ABHANDLUNGEN DER KÖN IGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU gGOTTINGEMNM ACHTER BAND. VON DEN JAHREN 1858 UND 1859. MIT EINER STEINDRUCKTAFEL. GÖTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1860. Mo Rot. Garden, eis VORRE D E. De vorliegende Band der Abhandlungen der Königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen enthält die Arbeiten, welche von ihren Mitgliedern in dem Zeitraum von Michaelis 1857 bis Ende 1859 theils in den Sitzungen der Societät vor- | gelesen, theils derselben vorgelegt worden sind. Auszüge daraus, so wie die kleineren, der Societüt vorgelegten Mittheilungen, finden sich in den „‚Nachrichten von der G. A. Universität und der К. Gesellschaft der Wissenschaften** von den Jahren 1857 bis 1859. Das jährlich unter den ältesten Mitgliedern der drei Classen wechselnde Directorium der Societät, das zu Michaelis 1857 von Herrn Prof. Weber in der mathematischen Classe über- nommen war, ging zu Michaelis 4858 auf Herrn Prof. Ewald in der historisch-philologischen Classe, und zu Michaelis 1859 auf Herrn Obermedicinalrath Conradi in der тунын Classe über.. Unter den Verlusten, welche die К. Societät in dieses Zeit zu beklagen hatte, möge hier zunächst des ihr so schmerzlichen Verlustes ihres beständigen Secretairs, des Geheimen Hofraths Johann Friedrich Ludwig Hausmann gedacht werden. Er starb am 26. December Garg? im fast vollendeten 77. Jahre. 29 E. VORRE D E. Er war das älteste hiesige Mitglied der Societät und seit 1840 deren beständiger Secretair. Die Würdigung seiner grossen Verdienste um Mineralogie, Geologie und Technik, so wie um die R. Societät und die Universität, bleibt der in dem folgenden Bande erscheinenden Gedächtnissrede vorbehalten. Bis kurz vor seinem Tode mit der gewissenhaftesten Treue in seinem Lehr- amte thätig, fortwährend noch beschäftigt mit eigenen Forschun- gen, und alles Neue im Gebiete seiner Wissenschaft noch mit geistiger Rüstigkeit verfolgend, besorgte er auch noch mit der pünktlichsten Sorgfalt die Secretariats-Geschäfte der K. Societät und verfasste selbst noch den Jahresbericht für die Sitzung am 17. December, an dem die Societät zum achten Male in dem zweiten Jahrhundert des Bestehens ihren Stiftungstag beging. Er selbst hat darin noch den Verlust beklagt, den in diesem Jahre die Societät in ihrem hiesigen engeren Kreise erlitten hatte, den Verlust ihres grossen Mathematikers G. Lejeune- Dirichlet, der am 5. Mai 1859, 54 Jahre alt, aus dem Leben schied. Seit 1846 war er auswärtiges, seit 1855 hiesiges ordentliches Mitglied der Societät. Dieselbe be- klagt insbesondere auch darum seinen Tod, weil er die Ausar- beitung der Gedächtnissrede auf Gauss übernommen und seine Betheiligung an der Herausgabe der Gauss’schen Werke zugesagt hatte, Aufgaben, die er am würdigsten zu ‚lösen vermochte. Seine letzte, der Societät übergebene Arbeit, „Untersuchungen über ein Problem der Hydrodynamik** ist nach seiner. eigenen Verfügung von Prof. Dedekind in Zürich noch für diesen Band vollendet und herausgegeben worden. Von ihren auswärtigen Mitgliedern betrauert die к. Soeietät mit der ganzen wissenschaftlichen Welt den Tod von 0 Friedrich. Creuzer in Heidelberg, gestorben am 16. Februar : VORRED E. | ү 4858 im 78, Jahr, seit 1844 Mitglied in der historisch-philol. Classe ; Johannes Müller in Berlin, gestorben am 28. April 1858, im 57. Jahr, seit 1857 Mitglied in der physikal. Classe; Alexander v. Humboldt in Berlin, gestorben am 6. Mai 1859 fast 90 Jahre alt, seit 1805 Mitglied in der physikal. Classe; Carl Ritter in Berlin, gestorben am 28. September 1859, im 80. Jahre, seit 1820 Correspondent, seit 1951 Mitglied in der histor.-philol. Classe; Wilhelm Grimm in Berlin, gestorben am 16. December 1859 über 75 J. alt, seit 1857 Mitglied in der histor. - philolog. Classe. (Zuvor Correspondent seit 1825; hiesiges ordentliches Mitglied seit 1850.) Von ihren Correspondenten hat die K. Gesellschaft verloren, aus der physikalischen Classe im J. 1858: den. Präsidenten des Royal College of Surgeons und Sergent Sur- geon der Königin Benjamin Travers in London; aus der ma- thematischen Classe den Professor der Physik Rudolph Kohl- rausch in Erlangen; aus der historisch-philologischen Classe G. Dorn-Seiffen in Utrecht, und den К. K. Regierungs- rath und Vieedirector des Hof- und Staats-Archivs Joseph Chmel in Wien. Zum hiesigen ordentlichen Mitglied für die mathe- matische Classe wurde im J. 1859 erwählt und vom K. Uni- versitäts-Curatorium bestätigt Herr Professor Dr. Bernhard Rie- mann, seit 1856 Assessor. Zum Assessor für die physikalische Classe wurde in demselben Jahre ernannt Herr Professor Dr. Wilhelm Wicke. Zu auswärtigen Mitgliedern wurden im J. 1859 er- wählt und vom К. Universitäts- Curatorium bestätigt: VI VORREDE Für die physikalische Classe, ^ Herr Louis Agassiz, Professor an der Harward Universität New Cambridge Boston. | Herr Pierre Marie-Jean Flourens, beständiger Secretair der Akademie der Wissenschaften in Paris. Sir William Hooker, Director of the Royal Gardens. of Kew, in Kew bei London. Sir Richard Owen, Hunterian Professor am Royal College of Surgeons in London. Für die mathematische Classe, Herr William Hallows Miller, Professor. der Mineralogie in Cambridge, foreign Secretary der Royal Society in London. Herr Henri Fictor Regnault, Mitglied der Akademie der Wis- senschaften in Paris. | Zu Correspondenten wurden im J. 1859 ernannt: Für die physikalische Classe, | Herr Dr. Carl Bergmann , Professor der Anatomie in Rostock. Herr Dr. Heinrich Helmholtz, Professor der Physiologie in Heidelberg. Herr Dr. Joseph Hyrtl, Professor der Anatomie in Wien. Herr Nicolai von Rokscharow , Colonel im К. Бе Ingenieur- Corps in St. Petersburg. Herr Dr. Rudolph Leuckart, Professor der Zoolopie und ver- : gleichenden Anatomie in Giessen. Herr Dr. Carl Rössler, Director der Wetterauer Gesellschaft für die gesammte Naturkunde, in Hanau. . Für die mathematische Classe, Herr Dr. Heinrich Wilhelm Dove, Professor der Physik in Berlin. Herr Dr. Richard Dedekind, Professor der Mathematik in Zürich. . Herr William Thomson, Professor der Physik in Glasgow. VORREDE VII Herr John Tyndal, an der Royal Institution in London. Für die historisch-philologische, Herr Bernhard von Dorn, K. russischer Staatsrath und Mitglied der К. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg. Herr L. P. Gachard, General-Archivar des Rónigr. Belgien, in Brussel. | Herr Johann Gildemeister, Professor der Theologie und der orientalischen Sprachen in Bonn. Herr Th. G. von Karajan, Vice-Präsident der K. K. Akademie der Wissenschaften in Wien. Herr P. A. Munch, Professor der Geschichte in Christiania. Herr Franz Palacky, Historiograph des Rónigr. Böhmen in Prag. Die Säcularfeier der Königlichen Bayerischen Akademie der Wissenschaften am 28. März 1859 gab einen erfreulichen An- lass, die nahe Beziehung, in welcher sich die Königliche Socie- tät mit den anderen gelehrten Vereinen Deutschlands verbunden fühlt, öffentlich zu bezeugen. Zu dem Zwecke hat sie durch den Hofrath Wagner als Festgabe die in diesem Bande abge- druckte Abhandlung des Professors Curtius, über griechische Quell- und Brunnen-Inschriften, mit einem das Jubiläum betref- fenden Vorworte überreicht. Als höchst werthvolle Geschenke empfing die Königliche Societàt bei dieser Gelegenheit von der Königlich Bayerischen Akademie die von ihr herausgegebenen Monumenta Saecularia und den kostbaren Atlas der ältesten Rar- ten von Amerika. | j * 1 * ké Das durch den Tod des Geheimen Hofraths Hausmann er- ledigte Secretariat der К. Gesellschaft ist von dem Roniglichen ҮШ VORREDE Universitäts-Curatorium durch Hohe Verordnung vom 40. Januar 1860 dem Unterzeichneten übertragen worden. ж Im Verlaufe von 1857 bis 1859 wurden folgende Abhand- lungen theils in den Versammlungen der Societät gelesen, theils derselben vorgelegt : Am 14. Novbr. Am 90. Juni. Am 7. Sept. Am 15. Novbr. Am 5. Januar, Am 1. Juni. Am 18. Octbr. Am 5. Decbr. Am 17. Decbr. Im Jahre 1857. Hausmann, über das Vorkommen von Quellengebilden in Begleitung des Basalts der Werra- und: Fulda- Gegenden. (Nachr. S. 277.) Im Jahre 1858. Waitz, eine ungedruckte Lebensbeschreibung des Herzogs Knud Laward von Schleswig. (Nachr. S. 105.) Ewald, über Entstehung, Inhalt und Werth der Sibylli- schen Bücher. (Nachr. S. 169.) Ewald, über den geschichtlichen Sinn des XIV. Sibylli- schen Buches. (Nachr. S. 287.) Im Jahre 1859. | Marx, Gotifried, Wilhelm Leibniz, in seinen Beziehun- gen zur Árzneiwissenschaft. (Nachr. S. 1.) Curtius, griechische Quell- und Brunnen-Inschriften. Kies, S. 92.) Marx, über die Verdienste der Put um das Verschwin- den der dämonischen Krankheiten. ` (Nachr. S. 149.) IV appäus, über den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren Lebensdauer. (Nachr. S. 185.) Riemann, über die Fortpflanzung ebener Luftwellen. Lejeune Dirichlet, Untersuchungen über ein Problem der Hydrodynamik (von Dedekind mend von Riemann vorgelegt.) (Nachr. S. 191.) Sauppe, über Inhalt und "wp кайа der Mysterieninschrift ndania. aus А VORRE D E IX Die folgenden, der Societät vorgelegten kleineren Arbeiten finden sich in den ,, Nachrichten von der G. A. Universität und der K. Gesellschaft der Wissenschaften‘ abgedruckt oder als Auszüge mitgetheilt. Am 5. Novbr. Am LA Novbr. Am 25. Novbr. Am 95. Woche, Am 1. Decbr. Am 18. Januar. Am 27. März. Am 27. März. Am 40. April. Am 96. April. Aus dem Jahre 1857. Wagner, Abhandlung der Den, €. Kupffer und JF. Ke- ferstein, über den feineren Bau des electrischen Organs heim Zitteraal mit Rücksicht auf den Bau bei anderen electr. Fischen, insbesondere bei Mormyrus oxyrhynchus. Mit Anmerkungen über die Endigungen der Nerven im Allge- meinen; von R. Wagner. (Nachr. 255.) Sartorius von Waltershausen, über seine geologischen Kar- ten vom Aetna. (Nachr. 528.) Curtius, das Neugriechische in seiner Bedeutung für das Altgriechische, so wie für vergleichende Sprachkunde. (Nachr. 295.) Henle, Abhandlung von Stud. med. 4eby, der hyaline Knorpel und seine Verknócherung. (Nachr. 525.) Wöhler und H. Sainte Claire Deville, neue Beobachtun- gen über das Bor und einige seiner Verbindungen. (Nach. 595.) Aus dem Jahre 1858. Henle, Abhandlung von H. Munk, zur Anatomie und Physiologie der quergestreiften Muskelfasern der Wirbel- thiere, mit Anschluss an die Beobachtungen über die elec- trischen Organe der -Fische. (Nachr. S. 1.) W öhler, über das Silicium-Mangan. (Nachr. S. 59.) Wöhler, über eine krystallisirte Verbindung von Chrom und Aluminium. (Nachr. S. 78.) Weber, Bericht über einige im physikalischen Institute gemachte Versuche. (Nachr. S. 67.) Wagner, Abhandlung von Dr. Referstein , über den fei- neren Bau der Pacinischen Rórperchen. (Nachr. S. 85.) | | bk o X Am 8. Juli. Am 1A. Juli. Am 24. Juli. Am 6. August. Am 9. August. Am 5. Oetbr. Am 11. Ост. Am 11. Oetbr. Am 11. Octbr. ' Am 19. Oetbr. - Am 15. Осі. Am 15. Octbr. Am 15. Octbr. Am 1. Decbr. Am 43. Januar. VORRE D E. Hausmann, über die Rrystallisation des Roheisens. (Nachr. `$. 199.) Wöhler, über das Siliciumwasserstoffgas. (Nachr. S. 115.) Ewald, Entdeckung einer neuen Punischen Inschrift. (Naehr. S. 157.) : Wagner, Abhandlung der Den, Referstein und Hallwachs, über die Einwirkung des pankreatischen Saftes auf Eiweiss. (Nachr. S. 143.) Limpricht, über die Zersetzung des ези (Naehr. S. 155.) Limpricht, über Acetone. (Nachr. S. 254.) Dillmann , (Correspondent), Bericht über das äthiopische Buch Clementinischer Schriften. (Nachr. S. 185, mit Fortsetzung S. 201 und S. 217.) Boedeker, die Tetrametrie der Ammonium- Haloide und der sich ihnen anschliessenden Verbindungen. (Nachr. S. 296.) Boedeker, über das Verhältniss zwischen Masse und Wir- kung, insbesondere beim Contact ammoniakalischer Lósun- gen mit Ackererde und kohlensaurem Kalk. (Nachr, S. 265.) Wagner, kritische und experimentelle Untersuchungen über die Functionen des Gehirns. Erste Reihe. (Nachr. S. 249.) Wöhler, Notiz von Prof. Vicke, directe Beobachtungen über Entstehung von Blitzróhren. (Nachr. 295.) Wöhler, Notiz von Prof. Wicke, über das Pigment in den Eischalen der Vögel. (Nachr. S. 314.) Wagner , kritische und experimentelle Untersuchungen über die Functionen des Gehirns. Zweite Reihe. (Nachr. S. 297.) Wagner, dritte Reihe dieser Untersuchungen. (Nachr. S. 521.) | Aus dem Jahre 1859. ` Wagner, Abhandlung von Dr. Referstein, Beitrag zur Geschichte der Physik der electrischen Fische. (Nachr. S. 17.) Am 5. März. Am 12. März. Am 12. März. Am 12. März. Am 16. März. Am 9, Juli. Am 3. Juli. Am 1. August. Am 1. August. VORREDE XI Waitz, über eine bisher unbekannte Handschrift des Her- mannus Rorner. (Nachr. S. 37.) Wagner, kritische und experimentelle Untersuchungen über die Functionen des Gehirns. Vierte Reihe, (Nachr. S. 67.) Wagner, über eine Reclamation des Hrn. Corvisart gegen die Den. Keferstein und Hallwachs, bezüglich der Wir- kung des pankreatischen Saftes auf Eiweiss. (Nachr. S. 81.) Erdmann, (Correspondent), über eine allgemeine geologi- sche Untersuchung Schwedens. (Nachr. S. 85.) Scheerer, (Correspondent), über die Trennung von Mag- nesia und Kalk, Atomgewicht der Magnesia, Zusammen- setzung der Magnesite von Snarum und Frankenstein. (Nachr. S. 87.) Ewald, über eherne Kesselwagen in den alten Heiligthü- mern. (Nachr. S. 151.) Wöhler, Beobachtungen über das Chrom. (Nachr. S. 147.) Scheerer , (Correspondent), analytische Methode zur Be- stimmung der Magnesia und der Alkalien., (Nachr. S. 171.) Berthold, einige neue Reptilien des zoologischen Museums in Göttingen. (Nachr. S. 179.) Bezüglich der von der Königlichen Gesellschaft der Wis- senschaften aufgegebenen Preisfragen ist Folgendes zu be- richten: Für den November 1857 war von der physikalisch en Classe die Frage gestellt: Quum eliam novissimae investigationes de Fluore locum dubitationi re- linquant , num revera contigerit illum per se solum et integrum oculis propo- nere, eerlumque sit ejus qualitates, quatenus extra mixlionem per se solus appareat, fere omnino ignotas esse, optat Societas Regia, ut de insignis illius ~ elementi integritate nova experimenta instituantur. Quibus experimentis etiam si ipsum propositum non efficiatur, ea vero quaestio ad liquidum perducta b? XII VORR E D E. fuerit, utrum acidum fluoricum inter hydrogeniea an inter oxygenica acida habendum sit, simulque contigerit Fluorem cum oxygenio ceterisque metal- loidibus, quae cum Fluore jungi posse nondum constat, jungere , Societas Regia eliam tali opere, dummodo accuratis observationibus innitatur, propo- sito suo salisfactum esse exislimabit. Da auch die neuesten Untersuchungen über das Fluor es noch durchaus ` zweifelhaft lassen, ob dessen Isolirung wirklich gelungen ist, jedenfalls seine Eigenschaften im angeblich isolirten Zustande so gut wie noch ganz unbekannt sind, so wünscht die Königliche, Socielät, dass über die Isoli- rung dieses merkwürdigen Grundstoffes neue Versuche angestellt. werden. Sollte der eigentliche Zweck nicht erreicht, durch diese Versuche aber mit Gewissheit die Frage entschieden werden, ob die Flusssüure eine FF asser- stoffsäure oder eine Sauerstoffsäure ist, und zugleich die Hervorbringung von Verbindungen des Fluors mit Sauerstoff und den andern Metalloiden, von denen man noch keine Fluor-Verbindungen kennt, gelingen, so würde die Königliche Societüt auch eine solche Arbeit, wenn sie sich auf exacte Beobachtungen gründet, als eine genügende кашааны der. Frage be- trachten. Die Lósung dieser Aufgabe ist nicht нонни worden. Für den November 1858 hatte die mathematische Classe die Frage gestellt: A. fluidis electricis, quae а conductore altero od Sim pel per aérem vel per vacuum transeant, nonnulla sillius conductoris particulas a superficie abscindi atque ad hujus conductoris superficiem transferri, inter observatores constat. Jam quaeratur 1) utrum haec particularum ponderabilium remotio a solo fluido electrico positivo efficiatur, an eliam a fluido negativo, et © unde pendeat, a quo fluido ea. efficiatur; 2) num certa quaedam ratio inter illam particularum ponderabilium , quae removentur , massam et hanc fluidi electrici, quo efficitur, quantitatem indicari бөз» Ө sn Bei elektrischen Entladungen von einem Conduelor zum ändern durch die Luft oder auch durch leeren Raum reisst die Elektricität kleine Theile des einen Conductors: ab und führt sie zum andern‘ Conductor hinüber. Es soll untersucht ‘werden 1) ob nur von der positiven Elektrieität. solche Theile abgerissen und. fortgeführt werden, oder auch von der negaliven, und wovon das eine oder andere abhünge; 2) ob die Masse der fortgeris- senen Theile in einem bestimmbaren Verhältnisse zu der Elektrieität steht, welche von dem einen Conductor zum andern entladen wird. VORRED E. ХШ Auch diese Frage ist unbeantwortet geblieben. In der Hoffnung,. dass durch eine Wiederholung derselben die zur Lösung der Aufgabe erforderlichen, viele Zeit in Anspruch’ neh- menden Versuche ermóglicht werden dürften, hat die Rónigl. Societit auf den Antrag der mathematischen Classe beschlossen, jene Frage auf's Neue für den November 1861 aufzugeben. Für den November 1859 wurde von der historisch-phi- lologischen Classe die Frage gestellt: Exponantur origines el. progressus patriciatus in urbibus saxenieis inter Fisurgim et Albim. sitis usque ad finem saeculi sexti decimi. Recentioribus temporibus historici non sine successu vita publica in civitati- bus germanicis quomodo sensim cxculta esset atque. conformata disquirere studuerunt. Nihilominus tamen caremus opere, quo secundum fontes et libros singulares nuper in lucem emissos exponatur , quam variis sub conditionibus et causis ortus sit atque increverit patriciatus, Valet id imprimis de urbibus saxonicis inter. F'isurgim et Albim sitis, quarum instituta politica arctissima necessitudine continentur. Quam materiem qui tractare welit, ei aegue respi- cienda erit ea ratio, quae patriciatui cum principe et cum ordine equestri, alque ea, quae eidem cum administratione urbana et cum civitate universa singulisque ejus parlibus, quas. corporationes appellant , intercessit. ; Entstehung und Entwickelung des Patriciats in den sächsischen Städten ' zwischen Veser und Elbe, bis gegen das Ende des sechszehnten Jahr- hunderts. Ä | | Die Geschichtschreibung hat sich in der neueren Zeit nicht ohne Erfolg Untersuchungen über die allmähliche Gestaltung des öffentlichen Lebens in den städtischen Gemeinen Deutschlands zugewandt. Gleichwohl ermangeln wir - eines. auf‘ neuerdings veröffentlichten Quellenschriften und Monogra- © phien sich stützenden HVerkes über die unter den verschiedensten Bedingun- nu gen und. Einflüssen. erfolgte Entstehung und Durchbildung des Putrieiats. Es gil. dieses ‘namentlich іп Bezug auf die sächsischen Städte zwischen Weser und Elbe, welche in ihren. politischen Institutionen durchweg grosse 4 erwandtschaft verrathen. .. Bei einer. Bearbeitung dieses. Gegenstandes würde. nicht weniger die Stellung des Patriciats zu dem Landesherrn. und dem rittermässigen Adel, als zu der städtischen Verwaltung uud. der Bür- XIV VORRED E. gergemeine in. ihrer Gesammtheit und in ihren wichtigsten Corporationen zu berücksichtigen sein. Diese Frage ist еа кеке Für die nächsten Jahre sind von дег К. Gesellschaft folgende Preisfragen bestimmt: Für den November 1860 von der physikalischen Classe: Quum viae quibus avium migratoriarum singulae species. periodicis suis itineribus progrediuntur non satis nolae sint, desiderat R. S. ut cursus quem aves, aut saltem alicujus regionis plurimae species, petunt, et longitudo iti- neris temporaque quibus locos ubi genitae sunt cum calidioribus plagis, has autem cum illis commutant, accuratius perguirantur. Da die Bahnen, innerhalb welcher die einzelnen Wandervögelarten bei ihren periodischen Zügen sich bewegen, noch nicht hinlänglich bekannt sind, so wünscht die R. S., dass sowohl die Richtung, in welcher die Wögel, oder doch wenigstens die meisten Arten irgend einer Gegend ziehen, und die Länge der Reise, als auch die Zeit der Abreise und Rückkehr aus ihrem Waterlande und in dasselbe zurück, durch genauere Beobachtungen ermitlelt werde. Für den November 1861 ist von der mathematischen Classe die Preisfrage, welche i. J. 4858 nicht beantwortet worden, Seite xu, von neuem gestellt. Für den November 1862 ist von der historisch-philo- logischen Classe folgende neue Preisfrage gestellt: De diebus festis atticis quamquam post Corsinum multi ita egerunt, ut vel antiquitates publicas et sacras vel historiam litterarum artiumque tractan- tes ritus illorum atque sollennia illustrarent, et de quibusdam insigni erudi- tione explicatis non videtur fere quidquam addi posse, summopere. tamen optandum est, ut universa quaeslio peculiari libro denuo pertracletur et, quan- tum fieri potest, absolvatur. Multum enim abest, ut de dierum festorum at- ticorum origine , caussis, temporibus salis constet, neque cum vitae rusticae operibus qua ratione cohaereant, efflorescente republica quomodo paulatim aucti et immutati sint, ex oraculi denique delphici auctoritate quatenus pepen- © derint, ita exploratum est, ut fieri potest, si quis subsidiis, unde sacrorum VORREDE ` XV publicorum notitia haurienda est, omnibus. et maxime titulis nuper repertis recte usus fuerit. :: Postulat igitur Societas Regia litterarum , | ut dies festi Atheniensium publici, per singulos menses dispositi , plene atque accurate enarrentur, ех historia altica diligenter illustrentur, ad poesin et varia artium genera Athenis excolenda quam vim habuerint, explicetur. ; Das attische Festjahr ist zwar seit Corsini vom Gesichtspunkte der po- litischen und religiösen Alterthümer, so wie von dem der Litteratur- und Kunstgeschichte vielfältig behandelt, und einzelne Gruppen der Feste sind mit erschöpfender Gelehrsamkeit bearbeitet worden. Indessen fehlt noch immer eine vollständige Bearbeitung des gesammlen Materials, welches neuerdings durch Inschriften wesentlich vermehrt worden ist, Auch ist der ursprüngliche Sinn und Inhalt der einzelnen Fesie, die zeitliche Ord- nung derselben, ihre Beziehung auf die Geschüfte des Landlebens, ihre ‚allmähliche Erweiterung und Umgestaltung durch Entwickelung des städti- schen und politischen Lebens, ihr Zusammenhang mit Delphi und ihr Ver- hältniss zu denen der anderen hellenischen Staaten noch immer nicht in der Feise dargestellt worden, wie es die vorhandenen Hülfsmittel erlau- | ben und wie es zu einer Anschauung des attischen Lebens erforderlich ist. Die Königliche Gesellschaft der. PT Zeen schaffen glaubt daher eine zeitge- müsse und dankbare Aufgabe zu stellen, wenn sie nach den angegebenen Gesichtspunkten ^ eine geschichtliche Darstellung des attischen Festjahrs verlangt, wobei zugleich der Einfluss, welchen die Feste auf die Entwickelung der Poe- sie, so wie auf die verschiedenen Gattungen der Bau- und Bildkunst ausgeübt haben, zu berücksichtigen ist. Die Concurrenzschriften müssen vor Ablauf des Septem- bers der bestimmten Jahre an die Königliche Gesellschaft der Wissenschaften portofrei eingesandt sein. Der für jede dieser Aufgaben ausgesetzte Preis beträgt funfzig Ducaten. Die von dem Verwaltungsrathe der Wedekind'schen Preis- stiftung für deutsche Geschichte für den zweiten Verwaltungs- XVI "VORRED E. zeitraum bestimmten Aufgaben sind in der Vorrede des vorher- gehenden Bandes, so wie mit den näheren Bestimmungen be- zuglich der Bewerbung in Nr. 5 der ,,Nachrichten von der С. A. Universität und der К. Gesellschaft der Wissenschaften“ von 1859 wiederholt bekannt gemacht worden *). Göttingen im März 1860. Friedr. Wöhler. *) In Bezug auf die verlangte „Ausgabe der verschiedenen Texte und Bearbeilun- gen der Chronik des Hermann Korner“ ist nachträglich die Vergleichung eines neuerlich aufgefundenen Danziger Codex verlangt, über den in der ange- führten Nr. 5 der Nachrichten eine nähere Mittheilung zugleich mit einer Hin- weisung auf eine in Schweden befindliche wichtige Handschrift gegeben ist. H XVII .. .Verzeichniss der Mitglieder der Kóniglichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Góttingen am Anfang des Jahres 1860. Ehren -NMitglieder. Graf Wenzel von Rzewusky in Wien, seit 4810. Stephan von Stratimirowitsch in Carlowitz, seit 1817. Prinz Maximilian von Wied, seit 4826. Herzog de Luynes in Paris, seit 4853. Andreas von Baumgartner in Wien, seit 1854. Wilhelm Friedrich, Rheingraf und Fürst zu Salm-Horstmar in Coesfeld , seit 1857. Ordentliche Mitglieder. Physikalische Classe. J. W. H. Conradi, seit 1893. C. F. H. Marx, seit 1933. e E. C. J. von Siebold, seit 1834. Fr. Wähler, seit 1837. Bestündiger Secretair seit 1860. A. A. Berthold, seit 1937. F. Gottl. Bartling, seit 1843. R. Wagner, seit 1843. A. Grisebach, seit 1951. Е. G. I. Henle, seit 1853. ‚ W. Sartorius Freiherr von Waltershausen, seit 1856. Mathematische Classe. WE Weber, seit 1831. G. C. J. Ulrich, seit 1845. B. Riemann, seit 1859. (Zuvor Assessor seit 1956.) . Historisch-philologische Classe. H. Ewald, seit 1933. H. Ritter, seit 1840. XVIII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER C. Hoeck, seit 1841. G. Waitz, seit 1949. ^ W. Havemann, seit 1850. (Zuvor Assessor, seit 1844.) E. Curtius, seit 1856. H. F. Wüstenfeld, seit 1956. (Zuvor Assessor, seit 1841.) Н. Sauppe, seit 1857. Assessoren. Physikalische Classe. E. F. G. Herbst, seit 1835. C. Boedeker, seit 1857. H. Limpricht, seit 1957. W. Wicke, seit 1859. Mathematische Classe. E. F. W. Rlinkerfues, seit 1856. E. Schering, seit 1960. Historisch-philologische Classe. J. E. Wappäus, seit 1951. Auswärtige Mitglieder. Physikalische Classe. Sir James Clark in London, seit 1937. C. M. Marx in Жашынды б seit 1837. Carl Ernst von Baer in St. Petersburg, seit 1951. Jean Baptiste Dumas in Paris, seit 4851. (Zuvor Correspondent , seit 1849.) Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin, seit 1951. Carl Friedrich von Martius in München, seit 1851. Justus Freiherr von Liebig in München, seit 1851. : seit 1840.) Heinrich Rathke in Königsberg, seit 1851. Friedrich Tiedemann in München, seit 4851. (Zuvor Correspondent, seit 1816.) Ernst Heinrich Weber in Leipzig, seit 1951. Carl Friedrich Theodor Krause in Hannover, seit 1859. Wilhelm Haidinger in Wien, seit 1853. Carl Friedrieh Naumann in Leipzig, seit 1853. Robert Bunsen in Heidelberg, seit 1855. Elie de Beaumont in Paris, seit 1955. Heinrich Rose in Berlin, seit 1956. |. (Zuvor Correspondent, DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XIX Gustav Rose in Berlin, seit 1856. E. Mitscherlich in Berlin, seit 1957. Gustav Magnus in Berlin, seit 1857. G. Forchhammer in Ropenhagen, seit 1957. Louis Agassiz iu Boston, seit 1959. Pierre Marie Flourens in Paris, seit 1959. Sir William Hooker in Rew bei London, seit 1859. Sir Richard Owen in London, seit 1959. Mathematische Classe. Sir David Brewster in Edinburgh, seit 1826. J. F. Encke in Berlin, seit 1830. F. G. W. Struve in St. Petersburg, seit 4835. Mich. Faraday in London, seit 4835. Joh. Plana in Turin, seit 1937. Sir John Herschel in Collingwood, seit 1840. (Zuvor Correspondent, seit 1815.) U. J. Leverrier in Paris, seit 4846 P. A. Hansen in Gotha, seit 1949. Francesco Carlini in Mailand, seit 1951. George Biddel Airy in Greenwich, seit 1951. Charles Wheatstone in London, seit 1854. Joseph Liouville in Paris, seit 1956. E Kummer in Berlin, seit 1856. (Zuvor Correspondent, seit 4951.) F. E. Neumann in Königsberg, seit 1856. Henri Victor Regnault in Paris, seit 1859. William Hallows Miller in Cambridge, seit 1859. Historisch-philologische Classe. Fr. Gottl. Welcher in Bonn, seit 1819. (Zuvor hiesiges ordentl. Mitglied, seit 1817.) Jacob Grimm in Berlin, seit 1837. (Zuvor Correspondent, seit 1825; hiesiges ordentl. Mitglied, seit 1830.) A. Boeckh in Berlin, seit 1930. Е. C. Dahlmann in Bonn, seit 1837. (Zuvor hiesiges ordentliches Mitglied seit 1933.) Em. Bekker in Berlin, seit 1935. Ed. Gerhard in Berlin, seit 1935. G. H. Pertz in Berlin, seit 1937. е2. XX VERZEICHNISS DER MITGLIEDER C. B. Hase in Paris, seit 1837. Francois Guizot in Paris, seit 1841. Horace Hayman Wilson in Oxford, seit 1850. Christian August Brandis in Bonn, seit 1951. Victor Cousin in Paris, seit 1951. : Graf Bartolomeo Borghesi in San Marino, seit 1951. Christian August Lobeck in Königsberg, seit 1851. J. M. Lappenberg in Hamburg, seit 4851. (Zuvor Correspondent seit 1837.) , Leopold Ranke in Berlin, seit 1851. Justus Olshausen in Berlin, seit 1953. Franz Bopp in Berlin , seit 1954. Celestino Cavedoni in Modena, seit 1954. Ludwig Döderlein in Erlangen, seit 1854. C. C. J. Freiherr von Bunsen in Heidelberg , seit 1955. Correspondenten. Physikalische Classe. Carl Cäsar von Leonhard in Heidelberg, seit 1806. Jens Weibel Neergaard in Kopenhagen, seit 1806. D. G. Kieser in Jena, seit 1808, August von Vogel in München, seit 1816. Wilhelm Sachse in Ludwigslust, seit 4893. W. Lawrence in London, seit 1935. G. H. Bergmann in Hildesheim, seit 4937. E. Eichwald, in St. Petersburg , seit 1841. John Forbes in London, seit 1849. Robert Willis in London, seit 1944. Di Medicis Spada in Rom, seit 4947. Carl Theodor von Siebold in München , seit 1850. Hermann Stannius in Rostock, seit 1850. Theodor Schwann in Lüttich, seit 1853. Theod. Ludw. Wilhelm Bischoff in München, seit 1953. _ Theodor Scheerer in Freiberg, seit 4953. Wilhelm Duncker in Marburg, seit 1953. G. A. Carl Stádeler in Zürich, seit 1853. Hermann Корр in Giessen, seit 1955. Anton Sehrótter in Wien, seit 1956. J. Pelouze in Paris, seit 1956. (Zuvor Assessor, seit 1851.) - DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. Henri Sainte Claire Deville in Paris, seit 1956. A xel Erdmann in Stockholm, seit 1957. L. Zeuschner in Warschau, seit 1957. Carl Bergmann in Rostock, seit 1959. Heinrich Helmholtz in Heidelberg, seit 1959. Johannes Hyrtl in Wien, seit 1859. Nicolai von Kokscharow in St. Petersburg , seit 1959. Rudolph Leuckart in Giessen, seit 1959. Carl Róssler in Hanau, seit 1859. Mathematische Classe. Ed ward Sabine in London, seit 1893. С. W. Gerling in Marburg, seit 1930. A. Quetelet in Brüssel, seit 1937. C. A. von Steinheil in München, seit 1837. A. Th. Rupffer in St. Petersburg, seit 1840. Chr. Hansteen in Christiania, seit 1940. Carl Rreil in Wien, seit 184. Heinr. Buff in Giessen, seit 1849. Humphrey Lloyd in Dublin, seit 1943. A. F. Móbius in Leipzig, seit 1946. F. G. A. Argelander in Bonn, seit 1946. C. A. F. Peters in Altona, seit 1851. John Couch Adams in Cambridge, seit 1851. Thomas Clausen in Dorpat, seit 1954. Johann Christian Poptgendorff in Berlin, seit 1854. Carl Rümker in Hamburg, seit 4854. Ludwig Seidel in München, seit 1854. Georg Rosenhain in Königsberg, seit 1856. C. Weierstrass in Berlin, seit 1856. Otto Hesse in Heidelberg, seit 1956. Peter Riess in Berlin, seit 1956. Richard Dedekind in Zürich, seit 1859. Heinr. Wilhelm Dove in Berlin, seit 1859. William Thomson in Glasgow, seit 1859.- John Tyndall in Loudon, seit 1859. Historisch-philologische Classe. - J. Jac. Champollion Figeac in Paris, seit 1812, XXII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Wuk Steph. Raradchitsch in Wien, seit 1825. Freiherr С. L. von Lützow in Schwerin, seit 1935. G. L. von Maurer in München, seit 1935. J. H. W. Rüper in London, seit 1937. A. Huber in Wernigerode, seit 1837. G. W. Nitzsch in Leipzig, seit 1937. Ferd. Jos. Wolf in Wien, seit 18A1. F. E. G. Roulez in Gent, seit 1844. Jacob Geel in Leiden, seit 1950. Christ. Lassen in Bonn, seit 4850. G. Fr. Schömann in Greifswalde, seit 4850. . Joh. Friedrich Böhmer in Frankfurt a. M., seit 1853. Rudolph Roth in Tübingen, seit 1853. Adolph Friedr. Heinr. Schauman in Hannover, seit 1853. Friedrich Tuch in Leipzig, seit 1853. Gottfried Bernhardy in Halle, seit 4854. Friedrich Ritschl in Bonn, seit 1854. Paul Joseph Schafarik in, Prag, seit 1855. Wilhelm Wackernagel in Basel, seit 1855. August Dillmann in Kiel, seit 1957. J. G. Droysen in Berlin, seit 1857. Moriz Haupt in Berlin, seit 1957. Wilhelm Henzen in Rom, seit 1857. Carl Hegel in Erlangen, seit 1857. G. C. F. Liseh in Schwerin, seit 1957. Otto Jahn in Bonn, seit 1957. Theodor Mommsen in Berlin, seit 1857. А. B. Rangabé in Athen, seit 1857. ` €. F. von Stälin in Stuttgart, seit 1857. B. von Dorn in St. Petersburg, seit 1959. L. P. Gachard in Brüssel, seit 1859. Johann Gildemeister in Bonn, seit 1859. Th. G. von Rarajan in Wien, seit 1959. P. A. Munch in Christiania, seit 1959. Franz Palacky in Prag, seit 1859. XXIII INHALT. Vorrede, von F. Wöhler х Seite Ш Verzeichniss der Mitglieder der Kóniglichen Gesellschaft der Wissen- schaften zu Göttingen am Anfang des Jahres 1860 XVII Abhandlungen der physikalischen Classe. Joh. Friedr. Ludw. Hausmann, über den Einfluss der Beschaffenheiten der Gesteine auf die Architektur 3 Karl Friedrich Heinrich Marz, Gottfried Wilhelm Leibniz, in seinen Beziehungen zur Arzneiwissenschaft 103 Karl Friedrich Heinrich Marz, über die Verdienste der Aerzte um das Verschwinden der dämonischen Krankheiten 135 Abhandlungen der mathematischen Classe · G. Lejeune-Dirichlet, Untersuchungen über ein Problem der Hydro- dynamik 3 Bernhard Riemann, über die К йө ebener Luftwellen von endlicher Schwingungsweite 43 Abhandlungen der historisch-philologischen Classe. Georg Waits, eine ungedruckte Lebensbeschreibung des тее Knud Laward von Schleswig 3 XXIV | INHALT. H. Ewald, Abhandlung über Entstehung Inhalt und Werth der Sibylli- schen Bücher Seite 43 Ernst Curtius, Griechische Quell- und Brunneninschriften 153 - J. E. Wappäus, über den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren Lebensdauer 185 Hermann Sauppe, die Mysterieninschrift aus Andania 217 Die bei diesem Bande befindliche Tafel gehört zu folgender Abhandlung der historisch-phlilologischen Classe: Georg Waits, eine ungedruckte Lebensbeschreibung des Herzog Knud Laward von Schleswig. ` ` | l ABHANDLUNGEN DER PHYSIKALISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ACHTER BAND. Phys. Classe. VIII. А H $ E ^ і Е x e : | * Я . " Ў К Wm ; = 2 d : ` = : ec E 3A : g T A Td Über den Einfluss der Beschaffenheiten der Gesteine auf die Architektur. Von Joh. Friedr. Ludw. Hausmann. Vorgelesen in der Sitzung der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am 22. Novbr. 1856. ee р. Felsenmassen, welche die feste Rinde des Erdkörpers bilden, haben nicht allein dadurch, dass sie, wie ich in einer früheren Abhandlung D zu zei- gen versucht habe, die Beschaffenheiten des lockeren fruchttragenden Bodens bedingen, einen grossen Einfluss auf das Leben und die Beschäftigungen der Menschen; sondern sie wirken auch noch auf mannichfaltige andere Weise auf die Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse, und die dazu dienenden Künste ein. Dieses kann wohl nicht mehr hervorleuchten, als bei der Kunst, wodurch sich der Mensch ein Obdach verschafft, und wodurch er Räume begränzt, in denen er seine häuslichen und öffentlichen Geschäfte betreibt; in denen er seine Vergnügungen geniesst, und seine Seele zu Gott erhebt. Indem die Architektur die Gesteine als Materialien benutzt, muss die Aus- führung der Bauwerke durch die sehr verschiedenen Beschaffenheiten jener bedeutend modificirt werden. Gewisse Eigenschaften können eben so sehr der Technik des Bauwesens zu Hülfe kommen, als andere dieselbe erschwe- ren. Gewisse Arten von Constructionen sind bei gewissen Beschaffenheiten der Steine möglich, die bei andern sich gar nicht ausführen lassen. Wie der Mangel von Felsgestein in einigen Gegenden den Erdbau, die Anwendung von ungebrannien oder gebrannten Steinen aus Lehm und Thon hervorgerufen, in ‚anderen den allgemeineren Gebrauch des Holzes veranlasst hat, eben so hat 1) De rei agrariae et saltuariae fundamento geologico. Commentationes Societatis Reg. scientiarum Gottingensis recent, Vol. V. MDCCCXXIL | A2 i JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, auch die verschiedene Natur der Gesteine dazu beigetragen, die Gebáude ab- weichend zu gestalten, Neben dem Einflusse des geistigen Lebens der Völker, haben gewiss mannichfaltige materielle Dinge, wozu namentlich auch die klima- tischen Verhältnisse gehören, darauf eingewirkt, dass die Baukunst in verschie- denen Ländern oft einen sehr abweichenden Charakter angenommen hat; aber ohne Zweifel ist die Natur des zu Gebote stehenden Materials dabei nicht ohne Einfluss gewesen; und was die Gesteine betrifft, so haben nicht bloss ihre Be- schaffenheiten an sich, sondern auch die Art ihres Vorkommens, ihre Structur im Grossen, die verschiedene Stratification, das ganze Erscheinen der Felsen- massen, auf den Gang der Entwickelung und Ausbildung der Baukunst einge- wirkt. Will man daher in die Geschichte der Architektur tiefer eindringen, so wird man das genauere Studium der Baumaterialien nicht vernachlässigen dürfen. Im Nachfolgenden werde ich zu zeigen mich bemühen, auf welche Weise die verschiedenen Beschaffenheiten, so wie die Art des Vorkommens der Ge- steine, auf die Entwickelung der Architektur, auf die Formen der Bauwerke, die Technik des Bauwesens und die Erhaltung der Gebäude von Einfluss sind. Hieran denke ich künftig, veranlasst durch Beobachtungen auf Reisen durch Ita- lien, Frankreich und Spanien, einige Beiträge zur Kunde der Gesteine zu reiben, welche die Alten, zumal die Rómer, in der Architektur angewandt haben, wel- cher Arbeit die gegenwärtige Abhandlung zur Einleitung dienen kann; so wie jene den hier aufgestellten Ansichten manche Belege darbieten wird. Ich glaube für diesen unvollkommenen Versuch um so mehr ein nachsichtiges Urtheil in Anspruch nehmen zu dürfen, da der Gegenstand desselben einem bisher noch sehr wenig angebaueten Felde der Forschung angehórt. Die Ausübung einer jeden Kunst wodurch ein rohes Material verarbeitet wird, ist von der Beschaffenheit des Materials und der dasselbe veründernden, auf einen gewissen Zweck gerichteten Thätigkeit abhängig. Die Kunstwerke sind Producte aus jenen beiden Factoren, deren gegenseitige Verhältnisse auf die mannichfaltigste Weise abändern. Bald zeigt das Material, bald die um- formende zweckmässige Thätigkeit einen grösseren Einfluss. Je mehr die zu- ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 5 richtende Kunst nur materielle Bedürfnisse befriedigt, von um so grósserer Be- deutung pflegen die Eigenschaften des Materials zu seyn. Je mehr aber die nützliche Kunst sich zur schönen emporhebt, je einflussreicher die Idee auf künstlerische Thàtigkeit wird, um so mehr pflegt dieser es zu gelingen, das Material zu beherrschen, oder wenigstens um so weniger wesentlich pflegt für das Kunstwerk dasselbe zu seyn. Bei Gefüssen, welche zur Aufbewahrung von Flüssigkeiten, oder zur Bereitung von Speisen dienen sollen, ist es nicht gleichgültig, ob sie aus Thon, Stein oder Metall bestehen; sobald es aber nur darauf ankommt, schön geformte Gefässe die zur Zierde dienen sollen zu ver- fertigen, ist es gleichgültiger, ob man Porphyr oder Alabaster, Thon oder Bronze dazu nimmt. Indessen kann auch die schöne Kunst sich nie ganz von dem Einflusse des Materials frei machen. Das Material schreibt der zurich- tenden Kraft bald mehr bald weniger den Weg vor, ist nicht selten eine Hem- mung für das freie Walten der Kunstidee; und hat oft auf den Eindruck den ein Kunstwerk macht, einen nicht unbedeutenden Einfluss. Thon muss anders behandelt werden als Stein; und ein grosser Unterschied ist es, ob ein harter Porphyr, oder ein weicher Alabaster zu bearbeiten ist. Von der dünnen zar- ten Ausbildung Griechischer Thongefässe hielt sich im Alterthum die Darstel- lung von Gefüssen aus hartem Stein sehr fern; und nicht einmal ist es durch die in neueren Zeiten so sehr vervollkommneten mechanischen Hülfsmittel, wie sie z. B. in der Schleiferei zu Elfdalen in Schweden angewandt werden, ge- lungen, aus hartem Porphyr Gefässe zu bilden, welche in jener Eigenschaft den Griechischen Thongefässen gleich kommen, so vollkommen auch übrigens die Formen derselben nachgeahmt werden. Der weiche Thon gehorcht unter der Hand des bildenden Künstlers willig den Eingebungen der Phantasie; der starre Marmor, der nur dem Meissel und der Feile nachgiebt, hemmt dagegen ihren Flug. Der Eindruck den eine bronzene Statue macht, ist sehr abwei- chend von dem eines Bildwerks aus Marmor. d Wenn man nun gleich der Natur einen bedeutenden Einfluss auf die Kunst einráumen darf, so ist doch grosse Vorsicht nóthig, damit man jener nicht zu viel zutraue. Hin und wieder ist man in dieser Hinsicht offenbar zu weit ge- gangen, indem man z. B. bald in einem altdeutschen Götterhaine, oder einem Palmenwalde, bald in den Säulen des Basaltes den Prototyp der sogenannten 6 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Gothischen Architektur entdeckt zu haben meinte. Verkennen làsst es sich aber dennoch nicht, dass die Natur keines weges bloss auf das Mechanische der Technik, sondern auch auf die Kunstidee einen Einfluss ausübt, indem sie der Phantasie Formen einprägt, welche sich ganz unvermerkt so innig mit den Forderungen des Zweckes des Kunstwerkes verschmelzen, dass in der vollen- delen Ausbildung der Kunst, beide Elemente kaum noch zu unterscheiden sind. Legt es nun aber die Geschichte der Ausbildung der Kunst darauf an, das Product in seine Factoren zu zerlegen, so wird es zur Vermeidung einsei- tiger Resultate förderlich seyn, wenn der Archäolog mit dem Naturforscher Hand in Hand gehet. Bei keiner Kunst leuchtet der Einfluss des Materials wohl mehr hervor, als bei der Baukunst. Auf ihren niedrigsten Stufen erscheint sie ganz als ein Kind der Natur; und wenn sie sich gleich bei weiterer Entwickelung mehr und mehr der mütterlichen Leitung zu entwinden, und grössere Selbstständigkei: zu erlangen strebt; bei zunehmender Ausbildung auch ein sehr verändertes Wesen annimmt; so kann sie sich doch nie ganz von ihr losmachen, und den Charakter, die Physiognomie nicht verläugnen, welche sie von der mülterli- chen Natur ererbte. Bei keiner anderen Kunst ist die Ausübung durch das Material mehr an das Local gebunden; wird die Ausübung durch das Material mehr. auf bestimmte Formen und Verfahrungsarten geleitet, als bei der Bau- kunst. Ich will versuchen, dieses hier etwas genauer zu entwickeln. Dass die Baukunst so sehr von dem Locale abhängig ist, rührt haupt- sächlich von der Grösse und Schwere der Massen her, mit welchen sie zu thun hat, die einen weiten Transport des Materials erschweren. Im Allgemei- nen muss die Baukunst das Material der Gegend entnehmen, wo sie ausgeübt wird; und wenn sie dasselbe von entlegenen Orten herbeischafft, so geschieht solches gewöhnlich nur für einzelne Prachtgebäude; oder bei solchen Materia- lien welche zur Ausschmückung dienen; oder wenn die Wichtigkeit des Zweckes den grossen Aufwand aufwiegi; und besonders dann, wenn das Wasser die Forischaffung erleichtert. — Antiochien verwandte zu architektonischen Zwecken Granit aus Oberügypten 2); Rom bezog aus Griechenland , aus Klein- 2) Car. Odofr. Müller, De Antiquitatibus Antiochenis. L $. 22. Comment. Societ. Reg. scient. Gotling. recent. Vol. VIII. p. 261. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 7 asien 5), aus Afrika, von Luna, Marmor für seine Prachtgebäude; in späterer Zeit Venedig die Quader für seine Palläste und Kirchen aus Dalmatien. Das Königliche Schloss zu Kopenhagen ist aus Pirnaer Sandstein gebauet, und zu den ausge- zeichnetsten Gebäuden in Amsterdam, haben die Steinbrüche der Grafschaft Schaumburg das Material geliefert. In neuester Zeit haben die Eisenbahnen die Fortschaffung schwerer Massen nach entlegenen Gegenden bewunderns- würdig erleichtert; und zu den mannichfaltigen Umwandlungen welche sie her- beiführen, wird man es künftig auch zu zählen haben, dass sie dem Bauwe- sen eine weit grössere Unabhängigkeit von den Localverhültnissen gewähren, als demselben früher zu Theil werden konnte. Schon jetzt sehen wir Folgen davon in unserer Nähe. Nicht bloss wird der weiche Kalkstein der nördli- chen Chausseestrecken im Hannoverschen durch den härteren Basalt unserer Berge ersetzt werden können; nicht bloss liefert gegenwärtig der Euphotid von Harzburg am Harz das trefflichste Material für die Braunschweigischen Chausseen, und die ausgezeichnetsten Pflastersteine für Hannover; sondern selbst der Granit der bis vor Kurzem fast ganz unverritzten Felsen des Har- zes, gelangt nunmehr in den gróssten Quadern nach entfernten Orten, selbst bis Danzig. - Indem die Baukunst im Allgemeinen das Material wühlen muss, was in der Nähe zu haben ist, und das Material, wie bald weiter gezeigt werden wird, einen grossen Einfluss auf die Bauformen und das Bauverfahren ausübt, so kann es nicht auffallen, dass nach den verschiedenen Localitäten Bauwerke und Bauverfahren oft-sehr abweichend sind; dass in verschiedenen Ländern und Gegenden die Entwickelung der Architektur einen ganz abweichenden Gang genommen; dass dagegen aber auch zuweilen an weit entfernten Orten,, ähnliches Material, ähnliche Bauformen und gleiches Verfahren hervorgerufen haben. Es ist daraus zum Theil zu erklären, dass die Baukunst in Aegypten sich auf ganz andere Weise entwickelt hat, als in Griechenland; dass aber dagegen die aus dem Alterthume erhaltenen Bauwerke Aegyptens in vielen Stücken auffallend manchen Indischen gleichen. Findet man an entfernten 3) Charles Texier, Streifereien durch Kleinasien. Annalen der Erd-, Völker- und Staatenkunde. 1837. S. 331. 8 JOH. FRIEDR. LUD W. HAUSMANN. Orten Ähnlichkeit in den Bauwerken, so ist man oft geneigt eine Verpflanzung von dem einen Orte nach dem anderen anzunehmen. Ohne Zweifel hat eine solche häufig statt gefunden. Es kommen aber auch Uebereinstimmungen in Bauformen vor, wo an keine Verpflanzung und Nachahmung zu denken; so wie der Mensch überhaupt oft an verschiedenen Orten dieselben Materialien benutzt, ohne darüber auf andere Weise als durch die Natur und das Bedürf- niss belehrt zu seyn. Der Gebrauch des Asphaltes zum Mörtel auf Trinidad ist sicherlich keine Nachahmung von der gleichen Anwendung, welche man im Alterthum zu Babylon davon gemacht. Wurde eine gewisse Art zu bauen von einem Orte zum andern verpflanzt, so wurde solches doch auch móglich gemacht durch das Vorhandensein eines den Formen und dem Verfahren ent- sprechenden Materials. Die Römer übertrugen ihre Art zu mauern nach Spa- nien, wie и, A. die Baureste von Italica es zeigen ; und die Araber verpflanzten eben dahin die Pisé-Arbeit, wie man an vielen grossen Mauerresten z. B. zu Granada und Sevilla es siehet. Beides war móglich, weil für jene hóchst abweichenden Arten zu mauern das Material vorgefunden wurde. Unmöglich würe es aber gewesen, den durch gewaltige Sandsteinquadern bedingten Bau der Aegyptischen Tempel und Palläste mit den Backsteinen Babylons aus- zuführen. Zuweilen ist die Möglichkeit ein Baumaterial in der Nähe zu haben , dar- an Schuld, dass man gewisse Anwendungen von einem Material macht, wel- ches für solchen Gebrauch keineswegs vortheilhaft ist. So wurde im Alter- thum zu Volaterrà der Alabaster zum Strassenpflaster benutzt *); gleich wie man vor längerer Zeit bei Tiede im Braunschweigischen den dortigen wasser- freien Gyps sehr unzweckmässig für den Chausseebau angewandt hat. Das- selbe Gestein wird an einigen Orten sehr unpassend bei dem Häuserbau, z. B. zu Thür- und Fensterstöcken benutzt, die dann nach einiger Zeit durch An- ziehung von Wasser, womit eine bedeutende Volumenvergrösserung verknüpft ist, aufbersten oder wohl gar sich krumm ziehen. Auch giebt die Nähe eines seltenen Materials, welches, indem man es aus der Ferne erhält, nur bei Pracht- gebäuden, zu architektonischen Ornamenten, äusseren oder inneren Bekleidun- 4) Die Etrusker von Karl Otfried Müller. 1. S. 245. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 9 gen angewandt werden kann, Veranlassung zu Verwendungen, wozu gewöhn- lich nur allgemein verbreitete Baumaterialien gebraucht zu werden pflegen. So besass Luna im Alterthume Ringmauern aus grossen Marmorblöcken der nahen Brüche 5); und so sieht man jetzt die kleine Kirche von Carrara in einem Marmorschmuck, um welchen manche Kathedrale sie beneiden möchte, Klimatische und andere Naturverhältnisse üben einen grossen Einfluss auf die Bauformen aus. Es kann in der einen Gegend eine gewisse Construction zweckmässig seyn, die es in einer andern nicht ist. Im kalten Klima sucht man Wärme, im heissen Kühlung in den Gebäuden. In einem Thale eines hohen, mit Schneelavinen drohenden Gebirges, sind andere Bauformen als in der freien Ebene vortheilhaft. In den Südländern, in welchen im Winter kein Schneedruck auf den Dächern lastet, können diese flach seyn, welches im Norden nicht zulässig ist. Wo ein trocknes Klima herrscht, ist der Pisé-Bau vortheilhaft, der sich für ein feuchtes Klima nicht eignet. Das Material kann die Anforderungen, welche die klimatischen und andere Naturverhältnisse an die Architektur machen, begünstigen, aber auch in manchen Fällen ihre Be- friedigung erschweren; daher bei der Ähnlichkeit jener Verhältnisse in ver- schiedenen Gegenden, doch nicht immer ähnliche Bauformen angetroffen werden. Der Holz-Construction verdanken die Landhäuser im Canton Bern und in an- deren Theilen der nördlichen Schweiz ihre ausgezeichnete Zweckmässigkeit. Wie wenig auf Beschirmung und Behaglichkeit berechnet erscheinen dagegen die steinernen Häuser in den weniger bewaldeten Gegenden der Alpen und in den Pyrenäen. Wo der Mensch die Wahl unter verschiedenen Baumaterialien hat, wählt er, zumal für seine Wohnungen, zuerst das Holz, weil dieses am Leichtesten für den Bau zu gewinnen und zuzurichten ist. Nur der Mangel des Holzes bringt ihn dahin, zur unorganisirten Natur seine Zuflucht zu nehmen; und wird er dazu genöthigt, so pflegt sich jenes Material zuerst aus den Wänden zu entfernen, und am Längsten im Dache sich zu erhalten 6). Wo überall kein Holz zur Erbauung von Wohnungen gefällt werden kann, oder wo dasselbe 5) Die Etrusker von Karl Otfried Müller I. S. 243. 6) Handbuch der Archäologie der Kunst von K. O. Müller. 2. Ausgabe $. 270. S. 353. Phys. Classe. VIII. B 10 JOH. FRIEDR. LUDW, HAUSMANN. keinen hinreichenden Schutz gegen äussere Angriffe gewährt, sucht der rohere Mensch natürliche Höhlen auf. Nach Pausanias?) lebten die Ureinwohner Sardiniens zum Theil in solchen, und das alte Testament erwähnt deren manche in Palästina, welche theils beständig bewohnt wurden, theils zu Zufluchtsorten bei Verfolgungen dienten. Uebrigens hat die Benutzung natürlicher Höhlen nie sehr allgemein seyn können, theils weil sie überall nicht sehr häufig und auf gewisse Gebirgsformationen beschränkt sind, theils aber auch, weil man sie als den Aufenthalt wilder Thiere mied, oder weil ihre wunderbaren For- men und Auskleidungen, ihre unbekannte Ausdehnung, ihr schauerliches Dunkel und ihre geheimnissvolle Stille, die Phantasie aufregte, und Vorstellungen er- zeugte, welche den Aufenthalt in ihnen unheimlich machten. Im Alterthume bis zu den späteren Zeiten und in den verschiedensten Gegenden, haben sich an Felshöhlen Mythen und Sagen geknüpft, und sind die Menschen durch hei- lige Scheu oder Aberglauben vom tieferen Eindringen in dieselben abgehalten worden. Was die Gebirgsarten betrifft, in welchen natürliche Felshöhlen vor- kommen, so beschränken sie sich beinahe ganz auf Kalkstein, Dolomit und Gyps, daher sie im secundären Gebirge besonders zu Hause sind. Den kry- stallinischen Gebirgsarten sind sie im Allgemeinen fremd; und im vulkanischen Gebirge sind sie selten 8). Palästina ist durch seine Kalkformation das Land der Höhlen und Grotten, wie Carl Ritter es пеппі 9), und gleichfalls ist es Flötz- kalkstein, der auf Kreta den Reichthum an unterirdischen Grotten bedingt10). Dagegen zeichnet sich der grösste Theil des Nordens, wo krystallinische, von keinen secundären Gebirgsschichten bedeckte Gesteine, die grösste, am Wenig- sten unterbrochene Ausdehnung haben, durch den Mangel von Höhlen, durch das Fehlen von Spuren ehemaligen Troglodytenlebens aus. Durch die Benutzung natürlicher Hóhlen zu Wohnungen wird der Mensch 7) Graeciae descriptio. Lib. X. Cap. XVII. 8) Drei Stunden von Mexico ist ein vulkanischer Berg, el Peüon viejo genannt, in ` dessen Lava sich Hóhlen befinden, die vielen Familien zu Wohnungen dienen. S. v. Gerolt, in den Annalen der Vólker- und Staatenkunde von Berghaus М. S. 116. 9) Erdkunde. I. Ausg. II. S. 429. 10) Kreta. Von Karl Hoeck. 1. S. 43. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 11 leicht zur Bildung künstlicher geleitet, wofür ebenfalls Palästina einen so merk- würdigen Beleg liefert!!). Übrigens ist die Beschaffenheit des Gebirgsgesteins von grossem Einfluss darauf, dass die Vorrichtung künstlicher Hóhlen bald mehr erleichtert, bald mehr erschwert wird; und es kommt dabei hauptsächlich auf die mehrere Lockerheit oder Festigkeit, auf die Art der Structur, und dar- auf an, ob die Decke sich ohne besondere Unterstützung hält, oder ob sie künstlicher Stützen bedarf. Wo lockere Massen, die doch hinreichenden Zusammenhalt haben, in be- deutender Mächtigkeit anstehen, ist keine besondere Kunst erforderlich, um Aufenthaltsräume darin auszuhöhlen. Ein grosser Theil von Cullar de Baza, einem Städtchen an der Gränze von Granada und Murcia, besteht aus Höhlen, welche man in die dortigen thonig-'sandigen Hügel gegraben hat!?). Zu Guadir im Königreich Granada und in der benachbarten Gegend, hat in den dort mächtig aufgeschwemmten Lehm-Massen die niedrige Classe der Bevölke- rung zahlreiche Wohnungen angelegt 15). Im Dshefran- Districte, südlich von Tripoli, ist das Tafelland von einem fruchtbaren rothen Lehm bedeckt, in wel- chen die Bewohner ihre unterirdischen Wohnungen eingegraben haben !*). Die Trockenheit der Atmosphäre in den genannten Gegenden begünstigt die Anlage von Wohnräumen in einer Masse, welche bei feuchterem Klima nicht dazu geeignet seyn würde. Unter den Massen welche zur Bildung künstlicher Höhlen sich eignen, zeichnet sich der vulkanische Tuff vorzüglich aus. Wie dieses in der Cam- pagna von Rom, im alten Etrurien, und in einigen anderen Theilen Italiens weit verbreitete Gestein im Alterthume häufig zur Vorrichtung von Grabkam- mern benutzt wurde , so sieht man noch jetzt in einigen Gegenden Italiens künstliche Höhlen im Tuff von armem Volke bewohnt. In einigen Theilen 11) Nachrichten über die Hóhlenbauten in Palästina finden sich u. a. іп v. Schu- bert’s Reise nach dem Morgenlande. Ш. Alles darüber bekannt Gewordene enthält die Erdkunde der Sinai-Halbinsel, von Palästina und Syrien von Carl Ritter, zumal Bd. II. 12) Moritz Willkomm, Zwei Jahre in Spanien u. Portugal. Ш. 5. 8l. 13) Vergl. meine Kleinigkeiten in bunter Reihe. I. S. 137. 14) Ausland. 1850. S. 811. B2 12 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, von Kleinasien, namenilich im alten Phrygien, Galatien, Cappadocien, ist der daselbst in grosser Ausdehnung vorhandene vulkanische Tuff ebenfalls im Alterthum vielfach zu Hóhlenbauten benutzt, die zum Theil noch gegenwär- tig bewohnt werden 15). Im mittleren Frankreich, namentlich in Auvergne, finden sich im Basaltischen Tuff hin und wieder Reste ehemaliger Menschen- wohnungen. Diesem Gestein verwandt ist die als Trapp oder Mandelstein bezeichnete Gebirgsart!6), in welcher die bewundernswürdigen Grottentem- pel von Elora, Carli und anderen Orten im Gebirge der Ghats in Vorderin- dien ausgehóhlt worden 17). Mit der Zunahme der Festigkeit des Gesteines wächst natürlicher Weise die Schwierigkeit der Bildung von Hóhlenbauten. Die natürlichen Absonde- rungen des Gesleines kónnen dabei einer Seits die Arbeit erleichtern, an- derer Seits aber auch in so fern erschweren, dass sie Unterstützungen der Decke nóthig machen. [ш Allgemeinen sind es aber unter den festeren Ge- birgsgebilden, die stratificirten secundären, namentlich Sandstein- und Kalkstein- Formationen, welche die Bildung künstlicher Höhlen begünstigen, und unter diesen wieder solche, deren Schichten eine wagerechte Lage haben. Wo dieses Structurverhältniss sich findet, braucht nur eine Schicht, oder es brauchen bei weniger mächtigen Schichten, nur ein Paar über einander liegende, herausgebrochen zu werden. Besonders erleichtert wird diese Arbeit, wenn die festeren Schichten mit lockereren Massen abwechseln, wie solches bei Sandstein- und Kalkstein- Flötzen oft der Fall ist. Sollen die Räume eine grössere Ausdehnung erhal- ten, so liegt es sehr nahe, entweder einzelne Theile der Schichten als Berg- festen stehen zu lassen, oder von herausgebrochenen Steinen Pfeiler zu bilden. Sind Bäume in der Nähe, so führen diese leicht darauf, Stämme als Säulen 15) Ch. Texier, Streifereien durch Kleinasien. Annalen von Berghaus. 1835. S. 259. 266. William J. Hamilton, Researches in Asia minor, Pontus and Armenia. Cap. 44. 47. Transkaukasia von August Freiherrn von Haxt- hausen. Il. S. 63. 16) Lieut. Colon. Sykes, i. d. Transactions of the geological Society of London 2 Ser. IV. p. 17) Die Erdkunde von Asien, von Carl Ritter. Bd. IV. 1. Zumal $.673—687. Kunsthistorische Briefe, von Dr. А. H. Springer. 1.S.87 f. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 13 zur Unterstützung der Decke anzuwenden. Solche Verfahrungsarten waren bei den Hypogeen des Alterthums gewiss ebenso gewóhnlich, als sie es noch heutiges Tages bei unterirdischen Steinbrüchen sind. Jene begünstigenden Ver- hülinisse, wie sie sich in dem horizontal geschichteten Sandstein der Gegend am Nil, welche die Araber Djebel Selseleh nennen!8), so wie in dem Kalk- stein der Libyschen Bergkette 19) finden, waren es, welche die bewunderns- würdigen Hypogeen in Aegypten hervorriefen, und ähnliche geognostische Verhältnisse, zumal das Vorkommen von Sandstein, erleichterten in mehreren Gegenden von Indien 20) so wie auch in Transkaukasien , namentlich in der Nähe von God 21), die Anlage ausgezeichneter Hóhlenbauten. Doch hat man sich in Indien nicht damit begnügt, in weicheren Felsenmassen die be- wundernswürdigsten Tempel und andere Bauwerke auszuhauen, sondern man hat dort selbst im Granite solche Arbeiten ausgeführt, wie die merkwürdigen Trümmer der Felsenstadt Mahabalipuram zeigen 22). Wie das Vorkommen gewisser Gebirgsarlen in den verschiedensten Gegenden auf die Anlage von Hóhlenbauten geführt hat, sieht man in mehreren Ländern. So sind z. B. in Frankreich in einem an der Loire unweit Tours in Felsen anstehenden, zur Kreideformation gehörenden Kalkstein, wie in Palästina, zahlreiche Woh- nungen ausgehöhlt, in welchen armes Volk hauset 25), Die allergewóhnlich- ste und einfachste Art von Hóhlenbauten, welche zu allen Zeiten in den ver- schiedensten Gegenden ausgeführt worden, und wozu mannichfaltige Gebirgs- arten tauglich sind, wenn sie nur einen solchen Zusammenhalt haben, dass der ausgehöhlte Raum ohne künstlichen Ausbau sich hält, ist die Anlage von Fel- senkellern. 18) Die Erdkunde von Carl Ritter. 2. Ausg. I. 1. Afrika. S. 709—711. 19) Daselbst. S. 703. 20) Daselbst. S. 588. 825. 826. 21) Moritz Wagner, Reise nach Kolchis. S. 161. Freih. v. Haxthausen Trans- kaukasia. II. S. 57. ч 22) Ritter's Erdkunde von Asien. Bd. IV. 2. S. 322—327. 23) Vorletzter Weltgang von Semilasso. І. 2. S. 222. Mémoires sur les couches du sol en Touraine. Par Felix Dujardin. Mémoires de la Société géolo- gique de France. Il. p. 217. 218. 14 JOH. FRIEDR. HAUSMANN. Mit der Aushóhlung vonFelsenmassen ist ihre äussere Zurichtung zu archi- tektonischen Denkmáhlern nahe verwandt und oft genau verbunden. Diese Art von Architektur wurde ebenfalls durch eine nicht sehr bedeutende Festigkeit der Felsenmasse befórdert; wobei aber starke Absonderung des Gesteins we- niger vortheilhaft, im Gegentheil gleichmässiger Zusammenhang begünstigend seyn musste; daher in mächtige Bänke abgesonderter Sandstein, wie in eini- gen Gegenden von Indien, oder dichte Kalksteinmassen, wie in Persien, be- sonders dazu benutzt worden. Die äussere Bearbeitung von Felsenmassen zu architektonischen Zwecken verknüpft die Bildung künstlicher Hóhlen mit der Anwendung gebrochener und wieder zusammengefügter Steine zu Bauwerken. . Als man zum eigentlichen Bauen mit aus ihrer natürlichen Verbindung gelö- sten Steinen überging, wurden diese oft an den Orten wo sie gebrochen worden, unmittelbar wieder verwandt, wie man solches an manchen Bauresten sieht, die sich aus dem Alterthume erhalten haben. Zu den ausgezeichnetsten gehóren die bewundernswürdigen Ruinen von Persepolis, an denen die drei Abstufungen der Architektur, die Bildung von Grabmählern in Felsen, die äu- ssere Zurichtung der Felsenmassen, und der künstliche Bau mit gebrochenen Steinen, sich vereinigt finden, ganz so, wie es Ktesias und Diodor beschrie- ben haben?*). Hier wurde die Ausführung der Skulpturen durch die Beschaf- fenheit des Gesteins, des dichten grauen Kalksteins des Berges Rachmed, sehr begünstigt. Griechenland ist reich an Bauresten, an welchen die Verbindung der äusseren Bearbeitung, hin und wieder auch der Aushöhlung des anstehen- den Felsen und der Aufführung des Gebáudes an der Stelle wo die Steine gebrochen worden, wahrzunehmen ist. Es gehóren dahin u. a. die Ruinen des Bauwerkes bei Athen, welche von Einigen für das von Pausanias?5) er- wähnte Stadium des Attischen Herodes gehalten werden 26). Zahlreiche Über- reste von Felsenbauwerken finden sich im Peloponnes, unter welchen sich fol- gende besonders auszeichnen: die merkwürdigen Stadtruinen von Stymphalos, 24) Niebuhr's Reisebeschreibung "nach Arabien. Il S. 123. 150. Heeren’s Ideen. 3. Aufl. I. 1. S. 238 ff. 25) Lib. L Cap. XIX. 26) Eine Abbildung findet sich im illustrirten Familienbuche des österreichischen Lloyds in Triest. 1856. Bd. VI. Ht. 7. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 15 wo man, wie Curtius berichtet 27), auf dem nackten Felsen die alterthüm- lichen Bauanlagen Schritt für Schritt verfolgen kann; die Burg Samikon, wo die Benutzung des natürlichen Gesteins den Eindruck eines hohen Alters macht?3); das Theater am südóstlichen Fusse der Burg Larissa in Argos, i welchem der grósste Theil des Zuschauerraumes im lebendigen Felsen ausge- höhlt ist 2?); das in Felsen ausgehauene Theater von Sikyon 50); die Reste verschiedenartiger Felsenbauten zu Korinth5!), so wie am Vorgebirge Tae- maron5?). Auch auf Euböa finden sich Spuren von ähnlichen Bauwerken 55). Die Benutzung anstehender Felsen zu Bauwerken der verschiedensten Art hat sich aus dem Alterthume bis zur gegenwärtigen Zeit fortgepflanzt. Bursian bemerkt 5+), dass die in den Felsen gehauenen Hausplätze (oixsmed«), die sich an vielen Orten Griechenlands, besonders zahlreich auf den Hügeln Athen’s finden, einer zwar alten, aber durchaus historischen Zeit angehören. Man bauete die Seitenwände unmittelbar auf den geebneten Felsboden, oder stellte auch, wenn natürliche Seitenwände durch den Fels selbst dargeboten waren, aur eine gleiche Höhe derselben durch Mauerwerk her, und legte das Dach darauf. Es ist gar nichts Seltenes, dass ganz rohe, oder mehr und weniger behauene Felsen, zur Bildung eines Theils der Wände von Gebäuden benutzt werden. Besonders häufig findet man solches an Orten, wo Sandstein in mächtigen Bänken mit senkrechten Absonderungen anstehet. Beispiele liefert der Quadersandstein in Sachsen und Böhmen, der bunte Sandstein zu Reinhausen bei Göttingen. In Sydney in Australien sind einige Strassen in dem Sandsteinfel- 27) Peloponnesos. 1. S. 204. 25) Daselbst. S. 78. 29) Chr. A. Brandis, Mittheilungen über Griechenland. I. S. 185. Curtius, а. а. О: 8. 352. 30) Curtius, a. а. O. S. 490. 31) Daselbst S. 525. 527. 32) Dr. Bursian, Über das Vorgebirge Taenaron, i. d. Abhandlungen d. kón. Baye- rischen Akademie d. W. 1. Cl. VIL. 3. S. 4. (776.) 33) Conr. Bursian, Quaestionum Euboicarum Capita selecta. 1856. p. 42. 34) Über das Vorgebirge Taenaron, a. a. О. S. 8. (780.) 16 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN. sen ausgehauen, auf welchem die Stadt erbauet ist, und man gelangt in ein- zelne Häuser durch Treppenfluchten, die auf gleiche Art vorgerichtet sind 55). In Gegenden welche arm an Holz und Felsen sind, wurde der Mensch leicht darauf geführt, Lehm und Thon, diese sehr verbreiteten, und ohne grosse Mühe zu gewinnenden Materialien, auf die eine oder andere Weise zu formen, und zum Bauen zu benutzen. Ehe der Mensch den Gebrauch von Werkzeugen aus Eisen und Stahl kannte, war er auf dieses, ohne solche zu erlangendes Material vorzüglich angewiesen. Dadurch, dass Theile des festen Felsen zersetzt und durch Wasser fortgeführt, geschlàmmt, und über die Ober- fläche verbreitet wurden, hat die Natur dem Menschen fast überall die Gele- genheit dargeboten, sich, ehe noch die Künste bedeutende Fortschritte gemacht, mit Leichtigkeit einen unentbehrlichen Baustoff zu verschaffen. In der frühe- sten historischen Zeit war man mit dieser Benutzung der erwühnten Materia- lien bekannt. Das Brennen der geformten Thonsteine war ein Fortschritt in der Kunst, der doch aber auch schon sehr früh gemacht worden. Der Thurm von Babel sollte aus gebrannten Ziegeln erbauet werden 56); so wie auch in Aegypten schon zu Mosis Zeilen, gebrannte Ziegelsteine bekannt waren 57), Wo man die Wahl zwischen Stein und Thon hatte, fand man es gewöhnlich bequemer, künstliche Steine zu benutzen; daher man im Alterthume gerade so wie in der neueren Zeit, zu den gewöhnlicheren Häusern in den Städien und auf dem Lande häufig theils Luftziegel, oder statt dessen den Pisé-Bau— ` gestampfte Lehmwände — theils Backsteine, und nur zu Prachtgebäuden, so wie oft zu Ringmauern, Bruchsteine und Quader anwandte. Das zeigt die Geschichte der Aegyptischen Architektur so gut, als die der Griechischen und der Rómischen. Wo die Benutzung von Holz in Verbindung von Luftziegeln oder Backsteinen möglich war, wurde auch schon im Alterthume, an manchen Orten, z. B. in Athen, zu den minder ansehnlichen Privatgebäuden, Fachwerk angewandi58), welches doch aber einen bedeutenderen Fortschritt in der Bau- 35) John Askew, A Voyage to Australia and New Zealand. Daraus i. d. Ausgb. allgem. Zeitung. 1858. Beil. zu Nr. 9. S. 142. 36) I. Mos. ХІ. З. 37) П. Mos. 1. 14. V. 7. 38) Müller's Archäologie. 2. Ausg. $. 270. S. 353. ÜBER DEN EINFLUSS D.BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D ARCHITEKTUR. 17 kunst voraussetzt, indem die Ausführung schwieriger ist, als die Aufführung von Wänden ganz aus Holz mit über einander gelegten Stimmen, oder ganz aus Stein. : Ging der Mensch zur Benulzung gebrochener natürlicher Steine über, so lag es in der Natur der Sache, dass er zuerst dieselben anwandte wie er sie fand, und sie unbehauen zusammenfügte, wie man es z. B. an manchen soge- nannten Kyklopenmauern sieht, und dass er erst später darauf kam, sie sorg- füliger zu bearbeiten, und künstlich mit einander zu verbinden. Indem er die- sen Weg einschlug, konnte die Art des Vorkommens und die natürliche Ge- staltung des Gesteins, nicht ohne Einwirkung auf das Bauverfahren bleiben, und selbst bei einer weiteren Ausbildung der Baukunst, mussten die natürli- chen Eigenschaften der Gesteine stets einen gewissen Einfluss auf ihre Aus- übung behaupten. | Unter allen Eigenschaften der Felsmassen ist vielleicht keine von grós- serem Einfluss auf ihre Benutzung zum Baumaterial, als ihre natürliche Abson- derung. Das Daseyn oder der Mangel von Absonderungen erleichtert oder erschwert die Gewinnung; die Formen der abgesonderten Stücke bedingen die Arten der Benutzung, und üben zugleich einen nicht zu verkennenden Einfluss auf gewisse Formen der Bauwerke aus. Bei der Absonderung der Felsmassen kömmt in Beziehung auf Architektur hauptsächlich Folgendes in Betracht: 1) Die Frequenz der Absonderungen und die damit zusammenhängende Grösse der abgesonderten Stücke. | 2) Die Verbindungsart der Absonderungsehenen und die davon abhängende Gestalt der abgesonderten Stücke. 3) Das Verhalten der Absonderungen zur Gebirgsmasse. In der Frequenz der Absonderungen und der davon abhängigen Grösse der abgesonderten Stücke liegt eine der wichtigsten Bedingungen für die Be- nutzung der Gesteine. Es lassen sich in dieser Hinsicht drei Hauptabstufungen unterscheiden: а. Geringe Absonderung, wie oft bei dem Granite, Syenite, Diorite, und ei- nigen anderen krystallinischen, sogenannten massigen Gesteinen. Phys. Classe. VIII. C 18 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, sr Mässige Absonderung, wie bei den mehrsten Sandsteinen, Conglomera- ten, vielen Kalksteinen, dem Basalte, dem Trachyte. . Starke Absonderung , wie bei den schiefrigen und dünn geschichteten Gesteinen, bei manchen Porphyren, manchen Kalksteinen. e Felsmassen, die wie der Granit wenige Absonderungen zu haben pflegen, sind, abgesehen von der Festigkeit, Härte und anderen in Beziehung auf die Benutzung wichtigen Eigenschaften, am Schwierigsten zu gewinnen. Man ist gewöhnlich genóthigt, Sprengarbeit dabei anzuwenden. Vor Erfindung des Schiesspulvers war daher die Schwierigkeit der Gewinnung noch sehr viel bedeutender; aus welchem Grunde die Herstellung der Aegyptischen Obe- lisken ungleich grösseres Staunen erwecken muss, als die Bearbeitung der zu Petersburg errichteten kolossalen Alexanders-Sáule. Abwesenheit von Abson- derungen ist übrigens Hauptbedingung für die Bearbeitung von Monolithen von solcher Grósse; daher überhaupt nur wenige Gesteinsarten dazu geeig- net sind. Die Schwierigkeit der Gewinnung ist ein Hauptgrund, dass man von Gesteinen mit sehr wenigen Absonderungen in der Architektur nur eine beschränkte Anwendung macht, indem man sie besonders bei Prachtbauten und zu einzelnen Architekturstücken, z. B. zu Säulen verwendet, und sie zu sol- chen Bauwerken gebraucht, bei welchen ihre Festigkeit von besonderer Wich- tigkeit ist, wie zu Brücken, zu Quai's. Mässige Absonderung der Masse ist das Structurverhältniss, welches nicht allein die Gewinnung, sondern auch die Benutzung der Steine zur Maue- rung besonderS begünstigt. Von den untergeordneten Modificationen der Fre- quenz der Absonderungen hängt die Grösse der einzelnen Stücke ab; daher darin eine Bedingung liegt, ob ein Gestein zum Quaderbau oder nur zur ge- wóhnlichen Mauerung anwendbar ist. Sind Gesteine stark abgesondert, kommen sie in dünnen Schichten vor, wie bei den schiefrigen Gesteinen, dem Thonschiefer, Glimmerschiefer, Gneus, Sandsteinschiefer, Kalkschiefer, u. A., oder sind die abgesonderten Stücke nach sámmtlichen Dimensionen klein, wie oft bei Porphyr, Kieselschiefer, man- chen Kalksteinen, so sind sie zu Mauerungen weniger, oft gar nicht geeignet, wenn sie gleich oft zu gewissen anderen Anwendungen bei dem Bauwesen brauchbar seyn können. Die dünn geschichteten sind zu Platten für Fussböden, ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR 19 zu Bekleidungen, die schiefrigen bei gewissen Beschaffenheiten zum Dach- decken geeignet; die anderen sind, zumal bei grósserer Härte, bei dem Stras- senbau zum Steinschlage anwendbar; welche Benutzungsart gerade durch die starke Absonderung erleichtert. wird; so wie auch die Gewinnung dadurch be- günstigt werden kann. Die starke Absonderung des Kieselschiefers trägt nebst seiner Нагїе dazu bei, dass dieses Gestein zu den vortheilhaftesten Materialien für den Chausseebau gehört. Das Zweite, was hinsichtlich der Absonderung von Einfluss ist, besteht in der Verbindungsart der Absonderungsebenen, und der davon abhängigen Gestalt der abgesonderten Stücke. Die Absonderungsebenen sind entweder unter mehr und weniger bestimmten Winkeln verbunden, wodurch die abge- sonderten Stücke eine regelmässige, oder wenigstens dem Regulären genüherte Form erhalten; oder die Verbindungsart ist eine unbestimmte, und daher die Absonderungsform eine unregelmässige. Bei der regelmässigen Absonderung wird ein Hauptunterschied wahrgenommen, indem die Form der abgesonder- ten Stücke entweder eine parallelepipedische, oder eine prismatische ist. Im ersteren Fall ist die Verbindungsart der Absonderungsebenen bald eine recht- winkelige, bald eine schiefwinkelige. Findet jenes Statt, wie es besonders bei stratificirten secundären und tertiären Gebirgsarten, namentlich bei Sand- steinen, Conglomeraten und manchen Kalksteinen und Dolomiten, doch aber auch nicht selten bei einigen nicht stratificirlen, z. В. bei dem Granite, Syenite Diorite, vorkommt, so liegen wieder in den Verhältnissen der gegenseitigen Entfernungen der Absonderungsebenen, und den davon abhängigen Formen der abgesonderten Stücke Unterschiede; diese sind nehmlich bald kubisch, bald block- oder quaderfórmig, bald pfeilerfórmig, bald platten- oder tafelförmig. Auch bei schiefwinkeliger 'Verbindung der Absonderungsebenen kommen un- tergeordnete Verschiedenheiten vor, indem die abgesonderten Stücke bald mehr von gleichen Dimensionen, bald mehr platten- oder tafelfórmig sind, welche Unterschiede sich u. a. bei der Grauwacke finden. Modificationen der pris- matischen Absonderung werden bewirkt: theils durch die abweichende Anzahl der Seitenflächen, indem drei-, vier-, sechs- und mehrseitige Prismen vorkom- men, theils durch das abweichende Verhältniss der Länge der Prismen zu den Querdimensionen, theils durch weitere Abtheilungen der Prismen, indem C2 20 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, ihre Querabsonderungen bald weiter von einander entfernt, bald mehr einander genähert sind. Diese Art der Absonderung ist im Ganzen weit seltener als die parallelepipedische, und vorzüglich den danach benannten Säulengebirgsarten eigen, zumal dem Basalte und manchen ihm verwandten Gebirgsarien, dem Dolerit, Trapp, Leucitophyr, so wie auch manchem Trachyt und Porphyr. Es ist wohl nicht zu verkennen, dass die Formen, welche die Gesteine von Natur besitzen, einen nicht unbedeutenden Einfluss auf ihre Verwendung in der Baukunst haben, indem davon zum Theil ihre leichtere oder schwieri- gere Bearbeitung abhängt. Zuweilen haben die Steine durch die natürlichen Absonderungen schon eine solche Gestalt, dass sie zur Verwendung nur einer geringen, vielleicht gar keiner Nachhülfe bedürfen, wogegen bei anderen die nöthige Form ganz durch die Bearbeitung ertheilt werden muss. Es ist un- gleich leichter einen von Natur in regelmässige Quadern abgesonderten Sand- stein zu vollkommen schliessenden Quaderstücken zuzurichten, als einem weni- ger regelmässig gebildeten Kalkstein eine gleiche Vollendung zu geben. Darf man sich darüber wundern, dass die natürlichen Formen der Steine bei den Anfängen der Baukunst einen Einfluss auf die Bauformen und das Bauverfah- ren gehabt haben? Als man noch die Steine in Mauern zusammenfügte, ohne sie zu behauen, war es nicht einerlei, ob sie schon von Natur eine Quader- form, oder ob sie unregelmässige, vieleckige Gestalten hatten. Wo das Erstere .der Fall war, wie solches bei den Sandsteinen und Conglomeraten so gewóhn- lich ist, wurde der Mensch von selbst darauf geführt, sie in wagerechten La- gen so über und an einander zu fügen, wie sie von Natur über und an ein- ander gefügt waren; es wäre ja erst eine mühsame künstliche Bearbeitung erforderlich gewesen, um die Quaderstücke eines Sandsteins in die polygo- nen Formen einer Kyklopenmauer umzuwandeln. Man würde auf diese Con- struction schwerlich gekommen seyn, hätte nicht das natürliche Vorkommen von Bausteinen in unregelmässigen vielseitigen Stücken ‚ wie solche bei man- chen-Kalksteinen, aber auch bei einigen anderen Gebirgsarten sich finden, dar- auf geführt. Mag die Meinung die richtige seyn, dass die kyklopische Bauart in Italien nicht eigentlich einheimisch, sondern dahin verpflanzt sey, so muss doch einleuchten, dass sie gerade da, wo sie vorzüglich sich findet, in der Náühe der Kalk-Apenninen, in dem Felsenlande der Herniker, und in den be- ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR 21 nachbarten Gebirgsgegenden, durch die natürliche Form des Materials auf ähn- liche Weise besonders begünstigt wurde, als solches in Kleinasien und Grie- chenland bei den dort zu den Kyklopenmauern benutzten Gesteinen der Fall war. Anders verhielt es sich in einem grossen Theile vom alten Etrurien, abgesonderten Sand- wo das Vorkommen eines steins, des sogenannten Macigno, die жанын grosser Quader möglich machte, wie man sie in den Mauerresten Etruskischer Städte, namentlich in denen von Volaterrä, Fäsulä, Cortona siehet. Ich würde diese Ansicht mit grösserer Schüchternheit äussern, wenn ich nicht darin mit einem bewährten Alterthumsforscher zusammenträfe, dessen auf viele Anschauungen gegründetes Urtheil ein weit competenteres als das meinige is. Ludwig Ross berich- tet 59), dass auf der Griechischen Insel Dolichiste eine Menge christlicher Trümmer vorhanden sind, die in die frühesten Jahrhunderte des Christenthums zurückgreifen müssen: Kirchen und Wohnhäuser aus polygonischen Blöcken mittlerer Grösse, die durch Kalkmörtel verbunden sind, auf das Sorgfältigste und Zierlichste erbauet, und bemerkt zugleich, dass sie nebenher emen hüb- schen Beitrag zu dem Beweise abgeben, dass die polygonische Bauart, weit entfernt ein Zeichen barbarischen Ungeschickes der urältesten Volksstämme zu seyn, weit entfernt unfehlbar auf Pelasger und Aboriginer schliessen zu lassen, vielmehr ein Ergebniss der Beschaffenheit des Materials war, und sich daher überall und in allen Zeiten wiederholt findet, wo der Baustein, wie hier der harte Kalkstein, anderswo der Granit, beim Zersprengen in unregelmässige Blöcke bricht, und man sich die unnöthige Mühe ersparen wollte, ihn erst in regelmäs- sige Quader zu zerschneiden. Schon bei einer früheren Gelegenheit *9) erwähnt Ross in Beziehung auf den polygonischen Mauerbau, dass er auch in den Holsteinischen Bauerdórfern in den Fundamenten der Häuser, in den Einfas- sungsmauern der Hófe manches schóne Probestück kyklopischer Bauart be- merkt, und den Grund dafür in der Natur der heimischen Granitblöcke gefun- den habe, die bei'm Zersprengen iu unregelmässige vielseitige Blöcke zerfallen, welche der arglose, aber mit gutem Augenmasse begabte Bauer, um sich zweck- 39) Kleinasien und Deutschland. 1550. 5. 8—9. 40) Reisen auf den griechischen Inseln des ägäischen Meeres. 1845. 22 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, lose Mühe zu ersparen, polygonisch zusammenfügt, ohne dass er bis jetzt zum Selbstbewusstseyn seines uranfänglichen, vorgeschichtlichen Kyklopenthumes ge- langt ist, nicht mehr und nicht minder, als die alten Hellenen. Auf dieselbe Betrachtung bin ich durch ähnliche Wahrnehmungen in verschiedenen Gegenden der norddeutschen, mit aus Schweden abstammenden Blöcken krystallinischer Gesteine übersüeten Sandniederung geführt worden. Auch darin stimme ich nach den an einigen Resten polygonischen Mauerbaues in Italien, besonders an der Stadimauer von Fondi gemachten Beobachtungen , mit dem von Ross Geäusserten überein, dass die Construction der sogenannten Kyklopenmauern keinesweges so kunstlos ist, als sie vielleicht bei einer flüchtigen Betrachtung erscheint, sondern eine wohl überlegte und sorgfältige Technik erkennen lässt; worüber eine von mir herrührende Notiz, nebst der Skizze von einem Theil der Stadtmauer von Fondi, sich in Kruse’s Hellas *1) findet, und wovon unten noch einmal die Rede seyn wird. Unter den verschiedenen Arten der Absonderung der Gesteine hat die pa- rallelepipedische, und zumal die rechtwinkelige, den bei Weitem grössten Ein- fluss auf die Architektur. Nicht allein ist diese Art ‘der Absonderung den Ge- steinen besonders eigen, welche in der Baukunst am Häufigsten benutzt wer- den, sondern es ist auch die Mannichfaltigkeit ihrer untergeordneten Modifica- tionen Ursache, dass sie die verschiedenartigsten Anwendungen begünstigt, indem z. B. die Quaderform für die Aufführung von Mauern, diese sowohl als auch die Plattenform für die Ueberdeckung offener Räume, die Pfeilerform für die Errichtung von Thür- und Fensterstócken, von Pilastern, die Bearbeitung der Steine erleichtert. Hierzu kommt noch, dass wenn es erforderlich ist den Baustücken durch Behauen eine von der natürlichen Absonderungsform mehr und weniger abweichende Gestalt zu geben, z. B. für die Construction von Gewölben, für die Bildung von Säulen und überhaupt von Architekturstücken mit gebogenen Begränzungsflächen, die Zurichtung der Steine in den mehrsten Fällen bei keiner Art von Absonderung geringere Schwierigkeiten hat, als bei der parallelepipedischen. In vielen Fällen liegt eine besondere Begünstigung für das Bauwesen noch darin, dass in ein und derselben Felsmasse verschie- 41) L S. 438. Tab. I. Sect. Ш. Fig. 5. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 23 dene Modificationen der parallelepipedischen Absonderung vorkommen, indem es z. B. bei dem Sandstein, so wie bei manchen Conglomeraten und Kalkstei- nen oft der Fall ist, dass in derselben Gebirgsmasse Bänke die sich zur Ge- winnung von Quaderstücken eignen, mit Schichten abwechseln, welche platten- förmige Bausteine darbieten. Auch lässt sich mannichmal eine Abänderung des Parallelepipedischen, namentlich die Pfeilerform, wie sie u. a. bei manchen Do- lomitischen Gesteinen ausgezeichnet sich findet, zu verschiedenartigen Baustü- cken verwenden, indem man sie z. B. in vielen Fällen auch zu Quadern be- nutzen kann. Wo der Felsmasse welche das Baumaterial liefert, nur die eine oder andere Modification der parallelepipedischen Absonderung eigen ist, kann hierin eine Beschränkung für die Anwendbarkeit des Gesteins zu verschieden- artigen Zwecken liegen, und wohl zu einem technischen Verfahren nöthigen, welches bei einer anderen Absonderungsform nicht erforderlich seyn würde. Es versteht sich dabei von selbst, dass hinsichtlich der Brauchbarkeit des Ge- steins für bestimmte Zwecke keinesweges bloss die Gestalt der abgesonderten Stücke, sondern besonders auch die absolute Grösse derselben bedingend ist; dass also bei dem Einflusse der Absonderungen des Gesteins auf die Archi- tektur, die Frequenz derselben mit der Verbindungsart der Absonderungsebe- nen concurrirt. Dass diese Beschaffenheiten des Gesteins auf die Entwicke- lung des Baustyles im Allgemeinen von nicht minder grossem Einflusse ge- wesen, als auf das technische Verfahren im Besonderen, lässt sich wohl nicht verkennen. Der Bau der Tempel und Palläste im alten Aegypten hätte in der Art, wie er in den bis auf unsere Zeit erhaltenen Resten höchste Bewunde- rung erweckt, ohne die gewaltigen Sandsteinquader, welche dabei zu Gebote standen, nicht ausgeführt werden ‚können; und in einer ähnlichen Abhängigkeit erscheinen die Tempel zu Baalbeck von der erstaunlichen Grösse der in den dortigen Steinbrüchen gewonnenen Kalksteinquader *?), die Prachtbauten Athens 42) Lepsius fand in einem alten Steinbruche bei Baalbeck einen noch nicht ganz vom Felsen gelösten Baublock von 67 Länge, 14' Breite, 13,5 Dicke. (Briefe aus Aegypten S. 390.) v. Schubert sah daselbst einen ganz fertig gehauenen Steinblock, der nach der Messung des Dr. Erdl, 71 Bayerische Fuss (20,7 Meter) Länge, gegen 18 Fuss Breite und gegen 14 Fuss Dicke halte. (Reise nach dem 24 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, von der Natur des Penthelischen Marmors, so wie die Tempel von Pästum, von den mächtigen Quadern des in ihrer Nähe abgelagerten Travertins. Bei einer Bedeckung offener Ráume durch Quader oder Platten, findet die Weite jener in der Länge der Bausteine ein gewisses Maass. Layard bemerkt +3), dass die verhältnissmässig geringe Breite der Räume in den Ge- bäuden zu Nimrud gegen die Länge, der Assyrischen Baukunst eigenthüm- lich, und aus der Schwierigkeit zu erklären sey, eine grössere Weite zu über- dachen. Die Länge der zu Gebote stehenden Steine ist eine Bedingung für die Abstände von Säulen, die damit überdeckt werden sollen; so wie die Con- struction der Säulen selbst, und die Art der Ausführung mancher anderer Theile der Bauwerke, von den Absonderungen der Felsmasse, welche das Material dazu liefert, abhängig sind. Karl Bötticher zeigt **), dass die grosse Anzahl der Trommeln, aus welchen die Säulen am Parthenon zu Athen zusammengesetzt sind, daraus erklärlich wird, dass der Penthelische Marmor weniger in dicken Blöcken, als in dünn abgesonderten Massen bricht, und dass daher auch andere Seltsamkeiten der Structur herrühren, dass z. B. das Epi- stylion aus drei auf die hohe Kante neben einander gestellten Platten gebildet ist. Wie die Art der Absonderung der Felsmassen auf die Entwickelung der Baukunst und das technische Verfahren von Einfluss gewesen, dürfte bei kei- nem Theile der architektonischen Construction einleuchtender seyn, als bei der Ueberdeckung offener Räume. Wo Quader und Platten von grossen Dimen- sionen zu Gebote standen, wurde man von der Natur zur einfachsten Con- struction, zur Anwendung flacher Ueberdeckung geführt. Reichte die Länge der Steine für eine einfache Deckung nicht aus, so kam man weit eher dar- auf, durch allmäliges Vorrücken mehrerer über einander angebrachter Stein- lagen den offenen Raum zu schliessen, als ein wirkliches Gewölbe zu construi- ren, und dazu aus den grösseren Steinmassen keilförmige Gewölbsteine künst- lich zu hauen. Jene Construction, welche den Uebergang von der flachen Morgenlande. Ш. S. 318. Vergl. auch Letters on Egypt, Edom and the holy Land, by Lord Lindsey. П. р. i88. 43) Populärer Bericht über die ет zu Niniveh. Deutsch von Meissner. 1852. S. 65. 44) Die Tektonik der Hellenen. L S. 129. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 25 Bedeckung offener Räume zur wirklichen Ueberwölbung derselben bildet, findet sich u. a. an den mit den Mauern der Akropolis von Tirynth verbundenen Gängen #5) und in besonders merkwürdiger Weise, an dem Grabmale des Aga- memnon, oder wie Andere wollen, dem Schatzhause des Atreus bei Mykenä +6); ich selbst beobachtete sie an einer Wasserleitung bei Tusculum ^7); auch hat sie sich zu Norba, und an den sogenannten Nuraghen in Sardinien erhalten #8), Zur Gewölbconstruction führte weit eher das Vorkommen von Felsmassen mit abgesonderten Stücken von kleinen Dimensionen; so wie die Anwendung künstlicher Steine 49). Die prismatische Absonderung der Felsmassen hat nur selten Einfluss auf die Construction von Gebàuden, indem die Form der abgesonderten Stücke von der Art ist, dass die Steine gewóhnlich eine bedeutende Bearbeitung er- fordern, um für die Architektur brauchbar zu werden, diese Umformung aber zum Theil, namentlich bei dem Basalte, durch die Härte erschwert wird. Doch hat man die Basaltprismen hin und wieder vortheilhaft zu Mauern, besonders zu Stadimauern, angewandt, wie man es bei manchen Städten am Rhein zwi- schen Coblenz und Bonn sieht, deren Mauern auf die einfachste Weise durch horizontal über einander gelegte Basaltsäulen , deren Länge die Stärke der Mauer bildet, sehr fest construirt sind. Es ist dieses gewissermaassen eine Nachahmung der natürlichen Basaltmauern, die sich zuweilen finden, der soge- nannten Kämme (Dykes der Engländer), welche mit horizontal liegenden Pris- men sich aus der angränzenden Gebirgsmasse mehr und weniger erheben, und von dem Unkundigen für ein künstliches Gebilde angesprochen werden könnten. — Die prismatische Absonderung nebst der damit verbundenen Quer- absonderung der Prismen rechtwinkelig gegen ihre Achse, wie sie dem Basalte 45) Brandis, a. a. O. S. 182. 46) Donaldson, Antiq. of Athens, Suppl. p. 25. Brandis, a. a. О. S. 191. 47) Verg. Donaldson, a. а. 0. p. 31. Pl. 2. Nibby, Viaggio antiq. ne’ Con- torni di Roma. IL. p. 48. v. Rumohr, Ital. Forschungen. Ш. S. 224. 48) К. О. Müller’s Archäologie. 2. A. $. 166. Anm. 3. S. 170. 49) Ueber die allmálige Entwickelung des Deckenbaues finden sich überaus scharf- sinnige Bemerkungen in dem 1.Excurse zum 1. Buche der Tektonik der Helle- nen von Karl Bótticher. Bd. I. Phys. Classe. ҮШ. D 26 | JOH. FRIEDR. HAUSMANN, und einigen verwandten Gesteinen, namentlich dem Leucitophyr eigen ist, be- günstigt indessen einen besonderen Zweig des Bauwesens, die Pflasterung, im hohen Grade. Es ist ein grosser Unterschied zwischen einem aus gerun- deten Geschieben gebildeten Steinpflaster, wie man es in den norddeutschen Niederungen verbreitet findet, und einem Basaltpflaster, wie es u. a. Cassel und Göttingen besitzen. Die Absonderungen des Basaltes sind oft so regel- mässig, die Absonderungsflächen so eben, dass die abgesonderten, am Häufig- sten sechsseitigen Stücke oft nur wieder neben einander gestellt zu werden brauchen, wie die Natur sie zusammengefügt halte, um das dichteste und ebenste Pflaster zu geben. Die natürliche, vielseitige Prismengestalt des Leu- eitophyrs, der an mehreren Stellen der Campagna von Rom, u. A. am soge- nannten Capo di bove bricht, und auch in den Lavaströmen des Vesuvs zu- weilen jene Absonderungsform zeigt, ist von den alten Römern wie in neue- ren Zeiten, bei Landstrassen und in Städten zur Pflasterung benutzt. Die Via Appia und Via Flaminia verdanken jenem Gestein, welches die Römer unter dem Namen Silex mit begriffen, ihre bewundernswürdige Dauerhaftigkeit. Es ist durchaus irrig, dass den vieleckigen Steinen jener alten Strassen, wie Procop mit Bewunderung berichtet 50), und auch einige neuere Schriftsteller, “namentlich Hirt 51) und Stieglitz 52) annehmen, durch Behauen die polygone Gestalt gegeben worden. Веі genauer Untersuchung habe ich keine Spuren von Behauung, sondern nur natürliche Absonderungsflächen daran gefunden. Hinsichtlich der Absonderungen der Gesteine darf endlich auch das Ver- halten derselben zur Gebirgsmasse nicht ganz unbeachtet bleiben. Es kann hier nicht der Ort seyn, aus der Geognosie eine Darstellung der Verhältnisse zu entlehnen, in welchen die Absonderungen der Gesteine zur Gebirgsmasse stehen. Nur im Allgemeinen erlaube ich mir zu bemerken, dass in dieser Hinsicht die stratificirten Gebirgsmassen sich sehr verschieden von den nicht stratifieirten verhalten, und dass, da die ersteren für die Architektur die 50) Die Ausgrabungen an der Appischen Strasse. Augsb. a. Zeitung. 1853. Beilage zu Nr. 350. 51) Geschichte der Baukunst. Ш. S. 411. 52) Archäologie der Baukunst. II. 2. S. 141. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 27 wichtigeren sind, auch ihre Structurverhältnisse in dieser Beziehung vorzüg- liche Berücksichtigung verdienen. Schon eine oberflächliche Bekanntschaft mit ihnen wird es erkennen lassen, dass die Gebirgsstructur von grossem Einfluss auf die Gewinnung der Steine ist; dass solche dadurch eben so sehr erleichtert als erschwert werden kann, welches in Beziehung auf ihre An- wendung in der Architektur nicht gleichgültig ist. Es muss einleuchten, dass es für die Gewinnung des Baumaterials nicht einerlei ist, ob die Hauptabson- derungen der Bänke und Schichten gerade Ebenen bilden, oder ob sie Schich- tengewölbe, Sattel und Mulden darstellen; ob die geraden Absonderungen eine wagerechte, oder eine geneigte Lage haben, und ob sie im letzteren Falle einem Bergabhange conform geneigt sind, oder gegen denselben ein- fallen. Wenn in einer. Gebirgsmasse festere Bänke welche die Bausteine lie- fern, mit Schichten einer weicheren Masse wechseln, wie es so oft bei Sand- stein- und Kalkstein-Flótzen der Fall ist, so kann dadurch die Gewinnung der ersteren oft bedeutend erleichtert werden; wogegen sie nicht selten sehr schwierig ist, wo die ganze Gebirgsmasse aus unvollkommen abgesonderten Lagen eines festen Gesteins besteht. Abgesehen von dem Einflusse der Gebirgsstructur auf die Gewinnung der Bausteine, der hier nicht weiter erórtert werden kann, so ist doch auch wohl nieht zu verkennen, dass die natürliche Architektur, welche in den Felsmas- sen zur Anschauung kommt, zuweilen unvermerkt einigen Einfluss auf die Bauformen und auf das Bauverfahren gehabt hat. Wo der Mensch in den Felsenwänden horizontal über einander gelagerte Quadermassen erblickt, wie solehes in Aegypten in dem Sandsteingebirge der Fall ist, kann wohl nichts “ natürlicher seyn, als dass er die herausgebrochenen Massen auf ähnliche Weise wieder über einander fügt, wie er sie in der Natur über einander gefügt sieht. Waren bei dem Herausbrechen der mächtigen Bank einer ausgewählten Steinlage Unterstützungen der Decke erforderlich, die man entweder durch Pfeiler welche man stehen liess, oder durch Holzstämme bewirkte, so führte solches sehr leicht darauf i etwas Aehnliches in den Gebäuden durch Säulen aus Stein zu bewerkstelligen, welche die Erinnerung an den vegetabilischen Prototyp, in der Palmkronen- Verzierung der Kapitäler bewahren. Auch in der Aegyptischen Kalkregion sind in den beiden, das Nilthal einschliessenden 28 JOH, FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Bergketten, der Libyschen und Arabischen, nur horizontale Schichten zu se- hen. Indem sich von den hóher liegenden, durch Querabsonderungen zer- klüfteten Schichten Stücke ablösen, bilden sich, an den Felseneinhängen na- türliche Treppen. Diesen Kalksteinschichten wurde in Mittelàgypten das Haupt- material zu den Pyramiden entnommen, die zum Theil auf dem Kalkstein sich erheben. Ist es nun wohl so ganz unwahrscheinlich, dass auch hier jene na- türliche Felsenstructur auf den eigenthümlichen stufenfórmigen Aufbau geleitet hat, den uns Herodot beschreibt 55), und den man noch jetzt deutlich erkennt, indem die von ihrer Bekleidung entblóssten Stufen die Ersteigung der Pyra- miden möglich machen 5*)? Ез scheint mir daher, dass die Elemente des alt- ägyptischen Baustyles und Bauverfahrens in der eigenthümlichen natürlichen Ar- chitektur der dortigen Gebirgsmassen zum Theil wenigstens gefunden werden, welche Ansicht auch Carl Ritter so treffend und schón ausgesprochen hat 55), Eine ganz andere Richtung mussten die Schichtengewölbe gewisser Kalk- formationen anderer Gegenden, namentlich in Kleinasien, Griechenland und Italien den ersten Anfängen der Baukunst ertheilen. Wenn man die Kyklo- penmauern von Fondi und einigen anderen Städten in der Nähe der Apenni- nen sieht; weun man bemerkt, wie in der Form der Steine die natürliche, unregelmässige Absonderungsform vorherrscht, welcher man durch einiges Behauen nachgeholfen hat; wenn man, wie oben bereits bemerkt worden, bei genauerer Betrachtung sich davon überzeugt, dass die Zusammenfügung der ` polygonen Steine keinesweges so ganz unordentlich und willkürlich ist, als es auf den ersten Blick erscheinen móchte, indem die genau ohne Mórtel zu- sammengefügten trapezischen oder mehrseitigen Steine unregelmässige Ge- wölbe bilden, deren innere und äussere Räume so ausgefüllt sind, dass sämmt- liche Steine in einander greifend verbunden erscheinen; — so wird man un- willkürlich auf den Gedanken geführt, dass die oft mannichfaltig gebogenen Schichten des Kalksteins, denen man das Material entnommen, auf die Idee jener Construction einen Einfluss gehabt haben möchten, welche durch die natürliche Form der aus jenen Schichten gewonnenen Steine erleichtert wurde, 53) Hirt, Geschichte der Baukunst. 1. S. 55. 54) Niebuhr's Reisebeschreibung. 1. S. 198. Hirt, a. а. О. S. 57. 55) Erdkunde. 2. А. Т. S. 712. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 29 wogegen diese einen Quaderbau sehr erschwert, ja fast unausführbar ge- macht haben würde. ! Schon bei einer früheren Gelegenheit ist bemerkt worden, wie das ge- meinschaftliche Vorkommen verschiedenartig abgesonderter Gesteinslagen in einer Gebirgsmasse die Architektur dadurch begünstigen kónne, dass an der- selben Localität für verschiedene Zwecke geeignete Bausteine sich gewinnen lassen, worauf ich mich hier beziehen kann. Unter den Eigenschaften der Steine, welche hinsichtlich ihrer Benutzung in der Baukunst von Bedeutung sind, reihet sich an die äussere Gestalt zu- nächst ihr inneres Gefüge, ihre Textur. Es ist für den Gebrauch eines Ge- steins zum Bauen nicht gleichgültig, ob es krystallinisch oder conglutinirt; ob es gleichmássig dicht oder lócherig ist. Es stehen damit gewisse, in Bezie- hung auf Architektur wichtige physikalische Eigenschaften der Steine, Härte, Festigkeit, Biegsamkeit, Schwere, im genauen Zusammenhange. Die £rystallinischen Gesteine zeigen eine Hauptverschiedenheit, wonach sie sich in der Anwendung oft sehr abweichend verhalten: sie sind nehmlich entweder krystallinisch- kórnig, oder krystallinisch— schiefrig. Bei den kry- stallinisch - kórnigen Gesteinen kommen untergeordnete Verschiedenheiten vor, indem sie bald grob-, bald feinkörnig, bald fest-, bald loskörnig sind; und diese Modificationen finden sich eben sowohl bei Gesteinen, welche aus ver- schiedenen Fossilien gemengt, als bei solchen, welche ihrer Hauptmasse nach einfach sind; eben so gut bei" dem Granit, Syenit, Diorit, Euphotid, als bei dem Marmor und Dolomit. Krystallinische Gesteine von festem Korn gehören zu denen, welche sich vorzüglich zum Quaderbau, so wie zu Säulen und ar- chitektonischen Verzierungen eignen, welche eine vollendete Bearbeitung, eine sorgfältige Ebenung der Flächen, selbst oft eine hohe Politur gestatten, und zugleich besonders dauerhaft zu seyn pflegen. Die sorgfältige Bearbeitung wird durch ein feines Korn mehr als durch ein gróberes begünstigt. Bötti- cher bemerkt 56), dass die feinkörnige Textur des Penthelischen Marmors ei- 56) Die Tektonik der Hellenen. 1. S. 129. 30 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, nen so genauen Schluss der Trommeln, woraus die Säulen am Parthenon zu : Athen zusammengesetzt sind, móglich gemacht hat, dass die Fugen kaum wahrnehmbar sind, und die Säule wie eine monolithe Masse erscheint. Die zuvor erwähnten sind diejenigen krystallinisch - kórnigen Gesteine, welche am Häufigsten im Alterthum wie in neueren Zeiten in der Architektur benutzt wor- den, wiewohl sie theils wegen der Schwierigkeit der Gewinnung und Bear- beitung — wie es bei den Granite, Syenite, der Fall ist — theils wegen ihrer Seltenheit und wegen des Vorkommens in nicht sehr starken Lagen — wie bei Marmor und Dolomit — häufiger zu Säulen, Bekleidungen und ar- chitektonischen Verzierungen, als zum Quaderbau angewandt worden. Die- selbe Gesteinsart welche in festkórniger Beschaffenheit ein vortreffliches Baumaterial darbietet, kann im loskórnigen Zustande vóllig unbrauchbar seyn. Die lose Verbindung der Kórner ist entweder ursprünglich, wie bei man- chem Marmor und Dolomit, oder erst durch Verwitterung entstanden, wie solches oft bei dem Granite, z. B. so auffallend bei dem in Finnland mit dem Namen Rapakivi belegten, Oligoklas enthaltenden, der Fall ist. In Kopenhagen hatte man den loskórnigen Marmor von Giellebeck in Norwegen zum Bau einer Kirche gewählt, aber den halb vollendeten Bau wegen des Zerbröckelns des Bausteins wieder aufgeben müssen 57). Bei der Anwendung von Marmor und Dolomit in der Architektur darf eine Eigenschaft nicht über- sehen werden, welche sich zeigt, wenn diese Gesteine zu plattenförmigen Stücken verarbeitet worden, nehmlich die in einer geringen Verschiebbarkeit der körnigen Theile begründete Biegsamkeit, welche um so stärker ist, je weniger fest das Korn ist. Zu Pittefeld in Massachusetts in Nordamerika bricht ein loskörniger Marmor, welcher durch Biegsamkeit sich auszeichnet; aber selbst bei dünnen Platten des festkörnigen Marmors von Carrara ist diese Eigenschaft wahrzunehmen. Dass die härteren krystallinisch-körnigen Gesteine wie Granit, Syenit, Diorit, Euphotid, sich zu solehen Anwendungen im Bau- wesen eignen, für welche, gerade die Härte eine vorzügliche Eigenschaft ist, namentlich zu Trottoirs, zum Strassenpflaster, zum Steinschlage auf Chausseen, beweist der vortheilhafte Gebrauch, welcher nicht selten zu diesen Zwecken 57) Vergl. meine Reise durch Skandinavien. |. S. 325. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 31 von ihnen gemacht wird. Krystallinisch-schiefrige Gesteine sind in der Regel zum Quaderbau unbrauchbar, und zur gewóhnlichen Mauerung um so weniger anwendbar, je dünnschiefriger sie sind. Wenn daher ein dickschiefriger Gneus oft em brauchbares Material zum Mauern liefert, so ist dagegen ein dünnschief- riger Thonschiefer dazu gewöhnlich nicht vortheilhaft. Dabei können auch noch Verschiedenheiten der Nutzbarkeit darin liegen, ob das Gestein vollkommen schiefrig und daher leicht spaltbar, oder unvollkommen schiefrig, schwer zu spalten ist. Је vollkommner und leichter ein krystallinisch- schiefriges Gestein sich spalten lässt, um so weniger brauchbar ist es zum Mauern, um so anwendbarer dagegen zum Dachdecken, daher gewisse Abänderungen von Thon- und Glimmerschiefer besonders zu diesem Zwecke gebraucht werden, und zwar Thonschiefer weit häufiger als Glimmerschiefer. Die Porphyre vermitteln die Arystallinischen Gesteine mit den dichten, indem sie aus einer mehr und weniger dichten Grundmasse bestehen, von welcher einzelne krystallinische Theile, am Häufigsten Fe/dspath und ihm verwandte Fossi- lien, als Oligoklas, Albit, Labradorit, zuweilen Андй, Hornblende, Glimmer, Quarz, eingeschlossen werden. Die verschiedene Beschaffenheit der Grundmasse hat auf die Härte und Festigkeit des Gesteins Haupteinfluss. Kieselschiefer-, Hornstein-, Euryt- Porphyr, zeichnen sich durch hóhere Hártegrade aus; wogegen Trapp- porphyr (Melaphyr), Grünporphyr (Oligoklas- oder Labradorporphyr), Thon- steinporphyr, weniger hohe Grade von Härte besitzen. Da die mehrsten Por- phyrarten stark abgesondert, und daher von ihnen in der Regel keine grosse Massen zu erlangen sind, so hat man von ihnen nie eine so ausgedehnte An- wendung in der Architektur gemacbt, als die Schónheit dieser Gesteine er- warten lassen sollte. Auch erschwert bei den mehrsten Arten die Härte ihre Bearbeitung. Diese Eigenschaft ist aber Ursache, dass die Porphyre zu ge- schliffenen und polirten Arbeiten vorzüglich brauchbar sind, und sich daher für Säulen und anderen architektonischen Schmuck benutzen lassen. Dazu sind denn auch die Porphyre, mehr im Alterihume als in neueren Zeiten, be- sonders von den prachtliebenden Römern, angewandt worden, die sie u. a. zur Ausschmückung von Wasserbecken, zu Mosaik-Fussböden u. dergl. ge- brauchten. Die Römer bezogen die schönsten Porphyrarten aus Aegypten und Griechenland, aber auch aus dem Gebirge von Esterelle bei Fréjus im südli- 32 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, chen Frankreich, wo in der Nühe des Meeres noch Reste von den Brüchen sich finden, welche von den Rómern ausgebeutet wurden, die nicht allein in den Stüdten der Provincia Romana, zumal in Forum Julii Octavianorum, dem heutigen Fréjus, sondern auch zu Rom, von dem dortigen Porphyr in der Ar- chitektur Gebrauch gemacht haben 58). Die Рогрһугагіеп welche von den al- ten Römern vorzüglich verarbeitet wurden, sind der Aegyptische rothe Trapp- porphyr (Porfido rosso antico), und der Grünporphyr (Porfido und Serpentino verde antico) aus dem Peloponnes. Die aufgefundenen beiden Brüche des ersteren liegen nach Gardner Wilkinson5?) in einer etwa 45 geogr. Meilen betrageuden Entfernung von einander; der eine derselben an einer Anhöhe Namens Djebel Dok- han 60), etwa 45 geogr. Meilen vom rothen Meere, und 120 Meilen von Siout (Ly- copolis). Der Peloponnesische Grünporphyr kommt, wie C urtius berichtet 61), an den östlichen Abhängen des Taygetos vor. Die Brüche welche in alter Zeit aus- gebeutet worden, liegen nach der Angabe desselben auf den Hügeln oberhalb Stephania. Es wird von ihm bemerkt, dass der kosibare Stein nirgends in grossen zusammenhängenden Massen, sondern so zerklüftet vorkommt, dass nur selten reine Stücke von mehr als einem Fuss Durchmesser gefunden werden; dass er schwer zu bearbeiten ist, und für den Tempelbau der Hellenen nicht passte 62). An die porphyrartigen Gesteine reihen sich die dichten, welche sowohl mit jenen, als auch mit den krystallinischen oft durch unmerkliche Uebergänge verknüpft sind. Den letzteren Uebergang sieht man zuweilen ausgezeich- nei bei dem Marmor — z. B. bei dem zu Carrara brechenden — und dem Dolomite, welche krystallinisch-körnige Gesteine allmählig in dichten Kalkstein oder Bitterkalk verlaufen, an welchen oft jede Spur von krystalli- 58) Tessier, in einem in der Académie des sciences zu Paris gelesenen Aufsatz. ` Blätter für litt. Unterhaltung. 1833. $. 1128. Coquand, Mémoires de la Soci- été géologique de France. 2. S. Ш. p. 371 etc. i 59) Journ. of the geogr. Soc. of London. II. p. 42. etc. Gustav Leonhard, die Quarz-führenden Porphyre. 1851. S. 208. 60) Nach Lepsius: „Gebel Dochán". Briefe aus Aegypten. 1852. S. 321. 61) Peloponnesos. I. S. 34, - 62) Daselbst. И. S. 266. e ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR, 33 nischer Textur verschwunden ist. Da dichte Gesteine ungleich häufiger in der Erdrinde vorkommen als krystallinische, und manche derselben auch weit grössere Massen bilden als gewisse krystallinische Gesteine, so sind jene für die Architektur von ungleich grösserer Wichtigkeit als diese. Unter den dichten Gesteinen ist vom allergrössten Einfluss auf das Bauwesen, der Kalkstein ; ja es gehört der- selbe wegen seiner ausserordentlichen Verbreitung und wegen seines Vorkom- mens in den grössten Massen, zu den allerwichtigsten Baumaterialien. Seine ‚ ungemeine Nutzbarkeit wird ebensowohl durch eine vortheilhafte Verbindung von Eigenschaften, als auch durch die grosse Mannichfaltigkeit seiner Abände- rungen bewirkt, welche ihn zu den verschiedenartigsten Anwendungen in der Baukunst tauglich machen. Wo er in mächtigen Bänken bricht, ist er zu Quadersteinen brauchbar, deren Gewinnung und Bearbeitung oft durch regel- mässige natürliche Absonderungen erleichtert werden. Kommt er dagegen in dünnen Schichten vor, so liefert er Platten von den verschiedensten Stärken, deren Gewinnung ebenfalls oft durch die natürlichen Absonderungen begünstigt wird, und die oft keiner weiteren Zurichtung bedürfen. Der mittlere Grad seiner Härte erleichtert seine Bearbeitung, und die feste Verbindung seiner Theile begründet im Vereine mit seiner chemischen Natur, vermóge welcher er einer Zersetzung widersteht, seine Dauerhaftigkeit, welche an den Ueber- resten von Bauwerken aus dem frühesten Alterthume, die aus Kalkstein be- stehen, unsere Bewunderüng in so hohem Grade erregt. Wenn nun gleich der nicht bedeutende Härtegrad des Kalksteins für die mehrsten Arten seiner Anwendung bei dem Bauwesen vortheilhaft ist, so liegt doch darin der Grund, dass er sich zu Pflaster- und Chaussee-Steinen weniger eignet. Für die An- wendung zum Sleinschlage ist nicht allein seine geringe Härte, sondern auch die Eigenschaft desselben nachtheilig, dass er zermalmt, im trockenen Zustande stäubt, und im nassen schlammt. Eine Abänderung des Kalksteins, der Stink- kalk, ist für diese Benutzung besser als andere Varietäten, indem er wegen des Bitumen-Gehaltes im zermalmten Zustande mehr bindet. Unter den man- nichfaliigen Abänderungen des Kalksteins finden sich solche, welche durch Feinheit und gleichmässige Dichtigkeit, eine feinere Bearbeitung gestatten, und daher zu Säulen und architektonischen Verzierungen sich eignen. Aus ho- hem Alterthume haben sich hin und wieder, z. B. in den Felsengrübern des Phys. Classe. VIII. E 34 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Libyschen Gebirges in Aegypten, die feinsten in einem gleichmässig dichten Kalkstein ausgeführten Sculpturen erhalten 95). Gewisse Abänderungen des dichten Kalksteins besitzen ausgezeichnete Farben oder bunte Farbenzeichnun- gen, welche veranlasst haben, solche zum Marmor zu zählen, wenn ihnen gleich im mineralogischen Sinne dieser Name nicht zukommt. Diese farbigen Kalksteine sind im Alterthum wie in neueren Zeiten häufig zu architektoni- schen Verzierungen benutzt, und waren besonders bei den Römern beliebt. Unter den von diesen angewandten Abänderungen zeichneten sich die gelbe . (Marmor Numidicum, Giallo antico) und die rothe (Rosso antico) besonders aus. Unter den Varietäten des Kalksteins haben die reineren im Allgemeinen für die Anwendung als Baumaterial den Vorzug. Eine geringe Beimengung von Thon, welche eine Hinneigung zum Mergel bewirkt, vermindert seine Härte und pflegt ihn zur feineren Bearbeitung weniger tauglich zu machen. Ein Paar Abänderungen des Kalksteins verdienen hier noch eine beson- dere Erwähnung, wegen ihrer grossen Wichtigkeit für das Bauwesen: der Roogenstein ( Oolith) und der Tuffkalk. Der erstere hat seinen Namen von der Aehnlichkeit mit Fischroogen, welche früher die irrige Meinung veranlasste, dass er versteinerler Fischroogen sey. Bei übrigens dichter Beschaffenheit be- stehet er aus kleinen, oft sehr regelmässigen Kugeln, welche von Hirsenkorn- Grösse bis zur Erbsen-Grósse abändern, und unter einander so fest verbun- den sind, dass dieses Gestein zu den dauerhaftesten Abänderungen des Kalksteins gehört, wie die daraus bestehenden, zum Theil sehr alten Bau- werke an manchen Orten beweisen. Aus Roogenstein sind die grossen Kirchen und Thürme von Braunschweig und Halberstadt erbauet, und in eini- gen Gegenden von Frankreich ist er der allgemeine Baustein. Ein feinkörni- ger, fester, aber dabei leicht zu bearbeitender Roogenstein, der sogenannte Portlandstone, bietet ein treffliches Baumaterial für einen Theil von England und namentlich für London dar. Weit verbreiteter und darum für die Architektur von ungleich grósserer Bedeutung ist der Taffkalk oder Travertin, der zu den wichtigsten Baumate- rialien des Griechischen und Rómischen Alterthums gehórt, und bis auf den heutigen Tag in manchen Ländern und Gegenden für das Bauwesen unschätz- 63) Lepsius, Briefe aus Aegypten. S. 279. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR 35 bar ist. Der Tuffkalk ist durch einen Absatz aus kalkhaltigen Quellen gebildet, und findet sich oft in bedeutenden Ablagerungen auf dem Grunde ehemaliger Seen und Sümpfe. Seine Gewinnung ist daher gewóhnlich mit geringeren Schwie- rigkeiten verbunden, als das Brechen von ülteren Kalksteinen, welche in Berg- massen anstehen. Auch ist seine Verwendung zuweilen ohne mühsamen und kostbaren Transport möglich. So findet sich z. B. unmittelbar neben den Tempeln von Pästum der Travertin abgelagert, der das Material zu diesen aus- gezeichneten Bauwerken darbot; so konnten die gewaltigen Quader für das Amphitheater Vespasian’s, wie für die Peterskirche in Rom, in der benachbar- ten Campagna gewonnen werden. Der Tuffkalk kommt von sehr verschiede- nen Graden der Festigkeit vor, indem er bald den gewöhnlichen dichten Kalk- stein an Festigkeit übertrifft, bald so locker ist, dass er sich mit: der Axt oder Säge bearbeiten lässt, bald sogar einen völlig losen Gruss darstellt. Nicht selten wechseln in derselben Localität feste und lockere Lagen mit einander ab, wie man es an den Tuffkalk- Ablagerungen der hiesigen Gegenden sieht. Hierdurch ist dieses Gestein geeignet, verschiedenartige Anwendungen bei dem Bauwesen zu gestatten, indem mancher Tuffkalk die grössten Quader- und Gewölbsteine darbietet, und selbst zu Säulen und architektonischen Ver- zierungen sich verarbeiten lässt, wogegen andere Abänderungen zur Aus- mauerung von Fachwerk brauchbar sind. Der Tuffkalk ist stets durch eine gewisse Porosität ausgezeichnet, worauf sich der griechische Name mapos bezieht, mit welcher bei ihm bedeutende Grade von Festigkeit vereinigt seyn können. Seine Poren haben verschiedene Gestalten und Dimensionen, je nach- dem sie durch das bei seinem Absatze entwichene kohlensauere Gas gebildet worden, oder von den organischen, namentlich vegetabilischen Theilen herrüh- ren, welche der Tuff einhüllle. Die Poren der ersteren Art sind oft von sta- laktitischem Kalk ausgekleidet, wie denn überhaupt mit der Tuffkalkbildung die von Kalkstalaktiten háufig verbunden ist. Der Porositàt verdankt jenes Gestein ganz besondere Eigenthümlichkeiten, welche für seine Anwendung als Bau- material von Bedeutung sind. Die Porositát ertheilt ihm ein geringeres Gewicht, als gewöhnlicher dichter Kalkstein besitz. Wegen der schlechten Wärmelei- tung der in seinen Poren enthaltenen Luft, zeichnen sich die aus ihm beste- henden Gebäude durch Wärme aus, so wie ihnen auch eine grössere Trocken- E? 36 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, heit eigen ist, als den aus gewöhnlichem dichten Kalkstein errichteten. Auch ist die Porosität Ursache, dass Berappung vorzüglich gut auf Tuffkalk haftet. Da seine bearbeiteten Flächen oft sehr löcherig erscheinen, so hat man schon im Alterthume hin und wieder durch einen Stuck-Ueberzug ihr Ansehen ver- schönert. An den Säulen der Tempel von Pästum habe ich Spuren davon gefunden. Noch jetzt nach ein Paar tausend Jahren, haften die Reste der Stuck- Bekleidung so fest an dem Stein, dass sie sich nur mit Mühe ablösen lässt. Auch im Peloponnes finden sich Reste von Tempel-Gebäuden aus Tuffkalk, der mit feinem Stuck überzogen war. Dahin gehören der Zeustempel von Olympia 6*); ein ionischer Tempel zu Messene 65). Dem Tuffkalke auf gewisse Weise verwandt ist eine in einer tertiären For- mation sich findende Kalksteinabänderung, welche den Namen Grobkalk nach der französischen Benennung Calcaire grossier erhalten hat, und das Bauma- terial von Paris ist, wo es in grossen unterirdischen Brüchen gewonnen wird. Dieses Gestein, welches in Werkstücken von den verschiedensten Dimensionen zu erlangen ist, und sich leicht bearbeiten lässt, aber wegen seiner Porosität keine geschlossene, stets etwas rauhe Oberflächen erhält, ist zwar für die Ge- genden wo es bricht, besonders für einige Theile von Frankreich, für das Bauwesen von grossem Werthe 66), aber nicht von so ausgedehntem Nutzen, als der weit mehr verbreitete Tuffkalk. Dem Grobkalke verwandt ist der im südlichen Frankreich verbreitete, unter dem Namen Calcaire Moellon bekannte, jüngere tertiäre Kalkstein, woraus die mehrsten Bauwerke zu Marseille, Nis- mes, Montpellier, Béziers, Narbonne, auch die aus dem Alterthume stammen- den, bestehen 67). Von noch geringerer Bedeutung ist der in der Kreideformation sich findende Saugkalk (Kreidetuff), der den Petersberg bei Maastricht constituirt, und in labyrinthischen unterirdischen Steinbrüchen daselbst gewonnen wird. Er hat seinen Namen von der Eigenschaft, Wasser und andere Flüssigkeiten höchst schnell einzusaugen, die er seinem eigenthümlichen lockeren — € 64) Curtius, Peloponnesos. IL S. 55. 65) Daselbst. S. 146. 66) Vergl. d'Archiae, i. d. Mémoires de la Soc. géol. de France. V. 2. p. 252. 67) Marcel de Serres, Géognosie des terrains tertiaires. 1829. p. 65. 66. ÜBER DEN EINFLUSS D.BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 37 verdankt, der auch bewirkt, dass er sich leicht mit der Axt und Säge bear- beiten lässt. Da der Saugkalk durch das Austrocknen an der Luft eine grös- sere Festigkeit erhält, so liefert er ein brauchbares Baumaterial. In nächster Verwandtschaft zum Kalkstein befindet sich der Bitterkalk, dessen krystallinisch-körnige Abänderung der aben bereits erwähnte Dolomit ist, welcher Name aber auch wohl auf die übrigen Abänderungen des Bitter- kalkes übertragen worden. DieMassen des Dolomites welche, wie der mehr- ste Marmor, dem krystallinischen Schiefergebirge untergeordnet sind, und sich auch in Beziehung auf Architektur ihm ähnlich verhalten, sind im Ganzen für dieselbe von keiner grossen Bedeütung. Ungleich wichtiger in dieser Be- ziehung ist der in den älteren und jüngeren Flótz-Formationen sich findende Bitterkalk, dessen Textur vom Dichten einer Seits in das Krystallinische, an- derer Seits in das Erdige verläuft, und in dieser Hinsicht eine grössere Ver- schiedenartigkeit, selbst in benachbarten Massen zeigt, als der Kalkstein. Den mehrsten Abänderungen ist. eine gewisse Porosität eigen, wodurch sie dem Tuffkalke ähnlich werden, sich doch aber dadurch unterscheiden, dass bei die- sem die Poren stalaktitisch ausgekleidet zu seyn pflegen, wogegen sie bei dem Bitterkalke kleine Drusen mit Bitterspath-Rhomboedern darstellen. Dieser Po- rosität ungeachtet haben die dichteren und die krystallinischeren Varietäten gewöhnlich eine grössere Festigkeit, als die mehrsten Abänderungen des Kalk- steins, worin sie ebenfalls dem Tuffkalke gleichen, und sind oft selbst zur fei- neren Bearbeitung geeignet. Sie liefern aus diesem Grunde, und da sie in mächtigen, oft pfeilerfórmig abgesonderten Bänken vorzukommen pflegen, nicht selten ein vortreffliches, durch Dauerhaftigkeit ausgezeichnetes Baumaterial. Das zeigt die Benutzung des-Bitterkalkes zu Kirchen und anderen grossen Gebäuden, in Franken, Thüringen, am südlichen Harzrande, z. B. zu Walkenried. Der im nordwestlichen Deutschland, in den Gegenden der Leine und Weser in grosser Ausdehnung in der Oolith-Formation abgelagerte Dolomit6®), hat in neueren Zeiten bei dem Bauwesen mit Recht mehr die Aufmerksamkeit auf sich gezo- gen, und ist u. A. zur Brücke über die Ruhme bei Nordheim, und bei den 68) Vergl. meine Uebersicht der jüngeren Flótzgebilde im Flussgebiete der Weser 1824. S. 303. 38 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Eisenbabnbauten mit Nutzen angewandt worden. Auch in England hat man Gelegenheit die vortheilhafte Benutzung des dori sogenannten Magnesian Lime- stone zum Bau von Kirchen und Schlóssern zu sehen. Es besteht z. B. aus dem durch Dauerhaftigkeit ausgezeichneten Dolomite von Bolsover Moor in Derbyshire, die im 10. und 12. Jahrhundert zu Southwell erbauete Kirche, an welcher, wie Sir Henry de la Beche berichtet 69), sich nicht bloss die Gesimse unversehrt scharf und rein erhalten, sondern sogar die eingemeissel- ten Linien noch ganz das ursprünglich frische Ansehen haben. Diesen Stein hat man für die neuen Parlamentshäuser in London gewählt. Ausser dem Kalkstein und Bitterkalk sind kaum andere dichte Gesteine für die Baukunst von Bedeutung. Theils brechen sie nicht in grösseren, zu- sammenhängenden, unabgesonderten Massen, theils erschwert ihre zu. grosse Härte die Bearbeitung, theils sind sie zu weich, um ein dauerhaftes Baumaterial darzubieten. Wegen der zu grossen Härte und der Art des Vorkommens kann von dichten kieselartigen Gesteinen, z. B. von Quarzfels, Hornstein, Jaspis, wenig Anwendung in der Architektur gemacht werden. Solche Gesteine, wie namentlich der Jaspis, bieten, da sie einer hohen Politur fähig sind, und zum Theil auch durch ihre Farben sich auszeich- nen, für die Steinschleiferei ein vorzügliches Material dar, wie u. a. die in den Sibirischen Steinschleifereien verfertigten Arbeiten aus den schönen Jas- pisarten des Urals zeigen, und können auf solche Weise verarbeitet, auch wohl zu kleineren architektonischen Verzierungen benutzt werden. Jene kiesel- artigen Gesteine, und ausserdem besonders der Feuerstein werden hin und wieder zum Wegebau benutzt, wozu sie durch ihre Härte tauglich sind, und wobei die geringe Ausdehnung ihrer Massen oder abgesonderten Stücke nicht hinderlich ist. Vom Feuerstein, wird zu solchem Zweck besonders in England, wo er in der Kreide in Menge vorkommt, ausgedehnte Anwendung gemacht. Er hat übrigens ebenso wie der Quarzfels, für diese Benutzung das Nach- theilige, wegen seiner Härte und Schärfe den Huf- und Rad-Beschlag stark anzugreifen, und nicht zu binden, daher man ihn in England, in Vermengung mit Kreide zum Steinschlage auf Chausseen anzuwenden pflegt. 69) Account of the Museum of economie Geology. London 1843, Blätter für litte- rürische Unterhaltung. 1844. Nro. 66. S. 263. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 39 Der beinahe über alle Theile der Erde verbreitete Basalt würde für die Archi- tektur nutzbarer seyn, stände nicht auch bei ihm die Härte, und ausserdem be- sonders die Art seiner Absonderung entgegen. Welchen Gebrauch man indes- sen zur Aufführung von Mauern von ihm gemacht, ist oben bereits erwühnt. Es giebt doch aber auch Gegenden der Erde, wo er im Alterthum und auch noch in neueren Zeiten, im Bauwesen allgemeiner benutzt worden, zu welchen namentlich West-Asien gehört, wo das Vorkommen des Basaltes sehr verbrei- tet ist. In dem nördlichen phónicischen Küstenlande sind in dem Gebirge óst- lich vom Tell Arka nach Thomson die meisten Dörfer aus schwarzem Basalt erbauet, was ihnen ein düsteres Ansehen giebt 70). Layard berichtet 71), dass schwarzer Basalt, der in den Kurdischen Gebirgen im Ueberfluss vorhanden ist, in Assyrien und Babylonien das gewöhnlichste Baumaterial gewesen zu seyn scheine, wenn Alabaster und Kalkstein nicht zu haben waren. Wie vorzüglich der Basalt wegen seiner Absonderungsform und Härte zum Steinpflaster sich eig- net, ist oben bereits bemerkt. Wegen seiner Härte liefert er denn auch ein ausgezeichnetes Material zum Steinschlage auf Chausseen, in welcher Hinsicht sein Nutzen sehr ausgedehnt ist. Er besitzt dafür auch die gute Eigenschaft, dass er zu Pulver zermalmt, bindet, und daher weder im trocknen Zustande stäubt, noch im nassen schlammt. Dass Karstenit (Anhydrit) und Gyps wegen ihrer geringen Härte zu Pfla- ster- und Chausseesteinen sich gar nicht eignen, versteht sich von selbst, und ist beiläufig bereits bei einer früheren Gelegenheit bemerkt. Der Anwendung des Karstenites, der eine etwas grössere Härte als Gyps besitzt, steht eine andere, ebenfalls bereits erwähnte Eigenschaft desselben entgegen, welche darin besteht, dass er aus der Atmosphäre Wasser anzieht, dadurch sich all- mählig in Gyps umwandelt, wobei er eine nicht unbedeutende Volumenver- grösserung erleidet 72), die ein Aufbersten, oder wohl gar ein Krummziehen der daraus gearbeiteten Werkstücke verursacht, wie es mir an einigen Orten vorgekommen ist, wo man aus Karstenit Thür- und Fensterstöcke verfer- 70) Ritter's Erdkunde von Asien. Bd. VIII. 2. Dritter Abschn. S. 813. 71) Niniveh. Übers. S. 351. 352. 72) Vergl. meine Bemerkungen über Gyps und Karstenit, in d. рег бег Kön. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Ш, 5, 92, 40 JOH. FRIEDR. LUDW, HAUSMANN, tigt hatte. Die geringe Härte des Gypses hat in alten Zeiten nicht- abgehal- ten, ihn zu Nimrud in der Architektur zu benutzen, wozu das häufige Vor- kommen desselben in Mesopotamien, und seine leichte Gewinnung und Bear- beitung, ohne Zweifel Veranlassung gegeben haben. Man gebrauclite Alaba- sterplatten zur Bekleidung der aus Luftziegeln aufgeführten Mauern, an wel- chen man sie durch eiserne, kupferne oder hölzerne Klammern und Pflöcke befestigte. Auch die Pflaster der Zimmer bildeten Alabaster- Platten, welche mit einer Lage von Bitumen unterbettet waren 75). Zu den dichten Gesteinen von mittlerer Härte, welche hin und wieder der Baukunst dienen, gehórt der Serpentin, wie тап solches namentlich an einigen Orten in [talien sieht, wo er zu Bekleidungen von Kirchen und Thür- men und anderen architektonischen Verzierungen angewandt worden. Er ist nicht schwierig zu bearbeiten, und empfiehlt sich durch seine Farbe und Dau- erhaftigkeit , steht aber freilich nicht in vielen Gegenden zu Gebote. Die mannichfaltigen Verschiedenheiten welche den conglutinirten Gestei- nen eigen sind, begründen ein sehr abweichendes Verhalten derselben bei ihrer Verwendung als Baumaterial. Es kommt bei ihnen eben so wohl die Natur der verkitteten Theile, als die Beschaffenheit des Bindemittels in Be- tracht; und von besonderem Einflusse ist das Verhältniss, in welchem das Bin- demittel zu dem Verbundenen stehet. Keine Art conglutinirler Gesteine ist für das Bauwesen von grösserer Bedeutung, als der Sandstein; denn keine Art ist ibrer Natur nach mehr für diese Anwendung geeignet, und keine kommt in solcher Verbreitung їп der Erdrinde vor. Nächst dem Kalkstein ist daher der Sandstein das wichtigste Gestein für das Bauwesen, welches bei demselben auf die verschiedenartigste Weise benutzt werden kann. Aber seine höchst mannichfaltigen Abänderungen verhalten sich dabei sehr abweichend, und sind in Beziehung auf jene Anwendung von sehr verschiedener Güte. Ein Hauptunterschied für die Benutzung des Sandsteins bei dem Bauwesen liegt darin, dass er, bald in mächtigen, gewöhnlich regelmässig abgesonderten Bänken, bald in dünnen Schichten vorkommt, welche letztere zuweilen in eine schiefrige Absonderung übergehen. Beide Abänderungen finden sich, wie oben 73) Layard's Niniveh. Uebers. 5. 322— 326. ÜBER DEN EINFLUSS D, BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 41 bereits bemerkt worden, bald von einander getrennt, bald mit einander ab- wechselnd in derselben Località. Es versteht sich von selbst, dass nur die ersle Art des Vorkommens die Gewinnung von Quadersteinen, überhaupt Ver- wendungen gestattet, wobei grosse Blöcke erforderlich sind; wogegen der dünn geschichtete oder schiefrige Sandstein zu Platten, und selbst zuweilen als Dachstein benutzt werden kann, wofür der Sandsteinschiefer des benach- barten Sollings ein ausgezeichnetes Beispiel liefert. Für die Anwendung des Sandsteins in der Architektur kommen besonders drei Dinge in Betracht: sein Korn, seine Härte, und seine Festigkeit. Was das Korn des Sandsteins betrifft, so nimmt seine Güte, zumal für feinere Bearbeitungen, gewöhnlich in dem Ver- hältnisse zu, in welchem die Gróbe des Korns sich vermindert. Es muss aber freilich bemerkt werden, dass selbst ein feinkórniger Sandstein durch die Bearbeitung nie so vollkommene Oberflächen erhalten kann, als ein dichtes oder krystallinisch-kórniges Gestein, weil das Bindemittel sich von den Quarzkörnern ablöst, wodurch zwischen denselben Vertiefungen entstehen. Dieses wird um so mehr der Fall seyn, je mehr Bindemittel im Verhältniss zu den Quarzkörnern vorhanden ist, und je weicher dasselbe ist. Am Wenigsten wird das Nachtheilige des Bindemittels bei einem Quarzsandstein sich bemerklich machen, der aber freilich nur selten zu architektonischen Zwecken verarbeitet wird. Die Härte des Sandsteins, welche auf seine schwierigere oder leichtere Bearbeitung von Haupteinfluss ist, hängt besonders von der Natur des Bindemittels, und seinem Quantitätsverbältnisse ab. Unter seinen verschiedenen Arten haben der seltene Quarzsandstein und der noch seltenere Chalzedonsandstein die grösste Härte; wogegen die am Häufigsten sich darbietenden Thon- und Mergelsandsteine am Weichsten sind. Der seltenere Kalksandstein ist härter als die beiden letzteren, aber weicher als die beiden ersten Sandsteinarten. Der Eisenthon- sandstein und der selten in der Architektur benutzte Eisensandstein schliessen sich in Ansehung der Härte dem Thonsandstein zunächst an. Für die Benu- tzung des Sandsteins als Baumaterial ist keine seiner Eigenschaften von grösse- rer Wichtigkeit als seine Festigkeit. Auch hierauf ist die Natur des Bindemit- tels von Einfluss, indem davon das festere oder weniger feste Haften desselben an den Quarzkörnern abhängt. Das kieselige Bindemittel im Quarz- und Chal- zedonsandsiein bildet mit den Quarzkörnern eine sehr feste Masse; wogegen Phys. Classe. VIII. F 42 e JOH. FRIEDR. LUD W. HAUSMANN, ein thoniges, eisenthoniges oder mergeliges Bindemittel sich mehr und weniger leicht von den Kórnern des Quarzes ablóst. Ausserdem hängt die Festigkeit des Sandsteins ganz besonders von dem Quantitäts-Verhältnisse des Bindemit- tels ab. Bei allen Arten des Sandsteins, bei welchen die Härte des Bindemittels geringer ist als die Härte der Quarzkörner, pflegt die grösste Festigkeit dann sich zu finden, wenn nur so viel Bindemittel vorhanden ist, als die Ausfüllung der Zwischen- räume zwischen den Quarzkórnern erfordert. Beträgt die Quantität des Bindemittels mehr, so vermindert sich die Festigkeit; die freilich auch dann abnimmt, wenn das Bindemittel weniger beträgt, als zur Ausfüllung der Räume zwischen den Quarzkörnern erforderlich ist. Durch Mangel an Bindemittel kann die Festig- keit des Sandsteins so vermindert werden, dass er als Baumaterial völlig un- brauchbar ist. Nicht ohne Einfluss auf die Festigkeit des Sandsteins ist die Art der Vertheilung des Bindemittels zwischen den Quarzkörnern, die auch noch in anderer Hinsicht in Beziehung auf die Benutzung desselben in der Architektur Beachtung verdient. Gewöhnlich ist die Festigkeit des Sandsteins um so grösser, je gleichmässiger die Vertheilung des Bindemittels ist. Eine Ausnahme zeigt sich in dieser Hinsicht bei einer besonderen Abänderung des Thonsandsteins, die u. a. bei Münden und Cassel vorkommt, deren Bindemittel ein reiner Porzellanthon ist, der aber sehr ungleich zwischen den Quarz- kórnern vertheilt ist, die da, wo das Bindemittel fehlt, wie zusammen- gefrittet erscheinen. Mit dieser eigenthümlichen Verbindungsart der Gemeng- theile des Sandsteins ist eine nicht unbedeutende Festigkeit verknüpft, aber frei- lich auch eine kleinlöcherige Beschaffenheit, die ihn für architektonische Zwecke, wenigstens da wo es auf eine feinere Bearbeitung ankommt, weniger brauch- bar macht, die aber Ursache ist, dass jener Sandstein sich zu Mühlsteinen vor- züglich eignet. Eine andere Art von ungleichförmiger Vertheilung des Binde- mittels kommt sehr häufig bei Thon- und Mergelsandsteinen vor, die darin be- stehet, dass das Bindemittel sich in sphäroidischen Nieren, sogenannten Gallen, von verschiedener Grösse ausgesondert findet, welches natürlicher Weise für die Benutzung eines solchen Sandsteins in der Architektur im höchsten Grade nachtheilig ist, indem der Stein durch die Auswitterung der Thon- oder Mer- gel-Gallen löcherig wird. Mancher Thon- und Mergelsandstein besitzt eine wenig beachtete Eigenschaft, welche doch aber bei ihrer Benutzung in der Architektur ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 43 nicht übersehen werden darf, nehmlich eine gewisse Biegsamkeit, die in einer geringen Verschiebbarkeit der Theile begründet 181 7+). Sie ist besonders den loseren Abünderungen eigen 75), und denen, welche eine Anlage zur Schiefe- rung besitzen, womit gewöhnlich eine Beimengung von mehrerem Glimmer verknüpft ist, dessen Schuppen in paralleler Lage den Hauptabsonderungen entsprechen. Die Biegsamkeit zeigt sich natürlicher Weise um so mehr, je dünner die Stücke sind; sie ist indessen zuweilen auch bei stürkeren Stücken, zumal wenn sie eine bedeutende Länge haben, wahrnehmbar; daher bei sol- chen Verwendungen, bei welchen ein bedeutender Druck auf frei liegenden Massen lastet, jene Eigenthümlichkeit Berücksichtigung. verdient. In dem Sandstein, selbst in dem feinkörnigen, kommen zuweilen einzelne grössere Quarzgerölle vor, die sich wohl in einzelnen Lagen so anhäufen, dass dadurch ein Uebergang in ein Conglomerat gebildet wird, wie es sich hin und wieder z. B. bei Münden, am Meissner, am Kniebis im Schwarzwalde, im bunten Sandstein findet. Ein solches Gestein ist für die Architektur wenig nutzbar; aber auch ganz einzelne, dem Sandstein beigemengte grössere Quarzgerölle können für die feinere Bearbeitung desselben sehr nachtheilig seyn. Die Conglomerate unterscheiden sich dadurch von den Sandsteinen, dass sie aus verschiedenartigen, grösseren und kleineren, eckigen oder gerundeten Stücken bestehen, welche durch irgend ein Bindemittel ‚unter einander verbun- den sind. Die bedeutendere Grösse der verkitteten Theile ist ein Hauptgrund, dass sich die Conglomerate im Allgemeinen weniger zur Benutzung in der Architektur ei gnen, als die aus kleinen Quarzkörnern bestehenden Sandsteine, zumal, wenn es auf eine feinere Bearbeitung ankommt. Auch sind die Con- glomerate schon aus dem Grunde von geringerer Wichtigkeit für das Bauwesen, weil ihre Verbreitung ungleich geringer ist, als die der Sandsteine. Ihre Brauchbarkeit ist sowohl von der Beschaffenheit der verbundenen Theile, als 74) Bei dem sogenannten biegsamen Sandstein aus Brasilien — der übri- _ gens kein Sandstein, sondern eine Abänderung von Glimmerschiefer ist — hat die Biegsamkeit denselben Grund, indem sie wie bei dem biegsamen Mar- mor, durch die loskórnige Beschaffenheit des Quarzes bewirkt wird. 75) Mit dem Mergelsandstein von Reinhausen bei Góttingen angestellte Versuche, haben eine nicht unbedeutende Biegsamkeit desselben ergeben. | F2 44 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, auch von der Natur und dem Quantitätsverhältnisse des Bindemittels abhängig. Bestehen die verbundenen Theile aus kleineren Bruchstücken und Geröllen harter Mineralkórper, und ist das Bindemittel von nicht sehr weicher Beschaf- fenheit, und in nicht überwiegender Quantität vorhanden, so können auch Con- glomerate ein brauchbares Baumaterial darbieten. Zu den Arten derselben, welche auf diese Weise nicht selten vortheilhaft benutzt werden, gehóren be- sonders gewisse Abänderungen von Grauwacke und Kieselconglomerat. Die zum sogenannten Rothliegenden gehörenden Conglomerate werden in einigen Gegenden in der Architektur benutzt, pflegen aber wegen der gewóhnlich be- deutenden Grösse der verbundenen Theile, und der Natur des Bindemittels, dazu kein vorzügliches Material zu liefern. Ein der Kreideformation unter- geordnetes Kalk-Kiesel-Conglomerat, welches am nördlichen Fusse des Harzes namentlich am Sutmerberge bei Goslar vorkommt, zeichnet sich durh Festig- keit und Dauerhaftigkeit aus, wie man es an den daraus gebaueten Kirchen und Thürmen zu Goslar siehet. Es giebt unter den vulkanischen und vulkanöidischen Gebirgsarten Conglomerate von nicht bedeutender Härte und Festigkeit, welche aus diesem Grunde für die mehrsten Anwendungen in der Architektur von gerin- gem Werthe sind, die sich aber dadurch besonders empfehlen, dass sie sich leicht bearbeiten lassen. Gewisse Arten derselben sind in Quaderstücken von bedeutenden Dimensionen zu erlangen, und sind in älteren und neueren Zeiten in einigen Gegenden vielfach benutzt worden. Zu solchen Conglomeraten ge- hören das Trachytconglomerat, Basaltconglomerat, Leueitophyrconglomerat, Bimsteinconglomerat. Zum Trachytconglomerat ist der sogenannte Piperno der Italiener, vermuthlich das von Vitruv mit dem Namen Tophus niger belegte Gestein zu zählen, der in mehreren Gegenden des Neapolitanischen vorkommt, den man schon in Pompeji benutzt siehet, und aus welchem das kolossale Schloss und der Aquäduct von Caserta erbauet sind. Das Basaltconglomerat bildet bedeutende Bergmassen u. a. bei Cassel und im mittleren Frankreich, vorzüglich im Velay, wo es sich durch die grotteskesten Berg- und Felsen- formen auszeichnet 76). In dieser Gegend ist es vielfach als Baumaterial be- nutzt; so wie es ja auch die Aufführung mancher grosser Bauwerke auf Wil- 76) Vergl. meine Umrisse nach der Natur. 1831. S. 80 ff. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D.ARCHITEKTUR. 45 helmshöhe bei Cassel sehr erleichtert hat. Verschiedene Abünderungen des Leucitophyrconglomerates haben im Rómischen Alterthume für das Bauwesen eine grosse Wichtigkeit erlangt. Der sogenannte Peperino der ltaliener, Lapis Albanus der Rómer, aus welchem zum Theil das Albaner Gebirge besteht, во wie das am Gabiner See anstehende Conglomerat, Lapis Gabinus der Ró- mer, lieferten für Rom in der ältesten Zeit, in welcher von dem Travertin noch keine Anwendung gemacht wurde, vornehmlich das Baumaterial. Auch der leicht zu bearbeitende, aber weniger feste Römische Tuff, Lapis ruber bei Vi- truv, wurde in Rom eben so wie der Pausilipptuff der Gegend von Neapel, auf verschiedene Weise als Baumaterial angewandt. Ganz vorzüglich eignete er sich durch seine Porosität und die davon abhängige wasseranziehende und den Mórtel bindende Kraft, zu den bei dem Bauverfahren der Rómer üblichen Fül- lungen der Mauern, deren aus Kalkmörtel und unbestimmt geformten Stein- Stücken von verschiedener Grósse bestehende Masse, selbst zur Construction von Gewólben angewandt wurde. Auch machte ihn seine Eigenschaft, sich sehr leicht behauen zu lassen, geeignet, von den Rómern zum sogenanten Opus reticulatum benutzt zu werden. Zu den in Beziehung auf das Bauwesen bemerkenswerthen vulkanischen Conglomeraten gehórt auch das Bimsteincon- glomerat, welches in einigen Gegenden des Rheins, namentlich in dem Becken von Neuwied, in bedeutenden Massen abgelagert vorkommt, und dort ein wichtiges Baumaterial ist. Es lässt sich mit der Axt leicht bearbeiten, zeich- net sich durch grosse Porosität und Leichtigkeit aus, und ist aus den schon bei dem Tuffkalke angeführten Gründen, für Mauerungen , und selbst für Ge- wölbe, sehr brauchbar. Es ist gezeigt worden, von welchem Einfluss die mannichfaltigen Verschie- denheiten des inneren Gefüges der einfachen wie der gemengten Gesteine bei ihrer Anwendung in der Architektur sind. Es hat sich dabei ergeben, in wel- chen Verhältnissen manche andere Eigenschaften, die in Beziehung auf jene Benutzung von Wichtigkeit sind, namentlich Härte, Festigkeit, Biegsamkeit, Schwere, zur inneren Zusammensetzung und der damit zusammenhängenden Textur der Gesteine stehen. Eine Eigenschaft derselben verdient hier nun 46 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, noch betrachtet zu werden, die zwar weder auf die Bearbeitung von Einfluss, noch in Beziehung auf die Formen der Bauwerke von Bedeutung ist, aber doch sehr dazu beitragen kann, den Eindruck, welchen Gebäude auf unsere Empfindung machen, zu modificiren, nehmlich die Farbe?7). Es ist in dieser Beziehung nicht gleichgültig, welche Färbung der Baustein, oder überhaupt das bei Bauwerken für das Aeussere derselben zu verwendende Material be- sitzt; und es ist wohl nicht zu verkennen, dass nicht jede Farbe des Steins ein Bauwerk in gleichem Grade ziert; dass nach der verschiedenen Bestim- mung der Gebäude und dem verschiedenen Baustyle, der einen Farbe ein Vorzug vor der anderen gebührt; und dass in dieser Hinsicht selbst nach verschiedenen Theilen der Gebäude ein Unterschied statt finden kann. Grelle Farben sind äusserst selten Gesteinen eigen, welche zu Bauwerken benutzt werden; wo es aber der Fall ist, wie bei einem hoch ochergelb gefärbten Kalkstein der Oolithformation, der in einigen Gegenden von Frankreich und der Schweiz als Baustein angewandt wird, da erhalten die Gebäude dadurch ein nicht vortheilhaftes Ansehen. Wie die graue Farbe des Sandsteins von Fiesole ganz dem ernsten Charakter der alten, festungsartigen Palläste in Florenz entspricht, so ist das in die Ferne leuchtende Weiss aus Apenninen- kalk erbauter lachender Italienischer Villen, mit ihrer Bestimmung im Ein- klange. Für die Peterskirche іп Rom ist das gelbliche Weiss des Travertins eben so passend, als für den Strassburger Münster das Rothbraun des Vogesen- Sandsteins. Ein schwarzes Schieferdach erhöhet die Schönheit eines aus hellen Sandstein- oder Kalkstein- Quadern aufgeführten Gebäudes; wogegen Dächer von braunem Sandsteinschiefer, wie man sie in der Nähe des Sollings häufig findet, den Häusern weder ein nettes, noch ein freundliches Ansehen zu geben vermögen, und um so weniger Gebäude zieren, wenn, wie man es u.a. an den Kirchen von Einbeck sieht, die Mauern aus einem Sandstein von gleicher Farbe aufgeführt sind. Der günstige Eindruck den ein schwarzes Schieferdach zu machen pflegt, verschwindet, sobald mit demselben Schiefer auch die Wände bekleidet sind. Eine dunkele Farbe der Quader giebt den Gebäuden ein finsteres Ansehen, wenn die Wände ganz daraus bestehen; T7) Vergl. meine Kleinigkeiten in bunter Reihe, S. 264 ff. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH, D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 47 wogegen sie keinen unvortheilhaften Eindruck macht, wenn das eigentliche Mauerwerk eine lichtere Farbe hat, und nur zu den Einfassungsmauern, So- ckeln, Thür- und Fensterstócken, ein etwas dunkler gefärbter Stein dient, wie man es z. D. häufig in Belgien und den angränzenden Gegenden von Deutschland siehet, wo man einen dichten, dem Anthrakonite genäherten Kalkstein von graulichschwarzer Farbe, der durch das Behauen eine graublaue Farbe annimmt, und daher in der Gegend von Aachen Blaustein genannt wird, zu solchem Zweck anwendet. Einen gerade entgegengesetzten Eindruck macht es, wenn das Gemäuer eines aus hochrothem Backstein aufgeführten Gebäudes, mit weissen Steinen eingefasst und verziert ist. Der Anthrakonit nimmt durch das Schleifen und Poliren eine schwarze Farbe an, und wird unter dem Namen „schwarzer Marmor“ (Nero antico) hin und wieder zu Altarblättern, -Kaminbekleidungen und verschiedenen anderen architektonischen Verzierungen benutzt. Mannichfaltige sogenannte Marmorarten, und auch wohl härtere Stein- arten von dunkelen oder lebhaften hohen, selbst von bunten Farben, wohin der im Alterthume sehr geschätzte Ophit (Verde antico), der prachtvolle, mit Smaragdit gemengte Euphotid aus Corsica (Verde di Corsica duro) 78), der schöne, braun und grün gestreifte Bandjaspis vom Ural 79) gehören, können, geschliffen und polirt, im Innern der Gebäude zur grossen Zierde dienen; wo- gegen man Anstand nehmen würde, Gesteine von solchen Farben zum äusseren Mauerwerk zu verwenden. Unter gewissen Umständen können indessen Qua- dersteine mit sanften, verwaschenen, gestreiften oder geflammten Farbenzeich- nungen, wie man sie z. B. bei manchen Sandsteinen findet, angewandt werden, ohne dem Eindrucke der Gebäude zu schaden. Bei manchen Gesteinen, welche als Baumaterialien dienen, verändert sich mit der Zeit die ihnen ursprünglich eigene Farbe, wodurch die Schönheit der daraus bestehenden Bauwerke gewöhnlich vermindert, sehr selten erhöhet 78) Dieses schöne Gestein dient u. a. zum Schmuck der Capelle von San Lorenzo in Florenz. 79) In einem Kaiserlichen Pallaste zu St. Petersburg befindet sich ein Bad, welches aus einem Blocke dieses, eine hohe Politur annehmenden Gesteins, gear- beitet ist. А 48 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, wird. Die Ursache der Umänderung liegt entweder in einer Veränderung, welche die chemische Zusammensetzung des Steins erleidet, oder in etwas Organischem, namentlich in dem Ansatze vegetabilischer Theile, der dann aber durch die Beschaffenheit des Steins mehr oder weniger begünstigt wird. Die erste Art der Umänderung der Farbe zeigt sich z. B. bei Steinarten, deren Farbe von einer kohligen oder bituminösen Substanz herrührt, welche allmählig sich verflüchtigt, daher solche Steine durch lange Berührung mit der Luft eine hellere Farbe annehmen, wie solches z. B. bei dem Stinkkalke der Fall ist. Besonders auffallend zeigt sich dieses in dem Erblassen der von einem geringen Bitumengehalte herrührenden Farbe des blauen Karstenites, daher es nicht gerathen ist solchen, wie es hin und wieder wohl geschehen, zu architektonischen Verzierungen, oder zur Auskleidung von Zimmern zu be- nutzen 99). In gewissen Abänderungen von Kalkstein, Marmor und Dolomit, welche einen Gehalt von kohlensaurem Eisen- oder Manganoxydul haben, erleidet dieser allmählig wohl eine Zersetzung, indem Eisen- oder Mangan- oxydhydrat daraus hervorgehen, wodurch der ursprünglich weisse Stein all- mählig eine gelbliche, bräunliche, oder schwärzliche Färbung erhält; welche Umänderung durch längere Berührung mit feuchter Erde sehr befördert wird. Auffallend zeigt sich dieses zuweilen bei Bauwerken aus Marmor, welche zum Theil verschüttet waren, und nun, nachdem sie vom Schutte befreiet worden, bis zu der Höhe welche derselbe erreichte, gefärbt erscheinen, wie solches z. B. bei dem Triumphbogen des Kaisers Septimius Severus zu Rom der Fall ізі 51). Aber auch an der Luft, zumal durch Einwirkung der feuchten Seeluft, kann mit manchem Marmor eine solche Veründerung vor- gehen, wie es die athenischen und andere landeinwärts gelegene alt-griechische 80) In einem Wirtembergischen Schlosse waren die Wände eines Zimmers mit Täfel- werk aus dem schönen himmelblauen Karstenit von Sulz am Neckar bekleidet; und da der natürliche Stein nicht zureichte, war das Fehlende durch künst- lichen, blau gefärbten Gypsmarmor ergänzt. Da man das Zimmer vor der Einwirkung der Sonnenstrahlen nicht vorsichtig bewahrt hatte, 80 waren mit der Zeit die Karstenit-Platten gebleicht, wogegen der künstlich gefärbte Gyps- marmor die ursprüngliche Farbe bewahrt hatte. 81) Vergl. meine Kleinigkeiten in bunter Reihe. I. S. 272. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR. 49 Marmorbauten zeigen, denen dadurch das Ansehen einer hellen Bronze ver- liehen worden 82). Die Schwärzung, welche man nicht selten bei älteren Gebäuden antrifft, hat einen verschiedenen Grund, und steht oft nicht mit der Beschaffenheit des Baumaterials im Zusammenhange; wenn sie aber, wie oft, durch den Ansatz des Byssus antiquitatis Linn. bewirkt wird, so hat die Be- schaffenheit des Bausteins, vorzüglich seine Porosität und die davon abhängige Eigenschaft, die Feuchtigkeit aus der Atmosphäre stark aufzunehmen und fest zu halten, Einfluss darauf. Einer solchen Schwärzung ist z. B. der Grobkalk besonders ausgesetzt, wie man es in Paris und einigen anderen Städten Frankreichs, u. a. besonders in Rouen, an den daraus aufgeführten Gebäuden siehet. Wie diese Art der Schwärzung durch Feuchtigkeit befördert wird, erkennt man besonders auffallend in Venedig, wo die mehrsten grösseren Gebäude aus einem dichten, gelblichweissen Kalkstein aus Istrien aufgeführt sind, der an sich weit weniger als der Grobkalk den Ansatz des Byssus be- günstigt, wo aber dennoch die durch Verdunstung des Wassers bewirkte grös- sere Feuchtigkeit der Atmosphäre, Ursache ist, dass die helle Farbe des Bau- materials durch einen schwarzen Ueberzug wie durch ein Trauerkleid verdeckt wird 85). Auch an Sandsteinen, vorzüglich an Thon- und Mergelsandsteinen, wird die durch den Ansatz von Byssus bewirkte Schwärzung der Gebäude mannichmal wahrgenommen. Ob auch die bräunliche, fast schwarze Farbe, welche der Sandstein an alten Bauwerken in Aegypten, z. B. an den Pyra- miden von Meroé angenommen hat, und welche von einigen Reisenden für eine Wirkung der Tropischen Sonne angesehen worden 84), einer ähnlichen Ursache zuzuschreiben ist, kann ich nicht entscheiden. Wahrscheinlicher ist es mir aber, dass die Schwärzung von der Entstehung von Manganoxydhydrat durch Zersetzung eines Gehaltes von kohlensaurem Manganoxydul herrührt. 82) Brandis, a. a. О. I. S. 273. 83) Ausführlichere Bemerkungen über diese Gegenstände in meinen Kleinigkeiten in bunter Reihe. I. S. 282—286. : 84) Travels in Ethiopia, by б. А. Hoskins, Esq. 1835. Lepsius erwähnt in den Briefen aus Aegypten S.125 einen Sandstein, dessen Inneres goldgelb, dessén Oberfläche aber wie Kohlen schwarz gebrannt sey, welcher Ausdruck indessen wohl nicht als eine Erklärung der Erscheinung gelten kann. Phys. Classe. VIII. G Mo. Bot. Garden, 1901. 50 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, An der Oberfläche mancher Sandsteine kommt ein Ueberzug von Wad oder von Schwarzbraunstein vor, der einen solchen Ursprung zu haben scheint. Wohl ist es denkbar, dass die durch die Sonnenstrahlen erzeugte hohe Tem- peratur, auf die Beschleunigung der Zerseizung des kohlensauren Mangan- oxyduls, und der Bildung des Manganoxydhydrates Einfluss gehabt hat. Es braucht hier wohl kaum erinnert zu werden, dass die Farbe der als Baumaterial anzuwendenden Steine nur bei Werken der schönen Baukunst Berücksichtigung verdient, dagegen aber gleichgültiger bei Gebäuden ist, welche hauptsächlich nur auf den Nutzen den sie gewähren, berechnet sind. In den Gegenden des nördlichen Deutschlands und von Dänemark, in welchen die nordischen Geschiebblócke zerstreuet sich finden, welche grósstentheils aus Gneus, Granit, Syenit, Diorit und einigen anderen krystallinischen Gesteinen bestehen, welchen mannichfaltige und zum Theil bunte Farben eigen sind, wird von diesen Fündlingen nicht selten zum Hàuserbau, und zwar am Häu- figsten für die Grundmauern, zuweilen aber auch für andere Theile der Gebäude Gebrauch gemacht. So habe ich auf einem Gute in der Nähe von Schwedt neue, trefflich eingerichtete Oeconomiegebäude gesehen, deren Wände aus geradflächig zugerichteten, und symmetrisch geordneten Geschiebblöcken aufgeführt worden. . Bei Gebäuden solcher Art ist das Bunte der Wände kein Uebelstand, welches dagegen bei Bauwerken, die auf Schönheit Anspruch machen, den Forderungen des guten Geschmackes nicht entsprechen würde. Schliesslich móge es mir erlaubt seyn, noch einige Bemerkungen über den Einfluss hinzuzufügen, den die Eigenschaften der zum Baumaterial die- nenden Steinarten auf die JDawerhaftigkeit der Gebäude haben. Vor Allem wird diese durch die Grösse der Massen bedingt, in welchen sich die Bau- steine darbieten. Früher ist gezeigt worden, dass dieses von den natürlichen Absonderungen abhängt, welche den verschiedenen Gesteinen eigen sind, daher die Bestimmung der Grösse der Dimensionen nur zum Theil in der Willkür des Baumeisters liegt. Die ausserordentliche Grösse der Sandstein- quader, aus welchen die uralten Tempelruinen in Aegypten bestehen, hat diese eben so vor gänzlicher Zerstörung bewahrt, als die gewaltigen Tra- verlinmassen der Tempel von Pástum, die herrlichen Reste derselben bis auf D ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF р. ARCHITEKTUR. 51 unseren Tag erhalten haben. Der Einfluss, den die Grösse der Bausteine im Verein mit ihrer Festigkeit, auf die Dauer der Bauwerke hat, kann wohl nicht mehr einleuchten, als bei einer Vergleichung der kolossalen Tempel- und Pallast-Ruinen von Theben in Oberägypten, mit den gigantischen Trümmer- und Schutt-Hügeln, welche das alte Babylon, diese aus Luftziegeln und Back- steinen mit Asphalt-Cäment erbauete Riesenstadt, bezeichnen. Aehnliche Erfahrungen werden in den verschiedensten Gegenden gemacht, in welchen sich aus einem hohen Alterthume stammende Baureste finden. Zu den aus- gezeichnetsten Beispielen gehören die durch die Grösse ihrer Steinmassen Staunen erregenden Grabdenkmübler, die sogenannten Hünengräber, Hünen- betten oder Steinhäuser 85), welche, aus grauer Vorzeit stammend, sich in Dänemark, Holland und in den norddeutschen Niederungen finden , zu welchen die in diesen Gegenden zerstreueten, aus dem hohen Norden abstammenden Geschiebblócke krystallinischer Gesteine, das Material geliefert haben. Was im Uebrigen den Einfluss der Beschaffenheiten der Gesteine auf die Dauerhaftigkeit der Bauwerke betrifft, so sind dabei sowohl die mechanischen, als auch die chemischen Veründerungen zu berücksichtigen, welchen sie unterworfen sind. Hinsichtlich der mechanischen Veründerungen sind die Be- schaffenheiten des Gefüges von besonderer Bedeutung. Die krystallinischen und dichten- Gesteine widerstehen im Allgemeinen mehr einer mechanischen Veränderung, als die conglutinirten; doch giebt es in dieser Hinsicht auch Ausnahmen. Das krystallinisch-körnige Gefüge hat bei manchen Gesteinen, z. B. bei dem Marmor und Dolomit, sehr verschiedene Abstufungen des Fest- 85) Zu den merkwürdigsten Denkmählern dieser Art gehören die sogenannten sieben Steinhäuser bei Ostenholz im Amte Fallingbostel. Sie sind aus so grossen Granitblócken errichtet, dass man es bei einigen derselben nicht begreift, welche Mittel dazu angewandt seyn mögen, um sie von der Stelle zu bewegen und zu heben. Grösstes Staunen erweckt besonders ein Deckstein auf dem einen der Steinhäuser, welcher 16 Fuss lang, 15 Fuss breit und etwa 2 Fuss dick ist, und dessen Gewicht auf 367 Centner geschätzt worden. Vergl. Han- noversches Magazin v. J. 1818. S. 1543. Ueber die altgermanischen Grüber, die sieben Steinhäuser genannt in der Amtsvogtei Fallingbostel. Vom Regie- rungsrath Blumenbach in Hannover. Vaterlündisches Archiv von Spiel. П. 2. S. 195 ff. Tafel I. G2 52 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, und Loskörnigen, wie früher bemerkt worden, daher gewisse Abänderungen lange einer mechanischen Veränderung trotzen, wogegen andere leicht zer- bröckeln, und aus diesem Grunde kein dauerhaftes Material darbieten. Das- selbe zeigt sich‘ bei dem Granit und einigen anderen gemengten krystallinisch- körnigen Gesteinen, bei denen aber der Grund der Verschiedenheit nicht sowohl in der Textur, als in der Zersetzbarkeit des einen oder anderen Gemengtheils liegt, daher die Lockerheit nicht eine ursprüngliche ist, wie bei dem loskörnigen Marmor und Dolomit, sondern eine erst durch Verwitterung entstandene. Wenn ganz reine Abänderungen von festkörnigem Marmor und Dolomit der Zerstörung lange troizen, so können doch fremdartige Einmen- gungen, welche leicht auswitlern, die Ursache einer geringeren Dauerhaftigkeit seyn. Nicht ganz so gut wie der reine Carrarische Marmor widersteht der Penthelische, wegen seiner Talkschüppchen, den äusseren Einwirkungen; in einem weit geringeren Grade aber der weniger edle Hymettische (Marmo cipollino), dessen Oberfläche durch Auswitterung seiner weicheren Chlorit- und Talklagen uneben wird, wie man es nicht selten an daraus gearbeiteten Säulen und anderen Architekturstücken siehet, die sich aus dem Alterthume erhalten haben, z. B. an dem Tempel des Antoninus und der Faustina zu Rom 86). Die grossen Verschiedenheiten in der Festigkeit der Sandsteine sind Hauptursache, dass sie sich auch in der Dauerhaftigkeit sehr abweichend verhalten. Wovon die Festigkeit abhängt, ist bei früherer Gelegenheit aus- einandergesetzt, worauf ich mich hier beziehen kann. Auch brauche ich hier wohl kaum zu erwähnen, wie sehr das Vorkommen der Thon- und Mergelgallen in Thon- und Mergelsandsteinen, nicht bloss das Ansehen der Bauwerke verschlechtert, sondern auch ihre Dauerhaftigkeit vermindert. Je weniger die Steine einer chemischen Veränderung unterworfen sind, um so mehr pflegen sie der Verwitierung zu trotzen. Aus diesem Grunde , gehört der reinere kohlensaure Kalk zu den dauerhaftesten Baumaterialien. Es würden keine Reste von Persepolitanischen Prachtgebäuden vorhanden seyn, wenn nicht der dichte, schwarzgraue Kalkstein des Gebirges Rachmed woraus sie aufgeführt worden, so sehr den Einwirkungen der Atmosphäre 86) Vergl. meine Kleinigkeiten in bunter Reihe. I. S. 269. ÜBER DEN EINFLUSS D. BESCHAFFENH. D. GESTEINE AUF D. ARCHITEKTUR 53 irotzte, dass sogar die Politur der Aussenflüchen sich noch erhalten hat. Der reine kohlensaure Kalk erleidet an der Luft durchaus keine chemische Zer- setzung. Das Einzige was almosphärisch auf ihn veründernd einwirken kann, besteht darin, dass kohlensaurehaltiges Wasser Theile von kohlesaurem Kalk auflóst. Die Folgen davon, Unebenheit der Oberfläche, werden mannichmal an alten Gebäuden, besonders an architektonischen Verzierungen bemerkt, wie ich sie u. a. an den aus Penthelischem Marmor gearbeiteten Reliefs vom Par- . thenon in Athen, welche sich im Britischen Museum befinden, wahrgenommen habe 87). Fremdartige, im Marmor, Dolomit, Kalkstein enthaltene Beimischungen oder Beimengungen, z. B. kohlensaures Eisen- und Manganoxydul, Schwefel- eisen, kohlig-bituminöse Theile, können wohl Zersetzungen erleiden, oder sich ausscheiden, und dadurch auf die Zerstörung jener Steinarten einwirken. Ab- gesehen von der geringeren Härte sind Gyps und Karstenit auch aus dem Grunde keine dauerhafte Bausteine, weil der schwefelsaure Kalk im Wasser elwas auflóslich ist, und daher durch die Einwirkung des almosphärischen Wassers leidet. Chemische Zerselzungen des Ganzen oder einzelner Theile können bewirken, dass in der Architektur benutzte krystallinische Gesteine, die sich durch Festigkeit auszeichnen, Veränderungen erleiden, welche ihre allmählige Zerstörung bewirken. Dieses ist u. a. bei allen gemengten Ge- steinen der Fall, welche Feldspath oder andere feldspathartige Mineralkörper enthalten, die durch Zersetzung allmählig in Kaolin sich umwandeln. Wenn gleich der Granit im Allgemeinen zu den festesten Steinarten gehört, so wird doch zuweilen da, wo er zu Bauwerken verwandt worden, an ihm der Angriff der Verwitterung wahrgenommen. An dem hängenden Thurme von Pisa hat sich der Marmor unverändert erhalten, während der Granit sich in Schuppen ablöst 88). Gewisse рогрһугагісе Abänderungen des Granits, wie sie sich u. a. in Corsica und auf Elba finden, sind weniger dauerhaft als andere. 