen unverhält- nissmässigen Raum auf die Kriegsereignisse. Mit ermüdender Weitschweiſig— keit beschrieben die Erzähler ihren Lesern den detaillirten Zug der Heere, liessen sie an jedem einzelnen Gemetzel Theil nehmen und zählten ihnen mit kleinlicher Genauigkeit die Verwundeten und Getödteten auf. Man bedachte nicht, dass es eigentlich nur die Erfolge der Schlachten sind, welche histo- risches Interesse haben. Von jenem monotonen, ewig sich auf ähnliche Weise wiederholenden, Gemählde des blutigen Zusammenireffens der kriegerischen Massen wandte nun unser Historiker die Aufmerksamkeit auf die andere Seite des Völkerlebens 1). „Im Sonnenlicht des Friedens breitet sich die Weltge— schichte vor ihm aus. Der Zug friedlicher Caravanen ersetzt das Schauspiel verwüstender Heere, und von dem Anblick zertrümmerter Städte lenkt er das Auge auf die werdende Mauer der neugegründeten Kolonie. Dieser Gesichts- punkt, aus welchem der Historiker die alte Geschichte betrachtete, war da- mals, als er zuerst mit seinem Werke hervortrat, in Deutschland neu; und eben so neu war die Art und Weise, wie er die Betrachtung vor den Augen des Lesers anstellte. Der gegenwärtige Zustand der Länder wurde benutzt, um alte Verhältnisse zu erhellen; die neuern Reisewerke wurden in den Bereich der Quellen gezogen; die Monumente der Baukunst und Glyphik, die neueren Caravanenzüge, die stereotypischen Sitten des jetzigen Orients dienten mit den Schrifistellerzeugnissen zur Erklärung des Alterthums. Ge- rade die Gegenstände von tieferem und allgemeinerem Interesse zog unser Hi- storiker in den Kreis der Untersuchungen, und die Resultate derselben trug er auf klare und ansprechende Weise vor. Man erhielt ein Werk, welches nicht bloss durch den Ernst der Forschung und dureh die Neuheit der Re— r 1) Biographische Nachrichten S. 34. 14 sultate das Interesse der Gelehrten in Anspruch nahm, sondern auch, was un- gleich seltener ist, durch das Anziehende des Stoffs und der Darstellung, in weitern Kreisen Aufnahme fand. Nicht zu berechnen ist der belebende Einfluss, welchen dies Werk auf die Geschichtsstudien ausübte, und wie es namentlich den jugendlichen Eifer dafür weckte. Asien und Afrika wurde dem jungen Geschichtsfreunde erst durch Heeren eigentlich aufgeschlossen. Denn wenn ihn die sterilen ‚Erzählungen von den Thaten der persischen und ägyptischen Könige, nach den gangbaren Büchern, mit Widerwillen erfüllten, so lehrten ihn die Ideen unseres Historikers nicht bloss die Herrscher kennen, sondern auch die Beherrschten und die Verhältnisse zwischen beiden. Die asiatische und afrikanische Menschheit auf den verschiedensten Stufen ihrer Lebensbe- dingungen ward ihm vertraut; es stiegen vor ihm lebensvolle Bilder jener Län- der auf, wo der Mensch wie die Natur in grossartigem Styl gearbeitet; der Gegensatz zwischen Orient und Occident ward ihm klar. Das Interesse an der Welt des Orients, welches von diesem Werke ausging, erlosch nicht wieder: der historische Unterricht war von jetzt an mit diesem Theile der Weligeschichte bereichert. l , f Bei dem Umfange und der Gediegenheit, welche Heerens historische Studien des Alterıhums haben, erscheint es fast als ein Räthsel, dass ihm noch Zeit und Kraft für die Geschichte der neuern Zeit blieb. Freilich ist man- chem Historiker, der nur in Einem der beiden historischen Halbkreise seine ehrenvolle Wohnstätte sich bereitet hat, nicht misslungen, in der andern Hälfte des Kreises solche universelle Anschauungen zu gewinnen, welche auch für seine historische Heimath unentbehrlich sind. Jedoch in beiden Hemi- sphären der Geschichte auf gleiche Weise heimisch zu sein, hier wie dort das vollste Bürgerrecht zu besitzen, — das zeugt von einer