ABHANDLUNGEN DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. SECHZEHNTER BAND VOM JAHRE 1871. MIT X LITHOGRAPHIRTEN TAFELN UND I KARTE. GÖTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1872. Mo. Rot. Garden, “UL. VÐ 72-64 e ——ÅÅÅÅÅÅÅ Dieser sechzehnte Band der Schriften der Königlichen Ge- sellschaft der Wissenschaften zu Göttingen enthält die in dem J. 1871 in den Sitzungen derselben vorgetragenen oder vorgeleg- ten Abhandlungen. Die der Societät mitgetheilten kleineren Arbeiten sind in dem Jahrgange 1871 der „Nachrichten von der K. Gesellschaft der Wissenschaften und der G. A. Universität“ veröffentlicht worden, | _ Das Directorium der Societät ging zu Michaelis d. J. von dem Herrn Ewald in der historisch -philologischen Classe auf Herrn Marx in der physikalischen Classe über. Durch den Tod verlor die Sccietät in diesem Jahre von ihren Assessoren: Wilhelm Wicke, gestorben am 6. Juni, geboren am 13. Fe- bruar 1822. Von den auswärtigen Mitgliedern und Ber ver- lor sie: Wilhelm von Haidinger in Wien, gest. 19. März, E 5. Februar 1795. Mitgl. der physik. Classe. John Herschel zu Collingwood, gest. 11. Mai, r&b. T. März 1792. Mitgl. d mäathem. CL August Meineke in Berlin, gest. 13. December 187 0, geb. 8. Sept. 1790. Mitgl. d. histor. philol. Cl. a* IV VORRED E. Immanuel Bekker in Berlin, gest. 7. Juni 1871, geb. 21. Mai 1785. Mitgl. d. histor. philol. Cl. Georg Gottfried Gervinus in Heidelberg, gest. 18. März, geb. 20. Mai 1805. Mitgl. d. histor. philol. Cl. G. A. Carl Städelee in Zürich, gest. 11. Januar, geb. 25. März. 1821. Corresp. d. physik. CL F. Eduard Weber in Leipzig, gest. 18. Mai, geb. 10. März 1806. Corresp. d. physik. Cl. > F, Magnus Schwerd in Speyer, gest. 22. Apen, geb. 8. März 1792. ` Corresp. d. mathem. Cl. -~ “Adolph Strecker in Würzburg, gest. 7. N ovember, geb: 21. October 1822. ` Corresp. d. physik. Cl. B. Huillard Breholles in Paris, Er 93. März, geb. 1817. Corresp. d. histor. philol. CL | So? ‚hiesigen ordentlichen Mitglied für dic ie sche Classe w urde erwählt: Herr Professor Carl Claus. _ Zu Assessoren wurden erwählt: Hr Hans Hübner, physik. CL _ Hr Wilhelm Marme, physik. Cl. Hr Felix Klein, mathem. Cl. Zu auswärtigen Mitgliedern wurden erwählt die bis- herigen -Correspondenten : | Hr Arthur ;Cayley in Cambridge, math. Cl. Hr Wilh. von Giesebrecht in München, hist. philol. Cl. Hr Moriz Haupt in Berlin, hist. philol. Cl- =: sov? Hr Carl Hegel in Erlangen, hist. philol. Cl. ` Hr Heinrich von Sybel in Bonn, hist. philol. Cl. gier? y - Ferner Hr E. H. Carl von Dechen in Bonn, phys. Cl. Hr Joh. Nieolaus Madvig in Kopenhagen, EN Corr espondenten wurden erwählt: Hr Adolf Erik Nordenskjöld in Stockholm, phys. CL, Hr Friedr. Hessenberg in Frankfurt a. M., phys. Cl. Hr Arthur Auwers in Berlin, math. Cl. _ Hr Hermann Grassmann in Stettin, math. Cl. = © © Hr Ludwig Schlaefli in Bern, math. Cl. r Ulrich Köhler in Athen, hist. philol. Cl. r Carl Müllenhoff in Berlin, hist. philol. Cl. Hr Ludwig Müller in Kopenbagen, hist. philol. Cl. > - Die im Laufe des J. 1871 in den Sitzungen vorgetragenen oder vorgelegten Abbändiangss und ae Mittheilungen sind folgende: Am 7. Januar Kohlrausch, Corresp., das Weber’sche eompensirte Mag- netometer zur Bestimmung der erdmagnetischen Intensi- tät. N. 50. Ð Enneper, weitere Bemerkungen über ee ee Li- Den = N go Marmé, iber Wirkung und Vorkommen des Cytisin. Vorgelegt von Wöhler. N. 24. sgo Klein, zur Theorie der Kummer’schen Fläche und der zugehörigen Linien-Complexe 2ten Grades. er ee von Clebsch. N. 44. Am 4. März.‘ Listing, über das Huyshens’sche Ocular. N. 90. Clebsch, Bemerkungen zu der Theorie der Gleichungen “5. oder 6. Grades. “ N; 103. N. boisei "Nachrichten voi der K. ug d. W.« mit der zu der Seite. Am 6. Mai. Am 24. Mai. Am 10. Juni. VORRED E. Wicke, über den Malden-Phosphorit. N. 118. Derselbe, Versuche des Dr. Wagner über das Verhalten der Phosphorsäure im Erdboden. N. 108. Klein, über einen Satz aus der Theorie der Linien-Com- plexe. Vorgelegt von Clebsch. N. 73. Meissner, über electrische Ozon-Erzeugung und über In- fluenz-Electrieität auf Nichtleitern. Bd. XVI. Wüstenfeld, die Strasse von Bagra nach Mekka mit der Landschaft Dharijä. Bd. XVI. v. Seebach, über Pamphix Albertii, Meyer, aus dem un- teren Nodosenkalk des Hainbergs. N. 185. Enneper, über die Flächen, welche gegebenen Flächen der Krümmungs-Mittelpunkte entsprechen. N. 310. Cremona, Corresp. über die Abbildung algebraischer Flä- chen. N. 129. Claus, über den Bau und die Verwandtschaft der Hype- riden. Vorgelegt von Wöhler. N. 149. | Derselbe, die Metamorphose der Squilliden. Vorgelegt von Wöhler. N. 169. v. Willemoes, über Entwickelung von Polystoma. Vor- gelegt von Meissner. N. 181. Clausius, Corresp., über die Anwendung einer von ihm aufgestellten mechanischen Gleichung auf die Bewegung eines materiellen Punktes um ein festes Anziehungscen- trum und zweier materieller Punkte um einander. N. 245. Lie, eine Ausdehnung der Krümmungstheorie. Vorge- legt durch Clebsch. N. 191, Ewald, Beiträge zur höheren Sprachwissenschaft. I. N. 295. Waitz, über Fränkische Annalen aus dem Kloster St. Maximin. N. 307. e >: Benfey, „Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nominales Sufix ia oder statt dessen ya anzusetzen“? Bd. XVI. Am 1. Juli. Am 5. August. Am 4. Octob. VORREDE. VII Derselbe, über das Verhältniss des griechischen Hóðw opis zu dem vedischen ähi-s budhnya-s. N. 322. Wieseler, neue archäologische Untersuchungen und Ent- deckungen nach Briefen aus Petersburg und Pompeji. N. 289. Claus, über den Bau und die systematische Stellung von Nebalia, nebst Bemerkungen über das seither unbekannte Männchen derselben. Vorgelegt durch Wöhler. N. 279. Noether, über die algebraischen Functionen einer und zweier Variabeln. Vorgelegt durch Clebsch. N. 267. Clebsch, über die geometrische Interpretation der höheren Transformationen binärer Formen und der Formen Ster Ordnung insbesondere. N. 335. Benfey, über die Entstehung und die Formen des Indo- germanischen Optativ (Potential), so wie über das Futurum auf sanskritisch syämi u. s. w. Bd. XVI. | à Listing, über das Reflexionsprisma, N. 455. Waitz, über die handschriftliche Ueberlieferung des Con- tinuator Regionis. N. 367. Heine, Corresp., über das Dirichlet’sche Princip. N. 375. Christoffel, Corresp., über die Integration von zwei par- tiellen Differentialgleichungen, N. 435, Hattendorf, über das Sterblichkeitsgesetz. Vorgelegt von Stern. N. 382. Klein, über Nicht-Euklidische Geometrie. Vorgelegt von Clebsch. N. 419. Fittig, chemische Mittheilungen (Piperonylsäure, Protocate- chu-Aldelyd, Aethylen-Protocatechusäure, Aldelyd der Naphtalin- gruppe, Benzolhexachlorid, Sulfoxybenzo&säure, Sulfosalieylsäuren, Toluolsulfosäuren.) Vorgelegt von Wöhler. N. 399. Brill, über Entsprechen von Punktsystemen auf einer Curve. Vorgelegt von Clebsch. N. 507. Am 4 Nov.‘ ' SAGING ; Am 29. Nov. ? } VORREDE.. Hatz, über die angebliche Handschrift des Sicardus Cremonensis in Modena. N. 519. Sauppe, ‚Inschrift aus dem Tempel des Zeus Agoraios in „Selinus. N. 605. ` _Wieseler, fernere Mittheilungen über nene archäologische ‘Untersuchungen und Entdeckungen nach Briefen und "Schriften aus Petersburg und Pompeji. N. 657. Enneper, Bemerkungen über _die Differentialgleichung einer Art von Curven und Flächen. N. 577. «`> Merkel, über das quergestreifte Muskelgewebe. Vorge- «„..Jegt von: Henle. N. 529, ` | Reinke, Bemerkungen über das. Spitzenwachsthum der Gymnospermen-Wurzeln. Vorgelegt von Bartling. N. 530, Lie, zur Theorie eines Raumes von n R. _ Vorgelegt durch Clebsch. N. 535. S eto = , Ewald, Beiträge zur höheren Sprachwissenschaft. II. N. 585. Erklärung. d. K. Soc. den Bd. VII. von Gauss Werken betreffend (Theoria motus corporum coelestium.) ` N. ‘603. Mà 2. Decemb. Feier des Stiftungstages der K. Societät und Jahresbe- richt. N. 621. Sauppe, zur Erinnerung an A. Meineke und Ees nuel Bekker. Bd. XVI. Clebsch, Július Plücker. Bd. XVI. ‘Wöhler, zum Andenken an W. von Haidin ger. Wieseler, über die Imhoof-Blumer’sche Minz- -Sammlung «zu Winterthur. N. 635. Claus, die Metamorphosen der Squilliden. Bd. XVI. Reinke, über gonidienartige Bildungen in einer dicoty- lischen Pflanze. Vorgelegt von Bartling. N. 624. VORREDE. IX Die für den November dieses Jahres von der historisch-phi- lologischen Classe gestellte Preisfrage hat keinen Bearbeiter gefunden. Für die nächsten Jahre macht die K. Societät folgende Preisaufgaben bekannt: Für den November 1872 von der Eegen Classe von Neuem aufgegeben: R. S. postulat, ut viarum lacrymalium structura omnis, comparandis cum homine animalibus, illustretur , praecipue vero de iis exponatur apparatibus, qui absor- bendis et promovendis lacrymis inservire dicuntur, de epithelio, de valvulis, de musculis et plexibus venosis ductui lacrymali vel innatis vel adjacentibus, „Die K. Societät verlangt eine vergleichend - anatomische Beschreibung des Thränen leitenden Apparats, mit besonderer Berücksichtigung der Einrichtungen, welche bei der Aufsaugung und Förderung der Thrünenflüssigkeit in Betracht kommen, des Epithelium, der Klappen, der Muskeln und Gefässgeflechte in den Wänden der Thränenwege und deren Umgebung.“ Für den November 1873 von der mathematischen Classe aufgegeben: Theoriam numerorum generalissime complexorum formarumque omnis gradus in factores lineares resolubilium. Eine Theorie der allgemeinsten complexen Zahlen und der zerlegbaren Formen aller Grade. Für den November 1874 von der historisch-philolo- gischen Classe: Ad doctrinam de linguis ulterius excolendam duo sunt ad quae animus nune praecipue est attendendus: primum vivarım linguarum tractatio, ut virium et causarum, quarum effectus in linguarum emortuarum analysi magna eum dili- gentia indagati sunt, motus et actiones pariter atque reactiones ante oculos ponantur; cui fini eae imprimis inserviunt linguae vivae, quae cum veteribus sollerter exploratis affinitatis vinculo sunt conjunctae. Deinde perscrutandum est quomodo singulae ejusdem rami, vel stirpis, linguae ad se invicem referantur, quae servata sint ex lingua quae iis quasi pro fundamento fuit, quae perierint, quae nova accesserint, ex quibus ea fontibus sint hausta aut quo alio modo formata, ut uno verbo utamur: quae vel unius rami linguis vel unius stirpis b VORREDE. ramis communia sint, quae singulis peculiaria; qua quidem ratione fiet, ut de- finire possimus locum, quem quaeque lingua inter eas obtineat, quibus affinis est. Ad hujusmodi res exponendas imprimis apta videtur lingua Carduchorum (Kurden) quae cum reliquis linguis eranieis vinculo tam arcto est connexa, ut lumen ab iis non solum aceipere sed iis etiam retribuere possit; eadem opera comparatione cum affinibus instituta locus potest definiri, quem inter eas obtinet. Quibus quidem considerationibus permota Societas Regia eos, qui linguis in- dogermanicis operam navant, provocat ad elaborandam Grammaticam Carduchorum linguae comparatae cum lingua vetere Bactrorum linguisque persicis (vetere Inscriptionum cuneatim scriptarum, media (Pa- zendica) et recentiore ejusque dialectis quae jam notae sunt) praecipue ad locum, quem inter eas obtinet, definiendum. Armeniae linguae comparatio grata illa quidem erit, sed necessaria non est. Für die weitere Fortbildung der Sprachwissenschaft sind jetzt zwei Momente von besonderer Erheblichkeit. Zunächst gilt es das Spiel und die Wechsel- wirkung der sprachschaffenden und -entwickelnden Kräfte, deren Wirkungen in der Analyse der alten erstorbenen Sprachen erkannt sind, in den lebendigen Sprachen zur vollen Anschauung zu bringen. Dazu werden diejenigen lebenden Sprachen die besten Dienste leisten, welche mit alten, sorgfältig durchforschten, eng verwandt sind. Ferner gilt es seine ganze Aufmerksamkeit auf die Er- forschung des Verhältnisses zu wenden, in welchem die Sprachen eines Astes, oder Stammes, zu einander stehen , was sie von der ihnen zunächst zu Grunde liegenden Sprache bewahrl , was eingebüsst, was neugestaltet, welchen Mitteln und Einflüssen diese Neugestaltungen verdankt werden, mit einem Worte: was allen Sprachen eines Astes, den Aesten eines Stammes, gemeinsam und was den besonderten besonders eigen sei, was auf dem Grunde der gemeinsamen Unter- lage die besondre Eigenthümlichkeit der Aeste und ihrer Sprachen bilde. Da- durch wird es möglich zu bestimmen, welche Stelle jede der besonderten Sprachen in dem Sprachkreis einnimmt, zu welchem sie gehört. Zu derartigen Forschungen scheint die Sprache der Kurden besonders geeignet zu sein. Sie ist mit den übrigen eranischen Sprachen so eng verschwistert, dass sie nicht allein fähig ist, Licht von ihnen zu empfangen , sondern auch auf sie zurückzuwerfen; zugleich wird es möglich sein durch eingehende Vergleichung mit den verwandien Sprachen die Stelle zu bestimmen, welche sie im Kreise derselben einzunehmen berechtigt ist. Diese Erwägungen haben die Königl. Ges. d. Wiss. bewogen, aufzufordern zu der Bensberg einer: VORREDE. XI Grammatik der Kurdischen Sprache in Vergleich mit dem Altbactrischen und den persischen“ Sprachen (dem Altpersischen der Keilinschriften, dem Mittelpersischen [Päzendischen] und Neupersischen sammt dessen schon bekannten Dialekten), insbesondre um die Stellung derselben im eranischen Sprachkreise genauer zu bestimmen. Gewünscht wird auch die Berücksich- tigung des Armenischen, doch wird diess nicht als unumgänglich gefordert. Die Conceurrenzschriften müssen vor Ablauf des S eptembers der bestimmten Jahre an die K. Gesellschaft der Wissenschaften portofrei eingesandt sein, begleitet von einem versiegelten Zettel, welcher den Namen und Wohnort des Verfassers enthält und auswendig mit dem Motto versehen ist, welches auf dem Titel der Schrift steht. Der für jede dieser Aufgaben ausgesetzte Preis beträgt funfzig Ducaten. |! + z * Die von dem Verwaltungsrath der Wedekindschen Preisstif- tung für deutsche Geschichte gestellten Aufgaben für den dritten Verwaltungszeitraum, d. h. für die Zeit vom 14. März 1866 bis 14. März 1876, sind in Nr. 4. S. 120 der „Nachrichten“ von 1871 wiederholt bekannt gemacht worden. Góttingen, im Januar 1872. F. Wöhler. b XII VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Verzeichniss der Mitglieder der Königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. Januar 1872. Ehren-Mitglieder. Peter Merian in Basel, seit 1862. Carl Stüve in Osnabrück, seit 1866. Adolph von Warnstedt in Göttingen, seit 1867. Theodor Georg von Karajan in Wien, seit 1867. Johann Jacob Baeyer in Berlin, seit 1867. Freiherr F. H. A. von Wangenheim auf Waake, seit 1868. Graf Sergei Stroganoff in St. Petersburg, seit 1870. Ordentliche Mitglieder. Physikalische Classe. €; F. H. Marx, seit 1833. F. Wöhler, seit 1837. Beständiger Secretair seit 1860. F. Gottl. Bartling, seit 1843. A. Grisebach, seit 1851. FG J. Henle, seit 1853. W. Sartorius von Waltershausen, seit 1856. G. Meissner, seit 1861. C. Claus, seit 1871. Mathematische Classe. W. E. Weber, seit 1831. G. C. J. Ulrich, seit 1845. J. B. Listing, seit 1861. M. Stern, seit 1862. E. Schering, seit 1862. (Zuvor Assessor seit 1860). A. Clebsch, seit 1868. (Zuvor Correspondent seit 1864). DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. Historisch - philologische Classe. H. Ewald, seit 1833. C. Hoeck, seit 1841. G. Waitz, seit 1849. H. F. Wüstenfeld, seit 1856. (Zuvor Assessor, seit 1841). H. Sauppe, seit 1857. J. E. Wappäus, seit 1860. (Zuvor Assessor, seit 1851.) Th. Benfey, seit 1864. F. Wieseler, seit 1868. H. Brugsch, seit 1869. G. Hanssen, seit 1869. Assessoren. Physikalische Classe. E. F. G. Herbst, seit 1855. * C. Boedeker, seit 1857. C. von Seebach, seit 1864. W. Krause, seit 1865. W. Henneberg, seit 1867. H. Hübner, seit 1371. W. Marm&, seit 1871. Mathematische Classe. E. F. W. Klinkerfues, seit 1855. A. Enneper, seit 1865. E. Klein, seit 1871. Historisch - philologische Classe. A. Fick, seit 1869. Auswärtige Mitglieder. Physikalische Classe. Carl Ernst von Baer in St. Petersburg, seit 1851. Jean Baptiste Dumas in Paris, seit 1851. (Zuvor Correspondent, seit 1849.) Christian Gottfried Ehrenberg in Berlin, seit 1851. XII Justus Freiherr von Liebig in München, seit 1851. (Zuvor Corresp., seit 1840.) Ernst Heinrich Weber in Leipzig, seit 1851. XIV VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Carl Friedrich Naumann in Dresden, seit 1853. Robert Bunsen in Heidelberg, seit 1855. Elie de Beaumont in Paris, seit 1855. Gustav Rose in Berlin, seit 1856. Louis Agassiz in Cambridge, Ver. St., seit 1859. Richard Owen in London, seit 1859. Adolf Brongniart in Paris, seit 1860. August Wilh. Hofmann in Berlin, seit 1860. H. Milne Edwards in Paris, seit 1861. Hermann Kopp in Heidelberg, seit 1863. (Zuvor Corresp., seit 1855.) Carl Theodor von Siebold in München, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1850.) Michel Eugene Chevreul in Paris, seit 1865. Joseph Dalton Hooker zu Kew bei London, seit, 1865. Theod. Ludw. Wilh. Bischoff in München, seit 1866. (Zuvor Corresp., seit 1853.) Hermann Helmholtz in Heidelberg, seit 1868. es Corresp., seit 1859.) August de la Rive in Genf, seit 1868. Henri Sainte Claire Deville in Paris, seit 1869. (Zuvor Corresp., seit 1856.) Franz von Kobell in München, seit 1870. (Zuvor Corresp., seit 1861.) ` Anton Schrötter Ritter von Kristelli in Wien, seit 1870. (Zuv. Corr., seit 1856.) Ernst Heinrich Carl von Dechen in Bonn, seit 1871. Mathematische Classe. U. J. Leverrier in Paris, seit 1846. P. A. Hansen in Gotha, seit 1849. George Biddel Airy in Greenwich, seit 1851. Charles Wheatstone in London, seit 1854. Joseph Liouville in Paris, seit 1856. E. Kummer in Berlin, seit 1856. (Zuvor Corresp., seit 1851.) F. E. Neumann in Königsberg, seit 1856. Henri Victor Regnault in Paris, seit 1859. . William Hallows Miller in Cambridge, seit 1859. Edward Sabine in London, seit 1862. (Zuvor Corresp., seit 1823.) Christoph Hansteen in Christiania, seit 1862. (Zuvor Corresp., seit 1840.) Richard Dedekind in Braunschweig, seit 1862. (Zuvor Corresp., seit a, Aug. Robert Kirchhoff in Heidelberg, seit 1862. Heinrich Wilhelm Dove in Berlin, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1849.) Johann Christian Poggendorff in Berlin, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1854.) DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XV William Thomson in Glasgow, seit 1864. (Zuvor Corresp., seit 1859.) Ferdinand Reich in Freiberg, seit 1864. Heinrich Buff in Giessen, seit 1865. (Zuvor Corresp., seit 1842.) Carl Weierstrass in Berlin, seit 1865. (Zuvor Corresp., seit 1856.) Enrico Betti in Pisa, seit 1865. Leopold Kronecker in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1861.) Friedr. Wilh. August Argelander in Bonn, seit 1868. (Zuvor Corresp., seit 1864.) Carl Neumann in Leipzig, seit 1868. (Zuvor Corresp., seit 1864.) Francesco Brioschi in Mailand, seit 1870. (Zuvor Corresp., seit 1869.) Arthur Cayley in Cambridge, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1864.) Historisch - philologische Classe. G. H. Pertz in Berlin, seit 1837. François Guizot in Paris, seit 1841, Leopold von Ranke in Berlin, seit 1851. Justus Olshausen in Berlin, seit 1853. Christian Lassen in Bonn, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1850.) Georg Fried. Schömann in Greifswald, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1850.) Gottfried Bernhardy in Halle, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1854.) Friedrich Ritschl in Leipzig, seit 1860. (Zuvor Corresp., seit 1854.) Adolph Trendelenburg in Berlin, seit 1861. Georg Ludwig von Maurer in München, seit 1863. (Zuvor Corresp., seit 1835.) Samuel Birch in London, seit 1864. Friedrich Diez in Bonn, seit 1864. Christoph Friedrich von Stälin in Stuttgart, seit 1866. (Zuvor Corresp., seit 1857.) Theodor Mommsen in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1857.) Richard Lepsius in Berlin, seit 1867. (Zuvor Corresp., seit 1860.) Ernst Curtius in Berlin, seit 1868. (Zuvor hies. ord. Mitglied, seit 1856.) George Bancroft in Berlin, seit 1868. Franz Miklosich in Wien, seit 1868. Ludolph Stephani in St. Petersburg, seit 1869. Wilhelm von Giesebrecht in München, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1863.) Moriz Haupt in Berlin, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1857.) Carl Hegel in Erlangen, seit 1871. (Zuvor Corresp., seit 1857.) Heinrich von Sybel in Bonn, seit 1871. Zuvor Corresp., seit 1863.) Johann Nicolaus Madvig in Kopenhagen, seit 1871. ` XVI VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Correspondenten. Physikalische Classe. E. Eichwald in St. Petersburg, seit 1841. Robert Willis in London, seit 1844. Hermann Stannius in Rostock, seit 1850. Theodor Schwann in Lüttich, seit 1853. Theodor Scheerer in Freiberg, seit 1853. Wilhelm Duncker in Marburg, seit 1853. L. Zeuschner in Warschau, seit 1857. Johannes Hyrtl in Wien, seit 1859. Nieolai von Kokscharow in St. Petersburg, seit 1859. Rudolph Leuckart in Leipzig, seit 1859. Alfred Wilh. Volkmann in Halle, seit 1860, F. H. Bidder in Dorpat, seit 1860, Carl Schmidt in Dorpat, seit 1860. F. C. Donders in Utrecht, seit 1860. Joh. Jap. Sm. Steenstrup in Kopenhagen, seit 1860. Bernhard Studer in Bern, seit 1860. Heinrich Limpricht in Greifswald, seit 1860. (Zuvor Assessor, seit 1857.) Ernst Brücke in Wien, seit 1861. Emil du Bois Reymond in Berlin, seit 1861. Alexander Braun in Berlin, seit 1861. Carl Ludwig in Leipzig, seit 1861. Hugo von Mohl in Tübingen, seit 1861. Archangelo Seacchi in Neapel, seit 1861. Quintino Sella in Rom, seit 1861. Thomas H. Huxley in London, seit 1862. Albert Kölliker in Würzburg, seit 1862. Ferdinand Römer in Breslau, seit 1862. Charles Upham Shepard in Amherst, V. St., seit 1862, Heinrich Credner in Halle, seit 1863. Alexander Ecker in Freiburg, seit 1863. Joh. Fried. August Breithaupt in Freiberg, seit 1864. Bernhard von Cotta in Freiberg, seit 1864. Alvaro Reynoso in Havanna, seit 1865. Ferdinand Müller in Melbourne, seit 1867. DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. Anton Geuther in Jena, seit 1867. A. L. Deseloizeaux in Paris, seit 1868. Asa Gray in Cambridge, V. St., seit 1868. Jean Charles Marignac in Genf, seit 1868. Alex. Theodor von Middendorff auf Hellenorm bei Dorpat, seit 1368, Adolph Wurtz in Paris, seit 1868. William Sharpey in London, seit 1868. August Kekul& in Bonn, seit 1869. Robert Mallet in London, seit 1869. Wilhelm Hofmeister in Heidelberg, seit 1870. Carl Friedrich Rammelsberg in Berlin, seit 1870. Friedrich Hessenberg in Frankfurt a. M., seit 1871. Adolf Erik Nordenskjöld in Stockholm, seit 1871. Maihematisihe Classe. A. Quetelet in Brüssel, seit 1837. Humphrey Lloyd in Dublin, seit 1843. C. A. F. Peters in Altona, seit 1851. John Couch Adams in Cambridge, seit 1851. Thomas Clausen in Dorpat, seit 1854. Ludwig Seidel in München, seit 1854. Georg Rosenhain in Königsberg, seit 1856. Otto Hesse in München, seit 1856. Peter Riess in Berlin, seit 1856. John Tyndall in London, seit 1859. Charles Hermite in Paris, seit 1861. Julius Schmidt in Athen, seit 1862. Carl Wilhelm Borchardt in Berlin, seit 1864. Andreas von Ettingshausen in Wien, seit 1864. Wilhelm Gottlieb Hankel in Leipzig, seit 1864. Moritz Hermann von Jacobi in Petersburg, seit 1864. Philipp Gustav Jolly in München, seit 1864. Carl Hermann Knoblauch in Halle, seit 1864. Georg Gabriel Stokes in Cambridge, seit 1864. James Joseph Sylvester in Woolwich, seit 1852. Heinrich Eduard Heine in Halle, seit 1865. Rudolph Jul. Emanuel Clausius in Bonn, seit 1866. XVIII "` VERZEICHNISS DER MITGLIEDER Erik Edlund in Stockholm, seit 1866. Georg Quincke in Berlin, seit 1866. Charles Briot in Paris, seit 1867. Benj. Apthorp Gould in Cambridge, V. S., seit 1867. Rudolph Lipschitz in Bonn, seit 1867. Benjamin Peirce in Cambridge, V. St., seit 1867. Siegfried Aronhold in Berlin, seit 1869. E. B. Christoffel in Berlin, seit 1869. Luigi Cremona in Mailand, seit 1869. Wilh. Theod. Bernhard Holtz in Berlin, seit 1869. George Salmon in Dublin, seit 1869. H. A. Schwarz in Zürich, seit 1869. Friedrich Kohlrausch in Darmstadt, seit 1870. (Zuvor Assessor seit 1867.) Paul Gordan in Giessen, seit 1870. Hermann Grassmann in Stettin, seit 1871. Ludwig Schlaefli in Bern, seit 1871. Arthur Auwers in Berlin, seit 1871. Historisch - philologische Classe. F. E. G. Roulez in Gent, seit 1841. Rudolph Roth in Tübingen, seit 1853. Adolph Fried. Heinr. Schaumann in Hannover, seit 1853. August Dillmann in Berlin, seit 1857. J. G. Droysen in Berlin, seit 1857. Wilh. Henzen in Rom, seit 1857. G. C. F. Lisch in Schwerin, seit 1857. A. B. Rangabé in Athen, -seit 1857. B. von Dorn in St. Petersburg, seit 1859. L. P. Gachard in Brüssel, seit 1859. Johann Gildemeister in Bonn, seit 1859. Franz Palacky in Prag, seit 1859. Theodor Bergk in Bonn, seit 1860. Carl Bötticher in Berlin, seit 1860. Georg Curtius in Leipzig, seit 1860. K. Lehrs in Königsberg, seit 1860. Giovanni Battista de Rossi in Rom, seit 1860. Leonhard Spengel in München, seit 1860. DER KÖNIGL. GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN. XIX Heinrich Ludolph Ahrens in Hannover, seit 1861. Carl Ludwig Grotefend in Hannover, seit 1861. Max Müller in Oxford, seit 1861. Arnold Schäfer in Bonn, seit 1861. Friedr. Ferdin. Carlson in Upsala, seit 1863, Martin Haug in München, seit 1863, Ludwig Lange in Leipzig, seit 1863, Theodor Nöldeke in Kiel, seit 1864. (Zuvor Assessor, seit eer Hermann Bonitz in Berlin, seit 1865. Jacob Burckhardt in Basel, seit 1865. Adolph Kirchhoff in Berlin, seit 1865. Leo Meyer in Dorpat, seit 1865. (Zuvor Assessor, seit 1861.) Matthias de Vries in Leiden, seit 1865. Wilhelm Wattenbach in Heidelberg, seit 1865. Jean de Witte in Paris, seit 1865. Leopold Victor Delisle in Paris, seit 1866, Julius Ficker in Innsbruck, seit 1866. Jacob Bernays in Bonn, seit 1867, Johannes Brandis in Berlin, seit 1867. Ernst Dümmler in Halle, seit 1867, Wilhelm Nitsch in Königsberg, seit 1867. William Nassau Lees in Calcutta, seit 1868, Theodor Sickel in Wien, seit 1868. William Wright in London, seit 1868. Theodor Aufrecht in Edinburg, seit 1869. Alfred Ritter von Arneth in Wien, seit 1870. Ulrich Köhler in Athen, seit 1871. Ludwig Müller in Kopenhagen, seit 1871. Carl Müllenhoff in Berlin, seit 1871. Inbáaálkt Vorrede . £ Verzeichniss de Mitglieder dei K. er a Wiss, zu Göt- tingen Januar 1872 Physikalische Classe. G. Meissner, Untersuchungen über die electrische Ozonerzeugung und über die Influenz-Electricität auf Nichtleitern C. Claus, die Metamorphosen der Squilliden . Mathematische Classe. Clebsch, Julius Plücker. acer Historisch - philologische Classe. Th. Benfey, Jubeo und seine Verwandte, Altbactrisch yaozhdd — sanskritisch yaud oder yaut, beide beruhend auf einer Grundform *yavas-dhd, altbactrisch yaozhdaya = lateinisch *jousbe- in jou- bére, jübere, beruhend auf einer Grundform *yavas-dha mit Affix aya. F. Wüstenfeld, die Strasse von Bagra nach Mekka mit der Land- schaft Dharija, nach Arabischen Quellen bearbeitet Th. Benfey, Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nomi- nales Suffix ia, oder statt dessen ya, anzusetzen? Th. Benfey, über die Entstehung und die Formen des adepti > manischen Optativ (Potential), so wie über das Futurum auf sanskritisch syámi u. s. W. H. Sauppe, zur Erinnerung an A. Meineke CS E Bekker. 111 49 135 ABHANDLUNGEN DER PHYSICALISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. SECHSZEHNTER BAND. Phys. Classe. XVI. A Untersuchungen über die elektrische Özonerzeugung und über die Influenz-Elektrieität auf Nicht- Leitern G. Meissner. Vorgelegt in der Kön. Ges. d. Wiss. am 6. Mai 1871. Es ist eine sehr allgemein verbreitete Annahme, dass es zur Er- zeugung des Ozons mit Hülfe der Elektricität der durch den Sauerstoff hindurch erfolgenden elektrischen Entladung bedürfe. Da man Ozon erhält, wenn funken- oder büschelförmige Entladungen durch Sauerstöff hindurch erfolgen, so schloss man, dass eben auch dieser Durchgang der Elektricität durch das Gas das Wirksame sei, und da auch in dem von Siemens construirten Apparat, so wie in der Modification desselben von von Babo bei bekannter Anwendung Ozon erzeugt wird, so schloss man, dass hier der Durchgang der Elektrieität in der Form der soge- nannten stillen Entladungen wirksam sei. Bei meinen bisherigen Ver- suchen über den elektrisirten Sauerstoff war es mir sehr zweifelhaft ge- worden, ob jener Schluss richtig, ob die Ozonerzeugung an den Vor- gang der Entladung geknüpft sei, ob es sich nicht vielmehr um eine Wirkung der Spannung analog der Influenz handele, und ich habe so- ‚ wohl in meinen früheren ‚‚Untersuchungen über den Sauerstoff“ p. 162 u. f., so wie in den späteren im 14. Bande dieser Abhandlungen publi- cirten Untersuchungen p. 105 u. f. verschiedene Beobachtungen mitge- theilt, welche mir gegen die Richtigkeit der erstern Auffassung zu sprechen schienen. Aber weder diese Wahrnehmungen, noch die bisher überhaupt angewendeten Versuchsweisen konnten zu einer sichern Ent- scheidung in dieser Frage führen: das Bestreben eine solche zu finden, war der Ausgangspunkt der im Folgenden vorgelegten Untersuchungen. A2 4 G. MEISSNER, I. 1. Ich construirte mir Leydener Flaschen, deren Glaswand einen Hohlraum einschliesst, in und durch welchen Sauerstoff geleitet werden kann. Die Construction ist folgende. (Fig. 1.) Eine weite 50—60 Cm. lange, möglichst cylindrische Röhre von böhmischem Glase (Verbrennungs- röhre) von ungefähr 20 Mm. Durchmesser im Lichten bildet den äussern Theil der Flaschenwand und trägt die äussere Belegung von Stanniol; das eine Ende dieser Röhre ist zugeschmolzen, das andere offen, nahe den beiden Enden sind als Einleitungs- und Ausflussrohr für den Gas- strom je eine enge Röhre, durch Ausziehen einer böhmischen Röhre er- halten, angelöthet. Den innern Theil der Flaschenwand bildet eine 13— 14 Mm. dicke böhmische Röhre, die möglichst sorgfältig centrirt durch das offene Ende der äussern Röhre eingeführt und daselbst in gleich an- zugebender, Weise fixirt ist. Die innere an dem eingeführten Ende zugeschmolzene Röhre überragt anderseits die äussere Röhre um etwa 10 Cm. und trägt auf ihrer innern Oberfläche die innere Belegung, die sich in’einen aus der Röhre vorragenden Messingdraht mit Knopf fort- setzt. Die innere Belegung kann Stanniol sein, welches um eine genau in die innere böhmische Röhre passende Glasröhre glatt gewickelt und mit dieser eingeschoben wird, oder Quecksilber, dessen nothwendige Menge zur Erleichterung des Apparats dadurch sehr vermindert werden kann, dass der mittlere Theil der Röhre durch einen Glasstab ausgefüllt wird, zwischen welchem und der Röhrenwand das Quecksilber nur eine dünne, aber ununterbrochene Schicht bildet. Die Einfügung der innern Röhre in die äussere geschieht folgendermassen. Ein kurzes Stück einer weiten böhmischen Röhre ist an der einen Seite konisch so weit ver- engert, dass die innere Röhre eben durchgeschoben werden kann, während am andern Ende des Stückes der Rand so zugerichtet wird, dass sich derselbe auf den Rand der weitern Röhre stützt; mit Hülfe von Siegellack wird die innere Röhre in diesem konischen Einsatz befestigt und dieser wiederum mit Hülfe von Siegellack auf dem Rande der äussern Röhre, womit zugleich ein gasdichter Verschluss des Binnenraumes der F lasche UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 5 an dieser Stelle leicht erreicht wird. Auf diese Weise ist an dieser Verbindungsstelle zwischen innerer und äusserer Röhre eine absolute Isolirung der innern Belegung gesichert. Das hier und bei später zu erwähnenden Apparaten angewendete Siegellack ist, wie hier ein für alle Male bemerkt werden mag, die feinste Sorte von rother Farbe, welches zugleich gut isolirt und ohne merklichen Nachtheil mit Bezug auf das Ozon, gegen welches dasselbe indifferent ist, angewendet werden, kann. Eine solche Gasflasche, wie die in Fig. 1 abgebildete, wird von einem Stativ gehalten, dessen Zwinge um die eben erwähnte, mit Siegel- lack bekleidete AeeanAntgestelle für äussere und innere Röhre ge- schlossen wird. 2. Für einen Theil der Versuche ist erforderlich, dass der Hohl- raum in der Flaschenwand beiderseits mittelst eines Glashahns abgesperrt, und dass die Temperatur und der Druck des Gases in jenem Raum ge- messen werden kann. Die in Fig. 2 abgebildete Flasche entspricht diesen Forderungen, wie aus der Abbildung ohne Weiteres ersichtlich ist. Hier besteht jedoch die äussere Röhre nicht aus böhmischem Glase, an welches sich das viel leichter schmelzbare Glas der Geissler’schen Hähne nicht anschmelzen lässt, sondern ich verschaffte mir für diese Flasche eine äussere Röhre aus solchem Kaliglase, wie es zur Herstellung besonders guter Leydener Flaschen auf einer Hütte im Hannoverschen bereitet wird; dasselbe isolirte fast ebenso gut, wie das böhmische, war aber leichter schmelzbar und gestattete unter Einschaltung einer dritten Sorte wiederum etwas leichter schmelzbaren Glases die Verbindung mit Geissler- schem Hahn und Einschliff. Die beiden abwärts gerichteten, der äussern Röhre angelötheten Zapfen sind in Hülsen von Hartgummi: eingekittet, die von den Glassäulen getragen werden. Die äussere Belegung hat der Länge nach einen 1—2 Cm. breiten Spalt um Einblick in den Raum zwischen den Belegungen zu gewähren, und somit gestattet eine Flasche von der Einrichtung, wie in Fig. 2, Alles, was sich in dem gasigen Theil ihrer Wandung bei der Ladung und Entladung ereignet, chemische, thermische, optische Veränderungen und solche des Druckes wahrzunehmen. 3. Ausser der soeben beschriebenen Flasche, die ich als Nro. 2 be- 6 G. MEISSNER, zeichnen will, kam häufig noch eine der einfacheren, wie in 1 beschrieben und in Fig. 1 abgebildet, zur Verwendung, die als Nro. 1 bezeichnet werden mag. Die in Betracht kommenden Maasse dieser beiden Gas- flaschen sind folgende. Nro. 1. Aeussere Röhre, Wandstärke = 1,8 Mm. Durchmesser der Lichtung — 19,5 Mm. Innere Röhre, Wandstärke = 1,7 Mm., äusserer Durchmesser (Dicke) = 14 Mm. Die beiden Belegungen (innen Queck- ` silber) sind somit durch einen 6,2-Mm. dicken Isolator von einander ge- trennt, welcher in der Mitte aus einer 2,7 Mm. dicken trocknen Gas- schicht, jederseits davon aus einer 1,7—1,8 Mm. dicken Schicht des möglichst schlecht leitenden Glases besteht. Die Oberfläche der äussern Belegung ist — 283 [] Cm., die der innern Belegung, so weit sie der Ausdehnung der äussern entspricht, ist = 170 [] Cm. In Fig. 3 ist in wahrer Grösse der Querschnitt dieser Gasflasche abgebildet. Nro. 2. Aeussere Röhre, Wandstärke = 2 Mm., Durchmesser der Lichtung — 20 Mm. Innere Röhre, Wandstärke = 1,2 Mm., äusserer Durchmesser (Dicke) = 13 Mm. Die beiden Belegungen sind somit durch einen 6,7 Mm. dicken Isolator von einander ‘getrennt, der im mittlern Theil aus einer 3,5 Mm. dicken trocknen Gasschicht, jederseits aus einer 2 resp. 1,2 Mm. dicken Schicht sehr gut isolirenden Glases besteht. Die Oberfläche der äussern Belegung ist — 264 [7] Cm. die der innern Belegung so weit sie der äussern gegenübersteht, — 136 [J Cm. 4. Es könnte scheinen, als ob die Beschreibung dieser Gasflaschen deshalb überflüssig gewesen wäre, weil dieselben in der äussern Form und Anordnung der Theile so ziemlich mit dem bekannten von Siemens angegebenen Apparat übereinstimmen und somit nichts Neues zu sein scheinen. Diese Uebereinstimmung ist aber in der That nur eine äusser- liche und scheinbare. Der Apparat von Siemens, wie er in Poggen- dorffs Annalen Bd. 102 p. 120 beschrieben ist, soll absichtlich so con- struirt werden, dass ein Uebergang der Elektricität zwischen den beiden Belegungen durch die einander sehr genäherten möglichst dünnen *) Wände Se *) Vergl. hierzu Poggendorff in den Annalen Bd. 134. 1868. p. 304. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 7 von — wie aus der Construction zu schliessen ist — leicht schmelz- barem, keineswegs isolirenden Glase möglichst begünstigt ist; Siemens meinte, dass durch solche Entladung das Ozon erzeugt werde und con- struirte von diesem Gesichtspunkt aus den Apparat. Derselbe gleicht somit äusserlich wohl einer Leydener Flasche, ist aberin der That keine, weil er überhaupt gar kein Ansammlungsapparat ist und sein sollte, weil man ihm gar keine dauernde Ladung ertheilen kann. Ich habe zwei Exemplare des Siemens’schen Apparats geprüft, der eine stammt aus Berlin, der andere ist von Geissler in Bonn verfertigt; ertheilt man diesen Apparaten Ladung durch Mittheilung von einer Leydener Flasche, so hat man kaum Zeit für die nöthigen Manipulationen, um bei sofortiger Herstellung metallischer Verbindung zwischen den beiden Belegungen nur noch eine sehr schwache Entladung zu erhalten, und in der Zeit, die erforderlich ist, um das bei dem Ladungsversuch in dem Apparat erzeugte Ozon auszutreiben, ist derselbe schon lange wieder völlig unelektrisch geworden. Das Gleiche gilt von dem von Babo’schen Apparat; eine dauernde Ladung lässt sich auch diesem nicht ertheilen, selbst wenn man zu den Glasüberzügen der Drähte wohl- isolirende Glasröhren verwendet; die unvermeidlichen nackten Platin- drähte im Innern, so wie die gleichfalls nicht zu vermeidende Leicht- Schmelzbarkeit und daher Leitungsfähigkeit der umschliessenden Röhre mit eingeschmolzenen Platindrähten ermöglichen auch hier eine sehr rasche Ausgleichung der entgegengesetzten Spannungen. Die oben be- schriebenen Gasflaschen bilden, was sie sein sollen, vortreffliche Ansamm- lungsapparate, wie die besten Leydener Flaschen, sie lassen sich laden, halten die Ladung Stunden lang, geben noch nach langer Zeit kräftige Entladungsfunken *). Unter den für solche Versuche günstigen äusseren Umständen betrug die Abnahme der sog. disponiblen’Ladung (Kohlrausch) meiner Gasflaschen im Laufe einer halben. bis ganzen Stunde in der That kaum mehr, als was nach der Entladung als (gleichnamiger) Rück- *) Eine solche Gasflasche hielt, wenn der Raumzwischen den beiden EE Röhren mit verdünnter Schwefelsäure statt mit Gas gefüllt war, die Ladung ebenso gut. 8 G. MEISSNER, stand allmählich wieder zum Vorschein kam. Da nun grade auf diese Eigenschaft meiner Apparate, wie das Folgende zeigen wird, sehr viel ankommt, so hielt ich es für nothwendig, Das, wovon diese Eigenschaft abhängt, im Gegensatz zu den bisher gebräuchlichen Apparaten genau anzugeben. 5. Der Sauerstoffstrom, zuletzt über wasserfreier Phosphorsäure ge- trocknet, wird durch die Flasche geleitet, vor der Ausströmungsöffnung befindet sich ein mit verdünnter Jodkaliumlösung und sehr wenig Stärke- kleister befeuchtetes Papier. Ladet man die Gasflasche, indem man ihr von einer grössern gewöhnlichen Leydener Flasche Laduyg mittheilt, so erhält man alsbald starke Ozonreaction auf dem Reagenzpapier; bei der Grösse des Binnenraums der Gasflasche dauert es selbst bei raschem Gas- strom mehre Minuten bis der bei der Ladung erzeugte Ozongehalt aus- getrieben ist; endlich hört der Sauerstoffstrom auf, eine Reaction auf dem Reagenzpapier zu verursachen, während die Gasflasche noch ihre volle Ladung hat, man kann den Sauerstoffstrom nun beliebig lange auf noch so empfindliche Ozonreagentien wirken lassen, es kommt aus der gela- denen Flasche keine Spur von Ozon. Sobald man aber dann die Gas- flasche in gewöhnlicher Weise entladet, kommt alsbald wieder starke Ozonreaction zum Vorschein, welche eben so stark und so anhaltend sein kann, wie die in Folge der Ladung erhaltene. * Es kann vorkommen, besonders bei den unten beschriebenen La- dungsapparaten, dass im Moment der Herstellung der Ladung und der Entladung Elektricität längs der Austrittsröhre für den Sauerstoff, an deren Wandung, abströmt, eine Erscheinung deren Ursache in einem folgenden Abschnitt dieser Abhandlung zur Erörterung gelangt; diese Elektricität kann, auf das Jodkaliumpapier überspringend, Jodausscheidung bewirken: man kann diese Erscheinung leicht unterscheiden von der hier allein interessirenden Ozonreaction, denn abgesehen davon, dass die Elektrieität einen Kranz von Punkten auf dem Reagenzpapier entsprechend der Cireumferenz der Röhre bewirkt und nur im Augenblick der Er- theilung oder Aufhebung der Ladung überschlägt, braucht man nur, um ganz sicher zu gehen, den Sauerstoffstrom anzuhalten, während man die UNTFRSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 9 Ladung herstellt oder entladet, und dann erst das erzeugte Ozon aus- zutreiben. Diese Bemerkung gilt ein für alle Mal für sämmtliche im Folgenden mitgetheilten Versuche. Nur um einen Begriff von der Evidenz des EE zu geben, bemerke ich, dass man das nach einer einzelnen Ladung oder nach deren Entladung ausströmende Ozon sehr deutlich, für empfindliche Schleimhäute leicht schon zu deutlich riechen kann, und dass man auf dem mit Pausen von 1⁄4—1⁄2 Minute vor der Ausströmungsöffnung fortgescho- benen Reagenzpapier leicht ein Dutzend und mehr intensiv blaue grosse Flecke herstellen lassen kann, so dass der Versuch auch ein völlig sicheres und evidentes Vorlesungs-Experiment bilden könnte. Wenn ich hier und im weitern Verlauf dieser Versuche immer nur von der Erzeugung des Ozons in der Wandung des Ansammlungsapparats rede und des Antozons dabei nicht erwähnt wird, so geschieht dies wesentlich der Kürze des Ausdrucks halber. Es ist aber anch in der That das Antozon viel weniger leicht nachzuweisen, als das Ozon, und Das, was in diesen Versuchen nach einmaliger Ladung und Entladung an Antozon neben dem Ozon vorhanden ist, ist zu wenig, um an der bekannten Nebelbildung nachgewiesen werden zu können. Wiederholt man die Wirkung der Ladung und Entladung für ein abgesperrtes Sauer- stoffvolumen oft genug, so erreicht auch der Antozongehalt eine Grösse, dass der Nachweis in der früher von mir angegebenen Weise gelingt. 6. Um gewogen werden zu können ist die nach einer Ladung oder Entladung der Gasflasche zum Vorschein kommende ‚„Ozonmenge‘‘ (nach der gewöhnlichen Ausdrucksweise*) viel zu gering, und doch ist es sehr* wichtig, den Ozongehalt bei unter verschiedenen Umständen angestellten einzelnen Versuchen beurtheilen zu können. Hierzu verhilft das schon angedeutete Mittel: ich bewegte bei bestimmter Geschwindigkeit des Gasstroms das immer in gleicher Weise angefertigte Reagenzpapier mit regelmässiger Ree absatzweise vor der Ausströmungsöffnung *) Vergl. meine veði nie in den Nachrichten von der Königl, Gesellsch. der Wissensch. 1870. Nro. 16: E Phys. Classe. XVI. B 10 G. MEISSNER, vorbei und erhielt so je nach der Intensität der Ozonerzeugung eine grössere oder kleinere Anzahl von blauen Flecken, die ausserdem noch bei grösserer Geschwindigkeit der Bewegung des Reagenzpapiers in Grösse und Intensität der Färbung entsprechende Differenzen zeigten, so dass wenigstens grössere Unterschiede in der Stärke der Reaction mit völliger Sicherheit erkannt werden konnten. Der Versuch, das Reagenz- papier durch ein Uhrwerk vorbei drehen zu lassen ergab weit weniger geeignete Bilder, als die nach einer Secundenuhr mit der Hand ausge- führte ruckweise Verschiebung des Papiers. d So unvollkommen die Methode erscheinen mag, so ist sie doch völlig ausreichend, um zunächst zwei wichtige Thatsachen erkennen zu lassen, nämlich dass die Intensität der Ozonreaction nach der Ladung und nach der Entladung der Gasflasche erstens abhängig ist von der Stärke der Ladung, die man derselben ertheilt oder nimmt, zweitens von der Geschwindigkeit, mit welcher ein bestimmter Ladungszustand der Flasche hergestellt und aufgehoben wird; und zwar hängt die- Stärke der Entladungsreaction nicht allein von der Grösse der zur Entladung gelangenden Ladung und der Art der Entladung ab, sondern auch noch von der Art, wie diese Ladung hergestellt wurde. 8. Die Stärke der Ladungsreaction nimmt zu mit der Stärke der der Gasflasche ertheilten Ladung, wenn der Act der Ladung immer in der gleichen Weise ausgeführt wird. Dies zeigt sich deutlich, wenn man der Gasflasche von einer Leydener Flasche plötzliche Ladung mit- theilt, indem man die beiderseitigen äusseren Belegungen in metallische "Verbindung setzt und den Knopf der Leydener Flasche dem der Gas- flasche rasch nähert, so dass die Ladung mit einem einzigen Funken ge- schehen ist; um der Gasflasche nach einander steigende oder abnehmende Ladungsgrössen zu ertheilen, wird entweder die Leydener Flasche jedes Mal mit einer entsprechenden Anzahl von Einheiten der Maassflasche ge- laden, oder man benutzt nach jeder Theilung der Ladung der Leydener Flasche den Rest in derselben zu einer neuen Mittheilung. Erst bei sehr geringer Grösse der der Gasflasche ertheilten plötzlichen Ladung wird die Ladungsreaction unmerklich. (Näheres darüber s. unten). UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 11 ` 9. Die allmähliche Ladung kann geschehen, indem man entweder die Gasflasche direct vom Conductor einer kleinen Elektrisirmaschine aus ladet oder mit der Leydener Flasche absatzweise, indem abwechselnd zuerst der Knopf derselben dem der Gasflasche genähert wird, während die äussere Belegung dieser isolirt ist, darauf die äussere Belegung der Gasflasche abgeleitet wird und so forty bis eine bestimmte Ladung durch das, wie in den Abbildungen angedeutet, aufgesetzte leichte Elektrometer angezeigt wird, oder bis zuletzt die Leydener Flasche noch: zu voll- ständiger Ausgleichung der beiderseitigen Ladungen gehandhabt wird. Geschieht die Ladung der Gasflasche in der einen oder andern Art all- mählich, so ist die Ladungsreaction immer schwächer, als wenn dieselbe Ladung plötzlich hergestellt wurde, um so schwächer, je langsamer ent- weder das Einströmen von dem Conductor aus stattfand oder mit je kleineren Bruchtheilen, namentlich anfangs, die absatzweise erfolgende allmähliche Ladung mit der Leydener Flasche ausgeführt wurde. Um bei der Prüfung der Stärke der Ozonreaction die beiderlei Versuche ver- ` gleichbar zu halten, wird sowohl vor der plötzlichen, wie vor der all- mählichen Ladung die Gasflasche verschlossen und der Inhalt erst aus- getrieben, wenn so viel Zeit verflossen ist, als zur allmählichen Her- stellung der Ladung erforderlich ist. Ich habe es zu wiederholten Malen erreicht, dass auf die recht allmähliche Herstellung einer der elektroskopischen Anzeige nach starken Ladung der Gasflasche gar keine oder fast gar keine Ozonreaction erfolgte. 10.. Was die Entladung betrifft, so setze ich zunächst voraus, dass . die Ladung, um deren Entladung es sich handelt, stets in der gleichen Weise, und zwar plötzlich (wie immer, wo Nichts weiter bemerkt ist) hergestellt wurde; dann ist die Stärke der Entladungsreaction ebenfalls zunächst bedingt durch die Grösse der Ladung, die man entladet, wenn der Act der Entladung immer in gleicher Weise, plötzlich, wie gewöhnlich, vorgenommen wird, und die in gleichem Maasse plötzliche Herstellung und Aufhebung einer gleichen Ladung sind mit gleich starker Ozon- reaction verbunden. Obwohl bei dieser Vergleichung schon kleine Unter- schiede in der Geschwindigkeit des Ladungs- und Entladungsvorgangs B2 12 G. MEISSNER, Unterschiede in der Stärke der Ozonreaction bedingen können, so scheint doch meistens die nach Verlauf einiger Minuten der Ladung folgende Entladung eine etwas schwächere Reaction, als die voraufgehende Ladung zu bedingen, wobei in Betracht zu ziehen ist, dass bei meinen Gasflaschen während des Bestehens einer stärkern Ladung während einiger Minuten schon eine nicht unbeträchtliche Rückstandsbildung (Bildung des „verborgenen“ Rückstandes nach Kohlrausch) zu Stande kommt, so dass die Ent- ladung in der That nicht der ganzen Bewegungsgrösse der Ladung ent- sprach, einen gewissen Theil davon repräsentirte der allmählich zum Vorschein kommende (der ‚wieder aufgetretene‘‘) Rückstand, dessen Ent- ladung, auch wenn er recht beträchtlich war, mir niemals eine Ozon- reaction verursachte. Wird eine plötzlich hergestellte Ladung dadurch allmählich ent- laden, dass man zuerst mit einem Halbleiter, z. B. einem trocknen Holzstäbchen, später unmittelbar mit dem Finger abwechselnd die beiden Belegungen berührt, so fällt die Reaction gleichfalls schwächer aus, als nach plötzlicher Entladung einer gleichen plötzlich hergestellten Ladung, um so mehr geschwächt, je besser es gelingt, die Absätze in denen die Entladung geschieht, recht klein zu halten. Mit dem Gasstrom wird bei dieser Vergleichung ebenso verfahren, wie für die entsprechende Ver- ` gleichung der Ladungsreactionen in 9 angegeben ist. Die sehr langsame stetig erfolgende Entladung der mit verschlossenem Binnenraum in feuchter Luft sich selbst überlassenen Gasflasche verläuft ohne dass eine Spur von Ozon darin erscheint. 11. Wie schon bemerkt ist die Stärke der Entladungsreaction auch be- dingt durch die Art der Ladungsherstellung, weshalb in vorhergehender Nummer vorausgesetzt wurde, dass die Ladung immer plötzlich hergestellt sei. Wird nämlich die Ladung allmählich bewerkstelligt, so bedingt dies an sich immer eine Schwächung auch der bei der Entladung auftretenden Ozonreaction, so dass die plötzliche Entladung einer allmählich herge- stellten Ladung schwächer wirkt, als die plötzliche Entladung einer gleichen plötzlich hergestellten Ladung, und die allmähliche Entladung einer gleichfalls allmählich hergestellten Ladung eine noch schwächere UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 18 Reaction bedingt, als die an sich schon geschwächt wirksame (10.) all- mähliche Entladung einer gleich grossen plötzlich hergestellten Ladung. Es kann aber dabei die plötzliche Entladung der allmählich hergestellten Ladung eine stärkere Reaction bedingen, als diese vorhergehende all- mähliche Ladung, während anderseits die einer allmählichen starken Ladung folgende gleichfalls allmähliche Entladung leicht so schwach wirksam sein kann, dass gar kein Auftreten von Ozon mit ihr ver- bunden ist. | 12. Es kann durchaus nicht zweifelhaft sein, dass das in Folge der Ladung der Gasflasche in deren Wandung auftretende Ozon durch irgend eine von dem Ladungsvorgange abhängige Wirkung erzeugt wird, mit welchem Schluss darüber noch gar Nichts ausgesagt ist, worin diese Wirkung des Ladungsvorganges besteht. Man kann aber nicht in gleicher Weise unmittelbar den Schluss zugeben, dass das in Folge der Entladung auftretende Ozon bei oder durch die Entladung erzeugt wird: denn während einerseits die Abhängigkeit der Stärke der Entladungsreaction von der Art, wie die Entladung vorgenommen wird (10.), allerdings diesen Schluss rechtfertigt ‚ so könnte doch anderseits die Abhängigkeit der Stärke der Entladungsreaction von der Art wie die Ladung herge- stellt wurde (11.) Zweifel erwecken. Es sind nämlich zwei Möglichkeiten denkbar in Betreff der Zeit des Ursprungs des in Folge der Entladung zum Vorschein kommenden Ozons: entweder dasselbe wurde erst bei dem Entladungsvorgange erzeugt, oder dasselbe wurde vor demselben zu- gleich mit dem nach der Ladung zum Vorschein kommenden Ozon bei dem Ladungsvorgange erzeugt, während des Bestehens der Ladung in der Wandung der Gasflasche zurückgehalten und in Freiheit gesetzt durch den Entladungsvorgang. Die in 11. besprochene Abhängigkeit der Ent- ladungsreaction kann veranlassen, an diese zweite Möglichkeit zu denken. Wie unwahrscheinlich dieselbe auch sich darstellen mag (was näher aus- zuführen unnöthig ist), so ist es doch bei der sehr grossen Wichtigkeit grade dieser die Entladungsreaction betreffenden Frage nothwendig, jede Möglickeit des Zweifels daran zu beseitigen, dass bei dem Entladungs- ‚vorgange selbst Ozon erzeugt wird. Der entscheidende Versuch kann 14 G. MEISSNER, nur darin bestehen, dass man den Sauerstoff in der Wand des Ansamm- lungsapparats die Wirkung der Ladung gar nicht erleiden lässt, sondern ihn nur der Wirkung der Entladung aussetzt. Zur Anstellung dieses Versuchs in absolut unzweideutiger Weise ist die Flaschen- oder Röhren- form des Ansammlungsapparats nicht geeignet, vielmehr muss die Form der Franklin’schen Tafel gewählt werden, in welcher Form der An- sammlungs- oder Ladungsapparat auch noch zu vielen späteren Ver- suchen in Anwendung kommen wird. 13. Kittet man mit Siegellack zwei Glastafeln gleicher Form und Grösse auf einen von 3—4 Mm. dicken Glasleisten gebildeten Rand, so dass ein flacher Kasten entsteht, belegt die beiden äusseren Flächen mit Stanniol, und kittet man in passende Lücken des Randes zwei Glas- röhren ein zum Durchleiten des Sauerstoffs durch den Kasten, so hat man den einfachsten Apparat zur Ozonerzeugung bei der Ladung und Entladung. Zu einer Reihe von wichtigen Versuchen aber ist es noth- wendig, die beiden Hälften der Franklin’schen Tafel ganz frei von ein- ander getrennt zu lassen, und solche Einrichtung ist fortan stets gemeint. Der tafelförmige Ansammlungsapparat in dieser Form besteht aus zwei Glasscheiben von gut isolirendem Glase, deren jede eine Belegung von Stanniol trägt. Solche zwei Tafeln, die, völlig getrennt von einander, in beliebigem Abstande einander gegenüber aufgestellt werden können, bilden also eine Franklin’sche Tafel; ich kann es aber nicht vermeiden der Kürze halber im Folgenden jede der beiden Hälften einer solchen Franklinschen Tafel mit dem Ausdruck einer Ladungstafel zu be- zeichnen, was man mir für diese Abhandlung gestatten möge, trotzdem, dass dieser Ausdruck schon für eine ganze Franklin’sche Tafel ver- geben ist. Zu meinen Ladungstafeln ist ein sehr gut isolirendes Tafelglas aus einer Herrn Bippart gehörigen Hütte im Solling verwendet. Die Tafeln sind 1,4—1,5 Mm. dick, 30 Cm. lang, 24 Cm. breit, mit abgerundeten Ecken. Die Stanniolbelegungen von ähnlicher Form sind 23 Cm. lang, 17 Cm. breit und haben, unter Wegfall der Ecken, 330 o Cm. Oberfläche. Der freie Rand ringsum die Belegung ist mit UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 15 Schellackfirniss überzogen. Wo es nützlich ist, endigt ein Fortsatz der Belegung mit einem Metallringe zur Verbindung mit Drähten u. s. w., und in diesem Falle kann auch die freie Oberfläche der Belegung mit Schellackfirniss bekleidet werden. Ich muss aber hervorheben, dass meine tafelförmigen Ladungsapparate, auch wenn die Belegungen mit Schellack bekleidet waren, niemals die Ladungen so gut hielten, wie die Gas- flaschen; bei jenen fand viel stärkerer Ladungsverlust an die Luft statt. Als Behälter für den zwischen zwei Ladungstafeln hindurchgelei- teten Sauerstoff dienen flache Gaskasten. Dieselben werden hergestellt aus zwei Tafeln des genannten Glases von ähnlicher Grösse und Form wie die Ladungstafeln, die in dem Abstande von 1—2 Mm., die eine auf die andere, gasdicht verbunden werden, indem ein Rand von Siegel- lack ringsum zwischen die Ränder der Tafeln eingefügt wird, während, um die Tafeln dabei einander parallel zu halten, Glasstreifen von be- stimmter Dicke so lange zwischen die Tafeln eingeschoben gehalten werden, bis der Siegellackrand so weit hergestellt ist, dass die Tafeln in der richtigen Lage aneinander haften. Was vom Siegellack äusserlich vor- steht, lässt sich nach Erkaltung leicht abschleifen, und der geglättete Rand kann dann noch mit Firniss bekleidet werden. Auf solche Weise erhält man tafelförmige 4—5 Mm. dicke gasdichte Kästen, wie in Fig. A und 5 abgebildet. Zur Ein- und Ausleitung des Sauerstoffs dienen Glas- röhren, welche entweder auf in die eine Wand des Gaskastens einge- bohrte Löcher aufgekittet (Fig. 4), oder um schmale zapfenförmige Enden des Gaskastens übergreifend mit Siegellack befestigt sind (Fig. 5). Hängt man die als Collectortafel dienende Ladungstafel an dünnen weissen Seidenschnüren auf, während die andere parallel zu jener in der Entfernung von 5—20 Mm. und auch mehr unter derselben gelagert ist, so wird in dem zwischen beide eingeführten mit trocknem Sauer- stoff gefüllten Gaskasten Ozon erzeugt bei der Ladung und Entla- dung, wie in der Gastlasche. Doch für die Ozon-Erzeugung bei der Entladung des Ansammlungsapparats soll eben jetzt erst mit Hülfe des tafelförmigen Apparats der Beweis nn werden, und zwar fol- gendermassen. 16 G. MEISSNER, 14. Die eine Ladungstafel ist an Seidenschnüren horizontal auf- gehängt, die Belegung nach oben gewendet, die andere Ladungstafel liegt jener parallel darunter, die Belegung nach unten gewendet, so dass ein 7—8 Mm. hoher freier Raum zwischen beiden. Ein Gaskasten, mit trocknem Sauerstoff gefüllt, kann frei zwischen die Ladungstafeln ein- und ausgeführt werden. Um dies rasch und sicher, ohne Berührung der Ladungstafeln, bewerkstelligen zu können, lagert der Gaskasten mittelst zwei durch Glasplättchen gebildeten Füssen (Fig. 5) jederseits auf einem horizontalen langen Streifen von Spiegelglas. der in passender Höhe jederseits neben dem Ladungsapparat aufgestellt ist: auf diesen Glaslagern kann der Gaskasten, in gleicher Höhe bleibend, leicht hin und her geschoben und so bald ausser den Bereich der Ladungstafeln, bald zwischen dieselben gebracht werden. Fig. 6 zeigt die Anordnung im Profil. Während der mit trocknem Sauerstoff gefüllte, beiderseits mit wenig Wachs verschlossene Gaskasten ausserhalb der Ladungstafeln steht, wird der Apparat geladen, der Gaskasten darauf zwischen die Tafeln eingeschoben, und nun die Entladung vorgenommen: der dann ausgetriebene Inhalt des Gaskastens enthält Ozon. Darauf wird in allen Stücken ebenso verfahren, nur dass man den Inhalt des nach der Ladung eingeführten Gaskastens schon austreibt, bevor man die Entladung der Tafeln vornimmt, wobei genau dieselben räumlichen und zeitlichen Ver- hältnisse in der Bewegung des Gaskastens eingehalten werden, wie im ersten Versuch, so dass der Sauerstoff im Gaskasten genau Alles ebenso erlitten hat, wie im ersten Versuch, bis auf die Wirkung der Entladung des Ansammlungsapparats: es findet sich keine Spur von Ozon in dem Gaskasten. Wenn die Wirkung eines einmaligen Entladungsvorganges zu schwach ist und man einen grössern Ozongehalt im Gaskasten wünscht, so wiederholt man den Versuch, und ebenso nachher die Con- trole, mehre Male nacheinander bevor man den Inhalt des Gaskastens austreibt. Da der Controlversuch zeigt, dass unter den eingehaltenen Versuchs- bedingungen weder die Ladung des Ansammlungsapparats auf den Sauer- stoff im Gaskasten wirkt, noch das Einschieben desselben: in die Wand UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 17 der geladenen Franklin’schen Tafel, so ist ohne die Möglichkeit eines Zweifels zu lassen bewiesen, dass unter der Wirkung der Entladung des Ansammlungsapparats in dem in dessen Wandung enthaltenen Sauerstoff Ozon erzeugt wird. 15. Damit bei dem Vorgange der Ladung oder Entladung eines Ansammlungsapparats die Ozonerzeugung in dem in dessen Wandung ent- haltenen Sauerstoff stattfindet, ist es nicht nothwendig, dass die Ladung von Null an auf eine gewisse Grösse oder die Entladung bis zu Null herab erfolgt, es genügen Schwankungen der Ladungsgrösse, wenn sie nicht zu gering sind und besonders wenn sie mit hinreichender Geschwindigkeit, Plötzlichkeit erfolgen; die oben erwähnte Ozonerzeugung bei der absatz- weise vorgenommenen Ladung und Entladung ist ein Beleg dafür. Ein stationärer Zustand der Ladung dagegen ist, wie schon oben bemerkt, völlig wirkungslos. Wenn die innere Belegung einer der Gasflaschen mit dem Conductor der Elektrisirmaschine verbunden, die äussere Belegung zur Gasleitung des Hauses abgeleitet ist, so wird beim Drehen der Maschine die Gas- flasche zum Maximum geladen, setzt man nun das Drehen der Maschine fort, so kann man es durch recht gleichmässiges Drehen dahin bringen — und ich habe diesen Versuch oft ausgeführt — dass die Gasflasche fort- während auf dem Maximum der Ladung erhalten wird ohne dass das aufgesetzte leichte Quadrantenelektrometer Schwankungen anzeigt, die überschüssig erzeugte Elektricität entweicht, wie man bei Anstellung des Versuchs im Dunklen sah, ausserhalb der Gasflasche von der Leitung zum Conductor aus an dazu geeigneten Stellen: in diesem Falle erscheint, nachdem das bei Herstellung des Ladungszustandes erzeugte Ozon aus- getrieben ist, in dem fortwährend durchgeführten Sauerstoffstrom keine Spur von Ozon mehr, so lange es gelingt, jenen Zustand maximaler Ladung mit möglichst geringen Schwankungen zu unterhalten. Verfährt man aber beim Drehen der Maschine unregelmässig, so dass das Elek- trometer deutliche Schwankungen des Ladungszustandes anzeigt, so hört die Ozonerzeugung, wenn auch schwach, in der Wand der Gasflasche nicht auf. Das letztere Ergebniss habe ich immer erhalten, wenn ich Phys. Classe. XVI. C 18 G. MEISSNER, den Versuch mit solchen Ansammlungsapparaten anstellte, die die Ladung nicht so gut hielten, wie die oben beschriebenen Gasflaschen, und so ist es mir niemals gelungen, in dem schon erwähnten tafelfórmigen Apparat, der weit weniger gut die Ladung hielt, die maximale Ladung so constant zu erhalten, dass nicht fortwährend, so lange und so gleichmässig die Maschine gedrehet wurde, Ozonerzeugung zwischen den Tafeln stattfand. 16. So wie der Zustand der Ladung des Ansammlungsapparats Nichts zur ÖOzonerzeugung beiträgt, so kommt auch auf seine Dauer Nichts an, abgesehen natürlich von dem etwa erfolgenden Ladungsverlust für die Ozonerzeugung bei der Entladung. Ich konnte mit Hülfe einer Wippe die Gasflasche von einer Leydener Flasche aus in rascher Folge laden und entladen, so dass die Ladung nicht länger, als einen Bruchtheil einer Secunde bestand, die von beiden Acten stammende Ozonreaction war ebenso stark, wie wenn eine grössere Pause zwischen der übrigens ebenso ausgeführten Ladung und Entladung gemacht, und das bei beiden Acten erzeugte Ozon ebenfalls vereinigt ausgetrieben wurde. Es ist unnöthig dieses Versuchsverfahren für genauere Zeitmessungen hier weiter zu ver- folgen, weil man sogleich noch einen Schritt weiter gehen kann. Es braucht nämlich gar kein dauernder Ladungszustand sich zwischen die Ladungs- und Entladungsbewegung einzuschalten. Verbindet man die innere und äussere Belegung der Gasflasche durch eine feuchte Schnur, so entladet sich die in gewöhnlicher Weise wie zur Ladungsmit-. theilung gehandhabte Leydener Flasche bis auf einen kleinen Rest durch die feuchte Schnur, welche ja gradezu den Schliessungsbogen zwischen den Belegungen der Leydener Flasche bildet, der an seinen beiden Enden flächenförmig zu den beiden Belegungen der Gasflasche ausgebreitet ist. Die durch den Widerstand der feuchten Schnur be- dingte Verzögerung der Entladung der Leydener Flasche genügt, dass von den Belegungen der Gasflasche aus eine Ladungs- und Entladungsbewe- ' gung, resp. wahrscheinlich eine rasche Folge von mehren derselben zu Stande kommt, und es findet starke ÖOzonerzeugung in der Wand der Gasflasche statt. Die Verzögerung der Entladung der Leydener Flasche bei diesem Versuch braucht gar nicht bedeutend zu sein: jene feuchte UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 19 Hanfschnur war 3 Mm. dick, und nur 60 Cm. lang; dieselbe konnte auch mit einer metallischen Leitung vertauscht werden, der Versuch gelang unter Anwendung einer starken Flaschenladung noch vortrefflich, wenn die beiden Belegungen der Gasflasche durch einen nur 2,5 Meter langen Kupferdraht von 0,5 Mm. Dicke verbunden waren. Der tafelförmige Ladungsapparat gewährt den Vortheil, dass die beiden Belegungen in verschiedenen Abstand von einander gebracht werden können, und man kann damit leicht constatiren, dass, bei gegebener Ladung der Leydener Flasche, je geringer der Widerstand in dem Schliessungsbogen, desto näher die beiden Belegungen einander gebracht werden müssen, zwischen denen Ozonerzeugung stattfinden sol. Als ein Beispiel zur Veranschaulichung diene Folgendes. Zwei Ladungstafeln, wie die oben erwähnten, in einem Abstande, dass die Be- legungen 20 Mm. von einander entfernt waren, verbunden durch ` die feuchte Schnur von 60 Cm. Länge; eine Leydener Flasche von 775 [] Cm. innerer Belegung, deren Ladungsmaximum 14 Entladungen meiner Lane’schen Flasche erforderte, geladen mit 10 Lane, durch den Apparat entladen: in dem mitten zwischen den Ladungstafeln befindlichen 4 Mm. dicken Gaskasten fand starke Ozonerzeugung statt. Als die feuchte Schnur mit dem 2,5 Meter langen Kupferdraht vertauscht wurde, mussten die beiden Belegungen einander mehr genähert werden, um die gleiche - Wirkung zu erhalten, aber schon bei 15 Mm. Abstand der Belegungen wurde auch unter diesen Umständen starke Wirkung erhalten, und bei 10 Mm. Abstand genügte eine Flaschenladung von 6 Lane, um bei Entladung durch den die Tafelbelegungen verbindenden Kupferdraht eine =n Hele Wirkung auf den Sauerstoff zwischen den Tafeln "Stätte, der feuchten Schnur und des Kupferdrahts kann man auch eine kurze Luftschicht zwischen metallische Ausläufer der beiden Bele- gungen einschalten, so dass die verzögerte Entladung der Leydener Flasche an dieser Stelle unter Funkenbildung erfolgt: bei nicht zu geringer Schlag- weite hier finden auch unter solchen Umständen die zur Ozonerzeugung wirksamen Ladungs- und Entladungsbewegungen in den Tafeln statt, c2 20 G. MEISSNER, Als die beiden Ladungstafeln mit 30 Mm. Abstand der Belegungen an- geordnet waren und sich die Leydener Flasche von den Belegungen aus ` um den Rand der Tafeln herum durch einen Funken entladen konnte, bewirkte bei gehöriger Schlagweite daselbst die Entladung jener zum Maximum geladenen Flasche noch Ozonerzeugung in dem in verschiedenen Höhen zwischen den Tafeln befindlichen Gaskasten, und zwar war unter diesen Umständen diese Ozonerzeugung stärker, als wenn der bei so be- deutendem Abstande der Belegungen nur sehr schwache Ladungsapparat (kleiner Bindungscoefficient) von derselben, ebenso stark geladenen Leydener Flasche aus einfach geladen wurde; wenn dagegen die Belegungen ein- ander näher liegen, oder die Verzögerung der Flaschenentladung von den Belegungen der Tafeln aus nicht eine sehr bedeutende ist, dann wirkt umgekehrt die Ladung des Ansammlungsapparats von der Flasche aus stärker zur Ozonerzeugung, als die unter sonst gleichen Umständen durch dieselben oder längs derselben erfolgende verzögerte Entladung der gleichen Flasche. 17. Wenn ich eine der Gasflaschen durch Mittheilung von einer grössern stark positiv geladenen Leydener Flasche lud, die Ladung einige Minuten bestehen liess bis das erzeugte Ozon ausgetrieben war, dann plötzlich entlud, das Austreiben des Ozons wiederum abwartete, darauf . diesen Versuch in derselben Weise unter Anwendung stets gleicher po- sitiver Flaschenladung 6—12 Mal wiederholte, so zeigte sich eine all- mähliche Abnahme in der Intensität der Ozonreactionen, die oft be- . sonders deutlich schon bei dem zweiten Versuch sich bemerklich machte, Wenn dann nach einer solchen Reihe von gleichartigen Versuchen die entgegengesetzte, also negative Ladung ertheilt wurde durch Mittheilung von einer ebenso stark, wie vorher, aber negativ geladenen Leydener ` Flasche, so trat eine auffallend verstärkte Ladungsreaction auf, während die Entladung dieser, einer Reihe von positiven Ladungen folgenden, ersten negativen Ladung eine nur sehr schwache Ozonreaction bedingte. Die Erklärung dieser Erscheinung ergiebt sich leicht unter Beach- tung des sog. Rückstandes. Während des Bestehens der positiven La- dungen bildet sich in der Gasflasche ein „verborgener‘‘ Rückstand aus, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 21 der aber nicht Zeit hat zwischen je zwei Versuchen vollständig zum Vor- schein zu kommen, nimmt man daher auch vor jeder neuen Ladung Das, was vom Rückstand sich zur Entladung darbietet, weg, so bleibt doch in der innern Glaswand d. h. unter der innern Belegung noch positive Elektricität zurück, diese muss abstossend auf die mit der fol- genden gleichartigen Ladung eindringende gleichnamige Elektricität wirken und daher die Ladungsbewegung schwächen, die Gasflasche nimmt ver- möge der in ihr rückständigen verborgenen positiven Ladung in der That nicht so viel neue Elektrieität aus der Leydener Flasche auf, wie das erste Mal von deren gleich starker Ladung. Anderseits muss auch der vor der neuen Ladung in der innern Glaswand noch vorhandene in der Rückkehr zur Belegung begriffene Rückstand durch die folgende gleichartige Ladung wieder tiefer in dieselbe zurückgedrängt und durch einen neuen Rest, geringer, als der vorhergehende vermehrt werden. So muss also eine erste auf eine Reihe positiver Ladungen folgende negative Ladung auf einen allmählich angewachsenen verborgenen positiven Rück- stand in der Glaswand treffen, was eine Verstärkung der Ladungsbewe- gung in derselben, zugleich aber auch eine besonders rasche Abnahme der disponiblen Ladung zur Folge haben muss und somit eine entsprechend abgeschwächte Entladungsbewegung. In der That ist mit der besonders starken Ozonerzeugung bei der einer Reihe positiver Ladungen folgenden ` ersten negativen Ladung immer auch eine auffallend rasche und bedeutende Abnahme der disponiblen Ladung an dem Quadrantenelektrometer zu beobachten, Verschwinden eines ansehnlichen Theiles der elektroskopisch angezeigten Ladung, welcher weder nach Aussen zu Verlust geht, noch als negativer Rückstand später wieder zum Vorschein kommt, sondern sich im Innern der Glaswand mit rückständiger positiver Elektrieität 18. Wurden. bei dem in vorhergehender Nummer besprochenen Versuche die Elektrieitäten vertauscht, und zuerst eine Reihe gleicher negativer Ladungen nebst deren Entladungen vorgenommen, darauf aus einer ebenso stark positiv geladenen Flasche positive Ladung mitgetheilt, so zeigten sich zwar im Allgemeinen dieselben Erscheinungen, jedoch 2 G. MEISSNER, war die Abnahme der Wirkung der Ladung und Entladung zur Ozoner- zeugung in der Reihe niemals so bedeutend, wie in der Reihe der po- sitiven Ladungen, mehrmals konnte eine solche Abnahme sogar gar nicht erkannt werden. Die am Schluss der Reihe der negativen Ladungen vorgenommene positive Ladung hatte eine starke Wirkung, die aber die vorausgehenden Wirkungen der negativen Ladungen nun auch nicht so bedeutend übertraf, wie es bei der in 17. geschilderten umgekehrten Reihenfolge der Fall war. Dagegen war die Wirkung der Entladung dieser ersten, der Reihe negativer Ladungen folgenden, positiven Ladung ebenfalls auffallend abgeschwächt. Die Erklärung der Differenz in den beiden Versuchsreihen mit Ver- tauschung der Elektricitäten ergiebt sich aus dem Verhalten des Rück- standes, wenn man berücksichtigt, dass die innere Belegung resp. die innere Glaswand der Gasflasche mit dem in ihr stattfindenden Bewegungen in ihrer Eigenschaft als Collector der maassgebende Theil des Apparats ist. Bei meinen Gasflaschen war es nämlich sehr deutlich, dass nach in gleicher Weise ausgeführter Ladung und Entladung in der gleichen Zeit von dem negativen Rückstande ein viel bedeutenderer Theil zum Vorschein kam, als von dem positiven Rückstande, ersterer kehrte schneller zur Belegung zurück, als letzterer. Da nun in jener Versuchsreihe vor jeder neuen Ladung Das, was vom Rückstand zum Vorschein gekommen war, weggenommen wurde, so blieb bei Anwendung negativer Ladungen vor jeder neuen Ladung weniger negative Elektricität in der innern Glas- wand zurück, als bei Anwendung positiver Ladungen von positiver zurück- blieb, die neue negative Ladung traf die Gasflasche in einem dem neu- tralen näherstehenden Zustande, somit musste die Ladungsbewegung und die von ihr abhängige Ozonerzeugung im Laufe der Versuche ge- ringere Abnahme erleiden, als in der Reihe der positiven Ladungen. Aus der grössern Beweglichkeit der negativen Elektricität in dem Glase meiner Gasflaschen (unter Berücksichtigung der Prävalenz der innern Belegung und Glaswand) erklären sich auch die folgenden Unter- Re die ich bei Ausführung der Versuche mit beiden Elektricitäten merkt habe. Die in 10. erörterte Abschwächung der Entladungs- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 23 reaction, wie sie durch die Allmählichkeit der Entladung einer plötzlich hergestellten Ladung bedingt wird, war immer viel bedeutender bei der absatzweisen, allmählichen Entladung einer positiven Ladung, als bei dem gleichen Verfahren mit negativer Ladung: offenbar erstrecken sich die bei diesem Verfahren der Entladung wirksamen kleinen Schwan- kungen des Ladungszustandes bei der im Glase beweglichern ne- gativen Elektricität in grössere Tiefe und sind intensiver, als bei positiver Ladung. Dem entsprechend fand ich, dass nach allmählicher Entladung einer, plötzlich hergestellten negativen Ladung ein viel kleinerer Rück- stand nur noch zum Vorschein kommt, als nach dem gleichen Verfahren bei positiver Ladung: der sonst nach plötzlicher Entladung zum Vor- schein kommende Rückstand wird, wenn er negativer Ladung angehört, vollständiger bei der allmählichen Entladung schon mit weggenommen, als wenn er positiver Ladung angehört. Es stimmt ferner mit den angegebenen Differenzen überein und erklärt sich aus der grössern Beweglichkeit der negativen Elektricität in dem Glase, dass eine wie in 9. angegeben allmähliche, absatzweise ausgeführte Ladung der Gasflasche mit negativer Elektricität länger dauerte und mehr Elektricität erforderte bis zu gleicher Grösse der dispo- niblen Ladung oder bis zur Ausgleichung der Ladung beider Flaschen, als die ebenso ausgeführte positive Ladung: die negative Elektricität dringt unter gleichem Druck reichlicher und tiefer in die innere Glaswand ein, als die positive. Eine grössere Beweglichkeit der negativen Elektricität gegenüber der positiven sowohl im Innern, wie auf der Oberfläche von starren Iso- latoren, so wie auch in Gasen, ist mehrfach beobachtet, wurde aber nicht allgemein anerkannt und namentlich von Riess bei verschiedenen Gelegenheiten ein derartiger Unterschied bekämpft (z. B. Lehre von der Reibungselektricität I. p. 113. II. p. 130. 136. 139. 210). Bezüglich starrer Isolatoren vergl. die Beobachtungen von Matteucci in Annales de Chimie et de Physique 3. Ser. T. XXVIL 1849. p. 156. 169. T. LVII. 1859. p. 432, von Sénarmon t das. T. XX VIII. 1850. p. 263. — Bezüglich eines leichtern Eindringens der negativen Elektricität in Gase 24 G. MEISSNER, s. Belli in» Bibliothèque universelle. 1836. V. Sept. p. 152. Faraday, Experimental researches. I. p. 442. 484. Matteucci in Annales de Chimie et de Physique 3. Ser. T. XXVIII. 1850. p a 411. ep den mir bekannten den Rückstand betreffenden E lunt habe ich keine das Verhalten der beiden Elektricitåten geet, chende Beobachtungen gefunden. Im weitem Verlauf dieser Unter- suchungen werden sich noch andere Fälle zeigen, in denen die grössere Beweglichkeit der negativen Elektricität namentlich auf und von der Oberfläche starrer Isolatoren von besonderer Evidenz und Wichtigkeit ist. ` 19. Aus den in den beiden vorhergehenden Nummern mitge- theilten Beobachtungen lässt sich ein Schluss ziehen, welcher sich im weitern Verlauf der Untersuchungen ferner bewähren wird: zu der Ozon- erzeugung in der Wand des Ansammlungsapparats bei der Ladung und Entladung kommt es nicht sowohl auf die in den Belegungen, als viel- mehr auf die in den Glaswänden, in dem Isolator stattfindenden Bewe- gungen an, was in Uebereinstimmung mit der wohlbegründeten Vor- stellung ist, dass bei. jedem Ansammlungsapparat mit starrem Isolator die Belegungen wesentlich nur das Mittel bilden, um die Elektricitäten von vielen Punkten aus zugleich in den Isolator ein- und austreten lassen zu können. So erklärt sich auch, dass, wie schon bemerkt, bei der Ent- ladung von nach der elektroskopischen Anzeige bedeutenden auf der Oberfläche meiner Gasflaschen allmählich zum Vorschein gekommenen Rückständen niemals eine Ozonerzeugung beobachtet wurde, so wie der Umstand, dass die Allmählichkeit der Ladung, resp. die in kleinen Ab- sätzen, schwachen einzelnen Stössen erfolgende Ladung der Gasflasche abschwächend nicht nur auf die mit der Ladung verbundene, sondern auch auf die mit der Entladung einer so hergestellten Ladung verbundene Ozonerzeugung wirkt (11.). 20. Es kommt nun darauf an, zu erfahren, ob die Ozonerzeugung in der Wand des Ansammlungsapparats bei Ladung und Entladung an allen Punkten zwischen den Belegungen resp. den beiden Glaswänden erfolgt, oder ob dieselbe auf eine bestimmte Oertlichkeit beschränkt ist. Ich construirte die in Fig. 7 abgebildete Gasflasche, deren Querschnitt UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 25 in wahrer Grösse Fig. 8 darstellt. - Dieselbe ist, was speciell den An- sammlungsapparat betrifft, ganz ähnlich den oben beschriebenen Gas- flaschen Nro. 1 und 2 und besteht ebenfalls aus böhmischen Röhren ; in den Raum aber zwischen der äussern und innern Glaswand sind noch zwei concentrische dünnwandige (nicht böhmische) Glasröhren eingeführt, welche den Raum für den Sauerstoff in drei auf dem Querschnitt ring- förmige von einander völlig getrennte Abtheilungen theilen. Die der äussern böhmischen Röhre nächste dünnwandige Röhre überragt jene oben und unten, die zweite dünnwandige überragt wiederum oben und unten die erste, und endlich überragt die innere böhmische Röhre oben die ihr nächste; an den überragenden Theilen tragen die beiden dünnwandigen Röhren je eine Einleitungsröhre und eine Aus- strömungsröhre, ebenso die äussere böhmische Röhre; mittelst eines vier- schenkligen Gabelrohrs wird ein Sauerstoffsttom durch jede der drei Abtheilungen in der Flaschenwand zugleich geleitet; die Ausströmungs- röhren sind so gestaltet, dass sie in gleichem Abstande über einem hori- zontal darunter liegenden Reagenzpapier neben einander ausmünden, so dass, wenn Ozon aus den Abtheilungen ausströmt, jede Röhre auf dem vorbeigerückten Papier ihre Reihe von Flecken verzeichnet (S. d. Ab- bildung). Die Dimensionen dieser Gasflasche Nro. 3 sind folgende. Aeussere böhmische Röhre: Wandstärke — 1,5 Mm., Durchmesser der Lichtung = 21 Mm. Innere böhmische Röhre: Wandstärke = 1,3 Mm., äusserer Durchmesser = 13,4 Mm. Die beiden Belegungen befinden sich also in dem Abstande von 6,6 Mm., wovon 1,3 und 1,5 Mm. jederseits die Glaswand einnimmt, 3,8 Mm. der Raum, welcher durch die beiden dünnwandigen (0,8 und 0,5 Mm.) Röhren in eine äussere 1 Mm. dicke, eine mittlere 0,5 Mm. dicke und eine innere 1 Mm. dicke Abtheilung getheilt ist, deren Inhalt, so weit die beiden Belegungen reichen, der Reihe nach 34, 15 und 25 CCm. beträgt. Die äussere (hier nicht gespaltene) Belegung beträgt 371 [] Cm., die innere, so weit sie jener gegenübersteht, 167 [] Cm. 21. Wenn durch die drei vollständig Seng EEN dieser Gasflasche trockner Sauerstoff geleitet wird, so kommt nach der Phys. Classe. XVI. D 26 G. MEISSNER, Ladung und nach der Entladung` aus allen drei Abtheilungen Ozon; es findet also die Ozonerzeugung in allen drei Abtheilungen statt, und zwar auch noch bei Herstellung oder Entladung sehr schwacher Ladungen. Eine gewöhnliche Leydener Flasche, deren Capacität 8 Mal grösser ist. als die der Gasflasche Nro. 3, wurde bis nahe ihrem Maximum mit negativer Elektricität geladen -und von dieser Ladung der Gasflasche mitgetheilt, nach Entladung derselben wurde der erste Ladungsrest der Leydener Flasche wieder getheilt und so fort. Die Ozonerzeugung in allen drei Abtheilungen der Gasflasche fand noch statt, als dieselbe mit dem siebenten Rest in der Leydener Flasche geladen wurde, welche Ladung keinenfalls mehr als ungefähr 39 % der Maximalladung oder Capacität der Gasflasche betrug; die Entladung dieser Ladung bewirkte in der mittlern Abtheilung keine wahrnehmbare Ozonerzeugung mehr. Bei Fortsetzung des Versuchs fand die ÖOzonerzeugung in der innern und äussern Abtheilung bis zur Verwendung des neunten Restes zur Ladung, welche höchstens — 30 % der Maximalladung war, statt, sehr schwach auch noch bei der Entladung. Bei Ladung mit dem zehnten Rest (26 % der Maximalladung der Gasflasche bewirkend) war in der innern Abtheilung noch deutlich Ozonerzeugung zu constatiren, in der äussern kaum eine Spur, die Entladung war ohne Gees zn ebenso die Ladung mit dem folgenden Rest. Es darf bei dem vorstehenden Versuch kein Genicht darauf gelegt werden, dass bei dem Herabgehen zu den schwächsten Ladungen die Ozonreaction aus der mittlern Abtheilung früher verschwand, als aus der innern und äussern Abtheilung, denn da die mittlere Abtheilung ein bedeutend geringeres Volumen hat, als die beiden anderen, und es sich von der Ladung mit dem siebenten Rest an auch in diesen beiden Abtheilungen nur um sehr schwache Reaction handelt, so kann das etwas frühere Ausbleiben der Reaction aus der mittlern Abtheilung darauf beruhen, dass das was nach der gewöhnlichen Anschauung die absolute Menge des Ozons genannt werden müsste, zu gering war, um deutliche Reaction zu geben. Aus demselben Grunde ist aber im Gegen- ` UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 27 theil ein Gewicht darauf zu legen, dass zuletzt die innere Abtheilung noch deutlich Reaction gab, die äussere nicht mehr, denn die äussere Abtheilung hat das grösste Volumen unter den dreien, und es ist daher zu schliessen, dass die ÖOzonerzeugung in der der innern Belegung nächsten Abtheilung am intensivsten erfolgt, jedoch ist diese Differenz nur sehr gering. 22. Mit diesem an dem flaschenförmigen Ladungsapparat wieder- holt erhaltenen Resultat stimmt das Ergebniss der mit dem tafelförmigen Ladungsapparat angestellten Versuche vollkommen überein. Ein Gas- kasten von 4 Mm. Höhe war selbst auf der untern äussern Fläche mit Belegung versehen und wurde horizontal aufgestellt. Darüber hing an Seidenfäden ein zweiter Gaskasten von gleichen Dimensionen, der auf seiner obern äussern Fläche eine Belegung trug. Auf diese Weise war eine Franklin’sche Tafel hergestellt, zwischen deren Belegungen jeder- seits, und zwar in gleicher Entfernung von der zugehörigen Belegung (nämlich durch 1,4Mm. dickes Glas davon getrennt), sich ein Sauerstoff- behälter befand, und indem diese "beiden in solcher Entfernung von einander angeordnet waren, dass der Abstand der Belegungen 20 Mm. betrug, konnte noch ein dritter Gaskasten mitten zwischen jene beiden eingeschoben werden. Mittelst 4schenkligen Gabelrohrs wurde ein trockner Sauerstoffstrom durch jeden der drei Gaskästen geleitet. Auch hier nun fand die Ozonerzeugung in allen drei Kästen statt, bis dass man mit der Ladungsgrösse nahe der untern Gränze der Wirksamkeit gekommen war; in der Nähe dieser Gränze zeigte sich deutlich eine Differenz in der Intensität der Reactionen, die die drei, unter sich ver- gleichbaren, Kästen lieferten, so zwar, dass die Intensität abnahm von dem der als Collectortafel fungirenden Belegung benachbarten Gaskasten bis zu dem der Condensatortafel benachbarten Kasten, und es liess sich auch wohl eine Ladungsgrösse finden, bei deren Entstehen die Reaction nur aus dem dem Collector nächsten Kasten erhalten wurde, doch lag wiederum diese Ladungsgrösse schon sehr nahe an der Gränze des überhaupt Wirksamen und war schwer zu treffen. Bei stärkeren La- dungen und Entladungen sind demgemäss auch keine Unterschiede in D2 28 G. MEISSNER, der Intensitåt der an sich starken Reactionen wahrzunehmen. Das für die Ozonerzeugung in dem mittlern Gaskasten Bemerkte gilt in welche Höhe ‚zwischen den beiden anderen man ihn auch bringen mag, und somit hat sich also 'ergeben, dass die Ozonerzeugung in der Wand des Ladungsapparats überall, in der ganzen Dicke derselben stattfindet, und- dass erst bei Anwendung relativ sehr geringer Ladungsgrössen, nämlich solcher, deren Entstehen und Verschwinden eben noch wirksam auf den Sauerstoff ist, sich eine geringe Differenz zu Gunsten der der innern Belegung oder Collectortafel nächsten Gasschicht zeigt. Bei dieser Ge- legenheit will ich bemerken, dass 30 Mm. die äusserste Entfernung war, welche den Belegungen zweier Ladungstafeln ‘von den oben genannten Dimensionen gegeben werden durfte, wenn in einem Gaskasten zwischen ihnen noch Ozonerzeugung bei Ladung durch Mittheilung von einer stark geladenen grossen Leydener Flasche stattfinden sollte. IL <- 28. Aus sämmtlichen im ersten Abschnitt mitgetheilten Erfahrungen erglebt sich erstens, dass in dem in der Glaswand des Ladungsapparats enthaltenen Sauerstoff Ozon erzeugt wird, ‘ohne dass die dem Ladungs- apparat von Aussen zugeführte Elektricität sich durch den Sauerstoff entladet, die Elektrieitäten, deren Ansammlung der Ladungsapparat den geladenen Zustand verdankt, gleichen sich durch den Sauerstoff hindurch nicht aus, bewegen sich nicht durch denselben, um dabei das Ozon‘ zu erzeugen. Einer weitern Begründung dieses Satzes bedarf es nach den mitgetheilten Versuchen nicht. Somit bewirken also die dem Ladungs- apparat bei der Ladung mitgetheilten und bei der Entladung genommenen Elektrieitäten ihrerseits jene Ozonerzeugung durch eine Wirkung in die Ferne, mit welchem Schluss aber noch gar Nichts darüber ausgesagt ist, ob diese Wirkung eine directe oder eine indirecte sei, indirect nämlich, sofern die den Sauerstoff begränzenden Glaswände resp. deren Oberflächen möglicherweise die Wirkung der Ladung und Entladung des Ansamm- ` UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 29. lungsapparats vermitteln oder übertragen können, was alsbald zu prüfen sein wird. ; Es ergiebt sich zweitens sofort aus den mitgetheilten Erfahrungen, dass diese, directe oder indirecte Fernwirkung der dem Ladungsapparat zugeführten Elektricität, unter welcher die Ozonerzeugung stattfindet, keine elektrostatische sondern eine elektrodynamische Wirkung ist: von den in dem Ladungsapparat ruhenden elektrischen Massen oder von dem stationären Ladungszustande geht die fragliche Wirkung nicht aus, sondern nur von den in Bewegung befindlichen Elektricitäten, die La- dungs- und Entladungsbewegung oder allgemeiner Schwankungen der Ladungsgrösse, mit gewisser Geschwindigkeit erfolgend, sind das Wirksame. Auf welche Weise diese Wirkung der Ladungs- und Entladungs- bewegung auf den Sauerstoff in der Wand des Ladungsapparats über- tragen wird, ist der Gegenstand dieses zweiten Abschnittes dieser Untersuchungen. 24. Bei dieser Frage handelt es sich zunächst um das Verhalten der Grenzflächen zwischen dem starren und gasförmigen Theil der Wand des Ladungsapparats bei und während dessen Ladung. Die Frage nach dem Verhalten von im gewöhnlichen Sinne nicht leitenden, isolirenden Zwischenplatten zwischen Collector- und Conden- satortafel oder zwischen den beiden Hälften einer Franklin’schen Tafel ist vielfach Gegenstand der Untersuchung und der Controverse gewesen, seitdem Faraday seine hierüber angestellten Beobachtungen zur Be- gründung seiner Lehre von der sog. Molecularinduction und dem sog. specifischen Vertheilungsvermögen geltend zu machen suchte. Da es für mich, wie der Stand dieser Untersuchung ergiebt, von grosser "Wichtigkeit war, über das Verhalten der Zwischenplatten mis Klare zu kommen, so habe ich sehr viele Versuche darüber angestellt: wahr- scheinlich würde ihre Zahl geringer gewesen sein, wenn mir zu jener Zeit die in seinen Annalen Bd. 139. 1870. p. 458 abgedruckte Abhand- lung von Poggendorff, „Zur Frage, wie nicht-leitende Substanzen in- flueneirt werden“ schon bekannt gewesen wäre, da meine Versuche sämmtlich mit den Resultaten und Schlüssen übereinstimmen, zu welchen 30 G. MEISSNER, Poggendorff und nach dessen Mittheilung auch Magnus gelangten, eben deshalb aber auch mit vielen der früheren Angaben nicht im Ein- klang waren. Meine mit specieller Rücksicht auf die vorliegende Unter- suchung angestellten Versuche ergaben Folgendes. 25. Eine zwischen die beiden Hälften der Franklin’schen Tafel (die beiden Ladungstafeln, wie ich sie nannte) oder zwischen Collector- und Öondensatortafel diesen parallel und frei eingeführte „Zwischenplatte“ von schlecht leitendem Glase oder anderer gut isolirender Substanz er- leidet unter der Wirkung der Ladung auf ihren beiden Flächen Schei- dung der Elektricitäten in gleichem Sinne, und zwar, wo auch in jenem Zwischenraum die Platte sich befinden mag, stets im Sinne derjenigen Elektricität, mit welcher dem gewöhnlichen Ausdruck nach, der Apparat geladen ist, d.h. die der Ladung gleichnamige Elektricität wird nach dem Rande der Zwischenplatte zu abgestossen und sucht daselbst zu ent- weichen, die ungleichnamige bleibt auf dem mittlern Theile der Platte zurück. Diese Scheidung und Bewegung der Elektricitäten auf jeder zwischen den beiden Belegungen des Apparats befindlichen und diesen parallelen Oberfläche ist auf derselben Fläche derselben Platte um so intensiver, je stärker die Ladung und je näher die Fläche der innern Be- legung, wie Riess kurz diejenige Seite der Franklin’schen Tafel (der Collectortafel entsprechend) bezeichnet hat, welche der innern Belegung der Leydener Flasche entspricht. 26. Der Mittheilung der betreffenden Versuche schicke ich den Versuch voraus, welcher die Methode rechtfertigt. Ein sehr gut isolirtes Bennet’sches Elektroskop ist mit einem 20—30 Cm. langen gebogenen Draht versehen, welcher mit kleinem Knopf oder abgerundetem Plättchen endigt wie in Fig. 9 abgebildet. Wird dieser Knopf des Elektroskops zwischen die Ränder der beiden 15—20 Mm. von einander entfernten Ladungstafeln frei, ohne dieselben zu berühren, eingeführt oder auch ausserhalb in die Nähe dieser Ränder in einer dem freien Zwischenraum entsprechenden Höhe gebracht, so findet bei schwacher Ladung der Tafeln Vertheilung der Elektricitäten in dem Draht des Elektroskops, aber niemals Ladung desselben statt, d. h. die Goldblätter divergiren UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. at mit der der Ladung gleichnamigen Elektricität, fallen aber nach Ent- fernung des Instruments aus dem Bereich des Ladungsapparats sofort vollständig wieder zusammen. Natürlich ist darauf zu achten, dass die Goldblätter bei ihrer Divergenz nicht etwa die Glaswand berühren und dass das Glas vermöge genügender Länge des Drahts keiner Influenz Seitens des Ladungsapparats unterliegt. Die Grössen der anzuwendenden, immer nur sehr schwachen Ladungen werden schon durch das Versuchs- verfahren selbst auf das nicht zu überschreitende Maass eingeschränkt, welches nun auch für die Versuche, zu welchen Vorstehendes die Con- trole bildet, eingehalten wird. 27. Zwischen die beiden Ladungstafeln wird nun ihnen parallel eine nackte oder mit Schellackfirniss überzogene 1,5 Mm. dicke Glastafel eingelegt, welche an zwei vorragenden Rändern auf isolirenden Stützen getragen wird und die Ladungstafeln nirgends berührt. Der Knopf des Elektroskops wird auf den vorragenden Theil der obern oder untern Fläche zur Berührung angelegt, was am besten so geschieht, dass man dem Draht durch passende Biegung eine leichte Federung nach oben oder unten ertheilt, durch welche er leicht angedrückt wird, natürlich unter Vermeidung der Reibung beim “Aufsetzen und Abnehmen. Eirtheilt man darauf dem Ladungsapparat Ladung, so divergiren sofort die Gold- blätter mit der gleichnamigen Elektricität, welche Divergenz bei beste- hender Ladung langsam zunimmt. Diese Divergenz beruhet nun zum Theil auf Vertheilung, zum Theil aber auf Einströmen wirklicher Ladung, denn entfernt man das Elektroskop aus dem Bereich des Apparats, so nimmt die Divergenz zwar ab, aber ein Theil derselben bleibt bestehen, es ist von dem Rande der ‚Zwischenplatte die der Ladung gleichnamige Elektrieität in das Elektroskop eingeströmt. Entladet man das Elektroskop - und legt es von Neuem dem Rande der Platte an, während der Ladungs- apparat noch geladen ist, so strömt von Neuem jedoch langsamer, schwächer, dieselbe Elektricität ein, und so kann man den Versuch noch mehre Male wiederholen. Sobald der Draht des Elektroskops bei sonst ganz unveränderter Stellung und ganz gleichen Bedingungen der Zwischen- platte nicht anliegt, sondern nur in sehr geringem Abstande von ihr 82 G. MEISSNER, endigt, findet im Elektroskop -nur Vertheilung, kein Einströmen von Elektricität statt, wenigstens bei schwachen Ladungen, wie ich sie bei allen diesen Versuchen nur angewendet habe. Man kann den Versuch noch schlagender anstellen, so dass es der Controle in 26 gar nicht bedarf, wenn man die Zwischenplatte in einen langen Zapfen oder Stiel von Glas auslaufen lässt, welcher 20 Cm. oder mehr über den Rand der Ladungstafeln vorragt, und den Draht des Elek- troskops an das Ende dieses Stiels anlegt (Fig. 10). In so grosser Ent- fernung nämlich von den Ladungstafeln wirkte deren schwache Ladung auf das Elektroskop unmittelbar gar nicht, sobald der Draht desselben aber dem Glasstiel angelegt wurde, strömte nach der Ladung der Tafeln die gleichnamige Elektricität von dem Stiel aus ein. Bringt man die Zwischenplatte nach einander in verschiedene Höhen zwischen den Ladungstafeln, so erkennt man bei Anwendung stets gleicher Ladungen leicht, dass die Intensität, mit welcher das Abströmen der gleichnamigen Elektricität erfolgt, um so grösser ist, je näher die be- treffende Fläche der innern Belegung oder Collectortafel. Eine Wachs- platte statt der Glasplatte als Zwischenplatte zeigt dieselben Erscheinungen. Hat man nun die von dem Stiele einer Zwischenplatte in einen an- gelegten Leiter abströmende Elektricität eine Zeitlang abgeleitet, sei es, dass man sie in das Elektroskop aufnahm, oder mit den Fingern oder mit einem zur Erde abgeleiteten Draht ableitete, so zeigt sich die darauf. langsam, ohne Anstreifen und nur an den äussersten Rändern oder den Stielen gefasst hervorgezogene Zwischenplatte auf ihren beiden Flächen geladen mit der der Ladung des Tafelapparats ungleichnamigen Elek- tricität, was am besten und sichersten so geprüft wird, dass man die wie angegeben gefasste Platte von oben dem Knopf eines mit positiver und darauf einem zweiten mit negativer Elektrieität geladenen Bennet’schen Elektroskop langsam nähert ohne zu berühren; man kann der einen Fläche der Platte diese Ladung durch Berühren mit dem Handteller (ohne Reiben) nehmen und die der andern Fläche für sich behalten. iese nigen haften übrigens oft sehr lange Zeit an den isolirt auf- ewahrten ‚Zwischenplatten. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 33 Wenn man dagegen es möglichst vermeidet, die nach dem Rande oder Stiel der Zwischenplatte gedrängte der Ladung gleichnamige Elektriecität abzuleiten, während die Zwischenplatte zwischen den Ladungstafeln liegt, und sie dann möglichst isolirt (mit Guttapercha oder Seide gefasst) lang- sam hervorzieht, so zeigt sie sich auf ihren Flächen entweder neutral, oder sehr schwach mit der der Ladung des Collectors ungleichnamigen Elektricität, stellenweise auch, namentlich in der Nähe des Randes schwach mit der gleichnamigen behaftet, man erkennt im Gegensatz zu dem Verhalten im vorhergehenden Versuch, dass die beiden Elektrieitäten sich auf den Flächen der Zwischenplatte langsam wieder vereinigen, was, wie es scheint, je nach der Oberflächenbeschaffenheit an der einen Stelle rascher, an der andern langsamer zu Stande kommt. In Folge von mehrmals bald nach einander wiederholten dem La- dungsapparat ertheilten schwachen Ladungen unter Ableitung der vom Stiel der Zwischenplatte langsam abströmenden Elektricität konnten die Oberflächen der Zwischenplatte endlich sehr ansehnliche Ladung un- gleichnamiger Elektricität erlangen. 28. Das Verhalten der sog. isolirenden Zwischenplatten kann noch nach einer andern Versuchsmethode, Beobachtung ihrer Rückwirkung auf die Condensatortafel des Ladungsapparats, geprüft werden, und diese ist es, welche vornehmlich in den zahlreichen früheren Discussionen hierüber von Faraday, Knochenhauer, Riess, Müller in Anwendung kam. Die Condensatortafel wird mit dem Draht eines Elektroskops verbunden, der Collectortafel schwache Ladung ertheilt, ohne die Condensatortafel abzuleiten, so dass die Goldblätter des Elektroskops mit der der Collector- tafel mitgetheilten gleichnamigen Elektricität divergiren: wird nun eine isolirende Zwischenplatte zwischen Collector und Condensatortafel ohne ; diese zu berühren eingeführt, und findet auf deren beiden Oberflächen Scheidung der Elektrieitäten statt in gleichem Sinne, so dass auf beiden Flächen in der Mitte die der Ladung ungleichnamige Elektrieität ange- sammelt ist, wie es die vorhergehenden Versuche ergeben, so muss das Einschieben der Zwischenplatte Abnahme der Divergenz der Goldblätter zur Folge haben, oder, falls man vor dem Einschieben der Zwischenplatte Phys. Classe. XVI. 34 G. MEISSNER, die Condensatortafel nach der Ladung ableitete, so dass die Goldblätter nicht divergiren, so muss das Einschieben der Zwischenplatte fun Diver- genz der Goldblätter mit der der Ladung ungleichnamigen Elektricität bewirken. Auch in dieser Weise habe ich viele Versuche angestellt, sowohl mit einem aus nackten Metallplatten bestehenden Condensator, wie mit solchen aus belegten Glasplatten bestehenden; als Zwischenplatten habe ich verschiedene Glastafeln, nackt und gefirnisst, sowie Wachstafeln benutzt. Niemals habe ich ein anderes Resultat erhalten, als dieses, dass, wenn die Zwischenplatte absolut unelektrisch eingeführt wird, stets Abnahme der Divergenz der Goldblätter resp. Divergenz mit der der Ladung des Collectors ungleichnamigen Elektricität erfolgt, was also vollständig mit den in der vorhergehenden Nummer mitgetheilten Ergeb- nissen, sowie mit den Versuchen Müller’ s*) übereinstimmt. Da man bei diesen Versuchen nur sehr schwache Ladungen des Condensators anwendet, so muss man mit der grössten Sorgfalt darauf achten, dass die Zwischenplatten vor der Einführung nicht im geringsten schon Ladung haben, was, sei es von vorhergehenden Versuchen oder vom Reiben oder von der Nähe elektrisirter Körper sehr leicht der Fall sein kann. Ich habe alle hierhergehörigen Versuche deshalb’ in der Weise angestellt, dass jeder Versuch sowohl bei positiver Ladung des Collectors, wie bei negativer, vorgenommen wurde, jedes Mal nun, wenn das Einschieben der Zwischenplatte die der Ladung gleichnamige Divergenz der Goldblätter vermehrte, so wirkte sie bei Wiederholung des Versuchs mit entgegengesetzter Ladung des Collectors umgekehrt vermindernd auf die Divergenz, und dann war bei sorgfältiger Prüfung der Zwischenplatte auch stets direct nachzuweisen, dass sie elektrisch ` war. Die vollkommen unelektrisch eingeführte Zwischenplatte giebt und muss geben die gleiche Wirkung, der Collector mag mit positiver oder negativer Elektricität geladen sein. Meine Zwischenplatten waren an mehre Fuss langen Glasstielen oder dünnen weissen Seidenschnüren be- festigt und gehalten, eine Einwirkung des eigenen Körpers oder der Hand wurde sorgfältig vermieden. *) Bericht über die neuesten Fortschritte der Physik. I. p. 60. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 35 Ein in weiter Entfernung von dem Condensator an den Stiel der Zwischenplatte angelegtes Elektroskop zeigte meistens das Abströmen der der Ladung gleichnamigen Electrieität von der Zwischenplatte an, und nur die dünne weisse Seidenschnur und Glasstäbe von gewisser Glassorte leiteten so schlecht an ihrer Oberfläche, dass sie die auf der Platte abgestossene Elektricität dem angelegten Elektroskop nicht zu- führten. Aber auch in diesem Falle der möglichst vollständigen Isolirung der Zwischenplatte und auch ohne dass sie mit ihrem Rande die Tafeln des Condensators überragte, wirkte sie dem Sinne nach, wie angegeben, und man wird sich vorstellen dürfen, dass in diesem Falle die abge- stossene Elektricität von beiden Flächen sich auf der Fläche des Randes, auf der Kante ansammelt. Mit Bezug auf den von Riess*) ausgesprochenen Satz, dass der Erfolg der Wirkung nicht leitender Zwischenplatten auf den Influenz- versuch von Form und Dimensionen sowohl dieser Platten wie der zu dem Versuche gebrauchten Leiter abhänge, und dass im Allgemeinen dünne ausgedehnte Zwischenplatten die scheinbare Schwächung der In- Duenz bewirken, bemerke ich, dass ich nur mit solchen relativ dünnen und an Ausdehnung den Dimensionen der Condensatortafeln ähnlichen Zwischenplatten experimentirt habe, meine Versuche soweit also auch in Uebereinstimmung mit den Beobachtungen von Riess sind. Wenn relativ sehr dicke möglichst isolirt getragene Zwischenplatten, deren beide Flächen mit abgerundetem glatten Rande in einander übergehen auf der der Collectortafel abgewendeten Fläche die der Ladung gleichnamige Elektricität zeigen, wie es früher mehrfach beobachtet ist, so erklärt sich dies nach dem Vorhergegangenen leicht, denn es ist wohl denkbar, dass sich die von der dem Collector bedeutend nähern Fläche abgestossene Elektrieität um einen geeigneten Rand herum auf die andere Fläche be- giebt, wenn diese in bedeutend grösserer Entfernung vom Collector einer sehr viel weniger intensiven Influenz unterliegt. Ueber das in dieser *) Abhandlungen zu der Lehre von der Reibungselektrieität p. 23. 26. (Poggendorff’s Annalen. Bd. 92), E2 36 G. MEISSNER, Beziehung besonders wichtige Verhalten von Glasröhren zwischen den Ladungstafeln s. unten. Zur nähern Prüfung der Anordnung der Elektrieitäten auf den Oberflächen von nicht leitenden Zwischenplatten habe ich auch viele Versuche mit elektroskopischen Pulvern, z. B. Mennige und Schwefel, angestellt, die entweder auf die innere Oberfläche der untern Ladungs- tafel oder auf eine Zwischenplatte gesiebt wurden. Bei der Ladung und Entladung der in weitem Abstande von einander befindlichen Tafeln geräth das Pulvergemenge in starke Bewegung, sowohl auf der von dem- selben bedeckten Fläche, wie namentlich auch von einer Fläche zur andern, in dem sich dabei die beiden Bestandtheile sehr deutlich und scharf nach den Orten ordnen, wohin die positive und die. negative Elektrieität an den Flächen sich begeben, aber auch nach den Orten grösserer und geringerer Spannung ein und derselben Elektricität. Wenn man z. B. Gitter von Glasröhren, oder nicht leitende Körper von ver- schiedenen Formen und Dicken (Glasstücke) auf Zwischenplatten zwischen die Ladungstafeln einlegt, so kann man sehr saubere Vertheilung, Scheidung der beiden Pulver erhalten. Ich hebe hervor, dass es sich dabei nicht um die von von Bezold jüngst (Poggendorff’s Annalen Bd. 140. 1870. p. 145) beschriebenen Figuren handelt, welche, zwar unter im Allgemeinen ähnlichen Umständen erhalten, von Influenzent- ladungen nach des Verfs. Untersuchungen herrührten. Ich gehe jedoch auf diese Versuche hier nicht näher ein, theils weil ihre Besprechung ohne farbige Abbildungen kaum verständlich und unter allen Umständen weitläufig sein würde, theils weil die Deutung der Bilder doch nur an der Hand der in den vorhergehenden Nummern mitgetheilten Versuchs- ergebnisse geschehen kann und diese für den hier vorliegenden Zweck genügen. 29. So viel mir bekannt, ist bisher die Wirkung eines Ladungs- apparats auf zwischen den beiden Belegungen befindliche Isolatoren und deren Oberflächen ausgesprochener Maassen wenigstens immer nur vom Standpunkte der Elektrostatik aus Gegenstand der Betrachtung gewesen. Offenbar muss aber der elektrostatischen Wirkung der bestehenden UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 387 Ladung eine elektrodynamische Wirkung voraufgehen und nachfolgen, nämlich bei der Herstellung und bei der Aufhebung der Ladung eine Wirkung der Ladungs- und Entladungsbewegung; denn, wenn auch die Art oder Form der Bewegung, durch welche sich der geladene Zustand des Ladungsapparats herstellt und durch welche derselbe wieder auf- gehoben wird, nicht näher bekannt ist, so muss es sich doch bei den beiden Acten jedenfalls um Aenderungen der Bewegung der Elektricitäten handeln, im Allgemeinen vergleichbar oder analog den Bewegungsände- rungen bei Schliessung und Oeffnung eines Stromes, wenn sich auch vielleicht im voraus nicht einmal aussagen lässt, welcher von diesen beiden Bewegungsänderungen die Ladungsbewegung entsprechend ist *). Dass ich durch die oben nachgewiesene Thatsache der Ozonerzeugung zwischen den beiden Belegungen resp. deren zugehörigen isolirenden . Trägern bei der Ladung und bei der Entladung auf die Prüfung der eben aufgeworfenen Frage hingewiesen sein musste, bedarf kaum der Erwähnung: ich will zunächst mittheilen, was die in dieser Richtung an- gestellten Versuche ergeben. 30. Schon oben (27.) wurde angegeben, dass, wenn zwischen den beiden Ladungstafeln isolirt eine Zwischenplatte von Glas liegt, das an das Ende eines langen stielförmigen Fortsatzes derselben (z. B. eine mit Siegellack angekittete Glasröhre) angelegte Elektroskop sich bei der Ladung der Tafeln mit der der Ladung gleichnamigen Elektricität ladet, welche von den Flächen der Zwischenplatte abgestossen längs dem Stiel abfliesst. Dies gestaltet sich nun des Nähern folgendermassen: im Mo- *) In der oben schon erwähnten Abhandlung von Poggendorff über die Art, wie Nichtleiter influeneirt werden, sagt Derselbe, was ich wörtlich auch für meine Auffassung in Anspruch nehmen möchte: „Die neue Theorie, wenn ich sie so nennen darf, kommt darauf zurück, dass sie bei der Influenz in Distanz den ersten Act (die Zerlegung der Null- Elektricität in jedem Theilchen wenigstens der Oberfläche) als gleich annimmt für Isolatoren und Leiter, und dass sie keinen andern Unterschied zwischen dem Verhalten beider Körperklassen in diesen Processen statuirt, als den, welcher aus der leichten Beweglichkeit der Elektrieität in letzterer entspringt“. 38 d G. MEISSNER, ment der Ladungsherstellung divergiren die Goldblätter mit einem plötzlichen Ruck, und das sofort ausser Bereich des Apparats gebrachte Elektroskop zeigt wirkliche Ladung an; war die Ladungsgrösse genügend schwach, dass die Divergenz der Goldblätter nicht sofort eine maximale wurde, so beobachtet man während des Bestehens der Ladung eine langsame Zunahme der Ladung des dem Stiel der Zwischenplatte an- liegenden Elektroskops, hat man die starke im Ladungsmoment einströ- mende Ladung des Elektroskops weggenommen und dasselbe von Neuem dem Stiel der Zwischenplatte angelegt, so ladet es sich langsam von Neuem mit derselben Elektricität. Entladet man plötzlich den Tafel- apparat, so nimmt mit einem Ruck die Divergenz der Goldblätter des Elektroskops ab. In dieser Form ist der Versuch noch nicht beweisend dafür, dass im Moment der Entladung der Tafeln auf der Oberfläche der Zwischenplatte eine neue Scheidung der Elektricitäten stattfindet, die entgegengesetzt gerichtet ist der im Ladungsmoment stattfindenden, wohl aber mit folgender Abänderung. Eine der beiden Ladungstafeln als Collectortafel wird aus einer Leydener Flasche negativ geladen, während die gestielte Zwischenplatte isolirt zwischen ihnen liegt: die Ladung bedingt Abströmen von negativer Elektrieität längs dem Stiel der Zwischenplatte, nimmt man nun diese sich am Stiel anhäufende negative Elektricität durch mehrmaliges Be- rühren mit dem Finger fort, und legt man darauf erst das Elektroskop dem Stiele an, so pflegt nur noch sehr langsam ferner negative Elektricität von dem Stiele aus einzuströmen, es wurde durch den Finger nahezu sämmtliche durch die Ladungsherstellung auf den Stiel geschaffte negative Elektricität abgeleitet. Entladet man nun sofort nach Anlegung des völlig ladungsfreien Elektroskops, dessen Goldblätter also in Folge dieses Anlegens nur wenig oder kaum noch mit negativer Elektricität langsam divergiren, den Tafelapparat, so divergiren im Moment der Entladung die Goldblätter ruckweise stark mit positiver Elektricität, und zwar strömt diese von dem Stiele in das Elektroskop ein, dasselbe ist mo- mentan positiv geladen, behält seine positive Divergenz, wenn es ausser den Bereich des Ladungsapparats gebracht wird. Es strömt also im UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 39 Moment der Entladung des Tafelapparats positive Elektricität von dem Stiele der Zwischenplatte ab, von welchem im Moment der Ladung und viel schwächer während bestehender Ladung negative Elektricität ab- strömte. Der Stiel der Zwischenplatte darf so lang sein, dass der dem Ende desselben angelegte Draht des Elektroskops gar nicht von der Ladung und Entladung des Ladungsapparats beeinflusst wird, wenn sich das Elektroskop in derselben Stellung befindet, die Zwischenplatte aber entfernt ist. Der Versuch gelang stets ganz sicher, wenn z. B. die beiden Ladungstafeln mit einem Abstand der Belegungen von 18—20 Mm. aufgestellt waren, die Zwischenplatte in der Mitte des Zwischenraums sich befand und die Tafeln negative Ladung mitgetheilt erhielten von der Flasche von 775 [] Cm. Belegung, die mit 8 Einheiten, also wenig über die Hälfte ihrer Capacität geladen war. (Wenn man nur die Wir- kung der Ladung nachweisen will, wie in den in 27 erörterten Versuchen, kommen viel schwächere Ladungen in Anwendung. S. Nro. 13, in Betreff des Ladungsverlustes der Tafeln). Bei den von mir gebrauchten Zwischenplatten liess sich dieser Versuch nicht in der gleichen Weise schlagend anstellen mit positiver Ladung der Tafeln und zwar aus folgender Ursache. Die unter diesen Umständen am Stiel der Zwischenplatte in Folge der Ladungsherstellung abströmende positive Elektricität bewegte sich viel träger längs diesem Stiel und be- sonders von demselben auf angelegte Leiter, sie liess sich niemals vor Anlegung des Elektroskops dem Stiele so vollständig durch Ableiten entziehen, wie die negative im ersten Fall, so dass das dem Stiel dann angelegte Elektroskop immer noch so starke positive Ladung von demselben aufnahm, dass die Entladung des Tafelapparats nur eine ruckweise starke Abnahme der positiven Divergenz der Goldblätter oder Zusammen- fallen bewirkte, aber die entgegengesetzte Ladung derselben nicht rein d. h. nicht als eine neue negative Divergenz hervortreten konnte, Es eignet sich also zur Anstellung des beschriebenen wichtigen Versuchs eine negative Ladung und deren Entladung weit besser, als eine positive, was auf Nichts . Anderm beruhet, als darauf, dass die negative Elektrieität sich leichter an der Oberfläche der isolirenden Zwischenplatte und von deren Stiel 40 G. MEISSNER, auf einen angelegten Leiter bewegt, als die positive (18.), und man deshalb dem Stiel derselben leichter die in langsamen Abstrümen negativer Elek- tricität bestehenden Nachwirkungen des Ladungsvorganges entziehen kann, um die Wirkung des Entladungsvorganges, das Abströmen der ent- gegengesetzten Elektricität an ihm, rein hervortreten Zu sehen. 31. Der in voriger Nummer erörterte Versuch beweist, dass nicht nur der Vorgang der Ladung, sondern auch der Vorgang der Entladung des La- dungsapparats auf die Elektricitäten an der Oberfläche eines zwischen den Ladungstafeln befindlichen Isolators scheidend wirkt, und zwar übt der Entladungsvorgang eine Scheidekraft im entgegengesetzten Sinne aus gegenüber der bei der Ladungsherstellung wirksamen Schejdekraft. Die Ladungsherstellung wirkt im Sinne der elektrostatischen Wirkung der bestehenden Ladung, die Entladung wirkt im entgegengesetzten Sinne. Man kann also sagen, die Ladungsbewegung in dem Ladungs- apparat bewirkt diejenige Scheidung der Elektricitäten auf der Zwischen- platte, welche durch die elektrostatische Wirkung der bestehenden Ladung aufrecht erhalten wird; durch die Entladung wird nicht bloss einfach diese elektrostatische Wirkung aufgehoben, sondern es wirkt dabei eine Scheidekraft im entgegengesetzten Sinne, vergleichbar, wie wenn ein zuerst gehobenes Gewicht, nachdem es in gewisser Höhe ge- halten wurde nicht einfach frei und fallen gelassen, sondern noch mit einem besondern Stoss wieder herabgeworfen wird. Die hier und im Folgenden noch durch weitere Versuche an Nicht- leitern nachgewiesene wahre Induction durch die Ladungs- und Entla- dungsbewegung muss bei jeder Scheidung der Elektricitäten durch Ver- theilung oder Influenz und deren Aufhebung zu Stande kommen; denn da nicht nur die Annäherung eines Isolators an einen geladenen Körper, sondern auch die Entfernung von demselben nachweisbar (s. unten) wirkt, ersteres wie die Ladungsbewegung, letzteres wie die Entladungsbewegung, so kann eine Scheidung der Elektricitäten durch Vertheilung so wie nicht ein- geleitet, so auch nicht aufgehoben werden, ohne dass jene Induction statt- findet. Die Engländer haben Das, was Elektricitätserregung durch Vertheilung der nach Riess durch Influenz genannt wird, mit dem Ausdruck elek- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 41 trostatische Induction bezeichnet, welcher Ausdruck auch mehrfach in deutschen Abhandlungen gebraucht wird. Es leitet sich nun aber in der That der elektrostatische Zustand der Influenz oder Vertheilung durch eine wahre elektrodynamische Induction ein, und wird durch eine solche im entgegengesetzten Sinne wieder aufgehoben (Poggendorff nannte es „De-Influenz‘‘ — Annalen. Bd. 126. p. 313); das Stattfinden dieser letztern Induction ist wohl das Wesentliche zur Rechtfertigung der in Rede stehenden Vorstellung, da man die Wirkung der Induction im Augenblick der Herstellung der Ladung so lange kennt, wie den elektrosta- tischen Zustand der Vertheilung. Unter der Bezeichnung des sog. Rück- schlages ist eine Wirkung der Entladungsinduction- seit langer Zeit bekannt. 32. Die Ergänzung des in 30 mitgetheilten Versuchs besteht in dem Nachweis, dass durch den Vorgang der Entladung des Tafelapparats auf den zwischen den Tafeln befindlichen Flächen der Zwischenplatte die der Ladung gleichnamige Elektricität fixirt wird, während, wie oben erörtert, die Ladungsbewegung diese Flächen mit der ungleichnamigen Elektricität ladet. Um diesen Versuch anzustellen, muss man so ver- fahren, wie bei dem oben (14.) angegebenen Versuch zum Nachweis der Ozonerzeugung bei der Entladung, man muss die Zwischenplatte der Einwirkung der Ladungsbewegung gar nicht, sie, so weit es möglich ist, nur der Wirkung der Entladung aussetzen, weil sonst der Effect jener so bedeutend und andauernd ist, dass die Wirkung der Entladung nicht rein hervortritt. Zwischen die beiden Ladungstafeln kann die gestielte Zwischenplatte, gleitend auf Glasleisten, ein- und ausgeführt werden. Man führt dieselbe zuerst ausser Bereich der Ladungstafeln, ladet diese, führt langsam die möglichst isolirt an den Stielen gefasste Zwischenplatte ein, entladet die Tafeln und führt die Zwischenplatte sofort, und zwar nun unter Berührung der Stiele mit den Fingern wieder heraus um ihre Flächen über einem mit positiver und einem mit negativer Elektricität geladenen Elektroskop zu prüfen. Die Flächen erweisen sich jetzt als - behaftet mit freier Elektrieität, die derjenigen gleichnamig ist, mit welcher der Ladungsapparat geladen war. Es ist nothwendig, bei der Ausführung des Versuchs die angegebenen Manipulationen genau zu Phys. Classe. XVI. f F 42 G. MEISSNER, beachten, deren Bedeutung nach dem Vorhergehenden zum Theil keiner weitern Erklärung bedarf. Das Ein- und Ausführen der Zwischenplatte zwischen die geladenen Ladungstafeln ist nicht ohne Wirkung auf die Elektricitäten an der Oberfläche der Zwischenplatte, wie es zu erwarten war: durch ein plötzliches, ruckweises Einführen der Zwischenplatte zwischen die gela- denen Tafeln kann starke Scheidung der Elektricitäten auf jener bewirkt werden in demselben Sinne wie die Ladung wirkt, und es ist daher diese Wirkung möglichst zu vermeiden, wenn man auf die Wirkung der Entladung prüfen will. Ein rasches ruckweises Ausführen der Zwischen- platte zwischen den geladenen Tafeln heraus kann merklich entgegen- gesetzt wirken, nämlich im Sinne der Entladung der Tafeln. Nur bei Berücksichtigung dieser Umstände, so wie der aus den in 30 erörterten Versuchen sich ergebenden Momente erweisen sich die an zwischen ge- ladene Ladungstafeln eingeführten und herausgeführten Zwischenplatten zu beobachtenden elektroskopischen Erscheinungen (auch bei solchen Modificationen der Versuche, die ich hier nicht besonders erwähne, da ihr Erfolg sich nach dem Mitgetheilten von selbst ergiebt) gesetzmässig und constant, während ohne das dieselben den Anschein völliger Regel- losigkeit haben können. "Dr alle die Wirkung der Entladung betreffenden Versuche ist selbstverständlich erste Bedingung, dass die Ladungen gut gehalten werden und man über kräftige EIER in dem Ansamm- lungsapparat verfügen kann. Wenn die obere Ladungstafel, welche als Collector FR wie an= ' gegeben wurde, an drei dünnen Seidenschnüren aufgehängt ist, während ` die untere Ladungstafel und die etwa eingeschobene Zwischenplatte völlig getrennt von jener darunter aufgestellt sind, so gewähren die Schnüre vermöge ihrer Dehnbarkeit eine gewisse Beweglichkeit der obern Tafel in der Richtung der auf beiden Tafeln Senkrechten, so dass Er- scheinungen der elektrischen Anziehuhg beobachtet werden können. . Man beobachtet nun nicht allein im Moment der Ladungsherstellung die Wir cung einer kräftigen Anziehung zwischen den Tafeln, sondern auch UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 43 im Moment der Entladung; wenn eine starke Ladung der Tafeln sich bis zu der Entladung erhielt, so wird, indem man dieselbe ohne eine mechanische Wirkung durch die Manipulation auszuüben vornimmt, die = obere Tafel abermals kräftig herabgezogen. Auf diese zweite elektro- dynamische Wirkung der Ladungs- und Entladungsbewegung des An- sammlungsapparats werde ich jedoch in dieser Mittheilung nicht weiter eingehen. 