87) Hiermit stimmen die Wahrnehmungen des Prof. Faraday überein, die von dem- selben in einem den Zustand der aus Marmor bestehenden Kunstwerke im Bri- tischen Museum betreffenden Schreiben, mitgetheilt worden. S. Letter from Professor Faraday to the Dean of St. Pauls, on the state of the Marbles in th British Museum. The literary Gazette and Journal of Archaeology, science and art. 1857. p. 835. 88) Edinburgh new philosophical Journal. 1830. April. Dingler's polytechnisches Journ. XXXVI. S. 394. ' 54 JF. L. HAUSMANN, ÜB. D. EINFL. D. BESCHAFF. D. GEST. A. D. ARCHITEKT, Keine Abänderung verwittert leichter, als der oben bereits erwähnte Finnlän- dische, mit dem Namen Rapakivi belegte, porphyrartige Granit, in welchem jeder Feldspathkrystall von Oligoklas umgeben ist. Wie bewundernswürdig dauerhaft ist dagegen der Granit von Syene, aus welchem die Aegyptischen Obelisken gearbeitet sind, welche ihres hohen Alters und der àusseren Ein- wirkungen ungeachtet, denen sie ausgesetzt gewesen, doch keine bedeutende Veränderung der Oberfläche wahrnehmen lassen! Auch an anderen Gesteinen, welche Feldspath porphyrfórmig ausgesondert enthalten, bemerkt man zuweilen die frühere Zerstórung desselben. Dieses zeigt sich z. B. an dem schónen porphyrartigen Trachyte vom Drachenfels im Siebengebirge am Rhein, aus wel- chem der Dom zu Cöln erbauet worden, an welchem die grossen Krystalle gla- sigen Feldspaths an der Oberfläche zum Theil ausgewittert sind; daher man es für гаіћѕат gehalten hat, für den Fortbau eine andere Trachyt-Abänderung zu wählen. Je glatter bearbeitet die Aussenflächen der Steine sind, um so mehr wi- derstehen sie der Verwitterung. Geschliffene und polirte Flächen können ausserordentlich lange sich unverändert erhalten, während rauhe Flächen des- selben Materials eine Umänderung wahrnehmen lassen. Dass auch klimatische Verhältnisse, welche in so hohem Grade die archi- tektonischen Bedürfnisse bedingen, und von jeher einen so grossen Einfluss auf die ganze Entwickelung der Baukunst geäussert haben, auch auf die Dauer der Bauwerke einwirken, indem sie den Gang der Verwitterung modificiren, bedarf wohl keiner besonderen Erläuterung. In demselben Grade in welchem irocknes und warmes Klima die Dauer der Gebäude befördert, wirkt feuchtes und kaltes Klima ungünstig darauf ein. Besonders nachtheilig ist das Gefrie- ren des in Haarklüfte eingedrungenen Wassers, wodurch die festesten Gesteine aufgelockert und selbst zersprengt werden können. Bauwerke aus Sandstein, von welchen unter der heissen Aegyptischen Sonne nach Tausenden von Jah- ren sich bewundernswürdige Reste erhalten haben, würden aus gleichem Ma- terial in derselben Zeit im Norden aufgeführt, gewiss längst völlig zerstört seyn. ‚Durch diese wenigen, und wie ich mir freilich sagen muss, unvollkom- menen Andeutungen, habe ich zu zeigen versucht, in welchem innigen Ver- bande Natur und Kunst in der Architektur stehen; wie die Beschaffenheiten ‚дег Steine, welche zum Hauptmaterial der Bauwerke dienen, und die Art ihres Vorkommens nicht bloss auf das Mechanische der Technik von Einfluss sind, ‚sondern wie sie selbst auf die Entwickelung des Baustyls, und auf den ästhe- tischen Eindruck der Bauwerke, so wie auf ihre Dauer einwirken. Wenn, wie ich glaube, dieser Zusammenhang nicht verkannt werden kann, so wird man es auch zugeben müssen, dass für die höhere Ausbildung des Architek- ten, das Studium der Geognosie unentbehrlich ist, und dass dem tieferen Ein- dringen in die Geschichte der Baukunst, die Kenntniss des Gezimmers der - Erdrinde sehr förderlich seyn kann. Über das Vorkommen von Quellengebilden in Be- gleitung des Basaltes der Werra- und Fulda- Gegenden. Von ` Joh. Friedr. Ludw. Hausmann. Vorgelesen in der Sitzung der Kóniglichen Gesellschaft der Wissenschaften am 14. Novbr. 1857. Einleitung. ул den Erscheinungen, welche auf der Erde am Allgemeinsten verbreitet und von besonders grosser Bedeutung für den gesammten Haushalt der Natur sind, gehören die Quellen. Welchen ausserordentlichen Einfluss sie auf die organisirte Schöpfung haben, wie sie sogar zu den nothwendigsten Bedin- gungen des Menschenlebens gehóren, soll hier nicht weiter berücksichtigt werden. Nur von dem darin bestehenden Einflusse derselben, dass sie eine Verbindung zwischen dem Innern der Erde und ihrer Oberfläche vermitteln; dass sie aus dem Innern der Erdrinde Theile in sich aufnehmen, die sie, oft gewiss aus bedeutenden Tiefen, zu Tage und hier allmählig zur Ablagerung fördern, soll im Folgenden die Rede seyn. In dieser Hinsicht verhalten sich die Quellen den vulkanischen Eruptionen, den Lavaergiessungen analog; und so wie diese die wichtigsten Aufschlüsse zu geben vermögen, über die in der Urzeit unter der Einwirkung des Feuers entstandenen Erdrindemassen, eben so erläutern die jetzigen Quellengebilde manche Erscheinungen, die in den älteren neptunischen. Gebirgsschichten wahrgenommen werden. Das Studium der Vulkane hat darauf geführt, dass unsere Basaltberge, wenn sie gleich von den eigentlichen, durch Eruptionsschlotten und Lava- ströme charakterisirten Feuerbergen verschieden sind, hinsichtlich ihrer Massen eben so wie in ihrer Entstehungsweise, den vulkanischen Gebilden am Näch- 56 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, sten stehen; wiewohl es auch noch jetzt hie und da Naturforscher giebt, welche ihnen einen neptunischen Ursprung zuschreiben. Indem ich die jetzt herrschende Meinung theile, und die Basaltberge zu den eruptiven Massen zähle, und zwar zu der von mir mit dem Namen der vulkanoidischen For- mationen bezeichneten Abtheilung derselben, so glaube ich auch gewisse, in ihrer Begleitung sich findende Gebilde, auf ähnliche Erscheinungen zurück- führen zu dürfen, welche zum Bereiche der Vulkane gehören. Wie bei allen vulkanischen Phänomenen Wasserdämpfe eine Hauptrolle spielen, so gehören auch die heissen Quellen zu den ausgezeichnetsten Be- gleitern der eigentlichen Vulkane. Wenn ich gleich nicht einer jeden Quelle von hoher Temperatur einen vulkanischen Ursprung zuschreiben möchte, wie solches jetzt vielfach geschieht, so ist doch nicht zu verkennen, dass die aller ausgezeichnetsten Erscheinungen, welche heisse Quellen darbieten, gerade da sich zeigen, wo ihr genauer Zusammenhang mit Vulkanen nicht bezweifelt werden kann. Wenn sich nun in der Begleitung unserer Basaltberge gewisse Gebilde zeigen, welche grösste Analogie mit den Producten vulkanischer heisser Quellen verrathen, so dürfte es wohl erlaubt seyn, die bei letzteren gesammelten Erfahrungen, zur Erklärung jener Erscheinungen zu benutzen. Sollten auf diese Weise gewisse Gebilde in der Nähe des Basaltes als Pro- ducte von Quellen erkannt werden, welche seine Erhebung begleiteten, so wird dadurch vielleicht auch Aufschluss über einige entfernter liegende Er- scheinungen zu erlangen seyn. Denn gleich wie das an den vulkanoidischen Trachyt-, Klingstein-, Dolerit- und Basalt- Massen Wahrgenommene zu der Ansicht geführt hat, dass auch Granit, Syenit, Porphyr, Diorit, Diabas, Trapp, zu den eruptiven Gebilden zu zühlen seyen, so werden auch gewisse Er- scheinungen, welche die vulkanoidischen Massen begleiten, darauf führen, manche Gebilde, welche als Trabanten plutonischer Formationen. erkannt wer- den, für Analoga jener Begleiter des Basaltes und anderer vulkanoidischer Massen anzusprechen. Dieser Zusammenhang dürfte den nachfolgenden Unter- suchungen eine erhóhete Bedeutung in Beziehung auf Geologie zu verleihen im Stande seyn. Für jetzt beschränke ich meine Mittheilungen auf Beobachtungen, die ich in der Nähe, in den an Basalterhebungen reichen Gegenden der Werra und ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 51 Fulda, namentlich zwischen Góttingen und Münden, in den Gegenden des Meiss- ners, in der Umgegend von Cassel und in einigen anderen Theilen von Kur- Hessen, anzustellen Gelegenheit gehabt habe. I. Von den Quellengebilden in Begleitung des Basaltes der Werra- und Fulda-Gegenden im Allgemeinen. Um zu entscheiden, ob in der Begleitung des Basaltes auftretende Gebilde wirklich für Producte von Quellen angesprochen werden dürfen, ist Vor- sicht nóthig, indem nicht selten mit dem Basalte Mineralkórper vorkommen, welche von solchen, die wirklich für Absütze von Quellen gehalten. werden dürfen, sich nicht wesentlich unterscheiden, doch aber einen anderen Ursprung haben, indem sie z. B. durch einen Verwilterungs- und Auslaugungs-Process aus dem Basalte selbst hervorgegangen, und daher vielleicht lange nach seiner Emporhebung entstanden sind, so wie solche Körper sich noch immer aufs Neue erzeugen. Dieses gilt z. B. von der amorphen Kieselsäure, dem Opal, der unter entschiedenen Quellengebilden in der Begleitung des Basaltes erscheint, aber vielleicht noch ungleich häufiger als ein neueres Verwilterungs- und Auslaugungs-Product bei dieser Gebirgsart sich findet. Auch Sphärosiderit und daraus enistandener Braun- und Gelbeisenstein kommen mannichmal in Be- gleitung des Basaltes unter solchen Verhältnissen vor, dass die Entstehung durch einen Verwillerungs- und Auslaugungs-Process entweder aus seiner Gesammimasse, oder aus gewissen in ihr ausgesonderten Mineralkörpern, z. B. aus dem Olivine, nicht bezweifelt werden kann. Erst vor Kurzem habe ich mir erlaubt, de Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften Beobachtungen über solche Gebilde mitzutheilen, wozu das Vorkommen von Chloropal in dem Basalte des Meenser Steinberges zwischen Göttingen und Münden Ver- anlassung gab, worauf ich mich hier beziehen kann 1). Zu den Mineralsubstanzen, welche überhaupt von Quellen, mógen sie ei- 1) Nachrichten von der G. A. Universilät und der Kön. Ges. d. W. zu соет 1857. Nro. 15. Phys. Classe. VIII. H 58 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, ne höhere oder niedrigere Temperatur haben, aufgenommen werden, und un- ter günstigen Verhältnissen in verschiedenen Zuständen aus denselben sich absetzen, gehören auch diejenigen, welche durch vulkanische heisse Quellen aus der Tiefe zu Tage gefördert werden. Die hohe Temperatur welche sol- chen Quellen eigen zu seyn pflegt, ist Ursache, dass die Quantität der von ihnen aufgenommenen Substanzen oft bedeutend ist, und dass sie daher auch mannichmal zu Ablagerungen von grosser Ausdehnung und Mächtigkeit Ver- anlassung geben. Unter jenen Mineralsubstanzen zeichnen sich folgende be- sonders aus: 1. Kohlensaurer Kalk, welcher durch Vermittelung von Kohlensäure von dem Wasser aufgenommen wird, und bei dem Entweichen derselben sich bald als eigentlicher Kalk, bald als Aragonit daraus abseizt. Keine Substanz wird häufiger von Quellen der verschiedensten Temperatur aufgenommen, und keine giebt zu grösseren und häufigeren Ablagerungen in den Formen von Kalktuff und Sprudelstein Veranlassung. Bei den heissen Quellen erfolgen diese Bildungen oft in sehr kurzer Zeit, wie die ausgezeichneten Beispiele von Carlsbad, von San Filippo am Monte Amiata in Toscana, St. Allyre bei Clermont in Auvergne es zeigen. 2. Kieselsáure. Wenn Quellen von gewóhnlicher Temperatur nur geringe Mengen von Kieselsäure zu enthalten pflegen, so vermitteln dagegen hohe Temperatur und grosser Druck zuweilen die Aufnahme bedeutender Quanlitäten, die zur Bildung von ausgedehnten und mächtigen Ablagerungen von Kieseltuff Veranlassung geben, wie es sich so ausgezeichnet bei den vulkanischen heissen Quellen Islands zeigt, aber auf ganz ähnliche Weise u. a. auch in Kamtschatka vorkommt. 3. Kohlensaures Eisenoxydul, welches durch Vermittelung von Kohlen- süure aufgenommen wird, sich bei dem Entweichen derselben absetzt, und in Eisenoxydhydrat umgewandelt wird. Kohlensaures Manganozydul, welches ebenfalls durch Hülfe von Kohlensäure vom Wasser aufgenommen wird, sich bei der Ausscheidung der- selben absetzt, und in Manganoxydhydrat sich umwandelt. j 9. Gyps, der vom Quellwasser ишлеп, sich bei dem Verdunsten des Wassers wieder ausscheidet. | ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN au. B. W. 59 Diese Mineralsubstanzen sind es nun auch, welche mannichmal in Be- gleitung des vulkanoidischen Basaltes unter solchen Verhältnissen angetroffen werden, dass ihre Bildung durch heisse Quellen, welche die Trabanten basal- tischer Erhebungen waren, nicht wohl bezweifelt werden kann. In den Werra- und Fulda- Gegenden zeichnet sich in der Begleitung basaltischer Massen ganz besonders die Kieselsüure aus. Der kohlemsaure Kalk steht derselben, wenn auch nicht in der Verbreitung, doch aber hinsichtlich der Quantitàt weit nach. Die übrigen Substanzen erscheinen weit sellener als die beiden ersteren, finden sich aber an einigen Orten in bedeutenden Massen in der Nähe des Basaltes. Da in den Werra- und Fulda-Gegenden ein grosser Theil der basalti- schen Massen den Muschelkalk durchbrochen hat, so möchte man vielleicht ` glauben, dass das heisse Quellwasser aus dieser Flötzmasse sich besonders Theile angeeignet habe. Diesem ist aber nicht so; man überzeugt sich viel- mehr, dass der kohlensaure Kalk, welcher in Begleitung des Basaltes sich findet, aus einer weit grösseren Tiefe berrühren muss. Dieses wird dadurch bewiesen, dass das Vorkommen von kohlensaurem Kalk sich nicht auf die basaltischen Massen beschränkt, welche sich aus dem Muschelkalke erhoben haben, sondern eben so wohl da sich findet, wo der Basalt andere, nicht kalkige Gebirgsarten, namentlich den bunten Sandstein, durchbrochen hat, Welche Gebirgsmassen es waren, durch die der Basalt seinen Weg nahm, darüber geben die hin und wieder von ihm eingehüllten Bruchstücke Auf- schluss. In dem Basalte der oben bemerkten Gegenden finden sich ausser Stücken von jüngeren Flötzgebirgsarten, namentlich von Muschelkalk und buntem Sandstein, vorzüglich kleinere und grössere Bruchstücke von einem aus vorwaltendem Feldspath, Quarz und wenigem Glimmer gemengten Granite, in welchem der Glimmer zuweilen ganz fehlt. Solche granitische Einschlüsse, in denen der Feldspath gewöhnlich mehr und weniger im zerselzten, dem Kaolin genäherten Zustande enthalten ist, kommen besonders am Meenser Steinberge, am Hohenhagen und Braunsberge zwischen Göttingen und Münden, so wie an einigen Basaltbergen in der Gegend von Cassel vor. Dass aus dem Granite, und namentlich aus seinem Feldspath, Kieselsüure in heisse Quellwasser gelangen konnte, leidet keinen Zweifel Ueber die Abkunft des г H2 60 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Eisens, Mangans und Gypses, in so fern diese Kórper als Quellenabsátze erscheinen, giebt dasjenige, was unsere Basalte einhüllen, keinen Aufschluss. Die Gebilde in Begleitung der Basalte in den benachbarten Gegenden, welche ich für Producte heisser Quellen glaube ansprechen zu dürfen, stellen. sich auf sehr verschiedene Weise dar; aber alle Erscheinungen, welche dabei wahrgenommen werden, sind, wie es mir scheint, aus den Verhältnissen, in welchen Wasserdämpfe und heisse Quellwasser zu den vulkanischen Phäno- menen und Producten stehen, genügend zu erklären. Waren heisse Wasser und Wasserdämpfe die Begleiter basaltischer Eruptionen, so mussten sie sich besonders da einen Ausgang verschaffen, wo sie den geringsten Widerstand fanden. Dieses war nun vorzüglich an den äusseren Gränzen der aufstei- genden und die in den Weg tretenden Gebirgsmassen durchbrechenden, ge- schmolzenen Massen der Fall. War die Gebirgsmasse von lockerer Beschaf- fenheit, so verbreitete sich das Wasser im tropfbaren und dampfförmigen Zustande durch dieselbe, und stieg in geringerer oder grösserer Entfernung von der basaltischen Masse empor. Hatte die Gebirgsmasse eine grössere Festigkeit, so suchte das Wasser auf Absonderungen und Klüften sich einen Durchgang zu verschaffen; oder es durchdrang auch wohl, von der hohen Temperatur unterstützt, die Masse desselben. Wo das Wasser auf die eine oder andere Weise in Quellen zu Tage kam, wurden die von ihm aufge- nommenen Substanzen ausserhalb der Gebirgsmasse, durch welche es seinen Weg genommen, abgesetzt. Oft fand indessen im Innern der Gebirgsmasse ein Absatz, oder in gewissen Fällen, eine Umänderung derselben statt. Die Wirkung der Wasserdämpfe und der Absatz von den im Wasser gelösten Substanzen, beschränkten sich nicht auf die äusseren Gränzen der aufsteigenden basaltischen Masse, sondern fanden auch wohl im Innern derselben, und vorzüglich in der Nähe ihrer äusseren Begränzung statt. Diesem Hergange gemäss lassen sich nun folgende Modificationen des Vorkommens von m. gebilden in Begleitung des Basaltes unterscheiden: 1. Vorkommen auf dem Wechsel der basaltischen Masse und der von ihr durchbrochenen Gebirgsmasse. 2. Vorkommen in der von dem Basalte йно Gebirgsmasse ; wobei sich der Unterschied zeigt, dass ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 61 a. eine Eindringung in eine lockere Masse, oder b. eine Durchdringung und Umänderung der durchdrungenen Masse statt fand. 3. Vorkommen in der Nähe des Basaltes, aber ausserhalb der von ihm durchbrochenen Gebirgsmasse. ` 4. Vorkommen im Innern der basaltischen Masse. | Was das Alter der Quellengebilde betrifft, die in Begleitung des Basaltes sich finden, so versteht es sich von selbst, dass sich solches nach dem Alter der basaltischen Erhebungen richtet. Allerdings ist es nach der Analogie vulkanischer Erscheinungen denkbar, dass noch lange nach der Bildung der Basaliberge das Vorkommen heisser Quellen, und mithin auch die Entstehung von Absätzen aus denselben fortdauern konnte. In Beziehung auf das Aller der letzteren wird daher nur die Annahme zulässig seyn, dass sie kein höheres Alter haben, als die basaltischen Eruptionen, mit welchen das Her- vorbrechen der heissen Wasser begann. Wenn es gleich noch nicht entschieden ist, ob sämmtliche basaltische Erhebungen Deutschlands derselben Periode angehóren, so ist es doch bei den basaltischen Massen der Werra- und Fulda- Gegenden keinem Zweifel unterworfen, dass ihre Erhebung in die Zeit nach der Entstehung der zu den jüngeren tertiären Bildungen gehörenden Braunkohlen-Formation und Meersand- Ablagerung fällt, welche letztere früher irrig für ein Aequivalent der Grobkalk- Formation gehalten, und erst später als ein neueres, in die Zeit der Subapen- ninen-Formation fallendes Gebilde erkannt worden. Die basaltischen Massen der Werra- und Fulda- Gegenden durchbrechen nicht bloss jene beiden ter- Hären Formationen, sondern bedecken sie auch an manchen Orten. In dem Bereiche derselben finden sich daher besonders die in Begleitung der basalti- schen Massen vorkommenden Quellen-Gebilde. Da die Massen jener gróssten Theils von lockerer Beschaffenheit sind, so gestatteten sie nicht allein den Wassern einen Durchgang, sondern begünstigten auch oft den Absatz der festen Theile aus denselben. Da indessen die älteren Formationen nicht überall, wo sie ‘von basaltischen Massen durchbrochen wurden, von jenen tertiären Formationen bedeckt waren, so zeigen sich die Quellen-Gebilde auch mannich- wal in dem Bereiche der ersteren. ‘In den Werra- und Fulda- Gegenden erscheinen besonders die hier sehr verbreiteten Flötzgebilde des bunten Sand- 62 JOH. FRIEDR. LUD W. HAUSMANN, steins, Muschelkalkes und Keupers, von basaltischen Massen durchbrochen. Doch zeigen sich dieselben auch in einigen Gegenden in Derührung mit ülteren Formationen, namentlich mit dem Kupferschiefergebirge und dem von diesem bedeckten Uebergangsgebirge; daher denn auch wohl die begleitenden Quellen- Gebilde in der Nähe derselben angetroffen werden. П. Vorkommen des kohlensauren Kalkes. Der kohlensaure Kalk stellt sich in Begleitung der basaltischen Massen sowohl als Aragonit, als auch als Kalkspath, selten als Braunspath dar. Er findet sich besonders in unmittelbarer Nähe der basaltischen Massen und in den ihren äusseren Begränzungen zunächst liegenden Theilen derselben. Ara- gonit uud Kalkspath kommen bald von einander getrennt, bald mit einander vor; der erstere zeigt sich zuweilen in unmittelbarer Berührung mit der durch- brochenen Flótzgebirgsmasse, aber auch im Innern der basaltischen Masse. Der häufiger sich findende Kalkspath kommt besonders hier, doch aber auch unter anderen Verhältnissen vor. Auf merkwürdige Weise tritt der Aragonit in Begleitung der ausgezeich- neten lagerartigen Masse basaltischen Mandelsteins auf, welche sich am west- lichen Fusse des aus Basalt bestehenden Ochsenberges unweit Dransfeld im Muschelkalke findet, und von mir im vierten Bande der Studien des Göttingi- schen Vereins Bergmünnischer Freunde, Seite 247—269 beschrieben worden. Die Schichten des zum sogenannten Wellenkalke gehórenden Muschelkalkes haben eine Neigung von 58—100 gegen NO. und vollkommen gleichfórmig damit zeigt sich das Ausgehende der Basaltischen Masse, deren grösste Mäch- tigkeit 3 Fuss beträgt. Die kleinen Blasenräume des Mandelsteines sind mit weissem Kalkspath theils ausgefüllt, theils ausgekleidet, der im letzteren Fall gegen die Hóhlung in rhomboédrische Krystallspitzen ausgeht. Der Basalt- mandelstein ist im Hangenden und Liegenden durch eine scharf abgesonderte, 1—3 Zoll starke Lage einer Masse begrünzt, welche von einer weit lockereren Beschaffenheit als jener, dabei schaalig abgesondert ist, und aus einer wei- chen, leberbraunen, wackenartigen Grundmasse besteht, in welcher eine Menge ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 63 sehr kleiner, theils kugelförmiger, theils ellipsoidischer, theils unregelmässiger Blasenräume sich befindet, die von gelblichweissem Aragonit erfüllt sind, wodurch das Ganze ein gesprenkeltes Ansehn erhält. An der äusseren Be- gränzung dieser Ablösungsmasse, die sich wie der Besteg eines Ganges ver- hält, wird hin und wieder eine 1—3 Linien starke Lage eines gelblichweissen, faserigen Aragonits wahrgenommen, dessen Fasern senkrecht gegen die Be- grünzungsebenen stehen. Diesen Aragonit sieht man zuweilen noch weiter in die Kalksteinmasse des Liegenden und Hangenden verbreitet, indem er sich theils gangfórmig darin verästelt, theils zwischen die Schichtungsabsonderungen eindrüngt, und hie und dà kleine Drusenhóhlen bildet, in denen er kry- stallisirt erscheint. In Begleitung der später weiter zu erwähnenden, gangfór- migen basallischen Durchsetzung des Muschelkalkes am Schieferberge in der Nähe von Bransrode am Meissner, hat sich hin und wieder Aragonit zwischen dem Basalte und dem angränzenden Gestein gefunden. In den basaltischen Massen selbst erscheinen Aragonit und Kalkspath auf verschiedene Weise. Entweder bilden sie Gangtrümmer, wie solches vorzüg- lich in dem Basaltconglomerat und Basalttuff der Fall ist, welche zuweilen ganz davon durchschwärmt sind, wodurch das Gestein wohl das Ansehn eines durch Kalkspath oder Aragonit verkitteten Conglutinates erhält; oder sie stel- len einzelne grössere oder kleinere Nester dar, in denen sich oftmals Drusen- hóhlen finden, welche zur Bildung von Kalkspath- und Aragonit- Krystallen Veranlassung -gegeben haben. In seltenen Fällen ist kohlensaurer Kalk als Aragonit das Petrificationsmiltel von Holz im Basaltconglomerat; oder endlich, es bildet der kohlensaure Kalk, besonders als Kalkspath, weit seltener als Aragonit, am Seltensten als Braunspath, die Ausfüllung oder Auskleidung der Blasenräume des Basaltmandelsteins. Das Vorkommen des Aragonits und Kalkspaths im Basaltconglomerat zeigt sich u. a. im Höllengrunde bei Münden, einem schmalen Seitenthale, welches sich von dem bewaldeten Bergrücken, der das Werrathal vom Volkmarshäu- ser- oder Schede-Grunde scheidet, gegen den letzteren herabziehet. Der Berg- rücken besteht aus buntem Sandstein, und zwar der Hauptmasse nach aus dem weissen Thonsandstein, in welchem oberhalb Volkmarshausen ein Mühlstein- bruch liegt. In dem Höllengrunde setzt eine mächtige Basaltausfülluug zu Tage, 61 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, die sich in der Hauptrichtung von Norden nach Süden bis gegen die Hóhe des Bergrückens verfolgen lässt. Der grösste Theil der Masse besteht aus sehr dichtem Basalt, der ein treffliches Chaussee-Material darbietet, dessen Gewin- nung die Anlage eines Steinbruches veranlasst hat. Hierdurch ist nun zugleich eine bedeutende Masse von Basaltconglomerat aufgeschlossen, welche sich ne- ben dem Basalte an dessen Ostseite in einer Felsenwand erhebt, und hier Ara- gonit und Kalkspath auf vorbeschriebene Weise beherbergl. Zwischen dem Reibungsconglomerate und dem dichten Basalt befindet sich Basaltmandelstein, der allmählige Uebergänge einer Seits in das Conglomerat und anderer Seits in den dichten Basalt bildet, und von welchem später noch weiter die Rede seyn wird. In der ersten Beschreibung der Basaltberge in der Gegend von ` Münden aus dem Jahre 1794, welche von Johann Christian Quantz aus Oberscheden herrührt, ist bereits das Vorkommen von Kalkspath in dem von ihm mit dem Namen Trass belegten Basalttuff erwähnt, der am östlichen Fusse des aus Basalt bestehenden Hohenhagens Sich findet 2). In Nestern und Drusen kommen Aragonit und Kalkspath besonders aus- gezeichnet in dem Basalte der Blauen Kuppe bei Eschwege, vorzüglich in der Nähe der äusseren Begränzung vor. Aragonit fand sich daselbst vor. einer Reihe von Jahren in ausgezeichneten zusammengesetzten Krystallisationen , den 2) Bemerkungen über die Basaltberge im Amte Münden. Im neuen Hannóverschen Magazin v. J. 1794. S. 1513. Der längst verstorbene Verfasser dieser für die damalige Zeit vorzüglichen Abhandlung, erhielt eine Anstellung als Hüttenschrei - ber auf der Kón. Hannoverschen Eisenhütte zu Lerbach am Harz, von wo er später nach der Kónigshütte bei Lauterberg, und darauf an die Sollinger Eisen- hütte versetzt wurde. Zuletzt war er Factor auf dem Kupferhammer bei Uslar. Der überaus kenninissreiche, aber nicht immer nach Verdienst‘ gewürdigte Mann, hat sich durch seine ausgezeichnete Schrift über die Eisen- und Stahl- manipulation in der Herrschaft Schmalkalden v. J. 1799 als Metallurg einen Na- men von gutem Klang erworben. Von demselben rührt auch eine Beschreibung einiger Schmalkalder Eisenwaaren im 12. Bande von Beckmann’s Beiträgen zur Oekonomie, Technologie u. s. w. her. Im vierten Stücke meiner norddeut- schen Beiträge zur Berg- und Hüttenkunde v. J. 1810 befindet sich von meinem unvergesslichen Freunde ein trefflicher Aufsatz über die Anfertigung der eiser- . nen Treibseile auf dem Harze. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 65 von Molina in Aragonien ähnlich; und nicht selten zugleich mit Kalkspath, der die Aragonitkrystalle bekleidet, und dadurch seine spätere Bildung bekundet. Die Bedrusung ist von der Art, dass eine Umwandlung des Aragonites in Kalkspath nicht wohl angenommen werden kann 3). Aragonit findet sich ausserdem zum Theil krystallinisch-stänglich, in Nestern im Basalte, besonders am Lammsberge bei Cülte in der Nähe der Waldeck’schen Gränze, und am Galgenberge bei Breune im Kurhessischen Kreise Wolfhagen. Von dem Vorkommen des Aragonits als Petrificationsmiltel von Holz, in- dem in Basaltconglomerat eingeschlossene holzförmige Braunkohle in Aragonit umgewandelt erscheint, wie es sich bei Hofgeismar findet, habe ich bereits bei einer anderen Gelegenheit ausführlich gehandelt *), worauf ich mich hier be- ziehen kann. Ueber die Bildungsweise des Basaltmandelsteins sind die Ansichten nicht ganz übereinstimmend. Dass die Blasenräume durch Dämpfe oder Gase in dem noch im geschmolzenen Zustande sich befindenden Basalte entstanden sind, wird aber wohl nicht bezweifelt werden können. Hinsichtlich der Ausfüllung sind einige Geologen der Meinung, dass die Ausfüllungsmasse aus dem Ge- stein, welches eine Zersetzung erlitten, aufgenommen worden, und in die Höh- lungen eingedrungen sey 5). Dass solches bei dem kohlensauren Kalke nicht 3) Auf ganz ähnliche Weise kommen im Iberge bei Grund am Harz Aragonitkry- stalle mit einer Bekleidung von Kalkspathkrystallen vor. Auch hier scheint mir kein Grund vorhanden zu seyn, eine Umwandlung des Aragonits in Kalkspath an- zunehmen. Aber nicht überall wo beide mit einander sich finden, und namentlich wo sie als Ausfüllung von Räumen in Basalt zusammen vorkommen, ist ihr gegenseili- ges Verhältniss so, dass der Aragonit als das früher, Kalkspath als das später Gebildete erscheint, sondern mannichmal ein umgekehrtes. Gustav Rose, Ueber die heteromorphen Zustünde der kohlensauren Kalkerde. Erste Abhand- lung. 1856. S. 31. 85—37. 4) Ueber die durch Molekularbewegungen in starren lebloseu Körpern bewirkten Formveründerungen. Im 6. Bande der Abhandlungen der Kön. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. S. 168. 5) Die Basalt- Gebilde, von Karl Cäsar von Leonhard. 1832. 1. S. 221. Lehrbuch der Geognosie von Dr. C. Fr. Naumann. 1850. 1. S. 734. I Phys. Classe. VIII. 66 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, der Fall seyn konnte, scheint mir bei dem Basaltmandelstein, wie er in den Werra- und Fulda- Gegenden vorkommt, unzweideutig sich darzu- stellen. Dieser bildet nicht selbstständig Kuppen und grössere Bergmas- sen, sondern findet sich entweder für sich in nicht mächtigen Ausfül- lungsmassen, oder in Begleitung mächtigerer basaltischer Ausfüllungsmas- sen, an den äusseren Begränzungen derselben, oder endlich in Verbin- dung mit kuppenfórmigen Massen. Wie der Basaltmandelstein in der la- gerarligen Ausfüllungsmasse am Fusse des Ochsenberges bei Dransfeld vor- kommt, ist oben bereits erwähnt. Eine besonders ausgezeichnete, gangartige Ausfüllung von Basaltmandelstein in der unteren Lagerfolge des Muschelkal- kes findet sich am Kratzenstein bei Cassel 5). Die an den mehrsten Stellen nur 1—2 Fuss mächtige Masse durchsetzt die Bänke des dichten Kalksteins in einer Hauptrichtung von Süden nach Norden, und mit einem östlichen Ein- fallen von etwa 809. Sie ist dem Streichen nach etwas: geschlängelt, und folgt zum Theil einer hor. 2. streichenden Nebenabsonderung des Kalksteins. In der Mächtigkeit zeigt sie sich bald erweitert, bald bis zu beinahe völliger Verdrückung zusammengezogen. Gegen das Ausgehende ist sie verüstelt, so dass die einzelnen Arme Kalksteinmassen umschlingen. Die Blasenräume sind mit Kalkspath ausgefüllt. Im bunten Mergelthon der oberen Lagerfolge des bunten Sandsteins kommen bei Cassel ebenfalls gangartige Ausfüllungen von Basaltmandelstein vor, dessen Blasenräume Kalkspath enthalten. Zwischen Kirchditmold und Harleshausen ist das Ausgehende einer solchen Masse auf 160 Schritt zu verfolgen. Ihr Hauptstreichen ist zwischen Stunde 11 und 12; die Mächtigkeit beträgt 1—2 Fuss. Nicht fern davon, am Fahrwege nach Dö- renberg, ist ein anderes Ausgehendes einer ähnlichen Masse sichtbar, deren Mächtigkeit etwa 20 Fuss betrügt7). Gangförmige Durchsetzungen von Ba- saltmandelstein finden sich auch in dem Braunkohlenlager des Habichtswaldes . bei Cassel. Die Ausfüllung der Blasenräume besteht bei diesen ebenfalls aus 6) Vergl. meine Uebersicht der jüngeren Flótzgebilde im Flussgebiete der Weser. 1824. S. 207. _ Т) Daselbst. S. 163. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 67 Kalkspath 5). — Wie der Basaltmandelstein im Hóllengrunde bei Münden an der einen äusseren Begränzung des dichten Basaltes, zwischen diesem und dem ihn begleitenden Basaltconglomerate vorkommt, ist oben bereits angegeben worden. In seinen Blasenräumen findet sich vorrherrschend Kalkspath; es . kommt aber auch Aragonit darin vor, zuweilen von einer lieblichen , blass violblauen Farbe, und ausserdem Braunspath von grünlichweisser Farbe, in welchem Merr J. Ahrend durch eine im hiesigen akademischen Laboratorium ausgeführte chemische Analyse folgende Bestandtheile fand: kohlensaure Kalk- erde 95,86 Pret., kohlensaure Talkerde 0,37, kohlensaures Eisenoxydul 3,53, kohlensaures Manganoxydul 0,82 9). In Begleitung einer mächtigen basaltischen - Durchsetzung findet sich Basaltmandelstein am Schieferberge unweit Brans- rode am Meissner. Der schmale, in der Hauptrichtung von Süden nach Nor- den sich erstreckende Rücken dieses Berges, der in der weiteren Fortsetzung gegen Weissenbach den Namen Dörenberg führt, besteht aus Muschelkalk, der in seinem grösseren Theil der unteren Lagerfolge desselben , und nur nach oben der mittleren angehört. In dem von Bransrode in der Hauptrichtung von Osten nach Westen, zwischen dem Meissner und dem Schieferberge sich herabziehenden Thale, fällt er 15— 209 gegen NW ein. Eine Viertelstunde nordwestlich unterhalb Bransrode befindet sich in dem Muschelkalke eine mäch- tige basaltische Durchsetzung, die sich vom Grunde des Thales bis zum Gipfel und selbst noch weiter auf dem Gipfel des Schieferberges in der Hauptrich- tung von SSW. gegen NNO verfolgen 1455110). Der Basalt steht in dem grö- sseren Theil der Durchsetzung nicht in Felsen an, sondern macht sich nur in losen Blócken zwischen Gestrüuch welches den steilen Abhang bekleidet, be- merklich. Darum ist es aber nicht möglich, die Mächtigkeit der Ausfüllungs- masse, deren Streichen hor. 2 seyn dürfte, genau zu bestimmen; doch scheint 8) Bemerkungen über das Braunkohlenwerk am Habichtswalde bei Cassel von F. E. Strippelmann, i. d. Studien des Göttingischen Vereins Bergmännischer Freunde. 1. S. 246. A 9) Vergl. mein Handbuch der Mineralogie 2. Ausg. II. S. 1324. 10) Verg. Hundeshagen, Beschreibung des Meissners, in von Leonhard’s Taschenbuch 11. Jahrg. 1817 S. 35. Friedr. Hoffmann, in Gilber''s Annalen der Physik. Bd. LXXV. S. 326. : I2 68 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, sie in dem unteren Theile wohl an hundert Fuss zu betragen, nach oben aber sich zu verschmälern, indem am obersten Rande des Abhanges, wo das Ge- stein in Felsen ansteht, die Mächtigkeit der basaltischen Masse nur etwa 10— 12 Fuss beträgt. Der Basalt ist der Hauptmasse nach ziemlich dicht; in der Nähe der äusseren Begränzung erscheint aber Basaltmandelstein mit kleinen Kalkspathkugeln, der hin und wieder Brocken von umgeündertem Kalkstein ein- schliesst. Von dieser die Basaltdurchbrechung begleitenden Umänderung des Muschelkalkes, so wie von dem Vorkommen des Gypses in ihrer Nähe, wird später die Rede seyn. --- Wo grössere Basaltmassen Braunkohlenlager be- decken, erscheinen jene in der Nähe der Berührung zuweilen als Mandelstein. Ich habe dieses sowohl am Hirschberge bei Grossalmerode, als auch an dem ein Braunkohlenlager deckenden Basalte des Steinberges oberhalb Münden wahrgenommen. — Wie die Blaue Kuppe bei Eschwege unter den basaltischen Erhebungen in den Gegenden, auf welche sich diese Bemerkungen beziehen, unstreitig zu den lehrreichsten Puncten gehört, deren Kunde auf die Ansichten von der Bildung des Basaltes überhaupt von entschiedenem Einflusse gewe- sen ist, so hat sie auch über das Verháliniss, in welchem der Basaltmandel- stein zum Basalte steht, die erwünschtesten Aufschlüsse gegeben. Diese wa- ren indessen nur in früheren Zeiten zu erlangen, in welchen die zur Gewin- nung des Basaltes angelegten Brüche noch nicht so weit fortgeschritten waren, als solches gegenwärtig der Fall ist. In den Zeiten in welchen Voigt die Aufmerksamkeit auf die Blaue Kuppe lenkte!!), und v. Hoff eine von einer Abbildung begleitete Beschreibung derselben lieferte 12), war durch einen an der Südseite der Kuppe in Angriff genommenen Steinbruch, die den bunten Sandstein durchbrechende, gangartige Basaltmasse aufgeschlossen. Als später auch an der Westseite ein Bruch angelegt wurde, der an einer höheren Stelle eindrang, wurde der Zusammenhang zwischen dem gangförmigen Durchbruche und der dachförmigen Hauptmasse der Kuppe aufgeschlossen, wodurch erst die Ueberzeugung gewonnen werden konnte, 11) Mineralogische Reise nach den Braunkohlenwerken und Basalten in Hessen u. s. w. von Joh. Carl Wilh. Voigt. 1802. S. 16—39. 12) Der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin Magazin. Fünfter Jahrgang. 1811. S. 349 ff. Tab. VIII. I. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 69 dass die basaltische Masse aus der Tiefe aufsteigend den bunten Sandstein durchbrochen, dann weiter sich erhoben, und zu beiden Seiten über densel- ben sich verbreitet habe. Bei der Fortsetzung des Bruches an der Süd- seite veränderte sich die Form der gangfórmigen Masse allmühlig. Als v. Hoff sie beschrieb, war sie oben 3—4 Meter breit, und nahm nach unten an Mäch- tigkeit zu. An der westlichen Seite erschien sie weiter in den Sandstein ein- gedrungen. Im Jahr 1815 fand ich das Verhalten im Ganzen noch ebenso. Die gangfórmige Basaltmasse war von dem Sandstein scharf abgelóst, und stellte sich in der Mitte dicht, aber in der Nähe des Sandsteins als Mandel- stein dar. Als in späterer Zeit der Bruch in nördlicher Richtung weiter ein- gedrungen war, erschien die gangförmige Masse in zwei Stränge getheilt, welche zwei grosse Sandsteintrümmer umgaben, und oben, in der Mitte und unten sich um dieselben vereinigten. Jeder Strang hatte an den schmalsten Stellen eine Mächtigkeit von etwa 3 Fuss, und bestand aus Mandelstein, dessen Blasenräume grössten Theils mit Kalkspath ausgefüllt oder ausgekleidet waren, aber hin und wieder auch Aragonit enthielten. Die durch einen Bruch auf- geschlossene Hauptmasse der Kuppe, die zu einer Zeit ein grosses , durch schaalig abgesonderten Basalt gebildetes Ellipsoid mit einer inneren Hóhlung darstellte, enthielt keinen Mandelstein, aber wohl, zumal in der Nähe der äus- seren Begränzung, einzelne kleinere und grössere Nester und Drusen von Kalkspath und Aragonit. Diese hatten keine regelmässige Formen und ver- liefen zuweilen in Gangtrümmer, wogegen die Blasenräume des Mandelsteins gewöhnlich eine elliptisch-sphäroidische Gestalt besassen, mit einem längeren Durchmesser von V, bis zu etwa 4 franz. Linien , wobei die grösste Durch- schnittsebene den Hauptbegrünzungsebenen der gangförmigen Ausfüllung pa- rallel war. Dieses Verhalten, welches sich ganz ähnlich auch bei anderen aus Basaltmandelstein bestehenden gangfórmigen Ausfüllungen zeigt, liess sich na- türlicher Weise um so deutlicher wahrnehmen, je grósser die Blasenrüume waren 15). Gegenwärtig ist der Zustand der Brüche so, dass von der süd- 13) Diese Erscheinung ist völlig analog der Längung und Abplattung der Blasenräume in der Masse eines Lavastromes, wobei die längere Achse der Richtung des Stromes, und die grössere Durchschnittsebene der elliptisch-sphäroidischen Bla- 10 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, lichen, gangfórmigen Masse leider Nichts mehr wahrgenommen wird. Nord- östlich in einiger Entfernung von der Blauen Kuppe erhebt sich aus dem bunten Sandstein die ebenfalls aus Basalt bestehende kleine oder Vogelskuppe. Vom nördlichen Fusse der Blauen Kuppe streicht gegen dieselbe hor. 2 eine gangfórmige Masse von Basaltmandelstein, welche auf 140 Schritt zu verfol- gen ist, und eine Mächtigkeit von höchstens 2 Fuss hat. Westlich in einiger Entfernung davon war in einem Fahrwege eine zweite, hor. 3 streichende, und 16 Fuss mächtige Gangmasse aufgeschlossen. —- Aus allen diesen Beob- achtungen scheint mir unzweideutig hervorzugehen: dass die Bildung des Man- delsteins gleichzeitig mit der des dichten Basaltes erfolgte; dass die Dämpfe und Gase — Wasserdampf und Kohlensäure — nebst dem durch Vermittelung der Kohlensäure im Wasser aufgelösten kohlensauren Kalk, zugleich mit der geschmolzenen Basaltmasse, aus der Tiefe emporgestiegen sind, und dahin hauptsächlich gestrebt haben, wo ihr Entweichen den geringsten Widerstand fand: daher sich bei mächtigeren basaltischen Durchbrüchen, die Mandelstein- bildung an den äusseren Gränzen zeigt. Ш. Vorkommen der Kieselsáure. Unter den die basaltischen Massen der Werra- und Fulda- Gegenden begleitenden Quellengebilden zeichnet sich die Kieselsäure nicht allein durch sen, der Grundfläche, oder was einerlei ist, der Oberfläche des Stromes ent- spricht. Wie hier die Fortbewegung desselben und der Druck von oben Ur- sache der Lüngung und Abplattung der Blasen sind, so ist dort die mehr und weniger senkrechte Fortbewegung der basaltischen Ausfüllungsmasse die Ursache der Längung, so wie der Seitendruck der Grund der Abplattung der Blasen- räume. Der Seitendruck ist auch Ursache, dass wenn schmale gangförmige Basaltmassen nicht etwa, wie es oft der Fall ist, prismatisch abgesondert sind, mit rechtwinkelig gegen die seitlichen Begränzungsebenen gerichteten Prismen, sondern aus krummflächig abgesonderten Stücken bestehen, solche nicht, wie sonst gewöhnlich, kugelig, sondern abgeplattet erscheinen, wobei die Haupt- durchschnittsebenen ebenfalls den seitlichen Begränzungsebenen parallel sind, wie man solches z. B. an der gangförmigen Masse von Basaltmandelstein am Kratzenstein bei Cassel sieht. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN и. s. w. 71 die Mannichfaltigkeit in ihrem Erscheinen, sondern auch durch die Verbreitung und zum Theil durch die Grösse ihrer Massen aus. Je nachdem die kiesel- säurehaltigen Wasser in verschiedenartige Massen eindrangen, namentlich in die tertiären Quarzsandlager, in die von ihnen begleiteten Braunkohlen, in den von dem Basalte durchbrochenen Muschelkalk, oder in die basaltischen Massen selbst, bildelen sich bald reinere, bald unreinere Kieselfossilien, die nach ihren Beschaffenheiten und ihrer Entstehungsweise im Nachfolgenden näher betrachtet werden sollen. 1. Durch Eindringung von kieselsüurehaltigem Wasser in tertiäre Quarzsandlager gebildetes Quarzgestein. Vormals neigte ich zu der Meinung hin, dass dieses mit dem Namen Trappquars, oder auch Quarzfritte belegte Gebilde, wirkliche, durch Ein- wirkung einer hohen Temperatur auf Sandstein oder Quarzsand entstandene Fritte, d. h. eine durch unvollkommene Schmelzung zusammengesinterte Masse sey 14). Obgleich sein Ansehen mit manchem, durch Einwirkung von Basalt umgeänderten Sandstein, wie er u.a. an der Blauen Kuppe bei Eschwege, am Alpstein bei Sontra in Hessen, in der Pflasterkaute bei Marksuhl am Thü- ringer Walde, am Wildenstein bei Büdingen in der Wetterau sich findet, Aehnlichkeit hat, und sein häufiges Vorkommen in der Nähe des Basaltes für jene. Annahme zu sprechen scheint, so dürften doch überwiegende Gründe derselben entgegenstehen, zu welchen besonders die Wahrnehmung gehört, dass Kieselmassen, welche mit den sogenannten Quarzfritten in der Nähe des Basaltes vollkommen übereinstimmen, in Gegenden und unter Verhältnissen sich finden, welche nicht entfernt an eine Einwirkung basaltischer Eruptionen denken lassen 15). Fortgesetzte Untersuchungen haben mir nun die Ueberzeu- gung gegeben, dass die besonders durch R. Ludwig geltend gemachte Meinung, dass die sogenannten Quarzfritten durch kieselerdehaltige Quellen 14) Vergl. Studien d. Gött. Vereins Bergm. Fr. Ш. S. 281 u.f. Mein Handbuch d. Miner. 21е A. П. S. 264. | 15) Vergl. die Bemerkungen Wissmann's im N. Jahrbuch f. Mineralpgie u. s. w. von v. Leonhard und Bronn. 1838. S. 533. Liebig’s u. Kopp's Jahres- bericht. 1851. S. 832. 72 JOH. FRIEDR, LUDW. HAUSMANN, bewirkt worden 16), die richtigere ist. Diese Kieselmassen sind in ihrer aus- gezeichnetsten Abänderung, ein Conglutinat von Quarzsand durch amorphe Kieselsáure; also genau genommen, ein Sandstein mit opalartigem Bindemittel. Dieses tritt freilich nur dann und wann deutlich hervor; am Gewöhnlichsten ist es in so geringer Menge vorhanden, dass es sich dem Auge entzieht, und mit den feinen unbestimmteckigen Körnern des Quarzsandes, die, einzeln betrachtet, oft als klarer Bergkrystall erscheinen, wie verschmolzen. Aber auf das Bruchansehen und die übrigen Eigenschaften ist die Beschaffenheit des Bindemittels doch von Einfluss. In den ausgezeichneteren Abänderungen ist der Bruch im Grossen muschelig; im Kleinen verläuft er von dem Körnigen durch das Unebene in das Splitterige. . Die Kanten der Bruchstücke sind so scharf, dass sie leicht verwunden, wobei sie aber die eigenthümliche Beschaf- fenheit haben, dass die einzelnen Quarzkórner sich an ihnen unterscheiden lassen, und dass sie durch das Hervorragen derselben sägeförmig erscheinen. Der Bruch hat einen mehr und weniger starken Schimmer, der zwischen dem Glas- und Fettarügen die Mitte hält. Kanten und dünne scheibenförmige Stücke sind stark durchscheinend. Bei durchfallendem Lichte sind die ein- zelnen Kórner mehr und weniger deutlich zu erkennen. Die Farbe ist am Häufigsten ein grauliches oder gelbliches, seltener ein röthliches Weiss; die erste Nüance verläuft in das Rauchgraue, die zweite allmählig in das Ocher- gelbe, welche Farbe in das Rost- und Leberbraune übergeht; die röthliche Nüance zieht sich zuweilen in das Fleisch-, Blut-, oder Kirschrothe. Oft kommen mehrere Farben in einem Stücke neben einander vor, entweder scharf begränzt, oder in einander verwaschen; mannichmal stellen sich auch gefleckte, wolkige, geaderte Zeichnungen dar. Die Oberfläche der Stücke hat oft eine andere Farbe als das Innere. Ist dieses weiss oder gelb, so ist die Oberfläche nicht selten rost- oder leberbraun, und diese Färbung ist dann gegen das Innere wie verwaschen. Dasselbe zeigt sich an den Rändern von Höhlungen, die in den Kieselmassen sich dann und wann finden. Zu diesen Eigenschaften gesellen sich noch mehrere andere, wodurch sich die soge- nannten Quarzfritten von den gewöhnlichen Abänderungen des Quarzes unter- 16) Jahresbericht der Wetterauischen Gesellschaft. 1850 bis 1851. S.38 f. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 13 scheiden. Ihre Masse besitzt nehmlich einen bedeutenden Zusammenhalt, ver- bunden mit auffallender Spródigkeit. Die abspringenden, scharfkantigen Stücke fliegen weit davon, und bei dem Zerschlagen, mehr noch aber wenn man gegen dünne Stücke mit dem Hammer schlägt, vernimmt man einen hellen Klang: Eigenschaften, wie man sie sonst nur bei glasartigen, unter hoher Temperatur gebildeten Körpern zu finden pflegt. Bei dem Zerschlagen der Stücke bemerkt man einen eigenthümlichen Geruch, der auch wohl bei anderen Kieselfossilien, z. B. bei Horn- und Feuerstein, wahrgenommen wird, und vermuthlich von einem Gehalte an Bitumen herrührt, dessen Anwesenheit auch durch die zuweilen sich zeigende, blass rauchgraue Farbe angedeutet wird. Das specifische Gewicht fand ich bei einer besonders charakteristischen Abänderung = 2,531, also etwas geringer, als das gewöhnliche eigenthümliche Gewicht des reinen Quarzes, dagegen aber hóher, als das specifische Gewicht des Opals, welches zu den Beweisen gehört, dass amorphe Kieselsüure die Verkittung der Quarzkórner bewirkt. Eine besondere Eigenthümlichkeit der sogenannten Quarzfritten ist es auch, dass die festeste Abänderung nicht selten unmittelbar an eine locker zusammengebackene, mit den Fingern zu feinem Sande zu zerreibende Masse gränzt, ohne dass ein Uebergang von der einen zur anderen sich zeigt. Die lockeren Partieen kommen bald im Innern bald mehr in den áusseren Theilen des festen Quarzgesteins vor und be- sonders bei dem in einzelnen Blöcken sich findenden. Diese auffallende Ver- schiedenheit des Aggregatzustandes ist die Folge von einer ungleichen Ein- dringung des kieselerdehaltigen Wassers, und gehört zu den Beweisen, dass die Umwandlung des losen Sandes in eine feste Masse, durch eine solche Eindringung bewirkt worden. Damit steht im Zusammenhange, dass die lockeren Partieen: von rein weisser Farbe zu seyn pflegen, wogegen oft die angränzenden festen gefärbt erscheinen; welche Färbung von dem in dem kieselerdehalligen Wasser zugleich vorhandenen, kohlensauren Eisen- und Manganoxydul, welche später zersetzt wurden, herrührt. Die lockeren Par- tieen erleiden zuweilen Veränderungen, welche mit dem ursprünglichen Vor- kommen nicht verwechselt werden dürfen, wodurch sie durch Eisen- und Manganoxydhydrat gefärbt werden, und Uebergänge in Eisensandstein eni- stehen, wovon noch einmal bei späterer Gelegenheit die Rede seyn wird. Phys. Classe. VIII. K 14 | JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Die feste Kieselmasse hat nicht immer in gleichem Grade das gefrittete An- sehen, nebst anderen Eigenschaften, wodurch sie unter Einwirkung hoher Temperatur gebildeten Körpern ähnlich wird. Durch Aufnahme von etwas Thon nimmt das Quarzgestein einen mehr hornsteinartigen Charakter an; das Verschmolzen-Kórnige verschwindet, wogegen der splitterige Bruch mehr hervortritt, und zugleich Durchscheinheit und Glanz schwächer werden, so wie auch Spródigkeit und Klang sich vermindern. Fasst man diese Eigen- thümlichkeiten zusammen, und vergleicht man sie mit den Beschaffenheiten anderer quarziger Gesteine, namentlich mit denen des Quarzsandsteins, wie er in verschiedenen Flötzformationen, z. B. in den Gebilden des bunten Sand- steins und Keupers auftritt, so wird man zugeben müssen, dass zwischen diesen und den besonders charakteristischen Abänderungen des hier beschrie- benen Gesteins, auffallende Unterschiede sich finden. Allerdings nähern sich gewisse Abänderungen manchem Quarzsandstein, andere dem Hornstein sehr, und lassen sich, wenn man sie nicht in Verbindung wit den Modificationen von gefrittetem Ansehn antriflt, leicht mit jenen verwechseln. In Beziehung auf die Natur der Kieselmasse, durch deren Eindringung der lose Sand in das feste Gestein umgewandelt worden, verdient besondere Beachtung, dass in demselben hie und da Halbopal, zumal als Holzopal ausgesondert vorkommt, wogegen krystallinische Kieselsäure nur äusserst selten als drusige Bekleidung in Höblungen und auf Klüften wahrgenommen wird. Häufig ist das Quarz- gestein von Röhren durchzogen, deren Form anzudeuten scheint, dass sie von vegetabilischen Körpern, die nachher eine Zerstörung erlitten haben, her- rühren. Zuweilen trifft man deutliche Abdrücke vegelabilischer Theile, von Stängeln, Blättern, an. Herr Forstmeister Quensell zu Münden fand in dortiger Gegend einen ausgezeichneten Abdruck eines Zapfens von einem Nadelholzbaum, den ich seiner Güte verdanke. Wo das Quarzgestein in der Nähe von Braunkohlen vorkommt, schliesst es wohl Stücke holzförmiger Braunkohle ein. Von animalischen Körpern habe ich in dem Quarzgeslein niemals Spuren gefunden. ` Das Vorkommen des Quarzgesteins ist in den Werra- und Fulda-Ge- genden durch die Quarzsandlager der Braunkohlenformation und des jüngeren tertiären Meergebildes bedingt, in welche die Kieselsäure enthaltenden Quellen ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 75 eindrangen. Wo der Basalt diese Formationen durchbrach, finden sich in der Nähe desselben jene Kieselmassen, bald noch im Innern der tertiären Abla- gerungen, bald von denselben getrennt, als Zeugen des früheren Vorhanden- seyns lockerer Sandmassen, welche durch spätere Katastrophen, durch Strö- mungen, welche vielleicht die basaltischen Eruptionen selbst verursachten, fortgeführt worden. Wo das Quarzgestein in der Umgebung der tertiären Ablagerungen vorkommt, bildet es entweder zusammenhängende Lager, oder ` gangfórmige Durchsetzungen, oder einzeine Blöcke von verschiedenem, zu- weilen von sehr bedeutendem Umfange. Als zusammenhängendes Lager erscheint das Quarzgestein in der Braun- koblenformation am Habichtswalde bei Cassel. Es bildet hier das Sohlgestein unmittelbar unter den Braunkohlen, und hat eine Mächtigkeit von 1 bis 3 Fuss. In der Nähe der Kohlen ist es häufig durch Bitumen gefärbt. Es ruhet auf Letten, dessen Mächtigkeit bis zu 20 Lachter beträgt, unter welchem eine noch nicht durchsunkene Sandmasse sich befindet. Das Dach des Braunkohlen- lagers wird durch eine Lettenschicht gebildet. Darüber befindet sich ein mächtiges Triebsandlager, welches von Ваза! bedeckt wird 19). ^ Auch in Begleitung der Braunkohlenablagerung am Fusse des aus Basalt bestehenden Hirschherges bei Grossalmerode, kommt das Quarzgestein lagerarlig vor. Es bildet hier die Sohle des oberen Braunkohlenlagers in einer Mächtigkeit von 4 Fuss, indem es von demselben nur durch eine wenige Zoll mächtige Schicht eines bituminósen Lettens gesondert wird, und auf Sand- und Leltenmassen ruhet. Es kommen darin nicht selten Blálterabdrücke und Stücke von holz- fórmiger Braunkohle vor??). In dem jüngeren tertiären Meergebilde finden sich Lager vom Quarzgestein im Kurhessischen Kreise Hofgeismar, namentlich in der auf Eisenstein bauenden Hoheits- und Erbprinzgrube bei HoAenkirchen. Das festkórnige Gestein gehet hier einer Seits in einen lockeren Sandstein mit wenigem thonigen Bindemittel, und anderer Seits in Hornstein über 21). 19) Vergl. Strippelmann, i. d. Studien d. Gong. Vereins Bergm. Fr. I. S. 244. 20) Vergl. Baron Waitz von Eschen und Strippelmann, i. d. Studien d. Götling. Vereins Bergm. Fr. II. S. 134— 136. 21) Verg. Schwarzenberg, i. d. Landwirthschafllichen Zeitung für Kurhessen. 1830. 5.281. — Studien d. Gólling. Vereins Berg. Fr. Ш. S. 232. K2 76 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Eine merkwürdige gangförmige Masse bildet das Quarzgestein in der Nähe einer aus Basalteonglomerat und Basaltmandelstein bestehenden Durch- setzung der Braunkohle am Fusse des Hirschberges bei Grossalmerode, in geringer Entfernung östlich von dem grossen Tagebaue der Ringkenkuhle. Das Ausgehende des Quarzgesteins streicht von Norden nach Süden. Es ist zum Theil etwas thonig, an anderen Puncten aber quarzreicher und von aus- ' nehmend fester Beschaffenheit. Es schliesst vegetabilische Ueberreste von hellbrauner Farbe, und oft deutliche Abdrücke ein 22). Vermuthlich werden die Braunkohlen von dem Quarzgestein durchsetzt; und man wird die Bildung dieser gangförmigen Masse wohl der vereinten Wirkung der Eruption der benachbarten basaltischen Masse, und der in ihrer Begleitung aufsteigenden kieselerdehaltigen Wasser zuschreiben dürfen. Bei weitem am Häufigsten kommt das Quarzgestein in einzelnen Blöcken vor, die bald in der Umgebung von losen Sandmassen, bald in freier Lage sich befinden. Grösse und Gestalt derselben zeigen Verschiedenheiten. Man trifft sie von einem Cubikfuss und darunter bis zum Inhalte von mehreren hundert Cubikfussen an. Oft sind sie parallelepipedisch, mannichmal aber auch ganz unbestimmteckig; nicht selten lócherig. Zuweilen haben die Blöcke das Ansehen eines aus vielen unbestimmteckigen Stücken bestehenden Aggregates, indem sie nach verschiedenen Richtungen zerborsten erscheinen, wobei aber die Stücke dennoch, wie durch Zusammensinterung, fest verbunden sind. Sel- ten sind offene Klüfte vorhanden, deren Begränzungsflächen einen Ueberzug von sehr kleinen, lebhaft glänzenden Bergkrystallen haben. Besonders aus- gezeichnet ist ihre glatte mehr und weniger glänzende Oberfläche, die oft wie mit einer Glasur überzogen erscheint. Diese Beschaffenheit ist Ursache, dass Flechten sich gern darauf ansiedeln und ausbreiten, welches besonders vom Lichen geographicus Linn. gilt, dessen Vorkommen auf den Quarzblöcken un- serer basaltischen Gegenden überraschend ist, da diese Flechte sonst hier nicht gefunden wird. Von der auffallenden Verschiedenheit des Aggregatzustandes, welche oft in einem und demselben Blocke sich zeigt, indem eine Masse von grosser Festigkeit nicht selten unmittelbar an eine völlig zerreibliche grünzt, war oben bereils die Rede. Die Verbreitung der Quarzblócke ist in den 22) Daselbst. IL S. 157. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN o s. w. 77 Werra- und Fulda-Gegenden überaus gross; denn sie finden sich fast überall, wo basaltische Massen die Braunkoblenformation und das jüngere tertiäre Meerge- bilde durchbrochen haben. Sie liegen daher besonders an den unteren Ein- hängen und am Fusse der Basaltberge, so wie in Mulden und Thalgründen zwischen ihnen; oft auf den von dem Basalte durchbrochenen tertiüren Mas- sen, aber nicht auf basaltischen Massen, wiewohl sie an manchen Stellen zwi- schen losen Basaltblócken sich finden. An der Verbreitung der Quarzblócke ist nicht selten die frühere Ausdehnung der durch spätere Katastrophen zer- störten tertiáren Sandablagerungen zu erkennen, deren lose Massen fortge- führt wurden, wogegen die Trümmer der festen Quarzmassen zum Theil liegen blieben. Zuweilen trifft man diese noch in ihrer ursprünglichen Umgebung an, wie solches u. a. am Schottsberge in der Gegend von Dransfeld der Fall ist, dessen nicht von Basalt bedeckte Kuppe aus losem Sande besteht, aus wel- chem Quarzmassen von grossem Umfange hervorragen. Ohne Zweifel hing diese Sandmasse früher mit den zur Braunkohlenformation gehörenden Sand- Ablagerungen zusammen, welche am Fusse des Dransberges, Braunsberges, Hohenhagens zu Tage ausgehen. Die Mulden zwischen diesen Bergen sind mit Quarzblöcken besäet, die theils hie und da zerstreut liegen, theils einzelne Anhäufungen bilden, theils in Zügen von verschiedener Länge vorkommen, welche Art der Vertheilung sich auch wohl bei losen Basaltblöcken zeigt. Unter ähnlichen Verhältnissen wie bei Dransfeld finden sich die Quarzblöcke auch in anderen Gegenden. Zu den Localitäten die sich durch das Vorkom- men besonders auszeichnen, gehören der westliche Fuss des basaltischen Sand- berges unweit Ellershausen, und viele Puncte in der Gegend von Cassel, zu- mal Wilhelmshöhe, wo der sogenannte weisse Stein, der vormals jener Höhe den Namen gab, ein grosser Quarzblock ist; das Ahmethal am Habichtswalde, die Gegenden von Niederkaufungen, Nieder- und Oberzwehren. Im Allgemei- nen werden die Quarzblöcke mit der weiteren Entfernung vom Basalte selte- ner. Indessen finden sie sich doch auch zuweilen fern von Basaltbergen, auf ganz zufälligen Unterlagen, z. B. auf buntem Sandstein, buntem Mergel, Mu- schelkalk; wobei die Annahme begründet erscheint, dass sie zu ihren jetzigen Fundorten durch eine mehr und weniger weite Fortführung von ihrer ur- sprünglichen Lagerstätte gelangt sind. 18 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, 2. Durch Eindringung von kieselsäurehaltigem Wasser in Schichten der Braunkohlen- formation gebildetes Kieselholz. An mehreren Puncten wo die Braunkohlenformation von basaltischen Mas- sen durchbrochen und bedeckt ist, zeigt sich in jener die Eindringung von kieselsäurehaltigem Wasser an dem Vorkommen von Kieselholz. Beson- ders ausgezeichnet findet sich diese Bildung in der mächtigen und in mehrfacher Hinsicht sehr merkwürdigen Braunkohlenablagerung am Hirschberge bei Gross- almerode, in welcher auch, wie bereits erwähnt worden, der begleitende Quarz- sand zum Theil in festes Quarzgestein umgewandelt is. Nach den von den Herren Baron Waitz von Eschen und Strippelmann darüber mitge- theillen Bemerkungen 25), kommt das Kieselholz vorzüglich in dem untersten, 14 Fuss mächtigen Braunkohlenlager vor, welches eine noch nicht durch- sunkene Unterlage von Quarzsand hat. Erdige Braunkohle macht die Haupt- masse aus. Darin befinden sich aber in nicht unbedeutender Menge, gewóhn- lich im mehr und weniger senkrechten Stande, und nur an wenigen Stel- len in horizontaler Lage, in eine hornsteinartige Masse umgewandelte Baum- stámme. Meistens sind es die unteren Theile mit den noch in ihrer ursprüng- lichen Lage in die Sohle des Braunkohlenlagers sich verbreitenden Wurzeln. Die Stämme erreichen fast nie eine 8 Fuss übersteigende Länge, bei einem wohl 4—6 Fuss betragenden Durchmesser, und erscheinen an ihrem oberen Ende wie abgeschnitten. Im unverwitterten Zustande haben sie eine dunkel nelkenbraune Farbe, die sich bei längerer Einwirkung der Atmosphäre in eine lichtgraue umändert. Im Bruche ist das Kieselholz feinsplitterig. Die Jahres- ringe sind scharf abgesondert, und lösen sich nach längerer Berührung der Luft von selbst, oder bei einem leichten Schlage, völlig von einander. Ihre ursprüngliche Form ist oft auf die Weise verändert, dass sie Wellenbiegungen besitzen, die in zarte Falten übergehen; welche Umbildung wohl nur bei ei- nem erweichten Zustande, und durch Einwirkung eines Druckes erfolgen konnte, der vermuthlich durch die von der eingedrungenen Kieselmasse herrührende Volumenvergrösserung verursacht wurde. Die Oberfläche der Jahresringe ist gewöhnlich von sehr kleinen, in der Sonne lebhaft glänzenden Quarz- 23) Studien des Götting. Vereins Bergm. Fr. II. S. 131. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 79 krystallen bekleidet, daher sie scharf anzufühlen ist, und bei dem Ver- schieben der von einander gelösten Jahresringe, ein Rauschen wahrneh- men lässt. Vor dem Lóthrohre entwickelt das Kieselholz einen schwachen Braunkohlengeruch, und brennt sich weiss. Die kleinen Quarzkrystalle erschei- nen dann unter der Loupe als klare Bergkrystalle. Aehnliches Kieselholz fin- det sich auch in einem mittleren, fast nur aus holzfórmiger Braunkohle be- stehenden Kohlenlager der Ringkenkuhle, in welchem grosse Wurzelstücke und Stämme angetroffen werden, an welchen mur ein Theil in Kieselholz um- geändert ist, während der andere noch als Braunkohle erscheint 24). Auf andere Weise zeigt sich das Kieselhola in der Braunkohlenformation am kleinen Steinberge oberhalb Münden, wo dasselbe nicht in dem Braunkoh- lenlager selbst, sondern in der mächtigen Quarzsandlage, welche die Sohle desselben ausmacht, in grosser Menge vorkommt. Herr Forstmeister Quensell zu Münden, der dem Braunkohlenbergbaue am Steinberge vorsteht, hat die Güte gehabt, mir darüber auf meine Anfrage eine lehrreiche Notiz zukommen zu lassen, die ich im Folgenden mitzutheilen mir erlaube. Der am Steinberge zum Durchbruch gekommene Basalt ist tafel- und säulenförmig, theils kugelig abgesondert, und bedeckt einen grossen Theil des Thon- und Braunkohlenla- gers. Ueber und unter dem 20 bis 30 Fuss müchtigen Braunkohlenlager liegt in einer Mächtigkeit von 8 bis 10 Fuss der bekannte Thon, welcher von den Töpfern zu Hedemünden, Oberode_ und Nienhagen benutzt wird. Unter dem unteren Thonlager kommt noch eine wenige Fuss mächtige erdige Braunkoble vor, welche nicht bauwürdig ist. Dann folgt das 30 bis 40 Fuss mächtige Lager von feinem Quarzsand, welcher zur Glasfabrikation zu Ziegenhagen be- nutzt wird. In diesem Sandlager, welches auf dem bunten Sandstein ruhet, kommt Kieselholz häufig vor. Dasselbe findet sich hier in kleineren und grös- seren Stücken. Grössere Stücke von 1 Fuss Durchmesser und von mehre- ren Fussen Länge, so wie ein Wurzelstock von etwa 11% bis 2 Fuss Durch- messer und 21/5 Fuss Höhe, wurde bei Anlage eines Stollens gefunden. Das Kieselholz des Steinberges, von welchem ich dem Herrn Forstmeister Quen- sell eine schöne Folge von Probestücken verdanke, unterscheidet sich da- (24 Baron Waitz von Eschen u. Strippelmann, a. а. O. S. 133. 80 JOH. FRIEDR, LUDW. HAUSMANN, durch von dem des Hirschberges, dass es weniger wie dieses das Ansehn von Hornstein hat, sondern sich mehr dem gemeinen Quarze nähert. Es hat einen unebenen, in das Splitterige übergehenden Bruch, ist matt, an den Kanten durchscheinend, und von bráunlichweisser Farbe. Es ist, wie das Hirschber- ger Kieselholz, scharf anzufühlen, rauscht bei dem Verschieben der abgeson- derten Stücke, und zeichnet sich in dünnen und langen Stücken durch hellen Klang aus. Die Art der Absonderungen der Jahresringe, so wie ihre Wellenbiegungen und Faltungen , verhalten sich wie bei jenem. Auch zeigt die Oberfläche der Jahresringe häufig mikroskopische Quarzkry- stalle, die jedoch bei dem Steinberger Kieselholz noch kleiner und weni- ger glänzend sind, als an dem vom Hirschberge. Durch diese Bedrusung erscheinen die Jahresringe oft wie auseinander getrieben, so dass Räume zwi- schen ihnen sichtbar sind, ohne dass doch der Zusammenhang ganz aufgeho- ben ist. Auch kommen hin und wieder kleine, mit mikroskopischen Quarzkry- stallen ausgekleidete Drusenhöhlen im Inneren des Kieselholzes vor. Sein specifisches Gewicht fand ich = 2,533, welches etwas niedriger als das des reinen Quarzes ist, und anzeigt, dass die Masse des Steinberger Kieselholzes ebenfalls eine Verbindung von krystallinischer und amorpher Kieselsäure ist. Herr Forstmeister Quensell hat mir auch eine Probe von einer kieseligen Masse mitgetheilt, welche zuweilen schichtenweise in dém Braunkohlenlager des Steinberges vorkommt, und dasselbe oft in ein oberes und unteres Lager trennt. Die Mächtigkeit dieser Schicht beträgt selten mehr als 1 bis 2 Fuss. Der Bergmann nennt diese Masse Glassand. Sie besteht indessen nicht aus Sand, sondern stellt in den reinen Partien, ein feines, weisses, zerreibliches, scharf anzufühlendes Kieselpulver dar, welches durch beigemengte erdige Braunkohle zum Theil bräunlich gefärbt ist. Es scheint mir am wahrscheinlich- sten zu seyn, dass diese Masse ein pulverförmiger Absatz der kieselsäurehal- tigen Quellen ist, welche in der unteren Quarzsandschicht die Bildung des Kieselholzes veranlasst haben. Vor längerer Zeit erhielt ich Stücke von Kieselholz, welches dem des Steinberges vollkommen gleicht, und sich an dem basaltischen Wiershäuser Staufenberge unweit Münden gefunden haben sollte. Nach der Mittheilung des Herrn Forstmeisters Quensell kommt ein Sandlager zwischen dem Wiershäu- ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN а, s. ж. 81 ser Staufenberge und dem nahe belegenen Fuchsberge vor, welcher letztere nur aus Sand und sogenannten Quarzfritten besteht. Da dieses Sandlager ebenfalls ohne Zweifel zur Braunkohlenformation gehört, so ist es wohl nicht unwahrscheinlich, dass in demselben jenes Kieselholz sich gefunden hat. 3. Absatz von Kieselsinter in dem schlackigen Anthracite des Meissners. Bekanntlich wird das mächtige Braunkohlenlager des Meissners von Basalt bedeckt, dureh dessen Einwirkung der seiner Decke zunüchst befindliche Theil der Braunkohlen in mehr und weniger vollkommenen, theils stänglichen, theils schlackigen Anthraeit umgewandelt worden 16). In dem letzteren kommt auf dem Bransröder Stollen ein merkwürdiges, offenbar durch einen Absatz aus kieselsäurehaltigem Wasser entstandenes Kieselgebilde vor, welches schon vor langer Zeit beachtet, aber auf verschiedene Weise gedeutet worden. Mönch, der dasselbe zuerst erwähnt hat 17), hielt es für blättrigen Gyps, welche irrige Meinung durch J. Fr. Gmelin und Schaub widerlegt worden 18), indem sie zeigten, dass jenes Fossil aus Kieselerde bestehe. Schaub nannte das- selbe Quarz, worin er in so fern Recht hatte, als an demselben wirklich mikroskopische Quarzkrystalle vorkommen. J. L. Jordan, der eine genauere Untersuchung jenes Kieselgebildes lieferte 19), tadelte die Schau b'sche Benen- nung, ob ét gleich selbst die an demselben vorhandenen Quarzkrystalle er- wähnte, und legte ihm den wohl nicht unpassenden Namen Kieselsinter bei. Die ganze Art des Vorkommens lässt eine sintrische Bildung nicht verkennen; und wenn gleich Jordan sich gegen die Ansicht von dem vulkanischen Ur- sprunge des Basaltes, welcher Schaub zugethan war, und einen Zusammen- hang zwischen einem solchen und der Bildung jenes Kieselfossils mit Eifer erklärte, so suchte er doch die Aehnlichkeit desselben mit dem Kieselsinter des Geyser’s nachzuweisen. Es stellt dünne Rinden und Ueberzüge zwi- schen den in unbestimmten Richtungen vielfach einander durchsetzenden Ab- 16) Vergl. hierüber meine Abhandlung über die durch Molekularbewegungen in starren leblosen Körpern bewirkten Formveründerungen. 1856. 5. 89. 17) Crell's neueste Entdeckungen in der Chemie. XI. S. 59. 18) Schaub's Beschreibung des Meissners. 1799. S. 110. 19) Mineralogische u. chemische Beobachtungen u. Erfahrungen. 1800. S. 292 ff. Phys. Classe. VIII. L 82 JOH. FRIEDR. LUDW, HAUSMANN, sonderungen des schlackigen Anthracites dar, und kleidet die blasigen Räume in demselben aus, in welchem Falle es eine kleinnierenfórmige, getropfte, oder zellige äussere Gestalt zu besitzen pflegt. Es ist zuweilen in solcher Menge vorhanden, dass die Masse das Ansehn eines aus unbestimmteckigen Anthraeitstückchen bestehenden, durch Kieselsinter verkitteten Conglomerates hat. Sind die Rinden so stark, dass ihr Inneres deutlich zu erkennen, so er- scheinen sie körnig abgesondert, oder uneben im Bruche. Sie sind mehr und weniger durchscheinend, matt oder schimmernd, und gewöhnlich von grau- lich-, zuweilen von róthlichweisser Farbe. Háufig besitzen sie einen Ueber- zug von sehr kleinen, nur unter der Loupe erkennbaren Quarzkrystallen, wel- cher bewirkt, dass die Oberfläche scharf anzufühlen ist. Nach Jordan's Untersuchung soll das specifische Gewicht nur 1,317 betragen, und die che- mische Zusammensetzung folgende seyn: Wasser 2,000 Kieselerde 95,500 Thonerde 1,000 Kalkerde 0,125 Eisenoxyd 0,375 99,000 Verlust 1,000 100,000 т 4. Bildung verschiedener Kieselfossilien durch Eindringung kieselsäurehaltiger Quellen in die Schichten des vom Basalte durchbrochenen Muschelkalkes. Zu den merkwürdigsten Erscheinungen welche die den Basalt der be- nachbarten Gegenden begleitenden Quellengebilde zeigen, gehört das Vorkom- men von verschiedenen Kieselfossilien, welche im Muschelkalke da sich finden, wo dieser vom Basalte durchbrochen ist, und deren Entstehung wohl nur durch einen Absatz von Kieselsäure aus Quellen, welche zugleich mit dem Basalte aufstiegen, und in die angränzenden Schichten eindrangen, zu erklären seyn dürfte. Am Ausgezeichnetsten stellt sich diese Bildung von Kieselfos- silien, namentlich von Jaspis, Hornstein, Chalcedon, Halbopal, Schwimmkiesel, im Muschelkalke am östlichen Fusse der basaltischen Kuppe des Hohenhagens ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. $3 dar, der sich südlich von Dransfeld, zwischen Göttingen und Münden zu ei- ner Meereshóhe von 1550', aus Muschelkalk erhebt?9). Das Vorkommen von Kieselfossilien am Hohenhagen wurde durch Quantz aufgefunden, der in seinen oben angeführten Bemerkungen über die Basaltberge im Amte Münden, die erste Nachricht davon gegeben hat?!), und durch den ich auch vor vie- len Jahren zuerst ein Stück von dem dortigen Jaspis erhalten habe. Der am Fusse des Hohenhagens den Basalt unmittelbar berührende Muschelkalk be- steht grössten Theils aus den mit Letten wechselnden Schichten der unteren Lagerfolge. Von der mittleren Lagerfolge ist nur die Enkrinitenschicht vor- handen. Jaspis, Hornstein und Halbopal finden sich theils lagerhaft sowohl in der letzteren, als auch zwischen den Schichten der unteren Lagerfolge, theils in einzelnen sphüroidischen, elliptisch-sphäroidischen oder unbestimmt krumm- flächigen Nieren von verschiedener Grösse, in den mit Muschelkalke wechseln- den Lettenschichten. Chalcedon und Schwimmkiesel, welche von geringerer Be- deutung sind, finden sich in Begleitung der genannten Kieselfossilien. Das Vor- kommen derselben scheint nur eine beschränkte Ausdehnung am östlichen Fusse des Hohenhagens zu haben, wo es durch einen südöstlich zwischen dem Basalte und dem anstossenden Muschelkalke sich herabziehenden Wasserriss aufgeschlos- sen worden. Gegenwärtig ist das Ausgehende jener Schichten nur an einzel- nen Stellen sichtbar, im Ganzen aber verschüttet und mit losen Stücken von Muschelkalk bedeckt, zwischen welchen sich einzelne Stücke der Kieselfossilien finden. Durch das nach starken Regengüssen oder dem Schmelzen des Schnees angeschwollene Wasser, werden solche von Zeit zu Zeit in dem Wasserrisse, der in ein enges, gegen Oberscheden sich hinabziehendes Thal ausgeht, weiter fortgeführt. Die Mannichfaltigkeit der unter jenen Verhältnissen sich findenden Kiesel- gebilde ist daraus erklärlich, dass sich die Kieselsäure entweder mehr und we- niger rein absetzte, oder sich mit Theilen aus den verschiedenen Massen ver- mengte, in welche das Wasser der Quellen eingedrungen war. Auf solche 20) Fr. Hoffmann, Uebersicht der orographischen u. geognostischen Verhältnisse vom nordwestlichen Deutschland. 1830. S. 158. 21) Neues Hannöverisches Magazin v. J. 1794. S. 1514. > L2 84 JOH. FRIEDR. LUD W. HAUSMANN, Weise entstanden aus den reineren Absätzen Halbopal, Chalcedon , Schwimm- kiesel; aus den weniger reinen, Jaspis und Hornstein. Uebrigens sind diese verschiedenen Kieselfossilien sämmtlich durch Uebergänge unter einander ver- bunden. In dem Halbopale und dem Schwimmkiesel erscheint die amorphe Kieselsáure rein; wogegen in den übrigen Formationen wohl Verbindungen von amorpher und krystallinischer Kieselsáure anzunehmen seyn dürften. In Ansehung der Bildungsweise liegt ein wesentlicher Unterschied darin, dass die Kieselfossilien entweder unmittelbar durch einen Absatz aus dem kieselsäure- haltigen Wasser entstanden sind, wie solches namentlich bei den in einzelnen, in der Umgebung von Letten sich findenden Nieren der Fall ist, oder dass sie durch einen Austausch des kohlensauren Kalkes gegen Kieselsäure in den aus ersterem bestehenden Schichten gebildet worden, welches bei den an der Stelle derselben lagerartig sich findenden Kieselfossilien angenommen werden muss. Der sicherste Beweis für die Richtigkeit dieser Annahme liegt in dem Vor- kommen der dem Muschelkalke eigenen Petrefacten, deren Masse zugleich mit der Masse der Schichten, welche sie enthielten, in Kieselsäure umgewandelt worden. Dieser Austausch dürfte daraus zu erklären seyn, dass das kiesel- säurehaltige Wasser zugleich mit Kohlensäure angeschwängert war, durch de- ren Vermittelung der kohlensaure Kalk des Kalksteins und der darin enthalte- nen Petrefacten vom Wasser aufgenommen und fortgeführt wurde, welches die Kieselsäure dagegen abtrat; so dass die auf solche Weise verkieselten Petrefacten sich als Pseudomorphosen verhalten. Bei dem lagerartigen Vorkom- men der Kieselfossilien zeigen sich denn auch nicht selten innige Verwach- sungen derselben mit dem Muschelkalk, und durch Kieselkalk vermittelte all- mählige Uebergänge. Dass das Kiesel und Kohlensäure enthaltende Wasser auch kohlensaures Eisen- und Manganoxydul aufgelöst enthielt, wodurch be- wirkt wurde, dass bei dem Absatze der Kieselsäure sich zugleich auch koh- lensaures Eisen- und Manganoxydul ausschieden, welche später in Eisen- und Manganoxydhydrat umgewandelt wurden, wird an der verschiedenarligen Fär- bung der Kieselfossilien erkannt. Durch Schönheit und Mannichfaltigkeit der Abänderungen zeichnet sich besonders der Jaspis aus. Es kommt sowohl ebener als auch erdiger vor. Der letztere ist stets matt, wogegen der erstere oft einen schwachen, wachs- ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 85 arligen Schimmer auf dem Bruche zeigt. Јепег ist völlig undurchsichtig, wo- gegen dieser oft an den Kanten schwache Durchscheinheit besitzt. Die häu- figste Farbe ist ein mit etwas Grau gemischtes Kreideweiss; zuweilen kommt eine milch- oder pfeifenthonweisse Farbe vor; die kreideweisse Farbe ver- läuft durch Aufnahme von mehrerem Gelb bis in das Ochergelbe, und daraus in unbestimmte bräunliche Nüancen ; das Pfeifenthonweiss geht durch Aufnahme von mehr Grau bis in das blass Rauchgraue über. Es finden sich die mannich- faliigsten Farbenzeichnungen, bei welchen gelbe und braune Farben, zumal Ochergelb, Ocherbraun, Kaffee- und Kastanienbraun vorherrschen, hin und wieder aber auch grünliche, blauliche und schwarze Farben sich zeigen. Ge- fleckte, wolkige, geflammte Farbenzeichnungen pflegen verwaschen zu seyn, wogegen geaderte, ringförmige, dendritische Zeichnungen gewöhnlich schärfer begränzt sind, wiewohl auch bei diesen hin und wieder Verwaschungen vor- kommen. Bei den nierenförmigen Stücken finden sich oft in der Nähe der äusseren Begränzung, wie bei dem Aegyptischen Jaspis, ringförmige Zeich- nungen, welche der krummflüchigen Gestalt entsprechen. Die Farbenadern zeigen sich von der verschiedensten Stärke, indem sie von der Breite meh- rerer Linien, bis zu kaum messbarer Stärke abändern. Sie durchsetzen ein- ander auf verschiedene Weise, und stellen nicht selten Verrückungen und Ver- werfungen dar, wodurch das Ganze zuweilen, wie bei dem bekannten soge- nannten Florentiner Marmor, ein ruinenförmiges Ansehn gewinnt. Diese Far- benzeichnungen rühren offenbar hauptsächlich von Eisen- und Manganoxyd- hydrat, vornehmlich von ersterem her. Die Art ihres Vorkommens scheint an- zudeuten, dass die Ausscheidung des Eisen- und Manganoxyduls zum Theil etwas später als der Absatz der Kieselsäure erfolgte, und dass zuweilen in der Kieselmasse entstandene Risse und Sprünge davon ausgefüllt wurden. Die Mannichfaltigkeit der Farbenzeichnungen wird noch vergrössert, durch das Vorkommen von Conchyliolithen, deren verschiedene Formen sich durch das grauliche oder blauliche Weiss des Chalcedons, der gewöhnlich das Petrifica- tionsmittel ist, auszeichnen. Der hier beschriebene Jaspis wurde in mehreren Abänderungen auf mei- nen Wunsch durch Herrn F. Engelhardt aus Gieboldehausen, der sich hier mit grossem Eifer dem Studium der Chemie -und Mineralogie widmete, gegen- 86 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, wärtig aber in Nordamerika sich aufhält, im hiesigen Akademischen Labora- torium, unter Wóhler's gütiger Leitung, chemisch analysirt. Die mit Nr. 1 bezeichnete Abänderung, deren specifisches Gewicht ich = 2,038 fand, ist weisser erdiger Jaspis, und hat den geringsten Gehalt an Kieselsáure, dage- gen den grössten Gehalt an Wasser, Thonerde, Kalkerde, Talkerde und Eisen- oxydul ergeben; in der ebenfalls weissen Abünderung Nr. 2., mit einem spe- cifischen Gewichte — 2,370, welche zwischen erdigem und ebnem Jaspis in der Mitte steht, hat sich der grösste Kieselgehalt gefunden; die Abänderung Nr. 3. von einem specifischen Gewichte = 2,544, ein ausgezeichneter ebener Jaspis von bräunlicher Farbe, besitzt einen etwas geringeren Kieselsäurege- halt als Nr. 2. Folgende Resultate wurden erhalten: b 2. 3. Kieselsäure 91,223 94,886 94,096 - Wasser 3,369 2,218 2,600 Thonerde 0,948 0,652 1,284 Kalkerde 2,055 1,466 1,140 Talkerde 0,588 0249 - 0475 Eisenoxydul 1,992 0,544 0,527 | 100,175 100,015 100,122 Der Hornstein gehört theils zur muscheligen theils zur splitterigen Abänderung. Die erstere steht dem ebenen Jaspis am Nächsten, und verläuft unmerklich in denselben. Der Hornstein kommt von mannichfaltigen, aber gewöhnlich unbestimmten gelben, braunen, grauen und weissen Farben vor, und häufiger bunt als einfarbig. Wie die Farbenschattirungen so haben auch die Farben- zeichnungen nicht das Bestimmte, wie bei dem Jaspis; die verschiedenen Far- ben pflegen in einander zu verlaufen, und selten zeigen sich die geaderten und ringförmigen Zeichnungen, welche bei dem Jaspis so ausgezeichnet sind. Die durch Eisenoxydhydrat gefärbten Partien gehen hin und wieder in Braun- eisensiein über; und zuweilen kommt mit diesem .pistazengrüner Chloropal vor. Unter den verschiedenen, mit einander sich findenden Kieselfossilien pflegt der Hornstein am Reichsten an Petrefacten zu seyn, wodurch das Bunte seines Ansehens vermehrt wird. Der Halbopal zeigt die geringste Mannichfaltigkeit. Er findet sich am ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 87 Häufigsten von leberbrauner, zuweilen aber auch, besonders bei dem Ueber- gange in ebenen Jaspis, von rauchgrauer Farbe. Farbenzeichnungen werden bei ihm besonders nur durch die zuweilen in ihm eingeschlossenen Petrefac- ten bewirkt. | Der Schwimmkiesel hat gewöhnlich eine kreideweisse Farbe, die zuwei- len durch Beimengung von Eisenoxydhydrat in das Ochergelbe verläuft. Der Bruch ist erdig und matt, und wird nur bei der Annäherung zum Halbopal flach- muschelig und wachsartig schimmernd. Er ist undurchsichtig, sehr weich, rauh anzufühlen, und an der Zunge hüngend. Am Gewöhnlichsten bildet er die äussere Rinde des Halbopals, in den er nach Innen allmählig verläuft; doch kommt er auch in der Umgebung von Jaspis und Hornstein vor. Zu- weilen findet er sich im Innern des letzteren, theils eingewachsen, theils Hóh- lungen in demselben auskleidend. Am Seltensten stellt er sich in derben, gewöhnlich lócherigen Massen für sich dar; enthält dann gewöhnlich Petre- facten, und pflegt mit Gelb- und Brauneisenstein gemengt zu seyn. Am Unbedeutendsten ist das Vorkommen des Chalcedons, welches sich beinahe ganz auf einzelne Gangtrümmer und die Ausfüllung der Räume von Petrefacten im Hornstein, Jaspis und Halbopal beschränkt. Die Gangtrümmer sind gewöhnlich schmal; wo sie hin und wieder eine etwas grössere Stärke haben, zeigt der Chalcedon wohl stalaktitische , kleingetropfte, kleinnierenfór- mige Bildung. Seine Farbe ist entweder graulich- oder bläulichweiss, in das blass Himmelblaue verlaufend. Die verkieselten Petrefacten sind dieselben, welche häufig in den Schich- ten der unteren und mittleren Lagerfolge des Muschelkalkes der hiesigen Gegenden angetroffen werden. Ich habe darunter besonders folgende ge- funden: : Ceratites nodosus, Turbonilla gregaria, Myacites elongatus, Myophoria vulgaris, Pecten discites, Terebratula vulgaris, Stielstücke von Encrinus liliiformis. 88 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Hornstein mit verkiesellen Petrefacten, der dem beschriebenen vom Ho- henhagen ähnlich ist, findet sich in einzelnen Blöcken auch in der Nähe des Basaltes des Sasebühls und Ochsenberges bei Dransfeld auf Muschelkalk. Ohne Zweifel stimmt auch sein Vorkommen auf seinen ursprünglichen Lager- stätten mit dem an jenem benachbarten Punete überein; es ist mir indessen bis jetzt nicht gelungen, ihn anstehend zu finden. , 5. Durch Eindringung von kieselsäurehaltigem Wasser in die Schichten des vom Ba- salte durchbrochenen Muschelkalkes gebildeter Kieselkalk. In nächster Verwandtschaft mit der Bildung von Kieselfossilien in den Muschelkalkschichten, wie sie sich am Hohenhagen zeigt, steht eine durch Eindringung von Kieselsäure bewirkte, merkwürdige Umwandlung des vom Basalte durchbrochenen Muschelkalkes in Kieselkalk, mit welcher auch der Absatz vou reiner amorpher Kieselsäure verbunden ist. Diese Umänderung welche sich an dem südlichen steilen Einhange des Schieferberges bei Brans- rode am Fusse des Meissners findet, da wo der Muschelkalk desselben auf oben beschriebene Weise von Basalt durchsetzt wird, hat schon vor langer Zeit, vermuthlich durch die bunten Farben des Gesteins , Aufmerksamkeit auf sich gezogen, und sogar die Anlage eines Steinbruches zur Gewinnung des mit dem Namen Marmor belegten, umgeänderten Kalksteins veranlasst, der indes- sen gegenwärtig ganz verfallen ist. Von mehreren Geognosten welche über den Meissner geschrieben haben, namentlich von Voigt??), Hundesha- gen23), Hoffmann?2*), ist das Vorkommen dieses sogenannten Marmors erwähnt, aber die Hauptursache der Umänderung nicht erkannt worden. Die Haupimasse des der unteren Lagerfolge angehörigen Muschelkalkes des Schieferberges, dessen dünne Schichten zum Theil durch Letten von ein- ander gelöst sind, hat einen flachmuscheligen, in das Ebene übergehenden Bruch, ist matt, an den Kanten schwach durchscheinend, und von schiefergrauer Farbe 22) Mineralogische Reise nach den Braunkohlenwerken und Basalten in Hessen. 1802. °S. 73. ' 23) Beschreibung des Meissners, in v. Leonhard's Taschenbuch. 11. Jahrgang. 1817. 8.35. - - 24) Gilbert's Annalen der Physik. LXXV. S. 326. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN а, s. w. 89 welche im Feuer in die weisse sich umwandelt, und daher von kohligen oder bituminósen Theilen herrührt. Die Нагїе ist etwas über 3. Das specifische Ge- wicht fand ich — 2,648. Eine auf meinen Wunsch von Herrn Fabian aus Adelebsen, der sich hier mit bestem Erfolge den chemischen und mineralo- gischen Studien widmet, im hiesigen Akademischen Laboratorium unter Wöh- ler’s gütiger Leitung ausgeführte chemische Analyse, hat folgende Bestand- theile ergeben: Kalkerde 47,002 Kohlensaure Kalkerde 84,820 Talkerde 1,830 Kohlensaure Talkerde 3,650 Kohlensäure 39,143 Eisenoxyd 3,050 Thonerde 1,621 Kieselsäure 4,432 Natron 1,030 Wasser 1,060 Phosphorsäure Spuren 99,668 Hiernach, so wie nach den äusseren Merkmahlen, gehört diese Abänderung des Muschelkalkes dem in der unteren Lagerfolge in grosser Verbreitung sich findenden Mergelkalke an, dessen Zusammensetzung aber in den verschie- denen Schichten nicht immer genau dieselbe ist. Als Einlagerung kommt der in den hiesigen Gegenden in dieser Abtheilung des Muschelkalkgebildes sehr verbreitete Bitterkalkmergel vor, der im unverwitterten Zustande eine rauch- graue Farbe zu besitzen pflegt, die aber gewöhnlich in eine ochergelbe oder leberbraune umgewandelt wird. In der Nähe der Basaltdurchsetzung und zumal an der östlichen Seite derselben, erscheint der Kalkstein auffallend, und auf verschiedene Weise ver- ändert. Da an dem steilen Einhange des Schieferberges das Ausgehende der Muschelkalkschichten nicht entblösst, sondern mit losen Stücken bedeckt und ausserdem mit Gesträuch bekleidet ist, so lässt sich nicht mit Genauigkeit aus- mitteln, wie weit die Umänderung des Kalksteins sich verbreitet; aber nach den umher liegenden Stücken zu urtheilen, mag die Mächtigkeit derselben wohl an 100 Fuss betragen. Unter den veränderten Schichten kommen nur Phys. Classe. VIII. M 90 JOH. FRIEDR. LUDW, HAUSMANN, einige vor, welche wirklich den Namen Marmor verdienen, in welchen nehm- lich das dichte Gestein auf ähnliche Weise, wie solches ja auch an manchen anderen Orten an Kalksteinen verschiedener Formationen beobachtet worden, ein schuppig- kórniges Gefüge angenommen hat?5); in welcher Hinsicht be- sonders die analoge Umwandlung des Muschelkalkes durch Einwirkung des Basaltes am Kirschberge bei Hünefeld unweit Fulda zu erwühnen ist 26).. Je- ner eigentliche Marmor ist krystallinisch - feinkörnig. Die Körner sind zum Theil so lose verbunden, dass das Gestein bei dem Eintauchen in Wasser viele Luftblasen ausgiebt und zu einem sandigen Aggregat zerfällt. Es be- sitzt eine aschgraue, in das Gelblich- und Bräunlichgraue übergehende Farbe. Das specifische Gewicht wurde = 2,667 gefunden, und die chemische Zusam- mensetzung durch die Analyse des Herrn Fabian: Kalkerde 44,116 Kohlensaure Kalkerde 78,708 Talkerde 2,512 Kohlensaure Talkerde 4,901 Kohlensäure 37,074 Eisenoxyd 5,817 Thonerde 2,952 Kieselsáure 3,016 Natron 1,951 Wasser 1,586 Phosphorsäure Spuren 99,024 i d Der grösste Theil von den in der Nähe des Basaltes umgeáünderten Muschel- kalkschichten hat eine sehr abweichende Beschaffenheit. Sie sind theils dünn- theils dickschiefrig abgesondert, aber die Absonderungen sind, besonders bei den dünnschiefrigen Massen, mehr nur angedeutet, indem die Verbindung der Schiefern dennoch eine feste ist. Der Bruch ist theils muschelig, theils une- ben, bin und wieder in das Splittrige übergehend, und matt. Das Gestein ist an den Kanten mehr und weniger durchscheinend, und besonders durch man- nichfaltige Farben ausgezeichnet, welche gróssten Theils der Schieferung ent- 25) Vergl. von Leonhard's Basalt-Gebilde. П. S. 311. 315. 328. 343. 386. 387. 26) Daselbst S. 343. | ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 91 sprechen, und dann in Streifen und Bändern unter einander abwechseln, aber auch wohl geadert, geflammt, oder wolkig erscheinen. Graue Farben, wie Asch-, Rauch-, Perl-, Schimmelgrau herrschen im Ganzen vor; mit ihnen wechseln aber graulich-, gelblich-, róthlich-, grünlichweisse Nüancen; sodann gelbe Farben, besonders Ochergelb; rothe Farben, besonders blass Pfirsich- blüthroth, und grüne Farben, namentlich ein zuweilen dem blass Seladongrü- nen sich näherndes Apfelgrün. Ausserdem zeichnet sich das umgeünderte Ge- stein besonders durch die weit grössere Härte aus, welche Ursache ist, dass es geschliffen eine gute Politur annimmt. Sie ist freilich in verschiedenen Ab- änderungen ungleich, erhebt sich aber in einigen bis zum Dien Grade und wohl noch darüber. Das specifische Gewicht steht dagegen mit der Härte beinahe in einem umgekehrten Verhältnisse, indem es sich gegen das ursprüngliche ver- mindert zeigt. Bei zweien von Herrn Fabian chemisch analysirten Abände- rungen fand ich es = 2,492 und 2,475, welches zeigt, dass mit der Zunahme des Kieselsäuregehaltes das eigenthümliche Gewicht sich vermindert, wogegen gerade diese beiden Abänderungen sich durch ihre Härte besonders auszeichnen. Als Bestandtheile haben sich darin gefunden: 1; Kalkerde 37,302 Kohlens. Kalkerde 66,601 36,603 Kohlens. Kalkerde 65,351 Talkerde 4,034 Kohlens. Talkerde 7,928 7,125 Kohlens. Talkerde 14,230 Kohlensäure 33,242 39,878 Eisenoxyd .5,823 4,202 Thonerde 5,943 3,030 Kieselsäure 7,051 9,832 Natron 2,010 1,910 Wasser 3,810 1,101 Chromoxyd Spuren Spuren Phosphorsäure Spuren 98,215 99,771 In dem dichten Gestein kommen hin und wieder Nester und kleine Gangtrüm- mer von weissem Kalkspath vor; auch findet sich darin zuweilen Eisenspath, theils eingesprengt, theils in schmalen Gängen, und gewöhnlich durch Zer- setzung bräunlich schwarz. Hin und wieder, zumal in unmittelbarer Nähe des 92 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Basaltes und mit ihm verwachsen, finden sich Kieselfossilien, namentlich Halb- opal von gelblich-, grünlich- und blaulichweisser Farbe, so wie Schwimmkiesel von der gewöhnlichen kreideweissen Farbe; durch welches Vorkommen sich die Verwandtschaft der Erscheinungen am Schieferberge mit denen am Hohen- hagen zu erkennen giebt. Fasst man diese Wahrnehmungen zusammen, so wird man die Ueber- zeugung gewinnen, dass, abgesehen von der Umwandlung des dichten Mer- gelkalkes in ein krystallinisch-körniges Gestein, welche der Einwirkung einer hohen Temperatur allein zuzuschreiben seyn dürfte, die grössere, aus dichten Abänderungen bestehende Masse, ihre veränderte Beschaffenheit hauptsäch- lich durch eine Eindringung kiesel- und kohlensäurehaltiger Wasser, und den "Austausch eines Theils des kohlensauren Kalkes gegen amorphe Kieselsäure erlangt hat. Dieser Umtausch, wobei zugleich der die Schichten oft ablösende Letten sich mit dem kohlensauren Kalke inniger verbunden, und seinen Gehalt an kieselsaurer Thonerde vergrössert zu haben scheint, hat in verschiedenem Grade statt gefunden, welches schon an der abweichenden Härte des Gesteins erkannt wird; ist aber im Ganzen nicht von grossem Belange gewesen, da von dem in dem umgeänderten Gestein gefundenen Kieselsáuregehàlt nur ein Theil als eingedrungen betrachtet werden kann. Dass zugleich mit der Kieselsäure auch kohlensaures Eisenoxydul in das Gestein gelangt ist, welches später in Eisenoxydhydrat umgeändert worden, wird durch den vergrösserten Gehalt an Eisenoxyd, den die Analyse ergeben hat, so wie durch die Fár- bung des Gesteins wahrscheinlich. Der in der 2ten Abänderung gefundene bedeutende Gehalt an kohlensaurer Talkerde lässt vermuthen, dass das zer- legte Gestein aus der Umänderung einer Schicht von Bitterkalkmergel hervor- gegangen war. Das auffallendste Resultat der chemischen Untersuchung der obigen beiden Abünderungen des veründerten Mergelkalkes vom Schieferberge, an welchen die bemerkte apfelgrüne Färbung sich zeigt, ist die darin auf- gefundene entschiedene Spur eines Gehaltes an Chromoayd. Als einen ur- sprünglichen Bestandtheil jenes Gesteins, darf man dasselbe nicht wohl an- sehen. Wenn man nun das Chromoxyd auch als eingedrungen betrachten muss, so wird anzunehmen seyn, dass es zugleich mit der Kieselsäure auf- senommen worden. Weniger schwierig dürfle es seyn, seine Abkunft zu ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 93 errathen, die vielleicht nicht einmal in grosser Tiefe zu suchen ist, da ja zuweilen in gewissen Schichten des von dem Basalte durchbrochenen bunten Sandsteins ein Chromoxydgehalt sich findet, als das Mittel zu enträthseln, wodurch derselbe aufgenommen und empor gefördert worden. War dieses Vehikel etwa Chlor oder schwefelige Säure? Ich darf es nicht wagen, darüber eine Vermuthung zu äussern. 6. Vorkommen von Kieselfossilien in basaltischen Massen. Am Seltensten zeigt sich in den Werra- und Fulda- Gegenden die Bil- dung von Kieselfossilien als Absatz aus kieselsäurehaltigen Wassern in basal- tischen Massen. In den angeführten Bemerkungen über die Basaltberge im Amte Münden von Quantz ist bereits das Vorkommen von Chalcedon in dem von ihm mit dem Namen Trass belegten Basaltconglomerate des Höllen- grundes bei Münden erwähnt, in welchem das sintrisch gebildete, weisse, stellenweise schön hellblau gefärbte Kieselfossil Blasenräume auskleidet 27). Auf ähnliche Weise hat sich an der kleinen, aus buntem Sandstein bei dem Dorfe Niddawitzhausen zwischen dem Meissner und Eschwege sich erhebenden Basaltkuppe des Rosenbühls, blaulicher getropfter Chalcedon, zum Theil mit kleinen klaren Quarzkrystallen®) bedrust, als Auskleidung von Blasenräumen gefunden. Wo Kieselfossilien als Absätze aus kieselsäurehaltigem Wasser vor- kommen, und sowohl amorphe, als auch krystallinische Kieselsäure sich erzeugt hat, scheint die letztere sich immer später ausgeschieden zu haben als die erstere. Diesem entspricht das Vorkommen von Quarzkrystallen auf Klüften des oben beschriebenen Quarzgesteins, in welchem Quarzsand durch amorphe - Kieselsäure verkittet ist. Damit stimmt die angegebene Bekleidung der Jahres- ringe des Kieselholzes überein, während an die Stelle der inneren Holzmasse 27) A. a. O. S. 1502. 28) In Beziehung auf die Bildung von krystallisirtem Quarz aus einer Auflösung in kohlensäurehaltigem Wasser, verdienen die neueren Untersuchungen von Н. de Senarmont besondere Beachtung. S. Expériences sur la formation des miné- raux par voie humide dans les gites métalliféres concrétionnés. Annales de Chimie et de Physique. 3.S. T. XXXII. p. 129. 94 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, ein hornsteinartiger Körper getreten ist, in welchem, wie in dem Chalcedon, nach den von dem verewigten Fuchs angestellten Untersuchungen, eine Verbindung von amorpher und krystallinischer Kieselsäure anzunehmen seyn dürfte. Etwas Aehnliches zeigt sich bei dem Vorkommen des Kieselsinters in dem schlackigen Anthracite des Meissners, an welchem die amorphe Kie- selbekleidung oft mit kleinen Quarzkrystallen besetzt ist. Dasselbe nimmt man nun auch bei verschiedenartigen Mandelsteinen wahr, deren Blasenräume mit Kieselfossilien ausgekleidet sind, und wo die amorphen Abänderungen die äusseren Lagen, die krystallinischen dagegen den inneren Theil der Aus- fülung zu bilden pflegen. Mannichmal zeigt sich eine dreifache Abstufung des Absatzes, indem sich zuerst reine amorphe Kieselsäure als Opal, darauf ein Gemenge von amorpher und krystallinischer als Chalcedon, und zuletzt reine krystallinische Kieselsáure als Quarz und Bergkrystall gebildet hat. IV. Vorkommen des Eisenoxydhydrates. Von weit geringerer Mannichfaltigkeit und Verbreitung als die Erschei- nung von Kieselmassen als Quellengebiide in Begleitung des Basaltes, ist das Auftreten von Ablagerungen von Eisenoxydhydrat, welche aus kohlensaurem Eisenoxydul entstanden sind, welches durch Vermittelung von Kohlensäure von den die basaltischen Eruptionen begleitenden heissen Quellen aufgenommen wurde, und aus denselben in der Nähe des Basaltes sich absetzte. Es kom- men indessen in den Hessischen Fulda- Gegenden einige Ablagerungen dieser Art vor, welche nicht allein in Beziehung auf ihre Bildung von ganz beson- derem Interesse, sondern auch in technischer Hinsicht von Wichtigkeit sind, indem sie mehrere Eisenhütten mit Material versorgen. Das ausgezeichnetste Vorkommen ist die der Braunkohlenformation untergeordnete Ablagerung von sogenanntem Bohnerz, zu Mardorf, aus welchem auf der benachbarten Eisen- hütte bei -Homberg ein vorzügliches Eisen dargestellt wird. Das Eisensteinslager befindet sich in S/stündiger Entfernung nördlich von der Stadt Homberg, unmittelbar am westlichen Fusse des aus Basalt bestehenden Mosenberges, dessen bedeutende Kuppe aus Muschelkalk sich ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 95 erhoben hat. Diese Flótzmasse bildet eine westlich eingesenkte Mulde, in welcher Keuper- und Gryphitenkalk - (Lias-) Schichten auf derselben ruhen. Der Muschelkalk ist die Sohle des Eisensteinslagers, welches ein Haupt- streichen von Süden nach Norden hat, und gegen Westen sanft geneigt ist. Seine Mächtigkeit ändert von wenigen Zollen bis zu 6 Fuss ab. Es besteht der Hauptmasse nach aus sogenanntem Bohnerz, einem körnigen, thonigen Gelb- und Brauneisenstein. Die Körner sind bald vollkommen kuglig, bald mehr und weniger von der Kugelform abweichend, welches besonders bei den grösseren der Fall ist. Sie ändern von Linsen- bis zu Bohnen-Grösse ab, kommen doch aber am Häufigsten in dem Kaliber von kleineren und grösseren Erbsen vor. Sie sind concentrisch krummschaalig abgesondert, und haben bald eine glatte und glänzende, bald eine unebene und matte Oberfläche. Die Kórner sind entweder von einem reinen, fetten Thon umgeben, der oft eine weisse Farbe hat, und dadurch von den inneliegenden gelben und brau- nen Körnern auffallend absticht, oder sie liegen in einem mit Eisenoxydhydrat gemengten Thon eingebettet; zuweilen sind sie von dichtem Brauneisenstein umgeben, der hin und wieder in derbe Massen von schaaligem Gelb- und Brauneisenstein übergeht. Hin und wieder, und zumal in den unteren Theilen des Lagers, finden sich Reste von noch unzersetztem thonigen Sphürosiderit, zuweilen als Kerne der Kórner, welche den Beweis liefern, dass die ganze Masse aus thonigem Sphärosiderit entstanden ist. Auch kommen dann und wann Spuren von Manganfossilien, namentlich von Manganschaum, Wad und Graubraunstein vor. Das Lager, welches hin und wieder Verrückungen und Verwerfungen hat, wird von einem weissen, fetten Letten 2—8 Lachter hoch bedeckt. Darüber liegt gewöhnlich 2— 5 Lachter mächtiger, meist starke Wasser führender Triebsand, der 5 — 6 Lachter hoch von Lehm oder Letten bedeckt zu werden pflegt, worüber dann die basaltische, mit Basaltstücken gemengte Erde liegt. Gutberlet, der eine kurze Nachricht von dem Mardorfer Eisensteinsla- ger gegeben hat?9), sucht die Meinung geltend zu machen, dass das Eisen- 29) N. Jahrbuch für Mineralogie u. s. w. von Dr. K. C. v. Leonhard und Dr. H. G. Bronn. Jahrg. 1855. S. 167 f. 96 JOH. FRIEDR. LUD W. HAUSMANN, oxydhydrat desselben sich durch einen Auslaugungsprocess aus dem Basalte des benachbarten Mosenberges erzeugt habe. Wenn ich nun gleich die Ueber- zeugung theile, dass auf diese Weise mancher Eisenstein der in der Nähe des Basaltes vorkommt, gebildet worden, worüber später noch ein Mehreres mit- getheilt werden wird, so scheint mir doch sowohl die ganze Art der Ablage- rung, als auch besonders die Form des sogenannten Bohnerzes, welche eine so grosse Aehnlichkeit mit dem Sprudel- oder Erbsenstein zeigt, wie ег u.a. bei den Carlsbader heissen Quellen sich erzeugt, dafür zu sprechen, dass jener Eisenstein aus heissen, kohlensaures Eisenoxydul enthaltenden Quellen hervorgegangen ist, welche bei der Eruption des Basaltes des Mosenberges, auf der Gränze zwischen ihm und dem anstossenden Muschelkalke sich einen Ausgang verschafft, und ihren Gehalt an kohlensaurem Eisenoxydul in der den Muschelkalk bedeckenden Thonmasse abgesetzt haben, woraus dann später das Eisenoxydhydrat entstanden ist. Wäre das kohlensaure Eisen- oxydul durch Tagewasser der tertiáren Ablagerung zugeführt worden, so würde es sich ohne Zweifel in der oberen Triebsandschicht, und nicht in der darunter liegenden, undurchlassenden Leitenmasse abgesetzt haben. Dieses entspricht der an anderen Orten der hiesigen Gegenden sich zeigenden neueren Bildung von Eisenoxydhydrat in dem von basaltischen Massen durchbrochenen tertiären Sande. Durch die mit grosser Gewalt und in Begleitung von Wasserdämpfen aufsteigenden heissen Quellen, konnte dagegen wohl in die erweichte Thonmasse das kohlensaure Eisenoxydul gelangen, und darin ab- gesetzt werden. Die grosse Aehnlichkeit zwischen den Formen des Bohn- erzes und des durch heisse Quellen gebildeten Sprudelsteins, hat schon bei den Ablagerungen des ersteren in der Oolithformation, mehrere Geologen darauf geführt, dieselben als Quellengebilde zu betrachten 50). Ein zweites Bohnerzlager, welches dem Mardorfer ähnlich ist, kommt eine Stunde nordöstlich von Homberg bei dem Dorfe Hebel vor, wo ehemals ebenfalls eine Eisensteinsgewinnung für die Homberger Eisenhütte Statt fand. 30) Vergl. J.Siegfried, die Schweiz, geographisch und physikalisch geschildert. L 1851. Thirria, i. d. Annales des mines. 4. S. XIX. p.49. Daraus i. N. Jahrbuch d. Mineralogie u.s. w. 1854. S. 720. Merian, Darstellung der geol. Verhültnisse des Rheinthals bei Basel. 1856. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 97 Eine andere Gegend in welcher Ablagerungen von Eisenoxydhydrat sich finden, die zu den in Begleitung des Basaltes erscheinenden Quellengebilden gehóren, ist der Hessische Kreis Hofgeismar. Hier zeigt sich dieser Zu- sammenhang besonders an drei Puncten, am Hopfenberge bei dem Dorfe Burguffeln, bei Hohenkirchen, und bei Holzhausen. Nach Schwarzen- berg's Untersuchungen sind diese Eisensteinslager, welche die Eisenhütte zu Veckerhagen an der Weser mit Material versorgen, nicht; wie das Mar- dorfer Lager der Braunkohlenformation, sondern dem vormals für ein Aequi- valent der Grobkalkformation angesprochenen, jüngeren tertiären Meergebilde untergeordnet 51). Auch unterscheiden sich die auf diesen Lagern brechenden Eisenminern von dem Mardorfer Eisenstein dadurch, dass sie keine Bohnerze sind, sondern als gemeiner und schlachiger Brauneisenstein, als muschliger und ochriger Gel^eisenstein, als gemeiner, thoniger Gelb- und Brauneisenstein, und als sandig-thoniger Gelheisenstein erscheinen. Am Hopfenberge bei Burguffeln bilden gemeiner und schlackiger Braun- eisenslein ein stockfórmiges Lager, welches sich durch Unregelmässigkeit in Folge mehrerer den Eisenstein durchsetzender, von S. nach N. streichender, gangfórmiger Basaltmassen auszeichnet. Die grösste Mächtigkeit dieses Lagers, welches da, wo es den Basalt berührt, etwas gehoben zu sein scheint, beläuft sich auf 26 Fuss. Das Hauptstreichen ist von О. gegen W. und das Haupt- fallen 140 gegen N. Der unregelmässig zerklüftete Eisenstein hat auf den Kluftflächen häufig Dendriten von Grau- und Schwarzbraunstein. Auch kom- men, zumal in der Nähe der gangförmigen Basaltmassen, dichter Rhodochrosit und daraus entstandener Graubraunstein in grösseren Massen in dem Eisen- stein eingeschlossen vor. Der Rhodochrosit kleidet, von nierenförmiger und getropfter äusserer Gestalt, in dem Eisenstein befindliche, kleinere und grössere Höhlungen aus. Er findet sich von röthlichweisser, rosenrother und himbeer- rother Farbe. Bekleidet ist er mannichmal von röthlichweissem Braunspath, der bald zarte Drusenhäute bildet, bald in spitzen Rhomboédern auskrystallisirt erscheint. Auf demselben kommen hin und wieder kleine Drusen von durch- 31) Vergl. Landwirthschaftliche Zeitung für Kurhessen. 1830. S. 289 —316. Studien _ des Göttingischen Vereins Bergmännischer Freunde. Ш. 5. 219 —252. Phys. Classe. ҮШ. N 98 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, sichtigen Aragonitkrystallen, in irregulär-sechsseitigen, an den Enden zuge- schärfen, zuweilen auch in zusammengesetzten Prismen vor. Die Reihen- folge des Absatzes aus der wässerigen Auflösung ist hier also: 1. kohlensaures Eisenoxydul; 2. kohlensaures Manganozydul; 3. Braunspath; 4. Aragonit. Hinsichtlich der beiden letzteren Körper zeigt sich hier mithin ein umge- kehrtes Verhalten als zwischen dem Aragonite und Kalkspath in dem Basalte der Blauen Kuppe. Das Hopfenberger Eisensteinslager ruhet auf grauem und weissem Letten, unter welchem eine Sandlage sich befindet, welche Braunkohlen deckt. Über dem Eisenstein befinden sich Lager von Mergel, und von grünem und gelbem Sande. Das Dorf Hohenkirchen liegt auf einer basaltischen Erhebung. Anstehend ist in demselben ein eigenthümliches Basaltconglomerat, welches aus grösseren und kleineren unbestimmteckigen Brocken eines lichtgrauen Basaltes besteht, > die durch eine schwärzliche Masse von erdigem Bruch verkittet sind. In die- sem Conglomerate kommen hin und wieder Partieen von Olivin, und Blätter von tombackbraunem Glimmer vor. Аш nordnordwestlichen Rande der sanften Erhebung befindet sich das Eisensteinslager, auf welchem die Hoheits- und Erbprinzengrube gebauet haben, welches aus ochrigem Gelbeisenstein und gemeinem thonigen Gelb- und Brauneisenstein, zum Theil in Vermengung mit Sand besteht. Das Lager bildet eine in Stunde 12 streichende Mulde, und hat gewöhnlich nur 4 Fuss, höchstens 10 Fuss Mächtigkeit. Auf der östlichen Seite fand sich durch die wieder in Betrieb gesetzte Erbprinzengrube das Flötz in zwei, 2 Fuss mächtige Lager getheilt, welche durch eine 11% Fuss starke quarzige Sandsteinlage getrennt wurden. Auch mit diesem Eisenstein kommt in Begleitung von Manganschaum und nierenfórmigem Wad, Graubraunstein in Menge, theils rein, zuweilen in kleinen Krystallen, theils mit Eisenstein ge- mengt vor. Das Hohenkirchener Eisensteinslager ruhet auf Letten, unter wel- chem Sandstein liegt. Das Dach bildet ein grünlicher Letten, über welchem Lager von weissem, braunem und gelbem Sande sich finden, welche ein ziem- lich mächtiges Mergellager einschliessen. Das Eisensteinsvorkommen an der Langenmaasse, etwa 20 Minuten west- lich von dem Dorfe Holzhausen, findet sich in einiger Entfernung von dem nordöstlich sich erhebenden, aus Basalt bestehenden Gahrenberge. Der Eisen- ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 99 stein ist theils ochriger Gelbeisenstein, theils sandig-thoniger, gemeiner Gelb- eisenstem, von einem geringeren Gehalte als der von den anderen Localitäten. Er kommt in 6 bis 12 Zoll mächtigen Lagen, welche von N. nach S. strei- chen, und unter einem Winkel von 8 — 12? gegen O. fallen, in einem tho- nigen gelben und weissen Sande vor, in welchem sich ófters Conchylienreste finden. д Ausser den angegebenen Eisensteinslagern finden sich auch im Kreise Hofgeismar hin und wieder in Begleitung der in der Nähe basaltischer Mas- sen abgelagerten Braunkohlen, sandiger Gelbeisenstein , welches Vorkommen indessen von keiner Bedeutung ist. Es darf nicht unerwähnt bleiben, dass nicht alles Eisenoxydhydrat, welches in den terliären Ablagerungen, die von dem Basalte durchbrochen worden, und in seiner Nàhe sich finden, vorhanden ist, mit den angeführten Eisensteins- massen gleichen Ursprung hat, sondern dass die durch Eisenoxydhydrat be- wirkte Färbung, welche so oft dem Sande, der in der Nähe des Basaltes sich findet, eigen ist, so wie der Limonit, der hin und wieder, z. B. am Schottsberge und Hohenhagen in der Dransfelder Gegend und an mehreren anderen Orten, zuweilen in Verbindung mit Schwarz- und Graubraunstein sich findet, theils einer Zersetzung und Auslaugung des Basaltes zuzuschreiben, theils auf ähnliche Weise wie bei manchem, unter anderen Verhältnissen vorkommenden, sogenannten Raseneisenstein, von der Vegetationsdecke abzuleiten ist. Durch Anhäufung des gelben Eisenochers und Limonites in dem Sande gehet mannichmal Eisen- sandstein hervor, der hin und wieder schlacken- und röhrenförmige Massen bildet, in welchen Schwarz- und Graubraunstein dendritisch ausgesondert er- scheinen. Ist der Sand ein Glied des jüngeren Meergebildes, und führt er Reste von Meergeschöpfen, so finden sich diese in dem Eisensandstein einge- schlossen, wie solches и. a. bei Lówenhagen, am Fusse des basaltischen Backen- berges der Fall ist. Auf ähnliche Weise wie der lose Sand ist die oben be- schriebene lockere Masse der sogenannten Quarzfritten zuweilen später in Ei- sensandstein umgewandelt. Dahin gehórt auch die Bildung von gelbem Eisen- ocher und Limonit in der Umgebung von Wurzeln, welche in jene lockere Masse eingedrungen sind, wie es u. a. in der Gegend von Dransfeld und am Sundberge bei Ellershausen vorkommt. N2 100 JOH. FRIEDR. LUDW. HAUSMANN, Noch muss ein freilich nur unbedeutendes Vorkommen von Eisenoxydhy- drat als Auskleidung von Blasenräumen im Basaltmandelstein bemerkt werden, wie es sich namentlich in der oben erwühnten gangfórmigen Durchsetzung der Braunkohlenablagerung am Hirschberge bei Grossalmerode zeigt5?). Die Bildung ist ohne Zweifel einer gleichzeitig mit der Eruption der basaltischen Masse erfolgten Eindringung von einer Lósung kohlensauren Eisenoxyduls in kohlensáurehaltigem Wasser in die Blasenräume, zuzuschreiben. V. Vorkommen von Manganfossilien. Mit dem Vorkommen des als ein Quellengebilde anzusprechenden Eisen- oxydhydrates steht das Auftreten von Manganfossilien in so genauem Zusam- menhange, dass nicht bloss eine annaloge, sondern selbst eine gemeinschaftli- che Bildung derselben angenommen werden muss. Mit dem Eisenoxydhydrat ist oft ein nicht unbedeutender Mangangehalt verbunden, wie solches bei ge- wissen Abänderungen des Eisensteins vom Hopfenberge und von Hohenkirchen der Fall ist, der sich auch bei dem Schmelzprocess, so wie in der Beschaffen- heit des daraus dargestellten Eisens offenbart; es kommen aber auch in die- sen Eisensteinen, wie bereits angegeben worden, verschiedene Manganfossilien namentlich Rhodochrosit, Graubraunstein, Wad, Manganschaum, rein ausgeson- dert vor; und in der Nähe des Eisensteinslagers von Hohenkirchen, am west- lichen Rande der basaltischen Erhebung, ist eine Masse abgelagert, die vor- herrschend aus jenen Manganfossilien besteht. In dem untersten Theil dieses 2—4 Fuss mächtigen Lagers findet sich ein Gemenge von Manganfossilien und Eisenstein; die darüber befindliche Masse besteht dagegen nur aus Man- ganfossilien, so dass hier eine nicht unbedeutende Braunstein-Gewinnung Statt findet. Dach und Sohle bestehen aus Letten, und Basaltconglomerat hat sich über das Lager verbreitet. Rhodochrosit ist in geringster Menge vorhanden. In ihm giebt sich der ursprüngliche Zustand zu erkennen, in welchem das Man- gan sich aus der wüssrigen Lósung ausschied ; und seine sphárischen. und sta- . 32) Verg. Baron Waitz von Eschen und Stripppelmann, і. d. Studien d. Gött. Ver. Bergm. Fr. II. S. 153. ÜBER DAS VORKOMMEN VON QUELLENGEBILDEN u. s. w. 101 laktitischen Formen bezeugen seinen wässrigen Ursprung. Aus dem kohlen- sauren Manganoxydul giengen Manganoxydhydrat und Manganhyperoxydhydrat, Graubraunstein (Manganit) und Manganschaum hervor. Wurde kohlensau- res Manganoxydul in Gemeinschaft mit kohlensaurem Eisenoxydul ausgeschie- den, so entstand daraus später eine Verbindung von Mangan- und Eisenoxyd- hydrat, das Wad. Dieser Körper findet sich mit dem Graubraunstein, theils derb, theils in Körner- und Kugelform, mit concentrisch - schaaliger Absonde- rung, wobei Graubraunstein zwischen den Körnern des Wads, so wie in den derben Massen desselben, mannichmal in kleinen Gangtrümmern ausgesondert erscheint. Die Aehnlichkeit der Form des Wad’s mit der des Bohnerzes lässt auch hier auf eine der Bildung des Sprudelsteins analoge Entstehung schliessen. Die Art wie reines Eisenoxydhydrat, Wad und reines Manganoxydhydrat sich in ihrem Vorkommen auf dem Hohenkirchner Lager zu einander verhal- ten, lässt hier dieselbe Reihenfolge der Ausscheidung ‘der kohlensauren Ver- bindungen aus der wässrigen Lösung erkennen, wie sie zuvor angegeben worden. VE. , Vorkommen des Gypses. Wie dem Gypse überhaupt eine mannichfaltige Entstehungsweise eigen ist, so hat namentlich der im Flótzgebirge sich findende Gyps gewiss einen verschiedenarligen Ursprung. Bei einer früheren Gelegenheit55) habe ich zu zeigen gesucht, dass ein Theil des Flótzgypses, zumal der im Kupferschiefer- gebirge auftretende, aus Karstenit hervorgegangen ist, von welchem nicht selten noch bedeutende Reste in den Massen des wasserhalligen schwefel- sauren Kalkes unter solchen Verhältnissen sich finden, dass die Entstehung des letzteren aus wasserfreiem schwefelsauren Kalk nicht wohl bezweifelt werden kann. Dass dieser Karstenit als eine eruptive Gebirgsmasse betrachtet werden darf, scheint mir durch die ganze Art seines Vorkommens bewiesen zu werden. Ein anderer bedeutender Theil der Flótzgypsmassen ist dagegen wohl nach aller Wahrscheinlichkeit aus Wasser abgesetzt worden. Als ein 33) In meinen Bemerkungen über Gyps und Karstenit, im dritten Bande der Ab- handlungen der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 102 J. F. LL HAUSMANN, ÜBER D. VORKOMMEN У, QUELLENGEBILDEN u.s w. Quelléhgebilde glaube ich namentlich auch den Gyps ansehen zu dürfen, der an mehreren Puncten der Gegend des Meissners, die überhaupt in Beziehung auf Gypsbildung vorzüglich lehrreich ist, den Basalt begleitet. Аш Instructiv- sten ist in dieser Hinsicht der Schieferberg, der, wie früher bereits bemerkt worden, vom Fusse des Meissners bei Bransrode, in nórdlicher Richtung gegen Trubenhausen sich zieht, und aus Muschelkalk besteht. An dem steilen südlichen Einhange desselben befindet sich das Ausgehende der oben beschrie- benen mächtigen basaltischen Durchsetzung. Einige hundert Schritte östlich von derselben, wird der flach nordwestlich einfallende Muschelkalk an ein Paar Stellen von Gyps gangförmig durchsetzt. Dieser stellt gekrümmte und gewundene Lagen dar, in welchen späthiger bituminöser Gyps und weisser Fasergyps abwechseln. Die östlichste stärkste Masse hat eine Mächtigkeit von etwa 20 Fuss und lässt sich wohl an 100 Fuss weit in die Höhe verfolgen, mit einem Streichen in der 2ten Stunde, welches der Richtung der Basalt- durchsetzung entspricht. Wie diese sich auf dem Rücken des Schieferberges gegen Weissenbach weiter verfolgen lässt, so zeigt sich derselben parallel noch an mehreren Stellen das Ausgehende des Gypsganges, welches auch durch mehrere, zwischen Bransrode und Weissenbach befindliche Erdfälle angedeutet ist. Ein anderes Vorkommen des Gypses in unmittelbarer Nähe von Basalt ist an dem ebenfalls bereits erwähnten Rosenbühlchen bei Niddawitzhausen. Hier hat der Basalt bunten Sandstein durchbrochen, in dessen Umgebung daher auch der Gyps sich findet. Auf andere Weise, theils mit Rauhkalk, theils mit buntem Sandstein, oder auf der Gränze zwischen beiden, erscheint Gyps zum Theil in weit grösseren Massen in den nordwestlich, nordöstlich und östlich vom Meissner gelegenen Werragegenden 54) Die weitere Erörterung des Verhältnisses, in welchem der in Begleitung des Basaltes sich findende Gyps zu den anderen benachbarten Gypsmassen ѕіеһеі, muss ich mir für eine künftige Gelegenheit vorbehalten. Schliesslich möge hier nur noch ein seltenes Vorkommen von späthigem, dichtem und erdigem Gyps in Blasenräumen des Basaltes am Westerberge bei Hofgeismar erwähnt werden, dessen Eindringung auf ähnliche Weise wie die des Aragonites und Kalkspathes zu erklären seyn dürfte. 34) AE Otto Weiss, Über den Ursprung der Soolquellen der Kurfürstlich Hes- chen Saline Sooden bei Allendorf a. d. Werra rra, im Archiv für Mineralogie, guten gbau u. Hüttenkunde von Karsten und v. Dechen Bd. XXIV. S. 303 ff. nebst einer dazu gehórigen geognostischen Karte. Gottfried Wilhelm Leibniz in seinen Beziehungen Arzneiwissenschaft. Von Dr. Karl Friedrich Heinrich Marx. Der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am 5ten Januar 1859 vorgelegt. Wer nur einigermassen um die Geschichte menschlicher Bildung sich küm- mert, der weiss, dass Leibniz in der Mathematik, in der Philosophie, in der Literärgeschichte, in der Historie und in der Staatswissenschaft Ausserordent- liches geleistet hat, indem er nicht nur ihre Gränzen weitete, sondern auch neue Dahnen brach. Weniger bekannt ist, dass er ein Muster und' Vor- kümpfer religióser Duldung, ein forschender Reisender, ein ausgezeichneter Dichter und der war, welcher in die Medicin seiner Zeit die genaueste Ein- sicht und auf die Entwicklung mehrerer ihrer Doctrinen einen bedeutenden Einfluss hatte. Ег betrachtete die Wissenschaft im Ganzen als den Schatz der Menschheit und als einen Schatzmeister in diesem Sinne hat er sein Amt gewissenhaft verwaltet. Das Wort: homo sum, humani nil me alienum puto schien für ihn erfunden. Seine Humanität war so gross wie die Universalität seines Wissens. Er nennt sich selbst Pacidius +), und allerdings verkehrte er vertrüglich und versóhnend mit Individuen der entgegengesetztesten Ansichten. Das rein Menschliche erscheint als das Charakteristische seiner Natur; daher im Leben die grösste Urbanität und in seinen scientifischen Beurtheilungen und Leistungen wohlwollende Milde und zarte Rücksicht. Jedem Verdienste liess er sein Recht wiederfahren, und wenn irgend thunlich, ertheilte er lieber Lob 1) Vgl. Erdmann Opera philosophica Leibniti. Berol. 1840. p. 91. 104 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, als Tadel !). Nicht nur, was er vollführte, sondern auch was er veranlasste; nicht nur der Reichthum eigener Forschungen, Unternehmungen und Ent- deckungen, sondern insbesondere seine Ermunterungen und Hinweisungen auf Ermittlung und Ergründung von Thatsachen, seine bescheidenen Zweifel und Einwürfe, die Angaben seiner richtigen Methoden dienen zur Verherrlichung seines Gedüchtnisses. Eine Eigenthümlichkeit seiner Auffassungsweise bestand darin, Alles in allgemeinen Beziehungen zu erblicken, das Zusammenwirken, die Harmonie zu ahnen. Wie sein Denken klar, scharf, bestimmt sich äussert, so sein Widerwille gegen das Nebelhafte und Mystische, ohne jedoch in der Ausdrucksweise wehe zu thun oder die Schranken des Anstandes zu über- schreiten. Um den Aberglauben niederzuhalten, strebt er darnach, die natür- lichen Vorgänge einfach zu erklären, und um vagen Muthmassungen und luftigen Hypothesen ein Gegengewicht bieten zu können, ermüdet er nicht, durch genaue Beobachtungen und Versuche das Vorliegende und Nächste zu ergründen. Dabei eine stete Sorgfalt, das, was er beabsichtigt, in gewählter, schöner Sprache zu sagen, und mit dem reinen Ausdruck Gedankenfülle und Sachinhalt zu verbinden. Da seine edie, mannhafte Gesinnung überall, be- sonders aber dann hervortritt, wenn es ihm gilt, die Ehre und den Ruhm seiner Landsleute und des deutschen Vaterlandes zu vertreten, und dafür die Fülle seiner schlagenden Beweise zu ergiessen, so nennt ihn sicherlich ein ebenbürtiger Geistesverwandter ?) mit vollem Rechte „die .ewige Zierde Deutschlands «. : 1) Ebend. p. 425 aus einem Briefe vom Jahre 1696 an Gabriel Wagner: „Ich an meiner Art halte wenig vom Widerlegen, viel aber vom Darlegen, und wenn mir ein neu Buch vorkommt, sehe ich was ich daraus lernen, und nicht, was ich darin tadeln kann“. : 2) Haller in seiner Bibl. pract. IV. p. 190: Decus Germaniae sempiternum. — So lebhaft er auch mit auswärtigen Gelehrten in literarischer Verbindung und im Austausch der Ansichten blieb, und so sehr er ihre Verdienste gebührend hervorhob, so äussert er doch: Nemo in laudandis exteris officiosior est scri- ptoribus Germanicis, sed condignae ipsis vices non redduntur (Feller Otium Hanov. p. 160). ` G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 105 Dieser unser Weise verkehrte gern und viel mit Aerzten!); er nahm 1) Bei seinen vielen Reisen durch Deutschland, Frankreich, England, Italien, bei seiner einflussreichen Stellung, bei seinem literarischen Ansehen und seinem ausgedehnten Briefwechsel steigerte sich die Zahl seiner ärztlichen Bekannt- schaften unglaublich; allein von besonderem Werthe sind seine persönlichen Berührungen mit folgenden Männern, die ihm vorzugsweise in der Sinnesart zusagten oder sich ihm äusserst gefällig erwiesen. Ein intimes Verhältniss bestand zwischen ihm und Friedrich Hoffmann in Halle, namentlich durch die gemeinschaftlichen Bestrebungen, die Vorgünge des Lebens mechanisch zu erklären. In einem Brief an ihn vom J. 1699 schreibt er: Mihi videris de mechanismo naturae judicare rectissime, et mea quoque semper fuit sententia, omnia in corporibus fieri mechanice (Opp. ed. Dutens Т.П. P.1. p. 260). Über ihre Correspondenz das Barometer, den Phosphor, die Chemie betreffend ebend. P.2. p. 76. 77. 81, 97 — 101. Gegen G. C. Schelhammer in Helmstüdt üussert er sich über verschieden- artige Gegenstände (in den Jahren 1680. 1682. 1712 in den Орр Т.П. Р.Э. р. 164—068). Über den Tod von dessen Schwiegervater, Conring, mit dem er auch befreundet war, sagt er (13. Januar 1682 ebend. p.167): Nunc quum celeberrimi merito suo viri Hermanni Conringii, soceri tui intelligam, tibi simul е! rei publicae literariae et nostrae Germaniae condolere debui. Er lässt sich gegen ihn tadelnd aus über Stahl (vom J. 1715 ebend. P.2. p.73): Stahlii tumentis aliorum ignorantia et mira monstra parturientis vellem excuti sententias. Credo curare eum morbos, ut Gideon Harvaeus expectatione, i. e. nihil agendo. Dagegen preist er Schelhammer's neuestes Werk, wozu er diesen ermuntert hatte (ebend. р. 74): Egregium opus tuum Institutionum medicarum esse abso- lutum mirifice gaudeo, пес tibi tantum gratulor, sed et mihi, qui ad ejus ag- gressionem te magnopere sum adhortatus. Seit Leibniz im J. 1683 in Modena bei Ramazzini war, blieb zwischen beiden ein freundschaftliches Verhültniss. Auch in seiner Protogaea (ed, Scheid. Gottingae 1749. 4. $. 42. p.76) bemerkt er, wo er über das Graben der Brun- nen zu Modena sich auslässt, dass er das noch ungedruckte justum opusculum elegantis Mechanicae pariter ac naturalis scientiae specimen des berühmten Arztes dieser Stadt, Bernhard Ramazzini, in Händen gehabt habe. Von Conrad ыллыа Behrens, Praktiker zu Hildesheim und Leibarzt, der als Schriftsteller sich hervorgethan, erwühnt Leibniz mehrerer Briefe (Opp. T. V. p.440. T. VI. р. 186) und seiner Bibliographie der Pest (ebend. T.V. p.611). Dass Leeuwenhoeck (celeberrimus in Batavis per Microscopia observator) Phys. Classe. VIII. 0 106 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, an ihren Studien lebendigen Antheil, er prüfte ihre Arbeiten, tauschte seine einige seiner noch nicht veröffentlichten P ihm zugesandt habe, hebt er hervor (Opp. T.I. p. 182 Note). Mit Martin Fogel in Hamburg wechselte er schon von Mainz aus Briefe. Er nimmt im J. 1670 dessen Gefälligkeit wegen der neuen englischen Fern- róhren für sich in Anspruch: Audio in Anglia Tubos opticos non parva in diei incrementa accipere, sed nihil dum cerle resciscere licuit, spero ejus rei cer- tiorem notitiam tibi debere (Opp. T. V. p. 540). Er bedauert (von Paris aus 1676 und von Hamburg aus 1677) dessen Tod (Opp. T. VI. p. 4 und р. 8) und kaufte dessen nachgelassenen reichen Bücherschatz hinsichtlich ‘der Medicin, Physik und Geschichte für die Bibliothek des Herzogs Johann Friedrich in Hannover. Von den Briefen an Gackenholtz [vergl. Haller Bibl. bot. T. II. p. 66] sind mehrere interessante aufbewahrt (Орр. Т.П. P. 2. p. 169—75). Mit Meibom in Helmstädt war Leibniz gleichfalls verbunden. Er schreibt an Burnet (Opp. T. VI. P. 1. p.231), dass er für dessen Leiden le conseil d'un des plus habiles Médecins de l'Allemagne nommé Meibomius sich habe geben lassen. Nachdem Leibniz mit Schaper, Hofrath und Leibarzt zu Rostock, im J. 1711 in Berlin zusammen war, erhielt er Diss. epistolica ad Virum per illustrem de Leibniz, polyhistorem consummatissimum de Hydrophthalmia intercepta. Rostochii 1713. 4. und darin heisst es (p.31): aequissimo rerum tum Physicarum, tum Medicarum Aestimatori dignissimo сопѕесго, Mit Stisser, Arzt in Helmstädt, communicirte er hauptsächlich über die Be- förderung der Chemie (Opp. Т.П. P.2. р. 81). In einem Brief an den Herzog Johann Friedrich von Hannover beruft sich Leibniz (s. Grotefend Leibniz Album. Hannover 1846. fol. S. 17) auf die höfliche und willfährige Antwort von Diemerbroeck. Bei Swammerdam sah er 1668 dessen Vergrösserungsgläser (Орр. T.I. p.51). Bei der Herzogin, nachher Churfürstin, Sophie war er zu Hannover oft zu- . sammen mit Steno, dem Schüler Bartholin’s, der apostolischer Vicar geworden. Da dieser zum Beweise der Sündfluth oft von den Überbleibseln und Nieder- schlägen erzählte, welche er auf seinen weiten Reisen in Europa beobachtet, so bemerkt Leibniz in seiner Protogaea ($. 6) über ihn: ut saepe ipsum nobis narrantem audire memini. An demselben Hofe unterhielt er sich häufig mit Franz Mercurius von Helmont. In seinem Tagebuche vom 16. Aug. 1696 (s. Grotefend Leibniz a G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 407 Meinungen gegen die ihrigen aus, und verschmähte es nicht, an den Aufbau ihres wissenschaftlichen Gebäudes die Hand selbst mitanzulegen. Was ihn dazu trieb, war theils das Bedürfniss, den Umfang seiner Kenntnisse in Re- gionen auszudehnen, welche seinem eigentlichen Berufe fern lagen, und feste Halipunkte zu gewinnen, um das Wunder. des organischen Lebens mehr be- greifen und anstaunen zu kónnen; theils seine Hoffnung, aus der Vertrautheit mit den Bedingungen der Gesundheit und Krankheit, Mittel und Wege aus- findig zu machen, den Leiden im Grossen entgegen zu wirken und Einrich- tungen zu treffen, um das allgemeine Wohl zu fórdern und zu befestigen. Viel versprach er sich von einer medicinischen Zeitgeschichte !), um Album 8.6) sagt er über ihn: „Seine Intentiones und Gemüth finde ich sehr guth und löblich; auch ist seine Gelassenheit hoch zu schätzen“, Und hin- sichtlich seiner Kenntnisse: Il entendoit parfaitement la Chymie et la Medecine (Feller Otium Hanoveranum p. 226). d Obgleich Johann Bernoulli, der jüngere Bruder des Jacob, Medicin studirt und zwei medicinische Abhandlungen veröffentlicht hatte, so ist doch sein langjáhriger Briefwechsel mit Leibniz rein nur mathematischen Inhalts. In seinem ersten Briefe (Basil. 20. Dec. 1693) heisst es: Nihil unquam magis mihi cordi fuit, quam divinae Matheseos studium, quippe quod Medicinae, cui et ego aliqualiter addictus, plurimum lucis confert clavemque praebet ad reseranda abditissima Naturae claustra. S. Leibnizens mathematische Schriften herausg. von Gerhardt. Halle 1855. B.3. S. 133. 1) An Gackenholtz schreibt er im J. 1701 (Opp. Т.П. P.2. p. 174): Olim cl. Ramazzinum et nunc celeberrimum Hoffmannum animavi, ut persequerentur rem humano generi utilissimam, Historiam temporum naturalem. Ferner (ebend.): Ramazzinus aliquot annorum Historiam Physico-Medicam dedit, uno anno. At Hoffmannus anni aerae vulgaris 1700 descriptionem meteorolo- gicam simul et epidemicam nuperrime dedit; egregie observans, praeter varia- tiones Barometri et Thermometri, tempestatum el ventorum maxime mutationes, quaeque inde in humanis corporibus et morborum, ut sic dicam, more et habitu sunt consequuta. Quae si continuentur et pluribus locis instituantur, coéuntibus in commercium praeclaris viris collatisque observationibus, non tantum morbis singulari saepe nec statim explorata ratione, grassantibus maturius obviam ibitur; sed et ingens mox pulcherrimarum observationum thesaurus colligetur, magno generis humani fructu; ut nesciam, an post virtutis cullum, quicquam magis pium et Christianae charitati consentaneum provocari possit. 108 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, für Jahr zu Jahr die auffallenden Vorgänge in der Atmosphäre, die unge- wöhnlichen Erscheinungen der Jahrszeiten, den Stand der Culturgewächse, die vorkommenden, zumal epidemischen Krankheiten der Menschen und Thiere verzeichnet zu besitzen. Er glaubte, dass solche jährliche Übersichten +), gleichsam medicinische Kalender?), um so nützlicher sich erweisen würden, wenn man damit sorgfältige Mortalitätstabellen 5) und die Listen der Heilungen von Krankheiten ^) verbände. Er reiht daran die Hervorhebung der Noth- wendigkeit einer obersten Medicinalbehörde 5), sowie den angelegentlichen 1) Journal des Sgavans. 1694. N. XXIX. Paris. 4. p. 338 und in der kleinen Am- sterdamer Ausgabe. Vol. 22. р. 566. 2) Er schreibt an Hertel (1691): „Ein Medicus von Modena hat mir ein artlich Buch zugeschickt: vom Zustande voriges Jahres, die menschliche Gesundheit betreffend, gerichtet auf die Lombardey, und verspricht desgleichen alle Jahr, und sagt, er wolle dergestalt Medicinische Calender machen, aber nicht, wie die Astrologen, vorher, sondern wenn das Jahr umb. Ich finde das Buch sehr vernünftig und gelehrt, auch tüchtig, Andere zu dergleichen aufzumuntern, und möchte wünschen, dass man unsere Teutschen Herren Naturae Curiosorum zu dergleichen aufmuntern könnte: wäre eben recht vor ihre Annos, dass alle Jahr solche Ephemerides Medicinales des verflossenen Jahrs beigefügt würden etc. Vergl. Leibniz deutsche Schriften von Guhrauer. В. 2. Berlin 1840. S. 458. 3) Für Frankreich, glaubte Leibniz, liesse sich das Gewünschte leicht ausführen, weil dort die Polizei vorzüglich organisirt sey (Sur la maniére de perfectionner la Medecine in den Opp. T. II. P.2. р. 162). 4) Danda esset opera in republica, ut quorumlibet morborum, mortium, curatio- num exacta diaria instituerentur, eorumque comparatione paulatim procuderentur observationes; tum demum certiora haberi possent. Similia calendaria annorum praeteritorum fabricari deberent, item collationes lineamentorum factae cum vita cujusque, qui singularia fata habuit (Feller Otium Hanov. p. 168). 5) In seiner Vorstellung an den Kaiser Karl VI, wo er die erforderlichen Ein- richtungen bezeichnet, nennt er „vor allen andern die Besorgung der Mensch- lichen Gesundheit und Erhaltung des Viehes, welche Dinge ein Collegium Sanitatis nicht nur temporale in Contagionszeiten , sondern perpetuum erfordern “ (Grotefend Leibniz Album S. 20). j С. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 109 Wunsch, dass für die Wahrung des allgemeinen Gesundheitswohls nichts ver- ` säumt werde!). Ein Geschäftsmann, der durch umfassende Auseinandersetzungen in der Politik, im Rechte, in der Theologie in Anspruch genommen wird, der vermag nicht zugleich den vielen Anforderungen des ärztlichen Standes zu entsprechen. Das wusste und gestand auch Leibniz vollkommen; er hielt sich für einen blossen Zuschauer, nicht für einen Acteur; er wollte nur so viel sich davon aneignen, als, seiner Ansicht nach, jeder thun sollle, um die Gesundheit seiner Mitmenschen fest im Auge behalten zu kónnen ?). Um so rückhaltloser durfte er sich aber über den Nutzen oder Schaden, die Entbehrlichkeit oder Bedeutung der Medicin aussprechen. Gerade weil er sie kannte, ohne sie auszuüben, war er berufen, ihren Werth oder Un- werlh zu schätzen. Und wie lautet sein Ausspruch? Keine Kunst sey vorzüglicher, aber auch keine schwieriger als sie 5). Ihre Schwierigkeit liege darin, dass sie fast ganz Erfahrungssache sey, und der Zufall dabei eine Rolle spiele *). Sie sey die nothwendigste aller Wissenschaften 5). Wer 1) In dem grósseren, politischen Lehrgedicht: Fable morale sur la necessité de la perseverance dans les conseils salutaires à l'état (im Recueil de diverses pieces par Leibniz publiées par Kortholt. Hambourg 1734. 4.) wird zuge- rufen (p. 25. 29): Encore un peu de tems, de peine et de dépense, et vos constans travaux auront leur recompense. Il s'agit du salut, rien ne nous doit coüter; ce qui l'assurera ne doit point rebuter. 2) Neque me ultra his studiis immisceo, quam possunt etiam o? dë, Eorum qui civilia studia tractant, considerationem in primis quoque pertinere, ut valetudinis civium ratio habeatur (Opp. T. IL. P. 2. p. 174). 3) Arte medica, qua nulla neque praestantior est, neque difficilior (Opp. Т.П. Р. 2. p. 174). 4) Opp. T. VI. p.316, und T.V. p.68. 5) La Médecine est la plus nécessaire des sciences naturelles . . elle est le plus haut point et comme le fruit principal des connoissances du corps par rapport au nótre. Mais toute la science physique, et la Médecine méme, a pour 110 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, "nur fernhin die einzelnen Umstände erwäge, der würde sich nicht über ihre Unvollkommenheit, sondern über ihren Fortschritt!) wundern. | Würde die Kunst, Gutes zu thun, eben so eifrig betrieben, als die, Übles zu vollführen, und würden die grossen Aerzte ebenso sehr belohnt, wie die grossen Generäle, so würde die Medicin noch weit vollkommner seyn, als sie ist ?). An der ebenso ausgemachten wie beklagenswerthen Wahrheit, dass Kórper und Geist die ersten Dinge sind, an die man denken sollte, dass sie aber die letzten sind, an die man denkt5), hatte Leibniz keinen Theil; er dachte an sie mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele. Bei seiner uneigen- nützigen, reinen Menschenliebe, bei seinem tiefen allgemeinen Wohlwollen . blieb sein Sinnen und Trachten unaufhórlich darauf gerichtet, die Gesundheit zu schützen, feindliche Eingriffe auf das Gemüth wie auf den Körper fern zu halten. Er war des Glaubens, dass die Menschen, ausser der Tugend und dem Frieden, auf die Gesundheit den höchsten Werth zu legen hätten, und dass man für die Kunst, welche sie zu behaupten strebe, keine noch so grossen Kosten aus öffentlichen Kassen sparen dürfe *). dernier but la gloire de Dieu et le bonheur supréme des hommes (Opp. T. Il. P.L. p.262). 1) Qui rei momenta expendent, cerle magis profectum artis, quam imperfectionem mirabuntur (Opp. Т.П. P.2. p. 111). 2) La science de la Médecine vaut mieux que celle de la guerre, et seroit beau- coup plus estimable, si les hommes étoient sages. L'une et l'autre est des plus difficiles, et des plus sujeites aux hazards. J'ai peur que les grands Médecins ne fassent mourir autant d'hommes que les grands Géneraux. Le mal est qu'on s'applique plus à l'art de faire du mal qu'aux aris bienfaisans: et si on prenoit autant de soin de la Médecine que de la science militaire, et si les recompenses des grands Médecins étoient aussi grandes que celles des grands Géneraux, la Médecine seroit bien plus parfaite qu'elle ne l'est (an Grimareset 1712: Opp. T. V. p. 70). | 3) L'on peut dire, que c'est une vérité aussi certaine que déplorable, que l'ame et le corps sont les premières choses auxquelles on devroit penser, et les dernières, auxquelles on pense (Орр. Т.П. P.2. р. 163). 4) Post virtutem animorum et populorum quietem nihil esse hominibus pretiosius G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 111 Man müsse auf Entdeckungen ausgehen und diese in Ehren halten, wenn man auch nicht gleich Gebrauch davon machen könne 1). Die einzelnen Lehren der medicinischen Wissenschaft müssten in innigere Berührung mit einander gebracht werden; die Anatomie müsste mehr der Physiologie, diese der Pathologie, diese der Heilmittellehre zur Orientirung dienen. Aus den aufgehäuften Beobachtungen müsste man zahlreichere leitende Schlussfolge- rungen ziehen und angelegentlich suchen, den Übergang von der Gesundheit zur Krankheit sowie von der Krankheit. zur Gesundheit nach den Ursachen wie Mitteln darzulegen. Die Medicin sey allzusehr empirisch. Ihr müssten zu Hülfe kommen die specielle Physik, Mathematik; Mechanik, die Mikroskopie und Chemie. So nur liesse sich erwarten, dass sie aus den Windeln, in denen sie sich befánde, herauskomme und allmälig zur Jugendfülle heranwachse. Auf das Beobachten und die Geschichte der Krankheiten, nicht minder auf die Gewinnung allgemeiner Grundsätze, sey grössere Sorgfalt zu ver- wenden 2). Das Experimentiren sey zu wagen, freilich mit der gewissen- haftesten Schonung der Kranken 5). sanitate, nullamque in artem liberalius ex publico sumtus faciendos (ebend. p. 111). | 1) Neque enim usus veritatum semper cum ipsis veritatibus prodeunt (Орр. Т. П. P.2. p. 148). 2) Saepe a me admonitum est, hactenus Medicinam nimis Empiricam esse, nec Anatomiam salis ad Wisin aut Physiologiam ad Pathologiam, aut Patho- logiam ipsam ad Pharmaceuticam prodesse. Magis enim observationibus, quam rationibus hactenus assequimur, operationes partium sensibilium insensibiles ; v.g. nervorum et membranarum ad usus vitales, et saepe haeremus circa transi- tum a stalu sano ad morbosum, aut circa reditum a morbo ad sanitatem, id est. circa causas et remedia morborum. Sed haec minus mirari debemus, quia Physica specialis omnis fere hactenus in cunis jacet. Veterum Graecorum et Latinorum experimenta pleraque periere, et ratiocinia eorum, quae supersunt, admodum tenuia sunt. Arabes et Latini seculorum tenebricosorum aliquid for- tasse adjecere ad Pathologiam et Pharmaceuticam, sed non magni admodum momenti, multo autem plura veterum neglexere et corrupere. Nunc vero ex quo ratiocinia physica, per Mathesin vel Mechanicam, et experimenta per 112 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Ist és nicht, als hörte man Stimmen aus der unmittelbaren Gegenwart, und zwar von denen, die da wähnen, sie hätten den Morgen einer besseren Zeit heraufbeschworen, und nur sie würen es, denen man die Keime einer fruchibringenden Zukunft, die Anfänge einer strengen und geläuterten wissen- schaftlichen Bestrebung und Kunsterfahrung zu verdanken habe? Allein schon vor mehr als 15 Decennien wurde von dem auf anatomi- schen Theatern schwerlich Genannten niedergeschrieben, dass die Zergliede- rungskunst ihrer selbst wegen getrieben und begünstigt werden müsse. Wenn auch ihr Nutzen nicht gleich sich bemerklich mache, so möge man sich beruhigen, denn er komme ganz gewiss. Überhaupt dürfe keine schóne und verbreitete Wahrheit gering geachtet werden. Die Erinnerung genüge, dass die auf die Praxis Losgehenden nicht zu viele Zeit darauf verwenden. Die Jugend vergeude übrigens so viele Stunden mit nichtigen Dingen, dass ein Opfer jener für eine wichtige Beschäftigung keine unbillige Zumuthung sey. Auch brauche man nicht zu fürchten, dass allzugute !) und allzu- microscopia et Chymiam adjuvantur, spes est, Physicam paulatim crescere et iandem, crepundiis relictis, ad adolescentiam proficere posse. Auctaque hodie non parum per observationes Anatomia, Physiologia el Pharmaceutica, spes est, Pathologiam quoque (quae fortasse maxime hactenus neglecta fuit) insignes pro- gressus facturam, si major in observando diligentia adhibeatur, et curatores Reipublicae Medicorum prudentium ac bene animatorum industriam juvent. Ob- servationibus autem praesertim circa historiam morborum auclis, novisque apho- rismis magno numero constitutis, etiam ad veras rationes magis magisque aditus fiat, quae plerumque "desunt (Opp. T.I. P.2. p. 148). 3) Si eligendum est, malim inclinare ad sperandi felicitatem, qua alatur experiundi curiositas (dummodo aegrorum periculum absit) quam affectato supercilio, quo se plerumque superba et infida armat ignorantia, deterreri homines a conatu proficiendi (Opp. T.H. P.2. p. 115). Fateor, multa esse, quorum ulilitas nondum salis clare apparet ; sed eam quoque emicaturam aliquando arbitror, nullamque veritatem pulchram et late fusam con- temni debere. Sufficit, moneri ad praxin aspirantes, ne nimium in his temporis consumant, (interim humanum ingenium, ei juvenum inprimis, hoc praesertim tempore, plus satis a labore proclive est ad libidinem, ш vix necesse sil doclores mos ignorantiae fieri, monereque eos, ne nimis boni anatomici fiant (Орр. T. П. P. 2. p. 138). = — LI G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 113 viele 1) Anatomen gebildet würden. Die Resultate der feineren Anatomie offenbarten sich in den zunehmenden Entdeckungen der Wundarzneikunst. Neuen Operationen gingen jene Untersuchungen vorher?). Der gewóhnliche praktische Arzt habe nicht nóthig mit allen Einzelnheiten der Anatomie sich vertraut zu machen, aber vernachlässigen dürfe auch er sie durchaus nicht. Durch die feinere Anatomie werde man wahrscheinlich dahin gelangen, viele verzweifelte Krankheiten zu bewältigen. Dem Wundarzt sey ihre Kenntniss ganz unerlässlich, schon in der Hinsicht, dass er keinen Theil verletze, der irgend geschont werden müsse 5). Zur Untersuchung müsse man sich des Mikroskops bedienen; es sey Trägheit, die Augen nicht öffnen und in einen errungenen Wissenstheil nicht eindringen zu wollen *). 1) Numerus Anatomicorum magis minui quam crescere videtur. Stenonum et Malpighiorum multitudine nunquam laborabimus (ebend. p.148). 2) Promotio Chirurgiae maxima progressu temporis speräri potest, et quanto per- ficietur magis, eo magis apparebit usus exquisitae Anatomiae, uti certe videmus ad sublationem cataractae oculi et lapidis vesicae eaim profuisse. Spes est ali- quando aquam inter cutem aliaque noxia non minore certitudine sublatum iri (ebend. p. 147). 3) Licet non sit postulandum ab omni Medico, ut anatomicas omnes minutias ex- cutiat, putem tamen e Republica esse, ut nunquam desint, qui hoc sibi potis- simum negotii datum judicent. Et vero maximus in Chirurgia usus est Anato- miae etiam exquisitioris; credoque aucta arte homines aliquando ad curationes nonnullas hactenus desperalas perventuros; aperiendo, separando, extrahendo, inserendo. Et licet non possit Chirurgus ossa, vasa, musculos, nervos aut membranas laesas resarcire, ut sarlor vestimentum, sed hoc naturae opus sit: non ideo tamen exiguum est, ossium, vasorum, musculorum, tendinum, nervo- rum, membranarum figuras, silum, nexum exacte nosse, ut scilicet laesione facta caveantur, quae impediunt naturae aclionem, procurentur, quae juvent, et ut constet, quae praestantioribus salvis tolli aut violari possint (ebend. p. 138). Velim microscopia ad inquisitionem adhiberi, quibus tantum praestitit sagax Leeuwenhoeckii, Philosophi Delphensis, diligentia, ut saepe indigner humanae ignaviae, quae aperire oculos, et in paratam scienliam possessionem ingredi non dignatur. Nam si „saperemus, jam passim ille imitatores haberet (Pro- togaea $. 17). Phys. Classe. VIII. P A 114 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Die Chemie, diese edelste Wissenschaft 1), habe bis jetzt nur wenig beigetragen, um die unmerklichen Vorgänge im thierischen Organismus zu erklären; allein mit ihrer Weiterbildung werde sich schon ihre Anwendung mehren 2). Es gäbe eine eigene Thier- und Pflanzenchemie zur näheren Nachweisung der Umänderung in den Säften. Überhaupt sey das Gebiet der Chemie ein umfangreiches; alle Substanzen gehörten ihm an 5) Wie die Medicin zum Menschen, die Agricultur zu den Pflanzen, so verhalte sich die Chemie zu den Elementen und Bestandtheilen der Körper *). Hat der Arzt als Diener und Dolmetscher der Natur von dieser in grossem Maassstabe Notiz zu nehmen, so mag er durch Leibniz lernen, wie es möglich sey, den Gesichtskreis weit auszudehnen und Vieles zu verbinden. Er betrachtete die Natur nicht anders als wie eine grosse Kunst 5). Blie- ben auch ihre geheimen Vorgänge verborgen, so könnten doch aus ihren erkannten Absichten die schönsten Gesetze, welche sie befolgt, erforscht wer- den6). Um in dieser Hinsicht seine Zwecke zu erreichen, habe man sich 1) Scientia nobilissima (an Stisser 1700. Opp. T. II. Р. 2. p. 128). 2) Facile concedo, non admodum magnum hactenus Chvmiae usum esse ad expli- canda, quae in animalibus insensibiliter fiunt. Sed aucta Chymiae scientia, augebitur eliam ejus applicatio (Opp. Т.П. Р. 2. p. 148). 3) Est animalibus quaedam propria, ut sic dicam, Chymia, et ad Chymiam non minus pertinent mutationes, quae in humoribus animalium, quam quae in liquo- ribus vegetabilium fiunt: imo corpora omnia ad Chymiam pertinent, quando secundum operationes physicas, insensibili processu constantes, non ut structu- rae, sed ut massae tractantur (Opp. T.I. Р. 2. p. 139). > Equidem si Physicam illam appellemus generalem, quae communia tribus regnis tractat, profecto Chemia erit practica pars Physicae generalis, et uti Medicina ad hominem, aut agricultura ad plantas, ita sese Chemia ad elementa el cor- pora, vel similaria vel rudius mista, habebit (ebend. p. 128). 5) Neque enim aliud est natura, quam ars quaedam magna (Protogaea $. 9). 6) Ignoratis arcanis naturae processibus, tamen ex consiliis ejus maximo cum fructu indagamus pulcherrimas, quibus utitur, leges (Opp. Т. П. P.2. p. 134). G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 115 die Fertigkeit zu erwerben, durch Versuche die rechten Fragen zu stellen! ), und müsse man die Hülfsvortheile, wie deren Übung, gehörig handhaben 2). Auch müsse man stets nach klaren Begriffen streben und vor leeren Worten sich hüten 3). So sehr übrigens Leibniz für Versuche sich aussprach, so legte er doch nur auf solche Werth, welche mit vernünftiger Üeberlegung angestellt und zu nützlichem Gebrauche ausgebeutet werden. Durch blosse Mittheilung von Versuchen liefere man blos Material für die Zukunft. Noth thue ein Verzeichniss der bereits bekannt gemachten Versuche und die Anwendung der Mathematik auf die Physik *). Er selbst hatte angerathen, beim Brunnenbohren, zur Sicherung, des Thermometers sich zu bedienen 5), und des Barometers, um damit die Höhe und Tiefe der Oerter zu bestimmen 6). 1) Die Experimentirkunst nennt er ,die Kunst, die Natur selbst auszufragen und gleichsam auf die Folterbank zu bringen“ (ап G. Wagner 1696: Erdmann Opp. philosophica p. 421). | 2) Er schreibt (an G. Wagner ebend.) „Ich stehe in den Gedanken, dass ein schlechter Kopf mit den Hülfsvortheilen und deren Übung es dem Besten be- vorthun kónnte, gleichwie ein Kind mit dem Lineal bessere Linien ziehen kann, als der grösste Meister aus freier Hand “. 3) Plerique ad lusus naturae (inanem vocem) confugiunt (Protogaea $. 18). 4) Miror in tanta experimentorum copia tam pauca inde duci ad usum vitae. Itaque seculum nostrum mihi simile videtur homini, qui tota sua vita sub dio viclurus magnam copiam maleriae aedificii a posteris absolvendi comportat. Quod sane dolendum est. Possemus ipsi laboribus nostris frui, si experimentis addere vellemus ratiocinationes. Duobus autem opus esset, inventario experi- mentorum jam cognitorum, et applicatione Matheseos ad Physicam (Feller Otium Hanov. p. 162). 5; Namentlich während seines Aufenthalis zu Modena. Suasi ut imposterum ther- тотеіго explorent, ne forte pro Antiperistasi suffocantis in loco non pervio aéris natura imponat (Protogaea $. 42. p. 76). 6; In einem Briefe an Behrend Ripking, Maschinen-Director zu Clausthal, Hannover den 20. Juni 1712 (in Gatterer's Beschreibung des Harzes. Th. 2. ES 116 über KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Ausserordentlich bemühte er sich für die Anstellung von Beobachtungen die Abweichung der Magnetnadel. Nach den verschiedensten Seiten hin wandte er sich, um Theilnahme und Unterstützung dafür zu wecken. Und damit auch ausserhalb Europas Tüchtiges dafür geschehe, suchte er vor- zugsweise die Jesuiten, von denen Missionäre nach den entferntesten Ländern ausgingen, zu gewinnen !). Die Lehre von der Bewegung ?) nahm die ganze Kraft seines Nach- Abth.2. Nürnberg 1793. 5. 634) schreibt er: „Wenn M. Н. Н. ein Barometrum bei der Hand hat, so würde guth seyn, damit in die Grube zu fahren und genau zu observiren, wie viel es bei jeder station, deren tieffe bekand, im auf und absteigen steiget oder еі. Dem Hrn Berghauptmann wird diese untersuchung lieb seyn, weil solche dienen würde, die höhen und tieffen der Oerther zu überschlagen “. An Des-Bosses 1712 (Орр. Т.П. p. 296): Venit aliquando in mentem optare ut virorum vestrae societatis in rebus mathematicis versatorum ope observationes variationis Magnelicae per orbem continuatae annorum studio, collataque opera, instituerentur, quae res summi est momenti ad Geographiam et navigationes, et a nullis aliis commodius fieri posset. Post Gilberlum Anglum, qui primus hujus doctrinae fundamenta posuit, nemo melius de magneticis observationibus meritus est, quam vestri, quorum etiam justa opera extant; Cabaeus, Kircherus, Leotandus, alii Quod si vestri qui per orbem inde a Kircheri temporibus, quot annis, ubicunque, Mathematum periti agunt, sive fixis sedibus, sive in itineribus, observassent, quaenam sit tam declinatio horizonlalis, quam inclinatio vertebralis magnetica, et observationes in litteras retulissent, haberemus hodie Thesaurum observationum, in quibus fortasse jam tum conjici ac praedici posset, saltem in aliquot annos, quae in plurimis locis debeat esse variatio. Unde observata variatione in medio mari, conjunctaque cum poli elevatione, haberi locus posset, et tandem erui limites, periodi, leges variationis, et fortasse etiam ratio tanti arcani. 2) Er schreibt an den Herzog Johann Friedrich von Hannover (Grotefend Leibniz Album 5. 15): „In Philosophia naturali bin ich der erste vielleicht, so vollkommen demonstrirt, terram moveri, item dari vacuum, nicht durch experi- menta, denn die thuns nicht, sondern demonstrationes geometricas, dieweil ich - de natura motus etliche propositiones bewiesen, so noch niemands in Gedanken kommen". G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 117 denkens und seiner Berechnung in Anspruch, und ebenso seine Bemühungen um die Optik!) und Akustik ?). Wie Leibniz in seinen historischen Untersuchungen sich veranlasst fühlte, die ersten Anfänge von Völkern und Geschlechtern zu ergründen, ebenso trieb es ihn, die Bildungsgeschichte der Erde, der Thiere und Pflanzen zum Gegenstande ernster Studien zu wählen. Den Ursprung der letzten Gründe der Dinge zu erkennen, war für ihn zu lockend, um von den Schwierig- keiten sich abschrecken zu lassen. Bei seinen Forschungen, aus den Versteinerungen und Überresten einer untergegangenen Welt die Geschichte der Erde zu deuten, kam er zu der Einsicht, dass die Natur uns statt einer Geschichte dienen könne 5), und 1) „In Opticis (bemerkt er ebendaselbst) habe ich entdecket ein gewisses Genus Tuborum oder Lentium, so ich Pandochas nenne, dieweil sie das ganze objectum uniformiter fassen, und nicht weniger die Strahlen extra axem opticum als in axe optico distincte colligiren, dadurch dasjenige, was man bisher vergebens gesucht, zuwege gebracht wird, wie nehmlich den vitris objectivis eine so grosse apertura gegeben werde, als wir wollen, umb der strahlen desto mehr damit zu fassen“. Man denkt hierbei unwillkührlich an die neuesten Arbeiten von Peizval in Wien. ` An Schelhammer 1680 (Opp. Т.П. P. 2. p. 166): Mentio tuarum observatio- num circa organon auditus mihi in memoriam revocavit veleres quasdam schedas meas de modo, quo fit sonus ac propagatur, cujus veram naturam nemo hactenus distincte explicuit, quemadmodum nec vibrationum leges a me ex intima Geo- metria erutas. Ex his quaedam describi curabo, ut tibi dijudicanda mittam. 3) Am Schluss der Protogaea: rerum natura praestat nobis Historiae vicem. Leibniz schrieb seine Protogaea im J. 1690 und gab davon im Jan. 1693 einen Auszug іп den Actis Eruditorum. . Scheid veröffentlichte sie aus den Papieren in der Bibliothek zu Hannover unter dem Titel: Protogaea s. de prima facie telluris et antiquissimae historiae vestigiis in ipsis naturae monumentis dissertatio ex schedis manuscriptis in lucem edita. Goettingae. 1749. 4. In der Vorrede (p. ххш) hebt er hervor, dass Leibniz in einem Briefe von 1711 an Liebknecht sowie an Spener (Miscell. Berol. 1710) auf diese seine Arbeit i.i sich berufe. 115 KARL FRIEDRICH HEINRICH МААХ, dass die ersten Keime einer neuen Lehre, nemlich einer natürlichen Erdbe- schreibung, gegeben seyen !). Mit richtigem Blick sprach er sich über die ausgegrabenen Elephanten- ähnlichen Knochen, die man als Naturspiele betrachtete ?), aus, und erklärte sich für ihren Ursprung aus dem Thierreiche 5); auch that er Schritte, Mit- theilungen über ähnliche Funde aus fernen Landen zu beziehen, um Ver- gleichungen anstellen zu kónnen *). Wie ein Seher in eine weit spätere Zeitperiode äussert er, dass man im Innern der Felsen Erzeugnisse von Metallen und Mineralien, ähnlich denen in unseren Oefen, fände. Womit wir in kleinen Proben spielten, das ver- richte die Natur in grossen Werken. Ihr dienten die Berge statt der Destillir- helme und die Vulkane statt der Essen °). Es lohne sich der Mühe, Ver- Ваи пацов лода 1) Haec utcunque cum plausu forte dici possint de incunabulis nostri orbis, semi- naque contineant scientiae novae, quam Geographiam Naturalem appelles, ten- tare potius, quam astruere audemus (Protogaea $. 5). 2) In sein Tagebuch hatte er am 22. Aug. 1696 geschrieben (Grotefend Leibniz Album S. 7): ,Die Medici zu Gotha, Doct. Rabe und Bachof und andere wollen noch immer verfechten, die Spolia animalis Tonnensis elephantiformis wären lusus naturae“. 3) In einem Brief an Bussingius, Professor in Hamburg, vom 24. Dec. 1696 sagt er, dass die in Thüringen ausgegrabenen Knochen aus dem Thierreiche stammten (Feller Otium Hanov. р. 31). In seinem Tagebuche (bei Grotefend a. a. О.) giebt er an: „Ich habe einen grossen Back-Zahn von gleicher Natur gezeiget, so zu Wolfenbüttel gefunden worden“. Leibniz liess einen bei Tiede unweit Wolfenbüttel gegrabenen Elephanten- Backzahn mit der Beischrift stechen: dens animalis marini Tidae effossi. Blumenbach äussert darüber (Gótting. gelehrte Anzeigen 1808. St. 85. S. 878): „Ein sonst braver Oryktologe nimmt das in einer seiner nützlichen Schriften für ein ihm unbekanntes Seethier, Nahmens Tiede“. 4) Er schreibt an den Pater Grimaldi in China, dass im Braunschweigischen und zu Gotha in Thüringen Elephanten-Knochen ausgegraben worden seyen und vermuthet, dass sie auch in China ausgegraben würden: quorum notitia prodesset Europaeis ad instituendam comparationem (Feller Otium Hanov. p. 24). 5) Prona suspicio est, quod exiguis speciminibus nos ludimus, naturam magnis operibus execulam; cui montes sunt pro Alembicis, Vulcani pro furnis (Protogaea $. 10). G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 119 gleichungen vorzunehmen zwischen den Natur- und Kunstprodukten, den Erzeugnissen der Erde und unserer Laboratorien !). Feine Betrüger machten die Formen seltner Metalle, z. B. glasförmiges, haarröhrchenförmiges Silbererz auf der Capelle nach. Sie nützten aber durch ihren Betrug, indem sie die Kunst der Natur lehrten durch Nachahmung ihrer Wirkungen 2). Die Vergleichung der Heimlichkeiten der Natur mit den öffentlichen Werken der Menschen sey ein Vergnügen 5). Ohne Zweifel wäre bei der Bildung der Erde etwas der Zeugung der Thiere und Pflanzen Verwandtes vorgegangen *). Zur Entstehung lebender Organismen nimmt er einzig und allein Eier- oder Saamenbildung an, keine saamenbringende Fäulniss 5), keine generatio aequivoca 6). Als Grundbedingung der künftigen Leibesfrucht betrachtet er nicht das Eichen im Eierstock, sondern den männlichen Saamen 7). Für die wichtigste Aufgabe erklärte er die Ermittlung der Ursache, warum zuweilen Empfängniss erfolgt, zuweilen nicht, oder mit andern Worten die eigentlichen Bedingungen der Empfängniss 3). 1) Operae pretium facturum arbitror, qui naturae effecta ex subterraneis eruta dili- gentius conferat cum foetibus laboratoriorum, quando mira persaepe in natis et factis similitudo apparet (Protogaea $. 9). 2) Prosunt decipiendo, docentque artem naturae, cujus effecta expressere (ebend. $. 13). 3) Libenter occulta naturae manifestis hominum operibus confero (ebend. $. 18). 4) Nec dubium est, cum prima telluris tenerae stamina duceret Sapientissimus Conditor, aliquid formationi animalis aut plantae simile contigisse (ebend. $. 8). 5) Explosa putredine prolifica (ebend. $. 28). 6) Quicquid generationis aequivocae non barbare minus quam falso memorabatur (ebend. $. 28). Т) Орр. T.I. р. 488. Sein Briefwechsel mit Leeuwenhoeck über diesen Gegen- stand findet sich, aus seinem Nachlass, auf der Königlichen Bibliothek zu Hannover. .8) Problema momenti omuium maximi in hoc argumento esset, invenire cur ali- quando conceptio sequatur, aliquando irritus sit coitus; seu quae sint vera conceplionis requisita (an Schelhammer 1680. Opp. Т.П. P.2. p. 166). 