Fülle der Kraft und des Talents, welche die Muse der Geschichte nur wenigen ihrer Lieb- linge hat zu Theil werden lassen. Unser Historiker gehörte zu diesen Aus- erwählten; er schuf auch für die neuere Geschichte ein Meisterwerk, das eben so sehr durch die Genialität des Plans, als durch die musterhafte Ausführung desselben Epoche machte. Heerens Handbuch der Geschichte des euro- päischen Staatensystems und seiner Kolonieen ist, nach des Verfassers ei- gener Bevorwortung, weder eine allgemeine Darstellung der neuern Zeit, noch 13 eine Geschichte der einzelnen Staaten, sondern eine Geschichte der Verhält- nisse derselben zu einander. Der Verfasser wollte aber nicht bloss einen Ab- riss des Wechsels der Verhältnisse und der daraus hervorgehenden Begeben- heiten liefern, sondern er entwickelt zugleich die Gründe derselben aus den herrschenden Ideen des jedesmaligen Zeitalters und zeigt auch bei den ein— zelnen Hauptstaaten die Fortbildung ihrer Charaktere und die daraus hervor— gehende Handlungsweise. Es erklärt sich leicht, wenn dieses Handbuch als das letzte der drei grössten Werke des Verewigten erschien. Denn welche Vor- arbeiten setzte die Ausführung eines solchen Plans voraus! Die Geschichte aller einzelnen Staaten hatte der Historiker vorher im Detail zu durchforschen, des ganzen Gebiets der sogenannten Staatswissenschaften musste er mächtig sein, bevor er an die Bearbeitung seiner Aufgabe ging. Die Resultate aller dieser weitgreifenden Studien gaben ihm nur das nakte Material, welches er erst von der Höhe einer völlig durchgebildeten politischen Erkenntniss zu einem organischen Ganzen gestalten konnte. Nach langjährigen Vorarbei- ten erwuchs nun ein Werk, in welchem jede Zeile das Resultat einer ` Forschung enthält, und wo fast jedes Wort auf der Wagschale der Kritik abgewogen ist; ein Handbuch, welches in geistreicher Kürze die ;historisch- politischen Verhältnisse im weitesten Umfange begreift, so dass auch die Ko- lonien und ihr Einfluss auf die europäischen Staaten, in höherm Masse, als bisher geschehen, zur Erklärung der neuern Geschichte benutzt wurden. Mit freier Seele war der Historiker an die Bearbeitung seines zum Theil bedenk- lichen Stoffs gegangen; strenger Wahrheitssinn leitete seine Feder, und nie ward er der Stimme seines Gewissens untreu: was gegen Recht und recht- liche Verträge von den Machthabern oder Völkern unternommen, hat nie seine Billigung erfahren. Neben dieser ersten Bedingung jeder Geschichtsdarstel- lung treten nun alle eigenthümlichen Vorzüge unsers Historikers, scharfer po- litischer Blick, psychologische Divinationsgabe, Gewandtheit der historischen Auffassung und lichtvolle Darstellung in diesem Handbuche auf eine Weise vereinigt hervor, dass wir dem Urtheil derer beistimmen, welche in diesem Werke die vollendete geistige Blüthe seines Verfassers erblicken. Das Urtheil aller unparteiischen Zeitgenossen hat gerecht gerichtet und den hohen Werth eines Handbuchs anerkannt, das in seiner Art einzig dasteht. 16 Das Staatensystem des Verewigten bildete eine Reihe von Jahren den Mittelpunkt seiner Studien, die sich auf neuere Geschichte bezogen. Auch die meisten übrigen Arbeiten dieses historischen Gebiets, welche Heeren ver- öffentlicht hat, stehen in enger Beziehung zu jenem Hauptwerke und er- wuchsen zum Theil aus seinen Vorarbeiten für dasselbe 1). Sie erläutern ein- zelne Gegenstände genauer, als es in dem Umfange eines Handbuchs gesche- hen konnte, empfingen aber ihr Licht von dem umfassenden Gesichtspunkte, der diesem zu Grunde liegt. a ; Trotz der Menge und Gediegenheit der von Heeren herausgegebenen Werke, widmeie er ihnen doch nur einen Theil seiner Thätigkeit; sein Leh- rerberuf galt ihm stets