33. Den geladenen Zustand eines Ansammlungsapparats kann man sich im Allgemeinen, nämlich ohne über die Art der Bewegung schon Etwas auszusagen, hergestellt denken dadurch, dass in die innere Bele- gung nebst zugehörigen Isolator die Elektrieitätsmenge E, in die äussere Belegung nebst zugehörigen Isolator die ungleichnamige Elektricitätsmenge n E einströmte, wenn n, ein ächter Bruch, den sogenannten Bindungscoeffi- cienten des Ansammlungsapparats bezeichnet. Die Entladung denkt man sich dann als beruhend auf dem Wiederausströmen dieser beiden Elektricitätsmengen aus den beiden Hälften des Ladungsapparats. Die bei der Ladungs- und Entladungsbewegung in den beiden getrennten Tafeln, aus welchen der Ansammlungsapparat hier bestehend gedacht wird, von diesen auf irgend einen Punkt ausgeübten Inductionskräfte können den Elektricitätsmengen E und resp. n E proportional gesetzt werden. Tritt eine nicht-leitende Zwischenplatte zwischen die beiden La- dungstafeln, so wirkt dieselbe vermöge der Beweglichkeit der Elektrici- täten oder vermöge des Vorhandenseins scheidungsfähiger Nullelektricität an ihren Oberflächen verändernd auf die Wechselwirkung zwischen Collector- und Condensatortafel, wie oben erörtert (28.), die Zwischenplatte selbst übernimmt eine condensatorische Rolle der Collectortafel gegenüber, und es müssen, um dies nicht unerwähnt zu lassen, auch schon die beiden freien, einander zugewendeten Oberflächen der beiden getrennten Ladungs- tafeln je in diesem Sinne wirken ; da aber die Grösse dieser condensatorischen Wirkung einer nicht-leitenden und nicht abgeleiteten Zwischenplatte unter allen Umständen wohl nur eine sehr geringe sein kann gegenüber der Grösse der unter sonst gleichen Umständen bei Fehlen der Zwischen- platte stattfindenden Wechselwirkung der beiden mit Leitern belegten F2 > 44 vii G. MEISSNER,- Ladungstafeln, von denen die als Condensatortafel fungirende ja auch im Moment der Ladung und Entladung abgeleitet, also wie mit un- endlich ausgedehnter metallischer Belegung versehen ist, so kann für das Folgende von jener Rückwirkung, welche die nicht-leitende Zwischen- platte auf die Vorgänge in der Collector- und Condensatortafel des An- sammlungsapparats ausübt, abgesehen werden. Die Bewegungen bei Ladung und Entladung in der äussern Bele- gung nebst Isolator, oder in der Condensatortafel erfolgen selbst erst unter der Wirkung der entsprechenden Bewegungen in der Collector- tafel und finden also nicht ganz gleichzeitig mit diesen statt, es beginnt die Ladungs- und Entladungsbewegung in der Collectortafel etwas früher und ist auch etwas früher beendet, als die entsprechende Bewegung in der Condensatortafel. Da Ladungen der Collectortafel das eine Mal mit positiver, das andere Mal mit negativer Elektrieität in entgegengesetztem Sinne scheidend auf die Elektrieitäten an der Oberfläche einer Zwischenplatte wirken, so muss auch die Ladungs- und Entladungsbewegung in der Condensatortafel auf die zwischen den beiden Belegungen auf Nichtleitern befindlichen Elektricitäten eine Scheidekraft ausüben, welche sofern sich die Elektricitäten nicht durch die isolirende Zwischenplatte hindurch bewegen können und die abgestossene Elektricität sich nur längs der Oberfläche der Zwischenplatte fortbewegen kann, allemal entgegengesetzt der von der entsprechenden Bewegung in der Collectortafel ausgehenden Scheide- kraft wirkt. Diese von der Condensatortafel ausgehende der von der Collectortafel ausgehenden entgegensetzte und zeitlich nachfolgende Wirkung ist natürlich für jeden zwischen den ` Belegungen befind- lichen Punkt eines Nichtleiters stets kleiner, als die Wirkung der Collector- tafel, weil in der Entfernung der Condensatortafel selbst die Grösse der Wirkung der von der Collectortafel ausgeübten Scheidekraft pro- -portional nE ist, d. h. proportional der Intensität der Ladungs- -und Entladungsbewegung in der Condensatortafel, welche beide Be- wegungen ja unter der Wirkung der entsprechenden Bewegungen in der Colleetortafel erfolgen und also das Maass für die in dieser Ent- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 45 fernung stattfindende Wirkung der von der Collectortafel ausgehenden Scheidekräfte sind. Auf die Elektricitäten an der Oberfläche einer Zwischenplatte wirken also beider Ladung und Entladung des Ansamm- lungsapparats je zwei entgegengesetzt gerichtete Kräfte — sofern, wenn von Seiten der Collectortafel die +Æ der Oberfläche der Zwischenplatte nach der Peripherie getrieben wird, die Condensatortafel auf die —E jener Oberfläche abstossend wirkt — von denen aber die von der Collector- tafel ausgehende Kraft an jedem Punkte zwischen beiden Tafeln stets das Uebergewicht hat. Da nun aber die Grösse der Ladungs- und Entladungsbewegung in: der Collectortafel abhängig ist von der Gegenwart und von dem Ab- stande der Condensatortafel oder von der Grösse des Bindungscoefficienten und mit diesem auch die relative Grösse der Bewegung in der Conden- satortafel steigt. so muss die relative Grösse desjenigen Theiles der von der Collectortafel ausgehenden Scheidekraft, welcher für einen bestimmten Punkt zwischen den Tafeln thatsächlich zur Geltung kommt, d. i. die Differenz der von beiden Tafeln ausgehenden, gleichzeitig wirksam ge- dachten Scheidekräfte um so grösser sein, je kleiner der Bindungs- coefficient des Ansammlungsapparats ist. | Da die Ladungsbewegung und die Entladungsbewegung im An- sammlungsapparat unter sich in entgegengesetztem Sinne scheidend auf die Elektrieitäten an der Oberfläche der Zwischenplatte wirken, so können diese Bewegungen wohl nicht etwa so gedacht werden, als ob bei der Ladung die Elektricität von der Belegung aus in einfach fortschrei- tender Bewegung, wie ein Strom, unter Verlangsamung gegen die Fläche der Belegung und in den starren Isolator hinein vordränge, bei der Entladung sich in entsprechender Weise unter Beschleunigung wieder zurückbewegte: denn bei solcher Vorstellung würde aus dem Inductions- gesetz sich ergeben, dass die Ladungs- und Entladungsbewegung in der- selben Tafel in gleichem Sinne scheidend wirken müssten, was nicht der Fall ist: bei der gedachten Vorstellung würde nämlich die Herstellung der Ladung der Oeffnung eines Stromes, die Entladung der Schliessung eines entgegengesetzt gerichteten Stromes entsprechen, während die 46 G. MEISSNER, - beiden Acte ihrer Wirkung nach thatsächlich den beiderlei Schwankungen ein und desselben Stromes entsprechen. Vielleicht darf man sich zur ` Erklärung der Erscheinungen die Ladungs- und Entladungsbewegung in Collector- und Condensatortafel vorstellen als das Entstehen und Auf- hören von stehenden (etwa langsam in den Isolator vordringenden) Schwin- gungen, deren abnehmende und wachsende Schwingungsdauer diejenige Aenderung der Bewegung bildete, die in dem Ausdruck für die Inductions- Scheidekraft als positive oder negative Beschleunigung auftritt. 34. Die an der Zwischenplatte nachgewiesene Induction bei Ladung und Entladung des Ansammlungsapparats erstreckt sich, wie zu erwarten, auch über die Condensatortafel oder äussere Belegung hinaus, sie ist auch jenseits dieser durch ganz analoge Versuche nachweisbar. Die isolirende Zwischenplatte tritt dabei in der Bedeutung und mit der Be- zeichnung der Deckplatte auf. Auf einem wohl isolirenden Träger kommt horizontal die eine Ladungstafel zu liegen mit der Belegung nach unten gewendet, auf diese die zweite Ladungstafel mit nach oben gewendeter Belegung, welche letztere mit einer dicken Schicht Schellackfirniss bekleidet ist. Die Glasscheiben beider Ladungstafeln haben einen zapfenförmigen Fortsatz, auf welchen sich ein entsprechender Ausläufer der Belegungen befindet, der mit einem Metallringe endet, von welchem aus die Ladung und Ab- leitung vorgenommen wird. Die als Deckplatte jetzt angewendete iso- lirende Zwischenplatte wird in dem Abstande von einigen Millimetern über der freien Fläche der obern Ladungstafel, die jetzt als Condensator- tafel fungiren soll, entweder an Seidenschnüren aufgehängt oder auf isolirende Unterlagen gestützt. Der Draht des Elektroskops wird dem weit über den Rand des Ladungsapparats vorragenden Stiel der Deck- platte angelegt. Ertheilt man nun der untern Ladungstafel (die also als „ Innere Belegung benutzt wird, indem ihr der Knopf der Leydener Flasche genähert wird, während die äussere Belegung dieser in leitender Ver- bindung mit der Belegung der obern Ladungstafel steht) negative Ladung, so divergiren die Goldblätter des Elektroskops ruckweise mit negativer Elektricität, und aus dem Bereich des Apparats entfernt zeigt sich das UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 47 Elektroskop mit negativer Elektricität geladen. Entladen und wieder dem Stiele der Deckplatte angelegt nimmt das Elektroskop von Neuem langsam abströmende negative Elektricität auf. Entladet man die Tafeln, so er- leidet die negative Divergenz der Goldblätter eine ruckweise Abnahme. Wiederum wird nun dieser Versuch so modificirt (30), dass man bei der Ladungsherstellung das Elektroskop nicht anlegt, sondern mit den Fingern den Stiel der Deckplatte mehre Male ableitend berührt; es ge- lingt leicht, die daselbst abströmende negative Elektricität so vollständig wegzunehmen, dass das darauf dem Stiel angelegte Elektroskop eine kleine Weile ganz neutral bleibt, entladet man sofort den Apparat, so divergiren die Goldblätter nun wiederum mit plötzlichem Ruck und er- weisen sich als mit positiver Elektricität geladen. Wiederum kann dieser Versuch, wenigstens bei meinen Apparaten, unter Benutzung positiver Ladung so rein nicht angestellt werden, es gelang nicht, die in diesem Falle längs dem Stiel der Deckplatte und von demselben auf einen Leiter viel langsamer abströmende positive Elektrieität vor dem (noch kräftigen) Entladungsact so vollständig wegzunehmen, dass nicht das angelegte Elektroskop noch vor Ausführung der Entladung sich ansehnlich noch mit positiver Elektricität lud, so dass die Entladung nur das ruckweise Zusammenfallen der Goldblätter bewirkte, die ent- gegengesetzte Ladung aber derselben von dem Stiele der Deckplatte aus nicht für sich hervortrat. Hebt man die Deckplatte nach Ertheilung der Ladung und Ab- leitung der Stiele an diesen langsam ab um sie über zwei schwach ge- ladenen Elektroskopen zu prüfen, so erweist sie sich auf den beiden Flächen als geladen mit der der Ladung des Tafelapparats ungleich- namigen Elektrieität. Die entgegengesetzte Ladung auf der Deckplatte in Folge der Entladung nachzuweisen gelingt auch hier: man ladet den Tafelapparat, setzt erst dann die Deckplatte isolirt gefasst langsam auf, entladet jenen, unter Berührung der Stiele der Deckplatte mit den Fingern, und wiederholt etwa diese Manipulation einige Male, man findet dann, entsprechend der bei der Entladung am Stiele abströmenden der Ladung des Tafelapparats ungleichnamigen Elektricität, die Flächen 48 ` G. MEISSNER, der Deckplatte mit der der aufgehobenen Ladung gleichnamigen Elektricitåt behaftet. Es lässt sich in der angegebenen Weise die Scheidung der Elek- tricitäten auf der Deckplatte noch bei grosser, über 20 Mm. betragender Entfernung derselben über der Condensatortafel nachweisen; doch bedarf es im Allgemeinen viel stärkerer Ladungen, als für die Versuche an den Zwischenplatten. e Es findet also auch jenseits, auf der äussern Seite der Condensator- tafel bei der Ladung und Entladung die Scheidung der 'Elektricitäten statt, wie zwischen den Ladungstafeln, nur viel weniger intensiv, aber in dem gleichen Sinne, d. h. im Sinne der von den Bewegungen in der Collectortafel ausgehenden Wirkungen, wie es erwartet werden musste. Wenn nämlich die Bewegungsgrösse in der Condensatortafel bei Ladung und Entladung proportional n E ist, so wird durch diesen Ausdruck zu- gleich die Grösse der Wirkung der von der Collectortafel ausgehenden Scheidekraft für einen Punkt in der Entfernung der Condensatortafel vom Collector gemessen. Die Wirkung dieser Scheidekraft erstreckt sich nun noch über die Entfernung der Condensatortafel hinaus (wie in 33 bemerkt wurde, wird auch hier zunächst wiederum abgesehen von der Rück wir- kung der Elektricitäten der Deckplatte auf den Ansammlungsapparat), und ebenso erstreckt sich dahin die entgegengesetzte Wirkung der von der Condensatortafel ausgehenden Scheidekraft: in der Ebene der Con- densatortafel selbst sind, um es kurz so auszudrücken, beide Kräfte von gleicher Grösse, jenseits derselben aber muss für gleiche Entfernung von ihr die im umgekehrten Verhältniss des Quadrats der Entfernung ab- nehmende Wirkung der Condensatortafel viel rascher sinken, weil erst im Beginn des Sinkens, als die Wirkung der Collectortafel hier in jenem Verhältniss zu sinken fortfährtt. Wiederum muss also, wie zwischen den Ladungstafeln, so auch ausserhalb derselben, ` auch auf der äussern Seite der Öondensatortafel, überall die Wirkung der Collectortafel auch dann das Uebergewicht über die von der Condensatortafel ausgehende Wirkung haben, wenn beide Wirkungen gleichzeitig stattfänden. Da aber jenseits der Condensatortafel die von den beiden Tafeln ausgehenden einander entgegengesetzten Inductions-Wirkungen von (in der Ebene der UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 49 Condensatortafel) gleicher Höhe aus mit der Entfernung ungleich- mässig sinken, so muss nicht nur die daselbst zur Geltung kommende Wirkung der Collectortafel, d. i. die Differenz der beiden Kräfte, über- haupt relativ schwach sein, sondern dieser zur Geltung kommende Theil der Wirkung der Collectortafel muss auch für einen der Condensatortafel und somit dem ganzen Ladungsapparat sehr nahen Punkt absolut kleiner sein, als für einen in gewisser grösserer Entfernung befindlichen Punkt: die inducirende Wirkung der Condensatortafel schwächt auf ihren beiden Seiten die Wirkung der Collectortafel um so mehr, je näher der den Wirkungen unterliegende Punkt der .Condensatortafel liegt, und daher ist auf der äussern Seite der Condensatortafel die Verminderung der Wirkung der Collectortafel durch die entgegengesetzte der Condensator- tafel um so bedeutender, je grösser an und für sich noch die erstere ist. 35. An der Deckplatte lassen sich ausser den bisher erwähnten Versuchen zum Nachweis der Elektricitätsscheidungen an ihrer Ober- fläche auch noch in der Weise Versuche anstellen, dass man den hin- reichend langen Draht des Elektroskops auf verschiedene Punkte der obern Fläche der Deckplatte selbst aufsetzt, um die Anzeigen des In- struments bei der Ladung und Entladung zu beobachten, und die Re- sultate solcher Versuche sind in mehrfacher Beziehung von Wichtigkeit, speciell auch in Bezug auf die alsbald zu erörternde Ozonerzeugung ausser- halb des Ladungsapparats, jenseits der Condensator- und Collectortafel, so dass ich genöthigt bin, näher darauf einzugehen. Es ist hier wiederum noth- wendig, den Versuch mit negativer Ladung des Ansammlungsapparats zu- nächst getrennt von dem mit positiver Ladung desselben zu behandeln. Der lange Draht des Elektroskops ist auf einen Punkt des mittlern Theiles der ganz isolirten Deckplatte aufgesetzt, nämlich desjenigen Theiles, unter welchem sich die Belegungen des Ansammlungsapparats befinden, welchen ich im Folgenden als Mittelfeld bezeichnen will, gegenüber einer Randregion der Deckplatte, unter welcher sich der un- belegte freie Rand der Tafeln des Ansammlungsapparats befindet. "Der untern Ladungstafel wird negative Ladung mitgetheilt, wie immer unter Ableitung der andern, hier der obern Tafel: im Moment divergiren die Phys. Classe. XVI. G Mo.Bot.Garden. Di. 50 ~ G. MEISSNER, Goldblätter mit negativer Elektricität; diese Divergenz nimmt darauf bei bestehender Ladung der Tafeln allmählich wieder ab, und bei der Entladung der Tafeln fallen die Goldblätter ruckweise zusammen. Hebt man das Elektróskop kurz nach Ertheilung einer stärkern negativen Ladung von dem Mittelfelde der Deckplatte ab, so zeigt es eine schwache negative Ladung an, Einströmen negativer Elektricität, war die Ladung des Ansammlungsapparats schwächer, oder die Entfernung der Deck- platte über der Condensatortafel zu gross, so rührt die im Ladungs- moment erfolgende Divergenz der Goldblätter nur von Vertheilung her und das Elektroskop nimmt keine Ladung an. Der Versuch lehrt also in Uebereinstimmung mit den obigen, dass die Herstellung der negativen Ladung in der untern Ladungstafel die negative Elektricität von der Deckplatte forttreibt, so wie dieselbe an deren Stiele abfliesst, so kann sie auch in den auf die Mitte aufgesetzten Draht des Elektroskops einfliessen oder bei geringerer Spannung nur vertheilend auf diesen Draht wirken; dass die im Ladungsmoment plötz- liche starke negative Divergenz der Goldblätter sofort wieder allmählich abnimmt, ist ebenfalls in Uebereinstimmung mit dem frühern Ergebniss, dass nämlich, in Folge der Verjagung der negativen Elektricität von der Deckplatte, deren Flächen mit der im Ladungsmoment angezogenen positiven Elektricität behaftet sind, die nun dem Elektroskop seine nega- tive Divergenz wieder entzieht, plötzlich verstärkt entzieht, wenn im Entladungsmoment die positive Elektrieität die von der Platte wegge- stossene ist. Bemerkenswerth aber ist, dass unter ganz gleichen Um- ständen in das Elektroskop sehr viel mehr negative Elektrieität von dem Ende des Stiels der Deckplatte einfliesst, als von der Mitte der Fläche derselben. Ebenso wie die Mitte dieser Fläche, verhalten sich alle Punkte derselben, welche über den Belegungen der Ladungstafeln liegen, alle Punkte des sogenannten Mittelfeldes. Setzt man den Draht des Elektroskops auf solche Punkte der Deck- platte , unter welchen sich der freie, nicht belegte Rand der Ladungs- tafeln befindet, Randregion, so sind der Art nach die Erscheinungen ganz dieselben , wie von dem Mittelfelde aus, aber unter sonst gleichen UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 51 Umständen bedeutend intensiver, als von der Mitte aus, und zwar be- ginnt diese Differenz plötzlich ganz nahe am innern Rande dieser Rand- region der Deckplatte. Die Intensität der Erscheinungen in dieser Rand- region der Deckplatte steigert sich noch bedeutend, wenn man die untere Ladungstafel so gegen die obere verschiebt, dass die untere Belegung an der betreffenden Seite vor der obern ein wenig vorragt, Punkte der untern (Collector)-Belegung sich also entweder senkrecht oder nahezu senkrecht unter dem Theile der Randregion der Deckplatte befinden, auf welchen der Draht des Elektroskops aufgesetzt ist; während im Gegentheil die Wirkungen dieser Stelle der Deckplatte auf das Elektroskop bedeutend geschwächt werden, wenn die untere Ladungstafel in entgegengesetzter Richtung gegen die obere verschoben wird. Dieses Verhalten der Randregion der Deckplatte gegenüber dem Mittelfelde und bei den Verschiebungen der untern Belegung erklärt sich folgendermaassen: Die von einem Punkte einer Ladungstafel bei der Ladungs- und Entladungsbewegung auf die Elektricitäten eines Punktes ` der Zwischen- oder Deckplatte ausgeübte Scheidekraft ist Function der relativen Geschwindigkeitsänderung,, die Grösse dieser Kraft ist also ab- hängig von dem Cosinus des Winkels, den die Richtung der Verbindungs- linie der beiden in Betracht gezogenen Punkte mit der Richtung bildet, in welcher die absolute Geschwindigkeitsänderung der Ladungs- und Ent- ladungsbewegung stattfindet. Es’ scheint nun, dass die relative Ge- schwindigkeitsänderung in der auf der Flächeder Ladungstafeln senkrechten Richtung ein Maximum ist, in der Richtung dieser Fläche selbst — Null. Dann ergiebt sich sofort, dass für Punkte des Mittelfeldes der Deckplatte zwar der absolute Werth der von jeder der beiden Tafeln, so weit dieselben metallische Belegung i lg im Moment der Ladung oder Entladung ausge- übten entge; hteten Scheidekräfte grösser ist, als für Punkte der Randregion, dais aber für Punkte der Randregion der Deckplatte die Vermin- derung des absoluten Werthes der beiden Kräfte, vermðgë der Abnahme des Werthes der relativen Geschwindigkeitsänderung, nicht gleich, sondern bedeu- tender ist für die von der der Deckplatte nächsten Ladungstafel, d. i. die Con- densatortafel, ausgehenden Scheidekraft, so dass also die relative Grösse der G2 Sg o G. MEISSNER, Abschwächung, welche die Wirkung der Collectortafel durch die entgegen- gesetzte Wirkung der Condensatortafel erfährt, bedeutender ist für Punkte des Mittelfeldes, als für Punkte der Randregion der Deckplatte, und ‚diese Differenz oder diese relative Zunahme der Wirkung der Collectortafel wird für einen in bestimmter Entfernung vom Mittelfelde gelegenen Punkt der Randregion um so bedeutender sein, je näher die Deckplatte der Conden- satortafel liegt. Befindet sich nun in der That die Deckplatte in geringem Abstande von der Condensatortafel, so muss die eben erörterte relative Vergrösserung der von der Collectortafel ausgehenden Wirkung für die Randregion der Deckplatte (von der innern Grenze dieser Region bis in eine gewisse Entfernung von demselben) gegenüber dem Mittelfelde auch zu einer absoluten Vergrösserung dieser Wirkung werden, wie es die Versuche ergeben. Dass dann eine solche Verschiebung der untern, der Collectortafel, durch welche ein Theil von deren Belegung senkrecht unter die zum Elektroskop abgeleitete Stelle der Randregion der Deck- platte zu liegen kommt, noch bedeutend verstärkend auf die Inductions- erscheinungen daselbst wirken muss, so wie dass eine Verschiebung der Collectortafel, in entgegengesetzter Richtung abschwächend wirken muss, ergiebt sich, unter Absehen von Detail, ohne Weiteres. 36. Stellt man die in der vorhergehenden Nummer erörterte Prüfung des Verhaltens der Oberfläche der Deckplatte in dem Mittel- felde und in der Randregion an während der untern Ladungstafel unter Ableitung der obern positive Ladung ertheilt und wieder genommen wird, so zeigen sich alle Erscheinungen ganz entsprechend den Erschei- nungen bei Benutzung negativer Ladung, so lange man entweder bei kleinerm Abstande der Deckplatte von der obern Ladungstafel sich innerhalb schwacher oder mässiger Ladungen hält oder bei stärkeren Ladungen die Deckplatte in grössern Abstand bringt. Dagegen zeigte sich bei verschiedenen von mir angewendeten Deckplatten (Glasplatten, nackt, mit Schelläck überzogen, Glimmerplatten) constant eine paradoxe, anscheinend gesetzwidrige Erscheinung, "wenn stärkere Ladungen bei SE geringem Abstande der Deckplatte angewendet wurden, und zwar teht diese Abnormität darin, dass unter den angegebenen Umständen UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. ` 53 das Elektroskop von dem Mittelfelde der Deckplatte aus im Moment der Herstellung der positiven Ladung der Tafeln nicht mit der von der Deckplatte fortgestossenen, am Stiel abfliessend nachweisbaren , positiven Elektricität divergirte, sondern mit negativer Elektricität, mit derjenigen, die im Ladungsmoment von der Collectortafel aus die angezogene ist, und zwar beruhet diese Divergenz auf Ladung, auf Einströmen negativer Elektricität, das sofort nachher abgehobene Elektroskop behält nicht nur diese negative Divergenz, sondern divergirt sogar in Folge des Abhebens vom Mittelfelde der Deckplatte noch stärker. Nur bei der Ladungsbe- wegung zeigt sich diese Abnormität, nicht bei der Entladungsbewegung, und so kommt es, dass unter den genannten Umständen, und nur unter diesen, das Elektroskop von dem Mittelfelde der Deckplatte aus bei Ladung und Entladung mit der gleichen, nämlich mit negativer Elek- trieität divergirt; bleibt nämlich das Elektroskop aufgesetzt stehen, nach- dem es im Ladungsmoment mit negativer Elektricität divergirte, so nimmt diese Divergenz bei der Entladung mit einem Ruck wieder zu. Die Randregion der Deckplatte zeigt niemals dieses paradoxe Verhalten bei der Ladung, es beschränkt sich dasselbe völlig auf den einen angegebenen Umstand. Hebt man den Draht des Elektroskops nur ein wenig ab von der Deckplatte, so dass jener frei über dem Mittelfelde schwebt, oder zieht man die Deckplatte unter dem Fusspunkte des Drahts des Elektroskops weg, so dass derselbe in demselben Abstande wie vorher über der obern Ladungstafel frei schwebt, so zeigt sich die paradoxe Erscheinung nicht, d. h. das Elektroskop, dem man zur Erkennung des Zeichens der Ausschläge unter diesen Umständen vorher schwache Ladung ertheilt, zeigt die bei Herstellung und Wegnahme der Ladung des Tafelapparats indueirte Elektrieitätsbewegung im richtigen, mit allen übrigen Versuchen überein- stimmenden Sinne an: das Elektroskop für sich allein divergirt im Mo- ment der Ladung der Collectortafel mit positiver Elektrieität und im Moment der Entladung mit negativer. Das Auftreten der in Rede stehenden paradoxen negativen Ladung des Elektroskops kommt nur von der isolirenden Deckplatte aus unter den genannten Umständen zu Stande. Unzweifelhaft beruhet diese paradoxe Erscheinung wieder nur auf 54 G. MEISSNER, der schon mehrfach oben getroffenen Differenz in der Beweglichkeit der negativen und positiven Elektricität beim Uebergange von der Oberfläche des Glases oder anderer Isolatoren auf einen angelegten Leiter. Die unter den in Rede stehenden Umständen im Ladungsmoment in das Elektroskop vom Mittelfelde aus einströmende Elektricität ist die negative, während unter der das Uebergewicht habenden Wirkung der positiv ge- ladenen Collectortafel die positive Elektrieität von dem Mittelfelde so wie von der Randregion fortgetrieben wird, und also auch als in das Elektroskop einströmend, in Uebereinstimmung mit allen übrigen Erschei- nungen, zu erwarten gewesen wäre. Nun sind die Umstände, unter denen diese paradoxe Erscheinung allein zu Stande kommt, von der Art. dass die von der Condensatortafel ausgeübte entgegengesetzt gerichtete Scheide- kraft nur sehr wenig kleiner ist, als die von der Collectortafel ausge- hende (s. oben 34): unmittelbar also nach dem Impuls, durch welchen unter den in Rede stehenden Umständen die positive Elektrieität von dem Mittelfelde der Deckplatte unter der Wirkung der Collectortafel in das Elektroskop gedrängt wird, folgt ein beinahe gleich starker Im- puls von der Condensatortafel aus, durch welchen die negative Elek- trieität in das Elektroskop getrieben wird. Da nun eine Anzahl von oben erwähnten Erfahrungen lehren, dass die negative Elektricität ceteris paribus viel leichter und schneller von dem Isolator auf den angelegten Leiter übergeht, als die positive, so ist es wohl verständlich, dass unter jenen Umständen das Elektroskop die Wirkung derjenigen zwar schwächern, aber nur sehr wenig schwächern nachfolgenden Induction anzeigt, durch welche die leichter übergehende negative Elektricität in dasselbe eingetrieben wird. Sobald die Differenz in der Grösse der beiden entgegengesetzten Trieb- kräfte grösser wird, kommt die paradoxe Erscheinung nicht mehr zu Stande, daher nicht bei grösserm Abstande der Deckplatte und niemals von der Randregion der Deckplatte aus. Man kann bei der Anwendung der positiven Elektrieität zur Ladung des Ansammlungsapparats einen solchen Abstand der Deckplatte und eine solche Stärke der Ladung finden, bei welchen die von dem Mittel- felde der Deckplatte aus auf das Elektroskop im Ladungsmoment aus- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 55 geübte Wirkung grade auf der Gränze ist zwischen jenem’ paradoxen Verhalten und dem normalen, so nämlich, dass die Goldblätter des neutral aufgesetzten Elektroskops im Ladungsmoment nur eine plötzliche Erschütterung zeigen ohne zu divergiren, und ein mit einer gewissen Ladung divergirend aufgesetztes Elektroskop im Ladungsmoment sehr schnell nach einander zwei kleine entgegengesetzte Ausschläge macht. zuweilen auch nur als eine eigenthümliche Erschütterung wahrnehmbar. Von diesem Gränzfall führt dann eine Verstärkung der auf die Deck- platte ausgeübten Wirkungen zu dem Auftreten jener paradoxen Ladungs- erscheinung, eine Abschwächung zum Hervortreten der normalen Er- scheinung. 34. Ich erinnere jetzt daran, das die ganze Untersuchung über die auf den Oberflächen von isolirenden Zwischenplatten sich zeigenden In- ductionswirkungen Seitens der Ladungs- und Entladungsbewegung im Ansammlungsapparat unternommen wurde, um zu prüfen, ob, entsprechend der Ozonerzeugung zwischen den beiden Ladungstafeln oder in der Wand der Leydener Flasche im Moment der Ladung und Entladung, sich Wirkungen dieser beiden Acte auch an den Oberflächen starrer Isolatoren, wie solche den Sauerstoff zwischen den Belegungen des An- sammlungsapparats begränzen, nachweisen liessen, Wirkungen, die ihrer- seits etwa mit der Ozonerzeugung in Beziehung zu setzen und in dieser näher in Betracht zu ziehen sein könnten. Nachdem diese Frage so weit durch die vorstehenden Untersuchungen eine bejahende Antwort erhalten hat, muss zunächst die Frage entstehen, ob auch auf der äussern Seite des Ansammlungsapparats im Moment der Ladung und Entladung Ozonerzeugung stattfindet, so wie daselbst die Induction auf die Ober- fläche der sogenannten Deckplatte nachweisbar ist. Die Versuche lehren, dass in der That auch hier die beiderlei Erscheinungen Hand in Hand gehen, es findet auf der äussern Seite der Condensatortafel sowohl wie der Collectortafel bei der Ladung und UNE — statt. Die betreffenden Versuche sind folgende. | 38. Ein Gaskasten von gleicher ar und gleichen Dimen- sionen, wie die früher beschriebenen, trägt im Innern auf einer Fläche 56 G. MEISSNER, eine Stanniolbelegung, welche durch einen Fortsatz mit einem an der äussern Wand des Kastens befestigten Metallring in Verbindung steht. Auf diese Weise bildet also die eine Wand des Gaskastens selbst die eine Ladungstafel, und zwar so, dass sowohl die Belegung, wie auch der dieselbe umgebende freie, unbelegte Rand im Innern des Kastens sich befindet. Ich werde hierfür die Bezeichnung Gaskasten mit Binnen- belegung gebrauchen (weil die Bezeichnung ‚innere Belegung“ eine ganz andere bestimmte Bedeutung bei Ansammlungsapparaten hat). Dieser Gaskasten mit der Binnenbelegung wird auf eine gewöhnliche Ladungs- tafel von gleichen Dimensionen der Belegung aufgesetzt, so dass die die Binnenbelegung tragende Wand nach unten gewendet ist (Fig. 11), und trockner Sauerstoff durch den wohl ausgetrockneten Gaskasten geleitet. Ertheilt man dem so gebildeten Ladungsapparat, unter Benutzung der untern Ladungstafel als Collector, der Binnenbelegung als Condensator, eine nicht zu schwache Ladung, so ist Ozonerzeugung in dem Gaskasten leicht nachweisbar, und ebenso bei der nach Austreiben des bei der Ladung erzeugten Ozons vorgenommenen Entladung. Die Ozonreaction ist viel schwächer, als die mit gleicher Ladungs- und Entladungsbewegung von zwischen den Ladungstafeln durchströmendem Sauerstoff zu erhaltende, aber völlig constant und evident. Je näher man die beiden Belegungen einander bringt, desto stärker ist diese Ozonerzeugung auf der äussern Seite der Condensatortafel daher am besten, die beiden Belegungen nur durch eine Glastafel von einander zu trennen, die untere Ladungstafel also mit der Belegung nach oben gewendet zu legen. Sehr auffallend macht sich bemerklich, dass die Ozonreaction des Sauerstoffsstroms im Ver- hältniss zu der Grösse des Gaskastens nur sehr kurze Zeit andauert, sie beginnt sehr schnell nach der Ladung und Entladung, ist aber auch so rasch beendet, dass man unabweisbar den Eindruck bekommt, es werde nur aus dem der Austrittsöffnung des Sauerstoffs nächst benachbarten Theile des Gaskastens Ozon ausgetrieben. Ich habe soeben vorausgesetzt, dass die beiden Belegungen so über einander liegen, dass sie sich bei gleicher Grösse und Form möglichst genau decken. Verschiebt man die untere Ladungstafel so, dass ihre UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 57 Belegung auf Seiten der Austrittsöffnung für den Sauerstoff unter der Binnenbelegung vorragt, ein Theil der untern Belegung also sich auf Seiten der Ausströmungsöffnung unter dem freien unbelegten Rande der obern Ladungstafel befindet, so ist die Ozonreaction nach Ladung und Entladung stärker, als im ersten Fall, behält aber die erwähnte sehr kurze Dauer, die bei gleichmässiger Vertheilung des Ozons im ganzen Gaskasten dessen Grösse durchaus nicht entsprechen könnte. Verschiebt man dagegen die untere Ladungstafel in entgegengesetzter Richtung, so dass also ein Theil der untern Belegung auf Seiten der Eintrittsöffnung des Sauerstoffs unter der Binnenbelegung vorragt, so erhält man meistens gar keine Ozonreaction oder nur eine schwächste Spur. Wendet man als untere, als Collectortafel eine solche an, deren Belegung grösser ist, als die Binnenbelegung oben, so dass jene ringsum über diese vorragt, so ist die Ozonreaction stärker, als bei gleichen, sich deckenden Bele- gungen, wiederum mit der Eigenthümlichkeit der kurzen Dauer der sehr bald nach der Ladung und Entladung beginnenden Reaction des Sauer- stoffstroms. Ist dagegen die untere Belegung kleiner als die obere, so dass letztere ringsum vorragt, so erhält man gar keine Ozonreaction. Diese durchaus constanten Erscheinungen führen zu folgender Schlussfolgerung: auf der äussern Seite der Condensatortafel findet Özonerzeugung statt in der Randregion, d. h. über dem freien, nicht be- legten Rande, und wird daselbst verstärkt, wenn die Belegung der Collectortafel unter diese Randregion vorragt, geschwächt resp. aufge- hoben, wenn umgekehrt die Belegung der Collectortafel nicht einmal bis an die Randregion der Condensatortafel heranreicht. Dasjenige Ozon, welches in der Randregion erzeugt über die nackte metallische Belegung (Stanniol) hinwegströmen müsste, um zu der Austrittsöffnung des Gasstroms zu gelangen, wird auf diesem Wege zerstört, so dass immer nur derjenige Theil des über der Condensatortafel erzeugten Ozons zum Vorschein kommt, welcher in der Nähe der Austrittsöffnung des Gasstroms erzeugt wurde. Deshalb lässt sich auch aus vorstehendem Versuche nicht er- kennen, ob über der Belegung der Condensatortafel O gung statt- findet, oder nicht. Phys. Classe. XVI. H 58 G. MEISSNER, 39. Zur Prüfung der Richtigkeit vorstehender Schlussfolge con- struirte ich einen Gaskasten mit Binnenbelegung, dessen Binnenraum durch ein aus Glimmerstreifen gebildetes Septum, welches die Belegung rings umgiebt, in zwei völlig von einander getrennte Abtheilungen ge- theilt ist, die eine ringförmige Abtheilung entspricht ausschliesslich der Randregion der Condensatortafel, die andere begreift den Raum über der Binnenbelegung. Durch jede Abtheilung kann ein Sauerstoffstrom geleitet werden. Fig. 12 zeigt diesen Gaskasten im Durchschnitt. Bei Be- nutzung dieses Gaskastens in der angegebenen Weise erhält man die Ozonreaction in Folge von Ladung und Entladung des Ansammlungs- - apparats nur aus der Randregion, keine Spur von Reaction aus der mittlern die Belegung enthaltenden Abtheilung. An der aus der Rand- region stammenden Ozonreaction ist hier, wie zu erwarten, Nichts zu be- merken, was, wie bei jenem ersten Apparat, darauf hindeutete, dass ein Theil des erzeugten Ozons auf dem Wege durch den Kasten wieder zerstört würde. Ueberragen der untern Belegung über den Rand der Binnenbelegung bedingt auch an diesem Apparat Verstärkung der Ozon- erzeugung über der Randregion der obern Ladungstafel, und bei ent- gegengesetztem Verhältniss der beiden Belegungen ist die Ozonerzeugung aufgehoben. Ich füge noch hinzu, dass sobald man den Abstand der beiden Belegungen vergrössert, d. h. einen schwächern Ladungsapparat herstellt, die Ozonerzeugung über der Randregion der Condensatortafel nur noch stattfindet, wenn die Belegung der Collectortafel unter diese Randregion vorragt. Es muss ferner besonders hervorgehoben werden, dass die Ozoner- zeugung über der Randregion der Condensatortafel unter allen Umständen nur in sehr grosser Nähe über der Fläche dieser Randregion nachzu- weisen ist, nicht in einiger Entfernung über derselben; denn es gelang mir niemals diese Ozonerzeugung zu erhalten in einem gewöhnlichen Gaskasten von 1,4 Mm. Wandstärke, der keine. Binnenbelegung trägt, dessen eine Wand also nicht selbst als Condensatortafel fungirt, welcher vielmehr der äussern Fläche einer gewöhnlichen als Condensator- tafel fungirenden Ladungstafel aufgesetzt wurde: aus diesem Grunde UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 59 war es nothwendig für die in Rede stehenden Versuche die Gaskästen mit Binnenbelegung anzuwenden, in denen der Sauerstoff durch die äussere Fläche der Ladungstafel selbst begränzt ist. 40. So sind also auch die die Ozonerzeugung auf der äussern Seite der Condensatortafel betreffenden Erscheinungen ganz entsprechend den Inductionserscheinungen auf der sog. Deckplatte bei Ladung und Entladung des Ansammlungsapparats; beiderlei Wirkungen sind viel weniger intensiv, als zwischen den Ladungstafeln; nur über der Rand- region der Condensatortafel ist die Ozonerzeugung nachweisbar, und da- selbst ist, wie oben (35) erörtert wurde, die Wirkung der Induction auf die Deckplatte auch am stärksten; dieselben Veränderungen in der gegen- seitigen Lage der beiden Belegungen, welche entweder verstärkend oder ab- schwächend aufdie j an der Deckplatte wirken, wirken O so auch auf die Ozonerzeugung über der Randregion; dass man gar keine Ozonreaction von dem über die Belegung der Condensatortafel strömenden Sauerstoff erhält, kann entweder darauf beruhen, dass hier in der That kein Ozon erzeugt wird, und dies würde ebenfalls wohl in Harmonie mit dem die Induction auf die Deckplatte betreffenden Verhalten zu stehen scheinen; denn sehr nahe über der Belegung der Condensatortafel müssen sich, wie oben erörtert, die beiden entgegengesetzt gerichteten rasch nach einander er- folgenden Wirkungen von der Collector- und Condensatortafel fast aufheben, und in einiger Entfernung über der Belegung ist die übrig bleibende Wir- kung der Collectortafel schon sehr schwach (s. jedoch 41 und 43 am Schluss): oder man könnte annehmen wollen, dass zwar eine schwache Ozonerzeugung über der Belegung der Condensatortafel stattfände, das Metall der Belegung aber dieses Ozon durch Oxydation oder sogenannte Contactwirkung wieder zam Verschwinden brächte. Dass das Metall auf die eine oder andere Weise in der That wenig Ozon zum Verschwinden bringen kann, scheint aus dem oben (38) mitgetheilten Versuche hervorzugehen. Um die Frage zur Entscheidung zu bringen und weil es überhaupt principiell fehlerhaft ist, das Ozon in Berührung mit Metall treten zu lassen, wenn dies nicht etwa selbst Zweck ist, sollte die Binnenbelegung des Gaskastens bedeckt werden. Bei Anwendung einer dünnen Glastafel | H2 60 G. MEISSNER, zu diesem Zweck, wurde allerdings kein Ozon erhalten, aber diese Er- fahrung genügte nicht, weil die Glastafel zu dick war und, wie schon an- gegeben, auch für die Randregion der Condensatortafel die Ozonerzeugung daselbst aufhob, wenn sie zwischen deren Oberfläche und dem Sauerstoff eingeschaltet war. Ich bedeckte daher die Belegung eines solchen, wie in Fig. 12 angedeuteten, Gaskastens mit einem ausserordentlich dünnen un- versehrten Glimmerblatt, nicht dicker, als feinstes Papier, welches sich mittelst sehr wenig Stärkekleister gut auf dem Stanniol fixiren lässt. Dass die reine Glimmeroberfläche sich indifferent gegen Ozon verhält, habe ich bei anderer Gelegenheit gesehen, und da nun auch über der mit Glimmer bedeckten Belegung der Condensatortafel niemals die Ozon- reaction erhalten wurde, so muss wohl geschlossen werden, dass daselbst auch kein Ozon erzeugt wird. 41. In den bisherigen in 34 bis 40 mitgetheilten Versuchen händelte es sich immer nur um diejenigen Wirkungen der Ladung und Entladung des Ansammlungsapparats, welche auf der äussern Seite der als Condensator- tafel fungirenden Ladungstafel wahrzunehmen sind, die Binnenbelegung des Gaskastens wurde stets als äussere Belegung oder Condensatortafel ange- wendet; es fragt sich nun, wie sich die Erscheinungen auf der äussern Seite der Collectortafel gestalten. Hier nun hört — für die Beurtheilung an der Hand des bisjetzt Bekannten — die bisher, nämlich für den Raum zwischen den Belegungen und für die äussere Seite der Condensatortafel, wohl durchführbare Analogie zwischen den die Induction auf isolirende Zwischen- und Deckplatten bei Ladung und Entladung betreffenden Erscheinungen und den die Ozonerzeugung innerhalb und ausserhalb des Ladungsapparats betreffenden Erscheinungen auf, bis auf das Allgemeine, dass auch auf der äussern Seite der Collectortafel bei Ladung und Ent- ladung Ozonerzeugung stattfindet: denn während die Elektrieitätsscheidung auf der Oberfläche einer isolirenden Deckplatte sehr viel intensiver er- folgt, schon bei den allerschwächsten Ladungen deutlich nachweisbar ist, wenn sich die Deckplatte auf der äussern Seite der Collector- tafel des Ansammlungsapparats befindet gegenüber dem oben ausführlich erörterten Fall, in welchem die Deckplatte sich auf der äussern Seite UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 61 der Condensatortafel befindet, zeigt sich auf der äussern Seite der Collectortafel durchaus keine stärkere Ozonerzeugung unter übrigens gleichen Umständen, als auf der äussern Seite der Condensatortafel, es ist im Gegentheil sogar die Ozonreaction deutlich schwächer, wenn man die Binnenbelegung des Gaskastens als Collectortafel fungiren lässt. Die Ozonerzeugung bei Ladung und Entladung findet ferner auch nur wieder über der Randregion der Collectortafel statt, grade so, wie sie auf die Randregion der Condensatortafel beschränkt ist, und zwar wiederum verstärkt, wenn die dieser Randregion gegenüberstehende Belegung, jetzt also die der Condensatortafel, unter diese Randregion vorragt, und ge- ` schwächt bei umgekehrten Verhältniss, doch sind diese Verschiebungen der untern Belegung hier nicht ganz so einflussreich, wie für die Ozon- erzeugung über der Randregion der Condensatortafel; keine Spur von Ozon- reaction habe ich jemals aus dem mittlern nur die Belegung, sei sie nackt oder mit dünnstem Glimmer bedeckt, enthaltenden Theil des Gas- kastens erhalten. Diese Beschränkung der Ozonerzeugung auf die Rand- region liess sich, anscheinend wenigstens, für die äussere Seite der Condensator- tafel wohl mit den Inductionserscheinungen auf der Deckplatte in Analogie setzen, aber unmittelbar in jener Weise nicht, wenn es sich um die äussere Seite der Collectortafel handelt, denn hier findet die stärkste Inductions- wirkung bei Ladung und Entladung auf das sogenannte Mittelfeld einer iso- lirenden Deckplatte statt, so stark wie auf eine in gleichem Abstand befind- liche isolirende Zwischenplatte, eine Bevorzugung der Randregion ist hier, wie zu erwarten, nicht nachweisbar. Wollte man hier etwa den Ver- dacht aufkommen lassen, dass vielleicht auch in einem Gaskasten zwischen den Ladungstafeln die Ozonerzeugung nur im Bereich der Randregion derselben stattfinden möchte, so begegne ich demselben durch die Be- merkung, dass ich solche Vermuthung durch besondere Versuche sicher widerlegt habe: jene Beschränkung der Ozonerzeugung auf die Rand- region gilt nur für die beiden äusseren Seiten des Ansammlungsapparats. Wenn somit, was doch gar keinem Zweifel unterliegen kann, die Ladungs- und Entladungsbewegung in dem Ansammlungsapparat, und speciell in der Collectortafel desselben, in irgend einem Causalnexus steht 62 G. MEISSNER, zu der Ozonerzeugung innerhalb und ausserhalb des Ansammlungs- apparats und so auch zu der auf der äussern Seite der Collectortafel, so muss durch irgend einen besondern Umstand den allgemeinen Bedin- gungen zur Ozonerzeugung für die Wirkung auf die äussere Seite der Collectortafel in besonderer Weise und in hohem Grade entgegengewirkt werden, welcher unbekannte Umstand sich in dieser Weise nicht geltend macht für die gleichfalls von der Ladungs- und Entladungsbewegung in” der Collectortafel abhängigen Inductionswirkungen auf die Oberfläche einer isolirenden Deckplatte, in so weit dieselben durch das Elektroskop angezeigt werden. 42. Sowohl die Ozonerzeugung auf der äussern Seite der Rand- region der beiden Ladungstafeln, wie die Scheidung der Elektricitäten durch Induction auf der Oberfläche der isolirenden Deckplatte kommen auch dann zu Stande, wenn man unter Verbindung der beiden Bele- gungen der Tafeln durch eine feuchte Schnur oder einen einigermaassen langen Draht die Leydener Flasche sich durch diese Belegungen der Ladungstafeln hindurch oder längs denselben verzögert entladen lässt, vorausgesetzt wiederum, dass die Verzögerung der Entladung durch den Widerstand im Schliessungsbogen und der Bindungscoefficient des La- dungsapparats gross genug ist, dass eine Wechselwirkung zwischen den beiden Ladungstafeln zu Stande kommen kann. Das, was bei solchen Versuchen das Elektroskop bezüglich der Scheidung der Elektricitäten auf der Deckplatte anzeigt, entspricht stets der Wirkung der Ladungs- bewegung, und es gilt im Einzelnen hier Alles das, was oben für die entsprechenden Erscheinungen bei Herstellung dauernder Ladung des Ansammlungsapparats angegeben wurde. Aber sämmtliche elektroskopisch angezeigten Wirkungen fallen unter übrigens vergleichbaren Umständen viel schwächer aus bei der durch die Ladungstafeln erfolgenden ver- zögerten Flaschenentladung, als bei der Herstellung dauernder Ladung durch Mittheilung von der gleich stark geladenen Leydener Flasche. Dies beruhet offenbar wesentlich darauf, dass das Elektroskop unter jenen Umständen nur die Resultante einer Reihe von rasch auf einander fol- genden Ladungs- und Entladungswirkungen, die entgegengesetzt sind, p UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 68 anzeigen kann, wobei die Ladungsbewegung prävalirt, was bei der Lang- samkeit der Elektricitätsbewegung auf dem Isolator (Deckplatte) schon deshalb zu erwarten ist, weil eine Ladungsbewegung der Zeit nach der erste Vorgang in jener Reihe von Bewegungen ist. Die ÖOzonerzeugung über der Randregion der Ladungstafeln bei der verzögerten Flaschenentladung durch dieselben ist dagegen unter übrigens vergleichbaren Umständen nicht nur nicht geringer, sondern stärker, als bei einfacher Ladung des Apparats durch Mittheilung aus gleich stark geladener Flasche: in der Ozonerzeugung zeigt sich offenbar die Summirung der Wirkungen einer Anzahl von wenn auch an sich einzeln abgeschwächter Ladungs- und Entladungsbewegungen. 43. Man kann bei diesen Versuchen mit der durch die Belegungen der Ladungstafeln der Fläche nach hindurch erfolgenden verzögerten Flaschen- entladung die Ladungstafeln in verschiedener Weise in den die innere und äussere Belegung der Leydener Flasche verbindenden Schliessungsbogen einschalten: man kann einerseits die feuchte Schnur so mit den Belegungen der Tafeln verbinden, anderseits die Anbringung der Flasche so vor- nehmen, dass die Elektrieitäten durch die beiden Belegungen des Tafel- apparats der Länge nach ganz hindurchströmen müssen, um zu der feuchten Schnur zu gelangen, und zwar wiederum das eine Mal so, dass diese Bewegung in beiden Belegungen gleiche Richtung hat, das andere Mal so, dass diese Bewegung entgegengesetzte Richtung in beiden Bele- gungen hat; und man kann zweitens einerseits die feuchte Schnur an die Belegungen des Tafelapparats so anlegen, anderseits die Anbringung der Leydener Flasche so vornehmen, dass die beiden Belegungen des Tafelapparats nur seitliche Ausläufer oder Anhänge des Schliessungs- bogens bilden, und der kürzeste Weg der Flaschenelektricitäten um in die feuchte Schnur zu gelangen, nur durch je einen Punkt der beiden Belegungen führt. Ich habe untersucht, ob diese Differenzen von merk- lichem Einfluss auf die elektroskopisch angezeigte Induction Seitens der Ladungsbewegung in der Collectortafel auf die Oberfläche der Deck- platte sei, bin aber nach zahlreichen Versuchen zu dem Ergebniss ge- langt, dass ein solcher Einfluss nicht nachzuweisen ist. Wenn die beiden 64 G. MEISSNER, Ladungstafeln sich in solchem Abstande von einander befinden, und anderseits die Verzögerung der Flaschenentladung durch den einge- schalteten Widerstand gross genug ist, dass die Ladungstafeln als solche in Wechselwirkung zu treten vermögen, so ist die relative Lage der Bele- gungen des Tafelapparats bezüglich des Schliessungsbogens bei gleicher Länge und Beschaffenheit desselben, so wie die relative Richtung der (im Gegensatz zu der Ladungsbewegung) strömenden Elektricitätsbewe- gung in den beiden Belegungen ohne merklichen Einfluss auf die Wir- kung der Ladungs- und Entladungsbewegungen in den Ladungstafeln, und dem entsprechend zeigt sich das letztere Moment (bei hierauf ge- richteten auch ohne nähere Angabe leicht verständlichen Versuchsmodi- ficationen) auch ohne Einfluss bei Herstellung oder Aufhebung dauernder Ladungen. Bezüglich der Ozonerzeugung gilt die gleiche even erörterte Unabhängigkeit. Diese Wahrnehmungen sind also wiederum in Ueber- einstimmung damit, dass das Wesentliche bei der Ladung und Entladung des Ansammlungsapparats diejenigen Bewegungen’ sind, welche gegen die einander zugewendeten Flächen der Belegungen resp. gegen und in den die Belegungen tragenden starren Isolator hinein gerichtet sind. Von diesen Bewegungen, welche also im Innern einer Ladungstafel zwischen einer leitenden Schicht, der Belegung, und einem Theil des starren Isolators sich ereignen, hängt demnach auch (direct oder indirect) die Ozonerzeugung zwischen und ausserhalb der Ladungstafeln ab, und der Umstand, dass zwischen der in Rede stehenden Ladungs- und Ent- ladungsbewegung im Innern der Collectortafel einerseits und dem auf deren äusserer Seite befindlichen Sauerstoff anderseits sich der Leiter, die Belegung des Collectors befindet, während zwischen jenen Bewe- gungen und solchem Sauerstoff, der sich zwischen den Ladungstafeln befindet, nur Isolatoren eingeschaltet sind, bedingt einen Unterschied, welcher wahrscheinlich zur Erklärung der in 41 mitgetheilten Wahr- nehmungen berücksichtigt werden muss, worauf einzugehen ich aber jetzt nicht in der Lage bin. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 65 44. Die vorstehenden Beobachtungen liefern noch keine Beant- wortung der in 23 gestellten Frage, von welchem Vorgange die Ozon- erzeugung in dem in der Wand des Ansammlungsapparats enthaltenen Sauerstoff bei der Ladungs- und Entladungsbewegung unmittelbar ab- hängig ist. Es hat sich ergeben, dass auf der Oberfläche der Glastafeln, zwischen denen der Sauerstoff eingeschlossen ist, durch Induction Seitens der Ladungs- und Entladungsbewegung im Collector, Scheidung der Elektricitäten stattfindet, und die Frage ist nun die, ob die Ozonerzeu- gung bei der Ladung und Entladung des Ansammlungsapparats davon abhängig ist und dadurch bewirkt wird, dass von der einen der den Sauerstoff begränzenden Fläche die eine (die vom Collector abgestossene) von der andern Fläche die andere (die vom Collector angezogene) der daselbst geschiedenen Inductions- oder Influenz- und De-Influenz-Elek- tricitäten etwa theilweise in den Sauerstoff eindringen resp. sich durch denselben hindurch vereinigen, oder ob die Ozonerzeugung selbst als eine Inductionswirkung aufzufassen ist, als die Wirkung derselben In- duction auf den gasförmigen Isolator Sauerstoff, welche auf der Ober- fläche eines starren Isolators jene Scheidung der Elektricitäten und deren Bewegung bewirkt, und welche nach den Untersuchungen von Siemens*) auch im Innern eines starren Isolators Bewegungen veranlasst. Der Um- stand, dass die Wirkung einer Lädungsbewegung auf den Sauerstoff durch die einer sehr rasch folgenden Entladungsbewegung nicht etwa aufgehoben wird, sondern beider Wirkungen sich summiren (wenigstens so lange die Polarisation oder Erregung des Sauerstoffs ein gewisses Maass nicht überschreitet), während doch die an den Elektricitäten der Oberfläche von Zwischenplatten zur Erscheinung kommende Inductions- wirkung der Entladung derjenigen der Ladungsbewegung entgegengesetzt ist, kann zur Entscheidung jener Frage wohl Nichts beitragen, weil der- selbe zur Erklärung, wie es scheint, für jede von beiden Annahmen die gleichen Voraussetzungen in Bezug auf die Molekularconstitution des gasförmigen Nichtleiters oder in Bezug auf das Wesen des polarisirten Zustandes des Sauerstoffs verlangt. *) Poggendorff’s Annalen. Bd. 125. 1865. p. 137 Phys. Classe. XVI. 1 66 G. MEISSNER, Zum weitern Vordringen aber in jener Frage gewähren die folgenden Versuche Anhaltspunkte. 45. Wesentlich und zunächst in der Absicht, das bei der Con- struction der Gaskästen, wie sie als Sauerstoffbehälter bei den Versuchen mit dem tafelförmigen Ladungsapparat angewendet wurden, unvermeid- liche Siegellack auszuschliessen und den Sauerstoff nur durch Glas zu begränzen, wollte ich Glasröhren zwischen die Ladungstafeln einlegen und stellte zu dem Zweck unter Zusammenschmelzen mehrer langer gleichmässiger Röhren eine 280 Cm. lange Röhre her, die als Schlangen- rohr zusammengelegt mit sechs in einer Ebene liegenden Windungen eine Fläche von der Grösse und Form der Belegungen der Ladungs- tafeln einnimmt. Die Röhre hat 0,7 Mm. Wandstärke und 3 Mm. Durchmesser der Lichtung; die Glassorte gehört nicht zu den am besten isolirenden, wird aber an Leitungsfähigkeit doch noch von manchen Gläsern übertroffen. ‚Wenn das Schlangenrohr zwischen zwei Ladungstafeln eingelegt war, so konnten die Belegungen in dem gegenseitigen Abstande von 8 Mm. sich befinden, bei welchem in einem zwischengelegten Gaskasten die Ladung und Entladung starke Ozonerzeugung bewirkt. In dem Schlangen- rohr wurde keine Spur von Ozon erzeugt, wie und so oft der Versuch auch angestellt werden mochte. Wäre das Ausbleiben der Ozonreaction in dem durch das Schlangenrohr geleiteten trocknen Sauerstoff darin be- gründet gewesen, dass die absolute Menge des bei einer Ladung und Entladung darin etwa erzeugten Ozons zu gering war, so hätte die Reaction eintreten müssen, als das mit Sauerstoff gefüllte Rohr beider- seits verschlossen einer Anzahl von Ladungen und Entladungen ausge- setzt, und darauf erst der Inhalt ausgetrieben wurde: die Reaction blieb aber auch unter diesen Umständen aus. Wenn ich ausser dem Schlangen- rohr noch einen Gaskasten, über oder unter jenem stehend, zwischen die Ladungstafeln brachte, so fand in dem Gaskasten die Ozonerzeugung statt, in dem Schlangenrohr nicht. Ich kittete nun auf die innere, nicht belegte Fläche der einen La- dungstafel im Umkreis der Belegung einen 6 Mm. hohen Rand von a b UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. Glasleisten, mit zwei Ausschnitten für die beiden Enden des Schlangen- rohrs versehen, so dass dieses in den von den Glasleisten als Rahmen begränzten Raum eingelegt werden konnte; mit weissem Wachs, dem um es weniger brüchig zu machen, etwas Terpentinöl zugesetzt war, wurde dann der von den Glasleisten begränzte Raum ausgegossen, so dass das Schlangenrohr ganz in die Wachsmasse eingebettet war, deren freie Fläche mit Hülfe eines scharfen langen Messers wohl geebnet werden konnte. Als nach völligem Erstarren des Wachses die zweite Ladungstafel aufgelegt und der Versuch wiederholt wurde, erhielt ich sofort und ganz regelmässig die Ozonreaction aus dem Rohre in Folge von Ladung und Entladung. | Ich hatte, bevor das Schlangenrohr vollständig in die Wachsmasse eingebettet wurde, zuerst nur eine Wachsschicht von halber Höhe in jene Form ausgegossen und in diese, so lange sie noch weich war, das Schlangenrohr so weit eingedrückt, dass dasselbe in den gebildeten Abdruck eingelegt, aber daraus auch wieder entfernt werden konnte: diese Veranstaltung hatte noch gar keine Wirkung, es fand dabei eben- sowenig Ozonerzeugung in der Röhre statt, wie wenn sie ganz frei zwischen den Ladungstafeln lag. 46. Der vorstehende Versuch litt an dem Uebelstande, dass als das Schlangenrohr durch die Einbettung in Wachs einmal wirksam zur Ozonerzeugung gemacht worden war, es nun dabei sein Bewenden haben ` musste, wenn der Apparat nicht wieder zerstö t werden sollte. -Ich construirte daher die folgende Vorrichtung. t gleichmässige grad- linige Glasröhren von derselben Wandstärke, Weite und Glassorte, wie das Schlangenrohr, jede 50 Cm. lang, wurden parallel und in einer Ebene neben einander liegend je mit ihren einem Ende mit Hülfe von Siegellack in einen als Windlade dienenden Glaskasten eingefügt, von welchem aus Sauerstoff durch alle 19 Röhren zugleich getrieben werden konnte. Die Breite des auf solche Weise gebildeten Kamms von Röhren ist gleich der Breite der Belegungen der Ladungstafeln, die Länge der Röhren aber gleich der doppelten Länge der Ladungstafeln selbst, so dass man das Röhrensystem entweder mit einer vordern oder mit einer - 12 68 G. MEISSNER, hintern Hälfte der Länge sämmtlicher Röhren zwischen die Ladungs- tafeln einlegen kann. In diesen Röhren fand, wie in dem Schlangen- rohr, durchaus keine Spur von Ozonerzeugung statt Nun wurde das System auf der einen Hälfte seiner Länge mit Wachs, mit etwas Ter- pentinöl vermischt, umgossen (mit Hülfe einer aus steifem Papier ge- bildeten Form), so dass jede Röhre ringsum von Wachs ganz umgeben war; die beiden Flächen der die halbe Länge sämmtlicher Röhren be- herbergenden Wachsplatte wurden mit Hülfe eines scharfen, langen Messers leicht eben und glatt gehobelt. (S. Fig. 13). Man konnte jetzt das Röhrensystem entweder mit dem wachsumgossenen Theile (a) zwischen die Ladungstafeln einlegen, oder mit dem freien Theile (b). Das Re- sultat des Versuchs war schlagend: lag der wachsumgossene Theil der Röhren zwischen den Ladungstafeln, so lieferten sämmtliche Röhren Ozon, lagen dieselben Röhren mit dem nackt gebliebenen Theil ihrer Länge zwischen den Tafeln, so kam keine Spur von Ozon, während alle übrigen Versuchsbedingungen unverändert blieben. 4%. Nach diesen Versuchen kann es den Anschein RER als ob es darauf ankäme, die Glasröhre ganz und gar in eine isolirende Masse einzubetten, wenn zwischen den Ladungstafeln in ihr bei Ladung und Entladung Ozon erzeugt werden soll: dies ist aber keineswegs die Be- dingung, die erfüllt sein muss, wie die folgenden Versuche lehren. Drei Glasröhren von derselben Art, wie die bisher erwähnten, gleichfalls doppelt so lang, wie der eine Flächendurchmesser der Ladungs- tafeln, wurden parallel neben einander dadurch zu einem System ver- bunden. dass zwischen die mittlere und jede der beiden seitlichen ein 8 Mm. breiter, 1 Mm. dicker Streifen von schlecht leitendem Glase mit Hülfe von Siegellack gekittet wurde, aber so, dass diese Glasstreifen die Röhren nur auf der einen Hälfte ihrer Länge verbinden, auf der andern Hälfte liegen sie frei neben einander. Mit Rücksicht auf Folgendes drücke ich die Einrichtung noch so aus, die mittlere der drei Röhren trägt auf halber Länge jederseits einen dünnen Flügel von Glas, an deren Kanten je noch eine Röhre gekittet ist; diese beiden äusseren Röhren sind also nur einseitig geflügelt. (Fig 14 zeigt in ungefähr wahrer — UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 6 Grösse den Durchschnitt des Systems). Wird der freie nicht durch Flügel verbundene Theil der drei Röhren zwischen die Ladungstafeln ein- gelegt, so erhält man keine Spur von Ozon aus ihnen, wird der geflügelte Theil eingelegt, so erhält man starke Reaction aus der mittlern, beider- seits geflügelten Röhre, viel schwächere, meistens gar keine Reaction aus den beiden seitlichen, nur einseitig geflügelten Röhren. Dieser oft wiederholte, in seinem Ergebniss völlig constante Versuch lehrt also, dass wo der äussere Umfang der Glasröhre ringsum frei ist, sie ganz unwirksam zur Ozonerzeugung ist, schwach und nur unsicher ` wirksam, wo der äussere Umfang nur ein Mal durch den Ansatz des Flügels unterbrochen ist, sehr wirksam dagegen, wo der äussere Um- fang an zwei gegenüberliegenden Stellen durch den Ansatz der beiden Flügel unterbrochen ist; die Ansatzstellen der Flügel sind unter Ein- rechnung des Siegellacks nicht breiter als etwa 2 Mm. so dass der grösste Theil des Umfanges auch der mittlern Röhre frei ist. Eine Glasröhre (von etwas grösserer Wandstärke und weiterer Lichtung, als die vorher benutzten) wurde in zwei Hälften getheilt, die eine Hälfte wurde jederseits mit einem Glasflügel versehen (Fig. 15) die andere Hälfte blieb nackt; als beide Hälften neben einander zwischen die Ladungstafeln gelegt waren (Fig. 16) und durch jede der trockne Sauerstoffistrom geleitet wurde, kam bei Ladung und Entladung Ozon nur aus der geflügelten Röhre, keine Spur aus der nackten andern Hälfte derselben Röhre. Diese wurde darauf jederseits mit einem etwa 1 Cm. breiten dünnen Glimmerflügel versehen, wie die Glasleisten mittelst Siegellack befestigt, und nun fand auch in dieser Röhre die BE zeugung ebenso statt, wie in der andern Hälfte. 48. In allen vorstehenden Versuchen, die Glasröhren zur Ozoner- zeugung in ihnen wirksam zu machen, ist unter Anderm dieses gemeinsam, dass die den va Ee Oberflächen des zwischen die- selben eingelegt pers t werden, so wirkt der Wachsguss über dem Röhrensystem, so o die Glas- oder Glimmerflügel einzelner Röhren: es ist wichtig zu beweisen, dass solche Vergrösserung der Oberfläche durch eine isolirende Masse an sich nicht das ist, worauf es ankommt. 70 G. MEISSNER, Eine Glasröhre wurde jederseits mit einem breiten Flügel von doppeltem Seidenzeug versehen, welches aber nicht mit Hülfe von Siegel- lack, sondern mittelst Schellackfirniss befestigt wurde, mit welchem ausserdem das Seidenzeug wiederholt getränkt wurde, um demselben die nöthige Steifigkeit zu geben; da es dabei fast unvermeidlich war, dass der Schellackfirniss sich auch auf dem übrigen Umfang der Glas- röhre ausbreitete, so wurde schliesslich die Röhre sammt ihren Flügeln gleichmässig und glatt mit Schellack überzogen. Hier war also mit Hülfe anderer isolirender Substanz anscheinend dasselbe geschehen, um die Röhre wirksam zu mächen, wie in den vorhergehenden Versuchen: die Röhre war aber völlig wirkungslos geblieben, sie lieferte durchaus kein Ozon. Nun wurde auf die eine Fläche jedes Flügels, wo sie der Glasröhre ansitzen, eine einige Milimeter breite, übrigens unregelmässige Schicht Siegellack aufgetragen, welches noch bis auf den bisher freien Theil der Glasröhre sich hinauferstreckte (Fig. 17), und jetzt war die Röhre sofort vortrefflich geeignet zur Ozonerzeugung in ihr zwischen den Ladungstafeln, gleichviel, ob die mit Siegellack behaftete Fläche der Flügel der Collector- oder Condensatortafel zugewendet war. Durch das aufgetragene Siegellack war die Oberfläche nicht vergrössert, es war da- durch nur die bis dahin gleichmässige Schellackoberfläche des Körpers an zwei Stellen durch einen andern Isolator unterbrochen. Das Siegel- lack wirkt dabei durchaus nicht etwa specifisch; denn es ist mir niemals gelungen, eine an sich unwirksame Glasröhre dadurch wirksam zu machen, dass ich ihr auf zwei Seiten Leisten nur von Siegellack, nach Art jener Flügel von Glas u. s. w. gab, es genügte dies nicht, sondern es musste noch eine andere isolirende Substanz den Flügel resp. dessen Wirkung vervollständigen. ` 49. Dass aber dennoch auch wiederum nichts Wesentliches in dem Umstande liegt, dass die einer Glasröhre zur Wirksamkeit verhel- fenden seitlichen Flügel unter Einrechnung des Befestigungsmittels aus zwei differenten isolirenden Massen bestehen, wird abgesehen von den beiden Apparaten mit wachsumgossenen Röhren (45. 46) durch die fol- genden Versuche bewiesen. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 71 Man kann einer Glasröhre Flügel von Wachs geben , indem man folgendermaassen verfährt. Die betreffende Glasröhre wird an einem Ende in einen dicken durchbohrten Kork gesteckt, um dessen äussern Umfang eine Röhre von steifem Papier mittelst Siegellack befestigt ist, so dass die Glasröhre die Axe der Papierröhre bildet, welche letztere den 3 bis 4fachen Durchmesser der erstern hat. Man giesst nun die aus Wachs mit Zusatz von etwas Terpentinöl gebildete Masse in die vertical stehende Papierröhre und lässt ohne zu erschüttern vollständig erstarren. Das Papier lässt sich dann sehr leicht von der Wachsmasse abschälen und man hat nach Entfernung auch noch des Korks die Glas- röhre wie den Docht von einer Kerze umhüllt. Mittelst eines scharfen dünnen und breiten Messers lässt sich nun die Wachsmasse so zuschneiden und hobeln, dass die Glasröhre an zwei einander gegenüberliegenden Seiten wieder ganz frei gelegt wird und nur zwei Flügel behält, die der Röhre ganz fest und innig anhaften. Ich liess diesen Flügeln nahezu die Dicke der Glasröhre und gab ihnen möglichst glatte Flächen aber auch scharfe Kanten (Fig. 18). In solchen zwischen die Ladungstafeln eingelegten Röhren fand starke Ozonerzeugung statt bei der Ladung und Entladung, während aus einem daneben eingelegten nackten Stück der- selben Glasröhre wiederum keine Spur von Reaction erhalten wurde. Als ich an einer derartigen mit Wachsflügeln versehenen Röhre, die vortrefflich wirksam war, die scharfen Kanten, mit denen die obere und untere Fläche der Flügel von der Seitenfläche abgegränzt waren, recht glatt abgerundet hatte (Fig. 19), war die Röhre vollkommen un- wirksam, lieferte keine Spur von Ozon, und als darauf die Rundung wieder scharf abgehobelt wurde und jederseits wieder zwei scharfe Kanten hergestellt waren, natürlich unter nicht unbedeutender Verschmä- lerung der Flügel, war sie wieder vortrefflich wirksam, wie vorher. Unter mehren solchen Röhren mit Wachsflügeln, die ich herstellte, war eine, welche zufällig, wegen schiefer Bohrung des Korks, schief in der Papierform zu stehen gekommen war, und welche ich während des Erstarrens der schon eingegossenen Wachsmasse wiederholt in die Axe zu richten suchte, erwartend, dass das allmählich erstarrende Wachs sie 72 G. MEISSNER, in der richtigen Lage fixiren sollte. Die darauf genau ebenso, wie die anderen, hergerichtete Röhre lieferte nicht die geringste Ozonreaction, = was, bevor ich auf die Folgen der bei der Herstellung vorgenommenen Manipulationen aufmerksam geworden war, um so mehr überraschen musste, als die Glasröhre ein Stück einer solchen war, aus welcher zwei andere wirksame Röhren gemacht worden waren, und die Wachs- masse so wie die Dimensionen und zugeschnittene Form derselben eben- falls genau dieselben waren, wie die für die Herstellung anderer, die sehr wirksam waren, angewendeten. Endlich bemerkte ich, dass, ob- wohl die flügelförmig zugeschnittene Wachsmasse jederseits auch dieser Röhre ganz fest anhaftete, dieselbe feine Risse darbot, da wo sie sich an die Röhrenwand anlegt, die offenbar durch das Bewegen und Rütteln an der Glasröhre während des Erstarrens der Wachsmasse bei dem Be- mühen, sie in die Axe derselben zu richten, entstanden waren. Ein oberflächliches Anschmelzen des Wachses mittelst heissen Drahts half der Unwirksamkeit dieser Röhre nicht ab, und ich habe sie lange als Vergleichsröhre neben den anderen wirksamen aufbewahrt und bei den häufig wiederholten Versuchen angewendet, stets mit dem gleichen völlig negativen Erfolge. Endlich befestigte ich über der einen Fläche der vorher etwas verdünnten Wachsflügel noch einen Glimmerflügel mit Hülfe von wenig Siegellack an die Glasröhre, und nun lieferte auch diese Röhre zwischen den Ladungstafeln Ozon, wie die übrigen. . Mit dieser Erfahrung stimmt noch die folgende überein. Das in 46 beschriebene System der 19 Röhren lieferte in den ersten Wochen nach Herstellung des Wachsgusses bei Einlegung des wachsübergossenen Theiles zwischen die Ladungstafeln aus sämmtlichen Röhren Ozonreaction ; als ich nach Verlauf mehrer Monate, während welcher der Wachsguss vielen Temperaturwechseln und bei Benutzung des Apparats zu ander- weitigen Versuchen, namentlich auch mechanischen Erschütterungen aus- gesetzt gewesen war, jenen Versuch wiederholte, lieferte nur noch ein Theil der 19 Röhren Ozon, die übrigen versagten hartnäckig: offenbar hatte die Wachsmasse trotz des Terpentinzusatzes im Innern Sprünge bekommen. | UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 73 50. Ueberblickt man die in 47-—49 mitgetheilten Versuche und Erfahrungen, so ergiebt. sich nur ein einziges Moment als gemeinsam in allen Fällen, in denen eine an sich zur Özonerzeugung in ihrem Innern zwischen den Ladungstafeln ungeeignete Glasröhre durch Ver- änderungen an ihrer äussern Oberfläche dazu geeignet wurde: dieses eine gemeinsame Moment ist die Unterbrechung der Continuirlichkeit des äussern Umfanges der Glasröhre durch sehr dicht und innig (ohne rn a isolirende Substanz, deren eigene Oberfläche wiederum C ität hungen, wie durch scharfe Kanten, oder durch einen Wechsel der Substanz darbieten muss. Durch die Art, wie das in 45 beschriebene Schlangenrohr zur Ozonerzeugung im Innern wirksam ge- macht wurde, ist der eben abstrahirten Forderung gleichfalls genügt, da die an die Stelle der äussern Oberfläche der Glasröhre getretene Oberfläche der jener innig anhaftenden Wachsmasse, sofern dieselbe in jenen Rahmen von Glas auf die Ladungstafel gegossen ist, überhaupt nur gewissermaassen der einen Hälfte der Oberfläche im Umfang der Röhre entspricht. An dem in 46 beschriebenen Apparat der 19 Röhren sind zwar die obere und untere Oberfläche der Wachsmasse, in die die Röhren eingebettet sind, frei und bieten auch nicht durch Wechsel der Substanz Continuitätsunterbrecl dar, aber einerseits kommt dabei wie aus dem Inhalt der Selgenden Nummer erhellen wird, die mit der Glätte einer Glasröhrenoberfläche gar nicht zu vergleichende Oberflächen- beschaffenheit der ausgedehnten Wachsmasse in Betracht, anderseits eine Continuitätsunterbrechung zwischen oberer und unterer Fläche durch die Kanten, welche, wenn auch nicht so scharf wie die des Wachsflügels in Fig. 18, doch auch nicht absichtlich so glatt und gerundet, wie die des Wachsflügels in Fig. 19 sind. Ausserdem kommt, wie sich unten ergeben wird, in den Fällen, in denen eine Glasröhre: vollständig in Wachs eingebettet ist, als ein besonderes Moment wahrscheinlich der da- durch ringsum bedeutend vergrösserte Abstand der innern Röhrenfläche von der an Stelle der äussern getretenen Wachsoberfläche in Betracht. Was endlich die in den früheren Versuchen in Anwendung gekommenen Gaskästen (Fig. 4. 5) betrifft, sofern dieselben gewissermassen als sehr Phys. Classe. XVI. K 74 - G. MEISSNER, abgeplattete weite Röhren angesehen werden können, so entsprechen auch diese obiger Forderung, da ja die beiden äusseren Glasflächen dieser tafelförmigen aus zwei Glastafeln gebildeten Kästen am Rande ringsum eine völlige Continuitätsunterbrechung haben. Wie wirksam eine solche Discontinuität der der Collectortafel und der der Condensatortafel zugewendeten Oberflächen ist, wie sie diese aus zwei einzelnen Glastafeln, die mit Siegellack ringsum an einander be- festigt sind, bestehenden Gaskästen besitzen, geht sehr deutlich aus Fol- gendem hervor. Ich verfertigte ein ganz schmales röhrenartiges Gas- kästchen aus zwei 5 Mm. breiten 1,4 Mm. dicken Glasstreifen, die jederseits in einem Abstande von 4 Mm. mittelst Siegellack an einander gekittet und über deren Enden eine Einleitungs- und Austrittsröhre ge- kittet waren. Dieses Gaskästchen entsprach in seinen Dimensionen einer Glasröhre, wie die in Fig. 17 abgebildete, der wesentliche Unterschied liegt nur in der Discontinuität der innern und der äussern Fläche in der Circumferenz oder vielmehr, da auf die der innern Nichts ankommt, nur in der Discontinuität der äussern Fläche, und dies bedingte, dass das röhrenartige Gaskästchen sehr gut zur Ozonerzeugung in seinem Innern geeignet war, eine im Uebrigen entsprechende Glasröhre, ohne jene künst- liche Unterbrechung der Continuität der äussern Oberfläche, nicht. bl. Nicht alle Glasröhren jedoch sind als solche ohne die besprochene Veränderung ihrer äussern Oberfläche unwirksam zur Özonerzeugung in ihnen zwischen den Ladungstafeln. Ich habe Röhren von keineswegs sehr schwer schmelzbarem Glase, die aber beim Reiben mit Seide ziemlich stark elektrisch werden, von Il Mm. Durchmesser und 1 Mm. Wand- stärke, welche zwischen den Ladungstafeln bei Ertheilung starker La- dungen Ozon geben; aber auch in diesen Röhren wird die Ozonerzeugung viel stärker, wenn sie in der angegebenen Weise mit zwei Glas- oder Glimmerflügeln versehen werden, es bedarf unter übrigens gleichen Um- ständen einer bedeutend stärkern Flaschenladung zur Ladung der Tafeln um in dem nackten Theil solcher Röhren überhaupt Ozon zu erzeugen, als dann, wenn der geflügelte Theil dieser Röhren zwischen den Ladungs- tafeln liegt. Ein grösserer Durchmesser der Glasröhren scheint dabei UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 75 wohl auch von einigem Einfluss zu sein, aber keinenfalls ist dies das einzige in Betracht kommende Moment, denn einerseits haben die oben erwähnten mit den Wachsflügeln versehenen, und ohne diese ganz un- wirksamen, Röhren ebenfalls 10 Mm. äussern Durchmesser bei 1 Mm. Wandstärke, und anderseits habe ich unter einer grossen Zahl von Röhren eine getroffen, die nur 8 Mm. Durchmesser hat und ohne Weiteres sich vortrefflich zur Ozonerzeugung im Innern eignet: diese Röhre ist aber dadurch ausgezeichnet, dass sie, als Röhre sehr fehlerhaft, starke Reifen der Länge nach auf der äussern Oberfläche hat und beim Reiben stark elektrisch wird. Ausser dieser waren allerdings alle Röhren ähn- lichen oder geringern Durchmessers im nackten Zustande unwirksam *). Böhmische Röhren von so geringem Durchmesser standen mir nicht zu Gebote. Eine farblose böhmische Röhre aber von 13 Mm. äusserm Durchmesser und 1,5 Mm. Wandstärke war ohne Weiteres ausgezeichnet geeignet zur Ozonerzeugung in ihr, wenn sie zwischen den Ladungs- tafeln lag, deren Belegungen dabei 16 Mm. von einander entfernt waren. Eine aus früherer Zeit stammende, dunkel bouteillengrüne, ganz besonders schwer schmelzbare Röhre dagegen, 12 Mm. dick, 1,5 Mm. Wandstärke, die sowohl beim Reiben mit Seide gut elektrisch wurde, als auch sich nur recht schlecht. leitend an der Oberfläche bei der Prüfung am Elek- troskop erwies, war nicht nur völlig unwirksam zur Ozonerzeugung im Innern im nackten Zustande, sondern blieb auch unwirksam, als sie mit Hülfe von Siegellack Glimmerflügel angeheftet erhalten hatte, der einzige mir vorgekommene derartige Fall. Das Glas dieser Röhre ent- hielt offenbar viel Eisenoxyd, doch weiss ich nicht, ob dies in Betracht kommen kann. Ich erwähne diese seltsame Röhre nur Se und berücksichtige sie nicht weiter. Als Zusatz zu dem in 50 gezogenen Schluss ergiebt sich somit, dass sA Glasrðhren, welche entweder vermðge einer kantigen Beschaffen- E Sämmtliche Glasröhren, bei denen Nichts We angegeben ist, stammen aus der Hütte von Heintz und Schnabel in Stützerbach in Thüringen. Es giebt andere Thüringer Röhren, die viel stärker leitend sind, als jene; ich weiss aber nicht, ob der Glassatz in einer Hütte constant gehalten wird. K2 76 G. MEISSNER, heit ihrer Oberfläche oder vermöge der chemisch-physikalischen Be- schaffenheit der Substanz an sich schon schlecht oder sehr schlecht leitend an der Oberfläche sind, besonders wenn sie zugleich einen grössern Umfang haben, jener künstlichen Unterbrechung der Continuität der äussern Oberfläche nicht bedürfen, um, zwischen die Ladungstafeln eingelegt, bei Ladung und Entladung Ozonerzeugung in ihrem Innern zu Stande kommen zu lassen, dass aber auch an solchen Röhren die Bedin- gungen für die Ozonerzeugüung in ihnen durch eine künstliche Unter- brechung der Continuität der äussern Oberfläche günstiger gemacht werden. 52. Die vorstehenden Versuche mit den Glasröhren haben also ergeben, dass die Ozonerzeugung zwischen den Ladungstafeln bei deren Ladung und Entladung abhängig ist von der Form und Beschaffenheit der äussern Oberfläche des aus (im gewöhnlichen Sinne) nichtleitender Substanz gebildeten Behälters, in welchem der Sauerstoff der Wirkung der Ladungs- und Entladungsbewegung ausgesetzt wird. Form und Beschaffenheit der äussern Oberfläche des Sauerstoffbehälters zwischen den Ladungstafeln können aber zunächst auf Nichts Anderes einen Ein- fluss haben, als auf den Verlauf oder die Gestaltung derjenigen Elektri- citätsbewegungen, welche, unter der Wirkung der Induction Seitens der Ladungs- und Entladungsbewegung im Ansammlungsapparat, sich auf den Oberflächen des Sauerstoffbehälters, als nichtleitende Zwischenplatte, er- eignen; ich erinnere z. B. an die Wirkung der Abrundung und der Wiederherstellung der Kanten der Wachsflügel, an die Wirkung der Siegellackschicht auf den Seidenflügeln. Folglich ist also auch die Ozon- erzeugung bei Ladung und Entladung des -Ansammlungsapparats ab- hängig von diesen unter der Wirkung. der Induction auf der Wand des Sauerstoffbehälters im Moment der Ladung und Entladung erfol- genden Elektricitätsbewegungen, womit es selbstverständlich nicht aus- geschlossen ist, dass, wie in oben erwähnten Apparaten, die Ladungs- tafeln, aus denen der Ansammlungsapparat besteht, auch selbst zugleich den Sauerstoffbehälter bilden, und in diesem Falle also auch die Ozon- erzeugung direct, unmittelbar von den Elektricitätsbewegungen in und auf den Ladungstafeln selbst abhängig ist. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 77 Es ist somit jetzt zu untersuchen, wie auf und in einer zwischen die Ladungstafeln eingelegten Glasröhre diejenigen Elektricitätsbewe- gungen sich gestalten, welche entstehen unter der Inductionswirkung Seitens der Ladungs- und Entladungsbewegung im Ansammlungsapparat, und wie der Verlauf .jener Bewegungen abgeändert wird durch jene künstlichen Unterbrechungen der Continuität der äussern Oberfläche im Umfang; der Röhre, welche sich so einflussreich für die Ozonerzeugung im Innern der Röhre erweisen, 53. Ich gehe aus von dem einfachern ersten Falle, dass zwischen den beiden Ladungstafeln zwei unter sich nicht (oder nicht unmittelbar) zusammenhängende ebene Zwischenplatten, die eine über der andern (Gaskasten), liegen. In Fig. 20 soll CC die Collectortafel des Ladungs- apparats vorstellen, AA eine obere, BB eine untere Zwischenplatte von Glas. An diesen Zwischenplatten kommen vier Oberflächen in Betracht, welche mit Bezug auf den nachher zu erörternden Fall der Röhren der Gleichmässigkeit halber der Reihe nach von oben nach unten bezeichnet werden mögen «als oa, oi, wi und ua (obere äussere, obere innere, ‚untere innere und untere äussere). Ich nehme an, der Ladungsapparat werde geladen, indem der Collectortafel positive Elektricität mitgetheilt wird, Nach den obigen Untersuchungen ist bekannt, dass alsdann im Moment der Ladung auf alle vier Flächen, an Intensität abnehmend mit der Entfernung vom Collector, eine Scheidekraft wirkt, welche die -+E nach der Peripherie auf den Oberflächen der Zwischenplatten forttreibt, während auf allen vier Flächen die — E nach dem Collector zu ange- zogen wird. es kann durch die ausgezogenen Pfeile die nachweisbare,Be- wegung der fortgetriebenen + E längs den Oberflächen angedeutet werden, durch: die auf 0a, di, wi und ua stehenden punktirten Pfeile aber. die Rich- tung der Bewegung, zu welcher die — E im Ladungsmoment den Antrieb erhält, opd es wird, bevor.die +E, um zu entweichen, die Bewegung längs den Oberflächen zur Peripherie einschlägt, der ‚Bewegungsantrieb auf jeder Fläche für die +E die den punktirten Pfeilen entgegengesetzte Richtung haben. Was nämlich hier und bei früherer Gelegenheit als Scheidung der Elektricitäten.'an oder auf der Oberfläche der nicht- 78 G. MEISSNER, leitenden Zwischenplatte bezeichnet wurde, wird, genauer bezeichnet, als eine Scheidung der Elektricitäten in einer sehr dünnen oberflächlichen Schicht der Platte angesehen werden müssen, so dünn nämlich, als die Elektricitäten in ihr sich leicht bewegen können, und in dieser sehr dünnen Schicht der Platte erfolgt die Scheidung zunächst in der auf die Oberfläche der Platte senkrechten Richtung *). Ereignet sich Dieses an den Oberflächen der Zwischenplatten, so wird zwischen ihnen Ozon erzeugt, und die Frage ist, ob diese Ozon- erzeugung abhängig ist von den eben erörterten durch die Pfeile auf den Flächen angedeuteten Elektricitätsbewegungen, oder ob unter den den Elektricitäten ertheilten Bewegungsimpulsen ein Theil der +E von oi diese Fläche verlässt und ebenso ein Theil der —E von ui diese Fläche verlässt, in den zwischen oi und wi enthaltenen Sauerstoff ein- dringen und unter der Wirkung dieses Vorganges, angedeutet durch die in dem freien Raum zwischen AA und BB gezeichneten Pfeile, die Ozonerzeugug stattfindet. 54. Liegt statt der beiden mit einander nicht zusammenhängenden Zwischenplatten eine Glasröhre zwischen den Ladungstafeln, Fig. 21, so hängt oa mit ua durch den seitlichen äussern Umfang der Röhre un- mittelbar zusammen, ebenso oi mit wi durch den seitlichen innern Um- fang. Die im Ladungsmoment von oa fortgetriebene + E wird zunächst um den seitlichen Umfang der Röhre nach ua, dem Ort der geringsten Spannung, den sie erreichen kann, zu entweichen suchen; wobei noch hinzukommt, dass von der Condensatortafel aus, sofern dieselbe ent- gegengesetzt der Collectortafel, nämlich abstossend auf die —E, an- ziehend auf die + E wirkt, in diesem Falle, nämlich bei der Röhre, die der +E von oa Seitens der Collectortafel ertheilte Bewegung nach ua hin unterstützt werden muss. Nehmen wir zunächst an, dass die Oberfläche der Glasröhre in der Richtung des Umfanges relativ gut leitend sei, so wird eine der in oa *) Vergl. z. B. Riess, Influenz einer nichtleitenden Platte auf sich selbst. Poggendorfi’s Annalen. Bd. 132. 1867. p. 601. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 79 zum Collector angezogenen —E gleiche Menge +Æ von oa sich im Moment der Ladung auf ua zusammendrängen. Dies muss zur Folge haben, dass die —E von wi den durch die auf wi gezeichneten punktirten Pfeile angedeuteten Bewegungsimpuls empfängt. Zu gleicher Zeit em- pfängt aber die — E in wi auch einen Bewegungsantrieb in entgegen- gesetzter Richtung von der Collectortafel selbst, entsprechend dem im vorhergehenden ersten Falle auf der ebenen Zwischenplatte der — Ein wi ertheilten Bewegung, und zu diesem Bewegungsantriebe für die —E in wi muss sich, in gleicher Richtung wirksam, auch noch ein Impuls gesellen, ausgehend von der von oi fortgetriebenen + E, welche um den innern Umfang der Röhre herab nach w zu entweichen bestrebt sein muss. Auf die — E in wi wirken also, so weit sie hier im Gegensatz zum ersten Falle in Betracht gezogen zu werden brauchen, gleichzeitig oder fast gleichzeitig drei Kräfte, von denen die eine sie in der Richtung nach ua (in Fig. 21 durch die punktirten Pfeile auf ui angedeutet) die beiden anderen sie in der entgegengesetzten Richtung zu bewegen streben. Ob unter diesen Umständen die — E in wi in Ruhe bleibt oder dem einen oder andern Bewegungsantriebe folgt im Moment der Ladung, ist abhängig von dem Verhältniss der Grösse jener zwei Antriebe, und unter Berücksichtigung der mit der Entfernung von der Collectortafel abneh- menden Menge der auf den verschiedenen Flächen in Bewegung gerathenden Elektricität (Röhren von verschiedener Weite und Wandstärke) so wie grosser Unterschiede des Leitungsvermögens an den Oberflächen der Röhren sind wohl alle drei Fälle als möglich zu statuiren. Es ist nun klar, dass je schlechter die Leitung um den äussern Umfang der Röhre herum für die +E von oa ist, je langsamer und unvollständiger also diese + E nach ua gelangt, desto kleiner im Ladungs- moment der durch die punktirten Pfeile in wi angedeutete Bewegungsan- trieb ausfällt, desto mehr also der von den beiden anderen Kräften aus- gehende entgegengesetzte, beziehungsweise normale, den Verhältnissen im ersten Fall entsprechende, Bewegungsantrieb prävalirt und desto mehr somit die im Ladungsmoment in wi stattfindende Bewegung derjenigen gleicht, welche auf der ebenen Zwischenplatte in wi (erster Fall) stattfindet. 80 G. MEISSNER, Ist nun die Glasröhre mit den innig ihrer äussern Oberfläche ange- fügten seitlichen Flügeln von isolirender Substanz mit Discontinuität der Flächen derselben versehen (Fig 22), so wird dadurch die Bewegung der von oa, so wie der von den Flächen der Flügel selbst, fortgetriebenen LE nach ua herum gehemmt; der Uebergang der Elektricität von der Oberfläche eines Isolators auf einen andern findet sehr schwer statt, viel schwerer, als die Fortbewegung auf der ununterbrochenen freien Ober- fläche eines Isolators. Unter diesen Umständen wird also im Ladungs- moment die -+E von oa, aufgehalten auf der — wegen grössern Ab- standes vom Collector einer geringern Wirkung selbst unterliegenden und schlecht leitenden — Oberfläche der Flügel, sich nicht in wa zu- sammendrängen, somit jener Bewegungsantrieb, welcher die —E auf ut in die Richtung nach ua trieb, wegfallen und die Bewegung der —E auf wi der Richtung nach dieselbe sein, wie im ersten Fall die Bewegung auf der entsprechenden Fläche der ebenen Zwischenplatte. Dass die schlecht leitenden Flügel an der Glasröhre in der That so, wie eben erörtert wirken, lässt sich durch den Versuch nachweisen; prüft man nämlich unmittelbar nach Ertheilung der positiven Ladung eine mit breiten, gut wirksamen Flügeln versehene Röhre über dem Elektroskop, so zeigt sich, besonders an dem mittlern Theil der Länge der Röhre (also möglichst weit entfernt von den beiden Enden, von der Peripherie), positive Ladung auf der der Collectortafel zugewendet gewesenen, obern Fläche der Flügel, dagegen negative Ladung auf dem obern Theil ihres eigenen Umfanges, nämlich auf oa in der Ab- bildung; auf der untern Fläche der Flügel dagegen, so wie auf ua zeigt sich schwächere negative Ladung, entsprechend dem Verhalten der Ober- fläche einer gewöhnlichen Zwischenplatte nach der Ladung des Ansamm- lungsapparats. An einer nicht geflügelten Röhre darf man aber nicht etwa erwarten, auf ua positive Spannung nach der Ladung zu finden, denn die zwar im Ladungsmoment dahin zunächst abströmende +Æ bleibt daselbst nicht, sondern fliesst wie an der ebenen Zwischenplatte, längs der Röhre zur Peripherie ab; für das hier in Rede stehende Interesse kommt es aber nur auf diejenigen Elektricitätsbewegungen UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 81 an den Oberflächen der isolirenden Zwischenkörper an, welche un- mittelbar und zuerst in Folge der Ladungsbewegung stattfinden. Für den Moment der Entladung des Ansammlungsapparats gilt Alles vorstehend Erörterte gleichfalls, nur mit den umgekehrten Vorzeichen der Elektricitäten. eat 55. Da nun Ozonerzeugung im Moment der Ladung und Ent- ladung stattfindet sowohl zwischen den beiden ebenen, nicht zusammen- hängenden Zwischenplatten (Fig. 20) wie in der geflügelten Röhre oder in einer solchen, die vermöge ihrer Oberflächenbeschaffenheit (schlechte Leitung, besonders bei grösserm Umfange) der geflügelten entspricht (Fig. 22), dagegen nicht in einer nackten Röhre von der für Fig. 21 vor- ausgesetzten Beschaffenheit der Oberfläche, und da offenbar die isolirenden Flügel nur in der vorstehend erörterten Weise auf die Elektricitätsbe- wegungen an der Oberfläche der Röhre wirken können, so muss es für die Ozonerzeugung im Innern des Sauerstoffbehälters darauf an- kommen, ob, wenn wie bisher als Beispiel nur und der Kürze des Aus- drucks wegen der Fall der positiven Ladung des Collectors vorausgesetzt wird, zugleich mit der durch die punktirten Pfeile auf oi angedeuteten Bewegung der — E daselbst, die — E auf wi in der gleichen Richtung Bewegungsantrieb empfängt wie in Fig. 20 und 22 — zur Ozonerzeugung wirksam —, oder ob die — E auf wi in Ruhe bleibt oder den entgegenge- setzten Bewegungsantrieb, wie in Fig. 21 angedeutet, empfängt — zur Ozonerzeugung unwirksam. Es entsteht nun wieder die weitere Frage, ist die Wirksam- keit zur Ozonerzeugung des ersten dieser beiden Fälle unmittelbar davon abhängig, dass auf oi und auf ui resp. in sehr dünnen Schichten unter diesen Oberflächen die gleichnamigen Elektrieitäten zu- . gleich Bewegungsantrieb in der gleichen Richtung empfangen, ist hiermit schon Das, was auf den Sauerstoff wirkt, gegeben, und be- ruhet die Unwirksamkeit zur Ozonerzeugung des zweiten Falles darauf, dass die gleichnamigen Elektricitäten auf oi und auf wi zugleich Bewegungsantrieb in entgegengesetzter Richtung empfangen resp. die Elektricität auf wi unter zwei entgegengesetzten Impulsen in Ruhe Phys. Classe. XVI. L 82 G. MEISSNER, verharret, oder ist die Abhängigkeit eine mittelbare, handelt es sich darum, ob von den beiden Flächen, zwischen denen sich der Sauerstoff befindet, die beiden Elektricitäten, die eine von der einen, die andere von der andern Fläche, in den Sauerstoff thatsächlich ein- dringen, oder nicht. _ Kürzer ausgedrückt lässt sich das Ergebniss der bisherigen Unter- suchung unter Berücksichtigung, dass auch zwischen zwei Leitern Ozon- erzeugung stattfinden kann, dahin zusammenfassen: wenn in einer Schicht Sauerstoff elektrische Ozonerzeugung stattfinden soll, so müssen sich auf beiden Seiten der Schicht auf den begränzenden Leitern oder Nichtleitern elektrische Bewegungen oder Bewegungsantriebe ereignen, bei welchen die ungleichnamigen Elektricitäten sich in der Richtung gegen einander bewegen oder zu bewegen den Antrieb empfangen, und es bleibt zu entscheiden, ob sich dieselben thatsächlich in die Sauerstoffschicht hinein bewegen müssen oder nicht. Wie bei der Elektrolyse der Elektrolyt unter der Wirkung beider Elektroden stehen muss, so der zu polari- sirende Sauerstoff unter der Wirkung zweier wie Collector und Conden- sator einander gegenüberstehender Elektricitätsträger, resp. unter der Wirkung von, der Ladungs- oder Entladungsbewegung in jenen, ent- sprechenden Bewegungen in diesen: bedeutet dies, dass um Ozon zu er- zeugen die Elektricitäten sich zwischen diesen beiden Elektricitätsträgern durch den Sauerstoff hindurch bewegen müssen, wie die Elektricitäten von den Elektroden sich durch den Elektrolyten hindurch ausgleichen? 56. Die Entscheidung liefert, wie mir scheint, eben der Fall, in welchem eine Glasröhre den Sauerstoffbehälter zwischen den Ladungs- tafeln bildet, und durch die oben erörterte Continuitätsunterbrechung ihrer äussern Oberfläche wirksam zur Ozonerzeugung im Innern gemacht wurde. Während nämlich in dem Falle Fig. 20 die beiden den Sauer- stoff begränzenden Oberflächen oi und wi direct nicht zusammenhängen und die ungleichnamigen Elektricitäten von o und wi, wenn sie sich vereinigen sollen, längs diesen Flächen einen langen Weg, der endlich noch durch einen zweiten Nichtleiter am Rande der beiden den Sauer- stoffbehälter bildenden Glastafeln unterbrochen ist, zurückzulegen haben, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 83 somit hier im Allgemeinen vergleichsweise die Bedingungen für einen Uebergang der beiden Elektricitäten zwischen o und wi durch den Sauer- stoff hindurch günstig genannt werden können, so liegen die Verhältnisse bei der Glasröhre ganz anders: o? und wi hängen unmittelbar zusammen, bilden eine Fläche, den innern Umfang der Röhre; und wenn nun. um die Röhre wirksam zu machen, es nöthig war, den raschen und leichten Uebergang der in. oa abgestossenen Elektricität nach ua um den äussern Umfang der Röhre herum durch jene künstliche Continuitätsunterbrechung dieses Umfanges zu verhindern, so wird auch die in o? abgestossene Elektrieität in solcher Röhre eben so leicht um den innern Umfang herum nach wi gelangen können zur Ausgleichung mit der auf wi gegen oi hin in Bewegung gesetzten ungleichnamigen Elektricität, und bei einem vergleichsweise so begünstigten Uebergange der beiden Elektricitäten um den innern Umfang der Röhre herum kann man nicht annehmen, dass die ungleichnamigen Elektricitäten von oi und wi diese Flächen oder vielmehr diese Fläche, da es nur eine ist, verlassen um sich durch den Sauersoff hindurch auszugleichen. Die innere, in ihrer Continuität im Umfang nicht unterbrochene Fläche der Röhre bildet einen vergleichs- weise sehr guten in sich geschlossenen Leiter gegenüber dem trocknen Sauer- stoff in ihr, der, bei der im Allgemeinen bestehenden grossen Schwierig- keit des Uebergangs der Elektricität von einem Isolator auf einen andern, einen, als gewissermassen mit jenem relativ guten Leiter gar nicht in Berührung stehend zu erachtenden, sehr schlechten Leiter darstellt. Ich meine also, dass in der Glasröhre die in Fig. 22 durch die in dem Binnenraum derselben gezeichneten Pfeile angedeutete Bewegung der Elek- trieitäten — sofern dieselben einen Uebergang der Inductionselektrieitäten der innern Röhrenoberfläche durch den Sauerstoff bedeuten sollten — _ gar nicht stattfindet, und dass die gleichwohl in der Röhre im Moment der Ladung und Entladung stattfindende Ozonerzeugung selbst auf In- duction beruhet, welcher die Sauerstoffmoleküle unterliegen von Seiten der ihrerseits wiederum von der Ladungs- und Entladungsbewegung im Ansammlungsapparat inducirten Elektricitätsbewegungen, welche auf oi und wi in der erörterten Weise sich ereignen (s. unten). L2 84 ~ | G. MEISSNER, Für diesen Schluss lässt sich nun ferner noch dieses geltend machen, dass diejenigen Umstände, welche im Allgemeinen den Uebergang der Elektricität von einem starren Isolator in oder durch einen gasförmigen begünstigen, grade im Gegentheil der eine sehr ungünstig, der andere nicht förderlich für die elektrische Ozonerzeugung im Innern eines gläsernen Behälters ist, ich meine die Feuchtigkeit des Gases und die Abnahme der Dichtigkeit desselben: beides begünstigt die Elektrieitäts- bewegung, die Entladung durch ein Gas, während beides abschwächend auf die Ozonerzeugung wirkt. Grade bei den in dieser Abhandlung be- schriebenen Versuchen, in denen es sich immer nur um im Vergleich zu anderen Versuchen schwache Ozonerzeugung handelt, macht sich der nachtheilige Einfluss der Feuchtigkeit in den Sauerstoffbehältern be- sonders deutlich geltend, da die Ozonreaction leicht ganz ausbleiben kann, bevor nicht völlige Trockenheit herrscht. Was den Einfluss der Dichtigkeit des Sauerstoffs betrifft, so habe ich schon früher*) angegeben, dass unter sonst gleichen Umständen die Wirkung des Elektrisirens der Dichtigkeit des Sauerstoffs annähernd proportional wächst, ausserdem unabhängig davon auch um so grössser ist, je niederer die Temperatur des Sauerstofis; es zeigt sich also keine Begünstigung der Ozonerzeugung durch Abnahme der Dichtigkeit des Sauerstoffs. Finden nun im Gegensatz zu dem Fall von der Glasröhre that- sächlich Entladungen zwischen oi und wi oder überhaupt zwischen den die Sauerstoffschicht begränzenden Leitern oder Nichtleitern durch das Gas hindurch statt, so sind es der entwickelten Anschauung nach nicht diese Entladungen, welche die Ozonerzeugung bewirken, sondern die einer jeden Entladung voraufgehenden Ladungs- und Entladungsbewe- gungen auf den betreffenden Leitern oder Nichtleitern. 5%. Es giebt noch ein anderes Mittel ausser dem bisher erörterten, eine zwischen den Ladungstafeln an sich zur Ozonerzeugung in-ihrem Innern unwirksame Glasröhre wirksam zu machen, wobei an ihrer äussern Oberfläche Nichts geändert wird, dadurch nämlich zunächst, dass man Stücke *) Nachrichten der Königl. Gesellsch. d. Wiss. zu Göttingen. 1870. Nro. 16. p. 357. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 85 nicht-leitender Substanz in das Innere der Röhre bringt. Ich nahm einige Abschnitte einer Glasröhre, die 8 Mm. Durchmesser der Lichtung und 1 Mm. Wandstärke hat, liess den einen Abschnitt leer, führte in einen andern einen Streifen schlecht leitenden Glases, in einen dritten einige Glimmerstreifen, füllte einen vierten mit böhmischen Glasperlen und legte sie sämmtlich zwischen die Ladungstafeln. Nach gehörigem Trocknen lieferten die drei Röhren mit Binnenkörpern regelmässig Ozon bei Ladung der Tafeln, die leere Röhre keine Spur; als endlich in diese ebenfalls ein Glasstreifen eingeführt war, erwies sie sich sofort auch wirksam, und den anderen konnte ihre Wirksamkeit durch Aus- leeren ihres Inhalts sofort wieder entzogen werden. Am besten wirkten die grossen vielflächigen böhmischen Perlen, am wenigsten gut die (sehr dünnen) Glimmerstreifen. Wie diese isolirenden Körper im Innern der Glasröhre bewirken, dass Ozonerzeugung in ihr stattfindet, die ohne diesen Inhalt nicht statt- findet, erklärt sich nach dem Vorhergehenden sofort. An den für die nackte und unwirksame Röhre characteristischen Elektricitätsbewegungen, wie sie oben erörtert wurden, änderen die nichtleitenden Körper im Innern im Wesentlichen Nichts; aber indem auf den Oberflächen dieser Binnenkörper nach den für die Oberfläche von Zwischenplatten geltenden Regeln gleichfalls die Elektricitätsscheidung im Moment der Ladung und Entladung stattfindet, so wird dadurch die Bedingung für die Ozon- erzeugung erfüllt, dass Sauerstoff zwischen zwei Flächen (oi und eine Fläche des Binnenkörpers) gelangt, auf denen die ungleichnamigen Elektricitäten Bewegungsantrieb in entgegengesetzter Richtung empfangen. Führt man in eine an sich zwischen den Ladungstafeln unwirksame Glasröhre Leiter ein, z. B. einige Kupferdrähte, so erhält man auch in Folge davon Ozon in dem völlig trocken durchgeleiteten Sauerstoff bei Ladung und Entladung. In diesem Falle tritt aber ein besonderes Mo- ment hinzu, es wirkt nämlich der Leiter in der Röhre, welcher der Collectortafel viel näher liegt, als die Belegung der Condensatortafel, in viel höherm Masse condensatorisch auf den über ihm liegenden Theil der Collectortafel, als dies die nicht-leitenden Zwischenkörper zwischen 86 G. MEISSNER, den Ladungstafeln thun, so dass die Dichtigkeit der Elektricitåt, die Intensitåt der Ladungsbewegung in diesem Theil der Collectortafel be- deutend gesteigert wird. Im Uebrigen wirkt die Oberfläche des Leiters in der Röhre im Moment der Elektricitätsscheidung in demselben der Art nach ebenso, wie die Oberfläche nichtleitender Binnenkörper in der Röhre. 58. Die am frühesten beobachtete und unter den einfachsten Um- ständen sich darbietende elektrische Ozonerzeugung ist die unter dem Namen des elektrischen Geruchs bekannte, wie derselbe in der Nähe einer thätigen Elektrisirmaschine, besonders in der Nähe des Conductors wahrgenommen wird. Die Bedingungen zur Erzeugung des Ozons sind an verschiedenen Theilen der Elektrisirmaschine gegeben, was nach den vorhergehenden Untersuchungen ohne Weiteres klar ist für den zwischen dem Einsauger und der Scheibe oder Cylinder befindlichen Sauerstoff. Die Ozonerzeugung in der Nähe des Conductors bedarf einer nähern Untersuchung. Ein kleiner Gaskasten mit nackter Binnenbelegung auf einer Innen- fläche, gebildet aus zwei runden Glastafeln, die mittelst eines tonnen- reifförmig umgelegten Glimmerstreifens zu einer flachen Trommel ver- bunden sind, durch welche trockner Sauerstoff geleitet werden kann, wird mit dem Metallringe, in welchem ein Fortsatz der Binnenbelegung endigt, an dem Knopf des nicht abgeleiteten Conductors aufgehängt, so dass also die Binnenbelegung einen Ausläufer des Conductors bildet (Fig. 23). Drehet man die Maschine, während der Sauerstofistrom an diesem Ausläufer des Conductors vorbei geführt wird oder in dem zu- nächst verschlossen gehaltenen Behälter stagnirt, um erst nach Entladung des Conductors ausgetrieben zu werden, so wird Ozon erzeugt. Es ist nothwendig, dass nicht nur der andere Conductor der Maschine resp. das Reibzeug zur Erde abgeleitet ist, sondern auch der Conductor, an welchem der Gaskasten aufgehängt ist, gut isolirt und ohne ausströmende Ausläufer, Spitzen u. dgl. ist. Der Versuch gelingt ebenso gut, wenn man unter Ableitung des positiven Conductors den Gaskasten am Con- ductor des Reibzeugs aufhängt. Die Ozonerzeugung unter diesen Um- UNTERSUCHUNGEN UBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 87 ständen findet statt, auch wenn sich kein Leiter oder Halbleiter der Binnenbelegung des Gaskastens so gegenüber befindet, dass der Sauer- stoff zwischen beiden durchströmte, sie wird aber bedeutend gesteigert, wenn man einen Leiter oder Halbleiter gegenüber stellt. Wenn die als Ausläufer des Conductors dienende Belegung mit einem Isolator, einer Glastafel oder einem dünnen Glimmerblatt bedeckt war, so gelang es mir niemals die hier in Rede stehende Ozonerzeugung zu bewirken, ohne dass dieser bedeckten Belegung ein als Condensator wirkender Leiter oder Halbleiter von der Seite des vorbeiströmenden Sauerstoffs her ge- genüber oder wenigstens seitlich in die Nähe gebracht wurde, wobei ich bemerken will, dass ich mich bei allen Versuchen nur einer kleinen Elektrisirmaschine von 40 Cm. Scheibendurchmesser, die aber gut im Stande war, bedient habe. Als z. B. ein Gaskasten, der auf seiner obern äussern Fläche eine Belegung trägt, an Seidenschnüren horizontal aufgehängt und die Belegung durch einen Draht mit dem Conductor der Maschine verbunden war, genügte es zur Ozonerzeugung in dem Kasten beim Drehen der Maschine, dass von unten ein Holzklotz der nicht belegten Seite des Kastens in 20—30 Mm. Entfernung genähert wurde; ein Leiter darf sich in viel grösserer Entfernung befinden; es genügte z. B. das Ende eines dünnen Kupferdrahts senkrecht gegen die Fläche des Gaskastens in 6 Cm. Entfernung zu halten. Die der als Ausläufer des Conductors dienenden Belegung gegenübergestellten Leiter oder Halbleiter brauchen nicht abgeleitet zu sein, sie können isolirt sein, besonders wenn ihre Form und Grösse resp. die Anordnung gegenüber dem Gaskasten gestattet, dass die beiden Influenzelektricitäten in ihnen sich weit von einander begeben können. Dass sie stärker condensatorisch wirken, wenn abgeleitet, versteht sich von selbst. Die eben erörterte Combination ist ja überhaupt nichts Anderes, als die unvollkommenere Ausführung des Princips der beiden Ladungstafeln, zwischen denen sich der Sauerstoff befindet, und hierauf kommt es schliesslich auch hinaus, wenn der die Elektrisirmaschine drehende Experimentator selbst oder in der Nähe befindliche Halbleiter dem nicht abgeleiteten, als Collector fungirenden, Conductor gegenüber als Condensator wirken, so wie wenn ` 88 G. MEISSNER, in dem dem Conductor angehängten Gaskasten mit nackter Binnenbe- legung die dieser sehr nahe gegenüber befindliche unbelegte Glaswand des Kastens ebenfalls in schwachem Grade, vermöge der auf ihrer Ober- fläche stattfindenden Elektricitätsscheidung, condensatorisch wirkt; und indem endlich dieses letztere Moment auch bei der oben erörterten Ozon- erzeugung über der äussern Fläche der Randregion der Condensatortafel und der Collectortafel in Betracht zu ziehen ist, fügen sich in der That alle diese Fälle von elektrischer RER unter den in 55 aus- gesprochenen Satz. 59. ` Darnach ist auch sofort die folgende Art der elektrischen Ozonerzeugung verständlich. Von den beiden mit Klemmschrauben versehenen Enden der secundären Spirale des grossen Ruhmkorffschen Inductionsapparats resp. von den neben diesen Enden stehenden, Klemm- schrauben tragenden , Glassäulen führt je ein Draht zu einer Spitze des Ausladers (S. Müller, Lehrbuch der Physik. 7. Aufl. II. p. 508). Während der Apparat in Thätigkeit ist und die Funken zwischen den Spitzen des Ausladers überschlagen, kann jede beliebige Stelle jenes Drahtes zur Ozonerzeugung in ihrer Umgebung benutzt oder veranlasst werden. Es bedarf dazu nur, die durch Siemens" und Faraday*) bekannte sog. elektrostatische Induction und Stromverzögerung in Flaschen- drähten für irgend einen Abschnitt jenes Drahtes einzuleiten und trocknen Sauerstoff durchzuführen zwischen dem als Collector fungirenden mit starrem Isolator umgebenen Draht einerseits und dem jene Stromver- zögerung durch seine condensatorische Wirkung veranlassenden äussern Leiter anderseits, dessen Function in der Umgebung der in Wasser ein- gesenkten mit isolirender Masse umgebenen Drähte (an denen jene La- dungserscheinung zuerst beobachtet wurde) das Wasser übernimmt. Zu diesem Zweck dient die in Fig. 24 abgebildete Vorrichtung. a ist (im einfachsten Falle) eine beiderseits offene Glasröhre, durch welche jener von der Inductionsrolle zum Auslader gehende Draht geführt *) Poggendorff’s Annalen. Bd. 79. 1850. p. 481. Bd. 92. 1854. p. 152. Bd. 102. 1857. p. 66. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 89 ist. Um einen mittlern Abschnitt dieser Röhre a ist eine weite Glasröhre b concentrisch beiderseits mittelst Siegellack gasdicht befestigt. b ist mit den beiden angeschmolzenen dünnen Glasröhren zur Einleitung und Aus- leitung des Sauerstoffs versehen, in welchem kräftig Ozonerzeugung statt- findet, wenn man der äussern Fläche von b einen Leiter nähert oder anlegt, z. B. die Röhre mit Stanniol umgiebt, oder nur einen Draht mit dem einen Ende gegen die Röhre gerichtet derselben anlegt; dieser, als äussere Belegung fungirende, Leiter kann isolirt sein, besonders wenn er Ausdehnung in der Richtung eines Radıus des Röhrenquerschnitts besitzt, er wirkt aber viel kräftiger, wenn er abgeleitet ist. Die Glasröhren a und b dürfen aus dem am besten isolirenden Glase bestehen, statt der ein- fachen Röhre a darf man zur Umhüllung des Drahts mehrfache Glas- röhren anwenden, man kann den Draht mit Wachs in eine innere Glas- röhre einkitten, diese mit einer um mehre Millimeter weitern zweiten mit Terpentinöl gefüllten Röhre umgeben, kurz jede Combination der besten Isolatoren zur Umhüllung des Drahtes anwenden. Ich habe bei diesen Versuchen meistens eine Schlagweite von ungefähr 14 Cm. zwischen den Spitzen des Ausladers angewendet, die aber durch die Einleitung jener Stromverzögerung oder Ladungsbewegung in einem Theil des Drahts eine entsprechende Verkürzung erleidet. Je näher die von jenem Apparat umgebene Stelle des Drahtes der diesem zugehörigen Spitze des Ausladers liegt, desto weniger ist Ab- leitung der äussern Belegung nothwendig, um unter übrigens gleichen Umständen gleich starke Ozonerzeugung zu erhalten, und endlich in der Nähe der Spitze des Ausladers selbst bedarf es nicht einmal einer äussern metallischen Belegung für b, um Ozonerzeugung in dem Apparat zu erhalten, die Glasröhre selbst wirkt, der mit der Annäherung an die Spitze des Ausladers bedeutend steigenden Spannung auf dem Draht gegenüber, schon einigermassen condensatorisch, grade so wie die Glas- wand des Gaskastens in dem im Anfang von 58 angegebenen Versuche, Je näher ferner der Spitze des Ausladers der Abschnitt des Drahtes ge- legen ist, in dem man die Verzögerung des Stroms, die Ladungsbe- wegung gegen die Oberfläche veranlasst, desto länger darf auch diese Phys. Classe. XVI. M 90 G. MEISSNER, Drahtstrecke sein, um bei gegebener St tärke und sonst gleichen Be- dingungen Ozonerzeugung dadurch in ihrer Umgebung zu veranlassen; benutzt man eine dem Auslader ferner gelegene Strecke, so muss man sie, durch Verkleinerung der condensatorisch wirkenden äussern Belegung, zugleich kürzer nehmen, sonst vertheilt sich die durch die Stromverzö- gerung aufgehaltene und zur Ladungsbewegung veranlasste Elektricitäts- menge auf eine zu grosse Oberfläche, man erhält wie beim flaschen- förmigen oder tafelförmigen Ladungsapparat zu schwache Ladung, als dass Ozonerzeugung merklich stattfindet. Es versteht sich von selbst, dass je kleiner die thatsächliche Schlagweite zwischen den Spitzen des Ausladers im Verhältniss zu der der Stromstärke nach maximalen ge- macht wird, d. h. je geringer der Widerstand für die Entladung der In- ductionsspannungen am Auslader, desto schwächer unter sonst gleichen Umständen die Stromverzögerung und Ladungsbewegung im Draht resp. deren Wirkung ausfällt. aho i - Es ist überhaupt die ganze in Rede "stehende Combination genau so zu beurtheilen, wie jeder Ansammlungsapparat, speciell in der oben mehrfach benutzten Anwendung, bei welcher unter Verbindung der beiden Belegungen des Ansammlungsapparats durch eine feuchte Schnur u. s. w. eine Leydener Flasche durch die Belegungen oder längs ihnen hin entladen wird; und so zeigt sich denn auch hier wieder jene merk- würdige Erscheinung an den als Sauerstoffbehälter zwischen die beiden Ladungstafeln (die hier, wie bei den Gasflaschen, selbst Röhrenform haben) eingeschalteten Röhren. Führt man nämlich durch die Glasröhre b neben der Röhre a eine zweite Glasröhre c ein (Fig. 25), die, aussen beiderseits passend gebogen, ebenfalls zum Durchleiten von trocknen Sauerstoff dient, wie die umschliessende Röhre b selbst, so kommt aus jener Röhre c niemals eine Spur von Ozon, während in ihrer Umgebung, in der Röhre b, stärkste Ozonerzeugung stattfindet. Auf die den vorstehenden Angaben zum Grunde liegenden, noch in verschiedener Richtung varürten Versuche gehe ich für dieses Mal nicht weiter ein, weil das Mitgetheilte für Das, um was es sich in dieser Abhandlung handelt, genügt. Im Uebrigen berühren die betreffenden UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 91 Versuche unter Anderm auch die Fragen, welche von Poggendorff in der Abhandlung „über Störung der Funken-Entladung des Induetoriums durch seitliche Nähe isolirender Substanzen“ (Annalen. Bd. 126. 1865. p. 57) untersucht wurden. IH. 60. In der zum Theil aus einem starren, zum Theil aus einem gas- förmigen Isolator, bisher Sauerstoff, bestehenden Wandung eines Ladungs- apparats ereignen sich ausser und neben den elektroskopisch nachweisbaren Inductionserscheinungen und der Ozonerzeugung noch andere Erschei- nungen im Moment der Ladung und Entladung des Ladungsapparats, Die äussere Belegung der oben beschriebenen Gasflaschen Nro. 1 und 2 ist, wie dort angegeben, der Länge nach mit einem 1—2 Cm. breiten Spalt versehen, durch welchen man, bei Anstellung der Ver- suche im dunklen Raum, beobachten kann, dass im Moment der Ladung sowohl, wie im Moment der Entladung der Gasflasche ein Aufleuchten in dem gaserfüllten Theil der Wandung stattfindet. Diese Erscheinung ist bekannt, und wurde von Siemens*) hervorgehoben. Die Lichter- scheinung ist um so intensiver, je stärker die Ladungs- und Entladungs- bewegung ist. Sie findet statt, wenn in der Wand der Gasflasche sich Sauerstoff, atmosphärische Luft, Stickstoff, Wasserstoff, Kohlensäure be- findet (mit anderen Gasen habe ich bisher die Versuche noch nicht an- gestellt), und dass diese Lichterscheinung unter Betheiligung des Gases in der Flaschenwand erfolgt resp. dass das Gas leuchtend wird, geht, abgesehen davon, dass man in der That die ganze Dicke der Gasschicht leuchtend sieht, besonders daraus hervor, dass die Farbe und Intensität des Lichtes unter sonst gleichen Umständen von der Art des Gases ab- hängig ist. Im Sauerstoff und Wasserstoff ist‘ das Licht ein bleiches weissliches, im Stickstoff dagegen (und daher auch in atmosphärischer Luft) ein schön röthlich violettes und zugleich intensiveres, welche *) Poggendorff’s Annalen. Bd. 102. 1857. p. 118. - M2 92 G. MEISSNER, Unterschiede mit anderen bekannten Wahrnehmungen in Ueberein- stimmung sind (vergl. u. A. Schimkow, Ueber das Spectrum des elek- trischen Büschel- und Glimmlichtes in der Luft. Poggendorffs Annalen. Bd. 129. p. 508). Im Sauerstoff und Wasserstoff habe ich das Leuchten immer nur als einen homogenen Lichtschein wahrgenommen, im Stick- stoff dagegen erschien es bei stärkeren Ladungen und Entladungen wie ein feiner Sprühregen von leuchtenden Punkten oder Streifen mit dunklen Zwischenräumen, und erst bei schwächeren Ladungen und Entladungen ging dieses Verhalten ebenfalls in einen mehr homogenen Lichtschein über. Vielleicht steht dieses Verhalten der Lichterscheinung im Stick- stoff in Zusammenhang mit den von Plücker und Hittorf beobach- teten Differenzen des Stickstoffspectrum*). Die Lichterscheinung zeigt sich auch, wenn man unter Verbindung der beiden Belegungen der Gas- flasche durch eine feuchte Schnur die Leydener Flasche nur verzögert durch die Belegungen der Gasflasche hindurch entladet. Da die Licht- erscheinung bei einmaliger Ladung und Entladung der Gasflasche so sehr kurze Dauer hat, ist es zur nähern Beobachtung viel besser, die beiden Belegungen der Gasflasche mit den Enden der secundären Spirale eines Inductionsapparats zu verbinden. `” Für den Fall nun, dass es jals unumstösslich gelten müsste, dass die in Rede stehende Lichterscheinung nur von einem Uebergange der Elektricitäten von den Glasflächen durch das Gas in der Wand der Gasflasche herrühren könne, — in welchem Falle die mit der Lichter- scheinung als eine Entladung übergehend gedachten Elektricitäten nur die im Moment der Ladung und Entladung der Gasflasche auf den inneren Glasoberflächen erregten Inductionselektricitäten sein könnten — für diesen Fall war es von Wichtigkeit zu prüfen, ob unter allen Um- ständen dann, wenn in der Wand der Gasflasche Ozonerzeugung statt- . findet, auch die Lichterscheinung bei Ladung und Entladung zu Stande kommt. Dies ist entschieden nicht der Fall. Schon Siemens hat her- *) Philosophical Transactions. 1859. S. auchSchimkow in Poggendorff's Annalen. Bd. 129. p. 515 u. L ` UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 93 vorgehoben, dass das Leuchten des Gases in der Wand des Ansamm- lungsapparats bei einer ganz bestimmten untern Gränze der Ladungs- grösse d. h. der Intensität der Ladungs- und Entladungsbewegung auf- zutreten beginnt: diese Gränze ist nun aber nicht zugleich auch die- jenige für die Ozonerzeugung. Wenn ich dies hervorhebe, so verkenne ich nicht, dass darin für sich allein kein Beweis liegt dafür, dass die Ozonerzeugung zu Stande komme ohne thatsächliches Eindringen der ungleichnamigen Elektricitäten von den beiden Flächen in den zwischen ihnen befindlichen Sauerstoff (s. oben die Alternative in 55 und 56), denn man kann auch einen weniger intensiven derartigen Uebergang ohne Lichterscheinung statuiren wollen; die Thatsache ist aber nicht nur an sich von Wichtigkeit, sondern dürfte auch im Verein mit dem in 56 Vorgebrachten zur Entscheidung in jener Alternative beitragen. Die eine Gasflasche wurde mit trocknem Sauerstoff gefüllt ver- schlossen in einem absolut dunklen Raum aufgestellt, die Belegungen ` verbunden mit den Enden der secundären Spirale des ältern Stöhrer- schen Funkeninductors (abgebildet in Müller’s Lehrbuch der Physik. 7. Aufl. II. p. 512). Wenn dieser Inductor durch nur ein Daniel’sches Element bedient wurde, so betrug die zwischen den Platinspitzen des Apparats gemessene Schlagweite nur zwischen 1,5 und 2 Mm.; unter der -Wirkung nun dieser schwachen Inductionsspannungen auf den Bele- gungen der Gasflasche Nro. 1 war nicht die geringste Spur von Licht- erscheinung im Innern der Gasflasche so wie überhaupt an ihr zu be- merken, als aber nach einigen Minuten solcher Elektrisirung der Sauer- stoff ausgetrieben wurde, zeigte er einen ansehnlichen Ozongehalt. Durch Einschaltung von Widerständen in den primären Kreis des einen Daniel konnte die Schlagweite bis auf 0,2 Mm. herabgedrückt werden, womit zugleich die äusserste Gränze der Stromstärke erreicht war, bei welcher die gehörig eingestellte (an diesem Inductor durch den primären Strom selbst bediente) Unterbrechungsvorrichtung noch ihren Dienst leistete: ` auch unter dieser so äusserst schwachen einige Zeit fortgesetzten Elek- trisirung fand noch Ozonerzeugung in der Wand der Gasflasche’ statt, natürlich auch ohne jede Spur von Lichterscheinung. 