120 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Bei der Befruchtung der Pflanzen sey das Wesentliche der Blüthenstaub, welcher durch den Griffel zum Keim geführt werde 1). Wurde Leibniz schon von Studien angezogen, welche seine wissen- schaftliche Neugier zu befriedigen, sein Nachdenken oder seinen Scharfsinn zu erregen vermochten, wie viel mehr von solchen, von denen er einen wohlthätigen Einfluss auf das bürgerliche Leben erwartete, oder die ihm Gelegenheit boten, herrschende irrige Vorstellungen zu widerlegen. Er berücksichtigte die Beschaffenheit des Bodens und gab sich der Hoffnung hin, dass seine Epigonen im Stande seyn würden, die besonderen ` Arten der Erdschichten, wie solche durch den Boden fortlaufen ?), zu be- schreiben. Die Metalle, äussert er, würden nicht von Neuem gebildet; das Wasser zeuge das Erz nicht, sondern führe es zu$). Er vermisste naturgeschichtliche Beschreibungen der Lünder und munterte dazu nach besten Kräften auf *). Da er mit dem Auge eines Mathematikers beobachtete, so redet er vom Geckigen Schnee 5), von verschiedenen künstlich geometrisch gebildeten 1) In polline subtilissimo florum quaerunt masculi seminis analogicam negantque, hujusmodi aliquid in ulla planta desiderari, etsi non semper nudo oculo per- spiciatur: Adesse excipiendo pollini capsulas ovario foemineo comparandas: A capsula exire stylum vel analogum aliquid, tanquam uteri vaginam: Cujus ad summitatem ex flore per solis calorem aperto, concutientis venti ministerio, sed transferat adplicetque pollen: Ex pollinis autem granulis spirituosum aliquid perductum ad ovarium, ut sic dicam, vel siliquam penetrare, atque ova vel semina ilic foecundare: magno vel hinc indicio ejus rei, quod sublato prae- . mature polline generatio nulla sequatur (ebend. p. 173). 2) Per regiones procurrentia soli genera et strata (Protogaea $.5). ` 3) Aquae nec gignunt aes .. sed afferunt (ebend. $. 9). 4) Germanorum nostrorum non ea est diligentia quam vellem; itaque Historias regionum naturales habemus nullas (Horner Briefe von Leibniz an Joh. Jacob Scheuchzer. Zürich 1844. 4. S. 8). 5) Sexangula nive (Protogaea $. 28). G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 121 Kórpern!) und von der Geometrie der unbeseelten Natur ?). Die Annahme, die Krystalle für verhärtetes Eis zu halten, berichtigt er gebührend 5). Torf *) sey keine Erde, sondern ein Gemenge von Vegetabilien in sumpfigen Gegenden, zusammengewachsen und nach langer Zeit ausgetrocknet. Er sey geneigt zu glauben, dass derselbe von Überschwemmungen her- rühre 5). | Unter den Mineralquellen interessirten ihn besonders die salzhaltigen; er erkundigte sich nach ihrem Vorkommen in andern Ländern 6) und bemerkte hinsichtlich ihrer Bildung, dass Regen- oder Schneewasser durch salzige Erde oder Salzklippen fliessend, davon deren Gehalt und Geschmack in sich aufnähmen 7). Die Pflanzenkunde wollte er nicht blos auf die Kenntniss der Kräuter 1) Sunt, quae non tantum aqua, sed et igne solvantur, nec tantum ex liquore, sed ex fumo in corpus recollecta geometrico naturae artificio figurantur (ebend. $. 11). 2) Naturae inanimae geometria (Protogaea $. 28). | 3) Wiederholt schreibt er an Scheuchzer (vergl. Horner а. а. O.): Non dubito quin jam confutaveris fabellam, quae crystallos ex antiqua glacie indurat. Operae pretium erit a Te intelligere quantum assurgant vestrae rupes: profligatam non dubito sententiam, quae crystallos ex Alpina glacie format. 4) Protogaea $. 46. 5) Nec abhorreo a probabili conjectura inundalionum esse foetum. Ѕетіѕіссаіо post aquarum illuviem solo, tenuia ericae rudimenta velut vepretum increvere; mox nova inundatio, novique limi subtile sedimentum (Protogaea $. An. р. 84). Eine ähnliche Erklärung schreibt er an Scheuchzer (bei Horner а.а. О. S.11): Dispici velim an vestrae Turfae sint in loco plano, non procul fluminis ripa. Id enim confirmaret, quod suspicari licet, terram tenuem sedimentis inundatio- nem novam ut sic dicam terrae et plantularum telam fuisse inductum donec totum in aliquam altitudinem excrevit. Combustibilitas itaque non tam a sul- phure fuerit (quanquam terra aliquando bituminosa adesse possit) quam a plantularum textura terram ubique pervadentium. 6) Z. B. über die in der Schweiz (an Scheuchzer bei Horner а. а. 0. S. 7). 7) Per salis gemmei rupes aut terram saturatam in montium angustiis fluentes, assumto sapore in lucem erumpunt (Protogaea $. 21). Phys. Classe. VIII. 122 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, und ihrer Wirkungen, sondern auch auf ihre Cultur, Fortpflanzung und Auf- bewahrung beschränkt wissen !). Die Eintheilungsgründe nehme man entweder von den Blüten 2), oder _ der Frucht, oder der Wurzel; allein man müsse viele Theile zusammenfassen, und suchen, tiefere, zugleich den Nutzen einschliessende, Eintheilungsgründe aufzufinden 5). Was aufbewahrte Naturgegenstände zur Förderung dieses Studiums bei- zutragen vermögen, ist ihm nicht entgangen, und Manches von dem, was er zusammengebracht, dient noch jetzt berühmten Sammlungen zur Zierde *). Mensch im vollsten Sinne des Wortes zu seyn, war bei Leibniz, bewusst wie unbewusst, Hauptaufgabe. Daher auch sein Eifer, die inneren 1) Botanici plerumque acquiescunt in sola notitia herbarum et earum virtutum. Pauci amant culturam herbarum et rationem semina propagandi et conservandi (Feller Otium Hanov. p. 414). 2) Equidem non improbo Virorum in re Botanica egregiorum ingeniosam diligen- tiam, qui commodiorem, quam hactenus plantas digerendi rationem ex floribus invenere; interim considerari volui, ex uno divisionis fundamento rem non absolvi, nec doclrinae Botanicae recessus hac una methodo satis explicari (Орр. T. П. P.2. р. 169). | 3) Plantae et animalia, quae natura producit, sunt machinae ad perpetuanda quae- dam munia apiatae, quod faciunt tum propagatione speciei, tum nutrimento individui, tum denique ipsa illa effectione eorum, quibus speciale munus cujusque obitur. Et humanum quidem corpus manifestum est machinam esse aptatam ad contemplationem perpetrandam. In ceteris corporibus non satis exploratus est nobis totus scopus naturae. Minime tamen dubium est, pariem scopi esse magnam, ut humano usui, id est juvandae contemplationi servirent, sive, quod idem est, divinae sapientiae admirationi in nobis excitandae. Itaque quaecunque a plantis effici possunt aut produci in humanos usus, inter fines haberi, et, quibus machinationibus eo tendant, explicari potissimum debere, eamque Bota- nices traclandae rationem non negligendam in ejus institutionibus, res ipsa ostendit (ebend. p. 171). | 4) Den schónen Oberschenkel aus der Scharzfelder Knochenhóhle aus der Leibnizi- schen Sammlung im Gótlingischen academischen Museum hat Sómmerring beschrieben (Gött. gel. Anz. 1808. St. 88. S. 876). б. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 123 Thátigkeiten des Menschen zu erkennen und móglichst tief in die Vorgünge sich zu versenken, von denen er eine belohnende Ausbeute oder die Er- warlung voraussetzte, dass ihre kritische Beleuchtung Licht in einzelne Gebiete der Wissenschaft und des Lebens verbreiten werde. Er wusste, dass man seine Dankbarkeit für erlangte Einsicht nicht angemessener äussere, als dass man suche, Andern einfach richtige Begriffe beizubringen und sie vom Aber- glauben zu befreien. Die Endursachen, den Nutzen der Theile zu erforschen, behauptet er, sey nothwendig 1); dadurch würde man in der thierischen Oeconomie und in der medieinischen Praxis Viel entdecken 2). Bei der Pflanze wie beim Thier sey der Grund der Umbildung ein vorgebildetes Lebendige, eine herrschende Monade 5). Wunderbar sey es, wie lange gewisse Thiere, ohne die erforderlichen Lebensreize, lebendig bleiben könnten *). Da es wenige Beziehungen gibt, die so geeignet sind mit wenigen Zügen das Totalbild eines Individuums nach seiner physischen wie psychischen Anlage, nach seiner Grundstimmung in Gesundheit und Krankheit zu ent- werfen, wie die der Temperamente, so legte Leibniz Werth darauf. Wer mit Menschen geschäftlich zu verkehren habe, dem gereiche die Kenntniss derselben zu grossem Nutzen 5). 1) Alioqui nec licebit admirari sapientiam Dei, quae in praeclara omnium ad fines suos destinatione se exerit, nec poterunt Medici de usu partium quicquam _ dicere (Орр. T. VI. P. 1. p. 319). 2) Spes est, mulla in oeconomia animali et praxi medica detegi posse, spectando usus partium et fines naturae (Opp. T. П, P. 2. р. 135). 3) Je tiens qu'il faut toujours un vivant préformé, soit plante, soit animal, qui soit la base de la transformation, et que la méme monade dominante y soit (an Burnet Opp. T. VI. Р. 1. p.213). — Nennt er ja auch die Monaden ful- guralions continuelles de la divinité (Monadologie 47. bei Erdmann a. a. O. p. 708). | 4) Protogaea $. 16. 5, Qui cum hominibus negotiari vult, ei nosse utilissimum erit temperamentum hominis (Feller Otium Hanov. p. 190). | 02 124 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Über Affecte und Leidenschaften àussert er viel Eigenthümliches. Zorn sey die Unruhe bei der Empfindung eines erlittenen Unrechts; allein auch die Thiere fühlten Zorn, ohne dass ihnen ein Unrecht angethan worden sey !). Die Hinweisung auf die Unterscheidung zwischen einer angeborenen und erworbenen natürlichen Beschaffenheit bleibt von ihm nicht unbeachtet. Die Neger, bemerkt er, hätten ihre Schwärze nicht von der Sonne, sondern von Natur, denn sie behielten sie auch verpflanzt, wenn nicht durch Ver- heirathung gemischt ?). Weit ausführlicher als diese Gegenstände sind seine Untersuchungen über die Natur des Geistes und der höheren Thätigkeiten abgehandelt. Die Seele sey eine kleine Welt 5), ihre wesentliche Kraft die vorstellende. Es fände sich in ihr eine unzählbare Menge von Vorstellungen, die nicht zum deutlichen Bewusstseyn gelangten. Sie sey Perception mit thätigem Bewusst- seyn; den Monaden mit bewusstloser Perception gleiche sie nur in der Ohn- macht, im tiefen Schlaf, in der Betäubung. Die Seele wirke, als ob ohne Körper, der Körper als ob ohne Seele; beide stimmten zusammen vermóge der Harmonie, welche unter allen Substanzen prästabilirt sey. Die Seele handle nach den Gesetzen der Finalursachen, der Körper nach denen der wirkenden Ursachen *). Von ungewöhnlichen, wunderbarlichen Kräften, wie denen des Hell- ГА 1) Sur l'entendement humain Liv. II. Chap. 20 (bei Erdmann Opp. philos. p. 249). 2) Feller a.a. О. p. 158. 3) ,Gleichwie in centro alle Strahlen concurriren, so lauffen auch in mente alle impressiones sensibilium per nervos zusammen, und also ist mens eine kleine in einem Punct begriffene Welt“ (an den Herzog Johann Friedrich von Hannover bei Grotefend а. а. О. S. 16). 4) M. vergl. Leibnitii Animadversiones circa Assertiones aliquas Theoriae Medicae verae clar. Stahlii in Opp. T. П. p. 131— 161. Etsi fons omnis actionis proximus sit in anima, ut passionis in maleria, non tamen putandum est, animam, per suas operationes insitas, perceptionem scilicet et adpetilum, vel minimum corpus a legibus suis mechanicis dimovere, sed potius secundum eas operari Etsi omnis actionum fons sit in anima, nihil tamen fit praeter corporis leges (ebend. p. 133). G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 125 sehens oder der Wünschelruthe, wollte er nichts wissen; er hielt sie für eitel Thorheit und Betrügerei 1). Durch sich gleich bleibende selbständige Prüfung, Hinweisung auf Ver- suche, Mitbenutzung der physikalischen Lehrsätze, Skepticismus, übte Leibniz einen äusserst heilsamen Einfluss auf die Medicin aus. Wo die Seele, sagt er, im Spiele sey, bleiben die Gestirne ausgeschlossen 2). Zur Erklärung der Krankheiten, namentlich der ansteckenden, sey die nüchste Veranlassung aufzusuchen 5). Scharf und genau müsse beobachtet werden, nicht mit halbgeóffneten Augen und in dichterischer Stimmung *). Geheimnisskrämerei und Wichtig- thuerei täusche die Menge, welche Wunder erblicke, wo keine zu schauen sind 5). Auch dürfe man nicht Alles glauben, was geschrieben steht, zumal bei Mittheilung von heimlichen Vorgängen, wie Vergiftungen 6). 1) Tout le monde est convaincu maintenant de la fourberie de Jacques Aymar, lhomme à la baguette. J'en ai toujours été persuadé. Nous avons de sem- blables devins à baguette dans le pays de nos mines, qui se mélent de dé- couvrir les veines souterraines des métaux, par leurs baguettes sympathiques. La plupart des auteurs en parlent comme d'une chose süre; mais nous avons reconnu par plusieurs expériences que tout cela n'est rien; et quand on leur bandoit les yeux, leur baguette ne marquoit par les veines communes, quoique fort grandes: Lettres inédites de Leibniz à L'Abbé Nicais publiées par Col- lombet. Lyon 1850. p.25. 2) Mihi videtur in rebus, ubi mentes intercurrunt, parum pendere ab astris (Feller a. а. О. p. 188). 3) Constat pestem effossis molibus ad muniendas urbes ortam, et una capsula in Babylone aperta militem Romanum circumtulisse contagium per orbem terrarum (Opp. T. VL. p. 314). 4) Imaginationis judicia, non oculorum .. ficta aut semivisa et illis similia, quibus Crollii imaginatio in rerum signaturis ludit (Protogaea S. 29). 5) Les adeptes ressemblent aux Saints des Catholiques, qu'on vante d'avoir fait tant de miracles (Opp. T. УІ. p. 329). 6) Les critiques en matiere d'histoire ont grand égard aux temoins contemporains des choses: cependant un contemporain méme ne merite d'étre cru que princi- 126 CARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Es mangle der Mediein eine zuverlässige Einsicht in den Stand ihrer Kenntnisse, ermittelt durch Thatsachen und Beobachtungen !). Bediente man sich der Kenntnisse und Hülfsmittel, welche Gott und die Natur uns verliehen, auf die rechte Weise, so müsste es möglich seyn, die Übel, welche die Menschen heimsuchen, grösstentheils zu heilen, selbst die Krankheiten, welche durch unsere Schuld unheilbar sind ?). Die Jugend pflege abzusprechen und das von Sachkennern Hochgehaltene gering zu achten; das verhalte sich mit zunehmenden Jahren anders 5). Der- jenige übrigens, welcher eine Kunst nicht kennt, werde oft zum Erfinder und Wegweiser ^). Die Theorie bestehe nicht selten aus Vermulhungen und Hypothesen; die Praxis wurzle in den Erscheinungen 5). Die Kunst der Praxis werde palement sur les evenemens publics; mais quand il parle des motifs, des secrets, des rapports cachés, et des choses disputables, comme par exemple, des em- poisonnemens, on apprend au moins ce que plusieurs ont cru (Nouveaux essais sur l'entendement humain Liv. IV. Ch. 16. 8.10). 1) Ce qui nous manque, ce sont de bonnes institutions de Médecine, faites sur l'état présent de nos connaissances .. ou il faudroit surtout s'attacher aux faits et observations, plus qu'à certains raisonnemens hypothetiques (an Hertel bei Guhrauer in seinen Nachirügen zu der Biographie von Leibniz. Breslau 1846. S. 89). 2) Je suis assuré, que si nous nous servions bien des avanlages et connoissances que Dieu et la Nature nous ont déja fournies, nous pourrions déja remédier à quantité de maux qui accablent les hommes, et guérir méme quantité de mala- dies, qui ne se guérissent point par notre faute (an Burnet Opp. T. VI. p. 245). 3) „Ich bekenne an meinem wenigen Ort, dass ich in meiner ersten Jugend ge- neigt gewesen, viel zu verwerfen, so in der gelehrten Welt eingeführet, Aber bei anwachsenden Jahren und näherer Insicht habe den Nutzen mancher Dinge befunden, die ich zuvor gering geachtet“ (an Gabriel Wagner bei Erdmann a. a. O. P. 1. p. 410). 4) Saepius aliquid novi invenit, qui artem non intelligit. ltem «тод, дахто: quam alius. Irrumpit enim per portam viamque aliis non tritam, aliamque rerum faciem invenit, Omnia nova miratur, in ea inquirit, quae alii quasi comperta praetervolant (Feller а. а. 0. р. 147). 5) Praxis phaenomenis inaedificari debet; theoriae non raro hypothesibus et con- jecturis constant (Opp. Т.П. Р. 2. p. 152). б. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 127 dadurch ersichtlich, dass man die Zufälle beherrscht und zum Bewussiseyn bringt !). Da in der Medicin, bei der Dunkelheit ihrer Objecte, nur ein kleiner Theil rationell begründet sey, so müsse ihr grósserer vorerst noch durchaus empirisch bleiben 2). - Alle Vorgänge der Körper könnten mechanisch erklärt werden 5). Jeder Organismus sey ein Mechanismus, jedoch ein sehr feiner, und man möchte sagen, göttlicher *). Je feiner die thierische Maschine, desto ersichtlicher das Kunstwerk des göttlichen Baues 5). Die Hauptverrichtungen, die Heilbemühungen, die Fiebererregungen scheinen sich mehr in den festen, als in den flüssigen Theilen zu äussern б), weswegen eher eine Solidar- als Humoralpathologie sich empfehle. 1) „Ich sollte dafür halten, alle Folge stecke in den abgezogenen Dingen und nicht in den Umständen, als nur, insoweit solche etwas an Hand geben, so der abgezogenen Form gemäss; und dies hat Statt bei allem Gebrauch der Wissens@haften in zufälliger Materie. Die Kunst der Practik steckt darin, dass man die Zufälle selbst unter das Fach der Wissenschaft so viel thunlich bringe; je mehr man dies thut, je bequemer ist die Theorie zu Practik^ (ап G. Wagner bei Erdmann a. a. О. p. 426). 2) Empirica hodie non polest non adhuc magna pars esse Medicinae. Pauca sunt, quorum certas in re tam abdita rationes salis constitutas habemus (an Schel- hammer Opp. T.H. P.2. p. 73). 3) Omnia in corporibus mechanice explicari posse (Opp. T.H. P. 2. p. 131). 4) Ut verum fateor, omnis organismus revera sit mechanismus, sed exquisitior, atque ut sic dicam, divinior; dicique possit, corpora naturae organica revera machinas divinas esse (ebend. p. 136). 5) Colligas, quanto animalis machina praestat exquisitius, tanto magis divinae structurae conspicuum artificium esse (ebend. p. 139). 6) Impetum facientia, primaria pars nosiri corporis, non in vasis sanguiferis, sed membranis et nervis potius per membra stabulantur. Nec absurda suspicio est, caussam immediatam febrium magis in his esse quam in humoribus. Unde fit, ut subinde terrore, vel aliqua alia subita et magna animi mutalione, imagina- tione etiam curentur febres (an Schelhammer Орр. T.I. Р. 2. p. 72). 128 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Von einem Polyhistor, wie Leibniz, erwartet man eigentlich keine Angaben, was schulgerecht bei Krankheiten zu beobachten und was dagegen vorzunehmen sey. Um so mehr überrascht es, solche bei ihm vorzufinden. Die schweren Übel, von denen das Menschengeschlecht belästigt werde, rübrten nicht vom Neide der Natur her, welcher man thörichter-, ja goltloser- weise die vorhandenen Mängel zuschriebe, sondern von der menschlichen Unwissenheit, von der Vernachlässigung der Ursachen und Gegenmittel der Krankheiten 1). Da man jetzt wisse, dass die Bleidämpfe verderblich wirk- ten, so könne man auch Maassregeln treffen gegen die dadurch entstehenden Leiden ?). ; Um gesund zu bleiben, dürfe man über die eigene Gesundheit nicht zu besorgt seyn 5). Die wesentliche Heilmethode bestehe in der Kenntniss der langjährigen Gewohnheiten der Krankheiten, sowie in dem, was schadet und was nützt +). Die Anzeigen, wenn nicht vollkommen richtig, solle man mit den ego anzeigen abwägen und sehen, wohin der Ausschlag sich neigt 5). 1) Negari non potest, multis malis premi humanum genus non tam'naturae invidia, cui nostra vitia inepte, ne dicam impie transcribimus, quam humana insipientia, qua morborum causas et remedia aeque negligimus (Opp. Т.П. Р. 2. p. 110). 2) Er schreibt im J. 1700 an Ramazzini: er möge in sein unter den Händen befindliches Werk „über die Krankheiten der Handwerker“ auch die der Hütten- leute aufnehmen, qui in officinis occupantur, ubi plumbum funditur, ex fumo plumbi laborant obstructionibus et torminibus, quod vocani Hüttenkatze, de quo morbi genere Stockhusius medicus Goslariensis peculiarem librum edidit (Opp. Т.И. P.2. p. 76). Diese von Samuel Stockhausen verfasste, für die Geschichte der Krankheiten wichtige Schrift hat den Titel: de lithargyri fumo noxio morbifico ejusque metallico frequentiori morbo vulgo dicto die Hütlenkatze oder Hüttenrauch cum app. de Montano affectu asthmatico metallicis familiari die Bergsucht. Goslar. 1656. 8. 3) Nulli minus sani sunt, quam qui perpetuo de sua sanilate solliciti вип! (Opp. T.H. P 2. p159). 4) Habent et morbi consuetudines suas longo tempore observatas, nocenliaque et juvantia usu deprehensa, in quibus consistit methodus medendi (Feller a. a. О. p. 163). 5) An б. Wagner bei Erdmann a. a. О. p. 423. G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 129 In den meisten Füllen seyen Miltel zu gebrauchen, welche eine gegen- theilige Wirkung äussern; doch helfe auch, Aehnliches durch Aehnliches zu behandeln. Die näheren Umstände müsse man in Rechnung bringen, sowie die Natur und die Reihenfolge der Arzneien, ganz besonders auch, ob sie mehr specifisch sich verhalten oder nicht. Über die Wahl des einen oder andern könne nur die Erfahrung entscheiden. Ausdrücklich hebt er hervor, dass die Säuren durch Alkalien, die Alkalien durch Säuren, aber durch solche, welche der Stufe nach ähnlich seyen, behandelt werden müssten !). Nicht blos ausleerende Mittel, auch alterirende hätten grosse Wirkungen. Die peruvianische Rinde nütze ohne merkliche Ausleerung, ebenso der Mohn- зай 2). Die ausleerenden Mittel schieden meistens nicht das Gute vom Nach- theiligen; sie erwiesen sich aber dennoch wohlthätig, weil sie alterirten 5). Das Purgiren sey, wie er vielleicht etwas zu kühn glaube, oft nothwendig, nicht blos, um das Untaugliche auszustossen, sondern um durch seinen Reiz die Erschlaffung, das Nachlassen der Kräfte zu beseitigen *). 1) Methodus medendi huc redit, ut acida alcalibus et contra, sed gradu similibus, curentur. Ergo acidum mercuriale curabitur alcali mercuriali; acidum sulphu- reum alcali sulphureo; acidum salinum alcali salino ; summum venenum frigidum seu alcalizatum summo balsamo calido vel acido et contra: ita contraria con- trariis substantia, similia similibus gradu curabuntur. Et quia fortasse tres illi mercurii, sulphuris, salis gradus rursus magnam habent latitudinem, tum in se ipsis, tum inter se; et sunt alia aliis mercurialiora, aut salsiora; hinc jam non quaelibet acida quibuslibet alcalibus, quaelibet distenta quibuslibet exhaustis, sed proportionata proportionalis (unde sympathiae illae, aut anlipathiae, seu specificae medicamentorum quorundam vires) experientia discernendis, curantur. Prorsus ut duobus recipientibus vitreis, altero pleno, altero exhausto, per orificia junctis, nisi justa in pleno quantitas sit, replendo exhausto, aperto epistomio communi, ruptura sequatur. Celerum regna sibi alimenta praebent per scalam, mineralia vegetabilibus, haec animalibus et retro; omnia omnibus medicinam etiam per saltum (Opp. Т.П. Р. 2. p. 24). 2) Opp. Т.П. P.2. p. 141). 3) Evacuantia plerumque bona a malis non separant, prosunt tamen et ipsa alte- rando (ebend. p. 142). : 2 4) Purgationes ego saepe prodesse pulo, non eo modo quo creduntur, prava eji- ciendo, sed slimulis suis excitando torpentem naturam, eo fere modo, quo Phys. Classe. VIII. 130 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Ein Arzt, der seinen Arzneischatz und die Bereitungsweise nicht kenne, der sey seines Standes nicht würdig 1). Angelegentlich wünsche er, dass die Praktiker solche Zusammenmischungen mieden, die nicht nur abgeschmackt, sondern naturfeindlich sich verhielten. Verpflege man Gesunde mit ange- nehmen und entsprechenden Nahrungsmitteln, so dürfe man, ohne unrecht zu handeln, Kranken, unter dem Vorwande der Arznei, keine schlechte Berei- tung beibringen ?). Bei solchen Herzensergiessungen, sowie bei dem Bemühen um neue, bessere Heilmittel sollte man glauben, Leibniz selbst wäre oft und schwer krank gewesen und hätte ihrer zunächst bedurft; allein dem ist nicht so, Ob er gleich 70 Jahre ай wurde 5), ohne Unterlass geistig ausserordentlich in Anspruch genommen, und keineswegs immer angenehm beschäftigt ^), so genoss er doch fast anhaltend einer guten Gesundheit. Nur äusserst selten vomitus prodest in Apoplexia. Has meas conjecturas forte audaculas iuo judicio submitto (an Schelhammer Орр. Т.П, P.2. p. 13). 1) Indignum Medico, praeparationem medicamentorum, id est suae artis instrumenta ignorare (an Stisser Opp. Т.П. P.2. p. 129). 2) Utinam practici miscelis non tantum ineptis, sed et naturae inimicis, abstinerent! Quid enim indignius et periculosius, quam sanos quidem cibis gratis et naturae convenientibus ali, aegros vero male praeparatis, medicinae praetextu, ingestis opprimi? Itaque quanto medicamentum, quod copiose sumendum est, solitae ciborum praeparationi, propius accedit, eo, si caetera respondeant, ан» puto. Secus est in his, quae exigua dosi sumuntur: haec enim libens largior, alterius esse naturae, et inter medicamenta esse videri, quod aromata inter cibos, effi- cacia in bonam malamve partem, pro scientia usurpantis (ebend. p. 130). Er wurde geboren zu Leipzig am 21sten Juni 1646 und starb zu Hannover am 14ten November 1716. 4) Er hatte versucht, durch eigenthümlich construirte Windmühlen das Wasser aus mehreren Gruben auf dem Harze zu erheben und diese seine Vorrichtungen, trotz aller dagegen erhobener Schwierigkeiten, viele Jahre fortzuerhalten. Calvór (Acta historico-chronologica-mechanica circa melallurgiam in Hercynia. Braunschweig. 1763. Th.1. S.108) sagt: „Es ist hóchlich zu verwundern, dass dieser grosse Mann solches Maschinenwesens, das ihm so viel Zeit, Geld, Mühe, EI G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 131 erwühnte er in seinen Briefen kurzer eigener Störungen durch innerliche oder äusserliche Beschwerden !). Scherzend spielt er auf seine kräftige Gesundheit an ?), und ob er gleich sehr mässig lebte, so erachtet er es für unpassend, sich in dieser Beziehung ein Verdienst beizumessen 5). Von selbst gebrauchten Arzneien ist keine Rede, und es scheint sogar, dass er aus dem Leben geschieden sey, ohne sie genommen zu haben *) Kein persónliches Interesse, kein hülfsbedürftiges eigenes Leiden verband ihn mit der praktischen Medicin, sondern nur seine Vorliebe für diesen wichtigen Theil der Naturforschung und seine Sorge für das Wohl der Menschheit. Reisen, Schreiben und Streiten gekostet, nicht müde geworden, sondern bei so vielen vorgefundenen Schwierigkeiten immer neue Maschinen in Vorschlag gebracht“. 1) So z. B. entschuldigt er die Behinderung seiner Reise zum Maschinen-Director Ripking zu Clausthal „wegen einer zugestossenen ungelegenheit an den Füssen“ (aus Hannover 29. Mai 1712 in Gatterer’s Beschreibung des Harzes Th. 2. Abth.2. 5. 632) und an Schelhammer (Hannover 22. März 1712: Opp. Т.П. P.2. p. 168): „Ab aliquot mensibus non optima valetudine usus sum. Nam et refractarium auris vulnus aegre persanavi, et assultus aliquot arthritidis sensi. Nunc paullo melius habeo. | 2) J'avois coutume de dire à mes amis, sanitas sanitatum, et omnia sanitas, sans avoir su que M. Ménage s'en servoit aussi, comme j'ai appris par les Ménagiana -(Collombet Lettres inédites de Leibniz à L'Abbé Nicaise. Lyon. 1850. р. 17). 3) Videmus, non raro homines animo leves, melius quam prudentes viros, valere et morbis resistere (Opp. Т.П. P. 2. p. 141). 4) G. Hugo spricht (in den Gött. gel. Anz. 1543. S. 1075) von der Abschrift eines Aufsatzes über den Tod von Leibniz von einem Hausgenossen desselben, worin es heisst, dass als Hennings am Sterbetage fragen liess, ob er kommen sollte, Leibniz geüussert habe: es wäre nicht nóthig, es hätte bis Morgen Zeit genug, und eben so, als er nach einem Prediger gefragt wurde. Der Waldecksche Hofrath und Leibmedicus Dr. Seip [derselbe, welcher zuerst die unrichtige Bezeichnung Stahlwasser statt Eisenwasser in Umlauf brachte] kannte Leibniz von Pyrmont her, und da er zufällig in Hannover war, wurde er zu dem Kranken gerufen. Als er diesen auf die Gefahr aufmerksam ge- äusserte Leibniz: er habe, wenn ihm etwas zustiesse, eigene Mittel, macht Allein Seip bemerkte, dass diese unter den obschwebenden die er gebrauche. 132 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Zur Bekanntmachung des Phosphors hat er am meisten beigetragen !), und ebenso zu der der Ipecacuanha ?). Er macht darauf aufmerksam, dass der peruanische Balsam auch in Brasilien vorkomme 5). Die Chinarinde, welche die Eigenschaft, den Typus aufzuhalten, mit dem Arsenik theile, sey nicht ganz unschuldig ^). Die Bergleute wüssten, dass der Kobalt, woraus man Arsenik darstelle, sich durch Knoblauchsgeruch verrathe. Daher ver- muthe er, dass das Wort vom deulschen Knoblauch hergenommen sey 5). Die Knochen und Zähne aus der Höhle von Scharzfeld verschicke man zum medicinischen Gebrauch durch ganz Deutschland 6). So würden die Zungen- Umständen nichts vermögen. Er schrieb, mit Erlaubniss des Kranken, eine Arznei auf; jedoch kaum in die Apotheke geeilt, wurde er durch einen Be- dienten von dem eingetretenen Tode benachrichtigt (Nemeiz vernünftige Ge- danken über allerhand Materien. Frankfurt. 1739. Th. 1. S. 98). 1) Historia inventionis Phosphori (Орр. Т.П. P.2. p. 102 — 108). 2) Gleich nachdem ihm mitgetheilt worden war, dass das, früher schon von Guilielmus Piso beschriebene, von dem franzósischen Kaufmann Grenier aus Spanien nach Paris gebrachte neue Ruhr- Mittel daselbst gepriesen, und durch damit im Hótel Dieu angestellte Versuche, für zuverlässig erklärt wurde, schrieb er an den Praeses der Societas Nat. Cur. Volcamer, um Veranlassung zu geben, dass einem so wichtigen Gegenstande weiter nachgeforscht werde, „da ausser der Pest und den bekannten Fiebern keine Krankheit ausgedehnter herrsche und grössere Verwüstungen anrichte, zumal beim Volk und den Heeren, wovon in einem Herbst oft nur der dritte oder vierte Theil am Leben bliebe* (De novo antidysenterico Americano magnis successibus comprobato in Opp. Т.П. P.2. p. 110—119. М. vergl. auch: Ludovici Historie der Leibnitzischen Phi- losophie. Leipzig. 1737. S. 405). 3) Opp. Т.П. Р. 2. p. 117. 4) De Cortice Peruviano mihi suspicio est, prodesse eum ipsa pravitate sua, et abominatione, quam excitat. Inde turbari cursum praesentem naturae corpori, aegri et typum febris. In eam suspicionem incidi, quum intellexi, tantillum Arsenici fere idem praestare, eisi pejoribus symptomatibus (an Schelhammer Opp. Т.П. Р. 2. p. 73). 5) Protogaea $.45. p.82: Unde aliquando suspicatus sum, ex Knoblauchio, quod Germanis allium est, corruptum Cobolti nomen. 6) Ebend. $. 36. G. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEHUNGEN ZUR ARZNEIWISSENSCHAFT. 133 steine in der Arzneikunst hoch gehalten, angeblich als ein Mittel gegen Schlangenbiss; allein sie bewährten sich nur als Zahnpulver und als Säure- tilgend 1). Die Menschen seyen so geartet, dass sie meinten, das an sich Vorzüg- liche müsse auch vorzügliche Tugenden haben; woher die vielen Mährchen über die Krüfte der Edelsteine und die von Fabeln strotzende Arzneimittel- lehre 2). Die Ansichten über diese Substanzen gingen weit auseinander 5). Viele láugneten das Vorkommen von solchen, die jedem Temperament, jeder Constitution bekümen; andere wollten von eigentlich specifisch wirkenden gar nichts wissen; andere verurtheilten die ausländischen, als unsern Körpern nich zusagend; allein das seyen einseitige und verkehrte Meinungen ^) ^ Beim Gebrauch auch der edelsten Arzneien müsse man Maass halten; wie nemlich zu viel Vergnügen Schmerz werde, so kónnten die edelsten Arzneien, zur unrichtigen Zeit oder im Übermaass angewandt, giftühnliche Wirkungen ver- ursachen *). Gifte seyen nichts weiter als gewaltige Alterantien, und nicht selten sey das Arzneimittel vom Gift blos durch die Gabe verschieden 5). Die chemischen Hülfsmittel bewährten sich hauptsächlich bei drängenden Zu- fällen 6). 1) Ebend. $. 32. 2) Ita facti sunt homines, ut quicquid specie aliqua praestat, etiam virtute arbi- trentur. Inde tot de viribus gemmarum narrationes, et Materia medica fabulis inflata (Protogaea $. 32). 3) Ex his multa dicimus profutura et silentium nonnullorum pertinaciae impositura. Sunt enim non pauci, qui negant dari in morbis medicamenta tam probatae virtutis, ut omni temperamento, aut constitutioni quadrent. Alii exotica omnia damnant, ut nostris corporibus incongrua. Sunt, qui praefracte negant extare medicamenta vere specifica, quibus omnibus opponi Ipecacuanha potest (Opp. TIE РЕ. МТ 4) Ut voluptatis excessus transit in dolorem, ita generosa medicamenta accedunt ad naturam venenorum (Opp. Т.П. Р. 2, p. 159). 5) Quid venena aliud quam valida alterantia sunt? et non raro fit, ut venenum sola dosi differat a medicamento (ebend. p. 142). 6) Les remédes chymiques peuvent étre utiles principalement dans des accidens pressans (an Bourguet Opp. T. VI. p. 211). 134 К.ЕК. Н. MARX, С. W. LEIBNIZ IN SEINEN BEZIEH. Z. ARZNEIWISSENSCH. Die Arzneimittel һайеп ihr eigenes Schicksal, indem zuweilen der Ent- decker derselben, zuweilen nur der, welcher sie wieder auffinde, oder der, welcher sie ausposaune, gepriesen werde !). ` In den vorliegénden Mittheilungen wird der Beobachter Stoff finden Vergleichungen zwischen früher und jetzt anzustellen. Er wird nicht umhin können, den hohen Sinn sowie die liebende Theilnahme ihres Urhebers zu bewundern. Was Васо von Verulam für das Lite dert war, das wurde Leibniz für das 18te; beide kümmerten sich um die Förderung der árzt- lichen Studien, und darum hat auch beiden die Geschichte der Heilwissenschaft ein dankbares Gedächtniss zu bewahren. Die genaue Titelangabe der öfters angeführten Schriften ist folgende: G. 6. Leibnitii, Opera omnia, studio L. Dutens. Genevae. 1768. T. I— VI. 4. G. G. Leibnitii, Opera philosophia instr. J. E. Erdmann. Berolini. Pars I. 1840. 8. J. F. Feller, Otium Hanoveranum sive Miscellanea ex оге et schedis б. б, Leibnitüi. Lipsiae. 1718. 8. G. G. Leibnitii, Protogaea sive de prima facie telluris ed. a C. L. Scheidio. Gottingae. 1749. Horner, Sechszehn ungedruckie Briefe von G. W. Leibnitz im Programm der Zürche- rischen Kantonsschule. Zürich. 1844. 4. C. L. Grotefend, Leibniz Album aus den Handschriften der Königlichen Bibliothek zu Hannover. Hannover. 1846. fol. Lettres inédites de Leibniz a L'Abbé Nicaise (1693 — 1699) par F. Z. Collombet. Lyon. 1850. 8. 1) Medicamenta ipsa sua fata pro captu hominum habent, ut saepe non minus restauratori, atque propalatori, quam inventori debeamus (Орр. T. H. P. 2: p. 113). Ueber die Verdienste der Aerzte um das Verschwinden дег dämonischen Krankheiten. Von Dr. Karl Friedrich Heinrich Marx. Der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am (ien Juni 1859 vorgelegt. be Gegenstand, den die nachfolgenden Blätter behandeln, hat durch mehr- fache Beziehungen in den letzten Jahrzehnten ein besondres, früherhin kaum vermuthetes, Interesse erlangt. In meiner Societütsabhandlung „über die Abnahme der Krankheiten durch die Zunahme der Civilisation?)« erwähnte ich der dämonischen Krankheiten nicht, weil ich sie als verschwunden und vergessen ansah; auch in meiner Geschichte der Toxikologie ?) berührte ich nur selten die gemeinschaftliche Beschuldigung von Zauberei und Giftmischerei, weil ich nur die letztere für wesentlich betrachtete. Allein da das Urtheil in dieser Hinsicht in den letzten Jahren verschiedenartig lautete, so schien mir eine nähere Erörterung und sorgfältige Nachweisung geboten. Es hatte wenig Verlockendes, die warme pulsirende Gegenwart mit ihren geistvollen, gereiften und praktischen Unter- suchungen zu verlassen, um in eine wüsle frostige Vergangenheit voll von Vorurtheilen, Widersprüchen und Wortklaubereien sich zu versenken; nur die Ueberzeugung, dass es der Ermittlung und Constatirung wichtiger Thatsachen galt, konnte dazu den Muth und die Ausdauer verleihen. 1) Göttingen 1843 (Abhandl. der K. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen 1845. 4. B. IL S. 43). Die von R. Willis besorgte Uebersetzung: on the decrease of Disease effected by the progress of Civilization erschien London 1844. 8. 2) Die 1te Abtheilung kam zu Göttingen 1827, die 2te 1829 heraus. 136 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Die für diese Untersuchung gebotenen Hülfsmittel sind kaum zu bewäl- tigen. Der reichsten Bibliothek fehlen viele dahin einschlagende grössere und kleinere Schriften, und die noch so ergiebigen speciellen Verzeichnisse er- scheinen bei näherer Bekanntschaft damit mangelhaft. Die тими des Materials ist so anstrengend wie die Sichtung desselben. Die leitenden Motive der Verfasser, Frómmigkeit und Feuereifer, Furcht, dass mit dem Aberglauben der Glaube schwinde, Macht der Auctorität und An- forderung der Humanität, Sammlerfleiss mit und ohne Auswahl, Erklärungs- versuche mit und ohne historische Grundlage, wechseln in bunter Reihe. Für die strenge Kritik entschädigt zuweilen das richtige Gefühl i) . Wird die Bearbeitung auch noch so objectiv gehalten, da wo der Glaube mitspricht und ausgeprägte Partheiansichten bestehen, ist es kaum möglich zu einem genügenden wissenschaftlichen Abschluss zu gelangen. Ich stehe nicht an zu bekennen, dass ich bei der unerquicklichen Durchmusterung der Zeug- nisse und bei dem trostlosen ergreifenden Inhalte, statt einer freudigen Erre- gung, nur das Scripsi in doloribus nachempfinde. Wer das Walten des Geistes ahnen oder gar begreifen will, der muss mit ganzer Kraft der Welt des Lebens, nicht einer der Gespenster zugewandt bleiben; das Wahre verträgt sich nicht mit dem Wahn. Während des Schla- fes treiben die Visionen ihr Spiel, der Traum gestaltet das Unmögliche zum 1) So John Ferriar: „Demonologists have always asserted, that it is impossible to weaken the credit of their facts without destroying the foundations of history; and it is certain, that the abundant evidence produced in support of manifested contradictions and physical impossibilities, tends to lessen our confidence in hi- storical narrations. But when we investigate demonological facts a little more closely, when we trace the same history through many writers, who copy it from each other, or from an original of little authority, their real number is found to be small, and of these few, the greater part has been proved to be fallacious.^ On popular Illusion, and particularly of medical Demonology in Me- moirs of the Literary and Philosophical Society of Manchester. Vol. 3. 1790. p. 104). D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 137 Wirklichen; aber die wachen Sinne dürfen nur das Vorhandene in ihrer Rea- lität auffassen; die Täuschung wird zum F ehler, der Irrthum zum Unrecht oder zum Spott. Die Aerzte namentlich, welche auf die Erforschung der Natur, zumal die des Menschen, angewiesen sind, haben um so mehr die Aufgabe, das Nüchste Scharf und bestimmt im Auge zu behalten, als sie suchen müssen, einfach und sicher die Harmonie des Organismus mit den ununterbrochen auf ihn einwirken- den Einflüssen zu behaupten, jede Stórung zu vermeiden, die eingetretene wieder auszugleichen. Nur das Herausfinden der obwaltenden Gesetze, we- nigstens das richtige Beobachten der Erscheinungen in ihren wechselseitigen Beziehungen, verschafft die Mittel, unter allen Umständen zweckmässig zu han- deln. Die Aerzte haben aber nicht bloss sich selbst vor Illusionen und hal- ben Maassregeln zu hüten, sondern sie müssen auch alle Uebelstände, soweit diese das Wohlbefinden bedrohen, ergründen und auf deren Abhülfe ohne Scheu aufmerksam machen. Bei ihrer Verpflichtung, Nachdenken, Bemühung, Wissen und Sorgen Andern zu widmen und ohne Rücksicht auf Gefahr selbst ihr Leben zu wagen, kann von einem anerkennungswerthen Verdienste nicht leicht die Rede seyn; geschieht diess dennoch, so ist vorauszuselzen, dass ihre Anstrengungen und Leistungen, den Hindernissen gegenüber, als ganz ausserordentliche sich erweisen. So verhält es sich mit ihrer Bekämpfung der dämonischen Krankheiten, welche seit den frühesten Zeiten nicht blos vom Volk, sondern auch von den Gebildeten, vorzugsweise von der Kirche, und auch von den Obrigkeiten und den Richtern, vertheidigt wurden. Es giebt Siege, die leicht, andre, welche nur durch die unermüdlichste Anstrengung gewonnen werden. Manche kommen nur gewissen Umstünden, Zeiten, Völkern, andere der ganzen Menschheit zu gute, ohne dass der se- gensreiche Erfolg gehórig gewürdigt wird. Ein überwundenes Leiden wird leicht ein vergessenes, und selbst die grösste Calamität erscheint gering, wenn zwischen ihr und der Gegenwart ein längerer Zwischenraum Statt findet, So ist es mit dem Triumph über den tiefwurzelnden, gewaltsam verfochtenen Glauben an Besessenheit und Hexerei. Von der dadurch verhängten Misach- Phys. Classe. VIII. S 138 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, tung aller Menschenrechte, den verursachten Qualen, den verübten Gráueln hat die jetzige Generation keine Vorstellung; sie meint, wie es jetzt ist, sey es immer gewesen, und das Schauerliche, was sie wohl einmal aus früherer Zeit erfährt, betrachtet sie als nothwendige dramatische Vorgänge weder in ihrer furchtbaren Grósse noch in ihrem erdrückenden Zusammenhange. Ist man auch nicht geneigt die Zahl der hier in Frage kommenden durch Schwert und Scheiterhaufen im Wege Rechtens gefallenen unschuldigen Opfer, wie geschehen!), auf Millionen anzuschlagen, во bleibt die Zahl bedeutend genug, um das Andenken an jene Unglücksepoche, wie an die Streiter dage- gen, wach zu erhalten. In unsern Tagen der Aufklärung ist es unverfänglich von einem zu be- haupten, dass er einen Teufel im Leibe habe, oder dass eine Person eine Hexe sey; man lächelt, aber erschrickt nicht; man sieht sich vielleicht etwas mehr vor, aber man requirirt weder den Exorcisten noch den Hexenrichter. Früher verhielt sich eine Rede der Art nicht als heiterer Scherz, sondern als grimmiger Ernst. Galt einer für besessen, so durfte er nicht zum heiligen Abendmal; war er unruhig, so war sein Platz vor?) der Kirchenthür, und er musste den Fussboden der Kirche reinigen, damil er beschäftigt und so der Teufel von ihm abgehalten werde 5). Wurde von einer Frauensperson, gleich- 1) Nach Voigt (Berlinische Monatsschrift. Berlin. 1784. Bd. 3. S. 308) und Ruling (Hexen Prozesse im Fürstenthum Calenberg. Göttingen. 1786. 8. S. 18) kommen auf jedes Jahrhundert 858,454 und auf die 11 Jahrhunderte neun Millionen 442,994 Menschen, die in Europa unschuldig verbrannt wurden! 2) Weil vor der Kirchenthür im Freien, hiessen sie auch xerrotogievor, hiemantes. 3) C. Chr. L. Franke Art: Energumeni in der Allgem. Encyclopädie der Wissen- schaften von Ersch und Gruner. Leipzig 1840. Th.34. S. 226. — Wetzer und Welte Kirchen-Lexicon der katholischen Theologie. В. 3. Freiburg 1849. 5. 582 und 854. — Energumeni soviel als «Aoyevpervor, der Vernunft Beraubte: C. Schóne Geschichtsforschungen über die kirchlichen Gebrüuche. Berlin. 1822. Bd. 3. 5.165. — 8.168 erwähnt er der 4ten Homilie des Chrysostomos, wo es heisst: „die Einwirkung, 2régyere, der Dämonen ist die ärgste und stärkste aller Fesseln.* e D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 139 viel ob jung oder alt, ausgesagt, dass sie eine Hexe sey, so wurde sie ohne weiteres gerichtlich eingezogen und zum Gestündniss ihres Pakts mit dem Teufel aufgefordert. Gestand sie die ihr zur Last gelegte Schuld ohne viele Umstände ein, so wurde ihr meistens der Prozess gemacht; bekannte sie aber standhaft ihre Unschuld, so wurde sie solange gefoltert, bis sie aus Verzweif- lung und um lieber den Tod als die grausenhaften Martern zu ertragen, zu- gab, dass sie mit dem Erzverführer in ein unerlaubtes Verhältniss sich ein- gelassen habe. Der Schlussact bestand in der Regel darin, dass man sie dem Scheiterhaufen überlieferte, oder, im Wege der Gnade, zuerst enthauptete und dann verbrannte!). In Neuengland nahm man insofern eine hóhere Stufe ein, als man statt des Holzstosses den Galgen wählte 2). Nicht selten wurden die Unglücklichen selbst noch während des Hinführens zum Richtplatze mit Zan- gen gezwickt 5). Da die Annahme eines Verkehrs mit bösen Geistern im Laufe der Zeit immer mehr ausgebildet wurde *), so erstreckte sich ein Hauptinteresse darauf, zu ermitteln, ob das Bündniss mit ihnen unfreiwillig oder freiwillig geschehen. 1) Man vergl über die Hexenprozesse des Mittelalters Ignaz Pfaundler in der Neuen Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. Innsbruck. 1843. 5.81. — С. б. Wächter die gerichtlichen Verfolgungen der Hexen und Zauberer in Deutschland vom 15. bis zum 18. Jahrhundert in seinen Beiträgen zur Deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des Deutschen Sirafrechts. Tübingen. 1845. 8. S. 81— 110 und 279—317. 2) Man vergl. die Tragödie von Salem 1692 im neuen Pitaval von Hitzig und Häring. Leipzig 1845. Th. 7. S. 245 ff. 3) So heisst es in einem obersten Erkenntniss: „5 Zwickh auf den Weg zu geben“ (Neue Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. Bd. 9. S. 136). 4) Horst bemerkt (Dàmonomagie. Th. 1. S. 7): „In dem Zeitraume des Weltheilan- des nahm der Teufel unwillkührlich Besitz von den Menschen; zur Zeit der Hexenprozesse aber wurden freiwillige Bündnisse mit ihm abgeschlossen.^ — Ob und inwiefern der Weltheiland böse Geister im Menschen angenommen, darüber spricht vortrefflich Eckermann in seiner christlichen Glaubenslehre. Altona. 1802. Bd. 3. S. 124 ff. S2 140 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Jenes galt als ein beklagenswerihes Verhängniss, dieses als ein verdammungs- würdiges Verbrechen. Vom Besessenen wurde angenommen, dass er ohne eigenes Zuthun, unwillkührlich, blos durch die Gewalt des Teufels in den gezwungenen Zustand verfallen sey, dass aber Zauberer und Hexen ihre Künste absichtlich, wegen bóswilliger Zwecke, mit Hingabe ihres Seelenheils, durch Vertrag erlangt hätten. Die Unterscheidungsmerkmale waren jedoch hóchst mangelhaft und es hing von Zufälligkeiten, dem Standpunkte und den Intentionen der Richter ab, ob sie das Nichtschuldig oder Schuldig aussprechen wollten. So pflegte man z. B. als Criterien der Besessenheit anzunehmen, wenn einer von sich be- hauptete, er sey getheiller Natur, wenn er verborgene Dinge offenbarte und in einer fremden Sprache redete!), oder wenn er von hefligen, namentlich epileptischen, Zuckungen befallen wurde. Die Diagnose machte man sich nicht schwer, und man wusste bald, womit man es zu thun hatte2). Selbst das Zittern und das Ergriffenwerden von Convulsionen in der Folterkammer hielt man für Bésessenheit 5). In der Ausmitilung einer Hexe war man seiner Sache noch viel siche- rer, denn dabei half der Scharfrichter, der nicht umsonst „der Meister« hiess; er halte das Ungewisse ins Klare zu setzen und zu entscheiden. Und was er allein nicht zu leisten vermochte, das vollführten die Schindersknechte. Das angeschuldigte arme Weib wurde nackt ausgezogen; die Haare wurden allenthalben abrasirt*) und am ganzen Körper 5) nachgeforscht, ob irgendwo 1) Fr. Fischer die Basler Hexenprozesse in dem 16. und 17. Jahrhundert. Basel. 1840. S. 20. : 2) So sagt z. B. Görres (die christliche Mystik. Regensburg. 1842. Ва. 4. S. 6): »Die Worte exi Daemon quia Ephimolei tibi praecipiunt! haben die Kraft, die Besessenheit von der fallenden Sucht zu unterscheiden. Fällt der Besessene, nachdem er die Formel vernommen, ohnmächtig nieder, erhebt sich aber wieder und sagt aus, was sich zugetragen, dann Befreiung ; begiebt sich nichts derglei- chen, dann die fallende Sucht.“ 3) Neue Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. Bd. 9. S. 125. 4) Eine Hexe bekannte (1575): „do sie vom meister beschoren sei worden, do D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 141 ein Fleck, ein sogenanntes Mahlzeichen, sich vorfinde. Glaubte man ein sol- ches entdeckt zu haben, so wurde eingestochen. Kam kein Blut und wurde kein Schmerz empfunden, so hatte man ein zuverlässiges Zeichen!) des Statt- gehabten Teufelsbündnisses, welches auch sofort ausgeschnitten wurde. Diese vorgeblichen Stigmata diabolica waren zuweilen so deutliche Krankheitserschei- nungen, dass selbst die rohesten Gesellen Anstand nahmen, das Messer anzu- setzen. Oder sie unterliessen es aus Furcht vor dem Teufel?). Sogar nor- ınale Gebilde, wie etwas angelaufene dunkle Adern, wurden für Teufelsmahle gehalten 5). Als unfehlbar diente die Wasserprobe oder das sogenannte Hexenbad *), wenn nemlich das Weib mit kreuzweise zusammengebundenen Händen und Füssen und an Seilen gehalten, nach dem Kunstausdrucke, 3 mal geschwemmt wurde. Blieb sie über dem Wasser, was die beiden Schindersknechte, die sei jres bulen crafft all hinweg gewesen und sei jr bul auss dem leib durch den Hals herauff gefarn^ (Crecelius Auszug aus Hessischen Hexenprocessacten von 1562—1633 in Zeitschr. für Deutsche Mythologie. Von Wolf. B. 2. Göt- tingen. 1855. S. 77). 5) Ein Rechisconsulent rieth das Einstechen an „weillen der Teiffl dergleichen ihme Leibaigen gemachten Hexen pflegt ein Zaichen zuzeiten auch in haimbli- chen und verborgenen orthen des Leibes einzutruckhen.“ Neue Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. Ва. 9, S. 122. 1) Görres (а. а. О. B. 4. Abth. 2. S. 209): sagt: Das Zeichen besteht in kleinen, nie mehr als erbsengrossen Stellen der Oberfläche des Körpers, die unempfind- . lich sind, ohne Leben und Blut. 2) So heisst es bei Eisenhart (bei Mittheilung der Geschichte einer jungen Weibs- person, so der Hexerei beschuldigt und zum Feuer verdammt worden), in seinen Erzählungen von besonderen Rechtshändeln. Halle. 1767. 8. B. 1. S. 579: „Der Balbier, den das Gericht holen lassen, wollte sich das Ausschneiden nicht unterstehen. Er besorgte, der Teufel mögte sich an ihm rächen.“ 3) So wurde bei angeklagten Kindern glücklicherweise noch ein Arzt, Gabriel Verzi befragt, der erklärte: die angeblichen Teufelszeichen unter der Zunge wären kleine Aederchen, die man nicht beseitigen könne, ohne das Sprechorgan zu lähmen. (Neue Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. B. 9. S. 122). 4) Die Amts- Teiche erinnern noch an das Judicium aquae frigidae. 142 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARS, - sie hielten, gewöhnlich in ihrer Hand hatten, so war sie schuldig. Obgleich schon im 16ten Jahrhundert die Nichtigkeit dieser Probe bewiesen wurde!), so liefert doch noch das 18te Jahrhundert Beiträge ihrer Anwendung ?). Die Besessenen wurden wenigstens menschlich behandelt und mehr oder weniger als Kranke angesehen. Da es aber bequem schien, auf diese Weise, auf Unkosten Anderer zu leben, so fehlte es nicht an Individuen beiderlei Geschlechts, welche diesen Zustand simulirten. Um Aufsehen zu erregen, an- gestaunt, bemittleidet zu werden, erlernten sie Verdrehungen und seltsame Stellungen, brachten sich fremdartige Gegenstände, besonders Nadeln bei, und prägten sich fremdländische Worte ein. Einsichtsvolle konnten sich über die Ursachen und Beweggründe einer derartigen Rolle keiner Täuschung hinge- ben?), und sie erklärten Peitsche und Ruthe für die wirksamsten Heilmit- 1) J.S. Semler (Vorrede zum Leben Balthasar Bekkers. Leipzig. 1780. S. LXXXVIII) äussert: ,Voetius hat angeführt, dass die Wasserprobe der Hexen schon im J. 1594 a suprema Curia Parisiensi aufgehoben worden, auf die lebhafte Vorstel- lung des Ludovicus Servinus; sie ist auch aufgehoben worden a Curia balavica nach einem medicinischen und philosophischen Gutachten des gelehrten Medicus zu Leiden Joh. Heurnius, das auch holländisch übersetzt und dem Buche des Reginaldi Scot 1609 zu Leiden beigedruckt worden. : 2) Welche überzeugende Beweise die Wasserprobe und die Hexenwage lieferten, davon geben Horst (Zauber Bibliothek. Th.6. S.134) und Fr. Müller (Beiträge zur Geschichte des Hexenglaubens und des Hexenprocesses in Siebenbürgen. Braunschweig. 1854. S. 12 und 72) Beispiele: Ein grosses und dickes Weib wog nur 1?/, Quentlein, ihr Mann 5 Quentlein, die übrigen durchgehens 1 Lth. Alle 13 wurden zu Segedin 1728 verbrannt. Ueber den Ursprung der Wasserprobe äussert sich Dreger in der Sammlung vermischter Abhandl. der deutschen Rechte und Alterthümer. Rostock. 1756. Th. 2. S. 857. Eine Abbildung der Wasserprobe findet sich vor dem 3ten Stück der Biblio- theca magica von Hauber 1738 nach S. 139. Ueber die Hexenwage zu Oudewater, wo 30 Pfund das Normalgewicht bilde- len, s. Osiander Entwickelungskrankheiten. Th. 2. S. 61. — 3) So z. B. über die Eva Elisabeth Henningen in Annaberg Baldinger in seiner Monatsschrift Artzeneien 1766. В. 2. S. 89. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 143 tel!). Nachdem einem Besessenen zu Bristol?) noch im Jahr 1788 durch die Anstrengungen von 7 Geistlichen 7 Teufel ausgetrieben waren, stellte es sich heraus, dass er ein Säufer und Betrüger war. Von Seiten der Geistlichen wurde keine zu strenge Kritik geübt, indem die durch sie von der Besessenheit Befreiten zur Verkündigung und Ausbrei- tung ihrer Gewalt und Macht dienten. Oefters ereignete es sich auch, dass Betrug und körperliches Leiden zugleich 5) im Spiele waren, wo dann die Ansichten darüber entgegengesetzt sich äusserten. Als die einfachsten und sichersten Maassregeln empfahlen sich Isolirung, physische und psychische Behandlung. Wie diese vermeinten oder wirklichen Kranken zu den Heiligen gebracht durch diese von ihren Leiden befreit wurden, so geschah dieses an verschie- denen geweihten Orten von eigens dazu befähigten oder bestellten Männern *). Wer weiss, wie stark zuweilen Vorstellung und Gemüth auf den Körper zu wirken im Stande sind, der wird die Möglichkeit solcher Curen nicht bezwei- feln 5). 1) Hauber (Bibliotheca magica. B. 1. S. 501) erwähnt einer nichtswürdigen Dirne, welche vorgab besessen zu seyn, und die der Bischof von Amiens, weil er sie als Betrügerin erkannte, peitschen liess. Voltaire sagt (Art. Demoniaques in seinem Dictionnaire philosophique): Quant aux démoniaques qui se disent possé- dés pour gagner de l'argent, au lieu de les baigner on les fouette. 2) Der Vortreffliche hiess George Lukins of Yatton in Sommersetshire (Ferriar a. a. O. S. 115). 3) In Berlin wurde 1728 ein bereits gedruckt ausgegebener „Historischer Bericht“ über eine Besessene confiscirt, „weil es sonst hätte scheinen können, als habe das Ministerium das vorgegebene Bündniss mit dem Satan vor wahrhaftig ge- halten.“ Ein Prediger hatte sich für Besessenheit ausgesprochen und die Person „ein Eingenthum und Braut Christi“ genannt; ein anderer sah in ihr eine Be- trügerin und Comódiantin; der zugezogene Gerichtsarzt einen krankhaften Zu- stand. Das letztere Urtheil theille auch, bedingungsweise, das Obergericht (Hausens Staats- Materialien. B. 2. St. 5. Dessau. 1785. 5. 507f. 4) Nach Görres (а.а. О. B.4. Vorrede S.ıx) hatte der heilige Walbert, Zeitgenosse Gregors VIIL, mit einem Kreuz einen Dämon vertrieben. Es diente dann, um ‚die Besessenen damit zu prüfen, ob sie wirklich dámonisch seyen. Spüter hatte 144 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Ereigneie es sich, dass Weibspersonen oder Kinder, durch Verlockung des Beispiels, in grósserer Anzahl an ungewóhnlicher nervóser Erregung lit- ten, so nahm man keinen Anstand, von einem epidemischen Vorkommen des Besessenseyns zu reden 1). Unter den gebildeten Nichtärzten regte sich wohl der Zweifel an dem Vorhandenseyn der Besessenheit; allein dieser Freimuth war verpönt und wurde, wie eine Goiteslästerung, sogar mit dem Tode bestraft). Ohne dass übrigens der Glaube an das Besessenseyn durch eine gebo- iene äussere Rücksicht erhalten wird, lebt er, wenn auch vereinsamt, in der Neigung zum Wunderbaren 5) und in der Aussicht auf Offenbarungen ^) fort. sich auch der Arm, der das Crucifix geführt, entdeckt, und von da an wurde die Marienkirche von Valumbrosa eine Zufluchtsstütte für die Besessenen. Hie- ronymus von Raggiolo schrieb 18 Bücher über die dümonischen Heilungen. Die wundersamen Heilungen am Grabe des heiligen Ubaldus zu Gubbio hat Ste- phan von Cremona in einem Buch über den Exorcism beschrieben. 5) Selbst Zimmermann (von der Einsamkeit Th. 1. S. 157) rüumt ein, dass der oberdeutsche Priester Gassner durch seine Herrschaft über die Imagination der Nervenkranken diese, durch Beschwórung des Teufels, geheilt habe. Uebrigens vergl. man Semler Sammlungen von Briefen über die Gassnerischen und Schrö- pferischen Geisterbeschwörungen. Halle. 1776. St. 2. S. 327. 1) Wie z. B. 1556 bei Kindern zu Amsterdam, 1630 bei Nonnen zu Loudun in Frankreich, 1656 zu Paderborn, 1673 zu Calw in Würtemberg, 1679 zu Mora in Schweden, 1712 zu Annaberg u.s.w. 2) Die Subpriorin Maria Renata im Kloster Unterzell bei Würzburg wurde am 21. Januar 1749 enthauptet und dann verbrannt, weil sie ihre Mitschwestern zu über- zeugen suchte, dass es weder Besessene noch Hexen gebe. Man legte ihr zur Last, dass sie 6 ihrer Mitschwestern die bósen Geister in ihre Leiber gebannt habe (Horst Zauber- Bibliothek. Th.3. S. 181). 3) Ph. Walther sagte: „Wer den Zustand der Besessenen mit dem des Wahn- sinns verwechseln kann, der hat noch nie einen eigentlich Besessenen gesehen“ (Schubert die Zaubersünden. Erlangen. 1854. 8. S. 29) 4) D. С. Kieser (Singularis Dementiae species in femina daemoniaca Wirtember- gica illustratur. Jenae. 1830. 4.) àussert: Talis species, quam in physiologia corporis humani Somnambulismi summo fastigio elati formam, in pathologia vero D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 145 Im Allgemeinen jedoch und fast als Regel wird nun die Dämonomanie als Modification des Wahnsinns betrachtet. Die medicinische Hülfe ist nicht mehr verboten!), sondern erlaubt. Was erleuchtete und erfahrene Aerzte in dieser Beziehung früher angegeben 2), hat sich bestätigt. Sie entsteht durch beäng- stigende religiöse Vorstellungen, durch andauernden inneren Vorwurf, Selbst- qual, Schuld, zu strenge Sittenrichter, und wird durch Beruhigung, Zerstreuung, ableitende Mittel gehoben. Die meisten der ehemals gebräuchlichen Evacuan- tien sind noch jetzt die üblichen 3). Die Besessenen glaubten entweder selbst, dass böse Geister in ihnen hausten, oder Andere nahmen es an. Von beiden Seiten wurde vermuthet, die bösen Geister hätten sich aus eigenem Antriebe eingenistet, oder Zauberer ` sie hineingebannt. Dadurch wurde die Besessenheit und das Behextseyn mit einander verwechselt, um so mehr, als heftige Krampfübel, welche das Beses- senseyn charakterisirlen, für angehexte gehalten wurden. Uebrigens galt auch jede ohne sichtbare Veranlassung plótzlich entstandene, in ihren Erscheinungen auffallende Krankheit, für ein Werk der Hexerei, Da es zu allen Zeiten Leute gab, die klüger und in gewissen Künsten bewanderter waren, als ihre Mitmenschen; da herumziehende Gaukler Dinge vornahmen, welche der Volksverstand nicht zu begreifen vermochte, da Manche, Daemonomaniam dicere licet, nobis nuperrime proposita est in libro a medico Justino Kernero: die Seherin von Prevorst. 1) Wenn die Besessenheit entschieden war, durfte von Arzneien und natürlichen Mitteln früher kein Gebrauch gemacht werden. 2) Omnes sagas, fascinatos, vel morbo a causis physicis orto laborare, vel esse deceptos aut impostores. Dolemus sortem tot millium vesanorum, quos Senatus flammis addixit, qui in morotrophio tantum erant custodiendi (Sauvages nosologia methodica T. 3. P. 1. p. 397. Amstelod. 1763. 8 3) Unter der grossen Zahl der aufgezeichneten Beobachtungen z. B. Lenhossek in den Med. Jahrb. des Oester. Staates. Neue Folge. B. 1. S.519; Berthollet in Nasse's Zeitschr. für psych. Aerzte. B. 1. S. 463; Oackley ebend. 1819. S. 316. Phys. Classe. VIII. T 146 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, welche wegen ihrer Einsichten verehrt oder gefürchtet wurden, die Meinung verbreiteten, dass sie in geheime Wissenschaften eingeweiht wären, so bildete sich nicht blos die Ueberzeugung von der Existenz der Magier und Zauberer, sondern auch die, dass jene das Unmógliche móglich und die Gesetze der Na- iur umzugestallen vermóchten. Da nun die bekannten Lehrmeister solches ungewöhnliche Wissen und Können nicht mitzutheilen im Stande waren, so nahm man unbekannte, dämonische, an. Geschah Etwas, das man sich nicht deuten konnte, gleichviel ob Schlimmes oder Gutes, so hatten es jene Geister oder die in ihre Geheimnisse Eingeweihten, ihre Zöglinge und Anhänger, ver- anlasst. Was nur irgend Auffallendes sich zutrug, wurde nicht nach seiner eigentlichen Ursache und seinem inneren Zusammenhange aufgefasst, sondern nach den seltsamen Voraussetzungen von wundersamen Einflüssen und absicht- lich provocirten Ereignissen. Es war so sehr Sitte geworden, die nächsten Gründe zu übersehen und dafür fremde, unwahrscheinliche anzunehmen, dass der abgeschmacktesten Beschuldigung ein Ohr geliehen und eine Untersuchung vorgenommen wurde!). Wurde vorgegeben, dass Jemand zweifelnd, und prüfend nicht Alles unbedingt glaube und mitmache, was Vorschrift und Ge- wohnheit war, so wurden die gegen ihn aufgebracht, in deren Interesse es lag, dass eine unbedingte Unterwerfung unter die herkömmlichen, sanctionirten Gebräuche erfolge. Man redete von gefährlichen Subjecten, deren Denk- und Handlungsweise nicht nur für sie selbst Bedenken wecke, sondern die, mil unbekannten Mächten im Bunde, das Bestehende in der äusseren Natur, im Le- ben und in der Religion umzuändern suchten. Auch wurden sie von der Kirche für abgefallen erklärt, indem sie für die Unterweisung ihrer geheimen Wissenschaften und Künste und die ausser- ordentlichen Vortheile in diesem Leben als Lohn die Anwartschaft auf das künftige hingegeben. Um daher das Laster der Zauberei und Hexerei zu verhüten, wurden 1) So hatte z. B. noch im Jahre 1643 in Sachsen ein Mann Käse und Butter ver- graben. Als sie weg waren, dachte er nicht an Ratten und Mäuse, sondern er beschuldigte die Zauberei eines jungen Mannes: Weber Aus vier Jahrhunder- ten. В. І. S. 381. D. VERDIENSTE D. ÁRZTE UM D. VERSCHW. D. DÀMONISCHEN KRANKH. 147 die härtesten Strafen festgesetzt, und man erachtete es für eine Gewissens- pflicht, die Unfolgsamen von der Erde zu vertilgen. In demselben Verhältniss, als die Reinhaltung der Religion von Andersdenkenden dringender schien, nahm auch die Verfolgung und Hinrichtung der Hexen!) zu. Ез entstand all- mälig ein ausgedehntes Hexengericht, eine allgemeine Hexenjagd. So viele gerichtliche Verfolgungen in dieser Hinsicht auch in den frü- hesten Zeiten schon Statt fanden?), sie waren kaum zu nennen im Vergleich mit der massenhaften, lawinenartig sich häufenden, seit Erscheinen des Hexen- hammers 5). Als Verdachtsgründe der Hexerei oder, was gleichbedeutend 1) Soldan (Geschichte der Hexenprozesse. Stuttg. 1843. S. 150) steht nicht an zu behaupten, dass der Hexenprozess im Schoosse der Inquisition erzeugt und grossgezogen worden sey. 2) M. vergl.: Voigt in der Berlinischen Monatsschrift. Berlin. 1754. Bd. 3. 5.306 und 459. — Die Preisschrift der Gótting. Soc. der Wissensch.: D. Tiedemann Disp. de quaestione quae fuerit artium magicarum origo. Marburgi. 1787. E p. 9T. 3) Nachdem durch die Bulle des Pabstes Innocentius VIII. vom 4. Dec. 1484 der Hexenprozess gesetzlich begründet worden, erschien der bereits 1487 von Jacob Sprenger und Heinrich Institor verfasste Malleus Maleficarum zu Cóln 1459. Man vergl: Horst Dämonomanie. Th. 2. S. 4 und 17. So stark wie Semler (Vorrede zum Leben В. Bekkers. S. xxxv): „zu Leh- rern des neuen Gesetzbuches gehörten Buben und Unmenschen“ äussert sich ‘Görres nicht. Er sag! (die christliche Mystik. B. 4. Abth. 2. S. 585): „Ein Buch, in seinen Intentionen rein und untadelhaft, aber in einem unzureichenden Grunde thatsächlicher Erfahrung aufgesetzt; nicht immer mit geschárfter Urtheils- kraft durchgeführt, und darum oft unvorsichtig auf die scharfe Seite hinüber- wiegend.“ Schwager (Geschichte der Hexenprozesse. Berlin. 1784. Bd. I. S. 56) nennt den Hexenhammer, indem er davon einen beachtungswerthen Auszug liefert, das „verfluchte Buch“ und die Verfasser desselben (S. 228) „Fabelhänse.“ M. vergl.: W. Jacobs des Hexenhammers Pfaffenthümlichkeit im D’raufraus- geh'n der Seelen Knechtschaft zu erhalten. In Hitzig's Annalen der Criminal- rechispflege. Altenburg. 1843. Bd. 25. 5. 273 f. . 72 148 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, war, des Umgangs mit dem Teufel, galten nicht blos beneidete Begabungen, Vorzüge des Geistes und Herzens, rasch gewonnene Glücksgüter, sondern die unbegründelsten Beschuldigungen einer vergebenen Beeinträchtigung der Gesundheit und des Besitzstandes !). Dass wer sucht, findet, das beurkundete mit Schrecken Jeder, welcher nach Anleitung des Hexenhammers seine Nachforschungen anstelle. Man braucht nur einige Hexenprozesse gelesen zu haben, um zu wissen, wie es zuging, dass der Teufel in so weitem Umfange seine höllische Macht ent- wickeln und der Richter bequem und sicher auf eine reichliche Ausbeute er- zielter Eingeständnisse2) der Beschuldigten rechnen konnte. Die Procedur war für ihn wenig anstrengend; die Folterknechte waren die Haupipersonen. Sobald Jemand, der Hexerei verdächtig, im Gewahrsam war, wurde das Eingeständniss des Bundes mit dem Teufel verlangt. Versicherungen und Be- theuerungen der reinsten und vollkommensten Unschuld galten als nichtige Ausflüchte, welche nur dazu dienten, vom geringeren Grade der Folter zu dem stärkeren überzugehen. | Diese gewinnenden Frage- und Ueberredungsmittel bestanden zunächst darin, dass man die ‘bevorstehenden Qualen androhte, die Marterinstrumente vorwies und ihren Gebrauch erklärte. Dann wurden die Daumen langsam durch Schrauben gepresst und Schnüre um die Handgelenke fest gezogen. Von den Daumenschrauben ging man zu den Beinschrauben oder spanischen Stiefeln über, um Schienbein und Waden furchtbar zu pressen. Die schon 1) So bittet eine ganze Gemeinde ihren Vorgesetzten, weil ihnen „viel Unglückes und Beschwer“ zugefüget worden, einige Frauen „auf ihre, der Ankläger, Ko- sten verstricken und in die Höhe ziehen zu lassen.“ Das geschah; sie wurden gefoltert und dann „Uvt dem Feuer uff die Leiternen gebunden Eine nach der anderenn ermanet und erinnert“ (Kästner Aus einer Hexen-Process Acte, vom Jahr 1583 in den Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande. Han- nover. 1792. Jahrg. 6. 5. 105 ff.). 2) Urgicht, oder Vergicht, hiess das erpresste Bekenniniss. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 149 hinreichend Gequülle zog man vermittelst eines Flaschenzuges in die Höhe!), wührend an die zusammengebundenen Füsse Behülter mit Gewichtsstücken befestigt wurden?); man.schnellte die Gezerrten durch einen Strang auf und ab, und legte ihnen auch wohl ein eisernes, inwendig mit Stacheln versehenes Halsband um. Nebenbei wurde ein solches Opfer noch gepeitscht 5), mit an- gezündeten Schwefelstücken beworfen*), mit glühendem Eisen gebrannt und 1) Ueber diese Art der Tortur, welche auch das Strecken genannt wurde, bemerkt Haller (Vorlesungen über die gerichtliche Arzneiwissenschaft. Bd. 2. Th. 2. S. 55): Man reisst damit die Schulterblütter aus ihrer Stelle und verdreht sie so, dass ihre inneren Winkel nach aussen zu stehen kommen. Als ich noch Bibliothekar in Bern war, verwahrte die dortige Bibliothek ein Skelet, welches der berühmte Fabriz von Hilden prüparirt und hinterlassen hatte. An dem- selben war die eine Schulter zerbrochen, und Fabriz hatte einen eigenhündigen Zettel angeklebt, worin er meldete, dass dieser Beinbruch eine Folge der Tor- tur gewesen sey. Der Uebersetzer und Herausgeber Weber fügt (S. 382) fol- gendes bei: Diese Geschichte findet sich in Hilden's Buch vom Nutzen der Anatomie, Bern 1624, wovon die Bibliothek zu Bern ein Exemplar besitzt, wel- ches der Verfasser mit ungedruckten Anmerkungen bereichert hat. — Auch hätte aus Alberti System. Jurisprud. med. T. V. kónnen angeführt werden, dass auf die Tortur der kalte Brand erfolgte. 2) Eine Abbildung, wie eine Angeschuldigte ligato pede befragt wurde, findet sich als Umschlag vern bei Rautert Etwas Näheres über die Hexen -Prozesse. Essen. 1827. 8. Darstellungen dieser und der meisten Arten der Tortur enthält Grupen de applicatione Tormentorum. Hannover. 1754. 4. S.18. 190. 228. 232. — Neuere Entdeckungen anschaulich bei J. Claproth zweyter Nachtrag zu der Sammlung gerichtlicher Acten. Göttingen. 1791. fol. S. 28. 3) In der erwähnten Abbildung bei Rautert steht bei der Unglücklichen, wo die Elevation angewandt wurde, der Scharfrichter mit der Ruthe. 4) Bei Rüling (Hexen-Prozesse im Calenbergschen. Göttingen. 1786. 5.21) wird „während der Folter nicht nur mit Ruthen gehauen, sondern auch mit lebendi- gem Schwefel beworfen.“ — Einem Manne, der standhaft seine Unschuld be- theuerle, und sich ein Gotteskind nannte, wurde während der Tortur brennen- der Schwefel auf den Rücken geworfen (Konopak Beytrag zur Geschichte der ehemaligen Hexenprocesse in seinem neuen Archiv des Criminalrechts. Halle. 1816. B. 1. S. 314). 150 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Pflöcke von Kienholz wurden zwischen die Nägel der Finger geschlagen, an- gezündet. Der Zeitbestimmung für die Dauer der Tortur gab man mitunter einen religiösen Anstrich, z. B. „8 Valer unser lang!). Sie währte aber oft Stundenlang, und würde noch lànger gewáhrt haben, wenn nicht der Eintritt des Todes den Qualen ein Ende gemacht?) hätte. Eine ungewöhnliche Tortur war die, dass man den Schlaf beständig unterbrach 3). Es gränzt an das Unbegreifliche, wie lange Mädchen und Frauen die ausgesonnensten Martern erirugen, ohne eine Schuld, deren sie sich nicht be- wusst waren, einzugesiehen*). Allein die Mehrzahl der Gepeinigten unterlag 1) Neue Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol. B. 9. S. 125. ` 2) Eine Frau, die durchaus bekennen sollte, dass sie gesehen habe, wie ein Drache auf dem Hause gesessen, wurde, weil sie immer Nein sagte, 2 Stunden lang abwechselnd durch Beinschrauben und Ziehen in die Höhe gemartert, bis sie verschied. Der Scharfrichter bemerkte, „dass der Hals oben im Gelenke ganz entzwei gewesen.“ „Vermuthlich, heisst es im Bericht, hat der böse Feind ihr den Hals entzwei gebrochen, damit sie zu keinem Bekenntniss kommen sollen.“ Diese Ansicht wurde auch hóchsten Orts getheilt und verfügt (Friedenstein 24. Aug. 1668): „Als habt Ihr bei so gestalten Sachen den Körper durch den Nach- richter hinausschaffen, und unter das Gericht einscharren zu lassen.“ (Hexen Processe aus dem Hennebergschen in Schlözer’s Staats- Anzeigen. Göttingen. 1782. B. 2. Н. 6. S. 161 — 168). Bei einer, die auf die Leiter gespannt, einschlief und „bei der man spüren und sehn kónnen, wie ihr durch ihren Bundesgenossen der Mund und Augen zerzerret,^ fand man den Hals gänzlich zerquetscht (Weber Aus vier Jahrhun- derten. Leipzig. 1857. B. 1. S. 379). 3) Lorenz Torresani erwähnt dreier Mädchen unter 25 Jahren, welche „durch die Tortur des Stricks und des Wachens“ gemartert wurden (Sammler für Ge- schichte und Statistik von Tirol. Innsbruck. 1808. B. 3. S. 275). Der Hexensucher M. Hopkins in England bediente sich besonders des tor- menli insomnii. 4) So wurde ein Mädchen 22 mal gefoltert und in manchem Verhör 4 mal aufge- zogen (Weng die Hexen-Prozesse in Nördlingen. Im Ries Heft 6. S. 47). Eine Frau unterlag nicht den 56 Torturen, die mit der ausgesuchtesten Grausamkeit D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 151 den Schmerzen, und um davon erlóst zu werden, rüumten sie ein, was man ihnen abzupressen bemüht war 1). Das Maass der Leiden dieser Unglücklichen erscheint übervoll, wenn man bedenkt, dass sie in den vernachlässigten Gefängnissen von Allem, was ihnen theuer war, verlassen und aufgegeben, an sich selbst irre werden muss- ten, bei der Aussicht, wenn sie während: des Gefoltertwerdens stürben, unter dem Galgen begraben zu werden, und wenn, ausnahmsweise, wieder entlassen, verachtet und krüppelhaft hinzusiechen. bei ihr angewandt wurden. „Nicht die Daumenschrauben und Stiefel, nicht die Bank und der Strang, an welchen sie in 14 schnell auf einander folgenden Ver- hören 8 mal auf und abgeschnellt wurde, konnten sie zum Geständniss der Thaten bewegen, an denen sie ganz unschuldig war“ (ebend. H. 7. S. 11). 1) Ueber Hamburg bemerkt C. Trummer (Vorträge über Tortur. Hamburg. 1844. S. 111): „Sobald die Tortur sich bei uns Eingang zu verschaffen anfing, findet sich gleichzeitig die bis dahin bei uns durchaus unerhörte Erscheinung von Hexen, die bisher nicht einmal dem Namen nach bei uns vorgekommen zu sein scheinen, wie denn unsere Stadtrechte den Namen gar nicht kennen,“ „Ohne die Folter, sagt Wächter (а. а. ©. S. 96), hätte man vergebens nach vielen Hexen gesucht, und gerade der Mangel der Folter, überhaupt das völlig andere Beweissystem und prozessualische Verfahren erklärt es allein, wie in der früheren Zeit bis zum 15. Jahrhundert nur wenige Hexen verurtheilt wur- den, obgleich in jenen Zeiten der Hexenglauben nicht minder fest war.“ Wie in Europa, so äusserten auch die Angeklagten in Neu England 1692: sie hätten bekannt, weil man ihnen zugeredet zu bekennen und das, was sie bekannten, sey ihnen beigebracht worden: they knew that we knew it, which made us think that it was so, and our understanding, our reason and our fa- eulties being almost gone, we were not capable of judging of our condition (Ferriar а.а. О. p. 66). Sobald man mit der Verfoigung aufgehört, habe man von Hexerei nichts weiter vernommen: as soon as Ihe proseculions were stop- ped, all reports of witchcraft ceased (ebend. р. 58) Hinsichtlich der Vorgänge selbst vergl. man: Cotton Mather account of the Tryals of several Witches. Lately executed in New- England. London. 1693. 4. . The doings of Satan in New England in Th. Wright Narratives of Sorcery and Magic. 2 ed. Vol. 2. London. 1851. 8. Ch. 3l. p. 284 — 314. Die Tragödie von Salem 1692 im Neuen Pitaval von Hitzig und Häring. Leip- zig. 1845. Th. 7. 5. 245 f. 132 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Ueber das Vorgefallene und Ausgestandene durften sie, durch einen Eid E) gebunden, nicht reden; auch mussten viele geloben, sich nicht rächen zu wollen. In dieser Epoche der Thránen und Noth, wo Menschen leicht gemisst wer- den konnten, waren nur die Scharfrichter unentbehrlich; sie feierten auch ihr goldenes?) Zeitalter. Zu einer Tortur wurden zuweilen, um sie gehórig vor- nehmen zu können, mehrere Meister nebst Naehrichtern zugezogen 5), und die reichliche Belohnung für das Examiniren „von Golteswegen« bestand ` nicht blos in Geld, sondern auch in Wein *). Die Thatsache, dass die Antworten der Hexen aller Orten gleichmässig lauteten, dass sie nemlich dem Teufel sich ergeben, bei den Zusammenkünften ihm den Hof gemacht, auf sein Geheiss Krankheiten, Hagel und anderes Un- 1) Ueber diese „Urphed“ Weng a.a. О. S. 20—24; Lamberg Hexenprozesse. Nürnberg. 1835. 8. S. 21. Die Untersuchung der Angeklagten geschah heimlich. Geforderte Anzeigen wurden nicht mitgetheilt. M. vergl. (Stüve) Geschichte der Stadt Osnabrück. Th. 3. S. 191 und 192. 2) Die Deserviten- Rechnung des Scharfrichters zu Coesfeld betrug von dem ein- zigen Jahr 1631 für Foliern (Уегһогеп), Würgen, Köpfen und Verbrennen von angeblichen Zauberern und Hexen eine unglaubliche Summe; der ge- ringste Satz 3 Thaler. Siehe J. Niessert merkwürdiger Hexen-Process gegen den Kaufmann Köbbing an dem Stadtgerichte zu Coesfeld. Coesfeld. 1827. 8. S. 100— 104. Bei einer Quittung für theuer воен Dienste findet sich aueh das RR teristische Wappen eines Scharfrichters, nemlich ein von zwei Pfeilen kreuz- weise durchbohrtes und von oben herab von einem Sehwerte durchstochenes Herz (Neue Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. B. 9. S. 142). 3) Zur Tortur einer „auf das gemeine Geschrei“ beschuldigten Zauberin, die je- doch bei ihrer Unschuld beharrte, wurden verschiedene Meister herbeigezogen (Weber Aus vier Jahrhunderten. B. 1. S. 379). 4) In Goslar erhielt 1578 der Scharfrichter dafür, dass er zwei Weiber peinigie und verbrannte, zwei Stübchen Wein nebst einem Gulden und 16 Groschen (Havemann Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg. Bd. 3. S. 61). D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 153 gemach verursacht hätten, galt als unumstósslicher Beweis von dem wirkli- chen Bestehen ihres Bündnisses mit der Hólle. Allein da gleiche Ursachen gleiche Wirkungen bedingen und allenthalben dieselben Fragen vorgelegt und dieselben Antworten erpresst wurden, so weiss man nicht, was man zu jener Schlussfolgerung sagen soll. Untersuchungsrichter!), Beichtväter?), Gefan- genwärter, Folterknechte gingen von gleichen Voraussetzungen aus und ver- langten gleiche Resultate. Kein Wunder, dass sie erfolgten. Uebrigens giebt es immer noch Manche, die nach einem tiefer liegenden Grunde suchen 5), vorzugsweise deswegen, weil viele von selbst den Richtern Geständnisse ihrer Teufelsschuld abgelegt hätten*). Dagegen ist jedoch zu erinnern, dass dieses nur äusserst selten geschah, und solche Ausnahmefälle darin ihre Erklärung finden, dass die eine oder andere angebliche Hexe wirk- lich krank oder in ihrer Phantasie durch das beständige Sprechen und Predigen über diesen Gegenstand so aufgeregt war, dass sie sich einer unerlaubten Gemeinschaft mit dem Bösen anklagte. Bekanntlich behaupten Personen, die von einer physisch begründeten Angst gequält werden, zuweilen die ärgsten Dinge von sich, woran kein wahres Wort ist. Hatte eine wirklich einen Fehl- tritt, einen unzüchtigen Wandel sich vorzuwerfen, so bekannte sie in der Stunde der Reue: der Teufel habe sie verführt, und sie erzählte wahrschein- lich den Hergang in der Art, wie er in aller Leute Mund war. Uebrigens ist auch die Möglichkeit nicht zu bestreiten, dass in unerlaubten Zusammen- künften, beim Genuss berauschender und bei der Anwendung betäubender 1) M. vergl. Soldan Ein Beitrag zur Geschichte der Hexenprocesse. In der Zeitschrift für deutsches Strafverfahren von Jagemann und Nóllner. Karlsruhe. 1843. Bd. 3, S. 367. 2) So sagte ein Geisllicher aus: die Weiber vor und nach der Kommunikation hätten erklärt, dass die Kommissäre ihnen vorgeschrieben, was sie sagen sollten, und sie hätten es gethan, um nicht noch mehr gepeinigt zu wer- den. Dafür sollte er seiner Stelle entsetzt werden. 5. Gayler historische Denkwürdigkeiten. Reutlingen. 1845. S. 145. 3) Demme in seinen Annalen der Criminal- Rechtspflege. 1843. S. 370 ff. 4) Havemann Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg. Bd. 3. S. 60. Phys. Classe. VIII. U 154 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Mittel, sinnliche Excesse verübt wurden; dass Verführer 1) selbst symbolischer Handlungen, der Umtaufe, der Verschreibung mit Blut sich bedienten, und dass man, ausser der Befriedigung fleischlicher Lust, auch die gehässiger Leidenschaf- ten, Verläumdungs- und Rachesucht bezweckte. Obgleich sicherlich der Teufel das männliche Geschlecht ebenso oft, wenn nicht öfter, als das weibliche, in Versuchung führte, so ist dennoch fast nur von Hexen die Rede; ohne Zweifel deswegen, weil man bei heimlichen Vergehen, wie beim Vergiften, vorzugsweise das weibliche Geschlecht in Verdacht hatte. Dazu ihre angeschuldigte Neigung zum verbotenen Umgang, und die Rohheit der damaligen unteren 2) Schichte der Gesellschaft, wo beim Mangel edler Gefühle das schwächere Geschlecht ohne viele Rücksichten miss- handelt und Preis gegeben wurde. Wie Viele mögen, vernachlässigt vom männlichen Geschlechte, nur auf sich verwiesen, ohne erheiternde Genüsse, bei einer gezwungenen Existenz, wo die Einbildungskraft die Wirklichkeit er- 1) Ruckgaber äussert: „Dass bei solchen Hexengeschichten in der Regel Gau- ner, Verführer von Müdchen und Weibern unter der Maske des Teufels steckten, ist ausser Zweifel“ (die Hexenprozesse zu Rottweil am Neckar in den Würtem- bergischen Jahrbüchern von Memminger. 1838. Stuttg. 1839. S. 187). 2) Der Spruch: fiat periculum in anima vili scheint bei der Hexenverfolgung An- wendung gefunden zu haben, denn von angeschuldigten vornehmen Mädchen oder Frauen ist fast keine Rede. M.vergl.: Möhlmann Aktenmässige Darstel- lung der Theilnahme der kalenbergischen Landstände an den durch angeschul- digte Zauberei und Giftmischerei zwischen dem Landesherrn Erich und seiner Gemahlin Sidonia veranlassten Missverständnissen im Archiv des historischen Vereins für Niedersachsen. Hannover. 1842. H. 3. S.314. Obgleich von Zau- berei geredet wird, so handelt es sich doch um eine intendirte Vergiftung. Der Process wurde durch den Kaiser Maximilian II. niedergeschlagen. S. Ha- vemann Sidonia (ebend. S. 278 ff). Weber (Aus vier Jahrhunderten. Bd. I. S. 395) erwähnt eines Falls, wo er an das Sprichwort der grossen und kleinen Diebe erinnert. Die Schwestern des Bischoffs von Lübeck wurden zwar peinlich verhört, aber nicht gerichtet. S.: (Stüve) Geschichte der Stadt Osnabrück. Th. 3. 5.76. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 155 selzen mussie, in eine krankhafte Ueberspannung, in Hysterie, oder in Trüb- sinn verfallen seyn, Zustände, die man bösen Geistern zuschrieb. Sobald in einer Familie ein derartiger Verdacht laut wurde, lósten sich nicht selten die natürlichen Bande der Liebe, indem diejenigen, welche auf Geist und Herz den gróssten Einfluss übten, die Geistlichen, die Verbindung mit dem Teufel als das ärgste der Verbrechen schilderten. Eine zu lebendige Theilnahme war bedenklich, weil sie als Ausdruck der Mitschuld betrachtet wurde. Man liess übrigens auch ungerathene Kinder!) von Seiten des Gerichts als vollgültige Zeugen zu, und ihre Angaben wurden um so mehr geglaubt, als man der Ansicht war, dass aus dem Munde der Kinder Wahrheit komme. Auf die Aussagen angeblicher Besessener hin wurden schauderhafte Ver- brechen verübt 2). Die Nacht des Hexenwahns hätte durch die unzähligen Scheiterhaufen erleuchtet werden müssen; allein es blieb dunkel, und so vergingen nicht blos Jahrzehnte, sondern Jahrhunderte. Die nie aufhörende Wehklage hätte die Herzen der Gefühlvollen zerreissen müssen; aber sie blieben ruhig. Selbst die Aerzte, welche sonst für jeden Schmerzenslaut ein offnes Ohr haben, blieben taub. Dass eine solche Passivilät möglich werden und längere Zeit dauern konnte, dazu trugen viele bannende Umstände das Ihrige bei. Wie man an astralische Einflüsse glaubte, so auch an dämonische, und da es an klaren Einsichten in die Vorgänge des organischen Lebens gebrach, so mussten zur Erklärung die geheimen Eigenschaften aushelfen. Von Gott leitete man Daseyn und Gesundheit ab, vom Teufel die Eingriffe in jene durch schmerzhafte, auffallende Zufälle und Krankheiten. Die Praktiker sahen es auch nicht ungern, für Wundermänner, selbst für Zauberer, natürlich für 1) Nach Ferriar (а.а. О. S. 65) wurden 1633 17 Personen von den Assisen zu Lancaster verurtheilt, weil ein Knabe gegen sie ausgesagt hatte, der sich nach- her selbst als Betrüger angab. 2) So z. B. in Reutlingen bei Gayler Historische Denkwürdigkeiten. Reutlingen. 1845. S. 135 f. 02 156 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, eine erlaubte Art derselben, gehalten zu werden. Ihre Kleidung erinnerte an jene, und ihre Recepte mit den alchemischen Zeichen sahen aus wie Zau- berformeln. Die Meinung wurde nicht widerlegt, dass, um das Ausserordent- lich zu Stande zu bringen, ein spiritus familiaris!) zu Diensten stehe. Aerzt- liche Schriftsteller suchten und fanden ihren Ruhm nicht in abwägender Be- urtheilung und Beleuchtung des Gesagten, sondern im fleissigen Zusammen- tragen der hergebrachten Meinungen und im Háufen von Citaten. Berühmte Lehrer auf Hochschulen versicherten, dass die Helfer am Krankenbette mit der Untersuchung der Besessenheit und der angehexten Krankheiten sich gar nicht befassen dürften 2). Ja sie setzten sogar auseinander, wie verkehrt die Ansicht des Volkes sey, grosse Uebel, wie z. B. Schwermuth, von natürlichen Ursachen abzuleiten, da diese, wie das die Gelehrten am besten wüssten, Werke des Teufels wären 5). Bot die Gegenwart wenig Spannendes, so ist nicht zu verwundern, dass Wissensdurstige mehr durch das sich angeregt fühlten, was von auffallenden Vorgängen und den Vornehmungen der Geister mitgetheilt wurde, wie Kinder gleichgültig bleiben bei der Erzählung einer Alltagsgeschichte, dagegen von einem Feenmährchen electrisirt werden. Auf Neuerungen war man nicht er- picht. Wie auf den Universitäten die Medicin als eine dogmatische Wissen- schaft vorgetragen wurde, so nahmen die Schüler sie in sich auf und berie- fen sich auf die Auctoritäten. Die Begriffe wurden stabil und die vererbten - Vorurtheile gingen ununterbrochen auf neue Generationen über. Selbst tüch- tige Berufsgenossen nahmen Hexen an, weil sie Personen zu behandeln hatten, die von sich hartnäckig behaupteten, dass sie es wären. Diese litten jedoch an verkehrten Vorstellungen, erzeugt durch die beständigen Erwähnungen die- 1) Ueber den angeblichen des Paracelsus s. meine Societüts- Abhandlung: Zur Würdigung des Theophrastus von Hohenheim. Göttingen. 1842. 4. S. 38, und in den Abhandl. der Königl. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen. B.1. S.110. 2) Z. B. Felix Plater vergl.: Móhsen Geschichte der Wissenschaften in der Mark Brandenburg. Berlin. 1781. Th. 2. S. 444 3) 2. В. Sennert vergl. Móhsen a. а. 0.5. 445. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 157 ses Treibens, oder aus physischer Ursache in Folge gebrauchter Mittel !), oder durch heftige Angst, hysterische Beschwerden; oder sie waren mehr oder weniger geisteskrank. Hatte Jemand, Unerlaubtes im Sinne, ein aber- gläubisches Mittel angewandt und erfolgte darauf ein ungewöhnliches Ereigniss, so verursachte der Schluss: post hoc ergo propter hoc die Ueberzeugung ei- ner geheimen Wirkungskraft, wobei Selbsttäuschung und Gewissensbisse die Vorstellung von einem eingegangenen Bündniss mit dem Teufel befestigten, Aehnlich verhielt es sich mit Kindern, deren Einbildungskraft durch das häu- fige Besprechen dieser Vorkommnisse verwirrt wurde und sich für behext hielten, oder vorgaben, von.bösen Geistern beunruhigt zu werden. In den meisten Büchern über Pathologie und Therapie bildeten die ma- gischen Krankheiten?) stehende Artikel; zur Erläuterung und Bestätigung des Gesagten fehlte es nicht an Beobachtungen. Angehexte Leiden wurden so allgemein angenommen wie die dagegen angepriesenen magischen Mittel. Zu dem Respect vor den Ueberlieferungen der eigenen Wissenschaft und Kunstübung gesellte sich der vor den Satzungen der Kirche, den beste- henden Gesetzen und herkömmlichen Gewohnheiten. Wie die Sittlichkeit in der Sitte begründet ist, so hängt Weisheit und Thorheit von der herrschenden Ansicht ab. Hervortretender Zweifel oder gar Opposition gegen das einmal Geltende und Uebliche erschien nicht blos als Uebermuth und Anmassung, sondern war in Rücksicht auf die Geistlichkeit und das fanatisirte Volk ge- fährlich 5). Hatte daher einer für sich eine andere Meinung, so verschwieg 1) So blieb eine Frau, trotz aller Gegenvorstellungen, bei ihrer Behauptung, dass sie die Hexenfarthen mitmache, weil sie einer narkotischen Salbe sich bediente und dadurch in einen betäubten Schlaf verfiel, wo sie den Traum vom Besuche des Blocksberges hatte (Baldinger Artzeneyen. В. 2. St. 8. Langensalza. 1767. S. 125). Einen ganz gleichen Fall führte schon Godelmann an (de Magis L. IL c. 4). 2) Die weisse Magie oder Theurgie, wobei man sich der guten Geister bediente, war weniger verpönt als die schwarze, wozu böse Geister und der Teufel das nothwendige Requisit waren. 3) Gleich vorn im Malleus heisst es, dass der Unglaube an die Hexerei die árgste 158 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, er sie. Fühlt ja der Beste zuweilen zu Allem inneren Beruf, nur nicht zum Märtyrerihum. Die Vorstellungen über den Einfluss und die Werke des Teufels waren nicht in die freiwillige subjective Betrachtungsweise des Einzelnen verstellt, sondern sie wurden verhandelt wie sinnlich wahrnehmbare M wie ausgemachte Thatsachen!). Tiefe Blicke їп die Natur oder in ps Leben erregten Verdacht, weil das Verständniss der Werke des Teufels nur von denen für möglich erachtet wurde, dié selbst in die schwarze Kunst eingeweiht worden ?). So gerne es die Schüler Aesculaps sahen, wenn ihre Einsicht in das Wesen der Krankheit für erschöpfend und ihre Hülfe für erstaunenswerth ge- nommen wurde, so einverstanden erklärten sie sich mit dem Volksglauben, dass die Kunst, Macht und Tücke des Teufels grösser sey, als die des schwa- chen Erdensohnes, und dass gegen Beschwerden, wobei es nicht mit rechten Dingen zuging, gegen die angethanen, nicht zu erklärenden und unheilbaren, mit menschlichem Wissen und Leisten nichts auszurichten sey. Wurde bei einer Krankheit das angepriesene Heilmittel durch Erfolglosigkeit, die gestellte günstige Prognose durch einen unglücklichen Ausgang widerlegt, so blieb dennoch das praktische Urtheil und der Seherblick unangefochten, da ja über- natürlichen Mächten gegenüber jede Einsicht zu Schanden werden muss. Von der einen Seite war es bequem die Einwirkung des Teufels ein- Ketzerei sey: haeresis est maxima, opera maleficorum non credere. 1. M. Schwager (Beytrag zur Geschichte der Intoleranz oder Leben des Balthasar Bekkers. Leipzig. 1780. S. 34) bemerkt: „Sagen: es giebt keine Zau- berer war schon genug, sich selbst der Zauberei verdächtig zu machen, und zur Folter zu qualificiren.* 1) Horst (Dämonomagie Th. 1. S. 10) sagt ganz richtig: „Der Missgriff und das Unglück zur Zeit der Hexenprozesse war, dass man die Wunder des Teufels in ein System brachte und wie andere Erscheinungen in der wirklichen Welt behandelte, indem man Thatsache und Phantom nach den Geselzen einer und derselben Kategorie behandelte.“ 2) Viel darüber enthält G. Naudé Apologie pour tous les grands personnages qui ont esté faussement soupconnez de Magie. Paris. 1625. 8. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 159 zugestehen, von der andern bedenklich, sie im Abrede zu stellen, denn es herrschte die Ansicht, dass wer an den Teufel nicht glaube, auch Gott ver- läugne!), mithin ein Atheist sey. Vor diesem Vorwurf mussten aber die Aerzte um so mehr sich zu bewahren suchen, als man, ihrer materialistischen Betrachtungsweise wegen, stets geneigt war in dieser Hinsicht sie anzu- klagen?). Gelang eine Cur, die man nicht mehr hoffte, so schrieb man sie nicht dem Zufall oder der Geschicklichkeit des Arztes, sondern der Verbindung des- selben mit dem Teufel zu, und der Arzt konnte von Glück sagen, wenn er deswegen nicht zur peinlichen Untersuchung gezogen wurde 5). D Unbesonnen, unerlaubt und in den Folgen bedenklich war von Seiten der Nichtärzte der Gebrauch narkotischer Substanzen. Es ist jedoch die Frage, ob diejenigen, welche sich ihrer, z. В. der bittern Maudeln*), bedienten, die | Unter denen, welche die Aerzte, welche nicht an dämonische Krankheiten glau- ben wollten, für Gottesläugner erklärten, zeichnete sich aus E. H. Henckel, Arzt in Alfeld, in seinem Ordo et Methodus cognoscendi et curandi Energumenos seu a Stygio Cacodaemone obsessos. Francof. 1689. 8. Athei (heisst es p. 83) putant pleraque de spectris esse commenta aut hominum imposturas . . . Similes Saducaei resurrectionem, angelos el spectra negabant. 2) El. Fr. Heister (Apologia pro medicis, qua eorum depellitur cavillatio, qui Medicinam in Atheismum aliosque in Theologia errores abducere perhibent. Amstelaedami. 1736. p. 27) äussert: Multos solum odium et inimicitia aliorum, imprimis Theologorum aut clericorum, hujus impietatis reos egit. 3) Jo. Baptista Bartolo wurde durch die Inquisilion zu Rom der Necromantie angeklagt und der Stadt verwiesen, weil er einen Hochangestelllen vom Podagra ` befreite. S.: J. N. Erythraei Pinacotheca Imaginum illustrium doctrinae vel- ingenii laude virorum. Lipsiae. 1712. p: 373. In Hamburg wurde im J. 1521 ein Doctor Vint, „der die Frauen in Kindes- nöthen bedient, auch sich für eine Bademutter ausgegeben,“ lebendig verbrannt. Siehe C. Trummer Abriss der Geschichte des criminellen Zauberglaubens und insbesondere der Hexenverfolgungen in Hamburg. 1841. In dessen Vorträgen über Tortur u.s. w. В. 1. Hamburg. 1844. 8. S. 110. 4) Ueber diese sagte, unter Anderen, ein Dienstmädchen, welche wegen Hexerei 160 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, giftigen Wirkungen kannten. Ob und welche betäubende Substanzen zur so- genannten Hexensalbe!) und zu magischen Räucherungen 2) genommen wur- den, ist mit Sicherheit nicht zu ermitteln. Die zugezogenen Stoffe waren mehr unreiner, ekelhafter als gefáhrlicher?) Art. Die Hülfs- und Schutz- mittel des Volks scheinen von denen der Aerzte nicht sehr verschieden ge- wesen zu seyn, und diese gaben sich keine Mühe dagegen zu eifern. Wie die fahrenden Schüler im Lande herumzogen, um geschriebene angeklagt war, aus: die Tochter des Hauses hätte ihr etliche gegeben, welche sie essen, etliche kauen und auf ein Tuch wieder ausspucken und sich damit „musseln“ (beschmieren) müssen. Siehe Eisenhart Erzählungen von besonde- ren Rechtshándeln. Halle. 1767. B. 1. S. 566. Man vergl. John Webster, zuerst Geistlicher, dann Arzt, in seiner von Tho- masius mit einer Vorrede begleiteien Untersuchung der vermeinten und so ge- nannten Hexereyen. Halle. 1719. 4. Cap. V. $. 14. S. 122. Móhsen Gesch. der Wissensch. S. 440. Ausser den dort angegebenen älteren Mittheilungen verdient auch Berücksich- tigung die von Fr. Hoffmann (de diaboli potentia in corpora. $. 19): Ex ve- neficarum Actis olim ipse, cum degerem in Westphalia, notavi, sagas prius sem- per, quandocunque diaboli suggestionibus et operationibus sese tradilurae essent, se inunxisse, praesertim in earpis manuum ac plantis pedum, temporibusque, unguentis somniferis, v. gr. ex mandragora, semine hyoscyami, cicuta, baccis solani somniferi, opio confectis. Die Einreibung in die Schläfen wird besonders vom Bilsenöl erwähnt (Voigt in der Berlinischen Monaisschrift. Berlin. 1784. B. 3. S. 447). Dass die Einreibung auch in andere Theile Statt gefunden, ergiebt sich z. B. aus den Aussagen von Hexen zu Buxtehude im Jahre 1598. So bekannte eine, sie sey auf dem Cattenberge zum Tanze gewesen ,und hette Gesehn witte, Ihr schwartze salben gethane, Und wan sie sich darmit An die Brust geschmiret, were sie Im sausen gleich Im irawm darhin gekommen“ (Annalen der Braun- schweig -Lüneburgischen Churlande. Jahrgang 8. St. 1. Hannover. 1794. S. 144). | Móhsen ebend. S. 443. Wurden solche Stoffe zum „vergeben“ angewandt, so darf man nicht glauben, dass sie zum Vergiften dienen sollte. Unter dem Worte „vergeben“ wird oft nur verstanden: „etwas Uebles zufügen“ (Klein Annalen der Gesetzgebung. Berlin. 1800. Bd. 19. S. 147). EEN — S. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 161 Amulele zu verkaufen, die Hexenpatres Gotteslämmer !), Lukaszeltel?), so ambulante Heilkünstler Zauber- und Hexenrauchpulver, Zauberbalsam, Berufs- kräuter. Möglich, dass mit der Alraunwurzel, diesem grössten Anodynum des Alterthums 5), Unheil angerichtet +) wurde; allein meistens diente sie als Cir- caea und Erdmännlein 5) zur Erwerbung und Bewahrung des Hausschatzes und wurde künstlich nachgebildet. 1) Der Handel mit agni dei muss einträglich gewesen seyn, denn die Kirche soll sich denselben durch eine Bulle des Pabstes Sixtus IV. vom 22. März 1471 vindicirt haben, Mir gelang es nicht diese in der Collectio Bullarum aufzufinden. Ueber das, was die Päbste darüber bekannt machten, s. Lucii Ferraris Biblio- theca canonica juridica moralis. Romae. 1844. 4. T.I. р. 174. 2) Die päbstlichen Conceptionszettel wurden zur Abhaltung und Austreibung der bösen Geister nicht blos angehängt, sondern auch verzehrt. Eine Abbildung davon findet man in der Fortgesetzten Sammlung von alten und neuen theolo- gischen Sachen auf das Jahr 1722. Dritter Beitrag, Neues. N. IX. S. 440. Durch das Einnehmen eines solchen Zettels wurden einem Mädchen 6666 Teu- fel ausgetrieben (ebend. S. 441 3) M. vergl. meine Societätsabhandlung: Ueber Begriff und Bedeutung der schmerz - lindernden Mittel. Göttingen. 1851. in den Abhandl. der K. G. der W. zu G. B. 5. 1853. S. 27. 4) Als Salbe wird „gut allraun wurtzill“ erwähnt in Hessischen Hexenprocessacten s. Crecelius in der Zeitschr. für deutsche Mythologie. Göttingen. 1855. Bd. 2. S. 70. E Auffallenderweise wird in einem Responsum der Leipziger medicinischen Fa- син (2. Oct. 1634 bei P. Ammann medicina critica. Erfurti. 1670. 4. p. 122.) der Ausspruch gethan, dass „mit der Allraun den Leuten kein Schaden zuge- fügt werden könne, es wehre denn, dass des Bösen Feindes Betrug und List dazwischen käme.“ 5) Man wollte die Aehnlichkeit mit einem behaarten Körper herausgefunden haben. Diese Imaguncula Alrunica (G. C. Roth de Imagunculis Germanorum magicis, quas Alrunas vocant. Helmstadii 1737); findet man bildlich dargestellt im 28. St. der Bibliotheca magica von Hauber 1742 mit der Ueberschrift: „Zwey Al- runen oder Geldmüngens nackend. Eben dieselbe bekleidet.“ — in Horsts Zauber Bibliothek. Th. 6. S. 277. — Eine solche zu einem Hausgeiste zube- reitete Wurzel „еіп sonderlicher Abgott* war Grund, wenn in einem Hause ver- Phys. Classe. VIII. 162 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Es ist jedoch nicht. unwahrscheinlich, dass die Mandragora wegen ihrer häufigen in verdächtiger Absicht Statt gefundenen Anwendung nach und nach von den Aerzten mit Widerwillen verordnet und so, statt ihrer, zu therapeu- tischen Zwecken die Belladonna gewählt wurde. Ueber die angehexten Krankheiten und ihre Behandlung aus der älteren medicinischen Literatur eine Aehrenlese zu liefern, würde jener nicht zur Ehre gereichen; nur wenige Beispiele!) mógen zeigen, wie der Wahn von der Macht der Dämonen sich selbst der denkenden Aerzte bemächtigt hatte. Hieronymus Cardanus [i 1576], dieser ungewöhnliche Mann, den Lessing in seine Reltungen aufgenommen, zweifelt nicht, dass mit der Annahme von Hexen Leichtgläubigkeit und Unfug getrieben werde, ihre Existenz aber sey nicht zu bestreiten ?). i | Der gelehrte und erfahrene Thomas Erastus (Lieber) [+ 1583] hält es für ganz in der Ordnung, dass die Hexen vertilgt werden, da sie ihre Macht dem Teufel verdankten 5). Ambroise Paré [+ 1590], der keineswegs phantasiereiche, sondern rein praktische Wundarzt, behauptet, dass man an dem Vorhandenseyn der Zaube- rer gar nicht zweifeln kónne *). Den Dàmonen schreibt er vielerlei schlimme Eigenschaften 5) zu. muthet, zur Anwendung der Tortur (Klein Annalen der Gesetzgebung. Berlin. 1800. B. 19. S. 144). | 1) Auf mehrere hat schon verwiesen Kurt Sprengel in seiner Gesch. der Arz- neykunde. 3. Aufl. Th.3. Kap. 9. 2) Omnia ita bene inter se concordant, ut historia non ficta res dici possit (de rerum varietate, Basileae. 1557. fol. Lib. XV. c. 80. p. 568). 3) Disputatio de Lamiis seu Strigibus. Im Flagellum Haereticorum fascinariorum, autore Nicolao Jaquerio. Francof. 1581. 8. p. 603: Qui posset tantum in eas scelus et tanta impietas cadere, si non possideret mentem earum Diabolus. 4) Oeuvres par Malgaigne. Paris. 1841. T. 3. Ch. 26. p.53: il y a des sorciers et enchanteurs, qui par moyens subtils, diaboliques et inconnus, corrompent le corps, l'entendement, la vie et la santé des hommes. 5) Ebend. Ch. 29. p. 57: ils obscurcissent les yeux des hommes, nous trompent D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 163 Glaubten Aerzte, welche auf Ergründung und Prüfung der sinnlichen Erscheinungen angewiesen sind, fest an Zauberei und Hexerei, um wie viel mehr Geistliche und Richter, welche nach dem Wort und nach dem geschrie- benen Gesetz sich zu richten haben. Es kann weniger befremden, wenn sie, von ihrem Standpunkte aus, sagten .und thaten, was nach unseren jetzigen Begriffen von Frömmigkeit und Gerechtigkeit unverantwortlich erscheint. Obgleich die Aerzte, wo sie irgend kónnen, ihre Stellung für das Wohl ihrer Mitmenschen auszubeuten sich bemühen, so ist ihr Thun in Angelegen- heiten des öffentlichen Lebens nur der Tropfen, welcher den Stein aushóhlt; dagegen Geistliche und Rechtsgelehrte, welche Ohr und Arm der Mächtigen besitzen, sind vermógend, entscheidend einzugreifen. Uebrigens standen auch sie unter dem Einflusse ihrer Zeit, und manche erfuhren an sich selbst, dass das Ausserordentliche in ihrem Leben oder Wirken als das Werk der Dümo- nen betrachtet wurde). Da man bei der Glaubensehrfurcht jener Zeit Schutz und Heilung von den Geistlichen erwartete, so ist es begreiflich, wie sie sich aufgefordert fühl- ten, auch in Betreff des Hexenspuks den Erwartungen zu entsprechen; allein Vielen wurde es schwer Maass zu halten, und der Feuereifer waltete am meisten in den Gebieten der geistlichen Fürsten?). Bamberg, Salzburg, Trier, Würzburg hätten an Aufklärung alle Länder überstralen müssen, wenn das be- lebende Licht von Scheiterhaufen ausginge. Unter ihren öffentlichen Wortführern machten besondern Eindruck der par impostures sataniques, corrompant nostre imagination par leurs boufloneries et impietés. 1) Шей man ja sogar den Pabst Silvester II. für einen Schwarzkünstler, weil er sich bis zur Mitra emporgearbeitet, und den ausgezeichneten Abt Johannes Trittenheim für einen Hexenmeister. Der aufgeklärte Prior Wilhelm Edelin wurde lebenslänglich zum Kerker verurtheilt. Wie es dem berühmten Arzt Peter von Apono ergangen, theilte ich mit in meinem Akesios. Blicke in die ethischen Beziehungen der Medien. Göttingen. 1844. S. 5. 2) In einem Orte Zuckmantel, welcher dem Bischoff von Breslau gehörte, wurden nicht weniger als 8 Henker gehalten „welche alle Tage vollauff zu thun hatten“ (Theatrum Europaeum. Th. 7. 1685. fol. S . 148). ; X2 164 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Weihbischof zu Trier Peter Binsfeld!) [+ 1598], der sprachenreiche Martin Anton Delrio 2) [1608], Joseph Glanvil 5) [+ 1680] und Gottlieb Spitzeln *) [+ 1691]. ! Von Seiten der Rechtsgelehrten ist nicht zu verkennen, dass sie sich zu den der Hexerei Angeschuldigten mehr als Ankläger und Verurtheiler, denn als Vertheidiger und Beschützer verhielten. Die Beschuldigungen aus blosser Voraussetzung oder aus Sinnestäuschung stammend wurde für Wahr- heit angenommen. Auch ohne Beweise, auf das blosse Gerücht hin, wurde gleich scharf inquirirt5). — . a : 1) De Confessionibus maleficorum et sagarum. Ап et quanta fides iis adhibenda sit? Coloniae Agrippinae. 1623. 8. Seine Schrift war besonders gerichtet ge- .gen den Rath des Churfürsten zu Trier, Doctor Flaet (Vlat), welcher das He- xenwesen zu bekämpfen suchte. Dieser wurde auch ins Gefängniss geworfen, und solange gefoltert,. bis er endlich widerrief. М. vergl. Hauber a. a. O. St. 21. 1740. S. 587. 2) Disquisitiones magicae. T, 1— П. Moguntiae. 1603. fol. 3) Sadducismus Triumphatus: or, a full and plain evidence, concerning Witches and Apparitions. The first treating of their Possibility, the second of their real Existence. London. 1726. 8. Der Gegner war John Webster. Die Uebersetzung seines Buchs hat den Titel: Untersuchung der vermeinten und so genannten Hexereien. Mit einer Vorrede von Thomasius. Halle. 1719. 4, 4) Die Gebrochne Macht der Finsternüss, oder Zerstórte teuflische Bunds- und Buhl-Freundschaft mit den Menschen: Das ist Gründlicher Bericht, wie und wel- cher Gestalt die verfluchte Zauber Gemeinschaft mit den Bósen Geistern an- gehe. Augspurg. 1687. 8. 5) Man ging von dem Grundsatze aus, dass das gewöhnliche Verfahren in Crimi- nalfállen hier verlassen werden dürfe, dass es erlaubt sey jura transgredi und de facto procedere (Weng im Ries wie es war. Nördlingen. 6. Heft. S. 15) Ebendaselbst (S. 27) heisst es in einem Gutachten: „Das Unholdenwerk werde: gewóhnlich bei Nacht getrieben und kónne daher nur durch die Tortur ans Licht gezogen werden." Bei Verbündeten des Teufels schien eine Ausnahmsjustiz gerechtfertigt. Vergl. . Wächter а. а. О. S.297. D. VERDIENSTE D. ÁRZTE UM D. VERSCHW. D. DÁMONISCHEN KRANKH. 165 Damit der eine oder andere durch den Anblick des Jammers und der Verzweiflung nicht weich gestimmt wurde, liess man die Unglücklichen rück- lings in die Folterkammer führen oder tragen. Der Scharfrichter war gleich Anfangs im Verhórzimmer!), und gefoltert wurde, wie auch die Bekenntnisse lauten mochten 2). Unter den Rechtsgelehrten, welche durch ihre Schriften wie Eisberge in jene Zeit hineinragen, sind die bekanntesten Jean Войіп 5) [+ 1596] und Ni- colaus Remigius +) [gegen Ende des 16. Jahrh.]. Die Defension war dadurch erschwert und fast unmóglich, dass eine über die Gebühr vorgenommene, also eine überzeugungsvolle, warme, für eine grössere Schuld als die angeklagte erklärt wurde 5). 1) Weng a. a. О. S. 35. 2) ,Man folterte, auch wenn freiwillig Alles bekannt wurde, weil die Inquisitoren glaubten, ohne Tortur werde die Wahrheit nicht ans Licht gebracht^ (Weng ebend. S. 46). 3) De Magorum Daemonomania seu detestando Lamiarum ac Magorum cum Satana commercio. Francof. 1603. 8 Die Härte der Richter sucht er durch die Rohheit des Volkes zu entschuldi- gen; dieses würde die mitleidsvollen steinigen. Was er alles den Hexen zur Last legt, zeigt das 5. Kapitel, welches von den Strafen handelt; so z. B. Sagas infantium caedes commiltere, ac postea elixare, donec humorem et carnem eorum fecerint potabilem (p. 443). Joh. Fichard (t 1581), welcher die Schrift von Bodin ins Deutsche über- . selzt hatte, äusserte mitunter helle Begriffe. So erklärt er in einem Gutachten vom J.1564 (Consilia. Darmstadii. 1677. fol. T. II. Cons. 113. p.397) die Teu- felstänze für blosse Täuschungen und Unmöglichkeiten, nil nisi somnia, phantas- mata el praesligias, imo rem esse impossibilem et omni fide indignam. 4) Daemonolatreiae libri tres. Coloniae Agrippinae. 1586. 8. Er gesteht selbst (Lib. I. Cap. 15. p. 109), dass er während seines l6jührigen Hexenrichter-Amtes in Lothringen 800 Hexenmeister und Hexen überzeugt und verbrannt habe (intra annos sedecim, a quibus rerum capitalium judicia exerceo, non minus octingentos ejus criminis manifeste compertos, Duumviratus nostri sententia capitis esse damnatos) _ 5) So wird als merkwürdiges Beispiel Lorenz Torresani aufgeführt, der sich zum 166 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Auch die Geldgier verleitete zur leichten Aufnahme der Hexenprozesse, sowie zur äussersten Strenge, indem die Richter mit auf die Gebühren und einen Antheil des confiscirien Vermögens angewiesen waren!). Da Vorur- theil und Grausamkeit gewóhnlich in den unteren Regionen der Gesellschaft zu Hause sind, so hätte man von den oberen hellere Begriffe und Milde er- warten sollen; allein dem war nicht so. Es ereignete sich nicht selten, dass Ortsbehórden Verweise?) erhielten, wenn sie Nachsicht und Schonung gezeigt hatten. Vertheidiger der Inquisiten hergab, als kein anderer Advocat dazu bereit war (Ueber die Nonsberger Hexen -Prozesse im Sammler für Gesch. und Statistik von Tirol. 1808. B. 3. S. 272). ]) Die Inquisitoren bezogen anfänglich ihren Unterhalt von den Gemeinschaften, wo sie wirkten, nachher aus Quoten des confiscirten Vermögens. S. Soldan Gesch. der Hexenprocesse. Stuttg. 1843. S. 176. Ebend. S.207. 309—16 über die Geldstrafen und Confiscationen. à Nach Lamberg a.a. О. S.20 redet der Kaiser Ferdinand II. von „der höchst schmutzigen Confiscation,“ Ueber die Confiscationsweise im Würzburgischen s. Scharold zur Geschichte des Hexenwesens im Fürstenthum Würzburg im Archiv des histor. Vereins für Unterfranken. Bd.VI. H. 1. 1840. S. 128. Der Inquisitor Ramponi confiscirte bei nicht völlig erwiesener Unschuld das sämmtliche Vermögen (Pfaundler in der Neuen Zeitschr. des Ferdinandeums für Tirol. B. 9. S. 106 | Ueber die damalige Verbesserung der Gerichtssporteln und der richterlichen Einkünfte s. Móhsen a.a. О. S. 439. Cardanus redet schon (de rerum varietate L. XV. cap. 80. Basil. 1557. fol. p. 569) von der Avaritia eorum quibus inquisitio talium jusque in eas puniendi permissum est. Der Senat von Venedig habe den Hexenrichtern verboten sich das Vermögen der Verurtheilten anzueignen, weil es sich herausgestellt, dass Eigennutz die Todesurtheile mit bewirkte (ebend. p.572: Sublata in hos miseros ac insanos potestas, cum animadverteret eo progressam horum luporum rapaci- tatem, ut omnino insontes damnarent spe praedae: neque contemptor divini cultus quaerebatur, sed divitiarum possessor). 2) So z. B. der Rath zu Bernaw wegen eines Vertrages, So er mit einer Hexen ofgerichtet hat: 6 Mart. 1622 in Hausens Staats-Materialien. B. 2. Dessau. 1784. 5.92 f. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 1617 Einzelne Landrechte waren gegen die Hexen mit Galle und Blut ge- schrieben, so dass aus ihnen kein Trost zu holen war!). Bei niedergesetzten Commissionen oder ausgewühlten Specialcommissüren war zwar die Absicht gut, aber das Ergebniss in keiner Art zufrieden ?) stellend. Die Facultäten zeigten sich mit dem Erkennen auf Anwendung der Fol- ter und anderer Strafen rasch fertig 5). Zur Verurtheilung reichten die ab- geschmacktesten Anschuldigungen hin*). Die Sentenzen der verschiedenen Schöppenstühle lauten so ziemlich übereinstimmend, und wo der Holzstoss nur = 1) M. vergl. Auszüge aus der Hexen-Prozess-Ordnung des Herzogthums West- phalen bei Rautert a.a. О. 5.5. — über Baden-Baden bei Wächter a.a. 0. S. 326. 2) Wer kann (heisst es im Sammler für Gesch. von Tirol. B.3. S. 285) die Urkun- den und das Verfahren ohne Schauder lesen, wenn er erwüget, dass so gegen - arme unschuldige Menschen im Namen des Gesetzes von landesfürstlichen Com- missären verfahren wurde. 3) So z. B. Helmstädt und Rinteln. M. vergl. die Auszüge merkwürdiger Hexen- Prozesse im Fürstenthum Calenberg von б. E. Rüling. Göttingen, 1786. 8. Ein Mann, der Zauberei verdächtig, wurde aufs Wasser geworfen; da er oben schwamm, wurde er gleich darauf zweimal nach einander gefoltert, Da man auch durch die dritte Tortur nichts von ihm erfuhr, musste er „das Land ver- schweren,“ wegen der verrenkten Glieder aber konnte das nicht gleich gesche- hen. Als er wieder kam, wurden ihm durch Beschluss der „Helmstädtischen Universität“ zwei Finger abgehauen, und als auch dieses erfolglos blieb, wurde er nach einem Erkenntniss von Rinteln enthauptet. (Grausame Justiz zu Ohsen 1656 in den Annalen der Braunschweig-Lüneburgischen Churlande. Jahrgang 6. Hannover. 1792. $.544. 4) Die Juristenfacultät zu Tübingen verurtheilte noch 1713 eine alte Frau zum Scheiterhaufen, weil ein junger Mensch krank geworden (Collectiones novae Consiliorum Jurid. Tubingens. T. V. ed. 1733. p. 735: „dass Inquisitin wegen ihrer begangenen und bekandten Misshandlung ihr selbst zur wohlverdienten Straffe, andern aber zum abscheulichen Exempel, dem Scharffrichter an seine Hand und Band geliefert, von selbigem zur gewohnlichen Gerichtstatl geführet und daselbst mit dem Feuer vom Leben zum Tode gerichtet werden solle." 168 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, angesteckt wurde, wenn sie die Erlaubniss gaben, da fehlte es nicht an Koh- len und Asche). Eine Abhülfe hätte aus der stillen Stube eines Philosophen kommen kón- nen, wie ja schon oft das Wort des Rechts und der Wahrheit müchlig in bestehende Einrichtungen und Vorstellungen eingriff; allein es scheint, als habe Furcht, oder die Ueberzeugung von der Kraft der Magie, Schweigen auferlegt?). Uebrigens wurde, um nicht blos die óffentliche Meinung, sondern auch die Gebildeten zu täuschen, der Kunstgriff nicht verschmäht, anerkannten Auc- toritäten im Reiche der Wissenschaften 5) Schriften beizulegen, welche das gerade Gegentheil von dem enthielten, was jene dachten und lehrten; ja man riss Stellen, die man für seine Zwecke benutzen konnte, mit Verläugnung des eigentlichen Inhalts, aus dem Zusammenhange. Citirte man ja sogar, um den Glauben an Geister zu befestigen, Apulejus, der sie zur Satyre gebrauchte. Während in hergebrachter Weise die Verfolgungen der Hexen von Stat- ten gingen, traten merkwürdige Umänderungen in den bisherigen religiösen Begriffen ein. Wie wenig jedoch eine allgemeine Bewegung der Geister die 1) Der Ort vor dem Lechelnholze in Wolfenbüttel, wohin die Hexen aus dem Calenbergschen und Wolfenbüttelschen geliefert werden mussten, sah von den . Brandpfühlen aus wie ein kleiner Wald. S.Spittler Gesch. des Fürstenthums Hannover. Th. 1. Hannover. 1798. S. 307. Auch bei Venturini Handb. der Va- terl. Gesch. Braunschweig-Lüneburg. Th. 3. Braunschweig. 1806. S. 340. 2) Selbst Agrippa von Nettesheim [t 1535] sprach sich in seiner Jugend nicht zu Ungunsten der Magie aus; erst in seinem Alter spottete er darüber. M. vergl. seine philosophia occulta L. IV. de cerimoniis magicis. Opera T. I. Lugduni. 8. p. 426. und de incertitudine et vanitate scientiarum cap. 96. Opp. T. П: p. 218. 3) z.B. von Agrippa und Trithemius s. Naudé а. а. О. In Bezug auf den soge- nannten Paracelsus habe ich dieses im Einzelnen nachzuweisen und Kennzeichen der unächten Schriften zu liefern versucht in meiner Arbeit: Zur Würdigung des Theophrastus von Hohenheim, D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 169 schreiendsten Misbräuche aufzuheben im Stande ist, wenn nicht die Führer selbst dagegen einschreilen, das beweist die Reformation. Мап hätte denken sollen, dass der erbilterte Kampf gegen das Pabstthum sich auch gegen eine ` Einrichtung, die jenes hauptsächlich veranlasste, wenden würde; allein dem war nicht so, weil Luther!) nebst seinen Genossen?) die Macht wie Versu- 1) M. vergl. C. б. Bretschneider Systematische Entwicklung aller in der Dog- malik vorkommenden Begriffe. 4. Aufl. Leipzig. 1841. S. 483 ff. Möglich, dass die Lehren des Augustinus auf den früheren Augustiner Mónch einen tiefen Eindruck zurückliessen. Zimmermann (von der Einsamkeit. Th. 2. S. 433) sagt: „Der heilige Augustinus hielt die Donatisten nicht für das, was sie waren, für Narren, sondern für Ketzer und rieth dem Statthalter von Afrika Dulcitius die äusserste Strenge. Es sey besser, äusserte er, dass man einige verbrenne, als dass der ganze gotteslästerliche Haufe ewig brenne in der Hólle.* Der heilige Augustinus, ob er gleich vortrefflich gegen die Folter sich er- klärte (de civitate Dei L. XIX. c. 6), hielt sie dennoch für die menschliche. Ge- sellschaft für nothwendig. Man vergl. Feuerbach Bibliothek für die peinliche Rechtswissenschaft. Göttingen. 1800. B. 2. S. 24 ff. Fehlte es ja nicht an Solchen, welche dem Reformator selbst einen dámoni- schen Ursprung zuschrieben. Margaritam Lutheri matrem ex diaboli coitu con- cepisse (Wierus de Lamiis. L. Ш. Cap. 23. S. 4. Opp. р. 241). Dieser üblen Nachrede erwühnt auch B. Carpzov in seiner Practica nova Imperialis ed. Boehmer. Francof. 1758. fol. Quaest, XLIX. p. 400. $. 36: Ca- lumnia Pontificiorum adversus Lutherum. 2) Melanchton (Initia doctrinae physicae. Liber II. De causis. Vitebergae. 1567, p. 242) handelt in einem besondern Kapitel de reductione eventuum ad bonos aut malos spiritus. M. vergl. auch Judicium Philippi Melanthonis de daemoniacis, ex Epistolarum libris bei Wierus de curatione eorum, qui Lamiarum- maleficio affici creduntur. L. V. c. 39. Opp. p. 453. und Augustin Lercheimer von Steinfelder Christlich bedencken vor Zauberey. Heidelberg. 1585. 4. 5.33. Spittler (Gesch. des Fürstenthums Hannover. Th.2. Н. 1798. S. 305) be- merkt: „Ob man schon von jeher Hexen und Zauberer verbrannt haben mag, so macht doch ganz unstreitig die letzte Hälfte des Reformationsseculum eine ganz neue wichlige Epoche in dieser Geschichte. Die Begriffe der alten Kirche von der Macht des Teufels hatte man unreformirt beibehalten." : Die protestantischen Theologen und Rechtsgelehrien haben die päbstlichen Phys. Classe. VIII. Y 170 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, chungen des Teufels vertheidigten und die gebräuchlichen Maassregeln dage- gen in Schutz nahmen. Da sie nemlich das Bóse der Welt in seiner tiefbe- gründelen und überall hervortretenden Gewalt, wie Heroen, zu bekàmpfen suchten, so schien ihnen das Wüthen gegen eine Seite des im Finstern schlei- chenden Versuchers, gegen die wie Gotteslästerung angesehene Zauberei und Hexerei, vollkommen gerechtfertigt !). Doctor Martinus selbst sagt?): man solle die Zauberinnen hart strafen zum Exempel, damit Andere abgeschreckt würden von solchem teufelischen Fürnehmen. Da tiefwurzelnde Vorurtheile des Volkes nicht so leicht auszurot- ten sind, und dasselbe, ohne an etwas Unerlaubtes zu denken, die aus der früheren Zeit überkommenen gepriesenen Mittel gebrauchte, so fehlte es nicht an Motiven zum religiósen und peinlichen 5) Eifer. - Und dennoch war für die verfolgten Teufelsverbündeten, eingebildete oder wirkliche Kranke, eine andere Zeit gekommen. Menschen hatten ge- rufen: es werde Finsterniss und es ward Finsterniss; allein die Werke des Menschen haben nur eine gewisse Dauer; es wurde wieder Licht. Wenn ein Krieg auch noch so lange anhält, der Kanonendonner muss wieder ver- hallen; ansteckende Seuchen, wenn sie auch noch so furchtbar wüthen, sie verschwinden. $So viel auch noch die Theologen vermochten, ihre Allein- herrschaft hatten sie eingebüsst; die Druckerpresse verschaffte auch anderen Wissenszweigen Gleichberechtigung. In dem Grade, als neue Erkenntniss- kanonischen und auch peinlichen Rechte als Grundgesetze beibehalten (Móhsen Gesch. der Wissensch. Th. 2. S. 437). 1) M. vergl. Schmidt Neuere Gesch. der Deutschen. В. 4. (Gesch. der D. Th. 9 Ulm. 1789.) S. 145. | 2) Tischreden. 1547. (4) Von einem bezauberten Mägdelein. In seinen vermisch- ten deutschen Schriften von Irmischer. Frankfurt 1854. 8. B. 4. (sämmtliche Werke B. 60) S. 77. 3) Klein's Bemerkungen über die Hexenprocesse, besonders zu Ende des 16. Jahrhunderts in seinem Archiv des Criminalrechts. Halle. 1800. В. 2. St. 3. S. 140. | D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 171 quellen sich öffneten und der Auctoritätsglauben aufhórte, wurde der wissen- schaftliche und humane Sinn freier. Der bis dahin ganz verwahrloste Schul- unterricht erregte die Aufmerksamkeit und Theilnahme der Behörden 1). Beim Erwachen der Selbstforschung wurde es heller und der Geist ver- trieb die Dämonen. Mit der zunehmenden Einsicht erstarkte die Menschlich- keit und die Welt erkannte, dass das Erbarmen nur unterdrückt, nicht erstor- ben war. Das Verdienst, das Dümonenwesen und die damit verbundenen Gräuel mit Nachdruck bestritten zu haben, gebührt ohne Widerrede dem deutschen Arzte Johann Weyer?). Dasselbe bliebe jedoch immer noch gross genug, wenn er es auch mit andern theilen sollte. Es giebt Ereignisse, die urplótzlich in die Erscheinung treten, andere, die langsam, durch Vorläufer, eingeleitet werden. Schon vor Weyer und gleichzeitig mit ihm hatten Geistliche, Muster ihres Berufs, gegen das herrschende Unwesen sich vernehmen lassen; aber ihre Worte verhallten; es fehlte ihnen die Fülle überzeugender Beweise und der glückliche Erfolg. Schon Ulrich Molitor 5), obgleich in den Zeitansichten sehr befangen *), äusserte Zweifel und Bedenken über das vorgebliche Treiben der Hexen; sie wühnten, sagte er, durch ihre Einbildung verleitet, etwas anderes zu seyn, als sie wären, und Orte, wo sie nie gewesen, besucht zu haben. Corne- 1) Schlegel Kirchen- und Reformationsgeschichte von Norddeutschland. Han- nover. 1832. Bd. 3. S. 93. 141 2) J. Wyer vel Weyer, non Wier, cum se piscinarium dixerit пет Bibl. pract. T. II. p. 163). 3) Sein Dialogus de Lamiis et pythonicis mulieribus wurde mit dem Malleus zu- sammengedruckt, z. B. in der Ausgabe Francoforti. 1600. 8. Т. IL p. 34 f. Die Ausgabe Constantia. 1489. 4. ist mit merkwürdigen Holzschnitten geziert. 4) Gegen die dadurch herbeigeführten Hexenprozesse, „die früher bei unsern Gerichten völlig unbekannt waren“ erhoben die Väter des Landes auf dem Landtage zu Hall (1487) nachdrückliche Beschwerde. (Beitráge zur Geschichte von Tirol. Innsbruck. 1829. B. 5. S. 4 z: 172 . KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, lius Loos!) [+ 1597] stand nicht an zu behaupten, dass man eine neue Art Alchemie erfunden habe, um aus dem Blute der Menschen Gold und Sil- ber zu gewinnen. Schnepf und Wilhelm Lutz?) eiferten von der Kanzel gegen die offenbaren Ungerechtigkeiten und Misshandlungen. Johann Weyer [+ 1588], nichts weniger als eine ausserordentliche Natur, blos schlicht und recht, fühlte sich berufen, dem Unwesen zu steuern, obgleich weder seine geistige nuch seine scientifische Begabung ihn über seine Zeitgenossen erhoben. Sein richtiges Gefühl führte ihn zur Bearbeitung des Hexenwesens, und sein braver Sinn erleichterle die Ausführung. In seiner Widmung an Kaiser und Reich berührt er das Leid, welches der böse Erz- feind bisher angerichtet 5), er bittet um geneigte Prüfung, und, wenn seine Arbeit Bedenken erregen sollte, um Berichtigung durch Gründe *). Auf seinen weiten Reisen, selbst nach Africa, halte er mit eigenen Au- gen Wunderdinge, von Menschen vollbracht, gesehen 5), und sich überzeugt, wie es möglich sey, unglaubliche Künste zu erlernen und zu prakticiren, ohne 1) Sein Buch de vera et falsa magia wurde confiscirt, er selbst eingekerkert und zum Widerruf gezwungen. Mir war es nicht möglich, dasselbe selbst einzu- sehen. Unter dem erdichteten Namen С. Callidius Chrysopolitanus ist er be- kannter, als unter seinem wahren. Delrio führt ihn, neben „dem Ketzer“ Wierus, als Callidius Loseus auf. | 2) Das war im J. 1589 eine That. S. Weng Hexenprocesse in Nördlingen im Ries. H. 6. S. 58. 3) ille veterator mille artifex in deliris stupidisque mulierculis fabricatus est in Christianae. Europae foedissimam labem, hominum errorem crassissimum, caedem insontium frequentissimam, et vulnus conscientiarum magistratus haud profecto leve. : 4) Quae si supremi ordinis vestri punctum non tulerit, eam uti merito exibilandam explodendamque, ut quam ocyssime, ita et libentissime palinodia supprimere non gravabor, rationibus argumentisque nervosioribus convictus. 5) Ueber das zu Fetz und Tunis de praest. Daem. L. П. c. 15. p. 142 ff. — Ich citire nicht nach der ersten Ausgabe Basil. 1563. 8., sondern Opera omnia. Amstelod. 1660. 4. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN КААМКН, 173 deswegen mit bösen Geistern sich einlassen zu müssen. Um den herrschenden widersprechenden mörderischen Ansichten entgegen zu treten, verfasste er sein Werk über die Gaukelspiele der Dämonen. Er handelt mit grosser Belesenheit und nicht ganz ohne Critik vom Ur- sprung, den Absichten und der Macht des Teufels!), von den verbrecheri- schen Zauberern?), von den Zauberinnen 5), von den Besessenen und Be- hexten ^), von der Heilung der Besessenen und Behexten 5), von den Strafen der Zauberer und Hexen 6). In der Nachschrift üussert ег die Vermuthung, dass man ihm wahrscheinlich diese seine Arbeit aus mannigfachen Gründen, hauptsächlich aus dem, verargen werde, dass er, als Arzt, in theologische Dinge sich gemischt habe; allein auch der Evangelist Lucas sey Arzt gewe- sen. Habe er Fehler begangen, so sey er erbötig, sie einzugestehen 7); allein Einwürfe ohne überzeugende Gründe werde er unbeachtet lassen. Schliess- lich unterwirft er seine Arbeit dem billigen Urtheil der catholischen Kirche, indem er zu jeder Verbesserung sich bereit erklärt 8). So muthig Weyer die Verderbtheit der Geistlichen und ihre Mitschuld an den unsagbaren Leiden der ohne Grund zur Folter und zum Tode Ver- urtheilten bezeichnet, ebenso die Unwissenheit seiner Collegen, der Aerzte und Wundärzte. Er wirft ihnen vor, dass sie über die Zustände dieser Un- glücklichen wie die Blinden über die Farben 9) urtheilten. Die Phantasie der Menschen werde öfters gestört, und so komme es, dass die seltsamsten Dinge ]) Lib. І. р. 1—88, 2) Lib. П. p. 89 — 160. 3) Lib. Ш. p. 160—277. 4) Lib. IV. p. 278—350. 5) Lib. V. р. 351— 459. 6) Lib. VI. p. 460 — 568. 7) nec me errata retractasse pudebit unquam (p. 570). 8) Nihil assertum volo, quod aequiori judicio catholicae Christi Ecclesiae non om- nino submittam: palinodia mox spontanea emendaturus, si erroris alicubi con- vincar (p. 572). Dessenohnerachtet wurde das Buch auf den Index gesetzt. 9) ita ut cogantur ex imperitia velut coeci de coloribus judicare, maleficium mox esse affirment . . . hi vere malefici (L. ll. c. 18. p. 152). 174 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, geglaubt und für wirkliche gehalten würden!). Der Gebrauch betäubender Substanzen, namentlich durch Einreibung, veranlassten gleichfalls die auffallend- sten tráumerischen Vorstellungen, wie besonders vom Fliegen durch die Luft 2). Die Auseinandersetzungen von Weyer, von den Schwächen seiner Zeit in Form und Darstellung keinesweges frei, machten Eindruck durch die Wärme, mit der er sich der Kranken annahm; und dass derselbe nicht auf seine näch- sten Kreise beschränkt blieb, geht daraus hervor, dass von verschiedenen Seiten versucht wurde, seine Behauptungen zu widerlegen. Selbst von einem Königsthron herab wurde mit Wort und That dagegen ge- eifert. Jacob І. von England [+ 1625] nennt die Meinungen von Weyer pestartige, ihn selbst einen Verbündeten des Satans und Sadducäer?). Das Buch von Reginald Scot*), welcher zu den erleuchteten Ansichten von Weyer sich bekannte, liess er durch den Scharfrichter verbrennen. Ebenso unerbittlich in Betreff grösserer Schonung gegen die angeblichen Teufelsverbündeten verharrten unter den Rechtsgelehrten der selbst als Dichter 1) fit, quod homini aliquando videatur cum muliercularum coetu de loco ad locum iransferri. Talia iis frequenter in somniis contingunt, interdiu non ilem, nisi melancholicis et insanis (L. Ш. c. 8. p. 185). 2) Adhibentur pharmaca, quibus ubi se inunxerint, confricuerintque, per caminum se evolaturas, ac per aérem longe lateque evagaturas ad tripudia: symposia, concubitus confidunt (L. III. c. 17. p. 222). 3) In der Vorrede seines Dialogs Daemonologia, sive de artibus magicis. Opera serenissimi et potentissimmi principis Jacobi edita a J. Montacuto. Londini. 1619. fol. p. 87: contra duorum nostrae aetatis hominum pestiferas opiniones, quorum alter Scotus nomine, Anglus domo, non erubuit, libro typis excuso, defendere, magiam nullam esse; revocato veteri Sadducaeorum errore, qui Spiritus nega- bant; alter Germanus Medicus, Wierus, contexta pro his artificibus Apologia, dum illis impunitatem quaerit, se eorundem sacrorum socium prodit. 4) Discovery of Witchcraft: proving the common opinions of Witches contracting with Divels, Spirits, or Familiars еіс. To be but imaginary Erronious concep- lions and novelties. (published 1584) London. 1651. 4. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 175 bekannte Pierre le Loyer!) [t 1634], Franciscus Torreblanca?) [T 1645], Benedict Carpzow 5) [t 1666], Erasmus Franeisei*) [t 1694] und Hermann Góhausen5). Glücklicherweise drangen sie mit ihren Behauptungen nicht mehr durch, und die ärztlich constatirten Thatsachen von dem schreienden Unrecht gegen körperlich Leidende blieben nicht unberücksichtigt. Das rechte Wort ist in manchen Regionen des öffentlichen Lebens öfters im Stande rasch grosse Resultate zu erreichen; die frommen Wünsche der Aerzte aber gelangen meistens erst spät zur Erfüllung; sie werden immer daran erinnert, dass auch Zeit und Geduld Heilmittel sind, In Sachen der Hexenverfolgung erlebten sie die Freude, dass unter be- günstigenden mitwirkenden Umständen endlich selbst Fürsten 6), Geistliche und Rechtsgelehrte, ihre Ansichten förderten. Dadurch dass eine bessere Bibelerklärung, eine kritische Exegese vor- genommen wurde, nahm man die Bezeichnung Satan nicht mehr für den per- sönlichen Teufel, sondern bildlich für Verläumder, Verführer, Verneiner; den 1) Discours et Histoires des spectres, visions et apparitions des esprits, demons etc. Paris. 1605. 4. 2) Epitome Delictorum sive de Magia. Lugduni. 1678. 4. 3) Practica nova Imperialis Saxonica rerum criminalium. Wittebergae. 1646. fol. 4) Der höllische Proteus nebenst vorberichtlichem Grund -Beweis der Gewissheit, dass es würcklich Gespenster gebe. Nürnberg. 1690. 8. 5) Processus juridicus contra sagas et veneficos, Das ist Rechtlicher Process, Wie man gegen Unholdten und Zauberische Personen verfahren soll. Rintelii ad Visurgim. 1630. 8. 6) Die Hexenfrage, sagt Havemann in seiner Gesch. der Lande Braunschweig und Lüneburg. Bd. 2. S. 531, gab wiederholt den Gegenstand des Gesprächs zwischen Julius und seinen Aerzten ab und der Fürst konnte sich der Ueber- zeugung nicht erwehren, dass die geständigen Aussagen nur eine Folge der er- littenen Marter seien. Deshalb gebot er, mit den Angeklagten säuberlich zu verfahren und nicht, wie die Geistlichkeit es wollte, sofort zur Tortur zu schreiten. ' 176 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX bósen Geist Sauls, der durch das Harfenspiel Davids wich, für Schwermuth. Es wurde als sündhaft dargestellt, statt der allwaltenden Weisheit und Güte die Herrschaft bóser Geister zuzulassen. Selbst der Halbgebildete schümte sich zu glauben, dass das Ebenbild Gottes in einen Wehrwolf umgewandelt werden kónne!). Die im alten und neuen Testamente vorkommenden Krank- heiten wurden von Sachverstándigen beleuchtet und in ihrer reinen Natürlich- keit hingestellt 2). | Im Ueberstrómen eines reinen Herzens und einer nicht mehr zu erdrü- ckenden Ueberzeugung schrieb gegen das Treiben, welches das menschliche Gefühl empórte, Friedrich Spee?) [+ 1635]. Er that es ohne Nennung seines Namens *), weil er wusste, was sonst ihm bevorstand. Seine Schrift 5) 1) M. vergl. Dreyer Sammlung vermischter Abhandl. der teutschen Rechte und Alterthümer. Rostock. 1756. Th. ?. S. 587. K. Sprengel in seinen Beiträgen zur Geschichte der Medicin. B. 1. St. 2. Halle. 1795. S. 67. Н. Häser Gesch. der Medicin. B. 2. Abth. І, Aufl. 2. Jena. 1859. S. 169. Der König Friedrich Wilhelm L von Preussen, Vater Friedrich des Grossen, setzte in der Bestaliung des Grafen von Stein, als Vicepräsidenten der К. Aca- demie in Berlin fest, dass für die Einlieferung eines Wehrwolfes, todt oder le- bendig, 6 baare Thaler bezahlt werden sollten. Vergl. Krug Philosophische Schriften. Leipzig. 1839. Bd. 3. S. 306. i 2) Unter den verschiedenen Autoren über diesen Gegenstand verdient besondere Erwähnung der ausgezeichnete Londner Arzt Richard Mead [t 1754], indem er seine Medica sacra sive de morbis insignioribus qui in Bibliis memorantur mit gewohnter Gründlichkeit verfasste. Jm еп Kapitel de Daemoniacis sagt er: morbo revera naturali, et illo quidem difficili laborasse, ex descriptis eorum historiis mihi verissimillimum esse videlur. Saepe evenit, ut post longum tem- pus dementiae superveniat epilepsia. Tam stupenda est facultatis imaginandi vis, ut non minus falsae quam verae imagines afficiant, ubi mens iis assidue sit addicta; М. vgl. auch T. G. Timmermann Diatribe antiquario - medica de Daemoniacis Evangeliorum. Rinteli. 1786. 4. 3) auch Spree, Spejus geschrieben. 4) Der Name wurde hauptsächlich bekannt durch Leibniz, der ihn vom Kurfür- D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 177 ist ein unvergängliches Zeugniss seiner edlen Gesinnungen!). Zum Ergreifen sten Johann Philipp von Mainz erfahren hatte. Er erwähnte desselben in meh- reren seiner Schriften. M. vergl. Hauber Bibl. magica St. 13. 1739. S. 10. — 81. 25. 1741. S. 14. 18. — St. 32. 1743. S. 50, Dass der Name übrigens auch schon früher, als von Leibniz, angegeben wurde, zeigte gleichfalls Hauber a.a. О. St. 25. 1741. S. 22. 5) Cautio Criminalis, seu de processibus contra sagas liber. Ad Magistratus Ger- maniae hoc tempore necessarius auctore incerto Theologo Romano. Rinthelii, 1631. 8. Ueber die Ausgaben vergl. Hauber a. a. O. S. 36. S. 781. 1) Er bespricht seinen Gegenstand in 51 Fragen, z. B. 1) ob es in Wahrheit Hexen gübe? 5) ob man willkührlich einen solchen Prozess einleiten dürfe? 12) ob die Inquisition zu unterlassen sey, wenn es sich ergebe, dass viele Un- schuldige betroffen sind? 17) ob eine Defension zulässig? 22) warum viele Richter die Angeklagten nicht entliessen, auch wenn sie sich durch die Tortur vom Verdacht gereinigt? 23) welche Gründe hinreichten, um die Qualen ohne neue Indicien zu erneuern? 27) ob die Tortur zur Enthüllung der Wahrheit das rechte Mittel sey? 31) ob es sich schicke den Frauen vor der Tortur durch einen Gerichtsdiener die Haare abschneiden zu lassen? 42) ob man be- rechligt sey anzunehmen, dass die, welche im Kerker sterben, vom bösen Geist strangulirt worden seyen? 43) ob die Stigmata Ueberzeugungskraft besässen ? 44) ob auf: die Denunciationen beim Verbrechen der Magie etwas zu halten? 51) was bei dem Verfahren gegen die Hexen zu wünschen übrig bliebe? Im Appendix (p. 393) stellt er noch die Frage: Quid possint torturae et de- nuncialiones? Seine Antwort lautet: Possunt paene omnia. Unde quidam nu- per non illepide torturam appellabat Omnipotentem. Uebrigens hat schon früher, im Jahre 1620, auch ein deutscher Geistlicher, Johann Greve, die Verwerflichkeit der Tortur auseinandergesetzt. Er nennt sich Clivensis, weil geboren zu Buderich im Herzogthum Cleve. Seiner Gesin- nungen wegen ins Gefüngniss geworfen, schrieb er im Zuchthause zu Amster- dam, wo er grausam behandelt wurde, sein Tribunab Reformatum, in quo sa- nioris et tutioris justitiae via judici Christiano commonstratur, rejecta et fugata Tortura, cujus iniquitatem, multiplicem fallaciam atque illicitum usum aperuit. Die Schrift erschien zuerst 1624. 4. In Wolfenbüttel kam 1737 eine Octavaus- gabe heraus. Сар. 4. $. 2: Vah! Christianos adhuc usquam esse homines, qui iam luctuosae necessitatis, quae tam multiplicis saevitiae execrabiles modos, horrendosque apparatus humanae pravilati suggessit, patrocinium sustinere velint. Phys. Classe. VIII. e 178 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, der Feder zwangen ihn die rührendsten Gestündnisse, welche ihm die Un- glücklichen in der Beichte und in seinem sonstigen Verkehr mit ihnen abge- legt hatten. In die Fussstapfen dieses ächten Kirchendieners traten John W ag- staffe!) [+ 1677], Balthasar Becker?) [+ 1699], der selbst die Kühn- heit hatte, die Realitàt des Teufels zu bestreiten 5); Hieronymus Tarta- rotti*), Ferdinand Sterzinger5), Johann Salomo Semler6)), Im 6ten Kapitel bespricht er das Verfahren gegen die, welche ein Bündniss mit dem Teufel sollten eingegangen seyn. i M. vergl. über Greve G. W. Böhmer im Hannoverschen Magazin. 1820. St. 24. und 25. Erst 2 Jahre nach der neuen Ausgabe erschienen von dem Rechtsgelehrten J. L. Wiederholt seine Christliche Gedanken von der Folter, durch welche gezeiget wird, dass der Gebrauch derselben, sowohl denen Göttlichen Gesetzen, als der gesunden Vernunft zuwider u.s.w. abzuschaffen u.s.w. Wetzlar. 1739. 4. 1) on witcheraft. Die Uebersetzung, welche mir nur zu Gebot stand, hat den Ti- tel: Gründlich ausgeführte Materie von der Hexerei Oder: die Meynung derer jenigen so da glauben, dass es Hexen gebe; deutlich widerlegt. Halle. 1711. 8- 2) Dieser Frieslánder gab 1690 den ersten Theil seiner „bezauberten Welt“ her- aus (Neu überseizt von J. M. Schwager. Durchgesehen und vermehrt von J. S. Semler. 3 Bände. Leipzig. 1781. 8). Da er behauptete, es gäbe keine wahrhaft Besessene, so wurde ihm die Kanzel verboten. 3) Wie kann der Teufel, ein Theil der Natur, über die Natur seyn? Ueber die Natur ist Gott allein (in seiner bezauberten Welt. B. 2. Kap. 34. §. 17). Als Vorgänger seiner Ansichten sind besonders zu bezeichnen der Englän- der Orchard und der aus Frankreich geflohene reformirte Prediger Daillon s. Walch Religionsstreitigkeiten. Jena. 1734. Th. 3. S. 940 ff. Noch 1781 sah sich Schwager (in seiner Uebersetzung der bezauberten Welt. B. 2. Vorrede) zu folgender Aeusserung veranlasst; ,Ein sehr grosser Theil der Religionslehrer macht zwischen Ketzereyen und Aufklärung gar kei- nen Unterschied, und glaubt, dass einer, der dem Teufel das Handwerk ein wenig legt, gleich ein Socinianer und Gott weis, was alles, seyn müsse." 4) Dieser Tyroler übersetzte die Predigt des Jesuiten Gaar, welche dieser vor dem Scheiterhaufen der Renata gehalten, ins Italiänische, und liess sie, begleitet von salyrischen Bemerkungen, zu Verona drucken. Dann schrieb er mit eindringen- D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 179 Mit den Erklärungen und Deductionen, welche von diesen Sprechern des den Gründen gegen das Hexenwesen: del congresso notturno delle Lamie. Re- veredo (Venezia) 1749. 5) In einer Rede, welche er in der Akademie der Wissenschaflen zu München am 13. Oct. 1766 hielt (von dem gemeinen Vorurtheile der wirkenden und thä- tigen Hexerey. München. 4.) sucht er zu beweisen (S. 4), dass „die Hexerey ein ebenso nichtswirkendes als nichtsthätiges Ding sey.^ Er erklärt sich einver- standen mit den „dreyen herrlichen Büchern“: Arte magica dileguata, distrutta und annichilata von Scipio Maffei und dessen Uebersetzer dell’ Оза (S. 5). Das geheime Bündniss mit dem Satan sey eine abgeschmackte Chimaera (S. 9). Wollte man annehmen, eine Hexe könne durch ihre bösen Begierden Gott be- wegen, dem verworfenen Geiste die Gewalt zu überlassen, so müsste man sagen, dass es einen bösen Gott gebe (S. 10). Der Gebrauch der sogenannten Hexen- salbe hätte nur die Wirkung, dass ein betäubter Schlaf mit seltsamen Träumen und eine verrückte Einbildungskraft entstehe (S. 12). Nur der gemeine Póbel leite den „Hexenschuss,“ sowie alle Krankheiten, die der Arzt nicht zu heilen vermöge, von den Unholden ab S. 16). Unterhielte man die Leute nicht mit Hexengeschichten, nähme man bei ausserordentlichen Zufällen nicht seine Zu- flucht zu geistlichen Mitteln, so würde die Hexerei bald ausser Mode kommen (S. 17). Muratori in seiner Abhandlung von der Einbildungskraft sage, dass man in den Ländern, wo sich keine Exorcisten hervor thun, nichts von Beses- senen wisse (S. 20). Diese Rede wurde von verschiedenen Seiten so übel aufgenommen, dass lei- denschaftliche Schriften dagegen erschienen, z.B. Urtheil ohne Vorurtheil über die Hexerey. 1766. 4. — Drey Fragen zur Vertheidigung der Hexerey. 1767. 4. — Blocksberger Sendschreiben an Agnellus März. Straubing. 1767. 4. 6) De Daemoniacis quorum in Evangeliis fit mentio. Halae. 1760. 4, ed. 4. 1779. — Abfertigung der neuen Geister und alten Irrthümer іп der Lohmannischen Be- geisterung zu Kemberg. Halle. 1760. 8. Untersuchung der dämonischen Leute, oder sogenannten Besessenen. 1752. 8. Sammlungen von Briefen und Aufsätzen über die Gassnerischen und Schrö- pferischen Geisterbeschwörungen 2 Stücke. 1775. 76. 8. Anhang zu dem Versuch einer biblischen Dämonologie. H. 1776. 8. J. M. Schwager (Leben Balthasar Bekkers. Leipzig. 1780. S. 39) bemerkt: „Semler und Farmer sind auf den Weg gekommen, den Bekker zuerst be- trat, und man muss sich wundern, dass dieser schon vor hundert Jahren so 180 KARL FRIEDRICH HEINRICH. MARX, catholischen, lutherischen und reformirten Glaubens abgegeben wurden, er- langte die Angelegenheit für diese Seite der Betrachtung ihren Abschluss; ` hellblickende spätere Theologen bestätigten und erweiterten das Gesagte !). Aus der Mitte der Rechtsgelehrten erhoben sich endlich, durch Nach- denken, Studium und Erfahrung wach gerufen, mächtige Streiter für eine mil- dere Praxis, namentlich Johann Georg Godelmann [+ 1611] und Chri- stian Thomasius [+ 1728]. Beide, durchdrungen von der Nichtigkeit des Hexenwesens, drangen auf Schonung und Befreiung der unschuldig Angeklagten. Godelmann glaubte zwar, dass bei Besessenen der Teufel sich in deren Körper begeben ‚und aus ihnen reden könne?); allein sein Werk bestehe oft nur darin, dass er böse Gedanken eingebe. Die Anwendung der Folter, um Bekenntnisse zu erpressen, und Lebensstrafen dürften nur nach der reiflich- sten Prüfung angewandt werden. Thomasius, der aus einem Saulus ein Paulus geworden 5), benutzte seine weit kam, da noch an allen Enden der Christenheit Hexen in Rauch aufgingen, und der Name des Teufels mehr auf den Kanzeln genannt ward, als der Name Gottes." 1) So z. B. der Pfarrer S. Ph. Paulus (Neueste Blicke in das abentheuerliche Reich der Gespenster und bösen Geister. Göttingen. 1833. S. 74): „Wir ken- nen nur einen Alleinherrscher, den wahrhaftigen Gott, der es vermöge seiner allerhöchsten Vollkommenheiten nimmermehr zugeben kann, dass Eins seiner schwachen, sterblichen Kinder von bösen Geistern beschädigt oder unglücklich gemacht werden sollte; wir kennen nur einen Gott, der als souveräner Monarch über Himmel, Hölle und Erde, über alles Sichtbare und Unsichtbare herrscht und keinem Teufel oder bösen Geistern einen Theil seiner Weltregierung ab- getreten oder überlassen haben. sollte.“ 2) Tractatus. de Magis, Veneficis et Lamiis, deque. ме recte cognoscendis el pu- niendis. Francoforti. 1601. 4. L. L cap. 4. $.5 ff. 3) Er erzühlt selbst, wie er über einen Hexenprocess im J. 1694 nach den Mu- stern vom Malleus, Delrio, Carpzov u. f. sein Referat ausgearbeitet: „Und dachte ich mit diesem meinen voto in der Facultät Ehre einzulegen. Aber meine Herrn Collegen waren anderer Meinung. Nun verdrosse es mich aber nicht wenig, D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH, 181 durch die Philosophie gewonnenen klaren Begriffe und Schlussfolgerungen zur Aufhellung der noch herrschenden irrigen Ansichten 1). Der Einfluss solcher beredter und sachkundiger Männer verfehlte seine Wirkung nicht auf das gerichtliche Verfahren; die Angeklagten wurden statt zur Strafe und zum abschreckenden Beispiel dem Scheiterhaufen, zur Cur den Aerzten übergeben 2). | Dass, trotz der verbreiteten besseren Einsichten noch an vielen Orten das alte Gerichtsverfahren beibehalten wurde, daran war der gedanken- und gefühllose Gewohnheitsschlendrian und Indolenz Schuld 5), leider auch Hab- sucht 21. dass bey diesem ersten mir unter die Hünde gerathenen Hexen-Process mein votum nicht hatte wollen attendiret werden. ... Nachdem ich die mir bisshero gewesene persuasion von der Vortrefflichkeit des in Sachsen und an anderen Orten des Rómischen Reichs üblichen Hexen-Processes ware wanckend gemacht worden, fing ich nach und nach immer mehr und mehr an, in das Elend unse- rer Universitäten und Juristen - Facultáten oder Schóppen - Stühle, was den He- xen-Process betrifft, einzusehen u. s. w.* 5. Ernsthaffte, aber doch Muntere und Vernünffige Thomasische Gedanken über ausserlesene Juristische Händel. Th. 1. Halle. 1720: ,Absolvirung einer ungegründet angegebenen Hexe“ S. 201. 203. 1) Er liess 1701 eine Disputation vertheidigen de crimine magiae. Sie erschien 1702 mit einer weiteren Auseinandersetzung deutsch. Auch Reiche, der jene unter dem praesidio von Thomasius vertheidigte, übersetzte sie und gab sie mit Schriften und Akten, die Hexerei betreffend, in 2 Quartbänden heraus. — 1712 veröffentlichte Th. seine Disp. de origine ac progressu processus inquisitorii conira sagas. Vorreden schrieb er 1719 zu Johann Webster's vermeinten und sogenann- ten Hexereien; 1721 zu Beaumont von Geistern und Hexereien; und 1726 zu Hutchinson von der Hexerei. | 2) So sagt Quistorp (Grundsätze des peinlichen Rechts. Ausg. 3. S. 266): „Die Meinung, welche Jemand von der ihm widerfahrenen Hülfsleistung des Teufels fassen móchte, sieht man jelzt nicht mehr für ein Verbrechen, das mit dem Scheiterhaufen zu strafen, sondern für eine Krankheit an, deren Cur man den Aerzten, oder auch den Geistlichen überlässt.“ 3) M. vergl. in Beziehung auf Hamburg Trummer, Vorträge. B. 1. S. 123. 4) Der Fürstbischoff Philipp Adolph von Würzburg hatte selbst hervorgehoben, 182 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Der faktische Beweis einer erkümpften Sinnesänderung wurde zunächst dadurch geliefert, dass man die Folter beschränkte, dann verbot und die He- xenprozesse einstellte. Mit unter den Ersten leuchten in dieser Beziehung hervor der Herzog Wilhelm von Cleve, bei dem Weyer Leibarzt war, und der Gönner unseres Leibniz, Johann Philipp von Schönborn !), Churfürst von Mainz. Städte, kleine und grosse Staaten folgten ?) dem guten Beispiel. dass je mehr man strafe, desto mehr das Hexenwesen sich mehre, und doch erliess er sein Mandat wegen Beschlagnahme der Hexengüter (Scharold Ar- chiv des histor. Vereins von Unterfranken. B. 6. H. 1. S. 128). 1) Als er noch Domherr war, óffnete ihm oft Spee, der Verfasser der cautio cri- minalis, sein schwerbedrängtes Herz. 2) Den theologischen und juridischen Bedenken entsprechend liessen die Basler Gerichte, vom J. 1643 an, nicht mehr auf Zauberei foltern (Fr. Fischer die Basler Hexenprozesse in dem 16. und 17. Jahrh. Basel. 1840. 4. S. 11). Der Herzog von Mecklenburg bestimmte 1683, dass in den peinlichen Unter- suchungen von den Bekenntnissen Abstand zu nehmen sey, weil die denuntia- tiones ex fonte malo fliessen (Wächter Beiträge zur deutschen Gesch. S. 302). In England wurden die Gesetze gegen Hexerei durch eine Parlamentsacte 1735 aufgehoben. z Auf Betrieb von van Swieten [s. de Haen ratio med. T. XV. Praef. X], die- sem trefflichen Arzte, befahl die Kaiserin Maria Theresia 1755, dass „ohne Concurrenz der Politici^ nichts gerichtlich in Bezug auf Bougret vom Teufel Besessene и. s. w. vorgenommen werden dürfe, Im J. 1766 (5. Nov) (mit auf Veranlassung von Sonnenfels über die Abschaffung der Tortur. 2. Aufl. Wien. 1782. 8.) erliess sie 16 Artikel über Zauberei und Gespensterei, und im J. 1776 (3. Jan.) schaffte sie die Tortur ab. Dasselbe geschah in Preussen 1754 (27. Jan... Auf dem Gerichtsbezirk, wo sonst die Hexen verbrannt wurden, baute der König Friedrich sein Sans-Souci. Zwei Tage nach seiner Thronbesteigung entriss er dem Barbarismus das schreck- liche Mittel der Tortur. So Klein in seinen Annalen der Gesetzgebung. Berlin. 1800. Bd. 19. S. 150. In Russland hörte die Tortur 1767 (11. Nov.) auf; in Dänemark 1770 (21. Dec); in Schweden 1772 (27. Aug.); in Polen 1776; in Frankreich 1780 (24. Aug.); in Baiern 1806 (7. July) (hauptsächlich durch die Bemühungen von Feu- erbach. 8. dessen Themis. Landshut. 1812. 5. 239 ff). D. VERDIENSTE D. ÁRZTE UM D. VERSCHW. D. DÁMONISCHEN KRANKH. 183 Diejenigen, denen man den Namen der Weltweisen und Polyhistoren bei- legt, haben, soweit ihr Standpunkt es gestattete, auch mit dahin gezielt, das noch umdüsterte Urtheil zu lichten, das Wissen zu mehren, den Dümonenglau- ben von seiner wilden Verwirrung zu befreien. Namentlich hielt es Baco von Verulam [+ 1626] für angemessen, dass die Natur der Dämonen ebenso erforscht werde wie die der Gifte. Viele Schriftsteller darüber, sagte er, litten an Aberglauben oder unnützer Spitzfindigkeit!). Bei der Annahme von Hexen verwechsle man die Wirkung mit der Ursache. Man dürfe weder ihre Bekenntnisse für wahr halten, noch die Zeugnisse gegen sie. Sie selbst litten an ihrer Einbildungskraft und das Volk an Leichtgläubigkeit?). Nach den früheren Gesetzen wäre gegen Hexerei nur ausnahmsweise Todesstrafe erkannt worden 5). Pierre Bayle [+ 1706] hielt die Besessenen für Betrüger oder für Kranke. Für Müssiggänger hätte man sie längst erklárt ^). Behexung, als blosse Einbildung, dürfe nicht bestraft werden; etwas anderes sey es, wenn es sich herausstelle, dass böse Absichten dabei obgewaltet. Man müsse un- terscheiden zwischen Visionärs oder Narren, und Personen, die bei hellem Ver- stande unerlaubte geheime Handlungen vornehmen 5). 1) Non minus daemonum naturam investigare in theologia naturali conceditur, quam venenorum in physica, aut vitiorum in ethica. Aequius esset, ut scripto- rum in hoc genere pars haud parva, aut vanitatis, aut superstitionis, aut subti- litatis inutilis, arguantur (de augmentis scientiarum Lib. Ш. Cap. 2). 2) Men may not too rashly believe the confessions of witches, nor yet the evi- dence against them. For the witches themselves are imaginative, and believe ofüimes they do that which they do not: and people are credulous in that point, and ready to impute accidents and natural operations to witchcraft (Na- tural History. Cent. X. N. 903). 3) For witcheraft, by the former law it was not death (Judicial charge upon the commission for the verge). 4) Qui vouloyent vivre sans rien faire: Reponse aux Questions d'un Provincial. Ch. 33. Rotterdam. 1704. 8. p. 278. 5) ebendas. Ch. 35. 184 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Je mehr wirkliche Bildung in die mittleren und unteren Stände drang, desto mehr verminderte sich der Aberglaube, und je mehr die Mathematik, Naturlehre, Physik und Chemie allgemeine Gegenstände des Unterrichts wur- den, desto weniger konnten sich die vagen Vorstellungen und luftigen Lehr- meinungen behaupten. Die Aerzte wurden immer positiver, nur sinnliche Zeugnisse zulassend. Ihre Erklärungen der dunklen Vorgänge der Natur entfernten sich stets wei- ter von der Zulassung geheimer Eigenschaften und Kráfte; sie vermieden es so sehr, dämonische Einwirkungen zu Hülfe zu rufen, dass Voltaire!) mit Recht sagen konnte: der Teufel móge sich an die theologische, nicht aber an die medicinische Facultät wenden. À Auf den Universitäten fingen die Lehrer der Medicin an, mit Eifer die Fesseln derartiger Vorurtheile abzustreifen, und selbst an Orten, wo ringsum = noch das Dunkel des Aberglaubens herrschte, erhoben Aerzte die Fackel des Lichts und der Wahrheit. Selbst zu Bojanova in Polen that dies im Jahre 1726 ein Arzt Namens G. E. Негшапп?), um Hexereien als Betrügereien, gebannte Krankheiten als Folgen ganz natürlicher Ursachen nachzuweisen. 1) Je conseille au diable de s'addresser toujours aux facultés de Theologie et jamais aux facultés de Medecine. Die nächste Veranlassung zu diesem Aus- spruch soll die Erwähnung der Vergiftungsgeschichte durch Kohlendampf zu Jena im Jahre 1715 gewesen seyn, wo verschiedene theologische Facultäten den Teufel, Friedrich Hoffmann zwar allerdings den Schwarzen, aber den Koh- lendampf, annahm. M. vergl.: Wahre Eröffnung der Jenaischen Christnachts- Tragödie. Jena 1716. 4. und meine Geschichtliche Darstellung der Gifllehre. Abth. 1. S. 117. | In Bezug auf die Demoniaques äussert Voltaire (Dictionnaire philosophique. Art. D.): Les vaporeux, les épileptiques, les femmes travaillées de l'utérus pas- serent toujours pour étre les victimes des esprits malins, des démons malfesans. 2) Von einem Affectu Spasmodico - Convulsivo a vermibus, so man fälschlich einer Bezauberung zugeschrieben in der (Breslauer) Sammlung von Natur- und Medi- cin-Geschichten. Leipzig. 1729. 4. Versuch 37. Art. 16. S. 127. Der Anfang vor der lateinisch geschriebenen Mittheilung lautet: „Herkom- manus und Superstitio sind ein par böse Eltern, welche zwar blinde, aber rach- * D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 185 Leicht war es noch nicht über Ansichten sich hinweg zu setzen, oder sie gar zu widerlegen, welche bei der Mehrzahl der Lebenden wie Glaubens- artikel galten, weswegen selbst aufgeklärte Repräsentanten der Heilkunst mit Vorsicht zu Werke gingen. Von diesem Gesichtspunkt ist die Abhandlung von Friedrich Hoff- mann [+ 1742] von der Macht des Teufels auf die Körper !), welche von Späteren unverdienten Tadel erfuhr 2), aufzufassen. Der Teufel, sagt er, die Anlage und Verführung zum Bösen 5), übe seinen Einfluss hauptsächlich auf die Phantasie *); die Gesetze der Natur ver- gierige Kinder zu gebähren pflegen. Diese unarlige Familie hat unter andern auch eine ansehnliche Residentz in der Physica und Medieina, und z.E. die so genannten morbi ex fascino s. magici geben ein genugsames Zeugniss, wie man nicht sowohl ex accurata rei et veritatis observatione, als vielmehr ex praejudicio nicht vorsichtlich zu raisonniren, sondern einen blinden Schluss zu machen, und hiernach sowohl gegen die vermeynten agentia und causas, als gegen die contradicenten rachgierig und ungerecht zu verfahren, aber auch , solch procedere mit dem Mantel eines Christlichen und Gott wohlgefälligen Ei- fers zu bekleiden und ansehnlich zu machen gewohnt ist. Es thun demnach diejenigen sehr billig, die dieses schädliche Wesen zu destruiren, und die Wahr- heit durch Entdeckung und Vorstellung natürlicher Ursachen zu legitimiren und an den Tag zu legen bemühet sind.“ ; 1) De Diaboli potentia in corpora, per physicas rationes demonstrata (dissertatio physico - medica curiosa): Opera ed. Genevae. 1740. fol. T. V. p. 94 ff. 2) So z. B. von Sauvages (а. а. О. T. З. P. 1. p. 396): Minime assentimur Fri- derico Hoffmanno, aliisque Medicis Germanicis, qui uno ore cum plebe Gallica contendunt, magos et sagas hodie dari, qui vere diabolo Obsessi et possessi el ab illo instigati patrant mirabilia. | 3) а.а. 0. $. 12: Si quis eo perversae temeritatis proruat, ut neget diabolum: non poterit melius convinci, quam ut in se ipso, et impiorum hominum propensioni- bus atque aclionibus, ipsum quaerat ac demonstret. Quis enim negabit, in uno- quoque hominum non quandoque nasci pravas, voluntatique divinae adversas inclinationes, cogitationes et ad peccandum stimulos? 4) Ebend. $. 9: Diabolum variis ideis objectis in phantasiam agere, nec dubitamus, quin saepenumero sagis ac mancipiis suis varias species intelligibiles, variasque Phys. Classe. VIII. Aa D 186 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, móge er nicht umzukehren; er kónne so wenig die Gesetze der Schwere aufheben und den menschlichen Kórper in die Luft führen, als eine Lebens- form in eine, andere umwandeln !). Die Aussagen der Hexen rührten von träumerischen, krankhaften Vorstellungen her?). Diese bildeten sich vorzugs- weise bei dickem Blut, schwerer Kost, in rauhem Klima, und man nenne des- wegen mit Recht die Melancholie das Bad des Teufels 5). Seine Werke wür- den immer schwächer, und es sey zu hoffen, dass sie durch die Verbreitung des Lichts der Wahrheit, der Wissenschaft und Künste ganz aufhöre *). Wer schon diesem hochverdienten Hallischen Lehrer, trotz seiner un- partheiischen Prüfung, eine zu grosse Nachsicht gegen die wahnbefangenen Meinungen seiner Zeitgenossen vorwirft, dem wird es fast unbegreiflich vor- kommen, wie der ausgezeichnete Wiener Praktiker de Haen dem Auctoritäts- glauben einen Theil seines Ruhmes dadurch opfern) konnte, dass er die Aussprüche der Kirchenväter für unfehlbar und für entscheidender als seine eigenen, unmittelbaren Beobachtungen erachtete. Allein er meinte, seine Aus- einandersetzung dem Wohle der Kirche und des Staats schuldig zu seyn). res ad speciem veri confictas, repraesentare queat: verum aliud est veritas, aliud fictio. 1) Ebend. $. 5. 2) Ebend. $. 18: Pleraeque operationes diaboli in sagis sunt merae illusiones phantasticae, quales sunt earum translationes ad conventicula, ecstases, appari- tiones, mutationes in varii generis bruta, et similia. 3) Ebend. $. 19. 4) Ebend. $. 27: Neque dubitamus, fore, ut in posterum ejus potentia ludibriaque magis magisque evanescant. Clarior enim lux veritatis ubique in animis homi- num coepit exsplendescere, florent artes et scientiae, rationis cultura ubique accuratissime suscipitur. 5) M. vergl. besonders über Antonii de Haen de Magia liber. Lipsiae. 1775. 8. das Urtheil des Arztes J. P. Eberhard in seinen Abhandl vom physikalischen Aberglauben und der Magie. Halle. 1778. S.67. 6) Ratio medendi T. XV. Cap. IV. $.1. Viennae. 1773. p. 128. D D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÀMONISCHEN KRANKH. 187 Im allgemeinen Krankenhause hatte er allerdings Fälle beobachtet, wo er den Betrug erkannte und durch tüchtige kalte Begiessungen den Teufel austrieb 1); jedoch so sehr er überzeugt war, dass das Besessenseyn wie das Hexenwesen häufig ohne Grund vorgegeben werde, so hält er es nicht für recht, sie völlig zu läugnen. Wie wenig er übrigens geneigt war, dieser sei- ner Ansicht äussere Geltung zu verschaffen, geht daraus hervor, dass er, zu- gleich mit van Swieten, zur Begutachtung dreier zum Scheiterhaufen verur- theilter Hexen aufgefordert, diese für völlig unschuldig erklärte 2). Wäre diese Schrift 100 Jahre früher erschienen, man würde sie wegen ihrer Gelehrsamkeit angestaunt und wie einen Kanon verehrt haben. Dass sie aber keinen andern Eindruck hervorbrachte, als den des Mitleids mit dem erfahrungsreichen Verfasser, das war ein unverkennbares Zeichen, dass die Ansichten über dämonische Wirkungen, wenigstens im Kreise der Aerzte, . sich durchaus geändert hatten. Die Welt jedoch ist gross und es giebt immer Winkel, wohin der neu- erwachte Geist der Zeit erst spät dringt. Noch im Jahre 1782 wurde zu Glarus ein Dienstmädchen enthauptet, weil sie das Kind ihrer Herrschaft bezaubert haben sollte5); in Albanien wurde 1799 ein 19jähriges Mädchen nur durch das Dazwischentreten Oest- reichischer Soldaten vom Holzstoss gerettet *), und noch im Jahre 1800 wurde in Schoitland *eine alte Frau als Hexe verklagt 5). Alte Vorurtheile haben eine fast untilgbare Lebenskraft; für erstorben gehalten treiben sie, sobald günstige Umstände eintreten, wie die Saamenkör- ner aus den Mumien, ihre aus der Vorwelt überkommene Urkeime. Auch з 1) Ebend. Т. V. Cap. IV. $. 