als der höhere. Mit eben so grosser Gewissenhaftig- keit als ausgezeichnetem Glanz füllte er seinen Platz als Professor der Geschichte aus. Bei dem engen Bande zwischen Heeren dem Schriftsteller und Heeren dem Lehrer, förderte der eine den andern, ja die genaue Verbindung ward für beide Thätigkeiten die eigentliche Quelle höherer Vollendung. Heerens Vor- lesungen über alte wie neuere Geschichte entstanden früher, als er darüber schrieb. Das ganze Gebiet des spätern Werks stellte sich ihm deshalb in grösse- rer Auschaulichkeit dar; jene sonnenhelle Klarheit, ein so hervorstechendes Verdienst von Heerens Büchern, war die Folge seiner Vorlesungen. Auf die Gediegenheit. der Vorlesungen wirkte aber wieder zurück die fortgesetzte Be- schäftigung mit denselben Gegenständen zum Zweck einer ausgebreitetern Pub- licität: denn — es frage sich jeder, auch der, welcher nicht leichtsinnig liest — die Scheu vor dem gedruckten Wort übt in der Regel eine höhere magische Kraft, als die vor dem gesprochenen. Die Vorlesungen Heerens bildeten, seit seiner Anstellung als öffentlicher Lehrer der Geschichte, einen regelmässigen Cursus, dessen Anfang die Ge- schichte der Staaten des Alterthums machte. An diese, welche mit dem Un- 1) Ich erinnere hier vorzugsweise an seine Entwicklung der politischen Folgen der Reformation für Europa; an die historische Entwicklung des Ur- sprungs und Fortgangs des brittischen Continentalinteresse; an den Auf- satz über die Entstehung, die Ausbildung und den practischen Einfluss der politischen, Theorien in dem neuern Europa. 17 tergange des westlichen römischen Reiches endigte, schloss sich die Ge- schichte der vorzüglichsten Staaten von Europa, ihr wurde eine übersichtliche Darstellung der mittelalterlichen Zustände vorangeschickt. Das dritte Collegium, die Geschichte des europäischen Staatensystems, setzte die Kenntniss der Haupt- staaten voraus, erörterte die Verhältnisse der Staaten zu einander und war zu- gleich eine Geschichte der praktischen Politik und des Welthandels. Die all- gemeine Geschichte Deutschlands und die Geschichte der einzelnen deutschen Staaten, wie auch die Geschichte des Mittelalters blieb von dem Kreise sei- ner Vorlesungen ausgeschlossen. Von den historischen Hülfswissenschaften las er Geographie und Eihnographie, wobei der Gesichtspunkt vorherrschte, zu zeigen, auf welcher Stufe die bekannten Völker der Erde stehen, und wie weit die. Grenzen unserer Kunde von ihnen und ihren Wohnsitzen reichen. Mit diesem Collegium wechselte halbjährlich das über Statistik, in welchem, nach dem höhern und würdigern Begriff dieser Wissenschaft, vor allem die Formen und der Geist der Verfassung und Verwaltung der Staaten dargestellt wurde. Der Verewigte hat gestanden, dass unter allen Vorlesungen diese ihm die liebsten geworden, und dass vornehmlich sie es gewesen, welche in seine historischen Studien Leben gebracht haben 1). Heerens akademischer Beifall nahm erst dann einen raschen Aufschwung, als der Lehrer sich gänzlich der Geschichte zugewandt halte. Selten ist wohl in diesen Fächern ein so glän- zender Applaus durch eine so lange Reihe von Jahren einem andern Lehrer gleich treu geblieben. Die Umstände begünstigten ihn freilich auch hierbei. Seine akademische Wirksamkeit fiel grossentheils in Zeiten, wo noch die all- gemeinern Studien, neben der Fachbildung, in Geltung -standen; ausserdem durchlebte er die Periode, in welcher Göttingen zahlreicher besucht war, als je. Allein sein Verdienst bleibt es doch, dass er sich geltend machte, und dass gerade um ihn sich die grossen Kreise von Zuhörern sammelten. Viel gebührte seinem grossen durch schrifistellerischen Aal ees Mamen; jedoch mehr noch den ausgezeichneten Vorzügen seiner Vorträge. Bei ihnen trat zunächst ihre Zweckmässigkeit hervor: sie hielten die rechte Mitte zwi- schen der zu hohen und zu populären Darstellung; sie fassten die grössere 1) Biographische Nachrichten S. 66. 