94 G. MEISSNER, Man kann wohl fragen, ob es denkbar sei, dass unter diesen Um- ständen, da die zu der raschen Folge von Ladungen und Entladungen der Belegungen der Glasflasche angewendeten Spannungen (der Oeffnungs- induction) zwischen zwei Spitzen eine Gasschicht von nicht mehr als 0,2 Mm. Dicke zu durchbrechen im Stande sind, die auf den grossen Oberflächen der böhmischen Röhren unter der Wirkung solcher La- dungen inducirten Elektrieitäten durch die 2,7 Mm. dicke Schicht trocknen Sauerstoffs zu dringen vermögen, wenn eben von solchem Eindringen resp. Durchdringen (56) der ungleichnamigen Elektricitäten die Ozoner- zeugung abhängig gemacht werden sollte. Mir scheint, dass man mit solcher Annahme die Oberfläche des böhmischen Glases im Verein mit dem trocknen in allen hier in Frage kommenden Versuchen nicht ver- dünnten Sauerstofl gradezu zu guten Leitern stempeln würde. 61. Fig. 26 stellt in etwa 1⁄4 der wahren Grösse einen EE zur Elektrisirung von Gasen nach von Babo’s Princip: dar, wie ich sie schon seit längerer Zeit in verschiedenen Grössen construire und. in der Mittheilung in den Nachrichten von der Königl. Gesellsch. der Wissensch. 1870. Nro. 16 erwähnt habe. In dem hier speciell gemeinten derartigen, bezüglich des Rauminhalts verhältnissmässig kleinen, dieser Apparate besteht jedes der beiden Drahtbündel aus 8 Messingdrähten ` von 1 Mm. Durchmesser, deren jeder in eine knapp umschliessende Glasröhre von 0,3 Mm. Wandstärke und von sehr gut isolirender Glassorte eingeführt ist. (Diese Glasröhren sind besonders für diesen Zweck angefertigt). Wie man aus der Abbildung erkennt werden diese 16 Glasröhren mit den Drähten umgeben von einer Glasröhre, deren mittlerer Theil nur eben. so weit ist, um dieselben fassen und dadurch in einer bestimmten Lagerung fixiren zu können. Fig. 27 stellt in wahrer Grösse den Querschnitt dieses mittlern verengten Theiles des Apparats dar, die Querschnitte der dem einen Drahtbündel angehörenden Drähte sind schwarz, die Quer- schnitte der Drähte des andern Bündels hell gehalten. Die weiteren Abschnitte der Umhüllungsröhre, in denen die geschlossenen Enden der ` glasüberzogenen Drahtbündel liegen (in der Abbildung zu erkennen) haben 24 Cm. Durchmesser der Lichtung. Die: beiden Drahtbündel- be- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 95 rühren sich auf der Länge von 38 Cm., und in der Länge von 12 Cm. erstreckt sich jederseits das betreffende Drahtbündel noch bis zu dem Ende, wo die eingeschmolzenen Platinenden der Drähte frei werden und durch einen dickern mit ihnen zusammengewickelten Platindraht durch die Ansatzstücke aa der Umhüllungsröhre eingeschmolzen nach Aussen geführt sind. Durch das Ansatzstück b ist ein in Zehntel Grade ge- theiltes Thermometer in die Umhüllungsröhre gasdicht eingesetzt, was entweder mittelst Schliff geschieht oder mit Hülfe von Siegellack. Die Umhüllungsröhre kann beiderseits durch die Geissler'schen Hähne c und c+ abgesperret werden. Ueber dem Hahn c’ (rechterseits) ist mittelst Geissler’schen Einschliff der das Manometer mit Spiegelskale und zu- gleich die Einleitungsröhre für das Gas tragende Ansatz angefügt. Der OCubikinhalt zwischen c und ci, so wie der des Ansatzes bis zur Ober- fläche des Quecksilbers im Manometer und bis zum Hahn d ist durch genaue Ausmessung bekannt. ` Soll vor einem Versuch das Volumen des trocknen Gases, welches der Elektrisirung unterworfen werden soll, gemessen werden, so wird ` der Hahn e zum Manometer geöffnet, während der Hahn d geschlossen ist und fortan auch geschlossen bleibt. Nach Aufnahme der Temperatur- und Druckdata wird der Hahn c’ geschlossen (d bleibt geschlossen) und nun das zwischen c und c’ eingesperrte Gasvolumen elektrisirt. Nach ` dem Versuch und nachdem die Temperatur in der Umhüllungsröhre wieder gleich der neben dem Manometer gemessenen äussern Tempe- ratur oder gleich der Anfangstemperatur geworden ist, wird der Hahn e wieder geöffnet, der Druck gemessen und nun der Inhalt des ganzen Apparats. von dem jetzt geöffneten Hahn d aus ausgetrieben, während mit Hülfe des über c (linkerseits) befindlichen Schliffs die Absorptionsapparate oder, was sonst vorgelegt werden soll, angesetzt werden. Der Vortheil der hier ange- wendeten Art der Anfügung des Manometers liegt (neben anderen hier nicht berührten Rücksichten) darin, dass der austreibende Gasstrom durch die das Manometer mit dem Elektrisirungsapparat verbindende Röhre geht und so Das, was nach der Oeffnung des Hahns e von dem Inhalt der Umhüllungs- röhre gegen das Manometer hin diffundirt, wieder zurück- und mit austreibt. 96 G. MEISSNER, Der räumliche Inhalt der Umhüllungsröhre, soweit er von Gas er-‘ füllt wird, beträgt in diesem wie gesagt kleinern Apparat von dem Hahn c bis zu dem Hahn e bei 15° C. 137,2 CC.; der Inhalt des An- satzes vom Hahn c‘ bis zum Hahn d einerseits, und anderseits bis zu dem Nullpunkte im innern Manometerschenkel beträgt 14,8 CC.; die Grösse dieses Ansatzraums verändert sich mit dem Stande des Queck- silbers im innern Manometerschenkel und zwar um + 0,048 CC. für jeden Millimeter unter- oder oberhalb des Nullpunktes, wenn man nicht durch Nächfüllen oder Auslassen von Quecksilber das Volumen des Gases constant halten will. Die Oberfläche der Drähte jedes der beiden Drahtbündel, so weit diese neben einander liegen, also mit anderen Worten die Oberfläche jeder der beiden metallischen Belegungen (innerhalb der Glasröhren) so weit sich dieselben einander gegenüber liegen, beträgt 96 [] Cm. 69. Wird in dem vorstehend beschriebenen Apparat trockner Sauerstoff elektrisirt, indem man die Platindrähte mit den Enden der secundären Rolle des grossen Ruhmkorff’schen Inductors verbindet, so zeigt das Thermometer, wie ich schon früher angegeben habe, eine Temperaturerhöhung im Innern der Umhüllungsröhre an. Bei der Elek- trisirung trocknen Wasserstoffs in demselben Apparat, unter gleichem Druck, bei gleicher Anfangstemperatur, mit gleichen, an der Schlagweite am Auslader gemessenen, Inductionsspannungen fand ich im Laufe der gleichen Zeit, wenn dieselbe nicht eine sehr kurze nur war, merklich die gleiche Temperaturzunahme, der einzige deutliche Unterschied be- stand darin, dass das vom Wasserstoff umgebene Thermometer im Anfang rascher stieg und nach Aufhören des Elektrisirens unter den gleichen äusseren Umständen eine rascher verlaufende Abkühlung anzeigte, als das von Sauerstoff umgebene Thermometer; ein Unterschied, der sich aus be- kannten Thatsachen über die Wärmeleitung des Wasserstoffs erklärt. Sehr auffallend ist es nun, dass wenn diese Gase in einer der oben be- schriebenen Gasflaschen (Nro. 2), deren Belegungen mit den Enden der secun- dären Rolle des Inductors verbunden sind, elektrisirt werden, das in den gas-erfüllten Raum der Flasche eintauchende Thermometer eine ausseror- dentlich viel geringere Temperaturzunahme unter allen Umständen anzeigt, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 97 Die beiden Apparate, die Gasflasche Nro. 2 und der in Fig. 26 abgebildete Apparat sind nun zwar keineswegs unmittelbar vergleichbar: der Binnenraum ist allerdings fast gleich gross in beiden, er beträgt für die Gasflasche 130 CC., für den andern Apparat 137 CC.; die Oberfläche der innern Belegung der Gasflasche aber beträgt 136 [] Cm., die metallische Oberfläche eines Drahtbündels im andern Apparat nur 96 [] Cm. und die Entfernung der beiden Belegungen der Gasflasche von einander ist viel bedeutender, als die Entfernung je zweier Drähte der beiden Drahtbündel. Diese Unterschiede müssen dahin wirken, dass bei An- wendung von nach der Schlagweite gleichen Inductionsspannungen für beide Apparate die Ladungen der Gasflasche weniger intensiv ausfallen, als die des andern Apparats. Aber auch wenn man dies berücksichtigt und für die Gasflasche viel stärkere Inductionsspannungen in Anwendung bringt, bleibt doch jener bedeutende Unterschied in der Erwärmung des Gases in beiden Apparaten bestehen, in der Gasflasche handelt es sich immer nur um Temperaturzunahmen von einigen zehntel Graden, während es sich in dem Apparat Fig. 26 und allen ähnlichen um Temperatur- zunahmen von ganzen Graden handelt. Siemens*) hat nachgewiesen, dass die Glaswand eines Ansamm- lungsapparats sich unter der Wirkung der Ladung und Entladung er- wärmt. Es scheint nun, dass die Erwärmung des in der Wand eines Ansammlungsapparats befindlichen Gases zum grössten Theil von der in den begränzenden, die Belegungen tragenden Glaswänden bei der Ladung und Entladung frei werdenden Wärme herrührt, und nicht von in dem Gase selbst frei werdender Wärme, indem sich dann obiger Unterschied zwischen der Gasflasche und dem von Babo’schen Apparat leicht er- klärt. Bei von Babo’s Apparat bildet nämlich jedes der beiden Glas- überzogenen Drahtbündel eine Ladungstafel oder eine Belegung der Gas- flasche mit zugehöriger Glaswand, und man misst die Temperatur inner- halb einer diese beiden Belegungen mit ihren Glaswänden umhüllenden Glasröhre; die gesammte in diesen Glaswänden, d. i. in den Glasüber- *) Poggendorff's Annalen. Bd. 125. 1865. p. 137. Phys. Classe. XVI. N 98 G. MEISSNER, zügen der beiden Drahtbündel, frei werdende Wärme kann ausser durch die beiden an den äussersten Enden nach Aussen führenden Platindrähte nur durch das Gas, in welches das Thermometer eintaucht, nach Aussen sich durch Leitung und Strahlung verbreiten. Bei der Gasflasche, wie Nro. 2 oben, dagegen liegt die ganze äussere Belegung frei an der Ober- fläche des Apparats, sehr günstig zur Ableitung des bei weitem grössten Theiles der in ihrer Glaswand producirten Wärme direct nach Aussen ohne auf das Gas in der Flaschenwand und das darin eintauchende Thermometer zu wirken, und ausserdem sind auch noch die Bedingungen zur Ableitung der in der Glaswand der innern Belegung frei werdenden Wärme durch diese Belegung ebenfalls günstiger. Wenn reiner trockner Stickstoff in jenem Apparat Fig. 26 elektrisirt wurde, so war unter sonst möglichst gleichen Umständen die Temperatur- erhöhung ebenfalls nahezu gleich derjenigen in Sauerstoff und Wasser- stoff; in reiner trockner Kohlensäure scheint sie unter sonst gleichen Umständen etwas geringer zu sein, was mit der Zersetzung, welche die Kohlensäure dabei erleidet (66), in Zusammenhang stehen könnte. 63. Die Gasflasche Nro. 2 ist mit einem Manometer versehen (s die Abbildung Fig. 2); dieses wird mit reiner Schwefelsäure beschickt, welche vor Wasseranziehung von Aussen dadurch geschützt wird, dass man auf den offenen Schenkel des Manometers ein Röhrchen oder eine Kugel mit Chlorcaliumstücken locker gefüllt aufsetzt. Ist die Gasflasche bei geöffnetem Hahn zum Manometer mit trocknem Sauerstoff unter Atmosphärendruck gefüllt, so werden die den Binnenraum derselben absperrenden Glashähne jederseits geschlossen. Ertheilt man nun der Gasflasche von einer Leydener Flasche aus Ladung, so bemerkt man eine merkwürdige Erscheinung an dem Manometer: im Moment der Ladung nämlich erfolgt eine sehr rasch, momentan verlaufende kleine Druckzunahme, die Schwefelsäure im innern Schenkel bewegt sich sehr schnell ein Mal herunter und wieder hinauf; .dieselbe Erscheinung wiederholt sich bei der plötzlichen Entladung der Gasflasche. Die Druck- schwankung ist um so grösser, je stärker die Ladungs- und Entladungs- bewegung ist. Eine genaue Messung der Grösse dieser positiven Druck- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 9 schwankung ist wegen der grossen Geschwindigkeit des Verlaufs nicht ausführbar; so viel aber konnte erkannt werden, dass sie bei nahezu maximaler Ladung jener Gasflasche ungefähr 2 Mm. Schwefelsäure = 0,27 Mm. Quecksilber beträgt, was einer Volumzunahme des Sauerstoffs um ungefähr 0,0035 entspricht. Im Stickstoff zeigt sich dieselbe Er- scheinung und, so weit es erkennbar ist, von gleicher Grösse, wie im Sauerstoff; in der Kohlensäure schien diese momentane Druckschwankung unter übrigens gleichen Umständen etwas grösser, als im Sauerstoff und Stickstoff zu sein. Im reinen Wasserstoff habe ich anfangs oftmals, auch bei Beobachtung mit dem Fernrohr, gar Nichts von dieser Erscheinung wahrnehmen können, später, vielleicht in Folge der Uebung, bemerkte ich allerdings auch in diesem Gase im Moment der Ladung und Ent- ladung der Gasflasche eine sehr kleine, sehr rasch verlaufende Druckzu- nahme, die aber ganz sicher unter gleichen Umständen nicht den zehnten Theil der Grösse hat, den diese Druna nnn im Sauerstoff und in den anderen genannten Gasen zeigt. Es scheint somit, dass die Grösse dieser im Moment der Ladung und Entladung der Gasflasche sehr rasch verlaufenden positiven Druck- schwankung eine Function der Dichtigkeit des Gases ist. Die Erschei- nung kann nicht als eine momentan vorübergehende Wärmeausdehnung des Gases aufgefasst werden, weil, wie in vorhergehender Nummer an- gegeben, die in Folge einer grössern Anzahl von Ladungen und Ent- ladungen eintretende am Thermometer ablesbare Erwärmung des in der Gasflasche enthaltenen Gases unter gleichen Bedingungen merklich die gleiche ist für Sauerstoff, Stickstoff und für Wasserstoff, und für Kohlen- -süure sogar eher geringer, als für Wasserstoff, ist, jene rasche positive Druckschwankung aber für Sauerstoff, Stickstoff, Kohlensäure wenigstens zehn Mal grösser ist, als für Wasserstoff. Die Erscheinung steht auch nicht in unmittelbarer Beziehung zu den in Folge der chemischen Ver- änderung eines Gases unter der Elektrisirung eintretenden dauernden Volumsänderungen; denn für den Sauerstoff besteht diese bleibende Volumsänderung in der mit der Ozonerzeugung verbundenen Abnahme desselben, für die Kohlensäure dagegen in einer mit dem Zerfallen in N2 100 G. MEISSNER, Kohlenoxyd und Sauerstoff (s. unten) verbundenen Zunahme des Gas- volums, Stickstoff und Wasserstoff ferner erleiden gar keine bleibende Volumsänderung in Folge des Elektrisirens. | Die in Rede stehende Erscheinung beruhet also auf einer nicht thermischen und nicht chemischen sehr schnell vorübergehenden Ver- änderung, welche wahrscheinlich jedes Gas als solches in der Wand des Ansammlungsapparats unter der Wirkung der Ladungs- und Entladungs- bewegung erleidet, und deren Grösse wahrscheinlich mit der Dichtigkeit des Gases steigt. Es scheint sich also um eine Ausdehnung zu handeln, welche vielleicht in gewisser Weise analog ist der von Edlund beobach- teten von der Erwärmung unabhängigen Ausdehnung metallischer Leiter durch den galvanischen Strom*), mit welchem Hinweis ich aber keines- wegs angedeutet haben möchte, dass jene rasch vorübergehende Aus- dehnung des Gases bei der Ladungs- und Entladungsbewegung im An- sammlungsapparat etwa auf eine durch das Gas in dessen Wandung er- folgende elektrische Entladung zu beziehen sei. | 64. Ich bin vielmehr auf Grund der obigen Untersuchungen der Meinung, dass unter den von mir eingehaltenen Versuchsbedingungen überhaupt keine Bewegung der Elektricitäten durch das Gas hindurch erfolgt und glaube vielmehr die, ausser den an gewissen Gasen, Sauer- stoff, Kohlensäure auftretenden chemischen Veränderungen, an allen Gasen zu beobachtenden Erscheinungen, das Aufleuchten und die momen- tane Druckschwankung als mit der Molekularinduction in den Gasen verbunden oder von dieser abhängig auffassen zu dürfen. Ich wage es, folgende Ansicht auszusprechen. Es scheint, dass die zwischen zwei Leitern oder Nichtleitern = findlichen Gasmoleküle resp. die die Moleküle zusammensetzenden Atome unter der Wirkung der auf jenen stattfindenden Ladungs- und Entla- dungsbewegung als eine Inductionswirkung, Faraday's Molekularin- duction, in eine noch näher zu definirende momentane Bewegung, wie eine Erschütterung, gerathen, welche mit momentaner Ausdehnung und, zu Poggendorff’s Annalen. Bd. 129. 1866. p» 15. Bd. 131. 1867. p. 337. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 101 wenn sie intensiv genug ist, Lichtentwicklung verbunden ist; in ge- wissen ihrer Molekularconstitution nach dazu geeigneten Gasen ist diese momentane Bewegung oder Erschütterung durch Molekularinduction der Anstoss zur Einleitung bleibender Veränderungen, Aenderungen der chemischen Eigenschaften, wie sie auch durch chemische Affinitätswir- kung hervorgebracht werden, welche bleibende chemische Veränderungen dann auch secundäre bleibende Volumänderungen, Ausdehnung oder Contraction, zur Folge haben, und bestehen können entweder in dem Zerfall zusammengesetzter Moleküle, wie es bei der Kohlensäure (s. unten) und wahrscheinlich auch noch bei anderen zusammengesetzten Gasen oder Dämpfen der Fall ist*), oder in der über eine längere Zeit sich er- streckenden Fortdäuer, dem Beharren eingeleiteter Bewegungen, sofern nämlich darin wahrscheinlich das Wesen des elektrisirten, erregten, pola- risirtten Zustandes des Sauerstoffs besteht, in welchem er Ozon und Antozon „enthält“ nach der gewöhnlichen und bisherigen Anschauungs- weise, worüber ich auf die in den Nachrichten der Königl. Gesellsch. der Wissensch. 1870. Nro. 16 vorläufig mitgetheilten, und demnächst näher zu begründenden Untersuchungsresultate verweise, Es besteht offenbar eine Analogie zwischen der Elektrolyse von Flüssigkeiten und den Einwirkungen, welche Gase, Sauerstoff und Kohlen- säure, von Seiten der Ladungs- und Entladungsbewegung erleiden, eine Analogie, welche zunächst deutlich bei der Kohlensäure hervortritt, die, so wie der Elektrolyt zwischen den Elektroden, so zwischen den beiden Ladungstafeln, durch die Ladungs- und Entladungsbewegung, unter den- selben Umständen, unter denen im Sauerstoff die Ozonerzeugung statt- findet, chemisch zersetzt wird, in Kohlenoxyd und Sauerstoff zerfällt. Faraday sprach den Satz aus**), dass auch in einem Elektrolyt die Induction, die Molekularinduction, der erste Act oder der erste Schritt, die Zersetzung der zweite sei, und Grove fügte auf Grund seiner die *) Ich meine solche, deren elektrische Zersetzung unter Funkenentladungen man kennt. S **) Experimental researches I. 11. Series. -On induction: Nro. 1164. ` 102 G. MEISSNER, „elektrochemische Polarität der Gase“ betreffenden Untersuchungen *) hinzu, dass auch „bei der Induction quer durch gasige Dielektrica ein, so zu sagen, Anfang von Zersetzung stattfindet, eine polare Anordnung nicht bloss von Molekülen, eine beziehungslose zu deren chemischen Charakteren, sondern eine chemische Veränderung ihrer Kräfte, bei welcher das elektronegative Element in die eine, das elektropositive Element in die entgegengesetzte Richtung gebracht werde“, Ich glaube auf Grund des bisjetzt allerdings nur an der Kohlensäure Beobachteten (s. unten), dass man noch einen Schritt weiter gehen muss, bei der Induction quer durch ein gasiges Dielektricum kann mehr, als ein blosser Anfang von Zersetzung stattfinden, es kann als zweiter Act oder zweiter Schritt nach Faraday’s Ausdruck auch bei den Gasen der Molekularinduction die vollkommene Zersetzung folgen. | Die von Farada y sogenannte Molekularinduction, welche für starre Isolatoren namentlich von Siemens vertheidigt und gestützt wurde, würde, vielleicht in etwas anderer Weise gedacht, als Faraday wollte, auch für alle gasförmigen Isolatoren gelten, ohne dass man deshalb anzunehmen braucht, es fände die Induction oder Influenz von einem festen Körper zum andern nur unter Vermittlung der Molekularinduction des etwa zwischenliegenden Gases statt, was gegen Faraday früher geltend gemacht wurde, aber weder aus dessen Theorie gefolgert zu werden braucht, noch auch von Faraday selbst später wenigstens be- hauptet wurde. Es wird damit für ein z. B. zwischen Collector- und Condensatortafel eines Ansammlungsapparats befindliches Gas zunächst und im Allgemeinen Nichts Anderes postulirt, als was für eine starre nicht-leitende Zwischenschieht, eine isolirende Zwischenplatte, thatsächlich stattfindet, nämlich einer Inductionswirkung zu unterliegen, so fern Null- elektricität vorhanden ist, die einen Angriffspunkt dafür bildet, und für den starren Isolator gilt wiederum der oben p. 37 in der Anmerkung eitirte Ausspruch Poggendorff’s. Die Unterschiede in der Molekular- constitution der Gase einerseits, der starren Isolatoren anderseits be- *) Poggendorff’s Annalen. Bd. 93. 1854. p. 582. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 108 dingen, dass Das, was sich unter der Wirkung der Induction in beiden ereignet, verschieden ausfällt oder verschieden sich gestaltet , und so bedingen es auch wiederum die Unterschiede in der Constitution ver- schiedener Gase, dass jene Wirkung in ihnen zu verschiedenen Effecten führt. Chemisch nicht-zusammengesetzte Gase, welche, wie Wasserstoff, Stickstoff in Folge der unter der Wirkung der Ladungs- und Entladungs- bewegung erfolgenden Molekularinduction keine bleibende Veränderung erleiden, würden sich jener Anschauung nach zum Sauerstoff, dem ein- zigen nicht zusammengesetzten und doch eine bleibende Veränderung, Fortdauer von Bewegungen, in Folge der Molekularinduction erleidenden Gase, in gewissem Sinne verhalten — um ein Bild zu gebrauchen, welches zunächst nicht mehr, als dieses sein soll — wie weiches Eisen zum Stahl bezüglich der Induction des Magnetismus in ihnen*). Beruhet Das, was Faraday den ersten Schritt bei der Elektrolyse von Flüssigkeiten nannte, auf Molekularinduction, nämlich auf derselben Wirkung, welche die zwischen Collector und Condensator befindlichen Gasmoleküle von Seiten der Ladungs- und Entladungsbewegung auf diesen erleiden, so ist es auch wohl das dieser Ladungs- und Entladungs- bewegung analoge in rascher Folge stattfindende Entstehen und Ver- schwinden von Spannung auf den Elektroden, unter deren Wirkung die Molekularinduction im Elektrolyten zu Stande kommt. Soll sich die Ladungsbewegung oder das Entstehen von Spannung auf den Elektroden zu fortgesetzter Wirkung immer von Neuem wiederholen, so muss die Ladung oder die eben entstandene Spannung immer sofort wieder auf- gehoben werden und eine neue Elektricitätsmenge zur Ladung oder zum Entstehen von Spannung einströmen: bei der Elektrolyse geschieht dies ohne weiteres Zuthun, indem die Elektricitäten von den Elektroden, nachdem Spannung oder Ladung entstanden ist, durch den Elektrolyten *) Bei dieser Gelegenheit mag auch wieder daran erinnert werden, dass der Sauerstoff unter allen Gasen sich den Magnetpolen gegenüber am stärksten para- magnetisch oder allein magnetisch verhält; wie sich elektrisirter Sauerstoff dem Magnet gegenüber im Vergleich zu neutralem Sauerstoff verhält, ist bis jetzt noch nicht geprüft worden. 104 ` G. MEISSNER, hindurch immer abströmen und dadurch die Elektroden immer fort von Neuem ladungsfähig erhalten werden und von einer constant wirksamen Elektricitätsquelle auch immer fort von Neuem geladen werden; beim Elektrisiren von Gasen zwischen Collector und Condensator dagegen muss derselben Bedingung dadurch genügt werden, dass die Ladung allemal auf demselben Wege, auf welchem sie einströmte, rückwärts, wieder weggenommen wird; die eine neue Ladungsbewegung und damit eine Wiederholung der Induction ermöglichende Entladung findet bei Elektrolyse von Flüssigkeiten zwischen den Elektroden in der Richtung des Ladungsstroms statt, und muss beim Elektrisiren von Gasen in der Wand eines Ansammlungsapparats auf umgekehrten Wege entgegengesetzt der Richtung des Ladungsstroms vorgenommen werden. Gewissermassen zwischen beiden Fällen steht der Fall, in welchem das Gas sich zwischen metallischen Spitzen befindet, zwischen denen Funkenentladungen von Zeit zu Zeit übergehen können; auch hier ist Das, was auf die Gasmoleküle (und überhaupt) inducirend wirkt, die jedem einzelnen Funken vorhergehende Ladungsbewegung auf den Spitzen, das Entstehen von Spannung daselbst, die metallische Beschaffen- heit und die Form der in diesem Falle als Collector und Condensator einander gegenüberstehenden Elektricitätsträger ermöglichen es, dass wie bei der Elektrolyse, jedoch nicht mit Leitung, sondern mit Durchbruch und mit viel grösseren Pausen von Zeit zu Zeit die Aufhebung der La- dung durch das Gas hindurch erfolgen kann, durch die Funkenentladung, den elektrischen Funken, welchem man bisher eine elektrolytische Wirk- samkeit für Gase zugeschrieben hat, der aber offenbar so wenig das für Zersetzung eines Gases, wie der Kohlensäure, oder das für die Polarisation des Sauerstoffs wirksame Moment ist, dass vielmehr im Gegentheil die durch das Gas hindurch erfolgenden Funkenentladungen die Wirkung der voraufgegangenen Molekularinduction immer wieder zum Theil auf- heben, zerstören: die unter der Wirkung der Molekularinduction aus dem Zerfall der Kohlensäure hervorgegangenen Z ersetzungsproducte, Kohlenoxyd und Sauerstoff, vereinigen sich zum Theil wieder unter der Wirkung von Funkenentladungen, ebenso wie polarisirter Sauerstoff durch UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 105 Funkenentladungen wieder theilweise in gewöhnlichen Sauerstoff - ver- im Elektrolyt fortwährend wandelt wird. Wenn bei der Elektroly Zersetzung und theilweise Wiedervereinigung stattfindet, ist nicht auch dabei vielleicht die Zersetzung die Wirkung der Molekularinduction, die theilweise Wiedervereinigung die Wirkung der Elektricitätsbewegung, des Stroms durch den Elektrolyten? ; 65. Verbindet man die Belegungen der Gasflasche mit den Enden der secundären Spirale des Ruhmkorff’schen Inductionsapparats, so erfolgen in rascher Folge mit jedem Oeffnungsschlage Ladung und Ent- ladung der Flasche. Die am Schwefelsäure-Manomcter zu beobachtende Druckänderung des Gases ist die Resultante verschiedener Wirkungen und gestaltet sich im Allgemeinen bei jedem Gase in besonderer Weise, Erfolgen 5—8 Oeffnungsschläge in der Secunde, so beobachtet man am Sauerstoff zuerst eine sehr rasch mit den ersten Schlägen erfolgende Druckzunahme, als Wirkung der ersten jener, sich summirenden, posi- tiven Druckschwankungen (63), alsbald aber nimmt der Druck ab, anfangs schneller dann. langsamer, Wirkung der mit der Ozcnerzeugung ver- bundenen Contraction, abgeschwächt durch die Wirkung der Erwärmung. Diese langsam erfolgende Veränderung des Manometerstandes ist fort- während begleitet von den kleinen mit den einzelnen Oeffnungsschlägen isochronen positiven Druckschwankungen, deren Aufhören mit dem Sistiren der Thätigkeit des Inductionsapparats entsprechend der im Beginn rasch erfolgenden Druckzunahme zuerst eine gleich grosse rasche, fast momentane Abnahme- des Drucks bedingt, worauf in Folge der Ab- kühlung des Gases nun ein langsames weiteres Sinken des Drucks er- folgt, indem sich nun der bis dahin durch die thermische Ausdehnung verdeckte Theil der von der Ozonerzeugung abhängigen Contraction noch geltend macht. In einem Apparat, in welchem die Erwärmung des Gases mehr begünstigt ist (62) ist natürlich der vom Manometer ange- zeigte Gang des Druckes ein anderer. Ist die Gasflasche mit Kohlensäure gefüllt, so steigt ebenfalls mit den ersten Oeffnungsschlägen der Druck rasch, Summirung der Wirkung der ersten positiven Druckschwankungen, darauf steigt er langsam, Phys. Classe. XVI. O Á 106 G. MEISSNER, unter fortwährenden kleinen mit den Oeffnungsschlägen isochronen Schwan- kungen, stetig an, Wirkung zugleich der Erwärmung und der mit der Zersetzung der Kohlensäure verbundenen Volumzunahme. Im Stickstoff bewirken die ersten Schläge wiederum das plötzliche Ansteigen des Druckes, von wo aus dann unter den kleinen positiven Drucksel kungen ein weiteres langsames Ansteigen in Folge der Er- wärmung erfolgt, langsamer und zu viel geringerer Höhe unter gleichen Umständen, als in der Kohlensäure, weil der Stickstoff keine bleibende Volumzunahme erleidet, die stetige Druckzunahme im Stickstoff rührt nur von thermischer Ausdehnung her. Im Wasserstoff endlich ist die Druckzunahme unter gleichen Um- ständen am geringsten, die den einzelnen Ladungen und Entladungen isochronen positiven Druckschwankungen sind sehr viel kleiner, so dass jenes anfängliche plötzliche Ansteigen des Druckes nur sehr unbedeutend oder kaum wahrnehmbar ist; das langsame stetige Ansteigen des Druckes beruhet auch hier nur auf thermischer Ausdehnung. Nach Aufhören des Elektrisivens und Ausgleichung der Temperatur des Apparats mit der der Umgebung zeigt das auf 0° und Normaldruck reducirte Volumen des Wasserstofis und Stickstoffs keine Veränderung, das Volumen des Sauerstoffs zeigt die bekannte Verkleinerung, das Vo- lumen der Kohlensäure die Vergrösserung in Folge der schon mehrfach erwähnten Zersetzung der Kohlensäure in Kohlenoxyd und Sauerstoff, wovon noch Einiges zu sagen ist. 66. Priestley hat zuerst die bleibende Volumzunahme ee als er elektrische Funken durch Kohlensäure schlagen liess, und. das Auftreten eines nicht durch Kalkwasser oder Alkali absorbirbaren Gases; dies bestätigte darauf Monge 1786, erkannte die Brennbarkeit des neu entstandenen Gases und die Oxydation des sperrenden Quecksilbers so wie der metallischen Spitzen, zwischen denen die Funken überschlugen. Th. de Saussure*) erkannte bei Wiederholung des Versuchs, dass das brennbare Gas Kohlenoxyd ist, und dass der zugleich auftretende Sauer- *) Journal de Physique, de Chimie etc. T. 54. 1802. p. 450. Á, p UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 107 stoff die Oxydation der im Apparat befindlichen Metalle bewirkt. Letzteres- suchten Henry und Dalton*) zu vermeiden, indem sie auch Platin- spitzen anwendeten, und sie bestätigten die Zersetzung der Kohlensäure: durch das Elektrisiren in Kohlenoxyd und Sauerstoff, die später Buff und Hofmann** und zuletzt Berthelot**) in derselben Weise, nämlich unter Durchschlagen elektrischer Funken, vornahmen, wobei sich ergab, dass von Zeit zu Zeit oder auch allmählich die Wiedervereinigung der beiden Gase zu Kohlensäure unter der Wirkung der elektrischen Funken stattfindet. Wie oben schon angegeben und erörtert wurde sind die elektrischen Entladungen durch das Gas hindurch für diese Zersetzung eben so wenig nothwendig, wie für die Ozonerzeugung im Sauerstoff, die elektrische Zersetzung der Kohlensäure erfolgt unter denselben Umständen, in den- selben Apparaten, in der Wandung der Gasflasche bei deren Ladung und Entladung, wie die Elektrisirung des Sauerstoffs, und Funkenent- ladungen sind nur nachtheilig, wenn es auf die Zersetzung der Kohlen- säure abgesehen ist, da dieselben die Wiedervereinigung von Kohlenoxyd und Sauerstoff veranlassen. | Leitet man reine trockne Kohlensäure durch einen der oben be- schriebenen Apparate, bis dass das aus demselben austretende Gas voll- ständig von Kalilauge absorbirt wird, und beginnt man dann das Elek- trisiren, so hört alsbald die vollständige Absorption des austretenden Gases in der Kalilauge auf, es sammelt sich über derselben ein Ge- menge von Kohlenoxyd und Sauerstoff. Die Zersetzung erfolgt sehr energisch, wie dieses Beispiel zeigt. In dem in Fig. 26 abgebildeten Apparat wurde eine Bee Quantität trockner reiner Kohlensäure, welche bei 0? und Normaldruck 127,4 CC. maass, bei 18° und 753 Mm. Druck 30 Minuten lang mit den Oeffnungsschlägen des grossen Ruhmkorff schen Inductors, die *) Philosophical Transactions. 1809. II. p. 448. **) Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. 113. 1860. p. 141. ***) Bulletin de la société chimique de Paris. 1870. Févr. p. 9. 02 108 "2.6, MEISSNER, 18 Cm. Schlagweite hatten und deren 8 in der Secunde erfolgten, elek- trisirt. Die Schlagweite von 18 Cm. zwischen den Spitzen des Ausladers bedeutet für die grosse 96 [] Cm. betragende Oberfläche, welche die Drähte jedes der beiden Drahtbündel als metallische Belegung des La- dungsapparats darbieten und bei der Dicke des Glases, welches ausser der Gasschicht die beiden Belegungen trennt (Fig. 27), noch keine sehr intensive Ladungsbewegung. Das Gasvolumen hatte um 4,8 CC. zugenommen, womit. das Volum des frei gewordenen Sauerstofls gemessen wird, während 9,6 CC. Kohlensäure zersetzt wurden. (Dies ist, wie aus dem Inhalt der folgenden Nummer erhellen wird, abgesehen von Messungsfehlern principiell nicht ganz genau, die Ausführung einer darnach nothwendigen Correction würde jene Zahlen noch etwas vergrössern). Das Kohlenoxyd erleidet, wie schon Henry und Dalton hervorhoben, keine elektrische Zersetzung. 67. Die elektrische Zersetzung der Kohlensäure hat noch ein ganz besonderes Interesse. Der Sauerstoff nämlich, welcher dabei frei wird, erleidet unter der Wirkung der Elektrisirung, der Molekularinduction, seinerseits auch noch Polarisation, ebenso wie der bei der Elektrolyse des Wassers frei werdende Sauerstoff ebenfalls noch unter der Wirkung der Molekularinduction polarisirt wird. Beim Ausströmen der in der Gasflasche oder in dem andern Apparat Fig. 26 elektrisirten Kohlensäure erkennt man das Ozon sofort am Geruch und die gewöhnlichen Reagentien weisen dasselbe leicht nach. | Leitet man den elektrisirten Kohlensäurestrom (oder sicherer das abgesperrt eine Zeitlang elektrisirte Gas) durch verdünnte Jodkalium- lösung zur Absorption des Ozons und von da in über Quecksilber ge- sperrtes ausgekochtes Wasser, so erscheinen über der Jodkaliumlösung und noch stärker über dem Wasser die bekannten Antozonnebel. Da es nun leicht ist, den Apparat mit reiner Kohlensäure zu füllen und sich von der Reinheit des Kohlensäurestroms vor dem Elektrisiren durch die Absorption in Kalilauge zu überzeugen, so bildet jener Versuch eine Verstärkung des Beweises*) dafür, dass jene Nebel nur aus Sauerstoff *) Vergl. die Untersuchungen über den elektrisirten Sauerstoff im 14. Bande dieser Abhandlungen. Tár. 1. TØ ert) Been Sam i 5 TAD, a annann naana naan Of? ES ` Vr c# immer Fig 20. h HL ` ee re Ari Fig. 22. D (E EE 717 2 De 4 a 7 UM N Fig. 24. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE ELEKTRISCHE OZONERZEUGUNG ETC. 109 -und Wasser bestehen, denn dass die Kohlensäure so wenig wie Kohlenoxyd bei dieser Nebelbildung betheiligt sind, lässt sich wiederum sicher be- weisen, da man leicht einen von Kohlensäure und ee freien Sauerstoffstrom herstellen kann. Ueberlässt man das durch Elektrisiren trockner Kohlensäure ent- standene Gasgemenge längere Zeit bei gewöhnlicher Temperatur abge- sperret sich selbst, so verschwindet das Ozon und Antozon daraus, der Sauerstoff verliert den polarisirten Zustand, vielleicht unter langsamer Oxydation einer kleinen Menge Kohlenoxyd, was jedoch noch näherer Untersuchung bedarf. Die Metamorphose der Squilliden. Von Prof. Dr. C. Claus. Mit Taf. I bis VII. Vorgelegt in der Kön. Ges. d. Wiss. am 2. December 1871. T den zahlreichen und theilweise eingehenden Arbeiten, welche in neuerer Zeit über die Entwicklungsgeschichte der M álakostraken veröffentlicht worden sind, muss es auffallen , dass die Stomatopoden bislang so gut als gar nicht berücksichtigt wurden. Wir ‚kennen im Allgemeinen den Gang, welchen die Metamorphose der langschwän- zigen und kurzschwänzigen Decapoden nimmt und sind für mehrere Gat- tungen und Arten derselben sogar über die Besonderheiten ihrer Larven und Larvenentwicklung gut unterrichtet, dahingegen ist die Metamorphose der Stomotapoden noch von keinem Forscher zum Gegenstand einer zu- sammenhängenden Beobachtungsreihe und ausführlicheren Erörterung ge- macht worden. Nur soviel steht fest, dass auch die Stomatopoden eine complicirte Metamorphose durchlaufen, in welche Alima ähnliche Formen als Larven gehören. - Spärliche Bruchstücke aus der Entwicklungsgeschichte der Maul- - füsser wurden von Fr. Müller mitgetheilt. Dieser Forscher ?) beschrieb 1) Fritz Müller, Bruchstück zur Entwicklungsgeschichte der Stomatopoden. Archiv für Naturgeschichte 1863. Derselbe, ein zweites Bruchstück aus der Entwicklungsgeschichte der Stoma- topoden. Ebendas. 1864. Vergleiche auch die Schrift Fr. Müllers, „Für Darwin“ 1864. 112 C. CLAUS, zwei kleine glashelle Larven, von denen sich die grössere, annähernd von dem Baue der Zo&a, durch den Besitz eines mächtigen Fangfusses, die kleinere bereits mit 5 Schwimmfusspaaren versehene Larve durch den gesammten innern Bau und vornehmlich durch die Form des Herzens unverkennbar als Stomatopodenlarve erwies. Aber weder die Art und Weise, wie diese Larven ihre Gestalt gewonnen, noch die weitern Schick- sale derselben und ihre endliche Verwandlung in das geschlechtsreife Thier konnten näher verfolgt und erörtert werden. Zwar suchte Fr. Müller vermuthungsweise beide Larven als in derselben Entwicklungs- reihe zusammengehörig zu betrachten und die grössere als ein späteres Stadium der kleinern aufzufassen, war jedoch nicht im Stande, eine nur einigermassen. wahrscheinliche Erklärung für die Vorgänge der Umge- staltung zu geben und betrachtete später selbst seine Deutung „als nicht genügend zuverlässig“ 1). In der That werden wir sehen, dass die ver- suchte Zurückführung eine unrichtige war und zu verfehlten Schlussfol- gerungen Veranlassung gab. Erklärt sich nun auch die Unbekanntschaft mit der embryonalen Entwicklung der Squilliden aus der Schwierigkeit, die in den Wohngängen dieser Thiere abgesetzten Eier am Leben zu erhalten, so sieht man doch nicht recht den Grund ein, wesshalb sich die freie Metamorphose derselben so lange der Forschung entzogen hat. Denn wenn es auch nicht möglich ist, die Larven in continuir- licher Reihenfolge lebend aus einander zu züchten, so dürfte doch schon eine sorgfältige, auf umfassendes Material Bezug nehmende Vergleichung der kleinern und grössern als Alima, Erichthus und Squillerich- thus beschriebenen Stomatopoden einige Aufschlüsse über die Entwick- lungsweise der Squilliden zu geben, ja vielleicht ein annähernd voll- ständiges Bild von der Metamorphose derselben zu liefern im Stande sein. Dass die genannten Stomatopoden in Wahrheit nur Larven ent- sprechen, war mir bereits seit einer Reihe von Jahren bekannt. Das bei denselben allgemein vorhandene unpaare Entomostrakenauge ?), Seege? Ga 1) Für Darwin, pag. 45. 2) Das Vorkommen des unpaaren Auges für sich allein ist kein ausreichender DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 113 insbesondere aber die unvollkommene Gestaltung der Gliedmassen, die im Wachsthum begriffenen Antennen- und Kiemenanhänge, endlich der Mangel von Geschlechts- und Begattungsorganen liess über die Natur dieser Larven als Stomatopodenlarven keinen Zweifel zurück. [Ich war seit jener Zeit bemüht, ein möglichst reichhaltiges Material dieser glas- hellen Crustaceen zusammenzubringen, blieb jedoch lange ohne Re- sultate, da sämmtliche Larven, die ich untersuchen konnte, wie die bis- her beschriebenen !) im Wesentlichen auf dem gleichen, schon weit vor- geschrittenem Entwicklungsstadium sich befanden. Kleinere und jün- gere Larven gelang es mir erst kürzlich durch die bereitwilligst gewährte Unterstützung, welche ich dem Vorstande des Hamburger Museums ver- danke, aufzufinden und mit Hülfe derselben die älteren Erichthus- und Alima-formen mit den sehr kleinen von Fr. Müller beschriebenen Larven in Verbindung zu setzen. Wie weit es mir auf diesem Wege geglückt ist, unsere Kenntnisse von der Stomatopodenentwicklung zu vervollständigen und abzurunden, mögen die nachfolgenden Mittheilun- gen ergeben. Ich knüpfe an das jüngste von Fr. Müller abgebildete Larven- stadium an, zu welchem mir eine ganz ähnliche Form von Messina be- kannt ist. Dieselbe hat eine Körperlänge von ungefähr 2 Mm., ist et- was gedrungener als die brasilianische Larve und erinnert mit ihrem breiten mächtig entwickelten Kopfbruststück und ihrem kurzen viel schmälern Schwanz an Pontella, mit der sie überdies in der Fünfzahl der 2ästigen Schwimmfusspaare übereinstimmt. (Fig. 1. A. und Bi Im Allgemeinen passt die Müllersche Beschreibung so vollständig, dass ich unter Bezugnahme auf dieselbe mich darauf beschränken darf, die geringen Abweichungen des Körperbaues und einige einer Berichtigung Beweis für die Larvennatur eines Malakostraken. Dasselbe kann sich in der Ge- schlechtsform erhalten, beispielweise an jungen Exemplaren von Gonodactylus. 1) Vergl. M. Edwards, Histoire naturelle des Crustacés. Tom. II, 1837. Dana, United States Exploring Expedition 1852, Crustacea I. Phys. Classe. XVI. P 114 > C. CLAUS, bedürftigen Punkte hervorzuheben. Mit Recht unterscheidet Fr. Mül- ler drei Regionen, eine vordere ungegliederte, welche die Augen, Fühler und Mundtheile trägt und als Duplicatur des Integumentes das grosse Rückenschild bildet, eine mittlere von dem Schilde bedeckte mit den 5 Segmenten der Beinpaare und eine anhangslose hintere Region, die nur aus 3 kurzen Ringen und einer langgestreckten breiten Sch wanzplatte besteht. Schnabelbildung, Bewaffnung des Schildes, Augen und Antennen verhalten sich genau wie dort hervorgehoben, dagegen ist bezüglich der Mund- werkzeuge zu bemerken, dass ausser den Mandibeln bereits 2 Paare von Maxillen vorhanden sind, von denen das untere (Fig. 1 B. e) von Müller unrichtiger Weise als ein Fortsatz des obern Paares dargestellt wurde. Hiermit ist denn sofort die irrthümliche Müllersche Deutung des ersten Beinpaares am nachfolgenden Körperabschnitt beseitigt und die Zurückführung der vordern Körperregion auf 5 Leibesringe darge- than. Die Schwimmfusspaare an den 5 Segmenten des Mittelleibes zei- gen den Bau der Zo&abeine in etwas verkürztier und verbreiterter Form, die beiden vordern Paare sind am grössten, die 3 hintern Paare nehmen continuirlich wenn auch nur unbedeutend an Umfang ab. Die anhangs- losen Segmente des Hinterleibes werden in unserem Falle fast vollstän- dig von dem Rückenschilde bedeckt, die Schwanzplatte ist ausserordent- lich langgestreckt und etwas abweichend bezahnt, indem zwischen den 2 stärkern Terminaldornen des ziemlich geraden Hinterrandes nicht zwei, sondern fünf halb so lange Zähne sich erheben. Etwas vor der Mitte des Schwanzschildes mündet bauchwärts der Darm aus (An), nachdem er zu- vor rechts und links zwei mächtige ovale Aussackungen gebildet hat. Der nachfolgenden Erörterung vorausgreifend will ich zum Verständniss der beschriebenen Larve hinzufügen, dass die 5 zweiästigen Fusspaare in die Kieferfüsse und Raubfüsse des Stomatopoden übergehen, die 3 nachfol- genden fusslossen Segmente aber die 3 hintern Segmente des Mittellei- bes sind, an denen sich später die spaltästigen Ruderbeine entwickeln, dass also, während Kopf und Thorax in voller Zahl ihrer Segmente, frei- lich unter provisorischen Einrichtungen ihrer Bewegungsorgane angelegt sind, der gesammte Hinterleib bis auf die Schwanzplatte fehlt. Wir se- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 415 hen also, dass die zeitliche Folge für das Auftreten der Leibesabschnitte am Malocastrakenleib nicht immer die der Decapoden ist, bei denen sich der Mittelleib später als der Hinterleib bildet und gewissermassen durch Neubildung zwischen den vorhandenen Regionen einzwängt, beob- achten vielmehr hier ein dem Entomostraken wachsthum entsprechen- des Verhalten. welches die von mir seit lange vertretene Auffassung der Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Entomostraken !) und Mala- kostraken Fr. Müllers Deutung ?) gegenüber rechtfertigt und die An- sicht unterstützt, dass auch bei den Malakostraken ursprünglich die Folge in dem Auftreten der Regionen dieselbe wie bei den Entomostra- ken gewesen ist und dass die Einschiebung des Mittelleibes am Decapo- denkörper erst ein später erworbener, Anpassungs-Charakter ist. Aeltere und grössere Larven von (Fig. 2) circa 3 Mm. Länge erscheinen bereits in einem neuen Stadium der Gestaltung begriffen, indem nicht nur einzelne Gliedmassen eine Veränderung einzugehn beginnen, sondern auch die Zahl der Segmente und Segmentanhänge eine grössere geworden ist. Diese, sowie wie die ältern später zu beschreibenden Formen stammen aus dem Atlantischen Ocean und gehören mit der Messinesischen und Bra- silianischen Larve wahrscheinlich zu ein und derselben Gattung. Der Körper erscheint in Folge der seitlichen Umbiegung des Schildes schma- ler und gestreckter, die Augen springen seitlich und über dem Stirnrand weiter vor, die Schwanzplatte hat eine kürzere und breitere, daher ge- drungenere Form; vor derselben ist ein neues Segment mit einem Gliedmassenpaar zur Sonderung gelangt. Das letztere besteht aus einem noch kurzen Basalabschnitt und zwei ovalen borstenlosen Blättern und gehört oflenbar in die Categorie der Fusspaare des Abdo- mens. Von den Antennen haben die hintern ihre frühere Form behal- ten, die vordern dagegen an der Innenseite des keulenförmigen nunmehr etwa 5 Riechfäden tragenden Endabschnittes einen conischen Fortsatz, die Anlage einer Nebengeissel gewonnen. (Fig. 2 C. d). Von den Kie- — 1) C. Claus. Würzb. naturw. Zeitschr. II, 1862. 2) Fr. Müller. Für Darwin, pag. 9. P2 116 ; C. CLAUS; ferpaaren besitzt das vordere (d') einen zweilappigen Kautheil, dessen In- nenrand in eine Anzahl spitzer und langer Zähne ausläuft. Das zweite Kieferpaar (e) ist noch eine einfache mit kurzen Borsten bewaffnete Platte. Wesentlicher verändert erscheint das zweite Beinpaar, dessen Um- bildung zum grossen Raubfusse bereits jetzt schon vorbereitet ist. Gegen- über dem Schwimmfussast, der als Nebenanhang an der Aussenseite des 2ten Stilgliedes entspringt, ist der Innenast gewaltig aufgetrieben und birgt bereits drei gedrungene Glieder und die Greifklaue des in der Bildung begriffenen Raubfusses !), welcher sich somit als Aequivalent des 2ten Kieferfusspaares mit aller Sicherheit herausstellt. Die nach folgen- den 3 Beinpaare haben sich merklich gestreckt und am Aussenrande des Nebenastes (Fig. 2 C. X) mehrere neue Borsten gewonnen. Rück- sichtlich des Baues dieser Füsse fällt sogleich die grosse Aehnlichkeit mit den Ruderfüssen der Copepoden auf. Wie diese besitzen sie einen 2gliedrigen Basaltheil und zwei gestreckte Ruderäste, die freilich nicht deutlich in Glieder abgesetzt sind. Wenn Fr. Müller in seinen Be- trachtungen über das Verhältniss von Malacostraken und Entomostraken einen hohen Werth auf den Umstand legt, dass bei jenen die Anhänge des Mittelleibes ‚niemals, selbst nicht in ihrer jugendlichsten Form, zwei gleichwerthige Aeste zu besitzen‘‘ scheinen, und daraus das Haupt- bedenken gegen die Gleichstellung des Mittelleibes der Malacostraken mit dem der Copepoden ableitet, so ist hervorzuheben, dass auch die Ruderäste der letztern niemals vollkommen gleich gebildet sind, in zahl- reichen Fällen sogar (Man vergl. z. B. die Harpactiden und Pelti- dien) weit auffallendere Unterschiede zeigen, als die beiden Aeste an den Spaltfüssen der jungen Stomatopodenlarven. Dieses Argument ver- 1) So ergiebt sich denn aus der Entwicklungsgeschichte mit Sicherheit, dass die M. Edwardsche Deutung des grossen Raubfusses der Squilliden als 2tes Kie- ferfusspaar im Gegensatz zu der Erichson’ schen Auffassung die richtige ist. Die letztere, unter andern von Gerstaecker adoptirt, sucht bekanntlich aus der Ein- lenkungsweise darzuthun, dass das grosse Raubbein von Squilla dem 2ten Beinpaare der Decapoden entspreche. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 117 liert vollends seine scheinbare Bedeutung mit Rücksicht auf die bereits erwähnte Uebereinstimmung in der zeitlichen Entwicklung der Leibesab- schnitte, insbesondere des Hinterleibes. Andererseits gelangen wir leicht von den Spaltfüssen der Stomatopodenlarven durch bedeutendere Streckung der Basis und der sich gliedernden Aeste zu den Spaltfüssen der Decapodenzo&a. Die Deutung der Segmente und Gliedmassen des beschriebenen Larvenstadiums könnte immerhin noch einige Unsicherheit zurücklassen, da es zweifelhaft bleibt, ob das neue vor der Schwanzplatte gebildete Segment mit seinen lamellösen Anhängen dem ersten oder dem sechsten Abdominalsegmente entspricht. Die letztere Auffassung würde nach dem Verhalten der Makrourenlarven, bei denen die Seitenanhänge der Schwanz- flosse früher als die vorausgehenden Afterfüsse auftreten, die richtigere scheinen, gleichwohl trifft dieselbe nicht zu. Das neu gebildete Seg- ment und Gliedmassenpaar ist vielmehr das vordere. Wir werden somit zu der Ansicht geführt, die an für sich auffallende vorzeitige Ausbildung der Schwanzflosse bei den lang- schwänzigen Decapoden und Mysideen als eine secundäre erst durch Anpassung erworbene Eigenthümlichkeit zu be- trachten. Etwas grössere und weiter vorgeschrittene Larven von 4 bis 41, Mm. Länge beweisen, dass jenesSegment das ersteAbdominalsegment ist. An dem Körper derselben hat sich nämlich die Zahl der Schwanz- segmente abermals vermehrt, indem vor der Schwanzflosse zwei neue Ringe mit entsprechenden noch borstenlosen Fussanlagen zur Sonderung gelangt sind. Diese letztern werden von dem ältern und grössern vor- ausgehenden Fusspaare vollständiger überdeckt und können nichts an- ders als die Gliedmassen des zweiten und dritten Hinterleibsringes sein. Die drei anhangslosen, schon in den jüngern Larven vorhandenen Seg- mente, hinter denen sich die 3 neuen Ringe gebildet haben, entsprechen demnach den drei hintern Thoracalsegmenten, an denen die spaltästigen Ruderfüsse des Stomatapoden in einem spätern Alter hervorwachsen müssen. Die drei vorausgehenden Schwimmfusspaare können also nichts anderes sein als die Aequivalente des Sten Kieferfusses und der 118 | > PEP zwei vordern Brustbeinpaare, aus denen sich durch Umgestaltung die drei kleinen Raubbeine des Stomatopoden hervorbilden müssen. Die Rich- tigkeit dieser Zurückführung, an sich schon nach der Gestaltung der vorliegenden Larve unangreifbar, wird im Verlauf der weitern Metamor- phose durch überraschende Umformungen dargethan. Wesentlichen ver- ändert erscheint das zweite Beinpaar, indem der aus dem Inhalt des ei- nen Astes hervorgebildete Raubfuss seine Hülle abgestreift hat und wenn gleich noch von sehr gedrungener Form doch im Wesentlichen alle Abschnitte des grossen Fangfusses von Squilla besitzt, freilich noch den Nebenast des ursprünglichen Schwimmfusses als Anhang an sich trägt. (Fig. 3 C. g). An den vordern Antennen d) hat sich die neugebildete Anlage der Nebengeissel bedeutend vergrössert, an ihrer Basis bereitet eine Einschnürung des Stammgliedes die sich später vollziehende Ab- gliederung vor, dagegen ist der bislang zweigliedrige Stiel einfach gewor- den. Ebenso ist an der hintern ursprünglich 3gliedrigen Antenne (Fig. 3 C. b) die Sonderung des 2ten und 3ten Gliedes verloren gegangen, eine nur leichte Einbuchtung weist noch auf die frühere Trennung hin. Die Mundwerkzeuge haben sich kaum merklich verändert, jedoch ist die Zahl der hakenförmigen Zahnfortsätze an dem Kauladen des vordern Maxillenpaares eine grössere geworden, auch beginnt bereits das zweite Maxillenpaar eine gestrecktere Form anzunehmen, seine mit 2 Borsten besetzte äussere Spitze erhebt sich als warzenförmiger Vorsprung, wäh- rend die Basis der Platte auf einem besondern Grundgliede zu entsprin- gen scheint. Das vordere Beinpaar besitzt jetzt vollkommen die Gestalt und Borstenausstattung des Zo&a-spaltfusses (f), wenn auch die hier in der Regel vorhandene Gliederung des Innenastes in vier Stücke mit Ausnahme des abgesetzten Endgliedes unterblieben ist. Auch die 3 hin- tern Beinpaare, deren Innenast kürzer und gedrungener bleibt, zeigen im Wesentlichen denselben Borstenbesatz. Schliesslich mag über die Beschaffenheit der beiden Blindsäcke, welche das Rektum zu den Seiten der Afteröffnung bildet, bemerkt werden, dass dieselben secundäre Aus- buchtungen hervorzutreiben beginnen. (Fig. 3 C. Coe). ‘Aeltere Larven von 5 bis DL: Mm. (Fig. 4) besitzen bis auf das DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 119 noch fehlende 6te (die Seitenplatten des Fächers tragende) Segment, die volle Zahl der Hinterleibsringe und mit derselben auch die 5 Schwanz- fusspaare. Von diesen sind aber die beiden letzten Paare noch sehr klein, entbehren des Borstenbesatzes und liegen unter den vorausgehen- den Paaren, die nun ebenso wie das erste Paar des durchlaufenen Stadiums am Rande lange Schwimmborsten erhalten haben, mehr oder minder vollkommen versteckt. In der Bildung der Gliedmassen zeigt sich im Wesentlichen keine bemerkenswerthe Veränderung. Um so durchgreifender erscheinen dieselben in dem nächstfolgenden Stadium bei Larven von circa 6 Mm. Länge, welche in der Bildung der Antennen, Mundwerkzeuge und vordere Raubfüsse schon ganz die Cha- raktere von Erichthus darbieten. An den vordern Antennen beob- achten wir bereits einen dreigliedrigen Schaft, dessen oberes Glied der abgesonderten Basis des ursprünglich einfachen keulenförmigen Endglie- des entspricht. Der dünne später entstandene Nebenast ist jetzt schon be- trächtlich länger als der die Riechfaden tragende Hauptast und deutlich gegliedert. Wenigstens unterscheidet man ein 2 Borsten tragendes End- glied von einem langen stilförmigen Träger, in dessen Mitte eine Ein- buchtung auf die bevorstehende Theilung in 2 Abschnitte hinweist. (Fig. 5 C. a). Die 2te Antenne charakterisirt sich durch den Besitz der aus dem Endgliede hervorgegangenen Fächerplatte und einer knospenförmigen Anlage des Nebenastes (b), welche an dem obern sich als Glied sondernden Abschnitte des Schaftes entspringt. Die Mandibeln entbehren noch des 'Tasters, der erst sehr spät in einem viel ältern Entwieklungsstadium hervor- sprosst. Dagegen erhebt sich die Spitze der vordern Maxillen (d) zur Anlage eines Tasters, ähnlich wie das obere Ende des untern Kie- ferpaares gliedförmig abgesetzt. Am auffallendsten ist die Metamorphose der beiden vordern Beinpaare (f g) vorgeschritten. An beiden sind die Nebenäste vollkommen abgeworfen, während am obern Ende des 2ten Gliedes die Spuren der frühern Insertionsstelle mehr oder minder deut- lich zurückgeblieben sind. Dagegen macht sich am Basalgliede als Neu- bildung ein zarter scheibenförmiger Anhang bemerkbar, in welchem wir nichts anderes als das Aequivalent der Kieme erkennen. Die Glie- 120 : C. CLAUS, derung ist für beide Extremitäten vollkommen homolog, obwohl die Ge- staltung sehr wesentlich abweicht. An dem vordern Kieferfusse er- scheint das Endglied auf einen kleinen Fortsatz reducirt, der sich mehr und mehr zu dem Finger einer kleinen Scheere gestaltet, am zweiten dagegen ist dieser Abschnitt zu der mächtigen Hakenklaue der Greifhand umgestaltet. Die3nachfolgenden Beinpaare erscheinen noch in ihrer frühern Form als 2ästige Spaltfüsse, aber relativ reducirt, ebenso sind die 3 Zwi- schensegmente noch unverändert und entbehren noch der Extremitäten. Die Gliedmassen des merklich vergrösserten Abdomens sind in sofern in ihrer Entwicklung vorgeschritten, als nunmehr auch das vierte bedeu- tend vergrösserte Paar von Schwimmborsten umsäumt wird. Auch die Anlagen der seitlichen Schwanzanhänge sind wenngleich noch als einfache ungetheilte Wülste hinter dem vordern Rande der Schwanzplatte un- terhalb des Bien noch borstenlosen Fusspaares bemerkbar. Die Coinci- denz der Umbildungen, wie sie in der bisherigen Beschreibung dargestellt wurden, trifft jedoch nicht für alle Formen genau in gleicher Weise zu, sondern gilt zunächst nur für die schlankeren gracileren Larven, welche ich in zwei verschiedene Arten sondern konnte. Die eine — ich will sie der Unterscheidung halber Erichthoidina gracilis nennen — (Fig. 2) ist ausgezeichnet durch eine mediane Einbuchtung am Hinterrande der Schwanzplatte, die andere — E. spinosa (Fig. 6) — durch die lineare Form des Hinterrandes der Schwanzplatte, den Besitz eines kleinen Neben- stachels vor dem hintern Seitenstachel und durch die zackig vorsprin- genden Seitenflügel der Abdominalsegmente. Bei gedrungenern Erich- thoidinen mit breitern Seitenflügeln der Schale vollzieht sich die eben beschriebene Umbildung der Kopf- und Brustgliedmassen, bevor die bei- den hintern Fusspaare des Abdomens einen Schwimmborstensaum ge- wonnen haben, zu einer Zeit, wo die hintere Hälfte des Abdomens noch sehr kurz und rudimentär ist. Die hierher gehörigen mir bekannt ge- wordenen Larven vertheilen sich wiederum auf mehrere Arten, von de- nen die eine leicht kenntlich ist an der Grösse des medianen Rückensta- chels — E spinigera — und an der medianen Ausbuchtung des gezähnelten Hinterrandes der Schwanzplatte, eine zweite von etwas geringerer Breite DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 121 (E. brevispinosa Fig. 4 und 5) an einem kurzen Rückenstachel, dem kleinen Nebendorn vor dem hintern Seitenstachel und dem 3fach schwach ausgebuchtetem bezähnelten Hinterrand der Schwanzplatte, auch an den gewölbten Hinterrändern der Schwanzsegmente. Eine dritte sehr breite Larve (E. armata) lässt sich sehr leicht an dem Vorhandensein eines grossen Stachels in der Mitte des Seitenrandes erkennen. Die mediane Einbuchtung am gezähnelten Hinterrande der Schwanzplatte ist tief, und die Form der Greiffüsse an den vorgeschrittenern Stadien sehr lang und dünn. Sämmtliche Larven besitzen als Bewaffnung des Panzerschildes einen langen Stirnstachel, zwei kleine Seitenstacheln unterhalb der Au- gengegend, 2 längere Seitenstacheln des Hinterrandes und einen kür- zern oder längern Rückenstachel D in der Nähe des Hinterrandes. Auch 1) Die Bedeutung des Rückenstachels als ein fast constantes Element der Zoëa- larve und der Erichthusform ist schon von frühern Beobachtern hervorgehoben , und ebenso auch andererseits der Ausfall desselben bei einer Reihe von Malakostrakenlarven betont worden. Neuerdings aber wurde mit diesena offenbar mehr physiologisch als morphologisch wichtigen Körpertheil der Zo&a bei dem Streben, die Zo&a als die Urform der Krebse darzustellen und vor ihr aus alle Crustaceengruppen abzuleiten, ein ar- ger Missbrauch getrieben, der uns ein warnendes Beispiel liefert, bis zu welchen Miss- deutungen ein voreiliger Hyperdarwinismus gelangen kann.‘ Hat es doch ein Autor soweit gebracht, das Stirnband der Lernäenlarven als den von dem Rücken nach der Stirn gerückten Zo&astachel zu betrachten (in der That eine viel ärgere Vergewalti- gung, wie wenn man etwa auf dem Vertebratengebiete das Rhinoceroshorn als den auf die Nase gerückten Kameelhöcker deuten wollte), ein Irrthum, der nach meiner Ueberzeugung bei selbstständiger Kenntnissnahme des Stirnbandes und seiner Entstehungsweise ganz unmöglich gewesen wäre. Und sonderbar genug! Hochge- schätzte und durch die Objektivität ihrer Untersuchungen bekannte Forscher neh- men solche Behauptungen ohne Prüfung als baare Münze auf. Noch stärker aber ist es, wenn derselbe Autor die auf sorgfältige und gewissenhafte Beobachtungen gestützte Zurückführung des Lepadenstiels als Vorderkopf der Cirripedienlarve ohne Beweisgründe einfach desshalb zurückweist, weil sie nicht in das Schema sei- ner Zo&astacheltheorie passt, die allerdings allein schon durch die aus der Cirripe- dienentwicklung bekannt gewordenen Thatsachen hinreichend widerlegt wird. In- dessen Thesen aufstellen ohne andere Beweisgründe als die einer schematisirenden Phys. Classe. XVI. : Q 122 = GCEAUS; läuft die breite Schwanzplatte jederseits stets in vier dornförmige Vor- sprünge aus. Mit dem fortschreitenden Wachsthum, welches vornehm- lich das sich bedeutend verlängernde Abdomen betrifft, umsäumen sich auch bald die Lamellen des fünften Schwanzfusspaares mit Schwimm- borsten, die vorausgehenden Gliedmassen gewinnen einen Basalabschnitt und breitere Endplatten , die hintern vergrösserten Segmente heben sich schärfer von einander und von der Schwanzplatte ab. Wie die Basis der letztern die vorausgehenden Segmente mit ihren Gliedmassen der Reihe nach zur Sonderung gelangen liess, so bildet sie auch zuletzt das sechste Schwanzsegment, dessen Gliedmassen (die seitlichen Anhänge der Schwanzflosse) ihrer Anlage nach schon vorher bemerkbar, nunmehr sich als median gespaltene Doppelplatten darstellen. Nach Anlage und Entstehungsweise verhalten sich diese zuletzt erzeugten An- hänge mit den vorausgehenden Schwimmfüssen vollkommen übereinstimmend, womit die Anschauung Fr. Müllers, nach welcher Schwanzanhänge von den Abdominalfüssen wesentlich verschieden, zum Urleibe gehörig zu betrachten sein, als unhaltbar erwiesen ist. An Lar- ven von der schlanken Erichthoidina spinosa von T Mm. Länge (Fig. 6) sind die Schwanzanhänge deutlich gespalten, entbehren aber noch der Borsten, das zugehörige Segment ist mit der Schwanzplatte noch ohne deutliche Abgrenzung verbunden. Soweit war es möglich, die Metamorphose an den dargestellten Larvenreihen, die sich leicht nach der Form der Bewaffnung, nach der relativen Breite und Gestaltung des Schildes unterscheiden liessen, im ge- schlossenen Zusammenhang zu verfolgen. Das zunächst folgende Sta- dium wurde leider nur für eine dieser Larvenreihen (E. armata) mit auffallend breitem und seitlich bewaffnetem mantelähnlichen Schilde, unter welchem nunmehr Augen, Antennen, Beine und Schwanz bauch- wärts umgeschlagen und verborgen werden können, beobachtet (Fig. 7 der realen Unterlage entbehrenden Deduction und damit sich einbilden, thatsächlich gestützte Beweisführungen abzuthun, heisst das nicht in die Zeit und in die Methode der sog. Naturphilosophie zurücksinken, die doch unsere gegenwärtige Naturforschung glücklich überwunden haben sollte. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 123 und 8) und der Uebergang desselben in den .Erichthus Edwardsi verfolgt. An jener circa 3 Mm. !) langen Larve ist bereits die Rückbildung der drei Schwimmfusspaare des Thorax, behufs Umgestaltung zu den klei- nen Greiffüssen eingeleitet, das vordere Paar hat den Ruderast abge- worfen und die Borstenanhänge bis auf kurze Reste verloren. (Fig. 7, C. #). Larven von 9 Mm. Länge (Fig. 8) sind in der Rückbildung we- sentlich weiter vorgeschritten, indem auch das zweite Beinpaar (i) den Nebenast abgestreift hat und das dritte nur noch einen ganz rudimen- tären Anhang trägt (X). Das vordere derselben gleicht einem in der Differenzirung begriffenen schlauchförmigen Extremitätenspross, an dem man drei Abschnitte, das Basalglied («) mit dem Rudiment einer Kie- menknospe, das Mittelglied (8) (zweites Glied des Basalstückes, an dem der Nebenast ausgefallen ist) und ein lang gestrecktes Endglied, aus dem sich eine Reihe von Gliedern zu sondern haben (y—s), unterschei- det. An den vorderen Antennen (Fig. 8 C. a) ist der lange Nebenast (2) deutlich 3gliedrig und endet mit einer sehr langen Borste. Der pri- märe mit Riechfäden besetzte Ast beginnt durch Vortreibung eines Za- pfens die Spaltung in zwei Aeste vorzubereiten und den bereits 2gliedrigen Endabschnitt als neuen Nebenast (3) von der zapfenförmig vorspringen- den die Riechfäden tragenden Basis (1) zu sondern. Die letztere bleibt allein Träger der Riechfäden und erscheint als Stamm des Hauptastes, dessen Gliederung erst später an dem sich verlängernden und neue Gruppen von Riechfäden bildenden Zapfen vollzogen wird. Die Hinterfühler ha- ben ebenso wenig wie die Mundtheile und Greiffüsse ihre bisherige Form verändert (Fig. 8 C d, €). Auch entbehren die drei Zwischensegmente noch der Beinanlagen, welche sich erst im nächstfolgenden Stadium als kleine Knospen erheben. Die Schwimmfüsse des Abdomens sind im Wesentlichen unverändert und tragen wie auch schon in den frühern Stadien am Innenrande der innern borstenrandigen Platte einen finger- förmigen Fortsatz. Die Seitenanhänge der Schwanzplatte sind noch sehr klein und borstenlos, dagegen hat sich das sechste Abdominalsegment als kurzes Segment von der Schwanzplatte gesondert. 1) Bei den Grössenangaben ist überall der lange Stirnstachel mit einbegriften. Q2 124 C. CLAUS, Von der innern Organisation dieser Larvenstadien mag hervorge- hoben werden, dass die Ganglienkette des Nervensystems vollständig an- gelegt ist, indem ausser den acht noch unverschmolzenen Thoracalgang- lien, welche auf die untern Schlundganglienmasse in den freien acht Brustsegmenten folgen, alle Abdominalganglien vorhanden sind. Die Drüsenschläuche am Enddarm haben inzwischen durch die Bildung neuer secundärer Ausstülpungen eine eomplicirtere Gestaltung angenommen. Der Uebergang dieser ältern Erichthoid-larven in die Erich- thus-form, für welche der Besitz von kleinen Greiffüssen mit rundlicher Greifhand und von drei wenn auch noch rudimentären Beinen an den drei hintern Brustsegmenten charakteristisch ist, wird keineswegs plötz- lich, sondern allmählig durch mehrere Zwischenstadien ausgeführt, welche ich für Erichthus Edwardsi Eyd. Soul. verfolgen konnte. An Larven von circa 12 Mm. Länge ist das vordere der drei in der Um- formung begriffenen Beinpaare zu einem kleinen, wohl kaum schon als solcher fungirenden Raubfuss umgestaltet, indem der dritte Abschnitt des frühern Beines (y—s) sich gegliedert und am Ende zu einer rund- lichen Greifhand differenzirt hat. Auch am nachfolgenden Beinpaare beobachtet man schon unterhalb der Cuticularhülle den kleinen geglie- derten Raubfuss, während das letzte Beinpaar nach Verlust des kleinen Nebenastes zu einem fast schlauchförmigen Anhange von geringer Grösse herabgesunken ist. Gleichzeitig treten an den drei hintern bisher fuss- losen Brustsegmenten die ersten Extremitätenanlagen als einfache Knospen äusserlich hervor. Larven von 14 bis 16 Mm. Länge haben die Erichthusform im Wesentlichen erreicht, (Fig. 9), indem sich nun mehr auch für das zweite beziehungsweise das dritte Beinpaar die Umbildung in den Raubfuss vollzogen hat. Allerdings ist das letztere noch sehr kurz und bei den kleinern Formen erst im Anfange der Umbildung begriffen, zuweilen sogar noch einfach schlauchförmig mit abgerundetem Ende. An allen drei Beinpaaren bemerkt man die Anlagen der spätern Kiemenscheiben als kleine knospenförmige Anhänge des Coxalgliedes, von denen jedoch das vordere Paar den nachfolgenden bedeutend vorausgeeilt ist. Die DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 125 neu gebildeten Extremitåten der drei letzten Brustsegmente sind zuweilen noch einfach, in andern Fällen zeigen sie am Ende die ersten Spuren einer gabligen Theilung, welche die Form des Spaltfusses vorbereitet. Was die übrigen Gliedmassen der jungen Erichthusform anbetrifft, so sind die Aeste der vordern Antennen bereits kleine Geisseln von an- sehnlicher Länge. Der zapfenförmige Fortsatz (1), welchen die Basis des Hauptastes bildet, hat eine stielförmig gestreckte Form erhalten und trägt bereits fünf bis sechs Gruppen von Riechfäden, denen die spätere eintretende Gliederung entspricht. Der mittlere Nebenast (3) ist 5gliedrig und endet ebenso wie der äussere 6 bis 7gliedrige Nebenast mit einer langen Borste. Der Nebenast des zweiten Antennenpaares ist eine noch schlauchförmige 3gliedrige Geissel, an deren Spitze sich ein kurzes End- glied abzuheben beginnt. Der Schaft der Antennen besteht aus zwei langgestreckten Gliedern und trägt den Geisselast an der Basis des zweiten Gliedes. Von den Mundwerkzeugen erscheint die zweite Maxille bedeutend gestreckt und Ö5lappig (Fig. 9 e), an der vordern Maxille hat sich der obere Tasterfortsatz deutlich abgegliedert und der untere Zahnfortsatz des obern Lobus so ansehnlich verstärkt, dass er einer Kiefer- zange ähnlich erscheint. (Fig. 9 d). Der Endabschnitt des beinförmigen obern Kieferfusses bildet eine kleine höchst eigenthümlich gestaltete Scheerenzange (Fig. 9 f), mit reicher Ausstattung von längern und kür- zern Haaren, sowie gestielten fein befiederten Hakenborsten. Kiemen- sprossen der Afterfüsse fehlen noch vollständig, dagegen sind die Seiten- anhänge der Schwanzfiosse schon mit zarten Borsten besetzt, reichen jedoch noch nicht bis zum ersten Seitenzahne der sehr breiten in der Mitte des Hinterrandes tief ausgebuchteten und fein bedornten Schw Der trigonale Fortsatz, welcher vom Basalglied dieser Gliedmassen gebildet, die äussere und innere Lamelle trennt und ein höchst bezeichnendes Merk- mal aller Squilliden bildet, hat bereits die charakteristische Form erhal- ten und die Länge des äussern Astes erreicht. Anältern Larven (Fig. 10) von Erichthus Edwardsi sind die drei Greiffusspaare ansehnlicher entwickelt, insbesondere auch die Greifhand des letzten innern Paares weiter ausge- bildet, die drei Spaltfüsse sind merklich gestreckt, entbehren jedoch noch 126 C. CLAUS, einer deutlichen Gliederung. Die Kiemenanhänge der Schwanzfüsse werden durch eine Auftreibung am Innenrande der äussern Lamelle angelegt. Ueber die von Eydoux und Souleyet beschriebenen und abge- bildeten Stadien hinaus habe ich den E. Edwardsii nicht verfolgen können. An diesen aber fanden sich noch keine Seitenzähne am Greifhaken der grossen Fangfüsse angelegt. — Uebrigens coincidiren die Umgestaltungen der verschiedenen Kör- pertheile während des Uebergangs der Erichthoiden-form in die Erich- thuslarve nicht überall in der für E. Edwardsi beschriebene Weise. Bei einer beträchtlich kleinern flachschaligen Erichthus-art, welcher in der allgemeinen Gestalt dem E. armatus Leach ähnlich sieht, sich von dieser jedoch durch die Bestachelung am Seitenrand der Schale und durch die Form der Schwanzplatte sehr bestimmt unterscheidet und durch diese Charaktere an die später zu beschreibende Alimerichthusform erinnert, (Fig. 11) hat dies jüngste Erichthus-stadium, dessen letzter Greiffuss noch schlauchförmig ist, eine Länge von circa 9 Mm. Hier ist jedoch die Entwicklung der Spaltfüsse relativ weiter vorgeschritten, und die Au- ssenlammellen der Afterfüsse tragen schon 3 - Aknospige Kiemenrudi- mente, während die Nebengeisseln der vordern Antennen 5gliedrig und 3gliedrig sind und die sehr kleinen noch borstenlosen Seitenanhänge der Schwanzflosse erst im Begriffe stehen, den trigonalen Fortsatz des Basal- gliedes als Spross hervorzutrieben. Ich möchte diese Form, die mir auch in weiter vorgeschrittenen Stadien (Fig. 12) bekannt geworden ist, als E. multispinus unterscheiden und zu ihrer Charakterisirung den langge- streckten Schaft der Antennen, sowie die ansekgliche Stärke der dicken und fein bezahnten Greifhand hinzufügen. Die nun folgenden durch den Besitz von drei Paar kleiner Greif- füsse hinter dem grossen Raubfusspaare ausgezeichneten Erichthus- larven sind mir in zahlreichen auf verschiedene Arten zu beziehenden Formen bekannt geworden, dieselben sind am besten, wie dies bereits schon von Leach, M. Edwards, Souleyet und Eydoux (Voyage de la bonite), Guérin, (Voyage de la cocquille), Dana geschehen ist, DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 127 nach der besondern Gestalt und Grösse des Kopfbrustschildes, der Stachel- bewaffnung desselben, sodann nach der Form und Grösse des Abdomens und der Schwanzplatte zu charakterisiren. Diese Larven besitzen sämmtlich wie auch die Erichthoiden-Stadien einen längern oder kürzern Stirnschnabel, zwei kleine seitliche Stirn- stacheln und zwei verschieden lange Seitenstacheln am Hinterrande des Schildes. Zu diesen constanten Stachelbewaffnungen können noch zwei mittlere Seitenstacheln und ein medianer bis zum Hinterrand herab- rückender Dorsalstachel, der bekannte Rückenstachel der Zo&a, hinzu- kommen. Die drei Geisseln der Vorderfühler sind in verschieden reicher Zahl gegliedert, wie auch die Gruppen der Riechfäden an der zuletzt hervorgesprossten Hauptgeissel nach Länge und Gliederzahl der letztern variiren. Der Geisselanhang der zweiten Antennen ist mindestens 3glie- drig mit langem Endgliede, aus welchem zwei oder mehrere Glieder zur selbstständigen Sonderung gelangt sein können. Mandibulartaster fehlen durchaus, dagegen erheben sich ziemlich allgemein'.kleine Kiemenknos- pen an der Aussenlamelle der Hinterleibsfüsse. Die Seitengliedmassen des Fächers zeigen meist eine vorgeschrittene Differenzirung und be- sitzen stets den mittleren mit zwei Stachelausläufern versehenen trigo- nalen Fortsatz des Basalabschnitts. Eine interessante aber offenbar schwierige ja sogar dem Anschein nach kaum lösbare Aufgabe - die Zurückführung der zahlreichen so überaus verschiedenen gestaltet ichthiden auf die zugehörigen Squilliden. Ich darf sagen, dass ich diesem Gegenstande viel Zeit ja vielleicht mehr Zeit gewidmet habe, als die Ergebnisse verdienen möchten. Bei einem solchen Versuche kam es vor allem darauf an, in irgend einem Körpertheile Eigenthümlich- keiten zu finden, welche eine sichere Beziehung auf Merkmale der Gat- tungen und Arten von Squilliden gestatteten. Nun aber ist nicht nur die Zahl der bislang beschriebenen Squilliden eine relativ spärliche und wie ich glaube weit geringere als die der mir bekannt gewordenen ver- schiedenen Larvenformen, sondern die Beschreibung selbst ist fast über- all nur auf wenige Merkmale gegründet und nicht vollständig und genau genug. Ausser der allgemeinen Gestalt und Bewaffnung des Körpers, 128 C. CLAUS, der Form und Bezahnung der grossen Raubfüsse, der Gestalt der Schwanzplatte und deren Seitenanhänge sind nur gelegentlich Merkmale anderer Körpertheile verwerthet und insbesondere die Eigenthümlichkei- ten der Mundwerkzeuge selbst für die Charakterisirung der Gattungen nicht genügend berücksichtigt worden. Allerdings ist die Gleichförmig- keit der Squillidengattungen wie auch bereits von M. Edwards her- vorgehoben wurde eine erstaunlich grosse, und es gelang mir auch rück- sichtlich der Mundtheile nicht, wesentliche Gattungsverschiedenheiten festzustellen. Auch die Zahl der Stomatopodengattungen ist eine sehr geringe. Ausser der alten Gattung Squilla Rond. wurden von Latreille Gonodactylus und Coronis aufgestellt, zu denen dann von Dana noch mit vollem Rechte Lysiosgulla und Pseudosquilla als besondere Gattun- gen hinzugefügt werden. Offenbar stehen Lysiosquilla und Squilla einer- seits, Gonodactylus und Pseudosquilla andererseits in engerm Verbande. Die beiden erstern Gattungen zeichnen sich bei einer schlaffern Artiku- lation sämmtlicher Leibesringe durch eine grössere Breite und Flachheit der Abdominalsegmente aus. Stets sind die Greifhaken der Raubfüsse am Innenrande mit hakenförmigen Seitenzähnen bewaffnet, welche in Vertiefungen einer Längsrinne der an der Basis bestachelten Greifhand hineinpassen. Bei Lysiosquilla ist der Vordertheil der Schale breit, die Oberfläche des Körpers glatt und die Schwanzplatte ausserordentlich breit, fast abgerundet, mit kaum merklichen Vorsprüngen. Die drei hin- tern Greiffusspaare folgen hinter einander in gleichem Abstand von der Medianlinie. Dagegen charakterisirt sich Sguilla durch die starke Ver- schmälerung der vordern Brustschale, durch die mit Tuberkeln und Kämmen versehene Oberfläche vornehmlich des Abdomens, die vorstehenden Stachel- spitzen der mehr gestreckten Schwanzplatte und durch die Einschiebung der hintern Greiffüsse zwischen die vorausgehenden Paare. Die zweite Gruppe von Squillidengattungen zeichnet sich durch eine festere und geschlossenere Verbindung der Segmente und durch die grössere Convexität des Rückens aus, durch welche der Körper mehr oder minder voll- kommen ceylindrisch wird. Der grosse Greiffuss entbehrt entweder der Bezahnung des Greifhakens vollkommen, dafür aber ist die Basis des- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 129 selben stark aufgetrieben verbreitert und pincettenartig mit Querfurchen versehen, gegen die Mitte und das Ende hin in eine sehneidende Firste erhoben (Gonodactylus) , in einem andern Falle treten kürzere oder auch längere Zähne an dem Haken auf, dessen Basis allerdings auch stark auf- getrieben sein kann (Pseudosquilla), dazu kommt ferner als zweiter Cha- rakter die Beweglichkeit der beiden terminalen Stacheln der Schwanzplatte, deren Oberfläche immer stark mit Tuberkeln und: kämmen bedeckt ist. Die Gattung Coronis Latr., die leider noch immer nicht ausreichend be- schrieben worden ist, von der es mir möglich war, trockne Exem- plare zweier Arten im britischen Museum anzusehn, wird in erster Linie durch die breit ovale Form des Nebenastes der Spaltfüsse charakterisirt. Das Hakenglied des grossen Raubfusses ist ebenfalls bezahnt, (bei C. tricarinata mit neun kleinen, bei C. acanthocarpus Gray mit sechs Zähnen), die Schwanzplatte ist breit, hochgewölbt und aufgetrieben. Von grossem Nutzen schien mir für unsere Zwecke ein anderer Kör- pertheil verwerthet werden zu können, nämlich die Seitenanhänge des Schwanzfächers, das sechste Gliedmassenpaar des Abdomens, dessen Basal- glied bekanntlich bei allen Squilliden einen mehr oder minder trigonalen, zwischen die zwei lamellösen Aeste sich einschiebenden Ausläufer bildet. Dieser zeigt immer zwei Stachelfortsätze, zu denen noch kleinere secun- däre Dornen hinzukommen können, Stachelfortsätze, die in beiden Grup- pen von Gattungen einen wenigstens für die von mir untersuchten Ar- ten durchgreifenden Unterschied bieten. Bei sämmtlichen Squilla-ar- ten ist der innere Stachelfortsatz viel länger als der äussere, bei Lysio- squilla ist überdies die Platte in dem Masse verkürzt, dass beide Sta- cheln dem Basalgliede direkt anzugehören scheinen. Dazu kommt, dass der Aussenrand vom Basalgliede des äusseren-Astes nur an seiner untern Hälfte mit einer geringern Zahl (8 oder 9, von Dornen bewaffnet ist. Coro- nis acanthocarpus nähert sich durch diesen Charakter entschieden der Squilla- gruppe. Bei den Gattungen Pseudosquilla und Gonodactylus dagegen ist um- gekehrt der innere Fortsatz in der Regel viel kürzer als der äussere und die Stachelreihe am Aussenaste eine viel längere. Es sind mindestens 11 gewöhnlich aber 12 und mehrDornen vorhanden, welche den Aussen- Phys. Classe. XVI R 130 ; C. CLAUS, rand jenes Gliedes bewaffnen. Ich lege auf diesen wenigstens für die von mir untersuchten Formen durchgreifenden Unterschied einen um so grðsseren Werth, als auch die Erichthus-larven in der Anlage des trigonalen Fortsatzes diesen Gegensatz zeigen. Bei den einen ist der Nebenstachel an der innern, bei den andern an der äussern Seite, jene weisen also auf die Gonodactylus-, diese auf die Squilla-gruppe hin. An den ältern Larven, die zur Squillerichthus- und Squilloid- form führen, haben wir ausserdem noch einen wichtigen Anhaltspunkt in der Zahl der Anlagen zu den Seiten-Dornen der seitlichen Schwanzan- hänge und vor Allem in der Anlage der stachelförmigen Seiten- zähne, welche am Hakengliede des grossen Raubfusses un- terhalbderCuticula bemerkbar werden. An der Hand dieser con- stanten Merkmale werden wir mit Vorsicht weitere Schlüsse zur .Be- stimmung wenigstens der Gattungen, welchen die Larven angehören, ableiten können. Für die Artbestimmung treten uns mancherlei Schwierigkeiten entge- gen. Einmal stimmen bekanntlich viele Squilla-arten in der Zahl ihrer Zähne überein, andererseits aber ist es unzweifelhaft, dass wir die zu einer Anzahl von Larven zugehörigen Geschlechtsformen überhaupt noch nicht kennen. Für die weitere Entwicklung der Erichthus-larven liess sich zu- nächst feststellen, dass die Formen mit sehr breitem, stark bewaffnetem Panzer und mit gedrungenem, bauchwärts umgeschlagenen Abdomen theil- weise wenigstens in die von M. Edwards als Squöllerichthus unterschiede- nen Stadien übergehen, während die schmalen und schlanken Larven mit verhältnissmässig kurzem Panzerschild und ohne oder mit schwachem Rückenstachel sich durch Streckung des Abdomens in Larven umbilden, welche ich wegen ihrer grössern Annäherung an die geschlechtsreifen Squilliden als Squilloid-formen bezeichnet habe. Für die erstere hat schon M. Edwards mit der von ihm gewählten Benennung die Zwischenstufe der Squilliden und Erichthiden ausgedrückt. Der Hauptcharakter dieser ältern Larven liegt offenbar in der vorgeschritte- nen Entwicklung der Kiemenbüschel und Raubfüsse, sowie in der grössern Länge und Gliederzahl der Antennengeisseln , währendin der gesamm- ten Körperform die Erichthus-gestalt erhalten bleibt. Auch die An- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 131 lagen der Mandibulartaster treten an grössern Formen als schlauchför- mige Anhänge auf; ebenso nähern sich die beiden Maxillenpaare den entsprechenden Gliedmassen der ausgebildeten Squilliden. Auch besitzt die Seitenlamelle des Fächers so ziemlich die vollendete Gestalt der Squilla; dass aber das Endstück der grossen Raubfüsse in allen Fällen mit starken Seitenzähnen bewaffnet ist, wie M. Edward’s für seine bei- den Squillerichthus hervorhebt, möchte ich nicht mit Sicherheit bejahen. Wo dieselben, wie bei Sq. typus in ansehnlicher Zahl und Stärke auf- treten, liegt mit diesem Merkmal die Zugehörigkeit, zu Gonodactylus — vorausgesetzt, dass die Zähne mit der weitern Entwicklung nicht wie der verschwinden oder verkümmern — ausgeschlossen. Auch die von mir beobachteten Arten von Squüllerichthus, die von den Edwardschen Formen verschieden sind, zeigen dieses Merkmal. Die eine kleinere derselben (Fig. 13), welche möglicher Weise als späteres Entwicklungs- stadium zu Erichthus triangularis Edw. gehört oder doch eine nahe Ver- wandte derselben darstellt (aus dem Indischen Meer, Zanzibar), zeigt frei- lich einen glatten und gestreckten Endhaken, bei stärkerer Vergrösse- rung aber erkannte ich unter der Cuticula 5 lange Seitenzähne am In- nenrande, so dass bei der nachfolgenden Häutung mit dem Endzahne ein 6zahniger Greifhaken zu Tage kommt. Zur Charakterisirung der Körperform habe ich die Seitenansicht des Panzers beigefügt. (Fig. 13). Die Wahrscheinlichkeit der gegebenen Beziehung zu E. triangularıs, de- ‘ren hinterer Schalenrand nach M. Edwards über dem vierten Abdo- minalsegment verläuft, während er hier fast den obern Theil des zweiten Segmentes begrenzt, wird dadurch verstärkt, dass bei einer zweiten klei- nern Form (von nur 20 Mm. Länge) die Edwardsche Beschreibung auch in diesem Punkte zutrifft. Dazu kommt die Uebereinstimmung des Fundorts. Rücksichtlich des Geschlechtsthieres, in welches sich dieser Squillerich- thus verwandelt, dürfte die Gestalt des Raubfusses auf eine 6hakige Squilla-art hinweisen. Auch die Schwanzplatte (Fig. 13 S. P.) zeigt den Squillatypus, während der trianguläre Fortsatz der seitlichen Schwanzan- hänge einen verhältnissmässig langen Aussenstachei besitzt. Dagegen R2 132 C. CLAUS, stimmt wieder die geringe Zahl (7 bis 8) von Seitendornen am Basal- gliede des Aussenastes gut mit Squilla ‘überein. Ein anderer ‚Sqwillerichthus aus dem Atlantischen Kaan von circa 26 Mm. Länge (Fig. 14) besitzt die beiden starken Seitendornen in der Mitte des seitlichen Schildrandes, wie sie auch am Panzer von Erichthus Leachi, Edwardsi Eyd. Soul., aculeatus Edw. und tectus Edw. vorkommen. Bei dem ausserordentlichen Umfang des Panzers, welcher das breite gedrungene Abdomen bis zum Vorderrande des vierten Segmentes bedeckt, möchte man fast eine Beziehung zu der letzten von Edwards freilich sehr unvoll- kommen beschriebenen Form: vermuthen, wenn nicht hier der Fundort auf den indischen Ocean hinwiese. _ Zur weitern Charakterisirung unseres inte- ressanten Squillerichthus will ich zunächst die Kürze des medianen Stirn- stachels, die ungewöhnliche ‘Stärke der: seitlichen Stirnstacheln (Augen- ‚stacheln) und die feine Bestachelung des seitlichen Panzerrandes an der -untern stark aufgetriebenen Hälfte. des Brustschildes hervorheben. Die vordere Hälfte des letzteren ist sehr breit und flach. Die hintern Seiten- stacheln erscheinen verhältnissmässig kurz, und nicht länger als der starke vom Hinterrande weit entfernte Dorsalstachel. Die Kiemen- und Glied- massenentwicklung ist weiter vorgeschritten als in irgend einer anderen der bekannten Squillerichthus-formen, der Endabschnitt der Geissel des hintern Antennenpaares ist von beträchtlicher Länge und in eine Menge feiner Ringel gegliedert, die Mandibel besitzt einen kleinen Tasteran- hang, und die Seitengliedmassen des Schwanzfächers zeigen: schon ganz ‚die Gliederung wie am Körper des ausgebildeten Stomatopoden, da auch bereits die Abgliederung der borstenrandigen rundlichen Endplatte des - ‚Aussenastes eingetreten ist: -Die Schwanzplatte selbst ist breiter als lang und fast 5seitig, mit geradlinigen parallelen Seitenrändern, an deren Ende sich die beiden Seitenstacheln so dicht zusammendrängen, dass man ‘beim ersten Blicke jederseits nur einen einzigen Stachel zu finden glaubt. (Fig. 14. F). Die terminalen Stacheln stehen medianwärts weit ab, Der -Hinterrand ist fein bestachelt, fällt nach den Seitenstacheln ganz all- ‚mählig ab und erscheint zwischen ‘den Terminalstacheln kaum ausge- schweift, fast geradlinig. Rücksichtlich der Kieferfüsse zeichnen sich die DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. ‚133 grossen Raubfüsse durch die Stärke und Breite ihrer comprimirten Greif- hand aus. Die Basis derselben ist “mit einem: vorstehenden Stachel ` be- waflnet. der Innenrand in’ seiner ganzen Länge fein gezähnelt. ` Der Finger entbehrt zwar äusserlich noch der hakenförmigen Seitenzähne, birgt dieselben jedoch in ‚6facher Zahl in seinem Innenraum unterhalb der Cuticula. Die kleinen Raubfüsse enden ebenfalls mit grosser scheiben- förmiger Greifhand, nur das letzte Paar ist verhältnissmässig noch klein undschwach. Die seitlichen Schwanzanhänge weisen ebenso entschieden als die grossen Raubfüsse auf eine Squilla-art hin. Der Aussenstachel des trigonalen Fortsatzes ist klein, die Seitendornen des Aussenastes sind in 8facher Zahl angelegt. “Dass übrigens die Larve unmittelbar vor der Verwandlung in die Squilliden-form steht, konnte ganz abgesehen von der hohen Entwick- lung der Gliedmassen und Kiemen durch die mikroskopische Untersuchung der Körperbedeckung constatirt werden, indem. unterhalb der Cuticula der mit der nächsten Häutung frei werdende Leib bereits die Differen- zirung sämmtlicher Theile und auch der Kopfklappe (Fig. 14 Al), welche als ein so charakteristisches Merkmal aller ausgebildeten Stomatopoden den beweglich abgesetzten Vorderkopf mit den Augen und vordern An- tennenpaare bedeckt, erkennen liess. Ein anderer Erichthus, welcher ebenso gut als Squillerichthus aufge- fasst werden kann, ist E. armatus Leach. Ich habe denselben in zahl- ‘reichen ‘verschieden grossen ; einigermassen < variirenden. Exemplaren aus dem ` Canal. dem Atlantischen und Indischen Ocean untersucht. . Bei dem Mangel des mittleren Seitenstachels ist diese langgestreckte - bei- nahe mit ihrem ganzen Hinterleibe aus der Schale- hervorragende Larve ‚durch die 'kräftige Gestalt aller übrigen Stacheln “und besonders des auf zipfelförmig erhobenem ‚Grunde 'aufsitzenden 'Zoöastachels ausgezeichnet. ‚Der hintere Seitentheil des Schildes springt rechts und links auffallend winklig vor und endet hier unterhalb. einer seitlichen ‘Einbuchtung mit ‚stark bauchwärts gewölbter Seitenkante, die nach oben unmittelbar in die seitliche Begrenzung des flachen Schildes übergeht (Fig. 15). An den grö- ssern Formen dieser Larvengruppe sind zwar . die Kiemen noch rela- 2194 : C. CLAUS, Gr wenig verästelt, man erkennt aber in dem Hakengliede der dicken und gedrungenen Greifhand des Raubfusses unterhalb des Endhakens die Anlagen von drei Seitenzähnen, (Fig. 15 g), die auf eine Squilla- art hinweisen. Die Schwänzplatte ist breit und verhältnissmässig kurz, ihre beiden Endstacheln sind hier der Medianlinie stark -genährt, etwas vor denselben hinter dem zweiten Paare der Seiten- stacheln kommt noch ein drittes Stachelpaar zum Vorschein, wel- ches gewöhnlich nur durch kleine unbedeutende Spitzen vertreten ist. An dem trigonalen Fortsatz des zugehörigen Extremitätenpaares ragt der Aussenstachel bedeutend über die Spitze des innern hinaus, die Zahl der Seitendornen, welche unterhalb der Cuticula am Aussenaste bemerk- “bar sind, beträgt neun oder acht und stimmt somit mit der bei Squilla "beobachteten überein. An diese stark bestachelten zu Squillerichthus hinführenden Erich- ‘thiden schliesst sich sodann eine Gruppe breitschaliger Erichthinen an, welche bei ebenfalls bedeutender Breite des Hinterleibes nur schwache und kurze Stacheln besitzen oder derselben theilweise entbehren. Hier- her gehört zunächst Erichthus Duvaucelli!) Guer. Mit dieser von M. Dus- sumiór im Golfe von Bengalen gefundene Erichthide stimmt eine mir in zahlreichen Exemplaren vorliegende Form aus dem Indischen Ocean im -Wesentlichen überein. (Fig. 16). Hier sind an dem hohen mit seit- -licher Längskante versehenen Brustschilde. Rücken- und mittlerer Seiten- stachel auf kleine spitze Vorsprünge reducirt. Stärker aber immerhin ` kurz erscheinen Stirnstachel und seitliche Hinterrandstachelu. Das Abdomen ist sehr breit, bis zum zweiten Segmente bedeckt und ähnlich wie bei den Kugelnasseln ventralwärts einschlagbar. In dieser Haltung ver- deckt dasselbe die Bauchseite mit allen Extremitäten und sogar die nach hinten umgeschlagenen Augen und Antennen des beweglichen Vor- derkopfes vollständig, eine offenbar aus den Bedürfnissen des Schutzes entsprungene Haltung, die sich bei zahlreichen anderen Erichthiden wiederfindet. Auffallend langgestreckt und mehr oder minder stabförmig 1) Vergl. Guerin, Iconographie du Rögne animal. Crustacea. Pl. 24, Fig. 3. ` Ferner, M. Edwards l. c. pag. 505. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 135 erscheint die Greifhand des grossen Raubfusses, deren linearer Endha- ken unter der Haut sieben seitliche Absätze als in der Bildung begriffene Seitenzähne erkennen lässt. (Fig. 16 9). Die Spaltfüsse und Kiemen der Bauchfüsse sind schon ganz ansehnlich entwickelt, die Schwanzplatte des Abdomens breit, schildförmig, mit weit abstehenden Endstacheln. (Fig. 16 S.P.). Ihre Seitenanhänge weisen in der Form des platten trigonalen Stachelfortsatzes sowohl durch die Kürze des äussern Stachels als durch die Zahl der Seitendornen auf Solle hin. Hier schliesst sich E. vitreus Latr. (ebenfalls aus dem Atl. Ocean) an, von dem Eydoux und Souleyet eine gute Abbildung gegeben haben. Die Schale ist noch breiter und höher, sehr zart und gewölbt, mit et- was stärkern Stacheln. Der Panzer bedeckt das Abdomen an grössern Exemplaren bis nahe an den Hinterrand des zweiten Segmentes, wäh- rend er an jüngern nur die hintere Hälfte des Abdomens frei lässt. Die von mir untersuchten Exemplare waren noch zu jung, um über die Be- waffnung des Greiffusses Schlüsse zu gestatten. Nahe verwandt ist E. Guerinü Eyd. Soul. (Fig. 17). Auch hier wie- derholt sich die beschriebene Bildungsform für sämmtliche, Extremitäten und das bis zum zweiten Segmente bedeckte ebenfalls umschlagbare Ab- domen; doch ist die Schale bereits bedeutend flacher und entbehrt des Zo&astachels vollständig. Am Endhaken des grossen Greiffusses finden sich fünf ansehnliche Seitenzähne unter der Haut angelegt. (Fig. 17.9). Die Seitenanhänge der Schwanzplatte (17 ø S.P.) weisen ebenfalls auf Squilla hin. Eine andere in der Form zwischen E triangularis und Guerinü stehende Form aus dem Atlant. Ocean, von den letzteren sofort durch den Besitz eines kurzen fast randständigen Zoöastachels, einer scharf ausgeprägten Seitenkante unterschieden zeigt am grossen Raub- fusse die Anlagen von zehn ansehnlichen Seitenzähnen am Innenrande des Hakengliedes. Schwanzplatte und Schwanzanhänge stimmen nahezu überein, doch ist die Platte verhältnissmässig umfangreich, die termi- nalen Stacheln treten viel stärker hervor und stehen noch weiter von einander ab. Im Gegensatz zu den besprochenen Larven und zu der Squill- + 136 C. CLAUS, erichthus-form treten die schlanken, schmalen und gestreckten Erich= thiden mit fortschreitendem Wachsthum in die Squilloid-form über, welche ebenfalls, wenngleich in anderer Weise als bei jener, den Squil- liden Geschlechtsthieren näher führt. In diese Formengruppe gehören -dié von mir Fig.2, 5 und 6 abgebildeten Erichthoidinen, es gehören dahin ferner Erichthus spiniger Dana, Erichthus narwal und Latreilli Guér., sowie Erichthus longicornis Edw. Ueberall ist das Rückenschild ver: hältnissmässig schmal und kurz, ohne den ausgebildeten mittleren Seiten- stachel, das Abdomen bleibt in seiner ganzen Länge frei oder wird doch nur in seinen vordern Segmenten von jenem überdeckt. Bei einigen dieser Larven verlängern sich Stirnstachel und die beiden seitlichen Sta- cheln des Hinterrandes ganz ausserordentlich. Von den erwähnten zu den Squilloid-formen hinführenden Erichthiden schliesst sich der von Guérin beschriebene E. Latreillü durch seine relativ noch bedeutende Breite am nächsten an die früher erörterten Larvenformen an. Eine besondere Auszeichnung dieses bei Timor gesammelten Erichthus, den ich in ei- ner Reihe von kleinern und grössern Formen von 15 Mm. bis 35 Mm. Länge und von verschiedenen Fundorten auch: aus dem Atlantischen Ocean ‚untersuchen konnte, liegt in der fast oblongen und überaus fla- chen Körpergestalt, dessen Seitenränder bis zu der fast quadratischen Schwanzplatte hin fast in gleichem Abstande einander parallel laufen. (Fig. 18). Das Kopfbrustschild ist so flach, dass die Grenzen der Rü- cken- und Bauchseite eine scharfe vorspringende Kante bilden. Der Stirnstachel ist von ansehnlicher Länge, die Augenstacheln klein, die Seitenstacheln des Hinterrandes stehen zu den Seiten des zweiten Ab- dominalsegmentes den Rändern desselben parallel gerichtet und etwa von gleicher Länge hervor. Der Zo&astachel fehlt vollständig, dagegen ist der mittlere Stachel des Seitenrandes durch eine feine Spitze ange- deutet, mit der die feine Bestachelung des Seitenrandes nach dem obern seitlich weit ausgeschweiftem Abschnitte hin abschliesst. Als weiterer Charakter fällt die Grösse und Streckung der drei hintern Thoracalseg- mente in die Augen, welche an den kleinen Exemplaren von 15 Mm. Länge: der Beine noch entbehren, an den grössten dagegen schon die DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 137 volle Ausbildung und Gliederung des Squillerichthus gewonnen haben, Ebenso verhält es sich mit der Ausbildung der Kiemen, sodass wir von der Erichthoid-form an alle Uebergänge bis zu der Squilloid -form ver- folgen konnten. . Freilich bleibt die letztere an den grössten beobachten Exemplaren hinsichtlich der Gliederung der Extremitäten. und. Grösse der Kiemen noch hinter Squwillerichthus zurück , mit der sie erst nach Abstreifung der Haut — wie sich leicht an grössern der Häutung nahe- stehenden Exemplaren feststellen liess — in der Ausbildung dieser Or- gane gleichkommen, während sie in anderer Hinsicht und so namentlich in dem Auftreten der jetzt schon deutlich abgehobenen Kopfklappe mit der nachfolgenden Häutung weiter vorgeschritten zu sein scheinen. Man- dibulartaster fehlen noch, die 5lappigen Maxillen des zweiten Paares zeigen schon eine bedeutende Streckung. (Fig. 183e). Besonders gross und schön ist die Scheerenhand des vordern beinförmigen Kieferfusspaa- res entwickelt. (Fig. 18 f). Die langgestreckte Greifhand des grossen Raubfusses zeigt an dem fingerförmigen Endabschnitte deutlich die An- lage von siebenzehn stumpf messerförmigen Seitenzähnen unter der Cu- ticula. Die Spaltfüsse sind auffallend gedrungen und besitzen ein breites Endglied ihres Hauptastes. Der Fächer hat eine-breite fast qua- dratische Gestalt, die beiden terminalen Stacheln sind weit aus einander gerückt, der Hinterrand ist median eingeschnitten, aber nur wenig aus- gebuchtet und mit zahlreichen Spitzen besetzt. Die seitlichen Schwanz- anhänge zeichnen sich durch die trigonale Form der Dëse aus, deren Aussenstachel sich wenig abhebt. (Ë S.P.). Eine dem E. Latreilli sehr ähnliche Squilloid-form (Fig. 18 Ba, deren zugehörige Squillide offenbar eine nahe verwandte Art derselben, Gat- tung ist, unterscheidet sich durch die grössere ‚Breite und Gedrun- genheit des Leibes. ` Der Panzer ist kürzer ünd breiter, nicht in dem Masse abgeflacht ‚; seine Seitentheile sind sanft geschwungen, der ven- trale Seitenrand steht bauchwärts weiter: ab, ist in seiner vordern Hälfte minder ausgeschweift und entbehrt unterhalb, der eckig vorspringenden Mittelspitze der feinen. Zähnelung. Die Seitenkante tritt nur, in der untern: Hälfte scharf hervor, ein Rudiment des Zo@astachels ist nach- Phys. Classe. XVI. S 138 C. CLAUS, weisbar. Die Gliedmassen und Kiemen sind weiter vorgeschritten, dem Squillerichthus-stadium entsprechend, die Kopfklappe des spätern Squilliden hebt sich sehr scharf unter der Haut ab, freilich noch einen langen Fortsatz in den Stachel entsendend, der sich aber wahrscheinlich mit der Häutung bedeutend verkürzen wird. An dem Innenrande des Hakengliedes des grossen Raubfusses sind stets vierzehn (vom Endhaken abgesehen) stumpf-messerförmige Seitenzähne nachweisbar. Bei dem Versuche die beiden Larven auf die zugehörigen Geschlechts- formen zurückzuführen, würde diese regelmässige Form der Bewaffnung in erster Linie unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen, indessen sind mir in der Literatur keine Squilliden mit einer so grossen Anzahl von Seiten- zähnen des Greifhakens aufgestossen. Der kurze Aussenzahn des trigo- nalen Hakenfortsatzes an den seitlichen Schwanzanhängen weist wie die Bezahnung des Greifhakens auf die Gattung Squilla hin. Die im Anschlusse an den langgestreckten und flachen Æ: Latreilk zu beschreibenden Erichthiden haben sämmtlich eine mehr oder minder- gestreckt cylindrische Form und gehören, wie sich aus einer Reihe von Anhaltspunkten ziemlich sicher ableiten lässt, zur Gonodactylusgruppe. ‘Die in Fig. 19 mit umgeschlagenen Abdomen abgebildete Form von ċirca 14 Mm. Länge, aus dem Meerbusen von Bengalen zeichnet sich bei einer fast drehrunden cylindrischen Form des Leibes vornehmlich aus durch die Kürze der Antennen und die Breite der Augenbasis. Der grosse Greiffuss (g) endet mit einem kräftigen Hakenglied, an dessen Innenseite die Anlagen zu fünf Seitenzähnen bemerkbar sind. An den relativ grossen Spaltfüssen (m) zeichnet sich der Innenast durch die breite ovale Form aus, ein Charakter, der es kaum zweifelhaft lässt, dass unsere Larve einer Coronis-art entspricht. Dazu kommt die Ge- ` stalt der Schwanzplatte (S.P.), deren Seiten- und Hinterrand bereits ab- gerundet sind, die Spitzen freilich noch ziemlich stark hervortreten las- sen. Die Seitenanhänge des Fächers erscheinen wie auch die Kiemen- anhänge der Schwanzfüsse noch verhältnissmässig klein und wenig ent- wickelt, am trigonalen Fortsatz aber ist der Aussendorn wenig umfang- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 139 reicher als der innere, fast mit ihm parallel gerichtete. Möglicherweise gehört die Larve zu C. tricarinata, deren Greiffüsse mit einem rei Hakenglied bewaffnet sind. | Eine ähnliche ebenfalls aus dem Indischen Ocean stammende Larve (Fig. 20) freilich mit stark verengertem Augenstil und stabförmiger Greif- hand des grossen Raubfusses möchte ich wie die nachher zu beschrei- benden Formen auf Gonodactylus beziehen. Hier ragen die Seitenflügel des grossen Schildes noch weiter vor, und nur die drei Endsegmente nebst Schwanzplatte des kurzen Hinterleibes bleiben unbedeckt. Die wenig ausgebildeten Seitenanhänge des Fächers tragen in dem langen Aussenstachel des trigonalen Fortsatzes den Charakter von Gonodactylus. Mindestens von doppelter Grösse und in der Bildung der Kie- men und Gliedmassen beträchtlich weiter vorgeschritten erscheint eine Larve, deren Zugehörigkeit zu Gonodactylus kaum bezweifelt werden kann. Dieselbe stammt von den Canarischen Inseln (Fig. 21 A) und in einer andern etwas gedrungenern breitere Form aus dem Indischen Ocean. (Fig. 21 A). Bezüglich der Gestalt des Körpers des Rücken- schildes mit seiner Stachelbewaffnung und der Gliedmassen verweise ich auf die Abbildungen und beschränke mich auf einige Bemerkungen der offenbar zur Bestimmung wichtigsten Körpertheile, des grossen Greif- fusses und des Fächers mit den Gliedmassen des sechsten Abdominal- ringes. Der erstere endet mit einer sehr dünnen und gestreckten fast linearen Greifhand (Fig. 21 g), deren schlanker und in doppelter Krüm- mung sanft gebogener Endhaken keinerlei Zahnanlagen unter der Cuti- cula erkennen lässt. Wir dürfen daher zumal bei der vorgeschrittenen Organisation und Grösse der verästelten Kiemenschläuche folgern, dass der Greiffuss ohne Seitenzähne bleibt und sich der für Gonodactylus ei- genthümlichen Gestaltung ausbildet, zumal die Beschaffenheit des Schwanz- endes auf dieselbe Gattung hinweist. Die Schwanzplatte zeichnet sich durch die tiefe Ausbuchtung des hintern Randes und durch die Grösse der seitlichen und terminalen Fortsätze aus, welche die Gestalt ansehn- licher Hakendornen besitzen. Charakteristischer noch ist die Form des sechsten Gliedmassenpaares, dessen Basalfortsatz in einen sehr langen s2 140 C. CLAUS, sanft gekrümmten Haken ausläuft, dagegen einen relativ nur schwachen und kurzen Dorn am Innenrande trägt. (Fig. 21). Der äussere Seiten- rand der Aussenlamelle ist fast in seiner ganzen Länge mit zehn bis eilf Dornen bewaffnet. Eine ähnliche bei Madeira gefangene Larve (Fig. 21 von nur 14 Mm. Länge unterscheidet sich ‘vornehmlich durch den bedeutenderen Umfang des Panzerschildes, unter welchem noch die andern Abdomi- nalsegmente verdeckt liegen. Ihrer Entwicklungsstufe nach, steht sie noch hinter den oben beschriebenen auf Coronis bezogenen Larven, (Fig. 19; zurück, zu denen sie übrigens in der Form des Schwanzschildes und des trigonalen Fortsatzes der seitlichen Schwanzanhänge hinführt. Die Greifhand des grossen Raubfusses zeigt zwar noch keine entschiede- nen Seitenzähne des Hakens, wohl aber kleine Vorsprünge, die mög- licherweise auf die ersten Anlagen derselben bezogen werden dürften. Eine andere Reihe sehr langgestreckter durch die Kürze des Pan- zerschildes und die langgestreckte Form des Abdomens ausgezeichneter Squilloid-larven!}, von denen mir aus dem Indischen Ocean und ver- schiedenen Theilen des Atlantischen Meeres zahlreiche und nahe über- einstimmende Formen von circa 16—34 Mm. Länge vorliegen, hat wie- derum in der Gestaltung des Schwanzendes eigenthümliche und sehr be- zeichnende Merkmale, aus denen unter gleichzeitiger Hinzuziehung der Bezahnung der Raubfüsse die Zugehörigkeit zu der Gattung Pseudo- squilla abgeleitet werden kann. Als überaus charakteristisch mag zu- nächst die Form des hohen seitlich comprimirten ‚Stirnstachels hervorge- hoben werden, der bei verhältnissmässig geringer Länge, an dem Besitz eines starken und gekrümmten Hakens in der Mitte des ventralen Ran- des leicht kenntlich ist. (Fig. 26}. Zuweilen erheben sich oberhalb die- ses Hakens noch ein oder zwei kleine Spitzen. Der dorsale Zo&astachel fehlt ganz oder ist nur in einem ganz kleinen Rudimente angedeutet, während der hintere Seitenstachel einen beträchtlichen Umfang besitzt. Der Schalenpanzer bleibt hier auffallend kurz und lässt das letzte 1) Diese Reihe von Larven glaube ich früher auf Alima beziehen zu können. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 141 Brustsegment theilweise oder vollständ igunbedeckt. Der Schwanz en- det mit einer langgestreckten fast oblongen Platte, deren schwach con- caver Hinterrand mit zahlreichen feinen Spitzen besetzt ist. (Fig. 26S.P.). Die seitlichen Schwanzanhänge zeichnen sich durch die Grösse und fast rektanguläre Gestalt des Mittelstückes aus, dessen grosser Aussenstachel mit breit gerundeter und fast gezähnelter Basis beginnt. An der äussern Lamelle erheben sich nur zwei Dornausläufer, vor denen aber bei den grössern Formen sieben kleine Dornanlagen unter der Haut versteckt liegen. Die Basis des Mittelstückes bildet an der Insertionsstelle der Innenplatte einen ansehnlichen Vorsprung. Die Greifhand des grossen Raubfusses zeigt die zuletzt beschriebene Gestaltung. An den kleinen Exemplaren sind die Spaltfüsse sehr dünn und schmächtig und die Kie- menbüschel erst in ihren Anlagen bemerkbar; mit der zunehmenden Grösse verstärcken sich diese Organe, vor allem aber wächst der Hinter- leib in Länge und Dicke zu beträchtlichem Umfang. An einem circa 34 Mm. langen der Häutung nahe stehenden Exem- plare (Fig. 26 S.P.) konnte ich sehr bestimmt unterhalb der Chitindecke die Umgestaltung beobachten, welche die Schwanzplatte mit der Ab- streifung der Haut erfährt und mich überzeugen, dass die eingeschlos- sene Gestalt genau der in Fig. 27 A abgebildeten Form entspricht, welche grösseren circa 36—42 Mm. langen Exemplaren zugehört. Da diese freilich dickeren und gedrungeneren Formen im Wesentlichen mit den beschrie- benen Squilloidlarven übereinstimmen, werden wir sie als ältere Zustände der letztern betrachten dürfen, zumal sie mit denselben theilweise we- nigstens an gleichen Lokalitäten zusammen gefangen und mit einander in demselben Gläschen aufbewahrt waren. Wollte man indessen die hervorgehobenen Gründe nicht als Beweis für die specifische Zusammen- gehörigkeit erachten, so wird man doch gegen die nächste Verwandtschaft derselben und die Zugehörigkeit zu gleicher Gattung keinen Zweifel er- heben können. Die grösste der erwähnten Larven von circa 42 Mm. Länge zeichnete sich abgesehen von der reichern Verästelung der Kie- menbäumchen durch den Besitz von eilf Seitenzähnen der Aussenlamelle des Schwanzfächers aus; indessen ragten auch hier nur die beiden hin- 142 ; G LAUS; tersten Zähne frei hervor, die vorausgehenden lagen noch unter dem In< tegument versteckt. An der Schwanzplatte selbst liess sich schon jetzt das Verhalten der spätern Altersform constatiren, der vom Integument zurückgezogene Inhalt liess keinen Zweifel darüber zurück, dass sich die beiden terminalen Spitzen am Hinterrande der Platte als bewegliche Dornen sondern, ein Verhalten, aus welchem der Hauptcharakter für die Gattung Pseudosquilla abgeleitet wird. Dem entsprechend fand sich bei der Untersuchung der grossen Raubfüsse die Anlage zu den zwei Sei- tenzähnen des Endhakens, mit welchen sämmtliche Arten jener Gattung bewaffnet sind. Aber noch weiter war es möglich das Schicksal der grossen schlanken Squilloid-form, die mit Rücksicht auf Panzer, Stirn- stachel und Extremitätenbildung noch Larve ist, zu verfolgen; der Modus der Verwandlung, in die Pseudosquilla, deren Zugehörigkeit durch die beiden aufgefundenen Merkmale sicher bewiesen war, konnte durch ein Zwischenstadium mit veränderter Gestalt des Panzers und Stirn- stachels beleuchtet und somit das Auffallende, welches in der Zusam- mengehörigkeit so verschiedener Gestalten wie der grossen Squilloid- larve und der kleinen gedrungenen Pseudosquilla lag, erklärt werden. = Dieses Zwischenstadium (Fig. 27 B) besitzt eine Körperlänge von nur circa 34 Mm, und eine etwas gedrungenere Gestalt als die älteste Squilloidlarve. Der Schnabel ist abgeworfen und durch eine flache Deck- platte etwa von der Grösse des Auges ersetzt. Ebenso hat sich die Fläche des Rückenschilds nach Verlust der hintern Stacheln merklich zusammengezogen, sodass die drei letzten Brustsegmente mit ihren lang- gestreckten Spaltfüssen frei vorstehen. Die Antennengeisseln sind länger und reicher gegliedert, die Kiemenäste zahlreicher und grösser. Der Greifapparat des grossen Raubfusses zeigt eine gedrungenere Form; die Greifhand ist dicker und kürzer, der Greifhaken etwas gebogen, seine beiden Seitenzähne deutlich ausgebildet, aber noch unter der Haut ver- borgen. Die Schwanzplatte nebst Seitenanhängen des sechsten Abdomi- nalsegmentes besitzen die für die Gattung Pseudosquilla charakteristischen Eigenthümlichkeiten. (Fig. 27 B. S.P.). Nach abermaliger Abstreifung der Haut wird unter beträchtlicher DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 143 Verkürzung und Verbreiterung der Segmente die junge Pseudosquilla- form erreicht, die in dem mir vorliegenden Exemplare eine Länge von nur 26 Mm., dabei aber noch weiter entwickelte Antennengeisseln, Glied- massen und Kiemen besass und an dem Greifhaken des Seitenarmes die bei der Häutung frei gewordene Seitenzähne zeigte. Das unpaare Entomo- strakenauge ist vollkommen deutlich erhalten. Wollte man auch für die letzte Form die specifische Zusammengehörigkeit mit der Zwischenform — beide wurden an demselben Orte zusammen gefangen und in demselben Gläs- chen aufbewahrt — bestreiten, so würde doch gegen die Zusammenstellung derselben als ein älteres und jüngeres Entwicklungsstadium der Gattung Pseudosquilla nichts einzuwenden sein, und dies war ja allein der Zweck unserer Erörterung. `” Indessen gelang es auch, die Entwicklung unserer Squilloid-larven auf jüngere den Erichthoidenstadien näher stehende Larven zurückzuverfolgen und einen zweiten Modus der Gliedmassenentwicklung als Pseudosquilla und muthmasslich auch der nahe verwandten Gattung Gonodactylus eigenthüm- lich nachzuweisen. Die grosse Uebereinstimmung einer Reihe kleiner und junger Larven !) in der Gestalt des Leibes und insbesondere des Schwanz- endes mit der eben beschriebenen und in ihrer Umwandlung zu Pseudo- squilla verfolgten Squilloidform spricht für die generische Zusammenge- hörigkeit beider und führt uns auf die durch Fr. Müller bekannt gewor- dene zweite Stomatopodenlarve zurück, welche mit Ausnahme der zwei vordern Kieferfusspaare sämmtlicher Thoracalgliedmassen noch entbehrt, indem vor dem vollzählig segmentirten Abdomen 6 gliedmassenlose ?) Brust- 1) Ich betrachtete dieselbe lange Zeit wegen der langgestreckten Körpergestalt irrthümlich als zu Alima gehörig, auf die ja auch Fritz Müller seine zweite Alima be- zieht. Die Abgrenzung von Alima- und der sehr langgestreckten Squilloid-formen gelang mir erst nach genauer Untersuchung eines umfassenden Materials. Aus dem partiellen Zusammenwerfen beider Formzustände erklären sich. die Abweichungen meiner frühern Darstellung, welche nach der gegenwärtigen Ausführung zu berichti- gen sind. Siehe Göttinger Nachrichten von der Königl. Gesellschaft der Wissensch. Nr. 6 1871, sowie mein Lehrbuch der Zoologie. .2. Aufl. Marburg 1871, pag. 490. 2) Vgl. Fr. Müller, Archiv für Naturg. XXVIH. Taf. XII, ferner. Für Darwin, pag. 45, Fig. 35. 144 C. CLAUS, segmente liegen. Die schlanke Larve von 8 Mm. Länge mit kurzem Zo&astachel und etwas längern Seitenstächeln am Hinterrande des Brust- schildes (Fig. 23) besitzt freilich schon Anlagen der drei kleinen Raub- füsse als kleine schlauchförmige Anhänge. Diese entbehren jedoch noch der Gliederung und weisen durch ihre ziemlich gleiche Entwicklungs- stufe — an den beiden vordern tritt freilich schon das Rudiment eines Nebenschlauches auf — und durch die Einfachheit ihrer Form darauf hin,. dass sie Neubildungen sind und nicht etwa wie die Spaltfüsse der Erichthoid-larven an die Stelle rückgebildeter Ruderfüsse treten. Auch an den drei hintern Brustsegmenten sind die Gliedmassen als sehr kleine warzenförmige Erhebungen angedeutet. (Fig.23 m). Die vordern Fühler enden mit drei kurzen Geisseln (Fig. 23 á), und auch an den hintern Fühlern ist die Nebengeissel als 3gliedriger Schlauch entwickelt. (Fig. 23 b). Die Ganglien der Brust liegen bereits dicht aneinander zu der gemein- samen. langgestreckten Brustganglienmasse verbunden. Mundtheile und Hinterleibsfüsse zeigen eine Entwicklungsstufe wie etwa die ältesten, in die Erichthusform übergehenden Erichthoiden von bedeutenderer Körperlänge. Das Abdomen ragt mit allen seinen Segmenten frei hin- ter dem Brustschild hervor, die Schwanzplatte ist langgestreckt, fast rektangulär mit tief eingebuchtetem bezähnelten Hinterrande und drei seitlichen Zähnen. Die seitlichen Schwanzanhänge laufen in einen sehr langen und spitzen Fortsatz aus, an dessen Innenrand ein zweiter klei- ner Zahn bemerkbar ist. ` Vergleicht man die zweite von Fr. Müller beschriebene Stoma- topodenlarve, deren Copie ich der Vollständigkeit halber beigefügt habe, (Fig 22 A), so wird man über die nahe Beziehung zu unserer mehr als doppelt so grossen Larve kaum im Zweifel bleiben, wenngleich ich gern zugebe, dass sich beide Formen auf verschiedene Species beziehn. Ich selbst habe eine ganz ähnliche aber breitere und gedrungenere Larve von 3 Mm. Körperlänge in Messina beobachtet (Fig. 22 B), de- ren Schwanzplatte mit geradem bezahnten Hinterrande endet. Mög- licherweise aber ist diese Larve eine junge Alima. | Das nächstfolgende Stadium der Squilloidlarve (Fig. 24) erreicht DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 145 eine Länge von 11 Mm. und besitzt hinter dem grossen Raubfusspaare bereits drei kleine gegliederte Greiffüsse mit der kleinen Kiemenscheibe des Basalgliedes (Fig. 24 A č k), an den drei nachfolgenden Brustsegmen- ten sind die drei spaltästigen Ruderbeine zu ansehnlicheren Schläuchen vergrössert und bereits in die Anlagen beider Aeste gegliedert. (Fig. 24 7). Die Füsse des Hinterleibs beginnen bereits Kiemensprossen zu treiben, und der lange spitze Fortsatz der seitlichen Schwanzanhänge erscheint bis an das Ende der Schwanzplatte verlängert. Diese hat im Wesent- lichen ihre frühere Form bewahrt, doch erscheinen die beiden vordern Paare von Zahnkerben des Seitenrandes je aus zwei Zähnchen zusam- mengesetzt, eine Differenzirung, die auch an ältern bereits beschriebenen Larven sich erhält. Eine nahe verwandte sehr langgestreckte Squilloid-larve !) aus dem Indischen Ocean scheint in einer noch näheren Beziehung zu der eben beschriebenen noch sehr jugendlichen Larve zu stehn und vielleicht als älteres Entwicklungsstadium derselben Art zuzugehören (Fig. 24). Diese Larve erreicht mit ihrem langen und dünnen mehrfach bezahntem Schna- bel eine Länge von 47 Mm. und endet mit einer gestreckt rechteckigen Schwanzplatte, über welche die sehr langen und spitz zulaufenden Fort- sätze der seitlichen Schwanzanhänge den Armen einer Zange vergleich- bar hinausragen (Fig. 24 SP). Der Greifhaken des grossen Raubfusses (Fig. 24 g‘) zeigt die Anlagen zweier Seitenzähne unter der Chitinhaut, und zwar liegen dieselben der Basis bedeutend genähert. Das sehr kurze Rückenschild lässt die beiden letzten Brustringe vollständig frei und besitzt nur eine sehr schwache Bewaffnung. Die Medianlinie des Rückens ist schwach gekielt ohne Stachelausläufer, dagegen finden sich zwei kleine Seitenstacheln am Hinterrande, die sich als Ausläufer von zwei starken Seitenfirsten verfolgen lassen. | Endlich mag an dieser Stelle eine Squilloidlarve (Fig. 28) ihren An- schluss finden, deren.Zugehörigkeit zur Gonodactylus-gruppe, beziehungs- weise zur Gattung Pseudosquilla sehr nahe liegt. Dieselbe zeichnet sich bei sehr ansehnlicher Körpergrösse (circa 40 Mm. ohne den Schnabel) Phys. Classe. XVI. 146 C. CLAUS, durch den Besitz eines ungeheuer langen und stark bezahnten Stirn- stachels aus, der die Länge des nachfolgenden Leibes fast um das Dop- pelte übertrifft. So würde wohl die von Guérin für eine andere Larve gebrauchte Bezeichnung E. narwal passender auf die vorliegende Form zu übertragen sein. Das Rückenschild breitet sich flügelförmig über die Seitentheile der Brust aus und lässt höchstens das letzte Brustsegment frei. Seine Bewaffnung bleibt am Hinterrande verhältnissmässig schwach, doch ist auch der Zo&astachel als kurze Spitze entwickelt. An dem langgestreckten Abdomen greifen die Seitentheile des Integuments flügel- förmig über die ventrale Fläche und deren Beine herüber. Das sechste Segment trägt auf der Rückenfläche zwei kleine in Firsten auslaufende Spitzen, während seine Seitenanhänge mit der freilich mehr gerundeten Schwanzplatte (Fig. 28 SP) an die gleichen Körpertheile der Pseudo- squilla-larven erinnern. Hier schien mir auch unter dem Integument die Abgliederung der Terminalstacheln vorbereitet, welche einen Haupt- charakter der Gattung ausmacht. Dagegen waren die Anlagen der beiden Seitenzähne am Greifhaken des Raubfusses nicht nachweisbar. Ueber die sehr flache Squilloidlarve, welche in Fig. 29 abgebildet ist, lässt sich wegen ihrer geringen Entwicklungsstufe Nichts bestimmteres sagen. Die letzte Reihe von Stomatopoden-larven ist durch die Alima- form bezeichnet, die man bisher ebenso irrthümlich wie Erichthus als besondere Stomatopodengattung betrachtete. M. Edwards und Dana haben versucht, beide Formenreihen schärfer von einander zu sondern, aber ebensowenig wie die Charaktere, welche M. Edwards zur Unter- scheidung benutzte, die freie (vom Schilde unbedeckte) Lage des Augen- segmentes und der hintern 'Thoracalringe, für alle Fälle zutreffend sind, erscheint die von Dana für Alima hervorgehobene Eigenthümlichkeit, die bedeutende Verlängerung des vor dem Munde gelegenen Kopfabschnitts, als Differentialcharakter von entscheidendem Werthe. Wir haben viel- mehr zwischen Erichthus und Alima Uebergangsformen, welche den Gebrauch der Bezeichnung ‚Alimerichthus‘‘ rechtfertigen. So mag denn das Widerstrebende, welches in der Auffassung der schlanken und dünnen Alima mit der umfangreichen Platte des zarthäu- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 147 tigen Rückenschildes als Larvenzustand der viel kleinern und massigern Squilla liegt und eine gute Parallele in der Beziehung von Phyllosoma zu den Panzerkrebsen findet, schon durch die Existenz von Alimerich- thus-formen abgeschwächt werden. Abgesehen von der viel bedeutendern Streckung des Leibes, die vornehmlich auch die vor dem Munde gelegene Region des Kopfes betrifft, zeichnet sich Alima durch die freie Lage des Augensegmentes und die Grösse und flache Form des zarthäutigen Rücken- schildes aus, dessen Stachelbewaffnung eine ganz ähnliche als bei Erich- thus ist, gewöhnlich jedoch den Rückenstachel nur in Form eines kleinen Rudimentes sich ausbilden lässt. Als Alimerichthus werden zunächst Formen zu betrachten sein, welche sich in ihrer allgemeinen Körpergestalt an Erichthus spinosus und arma- tus, sowie an die in Fig. 12 abgebildete E multispinus anschliessen, jedoch durch die breite und flache Form des Schildes merklich abweichen. Eine solche Larve von 16—18 Mm. Länge aus dem Indischen Ocean mit langen Antennengeisseln und gut entwickelten Kiemenbäumchen ist in Fig. 30 abgebildet worden. An dem langen fast die ganze Brust überdeckenden Schilde erhebt sich ein Rückenstachel von mässiger Grösse. Weit ansehnlicher sind die hintern Seitenstacheln, die ebenso wie der freie Ventralrand des Schildes mit kurzen Nebendornen besitzt sind. Auch ein ventraler Seitenstachel ist vorhanden. Die Augenstile sind sehr lang und dünn und die grossen Raubfüsse enden mit sehr lang gestreckter Greifhand, deren Basis wie bei allen Alima-larven in drei starken Dornen eine Squilla-ähnliche Bewaffnung besitzt. Am Greifhaken finden sich die Anlagen von 7 Seitenzähnen. Auch die Form der Schwanzplatte und der seitlichen Schwanzanhänge weist auf die Gattung Squilla hin. Die äussere Platte besitzt neun Randdornen, von denen die fünf hintern frei hervorstehn, und endet bereits mit abgesetztem ` Schwimmlappen. Der intermediäre Fortsatz des Basalabschnitts besitzt eine lanzetförmige Gestalt und läuft in eine langgestreckte Spitze am Ende des Innenrandes aus, während die äussere Seitenspitze kurz bleibt. Im Vergleich zu der betrachteten Alimerichthus-form, welcher die ältern Larven von E. multispinus am nächsten stehen, zeigen die Alima- T2 148 C. CLAUS, larven eine viel bedeutendere Streckung der Kopfregion. Leider bin ich nicht im Stande, über die jüngsten Entwicklungszustände dieser Larven Auskunft zu geben und muss es dahingestellt sein lassen, ob dieselben rücksichtlich der Gliedmassensprossung mit den Erichthoidinen (Fig. 1 u. 2) oder den Alima-ähnlichen Larven (Fig. 22) der Squilloiden überein- stimmen. Während die nahe Beziehung der Alima- und Erichthus- larven und ihre Verbindung durch die Alimerichthus-form die er- stere Annahme unterstüzt, spricht für die letztere die grosse Aehnlichkeit in der Gestalt der Larven, und ich habe schon früher auf die Möglich- keit hingewiesen, dass die in Fig. 22 B abgebildete Larve eine junge Alima ist. Ueber diesen Punkt müssen später ergänzende Beobachtungen Aufschluss geben. Die bisher von Leach, M. Edwards und Guérin beschriebenen und abgebildeten Alima-formen entsprechen offenbar zum grössern Theile specifisch verschiedenen Larven, theilweise jedoch auch verschiede- nen Alterszuständen derselben Larve. Jedenfalls werden in den Be- schreibungen Merkmale verwerthet, welche auf die Entwicklungsstufe und nicht auf Artbesonderheit Bezug haben. Eine noch sehr junge ostindische Alima von 16 Mm. Länge (Fig. 31), welche der A. longirostris Guer!) am nächsten steht und offenbar ein jüngeres Stadium (als das von Guérin abgebildete) derselben oder einer sehr ähnlichen Larve darstellt, hat ein relativ breites und langes Rücken- schild, welches die Brust so vollständig bedeckt, dass selbst der letzte Tho- racalring mit seinen kleinen noch schlauchförmigen Fussstummeln unter dem zipfelförmig erhobenen in einen ansehnlichen Zo&astachel auslaufen- den Endabschnitt des Rückenschildes verborgen bleibt. Die Seitenränder des letztern sind mit feinen Häkchen bestachelt, von denen ein stärkeres nicht weit vom Hinterrande dem ventralen Seitenstachel des Erichthus entspricht. Die seitlichen Hinterrandsstacheln erreichen eine bedeutende Länge und nehmen fast den ganzen Hinterleib zwischen sich. Die grossen Raubfüsse sind sehr langgestreckt und besitzen an der Basis der 1) Iconographie Crust. Pl. 24 fig. 4. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 149 Greifhand die drei!) für Alima charakteristischen Stacheln, von denen die beiden untern hier wie überall neben einander stehen und sich in seitlicher Lage mehr oder minder decken. Die hintern Raubfüsse er- scheinen noch winzig klein, die Spaltfüsse noch als einfache schlauch- förmige Sprossen; an den langgestreckten Füssen des Abdomens erheben sich bereits knospenförmige Kiemenanlagen. Noch sehr klein und ru- dimentär ist die fast ganz verdeckte Gliedmasse des sechsten Abdominal- ringes, deren Aussenplatte erst einen einzigen Zahnfortsatz besitzt, wäh- rend der kurze Ausläufer des Basalgliedes eine fast trigonale Form darbietet. Der Uebergang dieser Larve in eine fast 40 Mm. lange Alima aus dem Indischen Ocean liess sich durch Zwischenstadien mit vergrös- serten Spaltfüssen und Seitenanhängen des Körpers direkt verfolgen. Die nahezu ausgewachsene Larve, welche auf die von M. Edwards beschriebene A. laticauda zu beziehen sein möchte, hat die breiten Seiten- flügel des Rückenschildes bewahrt, dessen Hinterrand schräg geradlinig erscheint und nur eine ganz schmale Ausbuchtung über dem letzten fast vollkommen bedeckten Brustsegment zeigt. Die Länge des Stachels ist beträchtlich reducirt, die Zahl der Randhäkchen eine geringe und nahe- zu constante. Unterhalb des stärkern Mitteldornes folgen nur drei, oberhalb desselben durch eine beträchtliche Lücke getrennt, acht kurze Häkchen. Charakteristisch ist ferner die Länge des sehr engen Augen- stils und die langgestreckte Form der grossen Greifhand, deren Haken- glied unter dem Integument bereits die Anlagen von fünf Seiten- zähnen birgt (Fig. 32 g‘). Die kleinen Raubfüsse erscheinen klein und schmächtig, aber vollzählig gegliedert und besitzen ihre kleinen scheibenförmigen Kiemenanhänge. Die Spaltfüsse der drei hintern be- deckten Brustringe sind vollkommen gegliedert, freilich noch verhältniss- mässig klein. Dagegen sind die Kiemenanhänge der Bauchfüsse noch . 1) Diese Lage erklärt uns die Ungenauigkeit der Angabe von M. Edwards, der bei Alima nur zwei Stacheln der Greifhand hervorhebt. Wenn für Alima hy- alina Leach, die offenbar eine junge breitfächrige Alima ist, der Mangel dieser Sta- cheln zur Charakterisirung verwerthet wird, so handelt es sich wahrscheinlich eben- falls um eine Ungenauigkeit der Beobachtung. 150 C. CLAUS, in ihrer Differenzirung zurückgeblieben und auf zwei Schläuche reducirt, von denen der vordere als aufgetriebener Sack einen mit der nachfol- genden Häutung frei werdenden Büschel von Kiemenschläuchen einschliesst. Die Gliedmassen des sechsten Schwanzringes reichen bis über das erste Paar Seitendornen der breiten umfangreichen Schwanzflosse (Fig. 32 t/ SP) hinaus, der äussere Ast ist mit neun Seitenzähnen bewaffnet, von denen jedoch die grössere Zahl noch vom Integumente umschlossen liegt. Mit A. laticauda theilen mehre andere schlankere und gestrecktere Alima-arten die breite Gestalt der Schwanzplatte, deren Längsachse nur wenig den Querdurchmesser übertrifft. In diese Gruppe der breitfäch- rigen Formen gehört die in Fig. 33 abgebildete Alima emarginata aus dem Ind. Ocean. Von derselben liegen mir jüngere und ältere grössere Individuen vor, erstere mit kurzen und wenig bezahnten Anhängen des Fächers, noch ohne Anlage von Seitenzähnen des Raubfusses, letztere von 45—50 Mm. Länge, mit viel grösseren Seitenanhängen des Fächers und den Anlangen von fünf Seitenzähnen an der Greifhand der grossen Raubfüsse. Das immer langgestreckte platte Kopfbrustschild erscheint beträchtlich schmäler als das von A. laticauda und am Hinterrand tief ausgebuchtet, so dass die zwei hintern Brustsegmente unbedeckt bleiben. Die Zahl der Randhäkchen ist eine viel bedeutendere, indem unterhalb des etwas grösseren Seitendornes sechs oder fünf (selten nur vier), oberhalb des- selben aber, nach einem längern häkchenfreien Intervall, noch zehn oder elt kleine Hakendornen folgen, von denen die zwei obern in weitem Zwischenraum getrennt liegen. Die Greifhand des grossen Raubfusses (g‘) erscheint kräftiger und gedrungener, die Kiemen der Schwanzfüsse sind als reiche Büschel von Schläuchen entwickelt, und die Seitenanhänge des Fächers erreichen das zweite Paar der seitlichen Dornfortsätze der Schwanzplatte. An der äussern Lamelle dieser Gliedmasse finden sich stets acht Randdornen, die obern freilich noch unter dem Integument versteckt (t. Wahrscheinlich fällt Gu&rin’s A. tetracanthura von Neu- Guinea mit der beschriebenen Form zusammen, die vom M. Edwards beschriebene A. incisa würde a auch See berjelm, wenn nicht in der bedeutenden Länge der Schw ei bwei des Merkmal vorläge. GAS 4 AN _ DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 151 Eine nahe verwandte Alima, die mir in jüngern und ältern Exem- plaren vorliegt und eine Länge von mehr als 50 Mm. erreicht, möchte ich wegen der kräftigen Entwicklung der Seitenrandstacheln des Brustschil- des als A. spinulosa unterscheiden. Dieselbe gehört ebenfalls dem In- dischen Archipel an. Die dachförmige Gestalt des Schildes mit hohem Rückenkiel, sowie besonders die Grösse und bedeutende Zahl der Seiten- randhäkchen geben brauchbare Unterscheidungsmerkmale,. Von den letztern finden sich jederseits etwa zehn Häkchen unterhalb und achtzehn bis zwanzig oberhalb des etwas grössern Seitendornes. Auch hier er- scheinen die Kiemen als ansehnliche Büschel von Schläuchen, die Seiten- flügel der Abdomalsegmente laufen wie auch bei A. emarginata am hintern Winkel in starke Dornfortsätze aus. Die Greifhand der grossen Raubfüsse ist etwas schmaler aber sehr kräftig bewaffnet und unter dem Integumente des Hakengliedes finden sich die Anlagen zu vier Seiten- zähnen. Die Gliedmassen des sechsten Schwanzsegmentes reichen bis zu dem zweiten Paar der Dornfortsätze am Seitenrande der breiten und umfangreichen Schwanzplatte und besitzen nur sieben aber um so stär- kere Dornen am Rande der Aussenlamelle, deren Endabschnitt als ovale borstenbesetzte Platte abgegliedert ist. Ebenso nahe schliesst sich an A. emarginata eine beträchtlich klei- nere, circa 35 Mm. lange Indische Form an, die ich wegen des fast ganz platten Seitenrandes — nur zwei bis drei ganz kleine hintere Häkchen- . vorsprünge sind vorhanden — A. inermis bezeichnen möchte. Die überall noch erkennbare Auftreibung des Rückenschildes mit dem Rudimente des Zoöastachels ist hier bedeutender als in irgend einer andern Larve des entsprechenden Alters, auch sind die Kiemenbüschel klein und aus nur wenigen Schläuchen zusammengesetzt. An der kräftigen und breiten Greifhand des Raubfusses finden sich die Anlagen zu vier Seitenzähnen des Endhakens, und die gedrungenen Seitenanhänge der Schwanzflosse zeigen acht Seitendornen am Rande der Aussenlamelle. Eine viel kleinere nur 20 Mm. lange aber kaum minder ausgebil- dete Alima (Fig. 34), die ich wegen des vorstehenden Seitenzahns am Greifhaken des grossen Raubfusses und der Anlage eines zweiten Zahnes e 152 C. CLAUS, unter dem Integumente als A. bidens unterscheiden will, ist leicht kennt- lich an der Kürze des schmalen Rückenschildes, dessen tiefe hintere Ausbuchtung das vordere der drei schmalen Thoracalsegmente und einen Theil des vorausgehenden Brustabschnittes zwischen sich fasst. Der Stirn- stachel reicht über den Stil der Vorderantennen hinaus, die vordern Seitenstacheln sind ungewöhnlich lang und nach aussen gerichtet, die viel längern Seitenstacheln des Hinterrandes reichen etwa bis zur Mitte des vordern Abdominalsegmentes und tragen drei Nebendornen, während die Seitenränder des Schildes bis auf zwei starke Dornen nahe am Hinter- rande glatt bleiben. Auffallend ist der Contrast in dem Ausbildungsgrade der Kiemen und der Seitenanhänge des Fächers. Die ersten sind bereits vier bis fünfästige Büschel von Schläuchen (Fig. 34 Kb). Stets ist der obere Ast durch einen zipfelförmigen Sack (S) repräsentirt, in welchem ein neues in der Bildung begriffenes Büschel von Schläuchen eingeschlos- sen liegt. Auch an jüngern Larven von nur 16 Mm. finden sich diese Häkchen am obern Kiemenende mit dem eingeschlossenen noch rudi- mentären Büschel von Schläuchen und es kann keinem Zweifel unter- worfen sein, dass mit der nachfolgenden Häutung das obere neugebildete Büschel frei wird und so die Vergrösserung der Kieme bewirkt. In- dessen wächst die Kieme auch durch Verlängerung der Aeste und Neu- bildung von Kiemenschläuchen am Ende der Aeste, diese aber wird in ganz ähnlicher Weise durch endständige Säckchen vermittelt. Beide werden hier — was überhaupt für die Bauchfüsse grösserer Stomatopoden- larven Geltung hat — durch eine transversale Abgliederung in einen obern und untern Abschnitt gesondert. Der obere Abschnitt der äussern La- melle bleibt schmal und erscheint gewissermassen als stilförmiger Träger sowohl der Kieme als der grossen borstenrandigen Endplatte; an dem innern Aste dagegen bleibt dieser Abschnitt eine viel breitere und grössere Lamelle, während der untere am Innenrand ein fingerförmiges Glied trägt, welches sich in gleicher Weise auch an den Füssen der Nebalia wiederfindet und mit seinen gekrümmten Endhäkchen an der Spitze eine Art Retinaculum zur zeitweiligen Verkettung der Füsse des- selben Paares darstellt (Fig. 34 F). Bei den ausgebildeten Squilliden DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 153 ist die Zahl der Häkchen eine viel grössere und somit der Haltapparat viel kräftiger entwickelt. Mehrmals habe ich bei Squilla wie auch bei Nebalia die mediane Verkettung der beiden seitlichen Fingerglieder con- statiren können. Im Gegensatze zu der verhältnissmässig weit vorge- schrittenen Kiemenentwicklung zeigt das sechste Gliedmassenpaar des Hinterleibs eine nur geringe Grösse und Ausbildung seiner Theile. Der mittlere Fortsatz des Basalgliedes besitzt fast die Länge des Aussen- astes, dessen Endplatte noch nicht zur Abgliederung gelangt ist und kaum bis zum ersten Paare der Dornen am Seitenrande der Schwanz- platte reicht. Von den Randdornen des Aussenastes sind nur die bei- den untern starke äussere Erhebungen, während die Anlagen zu den ` drei bis vier vorausgehenden Dornen fast ganz unter dem Integumente versteckt liegen. Von all’ den beschriebenen Formen unterscheidet sich die bekannte und im Indischen und Atlantischen Ocean weit verbreitete Alima gracilis M. Edw. — angustata Dana (Fig. 35) durch die viel bedeutendere Längsstre- ckung des Körpers, durch die schmale gestreckte Form der Greifhand des grossen Raubfusses und der Schwanzplatte, deren Länge den Querdurch- messer etwaum das dreifache übertrifft. Das Rückenschild ist nach dem vordern und hinterm Ende zu wenig verschmälert und trägt am seinen lan- gen Seitenrande eine Bewaffnung von zwölf bis dreizehn Stacheldornen, von denen der letzte dem relativ kurzen Seitenstachel des Hinterrandes angehört. Dieser ist median stark ausgebuchtet und lässt die drei letz- ten schmalen und langen Brustsegmente unbedeckt. Bei keiner mir be- kannt gewordenen andern Alima erscheint das Abdomenverhältniss mässig so lang und schlank. Die Beschaffenheit und Ausbildung der Glied- massen richtet sich nach dem Alter. Jüngere Larven von circa 26 Mm. Länge lassen kaum die Anlagen zu den drei Spaltfusspaaren und Kie- men der Bauchfüsse nachweisen, ebenso sind die Seitenanhänge des Fä- chers winzig klein; bei grössern Exemplaren bilden sich diese Theile, so- wie die Antennengeisseln und Raubfüsse weiter aus, bis endlich die grössten Exemplare von etwa 50 Mm. Länge das aus vorausgehender Beschreibung der breitfächrigen Alima-arten bekannt gewordene Entwick- Phys. Classe. XVI. U H 154 | C. CLAUS, lungsstadium erreicht haben. An dem Hakengliede des grossen Raub- fusses sind die Anlagen von fünf Seitenzähnen unter dem Integumente nachweisbar. Die Basis der schmächtigen fast linearen Greifhand er- scheint so bedeutend verlängert, dass die Spitze des eingeschlagenen Ha- kengliedes nicht viel über die Mitte des Schaftgliedes hinausreicht. Während die kleinen Raubfüsse und Spaltfüsse der drei hintern Brust- ringe ihre volle Gliederung besitzen, erscheinen die Kiemen noch ver- hältnissmässig reducirt und bestehen aus nur wenigen auf zwei Kiemen- äste zurückführbaren Schläuchen zugleich mit der Anlage einer dritten Gruppe von Schläuchen, welche in dem Innenraum des sackförmigen An- hangs am Vorende des Kiemenstämmchens zusammengedrängt liegen. Die Seitenanhänge der Schwanzffosse reichen noch immer nicht bis zum ersten Paare der seitlichen Dornfortsätze der Schwanzflosse und sind verhältnissmässig klein geblieben. Der äussere Ast zeigt oberhalb der abgegliederten borstenrandigen Endplatte die Anlagen von fünf bis sechs Randdornen, von denen die zwei bis drei untern bereits äusserlich als starke Dornfortsätze des Integuments hervortreten. Soweit sich die hervorgehobenen Charakteren der Alima-larven zu Schlüssen auf die zugehörigen Squilliden verwerthen lassen, wird man nicht im Zweifel bleiben können, diese in der Squilla-gruppe zu suchen. Möglicherweise beziehen sich unsere Larven im Gegensatze zu Erichthus ausschliesslich auf die Gattung Lysiosquilla , für die ja die bedeutendere 'Streckung und der laxere Verband der Abdominalsegmente charakteri- stisch ist. Doch spricht die Gestaltung der seitlichen Schwanzanhänge nicht für diese Auffassung, wenigstens müsste der die Stachelfortsätze erzeugende Ausläufer des Basalabschnittes eine wesentliche Veränderung erfahren. Vergegenwärtigen wir uns schliesslich die Resultate der vorliegenden Untersuchungen, um an dieselben einige allgemeinere Betrachtungen zu knüpfen, so möchte zunächst die Natur der Erichthus, Squillerichthus und ‚Alima-formen als Stomatopoden-larven nicht nur durch das Vorhanden- ‘sein des unpaaren Entomostraken-auges, sondern auch durch die Be- DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 155 schaffenheit der in Wachsthum begriffenen Gliedmassen, insbesondere der Antennen, Beine und Kiemen, sowie durch den Mangel der Ge- schlechtsorgane ausser Zweifel gestellt sein. Es gelang zunächst für die Erichthus-gruppe die Entwicklungsreihe der Larvenstadien ziemlich vollständig zusammenzustellen und von der Pontella ähnlichen mit fünf Paaren von 2ästigen Ruderbeinen ausgestatteten Erichthoidina aus den Modus des fortschreitenden mit continuirlichen Umgestaltungen verbun- denen Wachsthums zu bestimmen. Hier mussten wir freilich in der Unbekanntschaft des Verhaltens früherer Zustände eine grosse Lücke zugestehen und deren Ausfüllung späteren Beobachtungen überlassen. Wenn es auch bei dem gegenwärtigen Stande unserer Erfahrungen nicht zu entscheiden ist, in welchem Stadium die Larven aus den Eihüllen schlüpfen und ob nicht in dieser Hinsicht die Squilla-gruppe von der Gonodactylus-gruppe abweicht, so möchte doch soviel mit Sicherheit ge- folgert werden dürfen, dass die Larven, wenn auch nicht in der Zahl der Extremitäten, so doch in der Gestalt des Leibes wesentlich von der Zoöa abweichen. Nachdem von Fr. Müller abgebildeten Squilla-embryo zu schliessen, würde die jüngste Squilla-larve in dem Besitze von sieben Gliedmassenpaaren mit Zoëa übereinstimmen, und ihre Beziehung zu derselben noch durch den Bau der Antennen der tasterlosen Mandi- baln und Maxillen beider Paare verstärkt werden. Dagegen weist der Körperbau und die erörterte Metamorphose der Erichthoidinen darauf hin, dass der auf den Gliedmassen tragenden Vorderleib folgende enge und segmentirte Leibesabschnitt eine andere Bedeutung hat, als das Ab- domen der Zoëa, indem er die sechs Brustringe nebst der Schwanzplatte repräsentirt, aus deren Basis sich erst allmählig die Abdominalsegmente mit ihren Gliedmassen hervorzubilden haben. Möglicherweise freilich sind an der zweiten Fr. Müller schen Larve, deren Beziehung zu Go- nodactylus wir nachzuweisen bemüht waren, beim Ausschlüpfen aus den Eihüllen auch schon die vordern Abdominalsegmente hinter den 6 Glied- massen-freien Thoracalringen gesondert, dann würde der Mangel des achten, neunten und zehnten Gliedmassenpaares durch Annahme einer Rückbildung verständlich erscheinen. Diese aber erscheint ohnehin 156 C. CLAUS, nothwendig für die Erklärung der spätern Zustände, in welchen sämmt- liche Abdominalsegmente mit den zugehörigen Gliedmassen hinter den sechs Gliedmassen-freien Brust-segmenten zur Ausbildung gelangt sind. (Vergl. Fig. 22 A u. B). Dann aber würden wir folgerichtig auch für die fünf hintern bei Erichthoidina der Schwanzplatte vu Brust- segmente eine Rückbildung ursprünglich vorhand 1) anzunehmen haben, um ihr spätes Auftreten nach voller Ausbildung der Abdominalfüsse verständlich zu finden. Die Rückbildung der drei hin- tern Fussanlagen wird der erste, die der drei vorausgehenden der zweite Schritt in der Reihe der Umgestaltungen gewesen sein, welche der aus sechs Segmenten zusammengesetzte Mittelleib erfahren hat bis zur Aus- bildung der Zoëa, deren Mittelleib durch Zwischenstadien hindurch, die wir in der ganz kurz segmentirten jüngsten Euphausia-larve ?) (bei der freilich auch noch das vorausgehende Segment in den Kreis der Rück- bildungen gezogen ist), sodann auch an der Larve von Peneus erblicken, auf einen ganz kurzen gewissermassen latenten Körperabschnitt reducirt er- scheint. Auch die vorzeitige Entstehung und Ausbildung der seitlichen Fächeranhänge bei Zoëa möchte unter Berücksichtigung der für Erich- 1) Für die wiederholte Neubildung von Gliedmassen und Gliedmassentheilen nach vorausgegangenem Schwunde haben wir ein schönes und für die Auffassung des Verhältnisses der S tian zu einander wichtiges Beispiel in dem Mandibular-taster. rünglich als Bein fungirend erhält er sich nach Hervor- wachsen des Kautheils Dan Huftglied in verschiedenem Umfang bei den Ostracoden und Copepoden und in Resten auch bei den Cirripedien, wird abgeworfen bei allen Phyllopoden und endlich nach langer Abwesenheit im Lar- venleben von Neuem gebildet bei den Malocostraken. Da wo unter den letztern die Larve als Naupliusform die Eihülle verlässt, (Euphausia, Peneus) sehen wir die zweimale Bildung in der Entwicklungsgeschichte des Individuums erhalten, in der That ein sprechendes Zeugniss für die Transmutationslehre. 2) C. Claus, Ueber einige Schizopoden und andere Malacostraken Messina’s. Zeitsch. für wissensch. Zoologie. Tom XIII 1863, taf. 29, fig. 47. Man vergleiche auch das Verhalten von Erichthina demissa Dana, einer wahrscheinlich auch zu den Schizopoden gehörigen Larve. Sodann Fr. Müller. Für Darwin pag. 39. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 157 thoidina dargelegten Wachsthumsvorgänge in ähnlicher Weise auf die Rückbildung und den Ausfall der vorausliegenden Abdominalgliedma- ssenanlagen hinweisen. Offenbar ist dieser mit den übrigen Afterfüssen gleichwerthige Segmentanhang im Zusammenhang mit der Bedeutung der Schwanzflosse für die Schwimmbewegung des Leibes ungleich wich- tiger als jene, welche in dem ursprünglichen Zustand vornehmlich als Träger der Kiemen für die Respiration in Betracht kommen, einer Func- tion, die bei der bedeutenden Reduktion auch das Volumens des Zo&a- leibes durch die im Kopfbrustschild gegebene Hautduplicatur ausreichend besorgt wird. Wir überzeugen uns, dass der Zo&a trotz des Besitzes von nur sieben Gliedmassenpaaren, in welchem sie mit dem jüngsten Cyclopssta- dium übereinstimmt, doch eine sehr hohe morphologische Entwicklungs- stufe einnimmt. Zwischen Nauplius und Zoöa liegt eine gewaltige Kluft, die keineswegs so einfach und leicht durch die Annahme einer sog. Archi- soën (die nichts als die Nauplius-form der Cirripedien ist) auszufüllen sein möchte. Sämmtliche Segmente des Malakostrakentypus sind an ihrem Körper angelegt, wenn auch eine Anzahl von Ringen des Brusttheiles in Folge von Rückbildung auf eine kurze gewissermassen latente Region reducirt erscheint, die selbst der Gliederung entbehren kann. Die mitt- lern und hintern Gliedmassenpaare des Leibes sind in Folge von Rück- bildung unterdrückt und verschwunden, und die nächste Veränderung, welche die Zo&a erfährt, ist die Sprossung und Differenzirung des hin- tersten Gliedmassenpaares. So gewinnt denn die Zoëa der Decapoden eine ganz andere Be- deutung, als ihr jüngst A. Dohrn !) auf Grund theoretischer Specula- tionen beizulegen versuchte. Die an und für sich höchst wunderliche Vorstellung, als sei unsere Larvengestalt die Durchgangsform in der phylogenetischen Entwicklungsgeschichte der Crustaceengruppen gewesen, zu deren Begründung mit grosser Kunst ein ganzer Apparat morphologi- 1) Dr. Anton Dohrn, Geschichte des Krebsstammes. Jenaische Zeitschrift für Medicin und Naturwissenschaft. Tom VI. Der Schluss der Abhandlungen ist übrigens noch nicht erschienen. 158 vs- CLAUS; scher Deductionen verwendet und verschwendet wurde, möchte schwer- lich noch Aussicht haben, einen ernstlichen Vertheidiger zu finden. Ohne mich gegenwärtig auf weitere Folgerungen und Schlüsse ein- zulassen, zu welchen die dargelegte Entwicklungsweise der Stomatopoden für die Auffassung der Beziehungen von Stomatopoden zu Schizopo- den und Decapoden und von Malakostraken zu Entomostraken Anlass gibt (ich werde auf dieselben später bei einer andern Gelegenheit zurückkommen), möchte ich doch nicht unterlassen auf das Unzeitge- mässe hinzuweisen, bei den grossen Lücken unserer paläontologischen ECH KEE und q gsg Kenntnisse der Crustaceen jetzt schon an die Ausführung einer „Geschichte des Krebsstammes nach embryologischen, anatomischen und paläontologischen Quellen“ zu den= ken. Solche „Quellenstudien‘“ dürften kaum geeignet sein, dem Historiker besonders Vertrauen weder in die Objektivität der Methode morphologischer Forschung, noch in die Sicherheit ihrer Schlüsse und in die Festigkeit des auf dieselben gegründeten Baues einzuflössen. Ein der- artiger Bau stürzt wie ein Kartenhaus zusammen bei der leisesten Berüh- rung, zu welcher diese oder jene neu ermittelte Thatsache führen kann, die Bilder solch voreiliger Speculationen gleichen den Figurenbildern im Kaleidoscop, die sich zwar überaus schön und regelmässig ausnehmen, auch mit Geist und Scharfsinn zusammengefügt zu sein scheinen, je- doch bei jeder leisen Bewegung eine Verwandlung bestehen und sich in neue eben so wandelbare Zusammenfügungen umgestalten. DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 159 Erklärung der Tafeln. Taf.L Fig. 1. Eine 2 Mm. lange Erichtoide-larve aus Messina. 1A. Unter schwacher, dem Verhältnisse der Vergrösserung späterer Larven- phasen entsprechender Vergrösserung. a’ Vordere Antenne mit den Riechfäden. b Hintere Antenne. e Mandibel, d' Erste Maxille. e Zweite Maxille. f' Erstes der 5 zweiästigen Beinpaare, späterer erster Kieferfuss. g' Zweites derselben, späterer Raubfuss. h drittes O viertes Kieferfusspaar. k' fünftes m > die drei hinteren Thoracalsegmente. n SP Die Schwanzplatte, repräsentirt jetzt noch das ganze Abdomen. An Afteröffnung. Coe Blinddarmförmige Ausstülpungen des Enddarms. Re Enddarm. Mu Muskeln. Ga Ganglien. oc Unpaares Auge. Fig. 2. Etwas ältere Larve aus dem Ati. Ocean von 3 Mm. (den Stirn- stachel mit eingerechnet) Länge. Erichthoidina gracilis. 2A. von der Seite und in einer zweiten Ansicht vom Rücken aus gesehen. Man erkennt die Auftreibung am zweiten Beinpaare, aus der die Greifhand des spä- tern Raubfusses wird. 2 B. stärker vergrössert von der Bauchseite betrachtet o. Erstes Abdominalsegment o dessen Gliedmassenpaar. 2C. Einzelne Gliedmassen derselben Larve vergrössert dargestellt unter den eben bereits erklärten Buchstaben. 160 G.CLAUS, Fig. 3A. E.armata, eine weiter vorgeschrittene mit breitem Schilde und star- ken mittleren Seitenstacheln von 41/2 Mm. Länge. Von der Seite und vom Rücken aus gesehn. Man erkennt schon drei Gliedmassenpaare des Abdomens. Das zweite Beinpaar (g‘) ist schon zum Greiffuss geworden, trägt aber noch den Nebenast. Fig. 3C. Einzelne Gliedmassen und Körpertheile dieser Larve stark vergrössert. Die Buchstaben æ bis s bedeuten die einzeln Glieder des Beines vom Basalgliede an. Fig. 4A. Larve von schmaler und gestreckterer Form von 51/2 Mm. Länge E. Drevispinosa. Der Nebenast des Greiffusses ist abgeworfen. Fünf Paare von Bauch- füssen sind gebildet. Za£ ll Fig. 5. Erichthoide-Larve von 6,5 Mm. Länge von Rücken und der Bauchseite aus betrachtet. E. brevispinosa. Fig. 5C. stellt einzelne Gliedmassenpaare dieses Stadiums gesondert unter stärkerer Vergrösserung dar. a‘ Die vordere Antenne mit 3gliedrigem Schaft und zwei Aesten. b' Die hintere Antenne mit Schaft und Endplatte sowie mit Nebenast Na. Die erstere aus dem Endglied des Hautastes entstanden entspricht offenbar der Fächer- platte an derzweiten Antenne der Decapoden, der Nebenast dagegen der Antennengeisse!. Ka Kiemenknospen am Basalgliede der Beine. t Anlage zu den Seitengliedmassen des Schwanzfächers. Fig. 6. E spinosa. Aeltere Larve von 7 Mm. Die drei hintern Kieferfuss- paare sind noch kleine :Spaltfüsse. Fig. 7. Larve von 6 Mm. Länge. Fig. 7. Evrichthoidina armata von circa 8 Mm. Länge von der Bauchseite mit umgeschlagenem Abdomen. Wird zum Erichthus Edwardsi. Die drei Schwimmfuss- paare sind in der Rückbildung begriffen. Der vordere (Fig. 7C. Ach hat den Neben- ast bereits verloren. Fig. 8. Dieselbe Form von 9 Mm. Länge, von der Bauchseite gesehen. Auch das zweite Schwimmfusspaar (Fig. 8C. e‘) hat den Nebenast abgeworfen. Das dritte (fünfte Kieferfusspaar) trägt jedoch noch einen rudimentären Schwimmfussast. Das sechste Paar der Abdominalfüsse oder die Anlage der seitlichen Schwanzanhänge ist bereits zweilappig (f). An den vordern Antennen (o) ist der Nebenast (2) drei- gliedrig, der primäre mit Riechfäden besetzte Ast (1) spaltet sich in zwei neue Aeste, indem sich ein zapfenförmiger Vorsprung des Basalgliedes (1) von den zu dem zweiten Nebenast werdenden Endgliedern (3) abhebt. Die Anlagen der Spalt- füsse fehlen noch an den drei letzten fusslosen Brustsegmenten. Taf LL Fig. 9. Maxillen des ersten (d‘) und zweiten (e‘) Paares sowie Endabschnitt DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 161 des vordern Maxillarfusses (f“) einer weiter vorgeschrittenen Larve von circa 14 Mm. Länge, welche bis auf das noch einfache schlauchförmige letzte Fusspaar (fünfte Kieferfuss) und die einfachen knospenförmigen Anlagen der drei Spaltfusspaare die Körpergliederung von Erichthus Edwardsi erreicht hat. Fig. 10. , Junge Erichthus Edwardsi von 16 Mm. Länge aus dem Ind. Ocean, von der Bauchseite dargestellt, und die Schale desselben von der Rückenseite. Fig. 11. Letzter Kieferfuss und vorderer Spaltfuss eines jungen circa 9 Mm. langen Erichthus multispmus aus dem Indischen Ocean. Fig. 12. Ein etwas weiter vorgeschrittenes Stadium desselben von circa 10 Mm., Fig. 12 Sp. Schwanzplatte. Fig. 13. Squillerichthus (Er. triangularis) von Zanzibar. SP. Schwanzplatte und seitlicher Anhang der Schwanzflosse. g‘ Hakenglied des grossen Raubfusses mit den Anlagen von fünf Seitenzähnen. Fig. 131. Kopfbrustschild desselben von der Seite gesehen. Fig. 14. Ein Sqwillerichthus aus dem Atlantischen Ocean. SP. Schwanzplatte desselben. Fig. 141. Vorderer Abschnitt des Kopfbrustschildes mit der Anlage der Kopf- klappe der spätern Squilla. (Æ I.) Tat Iy: Fig. 15. Erichthus armatus in der Squillerichthus-form aus dem Ind. Ocean. Fig. 151. Seitliche Ansicht des Kopfbrustschildes. Fig. 16. Erichlhus Duwvaucelli. A. in seitlicher Ansicht mit ausgestrecktem Abdomen. B. in seitlicher Ansicht mit bauchwärts eingeschlagenem Vorderkopf und Schwanz. C. in ventraler Ansicht der nämlichen Haltung der Körpertheile. o Hakentheil des grossen Greiffusses mit den Anlagen der sieben Seitenzähne. SP. Schwanzplatte mit den Seitenanhängen. Fig. 17. Erichthus Gu£rinii in ventraler Ansicht. o Hakenglied mit den Anlagen von vier Seitenzähnen. SP. Schwanzplatte. Fig. 18. Erichthus Latreilii in ventraler Ansicht. e Maxille des zweiten Paares. € Endglied mit Greifhaken des ersten Kieferfusses.. g’ Grosser Raubfuss mit Kiemenplatte. SP. Schwanzplatte. Taf V. Fig. 19. Ein Squilloider Erichthus von circa 14 Mm. Länge von Bengalen, wahrscheinlich Jugendform einer Coronis-art. A. Ansicht der Bauchseite mit um- geschlagenem Schwanz. B. Seitliche Ansicht. o Grosser Raubfuss mit den Anlagen von fünf Seitenzähnen des Hakengliedes. m‘ Spaltfuss des vorletzten Brustringes. SP. Schwanzplatte mit den seitlichen Schwanzanhängen des vorausgehenden Segmentes, Mu Muskeln. ZS Mit Zellen gefüllter Schlauch. Coe Anhangsdrüse des Afterdarms. N: Phys. Classe. XVI. 162 C. CLAUS, Fig. 20. Eine ähnliche zu Gonodactylus gehörige Larve. von circa 12 Mm. Länge von den Canarischen Inseln. SP Schwanzplatte mit Seitenanhängen des vor- ausgehenden sechsten Segmentes. Fig. 21A% Squilloide-Larve aus dem Ind. Ocean. A. von den canarischen Inseln. Jugendform eines Gonodactylus. SP. Schwanzplatte mit den Seitenanhängen des vorausgehenden sechsten Segmentes. g’ Grosser Raubfuss. Fig. 21B. Eine Squilloidlarve von 14 Mm. Länge von gedrungener Form mit grossem die Hälfte des Abdomens bedeckenden Rückenschilde von Madeira. SP. Schwanzplatte. ` Fig. 22A. Eine junge Squilloidlarve mit sechs gliedmassenlosen Thoracalringen von 31/4 Mm. Länge. ` Copie nach Fr. Müller. Fig. 22B. Eine ähnliche Larve von Messina. Fig. VI Fig. 23. Eine ältere Larve von 8 Mm. Länge, wahrscheinlich zu derselben Formengruppe gehörig, deren drei hintere Greiffusspaare ungegliederte Schläuche sind. a’ Die vordere Antenne mit den Anlagen der drei Geisseln. b’ Die Antenne des zweiten Paares mit dreigliedriger Nebengeissel. - e d“ ei etc. Die stark vergrös- serten Mundtheile und Gliedmassen der Brust. G Ganglien der Bauchkette. ZS Fig. 24. Eine ältere Larve derselben Art von 11 bis 12 Mm. Länge. Das zweite Maxillenpaar e’ ist verbreitert und mehrlappig. Die kleinen Raubfüsse h’ i k! erscheinen vollständig gegliedert und tragen die Anlagen der Kiemenscheiben. 7 Der Spaltfuss ist zweiästig. e Fig. 25. Squilloid-larve von eirca 47 Mm. Länge, wahrscheinlich ein älteres Stadium der beschriebenen Larven, mit denselben wenigstens generisch zusammen. gehörig, auf Pseudosguilla hinweisend. g’ Greifhand des grossen Raubfusses mit den Anlagen zweier Seitenzäbne am Innenrande des Greifhakens. SP Die Schwanzplatte mit den Seitenanhängen des sechsten Segmentes. : Taf. VIL Fig. 26. Squilloid-larve, 25 Mm. lang, aus dem Atl. und Ind. Ocean, mit grossem Haken am Grund des kurzen Schnabels, zur Gattung Pseudosgquwilla gehörig. SP. Schwanzplatte mit den Seitenanhängen. Unter dem Integument ist die Schwanz- platte des nachfolgenden Stadiums verdeckt. Fig. 27A. Aelteres Stadium dieser Larve von circa 42 Mm. Länge. oi Greif- hand des grossen Raubfusses mit den Anlagen zweier Seitenzähne am Innenrand des Greifhakens. SP. Schwanzplatte, unter deren Integument die beweglich abgesetzten Terminaldornen hindurch schimmern, Fig. 27 B. Zwischenstadium dieser Larve und der jungen Pseudosquilla von circa 34 Mm. Länge. Die Greifhand des grossen Raubfusses g‘ ist weit gedrungener, 8 DIE METAMORPHOSE DER SQUILLIDEN. 163 die Anlagen ihrer beiden Seitenzähne auch unter dem Integument versteckt. Da- gegen sind am Hinterrand der Schwanzplatte die terminalen Hakendornen beweglich abgesetzt und ebenso stehen die Seitendornen der Aussenlamelle der Schwanzan- hänge frei vor. Fig. 27C. Die junge Pseudosquilla von 26 Mm. Länge. Fig. 28. Eine zur Gonodactylusgruppe gehörige Squilloidlarve mit sehr langem gezähnelten Stirnstachel aus dem Atlant. Ocean etwa 120 Mm. lang. SP. Schwanz- platte mit den Seitenanhängen. Der Stirnstachel ist in der Zeichnung verkürzt. Fig. 29. Squilloidlarre von sehr flacher Körperform, 15 Mm. lang aus dem Atlantischen Ocean. Taf, VEIL Fig. 30. Alimerichthus-larve von 18 Mm. Länge aus dem Indischen Meere. Greifhaken des Raubfusses mit den Anlagen von sieben Seitenzähnen. Fig. 31. Junge breitfächrige Alima von 16 Mm. Länge. Fig. 32. Aeltere Alima laticauda von circa 35 Mm. Länge. Seitenanhänge der Schwanzflosse mit neun Randdornen. g’ Langgestreckte Greifhand des grossen Raubfusses mit den Anlangen zu fünf Seitenzähnen des Endhakens. Fig. 33. Alima emarginata von circa 44 Mm. Länge. # Seitenanhänge der Schwanzflosse mit acht Randdornen. g’ Gedrungene dicke Greifhand mit den An- lagen zu fünf Seitenzähnen des Endhakens. Fig. 34. Alima bidens von circa 26 Mm. Länge, stark vergrössert. Kb. Kie- men mit vier Aesten und dem vordern Säckchen, in welchem die Anlage des fünften Astes liegt. F. Griffelförmiges Anhangsglied des Innenastes der Abdominalfüsse mit den Endhäkchen als Haltapparat. Fig. 35. Alima gracilis von circa 52 Mm. Länge. Der Hinterrand des Schil- des ist in Folge einer abnormen starken Einkrümmung median zusammengezogen. t Seitliche Schwanzanhänge mit fünf bis sechs Randdornen. Ta SE Ger IA — Mer" mme i = S) P Men CH Vi = EE er nn en ` Se | t | ZUM GEDÄCHTNISS AN JULIUS PLÜCKER. ALFRED CGLEBSCH. Gelesen in der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften den 2. December 1871. GÖTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1872. Julius Plücker. Wenn man im wissenschaftlichen wie im politischen Leben der Völker Epochen verschiedenartiger Thätigkeit unterscheidet, so darf für die Entwicklung der deutschen Mathematik das Jahr 1826 als besonders abgrenzend und Epoche machend bezeichnet werden. Ueberblicken wir die Jahrzehnte, welche diesem Jahre vorangehen, so finden wir in Deutschland Gauss, in wissenschaftlichem Verkehr meist mit Astronomen, eigentlich mathematischen Verkehrs entbehrend; wir finden Pfaff, dessen schöne Untersuchungen über partielle Differentialgleichungen ihm ein dauerndes Andenken sichern. Aber gegenüber der zahlreichen Theil- nahme mannigfacher Kräfte, welche die Mathematik in Frankreich fand, sehen wir in Deutschland nur die Schule der Combinatoriker, deren Ziele von unsern gegenwärtigen weit abliegen. Wie diese Verhältnisse sich vom Jahre 1826 an plötzlich ändern, wie. von da ab man eine wirkliche Entwicklung der Mathematik in Deutschland in stets sich erweiternden Kreisen verfolgen kann, gehört zu den bemer- kenswerthesten Erscheinungen, welche die Geschichte der Wissenschaften zeigt. Und nicht allein nach einer einzigen Richtung entstand urplötz- lich ein neues Leben. Einerseits entwickelte Jacobi neue und fundamen- tale Gesichtspuncte für die analytischen Functionen. Die wetteifernde Tbhätigkeit von Jacobi und von Abel, der durch das zu gleicher Zeit neu gegründete Crelle'sche Journal zu den deutschen Mathematikern in engste Beziehung trat, führte bald zu Perspectiven von unendlicher Aus- 1 2 dehnung, an deren Ausfüllung noch lange Reihen von Geschlechtern zu arbeiten haben werden. Um dieselbe Zeit kündeten Dirichlets erste Ar- beiten über Aufgaben der Zahlentheorie jene scharfsinnige Strenge der Methoden an, welche für die Functionentheorie in anderm Sinne funda- mental werden sollten. Zugleich aber erstanden in Möbius, Steiner und Plücker drei Geometer von grösster Bedeutung und innerster Origina- lität, welche, auf verschiedenen Wegen fortschreitend, sich in wesent- lichen Gesichtspunkten vereinigten, und welchen man grossentheils die gegenwärtige Gestalt unserer geometrischen Anschauungen verdankt. Als ein bedeutendes und für die weitere Entwicklung folgenreiches Moment darf wohl hervorgehoben werden, dass hiermit sogleich zwei Richtungen gegeben waren, deren Gegensatz, mehr oder weniger ausge- prägt, alle Epochen mathematischer Forschung begleitet, und welche man als die abstracte und die anschauungsmässige Richtung bezeichnen darf. Beide zusammen umfassen erst in Verein und Ergänzung das Ganze mathematischer Forschung, und es vermag keine von beiden auf die Dauer ohne schwere Schädigung ihres eigensten Wesens die ee und den Einfluss der andern zu entbehren. Es wird im Folgenden meine Aufgabe sein, die Thätigkeit des letzt- genannten Geometers, welcher der königlichen Gesellschaft seit 1864 als Correspondent angehörte, so weit es hier möglich ist, darzulegen, und im Vergleich mit den Leistungen Mitstrebender zu erläutern wie zu begrenzen. Hierbei wird es von selbst nothwendig werden, die Geschichte der Geome- trie in den letzten 50 Jahren nach einigen Richtungen hin zu verfolgen ; ein Umstand, der ebensowohl das erhöhte Interesse als die Schwierig- keiten kennzeichnet, welche den nachfolgenden Versuch begleiten. Doch scheint es um so wünschenswerther, diese Verhältnisse im Sinne einer correcten historischen Auffassung darzulegen, als leider noch immer nicht überall das Bestreben erloschen scheint, Prioritäten im Sinne und der Denkungsweise vergangener Zeiten zu reclamiren und zu bestreiten. Für denjenigen, welcher die Geschichte der Wissenschaft ruhig betrachtet, giebt es nicht leicht etwas Unerquicklicheres und Zweckloseres.. Können wir doch täglich sehen, wie die Keime wissenschaftlicher Entdeckungen 3 zu gewissen Zeiten überall liegen, und an den verschiedensten Orten gleichzeitig aufgehen. Dasselbe Resultat der Forschung ergiebt sich den verschiedensten Forschern zur nämlichen Zeit, sobald es im Sinne der Wissenschaft liegt; und wenn es sich darum handelt, genau festzustellen, wer eine Entdeckung zuerst ausgesprochen, wer sie später wiederholt hat, so ist das oft eine willkürliche Bevorzugung rein zufälliger Momente — von den sonst wohl geläufigen Beschuldigungen des Plagiats ganz zu schweigen. Die Geschichte der Wissenschaft hat vielmehr die Aufgabe, den Gedanken nachzuspüren, welche gemeinschaftlich in Generationen sich entwickeln, und die allgemeinen Processe darzulegen, für welche die Entdeckungen des Einzelnen mehr die Symptome als die treibenden Ur- sachen darstellen. Bei einer solchen Auffassung wird man weniger oft Gelegenheit haben, davon zu sprechen, dass eine Entdeckung ihrer Zeit vorausgeeilt sei, oder dass eine einzelne Persönlichkeit einer Zeit aus- schliesslich das Gepräge ihres Geistes aufgedrückt habe; aber dafür nimmt das Ganze der Wissenschaft einen organischen Character an. Im Einzelnen freilich bleibt immerhin zu untersuchen, in wie weit nahe- zu gleichzeitige Erscheinungen ursächlich auf einander gewirkt haben; nur darf man die Zeitfolge mit der ursächlichen Einwirkung nicht schlechthin verwechseln. Julius Plücker wurde am 16. Juni 1801 zu Elberfeld geboren. Er erhielt seine Vorbildung auf dem Gymnasium zu Düsseldorf, besuchte dann die Universitäten Bonn, Heidelberg, Berlin, und hielt sich zum Schluss seiner Studien 1823—24 in Paris auf. Nach Deutschland zu- rückgekehrt, habilitirte er sich 1826 als Privatdocent für Mathematik an der Universität Bonn, und begann hier sofort jene bewunderungswürdige Thätigkeit, welche für die Entwicklung der gesammten Geometrie so fruchtbar geworden is. Bald wurde ihm eine ausserordentliche Pro- fessur in Bonn (1828) zu Theil. Er verliess dieselbe, um in Berlin am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium zu wirken (1833) — nur auf kurze Zeit, denn schon 1834 erfolgte seine Berufung als ordentlicher Professor nach Halle. Von Halle kehrte er 1836 in gleicher Eigenschaft nach Bonn zurück; und hier begann sich eine Wandlung zu vollziehen, durch welche 1* 4 Plücker eine sehr eigenthümliche Stellung in der Wissenschaft einnimmt. Einem an der Universitåt entstandenen Bedürfnisse Folge leistend, über- nahm er neben seiner mathematischen Professur physikalische Vorlesun- gen, und es wurde ihm, zunächst provisorisch sodann definitiv, auch die Professur der Physik übertragen. Noch bis 1840 fuhr Plücker fort, un- ermüdlich geometrisch zu arbeiten. Nach einer bei einem so rastlosen Geiste auffallenden Pause erschien erst wieder 1846 ein Zeichen seiner Thätigkeit, mit welchem zunächst seine Beschäftigung mit der Geometrie abschloss. Von da an gehörte er durchaus der Physik an, und arbeitete in derselben mit ähnlicher Kraft und Frische, wie früher in der Geome- trie. Erst in den letzten Jahren seines Lebens wandte er sich wieder derjenigen Wissenschaft zu, die den Bestrebungen seiner jüngern Jahre so mannigfache Fortschritte verdankte. In der Ausführung eines Wer- kes begriffen, welches der geometrischen Anschauung principiell ein neues und ausgedehntes Gebiet eröffnete, starb er am 22. Mai 1868. Ehe ich zur genaueren Besprechung von Plückers geometrischen Leistungen übergehe, mag es mir vergönnt sein, auch seine physikalische Thätigkeit mit wenigen Worten zu berühren*. Ein Blick auf diese scheinbar heterogene Seite seines Wirkens führt auch manche Klärung in der Auffassung seiner geometrischen Richtung herbei, und bietet Gelegenheit zu interessanten Vergleichen. Es war vorzugsweise in England, wo Plückers physikalische Thätig- keit Anerkennung fand**). In der That erkennt man leicht, dass die Art seiner Forschung derjenigen vorzugsweise nahe stand, welche Fara- day und die sich ihm anschliessenden englischen Physiker übten, und man darf wohl nicht mit Unrecht Faraday ‚ dem Plücker in der Zeit seiner physikalischen Thätigkeit durch mannigfache Beziehungen ver- *) Eine genauere Darlegung von Plückers physikalischen Arbeiten, welche ich Herrn Professor Hittorf verdanke, folgt in einer Note am Schluss, worauf hier gleich verwiesen werden mag. *) Wie überhaupt gerade in England Plückers Leistungen hochgeschätzt wur- den, beweist die im Jahre 1867 erfolgte Verleihung der Copley-Medaille. 5 bunden war, auch als sein Vorbild betrachten. Wie die Untersuchungen Faradays sind auch die Plückers wesentlich qualitativer Natur. Nicht sowohl die genauere numerische Bestimmung einzelner Vorgänge, als die Mannigfaltigkeit der Erscheinungen überhaupt war es, welche ihn interessirte. Mit rastlosem Eifer und scharfem Blicke ausgerüstet, ver- mochte er manche neue Erscheinungsclassen zu erfassen, und wandte er sich mit Vorliebe noch völlig unerforschten Gebieten zu. So wird der Diamagnetismus, der Magnetismus der Krystalle, die Entladung der Electrieität im luftverdünnten Raume, die Spectralanalyse der Gase mit seinem Namen verknüpft bleiben. Es ist vielfach auffallend gewesen, dass Plücker, ursprünglich von der Mathematik ausgehend, in der Physik nicht gleichfalls die mathema- tische Seite angebaut hat. In der That hat er die Physik wesentlich von ihrer experimentellen Seite erfasst, und ist in keiner Weise das ge- wesen, was man einen mathematischen Physiker nennt. In einer Zeit, wo die Fortschritte, welche aus der Anwendung molekular-physikalischer Hypothesen in den verschiedensten Zweigen der mathematischen Physik hervorgegangen, noch in frischem Andenken standen, blieben ihm mole- kular-theoretische Ansichten überhaupt fremd. Der Analyse bediente er sich nur, um das Gestaltliche der physikalischen Verhältnisse rein hervorheben und einfach mit Bekanntem in Zusammenhang bringen zu können; eine Anwendung der Mathematik auf physikalische Gegen- stände, welche, förderlich und interessant, wie sie ist, gänzlich fern liegt den Versuchen der mathematischen Speculation, physikalische Disciplinen von einfachen Hypothesen ausgehend durch reine Analyse aprioristisch zu begründen. Wenn man tiefer in das Wesen von Plückers Thätigkeit eindringt, so ersieht man, dass das Besondere seines physikalischen Strebens mit den Eigenthümlichkeiten seines mathematischen Schaffens auf eine ge- meinsame Quelle zurückführt. Plücker war eine wesentlich und eminent productive Natur. Seine ganze Denkweise, mehr producirend als ana- Iysirend, gewährte ihm die volle Freude an dem Reichthum neuer Ge- stalten und Gebilde, welche die Fruchtbarkeit seiner Phantasie uner- 6 schöpflich ihm zuführte. Und wie die Freude an der Gestalt im höheren Sinne es ist, welche den Geometer macht, so war sie auch die Quelle seiner physikalischen Untersuchungen. Die ganze Art seiner Arbeiten in Physik und Mathematik war hierdurch zu einer bestimmten Weise gedrängt, welche umsomehr hervorgehoben werden mag, als sie nicht nur für Plücker, sondern für eine ganze grosse und wichtige Seite wis- senschaftlicher Forschung characteristisch ist. Es kann die Forschung von bestimmten Problemen ausgehen, deren Wichtigkeit sie erkannt hat, deren Lösung mit allen Kräften mehr oder weniger direct angestrebt wird. Aber ebenso berechtigt ist die andere Art der Forschung, welche sich nur das Gebiet ihrer Thätigkeit wählt, in diesem aber freie Um- schau hält, und, entgegengesetzt der ersten, nach Problemen späht, deren Lösung sich ermögliche. Ueber den relativen Werth dieser Forschungs- methoden werden verschiedene Individualitäten immer verschiedener An- sicht sein. Wenn die erstere zu grösserer Vertiefung führen kann, so ist sie auch der Unfruchtbarkeit nur zu leicht ausgesetzt. Der andern schuldet man Dank für die Erwerbung grosser und neuer Gebiete; wo- bei denn im Einzelnen Vieles der erstern Methode zu ergründen und zu begrenzen verbleiben mag. Nach dem Obigen wird man leicht einsehen, dass es die zweite Weise der Forschung war, welche Plücker consequent und mit Bewusstsein übte, welcher er den Umfang und die Mannigfal- tigkeit seiner Resultate verdankt. Man kann nicht verkennen, dass diese Art seiner geistigen Anlage und Richtung zugleich die Grösse wie die Begrenzung auch seiner geo- metrischen Thätigkeit begründet. Keiner, selbst der ihm in vieler Be- ziehung verwandte Steiner, ist reicher an Anregungen, an neuen Ge- sichtspuncten, an bisher unbekannten Gegenständen und Hülfsmitteln der geometrischen Speculation. Die Fülle seiner neuen Anschauungen und Erfahrungen drängte ihn sofort zu ausführlichen Darlegungen, wo- von sechs grössere geometrische Werke Zeugniss ablegen. Aber nicht immer vermochte er die sich ihm aufdrängende Fluth von Erscheinungen völlig zu beherrschen; und so machen häufig die kurzen und knappen | en, durch welche er in Journalen gelegentlich dem Publikum 7 den Kern seiner Entdeckungen bekannt machte, einen organischeren und fertigeren Eindruck als jene grossen und ausführlichen Werke. So verführte ihn die Leichtigkeit seiner Production bisweilen zu Irrthümern, welche nur der ungeschehen wünschen kann, der nicht die ihnen mit den grössten Vorzügen gemeinsame Quelle erkennt; Irrthümer, welche ohnedies der Verlauf der Wissenschaft niemals verfehlt, bald zu berichtigen. Wer, wie ich selbst, Gelegenheit hatte, Plücker während reger geometrischer Production zu kennen und an der Entwicklung seiner Ideen Theil nehmen zu dürfen, erstaunte über den Reichthum und die Mannigfaltigkeit derselben. Man wird sich nicht wundern dürfen, wenn sie auch ihm bisweilen zu mächtig wurden, und die gleichsam durch Intuition schnell erworbenen Resultate in einigen einzelnen Fällen die Probe der ruhigen Untersuchung nicht bestanden. In genauem Zusammenhange hiermit steht der Umstand, dass Plücker die gleichzeitige Literatur verhältnissmässig wenig berücksichtigte. So konnte es in einzelnen Fällen geschehen, dass ihm Untersuchungen Anderer, welche zu den seinigen in Beziehung standen, unbekannt blie- ben, und dass er zuweilen von neuem fand und als das seinige betrach- tete, was Andere vor ihm bereits ausgesprochen hatten. Er durfte sich damit trösten, dass öfter das entgegengesetzte geschah, und andre Geo- meter sich Entdeckungen zuschrieben, welche Plücker längst vor ihnen gemacht. Die Darstellung von Plückers geometrischer Thätigkeit bietet einen Vorzug, welcher bei Nekrologen nur selten auftritt. Der grösste Theil seines geometrischen Wirkens gehört bereits der Geschichte an, und hat reichlich Frucht getragen, an der man Stamm und Wurzel erkennen mag. Bereits ein Vierteljahrhundert ist verflossen, seitdem vor der ent- schiedenen Wendung zur Physik seine letzte Arbeit erschien. Nur die verhältnissmässig kurze Zeit, in welcher er der Geometrie sich abermals zuwandte, ist uns ganz nahe gerückt; und auch für diese Thätigkeit lie- gen die Keime in den Untersuchungen der frähern Periode. Freilich bedingt der erwähnte Umstand einen zweiten, um dessen willen Plückers Arbeiten nicht mehr soviel gelesen werden, als sie nach 8 Inhalt und Methode es verdienen. Die analytische Gestalt, in welcher seine Untersuchungen auftreten, besitzt oft noch nicht jene der Natur der algebraischen Probleme angepasste elegante Form, an welche wir, insbesondere seit Hesse, gewöhnt sind. Plückers Rechnungen tragen zum Theil auffallend den Stempel des blossen Hülfsmittels für die Dar- legung geometrischer Verhältnisse. Dass die algebraischen Zusammen- hänge für sich ein inneres Interesse haben, und eine adäquate Darstel- lung erfordern, konnte erst einer Generation zum Bewusstsein gelangen, welche sich der, grossentheils von Plücker selbst, neu erworbenen Ge- bilde und Methoden gewohnheitsmässig bediente. ©... Aber es kann andrerseits nicht genug hervorgehoben werden, welche Verdienste Plücker sich dadurch erworben hat, dass er zuerst ein spe- cifisch geometrisches Gebiet, und zwar eines, welches vollständig der synthetischen Richtung der Geometrie anzugehören schien, consequent in ein analytisches Gewand zu kleiden unternahm. Es wurde hierdurch sowohl der Grund für die klassischen Untersuchungen von Hesse gelegt, wie für die ganze Disciplin der neuern Algebra, und die weitverzweigten geometrisch-algebraischen Untersuchungen, welche damit in Zusammen- hang stehen. Für die Zeit, in welcher Plücker mit seinen Arbeiten her- vortrat, war es ausserdem ein wesentliches Moment, dass gewisse Begriffe, deren die synthetische Geometrie sich noch nicht vollständig hatte be- mächtigen können, in analytischem Gewande zuerst völlig deutlich zu machen waren. Ich rechne dahin den Begriff der allgemeinen Curven und Oberflächen, welcher auf rein synthetischem W ege erst viel später durch Grassmanns tiefsinnige Arbeiten erschlossen wurde*) (1844, Aus- dehnungslehre). _Dahin rechne ich ferner das Imaginäre, welches in einer *) Leider sind die schönen Arbeiten dieses höchst bedeutenden Geometers noch immer wenig gekannt; was wohl hauptsächlich dem Umstande zuzuschreiben ist, dass in der Darstellung Grassmanns diese geometrischen Resultate als Corollare viel allgemeinerer und sehr abstracter Untersuchungen auftreten, die in ihrer unge- wöhnlichen Form dem Leser nicht unerhebliche Schwierigkeiten bereiten. H gewissen mysteriösen.‚Weise; in: der; ‚Geometrie ‚sich ‚unaufhörlich ‚bemerken Less, und erst in der; Identität.der: synthetischen Grundoperationen mit ge, wissen einfachen, algebraischen Verfahrungsweisen ‚auf eine ‚einfache und nothwendige Art Erklärung, seines ‚Auftretens und, seiner Stellung fand *); Auch (dieses ‚wurde, erst viel ‚später,; durch v. Staudt, der rin, sieh schen Methode in strenger, Weise zugänglich gemacht. / Indem , sich ‚die analytische Geometrie auf solche Weise mit einem wë und, aus der Natur ihres;Wesens entspringenden Inhalte erfüllte, hat sie sich schliesslich als, F undament auch; anderer, scheinbar ganz hete- rogener/;Gebiete, enthüllt, und, damit, eine immer grössere Bedeutung für die, Gesammtheit der mathematischen Disciplinen; erhalten, Es, war einer neueren, Entwicklung, die ‚Einsicht vorbehalten, , dass schliesslich. die al- gebraischen ; Funetionen. die,einzigen völlig ‚begriffenen sind, alle wichti- gen ‚übrigens ‚betrachteten Funetionen dem, Boden ‚der A høl entspries- sen,, und, dass, selbst ‚die, Abelschen Functionen, nur Ausflüsse der Ber trachtungen sind,., auf welche die ‚Vptersashnng der derer Curve gege hat. iha Wie Am SÉ die nich, Zustände in Deathiin ` in = ersten Decennien ‚dieses Jahrhunderts, geschildert wurden, war, der Anschluss geometrischer Forschung an die, Untersuchungen französischer Mathematiker ‚mit ` Nothwendigkeit, gegeben. ,, Wir, müssen in, unserer Darstellung, hier, ‚der, Verständlichkeit ‚wegen , etwas weiter, ‚zurückgreifen, Bei der Wiederbelebung geometriseher Speculation ` im, 16. Jahrhundert waren‘; e zunächst, ‚die ‚Alten „í, an „welche, man wieder, anknüpfte;. „und es bedurfte ‚einiger Zeit, ehe; man im, Stande, ‚war, ‚nach geometrischer Seite), ‚über. ‚sie, ,hinauszug« ehen. Bn Einzelheiten abgesehen, waren es vor ‚Allen, ‚Desargues, und, Pascal, deren ‚geometrische Arbeiten ‚eine ` neue und selbstständige ‚Wendung, anzeigten; eine Wendung ‚welche Be der heutigen „Form, der. ‚synthetischen, ‚Geometrie zu ‚führen. ‚bestimmt war. Die. Grundlagen. ‚dieser Untersuehungen, ‚waren zwar. den spätern ‚Epochen der, antiken Geometrie nicht. BER, fremd,, hatten aber, doch im Alter- N "et" "Man vergleiche die 'Auseirandersetzung,’ "welcher Plücker in: der Norrödd des D tion} Entwiekelun ‘gesehen hat : d area V 8-07 S iii) 2 zweiten Bandes der '»Analytisch-g 10 thume eine entschiedene und principielle selbstständige Entwicklung nicht finden können. Das Ende des 17. und der grössere Theil des 18. Jahrhun- derts hatte andre Aufgaben zu lösen, welche diese Zeit vollauf beschäftigten. Denn es war zunächst das rein Technische der Cartesischen analytischen Geometrie zu entwickeln; sodann aber trat neben der Differential- und Integralrechnung die Entwicklung der Mechanik in den Vordergrund, - welcher in jener Zeit grossentheils die Rolle der anschauungsmässigen Mathematik zufiel, die in andern Epochen durch geometrische Speculation vertreten wurde. Aber am Ende des vorigen Jahrhunderts finden wir Carnot unmittelbar an jene ältern Geometer anknüpfend. Bei ihm tritt das Bestreben, Lagenverhältnisse allein zu betrachten und alles Metrische auszuscheiden, noch nicht so rein hervor, wie später bei Poncelet und Andern, ein Bestreben, welches endlich zur Auflösung des Metrischen in projectivische Begriffe führen sollte; doch erkennt man leicht den halb un- bewussten Zug, welcher demjenigen entgegentreibt, was wir heute unter projectivischer Geometrie verstehen; ein Name, der besser als die nur auf die Form der Darstellung bezüglichen Namen der synthetischen und der analytischen Geometrie das Wesen der Sache und den Gesichtspunct be- zeichnet, unter welchem thatsächlich diese beiden früher gesonderten Disciplinen sich vereinigt haben. Auf die weitere Entwicklung der Geometrie hat niemand mehr Einfluss gehabt, als Monge. Er verstand es, geometrisches Interesse überhaupt in weitern Kreisen zu wecken; seine Untersuchungen über die Anwendung der Geometrie auf Gegenstände der Analysis zeigte die Frucht- barkeit dieser lange vernachlässigten Disciplin auch bezüglich scheinbar ganz heterogener Gebiete. Seine Schüler, ganz erfüllt von wahrhaft ge- ometrischem Sinne, vermochten es, die neuen Gedanken in principieller Weise zu erfassen und umzugestalten. Während ein Theil derselben sich in Monge’s Sinne der Anwendung der Analysis auf gewisse me- trische Probleme zuwandte, verfolgten andere rein projectivische Betrach- tungen. Aus diesen sollte sich jener Character des Organischen ent- wickeln, welcher die neuere Geometrie auszeichnet, und sie als so ganz verschieden von der Geometrie der Alten erscheinen lässt. LI Es war Poncelet*), welcher zuerst eine projectivische Geometrie schuf, welche der jetzigen Gestalt der Geometrie sehr nahe kommt. Bei ihm treten die reinen Lagenverhältnisse als solche deutlich hervor; ein gros- ses und für die Gestaltung der Wissenschaft fundamentales Princip, das der Dualität, wurde von Poncelet und Gergonne, in Wetteifer und Streit, gegründet, beleuchtet und seinem wahren Ausdrucke entgegengeführt. Ueberhaupt finden sich bei Poncelet schon die meisten derjenigen Mo- mente vor, welche später zu den principiellen Grundlagen der Geometrie gemacht wurden, nur nicht schon als Principien hervorgehoben; so der Begriff des Doppelverhältnisses, der Verwandtschaft. Selbst eine höhere Verwandtschaft, die quadratische, findet sich schon bei diesem ausge- zeichneten Geometer angedeutet, wenn auch ohne Bewusstsein des all- gemeinen gedanklichen Inhalts (Traité des propriétés projectives, erste Ausgabe, 1822, p. 198, n. 370). Die Ideen, welche Plücker in seiner ersten grössern Schrift (Analy- tisch-geometrische Entwickelungen, 1. Theil, 1828, dem Datum der Vor- rede nach im September 1827 beendet) entwickelt, knüpfen seiner eigenen Angabe nach an die eleganten Methoden an, vermöge deren Gergonne (Band VII seiner Annalen) die bekannten Berührungsaufgaben der Kreise behandelt hatte. Aus Gergonne’s Methoden entsprang Plückers neues Hülfsmittel, welches er zunächst für die Behandlung linearer Glei- chung als neues Princip einführte, die Methode der abgekürzten Bezeichnung. Er behandelte mit Hülfe derselben in dem erwähnten Bande die Theorie der geraden Linie, des Kreises und der Kegelschnitte. Diese Methode, soweit sie in dem genannten ersten Plückerschen Werke entwickelt ist, wurde fast gleichzeitig von Bobillier gefunden und dargestellt **) (Gergonne Annales Bd. 18, 1827—28, p. 320), ein Um- *) Traité des propriétés projecetives des Figures 1822; sur la theorie des sur- faces réciproques, Gergonne Annales VIII, 1817—18, Crelle Bd. IV, 1829; sur les centres moyennes harmoniques, Crelle Bd. III, 1828, etc. *) Hiernach sind Angaben von Bertrand (Sur les travaux math. et phys. de M. Plücker, Journal des Savants, 1867) und Paul Serret (Vorrede zu seiner Geometrie de direction, 1869) zu berichtigen. az 12 stand, ‘durch welchen ihre Zeitgemässheit hihlänglich gekennzeichnet wird. Auch dieser talentvolle" junge Geömeter scheint: die Absicht gehabt zu haben, die Methode" weiter zu "entwickeln, "woran ein frühzeitiger Tod ihn verhinderte. "Dagegen könnte Plücker an der allmäligen Ausdehnung und Erweiterung der Methode arbeiten) opd dieselbe anch als Grundläge für die Behandlung mannigfacher höherer Probleme benützen. "Auf diese Weise entstand ` jenes "eigenthti mliche Verfahren‘, die’ Gleichung eines "Gebildes aus 'abgekürzten Ausdrücken züsämmenzüsetzen "und dann mm dieser Form der Gleichung; zu lesen, wovon Plücker uhter"anderm in der Theorie’ der Curven dritter Ordning "so schöne Anwendungen gè- geben hat. "Diese Methode, welche übrigens mit der weiterhin on bè- sprechenden. Methode der "Cöhstähtenabzä ählung ' aufs’ Genäueste 'Züsam- “menhängt, ist jetzt Jähgst "Gemeingut aller“ Geöineter'' geworden ‚und man hat alle Ursache sich ihres Urhebers mit Dok zu erinhern! = Um die Zeit, in welcher der erste Band der , TT Entwickelüngen“ erschien, würde Plütker in’ den Streit von Gergonne ünd Poncelet über das Princip der Duüalität verwickelt,’ was ihm Veranlas- "sung zur Klärung dieser fundämientälen Verhältnisse únd zur’ ee eines der wichtigsten Hülfsmittel''der "analytischen Geometrie Wurde: ee Theorie von Por" und Polate | in Bezug auf einen 'Kegelschnitt führte Poncelet zu "einer "Methode, vermöge derer‘ aus gewissen Classen von Sätzen’ in der Ebene immer andere‘, ` parallele; ' abgeleitet werden konnten, indem“ màn núr in dóm Aüsdrück&’der ersten Sätze gewisse ein für alle Male feststehende’ Vertäuschüngen: vornahm. ` Es’ berulite dies darauf, dass durch den Kegelschhitt selbst jedem’ Puhcte eine Ge- rade und umgekehrt zugeordäiet ` war. "Hätte man nu einen Satz; welcher rein auf Lagenverhältnisse Bezügliches ` aussagte, ünd dessen Ausdruck sich daher in -eine Form fassen. Iess, . bei. welchem nur, vom ‚Schneiden ‘gerader Linien “tind vom “Verbinden von ` Puncten. die Rede .war ,.. folgte von selbst ein zweiter, bei welchem dem 'erstern- gegenüber: nur ‚immer, Punct und Gerade , ee und ea u _ver-" tauscht waren. i In gleicher Weise erlaubte für den Raum diè Theorie von ` Pál und” Pölare"in Bezug auf eine Fläche zweiter "Ordnung, aus Sätzen über ‘die Lage andre abzuleiten, indem man Punet mit Ebene. die Ver- bitidungslinie zweier Puncte mit der'Schnittlinie zweier‘ Ebenen, ` den ‚Schnittpunet dreier Ebenen’ mit “der er »dreier Vasen vertauschte.. HGergoónne fasste ‘den’ kiedureh See VERTRETEN sviðið ‘Pünct’und 'Geradë''in' der Ebene, en wie den entsprechenden zwischen Pünetund' Ebene im Raume’ mehr an und für sich ins“ Auge, opd ver: suchte denselben unabhängig von der- Einführung‘ des Kegelschnittes Kitizustellen ` durch welchen bei Doncelet dieser Gegensatz vermittelt ‚wurde. ` Aber hierbei verflüchtigte sich in’ etwas die feste- Begründung ‘des°Prineips/ und es erschien fast als ein (geheimnissvölles, freilich: sehr ümfassefides"philosophisches Axiom, was früher: ein fruchtbarer: Satz ans "der "Theorie der = und es Flächen zweiter Ordini gewesen war: Ee gelang Plü cker, dieses Cen in einer: Weit ` zu nn bei welcher nur nothweı dee Elemente benutzt'wurdem; and ene wirk- Jliehe Einsicht in das "Wegen der Sache erreicht ward, Dies geschah, iidem er voi voti ? herein Punct and Gerade als sieichbe: rechtigte Grundelemente der Geometrie der Ebene, Punet und Ebene als gleichberechtigte »Grundelemente der Geometrie des Banmes betrachteie: "ein fundamentaler und ‚weitträgender Gedanke, ` bet welchem zum ersten Male von der gewohn- Heitsmässigen Vorstellung des Punctes' als emzig denkbaren Grondelements räumlicher Gebilde en Bunt p würde, Dicker untersuchte nun, welche Bestir stück iger Weise als» Go ord in ate n der ‚Geraden’in: gen Ebene: ER der Eben eim: Räume: EE werden ` mgssten. "Nachdem ` dieser ` Begriff festgestellt: wat, zeigte «sich das Poncelet-Gergon ne’schePrincip)als’-selbstverständlich. 29 dem einen Umstande enthalten, dass die Bedingung der vereinigten Lage von Punct’ und Gerade ih der Ebene, sowie für Punet und Ebene im Baume eine für die Coordinaten “der jedesmal ' "auftretenden beiden Gebilde "symmetrische Gestalt hat. 14 Von diesem Ausgangspuncte aus nahm nun die Geometrie völlig jenen dualen Character an, welchen Gergonne ihr mit Vorliebe vindicirt hatte. Gergonne’s Begriff der Classe fand in der Gleichung einer Curve in Liniencoordinaten, einer Fläche in Ebenencoordinaten seinen realen Ausdruck; die Darstellung des Punctes als einer Art von Curven, bez. Flächen, die Darstellung einer Raumcurve als einer Art von Flächen, welche den abwickelbaren dualistisch gegenüber trat, eröffnete einen Spielraum für neue Ideen und ist der geometrischen Gesammtanschau- ung höchst förderlich geworden. Die besondere Art, in welcher Poncelet jeden Punkt einer Ebene einer gewissen Geraden mittelst eines Kegelschnitts zugeordnet hatte, konnte Plücker durch eine allgemeinere ersetzen, welche wir heute als reciproke lineare Verwandtschaft bezeichnen. Auch diese freilich er- schien ihm, wie er im zweiten Bande der ‚Entwicklungen‘ erwähnt, als sehr besonderer Fall ein höchst allgemeinen Verwandtschaft mit sehr willkürlichem Wechsel des Raumelements. Es können nach dieser ver- möge einer „aequatio directrix“ den Puncten der Ebene Curven beliebi- ‚ger Ordnung entsprechen (analytisch geometrische Entwicklungen Bd. 2 p. 251), eine Vorstellung, an welche erst in neuester Zeit wieder ange- knüpft ist. Ich habe diese Untersuchungen, welche den Zeitraum von 1827—30 umfassen (die Vorrede des zweiten Bandes der „Entwickelungen“ ist vom Herbst 1830 datirt), dargestellt, wie sie bei Plücker entstanden sind, ohne darauf einzugehen, dass Möbius einen Theil derselben bereits in seinem „Barycentrischen Calcul“ (1827) anticipirt hatte. In diesem nie- mals genug zu bewundernden Werke, in welchen eine grosse Anzahl von Fundamentalbegriffen der Geometrie zuerst ausgesprochen waren *), hatte Möbius die Collineation wie die reciproke lineare Verwandtschaft bereits vollständig behandelt; und indem ihn die letztere auf das Princip *) Ich führe nur an: die principielle Einführung der Doppelverhältnisse, die homogenen Coordinaten, den Begriff der Verwandtschaften, die Betrachtung von Cur- ven und Flächen, deren Coordinaten rational durch Parameter ausdrückbar sind etc. 15 der Dualität führt, beweist er dasselbe genau wie später Plücker durch die Symmetrie der Gleichung, welche die vereinigte Lage dualistisch entgegengesetzter Elemente angiebt (Baryc. Calcul p. 436). Es fehlt bei Möbius nur der Begriff der Linien- bez. Ebenencoordinaten, so dass die Beweisführung minder durchsichtig wird. Es scheint dass Möbius’ Werk Plücker nicht so bald bekannt wurde oder wenigstens, dass es nicht unmittelbar auf ihn wirkte. Vielleicht darf man es der anspruchslosen Form zuschreiben, in welcher Möbius seine tiefen und neuen Gedanken veröffentlichte, dass ihr Inhalt und ihre Bedeu- tung gewöhnlich erst erfasst wurde, wenn andre Geometer der Reihe nach auf die von Möbius behandelten Momente durch die zwingende Nothwendigkeit des natürlichen Fortschritts der Wissenschaft geführt wurden. So sind einige der Möbius’schen Grundgedanken zugleich die von Steiners geometrischen Gestalten (1832), und drangen von dort aus, wo sie mehr organisch und systematisch fortentwickelt waren, in weitere Kreise hinüber; noch mehr wurden sie allgemein erfasst, als später Chasles in seinem Apergu historique (1837) dieselben Begriffe nochmals aufstellte, auf die er, der deutschen Sprache unkundig, aufs neue selbst- ständig gekommen war. Anderes, wie insbesondere den Begriff der ra- tionalen Curven und Flächen, seiner Bedeutung nach zu erkennen, blieb der neuesten Zeit vorbehalten. Der einzige Fall, in welchem Plücker auf eine höhere Verwandt- schaft einging, war derjenige den wir jetzt als quadratische bezeich- nen, und deren bereits oben bei Erwähnung Poncelets gedacht wurde. Auch hier zeigt sich wieder, wie wichtigere Untersuchungen so häufig von Verschiedenen gleichzeitig begonnen werden. Auf die kurzen Bemer- kungen Plückers (Crelle’'s Journal Bd. 5, 1829) bezieht sich der ihm per- sönlich befreundete Magnus, als er im 8. Bande von Crelle’s Journal (1831) den Gegenstand, auf welchen auch er selbständig geführt war, ausführlich behandelte; wie denn eigentlich Magnus wohl als Begründer dieser analytischen Theorie bezeichnet werden darf. Zugleich beschäftigte sich Steiner mit dem Gegenstande, wie aus einer Reclamation dieses grossen Geometers hervorgeht, welcher sich reich genug hätte fühlen können, 16 vm dergleichen doch schliesslich müssige Kämpfe- um- Prioritäten renta behren zu, dürfen (eg) das Ende der Vortede. zu seinen „Systematischen Entwicklungen“ 1832):.,, Unter, diese; Verwandtschaft: fällt ‚auch. als.be- sonderer Fall die: von-M:öbius, später ‚ausführlich und aus andern Ge- ‚ sichtspuünicten behandelte Kreisverwandtschaft,‚die-Plücker im LL Bande von; Crelle’s Journal; (p. 219,..1834,. datt von 1831) erwähnt, hatte, Bei Maenus Dnden sich ‚übrigens bereits, Ansätze zu einer ‚allgemeineren Auffassung des ‚eindeutigen Entsprechens zweier. ELienen, als, deren Fort, setzung später die schönen Arbeiten Cremona's ee keier BET in alleemeinster Weise ‚erledigten. Zaagleiehl, mit den ;Liniencoordimaten führte: Plücker ein "Eë Halfsmittel in die: Geometrie ein, dessen Anwendung ebenso folgenreich würde.'s/ Es waren dieses die sogenannten Dreiecks- (bez.;Tetraeder-) Coordinaten»(Crelle's Journal Bd.‘ 8. 19201. Mit Hülfe dieser ; Coor- dinaten konnte.Plücker unter: Benutzung des Fundamentaltheorems der homogenen Functionen: insbesondere den ‚Gleichungen, der Tangente ;und des :Berührungspünctes,.ihre “endgültige Form. geben ` mit ihrer Halte entwickelte. er; aufs jeinfachstei.die ‚Eigenschaften der Polaren *)..,; Auch hier- kann. mán „wieder, Möbius,; als denjenigen bezeichnen, welcher den neuen Begriff. zuerst. und zwar. vor. Plücker,. gehabt hat. Denn Möbius barycentrische Coordinaten (deren, später Grassmann, Hamilton und.Andere sich bedient. haben) ` sind, mm Grunde; keine andern; nur wird dorch die aus der Mechanik ‚geschöpfte Art. der Entstehung, der Begriff etwas verdeckt, ‚und Anwendungen im Sinne der Theorie homo- generi Funetionen Geten bei Möbius wesentlich deswegen nicht ein, weil: bei ihm nicht die Gleichung, der Curve, sondern die Darstellung der Coordinaten durch einen: Parameter die Grundvorstellung. bildet, ` 14) "Der Begriff der Polaren der verschiedenen! Ordnungen. ` fndet:0sich) wohl zuerst, mit den unendlich fernen Punct der Y-Axe als Pol; bei Cramer (1750) ,.der sie Diameter nennt, wie, Newton bezüglich, der linearen Polare gethan hatte; die Be zeichnung. der ganzen Reihe als erste, zweite etc: Polare stammt ‚von ‚Bobillier ber (Gergonne Annalen D. 18 und 19). 17 Der Zusammenhang, welcher durch die Einführung dieser Coordi- naten zwischen der Theorie der algebraischen Curven und der Theorie der homogenen Functionen hergestellt war, ist von Plücker nicht über die nächsten Anwendungen hin ausgebeutet worden. Erst Hesse that diejenigen Schritte, welche zu der jetzigen neuern Algebra hinüberleite- ten, und die Theorie der algebraisch-geometrischen Gebilde als ein Ca- pitel dieser Disciplin erscheinen liessen. Uebrigens bedient sich auch Hesse noch vielfach, wie Plücker meistens, nur des besondern Falles homogener Coordinaten, in welchem zwei der Veränderlichen die gewöhn- lichen Coordinaten bedeuten, die dritte aber den Werth 1: darstellt. Ein Gegenstand, welcher bereits in den „Analytisch-geometrischen Entwickelungen‘‘ wenn auch nur beiläufig behandelt wurde, ist das so- genannte Cramersche Paradoxon. ` In dem ausgezeichneten Werke Cramers (Introduction a l'analyse des lignes courbes alg&briques, 1750), welches neben andern sehr bemerkenswerthen Untersuchungen zum Bei- spiele auch die erste eingehende Discussion höherer singulärer Puncte einer Curve enthält*), findet man auch eine genauere Besprechung eines auf- fallenden Umstandes, welcher bezüglich der Durchschnittspunkte zweier algebraischer Curven eintritt. Wenn von den Durchschnittspuncten sol- cher Curven eine gewisse Zahl bestimmt ist, so ist der Rest damit von selbst bestimmt, ohne dass umgekehrt die Curven selbst durch diese Puncte bestimmt wären. Diese Erscheinung war schon Euler aufge- fallen, welcher sie 1748 in einem kleinen Aufsatze besprach, der indessen Cramer unbekannt geblieben zu sein scheint. Es dauerte einige Zeit, bis dieses sogenannte Paradoxon seiner wahren Bedeutung nach, nämlich als Quelle von Sätzen, erkannt wurde. Lame gab in Bezug darauf den be- sondern Satz, dass durch die n? Schnittpuncte zweier Curven »nterOrdnung sich unendlich viele solcher Curven legen lassen, und begründete damit den Begriff des Curvenbüschels (Examen des différentes méthodes employées +) So findet sich bei Cramer schon die später von Puiseux gegebene Regel, nach welcher man diejenigen Gliedergruppen der Curvengleichung bildet, welche in einem singulären Puncte von gleicher Ordnung werden können. 3 18 pour résondre les problèmes de géometrie, 1818). Allgemeiner schon ist der von Gergonne (Annales Bd. 17, 1827) gegebene Satz, nach welchem von den Schnittpuncten zweier Curven (p+g)ter Ordnung, sobald eine gewisse Zahl auf einer Curve pter Ordnung liegt, der Rest auf einer Curve gter Ordnung liegen muss. Weitere Sätze, die schliesslich den ganzen Inhalt des Paradoxons darlegten, wurden erst möglich, indem man die eine Curve, als beweglich, der andern, fest gegebenen, gegen- überstellte, Diesen Schritt that Plücker schon im ersten Bande der analytisch- geometrischen Entwicklungen (vgl. auch Gergonne’s Annalen Band 19, 1828—29). Er gab an, wie viele Puncte man auf einer Curve annehmen müsse, so dass durch dieselben Curven der gleichen Ordnung gelegt werden können; die Zahl derselben ist unendlich gross, und alle schneiden die gegebene noch in lauter weitern gemeinschaftlichen festen Puncten. Auch führte Plücker bereits aus, wie dieser Satz sich auf Flächenbüschel und Flächenbündel überträgt (Gergonne’s Annalen Bd. 19), Gebilde, deren Begriff durch Lam&’s oben angeführte Schrift gegeben war. Eine Ausdehnung dieser Sätze auf Curven und Oberflächen un- gleicher Ordnung gab Jacobi in Crelles Journal Bd. 15, 1836, merk- würdiger Weise ohne Cramer, Gergonne, Plücker zu nennen; Jacobi eitirt nur Euler. Nach Plückers Angabe (Theorie der alge- braischen Curven) gelangte mit Jacobi’s Abhandlung zugleich in die Hände Crelle’s der Aufsatz, in welchem Plücker dieselben Gegenstände behandelt, und welcher etwas später (Bd. 16) erschienen ist®). Ueber diese Abhandlung hinausgehend gab umfassendere Sätze über das Ver- halten der Curven in der Ebene Plücker in der „Theorie der algebrai- schen Curven‘“ (1839), und endlich Cayley, Cambridge Math. Journal Bd. 3, 1843, womit die algebraische Seite dieser Untersuchung als ab- geschlossen betrachtet werden konnte. Neue und überraschende Ge- sichtspuncte für die Frage ergaben sich in neuester Zeit, als es sich zeigte, dass diese Sätze über ebene Curven nur andre Ausdrucksformen des Abelschen Theorems seien. *) Diese Abhandlung Plückers enthält eine Unrichtigkeit, welche von Jacobi vermieden ist, und welche Plücker in seiner »&eometrie des Raumes« (1846) berichtigte. 19 Unter den schönen besondern Anwendungen, welche Plücker aus den Sätzen über Schnittpunctsysteme gezogen hat, erwähne ich nur eine, welche später von mehreren Geometern wieder gemacht ist, ohne dass man Plückers Priorität gekannt hätte. Sie betrifft den merkwürdigen und höchst unmittelbaren Beweis des Pascalschen Satzes, bei welchem der Kegelschnitt mit der Pascalschen Linie als Curve dritter Ordnung betrachtet wird, während das einbeschriebene Sechseck die Stelle zweier solcher Curven vertritt (Analytisch-geometrische Entwickelungen Bd. 1 p. 267 Note). Bað Ich habe schon erwähnt, dass Cramer zuerst die singulåren Puncte der algebraischen Curven genauer untersucht hat. Die Betrachtung der Singularitäten im Sinne der neuern Geometrie rührt von Poncelet her. Dieser zeigte, dass die Classe E einer Curve nter Ordnung, welche Ger- gonne seltsamer Weise für identisch mit ihrer Ordnung gehalten hatte, im Allgemeinen gleich n (n—l1) sei; und es ergab sich hieraus ein Para- doxon, dessen Lösung erst durch die Theorie der einfachen Singulari- täten möglich wurde. Wegen des Princips der Dualität würde die Ordnung n aus der Classe k ebenso gebildet werden müssen, wie umge- kehrt k aus n. Wollte man aber die Ordnung der Curve aus der ange- gebenen Grösse von k bilden, so würde man nicht wieder zu n zurück- gelangen, sondern eine viel grössere Zahl erhalten. Daher mussten Mo- mente vorhanden sein, welche bei diesen Operationen Erniedrigungen her- beiführten. Schon Poncelet erkannte, dass ein Doppelpunct die Classe um zwei, ein Rückkehrpunct sie um wenigstens drei, ein p-facher Punct mit lauter verschiedenen Tangenten sie um. Ti Einheiten erniedrige. Hier war es nun, wo Plücker eingrif Indem er einerseits die Zahl der Wendepuncte direct bestimmte, den Einfluss der Doppel- und Rückkehr- puncte berücksichtigte, und endlich das Princip der Dualität auf die erhaltenen Resultate anwandte, wurde er auf die berühmten Formeln für die Singularitäten der Curven geführt, welche seinen Namen führen, und welche das Poncelet'sche Paradoxon vollständig erledigen ; Formeln, welche bereits im Jahre 1854 Steiner als die ‚bekannten‘ ci- EE 20 tiren konnte, ohne jedoch Plückers Namen dabei irgendwie zu erwähnen. Plücker theilte seine Formeln zuerst in Crelles Journal Bd. 12 (Solu- tion d’une question fondamentale concernant la theorie generale des cour- bes, 1834) mit; eine weitere Ausführung und volle Dariegung der Theorie gab er in der: „Theorie der algebraischen Curven“, 1839. Bei der Beurtheilung der besondern singulären Puncte und Tan- genten, auf deren Berücksichtigung man sich zunächst beschränken durfte, spielt das Prineip der Dualität eine hervorragende Rolle. So wie Ord- nung und Classe einer ebenen Curve, so stehen Doppelpuncte und Dop- peltangenten, Rückkehrpuncte und Wendetangenten dem Begriffe nach dualistisch einander gegenüber. Es zeigt sich, dass diese vier einfachsten Singularitäten ein abgeschlossenes System bilden, insofern man alle höhern Singularitäten zunächst ausschliessen, und sich auf das Studium von Curven beschränken kann, welche keine höhere Singularitäten enthalten. Diese selbst aber auszuschliessen ist unmöglich; denn ausser den Kegel- schnitten giebt es keine algebraischen Curven ohne höhere Singulari- täten, welche zugleich der genannten völlig entbehrten. Auf die so umgränzte Gattung von Curven bezieht sich Plückers Untersuchung. Indem er, wie erwähnt, aus der Ordnung, der Zahl der Doppelpunete und der Zahl der Rückkehrpuncte die Classe und die An- zahl der Wendetangenten direct bestimmte, erhielt er durch das Princip der Dualität eine letzte Gleichung, und mit ihr eine indirecte Bestimmung für die Zahl der Doppeltangenten. Es scheint, dass Jacobi Plückers aus dem Principe der Dualität geschöpften Beweis nicht für hinreichend strenge hielt. Er bestimmte daher nochmals mittelst einer ausführlichen Untersuchung direct sowohl die Zahl der Doppeltangenten, wie die der Wendetangenten, übrigens nur für Curven ohne Doppel- und Rückkehrpuncte (Crelle Bd. 40, 1850). Indess hatte Cayley eine directe Ableitung dieser Bestimmung bereits 1847 gegeben (Crelles Journal Bd. 34). Es darf wohl hier gleich der Folgerungen gedacht werden, welche später von Cayley bezüglich der Raumcurven aus Plückers Gleichungen gezogen wurden. Es ist ferner an die merkwürdige Gestalt zu erinnern, 21 welche den Gleichungen Plückers durch Verbindung der geometrischen Untersuchungen mit der Theorie der Abelschen Functionen gegeben werden konnten, indem man als neue Singularität das Geschlecht der Curve hinzufügte. Durch den von Cayley eingeführten Begriff der Aequivalenz höherer singulärer Elemente mit einer gewissen Anzahl von niedern scheint der Anwendung dieser Formeln ein weiteres grosses Gebiet er- worben zu sein. In einzelnen Fällen war eine solche Aequivalenz Pon- celet und Plücker schon bekannt; die Untersuchungen nach dieser Richtung sind indessen auch jetzt noch keinesweges als abgeschlossen zu betrachten. Dasselbe gilt von dem durch Salmon und Cayley in Angriff genommenen Probleme, ähnliche Formeln für Flächen aufzu- suchen; eine Untersuchung, welche bei der Ausdehnung und Schwierig- keit des Gegenstandes, und bei den täglich sich noch mehrenden Erfah- rungen die Geometer wohl noch lange beschäftigen wird. Ehe Plücker zu einer vollständigen Entwicklung des Zusammen- hanges der Singularitäten gelangte, hatte er die Wendepuncte der Curven dritter Ordnung und die Theorie dieser Curven überhaupt ausführlich behandelt, und die betreffenden Untersuchungen in seinem „System der analytischen Geometrie“, 1835, niedergelegt. Insbesondere erscheinen dabei die Wendepuncte der Curven dritter Ordnung als der vollständige Durchschnitt der gegebenen Curve mit einer zweiten von gleicher Ordnung. Die allgemeine Untersuchung der Wendepuncte konnte Plücker auch noch später nicht so weit führen, dass das System der Wendepuncte als Schnittpunctsystem der Curve nter Ordnung mit einer Curve 3(n— Ster Ordnung rein hervortrat; ein Resultat, welches zu Hesse’s schönsten Entdeckungen gehört, und den Namen Hesse’s mit einer der wichtigsten Covarianten der ebenen Curven verknüpft hat. Dagegen entwickelte Plücker in der nähern Untersuchung der Curven dritter Ordnung, indem er zuerst die Zahl 9 ihrer Wendepuncte angeben konnte, aus dem schon von Maclaurin gefundenen Satze, nach welchem auf der Verbindungslinie zweier Wendepuncte immer noch ein dritter liegt, den Begriff der 12 Wendepunctslinien. Er konnte zeigen, dass von den Wendepuncten einer reellen Curve dritter Ordnung stets drei und nicht mehr als drei 22 reell sind; was später durch Möbius aus reinen Lagenbetrachtungen aufs neue abgeleitet wurde (Abh. der kgl. Sächs. Ges. der Wiss. Bd. 1, 1852). ‚Dagegen waren Plücker die vier Dreiecke noch unbekannt, zu welchen diese Geraden sich gruppiren. Indem Hesse diese fand (Crelles Journ. Bd. 23, 1844), vermochte derselbe die wahre algebraische Natur des Problems zu erschliessen. Es zeigte sich der wunderbare Character jener Classe algebraisch lösbarer Gleichungen 9. Grades, welche Hesses Namen führen, und für welche die Wendepuncte das erste Beispiel bil- den. Für dieses besondere Problem gab Hesse Form und Eigenschaften der zu lösenden Hilfsgleichungen an. Den Fortschritten der von Syl- vester, Cayley und Salmon geschaffenen neuern Algebra, und zwar insbesondere den schönen Entdeckungen Aronholds, war es vorbehal- ten, alle zu lösenden Gleichungen wirklich zu bilden, und damit das Problem zu erledigen, Die Untersuchungen, welche Plücker in seinem „System der ana- lytischen Geometrie“ ausserdem bezüglich der Curven dritter Ordnung anstellt, enthalten eine Fülle einzelner Resultate, wie z. B. bezüglich der sechspunctig berührenden Kegelschnitte; insbesondere aber eine Discus- sion der Gestalten der Curven dritter Ordnung. Diese Untersuchung wird mit Hülfe principieller Anwendung der Methode der abgekürzten Be- zeichnung in höchst geistreicher Weise geführt. Aber es scheint, dass das von Plücker gewählte Eintheilungsprincip kein glückliches war, in- sofern dabei die Zahl der zu unterscheidenden Gestalten sehr gross wird (219), und sich dieselben nicht übersichtlich gruppiren. Es ist vorzüglich die Betrachtung der Asymptoten, welche hier bei Plücker, wie bei den ältern Geometern (Newton, Euler, Cramer) in den Vordergrund tritt. Aber bei Plückers Eintheilung wird die Sache dadurch noch verwickel- ter gemacht, dass die Lage derjenigen Geraden mit in Betracht gezogen wird, auf der nach einem Satze von Poncelet die Asymptoten die Curve noch schneiden. Eine übersichtliche und einfache Gruppirung, welche im Wesentlichen mit Newtons Zurückführung der Gestalten auf Projectionen von fünf Parabeln zurückkommt, gab Salmon in seinem „Treatise on higher plane curves“ 1852, eine aus der Natur einfacher 23 Lagenverhältnisse entspringende Ableitung dieser Eintheilung Möbius in der schon angeführten Schrift aus demselben Jahre. Der Untersuchung der Asymptoten von Curven ist auch ein grosser Theil der „Theorie der algebraischen Curven“, 1839, gewidmet, wie Plücker denn schon im ersten Bande von Liouville’s Journal (1836) die Aufzählung der Arten von Curven 4. Ordnung nach der Natur ihrer unendlichen Aeste gegeben hatte. Für die heute vorherrschende Auf- fassung ist wichtiger die Eintheilung der Curven 4. Ordnung nach den bei ihnen möglichen Singularitäten, welche Plücker in dem genannten grössern Werke ebenfalls gab. Indem er ferner seine Formeln auf die Curven 4. Ordnung anwandte, konnte er zuerst die Zahl (28) der Doppeltangen- ten angeben, welche eine Curve 4. Ordnung ohne singuläre Puncte be- sitzt; und er erläuterte dieselben durch ein höchst glücklich gewähltes Beispiel, in welchem sie sämmtlich reell sein können. Er war weniger glücklich in der weitern Untersuchung der gegenseitigen Lage der Dop- peltangenten, über welche er, auf eine irrige Interpretation einer Glei- chungsform der Curven gestützt, unrichtige Sätze aufstellte.e Erst Hesse gab (zugleich auch, ohne Beweis, Steiner) die richtigen Sätze in zwei grossen Arbeiten über die Theorie dieser Curven (Crelle Bd. 49, 1854). In der Vorrede zu der erwähnten Schrift gedenkt Plücker einer Methode, welche er in derselben mit Vorliebe anwendet, und welche ihn häufig zu schönen Resultaten führte; es ist die Methode der Con- stantenabzählung. Der Gedanke, die Erfüllbarkeit eines Gleichungs- systems, aus dem Umstande zu erschliessen, dass die Zahl der in demselben enthaltenen Unbekannten der Zahl der Gleichungen gleichkommt, liegt sehr nahe. Andrerseits ist die Unzulänglichkeit dieser Schlussweise oft genug hervorgehoben worden, und natürlich mit vollem Rechte, sobald man die Methode in dieser einfachsten Weise ausspricht. Aber so wollte sie Plücker allerdings keinesweges verstanden wissen. Er war sich sehr wohl der Bedingungen bewusst, unter welchen diese bei vorsichtiger Be- handlung durchaus correcte Methode anwendbar ist. Wenn eine Zahl von Gleichungen mit ebenso vielen Unbekannten nicht im Allgemeinen zugleich erfüllt werden kann, so werden für ihr Bestehen nothwendig 24 gewisse Bedingungen zwischen den Coefficienten gefordert. Sind diese aber erfüllt, so werden die Gleichungen nunmehr zwar lösbar, aber sie sind es dann auf unendlich viele Arten. Es ist daher eine nothwendige Ergänzung für die Methode der Constantenabzählung, dass man zeige, wie dem fraglichen Probleme eine Bestimmtheit nothwendig innewohne. Hierdurch freilich wird die Einfachheit: der Methode in vielen Fällen beeinträchtigt, indem der geforderte Zusatz bisweilen ebenso schwer zu erreichen ist, als eine andre Behandlung des ganzen Problems, bezie- hungsweise eine solche involvirt. Plücker selbst pflegte die Methode des Constantenzählens an einem characteristischen Beispiele zu erläutern, welches hier angeführt werden mag. Durch Veränderung des rechtwinkligen Coordinatensystems kön- nen im Allgemeinen drei Constante aus der Gleichung eines Kegel- schnitts fortgeschafft werden. Da nun die Gleichung eines Kreises nur drei Constanten enthält, so könnte man glauben, sie liessen sich durch Verlegung des Coordinatensystems sämmtlich beseitigen, und man könnte demnach der Gleichung jedes Kreises die Form #2+y?—=1 geben. Aber hier tritt der Umstand ein, dass ein Kegelschnitt, welcher in irgend einem rechtwinkligen Coordinatensysteme die Form #°+y?—=1 annimmt, diese auch nach einer Drehung des Coordinatensystems behält, sie also für unendlich viele Lagen desselben hat. Das Problem also, die Gleichung eines Kreises auf die Form 2 +y?—=1 zu bringen, enthält zwar ebenso viele Unbekannte als zu erfüllende Gleichungen; aber es wird, wenn es lösbar ist, nothwendig unbestimmt, und seine Lösung ist daher nothwendiger Weise im Allgemeinen unmöglich. Ich habe, ehe ich zu einer historischen Darlegung von Plückers letzten Arbeiten übergehe, einiger Einzelheiten zu gedenken, welche im Vorigen eine passende Stelle nicht zu finden vermochten. Hieher rechne ich die Verallgemeinerung des Begriffs der Brenn puncte, welche Plücker im 10. Bande von Crelle’s Journal (1833) gegeben, und welche Kum- mer im 35. Bande desselben Journals (1847) wieder aufgenommen hat. Die Auffassung der Brennpuncte der Kegelschnitte, welche zu dieser Verallgemeinerung Veranlassung gab, lässt sich auf Poncelet zurück- 25 verfolgen (Traité des propriétés projectives, Nr. 457). Andererseits wurde dieselbe Verallgemeinerung später von Salmon und Hart wiederge- funden und weiter behandelt. Die Wichtigkeit und principielle Noth- wendigkeit der Einführung dieses erweiterten Begriffs erkennt man erst recht deutlich in der Beleuchtung, welche dieselbe durch Chasles’ Einführung der imaginären unendlich fernen Kreispuncte gewonnen haben. Erst durch dieses höchst geistreiche Hülfsmittel werden diese wie alle metrischen Begriffe in den Kreis der projectivischen Betrachtungen ge- zogen, und so zugleich den Methoden der neuern Algebra zugänglich gemacht, ein Fortschritt, welcher nicht hoch genug angeschlagen werden kann, und welcher in Cayley’s allgemeiner Maassbestimmung seinen vollendeten analytischen Ausdruck gefunden hat. Sodann erwähne ich die Theorie der Berührung der Flächen, welche Plücker im 4. Bande des Crelleschen Journals (1829) gegeben hat. Sie liefert die Grundvorstellungen für den Character höherer Be- rührungen, in dem sie die Natur derselben an die Art der singulären Stellung anknüpft, welche der Berührungspunct in Bezug auf die Schnitt- curve der Flächen einnimmt. Ich erinnere ferner daran, dass Plücker bereits 1847 (Crelles Journal Bd. 34) den Versuch gemacht hat, die Geometrie auf den Flächen zweiter Ordnung zu studiren, indem er die Coordinaten jedes Punctes derselben durch die Parameter der sich in ihm schneiden- den Erzeugenden ausdrückte. Er ist hierdurch der Vorläufer für die schönen Untersuchungen von Chasles geworden, aus welchen die Theorie der Flächenabbildung sich entwickeln sollte. Endlich ist der Abhandlung über die Wellenfläche zu gedenken (Crelles Journal Bd. 19, 1839), in welcher diese für unsre Kenntniss der Flächentheorie so wichtig gewordene Fläche vollständig analytisch unter- sucht wurde. Als neu mag insbesondere aus dieser Arbeit die Eigen- schaft der Wellenfläche hervorgehoben werden, nach welcher sie ihre eigne reciproke Polare in Bezug auf eine gewisse Fläche zweiten Grades ist. In der Liniengeometrie, wo die \WVellenfläche als besonderer Fall der Singularitätenfläche des Complexes zweiter Ordnung (Kummersche 4 26 Fläche) wieder auftritt, hat sich gezeigt, dass ihr dieselbe Eigenschaft noch in Bezug auf neun andre Flächen zweiter Ordnung zukommt. Aber dieses konnte erst aus der Untersuchung der linearen Fundamental- complexe eines Complexes zweiter Ordnung erschlossen werden, durch welche F. Klein dem alten Probleme, zwei quadratische Formen gleich- zeitig als Aggregate von Quadraten darzustellen, eine neue interessante Seite abgewonnen hat. Unter den grössern Werken Plückers ist es die „Geometrie des Raumes“ (1846), welche am durchgebildetsten erscheint. Ihrer Entstehung und Tendenz nach ist sie mehr einer Darstellung bekannter, als, wie es sonst bei Plücker zu sein pflegt, der Entwicklung neuer Resultate ge- widmet. So ist es natürlich, dass sie bei grösserer Formvollendung zu- gleich weniger originale hier zu beleuchtende Gesichtspuncte darbietet. Aber sie enthält eine Bemerkung (vgl. Nr. 258), welche der Keim der Liniengeometrie wurde, und damit den Ausgangspunct für Plückers letzte grosse geometrische Leistung bildete. Wenn man jetzt, wo die Liniengeometrie als solche geschaffen ist, das Auftreten der ihr zugehörigen Momente rückwärts verfolgt, so sind es drei Kreise von Untersuchungen, in welchen sie auftreten; Untersu- chungen, welche scheinbar ganz verschiedenen Gebieten angehören, wäh- rend sie andrerseits so wesentlich in einander greifen, dass sie nicht immer völlig zu trennen sind. Der eine Untersuchungskreis ist der rein geometrische, der zweite ein mechanischer, der dritte, welche an die Brechung und Reflexion der Lichtstrahlen anknüpft, mag ein physikali- scher genannt werden. Die geometrischen Untersuchungen, welche für die Geometrie des Raumes, sofern die gerade Linie darin als Element gedacht wird, vorbe- reitend waren, beginnen mit Möbius. Dieser untersuchte im zehnten Baude von Crelle’s Journal (1833) solche reciproke räumliche Verwandt- schaften, bei welchen jeder Punct mit der ihm zugeordneten Ebene ver- einigt liegt; Verwandtschaften, welche später v. Staudt als Nullsysteme bezeichnet hat. Diese nach Inhalt und Form gleich vollendete Arbeit yon Möbius enthält im Wesentlichen die Eigenschaften des später als 27 Complex erster Ordnung bezeichneten Gebildes, und zwar so, dass die geometrische Natur desselben sich sogleich voll und rein erkennen lässt, zugleich aber so, dass der Ausgangspunct der ganzen Untersuchung eben kein linien-geometrischer, sondern die Betrachtung der Verwandtschaften ist. Dieselbe Verwandtschaft wurde von Magnus im zweiten Bande seiner Aufgaben (1837) mit Beziehung auf Möbius weiter behandelt. Sodann ist eine merkwürdige Arbeit zu nennen, welche Chasles 1839 in Liouville’s Journal veröffentlichte. Er construirte factisch den Complex ersten Grades, indem er die Erzeugenden eines Hyperboloids paarweise einander zuordnete vermittelst der sie treffenden Strahlen eines ebenen Strahlbüschels, und sodann die Gesammtheit aller Geraden be- trachtete, die zwei einander so zugeordnete Geraden treffen. Diese Er- zeugungsweise umfasst als speciellen Fall die später von Sylvester gegebene, bei welcher zwei projectivische ebene Strahlbüschel so gelegt werden, dass zwei entsprechende Strahlen vereinigt liegen, und sodann die Gesammtheit der Geraden betrachtet wird, welche ee... Gerade der Büschel schneiden. Beziehen sich die angeführten Untersuchungen auf die Theorie des linearen Complexes, so giebt es andre, welche in Beziehung zu dem be- sondern Complexe zweiter Ordnung stehen, dessen Singularitätenfläche ein Tetraeder ist. Eine collineare Umformung desselben ist das Norma- lensystem der confocalen Flächen zweiter Ordnung, welches Binet bereits 1811 untersuchte (vgl. Journal de l'école polytechnique Bd. 16, 1813). Chasles hat diese Untersuchungen im Apergu historique aufgenommen und weitergeführt. Ein besonderer Fall dieses Complexes ist ferner ent- halten in Chasles’ Betrachtungen über die Bewegung starrer Körper (Comptes Rendus 1861). Dort wird jedem Puncte eines bewegten Kör- pers die Gerade zugeordnet, welche ihn mit einer beliebig gewählten spätern Lage verbindet; das Tetraeder ist in die doppelt gezählte unend- lich ferne Ebene und in zwei conjugirt imaginäre Ebenen ausgeartet, welche den allen Kugeln gemeinsamen unendlich fernen Kreis berühren. Der allgemeine Fall dieses Complexes ist neuerdings vielfach untersucht worden; so namentlich von Reye, der ihn durch die Verbindungslinien 4* 28 entsprechender Puncte collinearer Systeme construirt (1867), und von Lie, welcher auf ihn durch Untersuchungen über die geometrische Inter- pretation zweier complexer Veränderlichen geführt wurde. Die funda- mentale Eigenschaft des Complexes, vermöge deren seine Geraden von den Tetraederflächen nach constantem Doppelverhältnisse geschnitten werden, wurde von Müller (Math. Ann. Bd. I, 1869, gegeben, und es erledigte sich hiemit die seltsam irrige Frage Steiners nach der Fläche, welche von allen vier gegebene Ebenen harmonisch schneidenden Geraden berührt wird (Syst. Entwickl. p. 299). Zu den geometrischen Untersuchungen, in welcher die Geometrie der geraden Linie gleichsam anticipirt erscheint, sind endlich zwei Ar- beiten von Cayley zu rechnen, welche 1857 im Quarterly Journal (Bd. 3, 1860) erschienen, und in welchen eine Raumcurve als Ort der sie schnei- denden Geraden betrachtet wird. Es war hierdurch eine merkwürdige Darstellung der Raumcurven mittelst einer einzigen Gleichung angedeu- tet, und bei Raumcurven dritter Ordnung ausgeführt. Die Combinatio- nen, welche dabei als die Veränderlichen betrachtet werden, stimmen genau mit den von Plücker später als Coordinaten der geraden Linie gebrauchten überein. Dass Cayley auf dem Wege war, eine Geometrie der geraden Linie in Plückers Sinn zu schaffen, sieht man aus seiner Abhandlung „on the six Coordinates of a line“, Cambridge Transactions, 1867; aber diese Arbeit erschien erst, nachdem Plücker die Sache aufgenommen hatte, und nimmt auf Plücker Bezug *). | Der zweite Kreis linien-geometrischer Untersuchungen, welcher der Mechanik angehört, lässt sich auf Poinsot und die geometrische Form zurückführen, welche dieser ausgezeichnete Geometer für die Untersu- chung der Kräfte eingeführt hat, die auf einen starren Körper wirken. Wenn Poinsot die Gesamnitheit der Combinationen von Kraft und Kıäftepaar aucht, welche ein gegebenes Kraftsystem ersetsen, so ist dies *) In gewissem Sinne sind die Coordinaten der geraden Linie, wie überhaupt ein grosser Theil der Grundvorstellungen der neuern Algebra, bereits in Grassmanns »Ausdehnungslehre« (1844) enthalten; die genauere Darlegung dieser Verhältnisse würde hier zu weit führen. Vgl. auch Hankel, Theorie dercomplexen Zahlen, 1867. 29 nichts anderes, als in Plückers Bezeichnung das System der Durch- messer eines linearen Complexes nebst den ihnen zugeordneten Ebenen. Ebenso hängt mit der Liniengeometrie der berühmte 1829 von Chasles gefundene Satz zusammen, nach welchem zwei Kräfte, die ein gegebe- nes Kräftesystem ersetzen können, als Strecken im Raume betrachtet, stets ein Tetraeder von constantem Volumen bestimmen. An diese Be- trachtungen knüpfte Möbius in der oben erwähnten Abhandlung von 1833 und in seiner Statik (1837) Untersuchungen an, welche unmittelbar linien-geometrische Elemente enthielten, ja er erhielt durch diese stati- schen Betrachtungen die Anregung für die Untersuchung der oben er- wähnten Verwandtschaft. Sodann aber ergaben sich Sätze, welche eben erst mit Hülfe der Liniengeometrie einfach ausgedrückt werden können; so werden, um nur Eines anzuführen, die Systeme von zwei Kräften, welche ein gegebenes Kräftesystem zu ersetzen im Stande sind, ihrer Lage und Richtung nach nichts anderes, als die Paare von Geraden, welche in Bezug auf einen gegebenen Complex ersten Grades conjugirt sind; Sätze, denen verwandte über unendlich kleine Rotationen entsprechen. Aehnliche Untersuchungen veröffentlichte Chasles 1843 in den Comptes Rendus. Es sind endlich in dieser Richtung die Bemerkungen von Sylvester, Chasles und Cayley zu erwähnen, welche sich in den Comptes Rendus von 1861 finden. Der dritte Kreis vorbereitender Tlntersuehungen wird durch die Theorie der Strahlensysteme gebildet. Schon M onge hatte Normalen- systeme von Flächen und die Brennflächen derselben betrachtet. Sodann hatte Malus die Gesammtheit der Strahlen untersucht, welche von einem Puncte ausgehen, und gefunden, dass dieselben, beliebig an der Grenze von isotropen Mitteln reflectirt oder gebrochen, stets das Normalensystem einer Fläche bilden. Sturm hatte ein unendlich dünnes Strahlenbündel untersucht, und die Brennlinien desselben entdeckt, d. h. jene beiden Stellen, in welchen der Querschnitt eines solchen Bündels sich annähernd in zwei Linien zusammenzieht. Die Untersuchungen dieser Strahlensysteme waren von Hamilton in allgemeiner Weise aufgenommen (Transactions of the Royal Irish Acad. Bd.16), und dessen Untersuchungen von Kummer 30 (1859, Borchardts Journal Bd. 57) in einer Weise reproducirt, welche den rein geometrischen Inhalt des Gegenstandes deutlich hervortreten liess. Als bedeutendste Erscheinung nach dieser Richtung mag noch hier sogleich die grosse Arbeit von Kummer über Strahlensysteme zweiter Ordnung und Classe erwähnt werden, welche in den Abhand- lungen der Berliner Akademie von 1866 erschienen ist. Der Zeit nach fällt sie bereits jenseits der ersten Arbeiten Plückers. Noch näher kommen der Complextheorie die Untersuchungen von Abel Transon (1861, Comptes Rendus Bd. 52, und Journal de l’&cole polytechnique, Cah. 38). Derselbe betrachtet Gerade, von denen durch jeden Punct des Raumes eine ihm zugeordnete geht, womit, nach einem neuern Ausdruck, ein Complex auf dem Punctraum abgebildet erscheint, und fragt dann nach den Normalensystemen, welche in solchen Combinationen enthalten sein können. Der Gedanke der Liniengeometrie war von Plücker, wie erwähnt, in seiner Geometrie des Raumes beiläufig ausgesprochen worden. Durch den Verkehr mit seinen Freunden in England angeregt nahm er 1864 den Gegenstand wieder auf, und entwickelte nun sofort die Grundlage von dem, was er als „Neue Geometrie des Raumes“ bezeichnete. Unbekannt mit den Methoden der neuern Algebra, wie mit dem grössten Theile des während seiner physikalischen Thätigkeit nach dieser Rich- tung Geleisteten, hatte er zunächst nicht ohne Schwierigkeit den Begriff der Coordinaten einer Geraden zu fixiren. Indem er dieselben als sechs Verhältnisszahlen definirte, welche einer gewissen Gleichung zweiten Grades genügen, berührten seine Speculationen sich nahe mit den Arbeiten Cayley’s, deren oben gedacht wurde. Sodann aber begründete Plücker die neue Disciplin durch Einführung des Begriffs eines Complexes, und gewann hiermit eine fundamentale Grundlage weiterer Betrachtungen. Denn der Complex bildet im Gegensatz zum Strahlensysteme (bei Plü- eker Congruenz) das durch eine weitere Gleichung in Liniencoordinaten gegebene Gebilde, während das Strahlensystem deren zwei verlangt. Der Complex steht also linien-geometrisch dem Strahlensysteme ebenso gegenüber, wie die Oberfläche der Raumcurve in der Geometrie des 31 Punctes. Zu erstern tritt in der Liniengeometrie als dritte Abstufung die geradlinige Fläche, deren eigenthümliche Stellung in der Raumgeo- metrie erst durch die principielle Einführung der Geraden als Raumele- ments das rechte Licht erhält. Man erkennt aus dieser Abstufung, wie die Liniengeometrie gewis- sermassen die Geometrie eines Raumes von vier Dimensionen ist. Und so wollte sie Plücker in der That aufgefasst haben. Gegenüber der directen Einführung eines Raumes von mehr als drei Dimensionen pflegte er zu erörtern, wie schon die einfachste räumliche Conception, etwa die Ebene, hinreiche, um in ihr die Theorie einer Mannigfaltigkeit von beliebig vielen Dimensionen zu studiren. Denn man brauche nur ein Grundgebilde einzuführen, welches von einer hinlänglich grossen Anzahl von Parame- tern abhängig sei, und könne dann diese ähnlich wie die Coordinaten eines Punctes in einem höhern Raume behandeln, ohne auf einen solchen zurückgehen zu müssen. Die Anzahl der Dimensionen eines Raumes erscheint auf diese Weise als eine Eigenschaft, die demselben nicht so- wohl an und für sich zukommt, als insofern man in demselben ein bestimmtes Gebilde zur Basis der Untersuchung nimmt. So bildet in der That die Liniengeometrie, deren Grundgebilde von vier Parametern abhängt, eine Theorie räumlicher Gebilde von vier Dimensionen, welche in dem gewöhnlichen Raume ausgeführt ist, der, wenn man den Punct als Grundgebilde festhält, nur drei Dimensionen hat. Das Studium der Complexe, vorzugsweise der Complexe zweiter Ord- nung, bildete nunmehr den Hauptgegenstand von Plückers Beschäfti- gung. Durch Einführung der sogenannten Complexflächen, von welchen er zahlreiche Modelle herstellen liess, vermochte er den schwierigen Gegenstand auch gestaltlich zu erläutern; wie denn überhaupt gegenüber den mehr analytischen Interessen seiner frühern Arbeiten in spätern Jahren das rein geometrische Interesse an der Gestalt mehr und mehr hervor- trat. Die Untersuchungen dieser Flächen bildet einen grossen Theil der in seinem letzten Werke (Neue Geometrie des Raumes, 1868) niederge- legten Betrachtungen. Es war ihm nicht vergönnt, dieselben soweit zw führen, als er selbst es beabsichtigte. In alter Weise unermüdlich 32 schaffend, verbreitete er seine neuen Gedanken durch eine Zahl von Abhandlungen, während er sein grösseres Werk vorbereitete. Aber der Tod riss ihn mitten aus dieser Thätigkeit heraus. Sein Werk über die neue Raumgeometrie konnte glücklicherweise durch seinen damaligen Assistenten, Hrn. Klein, nach Plückers An- deutungen in dessen Sinn beendigt werden. - Freilich hätte er selbst wohl im Laufe der Arbeit manches hinzugefügt, insbesondere auch be- züglich der mechanischen Anwendungen, die ihn in der letzten Zeit viel- fach beschäftigt hatten. Aber wenn auch manches in dieser Richtung deutlich erkennbar vorlag, so musste doch die Herausgabe sich ausschliess- lich auf dasjenige beschränken, welches durch schriftliche oder münd- liche Mittheilungen von Plücker unmittelbar veranlasst war. Auch so konnte das Werk Anregung werden zu weitern Forschungen, die sich in mannigfacher Weise daran geknüpft haben. Wenn in der analytischen Fassung zum Theil jetzigen Methoden nicht immer mehr entsprechend, wirkte dasselbe durch seinen gedanklichen Inhalt, und die jüngere Generation entzog sich nicht der ihr gewordenen Anregung. Schon jetzt ist eine grosse Literatur entstanden, welche den neuen Gegenstand be- handelt, während viele Gesichtspuncte, ja eine dem heutigen Standpuncte entsprechende Darstellung des Ganzen der Zukunft vorbehalten sind. — Es war vielleicht in der Natur der Verhältnisse begründet, wenn die Thätigkeit Plückers während seines Lebens sich nicht immer, wenigstens nicht überall, der vollen Anerkennung erfreute, die seinen Leistungen gebührte. Mitten in die verschiedenartigen Bestrebungen einer wissenschaftlich höchst fruchtbaren Epoche gestellt, musste auch er jene Parteinuhme erfahren, welche den Streitenden auch im Wett- kampfe der Wissenschaft nicht erspart bleibt, und welche das Urtheil der Mitstrebenden trübt. Das Geschick konnte ihm keine schönere Genugthuung bereiten, als dass es ihn noch am Abende seines Lebens Schöpfer einer neuen Richtung werden liess, an deren Verfolgung nunmehr die Nachlebenden in neidloser, freudiger Anerkennung arbeiten, 33 Note 1, betreffend die physikalischen Arbeiten Plücker’s, (Nach Mittheilungen von Hrn. Prof. Hittorf). Die erste physikalische Entdeckung Plück ers der Zeit und vielleicht der Bedeutung nach war das Verhalten der Krystalle im magnetischen Felde (1847). Ihr folgten noch -im nämlichen Jahre Beobachtungen über die Aenderung der Oberfläche, welche tropfbare Flüssigkeiten in der Nähe der Pole erfahren, sowie über die Einwirkung, welche der Magnet auf Gase ausübt. Der letztgenannte Gegenstand wurde gleichzeitig auch von Faraday bearbeitet, nachdem in Italien Bancalari die Abstossung der Flamme ‚durch den Magneten zuerst wahrgenommen hatte. Plücker vermehrte die Beweise für die Polarität des diamagnetischen Zustandes und suchte durch die Wage die Intensitäten der dia- und paramagnetischen Kräfte in ihrer Abhängigkeit von der Natur der Substanz wie von der Temperatur zu erforschen. Der grosse Electromagnet ‚des physikalischen Cabinets, der im Winter 46/47 auf der Sayner Hütte geschmiedet worden war, blieb, nachdem er gleich bei der ersten Benutzung solche Resultate geliefert hatte, stets das Lieblingsinstrument für seine physikalischen Forschungen. Ær unterwarf ihm zehn Jahre später die leuchtenden Entladungen , welche durch Inductionsströme in den mit 'verdünnten Gasen gefüllten Geissler’schen ‚Röhren ent- stehen, und ‚erzeugte die prächtigen Flächen und Curven, in welche das Licht am negativen Pole unter Einwirkung der magnetischen Kräfte übergeht. Er lehrte -zuerst das schwache electrische Licht der verdünnten Gase durch Verengung eines ‘Theiles der Röhre auf Capillardimensionen so zu verstärken, dass deutliche, bestimm- ibare Cen gewonnen werden konnten. Vor Bunsen und Kirchhoff sprach er aus, dass die\Linien der Spectrum’s für jede chemische Substanz characteristisch ‚sind und zur ð ets derselben in der Analyse verwerthet werden können. Er sah ‚zuerst und benannte die 3 Linien des Wasserstoffxpectrums, welche ‚wenige Monate nach seinem Tode in dem Lichte der Protuberanzen der Sonne erkannt wurden und sogleich das Räthsel, welche diese Erscheinung den Astronomen gewesen war, lösten. Dadurch dass Plücker früher dem Experimente nicht obgelegen hatte, war ihm die Möglichkeit ‚versagt gewesen, sich die Fertigkeit und Sicherheit, welche die Uebung dem Körper allein in der Jugend verleiht, zu erwerben. Er wusste dieses Hinderniss für seine experimentelle Thätigkeit dadurch wegzuräumen, dass er die- jenigen in seiner Umgebung, an welchen er jene Eigenschaften erkannte, für seine Ideen interessirte und in den Dienst der Wissenschaft zog. Lange Zeit war sein früherer Schüler, der bereits verstorbene Mechaniker Fessel, ihm in der Herstel- lung der nothwendigen Vorrichtungen behülflich. Plücker machte die Apparate, welche Fessel auf ‚seine Veranlassung .anfertigte, wie die,Wellenmaschine, den 5 34 electromagnetischen Motor, die Rotationsmaschine, als Fessel'sche bekannt (in den Annalen von Poggendorf). Die ausserordentliche Kunstfertigkeit, welche Dr, H. Geiss- ler in Bonn in der Bearbeitung des Glases besitzt, veranlasste Plücker mit ihm in sinnreich construirien Thermometer-ähnlichen Gefässen Ausdehnungsverhältnisse fest- zustellen, und sich mit den Spannkräften der Dämpfe, welche Flüssigkeitsgemische entwickeln. zu beschäftigen. Bereits oben wurde der Geissler’schen Röhren gedacht, welche durch Plücker’s Arbeiten zuerst eingeführt und jetzt weltbekannt geworden sind. Als er in dem Studium der elektrischen Gasspectra erkannt hatte, dass aus- gedehntere chemische Erfahrungen, als ihm zu Theil geworden waren, wünschens- werth seien, verband er sich zur weiteren Untersuchung derselben mit Prof. Hittorf. Indem sie die Intensität des electrischen Stromes variirten und die Temperatur des Gases dadurch auf selir verschiedene Höhen brachten, entdeckten dieselben für meh- “rere elementare Grotte zwei characteristische Spectra, und beobachteten zuerst die Erweiterung der Linien als allgemeine Wirkung der hinreichend gesteigerten Wärme, ein Verhalten, welches in der neuesten Zeit für das Studium der Zustände in der Sonnenatmosphäre durch die Arbeiten des englischen Astronomen Lock yer werthvoll geworden ist. Plücker wusste bald eine neue Erscheinung von verschiedenen Seiten zu erfas- sen und Versuche zu ersinnen, in denen dieselben hervortreten mussten. Das Princip der Verallgemeinerung, an welches er in seinen geometrischen Arbeiten so gewöhnt “war, leistete hierbei vortreffliche Dienste und erleichterte ihm die Orientirung. Hatte er den thatsächlichen Inhalt einer Entdeckung so vollständig, als er zunächst ver- mochte, erforscht, so übergab er sie der Oeffentlichkeit, wenn er über die Theorie derselben auch mecht zum Abschluss gekommen war. Offen widerrief er die zuerst gegebene Auffassung, sobald er sie als irrig erkannte, und ersetzte sie durch die- jenige, welche ihm dıe richtigere schien. So schloss er die Theorie über das magne- tische Verhalten der Krystalle erst endgültig in dem Aufsatze ab, welcher 1858 in den Philos. Transactions unter dem Titel: „On the magnetic induction of Crystals“ ‚erschien. Bei seinen geometrischen Arbeiten war er so ganz auf sich angewiesen gewesen, so ungehindert seinem Ideengange gefolgt, dass er sich des Studiums der Literatur fast entwöhnt hatte. Bei der Selbstständigkeit seines Denkens war ihm später ein Eindringen in die Auffassung Anderer schwer, und oft hat er geäussert, wie unan- genehm ihm diese Thätigkeit sei und wie wenig er sich dazu eigne. In dieser Eigen- ‚thümlichkeit liegt eine Ursache, wesshalb er sich in seinen physikalischen Forschungen — wenn man die zuletzt erwähnte Untersuchung über das magnetische Verhalten der Krystalle, an welcher sein früherer Schüler, der leider so früh verstorbene Prof. | ‚Beer sich vielfach betheiligt hatte, ausnimmt — auf tiefergehende molecular-theore- 35 tische Forschungen nicht eingelassen hat. Er konnte sich nich zu dem Studium der Resultate, welche hier bereits vorlagen, entschliessen, und kehrte zu der Zeit, wo ein solches Eingehen erwartet werden konnte, lieber zu seinen geometrischen For- schungen zurück, Note 2. Verzeichniss der Arbeiten Plücker’s *). A. Mathematik. I. Selbstständig erschienene Schriften. - 1. Generalem analyseos applicationem ad ea, quae geometriae altioris et mecha- nicae basis et fundamenta sunt, e serie Tayloria deducit Ju'ius Plücker. Bonnae 1824. (Habilitationsschrift). 2. Analytisch-geometrische Entwickelungen (Essen, 1. Band 1828. 2. Band 1831). _- 3. System der analytischen Geometrie (Berlin 1835). e Theorie der algebraischen Curven (Bonn 1839). - 5. System der Geometrie des Raumes in neuer analytischer Behandlungsweise (Düsseldorf 1846. Zweite Aufl. 1852). 6. Neue Geometrie des Raumes, gegründet auf die Betrachtung der geraden Linie als Raumelement. Mit einem Vorworte von A. Clebsch. (In zwei Ab- À theilungen : Erste Abtheilung, Leipzig 1868. Zweite Abtheilung, herausgege- ben von F. Klein. Leipzig 1869). ; II. Aufsätze in Gergonne’s Annalen. 1. Thöor&mes et problèmes sur le contact des sections coniques. T. XVII (1826—27). ` 2. Recherche d'une construction graphique du cercle osculateur pour les lignes du second ordre. T. XVII (1826 — 27). mai : 3. Mémoire sur les contacts et intersections des cercles. T. XVIH (1827—28). ` A. Recherches sur les courbes algóbriques de tous les degrés. T. XIX (1828—29). . 5. Recherches sur les surfaces algóbriques de tous les degrés. T. XiX (1828 — 29). II. Aufsätze in Crelles Journal. 