6. V. 1763. p. 137. Vergl. T. ХУ. р. 148. 2) Nos ambo de Magia existente convicti, has feminas hoc crimine immunes esse judicavimus; easdem proinde ut innocentes et munificentiae regiae suae partici- pes, suis aedibus familiisque Augusta restituit (de Magia. Praef. p. XXV). 3) H. L. Lehmann Briefe den Hexenhandel zu Glarus betreffend. Zürich. 1783. 4) F. B. Osiander Entwicklungskrankheiten. Th. 1. 5. 37. 5) Walter Scott Letters on Demonology and Witcheraft. pos 9. az 188 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, liegen sie ununterbrochen auf der Lauer und brechen, wenn unbewacht, in ihrer wüsten Macht hervor. | Es gelingt ihnen mit dadurch, weil viele Menschen aus einer Art Pietät und Furcht sie in Schutz nehmen, wenigstens sich nicht dagegen wehren. Auch finden sie nicht selten Anhaltspunkte an Modetendenzen. So lieferte eine gewisse Rechtfertigung und Glorification der abstrusesten mystischen und magischen Behauptungen die Lehre vom thierischen Magnetismus. Das Geisierreich wurde als eröffnet verkündet, und da man das Nerven- system zur Erklärung herbeizog, so schien der Beweis für die wunderähnli- chen Vorgünge physiologisch geliefert. Wurde ja selbst von juristischer ! ) Seite behauptet, dass die Bezauberung nicht bestritten werden könne, weil der Magnetiseur Andere zum Nachhandeln zu zwingen vermóge, und sogar Thiere in die Ferne hin betäubend einwirken könnten. Wer kein Bedenken trägt, dem gesunden Menschenverstand Trotz zu bieten, besinnt sich, dem Spott sich auszuseizen. Die Furcht, ausgelacht zu werden, wirkt oft mehr als das strengste Gericht. Und so haben Witz und Satyre?), oder was dasselbe ist, die einfache Erzählung 5) der Thatsachen, treulich geholfen, das hóllische Feuer zu dämpfen. 1) J. H. C. Dau (Ueber den Titel des Justinianischen Gesetzbuches von der Zau- berey. Kiel. 1520. 8.): „Wie man von Thieren, z. B. von der Klapperschlange annimmt, dass sie im Stande seyen in die Ferne hin auf Andere betäubend einzuwirken und sich ihrer zu bemächligen, und wie geglaubt wird, dass der Wille des Magnetismus auf Andere zum Nachhandeln sich zu erstrecken ver- möge, so kann die Möglichkeit der Ausübung einer Bezauberung nicht bestritten werden.“ 2) Aus Adelungs Geschichte der menschlichen Narrheit. Leipzig. 1785. gehören hierher: der Geisterseher Johann Beaumont (Th. 2. S. 1); die Teufelsbanner Johann Elias Cornäus (Th. 3. S. 29), Nicolaus Blume (Th. 4. S. 48), und Mich. Theodosius Seldt (Th. 6. S. 1); die Clavicula Salomonis (ebend. S. 332); Doctor Fausts Hóllenzwang (Th. 7. S. 369). 3) Die aberglàubischen Vorstellungen von bösen Geistern, Wehrwölfen, Zaube- rern u.s.w. suchte lächerlich zu machen der Abbé Bordelon in seiner Phi- D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 189 Der Scherz über die dämohischen Gewalten und der Ernst der physika- lischen Studien setzten die Hirngespinste so sehr ausser Werth, dass mit ib- rer Cultur nicht mehr. viel Geld und Ehre zu gewinnen war. Es wurde so wenig mehr davon geredet, dass ihre Literatur sogar aus dem Kreise der Inauguraldissertationen verschwand. Die Aufmerksamkeit und der Forschungs- sinn haite sich den reellen Dingen zugewandt. Als man noch keine Kenntniss der pathologischen Anatomie besass, wurde jeder plötzliche Todesfall von einer Vergiftung abgeleitet, und solange man keine wissenschaftliche Aetiologie hatte, liess man die schweren Krank- heiten durch den Einfluss böser Geister entstehen. Wurden Kinder in ihrem Aussehen auffallend umgeändert, wie bei Atro- phie und Rhachitis, so meinte man, der Teufel hätte sie umgetauscht, und man nannte sie Wechselbálge. Eine geläuterte Pathologie liess Alles sehr natürlich zugehen. Sowie man erst wusste, dass der Alp von bösartig er- zeugter Luft herrühre, war die erschreckte und geängstigte Welt davon be- freit. Nur an Orten, wo die Bildung noch nicht in die Massen gedrungen, wird beim Ausbruch einer grossen Krankheit eine dämonische Ursache be- schuldigt 1). Der eigentliche Damm jedoch, welcher den nie ruhenden Wogen des medicinischen Aberglaubens und den Versuchungen der dämonischen Krank- heiten entgegengesetzt wurde, das war die festere Begründung der Staaisarz- neikunde und Psychiatrik. Solange man bei zweifelhaften psychischen Stórungen keinen Arzt zuzog, und solange es noch in das subjective Gutbefinden des Richters verstellt blieb, ob er es thun wolle, oder nicht, solange waren die angeschuldigten Besessenen und Hexen der willkührlichsten Beurtheilung Preis gegeben. Erst stoire des Imaginations extravagantes de Monsieur Oufle. Amsterdam. 1710. 2 Tomes. 8. 1) M. vergl. meine Schrift: die Erkenntniss, Verhütung und Heilung der anstecken- den Cholera. Carlsruhe. 1831. S. 167. 190 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, als die gutachtliche Aeusserung der Sachverständigen zum Gesetz erhoben, der Zustand jener Exaltirten nicht für das Werk des Teufels, sondern für die Wirkung der Krankheit anerkannt und die Zurechnungsfähigkeit wissen- schaftlich erwogen wurde, begann für diese Unglücklichen eine bessere Periode. Man könnte vielleicht sagen: es sey kein Unglück gewesen, die älteren Aerzte mit der Untersuchung der dämonisch Kranken nicht schon früher be- auftragt zu haben, weil sie selbst von dem herrschenden Wahne befangen waren; allein abgesehen davon, dass auch erleuchtete Männer sich unter ihnen befanden, würde die Mehrzahl aus Menschlichkeit, Pflichtgefühl und Interesse für ihre Kunst die physischen Veranlassungen herausgefunden und muthig ver- treten haben. Erwies sich ja selbst das Zuziehen einer Hebamme wohlthä- tig!). Auffallend bleibt es allerdings, wie selbst die ausgezeichnetsten älteren Schriftsteller über gerichtliche Medicin die Dinge, welche auf die Magie sich bezogen, auf blosses Hórensagen hin, ohne Kritik besprachen. So hält es Fortunatus Fidelis (+ 1630] für rathsam, der Arznei- mittel bei der Cur der Besessenen sich zu enthalten, weil man nur übler Nachrede sich aussetze ?). Die bósen Geister kónnten jede Art von Krank- heit veranlassen 5). Paul Zacchias [+ 1659] bemerkt, dass eine Besessene nicht heirathen dürfe ^). M. B. Valentini [+ 1729] theilt aus dem Jahre 1666 ein Gutachten der theologischen Facultät zu Rinteln mit, woraus her- vorgeht 5), dass ganz zweifellos der Teufel die Hexen zu seinen Versamm- lungsplätzen führen könne. In Zittmann' s Sammlung von Gutachten der Leipziger medicinischen 1) So wurde eine angebliche Hexe im Jahr 1666 nicht aufgezogen, weil die be- eidigte Hebamme bei ihr zwei Leibschäden befunden: Gayler historische Denk- würdigkeiten. Reutlingen. 1845. S. 163. 2) de Relationibus medicorum. L. Il. c. 5. Lipsiae. 1674. S. p. 220: multorum calumniis nos ipsos praebemus obnoxios. 3) ebend.: nullum esse aegritudinis genus, quod ab daemonibus induci non possit. 4) Quaestiones medico legales. Lib. X. Decis. L. V. Rot. Rom. Lugduni. 1661. fol. T. 2. p. 448. : 5) Appendix ad Part. I. Pandectarum medico -legalium de variis Sagas concer- nentibus. Im Corpus juris medico-legale. Francof. 1722. fol. p. 286. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 191 Facultát !) wird die Frage ventilirt: ob die Kinder, welche vor dem dritten Jahr sterben, durch Bezauberung zu Grunde gehen!). Ueber eine alte Frau, bei der man unschlüssig war, ob sie für eine Buhlschwester des Teufels oder für melancholisch zu halten, lautete der Bescheid, dass sie an krankhafter Einbildungskraft leide 5). Eine Impotenz wurde zwar für heilbar, abersden- noch für die Folge von Bezauberung *) gehalten. Bei den Krämpfen eines Knaben sah die Facultät nicht eine physische, sondern eine übernatürliche Ursache 5). Michael Alberti glaubt an Wechselbälge®). Веі Beurtheilung von Zauberei und Hexerei solle man nicht aberglàubisch, aber auch nicht freigei- .stig verfahren). Besessenheit werde oft simulirt 8). Ein Abscess wird ei- ner magischen Kraft zugeschrieben ?). Nachdem ein Scharfrichter eine Weibs- person bei der Tortur so fest geschnürt hatte, dass sie am Brand starb, er- hob sich Zweifel, ob der Tod dadurch oder bloss zufällig erfolgt sey! ). Ein Wendepunkt zum dauernd Besseren irat erst um die Mitte des 18. 1) Medicina Forensis. Franckfurt. 1706. 4. 2) Ebend. Cent. П. Cas. 4. S. 364: Incantatio non semper habet locum; auch Krankheit kónne die Ursache seyn. 3) Ebend. Cas. 22. S. 413 Melancholia habita pro Empusa vel Diabolica. Ihrer Aussage nach hatte sie partus diabolici; allein Mich. Ettmüller (ebend. S. 415) erklärte diese für scybala indurata. 4) Ebend. Cent. Ш. Cas. 31. S. 676. а quadam incantatione herrührend. Vergl. Cas. 33. 6.679. 5) Ebend. Cent. VI. Cas. 46. S.1555: „eine causa supernaturalis oder dem bösen Feinde herkommend.“ 6) Systema Jurisprudentiae medicae. T. 1. Halae. 1736. 4. p. 121: Si verum est, quod dentur Vagiones sive Campsores aut Cambiones, iunc ejusmodi liberos supposititios pro glaucomate a diabolo habeo, qualia glaucomata an diabolus | formare possit, minime dubito. 7) Ebend. p. 229. ; 8) Ebend. p. 213. 9) Abscessus ex fascino ebend. p. 235. 10) T. V. Cas. 30. p. 711. 192 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX- Jahrhunderts ein, und verdient besonders der ältere JL Z. Platüer einer ehrenvollen Erwähnung, indem er nachwies, dass nur die Aerzte im Stande seyen über den zweifelhaften Gemüthszustand zu entscheiden!). ^ Zum richti- gen Fühlen und Denken gehóre?) eine gesunde Beschaffenheit der Nerven, des Bluts und der Unterleibsorgane. Hätten die Rechtsgelehrten' Aerzte zu Rathe gezogen, sie würden nicht so grausam gegen die sogenannten Hexen verfahren seyn 5). Eine sehr erregte A veranlasse Vorstellun- gen, die für Wirklichkeit *) gehalten würden. Nach J. D. Metzger?) grünze der Zustand des köankbäfien Gemeinge- fühls, des Traums, der Einbildungskraft, der Sehwürmerei an wirklichen Wahn- sinn. Ob die Hysterischen und Besessenen auch dahin zu rechnen seyen, - und ob einem der Wahnsinn vorsetzlich beigebracht werden kónne, wagt er weder zu bejahen, noch zu verneinen. Nur vom Arzte könnten "diese Zus stände richtig begriffen und unterschieden werden. Die Ansicht, dass das weibliche Geschlecht während der бетен der Genitalsphäre, von nervösen, hysterischen Zufällen befallen werde, welche den Verdacht dämonischer Einwirkungen erregen, vertrat vorzugsweise Е. В. Osiander®). | e" EL #57 1) Prolusio qua Medicos de Insanis et Furiosis audiendos esse, ostendit. 3108188 1780 im Т. II. seiner Opuscula. ebend. 1798. 4. Si insania, sagt er p. 164, morbus est, non animae, sed ipsius corporis, plerumque etiam ex alia corporis valetudine natus, quis quaeso alius de hoc morbo, num is verus sit, num simu- latus, statuere poterit, quam Medicus. 2) Ebend. p. 154. t NC 3) Si medicorum monitis obtemperassent, non P oy miseros ` paupéreulus" inprimis anus, veneficii damnatas, sagarum nomine, ad ner e et ERROR supplicia dedissent (ebend. p. 165). 4) persuasio, rem, quam homo percipere sibi videtur, etiam existere ева р. 151). 5) Ueber Geistesverirrungen in seinen gerichtlich – - medieinischen Abhandlungen. Königsberg. 1803. 8. S.95 und 97. 6) Entwicklungskrankheiten in den Blüthejahren des weiblichen "Geschlechts. Tü- bingen. 1820. Th. 1. S. 34: „Was das Volk und die Geistlichkeit nicht verstan- den, noch begriffen, erklärten sie für Wirkungen des Satans. u "M. vergl. auch Th. 2. S. 64. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH. 185 Von dieser Zeit an wurden die bösen Geister so sehr als überwunden angesehen, dass das Kapitel von Besessenseyn und Behexung in den Hand- und Lehrbüchern der gerichtlichen Medicin fast gar nicht mehr vorkómmt und auch nicht vermisst wurde. Als Seltenheit findet sich darüber hie und da ein Journalaufsatz 1). Seitdem die Medicinalpolizei als selbständige Doctrin aufgetreten, liess sie es sich allen Ernstes angelegen seyn, die Quellen des Aberglaubens in Betreff der Hexerei und Zauberei aufzusuchen, ihre ersten Bedingungen zu verhüten, und ihre Anfänge im Keime zu ersticken. Sie zeigte die Nothwen- digkeit einer allgemeinen Aufklärung durch geläuterten Schulunterricht, Ver- breitung guter Volksschriften über medicinische Gegenstände, namentlich auch über die eigentliche Entstehung der Thierkrankheiten. J. P. Frank hat das grosse Verdienst, in dieser Hinsicht vor Allen?) die Hauptpunkte herausge- funden und bezeichnet zu haben 3), durchdrungen von der Wahrheit , dass Gebote und Verbote ungenügende Nothbehelfe sind, dagegen Belehrungen und Ueberzeugungen zuverlässige Hülfs- und Sicherheitsmittel. Unter den medicinischen Volksschriftstellern nimmt J. A. Unzer mit die erste Stelle ein. Seine Tendenz war Entwicklung der einfachen, natürlichen Verhältnisse *). 1) So z. B. Н. Vezin Ueber eine wührend der Untersuchung eingetretene perio- dische Dämonomanie in Henke's Zeitschr. für die Staalsarzneikunde. B. 27. . Erlangen. 1834. S. 330 ff. | Speyer Ein Fall von Dämonomanie. Ebend. Bd. 33. 1837. S. 434. 2) Strupp (Struppius, fülschlich Strüppe), welcher zuerst in einer eigenen Schrifi die Gegenstände der Medicinalpolizei abhandelte (Nützliche Reformation zu guter Gesundheit und christlicher Ordnung. Francof. 1573. 4.), weiss weiter nichts zu sagen (S.27), als vor Schwarzkünstlern und Zauberern zu warnen, „welche weder auss göttlichen noch natürlichen gründen und ursachen, ihre schedliche werck verrichten, sondern durch böse künste und hülffe der bösen Geister.“ 3) System einer vollst. med. Polizey. Mannheim. 1788. B. 4. Abth. 2. Abschn. 3. S. 520 — 645: Von Verletzungen durch Voruriheile der Zauberei, Teufeleyen und Wunderkuren. 4) z.B. über Besessenseyn: Der Arzt. Eine medieinische Wochenschrift. Ham- burg. 1769. Bd. 8. St. 87. S. 467.. Phys. Classe. VIII. Bb 186 KARL FRIEDRICH HEINRICH MARX, Trotz aller vorgebrachten Gründe ist übrigens die Lectüre von Mähr- chen, Legenden, Wundergeschichten noch äusserst beliebt, und sie muss erst noch durch Darstellung interessanter Thatsachen und gewinnende Mittheilung von positivem Wissen verdrängt werden. Die Neigung dazu liegt tief in der menschlichen Natur; sie verknüpft die Stufen der hóheren Civilisation mit den Anfüngen des geistigen Erwachens und seines Hervortretens aus dem Zustande der halbbewussten Rohheit und Wildheit. Deswegen bietet sie auch dem angebornen poetischen Drang so viele Nahrung, und darum sind auch vorzüglich dichterische Naturen so leicht versucht, in das form- und vernunftlose Treiben dunkler Jahrhunderte zurück- zugreifen. In diese Reihe sind so viele seltsame Ausgeburten der Gegen- wart, wie die Seherin von Prevorst und Aehnliches, zu rechnen. Auch die jetzt überhand nehmende Wuth, die wirklichen oder vermeintlichen Sagen und Legenden der Völker in Unmasse zu sammeln und sie der Jugend und dem Volke zur Unterhaltung oder gar Belehrung anzubieten, gehört dahin. Dagegen kann nur Erstarkung und Erhellung des Geistes durch ganz andere Kost Hülfe bringen. Viel ist dadurch erreicht, dass Aerzte, Lehrer, Geistliche!) gemeinschaft- lich dahin trachten, den Versuchungen des Aberglaubens durch den wach er- haltenen Forschungsgeist und die Bemühungen um das Herausfinden der Natur- gesetze Widerstand zu leisten. Durch ihr treues Zusammenwirken gelang es, eine Hauptquelle des ver- breitetsten Zauberwahns, nemlich die Annahme behexter Thiere, zu verstopfen. Krankheiten der Hausthiere, zumal plötzlich eingetretene, wie Lähmung, Kinn- backenkrampf, Windsucht, Blutharnen u.s.w. wurden bis dahin fast allgemein als angethane, Folgen menschlicher — betrachtet und von beskimnt be- Interessant sind die Mitbéilungen- von Osiander, dem Roger diber soge- nannte Geistererscheinung und Geisterseherei aus eigener Dd im Han- noverschen Magazin. 1809. St. 15. 16. 17. 18. 1) M. vergl. Reinhard System der christlichen "— Aufl. 2. Wiuenberg. 1815. B. 1. S. 430. Ammon Handb. der christlichen Sittenlehre. Aufl. 2. en 1838. B. 2. S. 48. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMONISCHEN KRANKH, 187 zeichneten Personen abgeleitet. Die Cultur und Ausdehnung der wissenschaft- lichen Thierheilkunde!) hat darüber ganz andere Ansichten beigebracht. Völlig ausgerotlet sind jedoch jene Vorstellungen sowenig als die in Betreff der Gei- sterbeschwörung ?) und Schatzgräberei. Die tiefwurzelnden Volksvorurtheile accommodiren sich allen Zeiten, und indem sie unter den verschiedenartigsten Formen auftreten, berücken und täuschen sie, wenn nicht unausgesetzt beaufsichtigt, in einem kaum denkbaren Grade und Umfange die Schwachgläubigen. | Ein mächtiger Schutz wurde der bedrängten Welt dadurch, dass die Lehre von den Gemüthskrankheiten, die Psychiatrie, eine Selbständigkeit er- langte und in allen gebildeten Ländern theoretisch wie praktisch so rasch zur Geltung kam, dass sie einen Wettkampf der humansten Bestrebungen ver- 1) Da die wissenschaftliche Veterinärheilkunst erst zu einer Zeit erstand, wo be- reits der krasseste Volks - Aberglauben schon bekämpft war, so hatte sie im Ganzen wenig mehr damit zu kämpfen. €. Е. Paullini, Poeta laureatus und Comes palatinus [+ 1712], gab im 20. Kapitel seiner Heilsamen Dreck-Apotheke. Frankfurt. 1699 „Von bezauberten $асһеп® S. 406 Mittel an gegen das, was zu thun, wenn den Kühen die Milch gestohlen ist, was nicht sehr poetisch klingt. Wie vernünftig dagegen ein Thierarzt als sogenannter Schwarzkünstler ver- fuhr, zeigt Kersting: Unterricht Pferde zu beschlagen. Göttingen. 1777. S. 351. СПЕ. Weber bemerkt: „Die sonst sogenannte Feivel nennen wir jetzt Kolik und suchen deren Ursache nicht mehr hinter den Ohren, sondern im Unterleibe (in Knobloch ‚Sammlung der vorzüglichsten Schriften aus der. Thierarzney. Prag. 1785. B. 1. S. 399). Tenmecker erzählt, wie er ein lahmes Pferd, das durch Zaubersprüche cu- rt. werden sollte; dadurch schnell herstellte, dass er einen Nagel, der im rech- ten Vorderfuss steckte, auszog (Erinnerungen aus meinem Leben. Altona. 1838. B. 1. S. 220). 2) Bisch off Die Geisterbeschwörer im 19. Jahrhundert, oder die Folgen des Glaubens an Magie aus Untersuchungs-Akten dargestellt. Neustadt (ohne Jah- reszahl 8. S. 245. Bb2 188 KARL FRIEDRICH HEINRICH MAR X, anlassen und den in ihren geistigen Facultäten Leidenden- eine. vorsorgliche Zufluchtsstátte gewähren konnte. „аз unbegründete Vorgeben sowie die übereilte Annahme einer Besessen- heit oder einer Behexung waren, wenn nicht unmöglich, doch so beengt wor- den, dass falsche Schlussfolgerungen daraus sowohl von Seiten der Wissen- schaft wie der öffentlichen Stimme nicht mehr geduldet wurden. ` Man schämte sich, von einer sichtbaren Einwirkung, von körperlichen Berührungen böser Geister oder ihres Bündnisses mit Menschen zu reden; im Ernste erwähnte man der Hexen nicht mehr, und Besessene betrachtete man als Geisteskranke. Die Dämonomanie wurde als eine besondere Art des Wahnsinns abge- handelt, veranlasst durch Unwissenheit, Aengstlichkeit, Ueberspannung, beson- ders bei religiósen Secten in der ersten Zeit ihrer Bildung oder. bei Einwir- kung ungewöhnlicher Ereignisse. Je mehr wahre Bildung, desto seltener ihr Vorkommen 1). Glaubt Jemand durch eine fremde Macht zu bósen Reden und Handlun- gen gelrieben zu werden, so ergiebt die nähere Untersuchung; dass derselbe nicht blos an der fixen Vorstellung leidet, welche aus einer Агшщһ der Er- kenntniss, einem Zwiespalt zwischen Vorhaben und Vollführung hervorgegangen, sondern an einer körperlichen Störung, einer zu reichliehen Entwicklung: von Gasarlen im Darmkanal, Angstgefühlen, Krämpfen, Unthätigkeit ‚des Hautor- gans?) u.s. w., wogegen ein umsichtiges иы Verfahren eingeleitet werden muss. Dadurch dass man die Dämonomanie - wie eine jede andere. ksenkheit 1) Cette maladie est devenue plus rare depuis que les idées. religieuses ont perdu de leur influence, et une éducation meilleure et une instruction plus générale ont éclairé plus uniformément toutes les classes de la société (Esquirol im Dic- tionnaire des sciences médicales. Paris. 1814. T. 8. p. 314). 2) J. F. H. Albers Zur Besessenheit in der neueren Zeit im Archiv der physiol. Heilk Jahrg. 13. 1854. S. 224 ff. Kieser Melancholia daemoniaca occulta in der Mem. 2 Zeitschr. für Psychia- trie. Berlin. 1853. Bd. 10. s. 423. D. VERDIENSTE D. ÄRZTE UM D. VERSCHW, D. DÄMONISCHEN KRANKH. 189 ansah und behandelte, wurde sie ein rein ärztlicher Gegenstand. Ihre Sel- {епһе gegen sonst liefert den schlagendsten Beweis, dass die Bedingungen ihrer Erzeugung sich gemindert, weil die Geisteskrankheiten im Allgemeinen sich gemehrt haben. Wie die Aerzte in dieser Beziehung schärfer zu sehen und zu prüfen gelernt haben!), so auch durch sie die Mehrheit der Gebildeten. Ereignet es sich, dass Besessenheit vorgegeben wird, so sind es nur Wenige, die sich täuschen lassen, und auch diese nicht lange. ! Da gelehrte und klar denkende Theologen lüngst nachgewiesen haben ?), dass die Teufelslehre mit dem Christenthum nichts gemein hat, so steht zu hoffen, dass auch von dieser Seite nicht mehr versucht werden wird, jene einzuschwärzen und das an sich schon schwer heimgesuchte menschliche Da- seyn auch noch mit den Phantomen böser Geister zu beunruhigen. Indem die Medicin das subjective Meinen nicht mehr zulässt und streng zwischen gemüthlichen Träumern und naturwissenschaftlich gebildeten Heil- künstlern unterscheidet, hat sie es dahin gebracht, dass in ihrem Bereiche die officielle Anerkennung des Teufels aufgehórt, das Bejahen seines Einflusses allüberall. in. ein Verneinen sich umgewandelt hat, und dass man es kaum mehr der Mühe werth hält, darüber Worte zu verlieren. Móge die von den Dämonen errettete Welt nicht vergessen, dass sie für die durch ihre: Annahme verübten Gräuel viel gut zu machen hat), dass die dias 1) Róser vom sogenannten Besessenseyn. Im med. Correspondenz-Blatt des Würtemb. ärztl. Vereins. 1839. N. 50. Bd. 9. S. 394. 2)" Niemals hat Jesus, niemals hat ein Apostel den Glauben an das wirkliche Da- seyn der Teufel und an die Wirkungen derselben gefordert, und noch weniger ist jemals dieser Glaube und alles, was von Dämonen und ihren Wirkungen im Neuen Testamente vorkommt, für ein Stück der christlichen Religions- und Glau- benslehre erklär (Eckermann Най. der Christlichen Glaubenslehre. Al- tona. 1802. Bd. 3. S. 130). 3) Die christliche Welt bedarf der Sühnung, Зепп die Bekenner der Religion des Brahma und des Islam haben den angeblichen Verkehr mit bósen Geistern nicht bestraft; "Aus den Vorstellungen der östlichen Religionen, namentlich aus Per- sien (vergl. Schwenck die Mythologie der Perser. Frankfurt. 1850. Die Dews 190 K.F.H.MARX, D. VERD. D. ÄRZTE UM D. VERSCHW. D. DÄMON. KRANKH. Бігейег gegen jene moralische Pest, die Repräsentanten dreier Facultäten, Weyer, Spee und Thomasius, Deutsche waren, und dass es vornehmlich die ‚Aerzte waren, welche, wie die Pionire der Wildniss in den finstern und bar- barischen Zeiten, die Pfade der Gesittung und Humanität ebneten, und dass sie auch besonders berufen sind, über das Errungene Wache zu halten und bei jeder Gefährdung desselben, jedem Nothruf, bereitwillig wieder in die Schranken zu treten. S. 105 ff), war der Glaube an Dämonen nach Palästina gekommen (Ewald Geschichte Christus’ und seiner Zeit. Göttingen. 1857. 2. Ausg. S. 22] und dessen Jahrbücher der Biblischen Wissenschaft. ebend. 1855. Jhrb. 7. S. 56) . Das Schauspiel der Besessenheit wurde durch Schamanen und Dervische aufge- führt; aber es findet sich weder bei den Indern noch Muhamedanern eine Spur von Verfolgung oder Bestrafung der саса wu dn 2 =: ER | ABHANDLUNGEN DER MATHEMATISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN . ZU GÖTTINGEN. ACHTER BAND. Mathem. Classe. VIII. A "ET pec sv Lon. ai Untersuchungen über ein Problem der Hydrodynamik. Von G. Lejeune Dirichlet. Aus dessen Nachlass hergestellt von R. Dedekind. Vorwort. Шы die Vollendung und Herausgabe dieser Abhandlung, welche nach dem letzten Willen des Verfassers mir übertragen worden ist, sind einige Bemer- kungen vorauszuschicken. Das hier behandelte hydrodynamische Problem, dessen Lósung aus dem Winter 1856 — 57 stammt, wurde in kurzen Zügen zuerst am Schlusse der Vorlesungen über partielle Differentialgleichungen im Juli 1857 vorgetragen, und gleichzeitig wurde das Hauptresultat der ganzen Untersuchung in den Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissen- schaften durch eine kurze Anzeige veröffentlicht. Die vollständige Darstellung verzögerte sich aber, theils durch den Wunsch des Verfassers, den Gegen- stand in seinen Einzelbeiten noch mehr zu durchforschen, theils durch die Beschäftigung mit andern Arbeiten, bis die plötzliche Krankheit und der zu frühe Tod die Vollendung unmöglich machten. Unter den hinterlassenen Pa- pieren, die sich auf diesen Gegenstand beziehen, und die am 21. Juli 1859 in meine Hände gelangten, fand sich zunächst ein so sorgfältig ausgeführtes Manuscript, dass es ohne die geringste Aenderung dem Druck übergeben werden konnte; nur ist es sehr zu beklagen, dass auch in diesem Bruchstück die Einleitung, welche der Erörterung einiger allgemeiner Eigenschaften der hydrodynamischen Grundgleichungen gewidmet war, unvollendet geblieben ist. Ausser diesem Manuscript, welches in der folgenden Anordnung bis gegen den Schluss des $. 3 reicht, fand sich eine grosse Menge einzelner Papiere, А 2 4 VORWORT. mit flüchtig hingeworfenen Formeln ohne Text, deren Bedeutung aber leicht zu erkennen war. Zum grössten Theil waren es Wiederholungen des schon Dargestellten, und nur selten ergab sich aus ihnen ein Anhaltspunct für die weitere Ausführung. Indessen fiel es mit Hülfe dieser Papiere nicht schwer, die sieben Integralzeichnungen erster Ordnung aufzufinden, welche in der vor- läufigen Anzeige der Abhandlung erwähnt sind; sie finden sich in $.9 der folgenden Darstellung. Ausserdem wiesen zahlreiche Stellen auf den in $.8 behandelten Fall hin, wenn auch nirgends sich eine Discussion vorfand; ich habe ihn (in $. 6) mit dem andern in $. 7 untersuchten zu verbinden gesucht, der seiner Einfachheit halber auch in der schon erwähnten vorläufigen Anzeige mitgetheilt ist. Ferner gaben, wie aus den sümmtlich von mir hinzugefügten Anmerkungen zu sehen ist, manche Stellen des erwähnten Manuscriptes Ver- anlassung zur Ausführung mehr mühsamer als schwieriger Rechnungen, die, weil sie für künftige Arbeiten wohl nützlich sein kónnen, ihren Resultaten nach in die Abhandlung aufgenommen sind und so den $.4 bilden. Nachdem ich sie einmal abgeleitet hatte, dienten sie mir bei einigen weitern Unter- suchungen, deren Ergebnisse, so weit sie bis jetzt gelungen sind, ich in dem Schlussparagraphen mittheilen zu dürfen glaubte. Ich verhehle mir nicht, dass trotz aller auf die Arbeit gewendeten Sorgfalt und Liebe, Manches vollstän- diger und besser hätte ausgeführt werden können; - allein ich wollte die Herausgabe nicht noch länger verzögern, um so weniger, da ich vertrauen darf, dass man dieses letzte Werk des grossen Denkers, dem es nicht ver- gönnt war selbst die Meisterhand an die Darstellung zu legen, auch ` in ec unvollkommenen Form würdigen wird. | Zürich, 10. November 1859. воот B. Dedekind. Da der Begründung der allgemeinen Gleichungen, durch welche die Be- wegung flüssiger Körper. bestimmt wird, kann man von zwei verschiedenen Gesichtspunkten ausgehen. Nach der einen Auffassung des Gegenstandes stellt man sich die Aufgabe, für eine beliebige Stelle (a, y, з) und eine beliebige Zeit. £ den Zustand der bewegten Masse, d.h. die Dichtigkeit, den Druck und die drei Componenten der Geschwindigkeit auszumitteln und diese fünf Grössen als Funktionen der vier Veränderlichen 2, y, s, Ё zu bestimmen. Dem eben erwähnten Gesichtspunkt entsprechen die Grundgleichungen der Hydrodynamik, welche man in allen Lehrbüchern findet und welche Euler zuerst aufgestellt hat 1). Diese Eulerschen ; Gleichungen liegen auch einer grossen Abhandlung zu. Grunde, welche Lagrange mehr als zwanzig Jahre spüter in derselben akademischen Sammlung 2) veröffentlicht hat und aus welcher er später mit einigen, Zusätzen den Abschnitt seiner Mécanique analytique gebildet hat, wel- cher der ‚Hydrodynamik, gewidmet ist. Der wichtigste dieser Zusätze beginnt den erwähnten Abschnitt und betrifft eine von der Eulerschen wesentlich verschiedene Behandlung des Gegenstandes; Lagrange geht nàmlich darauf aus, die Bewegung jedes Elementes der Flüssigkeit zu verfolgen, d. h. die Coordinaten: 2; y. 2, den Druck und die Dichtigkeit dieses Elementes durch seine anfänglichen Coordinaten a, b, c und die seit dem Anfang der Bewe- gung verflossene Zeit / zu bestimmen. Merkwürdiger Weise macht jedoch 1) Principes généraux du mouvement des fluides (Histoire de l'Acad. de Berlin Année 1755). 2) Mémoire sur la Théorie du mouvement des fluides — Mémoires de l'Acad. de Berlin; Année 1781). 6 ; б. LEJEUNE DIRICHLE T, Lagrange von den diesem Gesichtspunkt entsprechenden Gleichungen gar keinen Gebrauch; nachdem er nämlich bemerkt hat, dass sie etwas complicirt seyen, formt er seine Gleichungen in die Eulerschen um, und fügt dann hinzu, dass die letzteren wegen ihrer grósseren Einfachheit zur Lósung be- sonderer Aufgaben vorzugsweise geeignet seyen. Ich muss jedoch gestehen, dass mir der Vorzug, welchen Lagrange den Eulerschen Gleichungen vor den seinigen einräumt, durchaus nicht begründet scheint, indem jene eine Eigenthümlichkeit darbieten, von welcher die letzteren frei sind und durch welche die einfachere Form mehr als aufgewogen wird. Die Eigenthümlichkeit, von welcher ich rede und die Lagrange vóllig übersehen zu haben scheint, besteht darin, dass die Coordinaten 2, у, = nicht unabhángige Variabele im eigentlichen Sinne des Wortes sind, da die Aus- dehnung, in welcher sie gelten, die des Raumes ist, welchen die bewegte Masse jeden Augenblick einnimmt, und folglich durch die ganze vorangegangene Bewegung bestimmt wird. Es ist aus diesem Umstande leicht ersichtlich, in welche Schwierigkeiten die Anwendung der Eulerschen Gleichungen auf be- sondere Probleme verwickeln muss, da wir jetzt, wissen, was freilich zur Zeit des Erscheinens der Mécanique analytique noch nicht erkannt war, ein wie wesentliches Element für die Bestimmung von Funktionen mehrerer Ver- ánderlichen, welche durch partielle Differentialgleichungen und. andere der besonderen Frage angehórige Bedingungen definirt werden, der Umfang bildet, welcher diesen Veränderlichen zukommt. Der Vorzug der Eulerschen Form scheint auf den Fall beschränkt, wo die flüssige Masse im Laufe der Bewe- gung dieselbe äussere Gestalt behält, auf welchen Fall | übrigens auch der leicht zurückgeführt wird, wo sich ein fester Körper in einer unendlichen Flüssigkeit bewegt. | ES Dass die erwähnte Eigenthümlichkeit der von Euler gegebenen Glei- chungen Lagrange entgangen ist, hat einige Unrichtigkeiten zur Folge gehabt, von welchen ich die wesentlichste hier erwühnen zu müssen glaube, da sie in alle Lehrbücher übergegangen ist und wissenschaftliche Irrthümer um so schwerer verschwinden, je grösser die Autorität ist, unter deren Schutz sie stehen. Schon Euler halte in der oben citirten Abhandlung. bemerkt, dass seine Grundgleichungen sich sehr vereinfachen und auf eine zurückkommen, UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 7 wenn für die ganze Dauer der Bewegung sowohl die drei Componenten der Geschwindigkeit als die der beschleunigenden Kraft die nach den drei Coor- dinaten genommenen partiellen Differentialquotienten derselben Funktion dieser Coordinaten sind, und diese Bemerkung ist von Lagrange durch den rich- tigen Zusatz vervollständigt worden, dass die eben. ausgesprochene Voraus- setzung immer für die Componenten der Geschwindigkeit von selbst Statt findet, wenn sie nur für den Anfang der Bewegung gilt und überdies die Componenten der Kraft zu jeder Zeit dieselbe Bedingung erfüllen 1). 1) Hier bricht leider das Manuscript vollständig ab, und es war nirgends eine Andeutung über die weitere Ausführung zu finden; doch ist wohl kaum zu "zweifeln, dass die beabsichtigte Berichtigung in Folgendem bestehen sollte. Wenn man diejenige Funktion, deren partielle Derivirte die Componenten der wirkenden Kraft liefern, durch partielle Differentiationen aus den drei ersten der von Lagrange gegebenen Grundgleichungen eliminirt, so erhält man drei Resultate, welche eine unmittelbare Integration in Bezug auf die Zeit gestalten ; bezeichnet man mit X, X, die drei Integrationsconstanten, welche also nur noch von a, b,c abhangen können, so ergeben sich mit Hülfe der vierten Lagrangeschen Gleichung, welche die Incompressibilität der Flüssigkeit aus- drückt, leicht die drei folgenden Gleichungen dz dr dw du d; d dy du dv dz dz dz aac a tai ба actu dta p $e d^ na „in welchen w, v, w die nach den Axen der =, у, = genommenen Componenten der Geschwindigkeit bedeuten. Aus diesen Gleichungen folgt, dass, wenn für ein bestimmtes Element (а, 5, с) der flüssigen Masse die Werthe der drei zur Linken stehenden Differenzen anfänglich verschwinden, dasselbe während der ganzen Dauer der Bewegung für das nümliche Massenelement (a, b, c) gelten wird. Ist daher ursprünglich in einem von flüssiger Masse erfüllten Raume — denn: nur. in einem solchen kommt den Zeichen u, v,w eine wirkliche Be- deutung zu — der Ausdruck ийг + vdy -+ wdz ein vollständiges Differential, so. wird dasselbe auch zu jeder spätern Zeit für denjenigen Raum gelten, wel- cher augenblicklich die nämlichen Elemente der flüssigen Masse enthält. Es haftet daher diese Eigenthümlichkeit der Bewegung nicht sowohl, wie Lagrange zu beweisen glaubte, an dem absoluten Raume, als vielmehr an der Masse. — Die weitere Untersuchung der Bedeutung der drei Integralgleichungen gehört nicht hierher. 8 i G. LEJEUNE DIRICHLET, S. 7-44 Die Grundgleichungen der Hydrodynamik in der Form, welehe Lagrange denselben gegeben hat, sind die folgenden, wenn wir uns auf den Fall der Homogeneität beschränken und die Dichtigkeit der Einheit gleich setzen: re ху) da t m г) 2 + Gs ТА Z) e + 4 mp rds d? dz dn ` 1) ue: X) SS +) E d'a d dp... di? -3 2 de E E de + = z) m" s d2 dy e _, 7а db ode T E In diesen Gleichungen sind a,b,c die anfänglichen, Coordinaten eines beliebigen Elementes, so dass also der unveründerliche Umfang dieses Systemes von drei Variabeln durch die ursprüngliche Gestalt der Flüssigkeit bestimmt wird, 2, у, bezeichnen für die Zeit £ die Coordinaten desselben Elementes, p den Druck, welchen dasselbe erleidet, und X, Y, Z endlich sind die Cou ponenten der auf das Element wirkenden beschleunigenden Kraft... Was die ^ letzte Gleichung betrifft, welche die Incompressibilität der Flüssigkeit-‚ausdrückt,) so hat das Summenzeichen in derselben nach der üblichen Bezeichnung die Bedeutung einer Determinante. Wir werden einen Fall behandeln, in wel- chem die beschleunigende Kraft von der Anziehung der gesammten Masse herrührt und die Elementaranziehung dem Quadrat der Entfernung umgekehrt proportional ist. Bezeichnet daher V zur Zeit / das Potential der Flüssigkeit für den innern Punkt (x,y,z), so dass also V eine Funktion von 2,0,5 und t ist, und bezeichnet ferner ғ die Constante, welche die Anziehung zwischen zwei Masseneinheiten in der Einheit der bene ausdrückt, so ist Durch Substitution dieser Ausdrücke nehmen die drei ersten Gleichungen. fol- gende Gestalt an UNT NGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 9 d’z dr ау dy d?s dz dV г Ры à à dæ dr d'y dy da dz dV d, 2) 3 di? db üP db de db дт 0 2 2 dz? de D De adore | d? dc ' di? de ' dt? dc Unsere Untersuchung ist auf die Voraussetzung beschrünkt, dass die zu be- stimmenden Funktionen x, y, 5 der vier unabhängigen Variabeln `a, b, c, t. die drei ersten derselben nur linear enthalten, und wir bemerken sogleich, dass wir überall in der Folge unter einem linearen Ausdruck einen solchen ver- stehen werden, der kein von den Variabeln unabhängiges Glied enthält. Wir haben also: | `æ = іа + mb + nc 3) у= Га 4 mb 4 пс z — la+ mb + n"c wo die Coefficienten L m etc. nur von der Zeit 7 abhängig sind und in Folge der asi dini folgende Gleichung befriedigen müssen (t T һу ox LE Für t= O fallen z, y, 5 mit a, b, c zusammen, so dass also l= m = — 1, wührend' die sechs übrigen dieser Grössen verschwinden. Differenzirt man obige:Gleichungen nach 4, so erhält man für die Componenten а, e, w der Geschwindigkeit ` Maihem. Classe. VIII. B 10 G. LEJEUNE DIRICHLET, sind nicht ganz willkührlich, sondern es findet zwischen denselben die Be- dingungsgleichung QD + (тэ eT Statt, welche man erhält, wenn man а bildet und dann £— О setzt. Wir wollen nun zeigen, dass unsere Ausdrücke, in denen 9 unbekannte Funktionen der Zeit £ vorkommen, die Bewegung einer flüssigen Masse aus- drücken, deren Elemente sich nach dem Gesetze der Natur anziehen, wenn die Masse ursprünglich die Gestalt eines Ellipsoides hat, die anfängliche Be- wegung den Gleichungen (3°), welche 8 willkührliche Constanten enthalten, gemäss ist und endlich an der Oberfläche ein constanter oder nur von der Zeit abhängiger Druck Statt findet. Lässt man den Anfangspunkt, der Coor- dinaten mit dem Mittelpunkt, die Axen der =, y, 5 oder a,b,c mit den Haupt- axen des Ellipsoides zusammenfallen, so hat die Gleichung. der anfänglichen Oberfläche die Form o ët eeng Ehe wir weiter gehen, ist zu bemerken, dass unsere Ausdrücke (3) und (4) die bei der Begründung der Gleichungen (1) vorausgesetztė Continuitáts- bedingung erfüllen, welche wesentlich darin besteht, dass die Punkte, "welche anfänglich eine geschlossene Fläche bilden, auch zu jeder spätern Zeit eine -— кина, und dass € es he эдем pcs oder ausserhalb dieser einnimmt. Es ist dies eine Folge a dass zu ı jedem System bestimmter und endlicher Werthe а, b,c ein eben кү System. von Venten 2,0,5 und wegen 0 = 1 auch umgekehrt gehört, "T : Löst man die Gleichungen (3) nach a, b, c. auf, so Ir тап, Н а = Ae $ fy HRs: ad пзу А 93109 6) b = uz + шу + ш c = уг 4 vy | у" wo 4, 4 etc. wegen 0 = 1 Lennon ohne Nenner und die Сонан aus den 9 Grössen Lm еіс. gebildeten partiellen Determinantem sind, so dass UNTERSUCHUNGEN .ÜBEB EIN. PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 11 also: z.B. 2.== тп: mm n- Setzt тап die Werthe a,b, с in obige Gleichung ein, so erhält man zur Bestimmung der Oberfläche zur Zeit 4 D Get Ay 9 + 5, (peH fy E is + р, re ry Ys — so dass also bei einer durch die Gleichungen (3) bestimmten Bewegung die anfänglich ellipsoidisch vorausgesetzte Oberfläche auch zu jeder spätern Zeit die Gestalt eines mit dem ursprünglichen concentrischen Ellipsoides hat. Man kann noch hinzufügen, dass Punkte, welche anfänglich ein mit der Oberfläche concentrisches, ähnliches und ähnlich liegendes Ellipsoid bilden, zu jeder andern Zeit in ähnlicher Beziehung zu der jedesmaligen Oberfläche stehen werden. Es soll nun gezeigt werden, dass die Ausdrücke (3) den Glei- chungen (2) genügen, wenn die darin enthaltenen Funktionen der Zeit, l, m elc. gehórig gewählt werden. Hierzu ist zunächst erforderlich, dass das Potential V der von dem Ellipsoid (7) begrenzten Masse für einen innern Punkt Ce y Y, s) bestimmt und dann durch a, b, c ausgedrückt werde, Nach einem bekannten Satze ist das Potential eines auf seine Hauptaxen bezogenen Ellipsoides für einen innern Punkt ein viergliedriger Ausdruck, der ausser einem conslanten Theile drei den Quadraten der Coordinaten proportionale Glieder enthält. Um das Potential für unser Ellipsoid (7), welches nicht auf seine. Hauptaxen bezogen ist, zu erhalten, müsste man also durch Auflösung einer cubischen Gleichung zu diesen übergehen und dann das für das neue Coordinatensystem geltende Potential durch x, у, z ausdrücken. Bei der eben angedeuleten elwas umständlichen Rechnung stellt sich heraus, dass das Resultat 1 nur symmetrische Verbindungen der Wurzeln der ac En Gleichung enthält. und ‚alsg, o ohne Lösung dieser Gleichung aufgestellt werden kann. Man gelangt zu desselben Ergebniss auf weit kürzerem Wege, wenn man sich zur Auffindung des Potentials der Methode des discontinuirlichen Faktors be- dient, welche Unmittelbar auf ein Ellipsoid angewandt werden kann, welches auf beliebige Axen bezogen ist!). Da jedoch der sehr complicirte Ausdruck, 1) Ueber eine neue Methode zur Bestimmung vielfacher Integrale (Abhandlungen "der: Akademie der Wissenschaften zu Berlin; 1839).— Unter den hinterlasse- ‚nen Papi eren. fand sich idie- folgende vereinzelte Bemerkung: „Als einmal zwi- B2 12 'G, LEJEUNE DIRICHLET, welchen man durch die eine oder die andere der angegebenen Verfahrungs- arten erhält, zu unserm Zwecke entbehrlich ist, so wollen wir uns bei der Ableitung desselben nicht aufhalten *). Ез genügt für uns zu bemerken, dass das durch 2, y. 3 ausgedrückte Potential offenbar ausser einem constanten den Werth desselben im Mittelpunkt darstellenden Bestandtheil eine vollständige homogene Funktion des zweiten Grades уоп 2, у, = enthält: ` Dieselbe Form wird das Potential in Bezug auf а, b,c darbieten, wenn man für x,y,z die Ausdrücke (3) einsetzt. Es ist also V = H — La? — Mb? — Nc? — 2L’be — 2M'ea — 2N'ab wo L, M,...N' sehr zusammengesetzte, elliptische Integrale enthaltende Funk- tionen von l m,... n” bezeichnen. Da hiernach =z - AN JY die Variabeln a,b,c nur linear enthalten, und dasselbe von ge drei ersten Gliedern in jeder der Gleichungen (2) gilt,-so werden diese Gleichungen unabhängig von а, b, c nur bestehen können, wenn der Druck ausser einem von a, b, c un- abhängigen Bestandtheil nur Glieder zweiter Ordnung enthält. Da wir -nun andrerseits voraussetzen, dass dieser Druck an der ganzen Oberfläche zu derselben Zeit denselben blos von dieser abhüngigen Werth P hat, so muss р offenbar die Form schen Jacobi und mir die Rede von der Attraction der Ellipsoide war, mit welchem Problem der grosse Mathematiker sich früher sehr angelegentlich be- schüftigt hatte, erwühnte er eines Umstandes, der ihn sehr überrascht hatte, des Umstandes nämlich, dass die Bestimmung der auf einen äussern Punkt ausgeübten Anziehung CS dann nur die Lósung einer‘ einzigen cubischen Gleichung erfordere, wenn das Ellipsoid nicht auf seine Hauptaxen bezogen sei, und legte mir die Frage vor, wie sich die Methode’ des discontinuirlichen Faktors in dieser Beziehung тим Ich konnte sogleich antworten, dass Sich bei Anwendung der eben erwühnten Methode dieselbe Erscheinung zeige, und Jacobi's Bemerkung zugleich durch die Angabe vervollstándigen, dass sich für einen innern Ниш gar keine cubische Gleichung einstelle. «u — Vergl. Anmerkung (1) zu $. 4. 1) Es erschien zweckmässig, die hier und im Folgenden гайд durchaus nicht schwierige Rechnung wirklich auszuführen; die Resultate findet man weiter unten im $. 4. UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK, a? haben, wo s eine nur mit £ veränderliche Grösse bezeichnet. b? B? 13 ce? Setzt man alle im. Vorhergehenden erhaltenen Ausdrücke in die Gleichungen (2) ein, so zerfall jede derselben in drei neue Gleichungen, multiplieirten i Glieder . besonders verschwinden müssen. бе, с Bestimmung der 10 Funktionen der Zeit, chungen, welche in cepi Anzahl sind = + г i m Du ат” dt? ап” dt? un e Fa E ST d’n Ў > "guit = Ra d?n , 9d. mier deme T ET а? dt? re = — Me + en = dm, , _. dm’ „йт nn Wer: Mamme: dt? dt (а) dt di. d^ ? dà t^ P d d ld?s атп” RE + Uu dm , dm’ er gl di... und 2 moa tm ga TU ар i | EX e ep = = — 21е + indem die mit а, b, c Man hat also zur .n”,o die folgenden Glei- = — № + 2 — L'e EN S Es ist leicht, die Unbekannte ø zu eliminiren, indem man aus den drei ersten dieser Gleichungen eine Doppelgleichung bildet ; halber. wollen. wir. jedoch die Gleichungen in unverän halten. der grössern Symmetrie derter Form beibe- 14 G. LEJEUNE DIRICHLET, i2 dien Obgleich das eben aufgestellte System allen, Bedingungen der Aufgabe genügt und ebensoviel Gleichungen als Unbekannte enthält,, so reicht, streng genommen, dieser doppelte Umstand nicht aus, um die Möglichkeit: der. oben angedeutelen Bewegung zu zeigen. Es ist vielmehr noch nachzuweisen, dass unsere Gleichungen ausreichen, um aus den anfänglichen Werthen der Grössen 1, m,...»" und ihrer Derivirten E. d Es , für welche anfänglichen Werthe die obigen Bedingungen gelten, die Werthe der Grüssen 1, т,... т” für eine beliebige Zeit £ ableiten zu können. Es kommt dieser Nachweis offenbar darauf hinaus, zu zeigen, dass, wenn für eine beliebige Zeit die Werthe von 1, т, ...т” und ihren ersten Derivirten als endlich und völlig bekannt voraus- gesetzt werden, aus unseren Gleichungen die Werthe der zweiten Derivirten dl ат d?n" dp, dB?" а nügen, die hier erforderliche Rechnung, welche durchaus keine Schwierigkeit darbietet, mit ecd ая anzudeuten. Löst man die drei der Glei- chungen (a), welche © EH 5m Р te enthalten, nach. diesem Grössen auf und verfährt ebenso in Bezug auf die sechs übrigen, so erhält man für jede der 9 zweiten Derivirten einen Ausdruck der Form eo + f, wo e und f wegen Ө = 1 ohne Nenner sind und völlig. bestimmte endliche Werthe haben, so dass alles darauf hinauskommt sich zu überzeugen, dass с einen bestimmten endlichen Werth hat. Dieser Werth aber ergiebt sich aus einer "Gleichung der Form e's + /' = 0, welche man erhält, wenn man die eben ‚erwähnten für dieselbe Zeit abgeleitet werden kónnen. Es wird ge- : : ` dë Po SÉ Ausdrücke in die Gleichung dB = О setzt, und in^ welcher von e und f" dasselbe gilt, was vorhin in Bezug auf e und f bemerkt. wurde, und e' als eine Summe von Quadraten, die nicht gleichzeitig verschwinden. kónnen, von Null verschieden seyn wird !). | Es ist übrigens hinsichtlich der Bewegung, ee m: unsere Glei- chungen definirt wird, eine wesentliche Bemerkung zu machen, "welche den 1) Das ausgeführte Resultat dieser Rechnung findet min Б TAN. UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODY NAMIK. 15 jeden Augenblick an der Oberfläche ausgeübten Druck betrifft. Dieser Druck muss in gewissen Füllen eine bestimmte Grenze übersteigen, wenn die Be- wegung physisch möglich seyn soll, es sey denn, dass man unter einer in- compressibeln Flüssigkeit eine solche verstehen wollte, die, wie sie jeder Zusammendrückung, so auch jeder sie zur Trennung sollicitirenden Kraft widersteht. Nimmt man diese letztere Fähigkeit, wie gewöhnlich, nicht in die Definition auf. so. ist es für die Darstellbarkeit der Bewegung durch die hydrodynamischen Gleichungen erforderlich, dass der Druck in der bewegten Masse nie negativ werde. Da nun in unserem Falle und der eingeklammerte Ausdruck innerhalb der Masse alle Werthe zwischen 0 und 1 annimmt, so besteht für den Fall, wo die Grösse c, die im Allge- meinen. nur ` durch die "Integration unserer Differentialgleichungen bestimmt werden kann, zu irgend einer Zeit einen negativen Werth erhält, die Be- dingung, dass P nicht unter dem absoluten Werthe von «c liege. Nur wenn c nie negativ wird, bleibt P unbeschrünkt und kann die durch unsere Glei- ehüngen definirte Bewegung im leeren Raume und ohne àussern Druck Statt finden, ., а (der NAMEN d.h. £= O entsprechende Werth von 6 zem sich ohne Integration bestimmen. Setzt man # = 0 in der Gleichung = —D, so | erhält man. CES | pe 3% det уйтай dm jy поба ой Фа _ dt dt dt dt dt dt | ав], de ‚die ha i dm" = dn dl" di’ dm — 2 — dt Y dt aca dt Den drei ersten Gliedern der zweiten Seite kann man die Form geben l dm’ dn” Qe eG -G tatu wo das letzte Quadrat nach der schon früher bemerkten Bedingungsgleichung: verschwindet. Andrerseits ergiebt sich, immer unter der Voraussetzung t = 0, durch Addition der drei ersten der Gleichungen (a), 16 б. LEJEUNE DIRICHLET, Ri. Pm , dw Е OPE dB + qaot qa Suriname). und da zu Anfang =, у, 5 mit а, b, c zusammenfallen, so hat V die Form V = H — La? — My — Ns? so dass also nach einem bekannten Satze Hiernach wird unsere obige Gleichung ie dm” dn ` dn dl” (5+ nt aem tne deet Pe edi) c tua HAM ede Sind nun z.B. diejenigen der anfänglichen Werthe (4), welche sich ausser- halb der Diagonale befinden und zu dieser eine symmetrische Lage einnehmen, einander gleich, so ist der anfängliche Werth von c positiv, und wir werden weiter unten sehen, dass in diesem besondern Falle — für die m Dauer der Bewegung Statt findet 1). Um von der im $. 1. betrachteten -— eine einfache үкен zu gewinnen, ist es zweckmässig die durch lineare Ausdrücke ausgedrückte momentane Bewegung in zwei einfachere zu zerlegen. Wir bemerken jedoch; dass diese Zerlegung nur den eben angegebenen Zweck hat und für die vollständige Behandlung des Problems keinen wesentlichen ‘Nutzen. gewührt, da die beiden Theilbewegungen sich im Allgemeinen nicht für’ die ganze Dauer der Bewegung getrennt bestimmen lassen, und bemerken ferner, dass einige der in diesem $. gebrauchten Zeichen eine von der. denselben in der übrigen Abhandlung beigelegten abweichende Belotus haben. Substituirt man in den obigen Ausdrücken von v, е, w für a, b, e die Werthe S so erhalten die Componenten die Form и = gx + hy + ks (1) o=ge+hytks w = get h'y + Es 1) Den Beweis dieser Behauptung findet man in $.5. . ., UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 17 wo. 9, № eic. einfache Verbindungen von den selbst durch 1, m eic. ausge- drückten Grössen 4, 4 etc. und den Grössen (4) sind, und man überzeugt sich leicht, dass in Folge der oben bemerkten Bedingungsgleichung immer die Relation FE WERNER Statt findet 1). Nun lässt sich die augenblickliche Bewegung eines Systemes, bei wel- cher wie hier die Componenten a, о, ap der Geschwindigkeit eines beliebigen . den ‚Coordinaten x, y, 3 entsprechenden Punktes lineare Funktionen dieser Coordinaten sind, immer, auch abgesehen von der in unserm Fall Statt fin- denden Relation zwischen den drei Coefficienten g, A. k”, in zwei einfachere Bewegungen zerlegen. Die eine dieser Theilbewegungen ist von solcher Beschaffenheit, dass wenn das System auf drei gehörig gewählte neue Axen der $, mÉ bezogen wird, die diesen parallelen Componenten p, q,r der Ge- schwindigkeit die einfache Gestalt (2) potub, 4c Hr ow annehmen, wogegen die andere Theilbewegung in einer blossen Rotation besteht, bei welcher das, System sich wie ein fester Körper um eine durch den. Anfangspunki gehende Axe dreht. Um sich von der Möglichkeit einer solchen Zerlegung zu. überzeugen, ist zunächst zu untersuchen, wie sich die Componenten 4,575? der durch die Gleichungen (2) ausgedrückten Bewegung darsiellen,. wenn man diese Bewegung auf drei ganz beliebige Axen der ns bezieht. Setzt man zu diesem Zwecke unter Anwendung der на etui di für die. von den Axen gebildeten Winkel iadiaamelt opu у 0,1008 cg = f, cos xb = BE nus cw, cosyn = f, cs sy=y cogis = œ”, cos 5] = В", cos xb = y so hat man nach den bekannten Sätzen ат ep Bert E = от + enk es &zepHHBqLrt n=ße+Pßy + В en w = ар + 89 + ут yz + yy BY 1) Die Werthe der Coefficienten g, h, .. k^ sind in $. 4. angegeben. Mathem. Classe. VIII. С 18 G. LEJEUNE DIRICHLET, Werden die obigen Werthe von par in den drei ersten Gleichungen und dann für Ev é ihre durch die drei letzten gegebenen Werthe substituit, so erhält man | an = іа 4 ny + ms (3) o = па + ту + (Us w, = m'r + l'y + nz wo zur Abkürzung gesetzt ist l = ас? + bf? + cy? I — acc" + bB Ry cy! y" m = aa? + bP? + су? m = aaa + bB B + суу n = ac ZE bf? 4 cy"? вз = асс + bPB' + суу Man sieht also, dass, wenn die durch (2) bestimmte Bewegung auf ein be- liebiges Axensystem bezogen wird, in den Ausdrücken für die Componenten nur 6 verschiedene Coefficienten vorkommen und je zwei derselben, welche in Bezug auf die Diagonale symmetrische Stellen einnehmen, gleich sind. Es ist nun auch umgekehrt leicht, sich zu überzeugen, dass jede durch lineare Ausdrücke von der eben erwähnten Beschaffenheit definirte Bewegung so auf drei neue Axen der ё, у, $ bezogen werden kann,. dass die Compo- пешеп die obige einfache Form (2) annehmen. Diese Behauptung rechtfertigt sich sogleich durch den bekannten Satz, nach welchem der Ausdruck Le + my? + nz + Wys + Amar + 2n'ay. durch Einführung anderer Axen auf die Form aj + Ыр + с? gebracht werden kann, da offenbar die zur Erfüllung dieser bah zu lösenden Gleichungen mit denjenigen zusammenfallen, auf welche unsere Frage zurückkommt. Wir können daher dies bekannte Resultat auf unsere Untersuchung anwenden. Nach diesem Resultate sind a, b, с völlig bestimmt und die drei immer reellen Wurzeln einer cubischen Gleichung; von. diesen Wurzeln ist eine nach Belieben für a, eine zweite für 5, und die dritte endlich für e zu 'nehmen, da eine Vertauschung derselben keinen andern Erfolg hat als eine entsprechende Aenderung in der Benennung der Axen nach- sich zu ziehen. Sind die Werthe a,b,c ungleich, so ist auch das System der Ахет der &, ү, С seiner Lage nach völlig bestimmt. Etwas anders UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 19 . verhält es sich wenn zwei der Wurzeln oder alle drei einander gleich sind, Im ersteren Falle, wenn z. B. а und b gleich, aber von c verschieden sind, ist nur die Axe der { ihrer Lage nach bestimmt, wogegen für die beiden andern irgend zwei auf einander und auf jener senkrechte Gerade genommen werden können. In diesem Falle wird die schon so leicht zu übersehende durch die Gleichungen (2) definirte Bewegung noch anschaulicher, wenn man die beiden ersten Componenten zu einer Geschwindigkeit vereinigt, die der Richtung nach mit dem auf die dritte Axe herabgelassenen Perpendikel A zusammenfällt und den Werth ah hat. Sind endlich die drei Wurzeln a, b, c alle einander gleich, so bleibt das System der drei rechtwinkligen Axen seiner Lage nach ganz willkührlich, die Geschwindigkeit fällt überall ihrer Richtung nach mit der Entfernung о vom Nullpunkte zusammen und hat den Werth ag. Was nun zweitens eine Bewegung betrifft, in welcher das System ohne Aenderung in der relativen Lage seiner Theile um eine durch den Anfangs- punkt gehende Axe rotirt, so sind für eine solche Bewegung die Compo- пешеп As, ës, Wg der Geschwindigkeit von der Form 4) ^ ws дв ry, vo =r T Hä: wo = ру gar j und umgekehrt ist jede durch diese Ausdrücke bestimmte Bewegung eine Rotation der bezeichneten Art. ` Hiernach wird also die Richtigkeit der oben ausgesprochenen Behauptung über die Zerlegbarkeit einer durch die Gleichungen (1) dargestellten Bewe- gung dargethan seyn, wenn die neun in den Gleichungen (3) und (4) ent- haltenen Coefficienten so gewählt werden können, dass а= л 5%, 9 = 0 + 96, 10 = rt ga wird; dass dies aber stets und zwar nur auf eine einzige Weise möglich ist, erhellt unmittelbar aus der Form dieser Forderungen, und es bleibt nur noch zu bemerken, dass in Folge der Relation 9 + h + H = 0 der Charakter der ersten der beiden Theilbewegungen in unserem Falle die Beschrünkung erleidet, welche durch die Gleichung а+ 0+2=0 ausgedrückt wird und ihren Grund in der Incompressibilitát = ER findet. 20 б. LEJEUNE DIRICHLET, $4.4. Bevor wir weitergehen, wird es zweckmüssig seyn, die Resultate einiger oben nur angedeuteten Rechnungen hier anzugeben. Dazu gehórt vor Allem der Ausdruck des Potentials V eines nicht auf seine Hauptaxen bezogenen durch die Ungleichheit Sz? + Suë + Ss + 2Tys A. 2 Тг + 2T’ay < 1 begrenzten Ellipsoids für irgend einen inneren Punkt (2, у, 5). Bezeichnet man die auf der linken Seite dieser Ungleichheit befindliche ternäre quadrati- sche Form mit F, die ihr adjungirte (S'S" —T*a?--.S" S—T ?)y*- (SS —T"?)s?--2(T T" — TS) ys--2(T" T—T' Szr -2(TT — T" S")ey mit F', ferner die positive Quadratwurzel aus der Determinante Gei + Gis? + Gs + 1 der neun Gróssen Be 44,57", Ts T's, S's--1, Ts T's, Ts, S’s +1 i mit 4, so findet man nach jeder der beiden in $. 1. angegebenen Methoden E en ни нЕ а А беер пе In unserm Falle hüngen die МОЕ der beiden Formen F und F auf аш еы. Weise von den Funktionen /, m,..»" und den entsprechenden 4, u,..v” ab: : | ee KA Ze tn на" S ux mob т 0 Ё ar В? T ES uk p? 2 in "RT Д Macs »"» # жт ж Реп ocu ты ‚© A зна У mer rU Ma ml und 1) Die in Anmerkung (l) zu $. 1. erwähnte cubische Gleichung in Bezug auf s егһа man, wenn man den eingeklammerten Ausdruck unter dem = == 0 setzt. UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 21 m AP + Bm Cs s А211" + B?m'm" + Сп п” S aio aleia ar Ee ABC? АЗ B*n^m 4- C?n"n 212-6 B?m'24- Сп’? ep „о — & ee ur (Get? Bëëcg ne Mmm uil Aj pics 421" 2-4 Вт" ° -- Сп”? AU L Втт' L Can Ld vS d e Кесе eie" S'S Ee mp ; TT'— Т^8” = ems und endlich ist. | 1 б = рз der Werth der Determinante der neun Gróssen S А т, 3 T I cH " Т 2 T : N Um nun die Werthe der in den neun Differentialgleichungen (a) vor- kommenden Grössen L, M,..N’ zu bestimmen, hat man in dem eben für V aufgestellten Ausdruck die Coordinaten z,y,z zu ersetzen durch ihre Aus- drücke als Funktionen von a,b, c; das Resultat dieser Rechnung ist dadurch bemerkenswerth, dass das Potential V die Funktionen der Zeit L m,.. n" nur in den sechs Verbindungen!) doom d$ ++ O10"? ; P) = mn + mn + тп" 0 pe m? + m’? + m"? - Q — nl + al + nl Ran ya? ki: Е = з -- Um + lm" enthält, zwischen welchen ausserdem noch die, Determinantengleichung РОВ PP’? QQ'? — RR’? + 2P'Q'R' = 1 besteht. Die gesuchten Werthe sind nàmlich die folgenden: 1) Der Umstand, dass hier und im Folgenden der Buchstabe P, welcher schon in 8.1. als Zeichen für den auf der Oberfläche Statt findenden Druck gebraucht wurde, eine ganz andere Bedeutung hat, wird kaum zu einer Verwechslung führen kónnen. 22 G. LEJEUNE DIRICHLET, Qo ас ds RP — Q'? pr LE di Pr : s?ds = CUR hu E = c 025 В? T A2B2C? = BE К o — P? séi Ол s?ds eg art 90-906 prs + Xp Le Ф л di OR — P”? 88 SC wi Вл s?ds N == c 025 + ( A? —mu—) E 4- re 45 Ф ; s dU — iUd dh Pr s’ds L В?С "e А?В?С? © ‚К (RP — Q'O)n "di ; O'm sde KE (РОК — R'R)z [sd В'л газ K uen. sas eng oe amo Je. t meg, und hierin ist 4 die К, Quadratwurzel aus der Determinante € e 2.. RP—0'? =r es? t = toa Lo + xp) ^ Ыш MR mE os der neun Gróssen | PES RE, , $ 4 R, о + B P Í R 8 Q 3 P , R + С? Mit Hülfe dieser Formeln lässt sich nun auch die in $. 2. angedeutete Rechnung ausführen, welche den Zweck hat, die Funktion с durch die Grössen 1, m,..n" und deren Derivirte erster Ordnung auszudrücken. Das Resultat dieser etwas mühsamen, aber durchaus nicht schwierigen Operation ist in der Gleichung OR - Pi ДР». Pow di di ( AS. T B? * Cc? ) = й ш enthalten, wo das Summenzeichen sich auf alle neun Paare (1, 2), (m, н... (n^, y} edes Der Coefficient, mit welchem hier с behaftet ist, lásst sich in die Form UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 23 A2 + A'? + A"2 и? + B? 4- p y? + y'2 + y"? | ; 5 ҮТ + B — + e =S 4+ 5° + 8 bringen, woraus unmittelbar hervorgeht, dass er niemals verschwinden kann, da die Annahme, dass alle neun Grössen 4, 4,..»" sich auf Null reduciren, mit der Gleichung im Widerspruch steht. Um unser System von Formeln zu vervollständigen, bilden wir auch noch die folgenden Ausdrücke für die Coefficienten g, h,.. k” in den Ge- schwindigkeitscomponenten 4, v, t = арро = = аит es ern ш +” Ven AEN ai fe ee ne EE E | eo D a A E e Ai es Die € der Incompressibilität giebt dann zunächst die Gleichung und für das letzte Glied in der zur Bestimmung von с dienenden Gleichung findet man den Ausdruck — |— m — ` mes ` "en — e — SE e d de yk de үү "E dw du du dr = (GG КАЄ 9) +2 + а а pb 24 G. LEJEUNE DIRICHLET, der uns dazu dienen wird, die am Ende des $. 2. ausgesprochene Behauptung zu rechtfertigen. Ausserdem mag noch bemerkt werden, dass die Rotationen р’, q^, r' um die drei Coordinatenaxen, in welche sich die augenblickliche Rotation zerlegen lässt, die Werthe dv du p- 5), 7-4, - yr CET haben. $. 9. Wir gehen nun über zu der Aufstellung von sieben Integralen erster Ordnung, welche stets gelten, ohne besondere Voraussetzungen über den anfänglichen Bewegungszustand zu machen. Drei derselben ergeben sich unmittelbar aus den Differentialgleichungen (a), wenn man je zwei derselben, welche rechts dasselbe Glied — 2/%, — 2M's, — 2NN'e enthalten, von einander abzieht; auf diese Weise erhült man EN dm , dn' , dm’ ,, dn” “Ze те — —n түз dt — т" — = era GC di’ , dn' , U” dn” Daglat r mr l eE a ш э) ат dm' , di „ dm” (Set ае 77 шеф у Will man die Componenten и, e, w der Geschwindigkeit an der Stelle (2, y, 5) und ihre nach den Coordinaten =, y, z genommenen partiellen Derivirten ein- führen, so lassen sich diese Integrale mit Hülfe der im vorhergehenden $. gegebenen Ausdrücke leicht in die folgende Form bringen 1) dv dw Se EES Tr фа dw du j ; à icc COMER EM p Us du dv a ^ 1) Vergl. die Anmerkung zu der Einleitung. UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 25 aus welcher unmittelbar hervorgeht, dass die Axe der augenblicklichen Ro- tation stets von denselben Elementen der flüssigen Masse gebildet wird und dass, wenn die dréi links stehenden Gróssen zu irgend einer Zeit gleichzeitig verschwinden; d.h. wenn keine Rotation Statt findet, dasselbe für die ganze Dauer der Bewegung gilt; die Bedingungen, welchen der Anfangszustand der Re, in diesem Falle ка он , sind in den Gleichungen di” dn dm а е: 2 - e Ja (2), = am E mm p à ausgesprochen, und man erkennt unmittelbar aus dem im vorigen $. milge- theilten Ausdruck für die Funktion ø, dass dieselbe während der ganzen Bewegung nur positive. Werthe annimmt; hiermit ist also die Richtigkeit der am Ende des $.2. aufgestellten Behauptung nachgewiesen !). "Da "ferner in unserem Problem die wirkenden Krüfte nur von der wechselseitigen Anziehung der Elemente der flüssigen Masse herrühren, so liefert uns das t Princip der Flächen drei Integrale 32:5 KL + RE-:7 dv — const. , б = ~) de = const, in welchen die. "Iptegrátionen über alle Elemente dr der flüssigen Masse aus- zudehnen sind. Drückt man die Coordinaten x, у, = durch die ursprünglichen Coorditiaten а, A e-aus, indem man das anfängliche Ellipsoid in unendlich kleine Elemente de = = da db de zerlegt, und berücksichtigt, dass M M -iN d i ee — E 825 Је ат = = . 0° poe ; (ode = 0, fabdr = 0 EU wu on 4л АВС | ist, wo M zur Abkürzung. für die Gesammtmasse x gesetzt ist, so nehmen diese Integrale die folgende Form an: 1) Es mag beiläufig bemerkt werden, dass die drei Integralgleichungen (L) hin- reichen, um aus den neun Differentialgleichungen (а) sechs andere abzuleiten, ` welche die neun Funktionen 1, т,.. т” nur noch in den sechs Verbindungen PO. R', und ausserdem noch die Grösse c enthalten. Mathem. Classe. VIII. 26 G. LEJEUNE DIRICHLET, e (rt Zor SÉ mm Ster a. -»(T -eg mer er шш, ee ee, Setzt man die in dem vorhergehenden $. mitgetheilten Ausdrücke für die Grössen L, M,..N’ als bekannt voraus, so ergeben sich die vorstehenden Integralgleichungen auch aus unseren Differentialgleichungen (a) durch eine etwas mühsame Rechnung, bei welcher vorzüglich zu berücksichtigen ist, dass zwischen den Grössen L, M,.. N' und P, Q,.. R' folgende Relationen Statt . finden A СЕ'М' — 0) + POOL — PM) + C (РМ — RE) = 0 4° (01, — РИ”) + В (PN — RL) + C? (RW — Q'N)—-0 AL(PN — R'L) +B?(RM— ОМ) + C (Q'L — P'M')z0 von denen nur eine verificirt zu werden braucht, weil aus ihr die beiden andern durch einfache Permutation abgeleitet werden kónnen. Das siebente Integral wird uns endlich durch das Princip der lebendigen Kraft geliefert, welches nach der Natur der in unserem Problem wirkenden Kräfte durch die Gleichung e Ge Ka: Sen +(®у)&= Const. + d ës ausgedrückt wird, in welcher die Integrationen über alle. Wiemenia: pe der bewegten Masse кзы ран sind; die wirkliche Ausführung derselben, wie sie sogleich angedeutet werden soll, giebt dann das Resultat F5 ety - E a | PD +) = Const. + den f ^ + с (Су eg eeh Auf der linken Seite kann man nämlich das frühere Verfahren anwenden, UNTER SUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK, : 27 . indem man den ursprünglich von der Masse erfülllen Raum in unendlich kleine Elemente dr = da db de zerlegt, und die Integrationen in Bezug auf die Variabeln a,b, c ausführt; man erhält dann unmittelbar, nach Unterdrückung des constanten Faktor oè, den auf der linken Seite der Gleichung (Ш.) be- 5 3 findlichen Ausdruck. Auf der rechten Seite würde man durch dasselbe Ver- fahren zunächst AL + BM + CN 5 ) finden; aus den in $. 4. gegebenen Ausdrücken für L, M, N ergiebt sich ferner ohne Schwierigkeit J[Vdr = M (Н — ao AL + ВИ + CON=H=af$, also [е »] rikoa 5 ds | Jhde = =. 4л oa woraus denn unmittelbar die Richtigkeit der Integralgleichung (Ш.) erhellt. Allein man kann auch ohne Hülfe der Ausdrücke für L, M,N den Werth des auf sich selbst bezogenen Potentials der flüssigen Masse leicht auf fol- gende Weise finden. Ist nämlich у? ew e T. die Gleichung des auf seine Ean "MO Ellipsoides, welches augen- blicklich die flüssige Masse begrenzt, so ist der Werth des Potentiales im "innern Punkte (2°, y; 5") EEE Lore ter m go e (5 — xu В+ з si Las? wo 4 die positive Quadralwurzel aus dem Ausdruck ^J $ s s (b. 2) Fg) + bedeutet. Zerlegt man nun die ganze Masse in unendlich kleine Elemente dr = dr dy de, und bedenkt, dass D2 ae — G. LEJEUNE DIRICHLET; A4næfy 4nABC i d af, M рен fa = a 3 we = —»j Је а Le, Ји de = Sp, nees и ist, so findet man zunächst ds Vene een nun ist aber а? g æ + ѕ * B's y? is 1 1 1 E Lud T Dm =3—2, 4 = und hierdurch geht die vorige Gleichung in die folgende über s dd. 4 às) und da ferner durch theilweise Integration leicht bewiesen wird, dass sds då "d ds s as S Fact ist, so erhält man endlich wieder Qc M ds Гас 4n [ 7, und hierin ist nach bekannten Sätzen D St "ds s $ , # 1+ a2’ 0,0 Ss k 1, Тез, ЖЗ Р + WER R, Q " T Ps ` $ r 2 = 0, TEX. pun T's, Ба f, Ts = R, О +. 2 Р 0, 0, 1 Ц E Ts, Ts, Set 4i grai PORA “з | wenn man sich einer üblichen Bezeichnungsweise der. Determinanten bedient. Natürlich lässt sich die Gleichung (Ш.) auch ohne das Princip der leben- digen Kraft anzuwenden, aus den Differentialgleichungen (a) ableiten; man bedarf aber dann der im $. 4. gegebenen Ausdrücke für die Grössen L, M, .. N', und ausserdem ist die Rechnung sehr beschwerlich. $ 6, Bei der grossen Complication der Differentialgleichungen (a) wird man eine vollständige Lösung des Problems wohl nur unter besonders einfachen UNTERSUCHUNGEN ÜBEB EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 29 Voraussetzungen über den anfänglichen Zustand der flüssigen Masse erreichen kónnen; wir werden uns daher im Folgenden nur noch mit solchen speciellen Fällen beschäftigen. Eine solche einfache Voraussetzung ist diejenige, dass im Anfang der Bewegung sowohl hinsichtlich der Gestalt als auch des Be- wegungszustandes vollständige Symmetrie in Bezug auf eine bestimmte Axe Statt findet; es leuchtet nämlich ein, dass dann dasselbe für die ganze Dauer der Bewegung gelten wird. Dazu ist zunächst erforderlich, dass die Masse ursprünglich durch ein Rotationsellipsoid begrenzt wird, dass also die Axe der Symmetrie eine der drei Hauptaxen des ursprünglichen Ellipsoids ist; wir wollen annehmen, es sei dies die Axe C, so dass B=A ist. Denkt man sich ferner an jedem Punkte a, b, c die Anfangsgeschwindigkeit, deren Componenten di dm dn jud MATO ы Г а m' dn Ee aD PO. ю = (а), ad CD b Ce sind, nach Grösse und Richtung construirt, so darf durch eine beliebige Drehung ф des Coordinatensystems um die Axe der c Nichts geändert wer- den, d.h. wenn a,b resp. іп a cos g — b sin g, asnp+ b cos g über- gehen, ohne: dass c sich ändert, so muss и in и cos g — v sing, © in u sing Le cos ф übergehen, und w ungeändert bleiben, wenn der Bewe- gungszustand wirklich symmetrisch in Bezug auf die Axe der c sein, soll. Dies giebt folgende Bedingungen dn dn’ dl" dm” Kern Sl 50) oom —) = —) == 0 — Са), 0, Са), 0, C ar), D an зе L 2 — ^ ie reet G, = G, zu welchen in Folge der Incompressibilität noch m’ dn” 0 + С), + Са), = 9 kommt. Der Anfangszustand der Bewegung wird daher durch Gleichungen von der Form 30 G. LEJEUNE DIRIGHLET, и = ga + hb, vo == — ha + gb, w == dë ausgedrückt. Die beiden Theilbewegungen, in welche jede solche Bewegung zerlegbar ist, werden daher folgende Componenten haben А wj = да, 0 = gb, юу = ib 29c go — hb, = — ha, wo = 0 woraus sich ergiebt, wie sich erwarten liess, dass die Theilchen der flüssigen Masse ausser einer Rotation um die Axe der Symmetrie, eine derselben parallele Bewegung — Zoe und eine auf ihr senkrechte "LA a? + b2 besitzen, ` deren Richtung durch die Axe selbst hindurch geht. Sind diese Bedingungen für den Anfangszustand erfüllt, so wird. dieselbe Symmetrie auch für die ganze Dauer der Bewegung gelten; alle Theilchen welche ursprünglich eine symmetrische Lage in Bezug auf die Axe der c einnehmen, d.h. für welche a? + b? und c constant sind, werden zu jeder spätern Zeit in derselben Beziehung stehen, so dass wieder 22 + y? und z für diese Theilchen dieselben Werihe besitzen. ^ Diese Eigenschaften der linearen Funktionen z, y, = der ursprünglichen Coordinaten a; b, e haben. zur Folge, dass stets 1 &-20; 4&0; РС аш р г wo непо 1,0 Гь sein muss, so dass diese linearen Ausdrücke folgende Form, annehmen, г = la + mb, = — та + lb, s = He und offenbar sind die Bedingungen, welche hieraus für die anfänglichen Werthe " der Derivirten folgen, identisch mit den soeben aufgestellten. di dm dn ` dt’ di" dt Die Bedingung der Incompressibilität Sie in der ee = 4 (P+ ein = 1; und folglich erhält man durch Umkehrung der vorstöhenden Gleichungen а = [nr — mn"y; b= mue + in: я T Die Gleichung des augenblicklichen Ellipsoids ist daher „г d 5? er Р UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 31 und die Componenten der Geschwindigkeit haben die Form di 1 da” d) > b = — RN E. е u a 557 aom m m 4) y E dm di dn” o= ар р nl nen! sab био ДЬ de: "OA BNVall wm AM wodurch wieder ausgedrückt wird, dass Gestalt und Bewegungszustand zu jeder Zeit symmetrisch in Bezug auf die Axe der c oder s ist; besonders bemerken wollen wir noch, dass ч gU ы WU das Mass. für die OR Rotation um die Axe der 5 ist. Wir haben. jetzt: zu untersuchen, in welcher Weise unsere Hypothese über die Natur der Bewegung mit den Fundamentalgleichungen (a) in Ueber- einstimmung zu bringen ist. Da in unserer Annahme das Potential V für einen innern Punkt durch die Gleichung ds Le? 4- y?) 22 Asp. n "Zei к= al, Ge A^-ra"s Св"? oTi yaf” e А? п"з o Cual e ausgedrückt wird, in welcher =a + у aes ist, so erhält man für dis; Grössen L, M,.. № folgende Werthe [e ә] Ы 2 ск изен" in N tere г2 2-0 Nan | Б folgt, dass vier von den neun. Differentialgleichungen (a) durch unsere Hypothese identisch erfüllt sind, während die fünf "übrigen sich auf die drei folgenden von einander wesentlich verschiedenen reduciren: йт CUM . C ae, Tee a Be aw cac eN; $e "1-9 32 G. LEJEUNE DIRICHLET, welche in Verbindung mit der schon vorher aufgestellten Bedingung der Incompressibilitàt zur Bestimmung der vier Funktionen /, m, n”, с vollständig hinreichen, wie aus den in $.2. gegebenen Andeutungen erhellt. Nachdem so die Zulässigkeit unserer Hypothese nachgewiesen ist, schreiten wir zur vollständigen Lösung des entsprechenden Problems, indem wir dasselbe auf eine Quadratur zurückführen. Die letzte der drei vorste- henden Differentialgleichungen hat das Integral (vergl. $. 5. 1.) dm di dm deg H Eben und hieraus ergiebt sich die Folgerung, dass die Rotationsgeschwindigkeit w = wo n” stets proportional der Länge der Rotationsaxe Сп” des Ellipsoids ist. Durch zweimalige Differentiation der Gleichung 1 an 2 HY с п = = i erhält man ferner dl dm 1 dn" Së Ss m 1 dw n" : Dorm ara ga rat) * Ca) unas tuns quadrirt man die erste dieser beiden Gleichungen, und addirt dazu das Quadrat der vorstehenden Integralgleichung, so erhält man HH = rm Qu): und hierdurch geht die zweite Gleichung in die folgende über © du", 2 4 dn III ao tagssVa) Taa "äer Auf diese Weise gelingt es, die beiden Funktionen / und m vollständig zu eliminiren, und wir erhalten zur Bestimmung der Funktionen л”, o die beiden folgenden Differentialgleichungen 1 E de о! ach. 2 ep " т з WE EM d c MUN = — ul; n ze e in welchen die Grüssen L, N nur noch von der Variabeln n” abhängen. indem man die erste Eliminirt man aus diesen beiden Gleichungen ES UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 33 mit n”, die zweite 2573 multiplicirt und dann addirt, so erhält man nach Substitution der Ausdrücke für L und N die Gleichung 2 I SE "о 9 Lasso uA ied ei а „з ез, welche mit der im $. 4. gegebenen übereinstimmt. Eliminirt man dagegen 6 aus den beiden vorhergehenden Gleichungen, indem man die zweite mit Ct ou SE А? bu i 59) die erste mit 2^ multiplicirt, und dann subtrahirt, so erhält man die E a2 zweiter Ordnung А? — On? б feu, wu = A Car ) + 0 = an п (А2 аа) (Са з) multiplicirt man dieselbe mit 2 ui so lässt sich eine Integration ausführen, deren Resultat ds i ei £e + C2) Сз =). + 24202 в” — Const. + dee offenbar nichts Anderes ist, als das durch das Princip der lebendigen Kraft gegebene Integral. Um nun diese Gleichungen, durch welche das Problem in der That auf Quadraturen zurückgeführt ist, um discutiren zu können, ist es zweck- mássig, das Verhältniss oi ? u = € ys = жо AC МА der Rotationsaxe Cn” des Ellipsoids zu dem Radius D = V^ A2C der Kugel, deren Volumen dem des Ellipsoids gleich ist, als neue Variabeln einzuführen. ` Ferner wollen wir EM rc o M oramus ita 2 X Van Gu setzen. Ersetzt man endlich die Integrationsvariabele s durch D2s, und führt zur Abkürzung folgende Bezeichnung ein Mathem. Classe. VIII. E 34 G. LEJEUNE DIRICHLET, | M ds df (æ) 1 D sds {фр o LAE piyi age) e, ок. + as) / (1+ 2) E el H (1 4- es? y (t+ M so nehmen die drei zuletzt erhaltenen Gleichungen folgende Formen an: с 1 1 да 2 сале айыу sitis: 6s x ^ w 20 *.-— D + Sen rat (2 + DG Eu + Sen ELI = = 8#л К da wo К eine Constante bezeichnet, deren Werth von ọọ, «o, Cx abhängt. 0 Für die Discussion selbst ist es nothwendig einige zum Theil schon bekannte Eigenschaften der Function f(«) vorauszuschicken. Durch wirkliche Aus- rechnung des bestimmten Integrals erhält man f(e) = kéen arctang 1e — 1) ' ev Cs — 1) oder 1 : LN f) = i log «Үс — =) 12 и је nachdem œ < 1 oder œ > 1 ist; für « — 1 nehmen beide Formen den- selben Werth f(1) — 2 an; wird œ unendlich klein oder unendlich gross, so wird f (=) unendlich klein; und aus dem obigen Ausdruck für f'(«) geht hervor, dass f Le) ein und nur ein Maximum f(1)— 2 hat. Ist daher p irgend ein zwischen О und 2 liegender Werth, so hat die Gleichung f(«)— p zwei Wurzeln, von denen eine unter, die andere über der Einheit liegt. Ferner überzeugt man sich leicht, dass, wenn « von О bis 1 wächst, die Function P (о) beständig von + oo bis О abnimmt und dann für ez 1 negativ wird, so dass, wenn g irgend ein positiver Werth ist, die Gleichung E Са) = q stets eine und nur eine Wurzel hat, und zwar liegt dieselbe unter der Einheit. Endlich ist aus den früheren Untersuchungen über die UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 35 gleichfórmige Rotation einer flüssigen Masse bekannt, dass die Function c? f' (о) ein Maximum = 0,2246.. hat. E Ў Betrachten wir nun zunächst denjenigen speciellen Fall, in welchem ursprünglich, und folglich auch während der ganzen Bewegung keine Rotation Statt findet, also , 00 = 0 ist. Nehmen wir ausserdem vorläufig noch an!), dass ursprünglich gar keine Geschwindigkeit vorhanden, also auch | da ist, so haben wir die Gleichungen d 9 1 2 5; Qe + 2) ел + ek Y. Su 3 de S j 2 (2 + =) uu A = 8snf' (a) 1 2 8 (83-4) СЕ) = Вел rte) — Fell Aus der letzten derselben. folgt, dass während der ganzen Bewegung f(e) Z Poel sein muss; ist daher ursprünglich «o = 1, d. h. ist die ur- sprüngliche Gestalt der ruhenden flüssigen Masse eine Kugel, so folgt, dass stets œ = «y = 1 bleiben muss. Nehmen wir dagegen an, dass « — 1, dass also die ursprüngliche Gestalt ein abgeplattetes Sphäroid ist, so ergiebt sich, dass wührend der ganzen Bewegung «y < а < оу sein muss, wo 0] die zweite Wurzel der Gleichung fie) = / (со) bedeutet, von der wir wissen, dass sie über der Einheit liegt. In der That wird nun « alle Werthe des Intervalls von со bis еу, und wieder zurück von «, bis «y periodisch, und jedesmal nach Verlauf derselben Zeit | D Das Resullat der Untersuchung für diesen Fall ist von фиш їп der vor- làufigen ‚Anzeige der Abhandlung vollständig ausgesprochen. E2 36 G. LEJEUNE DIRICHLET, mi 2 + & 1 y «5 T uw cA Vd V Sei А ^ Fe) — f (es) о durchlaufen; man überzeugt sich hiervon sogleich, wenn тап bedenkt, dass da { Р i өг nur dann sein Zeichen ändern kann, wenn œ = «y oder = e, ist, und dass = im ersten Falle einen posiliven, im zweiten einen negativen Werth hat, und wenn man ferner berücksichtigt, dass der vorstehende Werth von r endlich ist, da an den Grenzen des bestimmten Integrals die Function fiel — f (œo) von derselben Ordnung unendlich klein wird, wie œ — gu oder с — «у. Die Bewegung besteht also aus isochronen Schwingungen, in welchen die Flüssigkeit durch die Kugelgestalt hindurchgehend abwechselnd die Form eines verlängerten und die eines abgeplatteten Ellipsoides annimmt. Natürlich würde die Bewegung genau dieselbe sein, wenn das Sphároid ur- sprünglich ein verlängertes wäre; es würde dann nur «, mil c, zu ver- tauschen sein. Der Charakter der Bewegung bleibt auch dann noch derselbe, wenn das Sphäroid seine Bewegung nicht aus der Ruhe beginnt, wenn nur die Anfangsgeschwindigkeit in Bezug auf die Anfangsgestalt unterhalb einer A wissen Grenze liegt, welche durch die Bedingung (? + ei С, < Senf (ao) bestimmt wird. Ist dagegen diese Bedingung nicht erfüllt, also (2+ 2) = D, Z 8eaf (eo) da so kann = nach Verlauf einer endlichen Zeit niemals verschwinden; denn bezeichnet & eine nicht negative Constante, so wird das Integral І к? а в f CES UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 31 mit unendlich wachsendem «, und das ме Go Rc E ^ —— [de Se И; e Га + 1 k da mit unendlich abnehmendem с über alle Grenzen wachsen. Ist daher T : 0 da positiv, so wird z; Stets positiv bleiben und sich unbegrenzt dem Werth Иа + sl Са), — deno) nähern, während œ mit £ unbegrenzt wächst; das Ellipsoid wird sich also 4 de .., dæ ? unbegrenzt verlängern. Ist dagegen CG negaliv, so wird ES stets negaliv 0 bleiben und dem absoluten Werth nach mit c unbegrenzt abnehmen, wührend t über alle Grenzen wächst; das Ellipsoid wird sich daher unbegrenzt ab- platten. In allen diesen Fällen wird aber die Funktion ø niemals negative Werthe annehmen, so dass diese Bewegungen ohne Annahme eines äussern Druckes physisch móglich sind. © 8 Wir wollen jetzt zu dem Fall übergeben, in welchem ọọ von Null verschieden ist, also wührend der ganzen Bewegung Rotation Statt findet. Zufolge der am Ende des $. 6. angeführten Eigenschaften der Funktion f (с) und ihrer Derivirten f’(«) giebt es stets einen und nur einen Werth д, welcher der Gleichung t ? 02 f (д) = x genügt, und zwar ist 0< 0 < 1. Betrachten wir nun die Function y (а) = Г (0) = — (е), so ergiebt sich leicht, dass v (0) = О und dass v(«), wenn « von О bis à wächst, beständig abnimmt, also negativ wird, und für œ — д den kleinsten Werth w (д) erreicht, der also ebenfalls negativ ist; wächst dann œ weiter, 38 G. LEJEUNE DIRICHLET, so wächst auch y Ce) und zwar mit с über alle Grenzen. ` Die Gleichungen der Bewegung nehmen nun die folgenden Formen an 1 dæ ж Ое + - yo еы Pd CEET =), T du 10 0 — „(д + бет” (0) = 0 (2 + D =) + Seny (a) = Ben [ (ао) +k] in denen zur Abkürzung ау (а) ncc а r Cd . 1. da " PT, — "IV - Fo) = ү (6); e el, en gesetzt ist. Hieraus geht zunächst hervor, dass für die ganze Dauer der Bewegung | v(e) € v (e) +k und folglich & stets unterhalb einer angebbaren endlichen Grenze liegen muss; das Vorhandensein auch der geringsten anfánglichen Rotationsbewegung ver- hindert also eine unbegrenzte Verlängerung des Sphäroids. Da ferner (9) der algebraisch kleinste Werth der Funktion у (с) ist, so haben wir je nach dem Werth der Constante у (со) + E nur drei Fälle zu ‚unterscheiden. 1) Pla) += v(?) Dies ist, da / nicht negativ sein kann, nur dann möglich, wenn Ё = 0, und ао = д, also d ES = 0 und o$ = e2/'(«9), also e, — 1 ist; in diesem Falle muss с constant = « bleiben, so dass die Bewegung in einer gleichfórmigen Rotation eines abgeplatteten Sphüroids. von unver- änderlicher Gestalt um die kleine Axe besteht, was der zuerst von Maclaurin behandelte Fall ist. Bekanntlich ist erforderlich, dass der "Werth. von 02 einen bestimmten numerischen, Werth 0,2246 .. nicht übersteigt; fur jeden unterhalb dieser Grenze liegenden Werth vop 02 existiren zwei verschiedene UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 39 entsprechende. Sphároide, die identisch werden, wenn о? diesen Grenzwerth selbst erreicht. Ferner leuchtet ein, dass die Grósse о dann einen unver- änderlichen positiven Werth hat, dass also die Bewegung wieder ohne einen äussern Druck physisch möglich ist. Endlich ergiebt sich auch umgekehrt, dass œ nur unter den Bedingungen dieses Falles constant sein kann. 2) VO) < y(u) + Е < 0. Dieser Fall ist, da / nicht negativ sein kann, nur dann möglich, wenn es < “of (eo) d und ausserdem der absolute Werth von CG eine von ọọ und со abhängige 0 Grenze nicht übersteigt. Die Gleichung у (о) = у (со) + k hat dann zwei bestimmte Wurzeln с’ und e e, und zwar ist 0 < а’ < д. Hieraus folgt, dass œ stets zwischen den beiden Grenzen c' und с” liegen muss, und in der That wird œ abwechselnd diese beiden Grenzwerthe, stets nach Verlauf derselben Zeit a fu + Se — wis T — erreichen; die Rotationsgeschwindigkeit ist bei dem Minimumwerth e zu klein, bei dem Maximumwerth œ” zu gross, als dass die flüssige Masse ihre augenblickliche Gestalt beibehalten könnte. Auch ist zu bemerken, dass, wenn die Rotationsgeschwindigkeit im Augenblicke der grössten Verlängerung des Sphäroids einen gewissen Werth übersteigt, diese Bewegung nur unter der Wirkung eines hinreichend starken äussern Druckes physisch möglich ist. 3) w(«) 9 ‚In diesem Falle hat die Gleichung у Le) = (ао) + k eine einzige Wurzel, und es wird daher entweder von vornherein, oder wenigstens nach Ablauf einer /endlichen Zeit das Sphároid anfangen, sich immer mehr und ohne: Grenzen abzuplatten. Auch hier gilt die eben gemachte Bemerkung über. die-physische Möglichkeit der Bewegung. 40 G. LEJEUNE DIRICHLET, $: 8 Die soeben behandelten Fälle bieten die Eigenthümlichkeit dar, dass in ihnen die Werthe der drei in $. 4. mit P’, Q', R' bezeichneten Verbindungen wührend der ganzen Dauer der Bewegung verschwinden. Ез erschien nun der Mühe werth zu untersuchen, ob ausser den genannten Fällen noch andere möglich sind, welche dieselbe Eigenschaft besitzen. Durch eine sorgfältige Analyse ergab sich, dass noch zwei andere solche Bewegungen mit den Fundamentalgleichungen (a) in Uebereinstimmung gebracht. werden können. Die erste derselben wird durch die Gleichungen а 2 Шу yon ri me Dow LI di Ze ds. i* „т. 20 dim m? wf. 24 29 ds. n? de A? “9 7 лгу ^ qp P E "Bim*g ^ dp nr 9,4 Саз ausgedrückt, in denen zur Abkürzung d e (+ 5) hanai gesetzt 1511); allein hier reicht das von dem Princip der lebendigen Kraft herrührende Integral nicht aus, um das Problem auf Quadraturen | zurück- zuführen. » Der zweite Fall, welcher sich bei der Untersuchung auf eine eigen- thümliche Weise von den übrigen absondert, giebt das schóne von Jacobi gefundene Resultat, dass ein dreiaxiges Ellipsoid, dessen Axen A, B, C der Bedingung ao aD S ds 1 JE 1 JF - [2 de EE rg Hab At H E EE а+ыа+р Er genügen, um die kleinste Axe C mit constanter Winkelgeschwindigkeit, deren Quadrat e 1) Diese Gleichungen finden sich an verschiedenen Stellen; aber ohne weitere Discussion, in den von Dirichlet hinterlassenen Papieren. UNTERSUCHUNGEN ÜBER EIN PROBLEM DER HYDRODYNAMIK. 41 © 2ert sds Ba ; 4 d d m ii ist, rotiren kann, so dass т == а cos kt + b sinkt, y = — a sin kt + b cos kt, 5 = с die Gleichungen der Bewegung sind. Aus dieser Untersuchung ergiebt sich also auch das Resultat, dass ein flüssiges homogenes Ellipsoid, dessen Elemente sich gegenseitig nach dem Newtonschen Gesetze anziehen, nur dann wie ein fester Kórper um seinen Schwerpunkt rotiren kann, wenn die Bewegung um eine feste, mit einer der Hauptaxen des Ellipsoids zusammenfallende Axe geschieht, was der von Maclaurin und Jacobi untersuchte Fall ist!); offenbar nämlich würden ausser den Gleichungen Р’ = 0, Oz, R'=0 noch die Bedingungen P=1, 0=1, R=1 zu erfüllen sein, wodurch die übrigen ausser den beiden soeben erwähnten Fällen ausgeschlossen werden. Die geometrische Bedeutung der Gleichungen Р’ —0, Q'—0, R'=0 besteht darin, dass diejenigen Elemente der flüssigen Masse, welche an- fänglich auf den drei Coordinatenaxen, also auf den Hauptaxen liegen, auch während der ganzen Bewegung drei zu einander senkrechte Gerade erfüllen; da nun andererseits aus der linearen Natur der Ausdrücke für æ, y, z erhellt, dass solche Theilchen der flüssigen Masse, welche ursprünglich in drei conjugirten Durchmessern liegen, dieselbe Eigenschaft stets beibehalten, so ist der eigentliche Sinn der erwühnten drei Gleichungen der, dass die drei Hauptaxen des Ellipsoids stets von denselben Elementen der flüssigen Masse gebildet werden. Es lag nun nahe, eine verwandte Hypothese zu machen, die nàmlich, dass die Richtungen der drei Hauptaxen stets unverändert blei- ben; bedient man sich der in $. 4. eingeführten Bezeichnungen, so wird diese Forderung durch die drei Gleichungen T= 0, Т' = 0, T" = 0 aus- gedrückt und sie ist offenbar sowohl in dem ersten der beiden in diesem $. erwähnten Fälle, als auch in demjenigen erfüllt, welcher vorher (in $. 6—8.) 1) Diese Bemerkung ist fast wörtlich einem Briefe Dirichlets an Herrn Kronecker entnommen. Mathem. Classe. VIII. F 42 G.L. DIRICHLET, UNTERSUCH. ÜBEB EIN PROBLEM D. HYDRODYNAMIK. ausführlich behandelt ist; ausserdem ergab aber die Durchführung dieser Hypothese noch einen dritten Fall, welcher ein schónes Seitenstück zu dem soeben angeführten von Jacobi herrührenden Satze bildet und sich auf folgende Weise aussprechen lässt: Ein jedes dreiaxige Ellipsoid, welches dem Satze von Jacobi genügt, kann auch seine äussere Gestalt und Lage unverändert beibehalten, wenn eine innere Bewegung der Elemente Statt findet, die durch die Gleichungen 3 B. 2 = a cos Et +02 sin kt, y=— a^, sin К + b cos kt, s=e ausgedrückt wird, in denen die Constante E die frühere Bedeutung hat; jedes Theilchen beschreibt eine Ellipse, deren Gleichungen 2? y? a? b? еру s sind, und zwar in derselben Weise, wie wenn es isolirt wäre und gegen den Mittelpunkt seiner Bahn durch eine der Entfernung proportionale Kraft angezogen würde, deren Mass für die Einheit der Entfernung = A? ist. Ueber die Fortpflanzung ebener Luftwellen von endlicher Schwingungsweite. Von B. Riemann. Der Königlichen Societät vorgelegt am 22. November 1859. NET die Differentialgleichungen, nach welchen sich die Bewegung der als unendlich kleine Brüehtheile des ganzen Drucks betrachtet werden können, und man hat sich bis auf die neuste Zeit begnügt, nur die ersten Potenzen dieser Bruchtheile zu berücksichtigen. Erst ganz vor Kurzem hat Helm- holtz auch die Glieder zweiter Ordnung mit in die Rechnung gezogen und daraus die objective Entstehung von Combinationstönen erklärt. Es lassen sich indess für den Fall, dass die anfängliche Bewegung allenthalben in gleicher Richtung stattfindet und in jeder auf diese Richtung senkrechten Ebene Geschwindigkeit und Druck constant sind, die exacten Differential- gleichungen vollständig integriren ; und wenn auch zur Erklärung der bisjetzt experimentell festgestelllen Erscheinungen die bisherige Behandlung vollkommen ausreicht, so könnten doch, bei den grossen Fortschritten, welche in neuester Zeit durch Helmholtz auch in der experimentellen Behandlung akustischer Fragen gemacht worden sind, die Resultate dieser genaueren Rechnung in nicht allzu ferner Zeit vielleicht der experimentellen Forschung einige Anhalts- punkte gewühren; und dies mag, abgesehen von dem theoretischen Interesse, welches die Behandlung nicht linearer partieller Differentialgleichungen hat, die Mittheilung derselben rechtfertigen. F2 44 B. RIEMANN, Für die Abhängigkeit des Drucks von der Dichtigkeit würde das Boyle- sche Gesetz vorauszuselzen sein, wenn die durch die Druckveränderungen bewirkten Temperaturverschiedenheiten sich so schnell ausglichen, dass die Temperatur des Gases als constant betrachtet werden dürfte. Es ist aber wahrscheinlich der Wärmeaustausch ganz zu vernachlässigen, und man muss daher für diese Abhängigkeit das Gesetz zu Grunde legen, nach welchem sich der Druck des Gases mit der Dichtigkeit ändert, wenn es keine Wärme aufnimmt oder abgiebt. Nach dem Boyle'schen und Gay-Lüssac'schen Gesetze ist, wenn c das Volumen der Gewichtseinheit, p den Druck und T die Temperatur von — 2730C an gerechnet bezeichnet log p + log e = log T + const. Betrachten wir hier T als Function von p und v und nennen die spe- cilische Wärme bei constantem Drucke c, bei constantem Volumen с’, beide auf die Gewichtseinheit bezogen, so wird von dieser Gewichtseinheit, wenn p und e sich um dp und de ändern, die Würmemenge | ,dT - de E s p d log T diogT — oder, da d logo > — deen T (edloge + c'dlog p) aufgenommen. Wenn daher keine Wärmeaufnahme stattfindet, so ist H dlog p — — 5,4 log e, und also, wenn man mit Poisson annimmt, dass das Verhältniss der beiden specifischen Wärmen = k von hi. aa und Druck unabhängig ist, log p — — Eloge + const. SS | Nach neueren Versuchen von Regnault, Joule und W. Thomson sind diese Gesetze für Sauerstoff, Stickstoff und Wasserstoff ‚und. deren Ge- menge unter allen darstellbaren Drucken und Temperaturen wahrscheinlich sehr nahe gültig. ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 45 Durch Regnault ist für diese Gase eine sehr nahe Anschmiegung an das Boyle'sche und Gay-Lüssac'sche Gesetz und die Unabhängigkeit der specifischen Wärme c von Temperatur und Druck festgestellt worden. Für atmosphärische Luft fand Regnault zwischen — 300C und + 10°С c = 0,2377 $ + 100C „ + 1000C е = 0,2379 5» "410090 ; + 215060 c = 0,2376. Ebenso ergab sich für Drucke von 1 bis 10 Atmosphären kein merklicher Unterschied. der speecifischen Wärme. Nach Versuchen von Regnault und Joule scheint ferner für diese Gase die von Clausius adoptirte Annahme Mayer's sehr nahe richtig zu sein, dass ein bei constanter Temperatur sich ausdehnendes Gas nur so viel Wärme aufnimmt, als zur Erzeugung der äusseren Arbeit erforderlich ist. Wenn das Volumen des Gases sich um de ändert, während die Temperatur constant bleibt, so ist d log p = — d log v, die aufgenommene Wärmemenge T(c— с”) d log e, die geleistete Arbeit p de. Diese Hypothese giebt daher, wenn A das mechanische Aequivalent der Wärme bezeichnet, AT (с — c') d log e = pde oder e Em zi , also von Druck und Temperatur unabhängig. Hienach ist auch Ё = 5 von Druck und Temperatur unabhängig und ergiebt sich, wenn c = 0,237733, A nach Joule = 424,55 Kilogr. met. 1009€ und, für die Temperatur 00C oder T— 0,3665? po nach Regnault — 79907,267 angenommen wird, gleith 1,4101. Die Schallgeschwindigkeit in trockner Luft von 00C beträgt in der Secunde /7990",267 . Oe SOSS k und würde also mit diesem Werthe von E gleich 3327,440 gefunden werden, während die beiden vollständigsten Versuchsreihen von Moll und van Beek dafür, einzeln berechnet, 3327,528 und 331”,867, vereinigt 332”,271 geben und die Versuche von Martins und A.Bravais nach ihrer eignen Berechnung 3327,37. 46 B. RIEMANN, 1. Für's erste ist es nicht nóthig über die Abhängigkeit des Drucks von der Dichtigkeit eine bestimmte Voraussetzung zu machen; wir nehmen daher an, dass bei der Dichtigkeit о der Druck g(o) sei, und lassen die Function ф vorläufig noch unbestimmt. Man denke sich nun rechtwinklige Coordinaten z, y, s eingeführt, die x-Axe in der Richtung der Bewegung, und bezeichne durch o die Dichtigkeit, durch p den Druck, durch и die Geschwindigkeit für die Coordinate x zur Zeit £ und durch œw ein Element der Ebene, deren Coordinate a ist. Der Inhalt des auf dem Element œ stehenden geraden Cylinders von der Höhe dz ist dann ойг, die in ihm enthaltene Masse оойт. Die Aende- rung dieser Masse während des Zeitelements d/ oder die Grösse w 3 di da: bestimmt sich durch die in ihn einstrómende Masse, welche — — em йт di gefunden wird. Ihre Beschleunigung ist = +u = und die Kraft, welche sie : | ES ms dp , d іп der Richtung der positiven z-Axe forttreibt, = — 259 4277 g (о) ode, wenn e Lol die Derivirte von g(o) bezeichnet. Man hat daher für o und и die beiden Differentialgleichungen do e do = md ern = — 9 (Olg eder du de 5 d log o ac Че с үз zu dlog o d log E du und Я > "ME i Wenn man die zweite Gleichung , mit = Уф (о) multiplieirt, zur ersteren addirt und zur Abkürzung C) ЈУУ (0) dlog e = flo) und (2) f) + u= 2, f(p) — и = 2s setzt, so erhalten diese Gleichungen die einfachere Gestalt ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 47 dr , dr ds D (3) 4-—-—(w- Vel) т=— e ve, worin # und o durch die Gleichungen (2) bestimmte Functionen von r und s sind. Aus ihnen folgt (4) dr = 2 (dr — (u + Уу) df) ds (8) ds = 2 (dr — (и — vs'(g)) dt). Unter der in der Wirklichkeit immer zutreffenden Voraussetzung, dass ф'(о) positiv ist, besagen diese Gleichungen, dass r constant bleibt, wenn т sich mit. 4 so ändert, dass de == (и + veel dí, und s constant bleibt, wenn = sich mit / so ändert, dass de = (и — Уф'(0)) dt ist. Ein bestimmter Werth von r oder von /(0) + u rückt daher zu grösseren Werthen von æ mit der Geschwindigkeit veel + u fort, ein bestimmter Werth. von. s oder von f(g) — и zu kleineren Werthen von = mit der Geschwindigkeit V y (9) — uw. ` ` Ein bestimmter Werth von r wird also nach und nach mit jedem vor ihm. stattfindenden Werthe von s zusammenireffen, und die Geschwindigkeit seines Fortrückens wird in jedem Augenblicke von dem Werthe von s ab- hängen, mit welchem er zusammentrifft. 2. Die Analysis bietet nun zunáchst die Mittel, die Frage zu beantworten, wo und wann ein Werth r' von r einem vor ihm befindlichen Werthe s' von s begegnet, d.h. 2 und £ als Functionen von r und s zu bestimmen. In der That wenn man in den Gleichungen (3) des vor. Art. r und s als unab hängige Variable einführt, so gehen diese Gleichungen in lineare Differential- gleichungen für z und £ über und lassen sich also nach bekannten Methode- integriren. Um die Zurückführung der Differentialgleichungen auf eine linearen zu bewirken, ist es am zweckmässigsten, die Gleichungen (4) und (5) des vorigen Art. in die Form zu setzen: 48 B. RIEMANN, aog ang. | 1)+ Ae 1108 $ (0) 1) 2) (1) de 01-009 (0) f) + (dri C 2e ds j dlo i dlog a q' (2) =F e uereg + ae её gu Man erhält dann, wenn man s und r als an Variable betrachtet, für т und / die beiden linearen Differentialgleichungen : d (= — (и + ^9'(9) D d log үф (o) ub A ы TER d log ọ den У9(0) 0 , (tes Уф (о) _ 1) T dr m d log о ] In Folge derselben ist (3) (= — (u + vg 0)) Ode — (= — (u — vy '(o)) t) ds ein vollständiges Differential, dessen Integral, w, der Gleichung duo dlog У 9' (o) ifa d dw en, d log o : 1 dlog Y '(g) i EN enügt, worin m = ———— (——————— — 1), also eine Function von r + s ist. Setzt man /(0) =r + s = 6, so wird Vg (0) = fiori , folglich d log 2 ee K KA Bei der Poisson'schen Annahme oe e )=aa p wird До) = емы ih ‚ + const. und, wenn man für die willkührliche Constante den Werth Null wühlt , k+1 а Ы Ce vo а= 2, + v^9 (9 + и = rpi qus Ge en шы Roda cht, wer dr: 2 (k—1)(r + sj Unter Voraussetzung bs Boyle'schen Gesetzes ф(0) = aao erhält man ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 49 Го) = a log e Ме (о)+®=т—з-+ а, Vy()—-u=s—-r+a ES 1 Werthe, die айз den obigen fliessen, wenn man f(o) um die Constante дау k k 1 ч 73 also r und s um 7 vermindert und dann 4 = 1 setzt. Die Einführung von r und s als unabhängig veränderlichen Grössen ist indess nur möglich, wenn die Determinante dieser Functionen von 2 und 4, welche = Wọ 9 Pk. CS er nicht verschwindet, also nur, wenn = und d beide von Null verschieden sind. Wenn = 0 ist, ergiebt sich aus (1) dr—0O und aus (2) 2 — (u— У (0))/ — einer Function von s. Es ist folglich auch dann der Ausdruck (3) ein vollständiges Differential, und es wird w eine blosse Function von s. : ` ds : Aus ähnlichen Gründen werden, wenn 5. = O ist, s auch in Bezug auf £ constant, z — (u + Vg '(g)) t und w Functionen von r. Wenn. endlich e und T. beide — О sind, so werden in Folge der Differentialgleichungen r, s und w Сопзіапіеп. +7 Um die Aufgabe zu lösen, muss nun zunächst w als Function von r und s so bestimmt werden, dass sie der Differentialgleichung dw | (1) en et KE und den Anfangsbedingungen genügt, wodurch sie bis auf eine Constante, die ihr offenbar willkührlich hinzugefügt werden kann, bestimmt ist. Wo und wann ein bestimmter Werth von r mit einem bestimmten Werthe von $ zusammentrifft, ergiebt sich dann aus der Gleichung Maihem. Classe. ҰШ. 50 B. RIEMANN, (23) (= —– («+ vele (090 dr — (т — (и — vele 0)) t) ds = dw; und hierauf findet man schliesslich и und о als Functionen von 2 und t durch Hinzuziehung der Gleichungen (3) rei tu fr, fe) — = = 2%. In der That folgen, wenn nicht etwa in einer endlichen Strecke dr oder ds Null und folglich r oder s constant ist, aus (2) die Gleichungen D — (и + ужо)! = vet vane dw (8) 2 —(w— 10) 4.77199, durch deren Verbindung mit (3) тап w und o in æ und / ausgedrückt erhält, Wenn aber r anfangs in einer endlichen Strecke denselben Werth. г’ hat, so rückt diese Strecke allmählich zu grösseren Werthen von 2: fort. Innerhalb dieses Gebietes, wo r = r', kann man dann aus der Gleichung (2) den Werth von z — (u+ E Ф (0)) t nicht ableiten, da dr = 0; und iu der That lässt die Frage, wo und wann dieser Werth r’ einem. bestimmten Werthe von s begegnet, dann keine bestimmte Antwort zu. Die Gleichung (4) gilt dann nur an den Grenzen dieses Gebietes und. giebt an, zwischen welchen Werthen von z zu einer bestimmten Zeit der constante Werth r' von r stattfindet, oder auch, während welches Zeitraums .r an einer be- stimmten Stelle diesen Werth behält. Zwischen diesen Grenzen bestimmen sich und о als Functionen von 2 und / aus den Gleichungen (3) und (55, Auf ähnlichem Wege findet man diese Functionen , wenn s den Werth з’ іп einem endlichen Gebiete besitzt, während r veränderlich ist, sowie auch wenn r und s beide constant sind. In letzterem Falle nehmen sie zwischen gewissen durch (4) und (5) bestimmten Grenzen constante aus (3) fliessende Werthe an. | | A. аѓтнйэзэ Bevor wir die Integration der Gleichung (1) des vor. Art. in Angriff nehmen, scheint es zweckmässig, einige Erórterungen voraufzuschicken, ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 51 welche die Ausführung dieser Integration nicht voraussetzen. Ueber die Function g(9) ist dabei nur die Annahme nöthig, dass ihre Derivirte bei wachsendem о nicht abnimmt, was in der Wirklichkeit gewiss immer der Fall ist; und wir bemerken gleich hier, was im Der Art. mehrfach angewandt werden wird, dass dann еее ALD _ = («оу + (1 — «) о») de, wenn nur eine der Grössen оу und 9» xd Mw; entweder constant bleibt oder mit dieser Grösse zugleich wächst und abnimmt, woraus zugleich folgt, dass der Werth dieses Ausdrucks stets zwischen ф (оу) und e (02) liegt. Wir betrachten zunächst den Fall, wo die anfängliche Gleichgewichts- stórung auf ein endliches durch die Ungleichheiten a < 2 < b begrenztes Gebiet beschränkt ist, so dass ausserhalb desselben w und о und folglich auch r und s constant sind; die Werthe dieser Grössen für s < а mögen durch Anhángung des Index 1, für z zb durch den Index 2 bezeichnet werden. Das Gebiet, in welchem r veränderlich ist, bewegt sich nach Art. I allmáhlich vorwärts und zwar seine hintere Grenze mit der Geschwindigkeit ven? + жа, während die vordere Grenze des Gebiets, in welchem s veränderlich ist, mit der Geschwindigkeit v d — но rückwärts geht. Маса оний дд ена. TÜRE CS (3) -F*:- een daher beide./Gebiete en auseinander, und zwischen ihnen ei sich ein Raum, in welchem s = s2 und r = rı ist und folglich die Gastheilchen wieder im Gleichgewicht sind. Von der anfangs erschütterten Stelle gehen also zwei nach entgegengesetzten Richtungen fortschreitende Wellen aus. In der vorwärtsgehenden ist s = s2; es ist daher mit einem bestimmten Werthe o der Dichtigkeit stets die Ge- schwindigkeit u = f(9) — 28: verbunden, und beide Werthe rücken mit der constanten Geschwindigkeit Je Tots = FIUT f(o) — 282 vorwärts. In der rückwärtslaufenden ist dagegen mit der Dichtigkeit о die Geschwin- digkeit — f(9) + ?rı ` verbunden, und diese beiden Werthe bewegen sich mit der Geschwindigkeit //g'(0) + flo) — ?rı rückwärts. Die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit ist für grössere Dichtigkeiten eine grössere, da sowohl Ky (o); als fol mit о zugleich wächst. G2 52 B. RIEMANN, Denkt man sich o als Ordinate einer Curve für die Abscisse x, so be- есі sich jeder Punkt dieser Curve parallel der Abscissenaxe mit. constanter Geschwindigkeit fort und zwar mit desto grösserer, je grösser seine Ordinate ist. Мап bemerkt leicht, dass bei diesem Gesetze Punkte mit grösseren Ordinaten schliesslich voraufgehende Punkte mit kleineren Ordinaten über- holen würden, so dass zu einem Werthe von x mehr als ein Werth von o gehören würde. Da nun dieses in Wirklichkeit nicht stattfinden kann, so muss ein Umstand eintreten, wodurch dieses Gesetz ungültig wird. In der That liegt nun der Herleitung der Differentialgleichungen die Voraussetzung zu Grunde, dass œ und о stetige Functionen von = sind und endliche Derivirten haben; diese Voraussetzung hört aber auf erfüllt zu sein, sobald in irgend einem Punkte die Dichtigkeitscurve senkrecht zur Abscissenaxe wird, und von diesem Augenblicke an tritt in dieser Curve eine Discontinuität . ein, so dass ein grösserer Werth von o einem kleineren unmittelbar nachfolgt; ein Fall, der im nächsten Art. erörtert werden wird, Die Verdichtungswellen, d. h. die Theile der Welle, in welchen die Dichtigkeit in der Fortpflanzungsrichtung abnimmt, werden demnach bei ihrem Fortschreiten immer schmäler und gehen schliesslich іп Verdichtungssiösse über; die Breite der Verdünnungswellen aber wächst beständig der Zeit proportional. Es lässt sich, wenigstens unter Voraussetzung des Poisson schen (oder Boyle’schen) Gesetzes, leicht zeigen, dass auch dann, wenn die anfängliche Gleichgewichtsstörung nicht auf ein endliches Gebiet beschränkt ist, sich stets, von ganz besonderen Fällen abgesehen, im Laufe der Bewe- gung Verdichtungsstösse bilden müssen. Die Geschwindigkeit, mit welcher ein Werth von r vorwärts rückt, ist bei dieser Annahme ne г —— fe J^ : grössere Werthe werden sich also durchschnittlich mit grósserer Ge, digkeit bewegen, und ein’ grösserer Werth r' wird einen voraufgehenden kleineren Werth r” schliesslich einholen müssen, wenn nicht der mit r” zu- : sammenireffende Werth von s durchschnittlich um (r' — I „ kleiner ist, als der gleichzeitig mit т zusammentreffende. In Ke otn würde . ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 53 s für ein positiv unendliches = negativ unendlich werden, und also für т = + oo die Geschwindigkeit # = + oo (oder auch statt dessen beim Во yle'schen Gesetz die Dichtigkeit unendlich klein) werden. Von speciellen Fällen abgesehen wird also immer der Fall eintreten müssen, dass ein um eine endliche Grösse grösserer Werth von r einem kleineren unmittelbar nachfolgi; es werden folglich, durch ein Unendlichwerden von т йе Differentialgleichungen ihre Gültigkeit verlieren und vorwärtslaufende Ver- dichtungsstósse entstehen müssen. Ebenso werden fast immer, indem - unendlich wird, rückwärtslaufende Verdichtungsstósse sich bilden. d ds Zur Bestimmung der Zeiten und Orte, für welche A oder si unendlich wird und plótzliche Verdichtungen ihren Anfang nehmen, erhält man aus den Gleichungen (1) und (2) des Art. 2., wenn man darin die Function w einführt, dr , d’w d log vg (о) TM dx dp + ~ dlog go + 1) 3 f, ds dw ee = Eo ccu TUM 5. Wir müssen nun, da sich plótzliche Verdichtungen fast immer einstellen, auch. wenn sich Dichtigkeit und Geschwindigkeit anfangs allenthalben stetig ändern, die Gesetze für das Fortschreiten von Verdichtungsstóssen aufsuchen. Wir nehmen an, dass zur Zeit / für z = E eine sprungweise Aenderung von u und о stattfinde, und bezeichnen die Werthe dieser und der von ihnen abhängigen Grössen für 2 = E — 0 durch Anhängung des Index 1 und für zz E 4+ 0 durch den Index 2; die relativen Geschwindigkeiten, mit welchen das Gas sich gegen die Unstetigkeitsstelle bewegt, w; — S, u — = mögen durch бү und eg bezeichnet werden. Die Masse, welche durch ein Element w der Ebene, wo 2 == ë, im Zeitelement dż in positiver Richtung hindurchgeht, 54 B. RIEMANN, ist dann = eu gu di = ps оо dt; die ihr eingedrückte Kraft (e ei — (g2) ) dt und der dadurch bewirkte Zuwachs an Geschwindigkeit vo — vı; man hat daher (ф(о\) — (92)) wdt = (vz — v1) vı о «dt. und vı 9 = v2 2, woraus folgt e; = = ye gel — Ple) also 01 01 — go (1) — Lë (01) — Wee, ya (01) — 9e;) d Q 01 — 02 T 02 papa Für einen Verdichtungsstoss muss оо — ој dasselbe Zeichen, wie т, und es, haben und zwar für einen vorwärtslaufenden das negative, für einen rückwärtslaufenden das positive. Im erstern Falle gelten die oberen Zeichen und o ist grösser, als oo; es ist daher, bei der zu Anfang des E Artikels gemachten каерды! über die Function ф(о) F (3) m + 39 (о) > g 74 ty); und folglich rückt die Unstetigkeitsstelle о fort'als die nachfolgenden und schneller als die voraufgehenden Werthe von r; rı und rs sind also in jedem Augenblicke durch die zu beiden Seiten der Unstetigkeitsstelle geltenden Differentialgleichungen bestimmt. Dasselbe gilt, da die’ Werthe von s sich mit der Geschwindigkeit Ze Col — u rückwärts bewegen, auch für s» und folglich für оо und ug, aber nicht für sı. Die Werthe von s, und si be- stimmen sich aus rı, обо und wo eindeutig durch die Gleichungen (1). In der That genügt der Gleichung (3) 2 (т = т) = fla) E f C02) hA ya — 2) all gei nur ein Werth von o: denn die rechte Seite nimmt, wenn e von 02 ап in's Unendliche wächst, jeden positiven Werth nur einmal an, da sowohl f(Ceı) als auch die beiden Factoren va SE) S SS Ze zie Ex zea, in 2 1 Vie as. welche sich das letzte Glied zerlegen lässt, beständig. wachsen oder doch nur der letztere Factor constant bleibt. Wenn aber o, bestimmt is, verhält ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 55 man durch die Gleichungen (1) offenbar völlig bestimmte Werthe Tür «, dë und dt Ganz Aehnliches gilt für einen rückwürtslaufenden Verdichtungsstoss. 6. Wir haben eben gefunden, dass in einem fortschreitenden Verdichtungs- stosse zwischen den Werthen von и und о zu beiden Seiten desselben stets оз — 02) C9(e1) — 9(e2) 2 die Gleichung (u, — uz)? = e stattfindet, Ез fragt sich nun, was eintritt, wenn zu einer gegebenen Zeit an einer gegebenen Stelle beliebig gegebene Unstetigkeiten vorhanden sind. Es kónnen dann von dieser Stelle, je nach den Werthen von wi, 01, "2, оо, entweder zwei nach ent- gegengeselzlen Seiten laufende Verdichtungsstösse ausgehen, oder ein vor- wärtslaufender, oder ein rückwärtslaufender, oder endlich kein Verdichtungs- stoss, so dass die Bewegung nach den Dilfferentialgleichungen erfolgt. Ветеісһпеі man die Werthe, welche a und о hinter oder zwischen den Verdichtungsstössen Jm ersten Augenblicke ihres Fortschreitens annehmen, durch Hinzufügung: eines Accents, so ist im ersten Falle о’ > o; und > б», und man hat , — 01) (Фо) — ) (1) є сулу з асе SCH Zë yıza е — Yle) Er uu (— e) Cole) — фе) | рие ез) 10) — яе) o о Gs Es muss also, da beide Glieder der rechten Seite von (2) mit o' zugleich wachsen, an — uz positiv sein und (w, — #2)? > (e — ез) e — Plea). und umgekehrt giebt es, wenn diese Bedingungen erfüllt sind, stets ein und nur ein den Gleichungen (1) genügendes Werthenpaar von a und e, Damit der letzte Fall eintritt und also die Bewegung sich den Differen- tialgleichungen gemäss bestimmen lässt, ist es nothwendig und hinreichend, dass rj rg opd eu зә sei, also иу — wo negativ und (uj — #2)? 2 (f(e1) — Ѓ(02) )?. 56 B. RIEMANN, Die Werthe гу und ro, s; und sọ treten dann, da der voraufgehende Werth mit grósserer Geschwindigkeit fortrückt, im Fortschreiten auseinander, ` so dass die Unstetigkeit verschwindet. : Wenn weder die ersteren, noch die letzteren Bedingungen erfüllt sind, so genügt den Anfangswerthen ei» Verdichtungsstoss, und zwar ein vorwärts oder rückwärts laufender, je nachdem o grösser oder kleiner als oo ist. In der That ist dann, wenn o > оо, 2(r;— r2) oder [01 ) —f(92) + *1— uz positiv, — weil (ш — u2)? < (/(01) — f(92]? —, und zugleich S: f(9)—f(02) " p & е Ge) — ve — weil (u — wë (01 — e») СФ(01) — Fe). Q1 02 9 01 02 es lässt sich also für die Dichtigkeit о’ hinter dem Verdichtungsstoss. ein der Bedingung (3) des vor. Art. genügender Werth finden und dieser ist — i. Folglich wird, da s'—f(9') —n1, sı —f(&) —rı, auch в" < 81, so dass die Bewegung hinter dem Verdichtungsstosse nach den Differentialgleichungen erfolgen kann. Der andere Fall, wenn оу < 95, ist offenbar von diesem nicht wesent- lich verschieden. ds Um das Bisherige durch ein einfaches Beispiel zu erläutern, wo sich die Bewegung mit den bisjetzt gewonnenen Mitteln bestimmen lässt, wollen wir annehmen, dass Druck und Dichtigkeit von einander nach dem Boyle- schen Gesetz abhangen und anfangs Dichtigkeit und Geschwindigkeit sieh bei а = 0 sprungweise ändern, aber zu beiden Seiten dieser Stelle constant sind. Es sind dann nach dem Obigen vier Fälle zu unterscheiden. І. Wenn u, — u > 0, also die beiden Gasmassen sich einander ent- gegen bewegen und (o ? pa е — е) : a 0 02 gesetzt laufende Verdichtungsstósse. Nach Art. 6.(1) ist, wenn Ft durch 2 so bilden sich zwei entgegen- Ha 1 е und durch 0 die positive Wurzel der Gleichung u [Em А d be- S a ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 57 zeichnet wird, die Dichtigkeit zwischen den Verdichtungsstössen o'— 00 Vor о», und nach Art. 5. (1) hat man für den vorwürtslaufenden Verdichtungsstoss ds EEN > д = dae) = и T A für den rückwärtslaufenden die Werthe der Geschwindigkeit und Dichtigkeit sind also nach Verlauf der Zeit 1, wenn (ж — a ^t гг (u+ a«ĝ)t, и und o, für ein kleineres r u, und oy und für ein grösseres ио und go. IL" Wenn ж — «5 — О, folglich die Gasmassen sich aus einander à uj — un? 01.2 bewegen, und zugleich ( > (log d , so gehen von der Grenze nach entgegengesetzten Richtungen zwei allmählich breiter werdende Verdün- nungswellen aus. Nach Art. 4. ist zwischen ihnen r—7,, s—$2, И 7) — 82. In der vorwärtslaufenden ist s = s» und x — (u + а)! eine Function von r, deren Werth, aus den Anfangswerthen 7 — 0, 2 = 0, sich = 0 findet; für die rückwärtslaufende dagegen hat man r=r, und z — (и — a)t=0. Die eine Gleichung zur Bestimmung von w und о ist also, wenn (ri — $2 + a)! 02, so ent- steht eine rückwärtslaufende Verdünnungswelle und ein vorwärtsschreitender Verdichtungsstoss, Für letzteren findet sich aus Art. 5, (3), wenn 0 die ау, 4 i : Wurzel der Gleichung DERE = 2log0 +9 — å bezeichnet, о’ = 0002 und in Art. 5, (1) SÉ ge + a0 =“ + 7 Nach Verlauf der Zeit / ist demnach vor dem Verdichtungsstosse, also wenn = > (uz + a0)t, u= u, Maihem. Classe. VIII. H 58 B. RIEMANN, о = 02; hinter dem Verdichtungsstosse aber hat man r = ту und ausserdem, , T p. e i wenn (an —a)t d i und ein einfaches Integral, welches sich, weil sich = mit s, Si mit r und w mit beiden Grössen stetig ändert, nur über die Begrenzung von (S) erstrecken wird. Вейешеп dr und ds die Aenderungen von r und s in einem Begren- zungselemente, wenn die Begrenzung in der Richtung durchlaufen wird, welche gegen die Richtung nach Innen ebenso liegt, wie die positive Rich- tung in den Curven (г) gegen die positive Richtung in den Curven e) j ist dies Begrenzungsintegral — — f Ce (È — mw) ds + w (Су + mo) dr). Das Integral durch die ganze Begrenzung von S ist gleich der Summe der Integrale durch die Curven c, (s^), (r^), welche diese Begrenzung bil- den, also, wenn ihre Durchschnittspunkte durch (e, r' I (CHE » RE dl ei bezeichnet werden, — ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 61 . g ^ "М T r e Rn BC Я с, T CyS з, Von diesen drei Bestandtheilen enthült der erste ausser der Function e nur bekannte Grössen, der zweite enthält, da in ihm ds = O ist, nur die un- bekannte Function w selbst, nicht ihre Derivirten; der dritte Bestandtheil aber kann durch partielle Integration in £F dv ee tler ше ЭО“ verwandelt werden, so dass-in ihm ebenfalls nur die gesuchte Function w selbst vorkommt. Nach diesen Umformungen liefert die Gleichung (2) offenbar den Werth der Function w im Punkte Ce", s’) durch bekannte Grössen ausgedrückt, wenn man die Function e den folgenden Bedingungen gemäss bestimmt: ї de dmv dmo ` 1) allenthalben in S: ze ka tp 0 2) eeh e Уе + me = 0 (3) А ,, dv 3) für s. $t т m = 0 A) für r =r, geg gei, Man hat dann ed dw dv = : — — — d (4) wë y er T E Si (е Сс; mw) йз + w Gg + mv) dr) 9. Durch das eben angewandte Verfahren wird die Aufgabe, eine Function w einer linearen Differentialgleichung und linearen Grenzbedingungen gemäss zu bestimmen, auf die Lösung einer ähnlichen, aber viel einfacheren Aufgabe für eine andere Function e zurückgeführt; die Bestimmung dieser Function erreicht man meistens am Leichtesten durch Behandlung eines speciellen Falls jener Aufgabe: nach der Fourier'schen Methode. Wir müssen uns hier begnügen, diese Rechnung nur anzudeuten und das Resultat auf anderem Wege zu beweisen. 62 B. RIEMANN, Führt man in der Gleichung (1) des: vor. Art. für r und s als unabhängig veründerliche Grössen o =r + s und u =r — s ein und: wählt man für die Curve c eine Curve, in welcher o constant ist, so lässt sich die Aufgabe nach den Regeln Fourier's behandeln, und man erhält durch Vergleichung des Resultats mit der Gleichung (4) дең vor. Art, wenn r'4- $ — o’, г — 3 = ц’ меш wird, ve A A 2 Ge ) yolo) — yolo’) wı(o)) du, worin 4л (0) iid Vo(co) zwei solche particulare Lósungen der Differential- gleichung Y” — 2m w' + uuy = О bezeichnen, dass улшо — way’ = d Bei Voraussetzung des Poisson'schen Gesetzes, nach ‚welchem m=(5 — c А: kann man y; und у durch bestimmte Integrale aus- drücken, so dass man für v ein dreifaches Integral erhült, durch dessen Reduction sich a. | бр т xi dl kb jo een FG ER URL а] t a RR Pre) Man kann nun die e dieses Ausdrucks leicht beweisen, indem man zeigt, dass er wirklich den Bedingungen (3) des vor. Art. genügt. Setzt man ale ny so gehen diese für y über i in 25 + mm) y—0 und y = 1 sowohl für r= r’, als für s =з. Bei der Кабы schen An- nahme kann man aber diesen Bedingungen genügen, wenn man annimmt, ‚dass (r — r^) (s — s) | : ir Єз) (r+ s) т durch 4 bezeichnet, mesi, also in mm == — с do y eine Function von 5 = — sei. Denn es wird dann, wenn nini inm 2 E Жу з T4748 iba (1—2)- zi 9). Es ist folglich amps y. und. y eine Lósung der Differentialgleichung D Der A A А2 gr und Ty 2 d log ai паз t+ dri) aom 0 ÜBER DIE FORTPLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 63 oder nach der in meiner Abhandlung über die Gauss'sche Reihe einge- " führten Bezeichnung eine Function —140 01+20 z) und zwar diejenige particulare Lösung, welche für = = O gleich 1 wird. Nach den in jener Abhandlung entwickelten Transformationsprincipien lásst sich y nicht bloss durch die Functionen P (0, 22 + 1, 0), sondern auch durch die Functionen P(4, 0, 24- 1), PO 24- 4, 24+ 4) ausdrücken; man erhält daher für y eine grosse Menge von Darstellungen durch hypergeometrische Reilien und bestimmte Integrale, von denen wir hier nur die folgenden À 3 —1—À 5 —F(1--4,—2,1,3] =(1—в) F(-4,—4,1,—)—(1—5) F(1+4, 14-4177) bemerken, mit denen man in allen Fällen ausreicht. Um aus diesen für das Poisson'sche Gesetz gefundenen Resultaten die für das Boyle’sche geltenden abzuleiten, muss man nach Art. 2. die Grössen 9175, афи : rs, r,s um у -j vermindern und dann k = 1 werden lassen, wodurch man erhält m —-.— 2 und 2a 1 D , n n — (r— ssa 00e ра par iB le 2 T $—5) &*(r—r') (s s o п! п! Ge" г 10. Wenn man den im vor. Art. gefundenen Ausdruck für е in die Gleichung (4) des Art. 8. einsetzt, erhält man den Werth von w für r—r's-s' durch die Werthe von w, e und zd in der Curve c ausgedrückt; da aber bei | "ede di е. unserm Problem in dieser Curve immer nur SS und z unmittelbar gegeben sind und w erst dureh eine Quadratur aus ihnen gefunden werden müsste, so ist es zweckmässig, den Ausdruck für wr',s so umzuformen, dass unter dem Integralzeichen nur die Derivirten von w vorkommen. dv Man bezeichne die Integrale der Ausdrücke — meds + С + me) dr und e d dmo , dmo G + то) ds — medr, welche in Folge der Gleichung I t с = 0 64 B. RIEMANN, vollständige Differentiale sind, durch P und 2 und das Integral von Pdr + Zds, 5 | А al welcher Ausdruck wegen E — mo = er ebenfalls ein vollständiges Diffe- rential ist, durch w. Bestimmt man die Integrationsconstanten in diesen Integralen so, dass do de ,. . e : 0, Y. und e für r =r’, s= s' verschwinden, so genügt œw den Gleichungen do 4 , cke е ee als für s — s der Gleichung o = О und ist, beiläufig bemerkt, durch diese Grenzbedingung und i : : s do d d оне, . die Differentialgleichung da? ES — E +1) = O völlig bestimmt. - Führt man nun in dem Ausdrucke von w, für v die Function о ein, so kann man ihn durch partielle e Ze in do dw M. Nod itr E +97 д о umwandeln. Um die Bewegung des Gases aus dem Anfangszustande zu bestimmen, muss man für c die Curve, in welcher ¿= 0 ist, nehmen; in dieser Curve hat man dann a, - == — т, und man erhält durch abermalige к Integration ;8 ое + Г (mdr — т), folglich nach Art. 3., (4) und (5) ге db (е — (Уе (ө) + 0) Dy „= 2 +/[ a fr (2) à EM m 3 w | (т + (Ме (ө) a D. ke od. ж Diese Gleichungen (2) drücken aber die кР nur aus, so lange d’w log 4 d + “туе + 1): und — Fh = 4 (e) +1): von Null ver- schieden bleiben. Sobald eine fni cu тышкы аы, entsteht еш Verdichtungsstoss, und die Gleichung (1) gilt dann nur innerhalb solcher ÜBER DIE FORTPFLANZUNG EBENER LUFTWELLEN. 65 Grössengebiete, welche ganz auf einer und derselben Seite dieses Verdich- tungsstosses liegen. ` Die hier entwickelten Principien reichen dann, wenig- stens im Allgemeinen, nicht aus, um aus dem Anfangszustande die Bewegung zu bestimmen; wohl aber kann man mit Hülfe der Gleichung (1) und der Gleichungen, welche nach Art. 5. für den Verdichtungsstoss gelten, die Be- wegung bestimmen, wenn der Ort des Verdichtungsstosses zur Zeit £, also & als Function von /, gegeben ist. Wir wollen indess dies nicht weiter ver- folgen und verzichten auch auf die Behandlung des Falles, wenn die Luft durch eine feste Wand begrenzt ist, da die Rechnung keine Schwierigkeiten hat und eine Vergleichung der Resultate mit der Erfahrung gegenwärtig noch nicht möglich ist. E Mathem. Classe. VIII. ч айп EN iR CA toe Ў TOU Jug SEEXWATAHO! stt gag] o apb oloh зип ип AES ABHANDLUNGEN DER HISTORISCH - PHILOLOGISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. ACHTER BAND. Hist.-Philol. Classe. VIII. | usda TS? 1 +3. Eine ungedruckte Lebensbeschreibung des Her- zogs Knud Laward von Schleswig, herausgegeben von 6G. n" utti Der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften überreicht am 20. Juni 1858. OOo ou (ës eigenthümlich bedeutende Stellung gewann am Anfang des 12ten Jahr- bunderts der Dänische Prinz Knud, Sohn des Königs Erich Eiegod, als ihm eine herzogliche Gewalt in dem südlichen Theil des Dänischen Reiches über- tragen ward, deren Sitz die hart an der alten Deutschen Grenze belegene, noch aus Anglischer Zeit herstammende und theilweise von Deutschen be- wohnte, durch den Handel, den sie auf der Ostsee trieb, berühmte und angesehene Stadt Schleswig war: er erhieli dadurch namentlich die Grenz- veriheidigung gegen die Slaven, die von Wagrien und den benachbarten Küsten der Ostsee her Dànemark und vornemlich die Jütische Halbinsel feindlich heimsuchten: er setzte aber ihren verwüstenden Angriffen nicht blos einen festen Damm entgegen, sondern durch eine eigenthümliche Verkeitung von Umstünden erlangte er selbst die Herrschaft in dem Slavischen Fürstenthum, das kurz vorher von Wagrien aus begründet war, und trat dadurch zugleich in nähere Beziehungen zu dem Deutschen Reich, dessen König über diese Sla- vische Herrschaft eine Lehnshoheit behauptete: die schon in mancherlei Ver- bindung unter einander stehenden Deutschen, Slavischen und Dänischen Lande südlich und östlich der Elbe wurden dadurch näher an einander geknüpft und die Aussicht zu neuen und wichtigen Entwickelungen gewonnen. Wenn -dies der Stellung Knuds ein allgemeines historisches Interesse verleiht, so ist er in seiner Heimath namentlich auch um seines plötzlichen und gewaltsamen А 2 4 G. WAITZ, Todes willen, in Dänemark vor allem aber als Vater Waldemar I. und Ahnherr des später regierenden Königshauses im Andenken der Menschen geblieben. Begreiflich dass er deshalb die Aufmerksamkeit der Geschichtschreiber in nicht geringem Masse auf sich zog. Helmold sowie Saxo und der Autor der Knytlingasaga, die, jener vom Deutschen, diese vom Dänischen Stand- punkte aus, die Geschichte jener Gebiete aufzeichneten, haben sich ausführ- licher mit ihm beschäftigt. Und schon geraume Zeit vor ihnen schrieb ein Schottischer Bischof, Robertus Elgensis, ein Leben des Herzogs in drei Büchern, das er dem Bruder desselben, dem König Erich Emund, der von 1134 — 1157 regierte, widmete!). Es gehört zu den schmerzlichsten Ver- lusten, welche die Geschichte des Mittelalters noch in neuerer Zeit erfahren, dass die einzige bekannte Handschrift dieses Werkes, ehe es veróffentlicht - oder durch Abschriften vervielfältigt war, in dem unglücklichen Brand der grossen Cottonschen Bibliothek zu Grunde ging: nur sehr dürftige und man- gelhafte Auszüge, die ein Dänischer Gelehrter sich vorher gemacht hatte, sind vorhanden und von Langenbeck in seiner Sammlung der Dänischen Ge- schichtsquellen des Mittelalters (IV, S. 257) bekannt gemacht worden. Ausserdem haben sich nur einige kurze Legenden erhalten, die ganz und gar für den Zweck der kirchlichen Feier berechnet sind: von dem Leben Knuds geben sie meist nur einen ganz kurzen Abriss, einige übergehen es ganz mit Stillschweigen, etwas mehr sagen sie meist von der späteren Trans- lation; ausserdem ist in zweien eine etwas ausführlichere Darstellung seines Todes gegeben, die von der bei Saxo in wesentlichen Punkten abweicht, dagegen in einer späteren Dänischen (Seeländischen Chronik) in der Haupt- sache wiederkehrt. Die verschiedenen Legenden stimmen übrigens sowohl in dem was sie Historisches haben und ebenso in dem eingemischten liturgischen Theil so mit einander überein, dass freilich keine ganz dasselbe enthält wie die andere, auch nicht eine aus der anderen abgeleitet sein kann, wohl aber alle auf eine gemeinsame Quelle zurückzugehen scheinen. Eine solche war indessen bisher gänzlich unbekannt, auch hat meines Wissens keiner die ziemlich nahe liegende Vermuthung, dass es eine solche gegeben haben müsse, ausgesprochen. 1) Langenbeck SS. R. D. IV, p. 257. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 5 .. Da hat eine glückliche Entdeckung unserer Tage sie mir in die Hände geführt. Herr Dr. Potthast, der Bearbeiter der von der Wedekindschen Preis- stiftung für Deutsche Geschichte gekrónten Ausgabe des Henricus de Hervordia, hat die Güte gehabt mir einen Codex mitzutheilen, der von ihm bei Gele- genheit archivalischer Arbeiten für eine beabsichtigte Geschichte des früheren Klosters Rauden in Oberschlesien in der Bibliothek des Baron von Richt- hofen zu Leszezyn aufgefunden worden ist. Es ist ein Band in klein Quart, auf Pergament, aus dem Ende des 13ten oder Anfang des 1áten Jahr- -hunderts. Derselbe umfasst im ganzen 64 Blätter, von denen die erste, dritte und vierte Lage je 10, die zweite, fünfte, sechste, siebente je 8 Blätter . enthalten; am Schlusse dieser fehlt etwas, dagegen sind noch 2 Blätter von ähnlicher Hand, aber fremdartigem Inhalt, angeheftet. Die Schrift ist im ganzen gleichmässig, ziemlich gross und deutlich; wo sich keine Noten finden, 20 Zeilen auf die Seite; die Abkürzungen sind die gewöhnlichen; an einzelnen Schreibfehlern mangelt es nicht, doch sind sie weder sehr zahlreich noch sehr bedeutend. In der Orthographie ist nur der sehr, häufige Gebrauch des c für t vor dem i hervorzuheben: alcior, tucior, gencium, peciit u. s. w. Ich habe ein Facsimile beigefügt. Der Codex ist nach der Mittheilung des Eigen- thümers in Leipzig gekauft, in neuerer Zeit in braunes Leder gebunden und mit Goldschnitt versehen; er scheint auch in dieser Gestalt ziemlich viel gebraucht zu sein. Woher er stammt, ist in keiner Weise zu ersehen; ich móchte vermuthen aus Schleswig. Es ist neben der von mir aufgefundenen Erfurter Handschrift der Annales Lundenses (Nordalbingische Studien V, S. 1f.) die zweite ursprünglich offenbar dem Norden angehörige, für die Geschichte Dänemarks und der Nachbar- lande wichtige Handschrift, die neuerdings auf Deutschem Boden zu Tage gekommen ist. Der Band beginnt mit der Rubra: In passione sancti Kanuti ad vesperas A(ntiphona). Er enthält dann auf den ersten 48, Blättern einen vollstän- digen Text alles dessen was zur kirchlichen Feier des Gedächtnisstages und der Translation des Herzogs Knud gehörte, z. Th. Antiphonen, Responsorien u.s.w. mit den dazu gehörigen Noten, dazwischen aber auch eine ziemlich ausführliche Vita, ebenso eine Geschichte der Translation. Daran schliesst sich: auf fol. 49 mitten auf- der Seite und ohne weitere 6 G. WAITZ, ` Überschrift eine Dänische Chronik, die zuerst von Westphalen, dann von Langenbeck unter dem Namen Anonymi Roskildensis chronicon Danicum (SS. I, S. 373 — 387) herausgegeben ist und die zu den ältesten und wich- tigsten Quellen der Dänischen Geschichte gehört. Der Codex endet fol. 69” mit den Worten: elegerunt duos reges, Kanutum, qui prius (Langenbeck a.a. O. 8.386 7.19), so dass ein Blatt mit dem Schluss des Werkes ausgefallen ist. Von diesem sind bisher keine alten Handschriften’ bekannt; ein „codex antiquis- simus bibliothecae Hafniensis«, .den Westphalen benutzte, ist gänzlich ver- schollen, eine Abschrift aus demselben unter Bartholins Papieren im J. 1728 verbrannt; und nur eine andere unter den Collectaneen des Petrus Olai übrig, die Langenbeck bei seiner Ausgabe zu Grunde legte. Das Auffinden dieses Codex ist also jedenfalls von bedeutendem Interesse, um so mehr da er von jenem verlornen Kopenhagener unabhängig erscheint. Doch ist die Verschie- denheit der Lesarten keine sehr grosse, die Ausbeute an wirklichen Verbes- serungen des Textes sogar eine fast auffallend geringe; es fehlt nicht an entschiedenen Schreibfehlern 1). 1) Ich stelle hier alle irgend bemerkenswerthen nicht blos orthographischen (diese nur bei nordischen Namen) Abweichungen zusammen. 5. 374 7. 6: Transam- bianos (unrichtig); 7. 12: Sleswich (so regelmässig); Z.20: Ansgarius non in- trepidus; 2. 25: Ywar; 7,26: Ubbi; Z. 30. 31: Daniam — unus per totam fehlt; 7.83: Ywar Britianiam (immer); 7.85: Denunolf et Berrunolf (so auch Westph.); Z.40: promotus v. Ingwar; 7.48: die Worte wie sie hier stehen occid. s. occ. sind von derselben Hand geändert: s. occurr. occid. — 5. 375 7. 10: honore; 7.14: regnum — quinquaginta fehlen; 7.16: Swen (regelmässig); Z. 18 und 20: Hortha&nut; 7.24: Harold; 7.27: Haraldus (und so später wechselnd). — 5. 376 Z. 1: Othincarus; 2.12: Swenonum nomini; Z. 14: Norde (rez fehlt) Olaf; Z. 16: Tyuvskeg; Z.19: a Norwegia; Z.24: Eadmundus f. Adeldradi; Z.31: humatur; 1.32: exc. erat genitus (auch Westph.); Z. 35: Eadmundo ... Adelradus; Z. 38: Adeldrado — Adeldradus; 7.39: relinquens. — 8.377 7.2 Hortheknut — Ri- chardo — nomine fehlt — Estrith; 7.6: temporis... eunti; Z. 7: Estrith; Z. 8: dubitavit (falsch statt: ditavit); 2.11: Auconem (nur hier); Z. 12: Unwanus — сш; ' 2.13: Othincarum; Z. 14: esse; 7. 19: Haroldo — Harthaknut; Z. 21: Hortheknut (und so 2.23 f); 7.31: Horthaknut; 7. 32: Gamliknut — in (statt: tum) n. v. cum; Z.33: Lundi. — $.378 Z. 1: nunciantes ; Z. 4: licet satis regno et nomine UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 7 Die beiden letzten Blätter des Codex enthalten die Geschichte eines Mónchs, der durch einen schón singenden Vogel in den Wald gelockt hier 200 Jahre verschlief: „Fuit quidam sanctus qui cum psalleret etc.« Hier beschäftigt uns näher was auf den Herzog Knud Bezug hat, vor allem die zwischen die verschiedenen liturgischen Stücke gesetzte, zur Vor- lesung bestimmte und darnach in 8 Lectionen eingetheilte Vita. Sie ist das Werk eines wohlunterrichteten Verfassers, der freilich nicht erschöpfend über das Leben und Wirken des merkwürdigen Mannes handelt, aber doch die Hauptereignisse, so viel wir sehen, getreu und selbstündig er- zählt. Das ältere und umfassende Werk des Robertus Elgensis scheint ihm durchaus unbekannt geblieben zu sein; wenigstens findet sich weder eine Hindeutung auf eine solche ältere Quelle noch eine nähere Übereinstimmung mit dem was die Excerpte aus jenem Buche an demselben eigenthümlichen Inhalt aufbewahrt haben. Sehr kurz geht der Verf. über die Erwerbung der Slavischen Herrschaft weg, der Beziehung zum Kaiser wie früher zum Herzog Lothar gedenkt er gar nicht, ebenso wenig der sagenhaften Geschichten welche die Knytlingasaga von dem Verkehr mit Kaiser Heinrich zu erzählen digni fuerant (wie auch Westph.); Z.5: v. et f. et imp.; Z.T: Estrith; Z. ke Ringstathia; 2. 18: Slaglesii; Z. 21: corpus (falsch statt: mortem); Z.24: Harald (zweimal); 7.29: Fiuniam — Othynse. — 5.379 7.1: et fehlt; Z. 4: regno; 7.12: Pastori; 7.18: rez fehlt; Z. 19: Is und erat fehlen; Z. 20: pastorali cure; 7.28: multos bonos et justos, die beiden letzten Worte als Correctur, aber von derselben Hand (injustos ist уоп der alten Schreibung zu erkennen); 7,32: MCI; 7. 33: Kyprum; Z.34: De cujus. — 58. 380 7.1: regni ejus; КА egrotanti; Z. 7: bundonem; 7.14: contulit; Z.21: clerici; 7.27: omnimodis. — $.381 Z.8: Sleswich; 7. 13: Werebro; 7.15: qui expellentes; Z. 15: Sywardi; 2.16: satis (statt: sciens); Z. 18: corde et corde (statt: ore); 7.26: una (statt hora) navi; 2. 27: ped. (in fehlt) Scanianiam. — — S. 382 7. 4: Swethia; Z. 6: Israel n. o. se q.; Z. 11: celebrabatur; 7. 12: Hercus; 7.18: Westero. — Hen- ricus — Slesvic. fehlen. — $. 383 Z. 1: saucietur; 7.9: confirmato; 2. 12: eis et finxit; 2.15: Wendel. — 5. 384 7. 4: Haroldus. — S. 385 7.2: Swethie n. Swerki; Z.3: et fehlt; Z.6: dyaconem; Z. 16: Plouh; Z.21: is erat fehlen. — 5.386 7.7: werram; Z. 13: Skanienses. ^ G. WAITZ, weiss, und durch die Worte: quam sub pacis pignore regno Danie fideliter confederavit, giebt er wohl hinlänglich seinen Dänischen Standpunkt kund. Dass er in Schleswig, wo das Andenken des Herzogs später besonders in Ehren stand, geschrieben, wird nirgends angedeutet, und scheint mir auch kaum wahrscheinlich, eher móchte ich ihn in Roeskilde suchen, wohin die Gebeine des als heilig verehrten Mannes später übertragen wurden. Dass die Geschichte dieser im Jahr 1170 vorgenommenen Translation, die der Vita folgt, denselben Verfasser hat, ist wohl wahrscheinlich: einzelne Aus- drücke, namentlich das häufig gebrauchte „inquam“ sprechen dafür, während sonst freilich der Styl in der Translation weniger einfach und ansprechend er- scheint als in der Vita. Man mag annehmen, dass jene nicht lange nach dem Ereigniss selbst abgefasst wurde, dass eben die Erhebung der Gebeine, wie es auch bei anderen Heiligen geschehen, zu der Vornahme der ganzen Arbeit den Anlass gegeben hat. Dieser Zeit, der Regierung Waldemar L, des Sohnes Knuds, entspricht alles aufs beste, das entschieden ausgesprochene Lob des * Herzogs, die im ganzen gute, aber doch keineswegs vollständige Kenntniss seiner Geschichte, auch das Vorkommen einzelner Irrthümer, wie sie bei einem noch älteren Verfasser weniger leicht zu erklären sein würden, wie z. B. die Nachricht Cap. 1, dass der Vater Knuds, der König Erich Eiegod auf seiner Reise nach Jerusalem Rom berührt und bei dieser Gelegenheit das Pallium für den Bischof von Lund erlangt habe 1). — Vielleicht könnte man geneigt sein, aus der Art wie der Erwerbung der Slavischen Herrschaft gedacht, das Verhältniss Knuds zu Lothar ganz übergangen wird, auf eine etwas spätere Zeit zu schliessen, wo die Dänischen Könige den Deutschen Ansprüchen auf eine Lehnshoheit entschieden entgegentraten, oder selbst darauf aus waren die, Slavischen und Deutschen Gebiete nördlich der Elbe zu gewinnen, also auf 1) Dagegen darf die Angabe des J. 1130 als Todesjahres Knuds nicht als Irrthum bezeichnet werden; Langenbeck hat gewiss ganz richtig, II, p. 610 n. u., 1131 als das wahre festgestellt; allein dies ist auch offenbar in unserer Vita gemeint, nur ein späterer Jahresanfang angenommen, so dass der 7. Januar, der Tag nach Epiphania, der 1131, wie hier angegeben, auf einen Mittwoch fiel, noch zum J. 1130 gerechnet ward. Dies nennen übrigens auch die Ann. Lundenses, Nordalb. Studien V, S. 45. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 9 die Zeit Knuds oder Waldemar Il. Doch glaube ich würde man damit jenen Worten eine zu grosse Bedeutung beilegen. Der noch erheblich ältere Robertus Elgensis hat, nach den uns erhaltenen Auszügen zu schliessen, der Erwerbung der Slavischen Herrschaft gar nicht erwühnt. Für die nähere Feststellung der Abfassungszeit und die ganze Würdigung der vorliegenden Vita kommt es aber vornemlich an auf die Bestimmung des Verhältnisses zu anderen Werken. In der Translation stimmt ein Abschnitt, der welcher sich auf die inneren Streitigkeiten nach dem Tode des Königs Erich Lamm (oder Spog) bezieht, fast wörtlich mit der Chronik des sogenannten Anonymus Roskildensis, der- selben welche in unserem Codex der Vita folgt, überein. Übersieht man das Verhältniss beider Werke zu einander, namentlich dass die Chronik mit der Vita gar nichts Gemeinschaftliches hat, erwägt man weiter, dass diese ihre Erzählung eben nur bis zur Thronbesteigung Waldemars hinabführt und auch über die vorangehende Zeit recht gute und selbständige Nachrichten hat, der Verfasser sich auch als Zeitgenossen schon des Erich Lamm kundzugeben ` scheint 1), so kann man doch nicht zweifeln, dass auch jene Nachrichten ur-. sprünglich ihm angehören und nicht aus der Geschichte der Translation in sein Werk, sondern umgekehrt aus diesem in jene übertragen worden sind. Da kommt es dann allerdings gar sehr auf das Alter dieses Werkes an. Es nennt am Schluss noch die 26 Regierungsjahre Waldemar L und fügt in einer Zeile hinzu: Cui successit filius suus Kanutus, et post eum Waldemarus frater ejus in regnum levatus est. Allein schon Langenbeck hat bemerkt, dass dies höchst wahrscheinlich spätere Zusätze sind, der Autor bedeutend früher, eben unter Erich Lamm und Waldemar, schrieb, bedeutend älter als Saxo war: gerade um dieser Stellen willen ist zu bedauern, dass das letzte Blatt dieser Chronik in unserem Codex fehlt. Der Annahme, dass die Vita und die Chronik denselben Verfasser haben, zu der vielleicht jemand geneigt sein móchte, steht entgegen, dass die letztere nicht blos von Knud sehr kurz und ungenügend handelt, sondern auch später sich in dem Lobe des Magnus weitläuftig ergeht. 1) Langenbeck S.373. Er schreib! S. 385: Olavus unus superest, belua multorum capitum. Hist.- Philol. Classe. VIII. B 10 G. WAITZ, Noch wichtiger ist das Verhältniss zum Saxo. Sehr bald muss es ein- leuchten, dass zwischen den Nachrichten dieses berühmten Geschichtschrei- bers über den Herzog Knud und denen der Vita, bei vielen und erheblichen Abweichungen, doch auch wieder an zahlreichen Stellen eine solche Überein- stimmung herrscht, dass an eine gewisse nähere Beziehung derselben zu einander nicht gezweifelt werden kann. Wir vergleichen, um dies deutlich zu machen und ein Urtheil über die Sache zu gewinnen, beide näher mit einander. Gleich zu Anfang der Vita erinnert es an Saxo, wenn die prosperitas gentium und victualium abundantia zur Zeit des Königs Erich gerühmt werden; was dort weiter ausgeführt ist, indem es heisst, XII, S. 600 (der Müller- Velschowschen Ausgabe): Hujus aetas pericliianti populo labentis annonae subsidia reparavit, segesque tempestivi imbris beneficio visitata convaluit. Nam regnante eo agrorum habitus ad tantam ubertatem excessit, ut singuli cujus- libet annonae modii totidem denariis permutarentur. Wo Saxo dann den Bei- namen des Königs Lateinisch als bonus angiebt, hat die Vita die auch aus anderen Quellen bekannte Dänische Form Hegothe (Egothe). Ebenso erwäh- nen beide als Zeichen der allgemeinen Beliebtheit desselben beim Volk das Anerbieten das dieses machte, ein Gelübde des Königs eine Pilgerreise zu unternehmen mit einem Drittel seines Gutes abzulösen, die Vita jedoch mit dem eigenthümlichen Zusatz: exceptis terris et animalibus. In Beziehung auf die Erlangung der erzbischóflichen Würde für Knud hat, Saxo eine, wie sich nicht zweifeln lässt, richtigere Erzählung; doch erinnert sein „libertatis jus als Bezeichnung für das erlangte Recht Dänemarks (S. 610) an das „palrie sue consulens libertati« der Vita. Eigenthümlich ist das Verhältniss der beiden Autoren wo sie den Tod des Königs Erich erzählen. Die Vita, ohne die Insel Cypern zu nennen, hat die etwas dunkel klingende Angabe: der Kónig habe seinen Tod vorhergesagt und zugleich die Stätte seines Begräbnisses angegeben, die Begleiter aber diesen Platz als ungeeignet bezeichnet, worauf der König gleichwohl auf seinem Willen beharrt unter Beifügung der Worte: extra cimiterium sepelite, So sei es geschehen, und dadurch der Ort, der bisher keinen Todten geduldet, in Zukunft für jedes Begräbniss geeignet geworden. Saxo weiss dagegen, UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 11 dass Cypern es an sich hatte, keine Leichname zu dulden, sondern die Be- grabenen in der folgenden Nacht wieder von sich zu stossen; der König habe aber auf seinem Willen hier begraben zu werden bestanden und damit jenes Widerstreben des Bodens überwältigt und für die Zukunft beseitigt. Der Unterschied der beiden Erzählungen liegt namentlich darin, dass, was nach Saxo sich auf eine ganze grosse Insel bezieht, in der Vita nur von einem einzelnen Platz gesagt wird; jenes „extra cimiterium sepelite« bleibt dabei ziem- lich dunkel, da es nicht wohl denkbar erscheint, dass der Ort den der Kónig zuerst nannte und von dem seine Begleiter sagten: neminem ibi sepeliri posse, ein cimiterium gewesen sei. Übrigens hat schon Müller in seiner An- merkung zum Saxo bemerkt, dass allerdings ähnliche Sagen, wie sie Saxo im Sinne zu haben scheint, auch anderswo von der Insel Cypern erzählt werden; und diese als Todesort und Grabstätte des Königs nennen auch ältere Quellen 1). Über die Vorgänge nach König Erichs Tod stimmen beide Autoren im ganzen überein; nur ist Saxo viel ausführlicher, der Vita dagegen eigen- thümlich was sie über den Einfluss der Königin Margaretha sagt. Das Ge- spräch derselben mit Knud, welches die Vita gleich folgen lässt, setzt Saxo (S. 632) bedeutend später: er giebt zugleich kürzer, nur dem Inhalte nach an, was jene ausführlicher in directer Rede mittheilt. Die Übertragung der herzoglichen Stellung zu Schleswig an Knud, zu welcher die Vita übergeht, erfolgt nach ihr auf Bitten Knuds: et cum prece petitum optinuit. Saxo dagegen lässt die Würde erkaufen: munus pretio assecutus est. Über die Bemühungen zur Herstellung von Recht und Sicher- heit in dem Lande ist die Vita dann viel ausführlicher , dagegen berichtet sie in eigenthümlicher Kürze, wie schon oben angegeben wurde, die Erwerbung der Slavischen Herrschaft, wo doch selbst Saxo die Beziehungen zum Kaiser nicht verschweigt. Dann beginnt in der Vita alsbald die Erzählung des Streits mit Magnus, der zuletzt zu der Ermordung des Herzogs führte und deshalb für den Bio- 1) Robertus Elgensis I, !, Langenbeck IV, $.257; Anonymus Roskild., Langen- beck I, 379; Sveno Aggonis, ebend. S. 58 u. a. B2 12 G. WAITZ, graphen desselben eine besondere Wichtigkeit hatte. Nach ihm war Magnus »excecatus invidia «, und ebenso bezeichnet Saxo die ;invidia«, die den Anhängern des Magnus ;invisa felicitas« des Knud als Grund der Feindschaft: er schiebt die Schuld aber mehr auf die Freunde des Magnus als auf diesen selbst: jene hátten den Herzog beim Kónig Niels verklagt. Einer solchen An- klage, aber ohne nähere Angabe der Urheber, gedenkt auch die Vita, be- zeichnet dann aber als den Ort, wo bei der Zusammenkunft mit dem König der Herzog seine Rechtfertigung vorbringt, den Saxo verschweigt, Ripen. Die Erzählung der hier stattgefundenen Vorgänge ist im ganzen übereinstimmend, nur beim Saxo alles ausgemalter, rhetorischer. Sehr beachtungswerth erscheint, dass die Vita, wo Knud den Vorwurf den kóniglichen Namen angenommen zu haben ablehnt, ihn sagen lässt: Usuali quidem locucione causa dignitatis vel reverencie knese quemlibet vocare consuevit, wogegen Saxo, wie immer, nur die lateinischen Worte herus und dominus hat, bei denen Müller (S. 634 Note) bereits richtig an das Wort Knees gedacht hat 1) , während man sonst wohl jenes angelsächsische Hlaford (Lord) herbeizieht, das zu dem Beinamen des Herzogs Laward den Anlass gegeben 2). Weiter stimmen die Vita und Saxo darin überein, dass Knuds Gattin ibn warnte und abmahnte, als er der Einladung des Königs nach Roeskilde folgen wollte, aber nach der Vita geschah es mündlich , nach Saxo (5.687) schriftlich. Erst dann nennt die Vita die Feinde des Knud, die sich mit Magnus verbunden hatten, die bei Saxo schon früher (S. 632) als Urheber der ganzen Feindschaft aufgeführt sind, doch so dass er einen derselben, den Haquinus Jutus, jetzt «жанады lässt. Dabei ist es auffallend, dass während die Namen sonst durchaus übereinstimmen, von den zwei Hakon (Haquinus) die vorkommen, die Vita keinen als Jüten , sondern den einen als Norweglensia, бт: andern als Skaniensis 5) bezeichnet. Um so vólliger stim- 1) Canutus, gs er, лы tasse vocabulum knees adhibuit vel sallem ad id respexit. 2) Die E EE die ihn besonders braucht, erklärt ihn so (Dän. Übers. S. 284): han var særdeles vennesz! og gavmild og overmaade afholdt af Almuen, skyont kong Nikolaus og dennes Son Magnus havde storre Magt, og han blev derfor kaldt Knud Lavard. 3) Dieser ist, wie sich spáter ergiebt, der Juius des Saxo; während Langenbeck UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 13 men beide Quellen in der Erzühlung von dem Eid der Verschworenen zu- sammen. Wenn: die Vita sagt: Conjurati hii quatuor, ne quis concilium alterius palam faceret, terre se prostraverunt de tradicione tractaturi. Subdole dolo huic jacentes iniqui assensum dederunt, ut, si forte quis eorum inde incausaretur, nec ambulando nec sedendo nec stando se interfuisse secure juraret, so ganz àhnlich Saxo: pestiferi consilii laqueos humi decubando necte- bant, ut, si rem casu detegi contigisset, nunquam stando sedendove saluti ipsius insidiatos se esse, tuto jurare quirent, praesidioque situs innocentiae sibi munimentum eonseiscerent. Hier kann über den nahen Zusammenhang der beiden Berichte in der That kein Zweifel sein. Auch dass der eine Hakon (Skaniensis nach der Vita, Jutus nach Saxo) sich von den Genossen trennte, haben beide ge- meinsam. Dagegen weichen sie in der Geschichte der Ermordung mehr von einander ab; die Vita hat manches eigenthümliche und interessante Detail, Saxo führt einzelnes anders aus. Beide lassen Knuds Begleiter den llerzog er- mahnen nicht ohne Waffen zur Zusammenkunft mit Magnus zu gehen; nach der Vita ist das ganz ohne Erfolg, während nach Saxo Knud zuletzt „aegre gladium sumpsit«. Dieser nennt den Boten des Magnus, der Knud warnte, »genere Saxonem, arte cantorem«, wührend die Vita nur allgemein von einem »puer« spricht; und ebenso kennt Saxo den Inhalt des Gesanges den er anstimmt genau, die Vita sagt nur: ordinem cujusdam parricidii cantantem, lässt es aber dreimal wiederholen. Die Berichte treten sich wieder näher bei der I, 8. 59 n. IV, 5. 239 n. mit Unrecht Hakon Norræni, den die Knytlingasaga nennt (Dän. Übers. S.276), für identisch mit dem letzteren hält. Er irrt schon darin, dass er den Haquinus Jutus. und den Haquinus, den Saxo Ubbos Sohn nennt (S. 632), zusammenwirft, während Saxo doch (S. 636) jenen ausdrücklich von diesem unterscheidet. Welchen Hakon dieser meint (S. 641), wenn er ihn . als Suanivas Sohn bezeichnet, ist aus ihm nicht zu ersehen; nach der Knytlinga- saga (a.a. 0.) aber ist es der Norweger, und das stimmt mit anderen Nach- richten überein; er hiess so, weil seine Mutter aus Norwegen stammte, die Enkelin des Norwegischen Königs Magnus war. Der eine Hakon (de war also Sohn des Ubbo und der Suaniva, der andere heisst Skaniensis oder Jutus. Nach Saxo (S. 630) heirathete dieser eine Tochter des Königs Erich Eiegod, also eine Schwester Knuds, während die Knytlingasaga (а. a. 0.) es auf den anderen bezieht. 14 б. WAITZ, Frage Knuds an Magnus, weshalb er bewaffnet gekommen sei, und der Antwort des letzteren, dass er darauf ausgehe Rache zu. üben, sowie der daran sich anschliessenden Aufforderung des Herzogs die Sache bis nach der heiligen Zeit — es war der Tag nach Epiphania — zu verschieben. Und auch das Folgende hat ziemlich nahe Verwandtschaft mit dem was die Vita deutlicher und genauer erzählt. Überblickt man das ganze Verhältniss der beiden Quellen zu einander und vergleicht zugleich, wie viel abweichender der ziemlich gleichzeitige Helmold die Geschichte Knuds erzählt, so kann man in der That nicht zwei- feln, einen nüheren Zusammenhang zwischen Saxo und dem Autor der Vita anzunehmen, und es kann sich nur fragen, ob einer und wer den anderen benutzt, oder ob etwa beide aus einer gemeinsamen Quelle geschöpft haben. Das Letzte wird sich wohl mit voller Sicherheit weder behaupten noch ver- neinen lassen; die Möglichkeit, dass es der Fall gewesen, ist nicht gänzlich in Abrede zu stellen; aber ich muss bemerken, dass meines Erachtens durchaus keine bestimmten Gründe dafür sich anführen lassen, und dass wir also auch an sich nicht berechtigt sind uns mit einer solchen Annahme zu helfen. Es liegt uns jedenfalls ob zu untersuchen, ob nicht für eine der beiden anderen möglichen Annahmen sich eine gewisse Wahrscheinlichkeit gewinnen lässt. Da stehe ich nicht an zu sagen, dass der Verfasser der Vita den Saxo gewiss nicht gekannt und benutzt hat. Die Erzählung des ersteren ist, wo sie sich mit der des Saxo berührt, fast überall einfacher, bestimmter, deut- licher als diese, enthält oft ein lebendiges und reiches Detail, während Saxo sich mehr in rhetorischen Wendungen und Allgemeinheiten ergeht. Dieser giebt zum Theil Abweichendes und in der Vita gar nicht Vorkommendes: -hätte das dem Biographen vorgelegen, so ist in der That nicht abzusehen, wie er, der darauf ausging das Leben des Herzogs in einem besonderen Werk zu schreiben, dies übergangen und nur einzelnes aufgenommen haben sollte. Nirgends macht seine Darstellung den Eindruck eines blossen Excerpts oder gar, wie es der Fall sein müsste, der Compilation aus Saxo und einer anderen Quelle oder gewissen eigenthümlichen Nachrichten. Es kommt dazu, - dass, wenn wir, wie wir Grund haben, für die Translation denselben Ver- fasser wie für die Vita annehmen, wir hier sehen, wie er schriftliche Aufzeich- UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 15 nungen die ihm vorlagen benutzte: er hat eine Stelle des Anonymus Roskildensis so gut wie wörtlich abgeschrieben. Das ist aber durchaus nicht das Ver- hältniss welche&"dem Saxo gegenüber obwaltet: kein einziger Satz findet sich ganz gleich bei beiden Autoren, und es ist schon deshalb unmüglich anzunehmen, dass die Vita hier die abgeleitete Darstellung sei. Dagegen spricht vieles dafür die Vita zu den Quellen des Saxo zu rechnen. Wenn dieser nicht weniges hat was dort gar nicht vorkommt, so erklärt es sich leicht, da der Verfasser der Dänischen Geschichte natürlich auch andere Nachrichten über diese Zeit hatte und benutzte; wenn er nicht alles aufnahm was jene darbot, so ist auch das bei einem Schriftsteller be- greiflich, der die Geschichte des Dänischen Reichs vollständig erzählen wollte und gewiss nicht jede Einzelheit in dem Leben eines einzelnen Mannes be- richten konnte; wenn auch da wo in einer Beziehung grosse Übereinstimmung herrscht doch auch wieder auffallende Abweichungen sich finden, so ist das gerade beim Saxo nicht eben zu verwundern, da wir wissen, mit welcher Freiheit er im ganzen mit seinem Stoffe umgegangen, wie er stets mehr darauf aus gewesen ist, eine schön stilisirte und sonst angenehme Erzählung zu liefern, als einfach und genau das Überlieferte, wiederzugeben. An mehr als einer Stelle glaubt man den Ausschmücker der Vita, an anderen den abkürzenden aber immer rhetorischen Bearbeiter zu erkennen. Zu den Fällen der ersten Art stehe ich nicht an, was über das Begräbniss des Königs Erich in Cypern, über den Inhalt des von dem an Knud abgeschickten Boten ge- sungenen Liedes gesagt wird und anderes der Art zu rechnen. Gewiss hätte die Vita nicht die Bezeichnung Cyperns ganz übergangen und ihren ganzen Bericht so dunkel gefasst, wenn ihr Saxo vorgelegen hätte, während dieser aus der Erzählung der Vita und den ihm sonst bekannten Nachrichten wohl seine Darstellung zusammensetzen konnte. Abkürzen thut er die Gespräche der Margaretha und des Knud, ebenso des Knud und Magnus: wo die Vita directe Rede, hat er stets indirecte, und wenn es bei ihm 2. B. heisst (S. 637 ): Cui Magnus, jam de regni successione el rerum summa agendum, respondit. Tunc Canutus, ut patris ejus majestas diu laetis fortunae velis prosperum cursum teneat, exoptat; tempestivam vero talium mentionem incidere negat: so ist das eigentlich nur deutlich, wenn man die entsprechende Stelle der 16 б. WAITZ, Vita vergleicht: sermonibus odii Magnus ducem circumdedit, dicens „Kanute, cujus est Dacia? Vir sanctus simpliciter respondit, dicens: „Frater, inter- rogacio talis unde venit et quo habet procedere. Dacia cujus est nisi patris tui et patris mei, est el erit, quamdiu placuerit ei per quem reges regnant. Ich erinnere ausserdem an das „knese“ der Vita, das ein späterer Schrift- steller nicht leicht aus dem Lateinischen „herus« oder „dominus« des Saxo machen konnte; ich bin nun selbst nicht ganz abgeneigt, das „pretio asse- cutus est“ des Saxo von der Erwerbung des Herzogthums auf das „cum prece petitum optinuit4 der Vita zurückzuführen und ein ziemlich wunderliches Missverstündniss anzunehmen, das dann zu der weiteren ausschmückenden Erzählung Saxos den Anlass gab 1). Dieser begann seine Arbeit erst zwischen den Jahren 1179 und 11822), während, wie wir sahen, kein Grund ist die Vita später als um das Jahr 1170 anzusetzen. Steht aber die Sache so wie ich glaube annehmen zu müssen, so er- hält dies Denkmal der Geschichte für uns eine ganz besondere Bedeutung. Es ist nicht allein wichtig durch das was es Neues über Knuds Geschichte giebt, es gewährt auch für das was wir bisher aus Saxo kannten eine bessere und erst recht authentische Grundlage, und was die Hauptsache ist, es wird ein Hülfsmittel für die Kritik des Saxo, wie wir ein solches bisher ganz ent- behrten. Denn in der eigentlichen Dänischen Geschichte hat bisher kein älteres geschriebenes Werk mit Sicherheit als von Saxo benutzt nachgewiesen werden Кбппеп 5). Hier zum ersten Mal wird Gelegenheit geboten, ihn mit einem älteren Autor, dem er sich in einem ziemlich bedeutenden Abschnitt seines Werkes anschliesst, zusammen zu halten, und wie einen Theil seiner 1) Dabei verdient es Beachtung › dass, was Saxo von dem Kauf des Herzogthums berichtet, Helmold von der Ж aig der Slavischen Herrschaft sagt: I, 49: emilque multa pecunia regnum Obotritorum. 2) Velschow, Prolegomena II, S. ху. 3) Vergl. Velschow, Prolegomena Il, S. ху, der seine Untersuchung zusammenfassend sagi: Quum igitur ex his dictis appareat, Saxoni ea quae in libris historicis antea scripta essent nulli usui fuisse. Nur die Vita des Königs Knud von Aelnoth möge er vielleicht gekannt haben. Dies macht jetzt die Vergleichung dieses Abschnitts mil der Vita des Herzogs nur wahrscheinlicher. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 17 Nachrichten, so zugleich sein ganzes historiographisches Verfahren vergleichend zu prüfen 1). Das Resultat ist aber, nach dem was angeführt wurde, kein besonders günstiges; Saxo, sehen wir, verfährt mit grosser Freiheit, um nicht zu sagen Willkür, mit seiner Quelle, lässt weg und führt aus wie es ihm behagt; er verwischt den ursprünglichen Charakter der Überlieferung, er hat sie vielleicht mitunter geradezu missverstanden und dann einen solchen Irrthum selbst nur weiter ausgeschmückt. Wie aber die Vita unabhängig ist von Saxo, so ist sie es auch von Helmold. Es wurde schon bemerkt, wie bei diesem Deutschen Historiker die Geschichte des Schleswiger Herzogs in mannigfach anderem Lichte er- ? scheint als hier. Bei Helmold tritt das Verhältniss Knuds zu Lothar und zum Slavischen Reich in den Vordergrund; dem König Niels und Magnus gegen- über wird der Herzog als stolz und hochfahrend geschildert; die Multer des Magnus, die in der Vita und bei Saxo zum Frieden mahnt, ist es hier die den Hass und die Leidenschaft anschürt. Allerdings findet sich eine einzelne fast auffallende Übereinstimmung: die Geschichte von dem gefangenen Rüuber, der sich der Verwandtschaft mit Knud rühmte und deshalb nur hóher als die ‚ anderen, an einen Mastbaum gehängt ward (Lect. 3), steht ganz ähnlich auch bei Helmold. Doch kann daraus allein um so weniger auf die Benutzung des einen durch den andern geschlossen werden, da schon Robertus Elgensis, wie die Excerpte aus seinem Buche zeigen ?), dasselbe Factum erzählt hat, und dies offenbar ein gewisses Aufsehen gemacht und allgemeine Verbreitung gefunden haben muss. Noch weniger bedeutet, dass in der Erzühlung von Knuds Ende einiges übereinstimmt, namentlich dass der Herzog von seiner Frau, aber vergeblich, gewarnt wurde, zu der Zusammenkunft mit Magnus zu gehen; alles übrige ist doch wieder verschieden, gleich nur von einer be- sonderen Zusammenkunft der beiden Prinzen, nicht von einem grossen Fest des Königs vorher die Rede; auch scheint nach Helmold Magnus selbst an der eigentlichen Mordthat keinen Antheil zu nehmen. 1) Velschow hat also jedenfalls, wenn auch in einem andern Sinne als er meint, Recht gehabt, wenn er in der eben angeführten Stelle fortfährt: injuria tamen, opinor, afficiunt, qui dicunt, illum sprevisse haec antea scripta in usum suum convertere. 2) Langenbeck IV, S. 258. Es stand 1, 15. Hist.