18 1 Menge ins Auge und waren eine angemessene Steigerung derjenigen Bildung, welche man damals gewöhnlich von den Gymnasien mitbrachte. Sie zeich- neten sich nicht bloss durch Gelehrsamkeit aus, sondern auch durch Ideen- reichthum, und fesselten vorzüglich durch die psychologische und politische Haltung, welche ihnen der Lehrer zu geben wusste. Hierzu kam nun die völlig freie Darstellung und klare Entwieklung: man merkte es dem Reden- den stets an, dass er überall seines Stoffs vollkommen mächtig war. Daher nun die Erscheinung, dass viele Zuhörer, welche aus weiter Ferne sein grosser Name zuerst ihm zugeführt hatte, bald durch die ausgezeichneten Eigenschaf- ten seiner Vorträge auf eine Weise gefesselt wurden, dass sie ihm durch den ganzen Cursus derselben folgten. Die sehr grosse Zahl von Zuhörer ver- minderte sich erst dann, als seine hohen Jahre ihre natürlichen Rechte über seine Kräfte geltend machten. Auf der höchsten Stufe des akademischen Applauses und selbst im höhern Alter entsagte er noch nicht seiner schrifistellerischen Thätigkeit. Fort- während war er bemüht, seinen Werken eine höhere Vollendung zu geben. Die bedeutendsten Umgestaltungen hat in den verschiedenen Ausgaben das Werk erfahren, dessen Vollendung er als eine Hauptaufgabe seines Lebens betrachtete. Es war sein Lieblingsgedanke, die Ideen auch durch die römi- sche Zeit und das Mittelalter zu führen. Als Heeren vom Jahre 1821 an die Herausgabe seiner sämmtlichen Werke betrieb, sollte, seinem Vorhaben zu Folge, dem letzten Theile derselben sogleich die Fortsetzung der Ideen über Griechenland folgen. Die hinterlassenen Papiere des Vere:wigten enthal- ten Vorarbeiten und Entwürfe, welche sich auf den Handel von Griechen- land beziehen. Leider wurden aber diese Studien unterbrochen durch eine neue Berufspflicht. Nach Eichhorns Tode, im Jahre 1827, wurde Hee- ren die Redaction der Göttingischen gelehrten Anzeigen übertragen. Die- ses ausgedehnte Geschäft raubte ihm, bei seiner Natur, bei der Art wie er alles selbst betrieb, und vollends da er seine Lehrerthätigkeit in ihrem gan- zen Umfange fortsetzte, die erforderliche Musse für grössere literärische Pro- ducte. Er brachte seinem neuen Berufe ein grosses Opfer, was er selbst oft mit Wehmuth erkannte, und die Literatur noch schmerzlicher zu beklagen hat. Seit dieser Zeit konnte er nur noch einer schriftstelleri- 19 schen Thätigkeit treu bleiben, welche, wie eine seiner frühesten, so auch die letzte war. cas oi Und somit gedenken wir schliesslich eines Verhältnisses, dessen Ge- dächiniss uns in diesem Kreise am nächsten berührt. Schon im Jahre 1784 wurde Heeren Beisitzer der Königlichen Societät der Wissenschaften; seit 1789 war er deren Mitglied, und wie wir alle wissen, eins der thätigsten. Die grosse Zahl seiner Abhandlungen ist der Aufhellung der schwierig- sten Theile der alten Geschichte gewidmet. Viele derselben beziehen sich auf die Quellen der alten Historiker und Geographen. Dem Studium der alten Geschichte auf diese Weise eine sichere Grundlage zu geben, hielt er mit Recht für eine würdige Aufgabe seiner Thätigkeit in einem gelehrten Vereine, dessen historisch - philologische Classe die Kritik der Geschichte sich zur Auf- gabe gesetzt hat ). Die drei letzten Abhandlungen sind der Aufhellung eini- ger dunkeler Gegenstände aus der Geschichte des alten Handels gewidmet. Sie erwuchsen aus Materialien, die er für die Fortsetzung seiner Ideen gesam- melt hatte, und wurden hier der gelehrten Welt