1. Ueber die Krümmung einer beliebigen Fläche in einem beliebigen Puncte. = Bd. HI (1828). : ; mu Dieses Verzeichniss, sowie eine grosse Zahl der in dem Aufsatze selbst verwertheten Mit- tkeilungen verdanke ich Hrn Dr, Klein. Die hier gegebenen Jahreszahlen sind die der betreffenden Bände, während im Texte die Daten der Unterschrift des Verfassers, oder, wo disse fehlte, dem Erscheinen des betreffenden Heftes entnommen sind. ` 5* do > Se S een pd = D 36 . Ueber die allgemeinen Gesetze, nach welchen irgend zwei Flächen einen Con- ` tact der verschiedenen Ordnungen haben. Bd. IV (1829). Ueber ein neues Coordinatensystem. Bd. V (1830). Ueber ein neues Princip der Geometrie und den Gebrauch allgemeiner Sym- ` bole und unbestimmter Coifficienten. Bd. V (1830). Ueber eine neue Art, in der analytischen Geometrie Puncte und Curven durch Gleichungen darzustellen. Bd. VI (1830). Geometrische Lehrsätze. Bd. VI (1830). Note sur une théorie générale et nouvelle des surfaces courbes. Bd.IX (1832). Geometrische Aufgaben und Lehrsätze. Bd. IX (1832). Ueber solche Puncte, die bei Curven einer höheren Ordnung, als der zweiten, den Brennpuncten der Kegelschnitte entsprechen. Bd. X (1833). Nachrichten von Büchern. Bd. X (1833). (Anzeige des „Systems der analy- tischen Geometrie‘). . Analytisch-geometrische Aphorismen, 1, 2. Bd. X (1833). . Analytisch-geometrische Aphorismen, 3, 4, 5, o Bd. XI (1834). . Solution d'une question fondamentale concernant la theorie générale des cour- bes. Bd. XII (1834). Theor&mes gendraux concernant les équations d'un degré quelconque entre un nombre quelconque d’inconnues. Bd. XVI (1837). . Discussion de la forme générale des ondes lumineuses. Bd. XIX (1839). Aphorismen aus der ee euere 1,-2 Bd. XXIV (1842). Ueber Curven dritter O1 lytische Beweisführung. Bd. XXXIV (1847). . Note sur le théorème de Pascal. Ba. XXXIV (1847). . Die analytische Geometrie der Curven auf den Flächen zweiter Ordnung und Classe. Bd. XXXIV (1847). . Ueber eine neue mechanische Erzeugung der Flächen zweiter Dok und Classe. Bd. XXXIV (1847). . Ueber das Ohbhm'sche physikalische Gesetz. Bd. XXXV (1847). . Sur la réflexion de la lumière dans le cas des surfaces du second degré, analo- gue à cellequi aux foyers des sections coniques a donné le nom. Bd. XXXV (1847). II. Aufsätze in Liouville's Journal. . Enumeration des courbes du quatrième ordre d’après la nature différente de leurs branches infinies. T. I (1836). Sur les points singuliers des courbes. T. II (1837). Sur une géométrie nouvelle de l’espace. 2e Serie, T. XI (1866). [Aus den Philos. Transactions übersetzt]. ad D WS Son F D bh er 8, Le v u ja > bech og 37 IV. In den Proceedings of the Royal Society. On a New Geometry of Space (1865). V. In den Philosophical Transactions. On a New Geometry of Space (1865 p. I). Fundamental views regarding Mechanics (1866 p. I). VI. In Les Mondes, par l’abbe Moigno. . Geometrie nouvelle de l’espace. T. XIII (1867). VH. In den Annali di Matematica. Theorie generale des surfaces róglóes, leur classification et leur construction. T. I, Serie 2 (1867). B... EFRYSUK, I. In Poggendorff's Annalen. . Ueber die Abstossung der optischen Axe der Krystalle durch die Pole der Magnete. Bd. 72 a Ueber das Verhältni Magneti nd Diamagnetismus. Bd. 72 (1847). ae über die Wirkung der Magnete auf SETA und tropfbare Flüssigkeiten. Bd. 73 (1848). Ueber ein einfaches Mittel den Diamagnetismus schwingender Körper zu ver- stärken. Bd. 73 (1848). . Ueber Intensitätsbestimmung der magnetischen und diamagnetischen Kräfte. Bd. 74 (1848). Ueber das Verhalten des abgekühlten Glases zwischen den Magietpolin. Bd. 75 (1848). Ueber das Gesetz, nach welchem der Magnetismus und der Bag von der Temperatur abhängt. Bd. 75 (1848). Ueber die verschiedene Zunahme der magnetischen degt Ge diaimages- tischen Abstossung bei zunehmender Kraft des Electromagnets: Bd. 75 (1848). Ueber die neue Wirkung des Magnets auf einige Krystalle, die eine vorherr- schende Spaltungsfläche besitzen. Einfluss des Magnetismus auf die Krystall- bildung. Bd. 76 (1849). Ueber die diamagnetischen Beziehungen der positiven “ð négativen optischen Axen der Krystalle. Bd. 77 (1849). [Uebersetzt aus dem Philos. Magazine]. _ Ueber den Einfluss der Umgebung eines Körpers auf die Anziehung oder Ab- stossung, die er durch einen Magneten erfährt. Bd. 77 (1849). Ueber die Fessel’sche Wellenmaschine, den neueren Boutigny’schen Versuch pad os 38 und das Ergebniss fortgesetzter Beobachtungen in Betreff des Verhaltens kry- stallisirter Substanzen gegen den Magnetismus. ` Bd.. 78 (1849). [Aus ‚einem Briefe an Poggendorfi]. . Ueber die magnetisehen Axen dr Krystalle SN ihre ke zu der Kry- stallform und zu den optischen Axen. [Mit Beer]. Bd. 81 (1850). . Ueber die diamagnetischen Axen der Krystalle und ihre Beziehung zur Kry- stallform und den optischen Axen. [Mit Beer]. Bd. 82 (1851). . Ueber das magnetische ‘Verhalten der Gase. L Bd. 83 (1851). . Numerische Vergleichung des Magnetismus des Sauerstofigases und des ‘Magnetismus des Eisens. Bd. 83 (1851). l Ueber die magnetische Polarität und Coërcitivkraft der Gase. Bd. 83 (1851). Ueber Fessel’s electromagnetischen Motor. Bd. 83 (1851). . Ueber das magnetische Verhalten der Gase. IL Bd. 8t (1851). . Ueber die Theorie des Diamagnetismus, die Erklärung des Ueberganges ma- gnetischen Verhaltens in diamagnetisches, und mathematische ee, der bei Krystallen beobachteten Erscheinungen. Bd. 86 (1852). . Studien über Thermometrie u. verwandte Gegenstände [mit Geissler]. Bd. 8841852) Ueber die Reciprocität der electromagnetischen und magnetelectrischen Er- scheinungen. Bd. 87 (1852). - Ueber die Fessel’sche Rotationsmaschine (mit Nachtrag). Bd. 90 (1853). Ueber. das Gesetz der Induction bei paramagnetischen und diamagnetischen Substanzen. Bd. 91 (1854). Untersuchungen über Dämpfe und Dipin Bd, 92 (1854), . Beiträge zur näheren Kenntniss der sogenannten Coereitivkraft. Bd. 94 (1855). Ueber die Einwirkung des Magnets auf die electrischen gen in yer- dünnten Gasen. I, U. Bd. 103 (1858). Fortgesetzte Beobachtungen über die electrische Entladung durch gusverdünnte Räume. Bd. 104 (1858). Ueber einen neuen Gesichtspunkt, die Einwirkung des Magnets auf den elek- trischen Strom betreffend. Bd. 101 (1858). Fortgesetzte Beobachtungen über die elektrische Entladung. Bd. 105 (1858). . Fortgesetzte Beobachtungen über die elektrische Entladung durch gasver- dünnte Räume. Bd. 107 (1859). » Ueber die Constitution der electrischen Spectra der verschiedenen Gase und Dämpfe (mit Nachtrag) Bd. 107 (1859). Das magnetische Verhalten der verschiedenen Glimmer und seine Beziehung zum optischen Verhalten derselben. Bd. 110 (1860). Ueber die Einwirkung des Magnets auf die electrische Entladung. Bd. 113 (1861). 35. EG Ueber recurrente Ströme und ihre Kiia zur * Darstellung + von Gas- "4 spectren. Bd. 116 (1862). kl Se Pë m» N = e EE Ee DE) ` (e kA II. In den Comptes Rendus de V Acadëmie des Sciences. . Rapport entre les propriótós optiques et les propriétés magnétiques de cer- tains cristaux. T. XXIV (1847). Action calorifique d'un courant électrique. T. XXVI (1848). Note sur un grand nombre de fıits nouveaux de magnétisme et de diama- gnetisme. T. XXVII, XXIX (1849). Sur le magnétisme des gaz. T. XXXIII (1851). [Brief an Arago]. Analyse de divers Mémoires sur l'électricité. T. XXXVI (1853). [Brief an Arago]. III. Im Philosophical Magazine. On diamagnetism |Brief an Faraday]. Ser. 3, V. 33 (1848). On the magnetic relations of the positive and negative optic axes of crystalls [Brief an Faraday]. V. 34 (1819. On M. Boutigny’s recent experiment [aus Poggendorffs Ann]. V. 36 (1850). On the magnetic axes of crystalls [mit Beer. Aus Pogg. Ann.]. Ser.4, V. 1 (1851). On the magnetisme of gases [Brief an Arago]. V. II (1851). On the electromagnetic motor of Fessel. V. III (1852). On the nature of the so called coercive force [aus Pogg. Ann.]. V.IX (1854). On the magnetic induction of crystals. V. XIV (1857). On the#action of the magnet upon electrical discharge in rarefied gases. [Aus Poggendorff]. V. XVI (1858). . Observations on the electrical discharge through rarefied gases. [Aus Poggen- dorff]. V. XVI (1858). . Observations on the electric discharge. I, II. [Aus Poggend.] V. XVIII (1859). On the spectra of ignited gases and vapours with especial regard to the dif- ferent spectra of the same elementary gaseous substance. [mit Hittorf]. V. XXVIII (1864). IV. In den Philosophical Transactions. On the magnetic induction of Crystals. 1858. p. I. On the Spectra of Ignited Gases and Vapours, with especial regard to the different Spectra of the same elementary gaseous substance [mit Hittorf]. 1865.. p. I, IL V. Einzelne Veröffentlichungen. Enumeratio novorum phaenomenorum in doctrina de magnetismo inventorum. (Bonnae 1849. Universitätsschrift). D tall Á diti tica (Bonnae 1850, Universitätsschr.), o pro go . Ueber farbige Ringe in Kalkspathen etc. 40 Sur la refraction conique (Moigno’s Répertoire d'Optique moderne). Sur les spectres des ordres différents (Moigno’s les Mondes. T. IV (1864)). Bericht über einen Vortrag (gehalten im Niederrheinischen Verein für Natur- und Heilkunde zu Bonn 1865). ABHANDLUNGEN DER HISTORISCH- PHILOLOGISCHEN CLASSE DER KÖNIGLICHEN GESELLSCHAFT DER WISSENSCHAFTEN ZU GÖTTINGEN. SECHSZEHNTER BAND. Histor.-philol. Classe. XVI. A Jubeo und seine Verwandte. Altbactrisch yaozhdá — sanskritisch goud oder yaut, beide beruhend auf einer Grundform *yavas-dhä; altbactrisch yaozhdaya — lateinisch *jousbe- in joubére, jubere, beruhend auf einer Grundform *yavas-dhá mit Affix aya. von Th. Benfey. Vorgetragen in der Kön. Ges. d. Wiss. am 6. November 1869. Sk Dis in jubere das kurze w aus ursprünglicherem ou hervorgegangen ist, zeigen die altlateinischen Formen ioubeatis!), so wie die ebenfalls erhal- tenen iousiset, iouserit, iousit und iouserunt?). Wir haben mit Corssen 3) anzunehmen, dass die Vermittlung zwischen ou und ü durch eine, wenn auch nicht belegbare, doch mit höchster Wahrscheinlichkeit vorauszu- setzende Form mit ú gebildet ward. Wenn gleich die dann eingetretene Verkürzung keine, in jeder Hinsicht entsprechende, Analogie hat, so tritt sie doch in nächste Beziehung zu dem Verhältniss von nötare zu nötus und erklärt sich in notare sowohl als jubere, ähnlich wie in mòle- stus von möles*) u. aa., durch die wenn auch nicht durchgängige, doch vor- herrschende, Accentuation auf der zweiten Sylbe (notd’mus, jubE'mus), bei welcher die vorhergehende Sylbe in diejenige Stellung geräth, welche Schwächungen derselben und insbesondere Verkürzungen ihres Vokals in sehr vielen Sprachen nachweislich überaus häufig herbeizuführen pflegt. Nachdem die Verkürzung sich in Folge dieser Stellung in der überwie- genden oder am häufigsten gebrauchten Zahl der Formen geltend ge- 1) Corssen Aussprache u.s. w. der lateinischen Sprache, 2te Ausg. I. 667. 2) ebds. f 3) ebds. II. 50 jete Ausg. II. 684, 2te Ausg. und kritische Beiträge 420 ff. 4) ebds. I. 372ff. Iste Ausg. II. 515, 2te Ausg. A2 4 TH. BENFEY, macht hatte, ward sie dann für alle Gesetz, auch da, wo die Sylbe den Accent hat (z. B. ju bes, jubet, jubent u.s. wl Wie schon J. C. Scaliger 5), betrachtet Corssen ioubeo jubeo als eine Zusammensetzung von altlatei- nischem ous P), später "de, und habeo. Er giebt dieser Zusammensetzung die Bedeutung ‘für Recht halten’ als ursprüngliche und erklärt die nach- weisbar älteste Gestalt des Verbums: ioubeo vermittelst der Zwischen- stufen zous-hibeo, iousibeo, iousbeo, ioubeo 7). Gegen diese Erklärung erheben sich von phonetischer, formativer und selbst begrifflicher Seite Bedenken. Nach Analogie von dir-ibeo für dis-habeo und dir-imo für dis-emo würde iousibeo den Uebergang von s in r erwarten lassen 8). Nach Analogie der übrigen Zusammensetzun- gen mit habeo wie adhibeo, cohibeo, debeo, dehabeo, diribeo, exhibeo, in- hibeo, perhibeo, subterhabeo, superhabeo würde man ferner im Perfec- tum u.s.w. jubui, wie adhibui u. s. w. erwarten 9), und esist kaum denk- bar, dass sich, einer solchen Anzahl von übereinstimmenden Bildungen gegenüber, in einer nur dem italischen Boden angehörigen Zusammen- setzung, die demnach auf jeden Fall verhältnissmässig jung ist, und wenn. sie wirklich mit habeo zusammengehörte, durch debeo praebeo diribeo auch äusserlich im Zusammenhang mit ihm erhalten wäre, ein so abweichen- des Perfect u.s.w. wie jussi gestaltet hätte. Dagegen entscheiden die wenigen Doppelbildungen von Perfecten, welche Corssen 7) geltend macht, so gut wie gar nichts; denn hier steht eins gegen vierzehn, während 5) De causis Ling. Lat. l. c. 32, so auch Dentzler Clav. L. L. 1716; Scheller hat die nicht erwähnenswerthe Etymologie von G.J. Voss; Freund 1844 gar keine; Georges-Mühlmann die von Corssen. 6) Vgl. ious, iour(e), in-iourias, ioudex, iouranto, coniourase bei Corssen Aus- sprache I?, 667. 7) Aussprache u.s.w. II?, 684 u. Ntr. das. S. 1027 wo einiges gegen meinen Auszug aus dieser Abhandlung in den Nachrichten von der Königl. Ges. der Wiss. 1869 S. 456 (nicht in den Gött. Gel. Anz., wie da angegeben ist); kritische Beitr. S. 421; Nachträge S. 175. 8) Pott Etymologische Forschungen, 2te Ausg. Wurzel-Wtbch. der Indogerm. Sprachen I. 1231. : 9) Schweizer-Sidler in Kuhn’s Ztschr. X. 144. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 5 jene dem Sprachbewusstsein . gegenüber gleich berechtigt erscheinen mussten. Dann erscheint auch kabeo sonst nie mit einen Substantiv zusammengesetzt. Die Bedeutung endlich scheint schwerlich ursprüng- lich ‘für Recht halten’ gewesen zu sein, sondern ‘als Recht setzen, ver- fügen’. -Ich verkenne nicht, dass sich gegen diese Einwände vielleicht ein und das andre zur Entschuldigung anführen lässt, z. B. gegen den phonetischen dis-hiasco (bei Cato, aber nicht das späte dis-unio bei Ar- nobius); allein eben so wenig wird sich leugnen lassen, dass die Erklä- rung. dadurch sehr zweifelhaft wird und somit die Berechtigung sich nach einer andern umzusehen, nicht bestritten zu werden vermag. 5:2, Ausser der Corssenschen Ableitung sind noch drei andere erwäh- nenswerthe aufgestellt. Die erste ward von Schweizer-Sidler angedeutet 10); er dachte näm- lich an eine engere Anknüpfung an das Verbum, welches im Sanskrit yu lautet und ‘anbinden, anfügen, anschirren, befestigen’ u.s. w. bedeu- tet. Diese Andeutung wurde von Leo Meyer!!) und dem Verfasser dieser Abhandlung !?) ziemlich gleichzeitig und unabhängig von einander verfolgt. Beide glaubten in jubeo eine Bildung von einen Reflex des sskrit. yu vermittelst desjenigen Derivationselements erkennen zu dürfen, welches, im Sanskrit paya lautend, regelmässig Verben auf á, sporadisch auch anders auslautenden, Causalbedeutung giebt, nicht selten aber auch sonst in den indogermanischen Sprachen ohne Causalbedeutung, biswei- len als Denominativaffix, erscheint. Die Bedeutung von jubere vermit- telt sich damit ohne besondre Schwierigkeit, z. B. durch die Analogie des lateinischen injungere von jung, eigentlich jug (vgl. jugum und con- jux) entsprechend dem sskr. yuj, welche beide wesentlich dieselbe Be- deutung wie yu haben und eine Weiterbildung desselben sind. Diese 10) In Kuhn’s Zeitschr. II. 368. 11) ebds. VI. 398. 12) ebds. VII. 60. 6 TH. BENFEY, Etymologie wird aber insbesondre dadurch hinfällig, dass sie keine über- zeugende Erklärung für die Form des Pfect jussi Ptcp. jussus u. s. w. zu liefern vermag. Eine andere Etymologie hat Fröhde vorgeschlagen !3), nämlich eine Zusammenstellung mit dem Verbum, welches im Sanskrit yudh lautet und ‘kämpfen’ bedeutet. Gegen die Vertretung von sskr. dh durch la- teinisch b lässt sich nichts einwenden. Allein schon mit der Bedeutungs- vermittlung steht es etwas misslicher. Man müsste annehmen, dass yudh, welches wohl unzweifelhaft aus yu durch die schon vor der Sprach- trennung gebrauchte und auch nach derselben in den besonder- ten Sprachen unabhängig von einander angewendete Zusammensetzung mit dem Verbum dhä ‘setzen, machen u.s. w.’ entstanden ist, im Sanskrit etwa vermittelst des Begriffs conserere nämlich manus zu der Bedeutung ‘kämpfen’ gelangt sei, während es im Lateinischen etwa durch ‘verbindlich machen’ zu der Bedeutung ‘befehlen’ gekommen sei. Schon das macht gegen diese Etymologie bedenklich; hinfällig aber wird sie wie die letzt erwähnte durch die Unfähigkeit die ss in jussi u.s.w, genügend zu erklären. $ Die dritte Etymologie hat Wilbrandt!#) versucht. Er leitet jubere unmittelbar von juvare ab und betrachtet den ersten Theil beider Verba juv und jub als völlig identisch, Wenn schon diese Identificirung von v und b sehr bedenklich macht 15), so trägt auch die Bedeutungsvermitt- lung dazu bei, die Bedenklichkeiten zu steigern. Er übersetzt nämlich juvare ‘gut sein’ und jubere ‘gut heissen’ und meint dass zwischen beiden dasselbe Verhältniss bestehe, wie zwischen pläcare und plăcere, sedare und sedere. Zwar entgeht ihm selbst nicht, dass das Verhältniss bei der von ihm aufgestellten Grundbedeutung eigentlich ein umgekehrtes sei: juvare der Categorie von sedere angehören (neutral sein) würde, jubere dagegen der von sédare (transitiv), ‘aber’ heisst es S. 110: ‘die geringe Zahl der Fälle... . würden ein einmal umgekehrtes Verhältniss in den Bedeu- 13) ebds. XIV. 452. 14) ebds. XVIII. 106 ft. 15) vgl. Corssen kritische Nachträge z. lat. Formenl. 179 es JUBEO UND SEINE VERWANDTE. T tungen gar nicht so wunderbar erscheinen lassen u.s.w. Schon diese Auffassung wird schwerlich im Stande sein Jemand für diese Etymolo- gie zu gewinnen; ausserdem erhalten wir durch sie keine Erklärung von ou in joubere, da das u in juvare schwerlich je lang war und endlich ist sie eben so wenig im Stande als die beiden letzten über das ss in jussi u.s.w. eine überzeugende Aufklärung zu geben. S. 3. Bei der Erklärung, welche wir im Folgenden auszuführen versu- chen, legen wir, wie Corssen zunächst *jousbeo zu Grunde; weichen aber, gestützt auf entsprechende Formen im Altbactrischen und Sanskrit, von den meisten bisher vorgeschlagenen Erklärungen darin ab, dass wir das b, nach dem bekannten Reflex 16), als Vertreter von grundsprachlichem dh fassen. Für dieses Lautverhältniss sind so viele Belege beigebracht, dass es kaum einer weiteren Häufung derselben bedarf; wir wollen da- her nur erwähnen, dass so auch dubio (dubius) zu erklären ist; es be- ruht auf einer Verbindung von grundsprachlichem dvi ‘zwei’ mit dha von grdsprachl. dhá ‘setzen, u. s. w. machen’, vgl. sskr. dvidha adj. ‘entzweige- gangen’ eigentlich ‘in zwei gelegt, gemacht und dvidhd, wohl eigentlich. dessen alter Instrumental, adv. ‘in zwei Theile’, griech. de (vgl. Gouf: dor. öovıy und sskr. purudhá' oder purudhä, ‘auf vielerlei Weise u. s. w. griech. noAieynj, so wie sskr. puruha, adj. ‘viel’, mit dem im Sskr. ge- wöhnlichen Uebergang von dh in A); an dieses dvidha trat dann das so häufige adjectivische Affix: grundsprachlich zo lat. io, wodurch dubio die Bedeutung 'zweigetheilt seiend — zweifelnd’ erhielt, mit einer Bedeu- tungsentwickelung die der des deutschen Wortes ‘zweifeln’ sehr nahe steht und auch in der Zusammensetzung von sskr. dvaidha, einer se- kundären Ableitung von dvidha, mit bhäva (dvaidht-bhäva lautend) ‘Zwei- feľ, eigentlich das ‘Zweigetheilt-Sein’, seine Analogie hat 17). 16) vgl. Leo Meyer, Vergl. Gramm. d. Griech. u. Lat. Spr. I. 51; Corssen, krit. Beitr. 200 ff. u. aa, 17! Anders Corssen Ausspr. II?, 1027; auch dubius soll eine Zusammense- tzung mit habere enthalten und für du-hib-ius stehen. 8 TH. BENFEY. Bei dieser Auffassung des b tritt das auslautende beo in jubeo in lautlicher Hinsicht in vollständige Analogie mit dem in rwbeo ‘roth sein’, welches bekanntlich in letzter Instanz auf grundsprachlichem und sskr. rudh in sskr. rudh-ira, griech. 20gv9-06 beruht und auch in dem Reflex dieser Adjective rubro (ruber) b = dh zeigt. Was nun die Bedeutung dieses beo in jousbeo betrifft, so gehört die Erkenntniss, dass schon vor der Sprachtrennung Verbindungen und Zu- sammensetzungen mit dem Verbum dhá griech. Jn in tíðnur ‘setzen, u.s w. Statt fanden, zu den ältesten Resultaten der indogermanischen Sprachvergleichung, indem sie zunächst durch die Identification des latei- nischen crédo, (für cred-dedo), cr&didi (ered-didi) mit dem gleichbedeutenden sanskr. grad-dadhá-mi, crad-dadhau u.s.w, nachgewiesen ward. Wie man auf dem heutigen Standpunkt der Sprachwissenschaft den Gedanken fas- sen kann an dieser Identification zu rütteln und in dem lateinischen -do,-didi einen Reflex von grdsprchl. dá ‘geben’ zu sehen, ist dem Vf. ein Räthsel; was bei römischen Etymologen, in Folge des Reflexes von grundsprachlichem d sowohl als dA durch lateinisch d, entschuldigt wer- den kann, darf jetzt nicht von Neuem versucht werden. In der weiteren Entwickelung der vergleichenden Methode hat sich die Anzahl der alten und jungen Bildungen durch Zusammensetzung mit dhä und Ableitungen davon so sehr gemehrt, dass schon darum der Ver- such eine solche auch in jous-beo zu sehen berechtigt wäre. Dennoch würden wir kaum gewagt haben ihn zu veröffentlichen, wenn wir nicht überzeugt wären ihn durch Vergleichung mit einem lautlich identischen und begrifflich verwandten altbactrischen und lautlich so wie begrifflich verwandten sanskritischen und altbactrischen Verbum zu hoher Wahrschein- lichkeit, ja vielleicht Gewissheit erheben zu können. Denn wir glauben. dadurch das Recht zu erhalten, die Zusammensetzung als eine sehr alte, wahrscheinlich schon aus der Grundsprache überkommene zu betrachten, deren Zusammenhang mit aa. Reflexen von grundsprachlichem dhá dem römischen Sprachbewusstsein um so mehr entschwinden musste, als letz- teres durch Einbusse der Aspiration formell mit grundsprachlichem dä ‘geben’ gleich, und nicht als einfaches Verbum, sondern nur in Zusam- JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 9 mensetzungen erhalten ward, in denen, ähnlich wie in dem erwähnten credere, die eigentliche Bed. desselben durch die Zusammensetzung ganz in Schatten gestellt war. Demgemäss isolirte sich jous-dhd4 vollständig sowohl der Bedeutung als der Form nach und war dadurch im Stande, in phonetischer sowohl als flexivischer Beziehung anderen Analogien zu folgen, als die übrigen, theilweis zweifelhaften Reste von dhá, welche durch do, di u. s. w. reflectirt werden. §. 4, Was den ersten Theil von *jousbeo, nämlich jous, betrifft, so treten ihm im Sanskrit, Altbactrischen und Gothischen Wörter zur Seite, wel- che sich in kaum zweifelhafter Weise formell damit vermitteln und auf eine Grundform zurückführen lassen. Schwieriger ist die Vermittlung der Bedeutungen. Zwei derselben : latein. jous, jús "Recht und sanskri- tisch yós sind so viel mir bekannt, zuerst von Kuhn 18) zusammenge- stellt; dazu trat dann der altbactrische regelrechte Reflex des letzteren yaos, von Justi notirt, und in der ersten Ausgabe des Wörterbuchs der Indogerm. Grundsprache von Fick goth. De (Thema Daa ‘gut’; in der neuen Bearbeitung!2) hat Fick das letzte jedoch ausgelassen > Leo Meyer 20) stellt es zweifelnd zu griech. ed aus Feov. Das lateinische jous vereinigen sich, soweit mir bekannt, alle Ety- mologen, von dem Verbum abzuleiten, welches im Sskrit und Altbactri- schem yu lautet und in ersterem, wie schon bemerkt, in derselben Be- deutung erscheint, wie das daraus weiter entwickelte und auch noch im Griechischen, Lateinischen und Litauischen als Verbum erhaltene grund- sprachliche jug, sskr. yuj, nämlich ‘anbinden, anschirren‘. Man vergleiche z. B. Rigveda VIII 26, 20. yukshvd' hi tvam rathäsahä yuvdsva póshyå vaso ‘Spanne denn an deine beiden wagengewachsenen, schirre an deine beiden pflegewerthen, 18) In seiner Zeitschrift für Vgl. Sprfsch. IMI. 377. 19) Vergl. Wtbch. der Indogerm. Spr. I. 162. 20) Die Gothische Sprache S. 666. Bistor.-philol. Classe. XVI. B 10 TH. BENFEY, (tüchtigen : nämlich: Rosse) o Guter!', wo yukshvá von au! und yuvasva von yu völlig gleichbedeutend erscheinen. Ferner IV. 48, 5. VXyo catäm härinäm yuväsva pöshyänäm. “Vayu! schirre deine hundert tüchtigen Falben an. Sieht man nun, wie im Sanskrit von yuj das Passiv (eig. ‘angebunden werden’, medial ‘sich anbinden, anfügen’) die Bedeutung ‘passen, zukömm- lich sein, recht sein’ annimmt, das Ptcp Pf. Pass. yukta ‘passend, recht bedeutet, das Abstract yukti ‘Angemessenheit, Richtigkeit, richtige Weise, Fug’; ferner wie im Deutschen mit ‘fügen’ das Wort ‘gefüge’ und das dem Begriff Recht so nahe stehende, fast damit identische, ‘Fug’ zu- sammenhängt, so kann man unbedenklich annehmen, dass aus yu ein Wort hervorgehen konnte, welches, wie im lateinischen jous, die Bed. Recht erhielt. Was die Form von jous betrifft, so werden wir sie wohl eben so unbedenklich für ein Abstract halten dürfen, gebildet durch das primäre Affıx, welches in der Grundsprache und im Sskr. as, im al- ten Latein os im späteren us lautet, und Substantive neutralen Geschlechts gestaltet; davor wird ein verstärkbarer Vokal des radikalen Theiles durch Vortritt von grdsprachlichem a verstärkt, worauf ein radikales u sich vor Vokälen zu v liquidirt (vgl. z. B. altlat. plovo(i), in per-plovere, entspre- chend dem grdspr. und sskr. Präsensthema plava vom Verbum plu ‘schwim- men u.s.w.). Danach würde als altlateinische Form ein jouos oder jovos aufzustellen sein, dessen Uebergang in jous ohne Anstand angenommen werden darf, obgleich ganz entsprechende Beispiele im Latein mir nicht bekannt sind. Im Sanskrit erscheint nur die Form yós und zwar im Sinne des Nominativ oder Accusativ Singularis. Beide Casus würden ursprünglich ydvas lauten und dessen Contraction zu yós erklärt sich durch eine Fülle von Analogien; so wird z. B. aus älterem *a-va-vac-am (entsprechend griech, &-7e-zen-ov in slov, ohne Augment Feinov) durch Uebergang des radikalen va in w und regelrechte Zusammenziehung von au zu o avo- cam, aus maghavan in vielen Formen maghon, aus *bhavas, dem vedischen Vokativ Singular. von bhavant, bhos, u. s. w. Wären mehr Casus, etwa JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 11 Instrumental yávasá Dat. yávaseim Gebrauche erhalten, so würde sich diese Zusammenziehung in diesen Casus wohl eben so wenig festgesetzt ha- ben, als in Zavas u. aa. derartigen Themen auf -avas; allein durch den Verlust der übrigen Casus wurde das Wort isolirt, entfremdete sich der Nominal-Categorie, welcher es ursprünglich angehörte, und fiel der laut- lichen Neigung anheim, welche ava, wo es nicht durch eine systema- tisch zusammenhängende Categorie festgehalten wurde, mehrfach in o umzulauten strebte. Wie sich das Wort nur in diesen zwei gleichlautenden Casus er- hielt, so ist auch seine eigentliche Bedeutung früh aus dem Sprachbe- wusstsein geschwunden. Dies ergiebt sich aus den Erklärungen desselben, welche sich bei Yäska und Säyana zu Vedenstellen vorfinden. Zwei beruhen nur auf Etymologie und zwar auf Ableitungen von den beiden Verben yu, welche im Sskrit in zwei einander ganz entgegengesetzten Bedeutungen erscheinen, nämlich das eine schon erwähnte in der Bed. ‘verbinden’ auch ‘mischen’, das andere in der Bed. ‘abhalten, entfernen’; demgemäss erklärt Säyana yós bald durch die Bedeutung ‘Abwehrung’?!), die auch Yäska anführt 22), bald durch die von ‘Hinzufügung, Spen- de23), und selbst ‘Spender’ 24), mit willkürlicher Supplirung von Genitiven, welche das was abgehalten (z. B. Gefahren, Leiden), oder gespendet wird (Freuden), ausdrücken sollen. Neben diesen augenscheinlich nur etymo- logisch begründeten Bedeutungen hat Säyana aber noch eine dritte: ‘Freude’ 25), die, da sie nicht gut etymologisch zu begründen ist, auf den ersten Anblick traditionell zu sein scheinen könnte. Dafür könnte auch der Umstand sprechen, dass sie in allen Stellen einen passenden Sinn gewährt. Denn das Wort erscheint nur in Stellen, wo Segen erfleht wird. Aber eben dieser Umstand macht wiederum zweifelhaft, ob eine 21) Zu Rigv. I. 93, 7; 106, 5; 114, 2; H 33-13; V. 39, 7;58, 14; VII 60 (71), 15. 22) Nirukta IV, 21. 23) Zu Rigv. V. 69, 3; VII. 69, 5. 24) Zu Rv. I. 189, 2. III. 17, 3. 25) Zu Be IV. 12, 5; VIE 35, 1; VII. 39, 4. B2 12 TH. BENFEY, bestimmte Tradition in dieser Erklärung zu erkennen sei. Denn dass das Wort eine derartige Bedeutung haben möge, lässt sich aus den Stel- len, in denen es vorkömmt, vermuthen und so haben auch die neueren Uebersetzer und Ausleger zu ähnlichen Auslegungen gegriffen. Das Pe- tersburger Wörterbuch giebt die Bed. ‘Heil, Wohl’ u. Aa. ähnliches. Nur M. Müller schlägt 26) eine bestimmtere Bedeutung vor, nämlich: ‘wealth’; es fehlen zwar bei ihm entscheidende Gründe dafür, allein, da die Zu- sammenstellung mit lateinisch jous und die Ableitung von yu kaum zwei- felhaft ist, so wird dadurch eine Bedeutung, die sich der von M. Müller angenommenen sehr nähert, wenigstens möglich. Denn aus der Grundbe- deutung ‘das Angemessene, das Geziemende, das, was (für einen Menschen ` gewissermassen) Fug und Recht ist’ konnte sich wohl auch die Bed. ‘genügendes Auskommen’ entwickeln. Doch ist die eigentliche Bed., wel- che das Wort im Sanskrit ursprünglich hatte, schwerlich mehr mit vol- ler Sicherheit herauszubringen; sie scheint schon früh sehr weitschichtig geworden zu sein, wie insbesondre die ganz willkürliche Einfügung in das Uhyagäna (z: B. I. 15) verräth. Wie es aber auch damit beschaf- fen sein möge, die ursprüngliche Identität mit .jous und die Ableitung von yu ‘verbinden’ wird, wenn wir mit Recht in ssk. yaud den Reflex von altbactrisch yaozh-dä und lat. jousb erblicken dürfen, (s. $. 7) dadurch gesichert, dass die Bedeutung von diesem wesentlich dieselbe wie die von yu ist, nämlich ‘zusammenbinden.. Das altbactrische yaos entspricht regelrecht dem sanskritischen Yos; vgl. z. B. denselben Reflex von sskr. o durch altbactrisch ao in haoma = sskr. soma. Wie sskr. yos erscheint auch yaos als Indeclinabile ein- zig in dieser Form. Justi fasst es als Adverb und giebt ihm die tradi- tionelle Bedeutung ‘rein’; diese tritt in der Zusammensetzung yaozh-dá und deren Ableitungen entschieden hervor und wir werden darum kei- nen Anstand nehmen, sie im Allgemeinen auch in yaos anzuerkennen. Dagegen scheint es mir nicht nöthig, das Wort als eigẹntliches Adverb 26) Rig-Veda-Sanhita. The sacred Hymns of the Brahmans translated I. p. 182, wo man auch die hieher gehörigen Stellen des Rigveda findet. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 13 zu fassen, so wenig wie das sskr. yos und das neben diesem, ebenfalls als Segenswort erscheinende gám, obgleich ich nicht verkenne, dass es in der einen Stelle, in welcher es vorkömmt vielleicht, gleichwie cam in mehreren, in unserm Sinne als Adverb gefasst werden kann. Was gam betrifft, so schliesse ich aus der Vergleichung von Väjasaneyi-Sam- hita XXXVI. 2. 9. 10. 11. 12, wo cam als Segenswort erscheint, mit 17, wo statt dessen gäntis, dass, wie beide Wörter von demselben Verbum cam stammen, beide auch dieselbe Bedeutung haben, etwa eigentlich ‘Beruhi- gung, Befriedigung’ (vgl. die Bedd. von cam in meinem Sanskrit English Dic- tionary unter gam) dann ‘Glück (vgl. ebds. cänti) “Heil überhaupt, Wie gam ?7) und yos häufig mit Verben welche ‘sein’ bedeuten verbunden werden, z. B. Rv. I. 189, 2 von Agnis bhava tokáya tdnaydya cdm yöh ‘sei unsern Kindern, Kindeskindern Heil, Segen !’, eben so yaos Yacna 43 (44),9 yé maibyá yaos ahmdi ag-cit ‘wer irgend Reinheit mir hier isť’, in beiden Fällen das Abstractum wie in den Veden so oft für ein Coneretum, so- gar für nomen agentis (vgl. z. B. abhimáti Nachstellung’ vorwaltend in der Bed. ‘Nachsteller, Feind’, und so auch wohl Rv. I. 189, 2 Heil’ für ‘Heilspender). In der andern Stelle Yen. 45 (46), 18 Kathä möi yãm yaos da&nam yaozhdäne, welche Justi übersetzt ‘wie soll ich mir das Gesetz rein erhalten’, liesse sich yaos als Prädikat fassen ‘als Reinheit erhalten’, oder, wie in so vielen Fällen in allen alten Phasen der indogermanischen Sprache, als Accusativ in derjenigen allgemeinen Bedeutung, aus wel- cher so manche Adverbia hervorgetreten sind, z. B. sskr. käma-m ‘nach Wunsch, gern u.s.w., also etwa im Sinne von ‘in Reinheit. Ich kann aber nicht bergen, dass mir die Stellung von yaos zwischen yam und da&nam nicht unwahrscheinlich macht, dass yaos dem Sinne nach ein De- terminativ von dafna ist und yäm die Bed. des Artikels hat, etwa ‘das Reinheit-Gesetz‘. Doch wir haben nicht nöthig uns dabei länger aufzu- halten, da die Identität von yaos mit yos unbestreitbar. Die Bed. 'Rein- heið würde sich aus der für lateinisch jus und sskr. yos zu Grunde ge- legten ‘Angemessenheit, das Angemessene, Richtige’ dadurch erklären, 27) Vgl. über cam M. Müller a. a. ©. 18. 14 TH. BENFEY, dass für den Bekenner der zoroastrischen Religion, in welcher Reinheit die hervorragendste Stelle einnimmt, eben diese ‘das Richtige, Rechte’ zur sboynv ist. Å Zu diesem yaos gehört ohne Zweifel yaosh-chini in dem alten Zend- Pahlavi Glossar (S. 111), welches Hoshengji Jamaspji 1867 herausgegeben hat; dieses wird daselbst ‘glücklich’ übersetzt und, wenn die Tradition Recht hat, so ist auch yaos im Altbactrischen, gleich wie yos im Sskr., in die Bedeutung des Segens überhaupt übergegangen. Justi zieht auch das Wort yüs dazu, welchem die Tradition die Be- deutung ‘Vereinigung’ giebt, er selbst die von ‘gut. Die einzige Stelle, in welcher es vorkömmt, scheint mir noch so dunkel, dass ich nicht wage näher darauf einzugehen. Nur beiläufig will ich bemerken, dass die Ableitung des so schwierigen und nur einmal — an eben dieser Stelle — vorkommenden frahmi aus einem Verbum Amé, welches eine Spielart von mar (= sskr. smar gedenken") sei, ohne jede Stütze ist; denn statt des (im Wörterbuch S, 332) von Amé abgeleiteten ahmemaide liest Westergaard, ohne eine Variante anzugeben, ashá mehmaidi (Yacn. 46, 13), und Spiegel (45, 13) ashä mehmaide mit Varianten, welche alle auf mehmaidi führen. Dieses ist aber sskr. mansmahi, d. h. Ater Aorist; im Altbactr. ist ë für an eingetreten, womit man den bisweilen im Sskr. im Ätmanepada dieses Aorists vorkommenden Verlust des Nasals vergleiche, z. B. von han ähasata (statt á ahan-sata) 28); in diesem ashá erkenne ich die vedische Präposition accha,. welche fast durchgängig mit auslauten- dem á vorkömmt und Umwandlung von akshäist; sh für das ursprüngliche ksh, wie im Altbactr. gewöhnlich. Die Bedeutung ist ungefähr dieselbe wie die der vedischen Verbindung acchá vad ‘anreden , begrüssen’, wört- lich ‘von Auge zu Auge (coram) gedenken‘. Was die dem Worte yüs gegebene Bedeutung eut betrifft, so kann sie in dem Gothischen eine Stütze finden zu welchem wir uns jetzt wenden. Das gothische Thema zusa ist nicht belegt, aber aus dem belegten 28) Pänini I. 2. 13—17. Bhhattikävya hat auch von man amadhvam (s. Petersb. Wtbeh. unter ava-man). == JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 15 Comparativ řuzisan ‘besser (vgl. auch 7usilá ‘Annehmlichkeit') erschlossen 29). Das phonetische Verhältniss zu *yavas betreffend, so ist der Uebergang von grundsprachlichem ya in goth. i und der von grdspr. va in goth. ú durch Analogien geschützt (vgl. z.B. das ¿ in kuni Nomin. u. Acc. sing. vom Thema kunja — sskr. janya, und Dual 1. vit-u = sskr. vid-va). Bedenklicher ist die Annahme des an das Thema getretenen sekundären Af- fixes a; im Sanskrit tritt zwar grade an das Affix as häufig adjectivisches a, z. B. von drcas n. ‘Hämorrhoiden’ arcas-4 ‘damit behaftet’, úras n. ‘Brust’ uras-d *breitbrüstig’, rábhas n. ‘Ungestüm’ rabhas-d adj. ‘ungestüm’ und viele andere; im Gothischen dagegen erscheinen kaum zwei Fälle der Art und in diesen ist der Antritt von a zweifelhaft30). Dennoch wäre selbst nur ein einziger Fall nicht unmöglich, da in den indogermani- schen Sprachen selbst von flexivischen Formen, die doch durch ganze, viel häufiger im Gebrauch hervortretende und darum im Sprachbewusst- sein lebendiger bleibende Categorien zusammengehalten werden, nicht selten nur eine Form oder deren sichere Spur erhalten ist, so z. B. im Sskr. nur eine der 3. Plur. Imperativi act. auf antdt (hayantät) = lat. unto dorisch ovrw gewöhnlich ovtw-v, nur eine von Sing. 1 des Potential auf mi (grihni-yä-mi), während im Griech. nur eine, höchstens drei, auf w (to&pow), im Lateinischen nur eine Spur der 2. Sing. Imperat. Act. auf grdspr. dhi, welches im Latein. di lauten würde, nämlich im Imperativ es von ed ‘essen’, da hier das s sich nur dadurch erklärt, dass ihm einst das d von di folgte. Bezüglich des Verhältnisses der Bedeutung ‘gut’ zu der des Vb. yu ‘binden (fügen) bedarf es keiner Bemerkung; sie vermittelt sich durch ahd. kafokiu ‘apta von ‘fögjan' fügen‘, durch das Adj. recht im Ver- hältniss zu dem Subst. ‘Recht’, und erhält zu allem Ueberfluss eine ent- scheidende Analogie in der trefflichen Etymologie von _goth. góda ‘gut griech. &-ye@9-ös und verwandten, welche wir Deecke®!) verdanken; 29) Vgl. Leo Meyer Goth. Spr. an den im Wörterbuch (S. 747) angegebenen Stellen. 30) A. a. O. $. 180 S. 173. 31) Die deutschen Verwandtschaftsnamen S. 171—173. 16 TH. BENFEY, durch sie ergiebt sich, dass auch diese Wörter von einem Verbum abge- leitet sind, welches in der Grundsprache ghadh lautete und wohl ur- sprünglich “fest gefügt sein’, dann ‘fest fügen, (vgl. noch unser gatten) fest halten’ bedeutete 32); so dass diese Ausdrücke für ‘gut’ ebenfalls aus dem Begriff ‘fügen’ aptum esse hervorgegangen sind (gr. d-ye$-6 würde ein gräsprchl. sa-ghadh-a widerspiegeln). N Wenden wir uns jetzt zu der Zusammensetzung mit dem Verbum dhá und dessen Ableitung, aus welcher wir jousbeo erklären. Diese erscheint zunächst im Altbactrischen. Wie im Latein giebt es hier kein etymologisches dh, so dass grundsprachliches d sowohl als dh etymologisch durch d reflectirt werden; wohl aber giebt es ein unter bestimmten lautlichen Verhältnissen sowohl aus grundsprachlichem d als dh entstehendes phonetisches dh. Ausserdem kann sich im Altbac- trischen der stumme Zischlaut s nicht vor einem tönenden Consonanten halten; er geht vor einem solchen, wenn nicht andre Lautgesetze eintre- ` ten, in den tönenden, hier zh, über, so dass grundsprachlich yavas-dhá, den schon besprochenen Uebergang des ersten Gliedes in yaos vorausge- setzt, altbactrisch zu yaozhdd wird. Die Urbedeutung von dhá ist wohl unzweifelhaft ‘setzen, dann in prägnantem Sinn ‘festsetzen’, und daraus verallgemeinert ‘machen. Diese letzte tritt so ziemlich in allen indogermanischen Sprachen hervor; so im Sanskrit in dhd, im Altpersischen und Altbactrischen dä, im Griechischen tíðnur, im Lateinischen (z. B. in-dere “hineinthun‘, con-dere und wohl auch re.ddere in der Bedeutung ‘machen’, welches letztere etymologisch von der Bedeutung ‘zurückgeben’ zu trennen ist), im Germanischen (vgl. z. B. althochd. tu-an, tu-on), im Slavischen (vgl. z. B. slav. detel, operator), Celtischen (vgl. z. B. irisch denim) 55) -- und scheint dieselbe zu sein, 32) Vgl. Fick unter gadh; man beachte den Gegensatz in der Vertretung der Aspiratä von ghadh (für die Richtigkeit dieser Ansetzung entscheidet goth. g d in góda) in den griech. Reflexen y«2 und yad. 33) Vgl. Curtius, Grdzüge der Gr. Etymol. I?. 309, Pott, Indogerm. Wzwtbch. L 121. - JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 17 in welcher dieses Verb schon vor und auch noch nach der Trennung der Sprachstämme überaus häufig mit andern sprachlichen Elementen zu- sammengesetzt ward; so z. B. wird das schon erwähnte grundsprachliche und sskr. yudh ‘kämpfen’ (griech. in ðo-urv, öo-uivn) von yu-dhä eigent- lich, ‘verbinden thun’, etwa im Sinne von conserere manumi, bedeutet ha- ben, das griech. 77/1-2 von grdsprehl. und sskr. prä, griech. #27 in rtu-nin-uı, latein plé in ple-nus, und grdsprchl. dhá, ‘voll sein thur — ‘vollsein und die germanische Bildung des schwachen Präteritum z. B. goth. salbö-dedum ‘salben thaten wir. Demgemäss hiess yaozhdá wohl ei- gentlich ‘Reinheit (specialisirt aus ‘Angemessenheit, Fug, Recht’) machen‘, dann ‘reinigen’ überhaupt. Diese Bedeutung tritt in einer, zumal im Verhältniss zu dem geringen Umfang der Ueberreste des altbactr. Schrift- thums, ziemlich beträchtlichen Anzahl von Ableitungen hervor, nämlich yaozhdäiti, f. ‘Reinigung’, yaozhdäo, f. Reinigkeit, yaozhdátar, m. Reiniger, yaozhdathra, n. Reinigungsmittel, yaozhdäthrya m. Reiniger, yaozhdäna, adj. ‘reinigend’ (in An Old Zand Pahlavi Glossary 23" yozhdana mit à und substantivischer Bedeutung in der Verbindung yozhdanahe dára ‘Rasir- messer, daher vielleicht von einer durch Einbusse des á verstümmelten Verbalform yaozh-d, s. weiterhin), yaozdhi, f. Reinheit. Das Verbum selbst bildet zunächst sein Präsensthema, wie das un- zusammengesetzte dhá und dessen Reflexe im Sanskrit, Altbactrischen, Litauischen, Slavischen, Griechischen und, in der Zusammensetzung mit re in re-ddo für re-dedo machen 55), auch im Lateinischen durch Redu- plication, so dass man sicher annehmen darf, dass diese Präsensbildung aus der Grundsprache überkommen ist und auch schon hier mit Verkürzung 34) Edited etc. by Hoshengji Jamaspji p. 114. 35) Dass d in reddo sowohl in der Bed. ‘zurückgeben’ als ‘machen’ zum Stamm gehört, also in beiden Fällen re-dedo die ursprünglichere Form ist, in jenem aber dedo = grdsprchl. dadä, in diesem — dadhä, folgt daraus, dass sich red nur vor Vo- kalen und h hält, vor allen andern Lauten das d einbüsst, vgl. z.B. re-duco u.s. w. In reddidi, redditum, redditio u. s. w. ist das doppelte d statt des einfachen aus dem Einfluss des Präsens und der verhältnissmässig zahlreichen Bildungen zu erklären, welche dessen Analogie folgen. Histor.-philol. Classe. XVI. C 18 TH. BENF EY, des Vokals in der Reduplication, grade wie im Sskr. dadhä lautete. Im Altbactrischen würde mit d für dh dadä entsprechen, allein zwischen Vokalen wird d aspirirt und zwar sowohl tönend bewahrt (dh), als in die entsprechende stumme Aspirata (th) verwandelt, so dass -dadhä und -dathä entspricht. Ein ganz sicheres Beispiel dafür bietet die 3. Sing. Präs. Act. yaozh-dadhäiti, welche, abgesehen von dem durch Einfluss des 7 in ti hinter dem á der vorhergehenden Sylbe entstandenen í, genau grdspr. und sskr. dadhäti entspricht. Da wir das Altbactrische überhaupt und speciell hier als treuesten Gefährten des Sanskrit finden, dürfen wir nach Analogie des letzteren, welches in den ersten Personen des Imperativs das ungeschwächte Präsensthema bedingt, auch die 1. Pers. Sing. Im- perat. Act. yaozh-dathäni aus dathá-áni erklären. In den sogenannten schwachen Formen tritt, wie im Sanskrit, Einbusse des auslautenden á, nämlich dath (= sskr. dadh) ein, so in 3. Plur. Präs. Med. -dath-ente (= sskr. dadhate), 3. Plur. Potent. Act. -daith-yan, 2. Sing. Potent. Med. ` -daith-isa 3. -daith-ita, Accus. Ptcp. Präs. Act. -dath-entem. In einer Form, nämlich in der 2. Sing. Imperf. Act. -dathó (für *dathas und dieses für ursprünglicheres *dathás — sskr. dadhäs) ist das auslautende á verkürzt; sie stimmt in dieser Beziehung genau zu einer im Mahäbhärata 36) vor- kommenden Form von grad-dhä ‘glauben’, nämlich 3. Sing. Imperf. a- erad-dadhat (statt des richtigen erad-a-dadhät, zugleich mit Augment vor dem Präfix, wie im griech. #-xdðtov und ähnlichen). Diese Verkürzung findet sich im Sanskrit in manchen reduplicirten Präsensthemen durch- greifend z. B. von sthä griech. or, wo im Griech. im Präsensthema iorn die ursprüngliche Länge im Singular bewahrt ist, z. B. torns für *Totnot, tritt im Sskr. tishthasi gegenüber und so durchweg, ausser wo specielle phonetische Gesetze des Sanskrit die Dehnung bedingen, wie in 1. Plur. wo in sskr. tishthämas á der griech. Kürze in forausv gegenübersteht; eben so erscheint sie im lat. re-ddimus u. s. w., so dass derartige Präsensthe- men aussehen wie consonantisch auslautende Basen, an welche dasjenige Präsenscharakteristikum getreten ist, welches grdsprchl. a reflectirt. 36) In meiner Sanskrit-Chrestomathie 7, 20. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 19 Ferner erscheint von yaozh-dä auch das nicht reduplieirte Verbum als Präsensthema in 3. Sing. Präs. Act. -däiti, wozu, nach dem oben für 1. Sing. des Imperativs der reduplicirten Form angegebenen Grund, .auch 1. Sing. Imperat. Med. -dän® gehört; wenn es Justi mit Recht für Im- perat. Aor. nimmt, würde es ebenfalls aus dá, aber als generellem Ver- balstamm, gebildet sein. Aus letzterem ist natürlich das Ptcp. Perf. Pass. -dä-ta abgeleitet. ” Eine Einbusse des auslautenden á (ausser vielleicht in yozhd-ana S. 17) und Antritt von a im Präsensthema findet sich in dem nicht redu- plicirten dä von yaozh-da nicht, wohl aber in einem andern durch Zu- sammensetzung mit dá gebildeten altbactrischen Verbum, welches Justi unter gab-d4 aufführt, zusammengesetzt aus gap — grädsprehl. und sskr. svap ‘schlafen’ und dá = dhä ‘thun’, vgl. Partic. Präsens Med, ava-nu- habd-e-mno wo e vor m für a eingetreten ist; danach ist auch 3. Sing. Potent. Med. ava-nhabd-atta aus ava-nhabd-a-ita zu erklären nicht etwa aus ava-nhabdä-ita, so dass als allgemeine Form, wie analog fast in allen mit dhá zusammengesetzten Verben, gabd aufzustellen ist, dessen Präsens- thema der a-Conjugation folgt. Man vergleiche z. B. altbactrisch endd ‘waschen’ aus end — dem gleichbedeutenden sskr. snd zusammengesetzt mit dá für dhá, im Präsensthema cnädh-a, wo auch Justi das Verbum ohne auslautendes á aufführt; eben so sskr. nádh ‘bitten’ von nam ‘sich beugen’ und dhá (für nandhä, *nandh. vgl. z. B. játa ‘geboren’ für jan-ta und jáya neben jan-ya, beide von jan u. a.), im Präsensthema nädh-a; ferner sskr. yudh aus yu ‘mischen’ und dhá, im Präsensthema yudh-ya und Med., eigentlich ‘sich untereinander mengen thun’ (vom Kampfgemenge) = ‘kämpfen’. In diesen und ähnlichen Fällen hat das ursprünglich aus- ‚lautende 4 gar keine Spur hinterlassen und ebenso ist in den griech. Verben auf 9, welche durch Zusammensetzung mit Ae, Jn gebildet sind, das auslautende @, n spurlos eingebüsst und der Reflex von grdsprachl. a (griech. o, ë) als Präsenscharakteristikum zu fassen. 6. Ausser den bisher bemerkten Basen der Verbalformen von yaozhdá C2 20 TH. BENFEY, erscheint endlich noch yaozhdaya in .dem Perfectum periphrasticum ya- ozhdayan. Hier ist an yaozhdd das Affix getreten, welches grundsprchl. und sskr. aya lautet. Die Einbusse des auslautenden á davor hat ihre Analogie in den Causalien von çtá ‘stehen’, etaya (s. Justi Wtbch. unter . gta und mit Präfix ava), då ‘setzen’ (ebds. ni-dá u. al. ká (ebds. pairi-kd); vielleicht erklärt sich dieser Verlust dadurch, dass dya auf der ersten Sylbe acuirt war, wie diess im Sanskrit der Fall ist, wo auch accen- - tuirte Anlaute von Personalendungen denselben Verlust herbeiführen, z. B. dadä mit Affix á, ús, dthus, átus (Pf. red.) wird dadd, dadüs, dadá- thus, dadatus. — Dieses Affıx bildet in den indogermanischen Sprachen bekanntlich nicht bloss Causalia und Denominativa, sondern nicht selten tritt es auch an Verba, ohne deren Bedeutung zu ändern, wie das auch in yaozhdaya der Fall ist und ebenso wohl auch in pazdä, ebenfalls ei- ner Zusammensetzung von dá = dhá mit pad = sskr. pad, ‘Fuss’, von welchem nur die Verbalbasis pazdaya, ‘mit den Füssen auftreten’ und ‘verfolgen’ erscheint. | 5 Im Sanskrit ist ist der Antritt von aya ohne Bedeutungsänderung nicht selten; es gehört dahin die zehnte Conjugationsclasse, mit Ausnahme derjenigen Verba, von welchen sich nachweisen lässt, dass sie ursprüng- liche Causalia oder Denominativa sind; wir beschränken uns auf die An- führung eines vedischen Verbum gúr-dh-aya ‘preisen’, welches augen- scheinlich, gerade wie die hier besprochenen altbactrischen, durch Antritt von Verbum dhá und Affix aya gebildet ist und zwar aus dem gleichbe- deutenden gar oder dem von diesem nur lautlich differenziirten gur. Dass auch im Griechischen Verbalbasen auf Reflexe von aya ne- ben solchen ohne dieses Affix erscheinen ist bekannt, z. B. NEW (für j9:jw) neben Iw, Jw ‘seihen. Wenn dieses zu odw und dem aus og durch Antritt von A (= Jā dhá) gebildeten ou ‘sieben’ gehðrt 37), so hätten wir in 79&w dieselbe Form von 94, wie im altbactr. yaozh-daya u. s. w. und sskr. gür-dhaya, nämlich ejo. Ebenso ist ën Aë ‘bekleiden’ aus pes — sskr. vas entstanden (vgl. weiterhin). In 20-9 und 20-940 37) Vgl. mein Griech. Wzilex. I. 399 und Pott Indog. Wzwtbeh. I. 306. e JUBEO UND SEINE VERWANDTE. ; 21 von dd ‘essen’, in welchem letzteren aus ay entstanden zu sein scheint 38), so dass auch hier dhaya zu Grunde liegt, begegnet uns die Erscheinung, die im Lateinischen nicht selten vorkommt, dass nämlich die Form auf grdsprchl. aya auf das Präsens und die sich ihm anschliessenden Bildun- gen beschränkt ist, so wie z. B. auch im Griech. dox-fw u. a. 59). Im Lateinischen gehören dahin insbesondre eine Menge Verba der zweiten Conjugation, z. B. algeo, alsi; ardeo, arsi; audeo, ausus; augeo, auxi; in-dulgeo, indulsi; gaudeo, gavisus; haereo, haesi; lugeo, luxi; luceo, luxi; maneo, mansi; mordeo, momordi; mulceo, mulsi; mul- geo; mulsi; conniveo, connixi; pendeo, pependi; prandeo, prandi; rideo, „risi; sedeo, sedi; sorbeo, sorpsi; spondeo, spopondi; suadeo, suasi; tergeo, tersi; turgeo, tursi; tondeo, totondi; torqueo, torsi; urgeo, ursi; video, vidi und endlich das Verbum, von welchem wir hier handeln, jubeo für jousbeo, jussi für jousb-si. : Da wir im Sskr., Altbactr. und Griech. dhaya oder dessen Reflexe aus grdspr. dhá entstehen sehen, so wäre die Annahme einer gleichen Bildung im Latein, auch wenn sie sich sonst weiter nicht nachweisen liesse, was Corssen #0) gegen meine Erklärung von joubeo geltend macht, schon an und für sich nicht abzuweisen. Allein mirist sehr wahrschein- lich, dass sie sich in der That nachweisen lässt. Durch den Reflex das grundsprachlichen und sskr. Causale von svap ‘schlafen’, nämlich sväpaya ‘schlafen machen’, durch lateinisch sőpī für sväpaya in sőpíre “einschläfern’, ergiebt sich, dass in dem Charaktervokal der 4. lateinischen Conjugation ebenfalls, wenigstens zum bei weitem grössten Theil, ein Reflex von grundsprachlichem aya zu erkennen ist *!) und auch hier finden wir, wie bei den Verben.der 2. Conjugation nicht seiten das 1 nur im Präsens und den damit zusammenhängenden Formen z.B farcio, farsi; fulcio, fulsi; haurio, hausi; ravio, rausi; sancio, sanxi; 38) Vgl. Pott Etym. Forsch. II, 994 ff. 39) Vgl. Kühner Ausf. Gramm. der Griech. Spr. 2. Aufl. I. 631 $. 273. 40) Aussprache u. s. w. Di. 1027. 41) Vgl. Bopp, Vgl. Gr. I, 226, Corssen a. a. O. IP, 731 und über sancire, vincire meine Anm. zu Rigveda I. 59, 6 in Or. u. Occ. I. 580. 92 TH. BENFEY, sarcio, sarsi; sentio, sensi; saepio, saepsi; vincio, vinxi. — Nach Analo- gie von griechisch (dorisch). dæero-tí9nu ‘hören’ habe ich schon vor Jah- ren audire aus ausdire erklårt#). Es steht zunächst für ausi-dire mit Bewahrung des ursprünglichen s in auri-s ‘Ohr’ statt des späteren r #3), und der so häufigen Einbusse des i44), wodurch ausdio entstand; dann ward der stumme Sibilant vor dem tönenden d eingebüsst*5), wie über- haupt vor allen tönenden Consonanten ausser j, wo arbiträr, vgl. z. B. ju- dex aus jous-die digero für dis-g., diluo, dimitto, dinumero, diruo, divello, aber disjieio und dejudico. In -dio dürfen wir aber nach Analogie von söpio den Reflex von sskr. dhaya in gär-dhaya, altb. -daya in yaozh-daya, griech. 950 in 20-0 und wohl auch o in s-9íw erkennen. Ob auch condire so zu fassen sei und eigentlich ‘zusammenthun’ ‘mischen xa? &£oyrv und so ‘würzen’ bedeute, wage ich nicht zu entscheiden. Bei dieser Auffassung könnte hier -dio für *daja aber auch aus dá ‘geben’ abgeleitet werden ‘zusammen geben’, wodurch wir noch eine zweite Ableitung durch aya von einem Verbum auf ursprüngliches á im Latein erhielten. Nach allem diesen dürfen wir in der Basis des Präsens u. s. w. jousb® für jousbeje wohl unbedenklich den formalen Reflex des altbaetr. yaozhdaya und als Grundlage beider grdsprchliches yavas-dhaya erkennen. Nach Analogie des angeführten sskr. gür-dh, altbactr. enä-d, griech. nin-4F könnten wir auch wohl berechtigt sein, jous-b mit Einbusse des auslau- tenden Vokals von dhá, die Grundlage des Perfect u.s.w., ohne Weiteres zu folgern. Wir haben das aber nicht nöthig, da uns dessen Reflex im nächsten SR entgegentreten wird. RK In der 1869 veröffentlichten ‘Geschichte der Sprachwissenschaft' u. s. w. S. 63 Anm. hat der Verfasser dieser Abhandlung schon beiläufig 42) Griech. Wzllex. I. 43. 43) Vgl. Fick, Vgl. Wtbeh. der Indogerm. Spr. 1870 8. 345. 44) vgl. ER Ausspr. u. s. w. II?, 542 ft., insbes. S. 546 ff. die Einbusse des è vor d; so wie S. 549 ff. die hinter s. 45) ebds. I?, 280. ` JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 23 bemerkt, dass das sskr. Verbum yaut, welchem Vopadeva yaud beifügt, beide mit der Bedeutung ‘verbinden’, dem (besprochenen) altbactrischen yaozhd& entspreche. Beide Formen werden der ersten Conjugationsclasse zugewiesen und als Parasmaipada aufgeführt, so dass z. B. die 3. Per- son Sing. Präs. yautati, yaudati lautet. Ist die Zusammenstellung mit yaozhdä richtig, so haben wir also in ihnen Formen, in denen das aus- lautende á des Verbum dhá, wie in altbactr. end-d, griech. nån- u.s.w., eingebüsst ist (vgl. $. 6). Sie würden also speciell einem altbactrischen yaozhd entsprechen; ist aber yaozıdaya dem lateinischen jousbe für jous- beje gleich, so würde der Reflex von diesem yaozhd = sskr. yaut und yaud lateinich jousb sein, welches die Grundlage des Pf. *joussi, jussi für jousb-si u. s. w. bildet. Beide Formen sowohl yaut als yaud sind zwar bis jetzt in der San- skrit-Literatur nicht belegt, allein die gesteigerte und genauere Kennt- niss der indischen Grammatiker und der Sanskrit-Literatur hat mit Ent- schiedenheit ergeben, dass der Verdacht, insbesondre gegen unbelegte Verba, mit welchem man so freigebig war und noch ist, keinesweges in dem Umfang berechtigt ist, in welchem man sich von ihm bestimmen liess. Einerseits dürfen wir jetzt überzeugt sein, dass die indischen Grammatiker mit ausserordentlicher Genauigkeit und Sorgfalt die sprach- lichen Thatsachen, welche ihnen in der Sanskrit-Literatur entgegentraten, verzeichneten und andrerseits ist nicht mehr zu bezweifeln, dass grade der in dieser Beziehung wichtigste Theil ihrer Literatur — derjenige, worauf ihre Grammatik und ihre sogenannten Wurzelverzeichnisse vor- zugsweise beruhen — die bedeutendsten Verluste erlitten hat. Wir sind demnach auch nicht im Entferntesten berechtigt grammatische oder lexi- kalische Angaben, welche sich in den Werken der Eingebornen vorfinden, einzig aus dem Grunde anzuzweifeln, weil sie sich nicht aus der bisher bekannten Literatur belegen lassen. -- Eben so wenig sind die Varian- ten oder Doppelformen, welche sich in diesen vorfinden, so anzusehen, als ob sie sich einander unbedingt ausschlössen. Bei dem ungeheuern Gebiet, über welches sich der Gebrauch des Sanskrit als Cultursprache ausdehnte, nachdem es schon längst aufgehört hatte, als Volkssprache 24 TH. BENFEY, zu existiren, musste der Einfluss innig verwandter, aber in diesem wei- ten Gebiet stark, insbesondre lautlich, differenzürter Volkssprachen, wohl auch älterer, sporadisch fortwirkender, dialektischer Eigenthümlichkeiten, endlich nicht-arischer, von der Urbevölkerung Indiens ausgehender Bei- mischungen, auf die im Wesentlichen vom Volksgeiste abgelöste und auf das Bewusstsein eines verhältnissmässig kleinen Bruchtheils der in- dischen Bevölkerung beschränkte Cultursprache in hohem Grade einwir- ken, zumal zu einer Zeit, wo sie grammatisch noch nicht hinlänglich ab- gegränzt war, oder auch von Männern geübt ward, die ihrer Grammatik und ihres speciellen Wortschatzes nicht vollständig mächtig waren; da- durch erklärt sich zur Genüge, wie sich Varianten und Doppelformen dieser Art fixiren konnten. | Was speciell das hier in Frage kommende Verbum (oder Wurzel) betrifft, so vereinigen sich grade bei ihm mehrere Gründe, welche mit Entschiedenheit verwehren, seine einstige Existenz in Frage zu stellen und zwar nicht bloss in den beiden erwähnten Formen yaut und yaud, sondern auch noch in einer dritten yot, welche von den Verfassern der sogenannten Wurzelverzeichnisse wohl nur desshalb nicht erwähnt ist, weil sie nicht als Verbum gebraucht war, sondern nur in den Nomen yotaka ‘Constellation (d. i. Sternverbindung) hervortrat. | Die Hauptgründe für die einstige Existenz dieser drei Grundformen yaut, yaud, *yot liegen 1., in der Bedeutung, welche sich eng an das auch bei yaozhdä, jousbe zu Grunde liegende yu ‘verbinden’ ($. 2. 3) schliesst; 2. in der Form, welche in Bezug auf die drei, auf den ersten Anblick auffallenden Momente, nämlich das au, t und d, durch Analo gien geschützt ist. s | Was die Bedeutung betrifft, so bedarf es kaum einer Bemerkung darüber; haben wir als Grundlage von lat. Jous, sskr. yos, altbactr. yaos mit Recht das Thema *yavas betrachtet und von yu abgeleitet‘, so war dessen ursprüngliche Bedeutung ‘Verbindung’ und wenn yaut, yaud, *yot, wie wir nachweisen zu können hoffen, phonetische Umwandlungen von ursprünglichem sskr. yos-dh (für *yavas-dhä) sind, so heisst es eigentlich: ‘Verbindung machen’ = ‘verbinden. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 25 Was aber die Form betrifft, so ist das Verhältniss von d in yaud zu ursprünglichem sdh (in der Grundlage des altbactrischen yaozh-dä) durch die schon in der angeführten Stelle #6) hervorgehobene Vergleichung des sanskritischen, speciell vedischen, mard mit dem altbactrischen marezhdä geschützt. Da deren Identität bis dahin noch nicht erkannt war, so möge es uns erlaubt sein, sie hier etwas genauer festzustellen, als an dem an- geführten Orte geschehen konnte. Die Flexion von sskr. mard folgt der sogenannten 6ten und 10ten Conj.-Cl., hat also einerseits als Präsensthema mridá und als allgemeines mard, andrerseits für alle Verbalformen mardäya. Nehmen wir an, dass d für sdh stehe, was sogleich erwiesen werden soll, so sehen wir hier dasselbe Verhältniss wie in jousb für ursprüngliches jousdh und Jousbe für ur- sprüngliches jousdhaya u. a. (vgl. $. 6). Ja wenn wir dem Gebrauch von mardaya, so weit er bis jetzt bekannt, einen gewissen Werth beilegen dürfen, so wird das Verhältniss sogar noch ein engeres. Denn wie Jousbe ist auch mardaya bis jetzt nur im Präsens -und den sich daran schliessenden Formen belegt. Wenn ich mir erlaube, dieses Zusammen- treffen hier hervorzuheben, so geschieht es um darauf aufmerksam zu machen, dass wie im Latein vielfach die Reflexe von grundsprachlichem aya nur im Präsensthema gebraucht werden (s. S. 21), so analoge Erschei- nungen auch in den verwandten Sprachen hervortreten. Ich hoffe diess künftig genauer auszuführen und wahrscheinlich zu machen, dass aya einst nur Präsensthemen bildete und das Eindringen desselben in andere Verbalformen seine Analogie z. B. in dem Verhältniss der 3ten, d. h. der im Präsensthema reduplicirenden, Conjugationsclasse zu den durch- weg reduplieirenden Frequentativen oder Intensiven findet; denn dass auch die Reduplication in der 3ten Conjugationsclasse ursprünglich fre- quentative oder intensive Bedeutung ausdrückte, wird wohl Niemand jetzt noch bezweifeln und sollte es dennoch in Frage gestellt werden, so giebt es Momente, durch welche es mit all der Entschiedenheit, die in solchen Fragen beansprucht werden kann, erwiesen zu werden vermag. 46) Geschichte der Sprachwissenschaft S. 63, Anm. Histor.-philol. Classe. XVI. ; D 26 TH. BENFEY, Doch kann ich mich hier auf diese Andeutung beschränken, da diese Annahme für unsre Aufgabe völlig gleichgültig ist. Bemerken will ich nur noch, dass darin vielleicht der Grund liegt, weshalb die indischen Grammatiker eine zehnte Conjugationsclasse bildeten. Möglich wäre es wenigstens, dass die ältesten derselben bemerkt hätten, dass viele The- men auf aya nurim Präsens und den damit zusammenhängenden Formen gebraucht wurden. | Wenden wir uns zu der Begründung des innigen Zusammenhangs von mard mit marezhdä vermittelst der Bedeutung. Das Petersburger Wör- terbuch giebt für mard die Bedeutung ‘gnädig sein, verzeihen, verscho- nen, wobei wir nur bemerken wollen, dass die sogleich folgende Etymo- logie zeigt, dass ‘verzeihen’ voran zu stellen ist. Diese Bedeutung allein giebt Justi dem altbactr. Verbum marezhdä (mit eingeschobenem e*n, vgl. weiterhin marzhd ohne dasselbe in Ableitungen) und in den Veden könnte man ebenfalls mit ihr allein auskommen. — Dem von mard ab- geleiteten Nomen agentis marditár giebt das Petersb. Wtbch. die Bedeu- tung ‘Erbarmer, dem Adject. mrida ‘Erbarmen übend'; dieselbe und da- neben ‘gnädig, beglückend' dem Adject. mridaydku; dem subst. neutr. mridīká ‘Gnade, Erbarmen, gütige Gesinnung’; vgl. dazu die adjectivische Zusammensetzung su-mridíká ‘sehr erbarmungsvoll, sehr gnädig’ Rigv. L 35, 10591, 11; 118;-1:;: Atharvarv; VIT. 20, 3; dem subst. neutr. mär- dikd endlich giebt das Petersb. Wörterbuch die Bedeutung ‘Erbarmen, Gnade. Wie nahe sich die Bedeutung ‘Verzeihen’ und ‘Erbarmen’ lie- gen, bedarf keiner weiteren Ausführung. | Die beiden letzten Bildungen werden im Altbactrischen wiederge- spiegelt; beide mit der unwesentlichen Abweichung, dass, statt des Bin- devokals í, 7 erscheint; dieser Wechsel zeigt sich bekanntlich auch im Sanskrit, z. B. arbiträr hinter den Verben, welche die indischen Gram- matiker mit auslautendem + schreiben, sporadisch auch sonst. Dem ri in mridikd entspricht regelrecht altbactr. ere; statt des langen á in mär- dikd begegnet uns kurzes; diese Differenz wird wohl Niemand abhalten 47) Man sehe darüber Orient u. Occ. HI, 26 §. 20 vgl. mit §. 17—19. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 27 die Identität der im Uebrigen und in der Bedeutung gleichen Wörter anzuerkennen; daher ich mich darauf beschränke auf die nicht seltne Verkürzung von á im Altbactrischen zu verweisen #8), ohne die Möglich- keit in Abrede zu stellen, dass das a in diesem Worte vielleicht das ur- sprüngliche war, und die Dehnung im Sanskrit erst später, in Analogie mit der hier fast durchgreifend gewordenen Verstärkung des Vokals in der ersten Sylbe sekundärer Bildungen, eingetreten ist. Es entspricht demnach der ersten Bildung altbactr. merezhdika, der zweiten marzhdika; jenes übersetzt Justi ‘Mildthätigkeit, dieses ‘Barmherzigkeit, was wie- derum wesentlich identisch ist und vermittelst ‘Erbarmen’ auf ‘Verzeihen’ beruht. Von letzterem ist dann marzhdika-vant adj. abgeleitet, eigent- lich ‘mit marzhdika begabt, was Justi ‘mildthätig’ überträgt. Die Uebereinstimmung der Bedeutungen ist augenscheinlich so gross, dass sie allein schon genügen würde, die Identität von marezhdâ und dessen Ableitungen mit mard u. s. w. zu entscheiden. Doch wird die Nachweisung der Art, wie marezhdä und mard entstanden sind, die Be- rechtigung unsrer Zusammenstellung erst vervollständigen. Das Verhältniss von yaozh in yaozhdä zu yaos zeigte uns die Ent- stehung von zh aus s. Dieselbe dürfen wir also auch für das z4 in ma- rezhdä, marzhd- annehmen; marezh marzh steht also für mares, mars. Im Sanskrit geht nun bekanntlich ursprüngliches s hinter r in sh über, so dass einem altbactr. mars hier marsh entsprechen würde. Die indi- schen Grammatiker schreiben zwar diese Veränderung von s in sh in diesen und ähnlichen Fällen nur suffixalem s zu; allein diess ist nur Folge davon, dass sie nur in wenigen Fällen zu erkennen vermochten, dass auch radikales sk aus ursprünglichem s hervorgegangen war und zwar ganz nach denselben Gesetzen, nach denen suffixales zu sh wird. Für diese Fälle — wie z. B. für ush statt der Wurzel vas- geben sie besondre Regeln, sonst aber schreiben sie statt des ursprünglichen, nach Analogie ihrer Regeln für das suffixale, verwandelten s, schon in den Wurzeln sh und zwar von ihrem isolirten Standpunkt aus um so mehr 48) Vgl. Justi, Grammatik 12 in seinem ‘Handbuch der Zendspr. 8. 358. D2 98 TH. BENFEY, mit Recht, da dieses sh in der weiteren Wortgestaltung fast ausnahms- los den phonetischen Regeln für sh folgt, nicht denen für s. Dass es: aber aus ursprünglichem s entstanden ist, zeigt einerseits die Verglei- chung der verwandten Sprachen, welche ihm s gegenüberstellen (vgl. z. B. griech. Goen = sskr. varsha), wie denn andrerseits überhaupt nach- gewiesen werden kann, dass sh im'Sanskrit in der überwiegend grössten Mehrzahl der Fälle aus ursprünglichem s entstanden ist. Das dem altbactr. *mars entsprechende sskr. marsh erscheint aber hier wirklich als Verbum und hat im Petersb. Wörterb. die Bedeutung ‘vergessen’, ‘geduldig ertragen’, mit dem Affix aya ‘verzeihen’, mit dem Präfix upa ‘nachsehen’. Wie diese Bedeutungen auseinander hervorge- gangen sein mögen, brauchen wir nicht genauer zu untersuchen; uns darf die mit der von mard übereinstimmende Bedeutung ‘verzeihen’ ge- nügen, um dieses mit marsh in engste Verbindung zu setzen. Da nun altbactr. yaozh-da für *yaos-dá, aus ursprünglichem *yavas-dhä, steht, so dürfen wir auch annehmen, dass marezh-dá oder vielmehr, da das e nur eingeschoben, marzh-dá für ursprüngliches mars-dhä stehe; demgemäss das mit ihm identische sskr. mard für ursprünglicheres marsh-dhä, in der Bedeutung ‘verzeihen thun’ u. s. w. Die Entstehung von mard aus marsh-dhö erklärt sich im Wesentli- chen daraus, dass in dieser uralten Zusammensetzung, wie natürlich und von mir auch für andre Fälle nachgewiesen #9), dieselben phonetischen Regeln wie im einfachen Worte sich geltend machten. Denen gemäss musste sich sh vor dh in linguales d verwandeln und dieses führte durch seine assimilirende Kraft das folgende dh ebenfalls in die linguale Classe hinüber; so dass marsh-dhd eigentlich zu marddAd hätte werden müssen, mit der schon besprochenen Einbusse des auslautenden á, marddA. Von dieser geforderten Form weicht mard darin ab, dass es auch das auslautende dh verloren hat, ein Verlust, welcher gegen die Regeln der Sanskritgrammatik fehlt: denn nach diesen würde z. B. die 2. Sing. Im- 49) Vgl. meine Abhandl. ‘Ueber die Entstehung und Verwendung der im San- skrit mit r anlautenden Personalendungen’ (im XV. Bande) $. 14. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 29 perat. Parasm. des Intensivs von mard, aus marmard mit dem Affix dhi, ohne irgend einen Verlust marmarddhi lauten. Freilich ist die Einbusse eines von drei aufeinander folgenden Consonanten nicht unnatürlich und wir finden manches der Art, was die indischen Grammatiker nicht angemerkt haben (z. B. die Einbusse von m in der Gruppe smy, aus smi, in den damit zusammengesetzten Casus des Singular der Prongmina gen. fem.), allein es tritt im Sanskrit eine gewisse Scheu hervor Aspiratä oder Aspi- rationen spurlos verschwinden zu lassen; so ist z. B. in den Fällen, wo aus Zusammentreffen von verbauslautendem A mit suffixanlautenden f, th, dh linguales dh (z. B. múdha aus muh-ta) entsteht, aus der vorherr- schenden Behandlung eines A als ob es dA wäre, und der in diesen Fäl- len eintretenden Dehnung eines dem A vorhergehenden a, í, ú zu schlie- ssen, dass dieses wie dA behandelte A in derselben Weise wie gh, dh, bh mit folgenden t, th, dh zu gdh, ddh, bdh werden, zuerst zu ddh ward: dann bewirkte aber die vorwärts wirkende Assimilationskraft der Lingua- len, dass dh lingual wurde und endlich ward vorhergehendes a, z, u ge- dehnt und d eingebüsst, so dass z. B. muh-ta gewissermassen die Stufen muddha, muddha, müddha (vgl. die Dehnung vor Position in táshním von tush, in tíkshna von tij, sikshma für su-kshäma u. al, müdha durchlief. Danach hätte man zu erwarten, dass marddA bei Ausfall eines Con- sonanten nicht zu mard, sondern zu mardh geworden wäre. Ich glaube zwar kaum, dass bei der im Uebrigen so grossen Uebereinstimmung zwi- schen marezhdä und mard, selbst wenn weitere Analogien fehlten, Je- mand die Identität derselben bezweifeln wird. Dennoch wird es dienlich sein, das lautliche Verhältniss, so weit als unsre Mittel zulassen, zu schützen und es, wenn auch eine genügende Erklärung noch nicht zu finden, wenigstens als Thatsache festzustellen. Und hier ist zunächst ein unzweifelhafter Fall anzuführen, wo in einem Worte mit ddh, also ächt sanskritischen Dentalen, ebenfalls die Aspirata eingebüsst wird, und dieser Fall ist um so beachtenswer- ther, als er mit einer Reihe von andern in einer andern Beziehung in Analogie tritt, während er grade in Bezug auf die Einbusse der Aspi- rata mit ihnen im Widerspruch steht. Es ist dies das im Comparativ ned- 30 TH. BENFEY, íyams (in den schwachen Formen nediyas) ‘näher und Superlativ ned-ish- tha ‘nächst’ erscheinende ned. Dieses wurde von mir 59) aus naddha ‘ver- bunden’ dem Ptcp. Pf. Pass. von nah ‘binden’ gedeutet, vgl. sam-naddha ‘angrenzend’; dass die Erklärung richtig sei, zeigen die altbactr. Formen nazdyo, nazdista deren zd nach bekanntem phonetischen Gesetz sanskriti- sches ddh reflectigen, also sanskrit. naddh-iyams, naddh-ishtha voraussetzen. In ned ist aber zugleich für das a in naddha e eingetreten. Wie schon an mehreren Stellen meiner Vollst. Grammatik bemerkt ward 5!), erklärt sich e für a aus vermittelndem á. Die Richtigkeit dieser Erklärung be- weisen insbesondre Fälle, wie der vedische Instrum. Plur. der Nomina auf a z. B. von civa ceive-bhis, wo die Pronominalthemen asma, yushma statt dessen gedehntes a zeigen asmä-bhis, yushmä-bhis; eben so der Loc. Plur. jener Nomina im Gegensatz zu diesen Pronominibus, z. B. ewe-shu, aber yushmd-su; ferner der Eintritt von e für a-4 in 2. 3. Dual. Präs. Impf. und Imperat. Ätman., aber von á in 2. 3. Dual Aoristi VII z. B. aus bodha-äthe, bodhethe, aus a-bodha-äthäm, abodhethäm, dagegen im Ao- rist aus a-diksha-äthäm, adikshäthäm; am schlagendsten aber ergiebt sie sich aus den altbactrischen Reflexen der 2. Pers. Sing. Imperat. Parasm. von dä ‘geben. Diese lautet im Rigy. II. 17, 7 regelrecht daddhi (aus der re- duplieirten Form dadä welche in den schwachen Verbalformen das aus- lautende á einbüsst); dieser Form entspricht altbactrisch einerseits, mit dem erwähnten Reflex von ddh durch zd, dazdi, andrerseits aber auch mit Einbusse des einen Dentals, und zwar hier ohne Zweifel (vgl. die zu erwähnende Sanskritform dehi) des Nichtaspirirten, dáidi 52), welches ein sanskritisches dädhi (für daddhi) regelrecht wiederspiegelt. Dieser Uebergang von a in e erscheint, wie in ned für naddh, auch in einigen andern Fällen vor ursprünglicherem ddh; auch hier ist zugleich 50) Vollst. Gr. d. Sanskritsprache 1852 S. 282; vgl. meine ‘kurze Sanskrit- Gramm. 1855 S. 319 n. 1; so auch von Bopp in ‘kritische Gr. d. Sskr.-Spr. in kürz. Fass. 3. Ausg. 1861 8. 151. 51) z. B. S. 307 N. 8 u. sonst; vgl. kze Gr. 130 n. 3 u. sonst, so wie schon Bopp, Krit. Gr. d. Skr. in kürz. Fass, 1845 S. 203. 52) Vgl. die Beispiele bei Justi, Zendwörterb. S. 151, Col. 1. Z. 12 v. u. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 31 einer der Dentale eingebüsst, aber nicht wie in ned die Aspirata sondern die Nichtaspirata. Diese Fälle sind die 2ten Personen Imperat. Sing. Act. von as ‘sein’ dá ‘geben’ und dhá ‘setzen’; as mit der Endung dhi hätte, den phonetischen Gesetzen des Sanskrit gemäss, addhi werden müs- sen; statt dessen wird es vermittelst *4dhi zu edhi, dä bildet noch in der schon erwähnten Vedenstelle regelrecht dad-dhi, vermittelst *dädki, dessen einstige Existenz durch das ebenfalls schon erwähnte altb. däit fast über allen Zweifel erhoben wird, würde daraus, nach Analogie von edhi, *dedhi entstehen; allein im Sanskrit geht dh überhaupt oft und in dieser Imperativendung — mit Ausnahme von edhi und einigen vedischen Fällen — zwischen Vokalen immer in A über, so dass die gebräuchliche Form dehi entsteht; ganz eben so hätte dhá eigentlich *daddhi bilden müssen, wird aber durch Vermittlung von *dädhi, mit Rettung der wur- zelhaften Aspirata und Wandel des dh der Endung in A, zu dhehi. Dasselbe Verhältniss zeigt sich auch in dem vedischen miyedha ‘Opfermahl’, wohl ‘Opferfleisch’; dieses entspricht dem altbactrischen myazda ‘Opferfleisch’%) und erweist sich dadurch zunächst als Umwand- lung von miyad-dha und weiter von myad-dha; auch hier ist addh zu edh geworden; so dass eigentlich myedha hätte entstehn müssen; mit Einbusse des y, wie z. B. in gcut für und neben çcyut ‘tropfen’5*), wird daraus medha ‘Opferthier’ Nicht unmöglich, ja fast wahrscheinlich ist, dass der erste Theil der Zusammensetzung mit mid “fett werden’ zusammenhängt und zwar so dass mid aus myad in derselben Weise contrahirt ward wie z. B. vyadh ‘durchbohren’ vielfach zu vidh wird. Dass das í in mid be- handelt wird, als ob es ursprünglich wäre, nämlich zu e (für ai) verstärkt wird, hat mehrfache Analogien, z. B. gerade in vyadh, woher vyadh-a und vedh-a, m. ‘das Durchbohren’, vedh-aka, vedh-ana, vedh-in u. a., grade wie von mid (für myad) med-as u.a. Ebenso ist kiyedhá ‘viel umfassend’ aus kiyad-dhä, von kiyant ‘wie viel’ und dhá in der Bedeutung ‘halten’, ent- standen 55). | 53) S. Petersb. Wörterb. unter miyedha. 54) S. des Vfs. Sanskrit-English Dictionary s. v. 55) Sämaveda, Glossar S. 150 unter dem Worte medhäs. 32 TH. BENFEY, Dass hieher auch sanskritisches.medhás — altbactr. mazdah (denn dieses ist das organische Thema, woraus erst mazdäh durch das á der sogenannten starken Casus entstand) gehört, ist von mir zuerst in meiner Anzeige von Böhtlingks Sanskrit-Chrestomathie bemerkt 56). Da in neuester Zeit die Richtigkeit dieser Zusammenstellung be- zweifelt ist, ohne dass auf die Grundlagen derselben näher eingegangen wäre 57), so darf ich mir bei der Wichtigkeit derselben, wohl erlauben, sie kurz me Gedächtniss zurückzurufen und einige Kleinigkeiten beizufügen- Im Sämaveda I, 2, 1, 1, 5 erscheint der Vers, welcher im Rigveda IX. 102, 4 vorkömmt, aber mit der Variante medhá'm statt des im Rigv. gelesenen vedhám; d. h. in den Quellen, vermittelst deren der Sämav. zusammengestellt ward, hatte diese Stelle des Rigv. medhäm, nicht ve- dhäm; wie dieses für vedhásam gewöhnlich vedhäsam Accus. von vedhäs steht, so jenes für medhä’sam, medhäsam von medhäs. Zeigt sich hier die Variante medhá'm für vedha'm, so liegt die Vermuthung nahe, dass auch in andern Stellen des Rigv. einst Casus von medhdäs statt vedhäs als Va- Hanten existirt haben, aber wie hier, so in ihnen, von den Diaskeuasten der auf uns gekommenen Recension nicht aufgenommen, sondern vedhäs bevorzugt sei; und zwar wahrscheinlich mit Unrecht, wie eine Behand- lung des Wortes vedhäs zeigen würde. Wendet man die Vermuthung auf Rigv. VIH. 20, 17 an, wo unser Text liest: ` yäthä Rudräsya sünävo divó väcanty dsurasya vedhäsah | yüyänas täthed asat u A 56) Gött. Gel. Anz. 1846; bes. Abdruck S. 15 ff., vgl. auch Sämaveda, 1848, Gloss. S. 150; 1861 hat M. Müller dieselbe Zusammenstellung in seinen Lect. on the science of lang. I. 195 gegeben, was ich nur wegen Muir, Orig. Sskr. Texts V, 120 n. 210 bemerke, da man nach dessen Darstellung fast glauben könnte, ich hätte diese Zusammenstellung von M. Müller entlehnt. Beiläufig möge mir die Bemer- kung verstattet sein, dass auch die Zusammenstellung von zendisch baregman mit sanskr. brahman, welche Muir, Orig. Sanskr. Texts PP, 293 Haug zuschreibt, der sie in seiner Schrift The Origin of Brahmanism. Poona 1863 S. 9 anführt, zuerst in meinem Glossar zum Sämaveda 1848 $S. 135 gegeben ist. 57) Von Sonne in einem Programm der grossen Stadtschule zu Wismar. Mi- chaël. 1869 ‘Zur ethnologischen Stellung der Griechen’ S. 11. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 33 so erhalten wir den Genitiv der Wörter dsura medhás, des regelmässigen Reflexes der altbactrischen ahura mazdah, welche im Zendavesta bald wie hier, ahura voranstehend, bald nachfolgend, in den Keilinschriften zu- sammengesetzt, mit voranstehendem aura, den Namen des höchsten per- sischen Gottes bilden. Bei der in den Veden hervortretenden Liebe zur Verbindung gleichstämmiger Wörter und Wortspiele scheint mir auch in Rigv. IX. 26, 3, wo es heisst tám vedhäm medhäyähyan, für vedhä'm einst medhä'm gestanden zu haben, so dass es heisst ‘den Weisen sand- ten sie durch Weisheit (einsichtig). Wenn Sonne (S. 12) bemerkt, dass im Petersb. Wtbch. medhäs fehlt, so hat er zwar darin Recht, allein ihm musste aus dem Sämav. Gl. bekannt sein, dass es an der angeführten Stelle im Sämav. erscheint, also die Auslassung desselben im Petersb. Wtbch. nichts gegen seine Existenz entscheidet. Ich glaube zwar, dass es trotz dem, dass statt dessen im Rigv. vedhá'm gelesen wird, in das Wörterbuch hätte aufgenommen werden müssen, halte aber für wahr- scheinlich, dass die Herausgeber des Petersburger Werkes es erst unter vedhäs anmerken werden. Was die Bedeutung "weise betrifft, so steht sie analog dem Verhältnisse von yáças ‘Ansehn’ zu yaçás 'ansehnlich', durch das am Ende von Bahuvrihi-Compositionen statt medh ‘Weisheit eintretende medhas fest 58). Wie überaus viele Themen auf a aus ursprünglicheren auf as entstanden sind, vgl. z. B. dakshas nur vedisch neben dem vedischen und gewöhnlichem daksha u. a., so ist auch medhá erst aus medhas ab- gestumpft. Wenn sich medhas in der Bedeutung ‘Weisheit nur in den Bahuvrihi-Compositionen erhielt, ausser der Composition aber medhá an seine Stelle trat, so steht es in dieser Beziehung nicht allein; auch für kakuda ‘Gipfel erscheint in derartigen Compositionen das im Rigv. allein in dieser Bedeutung vorkommende kakud, während kakuda erst einmal im Atharvav. und späteren Schriften an dessen Stelle tritt; eben so ist das regelmässig nur in schwachen Casus und in Compositis erscheinende dant für dant-a ‘Zahn’, wie lat. dent gr. óðovt zeigen, die alte Form, 58) Vgl. Petersb. Wörterb. 2 medhas und die daselbst angeführten Stellen der indischen Grammatiker. Histor.-philol. Classe. XVI. E 34 TH. BENFEY, aus der dant-a erst durch die spätere Ueberführung mancher consonan- tisch auslautender Themen in vokalisch auslautende sich entwickelt hat; eben so ist es mit den meisten andren Vertretern einfacher Wörter in der Bahuvrihi-Zı tzung, wie jeder sanskritkundige mit Leichtigkeit selbst erkennen kann. Ueber die Etymologie von mazdah und medhds, die für das erstere keineswegs so sicher aus bactr. maz und dáo zu ent- nehmen ist, wie manche und auch Sonne glauben, bedarf es einer be- sondern Untersuchung, die uns hier zu weit von unserm Ziel abführen würde. Denn es ist Zeit zu ned von naddha und unsrer eigentlichen Auf- gabe zurückzukehren. Woher es komme, dass in ned die Aspirata eingebüsst sei, während die analogen Formen die Nichtaspirata verlieren , vermag ich nicht spe- ciell zu erklären; eben so wenig warum dasselbe in mard geschah. Da- durch wird aber weder in dem einen noch in dem andern Fall die That- sache selbst zweifelhaft. Sie kann im Gegentheil uns davor warnen, den Lautgesetzen einer Sprache eine zu grosse Unbeschränktheit zuzuspre- chen, und uns darauf aufmerksam machen, dass die lautliche Gesetzmä- ssigkeit, welche sich in systematisch zusammengehörigen — insbesondre flexivischen — Categorien geltend macht, durch eine keinesweges ge- ringe Anzahl von Abweichungen in mehr isolirt stehenden Bildungen durchkreuzt wird. Uebrigens ist der Reflex von ursprünglichem sdh durch d keines- weges auf mard beschränkt. Dass er eben so in dem uns beschäftigen- den yaud, zunächst für yos-dh und weiter yavas-dhä, zu erkennen ist, be- darf weiter keiner Bemerkung. Höchst wahrscheinlich sind aber auch noch andre, insbesondre verbauslautende, d aus ursprünglichem sdh ent- standen. Allein manche derselben können auch auf andre W eise ent- standen sein, z. B. von gud (gud-d-& 6. Conjugationsclasse) oder ghud (ghud-d-ti) ‘schützen’, gund (gund-aya-ti 10. Conjugationsclasse) ‘verhüllen, schützen‘, ist es wegen der Aspirata in gunth (gunth-dya-ti) ‘verhüllen, bedecken, überziehen’ sehr wahrscheinlich, dass sie Denominative sind, abgeleitet von gúdhá, dem Ptcp. Pf. Pass. von guh ‘zudecken, verhüllen, u. s. w.; vgl. wegen der Bedeutung ‘schützen’ in gud, ghud, gund das JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 35 mit guh verwandte gup, ‘hüten, schützen’, aus gopaya, welches sich zu guh genau so verhält, wie das Causale ropaya zu ruh —; das stumme th in gunth-dya im Gegensatz zu dem tönenden dA in gúdha erinnert an die Eigenthümlichkeit der Paisätscha-Mundart, tönende Consonanten in die entsprechenden stummen zu verwandeln59); in gud, gund ist, ohne Zweifel ebenfalls mundartlich, die Aspiration der tönenden eingebüsst, in ghud, wie im Sskr. so oft, auf den Anlaut übergetreten. Andre der- artige d mögen auf andre Weise entstanden sein, was wir hier nicht weiter auszuführen brauchen, da es für unsre Zwecke genügt, daraus zu folgern,, dass wir für die Entstehung von d aus sdh kein anderes Crite- rium besitzen als den Nachweis, dass einem sskr. d in den verwandten Sprachen sdh oder dessen Reflex entspricht. Diesen Nachweis können wir an zwei sicheren Beispielen führen; es giebt zwar noch einige min- der sichere; doch wollen wir diese hier unberührt lassen. Das erste von jenen liefert uns eine Correspondenz des Altbactri- schen und Lateinischen mit dem Sanskrit. Im Altbactrischen findet sich Ahraozhd als Verbum, nach den mehr- fach vorgekommenen Analogien, für Ahraozhdä, in der Bedeutung 'verhär- ten’ in 3. Sing. Imperf. Act. Akhraozhd-a-t, ferner im Comparativ und Su- perlativ (nach Justi: des Ptcp. Präs. khraozhdant) khraozhd-ya (abgestumpft aus der schwachen Form °yah, vgl. sskr. íya für iyas aus iyams) ‘stärker, kraozhd-ista “festest', endlich in khraozhdva, adj. ‘hart! (worin ich eine ähnliche Verstümmlung, wie im Comparativ, des Droen Perf. erkennen zu dürfen glaube), mit Vokalisirung des va zu u in der Zusammensetzung khraozhdu-cma ‘harte Erde. wo jedoch Westergaard khraozhdi-ema liest. Neben khraozhd erscheint, entschieden auf das innigste verwandt, khruzhd in dem Nomen khruzhd-i ‘Bosheiť (aus ‘Härte’, vgl. yaozhdi S. 17), und khruzhd-ra, adj. ‘hart. Obgleich ein grundsprachliches Verbum ru nicht mit voller Sicherheit aufgestellt werden kann “Ji so ist dessen einstige 59) Lassen Inst. Ling. Pracr. p. 442, 60) Vgl. jedoch Fick, Vergleichendes m der Indogerm. Spr. I. 49 und mein Griech. Wurzellexik. II. 178. E2 36 TH. BENFEY, Existenz doch höchst wahrscheinlich. Dieses vorausgesetzt, betrachte ich khraozh-d, nach Analogie von yaozh-dä als eine Zusammensetzung eines Substantivs, welches grdsprchl. *kravas lautete, mit grdspr. dhá, und sehe in Ahruzhd eine Zusammenziehung von khravazhd6}). Mit diesem ÄAhraozhd, khruzhd tritt in Bezug auf die Bedeutung so wohl als die lautlichen Elemente in innigste Beziehung das sskr. krud, welchem von Mahidhara zu der Väjasaneyi Samhitä die Bedeutung ‘hart sein’ (ghanatve) gegeben wird, und dessen Causale krüd-aya, welchem das Petersb. Wtbch. mit Wahrscheinlichkeit die Bedeutung ‘dick machen’ giebt (vielleicht jedoch eher ‘hart machen‘). Nach Analogie von yos für ` *yavas hätten wir eigentlich krod für organischeres kroddh zu erwarten gehabt; allein in den präkritischen Sprachen wird vor Position o häufig zu 462); bisweilen auch sonst 63); ich würde das ebenfalls in das Sanskrit aufgenommene Verbum oland oder uland ‘in die Höhe werfen’ verglei- chen, wenn mir nicht die Grundform ul-land für ud-land zu sein schiene (s. S. 38). So entstand aus AroddA zunächst kruddh und mit Einbusse der Aspirata, wie in mard, krud. Das Causale ist daraus nach Analo- gie von güh-aya (für goh-aya) von aah: und düsh-aya von dush gebildet. Aus dem Latein gehört hieher erddus ‘hart’, wie im Allgemeinen von Fick 6*) richtig erkannt ist. Es steht aber nicht für erusdus, sondern für crausdus, so dass crausd genau dem grundsprchl. Aravas-dh altbactr. kraozhd entspricht, ` Dafür entscheidet der Umstand, dass crüdus die Grundlage von crüdelis bildet, für welches Corssen 65) als Grundform craud in craud-ele nachgewiesen hat. Wenn derselbe (ebds.) mit Recht raudus ‘rohes Stück’ (Erz, Blei, Stein) mit eingebüsstem Anlaut dazu zieht, von welchem roudus als Nebenform erscheint, so ist in dem letz- teren, für rousdus, das altbactr. ao in khraozhd genau so wiedergespiegelt, wie in jous gegenüber von altbactr. yaos. 61) Vgl. Justi, Gramm. S. 359, 23, 5. 62) Lassen Inst. L. Praer. 135; 149; 150; 162. 63) ebds. 418; 455. 64) Vgl. Wtbch. S. 50. 65) Ausspr. u. s. w. D 359. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 37 Diesem gemäss dürfen wir das sskr. d in Erd. krúd unbedenklich als aus grundsprachlichem sdh entwickelt betrachten. Das zweite Beispiel scheint mir in lad zu liegen, welches, mit dem so häufig, im Rigv. zwischen Vokalen stets, eintretenden Uebergang in l, auch in der Form lal erscheint. Belegt ist es in der Bedeutung ‘spie- len’ und schliesst sich an las, in welchem diese Bedeutung sehr häufig hervortritt. Ausserdem wird lad die Bedeutung ‘schmähen’ (4kshepe, vgl. ä-kship “beschimpfen’) gegeben. Vergleicht man die Bedeutung des la- teinischen ludere ‘Jemand zum Besten haben, verspotten’, welche auch in ludifico, ludibrium hervortritt, so kann man nicht zweifeln, dass auch die letztre Bedeutung aus ‘spielen’ hervorgehn konnte, und wird dann keinen Anstand nehmen griech. 4&0-9n ‘Schmähung, Spott so wie A«- gief ‘schmähen damit in Verbindung zu setzen. Dann liegt aber nach allem bisherigen am nächsten als Grundlage von Zou eine Zu- sammensetzung von Jee = sskr. las mit dem Verb. dhá anzusetzen. Bei der Identificirung von diesem Zeg A mit dem sskr. lad ergiebt sich jedoch eine Schwierigkeit; nämlich s hinter a wird nach den ge- wöhnlichen Regeln des Sanskrit nicht zu sh, so dass es vor dh sich nicht in d sondern vielmehr in d verwandelt hätte; danach würde aus las-dh nicht ladd dann lad entstehen, sondern vielmehr zunächst laddh. Es giebt zwei Mittel diese Schwierigkeit wegzuräumen. Zunächst erleidet auch jene Regel Ausnahmen; so wird s in stabh auch hinter a in ava zu shtabh66); eben so das in svan hinter ava67), das in sch hin- ter & in mehreren Fällen 58), und sskr. lálas-a, adj. ‘heftig begehrend’, von *lálas einem Intensiv erster Form, so wie die Vergleichung der verwand- ten Wörter in andern indogermanischen Sprachen, z. B. Aı4e-i-ouaı (für Aı-Jao-ıoucı) 69) zeigen, dass das sh in lash ‘begehren’ ebenfalls, trotz des vorhergehenden a, aus organischem las entstanden ist. Nach diesen 66) Vollst. Gr. d. Sskr.-Spr. $. 35 Bem. 2, S. 35. 67) ebds. S. 36, $. 42. 68) ebds. $. 45 S. 37. 69) Fick, Vgl. Wtbch. I, 175; vgl. mein Wales M. 137. 38 TH. BENFEY, Analogien liesse sich annehmen, dass las-dh zu lash-dh und so zu laddh, lad geworden wäre. Dann aber wäre auch noch möglich, dass wie in den präkritischen Mundarten überaus häufig und auch im Sskr. bisweilen (z. B. dí für di, vi-damb für vi-dambh) ein- dentaler T-laut ohne weiteres (d. h. ohne Ein- busse eines r, oder sh) in linguale übergeht, so auch hier ein älteres lad in lad umgewandelt ward. Welche von beiden Erklärungen vorzuziehen sei, wage ich nicht zu entscheiden. An der Möglichkeit, dass lad für lasdh stehe, ist aber um so weniger zu zweifeln, da wir weiterhin entschieden auch t für sdh hin- ter a (nämlich in vat) eintreten sehen werden und hier die allergrösste Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass wie in dem erwähnten gunth aus güdha, das d erst aus t hervorgegangen ist. Da wir in dem eben ins Gedächtniss zurückgerufenen gunth, wie oft, nach Art der sogenannten 7. Conjugationsclasse und der daraus hervor- gegangenen Verba auf Präsensthema a (vgl. z. B. von bhuj, 3. Sing. Präs. aus bhunj, bhunakti und aus bhunj-a bhunj-a-ti, sskr. yuj Präsensth. yunj, aber latein., mit Reflex von antretendem grdsprchl. a, jungo) einen Nasal vor dem letzten Consonanten eingeschoben finden, und las mit dem Prä- fix ud die Bedeutung ‘sich hin und her bewegen’ hat, so bin ich kaum in Zweifel, dass zu las-dh auch das schon erwähnte u-land, o-land, land gehört, die beiden erstren, wie schon bemerkt, für uland aus ud-land; alle drei Formen erscheinen nur mit dem Causalaffix aya ulandaya u. s. w. und die beiden erstren bedeuten demnach wörtlich “in die Höhe bewegen machen’ = in die Höhe werfen. Endlich wird dem Verbum lad auch die Be- deutung ‘begehren’ gegeben; in dieser dürfen wir es unbedenklich für eine Zusammensetzung des eben erwähnten gleichbedeutenden lash mit dhá nehmen, also für laddhá, laddh, lad. So viel über das auslautende d in yaud. Wenden wir uns jetzt zu dem auslautenden t in der Nebenform yaut und dem aus stórar abstra- hirten yot. Der Wechsel zwischen verbauslautenden d und t tritt uns so oft JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 39 entgegen, dass er dadurch auch in diesen drei Formen thatsächlich hin- länglich geschützt ist. So erscheinen neben einander kund, kunt und auch kunth in der Bedeutung ‘verstümmeln’, das letzte auch ‘lahm sein’; dazu gehört auch ohne eingeschobenen Nasal Aut und kutt ‘spalten’; das letztre ist eine regelrechte präkritische Umwandlung von sskr. kart (krit) ‘schneiden, zerschneiden’, vgl. z. B. tt für rt in präkr. vatt-a-K gegenüber von sskr. vart-a-te 70) und prakr. u für grundsprachl. und ursprünglich indisches- ar z. B. in präkr. udu für grdspr. artvan, indisches artu, sanskr. ritu 7), Demgemäss ist hier die Form mit t als nächster Uebergang von ? die organischere und d erst eine Erweichung derselben; in Aut ist der eine der Lingualen eingebüsst; das t4 in kunth wird wohl der aspirirenden Kraft von r zuzuschreiben sein, welche in so vielen Sprachen sporadisch hervortritt; auch im Präkrit erscheint sie, jedoch regelrecht nur wenn r nachfolgt; wir betrachten demnach Aunth als hervorgegangen aus kutth mit Einbusse der Nichtaspirata und eingeschobenem n. Ferner khot und khod (Präs. Akhot-ati, khod-ati) ‘hinken’ und "mit aya (khot-aya-ti, khod-aya-ti) ‘werfen. Fick 72) stellt Ahod ‘hinken zu grdspr. skard, sskr. kurd, kürd ‘springen’; da sskr. ar oft zu ur und, mit folgendem Consonanten, zu úr und anlautendes s, dessen einstige Existenz die Nebenform khurd erweist, eingebüsst wird (vgl. z. B. gärdh von gar- dhä), so ist die Erklärung aus kúrd, kürd wohl hinlänglich gesichert; Ahod ist aber eine präkritische Umbildung von kurd, kürd (skürd, skürd) mit d für dd = sskr. rd 75) und o für u74) oder #75). Die Bedeutung ‘hinken’ erklärt sich aus ‘springen’ durch die Aehnlichkeit der Bewegung; in der Bedeutung ‘werfen’ ist das Affıx des Causale aya angetreten und sie ist 70) Lassen, Inst. 1. Pracr. 252. 71) ebds. 114, vgl. Or. u. Occ. II, 5. 72) Vgl. Wtbch. I, 205; vgl. auch 47 kaurda wo schwerlich zu billigende Zu- sammenstellungen. 73) Lass. Inst. l. Pracr. 252. 74) ebds. 131. 132. 151. 75) ebds. 133. 151. 455. 40 TH. BENFEY, also eigentlich ‘springen machen‘. Dieser Erklärung gemäss ist d der nächste Reflex (= d in kurd, kürd) und t erst daraus entstanden. Dann khet und khed beide mit aya (khet-aya khed-aya) “essen, Da präkrit. e, wenn auch selten, für sskr. á erscheint 76), so liegt die An- nahme am nächsten, dass es eine präkritartige Umwandlung des schon vedischen glbd. khád sei; es wäre dies dann noch ein drittes Beispiel, wo ein Verbum in das Sanskrit aufgenommen wäre, in welchem ein Lingual ohne weiteres für einen Dental eingetreten ist (vgl. oben S. 38), was im Präkrit bekanntlich sehr gewöhnlich. Ist diese Ableitung rich- tig, so ist auch hier d der zunächst hervorgegangene Laut. Weiter cut (cutdti. cotdyati), so wie cunt (cúntati cuntdyatı), cund (cunddyati) und chut (chutäti, chotdyati) wahrscheinlich auch cun (cundti) aus eunt oder cund, ‘abschneiden’, und mit wenig veränderter Bedeutung cunth (cunthäyati) ‘verletzen, tödten’; wohl auch cut (cötati, cotdyati) cutt (cuttáyati) cunt (cäntati) cund (cúndati) ‘klein werden’ und mit daraus hervorgegangener Bedeutung (eigentlich wohl ‘sich wie ein kleines (Kind) benehmen’) cudd (cuddati) ‘tändeln, scherzen’ cull (cúllati) gleichbedeutend, Wegen des An- lautes ch in chut und des unzweifelhaften Zusammenhangs von cull mit kshulla ‘klein, so wie der schon im Ptsb. Wtbch. erkannten Identität von kshulla mit dem gleichbed. kshud-ra (l für r und regelrechte Assi- milation des d und P ist der Anlaut aller dieser Formen für Vertreter von sskr. ksh zu nehmen; vgl. präkr. cch für Ash ?7), welches im Anlaut in ch regelrecht das c, iw c anomal das ch einbüsste.. Schon die Zusam- menstellung von cull mit kshulla zeigt, dass ich diese Formen mit kshud ‘zerstampfen’ u. s. w. in Verbindung bringe, allein wegen des doppelten t in cutt denke ich nicht an das Verbum, sondern betrachte sie als De- nominative von Ashudra ‘klein. Dieses hätte zunächst chudd werden müssen, der Eintritt von t so wie die Einbusse des einen Lingual sind dann weitre Umwandlungen. tat und tad ‘schlagen’ sind präkritartig aus tard ‘zerhauen’ hervor- vorgegangen, also zunächst d. 76) Lassen, Inst. ling. Pracr. 128. 77) ebds. 263. JUBEO UND SEINE. VERWANDTE. 41 nat und nad beide mit aya (nátáyati, nádáyati) ‘fallen’ möchten wohl beide Umwandlungen von nart ‘tanzen’ sein, so dass t zunächst hervor- trat. mut, mud, munt, mund ‘zerreiben' (pramardane) sind präkritartige Formen von sskr. mard ‘reiben’ u. s. w., also d zunächst. mred, mlet (über mret, med s. Westergaard Radd. praef. VI) ‘wahn- sinnig sein’, mred mit Präfix á ‘wiederholen’ gehören höchst wahrschein- lich zu sskr. mlich mlech ‘barbarisch sprechen’ und beruhen wohl auf ei- ner Ableitung durch ein mit fanlautendes Affix, durch welche eine Form, beginnend mlisht-, vielleicht auch mlesht- entstand, deren sht präkrit. tth ward 78), dann das t4 einbüsste (vgl. S. 29 ff.); in diesem Fall ist t primär. runt, rund, so wie lunt, lund, auch luth, lunth ‘stehlen’, alle von lwsh, “gleichbedeutend, wohl in ähnlicher Weise wie das vorige entstanden, so dass auch hier sht zu Grunde liegt, woraus zunächst tth entstand, von welchem einerseits die Aspirata, andrerseits die e eingebüsst wurde und t auch zu d ward. lut lud lul und luth ‘sich wälzen’ mit Wechsel von t th d l rod, lot, lod und laud ‘wahnsinnig sein wahrscheinlich zu rush ‘wü- then' und wie runt u. s. w. entstanden. rod, raud, raut ‘geringschätzen’, mit Wechsel von d t. çaut, çaud ‘stolz sein’, mit demselben Wechsel und so auch sphant, sphand und sphunt, sphund ‘spielen. Wir sehen hier auslautendes d bald durch t verdrängt, bald für t eintretend, auf jeden Fall in so entschiedenem Wechsel, dass an der Be- rechtigung des t für ursprüngliches d in yaut und yot nicht zu zweifeln ist. Wir sehen sie für Nebenformen von yaud an, in welchen das d, nach Art des Paisätscha-Präkrit, in den harten Consonanten übergegan- gen ist. In manchen hieher gehörigen Verben mochte natürlich nur die Form mit t erhalten sein, während die mit d in das Sanskrit gar nicht aufgenommen, oder wieder eingebüsst ward. Es liegt daher die 78) Lassen, Inst. 1. Praer. 200. 401. Histor.-philol. Classe. XVI. F 49 TH. BENFEY, Vermuthung nahe, dass auch unter denen auf t Verba sein mögen, in denen das t wie in yaut yot durch Vermittlung von d auf ursprünglichem sdh beruht. Als eines der Art glaube ich wegen griech. &0-9£&w ‘beklei- den’, von & für pes = sskr. vas, das Verbum vat ‘bekleiden, umgeben’ betrachten zu dürfen. Es folgt der 1. Conjugationsclasse (vdt-ati) und der 10. (vat-dya-ti); steht vat für vasdh so entspricht vat-aya dem griech. geg für Feo-9ejo. In ër sehe ich dann eine Bildung aus 20-91, worin beide Theile der Zusammensetzung treu bewahrt sind; das aus- lautende z betrachte ich als Rest des Affixes w, so dass zso-Inu bezüg- lich des hinteren Gliedes genau wie altbactr. yaozh-däiti, zarazh-däiti ge- bildet ist 79). Eben so scheint mir rat sammt der Nebenform rath aus ras-dhä erklärt werden zu dürfen. Beiden wird die Bedeutung ‘spre- chen’ gegeben; das erste ist in der Bedeutung ‘schreien’ u. s w. belegt; in eben derselben erscheint im Sskr. ras. Meine Erklärung aus rasdhä stëtze ich auf das goth. razdä ‘Sprache’, welches dessen regelrechter Re- flex ist; vgl. z. B. griech. wó, altbactr. mizhda goth. mizdön. Das da in razda ist eben so wenig Suffix wie das in dön (in mizdön) zu Grunde liegende da = ĵo in woo. Ein zusammengesetztes Verbum auf ur- sprüngliches á dient im Sanskrit ohne weiteres Affix, aber im weiblichen Geschlecht, regelmässig als primäres Abstract und eine Spur dieses Ge- brauchs ist wohl auch in razdá zu erkennen. Dabei kann ich die Frage. nicht unterdrücken, ob nicht schon im Gothischen (ähnlich wie z. B. in ahd. mieta, as. meda im Gegensatz zu goth. mizdön) dies z durch vorher- gegangene Assimilation eingebüsst werden konnte? In diesem Falle würde sich rödjan ‘sprechen’ an grdsprchl. ras-dhaya schliessen, welches auch in sskr. rat-aya ‘sprechen’ nach den in dieser Abhandlung gegebenen Ausführungen wiedergespiegelt wird. Wir haben endlich noch einige Worte über das au in yaut und yaud zu bemerken. Ihm steht o in yot (in yot-aka) gegenüber und die- ser Diphthong entspricht dem o in yos, der sskr. Grundlage des Verbum 79) Vgl. Leo Meyer, Vgl. Grammat. II, 331, wo aber 2095 selbst anders ge- fasst ist. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. 43 yaut, yaud, so dass man nur ihn statt des au erwartet hätte. Stände au . in diesen beiden Verben allein einem o gegenüber, so würde man vielleicht versucht sein, es aus der Grundlage von yos, nämlich yavas zu erklären, indem man annähme, dass nach Contraction von va zu u, in ya-us, wie im Loc. Sing. der Themen msc. und fem. gen. auf u (z. B. vishnau für or- ganisch und vedisch wishnavi, nach Einbusse des locativischen i, wie in den Veden so oft, und Vokalisirung des v zu u), neben o (vgl. auch den ved. Locat. säno von sänu Rigv. VII. 43, 3. X. 61, 18) auch au ent- standen sei (vgl. auch im gewöhnlichen Sanskrit z. B. praudha aus pra- üdha 80), Allein dasselbe Verhältniss zwischen o und au zeigt sich noch in drei andern Verben, nämlich den beiden erwähnten rod, lot, lod, laud ‘wahnsinnig sein’, rod, raud, raut ‘geringschätzen’ und hud, hod, haud ‘gehen’, wobei wir auch Arud, hrúd, hraud ‘gehen’ anführen, wo au zu ú, ú in einem Verhältniss steht, welches die Möglichkeit einer zwischenlie- genden Form mit o andeutet. In diesen Verben lässt sich aber die Ent- stehung von 0, au aus ava nicht nachweisen. Es wird dadurch wahr- scheinlich, dass nach einer andern Erklärung zu suchen sei. Mir scheint, dass sie sich durch eine genauere Betrachtung der sogenannten Vriddhi von i,t,e zu ai und ú, ú, o zu au ergeben werde, welche jedoch die Aufgabe einer besonderen Abhandlung zu bilden verdient. Uns kann es hier ge- nügen durch die Analogie jener drei Fälle die Berechtigung von au ge- schützt zu haben. Denn sie fallen um so mehr ins Gewicht durch den Umstand, dass es ausser den eben angeführten Verben mit wurzelhaftem au nur noch zwei andre giebt, nämlich das ebenfalls schon erwähnte caut, caud ‘stolz sein’ und trauk mit den präkritartigen Nebenformen tauk und dhauk (dh aspirirt durch Einfluss des r und zugleich mit tönendem Consonanten statt des stummen, wie in andern schon angeführten Beispie- len) ‘sich näheren’. R : Wenden wir uns zu jetzt zu jubeo zurück! Es ist nur noch wenig 80) Vollst. Gr. d. Sskr. Spr. §. 8, Ausn. 3. F2 44 TH. BENFEY, zu bemerken. Da aber durch die Momente, deren Discussion uns noth- wendig oder dienlich schien, jubeo selbst mehrfach in den Hintergrund getreten ist, erlauben wir uns das in Bezug darauf ausgeführte zugleich zusammenzufassen und, wo nöthig, zu ergänzen. Jubeo steht demnach für ursprünglicheres jousbeo, zusammengesetzt aus jous und einer Ableitung auf aya von dem grundsprachlichen Ver- bum dhá, mit Uebergang des dh in b. In der Grundsprache würde die Zusammensetzung yavas-dhaya gelautet haben; dieses ist wiedergespiegelt im altbactrischen yaozhdaya, welchem lateinisches jousbe für jousbeje ge- nau entspricht. Diese Basis auf grundsprachliches aya ist im Latein, wie in vielen andern Fällen, auf das Präsens und die damit zusammenhän- genden Formen beschränkt. Im Perfectum u. s. w. liegt die Zusammen- setzung mit dem primären Verbum dhá zu Grunde, welche sich im alt- bactrischen yaozhdä erhalten hat: allein im Latein ist, wie in den indo- germanischen Sprachen vielfach und in diesem Fall auch speciell im Sanskrit, das auslautende d eingebüsst, so dass die Basis jous-b entstand, entsprechend dem sanskritischen yaud yaut und *yot, dort wie hier für ursprünglicheres yavas-dh. Die eigentliche Bedeutung des lateinischen jousbe ist ‘rechtsetzen ‘als Recht hinstellen’, so wohl ursprünglich in der Verbindung mit legem; dann ‘verfügen’; bei Personen ‘zu Recht bestellen, wählen’ z. B. regem, tribunos; dann ‘in Bezug auf Jemand als Recht hinstellen’, daraus ei- nerseits ‘berechtigen’ z. B. jussus possidere ‘berechtigt in Besitz zu neh- men’ oder ‘in Besitz zu haben’ 8l), was noch bei den Juristen unentschie- den, und andrerseits ‘verpflichten, befehlen u. s. w. Das stumme s ward später vor dem tönenden Laute (s. S. 22), hier b, eingebüsst, also joubeo; dafür dann jubeo (S. 3). Doch wie sin eisdem für idem, msc., noch zwischen 144—105 vor Chr. erscheint82), so fand auch die Einbusse in jousb erst zu einer Zeit Statt, wo Perfect, Particip u. s. W. schon gebildet waren. Jenes war, nach Analogie von sorp-si zu sorbeo, 81) Brissonius, de verbor. signif. `s. v. jubeo. . 82) Corssen, Ausspr. D. 717. JUBEO UND SEINE VERWANDTE. F 45 aus jousb durch si gebildet und lautete also ursprünglich vielleicht Jousb-si, dann durch theilweise Assimilirung des tönenden b an das stumme s, jousp-si; das Particip knüpfte, nach Analogie von labor lapsus, das Affıx to mit Uebergang des t in s an, so dass auch hier jousp-sus entstand. Sowohl in jouspsi als jouspsus fiel das p zwischen den beiden s dann aus. Eine vollständige Analogie für diesen Ausfall vermag ich zwar nicht an- zuführen; doch ist er so natürlich, dass er als unzweifelhaft betrachtet werden darf, wie er denn auch die Beistimmung von Corssen gefunden hat 85). 83) Ausspr. II?. 1027. Die Strasse von Bacra nach Mekka mit der Landschaft Dharija nach Arabischen Quellen bearbeitet von = F. Wüstenfeld. Vorgelegt in der Kön. Ges. d. Wiss. am 6. Mai 1871. Di. Landschaft Dharija, etwas über die Mitte von Arabien hinaus nach Nord-Osten zu belegen, wird von der von Bagra nach Mekka führenden Hauptstrasse durch- schnitten, während die Strasse nach Medina sich wenige Meilen vor Dharija bei el- Nibäg abzweigt, so dass die von Bacra aus häufig nur für Medina gemachten Anga- ben, wenn sie in die erste grössere Hälfte bis el-Nibäg fallen, auch für Mekka gel- ten. Dieser noch von keinem Europäer ` betretene Weg ist auch für die Araber erst seit dem Islam und seit der Gründung von Bacra im J. 14 d. H. eine Hauptstrasse geworden, da selbst ihre ersten Eroberungszüge gegen Persien von Medina aus nicht diese directe Richtung nahmen, sondern theils auf Umwegen im Norden, theils von Süden her den Persischen Meerbusen hinauf unternommen wurden. Was über jenes Gebiet bisher bekannt geworden, ist sehr dürftig und theilweise sogar unrichtig wie- dergegeben 1); in neuerer Zeit hat Palgrave auf seiner Reise durch Arabien seinen 1) 1) Vergleicht man z. 5 die Karte von Berghaus, welche auch Ritters Darstellung grossen Theils zum Grunde liegt, so finden sich auf derselben für die Strasse von Bagra nach Dharija nur drei Namen, welche in unsrer Beschreibung wiederkehren: el-Kassym (el-Kasim) indess nur als Distrietsname, Aneyzeh d. i. ’Oneiza und Wadi Sarr mit Ain al-Sir, worunter el-Sirr zu verstehen ist. Ob aber die beiden ersten Namen mit den unsrigen identisch sind, ist mir noch zweifelhaft, weil dann die Strasse von Bagra über el-Kacim nach Dharija, um nach Mekka zu kommen, einen unverhältnissmässig grossen Umweg machen würde; bedeutend muss allerdings der Umweg sein, da die Hälfte des Weges von Bagra nach Mekka schon weit vor Dharija ist. — Von den zwischen des Weges, gar nicht in diese Route, und manche Namen sind für einen des Arabischen unkundi- gen nicht wieder zu erkennen. Sarfa, was nach der lateinischen Uebersetzung aus dem Sarba bei Idrisi I, 155 noch weiter entstellt ist, ist nichts anderes als Dharija, dann liegen Tandja d. i. Tichfa, Dama d. i. Räma und Karjatein als die nächsten drei Stationen im Norden von Dharija; von Kar- jatein aber biegt die Strasse ab nach Jemäma und in diese Route gehören Gadä, Sofra, wofür el- Sckakra zu lesen ist, el-Thania und Khodaia’, was wahrscheinlich el-Hadika heissen muss. Hieraus ergiebt sich nun wieder, dass der Distriet von Jemäma eine andere Lage zu Dharija hat, als auf 48 F. WÜSTENFELD, Weg mitten durch jene Landschaft genommen, indess mag die veränderte Richtung der Strasse der Grund sein, dass sich bei ihm für unseren Zweck kaum ein Berüh- rungspunkt findet. Unsere Darstellung stützt sich vorzugsweise auf den Artikel Dharija in Bekri’s geographischem Wörterbuche, dem ausführlichsten und durch sei- nen inneren Zusammenhang auch wohl lehrreichsten des ganzen Werkes, indem er die Reihenfolge der Berge gleichsam in einer Rundreise von dem nördlichen Eintritt der Strasse von Bagra in das Gebiet von Dharija zur Rechten derselben und dann auf der linken Seite in umgekehrter Richtung bis zum Anfangspunkte angiebt, die dazwischen liegenden Orte, Wadis, Quellen und Brunnen beschreibt und einige hi- storische Bemerkungen und Stellen aus den Dichtern einstreut. Wir lassen indess die Beschreibung der Pilgerstrasse von Bacra voraufgehen, wie wir sie aus den einzelnen Artikeln bei Jäcüt und Bekri zusammengestellt haben, wobei zur Bestimmung der Reihenfolge einige Male Mukaddasi in Sprengers Reise- routen benutzt wurde. Es ist oft schwer, die verschiedenen Angaben in Einklang zu bringen, zumal da sie sich sogar zuweilen widersprechen, weil zur Zeit der ersten schriftlichen Aufzeichnung die Lage mancher in der alten mündlich überlieferten Geschichte und bei Dichtern erwähnten Oertlichkeiten schon nicht mehr genau be- kannt war und weil verschiedene Orte denselben Namen haben, die nicht immer unterschieden und oft mit einander verwechselt werden, bei Auswanderungen oder Vertreibungen einzelner Stämme die Namen ihrer alten Wohnungen zuweilen auf die neuen Ansiedelungen übertragen wurden und auch die Bezeichnungen für Ortsentfer- nungen »Tagereisen, Station« zu unbestimmt undschwankend sind; indess hoffe ich, dass dieser erste Versuch, in welchem ich die Arabischen Stellen meistens wörtlich wiedergegeben habe, auch in dieser fragmentarischen Form die richtigen Anhalts- punkte für weitere Untersuchungen liefern wird. Wenn unsere Nachrichten sich auf die Verhältnisse beziehen, welche zur Zeit Muhammeds und im 1. und 2. Jahrhun- dert nach ihm bestanden, so gewährt dies den grossen Vortheil, dass sie zu der Er- Klärung und dem Verständniss der alten Gedichte und frühesten Geschichte dienen, in den folgenden Jahrhunderten hat das nordöstliche Arabien für uns weit geringere Bedeutung; und wenn sich im Verlauf von 1000 bis 1300 Jahren manches geändert haben sollte und jetzt nicht mehr passte, so wäre dies für die leicht bewegliche Oberfläche jener ausgedehnten Sandgegenden nicht sehr zu verwundern. Indess einige Anhaltspunkte werden sich immer noch aus den alten Beschreibungen auch für die jetzige Zeit gewinnen lassen. der Karte angegeben ist, er muss sich weiter nach Nordosten ausdehnen, wozu die Angaben unsrer Darstellung passen, dass der Weg von Bacra einige Male Abzweigungen nach Osten hat, welche nach Jemäma führen. I. Die Strasse von Bacra nach Mekka. Vs man Bacra aus dem Thore von el-Mirbad verlässt und das Dorf el-Nahit hinter sich hat, so gelangt man zwischen den Cisternen und den Sandhügeln bei einem ausgemauerten Brunnen in eine Gegend, welche el-Schibäk heisst und schon einige Meilen von der Stadt entfernt ist, und erreicht bei der vierten Meile den Berg Sanám, den man von den Dä- chern von Bacra aus sehen kann, mit dem Wasser Safawdn, welches den Banu Scheibän und den Banu Mäzin von Tamim gehört, nahe bei dem Wadi ’Akik el-Bacra; auf 4 bis 5 Meilen ist auch das Wasser el-Hafir oder el-Hufeir, den Banu Bähila gehörig. Bei diesen beiden Wassern ist die erste Station, wo sich, ähnlich wie in Kädesia von Kufa aus, die Pilger sammeln und ordnen. Ein Streit, der über das Wasser Safawän zwischen den beiden anwohnenden Stämmen ausbrach, ging in einen er- bitterten Kampf über, die Tamim behielten die Oberhand und die Schei- bän mussten die Gegend räumen und zogen sich zurück bis nach e/-Muh- . datha drei Meilen hinter Dharija nach Jamäma hin. Fünf Meilen von Bacra ist Wädil-Sibd’ „das Löwenthal“, wo el-Zu- beir ben el-Awwäm, der sich nach der Kamelschlacht zurückgezogen hatte um nach Medina zurückzukehren, ermordet wurde. el-Mangaschänia sechs Meilen von Bagra wurde erst kurz vor dem islam erbaut. Der Perserkönig hatte den Arabischen Häuptling Keis ben Mas’üd el-Scheibäni in seinen Dienst genommen, um die Küste zu be- wachen und die Persische Gränze gegen die Einfälle der Arabischen Horden zu schützen!); dieser beauftragte einen Werkmeister oder seinen 1) Beladsori, liber expugnationis regionum , ed. de Goeje, pag. 372. Histor.-philol. Classe. XVI. G 50 . F. WÜSTENFELD, Freigelassenen Mangaschän einen Waffenplatz mit einem Wachtthurm anzulegen, welcher von ihm den Namen erhielt. Einst waren doch Ara- ber über die Gränze gegangen und Kisrä liess den Keis zu sich be- scheiden, welcher sich damit zu entschuldigen suchte, dass es von eini- gen ihrer unwissenden Leute geschehen sei, wogegen Kisrä erwiederte: Habe ich denn mit dir nur gegen die Klugen den Vertrag geschlossen? Er liess ihn ins Gefängniss werfen, worin er starb. Bei der Festung war ein Pferde-Park Raudhat el-Cheil, in welchem Keis seine jungen Pferde aufzog. Drei Meilen von dem ersten Lagerplatze der Pilger von Bacra (Sa- fawän) kommt man an den Berg Othäl mit einer Burg und einem Was- ser, welches den Banu 'Abs ben Bagidh gehört, nahe bei dem Gebiete der Banu Asad. -Zwei Nachtreisen von Bacra liegt der Ort 'Adsba, wo sich süsses Wasser findet, woher er den Namen hat; es wird erzählt, dass man beim Ausgraben des Brunnens in einer Tiefe von mehr als 30 Ellen Ueber- bleibsel von Gegenständen, die von Menschen herrührten, gefunden habe. — Eine gleiche Entfernung von Bacra wird für el-Amthäl d. i. „Aehn- - lichkeiten“ angegeben, ein Landstrich mit Bergen, die einander ähnlich sehen. Ein zweiter Ort des Namens el-Hufeir „kleiner Brunnen", 30 Mei- len von Mangaschänia, gehört den Banu el-Anbar; in der Nähe liegt der Ort Däsim. Bei diesem el-Hufeir nehmen einige die Grenze zwi- schen ’Iräk und Nagd an, und von hier bis nach Dsát el- Oscheira er- streckt sich der Landstrich oder das Wadi, welches Faly und Fale heisst und von den Banu Mäzin von Tamim bewohnt wird; andere deh- nen Falg auf die Strecke von el-Ruheil bis el-Magäza aus, mit el- Anbar von Tamim als Bewohnern, speciell der Familie ’Adi ben Gundab ben el-Anbar, und nennen Fuleig ein Wadi in Falg. Der auf der West- seite anstossende Landstrich e/-Hazn, welchen die Hauptstrasse nur eben beührt, gehört den Banu Jarbú ben Handhala, einem Zweige der Tamim, ist drei Tagereisen lang und ebenso breit und eine der futter- reichsten Gegenden in Arabien, und ebenso el-Cammän auf der Ostseite, DIE STRASSE VON BAÇRA NACH MEKKA. 51 so dass man zu sagen pflegt: wer das Frühjahr in el-Hazn, den Som- mer in el-Scharaf (d. i. Himá Darija) und den Winter in el-Cammän zubringt, hat immer reichliches Futter. Auf der nächsten Station el-Ruheil, 20 Farsach von Bacra, ist ein tiefer Brunnen mit süssem Wasser. 24 Meilen von hier!) kommt man an den Brunnen von el-Schagl oder el-Schagä, einer Felswand, welche das Wadi 'Oneiza schagä „ein- engt“, woher der Name; ein Dichter sagt: Als wenn sie zwischen el-Ruheil und Schagi mit ihrem Fusse und dem Weberahmen stiesse. An dieser Stelle war eine Reisegesellschaft vor Durst umgekommen, und als der Statthalter el-Haggäg dies erfuhr, befahl er den Versuch zu machen, dort einen Brunnen zu graben, wozu einer aus seiner Um- gebung an die Worte des umherirrenden Fürsten?) erinnerte: Sie erschien ihm zwischen el-Liwä und ’Oneiza und zwischen el-Schagi, wo dieser sich dem Wadi entgegenstemmt; mit dem Bemerken, sie könne ihm nur an einem Wasser erschienen sein3); el-Haggäg beauftragte nun den 'Obeida *) el-Sulemi mit der Aus- grabung und dieser fand eine so ergiebige Quelle, dass sie nicht leer geschöpft werden konnte, — Bei ’Oneiza, in der ersten oder der vierten Schlacht in dem Kriege zwischen den Bekriten und Taglebiten, tödtete Muhalhil den Hassän ben Murra 5). — In der Nähe von el-Schagi liegt der Brunnen el-Chargä, welchen Gafar ben Suleimän 6) hat graben las- 1) Nach Nagr bei Jäcüt drei Tagereisen von Bagra, was wohl vier heissen muss; für Ruheil findet sich keine Angabe nach Tagen, bei der fünften, sechsten und siebenten Station sind aber diese Zahlen ausdrücklich angemerkt. 2) d. i. Amrul-Keis; der Vers findet sich aber nicht in den Sammlungen sei- ner Gedichte. 3) d. h. es müsse welches sich werde wieder auffinden lassen. 4) oder ’Odheida nach Bekri. 5) Vgl. Reiske, primae lineae histor. Arab. pag. 195. 6) Zur Zeit des Chalifen el-Mahdi in den Jahren 161 und 163 Statthalter von Mekka. s. Chroniken von Mekka, Bd. 2. S. 183. zur Zeit des Dichters dort Wasser vorhanden gewesen sein, G2 52 - F. WÜSTENFELD, sen; er ist von el-Achädid, der dritten Station auf der von Wäsit herab- kommenden Strasse, eine Tagereise entfernt. Die fünfte Station ist Hatt: Zijád auf der äussersten Gränze des Ge- bietes von Bagra. Hier war eine von Artä-Bäumen umgebene Niederung, in welcher durch angelegte Canäle das Regenwasser sich sammelte und ei- nige Zeitstehen blieb; da aber das wenige Wasser für die immer zunehmende Menge der Pilger nicht ausreichte, liess Abu Müsä el-Asch’ari (gest. im J. 50 d. H.) einen neuen Brunnen anlegen, welcher süsses Wasser lie- fert und nach ihm Hafar Abi Müsd genannt wird und dessen Entfernung von el-Schagi 10 Farsach oder 30 Meilen beträgt; er ist so tief, dass das Wasser in grossen Eimern mit Stricken heraufgewunden werden muss. Die nächste Station ist bei Máwija oder Mäweih, einem Brunnen in Falg aus uralter Zeit, welcher nach Mäwija, einer Tochter des Murr und Schwester des Tamim, benannt sein soll. Die Könige von Hira pflegten sich zum Vergnügen dahin zu begeben; das Wasser gehört zu den wohlschmeckendsten der Araber und Ibn Habib!) versichert, dass er nie angenehmeres getrunken habe und dass Muhammed ben Sulei- män?) sich regelmässig etwas davon habe nach Bacra bringen lassen. Nicht weit davon folgt an der Strasse das Wadi Tunub mit einem Was- ser im Gebiete der ’Anbar. — Am oberen Ende des Wadi Falg liegen bei einer Krümmung desselben die beiden Ortschaften el-Rakmatän, die : von den 'Anbar und Handhala bewohnt werden; hier lebte der Dichter Mâlik ben el-Reib el-Mäzini und in jener Gegend liegt auch der Ort Run an der Strasse. Von dem Wege von Kufa bei el-Samdwa kommt das Wadi Maskat el-Ram! herüber, schneidet die Strasse von Bacra und fliesst durch das Gebiet der Banu Sa’d an Jabrin vorüber ins Meer. — An dem Maskat 1) Muhammed ben Habib gest. 245, ein Sprachforscher aus Bagdad, welcher Arabien bereiste, um bei den Beduinen das reine Arabisch zu lernen und daneben geographische, ethnographische und naturhistorische Studien machte, die er in vielen Werken niedergelegt hat. 2) Unter dem Chalifen el-Hädi Statthalter von Bacra und Kufa. Ibn Co- teiba, pag. 190. . DIE STRASSE VON BACRA NACH MEKKA. 