-Philol. Classe. VIII. C 18 G. WAITZ, Ausser Saxo haben aber auch andere Schriftsteller die Vita gekannt und benutzt. Einmal ist die ziemlich ausführliche Darstellung welche das von Langenbeck (SS. 1.) herausgegebene Chronicon Danorum et praecipue Sialan- diae giebt (S.610 ff.), ein blosser Auszug aus unserer Vita, und nament- lich die ihr eigenthümliche Erzählung von der Ermordung Knuds auf diesem Wege zuerst ziemlich vollständig bekannt geworden; nur dass sie freilich auf Grund dieser bis ins 14te Jahrhundert hinabreichenden Arbeit nicht wohl mit den älteren Berichten des Saxo und Helmold in Vergleich gestellt werden konnte und deshalb bisher nicht zu dem ihr gebührenden Rechte kam. Ausser- ` dem sind, wie schon zu Anfang bemerkt wurde, die verschiedenen bei Lan- genbeck (SS.IV.) gesammelten Legendae de S. Kanuto sammt und sonders Auszüge und Bruchstücke aus dem in dem vorliegenden Codex vollstándig erhallenen Werke, wie aus dem liturgischen so theilweise auch dem histori- schen Theile, hier freilich mehr noch aus der Geschichte der Translation als aus der Vita selbst. So giebt Legenda 1. die erste Hälfte der Translation ziemlich vollständig (Lect. 1— 6); Legenda 2. eine kurze Inhaltsangabe der einzelnen , Capitel der Vita (mit anderer Eintheilung in 6 Lectionen) und ebenso einzelnes aus der Translation; Legenda 3. die Erzáhlung der Ermor- dung (Lect. 7 und 8) und die Translation (Lect. 1—6 und 8 zweite Hälfte) ziemlich vollständig; Legenda 4. nur liturgische Stücke; Legenda 5. ziemlich grosse Auszüge aus der Vita (hier z.B. die, auch in 2. enthaltene, Angabe von der 9jährigen Dauer der Feindschaft des Magnus gegen Knud und die Bezeichnung Ripens als Ort der ersten Zusammenkunft zwischen Niels und Knud) und aus der Translation; Legenda 6. wieder der Anfang dieser; Le- genda 7. endlich die Geschichte der Ermordung vollstándig (Lect. 8); Legenda 8. ist eine niederdeutsche Bearbeitung eines Theiles der Vita. In der ausführlichen, aber erst im 16ten Jahrhundert, aus Saxo, Albert Krantz und anderen Quellen zusammengeschriebenen Geschichte Knuds (Lan- genbeck IV, S. 231 fL) ist die Vita ebenfalls benutzt, wenn auch nicht so bedeutend wie man vielleicht, wenn der Verfasser sie einmal kannte, erwarten sollte. Dies zeigen folgende Stellen. Abweichend von Saxo, dem jener sonst hier folgt, hat er die Worte: nec Sclavi me regem appellant, sed usuali vocabulo chnesae, id est dominum seu herum, vocant; was nur aus der Vila UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 19 stammen kann; wesentlich mit denselben Worten wie in dieser, und nicht mit denen des Helmold, wird die Geschichte von dem vornehmen Rüuber, den Knud hängen liess, erzählt; in dem Bericht über die Ermordung ist mehreres, namentlich die Stelle über die Cecilia, Knuds Verwandte, die Frage des Magnus: Cujus est Dacia u.s. w. hieraus genommen. Auch wenn wir das in Abzug bringen, was so aus dieser Quelle früher bekannt geworden ist, jetzt aber durch die Entdeckung der Vita selbst eine wesentlich bessere Beglaubigung erhält, bleibt der Ertrag an ganz Neuem erheblich genug. Es gehört dahin die Begründung des Hospitals durch König Erich (Lect. 1); die Schilderung des Niels und namentlich die Angabe über seine Gemahlin Margarethe (Lect. 2); die Bezeichnung des Elavus als dux de Sieswich, die man häufig in so früher Zeit nicht hat gelten lassen wollen 1); die Nachricht dass der König in der Stadt Schleswig nur „munitus Frisonum praesidio@ sich habe aufhalten können (ebend.); die genauere Schilderung von der hergestellten Rechtssicherheit und Ordnung im Lande (Lect. З); die Er- zählung von dem Verhältniss des Herzogs zu der Geistlichkeit (Lect. 4); die schon hervorgehobene charakteristische Antwort die dem Herzog bei der Zu- sammenkunft mit König Niels zu seiner Rechtfertigung in den Mund gelegt wird (Lect. 5); die von Saxo abweichende Bezeichnung der Verschworenen (Lect.6); die Nennung der Orte Gefnewathe und Balstorp, die sonst nirgends vorkommen (Lect. 7). Auch in der Geschichte der Translation, die im ganzen vollständiger als die Vita selbst in den verschiedenen Legenden wiedergegeben wurde, ist der interessanteste Theil, der von den Streitigkeiten der Prinzen Waldemar, Knud und Svend handelt (Lect. 7 und Anfang von Lect. 8), bisher unbekannt gewesen. Da er, wie wir vorher sahen, aus dem Anon. Roskildensis abge- schrieben, liefert er freilich ebenso wenig wie das übrige Werk einen beson- deren Ertrag für die Geschichte. Am wenigsten Neues gewühren die für liturgische Zwecke entworfenen Verse, da sie meist auch in die abgekürzten Legenden Aufnahme gefunden haben. Der grössere Theil ist überhaupt ohne geschichtliches Interesse. Doch СТ) Auch Sveno Aggonis hat übrigens die Bezeichnung dux Slesvicensis, Langen- beck 1, S. 59. c2 20 G. WAITZ, mache ich darauf aufmerksam, dass wenigstens einzelnes eine gewisse Beach- tung verdient. Es enthalten nämlich die Responsorien zwischen den Lectionen eine Art kurze Geschichte Knuds in Versen, die namentlich darin von der prosaischen Vita abweicht, dass nach ihr der Vater schon bei seiner Abreise die Würde (honor, doch ohne Zweifel des Herzogs zu Schleswig) für den Sohn wünschte, aber wegen der Jugend desselben die Ausführung der Sache unterlassen musste; was mit der Erzählung der Knytlingasaga (Dän. Übers. S. 278) theilweise zusammentrifft. Ebenso verdienen später besonders die Worte: Constitutus est Kanutus dux in regno et princeps in acie, und: Duci Danorum sub jure regio exhibet honorem Slavorum legio, als abweichend von den Angaben der Vita hervorgehoben zu werden: sie stehen dem was Helmold sagt 1) näher, und es scheint sich wenigstens soviel mit Sicherheit zu er- geben, dass der Verfasser dieser Verse und der Vita nicht dieselbe Person sein kann, beide Stücke vielmehr erst später in diese Verbindung gebracht worden sind. Bei der Ausgabe habe ich aber die Ordnung des Codex nicht verlassen, das Ganze, wie es in diesem jetzt vorliegt, nicht in seine einzelnen Theile auflösen wollen. Ich habe nur geglaubt, die eigentlich historischen und die liturgischen Abschnitte durch grósseren und kleineren Druck unterscheiden zu sollen; in den letzteren ist das cursiv wiedergegeben was in der Handschrift Noten neben sich hat und also zum Singen bestimmt war. Ganz fortgelassen (doch durch Angabe von Anfang und Schluss bezeichnet) habe ich пиг solche Stücke die rein kirchlichen Inhalts sind und gar keinen unmittelbaren Bezug auf den Herzog haben, namentlich die Homilien, die sich sowohl an die Vita wie an die Translation. anschliessen (die paar Sätze die in der letzteren den Herzog nennen sind herausgehoben). Die in den verschiedenen Legenden: bei Langenbeck enthaltenen Stücke wurden verglichen und die abweichenden Les- arten die sich finden angegeben, erlüuternde Bemerkungen nur einzelne hin- zugefügt, da bei der Vergleichung der Vita mit Saxo das meiste was solcher bedurfte bereits zur Sprache kam. 1) Helmold I, 49: ducatu totius Daniae praeditus est; — emitque multa pecunia regnum Obotritorum. * UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 21 In passione sancti Kanuti. Tecum principium. Ad vesperas А. !) Capitulum. Beatus vir, cujus capiti Dominus coronam inposuit, muro salutis circumdedit, scuto fidei et gladio munivit ad expugnandas gentes et omnes inimicos. в; 2). Beatus vir, qui potuit transgredi et non est transgressus, quis est hic, et laudabimus eum. Ніс est vere martyr Cristi miles Kanutus, quem Dominus constituit ducem populi sui, qui extolli noluit. Set fuit inter illos quasi unus er illis. V'.5. Dux judex justus, sevis leo, mitibus agnus. V’. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. Fuit. Hymnus: Gaudet mater ecclesia, — que pridem prolis nescia, — fecunda sponsi gracia, — fit sterilis puerpera. V’. Frustrata legis federe, — cessat ancilla parere; — set fides in baptismate .— preponit partus libere. Plures parit martyrio, — quorum ducem consorcio — sancta junxit devocio — et sanguinis effusio. O pie proles regie, — dux et martyr egregie, — tuo sancto munimine — conserva nos a crimine. Ora patrem familias, — ut inter Syon filias — post funeris exequias — nostras conjungat animas. Patri, proli, paraclito, — ternus honor uni Deo, — cujus nobis professio — peccati fit remissio. Amen. V’. Ora pro nobis, beate Kanute, ut digni efficiamur p. Christi. Antiphona super Magnif. Ave martyr, йит Danorum, — ave decus Dacie, — cura causas sauciorum, — cum sis pignus gracie — in nostra serie, Factis, verbist te sequamur — et cum mentis acie, — ne in limo infigamur! — vel labamur glacie — vallis miserie. ә Set te duce mundo calle — iranseamus dei hac valle — ad superna et eterna gaudia — evovae. a) Steht auch Leg. 3, Langenb. Il, p. 261. b) Das Folgende Leg. 3, Langenb. р 264, mr 6, ebend p.273. — gaudia. c) verbo L. 6. d) ex L. 3. 1) d. h. Antiphona. 2) а. і. Responsorium. 3) das ist wohl Versus? 22 | “G. WAITZ, Coll. Deus, in cujus fide? gloriosus dux Kanutus firmiter incedens, vite innocenti violenter subtrahitur, presta, quesumus, ut, sicut ipse inmerito^ morti addicitur, mor- tem, quam promeruimus*, ejus meritis evadere mereamur?. Per dominum nostrum. Invitatorium. Veni turba fidelium, — Dei adora filium. — Ош sanctum pro vicloria — eterna ditat gloria. P." Venite exultemus. Hymnus. Primo proscriptos patria — parentum inprudencia — ad presens pre- munt propria — nos peccatorum pondera. V'. Alleviatur sarcina, — si non per nostra merita, — ob martyris suffragia, — eujus sunt hec sollempnia. - | Dux ora regem glorie, — qui sponsus est ecclesie, — ut nos in ejus corpore — servat* cum pacis federe. Parce, pater, reatibus — patroni nostri precibus; — devictis cunctis hostibus, — . pax sit nostris temporibus. Patri proli. f In 10 N. A. ?) Beatus vir, vere beatus, — secus fontem pie ene — fructum profert irrigatus — in tempore suo. evovae. A. Quare fremuerunt gentes, — innocentem persequentes, — infideles perierunt, — et cum Christo sunt et erunt, — qui confidunt сит eo. evovae. А. Cum invocarem exaudisti, — invocantem nomen Christi, — et pro morte temporali, — in spe vite singulari — constituisti me. evovae. A. Verba mea sunt percepta, — morte vita est adepta, — mors hec tuis grata satis; — sculo bone voluntatis — coronasti nos. | evovae. A. Domine, dominus noster es — et sancti tui requies, - coronasti hunc in celis, — quem adorat plebs fidelis — in universa terra. evovae. A. In Domino confido, qui respicit in pauperes, — qui superbos obprimit et exaltat humiles — quoniam equitatem vidit vultus ejus. evovae. V'. Gloria et honore c. e. d. Et constituisti e. s. o. Lectio 1. | Rex christianissimus Hericus, Dei gracia dignus imperio, regnum Dacie feliciter regebat, et eo regnante regioni arridebant pax et lex, prosperitas a) mandatis L. 3. b) morti innocenter L. 3. cj meruimus L. 3. d) valeamus L. 3. e) servet in L. 3. f) L. 3 schreibt hier den Vers aus ісіе oben. g) in eo L. 3, wo dann 1) d. i. Psalmus. 2) d.i. In primo nocturno antiphona. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 23 gencium et victualium habundancia!). Inter cetera opera sua bona in regio- nem longinquam orandi gracia aliquando profectus, pratis et prediis pecunia comparatis, hospitale pauperibus et peregrinis admodum necessarium sumptu proprio construxit. Huic cunctus populus ob bonitatis sue constanciam lingua propria Hegothe cognomen inposuit 2). Ніс igitur erga suos tante humanitatis gracia floruit, quod, eo jam tercio peregre profecturo, regio tota parle tercia pecunie sue, exceptis terris et animalibus, votum regis redimere volebat. Set nec prece nec precio rex proposito sancto privatus, una cum regina sua Botilda arrepto ilinere, filium suum seniorem custodem regni Haraldum constitui. Kanutus quidem puer adhuc parvulus, quem regi* regina pepererat, penes Skialm 5), virum vero inter Danos strennuissimum, educandus degebat. Rex providus tandem Romam perveniens, patrie sue consulens libertati, a domino papa pallium impetravit; quo regno suo transmisso, inceple peregri- nacionis iter peragere satagebat ^). Interim imminente" termino tanti viri laboris, correptus febre, diem sui transitus divina providencia largiente assi- stentibus predicebat, locum eis assignans quo humari optabat, Intuentibus hiis loci inporiunitatem et affrmantibus, neminem ibi posse sepeliri, inquid: ‘Domini est terra. Qui etsi inde me projecerit, extra cimiterium sepelite'. Regis sermo adimpletur, die qua predixit moritar, ubi optavit sepelitur, et factus est in pace locus ejus. Mirabile miraculum. Locus ille, qui omni mortuo illocalis antea extitit, rege sepulto, cujuslibet sepulture salis aptus apparuit 5). Responsorium*. Ortum dusit дит Kanutus de radice nobili. — Rex Ericus erat huic propagator soboli. — Ex qua crevit regni salus et libertas populi. V’, Stemmatis pompositas, — morum elegancia — et virtutum probitas — sunt in hac substancia. Ex qua. a) war zwei mal geschrieben. b) iminente Cod. c) Steht auch Leg. 3, Langenb. p. 265. I, Vgl. auch Anonym. Roskild. Langenb. 1, 5. 379. 2) Vgl. Ann. Lundenses a. 1095 5. 44; Chron. Erici regis, Langenb. 1, S. 160. 3) Vgl. über ihn Saxo XII, S. 609. 4) Dies scheint auf einem Irrihum zu beruhen; s. vorher S. 10. Aehnliches hat übrigens das Chronicon Erici regis a. a. О. S. 160. 5) Vgl. die Einleitung vorher S. 11. 24 G. WAITZ, Lectio 2. Ut mors regis Danis innotuit, de regni regimine Haraldum, qui eos in multis offenderat, deicientes, fratrem regis Nicholaum in regem constituunt. Set minoris providencie et disposicionis quam regno expediret Nicholao exi- stente 1), pars maxima regni in nobili regina Margareta pendebat, ita ut ab extraneis Dacia regi virtute feminea diceretur. Regina vero illa, mulier sapiens et honesta, Kanuto, Herici regis filio, tamquam filio suo Magno ma- terne dilectionis ostendebat affectum. ` Erant quidem* amici et socii Kanutus ei Magnus, ut sanguinis propinquitas postulabat, nec potuit inter eos regina vivente discordia nutriri. Igitur cum illa diem sibi ultimum imminere perpen- deret, citatum ad se Kanutum alloquitur, dicens: ‘Fili me, cum sis mensibus ei moribus filio meo Magno maturior, memor consanguinitatis vestre et mee dilectionis, noli avertere te ab illo; set si alterius suggestione aut propria fatuitate deviaverit, corripe et corrige eum, ut frater alium facere debeat’. Kanutus respondit: ‘Mater carissima, Deum testor, per me nil sinistrum ei eveniet, set, ut teneor, frater fidelis in omnibus ei apparebo'. Proficiens itaque Kanutus etate et sapiencia, viribus et virtute tempus suum decoravit. Qui eum adhuc cujuslibet dignitatis careret honore, duce de Sleswich Elavo diem extremum ducente, ducatum illius a patruo suo Nicholao peciit, et cum prece petitum optinuit 2). Ibi erat lempore illo pro defectu juris et justicie tam assiduus Sclavorum incursus, quod ipse rex, nisi munitus Frisonum pre- sidio, Шіс pernoctare non potuit. Nullus insuper provincie illius inhabitator pro depredancium et latronum molestia de se aut de suis tutus erat. Tu autem. R.^ Quando fuit peregre rex profecturus, honorem optavit proli 5), set honus non sustulit etas. Perpendens pater hoc. Compassio sanguinis urget. ` V'. Disponit *) cuidam pueri committere curam. Compassio sanguinis ©. а) quidam Cod. b) Auch Leg. 3, Langenb. p.265. c) fehlt L. 3. 1) Aehnlich der Anon. Roskild. S. 379. 2) Die Ann. Lund. S. 44 setzen dies ins Jahr 1109; das Chron. Erici regis 1115 (ebenso Ann. Nestved., Langenb. I, S. 369 und andere II, S. 521); eine spätere Chronik (ebd. 1, S. 388) 1119. Eine sichere Bestimmung ist nicht wohl zu gewinnen. 3) Vgl. die Einleitung, vorher S. 20. 4) Dies erscheint als Nachsatz zu dem „perpendens p. h.“ UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG, 25 Lectio 3. Factus igitur dux Dei disposicione Kanutus, posuit* super femur gladium suum et precinxit se virtute; invasores regni dissipat, perdit raptores et fures suspendit, et in brevi ab omni persecucione patriam suam liberavit 1). Et facium est: qui in locis tucioribus ante trepidabant, jam in latibulis hostium, in speluncis latronum et in portis piratarum pascebant et accubabant, quia non erat qui exterreret; nam juxta quodlibet litus quislibet libere habitare potuit. Si bos sive jumentum alieujus furto vel rapina subtractum fuerat, per duos aut tres dies quereretur, ne forte erraret in agro; quod non inventum ducis exactores" reddere tenebantur, qui furem cum furto querentes, justiciam exercuerunt. Quidam nacione nobilis, set opere nequam, sepius incausatus, a temeritate sua desistere nolens, cum potens esset, pro minimo habebat pauperibus injuriari et primos suos opprimere. Porro dux in Skania degens, audivit, eum jura contempnere, justiciam parvipendere, nec Deum timere nec homines vereri Quo audito, de se sollicitus dux, non se sompno dedit, quo usque rediens Juciam pervenit; et continuo coram illo prevaricator accersitur, accusatur, convincitur, et a justo judice suspendio adjudicatur. Tunc ille duci dixit: «Propinquus tuus sum; ingenuitati tue noli inferre injuriam. Ad hec dux: “Cum michi sis propinquus, ceteris in pena es preferendus; quia, quanto aliis es genere alcior, tanto aliis alcius elevaberis'. Et factum est: malus navis acquiritur et in vertice montis erigitur; cui reus appensus, indignam vitam morte digna terminavit. Perpendentes iniqui, quod nec pravis propin- quis judex justus pepercisset, furari vel predari presumere metuebant 2). . Be Hoc statuto — de Kanuto, — quod pater disposuit, — dicto vale, — jus regale — tunc Haraldus suscipit, — Inchoato — voto grato, — iter rez arripuit. V. Mansit puer cum cognatis, — et cum matre pater gratis — peregrinus proficit è. a) Das Folgende eacérpirt Leg. 5, Langenb. р. 271. b) gencre Cod. c) Steht auch Leg. 3, Langenb. p. 265. d) зо Cod. и. L.3 für proficiscitur. 1) Vgl. die Schilderung der Ann. Lundenses a. 1130 S.45. 2) Vgl. über die ähnliche Erzählung Helmolds und des Robertus Elgensis die Ein- leitung vorher S. 17. Hist.-Philol. Classe. VIII. SC 26 G. WAITZ, Lectio 4. Pace facta in patria sua; non viribus, non virorum numero, immo in Domino dux habens fiduciam, paucis comitatus Sclaviam intravit; et ubi cen- tum mortem metuebant, ibi cum se tercio securus incedebat. Deinde ei a principibus et a plebe cum honore suscipitur, cum reverencia tractatur, et cum communi assensu ejus dominio Sclavia committitur; quam sub pacis pignore regno Dacie fideliter confederavit!). In omnibus prospere egit, quia manus Domini erat cum eo. Et merito, quia, quanto sullimior*, tanto humilior, quanto potencior, tanto benignior omnibus apparuit. In eo germinavit mens provida et sancta, floruit sermo verus et benignus, fructificavit: opus bonum el efficax. In tantum dilexit decorem domus Domini, quod inter ministros ipse primus eam sterneret et ornaret. Clericos quidem ejus, qui sicut in festis sic in ferialibus eo presente divina celebrare tenebantur , nisi in habitu regulari, officio suo vacare, non licuit. Sic in divinis devotus et curiosus, in secularibus strennuus et curialis, a Deo et hominibus jure dilectus erat. Inde" Magnus, regis filius, excecatus invidia, in corde suo concepit dolorem et peperit iniquitatem; ducem dolo de terra delere voluit, sed non valuit, quia nondum venerat tempus ejus. Fere annis novem fraterna invidia Kanutum latuit. Attamen audivit a pluribus, quod ei Magnus insidias machinaretur; set ille fidelissimus de infidelitate tam familiarem amicum suspectum habere non potuit. Contigit interim, ut dux regi accusarelur. Tunc et rex falsis favens suggestionibus, his causis concilio Ripensi eum aggressus est. ‘Tu, inquid, conira consuetudines terre nova quedam induxisti, et in Sclavia contra me et regnum meum nomen regis tibi usurpasti'. К.е Jam flos purpureus — spirat odorem? germine justus. Tempore messis dulcia grana ducit in altum. V'. Ut puer ille corpore crevit, crevit in illo gracia Christi. Tempore. D a) so der Codex hier und unten. b) Das Folgende hat Leg.5, p. 211 ezcerpirt. €) Steht auch Leg. 3, Langenb. p. 266. d) odore g. justis L. 3. 1) Dies geschah erst nach 1125; vgl Jaffés Excurs in seiner Geschichte :des Deutschen Reichs unter Lothar S. 234, dessen chronologische Bestimmungen ich aber nicht. für richtig halte; die Annales Barthol., Langenbeck I, S. 339, die Knuds Erhebung in das J. 1128 setzen, haben keine Autorität. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 27 V'. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. Tempore. In По № A.!) Domine, quis habitabit — et cum sanctis quis intrabit — іп tua tabernacula? — miles tuus et adletha, — inmortalis vite meta, — inventus sine macula, — non movebitur in eternum. evovae. A. Domine, in virtute tua — sancli* letatur anima, — pro cujus magna gloria — psallemus virtutes tuas. evovae. ; A. Ехаийі», Deus, te orantem, — ne contempnas* deprecantem; — cum exaudis et intendis — et a malis те defendis, — sperabo in te, Domine. evovae. A. Te decet hymnus, paler sancie, — omnes quidem, qui amant te, — hymnum dicent. evovae. A. Bonum est confiteri — huic, qui vult misereri, — quia non est iniquitas in eo. evovae. A. Dominus regnavit, — sanctum coronavit, — de manu peccatoris illum liberavit — in sanctificacione ejus. evovae. V'. Posuisti, Domine, super caput ejus. Lectio 5. Dux, ut doctus erat, ad causam primam salis honeste respondit, dicens: ‘Terra tua hoc in consuetudine hactenus habuit, quod nec sub serrura nec sub qualibet custodia res suas aliquis secure possidebat. Jam si contigerit, quod dives sive pauper rem aliquam in transitum omnium ultro posuerit aut oblivioni tradiderit, a nemine ablata possessorem suum expectabit. Нес est nova consuetudo’. Ad secundam objectionem exorsus ait: «Regis usurpati nominis reus non teneor; Sclavia enim nec regem habuit, nec michi commissa me regem vocavit. Usuali quidem locucione causa dignitatis vel reverencie knese quemlibet vocare consuevit. Hoc est dominus. Et hoc Dani abusive interprelantes, regem esse affirmant. Scis item, quod terram illam regioni tue non solum pacificavi, immo, qui te magis oppugnabant, per me tecum in pugna stare parantur’. Rex, his auditis, quia simplex erat et cito moveri potuit*, delatoribus derogavit, commendans opera ducis, quia erant bona valde. Cum in tempore illo, imminente die natalis domini regis, curia Roskildis con- veniret, et dux ad festum invitatus ire festinaret, uxor ejus rei eventum in a) übergeschrieben im Cod. b) Hier fáhrt Leg. 3 fort, Langenb. p.265, hat aber nur diesen Absatz. c) contemna L. 3. d) malo nos L.3. . e) non potuit L. 5. 1) D. i. In secundo nocturno antiphona. D2 28 à G. WAITZ, mente recipiens, hortatur illum iter illud penitus omittere. Set cordis inno- centia viro justo eundi preposuit* securitatem. Dixit inquam: "Davide mulieris suggestioni animum accommodare nostrum non est. Quid familiaritatis fiducia, quid sanguinis propinquitas, quid composicio fidei prosunt alicui, si me hesitacio aliqua ab incepto itinere retraxerit'. Quid plura? Fecit quod pro- posuit, transfretavit, et venit ad curiam, et cum diligencia et dilectione tam a primis dux reverendus" receptus est. К.е Instat tempus juventutis, — fructus patet gracie — et virtutis et salutis 3; — per quem jugo servitutis — plebs privatur Dacie. V. Constitutus — est Kanutus — dua in regno et princeps in acie. Lectio 6. Magnus igitur, cui dux Kanutus se tucius committebat, meditabatur die ac nocle, quomodo innocentem neci traderet. Hujus perfidi in fraterna pro- dicione Henricus Skatælar 1) fretus consilio, tres proceres precipue sibi con- federavit, in quibus pre ceteris male faciendi fiduciam habebat. Quorum unus Ubbo comes, alter Haquinus Norwegiensis, tercius Haquinus* Skaniensis erat ?). Conjurati hii quatuor, ne quis consilium alterius palam faceret, terre se pro- straverunt de tradicione tractatur. Subdole dolo huic jacentes iniqui assen- sum dederunt, ut, si forte quis eorum inde incausaretur, nec ambulando nec sedendo nec stando se interfuisse secure juraret. Sed quid? Veritas, que neminem fallit, a quovis falli non potest. Percipiens vero Haquinus Skaniensis, socios suos sanguinem silire innocentis, recessit a consilio impiorum, nec sedere voluit in insidiis, ut innocentem interficeret. Pro certo denique Magnus per- pendens, tres prefatos ad facinus, quod diu proposuerat, esse paratos, quod corde conceperat, opere complere differre nolebat. Ad patris ergo curiam perfidus perveniens 5), sub specie devotionis dilositatis velans affectum, peregre a) proposuit L. 5. b) revendus Cod. c) Steht auch Leg. 3, Langenb. р: 266. d) et 3. e) übergeschrieben von ders. Hand im Cod. 1) Vgl. Sveno Aggonis c. 7 S. 59 und Langenbecks Note. 2) S. vorher die Einleitung S. 12 Note 3. 3) Dieser Zusammenkunft gedenken auch Helmold I, 50 und die Knytlingasaga ` (Dän. Uebers.) S. 294. Im Uebrigen weicht jener erheblich, diese ganz und gar ab. Auch Robertus Elgensis hat zum Theil anderes berichtet, Langenbeck IV, S. 259. 260. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 29 se profecturum palam professus est. Deinde tamquam familiarem suum ducem sanctum de voto falso consulere cepit, dicens: ‘Frater fidelis, cum pre cunctis mortalibus te solum sine falsitate aliqua expertus sim, instanti negocio * me et mea consilio tuo ordinare disposui. Sumus enim tam fide quam san- guinitate conjuncli; unde nec ego nec tu in necessitate disjungi racione vale- mus. Volo, inquam, ut in secreciori loco" michi soli solus obvias, ubi nemine inpediente que deliberanda sunt diffinire valeamus'. Kanutus falsi fratris fidem verbis dedit, et respondit: ‘Care frater, affectum tuum bonum bonorum omnium actor ad felicem perducat effectum. In vera fraternitate fraus aut fictio me- tuenda non est Locum et tempus assigna; paratus enim sum in omnibus tibi parere’. Facta inter eos composicione, prout quod utrisque placuit, dux non doli conscius* in devocione fratris delectabatur, et ille Magnus in spe positus perfidie malo suo applaudebat. Tu. RA Dus hic factus sui juris, — diligit justiciam, — et in rerum* PETER — optinet victoriam. — Регай pravos‘, a pressuris — conservans ecclesiam. V'. Pauperibus pater ille pius fit pastor egenis в. Lectio 7. Quando tempus secundum consueludinem curie affuit, quo invitati erant valefacturi invitantibus, vadit ad Gefnewathe Magnus, et dux ad Balstorp!)- iter direxit. Die? altera epiphanie? summo diluculo Magnus surgens, et armatus fraude interius et ferro exterius, tamquam ad pugnam paratos* se quam plures sequi precepit Hii simul’ incedentes, ab injusto homine jurare compelluntur, ut, quem ille primus invaderet, omnes in illum absque dilacione a) Der Codex interpungirt nach negocio, nicht nach sim, b) miranda sunt beigefügt, aber денді im Codex. c) concius Cod. d) Auch Leg. 3, Langenb. р. 266. e) rebus І. 3. f) pravas L. 3. g) Perdit fügt L. 3 hinzu. h) Diesen und den folgenden Sat; hat Leg. 3, Langenb. p.265. 1) ep. Domini L. 3. К) paratus L. 3. 1) ine. s. L. 3. 1) Von diesen bisher nirgends genannten Orten bin ich den ersten mit den mir zu Gebote stehenden Hülfsmitteln (Pontoppidan, Danske Atlas, und Mansa, Karte von Seeland in 4 Blättern), nicht zu bestimmen im Stande gewesen. Balstrup heisst nach Mansa ein kleiner Ort ganz nahe bei Ringsted, südöstlich von demselben. 30 G. WAITZ, armata manu insurgerent* Ad silvam tandem perveniens, in qua ad per- dicionem suam parricidium perpetrare disposuit, auctor sceleris in densilate arborum armatos abscondit, saltumque solus deambulans, doli nuncium ad ducem direxit, mandans ei, ut, quod fideliter spoponderat, cum festinacione adimplere. Nocte eadem in Haralstath!) cum cognata sua Cecilia, regis Kanuti filia, Kanutus pernoctaverat; a qua sollicite hortabatur, ne Magno solus obviaret. Cui ille: ‘Carissima, ne rei hujus reus appaream, facere teneor, quod fide pollicitus sum‘. Dux igitur adhuc erat deditus^ sopori, quando nuncius perfidi ad hostium pulsavit. Quo audilo, vix ex toto vestitus falsi fratris festinavit favere mandato. Suggeritur a suis arma sumere*; quibus ile dixit: ‘Absit. Res enim suspecta habetur, quando inermi armatus oc- currit'2?). At ili: ‘Domine, fideles tuos tecum sumet, rei causa forsan in dubio est; et dedecus habetur, quod dux solus incedere debet’. Quibus ille: ‘Cum unus ad consilium vocatus fuerit, plures accedere racio non permittit’. Quid plura? Puerum proditoris vir sanctus. cum se tercio persecutus est. Incedentibus illis, puer precedens premunire de insidiis ducem volens, set aperle secreta domini sui pro observacione juramenti denudare non ausus, ordinem cujusdam parricidii cantando ter reiteravit, ut inde percipiens quod hostes ei paraverat, illud devitandi adhuc haberet facultatem. Set fidelem animum non potuit tangere infidelitatis suspicio. Dixit quidem ad puerum, perpendens ex parte, quod hoc sui causa cantaret: “Нес et hiis similia a perfidis paganis, quibus fedus fidei et consanguinitatis auctoritas et timor Dei irrita tenebantur, perpetrata sunt; a christianis fidelibus facinus tale factum non creditur’, : a) Leg. 3 fährt nach Einschaltung des Resp.: Ortum duxit etc. fort: Quid plura? Sermonibus odii etc. b) debitus Cod. c) summere Cod. d) summe Cod. 1) Diesen Ort (Harrestedt, nördlich von Ringstedt) nennen auch Robertus Elg. II, 6, р. 260. Sveno Agg. c.7, p.59 und Saxo p. 638. 2) Die chronica Danorum, Langenb. II, p. 611, die dieser Vita folgt, sagt hier ab- weichend nach Saxo S. 638: Quem cum pueri sequi vellent, prohibuit eos. At cum illi dicerent, turpe esse, quod dux non solum sine pueris, sed etiam sine gladio incederet, aegre gladium accepit. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 31 R.+ Pacem Danis — et paganis — fidem sanctus contulit, — quos a vanis — et prophanis — ritibus recedere — et in Christum credere — compulit sub pacis federe. V’. Duci Danorum sub jure regio — honorem exhibet Sclavorum legio. Quos. Lectio 8. Ad‘ loeum prodicionis sanctus properans, prestojatorem perfidum per sal- tum vaganlem solum videbat. Quo viso, descendit, equum puero commisit, et solus incedens, vultu hilari, consciencia pura et mente fideli hosti domestico se obviam dedit. Accessit Magnus. Magnus inquam nomine, magnus cordis malicia, magnus oris dilositate ^, magnus inpietate operis, virum fidelem, benignum et justum feda lingua salutavit et profanis brachiis amplexatus est, et in pacis osculo Jude traditoris officio se obligavit. Locum quidem* assignans remociorem‘, inquid: ‘Frater, eamus etë sedeamus illic. Fratrem vocat, quem fraude circumvenit^; ire hortatur, quem cadere optat, et sedere ammonet, in’ quem insurgere. presumit. Pius impio assensum dedit", cum eo vadit et sedet, et sedens versipellem latenter sub toga loricatum perpendit, et dixit: ‘Frater bone, quid arma portas in tempore pacis’? Ad hoc traditor: 'Inimico meo juxta opus suum vicem reddere teneor, et ad vindictam ad presens paratus sum’. Dux magni consilii et consolacionis, proditoris malicie consulere attentans, ait: «Absit, frater, ab anima tua, ut, sive justum sive injustum san- guinem effundendo, sollempnitatem sollicite observandam contaminare presumas. Expecta pacienter, transactis hiis diebus, cum tempus ulcionis advenerit, ad- versus adversarium tuum, si opus sit, manus mea tecum erit. (Inimicus ero inimicis tuis, et te diligentes amici michi erunt. Jam scelus diucius celari non potuit, sermonibus! odii Magnus ducem circumdedit", dicens: ‘ Капше ", cujus est Dacia’? Vir" sanctus simpliciter? respondit, dicens 1: ‘Frater, interrogacio' lalis unde venit et quo habet procedere*? Dacia cujus est nisi - patris tui et patrui‘ mei, est el erit, quamdiu placuerit ei per quem reges a) Steht auch Leg. 3, Langenb. p. 266. b) legio Cod. c) Das Folgende Leg. 7, р. 274. · d) dolositate ыл. e) quendam Cod. f) remocionem corr. remociorem Cod. g) sed L. 7. h) circumvenire L. 7. i) fehlt L. 7. k) prebuit L. 7. 1) Das Folgende hat auch Leg. 3, Langenb. p. 265; ехсегрігі Leg. 5, р. 272. ^ _ m) circum- venit L. 3. n) frater L. 7. o) Cui vir L. 7. p) Vir simplex L.3. q) fehlt L. 3. 7. r) t. i. L. 3. s) prodere Cod. t) patris L. 7. 32 G. WAITZ, regnant’. Tunc Magnus»: "Non: sic; omnes post te vadunt; tu? tollis a nobis locum et gentem, et intere nos hoc modo melius dividi potest’. Hiis dictis, dux' tamquam ovis innocens ad mactandum ductus, circumspiciens 8 armatos aspexit", et ай: «Frater, scit qui‘ omnia novit, me tibi aut tuis verbo vel! opere numquam obfuisse"; et quid hoc fecisti? Ubi fedus, ubi fides, ubi vera fraternitas? Judicet inter nos, qui reddet unicuique juxta opera sua’. In hoc sanctus surgere voluit, set per cappe capucium" traditore eum indigne retrahens, extracto gladio, ab aure sinistra in dextrum oculum? caput findit, et martyris cerebrum impie denudavit« Accurrens igitur Henricus', cujus superius mencionem fecimus, parricidii particeps* effectus, corpus innocentis lancea transfodit'. Deinde ceteri sceleris hujus conscii, ut in infidelitate fides servaretur, in latera" ducis lanceas fixerunt'. Et sic glorioso martyrio jura carnis justus persolvit". Passus est igitur vir pius, rectus et innocens, dux Dacie Kanutus, regis Herici* proles, paterque venerabilis regis! Waldemari, 7. Idus Januarii, sequenti die epiphanie, feria quarta, anno ab incarnacione Domini 1130; cui est honor et gloria per infinita secula, amen. R.: Felix iste vicibus fruitur paternis; — nam obstrusis undique hostium catervis =, — duz dat uti Daciam legibus modernis. V’, Providus in opere, veraz in sermonibus, — vere Deo placuit et dulcis hominibus. V'. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. Ad cc A. Duz Kanute, da ducatum, — wt per iter Deo gratum — incedamus, quo venire ad optatum — portum; sanctis preparatum, — valeamus. evovae. a) Hier fügt Leg. 3 das Resp. ein: Quando fuit peregre etc. b) M. ait L. 3. c) Nunc L.7. фет L.3. е) et hoe i. n. modo 1.3.7. Chr. Sial. M, p. 611. f) dux sanctus Kanutus 1.7. g) et e. 1.3. h) e. et fehlen L. 3. i) ille von anderer Hand hinzugefügt Cod., fehlt L. 3. 5. T. k) quia corr. qui Cod. 1) aut L. 7. m) 1.3 führt mit dem Resp. fort: hoc statuto etc. und dann: in secundo nocturno antiphona, ver- schieden von der oben: Cum invocarem etc., dann: Et adjunxit Canutus: ut quid hoc fecisti, frater. n) capueium corr. capicium Cod, per capucium L.3. 7. per c. capucium L. 5. рег сарае capitium Chr. Sial. о) eum tr. 1.3. р) in dexterum caput 1.3. q) L.3 fügt Resp. ein: Jam flos purpureus еіс. г) Н. Scathelar p. p. corpus L.3. .H. cujusdam nomine p. L. 7. s) participes Cod. t) perfodit L. 3. u) latere d. lancea L. 7. у) miserunt L. 3. . ж) L.3 fügt das Resp. ein: Instat tempus etc. x) Erici L, 3.7. y) fehlt L. 3. 1) Steht auch Leg. 3, Langenb. p. 266. ` аа) cavernis Cod. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 33 Secundum Johannem. In ill. Dixit Jesus etc. Omelia lectionis ejusdem. Ostendit nobis rerum etc. R. In viis suis omnibus etc. * 10а. 1 Attendens auctor plasma etc. R. Succumbenti gladio etc. Lectio 11. Factis ex parte duobus etc. R. Moz virtutem martyris etc. Lectio 12. Si granum mortuum fuerit etc. R.: Decus regni et libertas, — pax, flos, fructus et ubertas, — surdis aures das apertas, — linguas mutis das disertas, — claudis gressus, cecis visus. — Quisquis eger est, confisus — in te, sanus redditur. V’. Cetibus angelicis junctus super astra locaris — atque tuis famulis in terris auziliaris. ^ V’, Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. R. Decus regni. Prosa. Qui conducis — servos crucis — Crucifixi numine. е........ ?) — Prece ducis — vere lucis — nos illustra lumine. e........ — Custos legis, — mundo degis, — mundi carens vicio. O........ — Proles regis», — dus egregis — pastoris officio. TEC m — Prave gentis, — perimentis — populum et pecora. а........ — Vi potentis — a tormentis — gens est tua libera. a........ — Sanus redditur. .S. Johannem. Їп ill. Dixit Jhesus discipulis etc. Laus. Te decet laus etc. Collecta. Deus, qui sanctam nobis hujus diei sollempnitatem in honore beati Kanuti martiris tui consecrasti, adesto familie tue precibus, et da, ut eujus hodie festa celebramus in terris, ejus meritis et intercessionibus adjuvemur in celis. Per. Ad laud. A. In matutinis laudibus — ezaudiat nos Dominus — et sancti sui meritis — nos servet a periculis — in longitudine dierum. evovae. A. Jubilate et servite — illi, qui est auctor vite, -— ut sequentes sanctum ducem — ducat nos ad veram lucem — veritas ejus. evovae. A. Deus meus, domine, — labia mea laudabant te, — os justi laude repletur, — os obstructum destruelur — loquencium inique. evovae. Benedicite — regem justicie, > quem secutus йит beatus — est, cum sanctis exaliatus — in secula. evovae. a) Steht auch Leg. 3, Langenb. p.267. b) So der Cod. 1) D. i. decima (lectio). 2) Der eine Buchstabe hat eine Reihe Noten neben sich. Hist.- Philol. Classe. VIII. 34 | G. WAITZ, A. Laudate omnes angeli — nomen sanctum Domini, — et mater ecclesia — pro filii sui gloria — laudet Dominum. evovae. R. Siola jocunditatis induit eum Dominus. V’. Et coronam pulchritudinis posuit super caput ejus. V’. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. Hymnus. Gaudet mater ecclesia. Super Benedictus A.* Benedictus Dominus, qui virtutis incrementum — sancto duci contulit, — unde» granum grana centum — moriendo protulit; — ut non intret in tormentum * — patens peccatoribus, — pie dux, hunc duc conventum — de peccati foribus — in viam pacis. evovae. Ad Iè A. Jam lucis orto sydere, — in tue pacis federe — pro tuo sancto mar- tyre — nos confirma, Domine. evovae. : Ad III? antiphona. Nunc sancte nobis Spirilus — in adversis omnibus — sancti Kanuti precibus — adesto propicius. evovae. Ad Па capitulum. Beatus vir, qui suffert temptacionem, quoniam, cum pro- batus fuerit, accipiet coronam vite, quam repromisit Deus diligentibus se. V'. Gloria et honore coronasti. Collecta. Presta, quesumus, omnipotens Deus, ut, qui beati Kanuti martyris tui natalicia colimus, intercessione ejus in tui nominis amore roboremur. Per. Ad VI? A. Rector potens domine, — pro iuo sancto nomine — nos tui sancli martyris — celi junge gaudiis. evovae. Capitulum. Justus si morte preoccupatus fuerit, in refrigerio erit. V. Posuisti, Domine, super c. ejus. Collecta. Sancti martyris tui Kanuti, Domine, nos oracio sancta conciliet, qui sacris virtutibus venerandus refulget. Per. Ad IXa antiphona. Rerum Deus creator omnium — audi pie preces fide- lium, — et ad tuum nos duc imperium, — qui precessit dus per martyrium. evovae. Capitulum. Corona aurea super caput ejus expressa signo sanctitatis gloria honoris et opus fortitudinis. V'. Justus ut palma flo. Collecta. Presta, quesumus, omnipotens Deus, ut, quem fidei virtute imitari non possumus, condigna saltim veneracione sectemur. Per. Ad vesperas antiphona super psalmos. Virgam virtutis tue emittet Do- minus ezion? dominare in medio inimicorum tuorum. evovae. P. Dixit D. on. A. Potens in terra erit semen ejus, generacio rectorum benedicetur. a) Steht auch Leg. 3, p 267. Leg. 6, p.274. , b) unum 1.3. c) tormentis L. 6. d) So der Cod. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG 35 P. Beatus vir. A. Collocet eum Dominus cum principibus populi sui. P. Laudate pii. A. Dirupisti, Domine, vincula mea, tibi sacrificabo hostiam laudis. P. Credidi propter. Capitulum. Stola jocunditatis induit eum Dominus, et coronam pulchritudinis posuit super caput ejus. Deo gratias. R. Martyr benignissime Kanute, te in Christo sollempnizantes tuere. V. Et fac nos ad eterna sollempnia tua pervenire. V. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. Ymnus. Gaudet mater. Super Magnif(icat).* Dulcis martyr, дих Kanute, audi preces supplicum, — duc nos de hac servitute, — ne peccatum — nos privatum — sive scelus puplicum — nos ducat ad interitum; — set cum justis et cum bonis — terram repromissionis — fac intrare — el in ea perdurare — per iuum sanctum meritum — in elernum. Magnif. Antiphone. О Kanute, pacifice, — dux Danorum optime, — Christi miles mariyrque egregie, — ога pro nobis, domine. A. Memoriam agentibus — sancti Kanuti martyris — salutem donet Dominus — et anime et corporis. evovae. | A. Memores memorie — tue, martyr sanctissime, — in mundi hujus fluctibus — nos salva tuis precibus. evovae. Collecta. Presta, quesumus , omnipotens et misericors Deus, ut, sicut plebem tibi devotam beatus miles tuus Kanutus paterno sinu jugiter fovere consueverat in terris, ita pro nobis apud tuam clemenciam pia ejus oracio numquam desit in celis. Per. In translacione sancti Kanuti ad ves. A. super psalmos: Dixit Dominus. Ave, martyr gloriose, — ave, sydus jam celeste, — decorans, Kanute, celum, — nos guberna visens humum, — quo letemur triumphantes, — te patronum venerantes. P. Dixit Dominus. P. Beatus vir. P. Laudate pium. P. Credidi propter. : Capitulum. Placens Deo factus dilectus et vivens inter peccatores translatus est, raptus est, ne malicia mutaret intellectum illius, aut fictio decipiat animam illius. R. Beatus vir. Require in passione. a) Steht auch Leg. 3, p. 267. E2 36 G. WAITZ, Ad mag(nificat) А. Pie pastor et patrone, — поз conforta in agone — vite transitorie, — ut in hac migracione — nos non privet spe corone — amor vane glorie; — tu evelle — et expelle — vetustatis vicium, — ne procelle — nos novelle — trahant ad supplicium. ` evovae. 5 P. Magnif. Collecta*. Omnipotens sempiterne Deus, qui beatum ducem Kanutum meritis suis inter martyres mirificas et inter mortales miraculis manifestas, presta, quesumus, ut nos, qui ejus translacionem celebramus, ipsius precibus de presenti miseria ad perhenne gaudium transire valeamus, Per. Ad matutinas invitatorium. Veni turba. Y’. A’. et V’.!) de passione. Hystoria per totum. de passione. Lectio prima. Deo" dilectus dux Kanutus terminum tangens, quem preterire quis* non poterit?, in fidei* pignore meritum et nomen martyris preciosi‘ morte pro- meruit*. Опат plures igitur" tam feliciter sopori* dedito, et pro nobilitate germinis*, quia regis filius, et pro excellencia dignitatis, quia dux et judex justus, et pro bonitate innata, quia. mente' providus, lingua disertus, manu fortis, procerus" corpore, venustus facie", fidelibus° famularis et factori suo fidelis apparuit, lacrimis madefactas? exequias impendebant. Lectio 2. Provocabat siquidem eos racio multiplex, corpus gloriosum Roskildis de- ferres. Civitas erat" enim sede pontificali auctorizata ceteris* excellencior, et patroni* patrie?) precioso* dotata pignore, tam principum" quam prelatorum a) Steht auch Leg. 1, Langenb. p.262. Leg.2, р. 263. Leg.4, p.211. Leg.5, p.272. Leg.6, p.213. b) Das Folgende steht Leg. 1, p.261. Leg.5, p.272. Leg.6, p.213. Der Anfang Leg. 2. р. 264. Leg.3, p.268. c) non quis L. 1. ne quis L. 3. nemo pr. р. L.5. q. quis рг. non p. L. 6. d, potest L. 2. е) fide pignoris L. 1. f) pretiosus LL preciosa 1.2.3.5. g) 1.3. fáhrt fori: Annis quidem 15 etc. h) eidem fügt L. 1. hinzw. i) morti L.2. felici morti L. 5. К) generis L.2, die das Folgende abkürzt. 1) p. m. L. 1. m) fehlt L. 5. n) c. v., f. decorus L.5. 9) familiaribus fidelis L. 1. familiaris L.5. fidelis, familiaris 1.6. p) madefacti imp. L. 1. q) differre L.6. г) enim erat L. 1.5. erat und sede fehlt L.6. в) а, dignitate c, 1.5. 1) pariter in L. 1, u) preciosa L. 6. s Y) prin- 1) D. i. Ymnus antiphonae et versus. ` 2) Gemeint ist ohne Zweifel König Knud der Heilige. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 37 ascripta sepulture *, majoris dignitatis melioribus apparuit. Terror inquam" tyranni eos a proposito desistere* subito compellebat; frustrati? voto disposi- cione divina, sancti* reliquias Ringstathiam* tulerunt !). Lectio 3. | Membris tandem tanti martyris in basilica = Marie matris et virginis sepulchro commendatis, virtutem sepulti benignitas divina insepultam® mani- festavit Tempore illo ecclesie sancte duo prefuerunt' prebendarii, et ambo nequam. Qui*, quia viciosi, virtutibus martyris invidentes, чеш! Dominus manifestum fecerat, sub modio malicie abscondere" satagebant”. .Prevaluit inquam* potencior, falsitate cedente verilatir. Delatorum ı martyris invectioni- bus’ fictis nullus fidelium fidem adhibuit. Lectio 4. Perseverantes siquidem in malicia sua secundi interfectores, pejores prio- ribus, sedent in insidiis, ut semel interfectum iterum interficiant* innocentem. Unde falsi" vates vetularum faventes frivolis, sepulchrum sancti, animalis in- mundi’ decoctione adhibita, fedare frustra festinabant, ut,.hiis maleficiis mira- culis cessantibus, martyris memorie meta poneretur. Set licet filius iniquitatis nocere apposuit innocenti, nichil” prevaluit inimicus in: eo, quia in Domino? dormientis, faciente- finem favilla, lucernam ardentem пециісіе * nebula obfuscare non potuit". Lectio 5. Annis* quidem quindecim membra martyris humata manebant, et fama felix de die in diem accrescentibus miraculis longe lateque incrementum ac- a) scripturis L. 1. b) tamen L. 1. c) s. d. L. 6. d) lade fr. L. 1. 5. 6. e) s. martyris r. L. 5. f) Ringstadiam L. 1. 5. 6. g) basilicam L. 1. sancte M. L.5. 6. h) in sepulchro L. 1. i) duo preb. erant Al 4 k) quia ipsi v. L. 1. Quia qui L 1) quod L. 1. m) studiose absc. L. 6. n) sattagebant Cod. 0) cum ER p) veritas L. 1. ч) enim fügt L. 1. bei. r) invent. L. 1. internect. L. 6. s) interficerent L. 1. t) fehlt L. 1. u) fehlt L. 5. v) immundo L. 6. w) nil L. 1. x) fehle L. 1. y) domo L.6. z) f. f. f. fehlen LL аа) neb. neq. L. 1.6. bb) L.6. führt fort: Hujus quidem fama — accepit, wo sie schliesst. cc) Cujus q. q. diebus Lt, 1) Vgl. Sveno Aggonis c.7 p.59. 38 G. WAITZ, cepit. Universis igitur* persecutoribus ejus peremptis, perempto eciam Herico " Emune, qui leonina feritate in fratris ulcione* nulli parcens cedem exercuit, Hericus? Spache regnum* optinuit 1). "Tempore illo etatis discrecio‘, nature nobilitas, gralia virtutum et timoris absencia Waldemarum, ducis et martyris filium, diu Jatentem, in medium duxerunt 8. Lectio 6. Erat et^ ejus collateralis et consanguineus Sveno, patrui ejus filius, cujus juventutem tam virtutis quam nature dignitas nobilitavit. Istos ergo nobiles et consanguinitatis observancia et fedus familiaritatis in rebus omnibus unanimes reddebant. Inde: inito consilio, Waldemarus patris et Sveno patrui secundum opinionem suam honori" consulentes, ejus reliquias de tumulo in feretrum transferre disposuerunt Ex quo hoc innotuit archipresuli Eskillo, Romane sedis! reverenciam observans, пес" obvians racioni”, a^ voto juvenum velle avertens, et ne fieret auctoritate pontificali interdixit. Ші quoque speciete- nus» presumpcionem pretendentes, instabant inceptis, el ossa tumulo deposita feretro imposuerunt“. Operis quidem геігоѕресіе • memores malicie, inauditi sceleris at loco sancti eliminaverunt auctores". Lectio 7. Ecce ne domus Dei diucius pastoris pateretur injuriam, Johannem Othe- niensem consensu capituli in pastorem elegerunt, et rege annuente religionis intuitu redeuntes Ringstathiam, ejus providencie ecclesie sancte curam commi- serunt Anno eodem rex regnum resignavit, et habitu religionis recepto, mundi miseriis feliciter valefecit?). Succedente Svenone in regno, рах periit, a) fehit L. 1. 3. b) Henrico Emunde L.1. Erico Emmune L.3. Erico L. 5. c) ultio- nem L.5. d) Ericus 1.1, wo Sp. fehlt. Er. Spage L.3. Er. Spake L. 5. e) o. r. LES f) discercio Cod. g) Hier endigt L. 5. h) enim L. 3. ij fehlt L. 3. К) honoribus L.3. 1) legato fügt L. 3. bei, m) et L. 1. п) rationibus L.1. о) animos j. avertere volens пе L. 1. av. velle L. 3. p) spontanea presumptione L. 3. q) Hier endet L. 1. und fügt nur die Collecta bei, die hier unmittelbar vorhergeht. r) quoque L. 3. s) retrospecti L. 3. t) fehlt L 3. u) actores L. 3, die fortfáhrt: Rex vero igitur . victoriosus, 1) 1137. Vgl. Helmold I, 67 und die verschiedenen Dänischen Quellen. 2) Im Jahr 1147. Das Folgende stimmt wörtlich mit Anonym. Roskild. S. 387 ; s. die Einleitung $. 9. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR, DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 39 excitatur sedicio, et commocio intestina eciam pacificos ad prelia provocavit. Rex iste fere per triennium a regno remotus, sub specie pacis ad patriam remeavit. Tunc quidem Sveno, Kanutus et Waldemarus, fidejussoribus inter- positis, in unum convenerunt, et prudentum consilio paci consulentes, sedicio- nem regni sedare satagebant*. | [Lectio] 8. Tali ergo condicione confederantur cognati, ut regionis divise quislibet illorum terciam partem libere possideret. Et facta sunt fedus fictum et pax falsa. Convenientibus enim illis Roskildis, Kanutus et Constantinus a Svenone nequiter necantur; quibus succumbentibus, graviter sauciatus Waldemarus evasit. Deinde cum proditore in Gratheheth dimicans, prout quod Deus voluit victo- riam optinuit, et sic tota Dacia ejus data est dicioni. Rex" igitur Waldemarus, victoriosus, paganos ad fidem, fideles ad pacem, pacificos ad securitatem provocavit. Odium in dilectionem, dolorem in gaudium, bellum in pacem et egestatem convertit in opulenciam. Ad primum inquam rediens propositum, patris* sui martyris gloriosi perpendens multiplicari miracula, ejus translacioni operam [dans], super hoc archipresulem Eskillum prudenter consuluit Ош sane incedens, sapienli satisfecit. Ei missis personis, quorum primus" archi- presul Upsalensis Stephanus extiterat, quod a summo pontifice Alexandro juste peciit, jure impetravit. Redeuntibuss ergo legatis, 7. Kalendas Junii anno incarnacionis Domini 1170. auctoritate apostolica pater regis regisque proles, martyr magnificus, dux Kanutus translatus est. Secundum Matheum. In ill. Dixit dominus Jhesus etc. Omelia ejusdem. Multa sunt in ista vita etc. (unter anderm: Sic sevi dum ducem Kanutum in dolo salutabant, odium simulata amicicia velabant. Dum vero in eum armis crudeliter irruerunt, doli latentes in lucem proruperunt ...) Lectio 10. Quod dico vobis in tenebris etc. (unter anderm: uippe Kanuti ab impiis per penas consumatur, set anima ejus ab angelis Corpus q Et ecce ducem pro justicia occisum totum regnum vene- in celesti gremio collocatur. ratur, оссіѕогеѕ autem ejus totus mundus execratur). eet a) sattagebant Cod , wo Lectio fehlt. Cod. p. mir. ejus mult. dans op. super L. 3. U. St. unus ext. L. 3. g) Recedentibus L. 3. b) Rex vero ig. L. 3. с) s. p. 1. 3. d) fehit e) Ше vero sane inc. L. 3. f) p. a. h) ab incarnatione L. 3. 40 G. WAITZ, Lectio 11. Nonne duo passeres asse veneunt? etc. (wnter anderm: Sic caro Kanuti velud as in precio solvitur, et binus passer, scilicet anima et corpus, ab eterna morte tollitur). Lectio 12. Vestis autem et capilli еіс. (unter anderm: Sanctum itaque Kanutum, qui veritatem coram populo protulit, justiciam in judicio excoluit, Christus confitebitur in celis ....). Ad Ia А. Jam lucis. Ad 11а A. Nunc sancte nobis. Capitulum. Beatus vir, qui inventus est sine macula, et qui post aurum non abiit, nec speravit in pecunie thesauris, quis est hic, et laudabimus eum, fecit enim mirabilia in vita sua. V'. Gloria et honore. Collecta*. Omnipotens sempiterne Deus, qui hodiernam^ diem honorabilem nobis in beati Kariuti* martyris tui% translacione fecisti, da ecclesie tue in hac celebri- tate leticiam, ut, cujus sollempnitatem veneramur in terris, ejus intercessione sullevemur in celis. Per. Ad VIe A. Rector potens domine. Capitulum. Beatus vir, qui suffert temptacionem, quoniam, cum probatus fuerit, accipiet. coronam vite, quam repromisit Deus diligentibus se. V'. Posuisti, Domine. Collecta. Deus, qui es rex regum et dux regia via incedencium, presta pro- picius, ut in ducis et martyris tui Kanuti patrociniis confidentes in patria celesti ejus porcionis simus participes. Per. Ad IXa A. Rerum Deus. Capitulum. Beatus vir, qui in sapiencia morabitur et qui in justicia medita- bitur et in sensu cogitabit circumspectionem Dei. V'. Justus ut palma. Collecta. Deus misericors, preciosi martyris tui ducis Kanuti adjutos precibus, de hujus mundi miseriis' festinantes ad perpetuam felicitatem misericorditer nos migrare permitte. Per. In secundis vesperis A. super P. Virgam virtutis. P. Dixit Dominus. Cum ceteris. Capitulum. Iste sanctus pro lege Dei süi certavit usque ad mortem et a obs impiorum non timuit; fundatus enim erat supra firmam petram. R. Stola jocunditatis induit eum Dominus. V'. Et coronam pulchritudinis posuit super caput ejus. V’. Gloria Patri et Filio et Spiritui sancto. a) Steht auch Leg.3, Langenb p.267. Ь) d.h. L.3. с) m. K. L.3. d) fehi L. 3. UNGEDRUCKTE LEBENSBESCHR. DES HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESWIG. 41 | Ymnus. Deus tuorum. a. Super Mag. A. Dux Kan Collecta. Deus, qui De commercio temporalia merita fidelium каса Mn eterne beatitudinis commutas*, da, ut qui gloriosi ducis et martyris tui Kanuti in hac vita transitoria patrocinio он, meritis ejus vitam eternam consequi mereamur. Ee Officium in die s ды utrumque in passione et in dies A Gaudeamus omnes in Domino, diem festum celebrantes in honore Kanuti martyris , cujus passione gaudent Kee? "et collaudant filium Dei. P. Venite exultemus. V'. Gloria Patri. evovae. Collecta. Deus, qui sanctam nobis hujus diei sollemnitatem in honore beati Kanuti martyris tui consecrasti, adesto familie tue — et da, ut, cujus hodie festa celebramus, ejus meritis et intercessionibus adjuvemu e transl. collecta. Omnipotens sempiterne d eh qu ui hodiernam diem hono- rabilem nobis in beati Kanuti martyris tui translacione fecisti, da ecclesie tue in hac celebritate leticiam, ut, cujus sollempnitatem veneramur in terris, ejus intercessione sullevemur in celis. Per. De passione lectio l. sapiencie. Beatus vir qui De translacione lectio l. sapiencie. Justus si s. Gra(tia). Posuisti, Domine, super capud ejus VASE ME de lapide precioso. ar Desiderium anime ejus tribuisti ei, non fraudasti eu Domine, prevenisti eum in обуш iie li, posuisti in capite ejus v sein de lapide precioso. V. Vitam peciit, et tribuisti ei longitudinem dierum in seculum seculi. Alleluja. Veni, alme Kanute, ad Christi solium sanctum. Humilibus et tuis deposce famulis regnum celeste. Alleluja. Egregie martyr Christi, . Kanute, implora pro nobis ad dominum Jesum Christum. De passione prosa. Preciosa mors MM orum — in conspectu Domini — quanta salus sit justorum, — sancto patet homi. Qui in tanto se aptavit — cristiano nomini,— quod se totum copulavit — ceritatis lumini. Invitatus in hac die — ad regis convivium, — un iverse carnis tue — sanctus tangit bivium. | Causa mortis diffinite — rei dat indicium, — quod sit finis hujus vile — vitale inicium. Pater regis et regis filius, — diclus dur, rec dici melius — vir justus potuit. Se regebat rege nobilius, — fedus pacis servans fidelius, — ut res innotuit. - Hunc ad penam innocentis — vel ad pacem persequenlis — fideles ecclesie Non voz [lectit suggerentis , — пес jus movent juste menlis — preces aut pecunie. Salus erat sue gentis, — virtus recte incedentis — causa fit invidie. Zelus patet sevientis, — contra ducem invidentis — grassantur insidie. i Erat sancto sanguine — junctus Magnus nomine; — nil in nequam homine — "m Гау А — circumcinzit acie, — et sub pacis federe — prodiit Мес тот eng doli — duci юй — velle loqui 'simulat; — sanctus credit — et obedit, — solus ei obviat. Dum tractatur — et ceat — de regni regimine, — vulneratur RT morte datur — martyr sine crimin | ма — Фиг oe — toga tincta sanguine, — nupcialis — vestis talis — Est i est celestis gracie. a) comutas Cod. Hist.- Philol. Classe. VIII. 42 G.WAITZ, UNGEDR. LEBENSBESCHR. D. HERZ. KNUD LAWARD V. SCHLESW. Vita vilis — am exilis — transit per martyrium, — quo est vita — adquisita, — que non habet terminum. Preciosa mors i Жамыш: — claudi, surdi, ceci, muli — sunt saluti restituti — ejus patrocinio. Cujus ase nos adjuti, — de salute sumus tuti, — ne tradamur servituti — de- monis domini Martyr ee — mortis tue — agentis memoriam, — nobis datus — advocatus, — tecum duc ad gloriam — sempiternam, amen De translacione prosa*. Diem festum veneremur martyris, — Ut nos ejus adjuvemur meritis. i Per prophetas. in figura — predicata paritura, — plures parit ^ sterilis Parit parens in pressura, — dolor partus perdit * jura, — dum applaudit і filiis ©. Filü fide sunt renati, — ad certamen preparati* — fidei constantia. Supra petram solidati, — non sunt morte separati — a maire ecclesia. Inter istos constitutus — Christi miles dux Kanutus, — recipit 8 stipendia. Regem regum prosecutus , — stola prima est indutus — pro mortali tunica. Adhuc vivens, — perituram — parvipendens, — permansuram — vitam querit opere. Dat talentum — ad usuram, — et frumentum — per mensuram — duplicat in tempore. Tuta fides in talento — designatur in frumento, — firma spes et karitas. Quarum crescit incremento, — vino fovens et unguento — prozimi miserias. Iste Dei cultor verus, — cui favet plebs et clerus, — de quo gaudet Dacia; Non superbus, sed severus, — pius, prudens et sincerus, — plenus Dei gracia. Fide ficta suffocatus, — a cognatis morti datus, — complevit martyrium. Hac in die esti translatus, — cujus prece exoratus, — Deus det auzilium. Ductor noster, dur Kanute, — nos transire cum virtute — fac per temporalia. Te ductore, — cum te duce — perfruamur vera luce — et eterna gloria — in* Jerusalem superna. Secundum Johannem. d ill. Dixit BB ulis etc De translacione secun : il Dixit Jhesus discipulis etc. Offe rtorium. Posuisti , Dania in ipit ш coronam de lapide precioso, vilam pecüt a te; tribuisti ei, alleluja. О атыб тень De translacione. Desiderium anime ejus tribuisti ei, Domine, et voluntate laborum ejus non fraudasti eum, posuisti in capite ejus coronam de lapide De passione secreta. Hostias tibi, Domine, beati Kanuti mart ris tui dicatas meritis benignus assume!, et ad perpetuum nobis tribue provenire subs uis er. nslacione secreta. Suscipe, Dom ine, munera propicius p Sa que majestati tue beati Kanuti martyris commendat oracio. Per. one communio. (ui michi ministrat, me sequatur, et ubi ego sum, illic et minister meus erit. De transl com. Posuisti, Domine, in capi ite ejus coronam de lapide precioso. De passione post com. Quesumus, omnipotens Deus, ut, qui celestia alimenta percepimus, cima ente beato Kanuto martyre tuo, per hec contra omnia adversa muniamur. De азан post com. Purificent nos, Domine. sacra que sumpsimus, et intercedente beato Kanuto martyre tuo, a cunctis efficiant. viciis is ider (Per do- minum nostrum Jhesum Christum >). a) Steht auch — , Langenb. p.269. b) paris corr. parit Cod. с) prodit L. = ы, aplaudit Cod. e) filius T4 d. sunt Tid ys Ce recepit L. 4. h) per mensuram L. 4. i) passus fügt L.4. hinzu. LA 1) assumme Cod. m) ausra Sa = Codez. Abhandlung über Entstehung Inhalt und Werth der Sibyllischen ') Bücher; von Heinrich Ewald. Der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am Tlen Sept. 1858 vorgelegt. En Sibyllenwort galt den Römern einst als ein schwer zu enträthselndes, aber wenn richtig enträthselt und klar vernommen auch unweigerlich zu be- folgendes; und zur Bewahrung der Sibyllenbücher sowie zu ihrer Befragung und Enträthselung war eine ganze Gesellschaft der geachtetsten Priester von ihnen aufgestellt. Ja diese ganze Einrichtung gehörte zu den wenigen welche sich durch alle die drei grossen grundverschiedenen Gestaltungen eines ächt Römischen Reiches hindurch mit unantastbarer Heiligkeit erhielt; und von den Königen her durch alle die Wechsel des königslosen Gemeinwesens hindurch bis in die Cäsarenzeit bestand auch diese Priestergesellschaft als eine der ge- suchtesten und angesehensten im Reiche. Jene Sibyllenbücher welche einst als eins der grössten und geheimnissvollsten Heiligthümer Roms galten, sind freilich jezt längst verloren, und wir können uns heute aus den zerstreuten Nachrichten über sie und aus einigen hóchst kargen Überbleibseln von ihnen nur mit grosser Mühe eine etwas genügende Vorstellung über ihren Inhalt : und Werth sowie über ihren Gebrauch bilden: denn das Gotteswort welches man ihnen zu entlocken suchte, gerieth schon in den spáteren Zeiten des kónigslosen Gemeinwesens in eine immer tiefere und nie wieder gründlich aufzuhebende Verachtung; und wenn der bekannte junge Cäsar Augustus Julianus aus dem Constantinischen Cäsarenhause ihre Hochachtung im vierten 1) So statt des halbLateinisch gebildeten Sibyllinisch. F2 44 H. EWALD, christlichen Jahrhunderte durch seinen Willen wiederzuerzwingen versuchte 1), so ist das nur eins von den vielen Zeichen der ungeheuern Verirrung in welcher sich der Geist dieses zu seinem eignen Glücke früh verstorbenen Cäsar befand. Aber auch die jezt erhaltenen Sibyllischen Bücher sind für uns noch immer wie es scheint wahrhaft Sibyllisch dunkel und mehr als räthselhaft, obwohl sie doch ganz anders als jene nicht Heidnischen Ursprunges oder Heidnischer Bestimmung sind, und für uns alles auch was ursprünglich räth- selhaft gesagt ist oder vielleicht auch um überhaupt gesagt zu werden in Räthsel eingehüllt werden musste kein blosses Räthsel bleiben sollte. Die Sibylle, anfangs unter einzelnen Griechischen Volksstämmen zunächst Asiens dann mitten in diesem Griechischen Gewande welches sie angenommen auch unter den Römern so angesehen und gefürchtet geworden, wurde zur guten Zeit Judäisch, dann sogar noch mehr Christlich: und da sie sich in dieses ganz neue christliche Gewand gerade in jener Zeit hineingeworfen hatte welche für alles spätere Christenthum massgebend wurde, aber in diesem Gewande auch für den endlichen Sieg desselben im Römischen Reiche nicht wenig mitgewirkt hatte, so wurde sie seitdem gar eine der christlichen Hei- ligen und mitten in den Kreis der Biblischen Prophetinnen eingereihet. Auch diese ihre Bücher wurden nun lange desto stärker gelesen und weiter ver- breitet, auch aus dem Griechischen in andre Sprachen übersezt; und durch das ganze Mittelalter hindurch erhielt sich so ihr Ruf. Allein als die Grie- chischen Urschriften alsdann schon unter den kräftigen Anfängen unsrer ganzen neuern Wissenschaft und Bildung im sechszehnten und siebenzehnten Jahrh. durch den Druck vielfach verbreitet wurden und man schon viele neue wis- senschaflliche Mühe auf ihre Erklürung verwandte, gelangte man dennoch nicht zu einem hinreichend sichern Urtheile über ihre Entstehung und ihren Werth. Im siebenzehnten Jahrh. erschlaffte dann vollends der Eifer in diesem Gebiete den Forderungen der Wissenschaft zu genügen immer mehr; und wie diese ganze Griechisch -Judüisch-Christliche Dichtung von vorne an eine Zwitterart war, so schien es in diesen auf die grosse Zerstörung des 30jäh- 1) Amm. Marcell. 23: 1, € ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 45 rigen Deutschen Krieges folgenden schlaffen Zeiten alswenn. weder die Grie- chischen Philologen noch die Theologen aller Farben diese Bücher zweifelhaften Aussehens und Werthes viel zu beachten für der Mühe werth halten wollten. Diese Erschlaffung ist zwar jezt seit etwa 40 Jahren im Weichen be- griffen. Von der einen Seite erwarb sich Angelo Mai das Verdienst die vier lezten Sibyllischen Bücher welche bisdahin noch ungedruckt waren, zum erstenmahle zu veröffentlichen: er liess 1817 zu Mailand das XIVte, dann 1828 zu Rom das XI—XIV B. drucken. Der Erforschung dieser Räth- selbücher ward dadurch ein neuer Stachel gegeben, aber bisjezt wirkte dieser noch wenig so wie man es wünschen konnte, theils weil gerade das zuerst von ihm herausgegebene XIVte B. das dunkelste aller zu seyn scheint, theils weil der grossen Schwierigkeiten wegen die sich bei allen jezt vorhandenen 19 Büchern finden wenn man ihren Sinn und ihr Zeitalter sicher entdecken will manche Bemühung wohl mehr zur Verzweiflung als zu einem glücklichen Ergebnisse hinführte. Von der andern Seite begann man zwar wirklich seit jener Zeit auch die sehr schwierigen Fragen über den Ursprung und die Urbedeutung dieser Bücher mit neuem Eifer zu untersuchen: und schon 1820 veröffentlichte Fr. Bleek seine genaueren Forschungen über „die Entstehung und Zusammensezung der uns erhaltenen Bücher Sibyllinischer Orakel < 1). Diese ausgezeichnete Abhandlung hat seitdem nicht wenig zur richtigeren Schäzung der Räthselbücher beigetragen und ist bisheute die beste ihrer Art geblieben, beschäftigt sich jedoch nur mit den ersten 8 Büchern, und lässt auch bei diesen (was bei einem solchen ausnehmend schwierigen Gegenstande am wenigsten auffallen kann) noch sehr vieles im Dunkeln. Was nun so von diesen beiden Seiten aus neu angeregt wurde, das suchte ein gelehrter Fran- zose C. Alexandre auch durch eigne vielseitige Mühe in einem sehr gross angelegten Werke zu einer wünschenswerthen Vollendung zu führen: und sein seit 1841 in vier Heften sehr verschiedener Grösse erschienenes 1856 vollendetes Buch ist jezt das umfassendste und inhaltreichste welches man hier gebrauchen kann. Dieses Werk erinnert in einem Lande wo in neueren Zeiten Griechische und Hebräische Sprachwissenschaft immer seltener gewor- 1) In Schleiermacher's de Wette's und Lücke's Zeitschrift 1. 2. 3. 45 H. EWALD, den ist, schon durch seine Lateinische Sprache etwas an die philologischen . Werke der Scaligere und Casaubone, wird aber troz aller seiner einzelnen Verdienste noch immer zu sehr von dem gänzlich unwissenschaftlichen Geiste gedrückt welcher dort in sovielen Fächern seit hundert bis zweihundert Jahren immer herrschender geworden ist. Es gibt seit langen Zeiten zum ersten Mahle wieder eine neue Ausgabe der Bücher nach ihrer heutigen grósseren Vollständigkeit, und enthält zu ihrer Erklärung ebenso wie zur Feststellung des Griechischen Wortgefüges soviele Hülfsmittel dass es immer seinen hohen Werth behalten wird; es wagt sich auch an die höheren Arbeiten welche hier erforderlich sind, an die Herstellung des richtigen Griechischen Wort- gefüges, an die Erklärung sovieler dunkler Stellen, an die Fragen über die Entstehung und den Werth dieser Bücher, trifft da aber beinahe nur selten das Rechte und bringt dagegen eine Menge neuer Irrthümer. Im Ganzen jedoch gehört dieses Werk als die Frucht einer unverdrossenen langjährigen Arbeit zu den besseren. Weit weniger lässt sich dieses von dem kleineren Deutschen Werke des Herrn Joseph Heinr. Friedlieb (zu Leipzig 1852) sagen, dessen Verfasser zwar sich durch die Mittheilung einiger Handschriften- vergleichungen einige Verdienste erworben hat dem es aber an aller ächten Wissenschaft völlig fehlt 1). Allerdings sind die Schwierigkeiten welche sich einer sichern Wieder- erkennung dieser Bücher entgegenwerfen, sehr mannichfach und sehr gross; und warum sollte ich nicht gestehen dass ich oft stundenlang ganz umsonst hier den ersten festen Boden zu entdecken suchte. Sogar das Griechische Wortgefüge dieser Bücher ist noch in ihren neuesten Ausgaben äusserst un- sicher, ja oft ganz unverständlich. Doch hat sich mir auch bier die Erfahrung 1) Das Schrifichen von Rich. Volkmann: de oraculis Sibyllinis Lips. 1853 be- ‚handelt nur die Griechischen Verse dieser Bücher, welche allerdings oft sogar bei C. Alexandre und noch weit mehr bei Friedlieb auch ohne Schuld der Dichter höchst übel sind: allein man kann auch sogar blosse schadhafte Dichter- zeilen nicht sicher genug wiederherstellen wenn man über den nothwendigen . Sinn derselben noch vielfach zu schwankend urtheilt; wie dieses immer so seyn wird solange man doch das Ganze noch nicht richtig versteht. Dieses ist in jenem übrigens empfehlenswerthen Schriftchen nicht bedacht. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 47 bestätigt dass wenn man in dem wogenden Meere solcher Untersuchungen nur erst einen festen Ort gefunden hat, alle die übrigen Unsicherheiten sich allmählich heben lassen können und ein Ursprüngliches wieder zum Vorschein kommt ganz anders wohl als man es vorher ahnete und doch allein richtig. Es liegt uns jezt aus dem Mittelalter überkommen eine Sammlung von 14 Sibyllischen Büchern vor, von denen jedoch das neunte und zehnte nochnicht wiedergefunden ist: welcher Mangel insofern weniger zu beklagen ist als damit nicht Stücke eines ursprünglichen Ganzen verloren sind. Dass in diesen Büchern vieles ursprünglich ganz verschiedene zusammengeworfen ist, lässt sich im Allgemeinen leicht erkennen: aber es kommt därauf än die ursprüng- lichen Werke welche unter dieser Zusammenstellung verborgen sind, alle so vollkommen und so richtig als es heute irgend möglich ist wiederzufinden, ein jedes von ihnen seinem Inhalte und Zwecke aber auch seiner Kunst Anlage und Gliederung nach sicher zu erkennen, und wenn es uns unmöglich ist die Namen der Dichter zu entdecken jedes wenigstens in die Zeit und däs Land seiner Abkunft zurückzuführen welchen es unzweideutigen Anzeichen nach wirklich angehört. Werden die einzelnen ursprünglichen Werke so wieder- erkannt und ihrer Zeit nach gereihet, so ergibt sich am Ende auch die richtige Vorstellung von dem ganzen Wesen und Werthe dieser sehr eigenthümlichen Dichtungsart; und auch die Entstehung der jezigen Sammlung selbst kann dann nichtmehr dunkel seyn. Wir werden dann aber auch begreifen dass diese besondern Dichtungen nicht nur von Anfang an ihren hohen Reiz hatten, wodurch es allein möglich wurde dass sie lange jene mächtigen Wirkungen übten welche sie der Geschichte zufolge unstreitig ausübten, sondern auch in der grossen Entwickelung der Völker und der Religionen eine durch nichts anderes zu ersezende Stelle einnahmen. Über die Heidnischen Sibyllen und Sibyllenbücher zu handeln gestaltet der- Raum hier nicht: in der neuesten Zeit hat dieses Herr C. Alexandre in seinem grossen Werke wieder gethan, ich glaube weniger treffend und glücklich als unser leider zu früh verstorbene Rud. Heinr. Klausen in seinem Werke „Aeneas und die Penaten«. Es mag hier aber vorläufig wohl noch bemerkt werden dass, wenn Judäische und später Christliche Dichter in diesen Werken die Stimmen der Heidnischen Sibyllen nachahmten, sie damit 48 H. EWALD, sich nur einer dichterischen Freiheit bedienten welche ansich keiner Entschul- digung bedarf und die nicht grösser sondern noch weit enischuldbarer ist als wenn christliche Dichter neuerer Zeiten die Musen anriefen. Sibylle und Muse sind in einer Beziehung nicht so vóllig verschieden als es auf den ersten Blick scheint. Denn dass jemals eine Sibylle wirklich menschlich gelebt und ihre Worte gesprochen habe, wird wohl immer eitle Einbildung neuerer Gelehrten bleiben. Es waren die dumpfen wie aus tiefster Erde schwer und geheimnissvoll sich emporringenden wie seufzenden und klagenden Laute wie sie über Gewässern oder Höhlen in manchen Gegenden wohl vernehmbar sind, in denen das Heidenthum leicht góttlich geheime Stimmen und Andeu- tungen zu hören meinte und die unter gewissen Griechischen Stämmen Klein- asiens Weissager und Dichter weiter ausführen zu können sich zutraueten; aber wohl längst hatte man sich im dritten und zweiten Jabrh. vor Chr. ge- wöhnt besonders alle die ernsten wie seufzend sich fortbewegenden drohenden Weissagungen als Sibyllische zu bezeichnen. Allein eine Sibylle wurde nie wie die Muse um Hülfe angerufen, sondern musste selbst reden, stand also danach doch mehr unter als über dem Dichter. Umso leichter konnte das was so von Anfang an Sache der blossen geistigen Einbildung dann der Kunst und Dichtung gewesen war, auch jeder Judäische und dann jeder Christliche Dichter sich aneignen, und es dann darauf ankommen lassen wel- chen Zauber seine wie losgerissen von ihm selbst als blossem Menschen und geheimnissvoll unter eine besondre höhere Gewalt gestellten Zeilen auf die Hörer und Leser ausüben würden. Allerdings entspricht diese mit künstlichem Geheimniss umhüllte Weissagungsart nicht der offenen altHebräischen: erst nach dem Erlöschen der alten ächteren Weissagung sah sich die schwächer wiederauflebende nach solchen äussern Hülfen um, und erst die Hellenisten erfanden dazu seit der lezten Hälfte des zweiten Jahrh. vor Chr. diese halb- Griechische Zwitterart. Wir hören hier wirklich Stimmen aus ebenso künst- lichen als gedrückten Zeiten, welche sich nur wie dumpf und zitternd in die hohe Welt hervorwagen, und die doch so richtige und so gewaltige Wahr- heiten enthalten können dass- das Seltene Ernste ja Schauererregende ihrer Erscheinung nur die ächte innere Kraft vermehrt welche in ihnen selbst liegt. Eine so seltsame Dichtungsart kann keine in allen Zeiten nothwendig wieder- ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 49 kehrende immer gleich gute und gleich edle seyn: sie ist nur für ganz eigen- thümliche Zeiten, und kam bloss in diesen zur Ausbildung. Allein wir sollten sie in ihrer rechten Zeit und Art auch richtig erkennen und schäzen. 4. Das älteste Sibyllengedicht (III, 97 — 828), um 124 v. Chr. Von dem ältesten Gedichte hat sich ein sehr grosser ja es fast noch vollständig darstellender Theil in dem jezigen dritten Buche Z. 97 — 828 er- halten. Dieses Gedicht war danach nicht bloss das früheste in seiner Art, sondern auch durch innere Vorzüge só ausgezeichnet dass sich daraus leicht erklärt wie es früh ungemein beliebt und weit über die nächsten Grenzen seiner Entstehung hinaus verbreitet werden, ja allmählig eine immer grössere Zahl von Nachahmungen hervorrufen konnte. Man kann es daher kurz das Grundwerk nennen: auch ist es alsob seine einzige Schónheit Herrlichkeit und Kraft von allen späteren Lesern Nachahmern und Sammlern immer so unwi- derstehlich richtig und stark empfunden wäre dass es sich noch in den spätesten Sammlungen Sibyllischer Sprüche fast vollständig erhielt. Dieses Grund- werk richtig wiederzuerkennen ist daher in allen diesen Forschungen von der grössten Bedeutung: und wir finden bei näherer Betrachtung doch noch Mittel genug sowohl das Zeitalter in welchem es entstand alsauch seine Anlage und seine Ausführung sicher zu erkennen. Der wichtigste Vortheil für die Sicherheit dieser Erkenntniss ist eben dass von dem Werke noch jener grosse zusammenhangende Theil sich só erhalten hat dass wir nur weniges zu seiner nothwendigen Vervollständigung vermissen; und erst von diesem grossen Überbleibsel eines schónen Leibes áus dem fast nichts als der Kopf abgebrochen ist, kónnen wir dann weiter erforschen ob sich vielleicht einige kleinere Theile von ihm anderswo erhalten haben. Zwar hat man in der neuesten Zeit das Zusammengehören aller Glieder dieses grossen und wichtigsten Ganzen ernstlich bezweifelt und einige von Hist.-Philol. Classe. VIII. 50 j H. EWALD, späteren Dichtern ableiten wollen !): allein wir meinen mit Unrecht, und hoffen dieses überzeugend genug nachweisen zu kónnen. 1. Denn was vorallem das Zeitalter und das Vaterland dieses Gedichtes betrifft, so kónnen wir es mit grosser Sicherheit dáhin bestimmen dass es um das J. 124 v. Chr. im Ägyptischen Reiche geschrieben wurde. Alle deutlichen Merkmale führen uns auf diese Zeit und dieses Reich, sowohl die besondern Anspielungen auf bestimmte zeitliche Verhältnisse welche es ent- hält, als die allgemeineren Eigenschaften welche wir bei ihm bemerken. Wir wollen uns jedoch hier auf die Auseinandersezung der ersteren be- schrünken, da sie entscheidend sind. Wir kónnen nun mit Zuversicht behaupten der Dichter habe in Ágypten selbst und zwar in Alexandrien gelebt, da er gerade auf Ägyptische Verhält- nisse Örtlichkeiten und Eigenthümlichkeiten vorzüglich anspielt, ganz anders als der demnächst folgende unter unsern Sibyllendichtern ?). Gewiss wenig- stens lebte er an einem Orte wo das Ägyptische Reich damals herrschte, da er obwohl im Allgemeinen mehr von Griechen als von Ägyptern redend doch das Ptolemäische Reich ganz besonders hervorhebt als däs Weltreich welches auf das Makedonische gefolgt sei?) und welches ihm danach noch über dem 1) Um von den unverständigen Urtheilen Friedlieb’s zu schweigen, so will Herr C. Alexandre beweisen dass das grosse Stück 3, 295—488 von einem weit spätern Dichter abstamme, nämlich einem christlichen sogar erst aus Hadrian's Zeit; und er bezweifelt ausserdem ob das Ende des langen-Stückes von dem- selben àlteren Dichter sei. Er bringt solche Meinungen aber nicht bloss bei der Herausgabe seines ersten Bandes 1841 vor, sondern will sie im Wesent- lichen noch 1856 bei der Vollendung seiner grossen Arbeit festhalten, und gibt erst hier die weiteren Beweise dafür welche er auffinden konnte. Wir haben es also hier nicht mit so leichthingeworfenen Ansichten und Vermuthungen zu thun. 2) Das fast milleidige Wort an die Ägypter und besonders die Alesandriner Z. 348 f. ist hier besonders bezeichnend; und da wir nachweisen werden dass die Zeilen bei Theoph. ad Autol. 2, 36 (Prooem. 7. 60—71) von demselben Dichter sind, so sehen wir dass er namentlich den Ägyptischen Thierdienst ebenso wohl kennt und geisselt wie das B. der Weisheit. 3) In der Haupistelle 3, 159—161 wo statt der vier Weltreiche Daniel's achte ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 51 Seleukidischen stand. Aber da wo er seine eigne Zeit nüher andeuten will, nennt er auch bestündig den siebenten Ägyptischen König Griechischen Blutes als den lezten dieser Reihe, über den er nicht weiter hinaus sieht 1). Мап hat nun in neuern Zeiten gewöhnlich gemeint unter diesem siebenten Hellenisch- Ägyptischen Könige sei Ptolemäos Philométor gemeint: dann müsste man, da dieser in gemeiner Rede als der sechste Ptolemüer galt, etwa Alexandern selbst als den ersten ihrer Reihe annehmen, wie dieses C. Alexandre meint. Allein da der Dichter das Makedonische Reich als das nächste vor dem Hellenisch-Ägyptischen bestimmt genug von diesem unterscheidet, so werden wir vielmehr an den wirklichen siebenten Piolemäer Physkon denken müssen welcher, obwohl eine Zeitlang seinem ältern Bruder Philometor den Besiz des Reiches streitig machend doch erst nach dem Tode dieses seines Bruders von 145 bis 117 v. Chr. über das Reich in Ruhe herrschte ?). Die beiden Ptole- mäer Eupator vor und Philopator II nach Philométor welche allerdings noch vor diesem siebenten in die Reihe eintraten, herrschten zu kurze Zeit um hier mitgezählt zu werden, sowie sie auch im Kanon der Ágyptischen Kónige von den alten Chronologen übergangen wurden. Auf die besondern Geschicke der Ptolemäer wird nun zwar nicht weiter angespielt; zumahl sie damals wenn auch der Römischen Allgewalt von weitem СО aufgezühlt werden: 1) das Ägyptische, mit Recht der Zeit nach allen voran- stehend; 2) das Persische welches hier nur nach der späteren Verwechselung für das Assyrische steht; 3) das Medische (mit dem spätern Persischen); 4) das Äthiopische, diese beide aus dem Sien Jahrh. vor Chr.; 5) das Babylonische ; 6) das Makedonische ; 7) das Agyptische zum zweitenmahle; 8) das Römische, über welches unten weiter zu reden ist. So betrachtet ist diese Reihe der- acht Reiche doch nicht grundlos so bestimmt. 1) So dreimahl ganz gleichmässig 3, 192 f. 318. 608 — 610. Hierdurch widerlegt sich schon die Meinung C. Alexandre's dass das Stück 7. 295—488 von einem späteren Dichter sei; wenn er aber die offenbar Messianischen Worte xa: TOTE * natoy Vs318 vgl. Z. 608—616 von einem blossen Aufhören der Z. 314 —317 genannten Ägyptischen Gottesschläge verstehen will, so widerstrebt schon die Griechische Sprache, da auch das Wort 5, 457 sich hier nicht vergleichen lässt. 2) Aus dem Wörtchen réog 2. 608 welches diesen König nur nach den früheren als einen neuen bezeichnet, darf man nicht mit C. Alexandre schliessen er sei damals noch jung gewesen. G2 52 H. EWALD, schon unterworfen doch sonst noch ziemlich mächtig herrschten; auch von einzelnen Ägyptischen Städten viel zu reden vermeidet der Dichter. Aber auf das traurige Geschick der Seleukiden welches sich damals schon sogutals vollendet hatte und deren Geschichte für die Judäer des ganzen zweiten Jahr- hunderts vor Chr. von besondrer Wichtigkeit war, wird in einer längern Stelle andeutungsweise aber für den Verständigen deutlich genug hingewie- sen!). Kürzer wird an dieser Stelle zuerst das damals schon seit einigen Jahrzehenden vollendete aber noch im frischesten Andenken bleibende Geschick der Makedonischen Weltherrschaft berührt, wie „Makedonien zwar Asien schweres Übel (durch Alexander) bereiten, aber auch Europa das schmerz- lichste Leid erdulden werde durch das Geschlecht der unächten Kroniden die vielmehr von Geburt Sklaven seien (d.i. durch die Makedonischen Könige nach Alexander welche wie alle seine Nachfolger als hochmüthige Weltherr- scher Kroniden seyn wollten aber inderthat doch von Góttern abzustammen und göttlichen Wesens zu seyn nur vorgaben, die aber schon als Heiden und Heidensóhne vielmehr Unedle und Unfreie und so wie ein Bastardgeschlecht waren, deren lezter Perseus aber auch wirklich ein Bastard war); wie Ma- kedonien zwar das Babylonisch-Persische Reich stürzen und so weit wie nie früher ein andres Reich herrschen, sein Kónigsgeschlecht aber in seinen ganz rechtlos behandelten späten Gliedern aufs traurigste untergehen werde 2). 1) 3, 387 —400, unmittelbar an die Stelle über die Makedonische Herrschaft Z. 281 — 286 sich anschliessend. 2) Dies ist nämlich der bei näherer Betrachtung unverkennbare Sinn der Worte über Makedonien und seine Macht, welche danach in die zwei sich gegenseitig erläuternde Säze 2. 281 —283 und Z. 284—257 zerfallen. Auch Europa, näm- lich vorzüglich das unsrer Sibylle ja überhaupt am nächsten vorliegende Grie- chenland, wurde durch Makedoniens Kónige unglücklich genug. Wir billigen also zwar ganz die Lesart Koorv;dwy» 7. 283 wie sie C. Alexandre nach einigen Handschriften aufgenommen hat, während Friedlieb wieder das ganz unpassende Koovid«o beibehält; und wie unsre Sibylie alle Könige der drei grossen’ Grie- chischen Reiche nach Alexander als Kroniden bezeichne, wird bald noch weiter erhellen. Aber C. Alexandre's Meinung dass mit diesen 5 Zeilen die Römer gemeint seien, ist obwohl er sie noch 1856 sehr ausführlich beweisen wollte, gänzlich unhaltbar. Der Ursprung der Römer war zwar einer am liebsten von ihren Feinden erzählten Sage nach kein sehr edler: allein hier ist ja überall ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 53 Indem die Sybille aber von da auf die Syrischen Herrscher als das dritte grosse Griechische Kónigsgeschlecht nach Alexander übergeht, berührt sie in kurzen krüftigen Zügen die ganze Geschichte der Seleukiden seit dem Anfange der Herrschaft Antiochos Epiphanés bis fast zum lezten Untergange, wie nämlich : 1) »nach Asiens glücklichem Gefilde treulos ein mit dem Purpurmantel bekleideter wilder das Recht verdrehender feuriger Mann kommen werde, der wohl so wild seyn müsse weil ihn früherhin ein Bliz wie ins Leben ge- rufen habe; und wie er durch seine Blutsucht ganz Asien schwer beugen werde“. Damit ist erkennbar genug Antiochos Epiphanés gezeichnet wie ihn zumahl die Judäer auffassen mussten: er kam als König ganz unerwartet aus Rom, bemächtigte sich unrechtmässig der Herrschaft, nahm besonders den Judäern ihre Rechte, und erfüllte bald Süd und Nord mit blutigstem Kriege. Wenn aber sein zu heftiger alles wie verbrennender Geist auch dáraus erklärt wird dass ihn „zuvor ein Bliz wie erzeugt“ habe, so enthält das eine offenbare Anspielung auf Seleukos Keraunos als seinen zweiten Vorgänger: sonst wäre doch auch der Dichter schwerlich auf ein so ganz fernliegendes und ansich unverständliches Bild gekommen !). — Die Sibylle führt dann fort zu weissagen wie dieser selbe 2) »obwohl nochsosehr allberühmte Mann?) dennoch vom Tode (Hades) als seinem üchten Diener gut bedient, sein Geschlecht aber gerade von dém nicht entfernt von Rómern sondern von Makedonien und seinem Kónigsstamme die Rede. 1) Da dieses offenbar der Sinn der Worte Z. 388—392 ist, so liegt kein Grund vor mit C. Alexandre und Friedlieb das «no: der Handschriften 7. 388 in čavor zu verändern: freilich würde das treulos nicht passen wenn hier wie C. Alexandre meint von der Ankunft Hadrian’s in Asien die Rede wäre; allein sogleich bei diesem ersten Worte vorne zeigt sich wie verkehrt C. Alexandre in dieser ganzen Stelle Z. 388 — 400 ап Hadrian gedacht wissen will. 2) In den drei Zeilen 393— 395 ziehen wir also die Lesart einer Handschrift neverıoror als die allein klare und hier ganz treffende der gewöhnlichen mardiorov vor: auch hat sich niemand die Mühe gegeben diese erträglich zu erklären. Dagegen findet sich bald nachher 7. 406 navaioro» ganz richtig zum Sinne passend, aber auch ohne verschiedene Lesart. 54 H. EWALD, Geschlechte das er vernichten wollte selbst vernichtet werden werde«. Denn der überraschende Tod dieses Antiochos auf dessen Beinamen Epiphanes sogar die Bezeichnung des „Allberühmten“ hier anspielt, ist bekannt genug: sein Geschlecht aber wurde alsdann nicht wenig auch gerade von denen immer ärger befeindet und vertilgt die er selbst vertilgen wollte, von den Judäern nämlich, deren Feindschaft den Seleukiden seitdem verderblich genug war. — Aber weiter führt die Sibylle 3) diese Geschichte noch herab indem sie fortfährt „eine Wurzel d. i. einen Nachkommen werde er zwar hinterlassen, aber diesen werde der Schlachtengott aus den zehn Hörnern d.i. aus der Reihe der Griechischen Könige Y) ausrotten vernichtet von glücklich verschworenen jungen Kriegern, werde aber neben dieses ausgerottete Horn ein anderes sezen welches dann herrschen werde« 2). Denn als Antiochos Epiphanes starb, hinterliess er nur den éinen minderjáhrigen Sohn welcher als Antiochos Eupator zum Herrscher gemacht wurde: allein die inneren und äussern Streitigkeiten welche sich bald gegen ihn erhoben schlossen damit dass nach seiner Vertilgung auch der von den Judäern nie recht anerkannte Démétrios Sótér von Alexander Balas ‚ver- drängt wurde: dieser Eindringling welcher sich für den ächten Sohn Antiochos Epiphanes ausgab und wirklich zur Herrschaft gelangte, ist das hier gemeinte Nebenhorn; und die Söhne deren Krieg?) zum einträchtigen Glücke wird sind die für Balas verschworenen Krieger, der Ägyptische König und andre 1) Mit offenbarer Anspielung auf Dan. 7, 7.24: die Worte sind sonst zu unver- ständlich und unklar; und die Art wie C. Alexandre hier zehn Römische Cüsaren mit Hadrian finden will lässt sich in keiner Weise aufrechthalten. 2) Wir haben hier also wiederum zwei grössere Süze welche den ganzen Sinn erst vollständig enthalten, Z. 396 f. und Z. 398— 400. 3) Für «0бус Z.399 ist nach einigen Handschriften ” Aore zu lesen oder das Wort wenigstens in diesem Sinne zu verstehen. Es ist übrigens möglich dass die zwei Könige Eupator und Démétrios Sótér von denen der erstere kaum einige Jahre als Kind den königlichen Namen führte, dem Dichter in der Erinnerung und Beschreibung Z. 398 schon in éinen zerflossen: jedenfalls sind aber die Söhne sowie sie 7. 399 gezeichnet werden nach dem ganzen Zusammenhange der Rede nicht als Sóhne dieses éinen Nachkommens des Feuerkónigs, sondern - im altdichterischen Sinne als junge Krieger überhaupt zu fassen. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 55 mächtige Feldherren. Die Judäer erkannten lieber diesen Nebenstamm als zur Herrschaft berechtigt an: aber da dieser Nebenzweig erst mit Alexander Zebina im J. 123 v. Ch. ganz unterging !), so sind wir nicht genóthigt an- zunehmen unser Dichter habe alsbald nach Balas Siege im J. 150 geschrieben. Von der andern Seite aber sind wir gezwungen anzunehmen der Dichter habe so auch nicht nach dem J. 123 schreiben können, da er diesen Neben- stamm ausdrücklich als noch herrschend sezt. | Dass die Kroniden jenen Sibyllischen Sinn haben können ergibt sich ferner aus anderen Stellen des Gedichtes, welche uns zugleich auch wegen des Zeitallers einen noch näheren Wink geben. Es findet sich nämlich ziem- lich vorne in dem Gedichte ein längeres Stück welches die Geschichte des Kronos und der Rhea behandelt?). Diese Geschichte wird hier völlig nach der bekannten altHeidnischen Art erzählt, mit einigen Abweichungen von den uns sonst bekannten Griechischen Mythen, aber im Ganzen diesen gleich. Wozu nun, muss man mit Recht. fragen, diese Geschichte der Kämpfe des Kronos und des Titan sowie der Geburt des im Phrygischen Lande als dém von Rhea geliebten einst verborgenen Zeus und der beiden andern grossen Sóhne des Kronos und der Rhea? mit dem Hauptinhalte und Zwecke des Buches scheint sie keinen Zusammenhang zu haben; und aus den früheren Heidnischen Sibylinen kann sie schwerlich einfach herübergenommen seyn. Scheinbar gibt nun zwar der Dichter selbst den vollen Zweck dieser Erzäh- lung án indem er sagi jene Götterkämpfe seien der Anfang auch aller der menschlichen Kàmpfe gewesen, und jene Götterherrschaft stehe an der Spize der S. 50 f. bemerkten acht menschlichen Weltreiche 5): allein inderthat hat der Dichter doch damit den Lesern schon dén Wink gegeben in den Heidnisch- menschlichen Verhältnissen diesen göttlichen ähnliche zu suchen. Gewiss aber 1) $. über dies alles die Geschichte des Volkes Israel IV S. 362 ff. 375 ff. 403. 2) Z. 105 — 158, wozu aber noch die weiteren Worte Z. 199—201 gehören. Hier stand aber ursprünglich gewiss auch die Erzählung welche sich jezt in einem andern Buche 5, 129 f. erhalten hat, dass die Rhea selbst zulezt nach Phrygien entflohen sei und hier neben ihrem Zeus Schuz gefunden habe: denn nur so stimmen dazu die spüteren Worte bei unserm Dichter Z. 401 f. 3) Z. 154 — 161. 56 H. EWALD, hatte man zu seiner Zeit längst in Scherz und Ernst begonnen die drei grossen Griechischen Reiche welche aus dém Alexanders hervorgingen, das Seleuki- dische Ägyptische und Makedonische, mit den Reichen der drei Söhne des Kronos, ihre Könige in diesem Sinne mit den Kroniden, ihre Kämpfe unter einander mit den Titanischen der Urwelt zu vergleichen. Dann aber lag es weiter nahe unter „dem unreinen Geschlechte der Rhea in Phrygien welches in éiner Nacht untergehen werde« den von seiner eignen Mutter, der Ägyptisch- Ptolemäischen Kleopatra, hingemordeten Seleukos zu verstehen, welcher noch vor dem Falle jenes Alexander Zebina im J. 125 so umkam. Wirklich knüpft die Sibylle diesen Untergang „йез unreinen Geschlechtes der Rhea« sofort an jene Weissagung über das Seleukidische Nebenhorn !), freilich dabei auf eine sicher altPhrygische Sage von der Rhea mit ihrem Geschlechte und dem Unter- gange der hier Doryläon genannten Seestadt 2) sich stüzend welche ihn leicht zu dem benachbarten Шоп und zu Homer hinüberleiten konnte, aber mit einem leichtverhüllten Nebensinne welcher einem aufmerksamen Leser der Zeit nicht entgehen konnte. Das hier erwähnte unreine Geschlecht der Phrygischen Rhea (auch Phrygien. gehörte ursprünglich den Seleukiden) gehört offenbar zu den kurz zuvor so genannten unächten Kroniden sklavischen Ursprungs, nur dass hier von Phrygien dort von Makedonien die Rede ist 5). Andre Zeitmerkmale scheinen dem so gefundenen Ergebnisse über das Zeitalter dieses Gedichtes nicht zu widersprechen. Auf eine ungemeine Menge trauriger Geschicke besonders einzelner Griechischer Städte wird überall an- gespielt: vieles davon entlehnt unser Dichter wohl den früheren Heidnischen Sibyllenbüchern, und nichts wird man darunter finden was später als der angegebene Zeitraum geschrieben seyn müsste. Aber die beiden Weissagungen über den Untergang Karthago’s und Korinth's welche ein langes Verzeichniss solcher Übel höchst nachdrucksvoll fast dicht nebeneinander schliessen *), 1) Z. 401 ff. 2) Z. 405 f. halte ich nicht Avrardow als Name einer Stadt, sondern «ит nde nach Z. 341 f. und 1, 187 für die richtige Lesart. 3) Auch ein späterer Sibyllendichter 5, 139 spricht ähnlich von einem Cäsar als sagenhaftem Kroniden. 4) Z. 485 — 488. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 57 sind hier für uns sprechend genug: beide inhaltsschweren Zerstórungen fallen zugleich in das J. 146. Aber am lehrreichsten sind zulezt hier noch alle díe Stellen wo unsre Sibylle von der damals neuesten Weltmacht redet, der Römischen: und auch ansich kann es uns anziehend seyn zu vernehmen was über Rom in einer verhältnissmässig so frühen Zeit und aus der Mitte eines Volkes geurtheilt wurde welches damals nochnicht so wie später die ganze Römische Übermacht zu seinem Schrecken an sich erfahren hatte. Unsre Sibyllenstimme erhebt sich vielmehr zu einer Zeit wo man in Jerusalem unter den Herrschenden noch die Freundschaft der Römer eifrig suchte und gegen die Seleukiden und andre Feinde ammeisten durch Römische Gunst sich gesichert wähnte 1): aber durch nichts verräth sie sich als aus dem tiefsten und reinsten Volks- munde hervordringend sösehr als dädurch dass sie ganz unabhängig von dieser Stimmung in den herrschenden Kreisen über Rom urtheilt und dieser jüngsten damals gerade noch mit den wunderbarsten Erfolgen aufs kühnste empor- strebenden Weltmacht doch schon den sichern Untergang ankündigt, nicht ohne ein richtiges Ahnen der nothwendigen Ursachen von diesem. Diese Herrschaft ist ihr sehr treffend „die weiße und vielkópfige« da die vielen Männer welche in ihr zu oberst herrschen wollten sich bei den Wahlbewer- bungen als wahre candidati zeigten; die Herrschaft welche „viel Land be- herrschen, viele Feststehende erschüttern und allen Königen allmählig Furcht machen, aber auch viel Silber und Gold aus vielen Städten rauben und die Sterblichen bedrücken werde: 2). Die Vielherrschaft Rom’s freilich scheint dieser Sibylle só fest zu stehen und só wenig vermag sie schon das Cäsaren- _ reich zu ahnen dass sie ausruft: „diese überzarte goldreiche aber auch an vielumfreieten Hochzeiten (nämlich an den Wahltagen jener candidati) nur zu oft weinberauschte Jungfrau werde dennoch wenigstens in der Welt) nie zur Ehre einer Hochzeit kommen, sondern immer niedrige Dienerin blei- 1) S. die Geschichte des Volkes Israel IV S. 369 ff. 411 ff. 2) Dies der Sinn der Worte Z. 175—183, wo zuerst von Rom noch ohne seinen deutlichen Namen die Rede ist. 3) Wohl aber im Tode und mit dem Tode als Brüutigam, nach Z.393. 480 — 482. Hist.-Philol. Classe. VIII. H 58 H. EWALD, benc 1). Auch steht damit in engem Zusammenhange die andre Ahnung »nicht ein fremder Krieg sondern ein nichtzubewältigender blutigster Bürger- aufruhr werde die ebenso vielberühmte als schamlose (Jungfrau) zerschlagen, die dann am heissen Aschenhaufen plózlich liegend sich in ihrer eignen Brust in bitterer Reue zerfleischen werde, sie nicht eine Mutter von Guten sondern eine Amme von wilden Thieren« 2): wie unser Dichter sehr wohl ahnen konnte wenn er erst nach dem Anfange der Gracchischen Unruhen im J. 133 schrieb. Aber nirgends erhebt sich unsre Sibylle eben deshalb auch zu hóheren Messianischen Hoffnungen als bei diesem jüngsten und damals eben am höchsten blühenden Weltreiche. Wenn Rom unter tausendfacher Ungerechtigkeit und Bedrückung der Städte und Völker (welche man zur Zeit unsres Gedichtes schon hinreichend erfahren hatte) selbst immer tiefer entartete und bereits in jenes üppige Leben versunken war welches auch die Gracchischen Unruhen hervorrief, mehr einer durch Wollust entwürdigten hochgeschmücklen Dienerin als einer kóniglichen Herrin gleich: so ahnet unsre Sibylle eine andre Jung- frau werde als die ächte „Herrin ihr oft das zarte Haar scheeren und (um nüher zu reden) die gerechte Strafe an ihr ausführend sie vom Himmel zur Erde werfen um dann sie von der Erde wieder zum Himmel zu erheben“ 5): l) So sind die schwierigeren Worte Z. 356—358 zu verstehen, obgleich C. Ale- xandre sie ganz unrichtig von der Cásarenherrschaft verstehen will: sie ent- sprechen vielmehr den ersten kürzeren Worten Z. 176. 2) Dies der Sinn der Worte Z. 464— 469: aber Z. 468 ist statt der noch von C. Alexandre und seinem Nachfolger gewählten sinnlosen Lesarten & ngoldy er «vij» vielmehr angoidy (plözlich, gebildet wie jenes Gogo 8.53) und avrzr zu lesen. Übrigens sezt der Dichter hier und an andern Stellen wo es ihm zur Verskunst besser passt auch leicht Italien statt Rom. 3) Wenn man nämlich bedenkt dass auch Jerusalem nach Z. 7 84 ff. unserm Dichter als Jungfrau galt und dass er dieses sovielen Stellen des ABs zufolge als be- kannt genug voraussezen konnte, ferner dass diese Schilderung selbst auf eine wie nothwendig himmlische ides Messianische Herrin hinweist, so kann man nicht zweifeln wer unter dieser d&onoıwa Z. 359—362 zu verstehen sei, und man wird damit nur das Z.356 —358 einmahl angefangene Bild aufs treffendste weiter ausgeführt finden, Dass darunter die Fortuna zu verstehen und diese ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 59 das ist die jungfräuliche Tochter des wahren Gottes, die Gemeinde Israel, welche die gerechte göttliche Strafe ausführend ebenso auch zum wahren Heile erhebend hinführt. Und wenn Rom besonders aus Asien (seit dem Siege über Antiochos IIl d. G.) soviel Gold und Silber zusammengeraubt hatte, so ahnet unsre Sibylle nur folgerichtig weiter, „dreimahl soviel werde Asien von Rom wiederempfangen und auch so ihm seinen verderblichen Hoch- muth zurückbezahlen; und soviele aus Asien in Rom’s Gefangenschaft ge- riethen, zwanzigmahl soviele Italer werden in Asien arme tiefverschuldete Dienstmänner werden« 1), lauter Messianische Hoffnungen welche zwar nicht eben Christlich aber desto sicherer nach damaliger Weise Judäisch gefärbt sind2), und deren Kühnheil, wie sie auch gefärbt seyn mögen, man für jene frühe Zeit ihrer Entstehung unstreitig hoch bewundern muss. Dass aber unter Asien hier doch vorzüglich nur Jerusalem zu verstehen sei, ist unter dieser leichten Hülle für jeden aufmerksamen Leser von selbst klar. Man kann indessen wie unsre Sibylle über die Römer jener Zeit der anfangenden Gracchischen Unruhen urtheilte, auch: ausserdem besonders däran erkennen wie sie über die zur Zeit der Abfassung schon erlebten Griechischen Unfälle sich äussert. Es versteht sich leicht dass wenn unser Dichter zu von Hofatius Od. 1, 35 ähnlich beschrieben sei, kann man Herrn C. Alexandre nicht zugestehen, und ist schon ansich gegen den Geist unserer Sibylle. 1) Dies der Sinn der eben vorangehenden Worte Z. 350— 355: aber wie die Sibylle hier vom Gelde ausgeht und dann erst vonda Z. 356—362 weiter aus- blickt, ebenso spricht sie an der Stelle wo sie zum erstenmahle Rom berührt 7.180 f. dasselbe schon ganz kurz aus: denn sicher lassen sich die Worte 7.180 f. nur so Messianisch verstehen und das göttliche Land weist sogar hier und Z. 402 zunächst auf Palästina hin. Man kann also auch aus allen diesen Stellen welche über Rom ganz gleichmässig ja sich gegenseitig erläuternd reden, den sichern Schluss ziehen wie unrichtig C. Alexandre das grosse Stück Z. 295 — 488 einem spütern Dichter beilegen will. 2) Dass gerade das Geld in diesen Ahnungen eine so grosse Rolle spielt, ist freilich für jene Zeit sehr bezeichnend und erklärt sich aus der Geschichte des Volkes Israel IV S. 412: wiescht aber übrigens hier ATliche Stellen dem Dichter vorschwebten kann man aus Deut. 28, 12. B. Jes. 23, 18. 69,9. 16 f. 61, 5 und andern Worten ersehen. H2 60 | H. EWALD, der oben angenommenen Zeit schrieb, er in den lezten damals verflossenen anderthalb bis zwei Jahrhunderten nur zwei Einbrüche von roheren fremden Vólkern (sogen. Barbaren) in Griechenland vorfand auf welche er das Sibyllen- wort anspielen lassen konnte: den der Gallier und den der Römer. Auf den verheerenden Einfall der „mit den Dardanern verbundenen Gallien« vom J. | 278 v. Ch. spielt die Sibylle пип wirklich ап !), aber mur kurz und wie vorübereilend, auch mit dem offenen Namen dieser ;Barbaren« nicht zurück- haltend, alsob jenes schlimme Elend damals schon ziemlich weit hinter dem Andenken der Gegenwart zurückgelegen hätte. Von ganz anderer Art aber sind die zwei Stellen, eine längere und später noch einmahl beiläufig eine kürzere 2), wo sie den Einbruch eines „vielBarbarischen Volkes“ in Griechen- land und dessen erschreckliche Folgen in ausführlichster Rede beschreibt: . sie sagt hier nicht namentlich welches Volk sie damit meine, aber jene Gallier kónnen schon nach dem Zusammenhange der ganzen Reihe aller jener Grie- chischen Unglücksschläge hier nicht gemeint seyn. Wir können hier also nur die Römer verstehen, deren Name nur künstlich verschwiegen wird weil ihn als den neuesten aufmerksame Leser leicht finden konnten; und als das jüngste grosse Leiden Griechenlands wird dieses auch nach dem Sinne und Faden der ganzen Rede deutlich beschrieben. Dann aber kann damit nur auf den Römisch-Griechischen Krieg hingewiesen werden welcher mit der Zer- störung Korinths im J. 146 schloss: und wir sind auch auf diesem Wege wieder zu demselben Ergebnisse über das Zeitalter unsers Dichters gelangt. Der Zerstörung Korinth's gedachte er nach 8.56 f. schon vorher einmahl ganz kurz mit deutlichem Namen. : Eben diese Zeit nun welche wir an so vielerlei verschiedenen überein- stimmenden Merkmalen der Heidnischen Geschichte als die unseres Sibyllen- gedichtes auffanden, die Zeit kurz nach der Zerstórung Korinth's und Karthago's und dem Anfange der Gracchischen Unruhen, wo die jüngste Weltmacht in 1) Z. 500—511: wo aber die Lesarten noch immer sehr ungenügend sind; Z.511 ist wohl zu lesen: l'uig 0° «Akorgin docete поло md ti Age, 2) Die längere Stelle ist Z. 520—544 bald nach jener über die Gallier, die kürzere Z. 638 f. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 61 ihrem nie zuvor erlebten wunderbaren Wesen noch im vollen Aufstreben begriffen war, sah auch das neualte Volk Israel noch einmahl sich durch eigne Kraft und Begeisterung hóher erheben. Es war die Zeit der glücklichen Herrschaft des Fürsten Hyrkanos I, als das Volk sich die Freiheit errungen hatte und eben unter dem Schuze des Friedens welchen dieser Fürst meist zu erhalten wussle einer noch glücklicheren Zukunft froh und stolz entgegen- blickte: und auch nach dieser Seite hin strahlt unser Gedicht das unverkenn- barste Bild seiner Zeit zurück !). Aber während so Hyrkanos I den Frieden aufrecht zu erhalten eifrig beflissen war, wütheten in den Griechischen Lündern seiner beiden nächsten müchtigeren Nachbaren der Seleukiden und Ptolemäer stets Kriegsgelüste, welche im J. 126 wieder in vollen Krieg ausbrachen: und indem jede der beiden kriegführenden Seiten auf den Fürsten Hyrkanos I freundlich oder feindlich einzuwirken suchte, schien es fast unmöglich wie dieser kluge Friedensfürst den Frieden für sein in der Mitte liegendes Land behaupten könne. Da muss sich in den Ptolemäischen Ländern wo überall sehr viele Judäer mitten unter den Griechen wohnten von der einen Seite das Gerücht von der andern die Furcht verbreitet haben König Physkon wolle aus den so zahlreichen Judäern seiner Länder ein eignes Heer bilden ?) und es gegen Jerusalem führen. Nur durch ein solches Gerücht und eine solche Furcht erklärt es sich wie unser Dichter gegen das Ende seines Werkes hin an einer geeigneten Stelle die Warnung an „Hellas« einfügen konnte: Rüste nicht gegen die Städt da das räthlose niedere Volk aus 735 Welches sich weiss aus dem heiligen Lande des Höchsten entsprungen! 3) 1) In einer Hauptstelle sogleich ziemlich vorne Z. 218 — 247; sonst besonders Z. 702 ff. 2) Welches um jene Zeiten allerdings auch geschichtlich vorkommt; s. die Ge- schichte des Volkes Israel IV 5. 407 ff. 3) Nur so geben die Worte Z. 734 f. einen Sinn: от 2Ағғ> muss Z. 734 dasselbe bedeuten was es 7. 739 aussagt; die Stadt dá ist Jerusalem welches dem Dichter und seinen Lesern immer zunächst vorschweben soll, welches er schon vorne Z.218 ЇЇ. ausführlich und kenntlich genug den Lesern vorgeführt hatte und hier wiederum im ganzen Zusammenhange seiner Rede greifbar genug andeutet, Aber nothwendig ist dann at für de zu lesen: und dass ich dieses von selbst als nothwendig fand und erst nachher dieselbe Vermuthung schon H. EWALD, Rühr aus der Hóhle nicht áuf (denn ünangerührt ist sie besser) Die Kamarinische Lówin, damít du nicht Üblem begegnest! !) Sondern enthalte dich, láss in der Brust nicht unmässigen Hochmuth Masslos *herrschen, es rüstend zum kriegesgewaltigen Kampfe! In diesen Worten ist sicher das Jüngste bezeichnet was der Dichter damals erlebt hatte und was ihm só wichtig schien dass er Rücksicht darauf zu neh- men beschloss: und wir kónnen nur bedauern dass wir aus andern Quellen von Bleek aufgestellt sah, kann dieser Егкеппіпіѕѕ wohl nur zur Empfehlung dienen. Die Hauptsache ist aber hier das oben gegebene geschichtliche Ver- ständniss; und C. Alexandre's Meinung von dem Sinne der ganzen Stelle ist so unhaltbar dass sie mir kaum einer längern Erwähnung würdig scheint. 1) Bei den dunkeln Worten 7, 736 f. muss man vor allem festhalten dass das weibliche лсрдод го Z. 737 (welches ich hier nur freier wiedergebe) nothwendig mit Kvucčorwar enger verbunden ist, wenn die Worte überhaupt einen Sinn geben sollen. Die Kamarinische Pantherin klingt aber an dieser Stelle zunächst so gänzlich fremdartig dass man darin nur etwa ein Sprichwort vermuthen kann: denn dass damit eigentlich Jerusalem selbst gemeint sei welches Hellas zu reizen sich hüten möge, liegt klar genug im ganzen Zusammenhange der Rede. Wir wissen aber aus Virgi's Än. 3, 700 dass die fatis nunquam con- cessa moveri .... Camerina oder vielmehr Camarina ein Ort im südöstlichen Sicilien war, wohl nicht ursprünglich ein Sumpf (nach Servius zu dieser Stelle) sondern ein Felsen und eine angebauete Stadt, von dem ein Apollisches (also auch wohl Sibyllisches) Orakel ging er könne nie bewegt und umgestürzt werden. Auf dieses ältere Orakelwort spielt nun unsere Sibylle gewiss hier an, und wir haben hier eben so gewiss noch den vollständigeren Saz des Spruches mit dem schönen Bilde von der Pantherin erhalten. Aber unsre Sibylle will diese Kamarinische Pantherin auf Jerusalem bezogen wissen: und wäre an der unten weiter zu erwähnenden Stelle Z. 218 der Name Ur-der-Chaldäer wirklich eine Umschreibung Jerusalems, und hätte sodann der Dichter schon gewusst dass Eupolemos dieses Ur-der-Chaldäer in der Babylonischen Stadt Kamarine fand (s. die Geschichte des Volkes Israel | S. 379 der 2ten Ausg), so könnte die Anspielung auf Jerusalem noch näher zu liegen scheinen. Allein inderthat ist dies alles unsicher, wie auch unten noch weiter zu zeigen ist; und es war zum Verständnisse der Worte hinreichend wenn jenes ältere Orakel über Kamarina fast sprichwörtlich bekannt war. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 63 die Geschichte jener Jahre und Jahrzehende jezt verhältnissmässig nur noch dürftig kennen. 2. Aber aus diesen so sicher wiedererkannten Zeitverhältnissen können wir nun auch schon deutlich genug einsehen was unsern Dichter zum Abfassen seines Werkes trieb und was ihn gerade in dieser unter Judäern damals wohl noch nie versuchten Gestalt es abzufassen bewog. Es sind die damaligen wechselseitigen Verhältnisse der Griechen in deren Mitte er lebte und der Judäer die ihn zum Reden trieben: die der Römer konnte er nach der Welt- lage seiner Zeit nicht ganz übergehen, sie liegen ihm aber doch etwas ferner und er redet verhältnissmässig nicht soviel von ihnen. Die Griechischen Reiche aber welche aus Alexanders Weltreiche hervorgegangen waren, be- droheten zwar noch für den Augenblick das Wohl und die Freiheit Israel's, insbesondre auch die freie Bewegung in der Welt welcher sich die Judäer damals theils aus edleren Gründen theils aber auch aus Macht- und Gewinn- sucht immer williger und kühner überliessen: doch waren sie theilweise schon zerstört theilweise bereits sehr geschwächt und innerlich aufgelöst, während die Judäer im altheiligen Lande ihre Freiheit völlig wiedererrungen hatten und im glücklichsten Frieden nur neue Kräfte zu einer noch höheren und stolzeren Erhebung zu sammeln schienen. Die Messianischen Hoffnungen auf ein baldiges Ende alles Heidenthumes und einen grossen ewigen Sieg der wahren Religion vermittelst der Judäer waren nun damals zwar vorzüglich seit dem B. Buch Daniel und dann den ersten Büchern Henókh 1) aufs neue hoch angeregt; und unser Dichter welcher der Zeit nach alsbald auf diese Erneuerer und Umbildner jener alten Hoffnungen folgte, theille sie mitten unter den Heiden lebend mit voller Begeisterung. Er wollte nun aber den Heiden diese selben Hoffnungen und Ahnungen aufs lebendigste vor die Augen legen, und war nach allem was wir wissen können der erste welcher dieses versuchte; wollte sie hinweisen auf dás Volk welches schon jezt im glück- lichsten Frieden unter den gerechtesten Gesezen und reinsten Sitten wie eine Vorfeier der Messianischen Herrlichkeit erlebe, sie ermahnen dieses Volk zu 1) Welche der Zeit nach zwischen dem B. Daniel und unserm Gedichte liegen, s. die Abhandlung über des Aethiopischen B. Henókh : Entstehung Sinn und Zu- sammensezung. Gött. 1854. 64 H. EWALD, achten und wennnicht zu ihm überzugehen doch es nicht zu verlezen und zu stóren; und wollte daneben gewiss auch für die unter ihnen wohnenden vielen Judäer oder die Hellenisten schreiben, welche den Inhalt und Umfang der Messianischen Ahnungen leicht vergaßen. Er war ein in Griechischer Sprache und Dichtkunst hochgebildeter Mann, der dazu auch sonst hoch genug stand um sich von dem rathlosen niederen ‚Volke (Xaós &(9ovXos) seines eigenen Blutes (wie er es in den obigen Zeilen so nennt) scharf zu unterscheiden. Aber die rechte Art die Messianischen Ansichten und Ahnungen, diese an Inhalt und Gestalt eigenthümlichsten Erzeugnisse des Geistes Israels, auch den Heiden ja den hochgebildeten kunstliebenden Griechen jener Zeit in treffendster und gefälligster Gestalt vorzuführen, war schwer zu finden. Er wusste indess dass Griechische Weissagungen in die Sibyllische als die beste Gestalt ein- gekleidet waren. So beschloss er in derselben reizenden Gestalt díe Weis- sagungen Ahnungen und Ermahnungen vorzuführen welche in seinem wie in Israels tiefstem Herzen selbst ruheten, und ein Dichterwerk zu verfassen welches den schönsten ‘Griechischen an Kunst und Zauber gleich stände und dennoch den den Griechen unbekanntesten wunderbarsten Inhalt brächte, auch sogleich unmittelbar für seine Zeit kräftig wirkte ja selbst um die Entschlüsse und Thaten der Machtvollen seiner Zeit zu bestimmen nicht ganz umsonst käme. Und man muss sagen dass er diesen seinen Zweck auch ganz vor- trefflich sowohl: in der Anlage als in der Ausführung erreichte. Was die Anlage betrifft, so musste der Dichter vor allem eine passende Sibylle aufstellen welcher er alle Worte wie sie ihm aus dem Herzen quöllen leicht in den Mund legen könnte. Er fand nun offenbar!) besonders zwei Sibyllen von Ruf und Ansehen unter den Griechen vor, die Erythrüische als die unter den Griechen von Alters her berühmte, und eine Italische welche zwar nicht bestimmt die Kumäische genannt aber als Tochter der Kirké und des Gnóstos hinreichend als eine ltalische bezeichnet wird. Die Griechischen Zeilen welche unter dem Namen solcher Sibyllen gingen kannte er sichtbar sehr gut, und musste sich stark nach ihrer Art richten: aber ebenso leicht versteht sich dass díe Sibylle welche er redend einführen wollte, sich ibrem 1) Nach den Werten Z. 812 — 815. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 65 Geiste nach weit über jene erheben musste, würe die Erythrüische auch nicht (wie es doch nach den eignen Andeutungen unsres Dichters damals so war) von vielen Griechen schon die schamlose und die Italische die lügnerische ge- nannt worden !). So führte er denn auf ganz neue Art eine Sibylle ein welche man, wie sie selbst sagt, unter Griechen wohl die Erythrüische oder- auch die Italische nenne, die aber eigentlich sich ganz anderswo geboren und von ganz anderem Geschlechte abstammend weiss. Sie weiss sich als die Schwiegertochter ?) Noah's, ist mit ibm durch die Sintfluth gerettet, hat alle die göttliche Weisheit dieses Propheten und Heiligen über Vergangenheit und Zukunft 5) mitangehört und sich tief in sie versenkt, ist dadurch in den ächten Geist Gottes eingeweihet und fühlt sich nicht weniger von ihm getrieben, kann also auch selbst über alle Geschichten und Zeiten prophetisch reden, hat aber (wie die Sage leicht von allen Sibyllen meldete *)) noch ungemein lange nach der Sintfluth bis zum Babylonischen Thurmbaue 5) und noch spüter ge- lebt, hat in jener Urstadt Babylon gewohnt 6), ist nun aber von Osten her nach Hellas gekommen um diesem „das kommende Feuer“ (des Messianischen Gerichts nämlich 7)) anzukündigen und diese ganze grosse Spruchrede zu 1) 2. 813. 815. 2) vuugy 2.826 kann nach Hellenistischem Sprachgebrauche auch dies bedeuten, da es die LXX für 722 sezen; und lässt hier keine andre Bedeutung zu. Dass noch die folgenden Sibyllendichter es so verstanden wird unten erhellen; ja noch 1, 211. 271. 277. 290 herrscht dieser Sprachgebrauch. 3) Hiemit stimmt gut überein dass Noah ebenso wie Henókh gerade um jene Zeit ammeisten so betrachtet, und auch ein B. Noah geschrieben wurde; s. die Ab- handlung über das B. Henókh S.56 ff. und Jellinek's Bet-ha-Midrash Ш (Lpz. 1855) S. 155 ff. 4) Nach Griechischer Anschauung; aber wenn der Dichter unsre Sibylle etwa für Sem's Weib hielt, so weiss man dass die Späteren diesen sogar mit Melchisedek für einerlei hielten. 5) Nach Z.97 ff. Ja eigentlich lebt sie nach ihrem Begriffe noch immer, und ist insofern eben die unsterbliche, worauf auch spätere Sibyllendichter noch an- spielen (s. unten); und dasselbe spricht sich ja auch in ihrer ganzen Art die Zeiten zu schildern aus. 6) Nach Z. 508 f. 7) Nach Z.808 f.: das Feuer wie Jes. 1,31 und an sovielen an aTi Stellen. Hist.-Philol. Classe. VIII 66 H. EWALD, hallen, und weiss zwar recht gut dass sie hier unter den Hellenen entweder für die Erythräische oder für die Italische gehalten und wie diese verachtet . werden, aber auch dass man sie unter ihnen dennoch einst als die wahre Prophetin des wahren Gottes erfinden werde !). Dies ist die sinnige Annahme von welcher aus der Dichter seine Sibylle redend einführt: und man kann nicht läugnen dass sie ebenso fein als treffend ist, und dem Dichter den freiesten und leichtesten aber doch nur einen stets vom rechten Geiste erfüllten Spielraum lässt. Es ist als hätte sich schon in 1) Dies der ganze Sinn des entsprechend grossen. Schlusswortes Z. 808 — 828. Zwar ist in diesem die heutige Wortfügung nicht ohne Fehler, welche leicht auch den ursprünglichen Sinn etwas verwirren kónnen. Hinter Z.810 merken einige Handschriften sehr richtig án Asinovos доо отгуо, da wirklich schon der Z. 808 angefangene Saz nicht vollendet ist und s9oqzrevoa: Z. 811 sehr übel sogleich auf das «oogzrerovoe 7. 810 folgt. Z.817 haben noch die beiden neuesten Herausgeber ebenso übel die Lesart Osov гуй d поо- von stait des ansich und dazu in diesem Zusammenhange allein passenden Oso) peyahoro ngog. Welches sich noch bei Lact. instit. 4, 15 findet. Schlim- mere Verderbnisse sind in die Zeilen 818—828 eingerissen: bedenkt man aber dass die Sibylle ganz nach ächtHebräischer Anschauung doch nicht etwa als Zeus oder Apollos Tochter sondern nur als eines grossen Heiligen Tochter oder Schnur gelten und auch ihre Wahrheiten doch nur von einem grössern Heiligen haben kann, dass Noah hier als solcher gilt, ferner dass die Worte Z.827 nur noch einmahl kurz zusammenfassen was Z. 819 f. schon gesagt ist, so muss man sich entschliessen bei dem Ze 7. 818 ff. an Noah zu denken, demnach Z.819 с oi für та po: und Z. 821 nach einer Handschrift pera (wie 2.182) für ue тё zu lesen; dann gibt 7.826 тш ji» yo erst den Nachsaz zu öç ydo xoi Z.818, und der Doppelsaz бте yao 2. 822—825 (zur Zeit nämlich da ....) schaltet zuvor nur eine nähere Zeilbestimmung ein. Allein so ergänzen 7. 818—898 nur was hier über der Sibylle Abstammung noth- wendig zu sagen ist; und nichts ist allen Umständen nach grundloser und verkehrier als diese lezten 11 Zeilen welche auch ihrer besondern Sprache nach durchaus von demselben Dichter sind mit C. Alexandre und Friedlieb abzutrennen und einem spätern Dichter zuzuschreiben. Die Gründe welche sie dafür anführen, verdienen sobald man das richtige Verhältniss versteht kaum eine Widerlegung. Vielmehr haben ja die späteren Dichter diese einfachen schönen Worte und Gedanken nur übertreiben können, wie unten zu sagen ist. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 67 dieser Grundanlage hier der Geist von Hellas und von Jerusalem aufs voll- kommenste mit einander gemischt, aber freilich só dass Hellas nichts als den gróberen Stoff und das Kleid gibt; sowie unserm Dichter überall Hellas nur die Hellenische Sprache und eine Übermenge Hellenischer Redensarten Bilder und einzelner Säze, Israel aber den alles beherrschenden Geist zur Verarbei- tung darreicht. | Aus der Grundanlage nun ergab sich dem Dichter auch leicht die Haltung welche er dürch alles hindurch beobachten musste was er dieser so bestimmten Sibylle in den Mund legen wollte. Diese Sibylle kann von dem Göttlichsten und Ewigsten wie von dem Tiefmenschlichsten und Vorübergehendsten reden; sie kann von den Dingen und Geschichten der äussersten Vergangenheit wie von allen späteren Ereignissen, und von den Aufgaben der nächsten Gegen- wart wie von allen Räthseln der Zukunft reden. Redet sie von Dingen welche auch dem Dichter im Augenblicke der Dichtung noch reine Zukunft sind, so versteht sich dass sie da ermahnend oder drohend nur wirklich weissagen kann: redet sie aber von Dingen die seit der Sintfluth und dem Babylonischen Thurmbaue geschahen, so kann sie da als die uralte zwar ebenfalls wie vom Zukünftigen reden und das in der Wirklichkeit schon er- lebte als Weissagung einkleiden!), fällt aber auch oft gerade umgekehrt dabei in die Erzählung und spricht mitten aus der wirklichen Gegenwart des Dichters heraus, weil sie ja als noch immer irgendwie lebend gilt. Strenggenommen sind dies keine Widersprüche; und man sollte aufhören mit den bisherigen Erklärern den Dichter wegen solcher Erscheinungen schwer zu tadeln. So zählt sie an einer Stelle 2) die 8 Weltreiche wie ein Geschichtschreiber auf; und bemerkt an einer andern 5) dass nun 1500 Jahre verflossen seien seit 1) Wie ähnlich sovieles in den Büchern Daniel und Henökh so eingekleidet ist. 2) 2.156— 161 vgl. darüber oben S. 50 f. 3) Z.551— 553, ein sehr merkwürdiger Ausspruch, in welchem die Zahl 1500 zwar nur so rund zu fassen ist als sie gegeben wird, der aber mit den ge- lehrten Annahmen der damaligen Chronologen so ziemlich übereinstimmt; doch waren die Angaben wann die Kónige von Sikyon von Argos von Athen ent- standen, sehr mannichfach; s. Eusebios’ Chronik in А. Maji collectio scripto- rum Veterum ҮШ p. 127 ff. e? 68 H. EWALD, der ersten Gründung Hellenischer Kónigsherrschaft. Weil aber die Sibylle doch sehr vieles in der Wirklichkeit schon Erlebte voraussagt, so scheint es schwierig dieses von alle dém richtig zu sondern was sie von der Zeit des Dichters aus als reine Weissagung redet: und inderthat haben die Ausleger beides oft nicht sicher genug unterschieden. Aber diese Schwierigkeit ist bei allen ähnlichen Büchern dieselbe: und einem ebenso aufmerksamen als sachkundigen damaligen Hórer oder heutigem Leser kann doch zulezt keine Zweideutigkeit dieser Art übrigbleiben. ; Allein sovieles und grosses auch der Dichter von dem neuen unGriechi- schen Geiste hineinlegen mochte, jedenfalls musste er doch sein Gedicht só vollenden dass es auch dem Inhalte nach einem älteren Sibyllischen nicht zu unähnlich wurde, sondern nur wie ein vergeistigtes und verklärtes älteres erschien. Wir können schon danach vermuthen dass ein grosser Theil älterer Sibyllischer Säze und Sprüche, soferne sie dem neuen Geiste nach unver- fänglich schienen, in das umgeborne Gedicht aufgenommen wurde; und schon der S.62 erklürte Spruch von der Kamarinischen Pantherin kann diese Ver- muthung zur Gewissheit erheben. Auch der Inhalt vieler einzelnen Sprüche weist uns auf eine solche Annahme hin. Da z. B. unsre Sibylle sich zwar weit über die Erythrüische oder Italische erheben aber es doch nicht eben übelnehmen will wenn sie mit einer von beiden verwechselt werden sollte: so nimmt der Dichter wohl Orakel gegen andre berühmte Orakelstätten auf wie gegen Délos und Samos 1), nirgends aber eines gegen Erylhré oder gegen Kumä wie ein späterer Sibyllendichter 2). Dazu bewegt er sich im Gebrauche der Griechischen Dichtersprache mit solcher Gewandtheit und sogar in der Anwendung Griechischer Mythen (soweit darunter sein lezter Zweck nicht litt) mit solcher Freiheit dass man nichts andres als ein ächtestes Grie- chisches Gedicht zu hören meinen musste. Wir können endlich mit Grund annehmen dass die Heidnischen Sibyllen- sprüche mehr von ernster ja finsterer Unglück drohender Art waren, und 1) Z.363 der dann wiederum in den späteren Büchern oft wiederholte Spruch "Eoraı xoi Zunog Gnuge, idgsitat Ankos adros über welchen ich auch in den Gött. Gel. Anz. 1856 S. 663 schon weiter redete. 2) Nach 5, 307—313. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 69 dass man sie besonders nur aufsuchte um in ihnen ernste Warnungen sowie Mittel dem drohenden Übel zu entgehen gläubig zu vernehmen. Eben deshalb eignele sich ja die Sibyllische Einkleidung jezt so leicht die ernsten Laute eines Dichters erschallen zu lassen welcher das dem ganzen Heidenthume drohende Verderben zu weissagen und seine strengen Ermahnungen daran zu knüpfen sich recht zur Aufgabe sezte. Unsre Sibylle fühlt sich also wie in göttlicher Wuth getrieben das wie der ganzen Welt so insbesondre Hellas’ und allen einzelnen Hellenischen Ländern und Städten drohende Unheil laut zu verkünden; sie wird ermüdet durch die lange Rede über so finstere grauenvolle Dinge der Vergangenheit wie der Zukunft, und móchte bald erschöpft lieber schweigen: aber immer treibt sie der Gott weiter alles aus- zureden was sie weiss, bis sie auch das lezle nicht mehr zurückhält und mit höchster Vollendung alles schliesst. Dazwischen kann sie viele andre Weissa- gungen und Schilderungen werfen, auch Warnungen aller Art daran knüpfen: aber „das kommende Feuer« anzukündigen ist von vorne bis zulezt ihr Haupt- trieb und ihre Arbeit. Und so erschallen hier an verschiedenen Stellen wie ‘ganz unvorgesehen und doch desto nachdrücklicher mitten hinein Messianische Weissagungen und Ermahnungen welche allerdings im Volke Israel längst gegeben waren, die aber in solchem Zusammenhange und solcher Sprache gewiss noch nie in der Welt lautgeworden waren und welche die über- raschten Hörer nicht wenig ergreifen und fesseln mussten. 3. Hieraus ist die Ausführung im Einzelnen schon ziemlich deutlich, Um sie aber vollständig zu verstehen, muss man bedenken dass eine Sibylle nach Griechischer Anschauung als eine nur wie durch ein schweres Ver- hängniss gezwungene rasende abgerissen und unterbrochen redende bald höchst bewegte bald wie ermattende bald schnell von einem zum andern übersprin- gende Weissagerin galt. Unser Dichter musste dieses Bild so treu als mög- lich wiedergeben. Schon deswegen legte er alles wie absichtlich nicht auf eine bloss ruhig dahin fliessende leicht geordnete, sondern auf eine wie sprungweise in hundert Windungen sich drehende schwer sich vollendende Darstellung an; sowie auch dann weiter bis ins Einzelnste hinein abspringende verwickelte langgedehnte Säze hier beliebt sind. Dennoch versteht sich leicht dass, wie auch solche Säze zulezt immer ihre Abrundung finden müssen, so 70 H. EWALD, es auch der grossen so schwer aufkeuchenden und wiederholt wie im Kreise sich drehenden Rede weder an einem richtigen Anfange noch an einer ge- nügenden lezten Vollendung fehlen kann; und sicher mussten gerade von der einen Seite der Anfang und wie der erste Schuss der Rede bis zu ihrer ersten Ermüdung, von der andern ihr lezter starker Schuss bis zu dem rechten Schlusse hin ihre kräftigsten Theile seyn. Die Sibylle bereitete also 1) sogleich vorne gewiss die Hórer auf den ganzen Ernst ihrer sich erhebenden grossen Rede vor wie es ihrem ganzen - Wesen und Zwecke gemäss war, den wahren Gott (gewöhnlich о иус Qecs oder bloss Муос genannt) preisend, die Schöpfung und die Sintfluth . berührend. Dieser Anfang findet sich jezt vor Z. 97 ff. nicht !): dass er einst dawar versteht sich theils vonselbst, theils muss man ihn auch nach den folgenden Sibyllendichtern voraussezen welche ihn (wie unten zu zeigen ist) ebenso wie das meiste andre von unserm Dichter nachahmen. Allein wie durch ein besonderes Glück haben sich noch jezt von diesem hier abgeschnittenen Anfange des ganzen Gedichtes anderswo einige höchst kostbaré Bruchstücke erhalten, und darunter gerade die ersten Zeilen des Anfanges selbst. Man kann nämlich bei näherer Untersuchung nicht zweifeln dass alle die Aussprüche der Sibylle welche Theophilos von Antiochien in seiner Schrift an Autolykos anführt, dem Gedichte unsres Dichters entlehnt sind. Weil er nämlich keine andre Sibylle kennt und unterscheidet, alle diese Aussprüche ganz einfach bloss auf ;die Sibylle« zurückführt, auch das hohe Alter derselben als längst bekannt voraussezt?), so kann man schon ansich 1) Man kann hier aber nicht übersehen dass sich in einigen Handschriften hinter dem jezigen dritten Buche die Bemerkung findet dieses Buch habe «20° (1034) Zeilen: da das jezige Buch nur 828 hat, so will C. Alexandre IL 1. p.180 dafür »A29' 834 lesen; allein da wir schon S.66 an einem deutlichen Beispiele sahen dass diese Randbemerkungen sich auf frühere jezt verloren gegangene vollständigere und bessere Handschriften zurückbeziehen, so ist die Frage ob das ursprüngliche Gedicht nicht wirklich 1034 Zeilen gehabt habe. Allen An- zeichen zufolge würe dies eben der rechte Umfang; und gegen 250 Zeilen mógen vorne immerhin abgeschnitten seyn. 2) 2, 3. 31. 36, nach der lezten Ausgabe von Humphry (Cambridge, 1852) S. 40. 118. 132 — 138. ; ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER 71 vermuthen dass er die vier Sibyllischen Stellen welche er anführt alle dem- selben Gedichte entlehnte. Nun findet sich die eine dieser vier Stellen in unserm Gedichte: wir kónnen also die drei andern als ebenfalls zu ihm gehórend voraussezen; und dasselbe bestätigt sich noch mehr durch den spä- tern Lactantius welcher ein Stück der einen dieser Stellen als im Anfange der Erythréischen Sibylle stehend anführt und sofort eine andre Stelle aus dieser selben Erythréischen als am Ende stehend hinzufügt welche wir wirk- lich noch gegen das Ende unsres Gedichtes finden. Wir wissen dazu dass Lactantius die verschiedenen Sibyllen sorgfältig zu unterscheiden suchte und dass er unser Gedicht ausdrücklich der Erythréischen zuschrieb !). Doch’ der Hauptbeweis liegt dárin dass jene drei Stücke bei Theophilos, von denen zwei sehr gedehnt sind, ihrer ganzen Sprache und Haltung nach só vollkom- men zu unserm Gedichte passen dass wir an ihrer Zusammengehórigkeit mit ibm nicht zweifeln können ?); und so haben sich gerade die ersten 35 An- fangszeilen, dann nach einer Lücke 3 andre und wieder nach einer kleinern Lücke oderauch unmittelbar nach diesen 3 noch 49, zusammen 87 Zeilen erhalten welche wir mit allem Rechte von unserm Dichter und aus unserm Gedichte ableiten kónnen. Die Sibylle fing danach nicht dámit án sich selbst vorne zu nennen und als solche schon ihrem Namen nach Glauben zu fordern: sie nennt sich inderthat passender und zugleich überraschender erst am Ende 5). Aber sie fängt auch wie billig nicht mit Ermattung oder mit Umschweifen, 1) Nach den Hauptstellen Instit. 2, 6. 4, 6. 15. de ira c. 22. Die Herausgeber der Sibyllischen Bücher haben daher schon früh diese drei Stellen bei Theophilos als das Prooemium diesen Büchern vorangestell!: aber dieser noch von den neuesten Herausgebern beibehaltene Name ist ganz unpassend. — Ob sich noch einige andre Bruchstücke aus unserm Gedichte namentlich bei Lactantius erhalten haben, ist nicht sicher zu erkennen: jedenfals sind es keine be- deutende, 2) Zwar bezweifelt dies alles C. Alexandre, und meint dieses sogen. Prooemium stamme erst von einem christlichen Dichter: allein seine Gründe dafür sind haltlos und leicht widerlegbar. 3) Und wir werden unten sehen dass dasselbe bei den bei weitem meisten andern Sibyllendichtern sich wiederfindet. 12 H. EWALD, sondern sogleich aufs kräftigste mit der Ermahnung an alle Menschen án den wahren Gott zu erkennen und ihn allein zu suchen; und kein sowohl ent- sprechenderer als herrlicherer Anfang zu einem solchen Gedichte lässt sich denken als er hier gegeben ist. Allein diese erste kraftvolle Ermahnung reicht doch nicht hin alles zu ergänzen was jezt vor jenem Rumpfe Z. 97 ff. fehlt. Die Sibylle musste dann zur Schópfung der Welt und der Menschen übergehen, wozu sie sich inder- that in den lezten der dort bei Theophilos erhaltenen Zeilen schon gut einen Weg bahnt; sie berührte dann wohl auch die Sintfluth. Alles das ist jezt verloren. Zulezt war hier gewiss von den vielen Ungerechtigkeiten der Menschen die Rede welche allmählig entstanden und sich immer höher häuf- ten, auch wie die Sibylle weissagt sich bis zur Messianischen Frist noch immer weiter hàufen werden. Dies führte dann vonselbst auf die Drohung des Messianischen Gerichtes und die Weissagung einer dann folgenden Voll- endung des Reiches der schon jezt irgendwo auf Erden in einem Volke blühenden wahren Religion. Und eben dies ist der Gedanke mit dessen ersten Worten das jezt erhaltene kopflose Gedicht anfängt Z. 97 ff. Aber wir können auch hier sogleich die ungeheuerliche Spannung und Zerdehnung der Rede dieser Sibylle einsehen: denn nach dem strengen Zusammenhange der Ge- danken folgt zu dem Vordersaze: 97 Aber wann éinst sich vollénden die drohenden Worte des Grossen Gottes gesprochen den Sterblichen welche den Thurm sich erbauten In dem Assyrischen Lande: der wahre Nachsaz erst Z. 286 f.: Dann also wird Gott senden vom Himmel herab einen König: Der wird jeglichen richten mit Blute und loderndem Feuer !). 1) d.i. der Messias: das Blut nach В. Zakh. 9, 13—15, das Feuer nach Jes. 4, 4 und andern Stellen vgl. oben S.65; aber eben das Blut hebt unsre Sibylle nach der Stimmung jener Zeit auch sonst sehr stark hervor, wie 7. 313. 320. 654. 696 ff. Das xoi 7. 286 im Nachsaze wie 7. 297. 490 und sonst oft auch bei späteren Sibyllendichtern. Dieser König „von der Sonne her gesandt“ wird dann Z. 652 — 656 weiter beschrieben, und sein Reich 7. 766—783. Kürzer wird er auch hier zulezt noch als der „Sohn Gottes“ bezeichnet den Gott ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 73 worauf dann, nachdem so das Messianische Weltgericht als das grosse lezte Ziel aller dieser Sibyllensprüche éinmahl erreicht und das furchtbar drohende Wort éinmahl ausgesprochen ist, die Rede alsbald wie in Ermattung aufhört 2.294. Alle die beinahe 200 Zeilen welche zwischen diesen beiden Wechsel- säzen liegen, bereiten diesen schweren Nachsaz nur vor. Die Vorstellung ist also dabei diese: sogleich bei dem Babylonischen Thurmbaue, welcher hier in das zehnte Geschlecht nach der Sintfluth gesezt wird 1), habe Gott in der Voraussicht dass künftig am Ende der Zeiten ein ähnliches Geschlecht menschlicher Gewaltthäter und Himmelsstürmer erstehen werde, das Messianische Weltgericht angedroht, als wolle nicht er selbst wieder wie damals sondern als solle statt seiner der Messias ein solches Weltgericht halten ?). Da nun die Sibylle dieses zuvor geschichtlich erläutern muss und eine Übersicht des ganzen dazwischenliegenden Zeitraumes mit sei- nen wechselnden Weltreichen geben will, so beginnt sie zuerst von dém des Kronos Titan und lapetos als welche damals geherrscht hätten; und führt hier aus der S. 55 f. erwänhten Ursache diese Gótterstreitigkeiten so weitläufig aus 7.110 — 155, um desto rascher die Reihe der 8 menschlichen Weltreiche nüchst dem h. Geseze allen gláubigen Mánnern zu ehren befohlen habe. Denn da die Lesart vo» Z. 774 f. feststehl, so muss man do» lesen und dieses als Gegensaz zu dem h. Geseze Z. 167 auffassen, die Rede vom Tempel aber mit Z. 773 schliessen; und da der Messias schon kurz vorher Z.652— 656 weiter beschrieben war, so konnte er hier so kurz angedeutet werden. 1) Nach Z.108f., aber bloss dáraus geschlossen dass Gen, 11, 1—9 auf c. 10 folgt, 2) Diese ganze Vorstellung und grossartige Übersicht der Zeiten hat, soviel wir bisjezt sehen können, erst unser Dichter geschaffen: ähnliche leichte Über- sichten der ganzen Menschengeschichte mit Messianischer Fürbung waren aber damals namentlich durch das B. Henókh schon genug angebahnt. Auch die Vorstellung Gott habe durch Winde den Thurm umgeworfen Z. 101—104 wurde wohl von unserm Dichter zuerst niedergeschrieben, ist aber wesentlich nichts als eine vernünftelnde Erklärung der Worte Gen. 11, 7. Aber unser Dichter will daraus auch den Namen Babel erklären, als komme dieser von Aallsır werfen: sowie es den Hellenisten meistentheils an aller Morgenländischen Sprach- kenntniss fehlte und sie deshalb leicht auch auf die grundlosesten Vermuthun- gen geriethen. Hist.- Philol. Classe. VIII. K 74 H. EWALD, daran zu schliessen Z. 156 — 161. Diese Reihe der 8 Welireiche war nun gewiss unserm Dichter in den Ägyptisch- Griechischen Schulen überkommen: weil er aber wenigstens von einigen elwas mehr sagen und zugleich als ächter Hebräer das Salomonische ergänzen, überhaupt das Hebräische jezt immer näher mit dem Heidnischen vergleichen und der Ankündigung góttlicher Strafen und des Weltgerichtes als seinem Hauptzwecke zueilen wollte, so beginnt die Sibylle nach einem neuen stärkeren Anfange Z. 162 — 166 das Salomonische als ein vorzügliches Reich geschichtlich näher zu beschreiben Z. 167—1701), berührt dann das Griechisch -Makedonische Z. 171 — 174, und am weitesten das Rómische schon mit Messianischen Hoffnungen Z. 175— 183. Aber der kurze Hinweis auf die eben vorzüglich in diesem Griechischen Reiche entstandenen Ungerechtigkeiten Z. 184 — 193 denen hier nur in aller Kürze aber bezeichnend genug das Daseyn des Volkes des grossen Gottes welches für alle Sterbliche Führer zum rechten Wege wird gegenübergestellt wird Z. 194 f., leitet die Sibylle eben auf die schlimme doch nothwendige Ankündigung der vielerlei über die Welt kommenden göttlichen Schläge wobei sie wie ganz neu aufgeregt wiederbeginnt Z. 196—198. Und schon weissagt sie in aller Eile die über die Völker eben von den Titanen an kommenden Schläge Z. 199—210 als sie wie ihren zu schleunigen Gang ein- . haltend und sich zur Ordnung anschickend zuerst bei dém Schlage verweilt der den Salomonischen Tempel traf und nun eben das seltsame Volk dieses Tempels näher zu beschreiben sich in aller Ruhe vornimmt Z. 210 — 217. Damit zu dém gekommen was ihr doch sichtbar das meiste Vergnügen macht, beschreibt sie in aller Ausführlichkeit die Sitten dieser gerechtesten Menschen ?) 1) Diese Beschreibung des Umfanges des Salomonischen Reiches ist freilich zu gross und 51021 sich auf die bekannten späteren Dichtungen über Salómo: aber deshalb darf man dem Dichter nicht die Albernheit aufbürden als habe er dieses Reich für das älteste unter allen menschlichen gehalten. Die Worte o/xoc z001:010c Z. 167 sollen aber auch gewiss nur ein der Würde nach vorzüg- lichstes Reich bedeuten. 2) Die Worte zum Anfange dieser berühmtesten von den Späteren so oft mit Bewunderung betrachteten Schilderung 7. 218 f. sind in den Handschriften auf- fallend verdorben und noch in den neuesten Ausgaben nicht richtig hergestellt, Die Lücke in der Mitte Z. 218 scheint’ mir nun jedenfalls só ausfüllbar dass ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 75 Z. 218 — 247, berührt hier auch ihre ältere Geschichte von Mose an Z. 248 — 264, kehrt dann aber ganz richtig zur Beschreibung jenes Unheiles zurück welches nicht ohne die Schuld des Volkes der wahren Religion den Salomo- nischen Tempel traf Z. 265 — 281. Nach der Anschauung der Judäer jener Zeit unsres Dichter dauerte nun das Unheil und die Strafe der Babylonischen Verbannung troz des von dem Davidssohne Zerubabel wiederaufgebaueten Tempels noch immer fort: so führt dieses die Sibylle hier rasch zur Messiani- schen Weissagung und Ermahnung Z. 282—285 sowie zu jener Messianischen Drohung worauf die ganze Rede hinauszielt, die aber hier zuerst nur ganz kurz berührt wird Z. 286 f.!), weil die Sibylle hier in höchster Aufregung man liest "ть лой «ос (oder wohl noch besser оухос) тє хато 790ovoc .....: denn ze findet sich wirklich in guten Handschriften; der Tempel wird hier auch nach dem Zusammenhange der ganzen Rede vgl. Z. 213. 264. 274. 281. 290. 294. 301 aufs treffendste miterwühnt, und dann versteht sich auch die Mehr- zahl "ES öv 05 7. 219 vonselbst; denn die Lesart Er Ze тог welche sich nach einigen Handschriften noch in den neuesten Ausgaben findet, ist was das poc betrifft. völlig sinnlos, was die Einzahl zc betrifft erst aus der Auslassung des Tempels in der vorigen Zeile übel genug entstanden. Аш dunkelsten scheint nun zwar das Wort ОруаАдого am Ende der Zeile, woraus schon eine alte Hand sehr hübsch dichterisch aber aus Missverstand svgveyvre verbesserte, welches sich in guten Handschriften findet: ich zweifle aber nicht dass man einfach mit dem Zusaze éines wesentlichen und zweier minder wesentlichen Buchstaben Oveyaideiov herstellen muss und dass dieses im Sinne des Dichters im Lande Abraham’s (des Ur-Chaldäers nach Gen. 11, 28) bedeutete. Dann ist alles ganz richtig, während Оо Xaeióeie» welches C. Alexandre nach Gfrórer herstellt, alles verwirrt, da der Dichter in keiner Weise Palästina das Land der Ur-Chaldáer nennen konnte. 1) Wer die Worte Z. 286 f. in diesem Zusammenhange oberflächlich liest und dabei an B. Jes. 45, 1 denkt, kann leicht auf dén Einfall kommen unter dem Künige werde hier Kyros als Wiederhersteller des Salomonischen Tempels ge- meint. Allein dass Kyros vom Himmel geschickt sei ist nach dem Sinne jener Zeit zuviel gesagt, und unmöglich konnte man sagen oder aus irgendeiner Stelle des ATs beweisen dass er jeden Menschen mit Blute und loderndem Feuer habe richten sollen. Unstreitig also sind die Worte Z. 286 f. ebenso wie die ganz ühnlichen nur etwas ausführlicheren Z. 652 — 656 rein Messianisch; und Hoff- K2 76 Н. EWALD, plözlich ermattet und kaum noch des allerdings nicht fehlenden vorläufigen 1) Wiederaufbaues jenes Tempels erwähnen muss Z. 288 — 294. Aber noch nicht lange ruhen kann hier die Sibylle, da sie ja in allem bisherigen gerade von den Übeln und Strafen der grossen Heidnischen Welt von welchen sie doch vorzüglich auch reden muss, noch erst so wenig ge- redet hat. Also erhebt sie sich 2. von der göttlichen Weissagungswuth ge- trieben aufs neue Z. 295 — 299, und beginnt jezt zwar zunächst, mit gutem Verstande und ganz entsprechend an das zulezt rasch Abgebrochene wieder- anknüpfend, die Strafen der Babylonier und der übrigen Vólker anzukündigen welche an jener Zerstórung des Tempels und der heil. Stadt theilnahmen Z. 300 — 333 2). Sie erweitert dann ihre Ankündigung der schweren Strafen nungen mit Ermahnungen dieses Inhaltes gibt auch die vorige Rede 7. 282—285; auch drehet sich ja offenbar die Rede 7. 288 um und zurück. Dazu kommt ` dass unser Dichter hier überall bei der Geschichte des Wiederaufbaues des Tempels nur die BB. Ezra im Auge hatte, und zwar wie sich aus Z. 293 er- gibt das apokryphische Buch welches jezt gewóhlich 1 Ezr. genannt wird; denn den nächtlichen heiligen Traum der die Persischen Könige zur Wiederherstel- lung des Tempels bringt, hat der Dichter gewiss nur aus dem Griechischen l Ezr. c. 3 f., ja er weist damit nur wie auf etwas.Bekanntes auf diese apo- kryphische Geschichte hin (welches geschichtlich merkwürdig ist). 1) Nichts als dieses vorläufige liegt in dem „er wird anfangen zu bauen“ Z. 290: und auch das B. Henökh betrachtete den Zerubabelischen Tempel nur als einen vorläufigen, s. die Geschichte des V. Israel IV S. 490. 2) Wenn auch die Ägypter Z. 314—318 und die mit diesen damals vonselbst zu- sammenhangenden Äthiopen Z. 319—322 und Libyer Z. 323 f. hier mit den Babyloniern als Zerstörer des Salomonischen Heiligthumes zusammengefasst wer- den 2. 325 — 333, so erklärt sich das vollkommen aus den lezten Ägyptischen Kriegen gegen Jerusalem vor dessen Zerstörung welche nicht wenig schon zu dieser Zerstörung des Salomonischen Reiches und Hauses (o/xoc 7. 329 wie 2.167) beitragen, aus Jer. c. 25 und vielen andern ATlichen Stellen. Es ist also umsonst dass C. Alexandre jn den Worten Z. 324—329 durchaus die Römer und in dem Zerkauen des Hauses mit eisernen Zähnen (welches Bild sowohl ansich alsauch nach seiner Quelle w. 14, 4 nur auf ein Volk gehen kann) nur die Zerstórung des Tempels durch Vespasian sehen will. Die Rómer sind hier überall weder der Sache noch den Worten nach zu finden. ` ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 77 und Unglückszeichen wie sie über die gesammte Heidnische Welt kommen werden, besonders von Rom als der damals jüngsten Weltmacht ausgehend und bei ihm hier am längsten verweilend, deshalb auch wo der Faden der Rede dahin führt Messianisches einmischend Z. 334 — 366 1); eilt dann aber sogleich destomehr wieder solchen unter Heidnischen Reichen herrschenden Kriegs- und andern Grüueln die selige Ruhe der Messianischen Zeit entgegen- zustellen welche von Asien aus (wo sie ja schon jezt eine Art von festein Anfang hat) einst auch über Europa (Rom) kommen werde Z. 367 — 380. Allein bei weitem nochnicht genug des Grausen was über die Heiden kommen oder von ihnen ausgehen wird, hat die Sibylle ausgesprochen: und wie sie ihr längeres Gemälde eben von Rom aus begann, so wendet sie sich jezt vorzüglich zu den Griechen zurück, berührt das Geschick des Makedonischen Reiches von Alexanders Weltmacht an Z. 381—387, berührt ausführlicher das Geschick des Syrischen Reiches Z. 388 — 400 (vgl. über beides oben S. 53 П), geht mit leichter Wendung vonda auf Troja und sogar auf Homer als den bekannten Nachäffer Sibyllischer Rede zurück Z. 401 — 432 2), und fasst dann zulezt Z. 433 — 488 noch eine grosse Menge böser Ahnungen über die verschiedensten Heidnischen Länder und Städte zusammen, auch Rom noch einmahl wie im Vorüberfluge mit Messianischem Blicke berührend 5), 1) Sogleich vorne Z. 334— 336 ist hier in dem in Westen aufglünzenden Schwanz- sterne Rom garnicht zu verkennen, sowohl seiner weiteren Beschreibung nach alsauch weil die ganze Stelle sonst keinen rechten Sinn und Zusammenhang haben würde. 2) Wäre eine ähnliche Stelle nicht schon in früheren Sibyllensprüchen zu finden gewesen, so würde unser Dichter schwerlich hier soweit abgeschweift seyn und so Seltsames behauptet haben: aber da die Sibyllendichtung ursprünglich offenbar gerade bei Troja und südlich bis nach Erythré hin am allerfrühesten blühete, so erklärt sich dieser Anspruch der Erythréischen Sibylle gegen Homer leicht. 3) In den Z. 464 — 469; und je deutlicher eben diese Stelle rein auf die damalige Zukunft geht, desto sicherer wird man auch die zunächst folgenden Z. 470—482 auf sie beziehen: hier ahnet der Dichter ein anderer Rómischer Eroberer (nicht wieder L. Scipio der grosse Besieger Antiochos des Gr., damals schon todt, aber doch ein ähnlicher) werde nach Asien kommen, und dann würden viele 78 H. EWALD, bis sie wie ermüdet von dem langen vor ihrem Geiste vorüberziehenden Schreckensgemälde dä aufhört wo sie eben auch noch Karthago's und Korinth's leztes Geschick in aller Kürze erwähnt hat. So ist es denn überhaupt dieser mittlere Haupttheil des ganzen Werkes wo der Dichter ammeisten Stoff aus den àltern Sibyllenbüchern verarbeitet und die eigenthümlich Hebräischen oder bestimmter Messianischen Laute, welche schon im ersten Theile so mächtig angeschlagen waren, nur hie und da durchschallen lässt. Aber auf diese Art ist der Hauptzweck des ganzen Werkes doch in diesen beiden Haupttheilen noch wenig erreicht. So erhebt sich denn das Wort der Sibylle 3. noch einmahl wie aus Ermattung und Schlaf zum höhern Leben Z. 489—491, ja steigert sich fortschreitend nun erst zur höchsten Lebendigkeit. Denn anfangs zwar fährt sie auch hier nur gleichsam dá fort wo sie ermattend die Rede unterbrach, bei der Ankündigung von Strafleiden aller Art: wird aber auch hier sofort so lebendig wie noch nie und wendet sich Z. 492 — 544 zwar an sehr viele, doch vorzüglich und am ausführlichsten nur an solche Völker mit welchen so viele der damaligen Judäer in engere Berührung geriethen, Phöniken, Kreten, Griechen; auch ist was sie hier zu den beiden ersteren und sonst spricht schon rein Messianisch 1). Sollte sowohl Asiatische als andre Länder zu wehklagen gerechte Ursache haben. Hier ist die ganze Schilderung so ungeheuer und só allgemein gehalten dass man garnicht an etwas damals schon Erlebtes denken kann. 1) Wieferne das von den Galatern Z. 509 f. und das von Hellas 7. 520 — 544 Gesagte auf schon Erfahrenes und Vergangenes anspiele, ist oben 5. 60 weiter erörtert: doch mischen sich auch in diese Schilderungen rein Messianische Bilder, wie Z. 533 nach Deut. 32, 30, Z. 539 nach Deut. 28, 23 so geredet ist. Aus den Worten über die Phóniken Z. 492—508 ersiebt man wie bitter noch damals die gegenseitige Stimmung der beiden Völker war, vorzüglich gewiss wegen Handelseifersucht. Gög und Magóg bezeichnen Z. 512 ebenso wie Z. 318 schon überhaupt die äussersten Völker der Erde, können daher dort mit den Äthiopen, hier mit den -Marsen und Dahern im nördlichen Persien (denn Z. 513 ist nach guten Handschriften Миров» 702 4«yo» zu lesen, dieses nur andre Aussprache für x75 Ezr. 4, 9) zusammengestellt werden: das Merkwürdige ist nur dass sie hier "ies lange vor nam 20, 8 in diesem Sinne gebraucht werden. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 79 Hellas, nachdem es 1500 Jahre thöricht gewesen und infolge davon soviele Leiden erduldet hat und noch ferner erdulden kann, nicht endlich weise werden? Mit dieser Frage schwingt sich die Rede der Sibylle erst zu ihrer reinsten Höhe empor und fliesst nun im vollesten Strome. fast ohne allen Stillstand bis zu ihrem lezten rechten Ziele dahin. Für den Augenblick sei freilich eine solche Hoffnung bei Hellas nicht zu fassen (wie der Dichter selbst einsieht) Z.545— 5721). Doch sei ja das Volk der wahren Religion irgendwo auf Erden in aller Thätigkeit schon da Z. 573 — 607: und sicher werde, wenn erst ein mächtiger König aus Asien Ägypten’s Hochmuth dämpfe, dann wenigstens hier in diesem ächtesten Boden Hellenischer Thorheit eine Besinnung zum Bessern kommen Z. 608 — 623 2). Aber wozu man noch zógere das Rechte zu thun? 7.624 — 631; warum wolle man nicht zeitig dem Ausbruche des grossen Zornes Gottes entfliehen welcher zur Strafe über die Welt sich ergiessen müsse bevor die Vollendung des Messianischen Friedensreiches möglich werde 2.632 — 662, jenes Reiches welches allerdings sicher kommen müsse trozdem dass die Wuth und der Krieg aller Heidnischen Könige noch einmahl sich gegen den Tempel und die h. Stadt richten werde Z. 663 — 697 5). — Und schon will die Sibylle nach dieser grossathmigen Ausführung unter der Ver- sicherung ihrer göttlichen Wahrhaftigkeit schliessen Z. 698 — 701, als sie 1) Von Z. 556 an kehrt zwar statt des vorher so oft erschallenden weh weh! das gewaltig drohende ebenfalls ächt Sibyllische aber с220 so oft im Anfange neuer Säze wieder: doch stört der Saz Z. 562 f. sösehr den guten Zusammen- hang dass man die beiden Zeilen eher hinter 7. 572 erwartet. `2) Dass ein solcher König (wie zuvor Antiochos Ш und IV) Ägypten dämpfen werde kann Z. 611—614 nach dem ganzen Zusammenhange nur wirkliche Ahnung seyn: und da sogar noch 128 v. Chr. Démétrios II einen solchen Krieg gegen Ägypten beginnen wollte (s. die Geschichte des Volkes Israel IV S. 396), so läge die Ahnung unserm Dichter und seiner Zeit nahe. Allein doch ist unwahrscheinlich dass der Dichter dem Syrischen Reiche so wie er nach S. 54 ff. sonst über es urtheilt, noch soviele Kraft zutraue. Man muss also hier troz der äusserst harten kriegerischen Schilderung an den Messias denken, wie in der S. 58 f. erläuterten Stelle ähnliche kriegskühne Bilder sich finden. 3) Hier schwebt dem Dichter offenbar das Stück über Góg und Magóg Hezeq. c. 38 f. vor zugleich mit Stellen wie Jer. 1, 15 f. 80 H. EWALD, noch einen Blick auf die Herrlichkeit des Friedensvolkes der wahren Religion werfend von dér Hoffnung hingerissen wird die Heiden würden einst sogar freiwillig an solchem Heile theilzunehmen wünschen Z. 702 — 731, daher fast mitleidig Hellas’ ermahnt dás Volk nicht zu stören in welchem das Messianische Heil sich vollenden werde Z. 732 — 760, und es noch einmahl ernstlichst auffordert die dargebotene Wahrheit und das erhabene Heil zu ergreifen 7.761 —- 783. So schliesst sie aufs ruhigste mit einer Glücklichpreisung der Jungfrau welche besser ist als Rom (S. 58 f.) Z. 784—794, mit der Andeu- tung von Wahrzeichen welche erscheinend die Wahrheit ihrer Worte be- stätigen würden Z. 795 — 807 1), und mit den lezten nothwendigen Worten über sich selbst Z. 808 — 828. Dies der Verlauf der ganzen Dichtung ?): und man muss sagen dass so vielerlei sie auch enthält und so scheinbar Unzusammenhangendes und rasch Abspringendes sie gibt, Alles doch in ihr wieder durch den Einen Grundge- danken und das éine lezte Ziel aufs beste in und an einander gefügt ist 5). Ja je weiter sich die Rede ausdehnt, desto grósser wird ihr Zauber; und stall ermüdet zu werden fühlt sich der Hórer gegen das Ende hin immer 1) Diese Wahrzeichen aber sind, wie sich von selbst versteht, keine damals schon, erlebte sondern rein Messianische, aus Joel c. 3 und ähnlichen Stellen ent- lehnte: aber so wie ein alter Prophet wohl zum Schlusse seiner Weissagung ein Wahrzeichen für ihre Beglaubigung gab (Jes. 38, 7 und die verwandten Stellen), so gibt die Sibylle diese Wahrzeichen; und kann freilich nicht wohl andere geben. : 2) Also in drei Haupttheilen: und wir werden unten sehen dass auch die meisten andern Sibyllendichter dieselbe Haltung und Eintheilung beobachten. Wir kön- nen demnach die ächte Art einer Sibyllenrede noch vollkommen erkennen. 3) Übrigens halte ich es nach allen obigen Erórterungen für ganz überflüssig die Meinung C. Alexandre's über einen spátern Ursprung des zweiten der oben unterschiedenen drei Haupttheile noch weiter zu widerlegen. Umgekehrt würde man etwas Wesentliches vermissen wenn dieser Haupttheil fehlte. Und auch der Griechischen Sprachfarbe sowie der dichterischen Kunst nach ist dieser Theil von demselben Dichter. Es kommt nur darauf án alles hier richtig zu verstehen und nichts Verkehrtes hineinzulegen. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 81 unwiderstehlicher von der Kraft der Rede hingerissen und von ihrer Wahr- heit gefesselt. Sehen wir endlich noch auf das Verhültniss dieses Sibyllengedichtes zu verwandten Schriften und seinen allgemeinen Werth, so werden wir es un- streitig für eins der schönsten und herrlichsten Dichterwerke der lezten Hälfte des zweiten Jahrhunderts vor Chr. halten, ja wohl für das herrlichste welches sich aus jener Zeit erhalten hat. Die Griechische Dichtung aller Fächer blühete zwar gerade in Alexandrien in jenen Jahrhunderlen aufs neue zur Nachahmung reizend genug, und hier hatte unser Dichter nur aus reichlich fliessenden frischen Quellen zu schöpfen. Von der andern Seite hat er im ATlichen Gebiete wie fast alle die Schriftsteller dieser späteren Jahrhunderte fast garnichts neues und schöpferisches mehr, da die nurzu starre hohe Ach- tung des h. Gesezes und der Propheten damals lüngst feststand und auch der Kreis der Messianischen Ahnungen und Hoffnungen sich nichtmehr bedeu- tend erweiterte; viele Gedanken Bilder und Schilderungen sind bei unserm Dichter nur aus dem AT. mehr oder weniger frei wiederholt. Auch war er, wenn wir näher zusehen, keineswegs der erste Judäer welcher die ATlichen Wahrheiten durch den Zauber Griechischer Dichtkunst den Heiden näher zu bringen versuchte. Vorzüglich haben sich noch die etwa 230 Zeilen Gnomi- scher Dichtung unter Phokylides’ Namen erhalten, welche im Grunde einen ähnlichen Zweck verfolgen und die in Griechischer Sprachfarbe und dichterischer Kunst eine só grosse Ähnlichkeit mit unserm Gedichte haben dass man leicht vermuthen könnte sie seien von demselben Dichter !), wenn- nicht andre Gründe zeigten dass sie doch vielmehr von einem andern und von einem etwas ältern Dichter abstammten ?). Jener ältere Dichter zeigt en ades nde 1) Wirklich müssen diese sogen. Phokylidéischen Zeilen noch von ihrem Ursprunge oder vielmehr von der früheren Zeit her immer auch in einem engern Ver- bande mit den älteren Sibyllenbüchern erhallen seyn, weil sich sonst nicht erklärt wie ein späterer dieser Dichter einen grossen Theil davon geradezu in . sein Werk aufnehmen konnte: s. unten. . 2) In der Wahl der Griechischen Wörter und Bilder finden sich nämlich doch bedeutende Unterschiede, sodass die theilweise Gleichheit sich eher däraus erklärt dass unser Sibyllendichter jenes Gedicht schon. vor Augen hatte und Hist.-Philol. Classe. VIII L 82 H. EWALD, sich in manchem sogar als ein sittlich feiner gebildeter und feiner fühlender Mann 1); und da er wohl ein halbes Jahrhundert oder mehr früher in einer Zeit lebte wo die Verhältnisse zwischen Judäern und Griechen bei weitem nochnicht so verbittert waren, so wollte er die Griechen der Religion des ATs vielmehr dädurch geneigt machen dass er ihre Geseze und Vorschriften ganz ruhig darlegte, auch bloss vom allgemein menschlichen Standorte aus die ihr gemässen Pflichten forderte ohne alles bloss volksthümliche Wesen. Aber sollte einmahl jenes friedlichere Verhalten zwischen den beiden Volks- thümlichkeiten sich zerstören und es räthlich werden ein offenes kraftvolles Wort ihre bisherige Religion zu verlassen den Griechen zuzurufen: so konnte das niemand in Dichterart und Kunst so herrlich versuchen als unser Dichter; während als blosser Redner der wohl fast gleichzeitige Verfasser des B. der Weisheit ihm ebenbürtig zur Seite steht. Als Dichter ist er rein schöpferisch und das Höchste mit Erfolg erstrebend. Ein Werk wie dieses, einmahl mit diesem ganz neuen Inhalte und Zwecke geschaffen und dazu in der Kunst mit den besten Griechischen Werken jener Zeit zu wetteifern fähig, musste früh genug von ungemeiner Wirkung seyn, und sich als ein unübertreffliches leicht für alle Zeiten erhalten. Und so hat es denn auch alle die späteren Nachahmungen vielfachster Art hervorgerufen die wir demnächst betrachten müssen, ohne von irgendeinem späteren, wieder erreicht wievielweniger übertroffen zu werden. — Wir können aber das frühe Ansehen des Werkes und seine weite Verbreitung auch in den Schriften Späterer verfolgen welche es benuzen oder sogar bestimmt nennen. Schon Josephus und der nicht lange nach ihm lebende Abydénos benuzten es als vieles aus seiner Sprache sich aneignete. Noch verschiedener ist das Geistige bei beiden Dichtern. 1) Nichts ist z. B. bezeichnender als die Art wie beide das Geld кыйм: dem Phokylideischen Lehrdichter gilt der Reichthum als eine schlimme Versuchung und er mahnt eher von ihm ab Z. 42 ff. 109. 199; bei dem Sibyllendichter klingt zwar etwas davon milsammt dem Worte gprìoyoypooúyy nach Z. 641 f.: aber in seinen allgemeinen Betrachtungen und sogar in seinen Messianischen Hoffnungen legt er nur zuviel Gewicht auf Silber und Gold, s. besonders Z. 179 — 181. 657 ff. 782 und oben S. 59. ENT STEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 83 eine Geschichtsquelle, jener noch unter dem einfachen Namen der Sibylle!); auch Schriftsteller des zweiten Jahrh. nach Chr. berufen das Werk oft noch unter diesem einfachsten Namen. Als man immer mehr ähnliche Sibyllen- bücher verband, unterschied man dieses älteste unter dem Namen der Ery- thräischen Sibylle, mit welchem Rechte ist aus S. 64 ff. zu ersehen: andere aber nannten sie doch richtiger die Hebräische. Wenn aber KVV. jener Zeit behaupteten sie sei zwar sehr all aber doch nicht älter als Mose), so versteht sich leicht dass das von ihrer Seite nur eine allgemeine Schäzung war, etwa därauf sich stüzend sie könne zwar nach S. 77 älter als Orpheus und Homer aber doch unmöglich älter als der älteste h. Schriftsteller seyn. Man muss sich hüten aus solchen Urtheilen jener Zeit zuviel abzuleiten, Auffallend würde es jedoch seyn wenn dieses Sibyllenwerk bis zu dem nächsten noch erhaltenen welches wir sogleich weiter betrachten werden, also etwa zwei Jahrhunderte lang in seiner Art ganz allein geblieben wäre und keinen Nacheiferer gefunden hätte. Allein die vierte Ekloge Virgil's kann uns zum Beweise dienen dass noch andre ähnliche Werke früh gedichtet wurden. In dieser Ekloge benuzt nämlich Virgil gewiss ein Alexandrinisches Idyll welches, auchwenn von einem Heiden geschrieben, unstreitig Messianische Gedanken und Bilder in sich aufgenommen hatte, selbst also zulezt auf ein Sib yllisches Gedicht unserer Art zurückgehen musste 5): dieses wurde aber von der Kumäischen Sibylle abgeleitet, ünd enthielt offenbar noch manche andre Messianische Hoffnungen die wir in unserm ersten nicht finden. Das Gedicht dieser Sibylle war nun aber wohl dasselbe welches man sonst nach der Chaldäischen (Babylonischen) oder Persischen Sibylle nannte, die Namens 1) Dies und Verwandtes führe ich soeben weiter aus im 6ten Abschnitte der Ab- handlung über die Urgeschichte, in den Jahrbb. der Biblischen Wissensch. Bd. IX. 2) Tatianos' Rede an die Hellenen c. 41 vgl mit Klemens Alex. Strom. 