in dieser Form gegeben, als die Hoffnung, jene zu vollenden, für ihn völlig verschwand. Keinem von uns ist der rege Eifer unbekannt, mit dem er den Ruhm der Societät in al- len ihren Verhältnissen zu erhalten und zu fördern strebte. Der Verewigte lebt auch hier in dankbarer Erinnerung, und sein Name ragt unter denen ` hervor, welchen unsere Societät, wie unsere Universität ihren Ruf im In- lande und im Auslande verdankt. | Denn nicht auf Deutschland ist sein Name und die Wirkung seines Geistes beschränkt, sondern England, Frankreich, Italien, Schweden, Däne- mark und mehrere andere Länder haben sich seine Werke durch Ueber- setzungen angeeignet, und noch viel grösser ist die Zahl der Staaten, deren Jünglinge das politische Verständniss der Geschichte in seinem Hörsale lern- ten. In den Sitzen europäischer Cultur zwischen dem Indus und Ganges wird seiner Forschungen mit Ruhm gedacht, und m Nordamerika’s Freistaaten lehrt man die Geschichte nach Heerens Handbüchern. Die berühmtesten gelehrten Gesellschaften 2) beeiferten sich, ihn zu dem ihrigen zu machen, und die Mächtigen der Erde zeichneten ihn ehrend aus. Sein Ruhm ist aus- c 1) Biographische Nachrichten S. 74. 2) Heeren War unter andern Mitglied der Akademie der Wissenschaften zu Pe- tersburg, Berlin, München, Stockholm, Dublin, Copenhagen: der asiatischen 20 Ca gedehnt wie seine Verdienste. Die allgemeine Stimme der Zeitgenossen hat nur Gerechtigkeit geübt, indem sie ihn den ersten Historikern zuzählte. Denn gross war er nicht bloss durch tiefe und ausgedehnte Gelehrsamkeit, sondern noch mehr durch deren eigenthümliche und geistreiche Anwendung; ausge- zeichnet war er nicht bloss vermöge seines politischen Wissens, sondern noch mehr durch die weise Mässigung in der Politik. Nie hat er als Haupt einer übertriebenen politischen Richtung sich hervorgethan; sondern indem er sich von allen politischen Extremen fern hielt, hat er sich ein reineres Lob und eine dauerndere Ehre erworben. Seine politische Gesinnung war die, welche allein dem Historiker geziemt, und hing aufs engste mit seinem Wahrheits- sinn zusammen. Blinde Vorliebe für diese oder jene Verfassung war ihm fremd; was dem Bedürfniss der Nationen entsprach, und das urkundliche Recht nicht verletzte, ward von ihm gepriesen. Lob und Tadel über Ver- hältnisse, wie Personen, wog er nach der Stimme des Gewissens ab; gerecht und, wo es nur sein konnte, mild waren seine Urtheile. — So stand Hee- ren in der Wissenschaft da, so aber auch im Leben. Stets wollte sein wahrhaftes Gemüth das Rechte; und gerecht zu sein, fiel ihm nur da schwer, wo die Gerechtigkeit mit seiner Milde in Conflict gerieth. Denn letztere war, ein hervorstechender Zug seines Innern. Stets war er bereit, zu beschützen, zu vertheidigen, zu helfen; sein weiches Herz wurde auch dann nicht ver- härtet, wenn Undankbarkeit sein Wohlwollen ermüdete. Mit einem Worte, der grosse Historiker war auch ein edler Mensch. Leicht können die Tu- genden seines Herzens vergessen werden: er übte sie meist im Verborgenen, und häufig erstirbt das Andenken an Wohlthalen mit der Generation, welche von ihnen unmittelbar berührt wurde. Ein gleiches ist bei den Thaten sei- nes ausgezeichneten Geistes unmöglich: sie geschahen vor Aller Augen. Heeren der Historiker wird leben, so lange der historischen Forschung und Darstel- lung ihre Ehre, so lange einer besonnenen Politik ihre Achtung bleibt! Gesellschaft zu London, so wie der zu Calcutta. Die Akademie der Inschrif- ten zu Paris, welche seine Preisschrift Sur influence des Croisades. Paris, 1808, gekrönt hatte, ernannte ihn anfangs zu ihrem Correspondenten, und ge- sellte ihn später dem engern Kreise ihrer Associés etrangers zu. —— — eege K