53 el-Raml dehnt sich die neun Meilen lange Sandfläche von el-Schiha aus bis nach Dsul-Oschar oder Dsul-’Oscheira, einem Lagerplatze an der ‚Strasse von Bagra nach el-Nibäg; el-Schiha ist ein Wasser eine Tag- und Nacht-Reise östlich von Feid und vier Tagereisen von el-Nibäg; ganz nahe bei el-Schiha sind auch die Wasser el-Keigúma und Haumana el-Durräg, am Rande der vier Tagereisen nach Osten sich ausdehnenden Sandebene el-Daww, mit dem Lagerplatze Kunna, wo der Weg von Kufa herüberkommt. Es folgt die Station el-Magdza in Falg, wo die Banu el-Acamm ben Rijäh ben Jarbü’ wohnen, dann Jansúa mit Brunnen, welche süsses Wasser liefern. Hier beginnt die Sandwüste el-Dahnd, welche in der Länge sich bis nach Jabrin ausdehnt und in der Breite aus fünf Bergen besteht, welche immer durch einen Zwischenraum von einander getrennt sind, sie heissen Chaschächisch, Hamätän, el-Rimth, Mwabbir und Huzwä. Diese Sandfläche ist keineswegs ganz onfruchtbar. sondern sehr futter- reich, ungeachtet sie vom Regen und von Quellen sehr wenig bewässert wird, und sie gewährt sogar in den Theilen, welche mit Bäumen dicht bewachsen sind, die nur der Regen bewässert, einen angenehmen und gesunden Aufenthalt, wo Fieberkrankheiten nicht vorkommen. Am Ausgange dieser Wüste liegt zur Rechten der Sandberg As- nima (in verschiedener Aussprache auch Asnuma, Usnuma), sieben Tage- reisen von Bacra; zur Linken kommt das Wadi Maniy aus der Wüste el-Dahnä, an welchem sich nach Jemäma zu der Berg el-An’am hinzieht; die Gegend ist berühmt als Schauplatz langjähriger Kriege zwischen den Ganiwiten und "Absiten 1). — Bei ’Aglaz (auch ’Igliza oder ’Agäliz), ei- nem Sande oder Wasser der Banu Dhabba oberhalb el-Karjatän, findet nach einigen der Eintritt in Nagd statt und der Hügel el-Numeira wird als auf der Gränze liegend bezeichnet und ‘Garad el-Kactm als Gränzort genannt. Ein Dichter sagt: Verlassen ist von Leila’s Familie Bam Säk bis an die Sandhügel el-"Agäliz und el-Kacim. 1) Reiske, primae lin. pag. 204. 54 F. WÜSTENFELD, Eine Tagereise von letzterem Orte kommt man nach el-Karjatän d. i. zwei Dörfern, von denen das eine durch Abdallah ben 'Åmir ben Ku- reiz!), das andere durch Ga’far ben Suleimän gegründet wurde. Hier ist eine Burg erbaut, e Askar das Lager“ genannt, also ein befestigtes Lager; zwischen den Reihen der Palmenpflanzungen liess Abdallah Was- serleitungen anlegen, „die Quellen des Ibn ’Ämir“, ihr Wasser ist aber zum Trinken zu hart und süsses Trinkwasser muss von dem eine bis zwei Meilen entfernten ’Oneiza herübergeholt werden. Bei el-Karjatän geht nach Osten ein Weg ab, um über Oscheij und Dsät Gisl oder Rau- dha Gisl, wo die Banu Kuleib ben Jarbü wohnen, von denen der Dich- ter Garir abstammt, nach Jemäma zu kommen. Nicht weit davon folgt der Ort el-Ramäda, welcher als die Mitte des ganzen Weges zwischen Bacra und Mekka gerechnet wird. Er gehört zu dem Gebiete des Wadi el-Schägina oder im Plural el-Schawägin , wel- ches sich nach e/-Cammän hinüberzieht und von mehreren Zweigen der Tamim an verschiedenen Wassern bewohnt wird: bei el-Karä und Tu- weil leben die Banu Mälik ben Handhala, bei el-Ramäda und Lagäf die Banu Kab ben el-Anbar, bei Thabra die Banu Manäf ben Därim und bei el-Lihäba die ’Abschams ben Sa’d. Einer der letzteren Namens Asfa’ el-Abschami hatte einem der Banu Kab einen Fuss abgehauen, darüber kam es zum Kampfe, in Folge dessen die ’Abschams aus jener Gegend vertrieben wurden, worauf sich die Worte des Dichters beziehen: Verwehrt hat el-Lihäba und seine Bitterkräuter Hamg und Nagil sowie die pflanzenreichen Gegenden von el-Cammän der Dich des Asfa’. Hiernach kaufte einer der Banu Fukeim den ’Abschamiten ihr Gebiet ab, wogegen indess die erwähnten Stämme Einsprache erhoben und Feind- seligkeiten anfingen, bis der Streit dem damaligen Befehlshaber von Me- dina Marwän ben el-Hakam 2). zur Entscheidung vorgelegt wurde, wel- cher dem Fukeimiten den bezahlten Kaufpreis erstattete und das Gebiet 1) Der Eroberer von Persien, Choräsän und Indien, gest. im J.59. Ibn Co- teiba, pag. 164. 2) Er bekleidete diese Stelle während der Jahre 48 bis 54 d. H. Nawawi, DIE STRASSE VON BAGRA NACH MEKKA. 55 in seinen eigenen Besitz nahm; er ernannte den Samura ben Sufjän el- Minkari zum Verwalter, schickte Sklaven hin, um das Land zu bebauen, und stellte das Mauerwerk im Innern des Brunnens wieder her und machte es höher. Bei el-Sumeina ist der erste Lagerplatz für die, welche von el- Nibäg nach Bacra reisen; hier finden sich süsse und salzige Brunnen von dem genannten Abdallah angelegt, welche den Banu el-Hugeim von Tamim gehören, zwischen Sandflächen in denen das Gehen beschwerlich ist, mit der Ortschaft Zurk oder Zu k, wo man nicht erkennen kann, ob die Hälse der Kamele unter ihrem Gepäck (d. h. dicht am Boden, wenn sie den steilen Berg hinaufgehen) röthlich oder (vom Sande) weiss gespren- kelt sind. Ehe man die nächste Station e/-Nibäg erreicht, liegen noch nörd- lich davon und rechts von der Strasse die beiden ‘Parkanlagen el-Zabbä- wän zwischen den Orten el-Handhala und el- Tanúma in der weiten Ebene, deren Wadis die Richtung nach el-Nibäg nehmen; sie sind im Besitz der Familie Banu Kureiz. el-Nibäg ist ebenfalls eine Schöpfung des Abdallah ben "Ämir ben Kureiz, welcher hier zuerst Brunnen graben und Wasserleitungen anlegen liess, an denen er Palmen anpflanzte, und seine Nachkommen, die Banu Kureiz wohnen dort mit anderen Arabern, die sich ihnen an- geschlossen haben. el-Nibäg, zehn Tagereisen von Bacra, ist ein Kno- tenpunkt, wo der Weg von Bacra nach Mekka von Norden nach Süden von einem anderen von Westen nach Osten durchschnitten wird, indem von hier eine Strasse östlich über el-Kureija oder el-Karja, ein Dorf der Banu Sadüs, dann über el-Fakj, el-Suheimia und el- Carif, das zehn Mei- len von el-Nibäg entfernt ist, auf der zweiten Station Dsät Gisl mit der Strasse von el-Karjatän zusammentrifft, welche nach Jemäma führt, eine andere von el-Nibäg westlich über die Brücke des Wadi Kaww nach dem Lagerplatze Batn Kaww, wo sie sich wieder theilt und in nördlicher ` Richtung bei Feid in- die Hauptstrasse nach Kufa einmündet, während nach Westen der Weg an dem einzeln stehenden Berge Dhabu vorüber bei el-Nakra die Pilgerstrasse von Kufa erreicht, wo eine abermalige 56 F. WÜSTENFELD, Theilung nach Mekka und nach Medina stattfindet. In der Nähe von el-Nibäg liegt der Ort el-Marrüt an der Sandebene Iram el-Kalba, wo Kanab el-Rijähi den Bugeir ben Abdallah el-Kuscheiri umbrachte!). Durch eine Pflanzung von niedrigen Palmen?) gelangt man nach Theital, einem Dorfe mit einem Wasser, wo die Banu Himmän wohnen. Von hier führt die Strasse nach Mekka durch Sand und an kleinen Sandhügeln, die links und rechts liegen, vorüber nach dem na- hen Baulän, berüchtigt dadurch, dass hier die Araber den Pilgern ihre Geräthschaften stehlen; das Wädi von Baulän fliesst an Manfüha vorüber nach Jemäma hinunter. | Räma dies ist die zwölfte Station von Bacra und ein Grenzort im Gebiete der Tamim, der von einem Zweige derselben, den Banu Dä- rim, bewohnt wird. Die Dichter nennen den Ort, indem sie wie in vie- len ähnlichen Fällen einen benachbarten Ort hinzudenken, oft im Dual Rämatän ‚die beiden Räma.“ Ein Einwohner von dort wurde gefragt, warum sie ihr Feld nicht bestellten, da es doch dazu ganz geeignet sei? Er antwortete: Wir haben es ja schon bestellt. — Womit denn? — Mit Rüben. -— Wie seid ihr denn gerade darauf gekommen? — Um dem Dichter zu widersprechen, welcher sagt: Sie bat mich bei Rämatän um eine Rübe. O Majja! hättest du etwas leichtes erbeten, würde der Verkäufer, wenn auch mit Mühe, es gebracht haben. d. h. in Räma ist schon nicht viel zu haben, aber Rüben sind mit aller Mühe nicht anzuschaffen; die ersten Worte sind sprichwörtlich geworden von einer schwer zu gewährenden Bitte). Der nächste Ort el-Kacim ist ein Wohnsitz der Banu Abs zwischen Sandhügeln, in deren Thälern Obstbäume wie Feigen, Orangen, Wein und Aepfel wachsen; sonst ist der Ort ungesund, er liegt am äussersten Ende des Gebietes oder Wadi el-Rumma oder Batn el-Ruma, welches sich I) Reiske, primae lin. pag. 252. : 2) So Bekri z:9; bei Jacut ä>,, »auf einem kurzen Wege, den man in der Abenddämmerung zurücklegen kann. 3) Arabum proverb. ed. Freytag. Tom. I. pag. 215. DIE STRASSE VON BAGRA NACH MEKKA. 57 von Harra Fadak bei Medina im Gebiete der Suleim sieben Tagereisen lang und eine Tagereise breit bis hierher erstreckt, indem es sich zwi- schen den beiden Bergen Abän, dem weissen und dem schwarzen, wel- che zwei bis drei Meilen von einander abstehen und zwei Tagereisen von Man'ig entfernt sind, hindurchzieht. Ungeachtet das Wadi von al- len Seiten Zufluss hat, ist seine Wassermenge doch nicht bedeutend, bis es im Gebiete der Kiläb das Wadi el-Garib aufnimmt. Der Weg führt nun über einen Ausläufer des Gebirges el-Sitär. welches von der Strasse von Kufa in einer Entfernung von fünf Meilen sich herüberzieht. Von el-Rumma herauf kommt das Wadi 'Åkil, welches mit Acacien bewachsen ist und von den Banu Abän ben Därim bewohnt wird, und erreicht an den Orten Batn 'Åkil und Adhbw vorüber die Höhe bei dem Lagerplatze Amara oder Immara, wo kleinere Stämme der Banu Asad ihre Niederlassungen haben. Hier ist der Eintritt in das Gebiet von Dhartja, welches in seiner weitesten Ausdehnung von dem Sitär bis an den Berg Aswad el-Ain und den Ort ‘Gadila 66 Meilen lang ist. In diesem Gebiete lebte der Dichter Amrul-Keis und zwischen Immara und Aswad el Am setzen die Ausleger die vier im ersten und zweiten Verse seiner Mo’allaka genannten Orte el-Dachil, Haumal, Tüdhih und el-Mikrä, von denen der erstgenannte die äusserste Gränze des Steuerdistriets von Medina bildete, dessen Richtung und Lage etwas ge- nauer durch die Angabe bestimmt wird, dass der Steuererheber, wenn er bei den Banu Kiläb die Beiträge erheben will, von Medina aus der Reihe nach die Orte Oreika, el- Anäka, Madá (oder Mids’d), el-Maclük, el- und el-Huleif besucht und dann nach el-Dachül zu den Banu 'Amr ben Kiläb kommt, wo er bei den einzelnen Familien und’ deren Schutzgenos- sen, den Banu Daufan, die Erhebungen macht. Da die Beschreibung des Gebietes von Dharija unten nach el-Bekri im Zusammenhange folgt, so erwähnen wir hier nur die an der Haupt- strasse gelegenen vorzüglichsten Orte und Berge: von Immara nach Tichfa am Berge Suwäg, Dharlja, Wasat, Schwabäi, Kunei am Berge 'As'as, Hafar Bani el-Adram, Där el-Aswad, Aswad el- Ain und ‘Gadila. Auf Gadila lassen Mukaddasí und Ibn selig die Station Histor.-philol. Classe. XVI 58 F. WÜSTENFELD, Mulha !) folgen, dann ist der nächste Lagerplatz Rumeila, auch mit dem Zusatze Rumeila el-Liwá genannt, dann Abrakán d.i. zwei weiss und schwarz gefleckte Berge, mit dem Beisatz Abraká Hugr, nach Hugr, dem Vater des Amrulkeis, welcher dort wohnte; dann Falga im Gebiete der Banu el-Bakkä, wo salziges Wasser ist; zur Linken des Weges lie- gen die drei Hügel el-Dsandib, wo in dem Kriege Basús eine grosse Schlacht geschlagen wurde?). Gleich hinter Falga folgen el-Dathina5) und el-Dafina, Niederlassungen der Banu Suleim, und hier beginnt das grosse Wadi el-Rumma, welches zwischen den beiden Bergen Abán hin- durchfliesst. An dem Wasser el-Rukeii vorüber, welches nach Ibn Rukei’, einem Manne vom Stamme Tamim benannt ist, gelangt man zu dem Lagerplatze Kubä, wo eine Burg ist, welche von Abdallah ben "Amir ben Kureiz er- baut wurde; er liess Negersklaven dahin kommen, um das Land zu cul- tiviren, allein sie konnten das dortige Klima nicht vertragen und starben bald, so dass er davon abstehen musste. Der Dichter el-Sari ben Abd el-Rahman ben 'Otba erwähnt diese Burg in den Versen: Ihr Aufenthalt im Frühjahr ist Burkat Chäch, und im Sommer wohnt sie in der Burg, der Burg von Kubä. Begrabt mich, wenn ich sterbe, in dem Kleide der Arwä und waschet mich mit dem Wasser aus dem Brunnen ’Orwa, warm im Winter, kühl im Sommer, eine Leuchte in dunkler Nacht. Das nächste Wasser an der Strasse ist el-’Gamüm, wo der Lagerplatz der Banu Suleim war, als Muhammed kurz vor seinem Tode ein Corps un- ter Zeid ben Häritha gegen sie aussandte. Die nächste Station heisst bei Mukaddasi slim Sonbola, wie sonst ein Brunnen in Mekka genannt wird; ich zweifle nicht, dass dafür Xu 1) Bei Jäcüt kommt nur der Name vor, die Erläuterung dazu fehlt; was Juy n- boll in den Maräcid T. II. p. 143 n. 4 aus Bekri anführt, gehört zu dem Art. Muleiha, wozu in dem Leydener Codex der Anfang fehlt. 2) Reiske, primae lineae pag. 188. 3) Bei Bekri: el-Dathanija. DIE STRASSE VON BACRA NACH MEKKA. 59 Schubeika zu lesen ist, welches Jåcüt als an der Strasse von Bacra lie- gend nennt, dass aber von ihm die Meilenzahl ausgelassen ist, da man sonst nur „einige Meilen von Wagra‘“ annehmen müsste, während nach Mukaddasi die Entfernung 40 Meilen beträgt. Bei Busjän, 21 Meilen von el-Schubeika, sind Teiche und Wasser- leitungen; der Ort oder Berg liegt im Gebiete der Banu Sa’d und ist berühmt durch eine Schlacht zwischen den Banu Kuscheir und Banu Asad, worauf sich viele Stellen bei den Dichtern beziehen. So sagt el- Musäwir ben Hind: Wir haben getödtet den Ibn Tamija mit dem Stecken (Schwerdt) und wir haben getödtet bei Busjän den Mushir. Doreid ben el-Cimma sagt: Wir haben zurückgetrieben den Stamm von Asad mit Hieb und Stich, dass die Tapfern gekrümmt liegen blieben. Wir haben von ihnen siebzig niedergestreckt liegen lassen bei Busjän und haben unsre Brust frei gemacht. Marrän, dessen Entfernung von Mekka von einigen auf vier, von anderen (weniger wahrscheinlich) nur auf zwei Tagereisen oder 18 Mei- len angegeben wird, ist ein grosses, sehr wohlhabendes, volkreiches Dorf mit vielen Quellen -und Brunnen, Palmen und Saatfeldern; es wird von den Banu Hiläl, einem Zweige der Banu "Amir, bewohnt und ein Quar- . tier besitzen darin die Banu Mäiz; es befindet sich dort eine Burg und ein Bethaus. Der Ort ist bekannt und wird von den Dichtern oft er- wähnt als Begräbnissplatz zweier berühmten Männer, des Tamim ben Murr, Ahnherrn des grossen Stammes der Tamim, und des ’Amr ben ’Obeid, Oberhauptes der Muta’zaliten in Bacra, welcher auf der Rückreise von der Pilgerfahrt nach Mekka im J. 144 hier gestorben ist. Die Umgegend von Marrän beschreibt el-Bekri in dem Artikel el- Sitär in folgender Weise: Unterhalb el-Nibäg nach Medina zu liegen dem Sitär gegenüber zwei Quellen, el-Thigär und el-Thagir genannt, deren Wasser nicht süss ist, aber dick hervorsprudelt; weiter hinab fol- gen zwei Hügel in einer ebenen Sandgegend wie zwei hohe Säulen, de- ren Spitzen nur die Vögel erreichen können, der eine heisst 'Amüd Al- H2 60 F. WÜSTENFELD, bán, nach dem benachbarten Orte Albán, der andere ' Amúd el-Safh; der letztere liegt rechts von dem Wege von Kufa nach Mekka eine Meile von Ofdja und daneben ist ein Dorf, dessen Einwohner ihr süsses Was- ser aus einem daselbst befindlichen Brunnen holen, welcher el-Cubhija genannt wird, doch bin ich wegen dieses Namens nicht ganz sicher. Dann folgt ein dicker Hügel Hudma und eine Ebene voll schwarzer Steine, in welcher nichts wächst, sie heisst Mantha und gehört den Banu Gasr und Suleim, dann das Dorf Marrän, dann Kubá und diesem ge- genüber der Berg Hakrän, nur wenig bewachsen, an dessen Fusse das Wasser el-Cinw; dem Hakrän gegenüber liegt der Berg 'Onn, in dessen Schluchten sich grössere und kleinere Wasseransammlungen finden; die- sem wieder gegenüber die beiden Berge el-Kafá und Beisch, wo die Banu Hiläl wohnen, am Fusse des letzteren der Brunnen Nak'ä, welcher nicht ausgeschöpft werden kann, weiterhin ein anderer Namens el-Gadr und von diesem so weit entfernt, als ein Ruf schallt oder etwas mehr, der berühmte Marktplatz `Okádh, drei Nachtreisen von Mekka und eine von el-Täif. Der Ort Wagra West zur Linken der Strasse drei Tagereisen von Mekka und macht nach der Meinung einiger die Gränze zwischen Nagd und Tiháma; hier dehnt sich die Wüste e/-Sij nach beiden Seiten bis el-Schubeika und Dsät 'Irk 40 bis 60 Meilen weit aus, ohne Brunnen. ohne Weide, ohne Wasser, nur der Aufenthalt von Räubern und wilden Thieren; nach der Seite von Medina stösst daran Harra Leid und in der Nähe von Wagra liegt der Ort Rayá, der hohe Berg Masüla und die beiden Hügel Scha fán; das ganze Gebiet gehört den Banu Suleim. Gamr dsi Kinda hinter Wagra und von Mekka zwei Tagereisen entfernt, war im Heidenthume mit seiner Umgebung der Wohnsitz des kleinen Stammes Gunäda ben Ma’add und hier lebten auch die Kinda in ihrer frühesten Zeit; dies wird von denen als Beweis angeführt, wel- che die Kinda zu den Ismäilitischen Stämmen von Ma’add ben 'Adnàn rechnen. Später nahmen einige Leute von den Banu Machzüm hier Land in Besitz und es erhielt den Namen Bustän el-Gumeir. Autäs ist ein Wadi an der Strasse im Gebiete der Hawäzin , WO DIE STRASSE VON BAGRA NACH MEKKA. 61 diese und die Thakif sich sammelten und dann in der Richtung nach el-Täif gegen Muhammed bis Hunein vorrückten. dessen Entfernung von Mekka etwa zwölf Meilen beträgt. Nachdem die beiden verbündeten: Stämme hier geschlagen waren, zog sich ein Theil wieder nach Autäs zurück, der andere ging nach el-Täif. Von Autäs bis Karjatein wird nach einigen die Ausdehnung von Nagd gerechnet; andere, gestützt auf die Meinung der Einwohner selbst, rechnen die Senkung el-Gaur zwi- schen Autäs und den Stufenbergen von Dsät ’Irk weder zu Nagd noch zu Tihäma. — Dsät-Anchul ist ein Wadi, welches an Dsät ’Irk hinunter- fliesst, dessen oberer Theil zu Nagd, der untere zu Tihäma gehört. Jk „Berg“ ist der Name eines bestimmten Berges eine Tagereise von Mekka und hat von ihm die Umgegend den Namen Dsät "EE er- halten; hier ist ein grosser Lagerplatz der Pilger bei einem Wadi, wel- ches das syrische Nachla genannnt wird und hier trennen sich die Stra- ssen nach Kufa und Bacra. In einem Wadi oberhalb dieses Nachla Namens Hurädh, welches mit dem aus den Bergen von el-Täif an dem Orte el-Gumeir vorüber kommenden Wadi el-Muschäsch zusammenhängt, sechs Meilen von Bustân Ibn 'Amir stand der Götze el-Uzzä in einem Buss genannten Tempel von Palmen umgeben. Zwei Meilen diesseits el-Gumeir bei el-Mugammas starb Abu Rigäl, der Wegweiser des Abraha, welcher mit seiner Armee von Habessiniern gekommen war, um die Ka’ba in Mekka zu zerstören; sein Grab wird dort noch Jetzt von den vorüber- ziehenden Arabern unter Verwünschungen mit Steinen beworfen. Eine Tagereise weiter nach Südwest liegt el-Karn, auch Kam el- Manäzil oder Karn el-Tha'älib genannt, ein grosser Lagerplatz an dem Jemenischen Nachla, wo die Strassen für die Pilger aus Jemen, Nagd, Ha- gar oder el-Bahrein, 'Omån und Jabrin zusammentreffen. — Diese bei- den Nachla fliessen an dem Orte Othäl vorüber bei Bustän Ibn ’Ämir zusammen, und das vereinigte Wadi ist die Gegend von Batn Marr, eine Niederung, deren oberes Ende durch die beiden Berge el-Rakbatän, mit einem Hügel in ihrer Mitte, begränzt wird bis an zwei kleine Berge, welche den Namen el-Dharäib führen. Diese weite Ebene heisst auch nur Marr oder Marr el-Dhahrän und zwar soll Marr der Name eines 62 F. WÜ STENFELD, Dorfes und el-Dhahrån der Name sein, welchen das vereinigte Wadi hier bekommt. Hier lagerten die jemenischen Stämme auf ihrem Auswande- rungszuge aus Märib nach Syrien und hier trennten sich von ihnen die Chuzäda und blieben in dem fünf Meilen von dort entfernten Mekka. Die Gegend hat viele Quellen, Palmen und Feigenbäume, welche den Stämmen Aslum, Hudseil und Gädhira gehören und als besondere An- siedlungen werden genannt die Dörfer el-Humeima zwischen Sarwaa und el-Baräbir, el-Chalaga, el-Rajjän, Kurrän, und der Marktplatz Muganna. el-Mamdara ist ein Ort bei el-Hada im oberen Theile von Marr el-Dhah- rän, wo ein weisser Thon gegraben wird, den die Frauen von Mekka zerreiben und mit wohlriechenden Binsen (juncus odoratus) vermischt zum Waschen der Hände gebrauchen. Wenn man in der Richtung auf Mekka Marr el-Dhahrän verlässt und den Hügel el-Gafgaf hinabsteigt, erreicht man den Wadi von Tu- raba, die Gränze des Stadtgebietes von Mekka; die Gränze des heiligen Gebietes nach dieser Seite wird dagegen so bezeichnet, dass alles, was von den Bergen Cheirat el-Acfar, Cheirat el-Mamdara und el-Ra’bä nach Marr el-Dhahrän gekehrt ist, ausserhalb desselben, und was nach el-Mu- deirä gekehrt ist, innerhalb desselben liegt. Bustän Ibn ` Amir oder, was für richtiger gehalten wird, Bustän Ibn Mamar, wiewohl jenes das gewöhnlich gebräuchliche ist, liegt an der Stelle, welche früher e/-Masadd hiess, eine Station von Mekka zwischen den beiden Nachla, und ist ein Garten oder Park, welcher von seinem Gründer den Namen hat, mit künstlichen Bewässerungsanlagen, die ih- ren Zufluss theils aus dem jemenischen Nachla durch das Wadi Sabiha, theils aus dem Wadi Turaba haben, welches zwei bis drei Tagereisen oberhalb Mekka aus den Gebirgen el-Sarät, Jasim, Badbad und Ma’dan el-Borm herunterkommt und an den beiden Bergen Sawán vorüberfliesst. Diese Gebirge gehören den Chath’am, Salül, Suwäa ben ’Ämir, Chau- län und ’Anaza; sie sind hoch und mit Weinreben, Zuckerrohr, Ishil und Baschäm Bäumen, aus deren Holz Zahnreiniger verfertigt werden, Aca- cien und Weiden bewachsen; nur der Badbad trägt nichts als nab’ und schauhat Bäume (chadara tenax), deren Holz zu Bogen und Pfeilen eb- DIE STRASSE VON BACRA NACH MEKKA. 63 nutzt wird, und er ist wegen seiner Unzugänglichkeit von Affen bewohnt, welche oft den Besitzern der Zuckerrohrpflanzungen grossen Schaden zufügen. Von Bustän Ibn ’Ämir führt der Weg über den kleinen Hügel Ka- Ji), nach Mekka, zur Linken sieht man die hohen, rothen Gebirge von el-Täif in der Ferne liegen, welche hauptsächlich mit Acacien bewach- sen sind und an welche sich die ’Arafät Berge anschliessen. 1) Bei Bekri: Kafal. IL Die Landschaft Dharija. Die folgende Beschreibung ist, wie oben bemerkt, der Hauptsache nach aus Bekri genommen; sie findet sich zum Theil wörtlich ebenso auch bei Samhüdi in seiner Geschichte von Medina nur an einigen Stellen kürzer, an anderen etwas aus- führlicher, und es liegt offenbar beiden eine gemeinschaftliche Quelle zu Grunde, welche Samhüdi theils abkürzte, theils aus anderen Nachrichten erweiterte. Wir ha- ben diese Erweiterungen in unsere Bearbeitung aufgenommen und auch aus einzel- nen Artikeln bei Jäcüt und Bekri ergänzende Bemerkungen entweder gleich damit in Zusammenhang gebracht oder in die Anmerkungen verwiesen. Dhartja hat seinen Namen von Dhartja, der Tochter des Rabfa ben Nizär ben Ma’add ben ’Adnän, oder von Chindif, der Mutter des Mud- rika und seiner Brüder; in Wahrheit war aber der Name der Chindif Leilä und diese eine Tochter des Hulwän ben ’Imrän ben el-Häfi ben Kudhäa. Nach einer Ueberlieferung von Mu’tamir von ’Äcim von el-Ha- san sagt el-Harbi: die Brust Adams wurde aus dem Sandhügel von Dha- rlja geschaffen; oder nach der Ueberlieferung eines anderen aus der hö- ckerigen Sandfläche von Dharija. Nach diesem Dharija ist das Himd „Ge- hege“ benannt, welches das grösste unter den Gehegen ist und sich von Dharija bis nach Medina erstreckt; es ist ein kräuter- und pflanzenrei- ches Land, welches viel Futter liefert, bequem zu durchschreiten ist und viele salzige und bittere Kräuter hat, nur sind die Brunnen darin weit aus einander gelegen und die Kamele erkranken dort in den Seitenwei- chen; das Gehege von Rabadsa ist dagegen beschwerlich zu durchschrei- ten und hat viele süsse Pflanzen. Nach el-Acmai sagte Ga’far ben Su- DIE LANDSCHAFT DHARÎJA. 65 leimän: wenn das Kamel in el-Rabadsa Fett angesetzt hat, kann man damit zwei Reisen machen, ohne dass es an Fett abnimmt, weil in jener Gegend keine salzigen und bitteren Kräuter sind. Der erste, welcher dieses Land zu einem Gehege bestimmte, war Omar ben el-Chattäb, für die als Armensteuer gelieferten Kamele und für die Reitkamele der Krieger, in einer Ausdehnung von sechs Meilen nach jeder Seite von Dharija, welches im Mittelpunkte des Geheges liegt, und so blieb es bis zum Anfange des Chalifats des ’Othmän, wo die Zahl der Kamele sich so vermehrte, dass es deren 40,000 gab; da be- fahl Othmän das Gehege so zu erweitern, dass es die gelieferten Ka- mele und die Reitkamele der Krieger fassen könnte. Die Gränze die- ser vorgenommenen Erweiterung wird von den Ueberlieferern nicht an- gegeben, sie berichten nur, dass Othmän eins von den Wassern der Banu Dhabina kaufte, welches von den Wassern der Gani von Dharlja das nächste, nämlich etwa zehn Meilen davon entfernt war und den Na- men el-Bakra führte; dieses soll also zur Zeit Othmäns in das Gehege von Dharija hineingezogen sein. Die nachfolgenden Statthalter fuhren dann fort. dasselbe zu erweitern, und derjenige, welcher ihm die weiteste Ausdehnung gab,‘ war Ibrahim ben Hischäm el-Machzümi!), indem er zugleich für seine Familie einen besonderen Bezirk abgränzte, in wel- chen er nach den verschiedenen Farben der Kamele von jeder Farbe tausend Stück hineinbrachte. Unter den Aufsehern des Geheges fanden aber beständig Streitigkeiten statt, welche nicht selten in blutige Händel übergingen. Einmal griffen die Aufseher des Ibn Hischäm und die Hir- ten der Medinenser, deren über 200 Mann waren, die Gani an wegen des den letzteren gehörenden Wassers el-Nutäa; nach einem heftigen Kampfe, worin die Gani zwölf ihrer Gegner tödteten und die Oberhand behielten, wurde Frieden geschlossen unter der Bedingung, dass die Gani für jeden Getödteten als Sühne hundert Kamele bezahlten. Leute von den Dhibäb waren nach Medina gekommen und hatten von den 1) In den Jahren 106 bis 113 Statthalter von Mekka und Medina. Chroniken von Mekka Bd. II. S. 178. Histor.-philol. Classe. XVI. I 66 F. WÜSTENFELD, Nachkommen des Othmän die Benutzung von el-Bakra als Tränke erbe- ten, was ihnen gewährt wurde, so dass sie es in der Folge behielten. el-Bakra liegt zur Linken von Dharija für den, der nach Mekka zieht, an dem Wege von Jemämä. Othmän hatte auch eine Quelle ausgraben lassen in einer Gegend, welche den Gani gehörte, ausserhalb des Gehe- ges in dem Erbsitz der Banu Mälik ben Sa'd ben Auf, der Familie des Tufeil, und in der Nähe eines ihrer Gewässer mit Namen Naf; dieses erwähnt Amrul-Keis in den Versen !): Ich kam in die Wohnungen des Stammes bei el-Bakarät, dann ’Arima, dann Burkat el-Tjaråt, Dann Gaul, dann Hillit, dann Naf, dann Man’ig bis ’Äkil, dann el-Gubb mit den kleinen Wegweisern. Zwischen Naf und Odhäch sind etwa 15 Meilen und die Verwalter Othmäns bauten sich bei den Quellen ein Schloss, welches sie bewohnen wollten. zwischen Odhäch und ‘Gabala in der Nähe von Wäridät, und liessen viele Bewässerungskanäle graben; als aber Othmän ermordet wurde, flohen die Verwalter und verliessen das Schloss, von welchem die Rui- nen noch vorhanden sind; in den Kanälen ist das Wasser nie zum Fluss gekommen. ` Zur Zeit der Abbasiden erhoben die vom Stamm Gani ge- gen die Nachkommen Othmäns über Naf einen Streit und die Ganf rot- teten sich bei dem benachbarten Wasser Hulajja zusammen; man kam indess überein, die Entscheidung dem Abul-Mutarrif Abdallah ben Mu- hammed ben 'Ata el-Leithi, einem Vefwalter des Hasan ben Zeid?) zu übertragen; für die Othmaniden traten die Banu Tamim, für die Gana- widen die Keis als Zeugen auf, aber keiner von beiden Partheien wurde der Besitz zuerkannt und Naf blieb unbebaut und wurde verschüttet. Dieser Streit fand statt im J. 155 oder 156 d. H. Auch Marwän ben el-Hakam hatte in el-Himä einen Kanal graben 1) Amroulkais Diwan pag. 29. The Divans of the six ancient Arabic poets ed. by Ahlwardt pag. 121. Diese Verse werden unten wiederholt und die Oert- lichkeiten näher besprochen. 2) Unter dem Chalifen el-Mangür Statthalter von Medina, gest. im J. 168 Ibn Challikan, Nr. 777. DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. 67 lassen, welcher el-Cifwa genannt wurde, in der Gegend des Landes der Banu el-Adhbat ben Kilåb 20 Meilen von Dharija, dann suchten ihn die Banu el-Adhbat zur Zeit der Abbasiden gegen gewisse Abgaben an den Herrscher wieder in ihren Besitz zu bringen. Abdallah ben Mutt el-Adawi liess in el-Himá eine Wasserleitung anlegen in der Gegend von Schwabá bis an die Seite von el- Thurajjd, da wo der Weg von Odhäch nach Medina die Pilgerstrasse von Bacra schneidet; dies Thurajjä gehörte den Kinditen, von denen der Dichter el-Abbäs ben Jazid abstammte, über welchen Garir spottend sagt: Hinansteigen werden zum Gipfel des Schu’abä Hälse 1 nach dem Kinditen, sie brennen vor Hitze. Wohnt er als Sklav in Schu’abä, als Fremder? oder in Verachtung, der Elende! und in der Fremde? Wenn die Pilger lagern bei Kunei’, schleicht er Nachts herbei um die Koffer zu stehlen. Das hier erwähnte Kunei ist ein Wasser, welches dem ’Abbas ben Jazid und seiner Familie gehörte, hinter dem Lagerplatze der Pilger aus Bacra von Dharija her nicht weit von dem Dorfe Dära ’As’as und für den, der nach Mekka zieht, neun Meilen von Dharija entfernt. Dieser "Abbas ben Jazid ist es, welcher sagt: Gott bewässre Nagd mit Frühjahrs- und Sommer-Regen! und was man vom Frühjahr nur hoffen kann, damit bewässre er Nagd! O ’Ädila! Nagd ist nicht wie Mutter und Vater, noch wie ein verbündeter Bruder, mit dem man einen festen Bund geschlossen hat, Ich verweilte in Nagd lange Zeit, aber ich sah vom Leben in Nagd keinen Glücklichen und kein Glück. Gott beschimpfe Nagd! wie kannst du ein fruchtbares Land verlassen als geizig? und den freien des Volks für einen Sklaven halten? Ueber el-Thurajjä sagt Cachr ben el-Ga’d el-Chudhrf: Da erreichte ich Abends die Höhe, die um den Vorrang mit dem Schu’abä streitet, der dem Auge des Beschauers deutlich erkennbar. Er neigt sich zu dem letzten der Berge von Thurajjä, dessen Schluchten er an Felsen zu übertreffen sucht. 1) d. h. Kamele, welche beim Bergsteigen die Hälse fast an die Erde legen. 12 68 F. WÜSTENFELD, Nachdem die Kinditen von Kunei vertrieben waren, fingen die Banu Gafar ben Kiläb und die Banu Abu Bekr ben Kilåb über den Besitz desselben einen Streit an; die Banu Abu Bekr sagten: wir haben ein grösseres Recht daran, weil es unseren Schutzgenossen gehörte, die Ga- fariten dagegen meinten: es liegt bei unseren Wohnungen, desshalb sind wir dazu mehr berechtigt. .Sie versammelten sich zu beiden Seiten des Kunei , Anführer der Ga’fariten war ’Abüd ben Chälid und Oberhaupt der Abu Bekr war Marúf ben Abd el-Karim, dessen Schwester mit "Abüd verheirathet war. Ihr Sohn Tufeil war unter den Ga’fariten der heftigste Gegner seiner Oheime, und seine Mutter ging bei Nacht zu ih- rer Familie hinaus und sprach: der feindseligste unter den Ga’fariten ge- gen euch ist der Sohn eurer Schwester, er ist kenntlich an dem Mantel von grüner Seide, soll er nicht der erste sein, den ihr tödtet? Unter- dess waren Vermittler von Dharija zwischen ihnen hin und her gegan- gen, und sie machten endlich Frieden unter der Bedingung, dass Salama ben 'Amr ben Anas el-Itrifi den Streit entscheiden solle. Sie schlossen schriftlich einen Vertrag, dass sich von jedem Stamme vierzig Mann zu Salama begeben sollten, und diese fanden sich zur bestimmten Zeit bei ihm ein. Er liess dann mehrere Tage verstreichen, schlachtete ihnen täg- lich ein Kamel und suchte sie mit einander auszusöhnen und von dem Besitze des Kunei' abzubringen. Endlich sagten sie: wir sind aber nicht gekommen, dass du für uns deine Kamele schlachtest. Worauf er er- wiederte: Gottes Segen über euch, ihr Banu Kiläb! ihr seid wegen einer sehr wichtigen Sache zu mir gekommen, in welcher ich nicht eher ein Urtheil abgeben kann, bis ich für mich selbst die Bedingung gestellt habe, dass weder ihr, noch die, welche ihr zurückgelassen habt, sich meiner Entscheidung widersetzen wollen. Nachdem er ihnen hierüber einen bindenden Eid abgenommen hatte, fuhr er fort: „ich sehe, o Banu Kiläb! dass ihr sämmtlich Unrecht habt, ihr habt eure verwandtschaft- lichen Bande zerrissen und euch gestritten um ein Wasser, welches euch nicht gehörte: keiner von euch hat einen rechtlichen Anspruch daran, der Brunnen soll unbenutzt bleiben und verschüttet werden.“ Alle wa- ren damit zufrieden und stimmten seiner Ansicht bei. Dieser Salama DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. WI ben 'Amr war ein Scherif, der das Buch Gottes gelesen und sich darin und in der Sunna gute Kenntnisse erworben hatte, und ihre Dichter lobten ihn deshalb. So sagt ’Akil ben el-Arandas el-Kiläbi, einer der Banu 'Amr ben ’'Abd ben Abu Bekr ben Kiläb, genannt el-Kattål 1), indem er ihn und seine eigene Familie Banu 'Amr lobt: O Haus zwischen Kulajjät, Adhfär 2) und den beiden Humma, segne dich Gott, wie nur ein Haus! eine Kacide, die nach den Worten: „und du schilst und tadelst sie,‘ durch die Stelle bekannt ist: Ja, o Mann! der seine Jugendzeit vergeudet, um über die mit Fusskettchen und Armspangen zu weinen, Merk auf! denn wir wollen die Banu Amr leben lassen, denn sie sind mit Vorzügen, Einsicht und Ruhm ausgestattet; Milde, freundlich, hülfreich in aller Weise, edelmüthige Führer, Söhne von hülfreichen. Sie reden nicht über Unehrenhaftes, wenn sie reden, und streiten nicht mit Worten gegen die, die übermässig streiten ZK Dann zog einer der Banu Hasan ben ’Ali in el-Himá einen Graben und stiess an der Seite seines Grabens auf eine Quelle, die den Namen el-Muschakkara erhielt, westlich von Tichfa am Rande von el-Rajjän 13 Meilen von Dharija; sie ist jetzt durch die V erheirathung einer Hasani- din in den Besitz einiger Leute der Banu Ga’far gekommen, die von "Amir ben Mâlik ben Ga’far mit dem Beinamen Mul#ib el-asinna der mit Lanzenspitzen spielt‘‘ abstammen. Die Banu el-Adram, ein Zweig von Kureisch, 'besassen ein altes Wasser aus der Heidenzeit im Gebiete von el-Himä an der Strasse von Dharija nach Mekka 18 Meilen von Dharija; es hatte den Namen Hafar „Kanal der Banu el-Adram“ und eine geringe Zahl der Banu "Amir ben Luweij wohnte hier mit ihnen zusammen. Die Banu Bugeir von Kureisch vermehrten sich bei diesem 1) So wird sonst ein anderer Dichter dieses Stammes, Abdallah ben Mugib, genannt. 2) Oertlichkeiten, die nach Medina hin liegen. 3) Die beiden letzten Verse, drei dazwischen liegende und ein nachfolgender in der Hamäsa pag. 699. 70 F. WÜSTENFELD, Kanal und in der Umgegend, und als dann ihre Mannschaft zunahm, entstanden unter ihnen Streitigkeiten, einer überfiel den anderen, bis sie sich nach verschiedenen Ländern zerstreuten. — Sa'id ben Suleimån ben Naufal ben Musähik el-Ämiri 1) grub sich eine Quelle eine Meile von dem Kanale der Banu Adram und machte sie sich nutzbar, indem er _ daneben viele Palmen anpflanzte und das Land bestellte, auch baute er hier ein Haus, welches den Namen dár el-aswad , Haus des schwarzen‘ erhielt, weil es zwischen einem hohen schwarzen Berge und einer Sand- fläche liegt. — Ibrahim ben Hischäm, welcher, wie oben erwähnt ist, el-Himä erweiterte, liess darin zwei Kanäle graben, den einen bei dem Hügel el-Namd, welcher im Gebiete der Banu Gafar ben Kiläb von Dharija sechs Meilen entfernt ist, benannte er el-Nämia „der zuneh- mende“, und er ist zwischen der von Othmän angekauften Quelle el- Bakra und zwischen Dharija; der zweite reicht bis in die Gegend von Schwabá in dem Wadi Fädhiha und dies Wadi fliesst ebenfalls zwischen zwei Bergen und von hier nach Dharlja sind neun Melen? Von el- Nämia und el-Bakra ist jede Spur verschwunden. Nach dem Tode des Ibn Hischäm grub Gafar ben Mugab ben el- Zubeir einen Graben zur Seite des Grabens des Ibn Hischäm in Fä- dhiha; er liess sich dort nieder mit seiner Familie und blieb da bis zu seinem Tode. Auch sein Sohn Muhammed lebte hier bis zum Aufstande der Brüder Muhammed und Ibrahim ben Abdallah ben Hasan im J. 145, denen er sich anschloss, und als diese getödtet wurden, floh er nach Bacra, kehrte dann nach Fädhiha zurück und verheirathete sich mit ei- ner Frau von den Banu Ga’far aus der Familie Tufeil, welche ihm ei- nen Sohn Abdallah gebar; diesen verheirathete er mit einer Tochter des Käsim ben Gundab el-Fazärl, eines Fürsten der Beduinen Araber, wel- cher in el-Liwd wohnte), und weder einen Feldzug mitgemacht hat, > ki 1) Kådhi von Medina unter dem Chalifen el-Mahdi. 2) Nach Jäcüt kommt auch die Schreibart Fädhiga vor; Samhúdi hat sieben 3) Es ist offenbar die Gegend Liwä Tufeil gemeint, welche nach Jäcüt zwi- schen Mekka und Jemen liegt. DIE LANDSCHAFT DHARIJA. 71 noch die Pilgerfahrt, ja kaum jemals in ein Dorf gekommen ist. Die Nachkommen des Abdallah von seiner Tochter sind in ihren Besitzun- gen bei Fädhiha geblieben. Abdallalr grub auch einen Graben seitwärts von dem Graben seines Grossvaters, verschüttete den Graben des lbn Hischäm und legte dafür einen neuen an. Ein Sklav des Ibn Hischäm Namens Gauschan 1 liess in der Schlucht von Schwabá einen Kanal graben zwischen diesem Berge und zwischen dem Kanal der Banu el-Adram und von diesem und dem Ka- nal des Ibn Musähik zwei oder drei Meilen entfernt. Er nannte ihn el-Gauschania und verkaufte ihn an eine Angarier-Familie Rap" ben Cha- dig, welche in der Nähe noch einen Graben auf einem herrschaftlichen Grundstücke anlegte. Darüber erhob der genannte Muhammed ben Ga- far ben Mug’ab, ein sehr heftiger Mann, einen Streit wegen des Besitz- rechtes der Banu el-Adram; er stellte sich den neuen Eigenthümern, die sich gesammelt hatten, allein gegenüber, bekam aber von zwei Männern zwei leichte Kürbisse an den Kopf geworfen. Er liess sie nun gefangen nehmen und nach Dharija abführen und erbat sich den Beistand des Statthalters in Medina, el-Hasan ben Zeid, welcher die beiden auspeit- schen liess und dann begnadigte. Der Streit über el-Gauschania und den Graben wurde indess weiter verfolgt, bis der Besitz den Banu el- Adram und Ibn Musähik zuerkannt wurde, jedoch erhielten die Ancär auf ihr Ansuchen die Erlaubniss, ihr grosses und kleines Vieh dahin zur Tränke zu führen. Als sie während der Unruhen von Räubern der Kais von Kiläb und Fazära belästigt wurden, verbanden sie sich mit den Tajjiten zu gegenseitigem Schutz und hatten dadurch einige Zeit Ruhe; dann wurden sie aber auch von Räubern der Tajjiten überfallen und zerstreuten sich desshalb und verliessen die Wüste. Die Banu el-Adram und Bugeir von Kureisch vermehrten sich an dem Graben und es ent- standen dann unter ihnen Feindseligkeiten; ihre Nachbarn von Keis hat- 1) Bekri hat Gurasch und nachher el-Guraschia, und so auch in dem beson- deren Artikel; Jåcüt hat Gauschania als Namen eines Berges in der Nähe von . Dharija. ` 72 `F. WÜSTENFELD, ten sie bisher in Ehren gehalten, als sie aber unter einander uneins wurden, fingen sie an, die Ràuber gegenseitig auf sich zu hetzen, die Banu Kilåb und Fazära plünderten sie aus und tödteten einige von ih- ren Leuten, so dass sie sich endlich nach Medina zurückzogen und sich zerstreuten. Abd el-Gubbär el-Musähiki machte auf dies Benehmen der Fazära gegen die Kureisch ein Gedicht, dessen Anfang: Langsam, Fazära, ihr elenden! langsam! schon zu lange habe ich ermahnt und gewarnt. Ueberhaupt sind wegen el-Himä die heftigsten Kämpfe geführt. In Himä sind im Ganzen zehn nennenswerthe Gewässer und in dies Gebiet fliessen von den Gewässern der Banu ’Abs sechs und von denen der Banu Asad ebensoviel hinein. Zu jenen gehören Magay und el-Bir mit einer weiten Aushöhlung, seitwärts von Abrak Chutrub (Jacut: Chatrab), wo ein reichhaltiges, ergiebiges Silberbergwerk war; ferner ein Wasser Namens el-Farwa oder el-Fard. Zu den Gewässern der Banu Asad gehört el-Hafar in der Nähe von el-När’än im Besitz der Banu Kå- ` hil; el-Näfän ist ein Berg 1); dann el-Hafir, el-Dsiba und 'Itjar am Fusse des Beidän ein salziges Wasser; in der Sandebene des Beidän ist aber auch ein süsses Wasser. Beidän erwähnt 'Garir in den Versen: Fast hätte mich die Sehnsucht zwischen dem Sulmänän getödtet,, und fast hätte sie mich getödtet am Tage von Beidän, Und in Himä, nur dass der Tod nicht zu mir kam, und ich wurde von den Angriffen der Trennung befreit. Der genannte Sulmänän ist einer der höchsten Berge von Suwäg. Zur Zeit des Heidenthums war Dharija eins der Gewässer der Dhi- bäb und gehörte dem Dsul-Gauschan Schorahbil el-Dhibäbi, dem Vater des Schimr, des Mörders des Husein ben "AN, Gott segne ihn und fluche seinem Mörder! Dsul-Gauschan nahm dort den Islam an, sagte aber, nach der Ueberlieferung der Muslimen von Dhibäb, nöch zur Zeit des Heidenthums, indem er dieses Wasser meinte: Ich bat Gott, als meine Familie Hunger litt, dass er mir bei Wasat Speise gebe. 1) In dem Artikel richtiger zwei Berge; bei Jächt im Singular el-Nä?’ ein Ort. e DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. 73 Da schenkte er mir Dharija, den besten Brunnen, welcher Wasser auswirft, und den doppelten Krug. Das genannte Wasat ist ein Berg in einer Entfernung von sechs Meilen von Dharija, über welchen der Weg der Pilger führt, wenn sie seinen Höcker hinansteigen; seine linke Seite bleibt zur Rechten des Anstei- genden und auf der Seite, welche an dem Wege liegt, ist ein öder Platz, welchen die Pilger el-Churäba!) nennen, östlich von Wasat, und nach der linken Seite ist eine der Niederlassungen von el-Himä. ansehnlich, pflanzenreich in einer Ausdehnung von etwa dëi Meilen und eine Meile breit. Das oben erwähnte Kunei liegt am oberen Ende dieser Nieder- lassung beinahe ausserhalb derselben und diese Niederlassung ist zwi- schen dem Wasat und einem anderen Berge Namens’As’as, bei welchem das Wasser el-Nägifa den Banu 'Ga’far ben Kiläh gehört. Dieser 'As’as ist ein einzelner himmelhoher rother Berg, dem keiner der Berge in el- Himä ähnlich ist; seine Form ist wie die eines Mannes und wer ihn von der Pilgerstrasse aus beim Hinansteigen sieht, hält seine Gestalt für die eines sitzenden Mannes mit einem Kopf und zwei Schultern. Ein Dich- ter sagt: | Bis zum ’As’as mit zwei Schultern und dem Kopfe. Die Niederlassung heisst davon auch Dära ` Asas und Ibn Schaudsab sagt: Fätimas Aufenthalt waren die Hügel, sie begab sich von einem zum anderen, ohne in einem Thale zu verweilen. In Dära ’As’as brausten über sie die Staub aufwirbelnden Winde vorwärts und rückwärts. Himä Dharija umschliesst den Erbsitz von sieben kleineren Stäm- men der Banu Kiläb; sie sind die am meisten begüterten Bewohner von Himä; dann die Erbsitze der Gani. Die Quelle von Dharija und das fliessende Wasser gehörte dem Othmän ben "Anbasa ben Abu Sufjän; er war es, welcher sie gegraben, die Palmen gepflanzt und einen Damm von grossen Steinen aufgeworfen hatte um das Wasser aufzufangen; die- ser Damm ging quer durch das Wädi, schnitt so das Wasser ab und 1) Nach Jäcüt II, 417 ist Churba oder Charba ein Wasser im Gebiete der Banu Sa’d ben Dsubjän sechs Meilen von Dharija. Histor.-philol. Classe. XVI. ` K 74 F. WÜSTENFELD, hielt es einige Zeit auf, damit der Quelle mehr Wasser zugeführt würde. Als nun die Abbasiden zur Regierung kamen, eigneten sie sich mit den übrigen Besitzungen der Omajjaden auch diese Quelle an. Gegen das Ende der Regierung des Abul-Abbäs, welcher die Machzumitin Umm Salima zur Frau hatte, deren Mutter von den Banu ‘Gafar ben Kiläb abstammte, kam deren Oheim Ma’rüf ben Abdallah ben ‘Gabbär ben Sulmä ben Mälik zum Besuch nach Damascus; der Chalif empfing ihn sehr ehrenvoll und fragte ihn, ob er besondere Wünsche habe, da bat ihn Margot, ihm Dhartja” und die dort bewässerten Ländereien zum Ge- schenk zu machen, und er that es. Ma’rüf liess sich nun dort nieder und wurde einer der angesehensten Männer der Banu 'Ga'far mit einem grossen Viehstande, er erlaubte aber auch anderen, ihr Vieh auf seine Grundstücke zur Weide:zu führen. Nun kamen die Gastfreunde zu ihm in grosser Menge und er fing an, für sie die frischen Datteln pflücken zu lassen und frisch gemolkene Milch dazu zu reichen; das dauerte so zwei Monate. Da kamen wieder Gäste zu ihm, nachdem die frischen Datteln verzehrt waren, und er sandte seinen Diener aus, der brachte aber nur sehr wenig mit, und als er desshalb ausgescholten wurde, sagte er: an deinen Palmen sind keine frische Datteln mehr, die sind bereits zu Ende. „Dass deine Mutter kinderlos werde!“ erwiederte jener, giebt ` es weiter nichts, als was ich da zu sehen bekomme? bei Gott! meine kleine Besitzung war mir für meine Gäste und meine Familie von mehr Nutzen als diese neuen Palmen, behüte mich Gott vor einer solchen Wirthschaft!“ Nun kam auch sein Verwalter mit Kürbissen und Me- lonen, da rief er aus: „bewahre Gott! was du da bringst! nimm dich in Acht, dass es meine Familie nicht sieht, sonst muss ich dich herun- ter machen.“ Dem Ma’rüf wurde nun Dharija zuwider, er wollte es ver- kaufen und sprach darüber mit el-Sari ben Abdallah el-Häschimi, dem damaligen Präfecten von Jemäma, wohin er sich begeben hatte, und der Verkauf wurde abgeschlossen für 2000 Dinare. Darauf schrieb "Ga’far ben Suleimän an el-Sari, dass er ihm den Besitz für die bezahlte Summe abtreten möchte, und nachdem dies geschehen war, errichtete 'Ga’far zu den in Dharija schon vorhandenen Hütten noch zwei Reihen mit einigen DIE LANDSCHAFT DHARIJA. 75 achtzig Hütten und erzielte daraus und aus den Palmen und Saatfrüch- ten einen jährlichen Ertrag von 8000 Dirhem. Sein Sohn Suleimän ben 'Gafar, der das Ganze von ihm -erbte, kaufte dann noch die meisten Grundstücke der übrigen Bewohner hinzu, so dass jetzt der grösste Theil von Dharija seinen Nachkommen gehört. Was die Berge von Himä betrifft, so ist der erste, welchen man auf der Pilgerstrasse ‘von Bacra her zu sehen bekommt, el-Sitär; er ist roth, lang ausgedehnt ohne sehr hoch zu sein, mit mehreren Hügeln, über deren einen der Weg führt; zwischen dem Sitär und Amara sind fünf Meilen. Amara im Gebiete der Gani ist eine wohlhabende Stadt in einer Ebene, welche weisse Disteln trägt, in der Gegend von Hadhb el-Aschakk 1); bei el-Aschakk sind sieben Quellen und es ist eine freund- liche, weisse Stadt, als wenn die Erde hier aus Palmblüthenkapseln be- stände. Sechs von den Quellen stammen aus der Heidenzeit und es entstand über sie zwischen den Banu ’Obeid und Banu Zabbän ein Streit, welcher zu Misshelligkeiten führte; darauf vertrugen sie sich un- ter der Bedingung, dass das Ganze in zwei Theile getheilt werden und bei der Wahl die Banu ’Obeid vorangehen sollten. Diese wählten die Quellen el-Rajjän, el-Rufeis und Muchammir?); die Banu Zabbän erhiel- ten ’Arfag (oder ’Arfagä), el-Häir und 'Gimám. el-Rajjän entspringt am Fusse eines rothen Berges, der einer der schönsten Berge von Himä ist und welchen "Garir erwähnt in den Versen): O wie herrlich ist der Berg bei el-Rajjän, wie nur einer, und herrlich der Bewohner von Rajjän, wie nur einer! ` 1) So schreiben und buchstabiren Bakri und Jäcüt den Namen, während Sam- hüdi Ars} el-Aschik hat mit dem Bemerken, dass die Banu ’Okeil #44! el-Schik sprächen. 2) Die Handschriften haben hier Muchammira, in dem besonderen Artikel aber Muchammir, was durch das Metrum in dem eitirten Verse gesichert ist; Jäcüt giebt die Aussprache Muchammar. 3) Nach Jächt ist in den Versen das Garir unter r Rajjân ein schwarzer Berg im Gebiete der Tajjiten zu verstehen, so hoch, dass ein auf seiner Spitze angezündetes Feuer drei Tagereisen weit gesehen werden kann. K2 76 F. WÜSTENFELD, Wie herrlich die Düfte von einer Jemenerin , die zu dir kommen vom Berge Rajjän zu Zeiten! Unter den Hügeln von el-Aschakk ist einer in der Gegend von 'Arfag, welcher den Namen el-Scheimä ‚der schwarzgefleckte‘‘ hat, und zwar desshalb. weil an seiner Seite schwarze Stellen sind, und hier ist ein Erdaufwurf, welcher das Wasser aufhält. Suwäg liegt in dem Gebiete von el-Aschakk und zwar in dem hö- heren Theile desselben nach Westen, die Strasse führt über einen Vor- sprung des Suwäg, an dessen Seite Tichfa liegt, welches den Banu Zab- bän gehört. el-Nutäa zwischen dem Suwäg und Mutáli rechts von Amara und von diesem drei Meilen entfernt, ist ein rother hoher Berg und der Lage nach eins der vorzüglichsten Merkzeichen der Araber als Wegweiser. Hier hatte sich Ibn Chalid el-Absi, der Oheim der Chali- fen el-Walid und Suleimän, unter deren Herrschaft niedergelassen und Suleimän liess ihm einen Kanal graben in der Ebene von el-Nutda auf dem Grundbesitz der Gani; Ibn Chalid wurde dann Steuereinnehmer für Dharlja und ganz Himä. Als aber Abul-Abbäs zur Regierung kam, zerstörten die Gani diesen Kanal und machten ihn der Erde gleich. Unter den Bergen von el-Himä folgt dann auf der Pilgerstrasse nach Mekka zu ein schwarzer Berg Namens Aswad el- Ain, von el- Gudeila (oder "Gadila) diesseits in einer Entfernung von fünf Meilen; das Land gehört den Banu Wabar ben el-Adhbat und zwischen Aswad el-Ain und dem Sitär sind 66 Meilen auf der Strasse durch die Wüste von Bacra nach Mekka, nämlich zwischen Aswad el-Ain und "Gudeila sind 5 Meilen, zwischen Aswad el-Ain und Dharija 27 Meilen und zwischen Dharija und el-Sitär 37 Meilen }). Zu den Bergen, welche auf den Sitär zu dessen Rechten und links von dem die Strasse hinaufziehenden westlich von Mutäli’ folgen, gehö- ren zwei kleine einzeln stehende Berge Namens el Néi én im Lande der Banu Kähil ben Asad; el-Asadi sagt: 1) Wahrscheinlich muss statt einer der beiden 7 eine 9 stehen: 29 und 37 oder 27 und 39. DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. ` 77 Es giebt, um versprochener Massen nach el-Himá e kommen, da frei umher gehende Kamele in el-Näi’än nicht sind, kein Mittel. Dann folgt unter den Bergen, die an el-Näi’än stossen, im Lande der ’Abs ein Berg Namens el- Amúd, dem weissen Abán gegenüber, zwi- schen beiden sind nur wenige Meilen; im Bereiche des 'Amüd befinden sich mehrere Gewässer, die den Banu ’Abs gehören. Ein anderer Berg im Lande der Banu ’Abs ist der Santih, ein schwarzer einzelner dicker Berg, in dessen Thalgrunde die ’Abs mehrere Gewässer haben, wie Hakkat el-Aswida, ein anderes in el-Himä mit Namen Cahah mitten in dem klei- nen Sande Hasj Bani Hadhaba, el-Hasät mit vielen Palmen und andere. Hieran schliessen sich die Berge im Lande der Banu F azära, dar- unter der Aer el-Zahälll mit einem Wasser Namens Zahlüla 1); el-Zahä- lil sind schwarze Berge im Lande der Banu ’Adi ben Fazära von vielem Sande umgeben in einer fruchtbaren Gegend. Ein Dichter, der in Bischa auf dem Wege von Jemen war, redete sein Kamel an, welches nach Himä eilte: Friss von dem’ bittern Ramth und Chaddhär, die bei el-Gadhä von vorigem Jahre noch übrig sind in Bischa, bis der die Wolke schickt, der ihr befiehlt; Und hoffe nicht auf eine Wolke, deren Regen sich ergiesst auf Schu’abä, oder die in el-Zahälil ihr Wasser herablässt. Zu den Gewässern der Banu Fazära, die dann folgen, gehört eins, welches Schuba genannt wird, in einem harten Boden, und die Banu Mälik ben Himär haben ein Wasser Namens el-Madhlüma, die Banu Schamch eins Namens el-Schis’ in einer Sandgegend, dann folgt ein Was- ser mit Namen el-Hafir in einer Vertiefung des Sandes, und es ist hier auch ein Dorf, welches den Banu Salima gehört, mit vielen Palmen. Die Banu Badr von Fazära haben hier einen Brunnen Namens el-Gimäm, bei welchem sie Saatfelder bebauen, und el-Itrifa ist ein Wasser der Banu Schamch bei el-Bitän und el-Bitän ist eine in die Erde einge- senkte Ebene, theils Sand, theils fester Boden und hat davon den Na- men; das Wasser ist eins von denen, die den Banu Gani gehören. Ei- 1) Jäcüt hat Zahlül und Dsahlül in zwei Artikeln, die zusammenfallen. 78 F. WÜSTENFELD, nige alte Bewohner von Dharija erzählen, dass beim Erscheinen des Is- lam alle Gewässer der beiden Hamdha, nämlich Hamdha el-Tasrir und Hamdha el- Garib, den Banu Gani gehörten. Sämmtliche Gewässer der Fazära innerhalb el-Himä bilden nun elf Tränkorte, bei den meisten da- von sind Ortschaften und Palmpflanzungen; ausserdem besitzen die Fa- zära aber auch ausserhalb el-Himä Gewässer ebenfalls mit Palmen und Ortschaften. Von den Gewässern der Dhibäb innerhalb el-Himä!) hat eins den Namen Huseila zwischen den Hasalät und die Hasalät sind kahle Hügel hinter Schwabá?). Ferner gehört ihnen el-Buradän?), das vorzüglichste ihrer Gewässer, el-Thalmä und el-Bugeibiga. — Die Banu Muhärib besitzen an Gewässern in Himä ein Wasser Namens Gubeir in dem Wasserbette zwischen Schu’abä und dem Sande der Banu el-Adram, ein Wasser Namens Gabär und viele stagnirende Gewässer in dem Wasser- bette, und diese Gewässer gehören den Banu Sa'd ben Sinän ben el-Hä- rith, einem Zweige der Banu Muhärib ben Chacafa. Cachr erwähnt Gu- beir in dem Verse: Langsam bewegt sich die Wolke um das Wasser Gubeir am Ende der Nacht gleich dem Gange eines ermatteten Kamels. Da brennt das Herz, wenn es sie sieht ihren Blitz erschöpfen mit heftiger Stimme. Wir kehren zurück zur Beschreibung der Berge. An el-Zahälil gränzt dann ein Berg Namens el-Ischär, ein einzelner dicker Kegel mit Behältern, in denen das Wasser im Frühjahr stagnirt; öfter hält es sich auch den grössten Theil des Sommers; gegenwärtig ist es im Besitz der Banu Buhtur von den Banu ’Ämir ben Luweij. Hieran stossen die Hü- gel el-Wakbá, den Banu el-Adhbat gehörig, dann folgt der oben erwähnte 1) Die hier im Arabischen Texte folgenden Worte: »und die Einwohner im Osten von Himä, zu denen die Banu Käsit und Banu Abdallah gehören, welche Nachkommen der Bähilitin und der Ahmasitin sind, besitzen sechs Gewässer«, pas- sen nicht in den Zusammenhang. 2) Diese Angabe ist offenbar richtiger als die bei Jächt II, 271 und im Kà- müs III, 384, dass Huseila und Hasalät einerlei sei. 3) Jäcät I, 552: el-Baradän ein salziges Wasser, bei welchem Palmen stehen. DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. 79 Aswad el- Ain. Darauf springen die Berge über die Strasse hinüber und die übrigen Berge von Himä liegen zur Linken des Wanderers, und hier ist links der erste ein Berg Namens el-Ak’as lang ausgedehnt im Lande der Banu Kab ben Kiläb in der Gegend von el- Wadhah!), einer ebenen, fruchtbaren Landschaft, wo weisse Disteln wachsen; zwischen ihrem obe- ren und unteren Ende sind zwei Tagereisen, das obere in der Gegend der Wohnungen der Gani, das untere bei el-Ak’as.. Dann folgen die rothen Berge Namens Kuttabtjät?) bei den Wohnungen der Abu Bekr ben Kiläb, welche hier zwei Wasser haben, el-Schatiim und Haftra Chá- lid, zwischen el-Ak’as und Kuttabijät; el-Schatün liegt im Bereiche des Scha’r, eines hohen Berges im Gebiete el-Wadhah, welcher von den Dich- tern häufig erwähnt wird; so sagt Hakam el-Chudhri: Bewässre Gott el-Schatün, Schatün des Schan. und was zwischen el-Kawäkib und el-Gadir liegt! Die Berge, welche dann an Kuttabijät stossen, zur Linken des Wanderers, sind rothe Hügel mit Namen el” Aráis in el-Wadhah in ei- ner fruchtbaren Landschaft, und zwischen Kuttabijät und el-’Aräis liegt 'Amüd el-Kür, ein einzelner langer Berg, dessen unterer niedriger Theil el-Kuweir (der kleine Kür) heisst, wo die Banu el-Wahid ben Kiläb ein Wasser besassen, welches ihnen von den Banu Gafar abgenommen wurde. Links von el-’Aräis folgen kleine schwarze Berge, welche über Mahzül emporragen und Mahzül ist ein Wadi, welches den Bergen el- Athdith gegenüber liegt. Habib ben Schaudsab, ein Bewohner von Dha- rija sagt in einem Lobgedicht auf el-Sarf: 3 Halt an, damit wir in Dsul-Kuweir die Spuren begrüssen, wo Abends noch die Wohnungen standen, die wie ein Hofraum leer verlassen sind; Bei den Hügeln von ’Atha’ith, wo die Hügel der Höhe el-’Arüs entgegentreten und Mahzül gegenüber liegen; 1) el-Wadhah ist die südliche Ecke von el-Himä im Gebiete der Banu Ga’far ben Kiläb; es hat seinen Namen »die Weisse« von den weissen Disteln, welche den Boden bedecken und liegt zwischen den Bergen Hammäl, wo die Banu Kiläb woh- nen, und el-Nir bei den Gädhira ben Ca'ca'a. Jäcüt. 2) Wahrscheinlich im Singular Kuttabija von einem einzelnen Berge und von den Dichtern mit Einschluss der umliegenden im Plural gebraucht. Bekri. 80 S F. WÜSTENFELD, Wo die Winde mit Staub die Wege verwehen, so dass sie nach dem glänzenden Grün mit Oede und Welksein bekleidet sind. Unter der Höhe el-Arüs ist el-Aräis zu verstehen. An el-’Athäith gränzt Dsu 'Athath, ein Wadi, welches sich in den Tasrir ergiesst, nach- dem es das Wadi Mord aufgenommen hat. So sagt el-Saküni „Mar,“ ich halte aber Turá für richtiger, weil mir Mar’ä nicht bekannt ist Ð. Den 'Athath ist ein Wadi. der Banu el-Wahid innerhalb el-Himä und zwar eins der vorzüglichsten Wasser in Himä im Mittelpunkte von el- Wadhah, der weisse Sand ist bequem zum gehen, el-Ganawi erwähnt es in den Versen: Verlassen ist el-Agäliz von Rijäh und leer el-Madäfß’?) von Churäk, Leer auch '@ubäh 3) von Banu Ka’b und Den ’Athath bis Wädil-Anäkt). Sie hatten von mir den Feind abgehalten, da konnte er nicht weiter, mit einem Strick um den Hals gebunden. Mit dem erwähnten 'Agàliz ist 'Aglaz gemeint, ein Wasser an der Heer- strasse, von el-Karjatein neun Meilen entfernt; daneben ist ein Wasser Namens Ruhba. Ueber Dsu ’Athath sagt ein anderer Dichter: Und du wirst die Stimme des Löwen nicht hören Abends bei Den ’Athath, wenn die nachlaufenden jungen Kamele schreien. Auf Den ’Athath folgt Nadhäd, ein hoher Berg, welchen die Dich- ter häufig erwähnen; so sagt ’Oweif el-Kawäfi: Wäre er von Hadhan, so wäre er verachtet nach seinem Tode, oder von Nadhäd, so würde Nadhäd über ihn weinen. Und Suräka el-Sulemi sagt: Ich kam zum Besuch zu Gani in Nadhäd in die beste Wohnung und das beste Behagen. Nadhäd liegt an der Strasse östlich von el-Nír und el-Nir sind viele 1) Vermuthlich ist das oben S. 57 erwähnte Mad'å oder Mids’ä zu verstehen, wo der Sitz des Oberhauptes der Banu Ga’far, Kab ben Malik und Gädhira ben Carca’a ist. 2) Die Cambridger Handschrift: el-Maräbi’. 3) Jacut: Gunäh. 4) Einerlei mit el-’Anäka S. 57. DIE LANDSCHAFT DHARIJA. 81 schwarze Berge, Kanán, Kurrán und andere, einer neben dem anderen, die sich für einen Reiter beinahe eine Tagereise weit ausdehnen. Aus el-Nir kommen die Bäche von el-Sarir und die Bäche von Nadhäd und Den ’Athath in ein Wadi Namens Dsu Bihär im Gebiete der ’Amr ben Kiläb, welches dann zwischen den beiden DA (höckrige Gegenden), Dhiľ der Banu Mälik und Dhil’ der Banu Scheicabän hindurchfliesst, und wenn es aus den beiden Dhil’ heraustritt, erhält es den Namen el- Tasrír. Die Banu Mälik und Banu Scheigabän sind zwei Stämme der Dämonen, wie die Gelehrten der Gani behaupten und nach einer Ue- berlieferung des Ibn 'Abbäs stammte die Mutter der Balkis, Königin von Saba, von den Dämonen ab, sie hiess Jalgama und war eine Toch- ter des Scheicabän!). Zwischen den beiden genannten Dhil’ nimmt jenes 1) Die Banu Mälik sind Muslimen, die Banu Scheigabän dagegen ungläubige, ihre Gebiete sind durch das Wädi Tasrir getrennt, in dem der Banu Mälik ist es gestattet auf die Jagd zu gehen und die Weide zu benutzen, bei den Banu Scheiga- bän ist es nicht erlaubt, und mancher der es im Vorbeiziehen aus Unkenntniss ge- than hat, hat dafür schwer büssen müssen. Auf der Seite der Banu Mälik besitzen die Banu Gani ein Wasser so weit von der Gränze, als man einen Ruf hören kann. Ein Gani erzählt folgende Geschichte: Eines Abends nach Sonnenuntergang waren wir in der Moschee am Wasser zum Gebet versammelt, da kamen Männer in wei- ssen Kleidern aus dem Dhil’ der Banu Mälik zu uns herüber und grüssten. uns; wir bemerkten an ihnen keinen Unterschied von gewöhnlichen Menschen, es waren unter ihnen ältere, die ihre Bärte mit Hinnä gefärbt hatten, junge Leute und einige in mittleren Jahren. Als sie sich gesetzt hatten, fragten wir sie nach ihrer Ab- kunft, da wir nicht zweifelten, dass sie Reisende wären. Sie antworteten: Es ist euch nicht unbekannt, dass wir eure Nachbaren die Banu Mälik sind und dieses Dhi? bewohnen. Wir erwiederten: Seid willkommen! womit können wir euch die- nen? Sie erzählten nun: Wir kommen um eure Hülfe zu erbitten und wünschen, dass ihr mit uns in den heiligen Kampf zieht, denn diese ungläubigen Scheicabän hören nicht auf uns zu überfallen, seit der Islam gekommen ist; wir haben erfah- ren, dass sie sich versammelt haben und uns in unserem Lande überfallen wollen, wir dachten aber mit eurer Hülfe ihnen zuvor zu kommen. Da sprach einer von uns Namens Mihgan: Sagt nur, was ihr wünscht und wie ihr glaubt, dass wir euch helfen können, so werden wir es thun. — Unterstützt uns mit euren Waffen, weiter verlangen wir nichts. — Sehr gern, erwiederte Mihgan, das ist eine Ehre für uns, Histor.-philol. Classe. XVI. L 82 F. WÜSTENFELD, Wädi seinen Lauf und ergiesst sich dann in den Tasrir; wenn nun die- = Ein jeder von uns brachte nun wie auf Befehl sein Schwerdt, Lanze und Pfeile herbei, worauf sie sagten: ihr erlaubt uns also eure Waffen zu gebrauchen; sie lie- ssen sie aber unangerührt, die Lanzen wurden vor der Moschee aufgepflanzt, die Pfeile, Köcher und Bogen an die mittlere Säule derselben gehangen, die Schwerd- ter steckten in der Scheide. Mihgan fragte dann: wo denkt ihr sie morgen zu treffen? Sie antworteten: wir haben Nachricht, dass ihr Heer heute Abend schon in der Wüste zwischen ihrem Lande und dem Wasser el-Harämia ankommen wird, mit Einbruch der Nacht wollen wir, so Gott will, ihnen zuvorzukommen suchen, also betet zu Gott für uns. Damit zogen sie sich sämmtlich zurück, ohne dass wir ihnen etwas mehr gegeben hätten als die Erlaubniss unsere Waffen zu gebrauchen. Am anderen Morgen war bei uns kein Schwerdt, kein Pfeil, keine Lanze mehr zu finden, alles hatten sie fortgeholt. Mihgan beschloss der Sache auf den Grund zu kommen, bestieg ein vortreffliches Kamel und ritt fort, und als er am Abend zurückkam, erzählte er: »Ich kam in die Wüste zwischen el-Harämia und dem Dhil’ der Banu Scheigabän um die Mittagszeit, da sah ich einen gewaltigen Staub, der hinter mir und vor mir aufgeregt wurde zu einer Stunde, wo gar kein Wind war; da dachte ich: jetzt gerathen sie an einander. Ich machte halt und sah, wie die Staubwolken aus dem Dhil der Banu Scheicabän kamen, bald befand ich mich mitten in dem Staube ohne zu wissen, wodurch er aufgebracht wurde; Blitzwolken kamen daraus hervor und kehrten dahin zurück. Nach einiger Zeit sah’ich diese Wolken sich in das Dhil’ der Banu Scheigabän zurückziehen und ich dachte: die Feinde Gottes wer- den in die Flucht geschlagen; und nachdem die Wolken in die Berge hinaufgestie- gen waren, kamen viele von dort zurück und nahmen links und rechts ihren Weg in das Dhil’ der Banu Mälik, und ich zweifelte nicht, dass das meine Freunde waren. Ich ritt aber erst noch vorwärts in der Richtung, wo der Staub aufgestiegen war, und sah hier eine grosse Menge getödteter Schlangen, verfolgte dann den Weg, den die Wolken genommen hatten, auch hier lagen noch Schlangen theils todt, theils noch lebend, bis ich ans Ende kam; hierauf kehrte ich um und traf beim Sonnen- untergange wieder bei meinen Freunden ein.« Zu derselben Stunde wie am vorigen Tage kamen dann Leute aus derselben Gegend, grüssten uns und sagten: wir brin- gen gute Nachricht, Gott hat uns den Sieg über unsere Feinde gegeben, eine solehe Niederlage wie heute haben wir ihnen, so lange der Islam besteht, noch nicht bei- gebracht, nur ein kleines Häuflein von ihnen ist in ihre Berge entkommen; Gott giebt euch eure Waffen zurück, es fehlt nichts daran, und wir werden es euch ver- gelten. Mit einem aias entfernten sie sich hierauf, allein Waffen hatten DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. së ser das Land der Gani verlässt, kommt er in das Gebiet der Numeir und tritt in den Erbsitz der Banu Dhabba östlich von Gabala; hier er- weitert sich der Tasrir, verlässt dann das Land der Banu Dhabba und kommt in die Gegend der Wohnungen der ’Okl, und wenn er diese wieder verlässt, tritt er in die Ebene von Kamrä oder Kimrä auf der Gränze der Banu Muchriba, eines Zweiges der Banu Nachschal ben Därim. el-Gunewma!) heisst eine der Krümmungen den Tasrir entlang und zwischen jener Ebene und Odhäch sind 15 Meilen, nur tritt dem Tasrir der ` Afár entgegen, dies ist ein hoher Sandberg, dessen Breite acht Meilen beträgt und der auf dem Wege der Bewohner von Odhäch nach el-Nibäg liegt. Zwischen dem unteren Ende des Tasrir und sei- nem Anfange in den Wohnsitzen der Gani ist ein Weg von drei Tage- reisen, und er hat eine solche Richtung, dass er die Gränze zwischen den Keis und Tamim macht, weil der obere Theil den Gani und dann der östliche den Tamim gehört. — Ein Wüsten-Araber, der zum Chali- fen el-Walid nach Damascus gekommen war und hier erkrankte, antworte auf die Frage der herbeigeholten Aerzte, was er wünsche? in: Versen: Die Aerzte tragen, was kann dich heilen? ich sage ihnen: der Rauch von Rimth aus el-Tasrir würde mich heilen, Wo der Holzsucher bis nach ’Omrän bei el-Guneina trocknes Holz zusammen bindet ohne Aufhören. Der Rauch des Rimth, eines Holzes oder Futterkrautes, soll Halserkäl- tung heilen. Seine Familie schickte etwas von diesem Holze, bei des- sen Ankunft er aber schon gestorben war. Wir kehren zu den Bergen zurück. An den Nadhäd stossen auf dessen linker Seite drei doppelfarbige Berge am unteren Ende von et ` Wadhah, nämlich der schwarze Nasr, der weisse Nasr und der Nuseir, welcher der kleinste ist. Diese Berge werden zusammen in der Collec- sie nicht mitgebracht und wir sahen auch keine bei ihnen; aber am anderen Mor- gen waren sie sämmtlich wieder an ihrem früheren Platze. 1) So hat auch Jäcüt den Namen: el-Guneina ein Wädi in Dharija, dessen unteres Ende, wo sein Lauf endet, el-Sirr genannt wird. Bekri hat dafür in dem besonderen Artikel el-Guneiba und el-Graniba. L2 84 F. WÜSTENFELD, tivform el-Nisär oder el-Ansur genannt und liegen in dem Erbsitz der Gani. Die Dichter erwähnen sie oft, unter anderen sagt Nugeib: O Adler im Nest, im Nest von Dharija! hat dich nicht getränkt der Frühregen? Adler und Nest! Ich sehe dich unter Vögeln, über denen du schwebst, mit einer Beute zwischen el-’Aräis und el-Nasr. Und Doreid ben el-Cimma sagt: Ich habe sie benachrichtigt, dass die Verbündeten früh Morgens in dem Lager zwischen el-Nisär und Thahmad waren. In der Gegend von Nadhäd ist der Wohnplatz der Gani, bei welchem der Erdfall ist; dort ist auch der Erbsitz der Banu Gäwa ben Man von Bähila und der Erbsitz der Ganf, so dass sie sich hier vermischt haben. Die Banu Gäwa besitzen dort auch viele Gewässer westlich von Thah- lán 1), namentlich el-Ruheidha, el-Agfur, el- Ausaga und el-Aridh; auch be- sitzen sie zwei Gewässer ausserhalb Thahlän in dem Wadi el-Raschäd, das eine el’Oweinid, das andere el-Schubeika genannt, beide sind salzig und el-Raschäd ist ein breites Wadi, welches sich in el-Tasrir ergiesst. An die Gäwa gränzen im Osten von Thahlän drei Gewässer: el-Mucid, Muchammir und el-Catäda, im Westen el-Nabchä und an dessen Seite el-Gadr. — An diese Ansur schliesst sich TAahmad, ein rother Berg von vielen Anhöhen umgeben in einem flachen Lande auf der Gränze der Gant, Thahmad erwähnt Ibn Laga in den Versen: Bewässre Thahmad der, welcher in der Wolke den Platzregen sendet, so dass er sättigt, auch die Höhen Thahmad gegenüber! und das Steinfeld rings um Thahmad, wo Su’äd weilt und ein unstät weidendes Kamel das andere lenksam zurücklässt. Den Gewässern der Gani bei Thahmad zunächst sind die Maták genannten Gewässer der Banu Dhabba aus milden Stiftungen entstiinden ausserhalb el-Himä; dann gränzt an Thahmad Suweika, ein rother ein- zelner langer Hügel, dessen Obertheil spitz zuläuft; er liegt in el-Himä und die Tochter des Aswad von Dhibäb sagt über ihn: eg 1) Thahlän ist ein Berg, welcher sich in einer Länge von zwei Nachtreisen durch das Gebiet der Banu, Numeir ben "Amir ben Vacaa zieht; in seinem westli- chen Theile wird das Wasser Ruheidha genannt mit Palmenpflanzungen. DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. 85 O wehe! über einen Tag wie den bei Suweika! er heilt den Brand der Leber, dass ihr Trank sanft durch die Kehle gleitet. Suweika liegt im Lande der Dhibäb, welche hier eine Schlacht schlugen, deren Geschichte hier zu weit führen würde. — Die Dhib4b haben auch hochgelegene Gewässer nahe bei el-Täif, ein Wädi Namens Kará, ein weites Bette auf der Höhe der Wohnsitze der Banu Hiläl, welches el- Harra mitten durchtheilt, so dass davon diesseits des Wadi vier Meilen und jenseits ebensoviel sind; es hat sehr viele Palmen und ist von el- Täif nur zwei Nachtreisen entfernt; der Weg der Pilger von Jemen führt durch dasselbe und zwischen ihm und Tubdla sind drei, und zwi- schen Mekka fünf Stationen. Es gehört den Banu Zuheir von el-Dhi- bäb; die Banu Hiläl ben "Amir beleidigten die Bewohner und hielten schlechte Nachbarschaft mit ihnen, bis die Dhibäb in Himä sich mit ih- nen vereinigten und jene mit Krieg überzogen, worüber das Geschicht- liche hier nicht weiter ausgeführt werden kann. — Die Dhibäb haben noch ein anderes Wasser Namens el’Orrd in der Gegend von Bischa nahe bei Tubäla mit Palmen und Saatfeldern. An den Suweika stösst der östliche Theil des Hr, dies ist ein ho- her Berg, welcher in Himä nur von dem Schu’abä überragt wird. Hil- lit ist ein schwarzer Berg im Lande der Dhibäb, dessen beide Seiten weit von einander abstehen, mit vielen Goldgruben; eine von diesen hat den Namen el-Naggädi, sie gehörte einem Manne von den Nachkommen des Sad ben Abu Wakkäc, welcher Naggäd ben Müsä hiess, wonach sie benannt ist. Esist auf der Erde keine Grube bekannt, welche einen grösseren Ertrag lieferte, und sie wurde übermässig bebaut, als das Gold in allen Ländern noch theuer war, so dass es dadurch in ’Iräk und Hi- gäz an Werth verlor; dann hat sich das Verhältniss geändert und der Ertrag vermindert, nachdem die Banu Naggäd lange Zeit von einer Ge- neration zur anderen sie bebaut hatten. Schon Amrul-Keis erwähnt Hillt in den Versen: Wohlauf! ihr Wohnungen des Stammes bei el-Barakât , dann ’Ärima, dann Burkat el-Tjaråt, Dann Gaul, dann Hillit, dann Naf, dann Man'ig 86 F. WÜSTENFELD, bis ’Akil, dann el-Gubb mit den kleinen Wegweisern! So nach der Ueberlieferung, wonach el-Barakät ein Ort ist, wie oben erwähnt wurde. Ibn Habib sagt dagegen, el-Barakät sei ein schwar- zer Felsen in Rahrahän und ’Ärima ein steiniger Hügel mitten in Himä in dem Erbsitz der Banu Ga’far ben Kiläb zwischen anderen Hügeln. Burkat el-Tjaråt ist ein Burka ‚Steinfeld‘, dem Dhiľ von Dharija ge- genüber und von Dharija weniger als eine halbe Meile entfernt. Es ist ein schönes sehr weites Feld zwischen Gärten gelegen, und Gafar und Muhammed, die Söhne des Suleimän, übernachteten, wenn sie nach Dharija kamen, auf diesem Felde!). Das oben erwähnte el-Sudd?) ist an der Seite dieses Dhil’, in welchem Burkat el-Jjarät liegt. Gaul ist ein Berg innerhalb des Himä westlich von Hillit mit fünf Hügeln, wel- che zusammen die Hügel von Gaul genannt werden. Gaul erwähnt Ibn Galfä in. dem Verse: ? Salåma fragte am Tage von Gaul: _ sind denn, o Ibn Galfä! die Stricke abgeschnitten? Naf ist schon erklärt. Manig ist ein Wadi ausserhalb el-Himä in der Gegend der Wohnsitze der Gani zwischen Odhäch und Amara; in der Gegend von Man’ig liegt auch der Chazdz, den Banu Rijäh von Gani gehörig, welchen 'Amr ben Kulthum erwähnt): Und wir am Morgen, als auf dem Chazäg das Feuer angezündet wurde, Wir leisteten Hülfe über die Hülfe der Helfer 4).` Chazäz oder Chazäza ist ein rother Berg mit rothen Hügeln, an dessen Fusse ein Wasser der Gani Namens Chazäza; er liegt zur Linken des. Weges von Bagra nach Medina diesseits Amara und über ’Äkil hinaus; 1) Dies ist die Gegend, welche Palgrawe S. 387 beschreibt; die neue Resi- denz der jetzigen Beherrscher jener Gegend liegt vier Meilen davon und hat auch den Namen el-Rijädh »Gärten« erhalten. 2) Weder dieses Am! wofür die Leydener Handschrift As! hat, noch ein ähnlicher Name kommt aber vor; es ist in dem Texte ein Fehler. 3) Mo’allaka, Vers 68. Bekri verweist hier auf den Artikel Chazäz, den wir schon zu Reiske, primae lineae pag. 138, mitgetheilt haben und hier als nothwen- dige Ergänzung wiederholen. 4) Eine übermässige, ausserordentliche Hülfe. DIE LANDSCHAFT DHARÍJA. 87 jeder, wer des Weges kommt, richtet sich nach ihm. Dies ist die An- gabe des Saküni; el-Hamdäni sagt: Chazäzä ist ein Berg im Oberlande von Himä Dharija und wird von Ad ben el-Rik& in dem Verse erwähnt: Und Geihän, Geihän des Heeres!) und Älis und die Höhe von Chazäzä und die beschwerlichen Berge. Abu 'Amr beschreibt die Lage des Chazäz so: „Es ist ein runder Berg nahe bei Amara zur Linken der Strasse, dahinter die Steppe Man’ig; ihm gegenüber Kir und Kuweir rechts von der Strasse nach Amara, wenn man den Thalgrund ’Äkil durchschnitten hat. Wäre’Amr ben Kulthüm nicht gewesen, würde man von dem Tage von Chazäz nichts mehr wissen, Seine Mutter war eine Tochter des Kuleib ben Rabfa und dieser Tag war der erste, an welchem sich die Ma’add gegen die Könige der Him- jar vertheidigten; sie zündeten drei Nächte auf dem Chazäz Feuer an und machten drei Tage Rauch.“ Da sprach Abu Nüh, ein Nachkomme des 'Otärid, zu Abu ’Amr: sagt nicht auch el-Tamimt: „denn der Cha- zäz ist uns Zeuge‘ —? Abu 'Amr erwiederte: diese Worte sind aus einem Gedichte des Abdallah ben 'Addå el-Burgumi, welches er auf die Schlacht von Tichfa?) dichtete, Tichfa, Ruchnich3) und Chazäz liegen nahe bei einander, und der Dichter wählt davon den Ort, der ins Vers- maas passt. Den Chazäz erwähnen und beschreiben auch Muhalhil, Labid, Zoheir ben Ganäb und andere; Zoheir sagt: Ich war mit bei den Feueranzündern auf dem Chazäz und bei el-Sullän in der zahllosen Versammlung. Dieselbe Schlacht wird auch nach Dsät Kahf „voller Höhlen“ benannt, dies ist ein Berg, zwischen welchem und Dharija die Strasse hinführt, wenn man an 'Tichfa vorüber ist; und dass der Chazäz neben Marig liegt, zeigt dir der Vers des Dichters: 1) Der Gränzfluss Geihän bei Macgiga, wo die Heere kämpfen; ein grösseres Stück dieses Gedichtes bei Jåcüt , Bd. II, 171. , 2) Diese wurde von den Banu Jarbü' gegen die Armee des Königs Nu män unter dem Befehl seines Sohnes Käbüs und seines Bruders Hassän geschlagen, beide geriethen in Gefangenschaft, wurden aber wieder freigelassen. 3) So in dem Artikel von Bekri buchstabirt; bei Jåcüt Zugeig. 88 = F WÜSTENFELD, Ich verlange nach der Wohnung seitwärts von Man’ig und von Chazäzä, gleich dem Verlangen des in der -Irre suchenden. Labid sagt: | i | Der Plan ihres Zuges war, Man’ig mitten zu durchschneiden, aber sie konnten Chazäz und ’Äkil nicht erreichen. Die kleinen Wegweiser, Amarät, sagt el-Acmai, hat mir ein Wü- sten-Araber gezeigt, es sind kleine Berge, deren Spitzen einzeln deutlich sichtbar sind; das Wort Amara bedeutet ursprünglich einen kleinen Weg- weiser!). el-Saküni überliefert die zweite Hälfte des Verses so: „bis Abrak el-Däät mit den Wegweisern,‘‘ mit der Erklärung: „el-Däät?) ist ein breites Wadi, dessen oberes Ende von Dhartja acht Meilen entfernt ist auf dem Wege von Dharlja nach Kufa, das untere reicht bis el- Rumma nahe bei dem schwarzen Abän, zwischen dem oberen und dem unteren Ende sind zwei Tagereisen, das obere liegt innerhalb des Himä, das untere ausserhalb desselben und Amarät sind Wegweiser, welche man aufgerichtet hat.“ — An den Hillit gränzt Mind, ein rother hoher Berg, der höchste in el-Himä, der über die ihn umgebenden Berge emporragt; an seinem Fusse liegt ein Wasser, welches den Zabbän gehört, im Lande der Gani. Labid hat ihn erwähnt in dem Verse: ~ Leer sind die Wohnplätze, die ihr Sitz und Aufenthalt waren bei Mind, verlassen ist ihr Gaul und ihr Rigdm. Miná 5) liegt zur Linken des Weges für die, welche von Bacra nach Mekka ziehen, die Pilger sehen ihn vor sich, sobald sie die Richtung nach Amara einschlagen, noch ehe sie dahin gelangen. Gaul ist ein asser der Dhibäb am Berge Rigäm, der sich lang durch das Land zieht SE 1) Danach hat Acma’i das Wort hier für einen Eigennamen gehalten, was von Geographen und Erklärern des Amrul-Keis nicht geschieht, denn das oben erwähnte Amara ist ein anderer Ort. 2) Der mit Abrak verbundene Ort heisst sonst immer Daäth und passt nur in dieser Form in den verschiedenen Gedichten in das Versmaas; dagegen hat Bekri el-Däät als eigenen Artikel, in welchem er auf unsere Stelle verweist, und man wird dazu Däa im Singular bei Jäcüt Il, 513 zu vergleichen haben. ` 3) Nicht der bekannte Berg bei Mekka. d $ ; i nach Angaben arabischer Geographen entworfen von H. KIEPERT. t: 5,000,000 Mil » 20 an ao 50 60 760 so an 150 mo mo mo ım 156 kees, 4 L L + L i 4 L 4 A L L J F t t t t SC? 10 20 30 so so z opákija- g d, $ Se: KW "fa 3 x 3 Okadh D Ze Harta Bani Hilal“ r, E" Persischer Meerbusen E Jabrin DIE LANDSCHAFT DHARÎJ A. 89 in der Gegend von Tichfa, von dem er nur durch die e} Ary y genannte Strasse getrennt ist; diese Strasse führt von Odhäch nach Dharija und zwischen el-Rigäm und Dharija sind etwa 13 Meilen. Am Fusse des Rigäm ist ein süsses Wasser, den Banu Ga’far gehörig, und dieses meint der Dichter in dem Verse: Wenn es trinkt das Wasser von el-Rigäm und sich lagert in der Niederung von el-Rajjän, glänzt vor Freude sein Auge. Die Niederungen von el-Rajjän sind ebene Windungen, wo Rimth wächst, und el-Rajjän ist ein Wadi, dessen oberster Zufluss aus der Gegend von Suweika und Hillit kommt, dann weiter fliesst, bis es die Pilgerstrasse schneidet und hinabgeht, bis es in el-Däät sich verläuft. Auf der Ost- seite des Rigäm ist ein Wasser Namens Jasän, dem Ka'b ben Sa'd el- Ganawi und seiner Familie gehörig, zwischen der Sandebene und dem Berge; die Sandebene heisst danach „Sand von Jasän‘‘ und diesen meint Ka’b ben Sa'd`in dem Lobgedichte auf seinen verstorbenen Bruder: Ihr beiden habt mir gesagt, der Tod sei nur in den Städten, aber wie verhält es sich mit diesem Sand und dem Sandhügel? An Miná stösst e-Hadhb „der Hügel“ von el-Aschakk, der zu Anfang der Berge erwähnt ist, bis an den Sitár, mit welchem die Beschreibung der Berge begonnen wurde. 1) Bekri erwähnt diese Strasse nicht in dem besonderen Artikel el-’Arg und vermuthlich ist die Lesart bei Jäcüt III, 869 besser: el-Farg, ein Weg zwischen Odhäch und Dharija, zu dessen beiden Seiten die Berge Tichfa und el-Rigäm liegen. Histor.-philol. Classe. XVI. M Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nomi- nales Suffix ta, oder statt dessen ya, anzusetzen? von Th. Benfey. Vorgelegt in der Kön. Ges. d. Wiss. am 10. Juni 1871. Se Die in der Ueberschrift aufgestellte Frage ist eine keinesweges leicht zu entscheidende und der Verfasser wagt nicht entschieden zu behaupten, dass er sie in der nachfolgenden Abhandlung auf eine endgültige Weise gelöst habe. Doch mag diese dazu beitragen, eine sichere Lösung zu för- dern. | Unter den frühest fixirten Phasen der indogermanischen Sprachen zeigen Griechisch und Lateinisch Reflexe, welche, wenn wir nicht in an- deren anderes träfen, nur zu der Annahme eines grundsprachlichen ia leiten würden, nämlich vo, io. Dagegen erscheint im Sanskrit — wenig- stens dem gewöhnlichen — und im Altbactrischen ya und so werden auch in den später fixirten Sprachen, Germanisch, Litauisch, Slavisch, die hieher gehörigen Suffixe von Bopp!), Schleicher?) u. a. auf ursprüng- liches ya zurückgeführt. Die Majorität würde also für Annahme von ya sprechen. Allein die Majorität hat in derartigen Fragen schon über- haupt keinen entscheidenden Werth und hier um so weniger, da der Vokal í und der Dauerlaut y in allen Sprachen in einem so lebendigen Wechsel stehen, dass man im Allgemeinen eben so gut annehmen kann, 1) Bopp, Vergleichende Grammatik IMI? $. 888 f. 2) Schleicher, Compendium der Vergleichenden Grammatik, 2. Aufl. $. 217. M* 92 TH. BENFEY, dass in diesem Suffix © ursprünglich und später zu y geworden sei, als umgekehrt, dass y die ursprüngliche Aussprache sei, die sich später zu z umgewandelt habe. Ja das Gewicht, welches man ihr vielleicht den- noch zuschreiben möchte, wird nicht wenig dadurch verringert, dass: L Der Vokal vor einem lautverschiedenen Vokal leicht in die ihm entsprechende Liquida y übergehen konnte und dies speciell im ge- wöhnlichen Sanskrit sowohl im einfachen Wort, als in der Zusammense- tzung und in der Verbindung der Wörter zum Satze der Fall ist; vgl. z. B. matyä aus mati mit dem Affix des Instr. sing. á, abhyägama zu- sammengesetzt aus abhi und dgama, ost atra im Satz für die beiden Wörter asti | atra. Dieselbe Liquidirung zeigt sich auch, wenn gleich nicht so regelmässig, und selten in der Wortverbindung, im Altbactri- schen, z. B. ushyá aus ushi mit á des Instr. sing., aipyayana zusammen- gesetzt aus api und ayana, wity aojand für die beiden Wörter uiti aojand. Auch dürfen wir an die in den dichterischen Producten so vieler Völ- ker sporadisch erscheinende Synizese von í mit folgendem Vokal, d. h. Verwandlung von í in den Consonanten j erinnern, z. B. lateinisch @v- jum für avium (Ennius), consiljum für consilium (Horat) u.a... Es liesse sich also annehmen, dass, wie im Griechischen und Latein, so auch im Sanskrit und Altbactrischen dieses Suffix ursprünglich statt y den Vokal i hatte und ihn erst unter Einfluss des in beiden unverkennbaren ‚ Im Sanskrit bis zu der grössten Ausschliesslichkeit gelangten, Strebens je- den Hiatus so sehr als irgend möglich zu vermeiden, in y verwandelt habe. Es wäre diess freilich verhältnissmässig früh geschehen, vielleicht viel früher, als in den nördlichen Sprachen Europas, deren älteste Ur- kunden einer Zeit angehören, die mehr als ein Jahrtausend, theilweis zwei Jahrtausende jünger ist. Diese chronologische Verschiedenheit hätte aber nichts zu sehr auffallendes, da sie auch in andern Momenten des asiatischen und europäischen Zweiges des indogermanischen Sprachstamms hervortritt: sind doch jene schon manche Jahrhunderte vor unserer Zeit- rechnung bis zu der Entwicklungsstufe gelangt, welche die romanischen 21 Corssen, Aussprache u. s. w. der latein, Spr. II, 754, IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 93 Sprachen erst um und nach Schluss des ersten Jahrtausends: derselben kräftig zu entfalten begannen. 2. Ferner tritt eine Verringerung des Gewichts, welches man viel- leicht der Majorität einzuräumen gesonnen sein, könnte, dadurch ein, dass es gerade zwei der am frühesten fixirten Phasen unseres Sprachstamms sind, Griechisch und Lateinisch, welche ia wiederspiegeln. Der Werth des ersteren für die Entscheidung dieser Frage könnte zwar dadurch ge- mindert scheinen, dass es das y überhaupt eingebüsst hat; man könnte behaupten, dass es erst durch diesen Verlust genöthigt worden sei, das y in dem angenommenen ursprünglichen ya in í übergehen zu lassen. Al- lein im Latein, welches in so sehr vielen Sprachgestaltungen mit dem Griechischen Hand in Hand geht, ist das grundsprachliche y (7) erhalten und dennoch dieses Suffix mit dem Vokal wiedergespiegelt. Was aber das Griechische durch jenen Einwand an Gewicht ein- büssen möchte, wird über und über dadurch aufgewogen, dass die älte- sten Denkmäler des Sanskrit, der am frühesten in geistigen Schöpfungen fixirten indogermanischen Sprache, — nämlich die ältesten vedischen: Hymnen — es zu hoher Wahrscheinlichkeit, ja fast vollständiger Ge- wissheit erheben, dass zu der Zeit, wo sie gedichtet wurden, dieses Affix noch stets, oder fast stets mit Vokal gesprochen wurde 4); — d. h. dass damals die vokalische Aussprache wesentlich durchweg herrschte, die Umwandlung in y dagegen nur selten, gewissermassen synizesenartig ein- trat, und erst viel später, in Folge der sich wohl schon damals anbah- nenden und allmälig immer mächtiger entfalteten Scheu vor dem Hiatus, die allgemein herrschende wurde. Schon in der Einleitung zu meiner Ausgabe des Såmaveda 5) ist be- merkt worden, dass das Suffix ya vorwaltend statt der Liquida mit Vo- kal ? zu sprechen sei; eigentlich hätte ich nur sagen sollen: zweisilbig zu. sprechen sei. Denn die indischen Grammatiker, denen es nicht ent- gangen war, dass in vielen Fällen, wo y vor einem Vokal erscheint, das 4) Vgl. Einleitung zu meiner Ansgabe des Sämaveda 1848. p. LIJI. 5) p. LIV. 94 TH. BENFEY, Metrum eine zweisylbige Aussprache dieses Lautcomplexes gebietet, schreiben bekanntlich vor, dass es dann iy zu sprechen sei und für die Richtigkeit dieser Aussprache kann man geltend machen, 1. dass wo ein i vor einem suffixalen Vokal im Sanskrit vokalisch erhalten wird, zwi- schen ihm und dem folgenden Vokal ein y erscheint, z. B. er? mit dem Affix des Accusativ sing. wird griyam; ferner dass der Sämaveda I. 3. 2. 5. 1 tugriyävridham schreibt, wo der Rigveda in demselben Verse (VII. 88, 7) tugryävridham hat, aber ad ebenfalls zweisylbig zu lesen ist; um- gekehrt hat der Rigveda (IX. 107, 16) samudriyah, während der Säma- veda in demselben Verse (II. 2. 2. 9. 3) samudryah liest, aber ya eben- falls zweisilbig zu sprechen ist; 2. dass im Páli, dieser zunächst nach - der vedischen literarisch entwickelten Volkssprache, statt des sskr. y mit folgendem Vokal überaus häufig iy erscheint, z. B. súriya, statt des in den Veden überaus häufig, in der grössten Majorität der Fälle, dreisil- big zu sprechen särya, ferner ariya 6) statt sskr. arya, oder ärya, welches letztere im Rigveda ebenfalls vorwaltend dreisilbig gebraucht ist, s. S. 99 und auch arya S. 98; 3. dass auch die Asokainschriften in gleicher Weise z. B. für sanskritisch apatya in Dhauli apatiya zeigen (dagegen in Girnar, Kapur di Giri apaca, welches auf der Ausprache mit y statt í beruht, die noch treuer im Päli apacca hervortritt), für sskr. divya in Dhauli diviya (während Girmar die Sanskritform hat, das Páli dibba, wel- ches auf dieser beruht — bb durch Assimilation und Uebergang von v in b —— und Kapur di Giri diva, welches wohl für divva steht, vgl. oben apaca gegenüber von Páli apacca) 7); 4. endlich sprechen dafür die im Rigveda mit auslautendem iya geschriebenen Nomina, wie agriyd, abhriya, avidriyd, indriyd, usriya, rigmiya auch rigmiyd, rítviya (einmal, aber erst in dem 10ten, grösstentheils entschieden späten Mandala, rítvya geschrie- ben, aber ebenfalls dreisilbig zu lesen), krishniyd, pajriyd, yajniya, rudriya, sahasriya, hotria, von denen es nach den angeführten Analogien, insbe- sondre tugrya neben tugriya, samudryah neben samudriyah, ritvya neben 6) Fr. Masson, Páli Grammar §. 77 S. 31. 7) s. Muir, Origin. Sskr. Texts II, 116. 117. IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN ROM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 95 ritviya, mitrya und mitrya neben mitriya 8), so wie dem altbactrischen yarnya, dem Reflex von sskr. yajniya, nicht zu bezweifeln ist, dass iya in ihnen für sanskrit. ya steht und sie nur wohl desshalb fast ausnahmslos mit iya geschrieben sind, weil in ihnen die Zweisilbigkeit des Affixes als eine wesentlich ausnahmslose anerkannt war. Mir zwar machen diese und andre Gründe — z. B. auch die Ge- stalt, welche im Päli die nominalen Themen auf i vor vokalisch anlauten- den Casusendungen haben, z. B. ratti — sskr. rátri im Instrument. sing. rattıyd — sanskr. rátryá, im Locat. ratfiyam oder rattiyd — sskr. rätryäam, verglichen mit den analogen Fällen, wo in den Veden für geschriebenes y der grammatischen Regel gemäss iy zu lesen wäre, z. B. für ütyd' Rigv. 1.135, 5 duu? (oder útið') in dem Versglied & no gantam ihötiyd — — —y/ v—v— , für bhü’mydm I. 39, 4 bhú'miyám (oder bhú miám) in nd bhúmiyám rigádasah (v—v—/v—v*-) — fast unzweifelhaft, dass, wenn nicht schon früher, doch zu der Zeit der vedischen Diaskeuase in derartigen, auf vo- kalischer Aussprache geschriebener Liquidae (y und v) beruhenden, zwei- sylbigen Lautcomplexen iya u. s. w. ohne Hiatus gesprochen wurde. Allein eben so sicher kann man nachweisen, dass in den Veden keine absonderliche Scheu vor Hiatus herrschte, wie denn durch Fälle wie agriyan (Rigv. VIII. 2, 39) aus a-cri und Affix an, fieriyäna (I. 32, 2) aus gri und Affix ána und andre der Art, wo z, í, nach der bekannten Sanskritregel, vor Vokalen in iy übergehn, entschieden erwiesen wird, dass das y nicht ursprünglich ist und sich nur in Folge der im Sanskrit sich immer mächtiger entfaltenden Scheu vor dem Hiatus aus dem verwand- ten Vokal entwickelt hat; einen vollständig entscheidenden Grund dafür dass im Altindischen früher in derartigen Fällen mit Hiatus gesprochen 8) Auch mitrya sowohl als mitryà sind mitriya oder mitria zu lesen. mitrya erscheint Rv. V. 85,7, wo zu lesen: aryamiam Varuna mitriam vå —vv— /vvv—/v— — ; mitrya findet sich I. 6, 7 dütö jänyeva mitriah — ———/ov—v—. Beiläufig bemerke ich, dass während von yays (für Bier, ist nur diese Form nicht auch yay? anzusetzen) der Accus. sing. yayyàm II, 37, 5 geschrieben wird und yayiam, oder yayiyam zu lesen ist, der Nom. pl. X. 78, 7 yayiyas geschrieben und zu lesen ist. 96 |] TH. BENFEY, ward, werden wir weiterhin ($. 6 nr. 5) vorbringen. Dadurch entsteht die Frage ob in einem zu constituirenden Vedentext, in welchem dieser so dargestellt wird, wie er auszusprechen ist, in derartigen Fällen (ta u. s. w. mit Hiatus, oder iya u. s. w. ohne Hiatus zu schreiben sei. So wichtig aber diese Frage für die Constituirung des Vedentextes und die Sprache der Veden überhaupt ist, so unerheblich ist sie für unsre Aufgabe. Für diese ist nur der Eintritt der Zweisilbigkeit dieses Suffixes überhaupt von Bedeutung und da es, insbesondre durch den weiterhin mitzutheilenden Grund, keinem Zweifel zu unterwerfen, dass im Altindischen einstin analogen Fällen der Hiatus nicht gescheut ward, verstatten wir uns in den anzuführenden Beispielen ia u. s. w. ohne zwi- schenstehendes y zu schreiben. Geben wir nun zunächst mehrere Beispiele dieser Zweisilbigkeit, um zu untersuchen, ob sie eine Hülfe für die Lösung unsrer Aufgabe darbietet. KS Um den Eintritt der Zweisilbigkeit dieses Suffixes vollständig zu veranschaulichen, bedürfte es einer Aufführung aller darauf auslauten- der Wörter mit Nachweis der Fälle, wo és zweisilbig und wo es einsil- big zu sprechen ist. Dieser Aufgabe wird sich höchst wahrscheinlich jeder zukünftige Bearbeiter eines besonderen Vedenlexikons oder Index “unterziehen. Für unsre Frage ist sie, wie sich weiterhin ($. 4) ergeben wird, nicht nothwendig. Für sie genügt es, um den Umfang der Zwei- silbigkeit einigermassen zu veranschaulichen, den Gebrauch derselben in einem etwas grösseren Abschnitt des Rigveda zu verfolgen. Ich be- schränke mich auf die Aufführung der Wörter,'in welchen im Leten und 2ten Mandala, d. h. etwa dem 4ten Theile, des Rigveda dieses Suffix zweisilbig erscheint; selten habe ich auch ein und das andre einem an- dern entlehnt. Ich habe von jedem Worte, mit seltenen Ausnahmen, ‚nur ein Beispiel angeführt. Den Nachweis und die Anzahl der Stellen, in denen die Zweisilbigkeit vorkommt, hätte ich hinzufügen können, aber es würde für die von uns behandelte Frage von keinem Belang sein, dä IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF.IA ODER YA ANZUS.? 97 her ich mich dieser Mühe überheben zu dürfen geglaubt habe. Dagegen habe ich dem Verstheile, welchen ich als Beispiel anführe, stets das Metrum beigefügt, da die Entscheidung über die Leseweise fast allein auf die- sem beruht. Das Verzeichniss ist natürlich alphabetisch geordnet; bei den Wörtern, welche im Rigveda, so viel mir bekannt, nur einmal vor- kommen, ist čz. Ze, hinzugesetzt. dmsya zu lesen dmsia (ën, Aey.) Rv. I. 191, 7 yé ämsiä yé ängiäh REP Agástya z. 1. Agastia I. 117, 11 Agästie brähmanä vävridhänd’ v=—v—/—py —h— — dghnya und úghnyá z. l. ághnia und dghnid I. 37, 5 prä gamsä göshu äghniam un I. 164, 40 addhí trinam aghnie vievadä'nim (vgl. 27) —vuy— vr — — u - — Ebenso aghnyá und aghnyk z: l. aghmid und aghnid I. 30, 19 nf aghniäsya mürdhäni v—v=/y=y/ VII. 68,8 yà'v 9) aghniå' m äpinvatam apó ná — —ü= p vyj ángya z. l. ángia s. dmsya und vgl. ; Atharvav. VI. 127, 3 yó ángið yó kämiah — =y /Ü pu atasáyya z. l. atasd’yia Rv. I. 63,6 or vájeshu atasäyiä bhüt — — Sovv--fv— as dtya z. l. dtia Il. 34, 3 ukshänte ágvåg ätiägiväjishu = — — —/-w—h— vr € ádya z. l. ádia (&n. Asy.) II. 13, 9 gatäm vå yásya däga såkám å'diah v—— —/óvv FR adyütya z. l. adyütia (En. Aey.) I. 112, 24 adyütie ävase ni hvaye väm. EEE hı— — - adhishavanya z. l. adhishavania (an. Aey.) I. 28, 2 adhishävanlä kritä’ —n apikakshyäa z. l. apikakshia I. 117, 22 tväshiram yád dasråv 9) apikakshiam väm. SE —_ u 5 Auflösung von au zu áv ist sicher nicht vedisch; entweder ist yau, Histor.-philol. Classe. X VI. N 98 TH. BENFEY, apícyà z. l. apicia VIII. 47, 13 yád ävir yád apiefam v— —v/v—v*> (vgl. II. 35, 11). aptyá z. l. aptid (@n. Aey.) I. 124, 5 púrve árdhe rájaso aptlásya — — ët —/y —— ápya z. l. dpia VI. 49, 6 púrishåni jinvatam apiäni v——/—wvvv/v— > (vgl. I. 145, 5) amd'tya z. Í. amd'tia Lë, Zeie, VII. 15, 3 sá no védo amätiam v— --—/v—v> ayá sya z. l. and sia I. 63, 7. ayð'siah stávamanebhir arkalh vu—v—/vvw—/v— — árdhya z. 1. árdhia À I. 156, 1ädhä te vishno vidúshâ cid árdhiah v— — —/—vw—/v—v— aryà z. l. aría I. 123, 1 krishnäd úd asthäd aríå víhåyåh — —v—/— vu —jv— — Ich darf nicht unerwähnt lassen, dass dieses svaritirte aryà nur einmal vorkommt; sehr oft dagegen oxytonirtes aryd. Das Petersb. Wtbch hält jenes mit diesem, und ich glaube mit Recht, für identisch. In letzte- rem ist aber, so viel mir bekannt, ya stets einsilbig zu lesen, so dass man fast glauben darf, dass der svarita in aryà die Zweisylbigkeit an- deutet (vgl.$.6, 5) und vielleicht erst von den Diaskeuasten an die Stelle des udätta gesetzt ist, vgl. auch namasya, yavisththya, vapushya. aryamya z. l. aryamia (&n. Asy.) s. S. 95, n. 8 dcvya z. l. devia I. 32, 12 äcvio vä’ro abhavas tád Indra —v— —/—vw—/v—— asurya zu lesen asuria I. 167, 5 jöshad yäd im asuriä sacadhyai — —v uw /r— — ädityd z. l. áditiá I. 24, 15 áthà vayám Äditia vrate táva v—vv/óvv <-/Jv—v-“/ _ dasrau zu lesen, oder eher yú, dasrä. Doch erlaube ich mir in diesem Verzeichniss keine Aenderungen ausser den auf das besprochene Suffix bezüglichen und etwai- gen des Metrums wegen nothwendigen. IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 99 ángúshyà z. l. ängüshia (ën, Aey.) I. 62, 2 ängüshiam çavasånĝ'ya så'ma — —v—/óv— L /y— — ápríchya z. 1. ápríchia I. 60, 2 äprichio vigpátir vikshú vedhä um —/fym— áptyá z. l. áptiá I. 105, 9 Tritás tád veda åptiákh v— — —/y—v-— ` ápya z. l. d'no I. 36, 12 ágne deveshu piam — ———/y—rv— árya z. l. ária I. 51, 8 ví jänihi äriän yé ca däsyavah v—vy/—u— —/v—v—> ávíshtya z. 1. ávíshtia I. 95, 5 àvíshtio vardhate cärur Aen ——v—/—vu— —/y— > ásyà z. 1. ásía I. 38, 14 mimihi çlókam äsie v— — —/v—v— ähü'rya z. l. dhi’ria I. 69, 4 (2) jäne ná ceva SEN san vv — — Wr — !’dya z. 1. Údia (flia) I. 1, 2 řdio nútanair utá —v— —/v—v— flónya z. 1. Nénia I. 79, 5 Agnir llónio girà ————/v—v— ukthya z. l. ukthia I. 17, 5 krätur bhavati ukthial v—vy/v—v— udanya z. l. udania Lë, Aey.) | II. 7, 3 dhä’rä& udanläiva — —vyv—v— ürmyä z. l. üÜrmiä II. 4, 3 sá didayad ucåtir ürmiä å el. —hı— — üshmanya z. l. üshmania (ën, Aey.) I. 162, 13 üshmaniä apidhänä carü’näm = in h — okya z. l. okia I. 92, 13 märyaiva svá okle wu /v—v— omyä’ in omyä'vant z. l. omid I. 112, 7 taptäm g gharmam omiä vantam ätraye — — — fy —— eg N2 TH. BENFEY, aucathyá z. l. aucathid I. 158, 4 úpastutir Aucathiám urushyet v—vy/— vuyv— — kakshya und kakshyð z. 1. kakshia, kakshiä I. 173,6 arám rodasi kakshíâ ná asmai v— —yY- —v—/w— — Zonë z. l. kanid I. 161, 5 anyair enån kaniä nä’mabhik sparat _ — — - Av hr Beiläufig bemerke ich, dass kany@ im Rigveda an allen mir bekannten Stellen dreisilbig zu lesen ist, so speciell I. 123, 10 kanieva nicht etwa kanyä'iva, und IV, 58, 9 ist statt kanyd’iwa (für kanydh-iva) entweder mit, wenn gleich unregelmässiger, doch in den Veden häufiger, Contrac- tion Aanieva, oder kanid-va zu lesen; vgl. X. 10, 13 any&ð kíla tvá'm kakshieva yuktám u.a. Auch im Atharvav. ist an zwei Stellen kantá zu lesen, an vieren dagegen (II. 30, 4; XII. 1,25: XIV. 2, 22; XX. 128, 9) kanyã. kärnya zu lesen karnia s. dngya (En. Asy.) karmanya z. l. karmania I. 91, 20 sömo viram karmaniam dadäti /-w h—— ká'mya z. l. kÜ mia I. 6, 2 yunjánti asya k&miå gunn kävya z. l. kävid | I. 83, 5 & gà âjad Ugänä käviah séch ënn ká'vya z. l. kd'via 1. 72, 1 ní käviä vedhásah çáçvatas kar v—v—/vu—-'/y— kirtenya z. 1. kirtenia I. 103, 4 kirtóniam Maghávå nä’ma bibhrat — - vw — h— — krítvya z. l. kritvia I. 54, 6 tuäm rätham étaçam kritvie dhäne v—vvy/—v— juv — komyá z. l. komiá (&n. Aey.) I. 171, 3 úrdhvå nah santu komi vánåni — —— —/v—v— w- — kshámya z. l. kshámia ‚Il. 14, 11 yá% på'rthivasya kshámiasya rå jå — —v—/—vw—/v— — IST IN D. INDOGERM.GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF.IA ODER YA ANZUS.? 101 gávya z. 1. gavia I. 131, 3 vrajäsya sätä gáviasya niłsríjah v—v—/+vvo—/w—v>. Ausserdem, so weit mir bekannt, nur noch V. 52, 17 und wahrscheinlich I. 162, 22. nämlich: sugäviam naü 10) váji' suágviam viv/iv— —/w—v>; auch das zweite Viertheil dieses Verses ist Jagati; die beiden andren dagegen sind Trishfubh. An allen übrigen mir bekannten Stellen ist gävya zu lesen (vgl. I. 72, 8; 126, 3; III. 32, 16; IV. 58, 10; V. 34, 84:65; MEA VII GN A: VMg Aë SG, ABER Hr By 62, 23; 108, 6). Die oxytonirte Form gavyá ist an allen vier Stellen, die im Petersb. Wtbch. angeführt sind, zweisilbig zu lesen. gähya zu lesen gúhia I. 72, 6 tríh saptá yäd gúhiâni tué it — —v—/vvu—v/v— — d-gohya z. l. agohia I. 110, 3 ägohiam yäc chraväyanta altana v — v Zw —Yy—r— prati-cäkshya z. l. praticakshia (@n Aey.) I. 113, 11 asmäbhir ü nú praticäkshiäbhüt — =v—/—vv—/v— — sam-carenya z. l. samcarenia (ën, Aey.) I. 170, 1 anyäsya cittäm abhí samcareniam — 1 Zw mr — carkritya z. l. carkritia I. 64, 14 carkritiam Maruta pritsü dushtáram —vv—jýv— —v—v— janya z. 1. jánia H. 37, 6 jöshi brähma jäniam jöshi sushrutim — — —y/úv— hr jenya z. L jenia I. 71, 4 grihegrihe çietó jenio bhüt TE Auch jenyävasu ist jeniávasu zu lesen VII. 74, 3 dugdhäm päyo vrishanä jeniävasü ar iv rar 10) Ueber naù s. Kuhn in ‘Beiträge zur vgl. Sprachforsch.’ IV, 192. 102 TH. BENFEY, und vijenya eben so vijenia I. 119, 4 yäsish?&m värtir vrishanä vijenfam — — — —/ vw h—r— jöshya z, l. jóshia (&n. Asy.) I. 173, 8 víçvå te ánu jóshiâ bhuud gaúh — — —r/v—v—/v— — Ob bhuud für bhúd zu lesen, ist fraglich. Vielleicht ist bhuvad zu emen- diren; vgl. jedoch Kuhn in ‘Beiträge’ IV, 185. Eben so ist djoshya z. 1. djoshia I. 38, 5 jaritä bhüd äjoshial vu— —/v—v— tirdahnya z. l. tirdahnia I. 45, 10 täm päta tirdahniam — — w/v—v— tügrya z. l. túgria I. 33, 15 vah cAmam vrishabhäm tügriäsu — —v — /iv— —/y— > auch tugrydvridh z. l. tugriävridh VIII. 1, 15 mändantu tugriävridhaa — —v—/v—v— taugryd z. l. taugrid 1.117, 15 äjohavid Acvinä Taugriö väm v—v rg —/v— — dakshäyya z. 1. dakshä'yia I. 91, 3 dakshäyio EIER Soma — —v—/—v——/p— — a-däbhya z. l. ádábhia I. 22, 18 Vishnur gop& ádåbhiah — — — n dárbhyá z. l. dárbhiá (&n. Aey.) V. 61, 17 därbhiä'ya párå vaha —v—v/v—v didishá'yya z. 1. didishi'yia I. 73, 2 åtmóva cóvo didhishäyio bhút — —v—/—vwv—/y—— divyá z. 1. diviá I. 34, 6 trír no Agvinå diviäni bheshaj — — —y/—vw—/p—v— dürya z. l. düria I. 51, 14 pajreshu stömo dürio ná yüpah PE dútyà z. 1. dútia I. 12, 11 yäd Agne y&si dütiam v— _ {tl vieva-devya z. l. vicvádevia L. 110, 1 ayám samudrá ihá vigvádeviah v—v—/úvu—/v—v> ; IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NON SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 103 so ist auch viçvádevyávant z. l. vievadeviävant X. 170, 4 vigväkarmanä vigvádeviåvatå —v—1/— --v—/w—v— daivya z. l. daivia I. 31,17 ächa yähi &vaha daiviam jänam WA drónya z. l. drónia (&n. Aey.) V. 50, 4 dudrävad dróniah paçúh —v— —/v—v—— dhanya z. l. dhania ITI. 1, 16 ágne vígvåni dhániâ dádhånåh — — — —/óvv—/vo— — so auch pra-dhanyà z. l. pradhania (ën, Aey.) X. 99, 4 & juhoti pradhanfäsu sásrik —v—vy/óvv—/w— -” Ebenso gata-dhanyà z. l. gatadhania (ën, Asy.) IV. 18, 3 çatadhaníam camuoA sutäsya PT dhishnya z. 1. dhishnia I. 3, 2 dhishniä vanatam gírah us dláryà z. 1. dlária II. 27, 11 pâkíå cid Vasavo dhiríå cit —v—v/viv— —/v— > nabhanya z. l. nabhania I. 149, 3 ätyah kavir nabhanío ná Are — —v—/óvv Ze — namasyà z. l. namasia I. 72, 5 pátnivanto namasiam namasyan — — — —ivv—/y— > Beiläufig bemerke ich, dass yà in diesem Worte an allen mir be- kannte Stellen des Rigv. zweisilbig zu lesen ist, nur an einer (X, 104, 7) ist es einsilbig und da hat der Text statt des Svarita den Udätta, vgl. den analogen aber umgekehrten Fall bei arya. Die Bemerkung wird sich für die Geschichte der Accentuation von Bedeutung erweisen; vgl. auch bei yavisththya. narya z. l. naria I. 40, 3 ächä& viräm näriam er aa SEE nándyà z. l, nändia I. 145, 4 abhí gväntäm mricate nändie mude v— — —fiv— —h—r— Das Petersburger Wörterbuch betrachtet jedoch — von Säyana ab- 104 TH. BENFEY, weichend — diese und die andre Form als Casus des Substantivs nánd” (s. das. u. d WA návyà z. l. nävia I. 33, 11 ávardhata kip & nävläinäm v—vy/—v— —/vy— — ná satya z. l. nä’satia I. 20, 2 tákshan ná'satiåbhiåm — — —y/vpy—w—, So an so ziemlich allen, und zwar sehr zahlreichen, Stellen; nur X, 29,5 habe ich näsatya angemerkt; die zweisilbige Aussprache ist hier um so interessanter, da satya, welches wenigstens sehr wahrscheinlich, das letzte Glied des Wortes bildet, so viel mir bekannt, nur mit einer Aus- nahme, stets einsilbiges ya hat. Von dem altbactrischen Reflex von nå- satya kommt nur die Form des Acc. sing. vor; diese lautet ndonhaithtm, welches eben so gut dem vedischen ndsatiam, wie dem gewöhnlichen ná- satyam entsprechen kann. ninya z. l. ninia I. 95, 4 ká imám vo ninidm Ai ciketa enn —h— ~; etwas häufiger erscheint jedoch ninya, nämlich I. 82, 10; 164, 37. IV. 16, 3. VI A8 9; 61, 5.:IX. 92,4. ninia ausser an der schon ange- führten Stelle noch IV. 3, 16. VIL 56, AN BL | nripä'yya z. l. nripá'yia H. 41, 7 vart? Rudrä nripá'yiam ——— nn nrishä’hya z. l. nrishähia (dagegen stets nrishahya, vgl. Petersb. Wtb.) 1.33, Múc chvaitrey6 nrish&' hiäya tasthau — Hp — Dagegen z. B. VI. 25, 8 indra devebhir ánu te nrishähye —v— —hv-h— — a-nedya z. l. dnedia I. 87, 4 ási satyá rinayä’vä änediah vvu—v/óv— — /y—p— Doud yya z. l. paná'yia 1. 160, 5 panä’yiam ójo asme sám invatam v—viyj— — — hr paritakmya z. 1. paritakmia I. 31,6 yá gürasätä päritakmie dhäne — 1 dem dg wH — v — páritakmyá z. l. paritakmid I. 116, 15 A4 khelásya päritakmiäydm — — — —/ívu—/vu— — IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 105 pastyà z. l. pastia (&n. Asy.) X. 96, 11 prä pastiam asura haryatám góh v—vvy/ðvu—/v—— pastyá` z. 1. pastiä I. 25, 10 Várunah pastiäsu & rr —/v—v— Auch in agva-pastya ist ya zweisilbig; eben so in tri-pastyd, vá'ja- pastya, virad-pastya (VIII, 50, 4). pastyd'-vant z. 1. pastiävant I. 151,2 utá grutam vrishanä pastíåvatah v—v—/óv— —/v—v— päkya z. l. pákía s. bei dhíryà pástyd z. 1. pástiá IV. 21, 6 å duróshå/h pâstiásya hótå —v— —/—v—/y— — die im zweiten Fusse fehlende Sylbe scheint durch längeres Anhalten des á in pá ersetzt werden zu müssen; oder wäre hier das vriddhirte á, seinem Ursprung gemäss, zweisilbig zu lesen? für letztere Annahme spre- chen viele Analogien, vgl. Kuhn in ‘Beiträge’ IV, 182. pitrya z. 1. pitria - I. 71,10 mäi no Agne sakhid’ pitriäini — — — —w— —h— — pitryä-vant z. l. pitriävant IX. 46, 2 yösheva pitriävati v—/v—v púrvya z. l. pürvia I. 26, 5 pürvia hotar asyá nah —vv —/v—v > Eben so d-pürvya z. l. púrvia I. 46, 1 eshó ush ápurviå — —v—/v—v— póshya z. l. póshia : | I. 113, 15 ävähanti pöshiä väriäni —v——/—v——/u— paússya z. l. pai;,sia I. 5, 9 yäsmin vigväni paüugysia — — — Juan budhnya z. 1. budhnia I. 187,5 utá no ähir budhnio mäyas kah w— u —v— v—v— bhavya z. 1. bhavia 1.129, 6 prá tád voceyam bhäviäya indave v— — —/ vu—/v—v— bhávyá z. l. bháviá (@n. Aey.) I, 126, 1 síndhåv ádhi kshiyató bhàviásya v—v —/iv—— /v——; wegen sindhäv vgl. S. 97 n. 9. Histor.-philol. Classe. XVI. (0) 106 TH. BENFEY, bhojyà z. 1. bhojia I. 126, 6 yä’cünäm bhojlå cat — — — —/v—v— mádya z. l. mádia I. 153, 4 utá våm vikshú mädiäsu ándhah vu— —/óvv -/v— ~> madhya z. l. madhia in I. 158, 3 ví mádhie árnaso dhä’yi pajráh vw —/—v——/v— — aber so viel mir bekannt nur an dieser einen Stelle, sonst madhya. manushyäa z. l. manushia I. 39, 4 giro hötä manushio ná däkshah v— — —/óvv-';v—> märtya z. l. mártia I. 18, 4 sómo hinóti-mártiam — —v—/vy-—v-— Ebenso ist amartya z. l. dmartia IV. 1, 1 ämartiam yajata märtieshu å vr ww hr — vr — mdärya z. l. mária X. 77, 3 ricàdaso ná märiä abhídyavah v—u—/óvv—/v—v— und X. 78, 1 kshitinaám ná máriå arepásah v—v—fóvv—/v—v > und in märia-ert II. 10, 5 märiagrik sprihayädvarno Agnih w— —/iwn— —/r— — An andern sehr vielen Stellen sowie auch in maryakd, maryatds (letzteres X. 27, 12 nicht 2 wie im Petersb. Wtbch.) ist ya einsilbig. Die angeführten Stellen X. 77, 3 und 78,1 sind nicht, wie die Inder sie bezeichnen, Trishtubh, sondern Jagati. Ich will deshalb hier noch hinzufügen wie die drei ersten Viertheile in beiden Versen zu lesen sind; X. 77, 3 prá yé divá prithiviä’ ná barhánå tmänä riricre abhraän ná sú gail “ päjasvanto na viraáh panasyävo ri? u. Ss. w. X. 78, 1 Vipraaso ná mänmabhih suädhio _ devavio na yajanaíh suäpnasaA | räjaano ná citraäh susamdricah ksh® u. s. w. IST IN D. INDOGERM.GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 107 mándáryá z. l. mändärid (en. Asy.) I. 165, 15 Mändäriäsya Mäniäsya kåróh — vp- fh — — mänyd z. l. mänid s. das vorige. _ Mmítrya z. L mitria II. 6. 7 dütö jányeva mítriah — /v—v— vgl. oben S. 95 n. 8. miyedhya z. 1. miyedhia I. 26, 1 Väsishvä hí miyedhia v— —v/v—v>— yávishthya z. l. ydvishthia und zwar stets; daher vielleicht die in Värtt. 8 zu Pän. V. 4,36 vorgeschriebene Svaritirung von ya, vgl. namasya. I. 36, 6 tué id Agne subhäge yavishthia v v—/—w ET Aopud z. l. yavid‘ (oder yaviyd’, wie auch im Petersb. Wtbch. be- merkt). Man vgl. dazu die Fälle, wo die Comparative auf yams nicht íyams auslautend geschrieben sind, aber dennoch fams zu lesen sind, z B, I. 105, 15, wo geschrieben ist návyo jdyatäm ritám, aber zu lesen nävio jäyatäm ritäm v— — —/v- v*; ich würde auch die Fälle vergleichen wo rödasyos viersilbig zu lesen ist, wenn sie nicht von Kuhn (Beitr. z. vgl. Sprfschg. IV. 193), wenn gleich schwankend, anders gefasst würden, als ich sie fassen möchte; ich lese nämlich ródasíos (vgl. weiterhin über die Casusformen der Themen auf í, ú, die diese Vokale fast nie in y, v auflösen). Dagegen ist in dem N. ppr. yavyd'-vati das Affix yá einsilbig. Die drei Stellen in denen yavyá” vorkömmt erlaube ich mir hieher zu setzen I. 167, 4 parå gubhrä ayaäsö var v— — pov p= — I. 173, 12 mahäg cid yäsya mi/hüsho yavið v— — —/py—v—/py— — In VII. 87, 8 ist, nach Analogie des zweiten Verstheiles, welcher auf v——v schliesst auch im ersten zu lesen adr ná tvá yaviđ bhis (oder yaviyä'bhis) v—v —/vu——0. ydjya z: k ang itki rd I. 22, 19 indrasya lila; sákhå — oe rámhya y. l. rámhia 11.18, 1 sá ishtíbhir matíbhî rámhio bhút v—v—/óv— —/y— — 02 108 TH. BENFEY, ranya z. l. ránia I. 85, 10 mäde sömasya räniäni cakrire v— — —Jviw—h—v— ráthya z. l. ráthia I. 53, 9 ní cakróna ráthiå dushpadå'vrinak v— —v/óv— —/v—v— Ebenso rathyà z. l. rathia z VI. 37, 3 índram sucakré rathfäso áçvåk — —v—/—vw—/v—— Beiläufig bemerke ich, dass IX. 86, 2 bei Aufrecht nicht, wie im Petersb. Wtbch. angegeben, svaritirt, sondern paroxytonirt ist. I. 157, 6 räthya (dicht neben rathyà) wird im Praticäkhya und Pa- datext als Vertreter von rathya betrachtet; es ist ebenfalls ráthia zu lesen: ätho ha stho rathiä räthiebhih wun. —/v— — räjya z. l. rand VII. 6, 2 hinvänti cám räjiam rödastoh v—/—v -Air SS @n. Asy., aber am Ende vieler Ableitungen von Wörtern, die mit auslau- dem ráj zusammengesetzt sind, z. B. sámrájya von samr&). rödhya z. 1. rddhia 1.116,11 tád väm narä cAmsiam rå'dhiam ca v—/r— —ı— — yäd-rädhya ebenfalls z. 1. yäadrädhia IT. 38, 8 yädrädhiam Väruno yönim äpyam — uo A E rámyá z. l. rá miá II. 2, 8 sá idhâná ushäso rä’miä ánu w—y/w— h—v— vieva-rüpya z. l. vievarüpia 1 164, 9 viçvarůpíam trishü yójaneshu —v—v/—vw—/ø— > vakmya z. l. vakmia (ën, Asy.) 1.167, 7 prä tam vivakmi väkmio yá eshäm v—v—/v—v—/u—— vandya z. l. vándia I. 79, 7 vigväsu dhishü vandia ——v— /w—v— vapushyà z. l. vapushia I. 160, 2 sudhrish/ame vapushie ná rödasi ie ya stets zweisilbig, wo vapushya svaritirt, dagegen I. 183, 2 einsilbig und oxytonirt (vgl. arya). Vayya z. 1. Vayia I. 54, 6 tuám Turvi'tim Vayiam gatakrato v— ——/—v—/v—v— IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 109 varenya z. l. várenia I. 9, 5 rädha Indra väreniam —v—v/v—v— upa-vd'cya z. l. upavd'cia I. 132, 2 cirshnäcirshnopaväciah — — vv — pra-vd'cya z. l. pravhcia | I. 132, 4 nú hä te pürväthä ca praväciam _—— N vátá'pya z. 1. vátá' pia X. 26, 2 vätä’piam ayám jánah — —v/v—v— värkäryd’ z. l. várkárið (ün. ey.) I. 88, 4 imå'm dhiyam värkäriäm ca dev? m Be tel várya z. l. vária I. 58, 3 ví ånushág väriä devá rinvati v—v—/—v— —/v—v— vidathyà z. l. vidathia I. 91, 20 sädaniam vidathiam sabheyam —vv—/óvv—/v— — vieya z. l. viçía |: I. 126, 5 subändhavo yé vicläiva vräh v—v—/—v —/v— — vigvdpsnya z. l. vigvápsnia II. 13, 2 vicvápsniàya prä bharanta bhójanam — — 9 /—w— nr > virya z. l. víria I. 32, 1 indrasya nú viríåni prá vocam — ur — —fr— — su-wrya z. l. af ria I. 10, 6 tám råyé tám suvirie — ———/b—v— vritratürya z. l. vritratúria II. 26, 2 bhadrám mának kringabæs er — hr E vrishnya z. l. vrishnia I. 50, 7 vriecä” gätror áva vigyäni vrishniä _ — — fir — eg vedy& z. l. vedid I. 171, 1 rarånáta Maruto vedià'bhih Ce —/y— > 110 TH. BENFEY , Hierbei will ich, obgleich es nicht im 1. und 2. Mand. vorkömmt, auch erwähnen vedya z. 1. vedia V. 15, 1 prä vedhäse kaväye vediäya v—u — Ain —/y— > venyd z. l. veniá II. 24, 10 imä sätäni veniäsya väjinah v———hv—wv —/vy—v— a-vyathyd z. l. avyathia (&n. Asy.) II. 35, 5 asmaf tisró avyathiä'ya närih — — — —/ wo — — çámsya z. l. camsia I. 8, 10 stöma ukthám ca çámsiå —v— —/vy—v— ` ebenso pra-camsya z. l. pracgdmsia Agnim mitrám ná kshitishu praçámsiam — — — —/—w—/v—v> so wie pra-çásya z. l. pragasia (ën, Aty.) VIII. 11, 2 tuám asi pracásiah vvv—/v—v— Das Metrum fordert praçámsiah. gárdhya z. l. gárdhia (&n. Aey.) I. 119, 5 rátham vå'ni yematur asya çárdhiam v—— —/—vv—/v—v- çãsya z. l. çã'sia (&n Asy.) I. 189, 7 abhipitvé Mänave çğsio bhůh w— —/óv—-/v—— güshya z. l. cüshia I. 54, 3 ärcä divé brihate cishiam vácah — —v—/óv— -/v—v— saha-geyya z. l. sahageyia (ën, Aey.) X. 10, 7 samäne yönau sahageyiäya v— — —/—vv—/v— ~> çévya 2. l. gevia (Ën. Ze I. 156, 1 bhäva mitró ná cevio ghritä’sutik vu— rel gravasya z. l. eravasia I. 100, 5 sänilebhik gravasiäni Gran v—— —/øvv—/p——> gravd'yya z. l. gravd'yia L 27, 8 våjo asti cravd'yiah — — yo grütya z. l. çrútia I. 36, 12 tuäm vä'jasya- grütiasya räjasi v— — —/— rn çvitnyá z. l. gvitnid (&n. er < 1100.18 Bähat kahstzamsäkhibkiäevitniähhiä o en € SET F ` "Zeg IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM.SUFF.IA ODER YA ANZUS.? 111 fast, gvítrya z. l. çvitria (GT. Asy.) I. 33, 15 kshetrajesh& Maghavan chvitriam gm —v— —/iv— — [p — — sakhya z. l. sakhid I. 10, 5 råránat sakhiéshu ca —v—/v—v— sajátyà z. 1, sajätia II. 1, 5 táva gnävo mitramahah sajätiam vu— —/—vw—/p—v— santya z. 1. santia I. 15, 12 gärhapatyena santia -v— hy —v— samanyà z. l. samania (&n. Àey.?) IX. 97, 2 bhadr& .vástrâ samanfä vásånah — — — —/vvv—/y— > samaryà z. l. samaria V. 33, 1 stutó jäne samaríaç cikéta v—v—/úóvv—/w— > samdnyd z. l. samänid I. 165, 1 samäniä marútah sám mimikshuh v—v—/óv— —/y— — sahantya z. l. sahantia I, 27, 8 näkir asya sahantia vu—/v—v— sahasya z. l. sahasia VII. 42, 6 evä Agnim sahasiam Väsishihah —v— —imw—/r— — säkhyd z. l. säkhid II. 11, 19 ärandhayah säkhiäsya Tritäya v—-v—/— vr — Ich habe säkhyd statt sakhyd nur aus dieser Stelle notirt, und glaube dass die Dehnung nur des Metrums wegen eintrat, welches wenn ya statt ia las, gestört war; vgl. sädanya. sã cya z. l. sdcia (&n. Aey.) I. 140, 3 X såciam kúpayam várdhanam pitúh' — —v— fiv jo—v— sádanyà z. l. sádanta (Pada hat sadanyà; vgl. sákhyá) s. bei vidathya (@n. Aey.) sádhyá z. 1. sädhid Lë, Asy.?) 1.164, 50 yätra pürve sädhid’h sánti deyð h Br e sämanya z. l. sämania (er. Aey.?) IX. 96, 22 sämakrinvänt sämanio vipaçcít Eege 112 TH. BENFEY, sämräjya z. l. sämräjia | I. 25, 10 sämräjiäya sukrátuh — —v—/v—v— súgmya z. l. sügmia I. 48, 13 ushä’ dadåtu súgmiam v—v—/v—v— suprávyà z. l. suprávía (ün. Aey.) II. 13, 9 suprävio abhavah säsi ukthiah —v— —/óv— —/y—v— suhästya z. l. suhastia I. 64, 1 apó ná dhiro mänasä suhästiah ee sürya z. l. súria I. 23, 17 amúr y& úpa sürie eg Ebenso sen? z. l. súrið I. 167, 5 & sürieva vidható sam gåt ——v—/vvv—/y— — senya z. l. senia I. 81, 2 ási hi vira senia mmm. sairyd z. l. sairid (ën, Aey.) I. 191, 3 darbhä’sah sairiä’ utá Ju—v ~ somyá z. l. somid I. 14, 10 vievebhik somiám mádhu — — — —/y—v— stómya z. 1. stómia 1.22, 7 Savitä‘ stómio nú nah vu— —/v—v— sprihayd'yya z. l. sprihayd’yia VI, 7, 3 väsüni räjant sprihay&ðyiðni v—v—/—vwv—/y— ~ svarðjya 2. l. svard'jia I. 84, 10 väsvir ánu svarðjiam — —v—/v—v— svarya z. l. svaria I. 32, 2 tväshräsmai ee svarlam tataksha v sváçvya z. l. suácvia I. 40, 2 suvřriam Maruta å suäcviam v—v - /úvv —/v—v> a-hanyà z. l. ahania I. 168, 5 purupraíshâ ahanio ná get ET eg harmyá z. l. harmid : L 121, 1 prä yad änad víga A harmiäsya vu— — v——/r— — IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 113 hárshya z. 1. hárshia I. 56, 5 súarmi/he yán máda Indra härshiä v— — —/-v—h— vp hávya z. l. hávia I. 100, 1 satinásatvå hávio bháreshu vr—r—/-w—h— Ebenso vihduya z. l. vihávia IT. 18, 7 purutr& hí vihávio babhü’tha v— —yóvv—/w— > hotrivä'rya z. l. hotriví ria I. 31, 3 ärejetäm ródasi hotrivůrie v— — —/—v— —/w—v— 8 A Unter den hier aufgezählten Wörtern sind viele, in welchen das Suffix nur, andre in denen es fast nur, oder in der bei weitem grössten Majorität der von mir bemerkten Fälle, zweisilbig zu sprechen ist, andre endlich, in denen es ungefähr eben so oft zweisilbig als einsilbig lautet, Erlauben wir uns die aufgeführten Wörter nach diesen drei Categorien zusammenzuordnen. 1. Die zweisilbige Aussprache erscheint, nach meinen Notaten, al- lein in folgenden, theilweis sehr häufig vorkommenden Wörtern; die nur einmal im Rigv. erscheinenden sind in dem Verzeichnisse und hier als &n. Asy. bezeichnet. Hierher gehören: amsya (čn. Aey.), ághnya und ághnyá, ángya, ádya (ün. Ze), adyu- tyà (ün. Zen), adhishavanya (ën, Asy.), apikakshya (ën. Ze), âpicyà, dptya (En. Zei), amdtya, ayd'sya, arya (vgl. aber u. d. W. S. 98), aryamya (&n. Aey.), drdhya, áçvya (doch in einigen Fällen nicht ganz sicher), ängüshya, Äprichya, ápya, dvishtya, äsya, ähl'rya (ën, Asy.), !dya, tlönya und, so viel ich bemerken konnte, alle auf -enya, ukthya, udanya (ën. Asy.), ürmyä‘, üshmanya (&n. Asy.), okyà, omyävant, aucathya, kakshya und kakshyd‘, kany@ , karnya (&n. Aey.), karmanya, kämya, kirtenya, krituya, komyá, kshamya, d-gohya, prati-cikshya, sam-carenya, jenya so wie jenyävasu und vi-jenya, jöshya, tirdahnya, túgrya so wie tugrydvridh, taugryd, dakshäyya und alle auf äyya, d-däbhya, därbhya (ën, Aey.), didishäyya, vigva-devya und vigvadevyävant, drönya (@n.Aey.), a ech 11), dhishnya (daher Taittir. 11) S. Nachtrag. Histor.-philol. Classe. XVI. P Ki 114 TH. BENFEY, Samh. dhíshniya s. oben S. 94), dhirya, nabhanyà, mamasyà (vgl. aber u. . W. S. 103), nándyà (s. jedoch u. d. W. ebends.), návyà, nripd'’yya, arishúáhya (vgl. aber u. d. W. S. 104), á-nedya, páritakmya, pastyà, ágva- pastya, tri-pastyd, väja-pastya, vird-pastya, pastyd‘, pastyá`vant, päkya, pästyd (ën, Asy.), pitrya, pitryävant, pöshya, paúgsya, pra-dhanya (&n. Asy.), budhnya, bhävyd (Ën. Aey.), bhojya, märtya und dmartya, Mändärya (ën, ey), Mänyd, mitrya, miyedhya, yavishthya (s. u. d. W. S. 107), yayyd' (s. u. d. W. ebends.), rámhya (&n. Asy.), rájyá (En. Asy.), rddhya, rämyd, viçva-rúpyà, vakmya (Ën. Asy.), vandya, vapushya (s. aber u. d. W. S. 108), Vayya, várenya, upa-vdcya, vätdpya, varkäryd (En. Asy.), várya, vidathya, vieya, vrishnya, vedya, vedyd', a-vyathyá (Er. Asy.), gdmsya, pra-cdmsya, pra- gäsya (&n. Aey. s. aber u. d. W. S. 110), gata-dhanya (&n. Asy.), cardhya (En. Aen, gd’sya, güshya, saha-göyya (En. Zeil, çravasyà, gravd'yya, grütya, gvitnyd (En. Afy.), gvítrya (ën, Zen) sajätya, santya, samanyd, samaryd, samänyd, sahantya, sákhyá (s. u. d. W. S. 111), sã'cya (Em. Asy.), sádanyà Lë, Aey. s. u. d. W. S. 111), sádhya (s. ebds.), sämanya (s. u. d. W. S. 111), sá'm- rájya, súgmya, suprávyà, suhástya, sűryő , senya, sairyá, somyd, stomyd, sprihayðyya, svarðjya, svaryà, sváçvya, a-hanyà, härshya. 2. Zu der zweiten Categorie, diejenigen Wörter unsres Verzeich- nisses umfassend, in denen die zweisilbige Aussprache des Suffixes die vorwaltende, nicht selten in überaus vielen Fällen auftretende ist, wie z. B. in púrvya, sürya, während die einsilbige verhältnissmässig selten, oft sehr selten, erscheint, gehören folgende Wörter: Agastya, äptyd, droe, gühya, Jinya, divya, dútyà, datvya, nárya, Ná- satya, pürvya, bhávya, mádya und manushyà überaus oft zweisilbig und nur sehr selten einsilbig, letzteres am Schluss einer Trishzubh,, ähnlich wie in nrishähya gegenüber von nrishd' hya (in jenem ein-, in diesem zwei- silbig), yújya, ranya, pra-vá'cya, vievdpsnya, virya und suvi'rya, sakhyd, sahasyà, sürya, harmyd, hävya. 