1, 21 (p. 139 Sylb.. Athénagoras in der Presbeia c.26 will diese Sibylle wenigstens älter als Platon machen: man ersieht aber aus alle dem nur wie wenig man schon in den beiden ersten christlichen Jahrhunderten das um kaum zwei bis drei Jahrhunderte ültere noch richtig erkennen konnte, 3) Wie ich dieses weiter ausgeführt habe in den Gött. Gel. Nachrichten 1858 S. 173 f. L2 84 H. EWALD, Sambéthé aus Babel nach dem Kampanischen Cumä gewandert sei, und sich rühmte Bérósos Tochter zu ѕеуп 1), wohl weil der Dichter aus Bérósos Ge- schichtswerke viel geschópft hatte. 2. Das zweite Sibyllengedicht (B. IV), um 80 n. Chr. А Das der Zeit nach nächste Sibyllengedicht welches sich erhalten hat, ist doch schon über zwei Jahrhunderte jünger als jenes erste: und welche gerade für den Zweck und Inhalt solcher Sibyllenbücher unermesslich schwere Umwandelungen im geistigen Leben des Volkes oder wir kónnen auch so- gleich allgemein sagen der Freunde und Anhänger der wahren Religion waren im Verlaufe und noch mehr gegen das Ende dieser zwei Jahrhunderte ein- getreten ! Es ist nàmlich bei diesem zweiten Dichtwerke ziemlich leicht zu sehen dass es in das Jahr 80 n. Chr. oder doch in ein nicht viel späteres gehört, In eine nähere Bezeichnung odergar Zahlenbestimmung des damaligen Beherr- schers der Welt làsst sich dieses: niedliche kleine Gedicht zwar nicht ein, wie das vorige und die übrigen unten zu beschreibenden: es ist dazu schon zu leicht und zu klein auch zu wenig künstlich angelegt, wie es überhaupt recht das Eidyllion unter den Sibyllengedichten genannt werden kónnte. Aber seit der zweiten Zerstórung Jerusalem's deren Andenken hier noch ganz frisch ist 2), war sichtbar nichts im Römischen Reiche geschehen was einen so gewaltigen Eindruck auf die Vorstellung der zartergesinnten Menschen und vorzüglich der von Messianischen Ahnungen erfüllten Zeitgenossen gemacht 1) Nach den Andeutungen in Justinos Rede an die Hellenen c. 37 f. Pausanias periég. 10: 12, 5 und Suidas unter Z/fviàe. Der Name Zaußr9%, kürzer Zaf fí, soll wohl die Sibylle des Sabbat’s bedeuten. ! 2) Nach 4, 125—127. Dagegen kann 7. 115 f. nach dem richtigen Wortgefüge nur von Crassus' Plünderung des Tempels die Rede sevn. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 85 hätte als der Ausbruch des Vesuv's unter Titus’ Herrschaft: dieser Ausbruch zugleich mit den damit zusammenhangenden ungeheuern Unglücksfällen wie sie hier in aller Kürze lebendig genug geschildert werden, ercheint hier als das Zeichen des göttlichen Zornes über die blutigen Grausamkeiten womit man noch immer die „Frommen« also im Allgemeinen die Bekenner der wahren Religion verfolge!), und war auch nach dem Zusammenhange der ganzen Rede das lezte Ereigniss damaliger Zeit vor dem Schleier der dunkeln Zu- kunft 2). Sogar die Farbe der Ahnung zukünftiger Dinge wird hier von der Erfahrung jenes gewaltigen Ereignisses mitbestimmt 5) Wir können daher mit Recht annehmen unser Gedicht sei kurze Zeit nach jenem Ereignisse verfasst, und zwar allem Anscheine nach von einem in Syrien oder Klein- asien lebenden Dichter, weil auf diese Länder sehr viel, auf Ägypten dagegen ganz anders als bei der vorigen Sibylle fast gar nicht ^) angespielt wird. Dieser Dichter war nun sicher kein Judäer mehr wie der vorige. Denn er spielt zwar auf die Zerstörung des Tempels durch Vespasian als ein noch frisch im Gedächtnisse gebliebenes grosses Zeichen der Zeit an, drückt aber keine besondre schmerzliche Theilnahme daran aus, und ahnet nicht deshalb werde der göttliche Zorn über die Welt kommen, deutet dagegen án er sei 1) Nach Z. 127 — 133. 2) Denn sogleich hinter jenen Zeilen über den Brand des Vesuvius beginnt Z. 137 die Rede solche Ahnungen zu berühren welche auch von der Gegenwart des Dichters aus reine Zukunft waren, und bleibt dabei bis zum Ende dieses ganzen Abschnittes 7. 151: denn anders kann man die hier kurz aufgezühlten Zukunfts- dinge nicht betrachten. 3) Das jüngste Gericht wird nümlich Z. 160. 172—179 só stark und só einzig wie früher noch nie unter dem Bilde des Brandes beschrieben, und wir brauchen wenigstens die nächste Ursache davon in fast nichts anderem als in dieser jüngsten Erfahrung zu suchen, wie die Rede dieses ganzen Gedichtes selbst zeigt; vgl. fast aus derselben Zeit 2 Petr. 3, 7. 4) Die einzige Stelle wo auf Ägypten wie um es nicht ganz zu übergehen an- gespielt wird, ist Z. 72 — 15: aber die 20jührige Hungersnoth welche hier den Ägyptern angekündigt wird, muss nach dem Zusammenhange in das eniferntere Alterthum zurückgehen, hat also hier keine grosse Bedeutung. 86 H. EWALD, durch die Schuld der Judäer selbst gefallen 1). Vielmehr verabscheuet er jeden sichtbaren Tempel und Altar, sowie alle blutigen Opfer ohne Aus- nabme 2), im stürksten Gegensaze zu dem vorigen Sibyllendichter welcher nur die Heidnischen Hekatomben und Tempel verworfen, für dén in Jerusalem aber die reichlichsten blutigen Opfer für die Zukunft gehofft hatte 5). Auch sonst gibt er sich durch keines auchnur der geringsten Zeichen als ein Judäer kund, zumahl wie man sich die Judäer jener Zeit denken muss: eher liegen ihm die Judüer kalt zur Seite ^), sosehr er selbst vielleicht ihres Blutes seyn mag. Aber von der andern Seite ist er ebenso wenig ein Christ, da er ebenfalls nicht auf das Geringste anspielt was das Christenthum und zumahl dás jener ersten Anfangszeiten unterscheidet 5). Dagegen kónnen wir mit grosser Bestimmtheit behaupten dass er einer Art von Essäern angehörte welche sich damals mit den neuen Taufgesinnten zu einer besondern Spaltung verquickt hatte, die man heute mit einem alten Namen als die der Hémero- baptisten bezeichnen kann. Die Verabscheuung der blutigen Opfer ist ebenso wie das strenge Gebet vor allem Essen und Trinken worauf unsere Sibylle so viel һан 9), Essäisch; auf dieselbe Spur führt auch der Name Fromme welchen sich diese von unserm Dichter gemeinten Gläubigen beilegten 7), sowie der der Frömmigkeit womit sie ihre Lebensrichtung bezeichneten. 1) Weil gräuelvolle Mordihaten (оттугоо} góvoi) um ihn vorgefallen seien Z. 118, womit wenn nicht auf den Mord. Christus' und einiger Apostel doch auf ähnliche innere Grüuelthaten etwa gegen unsere „Frommen“ hingewiesen wird; erst nachher Z. 125—127 folgt die Zerstórung des Tempels durch Titus. 2) Nach den starken Ausdrücken Z.8 f. 27 — 30. 3) Nach Prooem. 7. 20 f. 3, 564—566. 573—579 und anderen Stellen. 4) Wie man aus den insofern wichtigen Worten Z.124 ersieht, wo die Judäer ganz ebenso kühl erwähnt werden wie vom Apostel Johannes in seinem Evangelium. 5) C. Alexandre hält ihn zwar für einen Christen, aber es fehlt ihm hier wie in den ähnlichen Fällen an der gehörigen Einsicht und Unterscheidung. 6) Nach dém was sie sogar gleich vorne sagt Z.25 f. vgl. Geschichte des Volkes Israel ТҮ S. 423. 7) Wenn man nämlich annimmt dass der Name Essäer von Im» fromm abstamme, und dass Philon sie daher desto leichter im Griechischen Namensspiele als oo bezeichnen konnte: inderthat aber halte ich dieses jezt für die sicherste An- ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 87 Allein reine Essäer waren diese Leute sö wenig dass sie keinerlei Absonde- rung von der menschlichen Gesellschaft oder gar die Ehelosigkeit forderten 1). Die Reue dagegen mit ihrer tiefen Bedeutung ?), das bestündige Baden in fliessendem Wasser 5), und die Furcht vor dem nahen Weltgerichte *) waren ihnen hohe Grundbestandtheile der Frómmigkeit: dies sind aber dieselben Stücke welche erst der Täufer als so überaus wichtig von jedermann ohne Unter- schied forderte. Und so können wir mit recht behaupten unser Dichter habe zu einer solehen Lebensrichtung gehört welche in jener Zeit aus einer Ver- quickung des Essáischen und Täuferischen Wesens hervorgegangen war. Wenn nun diese Zeit überhaupt schon so gewaltig verändert war dass das frühere Sibyllengedicht auf ihre Lage und Zustände in den wichtigsten Beziehungen nichtmehr recht passen wollte: so passte es noch weniger voll- kommen genug von der Betrachtung eines solchen Taufgesinnten jener Tage aus. Die Stellung eines Frommen in der Welt schien wie umgekehrt gegen früher; ganz neue Pflichten schienen die gewichtigsten, und vieles worauf früher grosser Werth gelegt war schien wie werthlos geworden. Aber diese „Frommen« jener Tage sahen sich damals aufs schwerste verfolgt 5), wie das gegen Ende des ersten Jahrhunderts nach Chr. bei einer zwischen nahme, da es mit allen geschichtlichen und sprachlichen Thatsachen am besten übereinstimmt. Es ist denkwürdig wie sich die Sibylle hier 7.23 sehr ähnlich sogar dem Worte nach auf ihren ого» Mund beruft. Zwar ist der Name «vosßsig ansich só allgemeinen Sinnes dass auch die Judüer überhaupt so be- zeichnet werden konnten, wie bei dem vorigen Dichter 3, 573: allein bei unserm Dichter geht er durch seine ganze Rede als die einzige und die völlig feststehende Bezeichnung der ganz besondern Glaubensspaltung hindurch welche er für die rechte hält; man kann also nicht zweifeln dass er bei ihm der áchte geschichtliche Name ist. Dass sich diese Leute nicht selbst H&merobaptisten nannten sondern nur von andern so genannt wurden, versteht sich leicht. 1) Nach Z. 33 ist die Ehe einfach und ohne Ausnahme erlaubt. ; 2) Die neravore bei Menschen und entsprechend bei Gott Z. 165 — 169. 3) Nach Z. 164. 165. 4) Sogleich vorne 7.40— 47 und gegen das Ende Z. 158 — 160. 170 f. 5) Wie diese Verfolgungen sich damals gestaltet hatten wird am deutlichsten Z. 152 — 156 geschildert: sie waren danach schon allseitig und scharf genug. 88 H. EWALD, dem Judäerthume und Christenthume in der Mitte schwebenden Gemeinde nicht anders seyn konnte. Also nur die Furcht vor dem wahren Gotte und seinem nahen Weltgerichte welche jene erste Sibylle verkündigt hatte und deren Verkündigung in jedem solchen Sibyllenwerke allerdings der eigentlich belebende Athem ist, war auch für diese neue Sondergemeinde dieselbe geblieben, ja für sie noch viel nothwendiger und dringender geworden. So beschloss denn unser Dichter jenes alte mächtige Sibyllenwort só zu erneuern wie es für seine Zeit und den Glauben seiner Gemeinde das richtigste und das macht- vollste zu seyn schien. Er kennt nicht bloss jenes erste grosse Gedicht, sondern wiederholt auch aus ihm manches und bildet sowohl im Ganzen als im Einzelnen vieles nach ihm 1): aber dennoch wird sein Werk noch ein sehr selbständiges und ächt dichterisches. Denn der wunderbare Geist reinen Bestrebens und des edelsten Ringens nach dem höchsten Ziele menschlichen Lebens welcher in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts nach Chr. ein- mahl so gewaltig angefacht war und der sich auch den verschiedensten Ver- suchen zu neuen Gestaltungen und Gemeinschaften des ganzen Lebens wie unwiderstehlich mittheilte, durchdringt auch dieses Gedicht, welches künstlerisch noch wie aus der schönsten Zeit des Alterthumes entstammt, an Kraft dem vorigen nichts nachgibt, und es an Zartheit und schlichter Lauterkeit der Ge- sinnung übertrifft. Aber ein längeres vielerlei in gedehnterer Rede enthaltendes Gedicht wollte dabei unser Dichter nicht geben, und darin mit dem vorigen nicht wetleifern. Also wird sein Werk insofern nur wie zu einem kleineren Ab- bilde des vorigen, an Anlage nicht unähnlich, in der Ausführung nicht bloss viel enger begrenzt sondern auch viel ruhiger und geebneter, in dem Inhalte 1) Dieses zeigt sich auf die vielfachste Weise, kann jedoch hier nicht weiter im Einzelnen gezeigt werden. Man kann indessen aus unserm Werke auch er- schliessen welche Lesarten damals in der unserm Dichter vorliegenden Hand- schrift des vorigen Werkes sich fanden. бо ersieht man aus Z. 127 dass aller- dings schon unser Dichter in seiner Handschrift die S. 75 besprochene Lesart svovayvıa vorfand, schon weil er dieses Beschreibungswort welches ег Z. 107 richtig von einer Stadt gebrauchte, sonst schwerlich Z. 127 von Palästina ge- braucht hätte, I : ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 89 von der einen Seite eben so ähnlich als von der andern gänzlich abweichend. Gleich vorne sagt diese Sibylle weit schlichter und aufrichtiger, sie wolle keine „Weissagerin des lügenhaften Phóbos« seyn 1). So spricht sie denn 1. in ihrer Eingangsrede den ganzen Zweck dieser ihrer Worte aus Z. 1 —- 23, und weist sogleich von der einen Seite auf die rechten Frommen hin welche einst auf der Erde erscheinen würden Z. 24—89, von der andern auf das Weltgericht welches die Unfrommen sicher treffen werde Z. 40 — 46. Also beginnt sie 2. ausführlich ihre Weissagungen, kennzeichnet durch einen Über- blick der ganzen bis zu der wahren Gegenwart des Dichters verflossenen Vergangenheit auch diese Gegenwart selbst Z. 47—186, und geht vonda zur Weissagung über die wirkliche Zukunft über, zulezt wie billig zu dem be- sondern Geschicke der „Frommen“ zurückkehrend von welchen sie ausging Z.137 — 160, bis sie sich so З. in dem Nachworte zur rechten Ermahnung erheben Z. 161—177 und noch einmahl die lezte Zukunft aller Geschichte aufs deutlichste hervorheben kann Z. 178—190. Dies sind unverkennbar die wahren Theile unsres Sibyllenwortes, woraus zugleich erhellet dass dieses sich im Ganzen vollstándig erhalten hat, wennauch das gewóhnlich gewordene Wortgefüge allerdings etwas abgekürzter ist als es seyn sollte ? ). Im Einzelnen ist hier für uns besonders die Art bedeutsam wie unser Dichter alle Vergangenheit betrachtet und eintheilt. Seine Sibylle sezt wie die vorige (S. 73 f.) die Zeit des Babylonischen Thurmbaues als den Anfang der grossen Verwickelung aller Geschichte: wenn jene aber acht Weltherr- schaften annahm wozu als 9te vergangene die Salomonische und als 10te die künftige Messianische gerechnet werden konnte, so vereinfacht unsre diese ganze Anschauung só dass sie, als müsste alle Geschichte nun wirklich von Babel ausgegangen seyn, 1. die Assyrische Herrschaft 6 Weltalter 5) hindurch Z. 49—53, dann 2. die Medische zwei Weltalter dauern lässt Z. 54 — 60, 4 f. > à den früheren Ausgaben hatte das Gedicht nur 184 Zeilen, €. Alexandre liess aber 1853 in seinem zweiten Bande nach einer auch sonsi viel besseren Handschrift ein hie und da vollstándigeres Wortgefüge mit zusammen 190 Zeilen -~ abdrucken, wonach ich hier zähle. 3) Hier in ganz unbestimmtem Sinne угуга! Geschlechter nz Hist.-Philol. Classe. VIII. H 90 H. EWALD, offenbar die Medische und die Chaldäische dabei zusammenfassend !); 3. dann als Фе die Persische sezt Z. 61 — 66, und indem sie hier aus der älteren Geschichte manches vorzüglich das Verhältniss zwischen Persien und Hellas betreffend nachholt Z.67 — 85 2), 4. zu der Hellenisch - Makedonischen als der 10ten übergeht Z. 86— 101. So ist dann 5. die Römische die 11te Weltherrschaft Z. 109 — 133 5); und vonselbst versteht sich dass sich dieser Kreis nun mit der Messianischen (wenn man von dieser hier wo der Messias nicht bestimmt erwühnt wird reden kann) als der 12ten und lezten schliessen muss. Die Assyrische als die lange Urzeit der Geschichte ist so unsrer Sibylle die erste Hälfte der ganzen: und so auffallend diese ganze neue Mit- theilung der Weltgeschichte auf den ersten Blick scheint, so hal sie doch ihren Sinn und guten Zusammenhang ^). Dieses lieblich zarte Sibyllen- Eidyllion konnte anfangs als ein More selbständiges Werk verbreitet werden. Allein theils seiner Kleinheit theils auch wohl seiner Wohlgefälligkeit und des verwandten Inhaltes wegen wurde 1) Nämlich die Medische Herrschaft aus dem achten Jahrh. vor Chr. welche, wie man damals gewöhnlich annahm, die Assyrische zerstörte; und die Chaldäische des 7ten Jahrh. neben welcher die Medische bestehen blieb, sodass manche sie dieser überordnen konnten. 2) Die Worte Z. 67—71 können nur vom Zuge gegen Troja, Z. 76 —79 nur von Xerxes Zuge gegen Hellas verstanden werden: was also über Ágypten dazwi- schen steht, kann nach diesem Zusammenhange ebenfalls nur in die ältesten Zeiten zurückgehen, und gibt sich auch seinem Inhalte nach als eine blosse Sage über das entferntere Alterthum kund. Dass Ägypten einst 20jührige Hungersnoth gelitten habe weil der Nil sich anderswo unter der Erde verborgen habe, kann sich nur auf die alte Vorstellung beziehen dass Nil und Ganges ursprünglich éin Fluss gewesen sei, weshalb er ja (wie ich dies immer so erklärte) bei der Beschreibung des Paradises Gen. 2, 13 Gichón heisst. 3) Die Zahl fehlt allerdings hier Z. 102, sie ergibt sich aber als selbstverständlich weil die Makedonische Weltmacht als die zehnte Z. 86 nach den Worten 7. 103—105 durch die Römische aufhört. 4) Aber allerdings ist danach nicht nur Z.20 die Lesart Zvdezcırg beizubehalten, welche C. Alexandre noch immer als richtig bezweifelt und sogar verändern möchte, sondern auch Z. 47 та évðexary für «c uiv дехот zu lesen. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 91 es gewiss schon sehr früh dem vorigen Sibyllengedichte immer angehüngt, und hat sich so mit ihm zugleich aufs beste erhalten. Für uns aber hat es dazu jezt noch eine besondre Wichtigkeit als das Denkmahl einer der zahl- reichen Glaubensspaltungen aus dem Ende des ersten Jahrh. nach Ch., von welcher sich sonst kein einziges zusammenhangendes Werk erhalten hat. Die Anführungen aus unserm Sibyllenbuche werden schon im zweiten Jahrb. nach Chr. häufig 1), und sind nicht wohl früher zu erwarten. Vielmehr bestätigen so auch hier die Anführungen bei späteren Schriftstellern alles Obige. 5. Das dritte Sibyllengedicht (V, 52—530), aus derselben Zeit. Wir kommen an ein Gedicht welches seiner Ursprungszeit nach dem vorigen vielleicht sogar noch hätte vorangestellt werden können, wenigstens aber ihm darin etwa gleichzustellen ist, aber sicher nicht so früh wie das vorige mit dem ersten enger zusammengestellt wurde. Dies ist das gross- angelegte Werk von dem wir ähnlich wie bei dem ersten bedauern können dass es sich nicht ganz erhalten hat. Doch besizen wir noch den grossen Rumpf des in seiner Art herrlichen Werkes, welcher mit Ausnahme der ersten 51 Zeilen jezt das ganze fünfte Buch ausfüllt. Dieses dritte Werk hat nach vielen wichtigen Seiten hin noch éinmahl die grósste Ähnlichkeit mit dem ersten. Dass es in Ägypten geschrieben ist und zwar von einem Dichter der nicht bloss Alexandrien sondern auch das übrige Ägypten bis Syéne hin sehr gut kannte, ist leicht aus ihm zu erken- nen. Ebenso einleuchtend ist sofort dass der Dichter ganz anders als der des vorigen Stückes Judäer war: man findet hier auf die Judäer auf den 1) Z. 172 ff. werden zwar nicht wörtlich aber doch dem Inhalte nach als Sibyllen- wort angeführt von Justinos Apol. I. c. 20; dann die Stellen 7. 4 ff. 24 ff. 33 f. 149 f. bei dem Alexandrinischen Klemens im protrept. c. 4. paedag. 2, 10. 3, 3 und in (Justinos' Rede an die Hellenen c. 16; und die Stelle Z. 178 ff. in den Constit. apost. 5, T. M2 92 H. EWALD, Tempel und besonders auch auf die Religion der Judáer noch weit hóhere Lobeserhebungen 1) als bei dem ersten Dichter (S. 74 f); ja man würde an aller billigen Bescheidenheit und Mässigung unseres Dichters verzweifeln müssen wenn man nicht bedächte dass er solche überaus hohe und stolze Worte doch nicht von sich selbst sprechen will sondern sie nur wie einem ganz fremden der Sibylle in den Mund legt, welcher man denn solche Worte sobald sie nur der Wahrheit nicht völlig entgegen sind nicht wohl verübeln mag. Viel schwieriger scheint es das Zeitalter des Werkes richtig zu er- kennen 2): doch ist dieses bei genauerer Ansicht nicht unmöglich. Der zweite Tempel war damals vielen Aussprüchen des Dichters nach bereits zerstört und das ganze altheilige Land verödet 5): aber schon aus der ganz besondern Theilnahme und Wärme womit darauf als auf ein Neuestes und Gewichtigstes überall hingewiesen wird, kann man sicher schliessen dass nochnicht sehr viele Jahre darüber hingegangen waren. Aber auch der Ägyptisch-Judäische Tempel in Leontopolis, welcher erst einige Zeit nach dem zu Jerusalem vorläufig geschlossen wurde *), galt damals schon so gut als zerstört 5). Freilich dauerte nun die mit dem tiefsten Unwillen vermischte 1) Man lese Z, 68 f. 160. 201. 225 f. 287—240. 248. 259 — 269. 280 — 284. 327 — 331. 383 f. 419, 482. 490. 496, und man wird daran genug haben. — Übrigens führe ich die Zeilen des 5ten Buches nach C. Alexandre's Ausgabe an, wührend . Friedlieb die von diesem als völlig unpassend mit Recht ausgelassene 7. 101 übel beibehält und deshalb 531 Zeilen zusammenzählt. Es fällt damit zugleich ein Koole Bocilevc weg, welchen wohl niemand geschichtlich nachweisen wird. 2) Wenn man mit C. Alexandre und Friedlieb das jezige 5te Buch von éinem Dichter ableitet, so verdirbt man sich zum voraus jede Móglichkeit das Zeitalter richtig zu bestimmen, ja auch den Sinn der meisten Worte richtig zu fassen. Die Gründe nach denen C. Alexandre Z. 52—530 in die Zeit der Antonine hinabwerfen will, sind aber so unrichtig dass sie nachdem man das Bessere erkannt hat sie kaum noch besonders zu widerlegen sind. . 9) Wie man aus Z. 149. 160. 397 — 409. 432 leicht erkennen kann. 4) S. die Geschichte des Volkes Israel VI S. 752. ` 5) Auf ihn kommt der Dichter erst gegen das Ende hin, Z. 500 f. 506: denn un- streitig sind diese Worte durch ihn veranlasst, wenn er auch nicht noch be- stimmter bezeichnet wird. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 93 Trauer über diese Zerstörung bei den ächten Judäern noch lange über die ersten Jahre und Jahrzehende hinaus, sodass sie endlich sogar zu dem Hadria- nischen Kriege hinführte: allein dass zur Zeit der Entstehung unsres Sibyllen- wortes das Flavische Haus noch im Römischen Reiche herrschte, kann man aus manchen Zeichen ganz sicher erkennen. Denn es herrschte damals „das fünfte Geschlecht nachdem Ägypten’s Verderben aufgehört“ 1), also seitdem mit Augustus’ langer glücklicher Herrschaft Ägypten nach allgemeinem Ein- geständnisse von den schrecklichen inneren Unruhen und äussern Kriegen befreiet war welche vorher so lange wütheten. Da nun mit Augustus’ Herr- schaft zugleich eine neue Ägyptische Zeitrechnung anhub, so ist diese Be- zeichnung umso ігеїепдег: das fünfte Geschlecht in dieser Zeitrechnung kann aber eben weil dieselbe sich von vorne an nach der äussern Herrschaft richtet nichts als das fünfte Cäsarengeschlecht seyn welches über Ägypten herrschte; dies ist aber das Flavische, da man zu jener Zeit den wennauch kurzen Herrschaften der Häuser oder Geschlechter Galba Otho Vitellius noch zu nahe stand als dass man sie hätte übersehen und nicht mitzählen sollen 2). Hiemit stimmt denn auch die äusserst verhüllte vorsichtige Art überein worin der Dichter über dieses Flavische Herrschergeschlecht redet, während er es zu schonen nach seinem Sturze keinen Grund gehabt hätte 5). Herrschte nun 1) 2. 457 f. Auf andre Weise wird die Römische Zeit Ägyptens auch als die bezeichnet wo die verschiedensten und wildesten Völker z. B. Triballer (nämlich als Krieger) nach Ägypten kommen würden, Z. 459. 503. 2) Was auch für die Apokalypse zu beachten ist, obgleich diese schon etwa in den Anfang des J. 69 fällt. Bestätigt wird die Rechnung auch durch das spä- tere Sibyllengedicht 8,131 wo das sechste Geschlecht der „Latinischen Könige“ erwähnt und die lange Reihe der durch irgendein Verwandischaftsband ver- knüpften Cásaren von Nerva bis Commodus gemeint ist, Und da die Ägypter die Cäsaren nur als die Fortsezung ihrer alten Könige betrachteten, so reden solche Sibyllenbücher umso leichter von blossen Königen. Denn an den spä- teren Byzantinischen Sprachgebrauch darf man hier nicht denken. — Vitellius war zwar allen geschichtlichen Spuren zufolge in Agyplen nicht anerkannt worden, wie ich in den Gött. Gel. Anz. 1858 S. 1443 erwähnte: allein dies konnte später leicht als unbedeutend übersehen werden. 3) Freilich wird Vespasian hier durchweg als der unheilige König oder schlechthin 94 H. EWALD, damals das Flavische Geschlecht noch über das Reich, so kónnte man bei dem noch so ganz frisch brennenden Schmerze über die Zerstörung des Tempels an welchem der Dichter so sichtbar litt, weiter vermuthen sogar Vespasian selbst habe damals noch gelebt. Allein dem widerstreitet ein Spruch !) welcher, so vorsichtig er eingekleidet wird, doch die ganze Zeit- geschichte am deutlichsten in sich schliesst wenn man ibn nur nach ihr richtig zu verstehen weiss. Hier wird für Verstándige deutlich genug gesagt, zuerst seien die drei Häupter (nämlich Galba Otho Vitellius) mit den Wurzeln aus- gerottet, dann hätten sich andre (nämlich Titus und Domitian) erlaubt einen unheiligen König só zu verzehren dass sie Ältern-Fleisch assen: lezteres kann nur auf Vespasians Tod gehen, welchen eine im Volke ziemlich ver- breitete Meinung auf eine Vergiftung durch Titus zurückführte 2), was hier nur in Sibyllenart etwas verhüllt ausgedrückt wird; und wenn die Sage davon auch sonst umlief, so erklärt sich wie eifrig gerade die Judäer sie festhielten und wie sie in den Sibyllengedichten von jezt an wie stehend wurde °). Wir können nun sehr wohl annehmen unser Gedicht falle gerade in diese Zeit bald nach Vespasians Tode, da von Titus Tode hier keine An- deutung sich zeigt und auch der ganze übrige Inhalt des Gedichtes sehr gut als- der Unheilige bezeichnet, da man über diesen Sinn des «vayrog Z. 223. 297. 398. 407 nicht zweifeln kann sobald man das Sibyllenwort wirklich ver- steht, Und auch sonst spricht das Gedicht über dieses Geschlecht von Kónigen des hier überall auch leicht offen genannten Rom's selbst wenigstens für den Verständigen deutlich und schonungslos genug. Allein der grosse Unterschied ist eben immer dass in dem ganzen Gedichte dieses Geschlecht mit seinen drei Gliedern stets nur umschrieben und angedeutet, nie offen genannt oder auchnur durch die Anfangsbuchstaben bezeichnet wird. Die Sibylle begnügt sich hier Räthsel aufzugeben die jeder löse wie er will. 1) Z. 221—223, wo die Worte mit leichten Verbesserungen só zu lesen sind: Побла piv ix tQi000v zegeigy ovv nÀyyaÓt óitac Zuaccpevor neyahag, ётёоос dwosıe пасаодои, “Note quysiv oagnag уоуёоу, Вавдос avayvor. 2) Cassius Dio's Gesch. 66, 17 vgl. c. 26. 3) Wie man aus dem jüngeren Sibyllengedichte 5, 38 f. sieht, накни freilich der Jüngste 12, 99— 116 als ein Gelehrter nichts mehr davon wissen will. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 95 zu diesem Zeitraume stimmt. In dieser Zeit kochte der Grimm und der Schmerz über die grosse Zerstörung alles vaterländisch Heiligen noch heiss genug in jedes ächten Judäers Brust: doch war der erste wildeste Schmerz schon ziemlich vorüber, und etwas ruhiger konnte sich die Betrachtung und die Hoffnung erheben; ja schon fing man von Heidnischer Seite her án sich gegen die verständigeren Judäer sogar rechtfertigen zu wollen !). Vespasian der Urheber jener Gräuel schien schon der hóhern Vergeltung erlegen; und freier athmete man nach seinem Tode auf. War nun das Römische Reich im Ganzen zwar damals sehr ruhig, so gab es doch auch innerhalb der Grenzen dieser Macht und ihrer Geschichte vorzüglich éinen Gedanken an welchen sich leicht die ungeheuerste und unruhigste Erwartung knüpfte. Dies ist der bekannte Gedanke dass Nero aus Rom bloss über die Grenze des Rómischen Reiches nach dem entfernteren Osten entflohen sei und von da als Sieger über die welche sich die Römische Herrschaft angemasst aber auch als furchi- barer Zerstórer wiederkehren werde; eine Ahnung welche bald nach Nero's Tode entstanden 2) sich noch lange nachher aufs zäheste erhielt, nirgends aber weiter ausgeführt und glühender vorgeführt wird als bei unserm Dich- ter 5). Da Nero welcher noch den Vespasian gegen das h. Land gesandt hatte, als der erste Urheber auch der Tempelzerstórung galt und ausserdem als ruchlos'genug bekannt war, so kam unser Dichter fast ins Gedränge ob er ibn oder ob er die Flavier für schlimmer halten solle: doch gewinnt in 1) Dieses erhellet aus Z. 235 f. und zeigt wie in dem ühnlichen Falle S. 61 f. dass sogar solche augenblickliche volkliche Stimmungen in der Sibylle ihren Wieder- hall finden konnten. ; 2) Wie die Apokalypse des NTs so klar zeigt. Auf Vespasian's Tod weist dann auch Z. 297 nach ihrer richtigen Erklärung hin. 3) Bei ihm gehóren nämlich nicht weniger als alle die Zeilen 93—96. 137 — 153. 215—223. 362—369 vgl 385 hieher, und man muss deren Sinn genau zu- sammenfassen um die ganze Wichtigkeit dieser Vorstellung bei unserem Dichter zu verstehen. Auch das vorige Sibyllengedicht spielt auf diese Aussicht an 4, 119—124. 137 —139: bei spátern Dichtern aber wird dieses Zukunftsbild wie so manches andre einmahl feststehende bloss üusserlich immer wiederholt, 5, 33 f£. 8, 70— 72. 146 f. 96 | H. EWALD, seinem Geiste der Hass der gegenwärtig herrschenden Flavier und das volks- thümliche Andenken an die hohe Abstammung und das nach so mancher Seite hin ganz ungewóhnliche in Nero die Oberhand; und er ist ihm zwar nicht der Antichrist (dem lebloseren Judäischen Messias gegenüber gibt es überhaupt keinen rechten Antichrist), aber doch ein durchaus wunderbares Wesen, „dem Gott gab zu thun was keinem der früheren Kónige« !). Er ist es der ;den Felsen einst durchbohrte«; nämlich die Landenge von Korinth wollte er durchstechen, und Vespasian sandte ihm dazu eine ungeheure Menge Judäischer Gefangener 2), wodurch dies Andenken bei unserm Dichter noch besonders haftete; und aus der Sichtbarkeit jezt verschwunden, rächt er sich doch durch seinen Geist wunderbar an seinen hohen Feinden, rotiete jene drei Cäsaren aus und lässt jezt den Vespasian durch seine Söhne fallen 5). Er schien also auch ganz der Wundermann zu seyn um Rom wegen dessen er unterging selbst noch plözlich wiedererscheinend zu sirafen und die Flavier zu vernichten ^). Aber eben diese auch durch ihn drohende ungeheure Zerstörung alles jezt Herrschenden erschien nun am Himmel der Zukunft als die bald bevorstehende finsterste Nacht aller Zeit woraus sich der Messianische Morgen entwickeln müsse 5). Als ein Mittel aber für den kommenden Sieg Nero's erschien dem Dichter folgerichtig eine neue Erhebung der Parther 6) unter 1) Nach Z. 219 f.: ähnlich heisst er ein góttliches Licht, den wie man sagle Zeus und Hera geboren Z. 138 f., wodurch sich auch das oben 5. 52 ff. über solche mythologische Anspielungen Gesagte bestätigt. Und nicht umsonst wird Vespa- sian 7. 407 als &yavıs unerlaucht bezeichnet. 2) Z.137. 217 (wiederholt bei spüteren Dichtern 5, 32. 12, 84 ühnlich 8,.155 f.) vgl. die Geschichte des Volkes Israel VI S. 670. 3) Dies ist nämlich der ächte Sinn jener schon oben besprochenen Zeilen 221—223. 4) Z. 366—369: die Gefallenen Z. 369 sind seine Anhänger. 5) Die Messianischen Ahnungen sind hier besonders Z. 107 — 109. 413— 432: an lezterer Stelle schildert die Sibylle dies schöne Bild als hätte sie es schon ge- . schauet, und wie in rascher Fortsezung das eben von Vespasian’s Tode Erzählte Z.410. Auch eine Wiederkunft Mose's wird gehofft Z. 255 — 255. 6) Z. 246 f. vgl. Z. 100 f. Dort sind die Worte Z. 247—249 só zu fassen „dann wird es das göttliche Geschlecht der Judäer seyn welches den Tempel im h. Lande (гу peooyeíorc) bewohnt“, während es jezt von dort verbannt ist. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 97 welche Nero entflohen sei, so arg er sonst den früheren Kleinmuth der ` Parther geisselt welche statt Jerusalem’ (wie man hoffte) gegen die Römer zu helfen sogar Geisseln nach Rom schickten 1). Also ging unserm Dichter auch in dieser tiefsten Lebensnoth welche sein Volk getroffen hatte noch ein helles Licht für die Zukunft auf: und als Grundsaz gilt bei ihm das neue Wort dass „das Geschick der Schöpfung (Menschheit) leide aber auch wieder Heil erlebe« ?); neben dem alten Worte dass „das gerechte Volk (Israel) immer Heil erlebe, weil eine besondre Vorsehung es bewache« 5). Gerade in Ägypten, wo das geistige Leben und der Wohlstand der Judäer verhältnissmässig noch am wenigsten erschüttert war, konnte sich eine alle Zeiten in diesem Lichte betrachtende mitten im allgemeinsten Elende tröstende Prophetenstimme noch am ehesten erheben. Unser Dichter war offenbar ein feingebildeter Hellenist noch ganz von der Art der alten berühmten Hellenisten, der wahrscheinlich den Tempel selbst als er noch stand nie gesehen hatte, aber zu seinem Volke und dessen Heiligthümern eine brennendste Liebe hegte welche eben durch die Noth der Zeit und durch das sichtbare Verschwinden dieser Heiligthümer bis zur süssen Schwärmerei gesteigert war. Das eben war der ächte Boden dich- terischer Stimmung: und da die früheren Sibyllengedichte namentlich das erste welches er besonders vor Augen hatte ihm auf diese neue Lage nichtmehr zu passen schienen, so beschloss er die Stimme der Sibylle völlig zu erneuern. Und wirklich muss man sagen dass sein Dichterwerk noch eins der schönsten dieser Art ist. Ihn treibt eine ganz eigenthümliche hohe Begeisterung, wenn es auch oft nur der tiefe volksthümliche Grimm ist welcher aus ihm redet; und obwohl ihm das erste Werk sicheren Zeichen nach sowohl in einzelnen Worten als in den Gedanken vorschwebte +), so gestaltet sich doch fast 1) Z. 441—443, Anspielung auf das in der Geschichte des Volkes Israel VI S. 595 f. Erwähnte vgl. Tac. ann. 15, 24. 16, 23. Hist. 4, 51. 2) 7. 229. 244. 3) Z. 225 f. | 4) Auch auf die Worte des ersien Dichters über Silber und Gold (S.82) spielt unsere Sibyllenstimme Z. 411 f. só an dass sie ausruft: „Nie ist ein ‘solches Wunder unter Menschen dagewesen dass die grosse Siadt (d.i. Jerusalem, wie Hist.- Philol. Classe. ҮШ. N 98 H. EWALD, alles bei ihm ganz neu und ächt dichterisch. Auch im freiesten Gebrauche der Dichtersprache reihet er sich noch an die schónsten Griechischen Dichter. Eigenthümlich ist unserm kühnen Dichter daher vieles. Und wie er ` unter allen Sibyllendichtern ammeisten Ágyptisch gefärbt ist, so wetleiferl er gleichsam mit den Ägyptischen Zeichendeutern und Himmelskundigen in der häufigen Schilderung der Lage und Stellung der Gestirne und der sonsligen Veränderung in Luft und Himmel +). Auch der neue Vesuvausbruch mag diesen wie den vorigen Dichter zu solchen Bildern viel veranlasst haben ?). Auch eine eigenthümliche Sibylle bildet er sich. Seine Sibylle ist eine ganz neue, die Freundin ja die Schwester der Isis, betrübt und gebeugt wie diese es bald auf ganz andre Weise werden wird, welche aber als Schwester alles Ägyptische und übrige Heidnische aufs beste kennt, und sich dabei doch Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit genug bewahrt hat um auch gegen die Isis selbst gegen Serápis und andre solche hohe Wahnwesen das kühne Wort wie es ihr göttlich nothwendig ist erschallen zu lassen 5). ‚ати ist dieses Sibyllenwort offenbar gross angelegt. Nicht alsob der Dichter nach Art der übrigen weite geschichtliche Überblicke über alles Ge- 2.153. 225) andre (nämlich die Römer) zu plündern scheint“: denn dies ist der Sinn dieser ansich etwas dunkeln Worte welche daher vonselbst zu ihrer weitern Messianischen Erklárung hinführen wo dann Z. 416 von dem wieder- zugewinnenden Reichthume deutlicher geredet wird. Wie diese Hoffnung auch bei dem vorigen Dichter wieder erschalle, ersieht man aus 4, 145—148: aber auch bei dem wieder späteren 8, 72 kehrt sie verbunden mit der Ahnung über Nero wieder. ; 1) Vgl. besonders Z. 154—157. 206—212. 345 —349. 374 —379. 463 und den grossen Schluss Z. 511 — 530, welche sich unter einander erläutern. 2) Vgl. ёппоуоиос 7. 210 wie dort 4, 160. 3) Nach 2.52 f. 483—490; yrworý Schwester wie yrwoıoi 1, 76. Dies ist eine ganz freie Dichtung, da vor unserm Dichter wohl niemand an eine Ägyptische Sibylle gedacht hat: wenn aber diese neugeschaffene Sibylle Z. 307 —313 ein so scharfes Wehe auf „die thórichte Kymé mit den prophetischen Quellwassern* herabruft, so wird damit offenbar auf die Kymäisch-Römische Sibylle angespielt, und es hängt das mit den Flüchen über Rom selbst zusammen die bei unserm Dichter die stárksten sind. E ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 99 schichtliche hätte geben und alle Weltgeschichte hätte nach gewissen runden Abschnitten vorführen wollen: von alle dem ist hier keine Spur zu entdecken. Auch war der Dichter in seiner so ganz besondern volksthümlichen Lage zusehr von der Trauer über die nächste Gegenwart und den Gedanken an die noch furchtbarere Nacht der Zukunft hingerissen als dass er weil und frei in die Vergangenheit zurückblicken sollle: und man kann sein Werk richtig als die Elegie unter den Sibyllengedichten bezeichnen. Aber sonst dehnt sich dies schwergebeugte düstere Sibyllenwort weit genug aus, und das Gedicht ist künstlerisch allen Anzeichen zufolge sehr gross angelegt. Allein der Anfang und wahrscheinlich auch das Ende von ihm fehlen uns jezt. Wir wissen also jezt nicht mit welchen Worten diese Sibylle den lezten Zweck aller ihrer Worte ankündigt. In der grossen langen Mitte ihrer Rede womit das jezt erhaltene Stück beginnt, bilden die oft so wizigen Spottworte zunächst über das dem Dichter so wohlbekannte Ägyptische aber damit zugleich über alles Heidnische Wesen und die erschreckenden Drohworte gegen Rom und alles Römische die starken langen Fäden des Dichtergewebes, während die kleineren Drohworte über einzelne Städte und Länder deren Fülle und Buntheit in einem Sibyllenworte nie fehlen darf in der ächt Sibyllisch nur wie in zitternden Schwingungen zappelnd sich fortbewegenden Rede wie den Einschlag zu diesem Gewebe geben. Keine Sibylle führt, zumahl wenn man sie völlig versteht, ein schärferes Wort gegen Rom, und kehrt besiündiger auf diesen éinen grossen Gegenstand immer wieder zurück: aber das spot- tende Wizwort über die Ägyplischen Götter ist doch ebenso wichtig, und schwingt sich dazu leichter erhebend und frei empor neben dem niederbeu- gend finstern Worte über Rom. So fühlt sich denn die »dreimahl Elende* getrieben das Unglückswort 4. laut über Memphis und ganz Ägypten auszurufen Z. 52—72 1): aber sich tiefer besinnend weiss sie auch warum dies alles so kommen müsse und näher dass zugleich ein Persisch-Römischer König diese gerechte Strafe aus- 1) Die Zeile womit das Wort über Memphis schliesst Es doroev néntexac' ёс обо«убу ovx draßroy ist ihrem Sinne nach aus dem Worte über den Kónig BabePs B. Jes. 14, 12 entlehnt, und klingt zwar sehr ähnlich wie das Wort Matth. 11, 23, ist aber deshalb nicht aus diesem entlehnt. N? . 100 H. EWALD, führen werde Z. 73 — 104, doch nur um im höchsten Übermasse seiner Frechheit selbst wieder dem höheren ewigen Richter unterliegen Z. 105—109, mit welcher Messianischen Aussicht hier schnell geschlossen wird. Denn warum (so erhebt sich die Sibylle aus ihrer ersten Ermüdung wieder) treibt sie das pochende Herz bloss über die Ägyptische Vielherrschaft 1) das Wehe zu rufen, warum nicht auch über Persien (d.i. überhaupt den Osten)? Z. 110 —113. — бо wendet sich denn 2. das Wort gegen den Osten aberauch alsbald gegen Griechische Länder Z. 114—135, bis es vonda unvermerkt vermittelst jenes Korinthischen Ereignisses auf Nero überspringt, den ge- schichtlichen 7. 136 — 153 und den geheimnissvoll künftigen mit welchem Rom zugleich fallen wird Z. 154 — 1772). Aber Memphis Ägypten und das übrige Afrika muss das Unglückswort vielmehr wieder und noch be- stimmter treffen 7. 178 — 198, bis es vonda über den äussersten Nord- westen mit Britannien und Gallien Z. 199 — 204 5) plózlich zwar nach Indien und Äthiopien überspringt Z. 205 — 212, aber nur um wieder von der Mitte und zwar von Korinth aus auf Nero 7. 213 — 226 und auf den sichern Fall Rom's Z. 227 — 245, vonda aber auf die erfreulicheren 1) Mit diesem Homerischen Worte soàvxo:rpovizg 7. 111 bezeichnet unser Dichter wizig genug die Vielgótterei, nicht aber Aegyptus variis sub regibus wie es in der metrischen Übersezung bei C. Alexandre heisst. 2) Die Zeilen 154—160 werden nur dann deutlich wenn man sie für einen blossen Vordersaz zu Z. 161 ff. hält: „wenn ein grosser Stern seit vier Jahren (das ist hier 2х тетойтой ётгос, was also garnicht geschichtlich zu nehmen ist) das Land und ein anderer das Meer erschüttert haben wird (d.i. am jüngsten Tage), wird Rom verödet seyn“; daher braucht auch 7. 161 Rom nicht noch besonders genannt zu werden, da es eben zuvor Z. 158 (wie Z. 142, nach bekannter damaliger Sitte) unter dem Namen Babel angedeutet war; auch das èn atthe Z.162 weist so richtig auf Italien Z. 159 zurück. 3) Wo der Dichter aber die Gelegenheit ergreift um auch hier an Vespasian zu erinnern: dies ist der Sidonische König Phönix (7.202 ist 2,дбугос zu lesen), welcher ähnlich dem Sidonischen Wundervogel Phönix gerade von Sidonien (Palástina) aus das Rómische Reich verjüngte und aus Syrien seine alten Britisch- Gallischen Legionen ins b. Land führte, denen gewünscht wird auch sie móch- ten in ihrer Hafenstadt Ravenna nun endigen wie Vespasian in Rom! ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 101 Messianischen Hoffnungen zurückzukehren, umd hier ergiesst sich die Rede schon im vollesten Strome dieses gewisse künftige grosse Heil nach vielen Seiten hin zu schildern Z. 227 — 284 1). — Aber 3. noch einmahl und nun erst am kraftvollsten und ununterbrochensten muss sich das Sibyllenwort erheben um in seinem weiten Kreise alles zulezt aufs vollkommenste zu treffen. Von Asien beginnt sie jezt Z. 285, trifft aber sofort vorzüglich auch Ephesos mit seinem bekannten Artemistempel als einem der vielen Gegensüze des wahren Tempels Z. 292—297 ?), sowie nach einigen Zwischenworten 5) auch das Kymäische Orakel Z. 307 — 313 aus dem oben S. 98 bemerkten Grunde; und wenn sich ihr Drohwort dann weiter über mancherlei Städte und Länder ergiesst, vergisst sie doch nicht wie mitten im Vorüberfluge für Judäa Heil zu erflehen Z. 327 — 331, und bleibt auch hier zulezt rasch bei dem ;drei- mah] elenden« Italien stehen Z. 341 f., um eben von hier aus am längsten das Messianische Unheil zu schildern und das nothwendige Drohwort vor allem über Rom ganz auszusprechen 7. 343 — 412 +), aber auch die Ent- wickelung des Messianischen Heiles zu zeichnen Z. 443—432. Nun im hochentzündeten Feuer der Rede nur noch einige nähere Schlaglichter auf gewisse einzelne Gegenden welche das lezte Unweiter treffen muss, unter- mischt mit fortgesezten grausen Bildern dieses Unwelters selbst Z. 433—482; und zum Anfange der Rede zurückkehrend noch ein Wort an die Isis mit 1) Wenn die Schilderung des künftigen Jerusalem’s hier bisweilen so völlig masslos wird wie Z. 250 f., so ist zu bedenken wie nahe gerade in jener Zeit der tiefsten Trauer die höchste Schwärmerei lag: doch ist dieses Masslose allerdings. sehr bezeichnend. 2) Auch hier erklärt sich das Wizworl »70» тойа: Tor gier varsıuorıu 7.296 nur aus dem Gegensaze des ewig seienden unvergänglichen Tempels, wie ihn der Dichter troz seiner damaligen Zerstörung wie krampfhaft an seine Wiederherstellung glaubend oft nennt. 3) Wo Z. 297 unter dem суауғос nach 5. 93 f. wiederum Vespasian zu verstehen und für хостдс besser хостос zu lesen ist. 4) Rom schwebt dem Dichter überall und zumahl nach allem schon Gesagten 50 stark vor dass er es hier Z. 389 ff. gar anredet ohne es unmittelbar vorher deutlich genannt zu haben; welcher Fall hier noch stärker ist als der schon. etwas ähnliche S. 100. 102 H. EWALD, der schónen Ahnung dass einst ihre Ágyptischen Priester selbst die Umkehr zu dem wahren Gotte wünschen und auch der Tempel desselben in Ägypten (S. 92) wiederhergestellt werden würde Z. 483— 510, und geschlossen wird mit einem entsprechend erhabenen Bilde jener bevorstehenden grossen stern- losen Nacht die dem Messianischen hellen Tage vorangeht 1) Z. 511 — 530. Man wird gestehen dass unser Dichter das Vorbild einer ächt Sibyllischen Rede welches ihm der erste Dichter gegeben hat, mit der glücklichsten Selbständigkeit und Geschicklichkeit nachahmt. Auch haben wir hier offenbar die ächten Haupttheile der mittlern längern Rede alle beisammen, obwohl im Einzelnen manche Zeilen verstümmelt sind; und hinter dem grossen Redebilde „womit der erhaltene grosse Theil des Gedichtes jezt schliesst, scheint nicht- mehr viel zu fehlen. Doch stand vielleicht am Ende wenigstens noch ein kleines Stück wo der Judàische Dichter einen Nebenblick auf die damals immer mächtiger auch in Ägypten emporkommenden Christen wirft und be- dauert dass durch die Spaltung und Feindschaft dieser sich unrichtig Hebräer nennenden „die böse Zeit nur verlängert< werde. Ein solches Stück steht nämlich jezt gegen das Ende des folgenden Sibyllengedichtes 2): und da dessen Dichter unser drittes Gedicht überhaupt so viel benuzt, so wäre nicht undenkbar dass er dieses Stück wenig verändert auch mit in sein Werk aufgenommen hätte. Das ist dieses Werk, welches uns auch deshalb noch besonders denk- würdig scheinen muss weil es das uns bekannte lezte ist welches ein Hellenist 1) Auf diese Art nähert sich das Bild dieser grossen Nacht schon stark dém der Indischen Sandhjá, welche nach der altIndischen Lehre am Ende jeder er- schaffenen Welt der neuen Schöpfung vorausgeht. 2) 7, 132—138. Der spätere Sibyllendichter konnte als Judenchrist die Worte den Pauluschristen entgegensezen; und allerdings führt manches in der Farbe der Worte auf ihn, wie A«o:699:$ Z. 134 vgl. 7. 78, und das ganze Bild von den als Schafe verkleideten Propheten scheint erst aus Maith. 7, 15 entlehnt. Allein dass die Gegner keine wirkliche Hebrüer dem Blute nach seien 7. 135 und dass sie das ganze Leben verändern 7. 137 passt dann nicht ebenso gut; und wiesehr die Judäer noch immer des Prophetenthumes sich rühmten erhellet aus 3, 780 f. 5, 238. 405. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 103 veröffentlichte. Und es schliesst die Reihe solcher Werke nicht unrühmlich. Aber weil es doch rein Judäischen Ursprunges ist, so wurde es bei den Christen längere Zeit wenig gelesen, ganz anders als das vorige. Der erste uns bekannte Schriftsteller welcher es anführt ist der Alexandrinische Kle- mens 1): und zu seiner Zeit war es, wie man aus der Art dieser Anführungen selbst schliessen kann, mit den vorigen Werken schon in eine Sammlung aufgenommen. l : | 4. Das vierte Sibyllengedicht (B. VI. VII mit V, 1 — 51), vom J. 138 n. Chr. Hier erst stossen wir auf den ersten christlichen Sibyllendichter: und wir haben allen Grund zu meinen er sei wirklich der erste Christ gewesen der es wagte in diese Fusstapfen tretend auch durch das künstliche Sibyllen- wort für das neue Christenthum zu wirken. Und doch war dieser erste christliche Sibyllendichter noch nicht aus der grossen Zahl der Heidenchristen, noch das Christenthum welches er durch seine Sibylle empfehlen liess schon das später allein herrschend werdende kirchliche. Unser Gedicht entstammt ‚vielmehr noch jener Zeit wo bei der völligen Auflösung des Judàischen | Wesens und Treibens sich neue Judàisch- Christliche Lebensrichtungen fest- zusezen suchten welche mit dem christlichen Leben soviel von dem Judäischen oder vielmehr Hebräischen Geseze festhalten wollten als mit ihm irgend vereinbar schien, und die durch solche Vermischung sogar auch auf den Versuch neuer Gebräuche und Heiligthümer hin geführt wurden. Solche eine Zeit lang sehr kräftige und mit hohem Ernste versuchte neue Zwitterbildun- сеп 2) gingen besonders nur von einstigen Judäern aus, die sich noch des 1) Z. 295 1. 485 f. 483 Г. sind angeführt im protrept. с. 4, 7. 165 f. im paedag. 2, 10. 2) Es sind die Schöpfungen der sogen. Judenchristen, welche man wohl besser Nazaräer als Ebjonüer nennt und über die weiter zu reden nicht dieses Ortes ist. 104 H. EWALD, Blutes ihrer grossen alten Vorfahren rühmten und die ächten Hebräer seyn wollen, aber die alte Gemeinde als eine gänzlich entartete verlassend das neue Christenthum desto eifriger umfassien: und gerade ein solcher (um es kurz so auszudrücken) Judenchrist oder Nazaräer war gewiss unser Dichter, welcher schon dieser seiner Abstammung und geschichtlichen Bildung nach recht dázu gemacht war auch die Sibyllendichtung auf den christlichen Boden zu versezen. Wir kónnen aber auch an gewissen Merkmalen noch genauer erkennen dass er von der durch Elxai gestifteten Theilung dieser Juden- christen war 1). Das wahrhaft Neue und Eigenthümliche des Christenthumes ist ja ansich só rein erhaben und sogar die höchsten Gedanken der alten wahren Religion wie sie damals gelehrt wurde noch só weit überragend dass es auch die edelsten Dichterkräfte sehr früh anregen konnte sich an ihm zu versuchen um ihm zu genügen. Wirklich wäre es geschichtlich grundlos und verkehrt wenn wir meinen wollten unser Dichter sei überhaupt der erste christliche gewesen 2). Es war viel eher eine gewisse Scheu vor der freiern und ansich doch ursprünglich rein Heidnischen Kunst von Sibyllengedichten welche hier eine làngere Zeit hemmend wirken konnte. Doch unser Dichter wagte es nun: und wir müssen gestehen dass er der Aufgabe auf das Beste ge- nügte. Aus diesem ältesten christlichen Sibyllengedichte sprühet eine Glut üchter Begeisterung für das Christliche und ein Feuer richtiger christlicher Erkenntniss welche in dieser Verbindung in keinem spüteren wiederkehrt. Allerdings ist es nochnicht die Kette der später kirchlich festgestellten An- sichten vom Christenthume welche unsern Dichter im Fluge seiner Begeiste- rung aufzuhalten brauchte: aber eben dieses ist ja für uns heute so denkwürdig und so lehrreich. Von der andern Seite aber war die besondre Art von Christenthum welcher sich unser Dichter angeschlossen hatte noch so wenig festausgebildet dass er die Gelegenheit des Sibyllenwortes ergreift ihre wich- tigsten Grundsäze und Gebräuche ausdrücklich zu empfehlen. Hierunter ist das Bedeutsamste eine neue Art von Opfer: da das Gesez wenigstens seinem 1) Wie sie in dem neuentdeckten Hippolytosbuche über die Kezer 9, 13 ff. und in Epiphanios haer. 19 beschrieben wird. 2) Wie ich vielfach schon sons! gezeigt habe. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 105 hóhern Sinne nach bei dieser christlichen Theilung noch immer unverbrüchlich gellen sollte !), alle blutigen Opfer aber von ihr streng verworfen wurden, so sollte das Eintauchen wilder Tauben in geweihetes Wasser und ihre Frei- lassung unter Gebeten (als brüchten sie das h. Wort zum Himmel) die Stelle des Opfers vertreten 2). Das Baden und Taufen hielt diese Theilung über- haupt für so wichtig dass sie nicht bloss die urchristliche Gastfreundschaft gegen Arme aufs strengste empfahl sondern auch das Haupt eines solchen immer zu waschen vorschrieb ?). Ausserdem hielt diese Theilung die Ehe, je mehr sie von andern damals verworfen wurde, umso heiliger 5). Und wir würden durch unsern Dichter gewiss noch mehere dieser ganz besondern Gebräuche und Ansichten erfahren wenn sein Werk vollständiger auf uns . gekommen würe ^). LV 1) 7, 76—84, während aus dem Zusammenhange mit 7. 75 erhellet dass dieses Opfer an die Stelle der alten treten sollte. Dreierlei ist in diesem neuen Opfer wie zusammengeschmolzen: 1. der Glaube an den Logos d.i. Wort: wie er vom Himmel kam, so soll dieser Vogel als Logos und schneller Bote von Worten zum Himmel zurückeilen; 2. der urchristliche Glaube an die Kraft der Taufe und die wahrscheinlich auch im Evangelium der Hebräer (also bei den Nazarénern) übliche Erzählung von dem Feuer welches bei Christus’ Taufe im Herabschweben der Taube sich gezeigt habe als sei die Taube im Feuer ge- kommen (vgl. das фос гера im Ev. der Hebráer nach Epiphan. haer. 30, 13 mit Just. c. Tryph. c. 88 und das Stück aus der Praedic. Pauli hinter Cypriani opp. ed. Rigalt. p. 142), worauf auch 6, 3— 7 angespielt wird, wo aber 7.6 nvoog éxqevEov für ѓирерёас zu lesen ist; 3. ein ähnlicher Gebrauch den man im ATlichen Geseze fand (s. die Altertkümer S.180 f.), und worauf diese Art von Christen gewiss ebenfalls ein grosses Gewicht legte. — Über die Зилтгоног redet der neugefundene Hippolytos 9, 15, wenn auch beiweitem nicht so bestimmt. 2) Nach 7, 85 —91, wo aber der Schluss der Worte nicht gut erhalten ist. 3) Wie man aus dem Verbrechen welches der Dichter seine Sibylle gestehen lässt 7,153 schliessen kann: denn ebenso lässt er sie durch Härte gegen die bitten- den Armen schwer fehlen 7, 155 mit offenbarer Rücksicht auf das oben 7. 85 f. erwähnte christliche Gesez. Wir wissen nun aber noch aus Epiphan. haer. 19, 1 dass gerade Elxai ansydurerar ту nugdevig, Age tyjv éyxgatetav xai dv«yxd(et yápov, können also mit Recht annehmen dass dieser Elxai der Stifter unserer Theilung war. 4) Wer nämlich unser Gedicht irgend gut versteht, muss einsehen dass hinter 7, 91 Hist.-Philol. Classe. VIII. 106 H. EWALD, Fragen wir in welcher bestimmteren Zeit unser Dichter schrieb, so kommt uns zwar zunächst nur eine ganz allgemeine aber schon durch den christlichen Geist neu bestimmte Zeitrechnung entgegen. Alle Zeit der be- kannteren Geschichte in zehn grosse Theile (oder nach alter Redensart Geschlechter) zu zerlegen, ist nach S.89 alte Sitte der Sibyllendichter: allein da unserm christlichen Dichter die Erscheinung Christus’ selbst einen gewal- tigsten Abschnitt in aller Zeit bilden musste, so denkt. er sich nach altheiligen Zahlen die ganze vorchristliche Zeit gerade in sieben Zeiträume zertheilt, sodass für alle Zukunft von Christus an gerade drei übrigbleiben; und wenn ihm wie billig zu seiner Zeit die Zerstörung Jerusalem's einen ähnlichen grossen Abschnitt bildete, so meinte er seitdem im neunten Zeitraum oder in den lezten Zeiten vor der Entstehung der neuen Welt zu leben, sodass ihm diese in den lezten Zehnttheil aller Zeit fiel 1). Und so war er wohl der erste welcher die Zeiten aller Weltgeschichte der Erscheinung Christus’ gemäss eintheilte. — Allein wir können sogar das Jahr der Abfassung unseres Ge- dichtes noch genau bestimmen. Wir nehmen dabei án dass das Stück welches jezt ganz abgerissen 5, 1—51 steht, ursprünglich zu unserm Gedichte ge- 8 eine grosse Lücke klaffi: die Worte Z. 92 ff. gehören ganz anders wohin und bilden einen neuen Anfang der Rede, wührend die Z. 71 angefangene Beschrei- bung der einzelnen christlichen Tugenden und Pflichten mit Z. 91 sichtbar nicht zu Ende ist sondern viel weiter ausgeführt werden musste. 1) Alles dieses folgt nämlich aus den Worten 7, 139 f. wenn man sie mit den Worten Z.97 vergleicht und vor allem richtig erklärt. Man muss dabei nicht übersehen dass 0yÓocs7z Z.140 ebenso wie Aart auch fürsich allein gebraucht werden kann und dann ein Achtel oder den achten Theil eines Ganzen bedeutet, sowie das Wort zizgoc 7. 139 selbst einen einzelnen Theil bedeutet. Heisst es also „im dritten Theile der rollenden Jahre sodass der achte der erste ist oder vom achten an, so kann damit nur auf das schon oben Z.97 gemeinte Zehntel oder den zehnten und lezten Abschnitt aller Geschichte hingewiesen werden. Wäre uns der Theil des Gedichtes erhalten wo die Bedeutung dieser Zehn- und dieser Achizahl erklärt war, so würde der Sinn noch leichter zu finden seyn: allein auch so kónnen die Worte keinen andern Sinn tragen. Erst später sah ich dass das unten zu beschreibende spätere Sibvllenbuch diesen Sinn vollkommen bestátigt. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 107 hörte, da seine dichterische Art der unseres Dichters gleicht 1) und es sonst in kein anderes Sibyllengedicht sich einreihen lässt. Dieses Stück führt nun die Reihe aller der Römischen Cäsaren von Cäsar bis Hadrian vor, und be- zeichnet sie nach dem Zahlenwerthe ihrer Anfangsbuchstaben und nach sop- stigen Merkmalen só klar dass sie auċh ohne ihre Namen deutlich genug sind., Hadrian wird zwar nicht so nach seinem ersten Buchstaben wohl aber nach andern Kennzeichen wo móglich noch deutlicher bezeichnet, aber auch sogar als „der allerbeste und allervorzüglichste Cäsar« belobt, ja so angeredet 2). Ist nun schon hieraus zu schliessen dass er damals wiewohl schon bejahrt (denn er heisst hier auch „der Mann von weissem Scheitel, von dunkel- grauem Haare«) noch lebte, so folgt dasselbe noch deutlicher aus den Worten „unter ihm und seinen Zweigen werde diese ganze (Gegenwart und) Zukunft einfallen“, die der Dichter eigentlich beschreibt; wen aber diese Zweige be- deuten sollen lässt die Sibylle endlich am wenigsten im Zweifel, da sie so- gleich hinzufügt „drei werden herrschen, der dritte von ihnen aber spät zur Herrschaft gelangen«. Diese drei kónnen nur Antoninus, Marcus Aurelius und L. Verus seyn, welche Hadrian im Februar 138 theils unmittelbar theils mittelbar an Sohnes statt annahm und so zu seinen drei Nachfolgern ernannte und von denen der dritte damals noch sehr jung war; bedenkt man aber weiter dass Hadrian noch in demselben Jahre starb, so haben wir hier sogar das Jahr genau vor Augen in welchem unser Gedicht entstand 5). Auch wurde diese Ahnung hinsichtlich des jungen L. Verus später sehr getäuscht. 1) Man vgl. nur das jd nach 7, 108 der Redensart und dem geschichtlichen Sinne nach mit 5, 2. 4; das seltene Wort «doviwrog findet sich (nach dem Vorgange des ültesten Dichters 3, 444) nur 5, 18. 7, 93; dem in seltener Weise gebrauchten eíxsÀoc gemein Т, 156 entspricht сғѓхгЛос in der Bedeutung unge- wöhnlich, schwer 5, 44. 2) Nach 5, 46—49 und dann weiter bis Z. 5l. Ein Judäer aber konnte von Hadrian nicht entfernt so urtheilen. 3) Ganz unrichtig hat man aus der Redensart бта» 610, @о шут, Пёосси Т, 40 f. schliessen wollen die Arsaciden odergar die Sassaniden seien damals eben emporgekommen: andre Perser bedeutet nach dem Zusammenhange der Rede hier Z. 40—45 vgl. auch Z. 160 f. nur solche welche in Rom und im Römischen Reiche in Ehesachen so gottlos sind wie bekanntlich die Perser. 02 108 H. EWALD, Nicht minder leuchtet ein dass er in Agypten lebte und zunächst für Ägyptische Christen schrieb. Äthiopien und Agypten mit seinem Apis zählt er nächst Phrygien welches bloss der Nähe der Sintfluth und Noah's wegen voransteht, an der Spize der Länder auf 1); und die Cäsaren sind ihm nur ‚die Nachfolger der alten Ägyptischen und dann der Makedonischen Könige 2). Und so waren es denn auch die früheren Ägyptischen Sibyllendichter, nach obiger Reihe der erste und noch mehr der dritte, in deren Fusstapfen er tritt und deren Worte er oft nur wieder auffrischt. Aber seine übrige hohe Selbständigkeit bewährt sich sogleich in der Bildung seiner Sibylle aufs schónste. Auch seine Sibylle ist zwar uralt und sagt noch mehr und noch gleichmässiger als die seiner Vorgänger alles Geschichtliche voraus: allein die frische Kraft des ächten Christenthumes zeigt sich bei ihm so lebendig dass er sie aufrichtiger eine Heidin ja eine aufs tiefste gesunkene Heidin seyn lässt, die endlich in jüngster Zeit Christus’ einzige Erhabenheit und einzige Gnade erkannt hat und vom Bewusstseyn ihrer alten Sünden gedrückt nun desto reuevoller zum Himmel blickt. Sie hat dieselben schweren Sünden begangen welche die ächten Christen nach unserm Dichter streng vermeiden sollen: so legt sie am Ende ihrer langen Rede aufrichtigst Busse ab 5), und hofft zwar auf die göttliche Gnade für die Ewigkeit *), mag aber in dieser irdischen Zeit nicht länger leben und flehet alle án sie zu steinigen 5), um so die Schuld ihrer Sünden zu büssen. In dieser lezteren Wendung verklärt also der Dichter zugleich den alten Volksglauben von dem ungeheuern Alter der mürrischen zu sterben wünschenden Sibylle. Und ebenso offenbart sich die Herrlichkeit unseres Gedichtes dárin dass es die Sibylle vorne mit dem begeisteristen Preise Christus beginnen und, weissagend von ihm só reden lässt als kenne sie Ihn und Sein Kreuz doch 1) 7, 12—21; vgl. auch das Wort über das gewiss Ägyptische Theben 7, 115—117. 2) 5,1—9. Auch das Vaterland des folgenden Sibyllendichters kann man daran erkennen: 8, 38 vgl. mit 3, 46—53. 3) 7, 150— 156. 4) Nach den schónen Worten 7, 94. 162. 5) 7, 157 — 161. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 109 auch aus eigenster Erfahrung am besten!): denn einmahl muss diese Sibylle, wenn sie christlich seyn soll, erst aufs lauterste ergiessen was ihr im tiefsten Herzen jezt ruhet, oder sie würde besser gar nicht zu reden beginnen. Aber mitten in diesen Erguss drüngt sich auch schon die Abnung der schweren Strafe der Widersacher des Messias ?): womit denn alle die vielen folgenden Worte trüber Ahnung und gerechter Drohung schon eingeleitet sind. Allein es ist zu bedauern dass wir die weitere Anlage und Ausführung dieses seiner Vorgänger noch so vollkommen würdigen Sibyllengedichtes nichtmehr genügend einsehen und darlegen können, weil es sogleich nach jenem glänzenden Eingange und auch weiterhin nur sehr verstümmelt vorliegt und sich dann nur wieder gegen das Ende hin etwas mehr im Zusammenhange erhalten hat. Soviel wir nach diesen Überbleibseln jezt sehen können, stiess diese Sibylle nach jenem Eingange alsbald über alle die Heidnischen Länder ihre düsteren Stimmen aus 5); sie schilderte dann von einem neuen Anfange aus die Noachische Sintfluth als das vorchristliche Vorbild der nachchristlichen ähnlichen Weltzerstórung und rief aufs neue ihr Wehe über die Irrthümer und Sünden der Menschen, während die Rede von Messianischen (d. i. hier christlichen) Ahnungen und Belehrungen immer voller wurde +); bis die Rede zum drittenmahle ihren Kreislauf erhebend alles erschópfte und so wie oben ` 1) Dies sind die 28 Zeilen welche jezt das ganze Vlte Buch ausmachen, das man wahrscheinlich bloss wegen der erhabenen Worte auf Christus so sonderte. Allein ganz unrichtig hat man in unsern Zeiten gemeint dieses Stück sei ein Lobgesang auf Christus der fürsich allein stehe und Sinn habe: sicher redet hier die Sibylle, schon weil das ganze irdische Leben Christus' hier bloss ge- weissagt wird. Die Sprache und Art ist die unsres Dichters; und zwischen 6,3—7 und 7, 66—70. 81—84 sowie zwischen 6, 23 und 7, 66. 157 ist überall eine so vollkommne Ähnlichkeit dass man die Einerleiheit des Dichters und des Gedichts unmöglich verkennen kann. 2) 6, 21— 25. 3) Dahin würden 7, 1—7 gehóren. 4) Dahin 7, 8—91: denn dass vor Z.92 ein grosser Abschnitt seyn muss erhellet aus der Kunst aller Sibyllengedichte, und ist auch nach einem andern Grunde Schon S. 105 f. erkannt. 110 H. EWALD, erwähnt schloss 1). So hätte auch dieses Gedicht seiner unverkennbaren grossen Anlage gemáss sich noch ganz an die ursprüngliche Kunstart eines Sibyllengedichtes angeschlossen; das jezt abgerissene Stück aber 5, 1 — 51 war wohl im dritten Abschnitte an einer passenden Stelle eingeschaltet. Übrigens zeigt es seinem prophetischen Bestandtheile nach eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Pastor Hermae 2). — Anführungen aus diesem Ge- dichte finden sich erst bei Arnobius (1, 62) und Lactantius, zum deutlichen Zeichen dass es nicht so früh wie das vorige mit dem ersten Grundstocke soleher Bücher vereinigt wurde. 5. Das fünfte Sibyllengedicht (УШ, 1— 360), um 211 nm. Chr. Die Sibyllendichtung war nun zu den Christen gekommen um schliesslich allein bei ihnen zu bleiben, ja in den Dienst der grossen und endlich herr- schenden Kirche zu ireten; und dieselben Christen welche anfangs lange ein gewisses Bedenken hatten sich dieser ursprünglich heidnischen Dichtung zu bedienen, wurden allmählig ihre grössten Verehrer. Dazu wirkte gewiss vorzüglich die alte hohe Achtung mit worin die heidnischen Sibyllenbücher im Herzen des Römischen Reiches seit alten Zeiten und noch jezt ‚standen: es schien gut und wie nothwendig jenen Heidnischen Sibyllenstimmen welche wie ein Heiligthum in Rom selbst verehrt das Geschick des Reiches in ihrer Macht zu haben schienen, andre entgegenzusezen welche als Verkündigerinnen der асМеп Wahrheit dieselbe ja noch eine viel hóhere Macht beanspruchen 1j. 7; 92— 162. : 2) Die ,drei Thürme welche der grosse Himmel dem Logos erbauet oder vielmehr gründet und in welchen die drei guten Mütter des göttlichen Sinnes (Hoffnung, Frömmigkeit, Dienstfertigkeit) wohnen“, 7, 71—75 gleichen sehr den Gebilden in Herm. 1: 3, 2. 3: 9, 11. Übrigens ist Z. 72 für 0:00 vov итпергс nicht mit C. Alexandre O«ov Ovyozégec was gegen die Religion, noch mit Friedlieb »«pn5100:g was hier ganz sinnlos ist, sondern vor oder voov v» ртт 0ес zu lesen. * ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 111 kónnten; und dieselbe Macht vor welcher sich einst in den besten Zeiten des Reiches Rom abergläubisch gebeugt hatte, schien jezt nur verklürt und ver- stärkt wiederkehren zu müssen. Wie die älteren nichtHeidnischen Sibyllen- zeilen jezt, je näher die Entscheidung über die Herrschaft des Christenthumes dem Size des Römischen Reiches rückte, einen ganz neuen Zauber übten, so kam die öffentliche Aufmerksamkeit leicht auch neuen Werken derselben Art gespannter entgegen; und das ganze künftige Geschick wie des Christen- thumes so des Römischen Reiches schien sich am geeignetsten in solchen Sibyllenzeilen aussprechen und lesen zu lassen. Doch blieb diese Dichtung fortwährend auf ihrem alten Ägyptischen Boden am geschäftigsten: der nächste Dichter den wir der Zeit nach ent- decken können, lebte und schrieb wieder in Ägypten, wie oben S. 108 schon zum voraus bewiesen ist. Dies ist der Dichter dessen sehr gedehntes Werk zwar jezt die erste und grösste Hälfte des VIllten Buches füllt, aber hier nur so verkürzt und verstümmelt erhalten ist dass es schwer hält es danach allseitig richtig wiederzuerkennen. Indessen hat es der folgende Sibyllendichter só stark benuzt dass auch seine Vergleichung sehr nüzlich ist um die Urgestalt unsres neuen Gedichtes desto sicherer wiederzufinden. Fragen wir wann dieser Dichter schrieb und wie sich ihm also die alte ewige Hoffnung zu seiner Zeit neu gestaltete, so brauchen wir darüber nicht im Zweifel zu bleiben, obgleich die richtige Erkenntniss davon hier ihre be- sonderen Schwierigkeiten hat. Vor allem sehen wir klar dass unser Dichter . von dem gewichtigen Zeitabschnitte ausging welchen der vorige bestimmt hatte. Dieser blieb nach S. 107 bei der Herrschaft Hadrian's stehen: eben sie schien mit- Recht auch den Späteren einen grossen Zeitabschnitt zu bilden ` weil auf sie das so eigenthümliche und für das Römische Reich noch einmahl besonders mächtige Zeitalter der Antonine folgte. Da nun unser Dichter schon wieder ziemlich ferne von Hadrian's Zeit lebte und dichtete, so will er vielmehr nur von der auf diese ältere Zeit folgenden bis zu seiner eignen Gegenwart und Zukunft viel reden, und so in gewisser Hinsicht eine Ergän- zung des vorigen Sibyllenwortes geben. Er fasst also alle die Ägyplisch- Römischen „Könige“ bis auf Hadrian kurz aber deutlich genug als die Funfsehn zusammen, die einen jüngsten grossen Zeitabschnitt für sich bilden: 112 H. EWALD, und die runde Zahl der dreimahl fünfe 1) scheint ihm schon ansich einen hóhern Kreis im Verlaufe aller Geschichte zu schliessen. Über diese 15 mag er garnicht weiter reden: aber desto mehr Mühe und Emsigkeit verwendet er dárauf die folgenden Herrschaften mit ihren Geschicken auf Sibyllische Art für Verstàndige zu kennzeichnen, weil er mit seinem prophetischen Blicke eben in der Gegenwart einen neuen grossen Abschnitt góttlicher Reichsge- schichte entdeckt hat wonach sich die Messianische d. h. hier christliche Zu- kunft gestalten und die ewige Hoffnung sich erfüllen werde. Denn er schrieb, wie er für die geschickten Lóser Sibyllischer Ráthsel vernehmlich genug an- deutet, erst unter der Herrschaft des neuen Hauses Cäsar Septimius Severus: da er nun in einem vorigen Sibyllengedichte nach S. 93 die Römischen Herr- scher auf ächt Ägyptische Weise nach den einzelnen Herrscherhüusern be- rechnet fand und alle die Herrscher von Nerva bis Commodus demnach das sechste Herrscherhaus oder Geschlecht bildeten, so schien ihm das mit Severus anfangende (denn die Eintagsherrscher Pertinax und Didius Julianus wurden zumahl gegen 20 Jahre später leicht übersehen) Geschlecht das siebente zu seyn und als solches schon dieser b. Zahl wegen die Bedeutung zu haben dass nach ihm nur die endliche Erfüllung der alten Messianischen Hoffnungen folgen kónne?). Daneben blieb ihm auch die dem vorigen Werke entlehnte neuchristliche Eintheilung aller Geschichte in zehn grosse Geschlechter stehen 5), aber nur wie eine einmahl gegebene und alibekannte. Die sieben Zeitalter der Rómischen Herrscher aber fielen ihm nun in seinem neuprophetischen Blicke auch mit dem Anfange des Christenthumes selbst zusammen: und rasch stand es vor seinem Geiste dass die Erfüllung aller der christlichen Hoff- nungen wohl nur deshalb sich so lange verzógere weil Gott selbst auf Bitten 1) Z. 50. 138: besonders aus lezterer Stelle erhellt dass diese Zahl 15 damals als eine feststehende galt um jene ganze Zeit zu bezeichnen; was móglich war wenn man das vorige Sibyllenbuch immer voraussezte. 2) Nach Z. 131 vgl. oben S. 93. 3) Nach der beiläufigen Bemerkung Z. 199 „wann das zehnte (d.i. das lezte) Ge- schlecht in den Tod hinein kommen wird, was bloss soviel bedeutet als wann das lezte Alter der Menschheit vor dem Weltgerichte seyn wird; als das 10te galt ihm dann wohl das nach dem Sturze der Antonine. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 113 der Heiligen Jungfrau diese sieben Zeitalter als Frist der Rexe aller Menschheit bewilligt habe 1). Denn gerade diese prophetische Ansicht führte der Dichter gewiss an einer besondern Stelle seines Werkes weiter aus, obgleich diese jezt verloren ist und in einer erhaltenen Stelle nur beiläufig auf sie ange- spielt wird. War nun aber das verhältnissmässig lange Zeitalter des sechsten Römi- schen Cäsarengeschlechtes auch schon vorüber ohne dass die christlichen Hoffnungen erfüllt waren, so schien unserm Dichter doch die immer näher heranrückende Nacht des Weltgerichtes (S. 102) auch schon auf dies vorlezte Geschlecht von Giganten ?) ihren Schatten geworfen zu haben; und auch deswegen berührt er dessen Geschicke von Hadrian an. Die Zeit Hadrian's und besonders auch die seines Todes scheint ihm traurig genug gewesen zu seyn, und von dem Herrscher selbst hebt er statt ihn mit dem vorigen Dichter zu loben (S. 107) nur die schlimmen Schattenseiten hervor 5). Die drei Herrscher nach ihm welche der Dichter dann vorführt und deren gemein- samen Namen Antoninus er andeutet +), sind gewiss ganz anders als bei dem 1) Nach 2. 357 f., wo bloss des Vermasses wegen alwvec mit угуга wechselt. Diese zwei Zeilen scheinen nämlich auf den ersten Blick ungemein dunkel zu seyn, zumahl da in ihnen schon eine so hohe Macht der h. Jungfrau angenommen wird. Allein dass sie unstreitig von unserm selben Dichter abstammen zeigt schon der Zusammenhang der Rede, und bestätigt sich ausserdem durch ihre Wiederkehr bei dem folgenden Sibyllendichter in demselben Zusammenhange 2, 312 f. Man muss also das Ganze so auffassen wie oben gesagt ist, und bedenken dass der Dichter was er hier am Schlusse nur kurz wiederholt an einer früheren Stelle weiter darstellen musste, zumahl es eine ganz neue Ansicht war. Da unser Dichter nach Z. 4—9 die 8 Weltreiche des ersten Dichters S. 50 f. in 7 verkürzt, so könnte man zwar auch an diese hier bei 7. 357 f. zu denken versucht werden: allein dazu passt schon die h. Jung- frau nicht. 2) Nach dem Ausdrucke yego? zuyarasıyoı Z. 190. 3) Z. 50—64; der eí2woc xatpoc 7. 59 und das a? wi des Klagegesanges bei seinem Tode 7. 64 soll gewiss beides auf den Vornamen Hadrian's Aelius hindeuten. ; 4) Die Worte Z. 66 können vgl. mit Z. 150 u. 3, 24 nur andeuten dass der Name Hist.-Philol. Classe. VIII. P 114 H. EWALD, vorigen Dichter S. 107 die drei geschichtlich aufeinander folgenden, Antoninus, M. Aurelius, Commodus. Nur den ersten von diesen dreien bezeichnet die Sibylle hier näher als einen Greis, welches den beiden andern gegenüber (denn auch M. Aurel starb schon im 59sten Lebensjahre) geschichtlich zutrifft, und weiss sonst bloss seinen grossen Reichthum zu melden; von den beiden andern sagt sie nichts besonderes, weil aber unter ihnen bekanntlich die fremden Völker schon so gewaltig gegen das Römische Reich andrängten und mit Commodus' Falle noch mehr als früher mit Nero's Falle dieses Reich selbst schon in Stücken zu gehen schien, so beginnt die Sibylle schon hier ihre Weherufe und bösen Ahnungen über Rom in längerer Rede zu er- giessen 1). Aber nach dem Untergange des sechsten Cäsarengeschlechtes erblickt die Sibylle einen ganz andern Rómischen Kónig, der ebenfalls só herrschen werde dass ihm seine Kinder nach dem Rechte der Erbschaft ruhig nachfolgen 2): dies kann nur Sept. Severus seyn, unter vorläufiger Hindeutung auf die ruhige Nachfolge seiner zwei Sóhne Caracalla und Geta im J. 211 5). Aber weil dieser Severus als ein sehr ungewöhnlicher Cäsar herrschte und dazu als der Dichter schrieb auf eine ebenso ungewöhnliche Art eben erst : gestorben war, so widmel die Sibylle alsdann seiner Schilderung noch eine besondre Ausführung; und leicht merkt man es ihrer hier ungemein starken ’Avyıwvivog nicht nach dem Zahlenwerthe der Griechischen Buchstaben (denn sonst müsste dieser Werth wie Z. 148. 1, 141. 328 f. ausdrücklich genannt seyn) sondern bloss dem Anfangslaute nach dem Namen ’Adwvai' entspreche. 1) Z. 65 —72 und dann Z. 73 — 130. 2) Z. 131— 138: wenn es Z. 131 f. bestimmt genug heisst das 6ste Geschlecht werde ` dann untergehen, so kann der £zepoc fociAeUc тўс атттс yeverc Z.133f. nur ein anderer Kónig von demselben Latinischen Geschlechte, nicht von demselben untergegangenen Hausgeschlechte bedeuten, und er hat ja nach Z. 135 — 137 dann wieder seine eigenen Geschlechtserben. Die Vieldeutigkeit des Wortes ege ist bekannt, und man muss in allen solchen Fällen (ein ähnlicher kommt sogleich Z. 138 wieder) dem angedeuteten Sinne mit der rechten geschichtlíchen Erklárung zu Hülfe kommen. i Ganz ähnlich legt der spätere Sibyllendichter 12, 207 f. bei Commodus dárauf einen grossen Nachdruck dass er als wirklicher Porphyrogennétus seinem Vater folgte : dies traf bei Commodus zum ersten mahle ein. e м ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 115 Bewegung an wie gewiss dies eben die allernüchste Gegenwart des Dichters war!). Sie schildert ihn als ein Ungeheuer ?), niedriggeboren 5), das Gemüth eines glühenden Afrikaners habend *), der auch von Asien als Sieger (über Pescennius Niger nämlich) kommend Rom's sich nochnicht recht werde freuen können (weil er noch gegen Albinus ziehen musste), den aber wenn er überallhin alles aufspürend über das Meer und die Meerenge (nämlich nach Britannien) gegangen hier elend umkommen werde, wie ein die Hirten vernichtender mächtiger Löwe von einem Hunde verfolgt (nämlich von Cara- calla der ihn morden wollte). Ist nun schon dieses Bild nach allen seinen Zügen für jeden etwas nachdenkenden Leser klar genug, so wird als die Zeit wo er als Sieger nach Rom komme, durch eine in den Griechischen Buchstaben des Wortes Rom selbst liegende künstliche Zahl sogar das Jahr só genau angedeutet dass für den Sachverständigen hier alles Räthsel zwei- fellos zu lösen vorliegt 5). Und da im J. 211 nach Severus Tode seine Witwe Julia Domna als Mutter der zwei jungen Cäsaren und als längst hochangesehenes kluges Weib nun noch einziger herrschen zu müssen schien wis dos qnd с е c 1) Z. 139—159, getheilt durch den unruhigen Ausruf Z. 151. 2) jo piyas Z TOT: 3) èyxovpiaroe hoysiæig Z. 153 muss diese Bedeutung haben: er war Afrikaner, und hiess spottweise noch immer Afer. | 4) онд» Ze аїд–вос Z. 155 als Afrikaner. Das Sprichwort vom Hunde Z. 135 kann nicht gui einen andern Sinn haben, und der äre ueyag 2. 157 ist kein anderer als der Löwe in diesem Sprichworte. Bei dem іо9 шоу dianowy Z. 155 kónnte man allerdings nach S. 96 leicht an Nero denken: allein das passt nicht in diesen Zusammenhang, ѓо9 ибс eigentlich Hals kann auch eine Meer- enge bedeuten und so hat es auch der spätere Dichter 11, 180 f. verstanden. Man kann also nur sagen unser Dichter trage die alte Neronische Redensart auf etwas Ähnliches über. 7. 148—150: die Buchstaben РЈ2 МН geben die Zahl 948: eben um dieses Jahr Р. U. C. konnte Severus als Sieger in Rom einziehen, wobei ihm dann die 7.153 erwühnten grossen Feste gegeben wurden; aber sein.theuererkaufler Sieg wurde bekanntlich für tausende der edelsten Römer höchst verhängnissvoll, sodass die Wizleute in Alexandrien (mit denen später sein Sohn in die blutigsten Händel gerieth) dárüber wizeln konnten wie doch gerade das Jahr Rom's diesem selbst so traurig bekommen sei. 3) Ре 116 H. EWALD, sodass man sie in Ägypten mit der lezten Kleopatra leicht vergleichen konnte, so ahnet die Sibylle auch von jezt an werde die weibliche Macht vorherr- schen und eine verschwenderische Witwe herrschen !); ja in Zukunft scheint ihr die ganze Welt wie vom Witwenschleier bedeckt ?). Fällt unser Gedicht in das J. 211, so war das zwar keine Zeit wo die Christen sosehr heftig zu leiden hatten. Aber die Duldung welcher sie sich unter Commodus und noch in der ersten Zeit der Herrschaft Severus zu erfreuen hatten, war seit dessen lezten Jahren wieder in Verfolgung überge- gangen 5); und die ganze Lage der Christen fortwührend só unsicher dass sich leicht begreift wie im Umschwunge dieser neuen Zeit auch die christliche Hoffnung neu sich regte und unser Dichter sie so wie ihr Bild sich in seinem Geiste neu gestaltet hatte durch eine Sibyllenstimme zu erklären beschloss. Allein zum ersten mahle bemerkt man bei unserm Dichter eine bedeu- tende Abnahme an dichterischer Kraft und Frische: sowie ja schon vonjezt an das Mittelalter im starken Anzuge ist und mit dem drohenden Einsturze des Rómischen Reiches als der hóchsten Macht zu welcher sich das Alterthum erhoben hatte auch dieses selbst mit allen seinen eigenthümlichsten Künsten und Fertigkeiten dahinschwinden wollte. Dieser Mangel an dichterischem Schwunge offenbart sich hier am meisten sogleich dárin dass er keine neue zu dem Grundgedanken seiner Dichtung treffende Sibylle mehr zu schaffen weiss. Wir besizen zwar das Ende dieses Gedichtes nicht mehr sicher *), wo das Eigenthümliche jedes Sibyllenwortes ammeisten hervorzuspringen pflegt: aber nach den entdeckbaren Spuren galt die Sibylle dem Dichter zwar 1) Nach Z. 199 f. und aus unserm Dichter in das spátere Gedicht 3, 75—80 über- gegangen. 2) Nach 2.336 ff. 3, 80. — Dagegen ist die Zeitbestimmung des zum 5tenmahle kommenden Phónix Z. 139 nur im Allgemeinen zutreffend, wenn er nach Tac. ann. 6, 28 zum viertenmahle unter Tiberius gekommen war und alle 250 Jahre kommen sollte. З) Worauf auch hier Z. 140 f. angespielt wird: denn „das Volk der Hebräer«“ kann nach alter Sprache zumahl in den Sibyllengedichten auch sehr wohl die Christen bezeichnen. 4) Doch konnten die zwei Zeilen 359 f. nothdürftig das Ende geben: jedenfalls sind sie hier die lezten aus unserm Gedichte. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 117 als stellenweise inniger an den Dingen der Weissagung theilnehmend, sonst aber nur als ein einmahl gegebener altheiliger Mund zum Weissagen, mit der übrigens herkömmlichen Einkleidung !). Je mehr nun diese höhere Kunst fehlt, desto lieber ergeht sich die Rede der Sibylle hier in ausführlichen Schil- derungen und Belehrungen, auch solchen welche mit ihrem wahren Gegen- stande wenig Zusammenhang haben und wo sogar auch der neue christliche Geist wenig oder garnicht vernehmbar hervortritt 2). Das eigenthümlich Christ- liche selbst springt bei dem Dichter mehr nur stellenweise und besonders gegen das Ende hin hervor, überall aber mehr schon als etwas Gegebenes, bei weitem nichtmehr mit solcher ursprünglichen Lebendigkeit wie bei dem vorigen Dichter. Übrigens ist zu beklagen dass wir wegen der starken Verstümmelung des Werkes an vielen Stellen seine Anlage und Ausführung nichtmehr ganz sicher übersehen können: nur vorne ist es vollständiger erhalten. Und gleich vorne kündigt die Sibylle au sie wolle mit besonderer Rücksicht auf Rom das kommende Weltgericht schildern, welches nicht ausbleiben werde obwohl » Gottes Mühlen das feine Mehl spät mahlen« 5) Z. 1— 16. Nachdem sie daun 1. auf die Ursachen aller menschlichen Sünden hingewiesen hat Z. 17 —36, springt sie mit ihrem strengen Drohworte unmittelbar auf Rom über 2.37 — 49 und schildert dann so wie oben gezeigt sein ganzes Geschick von Hadrian bis zu Severus Tode Z. 50— 159. Da indessen jedes Sibyllenwort stets auch die weite Runde über alle grossen und kleinen Völker der Erde machen muss, so redet sie 2. nun in diesem weiteren Umfange Z. 160— 168, kehrt aber nach kurzer Erwähnung des Messias sogleich wieder in ausführlicher Rede zu Rom zurück, immer näher die lezten Zeiten der Welt zeichnend Z. 169—198; 194—216: das Gedicht wird aber gerade hier immer ärger verstümmelt. — Erst mit einem dritten Anlaufe scheint der Dichter dann das Sibyllenwort sofort rein zu der ausführlichen Erklärung der christlichen Ge- 1) Vgl. Z. 1—9. 151. 194. 359 f., die einzigen Stellen wo diese Sibylle von sich selbst redet. 2) Wie sofort zu Anfange Z. 17 — 36. 3) Z. 14, ein Sprichwort wie unser Dichter gerne solche einmischt: ein anderes war das S. 115 erläuterte vom Löwen und Hunde. 118 H. EWALD, heimnisse in entsprechender Hóhe emporgewandt zu haben: und hier fanden sich mitten im Flusse der Rede die 34 Spizzeilen (griechisch Akrostiche) welche mit Donnerworten das Weltgericht schildern und die den alten Lesern so gewaltig auffielen dass sie die ganze Stelle sowohl ihrer ungewöhnlichen Erhabenheit als ihrer Spizzeilenkunst wegen ganz besonders beachteten und oft fürsich absonderten!); sie stehen hier mit ihrer übergeschriebenen Erklä- rung Z.217 — 250. Es muss nämlich immer allgemeiner bekannt geworden seyn dass die Rómer in ihren eignen Sibyllenbüchern die Lósung der Zu- kunftsfragen in solchen Räthseln von Spizwörtern und Spizzeilen suchten ?): so bestrebten sich denn die christlichen Sibyllendichter ähnliche Worträthsel aufzugeben, und schon der vorige deutete nach S. 107 die Namen der nicht zu nennenden Menschen durch den Zahlenwerih ihrer ersten Buchstaben an. Weiter geht darin mannichfach unser Dichter, wieder weiter die folgenden. Doch weil unser Dichter mehr die leichtdahinfliessende ausführliche Rede liebt, so lenkt er vonda ein das ganze Heilswerk geschichtlich zu beschreiben Z. 251 — 323, mit einem Worte höherer Ermahnung an die christliche Sion (nicht die S. 58 gemeinte) schliessend Z. 324—336; kehrt dann aber zulezt 1) Wenn manche dann die lezten sieben Spizzeilen ausliessen, weil sie nur das vereinzelte Wort ZTATPOX andeulen, so folgt daraus nicht dass sie von einem andern Dichter seien: der prophetische Dichter will mit ihnen ganz nach der Sitte schon der ATlichen Propheten und der früheren Sibyllendichter (3, 795. 4, 172) nur etwas besonderes noch als Merkmahl (от ио) den Hauptworten der Weissagung hinzufügen, und insofern gehört dies kleinere Stückchen ganz hieher. Da diese @xgoorıyia wie sie der Dichter selbst am Ende 7. 249 nennt, jezt ganz abgerissen in diesem Vlllten B. stehen, auch die Sibylle in ihnen gar nicht zu reden scheint, endlich das folgende Z. 251 ff. etwas loser mit ihnen zusammenhängt: so könnte man leicht vermuthen sie seien von einem andern Dichter. Allein der Sprachgebrauch führt auf denselben Dichter (vgl. besonders die aus Matth. 8, 12 usw. entlehnten Redensarten vom Aovyuos 60orio» Z.231; 86. 105. 125. 350 und danach 2, 203. 306, und die ähnlich aus Mattháos entlehnten von den zizvoí 247. 92); das Hineinverarbeiten eines solchen Spizzeilenstückes mitten in die übrige Rede gehürt aber sichlbar zu der Ráthselkunst der Sibyllenworte. 2) S. darüber С. Alexander's Werk П S. 192 ff. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 119 die ganze Rede noch einmahl zur Beschreibung des Weltgerichtes um Z. 337 — 360, weil von ihm ein entsprechend grosses Bild zu entwerfen eben der Hauptzweck seines ganzen Werkes ist; und das Ende wendet sich so ganz zum Anfange zurück). Über Anführungen aus diesem Gedichte s. nachher. 6. Ein nichtSibyllisches Gedicht (ҮШ, 361—500). * Indessen wäre es grundlos zu meinen unter den Christen habe im Ver- laufe und gegen das Ende des zweiten oder um den Anfang des dritten Jahrhunderts bloss die Sibyllendichtung geblühet. Wir haben vielmehr noch die wichtigen Überbleibsel eines offenbar nicht Sibyllischen Gedichtes welche jezt zwar mit den Sibyllischen Büchern so vermischt sind dass es elwas schwer hält sie richtig wiederzuerkennen, die aber richtig wiedererkannt uns eins der schönsten Gedichte von ganz anderer Art enthüllen. Diese Über- bleibsel bilden jezt die zweite kleinere Hälfte des Vlllten Buches; und obwohl die arge Verstümmelung dieses Gedichtes sehr zu beklagen ist, so hat sich doch sóviel von ihm gerettet dass wir über seinen Sinn und seine Kunst nicht im Ungewissen zu bleiben brauchen. Wir müssen es aber hier sowohl wegen der Verschmelzung dieser seiner Überbleibsel mit den Sibyllischen Büchern als der folgenden Sibyllendichter selbst wegen näher betrachten. Wollten wir freilich auf die reinen Kunstarten aller Dichtung sehen, so kónnten wir dieses Gedicht keiner einreihen, da in ihm die Selbstrede ver- schiedener Redenden mit Erzählung untermischt ist. Aber den Dichter drängte es eben nur mit aller hóheren Gewalt das Bild des ganzen Christenthumes wie es seinem Inhalte und seinem Wesen seiner Geschichte und seiner For- derung nach in aller Lebendigkeit vor seinem Geiste stand, dichterisch zu 1) Zwischen Z. 336 und dem lezien Stücke welches man demselben Dichter und Gedichte zuschreiben kann 7. 337—360 scheint allerdings wieder meheres zu fehlen, aber man kann die Einerleiheit des Dichters nicht läugnen. 120 H. EWALD, gestalten und zu verklären. Es ist noch die ganze erste reine Glut des christ- lichen Grundgedankens mit seinen tausend Feuern welche aus dem Dichter sprühet, so unmittelbar treibend und in so helle Lohe ausbrechend als móg- lich. Nicht ein einzelner Gedanke aus diesem Kreise ist es der ihn treibt, wie etwa die Ahnung der christlichen Zukunft welche sich eben in den Sibyllengedichten Raum bahnt: der ganze christliche Grundgedanke mit seinem vollen schweren Inhalte liegt auf seiner Dichterseele, und sucht durch sein begeistertes Dichterwort wie zum erstenmahle in der Welt die ihm entspre- chende Verklärung. Da ist es auch nochnicht eine einzelne Kunstart durch welche er ihn zu verklären strebt: die Darstellung selbst wechselt noch nach dem Bedürfnisse den ungeheuern Gegenstand zu bewältigen. ; So ist es denn zuerst ein Zwiegesprüch in welchem der Dichter der zunächst aufs fühlbarste hervortretenden Doppelheit des Grundgedankens zu genügen sucht. Aufschwingt sich vor allem sein Geist zu dem reinen Sinne und Worte Gottes selbst, und in den erhabensten Worten ruft dieser dem Menschen entgegen wer ér sei und wer dagegen der geschaffene Mensch sei: dieses Stück hat sich noch am vollkommensten erhalten Z. 361 — 429, ist aber am Ende ganz verstümmelt und auch vorne wohl nicht ganz voll- ständig 1). Ihm dann erwidert entsprechend der Mensch welcher des Ge- heimnisses des himmlischen Ursprunges des Christenthumes kundig es in diesem Augenblicke nur noch viel gewisser weiss und mit feurigem Danke preist: aber diese Gegenrede welche sichtbar auf eine entsprechende Länge angelegt war, ist jezt nur noch verstümmelter erhalten, sowohl zu Anfange als be- sonders am Ende 7. 480—456 2). — Aber so lang diese Antwort auch 1) Die Worte Z. 361 und 373 entlehnt der Dichter fast wörtlich den beiden ersten Zeilen des alten Delphischen Gotlesspruches bei Herod. 1, 47: aber daraus folgt nicht dass die Worte Z. 361 bei unserm Dichter an der Spize der ganzen Rede des wahren Gottes standen, wozu sie sich wenig eignen. 2) Da die Zeilen 430—437 nur eine weitere Beschreibung und Lobpreisung Gottes enthalten können und etwa ein ich lobe dich der du bist ..... voraussezen, so muss man 7. 432—435 überall statt der dritten die zweite Person x«réyeic usw. herstellen. Eine ganz ähnliche Verwechselung haben sich viele spätere Abschreiber dieser Bruchstücke auch in der Selbstrede Gottes 7. 361 ff, erlaubt. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 121 seyn mochte, sie konnte doch nicht alles das Wunderbare umfassend genug erwähnen und preisen was Christus Geschichte die Menschheit gelehrt hat: also folgte in einem zweiten Theile die ruhige Erzählung der ganzen Ge- schichte des Logos vor und nach seiner Menschwerdung. Davon hat sich aber wiederum nur ein verhältnissmässig sehr kleiner Theil erhalten Z. 457 — 480 1). — Aber auch bei der blossen geschichtlichen Erinnerung an das Göttliche ist noch keine Beruhigung: und erst im ruhigen Erkennen und vor Gott Erwähnen aller der nun nothwendigen Pflichten kommt der rechte Schluss: hier aber kann sich der Dichter nur der ganzen Gemeinde anschliessen oder vielmehr diese selbst reden lassen ?). Davon ist aber jezt nur der kleinste Theil gerettet Z. 481 — 500. Hieraus erhellet vonselbst wie wenig alle diese sich so wieder zu einem Ganzen zusammenfügenden Stücke einem Sibyllengedichte entstammen _ können. Fragen wir aber wann und von wem dieses so schöpferische Ge- dicht verfasst sei, so kommt uns zwar in einzelnen Worten und Redensarten eine grosse Ähnlichkeit zwischen diesem und dem vorigen Gedichte entgegen, sodass man vermuthen kónnte jener Sibyllendichter habe auch dieses ganz anders gestaltete Werk verfasst 5). Allein eine so ungemein schöpferische Darstellung und Kunst und eine solche Glut des Gedankens ist doch bei jenem Sibyllendichter bei weitem nicht zu spüren. Wir werden daher die theilweise Ähnlichkeit ja Einerleibeit der Rede und der Gedanken vielmehr dáraus ableiten dass jener Sibyllendichter das Werk uusres Dichters schon vor Augen hatte und gerne nachahmte. , Und da wir das Zeitaller jenes Dichters genau kennen, so werden wir unsern schöpferischen Dichter umso sicherer noch in das zweite Jahrh. n. Chr. versezen. x ашышы ae 1) Vor 7.451 müsste die Geschichte des Logos vor der Menschwerdung beschrie- ben werden. 2) Die Haltung der Rede erhellet aus Z. 484. 499. | 3) Die ganze schóne Darstellung Z. 439 — 444 kehrt wieder Z. 264—266, die 7. 413 in den Spizzeilen Z. 233; aus дохгшог als Bezeichnung der ächten Chri- sten 7. 423 wird д0и,шог xìytoi Z. 92. Hist.-Philol. Classe. VIII. Q 122 H. EWALD, Angeführt finden sich Stücke aus den beiden lezten Gedichten erst bei Lactantius Eusebios und noch späteren Schriftstellern 1). 4. Das sechste Sibyllengedicht (B. I. II. III, 1— 96), um 300 n. Chr. Wäre die junge christliche Dichtung in jenen noch wahrhaft schópferi- schen Zeiten immer in den Pfaden des zulezt beschriebenen Dichters gerader offener Kunst gewandelt, so hätte sich wohl bald ein vollkommnes sowohl Epos als Drama in ihr ausgebildet: allein unter dem im dritten Jahrh. dauern- den Drucke und dem tausendfachen Elende des beständig mit dem Einsturze drohenden Rómischen Reiches neigte sie sich dennoch wieder stürker der versteckteren künstlichen Sibyllendichtung zu. Wir kommen zu einem neuen Sibyllengedichte welches grósser als alle die früheren angelegt diese Dich- tungsart mehr auf gelehrte Weise am weitesten ausführt, vielen neuen Stoff aufnimmt und vielen älteren nichtmehr passend scheinenden fortwirft, und obwohl zunächst für seine eigne neue Zeit bestimmt doch auch aus allen früheren ähnlichen Schriften das christlich scheinende emsig zusammenstellt. Dieses Gedicht hat sich zwar nicht ganz vollständig aber doch in sehr grossen Stücken an der Spize der jezigen Bücher erhalten. Da dieses Werk mehr gelehrt als aus den unmittelbarsten Bedürfnissen seiner Zeit hervorgegangen ist, so reicht es uns auch nicht soviele allernächste Kennzeichen seiner Zeit. Doch können wir im’ Allgemeinen über diese sicher genug urtheilen. Das Christenthum war damals nochnicht durch Constantin zu seinem Siege über die äussere Römische Welt gelangt: dies ergibt sich von 1) Zwar scheint die Z. 8, 5 schon bei Theophilos von Antiochien 2, 31 angeführt zu seyn: allein diese Zeile steht dort vielmehr als die vorlezte aus einem Bruchstücke des ältesten Sibyllengedichtes 3, 97 — 107, und sie passt sehr gut hier in das ursprüngliche Worigefüge, woraus sie unser später Dichter entlehnt haben kann. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 123 der einen Seite aus seinem Inbalte sicher. Von der andern Seite aber ist eben so unverkennbar dass damals grosse allgemeine Verfolgungen über die Christen im Römischen Reiche nicht bloss schon wiederholt ergangen waren sondern auch neu droheten. Es ist dies die erste Sibyllenstimme welche auf die Blutzeugen sogar mit ihrem bekannten Namen anspielt!): aber sie findet es auch schon für nóthig zu diesen Todeskümpfen zu ermahnen und zu lehren welche Tugenden diejenigen schmücken müssen welche in diesen himmlischen Kämpfen den Preis erringen wollen 2); und wie in der klaren Ahnung dass solche Todeskämpfe sich bald wieder mit aller Wuth erneuern würden, weis- sagt diese Sibylle ein dem Siegerkranze ähnlicher Stern werde dann am Himmel leuchten 5). Wir kónnen demzufolge wohl annehmen der Dichter habe um 300 n. Chr. geschrieben: damals hatten die Christen ziemlich lange keine allgemeine tódliche Verfolgung mehr erduldet, aber ihre Ruhe trübte sich wieder und bald brach noch unter Diocletian die lezte und ärgste Ver- folgung aus. Man sieht unserm Gedichte beides leicht an, die làngere Ruhe welche die Christen damals genossen hatten und unter deren Schuze ein Dichterwerk wie dieses allein entstehen konnte, und den wieder drohenden nahen Sturm grosser Verfolgungen. In dieser Zeit konnte bei unserm Dichter auch die Ahnung keimen, ein unerbittlicher Kreis von drei Latinischen Männern werde bald Rom selbst zerstören ^): denn nachdem das Reich unter Diocletian getheilt war und einer von den vier Weltherrschern Rom zunächst unter sich hatte, lag bei den wechselseitigen Eifersuchten dieser aller unter einander der Gedanke nahe drei von ihnen würden sich gegen den einen in Rom verbünden und dieses zerstóren. 1) 2, 46 findet sich einmahl naorvoec. 2) 2, 39—153: man muss diese Zeilen im Sinne des Dichters alle genau zu- sammennehmen. 3) 2, 34—38. 154: es ist dies das hinzukommende оде, wovon nach S. 118 schon die früheren Sibyllendichter aber in einem treffenderen Zusammenhange der Rede gesprochen hatten. i 4) 3, 51 f.: hier hätten C. Alexandre und Friedlieb nicht die Lesart yoAos auf- nehmen sollen welche in den Zusammenhang des Sazes und der Rede gar nicht passt; denn wennauch dem Dichter die Worte 8, 93 vorschwebten, so konnte er sie doch hier wie sonst oft freier benuzen. 02 124 H. EWALD, Und wirklich war es sichtbar diese Aussicht in neue grosse Verfolgungen der Heiden und Versuchungen der Christen welche den Dichter mitbestimmte sein Werk zu verfassen und in die Welt zu entsenden. Er lebte allen Spuren nach!) in Ägypten, diesem fruchtbaren Boden welcher auch die meisten aller dieser Sibyllenwerke wie oben gezeigt erzeugte. Hier mochte er auch unter den Christen selbst manches erleben was er nicht billigte, ja mit seinem drohenden Sibyllenworte treffen wollte: namentlich mochte er das gerade in Ägypten so früh blühende Mönchsleben nicht gutheissen, wie er durch seine Sibylle unzweideutig zu verstehen gibt 2); und sonst mochte er unter den Christen so manche Schlaffheit seben dass er zum ernsten Kampfe und blutigen Zeugentode zu ermahnen für nóthig hielt. Doch noch weit mehr sollte seiner Sibylle drohendes Wort die Heiden und ihre Herrscher treffen. So entwirft . er denn eine Schilderung des Weltgerichtes und seiner Ankunft só vollstándig und so nachdrücklich wie es noch in keinem früheren Sibyllenwerke ver- sucht war. i Aber mit diesem Hauptzwecke welcher ganz innerhalb der bisherigen Sibyllendichtung lag, wollte sich nun unser Dichter keineswegs begnügen, sondern zugleich etwas ganz Neues seinem Werke zur Zierde einführen. Die Sibylle ist ihm wieder ganz so wie dem ältesten Dichter S. 65 die Schwiegertochter Noah's; und von dem vierten Dichter entlehnt er nach S. 108 das Bild einer tiefgefallenen aber ihre Sünden jezt aufrichtig vor Gott gestehenden Sibylle 5). Ist die Sibylle dieses wunderbare Menschenwesen 1) Ein deutliches Zeugniss darüber haben wir zwar nur in den Worten 3, 46— 48, wonach dem Dichter die Rómische Macht nur erst als die Rómisch - Ägyptische ihre. volle Bedeutung hatte; und wenngleich der Dichter diese Zeilbestimmung aus einem früheren Dichter S. 93 wiederholen konnte, so musste sie doch auch für ihn ihren vollen Sinn haben. Allein auch sonst kennen wir ja nun Ägypten als den alten Mutterboden der meisten dieser Sibyllenwerke. 2) Nach den wichtigen Worten (welche C. Alexandre in seiner lat. Übersezung . garnicht klar. wiedergiebt) o? d’ greng: yayóv te yapoxioniov д' @пёуоутаг 2, 52, woraus sich denn der Begriff der gelobten Jungfrüulichkeit Z. 48 ergibt. Erst deshalb wird nun auch die Sünde der Sibylle dem gemäss beschrieben 2, 342. 346. 3) 1, 287—290. 2, 340 — 346. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 125 aus der geheimnissvollen Urzeit sogar noch vor der Sintfluth, so kann sie nicht nur die Sintfluth gut beschreiben wie sie dieses schon in den vorigen Gedichten leicht that, sondern auch die übrigen Geheimnisse der Geschichte jener lezten Urzeit. Dies ist der Gedanke von welchem unser Dichter aus- ging, und er wollte so einen Mangel füllen den er in den früheren Werken vorfand. Inderthat entsprechen die Geheimnisse der lezien Zukunft denen der üussersten Vergangenheit só sehr; und die ganze menschliche Geschichte hángt auch in ihrer lezten Entwickelung deren Aussicht hier prophetisch er- óffnet wird, só nothwendig wie durch éinen starken Faden mit ihrer frühesten Entwickelung zusammen, dass der Gedanke so vorzüglich die beiden äusser- sten Enden aller möglichen Geschichte mit ihren beiderseitigen Geheimnissen schärfer ins Auge zu fassen und mit gleicher Ausführlichkeit zu schildern ansich ebenso erhaben als fruchtbar und richtig ist. Die wenigen aber so überaus wichtigen Stücke der Urgeschichte wie man sie in der Bibel fand, waren damals unter den Christen auch schon der Gegenstand des mannich- faltigsten Nachsinnens geworden; und in den Sizen der alten Griechischen Gelehrsamkeit wie Alexandrien hatten manche Christen schon angefangen sie mit den ähnlichen und doch wieder sehr verschiedenen Sagen (oder Mythen) der Heiden zu vergleichen !). Wie nun Eusebios einige Zeit später die ganze Biblische Geschichte und Zeitrechnung mit der Heidnischen wissenschaftlich auszugleichen suchte, so bemühete sich unser Dichter die Biblische und die Hésiodische Urgeschichte dichterisch zu verschmelzen und so zugleich ein seinen Griechischen Lesern schon halbbekanntes lebhafteres Gemälde dieser üusserslen Vergangenheit hervorzuzaubern?). Auch der ganze Entwurf seines Werkes war damit unserm Dichter im Wesentlichen schon gegeben. Denn zerfiel jedes etwas längere Sibyllengedicht (wie sich aus allem Obigem ergibt) am nächsten immer in drei grössere Abschnitte, und muss jedes Sibyllenwort vorzüglich die düsteren Folgen der Fehler der Menschen 1) Vgl. die Schriften des Theophilos von Antiochien, des Tatianos, des Alexan- drinischen Klemens und des Origenes. 2) Wiesehr man um jene Zeiten die Urgeschichte wie neu zu bearbeiten liebte, zeigt das jezt wiederentdeckte und im Bien Jahrb. der Bibl. W. veröffentlichte christliche Adambuch (übersezt aus dem Äth. von Dillmann), und andere Schriften. 126 H. EWALD, berühren wobei das christliche dann auch das wahre Heil als den Gegensaz dazu hervorheben kann, so kündigt unsere Sibylle in einem kurzen Vorworte 1, 1—4 zwar án sie wolle alles schildern was nur in Vergangenheit Gegen- wart und Zukunft vermóge der menschlichen Gottlosigkeiten geschehe, sie beschreibt dann aber zunächst in längster Rede nur die so angedeutete Ver- gangenheit, und in dieser wiederum am lüngsten nur díe der Urzeit bis zum Ende der Sintfluth 1, 5 — 282. Nach dem Vorgange des S. 106 erwähnten älteren christlichen Dichters theilte sich unserm Dichter aber die ganze Ge- schichte in dieselben zehn »Geschlechter« deren Reihe die Sintfluth und dann Christus’ Erscheinung in 5+ 2 = 7 und 3 zerlegt: indem er also bei der Zurückführung der Gen. c. 9 genannten zehn Geschlechter bis Noah auf fünfe Biblisches und Hésiodisches zu verschmelzen suchte, schrieb er dem ersten nach der Schópfung die Erfindung des Stüdtebaues Z. 65 — 86, dem zweiten díe aller nüzlichen Künste Z. 87 — 103, dem dritlen díe der Kriegswaffen zu Z. 104 — 108 1); und indem er das vierte als dás der Kriegsmänner 2.109 — 119, das fünfte als dás der Giganten bezeichnete Z. 120 — 124, lenkte er geschickt auf die Biblische Geschichte Noah’s ein die er dann am ausführ- lichsten beschreibt Z. 125 — 282. Das sechste Geschlecht als das erste der neuen Menschheit ist ihm dann nach dem Hesiodischen Ausdrucke das goldene, woran sich die Sibylle mit der höchsten Freude zurückerinnert: denn es ist ihm die Welt der ATlichen drei Erzväter, die er als drei Könige betrachtet Z. 288 — 3052). Раз siebente Geschlecht aber ist ihm dás der Titanen, 1) Hier legte er offenbar die Reihe der sieben Urvüter Gen. c 4 zum Grunde; und dann bezeichnen die zwei ersten mit Qáin dem Städtebauer Gen. 4, 17 das erste, die beiden folgenden mit "7'r» Gen. 4, 18 das zweite, die drei lezten mit Lámekh Gen. 4, 19 —24 das dritte Geschlecht. Denn gerade das zweite von diesen was zweifelhaft scheinen kann, bestätigt sich durch die Namen f'ezyogo: alpyorzosc Z. 98, wovon der zweite aus Hésiodos, der erste gewiss aus чучу als wäre dieses mit “> wachsam einerlei entlehnt ist. Übrigens fand unser Dichter diese ganze Ansicht wohl schon als gegeben vor. Man kann nämlich die Z. 292—297 als so wichtig hervorgehobenen drei „Könige“ nicht anders verstehen, und darf sich an diesen Ausdruck „Könige“ nicht stossen; zwei von ihnen erscheinen ja auch Justin. hist, 36 ‚2 so. A ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 127 deren Zeit mit einer nur durch die göttliche Gnade abgewandten neuen Sint- fluth schliesst Z. 306 — 318: man kann nicht zweifeln dass der Dichter unter diesen Titanen der zweiten Menschheit nichts als die grossen Heidnischen Weltreiche verstand so wie diese von den früheren Sibyllendichtern nach S. 50 f. beschrieben waren, als wären sie auf jenes Zeitalter der drei Erzväter gefolgt !). Denn das nun folgende ist dás der Erscheinung Christus’ welches unser Dichter aber gewiss ebenfalls mit seinem Vorgünger S. 106 bis auf die Zerstórung Jerusalem's begrenzte, sodass ihm die Zeit von da an bis auf seine Gegenwart als das vierte oder das schlimmste eiserne Geschlecht von jenem goldenen an galt und wenn nicht eine zweite Sintfluth doch ein ähnlicher und noch grósserer Weltuntergang ihm den Übergang zu dem zehnten Ge- schlechte machen zu müssen schien ?). Aber das Ende dieser ganzen Schil- derung der Vergangenheit und Gegenwart fehlt jezt hinter Z. 400 5): mit ihm auch der Stillstand den die nach so langer Rede ermüdete Sibylle selbst hier nach der Anlage des ganzen Gedichtes machen muss *). Denn für den ganzen zweiten Haupttheil sparte dieser Dichter das Ge- mälde des geraden Gegentheiles dieser Vergangenheit und Gegenwart auf, der Erscheinung des Weltgerichtes mit dem zehnten Geschlechte und der Folgen desselben; und wie er gerade die entfernteste Vergangenheit am längsten beschrieben hatte, so entwirft er nun vom Weltgerichte eine so ausführliche wohlgeordnete Darstellung wie keiner seiner Vorgänger sie gegeben hatte. Weil er aber, wie oben gezeigt, nur die in allen Tugenden vollendeten Blutzeugen und übrigen ächten Christen des himmlischen Kampflohnes beim 1) Die Zeichnung Z. 306—318 ist freilich ziemlich kurzgehalten und nur das trübe Ende besonders hervorgehoben: aber der Sinn des Dichters kann nicht zwei- felhaft seyn. 2) Nach den klaren Worten 2, 15. 162, 3) Sonst würde ja schon die Aufzählung der grossen Weltgeschlechter bis zum 10ten 2, 15 unvollendet seyn; zwischen dem jezigen ersten und zweiten Buche klafft schon insofern eine Lücke, und sogar was über die Städte Z. 398 ange- fangen ist wird nicht vollendet. 4) Nach der Ähnlichkeit von 2, 340—348. 3, 1—7 musste nothwendig vor 2, 1—5 gesagt seyn dass die Sibylle hier vorläufig aufhóre. 128 H. EWALD, Weltgerichte für wirklich würdig hält, so lenkt die Sibylle nach ihrem neuen Anfange 2, 1—5 und der vorläufigen Zeichnung der grossen Zukunft 2, 6—33 sogleich bei der Schilderung des ersten Vorzeichens dieses Gerichtes Z. 34—153 auf eine Beschreibung dieser Tugenden ein und bedient sich dazu auf eine auffallende aber nach S. 81 verständliche Weise eines Auszuges der ältern Phokylidéischen Zeilen, hier eingeschaltet Z. 56 — 148; wo man jedoch nur zum ersten Mahle an einem grossen Beispiele sieht wie gerne der Dichter sich früherer Baustoffe zum Aufführen seines eignen Hauses bedient. Dann folgt in éiner langen Reihe Z. 154 — 313 die Beschreibung der Tage des Weltgerichtes, welches grosse Gemälde für die ganze Geschichte dieser Vor- stellungen bei den Christen jener Jahrhunderte sehr wichtig ist. Weit kürzer wird endlich die Herrlichkeit der Gerechten in der Vollendung Z. 314 — 330 und die Möglichkeit einer Rettung auch der Verdammten berührt Z. 331—339, bis die Sibylle nach so gedehnter Rede zum zweiten Mahle erschöpft ver- stummt Z. 340—348. 3, 1—81). Allein sofort zum dritten Mahle treibt sie der Geist zu reden 3, 4—7: denn noch ist die Ermahnung an die Heiden zurück 3, 8— 45. Doch lenkt sie die Rede bald wieder zur Gewissheit des Kommens des Weltgerichtes úm, um nun mit ihrem Drohworte besonders einzelne Städte zu treffen 3, 46--62: wo aber die weitere Rede über diese einzelnen Städte welche eben hier folgen sollte, jezt ganz ausgelassen ist 2). Denn offenbar nehmen zwar solche Drohworte über einzelne Städte welche nach S. 68. 77 das älteste in allen Sibyllendichtungen selbst sind, in diesen späteren Werken immer stärker ab jemehr ihre ganze Richtung sich ändert: ganz aber fehlten sie auch in diesem 1) Man sollte nicht verkennen dass die Zeilen 3, 1—3 sehr übel von dem Ende des jezigen 2ten Buches abgerissen und hieher gestellt sind, wo sie so abge- rissen gar keinen Sinn geben. Das ursprüngliche Zusammengehören des Stückes 3, 1—96 mit den 2 ersten Büchern ergibt sich schon hieraus; und auch der Sprachgebrauch führt auf dasselbe, wie das окб» ein wenig sich erst bei unserm Sibyllendichter 1, 238. 250. 2, 347. 3, 3 und dann bei dem wieder spätern findet. 2) Die Lücke gerade bei den Städten ist hinter 3, 61f. ebenso unverkennbar wie hinter 1, 398— 400. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 129 Werke nochnicht, ebensowenig wie die plózlichen Weherufe der Sibylle 1). Das Werk schloss wahrscheinlich mit einer ebenso erhabenen als scharfen Gegenüberstellung der durch den Antichrist und andre Antriebe bewirkten lezten Weltverwirrung und der sie plözlich stillenden Ankunft des „wieder in die Welt tretenden« Christus Z. 63 96: aber dieser ganze dritte Haupt- theil ist jezt bald nach seinem Eingange nur sehr verstümmelt erhalten. Das spätere Alter und die geringere Selbständigkeit dieses Dichters ver- räth sich vorzüglich auch därin dass er aus den früheren Sibyllenwerken und andern Gedichten verwandten Inhaltes sovieles wörtlich oder wenig verändert wiederholt; und vorzüglich sind es die beiden oben zulezt beschriebenen Werke die er im zweiten und noch mehr im dritten Haupttheile seines Werkes sehr stark benuzt. Dadurch ist denn auch die Farbe der Rede sehr bunt geworden 2), und manche ältere Redensarten haben unvermerkt einen andern Sinn angenommen 5). — Ausserdem zeigt sich bei diesem Dichter zum ersten mahle eine die allen Geseze des Griechischen Versbaues immer freier überspringende Sprache; und während er viele uralte Homerische und Hésio- dische Worte bloss künstlich wiederholt, bewegt er sich in immer aufge- lösteren Griechischen Zeilen. Theilweise fängt diese Freiheit schon in den ]) Wie sich solche bei unserm Dichter mitten in der Rede 2, 158. 3, 55 finden. 2) So ist die künstliche Art des Andeutens des verborgenen Sinnes oder Lautes eines Namens durch Buchstaben nach S. 113 f. in der Stelle 3, 24--26 gewiss aus dem vorigen Sibyllendichter beibehalten, da unser Dichter nach 1, 141—146. 326—331 in einer andern Art diese Kunst treibt; und derselbe Name Adam welcher in jener Stelle 3, 24— 26 nach der Kunst und dem Sinne des vorigen Dichters ausgelegt wird, hat 1, 81 von unserm Dichter selbst schon eine ganz andre Erklärung gelitten. 3) So kann Beliar in den Worten 3, 63—70 im ursprünglichen Sinne dieser Schilderung nach dem frühern Sibyliendichter sicher nur den Mager Simon bedeuten, schon weil er als von den Sebasténern herkommend bezeichnet wird: diese können nach damaligem Griechischen Sprachgebrauche nur die Einwohner Samariens und daher dichterisch überhaupt die Samarier seyn, aus welchen dieser Simon abstammte. Allein unser Dichter versteht unter ihm hier in der "Weiteren Schilderung 3, 73 und kürzer schon oben 2, 167 nur den Antichrist selbst, nicht aber Nero'n von welchem gerade unser Dichter nirgends mehr redet. Hist.- Philol. Classe. VIII. 130 H. EWALD, lezten der vorigen Werke an, und schreitet in den wiederum späteren weiter fort. Ob dieses Werk schon bei Lactantius und seinen Zeitgenossen angeführt werde ist zweifelhaft oder vielmehr unwahrscheinlich !). 8. Das siebente und lezte Sibyllengedicht (B. XI— XIV). Dass die auch in den Handschriften weniger háufig verbreiteten vier lezten der jezigen Bücher die am wenigsten anziehenden sind, kann man ebenso leicht fühlen wie dass sie die spätesten sind wenigstens im Allgemeinen herausfinden. Auch ist im Ganzen leicht deutlich dass die Sibyllendichtung sofern sie in den lezten Jahrhunderten nur noch in christlichen Händen `fort- blühete und für christliche Zwecke diente, mit dem vorigen Gedichte schon sogut wie ihren Abschluss gefunden hatte. Denn das vorige ist noch unter den Verfolgungen der Christen geschrieben: aber bald darauf wurde ja das Christenthum im Rómischen Reiche herrschend; und da hórte diese Dichtungsart fast von selbst auf. Ist doch Sibyllendichtung keine von dénen welche durch das ewige Daseyn und Leben der Dichtung selbst auch zugleich für ewige Zeiten mitgegeben sind und die, wo irgend Dichtung sich hóher ausbildet, unter allen Völkern ewig blühen können: sie ist vielmehr nur eine sehr eigenthümliche Dichtungsart, die seitdem sie aus dem veralternden und er- schlaffenden Heidenthume in den Dienst der gegen dieses kämpfenden wahren Religion getreten war eben auf diesem Grenzgebiete ihren rechten Dienst fand und wie eine Zwittergestalt geboren stets nur in diesem Zwilterwesen 1) Die Zeile 3, 27 scheint wiederzukehren bei Lactantius instit. 2, 11: aber sie steht hier in einem andern Zusammenhange, und kann von unserm Dichter aus einem früheren wiederholt seyn. Noch weniger folgt aus des Kaiser's Constantin (or. ad coet. Sanct. c. 18) Äusserung die Sibylle habe im 6ten Geschlechte gelebt dass er dabei 1, 287 im Auge haben musste, da diese Eintheilung aller Zeiten schon in einem früheren ja schon im frühesten Gedichte vorkommen konnte. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 131 bleiben konnte, Griechisch gekleidet und scheinbar Heidnisch, aber in dieser Verhülung sich desto kühner gegen das Heidenthum erhebend, eine Stimme zwar noch immer so wie einst unter den Heiden wie aus dem tiefen dumpfen Boden gespenstisch emporschallend, aber aus der Mitte der tiefgebeugten Ge- meinde des wahren Gottes. sich wie im Mangel eines bessern Mittels gegen die Weltmächte mit desto wunderbarerer Kraft erhebend und im stillen manche empfängliche zartere Herzen bezaubernd. So hatte sich diese Zwitterdich- lungsart bisjezt Jahrhunderte lang geregt, hatte in dieser langen wechsel- vollen Zeit ihr gutes Recht gehabt, hatte allmählig viel zur Verchristlichung der Rómischen Welt gewirkt, und feierte gerade als der grosse Umschwung mit Constantin erfolgte einen grossen Sieg in der Welt. Denn es ist bekannt dass Constantin, hierin der gelehrige Schüler des Lactantius, nicht wenig durch gewisse Sibyllenzeilen gerührt und das Christenthum zu billigen bewogen wurde 1), obwohl damals allerdings sowohl der erlauchte Schüler als der ge- lehrte Sachwalter weder das Geschick noch die Musse und Lust halten den geschichtlichen Ursprung solchen Zeilen genauer zu verfolgen. Die Wahrheit bricht durch alle Hüllen sowie durch alle Grenzen. Aber nun war ja soweit die Zeit es erlaubte alles erreicht was die christlichen Sibyllendichter wünschen konnten: das Christenthum war zur Herr- schaft gelangt, und solche wie aus den dumpfen Hóhlen der Erde hervor- schallende Stimmen brauchten sich in ihm nichtmehr zu bemühen. Es war auch vermittelst dieser Stimmen siegreich geworden. So hörten denn diese Stimmen wirklich auf: man kann nicht nachweisen dass noch nach Constantin's Zeiten Sibyllenwerke entstanden. Wir besizen nun allerdings noch jenes umfangreiche Sibyllenwerk wel- ches die lezten 4 Bücher der Sammlung füllt, und ich bemerkte schon kurz zuvor dass dieses allen Anzeichen zufolge viel später seyn müsse. Zwar "wollen die neuern Bearbeiter der Sibyllinen diese Bücher noch etwa in das 1) Das Nähere ersieht man am besten aus des Kaisers eigner Rede „ап die Ver- sammlung der Heiligen“ с. 18 f. (hinter Eusebios KG. nach Valesius), und wieferne damals auch Virgil's vierte Ekloge so wichtig werden konnte, habe ich in der Anzeige dieser Abhandlung in den Gött. Gel. Nachrichten 1858, S. 1131 . weiter erläutert. R2 132 'H. EWALD, Ende des dritten Jahrh. n. Ch. sezen: allein sie nehmen dabei an dass alle die vielen Römischen Herrscher welche im XIVsten В. nur nach gewissen Kenn- zeichen angedeutet nicht mit ihren deutlichen Namen bezeichnet werden, gar keine geschichtliche Herrscher waren sondern von diesem Dichter bloss seiner Einbildung von der Entwickelung der Zukunft zufolge so gezeichnet seien. Dies aber ist auf jeden Fall unrichtig so zu denken. Denn diese vielen Herr- scher werden vom Dichter ganz ebenso geschildert wie die in den drei er- sten Büchern beschriebenen, und schon äusserlich lässt sich kein einziges. Zeichen auflinden dass der Dichter sie anders als jene betrachtet wissen wollte. Auch trägt alles was der Dichter von diesen Herrschern seine Sibylle weis- sagen lässt, so wenig die Art und Weise der Einbildung und des Versuches die Gestalten einer wirklichen Zukunft zu schildern dass das einzelne Ge- schichtliche überall aus diesen Bildern in den stärksten Zügen hervorstrahlt. Auch müsste doch wenn der Dichter von der Schilderung der Vergangenheit und Gegenwart in die der reinen Zukunft übergehen wollte, dieses durch ir- gendein Zeichen von ihm angedeutet seyn, wie man diesen Übergang in allen früheren Sibyllengedichten so leicht merkt: aber die Schilderung läuft hier wie in einem Zuge gerade fort. Da nun der Dichter am Ende des Xlllten und im Anhange des XIVten B. in der Reihe der Rómischen Herrscher schon bis Odenatus gekommen ist, so merkt man leicht dass er mit den noch fol- genden Herrschaften die geschichtliche Zeit um sehr vieles weiter herab- geführt haben müsse, sollten auch keine Zwischenherrschaften etwa. durch spätere Verstümmelung hier ausgefallen seyn. Und ebenso sicher ergibt sich aus allen. übrigen Anzeichen der verschiedensten Art dass unser Dichter um vieles später seyn muss als der vorige. Aber ich meine sogar es sei nachweisbar dass unser Dichter erst um die Anfänge der Islämischen Herrschaft im siebenten Jahrh. nach Ch. schrieb. Dieser Beweis lässt sich freilich bei diesem Dichter von höchst selisamer Art und aus einer gerade von der Griechischen Seite her so wenig näher be- kannten Zeit nicht so leicht geben wie bei den vorigen Dichtern: es bedarf dazu einer besondern Abhandlung die ich selbst später nachzuholen die Ge- legenheit nehmen werde. Auch ist alles was unser Dichter über die Zeiten der späteren Römischen und der Byzantinischen Herrscher andeutet, ge- ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 133 schichtlich só denkwürdig dass es auch abgesehen von den hier vorliegenden grossen Schwierigkeiten eine nähere Betrachtung verdient Aber wenn er erst in dieser Zeit schrieb, und dazu in einem Lande welches damals von den Arabern schon unterjocht war, so hatte sich ja für ihn fast dieselbe Zeit erneuert unter welcher die früheren Sibyllendichter ihre Werke entworfen und ausgeführt hatten. Es ist aber unverkennbar dass Ägypten sein Vaterland war und er wahrscheinlich in Alexandrien selbst wohnte: denn er spielt in seinem ganzen langen Werke, besonders absichtlich aber gegen das Ende hin só oft und só bestimmt auf Ägypten als das ihm nächste Land !) und auf Alexandrien 2) án dass man über sein Vaterland nicht im Zweifel bleiben kann. Wenn nun die früheren Sibyllendichter auf die Römischen Herrscher als auf Heidnische hingeblickt hatten, so hatte dieser Gegensaz für unsern Dichter schon ganz aufgehört: nachdem sie zu seiner Zeit seit über dreihundert Jahren und mit ihnen das ganze weite Römische Reich christlich geworden waren, sezte unser Dichter das Christenthum bei ihnen und ihrem Reiche schon ein- fach als bestehend voraus; ja er geht vom Unterschiede der Religionen über- haupt nicht aus, da auch die Araber anfangs die Christen wenig drückten; und sein langes Werk ist insofern so farblos dass man ihn beinahe ebenso leicht für einen Heiden halten könnte, wennnicht gewisse beiläufige Zeichen und Bemerkungen ihn offenbar genug als Christen darstellten 5). Aber er überblickt auch schon die ungemein lange Reihe dieser Römischen Herrscher als stánde er völlig ausserhalb ihres Kreises und als könnte er aufs freieste auch die Wünsche und Gefühle seines geliebten Ägyptischen Vaterlandes sogar gegen sie aussprechen. Er bedauert dass Ägypten seit der lezten Kleopatra - seine Freiheit verloren und nie wiedererlangt hat*) und dass die Römischen ` ]) Man nehme die Worte 11, 119. 219 f. 233 f. 259 f. 298 f. 305 f. 12,21f. 42. 62. 13, 43—49. 14, 225. 284 — 288. 346 zusammen, um den rechten Eindruck von ihnen allen zu empfangen; einmahl 14, 297 nennt er es sogar das heilige D - Agypten. 2) Besonders nach 13, 50—53. 14, 296—298; Alexandrien heisst gar die 13, 49. 3) Solche Zeichen nämlich wie 11, 307—314. 12, 30—34. 110—112. 232. 2911. 4) Nach 11, 298 ff. 134 H. EWALD, Herrscher es stets hart drückten !); wiewohl sich leicht versteht dass er als Christ auch. die Araber nicht lobt und Ägypten immer noch als das frucht- barste und für das Rómische Reich fast unentbehrliche Land wie mit einem leicht wieder anzuknüpfenden Bande von Rom abhängig denkt?). Allein die ganze bisherige menschliche Geschichte aller Vólker und Reiche scheint ihm eben bei weitem mehr des Übels und aller Untugenden als des Glückes und der Tugenden voll gewesen zu seyn 5): und erst von der Zukunft hofft er Besseres *). Unter den schweren Leiden der Byzantinischen Welt im siebenten Jahrhundert und zumahl nach dem Aufkommen des Isläm’s konnte ein Christ sehr wohl beim Überblicke aller vergangenen Geschichte in eine solche unmuthige tiefe Trauer verfallen: allein unser Dichter versinkt dabei nur in die längst verklungene Sibyllenstimmung zurück, wie unfähig eine höhere ` Lösung so schwerer Lebensräthsel zu finden und zugleich wie durch das eifrige Lesen der wieder eifriger aufgesuchten alten Sibyllenbücher dahin geführt. So entwirft er denn mit Hülfe dieser damals schon ziemlich alten Bücher ein leztes Sibyllenwerk, im Äussern ihnen nicht unähnlich, aber inderthat vielmehr von einer vóllig verschiedenen Art. Es ist fast nur noch eine lange Weligeschichte vom Babylonischen Thurmbaue an bis zu seiner Zeit, wo der Reihe nach alle die Weltreiche und beim Römischen auch alle die einzelnen Herrscher sogar die auchnur am kürzesten oder bloss theilweise herrschten vorgeführt werden: aber die Sibylle kann von ihnen allen nur weissagen, von den meisten und ihrer Zeit nur Bóses ahnen: und so ist das Ganze wie 1) Nach 12, 1. 18 ff. 2) Wie man besonders aus dem Ende des ganzen Werkes sieht, wo der Dichter sogar ahnet einst werde von ltalien aus die doppelte Weltherrschaft wieder zu éiner werden 14, 284— 295; womit die andre Ahnung zusammenhüngt der Osten werde nie siegen solange Ägypten die Kornkammer Italiens sei 13, 37—45. 3) Wie er dieses sogleich zu Anfange als den Inhalt des ganzen Werkes andeutet 11, 1—5. 4) Nämlich in den Worten 14, 347—361: diese aber konnten sicher auch im Sinne des Dichters den lezten Schluss des ganzen langen Werkes bilden, und wir haben keine Ursache das Werk hinten für verstümmelt zu halten, obwohl die Sibylle am Ende des vierten Buches nicht wie an dém der drei vorigen von sich selbst redet. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER SIBYLLISCHEN BÜCHER. 135 eine in Weissagung eingekleidete Weltgeschichte. Ermahnungen und Beleh- rungen werden nur kurz eingefügt, die Hoffnung selbst am Ende nur mit wenigen Worten gezeichnet (S. 134); die Sibylle selbst wird nur an wenigen Stellen heftiger bewegt und von Theilnahme fortgerissen. Auch zerfällt dem Dichter das Ganze nichtmehr wie einem ächten Sibyllendichter in drei Haupttheile: er richtet sich wegen der Stillstände die er in der ganzen Sibyllenrede machen will, bloss nach den tauglichsten Abschnitten der langen Weltgeschichte selbst. Das ganze Alterthum bis zum Rómischwerden Ägyptens bildet ihm den ersten Abschnitt; in der dann bis zum Ende des Ganzen folgenden Reihe der Ró- mischen Herrscher ist es die für diese so klügliche Zeit des Aufkommens der neuen Herrschaft der Sásániden und dann die eben so klügliche bei dem Tode Odenatus, wo eine weitere Abschweifung und ein Stillstand dem Dichter am passendsten schien. Sein Werk zerfällt also danach in vier Theile, welche hier auch noch äusserlich als vier Bücher hervortreten. Am Ende jedes der drei ersten dieser vier Abschnitte muss auch die Sibylle nach der alten Kunst solcher Gedichte vor ihrer kurzen Ruhe etwas stärker erregt werden !): sonst unterbricht fast nichts die Rede dieses längsten aller Sibyllen- werke. Die einzelnen Namen der vorhómischen und dann besonders der ungemein vielen Rómischen Herrscher von Augustus an werden stets nur durch den Anfangsbuchstaben eines jeden in seiner Reihe oder durch andre deutliche Zeichen angedeutet: dies ist eben hier ein wesentlicher Theil der Dichtkunst. Aber auch die Zahl der Jahre jedes der vorRómischen Welt- reiche und dann der längern Abschnitte der Römischen Geschichte selbst schaltet unser Dichter ein, was für uns aus andern Gründen nicht unwichtig ist 2). Man sieht in alle dem gleichsam das Greisenalter der Sibyllendichtung, 1) Nach 11, 315—324. 12, 293—299. 13, 172 f.: leider ist gerade die erste Stelle auf deren Sinn das Meiste ankommt wenn man die Sibylle unseres Dichters richtig fassen will, in der Mitte verstümmelt. Er dachte sie aber danach ganz entsprechend als eine Panopische d. i. Ägyptische, ähnlich wie der dritte Si- byllendichter nach S. 98. 2) Um diese Zeilbestimmungen die der Dichter sicher aus gelehrten Mitteln schópfte hier zusammenzustellen, so gibt er 1) der Ägyplischen als der ältesten Herr- schaft 1820 Jahre nach dem richtigen Sinne der Worte 11, 42 f. (wo dwdeswırs 136 |. H. EWALD, und den weiten Abstand welcher dies lezte Gedicht noch vom vorigen trennt. Wenn uns die beiden lezten der früheren Sibyllendichter schon an die Schwelle des Mittelalters sezten, hier haben wir es völlig. Wo es dem Dichter leicht war, legt er überall die früheren Werke seiner eignen Darstellung zu Grunde. Aber indem er ibre Worte und Süze wiederholt, geben sie ihm sehr oft schon einen ganz andern Sinn, sodass man sich hüten muss nach ihm dén der früheren Dichter ohne weitere Unter- scheidung zu bestimmen 1). Überhaupt versteht sich dass man aus diesem Werke auch für die grosse Geschichte manche sehr lehrreiche Züge schópfen kann, aber fast nur aus der lezten Hälfte desselben ?). Doch der Raum erlaubt uns nicht über dies späteste und längste aber auch langweiligste aller dieser Werke weiter zu reden: ich bemerke daher nur noch dass auch dieses, дехсдос negir. zu lesen ist); 2) der Persischen (welche hier wie bei dem ältesten von unserm Dichter bei den Weltreichen überhaupt zu Grunde gelegten Sibyllenwerke S. 51 die Assyrische bezeichnen soll) 1020 Jahre nach 11, 41—50; 3) der Medischen 107 nach 11, 66 f.; 4) der Äthiopischen 47 Jahre nach 11, 72 f. und der dann folgenden Herrscherlosigkeit (der Dodekarchie) drei nach Z. 73— 75. Alle diese Zahlen sind wenigstens insoferne denkwürdig als der Dichter sie aus Quellen schópfte welche schon lange vor der bekannten Chronographie des б. Synkellos in Ägypten viel gebraucht seyn mussten. Von 11,89 an wird die ganze Schilderung unklar: 70 Jahre werden Z. 93 f. genannt; dann 87 Jahre der Griechischen Herrschaft Z. 184, 233 der Ptolemäi- schen bis zum Anfange der Herrschaft Kleopatra’s Z. 244. Wenn dann die Jahre der Römischen Macht bis auf Augustus 11, 273. 12, 12 f. nur auf 620 bestimmt werden, so müssten diese etwa vom Ende der Medischen Herrschaft an gerechnet seyn. Zulezt werden von da bis auf Commodus' Tod 12, 230—235 noch 242 Jahre gerechnet, welche C. Alexandre in 222 verbessert. 1) Wenn also unser Dichter 11, 198 die Lesart Kgovióuo vóSov welche er nach 5. 52 in seiner Handschrift des ältesten Dichters vorfand auf den Alexander bezieht, so muss man sich hüten darin sogleich den Sinn dieses ülleren Dichters selbst zu finden; ähnliche Veränderungen zeigen sich 11, 216. 246 ff. 12, 176 und sonst. Von Nero als Antichrist spricht übrigens aus guten Gründen weder unser noch der vorige Dichter mehr. 2) In der älteren Römischen Geschichte nennt unser Dichter 11, 265 f. sogar vor Cäsar alle Herrscher Cäsaren. ENTSTEHUNG INHALT UND WERTH DER sIBYLLISCHEN BÜCHER. 137 obwohl verhältnissmässig gut erhalten, dennoch nicht ohne vielerlei Verstüm- melungen in die Sammlung een ist, 9. Die Entstehung der jezigen Sammlung. Aber wir kónnen nun nachdem alle die einzelnen Stücke der ganzen jezigen Sibyllinensammlung vollkommen wiedererkannt sind, auch die Entste- hung dieser Sammlung selbst leicht einsehen. Von jeher mag nach S. 91 das kleine zweite Sibyllengedicht dem ersten angehängt gewesen seyn; auch das dritte wurde nach S. 103 noch im Laufe des zweiten Jahrhunderts mil diesen zweien näher verbunden: aber erst wieder später hüngte man das vierte und das fünfte hinten an, wie oben gezeigt. Allein noch zu Lactan- tius’ Zeit lagen die Sibyllenbücher im Allgemeinen einzeln und leicht trennbar vor 1). Bedenken wir indessen dass die Werke des dritten vierten und fünften Dichters noch jezt auch ihrer geschichtlichen Aufeinanderfolge nach richtig gereihet sind, so waren diese doch damals sicher schon den zwei älteren angehängt, und als Schluss ihnen das oben beschriebene nichtSibyllische Gedicht hinzugefügt. Denn diese Stücke, zusammengenommen sechs, bilden offenbar die älteste grössere Sammlung und sind noch der festeste Kern der jezigen: eine kundige Hand konnte sie vor Lactantius’ Zeit schon so zusam- mengestellt haben, während die einzelnen noch vollkommen leicht trennbar waren. Es kamen dann die weit längeren Werke des sechsten und weiterhin des siebenten Sibyllendichters hinzu: bis endlich bereits im vollen Mittelalter ein Byzantiner alle diese Bücher sorgsam sammelte aber sie nun auch schon ihres zu grossen Umfanges wegen in eine neue gedränglere Sammlung zu bringen beschloss, als könnten sie alle so zusammengedrängl wohlgeordnet und an vielen Stellen abgekürzt ein einziges Werk bilden. Er stellte nun das sechste Werk voran, offenbar bloss weil es die Weltgeschichte ammeisten von vorne an ausführlich erzählt. Die folgenden 6 Werke liess er in der Reihe in welcher er sie vorfand, schnitt aber den Eingang des dritten ab um dafür den ihm passender scheinenden des vierten an die Stelle zu sezen (S.106f.). Dem ganz eigenthümlichen grossen lezten Werke worin die Welt- 1) div. institut. 1, 6. Hist.-Philol. Classe. VIII. 5 138 H. EWALD, ENTSTEHUNG INHALT U. WERTH D. SIBYLLISCHEN BÜCHER. geschichte am weitesten fortgeführt ist, wies er entsprechend seine Stelle ganz am Ende an. Da sich in den Werken vieles mehr oder wenig ver- ündert wiederholt, so verkürzte er offenbar am liebsten solche Stücke: zu diesen aber gehören ammeisten die Stücke über die einzelnen Städte und Länder. Auch sonst verkürzte er manches, sezte aber von sich selbst nichts hinzu. Von ihm stammt auch gewiss die Eintheilung dieser so eingerichteten Sammlung in 14 Bücher: und wenn wir bisjezt das 9te und 10te nochnicht wie- dergefunden haben, so können sie vielleicht noch künftig wiederentdeckt werden!). Allein wir besizen ja auch noch die Vorrede selbst welche dieser lezte Sammler der grossen Sammlung von 14 Büchern hinzufügte. Er gibt darin wenig geschichtliche Erklärungen über die Sibyllen, weist auf den christ- lichen Nuzen dieser Werke nach Byzantinischer beschränkter Weise hin, und sagt deutlich er selbst habe diese Sammlung gemacht. Diese Vorrede findet sich in den meisten vollständigeren Handschriften 2), und wir können nicht bezweifeln dass die jezige Sammlung wirklich von diesem Vorredner herrühre. Er erwarb sich wenigstens das Verdienst durch die Sammlung die zerstreuten Werke für die Zukunft fester zu erhalten. Aber so können wir hier schliesslich an einem klaren Beispiele sehen wie solche Sammlungen verwandter Schriften wirklich entstanden: und dieses so leicht einleuchtende Beispiel kann uns rechtwohl dienen ähnliche nur etwas weiter zurückliegende und vielleicht etwas verwickeltere Fälle richtig zu erkennen. Die Entstehung des B. Henökh, welche ich 1854 in der der K. Gesellsch. der WW. vorgelegten Abhandlung erklärte, und die so mancher andern grösseren Werke ist ganz ähnlich; und der Unterschied wäre etwa nur der dass unser späte Sammler von sich selbst aus nichts mehr hinzuzusezen wagte, während in den früheren besseren Zeiten solche Sammler auch noch die lezten Dichter Propheten oder Geschichtschreiber selbst waren und daher auch von sich selbst aus manches hinzuzusezen und umzuarbeiten wagen konnten. Man soll solche Sammler oder lezte Bearbeiter nicht höher schäzen als sie zu schäzen sind, aber auch ihre Verdienste nicht verkennen. 1) Wenigstens ist es ganz unpassend wenn Friedlieb die in den Handschriften so genannten XI—XIV Bücher als IX—XII bezeichnet, ` 2) Und daher auch in allen neueren Ausgaben. Ueber den geschichtlichen Sinn des XIVten Sibyllischen Buches. Als Nachtrag zu der vorigen Abhandlung. Vorgetragen in der öffentlichen Sizung der К. Gesellsch. der Wissenschaften am 13ten Nov. 1858. . Gegen den Schluss der vorigen Abhandlung ist gesagt dass den ge- schichtlichen Sinn und Inhalt dieses Buches und damit zugleich den lezten Sinn und Zweck aller der vier lezten Sibyllischen Bücher richtig zu finden eine für unsre heutige Wissenschaft ebenso wünschenswerthe als äusserst schwierige Aufgabe sei; dass niemand bisjezt diese Aufgabe zu lósen auchnur versucht habe, wohl aber bisher Ansichten über dieses Buch aufgestellt seien welche völlig verkehrt und ungerecht ansich, wenn sie sich bewährten, sogar schon jeden Versuch dieser Art überflüssig machen würden, wäre es nicht zu deutlich dass sie mehr aus Verzweiflung einer so schwierigen Aufgabe zu genügen als aus guter Erkenntniss der Sache selbst entsprossen sind. Ich will mich nun bemühen die Lösung dieser Aufgabe hier so gedrängl als möglich vorzulegen; und da es gleichgültig ist von welcher Seite aus der verwickelte Beweis für etwas mannichfach Dunkles begonnen wird, wenn das Dunkle: nur zulezt von allen Seiten richtig entfernt wird und die Wahrheit rein aufleuchtet, so will ich hier 1. von einer scheinbar geringen Schwierigkeit ausgehen welche sich nur um das richtige Verständniss einer Redensart drehet, einer solchen welche wie hun- dert andre bei Dichtern vom Winde der sirómenden Rede herbeigeführt scheint, die man leicht ganz übersieht und die doch richtig verstanden und dann ins- besondre richtig angewandt hier in so grosser allgemeiner Finsterniss den ersten sicheren Lichtfunken entzünden kann. Gegen das Ende des ganzen S2 140 H. EWALD, aus 361 Zeilen bestehenden Buches heisst es Z. 300 mit ächter altSibyllischer Wendung: Aber wann éinst drei Knaben Olympische Sieger seyn wérden und sogleich erhebt sich die Frage ob diese Redensart hier im eigentlichen oder in einem bildlichen Sinne und dann in welchem bildlichen sie zu fassen sei. Da der Dichter der vier lezten Sibyllischen Bücher allen Anzeichen zufolge ein Christ und dazu ein erst in ziemlich späten Zeiten lebender war, so werden wir schon von vorne an wenig geneigt seyn sie im eigentlichen Sinne zu verstehen. Denn die Olympischen Kampfspiele bestanden zwar noch bis zum lezten Jahre der Herrschaft Kaisers Theodosius: allein die Tage wo man den Ruhm der Olympischen Kampfsieger über alles sezte und etwa auch nach einzelnen Merkwürdigkeiten die bei diesen Spielen vorgefallen waren die Zeit selbst bestimmte, waren jezt auch für die Griechen lüngst verflossen; und alle solche hohe Pindarische Redensarten hatten auch bei den Dichtern längst nur noch eine bildliche Bedeutung. Oder gesezt auch in diesen späten Zeiten hätten einst wirklich drei Knaben auf éinmahl Olympischen Siegesruhm gewonnen, wie wenig auffallend wäre das zu einer Zeit wo sich kaum noch angesehene würdige Männer etwa eines Nero Beispiele folgend um solche Siege bemüheten? Aber für Christen hatten sie dazu längst ihre ganze erste Bedeutung verloren: während unser später Griechisch- Christlicher Dichter in dem Zusammenhange seiner Rede diesen Olympischen Kampfsieg dreier Knaben gar als ein Ereigniss sezt an welches sich eine Wendung der grossen Welt- geschichte jener Zeit knüpfe. Hier nun erinnert man sich unwillkührlich an díe Art wie manche unsrer Sibyllendichter die Kónige und Kaiser sonst wenn- auch nur wie scherzend Kroniden oderauch Zeussóhne nennen (5.52 ff. 136): sie hàtten sie ebenso leicht Olympier nennen kónnen, und das Obsiegen in den Olympischen Spielen kann so in jenen Zeiten wo das Erlangen der Kaiserlichen Macht wirklich wie ein Glücksspiel war nur eben dieses Gewinnen der höchstens irdischen Würde bedeuten. Erlangten nun drei Knaben wie auf einmahl diese höchste Macht der damaligen Christlich - Rómisch - Griechischen Welt, so konnte ein solches seltsames Ereigniss allerdings zum hohen Merk- mahle der Zeit dienen: es traf aber im J. 668 ein, als Heraklios’ entarteter Enkel Kaiser Constans II unter einer höchst verwickelten Stellung aller öffent- ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 141 lichen Verhältnisse der damaligen Welt in Syrakus ermordet ward. Dieser Constans oder wie ihn die Morgenländer nannten Kustus, nach dem Morde des älteren Sohnes Héraklios durch die Martina und dann dem kurz darauf folgenden Morde dieser mit ihrem Sohne Herakleónas als áltester Sohn jenes zur Herrschaft erhoben, bald aber selbst auch der Mórder seines jüngeren Bruders Theodosios und seitdem vom Volke der zweite Kain genannt, ernannte seine eignen Söhne sämmtlich zu Autokratoren oder Augusti!), rief sie dann nachdem er am Ende vieler Kaiserlicher Irrfahrten in Syrakus zu bleiben beschlossen hatte, zu sich in seine neue Hauptstadt, erlebte aber dadurch nichts als dass das gesammte Volk von Constantinopel sich desto einmüthiger weigerte die drei Knaben von sich zu lassen. Diese drei kleinen Augusti schienen seitdem wie unzertrennlich: was sich noch in viel späteren Zeiten aufs rührendste dádurch zeigte dass das Volk, wie es drei göttliche Personen gebe, só auch diese drei Brüder zugleich zu wirklichen Herrschern haben wollte. Als nun ihr unseliger Vater nachdem er von 641 an 27 Jahre hin- durch zum grossen Verderben des damaligen Römischen Reiches geherrscht hatte, durch einen seiner Kammerherrn im Bade erstickt war, da schon konnte man mit unserm Sibyllendichter sagen, hatten die drei Knaben von der Liebe und Verehrung des Volkes Neurom's getragen das Olympische Spiel gewonnen: die Würde von Augusti zu welcher sie von ihrem Vater sämmtlich ernannt waren, besassen sie beim plózlichen Tode desselben alle drei schon längst wirklich, und noch war nichts über den Vorzug und die Nachfolge - eines einzelnen unter ihnen entschieden; sie waren aber auch damals noch wie Knaben, da sogar der älteste als Constantinus III bekannt gewordene erst nach seiner Zurückkunft vom Zuge nach Sicilien bärtig wurde und nun unter dem ihm seitdem stets gebliebenen Beinamen Pogonatus von seinen jüngern Brüdern Tiberius und Héraklius unterschieden wurde. Allein die grosse Entfremdung welche seit den lezten Jahren zwischen Syrakus und Constantinopel eingetreten war, zeigte sich nun besonders dárin dass das Sicilische Heer sofort nach Constans Ermordung einen eignen Au- gustus aufstellte, der auch den Purpur annahm: dieser, ein geborner Armenier l) Dass Constans selbst die drei zu Augusten ernannte erzühlt noch ganz richtig nach den älteren Quellen Barhebraeus im chron. syr: p. 110 ff. 142 | Н. EWALD, Namens Mizizios, hatte weiter keine bedeutende Vorzüge als dass ег ein ebenso bildschöner als unschuldiger Jüngling war !), wie die Römischen Heere seitdem sie das Kaisermachen nebenbei als Handwerk zu treiben gelernt hatten, oft wie kindisch solche Puppen als Kaiser aufstellten. Es versteht sich aber leicht dass man in Constantinopel bei dem heissen Eifer für die geliebten drei üchten Kaiserkinder ebenso rasch diesen Nebenkaiser zu vernichten beschloss, und dem ältesten ächten Kaiserkinde auf seiner Fahrt nach Sicilien ein starkes Kriegsheer mitgab welches ihn dennauch schnell vertilgte und seine Anhänger schwer strafte. Aber es ist als fühlten wir noch den lebendigsten Hauch jener Tage wenn unser Sibyllendichter jenen ersten Worten über die siegreich werdenden drei Knaben unmittelbar die andern anfügt Z. 301 f.: und wann man ságen wird göttlich erhabene Sprüche begehrten Sühne zu bringen zuerst mit dem springenden Blute des Milchthiers ?)) : denn unsireitig mischte sich auch die Byzantinische Geistlichkeit in diese hohe Volksangelegenheit; und jenen Nebenkaiser mag man in Constantinopel spott- weise das Lamm genannt haben. Aber damit man noch weniger zweifle auf welchen Fall die Sibylle hindeute, wird zuvor in einem Zwischensaze nachgeholt: — dreimahl wird dann ersticken der Höchste die furchtbare Kehle dessen der weit über alle wird schwingen die traurige Lanze — 5): womit also auch der Tod des Erstickens des tiefverhassten Kaisers und wel- ches göttliche Geschick man darin fand malerisch beschrieben wird. — War damit nun für die ersten-kundigen Leser und Enträthseler des Sibyllenwerkes die hier gemeinte Zeit deutlich genug bezeichnet, so führt die Sibylle fort die 1) S. Georg. Cedrenus' hist. L p. 762 f. der Bonner Ausgabe; in Theophanes' chronogr. ЇЇ. p. 176 f. heisst er verdorben Mezius. 2) Das фосбоог der Handschriften welches C. Alexandre in фоссоъог als Mittel- wort verändern will, ist vollkommen richtig: aber für Az£z ist Ae£aı zu lesen. 3) Die Lesart ov у úv nevĝaléov 7. 304 welche C. Alexandre wiederum weil er den Sinn des Ganzen nicht versteht veründert hat, ist vollkommen richtig, da die ganze Redensart nur den weitmächtigen aber verderblich herrschenden Kaiser beschreibt vgl. 7. 128: aber Z. 303 ist für dye; vielmehr dei zu lesen von буш in gleicher Bedeutung mit &yyw, da der Zusammenhang dieser Wur- zeln nicht zweifelhaft ist. Dreimahl wie nach der Zahl seiner zuvor genannten drei guten Sóhne. ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 143 gewichtigsten "Ereignisse derselben als ihre denkwürdigen Merkmale noch weiter anzudeuten. Sie schildert nun Z. 312—336 wie das Sicilische Heer (und hier zum ersten mahle wird auch ein so bestimmter Landesname einge- führt) dann zur Schlacht heranrücken, aber „Böses statt Gutes« von Gott empfangen werde. Die folgenden Zeilen 317 — 319: Alsdann aber wann álle das Blut des von Kummer zerfressnen Löwen anschauen, die mörderische Löwin ihm aber wird fallen über das Haupt, und er fort von sich schleudert den Stab eines Herrschers : malen mit starken aber um jene Zeit gewöhnlichen Bildern !) nichts als die Hinrichtung des besiegten Gegenkaisers unter der Hülfe und dem Beifalle des Volkes, hier also die jenes Opfers des Sicilischen Aufstandes. Alle diese Anzeichen welche nach der Anlage des ganzen Gedichtes eben die zulezt erlebten Zeiten oder die volle Gegenwart des Dichters an- deuten sollen, kónnen uns nun zwar schon genügen sein Zeitaller richtig zu erkennen: wir werden es aber wo möglich noch unzweifelhafter wiederfinden wenn wir auf die schwere Gegenseite dieses Gemüldes der Byzantinischen Geschichte achten. Denn alle diese Stücke Byzantinischer Geschichte berührt der Sibyllendichter offenbar nur um dessen willen was ihm zu seiner Zeit für sein Alexandrien und für ganz Ágypten das Wichtigste aberauch Schreck- lichste war, die neue Herrschaft der Araber. Diese Herrschaft dauerte damals in Ägypten erst seit zwei bis drei Jahrzehenden; und wenn der Dichter wie nach manchen Anzeichen wahrscheinlich ist zu den Monophysiten gehörte, so konnte er als Christ nochnicht über sie klagen, da die unver- söhnliche Feindschaft des Islàm's gegen alles Christliche sich auch in Ägypten nicht sogleich fühlbar machte, die Monophysiten vielmehr, bisher von den Königlichen d. i. der Byzantinischen Hofkirchenpartei unterdrückt damals freier aufathmen konnten. Aber die Raubsucht Härte und Rohheit der neuen Herr- schaft empfindet der Dichter schon genug; und zu dem was er schliesslich seine Sibylle hoffen und weissagen lässt, gehört sehr wesentlich auch die 1) Ebenso kommen Löwe und Löwin bei unserm Dichter Z. 202 — 204 vor, nur hier mit der Wendung dass der Löwe der siegende Kaiser ist: die Löwin aber ist überall die Gemeinde oder das Volk. $ 144 H. EWALD, Wiedervertreibung der Araber aus Ägypten und die Wiederherstellung der Blüte Alexandriens. Da er nun aber allen Spuren zufolge mitten unter dieser Herrschaft des Islàms wahrscheinlich in Alexandrien selbst oder doch sonstwo in Ägypten schrieb, so mag er die Muslim nicht offen unter diesem Namen bezeichnen, und die Sibyllische Einkleidung erlaubt ihm zugleich und reizt ihn sie mehr nur verdeckt und räthselbaft anzudeuten. Er bezeichnet sie also von vorne an und meist nur als ein fremdes rohes Volk (Esivov, Ваодароу), welches auch das von ihm beherrschte Land zu einem solchen mache 1). Wann jene grossen Ereignisse in der Griechischen Welt ge- schehen, dann werde dieses rohe Volk in Ägypten herrschen und Alexandrien unglücklich machen: das ist die erste Hälfte der Weissagung unsrer Sibylle über die lezten Zeiten; dieselben in denen der Dichter lebte und für die er zunächst das lange Sibyllengedicht verfasste. Etwas näher bezeichnet er die Sieger der Zeit einmahl auch als die Syrer welche durch tägliche Einfälle und Plünderungen Ägypten immer ärger berauben würden 2): denn die Araber kamen unter ihrem grossen Führer 'Amr aus dem schon unterjochten Syrien nach Ägypten und empfingen von dort noch stets die meiste Nachhülfe, konn- ten also hier auch wohl als Syrer bezeichnet werden. Kommt es aber in der Darstellung zur reinen Ahnung, so heissi es zunächst in Beziehung auf Alexandrien Z. 335 f.: О elende! Sturmwetter 5) wird haben die Stadt die erlauchte, und sie wird Kriegern hinfallen zur Beute — jedoch nicht für lange +): und dann werden die Grénznachbáren von weitem Gebiete 5) 1) So Z. 273. 298 (wo C. Alexandre «ogogo» grundlos in Aagßugo: verbessert, .. was vielmehr den ganzen Sinn verderben würde); 305 f. 313. 316. 2) 2. 284 — 238. 3) Für ysigwv core: Z. 335 ist уго» zu lesen, nach 7. 299 und vielen andern Sibyllischen Stellen; oder man müsste mit Friedlieb zeien lesen und es als Ueberwältigung fassen. 4) Mit den lezten paar Worten die im Griechischen noch schroffer lauten, wendet sich die Rede ganz nach Sibyllischer Art plözlich von der Drohung zur guten Hoffnung. 5) Eine sehr treffende Bezeichnung der Araber. ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 145 fliehen dahin furchtsam mitnéhmend die trügrischen Aeltern 1); wiederum werden die Jüngeren kommen mit herrlichem Siege ?), 340 werden vernichten die streitbaren Kriegsliebhaber die Juden, bis zu dem bläulichen Meer sie vertreibend in tapferen Kämpfen, sie als Hirten für beides, fürs Vaterland und für die Aeltern 5). und'es versteht sich leicht dass die Juden hier nicht im eigentlichen Sinne zu nehmen sondern die Araber gemeint sind, welche den Christen und vor- allen den Ägyptischen aus sovielen Gründen leicht als Juden gallen und diesen inderthat viel näher als den Christen standen. Aber es ist alsob der Dichter dennoch die Nothwendigkeit gefühlt hätte däs Volk welches er meine _ den Hörern seiner Sibylle wenigstens zulezt noch am deutlichsten zu bezeich- nen: denn er schliesst dies alles mit den Worten Z. 347: Dann erst erfolget die Strafe des feurigen +) Araberblutes ! und kein irgend nachdenkender alles hier sich schliessende richtig zusammen- fassender Hörer oder Leser kann noch ferner zweifeln aus welcher Zeitlage heraus die Sibylle rede. Solche nähere Thatsachen aber wie bei der Byzantinischen Geschichte mochte der Dichter bei der dieser entgegengesezlen Arabischen nicht an- führen: sie stand seinem Geiste dazu zu ferne, und schien ibm zu barbarisch, um hier einmahl seinen eignen Ausdruck zu gebrauchen; was er aber aus ihr berührt, steht dem oben gefundenen Ergebnisse dass er nicht vor 668 endo uda кшш. 1) Die Aeltern nennt unser Dichter nach Z. 338. 342. 361 offenbar weil er selbst schon zu den Aelteren gehórte und nur noch von den Jüngeren ein Heil er- wartete, aber auch die älteren Araber welche damals schon über 20 Jahre im Lande waren als die schlauen Urheber alles Ágyptischen Elendes am besten kannte. Die Lesart doA/ovc welche C. Alexandre in deíAovc verändert, ist ganz richtig. 2) Für пада müsste man suaidsg oder vielmehr des Lautmasses wegen vio; lesen. 3) Hirten im Sinne von Leitern, Wohlthätern. 4) Вобтгго» Z.347 ist hier nur annähernd so übersezt: es kommt nicht von 00т0с sterblich, was hier auch sinnlos wäre, sondern von Вобтос welches eben - seiner Wurzel nach unserm Blut und dem Indischen GC (vorne mit abge- fallenem 5) entspricht und ansich nur eine besondre Róthe bezeichnet. Hist.- Philol. Classe. VIII. 146 H. EWALD, geschrieben haben könne keineswegs entgegen. Aber von Seiten der By- zantiner spielt er noch auf eins an welches damals offenbar das neueste war und beweisen kann dass er erst etwas später nach den grossen Ereignissen des J. 668 etwa um 670 — 672 schrieb. Die Sibylle fährt nämlich nachdem sie jenen Sieg über. den Sicilischen Nebenkaiser und das arge Gemezzel dabei berührt hat, weiter fort 1) in ihrer Art zu erwähnen, dann werde ein Erzgepanzerter, zwei andre sich untereinander feindliche, und ein dritter grosser Widder (d.i. Volksführer) aus Kyréne kommen welcher früher aus der !Schlacht an den Gewässern des Niles entflohen sei: aber sie würden alle dennoch nichts ausrichten. Dies kann sich nur auf eine damalige Zu- sammenkunft der hohen Byzantinischen Herren in Sicilien beziehen: es lässt sich leicht denken wie die benachbarten Byzantinischen Statthalter und Feld- herren sich nun um den neuen jungen Kaiser in Sicilien sammelten und ernstlich beriethen ob man nicht einen See- und Feldzug gegen die Araber in Alexandrien und Ägypten eröffnen solle welche ja damals erst seit so wenigen Jahrzehenden Ägypten beherrschten; die Gelegenheit ja die drin- gendste Aufforderung dazu war gegeben, und wieviele Christen mógen damals in Ágypten ihre lezte Hoffnung darauf gebauet haben! Der Dichter deutet hier die Zeitgeschichte sogar sehr nahe an: die Schlacht аш Nil aus welcher der hier nur seinem wirklichen Namen nach nicht bezeichnete „grosse Widder« floh, war gewiss die Seeschlacht welche die Byzantiner erst mehere Jahre nach der Arabischen Eroberung zur Zeit der Herrschaft des Chalifen 'Othmán wagten und nur aus Ungeschick verloren 2); und wenn die' Araber um das J. 668 von Ágypten aus schon weit in das nordwestliche Afrika vorgerückt waren, so besassen sie doch die Hafenpläze an der langgestreckten Küste 1) Z. 336 —330. Auffallend verweist die Sibylle Z. 329 auf eine Stelle wo sie von der Flucht dieses „grossen Widders“ früher geredet habe: dies bezieht sich wahrscheinlich auf eine jezt ausgefallene Stelle wo von dieser Schlacht besonders die Rede war, etwa vor Z. 300; denn dass solche Verstümmelungen in dem grossen Gedichte auch sonst vorkommen wird bald weiter gezeigt werden. 2) Wir wissen dies jezt aus dem Geschichtswerke Ibn- Abdalhakam's welches ich 1829 nach zwei Pariser Handschriften abschrieb. — ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 147 nochnicht fest genug, sodass sich ein Griechischer Statthalter von Kyréné damals noch sehr gut denken lässt. Allein jene Sicilischen Berathungen verliefen fruchtlos: und wenn unter den hier zusammenkommenden hohen Häuptern zwei unter sich längst feind- lichgestimmt waren, wie die Sibylle sagt!), so ist das bei der vorigen langwierigen Missherrschaft und der Jugend des neuen Kaisers nicht auffallend. In Ägypten blieb, wie die Sibylle Z. 331 f. weiter andeutet, vonda alles von christlicher Seite desto ruhiger: und unser Dichter kann zum lezten Schlusse seine Sibylle nur weissagen lassen künftig werde wohl ein zweiter Krieg in Ägypten mit gleicher eitler Prahlerei (von Seiten der Griechen näm- lich) und mit gleich unglücklichem Erfolge unternommen werden ?), der wahre Sieg aber über jene Feinde werde nur von der erneuten Kraft des jüngeren Geschlechtes der Ägypter selbst ausgehen können. Und das war gewiss die beste Hoffnung welche ein Alexandriner damals auffassen und in solcher Einkleidung verkünden konnte. Aber schon um die J. 670 — 672 konnte unser Dichter so reden, und wir haben keine Ursache ihn noch später zu sezen. So haben wir von einer dunkeln Redensart gegen das Ende des Buches ausgehend und vonda weiter über dieses ganze Ende uns verbreitend das wahre Zeitaller des Dichters gefunden: es liegt aber ganz in der Anlage und dem Zwecke dieses langen Sibyllenwerkes dass es erst gegen das Ende hin die bestimmtere Zeit aus welcher es hervorging und den lezten Zweck welchen es verfolgt am deutlichsten һегуогігеіеп lässt und wenigstens für Leser die solche Räthsel zu lösen wissen nicht umsonst redet. Allein sogleich erhebt sich nun 1) Nach der Lesart anooogehor 2.327 bei C. Alexandre, welche freilich Friedlieb garnicht anführt : indessen ist der allgemeine Sinn schon wegen des folgenden diiëiogr Sicher. 2) Die eitle Prahlerei. xuvyig Z. 334 weist sehr treffend auf das Byzantinische Wesen und auf die leeren Verheissungen zurück womit die Feldherren das acht am Nile gekommen waren: das Wort ist seiner lezte шаһ! zu jener Schl ener Hand- Bildung nach freilich auffallend, allein vavuneyin welches die Münch schrift dafür liest würde den schönen Gegensaz aufheben. 148 | H. EWALD, 9. von einer ganz andern Seite her eine neue grosse Schwierigkeit wenn man den ganzen Inhalt dieses Buches vor seinem Schlusse oder die 271 ersten Zeilen!) erwägt. Dieser Theil enthält im Wesentlichen nur eine Aufzählung und kurze Beschreibung der früheren Römischen Cäsaren, indem jeder räth- selhaft nur nach seinem Anfangsbuchstaben bezeichnet wird; bei einigen fehlt auch diese Andeutung; andere werden sogar nur ganz allgemein an ihrem Orte angedeutet. Die lange Reihe der Römischen Cäsaren war so in den vorigen Büchern schon bis auf Odenatus herabgeführt; und man kann dort die einzelnen wennauch oft mit einiger Mühe doch sicher genug wieder- finden: hier aber dauert zwar ganz dieselbe Art von Beschreibung fort, das Wiedererkennen der einzelnen aber wird so äusserst schwierig dass man bisjezt ganz daran verzweifelte und die freilich je länger man über sie nach- denkt desto mehr ganz undenkbare Ansicht aufstellte der Dichter habe alle diese 27 etwas näher angedeuteten Cásaren mitsammt den übrigen nur vor- . übergehend angedeuteten rein erdichtet. Ich erkenne nun die grossen Schwie- rigkeiten vóllig an da ich sie selbst erfahren habe, meine aber dass sie überwunden werden kónnen wenn man vor allem auch auf alle ihre Ursachen wohl achtet. Zunüchst darf man nicht übersehen dass der Dichter alle Kaiser berück- sichtigt welche jemals vom Heere als Imperatores begrüsst waren, auchwenn sie nur in einer der vielen Provinzen oder auchnur sei es in Byzanz oder in Rom selbst auf ganz kurze Zeit herrschten. In diesem Sinne standen be- sonders in gewissen Zeiten so ungemein viele und verschiedene Imperatoren áuf dass es uns sehr schwer wird auchnur ihre Namen aus den bisjezt zu- gánglichen Quellen alle zu kennen. Unser Dichter konnte noch Quellen 1) Mit Z. 272 fängt nämlich gewiss die Schilderung der wirklichen Gegenwart und Zukunft an: und sogleich vorne Z.272—274 spielt der Dichter auf sein eignes Werk bei dieser Sibyllendichtung, dann 7, 274^— 276 auf einen Kaiserlichen Tagesbefehl wahrscheinlich für Neurom (hier noch immer “Pour genannt) an, wonach jedes Haus sich mit Getreide auf éin Jahr versehen sollte: dieses wurde aber gewiss durch die Constantinopel bedrohepde Arabische Belagerung nothwendig , und wir wissen noch wiesehr dieses auf die Jahre 671 f. passt. ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 149 benuzen die für uns jezt versiegt sind: und gerade um die Zeit des Syrischen Odenatus erhuben sich ja die sogenannten 30 Tyrannen, von deren meisten wir bisjezt sehr wenig wissen. Es würde also insofern sehr unbillig seyn wenn man in Bezug auf unsern Dichter vorschnell urtheilen wollte. Zweitens haben wir keinen Grund bei unserm Werke überall ein ganz richtig und vollständig erhaltenes Wortgefüge vorauszusezen, sondern müssen schon nach dem was wir von diesem sonst sehen (und manches davon habe ich oben in den Anmerkungen bereits berührt) in dieser Hinsicht vorsichtig verfahren. Ein deutliches grosses Beispiel ist hier folgendes. Z. 58 — 68 werden drei Cüsaren A. L. T. zusammengefasst ohne weitere Unterscheidung der einzelnen: Z. 69 — 75 aber ist ohne allen Zusammenhang damit von einem Cäsar die Rede der sterbend das Reich seinen Söhnen hinterlässt von denen einer als G. und als bald gewaltsam getödtet bezeichnet wird. Wir kónnen hier etwa an Geta und Caracalla als Sóhne des Septimius Severus denken: und wirklich ist an einer früheren Stelle des ganzen Werkes hinter XII, 268 eine gróssere Lücke wo die hier nicht passenden Zeilen ursprünglich sehr wohl stehen konnten. — Ausserdem begeht dieser späte Dichter, wo er von früheren Zeiten redet, manche ganz offenbare geschichtliche Irr- thümer. - Ferner ist nicht zu übersehen dass der Dichter troz der ungeheuern Menge von Imperatoren die er bestimmter beschreibt über sehr viele mit ganz allgemeinen Worten absichtlich schnell vorübereilt, theils weil jede Sibylle nach alter Sitte mehr das Unheilvolle und Unheimliche als das Glückliche und Helle im Verlaufe der Zeiten hervorheben muss, theils auch wohl weil der Dichter besonders gegen das Ende der langen Reihe die nähere Bezeichnung vermied damit man die zwei oder drei Kaiser seiner Gegenwart nicht zu leicht errathen könne, sowie er sich auch sehr wohl hütet diese auchnur durch ihre Anfangsbuchstaben anzudeuten. — Dieses alles nun wie billig vorausgesezt, glaube ich über die dunkeln Einzelnheiten in aller Kürze so urtheilen zu können: ` 1. Was die ersten zehn dieser Cäsaren betrifft wie sie nach dem Zusammen- hange der ganzen Darstellung Z. 18 — 65 vorgeführt werden, so kann man in dem A. Z. 52—57 der von Osten her als grosser Sieger nach Rom kommt, auch die Krieger 150 H. EWALD, streng behandelt, Gesezgeber ist, aber im Kurzen hinterlistig im Heere fällt, sehr wohl den Aurelianus verstehen. Dann ergibt sich der А. 7. 18—20 leicht als Aureolus; die beiden M. M. Z. 21 —26 die von Soldaten getödteten, könnten Ma- crianus Vater und Sohn seyn, welche um dieselbe Zeit ihre Rolle spielten, wiewohl man nicht sieht wie die Sibylle ihnen eine Friedenszeit zuschreiben kann. Der О. welcher Z. 26— 43 so stark als Zerstórer Rom's und als schimpflich in Rom gefallen geschildert wird, könnte Heliogabalus und der Parther- und Germanentódter A. welcher Rom wiederhergestellt Z. 44 — 48 könnte Macrinus seyn: beide fehlen jezt eigentlich mit den obenerwühnten Geta und Caracalla in der grossen Lücke hinter ХИ, 268, und das Griechische О könnte bei Heliogabal aus seinem Vornamen Varius entstanden seyn. Unter dem von Westen anrückenden unmittelbar vor Aurelian Z. 49—51 ist wohl Quintillus der Bruder Claudius’ zu verstehen. Am dunkelsten sind nur die drei Tempelzerstórer im Osten A. L. T.: man kónnte an die drei um jene Zeit aufkommenden Achilleus Lollianus und Tetricus denken, aber die beiden lezteren waren im Westen; vielleicht sind zwei uns bisjezt unbekannte Eintags- Kaiser in dem weiten Osten gemeint. 2. Jedenfalls also sind bis Z. 75 Versezungen und Auslassungen in dem jezigen Wortgefüge zuzugeben, wie z.B. auffallend Kaiser Probus ganz fehli. Aber von jezt an übergeht der Dichter auch absichtlich viele sich untereinander aufreibende, wie er 2.76 f. 92f. sagt: und der D. zwischen diesen vielen beiderseits ist gewiss Diokle- tian, da er ein guter Verwalter und ein schwerer Kriegführer im Osten heisst. Unter den vielen nach ihm Z.92f. werden auch alle Glieder des Konstantinischen Hauses ausgelassen: denn die folgenden acht bis Z. 171 sind deutlich von anderer Art. Der bejahrte vielgelehrte E. mit schönem Namen Z.94— 104 soll offenbar der von Theodosios besiegte Eugenius seyn, obgleich sein Tod anders als gewöhnlich be- schrieben wird. Die beiden folgenden. T. G. 7. 105 — 115 und nach einem nicht näher bezeichneten 7. 116—125 wiederum ein T. 7. 126 — 136 sollen wohl Theodosius Gratianus und der jüngere Theodosius seyn, da sie als den Senat (nàmlich durch die Forderung der Annahme des Christenthumes) drückend und neue Geseze gründend beschrieben werden: den Namen Theodosius konnte der Dichter wohl nach dem Lateinischen durch T bezeichnen; der mit dem Anfangsbuchstaben nicht bezeichnete kann Valentinian M oder Mazimus seyn, da beide umgebracht wurden. Der nun fol- gende L Z. 137—148 welcher einem wilden Thier gleicht, soll auch nach diesem Merkmale Leo I seyn, wird hier auch bloss als Griechisch- -Morgenlündischer Kaiser beschrieben; der ihm folgende schreckliche D. aber kann Zeno seyn, da er ur- sprünglich Threskyllas hiess womit die Schreibart Dreskyllas leicht wechselte; und geschlossen wird die Reihe 7. 163—171 mit einem N unter dem Rom ganz verödet, womit sehr wohl der vorlezte Kaiser im Westen Nepos gemeint seyn kann. ÜBER DEN GESCHICHTL. SINN DES XIVTEN SIBYLLISCHEN BUCHES. 151 3. Die folgenden viere, ein weitherrschender edler Mann aber ohne Anfangs- buchstaben Z. 172—184 und sein in Rom durch Bürgerliebe zurückgehaltener Sohn A. 7. 185 — 194, dann nach vielen andern ein A. auch der dritte Dionysos zubenannt Z. 195—219 und der ihn stürzende aber zulezt von den Seinigen wieder gestürzte jüngere Bruder P. Z. 220—243 werden offenbar nur deswegen so ausführlich ge- zeichnet weil sie aus Ägypten sich zu Herrschern erhuben und alles Ägyptische unserm Dichter vorzüglich wichtig scheint. Nur der erste wird als sehr mächtig geschildert; die übrigen waren ansich schwerlich so bedeutend wie sie hier geschildert werden. Unter Zeno erhub sich aber auch nach sonstigen Nachrichten in Ägypten ein Gegenkaiser: und wir können an diesen hier umsomehr denken da die nach andern (wieviele gab es um jene Zeit im Abendlande!) folgenden drei A. A. und einer dessen Namen Sieg bedeuten soll Z. 244 —260 gewiss Anastasius und die beiden Gegenkaiser vor ihm Armatus (Achilles) und Basiliskos sind; denn lez- {егег konnte sich Lateinisch Victorinus nennen, da die Gebieter im Morgenlande damals gerne noch nebenbei Lateinische Namen führten. — Wieder folgen dann nach 7.261—-269 andre nicht genannte, Justinus nämlich und dessen Nachfolger; und noch einmahl Z. 270 f. viele Sterne und ein strahlender Komet, unter welchem gewiss Héraklios gemeint ist. | Man wird demnach nicht läugnen können dass wir hier überall im Ganzen und Grossen auf geschichtlichem Boden bleiben und der Dichter für verständige Leser keine unlósbare Räthsel niederschrieb, obgleich er sich allerdings weder in den geschichtlichen Bildern dieses noch in denen der drei vorigen Bücher als ein in allen Einzelnheiten ganz genauer Geschichtskenner bewährt. 9. Haben sich nun auch diese Schwierigkeiten gelóst, so bleibt nichts übrig als anzuerkennen dass dieses ganze Sibyllenwerk wirklich um 668 — 672 n. Ch. geschrieben ist und einen für gute Augen von Anfang an völlig ge- schichtlichen Sinn und verstündlichen Zweck hat. Dieses Ergebniss aber ist nach vielen Seiten hin wichtig genug. Wer hätte geglaubt dass wir noch im siebenten Jahrhunderte ja schon mitten unter der Arabischen Herrschaft in Alexandrien ein Griechisches Gedicht von solcher Länge und dazu ein mit Sibyllischer Kunst entworfenes finden würden? Der Augenschein muss uns jezt davon überzeugen: und wir sehen mit einigem Erstaunen wie zähe sich Griechisches Schrifttum und Griechische 152 H. EWALD, ÜBER DEN GESCH. SINN DES XIVTEN SIBYLL. BUCHES. Kunst lange noch unter den ungünstigsten Zeitumständen in Ägypten zu erhalten suchte. Die lezten Griechichischen Philosophen heidnischer Art hatte Justinian schon mehr als ein Jahrhundert vor unserm Dichter aus dem ganzen Byzantini- schen Reiche vertrieben, sodass sie sogar bei dem Persischen Könige Schuz suchten; über Ägypten insbesondre waren schon seit längerer Zeit durch die aufreibenden Spaltungen zwischen Monophysiten und Königlichen, dann durch den schweren Persischen Kriegseinfall Verwüstungen eingebrochen welche den Wissenschaften und Künsten aufs Empfindlichste schadeten: nun war die Arabische Eroberung hinzugekommen welche, anfangs durch jene inneren Religionsstrei- tigkeiten und durch Byzantinische Missherrschaft erleichtert, bald sich als ein noch viel grösseres Übel erwies als alle die früheren, wie auch unser Dichter andeutet. Dennoch regt sich in unserm Kunstwerke noch einmahl ein freierer kräftiger Geist; und die drohende völlige Unterjochung durch den Isläm scheint die lezte tiefere Kraft der alten Bildung desto stärker anzuregen alles was sie noch vermag zu versuchen. Für Ägypten freilich erfüllte sich die Hoffnung welche der Dichter durch seine Sibylle aussprechen lässt nicht: ein gebesserles und durch das Landes- unglück gestähltes jüngeres Ägyptisches Geschlecht erhob sich nicht noch ein- mahl ein Ägyptisches Vaterland zu gründen; zu lange hatten damals in Agypten schon über tausend Jahre Fremde aller Art geherrscht, und der Islâm sog bald aus diesem fruchtbaren Boden für sich selbst die besten Kräfte. Aber das Byzantinische Reich in dessen Ländern dieses jüngste aber auch längste Sibyllenwort sich verbreitete und wo es sich durch das ganze Mittelalter hin- durch erhielt, liess sich durch solche Stimmen nicht ganz umsonst zu einer Verbesserung seiner verdorbenen Zustände reizen; und konnte dieses schon durch seinen Ursprung ganz verkehrte Reich noch einmahl zu besseren An- fangen kommen, so geschah es erst jezi von der einen Seite durch die schwere Versuchung der neuen Arabischen Macht von der andern durch Schriftsteller wie unser Dichter einer ist. Erst im achten und neunten Jahrh. erlebte dieses Reich seine kraftvollsten und eigenthümlichsten Kaiser. Uns aber dient dieses jüngste Sibyllengedicht vorzüglich um das ächte Wesen und die Geschichte jener Zeit richtig wiederzuerkennen; und wie es ein wichtiger Beitrag für die Geschichte des Ágyptischen Volkes aus einer sehr dunkeln Zeit ist, so wurde schon oben gezeigt wie es auch in die scheinbar so dürren Felder der By- zantinischen Reichsgeschichte ein neues Leben bringt. Zur Herstellung einer allgemeinen Geschichte der Vólker und Reiche der Erde dürfen wir auch solche Quellen nicht verschmähen, da sie für manches Feld sogar am reichsten und am frischesten fliessen. S. 43 Z. 7 lies erhielten für erhielt. u Griechische Quell- und Brunneninschriften gesammelt Ernst Curtius. Der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften am 26sten Februar 1859 vorgelegt. ——— ÁÁ 8 р. Griechen zeigen bekanntlich in keinem Punkte ein wärmeres Naturgefühl und eine schärfere Naturbeobachtung, als in Bezug auf die Quellen ihres Landes. Je weniger Neigung sie sonst zu beschreibender Poesie haben, um so mehr überrascht uns die unerschópfliche Fülle ihrer Dichtersprache, wenn sie den Segen des fliessenden Wassers darstellen. Man ist erstaunt zu sehen, wie sorgfältig sie die Eigenschaften desselben erforscht und in welchem Um- fange sie die Gewässer weit entlegener Länder nach Temperatur, Geschmack, Farbe und Gewicht sowie nach ihrem Einflusse auf den menschlichen Körper beim Trinken und Baden mit einander verglichen haben. Begleitet man den Periegeten Pausanias auf seiner Wanderung durch Hellas, so findet man, dass er auf den Bau des Landes im Ganzen nicht die geringste Aufmerksamkeit wendet, dass er grosse Gebirge übersteigt, ohne sich um ihren Zusammenhang, ihre Höhe und: Ausdehnung, um die Gliederung der Thäler oder um die Aus- sichten уоп den Hóhenpunkten zu kümmern; ja er nennt ihre Namen nicht einmal, wührend er bei der kleinsten Quelle anhält und von ihrer Beschaffen- heit sowie von der ihr gewidmeten Verehrung ausführlich spricht. Er ist auch in dieser.Beziehung ein echter Hellene. Denn wo die Quelle mit un- widerstehlicher Kraft den dürren Felsboden sprengt, da erschien den Alten die göttliche Lebenskraft, welche die ganze Natur hält und trägt, am un- mittelbarsten und deutlichsten bezeugt. Darum war ihnen jedes fliessende Hist.-Philol. Classe. VIII. 154 ERNST CURTIUS, Wasser etwas Heiliges, dem sie Ehrerbietung schuldig zu sein glaubten; es war ein Frevel, gedankenlos hineinzutreten, und Hesiodos (Werke und Tage V. 735) droht dem Wanderer alle Strafen der Götter, wenn er ein schön strömendes Wasser durchschreite, ohne zuvor mit reinen Händen, den Blick auf die Fluth gerichtet, sein Gebet gesprochen zu haben. Bei den Rómern finden wir dieselbe Sitte in festen Satzungen ausgebildet (vgl. peremne au- spicari bei Festus 245), und wenn wir bei beiden Vólkern das Überschreiten fliessender Gewässer mit religiösen Gebräuchen verknüpft sehen, so begreift sich auch, wie die Herstellung eines Überganges, welcher die Fluthen nicht verunreinigt, in Attica wie in Latium als eine religiöse Angelegenheit und als das Geschäft priesterlicher Personen betrachtet werden konnte. Fassen wir die Brücke im Zusammenhange mit den Prozessionsstrassen auf (vergl. m. Abh. zur Geschichte des Wegebaus bei den Griechen S. 25. 50), so soll sie zunächst nichts sein als eine heilige Bahn, eine Verbindung der beiden Ufer zu gottes- dienstlichen Zwecken, aber kein Joch, welches der Strom auch wider Willen tragen muss. Darum durfte kein Eisen angewendet werden; jeder Versuch, den Gewässern Zwang anzuthun, erschien als ein Frevel, wie Herodots Urteil über Xerxes Verfahren am Hellesponte beweist, der zwar ein Meerarm, aber ein flussarliger , ist. Wenn der Strom im Ganzen als ein persönliches und göttliches Wesen geehrt wurde, so geschah dies vorzugsweise an seinem Ursprunge. In die Quellen des Spercheios gelobt Peleus die Hekatomben für seines Sohnes Heim- kehr zu schlachten (Il. 23, 148); an der Quelle ist man der Gottheit am nächsten, hier sind die Gebete am wirksamsten; daher heisst es von Aristaeus, da er seine Mutter Kyrene anrufen will: ad extremi sacrum caput adstitit amnis. Vergil. Georg. IV, 319. Dem lateinischen Worte entspricht das grie- chische xeQaày (Herod. IV, 89), das sich in dem neugriechischen xePaAgsov erhalten hat, und aus derselben Anschauung erklärt sich nicht nur der mythi- sche Ausdruck, welcher sich in der Sage von den lernàischen Schlangenkópfen, von dem Kopfe des Eurystheus bei der Quelle Makaria (Strab. 377) und anderweitig wiederholt, sondern auch der Ausdruck der bildenden Kunst, welche das Element des Wassers durch einen bürtigen Kopf oder eine kolossale Maske darzustellen pflegt. Vergl. O. Jahn über die puteolanische Basis in den GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 155 Berichten der Kön. Sächs. Ges. der Wiss. 1851 S.144!) Wenn ferner in beiden alten Sprachen Ursprung und Mündung der Flüsse mit denselben Aus- drücken bezeichnet werden (capita Rheni, éx(3dAA&, Zoch zl, so erklärt sich dieser Sprachgebrauch daraus, dass an jenen beiden Punkten, bei dem ersten Hervordringen des Wassers aus dem Boden und bei dem Ausmünden in das Meer (prorumpere in mare), die dem Strome inwohnende Lebenskraft am deullichsten zu Tage tritt. Aber nicht nur die Kraft des strömenden Wassers ist es, die bei der Quelle besonders zur Anschauung kommt, sondern auch die Reinheit und Lauterkeit desselben. Auch in diesem Punkte stimmen die klassischen Spra- chen auf das Genauste überein, indem beide das unberührte Quellwasser als ein jungfräuliches bezeichnen. Wie man heilige und unverletzliche Bäume mag$Evo, nannte (Paus. ҮШ, 24, 7), so war es auch eine торро mert, aus welcher man die Weihegüsse zu Opfern holte. Aesch. Pers. v. 616. Mit dieser Vorstellung hängen auch die vielerlei Sagen von der Verwandlung der Jungfrauen in Quellen zusammen (vergl. Parthenios in Meineke's Analecta Alexandrina S. 277) und die rómische Sage von der Aqua Virgo, welche sich der Liebe des herkulanischen Baches entzog. Plin. XXXI, 3, 25. Auch Brunnen werden jungfräulich genannt, so vor allen das zaoSévior Qoéag im Hymnus auf Demeter V.99; es ist derselbe Brunnen, den Pausanias то or Duop nennt Die Identität hätte von den Erklärern des Hymnus nicht bezweifelt werden sollen, da nicht. nur Pamphos bei Pausanias und der Hymnograph in Beziehung auf die Legende des Brunnens genau übereinstimmen, sondern auch schon der Name maægĝérıov selbst eine blumenreiche Umgebung andeutet, wie Strabo beweist, wo er von dem paphlagonischen Parthenios spricht S. 543: moras dud җофшу avOwgar Qegopsvos xai dud тоўто той GYÓpa TUS TOUTOU тєтиҳухоѕ. Dies passt auch auf den Parthenios in Pisatis. Parthenion ist also gleichbedeutend mit Anthinon. Von den attischen Brunnen wird überdiess 1) Dieselbe Anschauung findet sich auch in den Ausdrücken neuerer Sprachen, wie ‘Quellhaupt, head-water. Vgl. Robinson Palästina Ш, 2 S.659 über räs el-'Ain, den Quellenort,*von dem Tyrus mit Wasser versorgt wurde. Sauley Voyage autour de la mer morte I, р. 67. U2 156 ERNST CURTIUS, ausdrücklich bezeugt, dass sie mit Veilchen umpflanzt zu werden pflegten (ома ж тодѕ тё Ффоёат; Aristoph. Frieden 575). Die Blumen wurden benutzt, die Brunnen zu schmücken, wie Varro von den rómischen Brunnen- festen, den Fontanalien, meldet (in fontes coronas iaciunt et puteos coronant VI, 22). Von der gleichen Sitte der Hellenen zeugen die in die Eurotas- und Alpheiosquellen geworfenen Kránze, von denen Strabon S. 227 spricht. Naturmale von so ausgezeichneter Bedeutung, wie die Quellen ansehn- licher Flüsse, wurden bei den Alten mit Denkmälern und Inschriften ausge- stattet, welche bezeugen sollten, dass die Menschen die Gaben der Götter anzuerkennen wüssten. Beispiele finden wir bei den Persern, welche mit besonderem Eifer die Ströme ehrten. Als Dareios vom Bosporos aus an den Tearos gelangte und seine acht und dreissig Quellen aus dem Felsen dringen sah, stellte er ein inschriftliches Denkmal auf, um sein Wohlgefallen über den schónen Strom zu bezeugen, der das edelste und beste Wasser unter allen Flüssen habe, wie er selbst, Dareios, des Hystaspes Sohn, der Edelste und Beste unter allen Menschenkindern sei. Herod. IV, 91. Die Griechen stellten besonders an solchen Plätzen Denkmäler auf, wo sie das Wasser am Gebirgs- abhange auffingen, um es zu ihren städtischen Zwecken zu verwenden. Ein solches Denkmal war der Altar des Acheloos, welchen Theagenes in Rhus errichtete, oberhalb Megara, wo die Quellen hervorsprudelten, welche der Tyraun in einem Kanale nach der Stadt leitete, wo sie den prachtvollen Marktbrunnen speisten. Paus. I, 40, 1; 41, 2. Ein ganz entsprechendes Denkmal hat sich in Epirus erhalten, 30 engl. Meilen von Nikopolis, wo die von Leake (Transactions of the Royal Society of Litterature. Second Series. Vol. IL p. 236) herausgegebene Inschrift gefunden worden ist: ОРОПОПОТАМХ KAOIEP ZANETXA i Der Stein ist in einer Wasserleitung eingemauert, deren ansehnliche Überreste, jetzt хашоідалѕ genannt, sich in doppelter Bogenstellung erhalten haben, inmitten einer wilden Berggegend, wo die beiden Hauptarme des Flusses von Luro (den Leake ohne hinlänglichen Grund Charadros nannte) sich vereinigen. Plan und Beschreibung der Ruine giebt Leake in seinen Travels in Northern Greece I, S. 260. Zwei Aquädukte sind durch die tiefe GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 157 Schlucht gebaut worden, welche am rechten Ufer derselben in spitzem Winkel zusammentreffen, um das vereinigte Wasser nach Nikopolis zu führen. Die Hauptleitung wurde durch eine Quelle gespeist, welche in der Kirche des Dorfs Hagios Georgios entspringt und jetzt wieder regellos die Abhänge der Felsschlucht hinunterstürzt. Die Inschrift stammt wie das Bauwerk, dem sie angehört, aus der Kaiserzeit. Denn Augustus war es, welcher zum Andenken seines Seesiegs die Stadt gründete, von welcher die ganze Umgegend, deren Bewohner in den neuen Mittelpunkt zusammengezogen wurden, den Namen Nikopolis erhielt. Da die Inschrift nur in einem Bruchstücke erhalten ist, so lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, ob sie von Anfang an, als eine das ganze Bauwerk betreffende Dedikationsinschrift, in die Wasserleitung einge- mauert war, oder ob sie einem besonderen Denkmale angehörte, welches, wie der Acheloosaltar in Rhus, der Verehrung des Flussgottes gewidmet war. In diesem Falle würde man die Inschrift etwa so ergänzen können: Joen тхл oi deives (oi NixomoAiras?) тд @шиб>] Qgwrg Потам xadito| o loar euxalgsorngior] oder euxagsoroüvres. Es war dann ein Altar, an welchem die Svcíc; suxagıersgio, für die täglich zufliessenden Wohlthaten des Wasser- goltes dargebracht wurden. Dass тоу («yv auch fehlen kann, zeigt die Inschrift des delischen Altars im С. I. n. 2305. Über den Gebrauch von xai TY QuoV , euxapıorigsov und euxagıoreiv bei Weihgeschenken siehe Böckh C. I. Gr. I, p. 888 und Franz Elementa Ep. Gr. p. 375. Die Inschrift ist trotz ihrer argen Verstümmelung in mehrfacher Hinsicht lehrreich. Sie zeigt zunächst, dass die Quelle von Hagios Georgios als die Hauptquelle des ganzen Flusses angesehen wurde, obwohl die Schlucht des- selben sich stundenweit oberhalb der Quelle hinauf erstreckt. Dies stimmt durchaus mit der Sitte der Griechen überein, nicht die fernsten und hóchsten Wasseradern als den Ursprung des Flusses anzusehen, sondern die wasser- reichste; ein Sprachgebrauch, welcher der Natur eines Landes, in dem die oberen Flussthüler so häufig trocken liegen, vollkommen entspricht. Daher findet er sich auch bei den heutigen Griechen. Vgl. Puillon Boblaye Recherches géographiques sur les ruines de la Morée p. 107. Aber auch unter ver- schiedenen, perennirenden Zuflüssen wird in der Regel der stárkste, wenn er auch schon in einen ansehnlich angewachsenen Fluss einmündet, als die 158 ERNST CURTIUS, namengebende Flussquelle angesehen, wie sich dies am deutlichsten an dem messenischen Panisos und dem phokischen Kephisos zeigt. Diese für uns befremdliche Ausdrucksweise hängt mit der Vorstellung der Alten zusammen, nach welcher das ganze Thalgebiet, welches ein Fluss durchströmt, als das Eigenthum desselben, als die тоташа, angesehn wurde. Vergl. Strabons Ansicht von Aegypten p. 32 und 789. So ist der böotische Asopos der Ur- heber des ganzen Thalgrundes (тору T7» "Acamiav xogav Strab. 382), den er innerlich durchdringt, alles Wasser, das in demselben aufsprudelt, kommt also von ihm; darum war man durchaus berechtigt, die mächtigste der verschiedenen Quellen ohne Rücksicht auf ihre hóhere oder tiefere Lage als das eigentliche caput fluvii anzusehen. Aus dieser Anschauung der Alten erklärt sich auch, wie man die Quellen und ihre Nymphen als Töchter des Flusses betrachten konnte (eege: Yuyartges тот@ноду Anecd. Cramer. Il, 453), selbst solche Quellen, welche sich gar nicht mit dem Hauptilusse ver- einigen. Am auffallendsten zeigt sich dies bei der Oeroe, welche ihre eigene Thalrinne und Mündung hat und dennoch des Asopos Tochter heisst. Herod. IX, 51. Entweder werden nun Fluss und Quelle als besondere Wesen be- trachtet, wie bei Homer (1. 20, 7 ff.) die Ilorzuo; von den Nymphen getrennt werden (æf т àcea Soho víuovrou xai myyas motar), oder die Haupt- quellen werden als die aus dem Boden sich erhebenden (ётитеАЛоиеро; Dion. Per. 298) Flussgótter betrachtet und selbst morauo; genannt. Dies war um so natürlicher, da тотоу auch von der Quelle gebräuchlich ist (Meineke zu Theokrit S. 290) und vorauós wahrscheinlich das süsse Wasser . bezeichnet. Ahrens De graec. ling. dial. I. p. 82. So ist also auch in der epirotischen Inschrift Oropos als Name von Quell und Fluss anzusehen; es ist der alte Name des heutigen Luro, und dar- nach kann auch die Stadt Oropos bestimmt werden, welche Stephanus als fünfte dieses Namens anführt iy Oeczgwríg, mit dem einer späteren Hand zugehórenden Zusatze: ovr v NixomoA&. Denn unweit der Quelle von H. Georgios liegen die Ruinen einer alten Stadt bei dem heutigen Ferekisi, auf einer Höhe, welche die ganze Umgegend beherrscht. Die Stadt hatte also, wie Theisoa, Thelpusa, Thurioi, Pagasai, Sybaris (Subur, Strömung, nach Movers Colonieen der Phön. S. 344. 645), Pisa (Tränke nach G. Curtius GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 159 Grundzüge der Gr. Etymol. I, S. 245), Ortygia, Salmakis u. a., von der be- nachbarten Quelle ihren Namen 1). Wenn Oropos aber ursprünglich ein Flussname ist, so erklärt sich auch um so passender eine Gruppe in dem vom älteren Philostratos (T, 27) be- schriebenen Bilde des Amphiaraion: *Oropos als Jüngling unter den Meerfrauen. Hier einen Ortsgenius, als Personifikation der gleichnamigen Stadt, anzunehmen ist bedenklich und wird sich schwerlich durch eine analoge Darstellung erläu- tern lassen. Denn mit dem von Welcker zu Philostr. S. 370 angeführten Isthmos hat es doch eine andere Bewandtniss. Flussgötter dagegen finden wir häufig als Gespielen und Geliebte der Seenymphen, wie unter anderen die Sage von dem Knaben Selemnos und der Argyra bei Paus. VH, 29,1 beweist. Ich vermuthe daher, dass unter den vielen Quellen und Bächen, welche die Gegend des Amphiaraion auszeichnen, ein Gewässer war, welches den Namen Oropos führte, und zwar wahrscheinlich der ansehnliche Bach, welcher nahe unter dem Tempel vorüber fliesst und dann durch ein tiefes Thal die Küstenebene nórdlich von Kálamo erreicht. Dann gehórt seine Ge- stalt recht eigentlich in den Kreis der von Philostrat beschriebenen Darstellung hinein. Vergl. Preller Oropos in den Berichten der phil. hist. Cl. der К. Sächs. Ges. der Wiss. 1852. S. 144. Abgesehen von der allgemeinen Heiligkeit des lebendigen Quellwassers hatten gewisse Quellen einen besondern Charakter der Weihe, so weit sie innerhalb eines heiligen Raumes flossen. So war der Fluss in Lebadeia ober- halb ein heiliges Wasser, welches zu den Gebräuchen des Trophonioskultus benutzt wurde, und hiess als solches Herkynna (wahrscheinlich von Égxos, weil es das Alsos des Zeus Trophonios von der Stadt trennte); unterhalb des Alsos war es ein profanes Gewässer und erhielt den Namen Probatia. So hiess der Gortynios an seiner Quelle Lusios, weil hier das Zeuskind ge- badet sein sollte. Paus. УШ, 28. So war das Nymphenhaus der schónquellen- den Tilphosa von einem Alsos umgeben und mit Altären ausgestattet, ein хоо dain (Hymn. Ap. Pyth. 66), während der untere Abfluss als Tränke 1) Unter neugriechischen Ortsnamen gehört in diese Reihe Mauromäti ‘ Schwarz- äuglein’, ein Name, welcher ursprünglich der Quelle von Messene zukommt. Über den bildlichen Ausdruck siehe Pott Quin. und vigesim. Zühlmethode S. 238. 160 ERNST CURTIUS, für die Rosse und Maulthiere diente. Die genaueste Scheidung finden wir bei dem umbrischen Clitumnus, wo eine Brücke die Gränzlinie bildete zwischen dem Heiligen und Profanen. Plin. Ep. VIII, 8. Es konnte auch eine Quelle, welche früher den Bedürfnissen des Lebens gedient hatte, durch einen be- sondern Akt dem Gebrauche entzogen werden. Das geschah unter den Pisistratiden mit der Kalirrhoe, als bei der zunehmenden Dürre des Bodens ihr Wasser immer spärlicher wurde, und die Stadt inzwischen durch Brunnen und unterirdische Leitungen hinlänglich versorgt worden war. Die griechische Kunst bezeichnete eine solche Weihung durch Ausstattung der Quelle mit hieratischer Architektur, wie Paus. II, 27 den Brunnen des Epidaurischen Heiligthums als eine жору то те 0g0w xai xócuo то Хито Dias айіа beschreibt; vgl. X, 36, 10: орофоѕ xai avexorres тоу брофор xíovss. Solche Brunnenhäuser erscheinen in ihrem vollen Schmuck auf griechischen Vasen- bildern (Gerhard Arch. Zeitung П, T. 18). Baumpflanzungen, wie die Platane Agamemnons an der Kastalia, Weihgeschenke, welche die vieljährige Ver- ehrung bezeugen, und Inschriften kommen dazu, die Heiligkeit der Quelle auszudrücken. In làndlicher Umgebung, wo keine weitere Kunst angewendet ist, genügt ein einfaches Nu iegor, wie es in der Nymphengrotie von Siphnos ein- gemeisselt gewesen zu sein scheint. С. І. Gr. n. 2423c. Doch ist nur das erste Wort NTOEON N(u)fécv sicher !). Sind aber die natürlichen Quellen, die «3a; oder ingenui fontes, wie sie Lucretius I, 232 nennt, mit einem Säulendache ausgestattet, so wird dies in Inschriften bezeugt. Denn diese. Ausstattung ist unter der у Deoue verstanden, wenn es in der Inschrift aus Branchidae n. 2885. Ь. v. 12 heisst: xa; TO vdwp ёж тор дір [aveInxe tois} Droe und ganz entsprechend lautet das Inschriftfragment aus Stura in Euboia, das Rangabé (Mémoire sur l'Eubée p.223) und Bursian (Quaest. Eub. p. 49) herausgegeben haben. Man liest "OA uc el (= 'OX£ywgos), КаААстратоѕ, Ф:Аотадті х]. [;]egorromcav es cvéSscav tav хоруу `АсхАат:ф, 1400005 émós,. Die Weihung erfolgte also nach einer feierlichen Opferhandlung, 1) Was die Schreibung des Worts betrifft, so sind die Namen Nugóðwgos und Nvgys zu vergleichen. C. I. n. 3155. 8 und 7679. Keil Anal. Ep. p. 173. GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 161 welcher dadurch eine besondere Bedeutung verliehen wurde, dass fortan der Brunnen nicht mehr zu profanen Zwecken benutzt werden solle. Zu ver- gleichen ist die Dedikation der kampanischen Heilquellen, welche Sulla nebst den umliegenden Grundstücken der Góttin Diana weihte und die Urkunde der Schenkung an der Tempelpfoste wie in der Cella anschreiben liess. Vell. Paterc. II, 25. Die Hymettosgrotte bei Vari mit ihren Inschriften (C. I. Gr. 459; vgl. Vischer Erinner. aus Griech. S. 60) zeigt, wie den wasserspenden- den Nymphen von ihren Verehrern ganze Heiligthümer im Schosse der Berge nebst vorliegenden Gartenpflanzungen geweiht wurden ( Agx£dapos d Owpaios x&mov Nvpnais éQurevoer). Auf einen solchen Nymphengarten bezieht sich auch das Epigramm der Anthol. IX, 329. Wie aber Archedamos den Grotienbau am Hymettos zum Andenken seines Verkehrs mit den Nymphen gestiftet hat, so hat auch ein gewisser Eutychianos bei Erythrai aus gleichem Anlasse eine ganz ähnliche Stiftung gemacht und zugleich eine Quelle geweiht, wie die Inschrift bezeugt, welche Le Bas in der ersten Lieferung seines archäologischen Reisewerks über Grie- chenland und Kleinasien n. 58 herausgegeben hat. Sie gehört der späteren Kaiserzeit an und zeigt in Schrift und Stil einen sehr verderbten Geschmack; sie ist aber merkwürdig als ein Denkmal des Cultus der erythräischen Sibylle. Was die Form betrifft, so erkennt man deutlich, dass es Verse sein sollen; aber es kommen nicht nur einzelne Verstösse vor, wie dayaddnervos, org, Хіау05, ctsyogatwoj405 , sondern in einigen Zeilen widerstreben die Wörter, wie sie der Steinmetz eingehauen hat, jeder metrischen Fügung. Es sind aber sieben Zeilen, wie wir auch in ähnlichen Widmungen (C. I. 5974) die Sieben- zahl finden; sechs Hexameter und ein Pentameter, wie dergleichen anomale Pentameter in späten Inschriften vorkommen, z. В. C. І. n. 4535. Nach dem vorliegenden Texte lautet die Inschrift. Ae? тоху. NvuQais Naito ayaröusvos ёу®а ХОЛААМ, sioune &gÉas Euruxiavos TÒ doe damavaıs Eroimoss dyopavcmos фА.бт&цл0$, дифо Ò eunbuxws avr Eŭtvyiav тоф! mavnyugiapxn 5 и тоосбдор idiom тй margidı тб одоо Hist.- Philol. Classe. ҮШ. : X 162 ERNST CURTIUS, Qa/dovrév те урафи®% ётихосийсаѕ TO auAisıov uvwuócvvor тобто тоту émeccouévois Y). Eutychianos hatte also mit seinem Sohne gemeinschaftlich zwei Ämter in Erythrai nach einander bekleidet, die Irenarchie, die in den Inschriften der spütern Kaiserzeit mehrfach vorkommt und zwar auch in dieser Form: eigyvns aoxsıv, Wie С.І Ш, p. 1159, und dann die Agoranomie, wobei er sich keine Ausgaben zum Besten der Stadt hatte verdriessen lassen. Dann hat er dies Brunnenhaus geweiht, es mit Gemälden geschmückt und die Grotte mit neuer Kunst ausgestallet, und zwar an der Stelle, wo er sich der entzücken- den Nähe der Nymphen erfreut hat. Auf ihren Dienst wird sich also auch die Panegyris beziehen, als deren Vorsteher der jüngere Eutychianos angeführt wird, und da die Nymphen nach der Sibylle genannt werden, so sind wohl keine anderen zu verstehen, als die, welche die berühmte Sibyllengrotte des Korykon bewohnten. Vergl. Paus. X, 12, 7: "Ес оа 02 Kowgvxov те хаћобиғроу ügos xal ёр zéi бв стићолор dmofmívovci, тєҗ ўра: тӯр HooPiAnv év avrg Aéyovres, Osodugov dè Emixwpiov тоциёроѕ xai vujQus naida ewa. | Die angeführten Inschriften beziehen sich auf die Weihung der Quellen. 1) Auch in den unmetrischen Zeilen erkennt man deutlich die metrischen Bestand- theile; sie müssen durch das Ungeschick des Steinmelzen durch einander ge- worfen, wie auch durch Zusätze, Weglassungen und Auflösungen enistelli worden sein. Am deutlichsten erscheint V. 4 Evevyrevo als Einschiebsel. Ich glaube daher, dass die Herstellung des ursprünglichen Textes, welche Freund Sauppe mir in Vorschlag bringt, der Hauptsache nach unzweifelhaft ist: Nönpeıs vataotv GycAónevog iva. (0с, sloryvyc dofag Evrvyıeros тб nagoróe ya1oipouc danaraıoım @уоо«убнос qQuAOSEI uoc, Zug ð eut 00v nurt navryvoraoyy , 5 ix ngocodmv idiom тр пито!д, (9%ухато?] Garde gaidovvev te урариїс Enınnosroug Tavkeiov uvnuoovyoy тоот [sve] тоіогу énscoogévoio[iv. Nur des letzten Hexameters wegen trage ich Bedenken. avAíerov (im Verse dreisilbig; Lob. Paral. I, p. 28) ist Adjektiv von avA:ro», hier substantivisch ge- braucht. Vergl. Anth. Pal. VI, 334: абда xoi Мъифшу iegoc n«yoc. GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 163 Andere Inschriften betreffen die Auffindung derselben. Denn die Entdeckung einer reichhaltigen Wasserader ist eine Epoche in der Geschichte südlicher Länder. Darum wurde Herakles, der Begründer einer umfassenden Landes- kultur, auch als Quellenfinder geehrt (Plutarch. ed. Hutten XII, p.31); der Name des koischen Kónigs Chalkon war gefeiert wegen der Eróffnung der Burinaquelle (Theocrit. VII, 6) und in Rom erwarb sich C. Plautius den Ehrennamen Venox, weil er in Auffindung der Aqua Appia ein besonderes Glück bewährt hatte (Frontin. de aquis с. 5). Man pflegte auch wohl in einer benachbarten Kapelle die Geschichte der Findung darzustellen (wie Frontin. c. 10 bezeugt), oder durch ein Weihgeschenk darauf hinzuweisen. Auf ein solches Weihgeschenk bezieht sich das schöne Epigramm Platons in der Antho- logie (VI, 43), welches den Frosch besingt, den Diener den Nymphen, der den irrenden Wanderer an das Wasser geführt habe. Eine griechische Steinschrift, auf die Entdeckung einer Quelle bezüglich, hat man bei einem Mineralwasser unweit Pantikapaion gefunden; sie ist zuletzt in den Antiquités du Bosphore (inscr. XX) heraus gegeben worden. Der Stein ist oben abgebrochen und es ist nicht zu bezweifeln, dass in voran- gehenden Distichen die Eigenschaften des heilkräfligen Wassers geschildert waren. An diese Schilderung schloss sich das erhaltene Ende der Inschrift an: туд” doerz|v] xgüvazs moXXxv `А[у&х5.75] avéósiÉev [455 "Ae[mo]v[g]yov svceQéos Kórvos, yalıs xai тооубушу т=тршор @о®ш#уою xüdos xeivaxiwv сиўпто Em&xovros 05. *). Kotys, des Aspurgos Sohn, ist als Zeitgenosse Neros bekannt (C. I. Gr. n. 2108c); er herrschte zur Zeit der Quellenfindung über alle umwohnenden Griechen, die Achäer Sirabos (S. 406), welche hier "Ivaxıo, genannt werden. * Die Lücke der ersten Zeile hat der Herausgeber nach einer Vermuthung von Prof. K. Keil ergänzt, der früher mit Gräfe: Мури avsdsıkev las (Allgem. Litt. Zeitung 1849 5.039). Auf dem Steine scheint aber deutlich EZANEAEIZEN zu stehen. Man könnte also versucht sein, A I, was vor der Lücke steht, für M zu nehmen und Moig 2£aredeıger zu lesen, wie Franz wollte. Dann würde der Ruhm der Entdeckung auf Kotys SE zurückgeführt. Моіоа Korvos wäre so viel, wie Korvg Heig poiga Efavederser. X2 164 ERNST CURTIUS, схўттра &rr&xovros scheint die richtigere Lesart zu sein statt der früheren &míxovros, das sich auch nach Analogie von evxzr améxyem rechtfertigen liesse. Jacobs zur Anthol. III, S. 137. Eine andere griechische Inschrift, die den Auffinder einer Quelle namhaft macht, aber aus später, christlicher Zeit, sah Barth bei Kios auf dem Wege nach Nicaea. Rhein. Museum 1849 5. 260. Eine dritte Gattung von Inschriften hat das Gemeinsame, dass sie den Gottheiten, welchen die Quelle eigen ist, den Dank für empfangene Wohl- thaten abstatten. Sie finden sich nicht bloss bei eigentlichen Heilquellen, sondern auch bei andern Gewässern, namentlich bei den durch Kälte ausge- zeichneten. Denn man kann aus mancherlei Spuren erkennen, dass die Grie- chen den heilsamen Einfluss des kalten Wassers sehr hoch schätzten. Der Kydnos in Tarsos, der Ales bei Kolophon, der Melas bei Side und der arkadische Gortynios waren in dieser Beziehung besonders berühmt (c/c, то обор mivönevov те xai Xovoufvous dvOgomovs dvanbuxes Paus. VIII, 28). Aristeides dem Rhetor wurde von Asklepios mitten im Winter ein Flussbad verordnet (Welcker Kl. Schriften. Ш, S. 145). Der Akesines hatte von der Heilkraft seinen Namen (mores eis &xsciv Qégwr Herod. VI, 90), und auch der Flussname Akis wurde nur von ausnehmend kalten Gewässern gebraucht. Meineke zu Theokrit S. 190. Auf die schönen Quellen von Arykanda in Lycien bezieht sich die Inschrift im C. L 4316. f.: Zwouuas 6 xaraXe9cis uvnuodoxos TOv Bwpov тӯ &EUEQyÉTid туй xata орар Mooxov To) ueya- Хотретестоітоо — — "Agvxardias арЁстуса. Von der sonstigen Ausstattung einer den Nymphen geheiligten Quelle erhalten wir eine sehr anschauliche Vorstellung aus dem Epigramme der Anthologie IX, 326: Il&rons ёх dico sis Npvx;oóv zarendAuevov vówo, xaigois xci Nuuéwy zousteet Eiava u.s. м.1). Im Folgenden beschreibt der Dichter, wie Meineke im Delectus poet. anth. Gr. S. 123 nachgewiesen hat, die vom aufspritzenden Wasser benetzten, zahlreichen Votivfiguren, die xogo- xoc Oder xópa, (Plat. Phaedr. 230). Denn wie die Jungfrauen das Spiel- 1) Hier ist д,005с gegen das von Meineke vorgeschlagene Aere festzuhalten. Denn aus doppeltem, d.i. gespallenem Felsen quillt ja so háufig das Bergwasser herunter, wie z.B. bei der Kastalia, auf welche die Beschreibung wörtlich passt. GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. ` ` 165 zeug ihrer Kindheit der Aphrodite (und auch diese wurde ja als Nymphe an Quellen verehrt, wie am Ursprunge des Hyllikos Paus. II, 32, 7) und andern Hochzeitsgóttinnen weihten, so wurden auch die Heiligthümer der Nymphen, deren Quellwasser vorzugsweise zu hochzeitlichem Gebrauche diente, mit sol- chen Thon- und Holzpuppen reichlich ausgestattet. Vergl. О. Jahn in Gerh. Arch. Zeitung 1848 S. 240. Werthvollere Weihgeschenke wurden aber durch besondere Aufschriften den Gottheiten der Quelle zugeeignet, so z. B. die Erzschale von Kyme (С. І. n. 5859) mit der Umschrift: ZwiAos "AydIwvos NúuQais вур. Ein grossarüigeres Weihgeschenk war das Denkmal des frommen und kunstliebenden Arztes Nikomedes aus Smyrna, wovon die Basis mit doppelter Inschrift in den Thermen Trajans aufgefunden worden ist. С. І. Gr. n,5974. Ein Bildwerk des Boethos, Asklepios als Kind darstellend, hatte Nikomedes aus seinem Besitze dem Gotte der Heilkunst geweiht, als ein Schaustück älterer Kunst zugleich und als einen Ausdruck des Danks für mehrfache Bewahrung vor Krankheit, die ihm in seinem gefährlichen Berufe von Seiten des Gottes zu Theil geworden war: Эўхе Ò биой vovcuw те xaxd Lwaypıa Nues. ийдуѕ xai хед» deiyua mraXcusyevéov, auf der anderen Seite aber: vag д êv тшд. Cwaypia Zëxer бойт ши moÀXdcxi. cais BovAais voUcov «№00 рғу05, cós Jegamam euxnv Ариу досір, oim Jeoicı avdoss Фиш туд, Qépovo: ҳари. Ausser den sieben Distichen, welche auf beiden Seiten vertheilt sind, steht noch auf jeder von ihnen eine Ueberschrift als Widmung; einerseits: то тшт '"Acex^amug cücrQa xai xau TT Nixoundns б sargos, andrerseits: то Bache `Асхлатий oworga xai ҳафістури Nugugdns 2juvgvaios wës, Dies Weihgeschenk war also eine Stiftung im Asklepiostempel und führt uns somit von den Quellen der Nymphen zu den eigentlichen Tempelquellen, wo die Nymphen unter der Autorität höherer Gottheiten stehen. So erscheint vor Allen Apollon als Herr der Najaden und empfängt die Huldigung für die in ihrem Gewässer gefundene Genesung. Ein Beispiel ist die Marmorinschrift, welche 1851 in der Basilica Iulia gefunden, von Matranga im Bull. Inst. Arch. 166 ERNST CURTIUS, 1853, S. 137, von Welcker im Rh. Mus. 1853, S. 155 und Gerhard im Arch. Anzeiger 1854, S. 437 herausgegeben worden ist und so zu lesen sein wird: cjoi róde cvgixTd|s "Yuvi)moXe, иие даўиор, ayvè Aoergolxolwv хорау Мадор, доор "Y*yeivos £rs[v]É[s]v, öv аруси dmo vovcov avTOs ava vu Déeg mooomeAldlole)s. maci yap [év техё)єссір ёи0ї &va[Q]evoov ётёстуѕ ovx орао, dAAd шёсооѕ Nuaros сиф! додиохѕ *). Ein gleiches Verhältniss zwischen Apollon und den Nymphen bestand bei den Mineralquellen von Vicarello am See von Bracciano , wo ausser den Ge- fässen mit punktirter Inschrift ‘Apollini et Nymphis’ auch die Marmorbasis ge- funden worden ist: Хе тА) Arr«Xov 'OBás(?) 'AmoXAXwvi xaT. ovag "AYeodsssıevs. Gerh. Archäol. Anzeiger 1852, S. 151. Arch. Zeitung 1855, S. 127. 155. Auch in einer Quelleninschrift aus Attalia im C. L n. 4341 f. p. 1159 finden wir Apollo nebst Artemis in eigenthümlicher Verbindung mit den Nym- phen. Sie lautet nach Franz Ergänzungen: 'Og)Sayogas eipnvins) apkas crXcaTo Bwuovs Doißw xai wovon Aeriud d eivexev euxäs, pérgor (orinloals mAnogleicalıls nyyars dad NvuQov, diu drws moranis Aayorav Qe((9]go[s umloldevo, — Voran scheint voan ruxn gestanden zu haben. Soviel aus dem Bruchstück zu erkennen ist, errichtete Orthagoras nach Bekleidung des Irenarchenamts (s. S. 162) die Altäre oder den Doppelaltar der delischen Gottheiten so, dass er durch diesen Bau zugleich die Quellbäche des Heiligthums eindämmte, das Ufer befestigte und die Gewässer in ein ordentliches Bett leitete. Die zu den Heiligthümern gehörigen Quellen standen unter besonderer *) So unterscheidet auch Aristeides der Rhetor die Epiphanie des Heilgottes, welche dem Kranken im wachen Zustande zu Theil wird, von den Traumvisionen (тс piv ёх 100 q«vigoU пеи», TG 0 ту попту tov ivvuviov. vgl. Welcker Kl. Schriften II, S. 148) und in einer christlichen Inschrift aus Ezra heisst es von einer Erscheinung des h. Georg: yuvevros ov na? Unvov, dila qovtQoc. C. L Gr. n. 8627. GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 167 Aufsicht der Priester. Eine Inschrift aus Palmyra im С. I. Gr. n. 4502 (Aw viera, peyioty xai ётухоф BoXavós Zyvoßiov . . mientas сіре е! "EQxas тууўѕ уто "egit Xov ToU вой TO» Bwuor Ё idiwv avíS xsv) nennt einen Syrer von vornehmem Geschlechte (C. I. n. 4474), welcher von dem Schutzgotte der Palmyrener selbst, also durch Orakel oder Auspicien, zum Aufseher der Quelle Ephka bestellt worden ist. Auch in griechischem Tempeldienste finden wir priesterliche Beaufsichtigung der Quellen, namentlich in Kyrene, wo an der Felswand, aus welcher das Wasser mündet, noch heute die Linien des Tempelgiebels sichtbar sind, welcher einst die Wobnung der Nymphe als ein heiliges Quellhaus bezeichnete, entsprechend dem dreisäuligen Marmorportale der Peirene auf Akrokorinth. Vgl. Barth Wanderungen durch das punische und kyrenüische Küstenland S. 425. Von der Wiederherstellung des Quellhauses durch einen desen Beamten zeugt die Felsinschrift C. І. бг. n. 5134: Asovvosos Dura iegeireumv тору XQdvav &meoxsvace. Vor- angestellt ist die Jahreszahl dch ry. Die inneren Wände des Felsganges, durch welchen der Quellstrom ausfliesst, sind mit angeschriebenen Namenreihen dicht bedeckt. Die verschiedenen Namengruppen sind von einander gesondert durch die Bezeichnung des Apollopriesters (iz iegéws roù ere AmoAAwvos), unter dessen Amtsführung die Einzelnen zum Zwecke gottesdienstlicher Hand- lung oder neugieriger Besichtigung die Wohnung der gefeierten Quellnymphe betrejen hatten. Barth S. 491. In der messenischen Inschrift aus Karna- sion betrifft ein besonderer Abschnitt der Tempelordnung die Quelle (ræs ap vae rás cvouacuívas дій TOW: doxaiav ёууро фо “Ayvas — тор &тциё- Asıav ёхёт® Mracícrgaros $us àv ©. 4. 68). Die Quelle erscheint hier zu- gleich als der Platz, ап welchem die Opferschmäuse gehalten wurden, und an dem, seiner besondern Heiligkeit wegen, eine Abtheilung der Tempelgelder aufbewahrt wurde. Archäol. Anzeiger 1858, 5. 255. Pausanias erwähnt diese Quelle IV, 33, 4. | Wo das heilige West vom Tempel entfernt war, musste es zur Rei- nigung desselben und zur Vollziehung der Opfer- und Sühnungsgebräuche in den Tempel getragen werden. Daraus bildete sich ein bestimmter Tempel- dienst, namentlich bei solchen Heiligthümern, welche, wie die ältesten des Zeus, auf hohen Bergkuppen lagen. So wurde Tag für Tag aus der Klepsy- 165 ERNST CURTIUS, dra am Abhange von Ithome das Quellwasser zum Zeus Ithomatas hinaufge- tragen. Paus. IV, 33, 1. Dass unter dieser Klepsydra nicht der Ausfluss der Quelle am Fusse des Berges verstanden sei, glaube ich noch immer, wenn auch Vischer (Erinnerungen aus Griech. S. 448) in dem von Le Bas entdeck- ten Grottenbaue unterhalb des Gipfels das Quellenhaus der Klepsydra nicht hat erkennen können. Ohne Nachgrabungen wird sich diese Frage schwerlich entscheiden lassen. Dem griechischen Lutrophorendienste sind die jüdischen Gebräuche am Laubhüttenfeste zu vergleichen, auf welche sich die Reden Christi Joh. 7, 37 beziehen; denn auch in Jerusalem wurde aus der Quelle Siloah das Wasser geholt und in den Hof des Tempels hinaufgetragen. Auch eine Hierodulie mit Verpflichtung des Wassertragens zum Hause Gotles finden wir im Buche Josua Kap. 9, wo den besiegten Gibeoniten dieser Dienst auf- gelegt wird. So werden in Delphi die Tempeldiener zum Weihebrunnen der Kastalia hinuntergeschickt (Eur. lon. 94: АА” ш Фоо AsAQoi Jégares, rds KacraAÍas dgyvgotide;s Baivere divas u. s. w.), und nachher sprengt lon aus goldner Kanne den Tempelboden mit dem unten geschöpften Wasser (V. 146: xgvcé£uv ò ёк msvXÉav Qixpw yaias mayav, dv amoxevorraı Ka- craAías divas). Dreissig Jungfrauen, die Lykiaden, trugen, täglich sich ab- lósend, das Wasser in das Lykeion (Hesych. s. v. Avxıddes), und auch von ` den Vestalinnen ist bekannt, dass sie nach Numas Ordnung aus der Egeria das Reinigungswasser schópften. Im Didymaion finden wir die Hydrophorje als eine hohe priesterliche Würde, welche mit Mysteriendienst verbunden war. Die Inschriften von Branchidae führen eine Reihe von Stiftungen an, welche herrühren von vdooQcgo. "Арт ш:доѕ, тєАёт@тс "är vógoQogíav &VagécTws zez тоМтоц (С. L Gr. 2885), und dass sie sich auch in's Besondere die Versorgung des Heiligthums mit Wasser angelegen sein liessen, bezeugt die Inschrift zu Ehren der Hydrophore Theogenis 2885.b. (И. р. 1120), in der es heisst V. 6: xareoxevaos dà — peta тор dder — — xai фоёата x«i vopelia?] — — xai wonvas ёртоос Эе T|oU роо)? — xai] тд dwg ё EN TOv Org [avé nxe roi] Dees, Wenn die Quelle bei Griechen und Römern als etwas Jungfräuliches auf- gefasst wird, so muss auch die Person, welche das Quellwasser trügt, einen gleichen Charakter haben. So hatte Aphrodite in Sikyon ausser einer älteren GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 169 Priesterin zur Bedienung eine тор.905 iepwournv émértiov Exovaa’ Xovrgo- ioo тўр magOérvov ovouaéovc, Paus. П, 10. Auch bei der Besorgung des Brautbades werden immer Knaben und Mädchen erwähnt, und so ist nichts natürlicher, als dass die Lutrophorie ein bildlicher Ausdruck für die Jungfräu- lichkeit wurde. Auf diese Weise erklärt sich am einfachsten das Symbol, mit dem man bekanntlich das Grabmal unverheirathet Verstorbener auszuslatten pflegte (mais ddeiar čxwr oder Aovrgd Tis хои: боса Xovrgofogos vgl. Be- cker Charikles III, 301.). Dann begreift sich auch, wie schon der Wasser- krug allein diese symbolische Bedeutung haben konnte, wie Eustath. zu Ilias p. 1293 berichtet, wenn er auch den Sinn des Symbols nicht richtig angiebt (eis Zrdeu fr тоў бт; &Aovros Td roueg xai &*ovos тет!) und Hesych. 8. V. Аоотрофбов@. Eine andere Bewandtniss scheint es mit den Wasserkrügen im Grabe zu haben. Die Freude an frischem Quellwasser, die hóchste Freude der Sterbli- chen auf Erden, soll ihnen auch im Hades nicht fehlen. Darum werden in al- len Schilderungen der Unterwelt die Quellen der elysischen Gelilde gepriesen (Aeschin. Dial. ed. Fischer p. 164.). Genaueres giebt die Inschrift auf dem Goldbleche, welches in einem Grabe bei Petilia gefunden worden ist (C.I. 5772). Hier wird dem Verstorbenen als tröstender Spruch die Verheissung mitgegeben, er werde gleich am Eingange des Schattenreichs zur Linken eine Quelle fin- den, won einer Cypresse beschattet. Von ihr solle er aber nicht trinken, son- . dern von dem zweiten Brunnen, den er finden werde, dem frischen Brunnen der Mnemosyne, welcher von unsterblichen Wächtern gehütet werde. Sie wür- den seiner verschmachtenden Seele von dem göttlichen Wasser mittheilen und dann würde er in die Gemeinschaft der Heroen eintreten. Was hier in mysti- sche Lehrform eingekleidet ist, erscheint als einfacher Wunsch, дет Todten nachgerufen, in mehreren Inschriften; so im C. I. 6256: Jugi vdwp doin тш dva£ iviguv "Auge, und n. 6562: doin то; ó "Ocigis то xbuxgöv дар. Es gehört dies zu dem Zustande des vollkommnen Wohlseins, welcher als das eunbuxeiv werd ToU Ocígidos in den Mysterien verheissen wurde. Schópf- kelle und Wasserschale sind die darauf bezüglichen Symbole ägyptischer Kunst. Zoega de obel. p. 306. Böttiger Archäologie der Malerei S. 60. Glei- chen Sinn hat auch der Wasserkrug, welcher sich als Andeutung erwünschter Hist.- Philol. Classe. VIII. 170 ERNST CURTIUS, Erquickung neben Symbolen des Todes und der Unsterblichkeit auf Gemmen findet ( Münter Antiq. Abhandlungen S. 240), und demgemäss wird man wohl berechtigt sein, auch bei den Hydrien, wie bei den anderen Vorraths- und Trinkgefässen, welche dem Verstorbenen mit in das Grab gegeben werden, eine gleiche Beziehung vorauszusetzen. Es soll ausgedrückt werden, dass auch der Todte fortfahre, sich an Trank und Bad zu erfreuen (Aovrgois œs- боиси» 900 оис], wie C. I. 6322 zu lesen sein wird). Eine solche sym- bolische Mitgabe von Wasser würde in einer Grabschrift geradezu ausgespro- chen sein, wenn man C. L 6267 V. 10 mit Sicherheit lesen dürfte: TAUTNV тўр стйАлу ¿nonoa Ушта oe Qiàdoas, dax? dpwon ıbuxgov veg ue- radovs *). Wird das Quellwasser durch künstliche Anlagen dem Heiligthume genà- hert, so ist die Wasserleitung ein zum Kultus gehöriges Werk und wird durch Inschriften als ein den Göttern geweihter Bau bezeichnet. So führte Ditas die lesbischen Warmquellen von Kenchreai in das Heiligthum der Artemis, welche als Thermia bei den Mitylenüern eine ausgezeichnete Verehrung genoss. Von der Widmungsinschrift sind die Worte erhalten (C.L 2172): xgavar мн xodvvav) жа} тб vdgaymyır сто Keyxgesv "Agréuud. Өвсш!@ svaxóo Aíras. Wahrscheinlich ist auch der Altar C. I. 5941 mit der Inschrift: Jeg ѓётухбо `Астёшд; Ахл; (7) Zwreige Avg. ’EAmiwveixn der Heilgóttin Ar- *) METAAEC steht in der schlechten Abschrift bei Montfaucon. Franz: ueradog. was ohne Anrufung eines Gottes keinen Sinn giebt. — Auf das Todtenbad be- ziehen sich nach meiner Ansicht auch die Oelfläschchen, welche bei der Aus- stellung der Todien wie bei der Bestattung vorzugsweise im Gebrauche waren. Wenn wir also die Gefässe im Grabe nicht als schmückenden Hausrath, sondern als einen symbolischen Ausdruck fortdauernder Lebensfreude auffassen, so würde dadurch der Sinn, welcher der Ausstattung der Gräber zu Grunde liegt, klarer zu Tage treten. Wie wenig darüber bisher ermittelt war, sprechen O. Jahn Vasensammlung K. Ludwigs S. LXXXVI und Gerhard Arch. Zeitung 1855, S. 107 offen aus. — Auch in christlichen Grabschriften kommen, wenn auch in ganz anderer Auffassung, die дато cévaa vor, deren sich die Seele erfreut. So auf dem Denkmal von Autun. In der Inschrift aus Krommyon (Arch. Zeitung 1844, S. 296. Vischer Erinnerungen S. 229): dwijostgaza Вуха пус eis Ange bezeichnet die Quelle wohl den Ursprung. GRIECHISCHE QUELL - UND. BRUNNENINSCHRIFTEN. j 171 temis geweiht. Der Name Kenchreai kommt mehrfach vor, und sowohl das argivische (Peloponn. II, 564), als auch das korinthische ist durch Quellen ausgezeichnet. Auch in Smyrna haben sich die Trümmer einer geweihten Wasserleitung erhalten, mit der Inschrift (C. I. 3146): гісаҳ 92у vdwp Ze ròv Ala TOv ' Axgaiov ёт) OdAmiov Тосіаро?. Es ist der Vater des Kaisers. Ueber Zeus Akraios s. Keil im Philol. 1854, S. 454. In der Inschrift aus Karnasion (Arch. Anzeiger 1858, S. 255) wird dem Agoranomen die Auf- sicht über die Wasserleitungen anbefohlen, auf dass zur Festzeit Niemand die- selben beschädige (2 то dè ётиш вір 6 ayopavomos xai vmig ToU Gdaroe ўтов хате Tv Ts marnyuguos Xoovov undeis жахотой ante... AHMA (тд пАўџа? mASua, mAnpwua Hesych. also Wasserreservoir, aus dem die Kanäle gespeist wurden) ите ToUs Oxerois, MÝTE dv Ti EAAo хатасиво- wë? iv rd ieg хори тоб фдито). Das Ausführlichste, was in alten Ur- kunden über die Versorgung eines Tempels mit Wasser vorkommt, enthält die Trózenische Inschrift, welche von Rangabé Ant. Hell. П, 785, und von Pit- takis in der Arch. Ephem. XL n. 2581 herausgegeben, und dann von Bursian im Rhein. Mus. 1857, S. 321 ff. behandelt worden ist. Leider ist aber der Zustand des Steines der Art, dass ein zusammenhängendes Verständniss un- möglich ist. Hier wird unter den Arbeiten, für welche laut der Inschrift Geld aus öffentlicher Kasse gezahlt worden ist, ein Quellbau erwähnt, welcher das oberhalb des Tempels entspringende Wasser einfassen und es dann durch Ka- näle und Röhren in den Tempelhof leiten sollte, so dass es hier in den heiligen Brunnen aufsprudeln und die Perirrhanterien füllen konnte. Die Hauptquellen werden hier mit dem Worte сиси (scaturrigines), das Ableiten derselben aus ihrem natürlichen Laufe wird mit dem Ausdruck wpúæs rcs vm той 10000 торттой? bezeichnet. | Eine Verbindung von religióser Widmung und gemeinnütziger Bestimmung fanden wir schon oben in der eryibräischen Inschrift, deren Urheber zugleich den Nymphen huldigte und der Vaterstadt sich nützlich erweisen wollte (тӯ margidı тд dwg). So wird der Imperatorenkultus mit dem städtischen In- teresse vereinigt in der Inschrift n. 1730: @eois Zeßarrois xai тӯ пола түу хур xai rd тод raus Ва9ио05 xai тд &moixiov Zevorgarns xai Evpa- piðas dyéðnzav ёх тоу lev xai TX» тоб vdaros sicaywyny. Nach der 12 172 ERNST CURTIUS, Abschrift von Rangabé Ant. Hellen. Il, p. 780 kann man in der ersten Reihe auch rc weg! ToUs [mS uos vermuthen. Die Inschrift findet sich in der Umfassungsmauer des berühmten Klosters des h. Lukas, das wahrscheinlich an der Stelle des Demetertempels von Stiris steht. Nach diesem Heiligthume scheint also der Kanal geführt worden zu sein, denn ein eigentlicher Aquä- dukt ist hier nie gewesen. Es musste immer zur Quelle hinabgestiegen wer- den (v тётосиѕ öpwouyuern xal dgvovras xaTióvres Ze Tv ттүү» Paus. X, 35, 5); daher werden auch die (wahrscheinlich vergitterten) Stufen erwähnt, Von solcher Quellenlage sagt der Schol. zu Theocr. VII: vdaros 0 romos év- douvxsi. Viele alte Quellgebäude waren dieser Art, wie Paus. П, 35 angiebt: nern сФӧдра doxaía, Ze dà avv ov Qavegds TÒ Udug Sr, émiei- по d ovx бр тоте, oud Si mavres naraßarres одо шут: ё auris. ein Zusatz, der in Griechenland am wenigsten überflüssig war, wie wir aus De- mosthenes de Symm. $. 30 sehen: xai усо tas хоираѕ xai rà Фоёата Ze Asırew TÉQuxsv, éiv т dm aurait aOgóa xai oA Xd Aamßary. Dass aber auch solche tiefliegende Brunnen, wie der von Stiris, durch ihre künstlerische Ausstattung sehenswerth sein konnten, bezeugt Paus. IX, 38 von dem Brunnen der Orchomenier, der in der Nähe des Charitenheiligthums gewiss noch aufge- funden werden kónnte. Der Brunneninschrift von Stiris ganz verwandt nach Zeit und Form der Fassung ist die aus Cassaba zwischen Sardes und Smyrna im С. 1. 3454: Kiavdiw Кайар Zeßaors Veguavix9 тф AvroxgdároQi 1 naroxia ёх Tdv dien mópuv Tas noivas xal тд Endoxiov nal Td vògaywyia xa д:#рш- тєр, EmineAngEvros `АттаХоо той `Аттаћо» "AmoAAwviov Koaviov. Hier war eine von Sardes aus in der Kaiserzeit gegründete Niederlassung, keine Stadt, sondern ein offener Ort, der aber doch seine Laufbrunnen, seine Was- serleitungen und sein Wasserbassin hatte. Das Wasser, welches aus den Tempelquellen zugeiragen oder durch Kanäle zugeführt wurde, diente zugleich die schalenfórmigen Gefässe zu füllen, aus denen sich die besprengten, welche zum Heiligthume eingehen wollten; daher heisst die Besprengung in dem pythischen Spruche der Anthologie ( XIV, 11): vvuQaíov рёратоѕ ауадан. Diese Gefüsse oder Perirrhanterien, über welche Bótüicher in der Tektonik Buch IV, S. 51 ff. ausführlich gebandelt hat, GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 173 sind auf Vasenbildern (namentlich Archäol. Zeitung 1849 N.12) und Reliefs (Bötticher Baumkultus Tafel 18 Fig. 54) deutlich zu erkennen. Von solchen Gefässen finden sich noch häufig die abgebrochnen Füsse mit dorischen oder ionischen Hohlkehlen in griechischen Kapellen, welche auf dem Platze alter Heiligthümer stehn; vgl. Leake Morea I, 498. Sie waren in grosser Zahl vorhanden; sie bezeichneten die Gränzen heiliger Bezirke und die verschie- denen Stationen auf dem Tempelwege. So stand auf der Akropolis gleich oberhalb der Propyläen der Erzknabe des Lykios mit dem Weihwasser (Paus. L 23,5); hier war der Anfang der heiligen Räumlichkeiten der inneren Burg. Daneben war, wie an den Quellen, ein Steinsitz zum Ausruhen; Silenos solite sich daselbst auf seiner Wanderung niedergelassen haben. Ausserdem hatte aber wieder jeder Tempel beim Eingange sein besonderes Weihwasser. Ge- füsse dieser Art von kostbarem Stoffe und kunstvoller Arbeit waren besonders beliebte Weihgeschenke. Sie trugen als Inschrift die Widmung an die Gott- heit; eine gefälschte Inschrift war die des goldnen Perirrhanterion in Delphi, welches den Namen der Lakedümonier trug, obgleich die Hauptsache daran von Kroisos herrührte. Herod. 1,51. Ein Weihgefüss, zu religiósem Gebrauche bestimmt, scheint auch die kleine Säule getragen zu haben, welche vor der Kathedrale von Sorrento steht. С. I. n. 5869. Мап liest mit einiger Sicherheit nur die Worte: — Svya ra Ovéxrgi£ Qontopor Beck [rhv] Bou cxvQo —. Es war ein Weihgeschenk in einem der Phratriengebäude von Neapolis. С. І. n. 5805. Sprüche, auf den Gebrauch des Weihwassers bezüglich, sind auch aus der vorchristlichen Zeit vorhanden, wie namentlich jene Unterweisung der Pythia (Anthol. XIV, 71), welche die Bedeutungslosigkeit einer bloss äusser- lichen Reinigung den Besuchern des Heiligthums ernst und strenge vorhält: gs ders foi uerai (doe? vermuthet Jakobs) Bas Aids судра dé Qator os) dv ô näs viai vduaci 'Klxsavós. Desto häufiger werden in der byzantinischen Zeit die Umschriften auf dem Rande der Wasserbecken, wie jener bekannte, vor- wie rückwärts gelesen, gleichlautende Spruch: vipor dvopńparta, uñ póvav Ze (Anthol. Ш, 5. C. 1. Gr. 8940). Die Verehrung der Quellen gehört der ältesten Religion der Griechen an, jener Naturreligion, welche sie mit den verwandten Völkern des arischen 174 ERNST CURTIUS, Stammes theilten. Die Quellnymphen sind im Besitze ihrer heiligen Stätten gewesen, ehe die Olympier ihre Altäre aufgerichtet hatten; sie haben sich gewehrt gegen das Ansehen der neuen Gótter, wie Telphusa gegen Apollon (vgl. Maury Histoire des religions de la Gréce ancienne I, S. 160); sie haben sich zu ihnen in eine untergeordnete Stellung fügen müssen, aber haben sie am Ende lange überleb. Quell- und Baumdienst auszurotten hat den Boten des Christenthums am meisten Mühe gemacht; der uralte Volksglaube an die Nereiden lebt noch heute bei den Nachkommen der Hellenen, und die Kirche hat nichts Wirksameres thun kónnen, als die altheiligen Naturmale auch ihrer- seits anzuerkennen und der Verehrung derselben eine christliche Richtung zu geben. (Vergl. Rudorff über rom. Brunnenordnung in der Zeitschr. f. gesch. Rechtsw. XV, S. 216). Daher sprudeln so manche Quellen, wie die oben besprochene des Огороѕ, in der Mitte christlicher‘ Kapellen hervor. Der Mutter Gottes wurde selbst unter dem Namen der @sorcxos у Пуух oder 1 ër тӯ Iny von Justinian ein Heiligthum vor den Mauern von Constantinopel gegründet. Auf der Marmortafel in der Markuskirche zu Venedig ist das Bild der Jungfrau dargestell und darunter die Inschrift des Kaisers Michael, welche sich auf den von ihm angelegten Laufbrunnen bezieht. Sie ist in den Monatsberichten der К. Preuss. Akad. der Wiss. 1855 S. 480 und im C. 1. Gr. 8706 herausgegeben. Auch die antiken Wassergefässe und die Bauformen geweihter Brunnen gingen in den Dienst der Kirche über. Säulenhallen (oroa? Qosarixai) und . Lówenkópfe schmückten den Brunnen in dem Atrium der H. Sophia und, wie wir noch heute die Untersätze der alten Perirrhanterien in den Kapellen als, Stützen des Altars verwendet finden, so wurden auch die Schalen aus Edel- stein (фиАх iaomidos ёхтомов &xgws Paul. Silent. S. 595), Marmor und Erz durch christliche Symbole und Bibelsprüche (wie Jesaias XII, 3 und Psalm XXIX, 3) geweiht, um als Weihwasser- und Taufbecken zu dienen. Ueber diese Gefásse und ihre Inschriften handelt Paciaudi im sechszehnten Abschnitte de sacris balneis. Vgl. C. I. 8726. 8758. 8938. 8939. Endlich sind unter den Denkmälern, welche sich auf die den Nymphen geweihten Quellen beziehen, auch die Gräber mit ihren Inschriften zu erwäh- nen. Denn da man im Allgemeinen zu Grabstätten gern solche Plätze wählte, GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 175 welche häufig besucht wurden und zum Verweilen einluden, so waren schon aus diesem Grunde Quell- und Brunnenorte sehr beliebt. Dazu kommt der vielbezeugte Wunsch der Alten, auch im Tode frisches Wasser in der Nähe zu haben. Es werden also Brunnen zum Gedächtnisse Verstorbener errichtet und mit der Erinnerung des erfrischenden Trunkes, der dem Wanderer daselbst zu Theil geworden, soll auch das Andenken des Bestatteten ihm im Sinne bleiben. So das Epigramm des Nikias (Anthol. IX, 315. Meineke Del. p.53): "фео ór aiyeigowiv, ёте? naues, Zrädd odia, xci mie Qüccov Zeit miðaxos оретёраѕ` uvácai 0 xgdvar xa d"ómgoOi, rdv ёт? TiAAw Уи dmoQOiufvo naidi magidgVerau. Das Quellgebüude wird zu Ehren des Todten mit Kränzen geschmückt, wie das zu Sagalassos in Pisidien, über welchem sich noch ein Stück der Inschrift erhalten hat: — ёх тор dia Emoinse xai rous oreỌavovs vie шоў ArT- zéihen avedyee. C.I Gr. n. 4373c. Dazu kommt nun noch die Beziehung auf die Nymphen als Todesgöttinnen. Es war eine tröstlichere Vorstellung, wenn man sich verstorbene Kinder nicht als Beute des Todes, sondern als einen Raub der Nymphen dachte (made усо ZeZÄär йотса ws regmonv Хас, ov Qavaros CL 6201, 19), welche immer die lieblichsten Gestalten enirafften, wie den Hylas und den schönen Trasimenus. So wurde der Tod zu einer auszeichnenden Gunst der Götter (Chariton Aphr. Ш, 3), zu einer Ehre, wie es in der Grabschrift der Philesia heisst: sva. zeyvaial we suvnpmacar ёх (Moron, xai Taxe mov тіиўѕ eivena тойт ёпо ор. Cl 6293. Es ist darum nicht nóthig, bei solchen Denkmälern an einen Tod des Ertrinkens zu denken. Auch der Grabstein des Priskos (С. І. 997) stand dxoU Милфашу, 696v содетог тту АЭуруѕ (nach Welcker Sylloge p. 15), und nach Bóckhs ansprechender Vermuthung sind es hier die Oreaden, welche als die Entführerinnen des Knaben genannt werden (dy röre yag ne daxpussıs "Aidns я "Осе ўістоюсғр). Denn als Beleg einer solchen Vorstellung, den Welcker vermisst, kann doch wohl das Epigramm der Anthol. VII, 518 angesehen werden: 'Acraxíóm» тд» Коўта, tòr aimóXov, horace Nous LE ügsos" xai уйу iegós `Астажідиѕ u.s.w. Hier wird also der Tod geradezu als Apotheosis dargestellt. Eine besondere Bewandtniss hatte es mit dem 176 ERNST CURTIUS, Quellengrabe der Herophile, weil diese als Sibylle selbst ein den Nymphen verwandtes Wesen war. Eine viereckige Herme stand neben ihrem Grabe im Smintheion und zur Linken strómte eine Quelle, die in einen Brunnen gefasst und mit den Bildern der Nymphen geschmückt war. So haben wir auch in der erythräischen Inschrift die Nymphen mit der Sibylle vereinigt gefunden. Pausan. X, 12, 6. Benachbarte Quellen begünstigten endlich auch die Pflanzungen, mit denen man die Gräber zu schmücken liebte; denn am liebsten hatte man solche Blumen, die von einem wasserreichen Boden zeug- ten. Vergl. CL п. 6789: dräea поло ‹уёушто veodudTo ёт) тидо, ий Baros аўҳшиой, un xaxov aiyimugov, dAN іа xai odmbouxı xai vdarivn vdQxiccos, Ovie, xai тєр! coU тут *yÉvorro бода. Was die für den städtischen Bedarf bestimmten Gewässer betrifft, so verlangt Aristoteles, dass in wohl geordneten Städten, wenn nicht alles Wasser von gleicher Güte und in grosser Fülle vorhanden wäre, das zur Nahrung und das zu anderem Gebrauche bestimmte genau unterschieden werde (Polit. 113, 11 ed. Bekker 1855). Pausanias III, 25, 8 erzählt, dass eine Quelle bei Tainaron, früher durch eine wunderbare - Spiegelklarheit ausgezeichnet, von einer Frau durch Abspülen eines Kleides befleckt und für alle Zeit ihrer früheren Eigenschaft verlustig gegangen sei Welchen Werth die Alten auf wohlgelegene Waschplätze legten, welche vor der Stadt an einem wasserreichen Flusse in der Nähe seiner Mündung, wie in Scheria, oder am Burgabhange unterbalb reichlicher Quellen, wie in Шоп, wo die breiten Felsgruben sich das ganze Jahr hindurch von selbst mit fliessendem Wasser füllten, das be- weisen die sorgfältigen Beschreibungen in der Odyssee VI, 86 und Hias ХАП, 153. Auch in der Inschrift von Akrai (C. L 5430, 35) wird ein stádtisches Grundstück in der Nähe des öffentlichen Waschplatzes angeführt (SeuéA;ov Tori тАлто%). Die Athener hatten in alten Zeiten, wie noch heute, ihre Wäsche im Bette des llissos, wo derselbe unterhalb der Kalirrhoe auch jetzt noch in der Regel Wasser zu haben pflegt und durch felsigen Boden das Geschäft begünstigt. Vergl. Wordsworth Athens. 2 ed. p. 162. Vischer Erinnerungen S.190. Ein mérkwürdiges Kunst- und Schrifidenkmal hat sich von der hier geübten Tháligkeit der alten Athener erhalten, ein Beweis, wie sie auch dem unscheinbarsten bürgerlichen Geschäfte eine religiöse GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 177 Weihe und eine künstlerische Bedeutung zu geben wussten. Es ist das Nani- sche Relief, das vor hundert Jahren am llissos gefunden wurde und jetzt im griechischen Saale des Berliner Museums aufbewahrt wird. Es ist mehrfach abgebildet (Paciaudi Mon. Pelop. I, 207. Millin Gall. Myth. n. 327. Abh. der K. Pr. Ak. d. W. 1846) und besprochen (von Schöll in den Arch. Mitth. aus Griechenland S. 104 und Panofka in den Abh. der Akad. a. a. O.), ohne dass eine überzeugende Erklärung gelungen wäre. Die Bedeutung des Ganzen ist klar durch die beigeschriebene Inschrift (C.L 455): oj mAvras NvuQaus уб муш avéSecav xai Deos ndor, worauf die Namen von elf Männern folgen, welche theils Metöken, theils Freigelassene gewesen zu sein scheinen. Es sind die Mitglieder einer Innung, welche in der bezeichneten Gegend die Wüsche der Bürger besorgten; denn es war bekanntlich Gebrauch, alle Kleider hinaus in die Waschgruben zu schicken, von wo man sie nach einiger Zeit wieder abholen liess. Machon bei Athen. 589,4. Sie wurden daselbst ihrer Beschaffenheit gemäss behandelt, gewa- schen oder gewalkt. Daher schwankt auch der Sprachgebrauch, und nach Móris Attic. p. 242 war aime nur der ältere, xvaßeis der jüngere allische Name derselben Leute, was mit dem Wechsel der attischen Mode, in Be- ziehung auf den Gebrauch linnener und wollener Kleidung wohl überein stimmt. Vergl. Becker Charikles I, S. 354. Um so wahrscheinlicher ist es, dass mA uvess, als der ältere Name, auf diesem amtlichen Denkmale klassischer Zeit (dessen Schrift schon jede Beziehung auf rómische Kaiser zurückweist), das Gewerbe der Fullonen bezeichnet, von deren Thätigkeit das Wort mAvvew immer das sewöhnliche blieb, wie Athen. 484, a bezeugt: Td ийт Tote XQuj48VO: фуриаті (8с. TQ ovpw) тАдуора oi *yva eis. Die Darstellung zerfällt in zwei Theile. Oben ist das Lokal dargestellt mit den ländlichen Göttern und den Naturkrüften, welche der Arbeit dienstbar sind. Ihnen ist daher auch in Folge eines Gelübdes, das wahrscheinlich in der Zeit grosser Dürre dargebracht war, das ganze Denkmal geweiht. Die Nymphen in heiliger Dreizahl sind die Hauptpersonen; es sind die Nymphen des llissos, und sie werden ehrenhalber von Apollon als Choregen geführt. Rechts spielt Pan ihnen auf; links sieht man die Maske des Acheloos, das Symbol strómender Wasserfülle (vergl. Panofka über den bürtigen Kopf auf Hist.- Philol. Classe. ҮШ. Z 178 ERNST CURTIUS, Nymphenreliefs. Abh. der Berl. Ak. 1846). Von den Quellen, an denen sie thütig sind, hiessen auch die rómischen Walker Fontani. Mommsen Zeitschr. f. gesch, Rechtsw. XV, S. 330. Die untere Hälfte ist durch den Altar in der Mitte als eine auf den Cultus bezügliche bezeichnet. Der Cultus aber kann doch nur der Gottheit gelten, welche die Innung als die Vorsteherin ihres Gewerbes ansah. Sie trägt kein anderes Attribut an sich, als einen frucht- ähnlichen Gegenstand, den sie in der rechten Hand hält; Panofka (5.229) erkannte eine citronenförmige Frucht. Da sie grösser als eine gewöhnliche Citrone ist und die ganze, halb geöffnete, Hand füllt, so wird man am rich- tigsten an die Frucht der heutigen xidgid (citrus decumana, unAo» undırov nach Fraas Flora Cl. p.85) denken. Die Früchte dieser Gattung hatten aber bei der Behandlung der Wüsche eine besondere Bedeutung. Theophrast bezeugt, dass die mepoixa d иуда je benutzt wurden, nicht nur um den Kleidern Wohlgeruch zu geben, sondern sie auch gegen Mottenfrass zu schützen. Hist. pl. IV, 42. Eine solche Frucht passt also sehr gut in die Hand der Göttin, welcher die Wäscher die feinere Ausbildung ihres Gewerbes dankten. Ihr zur Seite steht als Gehülfin eine kräftige weibliche Figur; sie trägt in der Rechten ein Holz, von dem man schon aus der Art des Anfassens und Auf- stützens sehen kann, dass es keine Fackel ist, wofür man es genommen hat; ein ähnliches stabförmiges Holz hält sie in der Linken. Es scheinen dies nur Geräthe zu sein zum Rollen und Schlagen der nassen Kleider, wie noch heute an gleicher Stelle die Athenerinnen ihre Wäsche schlagen, so dass es an den Felsufern des llissos weithin wiederhallt. Suchen wir nun den Namen der sitzenden Gottheit, so hilft uns die Kunde, dass die römischen Fontani oder Fullones in der Minerva als Ergane die Schutzpatronin ihres Gewerbes ehrten (hanc cole, qui maculas laesis de vestibus aufers Ovid. Fast. Ш, 821) und ihr das Fest der Quinquatrien feierten. — Vergl. Mommsen a. а. О. Jahn Arch. Ze 1854, S. 191. Dadurch tritt Athena in nahe Beziehung zu den Nymphen und Quellen, und ihre Symbole, Eule sowohl wie Oelkranz, finden wir in der Walkerwerkstätte des pompejanischen Bildes Mus. Borb. IV 449, 50. Wir werden deshalb in Athen nicht Anstand nehmen, die Stadtgótlin, in der häuslichen Gestalt der Ergane, als Vorsteherin der Wäschergilde anzuerken- nen, und insofern sie auch in dieser Eigenschaft zu der stattlichen Erscheinung GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 179 der jungen Athener das Ihre beiträgt (denn die Gewünder wurden nicht nur rein gemacht, sondern auch glänzend; vgl. Casaubon. zu Theophr. Char. X, 4), scheint es durchaus angemessen, dass die Wüscher, um die Bedeutung ihres Gewerbes anschaulich zu machen, auf ihrem Votivsteine einen attischen Bürger abbildeten, welcher sich im Schntucke seiner wohl gepflegten Kleidung, wie bei einer Musterung, der Athena vorstellt. Indem er ein Ross führt, wird er als einer der Ritter bezeichnet, in denen feine altische Sitte sich am glän- zendsten zeigte. Die Gewässer, welche zum Trinken und Wasserschópfen dienten, waren natürlich aller Orten die besuchtesten Plätze. An den Brunnen stellte man darum die Statuen auf, denen man einen ausgezeichneten Standort geben wollte, wie das Bild des Agrippa bei den Thermen in Mitylene (C. L 2176); bei den Wasserplützen der Küste Eubóas schrieb Themistokles seine Aulfor- derung an die lonier nieder, durch welche er sie bereden wollte, die per- sische Sache zu verlassen. Her. VIII, 22. Eine Gegend, wo viele Brunnen zusammen lagen, nannte man in Akrai Qozr;a, daher werden in Inschriften Әғи лои тот! Ponrios angeführt (C. І. n. 5430, 16, 18); vgl. den Namen IoríoXo: ame rav Qgedrov Str. 448. Auch kommt der Name 'Evvógía für eine wasserreiche Gegend vor, namentlich für die Niederung vor der porta Capena (Preller Bom. Myth. S. 509); man scheint selbst eine Nymphe dieses Namens verehrt zu haben, wenn der Ligorischen Inschrift n. 5968 ("Evvdg[a] ` П. Iomigsos Aovxiov Tlamıgiov ameAevgegos"Epws avémxev) zu trauen ist. Verschieden von den Qosaría, oder senkrechten Schachten sind die zum Wasserzuflusse und zum Abzuge angelegten Stollen oder vzóvouo,, über deren Anlage ich in der archäologischen Zeitung 1847 S. 26 ff. gehandelt habe. Noch anderer Art sind die schräg durch alte Burghóhen gehauenen Gänge, welche zu Wasserplätzen hinabführten, die tief im Innern versteckt lagen. Solche ougıyyes und voge;m beschreibt Strabo S. 961 in seiner Vaterstadt, und diese bewunderungswürdigen Werke sind neuerdings von Hamilton (Re- searches in Asia Minor I, p. 366 ff.) aufgefunden und untersucht worden. Auch hat er ganz entsprechende Anlagen in andern alten Kastellen gefunden (vgl. Ritter Klein- Asien I, S. 169) und ich zweille nicht, dass der Felsgang auf der Höhe von Munychia (de port. Athen. p. 14) ein ähnliches Werk sei. 22 150 : ERNST CURTIUS, Wo die Kanäle überirdisch sind, werden sie zuweilen mit Inschriften versehen, welche den Namen des darin fliessenden Wassers nennen. Doch kommen dergleichen nur aus römischer Zeit vor; es sind Inschriften, welche den Wasserweg vor Beschüdigung und Usurpation schützen sollen. So sind die smyrnäischen Inschriften n. 3146 (2х той ғ/соҳдёрто vdaTos émi TOv Aa) und 3147 (Teoaiavov daos dmoxaraoradevros u.s.w.) ohne Zweifel als Aufschriften von Wasserkanälen zu betrachten. Die thónernen Röhren werden in der oben erwähnten trözenischen Inschrift ode (avAaxss 0доофоро C. I 5649.h.), genannt, ibre Legung avAdvw £guaccis (Epuacıs), und die gelie- ferten Ziegel werden dem Fabrikanten nach Drachmen berechnet. Wasser- rühren von Erz erwähnt Diod. XII, 10. Die Gründer von Thurioi fanden unweit Sybaris einen solchen aus alter Zeit stammenden Röhrenbrunnen und machten ihn zum Mittelpunkte ihrer neuen Niederlassung. Denn da sie die Röhre daselbst u£disvos nennen hörten (es ist eigentlich der modulus aeneus, cui fistulae adplicantur: Frontin. 36), sahen sie hier das mitgegebene Orakel erfüllt (иётош фәр mivovres, duergl д2 ибир #доутев Bergk. Rel. Com. Att. 53). Eine schlecht erhaltene Inschrift aus dem sicilischen Neton n. 5467 lässt zweifelhaft, ob der in derselben erwähnte Quellbau zum Cultus in Bezie- hung stehe oder nicht. Mit Sicherheit liest man nur: Kevrogermreivos xate- cxívaucs (oxevów f. orevagw wie in theräischen Inschriften) xgavav. Voran stehen zwei Namen, die Franz Evrvxíóas "AyagorAsida liest; es folgt EAEI, was Münter veranlasste eine Widmung an die Eileithyia anzunehmen, deren Heiligthümer sich häufig neben Stadtthoren und Thorbrunnen finden. In Megara finden wir die Eileithyien neben den zv/A«; NvuQddes. Paus. I, 44. Franz dachte daran ’EAevF&ox als Namen der Quelle zu ergänzen. Von besonderer Wichtigkeit waren künstliche Brunnen in den Gymnasien, um hier die Bäder zu versorgen und den Baumwuchs zu fördern. Theophrast rühmt die Platane im Lykeion (тўу хато rov oxerör Н. pl. 1, 7, 4) und die Bewässerung der Akademie galt für eines der grössten Verdienste Kimons. Vol. Petersen das Gymnasium der Griechen 1858, S. 40. бо wird in ei- ner Inschrift aus der Zeit des Philippos Aridaios unter verschiedenen auf öf- fentliche Gymnasien bezüglichen Anlagen in Mylasa auch die sëgug и é[xxé- . ovea тё] 0дшр eis тур maXaícrQav erwähnt (C. I. 2692). Indem also die GRIECHISCHE QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. 181 Laufbrunnen nach einem bestimmten Platze hin ausmünden, geht der Begriff хомут in den der Wasserleitung über; so wird Meton von Phrynichos ( Mei- neke Fragm. Com. I, 589) ò ræs xg9ras goot genannt; eine Andeutung, welche Ullrich in den Beitrügen zur Erkl. des Thukydides S. 87 mit Wahr- scheinlichkeit auf die Ausdehnung der städtischen Wasserleitungen nach dem Peiraieus gedeutet hat, der zu Anfange des peloponnesischen Krieges nur Ci- sternen hatte. In Megara, das seit ältester Zeit sich durch Wasserbaukunst auszeich- nele, wie die Werke des Theagenes beweisen und die des Megareers Eupa- linos, stellte im vierten Jahrhunderte Herculius die alten Kanäle wieder her (тоору Zumedov daags Nuupav С. I. n. 1081. Welcker Sylloge n. 155. Vgl. den Quellennamen ’Euredw, wie früher die Klepsydra der Akropolis hiess, ‘a perennitate" Lobeck Technol. р. 323), und etwa ein Jahrhundert später berichtet eine von Chandler zuerst bekannt gemachte Inschrift (jetzt im C. I. n. 8622) von den Geschenken des grossmüthigen Komes Diogenes, welche zur Wiederherstellung der Bäder in Megara verwandt worden sind. Ein Brun- nengebäude zum Schmucke der Stadt, als freiwillige Zugabe bei einem aus öffentlichen Mitteln geführten Wasserbaue, lernen wir kennen aus der Inschrift des Aelianus Philopappus in Adriani am Olympos in Bithynien (ёт шеАл9&$ tis ToU UdaTos ғісачуоуӯѕ ёж Tav Óupociow xQuucTow, éÉ vmooxécews ттр хойуу ёх тйк Zi трйто$ amoxartsrncev) C. I. п. 3797 c. Auch von den Bruchstücken, welche in der Serailmauer von Constantinopel eingemauert sind (С. I. 8699), wird das erste auf Wiederherstellung eines Brunnens zu beziehen sein, wie die Worte: ro тоў zuavge|uévor] — diavyès xai Year Evnv Zon zeigen; E£vos in der Bedeutung ‘durch Schönheit überraschend’ kommt in byzantinischen Inschriften mehrfach vor; so хтісио E&vov C. 1.8750. In den genannten Schrifidenkmälern handelte es sich um Brunnen und Wasserkanäle. Grössere Wasserwerke, welche als selbständige Bauten sich ' auszeichnen, werden mit Inschriften ausgestattet, welche die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden zu Ebren der Gründer in Anspruch nehmen. So die Wasserleitung bei Cora in Samos, das Werk eines römischen Statthalters, welchem es verdankt wird, ‘dass Wasserströme über die sonst dürren Fels- klippen hinrauschen ', und der es verdient, dass die Wanderer ihn preisen, die, 182 ERNST CURTIUS, nun zuversichtlich des Weges gehen können. С.І. 2257. Die Inschrift, welche sich an der Wasserleitung beim Kloster Der Kalah, östlich von Berytos, findet, hat das Eigenthümliche, dass sie sich nicht auf das ganze Bauwerk bezieht, sondern nur auf die Ausmündung, zu deren Schmuck derjenige, in dessen Na- men die Inschrift spricht, eine eherne Ammonsmaske, ein Kunstwerk aus Rho- dos, gestiftet hat. Die Inschrift ist zuerst durch Seetzen bekannt geworden (vgl Seetzens Reise I, S. 257), und dann in neuerer Zeit mehrfach abge- schrieben und besprochen worden: C. L n. 4535. Man liest -gev avégQuxa T«Ao9sv ёх уйсоо Pódov TÉxvacua mogEvor "Ацишуо$ хераоб KaAxeov avrirumor — трохёоута {3оото%$ iegodQóuov одоо. Letronne hat in der Revue archéol. 1846, р. 72 ff. die letzten Worte ausführlich behandelt und die (von Franz in den Add. p. 1176 gebilligte) Lesart œego- doóuov in Vorschlag gebracht, wofür die Thatsache angeführt werden kann, dass die Ruinen des Aquädukts eine dreifache Bogenstellung zeigen, und der Sprachgebrauch, welcher in ähnlichen Wendungen solche Bauten bezeichnet (és néga moAAor (ёрои viua С. 1. 5649. h. Rutil. Itin. I, 97: quid loquar aério pendentes fornice rivos?). Indessen haben alle Abschriften, auch die von v. Kremer 'Mittelsyrien und Damascus’ und Saulcy Voyage pl. ТҮП: ʻe- godpópor, und die Inschrift bezieht sich ja gar nicht auf das prachtvolle Mauer- werk des weitgestreckten Aquädukts, sondern allein auf die Ausmündung des- selben, welche durch die Ammonsmaske geheiligt wird. So heisst, wer einen geheiligten Raum durchmisst, ein /egoópóuos. Zeus Ammon als Quellenspender ist bekannt genug. Diese Symbolik zeigt auch noch in diesen spüten Zeiten den edlen Sinn griechischer Kunst. Ausser den Masken von Góttern und von Thieren, welche. das strómende Wasser bezeichnen, wie Lówe und Eber, kommen auch andere sinnbildliche Ausstattungen von Wasserleitungen vor. So das Relief beim Ausgange des Wasserkanals im südlichen Taygetos, wo man an der einen Seite einen Hercules erkennt (Pelopon. Il, 273). Auch den Phallus findet man an Wasserleitungen angebracht. Jahn in den Ber. der K. S. Ges. d. Wiss. 1855, S. 75. Ganz in rómischem Stile geschrieben und mit dem rómischen Originale, GRIECHISCHE. QUELL- UND BRUNNENINSCHRIFTEN. x 183 aus dem sie übersetzt ist, auf einem Steine befindlich, ist die Wasserleitungs- inschrift, welche in Varna gefunden worden ist und die Lage der milesischen Pflanzstadt Odessos bezeugt. Sie ist von Arneth im Junihefte der Sitzungs- berichte der philos.-hist. Cl. der Kais. Ak. der Wiss. 1851 herausgegeben. Die griechische Fassung unterscheidet sich von der lateinischen nur durch das vorangestellle сус 9 ruxy; darauf folgt: Avroxocrop; Катар; Тіто Av. Ме Adpar "Avrwveivw Evoeßei Agxiegei Meyícrw largi Пато 1 aóAus "Odveceirv Some AXE то Ge | jonyayer argovoovu£vov [Ti]rov Ovi- rgacíou HwAAswvos тоєбВеото xai avrıorgaryyov. Die voranstehenden Dative vertreten nur die Stelle des ablativus absolutus. Von der Verbindung von Wasserleitung und Nymphaion giebt die kata- näische Inschrift n. 5649. h. ein merkwürdiges Beispiel. Es ist auch eine bilingue Inschrift; aber hier handelt die griechische, das Gedicht eines Ennoios, von der ersten Einrichtung des Werks, die lateinische, wie Franz erkannt hat, von einer viel späteren Wiederherstellung. Die Tafel war an der Grotte selbst angebracht. Auf ihre Beschaffenheit bezieht sich das erste Distichon: Daun d №уифоиѕ Eoyov wa Önmsoepyos ov *ydg иш cOevagyv SIE ётё Jeuıror. Der Baumeister entschuldigt sich, dass er kein schöneres Werk zu Stande ge- bracht habe, indem der weiche, brückelichte Stein kein starkes Angreifen ge- stattete. Die Grotte war deshalb flacher und kunstloser geblieben. Der Bau- meister hatte erst die Wasserleitung gemacht und dann das Nymphaion ausge- wölbt; er war am Ziel seiner Arbeit, als er die Schrifttafel dort einfügen konnte, wo der Kanal in die Grotte ausmünden sollte. Darauf gehn die bei- den folgenden Verspaare: ФАА èv ёро) xaudTwv Ster TÉA[os — — dyxogı Auivins avàazos vàgo[ Qogov, © тї» autos momoer Ze néga тоМА 0р ieicaw vanız Qégew za Dap ivra£rai[s то\е05. Es ist bekannt, wie gerade mit diesen Eröffnungen der Aquädukte, wenn man die Wassermasse zuerst in der Grotte hervorbrechen sah, in der Kaiser- zeit grosse Festlichkeiten verbunden zu sein pflegten. In den Nymphäen wurde der Fluss, der auf fernem Gebirge zu Hause war, für die Stadt gleichsam von 184 ERNST CURTIUS, GRIECHISCHE BRUNNENINSCHRIFTEN. Neuem geboren, wie in einem künstlichen Quellhause. Die Nymphen haben ihre Wälder verlassen, sagt Himerios (IV, 9) in Bezug auf die im vierten Jahrhundert wiederhergestellten Brunnen Athens und spielen nun an den Laub- güngen der Stadt. So ist auch die Hydrophore, die Themistokles weihte, als eine Nymphe aufzufassen, welche zu Gunsten der Stadt das Quellwasser her- anbringt. Jene spätere Verbindung von Wasserleitung und Nymphaion war also nur die prachtvolle Ausführung von Vorstellungen, welche in anspruchs- loserer Form den Griechen seit alten Zeiten geläufig waren. Was die inschriftliche Ausstattung der Bäder betrifft, so ist aus der Um- gegend Roms vom Eingange eines den Chariten geweihlen..Bades die Ueber- schrift erhalten: M&uQıs ха} DeXacis Хоарітоу Xovrgóv Tod Ereukar C. L n. 6191. Auch hier schliesst sich, was in späten Zeiten geschrieben worden ist, an uralte Sagen der Hellenen an; denn in Orchomenos war die Quelle Akidalia als das Bad der Chariten gefeiert. Müll. Orchomenos. S. 178. Dass auch die Badegefässe mit Inschriften bezeichnet zu. werden pflegten; beweisen die griechischen Vasen. Sie zeigen, dass. man. die zu allgemeinem Gebrauche bestimmten und die der Benutzung einzelner Besitzer vorbehaltenen Bäder als ‘dnwoose’ und а’ unterschied. C. I. п. 84685. 8466... Auch ‚dass man am Rande der Wasserbecken den Namen der Eigenthümer, anschrieb, oder, wenn sie geschenkt wurden, einen Gruss. freundschaftlicher Huldigung oder einen auf die Benutzung bezüglichen Spruch, kann man wohl aus. Vasen- inschriften schliessen. So findet sich ТУА! d. i. Aoga. С. 1. 7979; xaxos und x«Aós & п. 8048. ПРОМАП auf einem Wasserbecken bei Panofka Bilder ant. Lebens I, 9, wo es то05 chouer gedeutet: wird... Wahrscheinlich ist es der Name I[Igovamns. Jahn Vasensamml. К. Ludwigs. vm. Zum Schlusse können hier die Inschriften angeführt werden, welche sich auf Vasenbildern neben Quellen und Brunnen finden, aber nur zur Verdeutli- chung der Darstellung von dem Maler beigeschrieben worden sind. So Kap- 001 хорт (С.1.8036), zenvn und Тосор (neben dem GK auf der . Francoisvase. n. 8185 *). ie *) Nachträglich ist zu bemerken dass S. 155 7.9 v.u. richtiger РЕЛЕ und 8.173 Z. v.u. vielleicht: ос си deitar Berge AiBóc zu lesen ist. "Vgl. G. Her- mann zu Soph. Oed. Col. 5 eg Ueber den Begriff und die statistische Bedeutung der mittleren Lebensdauer von J. E. Wappäus, Assessor der Königl. Societit der Wissenschaften. Der Königlichen Societät vorgelegt am 18. October 1859. $ 1. D. Untersuchungen über die Dauer des menschlichen Lebens, welche lange Zeit hindurch fast nur die politische Arithmetik zu rein praktischen Zwecken beschäftigt haben, sind in neuerer Zeit, seit der Erkenntniss des beherr- schenden Einflusses der ѕіШісһеп und materiellen Zustände der Bevölkerungen auf ihre allgemeine Mortalität, mehr und mehr von der Statistik aufgenommen worden, An bedeutenderen Arbeiten darüber wollen wir nur diejenigen von vier ausgezeichneten Statistikern nennen, welche uns in dieser Abhandlung mehrfach beschäftigen werden, nämlich die von Hoffmann!), Sir Francis d'Ivernois?), Benoiston de Chateauneuf 5) und Dieterici *). 1) Ueber die mittlere Dauer des menschlichen Lebens im Preuss. Staate u.s. зу. in dessen Nachlass kleiner Schriften staatswirthschaftlichen Inhalts. Berl. 1847. S. 315 ff. 2) Sur la Mortalité proportionelle des peuples, considérée comme mesure de leur aisance et de leur civilisation. Tiré de la Bibl. univers. de Genève 1833. Genéve 1833. 8. 3) Mémoire sur la durée de la vie humaine dans plusieurs des principaux États de ` l'Europe, et sur le plus ou moins de longévité de leurs habitants, іп den Mém. de l'Académie des Sciences mor. et polit. de l'Institut de France. T. VI. (1850). 4) Ueber den Begriff der mittleren Lebensdauer u. deren Berechnung für den Preuss. Staat, in den Abhandll der K. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1858. Hist.-Philol. Classe. ҮШ. Аа 186 J. E. WAPPAUS, Sie werfen die Frage auf: welches ist gegenwärtig im: Durchschnitt е Dauer des menschlichen Lebens, wie verhält sie sich in den verschiedenen Staaten und welche Veränderungen sind darin gegen früher eingetreten? Das gemeinsame Endziel dabei ist aber die Gewinnung sicherer Daten zur Beurtheilung des Verhältnisses der allgemeinen Prosperität der verschiedenen Staaten unter einander und gegen früher. Dass das Maass des menschlichen Lebens den sichersten Maassstab für die relative Prosperität der Bevölkerungen abgiebt, darüber kann bei dem gegenwärtigen Stande der Untersuchungen über den Einfluss des Wohlstandes und der Sittlichkeit auf die Mortalität, unter den Statistikern kein Zweifel mehr bestehen !). Es fragt sich nur noch: wie ist dieser Maassstab zu (gewinnen, wie ist die mittlere Lebensdauer einer Bevölkerung sicher und in welcher Art ist sie zu ermitteln, auf dass sie als ein wahrer Gradmesser der allge- meinen materiellen und sittlichen Cultur der Bevölkerung angesehen werden darf? Hierüber herrscht nun aber noch grosse Meinungsverschiedenheit ‚wie dies schon aus einer kurzen Darlegung der verschiedenen Wege hervorgehen wird, welche die genannten vier Statistiker zur Ermittelung der ‚von ihnen gesuchten mittleren Lebensdauer eingeschlagen haben: Hoffmann?) sagt: „Die mittlere Lebensdauer von der Gebürt ab in Jahren und deren Theilen ausgedrückt, wird überhaupt gefunden, indem die Anzahl der Lebenden mit der Durchschnittszahl der jährlich Sterbenden dividirt wird. Stürben beispielsweise von 1000 Lebenden jährlich mm Durchschnitt 25, so wäre die mittlere Lebensdauer 40 Jahre, d. i., diese 1000 Menschen leben zusammengenommen 40,000 Jahre lang, und auf jeden einzelnen der- selben kommt im Durchschnitt ein Lebensalter von vierzig Jahren, wie ver: schieden auch die Dauer des Lebens der Einzelnen wirklich seyn möge.“ : D’Ivernois dagegen nennt) und zwar gewiss mit Recht; dag von Hoffmann als mittlere Lebensdauer definirte Verhältniss die ж 1) Vergl. die Zusammenstellung der Ergebnisse dieser Untersuchungen in unserer Allgem. Bevölkerungsstatistik 1. Abschn. IV. 566 8 P 2) а. а. О. S. 315. үй айы do Hanaadg 3 Li 3) а.а. 0., erste Abhandlung S. 8. B al 5 At. Sidac Lagos. nodal BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 187 der Bevölkerung шпа bezeichnet dagegen als mittlere Lebensdauer den Quo- tienten einer Division: der Zahl der Gestorbenen in die ganze Summe der von ihnen gemeinschaftlich durchlebten Jahre. Benoiston de Chateauneuf!) verfahrt wiederum ganz anders. Um, wie er meint, den Weg der reinen Beobachtung nicht zu verlassen, stellt er für verschiedene Staaten die in den Todtenlisten wührend einer Reihe von Jahren aufgeführten 'Gestorbenen zusammen und vergleicht darauf, um das Verhálthiss: der Lebensdauer in den einzelnen Staaten zu finden, die Procent- theile -mit/'eindnder; welche von der Gesammtzahl der Gestorbenen auf die einzelnen ‚von: ihin unterschiedenen: Altersclassen fallen. di Dieterici-endlich schliesst sich in der erwähnten Abhandlung ganz dem alten: hochverdienten Begründer unserer Bevölkerungsstatistik, S üssmilch an, der den: Begriff‘ der mittleren Lebensdauer folgendermaassen feststellte ? ) : ‘die: mittlere-Dauer des Lebens nennet und findet man, wenn man die Summe aller. Jahre; die eine gewisse Zahl Personen gelebt hat, addiret und nachher :durch die Zahl. der Personen dividirt, so zeigt der Quotient die mittlere Zahl der Jahre, die ein jeder gelebt hat und gelebt haben würde, wenn ihre Le- bensjahre alle gleich gewesen wären.“ Dieterici stimmt also in dem Begriffe der mittlérén Lébensdauer.ganz mit d’Ivernois überein, weicht jedoch, wie wir noch: sehen: werden; in. seinem Verfahren zur Berechnung derselben wieder ag weit: daran ab. dass. dasselbe wiederum doch als ein besonderes ange- sehen: werden: muss... Sehen ` wir also ` Kate schon unter den bedeutendsten Statistikern, Bios sich. mit. den Untersuchungen über die mittlere Lebensdauer beschäftigt haben; grosse Abweichungen. in der Bestimmung derselben, so werden diese noch. viel: grösser; ` wenn map noch Das hinzunimmt, was alles von den BBearbeitern der politischen Arithmetik unter mittlerer Lebensdauer verstanden wird. -..BeispielSweise führen:wir hievon jedoch nur an, dass von diesen nicht ‚selten unter mittlerer Lebensdauer die wahrscheinliche Lebensdauer d. h. die " { a. 0. 8.598. | 2) J. P. Süssmilch, die жен Ordnung in den Veränderungen des dich lichen Geschlechts u.s. w. 21е Ausg. Th.2. S. 343. Aa? 188 Ј. E. WAPPÄUS, Zahl der Jahre verstanden ist, für welche eine Person in.einem bestimmten Alter. die gleiche Wahrscheinlichkeit zu leben oder zu sterben hat. und. dass seit dem Erscheinen des berühmten Werks von Deparcieux!) über die wahrscheinliche Dauer des menschlichen Lebens in den Mortalitàts- Tafeln unter mittlerer Lebensdauer, gewóhnlich das in einem. bestimmten Alter noch ‚zu erwartende Lebensalter d. h. das Alter aufgeführt ‚wird, welches eine in. einem gewissen Lebensalter stehende Person erreichen. würde, ‚wenn. die Summe der Jahre, welche alle in diesem Alter stehenden Personen zusammen noch zu leben haben, auf jede von ihnen gleichmàssig: vertbheilt würde. Alle diese verschiedenen Begriffe der mittleren, Lebensdauer ‚werden noch jetzt in statistischen und nationalókonomischen ‚Schriften gebraucht, ohne dass dabei immer zugleich eine Definition gegeben. würde was denn nicht sellen zu grosser Verwirrung geführt hat. Für den Statistiker kann es nun wohl keinem Zweifel unterliegen, dës unter den angeführlen Methoden zur Bestimmung. der -mittleren ‚Lebensdauer allein die von Süssmilch vorgeschriebene statistisch. ргапсһђаг, jet. Dass. die Hoffmann sche Berechnung nicht die mittlere Lebensdauer der Bevölkerung giebt, sondern nur ihr Sterblichkeits-Verhältniss, welches „пиг. in einem, in der Wirklichkeit wohl niemals vorkommenden Falle ‚nämlich. bei einer völlig stationären Bevölkerung der mittleren Lebensdauer: gleich ‚gesetzt ‚werden darf, liegt auf der Hand. Dass Chateauneuf’s Verfahren zu. ganz irrigen Schlüssen über das Leben der Bevólkerungen führt, werden, wir. weiter unten noch bestimmt nachweisen, und dass die mittlere Lebensdauer der Mortalitäts- Tafeln für die Statistik nicht brauchbar ist, folgt, abgesehen. davon, dass sie auch nur zu bestimmten praktischen Zwecken, namentlich. für den Gebrauch der auf das menschliche Leben gegründeten. Versicherungsanstalten. aufgestellt. ist, schon daraus, dass sie nicht auf wirkliche, Beobachtung. sondern. auf complicirte Berechnung gegründet ist. _ Dagegen. ergicht sich ‚іе ‚mittlere Lebensdauer nach Süssmilch's Bestimmung. sehr ‚einfach, aus wirklichen. Be~, obachtungen, nur muss man freilich dabei festhalten, ‚dass die, so berechnete; mittlere Lebensdauer nur die mittlere Lebensdauer Pues Gestorbenen kennen " Bag sur T probabilités de la durée de la vie ранена, Par, 1746. 4. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 189 lehrt, die, wie wir in der Folge sehen werden, keineswegs ein richtiges Maass des wirklichen Lebens einer Bevölkerung zu geben im Stande ist. Um demnach die miltlere Lebensdauer einer Bevölkerung zu finden, muss man, dem Begriffe gemäss, für eine hinlängliche Zahl von Jahren die von sámmtlichen Gestorbenen zusammen durchlebten Jahre summiren und diese Summe durch die Zahl der Gestorbenen dividiren. Dazu bedarf es natürlich soleher Sterbelisten, welche für die Gestorbenen das erreichte Alter wenig- stens уоп Jahr zu Jahr angeben. Hier entsteht aber schon gleich die ` Schwierigkeit für” die^ Ausführung der vorgeschriebenen Berechnung dadurch, dass, mit Ausnahme von zwei oder drei Staaten, die seit einigen Jahren detaillirte^ Sterbelisten veröffentlichen, wir für ganze Bevölkerungen nur noch solche Sterbelisten besitzen, in denen das Alter der Gestorbenen nur nach eine gróssere Zahl von Jahren (5, 10 oder noch mehrere Jahre) umfassenden Alters Classen angegeben wird, nicht aber von Jahr zu Jahr. Um aber solehe-'Todtenlisten für diese Berechnung benutzen zu können, müsste man erst die’ Zahlenwerthe für die Zwischenjahre der einzelnen Perioden, für welche keine^beobachtete Zahl angegeben ist, interpoliren. Dies Verfahren ist aber ein sehr missliéliés; indem nach den bisherigen Erfahrungen feststeht, dass gerade In der Absterbeordnung von Jahr zu Jahr bei den verschiedenen Be- völkerungen "eigenthümliche Unterschiede stattfinden und deshalb eine solche Interpolatión nach Wahrscheinliehkeits- Rechnung oder mit Hülfe mathemati- schen' Probirens;' wie Dieterici sich ausdrückt, nur ein mehr oder weniger verzerrtes Bild einer wirklichen vollständigen Sterbeliste geben kann. Мап ersetzt gerade ` das durch eine mehr oder minder willkürliche Interpolation, auf dessen "wirkliche Beobachtung es gerade wesentlich für die genaue Be- rechnung‘ ` der mittleren Lebensdauer ankommen sollte. Dass deshalb eine Berechnung der mittleren Lebensdauer einer Bevölkerung nach in dieser Weise ergänzten Sterbelisten allemahl ungenau und um so ungenauer ausfallen muss, je weniger der in деп wirklichen Sterbelisten unterschiedenen Alterclassen sind, liegt auf der Hand. | ^ Um nun diese Ungenauigkeit zu vermeiden, hat man verschiedene Aus- wege versucht. Die einen haben die unvollkommenen Sterbelisten ganz ver- worfen und ihre Berechnungen allein auf solche Listen beschrünkt, welche das 190 J. E. WAPPAUS, Alter der Gestorbenen wenigstens von Jahr zu Jahr angeben. Solche Listen gab es bisher aber nur für gewisse Städte und deshalb sind‘ die bisherigen Angaben über die mittlere Lebensdauer fast alle nur nach Beobachtungen unter städtischen Bevölkerungen ermittelt. Andere dagegen haben die mangelhaften Sterbelisten für ganze Bevölkerungen ihrer Rechnung zu Grunde gelegt, die dabei erforderlichen Intérpolationen aber nicht nach blossem mathematischen Probiren ausgeführt, sondern dafür die Norm aus der Absterbeordnung her- genommen, wie sie sich aus den vollständigeren städtischen Sterbelisten ergiebt. Dies Verfahren hat namentlich Dieterici in seiner erwähnten Abhandlung eingeschlagen, indem „ег zuerst für die fehlenden Jahre die Zahlenwerthe АМ! 1 LD 667 LEE *{ { TE BERG vr durch mathematisches Probiren, und nach suchte, die gefundenen Zahlen aber mit den Procentsätzen, welehe aus positiven — für Berlin sich herausstellen verglich und eventualiter berichtigte^1). Beide Methoden gründen sich also, die eine ausschliesslich, die andere’ aller- dings weniger, wahrscheinlich aber doch in erheblichem Masse auf die unter städtischen Bevölkerungen gemachten Beobachtungen. ^ Denn wenn auch von Dieterici nicht näher angegeben wird, wie oft solche Berichtigungen. nach den für Berlin gefundenen Procentsätzen ausgeführt worden ` od wie viel sie betragen haben, so lässt sich doch voraussetzen, dass’ bei) Abweichungen die Berliner буын ihm immer zur Norm gedient haben werden; weil'sonst die von ihm ausgeführte Behandlung der unvollstándigen' Sterbelisten.' sich nieht wesentlich von der Art des Interpolirens unterscheiden‘ würde, welche er vorher als unzulässig bezeichnet hatte und Vm er m. чеш den wollte. — Nun entsteht aber die Frage, ob es оа gestattet: sey; aus stüdtiz schen Sterbelisten abgeleitete Regeln auf die Bevülkerüng eines ganzen" Lan- des zu übertragen, und unserer Meinung nach muss diese Frage entschieden verneint werden. Denn ganz abgesehen von dem grossen Bien des städ- tischen Lebens auf die Mortalität, ist schon deshalb’ jere“ Ueberiragung" nicht zulässig, weil in den Städten eigenthümliche, eben dorch die städtischen" Ver- hältnisse bedingte Alters- Verhältnisse unter den” emeng — анат des- 1) a. a. О. S. 447. : 232.0, BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 191 halb auch die Vertheilung der Gestorbenen nach dem Alter їп den städtischen Sterbelisten eine eigenthümliche, eben nur in Städten vorkommende seyn muss. Um dies einzusehen, braucht man sich nur daran zu erinnern, dass die Bewegung der Bevölkerung der Städte allgemein viel mehr von Ein- und Auswanderung abhängig. ist als die des platten Landes, welche, allein mit Ausnahme von England, doch an Zahl die städtische Bevölkerung vielfach über- trifft und. dass in ‚Städten ganz allgemein die Bevölkerung nicht bloss durch inneren Zuwachs; d h.: durch den Ueberschuss der Geburten über die Sterbe- falle zunimmt, sondern auch, und zwar in der Regel ganz überwiegend, durch Zuwachs; von. Aussen, d. h. durch überwiegende Einwanderung. Hier- aus muss aber. nothwendig die Vertheilung der Bevölkerung nach dem Alter Im den Städten eine andere werden, als sie es auf dem Lande oder bei der Gesammibeyölkerung ist, deren Bewegung allein oder doch, mit Ausnahme nur der. Vereinigten Staaten уоп Nord- Amerika, ganz überwiegend von dem Verháltniss. der Geburten zu den Sterbefällen abhängt. Diesen Unterschied der städtischen Bevólkerungen hat auch Dieterici nicht ganz übersehen, wenn er sagt: Es sind in Berlin in Bezug auf die Vertheilung der Bevölkerung nach Alter und. Geschlecht vielfach eigenthümliche Verhältnisse. ‘Alte Leute, welche der.Rube geniessen wollen, ziehen sich auf das Land oder in kleine Städte. . ‚Berlin. dürfte verháltnissmássig weniger Greise haben, als manche Stadt, Görlitz, «Charlottenburg, als das platte Land. Bei den jungen Kindern sind in Berlin mehr uneheliche als auf dem Lande; und die unehelichen ster- ben mehr als die ehelichen. Dagegen sind unzweifelhaft die mittleren Alters- classen, besonders die Jahre von 20 bis 30 gegen das platte Land verhält” nissmässig. in. Berlin übersetzt, u.s. w.^!). Indess glauben wir, dass in Be- zug auf die. mittlere ‚Lebensdauer in den Städten die Wirkung der eigenthüm- lichen. Vertheilung der Bevölkerung nach dem Alter in Folge überwiegender Einwanderung viel bestimmter bezeichnet werden kann. Es muss nämlich be- hauptet ‚werden, dass, die mittlere Lebensdauer in den Städten, deren Bevöl- kerung. nicht. allein. durch innere Bewegung, sondern auch, wie das ja ganz allgemein geschieht, „durch Zuzug von Aussen zunimmt, oder auch nur sta- 1) a. a. О. S. 446. 192 J. E. WAPPAUS, tionär sich hält, dadurch nur vergrössert wird und zwar in so erheblichem Maasse, dass trotz der ungünstigeren Mortalität der Städte, doch die nach städtischen Todtenlisten berechnete mittlere Lebensdauer. іп der Regel. wenn nicht immer als su hoch für die Gesammtbevölkerung des betreffenden Landes anzusehen isl. Aufmerksame Beobachter haben diesen Einfluss der Einwanderung nach den Städten auf deren mittlere Lebensdauer auch schon ‚wiederholt bemerkt. So sagt z. B. schon Price, dass in allen städtischen. Todtenlisten die Sterbe- fälle für alle Alter über 20 Jahre beträchtlich über ihre. richtige Proportion erhóht seyen!), und in neuerer Zeit hat dIvernois an einem bestimmten Fall für Genf schlagend nachgewiesen, wie bedeutend die Einwanderung dort auf die Erhöhung der mittleren Lebensdauer zu wirken im Stande. isi?). Da gleichwohl nun gerade das Beispiel Genfs noch immer ‚und selbst. von den ersten Statistikern und Nationalókonomen als ein Beweis für eine sehr grosse Zunahme der mittleren Lebensdauer gegen früher. angeführt. wird, und daraus denn auch auf sehr grosse Fortschritte der Europäer m den leizien Jahrhunderten geschlossen zu werden pflegt), so möchte,.es; wohl an. der Zeit seyn, einmal an einem wirklichen Beispiel nach einfacheu.Beobachtungen zu zeigen, in welcher Art die eigenthümliche Bewegung der. städtischen Be- völkerungen auf die mittlere Lebensdauer in den ‚Städten. einwirkt. . Dazu ist es nur nöthig unter den Gestorbenen. diejenigen, bón in der Stadt, in der sie gestorben sind, auch geboren ‚waren,.von denjenigen zu xi 1) Richard Price, Observations on reversionary payments etc. 4th edit. Lond. 1793. 1. S. 336: „From the age of 18 or 20 to 35 or 40 there is a confluence of people every year to London from the country, which occasions a’ great increase in the number of inhabitants at these ages; and consequenlly, raises the. death for all ages above 20, considerably above. their due. proportion. == This is observable in all the bills of mortality for towns with. which. L am acquainted.“ 2) Kass 3) Vergl. z. B. Bevolkingtafelen voor het к, РОИА pide door het Departem. van binnenlandsche zaken. te s’Gravenh. 1856. p.uw.— Vil- lermé, Considérations sur les Tables de Mortalité etc. — . Extrait du Journ. des Economistes. 15. Nov. 1853. p.4.— Roscher- Nationalökonomie S. 455. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 185 unterscheiden, welche von Aussen her zu ihrer Bevölkerung hinzugekommen sind. Schwierig wird diese Untersuchung nur dadurch, dass man dazu auf die Urlisten, d: h. auf die Kirchenbücher oder die Civilstandsregister der einzelnen Gemeinden selbst zurückgehen muss, in denen die Gestorbenen ein- zeln nach ihren persönlichen Verhältnissen aufgeführt werden, denn bis jetzt giebt es, so viel uns bekannt, noch nirgends allgemeine städtische Todten- listen; welche jene Unterscheidung unter den Gestorbenen machen. Ja selbst nicht’ einmal bei der Zählung der Lebenden pflegen Einheimische und Fremde unterschieden zu werden, so lehrreich in vieler Beziehung eine Kennt- niss dieses Verhältnisses in den Städten. seyn würde. Nur in "Belgien hat nían, nachdem schon früher in einzelnen Städten dort bei der Volkszählung Einheimische” und Zugezogene unterschieden worden, bei der allgemeinen Volkszählung von 1856 allgemein diese beiden Kategorien bei den städtischen Bevólkerungen untersehieden. Darnach hat sich gezeigt, dass im Durchschnitt über ein Drittheil der Einwohner der Städte aus Eingewanderten besteht! ). Sehor hieraus lässt sich schliessen, dass die mittlere Lebensdauer in den Städten, nach allgemeinen städtischen Todtenlisten berechnet, höher seyn wird als bei: der Gesammtbevólkerung, weil der bgi weitem grösste Theil dieser in den von ihnen-bewohnten Städten nicht geborenen Einwohner erst nach Zu- ` rücklegung der überall durch grosse Sterblichkeit ausgezeichneten ersten Kin- derjahre eingewandert seyn wird. Wie unerwartet gross aber dieser Einfluss ist, wird die folgende Untersuchung darthun können. : Wir legen dabei die Todtenlisten der verschiedenen Kirchspiele Gót- tingens aus den 6. Jahren von 1853 bis 1858 zu Grunde, welche, wie eine. sorgfältige- Vergleichung. unter einander und mit den gleichzeitigen Ge- burislisten- bald ergiebt, von den betreffenden Kirchenbuchführern vollkommen mit. derjenigen" Genauigkeit “geführt worden, um darauf mit Zuverlässigkeit eine specielle statistische Untersuchung dieser Art gründen zu können. Da- 1) Von 1,181,371 Einwohnern der belgischen Städte waren nur 764,487 in ihrer Stadt geboren. —- Mittheilung von Herrn Heuschling aus der noch nicht publieirten Zusammenstellung der Zählung von 1856. — In Brüssel waren bei der Zählung vom 1842 unter den 113,207 Einw. nur 65,125 in Brüssel ge- < boren. Quetelet, Recherches statistiques. Recensement de Brux. 1842. p. 30. Hist.- Philol. Classe. ҮШ. 186 J. E. WAPPAUS, gegen muss hier gleich hinzugefügt werden, dass die Untersuchung nach diesen Listen durch zwei Umstände einigermaassen erschwert wird, nämlich erstens durch die Schwierigkeit, von den registrirten Gestorbenen diejenigen vollstán- dig auszuscheiden, die nicht zur Einwohnerzahl Göttingens gehört haben, und zweitens durch eine in der Einrichtung der. Listen selbst liegende Mangelhaf- tigkeit. Es werden nämlich einmal über die im hiesigen: Ernst- August- Hospital Gestorbenen keine besondere Todtenlisten: geführt, dieselben werden vielmehr alle, mögen sie Einwohner: der Stadt. gewesen. oder von -auswärts her nur hieher gekommen seyn, um ärtzliche Behandlung zu «suchen, soweit sie dem lutlferischen Bekenniniss angehören, in das Todtenbuch der Parochie mit eingetragen, auf deren Territorium das Hospital. gelegen ist; während die- jenigen reformirter und katholischer Confession in den Todtenbüchern der be- treffenden beiden Gemeinden der Stadt гесіѕігігі werden. Sodann» werden alle von Müttern lutherischer Confession im Kónigl. — алараа - 1 Fa daselbst gestorbenen Kinder, so wie die in dieser Anstalt gest Wöchnerinnen, mögen sie einheimische oder fremde sen. уіп séin besonderes Kirchenbuch eingetragen, welches ausser dem: Entbindungshause (jedoch mit Ausschluss des in demselben wphnenden Personals): nur noch das städtische . Hospital St. Crucis umfasst, wogegen auch hier: wieder alle Personen reformirter und katholischer Confession abgesondert in den Kirchenbüchern- der betreffenden beiden Stadtgemeinden aufgeführt werden. ^ Aus dieser Einrichtung erwuchs für die Untersuchung nun allerdings eine grosse Vergrösserung» der: Arbeit, um die für die Rechnung allein in Betracht kommenden: Gestorbenen > abge- sondert und vollständig zu erhalten 11. ` Indess Dess sich diese Schwierigkeit doch durch aufmerksame Vergleichungen. vollkommen genug: für-unsern- Zweck beseitigen. Störender dagegen musste anfangs der andere in der Einrichtung der Kirchenbücher selbst liegende Umstand -erscheinen. ` Dieselben -enthalten 1) Die Untersuchung umfasst die ganze Bevölkerung der "Stadt nur mit "Ausnahme der Synagogen-Gemeinde, für welche keine vollständige Listen für die Zeit vorlagen. Dieser Ausschluss der israelitischen Bevölkerung ist! jedoch 'ganz irrelevant für das Resultat der Untersuchung, da "unter dieser Bevölkerung durchschnittlich nur ein bis zwei Todesfälle jährlich vorkommen. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 187 nämlich keine besondere Rubrik für den Geburtsort der Verstorbenen, sondern stattdessen nur eine mit der Ueberschrift: Aeltern, nach Namen und Stand. In dieser Rubrik wird nun zwar von den meisten Kirchenbuchführern zugleich der Wohnort der Aeltern angegeben, allein abgesehen davon, dass daraus nicht immer bestimmt darauf geschlossen werden darf, dass der Verstorbene auch an dem Orte geboren war, der als Wohnort seiner Aeltern aufgeführt ist, wird auch. уоп anderen Kirchenbuchführern an dieser Stelle, in der Mei- nung, dass, was nicht vorgeschrieben sei, auch verboten wäre, grundsätzlich nichts über den Wohnort der Aeltern bemerkt, so dass die Kirchenbücher selbst durchaus keinen vollständigen Aufschluss darüber geben, wie viel von den gestorbenen Einwohnern Göttingens daselbst auch geboren waren und wie viele von ihnen von Auswärts eingewandert gewesen. Auf den ersten Anblick nun muss es scheinen, als wenn dieser Mangel їп der Einrichtung unserer Kirchenbücher (der übrigens, beiläufig gesagt, nicht eine blosse statistische Unvollkommenheit, sondern ein Grundfehler ist, indem fast alle specielle Angaben über den Gestorbenen, welche die Listen fordern; authentisch: nur. erst. nach erlangter Kenntniss seines Geburtsorts er- langt werden können): die ‚Göttinger Sterbelisten für eine Untersuchung der Art, wie sie hier ‚angestellt werden soll, gänzlich untauglich machte. Glück- licherweise! indess lässt sich dieser Mangel theils durch die Personalkenntniss, welche die Geistlichen,- deren gütige Unterstützung wir hier dankbar hervor- heben müssen; in ihren respectiven Gemeinden besitzen, theils durch die Anlagen zu den-Kirchenbüchern, indem in den Meldezetteln, nach welchen die Eintragung in die Kirchenbücher geschieht, in der Regel auch der Geburtsort der Gestorbenen aufgeführt ist, vollkommen so weit ersetzen, um auf die so erlangte Kunde die Untersuchung mit Zuversicht gründen zu können. Nur ist es nóthig, stal. der zwei Classen, auf welche es ankommt, nämlich hier Geborene und nicht hier Geborene, noch eine dritte zu unterscheiden, nämlich für solche, deren Geburtsort nicht zu ermitteln war. Die auf diese Classe fallenden. Gestorbenen müssten bei der Berechnung der mittleren Lebens- dauer ; der hier nicht. Geborenen, die aber für unseren Zweck nicht 'nöthig ist, ausgeschlossen werden. Dass durch den wahrscheinlichen Fehler bei der Vertheilung der Gestorbenen auf die drei Classen das von uns gefundene Bb2 188 J. E. WAPPAUS, Resultat eher noch bestätiget als entkräftet werden muss, wird noch aus dem Verfolge der Untersuchung hervorgehen. Nach den in Tabelle I bis Ш zusammengestellten Todesfällen sind wäh- rend der 6 Jahre von 1853 bis 1858 von Einwohnern Göttingens (mit. Aus- nahme der Synagogengemeinde und mit Ausnahme zweier lodigeborenen. und eines vor der Taufe gestorbenen Kindes für welche das Geschlecht nicht angegeben war) überhaupt 1500 Personen gestorben. (737 männl. und 763 weibl. Geschl.). Von diesen waren 981 (510 m. 471 уу.) in -Göttingen und 442 (184 m. 258 w.) auswärts geboren und von 77 (43 m. 34 w.) war der Geburtsort nicht ermittelt. Es ergiebt sich daraus, dass mindestens über ein Drittheil aller gestorbenen Einwohner Göttingens -aus Eingewanderten be- steht, was mit dem schon erwähnten Verhüliniss. der Eingeborenen. zu den Eingewanderten unter den Einwohnern der Städte Belgiens ganz übereinstimmt. Von sämmtlichen Gestorbenen war nur für zwei das erreichte. Lebensalter nicht bekannt, sie müssen zur Berechnung der allgemeinen; mittleren Lebens- dauer in Göttingen von der Gesammtzahl der Gestorbenen abgezogen werden. Ehe wir jedoch zur Mittheilung dieser Berechnung gehen, ‚muss, über die dabei befolgte Regel Rechenschaft gegeben werden... 4 Es fragt sich bei solchen Berechnungen nämlich, welches. Alter soll man dabei für die in den verschiedenen Altersclassen Gestorbenen als das im Durchschnitt; von ihnen wirklich erreichte Alter annehmen? Dass man einen grossen Fehler begehen würde, wenn man z. B. für die im ersten Lebensjahre verstorbenen Kinder annehmen wollte, dass sie. im. Durchschnitt. ein ‚halbes Jahr alt geworden wären, und nun darnach die Zahl dieser Kinder (218) mit l5 multiplicirt, als die Summe der von ihnen gemeinschaftlich durchlebten: Zahl von Jahren ansähe, liegt auf der Hand, weil es bekannt ist, dass von diesen Kindern bei weitem mehr unter einen halben. Jahre ‚sterben, als darüber !). 1) Vergl. m. Allgem. Bevólkerungsstatistik I. S. 187, — Dieterici nimmt sogar ein volles Jahr in seinen Berechnungen an, „wie er denn auch die im Laufe der einzelnen folgenden Jahre Gestorbenen mit der vollen Zahl des betreffenden Jahrs multiplieirt, um die Zahl der von. ihnen gemeinschaftlich durchlebten Lebensjahre zu erhalten. Daraus folgt, dass die von. Dieterici mitgetheilten Zahlen für die mittlere Lebensdauer m Preussen sämmtlich zu hoch sind. Es BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 189 Um hier ganz sicher zu gehen, muss man für die im ersten Lebensjahre ge- storbenen Kinder, für welche das erreichte Alter in den Todtenlisten. nach Monaten und Tagen angegeben ist, das im Mittel erreichte Alter nach diesen sämmtlichen speciellen Angaben wirklich berechnen, und da ergiebt sich denn, dass von diesen Kindern in Göttingen durchschnittlich jedes nur 3%, Monat gelebt hat. ` Eine ähnliche Berechnung für die im zweiten Lebensjahre ge- storbenen Kinder ergiebt für diese das im Mittel erreichte Lebensalter fast ganz genau zu anderthalb Jahren, also fast ganz gleich dem mathematischen Mittel aus den beiden Grenzzahlen. Dieses Ergebniss für Göttingen stimmt auch gut überein mit demjenigen, was wir für das im Mittel erreichte Alter der in den beiden ersten Lebensjahren verstorbenen Kinder nach der Berech- nung der eine selir grosse Zahl von Beobachtungen umfassenden Sterbelisten für die Gesammtbevólkerung der Niederlande, Belgiens und Frankreichs ge- funden haben. ` Nach dieser Untersuchung, die demnächst im zweiten Theile unserer Асет. Bevölkerungsstatistik erscheinen wird, kann man allgemein das im Mittel erreichte‘ Alter der von 0 — 1 Jahr Gestorbenen (ohne die Todtgeborenen) zu 0,5905 Jahr und der von 1 — 2 J. Gestorbenen zu 1,446 J. annehmen. Daraus ergiebt sich auch, dass für die späteren Aller bei der Berechnung der gemeinsam durchlebten Jahre füglich das arithmetische Mittel aus den beiden Grenzjaliren zum Multiplicator angenommen werden darf. Wenn man nun nach diesen Annahmen die mittlere Lebensdauer für Göttingen "berechnet, so ergiebt sich dieselbe, zuerst, nach dem gewóhnli- chen Verfahren, sämmtliche Gestorbene in Rechnung gezogen, zu 38,5 Jahren. Dies Ergebniss "muss überraschen durch seine ausserordentliche Höhe. Im Preussischen ‘Staate z. B. beträgt nach der erwähnten Abhandlung von Dieterici die, doch noch mindestens um ein halbes Jahr zu hoch berechnete mittlere Lebensdauer nur 30,4 Jahre. Sollte dieselbe in Göttingen wirklich um so viel höher seyn, als bei der Gesammtbevölkerung in Preussen, wührend müsste von denselben allen, selbst wenn man von der grossen Kindersterblichkeit ^'^ "' in den ersten Wochen absieht wenigstens ein halbes Jahr abgezogen werden, wie das auch seit Deparcieux's Vorgange (a. a. О. 5.75 ff) bei derartigen Berechnungen allgemein geschieht. — Vergl. z. В. die Vorschrift im Annuaire du Büreau des Longitudes, Abschnitt: de la mortalité en France. 190 Ј. E. WAPPAUS, doch bekanntlich allgemein die Mortalität in Städten ungünstiger ist als auf dem platten Lande? Man könnte die allgemein ‚angenommene grosse lokale Salubritàt Göttingens als Erklärungsgrund anführen. . Allein. dieser ‘Vorzug Göttingens ist in der That doch nicht so gross. Allerdings betrug in den hier betrachteten 6 Jahren das Sterblichkeits- Verhältniss in Göttingen nur 1: 45,8: Das erscheint sehr günstig, in Wirklichkeit ist. es aber саг nicht besonders günstig, da in derselben Zeit auch das Geburten-Verháltniss,. welches ja auf das Mortalitäts-Verhältniss einen so beherrschenden . Einfluss. ausübt, ausser- ordentlich niedrig war, nämlich nur 1:39,5 1). Es muss deshalb die gefundene Höhe der mittleren Lebensdauer einen anderen Grund haben und dieser liegt ohne Zweifel darin, dass in Göttingen, wie in Städten überhaupt, die mitt- leren und höheren Alter unter den Gesiorbenen unverhältnissmässig zahlreich vertreten sind, weil unter den Lebenden in Folge des Zuzuges von Aussen diese Aller gegen die Bevölkerung im Allgemeinen übersetzt sind. Dass diese Annahme die richlige ist, zeigt sich nun deulich, -wenn man die Lebensdauer allein für die Gestorbenen berechnet, welche nicht, nach- dem sie schon die ungünstigeren Chancen der. ersten Kinderjahre. überstanden hatten, erst nach Göttingen gekommen, sondern dort geboren. waren... Für diese geborenen Göttinger allein beträgt nun die mittlere Lebensdauer 28,5 Jahr, und dass dies der richtigere Ausdruck für die. wirkliche. mittlere Le- bensdauer in Göttingen bei einer Mortalität von 1:45,3 und einer Geburts-Ziffer von 1:89 sei, als die von 38,5 Jahren, wird Jedem einleuchteu, der. sich überhaupt eingehender mit solchen Untersuchungen beschäftigt hat, Darnach differirt also die mitllere Lebensdauer ‚in. Götlingen -beinahe um 10 Jahre, jenachdem man sie aus den von sämmtlichen Gestorbenen durch- lebten Jahren berechnet oder nur aus denen derjenigen, welche im engeren 1) Die obigen Verhältnisse ergeben sich aus der Vergleichung der millleren Zahl der Sterbefälle und der Geburten mit der mittleren Bevölkerung Göttingens. 900, die der Geburten loe die mittlere Bevölkerung 11,446 (Zählung vom 3. Decb. 1852 == 11099, 1855 == 11,228, 1858 — 12,012) — Ueber die Abhängigkeit des Sterblichkeits- - Verhiltnisses von dem Geburten-Verhältnisse und über die genauere Bestimmung der wirklichen Mortalität vergl. Allgem. Bevölkerungsstatistik I. 5. 183 f; u. S. 190. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 191 Sinne Göttinger zu nennen, d. h. nicht Eingewanderte sind, und daraus geht unzweifelhaft hervor, dass die Einwanderung auf die nach der gewöhnlichen Weise berechnete mittlere Lebensdauer erhóhend, umgekehrt die Auswanderung erniedrigend wirkt, dass mithin die allein aus städtischen Todtenlisten berechnete mittlere Lebensdauer mit seltenen Ausnahmen als zw hoch für das platte Land, welches die Einwanderung nach den Stüdten hergiebt und folglich auch für die Gesammtbevölkerung eines Landes, unter welchen die ländliche Bevölkerung die städtische um ein Mehrfaches zu übertreffen pflegt, angesehen werden muss. Damit soll indess nicht gesagt werden, dass, um bei Göttingen stehen zu bleiben, die mittlere Lebensdauer durch die Eingewanderten gerade um so viel erhöht- wird, als die oben angeführte Differenz beträgt. Denn es muss zugegeben. werden, dass die Bewegung der Bevölkerung Göttingens auch durch ` Auswanderung beeinflusst werde, dass diese Auswanderung von den Altersclassen' geschieht, deren Reihen durch die grössere Kindersterblichkeit bereits . gelichtet worden und dass folglich die mittlere Lebensdauer Göttin- gens, unabhängig von den Eingewanderten, grösser ausfallen würde, wenn alle diese in’ reiferen‘ Jahren ausgewanderten und auswärts sterbenden ge- borenen Göttinger’ mit in die Rechnung gezogen werden könnten. Allein, angenommen) dass die Ausgewanderten durchschnittlich in demselben Lebens- alter ihre Vaterstadt verlassen, in welchem die daselbst sich Niederlassenden einziehen‘) muss doch durch diese Einwanderung die mittlere Lebensdauer erhöht” werden, ` wenn diese an Zahl die Auswanderung übertrifft, und in welchem Maasse dies ‘der Fall ist, zeigt eine Vergleichung der Bewegung der Bevölkerung Göttingens mit dem Verhältniss der Geburten und der Sterbefälle. '"Lassen wir die Todtgeborenen aus der Rechnung, so sind den ange- führten Tabellen gemäss in den 6 Jahren von 1853 bis 1858 von den in Betracht gezogenen Einwohnern Göttingens 1412 Individuen gestorben und dagegen (nach Tab. IV) 1646 Kinder lebend geboren. Durch diesen Ueber- schuss der Geburten hat also die Bevölkerung in diesen 6 Jahren um 234 Individuen zugenommen. Die Vergleichung der beiden Zàhlungen, welche mit dem “Anfange und dem Ende. dieser sechsjährigen Periode fast genau zusam- menfallen . ergiebt aber eine viel bedeutendere Zunahme. Nach der Zählung vom 3. Decbr. 1852 betrug die Einwohnerzahl Góttingens 11,099, nach der- 192 J. Е, WAPPAUS, jenigen von 1858 12,012, in beiden Fällen die hier anwesenden Studirenden eingeschlossen. Die Zahl dieser ist zu beiden Perioden nahe gleich gewesen. Im Wintersemester 1852/5 betrug dieselbe 674 in dem von 1859/59 688, Zunahme 14. Unabhängig von dieser hat also die Zunahme der Stadtbevöl- kerung 899 betragen. Von dieser Zahl sind aber noch ungefähr 200 abzu- ziehen als Betrag der Garnison zur Zeit der Zählung von 1858, welche erst Mitte 1858 wieder nach Göttingen verlegt war. Es hat mithin in den 6 Jah- ren unserer Rechnung die Zunahme wenigstens nahe 700 Personen betragen. Daraus geht hervor, dass in dieser Periode 460 bis 470 mehr ein- als aus- gewandert sind, und darnach ist für Göttingen eine sehr beträchtliche Er- hóhung der mittleren Lebensdauer durch die Einwanderung wohl als bewiesen anzusehen. i Folgt aber hieraus, dass, da erwiesenermaassen die Städte, mit höchst seltenen -Ausnahmen die Zunahme ihrer Bevölkerung zum wesentlichen Theile auch der überwiegenden Einwanderung verdanken, und in keinem Falle die Bewegung der Bevölkerung in den Städten ganz allein von den Geburten und Todesfällen abbängt, städtische Todtenlisten immer eine eigenthümliche Ver- theilung der Todesfälle auf die verschiedenen Lebensalter zeigen müssen, so geht auch daraus hervor, dass städtische Todtenlisten überhaupt zur genaueren Berechnung der mittleren Lebensdauer ganz untauglich sind, indem in keiner Stadt jemals der durch die Aus- und Einwanderung bewirkte Einfluss auf das Ergebniss der Berechnung vollständig zu erfassen und zu eliminiren seyn wird. Doch vielleicht schliessen wir zu viel aus dem hier vorgeführten Beispiele Göttingens. Man könnte namentlich zweierlei dagegen einwenden, einmal nämlich, dass bei der geringen Einwohnerzahl Göttingens 6 Jahre eine zu geringe Zahl von Beobachtungen umfassen, um daraus eine allgemeine Regel abzuleiten und zweitens, dass Göttingen wegen seiner Universität ganz excep- tionelle Verhältnisse darbiete. Diesen beiden Einwendungen muss hier noch mit einem Paar Worten begegnet werden. Was zunächst das erste Bedenken betrifft! so würde es gerechtfertigt erscheinen, wenn wir versucht hätten aus diesen Beobachtungen überhaupt eine Absterbeordnung abzuleiten. Dazu würden dieselben freilich nicht hinreichend seyn. Zwar zeigt die Zusammen- BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDADER. 193 stellung der Gestorbenen nach dem Alter schon deutlich genug eine bestimmte Progression, die noch mehr hervortritt wenn man fünf- bis zehnjährige Alters- classen unterscheidet. Alsdann starben von sämmtlichen dem erreichten Alter nach bekannten Gestorbenen (ohne Тойісеђогепе) von 1410 Gestorb. auf 1000 reducirt im Alter уоп 0— 5 Jahr 364 208,1 sa 5—10 » 35 248 »..10-—15.- y 14 9,9 » 15—20 sa 4 29,0 » 20—30 „ 116 82,3 » 30—40 „ 116 82,3 » 40—50 „ 124 88,0 » 50—60 „ 172 122,0 » 60—70 „ 190 134,8 a 40—80 sa 185 131,2 » 80—90 „ 51 36,2 über 90 ; 2 | 1,4 . 1410 1000. Im Ganzen und Grossen zeigt sich also auch hier schon die allgemeine Ordnung, wonach die Zahl der Sterbefülle in den ersten Jahren bei weitem am grössesten ist, darauf bis ungefähr zum 1öten Jahre sehr abnimmt, von dieser Zeit an aber fortwährend steigt bis zu den siebziger Jahren, dann von 70 bis 80 Jahr langsam und darauf sehr rasch abnimmt. Im Einzelnen indess, von Jahr zu Jahr sind die Anomalien noch zu gross um eine specielle Absterbeordnung daraus ableiten zu können; dazu ist die Zahl der beobachteten Sterbefälle allerdings noch lange nicht hinreichend. Dass dieselbe dagegen für unseren Zweck, nämlich das Verhältniss der Göttinger von Geburt unter den Ge- storbenen zu den Gestorbenen überhaupt annähernd genau darzustellen, hin- reicht, wird gewiss nicht bestritten werden können, zumal das Verhältniss schon in den einzelnen Jahren nicht viel von dem Mittel-Verhältniss abweicht. Denn während durchschnittlich die Gestorbenen auswärtiger Geburtsorte von denen in Göttingen geborenen 45% bilden, beträgt dies Verhältniss 1853 430%, 1854 45%, 1855 61%, 1856 35%, 1857 47% und 1858 44%, Hist.-Philol. Classe. ҮШ. Cc 194 J3E. WAPPAUS, Hiernach beträgt nur in einem Jahre (1855) die Abweichung vom Mittel über lio, was gewiss als eine nur geringe Schwankung angesehen werden muss, bei der ein sechsjähriger Durchschnitt schon genau genug für unseren Zweck die Regel trifft. , Uebrigens ist hierbei auch noch zu bemerken, dass in Wirklichkeit diese Schwankung wahrscheinlich noch etwas geringer ist und dass überhaupt der Einfluss der Einwanderung auf die mittlere Lebensdauer noch stärker hervortreten würde, wenn die Nachrichten über den Geburtsort der Gestor- benen vollständiger wären. Denn ohne Zweifel sind unter den in hohem Alter Gestorbenen, die, weil ihre Aeltern hier lange gelebt und hier gestorben sind, als hier geboren angesehen sind, nicht wenige, die als Kinder, aber doch erst nach den ersten gefährlichsten Jahren mit ihren Aeltern z. В. mit hieher berufenen Professoren eingewandert sind und deshalb eigentlich in die zweite Classe gehören, wodurch die oben für die in Göllingen geborenen Gestorbenen allein berechnete mittlere Lebensdauer noch niedriger sich. stel- len würde. | Es bleibt noch übrig, das zweite, von dem besonderen ‚Einfluss der Universität hergenommene, Bedenken zu erörtern. Dass durch die Anwe- senheit einer verhältnissmässig grossen Anzahl von Professoren und Studiren- den, die nicht in Göttingen geboren sind, die mittlere Lebensdauer daselbst verlängert werden muss, leuchtet nach dem Bisherigen leicht ein. _Indess ist dieser Einfluss doch bei ‚weitem nicht so gross als man glauben sollte und sogar in der That fast verschwindend klein gegen den, welchen die Einwan- derung überhaupt darauf ausübt. Um dies zu zeigen genügt es, bei der Berechnung der mittleren Lebensdauer von der Gesammtzahl der Gestorbenen diejenigen auszuschliessen, welche der Universität angehört haben. Dies sind im Ganzen 27 Personen, nämlich 14 Studirende, 10 Professoren, ein in hohem Alter gestorbener Privatdocent und 2 ebenfalls bejahrte sonstige Uni- versilätsangehörige. Obgleich nun unter dieser ungewöhnlich grossen Zahl der Professoren einer noch sogar das seltene Alter von 931/, J. erreicht hat, so ist durch die der Universitàt angehórigen Gestorbenen die mittlere Lebensdauer in Göttingen doch nur um 11% Monat erhöht. Diese 27 Personen haben nämlich zusammen (s. Tab. V.) 1204 J. 9 Mt. gelebt. Diese Zahl der Gestorbenen BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 195 und der von ihnen gemeinschaftlich durchlebten Jahre von denjenigen der Gesammtzahl der in Betracht gezogenen Gestorbenen (1410) und der von ihnen gemeinschaftlich durchlebten Jahre (54,433, J.) abgezogen, ergiebt für die mittlere Lebensdauer zu Göttingen, also mit Ausschluss der durch die Universität nach Göttingen Gezogenen, 38,43 Jahr. Durch die Studirenden allein wird sogar die allgemeine mittlere Lebensdauer etwas erniedrigt, da ihre mittlere Lebensdauer nur 243/, J. beträgt, also weniger als die allgemeine, während die der gestorbenen Professoren u.s. vw. sich auf etwas über 66 J. beläuft. Hiernach kann man also wohl behaupten, dass der Einfluss der Uni- versität auf die mittlere Lebensdauer gegen den der in Göttingen sterbenden Fremden überhaupt ganz irrelevant ist, und deshalb auch aus diesem Grunde das Beispiel Góttingens für die erhebliche Erhöhung der allgemeinen mittleren Lebensdauer in den Städten in Folge der eigenthümlichen Bewegung der städ- tischen Bevólkerungen nicht angefochten werden kann. Dass übrigens die von uns dargelegte Regel der eigenthümlichen Er- höhung der allgemeinen mittleren Lebensdauer in den Städten auch ihre Ausnahmen haben werde, braucht wohl kaum noch bemerkt zu werden. Es ist möglich, dass in einzelnen, namentlich ganz grossen Städten, der erhóhende Einfluss der Einwanderung compensirt, ja übertroffen wird durch den ernie- drigenden Einfluss der ungünstigeren Mortalität der grossen Städte. Sehr be- merkenswerth ist indess, dass dies in einer so grossen Stadt, wie Berlin, nicht geschieht. Nach dem, was Dieterici über die gróssere Kindersterb- lichkeit und die verhältnissmässig geringe Zahl der Greise in Berlin sagt, sollte man meinen, die mittlere Lebensdauer, nach den Berliner allgemeinen Todtenlisten berechnet, müsste viel niedriger ausfallen als die für die Bevól- kerung des Preussischen Staates überhaupt. Das ist aber keineswegs der Fall, und vielleicht würde die Ausführung dieser Berechnung Dieterici auch auf die von uns behauptete Unzulässigkeit der Benutzung städtischer Todtenlisten bei der Berechnung der mittleren Lebensdauer einer ganzen Bevólkerung geführt haben. Dieterici hat nur die summarische Uebersicht der in den 11 Jahren vom 1. Januar 1819 bis 31. December 1829 in Berlin Gestorbenen mitgetheilt. Berechnet man nun nach dieser Liste die mittlere Lebensdauer ganz nach der von Dieterici für den ganzen Staat angewendeten Methode, Ce? 196 J. E. WAPPAUS, so erhült man wirklich eine noch etwas hóhere Zahl als die, welche Dieterici für die mittlere Lebensdauer im Preussischen Staate für 1816, d. i. das Jahr gefunden hat, welches den Berliner Beobachtungen am nächsten steht. Für dies Jahr findet Dieterici 28,549 J. während für Berlin die Rechnung reichlich 28,5 giebt, was bei dem viel ungünstigeren allgemeinen Sterblichkeits- Ver- hältniss und insbesondere der grösseren Kindersterblichkeit Berlins. gegen das platte Land wohl überzeugend zeigt, dass in Berlin der erhóhende Einfluss der Einwanderung auf die mittlere Lebensdauer sehr erheblich ist. — П. Wir haben uns bis hieher darauf beschrünkt, nachzuweisen, dass die Todtenlisten der Städte, die ganz gewöhnlich den Berechnungen der mittleren Lebensdauer zu Grunde gelegt oder doch, wie von Dieterici, dabei zur Hülfe genommen werden, zu einer richtigen Bestimmung. derselben nicht taug- lich sind. Wir müssen nun aber noch einen Schritt weiter gehen und. unsere Behauptung dahin ausdehnen, dass Todtenlisten für sich allein überhaupt nicht zur richtigen Kenntniss der mittleren Lebensdauer einer Bevölkerung führen können. Und zwar können sie dies nicht, weil jede Berechnung nach Listen von Gestorbenen ohne gleichzeitige Berücksichtigung der Altersverhältnisse der Lebenden, aus deren Kreise die Gestorbenen hervorgegangen. sind, keinen richtigen Aufschluss über die wirkliche Lebensdauer der Bevölkerung zu ge- ben im Stande ist, Wir haben schon gesehen, dass die städtischen Todten- listen deshalb ein unrichtiges Resultat ergeben, weil die Altersverhältnisse unter den Städtern in Folge der Einwanderung anormal abgeändert sind. Auf die Alters- Verhältnisse der Lebenden können aber auch noch andere Um- stände erheblich einwirken und am Allgemeinsten und Bedeutendsten geschieht dies durch das Geburten-Verhältniss. Dass das Geburten- Verhältniss auf die Vertheilung einer Bevölkerung nach dem Alter nothwendig einwirkt, ist leicht darzulegen. Wo z. B. auf 100 Lebende jährlich 4 Geburten vorkommen, muss dadurch nothwendig unter den Lebenden auch das Verhältniss der Kinder ein grösseres seyn als da, wo auf 100 Lebende dürchschnittlich nur zwei Geburten vorkommen. Bei einer hohen Geburten-Ziffer wird deshalb das mittlere Alter der Lebenden BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 197 niedriger seyn müssen, als bei einer niedrigen Geburten- Ziffer und daraus folgt, dass bei einer Bevólkerung mit hohem Geburten- Verhältniss auch das Alter, welches die Gestorbenen im Durchschnitt erreichten (d. h. die mittlere Lebensdauer nach der gewóhnlichen Berechnung) geringer seyn wird, weil eben unter den Gestorbenen sich mehr Individuen im jugendlichen Alter be- finden werden, ohne dass deshalb die wirkliche Lebensdauer für die einzelnen Altersclassen d.h. die Vitalität der Bevölkerung, eine kürzere zu seyn braucht. Nun aber wird der hier bemerkte Einfluss der höheren Geburten - Ziffer noch dadurch bedeutend erhóht, dass überall die Kindersterblichkeit verhältnissmässig sehr hoch ist, und darnach ist leicht einzusehen, dass die Berechnung der Le- bensdauer allein nach Todtenlisten, ohne dabei gleichzeitig das Geburten- Verhältniss der Bevölkerung oder das Alters- Verhältniss der Lebenden mit in Rechnung zu ziehen, garnicht das trifft, was man eigentlich sucht, nämlich die mittlere Lebensdauer der Bevölkerung d. h. der gleichzeitig Lebenden, sondern nur die der Gestorbenen. Da nun aber diese mittlere Lebensdauer der Gestorbenen wesentlich abhängig ist von dem Geburten - Verhältnis 1) und zwar in der Weise, dass bei hóherem Geburten-Verhältniss — was im Allgemeinen doch als ein günstiges Zeichen für die Zustände der Bevölkerung angesehen werden muss — die mittlere Lebensdauer. der Gestorbenen erniedrigt, umge- kehrt diese durch ein niedriges Geburten- Verhältniss erhöht wird, so folgt daraus, dass die mittlere Lebensdauer in dem bisherigen Sinne des, Wortes unmöglich als Ausdruck der wirklichen Lebensdauer oder der Vitalität einer Bevölkerung angesehen werden und als solcher einen Maassstab für ihre Pro- sperität abgeben kann. Ganz treffend sagt auch deshalb Moser: „So wie man diesen Quotienten (d.i. den Quotienten aus der Division der Zahl der Gestorbe- nen in die Summe der von ihnen gemeinschaftlich durchlebten Jahre) mittlere Lebensdauer nennt, so steht es sogleich fest, dass eine grosse Zahl von Geburten der Lebensdauer gefährlich sey, und dass, wenn auf eine Ehe fünf Kinder kommen, dieselbe kürzere Zeit leben werden, als wenn die Ehe nur vier hervorbrüchte. Dann steht es ferner sogleich fest, dass, wo viele Ehen ge- 1) Vergl über die Verschiedenheit des Geburten-Verhältnisses und die statistische Bedeutung desselben: Allgem. Bevölkerungsstatistik I. S. 150 und 179. 198 J. E. WAPPAUS, schlossen werden (wodurch ebenfalls die Zahl der Geburten zunimmt) ein kürzeres durchschnittliches Leben stattfinde, so sonderbar eine solche Be- hauptung auch scheinen möge“ !). Es brauchte hier kaum noch weiter hervorgehoben zu werden, zu welchen grossen Irrihimern die Vergleichung verschiedener Bevölkerungen und verschiedener Zeiten nach dieser das Geburten-Verhältniss ganz ignori- renden mittleren Lebensdauer führen muss, wenn jener Unterschied der miti- leren Lebensdauer der Gestorbenen und der Lebenden nicht noch fortwährend von den Statistikern übersehen würde, wie dies auch wieder in der ange- führten Abhandlung von Dieterici?), in auffallendster Weise aber in der oben genannten Untersuchung über die Dauer des menschlichen Lebens von Benoiston de Chateauneuf 5) geschehen ist. Da nun diese letztere Ar- - beit sowohl wegen des Namens ihres Verfassers, der auf den von ihm einge- schlagenen Weg ein besonderes Gewicht legt, als auch durch die Stelle an welcher sie erschienen ist, wohl eine besondere Autorität in Anspruch zu nehmen berechtigt ist, so wird es wohl nicht unpassend erscheinen, an ihr specieller den falschen Weg nachzuweisen, auf den man durch jene Vernach- lässigung des Geburten- Verhältnisses bei der Berechnung der mittleren Le- bensdauer geräth. e Benoiston stellt, um die Dauer des menschlichen Lebens genauer als bis dahin geschehen zu bestimmen, aus den Todtenlisten verschiedener Staaten 1) Die Geselze der Lebensdauer u.s. w. Berl 1839. S. 116 f. — 2) Nach dieser Untersuchung zeigt sich im Preussischen Staate u. A. auch eine fortwährende Zunahme der mittleren Lebensdauer. Sie betrug 1816 — 28,549 Jahr; 1836 — 28,945 J.; 1855 — 30,306 J — Es ist aber leicht möglich, ja sogar sehr wahrscheinlich, dass diese Zunahme mit allen daraus gezogenen Folgerungen für den Fortschritt im Wohlstand, Gesittung u.s.w. eine völlige Täuschung ist. Denn bekanntlich hat in Preussen während der Zeit von 1816 — 1855 das Geburten-Verhältniss erheblich abgenommen (s. m. Allgem. Bevölkst. I. 8.222) und damit musste nothwendig eine entsprechende Zunahme der mitt- leren Lebensdauer nach Dieterici's Berechnung folgen, ohne dass deshalb auch irgend eine Zunahme der wirklichen Lebensdauer der Bevölkerung oder ein Fortschritt derselben eingetreten wäre. 3) S. oben S. 185 Note 3. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 199 für eine Reihe von Jahren die Gestorbenen, in Summa 15,484,549 Gestor- bene, zusammen und vertheilt diese in 6 Altersclassen, von 0—30 Jahr, von 30—60 J. von 60—70 J. u. s. w. Darnach findet er, dass von der Gesammt- zahl der Gestorbenen 6,872,091 oder 44,3% älter geworden sind, als 30 J.; von diesen 6,872,091 dreissigjährigen wiederum 3,805,755 oder 99,4% älter geworden sind als 60 J., 2,250,605 oder 32,7% das Alter von 70 Jahr erreicht haben u.s.w. Daraus. schliesst er nun, dass in den von ihm be- trachteten. Staaten im Mittel von 1000 gleichzeitig geborenen (!) Individuen 443 nach: 30: J. noch am Leben sind, von 1000 dreissigjährigen nach wiederum 30 Jahren 554. noch leben oder das 60ste Lebensjahr erreichen u. s. w. Darauf findet et dann ferner, die Todtenlisten der einzelnen Staaten für sich in derselben Weise. behandelnd, dass von 1000 Individuen z. В. in Preussen nur 507, in Piemont 529, in Frankreich dagegen 590, in Belgien 655, in England 607. das zehnte Jahr überleben!), worüber er dann, über diesen grossen. Unterschied sich selbst verwundernd, ausruft: S'il est malheureuse- ment vrai quen Prusse, en Piémont .... les générations qui naissent sont réduites à. moilié entre dix et quinze ans, quelquefois méme avant, cette reduction, si tristement précoce, et qui atteste une perte énorme des enfants du premier âge, n'afflige au moins ni la France, ni la Belgique, ni l'Angle- terre u.s. w., und später dann so schliesst: Tels sont, je le répéte, les ré- sultats, et, pour ainsi dire, l'expression numérique des listes de décés de plusieurs États de l'Europe. L'Académie voudra bien remarquer que jexpose les faits et ne les explique pas. Javoue que je ne saurais dire pourquoi un méme nombre d'individues arrive u. 5. w. Fast unbegreiflich ist es nun, dass der Verf. hiebei seinen Fehlschluss nicht selbst bemerkt hat. Seine Rechnung ergiebt ihm allerdings, dass z. B. von 1000 Gestorbenen im Mittel 443 in einem Alter über 30 J. gestorben sind, aber keineswegs, dass von 1000 Geborenen 443 über 30 Jahr alt ge- наон 1) Diese Zahlen ergeben sich jedoch merkwürdigerweise erst aus einem anderen früheren Abdrucke dieser Abhandlung in den Annales d'Hygiéne publ. T. 37 (1846), nümlich aus der hier mitgetheillen Taf. IV. p. 276, die in den Mémoires weggelassen ist, so dass in diesen das obige Hauptresullat der Untersuchung völlig unverständlich bleibt. 200 J. E. WAPPAUS, worden, oder 1000 — 443 d. h. 557 vor dem 30sten Lebensjahre gestorben sind, u.s. w., es müsste denn die Zahl der Geborenen und der Gestorbenen ganz gleich seyn, so dass erstere für letztere gesetzt werden können. Der Verf. setzt nun in seinen Schlüssen Geborene und Gestorbene ganz gleich, während er doch in seiner Abhandlung nirgends sonst über die Zahl der Geborenen in den Staaten, von denen er allein die Gestorbenen in Rechnung zieht, ein Wort sagt. Nun liegt aber auf der Hand, dass, da in Preussen das Geburten-Verhältniss, wie allgemein bekannt, grösser ist, als in Frank- reich u.s. w., dort, bei gleicher Absterbeordnung d.i. bei gleicher wirklicher Lebensdauer, unter den Gestorbenen auch mehr Kinder im zarten Alter sich befinden müssen, weil das Verhältniss dieser Kinder unter den gleichzeitig Lebenden grösser ist als in Frankreich u.s. w. — Um sich diesen Einfluss der Geburtenziffer zu veranschaulichen, setze man einmal den extremen Fall, dass in einem Jahr garkeine Geburten vorkämen. Dann käme auch während eines Jahrs kein Todesfall im Alter von 0— 1 Jahr vor und allein dadurch würde das Verhältniss der «nter einem bestimmten Alter (z. B. 30 J.) zu den über demselben Gestorbenen völlig alterirt +). Aus dem Bisherigen geht nun auch hervor, dass die mitilere Lebens- dauer nach der bisherigen Bestimmung keineswegs den hohen statistischen Werth hat, den man ihr beilegt. Für statistisch ganz unbrauchbar, wie die Bearbeiter der politischen Arithmetik sie erklären, möchten wir dieselbe dessen- ungeachtet nicht halten. Denn die mittlere Lebensdauer der Gestorbenen kann 1) Da eine specielle Nachweisung des Einflusses der Geburten-Ziffer auf die mittlere Lebensdauer der Gestorbenen in Zahlen für unseren gegenwärtigen Zweck zu fern liegt, so wollen wir hier aus den darüber für den betreffenden Abschnitt im 2ten Theil unserer allgem. Bevólkerungsstatistik angestellten Untersuchungen nur anführen, dass für die beiden Staaten, für welche allein sich bis jetzt die mittlere Lebensdauer nach vollständigen Todtenlisten für die ganze Bevölkerung berechnen lässt, für Frankreich und Bayern nämlich, die so berechnete Lebens- dauer um fast 81/, Jahr differirt, indem dieselbe nämlich in Frankreich 37,65 Jahr, in Bayern 29,98 J. beträgt, dass dieser Unterschied sich aber schon auf 55/4 J. verringert, wenn man für Frankreich eine gleiche Geburten- Ziffer mit Bayern setzt, und darnach nun die daraus nothwendig hervorgehende Steige- rung der Sterbefälle blos im ersten Lebensjahre in Rechnung bringt. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 201 immerhin dem Statistiker in einer leicht zu Vergleichungen anzuwendenden Ziffer einen Anhaltspunkt zur Beurtheilung der Kraft einer Bevölkerung gewähren. Dagegen ist die blos nach Sterbelisten berechnete mittlere Lebensdauer allerdings zum Maassstabe für die allgemeine Prosperität einer Bevölkerung durchaus ungeeignet. Dazu ist die Kenntniss der wirklichen mittleren Lebens- dauer erforderlich d.h. der mittleren Lebensdauer unabhängig von dem Gebur- ten-Verhältniss oder der grösseren oder geringern Zahl von Neugeborenen, welche die Bevölkerung jährlich erhält und welche auf die Vertheilung der Bevölkerung nach dem Alter einwirkt. Dass diese wirkliche mittlere Lebens- dauer, die wir zur Unterscheidung von derjenigen im gewöhnlichen Sinne die Lebensdauer der Lebenden oder die Vitalität der Bevölkerung nennen können, von der grössten statistischen Bedeutung sey, ist unzweifelhaft, denn von ihr gilt in der That, was d’Ivernois von der mittleren Lebensdauer sagt: ihre Zu- oder Abnahme giebt das unwiderleglichste Zeugniss des Vor- oder Rückschrittes einer Nation. — Es fragt sich nur, wie ist diese Vitalität einer Bevölkerung zu bestimmen ? Es giebt dafür nun eine sehr einfache Vorschrift, welche schon Laplace, der sich überhaupt gerne mit derartigen bevölkerungsstatistischen Fragen be- schäftigte, bei Erwähnung der Construction der Mortalitätstafeln in seinem berühmten Essai philosophique sur les Probabilités folgendermaassen mittheilt 1): „La manière de former les tables de mortalité est trés-simple. On prend sur les registres des naissances el des morts, un grand nombre d'enfants, que l'on suit pendant le cours de leur vie, en déterminant combien en reste à la fin de chaque année de leur âge, et lon écrit ce nombre vis-à-vis de lannée finissante. — Si l'on divise la somme des années de la vie de tous les individus inscrits dans une table de mortalité par le nombre de ces indi- vidus, et si de ce quotient, оп soustrait une demi-année, on aura la durée moyenne de la vie etc.^ — 1) In der Ausgabe: Paris 1814. 4. S. 81. In der späteren Ausgabe dieses Werks als Introduction zur Théorie analytique des Probabilités. Ed. III. und in den gesammelten Werken T. VII. p.cx. (Par. 1847) ist die Fassung dieser Vorschrift etwas abgeändert, wodurch Missverstündnisse veranlasst worden, die nach der ursprünglichen Vorschrift nicht möglich sind. Hist.-Philol. Classe. ҮШ. Dd 202 J. E. WAPPAUS, Diese Vorschrift ist eben so richtig wie einfach. Es ist nur zu bedauern, dass sie sich praktisch garnicht ausführen làsst. Denn wir besitzen für keine Bevólkerung Geburts- und Sterbelisten, welche ein Jahrhundert weit zurückgehen und in denen man eine gewisse Zahl von Geborenen in ihrem allmählichen Absterben bis zu dem Tode des letzten von ihnen verfolgen könnte. Ueberdies ist freilich gegen diese Vorschrift anzuführen, dass im Verlauf eines Jahrhunderts — und einen so langen Zeitraum muss die Beobachtung umfassen, weil sie erst mit dem Tode des lelzten unter der beobachteten grossen Zahl von Geborenen abgeschlossen ist —- durch ver- schiedene Umstände, wie Veränderungen in der Sitte und Lebensweise, des allgemeinen Wohlstandes u. s. w. die Lebenschancen, sowohl für die verschie- denen Ajtersclassen der Bevölkerung, wie für diese im Ganzen sich wesent- lich ändern müssen, während es doch vorzüglich darauf ankommt, die Vitalität der gegenwärtigen Generation kennen zu lernen. Es wird daher ein anderer Weg eingeschlagen werden müssen, wobei wir jedoch hier gleich bemerken wollen, dass die Anlage solcher Todtenlisten, in denen die gleichzeitig d. h. in einem und demselben Jahre Geborenen in ihrem allmählichen Absterben sich verfolgen lassen, in hohem Grade wünschenswerth ist, indem sie we- nigstens für die jugendlichen Classen bald eine genaue Absterbeordnung nach wirklichen Beobachtungen ergeben, was um so wichtiger ist, als gerade für | diese Alter unsere sämmtlichen Mortalitäts- Tafeln äusserst fehlerhaft sind. Bis jetzt sind erst allein in Bayern solche Sterblichkeits - Listen angelegt, die nun bereits für die Alter von 0—35 Jahren eine direct beobachtete Absterbe- ordnung ergeben und welche allen Statistischen Büreaus zur Nachahmung nicht genug empfohlen werden kónnen!). Zu einer Berechnung der Vitalität werden aber solche Tafeln nie hinreichen , einmal aus dem schon angeführten Grunde der Veránderung der Lebenschancen, dann aber auch insbesondere deshalb, weil dazu auch vorausgesetzt werden müsste, dass die Bevólkerung, auf die sich diese Listen beziehen, nach Zahl und Alters-Verhältniss während der ganzen Zeit durch nichts anders bestimmt und verändert würde, als allein | 1) S. Beiträge zur Statistik des Königr. Bayern. Aus amtlichen Quellen herausgegeben von F.B.W.von Hermann, Heft Ill. S.216 ff. und Vorwort S. v, und Heft VIII. Taf. Ш und IV. BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN Li:BENSDAUER. .203 durch Geburt und Tod innerhalb derselben, nicht durch Gebiets- Veränderung und nicht durch Ein- oder Auswanderung, Bedingungen, die bei keiner grösseren Landes - Bevölkerung zutreffen werden. Ist hiernach nun aber eine Berechnung der Vitalität einer Bevölkerung nach einfacher direeter Beobachtung auch nicht möglich, so giebt es doch noch einen Weg, zur hinreichend genauen Kenntniss derselben zu gelangen. Diesen Weg bieten Mortalitäts- Tafeln dar, die auf wirkliche Beobachtungen gegründet sind, und da die erforderlichen Beobachtungen für solche Mortalitäts Tafeln überall bei geordneter Staats- Verwaltung ohne grosse Schwierigkeit zu erlangen sind, so ist dadurch auch das Mittel zur genaueren Kenntniss der Vitalität der verschiedenen Bevölkerungen dargeboten. Die bisherigen gewöhnlichen sogenannten Mortalitäts- Tafeln sind freilich zu solchen Berechnungen gar nicht zu gebrauchen. Diese nämlich sind ent- weder allein nach Todtenlisten berechnet und leiden deshalb an demselben Mangel, wie die blos nach solchen Listen berechnete mittlere Lebensdauer, oder sie gründen sich auf die Erfahrungen von Tontinen, Rentenanslalten oder ähnlicher auf das menschliche Leben gegründeten Versicherungs-Institute und beziehen sich deshalb nur auf bestimmte Classen der Gesellschaft, sogenannte „selected Heads«, nicht auf die Gesammtbevölkerung eines Staates, und in der Regel auch nicht auf alle, nämlich nicht auf die jüngsten Altersclassen. Vollkommen brauchbar für die Berechnung der Vitalität einer Bevölke- rung sind dagegen die nach der sogenannten directen Methode construirten Mortalitäts-Tafeln, wie Quetelet sie zuerst für Belgien angewandt hat. Diese Methode besteht darin, dass man die Gestorbenen jedes Alters mit den Leben- den desselben Alters vergleicht und nach dieser auf wirkliche Beobachtungen gegründeten Vergleichung eine Mortalitäts-Tafel oder eine sogenannte Absterbe- ordnung für die Bevölkerung construirt. Dadurch erhält man zugleich eine wie sie sich nach Zahl und Vertheilung des Alters bei der Bevölkerung ergeben würde, wenn dieselbe in ihren Lebenschancen und ihren Alters- Verhältnissen ungeändert bliebe, und diese freilich erst ab- geleitete aber doch die Verhältnisse der Gegenwart bestimmt ausdrückende Todtenliste, ganz so behandelt, wie die gewöhnlichen Todtenlisten zur Ermit- telung der gewöhnlichen mittleren Lebensdauer, ergiebt die mittlere Lebens- Dd2 Liste von Gestorbenen, 204 J. E. WAPPAUS, dauer der gegenwärtigen Bevölkerung unabhängig von dem Einfluss der wechselnden Geburts-Ziffer und anderer ungleich auf die Alters- Verhältnisse der Lebenden einwirkenden Umstände. Zur Construction solcher auf wirkliche die ganze Bevölkerung umfas- sende Beobachtungen gegründeten Mortalitäts- Tafeln bedarf es nur der genauen Kenntniss der Lebenden und der Gestorbenen nach der Zahl und nach dem Alter für beide Geschlechter, also nur dessen, was jede officielle Statistik, die den Anforderungen der Statistik zu entsprechen Anspruch macht, durch vollständige Civilstandsregister und sorgfältige periodische Volkszäblungen nothwendig darbieten müsste. Gleichwohl giebt es bis jetzt unter allen Staaten, in welchen sich Statistische Büreaus befinden, nur noch zwei, welche das Material für solche Mortalitäts- Tafeln und damit die Möglichkeit einer Ermit- telung der gegenwärtigen Vitalität ihrer Bevölkerung in hinlänglicher Vollstän- digkeit und Zuverlässigkeit darbieten. Dies sind Belgien und die Niederlande. Ausserdem sind es nur noch vier Staaten, welche die eine der beiden Be- dingungen — entweder vollständige Todtenlisten für die ganze Bevölkerung, oder genaue Bevölkerungslisten — mehr oder weniger vollkommen darbieten, so dass mit Hülfe zulässiger Interpolationen für sie allenfalls solche Abster- beordnungen construirt werden könnten, nämlich Frankreich, Schweden, Dänemark und Bayern. Fast alle anderen Staaten uud insbesondere die beiden deutschen Grossstaaten, deren Vergleichung unter einander und mit den übrigen Grossstaaten in dieser Beziehung sehr lehrreich seyn müsste, sind in beiden Beziehungen in ihrer officiellen Statistik noch so weit zurück, dass subtilere statistische Untersuchungen über ihre Bevölkerungsverhältnisse überhaupt noch garnicht móglich sind. Oesterreich freilich hat seit 1851 für die Vervoll- kommnung seiner Bevólkerungsstatistik ausserordentlich viel gethan, wird aber in der vollkommenen Erreichung des Ziels wohl noch für längere Zeit in den Verhältnissen mehrerer seiner Provinzen unübersteigliche Hindernisse finden. Preussen dagegen, dessen Statistisches Büreau, vor 40 Jahren ein Muster für alle Institute dieser Art, dadurch, dass es seit Hoffmann’s Tode ganz in den von diesem genialen Statistiker vorgezeichneten Bahnen beharrte, gegenwärtig, wenigstens, was die Bevólkerungs- Statistik betrifft, von den Instituten fast aller anderen Staaten überfligeli worden ist, wird ohne Zweifel das Ver- BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 205 säumte leicht wieder nachholen können, nachdem dort die Wahrheit des Wortes unseres jetzigen Altmeisters Quetelet ;qu'un recensement bien fait comprendrait presque implicitement en lui-même toute la Statistique d'un pays«!) erkannt worden. Vor der Hand würde deshalb eine weitere Verfolgung unseres Gegen- standes sich im Wesentlichen auf die Erörterung der Bevölkerungsverhältnisse Belgiens und der Niederlande beschränken müssen, und obgleich unserer Meinung nach dieselbe auch in dieser Beschränkung schon mancherlei allge- mein interessante Resultate darzubieten im Stande seyn möchte, so glauben wir doch für diese Abhandlung uns damit begnügen zu müssen, die wahre statisti- sche Bedeutung der mittleren Lebensdauer einer Bevölkerung und den zu ihrer Ermittelung einzuschlagenden Weg angedeutet zu haben. 1) Recherches statistiques, Recensement de Bruxelles en 1842. p. 30. — und: Bulletin de la Commission centrale de Statistique I. p. 71. 206 J. E. WAPPAUS, Tab: Gestorbene Einwohner Góttingens von 1853 bis 1858 incl, geboren in Göttingen männlich u. weibl. Total. | 1858| Total. || Total. 88 Alias. männlich weiblich Jahre (1553118541855, todigeb. | 4 | 7 в t 55 to 00 > v m no -—— мы щл LD c — че ть нь ел d a ga j3 imb = — о Fe л Wen Mer Lei mL > ч о) к< ©з єл = 2 Ы2 2 «л, к= © бә Өл Р Ёл ©: ©2 82 Ф› ©: ©о © Ф› © 82 фо ке єл а ке» | Il wann | T o-ool-wo»roog-ato e 52 ы ds Kai М СОЗУ ЧОЕТ ТТ СУСЕ ЕСУ mm -— ^ ba (i^ - А H C WD UD N Qo ML we ee De TT el We Vë яч ei ы 58 | a F ты = en A 65 R5 МЈ zÄ 9 NIS Wee Viu Сы We p * VU ЕЧ жила Läd welles ilii asl eeil yill owel (lw Lelelwlrngngueeeä p 3 AO dob MI) OUb Coe OUO > i C 0 Oe Өл >» e (C фо | p ooo ел | ад» | к> | o ©» o ооч esl EES Fel Feel | ИЕТ ГІТ ЕТУ СУЧ Гьы | | | | | | | tetun peat Б L em Lond Lg STILI ist EE за ота ss FEEF rast HT FO И ла 0р d Ee рас оо АЕТ Тев ЕВЕ Тестова Г, Тоу! тутту аии и ли о К ое аи у 3 &lltelstll2tititileltitese!ll-ls-!lielliielllilttlelelee-0- AI SS EI К sel, 1-1 ТГ ГУ! ж Ill TITTI F I] Т ышы! ГЕТ Ыы! ee лл у. с ее оо м!!! A шь! Г! КГ шы | z JR g e B Id — BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 207 Tak E Gestorbene Einwohner Göttingens von 1853 bis 1858, geboren in Göttingen 2 2 männlich iblich « Welbl. Total.|| Total. Alter. männlich we 2 EI Б un с e| E > a IS? о e Le NEE SALE Aĵ b bah e bes m gl | eveseo o 0095 фә 0 en о © 5 en en. An eg ka wN Wi Ou Vi) ga Si SWwwwno [жч Е Los e -100 00 Qoi» чб о Ou QR NX gn wi Vt VU Ge LS A) Сз bb sh An ON pa u e ы w m Fikri FR buabamacebweounsec»poeblx ЕТЕ ЕЕ онно соне соо is e © ТЕТТЕ ТТЕ КЕК» Ке» ele Ки о (еа К Р» ы! КРЕКЕР ГТКК ЛЫ IT IE TS TE КУ TEE TFT er ЕЕЯ a aA УТГОТ ЕЕ SFEFFTEKI ri T dew ЫТ cu 4 IUBE I oS XM sim NEUES BIT III TIEF REIT EI TAT I Sf e E EE E ECKE GEES ERT I LI rudes XI EPIIT 1 i2 a Pal Fauna Sail IIIIITIITelellelllertsrsplelettllelenwllllepel sl LE SET TEE е ТЕТТЕ зм Дм ез l all S SEE E E al КЕКЕ ш ЫКЫ АКК ЛА ГКЕК ЕРЕ БЕ ЕБВ BIITIT alli iT alani anl К ГК ГГ шш ПЕГЕ - [2] oo л сл = mem vk 1 u $ a. | 97 | 65 | 92 *) Ausserdem 1855 ein todtgeb. Kind und 1858 ein todtgeb. und ein vor der Taufe verstorb. Kind ohne Angabe des Geschlechts (kathol. Gemeinde). Summen | männlich u. weibl. Total. Fra; a. [m | Jam [JRARAFWORÄFNHFOERTENHNFSRAHRDEN шепаюоо - 162 98 | ее poc je rpm pi pp pe qmdem Ja сеч чновчча тчаве "P^ 1858] Total. КК Ыы LE LLL ЕК К ТҮ rer Li ы е een ET Les Lait action ааа ооо 1020| 1021 FIEL xi ыччатын a А 12 EL EAT T 4 4 4 449] КЕКЕКЕ О КЫ ELT DET EELIT ли weiblich ESSA Me ESERA- E EA CE Ш И ылкы na 12 | 20 кн СК ELLI LITT ER О ож жоу у. ТЕТ Таг Total. | [uem ag EE 4 4 £g a Г n94v)29n465|nwuo;pupxmewnp|wnmTY J. E. WAPPAUS, 1| 66 ГАТТ СИТЕС UIT TUIS LIT КЕРИ Я ausserhalb Göttingens geboren. жй ЧЕКЕ Ге со БЕ ТЕТЕ У КЕСЕНИН ИТИ кор Ле е TTT (ei ge ee з ыш оз з d männlich 911] 12] ЕТТТ ТТТ ЕГЕС ATE Gestorbene Einwohner Góttingens von 1853 bis 1858, LI ea Иа LLL nd О AL а EE S. — 48 48 — 49 49—: Summen | 11 | 16 | BEGRIFF UND STATISTiSCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER 209 Lab IL Gestorbene Einwohner Göttingens von 1853 bis 1858, ausserhalb Göttingens geboren. Alter. männlich | Weiblich männlich Total. 1856 1857/1858] Total. | Total. 91 22 = - 2 = w © — = Г -— D e ке, e ©; _ є = ГА tw ч wo е te | an e "yu | bu. al e ës EN dr wn DER EE EENHEETEN => => GE? M ha 3 Fegi tapaa] Lei BEN - — FS n nen noon on AN AE AT af at «JJ «JJ aJ wl CS CS US US CS US 08 op, Ch єт EN €n C VI t е ә [s о IE II leese leit ETT eh FëifetzbtrzkEEKEEETE e E MEET SSC Eeer FIILEIIERBEL EI EFT КЫК Та ләм кош» К л Иә Те! ЕКЕ РК РК] -wl-w-r-ewee,t-uouw-uo-awcoo-coomiouotu К ПЕКТИН КЕНТ | SITAATTI ELATI aar ТГ тта jl lell lial 1шю! | сә әгә # эд o o or o фо ыс оо єл ©з кә o ©з ot фә Фә к= гд > > 2 ® MEELIETLT л м ЕГЫУ ГТУ унн очо n Таче Т keet ША S РЕТТЕ ТТЕР стр ррррер орке" УИЧ to [^9 - фо +> Lc KO e w pa ә © о & | ИИИ ОИЕ ОРЕ Ki е S Hist.-Philol. Classe. ҮШ. 210 | Ј. Е. WAPPAUS, Tab; DE Gestorbene Einwohner Góttingens v. 1853 b. 1858. Recapitulati Geburtsort unbekannt. Gestorbene von 1853 bis 1858. männl. Summe | und geboren | geboren |Geburts-] aller weibl. in ausserh. | ort un- | Gestor- Góttingen|Góttingen| bekannt | benen Männlich | weiblich 219 |O jt. oo uc 219 з з 0 © |00 |W £| -— | 1 mg sg 2 0 Iz E %0 0 Kb ml I + "BE © Kl CO а KA - e С E е Ф e z nen T to QD +4 C» Qu» O2 h2 m 7 887 218 **) 68 34 20 24 а vun ооо m NM Cog Oo rm si | нь М Со нь С CH 00 si ` ш mM Que -— A en Фә с ОО ke EH CP ^ D кй gas S Qu kW vo Lk kd EP si LD si UD UD si O2 Mi sf I =” ML EQ kd Fei KEE KEE) [e 2] | | | | ПЕРЕБУ КРЕ Васа А 3 (Кор A Lnd e LL 3 OD «3 On Cn s 05 ең wl sc LEA | | ШИЛИК d E om ER CS tr P 11—1—{ 1 раа DE? ИО u a RH AH EE H bit Eat EE EE Fb = A SS © | RO CV QD ER Ды КУ US e VO EA E KE e EN а Kë vn | gg | | wi | ы | Боа љо | ЕИ КЕКЕЧ эы Ill Summ.