3. Zu der dritten Categorie, zu welcher wir die Wörter unsres Verzeichnisses zählen, in denen das Suffix ungefähr eben so oft zweisilbig als einsilbig erscheint, gehören: atya, dpya, asurya, ädityd, kävya, kávya, carkritya, dürya, einmal beide Leseweisen in demselben Verstheile VIL EA IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 115 prajävatishu dúriâsu durya v—v rg. ~>, was übrigens in Bezug auf andre Fälle sowohl bei y als v in dem Rigveda gar nicht selten vorkömmt, oft in einer Weise, dass der Wechsel fast gesucht scheint, z. B. II, 1, 1 bezüglich tvam und der Endung des Dat.- Abl. Plur. bhyas tvdm Agne dyübhis tuam äcucukshänis tudm adbhiäs tudm ägmanas päri| tudm vänebhyas tuäm öshadhibhias tuam nrinäm nripate jäyase gúcih]| v— —v/— w— W— v— v—/—-w—h—v-—| v—v—/—vw—hi—ri— vu—v—/vv— —/v—v—= || Ferner dhánya, ninyd, márya (s. aber u. d. W. S. 106), rathyà, vritratwWrya, venyd, hotrivúrya. Eigentlich hätte ich noch eine vierte Categorie bilden sollen, in welche diejenigen Wörter aufzunehmen gewesen wären, in welchen das Suffix entweder durchgängig einsilbig gesprochen wird, oder so vorwal- tend, dass die zweisilbige Aussprache nur sehr selten erscheint, wie z. B, in gavya (s. u. d. W. S. 101), madhya, wo ich madhia nur aus I. 158, 3 notirt habe (oben S. 106) vasavya, wo ich vasavia nur VI. 60, 1; X. 74, 3 bemerkt habe, während sonst oft ya erscheint; satyd, wo ich Zn und zwar ia (ya) nur einmal notirt habe, nàmlich I. 145, 5 Agnir vidvå,, ritajíd dhí satiäh ——— ep endlich havyá, wo mir das Suffix stets einsilbig begegnet ist. So wichtig eine erschëpfende Zusammenstellung und Untersuchung der Aussprache aller auf dieses Suffix auslautender Wörter des Rigveda, so wie auch der übrigen Veden, für die vedische Sprache sein würde, so ist sie doch für die Frage, welche uns beschäftigt, nämlich, ob dieses Suffix in der Grundsprache ya oder ia lautete, wie schon bemerkt, kei- ‚nesweges nothwendig. Für diese würde uns auch eine vollständige Kennt- P2 116 TH. BENFEY, niss keine sichrere Basis liefern, als die hier gegebene Zusammenstellung, welche freilich für die Bestimmung des vedischen Gebrauchs im Einzel- nen, wie ich anerkenne, nichts weniger. als genügend ist. Kä Aus dieser Zusammenstellung ergiebt sich nämlich mit unzweifel- hafter und hinlänglicher Sicherheit, dass im Rigveda sowohl die zweisil- bige als die einsilbige Aussprache dieses Suffixes herrscht. Damit er- halten wir das unbedingte Recht, an der Ursprünglichkeit der im späte- ren Sanskrit herrschenden einsilbigen Aussprache zu zweifeln und die Möglichkeit zu ahnen, dass die mit dem Griechischen und Lateinischen übereinstimmende zweisilbige Aussprache in der ältesten Phase des In- dischen ebenfalls die herrschende gewesen sei. Einen Schluss für die Priorität der einen oder andern Aussprache zu ziehen erlaubt uns die kleine von uns gegebene Sammlung freilich nicht; einen solchen würde aber auch eine ganz vollständige nicht verstatten. Wenn man die über- wiegende Anzahl der zweisilbig zu sprechenden Fälle in dem obigen Verzeichniss in Erwägung zieht, welche noch durch die mit auslautendem iya geschriebenen Wörter vermehrt wird (vgl. S. 94), so könnte man zwar glauben, dass jene Möglichkeit dadurch fast zur Wirklichkeit werde, dass diese Wörter, wenn auch nicht gewiss, doch wenigstens sehr wahrschein- lich machen, dass sich in ihnen die ältere Aussprache noch erhalten habe, und diese in einer noch älteren Zeit im Altindischen die einzig herrschende gewesen sei. Allein der Schluss wäre ein keineswegs zu- verlässiger. Denn in der Geschichte der Sprachen begegnet uns keines- weges selten, ja fast vorwaltend, die Erscheinung, dass eine jüngere Ent- wickelung, gewissermassen mit der ganzen Frische der Jugend wirkend, die ältere, an deren Stelle sie sich drängt, ganz oder fast ganz zu eli- miniren vermag, so dass, wo die ältere und die jüngere sich neben ein- ander erhalten haben, aus der blossen grösseren Anzahl der einen nicht gefolgert werden darf, dass sie die ältere sei. Eben so wenig kann aber auch aus der etwa geringeren Anzahl der andern umgekehrt deren Prio- rität erschlossen werden. Denn sprachliche Umwandlungen machen sich IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 117 nicht auf einmal durchgreifend geltend und die grössere oder geringere Anzahl ihres Vorkommens in einer Sprache hängt im Allgemeinen von der Verbreitung ab, welche sie zu der Zeit gewonnen hatten, als die Sprache durch maassgebende Productionen in einem bestimmten Zustand fixirt ward. Es würde daher für die Entscheidung unsrer Frage ebenso wenig verschlagen, wenn das Verhältniss, wie es in unsrer kleinen Samm- lung vorliegt, durch eine vollständige Durchforschung des Rigveda in ei- nem noch grössren Maassstab bestätigt, als wenn es dadurch vollständig umgekehrt würde, d. h. die einsilbige Aussprache in zahlreicheren Fäl- len nachgewiesen würde als die zweisilbige. Wollte man annehmen, dass die ursprüngliche Aussprache, wie im späteren Sanskrit, so auch im Altindischen, einsilbig gewesen wäre, so würde man im erstren Fall sa- gen können: sie sei in der vedischen Zeit durch eine neu sich entwickelnde zweisilbige fast ganz verdrängt, in letzterem: dies sei als sich die vedi- sche Sprache fixirte, erst in einem geringeren Maasse der Fall gewesen. Ganz eben so, nur umgekehrt, würde man sprechen dürfen, wenn man die zweisilbige Aussprache als die ursprüngliche annähme; das zahlrei- chere oder minder zahlreiche Vorkommen der einsilbigen Aussprache würde gegen die Behauptung der Priorität der zweisilbigen, sobald sie durch andre Momente hinlänglich gesichert wäre, nichts zu entscheiden vermögen. Wichtig ist hier nur zunächst, dass beide Aussprachen häu- fig genug vorkommen, um zu der Frage zu berechtigen, welche die äl- tere sei; und das geschieht, wie Jeder zugestehen wird, schon in unsrer kleinen Sammlung in einem Maasse, dass eine vollständige Durchfor- schung des Rigveda wohl die Anzahl der Fälle vermehren, aber keines- wegs die Berechtigung zu dieser Frage verstärken würde. S. D Diese Berechtigung erhalten wir durch diese Sammlung aber nicht bloss insofern als sie entschieden zeigt, dass beide Aussprachen in den Veden herrschend sind, sondern, was viel wichtiger, dass sie, in Verbin- dung mit einigen andern Momenten, uns den Beweis liefert, dass beide Aussprachen auf einer volksthümlichen d. h. in dem Volke, in welchem 118 TH. BENFEY, und für welches die vedischen Hymnen gedichtet wurden, lebendigen beruhen. Diesen Beweis liefert im Allgemeinen einerseits das hàufige Vor- kommen beider Aussprachen in den Veden selbst, andrerseits das Vor- kommen beider in den aus dem Altindischen hervorgegangenen Sprachen, Was den ersten Grund betrifft, so wird sich Niemand einreden lassen, dass in Gedichten, deren älteste unzweifelhaft in einer Volks- sprache gedichtet wurden, ein Dichter hätte wagen können, stets mártia oder martiya (statt des spätren märtya), oder z. B., wie im späteren San- ` skrit, stets havyá zu sprechen, wenn nicht in martia (märtiya) die zwei- silbige, in havyá die einsilbige Aussprache des Suffixes zu seiner Zeit die allgemein herrschende gewesen wäre. Mögen auch Fälle, wie das selten vorkommende púrvya neben dem vorherrschenden púrvia, oder pürviya, sich vielleicht durch Synizese, andere, wie das einmal von mir notirte mádhia neben dem gewöhnlichen mádhya, durch Diärese erklären lassen, so ist doch weder eine durchgreifende Diärese für märtia, noch eine so überaus häufige für púrvia, und eben so wenig eine durchgrei- fende Synizese für havyá oder eine fast durchgreifende für madhya anzu- nehmen. Wenn märtya einerseits und havia andrerseits die volksthümliche Aussprache gewesenwäre, so würde ein so häufig vorkommendes martia oder märtiya einerseits und havyd andrerseits die Gedichte fast unverständlich, ja geradezu lächerlich gemacht haben, ganz eben so lächerlich, als wenn ein Dichter bei uns statt des Lautcomplexes ja stets i-a sprechen, oder sprechen lassen wollte. Wir haben also anzunehmen, dass in dem Volke, für welches die Hymnen gedichtet wurden, schon beide Aussprachen des Suffixes gebraucht wurden -und weder die eine noch die andre ur- sprünglich auf po&tischen Licenzen beruht. Diese Folgerung wird auch durch die aus dem Altindischen entwi- ckelten Sprachen bestätigt; für die zweisilbige Aussprache durch das Päli, die Sprache der Asoka-Inschriften und die präkritischen Sprachen, welche nicht selten in denselben Wörtern Zweisilbigkeit zeigen, in wel- chen sie in den Veden vorherrscht; so ist schon oben (S. 94) aus dem Páli süriya erwähnt, gerade wie auch in den Veden in der bei weitem IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 119 grössten Mehrheit súria oder súriya zu sprechen ist; eben so víriya 12), wie in den Veden viria oder víríya, und im Ptcp. Fut. Pass. káriya 13), ` gerade wie in den Veden das Affix in dieser Kategorie fast durchgehends zweisilbig lautet, und zwar hier in fast eben so durchgreifender Ueber- einstimmung mit dem Präkrit, z. B. hasia 14). Die einsilbige Aussprache erhält ihre Hauptstütze durch das Sanskrit, in welchem sie die allein herrschende ist, aber auch in den erwähnten übrigen indischen Sprachen ruhen sehr viele Formen auf ihr, z. B. aus dem Páli das oben erwähnte dibba (für divya), ebenso das Ptcp. Fut. Pass. ágamma für ägamya!); noch viel häufiger bildet sie die Grundlage von präkritischen Wörtern, wo aber, zum Theil wenigstens, ein specieller Einfluss des Sanskrit, als all- gemein herrschender Oultursprache, anzuerkennen ist, grösser auf jeden Fall, als im Päli. Wir haben also anzunehmen, dass ein Theil der vedischen Hymnen, vielleicht ein nicht geringer, zu einer Zeit gedichtet wurde, wo in dem Volke, für welches der Dichter sie abfasste, das Suffix, von welchem die Rede ist, ähnlich wie etwa im Päli, in einigen Bildungen zweisilbig, in andern einsilbig gesprochen ward. Bei dieser Annahme bleibt aber noch eine Frage zu bedenken, näm- lich woher es komme, dass in einer keineswegs unbeträchtlichen Anzahl von Wörtern beide Aussprachen in den Veden erscheinen. Wäre die Zahl der Wörter oder der Fälle eine geringfügige, so würde man sich mit der schon erwähnten Annahme von Synizese oder Diärese helfen können. Allein die Anzahl der Fälle, in welchen z. B. neben der vor- herrschenden Aussprache die andre vorkömmt, oder beide fast gleich häufig sind, ist so gross, dass man auch hier schwerlich annehmen darf, dass ein Dichter in einer lebendigen Volkssprache sich einen solchen, fast will- kürlichen Wechsel hätte erlauben dürfen. Wenn man daher auch be- rechtigt sein mag, für einige einzelne Fälle, wo Ausnahmen von der vor- 12) Fr. Müller, Beiträge zur Kenntniss der Päli-Spr. I. 21. (1867). 13) ebds. II. 21 (1868). 14) Lassen Inst. 1. Pr. 161. 120 TH. BENFEY, herrschenden Aussprache selten eintreten, jene Licenzen zu Hülfe zu rufen, so wird man doch genöthigt sein für die übrigen noch nach einer andern Erklärung zu forschen. Wir werden eine solche vorschlagen; halten es jedoch für dienlich, vorher zu versuchen, die Frage, welche uns beschäftigt, zu entscheiden oder der Entscheidung entgegen zu führen. 6: 6. 1. Im Sanskrit, von dem nicht zu bezweifeln, dass es sich in letz- ter Instanz aus der vedischen Sprache unter Einfluss — vorwaltend lexikalischem — der Volkssprachen entwickelt hat, ist die Aussprache des Suffixes nur einsilbig: ya; in den Veden und der Volkssprache, in welcher die ältesten Theile derselben gedichtet sind, war die Aussprache zweisilbig und einsilbig; diese verschiedne Aussprache ist nicht nach den verschiedenen Bedeutungen des Suffixes verschieden, sondern erscheint in denselben Categorien, z. B. nur zweisilbig in nävia (oder näviya, ge- schrieben nävya), dagegen nur einsilbig in efrshanya, wie denn überhaupt nicht zu bezweifeln ist, dass dieses Suffix trotz seiner Vertheilung, unter verschiedene Categorien und seiner Spaltung in verschiedne Bedeutungen, ursprünglich ein und dasselbe ist. Ist diess aber der Fall, so ist eben so wenig zu bezweifeln, dass es ursprünglich nicht zweierlei Aussprachen hatte, sondern nur eine, Nimmt man nun an, dass die ursprüngliche Aussprache einsilbig, ya, gewesen sei, so würde sich die Entwicklung so gestaltet haben, dass die- ser die zweisilbige (neben theilweiser Bewahrung der einsilbigen) gefolgt wäre und diese dann im Sanskrit wieder der ursprünglichen, einsilbigen, Platz gemacht hätte. Obgleich eine solche rückläufige Bewegung in der Sprachentwickelung nicht absolut geläugnet werden kann, so giebt es doch so wenige Beispiele dafür — sichre so gut wie gar nicht — und sie hat so wenig Wahrscheinlichkeit für sich, dass man schon dadurch zu der Vermuthung gedrängt wird, dass umgekehrt anzunehmen sei, dass die ursprüngliche Aussprache zweisilbig gewesen sei, dass diese in der Vedenzeit begonnen habe einsilbig zu werden und diese Richtung im Sanskrit ihren durchgreifenden Abschluss gefunden habe. IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 121 2. Nimmt man, trotz dem unter 1 bemerkten, ya als Urform an und ia als eine daraus hervorgetretene Entwicklung, so wird man zur Erklärung derselben eine in immer weiteren Kreise sich geltend ma- chende Diärese zu Hülfe nehmen müssen, Allein selbst in der Poësie . ist Diärese im Allgemeinen eine sehr seltne Licenz und in den seltenen Fällen, in welchen sie eintritt, erscheint sie vorzugsweise in Wörtern, in welchen einst die zweisilbige Aussprache existirte und gewöhnlich durch verwandte Formen, in denen sie sich erhalten hat, oder noch durch- schimmert, für das Sprachbewusstsein, -wenn auch etwas verdunkelt, ge- wissermassen fortlebt, so z. B. im latein. soluo für so!vo, wo die ein- stige Aussprache in luere fortlebt und in solutus u. a. durchschimmert 15). Sie würde also, wenn für dieses Suffix angenommen, auf eine ältere Zeit zurückdeuten, wo der einsilbigen Aussprache, welche durch sie in eine zweisilbige verwandelt wäre, eine zweisilbige als ursprünglichere vorher- gegangen wäre. Ueberhaupt aber möchte sich eine Diärese, die ohne Vermittelung, oder ohne eine naheliegende Analogie ganz von selbst ein- getreten wäre, zumal in einem derartigen Umfang, wie sie dann bei die- sem Suffix anzunehmen sein würde, schwerlich mit Sicherheit in irgend einer Spraehe nachweisen lassen; am wenigsten aber möchte sie speciell für das Altindische geltend gemacht werden dürfen, wo die Scheu vor dem Hiatus, welche im Sanskrit zu der vollkommensten Herrschaft ge- langte und schon früh ursprüngliche Hiatus zu vernichten begann (vgl. S. 133 mit 118 und 122), demgemäss schwerlich verstattet haben würde, im Gegensatz zu dieser, das Altindische charakterisirenden, Richtung, geschlossne Silben so überaus häufig in klaffende zu verwandeln. 3. Wenn die unter 1. und 2. angeführten Erwägungen gegen die Ursprünglichkeit der einsilbigen Aussprache wenigstens einigermassen streiten, so treten uns ferner andre entgegen, welche mit hoher Wahr- scheinlichkeit, ja zum Theil wohl mit Gewissheit, für die der zweisilbigen entscheiden mögen. Stellen wir diese an die Spitze, so entwickelt sich die Einsilbigkeit 15) Vgl. Corssen, Aussprache u. s. w. der latein. Spr. DS, .752. Histor.-philol. Classe. XVI. 122 TH. BENFEY, daraus, ganz in Uebereinstimmung mit der im Altindischen sich erhe- benden und nach und nach immer weiter verbreitenden Scheu vor dem Hiatus, vermittelst der in so vielen Sprachen sich geltend machenden Synizese. In der V olkssprache, aus welcher die vedische hervortrat, ha- ben wir dann das Stadium des Uebergangs aus der zweisilbigen in die einsilbige zu erkennen. Dieses giebt sich darin kund, dass in vielen auf dieses Suffix auslautenden Wörtern die alte 7weisilbigkeit sich er- halten hat, in andern dagegen schon die einsilbige Aussprache herrschend geworden ist. Der Zustand war also in dieser Volkssprache wesentlich demjenigen gleich, welcher im-Päli und in anderen indischen V olksspra- chen der älteren Zeit bewahrt zu sein scheint. Ueber die wechselnde Aussprache werden wir, wie schon bemerkt, am Schluss eine Erklärung Zu geben versuchen. 4. Diese Annahme erhält aber eine entschiedene Stütze durch ana- loge Erscheinungen, d. h. Fälle in denen ursprüngliche Zweisilbigkeit, oder Zweisilbigkeit in der Grundsprache, entschieden nachgewiesen wer- den kann, während zwar das gewöhnliche Sanskrit, wie auch hier, ver- mittelst Uebergang des Vokals in die entsprechende Liquida (Synizese) statt deren Einsilbigkeit zeigt, die Veden dagegen, durch Bewahrung der Zweisilbigkeit neben Eintritt der Einsilbigkeit, das Stadium des Ueber- gangs kund geben. Wir müssen uns hier darauf beschränken, aus der keinesweges ge- ringfügigen Anzahl derartiger Fälle einen einzigen hervorzuheben. Die von Bopp angebahnte und von seinen Nachfolgern weiter ent- wickelte Erklärung der Entstehung der Wörter (d. h. grammatisch ge- formten Lautcomplexe, welche einen allgemeinen Begriff zugleich mit bestimmten Modificationen ausdrücken) in der uns erreichbaren ältesten Phase der indogermanischen Sprachen hat zu dem Resultate geführt, dass sie auf ursprünglicher Aufeinander-Folge von Wörtern beruht, die sich schliesslich zu einer einheitlichen Zusammensetzung. verbanden. Ist dieses Resultat richtig — woran wir, trotz der Angriffe, die es erfährt und trotz dem, dass es noch nicht in allen einzelnen Fällen sich zu bewähren vermochte — wegen der Masse der sprachlichen Erschei- IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 123 nungen, die schon dadurch erklärt sind — mit Entschiedenheit festhal- ten zu dürfen glauben — so ist nicht zu bezweifeln, dass die Bildungsglie- der nur dann einen verständlichen Sinn zu gewähren vermochten, wenn sie in den ersten Zeiten, in welchen sie zur Anwendung kamen, voll- ständig ausgesprochen wurden. Erst nach und nach, als sie dem Sprach- bewusstsein in ihren durch die Zusammensetzung erwachsenen Bedeutungen vertraut geworden waren, konnten sie fähig werden, lautliche Umwand- lungen ohne Beeinträchtigung ihrer Bedeutung zu erleiden. Wenn von. einer phonetischen Umwandlung aber überhaupt damals keine Rede sein konnte, dann konnte am wenigsten eine Scheu vor dem Hiatus existi- ren, wie sie im gewöhnlichen Sanskrit herrscht und eines der Haupt- momente ward, durch weiches die ursprüngliche Gestalt der Wörter sich in ihm umgewandelt hat. Å : Wie z. B. nun auch die Declinationsendungen entstanden sein mö- gen, es ist keinem Zweifel zu unterwerfen, dass vokalisch anlautende Endungen einst an vokalisch.auslautende Themen traten, ohne dass da- durch die geringste lautliche Veränderung hervorgerufen ward, grade wie diess z. B. noch in dem epischen Genitiv sing. ndA-og im Griechi- schen, im Altlateinischen in senatu-os der Fall ist. Demgemäss würden z. B. die Nominalthemen auf i, í, u, ú in der indogermanischen Grundsprache ebenfalls die vokalisch anlautenden Ca- susendungen ohne Umwandlung ihrer Auslaute angeknüpft, diese nicht etwa in y, iy, v, uv verwandelt haben, wie diess im Sanskrit der Fall ist. Den Genitiv-Locativ des Dual von sskr. camú, wenn dieses schon in der Grundsprache existirt hätte, würde nicht ein sskr. camvos {aus camü-os) reflectirt haben, sondern ein camdos; derselbe Casus von sskr. bähu, grundsprachlich bhäghu, würde nicht, nach Analogie des sskr. bähvos, bäghvos gelautet haben, sondern bhäghuos; derselbe Casus von hanu, grundsprachlich ghanu, griechisch y&vv, nicht sskr. hanvos analog, ghanvos, gerade wie der griechische Genit. Sing. ohne jegliche Umwandlung, y&vvog lautet. Ebenso würde von nadi der Nominativ Plur. nicht das sskr. nadyas wiedergespiegelt, sondern nadias gelautet haben, der Instrumental Sing. von úti nicht ein sanskritisch útyá, sondern útiá, Së sondern ghanuos, 124 TH. BENFEY, Ich habe aber schon in der Einleitung zum Såmaveda LIV bemerkt, dass das y und v, welches in derartigen Themen in unsern Vedentexten erscheint, wenn diese auf í ú auslauten, fast regelmässig, wenn auf 1, ü seltner (aber doch wie ich hier hinzufügen will, ziemlich häufig) voka- lisch zu sprechen ist. So erhalten wir in diesen Formen wesentlich die- selbe Gestalt, die diese Wörter in der Grundsprache gehabt haben, oder, wenn sie darin existirten, gehabt haben würden. Der einzige Unter- schied ist, dass 1, Ú fast durchweg verkürzt ist, zur Zeit der Diaskeua- sten wohl sicher ùy, uv gesprochen ward. So lautet der oben ER Casus von camü' Rigv. I. 28, 9 camúos oder camúvos. úc chishtám camüor bhara (geschrieben camvös) — — -yr—v—, der von báhú I. 51, 7 bähuös oder báhuvós (geschrieben bähvös) in táva väjrag cikite bähuör hitáh vu— —/óv— —h—v—, der von hanu I. 52, 6 hánuos (geschrieben kanvos) nijaghäntha hänuor Indra tanyatim pdf oe, Von nad? lautet der Nomin. Plur. I. 158, 5 nadiah oder nadiyah (geschrieben nadyah). _ ná må garan nadio mätritamäh v—v— úv — T e Ueber die Länge an: a von ta in mätritama vgl. Kuhn in ‘Beitr. Zz. vgl, Spchfsch.’ IH. 467, Der Instrumental Sing. von úti lautet I. 135, 5 útiá oder útiyã (geschrieben ûtyå’) ` & no gantam "het — — — desch emt Ich könnte diese Beispiele aufs stärkste vermehren; aber auch so schon wird sich Jeder überzeugen, dass die Veden in dieser Aussprache wesentlich die älteste repräseitiren. Denn die Verkürzung des langen Vokals beruht sicherlich darauf, dass einst, der grundsprachlichen Form noch näher tretend, der Vokal unmittelbar vor einem andern ohne Zwi- schentritt der Liquida lautete und dann in Folge einer in sehr vielen Sprachen auftretenden und im Sanskrit auch noch sonst erkennbaren, fast allgemein menschlichen, auf der pliysiolögischen Bildung der Vokale beruhenden, Neigung verkürzt ward. Wir sehen also, dass in den hieher gehörigen , höchst zahlreichen, IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF.IA ODER YA ANZUS.? 125 Fällen die in den Veden herrschende zweisilbige Aussprache nicht durch Diärese einer älteren entstanden ist, sondern die ursprüngliche fast ganz treu bewahrt hat. Auch hier sehen wir das Päli den Veden zur Seite treten, indem es z.B. von ratti — sskr. rätri im Instr. Sing. rattiyá bil- det, gerade wie der Instrumental von úti in den Veden zu der Zeit der Diaskeuasten dtiyd’ gesprochen ward. Die sanskritischen Formen, in denen die Vokale in ihre Liquidae übergegangen sind, erklären sich hier unzweifelhaft durch die in Folge der Scheu vor Hiatus eingetretene Synizese., Was aber in diesen Fällen unzweifelhaft ist, nämlich ursprüngliche und zum grossen Theil noch vedische Zweisilbigkeit (uos, ias, id) und später eingetretene Einsilbigkeit (vos, yas, vd u. s. wi, das dürfen wir, gestützt auf diese Analogien, nun mit noch grösserer Sicherheit auch für das besprochene Suffix annehmen. _ 5. Ziemlich bestimmt für die Priorität der Zweisilbigkeit dieses Suffixes im Altindischen (also ta) spricht aber folgende Erwägung: Es ist bekannt, dass der Accent, welchen die Inder den svarita nennen, kein selbständiger ist, sondern durch den eigentlichen Wortac- cent, den sogenannten udätta, auf der Sylbe hervorgerufen wird, welche der mit diesem (dem udätta) versehenen unmittelbar nachfolgt, z. B. in dem Worte Indra hat die erste Sylbe den udätta und in Folge davon die zweite den svarita. Es kann also eigentlich kein einzelnes Wort den svarita allein haben; dennoch ‚giebt es im Sanskrit nicht wenige, in denen diess der Fall ist. Betrachtet man diese aber genauer, so haben sie ihn nur in Folge davon, dass der Vokal, welcher den udätta trug, “durch Contraction oder Liquidirung mit demjenigen sich vereinigt hat, welcher, weil er jenem ‚unmittelbar nachfolgte, schon vor der Vereini- gung mit dem svarita (gesprochen ward. ‚In diesen Fällen wird nämlich bald der udätta, bald det svarita ‚eingebüsst, so.dass in jenem Fall das Wort nur den svarita in «diesem nur den udätta behält. So z. B. sahen wir ‘(unter 4. S. 123) .camvos in dem uns überlieferten Text, der sanskri- tischen Regel gemäss, mit dem Svarita bezeichnet, augenscheinlich weil es aus dem, mit dem «wdätta auf der letzten Sylke -accentuirten, Thema 126 TH. BENFEY, camú' entstanden ist durch Hinzutritt der Endung os, welche in Folge des vorhergehenden udätta mit Svarita gesprochen wurde, also wenn wir den letzteren durch — bezeichnen, aus camú'òs; durch Liquidirung des ú zu v wurde dann der mit dem udätta versehene Vokal eingebüsst und es blieb nur der mit svarita versehene Vokal, also camvos.. In báhvós dagegen, obgleich es ebenfalls aus báhú-òs entstanden ist, wurde bei der Liquidirung, nach einer besonderen Regel, nicht der udätta eingebüsst, sondern vielmehr der svarita. In nadí-às dagegen wurde, bei. Liquidi- rung des í zu y, wiederum der udätta eingebüsst, so dass dann in nadyas nur der svarita übrig blieb. - Aus diesen 'Thatsachen können wir zwei Schlüsse ziehen: a) in al- len Fällen, wo ein sanskritisches Wort mit svarita accentuirt ist, ohne dass eine udättirte Sylbe vorhergeht, ging diese einst vorher, ist aber da- durch eingebüsst, dass der Träger derselben (wie das ö in camú vor òs, das Ú in nadi vor às durch Liquidirung) unfähig ward den Accent zu behaupten. Dieser Schluss erhält seine volle Bestätigung dadurch, dass in den allermeisten der hieher gehörigen Fälle die zweisilbige Aussprache, also auch der udätta, bewahrt ist. Nun aber sind eine Menge der auf das behandelte Suffix auslautenden Wörter in dem uns überlieferten Text nur mit dem svarita accentuirt; es folgt also zunächst daraus, dass in diesen in der svaritirten Silbe die einstige udättirte steckt und durch Rückführung der Liquida y auf den Vokal, aus dem sie entstan- den ist, ö zurückzugewinnen ist, also z. B. manushya in manushia zu verwandeln ist. Nun haben wir aber schon bemerkt, dass dies Suffix ya trotzdem, dass es in dem Sprachzustand, wie er uns vorliegt, ver- schiedene Bedeutungsmodificationen umfasst, doch ursprünglich ein und dasselbe ist. Darin macht auch die verschiedene Accentuation keinen Unterschied, wie das sich schon in der Sammlung zeigte, wo mehrere gleichbedeutende Wörter mit verschiedenen Accentuationen aufgeführt sind (z. B. ärya, arya; namasyäa, namasyä; rathya und räthya, mitıya = mitria, mitriya, so wie mitrya = mitria u.a... Was daher für die Wör- ter gilt, welche auf svaritirtes nominales ya auslautend geschrieben wer- den, nämlich dass ya aus älterem ia hervorgegangen ist, das gilt auch IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS? 197 für alle übrige auf dieses Suffix auslautende. b) Aus derselben That- sache folgt, dass wenn auch zur Zeit der Diaskeuasten zwei Silben die- ser Art mit Verkürzung und zwischentretender Liquida gesprochen sein mochten (also camúvos, nadiyas), doch in älterer Zeit, nur die, ganz oder wesentlich mit der grundsprachlichen übereinstimmende, Aussprache ohne diese Einschiebung. (also camú'os oder camios, nadí'as oder nadias) exi- stirte. Denn nur aus der Aussprache, in welcher beide Vokale unmit- telbar auf einander folgten, erklärt sich die im Sanskrit durchgedrungene Liquidirung des vorangehenden. Hätte sich bei zweisilbiger Aussprache die Einschiebung der Liquida geltend gemacht gehabt, so würde diese sich sicherlich auch im späteren Sanskrit gehalten haben, einmal, weil — da nun kein Hiatus mehr vorlag — jeder Grund zur Synizese vermit- telst Liquidirung wegfiel, und zweitens weil die Auflösung von z, í zu ‘ty, ú zu uv vor Vokalen im Sanskrit durch eine Menge Analogien geschützt worden wäre. Diess ist auch der Grund, weswegen ich bei Zurückführung der einsilbig geschriebenen Formen auf die ursprüngliche Zweisilbigkeit, die Vokale ohne Einschiebung der Liquidae unmittelbar auf einander folgen lasse, ja, wenn ich den Rigveda in der Gestalt her- ausgeben würde, in welcher er gesprochen werden muss, selbst For- men, welche uns mit iya statt des ursprünglichen ia überliefert sind, ohne diese Liquida drucken lassen würde, also z. B. IV, 55, 5, wo der überlieferte Text mitriya als Thema hat, ebenso gut mitria ohne einge- schobene Liquida, wie V, 85, 7, wo er mitryà hat (vgl. auch oben S. 107 mitria, wo der überlieferte Text mitrya liest). Die Aussprache mit zwi- schengeschobener Liquida scheint auf dem Einfluss einer Mundart zu beruhen, welche, wie das Päli u. a. den Hiatus durch Entwickelung der verwandten Liquida aus dem vorhergehenden Vokal zu entfernen be- strebt war. 6. Aus der ersten Folgerung in der vorigen Nummer tritt die Prio- rität von ia schon mit ziemlicher, wohl eher, grosser Bestimmtheit her- vor. Noch bestimmter aber ergiebt sie sich aus folgender, wohl entschei- dender, Erwägung. Im Sanskrit werden vor dem besprochenen. Suffix basenauslautende o (ursprünglich, oder durch. Verstärkung entstanden) zu 128 TH. BENFEY, av, au (ebenfalls in beiden erwähnten Fällen) zu áv, z. B. go mit diesem Affix wird nicht goya, sondern gavya, von bhú mit der Verstärkung, wel- che Guna genannt wird, wird nicht bhoya, sondern bhávya, von nau nicht nauya, sondern návyà , von bhú mit Vriddhi nicht bhauya, sondern bhävyd gebildet. Dass nicht y diesen Eintritt von av statt o, dv statt au bedingt, zei- gen uns Fälle wie töya, a-yoyavit (vom Vb. yu), wo o, und yauyudhäni, wo au vor y erscheint. Sie erklären sich aber — und zwar einzig — dadurch, dass dieses Affix früher ia lautete, vor welchem o, für ursprüng- liches au, regelrecht zu av, au, für ursprüngliches áu, zu áv werden musste und diese Aussprache gävia, bhávia, nävia, bhävid hat sich, wie wir oben in der Sammlung (S. 101. 104. 105) sahen, auch in den Veden erhalten. 7. Wenn man nach den Ausführungen in den vorhergegangenen sechs Nummern nicht mehr bezweifeln darf, dass im Altindischen die älteste Aussprache dieses Suffixes nicht, wie man bisher annahm, ya sondern ia war, so wollen wir nun ins ‚Gedächtniss zurückrufen, dass das Altindische also in dieser Beziehung mit den beiden zunächst fixir- ‚ten, gewissermassen nächst ältesten, Phasen des indogermanischen Sprach- stammes, dem Griechischen und Lateinischen, in innigste Harmonie tritt und zwar, ‘wie wir zugleich hier hinzufügen wollen, nicht bloss im All- gemeinen sondern auch im mehreren einzelnen Fällen; so z. B. entspricht áçvya, in der vedischen Aussprache dgvia, vollständig dem griech. Zug, Jänya in derselben, nämlich jania, genau dem latein. genio, in-genio, divyd, gesprochen divid, dem griech. dio für ð: zo, so wie dem lateinischen dro ebenfalls mit Einbusse des v, in der Bedeutung ‘göttlich, himmlisch’, und divo mit Einbusse des j nach vorhergegangener Synizese zu diyjo (vgl. ovo für ovio, oYjo—=wio, wó, und z.B. consiljum u. a.16); dio und divo ne- beneinander, wie amarunt und amaverunt 17); ferner entspricht dúrya, gespro- chen diria, für ursprünglicheres dhvaria, den Bildungselementen nach, dem griech. Júgo, návyà, gesprochen nävia, dem griech. »rjio, pitrya, gesprochen 16) Corssen, Ausspr. u.s. w. der lat. Spr. II?, 754. '17) Anders: Corssen ebds. I?, 381. 382 IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NÓM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 129 pitria, für ursprünglicheres pátria, dem griech. ndıgıo, latein. patrio, má- dhya gesprochen mádhia dem latein. medio, d-martya gesprochen amartia dem griech. &ußgöoro, räjyd ursprünglich r4jid, als Adjectiv im TBr. 1, 4, 2, 4, dem latein. regio, cravasya, gesprochen £ravasia, dem griech. sief und xisıe in eüxisıe, so wie dem lat. gloria für crovosia 18), santya, ge- sprochen santia, vielleicht dem griech. Zoo, sú'rya, gesprochen sú ria, für ursprünglicheres savaria, dem griech. ño. | 8. Vereinigen sich demnach die drei am frühesten fixirten indo- germanischen Sprachstämme, das Altindische, Griechische und Latein in der Aussprache dieses Suffixes, welche ia als grundsprachliche wieder- spiegelt, so vermindert sich dadurch schon an und für sich das Gewicht der viel später fixirten, welche man für die grundsprachliche Aussprache ya geltend machen könnte. Es verliert aber fast alle Bedeutung, wenn wir uns daran erinnern, . dass und wie sich die Aussprache ya im spätern Sanskrit für die ältere ta durchgängig festsetzte. Wie hier, durch die fast in allen Sprachen in grösserem oder ge- ringerem Umfang hervortretende Synizese liquidirbarer Vokale, vermit- telst Uebergangs des í? in die entsprechende Liquida y diese Umwand- lung herbeigeführt ward, so werden wir ohne Bedenken auch das in die- sen späteren Sprachstämmen erscheinende y als Umwandlung eines ur- sSprünglichen ‘ erkennen dürfen. Wir werden uns also für die Annahme entscheiden, dass das be- sprochene Suffix in der Grundsprache ia lautete, und zwar mit um so grösserer Entschiedenheit, als wir, im Fall wir dennoch ya als Grund- form aufstellen wollten, zu einer Hypothese unsre Zuflucht nehmen müssten, die das Gepräge der absolutesten Unwahrscheinlichkeit an sic Wir hätten nämlich anzunehmen, dass das Altindische, Griechische und Lateinische, Sprachen, die in.ihren Lautgesetzen sonst so weit aus- einandergehen, hier in höchst sonderbarer Weise darin zusammengetrof- 18) Ebds. US 685; Ebel in KZ. IV, 398 und mein GWL. IL, 179. Histor.-philol. Classe. XVI. R 130 TH. BENFEY, fen wären, die einsilbige Grundform ya durch einen in den sprachlichen Lautentwicklungen so seltenen und in solchem Umfang nie nachweisba- ren Vorgang, nämlich die Diärese, übereinstimmend in eine zweisilbige zu verwandeln. Man wird vielleicht glauben dagegen einwenden zu können, dass wir ja in den Sprachen, welche ya zeigen, eine Einstimmigkeit in Ver- wandlung der ursprünglichen Zweisilbigkeit zur Einsilbigkeit vermittelst Synizese annehmen. Allein zwischen beiden Annahmen liegt der grosse Unterschied, dass Synizese eine fast allgemein menschliche, auf jeden Fall sehr natürliche phonetische Entwickelung ist, während die Diärese eine sehr seltene fast unnatürliche ist, welche sogar, wie oben (S. 121) be- merkt, die Zweisilbigkeit, welche sie herbeiführt, gewöhnlich nur dann herbeizuführen im Stande ist, wenn diese in dem Fall, wo sie sie her- beigeführt wird, in einem früheren Sprachzustande schon existirt hatte. 9. Freilich würden alle diese Erwägungen und Schlüsse dennoch zusammenstürzen, wenn sich zwei Annahmen, denen man oft begegnet, erweisen lassen, nämlich erstens, dass das von uns behandelte Suffix aus dem Pronomen relativum entstanden sei und zweitens, dass das Thema dieses Pronomens schon ursprünglich, wie im classischen Sanskrit, ya ge- ` lautet habe. Allein, wenn gleich die erstere vieles für sich hat, so ist doch die zweite noch sehr zweifelhaft19) und wird noch zweifelhafter dadurch, dass das Pronomen relativum zu den Wörtern gehört, welche in den Veden bisweilen mit í statt y zu sprechen sind, so z. B.: Rv. I. 61, 6 vriträsya cid vidäd iena märma rënnen 5 d Wir sind am Schluss unsrer eigentlichen Aufgabe und verstatten uns nur noch die Bemerkung hinzuzufügen, dass, wie sich hier als Ur- form unsres Suffixes die mit i (ia) statt y (ya) ergab, so auch für mehrere andre Bildungselemente, denen Schleicher u. a. in der grundsprachlichen 19) Vgl. Windisch, ‘Untersuchungen über das Relativpronomen in den Indogerm. Spr’, in ‘Studien zur Griech. u. Lat. Gramm.’ herausgeg. von G. Curtius, II, 246 und 392, IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 131 Form ein y zuweisen, bei näherer Untersuchung das í, nicht Y, sich als ursprünglich ergeben wird. Der Art sind z. B. das Element, durch wel- ches das Passiv und die Präsensthemen der sogenannten 4ten Conjuga- tionsclasse gebildet werden (z. B. sskr. mriya für ursprüngliches mar-ia = lat. mor-io-r, sskr. kup-ya = latein. cup-io), ferner dasjenige, durch welches der Potential oder Optativ (z. B. sskr. syá't, in den Veden vorwaltend adr ` zu sprechen, altlat. siet?0), griech. ein für de pg, endlich das durch welches der Comparativ gebildet wird, welches ursprünglich fant (sskr. Zyams, griech. zov, latein. oe) lautete. Die Mittel, wodurch diese Behauptung erwiesen oder wenigstens sehr wahrscheinlich gemacht zu werden vermag, sind theils den hier benutzten analog, theils neu hinzutretende. 8.8, Nachträglich können wir es jetzt wagen, die Hypothese vorzule- gen, durch welche wir den Wechsel in der zweisilbigen und einsilbigen Aussprache dieses Suffixes erklären zu können glauben, einen Wechsel, der uns viel zu häufig in den Veden begegnet, als dass er sich, wie schon bemerkt, bloss auf poetische Licenzen, speciell Synizese und Diärese, zu- rückführen lassen dürfte. Ich bin nämlich der Ansicht, dass die Sprache der vedischen Hym- _ nen im Wesentlichen eine Kunstsprache ist, d. h. dass sie zwar ursprüng- lich auf einer ganz eigentlichen, vielleicht sogar sehr eng begränzten Volkssprache beruht, aber durch eine Jahrhunderte lang fortgesetzte und über ein immer mehr erweitertes Gebiet verbreitete Uebung derjenigen Gattung der Poësie, welche in jener Volkssprache die ersten Anfänge der vedischen Hymnen geschaffen hatte, sich theilweis von ihr loslöste und zu einer Sprache umgestaltete, die zuletzt keiner der in Indien le- benden Idiome mehr genau entsprach, sondern durch Bewahrung ältester Gestaltungen, Aufnahme neuer Entwickelungen, Einfluss von verschiede- nen Dialekten und Zeiten und andere Momente eine selbstständige Ge- stalt erhielt, in der sie nur, oder vorzugsweise, zu Erzeugnissen diente, 20) Corssen, Ausspr. u. s. w. d. lat. Spr. DS. 351. R2 132 TH. BENFEY, welche den Geist athmen sollten, der vom Anfang dieser Poösie an in allen sich daran schliessenden nachfolgenden Dichtungen mehr oder we- niger gleichmässig waltete. Es ist nicht möglich an dieser Stelle die Gründe, welche mich zu dieser Ansicht bestimmen, genauer zu entwickeln. Aber so wie sich ge- wiss Niemand, welcher den Rigveda mehrfach aufmerksam durchgelesen hat, im Allgemeinen der Erkenntniss verschliessen konnte, dass uns in ihm Lieder bewahrt sind, von denen viele in, sehr hohe Zeit hinaufrei- chen, nicht wenige aber auch einer verhältnissmässig sehr jungen Zeit entsprungen sind, so wird er sich auch bei genauerer. Betrachtung der Sprache derselben überzeugen, dass in flexivischer und syntaktischer Be- ziehung, vor allem aber in phonetischer, älteste und jüngste Entwicke- lungen in ihnen neben einander laufen, oft in demselben Liede dicht zusammen und in einer Abwechselung, die einem die volle > Ueberzeugung geben muss, dass so etwas in einer lebendigen Volkssprache rein unmög- lich sei, ja in einer Weise, die gar nicht selten den Stempel wahrer Willkürlichkeit an sich trägt, Wenn man'erwägt, dass diese Lieder über- aus lange nur durch mündliche Ueberlieferung bewahrt wurden, so wer- den sich zwar viele Discrepanzen der Art durch Umwandlungen der äl- teren Gestalt unter Einfluss neuerer Entwickelungen erklären lassen; aber die Masse derselben ist zu gross, als dass diese Erklärung für sie in allen einzelnen Fällen und im Allgemeinen genügen könnte. Man wird vielmehr zu dem Geständniss getrieben, dass viele dieser Lieder zu einer Zeit gedichtet wurden, wo diese die verschiedensten Entwickelungs- stufen widerspiegelnden Discrepanzen sich in einer Weise vereinigt. hat- ten, wie sie nur in einer Kunstsprache möglich işt, die sich von einer naturwüchsigen Volkssprache, wenigstens für ihre Kunstzwecke fast ganz frei gemacht hat. Bezüglich des Suffixes, welches wir hier besprochen haben, sahen wir, dass es in der Grundsprache zweisilbig ta lautete und dass diese Aussprache nach Individualisirung des Altindischen zuerst auch in die- sem geherrscht haben. muss ($. 6 nr. 5 und D. Zur Zeit der Anfänge der Vedendichtung dagegen hatte sich, in der Sprache des Volkes, für IST IN D. INDOGERM. GRUNDSPR. EIN NOM. SUFF. IA ODER YA ANZUS.? 1338 welches die Hymnen gedichtet wurden, einem Triebe folgend, der sich im Altindischen in immer grðsserem Umfang geltend machte, aus Scheu ` vor dem Hiatus, in manchen Wörtern vermittelst der Synizese schon die einsilbige Aussprache geltend gemacht. Im Lauf der Zeit ergriff diese, immer mehr zunehmend, unzweifelhaft auch viele von denen, die in den ältesten Hymnen noch zweisilbig gesprochen wurden. Während die äl- teren Dichter nun einerseits sich dem Einfluss der Volkssprache, die sie umgab, nicht ganz zu entziehen vermochten und demgemäss dieses Suf- fix auch in solchen Wörtern einsilbig sprachen und gebrauchten, in denen esin den noch älteren Gedichten zweisilbig gesprochen ward, war andrer- seits die ältere einsilbige Aussprache zugleich für sie massgebend, so dass sie derartige Wörter, im Gegensatz zu der Volkssprache ihrer Zeit in diesen den alten Mustern nachstrebenden Poösien auch zweisilbig ge- brauchten. Diese doppelte Aussprache eines und desselben Wortes musste demnach schon zu den Zeiten, wo die vedische Sprache noch von einer entsprechenden Volkssprache getragen wurde, immer mehr zuneh- men; doch mochte man es da noch nicht wagen, das Suffix zweisilbig ` in solchen Wörtern zu sprechen, in denen es schon in den älteren mass- gebenden Hymnen einsilbig gesprochen wurde. Als aber das Band der Vedensprache mit den Volkssprachen ganz gelöst war, als Männer diese Kunstgattung übten, in deren Umgebung weitabliegende Volkssprachen herrschten, während für sie das in den Vedenschulen sich entwickelnde geregelte Sanskrit Cultursprache war, da musste der, schon auf natürlichem Wege weit verbreitete, Wechsel in der Aussprache des Suffixes wie ein der Vedensprache eignes Gesetz er- scheinen und konnte nicht umhin zu bewirken, dass er endlich ganz willkürlich angewendet, d. h. das Suffix bald einsilbig, bald zweisilbig gesprochen ward, und zwar sowohl in den Wörtern, in denen es im Be- ginn der Vedendichtung nur zweisilbig lautete, als auch in denen, in welchen es damals schon einsilbig gesprochen ward. Nachtrag. Durch Versehen des Setzers und Correctors ist S. 103 hinter Z. 6 ausgelassen: a-dvishenyd zu lesen advishenid I. 187, 3 mayöbhür advisheniäh v— — —/v—v— Ueber die Entstehung und die Formen des indoger- manischen Optativ (Potential), so wie über das Futu- rum auf sanskritisch syámi u. s. w. von Th. Benfey. Vorgelegt in der Kön. Ges. d. Wiss. am 1. Juli 1871. k 1 K lässt sich nicht verkennen, dass unter den, von der Bopp’schen Schule gegebenen, Erklärungen der grammatischen Formen des indoger- manischen Sprachstamms sich manche befinden, welche mehr oder weni- ger bedenklich erscheinen, oder, selbst, wo sie das Wahre getroffen ha- ben mögen, mit so unzureichenden Stützen vorgelegt sind, dass sie an- deren, nicht selten noch viel weniger gestützten Platz machen mussten. Dadurch beginnt sich eine solche Unsicherheit über nicht wenige der bisher aufgestellten Erklärungen zu verbreiten, dass einige ideen- und geistreiche Männer, wie W. Scherer, zwar nicht das Princip, auf welchem jene Erklärungen beruhen — Zusammensetzung, hervorgegangen aus ur- sprünglicher Aufeinanderfolge, dann Zusammenrückung von Wörtern — in Frage stellen, wohl aber an allem einzelnen zu rütteln anfangen, was bisher als sichrer Gewinn der indogermanischen Sprachforschung betrach- tet wurde, andre dagegen, wie Westphal und Alfred Ludwig, ihre An- griffe gerade gegen das Princip selbst richten. 136 TH. BENFEY, Unter diesen Umständen scheint es dem Verfasser der folgenden Abhandlung nicht unangemessen eine und die andre dieser Erklärungen von Neuem in Erwägung zu ziehen, insbesondre um zu erkennen, ob sie ganz aufzugeben sei, oder, sei es nun ganz oder mit Modificationen, ge- halten und mit festeren Stützen versehen werden könne. Er hat zu diesem Zweck zunächst den Optativ, in den europäischen Sanskrit-Grammatiken gewöhnlich Potential, genannten Modus gewählt, und zwar nicht am wenigsten desshalb, weil gerade in Bezug auf diesen eine Erklärung an Stelle. der früheren vorgeschlagen ist, welche ernstli- chen Bedenken unterliegt, während jene, mit Einführung einiger, freilich sehr wesentlicher Modificationen, wenn auch nicht in allen einzelnen Punkten, doch im Ganzen, so fester Stützen fähig zu sein scheint, als billig auf diesem Gebiete der Sprachwissenschaft beansprucht werden dürfen. en Bopp theilt seine Ansicht über das Futurum auf syámi an folgen- den Stellen mit: ‚ Nachdnm. er $. 648 der ‘Vergleichenden Grammatik’!) bemerkt hat, dass. er in, sya. das aus; dem. selbständigen. Gebrauch im Sanskrit ent- schwundene. Futurum des Verbum as ‘sein’ erkenne, fährt er fort: ‘Es ist also, wie ich glaube, in dd-sydti ‘er wird geben’ bloss die Sylbe ya ` der Ausdruck der Zukunft, das s aber die Wurzel des Seins, mit Ver- lust ihres Vocals, der nicht befremden kann, da selbst im einfachen Zu- stand. das a der Wurzel as häufig verloren geht (s. $. 480)... Sehr nahe berührt sich der Schlussbestandtheil von da-syd'mi mit dem im. isolirten Gebrauch wirklich bestehenden Potentialis syám ‘ich. möge sein. Es werden alsdann die Futurendungen sydmi, syasi u. s. w. mit dem Poten- tial sydm, syás u. s. w. zusammengehalten und in $. 649 die Unterschiede zwischen ihnen hervorgehoben, nämlich im Potential (ausser 3.. Plur.) durehgreifend á und. die Personalendungen des Imperfects m, s, t u. s. W- 1) Erste Ausgabe S. 903; zweite Bd. I. S: 540. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 137 im Futur dagegen á, ausser in den ersten Personen, und die Personal- endungen des Präsens mi, si, tí u. s. w. In §. 6702) heisst es: “Was nun aber den Ursprung des Expo- ponenten der Zukunft ya anbelangt, woran sich zugleich der des poten- Halen und precativen yá anreiht, so beharre ich bei der schon in mei- nem Conjugationssystem 5) ausgesprochenen Ansicht, dass diese Sylben von der Wurzel í ‘wünschen’ abstammen. . .... Fügt man der ge- nannten Wurzel 1 den Bindevokal der ersten und sechsten Conjugations- classe (a) bei, so wird daraus ya, nach demselben phonetischen Grund- satze, wonach die Wurzel i ‘gehen’ in der 3ten Person Pluralis yánti bil- ` det? Die Analogie von yanti für i-anti ist von Bopp wohl darum geltend gemacht, weil ihm nicht entgehen konnte, dass den im Sanskrit allge- mein geltenden phonetischen Regeln gemäss í mit folgendem a der ersten Conjugationsclasse áya, mit dem der sechsten iya hätte bilden müssen. Das Verbum í und einige andre Fälle, in denen í, í vor Vokalen statt zu iy zu werden, sich bloss in y verwandeln, bilden zwar keine schla- gende Analogie zu der Annahme, dass Za, anstatt zu dya, iyá, zu ya werden konnte, allein sie zeigen doch, dass die Hauptregel im Sanskrit nicht durchgreifend herrschte. Ueberhaupt aber würde es, wie von Nie- mand bezweifelt werden wird, ungerechtfertigt sein, den Lautgesetzen des geregelten Sanskrit eine Geltung für die so uralte Zeit einzuräumen, 2) Erste Ausgabe S. 923; zweite II, 560. : 3) Es darf nicht unbemerkt bleiben, dass man diese Ansicht in der deutschen Bearbeitung des ‘Conjugationssystem’ 1816 vergebens suchen würde. Sie findet sich erst in der sehr vervollständigten englischen, welche in den Annals of Oriental Li- terature. London 1820 S. 1 ff. begonnen ward und zwar S. 23. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir eine Verwechslung beider Bearbeitun- gen zu bemerken, die ich mir in meiner Geschichte der Sprachwissenschaft S. 378 habe zu Schulden kommen lassen. Die Erklärung des lateinischen Passiv durch Ver- bindung, dann Zusammensetzung mit dem nachfolgenden Pronomen reflexivum ist nicht, wie ich dort angebe, in der deutschen Bearbeitung, sondern ebenfalls erst in der englischen und zwar S. 62 mitgetheilt. Ich hoffe, dass die Herren, welche in Folge dieser Verwechslung die Priorität für diese Erklärung reclamirt haben, sich durch diesen Nachweis beruhigt fühlen werden, ` - Histor.-philol. Classe. XVI. S 138 TH. BENFEY, in welcher sich — gewiss lange — vor der Sprachtrennung der Poten- tial und das Futurum, welches im Sanskrit auf syámi u. s. w. auslau- tet, gebildet haben. Weiter wird in demselben $. einiges gegen Wüllners Erklärung des Futurum aus dem Verbum í ‘gehen’ bemerkt und hervorgehoben, dass ‘Wünschen, Wollen’ ‘mehr dazu geeignet’ sei ‘das Futur und den Optativ’ auszudrücken, als ‘Gehen’. Für die Bezeichnung der Categorie des Futurum durch ‘Wollen’ werden schliesslich einige Analogien aus der unabhängig von einander entstandenen Praxis mehrerer Sprachen bei- gebracht. | In 8. 6724), mit welchem die Behandlung des Potential, Optativ, Conjunctiv beginnt, wird bemerkt, dass die sanskritische Conjugation, welche wir die zweite nennen, den Potential durch die Sylbe yá bildet, welche den Personalendungen vorgeschoben wird, z. B. von ad ‘essen ad-yä-m. In $. 673 heisst es dann: ‘Merkwürdig ist die Uebereinstimmung, die zwischen dem Griechischen, Sanskrit und Send darin besteht, dass die drei Sprachen im Medium den langen Vokal des Modusexponenten yá, m, spurlos haben untergehen lassen, daher dıdoito, dıdoiusde für dr- doiyzo,' ddoıjusde, wie im Sanskrit daditá, dadimahi für dadyäta, dadyá- mahi. Von dieser Einbusse wird angenommen, dass sie spät und unab- hängig von einander eingetreten sei. In $. 688 wird der Potential der ersten Conjugation besprochen — d. h. derjenigen, deren Präsensthemen in der Literatur ganz, in der Gram- matik fast, ausnahmslos auf grundsprachliches a und dessen regelrechte Reflexe auslauten. Hier heisst es: ‘Die sanskritische erste Haupt-Con- Jugation unterdrückt das á des Potential-Charakters ad sowohl im Activ wie im Medium und das y, vocalisirt zu i, wird mit dem vorhergehen- den a zu d zusammengezogen, daher z. B. bhárés für bhar-a-yäs. Auch hier wird die Uebereinstimmung mit dem Griechischen und weiterhin mit mehreren roch entlegeneren verwandten Sprachen bemerkt, z. B. 4) Erste Ausgabe S. 926; 2te Ausg. III, 8. 1. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 139 p£goıs in gleicher Weise aus geọ-o-iņs erklärt, ohne jedoch, wie beim Medium, die hier noch grössere und auffallendere ‘Merkwürdigkeit der Uebereinstimmung’ hervorzuheben, da sie, wie gesagt, auch noch von an- dern und entlegeneren indogermanischen Sprachen getheilt wird. Wir haben, um alles vereint zu sehen, was Bopp in der Verglei- chenden Grammatik über Entstehung und Bildung des Potential vorbringt, nur noch eine Vermuthung aus $. 7155) hervorzuheben. Hier heisst es: ‚Ich vermuthe, dass der sanskritische Potentialis und Precativ und die sich daran anschliessenden Modi der Schwestersprachen mit dem Bil- dungsprincip des Le? oder griechischen Conjunctivs in so weit zusam- menhängen, als das darin enthaltene Hülfsverbum, welches diese Modi mit dem Futurum theilen (s. $. 670), ein langes á vor den Personalen- dungen hat, das Futurum aber ein kurzes. Es würden demnach das sanskritische dad-yd’t und dë-yát, das sendische daid‘-yäd$) und dä-yäd, das griechische dsdo-m und do-Mm eigentlich ‘er wolle geben’ bedeuten und es. wäre also dieser Modus gleichsam nur eine höflichere Form des Let oder Conjunctivs, wie wir höflicher sagen ‘ich bitte mir dies gestat- ten zu wollen’ als kurzweg ‘dies zu gestatten. Dagegen bedeutet das Futurum dä-s-yati ‘er will geben’, oder wörtlicher ‘er will sein. gebend’ und das Wollen ist hier kein Höflichkeitsausdruck, sondern Symbol der H Nicht-Gegenwart . ... £. ð: Fassen wir die in diesen Stellen ausgesprochenen Annahmen kurz zusammen, so ist Bopp’s Ansicht, dass der Potential, Precativ und das durch sya ckarakterisirte Futurum vermittelst des Verbum í ‘wünschen’ gebildet seien. Dieses habe das a der-ersten und sechsten Conjugations- classe angefügt und sei dadurch zu ya geworden; durch Antritt dieses 5) Erste Ausgabe S. 980; zweite Ausg. III, S. 46. : 6) Beiläufig bemerke ich, dass in die Texte nur daidyat mit kurzem a, von dä = sskr. dhä, aufgenommen ist; daidyät finde ich als V. L. zu Afrîg. I. 4; dagegen mehreremal daithydt. s2 140 TH. BENFEY, ya an das Verbum as ‘sein’ sei das Futurum dieses Verbum gestaltet und vermittelst dieses Futurs die Futura mit sya überhaupt.. Bezüglich des Potential und Precativ vermuthet er, dass jenes ya nach dem Bildungs- princip des Conjunetivs zu yá geworden sei. Das so entstandene yá sei ' dann den Personalendungen vorgeschoben, z. B. dvish-yá-m, dvish-yä-s ‘ich möchte hassen’ u. s. w. Dieses yá sei im Medium zu í, im Activ der ersten Conjugation zu i zusammengezogen. 8. 4. Frägt man nun nach der Art wie Bopp seine Vermuthung begrün- det hat, so lässt sich nicht verkennen, dass sie an nicht wenigen Män- geln leidet, welche ganz und gar dazu angethan sind, sie in einem nicht geringen Maasse unsichrer zu machen, als sie schon dadurch ist, dass Bopp selbst sie nur als Ansicht oder Vermuthung vorträgt. Vornweg war zu der Zeit, als Bopp sie zuerst (1820) veröffentlichte, wie wir weiterhin sehen werden, kaum eine Berechtigung zu der An- nahme eines Verbum, oder gar einer Wurzel í mit der Bedeutung ‘wün- schen vorhanden. Später ist zwar ein Verbum í, welchem diese Bedeu- tung gegeben werden darf, in den Veden nachgewiesen und dieser Grund gegen die Bopp’sche Ansicht kömmt demnach jetzt in Wegfall; allein es bleibt ein Mangel der Darstellung, dass darauf selbst in der zweiten Ausgabe der Vergleichenden Grammatik nicht aufmerksam gemacht ist. Die Unsicherheit, welche der ersten Darstellung (1820) anhaftete, hat sich in Folge davon bis auf die dritte (1859) fortgepflanzt. Ferner handelte es sich nicht bloss darum, die sanskritischen Bil- dungen, welche hieher gehören, zu erklären, sondern auch die der ver- wandten Sprache, mit andern Worten die Grundform zu finden, auf wel- eher sie allsammt beruhen. Diess ist Bopp natürlich keinesweges ent- gangen und er hat sich in höchst anerkennenswerther Weise bemüht, auch die Erscheinungen der übrigen verwandten Sprachen mit seiner An- sicht in Einklang zu bringen. Allein, wenn er sich diese Aufgabe in ih- rer ganzen Bedeutung vergegenwärtigt und die Mittel, sie zu lösen, sorg- samer in Betracht gezogen hätte, würde er sich schwerlich so rasch zu ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DESINDOGERM. OPTATIV. 141 der Annahme einer nach den phonetischen Regeln des Sanskrits aus Za entstandenen Grundform ya entschlossen und aus ihr alles zu erklären versucht haben. Auffallend ist noch die rasche Entscheidung für die Entstehung des im Medium erscheinenden í aus yá, um so auffallender, da er die Ueber- einstimmung zwischen dem Griechischen, Sanskrit und Zend selbst als eine merkwürdige bezeichnet. Diese Merkwürdigkeit war eigentlich schon an und für sich ganz und gar geeignet, gegen die Annahme be- denklich zu machen, dass ein derartiger Uebergang in so weit von ein- ander entlegenen Sprachen unabhängig von einander entstanden sei. Diese Bedenklichkeit würde dann noch dadurch gesteigert sein, dass sich auch im Activ der ersten Conjugation und zwar in Uebereinstimmung mit noch mehr und noch entlegeneren indogermanischen Völkern nicht yá sondern i zeigt. Die Länge des i im Medium würde dann auch zu- nächst zu genauerer Erwägung der Frage geführt haben, ob nicht das in dem sanskritischen e in bAares, für bharais, liegende í so wie das grie- chische ö in 9800-15 ursprünglich ebenfalls lang (nicht wie er für das Activ annimmt, kurz) sei. Im Fall sich Bopp dafür entschieden hätte, diese Frage zu bejahen — und ich sehe kaum einen Grund den beiden i eine verschiedene Quantität zuzuerkennen, da im Sanskrit auch a zu e und griech. of zu or (vgl. z. B. xoírņ ‘Lager von kf) werden — dann würde ihm dieses í sowohl im Activ als Medium und in so vielen indogerma- nischen Sprachen von ganz verschiedenartigen Lautgesetzen entgegenge- treten sein, dass mir wenigstens zweifelhaft scheint, ob er die Annahme, dass es in allen diesen Fällen unabhängig von einander aus yá habe ent- stehen können, d. h. dass in allen diesen Fällen diese Uebereinstimmung. einem Zufall, durch welchen die sonst so verschiedenen phonetischen Neigungen dieser Völker gerade für die lautliche Umwandlung dieser For- men sich identifiecirt hätten, verdankt werde, aufrecht gehalten haben würde, Endlich kann ich auch nicht umhin die oben (S. 138) aus $. 672 hervorgehobne Bezeichnung der Bildung des Potential durch Einschie- bung von yd vor den Personalendungen als einen keinesweges 142 TH. BENFEY, unerheblichen Mangel der Darstellung zu kennzeichnen. Sie könnte leicht den Gedanken hervorrufen, dass diese Bildung vermittelst einer In- figirung vollzogen sei, wie sie in den erklärbaren Formen der indogerma- nischen Sprachen nirgends mit Sicherheit nachzuweisen ist. Auch in andren Fällen werden Ausdrücke gebraucht, welche geeignet sind, un- richtigen Anschauungen über das Princip, nach welchem, wenigstens die bis jetzt erklärbaren, Wörter des indogermanischen Sprachstammes in der uns bekannten ältesten Phase gebildet sind, den Weg zu bahnen; so noch z. B. wenn es $. 652 heisst: das Verbum substantivum (sskr. bAd, litauisch bu) verbindet im Sanskrit und Litauischen im Futurum ‘die beiden Wur- zeln des Seins (nämlich ausser jenem sanskr. as lit. es) ‘mit einander‘, daher im Lit. bw-si-wa u. s. w. gegenüber dem sanskr. bhav-i-shyd'-vas in der lsten Person des Duals Activi. Nach dem, von Bopp erkannten und von seinen Nachfolgern wei- ter verfolgten, Bildungsprincip sind in den bis jetzt erklärbaren Formen aller Wahrscheinlichkeit nach nie Wurzeln, sondern stets Wörter zusam- mengesetzt; von den suffixalen Elementen lässt sich diess mit voller Ent- schiedenheit behaupten und von den Elementen, an welche sie sich schlie- ssen, ist es höchst wahrscheinlich, dass sie dem Sprachbewusstsein ge- genüber entweder den Werth wirklicher Wörter hatten oder Repräsen- tanten von Wörtern waren; sanskr. bhav-i-shyd’vas ist demgemäss nicht aus zwei Wurzeln bhú und as verbunden, sondern eine Zusammensetzung des höchst wahrscheinlich als Wort gefassten bhú mit der Leien Person Dualis des Futurum von as, so dass das Bildungsprincip wesentlich iden- tisch ist mit demjenigen, nach welchem in den romanischen Sprachen das Futurum gebildet ist und sich von ihm nur dadurch unterscheidet, dass in letzteren eine erkennbare flexivische Form, nämlich der Infinitiv (z. B. italiänisch avr6, avrai, aus aver-ho, aver-hai) statt des in der alten Phase erscheinenden Verbalthema bhú eintritt, so dass die Aufeinander- folge der beiden Wörter, deren Zusammenrückung und endlich Zusam- mensetzung noch augenfällig zu erkennen ist. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 143 5. Es wird Niemand verkennen, dass die im vorigen §. gemachten Be- merkungen die Berechtigung gewähren, die Bildung des Potential u. s. w. von Neuem in Betracht zu ziehen. Ja da Bopp, wie gesagt, seine, trotz mancher Mängel, mit dem ganzen Glanz dieses wunderbar genialen Sprachforschers ausgestattete Entwicklung als Ansicht und Vermuthung bezeichnet, lag schon darin das Recht ihr andre Ansichten und Vermu- thungen zur Seite zu stellen. Dieses Recht ist in der That auch geübt worden. Allein diejenigen, welche es übten, haben ihre Ansichten zwar mit viel grösserer Zuversicht vorgetragen, als Bopp, aber für die Siche- rung derselben noch viel weniger beigebracht, als dieser. Schleicher, welcher eine neue Erklärung aufstellte?), hat so viel mir bekannt, nicht das Geringste gethan, um ihr auch nur einen Schein von Berechtigung zu verschaffen. Freilich mag diess der Ort, wo er sie mittheilt, entschuldi- gen und wir sind weit entfernt zu verkennen, dass er, wenn ihm das Schicksal ein längeres Leben vergönnt hätte, diesen Mangel vielleicht er- gänzt haben würde. Allein unter den jetzigen Umständen können wir seine Ansicht nur nach dem, was vorliegt, beurtheilen. Seine Worte sind: ‘das Suffix des Optativs ist ja (erhalten in der 3ten Plur. Act., im Altbactrischen auch ausserdem), meist gesteigert zu já (yá), an Tempus- stämmen auf a zu i geschwächt; ja (ya) ist ein in der Stammbildung au- sserordentlich häufig verwandtes Element ($. 207) und, als Wurzel des Pronomen relativum in unsern Sprachen, zur Bildung des Optativs beson- ders nahe liegend.’ Im Folgenden wird sich nun, wenn wir nicht sagen mit voller Si- cherheit, doch mit höchster Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ya nicht die Grundlage des Optativexponenten sei. Die rein willkürliche — d. h. weder durch mechanische noch dynamische Gründe motivirte — Annahme der Steigerung von a zu á wird wohl Niemand als eine wissenschaftliche Stütze anerkennen. Die Erklärung dieses Modus, welcher vorwaltend ein Wün- 7) Compendium der Vergl. Gramm. d. Indogerm. Spr. 2te Ausg. 1866 8. 290 5. 712. 144 TH. BENFEY, schen, Wollen, Können ausdrückt, durch eine Zusammensetzung mit dem Pronomen relativum wird aber so lange, als nicht ausführlich erwiesen wird, wie so dieses sich zum Ausdruck dieser Categorien eigne — denn $. 217, wo, ebenfalls sehr willkürlich und gegen alle Wahrscheinlichkeit, das sanskr. Passiv daraus erklärt wird, sonst aber Nominalthemen dar- auf zurückgeführt werden, spricht eher dagegen, als dafür — eine noch viel bedenklichere Vermuthung bleiben, als die von Bopp aufgestellte. S. h Wir werden im Folgenden den Versuch machen, die der Ueber- ` schrift gemäss zu behandelnden Verbalformen, in Uebereinstimmung mit dem Princip, welches uns für die Erklärung der indogermanischen Wör- ter der ältesten uns bekannten Phase das bis jetzt einzig erwiesene zu sein scheint, als Zusammensetzungen mit angeschlossenen fertigen Wörtern (flectirten Formen) aufzuzeigen. Wir verkennen die Schwierigkeit einen sol- chen Nachweis zu führen, keinesweges, eben so wenig, dass einige — jedoch, wie uns dünkt, mehr untergeordnete — Fragen noch zweifelhaft geblieben sind; allein den $. 1 angedeuteten Umständen gegenüber hal- ten wir den Versuch für nothwendig und haben uns bemüht, ihn auf das Unpartheiischste auszuführen, die schwachen Seiten des Beweises fast noch greller hervorzuheben, als diejenigen, die wir für die starken halten, indem wir die Hoffnung hegen, dass andre ergänzen werden, was uns aus Mangel an Kenntnissen oder geistigen Mitteln zu vollenden ver- sagt war. Die Natur derartiger Untersuchungen bringt es mit sich, dass auch mit viel vollkommneren Mitteln als mir zu Gebote stehen, das Resultat derselben sich nicht als eine absolute Wahrheit erweisen lässt; es bleibt stets eine Hypothese, deren Berechtigung davon abhängt, dass sich alle, in ihr Bereich gehörige, sprachliche Erscheinungen aus ihr erklären lassen. Der Anfangs- und Endpunkt meiner Darstellung — nämlich die Ableitung aus dem Verbum 7 ‘wünschen’ und die Annahme einer Con- ` Junctivform für den Optativexponenten, welcher im Sanskrit ydm u. s. W. lautet — stimmt mit Bopp überein; allein die diese Glieder verbindende ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 145 Entwickelung weicht von Bopp in mannigfachen Beziehungen ab; sie durchläuft dabei mehrere Stadien unter denen eines, nämlich die An- nahme einer Form, welche im Sanskrit ya lautet, wiederum mit einer Bopp’schen Ansicht zusammentrifft. Man sieht daraus, dass meine Auf- fassung sich der Bopp’schen anschliesst, in gewissem Sinn auf ihr ruhet und es würde mir keine geringe Genugthuung gewähren, wenn es mir gelingen sollte, auf der von dem grossen Meister geschaffenen Grundlage ein Gebäude aufzuführen, so fest, als man es auf diesem Boden billig erwarten darf. 5:9 Die Worte, in denen Bopp seine Erklärung der Exponenten des . Potentials (Optativs) aus 7 ‘wünschen’ zuerst gab, finden sich in der schon ‚erwähnten englischen Bearbeitung seines Conjugationssystems 8) und lau- ten: ‘The reason why the yowel ¿ expresses the potential mood cannot be discovered in Greek, in Latin, nor perhaps in any other European language, but in Sanskrit the radical element è (f) expresses wishing, de- siring; and what syllable mecht, be more properly employed to indicate an optative than the one which the Hindu grammarians had given the primary signification of kànti, having desire. I will not affirm that this is the primitive meaning of the root 2, and that the grammarians had a sufficient reason for putting kànti at the head of their explanation, but certain itis that imas has, among other significations, that of, we desire or ‚wish. Now it is remarkable that the sense expressed in Sanskrit, and the languages here compared with it, by a syllable, signifying desire, in- _ ‚corporated into the verb, is in English, and often in German also, ex- pressed by detached auxiliary verbs, having the primary signification of wishing. The German moegen has frequently this signification and the English may is of the same origin ... > Ich habe von dieser Stelle et- 8) Analytical Comparison of the Sanskrit, Greek, Latin and Teutonic Langua- ges, shewing the original identity of their Grammatical structure’ in ‘Annals of Orien- tal Literature’ Lond. 1820 Pt. I, p. 23. Histor.-philol. Classe. XVI. T 146 TH. BENFEY, was mehr mitgetheilt, als eigentlich nothwendig war, weil sie zugleich auf eine genügende Weise die Angemessenheit der Bezeichnung dieses Modus durch ein Verbum, welches ‘Wünschen’ bedeutet, erklärt und es daher unnöthig macht, diess eingehend zu erörtern. Allein, wie schon bemerkt, zu der Zeit als Bopp diese Sätze schrieb, lag keine Berechtigung vor, ein radikales Element í ‘wünschen’ aufzu- stellen und wir dürfen jetzt mit Sicherheit behaupten, dass ein guter Sanskritschriftsteller, wenn er sich nicht von der scholastischen Richtung der indischen Grammatiker ganz beherrschen liess, nie Zmas in der Be- deutung ‘wir wünschen’ gebraucht haben wird, was Bopp hier als ganz sicher hinstellt. In den indischen Wurzelverzeichnissen kommen zwar drei Wurzeln í vor; allein zwei derselben sind nicht direkt aufgestellt, sondern, und zwar nur von einigen Grammatikern, durch Auflösung von Vokalen er- schlossen, nämlich ein f, Parasmaipada, der ersten Conjugationsclasse 9), aber nur mit der Bedeutung ‘gehn’; ferner í, Parasmaipada, der zweiten Conjugationselasse 10); diesem letzteren, welches aus dem direkt aufge- stellten Verbum ví erschlossen ward, indem einige Grammatiker annah- men, dass in dem auslautenden í von ví noch ein í, nämlich eine Wur- zel í enthalten sei, werden dieselben Bedeutungen wie ví zugesprochen, und unter diesen, ausser der Bedeutung ‘gehn’, auch die Bedeutung kánti ‘begehren, lieben’; dem Verbum ví kommen aber auch die Bedeutungen ‘zeugen’ und ‘essen’ zu, und diese müssten, wenn die Annahme der Gram- matiker berechtigt wäre, auch diesem í zugesprochen werden, was schwer- lich denkbar; ausserdem wird, so viel mir bekannt, nie (höchstens mit einer Ausnahme, s. weiterhin) von diesem í zur Erklärung einer Form Gebrauch gemacht, wie denn auch bis jetzt in der Sanskrit-Literatur keine vorliegt, welche die Annahme eines Parasmaipada í der 2ten Con- jugationsklasse nothwendig macht. Wir dürfen daher unbedenklich den indischen Grammatikern jede Berechtigung absprechen, aus der Zerfäl- _ 9) Vgl. Dhätupätha in Westergaard Radices ling. Sanser. p. 348; 9, 34. 10) a. a. O. p. 361; 24, 39 und 40. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 147 lung des í in ví in zwei í eine Wurzel í in der Bedeutung ‘begehren u. s. W. ‚zu entnehmen. Das dritte in den Wurzelverzeichnissen aufgeführte í ist Atmanepada der 4ten Conjugationsklassell) und hat nur die Bedeu- tung ‘gehen’. Eine Wurzel í mit der Bedeutung “to desire or wisk findet demge- mäss in den indischen Wurzelverzeichnissen keine genügende Begrün- dung und Bopp hatte zu der Zeit, als er zuerst den Potential daraus er- klärte, keine Berechtigung zu einer Annahme derselben. Wenn aber die Wurzelverzeichnisse keine Berechtigung zur Auf- stellung von í in der Bedeutung ‘begehren, wünschen’ geben, so trat doch seit der ersten Bekanntschaft mit Vedentexten (1830), wenn auch keine Wurzel, d. h. kein primäres Verbum, doch eine verbale Basis í hervor, welche in ihren Bedeutungen sich der von ‘wünschen’ so sehr nähert, dass sie als eine, keinesweges schwache Stütze der Bopp’schen Vermu- thung, die bis dahin eigentlich rein in der Luft stand, betrachtet wer- den darf. Dieses 7 erscheint L mit Präsensthema Zog. Ätmanepada, und entspricht demnach in den dazu gehörigen Formen dem í der Wurzelverzeichnisse, welches als Ätmanepada der vierten Conjugationsklasse aufgeführt wird 12), wie denn auch Säyana die in den Veden vorkommenden Formen von iya auf diese Wurzel zurückführt 15), 2. ohne besonderes Präsensthema, so dass es dem in Dhätupätha 24, 40 aus ví entnommenen entsprechen könnte, wenn dieses eine Be- rechtigung hätte; allein dass die Grammatiker nicht bei Auflösung von ví in ví und í an die dazu gehörigen vedischen Formen dachten, scheint daraus hervorzugehen, dass ihr í als Parasmaipada aufgeführt wird, wäh- 11) a. a. O. p. 363; 26, 34. 12) a. a. O: 13) Vgl. zu Rigv. I. 30, 18 öyate: gacchati in gatau; vgl. zu 161, 1; 190, 4; IV: 31, 14. V. 3, 8; 30, 1. VL 21,1; 47,18; 58, 2 u.a, wo es ohne weitre gram- matische Erklärung durch Formen von gam glossirt wird; zu H. 37, 3; V. 55, 1 wird statt dessen práp gebraucht, zu VII. 32, 5 aber das Passiv von yåc ‘bitten.’ e KE 148 TH. BENFEY, rend das 7 in den Veden nur im Ätmanepäda erscheint. Demgemäss glossirt Siyana die hiehergehörige Form Zmahe zu I. 36, 1 nur auf Aus törität des Naighantuka (III. 19) durch ydcamahe, ohne eine grammatische Erklärung hinzuzufügen, und ebenso an andern Stellen, ohne diese Aü- torität zu allegiren (so schon I. 24, 3, ferner 42, 10; 43, 4: 138, 3; II. 82, 2; 34, 11; IV. 32, 17; VIL 7, 7; 16, 4; 94, 9 u. a.); zu 1. 10,6 verweist er ebenfalls auf die erwähnte Stelle des Naighantuka und sagt ‘mahe sei durch Yäcämahe zu erklären, glossirt es jedoch durch präpnu- mah und führt es in der grammatischen Erklärung auf das der vierten Conjugationsklasse Ätmanepada ‘gehn’ (Dhätup. 26, 34) zurück, dessen Charakteristikum ya, gemäss vedischer Anomalie, eingebüsst sei. Das- selbe Verbum mit derselben Einbusse nimmt er auch Í. 24, 14 an, wo er ava imahe durch org naydmah glossirt; diese Glossirung findet sich auch VII. 58, 8. Dieselbe grammatische Interpretation giebt er auch I. 136, 4 und glossirt das eine mahe durch präpnumah das andre durch y@cämahe. Von den Formen, in denen 4 vor Vokalen in iy aufgelöst ist, wird iydnd zu I. 30, 14 als Particip Perfecti ebenfalls von í ‘gehen’ der Aten Conjugationsclasse gefasst und durch ydeyamdna elossitt; dieselbe Glosse, aber ohne grammatische Ausführung findet sich zu II. 20, 4; VIL 38.6, 68, 8. o VIE SH wi es ane wertre grammiatische Bemerkung durch ydcamdna erklärt; eben so VII. 52, 3, Zu V. 22, 3; 65, 3; VII. 29, 1 durch Ptcp. Parasm. von gam; dagegen VII. 95, 4 durch dessen Dien. Passivi und VIL 17, 7 durch Pärticip. Passivi von gam oder yäc. Die Form iye II. 17, 7 ist die einzige, welche von Såyana wahrscheinlich von dem aus vf entnommenen 7 in der Bedeutung ‘gehen, begehren u. s. w.’ abgeleitet wird; er glossirt sie durch yäce und die grammatische Erklärung lautet ? gatyädishu; htyuttama iti vyatjayenätma- nepadam d. h. von í in der Bedeutung ‘gehn u. s. w.; erste Person des Perfect., Ätmanepada (statt Parasmaipada) durch Vertauschung’; da dem t der ersten und 4ten nur die Bedeutung ‘gehn’ zugeschrieben wird, letz- teres auch selbst schon Atmanepada ist, so kann hier nur das aus vt ent- .ndmmenë der zweiten gemeint sein. Dass Säyana nur einmal davon Ge- brauch mächt, ist uni so äuffallender, da er es in seiner grammiatischen ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 149 Erklärungsweise eben so gut für die übrigen Formen von 7 hätte anwen- den und daraus die Bedeutung ‘bitten’ erklären können. Die Erschei- nung erklärt sich vielleicht dadurch, dass er, in seiner Abhängigkeit von Vorgängern, es nur an dieser Stelle bei einem derselben fand, wodurch dann höchst wahrscheinlich, ja fast unzweifelhaft wird, dass die meisten derselben von einer derartigen Wurzel 4 mit den Bedeutungen von ví noch niehts wussten; dass sie also erst spät angenommen und von einem Vor- gänger vielleicht nur zur Erklärung dieser Stelle verwandt wurde. — iyå- dhyai endlich wird zu VI. 20, 8 einfach durch etum glossirt, ohne Hin- zufügung einer grammatischen Erklärung. b n In dem Petersburger Wörterbuch wird dieses 7 -sowohl als 1ya als Frequentativ oder Intensiv des Verbum í ‘gehn’ betrachtet. Abgesehen davon, dass Frequentative, mit wenigen Ausnahmen, zu denen dann auch dieses gehören würde, von vokalisch anlautenden Verben nicht gebildet werden, weicht das vorliegende auch in Bezug auf die Bildung der Re- duplication von den Regeln der Frequentative ab. Es ist nämlich nicht mit Verstärkung des Vokals in der Reduplicationssylbe (vermittelst Vor- tritts vona vor a, i, u) gestaltet, sondern z, einfach verdoppelt, o. ist zu $ zusammengezogen, ein Verfahren, welches wesentlich mit der Bildung der Präsensthemen der 3ten Conjugationsklasse in Harmonie steht. Dass aber die dritte Conjugationsklasse ursprünglich eine Frequentativ-Bildung ist, ward von mir schon lange bemerkt 1⁄4), Sehen wir ab von dieser Differenz in der Redüplieation — welche ihr Gegenstück in der nach den Gesetzen des Frequentativs gebildeten Reduplication des Präsensthema von nij Il. 3 findet (nämlich nenij für n-a-inij statt ni-nij wie es regelrecht hätte lauten müssen) — so wiein der Accentuation — welche in den Veden noch sehr schwankend und von den Diaskeuasten wahrscheinlich bis- weilen willkürlich behandelt ist!5) — so tritt tya zu 1 (a. B. in í-mahe) 14) Kurze Sanskrit-Grammatik 1855, S. 80. 81. eg 15) Vgl. meine Abhandlung “Ist in der indogermanischen Grundsprache ein 150 TH. BENFEY, fast genau in dasselbe Verhältniss wie die 2te, durch Reduplication und Suffix ya gebildete, Form des Frequentativs (z. B. bebhid-ya) zu der er- sten nur durch Reduplication gebildeten (bebhid). Der einzige Unter- schied — und ein, wenn auch im classischen Sanskrit wesentlicher, doch in Bezug auf ältere Zeiten entschieden unwesentlicher, wie sich theilweise sogleich erkennen lassen wird und, wenn es unsre Aufgabe erforderte, erweisen liesse — besteht darin, dass í in beiden Formen. D und aal im Atmanepada, Medium, flectirt wird, während das erste Frequentativ im gewöhnlichen Sanskrit nur im Paramaispada (Activ ze? &£oyijv), das zweite nur im Medium flectirt werden soll. Analoge Präsensthemen welche durch nicht gesteigerte Reduplica- tion und Suffix ya gebildet werden, wie hier Z-ya erscheinen im Sanskrit in der That selten; ich kenne nur drei dieser Art, nämlich zunächst i- yas-ya von yas (für yi-yas-ya vgl. iyaksha für yi-yak-sha), ferner iraj-ya, welches unzweifelhaft für organisches ri-raj-ya (vgl. die griechische Re- duplication der mit p anlautenden Verben) steht, zu *raj (in raj-iyams, Comparativ von rij-u, u. s. w. bewahrt) — lateinischen reg in reg-ere ge- hört und bis jetzt nur im Präsensthema belegt ist; endlich iradh-ya, welches im Naighantuka III, 5 angeführt wird und in ähnlicher Weise aus rádh entstanden ist; diese Basis ist bis jetzt nicht belegt, wohl aber iradh ohne ya, so dass hier dasselbe Verhältniss wie zwischen 7 und Zug und den beiden Formen der Frequentativa uns entgegentritt. Beachtens- werth ist zugleich dass irajya und iradhya, wie die analogen gleich zu erwähnenden griechischen Bildungen, im Activ (Parasmaipada) flectirt werden (von irajya ist bis jetzt nur ein Beispiel für das Medium belegt), nicht wie die Frequentativa auf ya nur im Medium. Häufiger sind derartige Bildungen (mit so = sskr. ya) im Griechi- schen und entsprechen reduplicirten Bildungen der verwandten Sprachen ohne Suffix, treten also zu ihnen in dasselbe Verhältniss wie die 2te zu der lsten Frequentativform im Sanskrit; so z. B. griech. «440 für i-@4-10, u Suffix ia u. s. w. anzusetzen’ S. 98 arya und die daselbst angeführten ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 151 welches dem sanskr. Präsensthema iyar entspricht, reduplicirt aus ar, grdsprchl. i-ar; ferner Arkatoucı für Ar-Aeo-ıo von grdsprchl. las; ttæwo für u-Tev-ıo von grdspr. tan; “rto für "run worin 7d—sskr. sid, latein. sid z. B. sidere, eine Synkope von ursprünglichem si-sad ist. Mir ist kaum zweifelhaft, dass hieher auch die reduplieirten Themen auf «w für een gehören, neben denen gewöhnlich bloss reduplicirte erscheinen, also ge- nau das Verhältniss von i-radh-ya zu i-radh, tya, für i-i-ya, zu í für i-i wiederspiegeln, wie z. B. neben x.xgn (in xxonu) xixoæio in zızodw, xi- Zoom neben xiyomw, mıunido neben niuninu: (vgl. sskr. speciell. vedisch prá aus par-4 ‘füllen’, dessen Grundform par im Sskr. ebenfalls in Prä- sensthema zu pipar reduplicirt wird); eben so mungdw neben niungonu; so nehme ich denn auch uroáw für u-roe-ıw, obgleich die Nebenform nicht sicher ist 16). Schon diese Uebereinstimmung des Griechischen und Sanskrit in der Bildung durch blosse Reduplication einerseits, so wie andrerseits durch Reduplication und Suffix ia (griech. zo, sskr. ya), entscheidet dafür, dass diese nur in wenigen Resten erhaltenen ursprünglichen Frequentativa sehr alt sein müssen; noch mehr der Umstand, dass sie schon in der Grundsprache durch Frequentative mit verstärkter Reduplication ersetzt wurden (vgl. z. B. griech. deıdıooo, deıdloosodaı für deıdıoıo, welches der Form nach ganz dem sskr. dedvishya entspricht und wie dieses auf grund- sprachlichem dai-dvis-ia beruht; beiläufig merke ich auch das mit øx (vgl. Note 16) statt co gebildete dssdıozo in dsıdioxsodeı, für deiðixaxo, an, welchem sskr. dedieya, auf grundsprachlichem dai-dik-ia ruhend, gegenübersteht); denn diese Ersetzung trat schwerlich aus einem andern Grunde ein, als weil jene alten Frequentativa die durch diese Bildung erworbene Bedeu- tungsmodification wieder einzubüssen anfingen und theilweis schon ein- 16) In Analogie mit diesen durch Reduplication und Suffix +o gebildeten Ver- balbasen treten die durch Reduplication und das ursprünglich inchoativische aber im Griechischen insbesondre iterativisch verwandte (vgl. R. Kühner, Ausf. Gramm d. Griech. Spr. 2te Aufl. 1869, I, S. 549 ff.) ox gebildeten, wie xı-xAj-oxw, ru-non- 0x0, W-uvj-0x@0, T-@wW-0x0 u. à., die ich mich nicht erinnre in den verwandten Sprachen wiedergespiegelt gefunden zu haben. 152 TH. BENFEY, gebüsst hatten, so dass sie zu der Bedeutung des primären Verbum ent- ` weder wieder herabgesunken, oder vermittelst der Bedeutungsmodification zu einer Bedeutung gelangt waren, die den Charakter einer primären trug; so mochte z. B. sskr. AN eigentlich bedeuten ‘von einem Zittern (der Furcht), Beben, ergriffen werden’, reduplieirt bibh eigentlich "wie ` derholt von einem Zittern (der Furcht) ergriffen werden, beberen‘; in Folge davon drückte es dann den mit dieser sinnlichen Erscheinung verknüpf- ten Seelenzustand aus und nahm die Bedeutung ‘sich fürchten’ an, wel- che dem Sprachbewusstsein gegenüber in Analogie mit andern, einen ein- fachen Zustand ausdrückenden,, wie ‘schlafen’, nach und nach den Cha- rakter eines unabgeleiteten primären Verbum gewinnen musste. Ist aber eine Verdoppelung von í zu í mit frequentativer Bedeu- tungsmodification so uralt (vgl. noch griech. Ze in §. 9), so war sie, wenn im Uebrigen die Bedeutung passt, wohl fähig zur Bildung eines Modus verwandt zu werden, eben so gut wie schon in der Grundsprache das Futurum des Verbum as zur Bildung der Futura von anderen Verben benutzt ward. d J Was nun die Bedeutung von Zug (aus i-i-ya) betrifft, so ist sie zu- nächst die eines regelrecht gebildeten Frequentativs oder Intensivs von i ‘gehen’, nämlich “wiederholt, eilend, gehen.’ Dazu treten dann daraus 'hervorgegangene, welche den Charakter von ‚primären angenommen ha- ben, nämlich ‘wandeln, laufen’, Die Basis í (für i-i), vertreten durch Präsens Sing. 1. iye, Plur. 1. T'mahe, Particip iyänd!?) und Infinitiv yddhyai, stritt zunächst in densel- ben Bedeutungen wie iya auf; dann aber insbesondre noch in den Be- 17) Im Sämaveda V. L. iyänd, was wie ein regelrechtes Ptcp. Diech aussieht; als solches wird von Säyana auch iyänd betrachtet; sollte nicht das í im Sämaveda eine 'willkürliche Umwandlung sein, um ‚das Wort in der Voraussetzung, dass es Ptep. Pfeeti sei, mit den Regeln der Grammatik in Einklang zu ‚bringen? vgl. ‘Ueber die Entstehung u. s. e. der im ‚Sskr. mit r auslautenden Personalendungen $. 14 (in diesen Abhandl. XV, S. 110, bes. Abdr..$. 26). ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGREM. OPTATIV. 153 deutungen ‘angehen, anflehen, erflehen'; stets ist diess bei fmahe der Fall und in dem alten Vedenglossar, dem Naighantuka steht es unter den Wörtern, welche ‘wünschen’ (y4cndä) bedeuten. Da in den Veden das Ätmanepadam überaus oft in passiver (auf der medialen im Indoger- manischen ursprünglich beruhender) Bedeutung gebraucht wird, so hat iyänd auch die Bedeutung ‘angefleht werdend’. Doch erscheint auch ein regelmässig gebildetes Passiv, welches aber äusserlich mit den Formen der Basis 7-ya übereinstimmt, in der Bedeutung ‘angefleht werden‘, Von der Bedeutung ‘anflehen’ zu ‘wünschen’ und weiter ‘mögen’ ist der Uebergang so leicht, dass die Vermuthung Bopp’s, wonach der Op- tativ oder Potential vermittelst eines Verbums mit der Bedeutung 'wün- schen’ gebildet sei, eine höchst wahrscheinliche wird. Da í auch die Bedeutung ‘“angehn’ (aus ‘wiederholt gehen’) hat, aus welcher ‘anflehen’ erst hervorgetreten ist, und die Bedeutung ‘“flehen’ in den Veden selbst an dem Verbum yá ‘gehen’ haftet!8), natürlich ebenfalls durch ‘angehen’ vermittelt, so könnte man diesen Gebrauch von í auch aus der sinnli- chen Bedeutung ‘angehen’ unmittelbar ableiten. Doch ist die Frage, ob man die Verwendung von í zu der Bildung dieses Modus aus der Be- deutung ‘angehen’ oder ‘anflehen’ ableiten soll, eine völlig unerhebliche. Denn in der lebendigen, sich ihrer Mittel ohne reflexives Bewusstsein bedienenden, Sprache hat ein und dasselbe Wort zumal in einer Zeit, die so uralt ist, wie die, in welche wir die Bildung dieses Modus zu verse- tzen haben, auch nur eine Bedeutung; Verschiedenheiten der Bedeutung desselben entstehen nur durch die verschiedenartigen Verbindungen im Satze und die in Folge davon eintretende Gewöhnung an diese Verschie- denheiten; dadurch werden sie befähigt, sich auch ausser diesen Verbin- dungen geltend zu machen; dennoch bleiben sie in der lebendigen Spra- che wesentlich und grösstentheils nur scheinbar, so dass sie genau ge- pommen nur für den scheidenden Verstand, oder selbst nur den Frem- den existiren, welcher genöthigt ist die ihm fremde Sprache vom Stand- ke 18) Vgl. Bee I. 24, 11; 58, 7; IL 16, 7 u. sonst, s. Petersb. Wörterbuch u. d W. Bed. 9, in Bd. VI, S. 100. Histor.-philol. Classe. XVI. U 154 TH. BENFEY, punkte seiner Muttersprache aus und vermittelst derselben zu begreifen , und sich anzueignen. Es ist schon im vorigen $, ein Grund angegeben, weshalb dieses ursprüngliche Frequentativ í für alt genug gelten darf, um zu der Ge- staltung zusammengesetzter Verbalformen verwandt worden zu sein, _ Einen andern scheint mir das homerische Verbum sue “eilen’ zu gewähren, welches ich schon im Glossar zum Sämaveda unter í (S. 23). mit dem Präsensthema Zug zusammengestellt habe. Ist diese Zusam- menstellung richtig, dann erweist sich diese Bildung durch Reduplication und Affix ia (sskr. ya) entschieden als schon der Grundsprache angehö-. rig, was übrigens auch ohne diesen Beweis mit der höchsten Wahrschein- keit angenommen werden dürfte. Für die Richtigkeit der Zusammen- stellung spricht, ausser der Uebereinstimmung der Bedeutung , die voll- ständige Identität von griech. `r &uevo mit dem vedischen 7’yamäna; denn wie grundsprachliches í-ta im Griechischen durch Ausfall oder Contraction des einen 2 (vgl. z. B. dao aus vidıor 19) "Ce im Medium werden musste, so mm Sanskrit durch Liquidirung. zu ya; das Participialsuffix aber lau- tete in. der.Grundsprache mana, welches im Griechischen vo. treuer: esta wird, ‚als im Sanskrit, wo das erste «a durch Einfluss. der das ob so es: Antritt des SC EE a, ee 9, U gebildete Iat. Ptep. Fut. für-o aus zu Grunde liegenden grdsprchl. tar, in den starken Formen tár), Zweifelhaft könnte man wegen der Kürze des über de, Tæ sein; doch erklärt sich die Verkürzung wohl genügend durch den nachfolgenden Vokal 201. Bekanntlich hat übrigens Wolf allenthalben Ä mit Spiritus asper statt è mit lenis geschrieben; da aber Form und Bê- deutung mit dem vedischen fya (kevamı = Üyante) so genau zusammen- stimmt, so. scheint mir die Berechtigung zu Wolf’s Verwandlung angezwei- felt werden zu dürfen. Es ist diess übrigens eine Frage: der TEE > 19) R. Kübner, Ausf. Gramm. d. Griech, Spre 2te Aufl: L 5:0145.-7 20) Vgl. eben daselbst S. 241, 13. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 155 Philologie, auf deren genauere Erörterung ich mich hier nicht einzulas- sen vermag, auch kaum einzulassen wage. Allein, wenn die verglei- ‚chende Sprachforschung nicht ganz unfruchtbar gewesen ist, so darf man ‚wenigstens dás Princip als feststehend betrachten, dass, wo Form und ‚Bedeutung so weit übereinstimmen, wie in diesem Falle, nicht demjenigen der Beweis aufliegt, welcher vollständige ursprüngliche Identität behaup- tet, sondern vielmehr umgekehrt dem, welcher sie leugnet. S. H Aus einer Zusammensetzung mit Formen von í erklären sich so ziemlich alle Gestaltungen des Potential und dessen Reflexe in den ver- wandten Sprachen in so ungezwungener Weise, dass die Hypothese da- durch die grösste Wahrscheinlichkeit, ja, wie uns dünkt, vollständige Gewissheit erhält. Was zunächst die sanskritischen Endungen des Potential im Ätma- nepada betrifft, so stimmen- sie vollständig mit-den Formen überein, wel- che das Imperfect von í ohne Augment — welches ja auch bei der Bil- dung der Aoriste BER des Imperfects und der Aoriste von as nicht in dieZ wird — haben würde, dürfen also als identisch mit Gen ëëschte werden. Wie í-mahe als erste Person Plur. Präs. Ätmanepada belegt ist, so würde, nach regelrechter Analogie, die 2te Sing. Impf. Aren, íthás, die ste íta, die Late Dual. Zvahi, die 1ste- Plur. Zmahi, die Zte ídhvam lauten; die Ste aber, nach Analogie der vedischen auf ran (z.B. a-drig-ran) fran, Die 2te und äre -Dualis weichen von der allgemeinen Regel darin ab, dass sie nicht, wie iye (1. sing. Präs) aus ie, bei Antritt der vokalisch anlautenden Personalendungen áthám, átám ein kurzes, sondern ein lan- ges í zeigen iyäthäm, íyátam, Allein die phonetische Regel, welche in sol- chen Fällen 4 in iy zu verwandeln gebietet, hat gerade auch in einer an- dern reduplicirten.Form des Verbum 2 dieselbe Ausnahme erlitten, näm- lich im Dual und Plur. Perasm. und im ganzen Ätmanepada des Per- fectum red., z. B. 2. Dual. Par. öy-athus 3 iy-atus, Plur. 3 @y-us u. s. w.21), 21) Pänini VII. 4, 69. U2 156 TH. BENFEY, während das Mahäbhärata (I. 5783) gegen diese Ausnahme nach der ge- wöhnlichen Regel tyus bietet. Was die 1ste Sing. íya betrifft, so ist in ihr auslautendes a aus dem auslautenden e der entsprechenden Person des Präs. auf dieselbe Weise entstanden wie in der 3ten (ta aus te und anta aus ante) 22); ferner erscheint auch hier Zu nicht ıy. Ueber die Ent- stehung des y in fya, iyathäm, íyátám s. $. 14. Stellen wir dieses Imperfectum von í z. B. mit dem Potential Àt- manepada von dvish zusammen: S.1.iy& ` dvish-fyá 2.ithäfs dvishithäs ` 3.209 dvish-ttä D. ivähi dvish-ivähi iyäthäm dvish-iydthäm ` fyátám dvish-ty&täm Pl. imähi dvish-imähi idhväm dvish-idhväm frán dvish-irän so bedarf es für die Annahme der Zusammensetzung des letzteren mit dem ersteren wohl weiter keines Beweises. Allein da in diesen Formen phonetische Umwandlungen (z. B. ty-a statt grdsprchl. i-ma) und Formen (z. B. #thás statt grdsprchl. Zeg, t-ran statt grdsprchl. i-anta) erscheinen, welche theils arisch, theils sogar spe- ciell sanskritisch sind, so könnte man auf den ersten Anblick auf den Gedanken gerathen, dass diese Bildung eine speciell sanskritische, erst auf indischem Boden gestaltete sei, keine schon in der Grundsprache ent- wickelte sein könne. Dagegen entscheidet jedoch die im Wesentlichen übereinstimmende Bildung des entsprechenden Modus in den verwandten Sprachen, welche wir gleich in Betracht ziehen werden. Den hervorge- hobenen Einwand könnte man auch gegen viele andre Bildungen geltend machen, welche trotzdem allgemein und mit Recht für srundsprachliche gelten. So ist thäs für grdsprl. sa im Imperfect und Aorist Ätmanepada durchweg geltend geworden, im Futur II hat sich in 1 Dual. und Plur: die Dehnung des a vor v und m eingedrängt (syávas, syämas), in 1. Sing. Atm. ist wie im Präs. und Pfct das m eingebüsst (sye statt grandsprehl. syamai), im Griechischen haben sich die speciell griechischen Formen des Dual uedov, 090v, cny durchweg im Medium eingebürgert, ohne P4 22) Vgl. darüber in meiner Abhandlung “Ueber einige Pluralbildungen des In- dogerman. Verbum’ in Bd. XII, S. 73, bes. Abdr. S. 37. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 157 dass es Jemand einfallen dürfte, zu bezweifeln, dass Imperfect, Aorist, Futur, Medium schon in der Grundsprache bestanden. Die Differenzen im Potential des Sanskrit von der grundsprachlichen Form beruhen dar- auf, dass im Sprachbewusstsein der Zusammenhang dieser Bildung mit dem Imperfect fortlebte und demgemäss die auf sanskritischem Boden mit dem letzteren eingetretenen Abweichungen sich auch über den Po- tential ausdehnten. Aehnlich ist es mit den andern Differenzen, welche. sich in den besonderen Sprachen in Bildungen geltend gemacht haben, welche schon in der Grundsprache gestaltet waren. Eben so wenig kann gegen unsre Auffassung ein Einwurf von da- her entnommen werden, dass hier ein Indicativ und zwar der vergange- nen Zeit zur Bildung dieses Modus benutzt ist. Auch im Lateinischen sehen wir mehrfach den Indicativ der vergangenen Zeit zur Bezeichnung von Wendungen auftreten, welche im Sanskrit und Griechischen durch den Potential oder Optativ und im Lateinischen selbst sonst durch den Conjunctiv ausgedrückt werden, welcher bekanntlich theilweis (nämlich in der 1sten Conjug. Präs. amem u. s. w.) Reflex des Optativ ist und sich mit den Reflexen des ursprünglichen Conjunctivs (in 2. 3. 4. Conj. doceam, legam, audiam), wegen der Verwandtschaft beider Modi, zu einem einzi- gen, beide Begriffsmodificationen umfassenden, Modus verbunden hat; so erscheint debebam, debui, debueram in den Bedeutungen ‘ich müsste’, “ich hätte müssen‘. In ähnlicher Weise findet sich auch im Griechischen der Indicativ, mit leichter Begriffsschattirung, statt des Optativs; ebenso im Französischen und Deutschen statt oder neben Formen, welche gewöhn- lich diesem Modus entsprechen; so z. B. können wir — ebenfalls mit leichter Begriffsschattirung, oder markanter — sagen ‘that er dieses, so war er verloren’ statt ‘hätte er dieses gethan, so wäre er verloren gewe- sen’, oder ‘that er dieses, so wäre er verloren gewesen’ oder auch ‘hätte er dieses gethan, so war er verloren’; eben so ‘mochte er kämpfen, oder fliehen, sein Schicksal war unvermeidlich’. Freilich würde mir unwahrscheinlich vorkommen, dass die Catego- rie, welche der Optativ oder Potential nach vollendeter Entwicklung aus- drückt, vermocht hätte, sich einzig aus dieser Bildung zu entfalten. 158 | TH. BENFEY, Allein, wenn die im Folgenden zu gebende Auffassung richtig ist, so treten auch verwandte Bildungen vermittelst des Präsens im Indicativ und Conjunctiv, und des Conjunctivs des Imperfects von í hinzu. Wenn wir nun í in seiner Verwendung zur Gestaltung dieser Formen durch ‘mögen’ übertragen, welches ebensowohl das ‘Wünschen’ als das ‘Können’ — die beiden Hauptseiten dieses Modus — umfasst — letzteres als das An dem Wollen implicite ruhende Selbstgefühl der Fähigkeit ‘was man zu verwirklichen wünscht, will’, auch ‘verwirklichen zu können’ — so be- zeichnen diese vier Zusammensetzungen, ‘ich mag, möge, mochte, möchte u. s. w. das verwirklichen‘, was der damit zusammengesetzte Verbalbegriff ausdrückt. — Wer sich nun in das Gedächtniss zurückruft, welche Fülle von Formen uns in. den alten Phasen des indogermansichen Sprach- stamms entgegentreten — z. B. in dem Declinationssysteme der sanskr. Pronomina die Menge von Pronominalthemen, die acht sanskritischen, die vier griechischen Aoristformen u. a. — welche in den uns bekann- ten Sprachzuständen ein und dasselbe bedeuten, aber bei genauerer Ana- łyse sich theils mit Entschiedenheit, theils mit Wahrscheinlichkeit, als einst verschiedenes bedeutende, wenn auch nur leicht modificirte und nahe verwandte Ausdrücke kund geben, der gelangt zu der Ueberzeu- gung, dass sich in den indogermanischen Sprachen im Allgemeinen die sprachlichen Categorien dadurch gebildet haben, dass zunächst unter der Herrschaft des augenblicklichen Bedürfnisses Wendungen, Verbindungen, Zusammensetzungen gebraucht wurden, welche, in ihrer Verbindung oder ihrem etymologischen Werth verschieden, mehr oder weniger verwandte Modalitäten bezeichneten. In dem weiteren Verlauf ihres geschichtlichen Gebrauchs trat dann die Verwandtschaft dem Sprachbewusstsein immer lebendiger entgegen; dadurch identifieirte sich ihre Bedeutung zum Aus- druck einer und derselben Categorie und in Folge davon wurden bald alle Formen bis auf eine eliminirt, bald erhielten sich zwar mehrere, aber gewöhnlich in verschiedener Vertheilung — so dass z. B. die eine Form nur einer, die andre einer andern Classe von Basen zugewiesen ward — bald endlich, jedoch seltner, können — den Urzustand am treue- sten wiederspiegelnd — mehrere Formen bei denselben Basen in völlig ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 159 gleicher Bedeutung verwandt werden. ` Der gewöhnliche Abschluss der Geschichte einer besonderen Categorie ist jedoch, dass nur eine Form als Ausdruck derselben übrig bleibt. Die vier älteren Ausdrucksweisen dieses Modus durch Indicativ und Conjunctiv des Präsens und Imperfects von í, welche ich erkannt zu ha~ ben glaube, scheinen mir das Gebiet, welches zwischen den beiden Po- len der Wirklichkeit, dem positiven und negativen, liegt, so sehr auszu- füllen, dass ich fast glaube, dass sie die einzigen waren, aus denen sich dieser Modus entwickelte, so dass uns in diesem Falle die Entstehung einer Categorie vollständig vorläge.. Stellen wir uns vor, dass die Ge- genwart, gewissermassen der entschiedenste Ausdruck des unmittelbar, so zu sagen, in die Augen fallenden, dem Sprachbewusstsein gegenüber den positiven Pol der Wirklichkeit bezeichnete, die Vergangenheit dage- gen, gewissermassen der entschiedenste Ausdruck des Gewesenen, somit nicht mehr seienden, und weiter dann überhaupt nicht seienden — man erinnre sich an die wenn gleich irrige, doch geistreich von Bopp und, Ag. Benary ausgeführte Erklärung des indogermanischen Augments @ aus dem a (an) privativum — den negativen Pol der Wirklichkeit, so trat der Ausdruck durch den Indicativ Präsentis von zunächst an den po- sitiven, der durch den Indicativ Imperfecti an den negativen Pol; ‘ch, mag,- d. h. ‘ich wünsche, will und kann einen Begriff verwirklichen), drückt gewissermassen aus ‘ich will und bin i im Stande etwas zu Es, thue es aber nur aus inneren oder äusseren Gründen nicht’: die Verw. e lag also ganz nahe; diese Nähe erklärt auch die Entstehung des Fotaram. aus dieser Form (worüber weiterhin: $. 25); dagegen ‘ich mochte’, d. h. “ich wollte oder konnte einen Begriff verwirklichen‘ drückt gewisserma- ssen aus ‘ich wollte und war im Stande etwas zu thun, that es aber nicht. aus inneren oder äusseren Gründen‘, d. h. der Wille war vergeblich, die. Kraft unzureichend. Der Conjunetiv beider Formen bezeichnet die Selbst- aufforderung des wollenden, könnenden in der Weise zu wirken, die der Indicativ ausdrückt. Sollen diese Modalitäten z. B. an dem Verbalbe- griff ‘lieben’ ausgedrückt werden, so ‚würde die Reihenfolge sein: ‘ich 160 TH. BENFEY, liebe’, ich mag lieben’ (‘ich möge lieben‘) ‘ich mochte lieben’ (tich möchte lieben’), ‘ich liebte’ u. s. w. Doch ich enthalte mich diese Hypothese weiter auszuführen, da ich weit entfernt bin von der Anmassung mit Bestimmtheit nachweisen zu wollen, welche begriffliche Anschauungen bei der Bildung so uralter For- men zu Grunde lagen. In dem jetzigen Stadium der indogermanischen Sprachforschung dürfen wir es schon als hinlänglichen Gewinn betrach- ten, wenn es auch nur gelingt mit Sicherheit die Sprachformen (Wörter) zu erkennen, vermittelst deren sie sich gestaltet haben. Seil; In den Verben, deren Präsensthemen ein a anknüpfen, zieht sich, nach der gewöhnlichen Sanskritregel, das anlautende ë der Endung mit jenem a zu e zusammen, z. B. bhara-iya wird zu bhareya, bhara-ithäs zu bharethäs u. s. w. Dieselbe Regel würde auch für Basen gelten, in de- nen das eingetretene a mit einem Verb-auslautenden á zu á geworden wäre und der Grammatiker Mädhava23) bildet demgemäss aus gá ‘gehen, nach der ersten Conjugationsclasse, z. B. in 3. Sing. Potent. Ätm. geta für gä-a-ita. Genau entsprechende Formen dieser Art sind zwar bis jetzt in der Literatur nicht nachgewiesen, allein da nach den phonetischen Gesetzen des Sanskrits á-a zu á und 4-i ebensowohl wie a-i zu e wer- den müssen, wären sie nicht undenkbar, wie wir denn weiterhin ($. 21) versuchen werden einige vedische Potentiale mit e in der That aus di ` zu erklären. KS 12. Wie im Sanskrit (§. 10) so entsprechen auch im Griechischen die Endungen des Optativ Medii genau den Formen, welche í im Imperfect Medii ohne Augment bilden würde, wenn es durch unmittelbaren Antritt der Personalendungen gestaltet wäre. Es würde dann regelrecht lauten 23) Bei Westergaard, Radices ling. Sscritae, p. 2 unter 2. gá. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND. DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 161 ` S. 1 T-unv Du. 1. #-us9ov PL z-usde 2. r-00, ohne o, 7-0 2. 1 ëlo 2. 21-098 3. 7-10 3. € lun 3. -vro für € nm ; womit man den Optativ Medii z. B. von der Base Jens vergleiche: S. 1. iore-iunv DL ioıe-iusdov ` DP 1. iow-Susde 2. iore-io 2. Jor Zon 2. ons Zoe 3. ioræ-ito 3. toru-toðnv 3. løta-ivto. Der Optativ Medii erscheint nur hinter vokalisch-auslautenden Basen und das anlautende z seines Bildungselements verbindet sich mit auslau- tendem « der Basis zu e, mit ë zu st mit ozu or, z. B. dıdo-iunv wird dıdofunv. Diese letzte Contraction findet natürlich auch bei den Präsens- themen Statt, welche durch Anschluss eines Reflexes von grundsprachli- chem a gestaltet sind und dieses hier durch o wiederspiegeln, z. B. ge- 0-0-(unv, 9£0-0-10, P£0-0-170 werden Yeoolunv, Y£0010, YEgorro, das letzte genau identisch mit sanskr. bhdreta für bhdr-a-ita. Da in den Indoger- manischen Sprachen die Verbreitung der Präsensthemen auf Reflexe von grundsprachlichem a immer mehr zunahm und demgemäss Bildungen, welche sich an sie schliessen, in der unendlich grössten Mehrzahl ge- braucht wurden, so drängte sich deren Analogie nicht selten auch in Conjugationen ein, die sonst andern Analogien folgen. Dieses geschah auch bezüglich des Optat. Med. der Basen auf í, v (z. B. dsızvv-ofum), selten nur tritt sun» an und zieht dann sein anlautendes c mit auslau- tendem » zu 7 mit v zu v zusammen 28). Ebenso werden nach jener Analogie Nebenformen aus Basen auf e gebildet, welche sogar häufiger gebraucht werden, als die saa rg so z. B. BENDER ne- ben use-iunv. $. 13. | Im Altbactrischen erscheinen — vielleicht in Folge des geringen Umfangs der in dieser Sprache erhaltenen Texte — nur sehr wenige Beispiele- des Potential Medii von Basen, die nicht auf a auslauten. Sie 24) Kühner, Ausführl. Gramm. d. Gr. Spr- I. 643. 645. Histor.-philol. Classe. XVI. X 162 TH. BENFEY, betreffen nur 1. 2. 3. Sing.; denn bezüglich der hieher gezogenen For- men auf áres, áris, welche als 3. Plur. betrachtet wurden, verweise ich auf meine Abhandlung ‘Ueber einige Pluralbildungen’ u. s. w. 25). In Sing. 1 wird sskr. fya reflectirt, jedoch so, dass das í durch Ein- fluss des nachfolgenden verwandten y eingebüsst, gewissermassen von demselben absorbirt ist, gerade, wie z. B. aiwi-yäonha zu aiwydonha wird, und ähnliches. In 2.3 ist í oft verkürzt, grade wie auch in den Veden dieses ? mehrfach, wenn gleich gedehnt geschrieben, kurz zu sprechen ist, so z. B. Rigv. VII. 32, 18 in iglya und räsiya yád Indra yävatas tuäm etävad ahäm íçíya| stotäram id didhisheya radävaso ná päpatvä'ya rästya || vo) —r— ll we —r—|| —— :-/vv—u/v—v vr — —/v—v— || Ferner in trásíthám für organischeres träsidthäm (vgl. 8. 16), welches nach der gewöhnlichen Analogie träsiydthäm hätte werden müssen; í be- ruht jedoch noch auf fá ohne das zur Vermeidung. des Hiatus zwischen- tretende y?6); få ist zu # zusammengezogen, gerade wie z. B. der vedi- sche Dual nádyá auch zu nddi zusammengezogen wird. Diese Form er- scheint Rigv. IV. 55, 1 und VII. 62, 4 dyä&väbhümti adite träsithäm nah Sv— —m—— vgl. auch VII. 71, 2. Hinter Basen auf a wird die sskr. Zusammenziehung des, die Ba- sis auslautenden, a mit dem anlautenden í der Endungen zu e ($. 11) im Sing. 2. 3 regelrecht durch aë wiedergespiegelt. Denselben Vocalismus finden wir in 3, Sing. des Verbum ci, nämlich in der Form vi-ci-n-aeta (Vendid. XVI, 3 [West. 2] u. 24 [West. 11]. Es ist wohl unzweifelhaft, dass hier, wie auch von Spiegel 271 geschehen, eine Bildung von ci nach der sskr. 9ten Conjugationsclasse zu Grunde zu legen ist. Das Charak- teristikum dieser Basenbildung ist zwar eigentlich nd; aber wie im Grie- 25) In diesen Abhandlungen XIII (1866—67) S. 61, bes. Abdr. S. 25. 26) Vgl. 8. 18. 27) Grammatik der Altbactrischen Sprache S.. 243 und vgl. S... 228. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 163 chischen (vgl. z. B. p9weıs für eem mit sskr. kshi-nd-si) und Latei- nischen (vgl. z. B. ster-ni-s mit sskr. stri-nd-si), erscheint dieses á auch im Altbactrischen verkürzt (vgl. z. B. fri-na-i-ti mit sskr. pri-na-t). Zwar folgt ci im Sanskrit nicht der 9ten Conjugationsclasse, wohl aber wie im Altbactrischen ebenfalls (vgl. das Ptcp. Präs. ci-nv-ant) der 5ten, deren Charakter die, mit nd, na, so nahe verwandte, Silbe nu ist, und nicht sel- ten finden sich im Sanskrit, und in den indogermanischen Sprachen über- haupt, Präsensbildungen nach der Sten und 9ten Conjugationsclasse ne- beneinander, so z. B. im Sanskrit von si sowohl sau als si-nd, im Alt- bactrischen von hu sowohl hu-na als hu-nu; gerade wie bei ci wird auch hier im Sanskrit nicht die Bildung nach der 9ten, sondern nur die nach der Dien reflectirt, so dass in dieser Beziehung ci und Au in ein ganz analoges Verhältniss zu den sskr. Reflexen ci und su treten. Ein Bei- spiel, wo nu und nd sowohl im Sanskrit als Altbactrischen angeknüpft wird, gewährt sskr. Ari, Art ‘verletzen, schneiden’ im Präsensthema kri-nd und Ari-nu und das entsprechende altbactrische kar (bei Justi nr. 3), im Präs. kere-nu und kere-na (jedoch nur in Formen belegt, in denen wegen nachfolgender Nasale a zu e wird z. B. d-kere-ne-m). — Man könnte zwar auch anzunehmen geneigt sein, dass der Auslautvokal des Charakteristi- kums eingebüsst und dann das Verbum in die herrschend gewordene a- “Conjugation übergetreten sei, wie man diess wohl für sskr. Verba wie marn-a aus urspünglichem mar-ná u. a. annimmt; allein auch für diese ist nicht zu bezweifeln, dass sie, ganz analog den Fällen wie ti-shth-a für &-shthä aus sthá, durch Verkürzung des Auslaufs in die a-Conjugation hinübertraten, natürlich schwerlich ohne Einfluss der immer mächtiger verbreiteten a- Conjugation, deren massenhaft hervortretendes kurzes a das seltne lange á nach und nach wie eine Anomalie erscheinen lassen musste. In Du. 3. und Plur. 1. 2 erscheint in der a-Conjugation als Reflex des sanskr. e das ebenfalls regelrechte (vgl. den Potential des Activ) ói In der 3ten Plur. dagegen ist # nicht mit dem vorhergehenden a zusam- mengeflossen, sondern vor dem a der ursprünglichen Personalendung anta zu y liquidirt, also a-yanta entstanden. Was die Personalendungen betrifft, so ist das Altbactrische nicht X2 D 164 TH. BENFEY, bloss in Bezug auf diese 3te Plur. der speciell sanskritischen (r-an) 28) gegenüber der alten Bildung treu geblieben, sondern auch in Bezug auf 2. Sing. Lan = griech. to für 00, goth. izau (im Gegensatz zu dem spe- ciell sskr. Code, Ob dagegen der Eintritt der Personalendungen des Präsens statt der des Imperfects in Pl. 1 und Du. 2 als Folge der ur- sprünglichen Identität der Endungen des Imperfects mit denen des Prä- Sens 2 zu betrachten ist, oder als die einer anfangenden Einbusse der Medialformen, oder nach 8 23 (vgl. Dual 3 des Imperfects selbst mit der Präsensendung in ug-za-yðithe und im Páli 1. Plur. $. 14), will ich hier nicht entscheiden. ; Dagegen muss ich noch das ganz einzeln neben der regelrechten Form daid-ita (3. Sing. von dä = sskr, dhá 3te Conjugationsclasse) er- scheinende daidyata erwähnen. Es findet sich nur an einer Stelle (Afri- gän I. 4) und ist eine Correctur von Westergaard; die Zendhandschrif- ten haben Varianten, welche darin übereinstimmen, dass sie die Activ- form des Potential darbieten und zwar die dem Sanskrit regelrecht ent- sprechende auf yát oder mit Verkürzung yat; nur Kh. 1 (d. h. die Bom- bay-Ausgabe von 1842 in Gujaräti-Schrift 50) hat Sms (dedida), d. h. die Form des Medi, aber zugleich mit dem regelrechten í als Anlaut der Endung des Potentials, Ich wage nicht mir ein Urtheil über die kritische Gestaltung des Textes. anzumassen, aber daidyata mit yaim Medium wird weder durch das Altbactrische noch Sanskrit, Griechisch und Gothisch geschützt; ist es dennoch zu bewahren, so erblicke ich in ya eine durch Einfluss der entschieden viel häufiger gebrauchten Activform mit yâ, wel- che dieses d, wie diess auch mit andern á oft geschieht, bisweilen ver- kürzt (vgl. §. 28), entstandene unorganische Gestaltung oder Umwandlung des organischen daidita, ähnlich wie im Páli ($. 14). _ 28) Vgl. ‘Ueber die im Sanskrit mit r anlautenden Personalendungen’ im XVten Bde dieser Abhandlungen. 29) Da diese in letzter Zeit bezweifelt ist, so werde ich bald die Gelegenheit ergreifen sie in einer besonderen Erörterung zu erweisen. 2.30) Vgl. Westergaard, Zendavesta Vol. I. Preface, p. 15 n. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 165 Die Altbactrischen Endungen, welche sich nachweisen lassen, sind. demnach mit Basen die nicht auf a auslauten mit Basen auf a Sing. 1. ya unbelegt 2. ísa, isa aésa 3. íta, ita (yata) r ` alta Du. 1. 2. unbelegt unbelegt 5 — _ dithe 31) Plur. 1. = dimaide 2. — Öidhvem 3. = a-yanta32), S - 14. Für das Päli, welches sich neben dem Sanskrit aus der Indischen Grundsprache entwickelte und eben so alt, ja wahrscheinlich älter ist, als die meisten literarischen Productionen des Sanskrit, welche auf uns gekommen sind, führt Kachchäyanas Grammatik ebenfalls ein Ätma- nepada (Medium) des Potentials an. Da uns bis jetzt verhältnissmässig wenig aus der Päli-Literatur bekannt, vieles sicherlich auch einge- büsst ist, scheint mir ein Zweifel an der Existenz dieser Verbalform in dem eigentlichen Däi kaum berechtigt. Auch sprechen für sie Eigen- thümlichkeiten dieser Form, welche mit dem -Sanskrit nicht in Harmonie stehen, also eine willkürliche Fabrication derselben nach dessen Vorbild ausschliessen. ` Sie existirt in der Gestalt, welche sich für die Präsensthemen auf a geltend gemacht hat, kann sich also erst in einer Zeit fixirt haben, in welcher, in Analogie mit den meisten indogermanischen Sprachen, diese Conjugation eine überwiegende Verbreitung und sich daran knüpfende. Herrschaft gewonnen hatte. Wo diese Form aus andern Präsensthemen zu bilden ist, werden, gerade wie mehrfach im Griechischen (z. B. in 31) ig-öithe s, Justi Gramm. S. 398. 32) Spiegel Grammatik S. 223. 166 TH. BENFEY, deizyv-0-1umv u. s. w. statt des organischen deıxwv-ıunv u, s. w.), dieselben Endungen benutzt, die hinter Verben erscheinen, welche ein Präsens- thema auf a bilden 3). Die Endungen lauten nach Kachchäyana I. 2054) folgendermassen: Singular Plural 1. eyyä eyyämhe 2. etho eyyavho 3. etha erä. Von diesen sechs Endungen lassen sich nur drei unmittelbar mit den im Sanskrit entsprechenden vergleichen, nämlich Sing. 2. 3 und Plur. 3, d. h. etho = sskr. ethäs (für a-íthás), etha = sskr. eta (für a-ita) und era — sskr. eran (für a-iran); von den drei anderen treten zwei, ` nämlich 1. 2. Plur. in Analogie mit den Formen des Parasmaipada (Ac- tiv), welches zunächst, bevor die Exponenten des Potential antreten, au- sser in einigen Beispielen der 3ten Person Sing., ähnlich wie in anderen Formen anderer indogermanischen Sprachen 55), das Charakteristikum der - 33) Z. B. von dá ‘geben’, Präsensth. dadá, Sing. 1. Potent. Åtman. im Sskr. dad-iya, im Päli dad-eyy& (für dad-aya-iya), von chid ‘spalten’, Präsensth. chind? Potent. im Sskr. chind-iya, im Päli chind-eyy@ (für chind-aya-iya), von jnd ‘erkennen’, Präsensth. jü-nä, im Sekt. jän-iya, im Páli jün-eyyä (für jä-n-aya-iya), von çak, Prä- sensth. gak-nu, im Sskr. gak-nuv-iya, im Päli gakun-eyyä (für gak-nu-aya-iya), Sing. 3 von yuj ‘verbinden’, Präsensth. yunj, im Sskr. yunj-ita, im Päli yunj-etha (für yunj- a-itha), vgl. Fr. Müller, in der in der folgenden Note angef, Schrift. 34) Bei J. d’Alwis, An Introduction to Kachchäyana’s Grammar of the Päli Language. Colombo 1863, p. 8. Vgl. Fr. Müller, Beiträge zur Kenntniss der Päli- Spr. H. Wien 1868, S. 15. 18. 35) So im litauischen Präteritum z. B. sing. 1 bal-aú von bal-aya statt des Präsensth. bal-a (Schleicher, Compendium d. Vgl. Gr. $. 296), entsprechend dem af- menischen Imperfectum z. B. sirei von sir-aya, gegenüber dem Präsensth. sir-a (Fr. Müller, Armeniaca, II. Wien 1870 S. 2); ferner im lateinischen Imperfect eram u. 8. w. von as-aya, gegenüber dem Präsensthema as (vgl. Schleicher a. a. O.); ebenso im altslavischen Impf., z. B. Sing. 1 vëd-z-achú (Fr. Müller, a. a. O. S. 3), verglichen mit dem Sskr. eigentlich ein Aorist von Themen auf aya, welchem ein sskr. a-ved-ay-i-sham, wenn es gebildet werden dürfte, entsprechen würde. Im classischen Sanskrit ist aber bekanntlich diese Aoristbildung von Themen auf aya nicht erlaubt; . ÜBER DIE ENTSTEHUNGåUND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 167 10ten Conjugations-Classe anknüpft (vgl. dazu das im Präkrit häufige Eindringen der 10ten Conjugationsclasse überhaupt 56), welches im Sanskrit aya lautet und sich im Päli zu e zusammenzieht (vgl. kár-e-ti =, sskr. kär-aya-ti); als Exponenten werden nicht diejenigen gebraucht, welche im Sanskrit hinter Präsensthemen auf a erscheinen (s. $. 21), sondern — ab- gesehen von einigen Personalendungen — Reflexe der im Sanskrit hin- ter den übrigen Verbalthemen gebrauchten, z. B. in 3. Sing. Parasmai- pada von gam, nämlich gaccheyya, ist gacché = gaccha (Präsensthema von gam) im Sanskrit mit aya (Charakteristikum der 10ten Conjugationsclasse), und yya = sskr. yát, z. B. in dvish-yat3?). Eben so ist in 1. Plur. Am, z. B. in pac, nämlich pac-eyyimhe, der der Personalendung mhe vorhergehende Theil Reflex von sskr. pac-aya und yá (vgl. das zend. daidyata in $. 13). ` In der Personalendung mhe, wie wir sie auch im Einzelnen erklären mögen, haben wir, ähnlich wie in einigen des Altbactrischen ($. 13), die des Präsens zu erkennen, welche sich aber auch im Aorist (mhe) fixirt hat, während in der der zweiten Ps. Plur. vho höchst wahrscheinlich eine Nebenform der Endung des Imperf. 58) und Aorist vhá = sskr. dhvam zu erkennen ist, also, in Ue- bereinstimmung mit dem Sanskrit die Imperfect-Endung wiedergespiegelt wird (vgl. die Personalendung der 2ten Plur. Präs. Am. vhe = sskr. dhve). Dafür spricht, dass diese Form vho auch für 2 Plur. Imperativi hier haben diese den reduplicirten Aorist (die 3te Aoristform).. Jedoch erscheint sie, wie Pänini (III. 1, 51) bemerkt, schon in den Veden ‚in vier Verben (vgl. Vollst. Gramm. des Sskr. $. 858, IV); in zwei von diesen ist auch die Form belegt (s. Pe- tersb. Wtbch. unter únay und 1. dhvan); die beiden andern sind noch nicht belegt; dagegen tritt ein fünftes hinzu, welches die indischen Grammatiker nicht bemerkt haben, nämlich oyatk im Atharva-Veda V.7, 2. — Vgl. übrigens auch noch die sehr geistvolle, aber doch noch etwas bedenkliche Erklärung des latein. Perfectum von Fr. Müller in den Sitzungsberichten der Wiener Akad. 1870, LXVI, 227. 36) S. Lassen, Inst. ling. Pracrit. p. 339. 37) Wegen Verdoppelung des y hinter e s. Fr. Päli-Spr. L 29. 38) Bei Fr. Müller a. a. O. 15 findet sich GA statt vhä, wohl nur Versehen. Müller, Beitr. z. Kenntniss der Kä 168 TH. BENFEY, Ätm. verwendet wird, wo im Sanskrit ebenfalls dhvam erscheint; freilich ist sie auch im Pf. red. gebraucht, wo das Sanskrit dhve gegenüberstellt, was man dagegen geltend machen könnte. Ich will hier diese für unsre Zwecke unwichtige Frage nicht weiter in Betracht ziehen, sondern nur noch bemerken, dass sich entschiedener Eintritt der Präsensendungen statt der des Imperfects auch im Ätmanepada des Conditionalis 2. Sing. se und 1. 2. Pl. mhase, vhe zeigt. In der ersten Sing. z. B. labheyyä ist die Analogie des Parasmaip., meiner Ansicht nach, nur in so weit von Einfluss gewesen, als e = aya an die Basis trat, in yyä dagegen glaube ich den Reflex der sskr. En- dung fya, wie im Altbactrischen ($. 13) mit Einbusse des í, erkennen zu dürfen, so dass diese Form ein sskr. labhayeya (labh-aya-iya), wenn diese im Sanskrit von diesem Verbum gebildet werden dürfte, wiederspiegeln würde. Doch auch in dem auslautenden å im Gegensatz zu dem sskr. a, bleibt eine Schwierigkeit 59). Diejenigen, welche Formen die zu einer Begriffscategorie gehören, auch formell aufs innigste mit einander zu verbinden suchen, finden viel- leicht Anstoss daran, dass, nach meiner Erklärung, in diesen sechs For- men drei, vielleicht selbst mehr, Bildungsprincipien walten würden. Al- lein einmal scheint mir eine Zurückführung derselben auf ein Bil- 39) á führt eigentlich auf ein zu Grunde liegendes ám. Sollte dieses zu dem im Sanskrit erscheinenden a in demselben Verhältniss stehen, wie sskr. tám in 3 Sing. und antäm in 3. Plur. Imperat. zu ta in 3. Sing. und anta in 3, Plur. Impf. aus te in 3. Sing. und ante in 3. Plur.'Präs., 2. Dual áthåm 3. Dual äläm (vermittelst átha, äta) zu 2. 3. Dual Präs. äthe, äte, griech, Sing. 1 yv (u@v für mäm) zu grundsprachli- chem ma im Gegensatz zu Sing. 1 Präs, De (grundspr. mai) und so auch goth. 2. Sing. Passivi zau 3. Sing. dau 3. Plur. -ndau, bezüglich für einstiges sám, dâm, -ndäm (vgl. 1. Sing. Conj. Praet. jau — sskr. yám und über Imperat. 3. Sing. dau Plur. ndau Bopp, Vgl. Gramm. II. 8. 354 f. Scherer, Zur Gesch. d; Deutschen Spr. S. 199) gegenüber von grundsprehl. sa, ta, anta? Dann wäre hier im Päli eine Um- gestaltung der aus dem grundsprachlichen Auslaut des Präsens ai abgestumpften En- ung a bewahrt, welche durch die analogen Formationen des Sskr., Griech. und Goth. sich als eine der Trennung vorhergegangene erweist. Bei dem hohen Alter des Päli wäre diess keine Unmöglichkeit, doch wage ich keine Entscheidung. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 169 dungsprincip, ohne die gewaltsamsten, ja unwahrscheinlichsten, Annahmen, nicht möglich, ‚und andrerseits ist es sehr gut denkbar, dass eine Bil- dung, wie das Atmanepada (Medium), welche, ohne Zweifel von früh ein- getretenem seltenem Gebrauch, in den meisten indogermanischen Spra- chen bald ganz ausstarb und auch im Päli nur selten verwendet wird, manche ihrer ursprünglichen Formen einbüsste und sie entweder durch ganz unorganische Erweiterung der Bedeutung der erhaltenen Formen (wie im Gothischen, wo 3. Sing. auch die Bedeutung von 1. Sing. erhielt und 3 Plur. auch die von 1. 2. Plur.) ersetzen musste, oder durch Neu- bildungen nach Analogie verwandter Formen (wie im Päli hier nach der des Potential Parasmaipada). $; 1.15 Im Gothischen ist der alte mediale Optativ nur hinter Basen auf a als Conjunctiv Passivi und nur in drei Formen erhalten; das a zieht sich mit dem anlautenden í zusammen. Die erste Form, nämlich aizau entspricht ursprünglichem a-isa, steht aber, wie in Note 38 angenommen, für a-isäm und bildet 2. Sing.; die zweite aidau = ursprünglichem a-tta (*a-itám) bildet die 3. Sing. und wird auch für die erste verwendet; die 3te aindau = ursprünglichem a-fanta (*a-lantám) bildet 3. Plur. und wird auch für die 1. 2. Plur. benutzt 49). $. 