| 4 че 2 — .*) Ausserdem 2 todtgeborene Kinder ohne Angabe des Geschlechts in der kathol. Gemeinde, **) und 1 vor der Taufegestorbenes Kind ohne — — — а BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 211 Tab. Ш. Gestorbene Einwohner Góttingens v. 1853 b. 1858. Recapitulation. Geburtsort unbekannt. Gestorbene von 1853 bis 1858. 5 > ER männl, Summe männlich | > ДЕН АНА | und geboren | geboren [Geburts-] aller 2 ро юра сорт аа ре а 005 weibl. in ausserh. | ort un- [ Gestor- 5 156 |5 © 0 D ё © 6 20 |O |00 3t. zusam Góttingen|Góttingen] bekannt] bene 4| 1|—| At 1| 8,i—j—|—| 2——] 2j 10 670 121 10 801 UE 1 1 3 6 1 10 nen ку. шк en 9 3 —- 12 -| DA) 1 10 9 1 20 E 2 5 — 7 — 1 9 — 20 ckt — 7 8 — 15 —|—| 1—|—[ 1 1 11 1 1 13 1| 2;,—|—|—|—|—|—|— 2 + + 2 10 —{— a Dea а А 8 8 —- 16 | lech 1 ———— —i— 1 11 5 1 17 —| 1|—-!—|—]| 1 1| 1 2 8 6 2 16 DHT SEES — —|-|—l-! — 6 6 — 2 —| 101—1 1| -į 2—|— = 2 15 7 2 24 —|— 1 -| 11 2—|— —|—]| 1 3 11 T7 3 ?1 ————i——--—-—-—-—l! — 9 15 — 24 = E GE E CIE e GE —| 1 1 9 6 1 16 zieh N 44 1 5 10 1 > —|—|-i-|—-|—/—|-—|—| t| —|—] 1 1 9 7 1 р =| af 111-0 —|_[—| 3 5 5 3 ) е Е ас 3 9 7 3 Z 1l—|-—|—[:2 2 i 8 2 į ишш КЕЛ лкы E 112-1 1— 1 9 7 1 17 —|—] 1| 11-1 2. —|—| 1|—|—|—] 1 3 6 10 3 19 e| I—izI—D1d-—i--i-i-I9- 3 9 15 3 27 = е К IGNI E з 6 10 3 19 E КОРЕЕ Шок e И тшт учи 12 13 kie 25 if ЗМ auis 6 9 2 17 ze ы иа 3 5 11 3 19 SE EEE Ша 3 7 11 2 20 SE armen. 14 5 = 19 EES THE 1 1| 3 8 10 3 21 ara en s 8 13 5 26 ne Кы ГЕ — 8 12 = 20 ECH E E EE ir. 2 Я. 8 2 17 шй geit сао a 10 8 4 22 ee 4 2 3 9 AE RS WES ыер Ec mm а 2 8 2 12 is 8. s Es —-l — 2 1 — 3 SE E „ые +- 5 3 T 8 E E 1|1—).—)—] i) 1 3 1 1 11 беры — 1 3 SS ; Foe E 1 3 3 | 1 —— 1 E 1 r = 3 T E 1 1 m : np rel ee етш g 3 3 3 a gruen) = 1 1 — 2 "Summ.|ii| 4| 810] 6| 41431 5| 5| 7| 9| 5| 1132) 75 UE MEL. Lc 212 J. E. WAPPÄUS, Tab. HI Gestorbene Einwohner Göttingens v. 1853 b. 1858. Recapitulati Geburtsort unbekannt. Gestorbene von 1853 bis 1858. ! : : | RER männl. Summe | männlich | weiblich | geboren | geboren сан aller Alter. үсе a 85 HECKEN epa weibl. i ausserh. ; ort u estor- Se E E É 2 2 83 E 215 0 6 56 pibe |Göttingen;Göttingen| bekannt | benen Transp. |t! 4| 8/10] 6| 414311 5| 5| 7| 9 5 P 75 930 439 75 1494 с * 0 f ра aci N — 2 тт d ix = e mg E 921 ш Se SE = ES 92—93| Ke 1 = = | 6 Ат | E е 1 — 1 95! Es x = ali = unbek. | aAa 2 E "d 2 2 Summ.|!1| 4| 810) 6| 4|43| 5| 5| 7| 9| 5| 3]34|. 77 981 442 77 | 1500*) *) Ausserdem 2 todtgeborene Kinder und ein vor der Taufe gestorbenes Kind ohne Angabe des Geschlechts BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 213 Zahl IV. | Geborene in Göttingen (excl. der im К. Entbindungshause von auswärtigen Müttern geborenen Kinder). lebendig todt - total. m. w m. Ww. 1853 139 | 120 4 6 269 1854 119: |-113 8 1 241 1855 136 | 118 6 4 264 1856 146 | 137 | 12 12 307 1857 171:| 120 и 127 307 1858 | 174 | 153 | 11 | 10 | 348 Summen | 885 | 761 | 50 | 40 |1736 Der Unterschied in der Zahl der Todtgeborenen gegen Tab. I rührt daher, dass in den Todten- und Begräbnissbüchern in ein Paar Fällen Kinder als todtgeboren aufgeführt sind, die in den Geburtenbüchern als lebendgeboren eingetragen sind und umgekehrt, und dass in den Geburtenbüchern auch bei allen das Geschlecht angegeben ist. - Bevólkerung der Stadt Góttingen. Nach der Zählung vom 3. Decbr. 1852 — 11,099 1). IT» B бу, ‚чал 112285). » » » » 2 » 1858 — 12,012 5). 1) Zur Statistik des Königr. Hannover (А. d. Statist. Bureau) Heft IV. 5. 5. 2) Daselbst Heft V. 5. 4. 3) Hof- u. Staats- Handbuch für d. Königr. Hannover auf d. J. 1859 $.570. Der Zusatz zu dieser Angabe „incl. der studirenden Inlünder* ist offenbar irrig, da seit 1852 sämmtliche Studirende mitgezählt werden sollen und für 1852 u. 1855 die Angaben des Staatshandbuches auch mit denen des Statist. Bureau's ganz übereinstimmen. Vergl. zur Statistik u.s. w. Heft IV. Einleitung 5. I. — 214 J. E. WAPPÄUS, Fab V. Mittlere Lebensdauer der in Göttingen von 1853 bis 1858 gestorbenen Universitäts - Angehörigen. 1. Studirende. 1853 | 1 pal: | 24 J. 6 Monat » 1 » 213 Ii 3 » 1 » 22 » Y p » 1 » 19 » 1 » 1894 | 1 ? 205... 3495.5 » 1 » 21 ? 1-5 ? 1855 | 1 » 23 » 4 p » 1 » 25» е, » 1 D 24, i >? » 1 » 23 » 4 2» 1856 | 1 » 26 5 Á 3 » 1 » 28 » T » 1857 1 » | 46 » E 2 1898 |; 1 59 a Fu» 14 » |3846 » Á 5» Mittlere Lebensdauer — 24 J. 9 Monat. 2. Universitätslehrer. 1854 | 1 Professor alt: | 93J 3 Monat » 1 Institutsdirector » 67» — » x 1 Professor А 62 ; 4 ; 1855 1 » 2 68 » 1 » » 1 » D 63 » 6, » 1 » » 17 2 10 » » 1 2 p 60 ? 2 ? » 1 » »5 02 » = 2 » 1 » E 91 ; б » 1856 | 1 Exercitienmeist. | ; 665. —. P 7 1 Professor 2 45 » 7 » 2 | 2 2 13 » 11 » 1858 | 1 Privatdocent » 77 › а 1 Summ. |13 Personen » |858, 9 » : Mittlere Lebensdauer = 66 J. !/ Monat. ` BEGRIFF UND STATISTISCHE BEDEUTUNG D. MITTLEREN LEBENSDAUER. 215 Tab. VI. Berechnung der mittleren Lebensdauer әл für sämmtliche oar Тер зи, Einwohner Góttingens || b) für diejeni - ә — in Góttingen n 1853 bis 1858 geboren gewese Zahl Gemeinschaftlich Zahl Gemeinschaftlich Alter der Gestorbenen verlebte Jahre der Gestorbenen verlebte Jahre 0— 1 Jahr 21 69, 216 69,, 1— 25 68 102, 63 ` 2— 9 34 85,0 33 82,, 3— + DI 1 19 66, 4-— E39 24 108,5 22 99,5 5— 6 UI 7 E »5 7 38,5 6— 1 OI 11 { DI 8 52,0 7— 8 HI 6 4 30 6 KD 5— ES 6 51,0 6 51, 9—10 „ 5 47,5 4 38,0 10—11. „ 3 31,5 3 31,, ТЕТЕ" 2 23,0 2 23,, 129—143: 1 25,0 1 2s 13— 14 » 1 Hi em RES орну 14—15 „ 6 87,0 6 87,0 {5-16 9 8 24,0 6 93,0 E- e 2 33,0 1 16,5 {1218 10 175,0 8 140,0 18 —19 у; 11 203,5 10 185,0 19—20 , 10 195 3 58,; Bu 11 225, 6 123,0 mn; 13 279, 7 150, 22 — 23. 5 9 202,5 7 157,5 4°, 13 305,5 10 235,0 24 Е 25 » 7 171,5 3 18% nu. 9 229, 6 153,, 26-— 27.5 11 291,, | 7 185,, 427—985 23 632,. 15 412,5 082229 с; 12 342, 3 85,5 29 —30 „ 8 236, 7 206,, 30—31 ; 13 396,, 8 244,0 335.4 14 e H 252,0 32—33 „ 9 292,5 H 227,5 3—-M „ 12 2,5 8 268,0 34—35 „ 8 276,, 7 241,5 35—36 „ 14 497, 7 248,, 36—3T S 8 292, 3 109, 31—38. 3. 14 525,0 9 337,5 38—39 „ 14 539,, | 6 31, 28-40: 10 395,, | 5 197, 130 —4. „ 8 4,0 | 6 243,0 41—42 „ 9 T | 9 318% dt. ;; .. 10 425,0 | 4 170,0 Zu, 10 5 | 3 130,, 4—45 .. 12 534,0 9 400,5 B 20 910,, 10 455, м. 1 325,, 2 93,5 20 > 20 950,, 11 522,, 48—49 „ 15 ТЛ, T 339,, 49—50 „ 13 643,, 11 544,; Summen 810 14218, 635 e 8694, 216 J. E. WAPPAUS, Tabi VL | Berechnung der mittleren Lebensdauer a) für sämmtliche gestorbenen Einwohner Göttingens | b) für diejenigen, welche in Göttingen von 1853 bis 1858 , | geboren gewesen Zahl Gemeinschaftlich , Zahl Gemeinschaftlich Alter der Gestorbenen verlebte Jahre | der Gestorbenen verlebte Jahre Transport 1 14218,, 35 8694,5 1 Ј 505. 4 202,6 91—52 = 16 824,0 8 412,, 2—53 17 892,5 11 ng 53 —54 „ 16 856 8 428,0 1—55 „ 12 654,0 6 327,6 — 90 эз 24 1332,0 cK 832,5 87 5. SE 1186,5 11 621,5 — 3 » 24 1380, 9 517,5 3—59 „ 16 936,0 9 526,5 )—60 „ 16 952,0 5 297,5 во 17 1028,5 9 544,, 61-6274, 13 (GER 5 307, 62— 63. „ 19 1187,, 9 562,, 63— 64 -,, 17 1079,, 7 444,, 64—65 л, 17 1096,, 9 580,, 65—66, 19 1244, 6 393,. 68 — 6T ..,, 21 ‚ 1795, 9 598, 67—68 , 19 1282,, 6 405, 68— 69 , 25 1717, 12 822, 69 — T0 „ 17 1181,, 6 417,0 TMTE ош 19 e 5 352,, — 72 „ 20 1430,5 7 500,, Lg „ 19 1371716 14 DIER 13—74 „ 21 1543,5 8 DER. 12—715 „ 26 1937, 8 596,, 419—716 эң 20 1510,0 8 604,5 Por a 17 1300,5 T 535,, 77—718 „ 22 1705, 10 T15,. 78— 79 „ 9 706,5 4 314, 19—80 „ 12 954,0 2 159.5 D Gi „ 241,5 2 161, 81—82 „ 652,5 5 407,, 82—83 „ 11 907, 3 247 83—84 „ E 334,0 1 SO. 84—85 , 7 591, 3 253,, 85—86 „ 3 256,, dass NER су 86—87 „ 2 OS, 1 echt . - s. 9 737,5 3 262% 88—89 „ 2 177,0 1 88,5 89—90 „ 2 179,0 Geh —_ 90 —91..5, CS = E ER a- ix og L Sue? 92— 93 » 1 ; i? sigi 93—94 „ 1 e" эв 9 = 94—95 5 ET д Fg Hays | 0 — 95 Jahr 1410 *) 54433,5 RT LIE Mittlere Lebensdauer — 38,, Jahre. Mittlere Lebensdauer — 28,, Jahre, 1) Ohne 2 Gestorbene von unbekannten Alter. 903“ Die Mysterieninschrift aus Andania. Von Hermann Sauppe. Der Königlichen Societät vorgelegt am 17. December 1859. Е. hóchst denkwürdige, wenn auch nicht sehr folgenreiche Begebenheit der griechischen Geschichte ist die Wiederherstellung eines selbstündigen Messeniens nach der Schlacht bei Leuktra, Dreihunhert Jahre war das Land im Besitze der Spartaner gewesen: was von der Bevölkerung nach dem zweiten messenischen Kriege nicht in die Fremde gezogen war, bildete eine hórige Masse, so dass die Namen Heloten und Messenier gleichbedeutend geworden waren (Thuk. 1, 101). Freilich war Muth, Liebe zur Freiheit, Hass gegen die Unterdrücker in den Herzen nicht erloschen: das zeigte der Versuch der Erhebung, als das grosse Erdbeben des J. 465 die Macht Spartas gebrochen zu haben schien, zeigte die kräftige Theilnahme, mit welcher die flüchtigen Messenier von Naupaktos aus später den Kampf der Athener gegen Sparta unterstützten (Thuk. 4, 9. 36). Aber auch aus Naupaktos hatte Lysander die Träger des unglücklichen Namens bald nach dem Falle Athens 404 vertrieben (Diod. 14, 34). Als daher Epaminondas im Jahr 369, um die Macht der Spartaner für immer zu umgränzen, die Arkader zur Erbauung von Megalopolis vermochte und die Selbständigkeit Messeniens ins Leben zurückrief, konnte sich nur eine Bevölkerung zusammenfinden, die entweder in den Jahrhunderten der Hörigkeit verdumpft war, jedenfalls die massvolle Besonnenheit und Würde, welche nur Freiheit einem Volke zu geben vermag, verloren hatte, oder in der Mischung mit den Elementen der Fremde gänzlich umgestaltet worden war. Allerdings fand die engherzige Selbstsucht der Spartaner für den Verrath, den sie durch den antalkidischen Frieden an Grie- - Hist.- Philol. Classe. VIII. : Ff j 218 HERMANN SAUPPE, chenland begangen halten, gerechte Vergeltung, indem Epaminondas gerade in Anwendung jener Friedensbestimmungen die Autonomie Messeniens neu begründete, aber das alte Gesetz bewührte sich auch damals, dass das Rad der Geschichte nie zum Segen zurückgedreht wird und Gewalt, die Ver- gangenes erneut, niemals frommt. Noch war Messenien, wie es Euripides schildert (Strab. 8. 5, 6), an schónen Früchten reich, durchrieselt von Gewässern tausendfäl’ger Zahl, für Rinder und für Schafe voll der besten Trift, nicht macht der Winterstüirme Wehen es zu rauh, noch auch das Viergespann des Helios zu heiss. Noch ragten die gewaltigen Berge, in ihren Thälern und. auf ihren Höhen ein kraftvolles Geschlecht zu hegen, noch bot die langgestreckte Küste die schönsten Häfen für Kriegsschiffe und den Handel. ^ Aber das Volk war ein anderes. Seine einstige Kraft und Lebensfülle erkennen wir nicht nur in. den Sagen und Gesüngen von den messenischen Kriegen, sondern Bewunderung erfüllt uns, wenn wir erwägen, wie mächtigen Einfluss. messenische Ge- schlechter, welche nach der Besetzung durch die Dorier oder nach den beiden ersten messenischen Kriegen ausgewandert waren, auf die Gestaltung ‚der griechischen Geschichte geübt haben. Zu Athen waren die Geschlechter der Medontiden (Stackelberg Gräber d. Griechen р. 33. Boeckh C. Inser. 1 p. 902), der Päoniden und Alkmäoniden messenischen Ursprungs (Pausan.2. 18, 8)... Und es genügt zu erinnern, dass Kodros und sein Geschlecht, Solon, Kritias und Platon zu den Medontiden, Megakles, Kleisthenes, und von mütterlicher, Seite Perikles, Alkibiades zu den Alkmäoniden gehörten, dass, wie ‚das .Zeuguiss Herodots 5, 65 und schon der Name zeigen, auch die Peisistratiden. von Neleus stammten, um die Bedeutung dieser Geschlechter für die. gesammte griechische Geschichte zu erkennen. Neliden waren ез, unter. deren Herr- schaft die ionischen Städte Kleinasiens zur Blüthe gelangten (Pherekydes bei Strabo 14. 1, 3 ff. Herodot. 1, 147. Pausan. 7. 2, 1 ЇЇ.) und de noch später in Ephesos und andern Orten der höchsten Ehren genossen (Strab. a.a. О. ‚ би Ephes. p. 131. Boeckh C. Inser. 2907), aus messenischem. Geschlecht stammte Herakleitos von Ephesos (s. Bernays Heraclitea. p. 31 f.)... Messenier DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. ^ 9219 gründeten Rhegium und beherrschten es Jahrhunderte lang (Strab. 6. 1, 6), messenische Geschlechter waren es, die im J. 494 v. Chr. von Rhegion nach Zankle übersetzten und dieser Stadt den Namen Messana gaben (Thuk. 6, 5. Millingen Transact. of the Royal Soc. of Lit. 2 p. 95 f). Eine nicht unbe- deutende Stellung werden wir auch in Sikyon, Argos und Arkadien für die messenischen Geschlechter annehmen dürfen, die sich nach dem ersten mes- senischen Kriege. dorthin gewendet hatten (Paus. 4. 14, 1). Diese Thatkraft war in den neuen Messeniern nicht mehr. Zähe Vater- landsliebe bewog' zwar: viele von. den Enkeln der Zerstreuten selbst in - Sikilien und Kyrenaika dem Aufruf des Epaminondas zu folgen und in die Heimat ihrer Ahnen zurückzukehren (Paus. 4. 26, 5), freudig begrüssten alle Griechen mit Ausnahme der Spartaner die Gründung Messenes, und die neue Hauptstadt zeugt noch jetzt in ihren stattlichen Trümmern für die Begeisterung, mit der man ap das Werk ging. Aber gesunde Kraft gewann das neue Messenien nieht; "Bald gerieth es in die Gewalt des Tyrannen Philiades und wie nur fremder. Wille ` den Staat erneut hatte, so stützte er sich auch später durch fremde Hofe. Schon ‘die Söhne des Philiades nennt Demosthenes (18 $. 295. vgl Polyb. 17,14) unter denen, welche Philippos von Makedonien in den Peloponnes-riefen. ` Und wann immer die spätere Geschichte Griechenlands der Messenier-erwühnt, ist ihr Einfluss nur ein hemmender und unglücklicher: die fortwährende Eifersucht und Feindschaft, die zwischen ihnen und Sparta bestand, wilde, innére ‘Parteikämpfe (Polyb. 7, 9. Schorn Gesch. Griechen- lands S.176); die Stellung zu. dem achäischen Bunde, zu Philippos V. von Makedonien "und: zu “dèn Römern (Merleker Achaic. p.362 8.1. die Ermor- dung des Philopoemen (Curtius, Peloponnesos 2 р. 128) beweisen dies nur gu ' deutlich. Besondere Aufmerksamkeit wendete man bei der Erneuerung Messeniens der Wiederbelebung alter Gótterdienste zu. Einer der heiligsten war der Dienst der grossen Gottinnen, der Demeter und ihrer Tochter, in Andania gewesen: Pausan. 4. 1, 5. 9. Die Sage war, dass ihn Kaukon, der Sohn des Kelános, Enkel des Phlyos, zu den ersten Herrschern des Landes, Polykaon und Messeng. aus Eleusis gebracht und Lykos, des Pandion Sohn, von seinem Bruder Aegeus aus Athen vertrieben, später weiter ausgebildet habe: у 220 HERMANN SAUPPE, Paus. 4. 1,6. 7. 2, 6. 26,8. Aber wir erinnern uns, dass das attische Ge- schlecht der Lykomiden einen uralten Dienst der Demeter in Phlya hatte. Denn von Themistokles erzählt Plutarch Them. 1: тб ydg (Auge reAsory- gio», Umtp Tv Avxomıdav xowóv, émecxevact. Ferner wissen wir, dass Phlyos der Heros Eponymos von Phlya war (vgl. meine Abhandlung de demis urbanis Athenarum p.9), Kaukon hingegen der Stammvater und Repräsentant der Kaukonen, eines Volksstammes, der zu der Urbevólkerung Triphyliens und Messeniens gehörte (Strabo 8. 3, 17). Offenbar hängt auch Lykos mit den Lykomiden zusammen (Bossler de gentibus et familiis Atticae sacerdotali- bus p. 40. Preller Dem. und Perseph. p. 148). Nach Pausan. 4. 1,7 aber gründen sich die Nachrichten über die Befestigung des Demeterdienstes in Andania durch Lykos nur auf eine Inschrift, die sich in der heiligen Hütte (xXscíov) der Lykomiden in Phlya fand. So werden wir berechtigt sein diese ganze Sage über die Einführung aus Eleusis für eine spätere Erfindung zu erklüren. Vielmehr gehórte der Demeterdienst wie in andern Gegenden, so auch im Peloponnes den pelasgischen Zeiten und Stämmen an (Preller Dem. u. Pers. p. 147 ff.) und eben deshalb hatten ihn die Dorer nach ihrer Besitzergreifung sonst überall unterdrückt. Herodot. 2, 171: шєт 02 2Eava- cTdows mons MeAomorvioov dé Acgiéuv ёбатшћето 94 reAern. Es stimmt hingegen ganz zu dem bekannten Unterschied der Heraklidenherrschaft іп Messenien von der in dem übrigen Peloponnes, dass die Feier in Andania fortbestand (Paus. 4. 3, 10), bis nach dem zweiten messenischen Kriege das Land in die Gewalt der Herakliden von Sparta kam. So geschah es also, dass sich die Messenier, als ihnen Epaminondas die Selbständigkeit zurückgab, zwar nicht entschliessen konnten Andania oder Oechalia selbst wieder zum Hauptort zu erheben (Pausan. 4. 26, 6), sondern auf und:an dem heiligen Zeusberge Ithome eine neue Stadt gründeten, aber an die Erneuung der heiligen Demeterweihe zu Andania sofort gedacht wurde. Dem Feldherrn der Argeier, Epiteles, der nächst Epaminondas das Werk der Gründung des neuen Staates leitete, erschien, so erzählte man, ein Greis im Traume, der in seinem Aeussern ganz einem Hierophanten glich: man meinte, dass es Kaukon, jener erste Begründer des Dienstes in Andania, gewesen sei. Nach seinen Andeutungen habe man dann auf dem lthome eine Hydria DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 221 und in ihr auf zinnerner Rolle die Weihe der grossen Göttinnen von Andania, welche Агіѕіотепез. einst dori vergraben haben sollte, gefunden (Paus. 4. 19, 4. 26, 7 ЇЇ. 33,5. Hermanns gottesdienstl. Alt. der Griechen $. 1, 11). Nach der Weise des griechischen Gottesdienstes hatte auch in Andania ein Geschlecht, dem der Dienst der Demeter in dieser besonderen Gestalt früher eigen gewesen war, dann, nachdem er öffentliche Anerkennung gefunden hatte und Staatskultus geworden, die priesterliche Würde in demselben behalten. Nach Paus. 4. 14, 1 flohen zu Ende des ersten messenischen Krieges Ze "EAevrivae oi ToU- yévovs. dy iegkwv xai Dears Tuis peyahais reAoüvres Ta Op'yua. Nach Aristomenes Schilderhebung kehrten sie zurück (Paus. 4. 15, 7: vagzcav SÉ "EXXeveivos ode margıov дойр Td бру тар peydAwy Sev) und schürlen vor allen den Kampf gegen die Feinde ihres Volkes und seiner Götter (Paus. A 16,2: Tupraios dà xai oi tav Jedy іврофиутои тшу peydAwv Égyov wën Zarrokgg ovdevós, Tous T&ÀsvrGíovs db Ts &avrGw ёхатери argarıds &mdysigov). Nach dem unglücklichen Ausgang des Kampfes waren sie natürlich wieder geflohn, aber auch von ihrem Geschlecht hatten sich Ab- kómmlinge erhalten; sie kehrten, als Epaminondas Aufruf erging, nach Mes- senien zurück und traten hier wieder in die alten Vorrechte und Verhältnisse zur Demeterweibe ein. Pausan. 4. 27, 5: ds dd ж теЛету gär aveupnro, rautao ифу Zen тоб yfvovs тор iegéwy сау xaTsTiQevro Ze {3И3АХ.оу$ und ër o dí offen iegeis Deals тай peydhas xai Kavxor: (&9vor). Höchst wahrscheinlich war damals Methapos von Athen, der wie es scheint zu dem Geschlecht der Lykomiden gehórte, bei der neuen Einrichtung der andanischen Weihen айс (Preller Dem. und Pers. p. 148. Curtius Peloponn. 2 p.183). Pausanias erwähnt ihn 4. 1, 7 mit den Worten: nersxoounce ydo xai MéSamos "ge те№еєтӱѕ Zem a. б dë М9отоѕ yévos uiv € 'A9mraios, TeXerijs dà xai Opylov marroiwv сър9&туѕ. und führt dann aus einer Inschrift, die Methapos seinem in der heiligen Hütte der Lykomiden zu РШуа geweihten Bilde beigefügt habe, folgende Verse an: un йунта ð "Egusíao dópovs [ceuviis] те xéXevSa [Ax]uargos xai трштоубуоу Kovgas, 29; Qací Maecdran Zeien neydAaıcı Beau суфра -dAvddew sch een yórov, Kavxwros, ідогіу. £31 19143 P LLLI 2 222 HERMANN SAUPPE, Saj/uaca Ò ws cuumavra Avxos, Tlavdióvios Qas, Ar Die ieoa ѓоуа пар "Avdavim Séro xsdvj ®). Eben diese Inschrift zeigt, dass Methapos nur als Zeitgenosse des Epaminondas gedacht werden kann. Denn sonst wäre eine Thätigkeit desselben bei einer Umgestaltung der andanischen Weihen nur vor dem zweiten messenischen Kriege anzunehmen: in so frühe Zeit aber wird die Inschrift niemand setzen wollen, auch hätte darüber wohl Pausanias etwas bemerkt. : In die Zeit des Epaminondas fällt also auch die Einsetzung der Kabirenweihe in der Nähe von Theben, bei der Methapos nach Pausanias a. a. O. ebenfalls betheiligt war, nicht in die Zeit des Onomakritos, als dessen Zeitgenossen: Welcker Aeschyl. Trilogie p. 270 den Methapos annimmt. Auch diese letztere Angabe nahm Pausanias aus der Inschrift in Phlya, denn offenbar sind die Verse, die er anführt, nur ein Theil derselben. Wenn ich hier gleich noch. bemerke, dass diese Kabirenweihe bei Theben in einem Haine der kabirischen Demeter und Kore ihre Stätte hatte (Pausan. 9. 25, 5. Schómann Gr. Alt... 2 pn 362), dass dieselbe also nicht ein neu eingesetzter Dienst, sondern nur Umgestaltung und Erneuung eines alten Demeterdienstes war, den auch Pausanias als schon in der Zeit des Mardonios vorhanden angiebt (a. a.0..$..9), so Une ich dies, weil wir dadurch für die Erklärung eines schwierigen Punktes, der bei den an- danischen Weihen in der neuen Inschrift unten vorkommen wird, eine erwünschte Analogie gewinnen. In Phlya aber, sagte ich, befanden sich die heilige Hütte der Lykomiden und in ihr Bild und Inschrift des Methapos , nicht: in: Andania, wie Lobeck Aglaoph. p. 982 und nach ihm Andere angenommen haben... Das zeigt die Art, wie in der Inschrift Andanias als eines fernen Orles Erwüh- nung geschieht, dafür spricht der Name der Lykomiden, des bekannten :айі= 1) Vs. 1 habe ich oeuvnjg eingesetzt, was. nach ров leicht aw (alid оме und vergleiche Paus. 1. 31, 4: (in Rhiza) vogue 22006 -yel Воо) е AnnmToog «vroidogag — xoi тар поштоубутс xol. c&pvor Óvoj.oCogiévov 9202, Die xéAev$a beziehe ich auf die Irren der Demeter und die in der Mysterien- feier dieselben nachbildenden Aufzüge. — У. 4 ist Kauzurog ДЫ für Kav- »wvıadco nur ein Versuch (neben denen von Jacobs anthol. pal. 3 p. 930 und Lobeck Agl. р. 1252) das dem Sinn Gemässe zu finden. => V; 6. Ie setzt die Eponymos der Stadt für diese: vgl Paus. 4. 33, 6. 005 í DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 223 schen Geschlechtes... Wenn diese in Andania ein Heiligthum gehabt hätten, so hätte Pausanias. dies. einleuchtende Zeugniss der Verbindung Andanias mit der Weihe in-Phlya-nicht mit Stillschweigen übergehn können. Das xAsırior des Pausanias und das reAssrygiov des Plutarchos fallen zusammen. -Das ` Geschlecht der Lykomiden ‚aber hatte ohne Zweifel eine bevorrechligte Stel- lung auch. in den eleusinischen Weihen lange vorher, ehe es bei denselben nach dem Aussterben der Familie der Daduchen, etwa im 2. Jahrh. у. Chr. die priesterliche Würde der Daduchie erlangte (Boeckh C. Inscr. 1 p. 441 f. Meier de gent), att, p. 49. Hermann relig. Alt. d. бг. $. 55, 25). — Ueberhaupt war. die ursprüngliche Grundlage der eleusinischen, wie der Gentilmysterien in Phlya, der Weihen in Andania und aller ähnlichen Demeterdienste im Peloponnese» und. an anderen Stätten, die früher von pelasgischen Stämmen bewohnt: worden waren, eine und dieselbe. Leicht aber konnte damals, als Methapos nach Analogieen des lykomidischen und eleusinischen Demeterdienstes die Familienerinnerungen des andanischen Priestergeschlechtes vervollständigte und gestaltete ‚die Aehnlichkeit eine noch grössere werden. Wo Andania gelegen habe, war früher unbekannt. Doch erkannte W. Gell (Itinerary-of the Morea p.69) einen Nachklang seines Namens in dem Dorfe- Sandáni (s'Avdavíav) in der obern Thalebene Messeniens. Die Trümmer selbst fand. Ernst Curtius im Mai 1840 auf. Dreiviertel Stunden nordöstlich- von: dem Dorfe Sandäni, auf einem Gebirgsvorsprunge, etwa 20 Minuten. über dem linken Ufer des Charadros, liegen alte Trümmer, ganz wie Pausanias4} 38, 6 angiebt:-«rgoeA.Sóvr; ёр состер (nemlich des Charadros) ctallois Zeg) vue Seid Zeen "Avdavias. Dies sind die Reste der alten Burg, die wohl. am Ende des zweiten messenischen Krieges zerstört worden war und verfallen blieb, während sich unten am Flusse ein neuer Ort: erhob, nach. Livius. 36, 21 im J. 191 v. Chr. ein parvum oppidum, wo T: Quintius Flamininus mit dem Strategen des achäischen Bundes, Diophanes, züsammenkam und den Messeniern in den achüischeff Bund einzutreten befahl. Ueber die Lage der Stadt vgl. man E. Curtius Peloponn. 2 p.132. 189. Zu dem. Stadtgebiete von Andania gehörte südlich auf dem rechten Ufer des Charadros ein heiliger Hain, Rassen, der zumeist aus Kypressen bestand (Paus. 4. 33, 4) und auf dessen Stelle früher die Burg Oichalia gelegen haben 224 HERMANN SAUPPE, sollte: тоў medien (ToU ZXirtvvsAmpixoU) de Zem amavrınpv 1?) xaXovuévg rò doxaiov OixaXia, rò dè ¿Q хий» Kagrdci» dAcos, wvmapgiccov а@мтт= mcA5955. Daher giebt Strabo an, dass Andania als neuere Stadt ganz gleich mit der alten Oichalia sei, 8. 8 $. 6 (Osch oan) "Аркадий Tiva Аурор, qv viv Avdaviav хаћ№ойсір. vgl $. 9б. 4 $. 5.5) 10. 1 8. 10. In diesem Haine, fährt; Pausanias 4. 33, 4 fort, Sed» ayaıuara Aró- Auwós ori Kagveiov ха! Eguss Qíowv xgiv! d dà od Kóon тў< Ah- pxrgós écT,v ётїхАлт<' Zéng дё &vewiy ём түуйѕ map avTO тд ауаћиа. Hier lehren die Worte у dà уух — ayapa zur Genüge, dass vor xai Epuñs die Worte хо; "Ayvfüs ausgefallen sind und dann mit Facius у 02 "Aer Köexs т< Д. zu lesen ist. Dann heisst es weiter: те dè Ze rs Seas ras jeydAas (додо: yap xai tavrais év Kagvacig тр T&XeTWV) damöopyra otw ио” devrega ydg сФисі vépw тємубтїто$ perd ye EXevotria- ori ð %дож те 1 Xaxi, тд evpyua то? Agysíov cTQuaTTyoU, xc; Ewporov тоб MeAaríus za оста EQvAdocero ёртай до, ÓwAdQcaí pe xal és dmarras ovx сітеїоує TÒ буо». Auf diese ganze Oertlichkeit und ihre Geheimfeier. wirft die grosse Inschrift ein unerwartetes Licht, welche den Gegenstand: dieser Abhandlung bildet. i Herr Antonios Blastos, Lehrer in Andritsena, war am 10. Novbr. 1898 nach Kalamae gegangen und hórte hier, dass in einem Dorfe Konstan- tinoi des Demos Andania Inschriften aufgefunden worden seien. ` Auf seinem Rückwege suchte er sie auf und fand die Steine als Thürpfosten in der Kirche zu Konstantinoi eingemauert, Sie waren um die Mitte des September 2) Dies 4 fehlt in FR Handschr. ре 3) ту». dè "ozv xara тб боос dernvýovor tò xata т» Meyakönorer тс 'Aonu- dias wg ёл} тту "Avdaviav ióv:iev , 5v denen Olyaliav vmo- zov Sono end, oi 0} zip vov Meooler ойто walsiodei фоог, ха духов eig 10v ueraf) xólnov toù Tavyéitov xal тс Msoogviag. Zu den Letzteren gehörte Pherekydes, denn bei dem Schol. des Sophokles Trach. 354 ist nach der Stelle des Strabo zu lesen: de ту» Olyaliav' биго d over ër MECOAHI vic `Аохедіас̧, statt des verdorbenen ѓу ӨО7Т АНГ, was man auf verschie- dene Weise zu verbessern gesucht hat. DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 225 an. einem Orte, der Kapdgass oder KeQaAé8gvcov oder A;8dp. genannt wird, etwa 10. Minuten von. dem Dorfe entfernt, ausgegraben worden, wo man schon früher häufig Gräber, Särge, Gefässe, Säulenköpfe und andere Alterthümer gefunden‘ hatte. Es sind zwei viereckige Platten eines harten Steines, die erste 0,95 franz. Metre breit und 0,76 hoch, die andere 0,98 breit.und.0,82 hoch; nach Blastos haben sie früher ein Ganzes gebildet. Die erste,- sagt er, habe oben eine Kehlleiste, ihr oberer Theil sei also eben. so vollständig erhalten, als der untere Theil der zweiten, während der untere Theil: der. ersten und der obere der zweiten Beschädigungen erlitten haben. Herr Blastos schrieb die Inschrift ah und schickte zwei Exemplare der Ab- schrift, eines-in Capitälchen, das andere in Kursivschrift, an S. A. K(umanudes ) in. Atben, (der sie; in.-Kursivschrift in der athenischen Zeitung Ф,А.бт=тф% vom 29. November 1858 abdrucken liess. Dies Blatt erhielt ich von meinem verstorbenen Freunde Ludwig Ross und nach ihm hat auch Gerhard in der Archáol Zeitung, Anzeiger 120 S.251* f., die in ihrer Art einzige Inschrift mitgetheilt. Aber Kumanudes hatte Herrn Blastos gebeten die Steine noch- mals zu untersuchen. "Dies geschah am 12. December, und es ergaben sich dabei nicht nur. Verbesserungen für einzelne Stellen der ersten Platte, son- dern in einer ganz neuen Abschrift, die Blastos von der zweiten Platte nahm, kommen 17 Zeilen vor 7. 59 und dann die Z. 85 ganz neu zum Vorschein, die er früher ünleserlich gefunden oder übersehen hatte. Nach dieser Mitthei- lung liess Kumanudes die Inschrift im Ф,Абтоатріѕ vom 5. Januar d. J. zum zweitenmal abdrucken.. Diesen Abdruck verdanke ich der Güle des Herrn Dr. A. Conze (vgl Philologus 14 5. 235). Da aber Herr Blastos bemerkt in, dass auch die rechten Seitenflächen beider Platten, die in die Kirchen- mauer eingefügt waren, Schrift zu tragen schienen, so ordnete die kónigliche Regierung an, dass die Platten aus der Mauer herausgenommen würden. Hierauf nahm Blastos wieder eine neue Abschrift von der ganzen Inschrift und sendete sie nebst einem Abklatsch eines grossen Theils derselben an Herrn Kumanudes. So konnte dieser im Ф;Аотатиѕ vom 28. März d. J. einen dritten Abdruck geben, der nicht nur manche Verbesserungen und kleine Vervollständigungen des früher Mitgetheilten bietet, sondern auch hinzufügt, was auf der rechten Seitenfläche beider Platten geschrieben ist. Die Breite dieser Seitenfläche Hisi.- Philol. Classe. ҮШ. Gg 226 HERMANN SAUPPE, beträgt 0,19 Metre. Danach steht es nun auch fest, dass die beiden Platten zwar nieht ursprünglich einen einzigen, in der Mitte später durchgebrochenen Stein ausmachten: dagegen spricht die irrthümliche Wiederholung der beiden letzten Zeilen (53. 54) des ersten Steines zu Anfang des zweiten (55. 56): aber dass sie so übereinander gestellt und mit einander verbunden waren, um als éin Stein betrachtet zu werden, von dessen gemeinsamer Stirnseite man auf die gemeinsame Seitenfläche weiterlesen sollte. Sowol die untere Seite des ersten, als die obere des zweiten sind beschädigt und daher kommt die lückenhafte Beschaffenheit der Zeilen 52 ff. Auch zu Anfang fehlt nicht nur eine Ueberschrift oder eine einleitende Bemerkung, sondern, wie Z. 132 zeigt, wo auf eine Bestimmung Bezug genommen wird, die jetzt nicht vor- handen ist, noch manche andere Anordnung. Jedoch findet sich nirgends eine Angabe, die dafür einen äussern Anhalt bóte. Der jetzt folgenden Bear- beitung liegt natürlich der dritte Abdruck zu Grunde, für dessen gütige Mit- theilung ich Herrn Kumanudes selbst zu grossem Danke verpflichtet bin. Ueber die Beschaffenheit der Schrift lässt sich nur nach den wenigen Angaben der Herrn Blastos und Kumanudes urtheilen, da еіп Facsimile nicht vorliegt. Nach ihnen zeigen die Köpfe aller Buchstaben: kleine Striche, (ypar- vide), О und Ө sind kleiner als die übrigen Buchstaben,’ das lota qui- escens ist überall daneben gesetzt, von Interpunction und Spiritus: zeigt sich keine Spur. Nach dem, was über die kleinen Striche ап den Köpfen der Buchstaben angegeben wird, sollte die Inschrift in die letzten Jahrzehnte vor Christi Geburt gehören (Franz elem. epigr. gr. p. 246). Wir werden sehn, dass eine Angabe in der Inschrift selbst ziemlich auf dasselbe Ergebniss führt. Die Zeilen haben nicht so ungleiche Länge, als dies nach Чеп Ab- drücken scheinen könnte, sondern dieselbe ist höchstens um zwei. Buchstaben verschieden. Vor und nach den Paragraphentiteln ist immer der Raum éines Buchstabens leer gelassen. Ich gebe nun zuerst die Inschrift selbst, und zwar so, dass alle Ab- weichungen von dem dritten Abdruck und Pu in diesem. aufgenommenen Vermuthungen des Herrn Kumanudes genau angegeben sind; die Ergänzungen, bei denen nichts bemerkt ist, rühren ebenfalls von Kumanudes ber. Absetzung nach den Zeilen schien durch nichts geboten und eher für das Verständniss DIE MYST ININSCHRIFT VON ANDANIA. 227 hinderlich: ein kleiner senkrechter Strich aber bezeichnet den Beginn. einer neuen Zeile. 1 = erster, 2 — zweiter, З = dritter Abdruck im Philopatris, . S = meine Vermuthung. | Iso? teloar xai ieg&v. ‘О Ypamnareis rdv cvvfógov rovs yery-$.1. Sfvras {20005 era тарахойив, du un т appwol rer, Legale Sou. иќрор, tiua xal over стёудортаѕ, TOv бохор TOv Vmoyeypapuévov" 'Ourva N d * s И 2 „ў D et е ToU; Jous, os Td шисти &mir[e|Xez]rou, Zuse Zen, mws? Yıyral Td xard таў TeAerav Ўеотретоѕ ха) amd тартдѕ TOU dixaiov, 1 ^ , 3 ^ A » , з ` , xai prs су [rios under coxwuor итд &duxov толты ёт xaTRÀUCE Tv voTWolov ` adi AAAY émrgépew, dXXd xaraxoAovlYncen "os 4 Z1. бохіё сто: 1n dem Abklatsch sei das 5, sagt K.3, nicht sehr deutlich, aber ebenso heisst es Z.135 und Z. 37. 93 ywgetavıw. Ahrens dial. dor. p. 59 ff. Doch ‚steht, 2 0рхіогги Z. 5. — С и. Ebenso 7.14 тан, 48 in. 47 fyloysvovtorc, 67 2удбрто, DÉI eydıdorzes, 111 gyðiðóvtw (also auch 59 £ydoner). 71, 73, 110 &ydesunsvos. 61 vneydenerı. Dagegen 117 ovvAetovoyovrto, 153 ovvisırovoy),- oovioc. 46 avavag. Seidler Rh. Mus. 3 p. 190. Rose Inscr. gr. proleg. p. xiu. Franz elem. épigr. gr. p. 126 f. · Keil Inscr. boeot. p.188. Boeckh Monalsb. d. K. Preuss. Ak. d. Wiss; 1853 p. 149. Sauppe Ber. d. К. Süchs. Ges. d. Wiss. 1853 p. 35 und Gymn; Progr. v. Weimar-1856 p.16. Ahrens dial. dor. p. 358. — «woeworl[esi 3: do- ower € 2. Die Inschrift hat überall die Endung єт (Ahrens p.293 ff): 2.6 гле, 25 гуш, 20 zaðuiger, 85 xaranoiveı, 107 anoxwiver, Хаба, 110 таоёуг. 44. 105, 112 nori, 08. 74 dozei, 87 Lei, 39 ovvteAeitar, 50.58 ei, 50 nion, 91 dois, 122 хатоотбсы, 13. 89. 106 хитаохгтаоӯгі, 44 хатохог9ї, 48. 62. 65 dote: 1sodei, 106 zıeorodei, 116 Joxipiaodei. — Z. 2 ieow]» Meineke (wie auch ich ergänzt hatte). Obgleich Kumanudes eher ein A, als ein N im Abklatsch zu erkennen glaubt, so kann doch die Herstellung eines Genitivs nicht zweifelhaft sein. Bergk (Jahrbb.: d. Philol. LXXIX p. 191) will Auyvor. Aber die folgenden Worte (on дыт) und: 2. 27. ёл} aav avv {гөшу zeigen, dass hier von den bei Eidesleistungen her- kömmlichen Opfern die Rede ist (Hermann relig. Alt. $.22,91T.). Vergilius JE. 12,201: tango ignis еі numina testor. Aehnlich Corp. Inscr. 3137 Z. 48: ópxicato0uv паі dai зоб Mytowov iegoig veoxavtorg. — 7. 3. спо паттос тоо denwiov. Dionys. ant, rom. 3, 26 énarveiv ijv &vajuQno:v — шс Gnó паутдс toù Beltriorov yivopévrv. Andere Beispiele Spüterer hat Schäfer z. Bos. Ell. p. 194. Ebenso schon Tüuk. 1, 15. 77. 3, 10. 11 und öfter «nc тоф ícov oder ano тус (orc. — VA bahya d v. Die Inschrift hat überall 9. — 70 &Àio. Wohl итте allw. — Gg? aras mediosque D H EJ evtovc oi 8100 "s 228 HERMANN SAUPPE, тш. RR dà xal TAS ieQds исі TOV 1807 хато TO дураа. edopxoövrı иёр ио ein d тої є0|се8 ос, &Ф:орхо?ути à» ravarria. "Av \ > A H E ` Äë is ий 9А: бируе, amiovrw doaxuais ia xai ANo avri TOUTOU , 3 Si ER P ` d c \ e , Е ` ` х№ароса\то ёх rds aurds QuAds. Tas dè iepas оржібёто 0 i&Q&US хах £ A ~ ~ ~ ~ ~ x oi ро} ёр Td iega ToU Kapveiov TE тобтероу dung тр muorn|piwv Tov 3 4 е ^ , è РА ` ` ` » д, örv boxov, xai тотебоок:ббутш` Петойиаг д2 xai тот} TOv @удо@ 3 r Tdv cvußBiwcw бсішѕ xai блв. Тор dë ufa] | SéXovcav Grieg ~ 3 > ` lanıovrrw oi iego] dgaxuais vin xal un Emirgenovrw Emireieiv та ~ , , xara тав Dvcías unde psT[f]|xew TOv pvorngiwv, au д& ouocacci 3 > ~ ` ётитеМоурто. oi de yeyernuévo eet xai iegai Er TQ mÉÍumTQ ха} "Err: xocTG | ETEL Omooavrw TOV аттор. орхо» év TO калта ит! тё TOV uvornoiov. Пара Ges Та» 02 харттоар ха! Td | 8:8А№о, & dédwxe 7.5. sUosߣoıc. Vgl. 12 глихатаота 9ут01с, 41 ёплтелоураонс: AT, iyAoysvovtore, 48 navroig, 73 дохпос9 тос, 178 nleóvorc. Es kommt kein Dativ nach der Form der 3. Deklination vor. Vgl. Ross inscr. gr. ined. 1. p. 24, Ahrens dial. aeol; p.236 f, dor. p. 230 f. Curtius anecd. delph. p.90 f. kel schedae epigraph. p.27. Ebenso Rangabé ant. hell. 692, 4 Пуоѓогс und 24 соубутогсу Inschr. von Thuria bei Vischer Epigr. und arch. Beitr. aus Griech. 38, 30 хатаото9ғутогсу Inschr. von Phi- galea (Archäol. Anz. 1859 р. 112 *) duaAéo;c und moAéoi.— D £ptoozovvte. Ahrens dial dor. p. 83. — досумаїс yıkiaıc. Dieselbe hohe Strafe Z. 9 für. die iegei, die nicht schwören wollen, 52 für die fünf Finanzbeamten, und zwar noch zu der Erlegung des doppelten pig veruntreuter Summen. ` бїбуї ма до@унеай 7. 64 für den, der die Festeinnahmen für anderes als die Mysterienfeier zu verwenden be- antragt, und für den Schatzmeister, der sie anders verwendet hat. Geringere Ord- nungsstrafen von 20 Drachmen 7. 79. 104. 108. 112. 164. — 7. 7. moveto oxi Cor, Die Präposition überall in dieser Form in der Inschrift. (vgl. Ahrens d. dor. p.296). — 7.11. Поредбогос. Sonderbarer Weise wird in diesen Paragraphentiteln. bisweilen лебі bei dem Genitiv wiederholt (Z. 45. 80. 86), meist nur der Genitiv gesetzt, so dass seQ; aus dem Früheren ergänzt werden muss. — хло». Offenbar ist. ein Kästchen zu verstehn, in welchem die heiligen Bücher lagen. Gloss. Philox. p.96: хбиплоа ` campsa, arca. хонттоотогбс" campsarius. . Geopon. 10.- 21, 10. .28, 2 zannroie. capsae waren die gewöhnlichen Behälter für. eur: Heind. z. Hor. Sat. 1. 4,22. Bergk irrt also, wenn er a. а. О. p. 192 xapnaczo vergleicht und. an eine Art is denkt. Mit den heiligen Büchern selbst sind die yocp mere zu vergleichen, die nach Paus. 8. 15, 2 zu Pheneos bei der grósseren Mysterienfeier den Mysten vor- DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 229 Movasiorgaros, TaQedidóvro o 1&р0} тої ётїхжтатта@#уто&, парафдидорто dà xai Ta Мито, Zoo | ar хатасиғоас еї ҳари TOY uvoTWQY. Ere- фаш». Erepdrovs dà éxórrw oi иёр iegoi xai ai igni rikor Aevxov, | fav dà r&XovjÉvom. oi тоютоиустои orAeyyida. oray д2 oi iegoi mapayyelkurrı, Tan iy orksyyide cmogícOwcav, | oreQarovoOwcav дё marres дафьа. EiuaTicuoU. О; reAovusu Ta иисти сіротодетои ёстштар ие! éxóvruw Tóv | einariouov A&vxóv, ai dë «wvaixss ий dia avi ‚шид Td @®ивї®% ÈV- ToS is. eiaa T ions TÀXaTUTEQU muidaxTUAÍov, xai ai | uiv idiwriss gelesen wurden, und die libri, welche nach Appuleius Metam. 11, 16 der Isispriester aus dem Allerheiligsten hervorholte, um daraus die der Weihe vorangehenden Gebräuche vorzulesen. — 7. 13. отгратос wird hier auffallend in weitem Sinne für das, was den Kopf umgiebt, auf den Haaren ruht, gebraucht (vgl. den ozegarog der Hera zu Argos, Paus. 2. 17, 4) und лідос eben so eigenthümlich, fast in dem Sinne von sarvía, wollene Binde. — «i ieoaı 3: 18001 1.2. — 7.14. nowronvorae. Vgl. Z.50. 70. Sonst nur aus Achilles Tat, 3, 22 bekannt. — ozAsyyida, Der Gebrauch für eine Art von Kopfschmuck ist auch sonst bekannt. Pollux 7 $.179: гот ðè xol &£tegóv tı o1Aeyyic, dënne xsyovompuévov, d sept тў xeq Ay qopovciw. Adr. Heringa zu Erotianus p. 328 f. Müller Archäol. $.340, 4.- Gerhard Berlins ant. Bildw. p.374. — 2. 15. Die sonst nicht vorkommenden Formen eípetropoc und einarıov für inarıonog und лато» haben neben го nichts Auffallendes: vgl. @norsıoazw 63. Dass die Männer unbeschuht gehn, die Frauen (Z.23) nur sehr geringes Schuhwerk tragen sollen, gehört zu der für die heilige Feier vorgeschriebenen Einfachheit und Züchtigkeit der Kleidung. — 2.16. kevx6». Alle Geweihten, wenigstens die Männer, sollen weiss gehn, wie die priesterliche Kleidung zu sein pflegte. Pollux 4 $.119: sz» iegew)v* taútarç di ете. Аеѕсћіп. 3 $. 77: (Demosthenes) orspurwoauevor xal Asunyv ѓодӯта Je fen 2Bovsoörer. Plat: Aristid. 21. Aehnlich ist die Angabe bei Lucian. Nigr. 14, dass am Panathenäenfest farbige Kleider zu tragen verboten war. Vgl. auch Athen. 5 p.200.A.— diaparvý: Та Horat. S.1. 2, 101. Becker Charikles З p. 190. 193. Pollux 7 $. 76. — 6c€fsia. Diess kann hier und Z. 21 nur von Besatsstreifen verstanden werden, obgleich kein Wörterbuch diese Bedeutung angiebt. Doch geht darauf die Glosse des Philox. ozpeia* claoi. "Vgl Semper, der Stil in d. techn. u. tekton. Künsten р. 151. Daraus erklärt sich auch, was bei M. Antoninus eig сото» 1,17: iv avig {йиобута mts doovQoorosov "mon pýte OPTEN «рне ит. aungðwy das ganz falsch" verstandene беште», und ebenso, was угш» 2200: do? uoc bei Pollux 4 $.118 und Schol. d. Dio Chr. p. 789 ER , ferner bei Hesychius und Schal, Arist. AV: 1294 йй шшс” yırdv sz ietvor uoc bedeute. Ueber diese meist purpurnen Q2 5 - 16 230 HERMANN SAUPPE, rj € ~ D ^ € D ^ ГА » ~ € , ёҳбртш Xırava Alveov xci &iutTiOY un mÄEIOVoS déi dgaxmar ёхато», € „> [4 ^ ГА ` € , ^ ГА » m ai dà maides zaihdena $ ow|dovirau xai eindriov un пћеіоро dit uvas, € ~ y ^ Y ГА ` € £ \ ГА » ai dè doai хаћасирә 9 сідорітар nai &idTiov ит mAslovos аба i8 доа| диб» тертўхоута, ai д2 iegai ai иду Yuralnes naAdangır d Отодуио x af ^ ^ H , ^ / A Lé m ‹ A) AU un Éxor cxids xal &iudTiov un mÀ&íovos agia dvolurav, ai dè [maidels хайаа» ха! ету ux mÀelovos afia dgaxn&v éxaTóv. ёр dë TE зо TOUTA oi Gët ieget euro ee vmodv|TaV хо гішаітіор yuvaineTov ovÀov, capera xov ыў mÀcTUTEQG d pida TUA oU , ai dÄ raides IK 0i ха! einarıov un діа |Фарёѕ. их ёҳёто dè undenia ҳоусій руді QUxos шид? 22 uuo» итд} dvddeua шид? Tas тоіҳаѕ avmenAcynevas unde ото|дли- a M € À , H , 7 v oo ОК YT ` para Si un піра n deguarwa iegóQura. d'Deeg дё éxovrw oi вах Streifen selbst und ihren Gebrauch in Griechenland vgl. Becker Charikles З р. 206. Anderes bedeutet «oynog im Edictum Diocletiani de rebus venalibus: Th. Mommsen Ber. d. К. Süchs. Ges. d. Wiss. 1851 р. 60 ff. 397 f. — 2. 17. z«adovxetr. Die xaÀagrpie war ursprünglich eine aus Aegypten eingeführte Art von kostbarem Unter- kleid TTE Pollux 7 $.71. Fritzsche z. Arist. Thesm. p. 609. Dass sie später auch in Korinth verfertigt wurden, zeigt Demokritos von Ephesos bei Athen. 12 р. 525. D. Auch hier ist überall ein угтоу damit bezeichnet, wie der Gegensalz zu éipuctiov und der Wechsel mit yırwv und dnödvua oder тлодотус zeigen. Besonders kostbar kann sie nicht sein, da zwar auch die Hierae, aber ebenso die Sklavinnen sie tragen. Einen Gegensatz zu Aivsov Z.17 darf man schwerlich annehmen, noch weniger in der Schreibung mit 7 eine Anspielung auf Zygıx« finden: das verbietet schon der geringe Werth. Vielmehr waren wol auch die x«A«&ozorc und der omovirzc ут linnen, und der Unterschied beruhte nur auf der Form, Verzierung und Farbe. 7 ist also wirklich für г gesetzt, woran Ahrens d. dor. p. 183 zweifelte. — 2. 18. nvac. Fast sollte man meinen, dass nach der Scala: 100 Dr., 1 Mine, 50 Dr., ebenso 7.20: 2 M., 100 Dr. eine Mine weniger als 100 Dr. gehabt habe. — 2: 19. oxra c. Das Wort kann hier und 7. 24 nur einen bunten Saum oder Besats bedeuten und so steht es wohl auch in dem Его. Menanders Inc. 33 (com. gr. 4 p.244) тус orras av eps noutov ivvquivovor. — 2.20. 0 подути». Moeris p. 416 P.: yıtovionos, yırov, "Artinog. vnodvıyg zui ёпеудиттус "Eilyvinas. — 2.21. o$Aov. Weich kann es hier nicht bedeuten, sondern soll wohl im Gegentheil zu geglättet, glänzend die rauh gelassene (nicht degatirte) Wolle bezeichnen. — Z. 22. гуд гоз. Ueber die Orthographie Pierson z. Moeris p. 418. — avnenkeynevuac. ` Also aufgelóste und über den Nacken hinabhängende Haare sollen die Theilnehmerinnen des Zuges tragen. — 7. 23. iegó9vv«, von den Häuten geschlachteter Opferthiere. Aehnlich DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 231 , A , ~ euovivous cTQo*syuAous xai ёт [av]rov morixeQdAcim | ў onipa Asuxd, a a , ` , , е un ёҳорта руте eer ийте торфирар. ocas dë dei досиғол бес ош: eis 9 ~ д ‚© › ГА H D ». > à Ж кё ` ГА egy dot Heng, éxóvrco тбу ғіџатісибь, | xa 9' б av oi iegoi. diarakwerı. a Af H av dë zue dÄÄae Zeen TOv &ipaTicuOv mapa тд Outygauum, m aAAo Ti TÀv xexaAvuívov, un ётитоет |тоо 6 Yyurasmovönos xai éCovcíav éxírw d ^ ~ М№уџоаірес Зои, xai ѓсто iepa zer Qedr. "Ogxos yvrainovópov Oi д2 Aristoph. Av. 1256: дё zm іғ=0590тоу ara danedor éte tı 1706 figoviy дгоїс epnénnev матптъб». — svovivovg. Dem Sinn nach schlägt Meineke Archäol. Anz. 120 p.257 * richtig vor oicvírove. Aber die Form ist doch wohl nicht zu än- dern. — 2.24. oniga Meineke а. а. 0.: оліоау 3. osreigor heisst nach Pollux 7 $. 78 und Hesychius u. d. W. bald so viel als фсхос, bald allgemein Kleid. Eustathius z- Dionys. Perieg. 1156: oreigov érondZeroer to ele тооло (neml. то omagyawveiv) J9uoun eov Vg«ope.. Und so braucht es Euphorion frg. 48 M.: »ungediov osteigoro паоонАізова. xaÀUnTQrr. Also kann es hier sehr gut ein Stück Zeug, eine Decke bedeuten. ‚‚nnrexepaiaee aber fordert auch den Plural oniga. — босс S: боа 3. Offenbar ist das Subjekt zu ?yóvre in dem Satze боа — дг огу enthalten; das ist es aber nur, wenn wir босс schreiben. Denn dass auch hier von Frauen die Rede sei, zeigt das. Vorhergehende und Folgende. ` A 9ғогс aber heisst bei Späteren bis- wellen Darstellung, im Bild oder in Worten. Plutarch. Mor. p.20. В: 7 тоз Gris дгс:9201с Logan жаК инс — ovx Eßhaye 10v axgoopevov. р. 17. В: ai negi Tag vexviac Tevarovoyier nat Oredéotic — ov nárv stolAoUc drakardavovorr. Athenaeus 5 p.210. B: обтос ydg xoi Holépor ó пертуруутђс einev èv toitw Ter побс Anton хе} Avriyovov, Enyotsevog de Zen dv Phicürte хола iw ncìeucoysiov groen yeyompıneryv. лө XiàÀanoc 200 “Pryivor. Vgl. Н. Steph. u. d. W. p. 1150. Preller Polemon.. frgm. p. 100 f. Ich glaube also, dass der Sinn des Satzes ócac 02 der dra- ‚onsvdleoder eic Hear dıadeorv sei: diejenigen aber, welche zur Darstellung von Göttern ausgestattet werden müssen, und finde darin die Angabe, dass bei der mysti- schen Weihe nd der Götter, namentlich wol der Demeter und Hagna, dargestellt wurden, wie in Eleusis. — 7. 25. с) Аюс S: ade: 1. 2. 3. aber es ist nur von Frauen die Rede, die, wenn coc stände, verkehrter Weise gerade der Strafgewalt des Gynükonomos entnommen würden. 0 steht in der Inschrift mehreremale für o: vgl.Z.47 ócasroc. — 2.26. àvp ai тео ac kann hier nicht bedeuten verderben, su Grunde richten, wie in dem untergeschobenen Zeugniss bei Demosth. 21 $.22 ха! twd jèv отб» ё0иурато so viel ist als $. 16 drégSergev: denn dann hätten die Sachen dem Heiligthume nichts mehr genützt. Es muss heissen: gewaltsam die Kleider nehmen, und ‚so die, welche sie trägt, ihres Schmucks berauben und blossstellen. —- 232 HERMANN SAUPPE, 26 Zeep, отар Xe] euro ошо |сорті, Gett : TOV - yUVOLIXOVOJAOV sémi TOV eT» ispdv, Ei par Ze ётмё» megi TE TOU erung or “тор 6 Xov rav | émirerayu£rav. иш ёр TG dityptupari. Iouis. Evi sr торт сувіс9о Mvacíorgaros , Emeırev d iegeus тшу Dear, ois. | Ta рости ои YÍYVETAL; METÈ TÄS iegéas, ётето ‹іуород тав, lego ras s 0; BiNirai, uera dà тейт gi Segen ei iegat, xaGOas av Algen, &yovcai та аерата, émixsíusva хістаѕ ёҳоўсиѕ Zeg Vers" ETEV 30 Kees d #15 AdpaTQos xci ai vaodowa|e] | Hóa T Qus ei ipBrBa- xuldi, ETEV d ee Tas Аш тв ¿Q іттодобро, ЕТТЕР d tas Er Ауа, EWEITEV ai івраі хата piar, ral Jas ` xa NL теты d 7.28. шог. Man muss also die Worte als direkte Rede des Schwörenden, selbst fassen, als ginge олуш voran, wie Z.2, nicht als indirekte Anführung des von. ihm zu Schwürenden. — с ysío9 0 S: «ysíovo З. Kadagor 10 € £v TG inno. Kumanudes. Es kann nur ein Versehen des Steinarbeiters sein, — "oeren und. £i = v, heisst. es wiederholt (vgl. Ahrens d. dor. p. 354), nur einmal 7,29 steht ёл ELIG (sd. 0,200. ind önnaros i xaS«gov. К. З). — 2. 29. & v] то & v. uaF ugoy ido, dn € ar0T£QU To хо iv 17 айту pogost діс. К. Im Gebrauche dieser Parlikeln schwankt die Inschrift. Während das dorische хо in хаос ze 32 zweimal und 33, бов ха. 58. 6]. 16. ЗІ. 85 zweimal, 88. 89, ос ха 36. 60. 168, o т xa 64 steht, findet sich d av 42. 82. 106. 116, Meyer &v 62, ¿wc av 87, боа àv 18, öç «v 25. 35. 50. 58, 91. 93. 115. 161. Dazu ота» 14. 26. 89. Vgl. Ahrens d. dor. p. 381.— 2.30. imimeipeva Meineke p.257 *: ésueipiévoc З. Die Konstruktion wird durch. die von. Markl. zu Eur. Suppl. 715 und L. Dindorf zu H. Steph. Thes. u, d. ҮҮ. p. 1625. gegebenen. Beispiele aus Späteren gerechtfertigt. — d гіс die für den Demeiertempel. Vgl. Andoc. 1 $.11 тоїс ото&тоууойїс toic elc Хек Мат, Isaeus 9 $.1 мета то?» &ic ЛА PRR AIRMAN, und die Ausdrücke yoonyeiv, doysiv, Ate sig: Hemst. zu Arist, Plut, p. 456... mana zu y Isneus p, 006. 314. we 2. 388.— 2.:81..01 iuf e oxviat. Der Sinn muss SH scie e dass jemand die Wahl suche «бй annehme,, um. ‚die damit, ver- bundenen Ehren zu geniessen, und doch nichts dafür thue. &ußeivery hat. ‚nieht, selten die Bedeutung anfangen, so Plat. Legg. 3 p.686 C: suat Qc; ni, А ys sic tiva билу хоту. Dionys. rhet. p. 724 BR. sic toc. xv dà € denerov. Aelinlich ist oj Zvsozunores Kóouo: Corp. Inscr. gr. 2556,. T und ; то соуоутгс oi Eveorenorec 2525.һ. С, 20. — 2. 31, Aiyide Б: di qiie 3. ad éxwvnov div desxvUe: поооугуоашиёво» іва" сов 10 буона àv Zeep пасы» К... Die Insel DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 233 2001, хао zu oi déen diarakarrı' б д} tyvvaixovóuos xAapourw TÁS TE ieods ха) ragOÉvovs , xai ётциё вау | ÈXÉTW, Omws moumeuwprs, хао 32 xa Морт dyíc9u dè iv Tj mound xai тё OuuaTa, жа Yuoavrw тў uiv Айшат: тй émíroxa, "Egualvi хдр, Meyakoıs sois. дм civ, 'АтфААшн Карай хлор, "Aeyvd A. Exardv. raren dé udi T ётїтрєтбутш oi legoi undEra &xew Ev | r&TQa*yave end поддр тфийжорто» 34 adi spuer TATS cxarais шите diese рите auAsias, unb év w dr. gie перстер ратосорті 01 ERO, uxSíva тау un бутш» lepar ёё an der lakonischen Küste (j. Cerigotto: Curtius Pelop. 2 p. 331. Meineke z. Steph. Byz. | p.41) kann nicht gemeint sein; dagegen geht wohl Paus. 4. 17, 1 cen di іуда атс. Junuwiune, ётда {гобу дото ayıov Ansyıgoe auf denselben Ort, dessen Lage unbekannt ist. Wie ein Genitiv Jn/ie hier erklärt werden solle, weiss ich nich. Daher nehm’ ich den Ausfall des lota adscriptum an und schreibe bei Paus. Aiyia.— 4.93. éni0xe. Vgl 7. 70. Eine dritte Form zu ёлїтгї und éuéroxog (parturiens, gravida), über die Lobeck zu Phrynich. p. 333 u. Paralip. р. 278 zu vergleichen ist.‘ Sie ist wohl als metaplastische Form neben ѓл/тохоу, veranlasst durch 2«/vex«, an- zusehn. — “Еол: Vgl. 7.71. Hymnus іп Isim v. 10: дире} д” "Eorürne ano- zovpe 00 ода Are». Diese Form verhält sich zu 'Egricov (Hesiod. frg. 46), wie DoosóG» zu Iloosidüev, neben denen auch Tloosıd«&c vorkommt (Ahrens d. dor. p.243 ff), wie “Eönas und *Eguýe neben jenen. An die Form mit » als die ältere schliesst sich &opywevew ап. — 2. 34 далалар oU». Gewöhnlich wurden ó депе und ý динас mur von jungen Ochsen und Kühen gebraucht (Aristoph. Byz. bei Eustath. z. Od. p. 1625, 43. Nauck Aristoph. Byz. p. 104. 110), so dass sie im Gegensatz zu pó6yor und sróprec die geschlechtliche Reife bezeichnen (G. Herm. z. Eur. Bacch. 730). Babrius 37, 1. 7 Anneige = póoyoc @диўс. Von Schweinen kommt es wohl hier allein vor, aber der Zusatz der Z. 11 bestätigt die gegebene Erklärung. — x4« 0». Aristoph. Byz. b. Eustath. z. Od. 1752, 18: тш» ovav oi piv gingt xe) Wögyaı затон. Nauck р. 102 f.— 2. 35. negivióépnev EE: neprtediner 3. — дгобътс. Thuc. 2, 75: xoi ngoralúpuata ige dëëictg xai деро: Hesych. de opze тб пау) ®фрооне, e ie nagunitunpu #уоштто. und jeporDóyop qot пдд иг" 0:00:16 ёуоъват nuganeriopute. cf. Meinek. com. gr. 2 p.418. — «и йо с. Bekk. anecd. p. 463, 17: avara «0 tře ox5vyc парапётоона. Cosmas Indicopleustes topogr. christ. p. 197. E: Aeyorter wuvieier то piya xai тоги ву повипетоо еа. Vgl. Hyperides fragm. 165. Die Form «vAei«: ist sonst nicht bekannt, aber doch wohl nieht mit Meineke zu ändern. — "negroren patsoguvct. "UH Létre vie. KI. Die Grünzen des für die Heiligen ausgeschiedenen Raumes werden durch Hist. - Philol. Classe. ҮШ: 234 HERMANN SAUPPE, E] , a ^ lá е eener, Ad порвотёто ит аиоитох EIS: TOV тотор, OV. хо. MEQTTER- ГА H д ` i» r H ЧА , dà iro. o 36 pa rocaw Ti. Хш: жутш дё жай vogavas. . t vetsyot ava) д8 иси aQ av ГА dei -xaSagicew xai а ph dei Pxovras sicmopeveo Oa [ande] de? Ze | Ev э A ~ ~ 3 , DN / Tais cxavais. ungels xXívas ёҗ#тош év TA схора. имид dpyugwuara Tt A eíovos - EN d [4 A э , H e ГА ` ` зв dé доахийу tgianosidv, ei B mh, мї ётитоєтбр|то ot 16001, xai Ta ~ ~ , к е se " 8 mAsird£ovra icon Zeza rav Beat, 'AxocpuovvTwv. (rav dà ci Эъсіси Ре .> [4 ` 5 ГА ~ xal то vorni auvreisitas, EevPaueiv тах|таѕ. хош goe тоу Tapay- ГА H 3 ~ A Ы ~ , / a H 5 р" yeAXou£vow, TOV dë amsıdouvre N алоєто)ѕ арастоефошерор. ELS то dem ы / m И € , 40 | acTiyovPTa oi ieQol | ха @лтохоАл›бутш ту. pvatngiwv.: Ра Вдофёсоу. 3 ~ ~ 4 е „> › бо8доФ5оо: dà Zorwoav ёх тор ieguv Elxoci, ха! mrevOatgXovvTG TOS ётїтє- , a э L4 е 5 , ^ Aovr|rois Td nuorygia, xci ZaruufÄegn ёҳорто, Ото EUOXmMOVONS Жош ~ Dé Р ` л 42 EUTARTWS NÒ тор MAQAYEYEVNMÉVOV тарта YVNTAL; xexdws av | mapay- э M 3 ~ л , ~ yíXXwvTi oi ёт} тойтоу тетоуиёро, TOUS: дд атегдобутаѕ. m стото 2. d ~ D , ` Pr H брастоғфоџёрооѕ uaotıyovvrw' dp dé Tis ту фо |Вдофдооу un moie? nadas geweihte Wollenfäden bezeichnet. Dionys. archaeol. 1, 15: (zzv Ауто), neoeeigbovtec XUXÀO Grën eer, 100 dan то) тополе nedew батоу pvAaooovem.—, Z.31. ушоо- Ec vo. vgl. 7.98. aufstellen. Kommt sonst nicht vor. — Gdocnec, Wahrscheinlich gleichbedeutend mit n«gropovtzoia , vgl. unten. — [zy 02.] Auf dem Steine ist eine Lücke, die Kumanudes mit xo; « ausgefüllt hat. Mir schien es sowohl nach dem unmittelbar Vorausgehenden, als nach dem ganzen Wesen solcher Rituale nur passend. negative Be- stimmungen aufzustellen. Eine solche Bestimmung, über den Werth, den das ganze Geräth in einem Zelte nicht übersteigen dürfe, folgt sogleich in der Verordnung selbst. — Z.39. «ui voiet xci 14 tert kommt ebenso von den eleusinischen Weihen. vor, ‚z.B. Rangabé antiqu. hellen. 813, 4 (vol.2 p. 436): voie d x«i qvotrora Sei Gyovac oradıluxovg те жа! oxyvexovs GUvOQ enırekeiv dw[ggionzo.— | 2.40. «àv n«goy- yskkonerwv. Die Vergleichung von 2. 43 napoyyéAAwvie zeigt, dass die während der Feier von den Leitern gegebenen einzelnen Weisungen zu verstehn sind. — ef то $«ioy] Meineke a. а. О. vermuthete eig v0 Zon, ‚ut satisfiat zg ó0:0151:*... Ex ver- band also die Worte mit reoriyovrro. Aber da ungenwg wuvuorgeyeoda:. etwa gleich viel bedeutet als «z00,1.iv, so lassen sich. die Worte sic vo іо». ganz gut als nähere Bestimmung zu diesem vorausgegangenen ‚Ausdruck auffassen. | Z 43 ist der Zusatz weggelassen. — о] izoos. d. h. die aus ihnen von den Zehnmännern gewählten oaßdogögor, vgl. 7. 41. 149. 167. — 7,41. ó«800oq0904* ó«ovyo. Hesych. Bei Polybius und AA. der gewöhnliche Ausdruck für die lictores der Römer. — 1.42. n«gayeyervgpévov. Man erwartet negeyıvosucvow,; aber der Sinn, des DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 235 " de aM 4 edi ei 3 "REN TEE, , ~ РА Yeypanraı, N aXXo т; AORE N moi ёт: хатаћисе: тюр шостириоу, x 2 к ~ ~ ^ ~ ~ xpiOeis ёт! Tav 'iegwv, dv narargıdei, uy | peTexéTw TOv. uvoTnpiwy. 44 Heo? rà» drapopwv: Td 02 mímrovra Óut(oga ёх "zeit pvoTWQiov10 " D t EX D " 3 , t éyXeyóvro oi xaracraSrrss dad ToU damov тёутє. еісфербрто dé o &oxorres drdvxa marres, ыў dis ToUs aurous, Tiuaua Éxovra ёхастор un ZÉXaccov TaXdv|rov, xai Tat хатастаЗёртор napayparbarw d 46 ~ , - yepovala TÒ Tipapa, Weaurws dÄ xai TÒ тшу вісереухаутор. ` Tois dé э - , ^ А € ex , е d , &yXoysvorross | Ta діа Форос Asırovpyeitw 0 apyupoaxomos. отар à ётите- ~ , 3 ~ , Asc9e? Td pvorida, атоАоўиат@шта› ёш порто ѓу TE тфшт@ oul 48 Perf. ist: der zur Feier des Festes Erschienenen. — 2. 44. @dızsi— n oisi Meineke: dioi — noii 9. — 2. 45. арбоо». Eigentlich ist tò dr оооу das, worauf es ankommt; dann der Preis, so Lucian. Hermot. с.81: ai булото NOOO GOV TtQr&jt&Y OL umdenw invevixoqrev v0 du&qogor. Solanus und Gesner zu Lucian. 2 p.405f. Früh- zeilig hat sich daraus die Bedeutung Geld entwickelt, so b. Demosth. 47 $. 31: dewy yàp ў wheovefia‘ toU ‘100700 "60i tù дїйфоов. Vgl $. 33. Polyb. 4, 18. 32, 13. 15: Casaub. zu Theophr.-Char. 10. Alberti zu Hesych. 1 p.974. So in unserer Inschrift 7.89: Und Zwar wird es in diesem Sinne meist so gebraucht, dass es das ausgegebene Geld, die Ausgabe bedeutet, vgl. Z. 53. 54. 60. Demosth. 32 $. 18: та Óuwqopa enorußeiv. ` Inschrift aus Salamis b. ` Rangab. ant. hell. 676,6: er 1t QLQOELOEVEVXUOLY die qigov ic td toya. aus Eretria 689, 70: 10 eig zuvıa д10роооу.. Aber auch das eingenommene Geld, die Einnahme ist bisweilen zu verstehn: z. В. in d. Inschrift bei Rang. 821. b, 8: «e? rg оід» той Ótaqógov хатауођоао9 ол. Und so wird es denn auch in unserer Inschrift Z. 45 und öfter gebraucht. Kapital im Gegensalz zu den Zinsen bedeutet es їп der ereirischen Inschrift b. Rang. 689, 54. 61. 64. — 7. 46 eiogpeoorre. Hier, wie 7. A7 und Z.128, kann &ioqégerv nur vorschlagen bedeuten, wie Kumanudes richtig erkannt hat. — dvávxe. Vgl. über diese Schreibweise Buttm. ausf. Sp. 2 p. 380. Keil inser. boeol. p. 126. — ясутес. Мап könnte s"avtac vermüthen, aber dagegen spricht die folgende Bestimmung eines Census. Man muss ‘also aimehmen, dass nicht еіп einzelnes Beamtencollegium, sondern die Beamten als 'Gesammiheit die Vorschläge machen, dass aber doch die Namen der Einzelnen, die "emen der Fünfer zuerst in Vorschlag gebracht haben, zugleich mit genannt werden Rollen. 2.4T. oue „тше S: 'Oóevtoc 3. — 7.48. énoAoyiaa od оса». Bericht erstatten, Rechnung stellen. Vgl. Aeschin. З $. 25 amekoyigero ag лооабдоус 10 dno. ` Nische Epigr. u? archaeol. Beitr. p. 15.— ig "&viorc;. Da es ш дег erste ordentlichen Versammlung des Rathes geschehn soll, so kann èg я. nicht heissen, 236 | HERMANN SAUPPE, vény cuvaywy тор сър доор’ xai wgaQdw. amodorrw‘ zé ётциећита - qagaxpiiua , sot Qorres ёт óvóparós Td memTwxóra dilal|Poga ато тоў xaOaguoU, xal dad Tv TQuTouvaTdv TÓ ўтостатікбу, ха) dy Ti. аАХо во feet, ха} Tdv yeyevnuévav #Ёодор, xai [б]тг av e| Amor, хой gërätg, cdvra параҳоўиа TG таша, xai ÈTTWTAV Veitegrëot, йу Ti OORT ddınoüvrss, dımAaciov xal émiriuíov | [dgaxular [x] idr; ко) ot баста uli @фаойртш under. oi д} èv TQ mÍumTTQ xai mevTWXocTQ Zrer NA- 52 recTtué£vo: ёѓодіасоуто xai Mra|[cio] votre тё didóuevev ditQQogov eis TOv - eríQavor. dad [r&v сър] доор, dgaxuds #Ёаже А]. amoderrw dë za wie man nach s«vrec Z. 46 glauben könnte, vor der versammelten: Gesammtheit der Beamten, sondern der Sinn muss sein: in öffentlicher Versammlung, cnemlich des Rathes, bei der freilich auch die Beamten waren. Es bildet den Gegensatz: zur Rech- nungsablegung vor Einem oder Wenigen, bei geschlossenen Thüren.—. ону» буф hier in ungewöhnlicher Bedeutung so viel als 2»v»vój v. Ойег ist dies nur. wegen der folgenden Worte in ovrvörw verdorben? — 7. 50. 10 dGanegzetrsdn- Von vuo- бтз, vqiíovacÓar, auf sich nehmen, übernehmen (2.68); also ohne Zweifel. Geld, was die Protomysten bei ihrem Eintritt in diesen höheren Grad. der Weihe zu. zahlen hatten: Einstandsgeld. — 5 тї] 10 0 Фуш ingóoOsoa, roxat ём тїс Óvoiv aveti- уойфо е дї» gtngrgtzer абпос уофиугетос zevóç К. 10 Z 51..v50op worgnı. Vgl. 7.60. Nach Aristoteles bei Harpocr. u. ее туо ёс Waren rzorgor eine. Ве-. hörde in Pellene, ähnlich den Zzzzv«) und jreorzéec anderer Orte. (Boeckh .Staatsh. d. Ath. 1 p. 213f), nach Hesych. nd otoo: ood "Podiore, Bovievezosc (was: wohl verdorben ist; vgl. Bernh. zu Suid. u. »«oz7pec). Noch mehr passt für die. Erklärung. unseres Wortes Hesych. //vot g/&t* ai tor doyovsor evdvrar, Also istcomopeotooc: so viel als ossv9vvoc. — Z. 52. Óuxaoto) р) von К. ergänzt nach .Z. GA. —. zatsotapteror. Vgl. Z. 92. 115. — 53—58. Diese Zeilen sind am sehlechtesten . erhalten. Zuerst hat schon Blastos bemerkt, dass die ZZ. 55.56, die obersten der zweilen ` Platte, dieselben sind, wie 53. 54, die untersten der ersten Platte, Sie sind also. nur ` durch Versehn wiederholt und geben den Beweis, dass die beiden Platten nicht. ur- sprünglich éinen Stein bildeten: vgl. S. 226. ^ Aber beidemale sind sie: unvollstándig ` erhalten. Auf dem Steine steht (nach K. 3) Z. 53: .. фофоро» eic tov: gaégovoy ТПО”... ЛРОХ oeaypdg daxi0] np, «nodorra: db «^ Tic net 00€ mn ei ' 2.96... 299 TITAXKT ..ZOTIENA v se Kogve-, dagegen.Z. BR. 20u10 ` tò Óidópevov . . ... ., 2.56. . octodicopiéva дійфоби ono toti T&ndotr ue, Durch Kombination dieser beiden Ueberlieferungen hat К. den. oben gegebenen. Text hergestellt, nur dass Uno тоу орудою, iv tovto Tc rer und de ra dr von mir ` DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDAMIA. 237 Tania xai oca ха er | [moloe&wdasuere дийфор® Отд той тоџшіор [£v Tovro тё ETEL) eis ra émi[oxeva] ipera ёр rà Kagre|acío $ damavovuevæ ҳар 54 тб» pvorngiwv: TO dë Xowróv ёх тоу cdrss diaQoguv] &Éodingovr[w, Отар хитастои Ӛрт ee Ta] ёптисх[ оа || {иери év rë Kopreasiw, xai av Twos Er, «eia si [mori Tas ёю TovTwv T]o960ovs, Pepörrw Ypapovres eq mm a а A / 5 DE SE LONE | , : Фито, eis] Z or xgeia ei, xal oi apxlov]|res aai oi cvvedpo doymero- 58 herrühren. Diese Ergänzungen, so wie die in den ZZ. 57. 58, sind unsicher, aber sie mussten versucht werden, um den Sinn des Erhaltenen festzustellen. Sie beruhn auf folgender Auffassung: Die Fünfer des Jahres, in dem die Verordnung erschien, waren kurz vor dem Fest gewählt, konnten also vor demselben nichts für die Baulichkeiten thun. Sie sollen daher nur die Einnahmen und Ausgaben während des Festes selbst nach dem Ende desselben verrechnen. Die des Jahres 55 aber, die wahrscheinlich bald nach der Wahl der Hieroi gewählt wurden, sollen das von der vorigen Feier ap den Schatzmeister gekemmene Geld alsbald in Empfang nehmen, davon im Kar- neasion' die Baulichkeiten «herstellen und, wenn jenes Geld dazu nicht reicht, unter Vorlegung: detaillirter -Pläne das noch nóthige von dem Schatzmeister erheben, sie sollen auch den Betrag des Kranzes an Mnasistratos zahlen, dann aber aus den Ein- nahmen am Feste die Vorschüsse des Schatzmeisters zurückerstalten, und im übrigen denselben Bestimmungen unterworfen sein, wie die Fünfer des Jahres 54. Nun kann aber die Zurückzahlung: an den Schatzmeister Z. 53 und 59 nicht eine und dieselbe sein: ich nehme daher an, dass die erste die Zurückerstattung dessen ist, was der Schatzmeister des J. 54 von sich aus, als keine Fünfer da waren, für die Feier aus- gegeben hat. Darauf gründet sich die Ergänzung ?› ro:wto 16 rer, Dass diese Auslagen) nicht gleich von. den Fünfern des J. 54 zurückgezahlt wurden, hatte wol seinen Grund їп der provisorischen Natur derselben. Im einzelnen ist noch Folgendes zu bemerken. 7.53. Die Auszahlung des Geldbetrags für einen Kranz an Mnasistratos erinnert an Corp- Inscr. 2347. c, 54: 0 талас "Moiotayogac dorw "Ovnoardon то dhoteteypiévor ele тб бтёріно» £x toù vonov dıeyogor сто ате fyxvxAioU діог- x5jótoe. Mnasistratos war für seine patriolische Entsagung ein Kranz zuerkannt wor- den: er erhält, nachdem eine heilige Kasse gebildet ist, den Geldwerth dafür. — Z.54. Kapre«cio. So heisst der heilige Hain auch Z. 58 (62?), Kaorsıwoıor 2.65, dagegen Kugrioror bei Pausanias 4. 2,2..33,4.5.6. Für jene Form spricht der Name der‘ Kapvearei zu Sparta (Herm. gottesd. Alt. $. 53, 30) und des Berges Корғғстус (Curtius Реіор. 2: p. 468). — 2. 57. komo» 2x zen categ (Ahrens d. dor. p. 65 f.) diaqopov у dann ота» хатоотё буті, ferner лот} тас іх тотоу und óz[tec cic sind-Ausfüllungen von mir. — 7. 59. doynuronorsioduoenr. Bisher nur aus 238 HERMANN SAUPPE, L4 ~ ` 26 musiogwoar, ori dei тд» Tanliav &ydonlev та диїфоои, aro dë rav 3 bs A ~ титтдутоу ix Tüv nvornpiwv @тох9|]|ттит®ш тё таша Td дифора. ~ › ~ * хо! amodovrw урафау тё ÈTIEANTA тєрї wu Xa dioe Ti, was ёстосару € » , \ R 60 Опбиастооі, av Ti adızyomvrı, sel 905 émdvo yéypanrtai, 0 dë Tapias eu d 2 3 600v xc magaAaßsı diaDopov Xorróv èn тойтшу, ураф#[т]|ш Ev (ae дёиат: a x 3 H ~ > ~ D M x , ГА 4 a eis Tdv Enioxevav TOV ѓу то | [Kagve]acíe xai uy avaxpyoaodw eis aXXo kal > ~ o a H E under, nexgı dv ётитеАвс OE: бтоу Xosia ёсті тот} TAV TAV pvoTUWQlow ГА ` е РЄ; ~ ^ , a 62 соъутёћ ғау, итд? yoalılarw ил dóyua, бт dei таёта то dia Фора eils] 3 Å € dAXo ті хатаҳойсас Зоі, si db uh, тб тє усафір dreAis ёстш xai 0 , э , ` / € Z i \ > € D et yodxpas «тотататш dga|xuas діс иав, opoiws dé xal 0 Tapias, 6 Ti ха 3 ГА Ll $ d ` d lEoldiacsı, бутобу xal dgaxuas dioxyihias, xal oi хатт! ua c peugovrTo 3 + ~ а - , 64 unOév, xai тоё mímrovra | ёх тату zët Age дафора vmagxéro 3 ~ 3 ~ 1 së E [25 тоу Emioxevar тор ёр TQ Kagveiacig. orav dë Emirekeodel осор xosila ёст) тот} тд Ow|TeXeiv Td vorige, UVmaoxíru Ta TiTTOVTA £ ~ ~ 3 119;4Фора Tdv иоотиріор eis тов rals molAsws écódovs. Ovuarav mapo- ~ е ~ - 1 66 xas. of lego) perd тд xa|racTaO uev mgoxagvhavrés Eyüovrw тау м ` pe , * P € Ы) , D EI magoxav Ty Zuugrag, шу dei Zeg Эси xai парістас ал ën тоб. HUT: Й ` ` a H " 5 , » E 01016, жа} Td eis тов | хаЗаоиоуѕ, évydidórres,. déi тє. doxék-avuQ gor È ` ~ &iluev, évi xard] тд отд ndyra Ta QúpatTa, av TE ara Epos, TQ то , e , EI EAdxıorov due zoauëtet | Atenlueg ол dd fogep, Fer! dè d dei mapexew wen: WE E r ГЕ, СА 2 РЯ п00 ToU &рҳесӘси TOV jvcTWQluv, ovas дуо XevxoUs, ёт! TOU хо Ўаоиоо & Polybius 1, 81 bekannt: idoynaronoiyoay xc) nugyrsoar ёйътоїіс. — éyÓopev S: ixdopev З. vgl. zu Z.l.— 7.60. uai аплодб›»тов. Von hier an wird das 7.49 über die Fünf des J. 54 Verordnete für die der folgenden Jahre wiederholt. — Z. 61. Aormóv £x tovtov, yo. S: Aoınov, ёх зоти» yo. З. — jneyOépaus (= UnexIEnarı, vgl. zu Z. 1). гкдгно ist ein späterer Ausdruck für лобурариа (Lobeck 2. Phryn. p. 249), so bei Polybius 31, 10. Also wird unessa eine der Haupt- rechnung untergeordnete, beigelegte айдайм sein. — `7. 62. avayoyocndu. Doch wol nur verschrieben für ся0у0%0с090 oder zuruyoroaodw. — Z. 66. то» pvotgolov. Nach Z. 45. 59. 65 sollte man ¿x zov и. vermuthen, doch lässt sich auch der einfache Genitiv rechtfertigen. — 7. 68. év? xara Жава ich ergänzt. — Z. 69. Адстрго 9.1. Sonst gilt diese Form als die ionische, зарой таг. (Epicharm. frg. 15, 2 Ahr.) als die dorische. — соусе. Die folgenden Accusative schliessen sich an лабғуггу an. Wollte man nun, was dem Gedanken nach das Natür- DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS: ANDANIA. 239 xQiüv evXgovr, xai ora» | Ev тш OecrQw xa Oaíosi, Хорісхоуѕ TQsis, vmig ToUs поютоиустаѕ @р>а$ Exarov, Ze д TA nour Донатори тй ётїтоха, Tois dè. MieyaXois | 07 даралау dezg тй», `Ёси& жіби, AA Aan то Коруш хотоор, Ayvå Ov. б dé ёудеЁииероѕ хатєуухєусаѕ поті Tote íegoUs Aal Brea Ta dudoga ха) паротато ra Bure є0ієра, nadapa, Ae age, xci ётдибйтш Tois ieQois про djuegtv дёх® ту иоистиріши, Tois |. dà. докат уто capsiov ётиВаћсуто oi ієрої xai та осоре дќрта 72 тофттато d Zodeëdueres, av dà un ташттата ёт! tav Ódoxiuaci|av, то@ттбутш. oi legoi TOUS Eyyvous ауто ха! TO тшту, Ta dë Duuara ауто} пореҳбуто, жа} атд Zait TQaxXOírvrwv diaPopwv xouicdodwcav | T&v 74 yevouívay. damavar sig ze Oupara. Texvırav eis Tas Xopeias.i? oi eoi 7rgo'yge ürrw xaT Evinvrov ToUs №итоуруйсортаѕ ёу|те ais Juris xci мутттоїш$ avA«Tds xci ж. арістоѕ, 0covs ve svgicxuvTi eifreg Umagxovras, sai oi троуоафёутев Xevroveyovrro | ois 07. "Adınnma-ız тор. dv dë ris Ev ais anepais, ër ais ai тє Qvoiai xal Td ристура yívovrai, QAG ere nerAeßos elte aAAo Ti ddin ua тетоииос, сачуёс Эш lichste ist, als Sinn annehmen: die Thiere aber, welche vor dem Beginn der Weihe gestellt werden müssen, sind —, so wäre dieser Acc. statt des erforderlichen Nomi- nativs nur durch eine sehr harte Attraktion zu entschuldigen. Daher muss man wol erklären: es giebt aber solche, die vor dem Beginn — , nemlich zwei weisse Schafe u.s.w.— sv ygovr. Man hat wol vorzüglich an Helle und Reinheit der Farbe zu denken. — 7.70. и«феагов. Natürlich ó iegevc. — ®лпё?о rovc — Hóchst auffallend ist dieser solökistische Acc., wo man den Genitiv erwartete, denn man darf nicht daran denken. ЕЗ adyerbial zu nehmen. — ¿v dè те ff. vgl. Z. 33 f. — 2.71. zarey- zue ern hier für das. ‚gewöhnliche »aıeyyvav, Bürgen stellen für etwas, denn das Objekt ist aus dem folg. тє drdgoge zu ergänzen. — 2.712. 01 охдара xaSapuc quivere: èv 2G rúno. К.З. So ist jetzt Bergks Vermuthung (Jahrbb. f. Philol. 79 p.193) bestätigt, der Pollux 1, 29 verglich. —. 2.74. сото. Die Summe selbst, für die sie gebürgt haben. — A? xogsiar S: .gogıreiag З. yogıreiag, dv x«l аноде, dreet pot 10 čxtunor xal оўтою arzeygawe xci о Blacroc. К. Aber Z.100 steht jogeieıg. Hier ist das gegen alle Analogie verstossende xogırziag nur aus dem voraus- gehenden zeyyıray entstanden, — 2.75. Asırovoynoorrec. Das Wort hat їп der Inschrift eine weitere Bedeutung: Hülfe leisten, thätig sein: Z. 48.76.99. 100.117. 152. — 2.76. 210927006. Vgl. 7. 156. — 7.77. zsexießoc. Die Form kommt hier zuerst VOL. . Л "Man hat also. »Aeßeıw | neben: »Aénter anzunehmen, wie xovfsv neben 240 HERMANN SAUPPE, Er 47 > a Ре ^ ёт} Tous i&Qovs, ха! б иду éXsvOsgos, av xeTaxQrOéi, dmorwerw dimAour, 78 0 de deüXos uacTiyoUcOu xai amorıcarw dilmAouv TO xAÉujga, Tdv de » a , › D M a VE AUR / ~ GA. Xy adhırnudrav ётатішох dgaxuas eixos: av dà vg Exrives тараҳоўио, mapadıerw 0 xugos TOY oixérar TQ а|діиуд рт: eis dmepyasiav, si dë u, iláUm6ódixos ёттш ori Óymowr. Пері zer Xxomrovrwv év Td ieg ` Г э ~ € - , x a e ~ е ~ 80 Anere хоттётш ër ToU isgoU тотоу" | av dë TiS AAG, б иф» dotos € x -~ ~ э H е macTiyovcOo uno тшу isgàv, б dà £XevOtgos amorsodrw, Osov ха oi 16001 &rixgivaw i" 0 dÄ Emıruxav @'уёто | aUToUS ёт) TOUS ieQoUS ха) Ааџ- ilo Bavírw To "uiv. BDüyımorv si[u]ev To?S dovAoıs. тої dovAos , » KSE , ` Ke \ 3 / x L ` 82 Quyimov ёттш TO poni хао av oi tepai | dmodeikurı TOY TÓTOV, xci иті оподехёс 9w то)ѕ доитётаѕ илд} сітодотеіто шиді: doya magexéra. 0 82 поку Mapa Td veygeselnésa vmóUixos ёсто T vgig TAS TOU Ow- нат а іаѕ дитАат!х ха} ётитішіоо до®хийу теутахосийу. d дф ieQeUs э, ~ \ äi Ke э ~ 84 émingivé|T& negi тоу ÓpemeTixQV, Zen ха pre ёх TAS dugrioor т0Л.є0$, »günzeır. Lob. 2. Soph. Aj. 1145. — «220 я: &Üiuzp a, wie sonst die zìéntot eine einzelne Art der in engerem Sinne so genannten x«xovoyor bilden, Plat. Resp. 1. 344. B: xa} ydo iso60vÀor x«i avdgunodorui xci zone xol «nootegnta: xai wiémtut oi nato пёоу адінобутес TOY TOLOUTOY xuxOVOyTMOTUY xaloUrTot, — 7.80. eis ánseoyacotav: zum Abarbeiten. — zv» zontorıwv. Dies erklärt sich, wenn wir uns erinnern, dass das Kugvscoroy nach Pausanias ein heiliger Hain war. — 1.82. sl ner. oUtu tutta vUr ovrexootron, vocac povov то Н si; M. К.З. Wie es scheint, bestand das Asylrecht nur für die Dauer des Festes, und nicht der ganze Raum des heiligen Haines galt als Zufluchtsort, sondern nur ein von den Hieroi als solcher umgrünzter Platz. ` Auch noch andere Beschränkungen werden hinzugefügt. Nicht ohne weileres erlangen wenigstens die einheimischen Sklaven durch das Betreten des Asyls, was sie wünschen, sondern nur nach vorausgegangenem Erkenntniss des Priesters der Weihegótter. Ohne dies darf niemand den Flüchtigen Aufnahme, Speise oder Arbeit gewähren. Wahrscheinlich verlangten die in das Asyl geflüchteten Sklaven im Karneasion, wie in Athen, den Verkauf an einen anderen Herrn: Meier att. Process p. 403 ff. Hermann gottesd. Alt. $. 10, 15. — 2. 83. orzodorsira. "Thucyd. 4, 39: (die Spartaner auf Sphakteria) meo? гоог Ñas — dérvtodototvzo. Daher ist bei Pollux 6 8. 86 herzustellen: x«i тє voravt« ovx сло grgimg dA} àno ото re, eg żar v0 £611000100vc0 (Їйг 201200020) nuga Oovavdiðy. — 7.85. $ vtrue 8: эта З. BeflutoUtas 20 уза: xai du той ixUnov. К.З. Von sier kann die Form nicht Kommen, sie muss also dem Conj. von 7 аг angehören und reiht sich demnach den DIE MYSTERIENINSCHRIET AUS: ANDANIA. 241 Mod." OG QUS «Xt. натажоінгњ: пасадбтш та kugis dv дё „ий magadıd — SÉ Ze Кто Tor. жөр] -віпотоё ҳеш. „Ёҳорть Ueeizées хоор ов. таё 0h10 ҳрарах.,т96 apojácyfvas die iran gxaíay &ёуурфши.. Ayras xai ToU ` yelyel|vauévov. morita ойра asaXparos Tav ётіиёАнар» ёҳёто Миха 86 ES Ww. T ~ ` ~ ‹ ~ E - ` ITOAT Syr s dw Ei уон METEXETW META тор ispay Tdv T& uci. mar. TAV | 140g Tal QkoV , Meti ger, Hr pi Әуорте$:тоті тб gar тритаф дут, иші TG бшетш. техдёриатох Naudarerw Mvasiargaros, | dv. re Задра, ста зна 04 iov TES. поті s ré pre, тоот: ите, 3) Eis. TOV. Зисацейв». Grat kerkérepeg/ei, DLE AauBavéro Ma |cícTQe'ros, то \трўтоу4ё04$›, or ‚б. dvo. иёри». кой. dv. Tb sao ymo- ту Rasen ы Manr faSEk ч Үү | 21:321 айлаас Bildungen.:Z.. 89- Gesin, 93. хаткоҳеоао9 rn, 102 идоубе узуу - Wie also dange Tür ésugteovii und evegrowze für arayvonvzı, Steht (Corp. nert, 2556, 08. 43. Ahrens d. dor. p.312), so, muss man annehmen, sei szgozt- eyru (neben d. nde, ‚got ivt) für nor Kun, то! für fovit. sett dE der Conj. TOR durch, Del nung. des Es 4, 0 vom Indic. unterscheidet, — Z. 86. dno- LITERIS Wenn der | Priester. die Klagen des flüchtigen Sklaven für ungegründet erkennt, darf. « der Herr ihn, auch wenn der Priester ihn auszuliefern versäumt,- mit Gewalt, aus. dem „Asyl. mit Sch „fertführen, — . ATi: „Мем als. Apposition zu хоир, zu fassen, sondern der Geniliv hängt von zyavag ab. ‚Neben der Quelle stand die Bildsäule, ders‘ Ayva und, deshalb hiess. die Quelle die der ‚Hagna: Paus, 4, 33, 4. Vgl. unten: 5,257, und über die. oygina iyygeqe S. 263, über Mnasistratos Verhältniss $.262..— 2 88.1000 in T mite va, In der Nähe der Götterbilder рйесіеп Tische CH stehn, um. darauf, alle ‚möglichen, Opfergaben niederlegen zu können. ; Polyb. 4,35: ne sti. a бу, фонду... eL. ‚жї „ToansLerv, тїс Zeg KATAOMAYI VaL rovg. 2400005 donner, ,, Pausan. ER 40,.12: ual поспе napaxettot партодало» apen xai nepr prov. ИТҮ Lobeck. Agl.. p. 1084. Solch ein Tisch ist Rang. ant. hell. 799, 5 on. $ Curtius, inson. all. nuper. rep. duodecim p. 2j gemeint : inenen an 76 ёт- 200 0E08 йс. еа». nicht, pour. les. raf[raichissemens (Rang. p. 423). Etwas ver- schieden, sind. die Tische, . auf denen die, Weihgeschenke ‚aufgestellt sind, wie in dem Orakel ; Dem. Mid. 5.58, ‚Corp.; Inser. : 1570. a, A. Rang. 857, 32. 858, 10. 868, А1. Ein solcher . Tisch. stand , auch bei dem Bilde der Hagna an der Quelle; was die From- men. аш, Am. « darbringen . Цтоеладойо.; Soph. Triptol. frg. 550 N.), fällt nebst, den Banten der ; ‚Opferihiere, Мпаѕізігаіоѕ , anheim., „00% —.;tganelöyrı ist. wie дёоната Objekt . хоц. ДапВапёдо- Da Geld. "dng Coen, vgl. zu Z. 45) uud Weihgeschenke dem, was die. Opfernd en 100459901, entgegengesetzt werden, so ist unter letzterem Essbares zu Hist.- Philol. Classe. VIII. li ho 90 242 HERMANN SAUPPE, D iege Fere zer Федр. 6 дф iegevs xci oi eloo ёти еар. ёҳорта» TWS dinò rv diaépuv сбрад рата xaTacxevdguroi Tois Deos, d ар Tois 17 doédpoi dose. Ovcavgdr xaracxev|[z]s. oi ege xareoranuevo ёр 92 Фф > 96 тё пёртто na) пертухостф ёте EmipeAciav ExXovTw uerg ToU agxır&xrovos, TOS xavamuevas|[ 9 Ree Sacavgoi А910 дуо xXqxToí, xci хорат тбу ët Eva sis тбу vaóv TOv MeyaAwr Sav, tov dà &AXov тот} Td хорс, ër ш av TOpm]e deg? av rois: tc QaXais Ze, nai ётиЗёрто nigras, xai ToU piv таой TE хори ёхётш Tdv ётёрау xXdxa Mvaciorgaros, rdv 82 d|[r£g]av oi iegoí, ToU dà ёр тё раф: éxovrw Tdv xXdxe oi iegoí, xai dyoiwyovTo KAT ÈVIAVTÒV TOIS кеттш [ка rò éfnpiO un 9 iy. dut Qogor &£] | à Gerten TOU TREUEN Хооіѕ ygarbavres [eio leveyzavrw, @тоддуто dè xai MvaciorQdTo TÒ Yıröaevov avra] dui Qogor хоо) iv T[à | dila- 18 yours yEyganraı. Tepot deimvovi oi tego a0 т> Juparwv TOV Ф douívov iv TE aous? dQeXóvres а[Ф ] xtorov тё vonil| pe] то «075 [те Xo т xpéa хетт dara eis TO per deimvov were таў isQUV xci Ve Hr xai тар«АХа$бутш TOV. TE оў | [xai rer] оғар TOU verstehn. Wegen der Form n oo 170 рти vgl. vrar 7.85. — 2.92. oza0x«vood эти. vgl. zu Z. 85. — 7.93. «Aextoi S: жйшїито! З. Ebenso habe ich: 7. 94. 95 „draus und zweimal a2&x« für xAdixec und xAaix« geschrieben. Denn Theocr. 15, 33 g sief тйс теусдох пб Àgoraxos zeigt die Einsilbigkeit, während durch die Inschrift sowol das x als das г bezeugt werden, letzteres’ gegen die Ansicht von Ahrens d. dor. p. 94. 141. 242, dessen Erklärung wé E durch die Formen der Inschrift widerlegt wird. Man muss vielmehr eine doppelte Form, wie bei оос, annehmen (Ahrens p.243). Zu sigx:óc vgl die Formen b. Ahrens p.92. — ywgotuvtiw. vgl. 2. 37. — 7.94. regen» Blastos (iv тош» уоор ило» neva Tono. at Tı iyCyounto* таз di блат, ge dvotéQgu" tov Eva — 10» iior (93). K3. Ueber die dor. Form @tegog Ahrens d. dor. p. 114. In den Opferstock an der Quelle werden die Geld- ` spenden gelegt, von denen 7.89 die Rede war. — 7,96. wa Sac —. siehe Z, 89 f. — 2.97. iegov Óein vov. Herm. gottesd. АН. $. 28, 20 ff. — 2.99. i£gso v S: iegéav nlai vé v] iegear 3. &yvoc д} тут тотту ycygopipitigy idoriav тту zer Meyasov Aren xal 010 то®то dur negaitigo побо9уитс о? тагу! гузу. KI. Meineke wollte Hégsov val tv uehhiéyeai, indem er die seAlıegsezı des ephesischen Tempels ver- glich (Herm. gottesd, Alt. 66, 4). Aber die hier erwähnten priesterlichen Personen sind die, welche an dem Zuge theilnehmen (Z. 28 ff.), es kónnen also hier keine an- DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 243 ГА EI A ~ Kägveiov xai Муасістратор nai- тор Yuralza xai TAS *ytveds auto) xai тёр rexvırav tovs Asıl[rovgyyloavras [Ev Tas] xogeiais xai rdv unnge- айр TOUS Asırovpyodvras avos, xal eis Ta Аоте damavanıra ug mA eiov р. | ~ ~ e ` > , 00 dvdXcpa | [moieíc]9woar... doaxjdv. А уос. oi Zeg тото” ctmodei£avTo, (0 n ® , d e a Li ©з» -* , > > dy ш moa Oioerau ndvra. 0 dè ayopavömos 0 ёт! móXeos | [emilueAssar ixéTw, е < - ` ~ e ~ m ^ бто oi mXoUrTEs adoha xai xagagd mwAoürrı xal Ходутои стад pois xci , x A , ` ^ , =æ Р uérgois cevuQovos rori Ta дуибога, nali | uli тасоёто, тосоо de? Tra erv, 102 und xaipdv raccÉTo, итд} mQaccíru undeis tous тшАойутав тоб тотоо иу у, Toss db px mrw|XoUrras, wagas yéypanrtai, Tous uiv dovAovs pacTiyoUra, tovs dè éXsuS£govs бишойтш єїкосі дранай, xai TO xpiua ёст Em) tav iegQv.| [Пер] vdaTos. ёҳёто dè émipéXeiav ó dyoga- 20 vue xal теб} тоў дато, brws мато. тдр тав mavayuguos #góvov pyes vanor? unre | [тд т]Аўио ите ToUs OxsToUS тє dv Ti &ÀAÀo хата- deren als dort genannt sein. Daher müssen wir eine irrthümliche Wiederholung an- nehmen, wie bei den ZZ. 93 ff, sei тиу yvvaixa hab' ich aus dem ersten Abdruck aufgenommen, während die Worte in 2 und 3 fehlen. Schon die Kürze der Zeile beweist den Ausfall — yevsde. Bei den Späteren für eéxr«. Polyb. 20, 4: oí uiv уво terror — nolkoi di zur tar ёубутшу yereag anepégiğor —. Dionys. goy. 6, 84: didóvteg Univ OOpacva xci улусе x«l yerede 106 ёол Erizuge. Plutarch. Timol. 34: йөкле xal yeveac anodıduvag.— 7. 100. a 210ig. d.i. toic iegoic. — 2.101. n orei- 69000... $:.. OTZANTEZ 2. Année £u th eivegip pov ои ovi svAooutéa тейт norvoU reng ZE. na? боо» pakita бр énsotuAt not ў ueroyy OTXEANTEEX ой]! 5406447006, we agin, xai uerg 20 T сно ev vc xegaíav иа 9 тоу. К.З. Nach Blastos 54299405 0 Ardos iv doy xctd 179 @пболеоу vov." Die Zahl zë kann nicht richtig sein, der Betrag ist zu gering. norictwogv aber entspricht dem Sprach- gebrauch besser, als notov»rw, und auch den von Blastos, erkannten Zügen. War die Zahl EI]JKOX[7? — 0 dai nólsoc. Vgl $.249.— 7.103. тесоёто. Nach diesem Worte: 75009 xevóc £yow 10 отео? |.|. Blastos.— no«océzo 8: посоосто З. Dies lässt sich in keiner Weise rechtfertigen. лоаёсто aber darf nicht geschrieben werden, da in дег Inschrift nirgends der Imp. aor. steht, wenn eine Negation dabei ist. — 2:105. (702). Oder [Tov]? — кобот. So Kumanudes auch 2.171, dagegen zoóvov 2.196." Vgl. Ahrens d. dor.'p. 6%: — 2.106. 10 n à na К2:.. Hypa 3. Hesych. u. Photius ўи“ zg Ärger, Е. Curtius über griech. Quell- u. Brunneninschriften p.19 ver- wiüthet dasselbe und erklärt das Wort: Wasserreservoir, aus dem die Kanäle gespeist wur- den.— x«i yele dn ouoAU ti S: xui p[iver ха! нуд с a]noxwivs: vermuthet li 2 244 AV HERMANN SAUPPE| соі ЕТ iv Td 1600 йор ToU 20датоѕ, wai Ото, nadis av рер Әв 106 TO 08р, xai p[v| Seis ei тоноо, тоў&`Җошудёрдбув, dr dë Tuve .Хслд@рё& тоюбуто Ti TOV xexXvufrob, Tov uiv до®Аор uactiyourw, TOV 92 TEA EU. Gegor [Сарот | eios; дна, хы! TO XxgQiut ёттш émi TOV: iegor. 21:AXs/umarosaal Aovrpoü. O iyopavanos Аша» ёуётоо; бтов oi 108 S£Xorrés | [BaXaveve]o» ёж TOV tegar un merov mgasownTi TOUS Aovoué- vovs dvo ҳаћифр ai таёушут, mög sei рокоар EVxQaToy wai TOW wetane | operose ' 2105р EUXQaTOV, HAL 0105-0: ёудвЁ муо тӧр Слет Tüy mapoxav SG To dXemrígiov таи {3ш хой Enga xci (org то 10[АЛеф[о|иёро] хат" dpÉpay тд TETCQTUS eg Bue Zëdiuae" 000.05 . db рие dXtiQE£oSw. oi dë ‘еро Eydıdovrw. Tdv тироҳаіу rar: [EvA] eis 70] adsimragwv. dy дё Tis. rav éydeBauévor 3 1 Tv (jaXavíov vu? 112 70167, жа: dyéypam ai, TOV рё» дойА.ор: мастеуоуто 0: asyogityó [oss >т ov dë Zeg D egov башо?то xaO fxacrov adixnpa ғїкосі dpaxuais, xai TO 22 xpiua Foro ёті тор ëch, Zurioereg кут oi [9 | iegei óc] xa бия тшт: év тё mavayugei N xaTaxglyovti Twas, 'CÜPECIV. vevey tav To K2, doch scheint dafür der Raum nicht auszureichen.— 7.107. бе шоуто. S. 7. 1183. — 2.109. ga Aavsvstev. tò фура feàwsrveré jüvvo1o towe va iufÀyóy irravde, xa den 2401895 тбашў уоаниатору xevoc убоос vUv отиггоутигь K 2. Dies wird durch Z.112 € «óv faeàlevéow bestütigl. — ёи vov —. aus: den in dem heiligen Raume bestehenden Badeanstalten. Vgl. unten 8.255. — duo халяву». Ueber dies Trinkgeld an die Badewärter s. Becker Charikl. 3 p.74.— ndxgev. v0U10 тб бона $19: viv, буті 100 mgórego» NAATKP AN. kä ` Ueber die spätere Schreibung püxoc für ar stëe habe ich zu Philodemus я. zazor р: 25. gesprochen; sie ist also auch bei Philodemus zu lassen. — xevex4Avgoniro:c: Die Ergänzung scheint nothwendig zu sein: ist also an Sturzbäder eu denken? — 7 110. dern vi grow: 8: Becker Char. 8 p. 76 f. — 2. HI. xar. Vgl. Ahrens d. dor. p. 38 f, doch.Z. 113 tF Kxa010v.— Qao vsez&otaé —. Ohne Zweifel müssen wir uns unter: diesen фо: жштеп} 4—T die Mittagszeit, die heissesten Stunden, denken ; nach unserer Bezeichnungsweise etwa 10—2 Uhr. Damit stimmt überein, dass die sechste Stunde als die Badezeit angegeben wird: Becker Char. 1 p.363. -= гу 0196» vo S: éydi- doiytw 3. Vgl. 2.67. — 2. 113. sisoer до. vgl. 7. 19. 104, — saw tdc.. "Der Sinn muss sein Notis, Anzeige. Das Wort kommt aber sonst, so viel ich. weiss, nicht so vor. — oi Op [iroob Sole xa S: OH AI... AKA: A Der Sint scheint die gegebene Ergünzung и zu machen. Ап die Zehner darf man nicht TTR da DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. ` 245 eis тд novraretov': dyaspuaspdvro dé xai | [sis T]ov oiov tiv év zé Zeg, 114 oJs-dv- 2a TaXxQlPovri, wal ёт) moo doveri. Arts ура [olv ёҗ а, 23 тоб: dia y gd pra t ов. oi xa rev TG uÉvos |... äere урач tò didypappe, xa Das ар: доніс еї, дут reis;vonodeieras dvrfygaQur" oi d Außörres &mideizvvóvro т | [xost]ev: #хбут. хи} ёр тоў jo TUWQíoiS CUVAEITOUC- 116 yontu: rois iegois жаі d: wagv& vol aukyras xai pertis sai аоҳитёхтор\ Шері T és. warjeoraosos тор dëse, oi дашоруо! ToU ёхтоо unvös 24 vá dudexdTq тод ToU Ty sain [10и іерар | [х=] T&v iega ре Зол, 118 darodévr[w] | тё ddp xeigoro|víav; бтїш$ хатаста |с: Ze таутол Ta | aowrür dixa; un Frewlr)egous ётор | [rleceagcovra, | uv|[0]3 dis rovs 125 avrous | [тб]: @йтбр -éviavrov. [x]o[r]|ew Qegóvros dë oi т[е] | @одорт&$ — xul тёр | 4AXwv Z SÉ, sic |Q£govrss ZE av sé|ygamros rovs iegovs | х№аообс dus" rovs -dè {-хатаста9&ртаѕ öplmerrw 6 yg iT evs, |: Tv 136 сорёђбов «àv: | бохор , ov o £egoi | ouyvorri. &ҳбрто 0b oi [а таста dÉvr&s тїсї! sie, sondern die Hieroi das Gericht haben, — 7.114. 14 2: 7; 3. — 7,115. Alban Wol ein Gebüude, in welchem die Hieroi ihre Versammlungen hielten, das Amihaus der Hieroi.— Z. 116. 2v t} gënt той 116 oriyov avti ушооъ XevoU тош» yoaupatov, &9a yo eiya отит Ar oet poro»* o]ove, vor rusorein pot ушоое EE уоат шато». "Тоос Aermóv ovpniyowtiov® «viges (Лоте. K3. Das wäre gegen allen Gebrauch: wahrscheinlich: ist eine Zahl ausgefallen, 2. В. д: д00.-— тонодеіхтегс: Das bisher unbekaniüte Wort wird gesichert durch das folgende éudsiuvvoyto. — 2.117. wet èv toic —. Diese Bestimmung ist sonderbar genug hier i hinzugefügt, wo sie mit dem unmittelbar Vorhergehenden:in gar keiner Verbindung steht. : Ueber die Beamten selbst vgl. 8:255. — 7.118. noi rag habe ich hinzugefügt, da das Vorhergehende vollstándig gu sein schien, дорго руої: 8. .8:249.— ZU. sei var iega v: Mit diesen Worten beginnt die schmale: Seite. des ersten: Steines. Die Schrift der. Schmalseiten ist erst durch den dritten Abdruck bekannt geworden. Eigenthümlich ist die Kürze: des Ausdrucks: ó xeroóg тоу Zeggin für тс 09000206 vov icour. — 2.127. uz 0i dis —. Da die Mysterienfeier пиг einmal im Jahre statt fand, so kann das nur heissen, dass die, welche in demselben Jahre Zehner gewesen waren, nicht bei der bald nach dem Weihefest folgenden Wahl für das nächste Jahr wieder vorgeschlagen werden sollten. — 4.128. пот EtOpEQO TTO Vgl Z.46. Die Präposition soti: bezieht sich. darauf, dass die Beamten und: Privaten: їп Verbindung mit den Demiurgen die. Vorsenláge machten. — Z. 132. yeyoanraı. Am Anfang unserer Inschrift. fehlen ohne Zweifel mehrere. Paragraphen : vgl 5. 226. — Z. 138. $»-ei:i4ook. Vgl. Bei , 246 Ä HERMANN SAUPPE, mılufAsıav repi mav|rov, cv dei èv то: mvlerngios сортећеїс | Sai, xai 145 Poovrıgovru, | бсш» geld oTi eis | rò ётитећеїс Зах Td | uuergee, mgo- yoa|Qóvro д} ёж rav ie|gov хе! Qa(3dofégovs | zoue euvderwrarovs|, биойш$ д2 xai шоста |=роотуоуѕ" tovs дё aur|Assrovpynoovras | peta Mraciorga|[1]ov 155.7 90ygetQóvrw , ar [ri]vas evpionwvri ev|-Oérovc vrragxorras,| xai TOV jud бутор ie|Qv" xal oi тосураФёх|теѕ nesFapxovvrw | xci émireXovvra, 0 av | argosyoa QiüvTi^ rov дё | un тоюйута хатаж [суто Sieg dga (Exu etis 165 acti Гуран [ror] eis TOUS тоћецаф | ҳоз. ei д2 jede ogor-| uto Tiyovvt оз, ovs х= | oi vest X&AXEUwYTI. | ei д2 xaracraOÉv|res dena жрорбуто. | АС... Т.|[а›] 912 xpsía & mellei wos dofie Auer Iocllne 9an 175 съразубуто | oi дёха marras rovs | [;]egoUs xai wagas zez | mAsıövos däer émiT[e]| Аі: diw] Qogovrrw д2 oi | [d]éxaæ év rois иостио 016 ттобфюу 25 mopQvosor.| "А ураФфор. ei dé Tiwa | aypapa Zon ѓу To 01| аусациаті 185 тот} talr} | TOv. pvotngiwv xai | тар 9vci&r сорт ће |ар, BovXevécOwcarv oli | alvveden, мї uerax[i] votrres ёт! xara[Xv]|ce: TGv pvo TgQiov Las 93v [T2]v xard ro )[a]|ygaupa. ei de uh, то [uiv] | ygaQiy. стем ёсто), | 195 T0 02 haypanpa gelon ёттш Eis тарта TOV | xgoror. 7. 144. роо>ти$ буто S: qgoritoovso З. — 7.161. 6 с»у nooyoeynrrı, neml. imatsisiy. Ueber nooyeapyvrı vgl zu Z.85.— 2.106. eig tovs zeien, Die Zehner halten die, welche sie zu einer Busse von 20 Dr. verurtheilt hatten, den Pole- marchen anzuzeigen, die das Geld dann eintrieben. "Vgl. S. 250. — 7.167. oi 02 берд. Vgl 7. 41 ff. — In Z. 172 sind nur wenige Buchstaben erhalten, aber auch in 7.171 ist zoovov schwerlich für zéien zu nehmen (vgl.Z.105), sondern wahrscheinlich stand ein Imperativus da. Der Sinn der beiden Zeilen muss etwa der gewesen sein: die Zehner sollen alles von sich aus ordnen, wenn aber etwas der Bera- thung zu bedürfen scheint, die sümmilichen Hieroi zu einer Versammlung berufen, also etwa: oí 02 xovuoGtaÓivisc dena v«oc0v10 (oder хратоууто, xQuivovco?) ndvra de &avrav.— 1. ҮТЗ (Schmalseite des zweiten Steines}. С» di y osíe ei S: .:21...... 3.— 2. 114. dta BovÀiov yivso 9 аг Кт 4IMOOY AIONINEZO АГ. Blastos Ab- schrift. Vgl. Polyb. 23, 12: Adr ро megi ovppiayioc Z noAcpov den yiyreoOut dre- BovAwvw. Vischer epigr. u: ärchäol. Beitr. p.35. Absichtlich habe ich во häufig Belege aus Polybius angeführt, um auf die Uebereinstimmung im Sprachgebrauch hinzuweisen und auch so einen Anhalt für die Zeiibestimmung zu mtn Das Gleiche thut Vischer p. 31 in Bezug auf die Inschrift aus Thuria. — 7.176. navz«c шет аа Blastos Abschrift. — 8.178. 622,5: óg 4: 3. — 7.191. or K” теъ Blastos Abschrift. DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 247 Wir gewinnen zunächst durch diese Inschrift einen Einblick in das Ge- meinwesen von Andania.. Als der messenische Staat neu begründet wurde, war die Absicht. Messenien zu einem einzigen Gemeinwesen, Messene zur Hauptstadt desselben zu machen. So wird Messenien noch als Ganzes behandelt, als Flamininus 191 v. Chr. den Eintritt desselben in den achäischen Bund anordnete: Liv. 36, 31. Als aber Lykortas, Polybios Vater, der Strateg der Achüer, im J. 181 sich des abgefallenen Messenes wieder bemächtigt hatte und die Messenier sich dem achäischen Bunde von neuem anzuschliessen nóthigte, wur- den Abea; Thuria und Pharae von der messenischen Syntelie getrennt und als selbständige Staaten in den Bund aufgenommen. Polyb. 25, 1: х Ò 'Aëie хаў Oovoía ха) Фара! xard TO» xaigòv Toürov amo ër тӯѕ Meocnens ёхооісЭтсау, idiay д} Sutra, сттАлр ёхасти mereige Tis xowis dum- mohirelas: Als dann im J. 146 L. Mummius mit den zehn aus Rom gesen- deten Kommissären die: Angelegenheiten Griechenlands ordnete, wurden die landschaftlichen. Bundesstaaten, wie der achüische, phokische, boeotische und andere sämmtlich aufgehoben. Paus. 7. 16, 9: сор дри те хата É9vos Td ixdcrav, Awxmidv xal rò ёр Danevow € Вокотої т éríQeOí mov TAS БАА дос, x&TEAÉAvTO uos тарти. Höchst wahrscheinlich wurden durch diese Verfügung auch die übrigen messenischen Städte zu unabhängigen Staa- ten, wie es die drei oben genannten Städte Messeniens durch Lykortas und wie es 24 Küstenstädte in’ Lakonien, die späteren Städte der Eleutherolako- nen, schon durch Flamininus: кан waren (Hertzberg, de rebus Graec. inde ab achaiei foed. interitu p. 25). бо bestanden später in allen Theilen Griechenlands eine Menge kleiner und unbedeutender Stadtgebiete als souve- räne Staaten. Die, für welche bestimmte Zeugnisse damals vorlagen, hat E. Kuhn in seinen Beiträgen zur Verfassung des. römischen Reichs S. 124 ff. mit grossem Fleiss zusammengestellt, darunter die messenischen Abea, Mes- sene, Korone; Kolonà, Asine, Methone; Pylos, Kyparissia (vgl. Tittmann griech. Staatsverfassungen p. 370. Curtius Pelop. 2 p. 193 f), und seitdem sind durch Inschriften viele andere hinzugekommen, z. B. Thuria іп Messenien. Die griechische Geschichte halte ihren Kreislauf vollendet. ` Jener -unwider- stehliche Bildnersinn, der sie zur Gestaltung selbständiger, wenn auch noch so kleiner Slaatsganzen trieb, ‘die spröde Unabhängigkeitsliebe, die sie jede ^ 245 415507 HERMANN: SAUPPE; м : Unterordnung ‚schwer. empfinden. liess, hatten; our ‚äusserst wenige „grössere . wirklieh einheitliche Staaten, vie den attischen; ` meist. nur mehr, oder ‚minder lockere 'Städtebünde entstehn . шой sp lange. ‚dauern, lassen, als. regeres Leben irgend welchen gemeinsamen Gedanken: zur Seele ‚eines ‚Bundes. «zu machen. Kraft: batte. ` Als dies dehon: ,erlosch;, . Rachel бари An seine Elemente... 1 inii e réie, ‚solch‘; ein. небы шын: -Stadigebiel sepes wir. жен маре ou. denken, Nach Steph. Byz. u. d. WW. halte‘) einst ganz Messenien: so gé- heissen, aber mëi Reeht „bezieht. dies „Curtius Pelop:: 3 pn. 189 nur auf ‚die obere Ebene Messeniens, ` die ‚später de Stenyklarische: genannt wurde, und auf die Zeit. als.Andania noch.der.Künigssitz des,Polykaon und. seiner Nache kommen war. Wahrscheinlich jedoch gebórte. auch in: der. Zeit, von cder. wir sprechen ,. ein Theil. der ‚umliegenden. Ebene zu idem ‚Stadtgebiete,. In. ‚der Inschrift..also wird- moss 2.66, d däëuge Z. A0 u. 124 genannt: diesem sieht. die: Wahl der Beamten zu, welche die Mysterienfeier ..leiten,... Wir sehn. daraus, dass die ‚Volksgemeinde die „eigentliche: Gewalt- besass; de Ver- дард ge, demokratische. war. „Ап der; Spitze, der„Verwallung зіалі, ein Rath, i уероитд. Ж. A7. Die. vollziehenden. Beamten. heissen. allgemein 10; genres 2. 46:08. 130, und bildeten wohl als :solche! nach. dem, was sie zu thun ‚angewiesen; werden, гей. Ganzes, «ein. Kollegium, wie auch. in andern Staaten desse Gei? dJëueg als drei Potenzen: neben. einander: vorkommen, wahrend. deier) sonst ‚häufig in. onen Дай суроо! Oder iti одра xau, das Beamten ium. oder die Beamtenkollegien, ‚genannt sind (Vischer, Epigr. „archäol. ‚Бейка aus. Griechenland. 8. 14, f; Deen. Staatsalt. a gie Beson+ ders. genannt, werden. in unserer: Inschrift. Z. 118 одо шйоозуо! ToU: £xTov. umvos und .Z. 166.04, тол. шорох, Ierger A attyopervopios so ët ітоћеов 23 101, 109. 108; 112,6 rawiası „91. 88.56. 59. 60,61. DÄ und o cgyvoocxorros: 2. 48, dann oi vopodent ras. 2:116. Ausserdem. ist. noch. Z..91.488 von согедоо; de Rede, Z. 1, 136 von dem. Leien тй». прибрана und. 2.4817. heisst 65, Zu mávgoi ër zë жөп ‚cUnvom itap: aur&dgwe у endlich 2..98 f... oi. dgxovres жш} oi praet Auch. gehört Merher dës 3. 114 eswalaie тутду, „репи. die ‚auyedgo, sind. nicht. ein... Beamtenkollegium, | die, Mitglieder. дев. Rathes, ‚also, (лл Anik der. yegeunáa. ` ‚Бо. kom- DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS .ANDANIA. 249 men ungefähr in derselben Zeit oj cvvedgo; in dem messenischen Thuria vor (Inschrift bei Vischer, a.a. 0. p. 30. 32), ot ovvedgos xai 0 danos zu Eretria (Rangabé antiqu. hell.:689, 28) und ebenda тд cvvédpiov (2. 63), zu Aegina cvedpo: жа} d дио (Corp. Inscr. gr. 2140. а, 2. 23), zu Dyme ois ctgxovei xal cvvídgos xui тё woher (Corp. Inscr. 1548, 3), zu Akrüphia іп Boeotien 2доЁеу rols Te doxovoi xai сорёдоо xal тё диро (С. Inser. 1625, 41. 71. Vgl. Keil inseript. boeot. 33, 6 p. 133. Boeckh C. Inscr. 1 p. 730), zu Orcho- menos in Воеойеп dedo Aa: rots соў доо жой TQ dduw (Keil inser. boeot, IV. b, 2. 14 = Rangabé ant. hell: 703). ' Und so sagt Livius 45. 32, dass den Makedoniern durch Aemilius Paullus und die zehn Kommissare der Römer befohlen worden sei: senatores, quos synedros vocant, legendos esse. Welchen Wirkungskreis eigentlich die dæpogyo? gehabt, ist ungewiss. Sie kommen in vielen Staaten des Peloponneses vor, in Mantinea, Elis, Korinth, bei den Achäern (Kortüm, Zur Gesch. hell. Staatsverf. S. 91. 133. Müller, Dorier 2 p. 141, Boeckh C.L 1 p.11), in Hermione (C.1. 1193), ferner in den lokrischen Stüdten Chaleion und Oeanthea (Alte lokr. Inschrift von Cha- leion. ^Herausg. von L. Ross р. 18 = Rangabé ant. hel. 2 p. 8), in dem megarischen Aegosthenae (Rangabé 2 p. 301. 704, 19), ebenso ein dywsoupyös in Aegion (CL 1567), in Knidos (C. L 2653. 2654), auf Nisyros (Ross. inscr. gr. ined. 2, 166), in Petilia (C. L 4), endlich ётдлшоъруо? in Potidaea (Thuc. 1, 56). Wenn aber die Grammatiker sie als coxorres maga той Aweıedew (Hesych. s.v.) oder oj тері ra TíA« (Etymol. M. 265, 46) er- klären, so ist das offenbar unrichtig. Denn bei Thukydides 5, 47 werden in Elte ei dnpiovoyoi xal oi rd TÉA* ёҳортеѕ neben einander gestellt, auch in unserer Inschrift fallen sie- offenbar nicht mit den Z. 46. 58. 130 allgemein angeführten Zoxorres zusammen, sondern sind entweder nur eine einzelne Art von Beamten oder ganz von ihnen zu trennen. Und wenn man erwägt, dass sie Thuk. 5, 47 mit den Prytanen -zu Athen parallel stehn, dass sie bei den Achäern die Leitung der Bundesversammlungen hatten, dass in unserer Inschrift, in ibr zuerst und allein, so viel ich weiss, der Zusalz той &xrov unvos beigefügt wird, dass der Vorsitzende der Prytanen auch anderwárts Eponymos ist, wie d óxuuovgyós, d.i. der Vorsitzende der Demiurgen, in den angeführten Orten, so ist die Vermuthung gerechtfertigt, dass wir unter Hisi.- Philol. Classe. ҮШ. Kk 250 HERMANN SAUPPE, ihnen einen Vollziehungsausschuss des Verwaltungsrathes zu denken haben, dessen Mitglieder in verschiedener Zahl und auf verschiedene Zeitdauer ge- wählt werden konnten, in Andania aber monatlich wechselten. ` Diese Erklä- rung passt in allen vorliegenden Fällen. — Von den Beamten im engern Sinne ist der Schatzmeister von selbst verständlich, 0 dgyvpooxomos, der Münz- schauer, wohl nur in untergeordneter Stellung, da er den für die Mysterien- feier ernannten Finanzbeamten an die Hand gehn soll. Ueber den SmineNnris, der ebenfalls hierher zu gehören scheint, s. S. 251. — Der Zusatz o ёт? riese, in der Stadt (vgl. Boeckh zu C. L 1625, 44 p.792), bei dem dyopavönos zeigt, dass es auch solche Polizeimeister ausserhalb der Stadt, also in den zu Andania gehörigen Landbezirken, gegeben habe. Die zoXéuagxo:, ur- sprünglich mit der Sorge für das Kriegswesen betraut, waren wie in Athen, so in vielen andern Staaten, in denen wir sie finden, in und ausserhalb des Peloponneses, im Laufe der Zeit eine Behórde geworden, denen mancherlei Zweige der Verwaltung anvertraut waren (Vischer, epigr. u. arch. Beitr. p.32). Wie in Andania, so wurden auch in Thuria gewisse Zahlungen von ihnen angenommen oder eingetrieben (Inschr. b. Vischer a. a. 0.). Neu ist die Behörde der vopods;xrca;, die wahrscheinlich den SecuoQuAaxss und vonoßvAcxes anderer Staaten entsprechen. Also Volksversammlung, Rath oder Synedroi mit wechselnden Demiurgen an der Spitze, und eine Reihe von Beamten. Auch auf die Glitdorang, des Volkes lässt sich aus einer Andeutung der Inschrift schliessen. Z.7 wird der Schreiber des Rathes angewiesen, wenn einer der durch das Los erwählten Hieroi den vorgeschriebenen Eid nicht leisten wolle, denselben um 1000 Drachmen zu strafen und an seiner Stelle einen andern £x таз auras Фолс zu losen. Міг müssen also wohl an- nehmen, dass die drei alten dorischen Phylen der Hylleis, Dymanes und Pamphyloi damals noch in Andania fortbestanden, dass aber neben ihnen, wie in allen Staaten, in welchen sich die Dorier nicht streng von den früheren Landeseinwohnern abgeschlossen hatten (vgl. Müller, Dor. 2 S. 75 ff.), auch noch eine oder mehrere andere vorhanden waren!). Im Gegensatz zu dieser 1) So sind neuerdings durch eine Inschrift aus Thuria die Phylen Daiphontis und — Aristomachis bekannt geworden: К. Keil im Rh. Mus. 14 p. 528. DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 251 Wahl. der Hieroi nach den Phylen. wird Z. 123 angeordnet, dass die Zehn- männer, von denen sogleich die Rede sein wird, Ze портоор тоу томтау gewählt: werden sollen, wie dieser Gegensatz ¿É тутш» und xard QvAds bei Wahlen auch in Athen und anderwärts vorkommt. Bei der Aehnlichkeit der andanischen Feier mit den Karneen bieten die Kapveira, zu Sparta eine treffende Analogie, die nach Hesychius mévre аф” ёхастиѕ QuA$s (dies Wort hat Р. Castellanus im &oproAöysov richtig ergänzt) ёл тєтойєтїаў Aer, rovpyouv. Wenn nun schon (die : sorgfältige und eine grosse Anzahl von Personen umfassende Gliederung der Staatsverfassung in einem so kleinen Gemeinwesen auffällt, so steigt die Verwunderung, sobald wir die Menge der Personen in Betracht ziehn, die nach der Inschrift‘ für die Mysterienfeier thälig waren und zu diesem Zwecke besonders ‘gewählt wurden, | Zuerst wird Z. 49. und 50 0 äripeAyris genannt und man ist versucht anzunehmen, dass dieser ein mit der Leitung. der ganzen Feier beauftragler Kommissär gewesen sei, wie in Athen emipeAyral TOV иистиоіюу und anderer Feste erwähnt werden (Herm. Staatsalt. d. бг. $. 150, 1). Aber die Bezie- hung, in welcher allein der ZmıueAyrajs vorkommt, «dass an ihn. eine Ueber- sicht über gewisse Einnahmen und. Ausgaben eingereicht. werden soll, und der Umstand, dass vielmehr die Zehnmänner als die eigentlichen Leiter der Feier genannt. werden, beweisen, dass dieser &mıueAyras ein ständiger Staats- beamter war, der.wol eine Oberaufsicht über die Staatskasse hatte, während der Schatzmeister (тех) mehr das Mechanische der Einnahme und Ausgabe ` Also die oberste Leitung: der ganzen Feier hatten de Zehnmünner, “ Jéxa, die nach Vorschlägen der Beamten und. jedes beliebigen anderen Bürgers von dem Volke: ernannt. wurden. .Sie wurden. zwar nicht nach Stämmen, sondern aus allen Bürgern gewählt ,. aber doch nur aus der Klasse oder den Klassen derjenigen y welchen die Hieroi angehören mussten (Z. 118 Л). Sie leisten dann. denselben Eid, den nach 7. 18 die герої schwóren (Z. 115) und sollen: die Fürsorge über Alles haben, was zu den Mysterien gehört. (2. 140). Sie sind аһЬө/ auch oi ezireAoüyrés Td: nvoragia, die Z. 41 f. genannt wer- den, wie eine Vergleichung von Z. 41 (oí Qm9dofógoi) mev9agxovvra тої Kk 2 252 HERMANN SAUPPE, inıreXovvraus Td verdee mit Z. 167 oj d} Ze defteg: naorıyovorw 005 ха oi dixe xehevwrri deutlich zeigt. ^ Eine purpurne Binde zeichnete. sie während der Feier aus: Z. 179 f, “Aber micht unumsehrünkt. ist ihre Macht- vollkommenheit, sondern sie stehen nur an der Spitze. der Hieroi, die Шей wie ein Rath, theils wie ausführende Gehülfen ihnen beigegeben sind. ` Nach Z. 175 müssen die Zehümänner bet allen Dingen; über die eine Berathung nöthig: ist,- die also. nicht für immer feststehen, eine Versammlung der Hieroi berufen, und die Mehrheit derselben entscheidet. Wer sind nun die Hieroi, die Heiligen ? So viel ich weiss, kommt der Name sonst nirgends so vor. Leider fehlt jetzt am Anfang der Inschrift -die Z. 189}. angedeutete Bestimmung über die Bedingungen, welchen die genügen mussten, die unter die /egoj aufgenommen sein wollten (2 av yéypantas ToUs iegoUs хАаройс Эг). Was: wir aus dem erhaltenen Theil der Inschrift erkennen; ist Folgendes. ` Die Wahl‘ erfolgte durch do Los: 2. 6 х=} &AAor diri tovtov xAaguodTu ix rds айтйв QuXds. 2.132 Ё шу уёүралттон тоў ispo)s aAcgoUcO'u.. .Geleitet wurde‘ die ‘Losung ohne Zweifel durch den Schreiber des Rathes, da derselbe sonst schwerlich statt. dessen ; der den Eid verweigert, einen andern auslosen- könnte: Wie Z. 6: zeigt, lag die Ein- theilung nach Phylen zum Grunde und ohne: Zweifel wurde aus. jeder Phyle die gleiche Zahl ausgelost. -Dass nicht alle Genossen 'einer-Phyle an dem Lo- sen "Theil zu nehmen: berechtigt: waren, zeigt 2. 132, da de Zehnmánner. aus dem Kreis derselben Bürger gewählt werden sollen; aus denen die Hieroi durch das: Los gefunden werden. ` Welche Eigenschaften die geforderten waren, eine gewisse Hóhe des Vermógens, oder der Nachweis reiner Bürgerabkunft durch eine bestimmte‘ Anzahl von Geschlechtern hindurch, wissen wir. nicht. Ohne: Zweifel mussten sie eingeweiht sein, da sie sonst. die strenge Erfüllung aller Gebräuche nicht zu überwachen vermocht ‘hätten, «und шап darf 2: 13 ff. nicht "so: verstehen, als: ob. sie von den reXoúvuevor unterschieden werden sollten; unter den Geweihten haben die: heiligen Frauen vor solchen, die ез nicht sind, in der Kleidung etwas. voraus (Z. 17 fl.). Ob die, welche losen wollten, sich dazu meldeten oder ob alle Berechtigten an dem Losen theilnah. men, ist zweifelhaft. Man könnte das Erstere meinen, da die. Würde jeden- falls eine höchst ehrenvolle.war, und die Analogie solcher. Meldung: bei den DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 253 durch das Los gewählten Würdenträgern zu Athen heranziehen, aber dennoch spricht: Z. 6 f. mehr für das Zweite. Da. hier der Schreiber der Synedroi ohne Weiteres angewiesen wird an die Stelle dessen, der den Eid weigert, aus derselben Phyle. einen andern auszulosen, ‘so lässt sich ап vorausge- gangene Meldung weder in diesem Falle noch bei dem Losen der Andern denken. Auch über die Zahl findet sich jetzt іп der Inschrift nichts: dass sie aber eine bedeutende: gewesen sei, folgt aus der Zahl der zwanzig Stabtrüger (Qa8dopogoi) , die aus ihnen von den Zehnmünnern gewählt werden: Z. 41. 449. Und nach Z. 151. werden ausserdem aus ihnen auch noch Mystagogen gewühlt. Die Dauer ihrer Würde war ein Jahr: denn Z. 10 f. werden die im J. 55 gewählten denen, die zur Zeit der Aufstellung der Inschrift Hieroi waren, entge- gengesetzt, Z. 12 werden Zero Tac ToO уте, Nachfolger, erwähnt, nach Z, 118 ff. sollen die Demiurgen des 6.Monats am ‚zwölften Tage vor der Wahl der Hieroi die- Wahl der Zehnmänner einleiten und nach 7. 128 diese Zehner nicht zwei- mal in demselben Jahre.gewühlt. werden. Ueberhaupt würde, wenn die Sorge derselben sich über «eine Reihe von Jahren erstreckt hätte, ein Zusalz, wie in jedem Jahre, so oft die Mysterienfeier wiederkehrt, sicher nicht fehlen. Wenn éinmal, Z. 75, xaT &viaurov beigefügt ist, so soll das nur hervorheben, dass die dort genannten Musiker jedes Jahr von den neuen Hieroi neu ge- wühlt werden müssen. ` Sobald die Hieroi durch das Los bestimmt. waren, würden sie durch. den Schreiber der Synedroi unter feierlichen Gebräuchen vereidigt:. Z> £l. Nach dem Inhalt des Eides haben sie darüber zu wachen, dass die Mysterienfeier würdig und. ganz den Ordnungen gemäss begangen werde.: Sie vereidigen den Priester, die Hierae, d. і. die heiligen Frauen (Z.5f.), fseher, | 50 (2. 26 Ё), sie haben die heiligen Schrif- [КСЛ und den Frauenauj $ ten und Gerüthschaften in Gewahrsam und Aufsicht (Z. 11 i£), sie sorgen für die: Opferthiere, indem sie die Lieferung an die Mindestfordernden verdingen oder, wenn diese nicht. Wort halten oder ungenügende Thiere liefern, diesel- ben: selbst :herbeischaffen (2: 66), ebenso verdingen sie die Lieferung. des Holzes für die Báder (Z. 111), sie bestimmen die Grenzen des Asyls für flüehtige Sclaven (Z. 82), sie grenzen den Raum für die Zelte der Festtheil- nehmer: ah und treffen die Bestimmungen über die Beschaffenheit dieser Zelte 254 HERMANN SAUPPE, (Z.34), sie stecken einen Platz für den Marktverkehr ab (Z. 101), sie sorgen für Aufstellung zweier Opferstócke (Z. 92) und die Ansammlung von Weih- geschenken (2. 90#.), sie haben die Schlüssel zu den Opferstócken (Ж. 94 f.), sie wählen geschickte Flótenblüser und Zitherspieler. aus (Z. 75), sie setzen die Kleidung und. den Schmuck fest, welche die Einzelnen bei dem Feste zu tragen und nicht zu tragen haben (Z. 14 f. 25), so weit nicht in der Fest- verordnung selbst schon Bestimmungen darüber getroffen sind, sie veranstalten das Festmahl (Z. 97 Е). Ferner haben sie über alle Vergehen und Ueberire- tungen, die bei dem Feste oder bei den mit demselben in Verbindung. stehen- den Verrichtungen vorkommen, Recht zu sprechen (Z. 44. 52. 64. 78. 81. 104. 108. 113). Sie erkennen dabei Geldbussen und: körperliche Strafen, und die zwanzig Stabträger, die aus ihnen gewählt: sind, vollziehen. die lelzteren (2.40..43. 167). Von dem, was sie gethan und erkannt. sollen sie schrift- liche Anzeige in das Prytaneion machen und die irgendwie von ihnen Bestraf- ten auch im Heiligthum aufzeichnen (2: 114 f.). ^ Aber: sie thun. dies. alles unter der Leitung der Zehnmänner, denen sie, wie ich: früher zeigte, theils als Rath theils als ausführende Gehülfen zur Seite stehen und deren Anord- nungen sie sich zu fügen haben (Z. 32. 146. 169 ). Neben den Hieroi wurden, wie schon erwähnt worden ist, auch segai, heilige Frauen,‘ durch das Los bestimmt (Z. 10. 119), und zwar sowol ver- heirathete, yuvaixes, als Mädchen, тате oder то9о: (Ж. 19. 29. 32. 98). In den beiden letzteren Stellen heisst. es jegai xai торро, so dass hier ера; in engerem Sinne nur die verheiratheten sind. . Sie leisten denselben Eid, wie die Hieroi (Z. 8), nur dass die verheiratheten auch ihre eheliche Treue beschwören müssen (Z.8), aber sie werden nicht von dem Schreiber der Synedroi, sondern von dem Priester und den Hieroi : vereideb (2:7 Ё). Die, welche den Eid nicht leisten will, wird um 1000 Drachmen gebüsst und kann weder Hiera sein noch an den Mysterien:theilnehmen (2.9). . Sie stehen dann unter der Aufsicht und Leitung eines zu diesem Zweck gewählten yw- varıxovcuos, Frauenaufsehers, der von den Hieroi . vereidet wird (Z.206 ff.) und besonders die Kleidung der Hierae zu beaufsichtigen- (2.25 f. 27) und ihre Ordnung in dem Festzuge durch das Los zu“ bestimmen‘ hat (2. 32). "Auch DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 255 an dem Festmahl nehmen sie Theil (Z. 98). Hieroi und Hierae tragen Kopf- binden von weissem 'Wollenzeug (Z. 13). : | Ausserdem kommen als Beamte, welche besonders für die Feier gewählt werden, ferner noch o туте, die Fünfmünner, vor (Z. 46 f.) Sie haben alle Gelder; die von den an der Feier theilnehmenden irgendwie -zu ent- richten sind, einzunehmen und zu erheben, die wührend der Feier und für die Feier nöthigen Ausgaben zù bestreiten, dann dem Rath und Volk Rechenschaft abzulegen und den Kassenüberschuss an den Schatzmeister (теши) der Stadt zu überantworten.. Ihre Aufgabe war beschwerlich und verantwortlich genug: wenn ihnen irgend eine Veruntreuung nachgewiesen wurde, mussten sie das Doppelte. des Beirags und. ausserdem 1000 Drachmen Busse zahlen. Daher dürfen nur solche gewählt werden; die mindestens auf éin Talent eingeschätzt sind (Z. 46). Die Wahl erfolgt durch das Volk auf einen Vorschlag der ge- sammten Beamten, und der Rath ist angewiesen bei den Namen der Erwühlten die Schatzung derselben. beizuschreiben und ebenso die Schatzung derer, welche die Vorschláge gemacht haben, doch wol um auf sie zurückzugreifen, wenn einer der Fünfmänner nicht selbst Genüge zu leisten angehalten werden kónnte. Auf ein sehr grosses Mass von Treu. und Glauben in Geldsachen lässt diese ausserordentliche Vorsicht nicht schliessen. Dass der Münzschauer, atg*yvgo- сибтос der Stadt ihnen angewiesen ist an die Hand zu gehn (Z. 48), sahn wir schon. Der dywroS9írgs und jepofurzs, die nur bei Gelegenheit der Stelle er- wühnt- werden, die ihnen in dem feierlichen Zuge zukommt (7.29), sind wol: ständige Beamte der Stadt, die kraft dieser ihrer Stellung bei dem Feste in Thätigkeit sind. der eine um mit demselben verbundene Wettspiele zu leiten, der andere theils im Namen des Staates als eines Ganzen zu opfern theils die dem: Staate als dem Ganzen zukommende Oberaufsicht über die bei den öf- fentlichen Festen ‘vorkommenden Opfer auszuüben. Ein ayavogerns kommt in ähnlicher Weise zu Messene vor С. I. 1297 und zu Sparta С. I. 1345. Auch: in-Athen findet sich ein. solcher С. I. 225. 226, eine dyavogesie тар HaraSavaícoy ebendaselbst bei Rangabé antiqu. hell. 812 Z.9. Vgl Lucian. Nigrin. 14. ` Aber jene Inschriften 225 und 226 gehören іп das J. 271 v. Chr. und. nicht: alter ist“ die dritte. Früher- werden @уоро ёта zu Athen in 256 HERMANN SAUPPE, officieller Sprache, als Beamte, nicht genannt, sondern der attische Ausdruck dafür in der Zeit der Blüthe ist «Ао таг (Herm. Staatsalt.: $. 150, 3). Für diese officielle: Sprache gilt also die Bemerkung: der Atticisten, wie Moeris: d9Xo9 trac Arrix, d'yovoSérge "EXXwes. Dagegen beweisen die Ak- tenstücke bei Demosthenes 18 $. 84: 116. 118 «nichts, sondern das Vorkom- men der erop äira ist nur ein weiterer Grund gegen ihre Aechtheit. Eben- sowenig beweist der tropische Ausdruck des Aeschines З $. 180 für die offi- cielle Sprache. — Ueber die Stellung des jegogurys genügt es auf Hermann gottesd. Alt. $. 11, 10. W. Vischers epigr. und archäol. Beiträge aus Griech. p. 18 f. und Schömann gr. Alt. 2 p. 369 ff. zu verweisen. ` Ihre: Anführungen beweisen, dass gerade in Messenien diese Würde in mehreren ‚Städten vorkam. Ständige Staatsbeamte muss man sich auch denken, wenn 2.117 0 x&pvÉ xai аб\утох ха) udwtis жи! dpxireurwv besonders angewiesen werden den Hieroi während der Mysterienfeier Hülfe zu leisten. So kommen in einer Inschrift von Sparta unter den von Staatswegen Gespeisten Z. 12 ff. nach einander vor Ayuoxgerys napv&, Evxgarns navrıs, Kaxdırgaras onge, Nixavdgidas ziSapi rds, Aupoxgärns dexirentwv; auch sámmtlich- Staats- beamte: K. Keil, Zwei griech. Insehr. aus “Sparta: und бүшеїөп 8.9. 19. Andere Beispiele-eines Staatsbaumeisters hat Vischer а. а: 0. S. 17 gesammelt. In unserer Inschrift wird er noch einmal Z. 92 als Beirath der Hieroi erwähnt. Dagegen nur für die Feier bestimmt sind die Flötenbläser und Zither- spieler, die nach Z. 76 von den Hieroi jährlich bezeichnet «werden: sollen und nach Z. 100 an dem Festmahl theilnehmen. ` Ferner gehören hierher die, welche die Lieferung der Opferthiere (Z. 71) und des Holzes für die Bäder (Z. 110) übernehmen, und die Bürgen, welche die ersteren stellen (Z. 71. 74). Weiter werden die BaAaveis erwähnt (Z. 109 #.), d.h, Leute, welche die Besorgung' von Bädern für die an dem Feste Theilnehmenden übernehmen. Für ? Chalkoi (di. etwa .3 Pfennige) sind sie verpflichtet den Badenden genug wohldurehwärmtes Wasser und Feuer für das Salbzimmer «zw liefern, wozu sie dos Holz aber selbst geliefert bekommen. · Alles übrige zum Baden und Salben Nöthige mussten die Badenden nach griechischer Sitte selbst mit- bringen (Becker Charikl 3 S. 71). Die Worte ёх тй» legap Z- 109 darf man nicht etwa so verstehn, als hätten diese Bademeister zu den Hieroi ge- DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 251 hört; da selbst Sklaven unter ihnen sein können (7. 112), sie aber jedenfalls überall eine wenig geachtete Klasse von Menschen waren, so isl ix TW legar vielmehr.als Neutrum zu fassen und so zu erklären, dass wir uns in dem heiligen Raume solche Badehüuser denken, in denen die hier erwühnten Bademeister nur die Besorgung übernahmen. Dass die Baderüume nicht von den Bademeistern auf ihre Kosten hergestellt wurden, zeigt schon der geringe Preis. Aehnlich sind die Inschriften длибти und "Aa an Wasserbecken in Vasengemälden: С. L 8465. 8466. - Es kommen zu allen Andern noch Diener hinzu (Umngecies), die bei der Feier den Hieroi zur Hand sein sollen und dann mit zu! dem Festmahl gezogen werden (Z. 100); endlich die, welche auch. noch ausserdem Kreise der Hieroi von den Zehnmännern und Mnasi- stratos aufgefordert werden. sollen (Ж. 155). Aber die Menge der bei der Feier Thätigen ist selbst so noch nicht erschöpft, Die bisher Aufgezüblten sind weltliche Beamte, entweder ständige des Staates, . die irgendwie bei der Feier in Wirksamkeit sind, oder solche, die für die Be- sorgung der Feier eigens gewählt werden, und wir rechneten alle zu ihnen, die wenn- auch: in der-untergeordnetsten Stellung irgend einen Dienst dabei zu versehen hatten. - Aber zu einer zweiten Classe von Betheiligten leiten uns die gewissermassen in der Mitte zwischen beiden stehenden Hieroi und Hierá über, zu den Priestern.‘ Um jedoch von diesen sprechen zu kónnen, müssen wir erst die Götter betrachten, denen die Feier galt, Als solche erkennen wir in der Inschrift folgende. Z. 33 findet sich die Anordnung, dass in dem grossen Festzuge auch die Opferthiere geführt. wer- den sollen , und zwar für Demeter eine tráchtige Sau, für Hermes ein Widder, für die grossen Gótter ein junges weibliches Schwein, für Apollo Karneios ein männliches Schwein, für Hagna ein Schaf. In Uebereinstimmung damit werden Z. 70-die Opferthiere aufgezählt, deren Lieferung für den Festzug an den Mindestfordernden verdungen werden soll, nur dass diesmal die grossen Götter an zweiter; Hermes an dritter Stelle genannt und bei dem Opfer für die grossen Götter die Bestimmung ‚hinzugefügt wird, dass das Schwein ein zweijähriges sein solle. Ferner ‚werden Z. 28 die Priester aufgeführt, welche in-dem Feslzuge erscheinen sollen, und als solche der Priester der Gotthei- lem, denen die Mysterien- gefeiert werden, dann die Priesterin, ohne Zusatz, Hist.- Philol. Classe. ҮШ. Li 258 > HERMANN SAUPPE, also doch wohl derselben Gottheiten, ausserdem noch die Priesterin der Deme- ter Af їттодобиш und die der Demeter in Aegila ‚genannt, Offenbar gehören die beiden letzteren zu verwandten Kulten anderer Orte und sind als Gäste zu der Feier in Andania geladen. Deshalb sind sie auch. Z. 97 ff. nicht mit unter denen, welche an dem heiligen Mahle theilnehmen:. das sollen ausser den Hieroi und Hierü der Priester und die Priesterin, diese hier mit dem Zu- Salz ToU Kagveiov, Mnasistratos und ‚seine Familie, die Musiker, welche bei den Reihentänzen thätig gewesen sind, und .die Diener der Hieroi, also nur solche, die bei dem Festdienst selbst in Wirksamkeit gewesen sind. Wenn also von der einen Seite Góltern, denen bei dem Feste nicht geopfert wird, das Fest auch nicht gelten kann, von der andern Seite die Priester der Götter, ` denen Opfer durch den Zug gebracht werden, bei dem Zuge nicht fehlen können, so folgt daraus, dass unter den Göttern, oe Tc шистурго. Yiyveras (2.29), deren Priester und Priesterin im Zuge sind, alle die verstanden werden müssen, und nur die verstanden werden können, deren Opferthiere sich im Zuge befinden, also Demeter, Hermes, die grossen Götter, Apollon Karneios, und Hagna. Dieselben sind also die Z. 2 erwähnten. Ze o то yvorsaa ёті- reAsitaı. Vergleichen wir damit die Nachrichten bei Pausanias. Nach 4. 3, 10 (vergl. 4. 1, 9) war die Weihe der grossen Góttinmen früher in An- dania gewesen (тод "ës TeAeräs Tdv peydàwy Dean, ayopévys Eri ёр 'Avdaría). Zu seiner Zeit aber (4. 33, 5) war die Feier in dem Karneasion d.i. dem heiligen Haine des Apollon Karneios auf der Stelle des alten Oichalia (dodici ydp xai ravraıs ër Kagracío Tuv reAeryv), und In diesem Наше waren Statuen des Apollon Karneios, der Hagna, und des Hermes, der einen Widder trägt. Neben der Statue der Hagna aber war eine Quelle. Dazu kommen noch die Verse des Methapos (4.1, 8), der zu Andania die heiligen Räume des Hermes und der Demeter und der Kore geweiht: hatte. Wir haben also denselben Verein von Góttern: Demeter, Kore, Hermes und Apollon Karneios, wir haben die Quelle, die nach Z. 86 in den alten Schrif- ten, ohne Zweifel jener heiligen Urkunde, die Aristomenes eins! vergraben und der Feldherr der Argeier am Ithome wiedergefunden haben sollte, die Quelle der Hagna genannt war, wir haben das Bild der Hagna, das- sich nach Z. 87 bei der Quelle befand. Nur die Meygàos во; der Inschrift: DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 259 machen Schwierigkeit. ` Pausanias spricht überall nur von Weihen der grossen Góllinnen zu Andania, 4. 14, t: Qeais TAIS D 27 TEAOUVTES ra бреу. 27, 6: Ivovos Tak резус оис Dears xai Kavxori. 1, 8: Ze, ya, neyaraısı Jeaiow судра. 38, 0: rd дё és Tas Dee Tas ueyakas (8000: ydp xai ravras Ev Kaprasio тї» те№етйу) cmóppura ёстю poi. Ebenso sind natürlich auch die Genitiven zu verstehen Ty ueyaluv Qedr 1, 5. 6. 2, 6. 8, 10. 15, 7. 16, 2. 26, 8. Es sind diese grossen Góttinnen Demeter und Kore, wie Pausanias selbst 8. 31, 1 bei Gelegenheit eines ihnen in Megalopolis -geweihten Bezirkes ausdrücklich sagt: megißoAor Yewv REN Tw neyarav. ei dé elow al peydhas Oral Anphtng ха! Корт, ха Эоті dA diy xai év тї Meconvig соуусафӣ. Auch die Göllinnen zu Eleu- sis heissen' bei Sophokles so, OEC. 683: vapxırcos, муну Dro dọ- xcov oreQavwpaæ. In der Inschrift dagegen kommen с; aedi Jedi gar nicht vor, wohl aber werden neben Demeter und Kore oder Hagna Z. 34 u. ‚TO péydXo Geo) genannt und danach kann man auch Z, 93 zët vaóv TY ueyaıwv Zei nur von diesen verstehen. Jeder Gedanke an einen Irr- thum bei der Eingrabung oder bei der Lesung der Inschrift (wie ihn Gerhard äussert, archäol. Zeitung, Anzeiger 120 p. 251 *), ist ausgeschlossen, da diese grossen Götter deutlich von Demeter und Hagna geschieden werden. Wer sind also diese MeydAu $eo/? Ich denke, es kann kein Zweifel sein, dass wir hier, wo es sich um eine Mysterienfeier späterer Zeiten han- delt, an die Gölter der samothrakischen Weihe, an die Kabiren, zu denken haben. = Sie heissen nicht selten o peydAo; Neo. So in Inschriften von Imbros in d. Monatsber. d. Вегі: Ak. 1855 p. 629 Z. 7: то 9015 tors peyahois und p. 632 Nr. 20: Axas Ava IKIAHZ (vielleicht £x Ains) 9075 peydhois єў?» ёті jegéws Auodwgov. Ferner bei Conze, Reise auf d. Inseln des thrak. Meeres 8:91: So) peydhor, Deo duvaroi, ieXvgooi. Dionysius archaeol rom. 1, 68: 7d ui» ovv eis "IraXiav vm Aivsiov хошо дёрто isga = wodQu тоу Te ueyahwv Yewv eixivas civar, oùs Уаш рахе "EJXJavar раста Zeaudteet, ^ Diodor. 4,49: то)ѕ Ò "Agyoravras Qaciv ёж Tis Towados dvax9fvras els Zapo9gdxuv xopicS vai xal rois peyahos 00 ias süxds dmedirras ташу dra Zeite Tas фи №аѕ eis тд TÉuevos. Varro de:l. lat. 58.58: Terra enim et Caelum, ut Samothracum initia docent, sunt f = 112 | 260 HERMANN SAUPPE, Dei magni — et hi, quos Augurum libri. seriplos habent sie Divi qui potes, pro illo quod Samothraces 9 ғо! dvvaroi. Vgl. 7 $.34 und was aus dem Іосіѕіогісиѕ Curio bei Probus z. Virgilius Ecl. 6, 31: p. 21 K. mitge- theilt ist. Mehr Zeugnisse finden sich noch bei T. Hemsterh. zu Lucian. 1 p.283 f. Lobeck Agl. р. 1243. Preller Bom. Mythol. p.948 f. Schömann Griech. Alt. 2 p. 360. Da die Dioskuren später häufig mit den Kabiren zu- sammengeworfen wurden, so führten auch sie den Namen der uewyaXo; So wie zu Kephalae in Attika (Paus. 1. 31, 1). Also den altpelasgischen Weihe- - göttern von Andania waren die samothrakischeu : beigesellt worden. Nun erinnern wir uns der oben hervorgehobenen Nachricht bei Pausanias (4. 1, 1), dass Methapus die Kabirenweihe zu Theben eingerichtet habe. Auch hier knüpfte sie nach Paus. 9. 25, 6 an eine uralte Demeterweihe an. Der Ge- danke liegt also sehr nahe, dass sich die Thätigkeit des Methapus. bei der Umgestaltung der Weihen zu Andania (Paus. 4. 1, 7) gerade auf die Ein- fügung der samothrakischen grossen Götter bezogen babe. Sicher haben sich diese [Му Ао; Seo) nicht später zu Andania in Mese; Dexi verwandelt; wir müssen vielmehr es als ein Versehen des Pausanias erkennen, wenn er von den Meyaiıs Sea seiner Zeit zu Andania н ein к эн wel- ches allerdings leicht zu erklären ist. : Höchst wichtig. ist die etwas nähere goe die wir SS unsere Inschrift über die Verbindung des Apollon Karneios mit der Demeterweihe erhalten. Wenn Pausan. 4. 2, 2 erzählt, dass der König Perieres die Stätte von Oechalia dem Sohne des Apollon, Melaneus, geschenkt habe, so erkennen wir darin die sagenhafte Erinnerung, dass der Kult des Apollon durch. die äolischen Zuwanderer, die sich zu den ursprünglichen Bewohnern Messeniens, den pelasgischen Lelegern, gesellten, nach Oechalia gebracht wurde. Pausan, giebt ferner 4. 3, 10 die Sage, dass der Aepytide Sybotas dem Eurytos, dem Sohne des Melaneus, Todtenopfer in Oechalia einselzte, die ibm. vor der damals noch in Andania gefeierten Weihe der Gotinpen dargebracht werden sollten, und nach 4, 27,6 gehörte Eurytos zu den Landesheroen, nach 4. 33, 5 wurden die Gebeine des Eurytos noch zu Pausanias Zeit im Hamme Karneasion aufbewahrt, und dass sie mit der Weihe in irgend einem Zusammenhang standen, darf man wohl daraus schliessen, dass Pausanias nicht ohne Bedenken war, DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 261 ob er diesen Umstand als zu der Weihe gehórig besprechen dürfe. Diese Angaben begründen die Vermuthung, dass durch die Aepytiden, welche Kult und Sitte der Ureinwohner und Dorer überall friedlich zu verschmelzen be- müht waren, ein alter Apollodienst als dorischer anerkannt und gestaltet wor- den sei. Der Name der Fesistätte, Kagvesosor dAcos, die Erwähnung des Apollon Karneios in der Inschrift und bei Pausanias zeigen, dass dies Fest das ursprünglich nicht dorisehe, aber später allen. Doriern gemeinsame der Karneen war. Aber bei den Doriern gewann dies Fest im Laufe der Zeit einen durchaus neuen Sinn, es wurde ein Fest kriegerischer und musischer Wettkämpfe (Hermann. gottesd. Alt. $. 53, 29 f). Die richtige Erklärung des dunklen Namens Kagreios hat ohne Zweifel Lobeck gege- ben, wenn er Paralip. gr. gr. p. 74. 323 und Patholog. serm. gr. 1 p. 108 an die Glossen des Hesychios: xdg wgößaror. ndaga’ — "lores Td no Bara. xdovos* — meoßarov. erinnert und also Kagveios für synonym mit ' Agveios hält: Hermann sowol gottesd. Alt. 53, 33 als jetzt auch Welcker griech. Götterl. 1 p. 471 billigen diese Deutung. Nun erzählt aber Konon д;ууяс. 19, dass zu Argos vein Fest "Aovis gefeiert worden sei, an welchem man, um den Apollon zu versöhnen, den Tod des Linos beklagt und alle Hunde, die in den Weg kamen, todtgeschlagen habe: dasselbe Fest also, welches Athe- näus 3 p. 99. F unter dem Namen KvroQóvris erwähnt. Vgl. auch Paus. 1. 43, 7. 2. 19, 8. Den Monat des Festes, "Agve;os, wie ihn Konon nennt, kennen auch Eustathius p. 1676, 22: ойто 02 xai бт: dgreiós иду o£vróvus Ze, арреїоѕ дъ иту тоотеротоиёуо, und Cyrillus bei Is. Voss zu Hesych. п. dgveiös, die néga "Aovnides auch Aelian. Hist. animal. 12, 34. Es reiht sich also dies Fest unter die uralten Sommerfeste ein, an denen man theils das Hinwelken alles Lebens im glühenden Sonnenbrand betrauerte, theils die für Menschen und Heerden Seuche und Tod sendenden Mächte zu sühnen streb- ten, wie A; Scholl Jen. Lit. Z. 1845, 74 p. 293 f. bemerkt hat, und Th. Bergk Beitr. z. griech. .Monatskunde p. 10 war also vollkommen berechtigt den "А ррєїов zu Argos mit dem Monat Keagre;os zu verbinden. Wir dürfen daher auch für das Sommerfest‘ der Karneen als ursprünglichen Sinn einen dem Feste zu Argos entsprechenden annehmen. Wenn aber der Hundetodischlag eine symbolische Beziehung zu dem Gestirn der heissen Zeit, dem Hundsstern, hat, 262 HERMANN SAUPPE, so dürfen wir auch in dem Fest der Schafe zu Argos und in dem Apollon Schafgott die Hinweisung auf eine Feier nicht verkennen, durch welche Hir- ten das Hinsterben der Natur betrauerten und Schutz für ihre gefährdeten Heerden erflehten. So erhalten die Karneen eine gewisse Aehnlichkeit mit den im Monat vorher, im Juli, gefeierten Hyakinthien und man sieht, wie die spütere kriegerische und musikalische Eigenthümlichkeit derselben sich aus der Abwehr der Hunde und aus der Linosklage entwickeln konnte. Da nun aber Eurytos, der Schónstrómer, den Apollo tódtet, ein Symbol der im Sommer schwindenden Gewässer ist, wie Curtius Pelop. 2 p.134 treffend bemerkt, so stellt er sich in seiner Beziehung zu dem Apollon Karneios in Oechalia als entsprechende, nur einem andern Kreise der Naturanschauung entnommene Gestalt neben den Linos des Festes zu Argos. Auch die pelasgischen Deme- terfeste waren ursprünglich ein Ausdruck des Mitgefühls, welches die Men- schen mit dem Schmerze ihrer Ernährerin, der Mutter Erde, über das Hin- sinken ihrer geliebten blühenden Kinder empfanden. So also, — dahin sollte die eben versuchte Erörterung führen, — erkennen wir, wie die auf benach- barter Stätte gefeierten Feste, die lelegische oder kaukonische Weihe der Góttinnen zu Andania und die äolisch-dorische Apollonfeier im Karneasion, zu einem einzigen grossen Feste der gemischten Bevölkerung verschmelzen konn- ten. Zu passender Vergleichung bietet sich das Junifest der atlischen Skiro- phorien, bei denen sich zu der Athene Skiras sowol Demeter und Persephone - (Preller Dem. u. Pers. p. 124. Hermanns gottesd. Alt. $. 61, 14) als Apollon gesellt haben, denn es ist kein Zweifel, dass bei Harpokration p. 168, 10 zu lesen ist: ¿É cxgomóXews els tiwa tónov houer Exigov Tropsvovroti Ù тє "A9qvás она xai б ToU Ioceidavos ieQeUs xar б тоб "AmoAAwvos, nicht xc; б тоб HA/ov. Ein Kultus des Helios zu Athen ist nicht bekannt und die Verwechselung von #Asos und 'AzcAXwr ist sehr gewöhnlich (vgl. Schömann. opusc. 1 p.319). Ebenso waren am Grabe des Hyakinthos in Amyklä auch Demeter und Kore und Pluton dargestellt (Pausan. 3. 19, 4), was schon Müller Dor. 1 р. 354 mit dem Götterverein im Karneasion verglichen hat. ` Also Demeter und Hagna, Hermes, Apollon Karneios und die grossen Götter von Samothrake waren es, denen die Feier von Andania galt. Wir wenden uns nun zu den Priestern derselben, die in der Inschrift erwühnt wer- = - а а т: 5 d ж DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. . 263 den. . Es. sind folgende. 0 /egeUs rw Qedr ois ra juive TI Que Yiyvereus 2.28, also gemeinschaftlich Dr alle bei der Feier betheiligten Götter. Ebendeshalb ist es offenbar derselbe, der 2. 5. 7. 84. 90. 98 einfach ò sepsvs genannt. ist- Die Hieroi vereiden ihn und er dann mit ihnen die Hierä, er erkennt in An- gelegenheiten der in das Asyl geflüchteten Sklaven, sorgt mit den Hieroi für Anschaffung von: Weihgeschenken und nimmt an dem Opfermahle ‚Theil. Im Festzug geht nur Mnasistratos vor ihm. Nächst ihm wird 2, 29 und-98 æ ова erwähnt, Da ‚keine nähere Bestimmung dabei steht, so kann nur ge- meint sein, wie ich schon oben gesagt habe, dass auch sie Priesterin der gesammten Gottheiten. des Festes sei. Wenn aber Z. 98 auf dem Steine steht magaraßövrw Tóv тє єй xal Tdv ifgeav xai тоу i£geay тоў Kagveiov, so muss die Wiederholung. der WW. cd» ;£geav ein Fehler sein. Denn die Priesterin des Apollon könnte, wenn sie von der Priesterin der gesammlen Festgottheiten verschieden wäre, im Festzug nicht fehlen. Da nun dort nur d ipsa schlechtweg erwähnt ist, so kann auch hier bei dem Festmahl nur von .éiner Priesterin die Rede sein. Da sie aber hier eeng тоў Kapveiov heisst, sọ; müssen: wir annehmen, dass dieselbe Priesterin eigentlich und ge- wöhnlich dem besonderen Dienste des Apollon angehörte, während der My- sterienfeier aber Im den der vereinigten Festgoitheiten überging. Ferner kom- men in dem Festzuge Z.30.f. vor d Sevaguócrgia d eis Aduargos ха; cá VatoSoweguéorQin oi ёи: Вахо. Aus Inschriften von Sparta (Boeckh z. Corp. Inscr. 1435) lernen wir diese Würde als eine sehr angesehene ken- nen. Obgleich sie dort eine, wie es scheint, allgemeine für den ganzen Staat war, so haben wir doch auch in Andania ohne Zweifel eine Bürgerin von guter Familie zu denken, die in den Tempel (eis) der Demeter gewählt war, um dàs heilige Mahl zu bereiten und zu ordnen, welches dann Z. 98 тд iegov deimvoy genannt wird. . Gehülfinnen standen ihr zur Seite (vzoSomaguoc gia: ), von. denen, wenn, ich. den. Zusatz ai &ußeßaxvias richtig verstehe, eine ` grössere Zahl gewählt wurde, als dann wirklich in den Dienst eintrat. Dass die ausserdem Z.31 erwähnten Priesterinnen der Demeter am Hippodrom und der. Demeter in Aegila aus der Ferne geladene Gäste gewesen seien, hab’ ich schon früher vermuthet.. -Obgleich die Lage der von Paus. 4. 17, 1 erwühn- ten- lakonischen:Stadt.Aegila sich nicht näher bestimmen làsst, so genügt doch 264 HERMANN SAUPPE, das, was Pausanias über einen Tempel der Demeter und ein Frauenfest daselbst berichtet, um zu erkennen, dass zwischen den Diensten von Andania und Aegila Verwandischaft bestand, dass also das Aegila in der Inschrift auch das des Pausanias sei. Welcher Hippodrom zu verstehen sei, ist nicht angegeben. Man könnte deshalb meinen, dass ein nicht weit епіЃегпіег, vielleicht zu An- dania selbst, verstanden werde, doch führt die Zusammenstellung mit Aegila eher darauf eine grössere Entfernung anzunehmen. ; Vielleicht ist also der altberühmte Hippodrom auf dem Lykäon gemeint, der nicht zu weit von der messenischen Grenze entfernt ist (Curtius Pelop. 1 р. 301). Endlich ist: noch eine priesterliche Person zu besprechen, der schon meh- reremal erwähnte Mnasistratos. Er hat das Kästchen mit den Schriften über- geben (Z. 1%), er hat den ersten Platz im heiligen Zuge (Z. 28), er hat so lange er lebt die Fürsorge für die Quelle der Hagna und die an derselben befindliche Bildsäule (Z. 86), hat den einen Schlüssel zu dem Opferstock, der ` ап der Quelle aufgestellt werden soll (Z. 94), erhält von allem, was bei der Quelle an Geld dargebracht wird, den drilten Theil und ausserdem die Felle der Opferihiere (Z. 88 f. 96), bat mit den Hieroi Theil an den Opfern und Mysterien (Z. 87) und wird шй Frau und Kindern zu dem heiligen Mahle geladen (Z. 99). Für einen Kranz ist ihm eine besondere Summe bewilligt worden (2, 52) ünd die Zehn ernennen im Verein mit ihm eine Anzahl von Gehülfen für die Festfeier ausser dem Kreise der Hieroi (Z. 154). Daraus erhellt, dass Mnasistratos zu dem alten Geschlechte ded pie gehörte, dessen Abkómmlinge nach Pausan. 4. 27, 5 bei der Wiederh llung iens eben- falls zurückgekehrt waren und damals den Wortlaut der alten Zinnplatten in Bücher übertragen hatten (és (3/3Xovs). Das sind die ,8A/a іп Z. 12 und die doxa: ѓуусафа Z. 86. Bei irgend einer Gelegenheit nun, wahrscheinlich einer Neugestaltung der Weihe, trat Mnasistratos das Priesterthum an den Staat ab und übergab deshalb die heilige Urkunde, die sein Geschlecht bisher verwahrt hatte, behielt sich aber für seine Lebenszeit noch bestimmte Vor- rechte und. Vortheile‘ von der Weihe vor. "Daher kommt es denn, dass nach der Anordnung des ganzen ER auf welche sich die Inschrift bezieht, der Stadt die oberste Aufsicht und Leitung desselben zusteht; sie ernennt die Hieroi, die Zehnmänner und die Fünfmänner, DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA, 265 an ihren Schatzmeister legen die Fünfmänner Rechenschaft ab, ihrer Kasse fällt, wenn die nöthigen Bauten im Karneasion vollendet sind, der Ueberschuss der ‚Einnahme zu, in ihr Prytaneion muss Anzeige von allem gemacht werden, was bei der Feier vorgeht (Z. 114), sie hat die Ordnung aufgestellt, welche die Inschrift enthält, sie die Männer ernannt, welche die Aufzeichnung der- selben besorgen sollen (Z. 115). Obgleich die Inschrift über den eigentlichen ‘Inhalt der Weihe selbst ihrer Bestimmung nach nichts enthält, so vermögen wir doch die verschie- denen Theile der ganzen Feier und ihren glänzenden Gang mit einiger Sicher- heit zu bestimmen. Offenbar haben wir ähnlich wie zu Eleusis die heiligen Handlungen von dem weltlichen Volksfeste zu scheiden. Denn es sind nicht allein Geweihte bei der Feier, sondern auch Ungeweihte (Z. 36), die nur nicht in die von den Hieroi abgesteckten Räume kommen sollen. Der ge- wöhnliche Ausdruck für das ganze Fest ist æi Juris xai rd pvorngia Z. 39. 76.77.87. rd äerer xai аі усы 185. Aber auch rd мосту allein steht dafür Z. 2. 142. 180. 190, ebenso æ TsAerc 7.8. Und wenn Z. 105. 114 das Wort d mavayvgis gebraucht ist, so könnte man zwar meinen, dass damit das Volksfest im Gegensatz zu den im engeren Sinne so ` zu nennenden religiósen Handlungen bezeichnet werden solle, aber der Zu- sammenhang zeigt, dass mit demselben die ganze Feier umfasst wird, nur dass die früher erwähnten Ausdrücke den ursprünglichen und wesentlichen Theil, die Weihe und die mit ihr zusammenhüngenden Opfer, hervorheben und durch ihn das Ganze bezeichnen, der letzte den Begriff der festlichen Versammlung betont und in der Bezeichnung desselben den religiósen Theil mit umfasst. Nach Pausanias (4. 33, 5) wurde das ganze Fest im heiligen Kypressenhain des Apollon, dem Kagvexssov, gefeiert. Damit stimmt die Inschrift: nach 2. 54—65 sollen viele Erneuerungen in dem Karneasion vor- genommen werden. -Und es müssen viele Heiligthümer dort gewesen sein: denn in der Insehrift werden erwáhnt die heilige Quelle der Hagna mit dem Bilde derselben (Z. 86), ein Tempel der Demeter Z. 30, ein Heiligthum (iegàv) des Apollon Karneios Z. 7, ein Tempel der grossen. Götter 7. 9З, ein Theater (2.70). Dagegen kann der Ausdruck тд iegóv Z. 82 und ѓу To [во Z. 115 nur den ganzen heiligen Raum bezeichnen, in welchem die Hist.- Philol. Classe. ҮШ. Mm 1 266 HERMANN SAUPPE, Hieroi die geheiligte Stelle des Asyls bestimmen sollen. Das Haus, was an der zweiten Stelle erwähnt ist, war wahrscheinlich für die Hieroi bestimmt, die ja wührend der Feier vieles zu berathen und zu richten: hatten. Eröffnet wurde die Feier ohne Zweifel durch das Opfer der zwei weissen Schafe, die nach Z. 69 vor den Mysterien geopfert werden sollen. Рапп folgte wohl nach Analogie anderer Feste der heilige Zug. Ihn führt Mnasistratos, dann kommen Priester und Priesterin der Weihegótter, dann die Vertreter des Staates, der Agonolhet und Opferer, dann die Flötenbläser. Hierauf ziehen die heiligen Jungfraun die Wagen, auf denen in Kisten mystische Heiligthümer ‘ruhen. Dann folgt die Festmahlordnerin des Demetertempels mit ihren Ge- hülfinnen, nach ihr die beiden fremden Priesterinnen, die als Gäste theilneh- men, der Demeter am Hippodrom und in Aegila. Ihnen schliessen sich die heiligen Frauen und diesen die heiligen Männer an, einzeln, wie das Los ihre Ordnung festgestellt hat. Auch cie Opferthiere, welche für die Weihegötter bestimmt sind, werden aufgeführt, eine trächlige Sau für Demeter, ein Widder für Hermes, eine junge Sau für die grossen Gölter, ein männliches Schwein für Apollon Karneios, ein Schaf für Hagna (Z. 28 f.) Der Zug bewegte sich in das Heiligihum, in welchem die mystische Weihe statt fand. Worin diese bestanden habe, wissen wir nicht. Nur lassen die Worte Z.24, wenn ich sie richtig erklärt habe, in Verbindung mit den Worten des Methapos сйитаута Auxos А918 | ie оул nag "Anda Yero erkennen, dass man, wie in Eleusis und andern Weihen, дошу sai Asyopeva hatte . (Herm. gottesd. Alt. $. 32, 14), und dass die dewuera zumeist den Raub. der Кога, die Irren und Klagen der Demeter, das Wiedersehn der Gótlinnen mimisch darstellten. Der Weihe selbst ging ohne Zweifel eine Reinigung voran und es wurde dabei ein schönfarbiger Widder geopfert (2. 69). Theile der darauf folgenden. Feier müssen auch die Darbringung der in dem Zuge aufgeführten Opfer der Weihegottheiten und die Opferung der 100 Schafe durch die Protomysten gebildet haben (Ж. 70). Wahrscheinlich gehörten auch die Reihentänze, die Z. 75 und 100 erwähnt sind, wenigstens zum Theil mit zu der myslischen Feier. Wann die Opfer au der Quelle der Hagna erfolgten (Z. 88), lässt sich nicht bestimmen. An die Ree? mes schloss sieh wahrscheinlich das heilige Mahl an (Z. 97 ff. . | 1 DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 267 Den zweiten: Theil der ganzen Feier bildete das Volksfest. Zelle waren auf Kosten der an dem Feste Theilnehmenden aufgeschlagen und stattlich eingerichtet: denn besondere Anordnungen schienen nóthig um sowol die Grösse der Zelte, als den Aufwand bei ihrer Ausstaltung in den rechten Schranken zu halten (Z. 34 ff.). Sie sollen nicht mehr als 30 Fuss im Gevierte haben und Ruhebetten und Silberzeug in éinem nicht über 300 Drachmen betragen. Schmausereien also und andere Festlust dauerten mehrere Tage. Dafür spricht auch der Markt, der unter Aufsicht des Agoranomen der Stadt, aber mit grósster Freiheit des Verkehrs gehalten wird (Z. 101): denn die Verkäufer zahlen. nichts für den Platz, erhalten keine Vorschriften über die Zeit des Verkehrs und über die Preise, nur soll die Waare gut, Mass und Gewicht richtig sein. ` Dies erinnert lebhaft an die zeltähnlichen oxıddes (vgl. Urlichs Rhein. Mus. 10 р. 17 ET, die an den Karneen zu Sparta aufgeschlagen wurden, wie Demetrius von Skepsis b. АШепйцѕ 4 p. 141. F. ега} (Her- mann. gollesd. Alt. $. 53, 30). Also auch in dieser Beziehung war eine Aehnlichkeit des Festes im: Karneasion mit den Karneen bewahrt worden. Ра ein Theater erwähnt ist (Z. 70), so müssen wir auch Vorstellungen im Theater annehmen. ` Vor denselben fand eine Reinigung der ganzen Festver- sammlung statt, für die drei Ferkel bestimmt waren (7. 70). Auch Wett- kümpfe dürfen wir ‚ähnlich wie in Eleusis (Hermann gottesd. Alt. $. 55, 39) voraussetzen, da der Agonothet der" Siad an der Feier theilnahm (7. 29). Die Chortànze (хорем), die ich zum Theil schon für die mystische Weihe in Anspruch nahm, gehörten doch wol in Verbindung mit andern musikalischen Aufführungen zum andern Theil auch zu dem, was im Theater vorging. Dass für Bäder gesorgt war, sahen wir schon früher (Z. 108). Ebenso war aber auch für Quellwasser Sorge getragen und die Leitungen sowol als das Bassin standen unter Aufsicht des Agoranomen (2. 105 ff. vgl. E. Curtius über Quell- inschriften: p. 19). -Die údoaraæ: hingegen, die 7.37 bei den Zelten der Hieroi aufgestellt. werden ‚sollen, waren wol Gefüsse mit Weihwasser, aus denen sich die-besprenglem, welche in den für die Hieroi abgesteckten Raum ein- treten wollten. - Aus ungeweihtem Raum treten sie in heiligen, den Ungeweihte gar nicht betreten dürfen (Z. 36): deshalb besprengen sie sich, wie bei dem Eintritt in geweihte Ráume zu geschehen pflegte (Herm. — Alt. $. 19, 4). Mm 268 | HERMANN SAUPPE, Ungeweihte also (шоуто Z. 36) und Geweihte hatten an dem Volks- fest Theil. Unter den Geweihten (oi теАоуиғро Z. 14. 15) aber waren Männer und Frauen (Z. 15. 16), verheirathete Frauen und Mädchen (Z. 17. 21.29), Freie und Sklaven (Z. 18), denn was für Sklavinnen gilt, sind wir auch ohne ausdrückliche Angabe berechtigt von Sklaven anzunehmen. Aber selbst unter den Geweihten gab es Rangunterschiede. Denn ein Theil von ihnen waren zu Hieroi und Hierae gewählt, denen die übrigen als фито und "Aur ee gegenüberstanden (7. 17). Ausserdem bildeten die Z. 14. 50. 70 genannten жтоштонутта:, Erzgeweihete, einen höheren Grad unter ihnen. Natürlich hatten auch die aus den Hieroi gewühlten uva Tatsyaryol (Z. 151), welche die der Weihe Begehrenden vorstellen und einführten (Herm. gottesd. Alt. $.32, 23. Nitzsch de Eleusiniorum ratione publica p. 17), eine ausge- zeichnete Stellung. Wir kommen zu der Frage; in welche Zeit die Inschrift gehóre. Sicherer als der Dialekt und die Form der Buchstaben führen uns Angaben, die in der Inschrift selbst gegeben sind. Z. 10 ist gesagt, dass die in dem 55. Jahre gewählten Hieroi und Hierae im 11. Monate vor den Mysterien den Eid leisten sollen: Z. 52 werden die im 55. Jahr gewählten Fünfmänner angewiesen an Mnasistratos. 6000 Drachmen für einen Kranz auszuzahlen. Nach Z. 92 sollen die im 55. Jahre gewählten Hieroi für die Herstellung zwei steinerner Opfer- stöcke und die Aufstellung des einen*im Tempel der grossen Götter, des andern an der Quelle der Hagna Sorge tragen. Sobald sich also feststellen lässt, von welcher Epoche diese Zählung der Jahre beginnt, ist die Zeit der Inschrift genau bestimmt. Nun hat aber Bóckh C. Inser. Gr. vol. 1 p. 640 nach dem Vorgang von Reinesius Synt. Inscr. 5, 52 p. 386 in der zu Messene gefundenen Inschrift 1297: ¿mì iegéws KossPörrov, ѓтооє ert. aywvodErns Т.З. Kiavdıos Костісароў vids "Agiroufrzs eine Epoche erkannt, deren Jahr 157 nicht vor die Regierung des Kaisers Tiberius fällt, und deshalb als Beginn der Epoche das Jahr der Eroberung Korinths durch Mummius, 146 v. Chr. — 608 d. St. R., angenommen. Wenn wir uns erinnern, dass damals die griechischen Städte neue Verfassungen erhielten und Griechenland wenig- stens faktisch den römischen Vorständen der Provinz Makedonien untergeordnet würde, von diesem Jahre also eine wesentliche -Aenderung der ‚öffentliche Ln DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. i 269 - Verhältnisse begann, so erscheint das Epochenjahr natürlich und ähnlich der aera. pompejana, caesariana, acliaca und andern in Asien angenommenen, über die es genügt auf Idelers Handb. d. Chron. zu verweisen 1 р. 457 f. Die- selbe Aera, wie in Messene, ist mit Böckh auch in Megara, C. Inscr. 1053. 1062, in Hermione 1203, in Lakedämon 1395, in Aegina 2140. a. anzu- nehmen, Es ist die Provincialüra Makedoniens, wie wir.sie aus der Inschrift von Thessalonike, C. Inser. 1970, kennen. Vgl. Kuhn, Beitr. zur Verfassung des röm. Reichs p. 132. . Marquardt, Handb. d. róm. Alt. 9 p. 116. 123. C. F. Hermann, defensio disp. de Graeciae post captam Corinthum conditione (Gotting. 1852) р. 9. Mommsen róm. Gesch. 2 р. 46. Wir sind daher jedesfalls berechtigt auch in Andania dieselbe Jahresrechnung anzunehmen und demnach das 55. Jahr dem JL 92 v. Chr. gleichzusetzen. Während aber die Hieroi und Hierae des J. 55 im 11. Monat. vor den Mysterien schwören sollen, wird. der Schreiber des Rathes Z.1 angewiesen die gewählten Hieroi sofort (magaxgine) zu vereidigen und der Priester mit den Hieroi soll nach 7.7 die Hierae am Tage vor den Mysterien schwören lassen. Dieser Wider- spruch lässt sich. nur. dadurch lösen, dass das letztere sich auf das vorher- gehende Jahr bezieht, auf das J. 54. In diesem also ist die Inschrift abgefasst und wir müssen annehmen, dass durch dieselbe eine neue Einrichtung der Feier festgesetzt wurde, dass aber diese neue- Einrichtung in dem laufenden Jahre schon ganz durchzuführen die Zeit fehlte. Für solche Punkte also wur- den besondere, nur für das éinemal gültige Anordnungen getroffen: die Wahl der Hieroi und. Hierae erfolgte diesmal kurz vor den Mysterien und demzufolge auch ihre Vereidigung. | Später ‚sollten nach Z. 10 Hieroi und Hierae im 11. Monat vor den Mysterien den Eid leisten. Wenn wir diese Angabe mit der in 2.118 ver- binden, dass die. Damiurgen des 6. Monats am 12. Tage vor der Losung der Hieroi und Hierae die. Wahl der Zehnmänner durch das Volk veranstalten sollen, so lässt sich auch noch Genaueres über die Zeit des Festes gewinnen. Nach der Angabe der 2.118 gehörte Messenien zu den Staaten, welche die Monate nicht durch verschiedene Namen, sondern durch die Zahl .der Stelle bezeichneten, die sie im Jahre einnahmen. So verfuhren: auch die Phokier (Boeckh С. Inscr... 1 -p.734. Hermann griech. Monatsk. гр. 12. 106), später 210 HERMANN SAUPPE, die Argiver (Herm. p. 84), die Smyrnäer (Herm. p. 111), die griechischen Städte in Phrygien (Herm. p.107), und die Bewohner der kyprischen Salamis (Herm. p.91). Vielleicht ist auch in der von Vischer mitgetheilten: Inschrift aus Thuria (Epigr. u. arch. Mitth. p. 31) ... тш pyri nach derselben Weise zu verstehn und -rw als Endsylbe einer Ordinalzahl anzusehn. Halten wir nun also diesen sechsten Monat mit dem elften vor den. Mysterien zusammen, in welchem die Hieroi schwören sollen. Denn dass wirklich der elfte Monat. vor den Mysterien zu verstehn ist, nicht etwa gemeint wird: vor den Mysterien, _ im 11. Monat des Jahres, ist eben aus dem Zusatz go Tür иистуоішр klar. Der dürfte nicht stehn, wenn der 11. Monat des Jahres gemeint wäre: dass der Schwur nicht nach den Mysterien geleistet werden kann, versteht sich von selbst. Vor den Mysterien wird er auch im J. 54 geleistet und nur dadurch unterscheidet sich das Verfahren in den Jahren vom 55. an, dass in diesen die Vereidigung viel früher erfolgen soll — Der Anfang des mes- senischen Jahres ist nicht bekannt, wir haben also die Wahl mindestens zwi- schen vier Punkten, den beiden Sonnenwenden und den beiden Tag- und Nachtgleichen. Sehn wir zu, was sich bei diesen vier Annahmen ergiebt. 1. Wenn das Jahr in Messenien mit der Herbstnachtgleiche, wie zu Sparta und in anderen dorischen Staaten, begann, so war der sechste Monat unser April, der t1. Monat darauf der Februar. 2. Begann es mit der Wintersonnenwende, so war der sechste Monat der Juni, der 11. darauf der April. 3. Begann es mit der Frühlingsnachtgleiche, so war der 6. Monat der September, der 11. darauf der Juli. 4. Begann es mit der Sommersonnenwende, so war der sechste Monat der December, der 11. darauf der October. Wenn aber für ein Fest, welches mehrere Tage unter Zelten gefeiert wird, weder Februar noch October gut passen, so wird auch die Entscheidung. zwischen dem April und Juli nicht zweifelhaft sein. Sowol die früher entwickelte Natur des De- meterfestes, als der Zusammenhang mit Apollon Karneios weisen uns in den Juli, die Gluthzeit des Jahres. Dazu kommt, dass die Wahl der Zehnmüànner 2wülf. Tage vor der Losung der Hieroi erfolgen soll Ез verträgt sich also ganz gut mit dem Beginn des Jahres bei der Frühlingsnachtgleiche, wenn wir das Fest in den Anfang des August setzen, dem ungeführ der dorische Kar- neios entsprach. So gewinnen wir mit ziemlicher Sicherheit nicht nur eine DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 211 Bestimmung für das messenische Jahr, sondern auch eine Bestätigung für die Zeit des Festes und sein Wesen. Durch die bisher gegebenen Erörterungen ist auch schon eine Antwort auf die Frage begründet, was denn eigentlich die Inschrift sei. Mehreremal wird ihr Inhalt Ädogauu: genannt: Z. 5. 25. 28. 97. 115. 184. 191. 194. Dass didygaupa, schriftliche Aufzeichnung, später schriftliche Verordnung bedeutet, also dem lateinischen edictum entsprochen habe, sagt ausdrücklich Plutarch Leben d. Marcellus е. 24: xai ydg Td diaypanmarı TOv cgXovrov "EAAyves uiv датіуџата, Papa dè ёдхта mpocayopevovaw. Und so kommt es in einer Reihe von Inschriften vor. C. Inser. 2671, 44: £xpuwav did paQov xard те тд daypappa ToU Barihéws xai Tovus vomovs. 2556, 64: die db dw Остерор Eyyıronkvar tiu ruv тоодіхо ub» хет Dam, | nadas тд diaygaupı ёа. Rangabé ant. hell. 703, 12 (= Meier, d. Pri- vatschiedsrichter p. 48 = Keil syll. inser. boeot. p. 19): émoucarro de Tas хоісгіѕ nard тођѕ vönous Tas möAus 'Opxoneviwv xai хато тд бури dius räs ёуҳерсӘғісаѕ avrois тісто. Inschr. v. Thuria (Vischer a. a. 0.) Z.18: deydgir diigobrras mor] cirov, nadas véygenTai & TQ diq- yọdplparı. In allen diesen Stellen ist es Verordnung und wenn Meier p.51 für einige die Bedeutung Processordnung haben will, so liegt dieselbe nicht in dem Worte selbst, sondern nur in dem Inhalt der Verordnung, wie Boeckh C. Inscr. 2 р. 416 ganz richtig bemerkt. Also auch in unserer Inschrift be- deutet: es Verordnung. Mnasistratos, der von dem uralten Geschlecht der Priester der. Demeter und Persephone stammte, hatte in dieser Eigenschaft das Priesterthum der Weibegótter verwaltet und das Weihefest geleitet. Aus ei- genem Enischluss, etwa weil er alt war und keine männlichen Nachkommen hatte (Kinder werden erwähnt Z. 99), oder auf Wunsch und Verlangen der Stadt hatte er dieser Stellung entsagt. Die uralte Weihesatzung , die einst ` Aristomenes bei dem Herannaben des Untergangs als Unterpfand zukünftiger Erneuung des Staales auf dem Berg Ithome vergraben haben sollte (Paus. 4. 19, 4) und die dann nach ihrer Wiederauffindung durch Epiteles und Epami- nondas von den. nach Messenien zurückgekehrten Nachkommen des Priester- geschlechtes von den Zinntafeln auf Papyrusrollen übergeschrieben worden war (4. 27, 5), hatte Mnasistratos als Symbol der Uebertragung seiner Würde 212 HERMANN SAUPPE, an den Staat übergeben (7. 11). Das sind die cgxeia &yygaQa, die 7. 86 erwähnt werden. So огіпеіеп denn Volk und Rath von Andania alles, was für die Veranstaltung, Leitung und Abhaltung des Weihefestes erforderlich war, gemäss dieser neuen Stellung, die das Gemeinwesen von jetzt an zu der Feier einnahm, von neuem an und diese Verordnung über die Festbehórden und das ganze Ceremoniel der Feier ist unsere Inschrift. Dass am Anfang nicht allein die Angaben über Zeit und Urheber der Verordnung, sondern auch mehrere Bestimmungen derselben fehlen, hab’ ich schon früher erörtert. - Mit der Bestimmung der Zeit, wie ich sie gegeben habe, stimmt auch das Sprachliche ganz. wohl überein. Pausanias sagt von den Messeniern (4. 27, 5), dass sie in den 300 Jahren ihres Elends weder ihre Sitten noch ihren dorischen Dialekt geändert hatten, sondern diesen bis auf seine Zeit am sorg- fältigsten unter den Peloponnesiern bewahrten. Und dies bewährt sich sowol in unserer Inschrift, als in der von W. Vischer herausgegebenen aus Thuria, die sich in vielen Beziehungen zur gelegensten Vergleichung bietet. Ich will die Formen, die hier in Betracht kommen kónnen, in der Reihenfolge zusam- menstellen, die Ahrens in seinem trefflichen Buche über den dorischen Dialekt gewählt hat. In Bezug auf den Spiritus sind nur die Formen 3.915 u. s. w. (vgl. Ahrens p. 402), гФ;осхойрт: 2.6, und хат &uégav 7.111 zu merken. E für c zeigt sich in бож: Ёсто Z. 1. 135 und жшрабаирто 7. 37.93. Zu bemerken ist A ue Ba 69. стероѕ für Eregos steht Z.94, ха für xe sehr häufig, daneben aber auch av (zu Z.29). а für ў in den Endungen der 1. Deklination und in einer Anzahl von anderen Endungen und Stammsylben, wie хАарот&то 0, (xuiovvrw 9, udv 21, daysiorw 28, Aaudrzo 80, Euße- Bazar 31, zxavdv 34, vooaras 37, тіраџра 46, тоохаруЁаутоѕ 67, user 72, caus; 73, anerigas 80, хону 86, »Xáxas 94, demard- para 100, mavdyvgis 105, dauw 121, eben so Mvaoiorgaros. Dagegen ganz richtig Z. 77. 79. 113 ddixnua. Ferner ; für & in oniga 7. 24, da- gegen & für ; in eiudriov 7.16 ff. und amorsicatw 63 neben amorıcarw 78 und anderen gleichen Formen (Ahrens р. 184), & für 4 27. Ferner ғ für e in ee 7.99, у für ; in xaAdcwps 7.17. In der 1. Deklination lautet der Gen. Plur. in су aus: cxav&v 34, mowrouvcr&v 90, Tavrav 65, duegav 12, Yucsav 88. 180, Texrırav 99, Umngeosäv 100, [єрй» 98. 119, DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. 213 лоМмта&у 124. Die Worte der 3. Dekl. haben alle im Plur. heteroklitische Dative, vgl. zu serie 2.5. Neben параддсіоѕ 11, хоісіюр 69, тара- yuguos 105, сирёсіос 113 steht allein moAcos 101, moAews 66. Sonst ist "Eguáv. zu bemerken, Z. 34. 71. In der Konjugation enden die dritten Per- sonen Plur. in ovr, statt in euer und in шут; Ё. осі, die dritte Person Sing. im Conj. in er slatt in ў (vgl zu Z. 1 aggecre;), die З. Pers. Plur. der Imperativen in ш statt in wv, die Infinitiven in ner: megtidepev 35, èy- douev 59, wveragreiäuer 67, eiuev 82. Auffallend sind die Formen тоо- mi9 vri 89, xaTacxsvac Orr: 93, пооусафӯут: 162, avra, 85 (vgl. zu Z. 85), ohne Zweifel unrichtig сугісто 28, moaccdru 103, Eydıdoirrw 111. Von Präpositionen ist or! 8. 64. 71 und in den Zusammensetzungen тотєѓорж бите 8, потіке фића 23, mo9ídovs 58, ferner dymemXeyyuévas 2.22, &ydouer und утех ёрат: (vgl. zu 7. 1), von Adverbien noch etev und Zmeırev Z. 31. zu merken. Wir haben also eine mildere Mundart vor uns, die sich von den härteren Klängen und Formen des Dorismus fern hält, aber mit fast durchgängiger Sicherheit ihre Eigenthümlichkeiten gebraucht und festhàlt. Wir sind am Ende. Die neue Inschrift hat uns nicht nur reichen Zu- wachs für die Kenntniss der griechischen Sprache und des dorischen Dialekts geliefert. Sie hat uns einen lebendigen Einblick eróffnet in früher unbekannte Verhältnisse. Eine kleine Stadt entwickelt ein reich gegliedertes Leben, des- sen Maasse das geringe Gebiet kaum. zu fassen scheint *); in einer Zeit, in welcher die Geschichte hoch über den Häuptern der Griechen dahinschreitet, ohne ihre Städte und Staaten zu kennen und zu beachten, sehn wir doch im Innern _1) Man könnte eben deshalb als den Staat, der in der ganzen Inschrift zu verstehn sei, Messene zu denken geneigt sein, zu dem Andania gehört habe. Da aber die &pogor, die nach Polybius (4. 4, 2. 3. 31, 2) an der Spilze des mes- senischen Staates standen, die ovvagyicı, die Polyb. 4. 4, 2 erwühnt, in der Inschrift nicht vorkommen, da auch eine solche Organisation im Innern, dass das ganze messenische Staatsgebiet nur als ein einziges Gemeinwesen be- trachtet worden würe, schwerlich jemals nach der Neugründung der messeni- schen Selbständigkeit vollständig durchgeführt worden ist, so glaubte ich diese Annahme aufgeben zu müssen. : Hist. - Philol. Classe. VIII. Nn 274 HERMANN SAUPPE, DIE MYSTERIENINSCHRIFT AUS ANDANIA. der Gemeinden noch reges Leben sich bewegen, Ernst und Lust in reicher Fülle aus religiöser Quelle hervorstrómen. Mehr als ein Jahrtausend früher hatte hier der Demeterdienst die Herzen pelasgischer Urbevölkerung durch das Mitgefühl mit dem Hinsterben der Natur zu religiösem Gefühl erhoben und zu menschlicher Gesittung erzogen. Früh, noch in pelasgischer Zeit, hatte sich zu Demeter und ihrem Kinde Hermes gesellt, der als chthonische Gottheit auch in Eleusis und an vielen andern Orten an ihren Mysterien Theil hat. Dazu waren dann Stämme gekommen , die Sühnfeste des Apollon Karneios mit sich brachten; die Nähe der Oertlichkeiten und innere Verwandtschaft der Feste. in Empfindung und Bestimmung hatten wol schon unter den Aepyliden eine Vereinigung des apollinischen dorisch umgestalteten Festes mit dem der De- meter herbeigeführt. Später nach der Vertreibung der Messenier war die De- meterweihe beseitigt und nur der Apollodienst im Karneasion begangen worden. Nach dreihundert Jahren zog die Demeterweihe wieder in die alte Stätte ein, aber zu den alten Fesigenossen, der Demeter, Hagna, Hermes und Apollon, kamen jetzt noch die samothrakischen Weihegótter. So liegt mehr als ein Jahrtau- send religiósen Lebens mit seinen Erinnerungen und Einwirkungen in der Weihe von Andania vor uns. Aber nicht allein, was in ihr erscheint, ist von Bedeutung, sondern eben so merkwürdig und bezeichnend ist, dass von Dionysos-lakchos, dem in Eleusis durch thrakische Einwirkung in die Weihe- genossenschaft aufgenommenen Gotte, bei aller Aehnlichkeit und Verwandtschaft, die zwischen beiden Weihen bestand und anerkannt wurde, zu Andania sich keine Spur findet. тол Ma. и un un y Druckfehler und Zusätze. Zu den тоны. der physikalischen GAME 103. Z. 11 lies nil a me statt nil me. Zu den Abhandlungen der historisch-philologischen Classe. 43 Z. 7 lies erhielten für erhielt. 90 Z. 10- lies Eintheilung für Mittheilung; und füge hinter Anmerk. 4) hinzu: Vgl. - die ähnliche Eintheilung nach 12 Weltaltern 4 Esr. 14, 11. 92 Anmerk. Z. 6 von unten streiche sie. 99 Z. 12 lies ankündigte für ankündigt. 100 Z. 2 lies Richter zu unterliegen; und füge hinter Anmerk. 1) hinzu: Vgl. uo- regio und ztoÀvagyía in Clem. hom. Э, 2. 142. Der Name Mezizios kann dem von Le? gi _ Mopsuestia Бей weist also wie so viele ühnliche auf einen ursprünglichen Sklaven hin. kaunus erate fapieucta "uge E uirtute emm Gi zeegt ammg, D cum. Хус самаре duas carener bo ` moe duce watch dano diem et ^ woran duamt. ducum d A patruo fuo uid ólao east. 4 cum pror wea weder aat eec ill pafu ng. S ihar. tam affiduus (амор incurfirs . EN we rer. nifi иниси ^ fifonu preficho US nodare Geng wur. 2d ullut mip greng Wiha "brtate? pro Wpeedancat «ассо pac EE кты ТИЗ Ам ins tuv 8 mdo fur pere- ap Eu ам, e. E P m * - 1 ge ped ÉD. ыл у d CS e re rew proßetrus honom орташс «я W us "Ra g Л 3 ae Ear Een D Se pott. Ghost non Сайит etat. per^