16. Stände dieser Medialbildung nicht unter den Activbildungen eine verschieden lautende gegenüber, so würde an der Sicherheit der gegebe- nen Erklärung — d. h. Annahme einer Zusammensetzung mit dem Im- perfectum von í, gerade wie z. B. italiänisch avrai u. s. w. eine Zusam- mensetzung von avere-hai ist — kaum ein Zweifel aufkommen. Allein jene Bildung stellt im Sanskrit und Altbactrischen dem medialen í im Activ ein yá gegenüber (z. B. sskr. 3. Sing. Potent. Parasm. dad-yá-t ge- genüber vom Ätman. dad-i-ta, altb. mru-yd-t) ; dieselbe Form ist auch noch 40) Leo Meyer, Goth. Spr., Abschn. 141: 8. 129. Histor.-philol. Classe. XVI- Y 170 TH. BENFEY, in einigen Päli-Beispielen zu erkennen, z. B. dajjá für das erwähnte sanskritische dad-yät; auch im Gothischen erscheint in 1. Sing. Conjunct. Präter. jau gegenüber von sskr. ydm, während in den übrigen Personen dem sskr. yá goth. ei und in 3. Sing. nur % entspricht*l),. Im Griechi- schen steht dem sskr. yá m gegenüber und ebenso im Altlateinischen ʻe. Diejenigen nun welche categorisch zusammengehörige Exponenten für ursprünglich identisch halten, haben diese Annahme auch auf das Ver- hältniss des medialen í zu diesem im Sanskrit, Altbactrischen erschei- nenden und in Päliformen zu Grunde liegenden yá angewendet und — und zwar fast alle bisherige Forscher — jenes í als eine Contraction von diesem yá betrachtet. gi ie Ehe wir weiter schreiten, bedarf es hier einer Correktur, welche, wenngleich sie diese Annahme nicht widerlegt, doch für die Erkenntniss des Verhältnisses von í zu yá von Bedeutung ist. Sie würde zwar ihre ei- gentliche Stelle erst in $. 21 ff. zu finden haben, wo wir von den Activ- formen auf sskr. ydm u. s. w. sprechen; allein aus manchen Gründen scheint es zweckmässig, sie schon hier mitzutheilen. Jeder, welcher meine Abhandlung über das Suffix ia*2)' gelesen, wird bemerkt haben, dass ich in dem 7ten §. derselben (S. 131) die An- sicht aufgestellt habe, dass das sanskritische yá in diesem Potential frü- her zweisilbig gelautet habe, gerade wie das entsprechende n und alt- lat. ie (mit ursprünglich langem é = 7 in griech. m) zweisilbig sind. Ich habe dabei schon bemerkt, dass diese Zweisilbigkeit noch in vielen Fällen in den Veden hervortritt. Insbesondre ist dieses im Potential des Verbum substantivum der Fall, wo sich wegen des vielfachen Ge- brauchs, gerade wie in dessen — dem Potential entsprechenden — alt- lateinischem Conjunctiv (siet, später sit), die ursprünglichere Aussprache länger erhielt. So z. B. erscheint 41) Ebds. Abschn. 471 8. 647. 42) Genauer ‘Ist in der indogermanischen Grundsprache ein nominales Suffix ia, oder statt dessen ya, anzusetzen’ oben S. 91 fi. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 171 sim Rigveda VIII. 14, 2 yád ahäm göpatih siäm du =/w—v— sët Rx 1. 17, 6 siäd utá prarecanam v—v—/v—v— vgl. auch L 38, 4; II. 1,23; VIH. 14, 1: Sämav; L:52,4. $. siätam Rv. L 120, 7 tá no vasü sugopä& siätam das vorletzte Wort ist viersilbig zu lesen 45), also v—w—r—/v sid'ma Rv. I. 24, 15 änägaso äditaye siäma v—v—/vvv —/y—— vgl.:auch I. 51, 15; 73, 8; 94, 13; 15; 98, 1; 105, 19; 121, 15; 150, 3::164, 40;:.180, 9;.15:2, 32; 11,1; 1217-1989 1858; 34, -15; 27, 16; 28:25:34, Mech Baier: VIÐ. ES LS Dë, BB siá tana I. 38, 4 mártåso siätana. Hier ist martäso viersilbig zu lesen, mit der, in den Pråtiçâkhya’s vorgeschriebenen, Einschiebung eines Vokals zwischen dem r und t, wel- che den Uebergang von ursprünglichem ar vor einem Consonanten in ri (eig. ara) herbeiführte 4), also vu— —/v—v— -~ Zugleich erwähne ich, dass auch 3. Plur. syus zweisilbig erscheint, nämlich sius Rv. VIIL 59, 5 catám bhümir utá siüh v EH Dass so zu lesen ist, ist wegen des Mam in Vers 1. 3 und 7— 12 kaum zu bezweifeln, obgleich der Gebrauch des a in utá als Långe auf- fallend ist (vgl. weiterhin zu Rv. I. 187, 7). Freilich erscheinen diese Formen in den Veden häufig auch einsil- big, z. B. syám Rv. I. 116, 25 asyá pátih syåm sugávah suvřrah —vw—/—vw—/v—— 43) Vgl. Kuhn in ‘Beiträge z. vgl. Sprfschg.’ IV. 182. 44) Vgl. ‘Ueber ri, ri und li in ‘Orient und Occident’ II, 25 §. 17. y> 172 TH. BENFEY, syát I. 167, 10 tán na ribhukshä naräm ánu shyåt. Hier ist nará'm dreisilbig zu lesen #5); also —w—/w —/y— —; vgl. auch I. 167, 10; 183, 8. syatäm I. 104, 3 hate té syätäm pravan& ciphäyäh v— — —/w—h— — syd’ma I. 4, 6 syä&med I'ndrasya cärmani —— — —/v—v— ; vgl. auch I. 178, 5; 185, 4; II. 8, 6; 27, 7; 28, 3. syus Rv. I. 123, 13 asmäsu räyo maghävatsu ca syu — —v—/—w—/w— > vgl. H. 4, 9. Darüber dass dieser Wechsel zwischen Einsilbigkeit und Zweisilbig- keit in den Veden gegen die Folgerungen, die insbesondre aus der Ue- bereinstimmung der Zweisilbigkeit mit dem Griechischen und Latein zu ziehen sind, nicht geltend gemacht werden kann, ist in der angeführten Abhandlung gesprochen (vgl. insbesondre daselbst §. 8 S. 131 f.). Wie in dieser das Päli für die einstige Zweisilbigkeit von Suffix yd sprach, so erscheint in ihm auch siy4*6) für sskr. syát, entsprechend dem vedi- schen siät. “Hier tritt ferner wohl auch das Gothische für die einstige Zweisil- bigkeit in die Schranken; denn, obgleich ich mir nicht eine entschei- dende Stimme in Bezug auf die gothische Lautgeschichte zutraue, so scheint mir doch goth. ei in 2. Sing. eis, Du. 1 eiva u. s. w. und í in 3. Sing. eher auf ein ursprüngliches i4 (2. Sing. id-s, Du. 1. id-va u. s. w. 3. Sing. tá-t) als auf yá (yd-s, ya-va, yá-t) za deuten und jauin 1. Sing. würde sich, wie sskr. yám für íá-m, nach den Erörterungen in der ange- führten Abhandlung, durch die in allen Sprachen so häufig eintretende und sich weiter verbreitende Synizese erklären. Für die Vedenzeit würde sich in diesem Wechsel der zweisilbigen und einsilbigen Aussprache, gerade wie in Bezug auf das Suffix ai", 45) Kuhn a. a. O. 180, 46) Fr. Müller, Beiträge zur Kenntniss der Päli-Spr. II. 17. 47) Vgl. die in N. 4% erwähnte Abhandl. S. 122; ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 173 das Stadium des Uebergangs von jener in diese kund geben. Nur ist dabei zu bemerken, dass im Potential die einsilbige Aussprache sich schon in weit grösserem Umfang geltend gemacht hatte, als im Suffix ia; die zweisilbige Aussprache findet sich in zahlreicheren Fällen nur, wie schon bemerkt, im Verbum substantivum; im Potential andrer Verba ist sie sehr selten. Ein Beispiel der Art ist gamiäh Rv. I. 187, 7 áram bhakshäya gamiåh v———/v>v— Auch bier ist wie oben Rv. VIII. 59, 5 der Gebrauch der Kürze als Länge auffallend, allein auch hier macht es das Metrum des ganzen Hymnus unwahrscheinlich, dass der zweite Fuss v—— zu lesen sei. Ein andres Beispiel ist säsahiät Rv. V. 7, 10 zweimal ätrih säsahiäd dasyün ishäA säsahiän nrin. In Bezug auf die Kürze des a in dasyú'n vgl. man Kuhn #3); in nrin ist rí fast wie arí zu lesen #9); also —— —yr— — fo— ne Ein drittes und unzweifelhaftes Beispiel bildet açiáma Rv. IV. A 14 tväyä vayám sadhanias tväütäs táva präniti aciäma vä/jän. vr ww — u — —h—r—/-vu—h— — In tváútás ist das 4 vor dem nachfolgenden Vokal zu verkürzen. Ein viertes Beispiel findet sich Rigv. V. 6, 9 utó na út pupüriäh v—v—w—v— 48) ‘Beitr. z. vgl. Sprfschg.’ III. 457. 49) Vgl. über die Entstehung des ri die N. 44 erwähnte Abhandl. we und Occ.” insbesondre $. 28. In Bezug auf nrin bemerke ich, dass es für narams, dann narans steht, welches fast ganz treu im altbactr, neräs (Yg. 40, 7, West. 3. und 44, 7, West. 45, 7) wiedergespiegelt wird. Indem sich der Vokal ħin- ter r in ähnlicher Weise, wie im Altbactr. vor demselben, schwächte (vgl. die Stelle in Anm. 44), entstand die Verbindung von r mit vorangehendem und folgendem irra- tionalem Vokale (vgl. altbactr. nereus Vend. 18, 31, West. 12, für narans), welche im Sanskrit durch den Vokal ri wiedergegeben wird. Dieser ward dann vor der Po- sition gedehnt und diese Dehnung blieb auch nachdem durch Einbusse des auslau- tenden Consonanten die Position verschwunden war. 174 TH. BENFEY, Ein fünftes bietet der Såmaveda I. 4. 1. 3. 4 tánå tmánå sahiäma tyäütäh v—v —/óv— —/- — — wo jedoch Rigv. X. 148, 1 sanuyáma liest; wegen tvá'útáh s. zum drit- ten Beispiel. 8. 18. Ich verkenne nicht, dass weder die Zweisilbigkeit im Latein (in siet u. s. w.), noch das e im Griechischen, noch endlich die mit der einsil- bigen Aussprache wechselnde zweisilbige in den Veden vollständig für die einstige Zweisilbigkeit entscheiden. Die letzte um so weniger, da sie, wie gesagt, häufiger nur im Potential von as vorkömmt, sonst aber äusserst spärlich erscheint und auch bei as mit der einsilbigen häufig wechselt. Man könnte daher geneigt sein, die Zweisilbigkeit nach der Ausführung im $. 8 der Abhandlung über das Suffix ia zu erklären. Allein jene ganze Abhandlung wird schwerlich verfehlen, bei dem Leser den Eindruck zu hinterlassen, dass wo die Frage entstehen darf, ob For- men der indogermanischen Sprachen auf einer Liquida, oder wenigstens speciell y, oder auf dem entsprechenden Vokal, speciell i, beruhen, die Präsumption für die letztere Annahme spricht. Dass aber wegen latein. ié, griech. og und der zweisilbigen Aussprache in den Veden diese Frage hier, wie dort für das sskr. Suffix ya, aufgeworfen werden darf und, wie das in Bezug auf dieses Suffix gewonnene Resultat beweist, aufgeworfen wer- den muss, ist keinem Zweifel zu unterwerfen. Die Präsumption spricht also auch hier für die einstige Zweisilbigkeit; nehmen wir diese an, so erklärt sich das seltene Vorkommen derselben in den Veden dadurch, dass in dem Stadium des Uebergangs aus der klaffenden (zweisilbigen, hiatusversehenen) in die geschlossene (einsilbige) Aussprache, welches die Vedensprache, wie wir in der angeführten Abhandlung sahen, repräsen- tirt, die einsilbige Aussprache, ähnlich wie sie in manchen Themen auf das Suffix ia (ya) schon fixirt war (wie z. B. in havyd), so auch im Po- tential wenigstens zur vorherrschenden sich erhoben hatte. Die Präsumption wird aber zur Gewissheit, wenn meine im §. 28 vorzuschlagende Erklärung dieses Bildungselements Beifall findet, was ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 175 vielleicht um so eher zu hoffen, als sie im Wesentlichen mit der unse- res grossen heimgegangenen Meisters, Bopp, übereinstimmt. Durch diese ergiebt sich fá-m u. s. w. als Grundform und für die Richtigkeit dieser Annahme sprechen noch einige uns erhaltene Formen mit langem í; so zunächst die in der Episode des Maliäbhärata, dem Nalus, XIII, 42 bei Böhtlingk erscheinende Form bhunj-iydm statt des ge- wöhnlichen bAunj-ydm. Dieser tritt zunächst zur Seite die Aussprache sahtäs für sahyds in Rigv. X. 148, 2 däsir vicah süriena sahläh — —v—/—v—r/p— —; ferner auch die verwandten vedischen Formen duhtyat und duhtyan, von denen weiterhin die Rede sein wird. In diesen letzten ist so wie in dem ersten das im Sanskrit 59) — und Páli 50) — so oft zur Vermeidung des Hiatus benutzte y zwischen 7 und á, a getreten, wie es im Sanskrit selbst zwischen zwei a (vgl. z. B. von budh durch Suffix aka, bodh-aka, aber von dá, dd-y-aka) zwischen u und á z. B. von amu mit á amu-y-4 erscheint; viel näher noch lag seine hiá- tushebende Entwicklung hinter dem innig verwandten Vokal i. Das Verhältniss von fá (Grundform) zu Zud (in bhunj-tyám) und yá (im gewöhnlichen ydm) findet ferner sein vollständiges Analogon, wie mir scheint, auch in einigen andern Bildungen. Vergleichen wir die Bildung des griechischen Ordinale devzego vom Zahlwort für zwei, grundsprachlich dva, durch das Comparativsuffix 78990, so wird man schwerlich meine Auffassung des Suffixes fya, durch wel- ches im Sanskrit das Ordinale dieses Zahlworts gebildet wird, als Ab- stumpfung des Comparativsuffixes íyams51), in Zweifel ziehen. Beachten wir ferner, dass im Ptcp. Pf. red. aus der organischen Endung vant (in der schwachen Form vat bewahrt) die Form vas (im vedischen Vokativ Sing. und Grundlage der schwächsten Form us) entstanden ist, so wird man eben so wenig bezweifeln, dass auch die schwache Form von iyams, näm- 50) Vgl. die Abhandlung über das Suffix ia (ya) an mehreren Stellen, insbes. S. 194.126: 51) Kurze Sanskrit-Grammatik 1855 S. 329, vgl. dazu goovasiya neben gvova- siyas-a, beide auf der schwachen Comparativendung ?yas beruhend. 176 ` TH, BENFEY/7 lich iyas, aus ont entstanden ist, welches ich als Ptcp. Präs. von redu- plicirtem ö betrachte 5). In der mehrfach erwähnten Abhandlung über Suffix ia ist aber bemerkt (S. 122. 123), dass einst die Scheu vor Hia- tus nicht existirte, also dieses Particip ant lautete, demgemäss also auch das daraus abgestumpfte Affix nicht fya, sondern ía. Die indischen Grammatiker haben sehr geistvoll das Ordinale als dasjenige Zahlwort bezeichnet, welches einen Gegenstand als den eine Zahl (Cardinalzahl) vollmachenden (pürana) 5) charakterisirt. Der dritte z. B. ist derjenige, welcher die Zahl drei voll macht, gewissermassen der letzte von dreien, Die indogermanischen Sprachen fassen diese Begriffs- categorie so auf, als ob der Gegenstand, welcher durch das Ordinale specialisirt wird, gewissermaassen der letzte, höchste, in der Zahl dieser Gegenstände, welche das Cardinale ausdrückt, sei; sie bilden demnach das Ordinale, in Uebereinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen der Steigerung, von den Zahlwörtern ‘drei u. s. wi fast ausnahmslos durch das Superlativaffix, von ‘zwei’ aber durch das des Comparativs, fas- sen also ‘dritte’ als ‘am meisten drei’, ‘zweite’ dagegen als ‘mehr zwei’ auf. Nachdem sich aber die Ordinalia als besondre Categorie dem Sprach- bewusstsein gegenüber festgesetzt hatten, lösten sie sich aus der Cate- gorie der Steigerungen heraus, die Bildung durch Comparativ- oder Su- perlativ-Suffix machte in ihnen keinen Unterschied mehr und so wur- den auch Bildungen durch andre Suffixe möglich. So finden wir denn als Ordinale von ‘drei’ im Sanskrit trit-fya, Latein tert-io, altslav. tret-iju 52) Diese Erklärung ist schon ‘Kurze Sanskrit-Grammatik’ S. 318 Anm. 1 auf- „gestellt. Doch scheint mir die Begriffsvermittlung, welehe ich dort gab, ungenügend. Ich betrachte dieses reduplicirte Thema jetzt als Frequentativ mit der Bedeut. ‘fort und fort gehen’. Aus dieser tritt dann, wie z. B. im lat. progredi, die Bed. ‘zuneh- men’ hervor; ähnlich, aber noch schlagender für unsre Erklärung sprechend, schliesst sich im Sskr. an pra-i ‘fortgehen’ das Nomen präya (pra-i mit Affix a) mit der Bed. ‘Mehrheit’; demgemäss gebe ich iyant die Bed. ‘sich mehrend', ‘mehr’ z. B. gar-iyant ‘mehr schwer’. 53) “Panini's acht Bücher grammatischer Regeln, herausgeg. von O. Böhtlingk’ D 498. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 177 augenscheinlich nach Analogie des sskr. Ordinale für ‘zwei’ dvit-Tya (grd- sprchl. dvit-Ta, vgl. lat. tert-io, mit Verkürzung des í vor nachfolgendem Vokal) gebildet. Das Sanskrit und Altbactrische dehnen diese Bildung auch auf das folgende Zahlwort ‘vier’ aus. Die eigentliche Form würde catur-Uya im Sanskrit lauten müssen, aber in Folge des erst die dritte Silbe treffenden Accents ist, wie im Sskr. so oft vor accentuirten Sil- ben (vgl. z. B. ghm-anti für han-antı), zunächst das a der ersten Silbe eingebüsst, worauf das anlautende c, nach den phonetischen Gesetzen des Sanskrit, zu E werden musste, so dass eigentlich Aturiya entstanden wäre (vgl. die gleich zu erwähnende altbactr. Form khtdirya in d-Ahtdirtm) ; im Sanskrit ist aber auch das nun gruppenanlautende % eingebüsst, so dass nur tur-Tya übrig blieb. Endlich hat sich diese Ordinalbildung im Sanskrit auch für eines der Ordinalia von ‘ein’ festgesetzt, nämlich in dem von agra abgeleiteten vedischen 5) agr-Tya. Daneben erscheint, in den Veden belegt, agr-iyd, mit kurzem í und Wechsel des Accents, wie in den Veden nicht selten Dä. Die Verkürzung erklärt sich aus der ur- sprünglichen Form ohne eingeschobenes y durch den Einfluss des unmit- telbar folgenden Vokals56); es ward also einst ía und řa neben einan- der gesprochen und beide Formen schoben dann y ein, so dass sie als ya und a neben einander fortbestanden. Dieselbe Verkürzung trat auch, wie schon bemerkt, im latein. tert-io ein. Ausser agr-iya und agr- iya erscheint aber auch dgr-ya; auch diese Form beruht auf einer ohne eingeschobenes y; denn sie ist durch Synizese entstanden 57); f oder í wurden vor dem unmittelbar folgenden Vokal zu ihrer Liquida y. In derselben Weise entsteht im Sanskrit neben Going ‘der vierte’ als Ne- benform tur-ya (aus tur-ta) und, mit Dehnung des ú vor r mit folgendem Consonanten, túr-ya; an diese letztre Form schliesst sich altbactrisch túir-ya für älteres khtúir-ya, welches in der Zusammensetzung á-khtúirtm sich erhalten hat. Durch gleiche Synizese erklärt sich altb. tArit-ya und 54) Nach Pänini IV. 4, 117; noch nicht in den Veden nachgewiesen.’ 55) Vgl. Ueber das Suffix ia oben S. 126 und sonst. 56) Ebds, S. 124 und sonst. 57) Ebds. S. 127. Histor.-philol. Classe. XVI. zZ 178 TH. BENFEY, goth. thrid-ja ‘der dritte aus grdspr. tri-t-ía und auf dieselbe Weise die sanskr. Endung des Potential yd-m, yä-s, altbactr. yam, ydo u. s. W., goth. jau aus dem von uns zu Grunde gelegten íá-m u. s. w. 5. = 4% Die in §. 16 angedeutete und in den beiden folgenden ausgeführte Correktur, wonach das yá des Sanskrit und Altbactrischen in z. B. yä-t, yä-t, so wie das ja im goth. jau, gleichwie das griech. om z. B. in nv, das lat. i in stem, auf grundsprachlichem "29 beruhen, macht für die Frage, ob dem, diesem íá oder yä des Activ (Parasmaipada) im Medium gegenüberstehenden, í ein wenn gleich verwandter, doch selbständiger Cha- rakter zuzusprechen, oder ob es bloss für eine phonetische Umwandlung des activischen y4 oder íá zu nehmen sei, wie im $. 16 ebenfalls schon bemerkt, kaum einen Unterschied. Wie sich im Sanskrit Fälle zeigen, wo sich y4 zu í zusammenzieht (z. B. von vy, im Wurzelverzeichniss vye, mit dem accentuirten tá des Ptcp. Perfecti Pass. vi-td), so erscheinen auch solche, wo ursprüngliches 74 zu í wird (z. B. im Nom.-Voc.-Acc. Dual. von tárantí mit der vedischen Endung á, statt des classischen au, tárantí für tdranti-4 Rv. IV. 56, 7, wo eben so p/prati und in demselben Hymnus ebenso mah? u. a.) und wem solche einzelne Fälle genügen, um ganze Categorien in derselben Weise aufzufassen, der könnte geneigt sein in solcher Art auch z. B. dad-i-ta aus ursprünglichem dad-yå-ta zu erklären. Eben so er- scheint im Altbactrischen í für yá selbst im Parasmaipada in einigen Fällen, z. B., neben Jan-yä-t, cäh-1-t. In ähnlicher Weise sehen wir im Griechischen in keinesweges wenigen Fällen, ja im Plur. im Attischen Dialekt gewöhnlich, das 7 von m eingebüsst z. B. w3s-1-usv statt gäe: íņ-usv 58), und das Latein ‚hat bekanntlich später í statt des de in sim, sis u. s. w. Ob sich auch im Gothischen Analogien für den Uebergang von já oder fá in í nachweisen lassen, will ich hier nicht untersuchen, aber auf jeden Fall ist wenn jener, auch dieser in demselben, vielleicht noch in einem höheren Grade möglich. 58) Kühner, Ausführl. Gramm. der Griech. Sprache. 2te Aufl. I. 543. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM.OPTATIV. 179 Es entsteht aber nun die Frage, ob diese sporadischen Uebergänge von yá oder íá in í auch die Berechtigung gewähren, das 7 des media- len Potentials als eine phonetische Umwandlung des activischen ya oder id aufzufassen. Mir scheint diese Frage verneint werden zu müssen und zwar aus folgenden Gründen. L Neben all diesen sporadischen Uebergängen erscheinen auch die regelrechten Formen, z. B. sanskr. khyá bildet nicht, wie vyå, khítá son- dern regelrecht khyátá, neben griech. geiuev erscheint auch das regel- rechte geinuev u. s. w. Aber weder im Sanskrit, noch im Griechischen, oder Gothischen erscheint im Medium auch nur eine Spur von dem 4 des Activ. Man würde daher trotz der sporadischen Uebergänge von ai oder íá in í auf jeden Fall Bedenken tragen müssen, dieses Verhältniss auch nur in einer einzelnen dieser Sprachen auf diese Weise zu erklä- ren. Nur in den beiden Sprachen, deren Grammatik sehr zerrüttet ist, dem Altbactrischen und Päli, zeigten sich im Medium wenige Formen, die sich an das y& des Activum schliessen, von mir aber, schwerlich mit Unrecht, gerade aus dem Einfluss dieses in lebendigstem Gebrauch waltenden Genus auf das aussterbende Medium erklärt sind (vgl. §. 13. 14. S. 164 ff). 2. Wenn aber jene Erklärung selbst für das Medium einer einzel- nen unter diesen Sprachen bedenklich sein würde, so wird. sie fast rein unmöglich für sie in ihrer Gesammtheit. Wie kann man sich vorstellen, dass die so weit auseinanderliegenden Sprachen, welche im Allgemeinen die verschiedensten phonetischen Entwicklungen durchgemacht haben, von einander unabhängi g, wie Bopp annimmt, alle an demselben Ziele angelangt wären, ohne dass das Sanskrit, Griechische und Gothische auch nur eine Spur eines dem í im Medium vorhergegangenen yá oder fá be- wahrt hätten. Ja dieser Mangel einer Spur von yá oder íá ist kaum hervorzuheben; schon die Uebereinstimmung dieser so weit von einander getrennten Sprachen in # macht die Annahme eines vorhergeganeenen ad oder íá absolut unwahrscheinlich, ja völlig unzulässig. 3. Für die Unzulässigkeit spricht aber ferner der schon in $. 4 S. 141 angeführte Umstand, dass auch eine der Formen des Activs keine 22 180 TH. BENFEY, 4 Spur von íá oder ad hat, sondern, wie sich weiter (§. 21 ff.) zeigen wird, in Uebereinstimmung mit dem Medium, ebenfalls í, — und in diesem í stim- men nicht bloss Sanskrit, Griechisch, Gothisch, Altbactrisch und Páli überein, sondern es treten auch Latein, Litauisch und Altslavisch dazu. Wer wird sich überreden können, dass diese acht Phasen des indoger- manischen Sprachstammes, trotz ihrer verschiedenartigsten Lautgesetze alle durch einen baren Zufall, unabhängig von einander, ursprüngliches 29 oder yá gerade in dieser Bildung in í verwandelt hätten? Ich glaube nicht nöthig zu haben, den Widersinn, der darin läge, weiter erörtern - zu müssen, sondern mich der Hoffnung hingeben zu dürfen, dass man in dieser Activform, der weiterhin ($. 21 ff.) folgenden Darstellung ge- mäss, das dem Imperfect des Medium von í, welches nach $. 10 den Op- tativ Medii bildet, entsprechende Imperfectum Activi desselben Verbal- thema anerkennen werde, welches, in Uebereinstimmung mit der Entste- hung der medialen Form des Optativ, auch eine von dessen activischen bildete, so dass z. B., wie im Sskr. 1 Pl. Ätman. -mahi mit bhara zu- sammengesetzt bharemahi gestaltete, so die entsprechende Form des Pa- REYPA íma von demselben bhara im Parasm. bharema (für bhara-íma). 4. Man würde also, um die Entstehung der medialen Form mit f aus der activischen mit yá oder tá aufrecht zu erhalten, annehmen müssen, dass diese Contraction zu 7 schon in der Grundsprache Statt gefunden hätte. Zu diesem Zwecke müsste man aber beweisen, dass in der Grund- sprache schon Contractionen von yá 14 zu 1 überhaupt und speciell im Medium gegenüber von activischen yá tá eingetreten wären. Dieser Beweis ist aber nicht zu führen. Die Annahme würde also eine luftige Hypothese bleiben, und es würde reine Papierverschwendung sein, woll- ten wir noch weitere Gründe — an denen es keinesweges fehlt — gegen ihre Berechtigung geltend machen. S. 20. Den Ausführungen im vorigen $. gemäss überwinden wir demnach die Scheu vor Annahme von Doppelformen und betrachten den Optativ ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 181 mit fá oder yá zwar als eine verwandte (vgl. weiterhin $. 28), aber doch verschieden gebildete Nebenform von dem mit í, machen uns sogar auf noch andre der Art gefasst, denen wir im Folgenden, jedoch als wirkli- chen Optativen — mit einer Ausnahme ($. 24) — nur im Activ begeg- nen werden. Und warum sollten wir diese Scheu hegen, da wir ja auch sonst nicht selten gleichbedeutende Nebenformen antreffen? Sind doch von den acht Formen des sskrit. Aorist fünf entschieden schon in der Grundsprache vorhanden gewesen, wie die Uebereinstimmung von vieren mit griechischen und einer mit dem Altslavischen erweist; vgl. z. B. Ty- pus I. sskr. adhám = nv; Typus II. sskr. a-vid-am = gr, sldov für è-pıð-ov ; III. sskr. avocam für a-vavac-am = griech. soon für 8 fpepen-ov ; IV. sskr. adiksham, adikshas für a-dig-sam, a-die-sas = griech. Mata, Derës für E-deız-oe(u), #dðax-0as. V. sskr. Endung sta in 2. Plur. Pa- rasm. von tud atautta für a-taud-sta — altslav. ste in 2. Plur. Act. von jad jaste für jad-ste; wenn das dem altslav. jad entsprechende sskr. ad diesen Aorist bildete, würde er in dieser Person, ohne Augment atta für organisches ad-sta lauten. Wenn bei dieser Andeutung dem Leser auffallend sein sollte, dass nur eine schon entschieden grundsprachliche mediale Bildung den ver- schiedenen activischen gegenübertritt, so erlaube ich mir darauf auf- merksam zu machen zu machen, dass es sich ähnlich mit dem Indicativ des griechischen Perfectum und Plusquamperfectum verhält. Auch hier tritt den mehrfachen Formen des Activ im Medium nur eine Form ge- genüber. Selbst in der Grundsprache schon existirte nur eine Medial- form des Perfects ohne hinzugetretenen Vokal vor der Personalendung, während im Activ Formen ohne und mit einem solchen gegenübertreten ; diess genauer nachzuweisen würde jedoch hier zu weit führen. Dagegen mag noch bemerkt sein, dass im classischen Sanskrit nur fünf Medial- formen neben den sieben activischen des Aorist erscheinen. Wir irren schwerlich, wenn wir diese Armuth des Medium dadurch erklären, dass das Activ viel häufiger gebraucht ward und in Folge davon theils mehr Differenzen der Bedeutung hervortraten und nach Ausdruck rangen, theils phonetische Umwandlungen leichter durch Gewohnheit fixirt werden konnten. 182 TH. BENFEY, & 21. Wenden wir uns jetzt zum Activ! Wir haben,in $. 11 in den sskr. Potentialen der Präsensthemen auf a das e im Ätmanepada nach Analogie der übrigen medialen Formen aus gi erklärt. Diesen Potentialen treten nun im Parasmaipada ebenfalls Formen mit e gegenüber und es ist schon deshalb kein Grund vorhan- den, dieses e anders zu fassen, als das im Atmanepada, also z. B. 1 Plur. Parasm. bharema nicht für bhara-ima zu nehmen, nach Analogie von A man. bharemahi für bhara-ímahi, mit Exponenten ímahi in Uebereinstim- mung mit dem in dad-imahi. Es stehen demgemäss: Sing. 2. bhares für bhara-is 3. bharet „ bhara-it Dual 1. bhareva ` „ bhara-iva . bharetam , bhara-itam E mw . bharetäm ,„ bhara-itäim Plur. 1. biarema ,„, bhara-ima . bhareta `, bhara-ita. Damit erhalten wir, ganz in Analogie mit der Bildung des Ätma- nepada, in diesen Personen des Dual und Plur. das augmentlose Imper- fect des Parasmaipada des Verbum í, welches lauten würde tva, i-tam, í-tám, me, Lin Schon diese Umstände sprechen mit hoher Wahrschein- lichkeit für die Richtigkeit der Annahme von 4 in diesen Formen; es kommen aber noch zwei hinzu, welche diese Wahrscheinlichkeit noch steigern. Lei L Die te Plur. würde nach der allgemeinen Analogie auf an auslauten müssen, also von í eigentlich #an bilden (bewahrt z. B. in griech. 9£90-8v); mit Einschiebung des y (vgl. $. 14) iyan. Diese Form finden wir nun wirklich in den Veden in duhiyan, 3. Plur. des Potential von duh. Man könnte zwar auf den ersten Anblick zweifeln, ob diese Form so erklärt werden dürfe. Denn duh gehört zu den Verben, welche den Potential durch die Endung yam, yds u. s. w. bilden. In 3. Plur. haben diese regelmässig als Endung yus (und so ist auch die regelmä- ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 183 ssige Form von duh duhyus). Die sskr. Endung der Sten Plur. us ist aber bekanntlich eine phonetische Umwandlung von ant (der volleren Form aus welcher an erst abgestumpft ist) und bewirkt bei ihrem An- tritt die Einbusse eines vorhergehenden Vokals; yus 3te Plur. von dm u. s. w. steht also für ursprünglicheres yd4-ant; wäre aber die Umwand- lung von ant zu us nicht eingetreten, sondern die Grundform, mit Eiñ- busse. des auslautenden t, erhalten, so würde im Sanskrit yán entstanden sein (vgl. z. B. die öte Pers. Plur. Impf. Parasm. von yå,' welche aján oder ayus lauten kann)5?), welches hier nicht zu yan in Gran werden konnte. Ehe wir also zur Annahme einer solchen Anomalie unsre Zu- flucht nehmen , scheint es viel gerathener die Bewahrung der ursprüng- lichen, mit griech. «ev ganz übereinstimmenden, Endung in dieser Veden- form anzuerkennen (vgl. jedoch auch $. 27). Das häufige Erscheinen von alten Formen statt und neben jüngeren, oder der Analogie verwand- ter folgenden, hat in den vedischen Schriften nichts auffallendes und findet selbst im späteren Sanskrit Statt; so werden wir'$. 27 von duh noch eine Form duhiyat kennen lernen; von demselben Verbum erscheint auch duheyam (nach Analogie der 6ten Conjugations-Classe) 60%) und für das Verbum çtas schreibt Mädhava6!) als 3. Sing. des Potent. Par. cva- set vor, wie denn, so viel mir bekannt, bis jetzt auch nur diese, nicht die regelmässige çvasyát, belegt ist. Betrachten wir duh-iyan als in Ana- logie mit den Endungen gebildet, welche an die Präsensthemen auf a traten, dann entscheidet es unzweifelhaft für Länge des í. Möglich wäre zwar, dass duh-iyan aus. derselben Bildung zu erklären sei, aus welcher wir $. 27 duh-lyat erklären werden, d. h. aus fa-an, aber auch dann warde es für langes í zeugen. + Eine andre hieher gehörige Bildung erkenne ich in der 2ten Sing. za weiterhin) des vedischen Potentials des 1. Aorists von dhá, nämlich — 59) Pänini II. 4, 111 Sch. ; 60) Vgl. A. Weber, ‘Ueber den Vedenkalender, Namens Iyotisham’, in den Ab- handll. der Berliner Ak. d. Wiss. 1862, hist. phil. Cl. S. 45. ` 61) Vgl. Westergaard, Radd. l. Sser. unter çvas. 184 TH. BENFEY, dhäyis (Rv. I. 147, 5), welches seine Analogie in altbactrisch däis 62) (Yg. 4, 10, vgl. auch döis Yç. 50, 2. 3) findet. Das y ist in dhäyis einge- schoben, wie oben ($. 18) in dä-y-aka, was mit Entschiedenheit die eben- falls hieher gehörige vedische Form der 2ten Ps. Plur. dhetana (Rv. VIII. 56, 5) für dhä-itana zeigt; man vgl. auch noch die vom Schol. zu Pänini III. 1, 86 angeführten vedischen 1sten Personen des 1. Aor. von gá ‘ge- hen’ und sthä ‘stehen’, geyam, upa-stheyam (aus gä-iyam und sthä-iyam) 63); vgl. oben $. 11. 2. In den Veden ist das aus oi zusammengezogne e des Poten- tials bisweilen noch zweisilbig zu sprechen. Kuhn54) will es alsdann ae lesen; ich sehe aber keinen Grund hier diesen Diphthong anders als in seine Grundelemente aï aufzulösen, wie das Kuhn selbst auch sonst thut. In den von Kuhn gegebenen Beispielen ist es aber dann an zwei Stellen nothwendig, an den beiden andren des Metrums wegen höchst wahrscheinlich, ai zu lesen. Jene sind Rv. VII. 3,7 yäthä vah svähägnäye däcaima v———/— und VII. 29, 3 kad nündm te maghavan däcaima D — bH) [ýy — —yI— > | die andern beiden VI. 4, 8 mädaima catähimäh suvi’räh w—yvew— ld — — und VI. 68, 5 ishå sá dvishäs tarafd daasvän v— —y/—w—/p—— Wenden wir uns jetzt zum Singular des Imperfects von 1/ Dieser hat bekanntlich der Regel nach Verstärkung, es würde also in 2. es für ai-s) in 3. et (für ed zu erwarten sein 65). Sollte daran unsre ganze 62) Justi Gloss. 1. då p. 151 sieht jedoch den Conjunetiv darin. 63) Es ist zwar bis jetzt weder geyam noch stheyam, so wenig als das Värtt. l. zu Pän. II. 1, 86, vgl. Sch. zu Pän. III, 4, 117, citirte stheyäm belegt, sondern statt geyam findet sah in der vom Schol. gemeinten Stelle, Våj.S. V. 5 der gewöhn- liche ved. Precativ gesham (aus geyäsam für gäyäsam zusammengezogen) und ebenso sthesham Väj. S. II. 8, allein jene Formen sind sicherlich dennoch nicht aus dem Finger gesogen, sondern höchst wahrscheinlich Varianten. 64) Beitr. z. vgl. Sprfschg. IV.190, wo auch == die fünf Silben in VI. 29, 3. 65) Vgl. Vollst. Gramm. d. Sskr.-Spr. S. 382 n. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 518 Erklärung scheitern? Ich glaube kaum. Denn schwerlich lässt sich behaupten, dass die Verstärkung schon seit so alter Zeit im Indogerma- nischen fixirt war, dass sie selbst in so uralten Bildungen, wie die des Potentials ist, nicht habe fehlen können; fehlt sie doch bekanntlich ge- gen alle Analogie z. B. auch im Aorist von bhú (sskr. a-bhú-s, griech. #-pu-s) und in vielen andern Fällen. Wir sind daher entschieden be- rechtigt denselben Mangel auch im Singular Imperfecti Act. von í anzu- nehmen. Die 2te Person lautete dann Le (vgl. oben dhä-y-is und bhares für bhara-is) die 3te í-t (vgl. bharet für bhara-ít). Die erste Person Im- perfecti hat im Sanskrit durchweg a vor der Personalendung, so dass sie ursprünglich (oam lautete. Nach Analogie der oben erörterten 3. Plur. i-y-an nehmen wir auch hier Einschiebung des y an, also späteres Zyam und lösen bha-rejam in bhara-Iyam auf. $. 22. | Die Reflexe des activischen Optativs der auf ursprüngliches a aus- lautenden Basen in den verwandten Sprachen stimmen mit den sanskri- tischen Formen wesentlich so sehr überein, dass, wenn wir in diesen das Imperfect von í als Bildungselement mit Recht erkannt haben, dasselbe auch in ihnen anzuerkennen ist. Im Griechischen haben wir demnach in: Sing. 2. is (p£oo-ıs), 3.7 Leien, Du. 2. trov (p£go-ırov), 3. tmy (peoo-tiny), GE 1. Zuen (p£go-iuev), 2. Tre (pégo-ite), 3. Tev (pEoo-ı8). Die 1ste Sing. würde, der sskr., auf am beruhenden, Form genau entsprechend, 7ov lauten müssen; statt dessen finden wir, wenn gleich nur in zwei, höchstens drei, Beispielen bewahrt, ?v, nämlich in zo&ypo-w, &udoro-w und vielleicht A@ßo-ır 66); (über die allgemein geltende Form īuı s. weiterhin $. 23). Man könnte vielleicht o-w für eine Contraction von 0-10» (möglicherweise, mit e für ursprüngliches a, auch orev) nehmen ; allein da auch das Latein und wahrscheinlich auch das Gothische (im Altslavischen und Litauischen ist 1. Sing. nicht bewahrt) keine Spur ei- 66) Vgl. Kühner, Ausführl. Gramm. d. Gr. Spr. I. 530. Histor.-philol. Classe. XVI. Aa 186 TH. BENFEY, nes Reflexes von diesem a zeigt und das Impf. eigentlich das Präsens mit abgestumpften Endungen ist, so dass der ersten Person Präs., welche ohne Verstärkung (vgl. §. 21) Cat lauten würde, eigentlich nur im im Imperfeetum entspräche (wie der 2te Zei im Impf. ís, der 3ten íti im Impf. ít). so ist es wahrscheinlicher, dass in Za, latein. im (in altlat. dice für dieem67) aus dica-ím) die ursprünglichere Form ohne a bewahrt ist und jenes a im Sanskrit erst aus der Menge von Verben eingedrungen sei, in denen nach Einbusse des auslautendem ¿ eine Consonantengruppe am Wortende erschien, die ohne Einschiebung eines Vokals unaussprech- bar war (z. B. ad-a-m für ad-m aus ad-mi). Wie im Griechischen ist auch im Gothischen in dem, dem Optativ entsprechenden, Conjunctiv Präs. der Basen auf a das i von 2. Sing. an deutlich erkennbar: Sing. Ze (viga-is), 3.7 (viga-i), Du. 1. wa (viga-iva), 2. ts, wo ts dem grdsprchl. tvas des Präs., sskr. thas, entspricht (viga-its), Pl. 1. ma (viga-ima), īth (viga-ith), in-a für ian-a (viga-ina). Nach dieser wesentlich vollständigen Uebereinstimmung in sieben Personalformen wer- den wir auch keinen Anstand nehmen die Form der ersten Person auf analoge Weise zu erklären. Von viga lautet sie vigau; analog der 1sten Sing. des Conjunctiv Präteriti, deren Endung jau grundsprachlichem tám sskr. ydm entspricht, ist auch hier das u in vigau als Umwandlung von m (wohl vermittelst vorherigen Uebergangs in v) zu fassen. Dann dür- fen wir vigau, nach Analogie des Griechischen und Lateinischen, als Um- wandlung von viga-iu für viga-im auffassen, schwerlich aber, nach Analo- gie des Sanskrit, als Umwandlung von viga-iam; doch wage ich nicht diess entscheiden zu wollen. Im Lateinischen hat sich diese Form des Optativ nur als Futurum der öten und 4ten Conjugation erhalten; in der gewöhnlichen Sprache nur von 2. Sing. an, während sie in 1. Sing. durch den Conjunctiv ver- treten wird; im Altlatein erscheinen auch Beispiele in der 1. Sing. 68). Nach Analogie der bisher in diesem und dem vorhergehenden $. bespro- 67) Vgl. Corssen, Ausspr. u. s. w. IB. 729. 68) a. a. O. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 187 chenen Formen betrachten wir auch deren e als Contraction von a-f z.B *vehem = veha-im, vehes = veha-is, vehet = veha-it, vehemus — veha-imus, vehetis — veha-itis, vehent — veha-iant. Ebenso führen wir auch die wenigen Reflexe des Optativs, welche im Litauischen und Altslavischen sich als Imperativformen erhalten ha- ben, auf die mit í anlautende Endung zurück, so altslav. Si. 2 vezi, lit. vea — sskr. vahes für ‚vaha-is, 3. asl. vezi, lit. vezê = sskr. vahet für vaha-it, Du. 1. asl. vezeve = sskr. vaheva für vaha-iva u. s. w., vgl. Søljeir cher, Compendium §. 290 S. 719. Im Altbactrischen sind nicht alle Formen des Potentials der Basen auf a belegt. S. 2. 3. D. 3 u. Pl. 1. reflectiren im Wesentlichen die entsprechenden Sanskritformen; deren e für a-å wird theils, dem Ursprung treuer, dem Griechischen ähnlich, durch dr wiedergespiegelt, theils, dem Sanskrit regelrecht entsprechend, durch aë, z. B. Sing. 2. baröis = sskr. bhares, égois, für bhara-is; 3. zbaydit — sskr. hvayet für hvaya-it; dage- gen Pl. 1. jaçaéma — sskr. gacchema für gaccha-tma, Du. 3 jaçaétem der Bedeutung nach = sskr. gacchetäim, aber der Form nach = 2 Du. gac- chetam für gaccha-itam. Diese Form mit kurzem Vokal in der Personalen- dung der 3ten Dualis hat auch im Griechischen ihre Analogie, vgl. Hom. Il. X. 364 dıwxerov, XIII, 346 Eısuyerov, XVIII, 583 Aagyvoosrov, XIII, 301 Iworjooeo9ov, Hesiod. Erg. 197 irov, Plat. Euthyd. 274 A čpærov; im Altslav., wo Du. 2. 3 ebenfalls übereinstimmend auf ta auslauten, scheint umgekehrt in beiden Personen die Form mit langem Vokal gel- tend geworden zu sein, vezeta — sskr. vahetäm. Beiläufig bemerke ich, dass ci, wie es im altb. Ätmanep. eine Form cinadta bildete, wo aë sskr. e entsprechen würde, so auch im Parasm. vi-ci-ndit mit ói = sskr. e. In der 3ten Plur. erscheint als Endung yen z. B. paca-yen. Sie entspricht der sanskr. Endung íyan, die wir in duhlyan bewahrt fanden, für die grdsprehl. Form fant (griech. ve): das anlautende 3 ist nicht mit dem vorhergehenden a zusammengezogen, wie im Sanskrit, wo aber im Allgemeinen us statt ant eintrat (also paceyus für paca-Iyus statt paca- iyan), sondern, wie in der lsten Sing. Ätm. ($. 13) und im Suffix des Comparativs yanh für grdspr. fans, welches im Sanskrit fyáms und ve- Aa2 188 HT. BENFEY, disch auch, mit derselben Einbusse des í wie im Altbactr. yamh lautet, spurlos eingebüsst. Im geurva-ın ist yen zu in zusammengezogen. Von der ersten Person ist nur ein Beispiel jaidhy@ bei Westerg. (Vend. III. 1) bewahrt, von jad mit Präsensth. nach der 4ten Conjugat.- Classe. Das im Sanskrit entsprechende Verbum gad würde, wenn es ebenfalls der 4ten Conjugations-Classe folgte, gadyeyam gegenüberstellen, welchem im Altbactrischen jaidhyadya entsprechen würde. Diese Form würde wohl schwerlich eine Synkopirung zu jaidhy@ haben erleiden kön- nen; allein wie íyan in 3. Plur. das anlautende í auch hinter a einbüsste, so konnte dasselbe auch in dem Zyam der ersten Person geschehen; dann entstand jaidhyaya und da lag die Synkopirung der gleichlautenden Syl- ben ausserordentlich nahe. Spiegel hat statt jaidhya die Leseart jaidhyam (bei ihm Vend. III. 5); diese würde einem sskr. gad-yam entsprechen und wäre, wenn sie gehalten werden soll, entweder als Potential einer Conjugation von jad nach der 2ten Conjugationsklasse, oder eines Aorists zu fassen. Da jad nur der 4ten Conjugationsklasse im Altbactrischen _ folgt, gad im Sanskrit nur der ersten, so würde die erste Annahme sehr bedenklich, die zweite aber nicht sehr wahrscheinlich sein. 8.38. Es ist schon bemerkt, dass die gewöhnliche Endung der ersten Per- son Sing. im griechischen Optativ Zur (Y£ooıwı für Yeoo-zw.) diejenige Form ist, welche das Präsens von 7, nach Analogie des Imperfect, z. B. 2. Sing. 7-s, in dieser Person haben würde. Es entsteht die Frage, wie so es kömmt, dass diese an die Spitze der übrigen, dem Imperfect ange- hörigen, Formen getreten ist. Wenn wir beachten, dass auch in den übrigen verwandten Sprachen in den, dem Optativ entsprechenden, Bildungen Personalendungen er- scheinen, welche zu der Zeit der Sprachtrennung wohl sicherlich auf das _ Präsens beschränkt und im Imperfect durch andre Formen ersetzt waren — vgl. z.B. in goth. 2. Du. 7-ts das fs, welches der Präsensendung der Grundsprache entspricht, während die Uebereinstimmung des griech. tov in 7-70» mit dem sskr. tam in í-tam zeigt, dass in der Grundsprache tam ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 189 statt Zvas im Imperfect eingetreten war, ferner lat. mus in #-mus (legemus), griech. uev in ?-wev für ues, entsprechend dem grundsprachlichen prä- sentiven masi, während die Uebereinstimmung von goth. ma in ima mit sskr. ma in íma wiederum zeigt, dass in der Grundsprache schon die Abstumpfung von masi zu ma eingetreten war — so können wir auf den Gedanken gerathen, dass in Zu: die Präsensendung an die Stelle der Imperfectendung auf ähnliche Weise eingedrungen sei. Allein bei ge- nauerem Zusehen stellt sich das Verhältniss doch etwas anders. Die la- teinische Endung mus so wie die griech. uev ist auch die Endung des Imperfects (legebamus, ?rüntousv), eben so wie die präsentive Endung Dual. 3 der Themen auf a im Altbactrischen, nämlich dré. ebenfalls im Im- perfect erschien ($. 13). Es liegt daher die Vermuthung nahe, dass, ähnlich wie im Sanskrit, die für das Imperf. Sing. 2. geltend gewordene Endung thás statt des grundsprachlichen sa auch in den Potential drang — Folge des im Sprachbewusstsein lebendig gebliebenen Zusammen- hangs zwischen dem Potential und Imperfect — so überhaupt das Im- perfect die Brücke bildete, über welche Präsensendungen in den Optativ drangen, dass also wo diese Brücke fehlt, nicht an eine derartige, ge- wissermassen zufällige Verdrängung der Imperfectendungen durch Prä- sensendungen gedacht werden dürfe. Nun aber erscheint wu weder im Griechischen noch in irgend einer andern der indogermanischen Sprachen im Imperfect oder Aorist und wir werden uns desshalb nach einer an- dern Erklärung für den Eintritt desselben im griech. Optativ umsehen müssen. ee | rn. In den folgenden $$. werden wir nun sehen, dass sich neben í eine nach der 6ten Conjugationsclasse gebildete Basis La entwickelte, von wel- cher nicht nur, wie von í, das Imperfect des Indicativs, sondern auch das des Conjunctivs und ferner nicht bloss der Conjunctiv sondern auch der Indicativ des Präsens zur Bildung von Optativen verwandt ward. Es ist aber bekannt, dass sich mehrfach a an ältere Themen ohne dasselbe schloss und diese verdrängte. So bildet z. B. jan im Sanskrit ein Prä- sensthema durch blosse Reduplication, im Griechischen und Latein het sich ihm der Reflex von a angeschlossen, griech. yıyv-o (für yı-yev-o), 190 _ TH. BENFEY, lat. gign-0; eben so findet sich auch schon im Sanskrit síd-a aus ursprüng- licherem si-sad, jighn-a aus ursprünglicherem ji-han. Derartige Verdrän- gungen vollenden sich nicht mit einem Schlage, und Reste älterer Bildun- gen, gewöhnlich als Anomalien bezeichnet, lassen sich in allen Sprachen nachweisen; als einen solchen betrachten wir dieses Zu, in welchem wir die einzige Spur des einst auch aus dem Präsens von 7 nach der 2ten Conjugationsclasse gebildeten Optativs erkennen. 8. 24. Wenden wir uns jetzt zu den Optativen, welche aus der durch a vermehrten Basis Za gebildet sind! Es ist bekannt, dass schon zu der Zeit vor der Trennung des in- dogermanischen Sprachstamms in die bekannten Aeste, neben der ur- sprünglichen Verbal-Flexion durch unmittelbaren Anschluss der Perso- nalexponenten, Antritt von a an die Basis sich in immer weiterem Kreise geltend machte. In dem vorigen $. sind schon einige Beispiele angeführt, die sich leicht häufen liessen; wichtiger sind aber die Fälle, wo sich die- ser Eintritt in Verben zeigt, welche ebenfalls — wie í — zur Bildung von schon der Grundsprache angehörigen Formationen dienen; so bildet das Imperfect oder der Aorist von as ‘sein’ ohne a (z. B. stam für astam 2. Dualis), wie.schon angedeutet, Aoriste im Sanskrit und Altslavischen, der mit a (z. B. satam für as-a-tam) im Griechischen und Sanskrit. Diese zeigen einerseits das hohe Alterthum dieses Gebrauchs von a, während sie andrerseits eine Analogie für eine Form í-a gewähren, und demge- mäss zu der Annahme dieser Basis berechtigen. _ Wir haben schon an einem anderen Orte 69) bemerkt, dass von den beiden, durch hinzugetretenes a gebildeten, Präsensthemen die mit accen- tuirtem a, die Verba der 6ten Conjugations-Classe, wahrscheinlich zuerst gebildet sind. In diesen wird der Verbalvokal nicht verstärkt, so dass í einfach zu ía ward. Das Präsens Activi lautete demgemäss zur Zeit der Sprachtrennung:; 69) Kurze Sanskrit-Gr. S. 84. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 191 Sing. Dual Plur. 1. i&mi lávasi lámasi 2. lási látvas látva(s) 3. "én látas lánti. Ich habe schon früher 79) die Vermuthung ausgesprochen, dass hie- her mehrere der homerischen Conjunctive, deren Basis auf wo, ze auslau- tet, gehören, wie daus-Iw, dnods-bo-ucı, Js-io-usv, ote-lo-usv, zen, Pe-to-uev, Toene-lo-usv, xı78-lo-uev, dawe-te-te 71), Denn einerseits ist + nie und nimmer Charakteristikum des Conjunctivs, wohl aber ist sehr gut denkbar, dass wie der ursprüngliche Optativ im Latein z. B. amem (vgl. §. 28) categorisch gleich mit dem Conjunctiv z. B. legam ward und im Gothischen 72), in Folge der nahen Verwandtschaft beider Modi, zum Conjunctiv überhaupt, so er auch einst int Griechischen theilweis in diese Categorie übertrat. Ueber einzelne Formen, wie z. B. 9s-ío-usv könnte man zwar zweifelhaft sein, ob sie nicht mit dem Imperfectum von ía zu- sammengesetzt sind, über andre, wie x:ye-íw, ob sie nicht mit dessen Conjunctiv; allein Formen wie &no3s-fo-ueı können nur auf Indicativ des Präsens Medii zurückgehen und entscheiden demnach wohl mit ziem- licher Gewissheit auch über die Auffassung der übrigen analogen. Da- für dass in ihnen eine Zusammensetzung mit dem Indicativ des Präsens zu erblicken sei, spricht auch einigermassen, dass uns der Conjunctiv Präsentis so wie der Indicativ Imperfecti weiterhin in andrer Gestalt entgegentreten werden. € E Pint Cpaibildang warde schon in der Grundsprache zur e Bildung des ee von as angewendet, so dass dessen Formen im Activ lauteten: Sing. Dual. Plur. 1. as-låmi as-lavas as-lamas 2. as-iasi ` as-iatvas as-iatva(s) 70) In der Abhdl. ‘Ueber einige Pluralbildungen’ u. s. w. XIII. 83, bes. Abdr. 47. 71) Kühner, Ausführl. Gramm. d. Griech. Spr. I. 652. 72) Vgl. Westphal, Deutsche Grammatik 183. EI 192 TH. BENFEY, 3. as-lati as-latas as-ianti; im Medium, so weit sie sich mit Sicherheit bestimmen lassen, Sing. Dual. Plur. 1. as-iamai as-lavasdhai as-jamasdhai 2. as-lasai ? as-lasdhvai 3. as-iatai ? as-fantai. Die etymologische Bedeutung war ‘ich wünsche zu sein’, oder ‘ich will sein. Wie sehr dieser etymologische Ausdruck zur Bezeichnung des Futur geeignet war, zeigt die Bezeichnung desselben im Englischen durch will z. B. thou wilt be wörtlich ‘du willst sein —= unserm ‘du wirst sein‘. So ist denn auch der Reflex dieser Bildung im Latein, wo er als Tempusform von es = dem grundsprachlichen as unter allen in- dogermanischen Sprachen allein 73) erhalten ist, nur als Futurum von es bewahrt. Die Form würde eigentlich es-io, es-üs u. s. w. lauten müssen. Das s ist, wie im späteren Latein gewöhnlich, zwischen den beiden Vo- kalen in r übergegangen, í im Sing. 1 und Plur. 3 (ero, erunt), einge- büsst; in den übrigen ist es mit den folgenden Vokalen zu i zusammen- gezogen (z. B. eris). Dass dieses i ursprünglich lang war, zeigt noch erit, so wie die häufige Länge in Formen des damit zusammengesetzten Fu- turum exactum (dederis, condiderit, fecerimus, dederttis) +) In den übrigen indogermanischen Sprachen erscheint kein Reflex dieses Optativs als Tempusform von as. ` Wie er aber im Latein zum Futur geworden ist, so erscheint er fast in allen Aesten als Bildungsmit- tel eines Futurum, woraus folgt, dass diese Verwendung schon in der Grundsprache herrschte. Er verliert in dieser Verwendung, wie as so oft, das anlautende a und wird mit dem im Futur zu gebrauchenden ” 73) Dass das griech. foouæ wie die übrigen Futura durch Zusammensetzung mit oso-uas gebildet ist, also nicht für Ae Agen sondern für 20-010uas steht, bemerkt Leskien in G. Curtius Studien. II. 82. Das + ist eingebüsst, wie in dw-ow für dw- gra und den übrigen; dann ist ein ø ausgestossen, wie z.B. in pëene gegenüber von homer. und sonstigem w&ooos für grundsprachliches und vedisches (vgl. Abhandlung über Suffix ia, oben S. 106 und 129) madhia-s, lat. mediu-s. 74) Corssen, Aussprache u. s. w. II?, 494 ff. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIY. 193 Verbum zusammengesetzt, z. B. sskr. vakshydmi ‘ich werde sprechen’ (von sskr. vac) für grdsprehl. vak-sydmi?5) u. s. w., griech. sw u. s. w. in kret, nọæčíousv für ngey-ofouev, gewöhnlich, mit Einbusse des s, ngá- .$£ousv, homerisch und sonst, mit Uebergang von o in ep und vs in e, yevfoüueı, gust u. s. w. 76). Schwerlich waren die in diesem und dem vorigen $. angeführten Fälle die einzigen, in denen diese Optativbildung angewandt ward. So ist schon von andern erkannt 77), dass die Form des grundsprachlichen, mit as gleichbedeutenden, Verbum bAd, welches im Latein und Celti- schen, in ähnlicher Weise, wie as in den meisten übrigen indogermani- schen Sprachen, zur Bildung des Futurum dient (lat. ama-bo, altir. pred- ‚chi-bid — lat. praedica-bit), in derselben Weise gebildet ist, wie lat. ero u. s. w. Es ist also ebenfalls ein ursprünglicher Optativ, grundsprachl. ‚bhü-tämi, bhú-lasi, lat. eigentlich bu-io, bw-üs u. s. w., welcher sich, wie as-Idmi u. s. w., ausser dem Latein, in allen indogerm. Sprachen, nur in Zusammensetzung als Futur bildendes Element erhielt. Auch für -bit hat Corssen 78), wie für erft, Länge des i nachgewiesen, so dass wir wie bei eris u. s. w. einstige Länge für dieses i durchgängig annehmen dürfen. Da wir, nach Analogie von ero, auch für dieses bo einstige von der ‚Zusammensetzung unabhängige Existenz in Futurbedeutung mit höchster Wahrscheinlichkeit vermuthen dürfen, so scheint es mir kaum zu kühn, anch in einigen griechischen Futuren ursprüngliche Optative, nach Ana- logie von diesen und den in < 24 erwähnten Fällen, zu erkennen: Der == en m ba ix den EE findet „sich Rigv. II. 4, 3 priyäm dhu% ksheshiänto ná miträm ; v— —/—v— —jvo— ~> dhuh ist zweisilbig zu lesen; wie, will ich nicht entscheiden; es steht für organische- res dhä-us; wäre das á vor dem Vokal nur verkürzt, nicht schon elidirt worden ? 76) Vgl. Schleicher, Compendium d. Vgl. Gr. $. 298 S. 818 ff. und Johannes Schmidt, La formation des Futurs dans les langues Indo-Germaniques (Extrait de la ` Revue de Linguistique et de Philologie comparée). Paris 1870. 77) Schleicher, Compendium $. 301 und 304. 78) Corssen, Aussprache UI", 496. Histor.-philol. Classe. XVI. Bb 194 TH. BENFEY, Art scheinen mir zunächst &oüue von tou, mou von nivw, erof. nei, 18x8I09cı von Tixtw U. S. W. zu sein, in deren oý, sé ich, nach Ana- logie von gevfoüunı, £oositeı u. s. w., Umwandlungen des ursprüngli- chen so, ë erblicke. In dem Futur nioueı: von nivo, in welchem lan- ges ı nur noch in dem Präsensthema und in nöds erscheint (vgl. in Be- zug auf letzteres zët von x4v = grundsprachl. krů und die vedische Regel, wonach in 2. Sing. Imperat. Act. der Verbalvokal auch verstärkt wird), könnte das 7 das anlautende : von tou (also nioueı für m-t0ua) in sich aufgenommen haben; in #ðoua könnte es ausgefallen sein, wie durchweg in oo, oe in der gewöhnlichen Sprache 791. Auch die dori- schen Formen der Futura von Verbis Liquidis wie @vavysi-ıovu, dvaxa- Y$ag-ıovr 80) sehen keineswegs so aus als ob ein o vor dem x eingebüsst wäre, sondern eher wie durch Antritt von blossem tw, ee u. s. w. ge- bildete; ist diese Erklärung für sie anzunehmen, dann gilt sie natürlich auch für die entsprechenden Futura der gewöhnlichen Sprache 81). 8. 26. Wir haben schon sngedeutet ($. 10), dass auch der Conjunctiv Prä- sentis von í zur Bildung des Potential verwandt ward; diess findet je- doch nur mit dem von der Basis La Statt. Nach behannten Gesetzen würde er in der Grundsprache gelautet haben támi, tási, íáti (für fa-a-mi, ta-a-si, Ta-a-tı) u. s. w. Er ist deutlich zunächst in mehreren Personen des Päli-Potential zu erkennen, nur dass hier, wie schon $. 14 bemerkt, mit einer arbiträren Ausnahme, e = sskr. aya davor tritt und das anlau- tende í, vor dem unähnlichen Vokal zu y liquidirt und verdoppelt 82) ist; also Si. 1 e-yydmi, 2 e-yyäsi; da 1. Pl. auch im Indicativ des Präsens das auslautende s eingebüsst hat, so darf man auch e-yyäma als Conjunc- tiv Präsentis fassen; eben so 2. Plur. e-yyätha; doch ist diess für beide letzte Personen nicht ganz sicher, denn ma und tha sind auch die Per- 79) Anders Stier in G. Curtius Studien II. 129. 80) Kühner, Ausführl. Gramm. d. Gr. Spr. I. 569. 81) Anders Leskien in G. Curtius Studien II, 79. 82) Vgl. S. 167 n. 37. UBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 195 sonalendungen des Imperfects, so dass e-yydma e-yyátha auch dem Opta- tiv zugesprochen werden können, welcher aus dem Conjunctiv des Im- perfects entstanden ist (s. §. 28), d. h. für älteres aya-ydma, aya-ydta stehen können. Sicher ist diess für 3 Sing. und Plur. anzunehmen, wo. die Singularendung e-yya einem sanskrit. aya-yät, die des Plur. e-yyü einem sskr. aya-yus entsprechen würden 85). In diesen Formen ist also Conj. Präs. und Imperfecti von í-a promiscue Zur Bildung des Potentials verwandt. Ausserdem erscheint in 3. Sing. auch der ächte Reflex der im Sanskrit gebrauchten Form (3. Indic. Imperfecti von f), und zwar ` nur hinter Themen auf a, ohne hinzutretendes e und mit Vereinigung der zusammentreffenden Vokale zu e, beides wie im Sanskrit, dagegen mit Einbusse des auslautenden t nach den Auslautgesetzen des Päli, also z.B. von car, Präsensth. cara, 3 Sing. care = sskr. caret für cara-it. Eine mit der Päliform der 1sten Sing. in inniger Harmonie stehende Sanskritform habe ich schon früher aus dem Mahäbhärata I. 3109 nach- gewiesen, nämlich gröhn?-yämi; sie unterscheidet sich wesentlich von der Päliform nur durch den Mangel von sskr. aya — Päli e vor yämi. Ich will jedoch nicht unbemerkt lassen, dass Chezy, im Appendix zu seiner Ausgabe der Gakuntalä (p. 41 cl. 114), die gewöhnliche Form gröhnfydm liest und statt svam ätmajam die Leseart imam ätmajam hat. Meine Mit- tel für die Critik des MBh. sind zu beschränkt, als dass ich wagen dürfte zu entscheiden, welche Leseart die diplomatisch beglaubigtere sei; aber sowohl die Uebereinstimmung mit dem Päli (in der Endung ydmi) als die Abweichung davon (in dem Mangel des Reflexes von e durch aya) ma- chen grihnt-ydmi zu einer so sehr doctissima lectio, dass nur überaus starke Gründe zu ihrer Verwerfung berechtigen können. Aber auch wenn sie verworfen werden müsste, dann ist das Päli, wie schon bemerkt, eine so alte Sprache, dass dieser aus dem Conjunctiv des Präsens von "a ge- bildete Potential schon durch dasselbe allein eine hohe Bedeutung erhal- ten würde. 83) Vgl. die Endungen und Fair bei Fr. Müller, Beiträge zur Kenntniss der Päli-Spr. H. 15 und 17. Bb * 196 TH. BENFEY, Diese wird aber nicht wenig dadurch erhöht, dass diese Form auch im Griechischen wiedergespiegelt wird und demgemäss als eine der Grundsprache angehörige Bildung zu betrachten ist. Denn wenn wir in $. 24 mit Recht in den homerischen Conjunctiven, wie Js-io-usv , ENO- Is-fouer, xıze-in alte, durch den Indicativ Präsentis von fæ, gebildete Optative erkannt haben, so geben sich die ebenfalls als Conjunctive ge- brauchten Formen, wie neoa-p9ei-noı (v.l. -ınor) 8*) 78901-018-íwar, Fe-ing, daus-Ing, wı-ye-Ing, yave-Mm, Fe-in, ueFes-in, do-Im, Erı-yvo-in, sowie du e, den, dw (für do ue, dv-M, dv-íw) 85) als Optative kund, welche eigent- lich regelrechte Conjunctive von jenen, oder analog gebildeten Indicati- ven sind. Ja, wenn wir uns des oben ($. 21) erwähnten sskr. dhd-y-is für dhäts (altbactr. däis) erinnern, so ergeben sich selbst die als verkehrte Schreibweisen bezeichneten 86) Formen orga, don, Sins u. s. w. als sehr organisch gestaltete. Während in Je-ing, do-in der ursprünglich lange Auslaut des Verbum 9n (= sskr. dhá), dw (= sskr. dd) vor dem nach- folgenden Vokal + verkürzt ist, ist er in diesen Formen, welche für om- in, ðw-ín, In-ing stehen, wie in sskr. dhä-y-is, unverkürzt erhalten und hat, in Folge davon, das entsprechende + nur als Jota subscriptum be- wahrt. Ich mache natürlich nicht den Anspruch durch diese Bemerkung über ihre diplomatische Berechtigung entscheiden zu wollen. 8. A S Der Indicativ des Imperfects von fa würde in der Grundsprache — ohne Augment — fam, Tas, iat u. s. w. lauten. Auf diese Form dürfen wir unbedenklich die Nebenform des Optativs des griechischen ersten Aorists auf æ, ses, të u. s. w.87) zurückführen. Das auslautende a der Ba- 84) Stier in G. Curtius Studien II, 131. 85) v für vs, vgl. oben S. 154 und noch z. B. AsAüro für Askv-ıro Od. o 238, _Kühner, Ausf. Gr. d. Gr. Spr. I. 243. Anders Stier in Curtius Studien II, 129. © 86) Kühner, Ausf. Gr. d. Gr. Spr. I, 653 Anm. 4. 87) Ahrens, Dial. 1.148 und Add. in II. 512. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV. 197 sis des Aorists ist davor durch & reflectirt, also túws-ia, mit Einbusse des in der Grundsprache auslautenden Nasals, wie in der 1sten Sing. Act. des Aorist selbst o = sskr. sam. Diese Form mit der Nebenform, z. B. spe mit röwe-ıwı für identisch zu halten, wird gewiss Niemand einfallen. Wer aber hier Doppelformen anerkennt, wird sich auch nicht sträuben dürfen, sie auch in andern Optativen zuzugeben. Da diese Bildung auf grdsprchl. fam durch den griechischen Opta- tiv festgestellt ist, so dürfen wir sie auch in dem vedischen duh-fyat, für organischeres duh-lat, 3. Sing. Potentialis von duh, anerkennen; das aus- lautende Zyat vermittelt sich nur mit griech. të (in túws:) und zwar durch das beiden zu Grunde liegende grdsprchl. fat. Es liesse sich auch duh- iyan und die Endung der Leten Sing. der Basen auf a, nämlich fyam ($. 21 S. 185) hieherziehen; allein da sie sich auch mit dem System, zu welchem sie gehören, vermitteln lassen, habe ich sie dahin gestellt. Doch sehe ich kein Mittel eine sichre Entscheidung zu finden. Möglich, dass duh-iyan nach Analogie von duh-iyat eher hieher zu ziehen ist; om dagegen, weil es nur als 1. Sing. zu 2. Sing. ís 3. ít u. s. w. erscheint, ‚aus dem 7 dieser Formen zu erklären ist und also die Stelle zu behaup- ten hat, welche ihm oben gegeben ist. — Für die Ansetzung eines schon grundsprachlichen Optativs, gebildet durch den Indicativ des Im- perfects von fa, nämlich fam, jus u.s. w. spricht übrigens noch und ent- scheidend der durch dessen Conjunctiv gestaltete, welchem wir im fol- genden $. begegnen werden. Dieser tritt zu jenem in dasselbe Verhält- niss, wie der durch den ee des regen d 26) zu dem durch r > so Torateg. - si Æ 28. DE F Conjmetiv des im vorigen $. besprochenen Indicativs Impfet. würde in der Grundsprache regelrecht lauten: tám, fás, tát, idva, iätam, sátám, táma, Táta, fánt. Es ist bekannt, dass ihm im Altlatein ëm u.s. w. bis ént, später ím bis int, entspricht, im Griechischen my u. s. w.; in der dritten Person Plur. tritt gewöhnlich, statt der Personalendungen, die 3te Plur. Impf. von es ohne den so oft eingebüssten anlautenden Vokal an, 198 TH. BENFEY, also ın-oev 88); doch erscheint daneben ven, Ob dieses kurze ë für n, in der ursprünglichen Form myrt, etwa durch Einfluss der wortauslautenden Position entstanden ist und sich, auch nachdem diese durch Einbusse des t gehoben war, hielt, oder ss» aus der 3ten Plur. des unendlich häufiger vorkommenden Optativs der Basen auf o (o-:ev) eingedrungen ist, wage ich nicht zu entscheiden. Im Sanskrit ist das auslautende # vor á zu y liquidirt (vgl. jedoch '§. 17) also ydm, yás u. s. w. in 3 Plur. yus (worüber §. 21 zu vgl.). Im Päli giebt es nur wenige Spuren dieser Potentialbildung 89). Im Altbac- trischen entspricht regelrecht Sing. yam, ydo, yät, Pl. ydma, yäta, yan, doch wird das á auch verkürzt, vor Nasalen auch in è umgewandelt, yá auch zu í zusammenzogen (z. B. in 3. Du. ftem) und in 3. Plur. tritt auch yäres, yäris und gäre ein 90). Im Gothischen erscheint diese Optativform im Conjunctiv Perfecti, jau für tám, eis für íás u. s. w. Wegen des Altslavischen vgl. man Schleicher $. 290 S. 719. Wir dürfen die zu dieser Optativform gehö- rigen Reflexe im Wesentlichen als bekannt voraussetzen. Nur einen Punkt giebt es welchen wir etwas hervorheben müssen. Wir sahen in §. 26, dass im Päli vielleicht vier, entschieden aber zwei, Personen des Potential aus dieser Form gebildet sind, nämlich e-yya und e-yyü, welchen im Sanskrit, wenn hier diese Bildung erlaubt wäre, aya-yät und aya-yus entsprechen würden. Vor yya und yyü, so wie vor allen übrigen Endungen erscheint e = sskr. aya, d.h. mit andern Wor- ten: es hat sich für den Potential des Parasmaipada aller Verba die Form des Potentials geltend gemacht, welche in den Verben auf e = sskr. aya erscheint. Diess geschah ohne Zweifel, weil derartige Verba im gewöhn- lichen Leben als Verba der 10ten Conjugationsclasse — die sich, wie in den präkritischen Sprachen (vgl. $. 14), auch im Päli schon über eine 88) Vgl. ‘Ueber einige Pluralbildungen des Indogerm. Verbum’ in Bd. XII, 55, bes. Abdr. S. 19. 89) Vgl. Fr. Müller, Beitr. z. Kenntniss der Päli-Spr. II. 17, oben 8. 26 und - gleich weiterhin. 90) Vgl. die in n. 88 eitirte Abhandl. in XII, S. 57 (21) ff. ÜBER DIE ENTSTEHUNG UND DIE FORMEN DES INDOGERM. OPTATIV, 199 weit grössere Anzahl als im Sanskrit, ausgedehnt hatte — Causalia und Denominativa am häufigsten im Gebrauch waren und demgemäss die we- niger häufig gebrauchten primären Verba in ihre Analogie zogen. Ist diess richtig, so herrschte im Päli in den Verben auf e = sskr. aya die Potentialbildung durch yám oder yámi (s. $. 26) u. s. w., wäh- rend im Sanskrit für sie, wie für die übrigen Präsensthemen auf a, die auf íyam is u. s. w. ($. 21) gebraucht ward. Sanskrit aber und Päli beruhen auf einer und derselben indischen Grundsprache und wir dürfen demnach vermuthen, dass in dieser von den Verben auf aya Potentiale Activi ver- mittelst beider Formen (genauer dreier), sowohl durch fyam als ydm (und yámi) gebildet wurden. Diese Vermuthung erhält zunächst ihre Bestätigung durch das Grie- chische. Hier bilden die Verben auf ursprüngliches aya d h. die auf «w, £w, ow ihren Optativ Activi entweder durch Zus, 7% u.s. w. oder durch Zus u. s. w. z. B. ouegur (für uejo-ıu) oder ougip (für Tucjo-mv), piloiu (für pilsjo-rwu) oder Yılolmv (für Yılsjo-ımv), so dass sich beide Formen als gleichberechtigte Nebenformen erhalten haben. Bei den italischen Verben, welche den griech. auf cw entsprechen (vgl. z. B. latein. domä-re mit griech. deue-w und sskr. dam-aydmi) 9!) finden sich zwar nicht, wie im Griech., beide Formen, aber die fehlende ist die im Sanskrit in allen und in den übrigen indogerm. Sprachen in fast allen Basen auf a herrschende im, ís u. s. w., welche sich im La- tein nur im Futurum erhalten hat (vgl. $. 22), während die gebrauchte, wie in den erwähnten Bildungen des Päli, die auf yám u. s. w. ist. Es zeigt diess mit Entschiedenheit der umbrische Conjunctiv porta-ia — lat. portet, beide für ursprünglicheres porta-tát 9?). 91) Vgl. auch amä-re mit sskr. käm-aya von kam; das lange á war nicht ur- sprünglich, wie dam-aya und viele andre Fälle der Art beweisen. Die Einbusse von anlautendem c (k) im Latein, welche schon für ubi (statt cubi) aus ali-cubi und an- dre Wörter erschlossen ist, ist jetzt entschieden erwiesen, nachdem Ritschl in Plaut. Trin. IV. 2, 89 (934) durch ein handschriftliches Zeugniss cubi festgestellt hat (Rhein. Mus. XXV, 307). 92) Corssen, Ausspr. II?, 728. 200 ` TH. BENFEY, Wir dürfen aus diesen Thatsachen wohl mit Sicherheit schliessen, .dass von Themen auf aya schon in der Grundsprache zwei Formen des Potential Activi gebildet wurden, eine durch iam oder ím, Ze u. s. w., die andre durch tám u. s. w. E39. Ehe wir schliessen erlauben wir uns eine kurze Recapitulation. Wir suchten also zu erweisen, dass der Optativ in der indogerma- -nischen Grundsprache vermittelst des Indicativs und Conjunctivs des Prä- sens und Imperfects eines Frequentativs oder Intensivs 7 für ü (Redu- plication von í ‘gehn’) in der Bedeutung ‘angehen, fiehen, wünschen, wollen gebildet ward, und zwar sowohl aus der unveränderten Basis 4, als aus der durch a vermehrten Za Aus jener trat hervor: Indicativ Präsentis Activi Land 5 Imperfecti ,„ ĉam oder im Medii 1-ma Ze u. s. W. 1-sa U. 8. W. Aus dieser : Indicativ Präsentis Activi í-á-mi Medi í-a-mai Í-a-st u. 8. W. i1-a-sai u. 8. W. UBER v » T-ü-mi . Í-á-si u. s. W. Indicativ inpe = i-am Í-as u. S. W. Conjunctiv ei 5 i-im = T-äs u. s. Ww. An den Indicativ Präsentis von ía schlossen sich EpkANRENeN, spe- ciell die auf sfämi, siasi u. s. w. ZUR ERINNERUNG AN MEINEKE mw BEKKER HERMANN SAUPPE. Vorgetragen in der öffentlichen Sitzung der Königl. Gesellsch. d. Wissenschaften den 2. December 1871. GÓTTINGEN, IN DER DIETERICHSCHEN BUCHHANDLUNG. 1872. E noero Gesellschaft hat seit ihrer öffentlichen Sitzung am 3. December 1870 zwei auswärtige Mitglieder der historisch-philologischen Classe ver- loren, welche zu den ersten Männern ihrer Wissenschaft gehörten. Am 12. December 1870 starb August Meineke, am 7. Juni d. J. Immanuel Bekker; dieser hatte seit 1835, Meineke seit 1861 der Gesellschaft angehört. Ich war mit beiden nicht nur durch Gemein- schaft der Studien verbunden, sondern auch persönlich befreundet und so gestatten Sie mir Ihnen kurz die wissenschaftliche Bedeutung beider darzustellen und in Ihrem Namen die Pflicht des Dankes zu erfüllen, den auch wir diesen Männern schulden. August Meineke gehörte zu den glücklichen Menschen, die durch die Würde und Anmuth ihres Wesens, wohin immer sie kommen, Liebe erwecken und bestimmenden Einfluss üben. Geboren den 8. Sep- tember 1790 in Soest lebte er von seinem 10. bis 15. Jahre in Osterode, wo sein Vater 1800 Rektor des Gymnasiums wurde, und ging, nachdem er vier und ein. halbes Jahr Schulpforta besucht hatte, Ostern 1810 nach Leipzig. Nur anderthalb Jahre studierte er hier, denn schon im Herbst 1811 kam er auf Gottfried Hermanns Empfehlung, noch nicht 21 Jahre alt, als Lehrer des Griechischen und Lateinischen an das Gymnasium Conradinum zu Jenkau bei Danzig, das 1801 aus reichen Mitteln gegründet eine Musteranstalt zu werden bestimmt war. Da der Krieg im Februar 1814 die Schliessung herbeiführte, kam Meineke in gleicher Stellung an das Gymnasium in Danzig, und gestaltete es, nach- dem er 1817 Direktor geworden war, von Grund aus um. 1826 wurde er zum Direktorat des Joachimsthalschen Gymnasiums in Berlin beru- 1* 4 fen, gestaltete auch dies von neuem und leitete es 31 Jahre. 1857 liess er sich pensionieren und lebte seitdem körperlich leidend, aber in geisti- ger Frische noch dreizehn Jahre seinen Studien. Dies in kurzem Umriss sein äusseres Leben. Obwol aber hier nicht der Ort ist, sein Wirken in der Schule darzustellen, so lässt sich doch leicht er- kennen, dass es dieselben Eigenschaften sind, die ihn als Schulmann und Gelehrten bedeutend machten. Umfassendes und gründliches Wissen, ra- scher, sicherer Blick, kühne Entschlossenheit, strenge Wahrheit, Liebe und Begeisterung für alles Schöne und Grosse machen sich hier wie dort geltend. Stürmische Energie, aus der doch immer herzliche Liebe hervorleuchtete, riss in Danzig Lehrer und Schüler so mit sich fort, dass das Gymnasium bald durch seine Leistungen allgemeine Aufmerksamkeit erregte und Meinekes Einrichtungen durch das preussische Ministerium zur allgemeinen Beach- tung empfohlen wurden. In Berlin machte das mit dem Gymnasium verbundene Alumnat besondere Schwierigkeiten, dennoch gelang ihm die Neugestaltung auch hier so, dass die Anstalt bald als eine der trefflich- sten Preussens Anerkennung fand und tüchtige junge Männer es als ein besonderes Glück betrachteten hier eine Stelle zu erhalten. Eine Reihe bedeutender Universitätsprofessoren und Gymnasialdirektoren haben bei Meineke am Joachimsthal begonnen. Lehrer und Schüler, die mit und unter ihm in Danzig und Berlin waren, haben öffentlich, so manche, die ich persönlich kennen lernte, mir im Gespräch, einstimmig alle das aus- gesprochen, dass es eine Freude war mit ihm zu wirken, ein Glück unter seiner Leitung gebildet zu werden. Er hat Missgriffe gethan, hat Schwächen gehabt, wer könnte das anders erwarten, homo fuit, aber jenes ist der ungetrübte Gesammteindruck, den eine 46jährige Schulthätigkeit hinterlassen hat. Nicht am wenigsten gründete sich das unbedingte Ansehn, mit dem er in seiner Schule herrschte, auf die Anerkennung seiner reichen und sicheren, von Geist und Leben. durchdrungenen, immer bereiten Gelehrsamkeit. So kommen wir vom Schulmann zum Gelehrten. We- nige Philologen haben so viel geschrieben, als dieser rastlos und mit voller Hingebung in seiner amtlichen Thätigkeit beschäftigte Schulmann. 5 Aber obgleich sein Wissen sich auch auf die entlegensten Gebiete der alten, namentlich der griechischen Literatur erstreckte, so macht sich doch in seinen Schriften eine merkwürdige Treue und Beständigkeit bemerklich. Als Valedictionsarbeit reichte er bei seinem Abgang von Schulpforta Observationes criticae in Graecos aliquot scriptores ein. Sie beziehn sich auf die Tragiker, das attische Lustspiel und die alexandri- nischen Dichter; gelegentlich bespricht er auch einzelne Stellen von Catull und Horaz. Griechische Dichter sind es also vorzüglich, die er hier 19 Jahre alt behandelte, und dieselben bilden den Mittelpunkt seiner Arbeiten bis zum 80. Jahre. Sie theilen sich wesentlich in zwei Gruppen, Werke über das attische Lustspiel und über alexandrinische Dichter. Aus der reichen Fülle und Mannichfaltigkeit von Dichtern Pe Dichtungen, die zwei Jahrhunderte Athens im Gebiet des Lustspiels hervor- brachten, haben wir nur noch elf Lustspiele des Aristophanes. Aber ausserdem werden noch etwa 1400 Stücke von 134 Dichtern, allein von Aristophanes noch 32 erwähnt und aus denselben, gering angeschla- gen, 14000 grössere und kleinere Bruchstücke angeführt. Erst durch eine Sammlung derselben war es möglich über das Wesen und die Ent- wicklung dieser eigenthümlichsten Schöpfung des attischen Geistes, und zugleich über die Nachbildungen der römischen Komiker, zu einem siche- ren Urtheil zu gelangen. Die Nothwendigkeit einer solchen Arbeit war daher längst empfunden worden. Aber dazu bedurfte es einer Durchsu- chung auch der abgelegensten Winkel der griechischen und eines Theils auch der lateinischen Literatur, der umfassendsten und sichersten sprach- lichen Kenntnisse und eines ausserordentlichen Kombinationstalentes. Von 1820 bis 1847 hat Meineke dafür gearbeitet und als das Haupt- werk seines Lebens, als unvergängliches Denkmal eisernen Fleisses, geist- vollen Verständnisses des Ganzen, wie des Einzelnen, unermüdlichen Scharfsinns, genialen Blickes im Erkennen und Verbessern eingetretener Verderbnisse erschienen die zwei Sammlungen der Fragmenta comicorum graecorum, die grössere 1839—1841 in vier Bänden, die kleinere in Bänden 1847. Eine Reihe vorbereitender Arbeiten war ihnen zwei so die Sammlung der Bruchstücke des Menander und vorangegangen, 6 und Philemon (1823) und die quaestiones scenicae (1826—1830). Aber ebenso wurde er durch diese Sammlung zu einer Reihe anderer Arbeiten veranlasst. In enger Beziehung zu den Komikern stehn die Ausgaben des Alkiphron 1853, des Anthologion des Iohannes Stobäos 1855—1857, der Eclogae desselben Sammlers 1860, endlich des ebenso wüsten als wichtigen und schwierigen Sammelwerks des Athenäos (1866). Alki- phron bildet eine Ergänzung des Menander, Stobaeos und Athenaeos haben einen grossen Theil der Bruchstücke der Komiker erhalten. Diese alle, namentlich das Anthologion des Stobaeos und Athenaeos, sind an auser- ordentlich vielen Stellen trefflich verbessert. Den Abschluss endlich dieser Arbeiten bildet die kritische Ausgabe des Aristophanes (1860) mit den Vindiciae aristophaneae (1865). Von den Alexandrinern hatte Meineke schon 1823 den Epiker Euphorion bearbeitet, in den Analecta alexan- drina (1843) schloss er ihm die Bruchstücke des Epikers Rhianos, der mannichfaltigen Gedichte des Alexander Aetolos, und der Elegieen des Parthenios an. Von grösserem Umfang sind seine Bearbeitungen der Bu- koliker (1856), für die er seit 1825, wo er sie zuerst herausgab, immer thätig geblieben war, und der Hymnen des Kallimachos (1861). Auch die hübsche Auswahl aus der Anthologie des Planudes (1842) sollte nur die Vorläuferin einer neuen Bearbeitung dieser grossen Sammlung sein, aber zunehmende Kränklichkeit schreckte ihn zurück an die Ausführung des weit aussehenden und äusserst schwierigen Unternehmens zu gehn. Durch diese Studien über die alexandrinischen Dichter war er auch an das geographische Wörterbuch des Stephanos von Byzanz ge- kommen und, als er den verwahrlosten Zustand der Textesüberliefe- rung erkannte, zu dem Streben veranlasst worden ihn verbessert und erläutert herauszugeben. Als Vorläufer erschienen 1846 die versificierten Periegesen des Skymnos und Dionysios. Vom Stephanos aber ist leider nur der 1. Band, der den griechischen Text enthält, 1849 erschienen. Für die Kommentare, die der zweite bringen sollte, musste er sich na- türlich in das geographische Werk Strabons vertiefen und so kam er zu dem Entschluss auch diesen herauszugeben (1852. 1853) und seine zahl- zeichen, bedeutenden Aenderungen in den Vindiciae strabonianae (1852) 7 zu begründen. Dadurch aber war ihm wol Stephanos etwas ferner ge- rückt und er kam nicht dazu das Begonnene wieder aufzunehmen. Auch zu den Tragikern, zu Horaz und Catull enthält die erwähnte Schülerarbeit Bemerkungen. Und die begeisterte und treue Liebe, mit der er immer wieder zu Aeschylos und Sophokles zurückkehrte und alle seine Schüler zu beseelen suchte, liess ihn noch spät in den Beiträgen zur Kritik der Antigone (1861) und in einer.Ausgabe des Oedipus auf Kolonos (1863) falschen Zeitrichtungen in der Behandlung des überlieferten Textes entgegentreten, zugleich aber auch eigene Versuche zur Herstellung verdorbener Stellen vortragen. Zu Catulls Gedichten finden sich hin und wieder auch in späten Arbeiten von ihm noch feine Bemerkungen und treffliche Verbesserungen. In seiner Ausgabe aber des Horatius brachte er 1834 zuerst das von ihm und Lachmann zu gleicher Zeit entdeckte Gesetz des vierzeiligen Strophenbaus für alle lyrischen Gedichte zur An- wendung, welches in einem einzigen Gedicht eine Aenderung nothwendig macht, dagegen kritischer Willkür für viele in mancher Beziehung heil- same Schranken gezogen hat. In der zweiten Ausgabe (1854), deren Vorrede eine Reihe feiner und wichtiger Bemerkungen enthält, hat er den geistreichen Zweifeln Peerlkamps etwas zu sehr nachgegeben. Schon diese kurze Aufzählung hat Sie erkennen lassen, mit welch staunenswerther Leichtigkeit er gearbeitet, über welche immer bereiten Schätze des Wissens er geboten haben müsse, um diese lange Reihe von zum Theil bändereichen Werken grösstentheils noch in den Jahren seiner Gymnasialthätigkeit vollenden zu können. Sie erwarten nicht, dass ich hier, wenn ich es auch wollte und könnte, die Bedeutung und den Werth derselben eingehender erörtere. Das sieht man allen an, dass sie, auch wenn sie auf den Vorarbeiten vieler Jahre beruhen, zuletzt mit energischer Raschheit ausgeführt sind. Fest und kühn strebt er, wo etwas dunkel oder verworren ist, festen Boden und Licht zu schaffen. Ohne ängstlich zu suchen, was alles etwa früher geleistet worden sei, erkennt er es mit neidloser Freude an, wenn später Andere das Richtige, auch wo er selbst der Irrende war, finden. Manches ist etwas flüchtig ge- arbeitet, aber der reine Sinn für Wahrheit, die kraftvolle Frische der 8 Auffassung, das ausgebreitete, von festem und klarem Verstand beherrschte Wissen, der feine und treffende Scharfsinn leuchten immer hervor. Die Menge von Addenda, die wir häufig am Schlusse seiner Bücher finden, die Nachträge, die er zu früheren Arbeiten zu geben liebt, verrathen freilich manchmal die Raschheit seines Arbeitens, aber zeugen auch, wie er nie ruhte und sich nimmer selbst genug that. Ohne Bedeutung ist keine seiner Arbeiten, viele sind ausgezeichnet, aber vor allem dürfen wir mit vollem Recht sagen, dass seine Fragmenta comicorum graecorum zu den grössten und verdienstvollsten Leistungen der klassischen Philolo- gie gehören. Als solche haben sie allgemeine, verdiente Anerkennung gefunden und seinen Namen zu einem der berühmtesten unter den Phi- lologen dieses Jahrhunderts gemacht. Noch höhere Verdienste um die klassische Philologie hat sich Im- manuel Bekker erworben, der, in begeisterter Liebe für die Wissen- schaft und unermüdlichem Eifer Meineke gleich, von ihm in der Rich- tung seiner Studien und der Methode seiner Arbeiten, wie in seinem gan- zen Wesen durchaus verschieden war, so innig befreundet sie auch seit der Uebersiedelung Meinekes nach Berlin lebten. August Immanuel Bekker D war am 21. Mai 1785 von armen Eltern zu Berlin geboren. Er besuchte das Gymnasium zum grauen Kloster, wo er sich besonders an Spalding anschloss, und bezog 1303 von Verehrung für F. A. Wolf bestimmt die Universität Halle. Hier war er mit Boeckh im Philologischen Seminar und bald erkannte Wolf in diesen zwei seine bedeutendsten Schüler. Am 10. Mai 1806 promo- vierte er und wurde am 31. Juli Inspector des Seminars ?)}. Auch nach Schliessung der Universität (20. October 1806) blieb er in Halle und Wolf übergab ihm, als er im Frühjahr 1807 nach Berlin ging, Haus und Habe. Mehrere gehaltreiche Recensionen, die in den Jahren 1806 und 1807 in der Jenaischen Literaturzeitung erschienen, besonders die der kleinen Ilias von Heyne, zeigen uns die Einwirkung Wolfs und die Anfänge von Studien, deren reife Früchte später der Wissenschaft zu Gute kamen. Auch eine Ausgabe der Reden des Aeschines und Demo- 9 sthenes gegen und für Ktesiphon wurde begonnen, aber da ihm, was er leisten konnte, bald nach Anfang des Druckes nicht genügte, so brach er ab und weder die Mahnungen des Verlegers noch Wolfs konnten ihn bewegen die Arbeit wieder aufzunehmen; erst 1814 vollendete er diesen ersten Vorläufer seiner Leistungen für die attischen Redner 5). Noch 1807 verschaffte ihm Schleiermacher, dessen Freundschaft er in Halle gewonnen hatte, eine Hauslehrerstelle bei der Familie von Wülcknitz zu Lanke bei Bernau. Eine ausführliche Recension des wolfschen Ho- mer, die er hier 1809 schrieb, lässt uns schon neben überraschender Vertrautheit mit Homer, wie mit den Werken der griechischen Gramma- tiker, die sichere und geisterfüllte Kenntniss der Sprache nach ihren fe- sten Gesetzen und ihrer Beweglichkeit, die Beobachtung feiner Eigen- thümlichkeiten, zugleich aber auch die Bekanntschaft mit den deutschen und englischen Dichtern und der Literatur der romanischen Völker er- kennen, die ihn später in einziger Art auszeichnen ®). Als die Universität Berlin im Herbst 1810 eröffnet werden sollte, erhielt Bekker auf Wolfs Verwendung (am 9. April) eine ausserordent- liche Professur, zugleich aber auf anderthalb Jahre Urlaub, um nach Paris zu gehen und dort zunächst für Platon, dessen Herausgabe Wolf in Verbindung mit Bekker beabsichtigte, Handschriften zu vergleichen. Am 14. September 1811 wurde er an Heindorfs Stelle, der nach Bres- lau ging, zum ordentlichen Professor ernannt und sein Urlaub auf ein Jahr verlängert. So blieb er bis zum December 1812 in Paris und legte in der Bibliothek, welche damals ausser den einheimischen Schätzen auch eine überaus grosse Menge kostbarer, aus den eroberten Ländern, namentlich Italien, herbeigeschleppter Handschriften barg, den Grund zu den unvergänglichen Arbeiten, durch die er eine sichere Kenntniss der griechischen Sprache und Literatur erst möglich gemacht hat. Die erste Frucht dieses Aufenthalts war 1811 die Ausgabe der früher ungedruckten Abhandlung des Apollonios Dyskolos über das Pronomen. Ebenfalls ausgearbeitet in Paris ist die längst schon, seit Halle, vorbereitete Aus- gabe desselben ‘Apollonios über die Syntax, die 1817 erschien, und der erste Band der Anecdota graeca, der 1814 eine Menge wichtiger 2 10 grammatischer Schriften zuerst bekannt machte. Auch die beste Hand- schrift des Theognis hatte er entdeckt, so dass er den Dichter 1815 we- sentlich verbessert und um 160 Verse vermehrt herausgeben konnte. Auf der Bibliothek lernte er durch Varnhagens Vermittlung, mit dem er von Halle her befreundet war, Ludwig Uhland kennen und die gemein- schaftliche Liebe zu der altfranzösischen Literatur verband bald die beiden wortkargen Männer in inniger Freundschaft. Mit Freude erinnerten sich beide noch spät der Winterabende, die sie in Uhlands Dachstübchen in der Rue Richelieu mit dem Lesen der Lusiaden des Camoens zubrachten. Ausserdem rühmt er C. B. Hases Freundlichkeit, dem er den Theognis widmete „hospiti suo optime merito‘‘, und gedenkt der Freundschaft mit Maximilian de Seguier, in dessen Haus zu Beauvais er 1812 den Muti- nensis des Thukydides verglich und dem er Apollonios regt ovrıdlews darbrachte „hospiti suo et amico“. 1814 am 28. April begann er seine Vorlesungen an der Universität und wurde 1815 d. 3. Mai ordentliches Mitglied der Akademie der Wissenschaften. In der Leibnitzsitzung am 3. Juli trat er in sie ein, ging aber sofort wieder in ihrem Auftrag nach Paris, um Vor- arbeiten für das Corpus Inscriptionum graecarum zu machen, das Boeckh im Auftrag der Akademie herausgeben sollte. Besonders ‚wünschte man von ihm die Papiere des Abbé Michel Fourmont, die sich auf der pariser Bibliothek befinden, verglichen zu sehn. Nach einem Briefe indessen von Niebuhr an Bekker (25. Juli 1815) war dies mehr Vorwand, seine eigentliche und wichtigere Aufgabe war, sich über alle aus Deutschland geraubten Handschriften, Bücher, Urkunden, Kunst- sachen zu unterrichten und mit Gneisenau und dem Geheimen Rath Ribbentrop die Reklamationen zu verabreden. Damals liess er auch aus einer Anzahl von griechischen Handschriften verschiedener Zeit und Schriftweise Proben stechen, die dann auf elf Tafeln in Berlin erschie- nen sind und noch immer eine bequeme und lehrreiche Anleitung zum Lesen griechischer Manuskripte bilden. Nach Berlin zurückgekehrt gab er 1816 den zweiten Band der Anecdota, die späten Gedichte des Koluthos und Joannes Tzetzes, und 11 die philippischen Reden des Demosthenes heraus, alles nach wichtigen, von ihm zuerst benutzten Handschriften, die Ungedrucktes boten oder früher bekannte Texte mehr oder weniger umzugestalten forderten. Aber schon im Mai 1817 wurde er wieder auf eine Reise nach Italien gesen- det, zunächst um den neu entdeckten Schatz des Gaius in Verona zu heben, zugleich aber, die Hülfsmittel für eine von der Akademie be- absichtigte grosse Ausgabe des Aristoteles zu sammeln. Bis zum Herbst 1819 durchsuchte er mit rastlosem Fleiss die reichen Bibliotheken Ita- liens, brachte den Winter wieder in Paris zu und ging im Sommer dar- auf nach England". Erst im Herbst 1820 kehrte er nach Berlin zurück und ging nun an seine grossen Arbeiten, für welche er überreiche Samm- lungen mitbrachte. Bei seinem Studium der griechischen Literatur hatte er sich über- zeugt, wie verdorben und unzuverlässig die Texte der meisten Schrift- steller seien, dass in keinem das Verhältniss der erhaltenen Handschrif- ten sorgfältig untersucht sei, in keinem das, was eigentlich dieHSS. bieten, feststehe. Eine Anzahl wichtiger Werke lag noch ungekannt und unbenutzt in den Bibliotheken. So machte er es sich denn zur Le- bensaufgabe bisher nicht herausgegebene Schriften aufzufinden, für die wichtigsten Schriftsteller der Griechen aber so viele Handschriften als möglich aufzusuchen und sorgfältig zu vergleichen, die zuverlässigsten auszuscheiden, nach ihnen den Text festzustellen und die Abweichungen der anderen wichtigeren genau zu verzeichnen. So entstanden seine Ausgaben des Platon (1816—1823), des 3. Bandes der Anecdota und des Thukydides (1821), der attischen Redner (1823), der Bibliotheca des Patriarchen Photios (1824), der homerischen Scholien und des Aristophanes (1825), des Pausanias und Herodianos (1826), des Aratus cum scholiis (1828), des Aristoteles (1831), des Harpokration und des Lexicon homericum des Apollonios (1833). Bei fast jedem dieser zum Theil sehr umfangreichen Schriftsteller beginnt mit seiner Ausgabe eine neue Epoche. Bei vielen, so, um nur die wichtigsten zu nennen, bei Isokrates und Demosthenes, ist der Text ein vollständig anderer geworden, bei Platon, Thukydides, Aristoteles, Harpokration sind unzählige grössere und kleinere Fehler verbessert, bei SE 12 Aristoteles ist überhaupt zuerst dargelegt, was die Hss. bieten, bei allen zum erstenmal die Ueberlieferung festgestellt und ein Urtheil über dieselbe, ein Studium auf sicherer Grundlage, ein Fortarbeiten für die Verbesse- rung und Erklärung möglich gemacht, Wenn Formenlehre und Syntax der attischen Sprache jetzt im ganzen feststehen, so verdanken wir das wesentlich den durch Bekkers staunenswerthen Fleiss hergestellten Tex- ten. Dass er Xenophon wegen Mangels guter HSS. herauszugeben nicht Lust hatte, bedauert man schmerzlich bei jeder grammatischen Un- tersuchung. Freilich ist es nicht ganz leicht, sich in das durch Bekker Geleistete sichere Einsicht zu verschaffen. Seine bekannte Schweigsamkeit, für die in Berlin das geflügelte Wort Schleiermachers fortlebt: „er schweigt in sieben Sprachen‘, zeigt sich auch in den wortlosen, nur aus den ver- schiedenen Lesarten und den Zeichen für die HSS. bestehenden Anmer- kungen, für die meist nicht einmal eine Vorrede den Schlüssel bietet, höchstens ein Verzeichniss der benutzten HSS. gegeben wird. Man hat häufig genug gemeint, dass in diesen Ausgaben nichts als Ergebnisse eines ausserordentlichen, aber nur mechanischen Fleisses vorliegen. Je mehr man aber Bekkers Ausgaben studiert, desto mehr überzeugt man sich, dass nur sichere Vertrautheit mit dem Schriftsteller und seiner Eigenthümlichkeit in Denk- und Ausdrucksweise, ein geistiges Eingelebtsein in die Sprache, die umsichtigste Vergleichung der HSS. unter einander, nach langer Arbeit es ihm möglich machten, sowol die beste Ueberlieferung zu erkennen, als wie weit ihr wieder in jeder einzelnen Stelle zu folgen sei zu entscheiden. Oft ist es eine einzige HS., die der ganzen Menge der übrigen gegenübersteht, und es gehört ` dann nicht geringe Energie dazu, den ganzen bisherigen Text über Bord zu werfen und nur der einen HS. zu folgen. So hat er es im Isokrates und Demosthenes, im Theognis, zum Theil auch im Platon gethan. Und bei aller Behutsamkeit und Scheu von den HSS. abzuweichen ist er weit entfernt nicht anzuerkennen, dass selbst die beste nicht frei von Fehlern ist, weit entfernt etwas schützen zu wollen, allein weil es in den Hss. steht. Er kennt und befolgt den Grundsatz wahrer l 13 Kritik, dass wir der Ueberlieferung der HS., die als die beste er- kannt ist, folgen, nicht weil sie Ueberlieferung ist, sondern weil und wann sie uns nach inneren und äusseren Gründen wahr zu sein scheint, dass aber die durch Vermuthung gefundene Wahrheit vollkom- men gleich steht der durch Ueberlieferung gebotenen. Und aus jedem der von ihm bearbeiteten Schriftsteller lässt sich auch eine Reihe von Stellen anführen, in denen er selbst erst in sicherer Sprachkenntniss oder scharfsinniger Erwägung des Gedankens das unbezweifelt Richtige durch Vermuthung hergestellt hat. Fast immer zeichnen sich diese Ver- muthungen durch überraschende Leichtigkeit und Einfachheit aus. Ver- kennen aber lässt sich nicht, dass sein Glaube an die Ueberlieferung im Laufe der Zeit freier geworden ist: er selbst spricht es in der zweiten Bearbeitung des Herodian, zu den Biographien Plutarchs, in der Vorrede zu der letzten Ausgabe des Homer aus. Allerdings hat er sich zuwei- len in seinem Urtheil über die Hss. geirrt, wie im Lysias, im Aeschi- nes, in einigen Werken des Aristoteles, und durch Willkür hervorge- brachte Glätte des Textes der schadhaften, aber in ihrem Grunde echten Ueberlieferung vorgezogen. Er hat sich in andern Schriftstellern, wie im Demosthenes und Platon, nicht consequent genug an die besten HSS. angeschlossen. Auch sonst hat er natürlich nicht selten in der Wahl der Lesart geirrt- Aber je mehr man in die Kenntniss der von ihm bearbeiteten Schriftsteller eindringt, um so mehr erkennt man auch, wie richtig sein Blick in der Scheidung der HSS., in der Wahl der Les- arten gewesen ist, und um so vorsichtiger bedenkt man sich, ehe man auch im Einzelnen von seinem Urtheil abweicht. Erst von Bekker haben die Jüngeren die Methode wahrer Kritik gelernt, wie selbst Lachmann freudig bekannte, und nicht allein für die Behandlung griechischer Texte ist sein Verfahren Vorbild geworden und wird es bleiben. Man hat ihm auch vorgeworfen, dass seine Vergleichungen nicht genau seien. Und er giebt selbst 1854 (Mon. Ber. d. Akad. d. Wiss.) eine „Nachlese von Varianten zu seinem Demosthenes aus der HS. X“ und 1861 „Lesarten der urbinatischen HS. des Isokrates, die im Druck durch Zufall oder Fahrlässigkeit theils übergangen sind, theils ungenau angegeben.“ Aehn- 14 liches hat sich bei Aristoteles und Anderen ergeben. Es ist auch rich- tig, dass Nachvergleichungen selbst wichtiger HSS., die Andere angestellt, manches Versehn und Uebersehn nachgewiesen haben, ich selbst hab’ es mehreremal so gefunden. Aber wenn man das hervorhebt, so vergisst man, dass auch die sorgfältigste Vergleichung immer Einiges übersieht und dadurch, dass sie vorhanden ist, die Auffindung des Uebersehenen wesentlich erleichtert. Und was viel wichtiger ist, dadurch dass Bek- ker über 400 HSS. ganz oder theilweise verglichen, wie er mir 1839 bei der Rückkehr von seiner letzten italienischen Reise in Zürich sagte, und auf diese Weise für so viele Schriftsteller den festen Boden geschaffen hat, ist der Wissenschaft unvergleichlich grösserer Nutzen erwachsen, als wenn er vielleicht 50 mit langsamer Aengstlichkeit ausgebeutet hätte. In äusserst wenigen Schriftstellern, die er herausgegeben hat, ist eine Umgestaltung nöthig, bei weitem in den meisten nicht mehr als eine Aehrenlese möglich. Nur die Ausgabe des Aristophanes ist leider unzuverlässig, aber die Schuld trägt hier nur die Nachlässigkeit des englischen Verlegers. Seit er 1820 nach Berlin zurückgekehrt war, wurde sein ruhiges Gelehrtenleben nur noch einmal durch die erwähnte Reise nach Italien im Sommer 1839 unterbrochen, In der schönen Stille eines innigen Familienlebens, in geistig bewegtem Verkehr mit ausgezeichneten Männern seines und anderer Fächer, in der Freude ununterbrochener, angestrengter Arbeit waren ihm die Bedingungen eines ruhigen Glückes gegeben. So still er meist in Gesellschaft war, so bedeutend und geistvoll waren die rasch hingeworfenen Worte, wenn er einmal sprach. So kaustisch sein Witz sein konnte, sein Geist war, wie für alles Schöne ernst begeistert, so voll tiefer und lebhafter Empfindung. Nicht selten wurde er früher, wenn er in der reimerschen Familie vorlas, vom Gefühl überwältigt und warf nach vergeblichen Versuchen ruhig fortzufahren das Buch hin und eilte fort. Karl Reimer hat mir wiederholt erzählt, wie er sich mit wah- rer Freude des Unterrichtes erinnere, den Bekker ihm und seinem Bru- der in den neuern Sprachen ertheilt hatte: so ausgezeichnet habe der ernste Mann mit finsterem Aussehn es verstanden der jugendlichen Auf- fassung freundlich sich anzubequemen und durch treffliche Methode seine 15 Schüler rasch vorwärts zu bringen. Besonders gefiel er sich eine lange Reihe von Jahren in der berühmt gewordenen griechischen Gesellschaft, die immer eine Anzahl der ersten Gelehrten Berlins (ich nenne Schleiermacher, Boeckh, Buttmann, Lachmann, Trendelenburg, Meineke, Haupt) in ge- selligem Kreise vereint hat. Man las griechische Schriftsteller, Pausanias, Herodot, Thukydides, Tragiker, und die bedeutenden Männer hatten eine so feste Ueberzeugung von der Ueberlegenheit Bekkers, dass sie sich seinem Urtheil willig unterordneten. Als Gast hab’ ich einigemal zu be- merken Gelegenheit gehabt, dass ein leise hörbares Murren des Schweig- samen hinreichte geäusserte Bedenken und Ansichten niederzuschlagen. Für die Vorlesungen an der Universität hatte er keine besondere Neigung 5), er beschränkte sich auf eine kleine Zahl exegetischer Kollegien, ich meine über die Reden bei Thukydides, Aeschines gegen Ktesiphon, und einige Reden des Isokrates. Aber seine Hefte dafür waren auf das Sorgfältigste ausgearbeitet und durch eines über Isokrates, das ich einmal durchsehn konnte, hab’ ich mich überzeugt, dass die Wenigen, die Eifer genug besassen bei seinem trocknen Vortrag auszuharren, durch eine Fülle der feinsten Bemerkungen zu richtiger Auffassung sprachlicher Erscheinungen und der Eigenthümlichkeit des Schriftstellers trefflich an- geleitet wurden. Eifrig nahm er an den Arbeiten der Akademie der Wissenschaften Theil, in deren Auftrag er sich namentlich der gewaltigen Aufgabe zum erstenmal einen zuverlässigen Text des Aristoteles herzustellen unterzog. Die Arbeiten, die er in ihren Schriften drucken liess, sind meist Aus- gaben provenzalischer und altfranzösischer Texte, Fierabras, La vie St. Thomas le martir, Flore und Blanceflor, der Roman von Aspremont, die altfranzösichen Romane der St. Marcus Bibliothek, provenzalische geist- liche Lieder des dreizehnten Jahrhunderts. Auch in diesem Gebiet ist er als Meister allgemein anerkannt. Und wie umfassend seine Kenntniss dieser Literatur war, zeigen auch die Vergleichungen ihrer Dichtungen mit den homerischen, die er während der letzten Jahre in den Monats- berichten der Akademie mitzutheilen pflegte. Noch in Halle hatte er den Gedanken gehabt ein Wörterbuch der 16 griechischen Sprache, zunächst, wie es scheint, für Gymnasien, auszuarbeiten, aber bald gab er es auf und nur die Bearbeitung des kleinen griechischen Wörterbuchs in etymologischer Ordnung von Niz (1821), die eine Menge feiner Gedanken enthält, ist in dieser Richtung von ihm vorhanden. Die Schwierigkeiten und Mühsale lexikalischer Arbeit, von denen bekannt- lich schon Joseph Scaliger sagte: omnes poenarum facies hic labor unus habet; waren es gewiss nicht, die Bekker zurückschreckten, aber das Be- wusstsein seiner eigentlichen Begabung und die Macht lieber Gewohnheit führten ihn immer wieder zu kritischen Textesgestaltungen zurück. So erschienen von ihm nach den durchgreifenden Ausgaben, welche ich oben erwähnte, zunächst noch 25 Bände in dem Corpus scriptorum historiae byzantinae, welches Niebuhr begonnen hatte und die berliner Akademie fortsetzte, in den Jahren 1834—18556), ausserdem aber Hero- dot 1833, Sextus Empiricus 1842, Polybios 1844, Pollux 1846, Dio Cassius 1849, Lucianus 1853, Suidas 1854, endlich 15 Bände der teubnerischen Bibliotheca, darunter Diodor, Appian, Josephus, in denselben fünfziger Jahren. Bei diesen Ausgaben standen ihm keine, oder nur unzureichende handschriftliche Mittel zur Seite. Nur das wichtige Onomastikon des Pollux und die Schriften des Sextus machen eine Ausnahme und hier sagen auch die Titel mit vollem Recht ex recensione, während vor den übrigen nur ex recognitione steht. Diese Schriftsteller sind nicht alle mit gleicher Sorgfalt bearbeitet, aber dennoch hat seine gründliche Sprach- kenntniss und sein Scharfblick bei Erfassung des richtigen Sinnes in allen eine Menge von Versehen früherer Herausgeber beseitigt und es ist keiner, der nicht in einer grössern Anzahl von Stellen durch ihn ge- wonnen hätte. Dasselbe gilt auch von den einzigen lateinischen Schriftstellern, die er, ausser den späten Gedichten des Merobaudes und Corippus in der Byzantiner Sammlung, herausgegeben hat, von Livius (1823) und Tacitus (1831). Namentlich hat letztere Ausgabe das Verdienst entschieden wieder auf die beiden Codices medicei zurückzugehn. Sie hat so für die Verbesserung des Geschichtschreibers neuen Anstoss gegeben und durch Beseitigung vieler früherer Irrthümer, durch Aufnahme der hand- 17 schriftlichen Lesarten, durch manche scharfsinnige Vermiutliang selbst dafür werthvolle Beiträge geliefert. Die letzten fünfzehn Jahre etwa seines Lebens blieb er fast aus- schliessend in das Studium der homerischen Gedichte vertieft, von denen er in früher Jugend ausgegangen war und die er nie aus den Augen verloren hatte. 1858 erschien seine neue Ausgabe der Ilias und Odyssee, 1863 seine homerischen Blätter, und von da an in den Monatsberichten der Akademie eine Reihe kürzerer und längerer Bemerkungen über ho- merische Sprache oder die Sitte und Denkungsweise der heroischen Zeiten, die in jenen Dichtungen hervortritt. Die letzten derselben hat er der Akademie fast 86 Jahre alt am 20. Februar d. J. vorgelegt. In fünfzig Jahren seiner homerischen Studien, sagt er in der für ihn ziem- lich ausführlichen Vorrede zur Ilias, habe er immer mehr erkannt, dass einzig die Analogie, d. h. eingehende Beobachtung und Vergleichung des Sprachgebrauchs, dessen Gleichmässigkeit angenommen werden müsse, in allen Fragen der: homerischen Kritik die Entscheidung zu geben ver- möge, nicht die späten Handschriften, nicht das Urtheil der Alexandriner, die bei aller Gelehrsamkeit und allem Scharfsinn häufig befangenen Blick hatten und doch auch keine andere Grundlage für ihr Urtheil be- sassen, als die homerischen Gedichte selbst. Er denkt deshalb nicht etwa an einen Dichter Homeros, nicht an ursprüngliche Einheit der Ilias oder Odyssee, aber er nimmt wol an, dass diese Gedichte, alle in Zeiten noch wenig-individualisirter Volksbildung entstanden und Jahrhunderte lang gleichmässig durch Sinn und Mund des Volks gegangen, nach und nach eine Gleichmässigkeit der Sprache bekommen haben müssen, die den Grundsatz der Analogie rechtfertige. Je mehr man aber die Ana- logie hier beobachtet, um so mehr schärft sich durch diese Beobachtung das Auge Aehnlichkeiten und Verschiedenheiten wahrzunehmen. Es ist dies ohne Zweifel eine vollkommen berechtigte Auffassung, die schon durch Frühere und mehr noch durch Bekker zu bedeutenden Ergebnissen für die Herstellung der homerischen Gedichte geführt hat und, da die Beobachtung noch keineswegs abgeschlossen ist, wie schon Bekkers eigene, immer neu hinzugekommene Bemerkungen zeigen, auch ferner noch immer weiter führen wird. Man hat an Bekkers Behandlung getadelt, 3 18 dass er die Forschungen der vergleichenden Grammatik nicht benutzt habe, ohne welche ein Urtheil über die eigenthümlichen Bildungen jener frühen Sprachperiode nicht möglich sei, und dass er deshalb in vielen Punkten bedeutend geirrt habe. Gewiss: das Gewicht der Sprachver- gleichung für solche Untersuchungen ist gross, in vielen Punkten ent- scheidend, und niemand war bereiter Berichtigungen seiner Ansichten anzunehmen als Bekker. Aber doch liegt in jenem Tadel eine Unge- rechtigkeit. Erstens hatte sich Bekker in einer Zeit ausgebildet, die von vergleichender Sprachforschung noch nichts wusste. Auch kommt es für die Feststellung eines homerischen Textes nicht sowol darauf an, auf welche Formen wir aus gewissen Erscheinungen der jetzigen Ueber- lieferung als die ursprünglichen zurückzuschliessen berechtigt sind, sondern zu welcher Gestalt sich nach und nach die Gedichte im Munde des Volkes und der Rhapsoden umgebildet hatten, als sie durch die Schrift fest wurden. Und wenn die sprachliche Untersuchung der homerischen Gedichte des Beiraths der vergleichenden Sprachforschung nicht entbehren kann, so muss sich ebenso auch diese auf vorausgegangene genaueste Prüfung und Feststellung des Ueberlieferten durch jene stützen. Diese Grundlage zu schaffen hat Bekkers Verfahren einen wesentlichen Schritt vorwärts gethan. Ausserdem aber zeigen die homerischen Blätter in ihrer lebendigen, geistvollen Fassung jedesfalls, dass Bekker die Kenntniss der mittelalterlichen und neueren Poesie der germanischen und roma- nischen Völker mit der der griechischen und römischen Dichter in einer Weise verband, wie sich selten in einem Geiste vereint finden wird. Kurz, wir hätten, wenn es darauf ankäme, wol das Recht, den Kritiker zer &oyiv statt durch den Namen Aristarchs durch den Immanuel Bekkers zu bezeichnen. Aber ich glaube meinem Vortrag zur Erinnerung an die beiden theuren Männer einen besseren Schluss mit den bekannten Worten des Psalters zu geben: Unser Leben währet siebenzig Jahre, und wenn es hoch kommt, so sind es achtzig Jahre, und wenn es köstlich gewesen ist, so ist esMühe undArbeit gewesen. Denn es fähret schnell dahin, als flógen wir davon. 19 Anmerkungen. 1) »Schon habe ich meo periculo Bekkerus drucken lassen, weil ich, wenn ich Sie einmal mit Vertrauen noster nennen kann, Bekker noster zu drollig fand. Ihre Meinung freut mich also, und zu Eman(uel) B(ekkerus) ist eben auch noch gerade der letzte Moment offen; um also nicht 2 Augustos hier in alter Litteratur als Mehrer des Reichs zu haben. Denn Böckh heisst auch so. Durch Immanuel aber würden Sie besser dem Königsberger Allzermalmer ähnlich geklungen haben«. Aus einem Briefe F. A. Wolfs vom 20. Juli 1811. (Auf dem Titel von Apollonius de pronomine im Museum antiquitatis studiorum steht: Edidit Emanuel Bekke- rus. Im Einzelabdruck zuerst: Editus ab Immanuele Bekkero.) Die Einsicht in eine grosse Anzahl von Briefen F. A. Wolfs an Bekker aus den Jahren 1807—1814, in mehrere Aufzeichnungen von Bekkers eigner Hand, und Niebuhrs Brief verdanke ich der zuvorkommenden Güte des Hern Professor Dr. Ernst Bekker in Greifswald. 2) Vgl. Arnoldt, Fr. A. Wolf 1 8. 96 E 127. 3) »Mein Rath ist meine angetragene Vermittlung bestens zu benutzen, das Lexicon (was immer den Schulen ersehnter wird) zu machen, die Orationes zu vol- lenden; daneben auch zur Vollendung des Apoll. Dysc. das Mögliche zu thun.« Aus einem Briefe Wolfs vom 3. Aug. 1807. »Eilen Sie, wertester, dass Sie aus dem Neste wegkommen. Schl(eiermache)rs Vorschlag ist weit weit besser, als viele, zu denen sich wol jemand in Ihrer itzigen Lage entschliessen müste; und geht es nicht nach Wunsch, so haben Sie jadoch Berlin nahe. Da können wir bis zu Ostern mit etwas Besserem uns beschäftigen. — Izt muss durchaus jeder auf sich selbst stehen, aber dann — freilich auch nicht in Lusiadas lesen, wenn er eben durch Fertigung eines gr. Lex. einen Sosius zu tactmässigem Bezahlen vom‘ Honorar locken und zwingen will. Nach Laune zu arbeiten ist diese Zeit durchaus nicht, noch weniger nach Paris zu reisen. Ihren Recc. von Bast und Boiss(onade) sehe ich mit schöner Erwartung entgegen, wenn ich gleich hier wenig Zeitungen las: auch bringt man alles so unordentlich. — Aber behandeln Sie ja — bei der Publicität, die das Au leider nun hat, (was der erste Grund zu Ihrem hall(ischen) Verdruss bei der Justizrotte ohne allen Zweifel ist) keinen der Pariser so, dass er Ihnen einst alle Codd. verstecken hilft«. Aus einem Briefe Wolfs ohne Datum, aber offenbar aus d. Ende v. 1807. 4) Hier ein Verzeichniss der in der Jenaischen EEE 1806—1810 erschienenen Recensionen nebst einigen Auszügen. Dies Verzeichniss erscheint um so nöthiger, als Arnoldt F. A. Wolf 2 S. 411 ff. die Rece. 2.7. 8.9. 10. 11. 12. 13. 14 unbe- greiflicher Weise theils unzweifelhaft, theils wahrscheinlich von Wolf ver- fasst nennt. Dass aber die mit Juu. Ax. R. M. P. unterzeichneten von Bekker 3 * 20 sind, giebt er selbst an: Gelehrtes Berlin im Jahre 1825 S. 12. Dass es die mit dw. sind, zeigt die Aeusserung Wolfs, die S. 19 mitgetheilt ist. Dass endlich auch die P. F. T. unterzeichnete von ihm herrühre, sagt Bekker homer. Blätter S. III. Auf sie geht wol Wolfs Aeusserung über die hallische Justizrotte in dem angeführ- ten Briefe. 1. Homeri Ilias cum brevi annotatione curante Chr. G. Heyne. 1804. 2 Voll. — Jen. L. Z. 1806, 45—47. Aæ. Wieder abgedruckt in den homer. Blättern S. 1—27. 2. M. Tullii Cie. Tusculanarum disputationum libros quinque — ed. Rath. Halle 1805. — ` Ae. 1806, 49. 50. »Wenn irgend eine Kunst von denen, die sich ihr widmen, Ernst und Beson- nenheit fodert, so ist es die philologische Kritik. Weniger auf Regeln als auf das Gefühl vertrauend; weniger dem Fleisse günstig, der in jedes Macht steht, als der Divination, die niemand erzwingen kann, scheint sie eine Geburt der Willkühr, ein Spiel des Witzes, der ihr Gebiet durchschwärme, ohne zu wissen, von wannen er komme, noch wohin er wolle. Aber so viele auch dieser Schein täuschen mag: der Kritiker kann durch die That zeigen, dass seine Freyheit Gesetze ehrt, dass sein Grund fest steht, dass sein erreich- bares Ziel Wahrheit ist und — wo nicht für die Augen der Menge, vor deren Beyfall und Tadel er schon durch die esoterische Natur seines Studiums gesichert ist, doch für den helleren Blick der Wenigen, in denen er Richter und Kenner zugleich achtet — so gewisse, so einleuchtende Wahrheit, als nur immer den Mathematiker stolz macht. Nur, um zu finden, was dieser findet, muss er suchen, wie dieser sucht; muss streben nach derselben Sicher- heit in den Prineipien, derselben Stätigkeit in den Folgerungen, derselben Strenge in der Beweisführung. Wer aber das leichtere Theil erwählt, wer an Gelehrsamkeit und Urtheil so arm als an Leichtsinn und Anmassung reich, sich vermisst, was in den engen Kreis seiner Einsicht nicht eingeht, mit pro- krustischen Griffen hineinzuzwängen, oder auch vermuthet, um zu vermuthen, der verkennt die Würde der Wissenschaft, und entweiht die heiligen Denk- male des Alterthums«. Kol. 385. Fälschlich schreibt Arnoldt Fr. A. Wolf 1 S. 125 diese klassischen Worte und die ganze Recension Wolf zu. A Anweisung für angehende Theologen zur Uebersicht ihres Studiums. Halle 1805. — P. F. T. 1806, 77. 78. A == & The works of Plato — translated — by Thomas Taylor. 1804. 5 voll. dein. 1806, 161. 162. 21 A. Tovgiodwgov Bios čhws. Ilustrata a Thoma Northmore. - London aaoi; — Aw. 1807, 33. - 6. Xenophontis Memorabilium Socratis dietorum et factorum — libri quatuor. Textum recognovit G. Lange. Halle 1806. — Zu. 1807, 61. 7. Homeri Odyssea. Editio nova und Homeri Ilias. Halle im Waisenhause. 1805. 1806. — Au. 1807, 61. 8. . Aristophanis Plutus. Graece. — Edidit Chr. Th. Kuinoel. 2 voll. Giessen, 1804. 1805. — Ju. 1807, 84. Ag »Aristophanes darf nicht auf Schulen gelesen werden. So gern wir in diesen Zeiten trübseligen Ernstes dem Scherze das Wort reden, und so überzeugt wir sind, nicht eher könne des Scherzes Göttin, die komische Muse, einhei- misch unter uns werden, bis befreyter, erheiterter Sinn ihrem liebsten und freudigsten Zögling allgemein die Ehre und Liebe darbringt, die itzt wenige bekennen: so fest glauben wir auch, dass unrathsam sey, unmündigen Knaben, lüsternen Jünglingen Gedichte Preis zu geben, die, mehr als alle andere; von reifen Gemüthern und Geistern genossen seyn wollen, und auf die Halbver- stehenden — wie aber mag die Schuljugend ganz verstehen, was in dem fer- nen Alterthum unserem Verständniss am fernesten abliegt? — nur schädlich einwirken können, indem sie zwar die Frechheit zeigen, nicht aber das hö- ~ here Gesetz enthüllen, das die Frechheit zur Freyheit heiliget.« Kol. 58. 9. - M. T. Ciceronis Academica. Emendata — illustrata studio Fr. Hülsemann. Magdeburg, 1806. — u. 1807, 118. 0. M. Tullii Ciceronis Academica. Edidit R. G. Rath. Halle, 1806. — Au. 1807, 119. 11. Q. Ennii Medea. — Dissertatio, quam — defendet auctor H. Planck. Göttingen, 1807: — du. 1807, 119. H < 12. 1) Huoðwgov Aldıonızar PBıßlia dëse x — Elben — Ó A. Kogens. 2 néon- Paris, 1804. ` 2) Heóðoopos anar Aën fëege reg ërem Klavðiøv havo TIV novxilnv er, Hoaxisidov tov Hovuzxoö, Nixolcov Wü Aauaoxnvov Tà owlousve. Paris, 1805. — Zu. 1807, 133. 134. (Der Roman ist) »bey allen diesen Vorzügen« (die der Herausg. gerühmt hatte), »so langweilig und unleidlich, an Natur und Empfindung so arm, an Pedan- terey und falschem Pathos so reich; im Vortrage so eintönig und breit, in den Gedanken so nüchtern und geziert, dass nur ein Herausgeber, der sich auf einige Zeit ganz in seinen Autor hinein, und aus allen übrigen heraus gelesen hat, sich einbilden kann, wenn er ihn lobpreiset, doch nicht in den Fehler derer zu fallen, os ömoio zoüs næg’ array Eudıdousvous ovyyoagysis 22 2x3sıdlovow. Unser Urtheil auszuführen, gebricht hier der Raum; wir ge- trösten uns aber der Beystimmung eines Jeden, der die, an anderen, als an Recensenten und Editoren, kaum vorauszusetzende Geduld hat, sich durchzu- schlagen durch die unendlichen zehn Bücher der äthiopischen Liebesabentheuer, deren höchstes Verdienst seyn möchte, dass sie Cervantes zum Persiles und Koraes zu dieser Bearbeitung veranlasst haben.« Kol. 453 f. 13. In Platonis qui vulgo fertur Minoem — commentabatur A. Boeckh. Halle 1806. — 4x. 1807, 217. D »Es bedarf kaum der Erinnerung, wie dieses mit Scharfsinn gezogene und begründete Resultat« (dass die Dialoge über das Gesetz, die Gewinn- sucht, das Gerechte und die Tugend von Simon seien) »gar nicht un- wichtig ist, weder für die Kenntniss der griechischen Literatur im Allgemei- nen, noch im Besonderen für das Studium des Platon. Denn da das Ver- ständniss des Platon an vielen Orten schwer, und, in seiner Vollständigkeit, unmöglich wird eben durch unser Unvermögen, die mannichfachen, meist leise angedeuteten Beziehungen auf Leute, Schriften, Begebenheiten, die jetzt ver- schollen sind, zu verfolgen oder auch nur zu merken: so muss uns jede Ge- stalt, die sich aus der Masse der platonischen Umgebungen als eigenthümlich hervorsondert, willkommen seyn, wäre sie auch an sich selbst reizlos und werthlos. Reiz ist nun allerdings spärlich über unseren Meister ausgegossen: Werth aber, historischer nämlich, muss ihm zugestanden werden, als dem, der allein, wenn wir nicht irren, im Rathe der Schriftsteller den Stand ver- tritt, bey welchem Sokrates, wie er in der Apologie erzählt, mehr Weisheit fand, als bey den Staatsleuten und den Dichtern und Weissagern, den zahl- reichen und ehrsamen Stand jener Weber, Zimmerer, Schmiede, Schuster und _ anderer Handwerker, an die wir fast in jedem platonischen Dialoge durch Vergleichungen und Anspielungen nur allzuoft erinnert werden. Wie ein athenischer Mann dieser Classe, ohne höhere Gaben, als womit wahrschein- lich die meisten der Vielen in Athen gesegnet waren, und ohne tiefere Bil- dung, als die beynahe unwillkührlich aus den für alle zugänglichen Quellen geschöpft werden musste, im Stande gewesen sey die Lehre und die Methode eines Sokrates, eines Platon anzusehen, aufzunehmen, was ihm fasslich war und wohlgefiel, festzuhalten, auf eigene Weise fortzubilden, und in wenigstens theilweise neuer Gestalt wiederum ausser sich darzustellen: davon geben diese Dialogen des Simon eine so anschauliche Vorstellung, als nur immer ge- wünscht werden konnte: Kol. 522 f. 14. Lettre critique de F. J. Bast — à Mr. J. F. Boissonade sur Antoninus is, Parthönius et Aristenete. Paris 1805. — 4x. 1807, 287. 23 Å Die Recension ist bei aller Anerkennung des Guten streng, aber gerecht, wie Bast thatsåchlich durch die Berücksichtigung der meisten Bemerkungen in der zwei- ten Ausgabe (vgl. unten Rec. Nr. 19) anerkannte: vgl. auch zu Gregorius Cor. p. 935 ff. Noch jetzt sind mehrere von Bekker vorgetragene Vermuthungen nicht benutzt. Goethe allerdings war mit der Recension nicht ganz zufrieden. »Was Goethe hat«, schreibt Wolf am 15. Februar 1808 an Bekker, »Ihre Recens. des Bast wie mir Ef(ichstädt) schreibt, zu hart und zu bitter zu finden, verstehe ich nicht, so nicht etwa E. Bast statt Boiss(onade) geschrieben hate. 15. ®iloorgerov ‘Howix& — recensuit — J. Fr. Boissonade. Paris, 1806. — Ax. 1807, 288. Mehrere Bemerkungen, die das Richtige treffen, sind auch in den neuesten Aus- gaben unberücksichtigt geblieben. 16. H. Hoogeveen doctrina particularum linguae graecae. In epitomen redegit Chr. G. Schütz.. Ed. I. Leipzig, 1806. — 4u. 1808, 70. 17. Ueber das Wahre, Gute und Schöne; drey Dialogen des Plato. Theaetetos, Philebos. Hippias d. gr. — übersetzt — von Fr. Hülsemann. 2 Theile. Leipzig, 1807. — Zu. 1808, 91. 92. 18. “Ourcov Zeg, Homeri et Homeridarum reliquiae, ex recensione Friderici Augusti Wolfii. -5 voll. Lipsiae, 1804—1807. — R. M. P. 1809, 243—249. Wieder gedruckt in den Homer. Blättern S. 28—98. vgl. Vorwort p. IV. 19.. 1) Fr. J. Bastii — Epistola critica ad V. Cl. J. Fr. Boissonade super Antonino Liberali, Parthenio et Aristaeneto — e lingua Gallica in Latinam versa a C. A, Wiedeburg. Leipzig, 1809. 2) Appendix ad F. J. Bastii epistolam criticam. — Edidit G. H. Schäfer- Ebenda, 1809. — 4x. 1810, 125. 20. 1) Ellmixis Bıßhuodriens tóm. d. P. -Tooxodzovs ñóyos sei čmorolai. Paris, 1807. 2) Ehh. fif. tów. y. d. Hhovrdoyov Bio nagalinioı. Mieg á sei P. Paris, 1809. 1810. ` 3) Hagsoyav “Eld. Bibh. tów. d. Tolvaivov orgermynuarov Giëig dkr, Paris, 1809. — R. M. P. 1810, 188—188. Diese letzte, lange Recension enthält vortreffliche grammatische Ausführungen (z. B. über das Medium Kol. 263 ff.) und Berichtigungen einzelner Stellen der drei Schriftsteller.. Zu Polyaenos hat sie Wölfflin öfters angeführt. *) Bekker und Brandis reisten im Anfang Oktobers 1819 von Turin über Genf, Basel und Strassburg nach Paris. Es ist ein tragikomischer Beitrag zur Kenntniss jener traurigen Zeiten, dass die beiden Gelehrten ihres ae ae Aufenthalts t g zu Mainz in Strassburg wegen von der Bundes-Central-U 24 »polizeilicher Aufmerksamkeit« werth siri worden. : Vgl. »Briefe aus ai Dema- gogenzeit« Im neuen Reich. 1872. Ki 26 f. 5) Mit Zagen hatte er begonnen: es macht einen RER Eindruck, wenn er auf einem Blättchen, dessen Einsicht mir vergönnt worden ist, am 23. April 1814 bemerkt: »über 8 Tage coepero« und daneben: »coepi! 3. May«. An diesem Tage _ nemlich merkt er an: »zum 1 Mal 3⁄4 St. ausgefüllt«, während er am 28. geschrie- ben hatte: »Gelesen 8'/4 bis 83⁄4. ois et, GAV Uno u Iapoaikac«. und am 29. »item.« 6) Die 25 Bände sind: 1. Dexippi,. Eunapii, Petri Patricii, Prisci, Malchi, Menandri historiarum quae supersunt. 1829 (In Verbindung mit Niebuhr). 2. Ducae historia byzantina. 1834. 3. Theophylacti Simocattae historiarum libri VII. 1834. 4. Nicetae Choniatae historia. 1835. 5.6. Georgii Pachymeris libri XIII. 2 voll. 1835. 7. Michaelis Glycae annales. 1836. 8. Merobaudes et Corippus. 1836. 9. Constantini Manassis breviarium historiae metricum. Ioelis Chronographia com- pendiaria. Georgii Acropolitae Annales. 1837. 10. Zosimus. 1837. 11. Ioannes Lydus. 1837. 12. Pauli Silentiarii Descriptio templi Sanctae Sophiae. Georgii Pisidae Expeditio persica, bellum avaricum, Heraclias. Sancti Nicephori Breviarium. 1837. 13. Theophanes continuatus, Ioannes Cameniata, Symeon Magister, Georgius Monachus. 1838. 14. 15. Georgius Cedrenus. 1838. 1859. 2 voll. 16. Geor- gius Phrantzes, Ioannes Cananus, Ioannes Anagnostes. 1838. 17. Codini Curopa- latae de officialibus palatii Cpolitani et de officiis magnae ecclesiae liber. 1839. 18. Constantini Porphyrogeniti de thematibus et de administrando imperio. Acce- dit Hieroclis Synecdemus. 1840. 19. Ephraemius. 1840. 20. Anastasii Biblio- thecarii historia ecclesiastica, 1841. 21. Leonis Grammatiei chronographia. 1842, 22. Laoniei Chaleocondylae Atheniensis historiarum libri X, 1843, 28, . Georgi Codini excerpta de antiquitatibus Cpolitanis. 1843.24. Michael Attaliota. 1853. 25. Nicephorus Gregoras. 1855. Hier werden am passendsten auch noch die Herausgabe des bis dahin, wie er glaubte,. ungedruckten Gedichtes »Demetrii Moschi Helena et Alexander« in Friedemann und Seebodes miscell. crit. 2 p. 476—487 (vgl. Ellissen, Neaera 8.25 ff.) und »Der Roman von Flore und Blancheflor« Neugriechisch (Abh. d. K. Ak. d. Wiss. 1845 S. 197 _ 140) erwähnt. Die bei Teubner erschienenen Schriftsteller sind: Appiani Alexandrini historia romana. 1852. 1853. 2 voll. Diodori Siculi bibliotheca historica. 1853, 1854. 4 voll. Apollodori bibliotheca. 1854. Heliodori aethiopicorum libri decem. 1855. Herodiani ab exeessu divi Marci libri octo. 1855. Flavii Iosephi opera omnia. 1855. 1856. 6 voll. ` KE